Grammatik der Namen im Wandel: Diachrone Morphosyntax der Personennamen im Deutschen 9783110600865, 9783110598353

Proper names have developed particular morphological and syntactic characteristics in recent language history. Based on

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German Pages 381 [382] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Einleitung
2. Eigennamen und Personennamen
3. Der zweigliedrige Personenname – grammatischer Status und morphosyntaktischer Wandel
4. Die diachrone Deflexion der Personennamen
5. Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen
6. Fazit und Ausblick
Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang
Index
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Grammatik der Namen im Wandel: Diachrone Morphosyntax der Personennamen im Deutschen
 9783110600865, 9783110598353

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Tanja Ackermann Grammatik der Namen im Wandel

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Christa Dürscheid, Andreas Gardt, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger

Band 134

Tanja Ackermann

Grammatik der Namen im Wandel

Diachrone Morphosyntax der Personennamen im Deutschen

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft

ISBN 978-3-11-059835-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-060086-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-059872-8 ISSN 1861-5651 Library of Congress Control Number: 2018945374. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner 2017 an der FU Berlin angenommenen Dissertation „Die Morphosyntax der Personennamen im Deutschen – synchrone und diachrone Perspektiven“. Hier seien nun einige für mich besonders wichtige Personennamen genannt, deren Träger und Trägerinnen mich auf dem Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Manuskript auf unterschiedliche Art und Weise unterstützt haben. Ihnen gilt an dieser Stelle mein herzlicher Dank. An allererster Stelle danke ich meinem Erstbetreuer Horst Simon, der mir durch einen optimalen Mix an Freiraum, Witz und Diskussionsbereitschaft die bestmögliche Atmosphäre zum Promovieren geschaffen hat. Von seinen kritischen Kommentaren und freundschaftlichen Ratschlägen hat nicht nur diese Arbeit profitiert. Großer Dank gilt auch meiner Zweitbetreuerin Damaris Nübling, die meine Sicht auf Sprache während des Studiums wesentlich geprägt und mich mit ihrer Begeisterung für historische Sprachwissenschaft im Allgemeinen und Namengrammatik im Besonderen angesteckt hat. Meinen AG-Mitstreiterinnen und -Mitstreitern Edgar Baumgärtner, Christian Forche, Linda Gennies, Julia Hübner, Katharina Hülscher, Nina Nikulova, Pia Schlickeiser und Eva Valcheva danke ich für die vielen anregenden Diskussionen und das stets freundschaftliche Miteinander. Darüber hinaus danke ich mehreren Kolleginnen und Kollegen, die Teile meiner Arbeit bzw. daraus hervorgegangene Vorträge kommentiert oder mit mir diskutiert haben. Dies sind Susanne Chrambach, Matthias Hüning, Jakob Maché, Ferdinand von Mengden, Andreas Pankau, Barbara Schlücker, Mirjam Schmuck, Kathleen Schumann und Elodie Winckel. Felix Bildhauer und Roland Schäfer gilt besonderer Dank für die Bereitstellung von DECOW – Letzterer hat mir durch die Erstellung von Skripts zudem die Namensuche darin erheblich erleichtert. Zudem danke ich Ursula Götz für die großzügige Bereitstellung des „Rostocker Titelblatt-Korpus“. Für das schnelle und sorgfältige Korrekturlesen der gesamten Arbeit gebührt Doris Zimmer größter Dank – ebenso auch Anne Nikodemus für das Korrekturlesen von Teilen der Arbeit. Der Ernst-Reuter-Gesellschaft danke ich schließlich für den Druckkostenzuschuss. Zuletzt möchte ich meiner Familie und besonders meinen Eltern Albert und Margarete Ackermann dafür danken, dass ich mich immer auf sie verlassen kann. Nicht genug danken kann ich Christian Zimmer – nach alter Tradition ebenfalls – für alles. Berlin, im Juni 2018

https://doi.org/10.1515/9783110600865-201

Tanja Ackermann

Inhalt

1  1.1  1.2  1.3 

Einleitung | 1  Gegenstandsbereich und Ziel der Arbeit | 1  Zur Terminologie | 6  Vorgehensweise | 9 

2  Eigennamen und Personennamen | 10  2.1  Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 10  2.1.1  Funktionale Unterschiede | 10  2.1.2  Grammatische Unterschiede | 13  2.1.2.1  (Flexions-)Morphologische Unterschiede | 14  2.1.2.2  (Morpho-)Syntaktische Unterschiede | 25  2.1.2.3  Sonstige grammatische Unterschiede | 35  2.1.2.4  Zusammenfassung | 40  2.1.3  Warum sind Eigennamen grammatisch so anders? | 41  2.1.4  Probleme bei der Kategorisierung von Eigennamen | 45  2.1.4.1  Eigennamen als Teilklasse der Substantive – die traditionelle Sicht | 45  2.1.4.2  Aktuelle Kategorisierungsvorschläge | 47  2.1.4.3  Fazit | 51  2.2  Personennamen vs. andere Namenklassen | 52  2.2.1  Eigennamen – eine homogene Klasse? | 52  2.2.2  Personennamen und Belebtheit im weitesten Sinne | 54  2.2.2.1  Belebtheit | 54  2.2.2.2  Individualität | 57  2.2.2.3  Referentialität und die erweiterte Belebtheitshierarchie | 59  2.2.3  Personennamen als die prototypischsten Vertreter der Eigennamenklasse | 61  3  3.1  3.1.1  3.1.2 

Der zweigliedrige Personenname – grammatischer Status und morphosyntaktischer Wandel | 66  Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 67  Die syntaktische Analyse | 67  Die morphologische Analyse | 76 

VIII | Inhalt

3.1.3  3.2  3.2.1  3.2.2  3.3  3.3.1  3.3.2  3.3.3  3.4 

Mehrteilige Personennamen und das Syntax-MorphologieKontinuum | 81  Vom Beinamen zum Familiennamen | 84  Die funktionale Entwicklung des Familiennamens vom Bei- zum Hauptnamen | 84  Die grammatischen Ausgangsstrukturen der Familiennamen | 87  Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 94  Beschreibung des Korpus | 94  Darstellung und Diskussion der Ergebnisse | 97  Ein datenbasierter Vergleich mit der Entwicklung der Juxtapositionen | 104  Zusammenfassung und Fazit | 108 

4  Die diachrone Deflexion der Personennamen | 111  4.1  Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 114  4.1.1  Methodologie | 114  4.1.1.1  Das historische Korpus (DTA) | 114  4.1.1.2  Auswahl des Namen-Samples (Types) | 116  4.1.1.3  Die Stichprobe (Token) | 121  4.1.2  Das onymische Kasussystem vom Althochdeutschen bis zum Beginn des Frühneuhochdeutschen | 124  4.1.2.1  Althochdeutsch | 124  4.1.2.2  Mittelhochdeutsch | 126  4.1.2.3  Frühneuhochdeutsch | 127  4.1.3  Akkusativ und Dativ – Determinanten der syntagmatischen Deflexion vom 17. bis zum 20. Jahrhundert | 131  4.1.3.1  Außersprachliche Faktoren – Autor und Textsorte | 133  4.1.3.2  Komplexität/Flexionsverhalten des Familiennamens | 135  4.1.3.3  Genus/Sexus | 136  4.1.3.4  Allomorphie und der Einfluss des Lateinischen | 138  4.1.3.5  Auslaut und Namenkörperaffizierung | 143  4.1.3.6  (Morpho-)Syntaktische Faktoren: Polyflexion – Monoflexion – Deflexion | 149  4.1.3.7  Zusammenfassung | 160  4.1.4  Genitiv – Determinanten der paradigmatischen und syntagmatischen Deflexion vom 17. bis zum 20. Jahrhundert | 161  4.1.4.1  Der Abbau der Allomorphie | 162  4.1.4.2  Auslaut und Namenkörperaffizierung | 166 

Inhalt | IX

4.1.4.3  4.1.4.4  4.1.4.5  4.1.4.6  4.1.5  4.2  4.2.1  4.2.2  4.2.3  4.2.4  4.2.5  4.3  4.3.1  4.3.2  4.3.2.1  4.3.2.2  4.3.2.3  4.3.2.4  4.3.3  5 

Die Position adnominaler Rufnamen im Genitiv | 171  Postnominale Genitivattribute und die syntagmatische Namendeflexion | 175  Pränominale Genitivattribute und die Herausbildung des überstabilen s-Markers | 181  Zusammenfassung | 185  Fazit | 186  Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 189  Aussagen zum Namenplural in historischen Grammatiken | 190  Die empirisch nachweisbare Pluralallomorphie im frühen Neuhochdeutschen | 195  Die Entstehung und Ausbreitung des s-Plurals bei Personennamen | 201  Die Pluralallomorphie im Gegenwartsdeutschen | 205  Zusammenfassung und Fazit | 210  Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 213  Morphologische Schemakonstanz und der nominale Bereich | 214  Experimentelle Untersuchung zur Schemakonstanz | 219  Untersuchungsobjekt und Verortung im Forschungskontext | 220  Prätest | 222  Self-Paced-Reading-Studie | 225  Ergebnisse und Diskussion der Daten | 227  Zusammenfassung und Fazit | 235 

Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen | 238  5.1  Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 239  5.1.1  Das gegenwärtige (Nicht-)Vorkommen von -s | 240  5.1.1.1  Genitivische Konstruktionen mit Namen und ihre Bewertung | 240  5.1.1.2  Korpusdaten | 247  5.1.2  Analysen zur possessiven s-Konstruktion und deren Entstehung | 254  5.1.2.1  Formale Analysen zur Modellierung der possessiven sKonstruktion | 254  5.1.2.2  Funktional motivierte Analyse zur Entstehung der possessiven sKonstruktion | 260 

X | Inhalt

5.2  5.2.1  5.2.2  5.2.3  5.3  5.3.1  5.3.2  5.3.3  5.3.4  5.3.5  5.4  5.4.1  5.4.2  5.4.2.1  5.4.2.2  5.4.2.3  5.4.3  5.4.4  5.5  6  6.1  6.2 

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 263  Englisch – der progressivste Stand | 264  Niederländisch – das germanische Sandwich zwischen Englisch und Deutsch | 271  Die Herausbildung des possessiven -s bei Eigennamen vor dem Hintergrund allgemeiner Deflexion und Belebtheit | 275  Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 281  Kongruenz in mehrteiligen (teilonymischen) Eigennamen | 282  Die flexivische Markierung bei koordinierten Eigennamen | 285  Das Flexionsverhalten komplexer Personennamen | 290  Neue Possessivkonstruktionen | 293  Zusammenfassung | 298  Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen | 300  Der grammatische Status von -s | 300  Wandeltheoretische Implikationen | 306  Degrammatikalisierung? | 307  Konstruktionalisierung? | 313  Exaptation? | 316  Konsequenzen für die synchrone Modellierung | 318  Zusammenfassung | 320  Personennamen – eine (nicht-)flektierbare Wortart? | 321  Fazit und Ausblick | 323  Resümee der wichtigsten Ergebnisse | 323  Ausblick | 328 

Quellen- und Literaturverzeichnis | 331  Anhang | 353  Anhang A: Namensample DECOW2012 | 353  Anhang BI: Akzeptabilitätsstudie 1 (Prätest SPR-Studie) | 357  Anhang BII: Self-Paced-Reading-Studie | 362  Anhang CI: Lückentextstudie (possessives -s) | 365  Anhang CII: Akzeptabilitätsstudie 2 (possessives -s) | 366  Index | 369 

1 Einleitung 1.1 Gegenstandsbereich und Ziel der Arbeit Im Fokus dieser Arbeit stehen Eigennamen. Im Gegensatz zu anderen, vorwiegend diachron ausgerichteten onymischen Studien werden hier jedoch nicht Probleme der Etymologie oder der Namengeschichte ins Zentrum des Erkenntnisinteresses gerückt. Auch die semantische Unterscheidung zwischen Appellativen und Eigennamen, die in den letzten Jahren sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in der Philosophie ausführlich diskutiert wurde, bildet nicht den Schwerpunkt dieser Arbeit. Es soll hier vielmehr die synchrone und diachrone onymische Grammatik – speziell die Morphologie und (Morpho-)Syntax – in den Blick genommen werden. Bislang hat die theoretische Linguistik den Eigennamen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt und sie somit oft wie den „poor cousin“ anderer grammatischer Kategorien behandelt, wie Van Langendonck (2007: 2) in der Einleitung seiner primär sprachwissenschaftlich orientierten Monographie zu Eigennamen anmerkt. Das sich in diversen zur Zeit stattfindenden Workshops und neu erscheinenden Sammelbänden widerspiegelnde, aktuell aufkommende Interesse an den explizit grammatischen Eigenschaften von Eigennamen zeigt, dass aus synchroner, diachroner und typologischer Perspektive bislang noch viele Forschungsfragen unbeantwortet sind.1 Die vorliegende Arbeit macht es sich nun zum Ziel, das auf dem funktionalen Sonderstatus basierende morphosyntaktische Verhalten von Eigennamen im Deutschen aus diachroner und synchroner Sicht zu analysieren. Dabei liegt der Schwerpunkt ganz klar auf den Personennamen, die als die prototypischsten Vertreter dieser Klasse gesehen werden können (vgl. 2.2). Andere Namentypen werden aber immer wieder mit einbezogen und mit Personennamen kontrastiert. Allen Namenarten gemein ist, dass sie im Gegenwartsdeutschen im Vergleich zu anderen Substantiven einige grammatische Unterschiede aufweisen, die in Kap. 2.1.2 noch ausführlich thematisiert werden sollen. Prominentes Beispiel für die spezielle Morphologie von Eigennamen ist ihre Minimalflexion: Der nahezu einzige Defaultmarker, der im Plural und in gemeinhin als genitivisch

|| 1 Zu nennen sind hier beispielsweise die Workshops ‚Linguistik der Familiennamen’ – Mainz 2012, ‚Workshop on Proper Names and Morphosyntax’ – Berlin 2015, ‚Linguistik der Eigennamen’ – Mainz 2016 und ‚The Grammar of Names’ – Zürich 2017. Mit dem ZS-Sonderheft „Eigennamen“ haben Gallmann & Neef (2005) einen frühen Beitrag zur Erforschung der EigennamenGrammatik (besonders der Syntax) geleistet. https://doi.org/10.1515/9783110600865-001

2 | Einleitung

beschriebenen Konstruktionen2 – außer bei auf Sibilant endenden Namen – an den Eigennamen treten kann, ist das invariante -s (zwei Carinas, Carinas Schwester), das anders als im appellativischen Bereich nie in der silbischen Variante erscheint (Matthias’ Schwester statt Matthiasses Schwester versus die Schwester dieses Mann(e)s; vgl. z. B. Nübling & Schmuck 2010, Fuß 2011, Plank 2011 und Nübling 2012). Im nicht-onymischen Substantiv-Bereich herrscht – vor allem hinsichtlich der Pluralmarkierung – weit größere Allomorphie (vgl. z. B. Dammel & Gillmann 2014). Aus morphosyntaktischer Sicht ist bekannt, dass Eigennamen zur sogenannten Monoflexion tendieren – d. h. die Genitivanzeige erfolgt tendenziell nur einmal bzw. nicht-kongruierend innerhalb einer onymischen Nominalgruppe (die Hänge des Himalaya) –, während im nichtonymischen Bereich eher Polyflexion gilt (die Hänge des Hochgebirgssystems; vgl. z. B. Nübling 2005, 2012 oder Zimmer 2018). Was die Syntax der Eigennamen betrifft, wurde bereits rege die für bestimmte Namenklassen – wie die Personennamen im Standarddeutschen – geltende primäre Artikellosigkeit diskutiert, die für Appellative defaultmäßig nicht gilt (ich kenne _ Susi nicht vs. ich kenne die Frau nicht; vgl. z. B. Bellmann 1990, Kolde 1995, Gallmann 1997, Karnowski & Pafel 2005 und Longobardi 2005). Allein diese kurze Auflistung zeigt, dass Eigennamen im Gegenwartsdeutschen ein grammatisches Verhalten aufweisen, das sie von dem übrigen Substantivbereich unterscheidet. Dieses spezielle namengrammatische Verhalten soll in dieser Arbeit nun auch mit Blick auf seine diachrone Entwicklung detailliert beschrieben und empirisch fundiert erklärt werden. Was die Diachronie der onymischen Morphosyntax betrifft, so ist aus der Forschungsliteratur bereits bekannt, dass Eigennamen ihre Sonderstellung im substantivischen Bereich erst in den letzten Jahrhunderten ausgebaut haben und grammatisch sukzessive von den Appellativen – aus denen Eigennamen primär entstanden sind – abdriften (vgl. z. B. Steche 1927: 140–152, Fuß 2011, Plank 2011 oder Nübling 2012). Umfassende Korpusstudien, die eine genaue zeitliche Einordung dieses Wandels und eine Bestimmung seiner Determinanten erlauben, sind jedoch bislang ein Desiderat, das Nübling (2012: 244) wie folgt formuliert: „Dass wir so wenig Genaues über seine Diachronie wissen, liegt daran, dass in den Darstellungen zur historischen Nominalflexion die Eigennamen bestenfalls in Fußnoten abgedrängt, in aller Regel jedoch gar nicht berücksichtigt werden“. Die vorliegende Arbeit nimmt es sich nun zum Ziel, offene Forschungsfragen hinsichtlich der Eigennamen-Morphosyntax empirisch zu be-

|| 2 Der Begriff ‚Konstruktion‘ wird hier – soweit nicht anders angegeben – in seinem prätheoretischen Sinne verwendet.

Gegenstandsbereich und Ziel der Arbeit | 3

antworten und somit innerhalb der diachronen Nominalmorphologie eine Forschungslücke zu schließen, auf die bereits Steche (1925: 205) aufmerksam gemacht hat: Die Eigennamen sind die einzigen Wörter der deutschen Sprache, die im 19. Jahrhundert eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren haben; die übrige Sprache stimmt dagegen noch fast völlig mit derjenigen unserer großen klassischen Dichter überein. Diese Unterschiede bei den Eigennamen sind altbekannt, aber eine Erklärung findet man eigentlich nie [...].

Im Fokus dieser Arbeit stehen also die Beschreibung, Analyse und theoretische Erfassung der Entwicklung des morphosyntaktischen Verhaltens der Eigennamen, das immer wieder mit den Entwicklungen im übrigen substantivischen Bereich in Bezug gesetzt werden soll. Im Kern werden hier die paradigmatische Deflexion – sprich der Allomorphieabbau – und die syntagmatische Deflexion – sprich der Flexivabbau am Eigennamen – mit all ihren Auswirkungen auf die Nominalgruppe vom Frühneuhochdeutschen bis zum Gegenwartsdeutschen untersucht, wofür nun einige historische und gegenwartssprachliche Beispiele gegeben werden sollen. Im Genitiv beispielsweise – so zeigen die in (1) aufgeführten Belege aus dem Deutschen Textarchiv (DTA) – herrscht innerhalb der onymischen Deklination noch im späten Frühneuhochdeutschen/ frühen Neuhochdeutschen reiche Allomorphie. Neben den deutschen Flexiven -(e)n, -(e)ns und -s werden auch lateinische Deklinationsendungen wie -i oder -ae genutzt, um den Genitiv am Namen zu markieren. (1)

a. der Annen Todt b. Hansens Tod c. nach Alberts Tode d. Nach Ferdinandi Todt e. in Juliae Gemach

[barclay_argenis_1626:1082] [hippel_lebenslaeufe0301_1781:301] [lettus_chronik01_1747:252] [pufendorf_einleitung_1682:187] [gryphius_rechtsgelehrter_1659:143]

Die syntagmatische Deflexion, die im postnominalen Genitiv bis heute fortwirkt und aktuell – mehr bei Toponymen und Ergonymen als bei Anthroponymen, die aktuell kaum noch Flexive aufweisen – einen Zweifelsfall darstellt, setzt ebenfalls erst im frühen Neuhochdeutschen ein, was die DTA-Belege in (2) exemplifizieren. (2)

a. die Marter des Heil. Sebastians b. das Brustbild des heiligen Sebastian

[sandrart_academie0102_1675:94] [schulz_reise03_1795:297]

4 | Einleitung

Auch die Pluralmorphologie, die sich nicht weniger stark gewandelt hat als die Kasusmorphologie (vgl. die historisch nachweisbare Allomorphie in (3)), stellt heute einen Zweifelsfall dar. So fragen sich vor allem TrägerInnen von auf /s/ endenden Namen häufig, wie man ihren Namen in den Plural setzt (vgl. die Korpusbelege aus dem synchronen Webkorpus DECOW2012 in (4)). Wie Beispiel (4a) zeigt, ist auch hier Monoflexion – sprich, die alleinige Pluralmarkierung am Begleitwort – eine Option. (3)

(4)

a. die Babets, Annetten und Agnesen

[ramdohr_venus02_1798:267]

b. Lorenze und Wigande gibt es

[musaeus_grandison01_1760:15]

c. die besten Hänse und Künze

[paul_flegeljahre04_1805:137]

a. er sah zwei Max [http://dev.nickstories.de/stories/hajo/Jan_oder_anders_anders-04.html]

b. das Ergebnis unserer beiden Maxe (groß und klein) [http://www.golfclub-owingen.de/htdocs/de/0101_311.html]

c. Wir laden alle Mäxe aus NRW dazu herzlich ein [http://yamaha-xmax.de/forum/archive/index.php/thread-680-2.html]

Insgesamt, so wird in dieser Arbeit gezeigt, ist die Geschichte der onymischen Flexion stark durch Reduktion und Verlust geprägt. Mit dem -s hat sich im Singular jedoch ein Marker gehalten und auf alle – auch feminine – Eigennamen ausgebreitet (vgl. (5)). Dieser Marker tritt heute primär an pränominale onymische Possessoren und stellt ein interessantes Phänomen am Übergangsbereich von Morphologie und Syntax dar. (5)

a. Sebastians neuer Kollege b. Claudias neuer Kollege

Die Stellungsasymmetrie bei adnominalen Possessivkonstruktionen zeigt, dass Eigennamen auch aus syntaktischer Perspektive – die hier ebenfalls behandelt werden soll – ein interessantes namengrammatisches Untersuchungsobjekt darstellen: So gelten Eigennamen in Prästellung noch heute als voll akzeptabel (vgl. (6a)) und unterscheiden sich darin von den Appellativen, die zwar im Ahd. auch noch gewöhnlich vor ihrem Bezugsnomen standen, in dieser Position gegenwartssprachlich jedoch archaisch wirken und defaultmäßig hinter ihr Bezugsnomen treten (vgl. (6b)).

Gegenstandsbereich und Ziel der Arbeit | 5

(6)

ALTHOCHDEUTSCH a. Eigenname: Hartmuotes hūs b. Appellativ:

GEGENWARTSDEUTSCH > Hartmuts Haus

(des) fateres hūs > das Haus des Vaters (arch.: des Vaters Haus)

Ein Phänomen, das ebenfalls einen interessanten Fall am Übergangsbereich zwischen Syntax und Morphologie darstellt und dem bisher wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde, stellt die onymische Mehrworteinheit dar. Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vor allem der morphosyntaktische Status der Verbindung aus Ruf- und Familienname. Beispiel (7) aus dem Hug Schappler zeigt, dass nicht schon immer der Familienname das einzige flektierende Element in solchen Verbindungen dargestellt hat, und suggeriert, dass mit dem funktionalen Wandel der Beinamen (als lose deskriptive Namenbeifügungen) zu Familiennamen (als fixe vollonymische Namenbestandteile) auch ein formaler Wandel stattgefunden hat. Anhand der Entwicklung der zweigliedrigen Gesamtnamen lässt sich also untersuchen, welche Auswirkung Onymisierungsprozesse auf die Morphosyntax haben können. (7)

von den wunderbarlichen geschichten des teüren kuenen / vnd mannhafftigen Ritters Hugen Schapplers [Hug Schappler 1537: 345]3

Abbildung 1 fasst die in dieser Arbeit untersuchten syntaktischen, morphologischen und morphosyntaktischen Phänomene noch einmal zusammen und verortet sie auf einer diachronen Achse.4 Die Visualisierung macht deutlich, dass die interessante Wandelphase vorrangig im späten Frühneuhochdeutschen und (frühen) Neuhochdeutschen zu verorten ist und bis ins Gegenwartsdeutsche reicht. Von 1500 bis in die Gegenwart reicht nun auch die Zeitspanne, die in dieser Arbeit mittels verschiedener Korpora (Rostocker Titelblatt-Korpus, Deutsches Textarchiv und DECOW2012/DECOW2014) detailliert in den Blick genommen werden soll.

|| 3 Quelle: Elisabeth von Nassau-Saarbrücken: Hug Schapler, 1537. Aus der Bibliothek der Frühen Neuzeit: Romane des 15. und 16. Jh. Letzter Zugriff am 05.04.2018 via: . 4 Der onymische Artikel und seine Herausbildung stehen hier nicht im Zentrum des Interesses. Da der Artikel vor Personennamen aber eine relevante Rolle bei der Deflexion spielt, wird er hier (grau hinterlegt) mitaufgeführt.

6 | Einleitung

Morphosyntax

Poss -s

Morphosyntax

Flexivabbau Flexivwegfall

Fixierung Zweinamigkeit

Morphosyntax

Allomorphieabbau Allomorphieabbau

Morphologie

Stellungsasymmetrie

Syntax

Syntax

1000

onymischer Artikel

1100

1200

1300

1400

1500

1600

1700

1800

1900

2000...

Abb. 1: Übersicht zu den in dieser Arbeit untersuchten Phänomenen und ihrer zeitlichen Einordnung

Neben einer umfassenden datenbasierten Beschreibung der Morphosyntax von Personennamen im Deutschen macht es sich diese Arbeit zum Ziel, Eigennamen und die Phrasen, in denen sie vorkommen, aus einer theoretischen Perspektive zu beleuchten. Dabei verschreibe ich mich keinem theoretischen Framework, sondern versuche vielmehr zu ermitteln, inwiefern unterschiedliche Ansätze der adäquaten Erfassung der hier betrachteten onymischen Strukturen, die sich nicht immer einfach kategorisieren lassen, gerecht werden. Aus diachroner Perspektive werden anhand funktionalistischer Erklärungen, die mitunter auch experimentell überprüft und aus kontrastiver Perspektive auf ihre Plausibilität hin untersucht werden, Fragen zum Warum von Sprachwandel beantwortet.

1.2 Zur Terminologie In diesem Abschnitt soll nun knapp die relevante Terminologie hinsichtlich des Untersuchungsobjekts – den Personennamen – näher beschrieben und für die-

Zur Terminologie | 7

se Arbeit definiert werden.5 Bei den PersN, die gemeinhin auch als Anthroponyme bezeichnet werden, handelt es sich aus onomastischer Perspektive um eine der besterforschten Namenklassen. Entsprechend viel Literatur existiert zu Fragen rund um ihre Bestimmung und terminologische Bezeichnung, die hier nicht in vollem Umfang wiedergegeben werden soll. Zunächst soll festgehalten werden, dass hier im Allgemeinen keine terminologische Unterscheidung zwischen EN und Nomen proprium – die im Englischen der Unterscheidung zwischen proper name und proper noun gleichkommt – gemacht wird (vgl. hierzu ausführlich Schlücker & Ackermann 2017: 310–314). Bei dieser Unterscheidung wird mit dem Terminus ‚Nomen proprium‘ auf die lexikalische Kategorie der nicht-komplexen EN wie Christian, Berlin oder Nivea referiert, wohingegen mit dem Begriff ‚Eigenname‘ auch komplexere Einheiten bzw. Phrasen erfasst werden, die ein Nomen proprium als Kern haben können – wie z. B. Frankfurt am Main – aber nicht müssen, wie beispielsweise StraßenN vom Typ Unter den Linden (vgl. von Heusinger 2010: 93). In der vorliegenden Arbeit wird auf diese Unterscheidung verzichtet, da der Fokus von vornherein auf die onymische Klasse der PersN beschränkt (vgl. hierzu Kap. 2.2) und der im Kontext jeweils relevante Namentyp (RufN, FamN etc.) immer explizit genannt wird. Die Diskussion um den grammatischen Status des GesamtN einer Person (z. B. Angela Merkel) in Kap. 3 wird zudem zeigen, dass eine Unterscheidung zwischen Nomen proprium (als N) und Eigenname (als NP) nicht immer einfach zu treffen ist. Kommen wir nun zu der hier relevanten Terminologie rund um den PersN. Nach Kohlheim & Kohlheim (2004: 671) wird dieser Begriff in der Literatur nicht einheitlich verwendet: Zum einen existiert die hyperonymische Lesart, womit „alle Arten von Namen für Personen und Personengruppen“ gemeint sind; zum anderen wird der Begriff als Hyponym verwendet und bezieht sich nur auf den individuellen Namen, der einem Menschen nach der Geburt verliehen wird, sprich den RufN. Hier wird der Terminus PersN immer im Sinne der ersten Lesart, also als Oberbegriff für alle – im Folgenden knapp thematisierten – PersNTypen, verwendet. Unter diesen Dachbegriff fallen nun alle in Abbildung 2 zusammengefassten offiziellen und inoffiziellen Namen einer Person.

|| 5 Im Folgenden werden die frequent verwendeten Begriffe ‚Eigenname‘ und ‚Appellativ‘ als EN und APP abgekürzt. Abgekürzt werden zudem alle Komposita mit dem Zweitglied -name; so z. B. Personenname = PersN, Rufname = RufN, Familienname = FamN, Beiname = BeiN und Gesamtname = GesamtN.

8 | Einleitung

Personennamen

inoffizielle Namen

Spitzname

Kosename

Übername

Angie

Mutti

offizieller Gesamtname

(Zusätze, Titel)

Rufname

Vorname

Dr.

Angela

Familienname

Beivorname(n)

Dorothea

Merkel

Abb. 2: Das inoffizielle und offizielle Personennamensystem im Deutschen (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 108)

Der offizielle Name besteht im heutigen Deutschen obligatorisch aus dem individuell vergebenen RufN (und gegebenenfalls einem oder mehreren BeivorN) und dem überindividuellen, ererbten bzw. nach der Heirat von der Partnerin/dem Partner übernommenen FamN. Hinsichtlich der Terminologie herrscht in der Literatur auch hier keine Einigkeit. So existiert beispielsweise neben dem Terminus ‚Rufname‘ auch ‚Vorname‘ oder ‚Taufname‘, neben dem Begriff ‚Familienname‘ auch ‚Nachname‘ und ‚Zuname‘. Ich halte mich hier an die gängige Konvention (vgl. z. B. Seibicke 2004 und Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015) und verwende einheitlich die Begriffe RufN und FamN, ohne dabei zu implizieren, dass beispielsweise der RufN bei TrägerInnen mehrerer IndividualN immer auch der tatsächlich gebrauchte Name, sprich die Rufform, ist. Wie Kapitel 3.1 zeigen wird, können auch Titel und ähnliche Zusätze – aus grammatischer Sicht – zum mehrgliedrigen GesamtN zählen; sie stellen aber keinen obligatorischen Bestandteil des offiziellen Namens dar. Während der Name einer Person im Deutschen lange Zeit nur aus einem einzigen Namen – dem RufN – bestand, gilt im heutigen Deutschen obligatorisch Zweinamigkeit. Der GesamtN einer Person wird hier immer als zweigliedrig aufgefasst, auch wenn sowohl der RufN (Anna-Lena, Marie Christin) als auch der FamN (Meyer-Landrut, Leutheusser-Schnarrenberger) durch weitere Namen ergänzt werden können.

Vorgehensweise | 9

Zum inoffiziellen Namen einer Person gehören die SpitzN, die unter anderem Kose- und Spottfunktion haben und aus dem RufN (Basti < Bastian) oder dem FamN (Schweini < Schweinsteiger) gebildet werden oder Charakteristika der benannten Person aufgreifen (Mr. Calm).

1.3 Vorgehensweise Zunächst einmal wird in Kapitel 2 der Blick auf das Gegenwartsdeutsche gerichtet. Dabei soll detailliert dargestellt werden, wie und warum sich EN heute funktional und grammatisch von APP unterscheiden. Daneben wird diskutiert, warum hier die PersN aus der Gruppe der EN als primärer Untersuchungsgegenstand gewählt wurden. Die Kapitel 3 bis 5 stellen den Kern dieser Arbeit dar, indem sie sich der empirisch fundierten Beschreibung und Erklärung der morphosyntaktischen Entwicklung von PersN widmen. In Kap. 3 wird zunächst auf den grammatischen Status des PersN eingegangen, der sich im Frühneuhochdeutschen zu einer zweinamigen Sequenz entwickelt. In Kap. 4 wird daraufhin die Deflexion der PersN in Kasus (4.1) und Numerus (4.2) anhand einer umfangreichen Korpusstudie detailliert dokumentiert und zeitlich eingeordnet. Ziel ist es, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelten Determinanten der paradigmatischen und syntagmatischen Deflexion herauszustellen. Der funktionale Faktor Schemakonstanz, dem bei der Deflexion der PersN eine wesentliche Rolle zukommt, soll in Kap. 4.3 einer psycholinguistischen Prüfung unterzogen werden. Während sich Kap. 4 also dem Wann, Wie und Warum des Flexivabbaus am PersN widmet, liegt der Fokus in Kap. 5 auf einem Marker, der sich bis heute durch seine Stabilität im onymischen Bereich auszeichnet: dem possessiven -s. Dieser Marker, der sich aus dem einstigen Genitivflexiv der starken maskulinen Deklination entwickelt hat, soll sowohl empirisch als auch theoretisch und aus kontrastiver Perspektive näher beleuchtet werden. Die diskutierten Implikationen zum Status dieses Markers helfen schließlich dabei, das onymische Deklinationsverhalten der EN im heutigen Deutschen adäquater zu erfassen, als dies bisher der Fall ist. Kap. 6 trägt die wesentlichen Erkenntnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick.

2 Eigennamen und Personennamen Eine Arbeit, die es sich zur Aufgabe macht, die Morphosyntax der PersN genauer in den Blick zu nehmen, impliziert bereits, dass es einerseits interessante Unterschiede zwischen EN und Gattungsbezeichnungen geben muss, und dass EN andererseits keine homogene Klasse darstellen. In diesem Überblickskapitel sollen nun zunächst die für das heutige Deutsche zu beobachtenden wesentlichen funktionalen und grammatischen Unterschiede zwischen APP und EN in den Fokus gerückt und diskutiert werden. Entsprechend dem Gegenstandsbereich dieser Arbeit wird der Schwerpunkt in Kap. 2.1 dabei primär auf den (flexions-)morphologischen und (morpho-)syntaktischen Besonderheiten liegen. In Kap. 2.2 wird vor dem Hintergrund der erweiterten Belebtheitshierarchie begründet, warum es aus grammatischer Perspektive sinnvoll ist, PersN gesondert zu untersuchen.

2.1 Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede 2.1.1 Funktionale Unterschiede Die semantische Unterscheidung zwischen APP und EN ist in den letzten Jahren sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in der Philosophie ausführlich diskutiert worden (vgl. Mill 1843, Jespersen 1924, Burge 1973, Quine 1960, Kripke 1980, Geurts 1997, von Heusinger 1997, Bach 2002, Hansack 2004, Karnowski & Pafel 2005, Sturm 2005a, b, Debus 2007, Jackson 2010, Predelli 2015 u. v. a.). Die lange und immer noch andauernde Diskussion der komplexen Semantik von EN, die hauptsächlich sprachphilosophisch geprägt ist, kann hier nicht wiedergegeben werden.1 Da sich diese Arbeit primär dem morphosyntaktischen Sonderverhalten von EN widmet, erfolgt lediglich eine kurze sprachwissenschaftlich orientierte Darstellung der im Folgenden angenommenen wesentlichen Namenfunktionen. Dies ist insofern relevant, als die hier interessierenden grammatischen Unterschiede zwischen EN und APP hauptsächlich auf die funk-

|| 1 Für Überblicke zu den semantischen EN-Theorien, die auch die Probleme der verschiedenen Ansätze thematisieren, sei an dieser Stelle auf Lerner & Zimmermann (1991) und Cumming (2013) verwiesen. Dabei zeigen vor allem erstere, dass „viele Probleme, die traditionell im Zusammenhang mit Namen diskutiert werden, nicht unbedingt Probleme der Namensemantik sind, sondern in anderen Bereichen der Semantik zu lösen sind“ (Lerner & Zimmermann 1991: 364). https://doi.org/10.1515/9783110600865-002

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 11

tionale Opposition zwischen den beiden Kategorien zurückgeführt werden können. Die Hauptfunktion von EN besteht in ihrer Monoreferenz, also der sprachlichen Bezugnahme auf nur ein Referenzobjekt. EN weisen demnach eine minimale Intension, sprich keine oder nur minimale lexikalische Bedeutung auf. Die Benennungsfunktion ist bei Namen immer höher gerankt als ihr Bedeutungsgehalt, was sich darin äußert, dass man Namen nicht verstehen kann, sondern dass man vielmehr wissen muss, auf wen oder was mit dem EN referiert wird (vgl. Van Langendonck & Van de Velde 2016: 27). Aus der Monoreferenz resultiert wiederum, dass EN im Gegensatz zu APP inhärent definit sind, was sich grammatisch unter anderem im Ausbleiben des Definitartikels äußert, der nicht mit dem expletiven onymischen Artikel in Ländernamen wie die Schweiz verwechselt werden darf (vgl. 2.1.2.2).2 Zudem verwehrt sich für EN – ausgenommen der Sonderfall, bei dem mehrere Referenten den gleichen Namen tragen – in Relativsätzen die restriktive Lesart; sie werden immer appositiv verstanden. Unika wie Sonne, die auch als monoreferente APP bezeichnet werden können (vgl. Leys 1989: 157), machen deutlich, dass Monoreferenz nicht das einzige funktionale Abgrenzungskriterium zwischen APP und EN sein kann. Hier zeigt sich, dass ein weiterer zentraler Funktionsunterschied in der Art der Referenzzuweisung liegt: Während APP wie Sonne eine Inhaltsseite haben, leisten EN wie Sonja etikettengleich Direktreferenz auf ein außersprachliches Objekt. „Dass der schnelle, direkte und eindeutige sprachliche Zugriff auf genau ein (Referenz-)Objekt (oder Denotat) zur Funktion von Namen gehört“, erkennt man laut Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 18–19) auch daran, dass sie bei Bekanntheit unter den Kommunikationsteilnehmern häufig gekürzt werden, um die Referenz weiter zu beschleunigen: Prenzl’Berg < Prenzlauer Berg, FU < Freie Universität etc. Abbildung 1, die auf dem semiotischen Dreieck von Ogden & Richards (1923) basiert, veranschaulicht diese referenzbezogene Opposition.

|| 2 In der ‚symmetrischen Theorie‘, die eine syntaktisch und semantisch parallele Struktur von EN und anderen DPs/NPs postuliert, werden keine expletiven Artikel angenommen. EN weisen laut den Annahmen dieser Theorie immer einen definiten Artikel auf, entweder covert oder overt (vgl. Karnowski & Pafel 2005: 57).

12 | Eigennamen und Personennamen

Ausdruck

Eigenname

Appellativ

Inhalt

Inhalt

Objekt

Ausdruck

Objekt(klasse)

Abb. 3: Semiotische Bezeichnungsmodelle für EN und APP (nach Nübling 2000: 277)

Der durchgezogene Pfeil bei den EN symbolisiert, dass sich ein materieller Ausdruck (phonisch oder graphisch) ohne Inhaltsseite direkt auf sein Denotat bezieht. Selbst wenn bei transparenten (aber nicht mehr motivierten) Namen wie Schneider oder Neustadt basierend auf ihrer Etymologie die alte Semantik noch mitschwingen mag (gestrichelter Pfeil), so leistet diese synchron keinen Bezug (mehr) zum Namenträger (durchgestrichene Linie). Daneben besteht die Auffassung – in Anlehnung an (sprach-)philosophische Deskriptionstheorien –, Eigenschaften oder Merkmale des Referenzobjekts als den deskriptiven Gehalt des ihn benennenden EN anzusehen (so z. B. Hansack 2004). Aus linguistischer Sicht ist jedoch eher Leys (1989: 144) zuzustimmen, der in der Kenntnis der Eigenschaften des Objekts – seien sie zufällig oder notwendig – keine erforderliche Bedingung für den Gebrauch des EN sieht. Denn auch wenn sich die Attribute eines Objekts ändern, verliert der EN dadurch nicht seine Referenz. Demnach können die Eigenschaften des Denotats auch keine inhärenten Bedeutungsmerkmale des Namens sein. Aufgrund der Funktion des kontextunabhängigen Referierens bezeichnet Kripke (1980) EN treffend als rigide Designatoren (rigid designators). Häufig findet sich auch die Annahme, EN wiesen (minimalen) lexikalischen Gehalt (vgl. z. B. von Heusinger 2010: 94) bzw. einen ‚inherent basic level sense‘ (vgl. Van Langendonck & Van de Velde 2016) auf, indem sie unter anderem Auskunft über die Namenklasse geben bzw. diese präsupponieren. Beispielsweise transportiere Frankfurt die Information, es handle sich um eine Stadt, kongruiere demnach wie alle StädteN im Deutschen im Neutrum etc. Van Langendonck & Van de Velde (2016: 24–26) exemplifizieren an dem hier übersetzt in (8) wiedergegebenen Beispiel, dass Namen ebenso wie Pronomina eine deik-

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 13

tische Komponente beinhalten (dieser), zusätzlich aber noch eine (basis-)kategorische appellativische Bedeutung (Hund) tragen sollen. (8)

[Freddy: Hund] = [dieser: Hund] ‚Freddy in der Kategorie HUND‘ ist ‚dieser in der Kategorie HUND‘

Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 29) verorten solche Basislevel-Informationen jedoch außerhalb der Linguistik im Bereich kultureller Namengebungspraktiken. Diese kategorialen Informationen dürfen nicht mit semantischem Gehalt verwechselt werden, auch wenn die aktivierten Erfahrungswerte z.T. erstaunlich fest verankert sind. Die Relationen zwischen EN und Denotat sind nämlich – anders als bei APP – nicht einforderbar und der Gebrauch außerhalb der gängigen Namenklasse (z. B. Ibiza als AutoN) ist durchaus möglich. Ebenso wenig dürfen Konnotationen, die mit einem Namen einhergehen, als ihr deskriptiver Gehalt verstanden werden. Ganz anders verhalten sich die APP. Wie die durchgezogenen Pfeile beim rechten Dreieck in Abb. 3 anzeigen, haben APP eine lexikalische Semantik (Intension), über die der Bezug zum Referenzobjekt (Extension) hergestellt wird; eine Direktreferenz vom Ausdruck zum Denotat ist hier ausgeschlossen (vgl. Ogden & Richards 1923, Nübling 2000: 276–277, Nübling, Fahlbusch & Heuser 2 2015: 31–37, Ackermann & Zimmer 2017). Fleischer (1964: 377) schreibt den APP daher eine charakterisierende und den EN eine identifizierende Funktion zu.3 In dieser Arbeit wird im Weiteren die in der Linguistik übliche Position eingenommen, dass EN – zumindest in ihrem Standardgebrauch – unikale Direktreferenz leisten und somit inhärent definit sind.

2.1.2 Grammatische Unterschiede APP sind als wichtigste Quelle bzw. frequenteste Ursprungskategorie die nächsten Verwandten der EN. Aufgrund ihrer zentralen Funktionsunterschiede ist jedoch auch eine formale Dissoziation zwischen Gattungsbezeichnung und Name zu erwarten. Und zwar einerseits, um EN formal von den APP abzugren-

|| 3 Neben der Identifikation des Referenzobjekts leisten EN jedoch auch eine Individualisierungsfunktion. Dies wird besonders im Vergleich zu Zahlen-Buchstaben-Kombinationen deutlich, die im Gegensatz zu Namen eine rein identifikatorische Qualität haben. Zum Verhältnis zwischen Nummer und Name siehe Ackermann, Kipper & Simon (2015), Aerts (2015) und Nübling (2015).

14 | Eigennamen und Personennamen

zen und andererseits, um den Namenkörper konstant zu halten und dadurch zu schonen (vgl. 2.1.3 und 4.3.1). Zur Anzeige der Proprialität nutzen Sprachen unterschiedliche Verfahren, die auf einer Skala von ‚explizit syntagmatisch’ (morphologische EN-Marker) bis ‚explizit paradigmatisch’ (getrennte Inventare für EN und APP) angesiedelt werden können (vgl. Nübling 2005: 27). Nur bei der Klasse der RufN leisten wir uns im Deutschen – mit Ausnahme der wenigen mit einem APP homophonen Namen wie z. B. Rose oder Wolf – ein exklusives und somit kompetenzbelastendes Inventar. Ansonsten praktiziert das Deutsche – wie viele andere Sprachen auch – ein Mischverfahren, indem es als primäre Dissoziierungsstrategie grammatische Onymizitätsmarker nutzt, die insofern besonders effizient sind, als „die bloße Differenz [zwischen EN und APP – TA] funktionalisiert [wird], was weder Performanz- noch größere Kompetenznachteile mit sich führt“ (Nübling 2005: 53). Für die Grammatik bedeutet dies, dass EN synchron betrachtet in vielerlei Hinsicht ein Sonderverhalten aufweisen. Da jede linguistische Ebene zur Differenzierung der EN von den APP beiträgt, spricht Kalverkämper (1978: 166) von einer „Homophonie-Flucht“. Im Folgenden soll nun skizziert werden, um welche – primär morphologischen und syntaktischen – Phänomene es sich dabei rein synchron betrachtet handelt, wie die Unterschiede funktional zu erklären sind und inwiefern das Sonderverhalten der EN Probleme bei ihrer grammatischen Kategorisierung bereitet. 2.1.2.1 (Flexions-)Morphologische Unterschiede Traditionell fasst man EN als Subkategorie der Substantive auf, was in Kap. 2.1.4 noch genauer diskutiert wird. Demnach sollten sie – wie die meisten APP – ein festes Genus sowie Kasus- und Numerusflexion aufweisen. Diese drei nominalen Flexionskategorien werden im Folgenden sowohl für den onymischen als auch für den appellativischen Bereich skizziert. Der Fokus liegt dabei auf den Unterschieden zwischen EN und sonstigen Substantiven. Genus EN wird als Mitgliedern der Substantivklasse – wie APP auch – ein Genus zugewiesen. Dieses erkennt man bei artikelhaltigen Namen wie die Schweiz direkt am Determinierer; bei primär artikellosen Namen wie Berlin wird das Genus ersichtlich, wenn der Name attribuiert wird und dadurch mit Determinierer auftritt (das ferne Berlin) oder wenn anaphorisch via Relativpronomen auf ihn Bezug genommen wird (Berlin, das mir fremd ist). Die Art der Genuszuweisung

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 15

ist bei EN und APP jedoch grundlegend verschieden, was Nübling (2015b: 307) folgendermaßen formuliert: Auch bezüglich Genus weichen Eigennamen vom Normalfall ab. In der Regel kommt ihnen nämlich eine besondere, referentielle Genuszuweisung zu: Nur die Kenntnis des benannten Referenzobjekts erlaubt die richtige Genuszuweisung. Genus ist also nicht dem Namen selbst inhärent, wie dies für die Appellativa (inkl. Abstrakta etc.) gilt. Bei manchen Appellativa lässt sich Genus sogar der Semantik entnehmen […].

Typische Beispiele für das arbiträre lexikalische Genus im appellativischen Bereich sind die Gabel, der Löffel, das Messer. Ein prominentes Beispiel für semantisches Genus, das feldtaxonomischen Prinzipien folgt, ist demgegenüber das produktive Femininum bei Obstsorten: die Mandarine, die Mango, die Kirsche, die Grapefruit.4 Allerdings hat Genus im appellativischen Bereich heute keine semantische Klassifikationsfunktion mehr inne, es ist „ein nominales Klassifikationssystem, das auf semantischen Merkmalen fußen kann, aber nicht muss“ (Nübling 2014b: 128). Substantive mit ähnlicher Bedeutung müssen nicht dasselbe Genus aufweisen und umgekehrt teilen sich Substantive mit unterschiedlicher Bedeutung ein Genus. Die Hauptfunktion des im Deutschen bestehenden Drei-Genus-Systems, das an Kongruenzträgern wie Artikeln, Adjektiven oder Pronomina sichtbar wird, kann eher darin gesehen werden, die aus syntaxtypologischer Perspektive außergewöhnliche Klammerstruktur – konkret die Nominalklammer – des Deutschen zu stützen (siehe hierzu Ronneberger-Sibold 1991, 1994, 2010a, 2010b). Was die EN betrifft, so herrscht heute vorwiegend referentielles Genus, da sich dieses aus Eigenschaften des Denotats ergibt.5 Dies wird vor allem bei den hier interessierenden FamN ersichtlich, bei denen sich das Genus strikt nach dem Sexus der Namenträgerin bzw. des Namenträgers richtet und – falls gegeben – das lexikalische Genus des zugrundeliegenden APP überschreibt; eine Frau Kaufmann ist ebenso möglich wie ein Herr Blume. „Kein deutscher Familienname, auch nicht einer auf -mann, enthält Indikatoren für Genus oder Sexus, es kommt hier allein auf das Referenzobjekt an“ (Nübling 2012: 227). Nur in einigen deutschen Varietäten (vermehrt in Bayern, Österreich und Sachsen,

|| 4 Dass es auch hier Ausnahmen gibt, zeigen Beispiele wie der Apfel. 5 Referentielles Genus findet sich marginal auch im nicht-onymischen Bereich, z. B. bei substantivierten Adjektiven. Hier kann mit die Kleine entsprechend des Sexus auf ein Mädchen referiert werden, obwohl das Nomen Mädchen neutrales Genus hat.

16 | Eigennamen und Personennamen

vereinzelt auch andernorts)6 finden sich mit movierten Formen sexus- und somit genushaltige FamN-Suffixe (die Müller-in, die Mayer-sche). Im Standard kommt diese overte Sexusmarkierung am FamN jedoch nicht (mehr) vor,7 was sich diametral zum appellativischen Bereich verhält, wo in-Movierungen bei Frauenbezeichnungen keine Seltenheit sind (die Lehrer-in, die Kolleg-in) und laut Köpcke & Zubin (2009: 133) in den vergangenen Jahren sogar stark zugenommen haben. Wie Szczepaniak (2013) zeigt, werden die in-Bildungen bei nicht-referentiellem Gebrauch gegenwärtig sogar auch in Verbindung mit unbelebten Bezugswörtern verwendet (z.B. die Leber als Netzwerker-in). Unter der Annahme, dass EN keine lexikalische (Basislevel-)Bedeutung haben, muss man auch bei den meisten anderen EN-Klassen das Referenzobjekt kennen, um auf das Genus schließen zu können: StädteN sind dabei heute ausnahmslos neutral (das schöne Mainz/Marburg/San Francisco), SchiffsN selbst bei zugrundeliegendem maskulinen oder neutralen APP feminin (die Titanic/ AIDA/Bismarck) und bei AutoN überwiegt das Maskulinum (der Polo/Corsa/ Ibiza)8. Die alte, vom APP ererbte morpholexikalische Genuszuweisung wird also mit zunehmender Onymisierung durch das referentielle Einheitsgenus überschrieben. Da diese neuen, sich z. T. aktuell etablierenden Namengenera in Kombination mit dem Faktor [+/- Artikelführung] funktionalisiert werden, indem sie eine eindeutig klassifizierende Funktion übernehmen, stehen sie laut Nübling (2014b, 2015b, 2017) im Dienst der Proprialklassifikation: Das Genus eines Namens gibt in Kombination mit der An- bzw. Abwesenheit eines Determinierers Aufschluss über die jeweilige Objektklasse: das Ibiza (Hotel/RestaurantN), die Ibiza (SchiffsN), der Ibiza (AutoN), IbizaNeutrum (LänderN), AnnaFemininum (FrauenN), MarcelMaskulinum (MännerN).9

|| 6 Siehe hierzu die Karte zu Frage 2c, neunte Runde „Artikel + Nachname“ (fem.) aus dem Atlas zur deutschen Alltagssprache (). 7 Zur FamN-Movierung im Fnhd. und ihren heutigen Reflexen siehe Schmuck (2017). Zu FamN-Movierungen im späten Mittelalter/der frühen Neuzeit siehe Steffens (2014) für das Rheinfränkische und Werth (2015a) für das Niederdeutsche. 8 In Verbindung mit einem APP wird jedoch meist auf dessen Genus zurückgegriffen, wie bei das Golf Cabrio(let), die Audi A3 Limo(usine) oder das BMW 4er Coupé. Zu Genus bei AutoN vgl. Köpcke & Zubin (2005) sowie Fahlbusch & Nübling (2016). 9 Da nur drei Genera und zwei Ausprägungen des Faktors ‚Artikelführung‘ (+/-) zur Verfügung stehen (= sechs Klassen), muss es hierbei zu Mehrfachbelegungen kommen; so z. B. bei der Kombination [Femininum + Artikel], durch die Namen von Wüsten (die Sahara), Schiffen (die AIDA), Flugzeugen (die Berlin), Motorrädern (die Harley), Banken/Versicherungen (die GLS) etc. klassifiziert werden.

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 17

Die deutschen RufN, die als PersN zentraler Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind, folgen zwar genau wie die oben beschriebenen FamN dem Sexus-Genus-Prinzip, allerdings erfolgt die Zuweisung hier nach dem semantischen und nicht – wie sonst im onymischen Bereich – dem referentiellen Prinzip. Das bedeutet, dass RufN bereits die Sexus-Information enthalten, die bei den FamN erst ersichtlich wird, wenn man das Geschlecht des Referenzobjekts kennt. Da RufN mit der Information ‚Sexus‘ ein Sem enthalten, bildet diese Namenklasse eine Ausnahme zu der oben beschriebenen Idealisierung, EN komme kein deskriptiver Gehalt zu.10 Was wiederum die Kodierung des biologischen Geschlechts bei RufN betrifft, so praktiziert das Deutsche ein konventionelles Verfahren. Für männliche und weibliche Namen existieren zwei strikt getrennte Inventare,11 wobei die Sexusinformation entweder konventionell oder prosodisch-phonologisch auf dem gesamten Namen kodiert ist; z. B. zeichnen sich weibliche RufN gegenüber männlichen durch eine größere Silbenzahl, eine höhere Gesamtsonorität, mehr Vokale im Auslaut etc. aus (vgl. z. B. Oelkers 2003 und Nübling 2009, 2018). Kein Bestandteil des Namens ist jedoch an sich genushaltig, „es [handelt] sich primär um Indikatoren für [die semantische Information – TA] Sexus – dem dann die Genuszuweisung an den Substantivbegleitern [...] folgt“ (Nübling 2012: 226). Das starke semantische Prinzip wird nur vom morphologischen Prinzip überschrieben; so erhalten diminuierte Namen nach dem Kopf-rechts- oder Letztgliedprinzip, das auch für morphologisch komplexe APP gilt (das Frau-chen), neutrales Genus (die Claudia – das Claudchen). Wird ein Diminutiv im onymischen Bereich nicht mehr als solcher erkannt, kann Genus durch Sexus überschrieben werden (vgl. die/*das Christel); für appellativische Lexikalisierungen gilt das hingegen in der Regel nicht (das/ *die Mädel). Was appellativische Personenbezeichnungen betrifft, so ist eine 1:1-Korrespondenz zwischen Sexus und Genus laut Köpcke & Zubin (2009: 133) nicht zwangsläufig gegeben (vgl. (9)), auch wenn sich die Genuszuweisung in diesen

|| 10 Diese Annahme ist jedoch nicht unumstritten, da die feste Geschlechtsinformation in anderen Kulturen wie z. B. den USA nicht mit einem RufN einhergehen muss; siehe zu sogenannten Unisex-Namen vom Typ Laurie, Tracy etc. z.B. Barry & Harper (1982). Zudem wird das Genus bei einem Namenklassenwechsel – wie oben beschrieben – vom referentiellen Genus der Objektklasse überschrieben (z. B. bei die Mercedes als RufN vs. der Mercedes als AutoN). 11 Geschlechtsoffenkundigkeit wird in Deutschland vom Namengesetz nicht vorgeschrieben und wird seit 2008 von den Standesämtern auch nicht mehr eingefordert. Gegengeschlechtliche Namenvergaben sind in Deutschland jedoch nach wie vor verboten (vgl. Nübling 2018: 246). So darf beispielsweise der Unisexname Luca an Mädchen und Jungen vergeben werden; der weibliche RufN Maria darf nur als Zweitname an Jungen vergeben werden.

18 | Eigennamen und Personennamen

Fällen keineswegs arbiträr verhält, sondern dem „Prinzip des perzipierten Geschlechts“ folgt (Köpcke & Zubin 1996: 481–483).12 (9)

a. GENERISCHE BEZEICHNUNGEN (W/M): die Person, der Gast, das Mitglied b. FRAUENBEZEICHNUNGEN:

die Frau, der Vamp, das Weib

c. MÄNNERBEZEICHNUNGEN:

der Mann, die Schwuppe, – 13

Die Tatsache, dass „das Genus in spezifischen Kontexten Bedeutung transportiert, etwa wenn bei Bezeichnungen für Menschen abwertende Konnotationen impliziert sind“ (Köpcke & Zubin 1996: 483) – wie z. B. bei der Verleihung eines neutralen Genus zur Herabsetzung der Referentin (vgl. (9b): das Weib) – gilt allerdings für APP wie EN gleichermaßen, was Nübling (2014b: 141–144) am Beispiel von das Merkel zeigt. Daneben existieren in west- und süddeutschen Dialekten weibliche RufN im Neutrum wie et/dat oder s’ Anne als Variante zur feminin markierten Ausprägung. In diesem onymischen Bereich steht Genus im Dienst der Pragmatik, da es genutzt wird, um die soziale Beziehung des Sprechers/der Sprecherin zur Namenträgerin zu kodieren (vgl. Nübling 2014b: 138– 141 und Busley & Fritzinger 2018). Kasus EN verfügen im gegenwärtigen Deutschen, verglichen mit den APP, über ein eher eingeschränktes Formeninventar (vgl. Tabelle 1), was die Duden-Grammatik (92016: 195) dazu veranlasst, ihren artikellosen Vertretern – um die es in dieser Arbeit geht – eine eigene Flexionsklasse einzuräumen. Einziges im Singular vorkommendes Flexionssuffix ist -s, welches unabhängig vom Genus den Genitiv Singular markiert (Stefans/Stefanies Buch). Dass auch feminine Eigennamen im Genitiv die s-Endung nehmen, ist insofern bemerkenswert, als diese bei den Gattungsbezeichnungen auf maskuline und neutrale Nomina beschränkt ist. Die im appellativischen Bereich uneingeschränkt geltende +/Femininum-Divergenz wird bei den EN also durchbrochen.

|| 12 Zur Genus- vs. Sexuskongruenz bei solchen hybrid nouns siehe z. B. Birkenes et al. (2014), Corbett (2006) oder Thurmair (2006) und die dort angegebene Literatur. 13 Das Neutrum wird im appellativischen Bereich nie, im onymischen so gut wie nie verwendet – natürlich abgesehen von den dem Letztgliedprinzip folgenden Diminuierungen und Metaphern –, um auf männliche Personen zu referieren. Eine Erklärung hierfür liefert Nübling (2014b: 142), der zufolge Neutralisierung mit einer Agentivitätsreduktion einhergehe, die in patriarchalen Gesellschaften nur Frauen zuteil werde.

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 19

Tab. 1: Die Kasusmarkierung im Singular bei artikellosen Eigennamen vs. Appellativen – traditionelle Sicht 14

APPELLATIVE

EIGENNAMEN F.

M.

N.

F.

N.15

M. stark

schwach

Nom.















Akk.











-(e)n



Dat.









-Ø / (-e)

-(e)n

-Ø /(-e)

Gen.

-s

-s

-s



-es / -s

-(e)n / -(e)ns

-es / -s

Des Weiteren zeigt sich die onymische Ausnahmestellung im Vergleich zu homonymen APP (vgl. die Bsp. (10) bis (13)): Während viele Gattungsbezeichnungen im Genitiv die (primär phonologisch bedingte) Variation zwischen den Allomorphen -s und -es zulassen wie in (10),16 ist die silbische Endung für EN keine Option, wie die Bsp. in (11) zeigen; auch dann nicht, wenn der Name auf /s/ auslautet. In diesem Fall erfolgt heute die Nullendung wie in (12a), die in geschriebener Sprache mit dem Apostroph angezeigt wird (vgl. Duden-Grammatik 92016: 208, wo von einer Verschmelzung des Auslauts mit der Genitivendung gesprochen wird), während bei auf Sibilant endenden APP in der Regel die lange Endung erscheint, wie in (13a) vs. (13b) exemplifiziert wird (vgl. Neef 2006: 278).17 Auch die alte, auf Einsilbler beschränkte Doppelendung -ens wie bei Ursens oder Fritzens (12b) kann nicht als Option angesehen werden, da sie gegenüber der Nullendung sehr „altertümlich“ wirkt und laut Wahrig (2003:

|| 14 Durch das Nullsymbol ‚Ø‘ wird in dieser Arbeit das Fehlen eines Markers und nicht die Existenz eines Nullmorphems angezeigt. 15 Die Endungen des (unproduktiven) Ein-Wort-Paradigmas, nach dem im Deutschen nur das Neutrum Herz flektiert, wurden nicht aufgenommen. 16 Es werden hier – im Gegensatz zu -(e)n – zwei Allomorphe angesetzt, da bei der Wahl zwischen der silbischen und der unsilbischen Genitivvariante synchron gesehen nicht ausschließlich phonologische Steuerungsmechanismen wirken, wie Szczepaniak (2010, 2014) und auch Fehringer (2011, 2004) zeigen. Die Wahl zwischen langer und kurzer Form ist auch lexikalisch (nativ vs. fremd/onymisch), morphologisch/semantisch (komplex und transparent vs. einfach) und frequenzbasiert (hohe vs. niedrige Tokenfrequenz) motiviert. Zudem ist denkbar, dass die Variation auch von außersprachlichen Faktoren wie Region abhängig ist. 17 Diese Generalisierung trifft primär auf morphologisch integrierte oder native APP zu. Bei auf [s] auslautenden Fremdwörtern (z. B. des Sozialismus) ist die Nullendung hingegen wie bei EN die Regel (vgl. Zimmer 2018: 34–35).

20 | Eigennamen und Personennamen

321) auf den Schriftsprachgebrauch beschränkt sei (vgl. auch Duden-Zweifelsfälle 82016: 716). Möchte man den flexivisch nicht markierten Namen in pränominalen Possessivkonstruktionen vermeiden, soll man laut Duden-Zweifelsfälle (82016: 716) und Wahrig (2003: 320) die von-Umschreibung oder die Artikelverwendung wählen: der Geburtstag von Moritz / der Tod des Perikles. (10)

a. die Romane des Manns b. die Romane des Mannes

(11)

a. Thomas Manns Romane b. *Thomas Mannes Romane

(12)

a. Urs’ Geburtstag b. *Urses / ??Ursens Geburtstag

(13)

a. *die Teilnehmer des Kurs b. die Teilnehmer des Kurses

Wie Fritzinger (2018) zeigt, kann die Genitivendung sogar Aufschluss über den Proprialisierungsgrad von sogenannten Gattungs-EN geben, die gewissermaßen einen Zwischenstatus zwischen APP und EN einnehmen, da sie nichtonymische Elemente enthalten, die die Kategorie des Trägers bezeichnen (z. B. Schwarzwald ist ein Wald, Drakestraße ist eine Straße). Während vollproprialisiertes Heidelberg im Genitiv gelegentlich das unsilbische -s, häufiger -Ø nimmt, dominiert bei Gattungs-EN auf -berg wie z.B. Feldberg klar die Polyflexion. Auch die silbische Endung -es kommt frequent vor (des Feldberges), allerdings seltener als bei vollappellativischen Komposita mit dem Letztglied -berg wie z.B. Weinberg. Hier sei schon einmal erwähnt – eine empirisch gestützte Analyse der Daten erfolgt in Kap. 5 –, dass ein genauerer Blick auf Genitivkonstruktionen mit EN zeigt, dass die Generalisierung der Gegenwartsgrammatiken, artikellose EN wiesen im Gen.Sg. immer das uniforme -s auf, zu allgemein gefasst ist. Tatsächlich zeichnen sich EN – allen voran die PersN – im heutigen Deutschen, außer in den oben erwähnten adnominalen Possessivkonstruktionen, durch Flexivlosigkeit aus (vgl. die Bsp. (14)–(15)):

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 21

(14)

VERBAL:

wir gedenken Karlheinz Böhm18

(15)

ADPOSITIONAL:

wegen Karlheinz Böhm19 / Karlheinz Böhm wegen

(16)

POSTNOMINAL MIT DET.:

der Weg des Karlheinz Böhm20

Verbale Genitive sind im Gegenwartsdeutschen allgemein recht selten geworden (vgl. zum Rückgang z. B. Fleischer & Schallert 2011: 87). Die meisten Verben, die in früheren Sprachstufen den Genitiv regiert haben, verlangen heute den Dativ oder – mit ggf. leicht anderer Semantik – ein Präpositionalobjekt (wir gedenken dem Schauspieler, wir denken an den Schauspieler). Tritt ein Verb jedoch in Verbindung mit einem Genitivobjekt auf, muss der Kasus via Kongruenz sowohl am Artikel (bzw. allen Begleitwörtern) als auch am maskulinen/ neutralen Substantiv markiert werden (*wir gedenken des Schauspieler-Ø). Nun sind Fälle wie (14) mit einem null-markierten EN ambig, da es sich bei ihnen ebenso um die neuere Dativrektion des Verbs gedenken handeln könnte. Da der Dativ am EN heute nicht mehr markiert wird und PersN im Standardgebrauch ohne Artikel auftreten (s.u.), sind derartige Belege nicht eindeutig analysierbar.21 Das gleiche gilt für EN in Verbindung mit Adpositionen (vgl. (15)): Es ist nicht zu entscheiden, ob die Struktur [[wegen]DAT Karlheinz Böhm] oder [[wegen]GEN Karlheinz Böhm-Ø] zugrunde liegt. Ob es sich in (14) und (15) nun um einen Wechsel zu einem nicht am EN markierten Kasus oder um Flexivlosigkeit im Genitiv handelt, das Resultat ist in beiden Fällen dasselbe: die radikale Vermeidung der EN-Flexion, wie sie im appellativischen Bereich in diesem Ausmaß nicht annähernd vorkommt. Gleiches gilt – seit Ende des 18. Jh. (vgl. 4.1.4) für postnominale Genitive, bei denen der Kasus am Determinierer angezeigt wird (16). Und zwar bleibt das -s am Namenkörper nicht nur bei femininen Namen aus, die regelkonform, da mit Arti-

|| 18 Quelle: , letzter Abruf: 10.04. 2018. 19 Quelle: , letzter Abruf: 10.04.2018. 20 Quelle: , letzter Abruf: 10.04.2018. 21 Fuß (2011: 23) liefert einen passenderen Internetbeleg mit gedenken gefolgt von einer engen Koordination, wo der Name im ersten Konjunkt unflektiert auftritt, das zweite appellativische Konjunkt jedoch eindeutig genitivmarkiert ist: Wir gedenken Maria Magdalena und der anderen Frauen, die Jesus folgten. Hier ist also nicht von einem Wandel der Subkategorisierungseigenschaften des Verbs auszugehen. Heterogene Konjunkte können zwar – zumindest bei hinsichtlich der Kasusrektion schwankenden Präpositionen wie wegen – vorkommen, doch hier sei laut Fuß (2011: 23, Fn. 6) nur die Abfolge „Genitiv vor Dativ“ zulässig.

22 | Eigennamen und Personennamen

kelwort ihrer normalen Flexionsklasse folgend (vgl. Duden-Grammatik 92016: 201), ohne Genitiv-s auftreten. Auch bei maskulinen EN – primär bei PersN, zunehmend auch bei maskulinen und neutralen Namen anderer Klassen – überwiegt die sogenannte Monoflexion und steht im Kontrast zu der bei APP vorherrschenden Polyflexion (*der Tod des Schauspieler).22 Dieser Flexivwegfall am Namen wird auch in Grammatiken durchaus als grammatisch ausgewiesen (vgl. z. B. Duden-Grammatik 92016: 200–202, Eisenberg 42013b: 144, Wahrig 2003: 322 und Kap. 5.1.1.1).23 Numerus Da sich EN semantisch durch ihre Monoreferenz auszeichnen, spielt die Pluralflexion eine geringere Rolle. Im Allgemeinen wird in der Literatur weitaus häufiger die generelle Pluralfähigkeit der EN und deren Funktion diskutiert als die grammatische Form der Pluralmarkierung (vgl. Coseriu 1989, Leys 1989, Kolde 1995, Debus 2005). Kommen EN im Plural vor, was verglichen mit den APP viel seltener der Fall ist (vgl. Kap. 4.2), leistet dieser funktional gesehen etwas anderes als sein appellativisches Pendant. Der EN-Plural bezeichnet Referenten, die (z. B. durch Mehrfachvergabe) zufällig – gelegentlich auch motiviert, wie bei den FamN – den gleichen Namen tragen und sich ansonsten – anders als APP – keine Merkmale teilen müssen. Durch zufällige Polyreferenz eines EN werden sich seine Denotate nicht ähnlicher. Der häufiger anzutreffenden Annahme, durch die Pluralisierung eines EN erfolge eine Referenzverschiebung auf ein sortales Konzept vom Typ der APP (vgl. z. B. Vater 1965: 211, Gallmann 1997: 74, Van Langendonck 2007: 160–161 und von Heusinger 2010: 100–101), wird hier also nicht zugestimmt. Ebenso gehe ich davon aus, dass man mit pluralisierten FamN auf zufällig den gleichen Namen tragende Individuen referieren kann (17a), auch wenn den FamN-Pluralen gelegentlich eine reine Assoziativ-Funktion (die ihnen natürlich auch zukommen kann) im Sinne von (17b) || 22 Auch im appellativischen Bereich ist Monoflexion zu finden. Die unter anderem von Wurzel (1991: 180) vertretene Auffassung, das Ausbleiben des Genitiv-s in Nominalgruppen mit maskulinen oder neutralen Substantiven als Vorboten einer generellen Deflexion anzusehen, ist jedoch zurückzuweisen. Zimmer (2018) zeigt anhand ausführlicher empirischer Studien, dass die s-Losigkeit auf eine klar abgrenzbare Gruppe peripherer Substantive – unter ihnen die EN – beschränkt ist. Siehe zum Flexionsverhalten peripherer vs. prototypischer Substantive auch Kap. 4.3.1. 23 Im Falle der flexivlosen EN kann lediglich von einem Schwinden der flexivischen Markierung die Rede sein. Die Kasuskategorie Genitiv ist im Deutschen stabil und EN verlieren nicht generell die Fähigkeit, in Genitivkonstruktionen aufzutreten. Zum Unterschied zwischen Kasuskategorie und Kasusform siehe Dürscheid (2007: 91–92).

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 23

unterstellt wird (so z. B. von Plank 2011). Van Langendonck (2007: 160) behauptet, die Ambiguität zwischen Assoziativ- und Polyreferenz-Lesart werde im Deutschen morphologisch durch -s vs. -Ø markiert. Dass diese strikte Annahme empirisch nicht haltbar ist, zeigt Bsp. (17). Das Auftreten des s-Flexivs hängt auch bei den FamN eher vom Vorhandensein eines eindeutig pluralmarkierenden Begleitworts wie beide, viele etc. als von der Semantik ab (s. u.).24 (17)

a. am Institut arbeiten zwei Müllers

(= zufällige Polyreferenz)

b. Müllers haben einen Garten

(= Assoziativ ‚Familie Müller‘)

Im Gegensatz zu EN fasst der APP-Plural mehrere Mitglieder einer Klasse mit gemeinsamen typischen Merkmalen zusammen. Doch auch die formale Seite des EN-Plurals unterscheidet sich erheblich von der des APP-Plurals. Ein Blick auf Tabelle 2 zeigt, dass hier das onymische Formeninventar ebenso stark eingeschränkt ist wie im Singular. Auch die appellativische +/- FemininumDivergenz ist bei der Numerusanzeige aufgehoben. Tab. 2: Die additiven Verfahren der Pluralmarkierung bei artikellosen Eigennamen vs. Appellativen – die traditionelle Sicht

APPELLATIVE

EIGENNAMEN F.

M.

N.

Nom.

-s

-s

-s

-(e)n/-e /-s

Akk.

-s

-s

-s

-(e)n/-e /-s

-e /-er /-(e)n /-s /-Ø

-e /-er /-(e)n /-s /-Ø

Dat.

-s

-s

-s

-(e)n/-en /-s

-en /-ern /-(e)n /-s /-Ø

-en /-ern /-(e)n /-s /-Ø

Gen.

-s

-s

-s

-(e)n/-e /-s

-e /-er /-(e)n /-s /-Ø

-e /-er /-(e)n /-s /-Ø

F.

M. -e /-er /-(e)n /-s /-Ø

N. -e /-er /-(e)n /-s /-Ø

Während APP reiche Plural-Allomorphie aufweisen und mit dem Umlaut ein stammmodulierendes Verfahren funktionalisiert haben, durch das die für Substantive relevantere Numerus-Kategorie gestärkt wird (vgl. Bybee 1985, Nübling et al. 42013: 45–54, Dammel & Gillmann 2014), nehmen EN in der Regel den

|| 24 In Kap. 4.2.4 wird anhand von Korpusdaten gezeigt, dass tatsächlich auch ein Einfluss der Semantik auf die flexivische Markierung beobachtet werden kann, und zwar bleiben GesamtN bei Polyreferenz-Lesart tatsächlich eher unflektiert als appellativisch verwendete GesamtN. Beim Einfluss der Semantik auf die morphologische Markierung handelt es sich jedoch eher um eine Tendenz als um eine strikte Regel.

24 | Eigennamen und Personennamen

wortschonenden s-Plural, der nie mit einer Umlautung des Stammvokals einhergeht (vgl. 4.3.1). Dieses in (18) exemplifizierte onymische Sonderverhalten zeigt sich besonders eindrücklich im Vergleich mit unterschiedlich flektierenden homonymen Appellativen (19): (18)

EIGENNAMEN Ackermann-s

(19)

Koch-s

Zimmer-s

Köch-e

Zimmer-Ø

APPELLATIVE Ackermänn-er

Lautet ein EN hingegen bereits auf /s/ aus, so besteht auch die Möglichkeit, seinen Plural mit dem Flexiv -e (drei Matthiasse) oder -ens (alle Geißens) zu bilden. Dabei scheinen auf /s/ endende RufN nur das -e nehmen zu können (drei Matthiasse vs. *drei Matthiasens), während die lange Endung -ens bei FamN der Default ist (alle Geißens vs. *alle Geiße). Die Duden-Grammatik (92016: 192-193) spricht hier von Flexion „nach den Grundregeln für gewöhnliche Substantive“, die nur dann möglich sei, wenn der EN nicht auf einen Vollvokal ende. So ist z. B. bei auf /ə/ auslautenden weiblichen RufN auch das Flexiv -n möglich (zwei Agathen), wobei der s-Plural auch hier der Default ist (zwei Agathes), wie in Kap. 4.2.4 datenbasiert gezeigt wird. Doch auch das Plural-s wird im heutigen Deutschen – ähnlich dem Genitiv-s – zunehmend durch den Nullplural ersetzt, wenn der Plural bereits an einem Begleitwort markiert wird (vgl. Nübling 2012: 240): die beiden Horst(s); alle Uwe der Welt.25 Dieser Nullplural wird sogar in der Duden-Grammatik (92016: 191-192) als eine der onymischen Nebenpluralvarianten aufgeführt – dort aber nur als Option bei nicht auf Vollvokal endenden Namen. Ohne Pluralmarker verwendete EN wirken im Übrigen dem sonst im substantivischen Bereich vorherrschenden und außerordentlich mächtigen Prinzip der Numerusprofilierung entgegen. Die Annahme Wegeners (1995: 24), der zufolge der Abbau des Genitiv-s im onymischen Bereich als Stärkung von -s als eindeutiger Pluralmarker anzusehen sei, erscheint vor dem Hintergrund des auch im Plural zu beobachtenden s-Schwunds somit als empirisch nicht haltbar.

|| 25 Belege dieser Art zeigen, dass der Nullplural nicht nur bei Namen vorkommt, die auf schwahaltige Reduktionssilbe auslauten. Hier liegt somit nicht einfach strikte Analogie zur Appellativik vor, die in diesem Fall auch die Nullendung (z. B. bei die Lehrer-Ø, die Wasserkocher-Ø) aufweist (vgl. Kolde 1995: 402).

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 25

Aus synchroner Perspektive ist zusammenfassend für die Kasus- und Numerusflexion im Deutschen zu sagen, dass sich die EN auf paradigmatischer Ebene durch eine regelrechte Flexionsarmut gravierend von den APP unterscheiden. Dabei tendieren DPs/NPs mit EN heute – im Genitiv weitaus mehr als im Plural – auch zu syntagmatischer Deflexion bzw. Monoflexion, während sich Nominalgruppen mit APP entsprechend dem im Deutschen geltenden Kongruenzprinzip durch Polyflexion ausweisen. 2.1.2.2 (Morpho-)Syntaktische Unterschiede Laut Plank (2011) gilt nicht nur für das Deutsche, dass die einer grammatischen Unterscheidung zwischen rigiden Designatoren und Nomina oder Adjektiven zugrunde liegenden Kriterien eher morphologischer als syntaktischer Natur sind. Auch wenn bisher ausreichend Validierung fehlt, formuliert Plank (2011: 286) als mögliche implikative Universalie: „If proper names differ from other words in syntax, they will also differ in morphology, but not vice versa“. Wie im letzten Abschnitt gezeigt wurde, weisen EN gegenüber APP im Gegenwartsdeutschen zahlreiche morphologische Spezifika auf. Was die satzsyntaktische Ebene betrifft, so unterscheiden sich EN demgegenüber kaum von APP (vgl. Kolde 1995: 407 oder Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 84–85). Doch was die hier interessierende interne Phrasen-Syntax angeht, so lassen sich sehr wohl Unterschiede zwischen den beiden Klassen erkennen. Im Folgenden sollen mit dem Artikelgebrauch und der Distribution von Genitivattributen zwei syntaktische Phänomenbereiche vorgestellt werden, bei denen EN eine Sondergrammatik aufweisen. Artikelgebrauch Der Artikelgebrauch bei EN ist komplexer, als die Darstellung der wesentlichen Namenfunktionen in Kap. 2.1.1 suggerieren würde: Da EN unikale Direktreferenz auf ein Objekt leisten und demnach inhärent definit sind, sollten sie – ganz im Gegensatz zu den nicht selbstständig referenziellen APP, bei denen defaultmäßig erst durch die Verwendung eines Determinierers der Bezug zu einer Entität in der Welt hergestellt werden kann – kein zusätzliches Artikelwort benötigen, das die Referenzleistung übernimmt. Während diese Generalisierung auf Sprachen wie das Englische weitgehend zutreffen mag, stellt beispielsweise das Griechische mit obligatorischem Artikelgebrauch ein Gegenbeispiel dar. Und auch im Standarddeutschen gilt primäre Artikellosigkeit nur für einige Namenklassen. Die Duden-Grammatik (92016: 299–302) unterscheidet dabei folgende Gebrauchsweisen:

26 | Eigennamen und Personennamen

i.

PRIMÄRE ARTIKELLOSIGKEIT: PersN, inklusive onymisierte Verwandtschaftsbezeichnungen (Peter, Mayer, Mama), StädteN (Berlin), InselN (Sylt), nur z. T.: LänderN (Spanien), LandschaftsN (Oberschwaben) und FirmenN (Nestlé) ii. PRIMÄRER ARTIKELGEBRAUCH: GewässerN (die Spree), StraßenN (die Torstraße), GebirgsN (der Himalaya), Ergonyme (die FAZ), nur z. T.: LänderN (die Türkei), LandschaftsN (das Havelland) und FirmenN (die Telekom) iii. SEKUNDÄRE ARTIKELLOSIGKEIT: syntaktisch gesteuert, z. B. bei Isolation iv. SEKUNDÄRER ARTIKELGEBRAUCH: syntaktisch gesteuert, z. B. bei Attribution Primäre Artikellosigkeit und primärer Artikelgebrauch hängen von den lexikalischen Eigenschaften des jeweiligen Namens ab, es besteht keine Wahlfreiheit bezüglich des (Nicht-)Gebrauchs (*mir gefällt es im Bayern, *wir entspannen an _ Spree).26 Da der feste EN-Artikel weder die üblichen Funktionen des Definitartikels erfüllt noch paradigmatisch eingebettet ist, wird er häufig auch als Expletivartikel bezeichnet (vgl. Longobardi 2005: 29, Nübling, Fahlbusch & Heuser 2 2015: 81), was jedoch nicht unumstritten ist. Karnowski & Pafel (2005) z. B., die im Rahmen der symmetrischen Theorie für einen gleichen semantisch-syntaktischen Aufbau von Phrasen mit und ohne EN argumentieren (siehe auch Fußnote 2), sehen keine (Funktions-)Unterschiede zwischen dem onymischen und dem appellativischen Definitartikel: „Für die symmetrische Theorie hat der overte definite Artikel in Eigennamen dieselbe (Operatoren-)Semantik wie der definite Artikel in anderen Verwendungen, d. h. er ist kein Expletivum“ (Karnowski & Pafel 2005: 51). Eine weitere Annahme von Karnowski & Pafel (2005) ist, dass auch primär artikellose EN – parallel zu allen DPs mit overtem Determinierer – von einem Definitartikel selegiert werden, der in diesem Fall covert repräsentiert ist. Im Deutschen sind es vor allem – aber natürlich nicht ausschließlich – feminine EN (die Schweiz, die Steiermark, die Weser) sowie onymische Pluraliatantum (die Alpen, die Philippinen), die gewöhnlich mit dem definiten Artikel auf-

|| 26 Neef (2006: 282), der von einer „lexembezogen definierte[n] Teilklasse von Eigennamen“ ausgeht, bezeichnet die Mitglieder derjenigen Klasse, die „im Prinzip ohne Artikel auftreten dürfen“ als ‚grammatische EN‘.

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 27

treten. Thieroff (2000) prognostiziert dabei für maskuline Ländernamen wie (der) Irak oder (der) Kongo, dass sie den heute schwankenden Determinierer zukünftig ablegen werden, um sich gemäß der für das deutsche Nominalsystem geltenden +/– Femininum-Divergenz systemkonform zu verhalten (feminine LänderN stehen mit, nicht-feminine LänderN ohne Artikel). Neben den lexikalischen Eigenschaften steuern auch Syntax, Semantik und Pragmatik die Artikelsetzung vor EN. So fällt in bestimmten syntaktischen Kontexten wie beispielsweise in engen appositiven Syntagmen (20a) oder bei der heißen-Prädikation (20b) der Determinierer auch bei Namen weg, die sonst einen Artikel mit sich führen (sekundäre Artikellosigkeit). Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 81) sehen dies als Indiz dafür, dass der Artikel primär morphosyntaktische Funktionen wie z. B. die Kasusanzeige ausüben dürfte. Demgegenüber stehen primär artikellose Namen z. B. bei adjektivischer (nicht-restriktiver) Attribuierung (21a) oder bei Rechts- und Linksversetzung (21b) immer mit Determinierer (sekundärer Artikelgebrauch).27 (20)

a. NATO-Partner (*die) Türkei b. dieses Land heißt (*die) Türkei

(21)

a. *(die) kleine Lisa kommt zu Besuch b. er ist schon ganz nett, *(der) Klaus-Uwe

Dass der Determinierer jedoch nicht bei allen appositiven Attributen obligatorisch auftritt, zeigen die folgenden Beispiele, bei denen der EN via PP (22a) oder Relativsatz (22b) modifiziert wird: (22)

a. Lisa [aus Harxleben] / Lisa [mit der netten Schwester] heiratet. b. Lisa [, die eigentlich nie heiraten wollte,] ist jetzt verlobt.

Wird ein EN hingegen nicht appositiv, sondern restriktiv modifiziert, z. B. durch ein nachgestelltes Genitivattribut, so muss der Artikel stehen (vgl. (23a) vs. (23b)):

|| 27 Dies gilt nur, wenn der Name in Argumentposition steht, im Anredenominativ beispielsweise fällt der Determinierer weg (Liebe Anna!). Auch wenn das begleitende Adjektiv unflektiert bleibt, steht kein Artikel: halb Berlin vs. das halbe Berlin, Klein Kevin vs. der kleine Kevin (vgl. Duden-Grammatik 92016: 301). Im Fall geographischer Namen, die häufig mit Bindestrich geschrieben werden (Alt-Tegel), liegt wohl eher Univerbierung und somit Wortbildung statt syntaktischer Phrasenstatus vor (vgl. Gallmann 1997: 76).

28 | Eigennamen und Personennamen

(23)

a. der Goethe des Faust b. *Goethe des Faust

| |

das Berlin des Zweiten Weltkrieg(s) *Berlin des Zweiten Weltkrieg(s)

Da restriktive Attribution immer mit einem Wechsel zu einer appellativischen Verwendung des EN einhergehe, sei es laut Gallmann (1997: 74–75) auch nicht verwunderlich, dass hier derselbe Artikelgebrauch wie bei APP beobachtet werden könne.28 In (23) beispielsweise referiert Goethe nicht auf ein Individuum, sondern vielmehr auf „eine Klasse von zeitabhängigen Persönlichkeitsmerkmalen, deren Gemeinsamkeit es ist, daß sie einer Person namens [X] zugeordnet sind“ (Gallmann 1997: 75). In dieser sekundären Verwendung treten Namen auch in Kombination mit dem indefiniten Artikel auf und unterscheiden sich damit sowohl semantisch als auch syntaktisch von EN im engeren Sinne.29 Für indefinite EN schlägt von Heusinger (2010) eine Typologie vor, die fünf verschiedene Gebrauchsweisen vorsieht, die sich wiederum zu zwei Hauptgruppen zusammenfassen lassen:30 I.

APPELLATIVISCHE GEBRAUCHSWEISE (IM WEITEREN SINNE) Ein neues selbstständiges Individuum wird eingeführt, das zur/zum ursprünglichen EN-TrägerIn in einer Relation steht. Diese Relation ist entweder: a) BENENNEND (jemand, der/die ‚EN‘ heißt/genannt wird) b) METONYMISCH (etwas, das mit EN in einer (kausalen) Verbindung steht) oder c) METAPHORISCH (jemand mit salienten Eigenschaften von EN)

II.

SUBINDIVIDUELLE GEBRAUCHSWEISE Es wird kein selbstständiges Individuum eingeführt, sondern ein a) STADIUM (Referenz auf zeitlich begrenzten Abschnitt von EN) / eine b) MANIFESTATION (Referenz auf zeitlich unbegrenzte Manifestation von EN)

|| 28 Diese Meinung wird nicht überall geteilt. Kolde (1995: 404) beispielsweise sieht nur bei metonymischer Verwendung (einen Picasso kaufen) eine Verschiebung zum APP, ansonsten werde der EN immer auch onymisch gebraucht. 29 Was natürlich die Annahme voraussetzt, dass man EN – im Sinne der asymmetrischen Theorie – nicht per se als APP auffasst. 30 Für eine Übersicht über verschiedene Typologien der (primären und) sekundären Gebrauchsweisen von EN siehe von Heusinger (2010: 104).

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 29

Die nachfolgenden Bespiele sollen diese Gebrauchsweisen exemplifizieren:31 (24)

APPELLATIVISCHE GEBRAUCHSWEISE a) Es ist kein Vergnügen, eine Wagner zu sein. b) Gestern habe ich einen Tizian ersteigert. c) Er ist ein Marlon Brando der Politik.

(25)

SUBINDIVIDUELLE GEBRAUCHSWEISE a) Ein junger Mozart wird sich schon als Kind seinen Kompositionen widmen. b) Ein Wolfgang Amadeus Mozart wäre nie berühmt geworden, wenn er der Sohn von Bauern gewesen wäre.

Welche der verschiedenen Lesarten im konkreten Fall zur Verfügung steht, hängt stark von pragmatischen Faktoren wie dem Kontext oder dem Weltwissen ab (wer ist der/die ursprüngliche EN-TrägerIn und was sind seine/ihre typischen Eigenschaften?). Indefinite EN stellen somit ein interessantes Phänomen im Überschneidungsbereich von Pragmatik und Semantik dar. Bedeutungsverschiebungen kommen zwar auch im appellativischen Bereich vor, doch dort kann der deskriptive Gehalt den Shift blockieren. EN mit ihrer rein benennenden Funktion weisen eine viel größere Bandbreite an Bedeutungsverschiebungen auf, die sogar – wie in (25) exemplifiziert – zu subindividuellen Lesarten führen (vgl. von Heusinger 2010: 116–117). Auch Demonstrative können in Verbindung mit EN benutzt werden. Hier ist die Bedeutung des gesamten Komplexes „von der Bedeutung des Determinators und der verschobenen Bedeutung des Eigennamens abhängig“ (von Heusinger 2010: 100). Zum Beispiel kann durch den Demonstrativartikel eine Reklassifizierung des Namenträgers/der Namenträgerin nach seiner/ihrer vorherigen Einführung erfolgen (Anaphorizität ohne Identifizierbarkeit): Gestern hat eine Uschi angerufen. Diese Uschi wollte dich dringend sprechen. Zudem können durch die Verwendung des Demonstrativartikels (nicht nur in Kombination mit EN) negative SprecherInneneinstellungen angezeigt werden: Ich kann diesen Alex einfach nicht leiden (vgl. hierzu auch Kolde 1995: 406). Was die hier interessierenden PersN betrifft, so gestaltet sich die Artikelsetzung ebenfalls komplizierter, als es die oben aufgeführte Einteilung der Duden-

|| 31 Die Beispiele sind (z. T. in leicht abgewandelter Form) von Heusinger (2010) entnommen.

30 | Eigennamen und Personennamen

Grammatik suggeriert. Während im Standard primäre Artikellosigkeit gilt, ist im Süden des deutschen Sprachgebiets die Artikelsetzung in der Umgangssprache unmarkiert und in manchen Dialekten – Fuß (2011: 21) liefert ein Beispiel aus dem Südhessischen – sogar obligatorisch. Nach Norden hin nimmt der Artikelgebrauch vor PersN ab, wobei sich die ‚Artikel-Isoglosse‘ immer weiter in Richtung Norden verschiebt.32 Wir haben es hier allerdings nicht mit einem ausschließlich diatopischen Phänomen zu tun: Neben der Region ist auch der morphosyntaktische sowie der pragmatische Kontext bezüglich der Artikelverwendung ausschlaggebend. Bellmann (1990: 253–282), der mit seiner Fragebogenerhebung Ende der 1980er die erste flächendeckende Untersuchung zum Artikelgebrauch bei männlichen RufN in der standardnahen regionalen Sprechsprache vorlegt,33 stellt fest, dass im gesamten Untersuchungsgebiet Artikelgebrauch zu finden ist. Im Norden ist der Definitartikel bei RufN vorrangig in expressiven Kontexten zu beobachten; und zwar etwas konsequenter bei der Denunziation (Testsatz 5: Der Peter hat mich geschlagen.) als in lobendem Kontext (Testsatz 8: Der Peter hat sehr gut vorgelesen.). Während der Artikel im nördlichen Erhebungsgebiet zumindest teilweise noch zur Markierung der obliquen Kasus (eher Dativ als Akkusativ) verwendet wird, bleibt er im Nominativ völlig aus. In einem mittleren Streifen (Duisburg, Kassel, Erfurt, Leipzig und Dresden) tritt der RufN-Artikel insgesamt häufiger auf als im Norden und steht gleichermaßen im Dienste der Pragmatik und der Morphosyntax. In diesem Übergangsgebiet wird der Definitartikel im Gegensatz zum nördlichen Erhebungsgebiet auch im Nominativ bei Referenz auf einen nicht anwesenden Dritten verwendet (Testsatz 3 (auf ein Foto zeigend): Das ist der Peter. und Testsatz 6: Sieh mal, dort kommt der Peter.). Nur bei der Selbstnennung (Satz 4: Hallo Tante, hier ist (der) Peter.) und in Anwesenheit des Referenten (Satz 7: Das ist (der) Peter. und Satz 8) – mit Ausnahme der Denunziation – bleibt der RufN-Artikel aus. Das ganze Gebiet südlich dieses Streifens ist Artikelgebiet. Bis zu einer Linie einschließlich Köln–Fulda–Plauen kann der Definitartikel vor RufN als voll usualisiert und entpragmatisiert gelten, da er unabhängig von pragmatischen und morphosyntaktischen Faktoren in allen Kontexten anzutreffen ist. Laut || 32 Zu den RufN siehe die Karten in Bellmann (1990: 274), Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 125) und im ADA (dritte Runde, Frage 10e, und neunte Runde, Frage 2a, b); zu den FamN siehe die Karten aus dem ADA (neunte Runde, Frage 2c, d). 33 Es wurden 8 Testsätze in 24 deutschen Städten (einschließlich der damaligen DDR) meist in Form von Straßeninterviews abgefragt. Die Zahl der pro Ort befragten Informanten, die in zweiter Generation ortsgebürtig und über 40 Jahre alt waren sowie einen überdurchschnittlichen Bildungsgrad aufwiesen, lag zwischen 8 und 15 (vgl. Bellmann 1990: 273–274).

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 31

Bellmann (1990: 279) komme das Weglassen des Definitartikels sogar einer Namensverstümmelung gleich, da er als fester Bestandteil des RufN aufgefasst werde. So ist es nicht verwunderlich, dass der RufN-Artikel in den südlicheren Erhebungsgebieten auch in der informellen geschriebenen Sprache einen festen Platz einnimmt. Da EN bereits inhärent definit sind, muss dem im Süden vollgrammatikalisierten onymischen Artikel eine andere Funktion zukommen als im appellativischen Bereich, wo der Artikel den Referenten als identifizierbar und von anderen abgrenzbar markiert. Nübling (2012: 237) sieht die Funktion des Determinierers primär in der Kasusmarkierung, die am Namen nicht geleistet wird. Die aktuellen Daten, die Werth (2015b) für die hessischen Regionalsprachen liefert, sprechen ebenfalls dafür, dass der Artikel im Wesentlichen morphosyntaktisch motiviert ist und somit eine kompensatorische Funktion erfüllt. Daneben kann der Artikel bei FamN auch als Genus- bzw. Sexusanzeiger dienen (vgl. von Heusinger 2010: 99). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich der Determinierergebrauch in Verbindung mit EN von dem bei APP unterscheidet, was Kolde (1995: 406) folgendermaßen formuliert: Bei Eigennamen bilden also Indefinit- und Demonstrativartikel ein textreferentielles Minimalsystem, während der Definitartikel ganz andere Funktionen hat. Dies ist ein Zug der Eigennamengrammatik, der diese grundsätzlich von der Appellativgrammatik unterscheidet.

Stellungsasymmetrien beim adnominalen Genitiv Ein in der aktuellen Literatur viel diskutierter Unterschied zwischen APP und EN besteht in der Distribution von Genitivattributen (vgl. z. B. Gallmann 1990a, 1997, Demske 2001, Longobardi 2005, Sternefeld 32008, Fuß 2011, Bücking 2012, Campe 2013). Im heutigen Deutschen können artikellose, unmodifizierte EN in adnominalen Possessivkonstruktionen34 uneingeschränkt die pränominale Position einnehmen (vgl. Wahrig 2003: 561, Eisenberg 42013b: 253, DudenGrammatik 92016: 208), während Gattungsnamen im unmarkierten Fall hinter dem Kopfnomen stehen (vgl. (26) vs. (27)). (26)

a. Camillas Fahrrad b. das Fahrrad Camillas

|| 34 Possessivität wird hier als Zugehörigkeit im weitesten Sinne verstanden. Ich komme in Kapitel 5 darauf zurück.

32 | Eigennamen und Personennamen

(27)

a. ??der Studentin Fahrrad b. das Fahrrad der Studentin

Die Beispiele unter (28) zeigen, dass pränominale Genitivattribute mit APP vereinzelt möglich sind (zu den Prästellung fördernden Faktoren siehe Campe 2013), wenngleich sie eher als Residuen eines älteren Systems anzusehen sind (vgl. Gallmann 2003: 543). (28)

a. des Menschen bester Freund b. des Landes größter Segen

Was diese Stellungsasymmetrie betrifft, so verhalten sich die EN-Klassen – gesteuert von diversen Faktoren – sehr inhomogen: Kurze PersN – hier besonders die RufN und onymisch gebrauchte Verwandtschaftsbezeichnungen (vgl. Kubczak 2011: 15-16) – erscheinen nicht oder nur sehr selten in Poststellung, Nachstellung erfolge eher mithilfe der von-Phrase: das Buch von Mona vs. ?das Buch Monas, so Duden-Zweifelsfälle (82016: 371, 716). Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 84) schreiben zu den Ergebnissen eines Akzeptanztests von Zifonun (2001), in dem präponierte RufN die höchsten Akzeptanzwerte erhielten: „Der präponierte (oder sächsische) Gen. ist am ehesten bei PersN üblich, am Pol maximaler Belebtheit und Definitheit“. Demgegenüber ist die Poststellung bei Toponymen keine Seltenheit, was Eisenberg & Smith (2002: 120) mit einer empirischen Untersuchung belegen: Mehr als die Hälfte (55,7 %) der OrtsN stehen in ihrem Korpus hinter ihrem Bezugsnomen (die Sehenswürdigkeiten Berlins). Zudem zeigt Peschke (2014) in einer korpusbasierten Studie, dass neben der Semantik des Possessors – v. a. die Belebtheit des EN fördert die Prästellung – auch die des Possessums eine Rolle zu spielen scheint. Zusätzlich wirken sich mit der Komplexität des Namens (Kürze führt eher zu Präponierung) und der Qualität des Auslauts (/s/ im Auslaut blockiert meist die Poststellung) auch formale Faktoren auf die Stellung aus; die Distribution ist keinesfalls willkürlich. Auch Campe (2013) bestätigt anhand einer Korpusstudie, dass die Stellung genitivischer Attribute durch diverse Faktoren gesteuert ist. Zum einen gibt es semantische und syntaktische Faktoren, die eine Variation zwischen der Präund Poststellung gänzlich ausschließen. Beispielsweise können nicht alle semantischen Relationen pränominal ausgedrückt werden (so kommen partitive Genitive nur in Poststellung vor: in einer der Spelunken vs. *in der Spelunken einer) und eine Modifikation des Possessors kann die Prästellung des Attributs gänzlich ausschließen (der EU-Beitritt Albaniens und aller Nachfolgestaaten

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 33

Jugoslawiens vs. *Albaniens und aller Nachfolgestaaten Jugoslawiens EU-Beitritt). Zum anderen gibt es eine Reihe semantischer, syntaktischer und auch pragmatischer Faktoren, die die Stellung von EN in ‚Wahlkontexten‘ in eine Richtung befördern. Beispielsweise tendieren agentivische Attribute mit geringerem prosodischen Gewicht, die im Gegensatz zu ihrem Bezugsnomen nicht den Fokus tragen, laut Campe (2013) zur Prästellung.35 Prä- und postnominale genitivische Konstruktionen sind – auch aufgrund der spezifizierend-determinativen Funktion, die nur ersteren zukommt – nicht als gänzlich äquivalent anzusehen (vgl. 5.1.1.1). Nichtsdestotrotz besteht in der Tatsache, dass alle artikellosen EN – wie auch onymisch gebrauchte Verwandtschaftsbezeichnungen (Oma, Opa, Mama, Papa etc.) – in Prästellung zum Bezugsnomen auftreten können, ein wichtiger Unterschied zur Appellativik. Letztere stehen im Genitiv – abgesehen von archaischen Konstruktionen (des alten Mannes Familie) oder Idiomen (der Weisheit letzter Schluss) – in aller Regel hinter dem Bezugsnomen.36 Ein weiterer Unterschied zwischen den Substantivklassen hat sich bereits angedeutet: Während EN „ohne weiteren Ausbau als Genitivphrasen perfekt“ sind (Zifonun 2001: 2), was das Beispiel in (29) zeigt, müssen APP um einen Artikel erweitert werden, um grammatisch zu sein (vgl. (30a) vs. (30b)). (29)

die Schulden Griechenlands

(30)

a. *die Schulden Lands b. die Schulden des Lands

Lautet der EN jedoch bereits im Nominativ auf Sibilant aus, so wird bei Poststellung die Präpositionalphrase mit von stark präferiert (vgl. Peschke 2014: 244– 247), statt dass der s-Marker wie bei Prästellung mit dem Auslaut verschmilzt, was schriftsprachlich via Apostroph markiert wird (die Sehenswürdigkeiten von Mainz vs. ??die Sehenswürdigkeiten Mainz’).37 Demske (2001: 267) zufolge, die für eine formal-syntaktische Asymmetrie zwischen prä- und postnominalen Genitiven argumentiert, sei bei Nachstellung eines EN die von-Periphrase sogar unab-

|| 35 Eine Diskussion einiger dieser Faktoren erfolgt aus typologischer Sicht in Kap. 5.2.3. 36 Neu aufkommende pränominale Possessivkonstruktionen werden in Kap. 5.3.4 thematisiert. 37 Das Gleiche gilt für nachgestellte Genitivattribute mit APP, bei denen der Genitiv nicht overt markiert ist, was z. B. bei singularischen Massennomina oder artikellosen Nomina im Plural der Fall ist.

