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German Pages 303 [304] Year 2023
Theresa Schweden Personenreferenz im Dialekt
Empirische Linguistik / Empirical Linguistics
Herausgegeben von Wolfgang Imo und Constanze Spieß
Band 18
Theresa Schweden
Personenreferenz im Dialekt Grammatik und Pragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen
Der Peer Review wird in Zusammenarbeit mit themenspezifisch ausgewählten externen Gutachterinnen und Gutachtern durchgeführt. Unter https://www.degruyter.com/view/serial/428637 finden Sie eine aktuelle Liste der Expertinnen und Experten, die für die Reihe begutachtet haben. Dissertation, Fachbereich 05, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (D77)
ISBN 978-3-11-099920-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-098770-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-098806-2 ISSN 2198-8676 Library of Congress Control Number: 2022950739 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck. www.degruyter.com
Vorwort Bei diesem Buch handelt es sich um meine leicht überarbeitete Dissertation, die ich im Juli 2021 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz eingereicht habe. Sie ist aus den Daten eines Forschungsprojekts an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hervorgegangen. Als ich begann, Germanistik zu studieren, war ich überzeugt, ich sei mit meinem Interesse für deutsche Dialekte alleine auf weiter Flur. Ich merkte schnell, dass ich damit einem großen Irrglauben unterlag. Von der Dialektmorphologie weitete sich mein Interesse bald auf Dialektpragmatik und Soziodialektologie aus, und inspiriert von der Mainzer Namenforschung rückten dialektale Namen in den Fokus meiner Aufmerksamkeit. Es überraschte und begeisterte mich, dass sich bereits andere Wissenschaftler:innen vor mir mit diesem Thema auseinandergesetzt hatten. Während meiner Promotionszeit und meiner Arbeit „im Feld“, mit dem ich dank meiner eigenen ländlichen Herkunft problemlos verschmelzen konnte, waren es jedoch nicht nur die Erkenntnisse, die mich inspirierten; es waren auch die zahlreichen Menschen und Begegnungen. Viele dieser Menschen haben dazu beigetragen, dass dieses Buch entstehen konnte. Ihnen gilt mein größter Dank. Ich danke allen voran meinen Betreuerinnen Damaris Nübling und Antje Dammel. Sie haben mich zur Wissenschaft gebracht, gefördert und beispiellos betreut. Sie teilen meine Begeisterung für empirische Forschung generell und für den Forschungsgegenstand im Speziellen. Viel wichtiger noch: Sie haben von Beginn an etwas in mir gesehen, das ich selbst oft nicht gesehen habe. Dies hat mich besonders in meiner Arbeit bestärkt. Ein besonderer Dank gilt allen Gewährspersonen aus meinen Erhebungsorten, die maßgeblich daran beteiligt waren, das hier behandelte Phänomen noch rechtzeitig zu untersuchen, bevor es völlig verschwunden ist. Ohne sie gäbe es die wertvollen Daten nicht, die ich in diesem Buch dokumentiere und analysiere. Insbesondere danke ich meinen Gatekeeper:innen, die Befragungstermine organisiert, koordiniert und mitgestaltet haben und mich (eine für sie fremde Wissenschaftlerin) vom Bahnhof abgeholt oder mir ein Gästezimmer zur Verfügung gestellt haben. Auch nach den Erhebungen standen sie immer für Fragen zur Verfügung. Ebenfalls danke ich allen Kolleg:innen, die für mich Kontakt zu Gatekeeper:innen hergestellt haben: Daniel Kroiß, Christian und Susanne Zschieschang, Horst Simon, Anne Rosar, Simone Busley und Jens Kersting. Auch vielen weiteren Kolleg:innen aus dem universitären Umfeld möchte ich hier danken: Meiner guten Freundin und Kollegin Anne Rosar für drei Jahre des einmaligen Arbeitsklimas und fruchtbaren Austauschs im Büro und für kritische Begutachtungen des historischen Kapitels. Großen Dank all meinen Kolleg:innen aus Mainz und Münster für Input, Unterstützung und wissenschaftliche wie nichthttps://doi.org/10.1515/9783110987706-202
VI
Vorwort
wissenschaftliche Gespräche bei Stammtischen, Weihnachts- und Maifeiern, Zugreisen, Kolloquien und Tagungen. Angelika Linke möchte ich ebenfalls für viele inspirierende und ideenreiche Gespräche danken. Auch sind alle Hilfskräfte zu nennen, die am Projekt mitgewirkt und an der Transkription und Datenauswertung beteiligt waren, namentlich Katja Burger, Lukas Theobald, Eva Groh, Philip Dondrup, Liv Büchler und Thomas Böcker. Meiner Familie – meinen Eltern und meiner Oma Helene – danke ich von Herzen für jede erdenkliche Unterstützung und den großen Rückhalt, den ich durch sie erfahre. Allen Personen in meinem persönlichen Umfeld danke ich dafür, dass sie mir immer motivierend zur Seite gestanden und an meine Arbeit geglaubt haben. Zu guter Letzt hat mir auch meine Hündin Frida durch Spaziergänge und die einfachen Dinge des Lebens immer geholfen, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungen
XI XIII
XV
1 1.1 1.2
1 Einleitung Zielsetzung 1 Aufbau der Arbeit
2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4
6 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz Gesamtnamen: Im Spannungsfeld zwischen offiziell und inoffiziell Dörfliche Hausnamen als inoffiziellste Referenzformen 8 Forschungsüberblick: Diatopische Variation von FamN+RufN 9 Überblicksbeschreibungen 9 Bairisch 13 Westmitteldeutsch 13 Luxemburgisch 15 Westfälisch und Niederfränkisch 16 Zusammenfassung 17
4
19 Empirische Studie: Methodologie Indirekte Methode: Fragebogenstudie 20 Konzeption 20 Aufbereitung und Auswertung 23 Direkte Erhebungen: Feldstudie 24 Probleme klassisch-dialektologischer Methoden bei der Erhebung der Pragmatik von Personenreferenz 24 3.2.2 Ortsgröße und Gruppendynamik 25 3.2.3 Gewährspersonen 28 3.2.4 Gatekeeperperson 30 3.2.5 Ausgangsbedingungen: Setting 32 3.2.6 Direkte Methoden 33 3.2.6.1 Präambeln und Prinzipien bei Erhebung und Auswertung 33 3.2.6.2 Fotogespräch 34 3.2.6.3 Übersetzungsaufgaben 34 3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1
6
VIII 3.2.6.4 3.2.7 3.2.8 3.2.9 3.2.10
Inhaltsverzeichnis
Sprachreflexive Methode: Fokusgruppendiskussion 36 Ablauf der Erhebung 38 Fehlerquellen und Maßnahmen 39 Aufbereitung und Annotation der Daten 39 Aufbereitung und Auswertung der Fokusgruppen 40
4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8 4.5
44 Soziolinguistik der Gesamtnamen Vorüberlegungen 44 Soziales Netzwerk, Sprechgemeinschaft oder Community of Practice 45 Einflussfaktoren auf die Serialisierung: quantitativ 46 Stichprobe 46 Klassifikationsbaum zur Ermittlung von Steuerungsfaktoren Einflussfaktoren auf die Serialisierung: qualitativ 56 Überblick 56 Dialektgebrauch 60 Teilnahme am Ortsgeschehen 69 (Familiäre) Ortsgebundenheit 72 Dörfliche Raumkonzepte 80 Ingroup-Herstellung auf dem Dorf 86 Ortsgröße 88 Alter der Sprechenden und Referenzpersonen 93 Zusammenfassung 95
5 5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3
98 Diatopie von Familienname+Rufname Onlinefragebogen: Überblicksdarstellung 98 Arealbildung bei der Modifikation des Familiennamens Direkte Erhebungen 104 Dialektale Referenzsysteme: Überblick 104 Variation in direkten Erhebungsdaten 109 Zusammenfassung 111
4 4.1 4.2
113 6 Onymische Personenreferenz historisch 6.1 Bisherige Studien zu historischen Quellen 113 6.2 Eigene Studie historischer Hexenverhörprotokolle 6.2.1 Datenbasis und Auswertungsmethode 114 6.2.2 Soziolinguistische Ergebnisse 116 6.2.2.1 Referenz und soziale Variablen 116 6.2.2.2 Geschlechterspezifische Referenz 119 6.2.3 Strukturelle Variation 122
114
100
51
Inhaltsverzeichnis
6.2.3.1 6.2.3.2 6.3 7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.3.1 7.1.3.2 7.1.3.3 7.1.3.4 7.1.4 7.1.4.1 7.1.4.2 7.1.4.3 7.1.4.4 7.1.5 7.2 7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.2 7.2.2.1 7.2.2.2 7.2.2.3 7.2.3 7.3 7.3.1 7.3.2 7.4 7.5
Historische Verbreitung der Artikeltypen Entstehung von Typ 3 aus der Appellativik Zusammenfassung 130
IX
122 126
133 Grammatik von Familienname+Rufname Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung 133 Ortspunkte mit mehreren Strukturen 134 (Ehemalige) Genitivphrasen und Possessivmarker 135 Nominalkomposita 137 Formstabilität 138 Globale Kongruenz 139 Austauschbarkeit der Kompositionsglieder 139 Akzent 141 Exkurs: Akustisch-phonetische Studie zum Hauptakzent 143 Vorüberlegungen 143 Design 144 Daten und Interpretation 146 Abgleich mit ohrenphonetischen Annotationen 148 Modifikation am Familiennamen: Possessivmarker oder Fugenelement 149 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen 152 Fallbeispiel I: Formalisierung eines Systems: Abbau von morphologischer Komplexität in Worfelden (rheinfränkisch) 152 Daten 152 Szenario 1: Abbau morphologischer Komplexität 156 Szenario 2: Abwanderung flektierter Gesamtnamen in die Wortbildung 158 Fallbeispiel II: -s als überstabiler Marker in Wendeburg (ostfälisch) 160 Daten 160 Stabile Flexionsklassen und Überstabilität 161 Gesamtnamen auf dem Weg zur Überstabilität 164 Fallstudie III: Von der Syntax zur Wortbildung: Osterath (ripuarisch) 169 Familienname+Rufname zwischen Grammatik und Pragmatik 172 Fallbeispiel IV: Funktionale Differenzierung von Phrasen und Komposita in Höringen (rheinfränkisch) 172 Fallbeispiel V: Monopol der Komposita in Fürstenzell (bairisch) 180 Statistische Analyse 182 Zusammenfassung 190
X 8
Inhaltsverzeichnis
8.4 8.5
Konservierung des pränominalen Genitivs in der onymischen Referenz 193 Der pränominale Genitiv im Standard und im Dialekt 193 Interpretation des pränominalen Genitivs als verfestigtes sprachliches Muster 197 Eignung des Musterbegriffs für die Analyse dialektaler Referenzformen 197 Kulturanalytische Perspektive: Das Bauernhaus als lokal soziofunktionales System 202 Interpretation dörflicher Referenzsysteme anhand einschlägiger Referenztheorien 207 Ikonismus 212 Zusammenfassung 216
9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5
217 Familienkollektiva Forschungsstand 217 Daten aus historischen Quellen und Dialektgrammatiken Daten aus eigenen Erhebungen 224 Pragmatik der Familienkollektiva 232 Zusammenfassung 240
10 10.1 10.2
241 Zusammenfassung und Fazit Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Fazit und Ausblick 245
8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.3
Anhang A.1 A.2 A.2.1 A.2.2 A.2.3 A.2.4
241
249 Onlinefragebogen 249 Direkte Erhebungen 255 Übersetzungen (ohne syntaktischen Kontext) 255 Übersetzungen (mit syntaktischem Kontext) 256 Ergebnisse der schriftlichen Aufgaben 258 Leitfaden für Fokusgruppeninterview 262
Literatur
265
Register
283
221
Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11
Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17
Abb. 18
Abb. 19
Offizialitätsskala der Gesamtnamen 7 Regionale Variation bei der Abfolge von Ruf- und Familienname, Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) (Elspaß/Möller 2003ffa) https://www.atlas-alltagssprache.de/r10f16ab (03.10.2022) 12 Lage und dialektologische Einteilung der Erhebungsorte: Dialekteinteilung nach Wiesinger (1983) (Kartenerstellung mit REDE SprachGIS, Layer zur Wiesinger 26 Dialekteinteilung erstellt von Andreas Klein) Histogramm zum Geburtsjahr der Teilnehmenden mit Normalverteilungskurve, n = 808 (links) und Boxplot zur Einwohnerzahl der Ortspunkte, n = 807 (rechts), erstellt mit IBM SPSS Statistics 47 Verteilung der Teilnehmenden bei den Fragen zum Kontakt zu anderen Personen im Ort (links) und zur Häufigkeit des Dialektgebrauchs (rechts), n = 810, erstellt mit IBM SPSS Statistics 48 Verteilung von Teilnehmenden auf Dialektgroßräume in Deutschland und Schweiz, n = 755, erstellt mit IBM SPSS Statistics 49 Diatopische Variation in der Abfolge von Familien- und Rufname, Kartenerstellung mit QGIS und NaturalEarth 50 Häufigkeit des Dialektgebrauchs nach Dialektgroßregion in Deutschland und Schweiz, n = 755 51 CHAID-Klassifikationsbaum zur Abfolge von Familien- und Rufname, erstellt mit IBM 55 SPSS Statistics, n = 793 Codewolke: Eigenschaften von Referenzpersonen als pragmatische Steuerungsprinzipien für Familienname+Rufname, erstellt mit MAXQDA 57 Verteilung der Variable Geburtsjahr, Histogramm mit metrischen Daten für Teilnehmende aus Deutschland (links, n = 685 Antwortsätze) und der Schweiz (rechts, n = 112 Antwortsätze), erstellt mit IMB SPSS Statistics 59 Verwendung von Familienname+Rufname nach Häufigkeit des Dialektgebrauchs, n = 810 69 Verwendung von Familienname+Rufname nach Kontakt zu Ortsbewohner:innen, n = 810 80 Schematische Darstellung des dörflichen Sozialraums 83 Verwendung von Familienname+Rufname nach Ortsgebundenheit gemessen an der Dauer der Ansässigkeit, n = 677 86 Verwendung von Familienname+Rufname nach Einwohnerzahl der Orte, deren Dialekt die Teilnehmenden sprechen, n = 801 89 Verwendung von Familienname+Rufname nach Einwohnerzahl (bis 20.000 Einwohner:innen) der Orte, deren Dialekt die Teilnehmenden sprechen, n = 530, Trendlinie Familienname+Rufname: linear (R2 = 0,93); Trendlinie Rufname+Familienname: polynomisch (R2 = 0,70) 92 Verwendung von Familienname+Rufname nach Geburtsjahr, dichotom, n =802; polynomische Trendlinien: Familienname+Rufname verwendet: R2 = 0,72; nicht verwendet: R2 = 0,59 95 Pragmatik von Familienname+Rufname im Ortsvergleich 97
https://doi.org/10.1515/9783110987706-204
XII Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28
Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35
Abb. 36 Abb. 37 Abb. 38 Abb. 39 Abb. 40
Abbildungsverzeichnis
Morphosyntaktische Typen für die Reihenfolge Familienname+Rufname, Kartenerstellung mit QGIS und Natural Earth 99 Kartierung einzelner Namen aus der Online-Erhebung. a) Markus Klein, b) Emma Fischer, c) Inga Friedrich 101 Variation in der Gesamtnamenabfolge nach Erhebungsorten, n = 812 (Types) 108 Abfolge im GesamtN in frühneuhochdeutschen Gerichtsprotokollen nach Dialektgroßraum, n = 432 118 Artikeltyp bei Personenreferenzformen in frühneuhochdeutschen Gerichtsprotokollen, n = 213 (Types) 124 Entstehung und Entwicklung von Typ 1–4 132 Messung eines Gesamtnamens aus Idar-Oberstein mittels der Phonetik-Software Praat 145 Gegenüberstellung der Anteile von -s und anderen Markierungen am Familiennamen in vier Erhebungsorten; schriftliche Daten, n = 206 (Tokens) 166 Verbreitung des Genitivs in Familiennamen. a) Patronyme und Berufsnamen mit starkem Genitiv, Kartenerstellung durch Anne Rosar; b) Patronyme mit schwachem Genitiv, Kartenerstellung durch Theresa Schweden; beide Karten nach dem Vorbild aus Fahlbusch et al. (2012: 14, 44) 170 Artikeltyp nach Geschlecht der Referenzpersonen in Höringen (rheinfränkisch) 175 Pragmatische Steuerung von Phrasen und Komposita in Ehringen, Höringen, IdarOberstein und Worfelden, n = 174 180 CHAID-Klassifikationsbaum zu modifizierenden Elementen am Familiennamen, erstellt mit IBM SPSS Statistics, n = 1.241 187 Modifikation des Familiennamens nach Silbenzahl, n = 952 schriftliche Übersetzungen fingierter Namen aus 12 Erhebungsorten 189 Modifikation des Familiennamens nach Auslaut, n = 922 schriftliche Übersetzungen fingierter Namen aus 12 Erhebungsorten (Tokens) 190 Diachrone Entwicklungsszenarien possessiver Genitivphrasen 191 Plural von Familiennamen im Nominativ (links) und mit Präposition+Dativ (rechts) im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) (Elspaß/Möller 2003ffb); https://www.atlasalltagssprache.de/runde-7/f07a-c (03.10.2022) 220 Gebrauch verschiedener Kollektiva in Dialektgrammatiken, n = 31, Kartenerstellung mit QGIS und Natural Earth 223 Diatopische Variation der Referenz auf Familien, Kartenerstellung mit QGIS und Natural Earth 225 Diatopische Variation von Familienkollektiva (links) und Gesamtnamen (rechts) im direkten Vergleich, Kartenerstellung mit QGIS und NaturalEarth 226 Diatopische Variation der Referenz auf Familien vor 1950, n = 15 Ortspunkte (Datenbasis: Dialektgrammatiken), Kartenerstellung mit QGIS und NaturalEarth 228 Possessivkonstruktionen aus den Substantiven Familie Becker/Hund 229
Tabellenverzeichnis Tab. 1 Tab. 2 Tab. 3 Tab. 4 Tab. 5 Tab. 6 Tab. 7 Tab. 8 Tab. 9 Tab. 10 Tab. 11 Tab. 12 Tab. 13 Tab. 14 Tab. 15 Tab. 16 Tab. 17 Tab. 18 Tab. 19 Tab. 20 Tab. 21 Tab. 22 Tab. 23 Tab. 24
Tab. 25
Einteilung formaler Typen von Kombination aus Rufname und Familienname nach Bach (1952: 68) 10 Methodenkontinuum der Studie zu inoffiziellen Personennamen 19 Ausgangsstrukturen abgefragter Familiennamen 22 Ortspunkte der direkten Erhebung sortiert nach Einwohnerzahl (jeweils aktuellste 26 Angabe (2007–2019) Anzahl und Verteilung der Gewährspersonen nach Erhebungsort, Alter und Geschlecht 30 Ausgewählte Namenkombinationen für schriftliche Methoden der direkten Befragung 35 Ausgewählte Familiennamen zur Bildung von Familienkollektiva für schriftliche Methoden der direkten Befragung 35 Verwendete Elemente der Qualitativen Inhaltsanalyse und der Grounded Theory 42 Im Klassifikationsbaum Modell enthaltene unabhängige Variablen 52 Klassifikationstabelle des CHAID Klassifikationsbaums zur Serialisierung von Familienund Rufname (erstellt mit IBM SPSS Statistics) 56 Häufig vergebene Kategorien (≥ 15) bei Antworten zu Verwendungskontexten 56 Strukturelle Typen in der Abfolge Familienname+Rufname 104 Onymische Referenzformen in 11 Erhebungsorten, n = 1.850 Onyme (Methode Fotogespräch, Types) 105 Onymische Referenzformen in 11 Erhebungsorten nach Geschlecht, n = 1.812 genuine Referenzsituationen 106 Referenzsysteme in 12 Erhebungsorten 110 Untersuchte Hexenverhörprotokolle 115 Onymische Referenzformen in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen nach Geschlecht, n = 705 (Types) 117 Häufigkeiten semantischer Rollen von Genitivattribut und Kopf bei n = 204 pränominalen Genitiven mit Personen in Possessor Position (Types) 120 Auswirkung der Variable Geschlecht bei Personenreferenzformen in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen, n = 206 (Types) 123 Artikeltyp und Suffigierung bei Personenreferenzformen in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen, n = 197 (Types) 125 Artikeltyp bei Personenreferenzformen in frühneuhochdeutschen Hexenverhörprotokollen, n = 210 (Types) 127 Variation der Akzentstrukturen in Erhebungsorten 134 Kriterien zur Klassifikation von Familienname+Rufname als Komposita 142 Hauptakzent in Worfelden (rheinfränkisch) nach modifizierendem Element am Familiennamen; n = 83 Tokens; Hauptakzent in Idar-Oberstein (moselfränkisch) nach modifizierendem Element Familiennamen, n = 76 auswertbare Realnamen (Tokens) 146 Hauptakzent in Idar-Oberstein (moselfränkisch) nach Artikelsetzung; n = 76 auswertbare Tokens 147
https://doi.org/10.1515/9783110987706-205
XIV Tab. 26
Tab. 27
Tab. 28 Tab. 29 Tab. 30
Tab. 31 Tab. 32 Tab. 33 Tab. 34 Tab. 35 Tab. 36 Tab. 37
Tabellenverzeichnis
Paradigmische und unparadigmische Fugenelemente bei appellativischen Nominalkomposita und onymischen Gesamtnamenkomposita (Familienname+Rufname) 152 Modifizierende Elemente in Worfelden in mündlichen Daten (Familienname/ Hausname+Rufname), n = 93 verschiedene Familiennamen/Hausnamen und in schriftlichen Daten (Familienname+Rufname), n = 104 (Tokens) 153 Diachrones Entwicklungsszenario der belegten Typen (erweitert nach Berchtold/ Dammel (2014: 277)) 160 Flexive bei Familienname/Hausname+Rufname in drei Erhebungsorten, n = 119 verschiedene Familiennamen 161 Verwendung verschiedener grammatischer Strukturen nach Geschlecht in Höringen, Ehringen, Idar-Oberstein und Worfelden, n = 469 Realnamen (referenzieller Gebrauch) 179 Klassifikationstabelle des CHAID-Klassifikationsbaums zur Modifikation (erstellt mit IBM SPSS Statistics) 188 Typen von Familienkollektiva in 12 Erhebungsorten 229 Pluralisierungen von Familiennamen in den direkten Erhebungen 231 Ergebnisse schriftliche Aufgabe (ohne syntaktischen Kontext), n = 839 259 Ergebnisse schriftliche Aufgabe (mit syntaktischem Kontext), n = 915 260 Verwendete Familienbezeichnungen in den schriftlichen Aufgaben, n = 422 261 Kollektiva Typen in schriftlichen Aufgaben nach Erhebungsorten 262
Abkürzungen FamN HausN RufN GesamtN
Familienname Hausname Rufname Gesamtname
https://doi.org/10.1515/9783110987706-206
1 Einleitung 1.1 Zielsetzung Diese Arbeit befasst sich mit der Referenz auf Personen in deutschen Dialekten. Wird in alltäglichen Gesprächen auf Personen referiert, verfolgen Sprechende an erster Stelle das Ziel, so präzise wie möglich zu sein, damit Hörende die Referenzperson zweifelsfrei identifizieren können. Hierzu stehen ihnen in jeder Sprache oder Varietät verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Durch das (Welt)-Wissen, das Hörende über Referenzpersonen haben, kann Referenz über unterschiedliche Zuschreibungen hergestellt werden. Dies kann im Bereich der nominalen Referenz beispielsweise durch Appositionen (Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin), Relativsätze (die Frau, die zwei Reihen vor uns sitzt) oder andere attributive Phrasen (die Tochter von Brigitte) geschehen. Daneben steht die Referenz mit onymischen Ausdrücken (Ich habe Frida/Peter Müller getroffen). In vielen Dialekten des Deutschen existieren neben dem Rufnamen (RufN), dem Familiennamen (FamN) und dem sogenannten Gesamtnamen (GesamtN) in der Abfolge RufN+FamN auch Referenzsysteme mit der Serialisierung FamN+RufN. Die beiden folgenden Gesprächsauszüge veranschaulichen das Wechselspiel unterschiedlicher referenzieller Ausdrücke, die von den Sprechenden durch Nähe- und Distanzsprachlichkeit (Beispiel 1: Tante Gisela), durch Eigenschaften der Referenzpersonen (in Beispiel 2: Enkelking von Möller Peter beispielsweise deren Alter) und durch die Optimierung der Referenzherstellung variiert werden.1 Beispiel 1: Tante Gisela 01 EHm64: und we dat is weeßt de AU nich oder? 02 nee. 03 EHw59: doch steht doch eben DRUNter; 04 GIsela. 05 EHm64: ach GIsela. 06 kuck AN. 07 GIsela(…) 08 SCHNEIder odder was,
1 Die Transkripte wurden nach dem Gesprächsanalytischen Transkriptionssystem 2 (GAT2) (vgl. Selting et al. 2009) als Basistranskripte erstellt. Alle verwendeten Namen wurden anonymisiert. Vgl. zur Aufbereitung der Daten genauer Kapitel 3.2.9 und 3.2.10. https://doi.org/10.1515/9783110987706-001
2
1 Einleitung
09 EHw59: !NEIN! nich SCHNEIders gisela. 10 dine TANte gisela. 11 EHm64: mine TANte gisela.2
Beispiel 2: Enkelking von Möller Peter 01 OSm43: und die andere is die maja MÖLler; 02 von der von der HEI von de03 jochen MÖLler. 04 enkelking von möller PEter.3
Formal handelt es sich nicht in allen Fällen lediglich um eine Inversion der beiden Namenbestandteile. Der FamN wird zusätzlich in einigen Varietäten durch ein additives Element modifiziert: (s) Müller-s Peter. Die Informantin WEw74 aus dem Ort Wendeburg (ostfälisch) bemerkt außerdem in Beispiel 3: Beispiel 3: Funken 01 WEw74: dann SACHT man auch02 (0.7) äh das is nich (.) funKE.=ne, 03 sondern das is funKEN:;4
Während im deutschen Substandard und im Basisdialekt die Referenz auch mit der im Standard üblichen Abfolge RufN+FamN stattfinden kann, ist umgekehrt FamN+RufN im Standarddeutschen lediglich im schriftsprachlichen Gebrauch in „Formularen, Fragebögen und alphabetisch geordneten Personenverzeichnissen“ (Seibicke 1982: 16) möglich. In Sprachen wie Japanisch, Chinesisch oder Ungarisch dagegen ist sie die allgemeingebräuchliche Reihenfolge (vgl. Kagami 1996: 913; Seibicke 1982: 19). In einigen Substandardvarietäten, so z. B. im bairischen Raum, wird FamN+ RufN sogar gegenüber der standardsprachlichen Abfolge präferiert, während in anderen die beiden Serialisierungen gleichwertig nebeneinanderstehen und divergierende Funktionen erfüllen. Da in den untersuchten Daten die Familiennamenvoranstellung in verschiedenen Sprechlagen auftraten und an den Erhebungsorten und -gebieten Dialektgebrauch generell unterschiedlich stark ausgeprägt ist, beziehe ich mich im Folgenden mit dem Terminus Dialekt vereinfachend auf den Basisdialekt sowie auf alle Register des Substandards. Hervorzuheben ist dabei v. a. die Tatsache, dass „Dialekte nicht nur als räumliche, sondern zugleich auch als
2 Ausschnitt aus Fotogespräch 1 aus Ehringen (westfälisch): Aufnahmezeit: 19:23–19:45. 3 Ausschnitt aus Fotogespräch 2 aus Osterath (ripuarisch): Aufnahmezeit: 03:27–03:33. 4 Ausschnitt aus einem Fokusgruppentranskript aus Wendeburg (ostfälisch): Aufnahmezeit: 43:40– 44:39.
1.1 Zielsetzung
3
soziale Phänomene aufzufassen sind“ (Girnth 2007: 194; vgl. zur (Un)abhängigkeit von Familiennamenvoranstellung vom Dialekt auch die Kapitel 3.2.2 und 4.4.2). Wie bereits Seibicke (1982: 20) argumentiert, ist es deshalb nötig, den Aufbau des persönlichen Namens in einer beliebigen Sprache zunächst genau zu beschreiben, damit die Unterschiede zu den Regularitäten, Gewohnheiten und zum rechtlichen Status der einzelnen Namen oder Namenglieder in anderen Sprachen und Kulturen deutlich heraustreten.
Folglich sollte jeder Dialekt als eigenes Sprachsystem betrachtet werden. Als Vergleichssprache müssen sowohl andere Dialektsysteme als auch die standarddeutsche Varietät herangezogen werden. Die Beschreibung und Analyse der Referenzsysteme einzelner Dialekte formen die Agenda dieser Arbeit. Darüber hinaus wird eine dialektvergleichende Perspektive auf bundesdeutschem Gebiet gewählt. Dabei wird untersucht, welche onymischen Referenzformen in den jeweiligen Varietäten verwendet werden, wie frequent diese jeweils auftreten und welche soziolinguistischen Erkenntnisse sich daraus ziehen lassen. Schwerpunkt der Arbeit sind jedoch GesamtN in den beiden obengenannten variierenden Abfolgen von RufN und FamN. Thematisch muss die Referenz auf Personen v. a. von der persönlichen Anrede und von der Namengebung differenziert werden, die hier nicht untersucht wird. Mit Anredeformen weist die Referenz auf Personen laut Kolde (2000: 330) einige Gemeinsamkeiten auf: „Bei beiden geht es nicht nur um das Identifizieren, sondern auch um das Qualifizieren von Mitmenschen und der eigenen Beziehungen zu denselben, also um den zwischenmenschlichen Umgang [...].“ Dennoch erfolgt Personenreferenz meist in Abwesenheit der Referent:innen und erfüllt primär die Funktion, diese zu disambiguieren. Auch der Name als Forschungsgegenstand steht nicht im unmittelbaren Fokus dieser Arbeit. Es geht weder um etymologische Aspekte von Namen oder Namengebung (vgl. Debus 2012: 65: Namengebung vs. Namenverwendung) noch um deren soziale Zuschreibungen. Stattdessen beschäftigt sich die Studie mit verschiedenen Möglichkeiten der onymischen Referenz, die sich in einem Spektrum zwischen offiziell und inoffiziell bzw. dialektal und standarddeutsch bewegen. Im Zentrum steht nicht der „mit der motivbestimmten Namengebung angezeigte Intentionswert“ (Debus 2012: 65), sondern der „Kommunikationswert“ (Debus 2012: 65), der durch die Verwendung des Namens entsteht. Dazu gehört auch eine umfassende Analyse pragmatischer Steuerungsfaktoren beider GesamtN-Abfolgen. Untersucht werden Einflussfaktoren auf die Variation der Reihenfolge, zum einen innerhalb einzelner Sprachsysteme, zum anderen im Dialektvergleich. Somit ist die Arbeit an einer Schnittstelle von Onomastik und Pragmatik angesiedelt. Ebenso wird die Grammatik des Typs FamN+RufN untersucht, was zusätzlich einen Schnittpunkt mit der (historischen) Morphosyntax etabliert: Neben der diaphasischen untersucht die Arbeit auch die diatopische Variation dieser Strukturen.
4
1 Einleitung
Im Laufe der vorgestellten Studie wird sich zeigen, dass es verschiedene strukturelle GesamtN+Typen in der Abfolge FamN+RufN gibt, die räumlich und diachronisch variieren. Deren Areale im bundesdeutschen Raum (und der Schweiz) werden lokalisiert und deren diachrone Ausbildung dokumentiert. Soweit möglich werden die einzelnen Strukturen bis ins späte 16. Jahrhundert zurückverfolgt. Insbesondere rückt dabei die Variation beim Definitartikel vorm GesamtN sowie die in (3) bereits angedeutete Modifikation am FamN ins Interesse. Mithilfe dieser Erkenntnisse können schließlich die synchronen Strukturen tiefgehend analysiert und Entwicklungstendenzen aufgezeigt werden. Der Untersuchung liegen Daten zugrunde, die im Rahmen des DFG-geförderten Forschungsprojekts „s Bachmanns Anna und de Schmidte Karl: Grammatik und Soziopragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen“ (2018– 2021, Projektnummer: 405468658, Projektleitung: Prof. Dr. Antje Dammel) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erhoben und ausgewertet wurden.
1.2 Aufbau der Arbeit In Kapitel 2 wird zunächst der Gegenstandsbereich beleuchtet, indem wichtige terminologische Voraussetzungen geklärt werden und ein umfassender Forschungsüberblick zur Voranstellung von FamN im Deutschen und Luxemburgischen referiert wird. Kapitel 3 beschreibt die Erhebungs- und Auswertungsmethoden der synchronen Sprachdaten, die dieser Arbeit zugrunde liegen. Es wurde ein Mixed MethodsAnsatz gewählt, bei dem zum einen indirekt erhobene Fragebogen-Daten sowohl kartiert als auch qualitativ ausgewertet wurden. Ergänzt wird dieser Datensatz durch schriftliche und mündliche direkte Erhebungsdaten in 13 Erhebungsorten. Mit Fokusgruppen wird dabei v. a. die sprachliche Gruppendynamik der Gewährspersonen analysiert. Die Methode bildet die Interaktion der Gewährspersonen miteinander ab und ermöglicht es der Exploratorin, mitzuverfolgen, wie sie abstrakte Sachverhalte gemeinsam erarbeiten. In schriftlichen Übersetzungen wurden die Interview-Aussagen der Informant:innen überprüft und mit deren eigener Sprachbewertung kontrastiert. Dialektgrammatiken, Dialektwörterbücher und Dialektliteratur liefern zusätzliche Sprachbelege. Kapitel 4 behandelt pragmatische Steuerungsfaktoren für die beiden Serialisierungen im GesamtN. Die Datensätze werden dazu komplementierend analysiert, um pragmatische Besonderheiten des Typs FamN+RufN im Kontrast zu RufN+FamN herauszuarbeiten. Mittels inferenzstatistischer Auswertung der soziolinguistischen Fragebogen-Daten werden zunächst ortsübergreifende Parameter aufgedeckt. Bei der anschließenden tiefgehenden qualitativen Analyse werden Konzepte wie sozia-
1.2 Aufbau der Arbeit
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ler Raum und Ingroup/Outgroup (Eigen- und Fremdgruppe) zur Interpretation der Befunde herangezogen. Kapitel 5 zeichnet die Diatopie ab, die sich aus indirekten und direkten Erhebungsdaten ergibt. Ging es vorher zunächst um die Abfolge der Einzelnamen im GesamtN, steht nun die strukturelle Variation des Typs FamN+RufN im Fokus. Dabei werden einzelne Aspekte von Variation bei der Personenreferenz vorgestellt. Neben der Beschreibung struktureller Areale werden durch eine statistische Analyse auch Steuerungsfaktoren für Modifikationen am FamN ermittelt. Um die beschriebenen Strukturen grammatisch einzuordnen, gibt eine Untersuchung historischer Dokumente in Kapitel 6 zunächst einen Einblick in diachrone Entwicklungen. Dieser ist nötig, um nicht nur künftige, sondern auch bereits stattgefundene diachronische Variation der einzelnen Typen abzubilden. Auf dieser Basis kann in Kapitel 7 eine umfassende grammatische Analyse der synchronen Typen erfolgen. In diesem Zuge wird nicht nur deren grammatischer Status geklärt, die Befunde werden außerdem in Theorien des morphologischen Wandels eingebettet. Auch wird eine Einteilung der in den Daten vorhandenen Typen nach grammatischen Kriterien etabliert. In Kapitel 7.3 liegt der Fokus besonders auf Schnittstellen von Grammatik und Pragmatik, genauer auf der Nutzbarmachung ersterer für die Etablierung pragmatischer Steuerungsfaktoren. Kapitel 8 bietet einen theoretischen Exkurs, der den Erhalt ehemaliger pränominaler attributiver Genitive in onymischen Referenzformen plausibilisiert. Sowohl als Objektkasus als auch in der attributiven Verwendung ist der Genitiv in den meisten deutschen Dialekten progressiver abgebaut worden als im Standarddeutschen. Umso mehr verwundert seine Konservierung bei der Familiennamenvoranstellung. Kapitel 9 befasst sich schließlich mit einem angrenzenden Phänomen, das sich aus ebendiesen possessiven Genitiven entwickelt hat: den Familienkollektiva, die als dialektale bzw. regionalsprachliche Bezeichnungen auf mehrere oder alle Mitglieder einer Familie referieren.
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz 2.1 Gesamtnamen: Im Spannungsfeld zwischen offiziell und inoffiziell In seinem Aufsatz merkt Garinov (2000: 81) an, dass es angebracht sei, „[d]ie verschiedenen Formen der Personennamen […] stets in den jeweiligen Stilebenen, in ihrem offiziellen und nichtoffiziellen Gebrauch zu betrachten.“ In diesem Kapitel wird zunächst die Frage geklärt, bei welchen onymischen Referenzformen für Personen es sich um offizielle und bei welchen um inoffizielle handelt. Mit Bach (1943: 61) wird im Folgenden der Terminus GesamtN sowohl für die Abfolge RufN+FamN als auch für die inverse Reihenfolge verwendet. Er wird verstanden als vollständiges Set von onymischen Identifikationsmerkmalen, die in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben sind: als Kombination aller für eine Person beim Standesamt personenstandsrechtlich erfassten Namenbestandteile, alle Vornamen sowie der FamN (vgl. Seibicke 1982: 14).5 Grammatisch besteht der GesamtN aus mindestens zwei Nomina Propria (vgl. Ackermann 2018: 66). Nicht immer hatte der FamN jedoch den Stellenwert, den er heute in Deutschland besitzt. Vor dem 18. Jahrhundert war er hierarchisch dem RufN untergeordnet. Dafür spricht, dass er in Urkunden öfter kleingeschrieben wird als der RufN und häufig nur zu Anfang von Texten zur einmaligen Identifikation erwähnt, dann aber nicht mehr aufgegriffen wird und dass Personenlisten nach dem RufN angeordnet waren (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015: 105, 146). Im 18. Jahrhundert ändert sich die Rangordnung von RufN und FamN und letzterer avanciert zum Hauptidentifikator einer Person. Heute ist der FamN der öffentlich gebrauchte und damit der offiziellste Name. Der RufN disambiguiert lediglich und wird oft nur eingangs genannt, während konsequent mit dem FamN auf Personen referiert wird. Auch Listen sind heute nach dem FamN geordnet und zwecks Anonymisierung einer Person wird dieser abgekürzt, da er am stärksten identifiziert. Erst bei einem Duz-Angebot darf ein Gesprächspartner eine Person beim RufN nennen und auf ihn in dieser Art referieren (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015: 146). Der GesamtN einer Person in der Serialisierung RufN+FamN stellt die offiziellste Referenzform auf Personen dar (vgl. Neumann 1973: 2) und trägt den Hauptakzent
5 Dabei zähle ich hier jedoch alle Kombinationen aus RufN und FamN, ungeachtet eines ggf. ausgesparten Beinamens, zu den GesamtN. https://doi.org/10.1515/9783110987706-002
2.1 Gesamtnamen: Im Spannungsfeld zwischen offiziell und inoffiziell
7
auf dem FamN: (der) Peter 'Müller6 (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015: 105). Zu den amtlichen oder offiziellen Namen zählen nach der Terminologie von Nübling/ Fahlbusch/Heuser (2015: 106) auch Zusätze wie Titel (Dr., Herr) und der individuelle Vorname, der neben dem überindividuellen FamN obligatorisch vergeben werden muss. Hierbei fallen unter Vornamen neben dem eigentlichen RufN, falls vorhanden, auch Beinamen. Als inoffiziell betrachte ich neben Spitznamen (Übernamen wie Wiesel und Kosenamen wie Häschen oder aus FamN gebildete wie Klinsi) auch Variationen des offiziellen GesamtNs durch eine inverse Abfolge der Propria (der 'Müller Peter) sowie durch Modifikationen am FamN (Müller-s 'Peter, der Klein-e Markus). Dieser Abfolge gilt das primäre Interesse der Arbeit. Auch innerhalb des Typs FamN+RufN müssen verschiedene Grade der Offizialität unterschieden werden. Die einfache Verkehrung der Reihenfolge gegenüber dem Standarddeutschen (der Müller Peter) stellt den geringsten Eingriff in den amtlichen Namen dar und hat beispielsweise in Bayern einen halboffiziellen Charakter, wie sich in Kapitel 4.4.2 zeigen wird. So treten diese Referenzformen nicht nur im mündlichen Gebrauch, sondern auch in Zeitungstexten und auf Webseiten auf.7 Gesamtname INOFFIZIELL/DIALEKT
OFFIZIELL/STANDARD
Rufname+Familienname (die) Frida Müller
Familienname+Rufname
Familienname+Rufname
Hausname+Rufname
(nicht modifiziert)
(modifiziert)
(kann modifiziert sein)
(die) Müller Frida
(s/die) Müller-s Frida
die Schuhmann Frida/ (s/die) Schuhmann-s Frida
Abb. 1: Offizialitätsskala der Gesamtnamen.
Ebenso kann der vorangestellte amtliche FamN, ähnlich wie bei Kosenamen aus FamN (Klinsi), modifiziert werden, d. h. er wird durch additive Elemente angereichert (Müller-s Peter), in seltenen Fällen tritt auch Subtraktion ein (der Klei Markus
6 Im Folgenden wird der Hauptakzent einer Phrase oder eines Wortbildungsprodukts mit „'“ gekennzeichnet. 7 Zwischen der Verwendung bzw. Aussparung des onymischen Artikels, der in ober- und mitteldeutschen Dialekten grammatikalisiert ist, kann eine zusätzliche Abstufung in Bezug auf die (In)offizialität der Referenzform vorgenommen werden. Auch wenn in einem Dialekt der Definitartikel als vollständig grammatikalisiert gilt, vorm Eigennamen steht neben der obligatorischen Artikel-Variante die standardsprachliche Artikellosigkeit, die einen höheren Grad an Amtlichkeit aufweist. Der Übersicht halber wird diese Abstufung in Abb. 1 ausgespart.
8
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz
< FamN Klein)8. Diese Strukturen weisen neben bzw. gerade aufgrund einer höheren Dialektalität (vgl. Schweden 2020) auch einen weniger offiziellen Charakter auf. Im Folgenden wird von „Modifikation des FamNs“ dann gesprochen, wenn ein zusätzliches Element additiv an den FamN-Auslaut tritt und somit den Namenkörper verändert. Zusätzlich müssen auch Hausnamen (HausN) als Teil der dörflichen Personenreferenzsysteme berücksichtigt werden. Analog zum FamN können sie vorm RufN stehen: (die/s) Schuhmann(s) Frida, offizieller Name: Frida Müller. Bei dieser Namenklasse handelt es sich um die inoffiziellste Form, da der offizielle FamN vollkommen durch einen nicht amtlichen, rein mündlich tradierten Namen ausgetauscht wird, dessen Referent:innen nur von einer geringen Zahl ortsgebundener Sprecher:innen identifiziert werden können. Abb. 1 veranschaulicht die Grade an Amtlichkeit und Dialektalität der einzelnen GesamtN-Typen. Im Rahmen dieser Arbeit verwende ich den Begriff (in)offiziell, da er im Gegensatz zu (nicht) amtlich auch offizielle Kontexte fasst, die jenseits einer schriftlichen Dokumentation in Behörden situiert sind. Die Skala, die zwischen inoffiziellen und offiziellen Namen rangiert, impliziert auch das Vorhandensein verschiedener konkurrierender Referenzformen für eine einzelne Referenzperson. Rolker/Signori (2011) sprechen in diesem Zusammenhang von konkurrierenden Zugehörigkeiten, Siegfried (2016) von Parallelnamen. Eng mit dem Spannungsfeld zwischen (In)offizialität kann auch die Dialektalität der Referenzformen verknüpft sein, da die Verwendung von Dialekt in inoffiziellen Kommunikationssettings zunimmt.
2.2 Dörfliche Hausnamen als inoffiziellste Referenzformen Da HausN für die nachfolgende Studie eine entscheidende Rolle spielen, wird diese Namenklasse vorab kurz umrissen. Abzugrenzen sind dörfliche HausN klar von städtischen. Zu einer kontrastiven Charakterisierung beider Namenklassen vgl. Schweden (2021b). Bei dörflichen HausN handelt es sich um Toponyme, die aus RufN oder Berufsbezeichnungen der ursprünglichen Hauseigentümer entstehen, auf das Gebäude übertragen werden und in Verbindung mit RufN zu Anthroponymen werden. Diese bimodale Wechselbeziehung mag der Grund dafür sein, dass in der bisherigen Forschung keine Einigkeit über die Zuordnung von HausN zu einer Namenklasse besteht. So stellt Kunze (2005: 177) sie zu den Anthroponymen, Debus (2014: 150–155) hingegen behandelt sie als Toponyme, kategorisiert sie aber nach
8 Solche subtraktiven Modifikationen traten in den Fragebogendaten für den FamN Klein vereinzelt auf, können jedoch aufgrund ihrer Seltenheit vernachlässigt werden.
2.3 Forschungsüberblick: Diatopische Variation von FamN+RufN
9
den für FamN üblichen Benennungsmotiven (RufN, Berufe, Eigenschaften, nach der Wohnstätte oder nach der Herkunft). Eine Untersuchung unter toponomastischen Gesichtspunkten findet sich bei Schweden (2021b). Blanár (1973: 41) nimmt die Hybridität dieser Namenklasse zur Kenntnis: „Mit Häusernamen9 wird also die Blutsverwandtschaft als kollektive Einheit und gleichzeitig ihre Wohnstätte bezeichnet. Damit stellen die sogen. Häusernamen einen Übergangstyp zwischen den Anthroponymen und Toponymen dar“ (vgl. auch Garinov 2000: 82). Kersting (2017) wiederum unterscheidet im westfälischen Alstätte zwischen inoffiziellen FamN für Personen auf der einen und Hofnamen als Quelldomäne für diese Anthroponyme auf der anderen Seite. Im Gegensatz zu dörflichen HausN haben städtische heute keine georeferenzielle Funktion mehr inne und wurden aufgrund fehlender Übersichtlichkeit großer Städte durch Hausnummern ersetzt (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2015: 252). Ländliche HausN fungier(t)en dagegen früher wie heute als geographisches Referenzsystem, dessen Funktionalität sich auf die Ortsgrenze oder ggf. benachbarte Dörfer beschränkt. Aufgrund dieses geringen Radius und ihrer fehlenden schriftlichen Fixierung müssen sie in Verbindung mit RufN als inoffiziellste Form der Personenreferenz betrachtet werden.
2.3 Forschungsüberblick: Diatopische Variation von FamN+RufN 2.3.1 Überblicksbeschreibungen Einen ersten Überblick und eine formale Klassifikation von GesamtN-Typen hauptsächlich der westrheinischen Dialekte, der die weitere Forschung entscheidend geprägt hat, bietet Bach (1952), der aus verschiedenen Quellen, wie Dialektgrammatiken und Fragebögen, ortsspezifische Referenzsysteme zusammenträgt und so diatopische Unterschiede feststellt. Er unterscheidet dabei sechs verschiedene formale Typen. Diese subsumiert er unter die Typen I und II, die sich daraus ergeben, welcher Bestandteil des GesamtNs näher bestimmt wird: I beschreibt eine Spezifikation des RufNs mit Hauptakzent auf dem FamN, II eine Spezifikation des FamNs (Hauptakzent auf dem RufN). Typ II beschreibt nach Bach die Träger:innen eines FamNs näher. Nicht ausgefüllte Zellen in Tab. 1 markieren Typen, die in Bachs Daten nicht auftauchen.
9 Zur terminologischen Uneinheitlichkeit bei dieser Namenklasse (Haus- vs. Häusernamen) vgl. genauer Schweden (2021b).
10
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz
Tab. 1: Einteilung formaler Typen von Kombination aus Rufname und Familienname nach Bach (1952: 68). Nähere Bestimmung des RufNs
Nähere Bestimmung des FamNs
1a (der) Karl 'Schmidt
1b ---
2a (der) 'Schmidt Karl
2b (der) Schmidt 'Karl
3a (der) 'Schmidts/'Schmidte(n) Karl
3b (der) Schmidts/Schmidte(n) 'Karl 3c Schmidtēs Karl
4a ---
4b (’s) Schmidts/Schmidte(n) 'Karl
5a ---
5b (’s) Schmidts/Schmidte(n) ihr 'Karl
6a Karl von 'Schmidt
6b ---
Nach Bach (1952: 68) ist Typ 1a aus syntaktischen Phrasen mit dem Beinamen als Apposition zum RufN entstanden, während es sich bei Typ 2a um Wortbildungsprodukte, also um Komposita, handelt. In beiden Fällen wird jedoch ein Träger eines bestimmten RufNs von anderen Trägern desselben RufNs unterschieden. Da der FamN bei Typ 2a kein Flexiv aufweist, klassifiziert er diesen Typ als echte Zusammensetzungen (siehe dazu genauer Kapitel 7.1.3). Zu den Verwendungskontexten hält er fest: Bei den Typen 3b und 3c sowie 4b werden durch das Zweitglied Personen benannt, die zu der in dem genitivischen 1. Glied namhaft gemachten Person oder dem durch es benannten Personenkreis in einem Verhältnis der Abhängigkeit stehen. Das 1. Glied benennt in der Regel den Vater oder die Familie des im 2. Glied Genannten (Bach 1952: 69).
Auch auf Dienstboten kann mit den beiden Typen referiert werden. Typ 4b betont nach Bach gegenüber Typ 3b noch stärker die Unselbstständigkeit der Referenzperson. Kunze (2005: 180–181) übernimmt Bachs typologische Einordnung und seine Beobachtungen zur arealen Distribution der Typen. Mit Berchtold/Dammel (2014) liegt erstmals eine kontrastive Studie vor, die nicht lediglich Struktur und Pragmatik deskriptiv festhält, sondern auch Rückschlüsse auf die Diachronie der GesamtN auf Basis ihrer (morpho-)syntaktischen Struktur zieht. Mittels eines Fragebogens untersuchen sie die Orte Nauheim (rheinfränkisch, Südhessen), Feldkirch (hochalemannisch, Vorarlberg) und Lauter (obersächsisch) und ergänzen ihre Ergebnisse um eine Auswertung von Vereins-Webseiten aus dem Bairischen. In allen Erhebungsorten wird die Abfolge FamN+RufN für „nicht anwesende Dritte verwendet“ (Berchtold/Dammel 2014: 256), wobei sich in Nauheim Bachs Typ 3a und 3b, in Feldkirch dagegen 2a und der von Bach nicht dokumentierte Typ 4a finden. In Feldkirch ist die a-Modifikation (s 'Frick-a Hans) nach Silbenzahl
2.3 Forschungsüberblick: Diatopische Variation von FamN+RufN
11
konditioniert: Der Output ist immer trochäisch, eine Ausnahme stellen FamN dar, die auf einen Sibilanten auslauten: Hier wird ebenfalls mit -a modifiziert (s 'Reabholz-a Hans). Der Hauptakzent liegt auf dem FamN. Bei d-Artikel erfolgt keine Modifikation: der 'Frick/Schriber Karl (vgl. Berchtold/Dammel 2014: 257–258). In Nauheim tragen beide GesamtN-Strukturen einen d-Artikel. Beim ersten Typ (Bachs Typ 2a und 3a) wird der FamN durch -e oder aber überhaupt nicht modifiziert und trägt den Akzent auf dem FamN: de 'Geier Alwin, die 'Hock-e Erna. Der zweite Typ (Bachs Typ 3b) wird mit -s modifiziert und trägt den Akzent auf dem RufN: die Kuhlmann-s 'Helga. Auch hier greift eine Steuerung nach Silbenzahl: -e bei einsilbigen FamN und solchen auf Sibilant, -Ø bei mehrsilbigen Namen mit Reduktionssilbe auf Schwa oder -er/-el (vgl. Berchtold/Dammel 2014: 259). In Lauter findet sich ebenfalls Bachs Typ 2a (der 'Müller Peter), wobei RufN oft von zwei zu einer Silbe gekürzt werden: de 'Nastler Ing < Inge, wodurch eine daktylische Struktur im Output entsteht (vgl. Berchtold/Dammel 2014: 262). Zur genaueren Einordnung einer Referenzperson in eine Familie wird in Nauheim auch Typ 5b (s Müller-s ihr Peter) verwendet (vgl. Berchtold/Dammel 2014: 260). Im benachbarten Groß-Gerau dokumentiert Bach (1952: 80–81) (oder vielmehr seine Mutter) für 1860 außerdem ein System mit nicht-modifizierten FamN mit d-Artikel (die 'Metzler Lottchen, der 'Reinheimer Fritz) neben modifizierten FamN ohne onymischen Artikel (Wirtwein-s 'Gretchen, Klink-e 'Anna). Daraus leiten Berchtold/Dammel (2014) ab, dass in Nauheim diachron genuine Genitivphrasen (des Müller-s Peter) existiert haben müssen, deren Flexive heute als Fugenelemente zu klassifizieren sind. Dabei hat der Typ mit e-Fuge bereits den Akzent vom Phrasenakzent auf dem RufN zum Kompositumakzent auf dem FamN (= Determinans10) verlagert, während der Typ mit s-Fuge Phrasenakzent beibehalten hat. Eine Begründung dafür sehen sie darin, dass sie in ihrer phonologischen Oberflächenstruktur (Trochäus: Hocke) dem Nullfugentyp (Geyer) stärker ähnelt als die Konstruktion mit starkem Genitiv, der v. a. an morphologisch komplexe Erstglieder mit nebenbetonter letzter Silbe tritt (Kuhlmanns, Eberhards, Jünglings) (Berchtold/ Dammel 2014: 272).
Ein Vergleich mit dem ebenfalls benachbarten Erhebungsort Worfelden in Kapitel 7.2.1 wird diese engmaschige Analyse benachbarter Ortspunkte um einen weiteren Untersuchungspunkt erweitern. In der zehnten Runde des Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) wurde jeweils für männliche und weibliche Referenzpersonen die Abfolge von RufN und FamN mit
10 Für eine detaillierte Definition der formellen Charakteristika von Komposita und Phrasen und eine Übertragung auf die GesamtN von Typ FamN+RufN siehe Kapitel 7.1.
12
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz
der Frage „Wie nennt man den Namen, wenn man über einen abwesenden Mann/ eine abwesende Frau spricht?“ abgefragt. Der AdA untersucht regionale Varianten und fragt nach „normale[m] ortsüblichen Sprachgebrauch“ (Elspaß/Möller 2003 ff).
Abb. 2: Regionale Variation bei der Abfolge von Ruf- und Familienname, Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) (Elspaß/Möller 2003 ffa) https://www.atlas-alltagssprache.de/r10-f16ab (03.10.2022).
2.3 Forschungsüberblick: Diatopische Variation von FamN+RufN
13
Die beiden aus den Fragen resultierenden Karten (siehe Abb. 2) geben einen ersten Überblick über die regionale Variation der Einzelnamenabfolge im GesamtN. Zusätzlich zeigen sie, wo ein onymischer Artikel verwendet wird und wo er fehlt. Trotz des sehr dichten Kartenbilds sagen die Resultate nichts über die strukturelle Variation des Artikeltyps und möglicher modifizierender Elemente am FamN aus und zeigen keine morphosyntaktischen Typen, die sich durch die Verbindung von Artikeltyp und Modifikation ergeben. Durch den primären Fokus auf Sprecher:innen von Regionalsprachen wirkt es zudem, als trete die Abfolge FamN+RufN im niederdeutschen Raum nicht auf. Wie sich in Kapitel 4 und 5 jedoch zeigt, trifft dies nicht auf dialektale Register bzw. die Sprecher:innen des Niederdeutschen zu. Wenig Variation besteht bei der Variablen „Geschlecht der Referenzperson“. Auch hier kann erst eine genauere strukturelle Analyse soziolinguistische Unterschiede aufzeigen (siehe dazu Kapitel 7.3.1).
2.3.2 Bairisch Für das Bairische beschreibt Weiß (2014: 204) vorangestellte unflektierte FamN vom Typ der Müller Peter (Bachs Typ 2a). Berchtold/Dammel (2014: 263–268) stellen zusätzlich zu der in Kapitel 2.3.1 bereits vorgestellten Fragebogenstudie bei einer Analyse bairischer VdK-Ortsverbands-Webseiten fest, dass die Domäne der dialektalen Abfolge im Bairischen größer ist [als in den anderen untersuchten Ortspunkten, T.S.] und hier die dialektale Abfolge weiter in die Vertikale, den regionalen Substandard (Regiolekt) und in distanzsprachlichere, konzeptionell schriftliche Domänen [...] reichen kann (Berchtold/Dammel 2014: 264).
Ihre Analyse zeigt weiter, dass die standardferne Variante mit vorangestelltem FamN (jedoch in der Schriftlichkeit ohne onymischen Artikel verwendet) besonders in Niederbayern frequent ist.
2.3.3 Westmitteldeutsch Für das Hessische vermutet Ramge (2017) die Entstehungszeit des Musters FamN/ Beiname+RufN Ende des 14. Jahrhunderts, da in Frankfurter Bürgerbüchern ab diesen Zeitpunkt, verstärkt ab 1410, vom Land zugezogene Neubürger auf diese Art dokumentiert wurden. Er argumentiert, dass die Struktur bereits früher in städtischen Urkunden aufgetaucht wäre, wenn es sie in den jeweiligen Herkunftsregionen bereits früher gegeben hätte (vgl. Ramge 2017: 133). Im synchronen System des südhessischen Lorsch (rheinfränkisch) findet Mottausch (2004: 308) analog zu
14
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz
Berchtold/Dammel (2014) Formen mit d-Artikel und den Modifikationen -e und -s. Der Hauptakzent liegt bei diesen Verbindungen auf dem FamN. Rauth (2014) untersucht GesamtN und Bezeichnungen für Familien im Südhessischen. Er geht davon aus, dass die Herausbildung des onymischen Artikels in den mitteldeutschen und westoberdeutschen Dialekten die Reanalyse von phrasischen Namenkonstruktionen (s Müllers Peter) zu komplexen Nomen bzw. Komposita (der Müllers Peter) bedingt. Im Niederdeutschen dagegen, wo der onymische Artikel nicht grammatikalisiert wurde, konnten solche komplexen Nomina nicht entstehen (vgl. Rauth 2014: 366–367, 370).11 Eine Kombination aus morphosyntaktischer Steuerung nach Artikeltyp und Akzent und phonologisch-prosodischer Steuerung nach Silbenzahl zeigt das rheinfränkische Höringen (vgl. Schweden 2020). Hier stehen Strukturen mit s-Artikel und Akzent auf dem RufN solchen mit d-Artikel und Akzent auf dem FamN gegenüber: der 'Müller Peter vs. s Müller-s 'Peter. Während e-Modifikation bei beiden Typen auftreten kann, wird -s nur bei s-Artikel verwendet. Über die Verwendung bei -e oder nicht-modifiziertem FamN (bei d-Artikel) bzw. -e oder -s (bei s-Artikel) entscheidet die Silbenzahl des FamNs: silbisches -e bei Einsilblern, -s oder ohne Modifikation bei Zwei- oder Mehrsilblern (zur pragmatischen Steuerung in diesem Erhebungsort vgl. Kapitel 7.3.1). Heinrichs (2012) dokumentiert detailliert das Referenzsystem des Dorfes Amern im Kreis Viersen (ripuarisch) um 1925. Dabei beschreibt er Formen mit Modifikation des FamNs durch -sch (Moalersch Jupp, Küppersch Jakop), -e (Niklase Peter Drickes) und ohne eine solche Modifikation (Scherpetter This) (vgl. Heinrichs 2012: 68–70). Eine pragmatische Differenzierung scheint hier nicht zu existieren, stattdessen wird der FamN generell vorangestellt.
11 Nach Rauth (2014: 367) kann das s-Suffix auch hier an weibliche Vornamen wie de Bärwels Philipp ›Bärbels Philipp‹ oder hinter komplexere Phrasen wie de Hernickels Kall ›Herr Nickels Karl‹ treten; sogar die schwache Endung findet sich in dieser Funktion: die Hinnerschorsche Marrie ›Hinter Schorsche Marie‹ (Rauth 2014: 367). Vor dem Hintergrund, dass es sich bei allen drei Genitivattributen um Hausnamen handelt, ist jedoch davon auszugehen, dass die entsprechenden Beispiele bereits vor der Nutzung in den entsprechenden Genitivkonstruktionen verfestigt waren. Es handelt sich demnach weder um einen ad-hoc gebildeten Genitiv zu einem Femininum (Bärwels) noch um komplexe Einheiten. Hernickel ist am wahrscheinlichsten eine komprimierte Form eines RufNs (etwa Hermann Nikola(u)s), Hinnerschorsche bezeichnet wohl ein Haus, das sich im hinteren Teil des Dorfes befindet (zur Abgrenzung zu anderen Häusern, meist Abspaltungen des Hausnamens bei einer neuen Haushaltsgründung der Nachkommen).
2.3 Forschungsüberblick: Diatopische Variation von FamN+RufN
15
2.3.4 Luxemburgisch Krier (2014: 8) dokumentiert mittels schriftlicher Befragungen durch fingierte Namenkombinationen aus FamN und RufN drei verschiedene modifizierende Elemente am FamN (-s, -əš und -e(n)), die phonologisch durch den Auslaut des FamNs gesteuert sind. Insgesamt scheinen stabile Zuweisungsregeln zu existieren. Konsonantische Auslaute und Auslaute auf Vollvokal fordern Modifikation durch -s. Eine Ausnahme bilden dabei Konsonantenkombinationen aus /s/ und /t/ sowie /ŋ/ und /k/, hier wird das silbische und damit resilbifizierende -en mit apokopiertem /n/ gesetzt (Jost-e(n), Probst-e(n), Think-e(n)). Krier (2014: 9) vermutet hier eine Vermeidung komplexer Konsonantencluster. Ebenfalls mit -e(n) werden FamN modifiziert, die auf die Sibilanten /s/ und /ts/ auslauten (Ries-en, Spautz-en). Insbesondere bei Einsilblern entsteht zudem eine kombinierte Modifikation aus -en und -s: Moes-en-s, Schwarz-en-s. Für RufN greift die sogenannte Eifeler Regel, d. h. ein wortauslautendes /n/ wird nur dann realisiert, wenn das nachfolgende Lexem auf /d/, /t/, /ts/, /h/ oder Vokal anlautet (Ries-en Heng vs. Ries-e Pit). Modifikation mit -əš ([ɐʃ]) erhalten FamN, die auf Reduktionssilbe -er auslauten (Becker-sch, Schneider-sch). Hier findet zudem eine Vokalisierung von -er zu [ɐ] statt. Auch FamN auf -ert werden mit [ɐʃ] modifiziert, wobei /t/ verstummt. Krier (2014: 8) stellt die starke Verfremdung des Namenkörpers durch diese lautliche Veränderung sowie die Veränderung der Silbengrenze heraus, erachtet jedoch Schemafrequenz als gegenwirkenden Faktor. Die Ergebnisse weichen je nach Gewährsperson bei einzelnen FamN voneinander ab, sodass es für denselben FamN mehrere Möglichkeiten zur Modifikation gibt. Schwankungsfälle sind zweisilbige FamN auf /sch/. Hier wurde sowohl -s als auch -e(n) genutzt. Krier (2014: 9) erklärt dies mit der phonotaktisch motivierten Tendenz im Luxemburgischen, Konsonantencluster durch Schwa-Epenthese zu vermeiden. Am stabilsten erweisen sich die Zuweisungsregeln für wortauslautendes, vokalisiertes -er. Als soziopragmatische Konditionierung für FamN-Voranstellung fungiert Nähesprachlichkeit (privater vs. öffentlicher Diskurs) (vgl. Krier 2014: 12). In Akzeptabilitätsstudien mit Sprecher:innen verschiedenen Alters wird ein Abbau der Referenzformen der Reihenfolge FamN+RufN bei den Gruppen zwischen 20 und 30 und zwischen 40 und 50 Jahren verzeichnet: Diese beherrschen im Gegensatz zu einer Gruppe 60–70-Jähriger die Referenzformen zwar passiv, nutzen sie jedoch nicht mehr aktiv. Auf jüngere Sprechende wirken sie eher abwertend und ironisch. Unklar bleiben Details zur Datengrundlage und -erhebung, so z. B. die Anzahl der Gewährspersonen, deren geographische und demographische Daten, welche Varietät(en) des Luxemburgischen sie sprechen und inwiefern interdialektale Variation besteht.
16
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz
Auch Flores Flores (2014: 308) findet in einer empirischen Studie für das Luxemburgische eine ironische, abwertende Konnotation und einen Abbau der Referenz mit präponiertem FamN. Letzterer manifestiert sich darin, dass die Gewährspersonen die Abfolge lediglich aus ihrem Bekanntenkreis reproduzieren, jedoch keine produktiven Muster auf fremde Namen anwenden. In der Befragung, deren Design nicht näher erläutert wird, zeigen Sprecher:innen Unsicherheiten und starke Schwankungen bei der Modifikation der FamN. Klare Zuweisungsregeln existieren demnach nicht (mehr). Ältere Informant:innen (> 50 Jahre) geben jedoch häufiger als jüngere an, die Reihenfolge FamN+RufN aktiv zu verwenden. Im Norden Luxemburgs existieren nach Aussagen von Gewährspersonen bis heute neben dem FamN auch analoge Strukturen mit HausN, Hofnamen und Berufsbezeichnungen. Ähnliche Schwankungen in der Modifikation (z. B. Schmitts/Schmitte Claude), die auch auf interdialektale Variation zurückgehen können, stellt auch Enthringer (2020) fest, die landesweit erhobene Daten der luxemburgischen Schnëssen-App auswertet.