34 | Eigennamen und Personennamen

hängig von den morphophonologischen Eigenschaften des Namens obligatorisch; Beispiele mit artikellosem postnominalen EN im Genitiv wie das in (29) sollten demnach ungrammatisch sein. Diese Generalisierung ist empirisch jedoch nicht haltbar.38 Wenn nun – wie in (31) – ein Adjektiv den postnominalen EN spezifiziert, so wird die Setzung des Artikels obligatorisch, was gegenwärtig häufig mit dem Wegfall der Genitivendung einhergeht (vgl. Kap. 2.1.2.1). Nicht-EN unterliegen den ebengenannten Veränderungen nicht zwangsläufig (32). (31)

a. *die Einladung netten Stefan(s) b. die Einladung des netten Stefan(s)

(32)

die Verschwendung klaren Wassers

Auf appellativischer Seite erklärt die sogenannte Genitivregel (vgl. DudenGrammatik 92016: 977–978 und Gallmann 2018), warum nachgestellte Genitivattribute nicht ohne Determinierer (30) oder Adjektiv (32) auftreten können: Eine Nominalphrase kann nur dann im Genitiv stehen, wenn sie (i) mindestens ein adjektivisch flektiertes Wort und (ii) mindestens ein Wort mit s- oder r-Endung enthält. (Duden-Grammatik 92016: 978)

Die Gallmann’sche Regel lässt sich jedoch nicht 1:1 auf Konstruktionen mit artikellosen EN übertragen, da diese im Gegensatz zu APP auch als Hauptmerkmalsträger eine s-Endung aufweisen können, ohne dass die Genitivphrase dadurch ungrammatisch wird (vgl. (29)). Hier manifestiert sich einmal mehr der grammatische Sonderstatus, den EN innerhalb der Substantivklasse einnehmen.

|| 38 In Bücking (2012: 44–45) findet sich eine Zusammenstellung der äußerst unterschiedlichen Grammatikalitätsurteile hinsichtlich artikelloser postnominaler EN. Die Beurteilung von Phrasen des Typs [[Det N] ENs] reicht in der Literatur von grammatisch über markiert bis hin zu ungrammatisch, wobei die Beurteilung zum Teil auch innerhalb eines Aufsatzes unterschiedlich ausfallen kann, wie z. B. bei Hartmann & Zimmermann (2002), die die Phrase die Tasche Peters ein Mal mit Asterisk versehen (Beispiel (69b)) und ein Mal nicht (Beispiel (69c)).

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 35

2.1.2.3 Sonstige grammatische Unterschiede Im Deutschen leisten mit der Phonologie, der Graphematik und der Wortbildungsmorphologie weitere grammatische Ebenen einen Beitrag zur EN-Differenzierung.39 Bei den phonologischen Markern muss zwischen Prosodie und Phonotaktik unterschieden werden. Auch wenn das Deutsche die Prosodie, konkret die Akzentposition, nicht systematisch nutzt, um EN von APP zu unterscheiden, so lassen sich doch – vor allem im toponymischen Bereich – Anwendungen dieses ökonomischen weder kompetenz- noch performanzbelastenden Mittels finden (vgl. Nübling 2005: 30). Beispielsweise tragen StädteN mit zweisilbigem Endglied wie EbersWALde typischerweise den Hauptakzent hinten, was Fleischer (1964, 375) als „funktionellen Akzent“ bezeichnet. Darüber hinaus existieren im Berlinischen mehrere finalbetonte Toponyme mit einsilbigem Endglied, z. B. WeißenSEE, BaumschulenWEG, die sich allein durch die Finalbetonung von den homonymen Gattungseigennamen WEIßensee (SeeN), BAUMschulenweg (StraßenN) unterscheiden. Aber auch im anthroponymischen Bereich scheint der Akzent funktionalisiert zu werden: Doppelnamen wie Hans-PEter, Anna-LEna, Meyer-LANDrut, die Fleischer & Barz (42012: 180) zu den onymischen Kompositionsmodellen zählen, werden in der Regel auf dem letzten und nicht wie sonstige Komposita auf dem initialen Bestandteil betont (vgl. Bach 1952: 35). Ebenso gestalten sich die Akzentverhältnisse im Komplex RufN+FamN (Max MUStermann), dessen Status im heutigen Deutschen – anders als bei den eben genannten Doppelnamen – umstritten ist (vgl. Ackermann 2014, Finkbeiner & Meibauer 2016 und Kap. 3.1). Fasst man RufN+FamN-Verbindungen – so die eine Meinung – als kompositumsähnliche Verbindungen auf, können mehrteilige PersN als weiterer anthroponymischer Beleg für die von Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 67) postulierte prosodische Regel angesehen werden. Was die Phonotaktik betrifft, so weichen die onymischen Sequenzen häufig von den sonst im Deutschen geltenden Regeln ab (z. B. in den Ruf- und FamN Luisa, Tobias, Mross, Gsell, vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 67). Hierbei handelt es sich um ein passives und kein aktives Verfahren der ENMarkierung; die Abweichungen werden laut Nübling (2005: 31) vor allem in FamN geduldet, jedoch nicht kultiviert. Meist sind die Abweichungen Resultat von Entlehnungen aus fremden Sprachen oder Dialekten, in denen andere phonotaktische Verbindungen existieren. Auch was die Lautfrequenzen betrifft, unterscheiden sich EN häufig von APP; so weisen beispielsweise RufN Vollvoka-

|| 39 Für eine Typologie grammatischer Onymizitätsmarker sei auf Nübling (2005) verwiesen, für eine Übersicht zum Deutschen auf Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 64–92).

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le in unbetonten Nebensilben auf, wohingegen der im nicht-onymischen Bereich prominenteste Laut [ə] hier sehr selten ist. Auch wenn man Wörtern recht häufig anhören kann, ob sie EN oder APP sind, „handelt es sich hierbei um kein strenges Kriterium, da auch appellativische Fremdwörter solche Strukturen enthalten können“ (Nübling 2005: 31). Während die Phonologie im Deutschen also keine systematische Dissoziationsstrategie bereitstellt, wird die Graphematik besonders stark zur ENMarkierung genutzt: „Die onymische Abweichung von der orthographischen Norm ist fast Normalität“ (Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 87). Bis auf die obligatorische Großschreibung – die im heutigen Deutschen satzintern für alle Substantive gilt und im onymischen Bereich ihren Anfang nahm (vgl. Bergmann & Nerius 1998 und Szczepaniak 2011) – unterliegen EN keiner orthographischen Normierung. Nübling (2005: 33) hält es für möglich, dass das Deutsche gerade wegen der durch die allgemeine Substantivgroßschreibung mangelnden Differenzqualität der EN-Großschreibung verstärkt auf andere graphische Abweichungen setzt, um den Kontrast zum restlichen Wortschatz zu vergrößern. Beispielsweise werden im Bereich der PersN häufig periphere, seltene Grapheme wie zur Markierung des proprialen Sonderstatus genutzt (vgl. Klosa 2002). Auch Abweichungen von den Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln sind bei EN keine Seltenheit, was der FamN [fo:kt], der nicht diphthongisch ausgesprochen wird, verdeutlichen soll. Was die Graphotaktik betrifft, so verhalten sich Namen auch speziell, denn einige im Deutschen geltende Graphem-Kombinationsregeln finden im onymischen Bereich keine Anwendung. Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 88) nennen als Beispiel u. a. die nur bei EN anzutreffenden Doppelkonsonanten nach Nasal- oder LiquidGraphemen und Diphthongen wie in . Daneben lassen sich – auch in erbwörtlichen EN – zahlreiche Graphemkombinationen finden, die sonst auf den Fremdwortschatz beschränkt sind und im nativen Wortschatz nie oder äußerst selten anzutreffen sind. Zudem kommt es bei EN zur Aufhebung des in diesem Bereich ohnehin nicht anwendbaren morphologischen Prinzips. Da EN vom Wortschatz entkoppelt sind, nur identifizieren und keinen deskriptiven Gehalt aufweisen, kann morphologische Komplexität eher als afunktional angesehen werden; außerdem müssen bzw. sollen gerade keine Bezüge zu anderen Morphemen angezeigt werden, um irreführende Verbindungen zu vermeiden. Beispielsweise erfolgt beim FamN keine Umlautschreibung, da rein synchron keine Beziehung zum Verb backen besteht. Solche Allographien, die Reminiszenzen fnhd. und/oder dialektaler Schreibweisen sind, werden bei EN nicht abgebaut, wodurch sie sich diachron gesehen von ihren appellativischen Korrelaten dissoziieren.

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 37

Auch Syngrapheme werden bei EN anders genutzt als beim restlichen Wortschatz. Die Apostrophsetzung vor dem Genitiv- und (seltener) dem Plural-s tritt am frequentesten bei onymischen Basen auf (vgl. Scherer 2010, 2013): . Im Gegensatz dazu werden bei APP, die nicht der peripheren Substantivklasse angehören (vgl. 2.1.3 und 4.3.1), Flexive ohne Apostroph angefügt (). Bei dem als ‚Deppenapostroph‘ stigmatisierten und vermeintlich als Entlehnung aus dem Englischen angesehenen Syngraphem handelt es sich um einen sogenannten morphographischen Apostroph, dessen Funktion in der Markierung morphologischer Grenzen besteht. Durch die visuelle Abgrenzung des flexivischen Materials vom Namenkörper wird dieser konstant gehalten, seine Struktur wird geschont (vgl. Nübling 2014a, Nowak & Nübling 2017). Gleiches gilt für die deonymische Adjektivendung -sch, die aus Gründen der Schemakonstanz via Apostroph abgesetzt werden kann: (vgl. Duden-Zweifelsfälle 82016: 88 und Kempf 2017).40 Der Apostroph dient hier nicht – wie sonst üblich – als phonographisches Auslassungszeichen ( für ) sondern als höchst funktionales, leserfreundliches Grenzsignal, das seit der Orthographiereform toleriert wird, wenn es „zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens“ gebraucht wird (vgl. DR 2018: §97). Schließlich spricht auch die praktizierte Bindestrichsetzung in ENKomposita vom Typ Merkel-Rede, Mainz-Trainer für das Bedürfnis nach graphischer Strukturbewahrung des Namens.41 Statt dem Bindestrich werden – vor allem bei komplexen Gattungs-EN – gelegentlich bloße Spatien gesetzt, um die Segmentierung maximal konstant zu halten, der Tatsache zum Trotz, dass aus EN-Teilen Wortteile geworden sind, wie in oder (vgl. Gallmann 1989: 100). Abschließend sollen noch einige Besonderheiten der onymischen Wortbildungsmorphologie Erwähnung finden. Fleischer & Barz (42012: 179) widmen den onymischen Wortbildungen je eigene Kapitel, da sich aus der Sonderstellung der EN im Wortschatz „auch Spezifika für die Wortbildung ergeben“. Zunächst seien die spezifischen und auch durchaus produktiven onymischen Suffixe wie -ien für Toponyme (Serbien, Kroatien, Italien, scherzhaft: Balkonien) oder -a bei weiblichen RufN (Anna, Lena, Lisa) genannt. Schon Steche (1927:

|| 40 Daneben ist auch die Kleinschreibung des deonymischen Adjektivs möglich. Hier unterbleibt die Apostrophsetzung: (vgl. Duden-Zweifelsfälle 82016: 88). 41 Bei Deonymisierung des Namens schwinden häufig auch die strukturbewahrenden Bindestriche, was an Beispielen wie Adamsapfel, Röntgenstrahlen oder Ceranfeld gezeigt werden kann (vgl. Schlücker 2017).

38 | Eigennamen und Personennamen

141) stellt die im Fnhd. zu verortende „Wiederbelebung“ mancher Vollvokale im Namenauslaut als außergewöhnlichen Zug der EN-Grammatik heraus. Das hochproduktive -i-Suffix, das seinen Ursprung im anthroponomastischen Bereich hat (vgl. die hypokoristischen RufN Tani [taː.gə]); erst später erfolgte analogisch die (silbenstrukturell nicht motivierte) Dehnung aller Kurzvokale in einsilbigen Singularformen mit geschlossener Tonsilbe (z. B. [tak] > [taːk]). Durch diesen morphologisch motivierten Ausgleich wurden phonologisch einheitliche Paradigmen wiederhergestellt (vgl. Szczepaniak 2007: 234–235). Im Bereich der Morphologie wird der Begriff Schemakonstanz etwas weiter gefasst, da hier nicht nur die intraparadigmatisch konstante Schreibung bzw. Aussprache von Wortformen gemeint ist, sondern – wie bereits oben erwähnt – die generelle Schonung bzw. Konstanthaltung des Wortkörpers durch die Vermeidung von wortkörperaffizierenden Elementen, die den Stamm modulieren (z. B. durch Umlaut) oder die Morphemgrenzen verunklaren (wie z. B. additive Suffixe). Auch die Sichtbarmachung morphologischer Grenzen durch Syngrapheme wie Apostrophe oder Bindestriche, die den Stamm von Flexiven bzw.

|| 47 Mit dem Prinzip der graphematischen Schemakonstanz, auf das an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll, befassen sich explizit z. B. Nerius (32000: 146–160), Ruge (2004) und Nübling (2014a).

44 | Eigennamen und Personennamen

Kompositionsgliedern abgrenzen, ist der Schonung des Namen- bzw. Wortkörpers geschuldet und fällt somit unter die morphologische Schemakonstanz. Bei EN – so argumentieren z. B. Nübling (2005, 2012), Nübling & Schmuck (2010) und Nowak & Nübling (2017) – spielt nun die Konstanthaltung der Struktur eine besonders große Rolle, da sie in ihrer semiotischen Sonderfunktion als rigide Designatoren formal stabil und somit eindeutig wiedererkennbar sein müssen (vgl. 2.1.1). Im Sinne der Natürlichkeitstheorie wäre es laut Mayerthaler (1981: 152) konstruktionell ikonisch, wenn die semantische Eigenschaft ‚starrer Designator‘ formal durch weniger extensive oder, noch radikaler, gar keine Flexion abgebildet werden würde. Dieser Effekt wurde unlängst von Zimmer (2018: 167–170) empirisch nachgewiesen: Ein korpusbasierter Vergleich von Zeitungsnamen, die ein homonymes appellativisches Pendant aufweisen wie z. B. Spiegel, Kicker oder Stern hat gezeigt, dass der jeweilige EN im postnominalen Genitiv verglichen mit dem APP in der gleichen Konfiguration signifikant häufiger s-los auftritt (die neue Auflage des SpiegelEN vs. die saubere Oberfläche des SpiegelsAPP).48 Ein weiterer Aspekt ist die erschwerte Wiedererkennbarkeit von EN. Da EN nicht zum Lexikon, sondern zum Onomastikon gehören und ihre Form gekannt werden muss, ist es wichtig, dass ihr Stamm von Flexiven unterschieden werden kann. Bei pluralisierten FamN vom Typ Geißens ist beispielsweise nicht ersichtlich, ob die Stammform Geiß oder Geißen lautet, sofern man den Stamm nicht kennt. Wie in Kapitel 3 thematisiert wird, koexistieren gerade bei FamN, die aus RufN entstanden sind, wie auch bei sekundären Patronymen (FamN < Kennzeichnung des Vaters) Varianten, die (alte) Flexionsendungen konserviert haben (z. B. Hinrichs, Otten, Müllers) mit flexivlosen Varianten eines Namens (z. B. Hinrich, Ott/Otte/Otto, Müller), wodurch die morphologische Grenze bei Namenflexion nicht immer klar wäre. Bei APP besteht diese Unklarheit in der Regel nicht. Des Weiteren ist bei EN im Gegensatz zu (nativen) APP durch die in Abschnitt 2.1.2 angesprochenen zahlreichen graphematischen und phonologischen Abweichungen die Wiedererkennbarkeit erschwert. Das gilt auch besonders für Namen mit Fremdheitsmerkmalen, die im Deutschen recht häufig anzutreffen sind (siehe z. B. Eisenberg 22012: 94–99 zu WarenN und Eisenberg 22012: 174–177 zu FamN). Zimmer (2018: 137–176), der verschiedene korpusbasierte Studien zu den Gründen für das grammatische Sonderverhalten von EN – genauer Toponymen und Ergonymen – vorlegt, zeigt, wie komplex die bedingenden Faktoren sind.

|| 48 Dass Unterschiede hinsichtlich der Verarbeitung und der Produktion von EN vs. APP bestehen, zeigen auch neurolinguistische Studien (vgl. z. B. Müller 2010).

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 45

So spielt bei EN neben den bereits genannten Gründen auch die Vertrautheit eine zentrale Rolle, die sich via Distanz (der benannten Entität zur Sprecherin/zum Sprecher), Frequenz und Erwerbsalter operationalisieren lässt. Laut Zimmer (2018) weisen EN verglichen mit APP eine generell geringere Frequenz auf und werden insgesamt später erworben, was wiederum zu erschwerter Worterkennung führt. Da viele EN nur kleinen SprecherInnengruppen geläufig sind – ein Beispiel wären Flurnamen wie Börnchen oder Schlossberg – und bei größerer (geographischer) Distanz die Vertrautheit der Sprecherin/des Sprechers mit der benannten Entität wie dem EN selbst sinkt, führt auch die stärkere Ausprägung dieses Faktors zu höher geranktem Streben nach Schemakonstanz. Daneben macht Zimmer (2018) auch Belebtheitseffekte aus, die einen Einfluss auf das morphologische Verhalten haben: Je belebter ein EN, desto eher tendiert er zum Flexivschwund. Wortkörperschonungstendenzen sind nicht nur im onymischen Bereich zu beobachten, weshalb hier der allgemeinere Begriff morphologische Schemakonstanz verwendet wird. Auch bei anderen peripheren Mitgliedern der Substantivklasse – Nowak & Nübling (2017) sprechen von ‚schwierigen Lexemen‘ – ist Schonungsbedarf gegeben. Hier ist jedoch nicht der semiotisch-pragmatische Sonderstatus für die Konstanthaltung verantwortlich, sondern die besondere Struktur und/ oder die relative Unbekanntheit des Substantivs, was seine Wiedererkennbarkeit erschwert. Je nach Kategorie ergeben sich unterschiedliche Gründe für den Schonungsbedarf, die in Abschnitt 4.3 genauer in den Blick genommen werden sollen. Im Folgenden stelle ich nun verschiedene in der Literatur diskutierte Ansätze vor, die sich der Frage widmen, wie EN aufgrund ihres in den letzten Abschnitten beschriebenen grammatischen Sonderstatus zu kategorisieren sind.

2.1.4 Probleme bei der Kategorisierung von Eigennamen 2.1.4.1 Eigennamen als Teilklasse der Substantive – die traditionelle Sicht Bereits seit der Antike erfolgt eine terminologische Unterscheidung zwischen APP (nomen appellativum) und EN (nomen proprium).49 Seit jeher wird dabei angenommen, dass EN „trotz aller formal-grammatischen und inhaltlichsemantischen Differenzen [...] konstitutive Gemeinsamkeiten“ mit den APP haben (Debus 2005: 1838) und somit eine Teilklasse der Substantive darstellen.

|| 49 Für eine Zusammenfassung dieses wissenschaftshistorischen Aspekts siehe Harweg (1997: 135–140).

46 | Eigennamen und Personennamen

Die Untergliederung des substantivischen Bereichs kann neben Kriterien wie dem Genus oder der morphologischen Komplexität auch anderen grammatischen und explizit semantischen Kriterien folgen. Bei einer semantischen Klassifizierung werden die EN neben den Kollektiv- und Massennomina sowie ihren nächsten Verwandten, den APP, unter die Substantive subsumiert (vgl. Abbildung 4). Gelegentlich wird die Klasse der Substantive zunächst in Konkreta und Abstrakta gegliedert, wobei die EN zu ersteren gezählt werden (vgl. z. B. Debus 2 1980: 187 oder Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 28). Für die prototypischen Vertreter der EN-Klasse, zu der auch die PersN gehören, mag diese Unterteilung sinnvoll sein. Periphereren Namenklassen wie den Praxonymen (der 11. September) oder den Phänonymen (Hurrikan Katrina) fehlt das Merkmal “konkret“ jedoch, weshalb in Anlehnung an die Duden-Grammatik (92016: 150) davon abgesehen werden sollte, die Gesamtheit der EN als Unterklasse der Konkreta zu betrachten (für eine Namenklassifikation siehe 2.2.1).50

Substantive

Eigennamen

Appellative

Massennomen

Kollektiva

Abb. 4: Die traditionelle Position der Eigennamen im System der Substantive

Grammatisch gesehen sind APP laut Eisenberg (42013a: 141) die unauffälligste Substantivklasse und gegenüber EN und Massennomina unmarkiert, weshalb er sie auch als ‚Normalsubstantive‘ bezeichnet. Für eine formal fassbare und grammatisch relevante Definition von EN zieht Eisenberg (42013a: 143) das abweichende Flexionsverhalten und den Artikelgebrauch heran. Da sich die Klasse der EN bezüglich dieser Kriterien jedoch recht heterogen verhält, kommt es immer wieder zu Abgrenzungsschwierigkeiten – vor allem bei nicht-prototypischen EN, wie sie z. B. zahlreich unter den Ergonymen zu finden sind (vgl. 2.2).

|| 50 Häufig werden die Kollektiva nicht als eigene Teilklasse der Substantive begriffen, da ihre Sonderstellung eine rein semantische ist, sie jedoch keine gemeinsamen grammatischen Merkmale teilen (so z. B. Eisenberg 42013a: 146). Da es hier um die Position der Teilklasse der EN geht, wird die Diskussion bezüglich der anderen substantivischen Kategorien vernachlässigt.

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 47

Der gemeinsame Nenner von Namen und APP liegt zum einen – so die gängige Meinung – in ihrem referentiellen Status, da man mit beiden auf außersprachliche Objekte im weitesten Sinne referiert. Zum anderen teilen sie sich trotz zahlreicher Unterschiede wesentliche grammatische Eigenschaften. Aufgrund der in den meisten Fällen vorliegenden diachronen Verwandtschaft sind die EN ihren etymologischen Quellen, den APP, schließlich auch nicht selten äußerlich ähnlich (z. B. Richter als APP oder FamN und Neustadt als APP oder StädteN). Laut Van Langendonck (2007: 19) sei es wohlbekannt, dass eine Trennung der beiden Kategorien nur schwer möglich sei. Diese Auffassung spiegelt sich auch in Eisenberg (1981: 90) wider, der Bezug auf Vater (1965) nimmt: „Bei allen Schwierigkeiten, die es mit der Abgrenzung der Eigennamen gab, war man sich in einem Punkt sicher: ‚ ... eigentlich kann man nur eine Feststellung treffen, ohne sofort auf Widerstand zu stoßen: Die Eigennamen sind Substantive‘ (Vater 1965, 207)“. In der Regel werden EN daher auch in modernen Theorien der Phrasenstruktur als Kategorien vom Typ N analysiert (vgl. Fuß 2011: 19). Die aktuelle Diskussion um den grammatischen Status von EN zeigt jedoch, dass ihre Subsumtion unter die Kategorie der Substantive nicht so selbstverständlich ist, wie bisher suggeriert wurde. Im Folgenden stelle ich die wesentlichen in der Literatur diskutierten Probleme und Lösungsvorschläge bezüglich der grammatischen Kategorisierung von EN vor. 2.1.4.2 Aktuelle Kategorisierungsvorschläge Die Frage nach der Anzahl der Wortarten muss sich laut Eisenberg (42013b: 33) schon allein in Anbetracht der Komplexität des Gefüges der syntaktischen Kategorien als Scheinfrage erweisen. Auch wenn es nicht die eine einzig richtige Einteilung geben kann und die Annahme großer Klassen zwangsläufig zu einer Vergröberung führt, während zu kleine Klassen nicht funktional sind, da sie keine Generalisierungen zulassen, gibt es doch einige wenig umstrittene und weit verbreitete Kategorisierungen. Es ist allerdings auffällig, dass kaum eine andere Kategorie so häufig hinterfragt wird wie die der EN (vgl. z. B. Vater 1965, Eisenberg 1981, Knobloch 1992, Longobardi 1994, 2005, Harweg 1997, Gallmann 1997, Karnowski & Pafel 2005, Sturm 2005b, Van Langendonck 2007, Fuß 2011, Plank 2011, Nübling 2012, Van Langendonck & Van de Velde 2016). Je nachdem, ob die semantischen (und pragmatischen), die syntaktischen oder die morphologischen Eigenschaften der Namen in den Vordergrund der Analyse gerückt werden, ergeben sich interessanterweise unterschiedliche Kategorisierungsvorschläge, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen. Harweg (1997), der neben der Morphosyntax vor allem auch die Semantik und Pragmatik der EN betrachtet, kommt zu dem Schluss, dass es zwar keine

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grundlegenden morphosyntaktischen Unterschiede zwischen Namen und APP gebe, sehr wohl aber semantische und pragmatische, die sogar so tiefgreifend seien, dass eine Subsumierung unter die Substantive in Frage zu stellen sei. EN sind laut Harweg (1997: 148–158) – der eher philosophisch als linguistisch argumentiert – im Mill’schen Sinn als bedeutungslos anzusehen und stünden sogar außerhalb der Wortarten. Durch einen die Gattungszugehörigkeit des Trägers bezeichnenden Sockel, der wie bei genuinen Gattungs-EN vom Typ Schillerstraße explizit oder wie bei PersN implizit (z. B. Goethe) sein kann, würden Namen mit APP und somit wiederum der Kategorie Substantiv verknüpft (vgl. Harweg 1997: 170–171). In einer Fußnote merkt Harweg (1997: 170) an, dass LinguistInnen, die EN als normale Sprachzeichen sehen, die Morphosyntax zu stark verabsolutieren würden. Van Langendonck & Van de Velde (2016), die mehr aus einer linguistisch-semantischen Perspektive argumentieren, verorten EN zwischen Nomen und Pronomen, da Namen für sie – wie oben gesagt – sowohl eine kategoriale appellativische Bedeutung (vom Typ Name, Stadt etc.) als auch eine deiktische Komponente aufweisen. Longobardi (1994, 2005) und Gallmann (1997) hingegen, die vor allem die Syntax fokussieren, vertreten die Auffassung, dass sich die semantische Sonderstellung der EN auch in ihrem syntaktischen Verhalten niederschlage. Als Hauptgrund für die Annahme eines asymmetrischen Aufbaus von Phrasen mit und ohne EN wird hier die unterschiedliche Verteilung von Artikelwörtern gesehen. EN weisen also insofern eine eigene Syntax auf, als ihre artikellosen Vertreter im Gegensatz zu APP via N-zu-D-Bewegung mit der Position von Determinierern verknüpft sind – was sie trotz dieser speziellen syntaktischen Operation zu Elementen der Kategorie N macht. Durch die angenommene Bewegung wird gewährleistet, dass der Name – vor dem Hintergrund der DPHypothese (vgl. Abney 1987) – referentiell interpretiert wird, da mit leerer DPosition eine existentielle Lesart einherginge. Weist ein EN einen Artikel auf, wird dieser immer expletiv interpretiert, wobei Gallmann (1997: 85) anmerkt, dass der Artikel semantisch nicht völlig merkmallos sei, da er Referentialität anzeige. Nach der Analyse von Sturm (2005b), die nicht von Bewegung, sondern einem Merkmalsabgleich ausgeht, tragen artikellose EN das Merkmal [+D], das sie als inhärent definit markiert; APP sind bezüglich dieses Merkmals nicht spezifiziert, weshalb sie immer mit Artikel auftreten. Steht ein EN mit definitem Artikel, wird dieser von Sturm (2005b) nicht als expletiv interpretiert; er hat immer dieselbe Bedeutung wie der Definitartikel bei APP. Karnowski & Pafel (2005), die sich ebenfalls unter semantisch-syntaktischen Gesichtspunkten fragen, wie anders EN sind, kommen jedoch zu einem anderen Schluss. Als Vertreter der Symmetrie-Theorie machen sie sowohl syn-

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taktisch als auch semantisch keinen grundlegenden Unterschied zwischen EN und APP und betrachten erstere demnach nicht nur als Teilklasse der Substantive, sondern als Subkategorie der APP: „Die Struktur von Eigennamen ist der Struktur anderer Nominalphrasen völlig parallel. Wir haben es durchweg mit Operator-Prädikat-Strukturen zu tun“ (Karnowski & Pafel 2005: 46). Für die Parallelität spreche, dass EN durch verschiedene Attribute erweiterbar sind, dass sie sowohl mit dem definiten als auch mit dem indefiniten Artikel kombiniert werden können und wie APP in Komposita vorkommen (vgl. ebd. 51). Die Vorzüge der symmetrischen Theorie sehen Karnowski & Pafel (2005: 64) in ihrer Einfachheit begründet: Da EN immer APP sind, erspart man sich die Unterscheidung in onymische und appellativische Verwendungsweisen. Was den Determinierer betrifft, so müsse man keine Unterscheidung zwischen substantiell und expletiv machen, da EN immer einen substantiellen Artikel aufweisen, der beispielsweise bei PersN im Standarddeutschen covert sei. Durch diese Annahme könne die DP referenziell interpretiert werden, ohne dass man semantisch motivierte Bewegungen annehmen müsse. Die Rigidität von EN lässt sich nach Karnowski & Pafel (2005: 60–64) schließlich durch den auf die Äußerungssituation rekurrierenden, sprich indexikalischen Begriff der Salienz erklären: Etwas ist in Relation zur Äußerungssituation der salienteste Gegenstand mit einer bestimmten Eigenschaft. Eine ganz andere Auffassung vertritt u.a. Anderson (2004, 2007), der die Syntax von EN aus typologischer Sicht betrachtet. Laut seiner Analyse sollen EN nicht als Teilklasse der Substantive erachtet, sondern – zusammen mit Pronomina und Determinatoren – zu den Determinativen gezählt werden. Demnach gehören Namen im Gegensatz zu APP einer funktionalen, also geschlossenen, und keiner lexikalischen Kategorie an. Dass auch diese Sicht nicht unumstritten ist, zeigen Van Langendonck (2007: 169–171) und Van Langendonck & Van de Velde (2016), die EN aufgrund ihrer Semantik zwar zwischen Nomen und Personalpronomen verorten, ihnen aufgrund ihrer grammatischen Eigenschaften schließlich aber eine größere Nähe zum nominalen Bereich zuschreiben. EN werden hier sogar als die prototypischste nominale Kategorie angesehen, da sie hinsichtlich Definitheit und Numerus aus typologischer Sicht dazu tendieren, den unmarkierten Wert [+ definit] und [+ Singular] (und zählbar) aufzuweisen. Für das Deutsche wurde zudem eine doppelte Klassifizierung von EN u. a. von Sternefeld (32008: 144–150) im Rahmen seiner morphologisch motivierten generativen Syntax vorgeschlagen. Dabei hänge die Klassifikation der Namen als D oder N von ihrem Artikelgebrauch ab: Geht dem EN kein Artikel voraus, ist er selbst Element der Kategorie D, tritt der Name mit – in diesem Fall obligatori-

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schem – Definitartikel auf, gehört er zur Kategorie N (vgl. Sternefeld 32008: 145). Diese Doppelklassifikation wird vom Autor als unproblematisch und keineswegs unökonomisch eingestuft, da verschiedene distributionelle Fakten durch diese eine Annahme erklärt werden könnten. Auch von Demske (2001) wird angenommen, dass EN je nach syntaktischer Position entweder als Teil des Determinierersystems oder als nominale Kategorie anzusehen seien. Diese hybride Analyse schlägt sie im Rahmen einer diachronen DP/NP-syntaktischen Untersuchung vor, der zufolge EN in pränominalen Genitivattributen im Fnhd. als Determinierer reanalysiert wurden; in postnominaler Position werden EN hingegen weiterhin als Nomina analysiert. Daneben werden jedoch auch formalsyntaktische Analysen adnominaler Possessivkonstruktionen vorgeschlagen, in denen EN positionsunabhängig als Elemente der Kategorie N betrachtet werden können (vgl. 5.1.2.1). Aus dem bisher Gesagten wird ersichtlich, dass die linguistische Diskussion um den grammatischen Status von EN hauptsächlich (formal-)syntaktisch und z.T. semantisch geprägt ist. Die morphologische Ebene hingegen wird genau so selten thematisiert wie eine diachrone Sicht. Mit Nübling (2012) und Plank (2011) liegen jedoch zwei aktuelle diachron-morphologische Studien vor, die den Status von EN allgemein und von FamN im Speziellen untersuchen und die traditionelle Kategorisierung aufgrund ihrer Erkenntnisse hinterfragen. Flexionsmorphologisch haben sich die EN laut Nübling (2012) seit dem Ahd. sukzessive von den APP abgespalten. Durch paradigmatische sowie syntagmatische Deflexion am Namenkörper weisen EN heute nur noch eine stark reduzierte Minimalflexion auf und driften immer mehr in Richtung der nicht-flektierbaren Wortarten. Plank (2011: 283) zieht nach seiner morphologischen Analyse, bei der sowohl Flexion als auch Derivation betrachtet werden, ein radikaleres Fazit; demnach teilen FamN im heutigen Deutschen nichts mehr exklusiv mit ihren Vorgängern, den APP oder Adjektiven. Da im Gegenwartsdeutschen kein gradueller, sondern ein echter kategorialer Unterschiede zwischen Namen und APP vorliege, sollten erstere nach einem morphologischen Verständnis lexikalischer Klassen synchron auch nicht als Subklasse der Nomina kategorisiert werden. Planks Hauptargumente hierfür sind, dass FamN nicht der Flexion unterliegen, da das -s im Singular nicht mehr als Genitivflexiv, sondern als Possessivmarker, und das -s im Plural als reiner Assoziativmarker anzusehen sei und FamN kein Genus zukomme, da man mit ihnen ohne formale Unterscheidung (z.B. durch Movierungssuffixe) gleichermaßen auf Frauen und Männer referieren könne. Die einfachste und plausibelste Analyse wäre laut Plank (2011: 283), FamN – und zu einem gewissen Grad auch andere EN – als eine Kategorie eigener Art

Eigennamen vs. Appellative – synchrone Unterschiede | 51

anzusehen, anstatt zu versuchen, sie in einer anderen kategorialen Rubrik wie z.B. Determinativ oder Nomen unterzubringen. Zu erwähnen ist noch, dass neben den grammatischen Arbeiten psychound neurolinguistische Studien existieren, die im Rahmen experimenteller Untersuchungen zeigen wollen, dass die Unterscheidung zwischen APP und EN auch eine (neuro-)kognitive Realität hat (vgl. z. B. Müller 2010 und Geukes & Müller 2014).51 Ergebnisse dieser Studien zeigen u. a., dass EN eine andere Lokalisation haben als APP und schneller verarbeitet werden können als Letztere. Insbesondere Studien mit AphasikerInnen, die je nach Läsion Benennungsschwierigkeiten bzgl. EN oder APP aufweisen, sprechen laut Müller (2010: 356) für einen onymischen Sonderstatus. 2.1.4.3 Fazit Ein Blick in die kontrovers geführte Diskussion zum Status der EN hat gezeigt, dass das onymische Sonderverhalten einige Probleme für die grammatische Kategorisierung aufwirft. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es je nach grammatischer Theorie, linguistischer Beschreibungsebene, untersuchtem Phänomen oder im Fokus der Betrachtung stehender Sprache zu unterschiedlichen Kategorisierungen der Namen kommt. Van Langendonck & Van de Velde (2016) schlagen nun vor, dass EN, die pronominale (referenzialdeiktische) und prototypische nominale Eigenschaften (wie Definitheit oder Zählbarkeit) vereinen, am besten auf einem Kontinuum zwischen dem pronominalen und dem nominalen Bereich angesiedelt werden sollten. Eben diese Zwischenposition spiegelt sich schließlich auch auf der erweiterten Belebtheitshierarchie wider, bei der Namen aufgrund ihres Verhaltens hinsichtlich Faktoren wie Belebtheit, Individualität, Referenzialität und Definitheit zwischen Pronomina und belebten APP angesiedelt werden (vgl. 2.2). Anstatt EN starr einer bereits existierenden kategorialen (nicht-nominalen) Rubrik unterzuordnen oder eine Kategorie eigener Art für die Klasse der EN zu eröffnen – was noch plausibler erscheint als die erste Lösung – wird hier ähnlich wie bei Van Langendonck & Van de Velde (2016) ein prototypentheoretischer Ansatz verfolgt. Die Positionierung der EN auf einem Kontinuum zwischen pronominalen D-Elementen und Substantiven der Kategorie N wird dem morphosyntaktischen Verhalten dieser schwer kategorisierbaren Klasse am ehesten gerecht. EN füllen aus syntaktischer Sicht den (pro-)nominalen Slot aus

|| 51 Für eine Zusammenfassung und Diskussion älterer neurolinguistischer Studien siehe auch Van Langendonck (2007: 106–116).

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und verhalten sich aus semantischer Sicht eher wie D-Elemente. Aus morphologischer Sicht sind EN – zumindest in Resten und je nach EN-Klasse schwankend – nach Kasus und Numerus flektierbare Elemente mit einem Genus – wenn auch einem referentiell zugewiesenen – und somit Nomina. Hinsichtlich ihres tatsächlichen Flexionsverhaltens müssen EN – und hier vor allem die Klasse der PersN – im Gegenwartsdeutschen jedoch als periphere und nicht – wie bei Van Langendonck & Van de Velde (2016) angenommen – als zentrale Vertreter dieser Kategorie angesehen werden (vgl. 4.3). In Kapitel 3–5 werde ich zeigen, dass eine diachrone Perspektive für das Verständnis der gegenwartssprachlichen Sonderstellung der PersN unerlässlich ist. Zunächst erläutere ich jedoch, warum der Fokus dieser Arbeit im Wesentlichen auf der Klasse der PersN liegt.

2.2 Personennamen vs. andere Namenklassen 2.2.1 Eigennamen – eine homogene Klasse? Geht es um die Grammatik von Namen, so werden diese in der Literatur häufig als eine homogene Klasse gesehen und aufgrund ihres funktionalen Sonderstatus gemeinhin als ‚die EN‘ bezeichnet. Ein Blick auf die jeweils angeführten Beispiele zeigt jedoch, dass ‚EN‘ defaultmäßig synonym zu ‚PersN‘ – häufig sogar nur zu ‚RufN‘ – verwendet wird. Diese Generalisierung kommt nicht von ungefähr, schließlich erfolgt die sprachliche Benennung relevanzgesteuert und nur für den Menschen hoch relevante Entitäten – wie andere Menschen – erhalten einen Namen (vgl. Alford 1988). Doch als prototypisch sind PersN nicht nur in Bezug auf ihre kognitive Sonderstellung zu erachten, auch hinsichtlich ihres grammatischen Verhaltens können PersN als die prototypischsten Vertreter der Kategorie EN gelten. Selten zeigen sich die Namen als homogene Klasse mit für alle Mitglieder geltenden einheitlichen onymischen Markierungsstrategien, was Harweg (1999: 195) folgendermaßen formuliert: Sprachliche Kennzeichen von Eigennamen, Merkmale, an denen die Eigennamen als solche erkannt und von Gemeinnamen unterschieden werden können, gibt es, aufs Ganze gesehen, recht viele, aber die meisten von ihnen bestimmen, wie indirekt und versteckt auch immer, die Eigennamen nicht einfach als Eigennamen schlechthin, sondern bereits als eine bestimmte Kategorie von Eigennamen.

Personennamen vs. andere Namenklassen | 53

Auch Plank (2011: 289) konstatiert, dass die Grammatik von EN divers sei, und dass sich die verschiedenen EN-Grammatiken je nach Namenursprung in Phonologie, Morphologie und Syntax unterschieden. Schon in Abschnitt 2.1.2 wurde deutlich, dass sich die verschiedenen ENTypen in Bezug auf ihr grammatisches Verhalten unterscheiden können. Das prominenteste Beispiel hierfür dürfte die primäre Artikellosigkeit bzw. -haltigkeit sein, die je nach Namenklasse – und z. T. auch innerhalb der Klassen – schwankt. Nur bei der semantischen Teilklasse der Anthroponyme gilt standardsprachlich durchgängig primäre Artikellosigkeit und somit auch morphosyntaktisch homogenes Verhalten. Die semantisch definierte Teilklasse der Toponyme hingegen (Deutschland vs. die Schweiz, Thüringen vs. die Pfalz)52 verhält sich bezüglich des Artikels genauso heterogen wie die der Ergonyme (Apple vs. die Lufthansa). Was die Prä- vs. Poststellung bei adnominalen Possessivkonstruktionen betrifft, so gibt es zwischen den Namenklassen qualitative und quantitative Unterschiede. Während bloße RufN beim possessiven ‚Genitiv‘ in Poststellung als markiert bis ungrammatisch eingestuft werden (??/*das Buch Susis), sind sie etwa bei komplexen PersN oder Toponymen möglich (die Dissertation Karl Theodor zu Guttenbergs; die Sehenswürdigkeiten Berlins). Auch hinsichtlich der Wortbildungsmorphologie ergeben sich Unterschiede zwischen den Namentypen (vgl. 2.1.2.3). Beispielsweise stehen je nach EN-Klasse spezifische onymische Suffixe zur Verfügung, die die jeweilige Klasse als solche markieren (z. B. -ien und -ei als Toponymmarker oder -ert als FamN-Marker). Und auch bei der deonymischen Adjektivderivation treten spezifische Suffixe nur an anthroponymische bzw. toponymische Basen (z. B. -esk und -sche bei FamN oder -er bei StädteN). Werden Namen oder onymische Wortteile wie bei Vollhorst, Schlaumeier oder Wüterich (von RufN auf -(e)rich wie Friederich) semantisiert und zu Teilen appellativischer Wortbildungen, entstammen diese meist der Anthroponymik, da die wechselseitigen Beziehungen zwischen EN und APP bei PersN und appellativischen Personenbezeichnungen besonders intensiv sind (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 78–79). Auffallend häufig sind es die PersN, die sich gegenüber den anderen Namenklassen grammatisch als besonders erweisen – sei es durch ihr flexionsmorphologisch innovatives oder ihr syntaktisch eher konservatives Verhalten. Für ersteres liefert die Monoflexion in genitivmarkierten Phrasen Evidenz, die bei PersN bereits im 18. Jh. ihren Ausgang nahm und heute weitestgehend abgeschlossen ist (vgl. die Leiden des jungen Werther(?s)), während die Deflexion bei

|| 52 Innerhalb der toponymischen Subklassen gelten natürlich Regularien: Z. B. haben StädteN keinen primären Artikel, FlussN haben defaultmäßig einen primären Artikel.

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geographischen Namen laut Nübling (2012: 237) erst um 1900 einsetzt und Toponyme gegenwärtig zwischen konservativer Wortgruppenflexion und progressiver Monoflexion schwanken (des geteilten Deutschland(s), des Neckar(s)). Das konservative und somit besondere syntaktische Verhalten der PersN zeigt sich darin, dass der onymische Artikel hier noch nicht voll grammatikalisiert ist. Zudem konservieren (bloße) PersN weiterhin am konsequentesten die alte Prästellung in adnominalen Possessivkonstruktionen. Eine weitere Besonderheit der PersN ist, dass sie wie keine andere Namenklasse Ausgangspunkt für sprachliche Innovation sein können, die sich auch auf den appellativischen Bereich überträgt (z.B. das hypokoristische Wortbildungssuffix -i, der s-Plural, die Substantivgroßschreibung). Somit sollte ersichtlich sein, dass EN nicht nur hinsichtlich ihrer Semantik zu subklassifizieren sind, sondern auch grammatisch keine homogene Klasse bilden. Warum ausgerechnet den PersN eine grammatische Sonderrolle zukommt, lässt sich durch ihre hohe Belebtheit erklären, was im Folgenden näher erläutert werden soll.

2.2.2 Personennamen und Belebtheit im weitesten Sinne Für das Deutsche und seine Diachronie werden Belebtheitseffekte als Erklärungsansatz erst seit relativ kurzer Zeit erforscht und beschrieben. Dahl & Fraurud (1996: 47) liefern hierfür folgende Erklärung: „Animacy, or the distinction between animate and inanimate entities, is so pervasive in the grammars of human languages that it tends to be taken for granted and become invisible“. Die aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass viele grammatische Phänomene und deren Entwicklung sprachübergreifend auf die interagierenden Faktoren ,Belebtheit‘, ‚Individualität‘ und ‚Referentialität/Definitheit‘ zurückgeführt werden können. 2.2.2.1 Belebtheit Mit dem kognitiven Konzept der Belebtheit ist nicht die bloße dichotomische Unterteilung in [+ belebt] und [- belebt] gemeint, wie sie Referenten im biologischen Sinne inhärent wäre. So wird Belebtheit (animacy) im engeren Sinne in der funktionalen typologischen Literatur – basierend auf Silverstein (1976) – zunächst häufig grob als dreistufige implikative Skala beschrieben: Belebtheitshierarchie i. e. S.: MENSCHLICH >> BELEBT >> UNBELEBT

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„Die semantische Belebtheitsskala [[+ menschlich] >> [- menschlich, + belebt] >> [- belebt]] bildet also Kategorien ab, die im Zuge der Konzeptualisierung der außersprachlichen Realität entwickelt werden“ (Szczepaniak 2011: 343). Laut Dahl (2008: 149) entspricht die grammatische Belebtheitshierarchie einer kognitiven Skala, auf der ein Individuum sich selbst als Vorbild für andere belebte Individuen sieht, die wiederum als Vorbilder für individuelle unbelebte Objekte dienen. Demnach sind aus egozentrischer Sicht beispielsweise enge Verwandte ‚belebter‘ als fremde Individuen, aus anthropozentrischer Sicht haben Säugetiere einen höheren Belebtheitswert als Weichtiere. Belebtheit als linguistischer Faktor hängt also stark davon ab, ob und inwiefern SprecherInnen Referenten bzw. Referenzobjekte sprachlich so behandeln, als wären sie belebt (vgl. Rosenbach 2008: 154). Dies erklärt zum einen, warum Belebtheitseffekte graduell anstatt binär sind, und zum anderen, warum diese Grade einzelsprachlich und kulturell bedingt – manchmal sogar innerhalb einer Sprache – variieren können. Die Konzeptualisierung eines Referenten als mehr oder weniger belebt muss noch nicht einmal von seinem tatsächlichen Belebtheitswert abhängen. Rosenbach (2008: 153–155) referiert neurolinguistische Experimente und diachrone Studien, die zeigen, dass auch unbelebte Referenten – durch die Assoziierung mit prototypischerweise belebten Entitäten zugesprochenen Eigenschaften (z. B. bei Personifizierungen, bei metaphorischem oder metonymischem Gebrauch oder durch einen speziellen Kontext) – sprachlich eher wie belebte Entitäten behandelt werden. Beispielsweise werden metonymisch verwendete Toponyme (wie Berlin in Berlin senkt die Steuern) durch das Transferieren agentiver Eigenschaften als belebter wahrgenommen. Grammatisch schlägt sich das Konzept der Belebtheit häufig auf die Nominalflexion oder die Wortstellung nieder. In vielen Sprachen der Welt werden belebte Substantive, die im Satz prototypischerweise die semantische Rolle Agens zugewiesen bekommen, flexivisch markiert, wenn sie als Patiens auftreten. Unbelebte Substantive mit prototypischer Patiensrolle zeigen diese differentielle Objektmarkierung hingegen nicht, wofür mit Krifka (2009: 143) folgende funktionale Erklärung gegeben werden kann:53 [I]nanimates typically occur in a more restricted set of thematic roles than animates. If we concentrate on the two prototypical thematic roles of agent and patient, we find that animates can occur in either role, as in the dog bit the cat, whereas inanimates rarely occur as agents. […] This means that it is not necessary to mark the thematic role of inanimates in

|| 53 Für einen Überblick zur differentiellen Objektmarkierung siehe z. B. Aissen (2003) oder Ortmann (1998).

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transitive sentences to achieve effective, unambiguous communication in the large majority of cases. As agents and patients (and, to a lesser degree, experiencers and stimuli) are encoded by nominative and accusative case, we can expect case syncretism of nominative and accusative for inanimates. And this is exactly what we find with neuter nouns and pronouns in Indo-European.

Mit den schwachen Maskulina beschreibt Köpcke (2000a) einen (vergleichsweise schwachen) Fall differentieller Objektmarkierung für die Nominalflexion des Deutschen.54 Der Prototyp dieser Deklinationsklasse, die sich gegenüber den anderen substantivischen Flexionsklassen durch eine durchgängige Markierung der obliquen Kasus im Sg. auszeichnet (vgl. Nom. Sg.: der Prinz-Ø vs. Nicht-Nom. Sg.: den/dem/des Prinz-en) ist semantisch durch das Merkmal [+ menschlich] gekennzeichnet. Durch die flexivische Markierung des NichtNominativs wird bei den auf belebte Entitäten referierenden Maskulina die vom Default-Agens abweichende Patiensrolle, die im Deutschen stark mit der syntaktischen Funktion des direkten Objekts bzw. dem morphologischen Kasus Akkusativ korreliert (vgl. z. B. Primus 2009), explizit hervorgehoben. Diachron gesehen sind es die nicht-menschlichen und v. a. unbelebten Vertreter der schwachen Maskulina, die einen Deklinationsklassenwechsel vollziehen (vgl. schwach: der Garte > stark: der Garten) oder sogar ihr Genus wechseln wie der MadeMASk > die MadeFEM und damit auf Flexion verzichten (vgl. Köpcke 2000b).55 PersN stehen zwar am Pol maximaler Belebtheit, erfahren im heutigen Standarddeutschen aber dennoch keine differentielle Objektmarkierung (mehr) – und zwar weder flexivisch am Namen selbst noch an einem Artikelwort (vgl. der Kunde verhaut _ Kalle-Ø vs. Kalle verhaut den Kunde-n). Dies ist damit zu erklären, dass der Faktor ‚Belebtheit‘ mit dem Faktor ‚morphologische Schemakonstanz‘ (vgl. 2.1.3) konfligiert und Letzterer im Deutschen zunehmend an Bedeutung gewinnt (vgl. Kap. 4). Dieser Konflikt bedingt nun auch, dass EN in verschiedenen germanischen Sprachen und den deutschen Varietäten zwischen radikaler Deflexion und konservativer EN-Markierung schwanken. So kennen Jiddisch, Friesisch oder das Ostmitteldeutsche noch den alten flexivischen Objektmarker -(e)n (z. B.: Der Kunde verhaut Kalle-n). Vom südlichen Substandard ausgehend breitet sich schließlich auch der onymische Artikel aus, der vor allem im Dativ und Akkusativ mit PersN auftritt, die am Namen nicht gegebene Objektmarkierung kompensiert und somit als Reparaturstrategie gewertet wer-

|| 54 Siehe auch Dammel & Gillmann (2014: 208–213). 55 Hier zeigt sich, dass nicht nur die Ausbreitung, sondern auch der Rückgang bzw. Abbau eines Phänomens belebtheitsgesteuert verlaufen kann.

Personennamen vs. andere Namenklassen | 57

den kann. In Kap. 4.1 erfolgt unter Berücksichtigung diachroner Daten zur PersN-(De-)Flexion eine Diskussion dieser Befunde. Neben dem Einfluss von Belebtheit auf die Objektmarkierung wurde mehrfach diskutiert, inwiefern sich das Konzept der Animazität auch auf die Wortstellung auswirkt. Rosenbach (2008) zeigt, dass Possessoren im Englischen bei belebtem Referenten eher in Prästellung zum Bezugsnomen vorkommen (z. B. John’s wife vs. the wife of John), während bei unbelebtem Possessor die Postposition überwiegt (z. B. the roof of the house vs. the house’s roof). Wie oben gezeigt, ist der Einfluss von Belebtheit auf die Genitivvariation auch im Deutschen zu erkennen. Was ‚Belebtheit‘ als grammatischen Varianzparameter betrifft, so kann mit Zifonun (2006: 15) die Besonderheit festgehalten werden, dass Belebtheit „gleichzeitig ein bezüglich seiner Existenz konstanter, bezüglich seiner Auswirkung [jedoch] varianter Parameter“ ist. Diachrone Entwicklungen müssen dabei nicht immer am maximalen Pol der Belebtheitshierarchie starten und der Wandel verläuft nicht immer von oben nach unten. Enger & Nesset (2011) bringen mit dem ‚Relevance Constraint‘ einen mit der Belebtheitshierarchie interagierenden Faktor ins Spiel, der besagt, dass Sprachwandel primär dort ansetzt, wo die jeweils betreffenden Kategorien aus anthropomorpher Sicht am relevantesten sind. Sprich: ‚Relevanz‘ bestimmt, wo eine Innovation ansetzt; ‚Belebtheit‘ steuert die Richtung der Ausbreitung. 2.2.2.2 Individualität Mit dem Konzept der Belebtheit interagieren weitere Ordnungsprinzipien wie das der Individualität und der Referentialität bzw. Definitheit, weshalb die oben beschriebene Skala MENSCHLICH > BELEBT > UNBELEBT nicht einsträngig verläuft und weiter differenziert werden muss. Die Kategorie der Individualität bezieht sich laut Hopper & Thompson (1980: 253) auf die Distinktivität eines Objekts von anderen Objekten sowie seiner Umgebung und korreliert sehr stark mit der Belebtheit. Demnach stehen auch hier menschliche Entitäten als maximal distinkte Individuen an der Spitze der Skala, was laut Szczepaniak (2011: 344) mit ihren ontologisch-kognitiven Eigenschaften zusammenhängt: „Menschen sind konkret, d. h. materiell, belebt und zudem höchst agentiv“. Abbildung 5 zeigt, dass neben den bereits genannten Faktoren [± menschlich] und [± belebt] auch die Agentivität eine Rolle spielt, die handlungsfähige Tiere von im biologischen Sinne belebten, aber nicht agentiven Pflanzen trennt.

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Menschen

Tiere

Pflanzen

Gegenstände

Stoffe

Abstrakta

MAX. INDIVIDUALITÄT MAX. BELEBTHEIT

[+ menschlich] + / - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [- menschlich] [+ agentiv] + + + + + + + / - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -- - - - - - - - - - - - [- agentiv] [+ belebt] + + + + + + + + + + + + + + + + + / - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [- belebt] [+ zählbar] + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + / - - - - - - - - - - [- zählbar] [+ materiell] + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + / - - [- materiell]

Abb. 5: Um das Konzept der Individualität erweiterte Belebtheitsskala (nach Szczepaniak 2011: 345)

Der unbelebte Bereich lässt sich anhand zweier Faktoren unterteilen. Gegenstände sind zwar unbelebt, aber dennoch zählbar und somit perzeptiv gut als Einzelobjekte wahrnehmbar. Nicht-zählbar bzw. transnumeral56 sind hingegen Stoffe, was ihren Individualitätsgrad im Gegensatz zu konturierten Gegenständen mindert. Bei Objektkonzepten wie Wasser oder Mehl kann nicht von Individualität gesprochen werden. Doch gelten Konkreta, da sie materiell und somit immer noch abgegrenzt wahrnehmbar sind, als distinktiver bzw. individueller als Abstrakta, die den Endpol der Skala darstellen. Hier wird ersichtlich, dass die um das Konzept der Individualität erweiterte Belebtheitshierarchie nicht bei unbelebten Entitäten haltmacht, weshalb gelegentlich andere Termini wie Salienz- oder Relevanzhierarchie zur Benennung vorgeschlagen wurden (z. B. bei Ortmann 1998: 79). Neben der Singularität, die prototypischen Individuen zukommt, zeichnet sich Individualität auch durch Identifizierbarkeit bzw. eindeutige Referenz aus.

|| 56 Wiese (1997: 150) definiert Transnumeralität bei Nomina dadurch, dass hier „der Unterschied ‚Einheit‘ vs. ‚Vielheit‘ nicht obligatorisch markiert ist“. Transnumerale Nomina umfassen nach Wiese (ebd.) nicht nur Stoff- bzw. Massennomina wie Wasser, sondern auch nichtsubstanzbezogene Abstrakta wie Hitze und konkrete Singulariatantum wie Obst. Stoffnomina können je nach Kontext sowohl transnumeral (Ich mag Wein) als auch numeral verwendet werden, wobei bei letzterem Gebrauch auf die Sorten der betreffenden Substanz referiert wird: Ich mag deutsche Weine (vgl. Wiese 1997: 158).

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Grammatisch äußert sich Identifizierbarkeit durch die Verwendung definiter Ausdrücke, wie z. B. Demonstrativ- oder Definitartikel, wohingegen der Indefinitartikel Nicht-Spezifizierbarkeit markiert (vgl. Hopper & Thompson 1980: 253, Szczepaniak 2011: 345). EN weisen aufgrund ihrer Monoreferentialität und inhärenten Definitheit einen sehr hohen Individualitätsgrad auf, allen voran die auf menschliche Entitäten referierenden PersN. Dies verdeutlicht auch die Hopper & Thompson (1980: 253) entnommene Übersicht (Tabelle 4), die alle nominalen Eigenschaften zusammenfasst, die sich fördernd bzw. mindernd auf die Wahrnehmung der Individualität auswirken. Tab. 4: Nominale Eigenschaften, in denen sich die Individualität eines Referenten widerspiegelt (nach Hopper & Thompson 1980: 253)

+ INDIVIDUALISIEREND

- INDIVIDUALISIEREND

onymisch

appellativisch

menschlich, belebt

unbelebt

konkret

abstrakt

singulär

pluralisch

zählbar

nicht zählbar

referentiell, definit

nicht-referentiell

Der eben genannte individualitätsrelevante Aspekt der Definitheit leitet zum letzten kognitiven Ordnungsprinzip über, der Referentialität. 2.2.2.3 Referentialität und die erweiterte Belebtheitshierarchie Unter dem Faktor der Referentialität ist der Grad der Identifizierbarkeit eines Referenten in der außersprachlichen Welt zu verstehen. Grammatisch äußert sich das beispielsweise in der Wahl des Determinierers. Während identifizierbare und zur Äußerungssituation gehörende Referenten mit einem Demonstrativartikel markiert werden können (dieses Buch habe ich auch gelesen), bringt der Indefinitartikel entweder zum Ausdruck, dass ein spezifischer, aber für den Hörer nicht identifizierbarer Referent (ich habe heute ein Buch gelesen) oder auch nur ein beliebiger Vertreter der denotierten Objektklasse (ich möchte mal wieder ein Buch lesen) gemeint ist (vgl. Szczepaniak 2011: 346). Aus typologischer Sicht ergibt sich für die Versprachlichung von Referentialität folgende Hierarchie (vgl. Croft 22003: 130):

60 | Eigennamen und Personennamen

Referentialitätshierarchie: PRONOMEN >> EIGENNAME >> GATTUNGSNAME Mit Belebtheit und Referentialität eng verbunden ist zudem noch die Definitheitshierarchie (vgl. Croft 22003: 132): 57 Definitheitshierarchie: DEFINIT >> SPEZIFISCH >> NICHT-SPEZIFISCH Die beiden Hierarchien drücken aus, dass nur Personal- und Demonstrativpronomina die EN sowohl bzgl. Referentialität als auch Definitheit übertreffen, da erstere nicht nur inhärent definite und direktreferierende Ausdrücke sind, sondern auch eine stark deiktische Komponente aufweisen. Aus egozentrischer Sicht lässt sich für Personalpronomina eine eigene Personenhierarchie ableiten: Sprecher (1. Person) > Adressat (2. Person) > 3. Person. Mit dem Personalpronomen der ersten Person wird nicht nur maximale Referentialität, sondern auch der höchste Grad an Belebtheit und Individualität ausgedrückt. Damit kann die universelle Belebtheitshierarchie nicht auf einen einzigen Parameter reduziert werden. Laut Comrie (21989: 199) spiegelt die Belebtheitshierarchie (im weiteren Sinne) eher die natürliche Interaktion zwischen verschiedenen Parametern wider, zu denen zwar auch Belebtheit im wörtlichen Sinne zählt, darüber hinaus aber auch andere Faktoren – wie Definitheit und die verschiedenen Aspekte, die eine Entität individualisieren – inbegriffen sind. Die erweiterte Belebtheitshierarchie ist in leicht abgewandelter Form Croft (22003: 130) entnommen, der bereits auf Dixon (1979: 85) verweist:58 1./2. PS. PRON >> 3. PS. PRON >> EIGENNAMEN >> AUF MENSCHEN REFERIERENDE NOMINA >> AUF BELEBTES REFERIERENDE NOMINA >> AUF UNBELEBTES REFERIERENDE NOMINA Die hier abgebildete implikative Skala zeigt an, wie Belebtheit (im weiteren Sinne) im nominalen Bereich versprachlicht wird. Wenn also ein Element auf der Skala ein bestimmtes grammatisches Verhalten aufweist, so wird für alle links davon stehenden Elemente das gleiche Verhalten erwartet; für rechts davon stehende Elemente gilt die Implikation nicht. Diese als universell erachtete || 57 Da die Definitheitshierarchie besonders bei einer Betrachtung der Pronomina relevant ist, wird diese Teil-Hierarchie ebenso wie die (umstrittene) Frage, inwiefern Belebtheit und Definitheit miteinander interagieren, ausgeklammert. 58 Die Formulierung einer linearen Hierarchie ist sehr vereinfacht. Auch wenn die verschiedenen Faktoren wie z. B. ‚Belebtheit‘ und ‚Individualität‘ miteinander zusammenhängen, sind Abweichungen nicht ausgeschlossen. Das Gesamtbild entspricht somit eher mehreren komplex ineinandergreifenden Hierarchien als einer einzigen linearen Hierarchie.

Personennamen vs. andere Namenklassen | 61

Skala sieht für EN eine gesonderte Position vor, da viele Sprachen bekannt sind, die EN grammatisch speziell markieren.59 Hier zeigt sich, dass EN universell eine interessante Kategorie zwischen maximal belebten Pronomina und APP darstellen.60 Diese Zwischenposition äußert sich schließlich auch in den in Abschnitt 2.1.4 geschilderten Kategorisierungsproblemen, die sich für EN im Deutschen – wie auch in anderen Sprachen – ergeben. Bezeichnenderweise werden EN häufig entweder als D-Elemente (Anderson 2007), als Nomina (Gallmann 2005) oder als eine Wortart, die sowohl pronominale als auch nominale Eigenschaften vereint (Van Langendonck & Van de Velde 2016), beschrieben. Der letztgenannte nicht-kategoriale Ansatz, der auch durch die Positionierung der EN auf der erweiterten Belebtheitshierarchie gerechtfertigt erscheint, wird hier verfolgt. Allerdings berücksichtigt die erweiterte Belebtheitshierarchie nicht, dass EN – wie oben gezeigt wurde – grammatisch keineswegs eine homogene Klasse darstellen. Die EN-Typen reichen selbst von [+ menschlich] (Anthroponyme) über [- menschlich, + belebt] (Zoonyme) bis hin zu [+ unbelebt] (Toponyme) und z.T. sogar abstrakt (z. B. Phänonyme). Deshalb wird die Belebtheitshierarchie hier noch einmal auf die verschiedenen Namenklassen selbst angewendet.

2.2.3 Personennamen als die prototypischsten Vertreter der Eigennamenklasse Legt man der Namenklassifikation nun die Konzepte der Belebtheit und der Individualität zugrunde, wie es von Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 101–

|| 59 Bei Corbett (2000: 56) wurde (neben Änderungen im pronominalen Bereich) die Kategorie EN durch die der Verwandtschaftsbezeichnungen ersetzt. Auch im Deutschen zeigt sich eine gewisse Parallele zwischen RufN und Verwandtschaftsbezeichnungen, indem (individualisierte) Verwandtschaftsbezeichnungen wie Oma, Mama etc. onymisch gebraucht werden können (Ingrids/Omas neuer Sportwagen), sich also in ihrem grammatischen Sonderverhalten an die Klasse der EN bzw. die der RufN angleichen und nicht umgekehrt. 60 Laut Helmbrecht et al. (2018) soll es sich bei der Platzierung der EN auf der erweiterten Belebtheitshierarchie mehr um eine Hypothese als um eine empirisch fundierte Generalisierung handeln. Aufgrund der Ergebnisse ihrer stichprobenartigen typologischen Untersuchung zur Morphosyntax von EN kommen sie zu dem Schluss, dass EN nicht als eine separate Klasse referenzieller Ausdrücke in der Belebtheitshierarchie aufgeführt werden sollten, da ihre Positionierung zwischen Pronomina und belebten APP keinen voraussagenden Nutzen habe. Helmbrecht et al. (2018) bewerten diese Aussage jedoch selbst als vorläufig, da das morphosyntaktische Verhalten von EN in der Typologie noch zu unerforscht ist.

62 | Eigennamen und Personennamen

106) vorgeschlagen wird,61 zeigt sich, dass eine Namenklasse mit zunehmender ‚Belebtheit‘ und ‚Individualität‘ der benannten Referenten bzw. Referenzobjekte auch hinsichtlich ihrer Sondergrammatik als prototypischer für die Kategorie EN anzusehen ist: Eigennamen

+ belebt

+ menschlich

PersN

- belebt

- menschlich

TierN

+ konkret

OrtsN

ObjektN

- konkret

EreignisN

PhänomenN

INDIVIDUALITÄT BELEBTHEIT PROTOTYP

+

SONDERGRAMMATIK



Abb. 6: Die Personennamen am Pol maximaler Individualität und Belebtheit (nach Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 102)

Je weiter man entlang der Belebtheits-/Individualitätsskala in Abb. 6 nach rechts geht, desto eigennamenuntypischer verhalten sich die Vertreter der jeweiligen Namenklasse – sowohl auf der hier angegebenen Makroebene (z. B. PersN >> TierN >> OrtsN) als auch auf der Mikroebene bzw. einer feingliedrigeren Einteilung der Namenklassen (z. B. SpitzN >> RufN >> FamN; siehe Abbildung 7). Dies wird schon allein daran ersichtlich, dass im Deutschen für die Klasse der Anthroponyme am Pol maximaler Belebtheit und Individualität exklusive Inventare bzw. propriale Lemmata zur Verfügung stehen, deren Vertre-

|| 61 Für einen Überblick über verschiedene Namenklassifikationen siehe Brendler (2004) und die dort angegebene Literatur.

Personennamen vs. andere Namenklassen | 63

ter Strukturen aufweisen können, die erheblich vom Normalwortschatz abweichen, wie z. B. die silbensprachlichen Strukturen bei RufN (einfache CV.CVStrukturen wie bei Lara, Leni, Vollvokale in unbetonten Nebensilben wie z. B. bei Michaéla, Abweichen vom dt. Initialakzent wie z. B. bei Sebástian). Ganz im Gegensatz dazu verhält es sich bei weniger prototypischen Namenklassen, die häufig onymisches Material recyceln und primär von syntagmatischen Verfahren Gebrauch machen (z. B. Toponyme wie Rudi-Dutschke-Weg, Ergonyme wie Billy-Regal oder Phänonyme wie Sturmtief Xaver). Solche Gattungs-EN folgen zudem der konservativeren appellativischen Polyflexion (des Feldberg-s; nur marginal möglich: des Feldberg-Ø) und lassen im Genitiv zu einem beträchtlichen Anteil die lange Endung -es zu (des Feldberg-es), wie Fritzinger (2018) zeigt. Auch der primäre Artikelgebrauch nimmt bei weniger prototypischen ENKlassen zu: Während Anthroponyme im Standard ohne Determinierer grammatisch sind, ist der Definitartikel bei manchen Toponymen wie die Schweiz lexikalisiert. Den WarenN, die zur Gruppe der Ergonyme zählen, wird der EN-Status nicht zuletzt wegen ihrer Kombinierbarkeit mit den Indefinita ein/e, kein/e, jede/r/s, manche/r/s – und zwar ohne die oben für die PersN beschriebene semantische Verschiebung – immer wieder streitig gemacht (vgl. z. B. Vater 1965: 212). Appellativische Strukturen dieses Typs sind bei den meist jüngeren und somit weniger opaken Namen der peripheren Klassen generell häufiger anzutreffen, weshalb man sie äußerlich schlechter erkennt als die prototypischen Vertreter. Hinzu kommt, dass das Kriterium der Nicht-Übersetzbarkeit bei weniger zentralen Vertretern der EN nicht greift (vgl. engl. William Shakespeare ≠ dt. Wilhelm Schüttelspeer vs. engl. Second World War = dt. Zweiter Weltkrieg). Der onymische Status vieler – vor allem neuer – Mitglieder der Namenklassen am rechten Pol von Abbildung 6 lässt sich somit stärker an ihrer Konventionalisierung als an ihrer Struktur, die häufig der von definiten Beschreibungen gleicht, festmachen.62 Schließlich ist der Anteil fremder Strukturen (vgl. Kap. 2.1.2.3) und Entlehnungen bei den peripheren Namenklassen deutlich geringer, was

|| 62 Mit zunehmender Konventionalisierung und Referenzfixierung können sich jedoch auch bei peripheren Namen formale EN-Charakteristika entwickeln. Nübling (2004), die den Proprialisierungsgrad des potentiellen neuen Toponyms die neuen Bundesländer diskutiert, zeigt, dass sich mit dem funktionalen EN-Status auch Adjazenz entwickelt (*die neuen, schönen Bundesländer). Daneben sprechen ihre Korpusdaten dafür, dass Plural und Definitartikel in den onymischen Phrasen im Gegensatz zu appellativischen Phrasen fixiert werden (?das neue Bundesland vs. das neue Haus und ?viele neue Bundesländer vs. viele neue Häuser). Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 320–322) liefern weitere Beispiele für die formale Markierung des onymischen Status bei Praxonymen.

64 | Eigennamen und Personennamen

Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 105) mit der Frequenz erklären: Bei prototypischen Namen lohnt sich die kompetenzbelastende Memorierung, weniger zentrale Namen setzen hingegen auf bekanntes Sprachmaterial, was sie zwar länger (und performanzbelastend), dafür aber leichter memorier- und verstehbar macht. Was die offiziellen PersN betrifft, so kann auf Mikroebene noch einmal in die maximal individuellen RufN und die weniger individuellen FamN subklassifiziert werden – noch individueller als die RufN sind nur die inoffiziell an eine Person vergebenen Spitz- bzw. KoseN, die zudem Nähe sowie eine emotionale Wertung anzeigen (siehe Abbildung 7).

Personennamen

Ebene

Namentyp

Beispiel

inoffiziell

offiziell

Spitznamen

Rufnamen

Poldi

Lukas Josef

Rudi, Käthe

Rudolf

Familiennamen

Podolski Völler

EMOTIONALITÄT NÄHE INDIVIDUALITÄT Abb. 7: Grobgliederung des anthroponymischen Bereichs in Spitznamen, Rufnamen und Familiennamen

Hier ergeben sich bei den verschiedenen PersN-Typen ähnliche Tendenzen wie bei der Makroklassifikation der verschiedenen Namenklassen, was Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 105) wie folgt zusammenfassen: Innerhalb der Anthroponyme machen die RufN eher von paradigmatischen Techniken (festes Inventar [inklusive Sexuskodierung – TA]) Gebrauch als die FamN [...]. Ihre Strukturen weichen auch stärker vom Normalwortschatz ab, und sie werden öfter aus Fremd-

Personennamen vs. andere Namenklassen | 65

sprachen entlehnt als FamN. Die Exportrichtung verläuft dabei stets von Ruf- zu FamN (Heinrichs, Christiansen) und nicht umgekehrt.

Die äußerliche Sonderstellung der RufN ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sie im Vergleich zu FamN (die im Namenklassenvergleich wiederum relativ alt sind) auf noch älterem Wortmaterial basieren, aus dem sich das heutige exklusive Inventar über verschiedene formale Dissoziationsstrategien (vgl. Nübling 2000) entwickelt hat. Bei den jüngeren FamN wird, um zum einen der Verwechslung mit homonymen APP vorzubeugen und zum anderen Informationen zur Geschlechtszugehörigkeit zu liefern, die im Gegensatz zu RufN nicht auf dem FamN kodiert werden, häufig das vorangestellte Höflichkeits-Lexomorphem Frau bzw. Herr verwendet. Für den zweiten Punkt spricht auch die von von Heusinger (2010: 5–6) beobachtete Tatsache, dass bloße FamN (vor allem die weiblichen) häufiger mit Artikel gebraucht werden als RufN, was laut Schmuck & Szczepaniak (2014) wiederum der Grammatikalisierungsrichtung des onymischen Artikels entspricht: FamN > GesamtN > RufN. Hier zeigt sich wieder, dass Proprialität bei weniger prototypischen Namenklassen auch durch den Kontext erschlossen werden muss und nicht bloß durch die Ausdrucksseite angezeigt wird (vgl. Nübling 2000: 278). Was die Morphosyntax betrifft, so verhalten sich RufN und FamN im Gegenwartsdeutschen jedoch weitgehend homogen. Generell scheint zu gelten, dass sich die onymischen Mitglieder prototypischer bzw. für den Menschen immer schon relevanter EN-Klassen durch ein höheres Alter auszeichnen, wobei sich der höhere Onymisierungsgrad wiederum in größerem grammatischem Sonderverhalten widerspiegelt. Aus diachroner Perspektive lässt sich generalisieren, dass EN mit der Zeit immer onymischer werden und ihre Sondergrammatik auszubauen scheinen (vgl. Kap. 3–5). In diesem Abschnitt wurde gezeigt, dass es unter den EN – wie im Grunde in jedem anderen sprachlichen Bereich auch (siehe Kap. 4.3.1 für eine prototypenorientierte Unterteilung des nominalen Bereichs im Deutschen) – zentrale und periphere Vertreter gibt. Legt man der Namenklassifikation die Konzepte der Belebtheit und der Individualität zugrunde, so lässt sich begründen, warum PersN – und in diesem Bereich RufN mehr noch als FamN – als die prototypischen EN angesehen werden können. Interessant ist dabei, dass sich die durch kognitive Prinzipien gesteuerte Sonderstellung der PersN auch in ihrem grammatischen Verhalten manifestiert.

3 Der zweigliedrige Personenname – grammatischer Status und morphosyntaktischer Wandel Wird in der Literatur von EN gesprochen, sind zumeist, dem Standardgebrauch folgend, nicht-komplexe bzw. einfache EN wie z. B. Matthias, Mayer, Mainz gemeint. Streng definitorisch handelt es sich bei diesen einfachen EN um Nomina propria (vgl. 1.2), während mit dem Terminus EN auch auf mehrteilige Verbindungen mit einem Nomen proprium als Kern (wie z. B. Frankfurt am Main) und auch solche ohne proprialen Kern referiert wird (wie z. B. der StraßenN Unter den Linden). Komplexe EN bestehen laut von Heusinger (2010: 93) wiederum „aus weiteren Ausdrücken, die das Nomen proprium restriktiv oder appositiv modifizieren“: die kleine Erna oder der berühmte Regisseur Quentin Tarantino. Bezüglich der Einordnung von RufN+FamN-Verbindungen vom Typ Peter Müller verfährt von Heusinger (2010) jedoch inkonsequent: Einerseits werden zweigliedrige Personennamen als EN, also NPs mit proprialem Kopf beschrieben, aber andererseits als einzige mehrwortige Sequenzen in die Betrachtung einfacher EN mit einbezogen – wohl wissend, dass diese Behandlung der engen Definition widerspricht. Schon hier wird deutlich, dass der PersonengesamtN, der im Gegenwartsdeutschen aus mindestens zwei Propria – und zwar dem RufN und dem FamN – besteht, einen grammatisch interessanten, bislang wenig explizit diskutierten Fall darstellt. Aus synchroner, grammatiktheoretischer Sicht stellt sich die Frage, wie die interne Struktur dieser Namenverbindung am adäquatesten zu beschreiben ist. Handelt es sich bei dem Komplex aus RufN und FamN um syntaktische Strukturen und wenn ja, haben diese Phrasenstatus oder handelt es sich um mehrwortige Einheiten der Kategorie N0? Oder liegt bei Sequenzen vom Typ Monika Müller eher Kompositumstatus und somit eine morphologische Einheit vor? Aus diachroner Perspektive sind die zweigliedrigen PersN nicht minder interessant. Mit der Fixierung der FamN aus nicht-onymischen BeiN hat sich deren funktionaler bzw. semantisch-pragmatischer Status gewandelt. Wie Plank (2011) zeigt, zieht dieser kategoriale Wandel vom Adjektiv oder Nomen hin zum FamN auch morphologische Veränderungen mit sich. Da EN bislang meist aus diachronen grammatischen Untersuchungen ausgeklammert worden sind, ist wenig darüber bekannt, inwiefern sich durch die Proprialisierung auch der morphosyntaktische Status der sich verfestigenden zweigliedrigen PersNVerbindungen gewandelt hat. Zudem soll – ganz im Sinne von Fleischer (1989:

https://doi.org/10.1515/9783110600865-003

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 67

270) – die „genauere Untersuchung der onymischen Wortgruppenstruktur [...] zur Aufhellung des linguistischen Status des Eigennamens und seiner Abgrenzung vom Appellativum“ beitragen. Im Folgenden soll zunächst gezeigt werden, welche Schwierigkeiten mit der synchronen Bestimmung des grammatischen Status mehrteiliger PersN einhergehen (3.1). Daraufhin zeichne ich zum einen in Kap. 3.2 die morphosyntaktischen Veränderungen nach, die sich bei der Onymisierung vom losen BeiN zum fixen FamN vollziehen, und gehe zum anderen in Kap. 3.3 auf den beobachtbaren grammatischen Wandel der voll-onymischen GesamtN-Konstruktion ein, der sich zwischen dem 16. und 18. Jh. vollzieht.

3.1 Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen In Kap. 1 wurde angedeutet, dass kein Konsens darüber besteht, wie mit Titeln, Berufsbezeichnungen oder BeivorN umzugehen ist. Während hier davon ausgegangen wird, dass Erweiterungen des Ruf- und FamN nichts an der generellen Zweinamigkeit ändern, stellen Namen des Typs Wolfgang Amadeus Mozart oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger z. B. für Finkbeiner & Meibauer (2016: 41) komplexere Kombinationen als binäre PersN dar. Die interne, grammatische Struktur von RufN+FamN-Verbindungen sorgt daneben für weitere Uneinigkeit. Während binäre PersN in Gegenwartsgrammatiken kaum gesonderte Beachtung erfahren und meist unter syntaktische APP+EN-Strukturen subsumiert werden (vgl. z. B. Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997, Helbig & Buscha 2001, Eisenberg 4 2013a, Duden-Grammatik 92016), herrscht in der linguistischen Diskussion weitgehend Konsens darüber, dass mehrteilige EN ohne Artikel als syntaktische Einheiten, jedoch eines speziellen Typs, zu analysieren sind (vgl. Gallmann 1990: 304–310, Karnowski & Pafel 2004: 184–186, Finkbeiner & Meibauer 2016: 41–43). Dem gegenüber steht die gelegentlich in der onomastischen Literatur vertretene Minderheitsmeinung, zweigliedrige PersN seien als morphologische Strukturen zu analysieren. Im Folgenden sollen beide Positionen, beginnend mit der syntaktischen, genauer betrachtet und auf ihre Plausibilität hin untersucht werden.

3.1.1 Die syntaktische Analyse Was allen syntaktischen Beschreibungsansätzen gemein ist, ist die Annahme, mehrteilige PersN seien enge Appositionen oder appositionsähnliche Syntag-

68 | Der zweigliedrige Personenname

men. Dabei ist zu erwähnen, dass die hier im Fokus des Interesses stehenden binären PersN einerseits häufig gar nicht explizit diskutiert, sondern im Rahmen einer generellen Appositions-Analyse lediglich miterwähnt werden. Gelegentlich muss aus den Beispielen, die für enge Appositionen gegeben werden, erschlossen werden, dass auch mehrteilige PersN Teil einer vorgeschlagenen Analyse sind. Andererseits liegen synchrone onomastische Studien vor, die sich explizit der internen Struktur des GesamtN widmen, jedoch keine Argumente liefern, um die vorgeschlagene Einordnung als appositives Syntagma zu begründen (so z. B. Koß 32002 oder Van Langendonck 2007). Zudem wird bei einigen syntaktischen Erklärungsansätzen nicht immer explizit bestimmt, ob es sich bei PersN-Syntagmen um eine phrasale Einheit, also eine NP, handelt, oder ob die N1 N2 Sequenz den Status einer mehrwortigen Einheit der Kategorie N0 hat, wie Finkbeiner & Meibauer (2016: 41) anmerken. Eine Ausnahme stellt Gallmann (1990) dar, auf dessen explizite Analyse weiter unten detaillierter eingegangen wird. Vorab soll nun etwas genauer auf den Begriff der Apposition eingegangen werden, bezüglich deren Definition in der Literatur genauso wenig Einigkeit herrscht (vgl. Gallmann 1990: 291 und Eisenberg 42013a: 256) wie hinsichtlich der Terminologie zur Beschreibung dieser Syntagmen (vgl. Ackermann 2014: 13–14). Grob gesagt kann man die Appositionen mit Eisenberg (42013a: 257) als „‚Beifügung‘ zu einem substantivischen Nominal, die den Bedeutungsumfang dieses Nominals nicht verändert“ definieren. Gallmann (1990: 290), der auch für das entsprechende Kapitel in der Duden-Grammatik (92016: 989–1004) verantwortlich ist, legt die detaillierteste Analyse für appositive Syntagmen vor, die auch den Sonderstatus mehrteiliger artikelloser EN berücksichtigt. Da er die diversen Strukturen, die traditionell unter dem Begriff Apposition zusammengefasst werden, für zu heterogen hält, plädiert Gallmann (1990) dafür, das „heterogene Gemisch“ in einem ersten Schritt in zwei grobe Gruppen zu klassifizieren. Die eine Gruppe enthält phrasenwertige Konstruktionen, wie z. B. lockere Appositionen (33), als-Phrasen (34) oder die sogenannte partitive Apposition (35). PHRASENWERTIGE KONSTRUKTIONEN (33)

lockere Apposition: seine Nachbarin, eine ältere Dame

(34)

als-Phrase: Uta ist als Mechatronikerin tätig

(35)

partitive Apposition: eine Packung Gummibärchen

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 69

Zur lockeren Apposition zählen laut Gallmann (1990: 293) auch Namenbestandteile (BeiN), „die formal wie lockere Appositionen aussehen und auch wie diese kongruieren [...], aber nicht den Charakter eines Nachtrags haben (in geschriebener Sprache sichtbar an den fehlenden Kommas)“. (36a) und (36b) geben hierfür Beispiele: NAMENBESTANDTEILE ALS LOCKERE APPOSITIONEN (36)

a. mit Karl dem Großen b. die Schiffe Wilhelms des Eroberers

Für eine synchrone Analyse der internen Struktur zweigliedriger PersN ist Gallmanns (1990) zweite Gruppe, die Phrasenkerne mit mehr als einem Wort umfasst, von Relevanz. Für diese Gruppe schlägt Gallmann (1990: 290) den Terminus Juxtaposition vor, um diese nominalen Phrasenkerne von Syntagmen mit Phrasenstatus abzugrenzen. Neben explikativen und determinativen Juxtapositionen (vgl. (37) und (38)) gehören auch mehrteilige Eigennamen wie die in (39) zu dieser Gruppe. NOMINALE PHRASENKERNE (JUXTAPOSITIONEN) (37)

explikative Juxtaposition: der Schriftsteller Kehlmann, die Stadt Mainz

(38)

determinative Juxtaposition: Forelle blau, Klein Erna

(39)

mehrteiliger EN: Hamburg Altona, Wolfgang Amadeus Mozart

In Ackermann (2014: 14) wird ein tabellarischer Überblick über die den Bestandteilen komplexer PersN zugesprochenen Status in unterschiedlichen Gegenwartsgrammatiken gegeben, der gleichzeitig das Ausmaß an terminologischer Uneinigkeit veranschaulicht. Dieser Überblick ist hier in abgewandelter Form als Tabelle 5 wiedergegeben.

70 | Der zweigliedrige Personenname

Tab. 5: Überblick über die Terminologie zur Analyse mehrwortiger Personennamen in deutschen Gegenwartsgrammatiken und einschlägiger Literatur

Grammatik

Terminologie

Status des Syntagmas

Gallmann (1990)

Juxtapositionen / mehrteilige EN RufN: Kopfadjunkt FamN: Kopf

mehrwortiger Phrasenkern (N0)

Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997)

Erweiterungsnomina RufN: vorangestelltes Erweiterungsnomen FamN: Kopfnomen

phrasenwertige Konstruktion (NP)

Helbig & Buscha (2001) Substantivattribute RufN: vorangestelltes Substantivattribut FamN: Bezugswort

phrasenwertige Konstruktion (NP)

Duden-Grammatik (92016)

appositive Nebenkerne/mehrteilige EN RufN: appositiver Nebenkern FamN: Hauptkern

mehrwortiger Phrasenkern (N0)

Eisenberg (42013a)

enge Appositionen RufN: Titel FamN: Kernsubstantiv

phrasenwertige Konstruktion (NP)

Mag die Terminologie auch unterschiedlich sein, so herrscht unter den VertreterInnen der syntaktischen Analyse – mit Ausnahme von Gallmann (1990) und der Duden-Grammatik (92016), siehe unten – jedoch weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Kombination aus RufN+FamN so zu analysieren ist wie die Verbindungen aus Titeln, Verwandtschafts- und Berufsbezeichnungen + PersN in (40). (40)

a. Doktor Brinkmann b. Onkel Peter c. Winzermeister Eckert

Das am weitesten rechts stehende Element trägt die Flexionsmarker und ist somit der Kopf/Kern der Verbindung. Die Beispiele in (41) mit Berufsbezeichnung+FamN-Verbindung und (42) mit RufN+FamN-Verbindung veranschaulichen diese Parallele: (41)

a. [[Außenminister Steinmeiers] TV-Auftritt] b. *[[Außenministers Steinmeier] TV-Auftritt]

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 71

(42)

a. [[Frank-Walter Steinmeiers] TV-Auftritt] b. *[[Frank-Walters Steinmeier] TV-Auftritt]

In den Grammatiken wird korrekt beobachtet, dass die Konstruktion kippt, sobald ein Determinierer ins Spiel kommt. Das links stehende Element wird nun zum Kopf und flektiert, während das rechts stehende Element zum nachgestellten Erweiterungsnomen wird (vgl. (43a) vs. (43b)). Beispiel (44a) vs. (44b) zeigt jedoch, dass dieses Umkippverhältnis nicht für die Verbindung aus Ruf- und FamN gilt, da weiterhin der rechtsstehende FamN der Kopf bleibt und nicht etwa der RufN flektiert. Das Auftreten eines Determinierers führt bei einfachen und mehrteiligen femininen GesamtN immer, bei maskulinen GesamtN zunehmend zur Monoflexion. Die flexivische s-Markierung des Kopfs bei postponierten EN im Genitiv ist als der ältere Sprachstand anzusehen. (43)

a. der TV-Auftritt des Außenministers Steinmeier b. *der TV-Auftritt des Außenminister Steinmeiers

(44)

a. *der TV-Auftritt des Frank-Walters Steinmeier b. der TV-Auftritt des Frank-Walter Steinmeier(-s)

Dieses Sonderverhalten der RufN+FamN-Verbindungen spricht nun gegen die einheitliche syntaktische Behandlung von Eigennamenteilen und engen Appositionen. Wie bereits oben erwähnt, ist Gallmann (1990) einer der wenigen, der in seiner Darstellung mehrwortiger Phrasenkerne zwischen mehrteiligen EN und explikativen Juxtapositionen differenziert. Der Unterschied zwischen ersteren und zweiteren liege hauptsächlich in der Position des Kopfes: Während der Kopf bei mehrteiligen EN immer das am weitesten rechts stehende Element ist, sind explikative (und determinative) Juxtapositionen linksköpfig. Mit dieser Unterscheidung lässt sich der Grammatikalitätsunterschied zwischen (43) und (44) erklären. Wie jedoch mit Konstruktionen vom Typ (41) umzugehen ist, bei denen die eigentlich linksköpfige Juxtaposition die Position des pränominalen Possessors besetzt und der rechtsstehende Name nun der Kopf zu sein scheint, wird bei Gallmann (1990) nicht thematisiert. Generell scheint für Verbindungen aus APP und EN zu gelten, dass die interne Struktur der Sequenz nur abhängig vom syntaktischen Kontext zu analysieren ist: Geht der Sequenz kein Determinierer voraus, handelt es sich um einen mehrteiligen PersN, sprich das APP ist als EN-Teil zu analysieren wie in (45); beim Vorhandensein eines Artikelworts ist das APP der linke Kopf einer Juxtaposition, was in (46) exemplifiziert wird (siehe hierzu auch Werth 2017).

72 | Der zweigliedrige Personenname

(45)

MEHRTEILIGER PERSONENNAME

a. [[Außenminister N1] [Steinmeier N2] N2] ist zur Zeit in Berlin b. das Büro [[Außenminister N1] [Steinmeiers N2] N2] (46)

JUXTAPOSITION a. unser [[Außenminister N1] [Steinmeier N2] N1] ist zur Zeit in Berlin b. das Büro unseres [[Außenministers N1] [Steinmeier N2] N1]

Im Rahmen der von mir vorgeschlagenen Analyse possessiver s-Konstruktionen (vgl. Kap. 5) stellt die einmalige Markierung des rechten Rands bei Verbindungen aus APP und PersN, die als pränominale Possessoren fungieren, ohnehin keinen Widerspruch dar. Da es sich bei dem an den FamN tretenden Marker nicht um ein reguläres Genitivflexiv, sondern um einen possessiven Marker handelt, kann bei diesen Konfigurationen nicht anhand der s-Markierung auf Kopfstatus geschlossen werden. Schließlich erfolgt auch bei Verbindungen aus RufN und BeiN (z. B. Walther von der Vogelweide), bei denen der RufN Kopf der Verbindung ist, in pränominalen Possessiv-Konstruktionen im Gegenwartsdeutschen vermehrt die s-Markierung des am weitesten rechts stehenden Elements und nicht des Kopfs (z. B. Walther von der Vogelweides Gedichte, vgl. auch 5.5.3). Ein besseres Indiz für die Linksköpfigkeit explikativer Juxtapositionen und die Rechtsköpfigkeit mehrteiliger EN stellt die unterschiedliche Pluralmarkierung dar (vgl. (47) vs. (48)). (47)

EXPLIKATIVE JUXTAPOSITION (linksköpfig)

a. Allein ich kenne zwei [ [Rechtsanwälte N1] [Müller N2] N1] b. *Allein ich kenne zwei [ [Rechtsanwalt N1] [Müllers N2] N2] (48)

MEHRTEILIGER PERSONENNAME (rechtsköpfig)

a. Allein ich kenne zwei [ [Christoph N1] [Müllers N2] N2] b. *Allein ich kenne zwei [[Christophs N1] [Müller N2] N1] Wir können also festhalten, dass enge Appositionen mit appellativischen Bestandteilen nicht pauschal mit Verbindungen aus RufN+FamN gleichgesetzt werden können. Daneben kann festgehalten werden, dass bei ersteren nur im syntaktischen Kontext bestimmt werden kann, welches Element Kopfstatus hat. Bei mehrteiligen PersN ist dagegen immer und unabhängig vom syntaktischen

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 73

Kontext das rechte Element – sprich der FamN – der Kopf der Verbindung. Ob eine Verbindung aus APP und PersN nun als linksköpfige Juxtaposition oder als rechtsköpfiger mehrteiliger PersN zu analysieren ist, hängt vom Vorhandensein oder Ausbleiben eines Determinierers ab (siehe hierzu auch Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 2043–2047 und Werth 2017). Abbildung 8 veranschaulicht dieses Verhältnis.

grammatischer Status: mehrteilige PersN

Juxtapositionen

nominale Bestandteile: RufN + FamN Walter Steinmeier

APP + PersN (der) Außenminister Steinmeier

Abb. 8: Der grammatische Zwitterstatus der Verbindung aus App und PersN

Nun bleibt zu fragen, ob das Produkt der Kombination aus RufN und FamN Phrasenstatus hat oder ob hier eher ein komplexer Phrasenkern vorliegt. Gallmann (1990a, 1999), Dürscheid (2002) und Karnowski & Pafel (2004) schlagen in ihren Analysen vor, dass es sich bei engen Appositionen (bzw. Juxtapositionen) um X0-Elemente handle, die Kopfadjunkte einer N0-Konstituente darstellen. Gallmann (1999: 272) schlägt für diese adnominalen Kopfadjunkte die Strukturen in (49) vor: 1 (49)

Juxtaposition (linksköpfig) | mehrteiliger EN (rechtsköpfig) NP1

NP2 oder

N10

N10

N20

N20

N10

N20

|| 1 Die Beispiele in Gallmann (1999: 272) beziehen sich auf Juxtapositionen mit einem nachgestellten nichtflektierten Adjektiv vom Typ Forelle blau (also A0 als Kopfadjunkt). Ein Beispiel für eine analoge Struktur mit vorangestelltem Adjektiv wäre Klein Erna.

74 | Der zweigliedrige Personenname

Hier liegt also ein Fall vor, bei dem die Konstituenten, die von einem syntaktischen Wort besetzt werden, nicht wie gewöhnlich zu Phrasen projizieren; stattdessen liegt eine komplexe N0-Konstituente vor. Gallmann (1999: 272) merkt hierzu an: Ein syntaktisches Wort kann auch eine nichtprojizierende Konstituente des Typs X0 besetzen. Eine solche Konstituente ist gewöhnlich an einen anderen Kopf Y0 adjungiert, das heißt, X0 ist ein Kopfadjunkt (von Y0). (Hervorhebungen im Original)

Das Hauptargument für Kopfadjunktion und gegen Phrasenstatus scheint dabei zu sein, dass das Adjunkt nicht zu einer Phrase erweitert werden kann, wie die Beispiele in (50) zeigen: (50)

a. *die Stadt schönes Mainz b. *die Farbe dunkles Blau c. *der Boris große Becker2

Zudem erfasst die Analyse als komplexes N0 die externe Distribution von mehrteiligen PersN und Juxtapositionen, da sie wie für Elemente der Kategorie N typisch den Kopf einer NP besetzen können (wie z. B. in Boris Becker ist doch dieser Ex-Tennisspieler). Möchte man mehrteilige PersN als syntaktische Einheiten analysieren, sieht man sie also am plausibelsten als komplexe rechtsköpfige N0-Konstituenten mit der internen Struktur [[N0][N0]]N0. Während diese Analyse für rechtsadjungierende Juxtapositionen sinnvoll erscheint, bleibt für rechtsköpfige PersN jedoch unklar, wie hier zwischen einem syntaktisch komplexen N0 und einem N+NKompositum unterschieden werden soll. Die externe Distribution ist für beide identisch, hinsichtlich der internen Struktur machen Finkbeiner & Meibauer (2016: 41) den Vorschlag, bei der (syntaktischen) Verbindung aus RufN+FamN eine Kombination zweier syntaktischer Knoten anzunehmen ([[N0][N0]]N0), während bei eindeutigen (morphologischen) N+N-Komposita die Kombination zweier Wörter der lexikalischen Kategorie N vorliegt, die zusammen N0 bilden ([NN]N0). || 2 Einen – eher marginalen – Sonderfall stellen sogenannte Mittel-Namen (i) und N-CP-N-Konstruktionen (ii) dar, bei denen eine Konstituente zwischen die beiden EN treten kann: (i) Angela „Teflon“ Merkel (ii) Angela „Wir schaffen das“ Merkel Für eine formale und pragmatische Analyse dieser interessanten Strukturen sei auf Finkbeiner & Meibauer (2016) verwiesen.

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 75

Einen weiteren (scheinbaren) Kritikpunkt an der parallelen Interpretation von Juxtapositionen mit und ohne appellativische Bestandteile liefert Lawrenz (1993), die sich umfassend mit appositiven Syntagmen auseinandersetzt. Unter Heranziehung einer Tilgungsprobe argumentiert sie beispielsweise gegen die Annahme, Serialisierungen vom Typ Schloss Burg, die für sie denselben Status wie mehrteilige PersN haben, als enge Apposition (bzw. Juxtaposition) zu analysieren. Die Tilgungsprobe zeige laut Lawrenz (1993: 50), dass bei ersteren „[w]eder N1 noch N2 [...] stellvertretend für die gesamte Fügung verwendet werden bzw. unabhängig von dem anderen Nomen gebraucht werden [könne]“. Während das für Strukturen wie jene in (51) zuzutreffen scheint, gilt genau der umgekehrte Fall für die Verbindungen aus Ruf- und FamN, bei denen beide ENTeile stellvertretend (abhängig von pragmatischen Aspekten) für die gesamte Fügung stehen können (52). Bei Verbindungen des Typs Schloss Burg liegen zwar wie bei zweigliedrigen PersN mehrteilige EN vor, doch hier handelt es sich um sogenannte (genuine) Gattungs-EN, bei denen sich der appellativische Teil dem Gesamtausdruck funktional unterordnet (vgl. Harweg 1983: 160) und somit syntaktisch auch nicht alleine stehen kann.3 Einen wieder anderen Fall stellen laut Lawrenz (1993) enge Appositionen dar, bei denen nur N2 stellvertretend für die gesamte Verbindung stehen kann (53). (51)

GATTUNGSEIGENNAME a. Schloss Burg liegt an der Wupper b. *Schloss liegt an der Wupper c. *Burg liegt an der Wupper

(52)

MEHRTEILIGER PERSONENNAME

a. Christian Müller wohnt in Wilmersdorf b. Christian wohnt in Wilmersdorf c. Müller wohnt in Wilmersdorf (53)

HALBGENUINER GATTUNGSEIGENNAME / MEHRTEILIGER PERSONENNAME

a. Rechtsanwalt Müller arbeitet in Wilmersdorf b. *Rechtsanwalt arbeitet in Wilmersdorf

|| 3 Eine Nennung des Appellativs ist jedoch auch bei Gattungs-EN wie Café Einstein (wir gehen ins Einstein) nicht immer obligatorisch (vgl. hierzu Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 44–45).

76 | Der zweigliedrige Personenname

c. Müller arbeitet in Wilmersdorf Was Beispiel (53) betrifft, handelt es sich hier nicht um eine enge Apposition/Juxtaposition (wie ich noch in Ackermann 2014: 16 behaupte), sondern – wie oben diskutiert wurde – um einen rechtsköpfigen mehrteiligen EN (genauer gesagt, einen halbgenuinen Gattungs-EN), was an der Grammatikalität der Sequenz trotz fehlendem Determinierer zu sehen ist (vgl. auch Karnowski & Pafel 2004: 185). Der fehlende Determinierer sorgt in diesen Fällen schließlich auch dafür, dass das appellativische N1 nicht – da determiniererlos – die gesamte Fügung repräsentieren kann. Wimmer (1973: 63–69), der sich ausführlich und sehr differenziert mit dem grammatischen Verhältnis zwischen Ruf- und FamN auseinandersetzt, liefert nun ein stichhaltigeres Argument für den Sonderstatus mehrteiliger PersN. Während sich der Nicht-Kopf in Verbindungen aus APP und EN wie ein Prädikativ verhält (54), gilt dies nicht für Verbindungen aus zwei PersN (55). (54)

Rechtsanwalt Müller > Müller ist Rechtsanwalt

(55)

Christian Müller > *Müller ist Christian

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die syntaktische Analyse für Verbindungen aus Ruf- und FamN ihre Schwächen hat. Während Verbindungen aus APP und EN je nach ihrem morphosyntaktischen Verhalten entweder Teil eines mehrteiligen ENs darstellen oder als linksköpfige Juxtapositionen aufzufassen sind, sind RufN+FamN-Verbindungen strikt rechtsköpfig. Die beiden Konstruktionen haben somit ihre Gemeinsamkeiten, können aber nicht per se parallel analysiert werden. Wie bereits gesagt, erscheint aus syntaktischer Sicht eine N0-Analyse für mehrteilige PersN am plausibelsten. Allerdings wird aufgrund der angenommenen internen Struktur und externen Distribution dieser Kopfadjunkte nicht klar, wo der Unterschied zu komplexen morphologischen Strukturen liegt. Ob es vor diesem Hintergrund nicht adäquater ist, die Bestandteile in mehrgliedrigen PersN als Kompositionsglieder und somit morphologisch zu analysieren, soll im nächsten Kapitel genauer überprüft werden.