2.3.5 Westfälisch und Niederfränkisch Cornelissen (2016) untersucht Anrede und Personenreferenz in Dörfern am Niederrhein. Vorangestellte FamN oder HausN tauchen in einigen untersuchten Ortspunkten sowohl mit -s als auch mit -en auf, in anderen, wie Grefrath, bleiben sie unverändert: Höëser Willi für Willi Hörsen, Paggen Achnes für Agnes Paggen, Schmiëtz Hendrick für Hendrick Schmitz (vgl. Cornelissen 2016: 75). Im ausführlich untersuchten Hünxe besteht Modifikation lediglich bei HausN (im Niederdeutschen auch inoffizielle FamN oder Dorfnamen genannt) (vgl. Cornelissen 2014: 292, 2016: 74; vgl. für Hünxe auch Cornelissen/Hänel 2013: 33–39). Im Ort Winnekendonk stellen Anapäste (z. B. Bollen Thei) die prosodische Idealstruktur der FamN+RufN-Serialisierung dar, sie treten in 50 % der Belege auf. Um diese Zielstruktur zu gewährleisten, werden RufN regelmäßig zu Einsilblern gekürzt (vgl. Cornelissen 2014: 288). Zudem findet Cornelissen dort intakte Hofnamensysteme mit Wechselwirkungen zwischen den Namen von Höfen und deren Bewohner:innen: Böchelhof, Böchelmann, Böchelsfrau, Böchels Aarnold, Kunnenbur (wobei mit letzterem Hof und Person gemeint sein können) (vgl. Cornelissen 2016: 77). Ebenfalls ist am Niederrhein (Grefrath) die Nennung von FamN vor Verwandtschafts- oder Berufsbezeichnungen oder anderen Personenbezeichnungen üblich (Weäversch Tant, Boom Liërder ʻLehrer aus der Familie Boomʼ, Denges Kromm ʻein krummer Sohn aus der Familie Dengesʼ) (vgl. Cornelissen 2016: 75). In Donsbrüggen existieren Referenzformen in der Reihung RufN+FamN neben solchen mit Präposition von (X van Appeldörn) (vgl. Cornelissen 2016: 77). Im niederländischen Dorf Ospel treten ebenfalls von-Konstruktionen neben oder in Kom-
2.4 Zusammenfassung
17
bination mit FamN+RufN auf (Jan van Piet van Puine Wies; Loven Ann sinne This) (vgl. Cornelissen 2016: 78). Cornelissen (2014: 293) vermutet in der Voranstellung und Modifikation des FamNs eine Kommunikations-Strategie, die RufN und FamN klar voneinander distinguiert: So würde Nellis Giel (RufN+FamN) oder Giel Nellis (FamN+RufN) z. B. zu Verwechslungen von RufN und FamN führen, modifiziertes Giel-en Nellis jedoch disambiguiere die beiden Bestandteile. Für den westfälisch-lippischen Raum in Nordrhein-Westfalen beschreibt Roolfs (2016) modifizierte FamN in Vor- und Nachstellung (Anna Bergmanns, Bergmanns Anna). Grundlage sind die Antwortsätze aus Bögen der Frageliste 16 der Kommission für Alltagskulturforschung für Westfalen. Die Modifikationen des FamNs führt sie auf ehemalige Genitivflexive zurück und identifiziert sie synchron als parentale Movierungssuffixe, da sie v. a. bei FamN auftreten, die Frauen von ihren Vätern geerbt haben (vgl. Roolfs 2016: 57–58). Bei verheirateten Frauen wird in diesen Strukturen stets der Geburtsname verwendet (vgl. Roolfs 2016: 58). Damit geht sie von einem Funktionswandel bzw. einer Exaptation des Genitivflexivs aus. Die von ihr beobachtete GesamtN-Struktur RufN+modizifierter FamN war im Mittelalter im gesamten kontinentalwestgermanischen Raum verbreitet und trat auch bei männlichen Namen auf, wie sie durch eine Sichtung historischer Quellen zeigen kann (vgl. Roolfs 2016: 67). Da das Genitivflexiv bei Nachstellung des FamNs jedoch in wenigen Antwortsätzen der Frageliste auch für männliche Referenten auftritt (der Franz Feldhofs; vgl. Roolfs 2016: 60, 68), ist zu fragen, ob es sich dabei tatsächlich um eine Sexusmarkierung handelt oder ob womöglich die Fragestellung der ausgewerteten Listen eine Rolle spielt, die den einzigen männlichen Referenten als Knecht ausweist und es damit weniger wahrscheinlich macht als bei Blutsverwandten, dass Zugehörigkeit markiert wird. Zum anderen bleibt unklar, ob die Divergenz bei weiblichen und männlichen Referenzpersonen deren spezifischen Eigenschaften, z. B. deren Alter, geschuldet ist. So wird z. B. eine der weiblichen Referenzpersonen als „hübsches Mädchen“ ausgewiesen und somit wahrscheinlich jung konzeptionalisiert, was eine Markierung von Zugehörigkeit fördern könnte. Aufschlussreich wäre eine Untersuchung weiterer männlicher Personennamen in verschiedenen Kontexten, deren Fehlen natürlich dem Datenmaterial an sich geschuldet ist.
2.4 Zusammenfassung Die beschriebenen Studien zeigen, dass bislang einige Orts- und regionalspezifische Systeme in ihrer Struktur und – in Ansätzen – in ihrer pragmatischen Steuerung dokumentiert wurden. Jedoch wurde einigen wichtigen Fragestellungen bisher kaum nachgegangen:
18 1.
2.
3.
4.
2 Gegenstandsbereich: Onymische Personenreferenz
Strukturelle Aspekte wurden lediglich für Systeme einzelner Orte beschrieben, nur Berchtold/Dammel (2014) betrachten diese Systeme dialektvergleichend und arbeiten allgemeine Steuerungsfaktoren und Divergenzen heraus. Die Frage nach dem Einfluss pragmatischer Faktoren auf die Variation bei der Referenz wurde nur am Rande mitbehandelt. Die Serialisierung RufN+FamN wurde dabei bisher meist ausgeklammert, obwohl nur durch Gegenüberstellung der beiden Abfolgen diaphasische Variation überhaupt dokumentiert werden kann. Lediglich für Hessen existiert mit Ramge (2020) eine systematisch angelegte historische Studie (siehe dazu genauer Kapitel 6.1). Es fehlt demnach auch diachron an einer überregionalen Perspektive. Nur Berchtold/Dammel (2014) ziehen Schlüsse auf diachrone morphosyntaktische Prozesse. Durch die Klärung einer Diachronie der GesamtN lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf deren aktuellen morphosyntaktischen Status ziehen, sondern auch Erkenntnisse für die Morphologie des Deutschen und über Sprachwandelprozesse generell gewinnen.
Diese Arbeit schließt die bestehende Forschungslücke und präsentiert eine umfassende dialektvergleichende Studie, die nicht nur die existierende Forschung zusammenführt, sondern Daten unter vergleichbaren Bedingungen an verschiedenen Ortspunkten erhebt. Dabei werden über einen Systemvergleich in Struktur und Pragmatik der untersuchten Ortsdialekte hinaus durch die Einbettung in morphologische Theorien allgemeingültige Prinzipien des Sprachwandels aufgedeckt, die sich in unterschiedlich fortgeschrittenen Stadien in den untersuchten Dialekten beobachten lassen. Da die Referenz in ländlichen Sprechgemeinschaften in enger Verbindung zur sozialen Struktur dieser Gruppen steht, wird das sprachliche Phänomen daneben auch unter dem Gesichtspunkt von Referenztheorie, Sozialpsychologie, und Sozialgeschichte beleuchtet. Zudem wird eine historische Studie mithilfe von Hexenverhörprotokollen referiert, die die synchronen Befunde neben Daten aus Dialektgrammatiken und Dialektwörterbüchern um eine diachrone Perspektive ergänzt.
3 Empirische Studie: Methodologie Für die Untersuchung mündlich genutzter und dialektaler inoffizieller Referenzformen sind methodische Ansätze gefordert, mit denen sich zum einen die Struktur eines einzelnen Referenzsystems (d. h. die Grammatik der Namen sowie mögliche Regelmäßigkeiten und produktive Verfahren) erheben lassen. Zum anderen müssen auch pragmatische Aspekte, sowohl innerhalb eines solchen Ortssystems als auch kontrastiv-interdialektal dokumentiert werden. Für diese Zwecke wurde auf einen Mixed Methods-Ansatz zurückgegriffen, der bereits in anderen Forschungsprojekten zu validen Daten geführt hat: So machen Clyne/Norrby/Warren (2009) in einer kontrastiven Studie zur Erhebung von Anredepraktiken neben Fragebogen, Einzelinterviews und digitalen Chatgruppen auch Gebrauch von Fokusgruppen und können so Nähe-Distanz-Pragmatik von Anredeformen sowie Entwicklungstrends in verschiedenen Ortspunkten Deutschlands, Frankreichs, Englands und Schwedens herausarbeiten. Busley/Fritzinger (2018); Busley (2021a); Fritzinger (2020) und Baumgartner et al. (2020) verwenden zur Erhebung pragmatischer Genuszuweisung bei weiblichen Referenzpersonen Kombinationen aus Online-Erhebungen mit offenen Freitextfragen und geschlossenen Fragetypen (Lückentexte, Multiple Choice-Fragen, Übersetzungsaufgaben) sowie direkte Erhebungen mit schriftlichen Methoden mit geschlossenen Fragen, Video-Experimenten, Freundesgesprächen und leitfragenorientierten Interviews in Gruppen von zwei bis drei Personen. In den für die vorliegende Studie zu dialektalen GesamtN ausgewählten direkten (mündlichen und schriftlichen) Methoden und der indirekten (schriftlichen) Methode, die neben der Sondierung bereits bestehender Datenquellen durchgeführt wurden, konnte jeweils sowohl Grammatik als auch Pragmatik der FamN+ RufN-Referenz in unterschiedlichen Gewichtungen erhoben werden, wie Tab. 2 zeigt. Für eine detaillierte Beschreibung der indirekten Methode Onlinefragebogen vgl. Kapitel 3.1, für Erörterungen der verschiedenen direkten Erhebungsmethoden vgl. Kapitel 3.2. Tab. 2: Methodenkontinuum der Studie zu inoffiziellen Personennamen. Bestehende Daten Erhobene Daten
Indirekte Methode
Strukturelle Variation
Soziopragmatische Konditionierung
Dialektgrammatiken
teilweise abgedeckt
teilweise abgedeckt
Historische Quellen
teilweise abgedeckt
teilweise abgedeckt
Onlinefragebogen
vollständig abgedeckt
teilweise abgedeckt
https://doi.org/10.1515/9783110987706-003
20
3 Empirische Studie: Methodologie
Tab. 2 (fortgesetzt) Direkte Methoden
Strukturelle Variation
Soziopragmatische Konditionierung
vollständig abgedeckt
teilweise abgedeckt
Fotogespräche
vollständig abgedeckt
teilweise abgedeckt
Fokusgruppen
teilweise abgedeckt
vollständig abgedeckt
Übersetzungen fingierter Namen
3.1 Indirekte Methode: Fragebogenstudie 3.1.1 Konzeption Eines der Ziele des Forschungsvorhabens war, ein möglichst flächendeckendes Bild der grammatischen Variation der FamN+RufN-Referenz zu gewinnen. Von Interesse war die Frage, ob sich beim onymischen Artikel, dem definiten Determinierer vor RufN, FamN oder GesamtN, und bei modifizierenden Elementen am FamN diatopische Variation zeigt. Da Einzelfallstudien keine ganzheitliche Kartierung des Phänomens leisten können, wurde für diesen Zweck mit einer Fragebogenstudie gearbeitet. Der Fragebogen beinhaltete offene Freitextfragen zu Form und Gebrauch des sprachlichen Phänomens. Geschlossen abgefragt wurden dagegen demographische Daten (vgl. Raab-Steiner/Benesch 2010; Kallus 2016). Da das Phänomen außerhalb dialektaler Kontexte nicht erwartbar ist, wurden die Teilnehmenden für die Stichprobe größtenteils über Dialektvereine und dialektinteressierte Gruppen in sozialen Medien akquiriert. Als soziolinguistische Variable wurde für jede teilnehmende Person die Häufigkeit der Dialektverwendung erhoben. Die Informant:innen waren angehalten, in einer ungerade ordinalskalierten Frage anzugeben, ob sie in ihrem Alltag immer, häufig, gelegentlich, selten oder nie Dialekt nutzen. Zu beachten ist hier, dass Definitionen und Einstellungen von/zu Dialekt/Platt in den verschiedenen Regionen voneinander abweichen. So wird beispielsweise unter Standardsprache von Sprecher:innen im süddeutschen Raum auch Regionalakzent gefasst (vgl. Mattheier 1994: 420). Die Abfrage dieser Variable galt v. a. als erster Anhaltspunkt für ein mögliches Fehlen der Reihenfolge FamN+RufN, wenn die Sprecher:innen keinen Dialekt beherrschen. Auf diese Weise konnten Teilnehmende ohne Dialektkompetenz klar identifiziert und bei Bedarf ausgeschlossen werden. Mit der Information war es außerdem möglich, Korrelationen zwischen Frequenz bzw. Produktivität von FamN+RufN und Nutzungshäufigkeit von Dialekt (nach eigener Einschätzung der Teilnehmenden) sichtbar zu machen.
3.1 Indirekte Methode: Fragebogenstudie
21
Das Thema des Fragebogens, „Namen im Dialekt“, wurde den Gewährspersonen im Einleitungstext sowie in den Fragestellungen offen kommuniziert. Diese Entscheidung wurde bewusst getroffen, da eine Teilnahme von Personen, denen die untersuchten sprachlichen Formen fremd sind, nicht gewünscht war. Auch wären bei einer fehlenden Definition des Untersuchungsgegenstands die zu erforschenden Formen möglicherweise gar nicht produziert worden. Distraktoren wurden nicht eingebunden, da die Bearbeitung des Fragebogens aufgrund der Übertragungsleistung der Namenkombinationen in den eigenen Dialekt ohnehin bereits mit einem hohen Zeitaufwand verbunden war. Darüber hinaus wurden die demographischen Daten Geschlecht, Geburtsjahr und Wohnort erhoben. Ortsgebundenheit wurde gemessen, indem die Dauer der Ortsansässigkeit und der Kontakt zur Ortsbevölkerung (ebenfalls ordinalskaliert) abgefragt wurden. Zusätzlich wurde das Vorhandensein familialer Strukturen innerhalb des Ortes erhoben. Bei den Freitextfragen zur Namenstruktur handelte es sich um Discourse Completion Tasks (vgl. Ogiermann 2019; zu Vorteilen der Kontextualisierung in schriftlichen Befragungen auch Seiler 2010: 521), bei denen authentische sprachliche Äußerungen auf vorgegebene Situationen oder Äußerungen elizitiert werden. Die Teilnehmenden wurden darum gebeten, sich unter fingierten Namenkombinationen aus RufN und FamN Personen aus ihrem persönlichen Umfeld vorzustellen. Kontexte, in denen diese Personen namentlich auftraten, sollten sie bekannten oder nahestehenden Personen in ihrem Heimatdialekt als Narrativ berichten. Die Kontexte betrafen das Leben in dörflichen Kommunikationsgemeinschaften, sodass bei der Ausführung der Aufgabe eine fingierte Referenzsituation kreiert werden musste. Ein solcher Kontext konnte beispielsweise lauten: Erzählen Sie Ihrem Vater, dass Sie auf einem Fest drei Bekannte der Familie, Paula Bock, Hannes Arnold und Annie Lorenz, getroffen haben.
Ein Beispielsatz kommunizierte hier offen die Möglichkeit, GesamtN in beiden möglichen Abfolgen zu nutzen und auch mehrere Varianten zu erwähnen, falls diese möglich waren. Bestand die Gefahr, dass die Gewährspersonen nicht in kompletten Sätzen antworteten, sondern Namen nur listenförmig aufzählten, wurde der Anfang des gewünschten Satzes möglichst dialektneutral vorgegeben. Ihre Bekannten Markus Klein und Inga Friedrich sind dem Gesangverein beigetreten. Nach der Probe werden Sie gefragt, wer die beiden Neuen waren. Wie antworten Sie? Das waren …
Diese Vorgabe gestaltete es für die Teilnehmenden nicht schwieriger, den Satz im Dialekt zu vervollständigen; so weisen beispielsweise Kasper/Pheiff (2018) nach, dass standarddeutsche Stimuli bei dialektkompetenten Sprecher:innen ebenso die
22
3 Empirische Studie: Methodologie
Produktion eines dialektalen Satzes veranlassen wie dialektale. Zusätzlich enthielt die Befragung Aufgaben, in denen Namen vorgegeben waren, die ohne eine konkrete Referenzsituation oder syntaktische Einbettung in den eigenen Dialekt übertragen werden sollten. Diese Fragen zielten auf die Produktivität formaler Muster in verschiedenen phonologischen Kontexten ab. Da sich bereits in den in Kapitel 2.3 beschriebenen Vorstudien gezeigt hat, dass Auslaut und Silbenzahl des FamNs einen Einfluss auf die Wahl von Artikel und modifizierendem Element haben können, wurden in der schriftlichen Befragung FamN mit verschiedenen phonologischen Strukturen abgefragt. Um zu vermeiden, dass der Output durch variierende Struktur bei den RufN beeinflusst wird, wurde die Prosodie des RufNs bei allen Namenkombinationen konstant gehalten: Sie waren stets zweisilbig und wiesen Initialakzent auf, während jeweils nur die Struktur des FamNs variierte. Für die RufN wurden außerdem Namen ausgewählt, die hochfrequent sind und nicht stark mit einer bestimmten Altersgruppe (besonders junge oder besonders alte Personen) assoziiert werden. Diese Parameter wurden basierend auf den Daten aus der Langzeitstudie „Vornamenlexikon mit Onogramm“ von Liebecke12 bestimmt. Tab. 3 zeigt die Ausgangsstrukturen, die im Rahmen des Fragebogens abgefragt wurden: Tab. 3: Ausgangsstrukturen abgefragter Familiennamen. Silbenzahl
Auslaut
Namen
eine
Sibilanten: /s/, /ts/, /ʃ/
Peter Groß, Gretchen Schmitz, Lotte Schulz, Lene Busch
andere Konsonanten: /k/, /n/, /t/
Paula Bock, Markus Klein, Greta Schmidt
Vollvokal: /aɪ/
Ella Frey
Reduktionsvokal (Reduktionssilbe): /ɐ/
Thomas Mohr
Sibilant: /ts/
Annie Lorenz
Konsonanten, Nebenakzent: /t/, /n/, /ç/, /k/, /t/, /ts/
Hannes Arnold, Michel Hofmann, Inga Friedrich, Nina Nowak, Karlchen Schubert, Annie Lorenz
Konsonant, Hauptakzent auf zweiter Silbe: /n/
Rita Baron
Vollvokal: /o:/
Gustav Otto
Reduktionsvokal (Reduktionssilbe): /ɐ/
Emma Fischer, Karla Vogel
Vollvokal: /i:/
Oscar Kaminski
zwei
mehr als zwei
12 Unter https://www.onomastik.com/Vornamen-Lexikon (letzter Abruf: 27.04.2021) kann die Studie zur sozialen Einschreibung von RufN eingesehen werden.
3.1 Indirekte Methode: Fragebogenstudie
23
Aufgrund der Größe des Untersuchungsgebiets war es nicht möglich, ortstypische oder regionaltypische FamN abzufragen. Um dennoch eine Befremdung auf Seite der Teilnehmenden zu vermeiden, die sich auf das Ergebnis auswirkt, wurden diese unter den 200 häufigsten FamN in Deutschland basierend auf den Telefonbuchdaten der Deutschen Telekom aus dem Jahr 200513 ausgewählt. Die einzigen Ausnahmen bilden die Namen Baron (da sich kein FamN mit Ultimabetonung unter den häufigsten 200 Namen fand) und Kaminski. Lediglich die Ergebnisse zu ausgewählten Auslauten bzw. phonologischen Strukturen können in der vorliegenden Analyse dokumentiert werden. Zusätzlich wurden Bezeichnungen für Familien (Familienkollektiva) zu den FamN Schmidt (einsilbig, konsonantischer Auslaut), Müller (zweisilbig, Reduktionssilbe) und Lorenz (zweisilbig, Nebenakzent) jeweils in syntaktischer Einbettung abgefragt.
3.1.2 Aufbereitung und Auswertung Annotiert wurden die Daten nach acht Dialektgroßräumen: Westoberdeutsch, Bairisch, Ostfränkisch, Westmitteldeutsch, Ostmitteldeutsch, Westfälisch/Ostfälisch, Nordniederdeutsch, Ostniederdeutsch. Das Westoberdeutsche wurde nach Ortspunkten auf bundesdeutschem und Schweizer Staatsgebiet unterschieden. Zusätzlich wurde kleinräumiger anhand der Dialekteinteilung nach Wiesinger (1983) annotiert. In den Daten, die in Kapitel 4.3 gezeigt werden, werden gelegentlich Gebiete zusammengefasst, die Ähnlichkeiten aufweisen. Aufgrund der umfänglich vertretenen prosodischen Strukturen bei den FamN war es zum einen möglich, eine (je nach Antwortsatz mehr oder weniger) vollständige Analyse eines Einzelsystems (genaugenommen des Idiolekts einer teilnehmenden Person) vorzunehmen, zum anderen konnten systemvergleichend verschiedene formale Ausprägungen eines Namentyps im Raum abgebildet werden. Wurden mehrere Referenzformen oder GesamtN-Typen genannt, dann wurden alle für den jeweiligen Ortspunkt verzeichnet. Da einige Teilnehmende bei Übersetzungen ohne syntaktischen Kontext dazu tendieren, Artikel nicht zu nennen, obwohl sie diese eigentlich verwenden, wurden bei der Analyse des Artikeltyps artikellose GesamtN lediglich in den Übersetzungen mit syntaktischen Kontexten berücksichtigt. 13 Die Daten sowie detaillierte Informationen zu ihrer Zusammensetzung können abgerufen werden auf der Webseite des Digitalen Familiennamenwörterbuchs Deutschlands (DFD) (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz & TU Darmstadt 2020): http://www.namenforschung. net/dfd/woerterbuch (Letzter Abruf: 01.12.2019).
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3 Empirische Studie: Methodologie
Für die Auswertung zur Modifikation wurden die FamN Schmitz, Groß und Lorenz nicht berücksichtigt, da durch den auslautenden Sibilanten Flexionslosigkeit auch als ein bereits vorhandenes ehemals starkes Suffix gedeutet werden kann und somit keine verlässlichen Aussagen getroffen werden können. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Fragebogenstudie sollte einen ersten Überblick über pragmatische Konditionen für die Voranstellung des FamNs verschaffen. Hierzu wurde folgende offene Frage gestellt: „In welchen Situationen oder für welche Personen nennen Sie den Nachnamen oder Hausnamen vor dem Vornamen?“ Diese Frage wurde mithilfe der Software MAXQDA datengeleitet ausgewertet. Annotiert wurden Angaben zu Sprecher:innen, Adressat:innen, Referent:innen, zu Gesprächskontexten, zur Häufigkeit der Verwendung von FamN+RufN, Konnotationen des Phänomens sowie zu anderen Assoziationen, wie „Dorf“, „Kommunikation in der Ingroup“, „Kommunikation im Dialekt“ und „Kodierung von familialer Herkunft“.
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie 3.2.1 Probleme klassisch-dialektologischer Methoden bei der Erhebung der Pragmatik von Personenreferenz Nicht selten wird als Problematik klassischer dialektologischer Methoden genannt, dass sie wenig repräsentative Ergebnisse liefern können (vgl. König 1983). Dieses Defizit gilt insbesondere für die Sammlung von direkten Sprachdaten aus den Bereichen Phonologie und Morphologie bzw. Morphosyntax. Anders wiederum ist das Erheben pragmatischer Phänomene in der Dialektologie zu beurteilen. Zur Untersuchung eines Sprachsystems auf diese Parameter reicht nach König (1983: 469) bereits eine relativ geringe Menge an Text oder Beispielen aus. Dennoch besteht auch hier selbstverständlich ein hoher Validitätsanspruch. Dies gilt besonders für vermittelte Sprachdaten, d. h. durch Interviews und andere Befragungsmethoden erlangte Informationen zu Gebrauchspraktiken. Diese werden in der Dialektologie neben der teilnehmenden Beobachtung als „metakommunikativ-reflexive Thematisierung von gegenwärtig ablaufenden oder von reflexiv vergegenwärtigten Sprachhandlungen“ (Mattheier 1983: 626) genutzt. Die Erhebung metasprachlicher Daten wird oft gewählt, da Kommunikationsgemeinschaften meist nicht über eine längere Zeit und völlig ohne den Einfluss äußerer Faktoren beobachtet werden können. Zudem stellt es eine größere Herausforderung dar, unvermittelte, authentische Sprachdaten zu pragmatischen Steuerungsfaktoren zu erhalten. Während in der Untersuchung dialektgrammatischer Phänomene nicht selten auf quantifizierende Methoden zurückgegriffen wird, erfordert die Erforschung
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
25
dialektaler Personenreferenz, die sich auf spezifische situative Kontexte bezieht und damit in den Bereich der (Sozio-)Pragmatik fällt, zudem Methoden, mit denen sich neben phonologisch-prosodischen und morphologischen Strukturen auch Verwendungskontexte identifizieren lassen. Die hier gefragte qualitative Forschung bezieht die Tatsache mit ein, dass psychische, soziale und kulturelle Wirklichkeiten das Resultat sozialer Konstruktionsund Aushandlungsprozesse sind. Insofern widmet sich qualitative Forschung den subjektiven Sichtweisen und Deutungsmustern der Akteure sowie deren Kommunikation und Interaktion in ihren alltagsweltlichen Zusammenhängen. Auch latente Sinnstrukturen können hierbei Beachtung finden (Mey/Ruppel 2018: 207).
Direkter Kontakt zu Nutzer:innen der FamN+RufN-Referenzformen mittels einer qualitativen Studie war für die vorliegende Fragestellung unerlässlich. Die hier vorgestellte Studie nutzt beide Verfahren – die Erhebung unvermittelter Sprache und ein Abfragen metakommunikativer Beurteilungen – komplementär.
3.2.2 Ortsgröße und Gruppendynamik Tiefenbohrungen, d. h. Einzelstudien zu den Referenzsystemen verschiedener Ortspunkte, wurden an zwölf Orten vorgenommen, die möglichst verschiedene Dialektgebiete im gesamten bundesdeutschen Raum abdecken (siehe Abb. 3 sowie Tab. 4)14. Die Erhebungspunkte variieren in der Einwohnerzahl zwischen 622 und 23.925 Einwohner:innen, wobei die meisten unter 10.000 liegen. Der Erhebungsort Varel erwies sich als der einzige Ort, in dem keine Voranstellung des FamNs in der Referenz auf Personen stattfand. Diese war den Gewährspersonen jedoch aus früherer Zeit und aus umliegenden ländlicheren Orten bekannt, was darauf hindeutet, dass die Einwohnerzahl und damit einhergehend der Intimitätsgrad innerhalb des Ortes sich auf den Erhalt oder Abbau dieser Referenzformen auswirkt. Bezüglich der Ortsgröße ist auch die Erhebung im Bereich „Struth“ des Stadtteils Oberstein in Idar-Oberstein hervorzuheben. Während die Stadt Idar-Oberstein insgesamt 28.520 Einwohner (Stand 2019) hat, beträgt die Einwohnerzahl beim Stadtteil Oberstein nur 7.462 (Stand 2015). Die Erhebung konzentrierte sich auf den Bereich Struth, der sich in zwei geographisch und sozial segregierte Teile gliedern lässt, über die eine starke Identifikation seitens der Mitglieder stattfindet. Die Erhebung fand mit Mitgliedern der „Siedlergemeinschaft Neuweg Idar-Oberstein e. V.“ in einem Siedlerheim statt, das der Verein für Veranstaltungen nutzt. 14 Ich danke Andreas Klein dafür, dass er mir das von ihm erstellte Layer mit der Dialekteinteilung von Wiesinger (1983) für die Erstellung der Karte zur Verfügung gestellt hat.
26
3 Empirische Studie: Methodologie
Abb. 3: Lage und dialektologische Einteilung der Erhebungsorte: Dialekteinteilung nach Wiesinger (1983) (Kartenerstellung mit REDE SprachGIS, Layer zur Wiesinger-Dialekteinteilung erstellt von Andreas Klein). Tab. 4: Ortspunkte der direkten Erhebung sortiert nach Einwohnerzahl (jeweils aktuellste Angabe (2007–2019). Erhebungsort
Dialektgrossraum
Dialekteinteilung (Wiesinger)
Einwohnerzahl
Erhebungsjahr
Alstätte
westniederdeutsch
westfälisch
5.057 (vgl. Stadt Ahaus 2019)
2019
Ehringen (Volksmarsen)
westniederdeutsch
westfälisch
781 (Wikipedia 2019d)
2018
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
27
Tab. 4 (fortgesetzt) Erhebungsort
Dialektgrossraum
Dialekteinteilung (Wiesinger)
Einwohnerzahl
Erhebungsjahr
Fürstenzell
ostoberdeutsch
bairisch
8.156 (Wikipedia 2019a)
2019
Hollenstedt
nordniederdeutsch
nordniedersächsisch
3.828 (Wikipedia 2019b)
2019
Höringen
westmitteldeutsch
rheinfränkisch
604 (Wikipedia 2019c)
2019
Idar-Oberstein
westmitteldeutsch
moselfränkisch
28.520 (Wikipedia 2019e)
2019
Osterath (Meerbusch)
westmitteldeutsch
ripuarisch
13.022 (Wikipedia 2016)
2018
Rheinbach
westmitteldeutsch
ripuarisch
26.986 (Wikipedia 2019 f )
2018 (Pretest)
Unadingen
westoberdeutsch
mittelalemannisch
1.051 (Wikipedia 2007)
2019
Varel
nordniederdeutsch
nordniedersächsisch
24.017 (Wikipedia 2019g)
2019
Wartenburg (Kernberg)
ostmitteldeutsch
nordobersächsisch
766 (Wikipedia 2008)
2019
Wendeburg
westfälisch/ ostfälisch
ostfälisch
10.412 (Wikipedia 2019h)
2018
Worfelden
westmitteldeutsch
rheinfränkisch
4.536 (Wikipedia 2011)
2019
Es handelt sich dabei um eine Wohnsiedlung mit einer geschlossenen Kommunikationsgemeinschaft, deren Mitglieder untereinander vertraut und deren zugehörige Familien bereits über mehrere Generationen ortsansässig sind, sodass den Gewährspersonen familiale Strukturen bekannt sind. Solche geschlossenen, gut vernetzten Gemeinschaften innerhalb größerer Städte sind kein Einzelfall. Im ebenfalls einwohnerreichen Rheinbach, wo der Pretest für die Erhebungen stattfand, gaben die Gewährspersonen an, entsprechende Formen lediglich im alten und gut vernetzten Ortskern zu verwenden. Auch Cornelissen (2016: 79) beschreibt: „Das wird für die in Vierteln zusammenlebenden Menschen in Städten in ähnlicher Weise gegolten haben. In Köln gab es um 1815 fast schon Dörfer innerhalb der Stadt, wie sie Ernst Weyden in seinen Kindheitserinnerungen beschrieben hat.“ Einwohnerzahl kann demnach nicht als valides Kriterium zur Auswahl der Erhebungsorte herangezogen werden: Auch innerhalb größerer Städte formieren sich soziale Subgruppierungen. Wichtigstes Qualifikationskriterium für die Erhebungsorte war deshalb, dass ein
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3 Empirische Studie: Methodologie
intaktes soziales Netzwerk vorliegt, nach Milroy/Llamas (2013: 409) definiert als „the aggregate of relationships contracted with others“. Es stellt für die Auswahl der befragten Gruppen einen wesentlich einflussreicheren Faktor dar, ob die Teilnehmenden Kenntnis der familialen Strukturen innerhalb der Sozialgemeinschaft besitzen. Dies ist der Fall, wenn sie selbst (idealerweise mehrgenerational) ortsansässig sind und bereits in die dörflichen Sozialstrukturen hineinwachsen konnten. Diese Variable wurde im Vorfeld mit der jeweiligen Ansprechperson ausgehandelt, sodass die Auswahl der Befragten nach diesem Kriterium erfolgte. Auch bei den Personen, bei denen keine generationsübergreifende Ansässigkeit am Ort bestand (siehe Kapitel 3.1.2), wurde Wert darauf gelegt, dass sie dennoch ortskundig und vertraut mit den anderen Personen der Gemeinschaft waren, sodass eine intakte Gruppendynamik bestand. Da die Teilnehmenden mehrheitlich über das Vereinsleben vernetzt sind, war diese Infrastruktur meist ohnehin gegeben.
3.2.3 Gewährspersonen Die Wahl der insgesamt 90 Gewährspersonen wurde auf der Basis extralingualer Merkmale getroffen (vgl. Lenz 2003: 46). Auswahlkriterium war hier zum einen die Ortsgebundenheit der Informant:innen. Diese ist nicht, wie in traditionellen dialektologischen Studien, mit regionaler Mobilität (vgl. Lenz 2003: 51) gleichzusetzen, da die Studie nicht auf die Überprüfung phonologischer oder lexikalischer Merkmale abzielt. Auch wird unter Ortsgebundenheit nicht die Beziehung oder emotionale Bindung zum jeweiligen Wohn- oder Heimatort verstanden, die gemeinhin unter Ortsloyalität gefasst wird (vgl. Leuenberger 1999: 23; Mattheier 1985). Nach Schwonke/Herlyn (1967: 16) zählt Informiertheit über das Ortsgeschehen zu den wichtigsten Merkmalen sozialer Integration. Leuenberger (1999) untersucht verschiedene soziale Faktoren auf eine Korrelation mit einem Verbundenheitsgefühl zum Wohnort, darunter Ansässigkeitsdauer, Dauer des Arbeitsverhältnisses, Wohnsitz der Herkunftsfamilie, politische Partizipation, (vermittelte) Vereinsmitgliedschaften, Verkehrskreis, ortsbezogene Kommunikation und Lokalmediennutzung (vgl. Leuenberger 1999: 78). Dabei stellt sie fest, dass die Dauer der Ansässigkeit im Ort nur eine geringe Rolle für die Bindung zum Ort spielt und es sich ebenfalls nicht auf die Wohnortsverbundenheit auswirkt, ob eine Person dort entferntere Verwandte hat (vgl. Leuenberger 1999: 81). Wohnen jedoch ein oder beide Elternteile im selben Ort, zeigten sich signifikante Korrelationen für die Wohnortsverbundenheit (vgl. Leuenberger 1999: 84). Zwischen der Mitgliedschaft in Vereinen mit lokalem Wirkungsbereich und dem Verbundenheitsgefühl mit dem Wohnort findet sie ebenfalls statistisch signifikante Zusammenhänge (vgl. Leuenberger 1999: 92).