3.1.2 Die morphologische Analyse Die syntaktische Analyse für mehrteilige PersN ist in der Literatur deutlich prominenter als die morphologische Analyse. Trotz der bereits von Kalverkämper (1978: 198ff.) vertretenen Auffassung, beim GesamtN handle es sich um ein

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 77

„Propria-Kompositum“, findet die Verbindung aus RufN und FamN in den relevanten Kapiteln aktueller Wortbildungslehren keine Erwähnung (vgl. z. B. Donalies 2002 , Motsch 22004, Erben 52006 oder Fleischer & Barz 42012).4 Finkbeiner & Meibauer (2016: 42) zufolge sei das der Tatsache geschuldet, dass die morphologische Analyse mehrteiliger PersN zwar aufgrund der angenommenen Struktur [N N]N auf den ersten Blick einleuchtend erscheint, jedoch der starken Intuition widerspricht, der zufolge PersN-Konstruktionen syntaktische Einheiten sind. Wie im letzten Kapitel diskutiert wurde, ist es problematisch, die engen Verbindungen aus RufN und FamN, die in keiner syntaktisch-hierarchischen Beziehung zu stehen scheinen, pauschal mit appositiven Syntagmen gleichzusetzen. Aus den Problemen mit der syntaktischen Analyse kann jedoch nicht automatisch auf eine morphologische Analyse geschlossen werden. Die Tatsache, dass der FamN immer und unabhängig vom Vorhandensein eines Determinierers der flektierende Kopf eines mehrteiligen PersN ist, spricht für einen größeren Fixierungsgrad als er für appositive Syntagmen mit appellativischen Bestandteilen anzunehmen ist, bei denen entweder der EN oder das APP Kopf der Verbindung sein kann. Das von Kalverkämper (1978: 198) herangezogene Kriterium der strikten Adjazenz, welches besagt, dass bei morphologischen Einheiten keine syntaktische Erweiterung von Teilausdrücken erfolgen kann, greift jedoch nicht zur Abgrenzung von Juxtapositionen und mehrteiligen PersN. Wie bereits in Beispiel (50) – hier wiederholt als (56) – gezeigt, gilt strikte Adjazenz nämlich nicht nur für Komposita, sondern auch für Juxtapositionen, die zwar Syntagmen sind, jedoch auch keine Erweiterung erfahren dürfen (vgl. auch Jacobs 2005: 57): (56)

MORPHOLOGISCHE EINHEIT

a. der Bäckermeister b. *der Bäcker-freundliche-Meister (57)

SYNTAKTISCHE EINHEIT: JUXTAPOSITION

a. der Bäckermeister Bach b. *der Bäckermeister freundliche Bach

|| 4 Andere (de-)onymische Wortbildungen (darunter auch Kompositionen) finden hingegen (so z. B. bei Fleischer & Barz 42012) Beachtung.

78 | Der zweigliedrige Personenname

(58)

SYNTAKTISCHE EINHEIT: NICHT-JUXTAPOSITION

a. der meisterliche Bäcker b. der meisterliche freundliche Bäcker Ein Vergleich der mehrteiligen PersN-Konstruktion mit anderen Kompositionstypen zeigt, dass es gewisse Parallelen gibt. Zum Beispiel findet sich bei der Verbindung von RufN und FamN – so wie bei Komposita auch – niemals Binnenflexion. Wie in Kap. 3.2.1 gezeigt, flektiert nach dem im Deutschen für Komposita geltenden Kopf-rechts-Prinzip – wenn überhaupt – nur der (im Standarddeutschen) rechts stehende FamN. Dem Kopf-rechts-Prinzip zufolge sollte das Zweitglied eines Kompositums jedoch nicht nur die Flexive tragen, sondern auch die grammatischen Eigenschaften der gesamten Wortbildung – sprich das Genus – festlegen. Auf den ersten Blick scheint das nicht für PersN-Komposita zu gelten, wie die Beispiele in (59) zeigen. (59)

a. Thomas Mülleri spielt unkonventionell, doch eri hat Erfolg damit. b. *Martina Mülleri gab 2012 seineni Rücktritt bekannt.

In Kap. 2.1.2.1 wurde bereits erläutert, dass sich die Art der Genuszuweisung bei PersN und APP grundsätzlich unterscheidet. FamN haben nicht wie die meisten anderen Substantive ein lexikalisch festgelegtes Genus, sondern für sie gilt das referentielle Genus gemäß dem Sexus des Namenträgers/der Namenträgerin.5 Deutschen RufN ist hingegen durch zwei nahezu strikt nach ±weiblich getrennte Nameninventare die Information ‚Sexus’ inhärent.6 Somit kann nur durch den RufN – falls dieser geschlechtseindeutig ist – auf das Genus des GesamtN geschlossen werden. Ein 1:1-Vergleich mit nicht-onymischen N+N-Komposita ist hier jedenfalls nicht möglich.7

|| 5 Anders als im Gegenwartsdeutschen konnten FamN in älteren Sprachstufen – so wie heute noch in einigen Dialekten – moviert werden (siehe 2.1.2.1). Hier galt morphologisches Genus also auch für FamN. 6 In einigen deutschen (und luxemburgischen) Varietäten wird das semantische Genus – gesteuert durch sozio-pragmatische Faktoren – jedoch überschrieben. Hier wird systematisch und ohne pejorative Bedeutung die Sexus-Genus-Korrelation aufgehoben, indem mit dem Neutrum statt dem Femininum auf weibliche vertraute Personen referiert wird (z. B. das Sybille arbeitet so viel, aber die Arbeit gefällt ihm ja). Siehe hierzu Christen (1998), Nübling, Busley & Drenda (2013) und Busley & Fritzinger (2018). 7 Dass sich EN generell hinsichtlich der Genuszuweisung geradezu von APP dissoziieren, zeigt Nübling (2014b), die – wie in 2.2.1 erläutert – dafür argumentiert, dass sich EN weg von einem

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 79

Ein substanzielleres Problem für die morphologische Analyse stellen die Akzentverhältnisse in RufN+FamN-Verbindungen dar. Während der Hauptakzent in nicht-onymischen N+N-Komposita immer auf dem Erstglied liegt (60),8 tragen zweigliedrige PersN im Standarddeutschen den Hauptakzent auf der zweiten Konstituente (61). Dieses Betonungsmuster gilt im Deutschen auch für Phrasen (62) und spricht somit am ehesten gegen den Wort- und für den Syntagmenstatus mehrteiliger PersN. (60)

N+N-KOMPOSITA:

(61)

RUFN+FAMN-VERBINDUNG: Martin WAGner

(62)

SYNTAKTISCHE EINHEIT:

MANGelware mangels WAre

Hierzu ist jedoch anzumerken, dass auch andere zweigliedrige EN, deren Kompositumsstatus unumstritten ist, keine typische Erstgliedbetonung aufweisen. Wie in Kap. 2.1.2.3 erwähnt, tragen einige Toponyme mit zweisilbigem Endglied (z. B. EbersWALde) typischerweise den Hauptakzent auf dem Zweitglied, was Fleischer (1964: 375) sogar als „funktionellen Akzent“ bezeichnet. Damit ist gemeint, dass der Akzent als Dissoziationsstrategie genutzt wird, um EN von APP zu unterscheiden. Es sind zwar keine Sprachen bekannt, die unterschiedliche Akzentpositionen systematisch nutzen, um EN von Gattungsbezeichnungen abzugrenzen, doch es scheint einige Bereiche zu geben, in denen das Deutsche dieses ökonomische Mittel nutzt, das weder für Kompetenz- noch für Performanzbelastung sorgt. Beispielsweise im Berlinischen werden Toponyme mit einsilbigem Endglied finalbetont (z. B. WeißenSEE = Bezirk), wodurch eine phonologische Abgrenzung zu den ansonsten homonymen Gattungs-EN mit Erstgliedbetonung erfolgt (z. B. WEIßensee = GewässerN). Und auch im anthroponymischen Bereich finden sich unumstrittene onymische Komposita, die nicht den typischen Initialakzent aufweisen, sondern in der Regel auf dem letzten Bestandteil betont werden: Doppel-Ruf- und -FamN wie Klaus-PEter, Anna-

|| 3-Genus-System hin zu einem 6-Klassen-System entwickeln. Ein gutes Beispiel für onymische Dissoziation vom APP geben Toponyme ab: Bei dem transparenten OrtsN FalkenbergN (das brandenburgische Falkenberg = EN) vs. der hohe FalkenbergM (= Gattungs-EN) spricht die Entkopplung der Genuszuweisung vom Letztglied hin zu referentiellem Genus, das sich aus Eigenschaften des Referenzobjekts ergibt, beispielsweise zusätzlich für den Namenstatus (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 45). 8 Es gibt jedoch auch Ausnahmen von der strikten Erstgliedbetonung. Bei adjektivischen Kopulativkomposita vom Typ déutsch-pólnisch sind beispielsweise beide Konstituenten betont.

80 | Der zweigliedrige Personenname

LEna, Geilfuß-WOLFgang oder Müller-TAMM (vgl. Bach 1952: 35 und Fleischer & Barz 42012: 180). Auch aus graphematischer Sicht weichen mehrteilige PersN von kanonischen N+N-Komposita ab. Während Komposita ohne onymische Bestandteile im Deutschen in der Regel dem Prinzip der Zusammenschreibung folgen, werden RufN und FamN via Spatium getrennt. Jedoch auch hier muss wieder einschränkend gesagt werden, dass für EN-Komposita im Deutschen ganz eigene Regeln zu gelten scheinen (vgl. 2.1.2.3). Vor allem Bindestrichschreibung oder bloße Spatiensetzung – Strategien also, die bei kanonischen Nominalkomposita nur in Ausnahmefällen der orthographischen Normierung entsprechen (vgl. Scherer 2012) – sind bei Komposita mit onymischen Bestandteilen eher die Regel als eine Ausnahme (vgl. Schlücker 2018). Ein semantisches Argument, das von Finkbeiner & Meibauer (2016) gegen die morphologische Analyse der RufN+FamN-Verbindung hervorgebracht wird, besagt, dass Default-N+N-Komposita im Deutschen subkategorisierende Komposita sind (63), was für die PersN-Sequenz wiederum nicht zutrifft (64). (63)

Mangelware = eine bestimmte Art Ware

(64)

Martin Wagner ≠ eine bestimmte Art Wagner

Auch wenn die Subkonzeptbildung zweifellos die Defaultfunktion lexikalischer Modifikation darstellt, so ist sie keinesfalls die einzig mögliche Funktion (vgl. Schlücker 2014: 37–46). Was Wortbildungen mit EN betrifft, so wurde bereits in Kap. 2.1.2.3 thematisiert, dass Komposita mit einem onymischen Erstglied (Typ Wulff-Villa) eine von kanonischen N+N-Komposita abweichende Semantik haben, da EN typischerweise identifizieren und nicht klassifizieren. Dennoch werden solche Sequenzen unumstritten als Komposita angesehen. In Ackermann (2014) habe ich dafür argumentiert, dass mehrteilige PersN – wenn man von einer morphologischen Einheit ausgehen möchte – eher die Semantik kopulativer Explikativkomposita haben. Die sonst in deutschen N+N-Komposita frequent vorkommenden Fugenelemente spielen bei RufN+FamN-Verbindungen im Standard ebenso wie bei Komposita mit onymischem Modifizierer keine Rolle (vgl. 2.1.2.3). Dass die Standard-Serialisierung RufN > FamN – so wie bei Kopulativkomposita – lediglich konventionell festgelegt ist, zeigen Daten aus einigen deutschen Dialekten, in denen die umgekehrte Abfolge zu finden ist (z. B. Mayer Sepp). Weiß (2014: 203–204) analysiert diese FamN+RufN-Sequenzen als komplexe Nomina, deren Kopf der rechts stehende RufN ist. Tatsächlich bietet sich eine morphologische Analyse für FamN+RufN-Verbindungen noch eher an als

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 81

für die Standard-Serialisierung, da hier der Kopf nicht nur die Flexive trägt, sondern auch das Genus der Gesamtkonstruktion bestimmt. Wie Berchtold & Dammel (2014) zeigen, gibt es mancherorts sogar Typen mit Initialakzent (wie z. B. de GEIer Alwin) und selbst (phonologisch konditionierte) Fugenelemente kommen teilweise vor (z. B. die HOCk-eFE Erna).9

3.1.3 Mehrteilige Personennamen und das Syntax-Morphologie-Kontinuum Die Überlegungen zum morphosyntaktischen Status zweigliedriger PersN im Gegenwartsdeutschen haben gezeigt, dass sowohl eine morphologische als auch eine syntaktische Analyse ihre Probleme mit sich bringt. Die Verbindung aus RufN und FamN weist mit dem Betonungsmuster, der Getrenntschreibung und dem Nicht-Vorhandensein der sonst für N+N-Komposita typischen Fugenelemente einerseits phrasale Eigenschaften auf. Auf der anderen Seite liegen mit der Rechtsköpfigkeit (im Gegensatz zu linksköpfigen Juxtapositionen), der strikten Adjazenz der Namenbestandteile und der Unzulässigkeit der Flexion der linken Komponente morphologische Eigenschaften vor. Nun stellen mehrteilige PersN nicht die einzigen Sequenzen dar, die sowohl syntaktische als auch morphologische Eigenschaften vereinen. In der Literatur werden solche Zwitterkonstruktionen – die je nach Phänomen im Detail unterschiedlich zu analysierende Strukturen aufweisen – für den verbalen und den nominalen Bereich vorgeschlagen. Zum Beispiel analysiert Booij (2010: 94–117) niederländische N+V-Verbindungen vom Typ piano spelen 'Klavier spielen' oder thee drinken 'Tee trinken' als wortähnliche Einheiten mit der internen Struktur [N0 V0]V0. Parallel zu analysierende Phänomene aus dem nominalen Bereich stellen beispielsweise die bereits in Kap. 3.1.1 diskutierten postnominalen unflektierten Adjektive vom Typ Forelle blau oder Juxtapositionen wie Kirchenkomponist Bach dar. Ein weiteres Beispiel für eine nominale Mischform gibt Schlücker (2014: 173–179), die lexikalisch-klassifikatorische A+N-Phrasen vom Typ bunter Abend als wortähnliche Strukturen, allerdings mit phrasaler erster Konstituente (statt lexikalischem Kopf) analysiert ([AP N0]N0). Nominale Sequenzen mit der internen Struktur [Y0 X0]X0 (bei Linksköpfigkeit handelt es sich bei der gesamten Einheit natürlich um Y0-Elemente), zu der auch mehrgliedrige PersN gezählt werden können ([N10 N20]N20), werden – wie bereits erwähnt – von Gallmann (1990, 1999) als ‚Kopfadjunkte’ bezeichnet, um sie von projizierenden Einheiten abzugrenzen. Daneben findet man – vorrangig || 9 Siehe hierzu auch Bach (1952: 66– 79).

82 | Der zweigliedrige Personenname

im englischsprachigen Raum – auch den Begriff ‚syntactic compound‘ 'syntaktisches Kompositum', um auf „word-level objects that are formed in the syntax“ zu referieren (vgl. Liberman & Sproat 1992: 175).10 Aus terminologischer Sicht erscheint mir die Bezeichnung ‚syntaktisches Kompositum‘ als bessere Option, da – wie Schlücker (2014: 174) treffend formuliert – der Begriff ‚Kompositum‘ impliziert, dass es sich bei der komplexen Einheit um eine Worteinheit (N0) handelt, und dass die Konstituenten lexikalische Einheiten sind. Der Begriff ‚syntaktisch‘ wiederum beschreibt die Art der internen Strukturierung, also einen syntaktischen, nicht einen morphologischen Strukturaufbau.

Die Idee, dass Morphologie und Syntax nicht strikt voneinander zu trennen sind, ist nicht neu. In einer typologisch ausgerichteten Studie zeigt Haspelmath (2011) beispielsweise, dass allein die Definition des Wortbegriffs aus übereinzelsprachlicher Perspektive problematisch ist, was wiederum impliziert, dass eine strikte Trennung morphologischer und syntaktischer Einheiten schwierig ist. Wie Jacobs (2011) zeigt, muss auch im Hinblick auf das Deutsche eine exakte Unterscheidung zwischen Wort und Syntagma eher als Idealisierung angesehen werden (vgl. auch Schlücker 2012: 11–14). Schlücker (2014: 179) zieht daraus den Schluss, dass eine strikte Unterscheidung zwischen einem Morphologie- und einem Syntaxmodul „in Anbetracht der Unmöglichkeit einer eindeutigen Unterscheidbarkeit zwischen morphologischem und syntaktischem Strukturaufbau keinen Sinn [macht]“. Viel eher sollte allgemein von einem lexikalischgrammatischen Kontinuum ausgegangen werden, auf dem morphologischsyntaktische Mischformen zwischen eindeutig syntaktischen Phrasen und morphologischen Komposita einzuordnen sind. Da die hier betrachteten Verbindungen aus RufN und FamN aus synchroner Perspektive am ehesten solch eine Mischform darstellen, sollten sie weder als morphologische noch als strikt syntaktische Einheiten gesehen und somit im mittleren Bereich des Kontinuums angesiedelt werden (vgl. Abbildung 9).

|| 10 Daneben gibt es auch das Konzept der ‚lexikalischen Phrasen’, also potentiell produktive phrasale Muster, die im Lexikon angesiedelt sind. Ein von Hoekstra (2003) unter diesem Terminus gehandeltes Phänomen stellen westfriesische Genitivkomposita vom Typ kokensflier 'Küchenboden' dar, die wie ihre deutschen oder niederländischen Pendants durch die Univerbierung pränominaler Genitive entstanden sind, sich jedoch nicht komplett an kanonische N+N-Komposita assimiliert haben, was beispielsweise durch (phrasale) Zweitgliedbetonung oder die obligatorische Definitheit der ersten Komponente deutlich wird.

Der grammatische Status mehrteiliger Personennamen im Gegenwartsdeutschen | 83

Komposita

syntaktische

Phrasen

Komposita

Morphologie

Syntax

Abb. 9: Das Morphologie-Syntax-Kontinuum und die Einordnung syntaktischer Komposita

Diese nicht-modulare Perspektive auf Grammatik, wie sie allgemein auch in konstruktionsgrammatischen Ansätzen (CxG) vertreten wird (vgl. z. B. Goldberg 2013), scheint zur Erfassung des GesamtN-Status die geeignetere zu sein.11 Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, dass PersN bezüglich ihrer Semantik und ihres grammatischen Verhaltens innerhalb des nominalen Bereichs allgemein eine Sonderstellung einnehmen (vgl. Kap. 2 und Kap. 4.3.1) und sich häufig einer Einordnung in nicht-onymische Kategorien widersetzen. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass der Status der Verbindung aus zwei Namen nicht durch eine einfache Kategorisierung erfasst werden kann. Was den synchronen Status grammatischer Mischformen betrifft, so lässt sich die Zwitternatur häufig durch aktuell ablaufende Sprachwandelprozesse erklären. Nicht selten entstehen via Univerbierung aus Phrasen komplexe Wörter (z. B. die Reanalyse pränominaler Genitive als Komposita: [[des tages] [lioht]] > [das [tages lioht]]) oder via Grammatikalisierungsprozess aus Wörtern grammatische gebundene Marker (z. B. die Klitisierung von Determinierern: zu dem > zum). Bei der Verbindung aus RufN und FamN haben wir es aus diachroner Sicht mit einem Onymisierungsprozess zu tun, da sich im Falle der FamN aus einem nominalen, adjektivischen oder proprialen Namenzusatz (loser BeiN) ein fixer Namenbestandteil (FamN) entwickelt. Plank (2011) beschreibt dabei, wel-

|| 11 In diesem theoretischen Framework wäre auch die Annahme einer eigenen PersNKonstruktion im Sinne einer Form-Bedeutungs-Einheit denkbar. Finkbeiner & Meibauer (2016: 47–48), denen es um die Beschreibung der speziellen N-CP-N-Konstruktion geht, erfassen beispielsweise die Verbindung aus RufN und FamN in ihrem Schema-basierten Ansatz in einem Netzwerk aus Namen-Konstruktionen.

84 | Der zweigliedrige Personenname

che weitreichenden Konsequenzen die Proprialisierung für die Morphologie der FamN – die losgelöst von ihren nominalen Vorgängern eine ganz eigene Kategorie darstellen sollen – mit sich bringt. Welche Konsequenzen der funktionale Wandel von der Ein- zur Zweinamigkeit wiederum für die Morphosyntax der RufN+FamN-Verbindung hat, soll im nächsten Kapitel thematisiert werden.

3.2 Vom Beinamen zum Familiennamen Im Folgenden soll zunächst der funktionale Wandel der FamN thematisiert werden. Daraufhin erfolgt eine Darstellung der formalen Veränderungen der Namenbestandteile, die im Zuge der FamN-Fixierung zu beobachten sind. Neben den Verbindungen aus Ruf- und FamN sollen auch Verbindungen aus APP und PersN näher betrachtet und in Beziehung zueinander gesetzt werden.

3.2.1 Die funktionale Entwicklung des Familiennamens vom Bei- zum Hauptnamen Im heutigen Deutschen trägt jede Person mindestens zwei Namen: den individuellen, via Namengebungsakt zugewiesenen RufN und den erblichen, verwandtschaftsanzeigenden FamN. Seit dem 12. Jh. beginnt sich im Deutschen die Doppelnamigkeit zu entwickeln, wodurch das anthroponymische System eine grundlegende Umgestaltung erfährt (vgl. Debus 2009: 87). Zunächst erweitern BeiN die älteren und somit hierarchisch übergeordneten RufN. Diese BeiN beziehen sich – wie dies auch bei heutigen BeiN der Fall ist – auf saliente Situationen oder Merkmale des Namenträgers (siehe 3.2.2). Aufgrund der prinzipiell gültigen identitätssichernden Einnamigkeit können die zum RufN tretenden BeiN im Wesentlichen als charakterisierende Hinzufügungen angesehen werden (vgl. Debus 2009: 88), die aus kommunikativen Bedürfnissen vergeben worden sind. Aus diesen zunächst charakterisierenden Namenzusätzen entwickeln sich später die erblichen FamN. Als Gründe für die Fixierung werden inner- und außersprachliche Faktoren angenommen, wie z. B. die Reduktion des verwendeten RufN-Inventars bei gleichzeitiger Bevölkerungszunahme in den Städten, wodurch die Monoreferenz auf einen Namenträger gefährdet wurde.12 Die Entwicklung des zweigliedrigen PersN-Systems hat sich grob gesagt auf mehreren Ebenen vollzogen, und zwar „regional vom Südwesten in östlicher

|| 12 Für weitere Gründe siehe z. B. Seibicke (2004: 3536).

Vom Beinamen zum Familiennamen | 85

und nördlicher Richtung, sozial von den oberen zu den mittleren und den unteren Schichten und von den Städten aufs Land“ (Seibicke 2004: 3536). Viele Aspekte dieses komplexen Prozesses sind teilweise jedoch noch nicht im Detail geklärt. Neben der Frage nach der Diffusion der FamN stellt sich vor allem auch die Frage nach der Abgrenzbarkeit des BeiN vom FamN. Bereits Bach (1952: 395–398) diskutiert einige mehr oder weniger valide Abgrenzungskriterien, doch auch aktuelle Untersuchungen im Entstehungszeitraum der FamN stoßen immer wieder auf Abgrenzungsprobleme (vgl. z. B. Bergmann & Götz 2009: 297). Abbildung 10 gibt einen Überblick über die sukzessive Entwicklung der Zweinamigkeit.

unfester EN-Zusatz Hichrichs sun

> > >

Beiname

> > >

(fester) Familienname Hinrichsen

Rufname Hartmut 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800 1900 2000

Abb. 10: Das Festwerden der Familiennamen (vgl. Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 145)

Mit der im Laufe des 16. Jh. voranschreitenden Aufwertung des BeiN zum fixen FamN wird dieser laut Blanár (2001: 12) schließlich „zum hierarchisch grundlegenden Glied des Benennungszeichens (Xa  xA)“. Allerdings bleibt der RufN hierarchisch gesehen auch nach der Fixierung des FamN funktional noch lange der Hauptname einer Person, was auch durch FamN-Synonyme wie ‚Zuname‘ oder ‚Nachname‘ ersichtlich wird (vgl. Kunze 42003: 63). Laut Kunze (42003: 63) sprechen auch die folgenden zu beobachtenden Gründe für die vorerst anhaltende höhere Gewichtung des RufN: Personenlisten waren zum Teil noch bis ins 18. Jh. nach dem RufN geordnet und Künstlermonogramme aus dem 15./16. Jh. exponierten die Initiale des RufN stärker als die des FamN. Ein weiteres textlinguistisches Indiz für den zum Teil bis ins 18. Jh. hineinreichenden übergeordneten Status des RufN stellt die Tatsache dar, dass der FamN in (offiziellen) Texten häufig nur am Anfang als Zusatzinformation mitgenannt wird, um die Identifizierung der Person zu gewährleisten (vgl. Kunze 42003: 63). Debus (2009: 105) gibt als Beispiel, dass Martin Luther des Öfteren Dr. Martinus genannt wurde.

86 | Der zweigliedrige Personenname

Auch das dem Nieder-Ingelheimer Haderbuch – eine Sammlung spätmittelalterlicher Gerichtsprotokolle – entnommene und hier in (65) wiedergegebene Beispiel aus dem 15. Jh. veranschaulicht diese Praxis (eigene Hervorhebungen – TA):13 (65)

Hengin Snider hat Henne Haubor angeklagt, dass sein verstorbener Vater ihm 4 Pfund und 5 Schilling schuldig gewesen sei. [...]. Henne hat festhalten lassen, dass Hengin nicht mehr fordert als die genannte Summe und hat anerkannt, das übrige zu sichern binnen 14 Tagen.

Wie in Kap. 2.1.2.3 erwähnt, nahm die satzinterne Großschreibung mit den EN ihren Anfang und gilt laut Bergmann (1999) bereits Mitte des 16. Jh. für über 95 % der Namen. Im Gegensatz zum RufN wird der FamN allerdings – auch auf Empfehlung einiger Grammatiker (vgl. Kunze 42003: 63) – etwas häufiger kleingeschrieben,14 was als ein graphematisches Indiz für die größere Relevanz des RufN gesehen werden kann.15 Während der RufN laut Debus (2009: 105) in ländlichen Gebieten bis heute einen übergeordneten Status hat, so wird der FamN im Standard eindeutig als die Basis der Namensequenz und der offizielle Ausweis einer Person gesehen. Laut Nübling, Fahlbusch & Heuser (22015: 146) sprechen folgende Gründe für diese Annahme: [N]ormalerweise wird mit dem FamN auf Personen referiert, Personenverzeichnisse richten sich nach dem FamN, zur Anonymisierung von Personen kürzt man deren FamN und nicht den RufN ab (Sanel M.), etc. Das Abrücken vom FamN erfordert ein explizites DuzAngebot, was zeigt, dass der FamN-Gebrauch der unmarkierte ist […].

Hier zeigt sich, dass gerade die in einem jüngeren Entwicklungsprozess entstandenen FamN in relativ kurzer Zeit einen gravierenden semantischpragmatischen Wandel durchlaufen haben. Was die FamN als sprachliche Zeichen betrifft, so spricht Plank (2011: 283) davon, dass aus deskriptiven Epiteten (Substantiven und Adjektiven) rigide Designatoren (EN) geworden sind. Dieser semantisch-funktionale Wandel ist laut Plank den morphosyntaktischen Ent-

|| 13 Der Beleg von 1468 ist nach der edierten Fassung der Nieder-Ingelheimer Haderbücher zitiert (vgl. Marzi 2012: fol. 14v). 14 Bergmann & Götz (2009) liefern hierfür Zahlen. 15 Die Großschreibung wird gelegentlich auch als Kriterium zur Abgrenzung der BeiN von den FamN angeführt. Z. B. Bach (1952: 397) steht diesem Punkt jedoch berechtigterweise ablehnend gegenüber.

Vom Beinamen zum Familiennamen | 87

wicklungen, die die einstigen Substantive/Adjektive in ihrem Proprialisierungsprozess durchlaufen, vorgelagert, was wiederum allgemeinen Sprachwandelprozessen entspricht („form follows function“).16 Was die Struktur des GesamtN betrifft, so schlägt sich der funktional übergeordnete Status des FamN auch formal nieder, indem der FamN in der GesamtN-Sequenz immer auch den grammatischen Kopf der Konstruktion darstellt. Ein Blick in die Diachronie soll zeigen, wie sich der grammatische Status der Verbindung aus RufN und FamN über mehrere Jahrhunderte hinweg gewandelt hat. Vorab soll jedoch knapp dargestellt werden, welche syntaktischen Ausgangsstrukturen den heutigen FamN zugrunde liegen.

3.2.2 Die grammatischen Ausgangsstrukturen der Familiennamen Die nicht vererbbaren BeiN hatten charakterisierende Funktion und bezogen sich auf saliente Merkmale bzw. mit dem Namenträger verbundene Situationen. Was die Motivik betrifft, aus denen sich die deutschen BeiN speisen und nach der man die heutigen FamN klassifiziert, so ergeben sich fünf Gruppen (vgl. u. a. Kohlheim 1996). Im Deutschen differenziert man allgemein: – – – – –

FamN aus RufN / Patronyme (Simon) FamN nach dem Beruf (Müller) FamN nach der Wohnstätte (Bach) FamN nach der Herkunft (Frankfurter) FamN aus ÜberN (Klein)

Im Hinblick auf die Entwicklung der grammatischen Struktur des GesamtN ist jedoch weniger die Benennungsmotivik als die syntaktische Ausgangsstruktur der BeiN von Interesse. Tabelle 6 gibt zunächst einen groben Überblick über die verschiedenen grammatischen Bildungsweisen der BeiN. Die Darstellung orientiert sich dabei im Wesentlichen an den Übersichten in Kunze (42003: 68), Seibicke (2004: 3545–3548) und Ackermann (2014: 25).

|| 16 Plank (2011) thematisiert nicht, dass – wie oben erwähnt – auch bereits existierende EN als Basis für FamN dienen. Hier haben wir es mit recyceltem Namenmaterial zu tun, das einen Klassenwechsel vollzieht (z. B. OrtsN > FamN oder RufN > FamN).

88 | Der zweigliedrige Personenname

Tab. 6: Die wesentlichen Bildungsmodelle der deutschen Beinamen (vgl. Ackermann 2014: 25)

MOTIV

BILDUNGSMODELL Determinierer-Namen

RufN

BEISPIEL

Präpositional-Namen

RufN + RufN im Genitiv + Sohn RufN + vom + RufN

Hans Hinrichs sun Hans vom Heinrich

BerufsN

RufN + der/ein + N.

Hans der/ein Maler

ÜberN

RufN + der/die + N. der/die + Adj. + RufN RufN + Präp. + Art. + (Adj.) + N.

Hans der Esel der lange Hans Hans mit dem krummen Bein

RufN + Präp. + Art. + N.

Hans der Gasser Hans an dem Bach

RufN + von + OrtsN

Hans der Baseler Hans von Terpitz

WohnstättenN

RufN + der + N. + -mann/-er

HerkunftsN

RufN + der + OrtsN + -er

Aus Tabelle 6 wird ersichtlich, dass man die verschiedenen Bildungsweisen der BeiN – unabhängig vom jeweiligen Benennungsmotiv – in zwei grammatische Muster unterteilen kann. In der ersten Spalte der Bildungsmodelle finden sich definite Beschreibungen, die, mit Ausnahme der BeiN aus RufN, alle einen Determinierer enthalten. Aufgrund der komplementären Distribution von Artikel und pränominalem s-markiertem EN werden hier jedoch auch Patronyme vom Typ Otten sun zu den DeterminiererN gezählt. In der zweiten Spalte finden sich diejenigen Bildungstypen, die eine Präposition enthalten und daher hier als PräpositionalN bezeichnet werden sollen. Was das syntaktische Verhalten der beiden unterschiedlichen Bildungstypen angeht, so verhalten sich nachgestellte DeterminiererN zum RufN wie lockere Appositionen (vgl. 3.1.1),17 wohingegen den PräpositionalN Attributstatus zugesprochen werden kann. Ein Blick in die Tabelle zeigt zudem, dass sich die einstigen (zumeist) appellativischen Namenzusätze im Zuge ihrer Fixierung zu voll onymischen FamN nicht nur hinsichtlich ihrer Semantik und Pragmatik gewandelt haben, sondern dass sie sich auch auf morphosyntaktischer Ebene von den BeiN dissoziiert

|| 17 Der als DeterminiererN klassifizierte ÜberN-Typ mit pränominalem Adjektivattribut (der lange Hans) stellt eine Ausnahme dar.

Vom Beinamen zum Familiennamen | 89

haben. Exemplarisch wird in Abbildung 11 der Bildungsprozess für FamN, die sich aus RufN entwickelt haben, veranschaulicht.

RufN + RufN im Genitiv + Sohn

RufN + vom + RufN

Hans Hinrichs sun | Hans Otten sun

Hans vom Hinriche | Otten

RufN + RufN im Genitiv Hans Hinrichs | Otten

-son RufN + FamN (aus RufN) -sen Hans Hinrichsen | Ottensen

RufN + FamN (aus RufN)

-s -en

Hans Hinrichs | Otten

RufN + FamN (aus RufN) Hans Hinrich | Otto

Abb. 11: Die grammatische Entwicklung der Familiennamen aus Rufnamen

Wie die Abbildung zeigt, wird als syntaktische Ausgangskonstruktion für Patronyme hauptsächlich eine Abfolge aus pränominalem Genitiv und dem Kopfnomen Sohn angenommen.18 Bei dem FamN-Typ, der mit -sohn/-son/-sen heute noch eine Variante des lexikalischen Kopfs Sohn enthält, wird die GenitivPhrase infolge des häufigen Gebrauchs mit der Zeit zu einem Kompositum univerbiert, was man an Namen wie Mendelssohn oder Martinsohn noch deutlich erkennt. Solche Zusammenrückungen sind auch bei anderen FamN-Typen wie den HerkunftsN (van der Heiden > Verheyen) oder den ÜberN (roter Schädel > Rotschädel) zu finden. Häufig erfolgt zusätzlich eine phonologische Abschwächung des Zweitglieds -sohn (/zo:n/) >-son (/sɔn/) oder -sen (/zən/ bzw. /zn/), wodurch Namen wie Anderson oder Jansen entstehen. Hier merkt Seibicke (2004: 3545) an, dass Bildungen auf -sen, wohl hauptsächlich bei auf /s/ auslau-

|| 18 Zur Zeit der Entstehung der BeiN wurde der Genitiv bei auf Konsonant auslautenden maskulinen Namen mit -(e)s gebildet (starke Deklination), bei vokalisch auslautenden Namen mit -(e)n (schwache Deklination). Für eine detaillierte Darstellung der mhd. Namendeklination siehe Kap. 4.1.2.2.

90 | Der zweigliedrige Personenname

tenden FamN, nicht immer eindeutig von schwachen en-Genitiven zu unterscheiden sind (z. B. bei Klaasen < Klaas-sen vs. Klaas-en).19 Neben den FamN, die eine phonologisch reduzierte Variante des Lexems Sohn aufweisen, existieren auch Patronyme, die nur das Genitivflexiv konserviert haben, wie z. B. Otten (schwache Flexion) oder Steffens (starke Flexion). Die Auslassung des Kopfnomens liegt laut Seibicke (2004: 3545) an der Formelhaftigkeit des Namentyps, die diese Ellipse erlaubt. Daneben existieren auch FamN auf -s – sogenannte sekundäre Patronyme –, die nicht auf einem RufN, sondern einer anderen Kennzeichnung des Vaters basieren: Kurt, des Bäckers Sohn > Kurt Beckers (vgl. Kunze 42003: 63). Hier besteht zudem eine interessante Parallele zur Femininmovierung, bei der auch Typen belegt sind, die lediglich das Genitivsuffix -s als Zugehörigkeitsmarker aufweisen (z. B. Catharina Brunkamp-s, vgl. Steffens 2014: 68–69). Möglich ist also ebenso, dass es sich bei den Patronymen auf -s oder -en gar nicht um Auslassungen des Lexems Sohn handelt, sondern dass hier der Genitiv bereits im Anfangsstadium allein Zugehörigkeit im weitesten Sinne markiert hat (siehe hierzu auch DFA 2012: XXIII und Paul 252007: 342). Den dritten FamN-Typ mit anthroponymischer Basis stellen schließlich bloße, morphologisch nicht markierte RufN, wie z. B. Werner oder Abraham dar. Gerade FamN, die homonym zu noch gebräuchlichen RufN sind, haben sich mit der Zeit graphematisch von ihren Basen dissoziiert. Der Entwicklungspfad dieser endungslosen Patronyme ist Seibicke (2004: 3545) zufolge schwer zu erklären, da die einstigen Flexive in FamN zwar ihre ursprüngliche Funktion verloren haben, aber als FamN-Marker reanalysiert wurden. Während Kunze (42003: 68) annimmt, dass sich die endungslosen Patronyme so wie die morphologisch komplexeren Typen aus der Konstruktion mit pränominalem Genitiv + Sohn entwickelt haben, stellt Seibicke (2004: 3545) die Vermutung an, diese FamNTypen könnten aus dialektal-umgangssprachlichen von-Periphrasen vom Typ Hans vom Hinrich stammen. Wie bei einem Großteil der PräpositionalN (siehe unten) hätten wir es hier mit einem Schwund der Präposition zu tun. Bei diesem Szenario wäre davon auszugehen, dass der RufN, der aufgrund der Dativrektion der Präposition das im Mhd. am Namen übliche starke Flexiv -e oder das schwache -(e)n aufweisen müsste, seine Flexive mit dem Wegfall der Präposition verloren hat. Eine weitere mögliche Ausgangsstruktur könnte die noch heute in Dialekten vorzufindende umgekehrte Serialisierung der Namenbestandteile

|| 19 Laut DFA (2012: 45) besteht diese Ambiguität ebenso bei FamN, die auf -zen enden (wie z. B. Hintzen oder Franzen), da diese Endung auch auf ein schwaches Genitivflexiv oder das patronymische Suffix -sen zurückgeführt werden kann.

Vom Beinamen zum Familiennamen | 91

sein, bei der kompositumsähnliche Verbindungen vorliegen, wie z. B. LorenzSepp > Josef Lorenz (Seibicke 2004: 3545). Diese Serialisierung kommt z. B. in den Ingelheimer Haderbüchern (vgl. Marzi 2011, 2012) frequent vor. Allerdings tritt auch in diesen Abfolgen der FamN (im Nominativ) nicht selten flexivisch markiert auf, während das (Genitiv-)Flexiv bei umgekehrter Abfolge fehlt: Prassen Jekel > Je(c)kel Prass, Melmans Hengin > Hengin Melman(n).20 Am Beispiel der Entwicklung von FamN aus RufN, bei denen eine Funktionsverschiebung innerhalb des Onomastikons stattfindet, lassen sich die wesentlichen grammatischen Entwicklungen aufzeigen, die alle Namenzusätze jeglichen Ursprungs im Zuge ihrer Umkategorisierung oder Proprialisierung durchlaufen. Zum einen werden aus syntaktischen Einheiten morphologische, indem Phrasen zusammengerückt oder auf einzelne Lexeme/Propria gekürzt werden. Der Wegfall von Begleitwörtern wie Präpositionen oder Determinierern, wie bei Hans der Maler > Hans Maler oder Hans von Terpitz > Hans Terpitz wird im Deutschen daher auch als „formales Kriterium für die Abgrenzung zum BeiN herangezogen“ (Marynissen & Nübling 2010: 317). Bei BeiN aus Substantiven/ Adjektiven, die nicht nur einen Funktionswandel, sondern auch einen -wechsel vollziehen, macht sich die Proprialisierung auch flexionsmorphologisch bemerkbar: FamN gehen sukzessive von ihrer nominalen Ausgangsdeklinationsklasse zur onymischen (strukturbewahrenden) Deklination über: ich kenne Hans den Langen > ich kenne Hans Lang. Auch im heutigen Deutschen wird noch ein grammatischer Unterschied gemacht zwischen unfesten BeiN, die ihren Appositions- bzw. Attributstatus beibehalten haben (vgl. (66a) und (67a)) und voll-onymischen fixen FamN (vgl. (66b) und (67b)). (66)

LOCKERE APPOSITION (RufN und BeiN kongruieren, Polyflexion)

a. das Pferd Karls des Dicken b. das Pferd Karl Dicks (67)

ATTRIBUT (standardkonform flektiert nur der RufN) a. die Gedichte Walthers von der Vogelweide b. die Gedichte Ursula von der Leyens

|| 20 Die Belege aus den Jahren 1481 und 1484 stammen aus dem Oberingelheimer Haderbuch (vgl. Marzi 2011: fol. 183 und fol. 222v).

92 | Der zweigliedrige Personenname

Diese diversen Entwicklungen hin zu formfesten Propria können aus verschiedenen Gründen als funktional angesehen werden. Was die Zusammenrückungen (Typ Petersen < Peters Sohn) und Zusammensetzungen (Typ Bachschuster < der Schuster am Bach) betrifft, so entstehen morphologische Einheiten, denen in der Literatur nachgesagt wird, tendenziell eher eine Benennungsfunktion21 aufzuweisen als Phrasen, die eher als Beschreibungen für Objekte oder Sachverhalte dienen (vgl. u. a. Bauer 22003: 135 oder Koptjevskaja-Tamm 2013: 265).22 Die funktionale Verschiebung von BeiN als charakterisierende Namenzusätze hin zu FamN mit einer Identifizierungsfunktion schlägt sich also auch formal nieder. Wie Schlücker (2014: 196) anmerkt, ist [es] naheliegend anzunehmen, dass Komposita durch ihren Wortstatus Vorteile gegenüber Phrasen haben, die vor allem die Erkennbarkeit der Form als Benennungseinheit betreffen. Durch die Wortform wird bei Komposita die Entsprechung von sprachlicher und begrifflicher Einheit eins zu eins abgebildet. Komposita gleichen damit Simplexen. Sie sind nicht nur kürzer, sondern auch formfester als entsprechende Phrasen […].

Die Abbildung einer begrifflichen Einheit durch eine sprachliche Einheit macht die Form dabei nicht nur als Benennungseinheit besser erkennbar, sondern steht auch im Zeichen des konstruktionellen Ikonismus: Die angestrebte 1:1Beziehung zwischen Ausdruck und Referenzobjekt wird erreicht. Der von Schlücker (ebd.) angesprochene Faktor Kürze, der nicht nur durch Zusammenrückungen und -setzungen, sondern auch durch den bei deutschen FamN zu beobachtenden Wegfall von Begleitwörtern oder all die anderen radikalen Kürzungen und Reduktionen erfüllt wird, ist vor allem im Hinblick auf die Funktion der FamN als reine Identifikatoren, deren Memorierbarkeit erschwert ist, als funktional anzusehen. Nübling (2000: 288), die die ideale Struktur von EN im Allgemeinen thematisiert, formuliert es wie folgt:

|| 21 Auch wenn die Benennungsfunktion eng mit der klassifikatorischen Bedeutung verbunden ist, gibt es auch im appellativischen Bereich Benennungseinheiten ohne klassifikatorische Bedeutung. Beispiele aus dem appellativischen Bereich sind Zusammenrückungen wie Vergissmeinnicht. Bei FamN bleicht die lexikalische Semantik im Zuge der Proprialisierung komplett aus – ein Herr Bachschuster beispielsweise kann auch Professor sein –, sodass ihnen eher eine identifikatorische Funktion zukommt. 22 Eine solche Arbeitsteilung zwischen Syntax und Morphologie ist nicht durchgängig gültig und kann allenfalls als Tendenz gesehen werden, da auch Phrasen als Benennungseinheiten dienen können und Komposita auch singuläre Ereignisse, Sachverhalte oder Objekte beschreiben. Für eine Diskussion dieses Sachverhalts siehe Schlücker (2014: 189–198) und die dort angegebene Literatur.

Vom Beinamen zum Familiennamen | 93

Dieser Etikettencharakter [der EN als monoreferente Identifikatoren ohne semantisches Potential – TA] sollte vermuten lassen, dass morphologische Komplexität bei EN afunktional ist. Es sollte zu erwarten sein, dass die von der Appellativik ererbten polymorphematischen Strukturen abgebaut werden und in einen monomorphematischen Ausdruck übergehen. Der ideale Eigenname sollte daher morphologisch eingliedrig sein.

Ausdruckskürze wird bei den schwer memorierbaren EN also allgemein als Ideal angesehen, was sich bei den FamN in den zahlreichen Monomorphematisierungen, Kürzungen und Reduktionen widerspiegelt. Einschränkend muss jedoch hinzugefügt werden, dass – ebenfalls aus Memorierungsgründen – partielle Transparenz, also eine teilweise Anbindung an existierende Strukturen wie bei den FamN vom Typ Lehmann oder Schmitz ebenso erwünscht sein kann (vgl. Nübling 2000). Der damit zum Teil konfligierende Parameter Kürze ist bei der Entwicklung der FamN also nicht die einzig wirksame Kraft. Als letzter Faktor ist die von Schlücker (2014: 196) genannte Formfestigkeit morphologischer Einheiten gegenüber phrasalen Strukturen von Bedeutung. Da der FamN gegenüber seinem Vorgänger nicht mehr charakterisiert, sondern etikettengleich Direktreferenz leistet, ist eine konstante Struktur des Wortkörpers, die die Funktion des Namens als rigider Designator ausdrucksseitig widerspiegelt, als konstruktionell ikonisch anzusehen (vgl. Mayerthaler 1981: 152). Diese Formfestigkeit findet sich schließlich nicht nur in den morphologischen Strukturen der FamN (Karl den Dicken vs. Karl Dick), sondern auch in ihrer flexionsmorphologischen Invarianz, die sich ab dem Mhd. langsam zu entwickeln beginnt und sich bis heute weiter durchsetzt (vgl. Kap. 4). Wie in Kap. 3.1 gezeigt, zeichnet sich auch die Kombination aus FamN und vorangehendem RufN im Deutschen durch interne Invarianz aus: Wenn überhaupt, dann wird nur der rechte Kopf der Konstruktion flexivisch markiert. Wie an der Gegenüberstellung von Bei- und FamN im Gegenwartsdeutschen ersichtlich wird (vgl. (66) und (67)), hat auch der Grad der Fixierung des Namenkomplexes Einfluss auf sein flexivisches Verhalten. Im nächsten Kapitel soll nun anhand diachroner Korpusdaten gezeigt werden, wie sich der GesamtNKomplex flexionsmorphologisch sukzessive verfestigt hat und inwiefern sich die oben beschriebene funktionale Entwicklung des FamN auch formal niederschlägt.

94 | Der zweigliedrige Personenname

3.3 Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens23 Im Fokus der diachronen Korpusstudie steht der morphosyntaktische Fixierungsprozess der Verbindungen aus voll-onymischem RufN und FamN. Da der Zeitpunkt für die Herausbildung der hier interessierenden voll-onymischen FamN ungefähr im 16. Jh. abgeschlossen war (vgl. Abbildung 10), bietet sich eine genauere Betrachtung des GesamtN-Komplexes in einem Zeitraum zwischen dem 16. und dem 18. Jh. an.

3.3.1 Beschreibung des Korpus Eine diachrone Untersuchung des Flexionsverhaltens zweigliedriger PersN erfordert ein Korpus, das einerseits über mehrere Zeitstufen hinweg hinsichtlich der Textsorte konsistent ist und andererseits genug Anthroponyme enthält, um quantitative Aussagen zuzulassen. Da das morphosyntaktische Verhalten der Verbindung aus Ruf- und FamN untersucht werden soll, ist es wichtig, dass beide Namenbestandteile häufig genug in Kombination auftreten. Wie in Kap. 3.2.1 erwähnt, erfolgte bis ins 18. Jh. hinein auch in offiziellen Texten häufig nur die einmalige Nennung des FamN, da der RufN noch lange nach der Fixierung des FamN der HauptN einer Person blieb. Daneben ist es relevant, dass die GesamtN-Konstruktion nicht – wie bei reinen Namenlisten – isoliert, sondern im syntaktischen Kontext auftritt. Als eine Quelle, die all diese Anforderungen erfüllt, haben sich die Titelblätter von Büchern erwiesen. Dabei ist zu erwähnen, dass die Titelblätter der Frühen Neuzeit – was Umfang, Gestaltung und Informationsgehalt betrifft – wenig mit den heute üblichen Titelblättern von Büchern gemein haben. Wie Götz (2012: 237–238) anmerkt, gibt es für die sich ab 1490 etablierenden Titelblätter zunächst keine Standards bezüglich der erforderlichen Informationen. Daneben sind die Titelblätter – wie alle anderen fnhd. Sprachzeugnisse auch – von Variation geprägt, die jedoch weniger das flexivische Verhalten der Namenbestandteile als die Graphematik betrifft. Abbildung 12 zeigt ein solches, sprachlich in der Epoche des Fnhd. zu verortendes Titelblatt aus dem südwestlichen deutschen Sprachraum. Es enthält neben dem Titel der Chronik (Von den drey ║vnd viertzig alten/ noht ║ueſten vñ ſtarcken helden […]) auch den Namen des Verfassers oder Bearbeiters Jacob

|| 23 Kap. 3.3 basiert z. T. auf Ackermann (2014).

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 95

Frey, der hier im Akkusativ steht und sowohl Ruf- als auch FamN-Flexion aufweist (Jaco= ║ben freyen).

Abb. 12: Exemplarisches Titelblatt aus dem 16. Jahrhundert (Jacob Frey: Von den drey || vnd viertzig alten/ noht || uesten vñ starcken helden […], Straßburg 1562) 24

Die Grundlage meiner Untersuchung bildet ein 750 Titelblätter umfassendes Korpus, das einen Zeitraum von drei Jahrhunderten (1490 – 1800) abdeckt und

|| 24 Das abgebildete Titelblatt ist dem Titelblatt-Korpus entnommen. Das entsprechende Digitalisat wird von der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt zur Verfügung gestellt und unterliegt einer CC-Lizenz: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd16/content/pageview/ 1205356; letzter Zugriff: 28.05.2018.

96 | Der zweigliedrige Personenname

Informationen über Erscheinungsjahr, -ort und Textsorte enthält. Dabei wird der niederdeutsche, der ost- und westmitteldeutsche sowie der nord-, ost- und westoberdeutsche Sprachraum abgedeckt. Die 600 Titelblätter aus dem 16. und 17. Jh. wurden im Rahmen des DFG-Projekts „Die Syntax von Titelblättern des 16. und 17. Jahrhunderts“ zusammengestellt (vgl. Götz et al. 2017: 35–42). Die 150 Titelblätter aus dem 18. Jh. habe ich über VD 18 – ein digitales Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts25 – selbst zusammengestellt. Um auf die 150 Titelblätter aus dem 18. Jh. zu kommen, wurden die ersten 576 Titelblätter aus der Pilotphase des VD 18 durchgesehen, wobei nur die deutschsprachigen Titelblätter mit Orts- und Jahresangabe berücksichtigt wurden. Tabelle 7 zeigt die quantitativen Verhältnisse im Korpus. Tab. 7: Zusammensetzung des Korpus nach Zeitabschnitten, Anzahl der Titelblätter und der zweigliedrigen Personennamen im syntaktischen Kontext (außer Nominativ)

TITELBLÄTTER

ZWEIGLIEDRIGE PERSONENNAMEN

Akkusativ & Dativ

Genitiv

16. Jh. (1490–1599)

330

211

52

17. Jh. (1600–1699)

270

330

130

18. Jh. (1700–1800)

150

148

60

gesamt

750

689

242

Wie Tabelle 7 zu entnehmen ist, weisen die Titelblätter 242 zweigliedrige PersN im Genitiv und 689 Namen in anderen obliquen Kasus auf. Dabei wurden nur GesamtN berücksichtigt, bei denen sowohl der Ruf- als auch der FamN in ungekürzter Form vorlag. Auch unberücksichtigt blieben Verbindungen aus RufN und offensichtlichem BeiN (wie z. B. Namen historischer Personen vom Typ Friedrich der Große), da sie – wie bereits erwähnt – noch heute ihren Appositions- bzw. Attributstatus beibehalten haben und nicht wie gewöhnliche zweigliedrige PersN flektieren. Die Unterteilung der Tokens erfolgt nach Kasus, da für die diachrone Untersuchung des flexivischen Verhaltens der einzelnen Namenbestandteile nicht alle Kasus gleich repräsentativ sind. Der Nominativ wurde – wie bei der Dekli|| 25 Der Zugriff erfolgte in 09/2012 über . Aktuell ist die Pilotphase abgeschlossen; Informationen zum VD18 sind nun über folgenden Link zu finden: , letzter Zugriff am 21.03.2018.

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 97

nation der Nicht-Propria – in keiner Zeitstufe des Deutschen via Flexiv am Personennamen markiert, weshalb er hier ausgeschlossen wird. Dativ und Akkusativ hingegen wurden zwar z. T. noch bis ins 19. Jh. hinein flexivisch am Namen markiert, doch im Gegenwartsdeutschen haben lediglich einige ostmitteldeutsche und südschweizer Dialekte diese Endungen konserviert (vgl. OMD: ich gehe zu Peter-n).26 Die Datenanalyse im nächsten Kapitel zeigt, dass der Abbau der Akkusativ- und Dativendungen im Titelblattkorpus bereits im dritten Zeitabschnitt des Untersuchungszeitraums (18. Jh.) sehr weit vorangeschritten ist. Da eine Markierung des Genitivs über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg zu beobachten ist, eignet sich dieser Kasus besser für eine diachrone Betrachtung.

3.3.2 Darstellung und Diskussion der Ergebnisse Die aus den Titelblättern gewonnenen Daten für zweigliedrige PersN im Akkusativ und Dativ zeigen, dass im 16. sowie im 17. Jh. verschiedene flexivische Varianten möglich waren (vgl. Abbildung 13). Im 16. Jh. überwiegen die flexivisch markierten Namen (60,1 %) knapp gegenüber den unflektierten Namen. Wird ein zweigliedriger PersN flexivisch markiert, dann erfolgt am häufigsten die doppelte Markierung am Ruf- und FamN. Dabei findet sich sowohl die deutsche Deklination (68a) als auch die lateinische (68b) sowie Mischtypen mit deutschen und lateinischen Flexionsendungen (68c).27 Wie die Beispiele zeigen, werden nicht nur bei fremden Personennamen die fremden Flexionsendungen belassen, wie Steche (1927: 145) anmerkt, sondern es weisen auch Namen nichtlateinischen Ursprungs (wie z. B. Friedrich oder Dedekind) lateinische Flexionssuffixe (wie -um oder -am) auf. (68)

a. durch den Ehrnvesten und Fürnemmen Mangen Seütern (NOM.: Mang Seuter) [Augsburg, 1588] b. durch den wolgelerten M Fridericum Dedekindum (NOM.: Friedrich Dedekind) [Frankfurt a. M., 1553] c. durch Andream Langen (NOM.: Andreas Lang)

[Weißenfels, 1569]

|| 26 Kap. 4.1 befasst sich ausführlich mit der Kasus-Deflexion der PersN sowie möglichen Erklärungsansätzen. 27 Die Hervorhebungen in den Beispielen stammen von mir.

98 | Der zweigliedrige Personenname

Während die alleinige Deklination des RufN im 16. Jh. recht frequent zu finden ist (bey Wolffen Köpfel), spielt die alleinige Markierung des FamN (durch Caspar Güteln) eher eine marginale Rolle. Im 17. Jh. überwiegt im Akkusativ und Dativ weiterhin die Namendeklination mit 64 %. Während bei der Doppelflexion und der alleinigen Markierung des RufN ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist, gewinnt die alleinige flexivische Markierung des FamN an Bedeutung und macht nun fast ein Viertel der 330 Belege aus. 100% 80% 60% 40%

40%

9%

36%

83% keine Flexion

25%

FamN-Flexion

23% 16%

RufN-Flexion

20% 28%

23%

0%

10% 4%

16. Jh.

17. Jh.

18. Jh.

n = 211

n = 330

n = 148

Doppelflexion 3%

Abb. 13: Die Flexion der Namenbestandteile in zweigliedrigen Personennamen im Dativ und Akkusativ

Über den weiteren Verlauf der flexivischen Markierung der Namenbestandteile können mit Hilfe des Titelblatt-Korpus anhand der Namen im Akkusativ und Dativ keine Aussagen gemacht werden, da der Flexionsabbau am Namen im 18. Jh. – und zwar vor allem ab der zweiten Hälfte dieses Jh. – bereits weit vorangeschritten ist. Die Titelblatt-Daten bestätigen somit die Aussagen der normativen Grammatiker des 18. und 19. Jh., die anmerken, dass die -(e)n-Endung langsam als veraltet und geringschätzig empfunden wurde (vgl. z. B. Heynatz 1785: 179 und Hünerkoch 1805: 142). Wie Abbildung 13 zeigt, sind nicht einmal mehr 20 % der Namen im Akkusativ und Dativ flexivisch markiert. Erfolgt eine Dativ- oder Akkusativ-Markierung am zweigliedrigen PersN, dann tendenziell eher ausschließlich am FamN (10 %). Die zweigliedrigen PersN im Genitiv bilden mit einer Tokenfrequenz von 242 zwar eine kleinere Datengrundlage, erlauben jedoch eine Betrachtung der Namenflexion über alle drei Zeitstufen hinweg, da die Deflexion in diesem Kasus

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 99

erst später einsetzt (vgl. 4.1). Im 18. Jh. sind noch über 90 % der auf den Titelblättern zu findenden PersN im Genitiv flexivisch markiert; im Akkusativ und Dativ gilt dies nicht einmal für ein Fünftel der Namen. Ein Blick auf die Markierung der Verbindungen aus RufN und FamN zeigt, dass sich das flexivische Verhalten der Namenbestandteile im Genitiv über die drei betrachteten Jahrhunderte stark gewandelt hat (vgl. Abbildung 14). Während im 16. Jh. mit 56 % die Doppelflexion der Namenkomponenten überwiegt, hat sie sich bereits zwei Jahrhunderte später auf nur noch 12 % reduziert. Auch im Genitiv finden sich Belege mit deutschen, lateinischen sowie teils deutschen und teils lateinischen Flexiven (vgl. die Bsp. in (69)): (69)

a. in Johannen vom Bergs Druckerey

[Nürnberg, 1568]

b. Philippi Theophrasti Paracelsi von Hohenhaim etliche Tractetlein [München, 1570]

c. Sieben Köpffe Martini Luthers

[Leipzig, 1529]

Während die Doppelflexion sukzessive zurückgeht, steigt der Anteil der Gesamtnamen, bei denen der Genitiv nur am FamN flexivisch markiert wird, von 33 % im 16. Jh. auf 78 % im 18. Jh. an. Dieser Befund deckt sich mit der Aussage Schötensacks (1856: 118), der für das Deutsche im 18. Jh. anmerkt, dass die Kombination aus Ruf- und FamN wie ein „zusammengesetztes Substantiv“ flektiert wird, bei dem der rechts stehende FamN dem „Grundwort“ gleicht.

100% 80%

2% 10% 33%

78% FamN-Flexion 56% Doppelflexion

20% 0%

keine Flexion

55%

60% 40%

7%

31% 4%

12% 3%

16. Jh.

17. Jh.

18. Jh.

n = 52

n = 130

n= 60

9%

RufN-Flexion

Abb. 14: Die Flexion der Namenbestandteile in zweigliedrigen Personennamen im Genitiv

100 | Der zweigliedrige Personenname

Die alleinige Markierung des RufN ist mit knapp 10 % bereits im ersten Zeitabschnitt nur marginal vertreten, geht über zwei Jahrhunderte jedoch noch weiter zurück, sodass dieses Flexionsmuster im 18. Jh. nur noch bei zwei Verbindungen aus Ruf- und FamN auf den Titelblättern vorkommt. Bei diesen beiden Belegen handelt es sich um PräpositionalN (von Ludewig und von Falckenstein), weshalb nicht auszuschließen ist, dass hier eher Bei- als FamN vorliegen, bei denen standardsprachlich noch heute nur der RufN flektiert. Ein weiteres, bei den Titelblattbelegen eher marginales Flexionsmuster stellt die Flexionslosigkeit beider Komponenten des zweigliedrigen PersN dar. Während noch im 16. Jh. nahezu immer mindestens ein Namenbestandteil im Genitiv flexivisch markiert wurde, so finden sich im Zeitraum von 1600 – 1699 erste Belege für die volle syntagmatische Deflexion am Namenkörper (vgl. (70)). (70)

Des Wol-Edelgebornen und gestrengen Herren/Hern Wolff Helmhard [Regensburg, 1660]

Diese Monoflexion, d. h. die alleinige Flexion von Determinierer und ggf. Adjektiv(en) innerhalb einer genitivischen Nominalgruppe, die nicht kongruierend am PersN realisiert wird, hat sich seit dem 18. Jh. zunehmend eingestellt (vgl. 4.1.4) und ist im Gegenwartsdeutschen als Default anzusehen (vgl. 5.1.1.2). Die Grafik suggeriert zwar, dass im 18. Jh. gegenüber dem vorigen Jh. ein leichter Rückgang der Monoflexion zu verzeichnen ist. Dies liegt allerdings daran, dass in der Grafik prä- und postnominale Genitivattribute – bei 99 % der Belege handelt es sich um adnominale Genitive – aggregiert dargestellt werden. Während sich im 16. Jh. auf den Titelblättern in etwa gleich viele prä- und postponierte Genitive finden lassen, überwiegt im 17. Jh. die Abfolge Kopfnomen vor genitivischem GesamtN und im 18. Jh. die umgekehrte Serialisierung (vgl. Abbildung 15). 75%

69%

70%

65% 55% 45%

52% 48%

postnominal pränominal

35% 31%

25%

30%

16 Jh.

17. Jh.

18. Jh.

n = 52

n = 127

n = 60

Abb. 15: Die Stellung der adnominalen zweigliedrigen Personennamen im Genitiv

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 101

Ein Blick auf die Flexion zweigliedriger PersN in Abhängigkeit ihrer Stellung zum Kopfnomen macht nun deutlich, dass sich gerade im 17. und 18. Jh., also dem Zeitraum, in dem je eine Stellungsvariante überrepräsentiert ist, die Flexionsverhältnisse signifikant unterscheiden.28 Wie Abbildung 16 veranschaulicht, liegt ein großer Unterschied im Vorkommen flexivisch nicht markierter GesamtN: Während bei den pränominalen PersN die Deflexion in keinem der drei untersuchten Zeitabschnitte eine Rolle spielt (entweder Wolffen Helmhards Thesen oder Wolff Helmhards Thesen, nie (des) Wolff Helmhard Thesen), beginnt sich die alleinige Markierung des Genitivs am Determinierer statt am PersN selbst bei Postponierung ab dem 17. Jh. herauszubilden (die Thesen des Wolff Helmhard). Da die Poststellung im 17. Jh. überwiegt, schlägt die flexivische Nicht-Markierung des Namens in der aggregierten Darstellung in Abbildung 14 natürlich mehr zu Buche, wohingegen sie im 18. Jh. aufgrund der Unterrepräsentation postnominaler Genitivattribute rückläufig erscheint. In der separaten Darstellung zeigt sich jedoch, dass die Monoflexion, die nur bei postponierten Namen vorkommt, ab dem 17. Jh. sukzessive zunimmt.29 Die Entwicklung der Monoflexion bei RufN in Genitivphrasen wird in Kap. 4.1.4 anhand eines größeren RufN-Samples ausführlich dargestellt. Ein weiterer Unterschied zwischen prä- und postponierten Gesamtnamen im Genitiv liegt hinsichtlich der Doppelflexion vor: Bei Namen in Prästellung scheint sich die konservativere flexivische Markierung aller Namenbestandteile länger zu halten als bei Namen in Poststellung. Dieses Muster ist interessanterweise auch bei genitivischen Juxtapositionen mit Determinierer zu erkennen (vgl. 3.3.3). Insgesamt lassen aber auch die Einzeldarstellungen deutlich erkennen, dass sich im 18. Jh. weitestgehend die alleinige Flexion des FamN als dominantes Muster bei zweigliedrigen GesamtN (ohne Determinierer) im Genitiv durchgesetzt hat.

|| 28 Fisher-Exakt-Test: 17. Jh. Prä- vs. Poststellung: p = 0,003**, df = 3, Cramér’s V = 0,32; 18. Jh. Prä- vs. Poststellung: p = 0,007**, df = 3, Cramér’s V = 0,44. Für alle Kalkulationen wurde – wenn nicht anders angegeben – die R-Statistik-Software genutzt (R Core Team 2017). 29 Monoflexion bei präponierten Namen wird ab dem 18. Jh. generell unwahrscheinlich, da Genitivattribute mit Determinierer von da an aufgrund eines syntaktischen Wandels sukzessive postponiert auftreten (vgl. Kap. 3.3.3 zu genitivischen adnominalen Juxtapositionen mit Determinierer und Kap. 4.1.4 für eine allgemeine Darstellung des Stellungswandels im Deutschen).

102 | Der zweigliedrige Personenname

pränominal

postnominal 100%

4%

90% 80%

13%

22%

30%

36% 46%

70% 60%

60%

50% 40%

86% 61%

52% 60%

30%

51%

20% 10%

23% 15%

0%

17% 5%

10% 4%

3%

5%

16. Jh.

17. Jh.

18. Jh.

16. Jh.

17. Jh.

18. Jh.

n =27

n = 88

n = 18

n = 25

n = 39

n = 42

RufN-Flexion

Doppelflexion

FamN-Flexion

keine Flexion

Abb.16: Die Flexion bei zweigliedrigen Personennamen als post- und pränominale Genitivattribute

Somit zeigen die in diesem Kapitel datenbasiert diskutierten Entwicklungen der Flexion von RufN und FamN, dass sich nicht nur der bei der Fixierung der Zweinamigkeit und der Herausbildung des FamN als Namenhauptbestandteil beschriebene funktionale Wandel beobachten lässt, sondern dass auch ein formaler Wandel stattgefunden hat. Diesen Wandel beschreibt Bach (1952: 63) wie folgt: Als nach dem Wegfall der Beifügung Sohn [...], des Wörtchens von [...], des Artikels [...], der Präposition mit dem Artikel [...] nur aus zwei Wörtern bestehende Wortgruppen entstanden waren [...] – erst damals bildete sich der Zustand heraus, daß man den aus zwei Gliedern (RN und FN) bestehenden Gesamtnamen als Einheit faßte und nur den FN flektierte. Diese neue Beugungsweise wurde schließlich unter dem Zwang der Analogie auch auf die nicht gekürzten (mehr als zweigliedrigen) Namen übertragen.

Allerdings geht Bach (1952: 64) davon aus, dass die alleinige FamN-Flexion, die sich auf den Titelblättern ab dem Ende des 17. Jh. durchzusetzen beginnt, bereits zwei Jahrhunderte früher, also bereits Ende des 15. Jh., abgeschlossen war. Dass die Doppelflexion im hier betrachteten Korpus noch im 16. und 17. Jh. so prominent ist, mag mitunter auch am lateinischen Einfluss liegen, der – vor allem bei den zahlreichen Übersetzungstexten – nicht zu übersehen ist. Wie

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 103

Adelung (1782: 516) anmerkt, wurde die lateinische Deklination lateinischer oder mit lateinischen Suffixen versehener PersN unter Gelehrten noch bis ins 18. Jh. als „schickliche Beugung“ empfohlen, die Ehrerbietung gegenüber dem Bezeichneten ausdrückte. Steche (1927: 145), der sich diesem Usus gegenüber kritisch äußert, verortet die Hochphase der lateinischen PersN-Flexion im 16. und 17. Jh., was sich anhand der Titelblatt-Daten nur bestätigen lässt. Besonders interessant erscheint die von Adelung (1782: 516) genannte Tatsache, dass mit der lateinischen Endung Wertschätzung bzw. mit der Wahl eines deutschen Flexivs Geringschätzung ausgedrückt wurde. Hier haben wir es also mit einem morphopragmatischen Phänomen zu tun. Es bleibt zu untersuchen, ob lateinische Deklinationsendungen (gegenüber deutschen) bei größerer Ehrerbietung gegenüber dem/der ReferentIn tatsächlich häufiger zu verzeichnen sind. Laut Gallmann (1990: 307) ist für ältere indogermanische Sprachen wie Latein eine sogenannte fächerförmige Vererbung, bei der alle nominalen Wortformen immer kasusbestimmt sind, geradezu typisch, was er an dem Beispiel mors [Gaii Julii Caesaris] 'der Tod von Gaius Julius Cäsar' veranschaulicht. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass neben den lateinischen Flexiven auch das Prinzip der Doppelmarkierung an beiden Namenbestandteilen in Analogie zur Prestigesprache Latein übernommen wurde und somit ein Zustand, der auch in älteren deutschen Sprachstufen Standard gewesen ist (vgl. Gallmann 190: 307), auf den von Gelehrten verfassten Titelblättern länger konserviert blieb (siehe auch 4.1.4). Hier zeigt sich, dass eine generelle zeitliche Einordnung des formalen Wandels des GesamtN aufgrund der Spezifik des betrachteten Korpus und dem pragmatisch gesteuerten Einfluss des Lateinischen im untersuchten Zeitraum nicht möglich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Fixierung der FamN als obligatorische vererbliche Namenbestandteile im deutschsprachigen Raum auf verschiedenen Ebenen (geographisch und sozial) unterschiedlich schnell verlaufen ist. Dennoch lässt sich eine eindeutige Tendenz bezüglich der Richtung und der Zeitspanne des abgelaufenen morphosyntaktischen Wandels erkennen: Innerhalb von nur drei Jahrhunderten hat sich die flexivische Markierung des GesamtN stark in Richtung alleiniger Flexion des FamN entwickelt, der nun funktional und formal als Kopf der fixierten GesamtN-Konstruktion anzusehen ist. Bereits auf dem Weg vom BeiN zum FamN wurden typische syntaktische Merkmale abgebaut: Bei den ursprünglichen DeterminiererN, die als lockere Appositionen mit Kasus-Kongruenz zwischen Apposition (BeiN) und Kopf (RufN) analysiert werden können (Typ Hugen des Müllers), und den ursprünglichen PräpositionalN, die Attributstatus hatten und somit alleinige RufN-Flexion aufweisen (Typ Hugen am Bach), fielen sukzessive die Begleitwörter weg. Die-

104 | Der zweigliedrige Personenname

sen Wandel erklärt sich Behaghel (1923: 101) dadurch, dass der mehrteilige Name „zur Einheit zusammengewachsen“ und der Determinierer somit funktionslos geworden sei. Die daraus entstandenen Juxtapositionen entwickeln sich nun über die RufN- oder Polyflexion hin zu obligatorisch rechts-flektierenden Einheiten (syntaktische Komposita). Abbildung 17 fasst diese Entwicklungen schematisch zusammen. Hier wird deutlich, dass die Proprialisierung vom APP zum EN zwar abrupt, die grammatische Dissoziation von der nicht onymischen Ausgangsstruktur jedoch kontinuierlich verläuft.

Namenstatus

Beiname

>

Familienname

funktionaler Wandel

Namenzusatz

>

fester Bestandteil > Hauptname

grammatischer Wandel

Apposition/Attribut

Entwicklungsstufen

Wegfall Begleitwörter > Abbau Polyflexion > Kopfflexion

>>>

Kopf eines syntakt. Kompositums

1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800 1900 2000

Abb. 17: Der Verlauf der funktionalen und grammatischen Entwicklung der Familiennamen aus Beinamen

Im nächsten Kapitel soll ein Vergleich mit der Entwicklung der Flexionsverhältnisse in Juxtapositionen mit Determinierer angestellt werden.

3.3.3 Ein datenbasierter Vergleich mit der Entwicklung der Juxtapositionen In Kap 3.1 wurden die strikt rechtsköpfigen zweigliedrigen Personennamensequenzen (Typ Peter Mayers) von Juxtapositionen abgegrenzt, die sich durch die obligatorische Anwesenheit eines Determinierers und daraus resultierende Linksköpfigkeit (Typ des Rechtsanwalts Mayer) auszeichnen. Im Folgenden soll nun gezeigt werden, wie sich diese heute linksköpfigen Sequenzen über einen Zeitraum von drei Jahrhunderten flexivisch entwickelt haben. Als Korpus wurde hierzu das DTA gewählt (siehe auch 4.1.1), das zum Zeitpunkt der Datenerhebung (05/ 2014) ca. 1.300 Texte des 17. bis 19. Jahrhunderts (ca. 100 Millionen Textwörter) umfasste und hinsichtlich unterschiedlicher Disziplinen und Textsorten ausgewogen war. Neben der Größe und der ausgewogenen Textsortenverteilung ist die – zumindest für den nicht-onymischen Wortschatz recht zuverlässige – linguistische Annotierung der automatisch

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 105

durchsuchbaren Texte ein großer Vorteil des DTA (vor allem gegenüber dem Titelblatt-Korpus). Da die Entwicklung der Flexion in appositiven Syntagmen nicht in eine konkrete Beziehung zur Entwicklung der Flexion mehrteiliger PersN gesetzt werden soll, sind die Unterschiede zwischen DTA und Titelblattkorpus vernachlässigbar. Um die Herausbildung der Linksköpfigkeit in Juxtapositionen zu untersuchen, wurde im gesamten Korpus nach der Abfolge 'Determinierer + König + EN' im Genitiv gesucht.30 Alle 1.065 Belege wurden anschließend analog durchgesehen und nach Flexionsart (Polyflexion, alleinige Flexion des APP, alleinige Flexion des EN, keine Flexion) sowie Typ und Stellung der Genitivphrase (Genitivattribut in Prä- vs. Poststellung, Genitivobjekt, adpositional regierte Genitivphrase) kodiert. Dabei mussten 122 Fehlbelege aussortiert werden, bei denen die Apposition fälschlicherweise als EN annotiert war, stattdessen jedoch z. B. ein appellativisches Kopfnomen darstellt (z. B. es were des Königes VetterAPP in [gottfried_ historia_1631: 386]). Die erhobene Stichprobe enthält somit 943 Belege mit appositivem Syntagma im Genitiv, bestehend aus einem Definitartikel (+ evtl. Adjektiv), dem APP König und einem darauffolgenden EN. Fast die Gesamtheit der Belege machen dabei adnominale Juxtapositionen aus (98,5 %). Hierzu ist anzumerken, dass komplexe Genitivattribute – wie in (71) exemplifiziert – mit Determinierer bis ins 18. Jh. sowohl in Prä- als auch in Poststellung frequent vorkommen. (71)

a. preyset [[deß Königs Salomons]ATTR [Leute]KOPF] [reinkingk_policey_1653:245]

b. durch [[den Mund]KOPF [deß weisen Königs Salomons]ATTR] [dannhauer_catechismus05_1654:410]

Die Abfolge in (71a) mit pränominalem Genitivattribut gilt im Gegenwartsdeutschen gegenüber der Abfolge Kopfnomen vor komplexem Genitivattribut als markiert (vgl. 2.1.2.2 und 5.1). Abbildung 18 zeigt, wie sich die Poststellung von komplexen genitivischen Juxtapositionen mit Determinierer sukzessive über drei Jahrhunderte hinweg durchgesetzt hat. Während im 17. Jh. hinsichtlich der Position komplexer Genitivattribute noch nahezu eine 50:50-Verteilung vorliegt, entwickelt sich die Poststellung im 18. Jh. zum dominierenden Muster; nur noch fast ein Drittel der Belege weist Prästellung auf. Bereits ein Jahrhundert später hat sich die Poststellung mit 96 % nahezu komplett durchgesetzt. || 30 Die konkrete Suchanfrage lautete: "@ deß|s König $p=NE". Zusätzlich wurde nach Abfolgen gesucht, die ein bis zwei attributive Adjektive enthalten: "@deß|s $p=ADJA ($p=ADJA) König $p=NE".

106 | Der zweigliedrige Personenname

100%

96%

80% 60% 40%

68% 52% 48%

postnominal pränominal

32%

20%

4%

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 356

n = 143

n = 430

Abb. 18: Die Entwicklung der Poststellung von adnominalen genitivischen Juxtapositionen mit Determinierer im DTA

Ebenso wie sich die Stellung der im Sample überwiegenden attributiven Juxtapositionen geändert hat, so hat sich auch das hier primär interessierende flexivische Verhalten der Bestandteile appositiver Syntagmen gewandelt. Die strikte Linksköpfigkeit von Juxtapositionen, so wie wir sie heute vorfinden, scheint ein relativ junges Phänomen zu sein, das sich erst im 19. Jh. als dominantes Muster etabliert hat. Ein Blick auf Abbildung 19, die die Entwicklung des flexivischen Verhaltens in genitivischen Juxtapositionen über drei Jahrhunderte darstellt, macht deutlich, dass Polyflexion noch im 17. und 18. Jh. ein gängiges Flexionsmuster war.

100%

1% 5%

1%

51%

53%

2%

3% 3%

80% keine Flexion

60% 94%

40% 20%

EN-Flexion Doppelflexion

44%

44%

APP-Flexion

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 364

n = 147

n = 432

Abb. 19: Die Entwicklung der Flexion in genitivischen Juxtapositionen mit Determinierer im DTA

Diese Doppelflexion war auch bei den Verbindungen aus RufN und FamN – zumindest auf Titelblättern – bis ins 17. Jh. frequent (vgl. 3.3.2). Während sich

Empirische Analyse zum formalen Wandel des zweigliedrigen Personennamens | 107

bei mehrteiligen PersN jedoch der FamN, also der am weitesten rechts stehende Namenbestandteil, als Kopf der Konstruktion entwickelte, ist es bei Juxtapositionen mit Determinierer das links stehende APP, das sich zum alleine flektierenden Kopf entwickelt. Dabei scheint die Prästellung adnominaler genitivischer Juxtapositionen – vor allem im 18. Jh. – einen retardierenden Einfluss auf die Entwicklung der Linksköpfigkeit zu haben. Bei Poststellung des adnominalen komplexen Genitivattributs findet sich im 17. und 18. Jh. nahezu eine 50:50Verteilung hinsichtlich Mono- und Polyflexion. Bei Prästellung der adnominalen Juxtaposition überwiegt sowohl im 17. (51 % vs. 40 %) als auch im 18. Jh. (59 % vs. 37 %) die Polyflexion gegenüber der alleinigen Flexion des APP König, wie Abbildung 20 zeigt. Die konservativere Syntax (Prästellung) scheint sich also in konservativerer Morphologie (Polyflexion) niederzuschlagen. Denkbar ist auch, dass der Possessivmarker in direkter Nähe zum Possessum präferiert wird, um die Verbundenheit der beiden DPs/NPs innerhalb der Possessorphrase anzuzeigen (vgl. Norde 2006: 208, Jespersen 1894: 313–314). Der Unterschied ist jedoch nicht signifikant (p = 0,28). 100% 90%

1% 8%

1%

51%

50%

2%

2%

1% 2%

2%

80% 70% 60%

59%

50% keine Flexion

50%

EN-Flexion

40%

Doppelflexion

30% 20%

47%

40%

48%

37%

pränominal

postnominal

pränominal

APP-Flexion

10% 0%

17. Jh.

postnominal

18. Jh.

Abb. 20: Die Flexionsverhältnisse in adnominalen Juxtapositionen in Abhängigkeit von ihrer Stellung

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Monoflexion bei Juxtapositionen mit Determinierer und mehrteiligen EN im 19. Jh. weitestgehend durch-

108 | Der zweigliedrige Personenname

gesetzt hat. Diese Befunde decken sich mit den folgenden von Blatz (1900: 344) Anfang des 20. Jh. aufgestellten Flexionsregeln: Im allgemeinen gelten für die Eigennamen mit Bestimmungen als Hauptregeln: a) Doppelbezeichnung des Kasus wird jetzt thunlichst vermieden. Dabei erscheint die Kasusbezeichnung am Eigennamen (Genetivzeichen), wenn die vorstehende Bestimmung kein Kasusmerkmal besitzt (Förster Landwehrs Bezirk); ist dagegen der Kasus der vorstehenden Bestimmung gekennzeichnet, so bleibt der Eigenname unflektiert (des Försters Landwehr Bezirk). – b) mehrere Eigennamen, welche die nämliche Person bezeichnen, bilden eine geschlossene Einheit (Gotthold Ephraim Lessings Werke).

Juxtapositionen haben sich also genau wie mehrteilige EN von polyflektierenden Syntagmen zu kopfflektierenden Einheiten entwickelt, unterscheiden sich heute jedoch durch die Position des Kopfs von Letzteren. Im nächsten Kapitel sollen nun die Ergebnisse von Kap. 3 zusammengetragen und mögliche Gründe für die Entwicklung der Rechtsköpfigkeit bei zweigliedrigen PersN diskutiert werden.

3.4 Zusammenfassung und Fazit In Kap. 3.1 wurde aus synchroner Perspektive dafür argumentiert, mehrteilige PersN als syntaktische Komposita und somit als Einheiten im Übergangsbereich zwischen Syntax und Morphologie zu analysieren. Die letzten beiden Kapitel haben nun gezeigt, dass sich zum einen viele FamN selbst von Syntagmen zu morphologischen Einheiten entwickelt haben (z. B. Peters Sohn > Petersen). Zum anderen standen die Vorgänger der FamN, die BeiN, wiederum in einem syntaktischen Verhältnis zum RufN, da sie den Status von Attributen (PräpositionalN: Walther [von der Vogelweide]) oder lockeren Appositionen hatten (DeterminiererN: Walther [der Bäcker]). Es ist somit vor dem diachronen Hintergrund nicht verwunderlich, dass das Verhältnis zwischen Ruf- und FamN heute noch häufig als rein syntaktisch beschrieben wird bzw. dass die interne syntaktische Struktur in der strikt rechtsköpfigen kompositumsähnlichen Verbindung [[N10][N20]N20] bis heute erkennbar ist. In Kap. 3.2 wurde bereits angesprochen, dass die Univerbierung bzw. Morphologisierung der syntaktisch zu analysierenden BeiN mit dem Prinzip des konstruktionellen Ikonismus in Zusammenhang zu bringen ist, demzufolge eine 1:1-Beziehung zwischen Ausdruck und Denotat als erstrebenswert angesehen wird. Dieses Prinzip lässt sich nun auch auf die Entwicklung der Verbindungen aus Ruf- und FamN anwenden, die sich diachron zu rechtsköpfigen Elementen der Kategorie N0 und somit zu eher lexikalischen Einheiten entwickelt haben. Da bei mehrteiligen PersN Referenzidentität zweier Namen auf ein Denotat vorliegt,

Zusammenfassung und Fazit | 109

wäre es konstruktionell ikonisch, dies auf der Formseite durch eine lexikalische Benennungseinheit abzubilden. Die interne flexivische Invarianz der wenn überhaupt noch, dann rechtsflektierenden Gesamtnamen macht die Sequenzen schließlich auch – wie bereits in Kap. 3.2 für FamN aus BeiN erläutert wurde – als Benennungseinheiten besser erkennbar. Da das Deutsche generell häufig als kompositionsfreudige Sprache beschrieben wird (vgl. Gaeta & Schlücker 2012), passt die Entwicklung der BeiN zu FamN und die der RufN+FamN-Verbindung hin zu eher morphologischen Strukturen gut in das typologische Profil des Deutschen. Zifonun (2001: 3) spricht zusätzlich von einer besseren Grenzmarkierung, die durch die alleinige flexivische Markierung des FamN erfolgt und die dem/ der HörerIn bzw. LeserIn die Dekodierung der Äußerung erleichtern soll: Wenn für den Hörer die als letzte gehörte Wortform des Namens, bzw. für den Leser die am weitesten rechts stehende Wortform durch ihr Genitivsuffix die grammatische Funktion und gleichzeitig die Grenze des komplexen Eigennamens erkennbar macht, so ist das hilfreich.

Wie allerdings in Kap. 4 und Kap. 5 ausführlich diskutiert wird, fällt dieses grenzmarkierende -s bei PersN in den meisten genitivischen Kontexten – wiederum aus funktionalen Gründen – weg. Der Dekodierungsvorteil, der durch eine Grenzmarkierung bei genitivischen Phrasen mit mehrteiligen PersN von Zifonun (2001) angenommen wird, ist also – falls überhaupt vorhanden – weniger relevant als der Verarbeitungsvorteil, der durch die Konstanthaltung der Namensequenz erreicht wird (vgl. 4.3). Wie in Kap. 5 gezeigt wird, fungiert das -s in pränominalen Possessivkonstruktionen vom Typ Peter Müller-s Blumenladen nicht nur als Grenzmarkierer für komplexe Eigennamen sondern auch als Marker eines bestimmten funktionalen Possessivphrasentyps, der im Deutschen aktuell ausgebaut wird. Sowohl die zweigliedrigen PersN als auch die Juxtapositionen mit Determinierer und einem onymischen Bestandteil – mit denen mehrteilige Namen synchron des Öfteren verglichen werden – haben sich diachron flexivisch gewandelt. Bei beiden Sequenzen war die flexivische Markierung aller nominalen Bestandteile eine Option, bis sich die Kopfflexion als alleiniges Flexionsmuster durchgesetzt hat. Während sich bei den vollonymischen zweigliedrigen PersN der am weitesten rechts stehende Bestandteil als Kopf der gesamten Fügung herausgebildet hat, stellt bei Juxtapositionen heute der links stehende appellativische Bestandteil den Kopf dar. Im Falle der Juxtapositionen kann die Mehrwort-Einheit somit Binnenflexion enthalten und hat sich in eine andere Richtung entwickelt als mehrteilige PersN.

110 | Der zweigliedrige Personenname

Wie die Daten in Kap. 3.3.2 und 3.3.3 andeuten – zu Details siehe 4.1.4.3 – findet ein syntaktischer Wandel hinsichtlich der Position von Genitivattributen statt. Die Präferenz für artikellose EN in pränominaler Possessorposition (Typ Camillas Fahrrad) galt im Deutschen also nicht schon immer. Abbildung 18 hat veranschaulicht, dass komplexe Genitivattribute mit Determinierer in den DTA-Daten ab dem 18. Jh. sukzessive hinter ihr Bezugsnomen rücken; im 19. Jh. kommen nur noch 4 % der insgesamt 430 genitivischen Juxtapositionen mit Definitartikel in Prästellung zum Kopf vor.31 Durch die sich entwickelnde Stellungsrestriktion dürfen pränominale Possessoren weder prä- noch postnominale Modifikation erfahren; Attribute des Typs [[des Königs David] Macht] bzw. [[Walthers, des Beckers] Haus] können somit nicht mehr pränominal erscheinen. Artikellose zweigliedrige PersN hingegen kommen im 18. Jh. (vgl. Abbildung 15) und auch heute noch präponiert vor.32 Durch die Zusammenrückung der PersN-Bestandteile wird also auch gewährleistet, dass die Tendenz, „belebte Possessor-Ausdrücke dem Kopfsubstantiv voranzustellen“ (Zifonun 2003: 123), trotz syntaktischem Wandel bestehen bleiben und sich später weiterentwickeln kann.33 Die in diesem Kapitel diskutierte Zusammenrückung der Namenbestandteile, die zur Entstehung eines Mischtyps am Übergangsbereich zwischen Morphologie und Syntax geführt hat, lässt sich somit funktional-semantisch begründen und morphosyntaktisch nachzeichnen, wobei gilt, dass der funktionale Wandel dem formalen zeitlich vorausgeht. Bereits in diesem Kapitel wurde mehrfach deutlich, dass sich nicht nur die flexivische Markierung innerhalb des zweigliedrigen PersN gewandelt hat, sondern dass auch der GesamtN aus syntagmatischer Sicht der Deflexion unterliegt. Im nächsten Kapitel soll dieser Prozess anhand einer diachronen Korpusstudie nachgezeichnet werden.

|| 31 Hier ist zu beachten, dass nur [+ belebte] Genitivattribute untersucht wurden. Da der Stellungswandel belebtheitsgesteuert abgelaufen ist – [- belebte] Attribute wurden zuerst hinter das Kopfnomen gerückt – ist davon auszugehen, dass sich die hier untersuchten Phrasen generell eher konservativ verhalten (vgl. zum belebtheitsgesteuerten Stellungswandel z. B. Carr 1933, Ebert 1988, Demske 2001 oder Kopf 2018). 32 Allerdings bedingt die Komplexität eines PersN im Gegenwartsdeutschen seine Stellung innerhalb einer adnominalen Possessivkonstruktion: „Umso mehr Teile der Name hat, desto seltener wird er im Genitiv vorverlagert“ (Kubczak 2011: 16, vgl. auch Peschke 2014). 33 Im Isländischen hingegen – wo RufN und BeiN im Genitiv noch heute polyflexivisch markiert werden – ist eine Prästellung des komplexen PersN (im Gegensatz zum eingliedrigen RufN) nicht möglich (z.B. *Höskuldar Þráinssonar bók 'Höskuldur.GEN Thráinsson.GEN Buch', vgl. O’Connor, Maling & Skarabela 2013: 93).

4 Die diachrone Deflexion der Personennamen In Kap. 2 wurde diskutiert, inwiefern EN im Gegenwartsdeutschen aufgrund ihres grammatischen Sonderverhaltens von Gattungsbezeichnungen abweichen. Dabei wurde bereits deutlich, dass sich EN im Allgemeinen und die besonders progressiven PersN im Speziellen durch Flexionsarmut auszeichnen, die kaum noch als „Sparflexion“ (vgl. Nübling 2005: 37) bezeichnet werden kann. Während die im Sinne von Bybee (1985, 1994) für das Substantiv relevantere Kategorie Numerus defaultmäßig noch durch uniformes -s am Namen markiert wird (siehe explizit hierzu auch Dammel & Gillmann 2014: 216–217), lassen sich für die nominale Kategorie Kasus höchstens flexivische Reste feststellen. Wir haben es also sowohl auf paradigmatischer Seite (keine Allomorphie) als auch auf syntagmatischer Seite (keine Flexionsendungen am Namen) mit flexivischer Armut zu tun. Darüber hinaus findet sich weder im Flexionsparadigma der EN noch bei (de)onymischer Wortbildung der im Deutschen ansonsten produktive, stark den Wortkörper affizierende Umlaut. Syngrapheme wie der Apostroph oder der Bindestrich, die bei der Deklination bzw. der Wortbildung prototypischer deutscher Substantive eine eher periphere Rolle spielen, sind bei EN hingegen recht frequent anzutreffen. Diese Schonung bzw. Konstanthaltung des onymischen Wortkörpers im gegenwärtigen Standarddeutschen ist besonders aus diachroner Perspektive recht bemerkenswert. Die radikale Entwicklung der PersN hin zu formal nicht (stark) affizierbaren Elementen muss sich innerhalb der jüngeren Sprachgeschichte abgespielt haben. Noch gegen Ende des Fnhd. werden Dativ und Akkusativ frequent am PersN markiert (72) – wenn auch nicht mehr obligatorisch – und auch Polyflexion innerhalb der Nominalgruppe ist bis ins frühe 17. Jh. hinein keine Seltenheit, wie das Beispiel in (73) zeigt.1 (72)

a. von Bischof Alberten b. Cyrthus auß Numidien begehrt Annen

(73)

[peckenstein_theatri02_1608:30] [barclay_argenis_1626:1102]

den Hochwolgebornen vndt werthen Helden Hansen Vlrichen von [opitz_schaefferey_1630:63] Schaffgotsch

Im Genitiv hinkt diese Entwicklung etwas hinterher: Hier ist die eben erwähnte Polyflexion, die man heute nur noch selten findet (siehe 5.1.1.2), sogar bis zum

|| 1 Die Belege stammen aus dem Deutschen Textarchiv (DTA). Die Beschreibung dieses Korpus erfolgt weiter unten in Kap. 4.1.1. https://doi.org/10.1515/9783110600865-004

112 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Ende des 18. Jh. der Default, was in (74) exemplifiziert wird, und statt dem heute nahezu ausschließlich vorzufindenden uniformen -s findet sich bis ins 19. Jh. noch die in (75) anhand von Beispielen aus dem DTA wiedergegebene Allomorphie:2 (74)

Leibarzte des Pabsts Alexanders des VI. [puetter_staatsverfassung01_1786:372]

(75)

a. Tochter Wilhelmi I. b. Leben dieser Hildegardis c. durch Vermählung Catharinae d. des Hansen Wort

[corvinus_frauenzimmer_1715:721] [corvinus_frauenzimmer_1715:432] [loescher_historie_1705:164] [pestalozzi_lienhard03_1785:261]

e. Agnesens Blick

[moerike_nolten02_1832:119]

f. Wilhelms Worte

[otto_schloss02_1846:199]

Was den Plural betrifft, so treten neben dem heute üblichen invarianten -s mit -Ø, -(e)n, -e und sogar Umlaut + -e noch weitere Pluralmarker auf (vgl. die Beispiele in (76)): (76)

a. drei Alexander

[fontane_stechlin_1899:59]

b. Henrietten, Clementinen und Emilien, (die Charlotten) [wieland_agathon02_1767:309]

c. die Ferdinande

[puetter_staatsverfassung02_1786:197]

d. die beiden Hänse

[bruemmer_lexikon06_1913:52]

e. diese drei Anna-s

[bierbaum_stilpe_1897:256]

Besonders auffällig erscheint aus heutiger Sicht die Pluralmarkierung in (76d) mit UL + -e, da hier kein additives, sondern zusätzlich ein stammmodulierendes Verfahren vorliegt. Auch Stammflexion, wie wir sie beispielsweise bei Emili-en (< Emilia) finden, kommt heute bei EN kaum mehr zum Tragen und wird durch Grundformflexion via s-Plural (Emilia-s) abgelöst.3

|| 2 Der Frage nach dem Status dieses uniformen -s wird in Kap. 5.4.1 nachgegangen. 3 Zum Stamm- vs. Grundformprinzip in der deutschen nicht-onymischen Substantivflexion siehe Harnisch (2001).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 113

Was die Markierung von Genus, der dritten Nominalkategorie, anbelangt,4 so liegt bei RufN semantisches, bei FamN referentielles Genus vor. Das Genus ist im PersN-Bereich also auf der Namenstruktur kodiert oder konventionell determiniert bzw. je nach Sexus des Referenten festgelegt und wird aktuell nicht morphologisch am Namen markiert. Während die Genuszuweisung im anthroponymischen Bereich diachron stabil ist und daher hier nicht in den Blick genommen wird, war die overte Sexusmarkierung durch Wortbildungssuffixe wie -in oder -sche am FamN variabel und wurde erst innerhalb der letzten Jahrhunderte im Standard abgebaut. Da es sich bei der onymischen Movierung jedoch um den Abbau derivationsmorphologisch kodierter Information handelt, wird sie in diesem Kapitel ausgeklammert. Die im Zentrum dieses Kapitels stehende Deflexion schlägt sich nun nicht nur im Abbau von Allomorphie und Flexiven nieder, sondern spiegelt sich auch auf graphematischer Seite im Sinne einer Sichtbarmachung von Morphologie wider: Fremdflexive, die im 17. Jh. keine Seltenheit waren, werden typographisch durch eine andere Schriftart hervorgehoben und so vom Namenkörper abgesetzt und der seit dem 19. Jh. frequent vorzufindende Apostroph grenzt das Genitiv-s vom onymischen Stamm ab.5 Manche dieser diachronen Prozesse sind bereits bekannt, über andere wissen wir bislang wenig. Da EN aus historischen Darstellungen zur Nominalflexion weitestgehend ausgeklammert werden, ist über ihr Flexionsverhalten – und vor allem über die immer noch weiter voranschreitende Deflexion – wenig bekannt. Die Studien zur Diachronie der Eigennamendeklination – im Wesentlichen Plank (2011), Fuß (2011) und Nübling (2012) – werfen interessante Hypothesen auf, stützen ihre Aussagen jedoch weniger auf Korpusdaten als auf die Darstellungen in historischen Grammatiken. In diesem Kapitel soll nun datenbasiert für die Klasse der PersN dargestellt werden, wie im Detail, in welchem zeitlichen Rahmen und warum sich die Deflexion konkret vollzogen hat. Dabei soll zunächst die paradigmatische und syntagmatische Kasus-Deflexion in den Blick genommen werden (4.1). In Kap 4.2 wird die Pluralmarkierung bei PersN aus diachroner und synchroner Perspektive thematisiert. Schließlich wird in Kap. 4.3 der Wandelfaktor Schema-

|| 4 Genus wird aufgrund fehlender Paradigmatizität gelegentlich nicht als nominale Flexionskategorie angesehen (so z. B. bei Dammel & Gillmann 2014: 186). 5 Auch bei deonymischen Adjektivbildungen vom Typ Luther’sche wird der PersN durch anhaltende Großschreibung und die Abtrennung des diachron zunehmend unsilbisch auftretenden Suffixes -sch -e)

Hildegard > -en

Brun-en

Mari-en

Dat.

Hartmut-e > -en

Hildegard-e > -en

Brun-en

Mari-en

Da sich das -(e)n von einem Flexionsklassenmarker zu einem kategorienübergreifenden Marker für Akkusativ und Dativ entwickelt, kann man hier von einem ‚überstabilen Marker’ sprechen. Dieser Terminus geht auf Wurzel (1987) bzw. (22001) zurück und wird von ihm wie folgt definiert: Marker können sich auch innerhalb des Flexionssystems ausbreiten, ohne daß ein Klassenübertritt erfolgt. Die Flexion der Wörter einer gegebenen Flexionsklasse wird nach dem Vorbild anderer Flexionsklassen verändert, ohne daß diese dabei ihre Identität als eigene Klasse verliert. Genauer: Eine Flexionsklasse übernimmt aus anderen Flexionsklassen den Marker für eine Kategorie bzw. ein Kategorienbündel. Es handelt sich dabei immer um Marker stabiler Klassen, die gleichzeitig noch in weiteren (stabilen oder instabilen) Klassen vorkommen, und deshalb über einen höheren Stabilitätsgrad verfügen als die Flexion der jeweiligen Klasse insgesamt. Aufgrund dieser hohen Stabilität tendieren sie dazu, aus der stabilen Klasse gleichsam auszuscheren und sich schneller und umfassender im Flexionssystem auszubreiten als diese. Dabei ergibt sich eine Art von ‚Lawineneffekt’: Jede Ausbreitung eines Markers auf eine neue Flexionsklasse erhöht seinen Stabilitätsgrad weiter. Auf diese Weise kann ein einzelner Marker schließlich alle Flexionsklassen erfassen, wobei diese ihre Selbständigkeit jedoch nicht einbüßen. Wir wollen solche Marker [...] als überstabile Marker bezeichnen. Die Verbreitung von überstabilen Markern voll-

|| 25 In der Übersicht wird die schon im Fnhd. auftretende Option der Nullmarkierung des RufN im Akkusativ und Dativ nicht berücksichtigt.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 129

zieht sich nicht nur zwischen Komplementärklassen. Sie hat damit einen grundlegend anderen Status als der Klassenwechsel. (Wurzel 22001: 139; Hervorhebungen im Original)

Die Wurzel’sche Terminologie und das Bild der lawinenartigen Ausbreitung eines Markers innerhalb eines Flexionssystems umschreibt die beobachtbare Ausbreitung von -(e)n sehr treffend. Allerdings kann die Reduktion der Allomorphie im Akkusativ und Dativ, die sich zugunsten des überstabilen Markers -(e)n einstellt, nicht wie in Wurzels Sinne als Zeichen für die (Über-)Stabilität des Markers gesehen werden – schließlich weist die Akkusativ- und Dativmarkierung bereits im Fnhd. erste Schwundtendenzen auf und ist im heutigen Standard gänzlich abgebaut. Dammel & Nübling (2006) zeigen anhand mehrerer Fallstudien, dass genau das Gegenteil charakteristisch für überstabile Marker ist. Diese wecken aufgrund der Terminologie falsche Erwartungen und müssen als Indizien für die Schwäche der jeweiligen Kategorie gesehen werden und gerade nicht als Anzeichen ihrer Stabilität. Auch bei der Deklination der PersN bahnt sich durch die Herausbildung eines überstabilen Markers bereits der spätere Verlust der flexivischen Dativ- und Akkusativmarkierung an. Hoekstra (2010) beschreibt bezüglich der Kasusmarkierung an EN genau diesen Stand für das heutige Festlandnordfriesische, das hinsichtlich der PersNDeflexion konservativer zu sein scheint als das Standarddeutsche. Bezeichnenderweise wird das überstabile -(e)n im Festlandnordfriesischen an Namen in obliquen Kasus (außer Genitiv) von SprecherInnen der jüngeren Generation bereits abgebaut. Ein ähnliches Szenario wie das eben beschriebene lässt sich leicht zeitversetzt auch für die Genitivmarkierung nachzeichnen. Hier ist es das Allomorph -s, das sich ausgehend von der starken maskulinen PersN-Deklination allmählich auf die anderen Flexionsklassen ausbreitet. Zuerst breitet sich das überstabile -s auf die schwachen Maskulina aus und tritt dort suffigierend an die schwache Endung -(e)n, sodass sich dort die Doppelendung -(e)ns in einer längeren Übergangsphase finden lässt. Letztendlich setzt sich jedoch das einfache uniforme -s durch.26 Die Ausbreitung des starken Genitiv-Markers auf schwache Flexionsklassen ist im Bereich der Maskulina nicht außergewöhnlich und lässt sich im Gegenwartsdeutschen z. B. auch bei schwankenden appellativischen schwachen Maskulina beobachten, die im Genitiv häufig starkes -s (wie bei des Fink-en > des Fink-s), gelegentlich aber auch die Doppelendung -(e)ns aufweisen (z. B. des Name-n > des Name-ns). Ein Blick auf Maskulina wie Magnet, die bereits vollständig

|| 26 Die archaisch anmutende Doppelendung ist heute nur noch in äußerst seltenen Fällen bei auf Sibilant endenden monosyllabischen Namen zu finden (z. B. Hansens Hund).

130 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

von der schwachen in die starke Deklination übergegangen sind, zeigt, dass sich langfristig (meist) die einfache Markierung durchsetzt (Gen.: des Magnet-s), was zum Teil auch über n-Epenthese im Nominativ geschieht (vgl. Nom.: der Friede > der Frieden; Gen.: des Friede-ns > des Frieden-s). Weitaus bemerkenswerter ist die Übertragung des -s ins Paradigma der starken und schwachen Feminina, wo es bis ins Fnhd. hinein nicht auftritt. Dies ist vor allem deshalb interessant, weil sich im Deutschen (nicht-onymischen) Nominalsystem eine +/- Femininum-Divergenz entwickelt hat (vgl. für einen Überblick z. B. Dammel & Gillmann 2015: 206–208), die sich in immer größer werdenden Unterschieden zwischen der Deklination der Maskulina und Neutra einerseits und der Nominalflexion der Feminina andererseits manifestiert und heute ein wesentliches Charakteristikum der deutschen Flexionsklasseneinteilung darstellt (vgl. Nübling 2012: 234). Wie bei den Maskulina tritt das genitivische -s auch bei den Feminina – vor allem den auf /ə/ endenden – zunächst agglutinierend an die schwache Genitivendung -(e)n > -(e)n-s. Es findet sogar zeitweise eine analogische Übertragung der gemischten Doppelendung -(e)ns auf die Klasse der starken Maskulina statt. Doch auch hier setzt sich letztendlich im gesamten onymischen Paradigma das uniforme -s als überstabiler Marker durch. In Kap. 5 wird ausführlich thematisiert, inwiefern der überstabile s-Marker als Zeichen für die gegenwärtig „schwächelnde“ onymische Genitivmarkierung gesehen werden kann. Tabelle 13 stellt die Ausbreitung des genitivischen s-Markers schematisch dar. Tab. 13: Die Ausbreitung des s-Markers im Genitiv der onymischen Deklinationsklassen

STARKE DEKLINATION

Gen.

SCHWACHE DEKLINATION

Maskulina

Feminina

Hartmut-s / (-ens)

Hildegard-e > -ens > -s

Brun-ens > -s

Mari-ens > -s

Wie gezeigt, scheint die onymische Deklination im Fnhd. auf syntagmatischer Seite also noch weitestgehend intakt gewesen zu sein. Die Herausbildung zweier überstabiler Marker – zuerst -(e)n im Akkusativ/Dativ und anschließend -s im Genitiv – die als erste Anzeichen für das Ende des jeweiligen morphologischen Ausdrucks gesehen werden können, deutet auf paradigmatischer Seite jedoch schon auf die Deflexion am PersN hin. Fuß (2011: 28) stellt basierend auf den Aussagen in Bauer (1828) für das Ende des Fnhd. vier onymische Flexionsklassen auf, von denen sich die vierte – z. B. von der Duden-Grammatik (92016) noch

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 131

heute angenommene – im 19. Jh. durchgesetzt haben soll (hier wiedergegeben als Tabelle 14). Tab. 14: Die vier onymischen Flexionsklassen gegen Ende des Fnhd. (vgl. Fuß 2011: 28 und Bauer 1828: 266–270)

I

II

III

IV

Nom.

Luther

Huß

Marie

Kuno

Akk.

Luther-n

Huss-en

Marie-n

Kuno

Dat.

Luther-n

Huss-en

Marie-n

Kuno

Gen.

Luther-s

Huss-ens

Marie-ns

Kuno-s

Wie im Detail und warum dieser gravierende Schritt von einem intakten System mit flexivischer Markierung aller obliquen Kasus hin zu einem Einklassensystem mit lediglich einem verbliebenen invarianten Marker, der nicht mehr als prototypisches Kasussuffix bezeichnet werden kann (siehe 5.4), vonstatten ging, ist bislang jedoch unklar. Tatsache ist, dass sich solch ein radikaler Wandel hinsichtlich der Kasusflexion bei nicht-onymischen Substantiven noch nicht in diesem Maße vollzogen hat. Diese unterliegen zwar auch seit jeher der Kasusnivellierung (vgl. z. B. Wurzel 1992, Köpcke 2000a, Nübling 2008, Dammel & Gillmann 2014 und Wegera & Waldenberger 2012: 143–151 für einen Überblick), mit -es, -s, -(e)n, -(e)ns können aber noch vier Kasusflexive (im Singular) angenommen werden (vgl. 2.1.2.1). In den nächsten beiden Kapiteln sollen nun korpusbasiert die Determinanten der Deflexion im frühen Nhd. (17. – 19. Jh.) dargestellt und diskutiert werden. Da die bisherige Darstellung des onymischen Deklinationswandels gezeigt hat, dass sich die Kasusnivellierung im Akkusativ/Dativ anders als im Genitiv vollzogen hat, sollen die Kasus im Folgenden getrennt voneinander betrachtet werden.

4.1.3 Akkusativ und Dativ – Determinanten der syntagmatischen Deflexion vom 17. bis zum 20. Jahrhundert Zunächst sollen nun einige Aussagen von Grammatikern des 19. und frühen 20. Jh. diskutiert werden, da sie mitunter interessante Anmerkungen zum im Nhd. stattfindenden Kasusabbau am EN machen. Im vorliegenden Kapitel werden die Beobachtungen und Anmerkungen, die sich in historischen Grammatiken hin-

132 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

sichtlich der EN-Deklination finden lassen, immer wieder als Quelle für Hypothesen genutzt, die via DTA-Daten überprüft werden sollen. In manchen Grammatiken lassen sich eher normative Wertungen hinsichtlich der bereits im späten 19. Jh. als veraltet geltenden und mitunter sogar als „vulgär klingend“ bezeichneten Endungen finden (so z. B. bei Paul 1917: 157). In einigen Sprachlehrwerken werden darüber hinaus Gründe für den als funktional erachteten Flexivabbau am Namen diskutiert: So sieht beispielsweise Steche (1927: 142–143) insofern einen Nachteil in der Deklination, als die Grundform des Namens nicht immer aus den flexivisch markierten Kasusformen abgeleitet werden kann. Als Beispiel wird die Form Heydens gegeben, die entweder zum Namen Heyd, Heyde oder Heyden gehören könne. Gleim (1815: 67) hingegen ist der Meinung, dass die im Fnhd. möglichen Deklinationen nur das Gedächtnis beschweren, „ohne daß man mit ihnen viel ausrichtet, denn die darin [gemeint sind die Deklinationsklassen – TA] aufgestellten Formen sind viel zu eng. Manche Namen lassen sich gar nicht darnach flectieren.“ Wieder andere sehen den sich entwickelnden Rückgang der flexivischen Kasusmarkierung gewissermaßen als Dilemma, da EN, deren nicht mehr gegebene Flexion im Nhd. als „verworren und abgestumpft“ empfunden wird, auch noch „in der Regel des die mangelhafte Flexion sonst ersetzenden Artikels entbehren“ (Schötensack 1856: 113). Durch den Flexionswegfall bedingte Doppeldeutigkeiten hinsichtlich des Kasus haben laut Steche (1927: 143) sogar einige Sprachlehrer dazu veranlasst, die Wiederbelebung des EN-Markers -(e)n zu fordern – wenn auch nur dort, wo „die Beugeendung das sofortige Verständnis erleichtert, ja fast allein sichert“, wie Engel (1922: 117) fordert. Die unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Aussagen und Wertungen zum Status der EN-Deklination zeigen bereits, dass diese im frühen Nhd. einen Sprachwandelprozess dargestellt haben muss. Was den Durchsetzungsgrad des Flexivabbaus im Akkusativ und Dativ betrifft, so soll er im Großen und Ganzen zwischen 1750 und 1850 zum Abschluss gekommen sein. Diese Aussage deckt sich auch mit den aus historischen Titelblättern gewonnenen Daten, denen zufolge im (späten) 18. Jh. nur noch vereinzelt -(e)n-markierte Namen vorkommen (vgl. 3.3.2). Ein Blick auf alle Akkusativ/Dativ-Belege aus dem DTA-Sample ergibt hingegen ein etwas weniger progressives Bild. Für die untersuchten RufN zeigt sich nämlich, dass die syntagmatische Deflexion erst gegen Mitte/Ende des 19. Jh. vollständig vollzogen ist. Ende des 18. Jh. war die Flexivlosigkeit mit fast 70 % im Akkusativ und 77 % im Dativ zwar schon der Default, aber mit je über 20 % war die Namenflexion noch keine Seltenheit. Was Abbildung 22 ebenfalls verdeutlicht, ist die Tatsache, dass der Akkusativ im 17. und 18. Jh. eher flexivisch markiert wurde als der Dativ.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 133

70% 58% 60% 50%

49%

Akk.

50% 40%

46%

Dat.

48% 41%

31%

30% 20%

21%

23% 20%

10% 4% 3%

0%

0%

17. Jh. I

17. Jh. II

18. Jh. I

18. Jh. II

19. Jh. I

19. Jh. II

20. Jh. I

n = 217

n = 842

n = 524

n = 867

n = 1234

n = 983

n = 126

Abb. 22: Die flexivische Markierung im Akkusativ und Dativ (17. – 20. Jh.)

4.1.3.1 Außersprachliche Faktoren – Autor und Textsorte Die recht konservative EN-Flexion im DTA-Sample kann verschiedene Ursachen haben. Der Grammatiker Matthias (1897: 50) erwähnt beispielsweise, dass die Romanschriftsteller wie Goethe oder Schiller die flexivische Markierung des Akkusativs und Dativs neu belebt haben, was in der Schriftsprache – im Gegensatz zum mündlichen, umgangssprachlichen Deutschen – ansonsten weniger gebräuchlich gewesen sein soll. Und tatsächlich kommen fast 74 % der flexivisch markierten Belege im 19. Jh. von lediglich fünf Prosaautoren, bei denen wenige RufN-Types mit hoher Tokenfrequenz vorkommen. Abbildung 23 zeigt, dass schon zu Beginn des 19. Jh. nur noch 24 % der Autoren eine flexivische Markierung vornehmen, während dieses Flexionsverhalten zwischen 1750 und 1799 noch bei etwa der Hälfte der Autoren zu finden ist, und das, obwohl die RufN-Deklination zwischen diesen beiden Zeitabschnitten nur um 7 Prozentpunkte zurückgeht.27 Auch hier verwenden die wenigen Autoren, bei denen noch Flexion zu finden ist, einzelne Namen-Types mit hoher Tokenfrequenz, was sich wiederum in einer insgesamt höheren Namenflexion niederschlägt.

|| 27 Der Unterschied zwischen den beiden Zeitabschnitten ist signifikant: 2 (1) = 10,88, p < 0,001***,  = 0,27.

134 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

100% 80% 60%

24% 51%

40% 20%

Autoren mit Namenflexion

76% 49%

0% 1750 – 1799

1800 – 1849

n = 81

n = 82

Abb. 23: Anteil von Autoren, bei denen Namenflexion zu finden ist, im Verhältnis zu allen Autoren (1750 – 1849)

Schaut man sich das Verhältnis flektierter vs. unflektierter Namen in den drei Zeitabschnitten nach Genre an (vgl. Abbildung 24), so zeigt sich, dass das Vorkommen flektierter Rufnamen im 19. Jh. nicht unabhängig von der Textsorte ist (2 (2) = 250, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,34).28 Namen kommen in belletristischen Werken – entsprechend Matthias’ (1897: 50) Einschätzung – signifikant häufiger flektiert vor als in der Gebrauchs- und Wissenschaftsliteratur.

60% 40%

54% 51% 47%

42% 34% 24%

31%

20%

2% 0%

0% 17. Jh. Belletristik

18. Jh. Wissenschaft

19. Jh. Gebrauch

Abb. 24: Die Akkusativ-/Dativflexion nach Jahrhundert und Textsorte

|| 28 Im 17. Jahrhundert spielt der Faktor noch keine Rolle bei der Namenflexion (2 (2) = 3,26, p = 0,19). Im 18. Jahrhundert kann zwar ein signifikanter Einfluss des Genres nachgewiesen werden, die Effektstärke ist jedoch sehr gering (2 (2) = 7,17, p = 0,028*, Cramér’s V = 0,07).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 135

Da in belletristischen Werken über alle Zeitstufen hinweg fast ausschließlich deutsche Flexive zu finden sind (95 %), während in der Gebrauchsliteratur mit 62 % lateinische Suffixe überwiegen, die im (konzeptionell und medial) Schriftsprachlichen anzusiedeln sind, ist die Belletristik wohl näher am mündlichen Sprachgebrauch anzusiedeln.29 Die Matthias (1897: 50) zufolge längere Konservierung der Flexion in der weniger prestigeträchtigen gesprochenen Sprache hat vermutlich auch zu ihrer Stigmatisierung als volkstümlich und vulgär beigetragen. 4.1.3.2 Komplexität/Flexionsverhalten des Familiennamens In der Titelblatt-Studie, bei der eine progressivere Deflexion zu verzeichnen ist als bei den DTA-Daten, wurden mit dem flexivischen Verhalten des GesamtN insgesamt komplexere Namenstrukturen untersucht. Das den Untersuchungen zur Deflexion primär zugrundeliegende DTA-Sample enthält hingegen ausschließlich bloße RufN. Um zu ermitteln, welche Rolle Komplexität im Sinne von Mehrteiligkeit der Namensequenz, aber auch das allgemeine Flexionsverhalten des FamN spielt, soll hier eine Stichprobe des GesamtN-Samples herangezogen werden. Aus den 5.476 Belegen, die eine Verbindung aus Ruf- und FamN aufweisen, wurde eine randomisierte Stichprobe von 1.500 Namen genommen, die insgesamt 628 Namen in obliquen Kasus und davon 422 Namen im Dativ oder Akkusativ enthält. Eine Auswertung dieser Stichprobe bestätigt nun die anhand der TitelblattDaten gewonnenen Erkenntnisse: Die Dativ- und Akkusativ-Flexive schwinden tatsächlich früher, wenn es sich um eine Verbindung aus RufN und FamN handelt. Wie die Darstellung des Flexivabbaus in Abbildung 25 zeigt,30 gehen die Deklinationsendungen, die noch im 17. Jh. bei mindestens jedem zweiten Namen zu finden sind, schon zu Beginn des 19. Jh. nahezu komplett zurück.31 Im 18. Jh. liegt bei den GesamtN mit insgesamt 20,8 % flektierter Namen im Akkusativ und Dativ schon signifikant weniger Namenflexion vor als bei den RufN, wo noch 33 % der Namen flektieren. Die sehr geringe Effektstärke spricht jedoch dafür, dass der Unterschied nicht bedeutsam ist (2 (1) = 6,28, p < 0,012*,  = 0,07). Die Flexion der FamN, die von den RufN aus auf sie überging, stellt also nur ein temporäres Phänomen dar.

|| 29 Wissenschaftliche Literatur nimmt mit 54 % deutscher Flexion eine Zwischenposition ein. 30 Aufgrund der geringen Belegzahlen wurden die Jahrhunderte hier nicht – wie bei der Darstellung der RufN-Deflexion in Abbildung 22 – in zwei Zeitabschnitte unterteilt. Die gestrichelte Linie gibt zum Vergleich die aggregierte Dativ- und Akkusativflexion bei den RufN wieder. 31 Der Unterschied zwischen der RufN- und der GesamtN-Flexion im 19 Jh. ist signifikant (2 (1) = 17,26, p < 0,001***), die Effektstärke mit  = 0,09 jedoch sehr gering.

136 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

70% 60% 50%

Akk.

64% 54%

Dat.

51%

RufN

40% 33%

30%

21% 20% 20%

13%

10%

3% 0%

0%

0%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

20. Jh.

n = 80

n = 101

n = 174

n = 67

Abb. 25: Die flexivische Markierung im Akkusativ und Dativ bei Gesamtnamen (17. – 20. Jh.)

4.1.3.3 Genus/Sexus Eine weitere interessante Erkenntnis bringt eine Betrachtung der flexivischen Markierung von Akkusativ und Dativ getrennt nach Genus/Sexus (siehe Abbildung 26). Hier zeigt sich zum einen, dass lediglich bei den Feminina ein Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ gemacht wird, und zwar insofern, als RufN im Akkusativ im 17. und 18. Jh. häufiger Flexionssuffixe erhalten als RufN im Dativ; im 19. Jh. gleicht sich der Unterschied, der bei den Maskulina in keinem der Zeitabschnitte zu beobachten ist, jedoch aus.32 Zum anderen lässt sich beobachten, dass sich die Maskulina, bei denen die flexivische Markierung am Namen in beiden Kasus im 17. Jh. sogar noch gegenüber der Null-Markierung überwiegt, im Untersuchungszeitraum weit drastischer wandeln als die Feminina. Hier sinkt der Anteil flexivisch markierter Namen binnen drei Jahrhunderten von fast 70 % im 17. Jh. auf unter 5 % im 19. Jh. Bei den Maskulina hat sich die Deflexion also entsprechend der Annahmen in historischen Grammatiken bereits zum 19. Jh. (fast) vollständig vollzogen. Feminina, bei denen der Anteil flektierter Formen in allen drei Zeitabschnitten weniger als die Hälfte aller Belege ausmacht, weisen im Dativ über alle drei Jahrhunderte eine geradezu überraschende Konstanz flektierter Formen auf; nur im Akkusativ ist ein sukzessiver Abbau der flexivischen Markierung festzustellen, die jedoch auch im 19. Jh.

|| 32 Ein Chi-Quadrat-Test zeigt, dass der Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ, der auf die Kasusunterschiede bei den Feminina zurückgeführt werden kann, über alle Jahrhunderte betrachtet signifikant ist: 2 (1) = 20,68, p < 0,001***,  = 0,07. Allerdings ist die Effektstärke sehr gering.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 137

nicht unter 23 % fällt.33 Der von Fuß (2011: 29–30) vorgeschlagene Erklärungsversuch, die allgemeine Deflexion der PersN in Analogie zur fnhd. Kasusnivellierung und Numerusprofilierung bei schwachen femininen Substantiven zu sehen, wo -(e)n im Singular beseitigt und im Plural als Numerusmarker belassen wurde, kann somit durch die Daten nicht bestätigt werden. Die Markierung von Akkusativ und Dativ mit deutschem (e)n-Flexiv am Namen (vgl. Abbildung 28 und Abbildung 30) scheint gerade bei den femininen RufN stabiler zu sein als bei den maskulinen Namen, wo im appellativischen Bereich keine vergleichbare Kasusnivellierung stattfand. 80% Akk. 70% 60%

Dat.

69% 68%

50% 40%

42%

46%

37%

30%

34% 24%

20% 23% 19%

10%

23%

3% 2% 0% 17. Jh.

18. Jh. Maskulina

19. Jh.

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

Feminina

Abb. 26: Die flexivische Markierung von Akkusativ und Dativ bei maskulinen vs. femininen Rufnamen vom 17. – 19. Jh.

Eine Erklärung für das unterschiedliche Verhalten der Maskulina und Feminina sowie für die Unterschiede zwischen Akkusativ und Dativ bei Letzteren ist zum einen im variierenden Einfluss des Lateinischen und zum anderen im Namenauslaut zu finden. Diese Faktoren sollen im Folgenden etwas genauer in den Blick genommen werden.

|| 33 Die Unterschiede zwischen Maskulina und Feminina hinsichtlich der overten Objektmarkierung sind in allen drei Jahrhunderten signifikant: 17. Jh.: 2 (1) = 127,22, p < 0,001***,  = 0,35; 18. Jh.: 2 (1) = 29,69, p < 0,001***,  = 0,15; 19. Jh.: 2 (1) = 199,94, p < 0,001***,  = 0,30.

138 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

4.1.3.4 Allomorphie und der Einfluss des Lateinischen Noch bis ins Fnhd. hinein macht sich die ahd. Flexionsklasse, der die Namen je nach Genus und Auslaut angehörten, hinsichtlich der Kasusallomorphie bemerkbar. Im frühen Nhd. sollte sich laut den Darstellungen in historischen Grammatiken der überstabile Marker -(e)n sowohl im Akkusativ als auch im Dativ flexionsklassenübergreifend durchgesetzt haben. Wie die Daten zeigen, gilt dies auch weitestgehend für native Flexive; die lateinische Flexion der Namen, die in den historischen Grammatiken weniger prominent angesprochen wird, aber vor allem im 17. und auch noch im 18. Jh. in der Schriftsprache – weniger im Gesprochensprachlichen (vgl. Seibicke 2008: 136) – eine große Rolle gespielt hat, zeigt hingegen noch Allomorphie, die vor allem durch Genus konditioniert ist. Sütterlin (1924: 352) zufolge habe der Humanisteneinfluss zu Beginn des Nhd. dafür gesorgt, dass die bereits im Mhd. deutsch flektierten Fremdnamen wieder vermehrt lateinische Endungen bekamen. Laut Adelung (1782: 516) war die lateinische Deklination lateinischer oder mit lateinischen Endsilben versehener PersN vor allem unter den Gelehrten gewöhnlich und wurde als besonders „schickliche Beugung“ empfohlen, die Ehrerbietung ausdrücken sollte. So heißt es in seiner Sprachlehre aus dem 18. Jh.: Die Wahl Franzens zum Kaiser, verrät Mangel an Feinheit, und Geringschätzung; nicht viel besser ist die Wahl des Kaisers Franz; schon edler ist, die Wahl Francisci, und noch ehrerbiethiger die Beifügung eines Ehrenwortes, da denn der eigene Nahme unverändert bleiben kann, die Wahl des Kaisers Franciscus. (Adelung 1782: 516)

Wie Blatz (1900: 336) in einer Anmerkung feststellt, gilt die temporäre lateinische Deklination der PersN gut ein Jahrhundert später bereits als veraltet, was sich genau so in den DTA-Daten widerspiegelt. Bei den Maskulina sind im Akkusativ neben dem deutschen überstabilen Objekt-Marker -(e)n die beiden lateinischen Flexive -um und -em zu finden (77), wobei die lateinische Deklination im 17. Jh. sogar über 50 % der flexivisch markierten Belege ausmacht (vgl. Abbildung 27). (77)

a. durch Hertzog Ernsten vnd Albertum

[peckenstein_theatri02_1608:27]

b. welcher Johannem den Täuffer getödtet [sandrart_academie0202_1679:52] Es zeigt sich, dass der Abbau flexivisch markierter Namen im Akkusativ zwischen dem 17. und 18. Jh. im Wesentlichen auf den Rückgang der lateinischen Namendeklination zurückzuführen ist. Der Abbau des deutschen Objektmarkers erfolgt zum 19. Jh. hin fast vollständig.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 139

80% 70%

6%

60% 50%

32%

40% 30% 20% 10%

em 8% 6%

32%

um (e)n

28% 2%

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 199

n = 328

n = 436

Abb. 27: Die Allomorphie bei Maskulina im Akkusativ34

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Akkusativbelege bei den Feminina. Abbildung 28 zeigt, dass mit dem Kasussuffix -am auch hier ein lateinisches Flexiv neben dem deutschen Marker -(e)n existiert, das besonders im 17. Jh. frequent zu finden ist (78). (78)

a. heyrathete er Annam

[gessner_buchdruckerkunst01_1740:151]

b. gegen diese Annen

[barclay_argenis_1626:1082]

70% 60% 50% 40% 30%

25%

am 10% (e)n

20% 10%

21%

24%

23%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 246

n = 248

n = 454

0%

Abb. 28: Die Allomorphie bei Feminina im Akkusativ

|| 34 Für das 18. Jh. wurden zwei Belege nicht in die Graphik aufgenommen: Lediglich ein Mal trat das deutsche Allomorph -e auf, ebenso ein Mal fand sich das lateinische Dativ-Flexiv -o, wobei es sich um einen Fehler handeln muss.

140 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Wie bei den Maskulina ist der Schwund flexivisch markierter Akkusativbelege im Wesentlichen auf den Rückgang der lateinischen Deklination der Namen zurückzuführen. Im Unterschied zu den Maskulina bleibt jedoch der Anteil der deutsch flektierenden Namen bei den Feminina über alle drei Zeitabschnitte konstant. Ein Blick auf den Dativ macht deutlich, dass das Verhältnis nativer und lateinischer Flexive bei den Maskulina ähnlich wie beim Akkusativ aussieht. Wie Abbildung 29 zeigt, dominieren im 17. Jh. die lateinischen Endungen -o und -i gegenüber den deutschen Endungen (vgl. die Beispiele in (79)) und gehen – leicht stärker als im Akkusativ – zum 18. Jh. hin um 26 Prozentpunkte zurück. (79)

a. dem König Ferdinando

[arnold_ketzerhistorie02_1700:378]

b. dem Johanni

[bauller_lasterspiegel_1681:817]

c. bey König Carlen

[wartmann_germania01_1650:267]

d. von dem hochgelehrten D. Johanne Michaele [zwinger_theatrum_1690:179]

Während die native Markierung in den ersten beiden beobachteten Jahrhunderten stabil bleibt, wird auch sie zum 19. Jh. hin fast komplett abgebaut. Interessanterweise finden sich bei den Maskulina mit dem Dativ-e noch bis ins 18. Jh. Reste der starken Flexion – allerdings fast ausschließlich bei dem RufN Johannes. 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%

5% i 33% 8%

1% 9% 4%

22%

23%

0%

o e 2%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 332

n = 469

n = 721

Abb. 29: Die Allomorphie bei Maskulina im Dativ

(e)n

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 141

Bei den Feminina wäre nun auch im Dativ ein ähnliches Bild zu erwarten wie bei den Maskulina. Ein Blick auf Abbildung 30 zeigt jedoch, dass die lateinischen Kasussuffixe hier im gesamten Beobachtungszeitraum überraschenderweise so gut wie keine Rolle spielen.35 Lediglich im 17. Jh. sind vereinzelt Belege mit femininen RufN im Dativ zu finden (2,1 %), die das lateinische Flexiv -ae aufweisen (z. B. Evae).36 Wie auch im Akkusativ bleibt die flexivische Markierung mit nativem Suffix über die drei beobachteten Jahrhunderte hinweg weitgehend konstant. Der zu beobachtende Unterschied zwischen der recht stabilen Dativ- und der schwindenden Akkusativmarkierung bei den Feminina liegt also nur an der im Dativ nicht vorkommenden lateinischen Deklination (vgl. Abbildung 28 vs. Abbildung 30). 70% 60% 50% 40% ae

30% 2%

(e)n

20% 10%

20%

19%

24%

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 280

n = 344

n = 606

Abb. 30: Die Allomorphie bei Feminina im Dativ

Das Ausbleiben lateinischer Flexive im Dativ der Feminina könnte damit zu erklären sein, dass das synkretistische Kasussuffix -ae der lateinischen aDeklination, nach der die im Sample befindlichen Feminina unabhängig vom Auslaut (fast) durchgängig flektieren,37 im 17. Jh. fest mit der Information Geni-

|| 35 Über alle drei Jahrhunderte hinweg kommt die lateinische Deklination bei männlichen Namen signifikant häufiger vor als bei weiblichen (2 (1) = 96,27, p < 0,001***, = 0,28). 36 Auch die lateinische Akkusativendung -am kommt im 17. Jh. zwei Mal bei Dativbelegen vor, wurde hier aber nicht berücksichtigt. Es ist anzunehmen, dass es sich um eine irrtümliche Verwendung handelt. 37 Im Genitiv finden sich bei den Namen Hildegard und Rahel im 17. und 18. Jh. auch insgesamt 5 Belege, die nach der konsonantischen Deklination ein -is aufweisen.

142 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

tiv verknüpft ist und im Dativ deshalb vermieden wird; schließlich ist -ae in diesem Jahrhundert mit fast 30 % das häufigste Genitivflexiv bei den Feminina (siehe Kap.4.1.4, Abbildung 39). Auch bei den Maskulina spielt das Dativ-i der konsonantischen Deklination, das formal dem Genitivsuffix der o-Deklination gleicht, nach der die Mehrheit der männlichen RufN flektiert, eine marginale Rolle gegenüber -o. Im Genitiv ist -is der konsonantischen Deklination mit 20,5 % Vorkommen hingegen keine Seltenheit. Was die lateinische Deklination der RufN betrifft, so scheint zu gelten, dass synkretistische Formen – vor allem zwischen Objektkasus und Genitiv, wie sie die deutsche Deklination zeitweise bereitstellt – vermieden werden, wobei die flexivische Realisierung des Genitivs salienter zu sein scheint. Der Rückgang der lateinischen Deklination ist zum einen sicherlich mit dem allgemeinen Rückgang der flexivischen Markierung am Namen in Verbindung zu bringen. Zum anderen ist der Abbau lateinischer Flexionsendungen auch in einen allgemeineren sprachkulturellen Kontext zu stellen. Während die Sprachkultur in Deutschland im 17. und 18. Jh. im Allgemeinen noch von einer „komplementären Dreisprachigkeit Deutsch/Latein/Französisch“ gekennzeichnet war, setzte sich gegen Ende des 18. Jh. das höfische und intellektuelle Französisch in Teilen der Oberschicht, beim Adel und bei modernisierenden deutschen Gelehrten mehr und mehr durch (von Polenz 22013: 67). Der im letzten Drittel des 18. Jh. angenommene Wendepunkt für das Lateinische, der sich im allmählichen Nachlassen des Lateinzwangs in höheren Schulen, beim Buchhandel oder in den Naturwissenschaften äußert (vgl. von Polenz 22013: 77), deckt sich schließlich genau mit dem Abrücken von der lateinischen Flexion der PersN. Gemäß Roelcke (2014: 88–89) finden sich bei Butschky (1648/2007) und Gedike (1779) bereits frühe kritische Aussagen zur lateinischen Deklination von EN. Auch Gottsched (1751: 233–235) steht in der vierten Auflage seiner ‚Critischen Dichtkunst‘ der lateinischen Deklination der PersN eher ablehnend gegenüber. Er empfiehlt, die lateinischen Namenendungen – wenn möglich – wegzulassen und den Namen deutsch zu deklinieren (z. B. Augustus > August, Augusts) oder – wenn die Endung dies nicht zulasse, wie bei Cicero – den Kasus via Artikel anzuzeigen (dem Cicero). Nur in Ausnahmefällen sei die lateinische Deklination anzuwenden. In Grammatiken des frühen 19. Jh. finden sich schließlich vermehrt kritische Äußerungen gegenüber der Anwendung der primär im Schriftsprachlichen zu findenden Fremdflexion. Gleim (1815: 68–69) beispielsweise empfiehlt, „man solle diese Beugungsart immer mehr aus unsrer Sprache zu verbannen suchen, denn man bürdet dem Deutschen, so lange dies nicht geschieht, die Last auf, die Lateinischen Declinationen zu lernen.“ Ein Jahrhundert später urteilt Steche (1927: 145), der die früher übliche lateinische Deklina-

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 143

tion nicht nur für veraltet, sondern für verwerflich hält, noch radikaler: „Diese sprachliche Geschmacklosigkeit stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert, als das Gefühl für die deutsche Sprache seinen tiefsten Stand erreicht hatte“. Insgesamt zeigt sich, dass die deutsche Deklination – wie sie wohl auch im alltäglichen mündlichen Gebrauch zu finden war – im 17. und 18. Jh. nur noch bei maximal einem Drittel bis zu einem Fünftel der Namen im Akkusativ und Dativ vorkommt. Während das 18. Jh. einen Wendepunkt für die lateinische Deklination darstellt, ist das frühe 19. Jh. als recht abrupte Umbruchphase für die deutsche Deklination der Maskulina anzusehen. Um den Gründen für die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen RufN nachzugehen, soll im Folgenden der Einfluss untersucht werden, den der Namenauslaut, der als struktureller Faktor stark mit dem Genus bzw. Sexus verbunden ist, auf die Deklination hat. 4.1.3.5 Auslaut und Namenkörperaffizierung Auch die Qualität des Namenauslauts hat einen Einfluss auf den Flexivabbau im Akkusativ und Dativ, was bedeutet, dass nicht alle Namentypes gleichermaßen der Deflexion unterliegen. Wie Abbildung 31 zeigt, nehmen RufN, die auf /ə/ auslauten, eine Sonderrolle ein, indem sie noch im 19. Jh. in über 55 % der Fälle den nativen Dativ/Akkusativ-Marker -n aufweisen. Diese Beobachtung deckt sich z. T. mit der Aussage bei Schötensack (1856: 114), dem zufolge im 19. Jh. im Akkusativ und Dativ jedes Flexionszeichen weggefallen und nur noch bei den Feminina auf ie die Endung -(e)n gebräuchlich sei. Auffällig ist zudem, dass die RufN mit /ə/-Auslaut (fast) nie lateinisch dekliniert werden (graue Balken in Abbildung 31). Im 17. Jh. existieren also zu den auf /a/ endenden Namen wie Eva, Anna oder Catharina lateinische und deutsche Akkusativformen: Ev-am, Ann-am, Catharin-am vs. Ev-en, Ann-en, Catharin-en, zu den (weit seltener vorkommenden) auf /ə/ endenden Pendants Eve, Anne oder Catharine existiert jedoch nur die eine deutsche Variante – die lateinische Akkusativendung der eDeklination -em kommt nie vor. Auch die vereinzelten Belege mit lateinischem Dativsuffix -ae verteilen sich ausschließlich auf Namen, die nicht auf /ə/ auslauten.

144 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

90% 85% 80%

lateinisch 74%

70% 60%

56%

55% 48%

50%

48% 48%

40% 35% 29%

30%

21%

17.Jh. 17.

18. Jh. 18.

Vv.

7% /ə/

Sib.

Son.

Vollvokal

Sibilant

Son.

/ə/

12%

Obstr.

0%

14%

Obstr.

/ə/

Vollvokal

10%

Sibilant

20%

1% 3%

19.Jh. 19.

Abb. 31: Die native und lateinische Flexion der RufN verteilt nach Auslaut und Jahrhundert38

Dieser Befund lässt sich gut mit dem bereits in Kap. 2.1.3 definierten Prinzip der morphologischen Schemakonstanz erklären, das ganz allgemein besagt, dass gerade bei EN die Konstanthaltung des Wortkörpers durch die Vermeidung wortkörperaffizierender Elemente wie stammformändernder Affixe angestrebt wird. Während das lateinische Akkusativflexiv -am den Namenkörper bei /a/Auslaut konstant hält, da das -m lediglich agglutinierend an den Stamm tritt, führt die native Akkusativendung -en zur Veränderung des Stamms (Anna, Ann-en). Bei Namen, die auf /ə/ enden, ist die lateinische Deklination nicht strukturbewahrender als die native, wie folgende schematische Darstellung zeigt:39

|| 38 Es wurden nur eindeutige Belege berücksichtigt, bei denen die Grundform des Namens bekannt ist. Daneben wurden die beiden Namen Alexander und Balthasar aufgrund der nicht gegebenen Korrespondenz von Graphem und Phonem im Auslaut nicht mit einbezogen. 39 Die Tatsache, dass die lateinische a-Deklination die Default-Deklination für Feminina ist, während die e-Deklination eher als marginal anzusehen ist, wird ebenso bedingt haben, dass das lateinische Muster vorrangig auf weibliche Namen mit – auch im lateinischen typischem – a-Auslaut angewendet wurde.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 145

Anna Anne

SCHEMAKONSTANZ

STAMMMODULATION

lat. -am: Anna-m natives -n / lat. -em: Anne-n/-m

natives -en: Ann-en

Durch die n-Affigierung werden Namen mit /ə/ im Auslaut minimal affiziert: Es erfolgt weder eine Stammmodulation, noch ändert sich die Silbenzahl oder die Silbenstruktur und auch der finale Laut unterliegt keinen phonologischen Prozessen; es ändert sich lediglich die Koda der letzten Silbe. Bei (fast) allen nicht auf /ə/ auslautenden Namen führt die Dativ-Akkusativ-Flexion mit -(e)n zu einer (z. T.) deutlich stärkeren Affizierung des Namenkörpers, wie ein Blick auf Tabelle 15 zeigt. Tab. 15: Die Affizierung der Namenstruktur nach Auslaut

Prozess Auslaut

Stammflexion

phon. Prozess

Resilbifizie- Änderung Silbenzahl rung

Beispiele

/ə/









ʃa⁀ːɐ.lɔṭən

Vollvokal









eː.fən

Sibilant 1–2 Silbe(n) 3–4 Silben

– ✓

– –

✓ –

✓ –

moː.ʁɪʦ̣ən jo.haṇən

– ✓

✓ ✓

✓ ✓

al.be⁀ɐ.tən fe⁀ɐ.di.nan.dən

– –

✓ –/✓

✓ –/✓

vɪl.hɛl.mən ka⁀ːɐln / ka⁀ːɐ.lən

Obstruent stimmlos stimmhaft Sonorant nasal liquid

– –

Bei vollvokalischem Namenauslaut wie auch bei 3–4-silbigen auf Sibilant endenden Namen kommt es zur Stammflexion, da die letzte Silbe getilgt und durch das Flexiv ersetzt wird. Dies wird (vor allem im 17. Jh.) noch eher in Kauf genommen als ein Hiat ([eː.fən] statt *[eː.fa.ən]) oder eine Erhöhung der Silbenzahl bei 3-4-Silbern ([jo.haṇən] statt *[jo.haṇəṣən]). Bei kurzen Namen auf /s/ (1-2-Silber) bleiben die Laute der finalen Silbe zwar erhalten, jedoch erhöht sich die Silbenanzahl um eine Silbe und es findet eine Resilbifizierung statt, indem

146 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

sich die Silbengrenze verlagert ([han.zən].40 Dass die im Sample befindlichen Namen auf /s/ zu Beginn des Beobachtungszeitraums im Akkusativ und Dativ zu 85 % flektieren, liegt in fast der Hälfte der Fälle (41,5 %) daran, dass der Name eine lateinische Flexionsendung erhält (vgl. Abbildung 31). Hier schlägt vor allem der männliche RufN Hieronymus zu Buche, der die lateinische Endung -us aufweist und später eher unflektiert bleibt, als zur deutschen Flexion überzugehen.41 Wie in Tabelle 15 ebenfalls zu sehen ist, bewirkt die -(e)n-Affigierung auch bei auf Nasal oder stimmlosen Obstruenten auslautenden Namen Resilbifizierung und Silbenzahlerhöhung (vgl. [vɪl.hɛl.mən] und [al.be⁀ɐ.tən]). Bei stimmhaftem Obstruent im Auslaut kommt sogar noch ein namenkörperaffizierender Faktor hinzu: Die Auslautverhärtung wird aufgehoben, indem der eigentlich finale Konsonant von der Koda in den Onset der letzten Silbe wechselt (vgl. [fe⁀ɐ.di.nant] vs. [fe⁀ɐ.di.nan.dən]). So weisen Namen mit solch einem finalen Laut schließlich auch im 19. Jh. die niedrigsten Flexionswerte auf. Auf /l/ auslautende Namen weichen insofern von den übrigen Sonoranten ab, als hier auch die unsilbische, namenstrukturschonende Variante -n im Akkusativ und Dativ vorkommt (vgl. [ka⁀ːɐln]). Diese Kurzform führt weder zu Resilbifizierung noch zu einer Erhöhung der Silbenzahl, lediglich die Koda der finalen Silbe wird komplexer. Tatsächlich tritt diese kurze Variante im 18. Jh. vermehrt auf, was den Anstieg der flektierten Namen auf Sonorant in diesem Jahrhundert erklären könnte. In Bezug auf die Werte in Abbildung 31 kann zusammenfassend gesagt werden, dass namenkörperaffizierende Verfahren noch im 17. und 18. Jh. geduldet werden, wobei der Faktor Schemakonstanz im 19. Jh. immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese Beobachtung deckt sich mit folgenden Anmerkungen von Steche, der mit den im 19. Jh. vermehrt aufkommenden Fremdnamen und der zunehmenden Mobilität – die auch die Fixierung der FamN bedingt – zwei außer-

|| 40 Ein genereller Effekt des Faktors Silbenanzahl auf die Deflexion im Akkusativ und Dativ konnte allerdings nicht festgestellt werden. 41 Der Faktor der Fremdnamigkeit spielt ansonsten jedoch keine Rolle hinsichtlich der Deflexion im Akkusativ und Dativ, was daran liegt, dass sich die fremde Herkunft – außer bei Hieronymus – nicht in der Namenstruktur niederschlägt. Dieser Befund ist nicht verwunderlich, da altbekannte und seit jeher im Deutschen gebräuchliche Fremdnamen – wie die im RufNSample – schon im Ahd. und Mhd. wie EN deutschen Ursprungs flektiert wurden (vgl. Steche 1927: 140).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 147

sprachliche Gründe für den zunehmenden Schonungsbedarf des Namenkörpers verantwortlich macht: Der innere Grund ist der, daß vor hundert Jahren die Zahl der vorkommenden Eigennamen so klein war, daß man sie als bekannt voraussetzen konnte, während sie heute so groß ist, daß dies gänzlich unmöglich ist. […] Man darf nämlich nicht in den Trugschluß verfallen und die allbekannten Eigennamen zur Erklärung [für die Konstanthaltung des Namenkörpers – TA] heranziehen. Es ist natürlich richtig, wenn ich sage, daß man die Formen der Goethische und der Bremische heute ebensogut anwenden könnte wie im 18. Jahrhundert, denn jeder Deutsche weiß doch, daß es Goethe und Bremen und nicht Goeth und Brem heißt. Aber nicht auf diese allbekannten Namen kommt es an, sondern auf die wenig oder gar nicht bekannten, denn diese sind in der Mehrheit und infolgedessen das sprachlich Wirksamere. (Steche 1925: 207) Solange es, wie im Mittelalter, nur eine kleine Zahl von Eigennamen gab, war die Verwechslungsmöglichkeit ungefährlich [gemeint ist hier die Möglichkeit, Teile des Flexivs als zum Stamm gehörend anzusehen oder umgekehrt; z. B. ist unklar, ob die Form Heyden die unflektierte Stammform ist oder eine flexivische Variante des FamN Heyde oder Heyd – TA]; das wurde anders, als die Familiennamen häufiger gebraucht wurden und der Verkehr sich mehr ausdehnte. Im Mittelalter konnte man zumeist damit rechnen, daß der Eigenname dem Leser oder Hörer bekannt sei; seit dem 18. und 19. Jahrhundert muß man das Gegenteil annehmen. (Steche 1927: 142)

Die Aussagen Steches (1925, 1927) wiederum decken sich mit den in der Literatur zu findenden Aussagen zur zunehmenden Individualisierung des RufNSystems. Von Polenz (22013: 255) zufolge ist der RufN-Bestand zwar vom 16. zum 17. Jh. zurückgegangen, nimmt daraufhin aber wieder stark zu. Seibicke (2008: 140) sieht vor allem gegen Ende des 19. Jh. mit der Einführung der Standesämter und des Bürgerlichen Gesetzbuches einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der RufN-Gebung hin zu einer individualistischen Namengebung, bei der der Name selbst und nicht mehr traditionelle Motivationen wie beispielsweise familiäre oder religiöse Beweggründe im Vordergrund stehen. Eine stichprobenartige Erhebung von Namen, die erst frühestens ab dem 18. Jh. im DTA zu finden sind,42 zeigt, dass die neueren Namen – die bei den Feminina vor allem auf /a/

|| 42 Die Suche erfolgte anhand einer Auflistung der 1890 beliebtesten RufN auf der Website beliebte-vornamen.de (), letzter Zugriff am 26.04.2018. Folgende Namen dieser Liste sind im DTA erst seit dem 18. Jh. belegt: Fri(e)da, Erna, Bert(h)a, Olga, Wilhelmine, Emmy, Alice, Elly, Gretchen, Mathilde, Caroline, Lina, Elfriede, Alwine, Franziska, Hermine, Lucy, Lil(l)y/Lilli, Irma, Adele, Anita, Marianne, Willy/i, Emil, Alfred, Arthur, Kurt, Oskar, Tony/-i, Alwin, Harry. Dass im Vergleich zu den Frauennamen weniger als halb so viele männliche RufN in der Liste enthalten sind, die nicht schon im 17. Jh. vergeben wurden, spricht dafür, dass bei der RufN-Vergabe an Jungen Tradition eine größere

148 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

oder enden – nahezu ausnahmslos keine Flexive im Dativ/Akkusativ erhalten.43 Ausnahme sind hier wiederum die auf /ə/ endenden Namen wie Friederike, Wilhelmine oder Caroline, die im 18. und 19. Jh. noch frequent das Dativ/Akkusativ-n erhalten. Dazu passt auch die Beobachtung von Fuß (2011: 29, Fn 12) zum Haslideutschen, einem schweizerdeutschen Dialekt, in dem zwar generell noch Kasusendungen am RufN zu finden sind (z. B. Rex-en), bei „bestimmten nicht-traditionellen ‚modernen’ femininen EN“ Namenflexion jedoch unterbleibt (z. B. Claudia-Ø). Bei den nicht althergebrachten PersN wird zur Kasusmarkierung im Haslideutschen stattdessen der (bei Feminina neutrale) Proprialartikel gesetzt, der in komplementärer Distribution zur flexivischen Markierung steht (vgl. Hoekstra 2010: 759–760). Zudem weist Steche (1927: 142) in seiner Bemerkung zur Deflexion auf die Rolle der FamN hin, die aus einem neueren und weniger fixen Inventar schöpfen und somit anfälliger für Doppeldeutigkeiten sind. Wustmann (1891: 57) macht sogar auf einen konkreten Fall aufmerksam, wo die Bücher der Autoren Christ und Weck in Bücherverzeichnissen fälschlicherweise unter Christen und Wecken aufgeführt werden, da die Namen auf den Titeln mit der Präposition von auftreten und daher noch das (zur Zeit der Archivierung wohl schon veraltete) Dativ-Flexiv aufweisen. Ambiguitäten sind hier wohl gerade bei FamN, die aus RufN entstanden sind, häufig, da bei diesen Varianten mit konservierten alten Flexionsendungen (Hansen, Otten) und solche ohne Endungen koexistieren (Hans, Otto), vgl. hierzu auch Kap. 3.2.2. Hier muss der Name schlicht gekannt werden, um die Grundform erschließen zu können. Becker (1994: 59) spricht von einem Selektionsvorteil für die flexivisch nicht markierte Variante, der sich aus deren „paradigmatische[r] Durchsichtigkeit“ ergebe und somit zum Zusammenbruch des onymischen Deklinationssystems geführt habe. Dass der überstabile Dativ/Akkusativ-Marker -(e)n anfangs von den RufN auf die FamN übertragen wurde (vgl. hierzu Nübling 2012: 231 oder Blatz 1900: 338), dort aber schneller wieder abgebaut wurde als bei den RufN, bestätigen auch die Ergebnisse aus der Titelblatt-Studie (vgl. 3.3.2) und der Auswertung des GesamtN-Samples (vgl. Abbildung 25). Beide Studien belegen, dass die || Rolle spielt als bei Mädchen. Wie beispielsweise auch Gerhards (22010: Kap. 8.2) zeigt, wird bei der Benennung von Mädchen zum einen schon früher und insgesamt häufiger auf Namen aus fremden Kulturkreisen zurückgegriffen, zum anderen ist die Veränderungsrate des Nameninventars bei weiblichen RufN deutlich höher als bei männlichen. 43 Ausnahme ist bei den weiblichen RufN Franziska, zu dem sich im 18. Jh. drei flektierte Belege (Franzisken) finden. Für den neueren männlichen RufN Emil lassen sich im 19. Jh. zwei Belege mit Objektmarker finden (Emilen), für den ab dem 18. Jh. frequenten Namen Alfred einer (Alfreden).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 149

Flexionsendung -(e)n beim GesamtN schon zum Beginn des 19. Jh. hin nahezu komplett schwindet und im 18. Jh. prozentual weniger Belege mit der Flexionsendung am Gesamt- bzw. FamN als am RufN zu finden sind. Neben den außersprachlichen Faktoren wie Autor/ Textsorte und namenstrukturellen Faktoren wie dem Auslaut, der stark mit dem Genus/Sexus der benannten Person verbunden ist, spielen auch (morpho-)syntaktische Faktoren eine Rolle bei der RufN-Deflexion. 4.1.3.6 (Morpho-)Syntaktische Faktoren: Polyflexion – Monoflexion – Deflexion Die Deflexion der PersN erfolgt weder abrupt noch unabhängig vom syntaktischen Kontext, in dem der Name auftritt. So wirkt es sich auf die Flexion des RufN aus, ob dieser (i) mit substantivischem Begleitwort auftritt (z. B. König Ferdinand) oder ohne, ob (ii) Kasus bereits an einem Artikelwort ausgedrückt wird oder nicht und ob der Name (iii) als Präpositional- oder Verbalkomplement fungiert. Alle diese Faktoren – die nicht strikt getrennt voneinander betrachtet werden können – sollen hier nun thematisiert werden. Beginnen wir die Ausführungen mit dem Artikelgebrauch bei PersN. Bellmann (1990), der sich aus synchroner und diachroner Perspektive mit dem Artikelgebrauch bei PersN beschäftigt, merkt an, dass der schwindende Objektmarker -(e)n die Grammatikschreibung des 18./ 19. Jh. in ein normatives Dilemma gebracht hat, da die flexivische Markierung des Namens im Dativ und Akkusativ langsam als veraltet und zunehmend sogar als verächtlich galt, die durch das Fehlen von Determinierern entstehende Ambiguität jedoch auch nicht begrüßt wurde (so z. B. bei Schötensack 1856: 113). Die schwindende flexivische Postdetermination durch Prädetermination via Determinierer zu kompensieren – wie beispielsweise Gottsched (1751: 233–235) es für lateinische Namen explizit empfiehlt – wird allerdings auch nicht immer als Ausweichstrategie empfohlen. Hierzu äußert sich beispielsweise Heinatz (1785: 179) – zitiert nach Bellmann (1990: 262) – kritisch: „Sich mit Vorsetzung des Geschlechtswortes helfen, macht die Sache oft schlimmer [...]“. Bellmann (1990: 262) zieht als Fazit, dass somit „als unverfängliche Möglichkeit nur die kombinierte -en-Endungs- und Artikellosigkeit [blieb], ein Verfahren, dem wiederum der Nachteil der – bis auf den Genitiv und sein -(e)s – beseitigten Kasusmarkierung und die dadurch ausgelöste Furcht vor der grammatischen Ambiguität entgegenstand“. Was den Artikelgebrauch bei PersN betrifft, so muss man zwischen primärer Artikelhaltigkeit (80a), wie sie in ober- und mitteldeutschen Varietäten vorkommt, und der sekundären Artikelhaltigkeit (80b), wie sie auch im heutigen Standarddeutschen grammatisch ist, unterscheiden (siehe 2.1.2.2).

150 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

(80)

a. der Moritz hat den Max mit dem Felix betrogen b. hat der schüchterne Moritz seinen netten Max tatsächlich mit dem komischen Felix betrogen?

Beide Arten von Determinierern – der nicht-normkonforme obligatorische Namenbegleiter sowie der syntaktisch geforderte Artikel – können den Kasusausdruck in Nominalgruppen mit PersN übernehmen. Um zu untersuchen, welche Rolle der onymische Artikel bei der Deflexion am Namen spielt, soll der primäre Artikelgebrauch hier separat betrachtet werden. Potentiell sind in den drei betrachteten Zeitabschnitten somit vier (bzw. sechs) Möglichkeiten gegeben, Namen im Akkusativ und Dativ zu gebrauchen: (i) POLYFLEXION a. onymischer Artikel + Namenflexion b. syntaktischer Artikel + Namenflexion (81)

a. wird von der Julien geliebet b. mit dem heiligen Hieronymo

[lohenstein_feldherr03_1690:98] [sandrart_academie0102_1675:201]

(ii) MONOFLEXION 1 kein Artikel + Namenflexion (82)

Sie fanden Moritzen in dem Wirthshause

[jung_lebensgeschichte_1835:42]

(iii) MONOFLEXION 244 a. onymischer Artikel + keine Namenflexion b. syntaktischer Artikel + keine Namenflexion (83)

a. […] das Gespräch auf den Moritz kam b. von der frommen Ruth

[arnimb_guenderode01_1840:339] [richter_gottfried_1678:36]

(iv) DEFLEXION kein Artikel + keine Namenflexion (84)

und als ich Anna in den Sattel half

[keller_heinrich02_1854:412]

|| 44 Hier wird zwar von Monoflexion, also i. e. S. einer einmaligen Markierung von Kasus innerhalb der Nominalgruppe gesprochen, es werden aber auch Belege mit einbezogen, in denen neben der Markierung am Artikel auch flexivische Kasusmarkierung am Adjektiv erfolgt. Hier steht der Unterschied zwischen der flexivischen Markierung am EN und einer anderweitigen (auch mehrmaligen) Kasusmarkierung innerhalb der Nominalgruppe im Vordergrund.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 151

Einen Fall, der sich syntaktisch von den eben angesprochenen abhebt und somit separat betrachtet werden muss, stellen Namen in Juxtapositionen dar. Schließlich hebt schon Steche (1927:146), der Gründe für die sich im 18. Jh. herausbildende Monoflexion im Genitiv thematisiert, die Rolle appositiver Syntagmen hervor, indem er sie als Motor für den Flexivabbau am Namen erklärt. Wie bereits in Kap. 3.1.1 erläutert, entscheidet das Vorhandensein eines Determinierers, welche Funktion der EN innerhalb eines solchen Syntagmas einnimmt. Während die Verbindung aus einem Titel, einer Berufs- oder Verwandtschaftsbezeichnung und einem PersN bei Vorhandensein eines Determinierers den Status einer Juxtaposition mit dem APP als linkem Kopf hat (85), handelt es sich bei artikellosen Syntagmen um mehrteilige EN mit dem PersN als rechtsstehendem Kopf (86). (85)

die Princessin Margarethen besuchen

(86)

brieffe von Hertzog Moritzen

[wartmann_germania04_1652:80] [arnold_ketzerhistorie02_1700:388]

Fast ein Drittel aller RufN-Belege (31 %) im Akkusativ oder Dativ kommen in solch einer Verbindung vor. Wie Abbildung 32 zeigt, sind bei diesen noch im 17. Jh. alle Formen der Kasusmarkierung innerhalb der Phrase möglich. Aus heutiger Sicht fällt vor allem die Polyflexion ins Auge: In über einem Viertel der Fälle erfolgt die Kasusmarkierung sowohl am Determinierer (und ggf. dem appellativischen Kopf) als auch am RufN (87). Steche (1927: 146) irrt sich also bei der Aussage, dass der PersN in Juxtapositionen seit jeher ungebeugt blieb, was auch schon die Genitivbelege in Kap. 3.3.3 gezeigt haben, bei denen sich Polyflexion noch weit länger gehalten hat. (87)

dem Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Moritzen [vietor_johannes_1617:27]

Nur geringfügig häufiger, nämlich bei 30 % der Belege findet sich in Juxtapositionen im 17. Jh. eine bloße Markierung am Determinierer. Bei mehrteiligen EN (also artikellosen Belegen) überwiegt die Markierung am RufN (33 %) gegenüber der Flexivlosigkeit (11 %).

152 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

100% 80%

11%

29% 30% Deflexion

60% 40%

9%

66% Artikelflexion

33%

70% Namenflexion

20% 26%

14% 1%

10%

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 396

n = 509

n = 543

Polyflexion

Abb. 32: Die Entwicklung der Dativ- und Akkusativmarkierung innerhalb einer Nominalgruppe mit dem RufN als Teil einer Juxtaposition

Schon zum 18. Jh. hin ändern sich die Verhältnisse radikal. Bei Juxtapositionen setzt sich die alleinige Kasusmarkierung am Determinierer durch, Polyflexion ist nur noch bei 10 % der RufN-Belege zu finden. Wenn kein Determinierer vorhanden ist, überwiegt die Flexion des RufN mit 14 % noch leicht gegenüber der Nicht-Flexion (9 %). Zum 19. Jh. hin wird die flexivische Markierung des Namens in Juxtapositionen unabhängig vom Vorhandensein eines Determinierers vollständig abgebaut. Akkusativ und Dativ werden nun entweder am Determinierer oder gar nicht mehr angezeigt. Schaut man sich demgegenüber die RufN-Belege ohne appellativische Begleiter an, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Wie Abbildung 33 zeigt, ist Polyflexion innerhalb der Nominalgruppe mit bloßem RufN (d. h. ohne begleitendes substantivisches Nominal) schon im 17. Jh. nur marginal möglich (11 %). Die Tatsache, dass eine Kookkurrenz von Artikel und flexivischer Markierung am Namen möglich gewesen ist, zeigt jedoch, dass Prä- und Postdetermination nicht schon immer komplementär distribuiert waren, wie es z. B. für gegenwärtige Varietäten des Deutschen, wie das Haslideutsche, beschrieben wird (vgl. Hoekstra 2010). Tatsächlich geht aber bei bloßen RufN die alleinige flexivische Markierung von Dativ und Akkusativ am Namen langsamer und weniger stark zurück als bei Namen in Begleitung von Titeln, Verwandtschafts- oder Berufsbezeichnungen. Während es noch im 17. Jh. keinen großen Unterschied macht, ob der RufN allein oder mit substantivischem Begleitwort steht, führt Letzteres im 18. Jh. zu einem Rückgang der Namendeklination von 33 % auf 14 %; im 19. Jh. sind Fle-

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 153

xive am Namen komplett geschwunden. Bei bloßen RufN hingegen ist vom 17. zum 18. Jh. hin bei Artikellosigkeit kein Rückgang der flexivischen Markierung zu beobachten (35 %); auch im 19. Jh. ist die monoflexivische Variante mit Namenflexion, aber ohne Determinierer noch bei 16 % der Belege zu finden und somit nicht vollständig abgebaut.

100% 16% 31%

80% 60%

64%

37%

Deflexion

31% Artikelflexion

40% 20% 0%

35%

35%

11%

4%

20%

Namenflexion

16%

Polyflexion

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 663

n = 882

n = 1674

Abb. 33: Die Entwicklung der Dativ- und Akkusativmarkierung innerhalb einer Nominalgruppe mit Rufnamen ohne substantivisches Begleitwort

Der gravierendste Unterschied zwischen RufN in appositiven Syntagmen und Namen ohne substantivischen Begleiter ist bei der monoflexivischen Variante, bei der Kasus am Artikel und nicht am Namen ausgedrückt wird, zu verzeichnen. Während sich die Verbindung aus Titel, Verwandtschafts- oder Berufsbezeichnung und PersN seit dem 18. Jh. hin zu einer Juxtaposition mit obligatorischem Artikelgebrauch entwickelt, nimmt die Möglichkeit, Kasus über einen Determinierer zu markieren, bei RufN ohne substantivisches Begleitwort ab.45 Dies ist nicht verwunderlich, da der Gebrauch eines Determinierers bei PersN –

|| 45 Die Unterschiede hinsichtlich der Kasusmarkierungsverfahren zwischen Phrasen mit bloßen Rufnamen und solchen mit Namen in einem Juxtapositionsverhältnis sind in allen drei Jahrhunderten signifikant: 17. Jh.: 2 (3) = 38,35, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,19; 18. Jh.: 2 (3) = 227,49, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,40; 19. Jh.: 2 (2) = 485,89, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,47 (im 19. Jh. wurde die nicht mehr auftretende Polyflexion nicht miteinbezogen). Die Effektstärke ist erwartungsgemäß im 19. Jh. am größten. Die standardisierten Residuen zeigen, dass im 17. Jh. vor allem der Unterschied bei der Polyflexion maßgeblich ist (+/- 6,02); im 19. Jh. hat der Unterschied bei der monoflexivischen Artikelflexion den größten Effekt (+/- 21, 73).

154 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

außer in gewissen syntaktischen Konfigurationen wie z. B. bei Attribuierung – schon früh stigmatisiert wird (wie die in Bellmann 1990: 257–270 zusammengestellten Zitate aus historischen Grammatiken zeigen) und mit zunehmender Standardisierung eine immer größere Zurückdrängung erfährt. Nimmt man die monoflexivische Markierung von Kasus am Determinierer genauer in den Blick, so wird deutlich, dass syntaktische Artikel und echte onymische Artikel bei bloßen RufN sich nicht gleich verhalten (vgl. Abbildung 34).46 50% 40% 30%

11% sonstige

10% 20%

12%

6%

syntaktisch 6% 7%

10% 14%

onymisch

14% 7%

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 663

n = 882

n = 1674

Abb. 34: Die Verteilung von onymischem und syntaktischem Artikel bei Belegen ohne flexivische Kasusmarkierung am Rufnamen

Während der syntaktische Artikel zum 18. Jh. abnimmt und dann konstant bleibt, geht der onymische Artikel erst vom 18. zum 19. Jh. hin zurück.47 Obwohl es sich bei den Texten, die dem Korpus zugrunde liegen, um überregional gültige schriftsprachliche Quellen handelt, kommt der echte onymische Definitartikel im 17. und 18. Jh. bei ca. 14 % aller Dativ/Akkusativ-Belege ohne Namenflexion vor. Auch der Anteil anderer Determinierer – in Abbildung 34 unter ‚sonstige’ zusammengefasst –, wie Possessivartikel (meiner (liebenswerten) Charlotte), Demonstrativartikel (diese (schöne) Julia) oder Indefinitartikel (eine (andere) Elisabeth), die primär semantisch motiviert sind und allesamt die Ka-

|| 46 Bei der polyflexivischen Kasusmarkierung unterscheiden sich die beiden Artikeltypen nicht hinsichtlich der Frequenz. 47 Sowohl der Unterschied zwischen dem 17. und dem 18. Jh. als auch zwischen dem 18. und dem 19. Jh. sind signifikant; die Effektstärke ist jedoch gering: 17. vs. 18. Jh.: 2 (2) = 11,21, p = 0,004**, Cramér’s V = 0,15; 18. vs. 19. Jh.: 2 (2)= 16,05, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,16.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 155

susmarkierung übernehmen, sinkt erst zum 19. Jh. hin. So wird im 18. Jh., das als Umbruchperiode hinsichtlich der Namenflexion gelten kann, Kasus auch bei schwindender flexivischer Markierung am PersN selbst noch häufiger prädeterminierend am Artikel markiert. Im 19. Jh. setzt sich bei Syntagmen mit bloßen RufN die komplette Deflexion, sprich das Fehlen einer Kasusmarkierung sowohl am Determinierer als auch am Namen, weitestgehend durch (vgl. Abbildung 33). In diesem Jahrhundert nehmen vor allem onymische Definitartikel sowie Possessiv-, Demonstrativund Indefinitartikel ab. Fasst man die monoflexivischen Belege, also alle Syntagmen, in denen die Akkusativ-Dativ-Markierung entweder an einem Determinierer oder am Namen selbst markiert wird, zusammen, so zeigt sich recht eindeutig, dass die Deflexion kein abrupter Prozess ist. Wie Abbildung 35 visualisiert, nimmt die monoflexivische Markierung von Kasus nur sukzessive ab. Die Variante, Kasus innerhalb der Nominalgruppe mit onymischem Bestandteil gar nicht mehr zu markieren, setzt sich erst im 19. Jh. als dominantes Muster durch. 100% 16% 31%

80%

64% 60% 40%

Deflexion 72%

20% 0%

Monoflexion

65% 36% 11%

Polyflexion

4%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 663

n = 882

n = 1674

Abb. 35: Die Entwicklung von Poly-, Mono- und Deflexion in Phrasen mit bloßem Rufnamen

Interessanterweise wird Kasus innerhalb der Nominalgruppe mit onymischem Bestandteil bereits seit dem 17. Jh. bevorzugt entweder am Namen oder am Begleitwort ausgedrückt.48 EN – wie andere Nomina – konnten also auch ohne

|| 48 Wie Ackermann (eingereicht) zeigt, wird der Objektmarker signifikant häufiger konserviert, wenn der Akkusativ bzw. Dativ nicht prädeterminierend via Determinierer angezeigt wird. Geht

156 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

kongruierende adjektivische Wortform kasusspezifisch sein. Im Gegenwartsdeutschen gilt das für Substantive mit flexivischer Akkusativ- und/ oder Dativmarkierung – wie z. B. die schwachen Maskulina – laut Gallmann (1996, 1998) nicht mehr. Für diese kann eine Regel formuliert werden, die Gallmann (1996: 288–290) als Suffix-Regel – oder treffender als „doppelt oder nichts“-Prinzip – bezeichnet hat, und die ausdrückt, dass Substantive im Gegenwartsdeutschen für Kasus „unterspezifiziert“ sind (vgl. hierzu auch Müller 2001). Gemeint ist hiermit, dass beispielsweise das Akkusativ/Dativ -(e)n bei den schwachen Maskulina eben gerade dann realisiert werden muss, wenn das Substantiv mit einem kasusauslösenden adjektivisch flektierenden Element auftritt und andernfalls wegfällt, wie die Beispiele in (88) illustrieren: (88)

a. mit Kasussuffix: ein Orchester mit eigen-em Dirigent-en b. ohne Kasussuffix: ein Orchester mit Dirigent

Wie Abbildung 35 zeigt, ist die polyflexivische Option wie in (88a) bei Konstruktionen mit einem proprialen Kopf bereits im 17. Jh. veraltet, während das „nichts“ der „alles oder nichts“-Regel sich ab dem 19. Jh. als die Default-Option herausbildet. Das Übergangsstadium ist durch eine längere Phase des „entweder oder“ gekennzeichnet. Die bereits thematisierten (dialektalen) Daten aus dem Haslideutschen und dem Festlandnordfriesischen zeigen, dass solch eine Monoflexion innerhalb der DP/NP, wie sie zwischen dem 17. und 19. Jh. üblich war, in manchen Varietäten noch heute praktiziert wird, da Kasus entweder am Namen oder am Begleitwort markiert wird. Hoekstra (2010) führt dies darauf zurück, dass kasusmarkierte EN, Artikel, Personalpronomen und pränominaler Genitiv (im Festlandnordfriesischen) dieselbe syntaktische Position, nämlich die D-Position, einnehmen und sich somit gegenseitig ausschließen. Als letzter syntaktischer Faktor soll noch der Unterschied zwischen präpositionalem Kasus und obliquem Kasus in den Blick genommen werden. Dabei wird grob zwischen präpositional regierten RufN und Namen in DPs/NPs, die als direkte oder indirekte Objekte den Kasus vom Verb zugewiesen bekommen,

|| dem Namen über alle Jahrhunderte hinweg ein onymischer Artikel voraus, ist nur bei 9 % der Belege Namenflexion zu verzeichnen; bei syntaktisch gefordertem Artikel sind es 17 %. RufN ohne Determinierer kommen über alle Jahrhunderte hinweg hingegen zu 37 % flektiert vor (2 (2) = 340,02, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,27).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 157

unterschieden.49 Die syntaktische Funktion, also z. B. der Unterschied zwischen einer PP mit RufN, die als Präpositionalobjekt oder als -attribut auftritt, bleibt unberücksichtigt, da kein Einfluss der Funktion der PP auf die Flexion angenommen wird. Zudem werden hier wieder nur diejenigen RufN-Belege in den Blick genommen, die nicht in Verbindung mit einem nominalen Begleitwort auftreten. Zunächst ist festzuhalten, dass RufN im Akkusativ oder Dativ im gesamten Sample häufiger Komplemente von Präpositionen (57,6 %) als verbal regierte DPs/NPs sind (42,4 %). Was die Kasusverteilung betrifft, so dominiert bei präpositionaler Rektion – ganz entsprechend der Erwartungen – der Dativ mit 75 %, bei verbaler Rektion dominieren erwartungsgemäß direkte Objekte und somit der Akkusativ (62 %). Wie Abbildung 36 zeigt, ist die Nicht-Markierung von Kasus innerhalb von Nominalgruppen, die von einer Dativ- oder Akkusativpräposition regiert werden, schon im 17. Jh. mit 27 % vergleichsweise hoch (z. B. mit Alexander). Während monoflexivische Belege im 17. und 18. Jh. dominieren, spielt die Polyflexion schon zu Beginn des Beobachtungszeitraums nur eine marginale Rolle (z. B. von der Julien). 100% 80% 60%

27% 40% 78%

32%

Deflexion Artikelflexion

23% 40%

Namenflexion 20%

34%

0%

7%

34%

11%

3%

11%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 304

n = 468

n = 1081

Polyflexion

Abb. 36: Die Entwicklung der Akkusativ- und Dativmarkierung bei präpositional regierten Nominalgruppen mit Rufnamen

Vom 18. zum 19. Jh. ist ein radikaler Abbau der monoflexivischen Kasusmarkierung – hier vor allem bei der Namenflexion – zu verzeichnen (z. B. mit Agnesen,

|| 49 Zwei Belege, in denen der RufN als possessiver Dativ fungiert, blieben unberücksichtigt.

158 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

von der Rahel). Im 19. Jh. dominiert ganz klar die Deflexion mit 78 % (z. B. bei Ferdinand). Schaut man sich demgegenüber die Entwicklung der Kasusmarkierung in verbal regierten DPs/NPs mit bloßem RufN an, so ergibt sich ein weniger progressives Bild. Die Polyflexion, die im 17. Jh. zwar noch bei 15 % der Belege zu beobachten ist, wird zwar auch zum 19. Jh. hin komplett abgebaut, doch greift die Deflexion im Untersuchungszeitraum nicht so stark, wie Abbildung 37 zeigt. Im 19. Jh. erfolgt noch bei über der Hälfte der Belege eine einfache Kasusmarkierung innerhalb der Nominalgruppe – bei fast einem Viertel am RufN selbst, bei über einem Drittel am Determinierer. Während bei der flexivischen Markierung am RufN zum 19. Jh. hin ein Rückgang um 11 Prozentpunkte zu verzeichnen ist, nimmt die Kasusmarkierung via Determinierer in allen drei Zeitabschnitten nur unwesentlich ab.50 100%

8%

20%

80%

39% 40%

60%

Deflexion

39% 36%

40% 36%

Namenflexion 36%

20% 0%

Artikelflexion

15%

25%

Polyflexion

5%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 359

n = 412

n = 593

Abb. 37: Die Entwicklung der Akkusativ- und Dativmarkierung bei verbal regierten Nominalgruppen mit RufN

|| 50 Über alle Jahrhunderte betrachtet, unterscheiden sich präpositional regierte Nominalgruppen mit RufN hinsichtlich der Kasusmarkierungsverfahren signifikant von verbal regierten Nominalgruppen mit RufN (2 (3) = 406,06, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,36. Die standardisierten Residuen (alle größer +/- 5,7) zeigen, dass alle flexivischen Optionen (Polyflexion, Namenflexion, Artikelflexion, Deflexion) signifikant zum berechneten 2-Statistik-Wert beitragen. Die Residuen zeigen zudem, dass vor allem das deflexivische Muster bei präpositional regierten DPs/NPs mit RufN stark überrepräsentiert ist (+ 9,47).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 159

Nun ist es nicht verwunderlich, dass die Anzeige von Kasus innerhalb einer DP/NP formal zuerst da schwindet, wo sie keinen funktionalen Nutzen hat. Präpositionen regieren defaultmäßig einen festen Kasus – außer bei Wechselpräpositionen, wo die Selektion von Dativ bzw. Akkusativ semantisch gesteuert ist – wobei keine eindeutige Beziehung zwischen der Semantik der Präposition und dem Kasus ableitbar ist. Die Zuordnung von Präposition und selegiertem Kasus ist hier also in den meisten Fällen arbiträr und die Wahl des entsprechenden Kasus bei schwankender Rektion, wie man sie aktuell z. B. bei wegen beobachten kann, ist rein stilistischer Natur. Selbst im nicht-onymischen Bereich können Substantive, die im Singular zwar defaultmäßig einen kasusanzeigenden Determinierer mit sich führen, in PPs auch problemlos ohne Artikel und Adjektiv – und sogar ohne flexivische Markierung – auftreten, wie das bereits angeführte Beispiel Orchester ohne Dirigent zeigt (vgl. hierzu auch Dürscheid 2007: 99–101). Dass bei ohnehin primär artikellosen RufN die monoflexivische Variante mit Determinierer und unflektiertem Namen (z. B. gegen den Sebastian) seit dem 18. Jh. innerhalb der PP eine untergeordnete Rolle spielt, verwundert also nicht.51 Ganz anders sieht es bei verbal regierten Kasus aus. Hier ist Kasus mit der semantischen Rolle, die die entsprechende Phrase einnimmt, verknüpft und somit funktional, weshalb Synkretismus durch Deflexion länger – und in vielen deutschen Dialekten noch heute – vermieden wird. Gerade bei den obligatorisch auf belebte Entitäten referierenden RufN ist eine Markierung relevant, wenn sie nicht in der prototypischen und somit unmarkierten Agensrolle sondern als Patiens oder Rezipient auftreten. Durch den Markerschwund am Namen selbst kommt dem onymischen Artikel, der bei inhärent definiten Namen in seiner Funktion als Definitheitsmarker obsolet ist, unter anderem die Rolle der Kasusmarkierung zu (vgl. hierzu Werth 2015b). Dies sei laut Gottsched (1751: 235) vor allem bei lateinischen Namen der Fall, bei denen nach dem Abbau der lateinischen Deklinationsendungen im frühen Nhd. nicht ohne weiteres (obliquer) Kasus angezeigt werden konnte:

|| 51 Da der Dativ der Default-Kasus für Präpositionen ist – 74,6 % der untersuchten präpositional regierten RufN stehen im Dativ – und adpräpositionaler Kasus seltener flexivisch am Namen markiert wird, kann so teilweise der im 17. und 18. Jh. insgesamt niedrigere aggregierte Wert für flexivische Dativ- vs. Akkusativ-Markierung erklärt werden (vgl. die Übersicht in Abbildung 22; das Ausbleiben lateinischer Dativflexive bei den Feminina trägt daneben auch einen Teil bei). Schaut man sich in allen drei Zeitabschnitten nur verbal regierten Kasus an, so sind tatsächlich kaum Frequenzunterschiede zwischen flexivischer Dativ- und Akkusativmarkierung auszumachen.

160 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

[I]n der ersten Endung, oder im Nennfalle [ist] kein Geschlechtswort nöthig […]. Hergegen in den anderen Fällen würde es wunderlich klingen, wenn man sagen wollte, Phyllis Hand, an Phyllis, gib es Phyllis, von oder mit Phyllis; wie einige neuere so verstümmelt schreiben wollen. Hier fehlen überall die Artikel zur Deutlichkeit. (Gottsched 1751: 235)

So beschreibt auch Behaghel (1923: 52), dass der onymische Artikel vor allem bei fremden PersN und dort nur in den obliquen Kasus aus Gründen der Deutlichkeit aufkam; die Präposition lasse den Kasus hingegen deutlich genug erkennen, weshalb der Artikel seit Schiller – also dem späten 18. Jh. – dort wieder schwinde. Die datenbasierte Studie von Schmuck & Szczepaniak (2014) bestätigt nun, dass sich der onymische Artikel, der heute vor allem im Oberdeutschen voll grammatikalisiert ist, zuerst im Dativ und Akkusativ herausgebildet hat und erst später auf den Nominativ überging – wobei hier nicht nach verbal und präpositional regiertem Kasus unterschieden wurde (zur Artikelsetzung im Genitiv siehe 4.1.4). Die artikellose Standardsprache hat statt der Kasusanzeige letztendlich die Satzgliedstellung fixiert (vgl. Nübling 2012: 237–238). 4.1.3.7 Zusammenfassung Die Betrachtungen zum Abbau der flexivischen Markierung von -(e)n im Akkusativ und Dativ bei RufN haben gezeigt, dass verschiedene Faktoren für den Markerabbau bzw. -erhalt verantwortlich sind.52 Die Untersuchung des phonologischen Faktors ‚Namenauslaut‘ hat gezeigt, dass nicht alle Namentypes in gleichem Ausmaß vom Flexivabbau betroffen sind. Je nachdem, wie stark der Namenkörper durch den überstabilen Marker -(e)n affiziert wird, lassen sich stärkere bzw. schwächere Schwundtendenzen erkennen. Hier wird ersichtlich, dass der funktionale Faktor ‚Schemakonstanz‘ eine große Rolle bei der Namendeflexion spielt. Auch die Tatsache, dass RufN, die erst ab dem 18./19. Jh. im Deutschen frequent auftreten, nie flektiert vorkommen, spricht dafür, dass besonders fremde Namen strukturell konstant gehalten werden. Dieses Streben nach Konstanthaltung gilt im 17. Jh. noch nicht, wo deutsche Namen (im Schriftsprachlichen) sogar lateinisch flektiert werden können. Ein Vergleich zwischen RufN und GesamtN hat deutlich gemacht, dass auch die Namenklasse bzw. Komplexität eine Rolle bei der Deflexion spielt. Die prototypischeren, belebteren RufN konservieren die Namenflexion im Dativ und Akkusativ länger als

|| 52 Für eine Analyse der hier diskutierten Daten mit einer binären logistischen Regression, die zeigt, dass den Prädiktoren auch in einem multifaktoriellen Modell ein signifikanter Einfluss zukommt, siehe Ackermann (eingereicht).

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 161

die jüngeren FamN, auf die der onymische Marker -(e)n nur temporär übertragen wurde. Neben namenstrukturellen Faktoren hat sich auch die syntaktische Umgebung, in der der RufN auftritt, als relevant erwiesen: Tritt ein Name in Kombination mit einem substantivischen Nominal auf, werden Akkusativ und Dativ schon früher (ab dem 18. Jh.) nicht mehr am Namen, sondern am (das substantivische Nominal begleitenden) Artikelwort markiert. Auch präpositional regierte Namen neigen früher zur Deflexion, was mit dem hier fehlenden semantischen Nutzen in Zusammenhang gebracht wird. Demgegenüber hält sich die flexivische Kasusmarkierung am Namen in verbal regierten DPs/NPs – wo Kasus die semantische Rolle formal kodiert – länger, wobei auch der onymische und der syntaktische Artikel eine größere Rolle spielen. Die Daten bestätigen somit die Annahme, dass die schwindende Namenflexion und die Herausbildung des onymischen Artikels sich gegenseitig bedingt haben.

4.1.4 Genitiv – Determinanten der paradigmatischen und syntagmatischen Deflexion vom 17. bis zum 20. Jahrhundert Während Dativ und Akkusativ prototypischerweise Objektkasus darstellen, ist die Domäne des Genitivs der attributive Bereich. Tatsächlich handelt es sich bei 99,1 % der insgesamt 3.253 im Sample vorkommenden Belege um adnominale Genitive, die somit im Fokus der Analyse stehen.53 Formal hat sich mit dem überstabilen -s der Genitiv- bzw. reanalysierte Possessivmarker am längsten gehalten, noch heute tritt er in adnominalen (bevorzugt präponierten) Possessivphrasen ohne Determinierer an männliche wie auch weibliche PersN (vgl. Kap. 5). Gleichwohl ist auch die Entwicklung des Genitivs in den Kontext der onymischen Deflexion zu stellen. Bereits in Kap. 4.1.2 wurde die paradigmatische Deflexion – sprich die Reduktion der Allomorphie – im Fnhd. thematisiert, deren radikales Fortschreiten im frühen Nhd. nun datenbasiert dargestellt werden soll. Und auch auf syntagmatischer Seite ist laut der Aussagen von Grammatikern wie Paul (1917: 157) oder Steche (1927: 145–146) seit dem 19. Jh. beim Genitiv ein Abbau der flexivischen Markierung am Namen zu verzeichnen.

|| 53 Die 13 Genitivobjekte und die 15 präpositional regierten Genitive sollen aufgrund der geringen Tokenfrequenz vernachlässigt werden.

162 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

4.1.4.1 Der Abbau der Allomorphie Betrachten wir zunächst – unabhängig von der Stellung des Genitivattributs (bzw. des regierenden Elements) – die Allomorphie in diesem Kasus. Dabei fällt auf, dass für den Genitiv ein viel reicheres Endungsinventar zu verzeichnen ist als für den Dativ und Akkusativ. Was in Anbetracht des oben Gesagten wenig überrascht, ist die Tatsache, dass auch hier lateinische Flexive besonders im 17. Jh. eine große Rolle spielen, diese aber auch zum 19. Jh. (fast) gänzlich zurückgehen. Wie bei den anderen Kasus sind im Beobachtungszeitraum große Unterschiede zwischen RufN für weibliche und männliche Personen zu verzeichnen. Ein Blick auf die in Abbildung 38 dargestellte Allomorphie bei den Maskulina – vgl. hierzu auch die Beispiele in (89) und (90) – zeigt, dass im 17. Jh. die lateinische Deklination mit 57 % überwiegt. Die Namen folgen dabei entweder der konsonantischen (-is) oder der o-Deklination (-i). Die konsonantische Deklination findet sich allerdings im gesamten Untersuchungszeitraum nur bei dem auf /s/ auslautenden Namen Johannes (Gen: Johann-is) und hält sich dort bis zum 19. Jh.54 Bemerkenswert ist, dass bei über einem Drittel der deutsch flektierenden Namen (insgesamt 13 %) im 17. Jh. noch die schwache Endung -(e)n zu beobachten ist (z. B. Moritz-en). Das heute überstabile -s spielt bei den Maskulina im 17. Jh. somit noch keine dominierende Rolle (z. B. Balthasar-s).55 Das ändert sich radikal zum 18. Jh. hin. Zum einen wird -s nun agglutinierend an die schwache Endung gehängt (9 %) – wohl auch um eine klarere Opposition von Dativ/Akkusativ vs. Genitiv zu schaffen – und das schwache –(e)n geht fast vollständig (auf 1 %) zurück; zum anderen breitet sich -s da aus, wo das lateinische -i schwindet. (89)

(90)

a. lat. konsonantische Deklination:

Johannis

b. lat. o-Deklination:

Alberti

a. dt. starke Deklination:

Alberts | Albert’s

b. dt. gemischte Deklination:

Albertens

c. dt. schwache Deklination:

Ferdinanden

|| 54 Das bedeutet, dass Johannis als Type in Abbildung 38 im 17. Jh. ganze 21 % der Tokens ausmacht. Die übrigen Flexive entfallen auf weitaus mehr verschiedene RufN. 55 Dieses Verhältnis ist vor allem auch für die gesprochene Sprache relevant, wo die lateinische Deklination keine Rolle gespielt hat.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 163

100%

21% 9%

80%

is 8%

3%

i

60% 13%

36% 40% 20%

's

56%

s

21%

45% (e)ns

1% 0%

13%

9%

17. Jh

18. Jh.

19. Jh.

n = 327

n = 656

n = 902

1%

1%

(e)n

Abb. 38: Die Allomorphie bei Maskulina im Genitiv56

Im 19. Jh. hat sich -s bei den Maskulina als alleiniger Marker (fast) komplett durchgesetzt; -(e)ns findet sich nur noch bei 1 % der Belege, die schwache Flexion ist komplett abgebaut. Bei den 58 % Belegen mit Genitiv-s wird das Flexiv bei mehr als einem Fünftel via Apostroph abgetrennt. Diese graphematische Neuerung findet sich im Singular in diesem Ausmaß bei keinem anderen Kasus und in keinem früheren Zeitabschnitt.57 Insgesamt macht Abbildung 38 ersichtlich, dass innerhalb der drei betrachteten Zeitabschnitte nicht nur ein Rückgang an Allomorphie zu verzeichnen ist, sondern auch syntagmatische Deflexion am Namen erfolgt, indem die flexivische RufN-Markierung von 91 % im 17. Jh. auf 62 % im 19. Jh. zurückgeht. Wie unten gezeigt wird, erfolgt der Markerschwund im Genitiv im Gegensatz zu Akkusativ und Dativ nur dort, wo Kasus innerhalb der Nominalgruppe bereits am Determinierer ausgedrückt wird.58

|| 56 Im 17. Jh. tritt ein Mal die silbische Genitivendung -es auf, im 19. Jh. zwei Mal Apostroph bei auf /s/ auslautendem Namen. Diese drei Fälle wurden – ebenso wie ein fälschliches -e im 18. Jh. – nicht in die Graphik mit aufgenommen. 57 Im Akkusativ/Dativ findet sich die apostrophische Abgrenzung des Flexivs bei lediglich 8 Instanzen (5 Mal Carl’n, je 1 Mal Alexander’n, Julie’n und Anna’n; alle 19. Jh.) und ist daher vernachlässigbar. 58 Bei den GesamtN ergibt sich ein sehr ähnliches Bild wie bei den maskulinen RufN (weshalb sie hier auch nicht separat aufgeführt werden): Im 18. Jh. herrscht noch Allomorphie (-(e)n, -(e)ns, -s und lateinische Flexive), die zum 19. Jh. zugunsten von -s (fast) vollständig abgebaut wird. Die Annahme von Nübling & Schmuck (2010: 155), der zufolge den FamN bei

164 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Betrachten wir die Feminina, so ergibt sich hinsichtlich der Allomorphie ein ganz anderes Bild. Wie Abbildung 39 zeigt, ist die Verteilung auf lateinische und native Flexive im 17. Jh. fast 50 : 50. Was die lateinischen Endungen betrifft, so findet sich fast ausschließlich das -ae der a-Deklination, das -is der konsonantischen Deklination ist vernachlässigbar. Was die nativen Flexive betrifft, so entfallen 5 % auf schwaches -(e)n und 21 % auf die Doppelendung -(e)ns. Bei 7 % der Belege findet sich schon bloßes -s, was dafür spricht, dass sich der Marker – ausgehend vom Paradigma der starken Maskulina – bereits ab dem 17. Jh. langsam auf andere Klassen ausbreitet (vgl. (91) und (92)). (91)

(92)

a. lat. konsonantische Deklination:

Hildegardis

b. lat. a-Deklination:

Catharinae

a. dt. schwache Deklination:

Catharinen

b. dt. gemischte Deklination:

Catharinens

c. dt. starke Deklination:

Catharinas | Catharina’s

100% 80% is 1% 60%

ae 30%

40% 7% 20% 0%

19%

1% 4%

3% 1%

14%

21%

29%

5%

3%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 201

n = 325

n = 718

27%

's s (e)ns (e)n

Abb. 39: Die Allomorphie bei Feminina im Genitiv

|| der Durchsetzung des überstabilen -s eine Vorreiterrolle zugekommen sein soll, kann durch die Daten also nicht bestätigt werden.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 165

Im 18. Jh. geht die lateinische Deklination bei den Feminina fast vollständig (auf insgesamt 4 %) zurück. Während -s weiterhin eine marginale Rolle im Paradigma der Feminina spielt und schwaches -(e)n fast komplett schwindet, nimmt die Doppelendung zu und entfällt nun auf über ein Viertel aller genitivischen Belege. Erst zum 19. Jh. gewinnt bloßes -s bei den Feminina stark an Bedeutung und ist noch vor der bis dato dominierenden Doppelendung, die immer noch bei 27 % der Namen zu finden ist, der am häufigsten zu beobachtende Marker (33 %). Dass das genitivische -s ab dem 19. Jh. via Apostroph vom Namenkörper abgetrennt werden kann, haben wir schon bei den Maskulina gesehen. Bei den Feminina spielt dieser morphographische Apostroph jedoch eine signifikant größere Rolle: Bei mehr als jedem zweiten Beleg auf -s (58 %) findet sich das grenzmarkierende Zeichen (2 (1) = 90,377, p < 0,001***,  = 0,35). Ein weiterer Unterschied zwischen Feminina und Maskulina liegt in der syntagmatischen Markierung des Genitivs. Ein Vergleich mit den Maskulina zeigt, dass die flexivische Markierung bei femininen Namen insgesamt weniger frequent ist. Im 17. Jh. werden zwar 64 % der weiblichen Namen flektiert, doch liegt das primär an der lateinischen Deklination, die auch für Feminina ein Flexionssuffix bereitstellt. Die schwindenden lateinischen Endungen führen schließlich im 18. Jh. dazu, dass nur noch bei 41 % der Belege ein Genitivsuffix vorliegt. Bei den Maskulina tritt im 18. Jh. -s an die Namen, die zuvor lateinisch dekliniert wurden; die Feminina gehen zur Nullmarkierung über, wenngleich sie aufgrund ihres vokalischen Auslauts (lediglich Feminina auf a wurden lateinisch flektiert) in die ehemals schwache Deklination (mit (e)n(s)-Flexiv) hätten übergehen können (vgl. 4.1.2, Tabelle 14). Dies zeigt, dass die schwache Flexion im 18. Jh. nicht mehr als produktives Muster gelten kann, sich das -s aber noch nicht als überstabiler Marker durchgesetzt hat. Bezüglich der flexivischen Markierung spielen ab dem 18. Jh. auch zunehmend syntaktische Faktoren wie die Stellung des Genitivattributs in Kombination mit der Artikelhaltigkeit eine entscheidende Rolle, was den kurzzeitigen Rückgang der flexivischen Markierung in diesem Jh. bedingt. Wie unten gezeigt wird, geht der Anteil präponierter Feminina im 18. Jh. stark zurück, bei den postponierten Namen übernimmt primär der Artikel die Genitivanzeige und die flexivische Markierung am Namen wird obsolet. Im 19. Jh. steigt der Anteil flexivisch markierter (artikelloser) Feminina wieder auf 60 % an, was auch daran liegt, dass -s sich als klassenübergreifender Marker durchsetzt und sowohl an konsonantisch auslautende und somit ursprünglich stark flektierende Feminina wie Elisabeth oder Gertrud (mit eigentlich seit dem Mhd. zunehmend geltender Nullmarkierung) als auch an ehemals schwach flektierende feminine RufN wie

166 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Anna oder Catharina (mit ursprünglich geltender (e)n-Markierung) tritt und sukzessive zum 20. Jh. hin die Doppelendung (die übergangsweise auch bei starken Feminina auftrat) ablöst. Mit der Durchsetzung des klassenübergreifenden -s steigt bei den Feminina auch wieder der Anteil pränominaler Genitive. 4.1.4.2 Auslaut und Namenkörperaffizierung Im Akkusativ/Dativ hat sich das überstabile -(e)n bereits am Übergang zum frühen Nhd. weitestgehend als klassenübergreifendes Flexiv durchgesetzt, sodass hier zwar der Abbau, nicht aber die Ausbreitung dieses überstabilen Markers datenbasiert dargestellt werden konnte. Wie das letzte Kapitel gezeigt hat, finden wir demgegenüber beim Genitiv zwischen dem 17. und 19. Jh. noch reichere Allomorphie, die jedoch mit der Ausbreitung von -s sukzessive zurückgedrängt wird. Wie bei den anderen obliquen Kasus (vgl. 4.1.3) spielt auch beim Genitiv der Auslaut eine steuernde Rolle, nach dem ursprünglich die Namendeklinationsklassenzugehörigkeit geregelt wurde (vgl. 4.1.2): Auf Konsonant endende RufN flektierten im Wesentlichen stark, vokalisch auslautende Namen schwach. Bei den Feminina bedeutet ‚stark‘ seit der sich zum Mhd. durchsetzenden Nebensilbenabschwächung zunehmend Null (-a/-ī >> -e >> -Ø), bei den Maskulina zunehmend unsilbisches -s (-es >> -s). Im schwachen Paradigma entwickelt sich das Genitivflexiv seit dem Mhd. genusunabhängig (von -un, -in, en) zu -(e)n. Seit dem Fnhd. und mit der Ausbreitung des starken -s tritt auch die Doppelendung -(e)ns als Flexiv auf. Diese wird in Abbildung 40 zusammen mit der schwachen Endung als ein Balken dargestellt, da sie den Namenkörper gleich stark affiziert wie schwaches -(e)n. Ein Blick auf Abbildung 40 zeigt nun, dass die alte auslautbasierte Flexionsklassenzuordnung zum Teil noch bis ins 19. Jh. sichtbar ist: Vokalisch auslautende Namen flektieren eher schwach (inkl. -(e)ns), konsonantisch auslautende tendieren zur starken Flexion. Auf /ə/ auslautende RufN müssen hier wieder getrennt von den übrigen Vokalen betrachtet werden, da sie auch hinsichtlich der Genitivflexion eine Sonderrolle einnehmen. RufN wie Eve oder Charlotte konservieren die n-haltige Flexion am längsten, was bereits Wilmanns (1909: 403) bemerkt. Während bei Namen mit /ə/ im Auslaut im 17. und 18. Jh. ausschließlich Belege mit n(s)-Flexiv zu finden sind – das lateinische Flexiv -ae spielt hier gar keine Rolle – tritt im 19. Jh. erstmals das überstabile -s bei 6 % der Belege als Genitivmarker auf, wird jedoch immer durch Apostroph vom Stamm abgegrenzt. In den folgenden zwei Jahrhunderten setzt sich dieses -s schließlich auch bei auf Schwa auslautenden Namen radikal durch, sodass es heute die einzig grammatische Option darstellt (Susannes iPhone vs. ??Susannens iPhone). Interessanterweise findet sich bei auf /ə/ endenden Namen, die auch im Akku-

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 167

sativ und Dativ den überstabilen Marker -n bis ins 19. Jh. konservieren, (fast) ausschließlich (bei 98,5 %) die Doppelendung -ns. Dies zeigt, dass Homonymie mit dem Dativ/Akkusativ auch hier tunlichst vermieden wird. 100% latein lateinisch

94% 90%

-s

88%

-(e)n /-(e)ns

85%

83% 80% 73%

75%

71%

71%

70%

69% 61%

59%

60%

56%

54%

50% 44% 40%

40%

/ә/

Sonorant

Obstruent

Vollvokal

Sibilant

Sonorant

Obstruent

Vollvokal

/ /ə/

Sibilant

Sonorant

/ə/

Vollvokal

10%

Sibilant

20%

Obstr.

30%

0% 17.17. Jh.

18. 18. Jh.

19.19. Jh.

Abb. 40: Die Entwicklung der flexivischen Markierung des Genitivs nach Namenauslaut59

|| 59 Auch hier wurden wieder nur eindeutige Belege mit bekannter Grundform des Namens berücksichtigt. Daneben wurden die beiden Namen Alexander und Balthasar, die bei der Betrachtung zum Dativ/Akkusativ aufgrund der nicht gegebenen Graphem-PhonemKorrespondenz im Auslaut nicht mit einbezogen wurden, der Einheitlichkeit halber auch hier nicht berücksichtigt. Die Tatsache, dass beide Namen im Genitiv ausschließlich das starke -s aufweisen (Alexander kommt ein Mal mit -ns vor vs. 230 Mal mit -s), spricht nun dafür, dass die Namen aufgrund des zugrundeliegenden und verschriftlichten, aber – so die Annahme – lautlich nicht repräsentierten Phonems /ʁ/ schon immer als konsonantisch auslautend wahrgenommen und somit stark flektiert wurden. Es kann natürlich auch sein, dass das im Auslaut in früheren Sprachstufen bzw. bestimmten Regionen als /r/ ausgesprochen wurde.