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
29
Mitglieder in Vereinen haben zudem einen größeren Verkehrskreis. Basierend auf diesen Erkenntnissen soll in der vorliegenden Studie Ortsgebundenheit definiert werden, jedoch werden emotionale Parameter ausgeschlossen, da diese bei der Informant:innenakquise nicht messbar sind. Der Begriff wird hier verstanden als Ansässigkeit am Wohnort über eine oder mehrere Generationen und/oder Integration durch Einbindung in soziale Strukturen des Wohnortes und Interesse am Ortsgeschehen. Als Konsequenz dieses Kriteriums wurden die Gewährspersonen über Vereine und andere kommunale Sozialgruppen, wie Chöre und Kirchenverbände, akquiriert. 78 von 90 Gewährspersonen gaben in einer Selbstauskunft an, in einem Verein aktiv zu sein. In einer Skala, in der der Kontakt zu anderen Personen im Wohnort abgefragt wurde und die von eins bis sieben reichte, wählten lediglich 14 Personen eine Ziffer unter 5, fünf Personen machten keine Angaben. In einem Apparent-time-Ansatz (vgl. Chambers/Schilling/Trudgill 2004: 314), der eine zeitliche Dimension abbildet, indem Unterschiede in der Sprache verschiedener Altersgruppen als Sprachwandel interpretiert werden, wurden Personen verschiedener Altersklassen befragt, beginnend ab 45 Jahren. Sprecher:innen unter 45 Jahren wurden in der Studie nicht berücksichtigt, da sich bei vorausgehenden Untersuchungen bereits ein massiver Abbau der FamN+RufN-Systeme bei jüngeren Gewährspersonen gezeigt hat und es zudem mit erheblichen Hindernissen verbunden ist, diese Personengruppe zu akquirieren (geringe Ortsansässigkeit aufgrund hoher Mobilität, Berufstätigkeit etc.). Zudem haben jüngere Sprecher:innen, besonders im Ripuarischen, Ostmitteldeutschen und Niederdeutschen, den Ortsdialekt oft nicht mehr erlernt. Die in Tab. 5 gezeigten Serien I und II ergaben sich induktiv aus dem Gewährspersonensample. Die Informant:innen wurden nicht nach vorher festgelegten Altersgruppen ausgewählt: Aufgrund der großen Divergenzen bezüglich der Faktoren Ortsgebundenheit und Dialektkenntnis, Kontakt zu ortsansässigen Personen und Durchschnittsalter der jeweiligen Peer Groups der Gewährspersonen schienen eine solche Top-down-Kategorisierung und darauf basierende Interpretationen der Daten wenig sinnvoll. Tab. 5 zeigt ebenfalls, dass die Gewährspersonen insgesamt mit Bezug auf die Variable Geschlecht recht ausgeglichen gewählt sind. Dies konnte jedoch nicht innerhalb der einzelnen Erhebungsorte immer gewährleistet werden, da schlichtweg die entsprechenden Personen nicht organisiert werden konnten und andernfalls eine Erhebung gar nicht hätte stattfinden können.15 15 Abweichungen von der Altersbeschränkung „45+“ fanden sich in vier Ortspunkten: In Meerbusch-Osterath (Informant, m, 43 Jahre), Wartenburg (Informantin, w, 43 Jahre), Hollenstedt (Informantin, w, 29 Jahre) und Unadingen (Informantin, w, 35 Jahre; Informant, m, 14 Jahre). Letzterer Informant, der mit Abstand die jüngste Gewährsperson darstellte, wurde aus Mangel an Alternativen eigenmächtig durch den Gatekeeper (siehe Kapitel 3.2.4) akquiriert und ist sowohl mehrgene-
30
3 Empirische Studie: Methodologie
Tab. 5: Anzahl und Verteilung der Gewährspersonen nach Erhebungsort, Alter und Geschlecht. Erhebungsort Alstätte
Höringen
Anzahl der Personen 6 7
Wartenburg
11
Unadingen
5
Hollenstedt
7
Geburtsjahr
Anzahl pro Serie
männlich
weiblich
Serie II (1950 und später)
6
4
2
Serie II (1950 und später)
4
2
2
Serie II (1950 und später)
7
0
Serie I (vor 1950) Serie I (vor 1950)
4
1
2
1
3
2
3 1
7
Serie II (1950 und später)
5
Serie II (1950 und später)
5
4
Serie II (1950 und später)
4
2
Serie II (1950 und später)
4
Serie II (1950 und später)
4
2
2
Serie II (1950 und später)
3
1
2
Serie I (vor 1950)
Worfelden (Büttelborn)
7
Serie I (vor 1950)
VolksmarsenEhringen
7
Serie I (vor 1950)
Idar-Oberstein
6
Serie I (vor 1950)
Fürstenzell
7
Serie I (vor 1950)
Wendeburg
5
Serie I (vor 1950)
MeerbuschOsterath
8
Serie I (vor 1950)
Varel
6
Rheinbach (Pretest) gesamt
3
2
3 2 2
4
1
1
3
0
2
0
1 1
2
2
3 1
2
3
2
5
3
2
Serie I (vor 1950)
4
2
2
9
Serie I (vor 1950)
7
90
Serie I (vor 1950)
Serie II (1950 und später) Serie II (1950 und später) Serie II (1950 und später) Serie II (1950 und später)
Serie II (1950 und später)
2
3
2 2
39 51
1
2 2 7 1
25
24
1 1 1
0 0 1
14 27
3.2.4 Gatekeeperperson Die bei Weitem größte Herausforderung für die Erhebungen im Rahmen des Projekts stellte das Erschließen des Feldes dar. Breidenstein et al. (2013: 62) formulieren es treffend:
rational ortsansässig als auch aktiv in lokalen Vereinen und dialektkundig. Auch die anderen jüngeren Gewährspersonen erfüllen diese Kriterien und eigneten sich durch ihre gute Ortskenntnis und den Kontakt mit verschiedenen Altersgruppen im Vereinsleben als Gewährspersonen.
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
31
Die zentrale Frage für den ethnografischen Rapport ist: Wie bringt man Menschen, die Wichtigeres zu tun haben, zur Mitwirkung an Forschung? Als soziale Veranstaltung ist ein Forschungsprojekt ja immer mit Zumutungen für andere verbunden. Sie sollen Zeit für Gespräche erübrigen, Raum zur Verfügung stellen, Anwesenheit dulden, ja eine Art Beschattung ertragen, sich kommunikativen Zwängen aussetzen, evtl. Peinlichkeiten aushalten und die naiv neugierige Infragestellung von Selbstverständlichkeiten akzeptieren. Darüber hinaus sollen sie sich nach Möglichkeit auch noch in die Forscherin hineinversetzen, ihr Vertrauen schenken und Wege zu anderen ebnen, sie über Selbstverständliches belehren, Antworten auf Fragen geben, die sie sich selbst noch nie gestellt haben, eigene Ungestörtheit signalisieren, obwohl sie sich unter Beobachtung wissen usw. Insofern darf man sich nicht wundern, wenn die Motivation zur Forschung bei Forschern und Beforschten höchst ungleich ist.
Da der Erhebungsprozess bis zu drei Stunden in Anspruch nahm, erforderte er ein großes zeitliches Opfer von Seiten der Befragten, das nur erbracht wurde, wenn soziale Verpflichtungen mit im Spiel waren. Deshalb war es umso wichtiger, eine Ansprechperson zu finden, die sich für das Forschungsthema begeistern oder zumindest von dessen Nutzen überzeugen ließ. Die Hemmschwelle, gegenüber dieser Person Ablehnung zu bekunden, war für weniger überzeugte Gewährspersonen groß genug, um die Unannehmlichkeiten einer Teilnahme in Kauf zu nehmen. Eine Kontaktperson war also wichtig, um der Exploratorin das Feld zu öffnen: In den meisten Fällen [...] sind Ethnografen auf spezifische Personen angewiesen, die ein Feld öffnen können: sogenannte Gatekeeper, wörtlich Türsteher. Gatekeeper sind Schlüsselpersonal einer Einrichtung, von denen Ethnografen (offizielle) Erlaubnisse zum Aufenthalt erhalten oder verweigert bekommen können. Oft reichen die Informationen über die formale Organisationsstruktur nicht aus, um zu wissen, wer wirklich über diese Autorität verfügt und es gehört bereits zu den ersten Daten, dies allmählich in Erfahrung zu bringen. Die Schwierigkeit besteht also darin, schon einiges über ein Feld wissen zu müssen, bevor man an das Feld herantritt, um den Zugang auszuhandeln (Breidenstein et al. 2013: 52).
Diese Gatekeeper:innen oder Türöffner:innen für das Feld des jeweiligen Ortspunkts waren nicht nur Hauptkontaktpersonen für die Exploratorin, die die ortsinterne Organisation von Räumlichkeiten bis hin zur Informant:innenakquise übernahmen, sondern wurden auch im Voraus über den Forschungsgegenstand und einige der Methoden unterrichtet, sodass sie den Bedingungen entsprechend weitere Personen auswählen konnten. Auch während der Erhebung wurden die Gatekeeper:innen in der Methode „Fotogespräch“ (siehe Kapitel 3.2.6.2) mit einbezogen und sorgten in jeweils einer der beiden parallel aufgenommenen Gruppen durch unauffälliges Lenken des Gesprächs dafür, dass Referenz auf Personen hergestellt wurde. Nicht selten trugen diese Personen auch den entscheidenden Teil zur gelösten Stimmung und zum Abbau von Reserviertheit bei den anderen Gewährspersonen bei. Zusätzlich standen sie der Exploratorin auch als Kontaktpersonen
32
3 Empirische Studie: Methodologie
für Nachfragen und Nacherhebungen nach Abschluss der eigentlichen Erhebung zur Verfügung. Vor Ort waren weitere Faktoren ausschlaggebend, um das Vertrauen des Feldes zu gewinnen und eine angenehme Erhebungsatmosphäre zu kreieren: Visuell durfte die Exploratorin nicht als Fremdkörper erscheinen, musste aber dennoch die eigene Rolle als forschende Person deutlich markieren (vgl. Breidenstein et al. 2013: 64). Diese Anforderungen konnten durch Kleidung und Auftreten kontrolliert werden. Zudem musste sie über ein Repertoire an möglichen Themen verfügen, das das Gespräch jenseits von Forschungsinteressen auflockerte (vgl. Breidenstein et al. 2013: 64). Hilfreich war es in diesem Zusammenhang v. a., Interesse am Vereinsleben des Ortes, an lokalen Medien oder generell am Ortsgeschehen zu zeigen.
3.2.5 Ausgangsbedingungen: Setting Die Erhebungen dauerten jeweils zwischen zwei und drei Stunden und fanden in einer für die Gewährspersonen vertrauten Umgebung statt. Dies konnte entweder ein Privathaus einer der Gewährspersonen (üblicherweise der Gatekeeper:innen) oder ein Vereinsheim sein, in dem die Teilnehmenden sich häufig aufhalten. Auch dieser Aspekt trug entscheidend zur Gestaltung eines natürlichen und privaten Rahmens bei. Eine Stabilisierung der Erhebungssituation kann auch dadurch erzielt werden, dass die Forschenden durch eine Kennenlernrunde eine gewisse Vertrautheit kreieren. Diese wurde vor jeder Erhebung in unterschiedlich ausgedehnter Form durchgeführt. Die Gewährspersonen waren in der Regel nicht miteinander verwandt, ab und zu waren Eheleute oder Eltern-Kind-Dyaden vertreten. Die Teilnehmenden waren durch Vereinsleben oder andere Aktivitäten des Ortsgeschehens vertraut miteinander.16 Nach jeder direkten Erhebung wurde in geringem Abstand (am selben oder am darauffolgenden Tag) ein Postskript angefertigt, das Setting, Stimmung und Kooperation der Befragten festhält und alle Auffälligkeiten und Probleme in der Erhebungssituation reflektiert. So wurden zeitnah erste Memos angefertigt, die die spätere qualitative Datenanalyse erleichterten.
16 Der Grad dieser Vertrautheit konnte jedoch je nach Ortsgröße variieren. In größeren Orten war üblicherweise eine höhere Distanz gegeben – spürbar durch einen höheren Grad an Formalität.
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
33
3.2.6 Direkte Methoden Für die direkten Erhebungen wurden größtenteils qualitative Aufgabentypen im Rahmen der Explorationen ausgewählt. Die Erhebungen bestanden aus einer Kombination aus der Methode „Fotogespräch“ (siehe Kapitel 3.2.6.2), schriftlichen Übersetzungsaufgaben sowie einer Fokusgruppendiskussion. 3.2.6.1 Präambeln und Prinzipien bei Erhebung und Auswertung V. a. die Fokusgruppen wurden im Sinne des Prinzips der Offenheit durchgeführt, einer Präambel der qualitativen Sozialforschung. Diese beschreibt eine Grundhaltung gegenüber den Gewährspersonen, die auch den Forschungsablauf determiniert (vgl. Mey/Ruppel 2018: 210). Gemeint ist, dass Hypothesen nicht im Voraus, sondern erst im Zuge der Datenerhebung und -analyse gebildet werden. Ausgangspunkt für die Entwicklung derjenigen Forschungsmethoden für die vorliegende Studie, die Sprachreflexion anregen oder authentische Referenzsituationen kreieren, sowie für den Erhebungsrahmen innerhalb eines Feldes ist die ethnomethodologische Forschung, die von Harold Garfinkel begründet wurde und alltägliche Interaktionen und ihnen zugrundeliegende Prinzipien für eine erfolgreichen Interaktion untersucht. Nach Garfinkel ist soziale Wirklichkeit nichts Gegebenes, sondern wird durch solche Methoden erst hergestellt. „I use the term ‘ethnomethodology’ to refer to the investigation of the rational properties of indexical expression and other practical actions as contingent ongoing accomplishments of organized artful practices of everyday life“ (Garfinkel 1967: 11). Der Begriff der indexical expression zielt darauf ab, dass die Bedeutungen der meisten sprachlichen Äußerungen davon abhängig sind, in welchem Kontext sie geäußert werden (vgl. Garfinkel 1967: 4–5). „Die Handlung wird als ein Index begriffen, der auf zwei Aspekte verweist: auf den jeweiligen Handlungskontext und auf situationsübergreifende Muster. Die Verbindung von Ereignis und Muster stellen die Handelnden in der jeweiligen Situation selbst her“ (Lautmann/Meuser 2011: 298). Als Handlung ist in diesem Fall die sprachliche Handlung der Personenreferenz (z. B. eine spezifische Referenzsituation) zu betrachten, als situationsübergreifendes Muster die Identifikation bestimmter Referent:innengruppen, für die eine bestimmte Abfolge von FamN und RufN verwendet oder nicht verwendet wird. Auf der Basis dieser Überlegungen fand die Wahl der verwendeten Methoden der direkten Datenerhebung statt. Sie sind darauf ausgerichtet, situationsübergreifende Muster für die Personenreferenz zu identifizieren, die determiniert sind von Handlungs- bzw. Äußerungskontexten. Dabei sind es die Gewährspersonen selbst, die diese kognitive Leistung der Identifikation in der Fokusgruppendiskussion im Austausch
34
3 Empirische Studie: Methodologie
miteinander erbringen (siehe Kapitel 3.2.6.4). Die so gewonnenen Daten können mit den Daten aus den authentischen Referenzsituationen im Fotogespräch abgeglichen werden. 3.2.6.2 Fotogespräch Das Fotogespräch ist eine Abwandlung des in der Dialektologie häufig verwendeten Tischgesprächs oder Freundesgesprächs (vgl. Lenz 2003: 60–65) und hat sich bereits in den Studien des Projekts „Das Anna und ihr Hund“ zur Erhebung von Personenreferenz bewährt (vgl. dazu Busley 2021a: 132–134; Fritzinger 2020: 111– 128; Baumgartner et al. 2020). Dort wurden Fotos als Impuls genutzt, um Genus(in) kongruenzen bei der Referenz auf weibliche Personen durch RufN und Pronomen zu evozieren. Dafür wurden die Gewährspersonen vorab beauftragt, über mitgebrachte Fotos zu sprechen, die Personen aus ihrer Familie oder aus dem engeren Freundeskreis zeigen. Die Methode wurde für die vorliegende Studie weiter modifiziert, sodass Fotos von Personen aus dem eigenen Wohnort, z. B. aus dem Vereinsleben oder von Dorffesten, im Fokus standen. Familienfotos waren dagegen wenig relevant, da für Personen aus dem engsten Umfeld in der Regel als Referenzformen keine FamN zu erwarten sind. Eine nicht zu kontrollierende Variable war der Aufnahmezeitpunkt der Bilder. Die Fotogespräche dauerten jeweils zwischen 20 und 25 Minuten und wurden ohne das Beisein der Exploratorin aufgenommen, um einen natürlichen Gesprächsverlauf mit möglichst wenig Störfaktoren zu kreieren. Die so erhobenen Sprachdaten sind insofern vergleichbar, als sich die Gespräche in allen Erhebungen um Personen innerhalb des Ortes entwickelten. Daten zu echten Referenzsituationen, die mehrheitlich in den Fotogesprächen auftraten, werden v. a. in Kapitel 5.3.1 vorgestellt. 3.2.6.3 Übersetzungsaufgaben In den direkten Erhebungen einbegriffen waren zwei schriftliche Übersetzungsaufgaben, die den mittleren Teil des Erhebungsablaufs bildeten und die beiden mündlichen Methoden voneinander trennten (zu Vor- und Nachteilen dieser oft genutzten Methode vgl. Seiler 2010: 519). Ähnlich dem Onlinefragebogen waren die Gewährspersonen in der Aufgabenstellung angewiesen, sich unter fingierten Referent:innen Personen aus ihrem persönlichen Umfeld vorzustellen. Die abgefragten Namen werden in Tab. 6 und Tab. 7 dargestellt. Ähnlich der indirekten Erhebung sollten auch hier Namen sowohl in situativen Kontexten sowie ohne syntaktische Einbettung übersetzt werden.
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
35
Tab. 6: Ausgewählte Namenkombinationen für schriftliche Methoden der direkten Befragung. Silbenzahl
Auslaut
Namen
eine
Sibilanten: /s/, /ʃ/
Lotte/Lena Fuchs/Voß, Markus Busch
Andere Konsonanten: /k/, /n/, /t/, /x/
Thomas/Berta Schmidt, Philip Kock/Koch, Cindy Wolf/Wulf, Lina Braun/Bruhn, Timo Stein/Steen, Thomas Klein, Ingrid Bock
Reduktionsvokale (Reduktionssilbe): /ɐ/, /əl/
Anna/Britta Meyer/Meier, Robert Müller/Möller, Jutta Engel, Georg Fischer/Visser, Gerhard Schneider/Snider
Sibilant: /ts/
Emma Lorenz
Konsonanten und Nebenakzent: /t/, /n/, /ç/, /k/
Peter Hoffmann, Stefan Nowak, Robert Dietrich, Tanja Neumann, Lisa König
zwei
Zusätzlich wurden Familienkollektiva (Bezeichnungen für Familien) zu folgenden FamN abgefragt: Tab. 7: Ausgewählte Familiennamen zur Bildung von Familienkollektiva für schriftliche Methoden der direkten Befragung. Silbenzahl
Auslaut
Namen
eine
Sibilanten: /s/, /ts/, /ʃ/
Schmitz
Konsonanten: /k/, /n/, /t/
Schmidt
Reduktionsvokale (Reduktionssilbe): /ɐ/, /ə/
Becker, Merten (als niederdeutsche Variante zu Martin)
zwei
Konsonanten und Nebenakzentw: /ts/, /n/
Lorenz, Neumann, Martin
Die Auswahlkriterien der Namen decken sich mit denen der indirekten Befragung (siehe Kapitel 3.1). Auch der Bearbeitungsprozess der Aufgaben selbst war Bestandteil der Datenerhebung, da sich bei der Beobachtung der Gewährspersonen pragmatische Abstufungen erkennen ließen. So stellte es in einigen Ortspunkten für die Teilnehmenden keine Schwierigkeit dar, die fingierten Namen in FamN+RufN-Kombinationen der ortstypischen Struktur zu übertragen. In anderen Ortspunkten verursachte diese Aufgabenstellung erhebliche Probleme, da die pragmatischen Konditionen zur Verwendung vorangestellter und ggf. modifizierter FamN nur Referent:innen zuließen, zu denen die Gewährspersonen eine reale Beziehung haben. Zusätzlich konnte der Aufgabentyp die Produktivität und Festigkeit bestimmter struktureller Systeme aufzeigen, siehe dazu Kapitel 7.2.2.
36
3 Empirische Studie: Methodologie
3.2.6.4 Sprachreflexive Methode: Fokusgruppendiskussion Ziel der direkten Erhebung war es nicht nur, Klarnamen von Personen aus dem Erhebungsort in situativen Kontexten zu erheben, sondern auch eine Reflektion und Introspektion der Gewährspersonen anzuregen. Auf diese Weise erhalten Forschende neben der Aufzeichnung der Referenzakte im Fotogespräch kontrastiv eine Reflektion des Sprachgebrauchs durch die Gewährspersonen. Eine solche Reflexion ist hochgradig subjektiv, liefert lediglich vermittelte Daten darüber, wie die Gewährspersonen glauben, Sprache zu verwenden, und bringt es mit sich, dass Gewährspersonen für sie besonders saliente Aspekte herausheben. Doch gerade eine kontrastive Betrachtung der Gewichtung pragmatischer Faktoren durch die Befragten auf der einen und den Beobachtungen durch Explorierende auf der anderen Seite kann ertragreich sein. Damit eine Analyse nicht lediglich auf der Aussage einer einzelnen Gewährsperson fußt und Intersubjektivität hergestellt werden kann, wurden pro Erhebungsort jeweils mehrere Sprecher:innen um eine Reflexion ihres Sprachverhaltens gebeten. Als Format dafür wurde die Fokusgruppe gewählt. Es handelt sich dabei um eine Methode aus der qualitativen Forschung, bei der bis zu zehn Gewährspersonen sowohl mit den Forschenden als auch miteinander interagieren. Ziel dieser Gruppendiskussion und Mehrwert gegenüber einem Einzel- oder Gruppeninterview ist es, eine Gruppendynamik zu kreieren, ein Offenlegen von Denkprozessen durch die Teilnehmenden zu evozieren und diese dazu zu bringen, miteinander in Dialog zu treten (vgl. Gaudet/Robert 2018; Stewart/Shamdasani 2015; Schulz/Mack/ Renn 2012; Liamputtong 2011; Flick 2009; Naderer/Balzer 2007). [O]pinions, which are presented to the interviewer in interviews and surveys, are detached from everyday forms of communication and relations. Group discussions on the other hand correspond to the way in which opinions are produced, expressed, and exchanged in everyday life (Flick 2009: 197).
So können verschiedene Standpunkte herausgearbeitet und Antworten und Kompromisse gemeinsam erarbeitet werden. Dies bedeutet zum einen, dass eine Polyphonie von Introspektiven entstehen kann, die wiederum in sich kontrastiert oder auf Übersteinstimmungen untersucht werden können. Zum anderen werden die Teilnehmenden in ihrer Reflektion unterstützt, indem sie sich gegenseitig ergänzen, Denkanstöße liefern, bestärken oder abschwächen und eine Diskussion einleiten können, was der Methode gegenüber einem Einzelinterview eine zusätzliche Validität zuspricht, da sie „quality controls on data collection“ (Flick 2009: 195) etabliert. Auch Korrekturen von Äußerungen, die nicht von der Mehrheit der Gruppe vertreten werden, sorgen für eine erhöhte Validität der Daten (vgl. Flick 2009: 197).
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
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Der Fokusgruppendiskussion lagen wenige offen formulierte Leitfragen zugrunde, die die forschende Person frei und nach eigenem Ermessen einfließen lässt (der vollständige Leitfaden befindet sich im Anhang, vgl. Kapitel A.2.4). Das Design für die vorliegende Studie beinhaltet zudem Charakteristika des Experteninterviews (vgl. Mey/Mruck 2007: 254; Flick 2009: 165–169), da die Teilnehmenden Expert:innen für ihren eigenen Dialekt und den Gebrauch von Referenzformen im jeweiligen Ortspunkt sind und diese Expertise der Exploratorin vermitteln. Im Gegensatz zu den oft artifiziell zusammengestellten Stichproben für Markforschungszwecke wurden in der Studie bereits bestehende Gruppen von Personen gewählt: „[R]eal groups start from a history of shared interactions in relation to the issue under discussion and thus have already developed forms of common activities and underlying patterns of meaning“ (Flick 2009: 197). In der Fokusgruppe hatte die Exploratorin nicht nur die Aufgabe, Fragen zu stellen, sondern fungierte gleichzeitig als Moderatorin, die die Gruppendynamik entscheidend beeinflusst. Das schloss auch ein, dass zurückhaltende Informant:innen ermutigt und solche, die viel Redezeit in Anspruch nehmen, davon abgehalten werden mussten, das Gespräch zu dominieren (vgl. Gaudet/Robert 2018: 95). Eine informelle Atmosphäre zu schaffen war von großer Wichtigkeit, gleichzeitig aber musste das Abdriften in irrelevante Erzählungen und Austausch von Neuigkeiten unterbunden werden (vgl. Flick 2009: 204). Die 13 durchgeführten Fokusgruppen überschritten 60 Minuten nicht, da eine längere Zeitspanne der Konzentration von Informant:innen und Exploratorin abträglich gewesen wäre. Wann die Fokusgruppe beendet und keine relevanten Daten mehr zu erheben waren, wurde von der Exploratorin in der Erhebungssituation entschieden. Die maximal von einer forschenden Person zu bewerkstelligende Teilnehmer:innenzahl lag bei neun, so rangierten die Teilnehmenden in den jeweiligen Orten zwischen minimal fünf und maximal neun Teilnehmenden. Eine Ausnahme stellt der Erhebungsort Wartenburg dar, wo elf Personen an der Erhebung partizipierten, die sich jedoch in unterschiedlichem Maße beteiligten.17 Die nur in geringem Maße vorhandene Steuerbarkeit des Diskussionsverlaufs, der den ausschlaggebenden Mehrwert der Methode darstellt, wurde auf Kosten der Vergleichbarkeit der individuellen Diskussionen und Planbarkeit der Erhebungssituation in Kauf genommen. Viele Entscheidungen mussten somit spontan und im Prozess gefällt werden (vgl. Flick 2009: 201). Ebenfalls nicht immer gegeben war bei der Fokusgruppe die Unterscheidbarkeit der verschiedenen Standpunkte der Teilnehmenden (vgl. Flick 2009: 202). Da jedoch vielmehr das gemeinsame Erarbei-
17 Die Divergenz entstand durch den Umstand, dass es sich beim Setting um eine reguläre Chorprobe handelte und viele aus Neugier erschienen, dann aber lediglich als Zuhörende teilnahmen.
38
3 Empirische Studie: Methodologie
ten allgemeingültiger pragmatischer Prinzipien (situationsübergreifende Muster, siehe Kapitel 3.2.6.1) für den jeweiligen Ortspunkt angestrebt wurde, konnte eine kontrastive Betrachtung der Teilnehmenden – abgesehen von Konfliktsituationen, die sich in den Daten zeigen und zur Erschließung ebendieses Ortssystems führen, – außer Acht gelassen werden. Kapitel 4.4 bietet eine dezidierte Analyse der Fokusgruppendaten und erweist sich v. a. im Hinblick auf die Selbstdarstellung der Gewährspersonen als Sprechgemeinschaft und soziale Gruppe interessant. Neben dem gemeinsamen Erarbeiten von pragmatischen Aspekten bietet die Interaktion der Gewährspersonen miteinander hochgradig authentisches Sprachmaterial, vergleichbar mit dem der Fotogespräche (vgl. Seiler 2010: 517). Da die Informant:innen nicht nur mit der Exploratorin, sondern v. a. miteinander kommunizieren, können die Fokusgruppendaten nicht nur nach dem Gesprächsinhalt, sondern auch nach Prinzipien der interaktionalen Linguistik analysiert werden, das heißt nach strukturellen Kriterien und der Art und Weise, wie Standpunkte und Argumente sprachlich realisiert werden und welche Funktion sprachliche Strukturen in der Interaktion erfüllen. 3.2.7 Ablauf der Erhebung Für die verschiedenen direkten Erhebungsmethoden wurde eine Reihenfolge festgelegt, die der Konzentration der Teilnehmenden entgegenkam und die bestmöglichen Ergebnisse versprach. Begonnen wurde mit der kurzen Vorstellungsrunde, die die Atmosphäre auflockerte, und dem anschließenden Ausfüllen einer Selbstauskunft mit personenbezogenen Daten. Danach folgte die Methode „Fotogespräch“. Hierzu wurden die Gewährspersonen in zwei nach dem Ermessen der Exploratorin zusammengestellte, gleichgroße Gruppen geteilt, die möglichst jeweils beide Geschlechter vertraten. In getrennten Räumen wurden dann Audioaufzeichnungen dieser Gruppen im Gespräch über die mitgebrachten Fotos gemacht. Die Methode wurde als Einstieg gewählt, da diejenigen Gewährspersonen, denen das Thema der Erhebung nicht bekannt war, so noch wenig von angenommenen Erwartungen an sie beeinflusst waren und bei der Referenz auf Personen nicht bewusst über Referenzformen reflektierten. Dadurch wurde die Authentizität des Sprachmaterials erhöht. Um den Teilnehmenden Abwechslung zu verschaffen, schlossen daran die beiden schriftlichen Methoden an, die bereits Hinweise auf das Forschungsthema gaben. Beendet wurden die Erhebungen mit der Fokusgruppe, die die Fragestellung der Studie nun offen kommunizierte und Fragen zur Abfolge von FamN und RufN beinhaltete. Zuletzt wurden Einzelaufnahmen zum Gebrauch von Possessivkonst-
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
39
ruktionen angefertigt. Diejenigen Gewährpersonen, deren Zeit knapp bemessen war, hatten hier den Vortritt und konnten bereits aufbrechen.18 3.2.8 Fehlerquellen und Maßnahmen Zu den Faktoren bei der Messung dialektaler Sprachdaten, die zu einer Verfälschung des Datenmaterials führen können, zählt in erster Linie das sogenannte Beobachterparadoxon: „Um die Daten zu erhalten, die am wichtigsten für die linguistische Theorie sind, müssen wir beobachten, wie Leute sprechen, wenn sie nicht beobachtet werden“ (Labov 1978: 201). Sind Forschende in der Erhebungssituation anwesend, wird diese Situation nicht mehr, wie von den Forschenden gewünscht, als privat, sondern als zumindest partiell öffentlich interpretiert. Dies wiederum kann die Wahl des Registers beeinflussen (vgl. Mattheier 1983: 633). Nicht in allen dialektologischen Studien ist es in gleichem Maße nötig, diese Verfälschung zu vermeiden. Bei der Untersuchung von Personenreferenz war es für die Datenerhebung nicht abträglich, wenn die Gewährspersonen bei der Reflektion über ihren Sprachgebrauch gegenüber der Exploratorinein standardnäheres Register wählten. Bei der Methode „Fotogespräch“ zog sich die Exploratorin bewusst aus der Gesprächssituation zurück und befähigte so die Gewährspersonen dazu, eine natürliche Kommunikationssituation zu schaffen, die dann lediglich durch die Präsenz des Aufnahmegeräts auf dem Tisch beeinflusst werden konnte. Diese Kommunikation musste nicht zwingend im Dialekt stattfinden, wenn dies kein authentisches Register im Gespräch der Gewährspersonen untereinander war. Stattdessen wurden die Befragten sogar explizit dazu angehalten, so zu kommunizieren, wie sie es üblicherweise tun. Natürlichkeit und Authentizität nahmen einen höheren Stellenwert ein als Dialektgebrauch. Es zeigte sich dabei, dass auch in standardnahen Registern oder im Regiolekt vorangestellte FamN verwendet werden. 3.2.9 Aufbereitung und Annotation der Daten Bei der Transkription bzw. Auswertung der Fotogespräche und Fokusgruppendaten wurde der Erhebungsort Varel ausgeschlossen, da die Abfolge FamN+RufN nicht in der Referenz auf Personen auftrat und somit keine Gegenüberstellung der beiden
18 Die Daten aus dieser Methode wurden zwar ausgewertet, werden im Verlauf der Arbeit jedoch nicht referiert. weswegen ihnen hier kein separates Kapitel gewidmet ist.
40
3 Empirische Studie: Methodologie
GesamtN-Abfolgen möglich war. Zugunsten einer detaillierteren Auswertung der zwölf restlichen Orte blieben diese Daten unberücksichtigt. Für jeden Erhebungsort wurden alle in den Fotogesprächen und Fokusgruppeninterviews geäußerten Realnamen (Tokens), die auf Personen referieren, transkribiert und annotiert. Nicht transkribiert wurden Namen der persönlichen Anrede unter den Gewährspersonen (z. B. Hallo Elisabeth!). In der weiteren Aufbereitung wurden die Daten aus den Fotogesprächen auf Types reduziert (vgl. zu Ergebnissen und weiteren methodischen Ausführungen Kapitel 5.3.1). GesamtN mit der Abfolge FamN/HausN+RufN/Appellativ (z. B. Müllers Vater) und alle Familienkollektiva wurden zwecks prosodischer und phonologischer Analyse phonetisch (IPA) transkribiert, während RufN, FamN und GesamtN in der Abfolge RufN+FamN nur transliteriert wurden. Annotiert wurden neben der Variable Referenz/Metasprache auch die strukturellen Merkmale Artikelsetzung, Artikeltyp, Modifikation am FamN, Art der Modifikation, RufN-Kürzung, Silbenzahl der Ausgangsstruktur des FamNs, Hauptakzent des GesamtNs und Auslaut FamNs sowie soziale bzw. biografische Merkmale zu den Gewährspersonen. Zusätzlich wurden Memos zu Hintergründen der Referent:innen und deren Beziehung zu den Gewährspersonen angefertigt. So wurden beispielsweise für den Erhebungsort Höringen insgesamt 818 Realnamen (Tokens) transkribiert, davon 234 in der Abfolge FamN/HausN+RufN. Für andere Erhebungsorte wurden wesentlich weniger Strukturen mit vorangestellten FamN/HausN geäußert, was auf starke Variation in deren Pragmatik und deren Abbau schließen lässt. Ein ausführlicher Vergleich der Referenzformen in direkten Referenzsituationen findet sich in Kapitel 5.3.1. 3.2.10 Aufbereitung und Auswertung der Fokusgruppen Aus den Tonspuren der Fokusgruppen wurden mit der Software EXMARaLDA nach den Konventionen von GAT2 (vgl. Selting et al. 2009) Basistranskripte erstellt und mit der entsprechenden Audiodatei aligniert. Anschließend wurden sie mithilfe der Software MAXQDA ausgewertet, einem Tool zur Analyse qualitativer Daten. Um die Daten zu strukturieren und annotieren, wurden Bestandteile der Qualitativen Inhaltsanalyse mit solchen der Grounded Theory kombiniert. Bei der Grounded Theory handelt es sich nicht um eine reine Methode zur Datenauswertung, sondern um ein offenes und exploratives Forschungsdesign aus der qualitativen Sozialforschung, dessen Ziel eine Theoriebildung auf der Basis von empirischen Daten ist (vgl. Glaser/Strauss 1967; Strauss/Corbin 1990; Corbin/Strauss 1990, 2008;
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
41
Glaser 1992; Mey/Glaser 2007; Charmaz 2012).19 Mit der Grounded Theory werden soziale Phänomene und Strukturen induktiv aufgedeckt, ohne bereits gefestigte Analysekategorien auf die Rohdaten zu projizieren. Damit wird bezweckt, „Theorien aus den vorliegenden empirischen Daten heraus (grounded) zu generieren und nicht die Vielfältigkeit der Inhalte des Materials durch einen abstrakten Handlungsbezugsrahmen (bestehende Theorien) zu reduzieren“ (Marx/Wollny 2009: 470). Die Theoriebildung ist ein fortwährender Prozess: Das Sammeln und Auswerten der Daten geschieht zeitgleich, iterativ und unter wechselseitigem Einfluss (theoretical sampling), weshalb der Grounded Theory-Ansatz in der vorliegenden Studie auch bereits vor und über die gesamte Dauer der Erhebungen zum Tragen kam. In mehr und mehr Datenerhebungen und Vergleichen werden erste Thesen auf ihre Gültigkeit überprüft. Die Rohdaten werden schließlich mittels Kategorienbildung auf eine abstraktere Analyseebene gehoben. Auf diese Weise werden Theorien über soziale Prozesse entwickelt (vgl. Corbin/Strauss 1990: 7). Dieser Erhebungs- und Analyseprozess wird so lange fortgeführt, bis sich eine theoretische Sättigung einstellt. Die Grounded Theory wird üblicherweise in Kombination mit Methoden wie teilnehmender Beobachtung und/oder Interviews angewandt. Sie eignet sich deshalb sowie aufgrund ihres nicht theoriegeleiteten Prinzips insbesondere für Planung, Durchführung und Kodierung von Fokusgruppen zu einem bislang unerforschten Phänomen wie dem hier untersuchten. Oberste Prämisse bei der Anlage eines Forschungsprojekts nach der Grounded Theory ist es, zunächst ein Forschungsziel zu formulieren, danach aber vorformulierte Forschungsfragen und Hypothesen auszuklammern. Sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der Analyse wird kein Fokus gesetzt und das gesamte erhobene Material offen kodiert, ohne vorher eine Materialauswahl zu treffen oder sich auf bestimmte Schwerpunkte festzulegen. Ein solches Unterfangen war für das durchgeführte Projekt zum einen zeitlich nicht umsetzbar, zum anderen kamen in der – wenn auch spärlichen – Forschungsliteratur zum Phänomen bereits grammatische und pragmatische Forschungsfragen auf, die es zu überprüfen galt. So konnte ein solcher datengeleiteter Ansatz nicht uneingeschränkt angewandt werden und wurde deshalb mit der Qualitativen Inhaltsanalyse kombiniert (vgl. Mayring 2015; Kuckartz 2018; Mayring/Fenzl 2019). Diese meint im Gegensatz zur Grounded Theory keinen kompletten Forschungsprozess, sondern ist lediglich eine Methode zur Auswertung von Textinhalten. Sie sucht einen hermeneutischen Zugang zu den Transkripttexten und strukturiert sie
19 Von der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring weicht die Auswertung der Fokusgruppendaten auch insofern ab, dass sie nicht jede Analyseeinheit lediglich einer Kategorie zuordnet, weil Kategorien oft miteinander verzahnt sind.
42
3 Empirische Studie: Methodologie
auf der Basis allgemeiner, vorher abgesteckter Fragestellungen. Die induktive Kategorienbildung lässt sich im Wesentlichen als eine „Materialreduktion durch Zusammenfassung“ (Marx/Wollny 2009: 469) beschreiben. Obwohl sich die Inhaltsanalyse bei größeren Stichproben ebenso für eine qualitative Untersuchung mit anschließender Quantifizierung der Ergebnisse eignet (vgl. Marx/Wollny 2009: 468), bleibt sie in der vorliegenden Studie auf qualitativer Ebene verhaftet. Hauptziel der Analyse der Fokusgruppen war keine statistische Auswertung, sondern eine Strukturierung und ein Verstehen der Transkripte/Aufnahmen bzw. der Interaktion der Gewährspersonen. Der Onlinefragebogen ergänzt den Datensatz um eine quantitative Perspektive. Obwohl für die Fokusgruppen bereits strukturierende Leitfragen bestanden, wurde während des Kodierens der Transkripte jedoch stets eine offene Haltung bewahrt, die den Blick auf relevante Nebenschauplätze nicht verstellt, die mit dem Untersuchungsgegenstand im Zusammenhang stehen. Auch fanden Datenerhebung und -auswertung nicht, wie bei der Inhaltsanalyse üblich, aufeinanderfolgend, sondern wie von der Grounded Theory gefordert, gleichzeitig statt, sodass permanent eine Reflexion von Methode und Forscherin gewährleistet war. Da es bei der Inhaltsanalyse primär um das konkret Gesagte geht, also um die Inhalte von Aussagen, treten bei ihrer Anwendung automatisch Haltung und nonverbale Interaktion der Gewährspersonen miteinander und mit der forschenden Person hinter den konkret geäußerten Inhalten zurück (vgl. Marx/Wollny 2009: 473). Dass gerade diese den entscheidenden Nutzen der Methode Fokusgruppe darstellen und wichtige Erkenntnisse liefern, wurde hier bereits ausgeführt und wird in Kapitel 4.4 deutlich werden. Tab. 8 zeigt für die vorliegende Studie relevante Aspekte beider Analysemethoden. Tab. 8: Verwendete Elemente der Qualitativen Inhaltsanalyse und der Grounded Theory. Elemente aus der Qualitativen Inhaltsanalyse
Elemente aus der Grounded Theory
– Strukturierung der Daten – Klares Forschungsziel – Vorformulierte Forschungsfragen – Auswahl für die Forschungsfrage relevanter Teile des Datensatzes (keine holistische Analyse)
– Datengeleitet: Eignet sich für wenig erforschte Phänomene wie das hier untersuchte – Wechselwirkungen zwischen zeitgleicher, iterativer Datenerhebung und -auswertung – Keine Regeln oder Restriktionen bei der Kategorienbildung – Induktives Verfahren, das offen für Details ist, die nicht oder nicht auf den ersten Blick relevant für die Forschungsfrage sind – Einbezug der Interaktion der Gewährspersonen miteinander und mit der Exploratorin
3.2 Direkte Erhebungen: Feldstudie
43
Die Auswahleinheit für die Analyse besteht aus den zwölf Fokusgruppeninterviews. Da der Untersuchungsgegenstand der Fokusgruppen jeweils das pragmatische System eines Ortspunktes war, werden die Interviews im Gesamten als zwölf Fälle behandelt, nicht etwa die einzelnen Teilnehmenden. Obwohl zwischen den teilnehmenden Personen Variation (inter-speaker variation) bestehen kann, war das primäre Ziel der Fokusgruppen, am Ende zu einem validen Konsens mit Gültigkeitsanspruch für den gesamten Ortspunkt zu gelangen. Die angefertigten Transkripte wurden bei der inhaltlichen Analyse mit Bezug zur Forschungsfrage nach den folgenden Teilfragen ausgewertet und datengeleitet die folgenden Kategorien (Codes) gebildet: Thematische Kategorien: – Wer nutzt vorangestellte FamN (Sprecher:in)? – Für wen werden vorangestellte FamN genutzt (Referent:in)? – Von wem werden vorangestellte FamN genutzt (Adressat:in)? – In welchen Situationen werden vorangestellte FamN genutzt (Kommunikationssituation)? – Warum werden vorangestellte FamN genutzt (Gründe)? – Wie stark sind vorangestellte FamN mit Dialekt/Platt verknüpft? – In welchen Situationen werden vorangestellte FamN dagegen nicht verwendet (Beschränkungen)? – Wie frequent werden vorangestellte FamN genutzt?
Ein Rückbezug von der Abstraktionsebene zum Originaltext, wie er in der Grounded Theory praktiziert wird, war notwendig und fand regelmäßig statt, um ein datengeleitetes Kodieren zu gewährleisten. Das Codesystem wurde bereits vor der vollständigen Erschließung der Daten fertiggestellt. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass dieses System erschöpfend ist, d. h. alle in den Transkripten vertretenen Aspekte einer Frage abgedeckt sind (vgl. Kuckartz 2018: 47).
4 Soziolinguistik der Gesamtnamen Das vorliegende Kapitel befasst sich mit der soziolinguistischen Variation der Serialisierung von RufN und FamN, also mit spezifischen Verwendungskontexten, in denen die beiden möglichen Serialisierungen gewählt werden. Es wird demnach in klassisch soziolinguistischem Interesse die Frage beantwortet, von welchen Sprecher:innen (who) welche GesamtN-Serialisierung (what language) in welchen Gesprächssituationen (when) mit welchen Gesprächspartner:innen (to whom) verwendet wird (vgl. Fishman 1965; vgl. auch Lasswell 1971). Dabei umfasst das when auch, über welche Referenzpersonen gesprochen wird.
4.1 Vorüberlegungen Im Folgenden werden Daten aus verschiedenen Erhebungsmethoden des Projekts herangezogen. In Kapitel 4.3 wird eine quantitativ-statistische Untersuchung auf der Basis der indirekten Erhebungsdaten unternommen. In Kapitel 4.4 werden diese Befunde mittels qualitativer Daten aus Fokusgruppendiskussionen, Fotogesprächen und dem Onlinefragebogen weiter ausgeführt. Da quantitative Analysen nach Imo/Lanwer (2019: 133) „für den Großteil der interaktionsrelevanten Faktoren schlichtweg blind“ sind, wird die Perspektive der interaktionalen Linguistik auf die Gesprächsdaten eingenommen. Diese ermöglicht, die Daten nicht nur inhaltlich zu durchdringen, sie zeigt auch, aus welchem Grund die Gewährspersonen ihren Aussagen eine spezifische sprachliche Form verleihen. Die Gesprächsdaten werden in einem zweiten Schritt mit den Daten der indirekten Erhebung abgeglichen und dadurch quantifiziert. Auch wenn nicht auf alle Einflussfaktoren dezidiert eingegangen werden kann, werden doch die zentralen Kriterien herausgearbeitet. Mit dem Fotogespräch, bei dem die Gewährspersonen untereinander über bekannte Personen auf mitgebrachten Fotos sprachen (vgl. genauer Kapitel 3.2.6.2), konnten authentische Referenzsituationen erhoben werden, auf deren Basis sich Aussagen über Verwendungskontexte beider Abfolgen im GesamtN treffen lassen. Ein entscheidendes Defizit des Fotogesprächs ist, dass zu den Personen, auf die meist nur sehr kurz referiert wird, kaum Hintergrundinformationen zur Verfügung stehen, die Schlüsse über pragmatische Steuerungsfaktoren zulassen. Komplementierend boten deshalb Fokusgruppendiskussionen und die offenen Fragen in der Online-Erhebung den Gewährspersonen eine Plattform, um diese Verwendungskontexte zu verhandeln und mit Beispielen zu untermalen. Im Gegensatz zum Fotogespräch muss bei den Fokusgruppendaten beachtet werden, dass sie nur bedingt als objektive Sprachdaten zum untersuchten Phänomen behandelt https://doi.org/10.1515/9783110987706-004
4.2 Soziales Netzwerk, Sprechgemeinschaft oder Community of Practice
45
werden dürfen. Sie erlauben nur beschränkt Aussagen darüber, wie die Personen sprechen, liefern aber Informationen darüber, wie sie glauben zu sprechen und wie sie dies gegenüber der Exploratorin kommunizieren. Obwohl das gemeinsame Erarbeiten von Verwendungskontexten die Güte und Objektivität der Methode verbessert, liegt das Interesse insbesondere auf der Interaktion zwischen den Teilnehmenden. Der Gesprächsaufbau selbst und das Begründen des eigenen Sprachgebrauchs rücken dabei in den Fokus. In den Verhandlungen zwischen den Teilnehmenden kreieren diese gemeinsam ein argumentatives Konstrukt oder Narrativ, das Aspekte hervorhebt, die für sie besonders prominent oder relevant, d. h. besonders gut abrufbar sind. Ein kommunikatives Ziel für die Gewährspersonen ist die Selbstdarstellung der eigenen Ingroup. Gegenüber der Exploratorin soll die Einzigartigkeit des eigenen Ortes betont werden. Die wichtigsten Grundpfeiler wiederkehrender Narrative werden in Kapitel 4.4.2 bis 4.4.4 herausgearbeitet.
4.2 Soziales Netzwerk, Sprechgemeinschaft oder Community of Practice Die Gruppen von Gewährspersonen in den untersuchten Orten können jeweils als soziales Netzwerk und somit nach Marin/Wellman (2011: 11) als ein „set of socially relevant nodes connected by one or more relations“ betrachtet werden. Mit Fokus auf das Register dieser Gruppen wird im Folgenden statt des Netzwerk-Begriffs der Terminus Sprechgemeinschaft verwendet, die definiert ist als „die Gesamtheit der durch gleichen oder sehr ähnlichen Sprachgebrauch miteinander verbundenen Menschen“20 (Fuchs-Heinritz 2011: 644). Eine stärker interaktionsbezogene Definition liefern Imo/Lanwer (2019: 268), die unter Sprechgemeinschaft „eine interaktiv vernetzte Personengruppe, deren Mitglieder (aufgrund dieser Vernetzung) über ein Mindestmaß geteilter verbaler Ausdrucksmittel verfügen“ verstehen (vgl. auch Gumperz 1997). Aus der Perspektive der interaktionalen Linguistik erscheint es sinnvoll, den Fokus weniger auf ein Gruppenverständnis auf der Basis gemeinsamer Attribute (z. B. derselben Sprache), sondern vielmehr auf die Vernetzung der Individuen zu legen, die es notwendig macht, sich gemeinsame funktionale Formen der Kommunikation bzw. Interaktion anzueignen (vgl. Imo/ 20 Die Definition bezieht sich auf den häufiger verwendeten Terminus Sprachgemeinschaft als deutsches Äquivalent zum englischen speech community. Besonders in der interaktionalen Linguistik wird Wert darauf gelegt, das Kompositum mit dem Verb sprechen anstelle des Substantivs Sprache zu bilden, „um die Gesamtheit aller Kommunikationsgewohnheiten einer Gemeinschaft zu bezeichnen“ (Raith 2016: 641). Auf diese Weise wird der Handlungscharakter des Sprechens stärker betont.
46
4 Soziolinguistik der Gesamtnamen
Lanwer 2019: 168–169). Über das Sprachsystem in solchen Gemeinschaften bemerkt Gumperz (2001: 67): „Regardless of the linguistic differences among them, the speech varieties employed within a speech community form a system because they are related to a shared set of social norms.“ Im Mittelpunkt steht demnach, dass gleiche soziale Gegebenheiten und Normen ein gemeinsames Register bedingen. Damit wird der Sprechgemeinschaft ein ähnlicher Charakter zugeschrieben wie der community of practice, die sich als Terminus und Untersuchungsgegenstand in der Linguistik ebenfalls zunehmend etabliert. Der Erkenntnisschwerpunkt liegt bei der community of practise allerdings auf Normen und (kommunikativen) Praktiken von Interessensgemeinschaften. So definieren Eckert/McConnell-Gine (1992: 95) sie als „an aggregate of people who come together around mutual engagement in some common endeavor. Ways of doing things, ways of talking, beliefs, values, power relations – in short, practices – emerge in the course of their joint activity around that endeavor“. Die Gewährspersonen, die die Daten für diese Untersuchung liefern, können grob zu einer community of practice „Dorf“ oder „Kleinstadt“ mit verschiedenen Schauplätzen gemeinsamer kommunikativer Aktivitäten gefasst werden. Dennoch wird im Folgenden einheitlich der Begriff Sprechgemeinschaft genutzt, der den Schwerpunkt stärker auf den Ortsdialekt als gemeinsames Register legt. Wie v. a. Kapitel 4.4.2 zeigen wird, ist insbesondere das dialektsoziologische Verständnis solcher Gruppen für die vorliegende Studie relevant, nach dem, „S[prechgemeinschaften] als Gruppen von Sprechern zu betrachten sind, die nach eigener Anschauung eine Gemeinschaft aufgrund der zunächst zeitweilig gemeinsam verwendeten Spr[ache] bilden“ (Raith 2016: 641). Relevant ist hier insbesondere das eigene Verständnis der Personen als Gemeinschaft, das auf einem gemeinsamen Register und einer gemeinsamen Spracheinstellung fußt.
4.3 Einflussfaktoren auf die Serialisierung: quantitativ In diesem Kapitel werden statistisch signifikante Einflussfaktoren aus den Antwortsätzen der indirekten Erhebung ermittelt. Dazu werden zunächst die Stichprobe definiert und anschließend mit einem Klassifikationsbaum (Decision Tree) die erhobenen Variablen nach der Stärke ihres Einflusses kategorisiert.
4.3.1 Stichprobe Zunächst wird die Stichprobe des Onlinefragebogens beschrieben. Insgesamt liegen 810 abgeschickte Antwortsätze (Stand 13.07.2021) vor, die sich in 386 männliche
4.3 Einflussfaktoren auf die Serialisierung: quantitativ
Geburtsjahr der Teilnehmenden
60,0
100000
50,0
Einwohnerzahl
80000
40,0
60000
30,0
40000
20,0
20000
10,0 0,0
47
1920
1940
1960
1980
2000
2020
0
Abb. 4: Histogramm zum Geburtsjahr der Teilnehmenden mit Normalverteilungskurve, n = 808 (links) und Boxplot zur Einwohnerzahl der Ortspunkte, n = 807 (rechts), erstellt mit IBM SPSS Statistics.
und 424 weibliche Teilnahmen aufteilen.21 Der Median des Geburtsjahrs der Teilnehmenden beträgt med = 1961; SD = 17,97. Aus dem Histogramm (links) in Abb. 4, das die Variable Geburtsjahr abbildet, geht hervor, dass die Daten nicht normalverteilt, sondern linkssteil sind, da weniger Antwortsätze von jüngeren Teilnehmenden vorliegen (Schiefe: 0,34; Kurtosis: –0,96).22 Die Daten zur Einwohnerzahl der Orte, deren Dialekt die Teilnehmenden nach eigenen Angaben sprechen (Abb. 4, rechts), sind extrem linkssteil (med = 9.34023, SD = 227.412,81, Schiefe: 9,04; Kurtosis: 110,09)24, die meisten Teilnehmenden stammen demnach aus Dörfern und Kleinstädten unter 10.000 Einwohner:innen, nur wenige aus Großstädten. Der Boxplot zeigt lediglich den Bereich bis 100.000 Einwohner:innen, da die Streuung nach oben so stark ist, dass die Grafik andernfalls nicht erkennbar wäre. Die Verteilungen der jeweils fünf ordinalskalierten Kategorien, die bei der Frage nach der Häufigkeit des Dialektgebrauchs25 und nach dem Kontakt der Teilnehmen-
21 In einigen Grafiken und Tabellen weicht die Teilnehmenden-Zahl leicht ab, da nicht alle Teilnehmenden alle Fragen beantwortet haben. 22 Kolmogorov-Smirnov(n = 808) = 0,09, p der Müller-s https://doi.org/10.1515/9783110987706-007
134
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Peter. In den Hexenverhörprotokolldaten aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert deuten sich noch keine Mischformen an. Erst als der d-Artikel als eindeutiger Marker für onymische Einheiten artikellose Strukturen und solche mit s-Artikel ersetzte, war der Weg für strukturelle Hybride und Reanalysen geebnet. Doch welche Strukturen haben bereits Kompositum-, welche noch Phrasenstatus? Dazu gilt es zunächst zu klären, welche Eigenschaften für die beiden grammatischen Kategorien konstitutiv sind.
7.1.1 Ortspunkte mit mehreren Strukturen In vier der zwölf Erhebungsorte – Worfelden und Höringen (rheinfränkisch), IdarOberstein (moselfränkisch) und Ehringen (westfälisch) – treten in den Daten aus den direkten Erhebungen zwei verschiedene Akzentstrukturen mit jeweils verschiedenen Zuweisungsregeln für die modifizierenden Elemente am FamN und mit verschiedenen Artikeltypen (d- vs. s-Artikel bzw. Artikellosigkeit) auf. Berchtold/Dammel (2014) führen diese Unterschiede diachron auf verschiedene morphosyntaktische Status der GesamtN-Typen zurück, die mit unterschiedlichen Akzentstrukturen einhergehen. Tab. 22: Variation der Akzentstrukturen in Erhebungsorten. Erhebungsort
Akzent auf FamN
Akzent auf RufN
Worfelden Höringen Ehringen Idar-Oberstein
der 'Müller/Schmidt-e Peter der 'Müller/Schmidt-e Peter der 'Müller(s)/Schmidt(en(-s)) Peter der 'Müller/Schmidt-e Peter
der Müller/Schmidt-e 'Peter s Müller-s/Schmidt-e 'Peter Müller-s/Schmidt-en(s) 'Peter Müller-sch/Schmidt-e 'Peter
Während sich die Typen mit Akzent auf dem FamN (d-Artikel, ohne modifizierendes Element) in den vier Orten formal nicht voneinander unterscheiden (siehe Tab. 22), zeigt sich bei den Varianten mit Akzent auf dem RufN und Modifikation am FamN (mit Ausnahme von Worfelden) v. a. beim Artikel Variation. Die diachrone Entwicklung des südwestdeutschen Typ 3 mit s-Artikel in Höringen wurde in Kapitel 6.2.3.2 bereits skizziert. Auch beim artikellosen niederdeutschen Typ 2 (Müller-s Peter) handelt es sich um eine syntaktische Phrase mit einem Genitivattribut. Im Gegensatz zum südwestdeutschen Typ 3 scheint dieser jedoch nicht auf appellativische Strukturen zurückzugehen. Belege in den Hexenverhörprotokollen tauchen ausnahmslos mit Namen in den Positionen von Attribut und Kopf auf. Typ 4b mit d-Artikel und s-Modifikation am FamN konnte mittels der Fragebogendaten (Abb. 21) bereits als westmitteldeutsch identifiziert werden. Die Daten aus Worfelden zeigen
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
135
zusätzlich einen Akzent auf dem RufN. Nach Dal (2014: 217) stand bereits in der althochdeutschen Appellativik oft der Artikel des regierenden Wortes vor dem vorangestellten Genitiv: ahd. thēn liohtes kindon (Tatian 176, 24 = Sievers 108, 4); fora themo mannes sune (Tatian 256, 23 = Sievers 146, 5); diu gotes burg (Williram). Dieser Wortstellungstypus setzt sich im Mhd. fort, besonders in der Sprache des Volksepos. Er ist jedoch nur möglich, wo der Genitiv artikellos ist, und kommt deswegen meistens bei Eigennamen vor: daʒ Etzelen wîp (Dal 2014: 217; vgl. auch Behaghel 1923: 105; Pickl 2019: 181).
Es ist demnach möglich, dass es sich bei Typ 4b (der Müller-s Peter), der sich in den synchronen Daten in Worfelden und Nauheim findet (vgl. Berchtold/Dammel 2014), um Überbleibsel dieses d-Artikels handelt. Die Daten aus den Hexenverhörprotokollen sprechen jedoch gegen diese Option, da die Struktur (nicht-genitivischer Artikel und Modifikation) darin nicht vertreten und die Grammatikalisierung des onymischen Artikels erst später anzusetzen ist. Plausibler ist dagegen das von Berchtold/Dammel (2014: 277) angenommene Szenario: Danach wird durch Kookkurrenz beider Typen im selben Areal die Herausbildung hybrider Strukturen begünstigt, indem Typ 1 die Strukturen aus Genitivphrasen beeinflusst.
7.1.2 (Ehemalige) Genitivphrasen und Possessivmarker Typ 2 (Müller-s Peter) und Typ 3 (s Müller-s Peter) stellen neben standarddeutschen Eigennamen eine der letzten Domänen des pränominalen Genitivs dar. Bereits im Mittelhochdeutschen tritt das Genitivattribut in Prosatexten zu zwei Dritteln postnominal auf (vgl. Paul 2007: 328). „Vorangestellt werden in der Prosa vor allem Gen. von Personenbezeichnungen (sehr oft der Gen. gotes), seltener genitivische Sachund Tierbezeichnungen sowie Abstrakta“ (Paul 2007: 328). Vom Frühneuhochdeutschen zur Gegenwartssprache hin fand eine starke Formalisierung dieser Phrasen durch eine Beschränkung des pränominalen Attributs vom Appellativ zum Onym statt (siehe dazu Kapitel 6.2.3.2). Die Position des Kopfnomens dagegen, die zuvor Appellativen wie Ehefrau/Kind/Tochter/Haus vorbehalten war, wird synchron von RufN besetzt und kann nur in wenigen Ausnahmen appellativisch sein: s Müllers Frida/Haus/Hund/Mutter/Vater/Tante. Während noch im Mittelhochdeutschen eine Genitivmarkierung auch an nachgestellte patronymische FamN treten konnte (Hans Hinrich-s/Ott-en; vgl. Ackermann 2018: 89), treten solche Strukturen in den Hexenverhörprotokollen aus dem 16./17. Jahrhundert nicht mehr auf. Den niederdeutschen Typ 2 und den südwestdeutschen Typ 3 betrachte ich aufgrund seiner intakten syntaktischen Merkmale nach wie vor als syntaktische Phrasen.
136
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Einige Arbeiten betrachten -s, das die einzige Genitivmarkierung in germanischen Sprachen wie dem Englischen darstellt, in rezenten Sprachdaten nicht mehr als Genitivflexiv. Da der possessive Genitiv die einzige Domäne ist, in der es sich erhalten hat, wird es stattdessen als Possessivmarker interpretiert. Fuß (2011), Scott (2014) und Ackermann (2019) plausibilisieren in ihren empirischen Studien eine Analyse als Possessivmarker auch für Eigennamen und Verwandtschaftsnamen in pränominaler Attributposition (Peter-s/Anna-s Hund).68 -s tritt heute nicht nur an maskuline und neutrale Attribute, sondern hat sich auch entgegen seiner ursprünglichen (maskulinen starken) Flexionsklasse (a/iStämme) auf Feminina ausgebreitet (vgl. Steche 1927: 140; Nübling 2012: 229–230; Ackermann 2019: 28). Scott (2014: 236–346) dokumentiert anhand von Daten aus dem GerManC-Korpus (Zeitungstexte zwischen 1650 und 1800) die diachrone Entwicklung des possessiven s-Markers und verfolgt seine Anfänge bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zurück, wo er für Männernamen verwendet wird. Im 18. und 19. Jahrhundert breitet er sich auf Frauennamen aus. Auch Ackermann (2019) kann in ihrer Studie zum 17.–20. Jahrhundert überzeugend darlegen, dass sich -s zu einem überstabilen possessiven Marker entwickelt hat. Possession tritt nach Aikhenvald/Dixon (2012: 3) als grammatische Funktion in drei semantischen Beziehungen auf: (A) ownership (of property); (B) whole–part relations, including body parts and plant parts […] (C) kinship relations, covering (C1) blood or consanguineal relations, such as ‘mother’ or ‘father’ and (C2) affinal relations, such as ‘spouse’.
Da Typ 2 und Typ 3 unter die Kategorie (C) fallen, lässt sich auch deren ehemaligen Genitivmarkern -s und -en possessive Funktion zuschreiben. Die ehemaligen Genitivflexive -s, -e(n) und -en-s klassifiziere ich mit Fuß (2011), Scott (2014) und Ackermann (2019) als Possessivmarker (possessives -s). Dafür spricht, dass -s heute nicht nur an maskuline und neutrale Attribute tritt; es hat sich auch entgegen seiner ursprünglichen (maskulinen starken) Flexionsklasse (a/i-Stämme) auf Feminina ausgebreitet (vgl. Steche 1927: 140; Nübling 2012: 229–230; Ackermann 2019: 28). Auch der Genitivartikel hat unparadigmisch auf feminine Substantive übergegriffen: Der maskuline/neutrale s-Artikel ist für weibliche Verwandtschaftsnamen in einigen Dialekten belegt: Brandstetter (1904: 45–50) dokumentiert für Luzern: Moorn
68 Dabei klassifiziert Fuß (2011) die s-Markierung als Klitikon, Ackermann (2019) spricht sich eher für Affix-Status aus. Diese Unterscheidung ist jedoch für die vorliegende Arbeit nicht weiter relevant. Lauterbach (1993: 69) argumentiert nicht explizit für einen Possessivmarker, aber dafür, dass sowohl prä- als auch postnominaler Genitiv die abstrakte Relation POSS ausdrücken.
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
137
isch ’s Bääsis Sibete ʻMorgen ist die kirchliche Totenfeier der Baseʼ69; nie gib i ʼs Gottes Guetjoor ewägg ʻNie gebe ich je das Neujahrsgeschenk der Patin herʼ; Das ist, dänk, doch meh sʼ [sic!] Muetters Sach (Beleg aus Kneubühler). s Mutters ist auch belegt bei Schatz (1897: 119–120) für Imst (Übergangsgebiet Südbairisch – Höchstalemannisch), bei Bohnenberger (1913: 24) für das Wallis (höchstalemannisch), Weber (1923: 155) für Zürich und Schirmunski (2010: 500) für süddeutsche Mundarten.70 Bossard (1962: 47) dokumentiert für Zug (höchstalemannisch) „s Paulas Cläid […] s Myzis Schwänzli“, Schatz (1897: 120) für Imst „s pōsəs der Base, s gręatə der Margareta (gręat).“ Zudem wird der s-Artikel synchron insbesondere in den Kantonen Freiburg und Bern, im Luzerner Entlebuch, im Zürcher Mittelland, im St. Galler Sarganserland, im Rheintal und im Walliser Goms häufig vor weiblichen RufN verwendet (vgl. Bösiger 2017: 64). Für eine detaillierte Zusammenfassung der Verteilung von femininem und neutralem Genitivartikel für weibliche Personenbezeichnungen im alemannischen Raum vgl. Bösiger (2017: 12–15).71 Nübling/Schmuck (2010: 162) analysieren unparadigmische s-Artikel und s-Flexive im Alemannischen als überstabile Marker (vgl. zum Konzept des überstabilen Markers genauer Kapitel 7.2.2).
7.1.3 Nominalkomposita Um im Folgenden zu prüfen, ob es sich bei einigen der GesamtN-Typen tatsächlich um Komposita handelt, sind zuerst einige grundlegende Eigenschaften von Nominalkomposita zu definieren. Charakteristika, die deutschen Nominalkomposita regulär zugeschrieben werden, sind – Formstabilität, d. h. sie sind morphologisch und syntaktisch nicht trennbar, expandieren nicht und werden meist zusammengeschrieben (vgl. Ortner/ Ortner 1984: 14–15; Fleischer 2012: 127). – Hauptakzent auf der ersten Konstituente (vgl. Wurzel 1980: 309; Ortner/Ortner 1984: 12–13; Fleischer 2012: 127; Eisenberg 1991: 39). – Globale Kongruenz des Artikels nach dem morphologischen Kopf wird zusätzlich von Berchtold/Dammel (2014: 254) angeführt: [der Müller(s)MsohnK]. Im
69 Hier kann der s-Artikel allerdings auch ein neutraler Artikel sein, der durch die i-Diminution ausgelöst wird. 70 Es kann sich hier auch um eine Analogie zum maskulinen Pendant s Vaters handeln. Dabei kommt eine Einflussnahme des neutralen Artikels (e)s bei weiblichen RufN und Verwandtschaftsbezeichnungen (s Muttis) infrage, der im Schweizerdeutschen belegt ist (vgl. hierzu genauer Baumgartner/Christen 2017). 71 Der s-Artikel wird in der Schweiz v. a. bei weiblichen RufN aufgrund seiner Formgleichheit mit dem negativ konnotierten neutralen Artikel für Frauen zunehmend gemieden (vgl. Bösiger 2017: 67).