168 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

RufN, die auf einen Vollvokal auslauten (Säule 3), machen innerhalb der drei untersuchten Jahrhunderte den gravierendsten flexivischen Wandel durch. Noch im 17. Jh. findet sich ausschließlich die silbische Endung -en, häufiger -ens. Die lateinische Endung -ae – im 17. Jh. enthält das Sample nur feminine auf /a/ endende Namen mit dieser Endung – kommt in etwa gleich häufig vor. Bereits im 18. Jh. tritt bei auf Vokal auslautenden Namen wie Eva oder Hugo das -s der starken Deklination auf (5,2 %), die lateinischen Endungen gehen drastisch zurück. Der Normativist Gottsched (1751: 234–235) macht auf die Schwierigkeit, lateinische Namen auf Vollvokal („lauten Buchstaben“) nach dem Rückgang der lateinischen Deklination in den Genitiv zu setzen, folgendermaßen aufmerksam: „Den man kann nicht sagen […] Sylla’s […]. Die Engelländer machens in ihrer Sprache so, und im Deutschen habens einige nachthun wollen; aber noch keine Nachfolger gefunden.“ In dieser Aussage zeigt sich, dass -s bei vollvokalisch auslautenden Namen im 18. Jh. noch nicht voll akzeptiert war, die stammmodulierende deutsche Doppelendung -ens für Fremdnamen aber auch keine Option gewesen zu sein scheint. Im 19. Jh. hat sich -s schließlich dennoch – kritischen Stimmen zum Trotz – als dominanter Marker bei allen vollvokalisch auslautenden Namen durchgesetzt, nur noch bei 10 % der Belege tritt die Doppelendung -(e)ns auf. Namen wie Hans oder Moritz, die einen Sibilanten im Auslaut haben, nehmen bei der Entwicklung des klassenübergreifenden -s aus phonologischen Gründen eine Sonderstellung ein. Bei diesen Namen dominiert im 17. und auch noch im 18. Jh. eindeutig die lateinische Endung -i oder -is; selbst im 19. Jh., in dem die lateinische Deklination der Namen bereits verpönt ist, finden sich noch lateinische Flexive. Bei der deutschen Flexion, die im 18. Jh. leicht auf Kosten der lateinischen zunimmt (2 (1) = 8,73, p = 0,003**,  = 0,18) und auch im 19. Jh. zu finden ist, wird aus phonologischen Gründen stets auf die Doppelendung -ens zurückgegriffen, die laut Steche (1927: 144) jedoch Anfang des 20. Jh. als veraltet gilt. Interessanterweise finden sich im 19. Jh. auch vereinzelt Belege, die im Genitiv ein aufweisen (z. B. Moritz’s) – laut Gottsched (1951: 234) vor allem auch bei Namen mit lateinischer Endung (z. B. Minos’s, Atticus’s). Hier zeigt sich das Dilemma, in das die Schreiber bei schwindender schwacher Deklination geraten sind: Die alte Doppelendung gilt als veraltet, mit einem als „verwerflich“ eingestuften lateinischen Flexiv darf man sich nun auch nicht mehr behelfen, den Namen mit Artikel zu verwenden funktioniert aufgrund des syntaktischen Wandels nur bei Poststellung, ebenso wie die nicht als empfehlenswert geltende von-Umschreibung (vgl. Steche 1927: 144–145). Heute hat sich bei auf Sibilant endenden Namen im schriftlichen Gebrauch die Variante mit Apostroph (Johannes’ Vater) durchgesetzt, wobei Namen mit /s/ im Auslaut –

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 169

vor allem im mündlichen Gebrauch – noch immer häufig einen Zweifelsfall darstellen. Anfang des 20. Jh. wird dieses graphematische Verfahren von Steche (1927: 144) noch als „kümmerliche Verlegenheitsaushilfe“ abgetan, die bei Hörern zu Zweideutigkeiten führt. Sein Vorschlag, die silbische Variante des starken Flexivs -es einzuführen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Schließlich verhalten sich auch konsonantisch auslautende Namen mit finalem Obstruenten oder Sonoranten im 17. Jh. noch nicht einheitlich. Während bei Letzteren bereits zu Beginn des Beobachtungszeitraums die Deklination via -(e)n/-(e)ns dominiert und lateinische Endungen nur bei 10 % der Belege vorkommen, herrscht bei auf Obstruent endenden Namen größere Varianz: Lateinische Endungen dominieren bei Auslaut auf Obstruent mit 59,7 % klar, die deutsch flektierenden Belege entfallen fast hälftig auf die starke (13 %) und die schwache/gemischte Flexion (10 %). Es finden sich sogar bei dem gleichen Namen beide Varianten: Gertrud-s und Gertrud-ens, Ferdinand-s und Ferdinanden(s). Diese Varianz zeigt, dass auch die schwache bzw. gemischte Flexion in einem Übergangsstadium auf ehemals starke Klassen übergehen konnte. Seit dem 18. Jh. dominiert schließlich sowohl bei Namen auf Sonorant als auch bei Namen auf Obstruent ganz klar das uniforme -s. Bei der Ausbreitung des -s als klassenübergreifender Marker spielt wieder der bereits thematisierte, zum 19. Jh. an Relevanz gewinnende Faktor Schemakonstanz eine entscheidende Rolle. Während das schwache bzw. gemischte Genitivflexiv -en(s) bei auf /a/ oder /o/ endenden Namen eine Modulation des Stamms bedingt (Nom.: Hugo, Gen.: Hug-ens) und daher zunehmend dispräferiert wird, hält das unsilbische -s den Stamm konstant (Hugo-s). Bei Namen auf /ə/ wird der Stamm auch bei schwacher/gemischter Flexionsendung konstant gehalten (Nom.: Charlotte, Gen.: Charlotte-ns), weshalb sie sich hier länger halten kann. Bei auf Sibilant endenden Namen bleibt die schwache Endung, die zu Resilbifizierung führt und die Silbenzahl erhöht, aus Mangel an Alternativen bis ins 19. Jh. erhalten; die Konditionierung ist nun aber rein phonologisch und nicht mehr morphologisch. Abbildung 41 fasst das Auftreten von -(e)n/-(e)ns je nach Modulation des Stamms über die drei untersuchten Jahrhunderte noch einmal zusammen. Dabei zeigt sich, dass die silbische Endung im 17. Jh. noch (weitestgehend) unabhängig von der Modulation des auslautenden Vokals auftritt. Zum 19. Jh. hin tritt -(e)n(s) signifikant häufiger nur an Namen, bei denen das Flexiv zu keiner Modulation des Stamms führt, wie z. B. bei Charlotte-ns (2 (1) = 17,86, p < 0,001***,  = 0,23).

170 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

100% 80% 56% 60%

61% 81%

40% 20%

-(e)n(s) (- Modulation) -en(s) (+ Modulation)

44%

39% 19%

0% 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 98

n= 167

n = 204

Abb. 41: Das Auftreten von -(en) und -(e)ns in Abhängigkeit von der Stammmodulation

Auch Nübling & Schmuck (2010) machen auf den gestaltschonenden Charakter des invarianten, nie das silbische -es ausbildendenden -s-Markers bei EN aufmerksam: Auch dies [die fehlende Genitivsuffixalternanz – TA] ist ein klarer Hinweis auf seine gestaltschonende Funktion, denn silbisches -es hätte oft Auswirkungen auf den Wortkörper: Würde Süßkind [ˈzyːs.kɪnt] um -es zu [ˈzyːs.kɪn.dəs] erweitert, hätte dies drei Konsequenzen: Erweiterung von zwei auf drei Silben, Silbengrenzverlegung und Aufhebung der Auslautneutralisierung. Süßkinds [ˈzyːs.kɪnts] verhindert jedoch diese Konsequenzen, abgesehen von der etwas komplexeren Coda […]. Das Suffix -ens hätte ähnliche Folgen, was seinen Rückzug motivieren könnte. […] Damit steht das uniforme Genitiv-s nicht nur im Dienste der (natürlichen) Morphologie, sondern auch der phonologischen Stabilität, der Strukturbewahrung des Namenkörpers. (Nübling & Schmuck 2010: 154–155)

Die gestaltschonenden Qualitäten des unsilbischen -s spielen auch bei der Pluralmarkierung eine entscheidende Rolle. Schließlich tritt der s-Plural primär bei peripheren Substantiven wie (unintegrierten) Fremdwörtern, EN, Kurzwörtern, metasprachlichen Substantivierungen oder Onomatopoetika auf und wird hier z. B. von Wegener (2002, 2004, 2010) als Transparenzplural beschrieben (vgl. 4.2). Nicht grundlos hat sich also das uniforme -s bei den EN als einziger möglicher Marker im Singular und Plural gehalten. Dass auch dieser Marker – hauptsächlich im Singular – mehr und mehr schwindet, kann wiederum mit dem Faktor Schemakonstanz erklärt werden. Schließlich nimmt die syntagmatische Deflexion über alle RufN betrachtet vom 17. Jh. (72 % flexivische Markierung) zum 19. Jh. hin zu (nur noch 58 % flexivische Markierung). In den folgenden Kapiteln sollen nun die syntagmatische Deflexion sowie die determinierenden syntaktischen Faktoren genauer untersucht werden. Zuerst wird dabei die Entwicklung der Position adnominaler RufN im Genitiv thematisiert.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 171

4.1.4.3 Die Position adnominaler Rufnamen im Genitiv In Kap. 2.1.2.2 wurde bereits angeführt, dass sich artikellose EN (und onymisch gebrauchte Verwandtschaftsbezeichnungen) in der Funktion als Possessoren im weitesten Sinne im heutigen Deutschen hinsichtlich ihrer Distribution von APP unterscheiden. Während EN heute uneingeschränkt die Position vor dem Kopfnomen einnehmen können (Hannis Schwester), treten Gattungsbezeichnungen per Default postnominal auf (die Schwester des Mädchens). Phrasen mit appellativischen pränominalen Genitivattributen vom Typ des Spießers Schrebergarten kommen noch vereinzelt vor, werden hier jedoch als Residuen eines älteren Systems gesehen – eines älteren Systems, in dem auch präponierte Genitivphrasen mit (Determinierer und) nicht-onymischem Substantiv grammatisch waren. Diese Stellungsasymmetrie zwischen EN und APP hat sich also erst durch einen syntaktischen Wandel herausgebildet, der bereits recht gut beschrieben ist (siehe z. B. Carr 1933, Ebert 1988, Prell 2000, Demske 2001 und Kopf 2018) und hier in groben Zügen wiedergegeben werden soll. Im Ahd. können Genitivattribute noch uneingeschränkt in pränominaler Position vorkommen, was zu dieser Zeit auch noch die unmarkierte Abfolge darstellt, wie die nach Demske (2001: 217) zitierten ahd. Beispiele in (93) veranschaulichen. Wie Carr (1933) zeigt, folgt das Genitivattribut dem Bezugsnomen nur dann, wenn auch die lateinische Vorlage diese Wortstellung aufweist. (93)

a. fona dhes chrismen salbe von der Ölung Salbe

[Isidor, 3.2]

b. fona paradises bliidhnissu [Isidor, 5.10] von des Paradieses Freude 'von der Freude auf das Paradis' Bereits zum Ende des Ahd. setzt ein belebtheitsgesteuerter Wandel bezüglich der Position des adnominalen Genitivs ein. So lassen sich in verschiedenen Notker-Texten zunehmend postnominale Genitivattribute mit einem unbelebten nominalen Kopf finden (vgl. Carr 1933: 473). Im Mhd. – hier vor allem in Prosatexten – verstärkt sich diese Tendenz zur Poststellung, wobei Prästellung durchaus noch vorkommt und in Verstexten sogar noch der Default ist (vgl. Paul 252007: 326, 328). Laut Demske (2001: 217) und Kopf (2018: 99) ist diese Entwicklung mit dem Ende des 15. Jh. weitestgehend abgeschlossen. In einem nächsten Schritt rücken nun die auf belebte Entitäten referierenden APP im Genitiv hinter ihr Bezugsnomen. Wie Ebert (1988) anhand eines Korpus aus Nürnberger Texten zeigt, werden zu Beginn des 16. Jh. nur noch 63 % der belebten APP präponiert; EN und Titel gehen in den analysierten Texten noch in 93 % der Fälle ihrem Bezugsnomen voraus. Carr (1933: 479), der

172 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

zwölf fnhd. Texte auf die Stellung der Genitivattribute hin untersucht, zeigt, dass diese Periode hinsichtlich der Positionierung von APP mit dem Merkmal [+ belebt] von sehr starker Variation geprägt ist – die Werte für Prästellung reichen je nach Quelle von 100 % bis 32 %. Demske (2001: 219) zeigt anhand der Auswertung von zwei Zeitungsjahrgängen aus dem Jahr 1609 und zwei aus dem Jahr 1667, dass bei konstanter Textsorte binnen weniger als 60 Jahren ein Rückgang präponierter belebter APP von 76 % zu Beginn des 17. Jh. auf 30 % zum Ende dieses Jh. zu beobachten ist – bei EN sinkt der Anteil lediglich um 5 Prozentpunkte (von 91 % auf 86 %). Bei Kopf (2018: 98), deren Studie mit dem Mainzer Korpus Sachprosa zugrunde liegt, ist der Anteil präponierter belebter APP schon im späten 16. / frühen 17. Jh. mit 44,6 % vergleichsweise gering und geht zum späten 17. Jh. auf 31,8 % zurück. Die auf die Nachstellung unbelebter APP folgende sukzessive Postponierung nicht-onymischer Personenbezeichnungen wird somit in allen Studien beobachtet, wobei der Vergleich zeigt, dass der Wandel textsortenbedingt unterschiedlich schnell verläuft.60 Zum frühen 18. Jh. hin soll schließlich der heutige Stand erreicht sein: Lediglich für EN besteht die Option, die pränominale Position einnehmen zu können (vgl. Demske 2001: 219). Mit der Entwicklung der unterschiedlichen Distribution von (phrasalen) nicht-onymischen Genitivattributen (postnominal) und Attributen mit EN (pränominal) geht aber noch eine weitere zentrale Veränderung einher: Das pränominale Element – also der EN im heutigen Deutschen – kann weder mit einem Determinierer kookkurrieren noch eine rechte Erweiterung erfahren. Wie das Fuß (2011:32) entnommene Beispiel in (94) zeigt, waren Artikel und präponierte Genitivattribute im Fnhd. noch nicht komplementär distribuiert und pränominale (95a) sowie postnominale Modifikation (95b) des Genitivattributs war ebenso grammatisch, wie die Beispiele aus dem DTA belegen: (94)

deser [[Salomons] Tempel]

(95)

a. [[des weisen Königs Salomons] Mutter]

[olearius_reise_1647:590]

b. [[deß Königs Pharaonis [in Egypten]PP] geheimbder Rath vnd Stadthalter] [reinkingk_policey_1653:365]

|| 60 Bei dem Stellungswandel spielen auch die Komplexität des Genitivattributs und die semantische Relation zwischen Attribut und Bezugsnomen eine Rolle. Für eine datenbasierte Diskussion dieser Faktoren und ihrer Interaktion sei auf Kopf (2018: 89–107) verwiesen.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 173

Laut Demske (2001) ist der heutige Stand das Resultat eines dreistufigen Wandels, bei dem EN in pränominaler Position als definit-possessive Artikelwörter reanalysiert wurden. Auf diesen und einen alternativen syntaktischen Analysevorschlag soll in Kap. 5.1.2.1 noch genauer eingegangen werden, da hier zunächst der morphologische Aspekt im Vordergrund steht. Halten wir fest, dass für das Fnhd. vor allem ein Rückgang belebter Gattungsbezeichnungen in Prästellung festgestellt werden kann. Onymische Genitivattribute sollen hingegen nach den Auswertungen von Ebert (1988) und Demske (2001) im Fnhd. weiterhin primär präponiert vorkommen. Schon die Auswertung der Titelblätter aus dem späten Fnhd./frühen Nhd. (1490 – 1800) hat gezeigt, dass die Position von Genitivattributen mit mehrteiligen EN zwischen den drei beobachteten Jahrhunderten stark schwankt. Die das frühe Nhd. abdeckenden DTA-Daten suggerieren nun, dass auch die maximal belebten RufN zum 20. Jh. hin immer häufiger in Poststellung vorkommen. Dabei hängt die Stellung eines onymischen Possessors – wie beispielsweise Campe (2013) und Peschke (2014) auch für das heutige Deutsche zeigen – von diversen Faktoren ab. Tabelle 16 zeigt nun das absolute und prozentuale Auftreten präponierter onymischer Genitivattribute (im Verhältnis zu allen adnominalen onymischen Genitivattributen) insgesamt und in Abhängigkeit zur Herkunft des Genitivflexivs (deutsch vs. lateinisch) sowie der Komplexität des Attributs (bloßer RufN vs. RufN mit Artikel (+Adjektiv), Erweiterungsnomen wie Titel, Berufsoder Verwandtschaftsbezeichnung, BeiN oder weiterem Konjunkt). Die Daten zeigen, dass zum einen die lateinische Namenflexion im 17. und 18. Jh. bei onymischen Genitivattributen signifikant weniger häufig mit Prästellung einhergeht (38 % bzw. 34 %) als die deutsche Flexion (68 % bzw. 54 % Prästellung).61 Allerdings ist die Nachstellung keinesfalls auf Namen mit lateinischen Endungen beschränkt, wie dies laut Demske (2001: 219) noch im Fnhd. der Fall gewesen sein soll, da auch 32 % bzw. 46 % der deutsch flektierenden RufN in diesem Zeitraum in Poststellung vorkommen.

|| 61 17. Jh.: 2 (1) = 36,79, p < 0,001***,  = 0,3; 18. Jh.: 2 (1) = 15,91, p < 0,001***,  = 0,16.

174 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Tab. 16: Die Frequenz pränominaler onymischer Genitivattribute gesamt und in Abhängigkeit von der Herkunft des Flexivs sowie der Komplexität des Attributs

PRÄSTELLUNG Jh.

Flexivtyp62

gesamt

Attribut-Komplexität

lateinisch

deutsch

bloßer RufN63

modifizierter RufN

17. Jh.

49% (252)

38% (93)

68% (121)

57%

(95)

45% (157)

18. Jh.

40% (389)

34% (42)

54% (297)

66% (188)

29% (201)

19. Jh.

30% (482)

–––

46% (448)

58% (425)

7%

(57)

20. Jh.

29%

–––

56%

65%

12%

(10)

(36)

(34)

(26)

Ein weiterer relevanter Faktor, der die Stellung vor allem seit dem 18. Jh. maßgeblich steuert, ist die Komplexität des Genitivattributs: Bloße RufN ohne vorangehende Artikel (des (großen) Alexander(-s)) und/oder Erweiterungsnomina vom Typ Erzherzog und/oder nachgestellte BeiN vom Typ der Große kommen signifikant häufiger in Prästellung vor als komplexere Phrasen.64 Hier zeigt sich – wie in 3.3.3 für Juxtapositionen mit Determinierer (z. B. des Königs David) dargestellt – dass die prä- und postnominale Modifikation von präponierten EN seit dem 18. Jh. dispräferiert und ab dem 19. Jh. nahezu ausgeschlossen ist, womit diesbezüglich auch der heutige Stand erreicht wäre (??des Rechtsanwalts Mayer Kanzlei,65 ??Karls des Großen Flötenkonzert). Wie Ackermann (2017) mit einem multifaktoriellen Modell zeigt, haben neben dem Flexivtyp und der Komplexität des Attributs auch Faktoren wie die semantische Relation und die Textsorte einen signifikanten Einfluss auf die Position des onymischen Attributs.

|| 62 Flexivisch nicht markierte RufN (z.B. der Elisabeth-Ø Hand) wurden nicht berücksichtigt, weshalb die absoluten Zahlen in den beiden Spalten addiert nicht die Gesamtzahl präponierter Genitivattribute ergeben. 63 Schaut man sich nur bloße RufN mit deutschen Flexiven an, so überwiegt die Prästellung im 17. und 18. Jh. hier sogar mit über 75 %. 64 18. Jh.: 2 (1) = 113,06, p < 0,001***,  = 0,34; 19. Jh.: 2 (1) = 494,43, p < 0,001***,  = 0,56. 65 Laut Duden-Zweifelsfälle (82016: 718) und Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997: 2045) ist dieses Beispiel voll grammatisch und stellt einen Sonderfall mit möglicher postnominaler Modifikation des pränominalen Bezugsnomens dar. M.E. ist der pränominale Genitiv hier aufgrund der Kookkurrenz von Determinierer und postnominaler Modifikation sogar doppelt fragwürdig.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 175

Die Werte in Tabelle 16, Spalte 2 (Prästellung gesamt) suggerieren zwar, dass nach belebten APP nun sukzessive auch belebte EN zur obligatorischen Poststellung übergehen, wie Ebert (1988) es prophezeit, da die Prästellung insgesamt vom 17. zum 19. Jh. hin von 49 % auf 29 % zurückgeht. Wie die Werte für bloße RufN in Spalte 5 jedoch zeigen, ist die Prästellung unmodifizierter EN über die vier betrachteten Jahrhunderte recht stabil. Gegenwartssprachliche Web-Korpusdaten bestätigen zudem, dass RufN bis heute häufiger in Prä- als in Poststellung erscheinen (vgl. 5.1.1.2). 4.1.4.4 Postnominale Genitivattribute und die syntagmatische Namendeflexion Für onymische Possessoren besteht exklusiv die Option, vor ihrem Bezugsnomen stehen zu können. Wie das letzte Kapitel gezeigt hat, ist die Poststellung schon im 17. Jh. keine Seltenheit. Hier sei noch einmal wiederholt, dass postponierte EN (auch feminine) im heutigen Deutschen entweder s-markiert ohne Determinierer hinter dem Bezugsnomen stehen können (96a) oder – und dies ist bei adjektivischer Modifikation obligatorisch – mit Determinierer und defaultmäßig ohne -s vorkommen (vgl. (96b) vs. (96c)). Die Genitivmarkierung erfolgt also monoflexivisch am Hauptmerkmalsträger (EN) oder am Nebenmerkmalsträger (dem Determinierer). (96)

a. die Leiden Werthers b. *die Leiden jungen Werther(s) c. die Leiden des jungen Werther-Ø / (-s)

(97)

a. *die Bearbeitung Bodens b. die Bearbeitung nährstoffreichen Bodens c. die Bearbeitung des nährstoffreichen *Boden-Ø / Boden-s

Die Beispiele mit appellativischem Genitivattribut in (97) verhalten sich komplett anders und folgen der von Gallmann (2018, siehe auch Duden-Grammatik 9 2016: 982) formulierten Genitivregel, die besagt, dass eine DP/NP nur dann genitivisch markiert sein kann, wenn die DP/NP (i) mindestens einen nichtnominalen Merkmalsträger enthält und sie (ii) mindestens ein Element mit der Endung -es/-s oder -er enthält. (97a) ist im Gegensatz zu (97b) ungrammatisch, da kein nichtnominaler Merkmalsträger vorhanden ist; in (97c) muss das native maskuline Substantiv mit dem Determinierer kongruieren und das Flexiv -s

176 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

aufweisen, um grammatisch zu sein – hier gilt also Polyflexion, die laut Zimmer (2018) für den nativen Substantivbereich als stabil anzusehen ist. Theoretisch ergeben sich für postnominale Genitivattribute – wie auch bei akkusativischen und dativischen DPs/NPs – vier (bzw. sechs) Optionen, den Genitiv innerhalb der Phrase zu markieren: (i) POLYFLEXION a. onymischer Artikel + Namenflexion b. syntaktischer Artikel + Namenflexion (98)

a. vier Bücher […] der Hildegardis

[corvinus_frauenzimmer_1715:432]

b. die Mutter des grossen Alexanders

[lohenstein_feldherr01_1689:1252]

(ii) MONOFLEXION 1 kein Artikel + Namenflexion (99)

das Schlafzimmer Charlottens

[goethe_wahlverw02_1809:263]

(iii) MONOFLEXION 2 a. onymischer Artikel + keine Namenflexion b. syntaktischer Artikel + keine Namenflexion (100)

a. jedes Wort der Anna b. die Tage der schönen Margarethe

[keller_heinrich02_1854:246] [steub_tirol_1846:341]

(iv) DEFLEXION kein Artikel + keine Namenflexion (101)

die Rede Johannes

[klopstock_messias_1749:110]

Da sich Feminina und Maskulina nicht nur hinsichtlich der paradigmatischen, sondern auch hinsichtlich der syntagmatischen Genitivmarkierung voneinander unterscheiden, sollen sie im Hinblick auf ihr morphosyntaktisches Verhalten getrennt voneinander betrachtet werden. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Entwicklung der flexivischen Markierung bei postnominalen Genitivattributen mit maskulinem RufN. Dabei sollen nur bloße RufN ohne substantivisches Begleitwort oder BeiN berücksichtigt werden, auch wenn dieser Faktor die flexivische Markierung nicht so stark beeinflusst wie im Akkusativ und Dativ. Bei den postponierten Maskulina ist im Wesentlichen nur im 19. Jh. der Anteil unflektierter Namen mit Genitivmarkierung am Determinierer (und am Titel, der Berufs- oder Verwandtschaftsbezeichnung) höher, wenn der Name Bestandteil

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 177

eines appositiven Syntagmas ist (z. B. der Palast des Königs Carl). Namen als Bestandteil von linksköpfigen Juxtapositionen mit Flexion des appellativischen Kopfs als Ausgangspunkt für die sich entwickelnde Monoflexion zu sehen, wie Steche (1927: 146) es tut, kann durch die Daten also nicht bestätigt werden. Man bedenke dabei auch, dass in genitivischen Juxtapositionen noch im 17. und 18. Jh. die flexivische Markierung an Artikel, APP und EN (des Königs Salomons) üblich war (vgl. 3.3.3) und die EN-Deklination in diesen Phrasen somit erst später abgebaut wurde als in Verbindungen aus Artikel und bloßem RufN (des Carls), wo die Polyflexion schon im 18. Jh. sukzessive schwindet. Abbildung 42 veranschaulicht nun die Genitivmarkierung bei postnominalen Attributen mit maskulinem RufN im Verhältnis zu allen – also auch pränominalen – Genitivattributen mit maskulinem Namen. 70% 1%

60% 50%

3%

Deflexion Artikelflexion

32% 31%

20% 10%

21%

9%

40% 30%

1%

18%

0%

Namenflexion

38%

Polyflexion 9%

1%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 177

n= 289

n = 481

Abb. 42: Die Genitivmarkierung bei postnominalen Attributen mit maskulinem Rufnamen (im Verhältnis zu allen Genitivattributen mit Maskulinum)

Hier zeigt sich, dass die monoflexivische Markierung des Genitivs am PersN bei Postposition im gesamten Beobachtungszeitraum der Default ist. Bei diesem flexivischen Muster überwiegt im 17. Jh. ganz klar die lateinische Deklination des Namens. Dies lässt darauf schließen, dass die noch heute mögliche Poststellung auf lateinischen Einfluss zurückzuführen ist (vgl. hierzu die Ausführungen im nächsten Abschnitt und explizit Abbildung 46). Wird der Name durch einen Artikel begleitet (in 86 % der Fälle ist dieser syntaktisch gefordert), so dominiert

178 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

noch im 17. Jh. die Polyflexion mit 18 % (versus 3 % alleinige Markierung am Determinierer).66 Im 18. Jh. verschiebt sich dieses Verhältnis: Bei genau der Hälfte aller postponierten Genitivattribute mit Determinierer flektiert das Maskulinum, bei der anderen Hälfte nicht. Die alleinige flexivische Markierung am PersN bleibt weiterhin stabil, wobei der Anteil deutsch flektierter Namen (auf Kosten der lateinischen Flexive) erwartungsgemäß ansteigt. Im 19. Jh. hat sich schließlich die Monoflexion komplett durchgesetzt, was bedeutet, dass der postponierte RufN flektiert, wenn er artikellos auftritt, und die Flexion am Maskulinum unterbleibt, wenn der Genitiv bereits am Artikel markiert wird. Bei 56 % der 99 Belege ohne Flexiv am Namen handelt es sich um einen echt onymischen Artikel, der die Genitivmarkierung übernimmt. In keinem der drei beobachteten Jahrhunderte ist die komplette Deflexion bei postnominalen Genitiven eine Option. Im 18. und 19. Jh. finden sich nur vereinzelte auf Sibilant auslautende RufN, bei denen keine Kasusmarkierung am Namen oder Determinierer erfolgt (z. B. die Bescheidenheit Johannes). Noch heute muss der Genitiv innerhalb der DP/NP monoflexivisch markiert werden; auf /s/ endende postponierte Namen ohne Determinierer gelten als ungrammatisch (vgl. *die Sehenswürdigkeiten Mainz). Vergleicht man postponierte Genitivphrasen mit Maskulina mit solchen, die einen femininen Namen aufweisen, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Nur die Tatsache, dass die komplette Deflexion auch bei Feminina in allen drei Zeitabschnitten keine Option darstellt, kann als gemeinsames Charakteristikum ausgemacht werden und zeigt, dass der Genitiv – anders als verbal oder präpositional regierter Akkusativ und Dativ – innerhalb der attributiven Phrase formal ausgewiesen werden muss, und zwar unabhängig vom Genus/Sexus des KopfNamens.

|| 66 Ein Chi-Quadrat-Test zeigt, dass die Frequenzverteilung der beiden Flexionsmuster signifikant von der erwarteten Verteilung abweicht (χ2 (1) = 18,8, p < 0,001***): Polyflexion wird 35 Mal beobachtet, obwohl sie nur 18 Mal erwartbar wäre; alleinige Artikelflexion kommt nur 5 Mal vor, obwohl sie 18 Mal zu erwarten wäre.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 179

70% 60% 50%

3%

40% 30%

41%

24%

Artikelflexion

20% 10% 0%

Deflexion

19%

21% 4%

14%

30%

Namenflexion Polyflexion

4%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 160

n = 206

n = 552

Abb. 43: Die Genitivmarkierung bei postnominalen Attributen mit femininem Rufnamen (im Verhältnis zu allen Genitivattributen mit Femininum

Die Polyflexion, so zeigt Abbildung 43, spielt bei den Feminina – ganz im Gegensatz zu den Maskulina – selbst im 17. und 18. Jh. nur eine marginale Rolle. Die vereinzelten Belege, bei denen der Genitiv am Namen und am Determinierer markiert wird, weisen alle lateinische Flexive auf (beym Grab der H. Catharinae). Dies deckt sich mit den Aussagen von Steche (1927) und Paul (1917: 256), denen zufolge sich der Determinierer bei Feminina nicht mit der Namenflexion vertrage: Bei diesen [gemeint sind die femininen Namen – TA] hatte sich die Endung -ens, später -s, nur eingebürgert, wenn der Name ohne Deutewort stand […]; die gleichzeitige Anwendung des weiblichen Deuteworts und der rein männlichen Hauptwortendung -s (der Mariens, Maries) wäre zu sehr von der Beugung der Gattungswörter abgewichen. So standen schon immer nebeneinander Mathildes und der Mathilde, Bertas und der Berta, und die Übertragung auf das männliche Geschlecht lag nahe. Steche (1927: 146)

Die DTA-Daten sprechen nun für diese These, der zufolge die schon im 17. Jh. geltende Flexivlosigkeit des Namens bei Anwesenheit eines Artikels bei den Feminina als Vorbild für die Maskulina dient. In den divergierenden monoflexivischen Verfahren liegt nun auch der größte Unterschied zwischen Phrasen mit maskulinem und femininem RufN (vgl. Abbildung 42 vs. Abbildung 43). Bereits im 17. Jh. machen Belege mit alleiniger Artikelflexion bei den Feminina fast 20 % aus – bei den Maskulina sind es nur

180 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

3 %. Die alleinige Namenflexion kommt bei weiblichen Namen auch auf etwa 20 %; hier finden sich etwas häufiger lateinische Flexive als deutsche (20 : 13).67 Bereits ein Jh. später ist die alleinige Markierung des Genitivs am Determinierer bei postponierten Feminina der Default. 41 % der Belege folgen bei der attributiven (prä- und postnominalen) Genitivmarkierung diesem Muster. Davon weisen wiederum mehr als die Hälfte (60 %) den onymischen – also nicht syntaktisch geforderten – Artikel auf. Da die Namenflexion durch den Wegfall der lateinischen Endungen zum 18. Jh. hin stark zurückgeht – nur 14 % der Belege weisen alleinige Namenflexion auf –, übernimmt der Determinierer, auch wenn er syntaktisch nicht gefordert ist, die Genitivmarkierung.68 Zum 19. Jh. ändern sich die Verhältnisse wieder. Die Rolle des Determinierers nimmt zugunsten der monoflexivischen Markierung am Namen ab. Steht der Name in einer appositiven Verbindung (was die Abbildung nicht zeigt), dominiert dennoch weiterhin die Genitivmarkierung via Determinierer (z. B. der Tod der Prinzessin Charlotte). Bei den weiblichen RufN (ohne substantivisches Begleitwort) mit Determinierer sinkt der Anteil des onymischen Artikels im 19. Jh. auf 49 %, was bedeutet, dass der Artikel wieder vermehrt da auftritt, wo er syntaktisch (oder semantisch) gefordert ist. Das -s der starken maskulinen Deklination hat sich nun auch bei den Feminina in Poststellung durchgesetzt (bloßes -s: 62 %, agglutinierendes -ens: 38 %) und kann jetzt die Genitivmarkierung übernehmen. Die postponierten Feminina und Maskulina gleichen sich somit an.69

|| 67 Diese Unterschiede zwischen Maskulina und Feminina sind im 17. Jh. hoch signifikant: χ2 (2) = 38, 44, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,49. Ein Blick auf die standardisierten Residuen zeigt, dass alle flexivischen Optionen signifikant zum berechneten χ2-Statistik-Wert beitragen. Im 17. Jahrhundert ist erwartungsgemäß vor allem der Unterschied bei der monoflexivischen Artikelflexion, die bei den Feminina viel frequenter ist, maßgeblich (+/- 5,83). 68 Auch im 18. Jh. sind die Unterschiede in den flexivischen Markierungsverfahren zwischen Maskulina und Feminina hoch signifikant: χ2 (2) = 70, 36, p < 0,001***, Cramér’s V = 0,52. Die standardisierten Residuen zeigen, dass vor allem der Unterschied bei den beiden monoflexivischen Verfahren maßgeblich ist (Namenflexion: +/- 6,61; Artikelflexion: +/- 8,38). Feminina weisen weit häufiger als erwartet die alleinige Artikelflexion auf (84 Mal beobachtet, 51 Mal erwartet), bei den Maskulina kommt die alleinige Namenflexion häufiger vor als erwartet (89 Mal beobachtet, 63 Mal erwartet). 69 Der Unterschied in den beiden monoflexivischen Verfahren zwischen Maskulina und Feminina ist nur noch schwach signifikant und die Effektstärke sehr gering: χ2 (1) = 4,94, p = 0,03*, Cramér’s V = 0,1.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 181

4.1.4.5 Pränominale Genitivattribute und die Herausbildung des überstabilen s-Markers Für präponierte Genitivattribute ergeben sich dieselben Optionen, Kasus innerhalb der Phrase zu markieren, wie bei der Poststellung. Wie Abbildung 44 zeigt, wird bei maskulinen RufN ab dem 18. Jh. jedoch fast ausschließlich nur noch von einer Strategie Gebrauch gemacht: der alleinigen Markierung des Genitivs via Flexiv am Namen. Noch im 17. Jh. findet sich bei ca. einem Drittel aller präponierten RufN das polyflexivische Muster mit Genitivmarkierung am Namen und am Determinierer (des grossen Alexanders Brustbilde). 60% 50%

1%

1%

4%

40% 30%

Deflexion 4% Artikelflexion

33% 42%

20% 10%

2%

36% 14%

0%

Namenflexion Polyflexion

4%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 177

n = 289

n = 481

Abb. 44: Die Genitivmarkierung bei pränominalen Attributen mit maskulinem Rufnamen (im Verhältnis zu allen Genitivattributen mit Maskulinum)

Ein Vergleich mit den postnominalen Genitivattributen in Abbildung 42 macht deutlich, dass bis zum frühen 18. Jh. hinsichtlich der Modifizierbarkeit des Attributs noch keine großen Unterschiede zwischen Prä- und Poststellung erkennbar sind.70 Zum 18. Jh. hin geht die Polyflexion in präponierten (wie auch in postponierten) Phrasen zurück. Bei Prästellung ist von nun an nur noch die monoflexivische Variante mit Flexiv am Namen möglich, während die alleinige Markierung des Genitivs am Artikel bei Prästellung keine Option ist; sie tritt nur vereinzelt bei auf Sibilant endenden Maskulina auf (des auserwählten Johannes gesegnetes Erbe). Bei diesen Namen wird seit dem 18. Jh. mit dem Schwinden

|| 70 Ein Fisher-Exakt-Test zeigt, dass sich prä- und postponierte Genitivattribute mit maskulinem Kopf im 17. Jh. hinsichtlich der Markierungsverfahren nicht signifikant unterscheiden (p = 0,26).

182 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

der lateinischen Flexive und der schwachen Flexionsendung auch ganz auf eine formale Markierung des Genitivs verzichtet. Auch wenn für Prästellung – wie für Poststellung – per Default gilt, dass der Genitiv innerhalb der Phrase formal markiert sein muss, so stellen auf Sibilant endende Namen eine kleine Ausnahme dar (18. und 19. Jh.: je 4 %). Wir halten fest, dass Maskulina ab dem 18. Jh. sowohl prä- als auch postnominal defaultmäßig ohne Determinierer, aber mit flexivischer Markierung am Namen vorkommen. Nur nachgestellte Namen können auch zum Ende des 18. Jh. hin weiterhin mit einem Determinierer auftreten, was von da an vermehrt mit Flexivwegfall am Namen einhergeht. Neben diesem Unterschied divergieren prä- und postnominal auftretende Namen auch signifikant bezüglich des Durchsetzungsgrades von -s als überstabilem Marker. Schaut man sich nur die flexivisch markierten Namen ohne Determinierer an (Alexanders Hof, der Hof Alexanders), so wird deutlich, dass sich das -s von RufN in Prästellung auf postponierte Namen ausbreitet (vgl. Abbildung 45).

70% 9%

60% 50%

29%

7%

45% 23%

40%

lat.

30%

s

32% 47%

43%

20% 18% 10% 0%

en

18%

17% 4%

4%

ens

1%

2%

1%

Prästellung Poststellung Prästellung Poststellung Prästellung Poststellung 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 115

n = 210

n = 353

Abb. 45: Die Entwicklung der Flexive bei prä- und postnominalen Maskulina ohne Artikel

Der Anteil von -s und der Doppelendung -ens ist im 17. wie auch im 18. Jh. bei präponierten Namen mit 18 % vs. 4 % (χ2 (1) = 12,39, p < 0,001***,  = 0,36) und

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 183

49 % vs. 19 % (χ2 (1) = 33,53, p < 0,001***,  =0,41) signifikant höher. Die lateinische Deklination ist hingegen bei Poststellung des Namens in allen drei Jahrhunderten frequenter als bei Prästellung und hält sich bei postponierten Namen sogar bis ins 19. Jh. Hier zeigt sich noch einmal, dass die Nachstellung eines flexivisch markierten Namens ohne Determinierer mit dem Einfluss des Lateinischen in Verbindung gebracht werden könnte und somit primär dem Schriftsprachlichen entstammt.71 Dies würde wiederum erklären, warum die Poststellung eines artikellosen RufN auch heute noch primär im Geschriebenen zu finden ist und warum diese Serialisierung stilistisch gehobener klingt, obwohl es das neuere Muster ist. Während zum 19. Jh. hin die lateinische Morphologie in den geschriebenen Quellen schwindet, bleibt das syntaktische Muster bestehen, auch wenn es unterschiedliche Bewertungen erfährt. Bereits in Fußnote 38 in Kap. 2 wurde angesprochen, dass die Akzeptabilitätsurteile hinsichtlich Konstruktionen vom Typ der iPod Maries in der Literatur von markiert/archaisch bis ungrammatisch schwanken. Eine kleine Akzeptabilitätsabfrage von Zifonun (2001: 4) hat ergeben, dass die Poststellung eines artikellosen RufN zwar von 77 % der Befragten als voll akzeptabel eingestuft wurde, 10 % finden die Abfolge jedoch mindestens fragwürdig. Und auch laut Duden-Zweifelsfälle (82016: 371) wird die Nachstellung von ein- und zweisilbigen PersN fast ganz vermieden. Wie in Kap. 5.1.1.2 anhand von gegenwartssprachlichen Korpusdaten gezeigt wird, treten bloße, unmodifizierte RufN heute vor allem in formaleren schriftsprachlichen Kontexten in Poststellung auf, wobei die Prästellung insgesamt stark dominiert. Schauen wir uns nun die Entwicklung der flexivischen Markierung in präponierten Genitivattributen mit femininem RufN an, die in Abbildung 46 wiedergegeben ist. Wie bei den Maskulina dominiert auch hier in allen drei Beobachtungszeiträumen die alleinige flexivische Markierung am RufN. Im 19. Jh. ist dies mit 45 % sogar über alle Genitivattribute hinweg das dominierende Muster. Im 18. Jh. dominiert demgegenüber noch die Poststellung mit Artikel und unflektiertem RufN (vgl. Abbildung 43). || 71 Wie im Absatz zur Entwicklung der Stellung adnominaler RufN im Genitiv erwähnt wurde, kommt das Muster mit nachgestelltem Genitivattribut laut Carr (1933) im Ahd. zunächst nur dort vor, wo die lateinische Vorlage diese Serialisierung vorgibt. Und auch im Fnhd. – konkret: bei Luther – findet Carr (1933) die Abfolge mit nachgestelltem genitivischem PersN nur bei lateinischem Einfluss bzw. lateinischer Deklination des Namens. Auch in der Frühneuhochdeutschen Grammatik von Reichmann & Wegera (1993: 337) findet sich die Angabe, dass Namen mit lateinischen Genitivformen – im Gegensatz zu deutsch flektierenden Namen – im 16. Jh. überwiegend nachgestellt werden.

184 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

60% 1% 50% 1%

13% 40%

6% Deflexion

30% 20%

34%

45% 33%

Artikelflexion Namenflexion

10% Polyflexion 0%

6%

1%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 160

n = 206

n = 552

Abb. 46: Die Genitivmarkierung bei pränominalen Attributen mit femininem Rufnamen (im Verhältnis zu allen Genitivattributen mit femininem Rufnamen)

Marginal – und nur etwa halb so frequent wie bei den Maskulina – ist bei den Feminina im 17. Jh. auch die Polyflexion möglich (der Even hertz). Häufiger kommt jedoch die monoflexivische Variante mit Determinierer und flexivlosem RufN vor (13 %). Im Gegensatz zur Postposition geht dieses Muster (der Rahel Amme) jedoch zum 18. Jh. zurück und ist im 19. Jh. so gut wie gar nicht mehr zu finden (1 %). Die Restriktion, der zufolge der präponierte Name keine (pränominale) Modifikation mehr erfahren darf, greift ab dem 18. Jh. also auch bei den Feminina. Ebenso wie bei den Maskulina muss in allen drei Zeitabschnitten der Genitiv innerhalb der präponierten Phrase formal markiert werden. Wie bzw. mit welchem Flexiv die formale Markierung am artikellosen RufN in Abhängigkeit von der Stellung erfolgt, zeigt Abbildung 47. Zunächst ist noch einmal festzuhalten, dass die alleinige RufN-Flexion bei den Feminina viel häufiger in Prä- als in Poststellung vorkommt. Bei Postposition überwiegt die Flexivlosigkeit mit Determinierer. Wie bei den Maskulina überwiegt auch bei den Feminina im 17. Jh. bei Poststellung signifikant die lateinische Deklination, während bei Prästellung häufiger als erwartbar deutsches -(e)ns, seltener auch -s, zu finden ist (χ2 (1) = 9,72, p = 0,002**,  =0,36). Bereits ab dem 18. Jh. sind positionsunabhängig nur noch deutsche Genitivflexive zu finden – allerdings ist die Tokenzahl für postponierte flektierte Feminina mit 28 Belegen sehr gering, was zeigt, dass das morphosyntaktische Muster mit dem Rückgang der lateinischen Flexive vorerst abnimmt. Im 19. Jh. hat sich das unsilbische -s vor allem bei den nachgestellten Namen gegen die Doppelendung durchgesetzt, bei vorangestellten Namen finden sich diese beiden Varianten gleich häufig.

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 185

80% lat. 70% 9%

15%

s

60%

(e)ns

50% 40%

8%

20%

25%

38%

1%

30%

22%

7%

10% 0%

1% 5%

62%

30%

(e)n

30%

23%

15%

8%

1%

Prästellung Poststellung Prästellung Poststellung Prästellung Poststellung 17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 87

n = 97

n= 416

Abb. 47: Die Entwicklung der Flexive bei prä- und postnominalen Feminina ohne Artikel

Mit der Zunahme von -s im 19. Jh. steigt auch die Tokenzahl prä- sowie postponierter flektierter Feminina ohne Artikel: Fast ein Drittel (30 %) aller Genitivattribute steht ohne Artikel hinter dem Bezugsnomen und sogar fast die Hälfte (45 %) aller Genitivattribute weist das Muster [RufNGen N] auf (vgl. Abbildung 43 und Abbildung 46). 4.1.4.6 Zusammenfassung Die in diesem Kapitel dargestellten Ergebnisse zeigen, dass sich der beobachtete Zeitraum auch hinsichtlich der Genitivmarkierung als Umbruchphase erweist. Auf der paradigmatischen Seite wird Allomorphie abgebaut und das -s der starken maskulinen Deklinationsklasse breitet sich als überstabiler Marker auf alle anderen Klassen aus. Dieser Abbau und die Stärkung von -s erfolgen keineswegs unsystematisch bzw. unmotiviert. Gesteuert durch den Faktor Schemakonstanz breitet sich das strukturbewahrende -s von den konsonantisch auslautenden ehemals starken Klassen zuerst bei auf Vokal, aber nicht auf /ə/ endenden Namen aus. Letztere konservieren das Suffix -ns am längsten, da der Wortkörper durch die alte Doppelendung nicht mehr affiziert wird als durch kurzes -s. Dass sich -s letztendlich auch hier durchsetzt – einzige Ausnahme sind auf Sibilant endende Namen, die heute fast ausschließlich unflektiert blei-

186 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

ben –, zeigt, dass sich die Konditionierung der Allomorphe sukzessive vereinfacht, da sie zunehmend formalen Prinzipien folgt. Dies kann mit Nübling (2012: 232–234) als Vereinfachung von Morphologie „hinter den Kulissen“ bezeichnet werden, die in aller Regel eine Vorstufe auf dem Weg zur Deflexion darstellt. Schließlich setzt sich bei allen PersN das -s als überstabiler Marker durch, der ab dem 19. Jh. vorrangig nur noch dann auftritt, wenn der Genitiv nicht bereits an einem Begleitwort markiert wird (Alberts Hund, der Hund Alberts vs. der Hund des Albert-Ø). Hier geben die Feminina den Anstoß, bei denen eine kongruierende Genitivmarkierung an Name und Determinierer bereits im 17. Jh. nur beschränkt möglich ist. Im 18. Jh. – als die lateinischen Flexive bei den Feminina schwinden und sich -s noch nicht durchgesetzt hat – übernimmt primär der (onymische) Artikel die obligatorische formale Genitivmarkierung bei den vorrangig postnominal auftretenden Attributen. Im 18. Jh. greift schließlich die syntaktische Restriktion, der zufolge vorangestellte Genitivattribute keine prä- und postnominale Modifikation mehr erfahren dürfen. Zudem hat die Betrachtung des attributiven Genitivs gezeigt, dass die Poststellung von artikellosen RufN wahrscheinlich auf lateinischen Einfluss zurückzuführen ist. Dieses Muster hat sich bis heute gehalten, auch wenn die lateinischen Flexive zum 18./19. Jh. hin geschwunden sind.

4.1.5 Fazit Die Untersuchungen zur Entwicklung der paradigmatischen und syntagmatischen Kasusdeflexion im Singular haben gezeigt, dass RufN im frühen Nhd. in der Tat eine tiefgreifende Veränderung erfahren. Während im Akkusativ und Dativ der Schwund des bereits im 17. Jh. überstabilen -(e)n am Namen beobachtet werden kann, fällt hinsichtlich des Genitivs die Ausbreitung des klassenübergreifenden -s genau in den Beobachtungszeitraum (18. – 20. Jh.). Doch auch beim formal stabileren Genitiv ist ab dem 18. Jh. zunehmend ein Markerschwund zu beobachten, da das Flexiv am Namen schwindet, wenn der Kasus innerhalb der DP/NP bereits markiert wird. Hinsichtlich der Richtung des Abbaus Akkusativ/Dativ > Genitiv gleichen die PersN interessanterweise morphologisch den appellativischen schwachen Maskulina, bei deren schwankenden Mitgliedern zuerst die Dativ- und Akkusativflexive im Singular abgebaut werden (dem/den Bär-en > dem/den Bär) und erst in einem zweiten Schritt das schwache Genitiv-(e)n durch starkes -s ersetzt wird, was man aktuell bei Lexemen wie Fink: des Fink-en > des Fink-s beobachten kann. Gelegentlich tritt auch hier (zunächst) das starke Genitiv-s agglutinie-

Kasus – Paradigmatische und syntagmatische Deflexion | 187

rend an die schwache Endung (des Buchstabe-n > des Buchstabe-n-s). Laut Thieroff (2003: 114) sei es normal – oder in Wurzels (1991) Terminologie unmarkiert im Sinne der präferenten Flexionsklassenzugehörigkeit –, dass sich der Genitiv formal vom Akkusativ und Dativ unterscheidet und man könne zeigen, „dass es aus syntaktischen Gründen in der Tat äußerst wichtig ist, dass der Genitiv Singular formal möglichst immer von allen anderen Kasus unterschieden wird“.72 Dass dieses Muster bei den EN auch auf Feminina angewendet wird, ist aus appellativischer Perspektive jedoch erstaunlich und spricht dafür, dass das possessive -s am Namen kein kongruierender Kasusmarker mehr ist. Was weiterhin verwundert und sich diametral zur Entwicklung der schwachen Maskulina verhält, ist die Tatsache, dass gerade PersN am Pol maximaler Belebtheit hinsichtlich des Flexivabbaus am Namen eine Vorreiterrolle einnehmen. Bei den schwachen Maskulina sind es schließlich ausgerechnet diejenigen Vertreter mit dem semantischen Merkmal [+ menschlich], die Flexive für alle obliquen Kasus konservieren und durch ihre hohe Belebtheit – so argumentieren Dammel & Gillmann (2014: 222) – die ansonsten im nominalen Bereich gültigen Relevanzverhältnisse ‚Numerusprofilierung vs. Kasusnivellierung’ außer Kraft setzen. Hier kommt der semiotische Sonderstatus der EN zum Tragen: Namen, die etikettengleich Direktreferenz leisten, driften auch formal immer mehr in Richtung nichtflektierbare Elemente. Die Erkennbarkeit des onymischen Stamms gewinnt vor allem mit der Zunahme an Fremdnamen im 19. Jh. an Bedeutung. Wie in diesem Kapitel gezeigt werden konnte, verläuft der Markerschwund nicht unsystematisch, sondern gesteuert durch das Streben nach möglichst großer Konstanthaltung des Namenkörpers. Im Dativ und Akkusativ führt dies zur kompletten Deflexion, im Genitiv zur Herausbildung des überstabilen ‚Transparenz’-Markers -s und monoflexivischen Strukturen. Wurzels (1991: 176–177) Erklärung, der Flexivabbau am EN sei aus natürlichkeitsmorphologischer Sicht systemangemessen, da substantivische Flexionsparadigmen ohne Kasussuffixe im Deutschen den unmarkierten Fall darstellen, ist prinzipiell richtig, greift jedoch zu kurz, da die Erklärung nicht berücksichtigt, dass PersN im Standard nicht von einem Artikel, über den im Deutschen normalerweise die Kasussymbolisierung erfolgt, begleitet werden. Wie die Daten gezeigt haben, erweisen sich Determinierer – darunter auch der expletive oder onymische Artikel – bei aufkommendem Flexivabbau am Namen

|| 72 Wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, werden selbst hinsichtlich der temporären lateinischen Deklinationsendungen homonyme Akkusativ-/Dativ- und Genitivformen vermieden. Gibt es nur einen Marker, wie z. B. das -ae der femininen a-Deklination, so wird dieser (primär) als Genitivmarker genutzt.

188 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

übergangsweise durchaus als kompensatorische Kasusanzeiger. Im Gegensatz zum syntaktisch geforderten Definitartikel oder zu semantisch determinierten Possessiv- oder Indefinitartikeln kann sich der onymische Artikel jedoch in der geschriebenen standardnahen Varietät nicht durchsetzen. Der Genitiv nimmt hier insofern eine Sonderrolle ein, als der onymische Definitartikel hier auch im Standard sanktioniert ist (z. B. die Memoiren des Sherlock Holmes).73 Ein Blick auf die Daten aus dem Zeitraum zwischen dem 17. und 19. Jh. in Abbildung 48 zeigt nun, dass der onymische Definitartikel über die drei Jahrhunderte vor allem im Akkusativ (von 16 % auf 10 %) und Dativ (von 19 % auf 7 %) signifikant an Frequenz abnimmt (Akkusativ: χ2 (1) = 15,47, p < 0,001***,  = 0,15; Dativ: χ2 (1) = 71,28, p < 0,001***,  =0,25). 60%

sonstige Det. onym. Det.

50% 40% 30% 30%

31% 15% 21%

20%

23%

16% 14%

10%

16%

19%

20% 14%

12%

11% 10%

15% 10%

7%

Akk.

Dat.

11%

0% Akk.

Dat. 17. Jh.

Gen.

Akk.

Dat. 18. Jh.

Gen.

Gen.

19. Jh.

Abb. 48: Das Vorkommen der verschiedenen Determinierer nach Kasus und Jahrhundert (ohne Namen als Bestandteil von Juxtapositionen)

Im Genitiv ist mit einem Rückgang um 3 Prozentpunkte ein weniger starker, aber dennoch signifikanter Einbruch zu verzeichnen (χ2 (1) = 5,529, p = 0,019*,

|| 73 Hier sei angemerkt, dass Wahrig (2003: 321) den Gebrauch des onymischen Artikels bei postponierten bloßen RufN im Genitiv im Umgangssprachlichen verortet. Standardsprachlich sei er nicht korrekt.

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 189

 = 0,06). Die DTA-Daten sprechen insgesamt dafür, dass mit zunehmender Standardisierung und Normierung der Schriftsprache auch der onymische Artikel in den betrachteten standardnahen Schriftquellen schwindet. Laut Schmuck & Szczepaniak (2014) hat sich der onymische Artikel nicht nur regional gestaffelt, sondern auch abhängig von der Namenart ausgebreitet. Während der onymische Artikel in Hexenverhörprotokollen des 16./17. Jh. in Verbindung mit einem Bei- oder FamN vergleichsweise häufig auftritt, kommt er in Kombination mit einem RufN nur in Ausnahmefällen vor. Geht man wie Schmuck & Szczepaniak (2014) oder Schmuck (im Druck) von einer ursprünglichen Entstehung des Artikels in Kombination mit BeiN und einer darauffolgenden Ausbreitung entlang der Individualitätsskala (BeiN/FamN > GesamtN > RufN) aus, so ist der hohe Anteil des onymischen Artikels bei den hier untersuchten RufN im 17. und auch noch im 18. Jh. recht bemerkenswert. Auch die große Zahl nicht-expletiver Determinierer, die sich vor allem im 17. und 18. Jh. in Verbindung mit bloßen RufN finden lassen, sprechen dafür, dass die Kasusanzeige in der Phase des Flexivschwunds am Namen auf Begleitwörter ausgelagert wurde, und das auch in standardnahen Textsorten.

4.2 Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie Da EN sich semantisch durch ihre Monoreferenz auszeichnen, spielt die Pluralflexion im Vergleich zur Kasusflexion eine viel geringere Rolle. Dennoch ist auch die formale Entwicklung des EN-Plurals in den größeren Kontext der Namendeflexion zu stellen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Dass PersN in Bezug auf den Numerus im heutigen Deutschen ein flexionsmorphologisches Sonderverhalten aufweisen, wurde bereits in Kap. 2.1.2.1 angesprochen und soll hier nun korpusdatenbasiert dargestellt werden. Im Wesentlichen hat sich heute das uniforme -s als dominierender Pluralmarker durchgesetzt (die Ackermann-s, die Zimmer-s), wobei es zum Teil sogar wieder dort schwindet, wo der Plural bereits an einem Begleitwort ausgedrückt wird (die beiden Peter). Zu Beginn von Kap. 4 wurden bereits einige Beispiele gegeben, die belegen, dass diese Sparflexion im 19. Jh. noch nicht galt. Da der Plural bei PersN – wohl auch in den dem DTA zugrundeliegenden Textsorten – ein außerordentlich seltenes Phänomen darstellt, ist er diachron korpuslinguistisch nur schwer zu untersuchen. Aufgrund der schlechten Beleglage können in diesem Kapitel zwar demnach keine quantitativen Aussagen zum diachronen Allomorphieabbau gemacht werden, es soll in Kap. 4.2.2 jedoch eine qualitative Analyse der wenigen vorliegenden Korpusbelege erfolgen. Daneben werden die Aussagen und Beispiele aus Grammatiken des 18. – 20. Jh.

190 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

herangezogen (vgl. 4.2.1), um ein deutlicheres Bild der Pluralallomorphie im frühen Nhd. nachzuzeichnen. Dabei soll in Kap. 4.2.3 auch knapp auf die Entstehung und Ausbreitung des s-Plurals, wie sie in der Literatur beschrieben wird, eingegangen werden. Die Ergebnisse einer Recherche im Webkorpus DECOW2012 sollen letztendlich zeigen, inwiefern das Plural-s an RufN und FamN im Gegenwartsdeutschen tatsächlich vom Abbau betroffen ist (vgl. 4.2.4).

4.2.1 Aussagen zum Namenplural in historischen Grammatiken Laut der Aussage von Paul (1917: 158), dass „Plurale […] ursprünglich von Eigennamen nicht gebildet“ werden, muss es sich bei der Pluralfähigkeit von EN um ein neueres Phänomen handeln, das – so ist zu vermuten – im Fnhd. aufkam. Paul (1917: 158) merkt weiterhin an, dass das Sprachgefühl zu seiner Zeit „inbezug auf die Pl.-Bildung der Eigennamen ziemlich unsicher“ sei. Auch Wilmanns (1909: 715) hält fest, dass keineswegs Einigkeit hinsichtlich des zu verwendenden Pluralflexivs herrscht, wobei er die „Mannigfaltigkeit und Unsicherheit in der Prägung der Pluralform“ damit begründet, dass die Sprache der Pluralisierung von EN widerstrebe. Aus heutiger Sicht lässt die Unsicherheit eher darauf schließen, dass die Allomorphie im Plural bereits Anfang des 20. Jh. im Wandel war und zu dieser Zeit – sicherlich auch aufgrund der niedrigen Frequenz von EN-Pluralen – einen linguistischen Zweifelsfall dargestellt hat. Das heutige System, bei dem pluralisierte PersN in den meisten Fällen mit uniformem -s gebildet werden oder keinen Pluralmarker aufweisen, muss sich also erst im Laufe des 20. Jh. herausgebildet haben. Primäre Quelle der Unsicherheit sind jedoch weiterhin auf /s/ endende Namen. Anhand des Studiums diverser historischer Grammatiken aus dem späten 18. bis frühen 20. Jh. lässt sich das ursprüngliche System der Namen-Plurale recht gut rekonstruieren. Die genannten Flexive (-e, -(e)n, -ne, -s, -(e)ns, -es, -Ø) lassen reiche Allomorphie vermuten, wobei bei RufN in Analogie zu den APP im Wesentlichen das Genus die Deklinationsklasse steuert: Feminina erhalten im Plural in der Regel das Suffix -(e)n, Maskulina hingegen -e (vgl. Schötensack 1856: 115–116, Matthias 1897: 48, Blatz 1900: 337, Wilmanns 1909: 403–404 und Steche 1927: 149). Demnach wurden EN ursprünglich den gleichen Deklinationsklassen zugeordnet wie APP, was Steche (1927: 149) so auch explizit formuliert. Bei APP gilt noch heute, dass -e im Plural der Default für Maskulina ist (laut Eisenberg 42013b: 153 folgen 90 % der einsilbigen Simplizia diesem Muster) und -(e)n primär den Plural bei Feminina markiert (Eisenberg 42013b: 155 zufolge gilt das für etwa 75 % der morphologisch einfachen einsilbigen Feminina).

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 191

Schwaches -(e)n war laut Steche (1927: 149) einst auch bei den Maskulina gewöhnlich, ist zu seiner Zeit aber schon veraltet. Was mehrfach angesprochen wird, ist die Tatsache, dass bei Namen im Plural nie der UL auftritt, was Gleim (1815: 66, 71) als explizites Abgrenzungskriterium zu den APP wertet (z. B. bei Fuchs-e vs. Füchs-e). Als weitere Parallele zu den APP wird häufig angesprochen, dass der Nullplural abhängig vom Namenauslaut ist. Allerdings werden hier nicht nur Reduktionssilben mit Liquid/Nasal als Ø-bedingend aufgeführt. Paul (1917: 158) nennt beispielsweise er, aber auch s im Auslaut als nullpluralfördernd, wobei sich bei erstgenanntem auch der s-Plural findet, wie z. B. bei Alexander-s. Matthias (1897: 48) und Schötensack (1856: 115–116) nennen primär er, el und en. Daneben nennt Matthias (1897: 48) aber auch e und i, Schötensack noch s, wobei Null beim letztgenannten Auslaut nur gelegentlich auftrete. Blatz (1900: 337) hingegen sieht eine Kombination aus Genus und Auslaut als Ø -fördernd an: Maskulina auf a, e, i, el, en, er, chen bekommen ihm zufolge kein Pluralsuffix. Dass die Zuweisung des Pluralallomorphs zu Beginn des 20. Jh. nicht mehr primär nach Genus gesteuert ist (fem. PersN = -en, mask. PersN = -e), zeigen die zahlreichen Ausnahmen und Zusatzregeln, die in vielen Grammatiken thematisiert werden. Häufig werden mit der Qualität des Auslauts phonologische Zuweisungsprinzipien genannt, die entweder in Kombination mit Genus oder unabhängig von morphologischen Prinzipien wirken. So merken Matthias (1897: 48), Wilmanns (1909: 403–404) und Engel (1922: 111) beispielsweise an, dass nicht mehr alle Feminina, sondern lediglich die auf e endenden im Plural -n bekommen; laut Wilmanns (1909: 403–404) hat sich bei Feminina auf Konsonant bereits -s ausgebreitet. Steche (1927: 149) zufolge tritt die Endung -s vermehrt und genusunabhängig an RufN, die auf „klingenden Selbstlaut“, sprich Vollvokal, enden (z. B.: Otto-s, Gisela-s). Doch bei Namen auf -o – vor allem solchen fremder Herkunft – kann auch -ne als Pluralsuffix auftreten (vgl. Blatz 1900: 353 und Matthias 1897: 48). Die Null-Endung bei Namen auf Reduktionssilbe mit Liquid scheint schließlich auch nicht stabil gewesen zu sein, da sie laut Sütterlin (1924: 353) immer öfter auf Kosten des -s schwinde (so auch Paul 1917: 158, s. o.). Auch Fremdnamen spielen eine besondere Rolle und werden häufig gesondert thematisiert. Hier können nach den Aussagen der Grammatiker – je nach Qualität des Auslauts – -e, -(e)n, -ne(n), -Ø und -s auftreten. Schötensack (1856: 116) bemerkt, dass vor allem Fremdnamen auf Vokal im Plural -s nehmen, das – so suggerieren die Beispiele – häufig via Apostroph vom Namen abgegrenzt wird (Ypsilanti’s, Cicero’s). Interessant ist die Anmerkung, dass auch graphe-

192 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

misch auf Konsonant endende – aber bei Beibehaltung der nicht-integrierten Phonologie vokalisch auslautende – Fremdnamen -s bekommen können: Dieses pluralische s wird übrigens auch bei den auf einen Consonanten sich endigenden Eigennamen gefunden, sobald nämlich der Eigenname fremdartig ausgesprochen wird. Ist dies aber nicht der Fall, so wendet man die deutsche Pluralflexion auf e an. So hat man Napoleon (auf französische Weise durch die Nase ausgesprochen) im Plural Napoleons zu bilden; auf deutsche Weise ausgesprochen kann der Plural auch lauten: die Napoleone. (Schötensack 1856: 116)

Hier zeigt sich wieder deutlich die strukturbewahrende Qualität des unsilbischen -s, das noch heute bei nicht-integrierten Fremdwörtern als Integrationsbzw. Transparenzplural auftritt (vgl. [bal.ˈkɔ̃ s] vs. [bal.ˈkoː.nə]). Allerdings sanktioniert Schötensack im ausgehenden 19. Jh. nicht die Übertragung des Plural-s auf native Namen, die gelegentlich zu finden, aber nicht zu billigen sei. Neben dem bereits genannten phonologischen Faktor will Paul (1917: 158) zusätzlich einen semantischen Unterschied zwischen dem sich zu seiner Zeit immer mehr durchsetzenden „fremden“ s-Plural und den „deutschen Endungen“ -e und -(e)n sehen: Werden mehrere Personen gleichen Namens zusammengefasst, werde meist mit -s pluralisiert (Typ: ich kenne zwei Christians), die deutschen Endungen seien hier als Ausnahmen zu werten. Nähern sich die EN durch Pluralisierung dem Charakter von APP, so flektieren sie auch wie deutsche APP teils stark (Sokratess-e), teils schwach (Scipio-nen); -s trete bei dieser deonymischen Verwendung nur an den Namen, wenn dies auch beim APP geschehen würde (z. B. Danton-s, Rossini-s – gemeint sind demnach wohl Fremdnamen) oder der weibliche RufN auch im Genitiv -s aufweist (also alle, außer Namen auf /ə/).74 Paul (1917: 158), Blatz (1900: 336-337) und Stutz (1790: 127) zufolge ist sogar der Umlaut möglich, wenn ein appellativischer Gebrauch des Namens vorliegt. Bei Matthias (1897: 47), Wilmanns (1909: 403, 715) und Sütterlin (1924: 535) wird hingegen vermerkt, dass bei der appellativischen Verwendung eines Namenplurals gerade nicht die appellativische Endung -e oder -(e)n, sondern Null stehe. Was die FamN betrifft, so unterliegt das Vorkommen von -s auch einer semantischen – hier historisch begründeten – Beschränkung. Gleim (1815: 71), Schötensack (1856: 116), Matthias (1897: 47), Wilmanns (1909: 403, 715), Blatz (1900: 337) und Steche (1927: 148) sind sich einig darüber, dass das -s nur dann

|| 74 Gemeint ist hier wohl der metaphorische Gebrauch (jemand mit salienten Eigenschaften von EN), bzw. die Referenzverschiebung auf ein sortales Konzept vom Typ der APP, wie sie heute noch häufig pluralisierten EN zugeschrieben wird (vgl. 2.1.2.1).

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 193

grammatisch ist, wenn der Name nicht pluralisch sondern assoziativ verwendet wird, man mit ihm also auf die Mitglieder einer Familie referiert. Schötensack (1856: 116) begründet dies damit, dass es sich in Fällen wie bis Fleischers wieder abgereist waren bei dem s-markierten FamN nicht um einen Plural, sondern um einen Genitiv Singular handle. Die gleiche Begründung findet sich auch schon bei Gleim (1815: 71) und ein Jahrhundert später bei Steche (1927: 149), denen zufolge auch die doppelte, Anfang des 19. Jh. vor allem bei Namen auf Sibilant und e noch verbreitetere Genitiv-endung -(e)ns (Steche nennt als Option bei auf /s/ endenden Namen auch silbisches -es) als Assoziativmarker auftreten kann: Dagegen ist es erlaubt, wenn man mit einem Namen mehrere Personen, oder eine ganze Familie, bezeichnen will, demselben ein s oder ens anzuhängen: z. B. Schröder’s, Schwarzens. Es ist dies deshalb nicht falsch, weil man diese Endsylben als das Casuszeichen des Genitivs ansehen, und nun irgend ein anderes ausgelassenes Wort suppliren kann; z. B. Angehörige, Familie u. eben deshalb kann man auch dergleichen Ausdrücke nicht weiter declinieren. Sie sind unbeugsam. (Gleim 1815: 71)

Dass Gleim, Schötensack und Steche hinsichtlich ihrer Analyse des Plural-s als reanalysiertes Genitivflexiv zuzustimmen ist und wie die Reanalyse vom Assoziativ zum Pluralmarker stattgefunden hat – schließlich besteht heute kein Grammatikalitätsunterschied mehr zwischen Fleischers wohnen da drüben und Fleischers gibt es wie Sand am Meer – ist Thema von Kap. 4.3.3. Die Zusammenstellung der Aussagen zum onymischen Pluralsystem, die in Tabelle 17 noch einmal zusammengefasst sind, zeigt deutlich, dass -s noch vor 100 Jahren nicht der Default-Namenplural war, sondern dass seine Verwendung durch phonologische (z. B. Auslaut) und semantische Kriterien (z. B. Verwendung als Assoziativ) gesteuert wurde. Was aus heutiger Sicht ebenfalls ersichtlich wird, ist die Tatsache, dass normative Urteile die Ausbreitung eines morphologischen Markers nicht verhindern können. Angesichts dieses Umstands kapituliert auch bereits Anfang des 20. Jh. der in seinen Urteilen recht normative Grammatiker Engel (1922: 111): „In deutschen Eigennamen greift es [das überstabile -s – TA] um sich, und gegen die Quitzows, wie Wildenbruch nach dem herrschenden Sprachgebrauch schrieb, wird nichts mehr zu machen sein“ (Hervorhebungen im Original).

194 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Tab. 17: Die Pluralallomorphie und ihre Zuweisungsprinzipien nach den Darstellungen in ausgewählten historischen Grammatiken des 18. – 20. Jh.

Flexiv Zuweisungsprinzip Verwendung

Grammatik(en)

-(e)n

-e



Genus

Feminina

Schötensack (1856: 115), Blatz (1900: 337), Steche (1927: 149)

Genus + Auslaut

Feminina auf -e

Matthias (1897: 48), Wilmanns (1909: 403-404), Paul (1917: 158)

Namenherkunft

seltene Option bei FremdN Wilmanns (1909: 403–404) Default bei FremdN (bis ins 18. Sütterlin (1924: 353) Jh.)

Genus

Maskulina

Schötensack (1856: 115), Blatz (1900: 337), Steche (1927: 149), Wilmanns (1909: 403–404)

Genus + Auslaut

Maskulina auf /s/ Maskulina außer solche auf -o

Stutz (1790: 127) Matthias (1897: 48)

Namenherkunft

lateinische und fremde EN lat. EN (nach Wegfall der lat. Endung) seltene Option bei FremdN bei FremdN (umgangssprachlich)

Stutz (1790: 127) Schötensack (1856: 116)

Auslaut

EN auf el, er, en, e, s EN auf er, el, en (z. T. auch e, i) EN auf er

Schötensack (1856: 115) Matthias (1897: 48) Paul (1917: 158)

Genus + Auslaut

Mask. auf a, e, i, el, en, er, -chen

Blatz (1900: 337)

Semantik

sortales Konzept

Stutz (1970: 127), Matthias (1897: 47), Wilmanns (1909: 449–450

Namenart

FamN (Default)

Wilmanns (1909: 403, 715)

Herkunft

FremdN (selten)

Sütterlin (1924: 353)

Wilmanns (1909: 403–404) Sütterlin (1924: 353)

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 195

Flexiv Zuweisungsprinzip Verwendung

Grammatik(en)

-s

Auslaut

EN auf Vokal, el und er EN auf Vokal (außer e)

Sütterlin (1924: 353) Steche (1927: 148)

Genus + Auslaut

Feminina auf a und y Feminina auf a Feminina auf Konsonant Feminina mit s-Genitiv

Matthias (1897: 48) Blatz (1900: 337) Wilmanns (1909: 403–404) Paul (1917: 158)

Namenherkunft

FremdN FremdN (Feminina auf Vollvokal)

Schötensack (1856: 116) Wilmanns (1909: 403–404)

Namenart

FamN (nur Assoziativ)

Gleim (1815: 71), Schötensack (1856: 116), Blatz (1900: 337), Matthias (1897: 47), Wilmanns (1909: 403–404), Steche (1927: 148)

-ens

Namenart/Auslaut

FamN (nur Assoziativ) FamN (nur Assoziativ) auf /s/

Gleim (1815: 71) Steche (1927: 149)

-es

Namenart/Auslaut

FamN (nur Assoziativ) auf /s/

Steche (1927: 149)

EN auf o

Matthias (1897: 48), Blatz (1900: 337)

Herkunft

lateinische und fremde EN FremdN (Ausnahme)

Stutz (1790: 127) Wilmanns (1909: 404)

Semantik

nur bei app. Verwendung (Ausnahme)

Stutz (1790: 127), Blatz (1900: 336-337), Paul (1917: 158)

-ne(n) Auslaut

UL+e

4.2.2 Die empirisch nachweisbare Pluralallomorphie im frühen Neuhochdeutschen Die DTA-Recherche nach möglichen Pluralformen zu den 29 untersuchten RufN (zur Namensample- und Stichproben-Erstellung siehe 4.1.1) ergab 41 Ergebnisse.75 Nimmt man die pluralisierten Namen hinzu, die in den Pluralbelegen mitgenannt werden, so kommt man auf insgesamt 70 Tokens. Zur Übersicht sind

|| 75 Es wurde für alle 29 RufN aus dem RufN-Sample nach allen denkbaren Pluralformen gesucht. Die Belege wurden – aufgrund von Synkretismen – manuell durchgesehen.

196 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

die vorkommenden Pluralallomorphe unter Angabe der Type- und TokenFrequenz, der Verteilung auf Genus und Auslaut sowie der Zeitspanne, in der sie auftreten, in Tabelle 18 zusammengefasst. Tab. 18: Die im Rufnamen-Sample vorkommenden Pluralallomorphe mit Angabe der Frequenz, der Verteilung auf Genus und Auslaut und der Auftretenszeitspanne

Flexiv

Frequenz

Genus

Auslaut

Zeitspanne

Types

Tokens

lateinisch -i, -ae, -es

9

10

m (1 x f)

/us/ (= -i) /a/ (= -ae) /n/ (= -es)

1666 – 1792

UL+e

2

7

m

Sibilant (/s/, /ts/)

1640 – 1805

-e

7

13

m

Obstruent (/d/, /ç/) Sonorant (/n/) Sibilant (/ts/)

1760 – 1879

-(e)n

15

21

f (1 x m)

Vokal (/ə/, /a/?) Sibilant (/s/)

1679 – 1903



5

9

m

Schwa + Liquid (/ɐ/) Sibilant (/s/) Sonorant (/n/)

1764 – 1899

-s

10

10

m/f

Vokal (/a/, /i/, /o/) Obstruent (/t/, /ç/) Sonorant (/m/, /l/)

1767 – 1903

Es zeigt sich, dass nahezu alle in den historischen Grammatiken genannten Allomorphe zur Markierung des Plurals im Sample auch tatsächlich vorkommen. Dass sich das Flexiv -ne, das an Fremdnamen und Namen auf -o treten soll, nicht im Sample findet, ist wenig verwunderlich, da es laut Wilmanns (1909: 404) nur selten vorkommen soll und sich mit Hugo nur ein männlicher auf /o/ endender RufN im Sample befindet. Eine Suche nach Otto-ne(n) im DTA belegt, dass dieser Plural vorkommt – allerdings eher bei Referenz auf das Herrschergeschlecht: (102)

a. die grossen Namen der Ottone, der Heinriche, der Hermanne [klopstock_gelehrtenrepublik_1774:411]

b. aus der Geschichte der Ottone

[stifter_nachsommer03_1857:435]

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 197

Das Ausbleiben von Belegen mit der Doppelendung -ens oder silbischem -es ist ebenfalls vorhersehbar, da diese Allomorphe laut Steche (1927: 149) und Gleim (1815: 71) nur bei FamN und dort auch nur bei solchen, die auf die Mitglieder einer Familie referieren, auftreten. Suffixe, die demgegenüber im Sample vorkommen, aber nicht in den durchgesehenen historischen Grammatiken thematisiert werden, sind solche lateinischen Ursprungs. Ebenso wie die Kasusflexive im Singular kommen auch die lateinischen Pluralendungen primär im 17. und frühen 18. Jh. vor und stellen somit lediglich ein temporäres Phänomen dar. Dabei ist anzumerken, dass lateinische Pluralsuffixe fast ausschließlich bei lateinischen Namen zu finden sind, die im Nominativ noch die nicht-native Endung -us aufweisen (wie z. B. Hieronymus, Petrus, Paulus, Augustinus). Hier wird via lateinischem Suffix -i (im Dativ auch entsprechend -is) Plural markiert. Bei den beiden Namen auf /a/ (Anna und Beda) wird entsprechend der aDeklination -ae angefügt, bei dem biblischen – ursprünglich hebräischen – Namen Simeon entsprechend der konsonantischen Deklination -es. Was die übrigen von den Grammatikern des 18. bis 20. Jh. angesprochenen Allomorphe -e, -(e)n, -Ø, -s und UL+e betrifft, so finden sich für jeden Type mehrere Tokens. Das Vorkommen von -e, -(e)n und -Ø scheint dabei primär durch das Genus des Namens bestimmt zu sein. Starkes -e tritt im Sample nur bei Maskulina auf, was den Aussagen von Schötensack (1856: 115), Blatz (1900: 337), Wilmanns (1909: 403–404) und Steche (1927: 149) entspricht. Dabei ist -e im 18. und 19. Jh. nicht auf Namen mit /s/ im Auslaut beschränkt (vgl. Stutz 1790: 127), sondern findet sich bei allen konsonantisch auslautenden RufN, vorrangig solchen auf stimmhaften Plosiv (Ferdinand-e, Wigand-e, David-e, Leopold-e). Demgegenüber erweist sich -en entsprechend den Anmerkungen bei Schötensack (1856: 115), Blatz (1900: 337) und Steche (1927: 149) als Feminin-Marker. Nur bei dem männlichen auf Sibilant endenden RufN Hans tritt im 18. Jh. (konkret: 1779) einmal die schwache, laut Steche (1927: 149) Anfang des 20. Jh. bei Maskulina veraltete Endung -en auf, wobei eindeutig appellativischer Gebrauch vorliegt. Ebenfalls nur einmal kommt -en bei einem weiblichen auf /s/ endenden Namen (Agnes) vor. Die anderen Belege enthalten ausschließlich auf Vokal – und hier primär /ə/ – auslautende RufN. Dabei muss gesagt werden, dass nicht bei allen Belegen auf die Stammform geschlossen werden kann, wie z. B. bei Emilien oder Katharinen. Der Ø-Plural kommt im Sample nur bei Maskulina vor, wobei den Aussagen Schötensacks (1856: 115), Matthias’ (1897: 48) und Pauls (1917: 158) entsprechend primär Namen auf Reduktionssilbe mit Liquid kein Flexiv erhalten (Alexander). Daneben fehlt ein overter Pluralmarker auch bei drei Namen, die auf /s/ enden (Johannes, Mithridatus und Antiochus). Die Namenauswahl zeigt, dass gerade Fremdnamen unflektiert bleiben können, wie

198 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

auch Sütterlin (1924: 353) anmerkt. Auch der auf Nasal endende Name Sebastian kommt einmal ohne Pluralendung vor. Die Tatsache, dass beim selben Autor 1795 auch die overt markierte Form Sebastian-e vorkommt, zeigt, dass die Pluralmarkierung zu dieser Zeit variieren konnte, was zumindest bei den beiden Belegen durch keinen semantischen Unterschied, der ja von einigen Grammatikern angenommen wird, begründet werden kann: Beide Male wird auf zwei Personen mit zufällig gleichem Namen referiert. Neben den lateinischen Endungen und den von Paul (1917) als deutsch ausgewiesenen Allomorphen -(e)n und -e kommt auch „fremdes“ -s im Sample vor und zwar als einziger Marker, der genusunabhängig zu sein scheint, da er gleich oft an Feminina und Maskulina tritt (je fünf Mal). Daneben ist -s auch nicht auf Namen mit vokalischem Auslaut beschränkt. Es findet sich zwar bei vier auf Vollvokal endenden RufN (Amélie, Eva, Anna und Otto), aber auch bei solchen, die auf Plosiv, Nasal, Liquid oder Frikativ enden. Nur bei Namen auf [ə] finden sich keine s-Belege, was die Aussagen von Matthias (1897: 48), Wilmanns (1909: 403–404) und Paul (1917: 158) bestätigt, denen zufolge sich hier die schwache Endung -n – wie auch im Dativ/Akkusativ Singular – am längsten gehalten haben soll. Beispiel (103) liefert einen passenden Beleg für die durch Auslaut gesteuerte Pluralallomorphie:76 (103)

die Even und Amélies

[keyserling_beatemareile_1903:71]

Schließlich finden sich im Sample auch sieben Belege (jedoch nur zwei Types: Hänse und Künze) für Maskulina mit UL + -e. Dieses stammmodulierende Verfahren der Pluralbildung überrascht aus heutiger Sicht am meisten, da die Namenstruktur maximal affiziert wird. Es liegt zwar immer appellativischer Gebrauch bzw. die Referenzverschiebung auf ein sortales Konzept vor, allerdings sagt das Nicht-Vorkommen der nicht-appellativischen Plural-Semantik bei der niedrigen Tokenzahl nichts über den tatsächlichen Gebrauchskontext aus. Was die Daten zeigen, ist, dass der Umlaut auch bei EN als Pluralmarker in Erscheinung treten konnte. Werfen wir nun – ebenso wie in Kap. 4.1.3.5 zum Akkusativ- und Dativ-(e)n – einen Blick auf die Strukturaffizierung, die die möglichen Pluralmarker UL+-e, -e, -(e)n, -Ø, -ne(n) und -s bei RufN mit sich bringen. Tabelle 19 zeigt, dass die verschiedenen pluralischen Markierungsverfahren den Namenkörper nicht gleich stark affizieren. Am Beispiel von [ˈhans]SG – [ˈhɛn.zə]PL zeigt sich, dass der Name

|| 76 Die Figur in Keyserlings Roman „Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte“ heißt nachweislich Eve und nicht Eva.

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 199

durch das stammmodulierende und additive Verfahren Umlaut + -e maximal affiziert wird: 1. ändert sich durch die Palatalisierung der Stammvokal, 2. findet durch die e-Affigierung eine Resilbifizierung, sprich eine Verschiebung der Silbengrenze, statt und der Name wird 3. um eine Silbe erweitert. Durch die Verlagerung des /s/ von der Koda der ersten Silbe in den Onset der zweiten Silbe wird nun auch 4. die Neutralisierung von /s/ nicht durchgeführt und der Laut wird stimmhaft repräsentiert [z]. Hinsichtlich der onymischen Schemakonstanz ist dieses Verfahren somit die schlechteste Option. Auch die rein additive Pluralmarkierung mit -e wirkt sich in Abhängigkeit vom Auslaut auf die Namenstruktur aus, da mit -e immer eine Resilbifizierung und Erhöhung der Silbenzahl einhergeht; bei stimmhaftem Plosiv im Auslaut wird dieser zusätzlich stimmhaft repräsentiert ([ˈfe⁀ɐ.di.nant – ˈfe⁀ɐ.di.nan.də]). Maskulina auf Vollvokal pluralisieren wohl schon im frühen Nhd. nicht mehr mit -e, da dieses Flexiv Stammflexion bedingt ([ˈhuː.go – ˈhuː.gə]). Der randständige Plural -ne(n) führt zwar nicht zu Stammmodulation oder Resilbifizierung, doch die Affigierung des silbischen Pluralmarkers erhöht die Silbenzahl und führt bei initialbetonten Namen wie Otto zu einer Akzentverlagerung ([ˈɔṭo – ɔˈṭoː.nən]). Die Strukturaffizierung durch -(e)n hängt wiederum stark vom Namenauslaut ab: So affiziert das ursprüngliche Defaultflexiv bei Feminina die Namenstruktur recht stark, wenn der Name auf Vollvokal endet, da in diesem Fall eine den finalen Vokal tilgende Stammflexion erfolgt ([ˈeː.fa – ˈeː.fən]); bei auf Schwa endenden Feminina bleibt der finale Vokal hingegen erhalten und es wird nur unsilbisches, den Namenkörper konstant haltendes -n affigiert. Gleich strukturbewahrend – und das sogar unabhängig vom Namenauslaut – ist nur der s-Plural, der zwar die Koda komplexer macht, die Struktur des Namens jedoch nicht verfremdet. Allein der Nullplural kann als noch strukturschonender gelten, da sich hier nicht einmal die Komplexität der Koda erhöht. Aus Gesichtspunkten der Strukturbewahrung wäre -Ø demnach der optimale Kandidat. Doch bei der Pluralmarkierung spielt noch ein weiteres Prinzip eine wichtige Rolle, und zwar das der Relevanz im Bybee’schen Sinne (vgl. Bybee 1985, 1994). Dieses besagt, dass die für eine Wortart funktional relevantere Kategorie auch formal zum Ausdruck gebracht werden soll, und zwar mit größerer Nähe zum Stamm. Nun ist Numerus im substantivischen Bereich relevanter als z. B. Kasus, da das Konzept des Substantivs stärker verändert wird (vgl. Dammel & Gillmann 2014). Diagrammatischer Ikonismus zeigt sich dort, wo die relevantere Kategorie Numerus näher am Stamm ausgedrückt wird als die weniger relevante Kategorie Kasus, wie z. B. beim Dativ Plural von Maus: Mäus-ePL-nDAT, oder spiegelt sich in reicherer Plural- als Kasusallomorphie, wie sie im Deutschen zu beobachten ist. Der Nullplu-

200 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

ral konterkariert dieses Relevanzprinzip, indem keine overte Markierung der im substantivischen Bereich relevanteren Kategorie Numerus erfolgt. Das strukturbewahrende Plural-s ist somit in Anbetracht zweier Gesichtspunkte die beste Option: hinsichtlich des Faktors Schemakonstanz – weitestgehend unabhängig von der phonologischen Struktur des Namens – und im Hinblick auf das Relevanzprinzip. Nur an bereits auf /s/ endende Namen kann der Pluralmarker nicht treten. Hier hat sich bis heute der Nebenplural -e gehalten (Matthiasse, Dennisse). Tab. 19: Strukturaffizierung vs. overte Markierung bei verschiedenen Plural-Markern

STRUKTURAFFIZIERUNG

RELEVANZ

BEISPIELE

Stammflexion

phon. Prozess

Resilbifizierung

Änderung Silbenzahl

overte Markierung

**

(*)

*

*



hɛn.zə

* – –

– * –

– * *

– * *

✓ ✓ ✓

huː.gə fe⁀ɐ.di.nan.də al.be⁀ɐ.tə

-(e)n Vollvokal /ə/

* –

– –

– –

– –

✓ ✓

eː.fən ʃ⁠a⁀ːɐ.lɔṭən













-ne(n)



*



*



ɔṭoː.nən

– –

– –

– –

– –

✓ –

eː.fas

UL+-e -e Vollvokal sth. Plosiv sonstige

-s alle /s/

Interessanterweise werden die verschiedenen Pluralmarker bei größerer Strukturaffizierung zuerst abgebaut. Der im appellativischen Bereich als Pluralmarker produktiv gewordene morphologisierte Umlaut konnte sich bei den RufN nicht durchsetzen und war in seiner Verwendung wohl schon immer auf Kontexte beschränkt, in denen der pluralisierte Name appellativisch verwendet wurde. Die ebenfalls aus dem appellativischen Bereich auf die RufN übertragenen Marker -e und -(e)n werden zuerst da abgebaut, wo sie den Namenkörper stärker affizieren, z. B. bei Namen auf Vollvokal. Paul (1917: 158) macht die interessante Bemerkung, dass -(e)n und -e Anfang des 20. Jh. nur noch dort ge-

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 201

braucht werden, wo beim pluralisierten Namen eine Appellativierung erfolgt, bei der onymischen Verwendung, wo auf verschiedene Referenten mit zufällig dem gleichen Namen referiert wird, soll sich onymisches -s bereits durchgesetzt haben. Diese Aussage zeigt, dass sich das -s immer mehr zum formalen, den onymischen Status verdeutlichenden EN-Marker entwickelt, auch wenn zu bezweifeln bleibt, dass es die semantische, sich in der Flexivik spiegelnde Unterscheidung zwischen onymischem und appellativischem Gebrauch des Namens im frühen 20. Jh. tatsächlich in der Form gegeben hat und nicht eher phonologische Zuweisungsprinzipien die Wahl des Flexivs steuerten. Nübling & Schmuck (2010: 156) sehen eine ähnliche Aussage zur semantischen Steuerung der Flexive bei Blatz (1990) eher als Indiz für „ein System im Umbruch“. Schließlich setzt sich der überstabile Marker -s, der sich auch im Genitiv ausgebreitet hat, im 20. Jh. unabhängig von Genus, Semantik und phonologischer Struktur des Namens (außer bei Auslaut auf /s/) auch als Default-Pluralmarker durch. Die Herkunft und Ausbreitung dieses Markers soll nun im nächsten Kapitel, basierend auf den diachronen Untersuchungen von Nübling & Schmuck (2010) und Schmuck (2011) dargestellt werden.

4.2.3 Die Entstehung und Ausbreitung des s-Plurals bei Personennamen Wie die Zusammenstellung der Urteile aus diversen historischen Grammatiken gezeigt hat, gibt es bezüglich des onymischen s-Plurals je nach Namenart und -verwendung unterschiedliche Akzeptabilitätsurteile. Bei FamN, so ist man sich weitestgehend einig, sei der s-Plural zur Bezeichnung der Mitglieder einer Familie voll akzeptabel. Wie bereits in Kap. 2.1.2.1 erwähnt, wird diese Assoziativfunktion, aus der sich der s-Plural entwickelt hat, dem FamN-Plural noch heute gelegentlich (z. B. von Plank 2011) als alleinige Funktion zugeschrieben, was jedoch in Anbetracht der Verwendungsmöglichkeit bei zufälliger Polyreferenz für das Gegenwartsdeutsche zu restriktiv ist. Im frühen Nhd. scheint diese Unterscheidung jedoch noch gegolten zu haben, da der Grammatikalitätsunterschied bei unterschiedlicher Semantik explizit thematisiert und z. T. sogar begründet wird. Bei RufN hingegen scheint primär die phonologische Struktur des Namens und vor allem der Auslaut die Verwendung von -s zu bedingen. Semantische Unterschiede in der Verwendung von -s vs. -e/-(e)n werden vergleichsweise selten angeführt (s. o. und Paul 1917: 158). In Nübling & Schmuck (2010) wird nun eine Erklärung dafür gegeben, weshalb der s-Plural schon recht früh zur Referenz auf die Mitglieder einer Familie genutzt bzw. dort bereits Anfang des 19. Jh. (z. B. bei Gleim 1815: 71) als gram-

202 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

matisch empfunden wurde. Laut Nübling & Schmuck (2010) und Schmuck (2011) lässt sich die Entstehung des -s als Pluralmarker durch eine Reanalyse des ursprünglichen Genitiv-Singular-Flexivs erklären, die bei den FamN ihren Anfang genommen und sich sukzessive auf die anderen EN-Klassen und weitere Substantive, die der Schemakonstanz unterliegen (z. B. Kurzwörter, Onomatopoetika, metasprachliche Substantivierungen), ausgebreitet hat. Als Brückenkontext für die Reanalyse vom Kasus- zum Numerusmarker werden Kollektivbildungen bei EN, genauer gesagt FamN, vom Typ des Müllers Familie (> die Müllers, dialektal auch: s’Müllers) vorgeschlagen. Dabei werden zwei mögliche Szenarien skizziert, die sich hinsichtlich des angenommenen Numerus des elliptischen Kopfnomens unterscheiden. Beim ersten Szenario wird unter Annahme eines pluralischen Kopfnomens vom Typ Angehörige, Verwandte, Kinder davon ausgegangen, dass sich der Plural des Kopfnomens auf das pränominale – originär singularische – Genitivattribut überträgt, sodass auch bei Wegfall des pluralischen Kopfs das einstige Attribut Pluralkongruenz erfordert. Dem anderen Szenario zufolge könnte das Bezugsnomen auch ein singularisches Kollektivum wie Familie oder Sippe gewesen sein, das zwar grammatisch singularisch ist, aber aufgrund seiner kollektiven Semantik die Reanalyse hin zu einer pluralischen Konstruktion auslösen kann (vgl. hierzu ausführlich Nübling & Schmuck 2010: 158–160): (i) [[[(de)s MüllersGEN.SG] LeutePL] sindPL ] = Ausgangsstruktur 1 [[[(de)s MüllersGEN.SG] FamilieSG] istSG ] = Ausgangsstruktur 2 (ii) [[s’MüllersPL Ø] sindPL] (iii) [[die MüllersPL] sindPL] Evidenz für diese These liefern Sprachen mit ähnlichen Entwicklungstendenzen wie beispielsweise das Niederländische, bei dem die Reanalyse längst abgeschlossen ist, oder das Friesische, bei dem sich der beschriebene Wandel aktuell beobachten lässt. Daneben haben einige deutsche Varietäten wie das Alemannische oder das Südhessische Übergangsstufe (ii) mit klitischem ‘s – das Rheinfränkische kennt auch ‘es –, das aus dem Genitiv-Singular-Artikel des hervorgeht, fossiliert. Dabei lassen sich sowohl starke (104a) als auch schwache (104b) Genitivformen finden.77 || 77 Die Beispiele stammen aus einer Varietät des Rheinfränkischen. Die Verteilung der schwachen und starken Formen scheint so zu sein wie von Rauth (2014) für das Südhessische beschrieben. Dabei gilt, dass die formal genitivisch markierten FamN keine Kasusmerkmale mehr haben und sowohl als Subjekt als auch als Objekt auftreten können.

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 203

(104)

a. die Woistub gehert es Reßlers 'die Weinstube gehört Reßlers' b. es Frieße san im Wingert 'Frießens sind im Weinberg'

Einige bairische Varietäten haben laut Weiß (2014) darüber hinaus Konstruktionen mit der Präposition von oder bei(n) + FamN konserviert, um Plural anzuzeigen (105). Besonders interessant ist dabei von + FamN, das auf eine Possessivkonstruktion zurückgehen soll, die als Ersatz für den abgebauten Genitiv diente – ähnlich der im Standard zu findenden von-Periphrase. Die Nähe zwischen Possessiv und Plural hat also auch hier zu einer Reanalyse geführt. (105)

a. do draußd gengan von Amman 'da draußen gehen Ammans' b. bein Bichlmeier han nouch Thailand gflo:ng 'Bichlmeiers sind nach Thailand geflogen'

(nach Weiß 2014: 205)

Nun habe sich Nübling & Schmuck (2010: 163) zufolge das starke -s nach seiner Reanalyse als Pluralmarker ausgehend von den FamN auf die RufN und anschließend auf alle anderen Namenklassen ausgebreitet, was die folgende Abbildung visualisiert:

FamN > RufN >

alle EN >

Kurzwörter, Onomatopoetika, Sustantivierungen

Müllers

Harxheims

CDs, Uhus, Warums

Ninas

Fremdnamen, Fremdwörter / nd. Wörter frz. Napoleons, engl. Harrys frz. Büros, engl. Clubs nd. Kerls, Wracks

Abb. 49: Die native und die nicht-native Entstehung und Ausbreitung des s-Plurals (nach Nübling & Schmuck 2010: 163)

Was an der Chronologie dieser analogischen Ausbreitung verwundert, ist die Tatsache, dass sich -s im Beobachtungszeitraum zum einen schon Ende des 18.

204 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Jh. bei pluralisierten RufN findet und dort – im Gegensatz zum nichtassoziativen FamN-s – gerade keine Stigmatisierung erfährt, obwohl es sich zu dieser Zeit laut den Einschätzungen in historischen Grammatiken noch nicht einmal bei den FamN als vollwertiger, von der Assoziativ-Semantik unabhängiger Pluralmarker durchgesetzt hat. Zum anderen wird das -s bei RufN als „fremdes“ Flexiv beschrieben, während das FamN-s bei Assoziativlesart als natives – da originär genitivisches – Flexiv ausgewiesen wird. Denkbar wäre, dass die Grammatiker die analogische Ausbreitung von -s im 19. und 20. Jh. schlicht nicht erkannt haben und ihm deshalb fremden Ursprung zuschreiben – was schließlich selbst heute noch angenommen wird. Andererseits könnte es auch sein, dass das Plural-s bei RufN doch zum Teil auf nicht-natives -s zurückgeht, das durch die Entlehnung von Fremdwörtern und – hier relevanter – Fremdnamen ins Deutsche kam. Geht man von einer rein analogischen Ausbreitung des reanalysierten Plural-s von den FamN auf die RufN aus, verwundert auch die Verteilung der Flexive im Gegenwartsdeutschen bei auf /s/ auslautenden PersN: Während die alte genitivische Doppelendung -ens bei pluralisierten FamN zum Teil noch vorkommt (die Schmitz-ens, die Seitz-ens), scheint bei pluralisierten RufN -ens ausgeschlossen zu sein (*alle Franz-ens, alle Agnes-ens). Hier greift man eher auf die alten onymischen Flexive zurück (siehe auch 2.1.2.1): alle Franze, alle Agnesse, obwohl auch bei diesen Namen im Genitiv die doppelten Endungen im 18. und 19. Jh. belegt sind und formal möglich wären (vgl. z. B. Agnes-ens Vater). Denkbar und naheliegend wäre es also gewesen, wenn nicht nur das Plural-s, sondern auch -(e)ns von den FamN auf die RufN übertragen worden wäre, was jedoch nicht eingetreten ist. Paul (1917: 158) spricht zwar auch bei den RufN eine Parallele zwischen Genitiv und Plural an, indem er festhält, dass feminine RufN, die im Genitiv -s haben, auch im Plural -s aufweisen, was Nübling (2012: 239) als Evidenz für die Entstehung aus der Genitivkonstruktion wertet; die Aussage von Paul ist jedoch rein phonologisch begründet: Feminine Namen auf Vollvokal enden im Genitiv bereits Anfang des 20. Jh. aus Gründen der Strukturbewahrung vorrangig auf -s (vgl. 4.1.4, Abbildung 40), dazu gehen auch die pluralisierten Namen über, und zwar ebenfalls aus Gründen der Schemakonstanz, wie oben gezeigt. Eine Parallele zwischen genitivischen und pluralischen RufN besteht – anders als bei den FamN – nicht. Es ist also anzunehmen, dass die Ausbreitung des Plural-s im onymischen Bereich nicht ausschließlich auf onymisches Genitiv-s zurückzuführen ist. Schließlich betonen z. B. Schötensack (1856: 116) und Wilmanns (1909: 403– 404), dass das -s auch explizit bei Fremdnamen vorgekommen sein soll, wo es wie heute als outputorientierter Transparenz-Plural dient. Die strukturbewahrende Qualität dieses unsilbischen Markers hat somit – auch bei nativen Namen

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 205

– zu seiner Karriere beigetragen. Dabei scheinen sich die beiden „historisch komplett unterschiedlichen s-Plurale [zu] unterstützen“, wie auch Nübling & Schmuck (2010: 162) annehmen; allerdings ist – im Gegensatz zu den eben genannten Autorinnen – davon auszugehen, dass dies auch innerhalb des onymischen Bereichs, sprich bei RufN, gilt, die im 18. Jh. schließlich auch mehr fremde Strukturen aufweisen als FamN.

4.2.4 Die Pluralallomorphie im Gegenwartsdeutschen Im Gegenwartsdeutschen – so die Einschätzung in aktuellen Grammatiken (vgl. 2.1.2.1) – hat sich der s-Plural bei PersN nun weitestgehend durchgesetzt. Aufgrund der niedrigen Frequenz pluralisierter PersN stellt die flexivische Markierung jedoch gelegentlich noch einen Zweifelsfall dar – besonders (aber nicht ausschließlich) bei auf /s/ endenden EN. Folgender Beleg aus dem gegenwartssprachlichen Web-Korpus DECOW2012 veranschaulicht diese Unsicherheit bzw. den wortspielerischen Umgang mit den äußerst seltenen Pluralformen von RufN: (106)

Im Prinzip stimme ich den beiden Rolfs - oder Rölfen - oder Rolf+Rolf zu [http://wortspiele-und-schreibseleien.over-blog.de/m/article-49134770.html]

Nübling (2012: 240) macht nun die interessante Beobachtung, dass der strukturbewahrende s-Plural heute zunehmend durch ein noch schonenderes Verfahren ersetzt [wird], den Nullplural: Ähnlich dem Genitivausdruck schwindet auch der Pluralausdruck dann am Namenkörper, wenn er an einem Begleitwort, meist dem Artikel, zum Ausdruck kommt. Auch hier entsteht damit Monoflexion: die beiden Peter(s), die beiden Deutschland(s).

Für das pluralisierte Toponym Deutschland liefert Nübling (2012: 242–241) Korpusbelege, die zeigen, dass das Plural-s nur noch bei knapp 50 % der Fälle auftritt, wobei einschränkend darauf hingewiesen wird, dass die Zahl der Belege zu gering ist für valide Aussagen.78 Um diese Ergebnisse auf eine breitere Basis zu stellen und zu überprüfen, ob die Flexivlosigkeit im Plural auch bei PersN um sich greift, wurde eine Recherche im über 9 Milliarden Tokens umfassenden Webkorpus DECOW2012 || 78 Gesucht wurde in DeReKo nach den Phrasen die|der|den beiden Deutschland|-s.