138
–
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Gegensatz dazu besitzen syntaktische Phrasen eine distributive Kongruenz: [[des Müllers-s]M [Sohn]K] bzw. [[der Sohn]K [des Müllers]M] (vgl. auch Ortner/ Ortner 1984: 36). Ortner/Ortner (1984: 17–18) nennen außerdem die fehlende Austauschbarkeit der Konstituenten im Kompositum.
Daneben wird auch eine binäre Struktur als charakteristisch angesehen (vgl. Ortner/ Ortner 1984: 16–17), die ohnehin bei allen GesamtN gegeben ist. Eine nichtexplizite Strukturbedeutung (vgl. Ortner/Ortner 1984: 19–21) kann auf GesamtN nicht zutreffen, da diese hauptsächlich referenzielle Funktion haben. 7.1.3.1 Formstabilität Das Kriterium Formstabilität beinhaltet verschiedene morphosyntaktische und graphematische Aspekte. Gemeint ist damit, dass Komposita als Einheit konzipiert werden, nicht trennbar sind und demnach meist zusammengeschrieben werden. Dazu erläutern Ortner/Ortner (1984: 16): Mit dem Kriterium der Zusammenschreibung hängt das auf morphosyntaktischer Ebene liegende Kriterium der Nicht-Trennbarkeit zusammen, und zwar insofern als Nichttrennbarkeit, also besondere Zusammengehörigkeit zweier Lexembestandteile, in vielen Fällen durch Zusammenschreibung signalisiert wird.
Zusammenschreibung kann jedoch bei FamN+RufN nicht als Kriterium herangezogen werden, da es sich primär um ein mündliches Phänomen handelt, das selten verschriftlicht wird. Bei den schriftlich erhobenen Übersetzungen zeigte sich, dass von 952 FamN+RufN-Referenzen auf fingierte Personen aus sämtlichen Erhebungsorten nur 12 Tokens mit Bindestrich verschriftlicht wurden. Alle finden sich bei GesamtN mit d-Artikel. Bei 29 Tokens nutzten die Gewährspersonen ein Komma: In diesen Fällen ist nicht eindeutig, ob es sich um dialektale Formen oder um listenartige Aufzählungen handelt.72 911 Tokens (95,69 %) wurden mit Spatium notiert. Es zeigt sich demnach lediglich eine geringe Tendenz dahingehend, dass FamN+ RufN möglicherweise als Ein-Wort-Einheiten produziert oder rezipiert werden. In Dialektlyrik und -prosa finden sich bei d-Artikel ebenfalls Zusammen- oder Bindestrichschreibungen, so beispielsweise im pfälzischen Raum s Schneirerfibsi (Müller 1984: 33), dem Millerjerch sein Stut (Müller 1984: 38), Die Braune-Lis und ehr Bräutigam (Beckmann/Kliewer 1997: 162). Diese sind jedoch nicht ad hoc entstanden, sondern müssen als wohlüberlegtes graphisches Stilmittel zur Hervorhebung
72 Da jedoch 23 Belege mit modifizierendem Element am FamN auftreten, ist es wahrscheinlich, dass es sich hier um eine seltene Verschriftlichung von dialektalem FamN+RufN handelt.
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
139
dialektaler Besonderheiten betrachtet werden. In den historischen Daten aus den Hexenverhörprotokollen treten vereinzelt Zusammenschreibungen auf, die lediglich mit flexionslosen FamN erscheinen: Pomp Anne, Pompanne (Hexenverhörprotokoll aus Lindheim 1633, Topalovic/Hille/Macha 2007). Expandierende, also intern modifizierte Formen sind nicht belegt. Lediglich für die syntaktischen Strukturen vom südwestdeutschen Typ 3 (s Müller-s 'Peter) finden sich in älteren Dialekttexten sehr vereinzelt adjektivische Attribute vorm RufN, vgl. 's Meiers muntere Fritz und 's Müllers lockige Heiner (Hebel 2013: 81). Die Struktur ist somit sowohl formal als auch funktional als lose syntaktische Phrase zu deuten. Heute scheint Typ 3 jedoch so stark formalisiert zu sein, dass Expansion/ interne Modifikation nicht mehr möglich ist. 7.1.3.2 Globale Kongruenz Da der s-Artikel sowohl für männliche als auch für weibliche Referenzpersonen verwendet wird, kann für den südwestdeutschen Typ 3 keine Kongruenz des Artikels mit dem morphologischen Kopf festgestellt werden. Stattdessen wird hier formal die diachrone distributive Kongruenz mit dem Genitivattribut beibehalten. Morphologisch kann eine solche nur dann angenommen werden, wenn man davon ausgeht, dass die Sprecher:innen mit dem Attribut noch immer einen männlichen Hausvorstand assoziieren. (Bei artikellosen GesamtN kann zum Kongruenzverhalten des Artikels keine Aussage gemacht werden.) Das Genus des d-Artikels wird vom Geschlecht der Träger:innen des jeweiligen RufNs bestimmt und folgt demnach einem referentiellen Prinzip (vgl. Fahlbusch/Nübling 2014: 248–249). Eine Ausnahme bilden neutrale Artikel für weibliche RufN im Westoberdeutschen und Westmitteldeutschen (vgl. hierzu Nübling/Busley/Drenda 2013; Busley/Fritzinger 2018; Baumgartner et al. 2020). 7.1.3.3 Austauschbarkeit der Kompositionsglieder Auf den ersten Blick lässt sich leicht argumentieren, dass die verschiedenen Serialisierungen von RufN und FamN eine Austauschbarkeit der einzelnen Propria gewährleistet. Dazu muss jedoch ergänzend in die Überlegungen miteinbezogen werden, wie die standarddeutsche Abfolge morphosyntaktisch zu klassifizieren ist. Ackermann (2014: 12) stellt dar, dass sich die bisherige Forschung zu dieser Fragestellung weitgehend auf eine Analyse als Appositionen geeinigt hat, jedoch auch vorgeschlagen wird, sie als Komposita zu betrachten. Sie argumentiert dabei, es sei „problematisch, der engen Verbindung zwischen den Personennamen-Bestandteilen, die in keiner syntaktisch-hierarchischen Beziehung zu stehen scheinen, Appositionsstatus zuzusprechen“ (Ackermann 2014: 18). Weiter bemerkt sie: „[D] ass der RufN auch bei Vorhandensein eines Determinierers nicht zum flektieren-
140
7 Grammatik von Familienname+Rufname
den Kopf wird, spricht dafür, bei der Verbindung aus RufN und FamN von einer größeren Fixierung auszugehen als bei engen appositiven Syntagmen, für die das nicht gilt“ (Ackermann 2014: 19). Gegen eine Interpretation von RufN+FamN als Kompositum spricht wiederum die Akzentstruktur: Der Hauptakzent liegt nicht auf dem Erstglied, sondern auf dem FamN: Peter 'Müller. Auf mögliche Akzentmuster bei FamN+RufN wird in Kapitel 7.1.3.4 näher eingegangen. Zum Typ FamN+RufN in deutschen Dialekten bemerkt Ackermann weiter: Auf den ersten Blick mögen auch Daten aus den deutschen Dialekten, die im Vergleich zum Standard eine umgekehrte Serialisierung aufweisen (Typ: Mayer Sepp), gegen eine Kompositumsanalyse sprechen. Dies sehe ich jedoch als unproblematisch an, da in den RufN+ FamN-Verbindungen kein Determinations- oder Rektionsverhältnis vorliegt und die Reihenfolge der Komponenten – wie bei Kopulativkomposita auch – lediglich konventionell festgelegt ist. Genauer gesagt scheinen mehrteilige Personennamen eine ähnliche Semantik wie appellativische kopulative Explikativkomposita (Typ Entwicklungsprozess) aufzuweisen, bei denen beide Glieder semantisch alleine das Kompositum repräsentieren können (Ackermann 2014: 20).
Sie geht von einer Analyse beider Abfolgen als Kopulativkomposita aus, bei denen Erst- und Zweitglied „gleichermaßen zur Semantik beitragen“ (Kopf 2018: 7), vergleiche Singer-Songwriter, Hosenrock. Der semantische Kern ist hier endozentrisch und liegt auf Erst- und Zweitglied gleichermaßen. Eine Alternative zu dieser Interpretation wäre es, von Determinativkomposita auszugehen, bei denen das Erstglied (Determinans, Bestimmungswort) das Zweitglied (Determinantum, Grundwort) näher spezifiziert: „Kompositum ist eine Art von Grundwort“ (Kopf 2018: 6; siehe (17) und (18)). (17) die Holztür ʻeine Tür, die aus Holz bestehtʼ (18) der Müller Peter ʻein Peter, der den FamN Müller trägtʼ. Der semantische Kern liegt dabei auf dem Zweitglied. In ihrer Monografie problematisiert Ackermann (2018) die Morphosyntax von RufN+FamN erneut und weist auf die Problematik einer klaren Trennung von Wort und Syntagma hin: Viel eher sollte allgemein von einem lexikalisch-grammatischen Kontinuum ausgegangen werden, auf dem morphologisch-syntaktische Mischformen zwischen eindeutig syntaktischen Phrasen und morphologischen Komposita einzuordnen sind. Da die hier betrachteten Verbindungen aus RufN und FamN aus synchroner Perspektive am ehesten solch eine Mischform darstellen, sollten sie weder als morphologische noch als strikt syntaktische Einheiten gesehen […] werden (Ackermann 2018: 82).
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
141
Ich argumentiere hier für eine Klassifizierung der Abfolge RufN+FamN als Kopulativkompositum (obwohl der FamN die größere Bedeutung für die Identifikation innehat). Sofern die Abfolge FamN+RufN Kompositumstatus besitzt, gibt es klare Indizien dafür, sie als Determinativkompositum zu klassifizieren: Wie Bach (1952: 68) bereits bemerkt, wird in dieser Struktur entweder der RufN oder der FamN näher spezifiziert. In Kapitel 4.4.2 konnte herausgestellt werden, dass dies insbesondere durch Einordnung einer Referenzperson in eine ortsgebundene Herkunftsfamilie geschieht. der/s Müller(s) Peter ʻPeter als Mitglied der Familie Müllerʼ. Eine solche Determination bleibt bei RufN+FamN aus. Zusätzlich sind die beiden Serialisierungen stark pragmatisch gesteuert. Auch wenn sie also weiterhin erfolgreich Referenz herstellen, gehen mit einer veränderten Abfolge verschiedene Zuschreibungen und sprachliche Register einher (siehe Kapitel 4.4.2). Im Hinblick auf die Frage nach der Austauschbarkeit der Konstituenten ergibt sich somit, dass die beiden Propria im GesamtN nicht ihre Positionen tauschen können, ohne die semantische Relation der Kompositionsglieder zueinander (die als Ganzes hauptsächlich referenzielle Funktion und keine echte Semantik besitzen) zu verändern. 7.1.3.4 Akzent Nachdem auf die Strukturen mit d-Artikel die Kriterien Formstabilität und globale Kongruenz zutreffen, gilt eine letzte Prüfung den Akzentverhältnissen. Diese unterscheiden sich von denen der heute formal unveränderten Typ 2 und Typ 3. Für Strukturen mit s-Artikel oder ohne Determinierer ist lediglich in Feldkirch (Alemannisch) eine Akzentverschiebung auf das Erstglied bekannt. Die Klassifikation nach den veranschlagten Kriterien zeigt, dass der süddeutsche Typ 1 als Kompositum analysiert werden muss, da er alle drei festgelegten Kriterien erfüllt. Durch die Abwesenheit von Flexion oder Fugensetzung ist Typ 1 derjenige Typ, der der Serialisierung RufN+FamN strukturell am ähnlichsten ist. Auch den alemannischen und den mitteldeutschen Hybridtyp Typ 4a und Typ 4b, sowohl mit Akzent auf dem RufN als auch auf dem FamN, ordne ich mit zwei von drei erfüllten Kriterien der Wortbildung zu. Bei Typ 2 und Typ 3 argumentiere ich, dass sie für eine Einstufung als Komposita zu viele Eigenschaften von Phrasen aufweisen. Für die nachfolgenden Ausführungen lege ich demnach fest, dass es sich bei allen GesamtN mit d-Artikel um Komposita handelt, unabhängig davon, ob ein modifizierendes Element am FamN vorliegt. Damit schließe ich mich der Auffassung von Berchtold/Dammel (2014) an, mache aber die in Kapitel 7.1.2 beschriebene Einschränkung bei den von ihnen nicht untersuchten Typen 2 und 3, die abgesehen von der internen Modifizierbarkeit nach wie vor alle Eigenschaften einer syntak-
Niederdeutscher Typ 2 Müller-s 'Peter
+ – –
Süddeutscher Typ 1 der 'Müller Peter
+ + +
Kriterien
Formstabilität Globale Kongruenz nach Kopf Kompositumakzent
+ – –
Südwestdeutscher Typ 3 s Müller-s 'Peter
Tab. 23: Kriterien zur Klassifikation von Familienname+Rufname als Komposita.
+ – +
Alemannischer Hybridtyp 3 s 'Müller-s Peter
+ + –
Mitteldeutscher Hybridtyp 4a und 4b Akzent auf RufN der Müller-s 'Peter + + +
Mitteldeutscher Hybridtyp 4a und 4b Akzent auf FamN der 'Müller-s Peter
142 7 Grammatik von Familienname+Rufname
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
143
tischen Phrase aufweisen (stärkerer Akzent auf dem RufN, Artikel kongruiert mit dem FamN (ehemaliges Attribut, Possessivmarker am FamN).
7.1.4 Exkurs: Akustisch-phonetische Studie zum Hauptakzent 7.1.4.1 Vorüberlegungen Eine besondere methodische Herausforderung bei der Klassifikation von Komposita, nicht nur von GesamtN, sondern von zusammengesetzten Lexemen generell, stellt die Messung des Hauptakzents dar. Dieser liegt nach weitverbreiteter Meinung (mit Ausnahme von Kopulativkomposita) im Deutschen auf dem Erstglied (vgl. Kohler 1995: 114–115). Dabei bleibt jedoch meist eine spezifische Definition dahingehend aus, wie Akzent konstituiert wird. Allgemein versteht man unter Akzent als prosodisches Unterscheidungsmerkmal „einen größeren Grad der phonetischen Prominenz einer Silbe [...]. Dieses auditiv stärkere Hervortreten wird getragen von der Lautdauer, vom Tonhöhenverlauf, von der Lautqualität und von der Lautstärke“ (Kohler 1995: 114). Akzent ist dabei keine absolute, sondern eine relative „abstrakte phonologische Größe, die in Abhängigkeit vom Kontext die lautliche Ausprägung einer Silbe steuert“ (Mengel 2000: 13). Üblicherweise geht man davon aus, dass die höhere akustische Prominenz, die den Akzent konstituiert, im Deutschen über eine Kombination aus Druck (Intensität, dynamischer Akzent), Tonhöhe (Pitch, melodischer oder musikalischer Akzent) und einer größeren Dauer des Vokals im Nukleus der hauptakzentuierten Silbe (temporaler oder quantitativer Akzent) erzeugt wird. Dabei ist es in der Forschung strittig, wie diese Parameter zusammenspielen. Auch besteht kein Konsens darüber, ob Akzent lediglich auf dem Vokal im Silbennukleus liegt (vgl. Wurzel 1980: 302) oder auf der gesamten Silbe. Noch komplexer wird es, wenn wir es, wie hier, mit dialektalen Daten zu tun haben, da in verschiedenen Varietäten diese Parameter anders gewichtet sein können. So weisen z. B. das Mittelfränkische und Teile des Südniederfränkischen phonologisch distinktive und bedeutungsunterscheidende Wortakzente auf: die sogenannte Rheinische Akzentuierung, die durch verschiedene Tonhöhenverläufe (d. h. durch unterschiedliche Grundfrequenzverläufe) entsteht (vgl. Gilles 2002: 265–266). Zusätzlich können Komposita in Dialekten eine distinktive Akzentuierung zum Standard aufweisen, vergleiche z. B. standarddeutsch 'Lebens,mittel vs. pfälzisch ,Lebens'mittel73.
73 Diese introspektive Beobachtung aus meiner eigenen Dialektkompetenz ließ sich nicht mittels Wörterbuchdaten belegen.
144
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Für die vorliegenden Gesprächsdaten gehe ich von einem binären Akzentbegriff aus, d. h. im Gegensatz zu einem graduierenden Akzentbegriff, nach dem „jede Silbe eines Wortes in bestimmtem Grade akzentuiert ist“ (Lieb 1985: 276), hat eine Silbe entweder einen Akzent oder nicht (vgl. Lieb 1985: 276). Zur Beurteilung des morphosyntaktischen Status der erhobenen GesamtN wurde die akzentuierte Silbe in den Erhebungsdaten ohrenphonetisch, also auf der Basis von auditiven Wahrnehmungen, ermittelt (vgl. Peters 2014: 11). Um diese Klassifikation so präzise wie möglich durchzuführen, beurteilten jeweils zwei Mitarbeiter:innen aus dem Projekt alle Tokens. Um den umstrittenen Terminus Wortakzent zu vermeiden, spreche ich hier von Hauptakzent.74 Dabei beziehe ich mich nicht auf einen kompletten Satz, sondern nur jeweils auf den GesamtN (Kompositum oder Phrase). Um auszuschließen, dass die ohrenphonetischen Annotationen sich als ungenau herausstellen, wurden als zusätzliche Einzelfallstudie für zwei Erhebungsorte, in denen beim Höreindruck zwei verschiedene Akzentstrukturen auftraten (Idar-Oberstein und Worfelden), akustisch-phonetische Messungen durchgeführt. Ein weiteres Ziel dieses Exkurses ist, eine Aussage darüber zu treffen, ob Strukturen ohne Modifikation, also ohne ehemaliges Genitivflexiv, den Akzent auf dem Erstglied tragen (Kompositumakzent). 7.1.4.2 Design Datengrundlage stellt eine Stichprobe von GesamtN aus der Methode Fotogespräch in beiden Erhebungsorten dar. Es sind Namen inkludiert, die gut verständlich geäußert wurden und sich gut für eine Vermessung eigneten. Aufgrund der vorliegenden phonetischen Daten bot es sich an, von dem bereits erörterten phonetischen Akzentbegriff auszugehen, also anzunehmen, dass sich der Akzent aus mehreren Parametern zusammensetzt (vgl. Lieb 1985: 276). Es ergaben sich dabei einige methodische Probleme. So konnte das Kriterium Vokallänge für die Akzentmessung nicht veranschlagt werden, da sich der Vokal nur schwer von den umliegenden Lauten in Onset und Silbenkoda distinguieren ließ und deswegen die Messung je nach durchführender Person stark variierte. Die folgende Fallstudie beschränkt sich deshalb auf die Kriterien Intensität (Druck) und Pitch (Tonhöhe), in dem Bewusstsein, dass diese nicht in allen untersuchten Dialekten gleichstark zur Konstitution bzw. Rezeption von Akzent beitragen. Auch sind spezielle Tonhöhenverlaufsmuster in den einzelnen Dialekten nicht auszuschließen. Dies zu untersuchen würde jedoch ebenfalls die Kapazität dieses Exkurses
74 Dieser umstrittenen Definition von Wortakzent folgt eine noch umstrittenere Definition des phonologischen Wortes, unter die in den vorliegenden Daten lediglich die Komposita-Strukturen fallen würden.
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
145
Abb. 26: Messung eines Gesamtnamens aus Idar-Oberstein mittels der Phonetik-Software Praat.
übersteigen. Die Gegebenheit, dass die Audioaufnahmen insgesamt unterschiedliche Lautstärken haben, da die Sprechenden unterschiedlich laut sprechen oder sich in verschiedenen Abständen zum Aufnahmegerät befinden, wird dadurch kompensiert, dass jeweils pro Fall die Differenz zwischen Intensitätsmaximum beim FamN und RufN betrachtet wird. Auf diese Weise lässt sich eine Aussage darüber treffen, welcher Bestandteil stärker akzentuiert wird. Abb. 26 zeigt exemplarisch Oszillogramm (oben) und Spektrogramm (unten) eines GesamtNs aus Idar-Oberstein. Gemessen wurden für jeden GesamtN Intensitäts- und Pitchmaximum bei FamN und RufN. Diese bilden jeweils den Hauptakzent der beiden separaten Einheiten. Im Beispiel liegt das Intensitätsmaximum bei 64,482 db, beim RufN bei 68,584 db. Letzteres stellt damit automatisch auch das Maximum der gesamten Intonationsphrase (IP) dar. Das Pitchmaximum liegt beim FamN bei 216,705 hz, beim RufN bei 260,984 hz. Auch hier stellt das Maximum auf dem RufN das Maximum der Gesamt-IP dar. Sowohl Pitch als auch Intensität sind damit beim RufN höher. Zusätzlich wurde der wahrgenommene Hauptakzent für diesen Fall auf dem RufN annotiert. Die im Spektrogramm eingezeichneten Verläufe für Intensität (blau) und Pitch (gelb) zeigen beide einen Anstieg beim RufN. Auf diese Weise kann der Akzent im Beispiel bestimmt werden. Nicht alle erhobenen Fälle ließen sich jedoch so eindeutig messen wie der hier gezeigte: Es traten Tokens auf, bei denen Pitch- und Intensitätsmaximum zwischen FamN und RufN voneinander abweichen. Hier ist anzunehmen, dass im jeweiligen Dialekt der Hauptakzent stärker durch eines der beiden Charakteristika erzeugt oder wahrgenommen wird. Welches Kriterium den Ausschlag gibt, kann nicht entschieden werden. Von der Studie ausgeschlossen wurden Tokens mit Störgeräuschen im Hintergrund, die die Messungen beeinflussen konnten.
146
7 Grammatik von Familienname+Rufname
7.1.4.3 Daten und Interpretation Tab. 24 zeigt die Werte für Intensität und Pitch nach den verschiedenen Arten der Modifikation des FamNs. Bei beiden wurden Tokens notiert, da sowohl Messungen als auch ohrenphonetische Perzeption für gleiche GesamtN in jeder Referenzsituation variieren können. Tab. 24: Hauptakzent in Worfelden (rheinfränkisch) nach modifizierendem Element am Familiennamen; n = 83 Tokens; Hauptakzent in Idar-Oberstein (moselfränkisch) nach modifizierendem Element Familiennamen, n = 76 auswertbare Realnamen (Tokens). -s/-sch absolut
-e
relativ
absolut
kein relativ
absolut
relativ
Worfelden: Modifikation am FamN Phonetische Messungen
Intensität höher auf FamN/HausN
14
36,84 %
12
31,58 %
12
31,58 %
Intensität höher auf RufN
17
37,78 %
14
31,11 %
14
31,11 %
Pitch höher auf FamN/HausN
9
25,71 %
10
28,57 %
16
45,71 %
22
45,83 %
16
33,33 %
10
20,83 %
Pitch höher auf RufN gesamt Ohrenphonetik
31
37,35 %
26
31,33 %
26
31,33 %
Hauptakzent auf FamN/HausN
0
0 %
6
22,22 %
21
77,78 %
Akzent auf beiden Bestandteilen gleich empfunden
2
100 %
0
0 %
0
0 %
29
53,7 %
20
37,04 %
5
9,26 %
31
37,35 %
26
31,33 %
26
31,33 %
Intensität höher auf FamN/HausN
15
35,71 %
17
40,48 %
10
23,81 %
Intensität höher auf RufN
9
26,47 %
21
61,76 %
4
11,76 %
Pitch höher auf FamN/HausN
9
29,03 %
15
48,39 %
7
22,58 %
15
33,33 %
23
51,11 %
7
15,56 %
24
31,58 %
38
50 %
14
18,42 %
Hauptakzent auf RufN gesamt Idar-Oberstein: Modifikation am FamN Phonetische Messungen
Pitch höher auf RufN gesamt
147
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
Tab. 24 (fortgesetzt) -s/-sch absolut Ohrenphonetik
-e
relativ
absolut
kein relativ
absolut
relativ
Hauptakzent auf FamN/HausN
1
5,88 %
4
23,53 %
12
70,59 %
Akzent auf beiden Bestandteilen gleich empfunden
0
0 %
0
0 %
1
100 %
23
39,66 %
34
58,62 %
1
1,72 %
24
31,58 %
38
50 %
14
18,42 %
Hauptakzent auf RufN gesamt
In Worfelden unterscheiden sich die verschiedenen Arten der Modifikation hinsichtlich der Intensität nur geringfügig. Beim Pitch ergibt sich ein anderes Bild: GesamtN ohne Modifikation zeigen häufiger höhere Messwerte beim FamN, während bei Strukturen mit s-Modifikation die Werte auf dem RufN höher sind. Dies könnte insofern einen Rückschluss auf die morphosyntaktische Struktur zulassen, dass lediglich Komposita (mit entsprechender Erstbetonung) ohne Modifikation auftreten, während bei Phrasen (mit Hauptakzent auf dem RufN = Phrasenakzent) eine Modifikation am FamN obligatorisch ist. Gleichzeitig lassen die Daten auch eine vorsichtige Aussage darüber zu, wie im Erhebungsort der Hauptakzent realisiert wird, nämlich über Tonhöhe. Tab. 25: Hauptakzent in Idar-Oberstein (moselfränkisch) nach Artikelsetzung; n = 76 auswertbare Tokens. Idar-Oberstein: Artikelsetzung ja absolut Phonetische Messungen
nein relativ
Intensität höher auf FamN/HausN
24
57,14 %
Intensität höher auf RufN
18
Pitch höher auf FamN/HausN
17
Pitch höher auf RufN
23
51,11 %
absolut
relativ
18
42,86 %
52,94 %
16
47,06 %
54,84 %
14
45,16 %
22
48,89 %
In Idar-Oberstein wurde zunächst statt der Modifikation auf eine andere Unterscheidung zurückgegriffen: Hier existieren GesamtN mit Artikel (der Müller Peter) ohne Modifikation oder mit e-Modifikation neben artikellosen Strukturen (Müller-s Peter) mit s- oder e-Modifikation. Deshalb unterscheidet Tab. 25 danach, ob ein
148
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Artikel vorliegt (ja) oder nicht (nein). Die Messergebnisse zeigen beim Artikeltyp keine belastbaren Divergenzen. Deshalb musste auch hier nach der Art der Modifikation unterschieden werden (in Tab. 24 aufgeführt). Dabei ergibt sich jedoch ein anderes Bild als beim Artikel. Konträr zu Worfelden wird hier nicht beim Pitch, sondern bei der Intensität eine Differenz sichtbar, die die Verteilung von -e und ohne Modifikation betrifft: Bei Hauptakzent auf dem RufN kommen GesamtN ohne Modifikation kaum vor (11,76 %). Stattdessen nimmt bei diesem Akzenttyp die e-Modifikation den entscheidenden Einfluss (61,76 %). 7.1.4.4 Abgleich mit ohrenphonetischen Annotationen Tab. 24 führt neben den gemessenen auch die ohrenphonetischen Daten für die Akzentschwerpunkte auf.75 Dabei wird für beide Orte ebenfalls eine Opposition zwischen Hauptakzent auf dem FamN vs. RufN sichtbar. Einen Einfluss nimmt hier ebenfalls, ob ein modifizierendes Element verwendet wird. Diese Opposition zeigt sich sogar noch deutlicher als in den gemessenen Daten: 77,78 % (Worfelden) bzw. 70,59 % (Idar-Oberstein) der GesamtN mit Hauptakzent auf dem FamN sind nicht modifiziert. Dieses klare Bild kann auf mehrere Aspekte zurückzuführen sein: Zum einen können verschiedene Akzent konstituierende Faktoren (darunter auch die hier nicht miteinbezogene Vokallänge) zusammenspielen und einen deutlicheren Höreindruck vermitteln. Zum anderen kann das Akzentmuster in Verbindung mit nicht-modifizierten Namen bei den Forschenden sicherlich bereits verinnerlicht und deshalb antizipiert worden sein. Diese mögliche Fehlerquelle ist jedoch lediglich ein weiteres Indiz dafür, dass die beiden Strukturen sich voneinander unterscheiden und die verschiedenen Intonationsmuster von den Kommunizierenden wahrgenommen werden. Aus dieser explorativen phonetischen Untersuchung lässt sich schließen, dass phonetische Messungen zwar distinktive Akzentstrukturen sichtbar machen können, dass jedoch keine Synthese aller Akzent konstituierenden Parameter geschaffen werden kann. Ohrenphonetische Daten liefern dagegen eine Gesamtwahrnehmung
75 Es wurden lediglich die Kombinationen FamN/HausN+RufN ausgewertet, Appellative in Zweitstellung wurden ausgeschlossen, da diese sich zum Teil anders verhalten als RufN: So stellen einen Großteil der Belege in Idar-Oberstein Konstruktionen mit dem Zweitglied Haus, bei denen es sich erstens nicht um Personenbezeichnungen handelt und zum anderen bereits durchweg ein Kompositumakzent auf dem FamN realisiert wird: 'Müllersch Haus. Dieser Umstand könnte einen ersten Hinweis auf eine zukünftige Entwicklung der GesamtN vom Typ FamN+RufN geben.
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
149
und weichen nur in wenigen Fällen von den gemessenen Daten ab, zumal aufgrund der fehlenden Auswertbarkeit einiger GesamtN durch Störgeräusche weniger Datenpunkte vorhanden sind. Um diese zu vermeiden, müssten Erhebungen in schalldichten Räumen durchgeführt werden. Ein solches Setting läuft jedoch der erzielten Authentizität der Sprache zuwider und ist deshalb keine Option. Die Weiterverarbeitung und Analyse der wahrnehmungsbasierten Akzentannotation ist also nicht nur legitim, sondern muss sogar präferiert werden.
7.1.5 Modifikation am Familiennamen: Possessivmarker oder Fugenelement Nachdem für Typ 2 und Typ 3 Phrasenstatus festgelegt wurde, bleibt die Frage offen, wie die modifizierenden Elemente am FamN zu klassifizieren sind, bei denen es sich diachron um Genitivmarker handelt. Für die Typen, die als Komposita kategorisiert wurden (Typ 1 und Typ 4), ist es mit Berchtold/Dammel (2014) naheliegend, die modifizierenden Elemente als Fugenelemente zu analysieren. Hier gilt es zu prüfen, ob die onymischen Strukturen parallele Eigenschaften zu Fugenelementen bei appellativischen Komposita aufweisen. Das wohl offensichtlichste Kriterium für eine solche Analyse ist die Zugehörigkeit von Fugenelementen zur ersten Komponente eines Kompositums (vgl. Nübling/Szczepaniak 2008: 2). Es trifft auch auf die GesamtN-Komposita zu. Fugenelemente gegenwartsdeutscher appellativischer Komposita speisen sich aus verschiedenen Quellen: Zum einen handelt es sich um ehemalige stammbildende Elemente (Typ tag-a-lon, Tag-e-lohn), zum anderen um Flexive aus dem Genitiv Singular (des fürst-en hof > der Fürst-en-hof, des land-es sitten > die Land-es-sitten) oder Plural (der ohr-en schmaus > der Ohr-en-schmaus) (Kopf 2018: 16).76
Neben den Komposita, die niemals Phrasenstatus besessen haben, haben sich bei den GesamtN auch solche gezeigt, die sich aus ehemaligen Phrasen entwickelt haben können. Wie Kopf (2018: 172) darlegt, eignen sich nicht alle Genitivphrasen für eine Reanalyse zum Kompositum. Die possessiven Genitivphrasen vom Typ des Müllers Haus/Kind jedoch sind aufgrund ihrer Semantik der Zugehörigkeit problemlos durch Komposita ersetzbar (siehe (19) bis (24)):
76 Bei -er kann es sich auch um Nominativ- oder Akkusativflexive handeln: die Kinder lachen > Kinderlachen ʻdas Lachen der Kinderʼ (vgl. Nübling/Szczepaniak 2013; Kopf 2018: 16).
150
7 Grammatik von Familienname+Rufname
(19) Ich war in des Müllers Haus (20) Ich war im Müller(s)haus77 (21) Ich habe des Müllers Kind getroffen. (22) Ich habe das Müller(s)kind getroffen.78 (23) Ich habe des Müllers Peter gesehen. (24) Ich habe den Müller(s)peter gesehen. Dabei können die im süddeutschen Raum konkurrierenden Komposita ohne Fugenelement (der 'Müller Peter) eine Reanalyse erleichtert haben. Kopf (2018: 185) wirft zudem die Frage auf, wie die Reanalyse von Phrase zu Kompositum unter Berücksichtigung der phonologischen Unähnlichkeit möglich ist: So tragen Komposita den Hauptakzent auf dem Erstglied, bei Phrasen sind beide Bestandteile betont, wobei das Zweitglied einen stärkeren Akzent trägt. Bereits für das Englische wurde jedoch deutlich gemacht, dass Komposita sich bezüglich ihrer Akzentverhältnisse nicht immer homogen verhalten. Beispielsweise handelt es sich sowohl beim final (stärker) betonten apple pie als auch beim initialbetonten apple cake um Komposita (vgl. dazu Kopf 2018, die Ergebnisse von Lees 1960: 120 diskutiert). Sie plausibilisiert variablere Akzentverhältnisse im Frühneuhochdeutschen: Es ist nicht undenkbar, dass die Verhältnisse im Fnhd. insofern mit denen des Engl. vergleichbar waren, als keine scharfe phonologische Grenze zwischen Syntax und Wortbildung bestand. Dass es im Dt. irgendwann zu einer Akzentfestlegung gekommen sein muss, zeigt der heutige Zustand (Kopf 2018: 187).