206 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

durchgeführt. Dazu wurde eine Liste mit 132 nach Auslaut, Silbenzahl, Sexus und Frequenz ausgewogen zusammengestellten RufN auf ihr (nicht-)flexivisches Vorkommen in diversen pluralischen Kontexten hin untersucht. Es wurden dabei Suchanfragen gewählt, die die Anzahl an Fehlbelegen möglichst minimal halten sollten, wodurch nicht alle Namenplurale erfassen werden konnten, eine erforderliche manuelle Aufbereitung der Daten jedoch möglich war.79 Die Suchanfrage nach der Kombination aus einem Quantor/Numeral in Kombination mit einem (un)flektierten RufN ergab nun 8.015 Treffer.80 Nach Bereinigung um alle Fehlbelege blieben 1.108 Belege mit eindeutigen RufNPluralen übrig. Daneben lieferte die Suchanfrage auch 159 Belege mit eindeutigen GesamtN-Belegen, die separat behandelt werden. Was die RufN betrifft, so zeigt Tabelle 20, dass -s im Gegenwartsdeutschen mit 82,9 % das Default-Pluralflexiv ist. Unabhängig vom Namenauslaut tritt es – außer, wie erwartet, bei auf /s/ endenden Namen – als Pluralmarker auf, auch wenn der Plural innerhalb der DP/NP bereits markiert wurde. Bei den auf /s/ endenden Namen wird der Plural mitunter graphisch via Apostroph angezeigt: viele Markus’; häufiger ist hier jedoch der Nullplural. Unabhängig vom Auslaut wird -s durch den morphographischen Apostroph insgesamt 109 Mal vom Namen abgegrenzt (10,9 %) und spielt somit – ähnlich wie beim possessiven -s (vgl. 5.1.1.2) – eine nennenswerte Rolle. Neben -s kommt mit nennenswerter Frequenz (10,1 %) der Nullplural vor, wie in Tabelle 20 zu sehen ist. Es zeigt sich, dass flexivlose Formen im Plural nicht nur bei RufN auf /s/ oder /ɐ/ vorkommen,81 wie die Duden-Grammatik (92016: 192–193) festhält, sondern marginal auch bei Namen auf Sonorant oder Obstruent und ganz vereinzelt auch bei Namen auf Vokal, was anhand der Beispiele in (107) veranschaulicht wird: (107)

a. die beiden Andreas [mask.] [http://www.oldschdodt.de/Archiv/BL-08_09/Weiden_8_9/weiden_8_9.html]

b. Jovin hat in der Klasse zwei Jan und zwei Nina [http://vornamen-forum.de/ftopic4967.html]

|| 79 Zum Beispiel liefert die Suche nach dem definiten Pluralartikel 'die + RufN' in den meisten Fällen keine Pluralbelege, sondern Relativsätze mit 'Relativpronomen + flexivloser RufN' (die Hunde, die Lisa am besten gefallen). 80 Folgende Quantoren/Numeralia wurden gesucht: beiden, beide, zwei, ganzen, vielen, viele, andere, anderen, 2, 3, alle, einige, wieviele. Die gesamte Namenliste, die dieser DECOW2012Recherche zugrunde liegt, findet sich in Anhang A. 81 Namen, die auf andere Reduktionssilben auslauten, waren nicht im Sample enthalten.

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 207

c. anscheinend sind alle Horst dieser Republik gleich [http://abdelkader.blogsport.de/2008/09/14/zur-psychopathologie-der-nataschawilting/]

Tab. 20: Die gegenwärtige Allomorphie im Plural bei RufN, verteilt nach Auslaut

FLEXIV

-s (inkl. -’s & ’)

null

(UL+) -e

-n

21,1%

0,3%

0,0%

0,0%

AUSLAUT Vollvokal /ə/

4,0%

0,5%

0,0%

1,2%

/ɐ/

2,3%

2,1%

0,0%

0,0%

Sonorant

40,3%

1,1%

1,3%

0,0%

/s/

0,9%

5,1%

3,5%

0,0%

Obstruent

14,4%

1,1%

1,1%

0,0%

gesamt (n = 1.108)

82,9%

10,1%

5,9%

1,2%

Diese Tatsache spricht nun dafür, dass sich der Nullplural im anthroponymischen Bereich langsam von der phonologischen Qualität des Namenauslauts abkoppelt und einem anderen Motiv zu folgen scheint, und zwar der Konstanthaltung der Namenstruktur. Diesem Motiv unterliegen schließlich nicht nur die EN, sondern auch Substantive anderer peripherer Klassen wie die Kurzwörter (vgl. 4.3.1), für die Zimmer (2018: 185–192) zeigt, dass der Nullplural auf recht hohe Werte kommen kann (zum Teil über 50 %), wobei die Flexivlosigkeit im Plural entsprechend der Bybee’schen Relevanzhierarchie auch dort stets geringer ist als im Genitiv. Neben -s und Null finden sich auch noch die alten Pluralflexive -e und -n. Während -n ausschließlich bei Feminina auf /ə/ zu finden ist (108), kommt -e vorrangig bei auf /s/, aber auch bei auf andere Konsonanten endenden Maskulina vor (109). Bei dem auf Sibilant endenden RufN Max findet sich auch Umlaut + -e als Pluralmarker (Mäxe), dieser ist jedoch als marginal anzusehen. (108)

mir sind im Leben einige Brigitten begegnet [http://www.brigitte.de/horoskop/sternzeichen/sternzeichen-loewe-1027808/]

(109)

a. das Ergebnis unserer beiden Maxe (groß und klein) [http://www.golfclub-owingen.de/htdocs/de/0101_311.htm]

208 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

b. Die zwei Jasmine "( Jasmin Wolfert und Jasmin Nabholz ) [...] [http://www.mainz-neustadt.de/vkr-presse-mhg.htm]

c. Ich kenne 3 Horste, und alle sind sympathisch [http://www.baby-vornamen.de/Jungen/H/Ho/Horst/]

Wie die Belege in (107) und (109) zeigen, kann die Pluralmarkierung im Gegenwartsdeutschen bei einem Namentype schwanken. Schwankungen betreffen vor allem auch die auf /s/ endenden RufN, für die in DECOW2012 sogar bis zu vier Varianten zu finden sind (z. B. die beiden Max | Max’s | Mäxe | Maxe)82. Werfen wir nun einen Blick auf die Pluralmarkierung bei GesamtN. Diese wurden zwar nicht systematisch gesucht, durch die oben beschriebene Anfrage aber auch nicht systematisch ausgeschlossen und somit manuell zu einer separaten GesamtN-Stichprobe zusammengefasst. Diese umfasst lediglich 159 Belege. Da GesamtN im Vergleich zu bloßen RufN noch stärkere Monoreferenz gewährleisten – schließlich haben sich die FamN aus eben diesem Grund herausgebildet – sind Plurale bei ersteren noch seltener. Relativ häufig (bei 60 Belegen, also in 38 % der Fälle) liegt bei den im Sample befindlichen pluralisierten GesamtN eine Verschiebung auf ein sortales Konzept, sprich deonymischer Gebrauch vor, wie in den Beispielen in (110). Die Unterschiede in der Semantik haben nun auch einen bemerkenswerten Einfluss auf die morphologische Pluralmarkierung: Während sich bei onymischer Verwendung des GesamtN (vgl. 111) s- und Nullplural die Waage halten (49 % vs. 51 %), dominiert bei appellativischer Verwendung ganz klar der s-Plural gegenüber dem Nullplural (88 % vs. 12 %). Dies spricht nun wieder für den – auch von Zimmer (2018) diskutierten – erhöhten Schonungsbedarf durch den semiotischen Sonderstatus von Namen.83 (110)

a. Da können noch so viele Justin Timberlakes kommen [http://www.ep-board.de/off-topic-f17/the-king-is--t3748.html]

b. Ganz zu schweigen von den vielen Michael Schumachers auf unseren Strassen [http://blog.wa-online.de/2007/09/28/himmel-gebimmel-28092007/]

|| 82 Bei der Pluralform Max’s handelt es sich wohl um eine Übertragung aus dem Englischen. 83 Mit dem deonymischem Gebrauch eines GesamtN geht beispielsweise immer auch eine gewisse Bekanntheit des Namens und eine höhere Gebrauchsfrequenz einher. Der appellativisch gebrauchte Name kann also eher durch ein Flexiv – das ohnehin strukturschonend ist – affiziert werden als ein onymisch gebrauchter EN.

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 209

(111)

a. Ich weiß nicht, wie viele Claudia Hesslers es gibt [http://www.gleitschirmdrachenforum.de/archive/index.php/t-1867.html]

b. […] denn es gibt nur 2 Peter Ficklscherer in Deutschland [http://www.damaschke.de/notizen/index.php/onkel-anders-aus-afrika/]

Tabelle 21, die die am FamN auftretenden Pluralflexive und ihr prozentuales Vorkommen aufgrund der geringen Belegzahl unabhängig von der Semantik (onymischer + appellativischer Gebrauch) zusammenfasst, ist zu entnehmen, dass der Anteil an Nullpluralen bei GesamtN signifikant höher ist als bei den RufN (χ2 (1) = 58,86, p < 0,001***,  =0,24): Über ein Drittel kommt flexivlos vor, wobei mit 62,9 % auch hier klar der s-Plural dominiert. Dabei kommt -s unabhängig vom Auslaut vor, ist bei abgekürzten (Rudi M.) und auf /s/ endenden Namen jedoch eher selten. Der morphographische Apostroph findet sich hier etwas seltener als bei den RufN, denn er macht nur 6 % der s-Pluralbelege aus. Tab. 21: Die gegenwärtige Allomorphie im Plural bei GesamtN, verteilt nach FamN-Auslaut

FLEXIV

-s (nkl. -’s)

null

(UL+) -e

Vollvokal

7,5%

2,5%

0,0%

/ə/

2,5%

2,5%

0,0%

Reduktionssilbe

22,0%

18,2%

0,0%

Sonorant

16,4%

5,0%

0,6%

/s/

1,3%

3,8%

0,6%

Obstruent

12,6%

2,5%

0,0%

Abkürzung

0,6%

1,3%

0,0%

gesamt (n = 159)

62,9%

35,8%

1,3%

AUSLAUT

Ebenso entkoppelt von der Qualität des Namenauslauts tritt auch der Nullplural auf. Er kommt zwar besonders häufig bei auf zentralisierten Vokal + Sonorant auslautenden FamN vor (/ɐ/, /əl/, /ən/); allerdings ist dies hier insgesamt der dominierende Auslaut, was wiederum die vergleichsweise hohen Werte für Null – vor allem bei onymischem Gebrauch – zum Teil erklärt. Dabei ist zu bedenken, dass FamN auf -er, -el oder -en im Genitiv, auf den das Plural-s schließlich zurückgeht, durchaus -s aufwiesen. Bei der Tendenz zu Null handelt es sich also um eine neuere Erscheinung. Endet ein FamN auf /s/, so weist er im Plural eher Null auf als die Doppelendung -ens, die im Sample gar nicht vorkommt.

210 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Schließlich zeigen die GesamtN auch weniger Allomorphie im Plural als die RufN, indem im Wesentlichen lediglich -s und Null miteinander konkurrieren. Es findet sich zwar ein pluralisierter Name auf -e (die ganzen Albert Einsteine) und einer mit umgelautetem Stammvokal und affigiertem -e (ja, da gabs zwei Johann Sträusse), diese machen aber je unter 1 % aus und können somit nicht als produktive Pluralmarker angesehen werden. Vielmehr wird durch die analogische Pluralbildung nach dem Muster der in den FamN noch transparenten APP ein sprachspielerischer Effekt evoziert. Die Befunde, dass bei GesamtN der Nullplural eine größere Rolle spielt und die Allomorphie insgesamt geringer ist, sprechen nun dafür, dass Schemakonstanz beim GesamtN bzw. dem FamN relevanter ist als bei den RufN. Schon bezüglich der Kasusmarkierung hat sich gezeigt, dass sich der GesamtN hinsichtlich des Flexivschwunds im Akkusativ und Dativ progressiver verhält. In anderen Sprachen, wie z. B. dem Französischen, stellt die Nullmarkierung von FamN – im Gegensatz zu RufN – im Plural generell den Default dar (vgl. z. B. Kolde 1995). Insgesamt zeigt sich, dass auch im Plural ein Abbau von appellativischen Flexionsmustern zu beobachten ist. Während bei nicht-peripheren Substantiven Allomorphie gerade hinsichtlich der relevanteren Kategorie Numerus stabil ist und diachron sogar ausgebaut wird, zeigt sich bei EN paradigmatische (überstabile Marker) und sogar syntagmatische Deflexion (Markerschwund). Dabei wird erneut deutlich, dass überstabile Marker gerade kein Zeichen von stabiler Morphologie sind, sondern als Vorboten morphologischen Abbaus angesehen werden müssen (vgl. Dammel & Nübling 2006).

4.2.5 Zusammenfassung und Fazit In diesem Kapitel wurde gezeigt, dass diachron nicht nur das Kasussystem der Deflexion unterliegt, sondern dass auch hinsichtlich der relevanteren Kategorie Numerus deutliche Abbautendenzen zu erkennen sind und die einst reiche Pluralallomorphie reduziert wird. Dieser radikale Wandel hat sich im Wesentlichen innerhalb von nur drei Jahrhunderten vollzogen, wobei die Umbruchphase zwischen dem 18. und dem 20. Jh. zu liegen scheint. Zu dieser Zeit bildet sich mit dem -s ein expliziter EN-Marker heraus: Während im Fnhd. bei der Entstehung der PersN-Plurale noch voll aus dem appellativischen System mit reicher Pluralallomorphie geschöpft wurde (-e, -(e)n, -ne(n), -Ø, UL + e, -s), entwickelt sich das überstabile invariante Sonderallomorph -s zum Gegenwartsdeutschen hin zum onymischen Marker, der den Sonderstatus dieser peripheren Substan-

Numerus – Der Abbau der Pluralallomorphie | 211

tivgruppe formal ausweist und sie sogar von ansonsten homophonen APP differenziert (z. B. bei die AckermännerAPP vs. die AckermannsEN). Mit dem Allomorphieabbau im Plural lässt sich auch eine Formalisierung und damit Vereinfachung der Zuweisungsprinzipien beobachten, wie sie Nübling (2012: 232–243) für den Kasusbereich beschreibt und als Vorboten der Deflexion ausweist: Auf dem Weg zur Uniformierung einstiger Allomorphe zu einem überstabilen Marker spielt auch die Zuweisungsebene eine nicht zu unterschätzende Rolle: Bevor Deflexion – syntagmatisch oder paradigmatisch – stattfindet, kündigt sich dieser Prozess in aller Regel durch eine Abwärtsbewegung, eine Abstufung auf der Konditionierungshierarchie für Allomorphe an. (Nübling 2012: 232)

Die in Abbildung 50 dargestellte Entwicklung der onymischen Allomorphie fasst den Wandel unter Berücksichtigung dieses Aspekts nun zusammen. Wir sehen, dass zu fnhd. Zeit bei Entstehung der EN-Plurale noch ein an die Appellativik angelehntes System mit komplexen Konditionierungsprinzipien herrscht. Primär wurde die Zuweisung der Allomorphe via Flexionsklasse/Genus gesteuert, welche zu den komplexeren Zuweisungsebenen gehören: Feminina bekommen -(e)n im Plural, Maskulina per Default -e, marginal wird sogar der stammmodulierende Umlaut angewandt. Diese Markierungsoptionen stellen bei nichtperipheren Substantiven noch heute den Default dar. Daneben existiert bei RufN auch der Null-Plural, welcher sich nach dem Auslaut richtet und somit ebenso phonologisch gesteuert ist wie im appellativischen Bereich. Bei einigen Lexemen konnte auch das (lexikalisch gesteuerte) Allomorph -ne(n) vorkommen. Die Verteilung von -s hingegen ist noch als randständig und stark restringiert zu bezeichnen, da sie sich sowohl nach der EN-Klasse als auch nach der Funktion richtet. Schließlich erhalten nur FamN bei Assoziativfunktion das -s, die analogische Ausbreitung hat noch nicht gegriffen. Zudem tritt bei Auslaut auf /s/ auch die ehemals doppelte Genitivendung -ens auf. Bis auf phonologisch gesteuertes -ens und -Ø liegt im Fnhd. also noch ein recht komplexes System vor.

212 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

komplex

Fnhd. Feminina

Maskulina

phon. gesteuert

lex. gesteuert

sem. (& phon.) gesteuert

-en

-e (+ UL)



-ne(n)

-ne(n)

appellativisches System

Feminina auf e

Maskulina auf Kons.

phon. gesteuert

lex. gesteuert

phon. gesteuert

-n

-e



-ne(n)

-s

Schemakonstanz

| (-ens)

Relevanz

Umbruchperiode (18.–20. Jh.)

0,05

Barock

6384

80,6%

4,35

4,24

> 0,05

Himalay|ja96

3193

76,9%

4,35

4,53

> 0,05

Internet

81895

32,2%

4,44

3,06

< 0,001***

iPhone

12314

53,2%

4,76

4,0

> 0,05

Iran

7503

70%

4,13

4,69

> 0,05

Jupiter

1866

63,9%

4,25

3,69

> 0,05

LKW

2487

71%

4,44

3,50

> 0,05

Orinok|co97

294

87,4%

4,53

4,71

> 0,05

PC

12308

42%

4,41

3,23

> 0,05

Pharao

5129

56,6%

4,29

4,35

> 0,05

Ramadan

1761

71,4%

3,94

4,29

> 0,05

Tango

1567

50,8%

4,29

3,88

> 0,05

Tiber

413

51,1%

4,19

4,19

> 0,05

Ganz anders verhält es sich bei den hier getesteten nicht-anthroponymischen Substantiven. Die Ergebnisse aus dem Akzeptabilitätstest zeigen einerseits, dass keine der beiden Genitivformen im Schnitt mit weniger als drei Punkten und somit als ungewöhnlich bewertet wurde. Andererseits zeigen die p-Werte in Tabelle 22, dass die null- und die s-markierte Variante eines Substantivs nicht signifikant unterschiedlich bewertet wurden, was für die Vergleichbarkeit der

|| 95 Die p-Werte wurden via SPSS mit dem Wilcoxon-Test ermittelt (vgl. Bortz & Schuster 72010: 133). 96 Bei der Recherche in DECOW2012 wurden beide graphischen Varianten berücksichtigt, im Akzeptabilitätstest und im Experiment wurde hingegen nur die gebräuchlichere Variante abgefragt. 97 Bei der Recherche in DECOW2012 wurden beide graphischen Varianten berücksichtigt, in Akzeptabilitätstest und Experiment wurde nur gebräuchlicheres abgefragt.

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 225

Verarbeitungszeiten von großer Relevanz ist.98 Abbildung 53 veranschaulicht die Akzeptabilitätsunterschiede der beiden Varianten für die getesteten Items. 5 4 3

s Ø

2 1

Abb. 53: Die Akzeptabilitätswerte für die null- und s-markierte Variante der Testitems auf einer Skala von 1 (ungewöhnlich) – 5 (gewöhnlich)

In den Prätests wurde sowohl die Produktionsseite (Korpusdaten) als auch der Rezeptionsaspekt (Akzeptabilitätstest) von Sprache berücksichtigt. Es ist somit davon auszugehen, dass hinsichtlich der ausgewählten Substantive kein verzerrender Einfluss auf die Ergebnisse der im nächsten Kapitel vorgestellten SPRStudie durch Akzeptabilitätsunterschiede anzunehmen ist. 4.3.2.3 Self-Paced-Reading-Studie Um den funktionalen Vorteil wortschonender Verfahren, wie der Auslassung von Kasusflexiven, zu testen, wurde – aus den oben erläuterten Gründen – eine SPR-Studie durchgeführt. Der Untersuchung lag ein Design mit „moving window“ zugrunde, was bedeutet, dass den ProbandInnen auf einem Bildschirm Sätze präsentiert werden, die zunächst nicht sichtbar, sondern durch Symbole – in diesem Fall Rauten (#) – verdeckt sind. Um einen Satz nach und nach lesen zu können, müssen die Testpersonen per Tastendruck die einzelnen

|| 98 Nur bei dem Lexem Internet liegen signifikante Unterschiede vor, wobei die flexivisch markierte Variante besser bewertet wird als die s-lose. Dennoch wurde das Lexem im Experiment berücksichtigt, da Effekte, die auf die geringere Akzeptabilität der s-losen Form zurückzuführen sind, toleriert werden können. Solche Effekte würden schließlich der angenommenen Tendenz, dass s-lose Formen generell schneller verarbeitet werden, entgegenwirken und somit die Aussagekraft bezüglich des funktionalen Vorteils konstanter Wortformen nicht beeinträchtigen.

226 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Segmente nacheinander aufdecken, wobei das jeweils vorausgehende Segment wieder verdeckt wird, um ein Zurückspringen zu einem bereits gelesenen Segment zu verhindern (vgl. (112)): (112)

########################## des Ramadan ##################

Die Zeitabstände zwischen zwei Klicks werden automatisch gemessen, was Rückschlüsse auf die Verarbeitungszeit und somit auch den Verarbeitungsaufwand eines bestimmten Segments zulässt (vgl. z.B. McDonough & Tromovich 2012: 118). Die Aufzeichnung der Lesezeiten und die Präsentation der Items erfolgte mit dem Experimental-Programm DMDX (vgl. Forster & Forster 2003).99 Die Testsätze waren alle identisch strukturiert und bestanden aus je sechs Segmenten mit je ein bis drei Wörtern. Überall war das vierte Segment das kritische, bestehend aus einem genitivischen Definitartikel und einem der 15 getesteten Substantive. Die Nominalgruppe im Genitiv stellt dabei überall ein postnominales Attribut des Akkusativobjekts eines transitiven Verbs dar, das finit in V2 steht. Damit das kritische Segment nicht an letzter Stelle des Testsatzes steht, folgt immer ein via koordinierender Konjunktion verknüpfter zweiter Hauptsatz. In (113) wird ein Beispiel für einen Testsatz gegeben, wobei die Trennstriche die Grenzen zwischen den Segmenten symbolisieren:100 (113)

Die Muslime | feiern | das Ende | des Ramadan | und genießen | die köstlichen Speisen.

Durch den identischen Aufbau der Testsätze sollte ein Einfluss des Satzbaus und ein möglicher „spill over“-Effekt – sprich, die Übertragung von Verarbeitungsschwierigkeiten eines Segments auf die Lesezeit des nachfolgenden Segments (vgl. z. B. Just et al. 1982: 232) – auf das kritische Segment kontrolliert werden. Dabei wurde auch darauf geachtet, dass keine Ambiguitäten innerhalb der Testsätze vorkommen und, dass das kritische Segment nicht aus dem bereits gelesenen Satzkontext vorhergesagt werden kann. Um einen Priming-Effekt zu vermeiden, wurde jeder Versuchsperson jedes Substantiv nur einmal präsentiert und zwar entweder s-markiert oder ohne flexivische Markierung. Jede Versuchsperson bekam jedoch flexivisch markierte und flexivisch nicht markierte Items zu lesen. Um die Ergebnisse trotz unterschiedlicher individueller Lesege-

|| 99 Nähere Informationen zum Programm sowie die Möglichkeit zum freien Download sind unter zu finden; letzter Abruf: 21.03.2018. 100 Eine Liste mit allen Testsätzen befindet sich in Anhang BII.

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 227

schwindigkeiten vergleichen zu können, wurde der Faktor ‚Person‘ in das statistische Modell eingebunden. Um zudem einen Lerneffekt der ProbandInnen, der sich in zunehmend schnelleren Lesezeiten niederschlägt, kontrollieren zu können, wurden die Testitems pro Task randomisiert dargeboten. Der Faktor ‚Position des Items‘ wurde auch in das statistische Modell integriert. An der Untersuchung nahmen 54 deutsche MuttersprachlerInnen (44 weibliche, 10 männliche) teil. Bei den Personen im Alter von 18 bis 32 Jahren (Durchschnittsalter: 22,7) handelt es sich ausschließlich um Studierende der Freien Universität Berlin. Um einen Priming-Effekt auszuschließen, wurden Versuchspersonen für das Experiment gewählt, die nicht bereits an der Akzeptabilitätsstudie teilgenommen hatten. Um die Ergebnisse der beiden Untersuchungen dennoch vergleichbar zu halten und mögliche Apparent-time-Phänomene – sowohl zwischen Prätest und Experiment als auch innerhalb des Experiments – auszuschließen, wurden nur TeilnehmerInnen berücksichtigt, die nicht älter als 35 Jahre waren. Den ProbandInnen wurde das Untersuchungsziel vor Beginn des Experiments nicht genannt. Über einen einheitlichen Startmonitor wurden die Instruktionen zu Beginn schriftlich präsentiert, woraufhin eine kurze Trainingsphase erfolgte, um sich mit dem Programm vertraut zu machen. Im Anschluss an diese Trainingsphase gab es noch einmal die Gelegenheit, offene Fragen zu klären. Im Rahmen des Experiments bewerteten die Testpersonen sodann ohne Unterbrechung jeweils 10 Testsätze (mit je einem der 15 Items) und 29 (syntaktisch anders strukturierte) Fillersätze, die randomisiert dargeboten wurden. Neben den zu lesenden Test- und Fillersätzen mussten die ProbandInnen in unregelmäßigen Abständen sehr einfache Verständnisfragen zum vorausgehenden Satz mit dem Klicken der ja- oder nein-Taste beantworten. So konnte kontrolliert werden, ob die Sätze auch tatsächlich gelesen wurden.101 Die Dauer des Experiments lag im Schnitt bei zehn Minuten. Im Anschluss an die Bearbeitung am Monitor wurden noch die Metadaten der VersuchsteilnehmerInnen erfasst, wobei auch abgefragt wurde, ob und wenn ja welche sprachlichen Auffälligkeiten beim Lesen der Sätze bemerkt wurden. 4.3.2.4 Ergebnisse und Diskussion der Daten Die aus der SPR-Studie gewonnenen Lesezeit-Daten wurden zuerst gefiltert, bevor sie der prüfstatistischen Analyse unterzogen wurden, damit gewährleistet

|| 101 Der komplette Instruktionstext mit zwei exemplarischen Verständnisfragen findet sich in Anhang BII.

228 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

werden kann, dass die gemessenen Zeiten verlässlich Aufschluss über den Verarbeitungsaufwand flexivisch markierter und nicht-markierter Substantive geben. Um sicherzustellen, dass nur Daten von ProbandInnen, die die Testsätze konzentriert und aufmerksam gelesen haben, in die Analyse eingehen, wurden die Datensätze derjenigen Versuchspersonen ausgeschlossen, die mehr als zwei der Kontrollfragen falsch beantwortet hatten. Dies führte zur Ausklammerung von neun Datensätzen. Auch die Daten von VersuchsteilnehmerInnen mit Krankheiten, die zu erheblichen Reduzierungen der Konzentrationsfähigkeit führen, wurden – sofern bekannt – nicht berücksichtigt, was zum Ausschluss eines weiteren Datensatzes führte. Daneben wurden auch die Lesezeiten einzelner Sätze ausgeklammert, wenn sie sich um mehr als drei Standardabweichungen vom Mittelwert aller Lesezeiten der kritischen Segmente unterschieden. Auf diese Weise wurden Lesezeiten ausgeschlossen, die eventuell auf eine Ablenkung der Versuchsperson während der Bearbeitung des Tasks zurückzuführen sind. Der Mittelwert der Lesezeiten für das kritische Segment lag vor der Datenfilterung bei 802,99 ms, weshalb alle Lesezeiten über 1940,36 ms – insgesamt neun Einzelwerte – ausgeklammert wurden. Dieser Ausschluss von ganzen Datensätzen und einzelnen Werten führte insgesamt zu einem Ausschluss von 109 Beobachtungen, bzw. einer Reduzierung der erhobenen Daten um 20,2 %. Ein Vergleich der Lesezeiten aller Segmente mit einem genitivischen Determinierer und entweder einem s- oder einem null-markierten Substantiv zeigt nun, dass die Nominalgruppen mit flexivlosem Substantiv im Durchschnitt um 42,92 ms schneller gelesen wurden als die flexivhaltigen Varianten. Durchschnittlich brauchten die ProbandInnen zum Lesen der flexivisch nicht markierten Variante 767,61 ms (bei einer Standardabweichung von 296,18 ms), während die s-markierte Variante im Durchschnitt in 810,53 ms (bei einer Standardabweichung von 320,62 ms) gelesen wurde. Die Datenanalyse mittels einer generalisierten gemischten linearen Regression102 zeigt nun, dass der Lese- bzw. Verarbeitungszeitunterschied auf den signifikanten Einfluss des Faktors Flexion (-s vs. -Ø) zurückzuführen ist (p = 0,010*).103 Der Koeffizient für die flexivisch mar-

|| 102 Der Vergleich von Mittelwerten einzelner Substantive hätte im Gegensatz zu diesem komplexen statistischen Modell keine aussagekräftigen Ergebnisse geliefert, da relevante Faktoren, wie die bereits oben genannte und weiter unten noch diskutierte individuelle Lesegeschwindigkeit oder die Position des Items im Test, unberücksichtigt geblieben wären. Zur gemischten linearen Regression siehe Janssen & Latz (82013: 398–404). 103 Der R2-Wert (ohne die zufälligen Effekte) liegt bei 0,111. Dass dieser Wert vergleichsweise niedrig ist, liegt unter anderem daran, dass sich die individuellen Lesegeschwindigkeiten der Testpersonen stark unterscheiden und die daraus resultierende Varianz nicht mit den festen Effekten erklärt werden kann: Da die individuelle Lesegeschwindigkeit nicht den Untersu-

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 229

kierte Variante liegt bei 55,913. Abbildung 54 zeigt nun die – aufgrund aller in das Modell integrierten Variablen – geschätzten Mittelwerte samt Standardfehler für das kritische Segment je nach Ausprägung des Faktors Flexion. Hierbei handelt es sich nicht um die tatsächlich gemessenen Mittelwerte, sondern um die um den Einfluss aller unabhängigen, weiter unten besprochenen Variablen bereinigten Mittelwerte.

Abb. 54: Die geschätzten Mittelwerte und Standardfehler der Lesezeiten (in ms) für die s-lose und die s-haltige Variante

Neben der Variable ‚Flexion‘ wurden drei weitere ‚feste Effekte‘ (sprich, erklärende Variablen) in das statistische Modell eingebunden, um ihren Einfluss kontrollieren zu können. Der Faktor ‚Position im Test‘, der sich auf die randomisierte Reihenfolge der dargebotenen Testsätze bezieht, gewährleistet dabei, dass die gegen Ende des SPR-Tasks signifikant zunehmende Lesegeschwindigkeit der ProbandInnen (Gesamteffekt p < 0,001***) keinen verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse hat. Abbildung 55 visualisiert den Einfluss dieses Faktors anhand der geschätzten Mittelwerte.

|| chungsgegenstand darstellt, wurde die entsprechende Variable als zufälliger Effekt eingebunden, sodass verallgemeinernde Aussagen gemacht werden können, die sich nicht nur auf die tatsächlich untersuchten Individuen beziehen. Im Folgenden werden alle in das Modell integrierten festen und zufälligen Effekte näher erläutert.

230 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Abb. 55: Der Einfluss der Variable ‚Position im Test‘ auf die Lesezeit in ms (geschätzte Mittelwerte und Standardfehler)

Wie bereits oben angesprochen, wurden Substantive mit unterschiedlicher Lemma-Frequenz als Testitems ausgewählt. Entsprechend ihrer Tokenfrequenz im Teilkorpus DECOW2012-00 wurden die 15 Items in niederfrequente (1.000 Tokens) und hochfrequente Lexeme (>10.000 Tokens) eingeteilt. Der auf diesen Daten basierende Faktor ‚Frequenz‘ zeigt nun, dass die niederfrequenten Lexeme (BaFöG, Tiber, Orinoko) signifikant langsamer gelesen werden (Gesamteffekt p = 0,023*) als die frequenteren Lexeme (vgl. Abbildung 56).

Abb. 56: Der Einfluss der Variable ‚Frequenz‘ auf die Lesezeit in ms (geschätzte Mittelwerte und Standardfehler)

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 231

Als weiterer fester Effekt wurde die Variable ‚Buchstabenanzahl‘ in das Modell integriert, die die konkrete Zeichenanzahl der untersuchten Substantive (metrisch) erfasst (z. B. Tiber: 5, Ramadan: 7). Somit konnte geprüft werden, ob die kürzeren Lesezeiten der flexivisch nicht markierten Variante nicht einfach auf die um ein Zeichen kürzeren Sequenzen zurückzuführen sind. Dabei zeigt sich, dass auch die Anzahl an Buchstaben eines Lexems einen signifikanten Einfluss auf die Lesezeit nimmt (p = 0,036*). Der Einfluss der Variable ‚Buchstabenanzahl‘ ist allerdings geringer als der Einfluss der Variable ‚Flexion‘, was ein Vergleich verschiedener Versionen des statistischen Modells zeigt: Wird die Variable ‚Flexion’ entfernt, ergibt sich ein stärkerer negativer Einfluss auf die Modellgüte (der AICWert steigt von 5.853,795 auf 5.868,393) als bei einer Entfernung der Variable ‚Buchstabenanzahl’ (der AIC-Wert steigt von 5.853,795 auf 5.864,947).104 Der Koeffizient von ‚Flexion‘ liegt bei 55,913, der von ‚Buchstabenanzahl‘ bei 29,555. Beide Variablen haben also einen nachweislichen Einfluss auf die Lesezeiten, wobei der Erklärungsgehalt von ‚Flexion’ größer ist und die kürzeren Lesezeiten der Ø-markierten Varianten demnach nicht allein durch die reine Differenz hinsichtlich der Buchstabenanzahl erklärt werden können. Tabelle 23 und Tabelle 24 geben nun einen Überblick über die Bedeutung aller in das Modell integrierten festen Effekte.105 Tab. 23: Gesamteffekte der Variablen ‚Buchstaben‘, ‚Frequenz‘, ‚Flexion‘ und ‚Position im Test‘

Quelle

F

Signifikanz

Korrigiertes Modell

4,883

,000

Buchstaben

4,433

,036

Frequenz

3,829

,023

Flexion

6,649

,010

Position_im_Test

5,189

,000

Wahrscheinlichkeitsverteilung: Normal

|| 104 Beim Vergleich der Versionen gilt: Je kleiner der AIC-Wert, desto besser ist die Modellgüte. 105 Es wurden mögliche Interaktionen aller unabhängigen Variablen mit der Variable ‚Flexion‘ getestet. Für keine ließ sich ein signifikanter Einfluss nachweisen (jeweils p > 0.05).

232 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Tab. 24: Merkmalausprägungen der unabhängigen Variablen (feste Effekte)

Modellterm

Koeffizient Standardfehler

t

Sig.

95% Konfidenzintervall Unterer Wert Oberer Wert

Konstanter Term

527,177

92,6950

5,687

,000

344,969

Buchstaben

29,555

14,0379

2,105

,036

1,961

57,149

Frequenz=1

124,751

65,1579

1,915

,056

-3,328

252,830

709,385

Frequenz=2

-43,634

53,3728

-,818

,414

-148,547

61,279

Frequenz=3

0

.

.

.

.

. 98,537

Flexion=1

55,913

21,6842

2,578

,010

13,289

Flexion=2

0

.

.

.

.

.

Position_im_Test=1

195,622

50,5102

3,873

,000

96,336

294,908

Position_im_Test=2

160,182

50,2333

3,189

,002

61,439

258,924

Position_im_Test=3

89,541

49,8531

1,796

,073

-8,453

187,536

Position_im_Test=4

128,991

50,1135

2,574

,010

30,485

227,498

Position_im_Test=5

72,925

50,0320

1,458

,146

-25,421

171,272

Position_im_Test=6

75,265

50,0573

1,504

,133

-23,131

173,661

Position_im_Test=7

4,581

50,0012

,092

,927

-93,705

102,867

Position_im_Test=8

10,412

50,8770

,205

,838

-89,595

110,419

Position_im_Test=9

-48,758

50,8024

-,960

,338

-148,618

51,103

Position_im_Test=10

0

.

.

.

.

.

Wahrscheinlichkeitsverteilung: Normal

Als ‚zufällige Effekte‘ wurden schließlich noch die Faktoren ‚Person‘ und ‚Substantiv‘ in das Modell eingebunden. Somit wurde zum einen kontrolliert, dass die Aussagekraft der Ergebnisse nicht negativ durch das individuelle Lesetempo der VersuchsteilnehmerInnen beeinträchtigt wurde. Zum anderen wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich bei den 15 im Experiment getesteten Substantiven um eine Stichprobe handelt, aber verallgemeinernde Aussagen über die Grundgesamtheit der peripheren Substantive getroffen werden sollen. Wie bereits oben angemerkt wurde, können bei SPR-Studien „spill over“Effekte zwischen den relevanten Segmenten vorkommen. Beispielsweise kann durch zu schnelles Klicken ein Verarbeitungsaufwand entstehen, der sich verzögernd auf die Lesezeit des nachkritischen Segments auswirkt. Solche Übertragungseffekte konnten hier jedoch nicht beobachtet werden, da alle geprüften Faktoren keinen signifikanten Einfluss auf die Lesezeiten der den kritischen Segmenten folgenden Abschnitte haben. Ebensowenig konnte ein möglicher

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 233

Übertragungseffekt auf die dem kritischen vierten Segment vorausgehenden Abschnitte festgestellt werden (jeweils p > 0,05). Es konnten daneben keine Suppressionseffekte beobachtet werden, die auf Kollinearitätsprobleme zurückzuführen wären. Letztlich wurde auch das im Anschluss an den SPR-Task erfragte ‚metasprachliche Bewusstsein‘ als unabhängige Variable in das Modell aufgenommen und getestet, ob sich dieses auf die Lesezeiten des kritischen Segments ausgewirkt hat. Lediglich zwei ProbandInnen hatten im Anschluss an das Experiment angegeben, dass ihnen die unterschiedliche flexivische Markierung des Genitivs aufgefallen sei. Dieses ‚metasprachliche Bewusstsein‘ wurde als weitere unabhängige Variable in das Modell eingebunden, hat sich aber nicht signifikant auf die Lesezeiten niedergeschlagen (p > 0,05). Ebenso hat sich der in Tabelle 22 dargestellte Anteil genitiv-s-loser Formen der untersuchten Substantive nicht als signifikanter Einfluss erwiesen (jeweils p > 0,05). Abbildung 57 gibt nun Auskunft über die Güte des statistischen Modells. Dabei werden die Lesezeiten, die auf der Grundlage aller integrierten unabhängigen Variablen geschätzt wurden (y-Achse), mit den tatsächlich gemessenen Werten (x-Achse) in Bezug gesetzt. Je näher die Datenpunkte auf einer Halbgeraden liegen, desto besser ist die Vorhersage des Modells.

Abb. 57: Die Güte des statistischen Modells: beobachtete und vorhergesagte Werte (Zeit in ms)

234 | Die diachrone Deflexion der Personennamen

Die Ergebnisse des SPR-Experiments haben nun gezeigt, dass flexivisch nicht markierte periphere Substantive in genitivischen Nominalgruppen signifikant schneller gelesen werden als ihre flexivisch markierten Pendants. Diese kürzeren Lese- bzw. Verarbeitungszeiten lassen sich nicht nur mit der um einen Buchstaben kürzeren Zeichenkette erklären, sondern auf einen Einfluss der flexivischen Markierung zurückführen. Somit wurde eine wichtige, dem Prinzip der Schemakonstanz zugrundeliegende Prämisse empirisch bestätigt. Da flexivisch nicht markierte Substantive beim Lesen tatsächlich schneller verarbeitet werden als flexivisch markierte, ist der Nutzen stabiler Wortformen für den hier untersuchten peripheren Substantivbereich nachweisbar. Wie bereits angesprochen wurde, ist ein Vergleich der Verarbeitungszeiten zwischen peripheren und zentralen Substantiven in Genitivkonstruktionen des untersuchten Typs nicht möglich, da Störfaktoren in Form von Markiertheitseffekten die Daten nicht interpretierbar gemacht hätten. Ob also ein Unterschied zwischen der Verarbeitungszeit von flexivisch markierten peripheren und nicht-peripheren Vertretern der Substantivklasse vorliegt, ist empirisch nicht prüfbar. Ein Blick auf die in Kap. 4.3.1 diskutierten Eigenschaften der peripheren Substantive macht eine funktionale Erklärung der Unterscheidung zwischen Peripherie und Zentrum jedoch plausibel: Lediglich Substantive, die aufgrund diverser Eigenschaften schwieriger zu erkennen und zu verarbeiten sind als prototypischere Vertreter, weisen sowohl hinsichtlich Kasus als auch Numerus eine wortkörperschonende Sparflexion und zum Teil sogar voll konstanthaltende Flexivlosigkeit auf. Morphologische Schemakonstanz scheint hier von besonderer Relevanz und höher gerankt zu sein als beispielsweise Wohlgeformtheit oder durch overte Markierung erzeugte Kongruenz. Eine Erschwerung der Worterkennung durch wortspezifische Eigenschaften und Flexion wird vermieden. Bei prototypischen deutschen Substantiven scheint die Gewichtung genau andersherum zu sein, da bei im Lexikon fest verankerten Lexemen kein besonderer Schonungsbedarf gegeben ist und entsprechend Systemangemessenheit/ Wohlgeformtheit stärker gewichtet ist als der Faktor Schemakonstanz. Ob wortkörperaffizierende Flexive die Verarbeitung auch bei prototypischen Substantiven erschweren – hier aber Flexion erfolgt, da Prinzipien der Systemangemessenheit höher gerankt sind – oder ob overte Kongruenzmarker im Sinne des Klammerprinzips als Dekodierhilfe genutzt werden und die Verarbeitung sogar erleichtern – und Schemakonstanz keine Rolle spielt –, muss hier aus empirischer Sicht unbeantwortet bleiben. Die wichtige Prämisse für den bislang nur theoretisch angenommenen funktionalen Vorteil der Schemakonstanz im peripheren Substantivbereich konnte nun aber empirisch bestätigt werden, da flexivisch unmarkierte periphe-

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 235

re Substantive – bei denen Wortformstabilität hoch gerankt ist – tatsächlich schneller verarbeitet werden als ihre flexivisch markierten Pendants. Hätte sich gezeigt, dass im flüssigen Lesen kein signifikanter Verarbeitungsunterschied durch die An- bzw. Abwesenheit eines einzelnen Segments entsteht oder Nullmarkierung die Verarbeitung sogar erschwert, da das kongruierende -s als Dekodierhilfe wegfällt, wäre der theoretisch angenommene funktionale Vorteil zu hinterfragen gewesen. Hier ist noch anzumerken, dass der verarbeitungsbezogene Vorteil üblicherweise sowohl für schriftliche als auch für mündliche Kommunikation angenommen wird (vgl. Nübling 2005: 50). Während mithilfe des durchgeführten SPR-Experiments nur eine Prämisse für die Annahme eines Vorteils wortschonender Verfahren für den schriftsprachlichen Bereich bestätigt werden konnte, bleibt ein entsprechender Nachweis für den gesprochensprachlichen Bereich künftiger Forschung vorbehalten. Da aufgrund der modalitätsbedingt unterschiedlich ablaufenden Worterkennung (vgl. z. B. Kemps, Ernestus et al. 2005 und Kemps, Wurm et al. 2005) Differenzen hinsichtlich des funktionalen Verarbeitungsvorteils wortschonender Verfahren durchaus erwartbar sind, erscheint ein Vergleich der Kommunikationsformen – z. B. via Self-Paced-ListeningExperiment – vielversprechend.

4.3.3 Zusammenfassung und Fazit Um den Faktor Schemakonstanz, der – wie in diesem Kapitel diskutiert – nicht nur gegenwartssprachliche Variation, sondern auch Sprachwandel determiniert, psycholinguistisch – also zwangsläufig anhand synchroner Daten – sauber untersuchen zu können, wurde mit der Genitiv-s-Variation ein aktueller Zweifelsfall als Untersuchungsobjekt gewählt. Obwohl sich die Ergebnisse des SPR-Experiments lediglich auf die Schwankung zwischen Mono- und Polyflexion in genitivischen DPs/NPs mit Kurzwörtern, Fremdwörtern und nicht-anthroponymischen EN beziehen, ist davon auszugehen, dass sich die hier gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere, hier nicht konkret geprüfte Phänomene, wie die diachrone syntagmatische und paradigmatische Kasus- und Numerus-Deflexion bei PersN übertragen lassen. Schließlich handelt es sich auch bei den in Kap. 4.1 und 4.2 beschriebenen Entwicklungen im Bereich der PersN um in großen Teilen durch Namenkörperschonung induzierten flexionsmorphologischen Wandel. Die hier gelieferte psycholinguistische Evidenz soll also auch Ansätze unterstützen, die Wandelphänomene in der Nominalmorphologie des Deut-

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schen mit einem auf den Faktor Schemakonstanz zurückgehenden Verarbeitungsvorteil erklären. Daneben zeigt die Variation im Genitiv wie auch die anderen in Kap. 4.3.1 diskutierten Phänomene, dass Schemakonstanz ein im Deutschen nicht unwesentliches Prinzip ist und seine Erklärungsmacht nicht nur auf den onymischen Bereich begrenzt ist. Die Gewichtung dieses Prinzips hängt dabei stark vom Schonungsbedarf des jeweiligen Lexems ab und kann – z. B. bei Fremdwörtern – diachron variieren. Schließlich ist das Bestreben nach besserer Wiedererkennbarkeit durch konstante Wortformen, das im peripheren Bereich zu flexivisch (und graphematisch) abweichendem Verhalten führt, nicht isoliert zu betrachten. Auch im peripheren Bereich steht Schemakonstanz meist – je nach Phänomen oder Substantivtyp – im Konflikt mit anderen im nominalen Bereich wirksamen Motivationen, was wiederum zu synchroner und diachroner Variation führt. Im Hinblick auf die PersN konkurriert beispielsweise deflexionsfördernde Schemakonstanz mit dem Faktor Belebtheit, der eine eindeutige Agens-PatiensMarkierung durch Kasusmarkierung am EN befördert (vgl. für eben diese Erklärung für den onymischen Bereich im Festlandnordfriesischen Hoekstra 2010 und für die Begründung der Stabilität der Kasusmarkierung bei (belebten) schwachen Maskulina im Deutschen Dammel & Gillmann 2014: 208–213106). Belebtheit spielt bei der Deflexion der EN in der standardnahen Varietät des Deutschen schließlich auch eine Rolle; jedoch eine, die sich zu den Vorhersagen, die unter der Annahme angestrebter differentieller Objektmarkierung gemacht werden müssten, invers verhält: Gerade bei auf der erweiterten Belebtheitshierarchie höher eingestuften Namen ist Schemakonstanz besonders hoch gerankt, was wiederum bedingt, dass sie zu stärkerem paradigmatischen und syntagmatischen Flexivabbau tendieren (vgl. 2.2.2.1).107 Gewissermaßen als Kompensationsstrategie für den Flexivwegfall am Namen breitet sich ausge-

|| 106 Dabei machen Dammel & Gillmann (2014: 212) die einschränkende Bemerkung, „[d]ass auch Belebtheit langfristig nicht vor Kasusabbau schützt“, da die Flexive bei endbetonten (belebten) schwachen Maskulina (Mensch, Soldat) im Akkusativ und Dativ aktuell dazu tendieren, weggelassen zu werden. Schäfer (im Erscheinen) zeigt korpusbasiert, dass die phonotaktischen Eigenschaften eine wesentlichere Rolle für die flexivische (Nicht-)Markierung spielen als die semantischen. 107 Hier zeigt sich einmal mehr, dass ‚Belebtheit‘ als universelles Phänomen anzusehen ist, seine Ausprägung jedoch sprachindividuell verläuft und ‚Belebtheit‘ nicht isoliert von anderen Faktoren betrachtet werden sollte.

Die Relevanz der Schemakonstanz als Wandelfaktor | 237

hend von den südlichen Varietäten des Deutschen schließlich der onymische Artikel aus, der den Kasusausdruck innerhalb der DP/NP gewährleistet. Die hier vorgestellte Studie stellt nun einen Versuch dar, funktionale Sprachwandelprinzipien, denen häufig eine kognitive Erklärung, wie z. B. ein angenommener Verarbeitungsvorteil, zugrunde liegt, experimentell zu überprüfen. Da es sich bei der Schemakonstanz um einen Wandelfaktor handelt, der nicht nur abgeschlossenen, sondern auch aktuell beobachtbaren Sprachwandel determiniert, kann die Verbindung aus diachronem Ansatz und psycholinguistischer Evidenz funktionieren.

5 Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen Die synchronen (vgl. 2.1.2) und diachronen Beobachtungen zur Kasusmarkierung (vgl. 4.1) von PersN haben gezeigt, dass sowohl paradigmatische (Allomorphieabbau) als auch syntagmatische Deflexion (Markerschwund) im onymischen Bereich in starkem Maße stattgefunden haben und heute im besten Fall noch von einer Minimalflexion zu sprechen ist. Im Dativ und Akkusativ hat sich mit -(e)n zunächst ein überstabiler Marker herausgebildet, der letztendlich komplett abgebaut wurde. Im Genitiv hat sich zum frühen Neuhochdeutschen hin – ausgehend von der Deklination der starken Maskulina – mit dem invarianten -s ein ebensolcher überstabiler Marker entwickelt. Dieser unterliegt seit dem späten 18. Jh. nun auch der Deflexion – allerdings nur in Kontexten, in denen der Genitiv an einem anderen Element eindeutig markiert ist (z. B.: die Rückkehr de-s lange verletzt-en Bastian Schweinsteiger-Ø). In adnominalen genitivischen Konstruktionen, in denen der Name artikellos auftritt (z. B.: Bastian Schweinsteigers Rückkehr), ist das -s hingegen allen Namenkörperschonungstendenzen zum Trotz noch heute durchaus stabil. Während im letzten Kapitel also explizit der Frage nach Sprachwandel bzw. Markerschwund und seinen Determinanten nachgegangen wurde, soll nun der Blick auf die Stabilität bzw. Persistenz eines Markers gerichtet werden, der sich hartnäckig hält und zum Teil sogar eine Ausbreitung erfährt: das possessive -s. Eine zentrale Frage ist dabei die nach dem Status dieses Markers, der ursprünglich ein reguläres Genitivflexiv war. Während Untersuchungen im Deutschen possessive s-Konstruktionen häufig als pränominale und weitgehend reguläre Genitivattribute – auch der Terminus ‚sächsischer Genitiv‘ ist geläufig – betrachten und vornehmlich deren syntaktische Analyse oder die Determinanten der Stellungsvariation in den Blick nehmen, wird in Studien zum s-Marker in anderen germanischen Sprachen häufig nicht mehr von Genitivmorphologie gesprochen und gezielt der Wandel des einstigen Genitivflexivs in den Blick genommen.1 Ein Diachronievergleich innerhalb der Germania – der sich in der

|| 1 Terminologisch ist jedoch auch hinsichtlich der Beschreibung dieser Konstruktion in anderen Sprachen eine große Vielfalt zu beobachten. Neben dem neueren Term ‚possessive -s‘ (vgl. Scott 2014) finden sich auch die Termini ‚s-construction‘ (vgl. Weerman & De Wit 1999 und Booij 2010), ‚s-genitive‘ (vgl. Norde 1997, Rosenbach 2002 und Bermudez-Otero & Payne 2011), ‚English genitive‘ (vgl. Bermudez-Otero & Payne 2011) oder ‚prenominal genitive‘ (vgl. Allen 1997). https://doi.org/10.1515/9783110600865-005

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 239

Historischen Sprachwissenschaft häufig als nützlich erweist (vgl. Fleischer & Simon 2013) – soll hinsichtlich der possessiven s-Konstruktion helfen, die Entwicklung im Deutschen besser beschreiben und einordnen zu können. In Kap. 5.1 wird gefragt, ob man bei PersN noch von einer intakten Genitivmorphologie sprechen kann, sprich in welchen genitivischen Konstruktionen gegenwärtig eine flexivische Markierung des Namens erfolgt. Daneben werden synchrone und diachrone Analysevorschläge für pränominale Possessivkonstruktionen mit onymischem Possessor diskutiert. Da das possessive -s im Deutschen weit weniger untersucht worden ist als sein Pendant in anderen germanischen Sprachen, erfolgt in Kap. 5.2 ein Vergleich mit der Entwicklung im Englischen und Niederländischen, der Parallelen und Unterschiede aufzeigen soll. Zur Entwicklung im Deutschen werden in Kap. 5.3 synchrone und diachrone empirische Daten herangezogen, die zeigen sollen, wie sich die Reanalyse des possessiven -s vollzogen hat und wie der Status dieses Markers am adäquatesten zu erfassen ist. Als Konsequenz der Befunde wird in Kap. 5.4 diskutiert, ob wir es hinsichtlich der Entwicklung des einstigen Genitiv-s hin zu einem Possessivmarker mit einem Fall von Degrammatikalisierung, Konstruktionalisierung oder Exaptation zu tun haben und wie man den zu beobachtenden Wandel am adäquatesten theoretisch modellieren kann. Schließlich erfolgt in Kap. 5.5 eine Zusammenfassung der in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse, die zudem einen Vorschlag für eine synchrone onymische Deklinationsklasse präsentiert, der der Tatsache gerecht wird, dass EN im Deutschen diachron immer weiter in Richtung einer nicht nach Kasus flektierbaren Wortart driften.

5.1 Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse Den Genitiv kann man allgemein von drei Seiten beleuchten: Zum einen spielt die morphologische Perspektive, bei der die konkrete flexivische Realisierung des Kasus am Merkmalsträger im Fokus steht, eine Rolle. Aus syntaktischer Perspektive sind zum anderen mit Genitivobjekten und -attributen sowie adverbialen, adjektivischen und adpositionalen Genitiven alle Konfigurationen, in denen der Genitiv laut der Literatur (noch) eine Rolle spielt, in den Blick zu nehmen. Aus semantischer Sicht interessiert schließlich die Funktion, die der Kasus übernimmt. Bei der Entwicklung der pränominalen Genitivattribute zu Possessivkonstruktionen mit PersN hat sich ein Wandel vollzogen, der alle drei grammatischen Ebenen betrifft. Die morphologische Ebene wurde im vorausgehenden Kapitel bereits ausführlich beschrieben. Zusammenfassend sei noch einmal gesagt, dass sich das

240 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

invariante, unsilbische -s sukzessive zum (nahezu) einzigen genitivischen Marker im onymischen Bereich entwickelt hat – im nicht-onymischen Bereich herrscht mehr Allomorphie. Es wurde auch diskutiert, dass das -s als superstabiler Marker deklinationsklassenübergreifend an feminine sowie maskuline EN tritt. Doch seine Realisierung ist im Gegenwartsdeutschen keineswegs obligatorisch, sondern stark abhängig vom syntaktischen Kontext, in dem der EN auftritt. Neben der morphosyntaktischen Ebene soll hier auch kurz diskutiert werden, welche Funktion der s-Marker im heutigen Deutschen übernimmt.

5.1.1 Das gegenwärtige (Nicht-)Vorkommen von -s 5.1.1.1 Genitivische Konstruktionen mit Namen und ihre Bewertung Betrachten wir nun zunächst aus morphosyntaktischer Perspektive diverse genitivische Konstruktionen, in denen EN vorkommen können, und richten zudem aus morphologischer Sicht den Blick auf das konkrete Vorkommen von -s in diesen Konfigurationen. Adnominale Genitive Allgemein ist davon die Rede, dass sich der Genitiv im Deutschen zu einem primär adnominalen Kasus hin entwickelt hat. Während Dativ und Akkusativ typische verbal regierte Kasus sind, verengt sich die Domäne des Genitivs sukzessive auf den nominalen attributiven Bereich. In diesem Punkt unterscheidet sich der Genitiv heute somit zentral von den anderen obliquen Kasus. Innerhalb der nominalen Domäne – so wurde hier schon mehrfach angesprochen – unterscheiden sich wiederum Attribute mit appellativischem Kopf von solchen mit onymischem Kern: Während APP nur sehr eingeschränkt die pränominale Position einnehmen können und die Serialisierung in den meisten Fällen als markiert bis ungrammatisch gilt (114b) – Campe (2013: 256–260) nennt Definitheit, Singularität und eindeutige flexivische Ausweisung des Genitivs als markiertheitsreduzierende Faktoren –, ist die Serialisierung EN > Kopfnomen bei artikellosen unmodifizierten EN uneingeschränkt möglich (115a). Wie Bsp. (115b) zeigt, sind EN jedoch nicht auf die pränominale Position beschränkt. (114)

a. [[das Kabinett]Kopf [der Kanzlerin]Attribut] b. ? [[der Kanzlerin]Attribut [Kabinett]Kopf]

(115)

a. [[Merkels]Attribut [Kabinett]Kopf] b. [[das Kabinett]Kopf [Merkels]Attribut]

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 241

Laut Campe (2013) sind Konstruktionen mit prä- vs. postnominal auftretendem EN allerdings nicht als äquivalent zu erachten: Zum einen gibt es semantische und syntaktische Faktoren, wie die Referentialität oder die Komplexität des onymischen Attributs, die die freie Variation zwischen Prä- und Poststellung restringieren, zum anderen existieren semantische, syntaktische und pragmatische Faktoren, die in ‚Wahlkontexten‘ einen Einfluss auf die Serialisierung nehmen. Dazu sollen beispielsweise die semantische Rolle des attributiven EN sowie sein prosodisches Gewicht oder auch der Informationsfokus zählen. Darüber hinaus haben pränominal auftretende EN laut Campe (2013) immer eine spezifizierende, determinative Funktion (Alberts Auto = das Auto von Albert nicht ein Auto von Albert), die sie in Poststellung nicht zwangsläufig haben. Die morphosyntaktische Entwicklung des Genitivs hin zu einem Kasus, der primär die Relation zwischen zwei nominalen Entitäten herstellt, hat nun auch weitere Auswirkungen auf seine Semantik; und zwar gewinnt die possessive Funktion, die schon immer einen semantischen Subtyp des Genitivs dargestellt hat und auch aus typologischer Perspektive die am weitesten verbreitete Rolle des Genitivs darstellt (vgl. Bußmann 42008: 226), zunehmend an Bedeutung. Während Possessivität bei appellativischen Genitivattributen nicht den einzigen – wenn auch den dominierenden – semantischen Subtyp darstellt, ist Possessivität im weitesten Sinne die einzige semantische Relation in adnominalen Konstruktionen mit einem PersN (vgl. Schlücker 2018). Possessivität wird hier in Anlehnung an die Duden-Grammatik (92016: 837–838) so weit gefasst, dass nicht nur Zugehörigkeit im weitesten Sinne, sondern auch subjektiver und objektiver Genitiv sowie Genitivus Auctoris und Genitiv des Produkts darunter gefasst werden.2 Tabelle 25 gibt einen Überblick über die semantischen (Sub-) Typen von Genitivattributen und das Vorkommen bei EN vs. APP.

|| 2 Z. T. wirkt sich die ausgedrückte semantische Relation auf die Stellung des EN aus – so in etwa beim Genitivus Subiectivus, der die Prästellung fördert, während der Obiectivus zu vermehrter Poststellung führt (vgl. z. B. Eisenberg & Smith 2002).

242 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Tab. 25: Die semantischen (Sub-)Typen des Genitivs in Anlehnung an die Duden-Grammatik (92016: 837–844)

Semantischer Typ

Subklasse

Eigennamen

Appellative

Possessiver Genitiv

Possessivus

Christians Fußball

der Fußball des Jungen

Subiectivus

Sarahs Entscheidung die Entscheidung des Mädchens

Obiectivus

Merkels Anhänger

ein Freund der Partei

Auctoris

Goethes Werke

das Buch dieses Autors

Genitiv d. Produkts der Autor des Faust

der Autor dieses Buchs

Genitivus Qualitatis

–––

Personen beiderlei Geschlechts

Explikativer Genitiv

–––

das Laster des Rauchens

Partitiver Genitiv

–––

die Hälfte des Brots

Electiver Genitiv3

–––

das Spiel der Spiele

Peter (2015), der in einer Korpusstudie explizit pränominale EN auf ihre semantischen Relationen hin untersucht hat, zeigt sogar, dass nur prototypische Possessivität (bedingt auch der Genitivus Subiectivus), nicht aber die Subtypen Obiectivus oder Auctoris hier eine nennenswerte Rolle spielen. Aus morphologischer Sicht schließlich verhalten sich artikellose EN in Präund Poststellung gleich: Sie weisen unabhängig von ihrem Genus und vom Auslaut – einzige Ausnahme sind auf /s/ endende Namen – das invariante -s auf. Für APP hingegen gilt zum einen eine strikte +/- Femininum-Divergenz und zum anderen herrscht reichere Allomorphie (vgl. 2.1.2): (116)

ARTIKELLOSER EIGENNAME

APPELLATIV

a. Tanja-s/Tim-s Buch

c. das Buch der Linguistin-Ø /des Linguist-en

b. Tobias’ / Ines’ Buch

d. das Buch des Kurs-es

Tritt der Name mit einem primären Artikel auf – so wie LänderN vom Typ die Türkei oder FlussN wie der Rhein –, so geht er laut Duden-Grammatik (92016:

|| 3 Der elective Genitiv wird in der Duden-Grammatik nicht als eigener Subtyp aufgefasst. Gelegentlich wird er zum Explikativus gezählt, gelegentlich auch als eigenständiger Typ aufgefasst (so z. B. bei Scott 2014: 41).

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 243

200–202) zum regulären appellativischen Flexionsmuster über: Feminine Namen werden flexivisch nie markiert (117a), maskuline und neutrale Nicht-PersN nehmen teilweise (laut Duden-Grammatik überwiegend, aber siehe die Korpusbefunde in Zimmer 2018: 148–167) das kurze -s der starken Deklination (117b). Maskuline PersN, die mit sekundärem Artikel auftreten, bleiben hingegen fast ausschließlich unflektiert, wie in (118). (117)

a. Fem. (alle):

d as Handeln der Türkei-Ø

b. Mask./Neut. (ohne PersN): das Rauschen des Rhein-s/-Ø (118)

Mask. (nur PersN):

die Gedichte des H. Heine-Ø/(-s)

Das Ausbleiben der Genitivendung wird bei Namen mit primärem oder sekundärem Artikel also der sprachlichen Realität entsprechend von der DudenGrammatik (92016: 2002–2002) nicht mehr als falsch bewertet.4 Ein Übergehen zu den Normalmustern der Kasusflexion ist jedoch ob der zunehmenden Tendenz zur Monoflexion, die auch bei Namen mit primärem Artikelgebrauch, also unbelebten EN, zu beobachten ist, nicht immer gegeben, da das Normalmuster entsprechend der starken Deklination bei maskulinen und neutralen Namen -s/ -es vorsehen würde. Neef (2006: 277) – ebenso Müller (2002) – hält eine Analyse, der zufolge EN in Abhängigkeit des syntaktischen Kontexts klassifiziert werden, für problematisch, da die Deklinationsklassenzuordnung von Nomina in der Regel nicht syntaktisch determiniert variieren kann. Stattdessen nimmt er im Falle der variierenden Genitivmarkierung von EN syntaktisch konditionierte Allomorphie innerhalb einer einzigen Deklinationsklasse an, die aus primär artikellosen EN besteht. Syntaktisch konditionierte Allomorphie sei bei Nomina zwar auch nicht häufig zu beobachten, in der adjektivischen Flexion jedoch der Default. Bei Müller (2002) ist die Artikelhaltigkeit eines EN nicht das entscheidende Kriterium. Laut ihm „handelt es sich beim Eigennamen-Genitiv [...] um keine echte morphologische Genitivmarkierung, sondern eher um so etwas wie einen ‚Possessivkasus‘, der im Unterschied zum NP-internen Genitiv präferiert in der prä(statt der post-) nominalen Position erscheint“ (Müller 2002: 109). Dabei gilt die syntaktische Beschränkung, nach der Artikel und morphologischer Possessiv nicht in einer NP kookkurrieren, sprich bei postnominalem Gebrauch mit Artikel (des kleinen Nico(*s)) bleibt das -s aus und bei pränominalem Gebrauch darf

|| 4 Siehe hierzu auch die selbst erhobenen Akzeptabilitätsurteile in Kap. 4.3.2.2.

244 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

kein Artikel stehen ((*des) Nicos Hund), ungeachtet der Tatsache, dass die Kookkurrenzrestriktion im letztgenannten Fall eine striktere zu sein scheint. Ich werde im Folgenden für eine Analyse argumentieren, die sowohl ohne die Annahme syntaktisch konditionierten Deklinationsklassenwechsels als auch syntaktisch konditionierter Allomorphie auskommt. Aus diachroner Perspektive soll dafür argumentiert werden, dass PersN als die prototypischsten Vertreter der EN-Klasse unabhängig von ihrer Artikelhaltigkeit im heutigen Deutschen – bis auf wenige flexivische Reste – nicht (mehr) nach Kasus flektieren. Das einst genitivische -s, das in adnominalen Possessivkonstruktionen an artikellose Namen tritt, hat sich diachron von seinem Ausgangsstatus als Flexiv entfernt und driftet in Richtung eines klitischen Possessivmarkers. Mit dem Genitiv-s der starken maskulinen Deklination hat es nicht viel mehr gemein als das Fugen-s, das in seiner heutigen Verwendung auch nicht mehr als Flexiv angesehen wird. Ad-adpositionale Genitive Schauen wir uns nun das Vorkommen von unmodifizierten, artikellosen PersN in ad-adpositionalen Konstruktionen an. Neben den als relativ stabil zu erachtenden adnominalen Genitiven (vgl. Scott 2014: 263–264 und 2011: 61–63) sind im Gegenwartsdeutschen auch adpositional regierte Genitivkomplemente vorhanden. Zwar stellt die Adposition wegen, bei der ein Schwanken zwischen Genitiv- und Dativrektion zu beobachten ist (119), ein häufig herangezogenes Beispiel für den Rückgang des Genitivs dar, doch bei einigen sekundären Adpositionen wie gemäß, dank oder entsprechend ist gerade ein Schwanken zwischen ursprünglicher Dativ- hin zu neuerer Genitivrektion zu beobachten, wie das Beispiel in (120) zeigt (vgl. z. B. Di Meola 1999, 2000 und 2004 oder Szczepaniak 2014). Anhand der Auswertung von Twitter-Daten kann Scott (2011) zeigen, dass der präpositionale Genitiv auch in informeller Sprache in Relation zu seinen Konkurrenten überraschend häufig zu finden ist. (119)

[wegen [des schlechten Wetters]Gen]> [wegen [dem schlechten Wetter]Dat]

(120)

[dank [dem schönen Wetter]Dat]

> [dank [des schönen Wetters]Gen]

PersN kommen durchaus auch als Komplemente von Genitiv-Adpositionen vor. Hinsichtlich ihrer flexivischen Markierung herrscht in der Literatur jedoch keine Einigkeit. Während beispielsweise Eisenberg (42013a: 253) flektierte PersN nach Präpositionen wie wegen als grammatisch erachtet (121a), sieht Gallmann (1990: 275) sie als stilistisch markiert an und empfiehlt in diesen Fällen eher die Flexivlosigkeit wie in (121b). Fuß (2011), der in seinem Akzeptabilitätsurteil radikaler

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 245

ist, hält flektierte PersN nach Genitivpräpositionen sogar für ungrammatisch. Laut ihm können s-markierte Namen nur wie in (122) in Verbindung mit Postpositionen vorkommen, was Gallmann (1990: 275) wiederum für archaisch hält. (121)

a. wegen Conny-s kamen wir zu spät b. wegen Conny-Ø kamen wir zu spät

(122)

Conny-s wegen kommen wir zu spät

Natürlich können wir in Fällen wie (121b) nicht sagen, ob tatsächlich Flexivwegfall am Namen vorliegt oder die Präposition den Dativ regiert, der im Gegenwartsdeutschen nicht mehr am Namen markiert wird. Das Resultat ist jedoch in beiden Fällen dasselbe: Der EN erfährt keine flexivische Markierung. Ad-verbale Genitive Im Gegenwartsdeutschen existieren schließlich noch ad-verbale Genitive. Wie in Kap. 2.1.2.1 gesagt, ist der verbale Bereich jedoch keinesfalls die Hauptdomäne des Genitivs. Es gibt nur noch rund 40 Verben, die Genitivobjekte nehmen, wobei diese eher bei konzeptioneller Schriftlichkeit vorkommen. Fuß (2011: 23– 24) macht nun die interessante Beobachtung, dass verbal regierte EN kein Genitivflexiv erhalten (123), während Flexivlosigkeit bei appellativischen Genitivobjekten nicht zu beobachten ist (124). (123)

sie gedachten Michael Jackson-Ø

(124)

sie gedachten ihres Vaters

Auch hier ist bei onymischem Komplement wieder nicht zu entscheiden, ob tatsächlich Genitivrektion vorliegt oder ein Übergang zum Dativ für den Flexivwegfall sorgt. Peter (2015: 205) hinterfragt zudem, ob solche Belege wie die in (123) und (124) überhaupt vergleichbar seien oder ob bei EN eine konzentrische Struktur vorliege, wohingegen bei APP eine exzentrische Struktur anzunehmen sei.5 Doch auch hier gilt wieder, dass die Tendenz erkennbar ist, dass Namen unflektiert bleiben, wo bei APP eben kein Flexivschwund zu beobachten ist. Neben ad-verbalen Genitiven gibt es im Deutschen noch – nicht minder seltene – adverbiale Genitive des Typs sie trafen sich des Morgens wie auch adjek-

|| 5 Die Unterscheidung zwischen konzentrisch (Kongruenzbeziehung zum Begleitwort geht vom Substantiv aus) und exzentrisch (das Flexiv am Substantiv setzt das Vorhandensein eines Begleitworts voraus) geschieht dabei in Anlehnung an Ágel (2006).

246 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

tivische Genitive: sie ist des Mordes schuldig. Beide Gebrauchsweisen sind im Gegenwartsdeutschen jedoch nicht nur selten (vgl. Scott 2014: 251) sondern sie spielen vor allem im onymischen Kontext keine Rolle. Daher werden sie im Folgenden nicht weiter diskutiert. Tabelle 26 fasst noch einmal zusammen, welche genitivischen und genitivähnlichen Konstruktionen für EN relevant sind und wie sie (z. T. je nach flexivischer Markierung) in drei ausgewählten Gegenwartsgrammatiken (Wahrig 2003, Eisenberg 42013a und Duden-Grammatik 92016) beurteilt werden. Tab. 26: Personenname in genitivischen bzw. genitivähnlichen Phrasen und ihre Bewertung in ausgewählten deutschen Gegenwartsgrammatiken (vgl. Ackermann 2018)

STRUKTURELLER TYP

BEISPIEL

BEWERTUNG

pränominal

Sebastians Katze

grammatisch (Duden 92016: 208, Eisenberg 4 2013a: 253, Wahrig 2003: 561)

postnominal

die Katze Sebastians

grammatisch (Duden 92016: 208, Eisenberg 42013a: 253) ungrammatisch (Wahrig 2003: 562)

postnominal + Det.

die Katze des tierlieben Sebastians

grammatisch, aber es gibt eine starke Tendenz, den Namen nicht zu flektieren (Duden 9 2016: 201) ungrammatisch, denn der Name muss unflektiert bleiben (Eisenberg 42013a: 144, Wahrig 2003: 322)

AD-ADPOSITIONAL mit Präposition

wegen Sebastians

nicht mehr üblich, s-Wegfall wird als grammatische Alternative erachtet (Duden 92016: 210, 982) grammatisch (Eisenberg 42013a: 253)

mit Postposition

Sebastians wegen

möglich/grammatisch (Duden 92016: 210, 982, Eisenberg 42013: 253)

wir gedenken Sebastians

möglich/grammatisch (Duden 92016: 209– 210, Eisenberg 42013a: 253)

AD-NOMINAL

AD-VERBAL

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 247

Wie die Übersicht noch einmal verdeutlicht, scheint die s-Markierung von PersN einzig und allein in pränominalen Possessivkonstruktionen voll akzeptabel und gebräuchlich zu sein. Dies sind nun ausgerechnet Konstruktionen, die die von Gallmann formulierte Genitivregel verletzen. Wie bereits erwähnt, besagt die Genitivregel, dass eine Nominalphrase nur dann im Genitiv stehen kann, „wenn sie (i) mindestens ein adjektivisch flektiertes Wort und (ii) mindestens ein Wort mit s- oder r-Endung enthält“ (Duden-Grammatik 92016: 978). Der Genitiv muss innerhalb der Phrase also sichtbar markiert sein, jedoch an einem adjektivisch flektierenden Wort. Wenn ein Substantiv ohne Artikel oder Adjektiv auftritt und somit zum Hauptmerkmalsträger wird, tendiert es dazu, unflektiert zu bleiben. EN in adnominalen Possessivkonstruktionen stellen somit einen Fall dar, in dem die Genitivregel verletzt ist, die Konstruktion aber dennoch voll akzeptabel ist (vgl. Duden-Grammatik 92016: 982 und ausführlicher Gallmann 2018). Es bleibt also zu hinterfragen, ob wir es hier tatsächlich mit Instanzen des Genitivs zu tun haben. Da die in der Literatur und in Gegenwartsgrammatiken zu findenden Urteile hinsichtlich des Vorkommens und der flexivischen Markierung von PersN in genitivischen Phrasen stark variieren, soll eine Korpusstudie nun quantitative Erkenntnisse hinsichtlich des aktuellen Gebrauchs liefern. Die Ergebnisse sollen zeigen, wie weit die Deflexion im Genitiv tatsächlich vorangeschritten ist. 5.1.1.2 Korpusdaten Als Korpus für die Studie zum aktuellen Vorkommen von PersN in genitivischen Konstruktionen wurde das Korpus DECOW2012 gewählt (vgl. Schäfer & Bildhauer 2012). Wie der Name COrpora from the Web sagt, besteht das Korpus aus Dokumenten, die von Internetseiten heruntergeladen wurden. Im Falle des hier genutzten deutschen Korpus (DE) wurden die Dokumente im Jahr 2011 aus der Domäne .de heruntergeladen. Das gesamte deutsche Korpus enthält 9,1 Milliarden Tokens in 7,8 Millionen Dokumenten. Da PersN in genitivischen Konstruktionen kein seltenes Phänomen darstellen, wurde hier nur das Subkorpus DECOW2012-00 genutzt, das ungefähr 1,2 Milliarden Tokens enthält. Das Korpus unterscheidet sich insofern von anderen etablierten Korpora wie beispielsweise DeReKo oder DWDS, als es zu über 20 % aus quasi-spontansprachlichen Texten wie z. B. nicht-redigierten Blog-Diskussionen oder Foreneinträgen besteht (vgl. Schäfer & Bildhauer 2012: 493). Anhand des gewählten Korpus lässt sich somit ein recht gutes Bild des aktuellen Sprachgebrauchs ermitteln. Was die Suche nach PersN angeht, so haben sich ähnliche Probleme ergeben wie bei der Recherche im DTA, da ein EN-Tagging zwar vorhanden, aber keinesfalls verlässlich ist. Also wurde auch hier mit einer RufN-Liste gearbeitet.

248 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Dieses RufN-Sample wurde nun auch wieder auf der Grundlage verschiedener Faktoren zusammengestellt. Zum einen wurde darauf geachtet, dass das Sample ähnlich viele männliche wie weibliche RufN enthält. Zum anderen wurden die beiden phonologischen Faktoren Silbenanzahl (eins bis vier) und Qualität des finalen Lauts (Vokal, Sonorant, Obstruent) berücksichtigt. Namen, die auf /s/ auslauten, wurden aus dieser Untersuchung ausgeschlossen, da der sMarker in der Regel nicht bei ihnen auftritt und die Ergebnisse somit zugunsten der flexivlosen Variante verzerrt worden wären. Neben den genannten Faktoren wurden außerdem Namen mit unterschiedlicher Vorkommenshäufigkeit im Korpus ausgewählt (10.000). Da für jedes Merkmal je zehn RufN in das Sample aufgenommen wurden, gingen insgesamt 120 Namen in die Untersuchung ein.6 Gesucht wurde schließlich nach allen oben genannten syntaktischen Konfigurationen, die einen s-, ’s- oder unmarkierten RufN aus der Liste enthalten. Was die ad-adpositionalen und die ad-verbalen Genitive angeht, wurde nicht wortartenbasiert, sondern nach konkreten Lemmata gesucht.7 Anschließend wurden manuell alle Fehlbelege aussortiert. Tabelle 27 gibt nun einen Überblick über die Vorkommenshäufigkeit von sund nullmarkierten RufN in Abhängigkeit von der genitivischen bzw. genitivähnlichen Konfiguration.

|| 6 Der weibliche Name Andrea wurde nachträglich ausgeschlossen, da die s-markierte Variante mit dem männlichen RufN Andreas homonym ist, wodurch zu viele Fehlbelege entstanden. Das tatsächliche Namen-Sample enthält also nur 119 Namen. Die vollständige Liste findet sich in Anhang A. 7 Es wurde nach Folgenden den Genitiv regierenden Verben und Präpositionen gesucht: Verben: jemandes gedenken, sich jemandes erinnern, sich jemandes erbarmen, sich jemandes annehmen. Prä- und/oder Postpositionen: abseits, abzüglich, angesichts, anhand, anlässlich, anstatt, anstelle, aufgrund, ausschließlich, beiderseits, bezüglich, diesseits, eingedenk, einschließlich, fern, fernab, halber, hinsichtlich, incl., infolge, inkl., inklusive, jenseits, kraft, links, mangels, mittels, oberhalb, rechts, seitens, seitlich, seitwärts, statt, trotz, unfern, ungeachtet, unterhalb, unweit, vorbehaltlich, während, wegen, zugunsten, zuungunsten, zuzüglich, zwecks.

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 249

Tab. 27: Die Verteilung s- und nullmarkierter Rufnamen in den verschiedenen genitivischen Konfigurationen

KONFIGURATION

BEISPIEL

TOKENS mit -s

ohne -s

AD-NOMINAL

pränominal [RufN(s|’s) (ADJ) NN]

Sebastians (schöne) Katze

16.326 (83,2%) (9,1% mit -’s)

0

postnominal (ohne Det.) [NN RufN(s|’s) ≠NN]

die Katze Sebastians

3.303 (16,8%) (1,9% mit -’s)

0

postnominal (mit Det.) [NN der|des ADJ RufN(s|’s)]

die Katze des tierlieben Sebastian(s)

26 (4,9%)

507 (95,1%) (369 m | 138 f)

mit Präposition [PRÄP RufN(s|’s)

wegen Sebastian(s)

7 (3,6%)

186 (96,4%)

mit Postposition [RufN(s|’s) POSTP]

Sebastian(s) wegen

2

1

wir gedenken Sebastian(s)

1

1

AD-ADPOSITIONAL

AD-VERBAL

Genitivobjekt [VERB RufN(s|’s)] [haben|werden RufN(s|’s) V] gesamt

20.360

Was das Vorkommen des s-Markers betrifft, bestätigen die Korpusdaten nun, was die Grammatiken bereits vermuten ließen: Das -s tritt fast ausschließlich bei artikellosen Namen in adnominalen Possessivkonstruktionen auf, wobei die Prästellung gegenüber der Poststellung klar dominiert (83,2 % vs. 16,8 %). Allein in diesen Konfigurationen und vor allem bei Prästellung tritt auch der morphographische Apostroph frequent auf. Auch wenn das historische Korpus DTA und das synchrone Webkorpus DECOW2012-00 keinesfalls vergleichbar sind und die Studie zum Gegenwartsdeutschen nicht als direkte Fortsetzung des diachronen Verlaufs verstanden werden soll, so zeigen die Daten zum aktuellen Sprachgebrauch dennoch eindeutig, dass die Prästellung von s-markierten RufN heute keineswegs im Abbau begriffen ist. Schaut man sich die Kontexte an, in denen postponierte artikellose EN auftreten, so fällt auf, dass es sich primär (konkret bei drei Viertel aller Belege) um Texte mit historischem (22,6 %) und mehr noch religiösem (52,4 %) Inhalt handelt (z. B. nach dem Tode Maximi-

250 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

lians als Karl V. Kaiser von Deutschland wurde8 oder Der Gott Abrahams, der Gott Jakobs, der Gott Isaaks9). Die Konstruktion kommt also vermehrt in konzeptionell schriftsprachlichen Texten mit gehobenem Standard vor und wirkt somit wie die ältere, prestigeträchtigere der beiden adnominalen Varianten, was vor dem Hintergrund, dass es sich hier um die jüngere Serialisierungsvariante handelt, auffällig erscheint. Gehen wir – wie im letzten Kapitel diskutiert – davon aus, dass die Konstruktion ihren Ursprung in der Übertragung der lateinischen Wortstellung hat und somit schon immer auf höherer Stilebene im Geschriebensprachlichen angesiedelt war, lässt sich die gegenwartssprachliche Besonderheit erklären. In den anderen syntaktischen Konfigurationen kommen RufN entweder nullmarkiert (postnominal mit Artikel und ad-präpositional) oder so gut wie gar nicht vor (ad-postpositional und ad-verbal). Dass RufN in den Web-Daten faktisch nicht als Genitivobjekte auftreten, verwundert nicht, da Genitivobjekte im Gegenwartsdeutschen generell selten sind.10 Eine Aussage zum Vorkommen von -s bei verbal regierten RufN im Genitiv ist anhand der vorliegenden Daten somit nicht möglich. Gleiches gilt für RufN als Komplemente von Postpositionen, für die nur insgesamt 3 Belege vorliegen.11 Ein Vergleich mit Nicht-EN im Subkorpus DECOW2012-00 zeigt, dass Gattungsbezeichnungen s-markiert mit der Postposition wegen wie beispielsweise in des Geschmack(e)s wegen durchaus auftreten (3.528 Belege, davon lediglich 3 mit Apostroph) – allerdings überwiegt auch hier die Nachstellung des Komplements (wegen des Geschmack(e)s), wie weiter unten gezeigt wird. Kommen wir nun zu den frequenteren präpositionalen Genitiven: Ist ein RufN Komplement einer Genitivpräposition, so ist er in 96,4 % der Fälle nicht flexivisch markiert wie in hinsichtlich Ralf oder wegen Ben. Hier liegt – wie bereits thematisiert wurde – entweder Genitiv-s-Wegfall oder ein Rektionswechsel zum ohnehin nicht am Namen markierten Dativ vor.

|| 8 DECOW2012-00: . 9 DECOW2012-00: . 10 Hier könnte die Auswertung anderer Textsorten, wie beispielsweise Todesanzeigen, lohnenswert sein. Das Verb gedenken kommt dort sicher häufiger in Verbindung mit einem PersN vor. 11 Laut Zifonun (2008: 9, 14) kommen in DeReKo verbal und postpositional regierte EN mit flexivischer Genitivmarkierung vor. Da nur exemplarisch zwei Belege zitiert, jedoch keine genaueren quantitativen Angaben gemacht werden, kann nicht beurteilt werden, ob sich die sMarkierung von EN in redigierter Schriftsprache tatsächlich anders verhält.

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 251

Eine Suche in DECOW2012-00 nach der im EN-Sample frequentesten Präposition wegen und einem nicht-onymischen maskulinen oder neutralen Substantiv zeigt, dass Genitivrektion im Korpus häufiger vorkommt als Dativrektion (22.472 vs. 16.579). Betrachtet man nur PPs mit wegen und einem artikellosen – und somit mit RufN besser vergleichbaren – Substantiv (wegen Todesfall(s)), so ändern sich die Verhältnisse.12 In einem Sample mit 600 PPs sind 17,7 % der Nicht-Namen flexivisch markiert. Der Apostroph spielt auch hier wieder keine Rolle. Schließt man die 56,1 % Feminina aus, die im Genitiv nie ein Flexiv aufweisen, steigt der Anteil (e)s-markierter Nomina (vs. nullmarkierter Maskulina und Neutra) auf 40,3 %. Der relativ hohe Anteil flexivisch nicht markierter artikelloser Substantive lässt sich mit Gallmanns Auslassungsregel erklären, die einen Teil der oben beschriebenen Genitivregel darstellt. Sie besagt, dass ein Nomen als Hauptmerkmalsträger dazu tendiert, unflektiert zu bleiben. Die mit dieser Regel konfligierende Sichtbarkeitsregel verlangt im Gegensatz dazu, dass der Genitiv innerhalb einer Phrase sichtbar markiert werden muss, was wiederum die 40,3 % (e)s-markierte Neutra und Maskulina erklärt, obwohl diese häufig als (mindestens) stilistisch markiert bewertet werden (vgl. Gallmann 2018). Bei EN, so zeigen die Daten, scheint die Auslassungsregel eine größere Rolle zu spielen. Ähnliches gilt für artikelhaltige RufN in postnominalen Genitivattributen vom Typ des kleinen Michael: Der Name kommt hier in über 95 % der Fälle ohne -s vor.13 Selbst wenn man die Feminina, die nur s-los vorkommen können, nicht mitzählt, stellt die flexivische Markierung mit 6,6 % eine Seltenheit dar. Für Genitivattribute mit einem nicht-onymischen Substantiv gilt demgegenüber das genaue Gegenteil. So zeigt sich in einem DECOW2012-00-Sample mit 240 Genitivphrasen, bestehend aus Artikel, Adjektiv und Nomen, dass 94,6 % der NichtNamen einen Genitivmarker (immer ohne Apostroph) aufweisen wie in der Bonus eines existierenden Gottes.14

|| 12 Es wurden nur singularische Substantive berücksichtigt, da Genitivrektion bei artikellosen Substantiven im Plural ungrammatisch ist: *wegen Tumulte (vgl. Gallmann 2018). 13 Konopka & Fuß (2016) zeigen, dass FamN in derselben syntaktischen Konfiguration (Art. + Adj. + FamN) –bei anderem Korpus (DeReKo) – ebenfalls eine starke Tendenz zur Monoflexion aufweisen. So ergibt ihre COSMAS-Recherche mit ausgewählten FamN 70–100 % s-Losigkeit des FamN (ausgenommen die drei Namen, für die nur je ein bzw. zwei Belege vorliegen). 14 Die ca. 5 % flexivisch nicht markierten Nomina zeigen, dass es im Gegenwartsdeutschen auch im nicht-onymischen Bereich zum s-Wegfall kommen kann (vgl. 4.3). Hiervon ist gegenwartssprachlich fast ausschließlich der periphere Substantivbereich, zu dem ja auch die EN gehören, betroffen.

252 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Tabelle 28 fasst noch einmal das unterschiedliche flexivische Verhalten von RufN und Nicht-Namen in den beiden beschriebenen syntaktischen Konfigurationen zusammen. Es zeigt sich deutlich, dass sich RufN in Genitivphrasen durch Flexiv-Wegfall auszeichnen, während sonstige Substantive dazu tendieren, flektiert zu werden, und das selbst dann, wenn die flexivische Markierung der Genitivregel widerspricht wie bei wegen + APP. Tab. 28: Das unterschiedliche Flexionsverhalten von Rufnamen und Appellativen in Präpositional- und Genitivphrasen mit Determinierer

PERSONENNAME

SUBSTANTIV (M/N)

-s



-(e)s



mit Präposition wegen Tom | wegen Todesfall(s)

3,6%

96,4%

40,3%

59,7%

postnominal (mit Determinierer) das Auto des netten Tom | des netten Mannes

6,6%

93,4%

94,6%

5,4%

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der invariante s-Marker bei RufN in diversen Genitivphrasen kaum noch vorkommt. Nur in adnominalen Possessivkonstruktionen vom Typ Sebastians Katze ist das -s absolut stabil und zeigt keinerlei Abbautendenzen, auch wenn dadurch die Genitivregel verletzt wird.15 Daraus ergibt sich nun die Frage, ob das stark konstruktionsabhängige -s überhaupt noch als echter Kasusmarker analysiert werden kann. Nahezu alle germanischen Sprachen (außer Afrikaans, Färöisch und Isländisch) weisen eine Possessivkonstruktion auf, in der das invariante -s ausschließlich das am wei-

|| 15 Hierzu ist anzumerken, dass Possessivität im Deutschen keinesfalls nur durch das genitivische -s ausgedrückt werden kann. Es gibt zwei periphrastische Konstruktionen, in denen der Name – da im Dativ stehend – unflektiert bleiben kann. Dies ist zum einen der possessive Dativ (i) und zum anderen die von-Periphrase (ii). Diese beiden Konstruktionen sind besonders im substandardsprachlichen gesprochenen Deutschen frequent. (i) dem Sebastian seine Katze ist krank (ii) die Katze von/vom Sebastian ist krank Wie Schlücker (2018) zeigt, können auch durch EN-Komposita vom Typ Merkel-Rede, in denen der EN durch Bindestrichschreibung und Unterlassung des Fugen-s konstant gehalten wird, ähnliche Relationen ausgedrückt werden wie durch possessives -s. Eine 1:1-Beziehung besteht hier jedoch nicht (vgl. 5.2.3).

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 253

testen rechts stehende Element der Possessorphrase – in den meisten Fällen das Kopfnomen – markiert (vgl. Börjars, Scott & Denison 2009). Für das Englische, das sogar sogenannte Gruppengenitive erlaubt, bei denen Postmodifikation des Kopfnomens der Possessorphrase möglich ist (z. B. [[the girl] over there]’s cat), sind solche possessiven s-Konstruktionen recht gut beschrieben (siehe 5.2.1). Doch auch hier gibt es eine fortschreitende Diskussion darüber, wie der Status dieses Possessivmarkers am besten zu fassen ist, da er gelegentlich als (phrasales) Affix, als spezielles Klitikon oder als etwas dazwischen analysiert wird (vgl. Bermudez-Otero & Payne 2011, Anderson 2013, Börjars et al. 2013 und Hudson 2013 für eine aktuelle Diskussion). Auch für das Deutsche wurde der Status von -s diskutiert und hinterfragt, ob es sich bei dem Marker noch um ein kongruierendes,16 ausschließlich auf Wortebene operierendes morphologisches Genitivflexiv handelt (vgl. z. B. Fuß 2011 oder Scott 2014). Im Folgenden wird in Anlehnung an Scott (2014) und Börjars et. al. (2013) der Terminus ‚possessives -s‘ verwendet, wenn auf s-markierte artikellose EN in adnominalen Konstruktionen referiert wird, um diese Instanzen von eindeutiger Genitivmarkierung, d. h. Elementen, die Teil des Kasussystems sind, abzugrenzen. Auch wenn der (pränominale kongruierende) Genitiv und das possessive -s diachron miteinander verwandt sind, so sollte man sie aufgrund folgender wichtiger Unterschiede auseinanderhalten (vgl. Scott 2014: 47): –





Invariantes possessives -s tritt ungeachtet des Genus an alle EN, während das Genitivflexiv mehr Allomorphie aufweist und auf maskuline und neutrale APP beschränkt ist. Pränominale (phrasale) Genitive sind im Gegenwartsdeutschen stilistisch markiert, während possessives -s in Verbindung mit EN voll grammatisch ist. Possessives -s zeichnet sich durch einmalige Markierung des rechten Rands der Possessorphrase aus (im Deutschen ist das immer auch der Kopf); beim kongruierenden Genitiv gilt hingegen Polyflexion innerhalb der Phrase.

|| 16 Ich spreche hier von Kongruenz, um auf die polyflexivische Markierung von Kasus innerhalb der DP/NP zu referieren. Im Englischen – wo terminologisch zwischen concord und agreement unterschieden wird (vgl. Corbett 2006: 4–7 für eine Diskussion dieser Termini) – würde man nach Blake (22004: 184) im Falle der mehrfachen Kasusmarkierung von concord und nicht von agreement sprechen, da Kasus gemeinhin nicht als agreement feature gesehen wird (vgl. Corbett 2006: 133–135). Da im Deutschen keine unterschiedlichen Termini für concord versus agreement existieren, wird Kongruenz im Folgenden im Sinne von concord verwendet.

254 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen



Possessives -s wird von Kindern bereits im Alter von ungefähr zweieinhalb Jahren erworben, während der kongruierende Genitiv nicht bei Kindern nachgewiesen ist, die jünger als sechs Jahre sind (vgl. Clahsen, Eisenbeiss & Vainikka 1994).

Es sei noch darauf hingewiesen, dass hier Possessivität im weitesten Sinne gemeint ist und POSSESSION eher als ein Label für einen bestimmten Phrasentyp zu verstehen ist, dessen Kernbedeutung als Possession oder Besitz beschrieben werden kann, wie in Evas Stift. Alle anderen Relationen, die auch in der DudenGrammatik (92016) unter Possessivität geführt werden (vgl. 5.1.1.1), sind dabei mitgemeint. Im nächsten Kapitel sollen nun zwei formale und ein funktional diachroner Ansatz näher diskutiert werden, in denen die possessive s-Konstruktion und deren Entwicklung in den Blick genommen wird.

5.1.2 Analysen zur possessiven s-Konstruktion und deren Entstehung Zunächst ist anzumerken, dass die Possessorposition in possessiven s-Konstruktionen im heutigen Deutschen im Vergleich zu anderen germanischen Sprachen – besonders Englisch und Festlandskandinavisch – stark restringiert ist. In der standardnahen Varietät gelten – wie mehrfach erwähnt – nur artikellose EN sowie Verwandtschaftsbezeichnungen, die als EN gebraucht werden, als voll akzeptable Possessoren. Neu aufkommende pränominale Possessoren, die aus einem s-losen Possessivartikel und einem s-markierten Kopfnomen, das eine Verwandtschaftsbezeichnung im weitesten Sinne ausdrückt, bestehen (z. B. mein Bruder-s Hamster), sind möglich, jedoch (noch) eindeutig dem Substandard zuzuordnen. Solche neuen Possessivphrasen werden in Kap. 5.3.4 noch näher thematisiert. Postnominale Genitive können demgegenüber komplexe Phrasen mit kongruierender Genitivmarkierung sein. In der Literatur finden sich diverse Ansätze, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dieser Asymmetrie auseinandersetzen. Hier sollen nun zunächst zwei in der Literatur vorgeschlagene formale Analysen der pränominalen possessiven-s-Konstruktion näher vorgestellt werden, bevor ein diachroner funktionaler Ansatz diskutiert wird. 5.1.2.1 Formale Analysen zur Modellierung der possessiven s-Konstruktion Die vorgeschlagenen Analysen der possessiven s-Konstruktion im Deutschen können im Wesentlichen in zwei Ansätze unterschieden werden. Auf der einen

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 255

Seite wurden Analysen vorgeschlagen, denen zufolge EN als pränominale Possessoren positionsabhängig nicht als Nomina kategorisiert werden, sondern als possessive Adjektive (vgl. z. B. Lindauer 1998, Gallmann 1996 und Hentschel 1994) oder possessive Determinierer, zum Teil sogar als D-Köpfe (vgl. Hartmann & Zimmermann 2003 und Demske 2001). Auf der anderen Seite schlagen beispielsweise Fuß (2011), Weiß (2008) oder Olsen (1991) vor, das possessive -s im Deutschen ähnlich wie das im Englischen zu analysieren, wobei der s-Marker nicht als Flexiv, sondern als klitischer Possessivmarker interpretiert wird, der getrennt von seiner Basis in D° steht. Wie die Duden-Grammatik (92016: 982) richtig anmerkt, steht eine allgemein anerkannte Erklärung der possessiven sKonstruktion noch aus. Was den ersten hier besprochenen Umkategorisierungsansatz angeht, so hat Demske (2001) eine formale Analyse vorgeschlagen, die die Entwicklung der Konstruktion im Fnhd. mit einschließt. Demske (2001) zufolge hat während des Fnhd. ein semantisch gesteuerter Wandel stattgefunden, der von einer formalen Reanalyse gefolgt war. Zuerst gingen Genitivphrasen, deren Kopfnomen auf eine unbelebte Entität referiert, von der prä- zur postnominalen Position über (des Messers Schneide > die Schneide des Messers). Im nächsten Schritt wurden EN, die zuvor die Spezifizierer-Position innerhalb der DP einnahmen, als DKöpfe reanalysiert (vgl. (125), zitiert nach Fuß 2011: 34). Während präponierte EN heute – bedingt durch einen generellen Umbau des Artikelsystems im Fnhd. – als Teil des Determinierersystems zu analysieren sind, sind postponierte EN weiterhin als N-Elemente zu kategorisieren. Dabei merkt Demske (2001: 252) an, dass hinsichtlich des pränominalen s-Markers aus morphologischer Sicht auch eher von Possessiv- als von Genitivmorphologie zu sprechen ist. (125)

Fnhd.

Nhd.

DP

DP D‘

Peter-s

D‘

Ø

D

NP

Ø

Koffer

D

NP

Peter-s

Koffer

Die von Demske (2001) vorgeschlagene Analyse erscheint überzeugend, da sie richtig voraussagt, dass das Possessornomen bzw. der EN nicht mit anderen Determinierern kookkurrieren kann, da es nur eine D°-Position gibt. Tatsächlich

256 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

ist der Default-Possessor im heutigen Deutschen minimal komplex bzw. ein Einwortausdruck wie in Beispiel (126a). Die Analyse sagt zudem richtig voraus, dass nach der Reanalyse im frühen Neuhochdeutschen nur noch D-Elemente wie EN, Possessivpronomen und Artikelwörter die Possessorposition besetzen können (126b) und, dass diese Elemente im Gegenwartsdeutschen komplementär distribuiert sind (126c).17 (126)

a. (*/?des kleinen) Martins Hamster b. Martins/sein/ein Hamster c. *der/mein/ein Martins Hamster

Auch wenn die Analyse präponierter EN als D-Köpfe auf den ersten Blick überzeugend erscheint, da sie es vermag, verschiedene Restriktionen innerhalb der DP anhand eines syntaktischen Wandels zu beschreiben, so wirft sie doch diverse Probleme auf. Wie bereits Fuß (2011: 34–35) anmerkt, ist die Annahme, EN seien abhängig von ihrer syntaktischen Umgebung kategoriell hybrid, indem sie pränominal als D-Elemente, postnominal jedoch ganz regulär als Elemente der Kategorie N zu gelten haben, konzeptuell problematisch. Daneben scheint die Analyse zu restriktiv zu sein, da neu aufkommende possessive s-Konstruktionen wie die in (127) nicht mit der Annahme des EN in der per se nicht-phrasalen Kopfposition kompatibel sind. Empirische Studien liefern schließlich Evidenz dafür, dass Possessoren wie die in (127) zumindest in informeller Sprache gegenwärtig im Deutschen zu finden sind (vgl. 5.3), weshalb eine formale Analyse pränominaler Possessivkonstruktionen eine Lösung für sie bereitstellen sollte. (127)

a. [Sven und Camillas] Ideen b. [mein Bruders] Handy

Echte phrasale Genitive mit kongruierender flexivischer Kasusmarkierung (z. B. eine-s jede-n Kleinkind-s Wunsch) wie sie noch im Fnhd. frequent waren, können hingegen nicht mit possessiven s-Konstruktionen, die sich durch einmalige Markierung des rechten Rands auszeichnen, verglichen werden. Diese archaisch klingenden Fälle müssen – wie bereits erwähnt – als Instanzen eines älte|| 17 Haspelmath (1999) argumentiert in seiner cross-linguistisch ausgerichteten Studie dafür, dass diese komplementäre Verteilung von Artikeln und pränominalen Possessoren weniger auf eine syntaktische Restriktion zurückgeführt werden sollte als auf das universelle Ökonomieprinzip. Da Possessoren prototypischerweise definit sind, wäre eine Kookkurrenz mit einem Determinierer höchst unökonomisch.

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 257

ren Systems gesehen werden, das die syntaktischen Regeln einer älteren Sprachstufe widerspiegelt, und stellen somit keine Gegenbeispiele zu Demskes (2001) These dar.18 Interessanterweise lassen sich aktuell Beispiele finden, bei denen das possessive -s an das eigentlich flexivisch nicht markierte Kopfnomen – da Femininum oder Plural – tritt, um hier den rechten Rand des Possessors eindeutig zu markieren (128). Die pränominale Position wird zunehmend mit dem Vorhandensein eines den Phrasenrand markierenden s-Markers verankert.19 (128)

Türkeis /Ukraines / USAs Präsident

Wie wir hier schon sehen, ist eine Analyse, die EN in der pränominalen Possessorposition als Artikelwörter bzw. D-Köpfe beschreibt, zu restriktiv. Ansätze, denen zufolge pränominale Possessoren die Spezifizierer-Position der DP besetzen, erscheinen somit plausibler. Zuletzt hat Fuß (2011) – in Anlehnung an Weiß (2008) und Olsen (1991) – solch eine Analyse für possessives -s und seine diachrone Entwicklung im Deutschen vorgeschlagen (129). (129)

Fnhd.

Nhd.

DP

DP D‘

Peter-s

D‘

Peter

D

NP

D

NP

Ø

Koffer

-s

Koffer

|| 18 Wie Demske (2001: 255) davon auszugehen, dass die Verhältnisse im heutigen Englisch (mit Einschränkungen) dem fnhd. Standard gleichen, indem phrasale Possessoren möglich sind, ist jedoch verfehlt. Wie in Kap. 5.2.1 noch thematisiert wird, wurde im Englischen der kongruierende Genitiv relativ früh abgebaut, sodass possessives -s mit einmaliger Markierung des rechten Rands – ganz im Gegensatz zum phrasalen polyflexivisch markierten Genitiv im Fnhd. – dort aktuell progressiver ist als im Gegenwartsdeutschen. 19 Norde (2006: 208) erklärt die Präferenz für possessives randmarkierendes -s in pränominaler Position (für das Schwedische) damit, dass der zwei DPs/NPs verbindende Marker, der am Possessor auftritt, bei größerer Nähe zum Possessum für weniger Verwirrung sorgt. Das -s gehört in gewisser Weise gleichermaßen zu dem vorausgehenden wie zu dem folgenden Element der Possessivphrase. Jespersen (1894: 313–314) zufolge, der das englische possessive -s beschreibt, wäre es angemessen, hier von einer „interposition“ zu sprechen. Eine Parallele zum Fugen-s, das auch zwei Elemente miteinander verbindet, ist nicht von der Hand zu weisen (vgl. 5.4.2.3).

258 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Nach diesem Ansatz wurde nicht der EN als D-Kopf und somit als Artikelwort reanalysiert, sondern der Status des einstigen Genitivflexivs hat sich gewandelt, wofür ja auch die Daten in Kap. 4.1.4 sprechen. Ebenso wie sein englisches Pendant hat das deutsche -s in Verbindung mit EN – so Fuß (2011: 35–37) – eine Reanalyse zum klitischen Possessivmarker vollzogen. Im Rahmen der vorgeschlagenen DP-Analyse bedeutet dieser Wandel, dass im Nhd. – anders als in früheren Zeitstufen – nun das klitische -s die D°-Position besetzt. Als Konsequenz ergibt sich auch bei dieser Analyse, dass Determinierer und Possessoren seit dem frühen Nhd. komplementär verteilt sind. Ein Vorteil dieser Analyse gegenüber jener, die EN in D° sieht, ist, dass EN positionsunabhängig als Nomina gelten können und wir keinen syntaktisch determinierten hybriden Status annehmen müssen, da EN hier die Spezifizierer- und nicht die Kopf-Position einnehmen. Somit ergibt sich auch, wie Sternefeld (32008: 210) anmerkt, dass Possessivphrasen mit einem femininen Possessor und einem maskulinen Possessum (Lillys Koffer) innerhalb des DP-Rahmens nicht als insgesamt feminin klassifiziert werden müssen. Daneben wird die Analyse des -s in D° der Tatsache gerecht, dass pränominale Possessoren als definite Determinierer fungieren (Sebastians Katze = die Katze von Sebastian und ≠ eine Katze von Sebastian); jedoch ohne einen Wortartwechsel anzunehmen. Ein weiterer Vorteil, der mit einer Analyse des -s in D° einhergeht, ist, dass trotz EN in SpecD keine leeren DKöpfe angenommen werden müssen, wie z. B. Sternefeld (32008: 210), Bücking (2012: 74–77) oder Rauth (2014: 353–357) es tun. Letztgenannte Analyse sieht eine Struktur vor, wie sie für das Fnhd. vor der Reanalyse vorgeschlagen wird: Der EN befindet sich in der SpecDP und ein phonetisch nicht realisiertes Nullelement besetzt D° (vgl. (130)). Dieses Nullelement vergibt nun nach Rauth (2014: 355) das Merkmal [Possessiv] an die gesamte DP. Der beobachtbare Wandel spiegelt sich bei dieser Analyse – da er nicht kategorialer Natur sei – auch nicht in der angenommenen syntaktischen Struktur wider. (130)

[[Peter-s]Spec [[Ø]D [Koffer]N’]D’]DP

Doch auch die von Fuß (2011) vorgeschlagene Analyse in (129) kommt nicht ohne Kritik aus. So bemängelt beispielsweise Rauth (2014: 355), dass eine Analyse des s-Markers in D° keine Erklärung dafür bereitstellt, warum eine Postmodifikation des Possessors im Deutschen nicht grammatisch ist, während im Englischen postmodifizierte Possessive – auch wenn sie nach Denison, Scott & Börjars (2010) nur marginal vorkommen – als grammatisch gelten.

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 259

(131)

a. [the girl I met yesterday]’s brother b. *[das Mädchen, das ich gestern traf]s Bruder

Laut Fuß (2011: 36) gehen syntaktische Selektionsbeschränkungen vom D-Kopf aus, die es im Englischen nicht gibt. Bücking (2012: 59, 76) argumentiert im generativen Framework mit dem sogenannten Head Final Filter, der Rechtserweiterungen generell verbietet. Ein gravierenderes Manko des Fuß’schen (2011) Ansatzes ist, dass das -s zum klitischen Possessivmarker deklariert wird, um seinen Kopfstatus rechtfertigen zu können, ohne dass dabei eine tiefergehende morphologische Analyse des Morphems erfolgt. Wie die Diskussion der englischen Daten in Kap. 5.2.1 zeigen wird, ist die Analyse des possessiven -s als Klitikon (unabhängig von möglichen Rechtserweiterungen) für das Englische tatsächlich weitaus zwingender als für das Deutsche, da der Marker im Englischen weder nur an Phrasenköpfe noch ausschließlich an Nomina tritt. Und selbst hinsichtlich des Englischen ist der Klitikon-Status von -s umstritten. Wenn dem -s im Deutschen kein syntaktischer Klitikon-Status zugesprochen werden kann – eine Analyse erfolgt in Kap. 5.4.1 –, widerspricht die Analyse eines morphologischen Elements als D-Kopf der starken lexikalistischen Hypothese. Dennoch muss man – nicht zuletzt aus historischer Sicht – berücksichtigen, dass auch das deutsche Genitivflexiv in adnominalen Possessivkonstruktionen einen gravierenden Wandel vollzogen hat, der – so zeigen die in 5.3 diskutierten gegenwärtigen Schwankungsfälle – noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Das Bestreben, diesen – davon wird hier ausgegangen – graduellen statt kategoriellen Wandel in einer synchronen formal-syntaktischen Analyse modellieren zu wollen, führt wohl zwangsläufig zu diversen Ansätzen, die allesamt nicht ohne Kritik auskommen. Was die diachrone Entwicklung der possessiven s-Konstruktion betrifft, so gehen die formalen Ansätze von einem stilistischen Wandel (prä > post) aus, der im Fnhd. seinen Anfang genommen hat, und in einer syntaktischen Reanalyse (z. B. als Teil des Artikelsystems) mündet. Im nächsten Kapitel soll nun mit dem Klammerprinzip ein funktionales Prinzip vorgestellt werden, in dessen Kontext die Entwicklung pränominaler Possessivkonstruktionen diskutiert wird (vgl. Ronneberger-Sibold 2010b) und das eine auch aus typologischer Sicht plausible funktionale Erklärung für die Herausbildung der Restriktion für artikellose EN in dieser Konfiguration bereitstellt.

260 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

5.1.2.2 Funktional motivierte Analyse zur Entstehung der possessiven sKonstruktion Zunächst soll das sogenannte Klammerprinzip knapp umrissen werden, das daraufhin in Zusammenhang mit dem syntaktischen Stellungswandel der Genitivattribute gestellt wird. Das klammernde Verfahren kann als typologisch relevantes Prinzip gesehen werden, das – vor allem auch im Vergleich der germanischen Sprachen – eine Erklärung für den stark diskontinuierenden Sprachtyp des Deutschen bietet. Laut Ronneberger-Sibold (2010a: 720) sind diese diskontinuierenden Strukturen im Deutschen – man denke beispielsweise an die Verbalklammer – damit zu erklären, dass das Klammerprinzip sowohl synchron als auch diachron höher gerankt ist als andere typologische Tendenzen. Als Funktion der Distanzstellung von syntaktisch und/oder funktional zusammengehörigen Elementen wird die Grenzsetzung und somit eine Dekodierungshilfe für HörerInnen/LeserInnen gesehen: Das klammernde Verfahren besteht darin, dass bestimmte Bestandteile eines Satzes so von zwei Grenzsignalen umschlossen werden, dass der Hörer/Leser aus dem Auftreten des ersten Signals mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schließen kann, dass der betreffende Bestandteil erst dann beendet sein wird, wenn das passende zweite Signal in der Sprechkette erscheint. Wir sehen die primäre Funktion des klammernden Verfahrens in einer speziellen Erleichterung der Performanz bei der syntaktischen Dekodierung […]. Ronneberger-Sibold (2010a: 722–723)

Klammernde Strukturen finden sich im Deutschen auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems und betreffen nicht nur die Satzklammer. Allen Klammertypen – also Hauptsatzklammer, Nominalklammer und Nebensatzklammer – ist gemein, dass das klammeröffnende Element typischerweise grammatische Informationen bereitstellt, während das zweite bzw. klammerschließende Element eher lexikalische Informationen liefert. Hinsichtlich der diachronen Entwicklung der Genitivattribute ist vor allem der Wandel der Nominalklammer, die im Grunde aus einem Determinierer oder einer Präposition und einem Nomen besteht, von Interesse. Wie RonnebergerSibold (2010a, b) hervorhebt, muss die Nominalklammer in ihrer heutigen Ausprägung im Deutschen als das Resultat verschiedener Neuerungen, aber auch gezielter Bewahrungen in Morphologie und Syntax gesehen werden, wobei neu entstandene oder konservierte Klammerstrukturen durch ihre musterbildende Kraft einen Selektionsvorteil für weitere Klammern darstellen. Die Bewahrungen und Veränderungen betreffen im Bereich der Nominalklammer konkret die Wortstellung innerhalb der DP/NP, die Flexion der klammeröffnenden Elemente, sprich der Adjektive und Determinierer, sowie die Flexion und das Genus des klammerschließenden Substantivs (siehe ausführlicher hierzu Ronneberger-

Genitivische Konstruktionen mit Personennamen – Korpusbefunde und Analyse | 261

Sibold 2010b: 98–112). Allgemein kann gesagt werden, dass „das erstaunlich konservative Festhalten des Deutschen an fast allen nominalen Flexionskategorien des Germanischen (vier Kasus, zwei Numeri, drei Genera) im funktionalen Zusammenhang mit dem klammernden Verfahren“ steht (Ronneberger-Sibold 2010a: 724). Die hier besonders interessierenden Wortstellungsveränderungen zugunsten der sich festigenden Nominalklammer, zu denen auch die allmähliche Postponierung der Genitivattribute gehört, führen im Deutschen zu der Durchsetzung der Regelung, „nach der kongruenzfähige Attribute links, nicht kongruenzfähige Attribute rechts vom Kernsubstantiv stehen“ (Ronneberger-Sibold 2010b: 99). Während also die Option, das Adjektivattribut ebenso wie seine Erweiterungen dem Bezugsnomen nachzustellen, allmählich immer mehr beschränkt wurde (Röslein rot > rotes Röslein), wanderten die nicht kongruenzfähigen Genitivattribute sukzessive – wie in 4.1.4.3 beschrieben – hinter ihr Bezugsnomen (der Weisheit letzter Schluss > der letzte Schluss der Weisheit). Somit wird erzielt, dass kongruierende Elemente in die Klammer integriert werden, nicht kongruierende Attribute hingegen herausverschoben werden. Die Voranstellung nicht kongruierender Genitivattribute, wie sie noch im Ahd. der Standard war, stellt laut Ronneberger-Sibold (2010b: 99) im Sinne des klammernden Verfahrens eine doppelt ungünstige Konfiguration dar, was anhand der Konstruktion in (132)20 veranschaulicht werden soll: Zum einen fehlt der übergeordneten DP/NP bei präponiertem Genitivattribut eine Klammer (durchgestrichener Rahmen), da mit dem Kopfnomen Meister zwar ein klammerschließendes, jedoch kein klammeröffnendes Element vorliegt. Die Kookkurrenz zweier Determinierer am Anfang einer Nominalklammer (Typ: diese des Papagoyens Worte)21 war zwar möglich, aber selten und wurde laut Ronneberger-Sibold (2010b: 99) im Allgemeinen vermieden. Zum anderen führt der klammeröffnende Determinierer in die Irre, da er sich einerseits auf das Bezugssubstantiv (Landschafften), zum anderen auf das Kopfnomen (Meister) beziehen kann.

(132)

der mitternächtischen Landschafften Meister

|| 20 Das Beispiel stammt aus von Lohenstein 1689 und ist nach Ronneberger-Sibold (2010b: 99) zitiert. 21 Das Beispiel stammt ebenfalls aus von Lohenstein 1689; zitiert nach Ronneberger-Sibold (2010b: 99).

262 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Diese Ambiguität ist ungünstig, da sie zu einer Garden-Path-Interpretation führen kann: Durch die Annahme, beim Nomen Landschafften handle es sich um das klammerschließende Element, kann die Genitivphrase fälschlich als Genitivobjekt oder als Attribut eines vorangegangenen (statt folgenden) Nomens interpretiert werden. Im Kontext des Satzes, in den die hier zitierte Phrase eingebettet ist, wäre eine Interpretation des Genitivattributs als Objekt zum Phraseologismus [einer Sache] Meister werden sogar möglich (133a): (133)

a. also daß er in weniger Zeit [[der mitternächtischen LandschafftenOBJEKT] Meister ward] b. also daß er in weniger Zeit [[der mitternächtischen LandschafftenATTRIBUT] Meister] ward

Was die Etablierung der Postposition betrifft, so spielte wohl der Lawineneffekt bzw. die musterbildende Kraft der sich allmählich durchsetzenden Klammer eine wesentliche Rolle: Je mehr sich die Klammerkonstruktion bei Nominalphrasen ohne vorangestelltes Genitivattribut durchsetzte, umso mehr waren vermutlich die Hörer und Leser geneigt, jedes Determinans zunächst einmal als Eröffnung einer Klammer zu betrachten, die durch das Kernsubstantiv der ganzen NP geschlossen wurde. (Ronneberger-Sibold 2010b: 99)

Die neue Struktur mit postponiertem Genitivattribut passt nun viel besser in die sich formierende Nominalklammerstruktur des Deutschen, da jedes klammerschließende Element durch ein klammeröffnendes Element eingeleitet wird (vgl. (134)). Diese sich sukzessive durchsetzende Struktur war laut RonnebergerSibold (2010b: 100) zudem durch den partitiven Genitiv vorgeprägt, der bereits im Ahd. tendenziell eher postnominal auftritt.

(134)

der Meister der mitternächtischen Landschafften

Was die artikellosen EN betrifft, so merkt Ronneberger-Sibold (2010b: 100) in einer Fußnote an, ergab sich – ganz im Gegensatz zu EN mit primärem oder sekundärem Artikel, die heute ebenfalls postponiert auftreten müssen – keine Notwendigkeit, hinter das Kopfnomen gestellt zu werden, da es durch das Nicht-Vorhandensein eines Determinierers bei onymischen Genitivattributen auch bei Prästellung nie zu ambigen Strukturen und Garden-Path-Analysen kommt. Da nun durch Voranstellung kein Verstoß gegen das Klammerprinzip vorliegt und die ältere Serialisierung ohnehin besser zur typischen OV-Struktur

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 263

des Deutschen passt (das abhängige Element geht dem regierenden Element voraus), können artikellose – und somit prototypischerweise personenbezeichnende – EN bis ins Gegenwartsdeutsche vor ihrem Bezugsnomen stehen.22 Vielleicht hat auch der spezielle Status, den bloße EN durch die Nachstellung aller anderen Genitivattribute in pränominaler Position erlangten, zur Uminterpretation des ursprünglichen Genitivflexivs beigetragen. Zu der Zeit, als die Possessorposition fast ausschließlich auf artikellose Eigennamen beschränkt wurde (19. Jh.), war die PersN-Deflexion schon weit vorangeschritten, wobei das verbliebene überstabile -s weiterhin zuverlässig den Possessor ausweist und zum Marker eines eigenen Phrasentyps wird. Als eine Konsequenz können nun neue possessive s-Konstruktionen in pränominaler Position entstehen. Vor dem Hintergrund des im Deutschen anderen typologischen Parametern übergeordneten klammernden Verfahrens wird nun klar, warum die Possessorposition in anderen germanischen Sprachen wie dem Englischen, das keine klammernden Strukturen ausgebildet hat (und somit auch kein intaktes Kasus- oder Genussystem mit Kongruenz innerhalb der DP/NP aufweist), nie auf artikellose EN beschränkt wurde. Wie ein Blick auf die Entwicklung des possessiven -s im Englischen und Niederländischen im nächsten Kapitel zeigen wird, weisen die beobachtbaren Wandelprozesse dennoch eine überraschende Ähnlichkeit zu denen in der Geschichte des deutschen possessiven -s auf.

5.2 Possessives -s in den germanischen Sprachen Die deutsche possessive s-Konstruktion soll in diesem Kapitel mit dem possessiven -s in anderen germanischen Sprachen verglichen werden. Durch einen Diachronievergleich von drei genetisch verwandten Sprachen sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung einer Konstruktion untersucht werden, die zu einem besseren Verständnis des Deutschen führen sollen. Im Folgenden werden Niederländisch und Englisch als Vergleichssprachen herangezogen, da die diachrone Entwicklung des Genitivs und die Herausbildung des possessiven -s für diese westgermanischen Sprachen recht gut beschrieben sind. Die ausgewählten Sprachen bieten sich dabei besonders gut für einen Vergleich an, da das possessive -s dort jeweils unterschiedlich starken Einschränkungen unterliegt: Während das Niederländische dem Deutschen recht ähnlich ist, da auch hier primär – aber nicht ausschließlich – Namen,

|| 22 Was Genitivattribute mit Determinierer angeht, so zeigt sich, dass das Klammerprinzip im Deutschen höher gerankt ist als das strikte Einhalten der typischen OV-Struktur.

264 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Verwandtschaftsbezeichnungen und Titel als Possessoren fungieren können, weist das Englische am wenigsten Restriktionen hinsichtlich der Possessorposition und somit eine größere Distanz zum Deutschen auf. Durch den Vergleich des recht konservativen Deutschen mit dem sehr progressiven Englischen und dem häufig als ‚germanisches Sandwich‘ beschriebenen Niederländischen, das hinsichtlich vieler Strukturen eine Position zwischen Deutsch und Englisch einnimmt, wird eine Art Laborsituation geschaffen, die es ermöglicht, konservierende und wandelinduzierende Prozesse herauszuarbeiten und den aktuellen Stand des Deutschen hinsichtlich der possessiven s-Konstruktion besser einordnen zu können. Den drei hier zu vergleichenden Sprachen ist laut Börjars, Scott & Denison (2009: 5) gemein, dass zwei wesentliche Schritte auf dem Weg von einem Genitivflexiv zum possessiven -s erfolgt sind: Erstens wurde Allomorphie im Genitiv soweit reduziert, dass nur das invariante -s als Exponent übrig blieb, welches wiederum ausgehend vom Paradigma der starken Maskulina und Neutra auf alle Klassen übertragen wurde. In einem zweiten Schritt erfolgt Kongruenzabbau innerhalb der einstigen Genitivphrase, sodass -s als einziger Marker innerhalb der Possessorphrase wirkt. Wie in diesem und dem nächsten Kapitel gezeigt wird, verlief und verläuft der Wandel vom Flexiv zum Possessivmarker in vielen kleinen Schritten, die in den betrachteten Sprachen eine erstaunliche Parallelität aufweisen. Bei der Beschreibung der Entwicklung des possessiven -s im Englischen und im Niederländischen soll vor allem auch jeweils die Rolle, die den EN bei diesem Wandel zukommt, genauer in den Blick genommen werden.

5.2.1 Englisch – der progressivste Stand Wie bereits mehrfach erwähnt, weist auch das Gegenwartsenglische eine Possessivkonstruktion auf, in der nur der obligatorisch pränominale – defaultmäßig belebte23 – Possessor durch das gebundene invariante -s markiert wird.24

|| 23 Um Possessivität bei unbelebten Possessoren auszudrücken, wird primär die of-Periphrase genutzt, die der deutschen von-Periphrase ähnlich ist. Hier ändert sich die Serialisierung, da das Possessum dem Possessor vorausgeht ([the stem]POSSESSUM of [the tree]POSSESSOR). Für synchrone und diachrone Untersuchungen zu den Faktoren, die die Wahl zwischen possessivem -s und periphrastischem of steuern, siehe z. B. Hinrichs & Szmrecsanyi (2007), Szmrecsanyi (2013), Ehret, Wolk & Szmrecsanyi (2014) oder Rosenbach (2002, 2008, 2014).

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 265

Auch wenn der Status von -s im Englischen kontrovers diskutiert wird, so wird der Marker doch eher als phrasales Affix oder Klitikon beschrieben anstatt als reguläres Genitivflexiv.25 Für diese Analyse spielt vor allem der Fakt eine Rolle, dass im Englischen Postmodifikation des Kopfs möglich ist, wobei das -s in diesen Fällen nicht den Kopf der Phrase markiert, sondern das am weitesten rechts stehende Element, das nicht einmal ein Nomen sein muss. Gruppengenitive wie der in (135a), die in der jüngeren Literatur terminologisch eindeutiger und daher im Folgenden auch hier als Postmod-Poss bezeichnet werden, sind jedoch auch im Englischen selten, wie Denison, Scott & Börjars (2010) gezeigt haben; bei der Mehrheit der possessiven s-Konstruktionen ist das Kopfnomen wie in (135b) das finale Element der Possessorphrase. (135)

a. [[the boy] over there]’s cat = POSTMOD-POSS b. [the boy]’s cat

= POSS-S

Nach der von Janda (1980) prominent gemachten diachronen Erklärung hat sich der s-Marker im Englischen aus dem Possessivpronomen his, das auch in Kombination mit femininen und neutralen Nomina auftreten konnte, entwickelt. Durch die phonologische Ähnlichkeit des maskulinen und neutralen GenitivSingular-Markers -(e)s, der sich als überstabiler Marker auf alle Paradigmen ausgebreitet hat, und der reduzierten Form des Possessivpronomens his wurde -(e)s laut Janda (1980) als eine reduzierte Form eben dieses Pronomens reanalysiert. Dieses Pronomen wurde im weiteren Verlauf des Englischen zum klitischen Marker, wie wir ihn heute kennen. Nach dieser Auffassung besteht zwischen dem possessiven -s und dem Genitiv weder synchron noch diachron ein direkter Bezug (siehe zu dieser Auffassung und der formalen Reanalyse Weerman & De Wit 1999). Daneben wird in Allen (1997, 2003) ein alternativer Erklärungsansatz gegeben, in dem überzeugend genau dieser Bezug (Genitiv-s > possessives -s) hergestellt und gegen den möglichen pronominalen Ursprung argumentiert wird.26

|| 24 Im Englischen ist die Apostrophschreibung beim possessiven -s der Default und entspricht der orthographischen Norm. Hier wird aus Einheitlichkeitsgründen nur mit -s auf den Marker referiert. 25 Siehe aber beispielsweise Bermúdez-Otero & Payne (2011) für eine gegenteilige Auffassung. 26 Dieser Erklärungsansatz schließt nicht aus, dass eine Verwechslung des Genitivsuffixes mit dem Possessivpronomen stattgefunden haben kann, was die Entwicklung des -(e)s zum Phrasenmarker zusätzlich befördert haben könnte. Der Einfluss dieser Verwechslung sollte laut Plank (1995) aber nicht überbewertet oder gar als der Auslöser des Wandels gesehen werden.

266 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Wie Allen zeigt, weisen ‚separierte Genitive‘ (Typ: adam is sune 'Adams Sohn') bis ins späte 16. Jh. exakt die gleiche Verteilung auf wie der koexistierende sMarker. Beispielsweise treten sie bei Split-Konstruktionen auf, bei denen die Postmodifikation des Possessors dem Possessum folgt, was nicht zu erwarten wäre, wenn es sich in (136) bei ys um ein Pronomen handeln würde. (136)

the kyng ys doughter of France ART König GEN Tochter von Frankreich 'die Tochter des Königs von Frankreich'27

Daneben wird die Tatsache, dass feminine Possessornomen in Kombination mit nicht-kongruierendem his/is/ys auftreten, als Evidenz dafür gewertet, dass der separierte Genitiv nur als graphematische Variante zu -s und nicht als andere Konstruktion gelten kann (vgl. Allen 1997: 117–118).28 Interessanterweise wurde von dieser separat vom Possessor erscheinenden graphematischen Variante vorrangig bei onymischen Possessoren Gebrauch gemacht, da die Deklination von EN – insbesondere solcher fremden Ursprungs – laut Allen (2003:12) schon immer Schwierigkeiten bereitet hat und das Problem durch die separate Schreibung des Possessivmarkers umgangen werden konnte. Diese funktionale Erklärung unterstützt den Gedanken, dass morphologische Schemakonstanz diachron gesehen auch die Deklination der englischen EN beeinflusst hat und somit kein rein einzelsprachlicher Faktor ist. Nach Börjars et al. (2013) sind die gängigsten Kriterien zur Unterscheidung zwischen Altenglischem -(e)s und possessivem -s im gegenwärtigen Englischen folgende: i.

-(e)s war ein Vertreter in einem Paradigma, -s hat nur eine einzige Form

ii.

GEN war eine Kongruenzform im Altenglischen, -s tritt innerhalb der Phrase nur einmal auf

iii.

-(e)s trat an den Kopf, -s tritt am rechten Rand der Phrase auf

|| 27 Das Beispiel stammt aus dem 15. Jh. und ist nach Allen (2003: 16) zitiert. 28 Auch wenn im frühen modernen Englischen der Gebrauch eines kongruierenden Possessivpronomens aufkam – was als Reinterpretation der orthographischen Variante his als Pronominalform gesehen werden kann (vgl. Allen 2003: 18) –, sind koreferentielle Pronomina zum Ausdruck von Possessivität im 18. Jh. komplett verschwunden. Das heutige Englische hat also im Gegensatz zum Deutschen (sein/ihr) oder Niederländischen (z’n) keine solche periphrastische Konstruktion mehr. Mit Seppänen (1997) ist jedoch anzumerken, dass Spuren dieser Konstruktion im Umgangssprachlichen sowie in einigen regionalen Varianten des Englischen noch zu finden sind.

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 267

Dabei muss mit Allen (1997: 121) angemerkt werden, dass die von Börjars et al. (2013) skizzierten Veränderungen nicht abrupt und in einem Schritt erfolgt sind, sondern dass das -s verschiedene kleinschrittige Entwicklungsstufen auf dem Weg zum eher klitischen Marker durchlaufen hat, und dass eine klare Dichotomie zwischen Affix und Klitikon zu keiner Zeit angenommen werden kann. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Herausbildung des possessiven -s beginnen im Englischen bereits im 12. Jh. Während dem Altenglischen ist ein Rückgang des Kasussystems zu verzeichnen, der zum Verlust von Akkusativ und Dativ führt, wobei hingegen der Genitiv seine Funktion als Possessivitätsmarker beibehält (vgl. Rosenbach, Stein & Vezzosi 2000: 184) und weiterhin ein verbal und präpositional regierter Kasus ist. Zum frühen Mittelenglischen hin wird der Gebrauch des Genitivs funktional und syntaktisch eingeschränkt, indem verbale und präpositionale Rektion verloren geht. Während dieser Zeit (1100–1350) wird auch die Kongruenz zwischen dem Possessornomen und den anderen Elementen innerhalb der Possessorphrase, die noch im Altenglischen obligatorisch gewesen sein soll, sukzessive abgebaut. Gegen Ende des 14. Jh. wird das genitivische -e(s) zum überstabilen Marker und breitet sich auf alle Deklinationsklassen aus, wobei einige unregelmäßige Formen bis ins 15. Jh. bestehen bleiben (vgl. Allen 1997: 115, 120). Diese Entwicklung zum überstabilen Marker wird in der Literatur als eine wichtige Voraussetzung für den morphologischen Wandel vom Genitivflexiv hin zum possessiven s gewertet (vgl. Allen 1997: 200, Carstairs 1987, Jespersen 1894: 311).29 In der frühen Phase der mittelenglischen Periode erscheint -(e)s jedoch noch ausschließlich am Kopf einer Possessorphrase. Neben dieser Restriktion weist auch das Vorhandensein bereits oben genannter Split-Genitive30, bei denen die Postmodifikation des s-markierten Possessornomens hinter dem Possessum erscheint (vgl. (137)), darauf hin, dass -(e)s zu dieser Zeit noch stark flexivische Qualität hat.

|| 29 Norde (2001: 254) merkt jedoch an, dass es sich bei dieser Chronologie nicht um eine Voraussetzung zur Reanalyse, sondern einfach um reinen Zufall handeln kann; südmittelenglische Dialekte würden Gegenevidenz leisten. 30 Der Terminus split genitive wird hier im Sinne von Rosenbach (2002) und Denison, Scott & Börjars (2010) verwendet. Allen (1997) nutzt hingegen den Begriff combined genitive, um auf das hier beschriebene Phänomen zu referieren, da ein flexivischer Genitiv mit einem präpositionalen kombiniert wird.

268 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

(137)

God-ess Sune off heoffne Gott.GEN Sohn vom Himmel 'Gottes Sohn'

(The Ormulum, 1200; zitiert nach Allen 1997: 115)

Nichtsdestotrotz bahnt sich schon im 13. Jh. der Wandel des Genitivflexivs hin zu einem invarianten, den rechten Rand einer Possessorphrase markierenden Element an. Der Wandel wird zu Beginn daran ersichtlich, dass im frühen Mittelenglischen enge Appositionen aufkommen, bei denen nur ein Element genitivisch markiert ist (vgl. (138a)). Ältere Formen, mit der laut Allen (1997) noch im Altenglischen üblich gewesenen kongruierenden Doppelmarkierung, sind daneben aber auch noch zu finden, wie das Beispiel in (138b) zeigt. Was die Beispiele ebenfalls zeigen, ist die Tatsache, dass es Konstruktionen mit onymischem Bestandteil sind, bei denen der flexivische Wandel zuerst greift. Zu Beginn des 14. Jh. war dieser erste Schritt vom Genitivflexiv in Richtung KlitikonStatus bereits weitestgehend abgeschlossen (vgl. Allen 1997: 123). (138)

a. Upponn Herode kingess daʒʒ An Herode König.POSS Tag 'An König Herodes Tag'

(The Ormulum, 1200; zitiert nach Allen 2003: 10)

b. DaviÞess kingess kinnessmann David.GEN König.GEN Gefreiter 'König Davids Gefreiter'

(The Ormulum, 1200; zitiert nach Allen 2003: 10)

Nachdem die Kongruenz in genitivischen engen Appositionen abgebaut war, konnte -(e)s nur noch an das am weitesten rechts stehende nominale Element einer DP/NP treten. Der Genitiv wurde somit nur noch einmal innerhalb einer Possessorphrase formal markiert, doch Postmodifikation des Possessornomens wie im Gegenwartsenglischen war – wie bereits oben gesagt – zu dieser Zeit noch nicht möglich. Im Verlauf des Mittelenglischen ändert sich nun auch die flexivische Markierung zweier koordiniert auftretender Possessoren. Während noch im Altenglischen beide pränominalen Possessornomen Genitivflexion aufwiesen, wenn sie in einer engen Koordination auftraten, kann im 14. Jh. – neben alter Doppelmarkierung – auch nur das zweite Element der Koordination -(e)s aufweisen. Die nach Allen (1997: 121–122) zitierten Beispiele in (139) aus dem 14. Jh. zeigen diese Variation. Im Gegenwartsenglischen hat sich der neuere Typ mit einmaliger Markierung weitestgehend durchgesetzt – vor allem, wenn die koordinierten Elemente einen kollektiven Possessor darstellen.

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 269

(139)

a. ikke manes & womanes saule jeder Mann.GEN & Frau.GEN Seele 'die Seele jeden Mannes & (jeder) Frau' b. god and Þe virgynes sone Marie31 Gott und ART Jungfrau.POSS Sohn Maria 'Gott und Jungfrau Marias Sohn'

In Texten des späten 14. Jh. können schließlich auch die ersten Beispiele für postmodifizierte Possessive gefunden werden, auch wenn sie zu dieser Zeit – besonders im Vergleich zu Split-Genitiven – tendenziell noch seltener waren. (140)

Þe

kyng of

Fraunces

men

ART König von Frankreich.POSS Männer 'die Männer des Königs von Frankreich' (Trevisia; zitiert nach Allen 1997: 121) Die frühesten Beispiele für komplexe Possessoren wie das in (140) suggerieren, dass die Possessorphrase als Titel und somit als mehrgliedrige teilonymische Benennungseinheit aufgefasst werden konnte. Auch hier haben wir wieder den Fall, dass komplexe Einheiten mit einem onymischen Bestandteil die Vorreiter für flexivischen Wandel sind. Insgesamt soll in der späten mittelenglischen Periode noch das Vorkommen von Split-Genitiven und somit die flexivische Markierung des Kopfes der Possessorphrase anstatt des rechten Randes überwogen haben, weshalb dem -(e)s hier noch eher Flexivstatus zugesprochen werden muss. Im Verlauf der frühen neuenglischen Periode (ab dem 16. Jh.) verdrängt Postmod-Poss allmählich den Split-Genitiv, und zwar vollständig, wie Allen (2003: 18) behauptet. Progressivere Formen des ‚Gruppengenitivs‘, bei denen -s auch an nicht-nominale Basen tritt, sind laut Rosenbach (2004: 80, 86) schließlich ab dem 17. Jh. zu finden. (141)

a year or two’s Intrigue ein Jahr oder zwei.POSS Intrige 'die Intrige von einem oder zwei Jahren' (17. Jh., zitiert nach Rosenbach 2004: 80)

|| 31 Dieses Beispiel zeigt neben zwei koordinierten Possessoren auch einen Split-Genitiv, da der PersN, der einen appositiven Nebenkern darstellt, hinter dem Possessum steht.

270 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Somit wäre der wichtigste Schritt hin zum Klitikon-Status des s-Markers vollzogen. Diese Evidenz hinsichtlich des eindeutigen Wandels vom Flexiv zum eher klitischen Possessivmarker ist jedoch nicht unumstritten. Wie Denison, Scott & Börjars (2010) zeigen, ist Postmod-Poss selbst im Gegenwartsenglischen eine seltene Konstruktion, die den Split-Possessiv bis heute nicht vollständig verdrängt hat, da er in der gesprochenen Sprache durchaus noch auftritt (Typ: in a person’s mouth that has epilepsy). Das Auftreten von possessiven s-Konstruktionen (ohne Postmodifikation) und Split-Possessiven spricht nun dafür, dass das possessive -s weiterhin bevorzugt an den nominalen Kopf der Possessorphrase tritt (vgl. Denison, Scott & Börjars 2010: 557). Nichtsdestotrotz hat das -s im Gegenwartsenglischen Eigenschaften eines Phrasenmarkers, die es von possessiven s-Konstruktionen in Sprachen wie dem Gegenwartsdeutschen oder -niederländischen unterscheiden. In Abbildung 58 sind noch einmal alle Schritte zusammengefasst, die das possessive -s bei seiner Entwicklung im Englischen vollzogen hat.

Altenglisch (bis 1100)

-

Abbau des Kasussystems

Frühes Mittelenglisch (1100 – 1350)

-

Marker immer am PossN -(e)s wird zum überstabilen Marker keine Doppelmarkierung mehr in engen Appositionen keine Genitivrektion mehr von Verben oder Präpositionen

-

Spätes Mittelenglisch (1350 – 1500)

-

Marker gewöhnlich am PossN variable Markierung in Koordinationen erstes Auftreten von Postmod-Poss noch Vorkommen von Split-Genitiven

Frühes Neuenglisch (ab 1500)

-

Rückgang von Split-Genitiven Rückgang koreferentieller Pronomina (Gebrauch unüblich) Zunahme von Postmod-PossKonstruktionen; ab dem 17. Jh.: Auftreten von -s auch bei nicht-nominalen Köpfen

-

Abb. 58: Die Entwicklungsstufen des possessiven -s im Englischen

Status von -s

Genitivflexiv

Entwicklung

invarianter Marker

Zeitstufe

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 271

5.2.2 Niederländisch – das germanische Sandwich zwischen Englisch und Deutsch Im Niederländischen wurde das einstige vier-Kasus-System, das noch im Altniederländischen (600–1200) zu finden ist, aber bereits hier Schwundtendenzen zeigt – ähnlich wie im Englischen – allmählich abgebaut. Der hier interessierende Genitiv hatte – wie in den anderen germanischen Sprachen – unter anderem die Funktion, Besitz anzuzeigen; konnte aber auch von Verben und Präpositionen regiert werden. Während das Kasussystem im Englischen schon zum 13. Jh. abgebaut wird, verschwindet es im Niederländischen erst zum Ende des 19. Jh.; der kongruierende Genitiv verschwindet sogar erst in der ersten Hälfte des 20. Jh. (fast)32 ganz aus dem formellen geschriebenen Niederländischen (vgl. Scott 2014: 37). In der Phase der allgemeinen Deflexion, die laut Scott (2014: 101) stark durch Kodifizierung geprägt und somit gehemmt ist, entwickelt sich der einstige Genitivmarker – auch hier -s – ausgehend vom Paradigma der Maskulina und Neutra zum überstabilen Possessivität anzeigenden Marker, der parallel zum Deutschen auch im Mittelniederländischen (1150– 1500) temporär agglutinierend an die schwache Endung -(e)n angehängt wird: here > des here-n-s (vgl. Vezzosi 2000: 121). Ab dem 16. Jh. findet sich -s schließlich auch bei den sich konservativer verhaltenden Feminina (vgl. (142))33, was Scott (2014: 108) als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Entstehung des possessiven -s wertet. Da das nominale -s sich sukzessive durchsetzt und auch bei Feminina zum Marker von Possessivität wird, kann zunehmend auch die Flexion des Determinierers aufgegeben werden. Strukturen wie die in (142b) stellen schließlich den frequentesten Possessortyp im 16.–17. Jh. dar. (142)

a. des bruids camerdeur ART.GEN.MASK/NEUT Braut.GEN.MASK/NEUT Kammertür 'die Kammertür der Braut' b. de Bruits heusheidt ART Braut.POSS Höflichkiten 'die Höflichkeiten der Braut'

|| 32 Zu den Resten des adnominalen Genitivs vom Typ x der y im Gegenwartsniederländischen siehe Scott (2014: 159–198). 33 Die Beispiele stammen aus einem Drama von 1602 und sind zitiert nach Scott (2014: 143).

272 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Laut Scott (2014: 109) hat sich das invariante, innerhalb der Possessorphrase nur einmal auftretende possessive -s im Wesentlichen während der mittelniederländischen Periode entwickelt. Bemerkenswerterweise sind es auch hier teilonymische Possessorphrasen, bestehend aus einem Titel und einem PersN, die als erste Instanzen für die monoflexivische Markierung des rechten Phrasenrands gelten (143a). Kongruierende Genitivflexion innerhalb enger Appositionen wie in (143b) wird zunehmend zur Ausnahme (die Beispiele stammen aus Scott 2014: 109). (143)

a. conic Puppijns wijf König Puppijn.POSS Frau 'König Puppijns Frau' b. coninx Hughe Capets sone König.GEN Hugo Capet.GEN Sohn 'König Hugo Capets Sohn'

Im frühen Neuniederländischen (17.–18. Jh.) etabliert sich das possessive -s schließlich als invarianter einmaliger Marker des rechten Phrasenrands und kann bei einer Bandbreite komplexer Possessoren auftreten. Wie die Beispiele (aus Scott 2014: 144–145) zeigen, können nicht nur bloße EN (144a) und enge Appositionen (144b) die Possessorposition besetzen, sondern auch zwei koordinierte NPs (144c) sowie Kopfnomen, die Postmodifikation aufweisen (144d). (144)

a. Annetijes man Annetije.POSS Mann 'Annetijes Mann' b. joffrou Biskops dochter Fräulein Biskop.POSS Tochter 'Fräulein Biskops Tochter' c. Bruid en Bruîgoms welstand Braut und Bräutigam.POSS Wohlbefinden 'das Wohlbefinden der Braut und des Bräutigams' d. de graef van Stirums brigaede Art Graf von Stirum.POSS Brigade 'die Brigade des Grafs von Stirum'

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 273

Ende der mittelniederländischen Periode war die Deflexion, wenn auch noch nicht vollständig vollzogen, so doch schon so weit vorangeschritten, dass für den Genitiv ein Schicksal wie im Englischen oder dem Festlandskandinavischen wahrscheinlich gewesen wäre. Die große Bandbreite an Possessoren im frühen Neuniederländischen spricht nun auch für eine Entwicklung des possessiven -s zum invarianten, den rechten Rand komplexerer Phrasen markierenden Element. Ein Blick ins Gegenwartsniederländische zeigt jedoch, dass die Position des Possessors ähnlich beschränkt ist wie im Gegenwartsdeutschen: Hauptsächlich unmodifizierte EN, Titel und Verwandtschaftsbezeichnungen können die pränominale Possessorposition besetzen, das Vorkommen von APP mit kookkurrierendem Determinierer (haar broer-s beste vriend 'der bester Freund ihres Bruders') ist nur noch marginal möglich (vgl. Scott 2014: 200–203, Vezzosi 2000: 119). Während der s-Marker zur Zeit seiner interparadigmatischen Ausbreitung, wie oben gezeigt, also noch monoflexivisch nur am Kopfnomen der Possessorphrase auftreten konnte (myn Moeder-s tranen 'die Tränen meiner Mutter'), wird zum 19. Jh. die Kongruenz zwischen Determinierer und Nomen wieder hergestellt (mijn-s moder-s tranen). Auch die Postmodifikation des pränominalen Possessors wird zum Gegenwartsniederländischen hin – im Gegensatz zu früheren Sprachstufen – ungrammatisch (*Jaap uit Tilburg-s boek 'Jaap aus Tilburgs Buch'). Allgemein gilt, dass im heutigen Niederländischen bei komplexeren Possessoren in der Regel auf die periphrastische Konstruktion mit der Präposition van zurückgegriffen wird (145). (145)

de muts van de huidige professor ART Mütze von ART aktuellen Professor 'die Mütze von dem aktuellen Professor'

In Fällen mit Rechtserweiterung des Possessornomens kann im niederländischen Substandard – wie im Deutschen – auch auf die Konstruktion mit dem koreferentiellen Pronomen, das mit dem Possessor in Genus und Numerus kongruiert, ausgewichen werden (vgl. (146a–b)). Laut Weerman & De Wit (1999) weist diese Konstruktion im Niederländischen größere Parallelen zum possessiven -s im Englischen auf (vgl. (146c)) als die ehemals genitivische pränominale Possessivkonstruktion, worin sie wiederum Evidenz für den pronominalen Ursprung des englischen s-Markers (his > -s) sehen.34 || 34 Laut Weerman & De Wit (1999) hat das englische possessive -s genauer gesagt zwei Ursprünge: einen genitivischen (-(e)s > -s) und einen pronominalen (his/ys/is > -s). Von den dar-

274 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

(146)

a. Niederländisch: [de man met die gekke bril] z’n caravan b. Deutsch: [dem Mann mit der lustigen Brille] sein Wohnwagen c. Englisch: [the man with the funny glasses]’s caravan

Wie Scott (2014) jedoch plausibel zeigt, hätte auch das niederländische Genitivsuffix einen ganz ähnlichen Weg wie das Englische einschlagen können. Die seit der frühen neuniederländischen Periode greifenden Beschränkungen hinsichtlich der possessiven s-Konstruktion und das Abdriften von der Entwicklung im Englischen sind eher außersprachlich zu erklären und hängen stark mit der aufkommenden Standardisierung und Kodifizierung der Sprache zusammen, die durch die Bestrebungen der frühen niederländischen Grammatiker im frühen Neuniederländischen ihren Anfang genommen hat. Obwohl der Genitiv im 16. Jh. nur noch in Resten vorhanden war, wurde er im Zuge der Standardisierung fixiert und mit einem Anstieg an Bedeutung durch die vorgeschriebene Norm – anfangs und insgesamt ausgeprägter im formelleren Geschriebenen, aber zeitlich versetzt auch in informelleren Texten – über drei Jh. bis hin zum 19. Jh. aufrechterhalten, bis er letztendlich durch die Rechtschreibreform zu Beginn des 20. Jh. endgültig beseitigt wurde (vgl. Scott 2014: 157–159). Die possessive s-Konstruktion, die im 16. und 17. Jh. noch frequent und mit weniger restringiertem Possessor vorkommt, wird vor allem durch die Erhebung des semantisch äquivalenten kongruierenden Genitivs zum Standard zurückgedrängt, sprich, aus dem ‚once-only-Marker‘ bei komplexen Possessoren wird wieder ein kongruierendes Flexiv: [[Det N.POSS] Kopfnomen] > [[Det.GEN N.GEN] Kopfnomen]. Das possessive -s erfährt damit eine Wiederbeschränkung auf artikellose EN, die vor der Standardisierung nicht galt. In Abbildung 59 sind die Entwicklungsschritte der possessiven s-Konstruktion im Niederländischen zusammengefasst.

|| aus resultierenden, oberflächlich identischen Markern habe sich – so die theoretische Argumentation – derjenige mit pronominalem Ursprung durchgesetzt, da er aufgrund größerer Ungebundenheit auf mehrere und vor allem komplexere Phrasen angewendet werden konnte.

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 275

Altniederländisch (bis 1100)

-

Abbautendenzen hinsichtlich des Kasussystems

Mittelniederländisch (1150 – 1500)

-

-s wird zum überstabilen Marker Marker üblicherweise am PossN Abbau der Doppelmarkierung in engen Appositionen Abbau der Kongruenz bei Det. + NVerbindungen variable Markierung in Koordinationen erstes Auftreten von PostMod-Poss

Frühes Neuniederländisch (ab 1500)

Status von -s

Genitivflexiv

Entwicklung

invarianter Marker

Zeitstufe

KODIFIZIERUNG DER SPRACHE -

Wiederherstellung der Kongruenz bei komplexen Possessoren Abbau von Postmod-PossKonstruktionen Beschränkung der Possessorposition auf bloße EN

Abb. 59: Die Entwicklungs- und Rückentwicklungsprozesse des possessiven -s im Niederländischen

5.2.3 Die Herausbildung des possessiven -s bei Eigennamen vor dem Hintergrund allgemeiner Deflexion und Belebtheit Was aus dem Überblick zum Englischen und zum Niederländischen ersichtlich wurde, ist die Tatsache, dass Kasusschwund mit der Herausbildung des possessiven -s in den germanischen Sprachen in engem Zusammenhang zu stehen scheint. Im Englischen – wie im Übrigen auch im Festlandskandinavischen35 – wo schon relativ früh und somit vor einer Standardisierung der Sprache das

|| 35 Da sich das Englische und die festlandskandinavischen Sprachen hinsichtlich der Herausbildung des possessiven -s recht ähnlich verhalten, wurden Letztere hier – auch aufgrund der besseren Vergleichbarkeit der enger verwandten westgermanischen Sprachen – nicht gesondert behandelt. Für ausführliche Untersuchungen zum Schwedischen sei auf Norde (1997, 2001, 2013) verwiesen, zum Dänischen siehe z. B. Herslund (2001).

276 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Kasussystem weitestgehend geschwunden ist, was nach Barðdal (2009: 125, 155) nicht allein durch phonologische Faktoren, sondern vor allem auch mit intensivem Sprachkontakt und zahlreichen Entlehnungen in diesen Sprachen in Zusammenhang zu bringen ist, konnte sich das possessive -s am weitesten von seinem flexivischen Ursprung entfernen. Im Niederländischen hingegen, in dem das Kasussystem im Wesentlichen im 16. Jh. abgebaut wurde, konnte sich zur Zeit der Deflexion das invariante possessive -s auf Kosten kongruierender adnominaler Genitivstrukturen ausbreiten. Die Tatsache, dass bereits vor dem kompletten Schwund des Genitivs aus dem Sprachsystem Standardisierungsbestrebungen ihren Anfang nahmen, sorgt im Niederländischen für eine Wiederbelebung des Genitivs, der Strukturen mit einmaliger s-Markierung zurückdrängt, sodass heute vorrangig nur noch Einworteinheiten als Possessoren fungieren können. Im Deutschen wiederum, das hinsichtlich der DP/NP diachron zwar auch durch Deflexion gekennzeichnet ist, das alte vier-Kasussystem zugunsten des klammernden Verfahrens jedoch weitestgehend konserviert hat, ist die Possessorposition diachron sowie synchron am stärksten restringiert. Hauptsächlich artikellose EN, bei denen im frühen Neuhochdeutschen die Kasusmarkierung weitestgehend geschwunden ist, und als EN gebrauchte Verwandtschaftsbezeichnungen können die pränominale Possessorposition uneingeschränkt einnehmen. Mit dem Verlust des onymischen Kasus (vgl. 4.1) kann sich nun auch im Deutschen das possessive -s – allerdings mit Einschränkungen – ausbreiten, wobei die Restriktionen für die Position des pränominalen Possessors allmählich gelockert werden, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird. Schaut man sich mit dem Isländischen eine (nord-)germanische Sprache an, die unter den Germania das konservativste Kasussystem mit voll intaktem Genitiv aufweist, so zeigt sich, dass sich hier keine possessive s-Konstruktion herausgebildet hat und der Genitiv noch immer uneingeschränkt zur Anzeige von Possessivität genutzt wird. Dies kann als weiteres Indiz für den Zusammenhang bzw. die Annahme, dass Deflexion eine Grundvoraussetzung für die Herausbildung des possessiven -s darstellt, gesehen werden. Tabelle 29 gibt einen zusammenfassenden Überblick hinsichtlich des Vorhandenseins eines Kasussystems, des Genitivs und des possessiven-s in den hier erwähnten germanischen Sprachen. Die Übersicht veranschaulicht, dass sich erst mit dem Schwund des adnominalen kongruierenden Genitivs in einer Sprache das invariante phrasale -s entwickeln kann. Die Gründe für den Abbau bzw. das Festhalten an einem konservativen, aus dem Germanischen ererbten Kasussystem sind dabei divers und sowohl innersprachlich (Phonologie, Nominalklammer etc.) als auch außersprachlich (Standardisierung und Kodifizie-

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 277

rung, Sprachkontakt etc.) begründet. Trotz den einzelsprachlich unterschiedlich determinierten Deflexions- und Konservierungstendenzen weist die Entwicklung des possessiven -s jedoch verblüffende übereinzelsprachliche Ähnlichkeiten auf. Tab. 29: Das Vorhandensein von Kasus, intaktem Genitiv und possessivem -s in einigen modernen germanischen Sprachen (vgl. Börjars, Scott & Denison 2009: 42)

Intaktes Kasussystem Genitiv

Possessives -s

Isländisch

ja (4 Kasus)

ja

nein

Deutsch

ja (4 Kasus)

eingeschränkt (primär im Schriftsprachlichen)

eingeschränkt (primär an EN)

Niederländisch

nein

Reste

eingeschränkt (primär an EN)

Festlandskandinavisch

nein

nein

ja

Englisch

nein

nein

ja

Bemerkenswerterweise sind es sowohl im Englischen als auch im Niederländischen Konstruktionen mit EN, die zum einen eine wesentliche Rolle bei der Emergenz des possessiven -s spielen und zum anderen im aktuellen Gebrauch uneingeschränkt und – auch im Englischen (vgl. z. B. Huddleston & Pullum 2002: 477) – am frequentesten die pränominale Possessorposition besetzen können. Hier spielen sicherlich nicht zuletzt formale Gründe eine Rolle: So sind EN prototypischerweise Einworteinheiten, die artikellos vorkommen können. Wie Rosenbach (2005) zeigt, ist die Schwere (zur Operationalisierung dieses Faktors siehe Rosenbach 2014: 277–278) einer Konstituente im Englischen ein unabhängiger Einflussfaktor für syntaktische Variation. Vereinfacht gesagt, führt die relative Kürze eines Possessors in Relation zur Possessum-Phrase tendenziell eher zur Voranstellung. Wie Peschke (2014) gezeigt hat, scheint das für das Deutsche auch zu gelten.36 Hinsichtlich der angenommenen Reanalyse vom Flexiv zum Possessivmarker führt die minimale Komplexität eines EN dazu, dass in genitivischen Konstruktionen mit bloßen EN nicht entschieden werden kann, ob eher eine mono- oder eine polyflexivische Struktur vorliegt. Bei Erwei-

|| 36 Die Beobachtung, dass kurze Elemente längeren Elementen tendenziell eher vorausgehen, wurde für das Deutsche bereits allgemein durch Behaghels ‚Gesetz der wachsenden Glieder’ beschrieben.

278 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

terungen des EN durch Titel (wie z. B. König) oder Namenzusätze (wie z. B. von Frankreich) kann die komplexe Struktur als mehrteiliger EN aufgefasst werden, der keine interne flexivische Markierung erlaubt. Diese Interpretation kann schließlich weiteren komplexen Phrasen den Weg ebnen – sofern das Kasussystem nicht mehr intakt ist. Neben solchen formseitigen Faktoren werden in der Literatur vor allem auch funktionale – typologisch relevante – Gründe für die Voranstellung von EN bzw. PersN in Possessivkonstruktionen genannt. Ein wesentlicher Faktor ist hierbei die relativ hohe Positionierung der EN auf der erweiterten Belebtheitshierarchie (vgl. 2.2). Dabei spielt vor allem die in der erweiterten Belebtheitshierarchie verankerte Definitheitsskala – hier in Anlehnung an Aissen (2003: 437) als (147) wiedergegeben –, auf der EN direkt nach Pronomina einen vorderen Rang einnehmen, eine gesonderte Rolle. (147)

Definitheitsskala Pronomen >> Eigennamen >> NPdefinit >> NPindefinit spezifisch >> NPnicht-spezifisch

Da nun Definitheit eng mit Bekanntheit verbunden ist und das Bekannte nach der Thema-Rhema-Gliederung einem funktional motivierten „Linksdrall“ unterliegt, wie Zifonun (2008: 12) es ausdrückt, ist die pränominale Position für inhärent definite EN gerade aus Rezipientenperspektive prädestiniert. 37 Für die referenzielle Verankerung gilt schließlich, dass die Hörerin oder der Leser besonders gut von einem referentiellen Anker, der zur Identifikation der Gesamtphrase gesetzt wird, profitieren kann, wenn dieser in der Phrase möglichst früh, sprich in Prästellung zum Bezugsnomen, auftritt (vgl. Zifonun 2008: 12). Vezzozi (2000: 133) gibt die gleiche informationsstrukturell-pragmatische Erklärung für pränominale Possessoren im Niederländischen: Durch die Abfolge Thema [+ given = EN] vor Rhema [+ new] kann der Referent der Kopf-NP durch die Relation zum vorab erwähnten, bekannten Referenten der Possessorphrase besser identifiziert werden. Was EN zudem dafür prädestiniert, als pränominale Possessivattribute aufzutreten, ist laut Zifonun (2008: 10–11) ihre funktionale Doppelrolle. EN übernehmen schließlich nicht nur die eben erwähnte referenti-

|| 37 Dasselbe gilt im Übrigen auch für die auf der Definitheitshierarchie noch höher angesiedelten Pronomina. Diese können tatsächlich nur in Ausnahmefällen hinter ihrem Bezugsnomen stehen und werden aus diesem Grund häufig aus Untersuchungen zur Stellungsvariation ausgeklammert, da sie sozusagen einen knock-out-Kontext darstellen (vgl. Rosenbach 2014: 222).

Possessives -s in den germanischen Sprachen | 279

ell verankernde Modifikation,38 sondern zusätzlich auch die Determination der Gesamtphrase; bei Postposition muss die Determination hingegen gesondert durch den Artikel erfolgen: Alberts Auto vs. das Auto von Albert. Die Kumulation von Determination und Modifikation, die EN auszeichnet, ist in Sprachen wie dem Deutschen, Englischen oder Niederländischen an die linksperiphere und somit pränominale Position geknüpft. Auch der Faktor der Belebtheit im engeren Sinne scheint eine Rolle bei der Voranstellung nominaler Possessoren zu spielen. Dies ist schon dadurch begründet, dass prototypische possessive Relationen – nach Koptjevskaja-Tamm (2001) sind das Verwandtschaftsbeziehungen (Toms Sohn), Körperteile (Leons Füße) und legaler Besitz (Claudias Haus) – einen belebten Possessor verlangen:39 [T]he core of this category is made up of cases where there is an exclusive asymmetric long-term relation between two entities – for each possessee there is only one possessor, who has the right to make use of the possessee – and the possessor is an individuated human being. (Koptjevskaja-Tamm 2001: 961; eigene Hervorhebungen – TA)

Die prototypischsten EN, sprich die PersN, erfüllen diese Bedingung durchweg und kommen ohne jegliche Einschränkung und am frequentesten präponiert vor. Umgekehrt gilt, dass mit höherer Position eines EN auf der erweiterten Belebtheitshierarchie die Akzeptabilität für eine Nachstellung sinkt (die Politik Merkels, ??die Politik Angelas, ?|*die Politik Angies). Begründet durch den Belebtheitsfaktor ist es aus typologischer Perspektive nicht selten, dass Sprachen eine spezielle Possessivkonstruktion für onymische Possessoren aufweisen (vgl. Koptjevskaja-Tamm 2001: 967). Zusammenfassend sind EN (neben Pronomina) aufgrund ihrer formalen und funktionalen Eigenschaften aus typologischer Perspektive optimale „monolexemische Possessor-Konstruktionen“, die sich laut O’Connor, Maling & Skarabela (2013) dadurch auszeichnen, dass der pränominale Possessor eine belebte Einworteinheit ist, die im Diskurskontext eine hohe Akzessibilität aufweist. Somit ist es aus syntaktischer (Schwere/Komplexität), kognitiver (Belebtheit) und diskurs-pragmatischer (Topic/Akzessibilität) Perspektive begründbar,

|| 38 Zu verankernder und referentieller Modifikation siehe Zifonun (2010). 39 Rosenbach (2002), die solch eine binäre Klassifikation in prototypische und nichtprototypische Possessivrelationen vorschlägt, zählt auch Teil-Ganzes-Beziehungen (das Dach des Hauses) zu den prototypischen Relationen. Bei dieser semantischen Relation kann der Possessor – wie im Beispiel – auch unbelebt sein.

280 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

warum gerade EN die pränominale Position in Possessivkonstruktionen einnehmen. Mit den hier diskutierten Faktoren kann nun auch erklärt werden, warum ausgerechnet EN, die der morphologischen Schemakonstanz unterliegen und diachron zu (komplettem) Flexivabbau tendieren, im Deutschen – und auch in anderen germanischen Sprachen, die bereits komplette nominale Kasusdeflexion erfahren haben – in Possessivkonstruktionen durch ein den Wortkörper zwar nur marginal, aber dennoch affizierendes -s markiert werden.40 Hinzu kommt, dass es im Standarddeutschen keine optimale alternative pränominale Possessivkonstruktion gibt. Bei der von-Periphrase wie auch beim attributiven postponierten Genitiv werden EN aus der präferierten Prästellung bewegt (das AutoPos41 Diese beiden Optiosessum von AlbertPossessor, das AutoPossessum des AlbertPossessor). nen bieten sich laut Zifonun (2005: 47) eher an, wenn ein unbelebter Possessor vorliegt und die Gesamtphrase nicht definit ist. Mit Prästellung einhergehende Juxtaposition ist dagegen im Deutschen keine Option zum Ausdruck einer possessiven Relation (*Albert Auto) und wird im Übrigen in den europäischen Sprachen allgemein recht selten zum Ausdruck von Possessivität genutzt (vgl. Koptjevskaja-Tamm 2002), und EN-Komposita vom Typ das Albert-Auto decken sich funktional nicht 1:1 mit possessivem -s (vgl. Schlücker 2018). Die einzige Possessivkonstruktion, die EN sowohl in Prästellung belässt als auch keine Strukturaffizierung bedingt – jedoch durch die Kookkurrenz von Determinierer

|| 40 Hierbei ist anzumerken, dass in der geschriebenen Sprache bei pränominalen Possessoren trotz Stigmatisierung von der visuellen Wortschonungsmöglichkeit via morphographischem Apostroph vermehrt Gebrauch gemacht wird, wie die Daten in Kap. 5.1.1.2 gezeigt haben (siehe hierzu auch Scherer 2010, 2013, Nübling 2014a und Nowak & Nübling 2017). Im Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung wird der gelegentliche Gebrauch des Apostrophs zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens nun auch toleriert (vgl. DR 2018: §97). Im Englischen ist der Apostroph zur Abgrenzung des possessiven -s die orthographische Norm. Linguistische Untersuchungen zum Niederländischen sind mir nicht bekannt. Im Beiheft zur Rechtschreibereform wird aber angegeben, dass der Apostroph vor possessivem -s regulär bei Namen auf Vollvokal (außer ) und Konsonant + steht (vgl. Daniëls 1995: 66–67). Es gilt zusätzlich die vage Regel, dass der Apostroph immer (also auch bei auf Schwa oder Konsonant endenden EN) gesetzt werden darf, wenn der Name ansonsten nicht mehr deutlich genug zum Ausdruck kommt (z.B. Van Gogh’s schilderijen 'Van Gogh’s Gemälde'), vgl. Daniëls (1995: 67). Die Beispiele in Scott (2014: 200–203) bestätigen, dass der morphographische und somit wortkörperschonende Apostroph im Niederländischen bei EN vorkommt (anja’s tranen 'Anjas Tränen'), aber auch bei Fremdwörtern (de manager’s ziekte 'die Krankheit des Managers') zu finden ist. 41 Bei der von-Periphrase ist auch die umgekehrte Serialisierung möglich (z. B. vom Peter der Vater kommt mit), jedoch nicht der Default.

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 281

und Possessor als unökonomischer gelten kann –, ist die mit koreferentiellem Pronomen (dem Albert sein Auto).42 Diese Konstruktion ist im Substandard bzw. der mündlichen Umgangssprache zu verorten und unterliegt keiner regionalen Beschränkung.43 Sie wäre eigentlich ein guter Kandidat, wäre sie nicht seit dem 18. Jh. anhaltend durch die normativen Grammatiker als volkstümlich und redundant stigmatisiert worden (vgl. Davies & Langer 2006: 157–169).44 Der pränominale Genitiv, aus dem sich später das possessive -s entwickelt, unterlag solchen Restriktionen als Phänomen der geschriebenen Sprache nicht. Die Entwicklungsschritte der hier fokussierten Sprachen stellen eine gute Vergleichsbasis dar, um im Folgenden der Frage nachzugehen, wie weit die Reanalyse vom Genitivmarker zum possessiven -s im Gegenwartsdeutschen vorangeschritten ist.

5.3 Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen Im 18. Jh. bahnt sich die Ausbreitung des überstabilen -s ausgehend vom Paradigma der starken Maskulina auf alle anderen Klassen an, wobei die anderen Genitivallomorphe zum 20. Jh. hin (fast) gänzlich verdrängt werden (vgl. 4.1.4.1), wie die auf dem DTA-RufN-Sample basierenden Daten für pränominale Possessoren in Tabelle 30 zeigt. Was aus der Tabelle ebenfalls hervorgeht, ist, dass sich das -s zunächst innerhalb der Maskulina durchsetzt und dort das schwache -(e)n bzw. das gemischte -(e)ns verdrängt, bevor es die +/- Femininum-Schranke durchbricht und sich ab dem 19. Jh. auch im Paradigma der Feminina ausbreitet.45

|| 42 Zukünftige Frequenzanalysen müssen zeigen, wie häufig je nach Varietät und Register von den verschiedenen Possessivkonstruktionen Gebrauch gemacht wird. Kasper (2015) liefert einen diachronen und diatopischen Überblick. 43 Zur Struktur und Semantik dieser Konstruktion sei auf Zifonun (2003, 2005) verwiesen. 44 In germanischen Sprachen wie dem Luxemburgischen oder dem Afrikaans, bei denen erst spät Standardisierungsprozesse stattgefunden haben, dient primär die Konstruktion mit koreferentiellem Pronomen zum Ausdruck von Possessivität. Dies spricht wiederum für die übereinzelsprachlich geltende Funktionalität dieser Konstruktion. 45 Für den Beginn des 20. Jh. liegen – aufgrund der Beschaffenheit des DTA – nur sehr wenige Belege vor, für die Zeit nach 1920 gar keine. Der heutige Stand zeigt jedoch, dass sich das invariante -s im Verlauf des 20. Jh. vollständig ausgebreitet hat.

282 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Tab. 30: Die Durchsetzung des invarianten -s in pränominalen Possessivkonstruktionen

17. Jh. (n = 217)

invariantes -s

18. Jh. (n = 337)

19. Jh. (n = 449)

20. Jh. (n = 34)

M.

F.

M.

F.

M.

F.

M.

F.

29,7%

10,1%

66,4%

14,1%

96%

49,6%

100%

91,3%

Dieses Durchbrechen der ansonsten im substantivischen Bereich geltenden und diachron gestärkten +/- Femininum-Schranke (vgl. hierzu Nübling 2008) ist im Deutschen besonders auffällig. Die Tatsache, dass das -s bei singularischen Feminina nicht mit einem genitivischen Determinierer kookkurrieren kann (*die Mutter der kleinen Emilias), während es bei Maskulina zwar selten vorkommt (vgl. 4.3.2.2 und 5.1.1.2), aber dennoch grammatisch ist (die Mutter des kleinen Emilios), ist ein Indiz dafür, dass es sich beim possessiven -s nicht um ein prototypisches Flexiv handelt. Nach den Kriterien von Zwicky & Pullum (1983), die in 5.4.1 noch genauer in den Blick genommen werden, ist die durch Faktoren wie [± feminin] determinierte Allomorphie ein typisches Charakteristikum von Flexionselementen, während Klitika dazu tendieren, invariant zu sein. Wie die Übersicht zum Englischen und zum Niederländischen gezeigt hat, ist die Reduktion der einstigen Allomorphie und die interparadigmatische Ausbreitung von -s auch in diesen Sprachen ein erster wichtiger Schritt in Richtung eines invarianten, innerhalb der Possessorphrase nur einmal auftretenden Markers. Die weiteren, in der Literatur zum Englischen und Niederländischen genannten Schritte sollen im Folgenden datenbasiert für das Deutsche in den Blick genommen werden.

5.3.1 Kongruenz in mehrteiligen (teilonymischen) Eigennamen Nach der Ausbreitung des überstabilen -s wird im Englischen und im Niederländischen sukzessive die Kongruenz innerhalb komplexerer Possessorphrasen abgebaut, was als weiterer wichtiger Schritt hin zum Possessivmarker gewertet wird. Eine Konstruktion, die in beiden Sprachen als zentral eingestuft wird, da der Kongruenzabbau hier schon relativ früh um sich greift, ist die enge Apposition. In Kap. 3.1.1 wurde für das Gegenwartsdeutsche eine Unterscheidung gemacht zwischen linksköpfigen Juxtapositionen, die aus Artikelwort + APP + EN bestehen (Typ der Rechtsanwalt Mayer) und rechtsköpfigen mehrteiligen EN, die aus der Verbindung APP + EN bestehen und ohne Determinierer vorkommen

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 283

(Typ Rechtsanwalt Mayer). Wie gezeigt, unterscheiden sich die beiden Mehrworteinheiten im heutigen Deutschen in Abhängigkeit vom Vorhandensein eines Determinierers hinsichtlich ihres Flexionsverhaltens: Artikel korreliert mit Poststellung im Genitiv, wobei das linksstehende APP kongruierend mit dem Artikel flektiert (148a); bei Artikellosigkeit ist Prästellung möglich. Hier wird heute nur der am weitesten rechts stehende EN s-markiert (148b). (148)

a. der Plan des FC Bayern-Trainers Carlo Ancelotti b. FC Bayern-Trainer Carlo Ancelottis Plan

Da sich das Flexionsverhalten bei linksköpfigen Juxtapositionen mit Determinierer (Typ 148a) innerhalb der letzten Jahrhunderte gewandelt hat (vgl. 3.3.3), ist zu vermuten, dass sich auch die flexivische Markierung bei APP+ENVerbindungen ohne Determinierer (mehrteilige PersN, vgl. 3.1.1) gewandelt hat. Für eine Untersuchung der Entwicklung solcher Konfigurationen vom 17. – 19. Jh. wurde wieder das DTA herangezogen.46 Gesucht wurde nach Einheiten mit einem maskulinen Titelnomen (König, Kaiser, Landgraf etc.) oder einer Verwandtschaftsbezeichnung (Bruder, Vater etc.) und einem beliebigen EN.47 Die Suche ergab insgesamt 758 Belege. Die Auswertung dieser Belege zeigt nun, dass die alleinige Markierung des EN und somit des am weitesten rechts stehenden Elements innerhalb der Possessorphrase nicht schon immer obligatorisch war. Wie die Beispiele in (149) – (151) und Abbildung 60 zeigen, herrscht vor allem im 17. und 18. Jh. noch Variation hinsichtlich des Vorkommens eines genitivischen Markers.

|| 46 Da die Korpusrecherche bereits im Dezember 2014 durchgeführt wurde, liegen ihr mit ca. 1.300 Digitalisaten (und ca. 100 Millionen Tokens) weniger Texte zugrunde als der im letzten Kapitel beschriebenen Studie zur Deflexion. Eine balancierte Textsortenverteilung ist aber auch hier gegeben. 47 Bei den APP wurde nach konkreten Lemmata gesucht (Admiral, Apostel, Bischof, Hofrath, Bruder, Cardinal, Erzbischof, Erzherzog, Fürst, Geheimrat, General, Graf, Herzog, Kaiser, König, Kurfürst, Landgraf, Lord, Meister, Papst, Priester, Prinz, Ritter, Vater), bei den EN nach der Wortart. Um die Anzahl der Fehlbelege zu reduzieren und möglichst nur Possessivkonstruktionen zu ermitteln, wurde immer nach der Abfolge APP EN NN gesucht. Diese Suche ergab 2.072 Treffer, die noch einmal manuell auf Fehlbelege, bei denen der Name in keinem possessiven Kontext vorkam (z. B. hatte beim [König Franz]Dat [Audienz]Akk), durchgesehen werden mussten. Auch APP+EN-Verbindungen mit Determinierer, die bis ins 18. Jh. noch präponiert vorkommen konnten, wurden manuell aussortiert.

284 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

(149)

nur APP markiert: König-s Hippo-Ø Zeit

(150)

beide markiert:

[lohenstein_feldherr01_1689:281]

Printz-en Bernhard-s Blendung [francisci_lusthaus_1676:535]

(151)

nur EN markiert: Fürst-Ø Hermann-s Rache [lohenstein_feldherr01_1689:1234]

100%

4%

1% 's

5%

5%

90% 's

80%

37%

70% 60%

64%

keine Flexion

68%

EN-Flexion

50%

93% Doppelflexion

40% 30% 20%

APP-Flexion 24%

24%

8%

8%

1%

10% 0%

1%

17. Jh.

18. Jh.

19. Jh.

n = 307

n = 160

n = 291

Abb. 60: Genitivische Markierung bei pränominalen mehrteiligen PersN vom 17. – 19. Jh.

Die Möglichkeit, bei der Verbindung aus einem Titel und PersN nur das links stehende APP zu markieren, ist im 17. und 18. Jh. noch marginal gegeben. Schaut man sich die Belege genauer an, so zeigt sich, dass diese Variante (fast) ausschließlich dann auftritt, wenn es sich um einen fremden EN (z. B. Juba, Mnata, Patanon) handelt und vor allem dann, wenn dieser auf /s/ endet (z. B. Pyrrhus, Abas, Bonifacius). In diesem Fall kann auch schon im 17. Jh. gar kein Bestandteil der Verbindung flexivisch markiert werden – heute ist das bei auf /s/ auslautenden Namen der Default. Die Abbildung zeigt nun, dass die Variante mit alleiniger Markierung des rechts stehenden EN während des gesamten Betrachtungszeitraums am häufigsten zu finden ist, jedoch erst im 19. Jh. obligatorisch wird. Im 17. und 18. Jh. ist bei je fast einem Viertel der Belege noch die doppelte kongruierende Genitivmarkierung an beiden präponierten Elementen zu finden (vgl. (150)). Ein Blick auf diese Belege zeigt, dass der EN im 17. und 18. Jh. bei Doppelmarkierung in je ca. 78 % der Fälle eine lateinische Deklinationsendung aufweist (Churfürsten Augusti Gemahl) – bei Konstruktionen mit alleiniger Markierung

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 285

des EN liegt der Anteil lateinischer Flexive bei lediglich 19,5 % im 17. Jh. und 8,3 % im 18. Jh. Dieser Befund spricht nun dafür, dass das polyflexivische Muster aus dem Lateinischen übernommen wurde, wo Mehrfachmarkierung gängig war. Die Tatsache, dass das Muster frequent – und auch bei deutscher Deklination des Namens – angewendet wurde, weist dennoch darauf hin, dass Kongruenz bei präponierten Mehrworteinheiten im Deutschen zu dieser Zeit im System veranlagt war. Dies ändert sich zum 19. Jh. hin – wo sich das -s bei den Maskulina bereits als überstabiler Marker durchgesetzt hat – drastisch, indem nun nur noch die Markierung des EN zulässig zu sein scheint, womit der heutige Stand erreicht ist. Bemerkenswerterweise steigt mit der alleinigen EN-Markierung in Possessorphrasen im 19. Jh. auch das Vorkommen des morphographischen Apostrophs von 4,6 % auf 36,8 % signifikant an (2 (1) = 38,33, p < 0,001***,  = 0,32). Ein gesteigertes Auftreten des Apostrophs ist in diesem Jahrhundert mit der Ausbreitung des überstabilen -s zwar generell bemerkbar (vgl. 4.1.4.1), doch ist es bei nicht-komplexen EN nicht ansatzweise so häufig (13 % aller Genitivflexive bei den Maskulina, 19 % aller Genitivmarker bei den Feminina im 19. Jh.). Die frequente syngraphemische Abgrenzung des invarianten, nicht kongruierenden -s vom Namenkörper könnte mit Nübling (2014a) dahingehend gedeutet werden, dass der geringere Grad an Gebundenheit durch den Apostroph sichtbar gemacht wird.

5.3.2 Die flexivische Markierung bei koordinierten Eigennamen Ein weiterer Schritt bei der Reanalyse vom Flexiv zum Phrasenmarker, der im Englischen und Niederländischen schon recht früh zu beobachten ist, besteht in der Beseitigung von Kongruenz innerhalb zweier koordinierter Possessoren ([N und N]-s N). Laut Plank (2011: 275) ist diese Kongruenzbeseitigung zugunsten der einmaligen Markierung auch im Gegenwartsdeutschen zu beobachten und zwar dann, wenn es sich um die Koordination zweier EN handelt. Diese Tatsache wird von Plank sogar als Evidenz für den nicht mehr flexivischen Status von -s bei EN gesehen. Auch in der Duden-Grammatik (92016: 210) wird die Markierung zweier koordinierter Namen in Possessivkonstruktionen knapp thematisiert. Der entsprechende Paragraph besagt, dass die alleinige Markierung des zweiten Namens zumindest bei Paarformeln wie Hänsel und Gretel oder Adam und Eva gelegentlich zu beobachten ist. Internetbelege, wie der in (152a), liefern erste Evidenz dafür, dass Einmalmarkierung durchaus vorkommt und dass es sich bei den engen Koordinationen nicht unbedingt um Paarformeln im engeren Sinne handeln muss. Daneben lassen sich aber auch Belege mit Doppelmarkie-

286 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

rung finden, wie das Beispiel in (152b) exemplifiziert. Somit scheint es sich bei diesem Phänomen im Gegenwartsdeutschen um einen Schwankungsfall zu handeln. Wie in den anderen germanischen Sprachen (siehe z. B. Norde 2013: 302 zum Schwedischen) ist es eine wichtige Bedingung für die alleinige Markierung des rechten Konjunkts, dass die zwei koordinierten Namen einen kollektiven Possessor bilden.48 Ist dies nicht der Fall, wie in (152c), wo das Kopfnomen keine kollektive Lesart erlaubt, so ist die Doppelmarkierung obligatorisch. (152)

a. Brad Pitt und Angelina Jolie-s Sohn Pax brach sich ein Bein49 b. Brad Pitt-s und Angelina Jolie-s neues Berliner Domizil50 c. Brad Pitt-s/*-Ø und Angelina Jolie-s Eltern

Um die s-Markierung bei zwei koordinierten onymischen Possessoren datenbasiert beschreiben zu können, wurden eine Korpusuntersuchung und ein kleiner Lückentexttest durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden diskutiert werden. Als Korpus für die Untersuchung zum aktuellen Stand der s-Markierung in engen Koordinationen wurde auch hier wieder das Webkorpus DECOW2012 gewählt, und zwar – aufgrund der recht hohen Frequenz dieser Konstruktion – wieder nur das Teilkorpus. Gesucht wurde nach der Abfolge von zwei via und koordinierten EN, wobei für den zweiten ausgeschlossen wurde, dass er auf -s auslautet, er aber ein finales -s aufweisen muss.51 Die Suchanfrage lieferte 8.250 Treffer. Von diesen wurde eine randomisierte Stichprobe mit 4.000 Treffern manuell durchgesehen, um Fehlbelege bereinigt und kodiert. Dabei wurden neben dem Auftreten von -s auch die Namenklasse und die Stellung der Koordination (Prä- vs. Poststellung) vermerkt. Ambige Fälle wie solche, bei denen nicht entschieden werden konnte, ob es sich bei beiden EN um einen Possessor handelt oder ob nur das zweite Konjunkt als Possessor zu werten ist, wurden

|| 48 Dieser Tatsache wird auch die angenommene Struktur [A & B]s (statt [Aø & Bs]) gerecht (vgl. hierzu Wälchli 2005: 60–62). 49 Quelle: , letzter Abruf am 03.05. 2018. 50 Quelle: , letzter Abruf am 03.05. 2018. 51 Die konkrete Suchanfrage lautet: [word!="der|die|das"] [pos="NE"] [word="und"] [pos= "NE" & lemma!=".+s" & word=".+s"].

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 287

aussortiert.52 Ebenso wurden Aufzählungen, die mehr als zwei Possessoren enthalten, präpositional regierte Koordinationen und Belege, bei denen ein Name mit Artikel auftritt, nicht gewertet. Somit blieben 2.030 Belege mit enger Koordination übrig. Unabhängig vom Vorkommen von -s zeigt sich, dass die hier interessierenden PersN, die noch einmal in Ruf- und FamN unterteilt wurden, insgesamt nicht einmal halb so häufig in engen Koordinationen vorkommen wie Toponyme (vorrangig StädteN, LänderN und KontinentenN). Wie Tabelle 31 zeigt, kommen Waren- und Firmennamen so gut wie gar nicht als koordinierte Possessoren vor. Tab. 31: Das Vorkommen verschiedener onymischer Koordinationen nach Namenklasse und Stellung

RufN

FamN

Toponyme

Ergonyme

gemischt

gesamt

pränominal

247 (79,7%)

111 (33,5%)

43 (3,1%)

4

6

411

postnominal

63 (20,3%)

220 (66,5%)

1.341 (96,9%)

0

4

1.628

gesamt

310

331

1.384

4

10

2.039

Was die Stellung der unterschiedlichen Possessoren betrifft, so macht sich der Faktor Belebtheit in Kombination mit der syntaktischen Schwere bemerkbar: Während die maximal belebten RufN zu 80 % präponiert vorkommen, stehen nur 3 % der koordinierten Toponyme vor ihrem Bezugswort. FamN nehmen eine Zwischenposition ein. Hier zeigt sich, wie die in Kap. 5.2.3 diskutierten Faktoren, die die Stellungsasymmetrie bei Possessivkonstruktionen steuern, miteinander interagieren. Eine sehr hohe Position auf der Belebtheitshierarchie scheint höher gerankt zu sein als der die Poststellung fördernde Faktor syntaktisches Gewicht, das bei allen Koordinationen identisch ist. Bei geringerer Be-

|| 52 Ein Beispiel für eine ambige Struktur wäre folgende: die beiden spielten oft zusammen mit Constanze und Dominiks kleiner Schwester Kira drüben in der Simlane. Hier kann auch im (syntaktischen) Kontext nicht entschieden werden, ob der erste Name Constanze Teil der Possessorphrase ist.

288 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

lebtheit wird der syntaktische Faktor höher gerankt und führt zu vermehrter Postponierung. Ein Blick auf die s-Markierung der beiden onymischen Konjunkte zeigt, dass auch hier ein Belebtheitseffekt zu erkennen ist. Die Daten in Tabelle 32 zeigen, dass bei zwei koordinierten präponierten EN-Possessoren im Schriftsprachlichen zwar immer die Doppelmarkierung überwiegt, je nach Belebtheit des Possessors (i. w. S.) aber auch recht frequent nur der rechte Rand markiert sein kann: Handelt es sich bei den zwei Konjunkten um RufN, so ist bei fast einem Viertel der Belege (23,5 %) ein Abweichen von der sonst üblichen Doppelmarkierung zu beobachten; bei toponymischen Possessoren findet sich dieses Muster nur bei 11,6 % der Belege. FamN nehmen mit 16,2 % einmaliger Randmarkierung wieder eine Zwischenposition ein. Die Belege in (153) geben für die eben besprochenen Fälle je ein exemplarisches Beispiel. (153)

a. RufN: Bill und Lisas neue Interviewsendung c. FamN: Hölderlin und Nietzsches Schicksal b. Toponym: Iran und Iraks Ölmilliarden [alle DECOW2012-00]

Tab. 32: Die s-Markierung bei zwei koordinierten EN-Possessoren nach Namenklasse und Stellung

PRÄSTELLUNG

POSTSTELLUNG

Markierung

Markierung

einmal

doppelt

n

einmal

doppelt

n

Rufnamen

23,5%

76,5%

247

6,3%

93,7%

63

Familiennamen

16,2%

83,8%

111

0,5%

99,5%

220

Toponyme

11,6%

88,4%

43

1,0%

99,0%

1.341

Neben dem Belebtheitseffekt zeigt sich auch ein Einfluss der Stellung der engen Koordination auf die Markierung der Konjunkte. Befindet sich der Possessor hinter dem Possessum, so ist die Doppelmarkierung nahezu obligatorisch. Unter den wenigen RufN-Belegen in Poststellung finden sich zwar 4 Belege mit einmaliger Markierung am rechten Konjunkt, hier handelt es sich aber in allen vier Fällen um die Paarformel Adam und Eva, die eine recht fixe Einheit zu sein scheint.

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 289

Die Korpusdaten sprechen zusammenfassend dafür, dass das -s bei engen Koordinationen, die als pränominale Possessoren auftreten, durchaus als phrasaler Marker verwendet werden kann, auch wenn Doppelmarkierung (noch) der Default ist. Ein ganz ähnliches Ergebnis liefern die anhand einer kleinen Befragung im Lückentext-Design gewonnenen Daten zur s-Markierung zweier koordinierter präponierter RufN. Die zusätzliche Erhebung von Sprachdaten mittels Fragebogen erlaubt es, gezielt Belege für eine Namenklasse in einem spezifischen Kontext zu elizitieren. So wurden zum einen nur die hier im Fokus stehenden PersN – konkret: RufN – abgefragt, zum anderen wurde bei der Konzeption der Testitems darauf geachtet, dass die Namen immer einen kollektiven Possessor bilden, was bei der Korpusrecherche nicht eingegrenzt werden konnte. Der Fragebogen bestand aus sieben Testitems mit possessivem Kontext und neun Fillersätzen. Die ProbandInnen wurden gebeten, die Lücken in diesen Sätzen mit einem von vier möglichen Namenpaaren – z. B. Ulla und Anne, Jakob und Karin –, die in einer Box zur Auswahl geboten wurden, auszufüllen, wobei alle einzusetzenden Elemente morphosyntaktisch an den jeweiligen Kontext angepasst werden sollten.53 In (154) ist ein Beispiel für einen Testsatz gegeben. (154)

Ich habe vorhin________________________ Verlobungsringe bestaunt.

Das Ziel der Fragebogenerhebung war den ProbandInnen nicht klar, da der Fragebogen so konzipiert war, als handle es sich um eine genderlinguistische Untersuchung, bei der es um die Auswahl der männlichen und weiblichen Namen bzw. Personenbezeichnungen in Abhängigkeit vom Kontext ging. An der Fragebogenuntersuchung haben 28 Erstsemesterstudierende mit deutscher Muttersprache teilgenommen (w= 19, m= 9, Durchschnittsalter= 22,2), die insgesamt 176 auswertbare Possessivphrasen generiert haben. Die Auswertung dieser Phrasen zeigt, dass die in Tabelle 33 wiedergegebenen Ergebnisse der Fragebogenerhebung in etwa die Befunde der Korpusuntersuchung widerspiegeln, und dass auch hier hinsichtlich der s-Markierung bei zwei koordinierten Possessoren große Variation herrscht. Auch bei den elizitierten Daten überwiegen die Belege, die Doppelmarkierung aufweisen, mit 61,4 %.

|| 53 Neben den Namenpaaren wurden auch vier appellativische Wortpaare wie Managerin und Angestellter als Filler zur Auswahl geboten. Diese können im Deutschen nicht die pränominale Possessorposition einnehmen, konnten jedoch in den Fillersätzen verwendet werden. Sie dienten zur Verschleierung der eigentlichen Fragestellung. Der gesamte Fragebogen befindet sich in Anhang CII.

290 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Doch die anhand des Fragebogentests gewonnenen geschriebensprachlichen Daten enthalten mit 38,6 % noch einmal einen höheren Anteil an Belegen mit einmaliger Markierung des rechten Konjunkts. Tab. 33: Die s-Markierung bei zwei koordinierten RufN-Possessoren im Lückentext

einmalige Markierung

Doppelmarkierung

insgesamt

38,6%

(68)

61,4%

(108)

davon mit Apostroph

17,6%

(12)

6,5%

(7)

Hier ist besonders die graphische Repräsentation des -s interessant, da es bei einmaliger Markierung in 17,6 % der Fälle mit einem morphographischen Apostroph abgegrenzt wird. Bei Doppelmarkierung werden die beiden -s nur in 6,5 % der Fälle und somit signifikant seltener durch einen Apostroph vom Namen abgegrenzt (2 (1) = 4,30, p < 0,038*,  = 0,17). Die größere Ungebundenheit des einmaligen invarianten Phrasenmarkers (im Gegensatz zum Genitivflexiv) wird also auch hier durch die Verwendung von Apostrophen graphematisch angezeigt.

5.3.3 Das Flexionsverhalten komplexer Personennamen Als letzter wesentlicher Schritt bei der Entwicklung des possessiven -s zu einem invarianten Phrasenmarker wird das Auftreten von -s am rechten Rand der Possessorphrase gesehen, wobei das am weitesten rechts stehende Element nicht unbedingt der Kopf sein muss. Wie in Kap. 5.2.1 erwähnt wurde, weisen die ersten Belege für postnominale Modifikation in englischen Texten aus dem späten 14. Jh. Possessoren auf, die als Titel und somit mehrteilige EN betrachtet werden können. Allen (2003: 11) nimmt daher an, dass gerade solche komplexen Namen der Ausgangspunkt für die Entwicklung von Postmod-Poss gewesen sein können. Im Gegenwartsdeutschen lässt sich aktuell Variation hinsichtlich der s-Markierung bei solchen komplexen titelartigen PersN mit der Struktur [RufN + Postmodifikation] beobachten, wobei die Postmodifikation aus einem via Präposition eingeleiteten (mittelalterlichen) Namenzusatz vom Typ von der Vogelweide besteht. Da es sich bei dem BeiN nicht um einen fixen FamN, sondern um einen beschreibenden historischen Namenzusatz handelt, der sich auf die Herkunft des Namenträgers bezieht (siehe hierzu auch Kap. 3), wird die Postmodifikation laut Duden-Grammatik (92016: 999–1000) wie ein Lokalattri-

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 291

but behandelt, was bedeutet, dass der (letzte) RufN flektiert wird (155a).54 Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass bei Unsicherheit bezüglich des Status des Namenzusatzes und gerade bei Voranstellung des mehrteiligen Namens eine Abweichung von diesem Muster zu finden ist und nur der letzte Namenbestandteil – also der BeiN – das -s trägt (155b), wie es auch bei Namen der Fall ist, bei denen die von-Phrase Teil des FamN ist (155c). (155)

a. Walther-s von der Vogelweide-Ø Gedichte b. Walther-Ø von der Vogelweide-s Gedichte c. Heinrich-Ø von Kleist-s Werke

Um die Einschätzung, dass bei RufN+BeiN-Verbindungen aktuell auch nur der am weitesten rechts stehende Namenteil das -s tragen kann, empirisch zu überprüfen, wurden drei mittelalterliche Namen dieses Typs (Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue) in DECOW2012 auf ihre Verwendung hin überprüft. Die Suche nach diesen Namen mit jeweils smarkiertem Ruf- oder BeiN in allen Teilkorpora ergab insgesamt 467 Belege für artikellose GesamtN in adnominalen Possessivkonstruktionen.55 Schaut man sich das Verhalten bei Prä- vs. Poststellung an, das in Tabelle 34 wiedergegeben ist, so fällt auf, dass bei Voranstellung des komplexen Possessors mit 72,2 % eindeutig die alleinige Markierung des rechts stehenden BeiN überwiegt. Bei Poststellung, die insgesamt überwiegt, ist es genau andersherum (88,1 % RufNMarkierung). Ein Chi-Quadrat-Test zeigt, dass dieser Unterschied hoch signifikant ist (2 (1) = 173,66, p < 0,001***,  = 0,61). Tab. 34: Die s-Markierung bei komplexen PersN-Possessoren nach Stellung in DECOW2012

RufN Hartmanns von Aue

BeiN Hartmann von Aues

n

pränominal

27,8%

72,2%

176

postnominal

88,1%

11,9%

293

|| 54 Diese Flexion galt im 18. Jh. auch für Adelsnamen vom Typ August Carl von Bredow (vgl. Stutz 1790: 130). 55 Ein adverbaler und ein adpräpositionaler Beleg wurden nicht gewertet, ebenso wie ein Beleg mit Doppelmarkierung, der als Vertipper gewertet werden kann.

292 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Die Daten sprechen nun dafür, dass sich die prä- und die postnominale Possessiv-Konstruktion unterscheiden, indem Letztere zu konservativerem Verhalten tendiert. Bemerkenswert sind die hohen Werte für die Markierung des rechten Rands bei Prästellung vor allem auch deshalb, weil davon auszugehen ist, dass die SchreiberInnen mit der Konvention, den RufN zu markieren, vertraut sind, aber dennoch den BeiN markieren.56 Zifonun (2001) kommt auf der Basis einer Fragebogenerhebung unter KollegInnen zu verblüffend ähnlichen Ergebnissen: 72 % der InformandInnen finden die Markierung des rechten Rands akzeptabel, wenn der komplexe Possessor vor dem Bezugsnomen steht. Auch die 28 Erstsemesterstudierenden, die neben dem Lückentexttest auch einen Akzeptabilitätstest (mit within subject-Design, d. h. jede Testperson hat beide Varianten bewertet) ausgefüllt haben, finden die Markierung des BeiN akzeptabler als die Markierung des RufN, sprich des eigentlichen Kopfs der Konstruktion.57 Die Abfrage via Akzeptabilitätstest hat nun auch erlaubt, Bewertungen für komplexe Possessoren einzuholen, die nicht als onymische Einheit gesehen werden können. So habe ich – in Anlehnung an Zifonun (2001) – auch pränominale Possessornomen mit Postmodifikation via Präpositionalattribut abgefragt (Typ: Konrad aus Berlin). Die in Tabelle 35 wiedergegebenen Ergebnisse zeigen, dass die Markierung des rechten Rands im Gegenwartsdeutschen nur akzeptabel zu sein scheint, wenn die Postmodifikation zumindest namenähnlichen Status hat bzw. der Possessor als mehrteiliger EN aufgefasst werden kann, wie bei Wolfram von Eschenbach. Handelt es sich bei der Postmodifikation um ein Attribut, das nicht als Teil des EN interpretiert werden kann (wie bei Konrad aus Berlin), so kann der Possessor generell nicht vor dem Bezugsnomen auftreten. Die s-Markierung des Kopfs wird dabei jedoch signifikant schlechter bewertet als die Markierung des rechten Rands (p < 0,001***).

|| 56 Für ein höheres Normbewusstsein der SchreiberInnen spricht auch die Tatsache, dass der Apostroph hier nur bei zwei Belegen zu finden ist: einmal bei pränominaler RufN-Markierung, einmal bei BeiN-Markierung. 57 Während bei Zifonun (2001) die Antwortoptionen von „voll akzeptabel“ über „geht einigermaßen“ bis hin zu „fragwürdig“ und „unakzeptabel“ reichen, liegt meiner Erhebung eine 7er-Skala mit 1 = „völlig unakzeptabel“ und 7 = „völlig akzeptabel“ zugrunde. Ein WilcoxonTest zeigt, dass der Unterschied in der Bewertung der RufN- vs. BeiN-Flexion signifikant ist (p < 0,001***).

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 293

Tab. 35: Die Akzeptanz pränominaler Possessoren mit Postmodifikation

Zifonun (2001) | n = 53

eigene Umfrage | n = 28

s-Markierung

voll akzeptabel/ okay

1 = völlig unakzeptabel 7 = voll akzeptabel

BeiN Walther von der Vogelweides Gedichte

72%

4,79

RufN Walthers von der Vogelweide Gedichte

19%

2,75

Präp-Attribut Anna aus Berlins Sprache

8%

1,8

RufN Annas aus Berlin Sprache

4%

1,1

Anhand der hier diskutierten Daten wird deutlich, dass das -s im heutigen Deutschen nicht so ungebunden ist, wie sein Pendant im Gegenwartsenglischen oder -schwedischen, wo -s nicht am Kopf der Possessorphrase und nicht einmal an einem Substantiv auftreten muss. Es bleibt abzuwarten, ob die Markierung des rechten Rands bei komplexen EN, die schon als akzeptabel gewertet werden kann, den Weg für postmodifizierte Possessoren – wie in der Geschichte des Englischen – ebnet.

5.3.4 Neue Possessivkonstruktionen Wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, ist „echte“ Postmodifikation des pränominalen Possessornomens im Gegenwartsdeutschen nicht zulässig. Eine neuere Entwicklung im informellen Substandard spricht jedoch dafür, dass die Restriktion für die Possessorposition dahingehend gelockert wird, dass Determinierer und Nomen kookkurrieren können. Bei dieser neuen – und im Standarddeutschen bislang keineswegs voll grammatischen – Possessorkonstruktion, die unlängst von Fuß (2011: 38) und Scott (2011: 63–64; 2014: 284–292) beschrieben wurde, tritt das -s zwar an den Kopf der Phrase, aber dieser muss kein EN sein, sondern kann auch ein Nomen mit beliebigem Genus sein, das von einem possessiven Determinierer begleitet wird (156). (156)

Das Handy ist in mein Bruders Besitz übergegangen

[DECOW2014A]

294 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Laut Scott (2011: 64) unterliegen diese erweiterten possessiven s-Konstruktionen einer semantischen Beschränkung, indem das Kopfnomen der Possessorphrase ein Familienmitglied oder eine dem/der SchreiberIn/SprecherIn nahestehende Person denotieren muss. Auch Fuß (2011:38) macht die Einschränkung, dass es sich um eine Verwandtschaftsbezeichnung – wenn auch im weitesten Sinne – handeln und das Possessornomen das Merkmal [+ menschlich] aufweisen muss, was auch für die prototypischsten pränominalen Possessoren – die PersN – gilt. Eine Einschränkung bezüglich des Registers, die für einfache onymische Possessoren nicht gilt, ist, dass das Phänomen auf mündliche und informelle Online-Kommunikation – wie z. B. in Chat-Foren – beschränkt ist. Scott (2014: 284– 285) gibt die hier in (157) übersetzt wiedergegebene Definition für einfache sowie aktuell aufkommende erweiterte possessive s-Konstruktionen (drittes Kriterium): (157)

[[[NPPossessor] s] [NPPossessum]] NPPossessor = ein EN mit beliebigem Genus (inklusive als EN gebrauchte Verwandtschaftsbezeichnungen) NPPossessor kann Postmodifikation des Kopfnomens beinhalten, wenn die gesamte Phrase als Einheit etabliert ist NPPossessor kann ein dem Kopfnomen vorausgehendes flektierbares Lexem enthalten (ein Determinierer oder ein Adjektiv), wenn die Konstruktion in informeller Online-Kommunikation genutzt wird und die gesamte Phrase als Einheit etab liert ist 'NPPossessor besitzt NPPossessum (im weitesten Sinne)'

Hinsichtlich der Flexion des Possessivartikels herrscht große Variation, da er entweder nur mit dem Possessornomen (158a), gleichzeitig mit dem Possessorund dem Possessumnomen (158b) oder – was weniger frequent zu sein scheint – mit dem Kopfnomen der Possessumphrase kongruieren kann (158c). Obwohl die mein(e/m/n/r) Xs-Phrase nicht unzugänglich für die Syntax ist, erhält der maskuline oder neutrale Determinierer keine Possessivmarkierung, was bei genitivischer Verwendung in Poststellung der Fall wäre (der Garten meines Freunds). (158)

a. bei mein-er Mama-s Garten b. mein Freund-s Vater c. mit mein-en Bruder-s Daten

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 295

Scott (2014: 287) führt diese Variation darauf zurück, dass die erweiterten Possessoren neu und noch nicht im Sprachgebrauch etabliert sind. Die sich in großer Variation widerspiegelnde Unsicherheit der SprachverwenderInnen, die durch die im Deutschen noch intakte Genus- und Kasuskongruenz bedingt ist, dürfte dafür verantwortlich sein, dass sich die erweiterte Possessivkonstruktion – im Gegensatz zum Englischen – (noch) nicht im Standarddeutschen durchgesetzt hat. Scott (2014: 284–292) versucht nun zu zeigen, dass Verwandtschaftsbezeichnungen (i. w. S.) in Kombination mit dem Possessivartikel mein im Geschriebenen weitaus häufiger als komplexe Possessoren erscheinen, als man vermuten würde. Leider sind anhand seiner Daten jedoch keine quantitativen Aussagen zur Frequenz der erweiterten possessiven s-Konstruktion ableitbar, da die Belege via google.de ermittelt wurden. Eine Recherche in DECOW2014A – der zweiten und somit aktuelleren Generation des Webkorpus DECOW (vgl. Schäfer 2015), das über 20 Milliarden Tokens umfasst – zeigt, dass die Konstruktion selbst in einem Webkorpus mit vergleichsweise hohem Anteil an quasispontansprachlichen Daten und Blogmix (über 30 %) ein äußerst marginales Phänomen darstellt. Eine Suche nach der Abfolge des Lemmas mein und einem beliebigen Nomen im gesamten Korpus liefert lediglich 472 Belege für die erweiterte pränominale Possessivkonstruktion.58 Als Vergleichswert sei hier angeführt, dass die Suche nach der postnominalen Genitivkonstruktion nur mit neutralem oder maskulinem s-markierten Substantiv im Singular ([pos=''NN'' word=''meines'' pos=''NN'']) 59 in lediglich einem Subkorpus mit ca. 1 Milliarde Tokens (DECOW2014A-01) demgegenüber 24.715 Treffer ergab. Nichtsdestotrotz bestätigen die Befunde Scotts (2014: 284–292) anhand der google-Daten gewonnene Erkenntnisse: Der Possessor muss belebt sein und auf ein Familienmitglied (wie z. B. Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Schwester, Oma, Opa) oder eine vertraute Person (wie z. B. Kumpel, Freund, Freundin, Nachbar, Chef) – oder

|| 58 Konkret wurde nach dem Lemma mein gesucht (wobei die eindeutig genitivische m./n. Sg.Form meines ausgeschlossen wurde), das einem beliebigen, nicht auf -s auslautenden, aber auf -s endenden Nomen vorausgeht, welches wiederum von einem beliebigen Nomen gefolgt wird: [lemma="mein" & word!=".+s"] [pos="NE|NN" & lemma!=".+s" & word=".+'s|.+´s|.+`s|.+s"] [pos="NN"]. Da diese Anfrage zahlreiche Fehlbelege (wie z. B. weil meine Chefs Lust darauf haben) nicht ausschließt, wurden die nahezu 60.000 Treffer, die die Anfrage ergab, manuell durchgesehen. 59 Feminine und pluralische Substantive wurden nicht miteinbezogen, da der Possessivartikel meiner nicht eindeutig genitivisch ist und Dativobjekte vom Typ weil Schokolade meiner Schwester besser schmeckt als Gemüse via Suchanfrage nicht automatisch ausgeschlossen werden können.