Weiterhin ist zu diskutieren, welche Funktionen Fugenelemente bei den onymischen Komposita innehaben. Ortner et al. (1991) und Nübling/Szczepaniak (2008) unterscheiden zwischen paradigmischen und unparadigmischen Fugen. Paradigmische Fugen sind homophon mit synchron genutzten grammatischen Markern: Blume-n-strauß – Pl. die Blume-n. Unparadigmische Fugen können aus ehemaligen grammatischen Elementen entstehen, sind aber synchron nicht mehr als Flexive
77 Vgl. hierzu auch die Befunde, die in Kapitel 7.1.4.3 für die Haus-Komposita in Idar-Oberstein erwähnt wurden. Eine solche Verschiebung von Phrase zu Kompositum ist hier durch Akzentverlagerung dokumentiert. 78 Vergleichbar hierzu sind Komposita wie Müllersbube, Müllerstochter (vgl. PfWB: Band IV, 1460), Müller(s)brot (vgl. DWB: Band XII, 2655–2656).
7.1 Grammatische Klassifizierung von Familienname+Rufname in der Forschung
151
im Paradigma vorhanden (Hahn-en-kamm – mhd. Gen. Sg./Pl. des/der hanen) oder waren nie ein Teil des Paradigmas (Hochzeit-s-fest). Die s-Fuge, die sich aus dem Gen.Sg.-Flexiv entwickelt hat, ist bei den Appellativa des Gegenwartsdeutschen hochproduktiv und hat sich von der starken maskulinen i- und a-Klasse auch auf feminine Erstglieder übertragen: Abfahrt-s-zeit – Gen-Sg.: der Abfahrt (vgl. Nübling/ Szczepaniak 2008: 6). Kopf (2018: 381) stellt für die s-Fuge fest, dass sie „im Fnhd. und frühen Nhd. eine morphologische Funktion als Marker auffälliger Erstglieder besaß.“ Für die Gegenwartssprache (ZEIT-Korpus im W-Archiv des DeReKo) konstatiert sie: Letzteres verweist noch einmal darauf, dass die s-Fuge sich präferiert mit Auslauten verbindet, bei denen sie zum extrasilbischen Element wird […] Sie bildet somit einerseits eine phonologisch maximal auffällige Grenzmarkierung, bleibt aber andererseits wortkörperschonend, da eine Fehlanalyse als Teil des ersten Substantivs unwahrscheinlich ist. Auffällig ist der generell sehr hohe s-Verfugungsanteil präfigierter Erstglieder, ungeachtet der Betonungsstruktur. Er stützt die Vermutung, dass nicht das phonologische Wort, sondern die morphologische Struktur der ausschlaggebende Faktor bei der s-Verfugung ist (Kopf 2018: 367).
Im Fall der paradigmischen (e)n-Fuge lehnt Kopf (2018: 358–359) eine phonologische Funktionalisierung ab, da sie zwar je nach Allo-Form die prosodische Struktur zweisilbiger Komposita unverändert lässt (Tante-n-besuch) oder Trochäen bildet (Bär-en-dienst), sie jedoch dem ehemaligen Flexionsparadigma folgt. Der unparadigmischen en-Fuge, die nur an finalbetonte, konsonantisch auslautende Erstglieder tritt, bescheinigt sie hingegen eine solche Funktionalisierung, da auch sie im Output stets Trochäen erzeugt: Medikament-en-packung (vgl. Kopf 2018: 359). Analog zu den Appellativen kann eine Funktionalisierung der unparadigmisch verwendeten e-Fuge auch bei den onymischen Komposita postuliert werden: Sie ist von ihrer Flexionsklasse entkoppelt und in allen Ortssystemen formal nach Auslaut (v. a. nach Sibilant) und Silbenzahl (einsilbige FamN) gesteuert. Komplementär dazu kommt die nicht-silbische s-Fuge bei zweisilbigen FamN unparadigmisch vor. Im Gegensatz zur Appellativik kann durch dieses Zusammenspiel der beiden Fugen und einen dadurch etablierten Trochäus als Outputstruktur bei den onymischen Komposita auch für die unparadigmische s-Fuge eine Funktionalisierung angenommen werden (vgl. zum Trochäenprinzip genauer Kapitel 7.4 und die Tiefenbohrung in Worfelden in Kapitel 7.2.1.1). Tab. 26 bietet eine Übersicht über die vorhandenen paradigmischen und unparadigmischen Fugen in Appellativik und bei GesamtN (vgl. für Appellative Kopf 2018: 16; Wegener 2003: 429). Es lässt sich festhalten, dass modifizierende Elemente bei Typ 1 und Typ 4 als Fugenelemente klassifiziert werden können, da Fugenelemente zum ersten Teil des GesamtNs zugehörig sind und unparadigmische Fugen eine phonologische Funktionalisierung erfahren können.
152
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Tab. 26: Paradigmische und unparadigmische Fugenelemente bei appellativischen Nominalkomposita und onymischen Gesamtnamenkomposita (Familienname+Rufname). Fugenelemente
Appellativik
Onymik (Gesamtnamen)
Paradigmisch
Typ Tag-e-lohn < ahd. tag-a-lon (-e- = ehemaliges stammbildendes Element)
Typ der Schmidt-s Peter < mhd. Gen.Sg.m. schmid-es (Flexiv aus der Klasse der starken Maskulina (a/i-Klasse))
Typ Fürst-en-hof > frühneuhochdeutsch. des fürst-en (Gen.Sg.m.) hof
Typ der Graf-e Peter < mhd./nhd. Gen.Sg.m. des Grafen (Flexiv aus der Klasse der (schwachen) n-Stämme)
Typ Ohr-en-schmaus < frühneuhochdeutsch. der ohr-en (Gen.Pl.n.) schmaus
Typ die Friedrich-s Inga < mhd. Gen.Sg.m. Friedrich-es (Flexiv aus der Klasse der starken Maskulina (a/i-Klasse), das auch bei männlichen RufN mit konsonantischem Auslaut verwendet wurde)
Kindheit-s-traum (-s- = ehemaliges Gen.Sg.m./ n.-Flexiv; wird auf feminine Erstglieder übertragen)
Typ der Schmidt-e Peter/die Friedrich-e Inga (-e = ehemaliges schwaches Gen.Sg.-Flexiv; wird auf FamN aus ehemals stark flektierenden Appellativen oder RufN übertragen)
Unparadigmisch
Typ: der Marie-s Peter (-s = ehemaliges starkes Gen.Sg.-Flexiv; wird auf FamN aus ehemals schwach flektierenden Appellativen oder RufN übertragen kommt nur in Einzelfällen vor
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen Im Folgenden wird gezeigt, dass sich in den verschiedenen untersuchten Dialekten verschiedene Stadien des Flexionsabbaus beobachten lassen, die zwischen Resten morphologischer Steuerung, formal phonologischer Steuerung und Abbau changieren.
7.2.1 Fallbeispiel I: Formalisierung eines Systems: Abbau von morphologischer Komplexität in Worfelden (rheinfränkisch) 7.2.1.1 Daten Für den südhessischen Erhebungsort Worfelden (rheinfränkisch) eröffnet ein kontrastiver Blick auf die Strukturen HausN+RufN vs. FamN+RufN eine diachrone Perspektive auf den Ortsdialekt. Für Worfelden liegen diesbezüglich detaillierte Infor-
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
153
mationen vor, da der entsprechende Gatekeeper dem Projekt eine HausN-Sammlung des Ortes zur Verfügung gestellt hat, mit deren Hilfe die erhobenen Daten annotiert werden konnten. Die folgende Analyse arbeitet die Steuerungsfaktoren für beide Namenklassen heraus. In Worfelden hat sich eine Kombination aus prosodisch-phonologischer Steuerung der modifizierenden Elemente nach der Silbenzahl des FamNs und des Hauptakzents (auf dem FamN/HausN oder auf dem RufN) etabliert. Wie in Kapitel 7.1 erläutert, gehen die Akzentverhältnisse auf (ehemaligen) Phrasen- oder Kompositumstatus zurück und müssen deshalb nicht als prosodischer, sondern als morphosyntaktischer Faktor betrachtet werden. Es lassen sich jedoch zwei distinkte Systeme für FamN+RufN einerseits und HausN+RufN andererseits festmachen. Tab. 27: Modifizierende Elemente in Worfelden in mündlichen Daten (Familienname/ Hausname+Rufname), n = 93 verschiedene Familiennamen/Hausnamen79 und in schriftlichen Daten (Familienname+Rufname), n = 104 (Tokens). Modifikation bei HausN+RufN Silbenzahl/Akzent
-s
kein absolut
relativ
absolut
-e relativ
absolut
gesamt relativ
einsilbig Akzent HausN mehrsilbig Akzent HausN einsilbig Akzent RufN mehrsilbig Akzent RufN
180 9
11,11 % 75 %
1 2
11,11 % 16,67 %
7 1
77,78 % 8,33 %
9 12
0 4
0 % 11,76 %
3 25
27,27 % 73,53 %
8 5
72,72 % 14,71 %
11 34
gesamt
14
21,21 %
31
46,97 %
21
31,82 %
66
FamN+RufN Silbenzahl/Akzent
-s
kein absolut
relativ
absolut
-e relativ
absolut
gesamt relativ
einsilbig Akzent FamN mehrsilbig Akzent FamN einsilbig Akzent RufN mehrsilbig Akzent RufN
1 10 0 1
16,67 % 90,91 % 0 % 12,5 %
0 1 0 5
0 % 9,09 % 0 % 62,5 %
5 0 2 2
83,33 % 0 % 100 % 25 %
6 11 2 8
gesamt
12
44,44 %
6
22,22 %
9
33,33 %
27
79 GesamtN, bei denen keine eindeutige Hauptakzentposition festgestellt werden konnte bzw. bei denen beide Komponenten gleich betont waren, sind nicht in der Tabelle enthalten. 80 Hierbei handelt es sich um den HausN Post in Verbindung mit RufN vermutlich für Namenträger, deren Familien eine Poststelle betrieben. Bei solchen HausN ist es möglich, dass sie sich anders verhalten als solche aus RufN oder Berufsbezeichnungen.
154
7 Grammatik von Familienname+Rufname
Tab. 27 (fortgesetzt) Schriftliche Aufgabe: FamN+RufN Silbenzahl/Akzent
-s
kein absolut
relativ
absolut
-e relativ
absolut
gesamt relativ
einsilbig zweisilbig
3 18
6,38 % 31,58 %
12 32
25,53 % 56,14 %
32 7
68,09 % 12,28 %
47 57
gesamt
21
20,19 %
44
42,31 %
39
37,5 %
104
Tab. 27 zeigt die Modifikationen für die verschiedenen in den direkten Erhebungen genannten FamN und HausN. Als HausN wurden alle Namen in der Liste des Gatekeepers gezählt, auch wenn es sich dabei mittlerweile ebenfalls um feste FamN handelt. Tritt ein FamN/HausN mit verschiedenen Modifikationen oder mit verschiedenen Akzentschwerpunkten auf, wird er doppelt gewertet. Für den Typ FamN+RufN (wenn auch wesentlich seltener belegt als HausN+ RufN) wird die bereits angesprochene phonologische Steuerung nach Silbenzahl deutlich: Bei einsilbigen FamN überwiegt unabhängig vom Akzent -e (zumal Einsilbler generell kaum vorkommen). GesamtN mit mehrsilbigen FamN und Hauptakzent auf dem FamN erscheinen (fast) durchgängig ohne Modifikation, während solche mit Hauptakzent auf dem RufN meist -s aufweisen, aber auch mit -e auftreten. Die beiden Namen, die mit -e modifizieren, lauten auf -s aus (wie auch fünf von sechs mehrsilbigen HausN mit e-Modifikation; de Backes-e 'Peter). Es scheint bei den Sprecher:innen ein Bewusstsein dafür zu existieren, dass bei Akzent auf dem RufN eine Modifikation des Namens nicht fehlen darf. Wenn dieser bereits auf -s auslautet, wird demnach -e gewählt. FamN einsilbig
FamN mehrsilbig
-e Akzent auf FamN: keine Modifikation Akzent auf RufN: überwiegend -s, -e bei s-Auslaut
Die Silbenzahlsteuerung erfüllt überwiegend prosodische Funktionen und ist outputorientiert. Dabei entstehen durch das Antreten vom silbischem -e an Einsilbler und der ausbleibenden Resilbifizierung bei -s und fehlender Modifikation bei Mehrsilblern stehts Trochäen im Output. Der Trochäus gilt im Deutschen als optimale Wortstruktur: „Dieses wortstrukturelle Ideal ist das Ergebnis eines typologischen Wandels des Deutschen, der in der zunehmenden Optimierung des phonologischen Wortes zu Lasten einfach artikulier-
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
155
barer Silbenstrukturen bestand und besteht“ (Nowak/Nübling 2017: 115; vgl. auch Szczepaniak 2007). Eisenberg (1991: 47) bezeichnet den Trochäus auch als „das Substantivmuster“. Eine sekundäre Unterscheidung konnte dort nach der Position des Hauptakzents festgestellt werden. Als interessant erweisen sich auch die schriftlichen Aufgaben. Hier werden alle Tokens aufgeführt, da FamN für die Informant:innen fremd waren und demnach noch kein produktives Muster besteht und über jede Referenzform vor der Bildung reflektiert werden muss. Auch hier wird für einsilbige FamN 32-mal -e verwendet, nur 12-mal -s. Bei mehrsilbigen FamN überwiegt -s (32), 19-mal wird nicht modifiziert. Da für die schriftlichen Daten keine Akzentstrukturen vorgegeben waren, reproduzierten die Gewährspersonen offenbar entweder das Muster Akzent auf FamN (keine Modifikation) oder Akzent auf RufN (-s). Im Gegensatz zu FamN kommen einsilbige HausN auch mit s-Modifikation vor (der Schmidt-s Peter) und folgen demnach (noch) keinem prosodischen Prinzip. Der kontrastive Blick auf HausN und FamN macht evident, dass es eine diachrone Verschiebung der Steuerungsfaktoren gegeben hat. Zwar ist die s-Modifikation in den Erhebungsdaten nur für drei verschiedene HausN-Types belegt, jedoch enthält die Liste aller HausN in Worfelden drei weitere s-modifizierende Einsilbler. Dennoch lassen sich hier also nur noch letzte Ausläufer eines weniger formalisierten Systems beobachten. Die verschiedenen Zuweisungssysteme lassen sich dadurch erklären, dass das HausN-Inventar und das entsprechende Referenzsystem älter sind. HausN, die auf RufN oder Berufsbezeichnungen der Hausbesitzer zurückzuführen sind, werden unverändert weitertradiert. So geht z. B. der HausN Schmidt auf einen Hausbesitzer mit dem Beruf des Schmieds zurück. Dieses monosyllabische Appellativ bildet den Genitiv paradigmisch mit dem Flexiv -(e)s: mhd. des smid-es meisterhant (um 1350, Lexer 2008: II, 1015–1016).81 Dieses kommt auch beim HausN zum Tragen. Beim FamN Schmidt dagegen ist die einzige Option der Modifikation das resilbifizierende -e. HausN konservieren demnach eine frühere Sprachstufe, in der einsilbige Namen nicht zwingend einen trochäischen Output erzeugen mussten. Beim neueren FamN-System dagegen sind die Zuweisungsebenen für die modifizierenden Elemente formalisiert. Dort finden sich weniger komplexe, durchschaubare oder zumindest erlernbare Regeln. Umgekehrt sind aber auch HausN belegt, die die Verhältnisse aus der Flexionsklasse der Appellative oder RufN nicht mehr beibehalten haben, auf die sie zurückzuführen sind. Statt der ursprünglichen schwachen Flexion wird dort das ehemalige starke Flexiv gebraucht: de Otto-s Peter < ahd. Ott-en.
81 Aus: Biterolf und Dietleib, um 1350.
156
7 Grammatik von Familienname+Rufname
7.2.1.2 Szenario 1: Abbau morphologischer Komplexität In Worfelden lässt sich bei der Steuerung der Allomorphe eine Formalisierung der Konditionierung beobachten. Die heute vorherrschende phonologische Konditionierung (vgl. z. B. Neef 2000a; Kürschner 2008: 17) in Form des Trochäenprinzips legt die Vermutung nahe, dass vom HausN- zum FamN-System eine Reduktion morphologischer Komplexität stattgefunden hat. Zur Definition morphologischer Komplexität wird hier die von Dammel/Kürschner (2008) entworfene Komplexitätsmetrik herangezogen. Für die Untersuchung von Pluralbildungsverfahren in verschiedenen germanischen Sprachen betrachten sie Komplexität auf der Basis von quantitativen (Allomorphie) und qualitativen Bestandsaufnahmen morphologischer Systeme (durch Einbezug morphologischer Theorien) (vgl. Dammel/Kürschner 2008: 245–246). 1. Quantitative Komplexität: Die Komplexität des morphologischen Ausdrucks steigt mit der Anzahl der Allomorphe. 2. Qualitative Komplexität a) Komplexität der formalen Techniken: Die Komplexität steigt mit zunehmender Verletzung der durch die Natürlichkeitstheorie proklamierten ikonischen 1:1-Relation von Form und Funktion (vgl. z. B. Mayerthaler 1981: 21–35; Wurzel 1987)82 und durch abnehmende Segmentierbarkeit zwischen Stamm und morphologischer Markierung, durch Mehrfach- oder Nullmarkierung, subtraktive Verfahren Allomorphie oder fusionierte Kodierung. b) Komplexität der Konditionierung: Es werden verschiedene Ebenen unterschieden, auf die bei der Wahl des Allomorphs zurückgegriffen wird. Diese sind von einfach bis komplex: Formbasierte Konditionierung (nach Auslaut > nach Prosodie) > funktionsbasierte Konditionierung (nach Semantik > nach Genus) > Idiosynkrasie (vgl. Dammel/Kürschner 2008: 254; Dammel/Kürschner/Nübling 2010: 590–591; vgl. zu phonologischer und morphologischer Konditionierung auch Neef 2000a, 2000b). Nach Dammel/Kürschner (2008: 146) müssen diese theoretischen Überlegungen durch Experimente mit Spracherwerbenden validiert werden. Diesen Schritt kann die vorliegende Untersuchung jedoch genauso wenig wie die von ihnen vorgestellte exemplarische Studie zur Pluralallomorphie leisten, da alle vorliegenden Daten von Muttersprachler:innen der jeweiligen Dialekte stammen.
82 „Die Symbolisierung/Enkodierung eines Paradigmas P ist uniform, wenn P gemäß ʻone function – one formʼ organisiert ist“ (Mayerthaler 1981: 34). „Ein Paradigma P ist transparent, wenn es sich durch monofunktionale Operationen konstituiert bzw. nur monofunktionale Flexive/Derivative aufweist“ (Mayerthaler 1981: 35).
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
157
Bei den hier untersuchten GesamtN-Typen muss für die Anwendung der beschriebenen Parameter zur Messung morphologischer Komplexität vorausgesetzt sein, dass überhaupt eine morphologische Markierung vorliegt. In der aufgestellten Metrik wird Nullmarkierung im Vergleich zu einer 1:1-Zuordnung von Form und Funktion bei additiven Verfahren (ohne Allomorphie) als komplexer eingestuft (vgl. Dammel/Kürschner 2008: 251). Für die vorliegenden Daten spielt Nullmarkierung keine Rolle, da sie nur bei Strukturen auftritt, die in Kapitel 7.1.3 bereits als Komposita kategorisiert wurden. Für diese kann demnach nicht von einer morphologischen Possessivmarkierung ausgegangen werden. Ebenso sind einige der ehemaligen Flexionsmarker in die Wortbildung abgewandert und in den rezenten Dialekten nicht mehr als morphologische Markierungen zu analysieren. Findet hier eine Modifikation des FamNs durch ein additives Element statt, muss dieses deshalb als Fugenelement analysiert werden. GesamtN, die diesen Pfad beschritten haben, finden sich in den Orten – Worfelden: Typ 4a und Typ 4b: der Müller-s/Schmidt-e 'Peter: Hauptakzent auf dem RufN, Fugensetzung durch -s und -e, aber d-Artikel mit globaler Kongruenz, – Osterath: Typ 1: (der) Müller 'Peter: d-Artikel (fakultativ) mit globaler Kongruenz, aber Hauptakzent auf dem RufN, keine Fugensetzung – und Feldkirch: Typ 3: s 'Müller-s/Schmidt-e Peter: s-Artikel mit distributiver Kongruenz, aber Hauptakzent auf dem FamN, Fugen -s und -e83 (vgl. Berchtold/ Dammel 2014). Nach dieser Argumentation darf in Worfelden konsequenterweise gar keine Aussage über die morphologische Komplexität der GesamtN gemacht werden. Aufgrund des divergierenden Systems bei HausN ist jedoch davon auszugehen, dass die GesamtN in Worfelden nicht immer Kompositum-Status besaßen (vgl. auch bereits Berchtold/Dammel 2014 für den Nachbarort Nauheim): Da Bach (1952: 80–81) im benachbarten Groß-Gerau noch in den 1860er Jahren den artikellosen GesamtNTyp (Müller-s 'Peter) neben dem d-Artikeltyp ohne Modifikation (der 'Müller Peter) belegt, ist davon auszugehen, dass im von ihm beschriebenen Stadium noch kein Kompositumstatus vorlag: Das System ist bei denjenigen GesamtN, die den Hauptakzent auf dem RufN tragen, vollständig intakt und produktiv: Es liegt also 1860 noch eine syntaktische Struktur vor. Es kann deshalb argumentiert werden, dass Kompositumstatus (und damit das Kriterium der globalen Kongruenz) bei
83 Eine appellativische Entsprechung zu der Akzentstruktur in Feldkirch beschreibt Hoekstra (2002) Im Westfriesischen findet er Genitivkomposita (genitive compounds), die auf dem Zweitglied flektieren, z. B. broeks'bokse ʻHosenbeinʼ.
158
7 Grammatik von Familienname+Rufname
dieser Akzentstruktur erst mit der Obligatorisierung des d-Artikels erreicht ist. Zu welchem Zeitpunkt im späten 19. oder im 20. Jahrhundert diese Entwicklung erfolgte, bleibt unklar. Der oben dokumentierte Komplexitätsabbau gilt demnach nicht mehr für die heutigen Strukturen, sondern nur noch für das ältere System ohne d-Artikel. Dass Bach dieses ältere System nicht mit HausN, sondern mit FamN beschreibt, deutet darauf hin, dass die Flexive im FamN-System zunächst ähnlich konditioniert waren wie bei HausN. Zur Messung der morphologischen Komplexität sind primär die oben vorgestellten Kategorien 1 (quantitative Komplexität) und 2b (Komplexität der Konditionierung) von Interesse. In Hinblick auf 2a existiert wenig Variation, da es sich bei der vorliegenden Possessivmarkierung immer um ein additives Verfahren handelt. Ausschlaggebend ist deshalb, wie viele Allomorphe die Systeme besitzen und über welche Ebenen diese konditioniert sind. Die skizzierte Entwicklung in Worfelden zeigt keine Veränderung in der Anzahl der Allomorphe. Stattdessen ist ein Abbau qualitativer Komplexität zu verzeichnen: In den untersuchten Systemen findet sich weder Idiosynkrasie noch kann Genus als Konditionierungskriterium überhaupt herangezogen werden, da FamN kein Genus besitzen. In Verbindung mit dem RufN weisen sie lediglich referenzielles Genus auf. HausN lassen jedoch Reste von einer komplexeren Art der Konditionierung erkennen: Die Allomorphe von Appellativen und RufN, auf die sowohl HausN als auch FamN zurückgehen, waren diachron durch deren Flexionsklasse und somit durch komplexere Faktoren wie Genus (und zweitrangig Semantik) konditioniert (vgl. Kürschner 2008: 108–122; Nübling 2008: 284). Diese Steuerung wurde im Zuge der Onymisierung zum FamN oder HausN zu einer phonologischen nach Silbenzahl (ein- vs. mehrsilbig) und Auslaut (Sibilant vs. alle anderen Konsonanten) formalisiert. Somit lässt sich innerhalb des ortsspezifischen Referenzsystems von einem Abbau morphologischer Komplexität sprechen. 7.2.1.3 Szenario 2: Abwanderung flektierter Gesamtnamen in die Wortbildung Zeitgleich zur Formalisierung der Konditionierung läuft in Worfelden ein Übergang der syntaktischen Phrasen in die Wortbildung ab. Synchron erfüllt die Struktur de Müller-s 'Peter zwei von drei Kriterien für die Kategorisierung als Kompositum (Formstabilität und globale Kongruenz). Ab dem Zeitpunkt, zu dem dieser Übergang abgeschlossen ist, können Aussagen zur morphologischen Komplexität der GesamtN nicht mehr getroffen werden, da keine Morphologie mehr vorliegt. Aus der Klassifikation der Strukturen in Worfelden als Komposita folgt demnach die Existenz einer s-Fuge und einer e-Fuge, die sich aus ehemaligen (starken oder schwachen) Genitivflexiven entwickelt haben.
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
159
Die Daten bilden eine Diachronie ab, die den Übergang von paradigmischen zu unparadigmischen Fugen zeigt: Das Vorgängersystem für HausN mit paradigmischen Fugen, die sich formal nicht von den flexionsklassengesteuerten Flexiven unterscheiden, wurde von einer formalen Steuerung mit teilweise unparadigmischen Fugen abgelöst. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen der schriftlichen Aufgabentypen wider (siehe Tab. 27): Obwohl sich darin eine höhere Unsicherheit der Teilnehmenden über die Fugensetzung zeigt als bei den verfestigten Realnamen, überwiegen dennoch bei einsilbigen FamN silbische e-Fugen (auch einige s-Fugen wurden genutzt). Bei zweisilbigen FamN dagegen wird -e lediglich bei den FamN Dietrich und Lorenz verwendet, die auf Sibilant auslauten. Auch hier wird -s nach Sibilant vermieden (zu beachten ist hier wiederum die Koronalisierung im Auslaut von Dietrich). Belege mit -s und ohne Fuge werden gleichermaßen gebraucht. Nicht alle e-Fugen in Worfelden müssen zwangsläufig aus ehemaligen Genitivflexiven entstanden sein. -e tritt neben Worfelden auch in Nauheim, Höringen, Idar-Oberstein, Rheinbach, Ehringen und Unadingen im Typ 4a (der 'Schmidt-e Karl) auf. Dieser hat in den genannten Orten bereits Kompositumakzent, in Worfelden dagegen existiert er mit zwei verschiedenen Akzentmustern: der Schmidt-e 'Karl, der 'Schmidt-e Karl. Typ 4a hat demnach bereits ein späteres Stadium auf dem Weg zum Kompositum erreicht hat als Typ 4b. In allen vier Orten finden sich Komposita vom Typ 4a primär bei einsilbigen FamN, während bei mehrsilbigen Typ 1 ohne Modifikation zum Tragen kommt: der Schmidt-e Karl vs. der Müller Peter. Möglich ist, dass die e-Fuge von Typ 2 und Typ 3 ((s) Müllers 'Karl) analogisch auf die Typ 1-Komposita übertragen wurde und als Überläufer aus den syntaktischen Phrasen, die ja in allen vier Orten parallel existieren bzw. existiert haben, eine Funktionalisierung für den trochäischen Output erfahren hat. Diese Outputsteuerung könnte bereits in der Syntax entstanden sein und sich dort bewährt haben, sodass sie auf die Komposita übertragen wurde. Dafür spricht auch, dass im Bairischen, wo neben dem süddeutschen Typ 1 keine syntaktischen Phrasen existieren, diese Fuge nicht existiert. Vergleicht man die Ergebnisse aus Worfelden nun mit den in Kapitel 2.3.1 vorgestellten Befunden aus Berchtold/Dammel (2014), kann Worfelden als eine diachronische Zwischenstufe zwischen dem historischen System in Groß-Gerau um 1860 und dem heutigen Zustand in Nauheim betrachtet werden, als das bislang fehlende Bindeglied in ihrer Entwicklung von der Phrase zum Kompositum. In Tab. 28 ist zudem der rheinfränkische Erhebungsort Höringen ergänzt, der den rekonstruierten Typ aus Nauheim und Groß-Gerau synchron aufweist und somit die synchrone Fossilierung diachroner Stadien im Rheinfränkischen komplettiert (für eine genauere Beschreibung des Höringer Systems siehe Kapitel 7.3.1). Genauso ist jedoch möglich, dass Typ 1 in Worfelden aufgrund seiner Lage am nördlichen Rand
160
7 Grammatik von Familienname+Rufname
des Genitivartikel-Gebiets nie existiert hat. Dass in Worfelden und Nauheim Typ 4a (der 'Schmidt-e Peter) früher den Kompositumakzent übernommen hat als Typ 4b, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass im Gegensatz zu -s, das bei standarddeutschen Appellativen und Namen noch als Possessivmarker genutzt wird, -e bereits nicht mehr mit einer Genitivphrase assoziiert wird. Tab. 28: Diachrones Entwicklungsszenario der belegten Typen (erweitert nach Berchtold/Dammel (2014: 277)). Typen mit Modifikation im Rheinfränkischen Stufe I: s-Artikel (Gen.)
Stufe II: Nullartikel
Stufe III: d-Artikel (Nom.)
Stufe IV: d-Artikel (Nom.)
Höringen ✶ Nauheim ✶ Groß-Gerau ✶ Worfelden [de]s Gerlach-s 'Lies [de]s Hock-e(n) 'Erna
Groß-Gerau 1860 Ø Gerlach-s 'Lies Ø Hock-e 'Erna
Worfelden die Gerlach-s 'Lies die Hock-e 'Erna die 'Hock-e Erna
Nauheim die Gerlach-s 'Lies die 'Hock-e Erna
7.2.2 Fallbeispiel II: -s als überstabiler Marker in Wendeburg (ostfälisch) 7.2.2.1 Daten Im Erhebungsort Wendeburg (ostfälisch) existiert im Gegensatz zu Worfelden nur ein Typ in der Abfolge FamN+RufN: Typ 2 (Müllers Peter). In Alstätte (westfälisch) ist Typ 2 ebenfalls (neben wenigen Belegen ohne Modifikation) vorherrschend. Betrachtet man die s-Anteile in Wendeburg und Alstätte im Vergleich mit denen der modifizierten FamN in Höringen (rheinfränkisch) und Idar-Oberstein (moselfränkisch), lässt sich eine Staffelung erkennen (siehe Tab. 29): Analog zu Worfelden gilt hier für Typ 4, dass nur historisch von einem Komplexitätsabbau ausgegangen werden kann. Für die gesprochensprachlichen Namen wird jeder FamN in der Tabelle nur einmal gewertet, auch wenn er mit verschiedenen RufN kombiniert wird. Mit 90,91 % s-Anteil bei GesamtN in Wendeburg kann man davon sprechen, dass sich dieser Marker weitestgehend gegen andere Markierungen durchgesetzt hat. Daneben fallen lediglich GesamtN ohne Flexiv ins Gewicht, die hier nicht aufgeführt sind: Sofern eine morphologische Markierung vorliegt, ist nur -s möglich. In Idar-Oberstein halten sich dagegen -s und -e die Waage, in Höringen überwiegt -e leicht (58,33 %).
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
161
Tab. 29: Flexive bei Familienname/Hausname+Rufname in drei Erhebungsorten, n = 119 verschiedene Familiennamen. -s(ch)
Flexiv Wendeburg (n = 22 FamN)
absolut 20
-e(n)/-en-s
relativ 90,91 %
absolut 2
gesamt Alstätte (n = 18 FamN)
absolut
relativ 88,89 %
absolut 2
gesamt 23
11,11 %
relativ 53,49 %
absolut 20
relativ 46,51 % 43
absolut 15
gesamt
relativ 18
absolut
gesamt Höringen (n = 36 FamN)
9,09 % 22
16 Idar-Oberstein (n = 43 FamN)84
relativ
relativ 41,67 %
absolut 21
relativ 58,33 % 36
Im Folgenden wird argumentiert, dass -s in diesen Systemen zum (über)stabilen Marker avanciert. 7.2.2.2 Stabile Flexionsklassen und Überstabilität Im Rahmen seiner natürlichen Morphologie unterscheidet Wurzel (1987) zwischen stabilen und instabilen Flexionsklassen. Stabile Flexionsklassen zeichnen sich dadurch aus, dass sie frequente und deshalb natürliche Kategorienmarkierungen enthalten, d. h. dass alle oder die meisten Lexeme, die dieselben extramorphologischen Merkmale (z. B. phonologische Qualitäten wie Auslaut) teilen, auch dieselbe Markierung für eine Kategorie aufweisen (vgl. Wurzel 1987: 80). In instabilen Klassen dagegen nutzen Lexeme mit denselben extramorphologischen Merkmalen verschiedene Allomorphe zur Kategorienmarkierung. Diese Klassen werden langfristig umstrukturiert, da ihre Mitglieder in andere, stabile Klassen abwandern. Als Beispiel für eine instabile Klasse führt er den s-Plural bei Substantiven an, die auf einen phonologisch kurzen Vokal (außer /e/) auslauten, wie Kino oder Cello (vgl. Wurzel 1987: 78–80). Obwohl der s-Plural hier die frequenteste und deshalb natürliche Option ist, gibt es Allomorphie und Schwankungen bei einzel-
84 Bei zwei FamN aus Idar-Oberstein konnten modifizierende Elemente nicht eindeutig segmentiert werden. Sie sind hier ausgenommen.