296 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

selten auch ein Tier (Hund, Katze etc.) – referieren. Hinsichtlich der Flexion des Possessivartikels herrscht auch bei den DECOW2014A-Daten große Variation. Die Entstehung der sich gerade erst entwickelnden erweiterten possessiven s-Konstruktion wird nun von Scott (2011, 2014) wie folgt interpretiert: Through repetition, a noun phrase with the structure [possessive determiner + acquaintance noun] can become entrenched as a name for a particular referent. Once a noun phrase such as mein Vater 'my father' or meine Mutter 'my mother' (or, for that matter, mein Chef 'my boss' or meine Lehrerin 'my teacher.FEMALE') has been used sufficiently often to denote a particular individual, it is treated as a name (or, at least, as an element close in nature to a name) for that individual. (Scott 2014: 290)

Diese Interpretation erklärt nun aber nicht, warum Phrasen wie meine Mutter in Abhängigkeit von ihrer syntaktischen Position als Namen analysiert werden sollten, sprich, warum sie in pränominalen possessiven s-Konstruktionen als komplexe EN interpretiert werden sollten und in postnominalen Genitivphrasen weiterhin reguläre DPs/NPs darstellen. Für mich erscheint eine Analyse plausibler, die das Auftreten dieser Konstruktion damit erklärt, dass durch die Reanalyse des -s vom Genitivflexiv zum Possessivmarker die Selektionsbeschränkungen für die pränominale Possessorposition gelockert wurden (vgl. Fuß 2011:38) und nun auch komplexere Possessoren die Position vor dem Possessum besetzen können. Nachdem das -s im Deklinationsparadigma der EN zum überstabilen Marker wurde, entwickelt es sich nun vom kongruierenden Flexiv in Richtung eines einmaligen Markers, der nur den Kopf der komplexen Possessorphrase markiert. Während zu Beginn der Entwicklung erst einmal nur (teil-)onymische Possessoren wie enge Koordinationen oder Appositionen möglich sind, bei denen zunehmend nur der rechte Rand das -s trägt, können davon ausgehend aktuell im Substandard auch nicht-onymische komplexere Elemente den Possessor-Slot ausfüllen. Diese müssen gegenwärtig jedoch auf [+ menschliche] Entitäten referieren, was wiederum die in Kap. 5.2.3 beschriebene cross-linguistische Tendenz widerspiegelt, der zufolge belebte Possessoren präferiert dem Possessum vorausgehen. Belege aus Online-Diskussionsforen mit [- menschlichen] und sogar [- belebten] Possessoren deuten an, dass der Gebrauch der erweiterten possessiven s-Konstruktion auch hinsichtlich der Semantik eine Lockerung erfahren könnte. (159)

mein kater nuckelt an meine katzes hals und alles is klitschenass60

(160)

mein Handys Bildschirm ist 3-mal beschädigt worden61

|| 60 Quelle: , letzter Abruf am 03.05.2018.

Possessives -s im Deutschen: Empirische Befunde zu den Entwicklungsstufen | 297

Da es sich bei den erweiterten possessiven s-Konstruktionen aktuell um ein recht marginales substandardsprachliches Phänomen handelt, das auf gewisse Register beschränkt ist und von deutschen MuttersprachlerInnen sicher nicht als voll grammatisch eingestuft wird, soll es hier nicht überbewertet werden. Wie auch Scott (2014: 292) anmerkt, ist das possessive -s in den in diesem Kapitel besprochenen erweiterten Konstruktionen ohnehin nicht mehr oder weniger klitisch als das -s der prototypischen onymischen Possessoren, da es auch hier der (nominale) Kopf der Phrase sein muss, der das am weitesten rechts stehende und somit s-markierte Element ist. Der letzte Schritt, bei dem das -s unabhängig von der Wortart den rechten Rand der Possessorphrase markieren kann, ist im Deutschen (noch?) nicht vollzogen worden. Ein weiterer neuer Typ possessiver s-Konstruktionen, der für das Deutsche meines Wissens noch nicht beschrieben wurde, besteht aus einem s-markierten pränominalen Indefinitpronomen wie z. B. jemands, das auf belebte Entitäten referiert, und einem Kopfnomen. Im Niederländischen sind solche Quantifizierer in possessiven s-Konstruktionen laut Booij (2010: 216) oder Scott (2014: 203) ebenfalls als Possessoren möglich. Diese monolexemischen Possessoren, wie in (161) exemplifiziert (alle DECOW2014), zeigen, dass das -s nicht ausschließlich an nominale Köpfe treten kann. (161)

a. Aber es gibt doch eigentlich niemanden der auf FB nicht irgendjemands Freund ist. b. …, dass ich irgendwems beste Freundin sein möchte … c. …, bevor ich mich über jemands grammatik lustig mache, muss echt was passieren *kopfschüttel* d. …, da Religion ja Privatsache sei und man niemands Gefühle verletzen dürfe.

Pronominale Possessoren dieses Typs sind jedoch – genau wie die eben diskutierten erweiterten Possessivkonstruktionen – auf informelle Sprache beschränkt und stellen ein recht niederfrequentes Phänomen dar. Eine Recherche nach den s-markierten Indefinitpronomina niemands, jemands, irgendjemands, irgendwems, irgendwens und irgendwers (inklusive Apostrophschreibweise, die

|| 61 Quelle: , letzter Abruf am 03.05.2018.

298 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

hier jedoch nicht vorkommt) im gesamten DECOW2014-Korpus lieferte insgesamt 527 Belege.

5.3.5 Zusammenfassung Die in den letzten Kapiteln diskutierten Daten haben gezeigt, dass sich das possessive -s im Deutschen später herausgebildet hat als sein Pendant im Niederländischen und vor allem im Englischen, weshalb es im Gebrauch stärker restringiert ist. Dieses konservativere Verhalten ist wiederum – bedingt durch das klammernde Verfahren, das sich durch die gesamte deutsche Syntax zieht – mit dem noch immer recht intakten Vier-Kasus-System in Verbindung zu bringen. Dennoch ist deutlich zu erkennen, dass der s-Marker auch im Deutschen einen Wandel vollzogen hat, der im Gegenwartsdeutschen weiter voranschreitet und für Variation sorgt. Die Entwicklungsstufen des -s auf dem Weg zu einem invarianten phrasalen Possessivmarker weisen in den germanischen Sprachen trotz zeitlicher Verzögerung große Parallelen auf. So konnte sich das überstabile -s im Deutschen innerhalb der EN-Deklination erst durchsetzen, als die anderen onymischen Kasusmarker im frühen Neuhochdeutschen abgebaut waren. Mit der Ausbreitung des -s auf alle onymischen Klassen – inklusive der Feminina – beginnt der Marker allerdings in echten genitivischen Kontexten (z. B. bei postponierten Genitivattributen mit Determinierer wie bei die Leiden des jungen Werther) zu schwinden. Auch die Doppelmarkierung in teilonymischen Mehrworteinheiten vom Typ König David wird beseitigt, wobei nur noch das am weitesten rechts stehende Element das -s aufweist. Im Gegenwartsdeutschen findet weitere syntagmatische Deflexion statt, indem aktuell ein Schwund des -s bei artikellosen verbal und präpositional regierten PersN zu beobachten ist. Des Weiteren findet zurzeit ein belebtheitsgesteuerter Wandel statt, in dessen Zuge die Doppelmarkierung bei zwei koordinierten Possessoren abgebaut wird. Vor allem bei zwei RufN, die einen kollektiven Possessor bilden, tritt das -s zum Teil schon nur noch am zweiten Konjunkt auf. Zur Markierung des rechten Rands gehen nun schließlich entgegen der Konvention auch komplexe PersN (RufN + BeiN) in pränominaler Possessorposition über. Aktuell entstehen zudem neue erweiterte possessive s-Konstruktionen, deren Vorkommen jedoch (noch) sehr restringiert ist. Trotz der Entwicklung des -s zu einem invarianten Marker, der innerhalb der Possessorphrase nur einmal auftritt, muss das am weitesten rechts stehende und somit s-markierte Element – anders als beispielsweise im Englischen oder Schwedischen – immer der nominale Kopf der Phrase sein. Die Postmodifikati-

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on des pränominalen Possessors ist im Deutschen nicht zulässig, doch auch im progressiven Englischen recht marginal (vgl. Denison, Scott & Börjars 2010). Abbildung 61 illustriert diese Entwicklungen.

Frühneuhochdeutsch (1350 – 1650)

-

paradigmatische Deflexion

frühes Neuhochdeutsch (1650 – 1950)

-

Marker immer am PossN -s wird zum überstabilen Marker Abbau der Doppelmarkierung in teilonymischen Mehrworteinheiten syntagmatische Deflexion: s-Wegfall bei EN in postnominalen Genitivphrasen

-

Gegenwartsdeutsch

-

-

-

Marker gewöhnlich am PossN (aber Möglichkeit der Markierung des rechten Rands bei komplexen PersN) weitere syntagmatische Deflexion: s-Wegfall bei EN in adverbalen und adpräpositionalen Phrasen variable Markierung bei enger Koordination Aufkommen von neuen erweiterten possessiven s-Konstruktionen (mit nicht-onymischen PossN)

Status von -s

Genitivflexiv

Entwicklung

invarianter Marker

Zeitstufe

Abb. 61: Die Entwicklung des possessiven -s im Deutschen vom Genitivflexiv zum invarianten phrasalen Marker

Im nächsten Kapitel soll nun – basierend auf diesen empirischen Erkenntnissen – der theoretische Status des -s diskutiert werden. Dabei werden vor allem auch die wandeltheoretischen Implikationen näher beleuchtet.

300 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

5.4 Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen Der grammatische Status des -s ist für das Englische und das Festlandskandinavische ebenso viel diskutiert wie umstritten (siehe für das Englische z. B. Carstairs 1987, Zwicky 1987, 1988, Rosenbach 2004, Anderson 2005, 2008, 2013, Payne 2011, Börjars et al. 2013, für festlandskandinavische Sprachen beispielsweise Herslund 2001, Börjars 2003, Askedal 2003, 2008, Norde 1997, 2006, 2009). Der Umstand, dass dem -s im Gegensatz zu den alternativen Possessivkonstruktionen in der Literatur so viel Aufmerksamkeit zuteilwurde, liegt laut Rosenbach (2014: 234–235) daran, dass der Status dieses Markers von besonderer theoretischer Relevanz ist. So wird die angenommene Entwicklung des einstigen Genitivflexivs zu einem klitischen Possessivmarker gerne als Gegenbeispiel für die der Grammatikalisierungstheorie zugrundeliegende Unidirektionalitätshypothese und somit als ein Beispiel von Degrammatikalisierung bzw. Deflexivierung gesehen. Gelegentlich findet sich auch die Annahme, es handle sich bei dem Wandel um einen Fall von Exaptation.

5.4.1 Der grammatische Status von -s Wie in Kap. 5.2.1 gesagt, nimmt man für das besonders progressive Englische (und das Festlandskandinavische) häufig eine dreistufige Entwicklung an, wobei die einzelnen Stufen natürlich nicht so klar voneinander abgegrenzt werden können, wie eine schematische Einteilung es suggeriert. In Stufe 1 ist das -s noch ein eindeutiges paradigmatisches Genitivallomorph, das in Stufe 2 dann zu einem Phrasenmarker mit weiterhin flexivischen Eigenschaften wird. Die zweite Stufe zeichnet sich also dadurch aus, dass das -s innerhalb der Phrase nur noch einmal auftritt und Kongruenz abgebaut wird, das -s aber nur an nominale Köpfe treten kann. Die 3. Stufe ist erreicht, wenn das -s nicht mehr an den nominalen Kopf der Phrase treten muss, sondern unabhängig von der Wortart des am weitesten rechts stehenden Elements den Phrasenrand markiert. Im Deutschen ist dieser letzte Schritt wie gezeigt noch nicht eingetreten. Die in Kap. 5.3 diskutierten Daten zur possessiven s-Konstruktion im Deutschen haben dennoch gezeigt, dass das einstige Genitivflexiv in den letzten Jahrhunderten einen tiefgreifenden morphologischen Wandel durchgemacht hat. Im Vergleich zum Englischen oder Schwedischen könnte man sagen, dass sich das deutsche -s gegenwärtig hin zu Stufe 2 entwickelt und somit auf einem angenomme-

Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen | 301

nen Affix-Klitikon-Kontinuum zwar noch eher am Affixpol anzusiedeln ist, jedoch sukzessive immer mehr klitische Eigenschaften hinzugewinnt. Für eine feinere synchrone und diachrone Unterscheidung zwischen Affixen und (speziellen) Klitika sollen nun die von Zwicky & Pullum (1983) aufgestellten Kriterien herangezogen werden, die bereits von Norde (2006, 2009) für das Schwedische -s diskutiert wurden und hier auf das Deutsche angewendet werden sollen.62 Dabei geht es vor allem darum, die Dynamik und Direktionalität der graduellen Entwicklung aufzuzeigen. Basierend auf Zwicky (1977) wird grob zwischen einfachen und speziellen Klitika unterschieden. Während erstere reduzierte, nicht betonbare Formen von Wörtern sind, die dieselbe syntaktische Distribution aufweisen wie die korrespondierenden Vollformen (z. B. ’s < is im Englischen, ’s < es im Deutschen), gehen spezielle Klitika meist auf keine betonbare Vollform zurück63 und sind syntaktisch freier als einfache Klitika (vgl. z. B. Anderson 2005: 10).64 Wenn hinsichtlich des possessiven -s im Englischen oder Festlandskandinavischen von einem Klitikon gesprochen wird, dann ist per Definition immer ein spezielles Klitikon gemeint. Nübling (1992: 24–34) schlägt vor, die speziellen Klitika hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Distributionsregeln noch einmal in syntaktisch (S-Klitika) und morphologisch (M-Klitika) distribuierte Klitika zu unterteilen, wobei erstere eigenen syntaktischen Regeln folgen – wie z. B. das possessive -s im Englischen – und Letztere „einen erhöhten Grad an morphologischer Selektivität gegenüber der Wortart der Basis“ aufweisen (Nübling 1992: 24), was laut Nübling (1992: 32–33, 107–112) beispielsweise für die englische Negationspartikel n’t gilt, die sich nur mit finiten Hilfs- und Modalverben verbindet.65 Kommen wir nun zu den viel zitierten sechs Kriterien, die von Zwicky & Pullum (1983) für die Affix-Klitikon-Distinktion aufgestellt wurden. Das erste dieser

|| 62 Norde (2006: 214) merkt an, dass vier der sechs Kriterien, die Zwicky & Pullum (1983) aufstellen, eher geeignet sind, um den Affixstatus eines Elements zu bestimmen und nur zwei der Kriterien dafür geeignet sind, um positiv eindeutig Klitikstatus zu identifizieren. Da hier ohnehin nicht von einer klaren Affix-Klitikon-Dichotomie, sondern eher von einem Kontinuum ohne klar auszumachende Grenzen ausgegangen wird, können die Kriterien dennoch dabei helfen, das -s eher in Richtung Affix- oder Klitikonpol zu verorten. 63 Die englische Negationspartikel n’t stellt ein Beispiel für ein spezielles Klitikon mit Vollform dar. 64 Natürlich existiert eine Reihe unterschiedlicher Einteilungen mit diverser Terminologie. Für einen recht aktuellen Überblick sei auf Spencer & Luís (2012) verwiesen. 65 Laut Zwicky & Pullum (1983), die keine Unterscheidung zwischen S- und M-Klitika machen, ist n’t hingegen als Flexiv zu werten.

302 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Kriterien betrifft die Selektionsbeschränkungen, denen das in Frage stehende Element unterliegt. Dabei wird angenommen, dass Klitika geringen Selektionsbeschränkungen hinsichtlich der Basis, an die sie herantreten, unterliegen, wohingegen Affixe hinsichtlich des Stamms großen Selektionsbeschränkungen unterliegen. Zum Beispiel tritt im Deutschen das Genitiv-es/-s nur an Maskulina und Neutra im Singular. Wie gesagt, galt diese +/- Femininum-Divergenz bis ins 18. Jh. auch im onymischen Bereich, wurde mit der Entwicklung des -s zum überstabilen Marker jedoch aufgehoben, indem sich -s auf alle Paradigmen ausgebreitet hat. Lediglich bei auf /s/ endenden Namen wird es aus rein phonologischen Gründen unterdrückt. Aktuell geht das -s in erweiterten Possessivkonstruktionen gelegentlich auch auf feminine nicht-EN über (meine Schwesters Freundin). Allerdings ist der Marker im Deutschen auf nominale Possessorköpfe beschränkt und tritt nicht an nicht-nominale Wörter wie z. B. Numeralia, Adverbien oder Präpositionen.66 Anhand des Selektions-Kriteriums ist das possessive -s im Deutschen zwar eher als Affix, jedoch – und vor allem im Vergleich zu den genitivischen Flexiven -es/-s/-(e)n(s) – als eines mit gelockerten Selektionsbeschränkungen zu sehen. Das zweite Kriterium betrifft das Auftreten arbiträrer Lücken innerhalb eines Paradigmas. So heißt es bei Zwicky & Pullum (1983: 504): „Arbitrary gaps in the set of combinations are more characteristic of affixed words than of clitic groups“. Laut Nübling (1992: 83) ist diese Feststellung jedoch unzutreffend und trifft eher für Flexionsabbau und nicht für intakte prototypische Flexion zu, für die lückenlose Paradigmatizität gilt. Da das Kriterium ohnehin keine klaren Aussagen darüber erlaubt, inwiefern solche paradigmatischen Lücken eine Voraussetzung für Flexivstatus sind oder ob ihr Fehlen Klitikstatus impliziert, hilft es hinsichtlich der Bestimmung des Status von -s nicht weiter (vgl. Norde 2006: 218). Ein anderer Aspekt, den Nübling (1992: 83) hinsichtlich des Faktors Paradigmatizität nennt, ist, dass unterschiedliche Flexionsklassen eine typische – wenn auch nicht zwingende – Erscheinung der Flexion sind, bei der Klise jedoch nicht zu finden sind. Die Invarianz des possessiven -s, die beim Genitiv, dessen flexivische Ausprägung sich nach der Deklinationsklasse richtet, nicht in dieser Form gegeben ist, spricht somit eher gegen vollflexivischen Status.

|| 66 Völlig frei ist das possessive -s jedoch auch im Englischen oder Festlandskandinavischen nicht (vgl. z. B. Norde 2006: 216–218). Die Tatsache, dass das -s im Schwedischen nicht an Pronomina der 1. Person Singular oder Nomina mit s-Plural treten kann, wird gelegentlich als Gegenargument für eine Klitikonanalyse gewertet (vgl. Börjars 2003). Für eine aktuelle Diskussion zum Status des -s im Englischen – bei der Pronomina und s-Plurale auch eine große Rolle spielen – siehe Anderson (2013) und die dort zitierte Literatur.

Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen | 303

Als drittes Kriterium werden von Zwicky & Pullum (1983) morphophonologische Idiosynkrasien genannt, die charakteristischer für flexivisch markierte Wörter als für via Klitikon markierte Elemente sein sollen. Als Paradebeispiel für Flexionsaffixe, die aufgrund ihrer Phonologie Stammmodulation bewirken, gelten die ahd. umlautauslösenden /i/-haltigen Suffixe (ahd. i-Umlaut). Durch regressive partielle Fernassimilation erfolgt hier eine Palatalisierung des Stammvokals: gast-i > gest-i 'Gäste' (vgl. einführend hierzu Wegera & Waldenberger 2012: 100–102). Die Betrachtung der noch im 18. Jh. gängigen onymischen Genitivflexive in Kap. 4.1.4.1 hat gezeigt, dass die silbischen Endungen -en und -ens bei vokalisch auslautenden Namen den Stammvokal affiziert haben (AnnaNOM, AnnensGEN) und bei solchen mit stimmhaftem Obstruenten im Auslaut zu einer Aufhebung der Neutralisierung und einer Resilbifizierung geführt haben (Ferdinan[t]NOM, Ferdinan[d]enGEN). Das invariante -s führt hingegen zu keiner phonologischen Affizierung des Stamms, da es immer nur – im Gegensatz zum mhd. Genitivflexiv der starken maskulinen Deklination – unsilbisch vorkommt, was wiederum seinen Erfolg erklärt. Die Tatsache, dass auch andere periphere Substantive wie nicht integrierte Fremdwörter oder Kurzwörter im Genitiv nie das silbische -es erhalten (*des Shitstormes, *des BMIes) zeigt, dass diese Entwicklung vor allem dem Prinzip der morphologischen Schemakonstanz anstatt einem Drift in Richtung Klitikon zuzuschreiben ist. Die invariante Genitivmarkierung bei peripheren Substantiven zeigt, dass der Abbau eher flexivischer Eigenschaften im Umkehrschluss nicht als Indiz für eindeutigen Klitikstatus gewertet werden kann. Kriterium vier bezieht sich auf semantische Idiosynkrasien, die laut Zwicky & Pullum (1983) charakteristischer für Affixe als für Klitika sein sollen. Damit ist gemeint, dass die Bedeutung von Verbindungen aus Stamm und Affix nicht kompositional sein muss. Als Beispiel wird das englische Lexem last gegeben, das etymologisch eine Superlativform des Adjektivs late ist, das seine Form beibehalten hat, aber eine Reihe idiosynkratischer Bedeutungen aufweist, wie z. B. in der Wendung last words, wo letzte und nicht späte Worte gemeint sind. Dieses Beispiel überzeugt jedoch nicht, da es sich bei solchen Fällen schlicht um Lexikalisierungen flektierter Wörter handelt. Gleiches gilt laut Nübling (1992: 85) für deutsche Adverbien des Typs nachts, falls etc., bei denen es sich nicht mehr um genitivisch flektierte Substantive, sondern um unveränderliche Adverbien oder Konjunktionen handelt. Die reguläre Genitivmarkierung – so auch die reguläre Komparation bei late, later, latest – ist bei den entsprechenden Substantiven nicht blockiert (die Spuren der Nacht, die Lösung des Falls). Ich stimme Nübling (1992: 84–86) somit zu, dass semantische Idiosynkrasien weder ein Kennzeichen für Flexion noch für Klitisierung sind, weshalb dieses

304 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

Kriterium auch nicht für eine Unterscheidung herangezogen werden kann. Allerdings kann als semantisches Kriterium gewertet werden, dass Flexive mit ihrem Stamm immer „sinnvolle“ semantische Einheiten bilden, sprich, dass die durch das Flexiv ausgedrückte Information direkte Relevanz für das flektierte Element hat. In der Kongruenz, die typischer (wenn auch nicht obligatorisch) für Flexive als für Klitika ist, spiegelt sich nach Nübling (1992: 86) der geringere Skopus des Flexivs wider. Das phrasale possessive -s im Englischen hat in Beispielen wie the woman I met yesterday’s daughter einen vergleichsweise weiteren Skopus als das ältere kongruierende Genitivflexiv und der semantische Bezug zwischen -s und der adverbialen Basis yesterday, an die es tritt, ist als nicht besonders eng einzustufen. Im Deutschen ist der Skopus von -s, der sich lediglich über eine wenig komplexe, nicht rechtserweiterte Possessorphrase erstreckt, vergleichsweise gering. Mit dem fünften Kriterium stellen Zwicky & Pullum (1983) ein syntaktisches Unterscheidungskriterium für Affixe vs. Klitika auf, das besagt, dass syntaktische Regeln affigierte Wörter, aber keine klitisch markierten Elemente beeinflussen können; sprich: Wörter sind für syntaktische Operationen unsichtbar. 67 Tatsächlich spricht die große Bandbreite möglicher Basen, an die Klitika wie beispielsweise das englische ’s (< is) oder ’ve (< have) treten können, dagegen, dass syntaktische Operationen die Kombination aus Basis+Klitik als Einheit behandeln. Nomina, Verben oder Adjektive und ihre entsprechenden Flexive werden im Gegensatz dazu syntaktisch als feste Einheiten behandelt. Was das possessive -s betrifft, so nehmen seine phrasalen Eigenschaften aktuell zu, wie am Beispiel der engen Koordinationen gezeigt wurde. Während eindeutige Flexive wie z. B. Pluralmarker mit ihrem Stamm die Position tauschen, wenn zwei koordinierte Nomina die Stellung wechseln, bleibt das -s bei kollektiven Possessor-NPs auch bei einem Positionswechsel am rechten Rand der Phrase: (162)

a. sie kauft Schokolade und Rose-n b. sie kauft Rose-n und Schokolade c. *sie kauft Rose und Schokolade-n

|| 67 Allerdings fordern Phrasenkomposita vom Typ Zurück-zur-Natur-Trend, bei denen die Syntax Zugriff auf die interne Wortstruktur zu haben scheint, das Prinzip der Lexical Integrity heraus, wie die aktuellen Diskussionen zu diesem Phänomen zeigen (vgl. hierzu z. B. Meibauer 2007 und Pafel 2015 sowie die dort angegebene Literatur).

Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen | 305

(163)

a. Brink und Reckermann-s Olympia-Triumph b. * Reckermann-s und Brink Olympia-Triumph c. Reckermann und Brink-s Olympia-Triumph

Bezüglich dieses Verhaltens können wir also aktuell einen Wandel des possessiven -s weg von seinem genitivisch-flexivischen Ursprung beobachten. Dieser Wandel ist jedoch nur ein gradueller, da die syntaktische Freiheit des -s im Vergleich zu seinem schwedischen oder englischen Pendant weiterhin stark eingeschränkt ist, was sich daran zeigt, dass es nach wie vor fest an nominale Köpfe gebunden ist. Als sechstes und letztes Unterscheidungskriterium zwischen Affixen und Klitika nennen Zwicky & Pullum (1983) schließlich die Tatsache, dass Klitika im Gegensatz zu Affixen auch an bereits klitisierte Elemente treten können. Als Beispiel werden englische klitisierte Hilfsverben genannt, die an bereits klitisiertes Material treten können: I’d’ve done it if you’d asked me (vgl. Zwicky & Pullum 1983: 506). Da das possessive -s im Deutschen nur an nominale Köpfe tritt, die nie enklitisch markiert sind, tritt -s – anders als beispielsweise im Schwedischen – auch nie an bereits klitisierte Elemente. Auch wenn es in ihrer Beobachtung nicht um Klitika geht, so sieht Norde (2006: 222) die Tatsache, dass -s im Schwedischen an bereits kasusmarkierte Elemente treten kann, wie bei ox-a-nna-s [ox.MASK.PL.GEN-Art.MASK.PL.GEN-s.POSS], als Evidenz dafür, dass sich das phrasale -s weniger flexivisch verhält. Während die Kookkurrenz mehrerer Flexive, die verschiedene grammatische Kategorien reflektieren, nicht ungewöhnlich ist, erscheint die doppelte Kasusmarkierung, von der bei einer Flexiv-Analyse des -s auszugehen wäre, als ungewöhnlich. Im Deutschen hat sich das -s in einer Übergangsphase auch agglutinierend mit der schwachen Genitivendung -en > -en-s verbunden. Dies ist meines Erachtens jedoch nicht unbedingt als Argument für Klitikonstatus anzusehen, da solche Doppelendungen auch bei unzweifelhaften Instanzen des flexivischen Genitivs zu finden sind (z. B. bei des Automat-en, des Automat-en-s). Das letzte Kriterium spricht somit weder für noch gegen den Klitikonstatus von -s. Zusammengefasst zeigt die Diskussion der sechs von Zwicky & Pullum (1983) für die Unterscheidung von Affixen und Klitika aufgestellten Kriterien, dass das deutsche -s – wie zu Beginn des Kapitels angedeutet – aktuell mehr flexivische Eigenschaften aufweist und keinesfalls als prototypisches spezielles

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Klitikon gesehen werden kann.68 Allerdings – so hat die Diskussion gezeigt – ist das possessive -s im Deutschen auch kein prototypisches Element am maximal flexivischen Pol des Affix-Klitikon-Kontinuums mehr. Die Analyse spricht nun dafür, dass das -s im Deutschen – ähnlich wie der Marker in früheren Stufen des Englischen und Festlandskandinavischen – am ehesten als flexivischer, an kleinere Konstituenten tretender Phrasenmarker zu interpretieren ist. Da die Entwicklung des -s in anderen germanischen Sprachen jedoch als direktional beschrieben werden kann, wobei das Genitivmorphem auf dem AffixKlitikon-Kontinuum sukzessive in Richtung des Klitikonpols wandert (vgl. Norde 2006), deutet auch die Richtung des Wandels im Deutschen auf eine fortschreitende Entwicklung von stärkerer Gebundenheit zu größerer morphologischer Ungebundenheit hin, was in Abbildung 62 schematisch dargestellt ist.

Lexeme

einfache Klitika

spezielle Klitika S-Klitika

syntaktisch distribuiert

Flexive

M-Klitika

morphologisch distribuiert

poss-s

Abb. 62: Die Verortung des possessiven -s auf dem Klitikon-Flexiv-Kontinuum

5.4.2 Wandeltheoretische Implikationen Die Entwicklung des possessiven -s – vor allem im Englischen und Festlandskandinavischen – wurde in verschiedenen wandeltheoretischen Rahmen modelliert. Im Folgenden soll für den Wandel des deutschen possessiven -s disku-

|| 68 Eine feinere Einteilung der speziellen Klitika, wie sie beispielsweise Nübling (1992) vorschlägt, würde eine Klassifizierung als den Flexiven nahestehendes M-Klitikon (also morphologisch distribuiertes Klitikon ohne zugrundeliegende Vollform) erlauben – sofern solch eine kategoriale Einteilung eines sich im graduellen Wandel befindlichen Markers Sinn macht.

Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen | 307

tiert werden, inwiefern hier von Degrammatikalisierung, Konstruktionalisierung oder Exaptation gesprochen werden kann. 5.4.2.1 Degrammatikalisierung? Die von einigen LinguistInnen angenommene Entwicklung vom Flexiv zum Klitikon wird gerne als Beispiel für eine kontradirektionale Bewegung auf dem von Hopper & Traugott (1993: 7) im Rahmen der Grammatikalisierungstheorie vorgeschlagenen und in (164) übersetzt wiedergegebenen unidirektionalen morphosyntaktischen Pfad herangezogen: (164)

Inhaltswort > grammatisches Wort > Klitikon >Flexionsaffix

Solche Rückwärtsbewegungen bei sekundären Grammatikalisierungen im Sinne von mehr grammatisch zu weniger grammatisch werden dabei als Instanzen von Degrammatikalisierung beschrieben, die wiederum nach Norde (2011: 475) allgemein wie folgt definiert werden kann: Degrammaticalization is a composite change whereby a gram in a specific context gains in autonomy or substance on more than one linguistic level (semantics, morphology, syntax, or phonology).

Nach Norde (2011) kann man dabei drei Typen von Degrammatikalisierung ausmachen – Degrammation (Grammem > Lexem, z. B. wotteModalverb,Konj.Prät 'wollte' > wotteVollverb, Ind.Präs. 'wünschen'69), Debonding (gebundenes Morphem > freies Morphem, z. B. hammergeile Party > die Party war hammer) und Deflexivierung (Flexionsaffix > weniger gebundenes Morphem) –, von denen der letztgenannte Fall der hier relevante ist. Deflexivierung ist dabei der am seltensten auftretende Typ und wird folgendermaßen definiert: Deinflectionalization is a composite change whereby an inflectional affix in a specific linguistic context gains a new function, while shifting to a less bound morpheme type. (Norde 2011: 482)

Diesem eher subtilen Wandel eines gebundenen Morphems (Flexiv) zu einem anderen gebundenen Morphem (Klitikon oder Derivationsaffix), für den das possessive -s im Englischen und Festlandskandinavischen als Paradebeispiel gilt, liegt die Annahme zugrunde, dass gebundene Morpheme je nach Typ un-

|| 69 Dieses Beispiel für Degrammation stammt aus einer kanadischen Varietät des Pennsylvania German.

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terschiedliche Grade an ‚Grammatikalität‘ aufweisen. Für Norde (2009: 152–160) sind Flexionsaffixe dabei mehr grammatisch als Klitika und Derivationsaffixe, was sich mit der größeren Ungebundenheit, geringeren Paradigmatizität und weniger stark ausgeprägten Obligatorik Letzterer erklären lässt. Wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, gelten spezielle Klitika vor allem hinsichtlich ihrer morphologischen und phonologischen Eigenschaften im Vergleich zu Flexiven als weniger gebunden. Neben dieser Entwicklung hin zu größerer Ungebundenheit beinhaltet Deflexivierung immer auch einen Funktionszuwachs des entsprechenden Morphems (vgl. Norde 2011: 482). So wird dem schwedischen und englischen possessiven -s beispielsweise das Hinzugewinnen einer Determiniererfunktion zugesprochen (vgl. hierzu Rosenbach 2004). Ebenso wie ein Grammatikalisierungsprozess kann auch ein Degrammatikalisierungsprozess noch einmal in kleinere Aspekte zerlegt werden. Anhand der von Lehmann (1995 [1982]: 121–178) aufgestellten Parameter der Grammatikalisierung soll nun knapp dargestellt werden, was eine Deflexivierung – und hier besonders die Entwicklung des possessiven -s – nun im Einzelnen bedeutet.70 Da Flexionsaffixe bei der Entwicklung hin zu einem weniger gebundenen Marker weitestgehend ihre ‚Paradigmatizität‘ aufgeben, ist dieser Lehmann’sche Parameter hier wohl der entscheidende (Norde 2011: 483 spricht von deparadigmatization).71 Auch das deutsche possessive -s – so wird hier angenommen – kann nicht mehr als paradigmatischer Genitivmarker gesehen werden, da er sich morphologisch, syntaktisch und semantisch von einem Kasusflexiv und somit von seinem einstigen Paradigma entfernt (vgl. 5.1.1). Was die ‚Integrität‘ betrifft, so ist zwar bei einer Deflexivierung gemeinhin meist keine phonologische Stärkung zu beobachten. Das entsprechende Morphem erfährt zudem keine Rekategorialisierung und es erhält auch keine lexikalische Bedeutung, doch – wie bereits gesagt wurde – geht mit der Deflexivierung auch immer das Hinzugewinnen einer neuen Funktion einher. Für -s bedeutet dies, dass pränominale Possessoren neben dem Possessivitätsausdruck eine Determiniererfunktion übernehmen. Diese Resemantisierung ist im Deutschen auch zu beobachten, da EN in pränominalen Possessivkonstruktionen nicht nur eine Possessorfunktion innehaben, sondern auch als Determinie-

|| 70 Der Begriff ‚Parameter der Grammatikalisierung‘ ist etwas irreführend bzw. suggeriert, dass es sich um durchweg notwendige Kriterien handelt. Es müssen jedoch nicht immer alle Parameter erfüllt sein, um von einem Grammatikalisierungsprozess sprechen zu können. 71 Vincent & Börjars (2010: 287) sehen in der Reduktion der Allomorphie hingegen gerade ein Zunehmen an Paradigmatizität und somit eine Grammatikalisierung.

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rer fungieren. Demske (2001) sieht hier sogar eine Reanalyse der s-markierten pränominalen EN als Teil des Artikelsystems (vgl. 5.1.2.1). Die paradigmatische Variabilität (‚Wählbarkeit‘), die sich bei einem Grammatikalisierungsprozess verringert, nimmt laut Norde (2011: 483) bei einer Deflexivierung zu. Während Kasusflexive in kasusmarkierenden Sprachen wie dem Deutschen – hier zumindest bei adjektivisch flektierenden Wörtern – immer obligatorisch sind, können weniger gebundene Morpheme wie Klitika durch andere Ausdrücke ersetzt werden. Was den Ausdruck von Possessivität betrifft, so stehen im Deutschen z. B. mit der von-Periphrase (die Politik von Merkel), dem possessiven Dativ (der Merkel ihre Politik) oder den EN-Komposita (die Merkel-Politik) verschiedene Ausweichkonstruktionen zur Verfügung, die registerabhängig genutzt werden können. Den Parameter der Wählbarkeit auf das possessive -s anzuwenden, halte ich dennoch für schwierig, da man eher davon sprechen könnte, dass eine Deobligatorisierung hinsichtlich des im Deutschen als adnominaler Kasus durchaus intakten Genitivs als Marker von Possessivität stattgefunden hat. Die Entwicklung des invarianten possessiven -s ist eher ein Epiphänomen dieser Entwicklung. Während der syntagmatische Parameter ‚Skopus‘ bei fortschreitender Grammatikalisierung schrumpft, lässt sich bei Deflexivierungen keine eindeutige Richtung erkennen, da je nach Fall eine Ausweitung, eine Reduktion oder auch gar keine Veränderung des strukturellen Skopus mit dem Wandel einhergehen kann (vgl. Norde 2011: 483). Was die Entwicklung des possessiven -s im Englischen und Festlandskandinavischen betrifft, so ist eine Skopuserweiterung – und somit eine der Grammatikalisierung entgegenlaufende Entwicklung – zu beobachten, da ein auf Wortebene operierender Marker zunehmend auf Phrasenebene operiert. Beim deutschen possessiven -s ist diese Skopuserweiterung nur im Fall der engen Koordinationen zu beobachten. Die semantische Reichweite geht – im Gegensatz zum Englischen – nie über die DP/NP hinaus. Hinsichtlich der ‚Fügungsenge‘, die bei Grammatikalisierungen zunimmt, verhalten sich Deflexivierungen invers und generell einheitlich. Schon die Definition beinhaltet, dass sich ein gebundenes Morphem hin zu einem zwar nicht freien, jedoch weniger gebundenen Morphem entwickelt. Dies trifft nun auch auf das deutsche possessive -s zu, wenn auch viel subtiler als bei einigen seiner germanischen Pendants. Bedingt durch den invariant unsilbischen Status von -s sind die Grenzen zwischen Stamm und agglutinierendem Possessivmarker immer eindeutig gezogen, was im Deutschen aufgrund seines typologischen Status als flektierende Sprache mit Stammmodulation und Stammflexion (vgl. hierzu Harnisch 2001) nicht selbstverständlich ist. Im Schriftsprachlichen wird diese größere Ungebundenheit durch das verstärkte Auftreten morphographi-

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scher Apostrophe markiert, die bei postponierten Genitiven keine Rolle spielen (vgl. Scherer 2010 und Nübling 2014a sowie 5.1.1.2). Der letzte Parameter nach Lehmann (1995) ist schließlich die syntagmatische ‚Stellungsfreiheit‘, die im Zuge einer Grammatikalisierung abnimmt. Bei einer Degrammatikalisierung wäre anstatt einer Fixierung der Stellung im Satz nun entgegengesetzt mit einer Flexibilisierung zu rechnen. Da bei einer Deflexivierung kein Wandel hin zu einem freien und somit syntagmatisch flexibleren Element stattfindet, bleibt die Ausprägung dieses Parameters laut Norde (2011: 483) per Definition konstant. Die Anwendung der Lehmann’schen Grammatikalisierungsparameter auf die Entwicklung des possessiven -s bzw. den Prozess der Deflexivierung hat gezeigt, dass viele subtile kleinschrittige Entwicklungen zu beobachten sind, die denen eines Grammatikalisierungsprozesses in ihrer Direktionalität zuwiderlaufen. Der im Deutschen zu beobachtende Wandel ist in der Tat noch subtiler als der des einstigen Genitivsuffixes im Englischen oder Festlandskandinavischen. Die Richtung dieses Wandels verläuft jedoch direktional und zwar entgegen des angenommenen morphosyntaktischen Grammatikalisierungspfades, so dass man das deutsche possessive -s am ehesten als Degrammatikalisierung in progress bezeichnen kann. Was auch ersichtlich geworden sein sollte, ist die Tatsache, dass Degrammatikalisierung hier nicht einfach als ein spiegelbildlicher Prozess zur Grammatikalisierung verstanden wird, was im Folgenden etwas weiter ausgeführt werden soll. Das Konzept der Degrammatikalisierung an sich und die Entwicklung des possessiven -s in diesem wandeltheoretischen Rahmen im Speziellen sind natürlich nicht ohne Kritik geblieben. Gegenstimmen, die das Konzept der Degrammatikalisierung hinterfragen, stellen hinsichtlich der angenommenen Deflexivierung zunächst den Status des possessiven -s in Frage, der – wie im letzten Kapitel thematisiert wurde – nicht weniger umstritten ist als die Unidirektionalitätshypothese (so z. B. Börjars 2003 oder Vincent & Börjars 2010). Für das deutsche possessive -s wäre es verfehlt, (bereits?) von Klitikonstatus zu sprechen. Wir haben es eher mit einem graduellen Wandel zu tun, bei dem aktuell der Abbau prototypisch flexivischer Eigenschaften zu beobachten ist. Dennoch, so suggeriert ein Vergleich mit anderen germanischen Sprachen, verläuft die Richtung dieses Wandels entgegen dem angenommenen Grammatikalisierungspfad. Die Frage ist, wie viel Wandel es benötigt, um von einer Degrammatikalisierung sprechen zu können. So fragt auch Rosenbach (2004: 77), ob das possessive -s (im Englischen) den kompletten kategorialen Sprung von einem Affix zu einem Klitikon vollziehen muss, oder ob es reicht, dass sich der grammatische Status graduell von eindeutig flexivisch und somit morpho-

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logisch zu eher klitisch und damit mehr syntaktisch wandelt. Da Affix und Klitikon – wie Börjars et al. (2013: 146) anmerken – eher als idealisierte pure Kategorien anzusehen sind und das Verhalten der meisten gebundenen Elemente „chaotischer“ ist, als solch eine Idealisierung suggeriert, können kategoriale Sprünge aus diachroner Perspektive ebenso nur als Idealisierungen gelten. Ich sehe es somit als legitim an, auch subtileren direktionalen Wandel gelten zu lassen, was mit Plank (1995: 218) wie folgt gesagt werden kann: Der prüfende Blick muß dabei sozusagen mikroskopisch verstärkt sein: er muß sich auf die einzelnen Eigenschaften von Formen und ihr Zusammenspiel richten. Das sind die Kategorien der Bildung sprachlicher Muster, nicht Etiketten wie 'Affix' oder 'Adposition' an sich.

Eine generelle Frage betrifft das Wesen und das Konzept der Degrammatikalisierung an sich. Bei dieser in den letzten Jahren viel diskutierten Frage spielt es eine Rolle, ob Degrammatikalisierung als spiegelbildlicher Wandel zur Grammatikalisierung und somit als Gegenevidenz für die Unidirektionalitätshypothese angesehen wird oder unabhängig von Grammatikalisierung einen ganz eigenen Wandelprozess darstellt. Was den hier im Fokus stehenden Degrammatikalisierungstyp der Deflexivierung betrifft, so ist eine zugrundeliegende Annahme, dass eben nicht einfach ein umgekehrter Wandel vorliegt, da lediglich eine graduelle Entwicklung von einem gebundenen Morphemtyp hin zu einem anderen gebundenen Morphemtyp zu beobachten ist, jedoch kein Abschreiten des kompletten Pfades, was in der Entstehung eines freien Lexems resultieren würde. Da bei der Entwicklung des possessiven -s keine Rückentwicklung zu einer historisch vorangehenden Stufe erfolgt, ist Degrammatikalisierung hier entweder, wie von Norde (2009) intendiert, in einem abstrakteren Sinne zu verstehen oder als wandeltheoretische Modellierung der Entwicklung generell auszuschließen, was z. B. von Vincent & Börjars (2010) vorgeschlagen wird. Ein weiterer Kritikpunkt gegen Degrammatikalisierung wird von Rosenbach (2004) angebracht, die anmerkt, dass man zwischen abstraktem Typen- und konkretem einzelphänomenbasiertem Tokenwandel unterscheiden sollte. Bezogen auf das possessive -s bedeutet dies, dass sich das Kasusflexiv bezüglich des abstrakteren Typenwandels auf dem in (164) wiedergegebenen regulären Grammatikalisierungspfad befindet und auf die finale Schwundstufe zusteuern würde, hätte es nicht eine durch parallel stattfindende innersprachliche Entwicklungen motivierte Abzweigung auf diesem morphosyntaktischen Pfad genommen. Hier sei noch einmal daran erinnert, dass das vollflexivische genitivische -s bei EN seit dem 18. Jh. tatsächlich schwindet. Lediglich das possessive -s, das im Zuge seiner Entstehung eine neue Funktion als Determinierer

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hinzugewonnen hat, hat eine Abzweigung vom Grammatikalisierungspfad genommen, was Plank (1995) wiederum als Systemstörung beschreibt, die im weiteren Kontext des Wandels (z. B. Herausbildung der Nominalklammer, schemakonstanzbedingter Flexivabbau bei EN etc.) betrachtet werden muss. Auf der Token-Ebene, d. h. im Hinblick auf den konkreten Wandel von -s mag es zwar so aussehen, als liege eine Degrammatikalisierung vor, doch wenn man davon ausgeht, dass Unidirektionalität eine Eigenschaft von Types (im Sinne von Grammatikalisierungspfaden) ist, handelt es sich bei -s im strikten Sinne nicht um einen gegenläufigen Wandel, denn die Unidirektionalität des morphosyntaktischen Pfades auf der Type-Ebene bleibt von konkreten Einzelentwicklungen eines Tokens unbeeinflusst. Den Wandel eines Elements auf eine andere Ebene zu verlagern, erweckt nun den Anschein, alle potentiellen Fälle eines entgegengesetzten Wandels wegerklären zu wollen, was Rosenbach (2004: 88) auch bewusst ist. Ihr Anliegen ist es jedoch, dafür zu plädieren, dass bei jedem (angeblichen) Fall von Degrammatikalisierung der breitere Kontext miteinbezogen werden sollte. Nur, wenn kein „kick-out-Faktor“ ermittelt werden kann, der den gegenläufigen Wandel eines Elements bedingt, sollte man es als echtes Gegenbeispiel für die Unidirektionalität anerkennen. Rosenbachs (2004) Anliegen, bei einzelnen Wandelerscheinungen den breiteren sprachlichen Kontext mit zu beachten, halte ich für einen sehr wichtigen Punkt. Nur so kann man die – weniger interpretations- und definitionsabhängigen – Determinanten oder kick-out-Faktoren eines Wandels bestimmen, der sich gegenläufig zu verhalten scheint. Bei solchen Fällen generalisierend von Degrammatikalisierungsprozessen zu sprechen, halte ich dabei nicht grundsätzlich für verfehlt. Degrammatikalisierungen sind immer Abweichungen vom Default der Unidirektionalität und somit auch immer der statistisch seltenere Fall, der keine Bedrohung, sondern lediglich eine Abschwächung der Direktionalitäts-Universalie darstellt (vgl. Haspelmath 2004).72 Laut Norde (2011) ist dies auch der Grund, warum das Vorkommen von Degrammatikalisierungen die Unidirektionalitätshypothese zugleich stärkt, da statistisch äußerst seltene Ausnahmen nur ihre Regelhaftigkeit bestätigen, und schwächt, da eine als absolut angenommene Universalie zu einer statistischen Universalie abgeschwächt werden muss.

|| 72 Newmeyers (1998: 263) Sicht, der zufolge ein einziges Gegenbeispiel genügt, um die Unidirektionalitätshypothese zu verwerfen, halte ich für zu restriktiv, da solch eine Sicht voraussetzt, dass Wandelprozesse immer nach klar vorhersagbaren Regeln ablaufen, was jedoch nicht der Fall ist.

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5.4.2.2 Konstruktionalisierung? Die konstruktionsgrammatische Sprachwandeltheorie, wie sie unlängst von Traugott & Trousdale (2013) umrissen wurde, beschäftigt sich aus diachroner Perspektive mit der Entstehung von Konstruktionen (Konstruktionalisierung) und deren Wandel (Konstruktionswandel).73 Bei diesem Ansatz steht nicht – wie bei der (De-)Grammatikalisierung – das Morphem als Basiseinheit und Lokus der Innovation im Fokus, sondern die Konstruktion als feste Form-BedeutungsEinheit. Konstruktionalisierung als dynamischer Wandelprozess wird von Traugott & Trousdale (2013: 22) nun wie folgt definiert: Constructionalization is the creation of formnew-meaningnew (combinations of) signs. It forms new type nodes, which have new syntax or morphology and new coded meaning, in the linguistic network of a population of speakers. It is accompanied by changes in degree of schematicity, productivity, and compositionality. The constructionalization of schemas always results from a succession of micro-steps and is therefore gradual. New microconstructions74 may likewise be created gradually, but they may also be instantaneous. Gradually created micro-constructions tend to be procedural, and instantaneously created micro-constructions tend to be contentful. (Hervorhebungen im Original)

Während Konstruktionalisierung (Cxzn) also sowohl die Form- als auch die Inhaltsseite einer Konstruktion betrifft, ändert sich bei Konstruktionswandel (CC) demgegenüber nur eine interne Dimension einer Konstruktion; es wird kein neuer Knoten im Netzwerk kreiert (vgl. Traugott & Trousdale 2013: 26). Der hier besonders interessierende Prozess der Konstruktionalisierung lässt sich noch einmal in lexikalisch und grammatisch unterteilen, wobei lexikalische Konstruktionalisierung als Äquivalent zur Lexikalisierung gesehen werden kann, grammatische Konstruktionalisierung hingegen Ähnlichkeit mit Grammatikalisierung (im weiteren Sinne) aufweist. Was nun die Entwicklung des possessiven -s betrifft, so wird in konstruktionsbasierten Ansätzen von einer grammatischen Konstruktionalisierung gesprochen, die sich nach Trousdale & Norde (2013) allgemein dadurch auszeichnet, dass ein Anstieg an Schematizität und Produktivität der Konstruktion bei gleichzeitiger Abnahme der Kompositionalität gegeben ist. Die drei auf Langacker (2005: 139) zurückgehenden Parameter ‚Generality‘ (‚Schematizität‘), ‚Productivity‘ (‚Produktivität‘) und ‚Compositionality‘ (‚Kompositionalität‘),

|| 73 Für eine kritische Diskussion dieser vorgeschlagenen Unterteilung, die hier nicht im Detail besprochen werden soll, sei auf Börjars, Vincent & Walkden (2015) verwiesen. 74 Die hier angesprochenen Mikro-Konstruktionen stellen die konkretesten Konstruktionstypen dar; genereller sind Meso- und Makro-Konstruktionen.

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sollen sich dabei wie die Lehmann’schen Grammatikalisierungsparameter auf etwaige Konstruktionalisierungen anwenden lassen. Bezogen auf das possessive -s im Deutschen kann nun von einer eindeutigen Zunahme an ‚Schematizität‘ gesprochen werden. Im onymischen Bereich ist das possessive -s im Singular recht salient, da es der (nahezu) einzige Marker ist, der – in einer bestimmten syntaktischen Konfiguration – an EN treten kann. Funktional hat das possessive -s im Vergleich zum adnominalen Genitiv eine leichte Verengung erfahren, da semantische Relationen wie der Genitivus Qualitatis oder Explicativus nur postnominal ausgedrückt werden können. Ein weiterer Grund, warum die s-Konstruktion an Schematizität bzw. Generalität gewonnen hat, liegt in der Reanalyse pränominaler Possessoren als funktionale Elemente des Artikelsystems. Insofern liegt auf der Makroebene ebenfalls eine Konstruktionalisierung, nämlich die der Determiniererkonstruktion vor, die wiederum alle von Demske (2001) beschriebenen Entwicklungen des Artikelsystems im Fnhd. umfasst. Was den Parameter der ‚Produktivität‘ betrifft, so wurde in den letzten Kapiteln deutlich, dass hier eindeutig eine Zunahme vorliegt. Während das genitivische -s ein paradigmatisches Flexiv war, das in Abhängigkeit von der Deklinationsklasse lediglich an maskuline PersN trat, kann das possessive -s auch an Feminina treten. Aktuell erfährt es eine Ausweitung auf nicht-onymische (pro)nominale Köpfe. Auch wenn die Produktivitätszunahme im Englischen und Festlandskandinavischen weit größer ist, da das -s weniger selektiv ist und auch an nicht-nominale Basen tritt, so lässt sich auch im Deutschen eine eindeutige Zunahme erkennen. Trousdale & Norde (2013: 41) sprechen davon, dass auf der Meso-Ebene die Anzahl an Konkurrenzkonstruktionen (andere Genitivflexive) reduziert wurde, was zu einer höheren Anzahl an Mikro-Konstruktionen mit -(’)s führt. Dies trifft im Deutschen nur auf den onymischen Bereich zu, da im nominalen Bereich weiterhin Allomorphie herrscht. Bezüglich des Parameters der ‚Kompositionalität‘ bzw. ‚Analysierbarkeit‘75 ergeben sich unterschiedliche Ausprägungen, je nachdem, ob man die Konstruktion auf der Makro- oder Mikroebene betrachtet. Die Mikroebene (also die konkrete s-Konstruktion) betreffend, ist ein für Konstruktionalisierungen unty-

|| 75 Der Terminus ‚Compositionality‘ wird von Traugott & Trousdale (2013) als eine Art Überbegriff verwendet und umfasst auch die Analysierbarkeit (‚Analysability‘) einer Konstruktion als Subtyp. Börjars, Vincent & Walkden (2015: 374–378) kritisieren jedoch berechtigt, dass hier eine Unterscheidung gemacht werden sollte. Da sich Kompositionalität auf die semantische Ebene bezieht und Analysierbarkeit die Formseite betrifft, was im Hinblick auf das possessive -s die relevante Betrachtungsebene ist, soll hier von Analysierbarkeit gesprochen werden.

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pischer Anstieg an Analysierbarkeit zu beobachten, da das -s sich zu einem weniger gebundenen und somit besser vom Stamm separierbaren Marker entwickelt. Bei stammaffizierenden und -modulierenden Flexiven ist die Analysierbarkeit vergleichsweise geringer. Mit einer Degrammatikalisierung und abnehmender Gebundenheit entwickelt sich der s-Marker als eine morphologisch und phonologisch vom Stamm bzw. der Basis abtrennbare Einheit, was gegen eine konstruktionalisierungstypische Abnahme an Kompositionalität/Analysierbarkeit spricht. Auf der Makroebene, wo die Konstruktionalisierung in der Erweiterung der diachron heterogener werdenden Determiniererkonstruktion gesehen werden kann, nimmt die Kompositionalität (im funktionalen Sinne) entsprechend der Erwartungen jedoch ab, wie Trousdale & Norde (2013: 41–42) anmerken. Wie Trousdale & Norde (2013) weiterhin argumentieren, schließt sich Degrammatikalisierung und Konstruktionalisierung nicht aus – es handelt sich eher um komplementäre Ansätze mit unterschiedlicher Fokussetzung (Morphem vs. Konstruktion). In beiden Fällen wird der Wandel des ursprünglichen Genitivmarkers als expansiv erfasst: Bei Degrammatikalisierung – sprich dem morphembasierten Ansatz – erfolgt ein Anstieg in Autonomie und morphologischer sowie syntaktischer Substanz; aus konstruktionsbasierter Perspektive bedeutet Deflexivierung die Ausweitung einer Makro-Konstruktion. Da sich beim deutschen possessiven -s der Morphemtyp nur subtil und eher graduell als kategorial ändert, erscheint eine Modellierung angemessen, die die Konstruktion als feste bzw. fester werdende Form-Bedeutungs-Einheit in den Fokus der Analyse rückt. Dass die possessive s-Konstruktion mit ihrer Entwicklung an Schematizität gewinnt und dadurch produktiv wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig wird man durch die Annahme einer Makro-DeterminiererKonstruktion den zusammenhängenden Entwicklungen und Umstrukturierungen innerhalb des deutschen Artikelsystems im Fnhd. gerecht. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass das Konzept der Konstruktionalisierung – wie es von Traugott & Trousdale (2013) vorgeschlagen wird – den Anschein eines ‚everything goes-Ansatzes’ macht, der weniger prognostisch – als eine Direktionalität implizierende Wandeltheorie – und eher diagnostisch ist. Laut Trousdale & Norde (2013: 44) soll man von der Einbeziehung verschiedener linguistischer Beobachtungsebenen profitieren, da dies Aussagen zu direktionalen Präferenzen im Sprachwandel ermöglicht, indem z. B. im Falle von Deflexivierung ein „‘directionality mismatch’ (morpheme-based degrammaticalization but constructional change that patterns with grammaticalization)“ ausgemacht werden kann, der wiederum die Seltenheit solcher Wandelprozesse bedingt. Diese Interpretation mutet jedoch etwas zirkulär an, da sie impliziert, dass ein

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morphembasierter Ansatz – bei dem durch die Annahme etablierter Wandelpfade an sich schon direktionale Mismatches erkennbar werden – unumgänglich ist, um solche Mismatches aufzudecken. Die isolierte Betrachtung einer Konstruktion hilft bei der Aufdeckung statistisch niederfrequenter Wandelprozesse also nicht weiter, da Deflexivierung auf der reinen Konstruktionsebene als reguläre grammatische Konstruktionalisierung erscheint – mit der Einschränkung, dass bei der Mikrokonstruktion eine Zu- statt Abnahme an Analysierbarkeit beobachtet werden kann. Dem graduellen Charakter des Wandels des possessiven -s wird die Modellierung im konstruktionsgrammatischen Sprachwandel-Framework jedoch gerecht und kann somit als eine Ergänzung zum Konzept der Deflexivierung gesehen werden. 5.4.2.3 Exaptation? Das possessive -s im Englischen und Festlandskandinavischen wird zwar häufig als das Paradebeispiel für Deflexivierung gesehen, doch findet sich gelegentlich auch die Auffassung, es handle sich bei dem zu beobachtenden Wandel um einen Fall von Exaptation (vgl. z. B. Scott 2014: 278–294 oder Booij 2010: 212– 216).76 Dieses aus der Evolutionsbiologie entlehnte und von Lass (1990) in den linguistischen Diskurs eingebrachte Konzept dient zur Beschreibung von Wandelphänomenen, bei denen die synchrone Funktion einer Eigenschaft bzw. Form von ihrer Entstehung entkoppelt ist. Ein Beispiel aus der Biologie, das das Konzept gut verdeutlicht, ist die Entwicklung der Flugfähigkeit bei Vögeln. Während die ursprüngliche Funktion von Federn in der Thermoregulierung des Körpers lag, führte die Vergrößerung und Vermehrung der Federn an den vorderen Gliedmaßen zunächst zu einer verbesserten Beutefangfähigkeit und schließlich zur Flugfähigkeit. Wir haben also eine alte Eigenschaft (Federn) die eine Umfunktionalisierung erfährt (Thermoregulierung > Flugfähigkeit). Ein anschauliches Beispiel aus der Linguistik wird von Simon (2003, 2010) gegeben, der die Entwicklung des Honorativpronomens Sie aus dem Pronomen der 3. Person Plural als Exaptation beschreibt, da hier eine neue grammatische Kategorie (Respekt) entstanden ist. Formelhaft kann man den Prozess wie von Simon (2010: 52) vorgeschlagen und in (165) wiedergegeben darstellen:

|| 76 Das Konzept der Exaptation – sprich die genaue Definition sowie der sprachwandeltheoretische Nutzen – sind nicht weniger umstritten als das Konzept der Degrammatikalisierung. Für einen Überblick sei auf Van de Velde & Norde (2016) sowie die übrigen Beiträge in diesem kürzlich erschienenen Sammelband verwiesen.

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(165)

alte Form > neue Funktion

In der Linguistik stellt das Konzept der Exaptation eine Ergänzung zu bisherigen Sprachwandeltheorien wie der (De-)Grammatikalisierung dar, da wir es mit einer Seitwärtsbewegung quer zu einem etablierten Pfad zu tun haben (vgl. Simon 2010: 51). Die Annahme eines direktionalen inversen Wandels (mehr grammatisch > weniger grammatisch) ist im Falle des possessiven -s umstritten, wie im letzten Kapitel diskutiert wurde. Doch haben wir es hier mit Exaptation, also einer alten Form mit neuer Funktion zu tun? Diese Frage ist meiner Meinung nach klar mit Nein zu beantworten, wenn man Exaptation so wie in Simon (2010) vorgeschlagen auffasst und die Entstehung einer neuen grammatischen Funktion als definitorischen Bestandteil des Konzepts versteht. Hierzu sei angemerkt, dass in der Literatur keine Einigkeit darüber herrscht, ob eine ganz neue grammatische Kategorie oder lediglich eine nicht mit der alten Funktion in Beziehung stehende neue Funktion entstehen muss, um von Exaptation sprechen zu können. Da bei der Herausbildung des possessiven -s mit dem Ausdruck von Possessivität weder eine neue grammatische Kategorie entsteht, noch eine von der alten Funktion des Morphems losgelöste Verwendungsweise vorliegt, sollte dieser Wandel auch unter einer gelockerten Definition nicht als exaptiver Prozess zu verstehen sein. Mit dem possessiven -s entsteht zwar ein neuer Marker, der zum Ausdruck von Possessivität i. w. S. dient; diese Funktion ist jedoch nicht von der alten abgekoppelt, da die Hauptfunktion des Genitivs auch schon im Ausdruck von Possessivität lag. Auch mit der zusätzlichen Determiniererfunktion, die pränominale Possessoren übernehmen, entsteht keine neue Kategorie, sondern eher eine (positionsabhängige statt dem -s inhärente) Erweiterung des Artikelsystems. Zudem besteht zwischen Possessiva und (der logischerweise für definite Determinierer geltenden) Definitheit laut Haspelmath (1999) eine cross-linguistisch beobachtbare starke konzeptuelle Verbindung (vgl. zu diesem Punkt auch Rosenbach 2004: 92). Scott (2014: 278–294), der die Entwicklung des possessiven -s im Deutschen als Exaptation sieht, sagt nicht mehr zum Konzept als Folgendes: „German features several constructions which have their origin in the morphological genitive, but which have, through exaptation, come to perform a new function“ (Scott 2014: 278). Auch wenn ich diesen Wandel nicht als exaptiven Prozess sehen würde, spricht Scott (2014) in seinem Kapitel „Exapted Fragments of the Genitive Case“ eine interessante Parallele zwischen dem possessiven -s und dem Fugen-s an. In beiden Fällen unterliegt das einstige Genitivflexiv einem funktionalen Wandel, wobei derselbe morphologische Marker mit je unterschiedlicher Funktion recycelt wird. Das Fugen-s ist – wie das possessive -s –

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auch aus pränominalen Genitiven entstanden (des reichs rath > der Reichsrat) und hat nach seiner Reanalyse zum Fugenelement eine unparadigmische Ausweitung auf feminine Erstglieder erfahren (Liebesbrief). Dass es sich auch hier nicht um Fälle von Exaptation im Sinne der Herausbildung einer neuen grammatischen Funktion handelt, sondern eher von formaler Renovierung einer bereits existierenden Kategorie gesprochen werden kann, diskutiert Szczepaniak (2016).77 Die Parallele zwischen possessivem und Fugen-s zeigt, dass es sich bei diesem formalen Marker um ein reanalysefreudiges Element zu handeln scheint.78 Andere Fugenelemente mit flexivischem Ursprung (z. B. das -(e)n wie in Hahnenkampf) sind in Komposita noch konserviert, zeigen heute im Gegensatz zum -s jedoch kaum Produktivität.

5.4.3 Konsequenzen für die synchrone Modellierung Eine genauere Analyse zum theoretischen Status des -s hat nun gezeigt, dass dieser Marker synchron als gebundenes Morphem zu betrachtet ist, das derzeit flexivische Eigenschaften verliert. Den Status eines syntaktisch gesteuerten speziellen Klitikons hat der deutsche Possessivmarker jedoch (noch?) nicht erlangt. Was bedeutet das nun für die formal-syntaktische DP-Analyse (siehe 5.1.2.1)? Da kein kategorialer Sprung vom Affix zum Klitikon stattgefunden hat, wäre es verfehlt, für das -s eine syntaktische Reanalyse von der SpezifiziererPosition der DP hin zu D° anzunehmen. Wenn man nicht davon ausgehen möchte, dass gebundene Morpheme ohne ihre Basis syntaktische Positionen besetzen – was wiederum der lexikalistischen Hypothese widersprechen würde, derzufolge Wortteile nicht über syntaktische Knoten verteilt werden können – muss das -s weiterhin bei seiner Basis in der Spezifizierer-Position stehen, wie etwa von Sternefeld (32008), Bücking (2012) oder Rauth (2014) vorgeschlagen wird (vgl. hierzu auch Booij 2010: 220–221 für das Niederländische). Diese Mo-

|| 77 Szczepaniak (2016) argumentiert damit, dass die Funktion „dieser zweiten Schicht von Fugenelementen“ (Flexiv > Fuge) insofern nicht neu ist, als bereits im Protogermanischen die bei Flexion und Wortbildung an den Stamm tretenden stammbildenden Elemente in Komposita eine Refunktionalisierung als Fugenelemente erfahren haben und somit als erste Schicht von Fugenelementen gelten können. 78 Im Englischen haben sich statt Komposita mit Fugenelementen sogenannte descriptive (classifying) genitives herausgebildet, bei denen das s-markierte Element – ähnlich wie der Modifizierer bei einem N+N-Kompositum – keine Determinierer-, sondern eine Klassifiziererfunktion übernimmt. Beispiele hierfür sind a woman’s magazine 'ein Frauenmagazin', a man’s suit 'ein Herrenanzug'. Siehe hierzu z. B. Rosenbach (2004).

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dellierung erfasst zwar nicht den graduellen Wandel, den das -s vollzogen hat, formalisiert – ausgehend von einem modularen Aufbau – aber den synchronen Status am adäquatesten. Booij (2010: 216–222) schlägt nun im Rahmen seiner Construction Morphology eine Modellierung der possessiven s-Konstruktion vor, die als konstruktionsgrammatisches Äquivalent der eben genannten DP-Analyse gelten kann. Um der Tatsache gerecht zu werden, dass pränominale Possessoren die Funktion von definiten Determinierern übernehmen, wird der Begriff ‚definite s-Konstruktion‘ vorgeschlagen. Teil dieser produktiven Konstruktion ist das invariante -s, das an ein Nomen mit gewissen semantischen Restriktionen tritt und die Phrase als definit markiert. Booij (2010: 221) schlägt folgendes Konstruktionsschema vor, das in (166) in leicht abgewandelter Form für die deutsche Konstruktion wiedergegeben ist: (166)

[[… [x-s]N]NPi …Nj]NPk ↔ [the …Nj of NPi]k NPi has one of the following forms: (i) a (simplex or complex) proper name, or a coordination of instances of such expressions (ii) (substandard): a quantifying (pro)noun denoting human beings (iii) nouns that can function as forms of address, (in the substandard) optionally preceded by a possessive pronoun

Die Subkonditionen zeigen an, dass NPi im Deutschen wie im Niederländischen aus einem einfachen, einem komplexen oder zwei koordinierten EN bestehen kann, wobei auch Verwandtschaftsbezeichnungen (i. w. S.), denen im Substandard ein Possessivartikel vorangehen kann, diesen Slot besetzen können. Ebenfalls im Substandard zu verorten sind quantifizierende pronominale Possessoren, die auf menschliche Entitäten referieren. Im niederländischen Substandard sind auch DPs/NPs mit Artikel und belebtem Nomen möglich (de kinderens toekonst 'die Zukunft der Kinder'), was im Deutschen jedoch – aufgrund der intakten Artikelflexion – nicht möglich ist. Die Variable x in (166) steht dabei für das am weitesten rechts stehende Possessornomen. Laut Booij (2010: 221) kann so ausgedrückt werden, dass es sich bei dem -s um ein gebundenes Morphem handelt, das phonologisch Teil des phrasenfinalen Nomens ist. Die Implikation dieses Schemas ist nun, dass syntaktische Konstruktionen direkt auf das Vorhandensein spezifischer Morpheme, die nicht mehr Teil eines Flexionsparadigmas sind, hinweisen können:

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the -s is no longer an inflectional morpheme but marks an NP as having a determiner function. It is therefore not surprising that one finds the label ‘s-construction’ in the literature. Since the -s is ‘trapped’ in this construction, it leads to construction dependent morphology: the distribution of nouns ending in -s is no longer regulated by general principles of inflectional marking but is determined by a specific syntactic construction. Such facts show that the notion ‘construction’ is indispensable for a correct account of the distribution of bound morphological elements. (Booij 2010: 222, eigene Hervorhebungen – TA)

Der konstruktionsgrammatische Ansatz erscheint plausibel, da er der Tatsache gerecht wird, dass sich -s von seinem flexionsmorphologischen (genitivischen) Ursprung entfernt hat, ohne dass man sich durch die Zuschreibung einer Strukturposition auf eine konkrete Kategorisierung festlegen muss. Dieser Punkt kann jedoch auch gleichzeitig als Kritik formuliert werden, da man schwer kategorisierbare Elemente als Konstruktionen bezeichnet, sprich, auf anderer Ebene auch wieder labelt und somit eine konkrete Analyse umgeht. Wie dieses Kapitel gezeigt hat, ist eine Kategorisierung – gerade vor dem Hintergrund des voranschreitenden Sprachwandels – jedoch nicht immer möglich. Die Definition der Konstruktion in Kombination mit ihren Subkonditionen stellt m. E. die adäquateste synchrone theoretische Modellierung des possessiven -s und seiner Verwendungsweisen dar.

5.4.4 Zusammenfassung Die synchronen und diachronen Betrachtungen zum Status und zur Modellierung des possessiven -s im Deutschen haben gezeigt, dass es sich hierbei um ein theoretisch schwer zu fassendes Phänomen handelt. Was den synchronen Status betrifft, so handelt es sich eindeutig um ein gebundenes Morphem, das zwar noch flexivische Eigenschaften wie die Präferenz für nominale Köpfe aufweist, jedoch auch einige seiner ursprünglichen prototypisch flexivischen Eigenschaften wie Kongruenz oder Paradigmatizität abgebaut hat. Der aus rein synchronkategorialer Sicht nicht eindeutig bestimmbare, zwischen den Polen eines – an sich idealisierten – Flexiv-Klitikon-Kontinuums oszillierende Status deutet darauf hin, dass es sich um einen Marker handeln muss, der derzeitigem Sprachwandel unterliegt. Was die sprachwandeltheoretische Modellierung betrifft, so wurde die Entwicklung von -s als Deflexivierung im Verlauf beschrieben. Anstatt einer Seitwärtsbewegung quer zu einem etablierten Grammatikalisierungspfad (Exaptation) liegt hier ein gradueller gegenläufiger morphosyntaktischer Wandel (Degrammatikalisierung) vor. Rückt man nicht das Morphem, sondern die Kon-

Theoretischer Status und (wandel-)theoretische Implikationen | 321

struktion in den Fokus der Analyse, so kann man davon sprechen, dass hier eine grammatische Konstruktionalisierung stattgefunden hat. Aus dem sich im Wandel befindlichen Status von -s ergibt sich für die synchrone theoretische Modellierung unter Annahme einer DP-Struktur, dass der pränominale Possessor am plausibelsten weiterhin zusammen mit dem Possessivmarker in SpecDP analysiert werden muss. Eine Analyse, die die Konstruktion als wesentliche Einheit in den Fokus rückt und Subkonditionen für ihren Gebrauch definiert, erscheint vor dem schwer greifbaren morphologischen Status von -s schließlich als beste Modellierung.

5.5 Personennamen – eine (nicht-)flektierbare Wortart? Welche Implikationen lassen sich aus den in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnissen nun für die Beschreibung der Genitivmorphologie im Deutschen ableiten, für die laut Konopka & Fuß (2016: 260) keine einheitliche Analyse vorliegt? Wie die bisherigen Ausführungen in diesem Kapitel gezeigt haben, ist es kaum zu rechtfertigen, die PersN noch als eine nach Kasus flektierende Nominalklasse zu bezeichnen – wofür bereits Plank (2011) und Nübling (2012) plädieren. Die flexivische Objektmarkierung kann mit dem Wegfall des -(e)n im 18./19. Jh. im Gegenwartsdeutschen zweifellos als komplett abgebaut gelten. Bezüglich der (kongruierenden) Genitivmarkierung lassen sich heute zwar noch flexivische Reste finden (z. B. des kleinen Sebastians), diese sind jedoch seit dem 18. Jh. nachweislich im Abbau begriffen. Lediglich das possessive -s ist äußerst stabil, doch kann es nicht mehr als paradigmatisches Flexiv angesehen werden. Mit der Annahme einer possessiven s-Konstruktion –, die bei PersN ihren Ursprung hat – bei ansonsten geltender anthroponymischer Flexivlosigkeit umgeht man nun das Problem, syntaktisch konditionierte Allomorphie für den nominalen Bereich anzunehmen – ein Phänomen, das im deutschen Nominalbereich sonst nicht zu beobachten ist (vgl. Neef 2006 für diese Analyse). Daneben muss auch nicht von einem sonst bei Nomina nie zu beobachtenden positionsabhängigen Deklinationsklassenwechsel ausgegangen werden (vgl. hierzu Duden-Grammatik 92016: 200–202). Wie gezeigt, ist die s-Losigkeit im Genitiv schließlich nicht nur abhängig vom Vorhandensein eines Determinierers, da auch präpositional regierte artikellose PersN der durch Schemakonstanz bedingten onymischen Deflexion unterliegen und zur Null-Markierung tendieren. Für verbal regierte Genitive muss dies in zukünftigen Studien anhand eines geeigneten Korpus noch überprüft werden. Letztendlich wird auch die Erklärungskraft der hier schon öfter zitierten Genitivregel durch den vorgeschlagenen Ansatz gestärkt. Indem das an pränominale Possessoren tretende -s nicht

322 | Das possessive -s bei Personennamen – ein Kasusmarker auf Abwegen

mehr als genitivisch betrachtet wird, fallen pränominale Possessorphrasen auch nicht mehr in den Erklärungsbereich der Genitivregel und stellen somit auch keine Ausnahme für sie dar. Wie das nun vorgeschlagene onymische Singular-Paradigma in Tabelle 36 zeigt, weisen feminine Namen nach meiner Analyse nie einen Genitivmarker auf. Bei maskulinen und neutralen EN ist im Genitiv je nach Namenklasse starke Variation zwischen -s und -Ø zu beobachten, wobei die progressiven PersN bezüglich echter Genitivmarkierung eher zu -Ø und somit auch zu kompletter Flexivlosigkeit im Singular tendieren. Die – legt man der Namenklassifikation die erweiterte Belebtheitshierarchie zugrunde – weniger prototypischen Toponyme schwanken hinsichtlich der Genitivmarkierung teils erheblich, wobei inner- und außersprachliche Faktoren wie z. B. Fremdheitsmerkmale oder Vertrautheit eine nachweisliche Rolle spielen (vgl. Zimmer 2018: 137–176). Tab. 36: Die onymische Deklinationsklasse im Singular: traditionelle vs. hier vertretene Sicht

EN NEU

EN TRADITIONELL F.

M.

N.

F.

M.

N.

Nom.













Akk.













Dat.













Gen.

-s

-s

-s



-Ø /-s

-Ø /-s

Das possessive -s ist meiner Analyse zufolge ein vom flexivischen Genitiv separat zu behandelnder Marker, der somit auch im onymischen Deklinationsparadigma nicht erfasst werden sollte. Sein Sonderstatus begründet nun auch seine Stabilität bei im flexivischen Bereich ansonsten stark um sich greifender schemakonstanzbedingter Deflexion. Hier sei noch angemerkt, dass die s-Markierung auch im Plural – trotz merklicher Schwundtendenzen – insgesamt noch recht intakt ist (vgl. 4.2.4). Dies wurde mit dem Bybee’schen Relevanzprinzip erklärt: Die höhere Relevanz des Konzepts Numerus (im Vergleich zu Kasus) sollte sich auch ausdrucksseitig widerspiegeln. Bei EN insgesamt von einer nicht-flektierbaren Wortart zu sprechen, erscheint somit vor dem Hintergrund ihres gegenwärtigen flexivischen Verhaltens als zu weitreichend.

6 Fazit und Ausblick In der vorliegenden Arbeit wurde das morphosyntaktische Verhalten der PersN im Deutschen anhand mehrerer empirischer Studien mit diverser Methodologie aus synchroner und diachroner Perspektive in den Blick genommen. Die durchgeführten Untersuchungen liefern somit einen wesentlichen Beitrag zur empirisch fundierten Erfassung und theoretischen Beschreibung der speziellen PersN-Grammatik und ihrer Entwicklung. Die zentralen Erkenntnisse der Arbeit sollen im Folgenden nun noch einmal resümiert werden. Im Anschluss daran erfolgt eine Diskussion möglicher Anknüpfungspunkte.

6.1 Resümee der wichtigsten Ergebnisse EN werden in dieser Arbeit als eine funktional definierte Klasse angesehen, die aus prototypentheoretischer Perspektive auf einem Kontinuum zwischen Pronomina und Nomina angesiedelt ist (vgl. 2.1.4). Wie in Kap. 2.2 diskutiert wurde, können PersN innerhalb der EN-Klasse aufgrund ihrer hohen Einordnung auf der erweiterten Belebtheitsskala als die prototypischsten Vertreter mit dem höchsten Grad an Onymizität gesehen werden. Für die Einordnung der PersN im nominalen Bereich bedeutet dies wiederum, dass PersN aufgrund ihres vom nativen Substantivbereich stark abweichenden morphologischen (und syntaktischen) Verhaltens äußerst periphere Mitglieder darstellen (vgl. 4.3). Eine zunehmende Entfernung der PersN aus der Klasse der Substantive ist vor dem Hintergrund ihrer diachronen Entwicklung anzunehmen. Als eine wichtige – aus der empirischen Betrachtung gewonnene – Erkenntnis ist zu erwähnen, dass sich der funktionale Wandel der einstigen BeiN zu FamN wie auch die Fixierung des zweigliedrigen GesamtN morphosyntaktisch nachzeichnen lässt, was für den Fall der Fixierung der RufN+FamNSequenz in Kap. 3 korpusbasiert gezeigt wurde. Zum einen wandeln sich BeiN zu prototypischen Benennungseinheiten, indem sie ihre Begleitwörter verlieren und durch Zusammenrückungen und -setzungen zu Einworteinheiten werden. Zum anderen wird der FamN innerhalb des zweigliedrigen GesamtN zum formalen Kopf der Konstruktion. Es entsteht ein Mischtyp am Übergangsbereich zwischen Morphologie und Syntax, der in Kap. 3.1.3 als syntactic compound mit der internen Struktur [N10 N20]N20 beschrieben wurde. Daneben wurde gezeigt, dass die Kasus-Deflexion der PersN einen komplexen Prozess darstellt, der auch die Grammatiker des 18. bis 20. Jh. in ein normatives Dilemma gebracht hat. Dieser Prozess, über dessen genauen Verlauf und

https://doi.org/10.1515/9783110600865-006

324 | Fazit und Ausblick

seine Determinanten wir bislang aufgrund fehlender Korpusuntersuchungen nicht viel wussten, wurde in Kap. 4 erstmals datenbasiert nachgezeichnet. Die Ergebnisse der Korpusstudie zeigen, dass die flexivische Markierung bei Namen im Akkusativ und Dativ, die noch im Fnhd. vorrangig mit dem überstabilen Objektmarker -(e)n erfolgte, zum 19. Jh. hin schwindet. Diese syntagmatische Deflexion ist wesentlich durch das Streben nach onymischer Schemakonstanz determiniert und erfolgt in Abhängigkeit vom Namenauslaut. Von der syntaktischen Seite aus wird dieser Prozess durch ein erhöhtes Aufkommen von Artikelwörtern begleitet, die die Kasusanzeige innerhalb der Nominalgruppe während der flexivischen Umbruchperiode übernehmen. Bei präpositional regiertem Kasus schwindet die flexivische Markierung am Namen zuerst, wobei sich der Markerschwund zum Ende des 20. Jh. auch bei verbal regiertem Akkusativ und Dativ komplett durchsetzt. Der Flexivabbau im Genitiv findet insgesamt etwas später statt und vollzieht sich nur da, wo ein Artikel die Kasusanzeige übernimmt. Als überstabiler Marker setzt sich im 20. Jh. das invariante -s der starken maskulinen Deklination durch, das sich durch seine gestaltschonende Qualität auszeichnet. Auch bei dieser interparadigmatischen Ausbreitung kommt dem Auslaut eine entscheidende Rolle zu: Das -s setzt sich zuerst bei Namen durch, bei denen das dort ursprünglich verwendete silbische -en(s) den Namenkörper stärker affiziert. Strukturschonung ist auch das entscheidende Kriterium für die Veränderungen im Pluralsystem, in dem sich das invariante -s zum 20. Jh. hin ausbreitet. Bei den PersN lässt sich somit selbst bei der relevanteren nominalen Kategorie Plural im Gegenwartsdeutschen syntagmatische Deflexion beobachten, wenn die Pluralmarkierung bereits an einem Begleitwort erfolgt. Mithilfe eines Lesezeit-Experiments mit gegenwartssprachlichen Schwankungsfällen konnte in Kap. 4.3 schließlich psycholinguistische Evidenz für die dem Prinzip der Schemakonstanz zugrundeliegende Prämisse geliefert werden, dass die Konstanthaltung des Wortkörpers die Wiedererkennbarkeit eines peripheren Substantivs verbessert. Aus methodologischer Sicht wurde zusätzlich die Erkenntnis gewonnen, dass psycholinguistische Methoden und die Erforschung funktionaler Sprachwandelmotivationen – durch die Untersuchung gegenwartssprachlicher Zweifelsfälle – durchaus vereinbar sind. Schließlich wurde das einst genitivische onymische -s, das sich im 20. Jh. bei allen – außer den auf Sibilant endenden – EN als Marker von Possessivität durchgesetzt hat, aufgrund seiner überraschenden Stabilität einer genaueren Prüfung unterzogen. Korpus- und fragebogenbasierte Daten zum aktuellen Vorkommen von -s sowie ein Vergleich mit anderen germanischen Sprachen haben gezeigt, dass dieses einstige Genitivflexiv auch im Deutschen einen gravierenden Wandel vollzogen hat. Zwar kann es (noch) nicht als klitischer Mar-

Resümee der wichtigsten Ergebnisse | 325

ker analysiert werden, doch die Zuschreibung eines vollflexivischen Status wäre ebenso verfehlt. Im CxG-Framework lässt sich die pränominale Possessivkonstruktion als ‚s-construction‘ modellieren, wodurch eine eindeutige Kategorisierung vermieden wird. Der in Kap. 5 gemachte Vorschlag, das possessive -s im Deutschen – wie sein Pendant in anderen germanischen Sprachen – nicht mehr als paradigmatisches Genitivflexiv aufzufassen, ergänzt schließlich die bisherigen in der Literatur diskutierten Ansätze zur Erfassung der possessiven sKonstruktion (bzw. des pränominalen Genitivs) um eine datenbasierte, diachron-onymisch orientierte und kontrastiv informierte Erklärungskomponente. Insgesamt wurde gezeigt, dass die syntagmatische Deflexion der PersN im Kasus schon weiter vorangeschritten ist, als bisher angenommen wurde. Eine anthroponymische Deklinationsklasse, die bei Maskulina im Genitiv Singular -Ø – und nur in Resten -s – vorsieht und bei Feminina im Singular durchgehende Flexivlosigkeit ansetzt, wird vor dem Hintergrund des morphosyntaktischen Wandels im onymischen Bereich als adäquat angesehen. Im Plural überwiegt stets das invariante -s als Defaultmarker, wobei die Endungslosigkeit bereits eine Variante darstellt, die bei der Deklinationsklassendiskussion durchaus mitberücksichtigt werden sollte. Eine allgemeinere Erkenntnis, die die Erforschung des morphosyntaktischen Wandels von PersN hervorgebracht hat, ist, dass anhand von Onymisierungsprozessen untersucht werden kann, wie stabil unterschiedliche linguistische Bereiche gegenüber Wandelprozessen sind. Hinsichtlich der Entstehung der FamN und daraufhin der GesamtN hat sich beispielsweise gezeigt, dass der morphologische Wandel dem semantisch-pragmatischen Wandel nachgelagert ist. Es gilt also form follows function, indem funktionale Benennungseinheiten durch formale Benennungseinheiten abgebildet werden.1 Daneben zeigt die Tatsache, dass sich bei EN, die im Zuge ihrer Onymisierung funktional zu reinen Identifikatoren bzw. rigiden Designatoren werden, auch eine zunehmende Stabilität der Ausdrucksseite einstellt, dass der formale Wandel als Konsequenz des funktionalen Wandels anzusehen ist (vgl. auch Mayerthaler 1981: 152). Mit dem Verblassen der Inhaltsseite geht bei EN eine erschwerte Memorierbarkeit und Wiedererkennbarkeit einher, was zu einer erhöhten Relevanz der Konstanthaltung des Namenkörpers führt, die sich beispielsweise im hier detailliert untersuchten Wegfall der Flexive widerspiegelt. Funktional rigide Designatoren werden zu formstabilen Einheiten.

|| 1 Für eine kurze Diskussion der zeitlichen Stabilität von Form vs. Funktion siehe Plank (2011: 284).

326 | Fazit und Ausblick

Eine weitere allgemeinere Erkenntnis, die aus der vorliegenden Arbeit hervorgeht, ist, dass EN und ihre spezielle Morphosyntax sich häufig nur schwer kategorisieren lassen. Angefangen mit der Frage nach der grammatischen Kategorie der EN über den morphosyntaktischen Status der GesamtN-Verbindung bis hin zum Status des possessiven -s, das im onymischen Bereich seinen Ursprung nimmt, haben sich immer wieder Kategorisierungsprobleme ergeben. Dieses Widerstreben einfacher Kategorisierungen, das typisch für voranschreitenden Sprachwandel ist, zeigt, dass Eigennamen vor allem auch aus wandeltheoretischer Perspektive interessante sprachliche Zeichen sind, da sie „wie keine andere sprachliche Einheit im Spannungsfeld sprachinterner (Monoreferenz, Direktreferenz) und sprachexterner Faktoren (Gesellschaft, Politik, Kultur, Rechtsprechung, Sprachkontakt)“ stehen (Nübling, Fahlbusch & Heuser 22015: 65). So verortet Debus (21980: 188) das Onomastikon im „Zwiebelmodell“ der sprachlichen Ebenen, das die sprachlichen Teilsysteme als Schichten visualisiert, in einer der äußeren Lagen, was bedeutet, dass EN stärkeren außersprachlichen Einflüssen unterliegen als beispielsweise das Lexikon (vgl. Abbildung 63).2 Dieses Spannungsfeld aus sprachinternen und -externen Faktoren macht Eigennamen für die diachron ausgerichtete Sprachwissenschaft besonders interessant. Beispielsweise hat sich das PersN-System – bedingt durch außersprachliche Faktoren – im Deutschen binnen weniger Jahrhunderte von der Ein- zur Zweigliedrigkeit gewandelt. Anhand dieses Wandels lässt sich nun – wie bereits gesagt – gut die Abfolge von Sprachwandelprozessen studieren. Zudem unterliegt der onymische Bereich seit jeher großem Fremdeinfluss, was sich beispielsweise in der Transferenz fremdsprachlicher Merkmale ins Deutsche zeigt. Diese ging zeitweise sogar so weit, dass Fremdsuffixe in die Wortstruktur eingegriffen und hier pragmatische Funktionen (wie Höflichkeit) erfüllt haben, denn den PersN wurden – auch bei nativem Ursprung – im 16., 17. und 18. Jh. in bestimmten Fällen lateinische Deklinationsendungen angehängt. Auch ein fremdsprachlicher bzw. lateinischer Einfluss auf die Syntax – genauer gesagt, die Distribution des onymischen Genitivattributs – wurde für die Serialisierung [Kopfnomen [ENs]] angenommen (vgl. 4.1.4).

|| 2 Nicht durch Zufall wird die Onomastik auch häufig als eine Art Hilfswissenschaft der Geschichtswissenschaft oder Soziologie gesehen. Die Monographie Die Moderne und ihre Vornamen: eine Einladung in die Kultursoziologie des Soziologen Gerhards (22010), der Namen als Indices für z. B. Christianisierungs- oder Individualisierungsprozesse sieht, die linguistische Ebene dabei aber leider völlig vernachlässigt, veranschaulicht dies treffend.

Resümee der wichtigsten Ergebnisse | 327

Abb. 63: Eigennamen als besonders sprachwandelanfällige sprachliche Zeichen (vgl. Debus 2 1980: 188)

Die Nähe der EN zum außersprachlichen Bereich bewirkt auch, dass sich die Morphologie (und Morphographematik) dieser sprachlichen Zeichen rasant – und vor allem rasanter als im übrigen nominalen Bereich – wandelt. Steche (1925) macht beispielsweise für die Deflexion der EN explizit die große Zahl an Fremdnamen verantwortlich, die im 18./19. Jh. ins Deutsche kamen. Während bei Fremdwörtern für gewöhnlich morphologische Integrationsprozesse zu beobachten sind (vgl. Zimmer 2018), bleiben die Fremdheitsmerkmale bei EN in der Regel bestehen. Dies ist damit zu erklären, dass EN nicht nur verstärkt außersprachlichen Einflüssen unterliegen, sondern diachron betrachtet auch ihren eigenen innersprachlich motivierten Regeln folgen. Im Zuge des onymischen Wandels driften EN – wie hier mehrfach gezeigt wurde – zunehmend weg von ihrer (meist) nominalen Ursprungskategorie und entwickeln sich in Richtung größerer Onymizität, was sie aus kategorialer Sicht schließlich schwer fassbar macht. So greifen Kategorien, Beschreibungsinstrumentarien und Wandelfaktoren, die gemeinhin für den nominalen Bereich angenommen werden, hinsichtlich der EN häufig zu kurz. Ein Driften hin zu größerer Onymizität bedeutet nun, dass EN, die sich diachron zwar aus der Lexik des Deutschen speisen, im Zuge der Proprialisierung ihren appellativischen semantischen Gehalt verlieren und eine referenzialdeiktische Sonderfunktion hinzugewinnen. Dieser funktional-semiotische Son-

328 | Fazit und Ausblick

derstatus führt schließlich zu formalen Veränderungen, sprich zur Entwicklung einer speziellen EN-Grammatik. Als nominale Elemente, die als rigide Designatoren fungieren, werden EN – im Gegensatz zum sprachlichen Material, aus dem sie entstanden sind – zunehmend formal stabil gelassen. Das innersprachlich motivierte Streben nach morphologischer Schemakonstanz bedingt schließlich die formale onymische Invarianz, die sich auf verschiedenen Ebenen beobachten lässt. Es kann festgehalten werden, dass EN nicht nur starken außersprachlichen Einflüssen unterliegen, sondern auch ihren eigenen innersprachlich motivierten Regeln folgen. Diese inner- und außersprachlichen Motivationen gilt es in zukünftigen Studien noch weiter zu erforschen, um zu einem besseren Verständnis der EN zu gelangen.

6.2 Ausblick Namen wurden bislang häufig aus grammatischen Untersuchungen ausgeklammert und haben nur selten im Fokus theoretischer und vor allem empirischer Studien gestanden. Die vorliegende Arbeit schließt also eine Forschungslücke im Bereich der diachronen und synchronen Nominalmorphologie, auf die schon Meyer (1914) und Steche (1927) zu Beginn des 20. Jh. aufmerksam gemacht haben. Natürlich konnten in dieser Arbeit nicht alle offenen Fragen zur Diachronie der EN-Morphosyntax (empirisch) beantwortet werden. Einige interessante Anknüpfungspunkte an die hier diskutierten Fragen sollen nun im Folgenden als Desiderate thematisiert werden. Die meinen Untersuchungen zugrundeliegenden (historischen) Korpora enthalten vor allem geschriebene (bzw. gedruckte) Sprache eines höheren Registers (z. B. Belletristik oder Predigten), die von professionellen Schreibern produziert wurde. Ein Blick in andere Korpora, die konzeptionell weniger schriftsprachliche Textsorten enthalten und somit den jeweils aktuellen Sprachgebrauch besser widerspiegeln – wie etwa das im Aufbau befindliche Korpus frühneuhochdeutscher Hexenverhörprotokolle (vgl. z. B. Szczepaniak & Barteld 2016 und Macha et al. 2005) oder das zur Zeit entstehende Nineteenth Century German corpus (NiCe German corpus, vgl. Elspaß & Niehaus 2014) –, wäre sicher lohnenswert. Eine Einbeziehung von regionalsprachlichen Daten – die in dieser Arbeit nicht systematisch untersucht wurden – könnte auch wichtige neue Erkenntnisse hinsichtlich des hier mehrfach erwähnten Zusammenspiels von Kasusmarkierung am Namen und Determinierer liefern. Schließlich schwankt der Gebrauch des onymischen Artikels, der sich vom südlichen Sprachgebiet ausgehend nach Norden ausgebreitet hat, im deutschen Sprach-

Ausblick | 329

raum stark. Zudem – so wurde hier ebenfalls angedeutet – weisen einige deutsche Dialekte besonders interessante morphosyntaktische Namenstrukturen auf, die das Standarddeutsche nicht kennt. Hier wäre beispielsweise die vom Standarddeutschen abweichende Serialisierung von Ruf- und FamN (de Meier Sepp) zu nennen, die sich bereits in fnhd. informelleren Schriftquellen wie den Ingelheimer Haderbüchern (vgl. Marzi 2011) findet und sich bis heute in diversen Substandardvarietäten gehalten hat (vgl. Berchtold & Dammel 2014). Ähnliches gilt für die Femininmovierung von FamN (die Schulzin, die Meyersche). Zudem wurde in dieser Arbeit nur der Zeitraum vom späten Frühneuhochdeutschen bis zum Gegenwartsdeutschen (1500 bis heute) empirisch in den Blick genommen. Dieser Untersuchungszeitraum stellt zwar – wie deutlich geworden sein sollte – die wesentliche Umbruchperiode dar, doch Deflexion „hinter den Kulissen“ findet schon ab mhd. Zeit statt (vgl. Nübling 2012). Herbers & Schmuck (2016) zeigen anhand von Daten aus dem Korpus der Mittelhochdeutschen Grammatik, wie ertragreich eine Untersuchung dieser Periode sein kann. Die althochdeutschen onymischen Deklinationsklassen wurden bisher empirisch noch gar nicht untersucht. Einen interessanten Bereich, der an die Entwicklungen hinsichtlich der Morphosyntax von EN anknüpft, stellt auch die Graphematik dar. Exemplarisch wurde immer wieder gezeigt, dass Syngrapheme – im Hinblick auf die Flexion ist vor allem der morphographische Apostroph zu nennen – genutzt werden, um die Grenzen zwischen Name und Flexiv anzuzeigen. In früheren Sprachstufen wie auch noch heute werden zudem typographische Mittel genutzt, um sprachliche Zeichen wie Flexive, die nicht zum Namenkörper gehören, visuell abzugrenzen. All diese Verfahren der Sichtbarmachung morphologischer Grenzen wurden hier nicht systematisch untersucht und stellen somit ein wichtiges Desiderat dar. Die Sichtbarmachung morphologischer Grenzen hängt eng mit dem Faktor Schemakonstanz zusammen, der hier als allgemeiner Wandelfaktor für den peripheren Substantivbereich – zu dem auch die EN zählen – diskutiert wurde. Mithilfe eines psycholinguistischen Experiments konnte gezeigt werden, dass eine wichtige, der Schemakonstanz zugrundeliegende Prämisse gegeben ist: Flexive erschweren die Wiedererkennbarkeit peripherer Substantive. Onymische Wortkörperschonung – durch Syngrapheme oder strukturbewahrende morphologische Mittel – ist dabei nicht nur im flexions- sondern auch im wortbildungsmorphologischen Bereich relevant, wie aktuelle Studien zu ausbleibenden Fugenelementen und vermehrter Bindestrichschreibung bei ENKomposita (vgl. Schlücker 2017) oder zur Entwicklung spezieller onymischer Derivationssuffixe wie ’sche (vgl. Kempf 2017) zeigen. Vor allem diachrone For-

330 | Fazit und Ausblick

schung zur Entstehung und Ausbreitung namenschonender Verfahren steht noch aus. Auch eine cross-linguistische Untersuchung, die Sprachen mit noch intakter EN-Flexion miteinbezieht, erscheint als besonders interessant. In der vorliegenden Arbeit wurden primär PersN als die prototypischste Namenklasse in den Blick genommen, um die Determinanten des morphosyntaktischen Wandels zu untersuchen. Wie in Kap. 2.2 ausführlich diskutiert wurde, sind EN im Deutschen keinesfalls als homogene Klasse aufzufassen, was sich auch in unterschiedlichem grammatischem Verhalten niederschlägt. Die Determinanten dieser grammatischen Unterschiede – wie beispielsweise Belebtheit im weiteren Sinne – gilt es in zukünftigen Studien eingehender zu erforschen. Gerade für Untersuchungen, die eine korpusbasierte Erforschung der grammatischen Eigenschaften unterschiedlicher Namenarten anstreben, wäre dazu eine Verbesserung der automatischen EN-Erkennung mit der Auszeichnung unterschiedlicher Namenarten von sehr großem Nutzen. Was hier deutlich geworden sein sollte, ist die Tatsache, dass ein Ignorieren der EN zum einen einer adäquaten Erfassung der Nominalmorphologie des Deutschen und den Determinanten ihrer Entwicklungen nicht gerecht wird. Zum anderen verhilft eine linguistisch fundierte Untersuchung der EN zu einem besseren und umfassenderen Verständnis dieser nominalen Sonderklasse. Die vorliegende Arbeit sollte gezeigt haben, wie lohnenswert es ist, EN aus ihrem etymologisch-philologischen Nischendasein zu holen und sie fest in der Linguistik – genauer gesagt der Morphosyntax – zu verankern.

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Anhang Anhang A: Namensample DECOW2012 Tab. 37: Das den DECOW-2012-Studien zugrundeliegende RufN-Sample

Nr.

Name

Silbenzahl

Auslaut

Frequenz

Geschlecht

n

1

Adam

2

Sonorant

>10.000

m

14.055

2

Adelheid

3

Obstruent

10.000

w

11.366

8

Angelika

4

Vokal

1.000-10.000

w

4.746

9

Angelina

4

Vokal

1.000-10.000

w

2.656

10

Annabelle

3

Sonorant

10.000

m

15.688

17

Benedikt

3

Obstruent

1.000-10.000

m

5.569

18

Benjamin

3

Sonorant

>10.000

m

11.389

19

Bernadette

3

Obstruent

10.000

m

19.905

58

John

1

Sonorant

>10.000

m

44.645

59

Jonathan

3

Sonorant

1.000-10.000

m

6.265

60

Jörg

1

Obstruent

>10.000

m

18.879

61

Jörn

1

Sonorant

1.000-10.000

m

2.133

62

Josephine

4

Vokal

10.000

m

13.877

69

Konrad

2

Obstruent

1.000-10.000

m

8.287

70

Konstantin

3

Sonorant

1.000-10.000

m

4.421

71

Kristin

2

Sonorant

1.000-10.000

w

1.022

72

Kurt

1

Obstruent

>10.000

m

18.421

73

Larissa

3

Vokal

10.000

m

89.697

98

Rafael

3

Sonorant

1.000-10.000

m

3.334

99

Rahel

2

Sonorant

10.000

m

41.439

356 | Anhang

Nr.

Name

Silbenzahl

Auslaut

Frequenz

Geschlecht

n

103

Roland

2

Obstruent

>10.000

m

13.789

104

Rolf

1

Obstruent

>10.000

m

12.188

105

Rosemarie

4

Vokal

10.000

m

18.238

110

Simon

2

Sonorant

>10.000

m

15.454

111

Stefan

2

Sonorant

>10.000

m

37.859

112

Susanne

3

Vokal

>10.000

w

11.472

113

Tanja

2

Vokal

1.000-10.000

w

5.311

114

Tim

1

Sonorant

>10.000

m

17.674

115

Tina

2

Vokal

1.000-10.000

w

4.489

116

Tom

1

Sonorant

>10.000

m

23.919

117

Ulf

1

Obstruent

1.000-10.000

m

4.807

118

Uwe

2

Vokal

>10.000

m

18.227

119

Verena

3

Vokal

1.000-10.000

w

2.393

120

Victoria

4

Vokal

1.000-10.000

w

5.353

Name

Silbenzahl

Auslaut

Frequenz

Geschlecht

n

121

Agnes

2

Sibilant

1.000-10.000

w

2.309

122

Doris

2

Sibilant

1.000-10.000

w

4.382

123

Francoise

2

Sibilant

10.000

m

40.793

125

Hieronymus

4

Sibilant

10.000

m

28.531

127

Liz

1

Sibilant

1.000-10.000

w

2.481

128

Markus

2

Sibilant

>10.000

m

25.114

129

Matthias

3

Sibilant

>10.000

m

20.251

130

Max

1

Sibilant

>10.000

m

33.194

131

Moritz

2

Sibilant

1.000-10.000

m

6.412

132

Suz

1

Sibilant