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7 Grammatik von Familienname+Rufname
nen Lexemen: Sg. Konto – Pl. Konti/Konten/Kontos. „[S]tability-indifferent inflexional classes“ (Wurzel 1987: 80) bilden neben stabilen und instabilen Klassen eine dritte Kategorisierung und lassen kein dominantes Schema erkennen. Ist eine Flexionsklasse stabil, dann sind auch die entsprechenden dominierenden Marker stabil (vgl. Wurzel 1987: 82). Einige Markierungen erlangen eine Stabilität, die diejenige ihrer ursprünglichen Flexionsklasse noch übersteigt, indem sie sich auf Lexeme anderer Flexionsklassen ausbreiten. Diese bezeichnet Wurzel (1987: 82) als überstabile Markierungen (superstable markers). Je weiter sich solche Markierungen in den verschiedenen Flexionsklassen ausbreiten, desto stabiler werden sie (vgl. Wurzel 1987: 83). Nach Dammel/Nübling (2006) markiert die Ausbreitung von flexionsklassenübergreifenden Markern jedoch gegenläufig zu Wurzels Argumentation gerade nicht die Stabilität morphologischer Klassen, sondern das Ende der morphologischen Kodierung einer Kategorie: Konträr zu ihrem Namen führen diese Markierungen nicht zu mehr Stabilität einer Kategorienmarkierung, sondern sind ein Zeichen ihres Abbaus. Damit stellen sie das Gegenteil von Allomorphie dar (vgl. Dammel/Nübling 2006: 99). Flexionsklassen, die sich durch viele Allomorphe für eine grammatische Funktion auszeichnen, sind in dieser Argumentation nicht instabil, sondern besonders stabil. Nübling (2012) zeigt, dass überstabile Marker auch in der Onymik mit einer Schwächung der Morphologie einhergehen. Seit dem 18. Jahrhundert nimmt die Morphologie von Namen auf syntagmatischer Ebene drastisch an Komplexität ab (vgl. Nübling 2012: 244). Was den Namenkörper selbst betrifft, so entledigt er sich nach und nach seiner Flexivik: Zunächst ziehen sich die ihn besonders stark modifizierenden introflektierenden Verfahren (wie der Umlaut) zurück, der Wortkörper gewinnt an Autonomie/Stabilität. In einem weiteren Schritt befreit sich der Name auch von den Affixen an seiner Peripherie, wobei er den Ausdruck der Nominalkategorien auf seine Begleiter verlagert (Nübling 2012: 244).
Besonders hat in diesem Zusammenhang der onymische s-Genitiv eine radikale Generalisierung erfahren, die in der Appellativik nicht ansatzweise so stark ausgeprägt ist, wo sich bis heute viele Flexionsklassen erhalten haben. Dieser onymische Allomorphieabbau geht mit einer Formalisierung und damit Simplifizierung der Zuweisungsebenen einher […] Eigennamen und Appellativa driften somit in ihrem grammatischen Verhalten diachron immer weiter auseinander. Die Eigennamen reduzieren bzw. eliminieren ihre Flexionsallomorphie und betreiben damit auf paradigmatischer Ebene Flexionsabbau: Sie räumen das einst reiche Endungsinventar“ (Nübling 2012: 234).
Das ehemalige schwache Genitivflexiv -en und das kombinierte -en-s werden abgebaut und die bei Appellativen prosodisch gesteuerten Allomorphe -s und -es fallen in -s zusammen (vgl. Nübling 2012: 232; Szczepaniak 2010; vgl. auch die Beobach-
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
163
tungen von Grimm 1822). Zudem breitet sich im 19. Jahrhundert -s als Flexiv von der starken maskulinen a/i-Klasse auf die feminine Klasse aus (vgl. Ackermann 2019: 34), während die Opposition zwischen Femininum und Nicht-Femininum dagegen im Bereich der Appellative gestärkt wird (vgl. Nübling 2012: 234). Den Grund, warum sich -s als überstabiler Marker bei der Genitivflexion von Eigennamen durchsetzen konnte, sehen Ackermann (2019: 35) und Nübling (2012: 235) in der Schemakonstanz, einem Prinzip, das die Grundform morphologischer Einheiten immer erkennbar hält. Dies gilt besonders für Namen, da diese die Referenz auf Individuen gewährleisten müssen. Ein erkennbares Schema lässt sich besonders gut mit dem nicht-silbischen -s beibehalten, weniger gut mit den beiden silbischen Flexiven -en oder -en-s (Anna-s vs. Ann-en) (vgl. Ackermann/Zimmer 2017; Nowak/Nübling 2017). Auf syntagmatischer Ebene kann bei Eigennamen ebenfalls Deflexion beobachtet werden. Schemakonstanz ist auch der Grund dafür, dass im (Früh-)Neuhochdeutschen Flexive am Namenkörper generell zunehmend abgebaut werden: Bei der flektierten Form Heydens lässt sich nicht eindeutig auf eine FamN-Grundform, sondern auf die drei möglichen Ausgangsstrukturen Heyd, Heyde oder Heyden rückschließen (vgl. Steche 1925: 205–207, 1927: 142; Nübling/Schmuck 2010: 154, Nübling 2012: 235). Deshalb wird der Genitiv innerhalb der Nominalphrase ab dem 18. Jahrhundert mehr und mehr monoflexivisch realisiert und Doppelmarkierungen werden vermieden. Sobald dem Namen ein Artikel oder Adjektiv hinzugefügt wird, übernehmen diese die Kasusmarkierung: das Epos des Homer, das Buch des klugen Peter. Lediglich bei possessiven Genitiven hat sich die s-Markierung erhalten: Peters Buch, das Buch Peters. Während das Flexiv beim postnominalen Genitivattribut für männliche Namen noch fakultativ ist und damit einen grammatischen Zweifelsfall darstellt (die Party des coolen Mark/die Party des coolen Marks), wird bei weiblichen Namen nur in pränominaler Position ein Flexiv verwendet: Fridas Party vs. die Party der coolen Frida (vgl. Nübling 2012: 236). Das en-s-Flexiv, das im 19. Jahrhundert nur mehr einer phonologischen Steuerung nach Auslaut folgte und lediglich an Namen mit sibilantischem Auslaut trat (Hans-en-s), ist im Gegenwartsdeutschen ebenfalls geschwunden. Auch hier wurde diachron morphologische Komplexität reduziert, indem das Flexiv von einer morphologischen Steuerung in eine rein phonologische übergegangen ist und dadurch morphologisch geschwächt wurde (vgl. Nübling/Schmuck 2010: 154). Flexion wird demnach über das Zwischenstadium der Formalisierung eines Systems abgebaut, die schließlich ebenfalls aufgegeben wird, wenn ein Marker sich gegen andere Allomorphe durchsetzt.
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7 Grammatik von Familienname+Rufname
7.2.2.3 Gesamtnamen auf dem Weg zur Überstabilität Analoge Formalisierungsprozesse zu dem des Doppelflexivs -en-s lassen sich in Höringen und Worfelden (beide rheinfränkisch) sowie Idar-Oberstein (moselfränkisch) durch den Komplexitätsabbau beim ehemaligen schwachen en-Flexiv (apokopiert zu -e) beobachten, das heute durch Silbenzahl oder durch sibilantischen Auslaut gesteuert ist. Dabei scheint jedoch die Gestaltwahrung des Namenkörpers eine geringere Priorität zu haben als das Trochäenprinzip: Durch das e(n)-Flexiv werden regelmäßig einsilbige Namen resilbifiziert: Kuhn > s Kuh.n-e Peter. Denkbar ist in diesem Zusammenhang, dass zweisilbige, auf -e auslautende FamN im GesamtN bereits die Information mitliefern, dass sie auf einsilbige Grundformen zurückzuführen sind. Dieses Muster kann so zuverlässig und internalisiert sein, dass die Schemakonstanz des FamNs dadurch nicht beeinträchtigt wird. Durch die hohe Frequenz des Bildungsmusters ist die Identifikation einer Grundform (noch) ohne weiteres möglich. Die Entwicklung zum überstabilen Marker ist in der Genitivflexion der Namen im Standarddeutschen bereits abgeschlossen. In einem Vergleich der Erhebungsorte lässt sich zeigen, dass dieser Prozess bei den dialektalen GesamtN noch im Gange und somit weniger weit fortgeschritten ist als im Standard. Wie in Kapitel 6.2.3.2 gezeigt wurde, gehen GesamtN mit FamN-Voranstellung auf Patronyme und Berufsbezeichnungen des Vaters (v. a. auf dem Land) sowie Berufsbezeichnungen der benannten Personen (v. a. in der Stadt) zurück (vgl. dazu auch Ramge 2017, 2020). Eine Entstehung aus Eigenschaften oder Herkunftsbezeichnungen der Namenträger ist bereits aus strukturellen Gründen unwahrscheinlich: z. B. Dancwart der snelle (Nibelungenlied zit. n. Kunze 2005: 58); Sîvrit von Niderlant (Nibelungenlied zit. n. Kunze 2005: 58). Bei FamN, die auf Adjektiven basieren, ist deshalb davon auszugehen, dass die Serialisierung FamN+RufN und folglich die herrschenden Zuweisungsregeln für Flexive auf diese erst übergegriffen haben, als sie bereits Onym-Status besaßen. Um eine Aussage darüber zu treffen, ob ein Flexiv paradigmisch ist, muss demnach von den ursprünglichen Flexionsparadigmen der RufN und Berufsbezeichnungen ausgegangen werden, auf die die nicht-deadjektivische FamN zurückgehen (vgl. Ackermann 2018).85 Die Studie in Kapitel 6 konnte außerdem nachweisen, dass die Voranstellung von FamN bereits im 14. Jahrhundert, vor der Verfestigung der FamN, sowohl im 85 Es kann nur bei denjenigen GesamtN von (Über-)Stabilität ausgegangen werden, die Phrasen-Status besitzen. Da Phrasen nur noch in wenigen Orten frequent verwendet werden, wurden in der Auswertung bei den Orten Höringen und Idar-Oberstein (Tab. 29) auch die Typen herangezogen, die heute keinen Phrasenstatus mehr besitzen (also auch der ambige Typ 4a). Es wurden demnach alle FamN ausgewertet, die Modifikation aufweisen, also in Typ 2, 3, 4a und 4b, nicht aber Typ 1.
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
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ländlichen als auch im städtischen Raum belegt ist. Aus diesem Grund kann bei der Analyse außer Acht gelassen werden, dass im Neuhochdeutschen (19. und 20. Jahrhundert) zeitweise verschiedene Flexive für RufN verwendet werden konnten (vgl. Ackermann 2018: 127–143). Dass es diachron in Wendeburg Allomorphie gegeben hat, belegen neben den zwei GesamtN-Typen mit en-Markierung auch appellativische Genitivphrasen, wie Schmidt-en Ecke, die im Ortsdialekt als erstarrte Ortsbezeichnungen tradiert werden. Ob das (hier unparadigmische) -en ein Relikt eines ehemals phonologisch gesteuerten Systems (z. B. nach Silbenzahl) darstellt, kann nur spekuliert werden. Da bei den wenigen erhobenen en-Namen keine Einsilbigkeit vorliegt (Falke – Falke-n; Funke – Funke-n86) ist eher anzunehmen, dass die Flexive nach Auslaut gesteuert waren, d. h. zweisilbige FamN mit Reduktionssilbe auf Schwa durchweg mit -n flektiert wurden. Da aber die beiden Appellative, auf die die FamN mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückgehen, ebenfalls bereits schwach flektieren, kann es sich genauso um Relikte eines morphologisch gesteuerten Systems handeln. Beispiel 22: Man similiert auf dem Vornamen rum Fokusgruppentranskript Wendeburg 43:40-44:39 WEw68 (weiblich, 68 Jahre), WEw74 (weiblich, 74 Jahre); WEm78 (männlich, 78 Jahre); WEm74 (männlich, 74 Jahre) 01 02 03 04 (…) 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
EXw90: ich hab aber auch gehört jetzt vorhin bei den FOtos, dass sie oft auch nur den faMIliennamen nennenalso zum beispiel FUNke, wann wird das denn gemacht; (1.4) WEm74: es sind ja manchmal ÄHNlichkeiten da es fällt einem vielleichtder NAme nich einweil das ja schon ne ne generation VOR uns vielleicht war. WEm78: oder sind sind geschwister gewesenja [da] WEw68: [ja oder hier wie peter und HEINrich,] äh mir fiel HEINrich erst nicht ein da sachst_e ach funkennaja WEISST schon;=ne, WEm78: ja; WEm74: dingsda ne DINGenskirchen; WEw68: FUNken; WEw74: dann SACHT man auch-
86 Es handelt sich hier nicht um Klarnamen, es wurden Namen mit ähnlicher Struktur gewählt, die ebenso wahrscheinlich auf schwach flektierenden Appellativen beruhen.
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30 31 32 33 34 35 36
7 Grammatik von Familienname+Rufname
(0.7) äh das IS nichfunKE ne sondern das is fun!KEN!; und man similiert auf dem äh VORnamen rum. EXw90: hm; WEw74: dann sacht man das funKEN mal. eigentlich heißt der funKE. WEm78: ja.
Beispiel 22 (Man similiert auf dem Vornamen rum) aus Wendeburg zeigt, dass -n, wenn auch aktiv selten genutzt, noch in der passiven Sprachkompetenz der Sprecher:innen vorhanden ist. Für die in Wendeburg erhobenen Namen lässt sich nicht eindeutig zeigen, dass -s unparadigmisch auftritt, im Ort Ehringen (westfälisch) dagegen finden sich eindeutig unparadigmische s-Marker, so z. B. bei Patronymen, die im Althochdeutschen mit -en flektierten (vgl. Paul 2007: 199; Nübling 2012: 231), ebenso bei einem Wohnstättennamen, der auf ein feminines Lexem zurückgeht, das seinen Genitiv ursprünglich mit -e bildete.87 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% andere Elemente (e)s
Höringen 34 18
Idar-Oberstein 39 41
Wendeburg 6 55
Alstätte 0 13
Abb. 27: Gegenüberstellung der Anteile von -s und anderen Markierungen am Familiennamen in vier Erhebungsorten; schriftliche Daten, n = 206 (Tokens).
87 Alle Namen wurden etymologisiert, dürfen jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht genannt werden.
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
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Wendeburg hat die ehemals vorhandene Allomorphie aufgegeben und baut somit nach Dammel/Kürschner/Nübling (2010) quantitative Komplexität (Kriterium 1) bis hin zum Verlust von Allomorphie ab. Gleichzeitig wird auf der Ebene der qualitativen Komplexität eine 1:1-Relation von Form und Funktion etabliert (Kriterium 2a). Ob es sich bei -s in Wendeburg um einen überstabilen Marker handelt, ist aus den Daten ebenfalls nicht ersichtlich: Da alle im Erhebungsort auftretenden GesamtN, die auf RufN oder appellativische Berufsbezeichnungen zurückgehen und synchron s-markiert sind, auch diachron bereits mit -s flektieren, ist -s in diesen Belegen nicht unparadigmisch. Gesichert ist, dass es sich nach Wurzel (1987) um eine stabile Flexionsklasse in dem Sinne handelt, dass keine Allomorphie mehr besteht. Die von ihm angenommene Stabilität ist jedoch eigentlich eine Vorstufe der kompletten Deflexion. Auch in den schriftlichen Aufgaben, in denen die Struktur FamN+RufN von den Gewährspersonen gefordert war, wurde überwiegend -s verwendet (-s: 55; andere Elemente: 6). Dies ist als Indiz dafür zu interpretieren, dass der Marker generalisiert wurde, weil das System, da selten genutzt, von den Sprechenden nicht mehr durchschaut wird. In Kapitel 5.3.1 wurde für Wendeburg bereits gezeigt, dass die Abfolge FamN+RufN dort generell von allen Orten am seltensten verwendet wurde: Dass die fehlende Produktivität zu Komplexitätsreduktionen führt, liegt auf der Hand. Auch im System von Alstätte (westfälisch) zeichnet sich in den gesprochensprachlichen Daten -s als einziges Flexiv ab (88,89 %: 16-mal -s, jeweils einmal -en und -(e)n-s). Dabei kann es sich bei den beiden letzteren jedoch auch um bereits auf -e oder -en endende FamN handeln, die dann ein -s erhalten. Damit wäre -s der einzige belegte Marker. Daneben wurden auch zehn verschiedene nicht-modifizierte, meist artikellose GesamtN verwendet (Müller Peter), davon 9 ohne Artikel und ein Name mit einer Präposition-Artikel-Enklise: beim Müller Peter. Diese Formen finden sich auch im System in Osterath (ripuarisch), das in Kapitel 7.2.3 noch beschrieben wird. Auch hier könnte eine Spaltung von Wortbildung und Flexion erfolgt sein: GesamtN gehen entweder in die Wortbildung (Komposita) oder zu einem vereinfachten System mit -s als stabilem Marker über. Langfristig könnte sich einer der beiden Typen gegen den anderen durchsetzen. Tendenzen des Komplexitätsabbaus und hin zu -s als einzigem Possessivmarker sowohl für Personennamen als auch für Appellative mit Personennamenstatus (Onkel, Nachbar, Mutter, Schwester, Mädle) beschreibt Appel (1963: 137–138) für den Dialekt von Hilbetten in Tschechien: Die Endung -s bestimmt nicht mehr den s-Genitiv wie ursprünglich, sie wird ausschließlich bei Personennamen, die auf einen Vokal oder Sonorlaut enden, und zwar ohne Unterschied des Geschlechtes zur Bezeichnung des Besitzers verwendet: fōt'rs fālhūzn, noχp'rs gens, oŋkls fār […] šwest'rs erptāl […] mādles galt (…).
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7 Grammatik von Familienname+Rufname
Systeme mit formalen Steuerungen nach dem Auslaut werden beschrieben für Waskút/Südungarn (nach Sibilant Modifikation mit [ɑ], sonst -s) (vgl. Schwalm 1980: 79), Vorarlberg und Liechtenstein (-s bei den Auslauten -e, -i oder -r (< er), -e bei allen anderen, insbesondere Sibilant) (vgl. Jutz 1925: 231) und im limburgischen (südniederfränkischen) Bergisch Platt (bei Sibilant keine Modifikation, bei anderen Auslauten: -s, das nach -er als -sch realisiert wird) (vgl. Heinrichs 1978: 19). In Burgberg in Rumänien (Siebenbürgisch-Sächsisch = moselfränkisch) liegt nach Maurer (1959: 97–99) Steuerung nach Silbenzahl vor: Einsilbige FamN bekommen -en (vor anderen Anlauten als Vokal, d, t oder h zu -e apokopiert = Eifeler Regel), bei mehrsilbigen Namen entscheidet die Akzentstruktur, ob en-Modifikation auftritt: Ultimabetonung: Modifikation durch -en, andere Betonungen: keine Modifikation.88 Eine Kombination aus Auslaut- und Silbenzahlsteuerung existierte zudem vor rund 120 Jahren in Imst (Übergangsgebiet Südbairisch – Höchstalemannisch): „Die Bildung mit -s wird gebraucht bei Wörtern mit schwachtoniger Nebensilbe, die auf -ə bei solchen, deren letzte Silbe stark- oder nebentonig ist, oder auf -s endigt; es sind meist einsilbige“ (Schatz 1897: 119). Nach den Beschreibungen von Lessiak (1963: 162) für den bairischen Dialekt von Pernegg (Kärnten) ist dort nicht -s, sondern -n zum einzigen und damit (über-)stabilen Marker avanciert „s hintrwgn, s marn ǫkhr“. Daneben existieren Strukturen ohne Modifikation, die ursprünglich stark flektierten: „s nīsl, s wœide […] wīsn“ (mit der Bedeutung ʽdie Wiese des Nīsl, Wœideʼ) (Lessiak 1963: 162). Zur Erklärung schreibt er: Für den schwund des -s werden wol mehrere factoren massgebend gewesen sein, die sich gegenseitig förderten. […] der genitiv des artikels bringt ja die abhängigkeit des substantivs vom beziehungswort ohnehin deutlich genug zum ausdruck und macht eine weitere endung entbehrlich. In einzelnen fällen, wenn der stamm auf einen zischlaut endigte, musste nach synkope des vocals der schwund lautgesetzlich eintreten; dies konnte zu einer verallgemeinerung führen (Lessiak 1963: 162).
Dabei missachtet er allerdings, dass -n diachron genauso Flexivstatus besaß wie -s, also ebenfalls eine zusätzliche Genitivmarkierung mit Kongruenz zum Artikel darstellte und somit analog zu -s abgebaut werden müsste. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass sich die untersuchten Dialekte in verschiedenen Stadien des Komplexitäts- und damit des Flexionsabbaus befinden. Einige der niederdeutschen Systeme haben bereits stabile Systeme erreicht bzw. überstabile Marker ausgebildet. Konträr zum zuvor gezeigten System in Worfelden, wo dieses Stadium nie erreicht wurde, da die GesamtN vorher den Weg in die Wortbildung eingeschlagen haben, zeigt sich hier ein weiteres mögliches Endstadium syntaktischer Phrasen. 88 Bei den Typen ohne Modifikation kann es sich nicht mehr um syntaktische Phrasen handeln.
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
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7.2.3 Fallstudie III: Von der Syntax zur Wortbildung: Osterath (ripuarisch) In diesem Kapitel wird das System in Osterath (ripuarisch) beschrieben, das einen grammatischen Sonderweg eingeschlagen hat. Unter besonderen Umständen hat hier ebenfalls ein Übergang von syntaktischen Strukturen in die Wortbildung stattgefunden, obwohl der Ort inmitten eines Phrasen-Areals liegt. Bei den Erhebungen in Osterath trat insgesamt lediglich ein GesamtN (1 Type, 2 Tokens) auf, bei dem ein modifizierendes Element am FamN auftritt. Dieses ist aber nach Angabe des zugehörigen Sprechers nicht mehr gebräuchlich. 73 Tokens (die auf 48 verschiedene FamN zurückgehen) wurden ohne Modifikation gebraucht. Demnach ist formal ein flexionsloses System zu beobachten, bei dem jedoch der Hauptakzent in den meisten Fällen, anders als beim süddeutschen Typ 1, auf dem RufN liegt (43/73 Tokens) oder aber kein eindeutiger Hauptakzent festzustellen ist (22 Tokens), also FamN und RufN etwa gleich stark akzentuiert werden: (der) Müller/ Schmidt 'Peter. Nur bei 8 Tokens liegt der Hauptakzent auf dem FamN. Der Artikel ist fakultativ, wie für das Ripuarische zu erwarten. Der Akzenttyp auf dem RufN deutet auf einen (diachron) syntaktischen Typ hin, wie er auch im ripuarischen Rheinbach zu finden ist. Dass Veränderungen im System stattgefunden haben und es diachron Modifikation gegeben hat, wird auch durch die Gewährspersonen selbst festgestellt, die passiv ein älteres System noch erlernt haben. Das verdeutlicht die Erklärung von Informant OSm43 in Beispiel 23: Namen verändert. Beispiel 23: Namen verändert Fokusgruppentranskript Osterath 05:52-06:13 OSm45 (männlich, 43 Jahre) 01 02 03 04 05 06 07 (…) 08
OSm43: und dann WERN dann auchin dem zusammenhang namen verÄNdert zum beispielgib_et hier in osterath den namen SIEbels; dann hab ich da auch schonmal geHÖRT da die wurda wurde dann nicht SIEbels gesacht, da wurde dann SIEbele, det is dann aber so_n aus-= der siebels DÜres da ham se dannsiebele DÜres jesacht. obwohl der jar net so HIESS.=ne,
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7 Grammatik von Familienname+Rufname
Es ist in diesem Zusammenhang zu fragen, wieso das Osterather System einen derart massiven Abbau erfahren hat, obwohl z. B. der Onlinefragebogen für umliegende Systeme gegenläufige Verhältnisse (überwiegend Typ 4: der Müller-s Peter; seltener Typ 2: Müller-s Peter) zeigt. Die Antwort darauf liefert ein Blick auf das FamN-Inventar in Osterath.
Osterath Rheinbach
Osterath Rheinbach
Abb. 28: Verbreitung des Genitivs in Familiennamen. a) Patronyme und Berufsnamen mit starkem Genitiv, Kartenerstellung durch Anne Rosar; b) Patronyme mit schwachem Genitiv, Kartenerstellung durch Theresa Schweden; beide Karten nach dem Vorbild aus Fahlbusch et al. (2012: 14, 44).
Die beiden Karten in Abb. 2889 zeigen jeweils die Verbreitung starker (-s) und schwacher (-(e)n) Genitivflexive, die im Familiennamengut erstarrt sind. Der Erhebungsort Osterath ist auf beiden Karten schwarz eingekreist. Es wird deutlich, dass er sich in einer Hochburg der genitivmarkierten FamN befindet – anders als der ebenfalls ripuarische Ortspunkt Rheinbach (rote Umkreisung auf den Karten), wo die Häufung von Genitiv FamN weniger stark ist und GesamtN modifiziert werden. Ein Blick in die erhobenen GesamtN und das örtliche Telefonbuch legt offen, dass ein Großteil der FamN in Osterath eine erstarrte Genitivmarkierung aufweist: z. B. Dohmen, Adams). Es liegt deshalb nahe, dass das Osterather System wegen der hohen Frequenz der FamN mit erstarrter Flexion nicht fortbestehen konnte. Diese
89 Ich danke Anne Rosar dafür, dass sie mir Karte a) zur Verfügung gestellt hat.
7.2 Stadien des Flexionsabbaus bei dialektalen Gesamtnamen
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überfordert die Kompetenz der Sprechenden darüber, welches Flexiv an den FamN tritt. Gleichzeitig steht der Abbau im Dienst der Schemakonstanz und Namenkörperschonung: Wo sich -s und -en im FamN-Auslaut häufen, würde eine zusätzliche Modifikation den Namen schwer segmentierbar und die Grundform opak machen. Durch den völligen Abbau der FamN-Modifikation wird dem entgegengewirkt: Die Sprechenden wissen, dass -s und -en, sofern vorhanden, in jedem Fall FamN-inhärent sind. Die durch den Sprecher OSm43 genannte Veränderung von Siebels zu Siebel-e deutet ein ehemals stammveränderndes Verfahren an, das womöglich nur noch von stark ortsgebundenen und für andere ortsgebundene Familien gebraucht wird. Solche Einzelfälle scheinen für die Gewährspersonen nicht mehr auszureichen, um sich eine Systematik zu erschließen. In Kapitel 4.4.7 wurde bereits der starke Bevölkerungszuzug durch Berufspendler im Ort thematisiert, der die Identifikation ortsgebundener Familien erschwert. Überprüft man den morphosyntaktischen Status der GesamtN in Osterath anhand der in Kapitel 7.1.3 eingeführten Kriterien zur Klassifikation als Komposita oder Phrasen, ergibt sich Folgendes: Formstabilität (+), globale Kongruenz (+), Kompositumakzent (-). Folglich bildet das System das Gegenstück zum südwestdeutschen Hybridtyp (s 'Müllers Peter). Diachron syntaktische Phrasen haben hier nicht sukzessive an morphologischer Komplexität verloren, sondern sind, wie in Nauheim und Worfelden, direkt in die Domäne der Wortbildung abgewandert. Im Onlinefragebogen wurde Typ 1 in den nahegelegenen Orten Heinsberg (zusammen mit Typ 4: s Müller-s Peter) und in Willich-Anrath verwendet, die ebenfalls im Genitivballungsgebiet liegen. Systeme mit unmodifizierten FamN in direkter räumlicher Nähe zu Osterath beschreiben auch Cornelissen (2014: 284) für den niederrheinischen Ort Winnekendonk und Heinrichs (2012) für Amern, die sich ebenfalls im Herzen des Genitivnamenareals befinden. Cornelissen findet dabei FamN-Voranstellung ohne Modifikation v. a. bei solchen FamN, die auf Sibilant auslauten. Es ist zu vermuten, dass es sich ebenfalls mehrheitlich um solche Namen handelt, die bereits ein verfestigtes Genitiv -s im Auslaut aufweisen (Derks Mij). Dies deutet darauf hin, dass die Entwicklung von Osterath keine singuläre ist, sondern dass gleiche Bedingungen einen gleichgearteten Abbau hervorgerufen haben. Die Fallstudie in Osterath hat gezeigt, dass sich der Abbau eines Referenzsystems, wenn dieses von den Sprechenden nicht mehr durchschaut wird, in einem völligen Abbau ehemaliger Flexion äußern kann. Die Opazität des Systems wurde in Osterath durch die FamN-inhärenten Genitivflexive gefördert.
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7 Grammatik von Familienname+Rufname
7.3 Familienname+Rufname zwischen Grammatik und Pragmatik 7.3.1 Fallbeispiel IV: Funktionale Differenzierung von Phrasen und Komposita in Höringen (rheinfränkisch) Wie in Worfelden und Idar-Oberstein koexistieren auch in Höringen (rheinfränkisch) verschiedene strukturelle Typen: der südwestdeutsche Typ 3 (s Müller-s/ Schmidt-e 'Peter), der süddeutsche Typ 1 (der 'Müller Peter), außerdem der westmitteldeutsche Hybridtyp Typ 4a (der 'Schmidt-e Peter). Dieselben Typen lassen sich historisch für das mittelalemannische Unadingen und das rheinfränkische Worfelden vermuten, wo noch heute Familienkollektiva mit dem s-Artikel gebildet werden (s Müllers). Zudem treten in Unadingen Strukturen mit s-Artikel in den metasprachlichen Reflektionen der Fokusgruppen auf. Die Lage des Erhebungsortes im Genitivartikelgebiet legt eine diachrone Existenz des Typs zusätzlich nahe. In Worfelden (rheinfränkisch) hat er sich durch Ablegen des s-Artikels zum Kompositum weiterentwickelt (siehe Kapitel 7.2.1). In Unadingen ist in den erhobenen Daten nur der süddeutsche Typ 1 mit und Typ 4a ohne e-Fuge belegt (der 'Müller Peter; der 'Schmidt-e Peter). Während in diesen Orten der s-Artikel-Typ also abgebaut wurde, wird er in den Gesprächsdaten aus Höringen von den über 60-jährigen Gewährspersonen noch frequent verwendet. Die Typen mit s- und d-Artikel unterscheiden sich in Höringen funktional stark, wobei die jeweilige Pragmatik sich aus den Informationen ergibt, die durch die verschiedenen grammatischen Strukturen über die entsprechenden Referenzpersonen mitgeliefert werden. Diese Verwendungskontexte decken sich teilweise, aber nicht mehr völlig mit den historischen Befunden. So folgert Ramge (2020) für das 14. und 15. Jahrhundert, dass flexionslose Voranstellung des FamNs hauptsächlich in Städten zur Unterscheidung von männlichen Trägern desselben RufNs auftritt, während flektierte Formen auf dem Land mit Patronymen entstanden. Die Hexenverhörprotokolldaten aus dem 16. und 17. Jahrhundert haben Ehefrauen und Töchter als primäre Referentinnen der südwestdeutschen Struktur [Name+ ([ArtikelGen+BerufsbezeichnungApposition])Flexiv+[Appellativ]Kopf ] (Typ Peter Schmidt(s) (des Müllers) Mädchen) oder [[ArtikelGen+Berufsbezeichnung]([+NameApposition])Flexiv]+ [Appellativ]Kopf ] (des Müller(s) (Peter Schmidts) Mädchen) identifiziert. Für das frühe 20. Jahrhundert beschreibt Bertsche (1905: 26–27) die rein onymischen Possessivkonstruktionen in Möhringen (Stuttgart) nicht mehr als Ausdrucksformen der Zugehörigkeit von Ehefrauen und Töchtern zum Hausvorstand, sondern attestiert ihnen eine abweichende Pragmatik:
7.3 Familienname+Rufname zwischen Grammatik und Pragmatik
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Wenn der Mann, den man stets nur də Simmə hieß, einen Sohn bekommt namens Max, so wird man ihn ganz begreiflicher- und natürlicherweise allgemein nicht bloß də Max, sondern s’ Simmə Max […] nennen […] Es entwickelt sich mit der Zeit s’ Simmə Max zu də Simmə Max, und zwar wol so, dass das Genitiv-s als sächlicher Artikel aufgefasst wird, da man ja oft sagte: s’ Mäxle bzw. s’ Simmə Bieble oder -Mäxle. Als dann der Bube ein Max geworden war, musste man ihn də Max, und konnte ihn deshalb leicht də Simmə Max nennen.
In Möhringen ist lediglich die Verwendung für Nachkommen bis heute erhalten geblieben. Die possessiven Zugehörigkeitskodierungen werden primär für Kinder beider Geschlechter genutzt, um deren Abhängigkeit und Verbindung zur Herkunftsfamilie zu betonen. In anderen Dialekten scheint es jedoch noch immer möglich, die Zugehörigkeit von Ehefrauen zu ihrem Ehemann durch einen pränominalen possessiven Genitiv zu kodieren (vgl. z. B. Grimme 1910: 59 für einige niederdeutsche Varietäten). Aus den synchronen Daten aus dem rheinfränkischen Höringen lässt sich dieselbe Funktion herleiten. Jedoch beschränkt sich der s-Artikel dort nicht, wie in Möhringen, auf Kinder, sondern kodiert bis ins hohe Alter der Referent:innen deren Zugehörigkeit zur Herkunftsfamilie. In Beispiel 13 (Kää Hinnergrund vun de Familie; siehe Kapitel 4.4.4) reflektiert der Sprecher HÖm57 darüber, dass er für zwei weibliche Referenzpersonen verschiedene Referenzformen verwende. Für eine ortsansässige, aber zugezogene Frau, deren Herkunftsfamilie nicht ortsgebunden ist, nutze er die Frau Müller. Es handelt sich bei Müller in diesem Fall um den Heiratsnamen. Die Referenzform mit Genitivartikel (nur mit Geburtsnamen möglich) bleibt dieser Referentin verwehrt, da von ihr „kää hinnergrund vun de faMILie“ (Z. 09) bekannt ist. Da der Sprecher zudem in einem distanzierten Verhältnis zur Referentin steht, wählt er statt RufN+FamN oder FamN+RufN die höfliche Anrede- und Referenzform Anredenomen+FamN. Beispiel 13: Kää Hinnergrund vun de Familie Fokusgruppentranskript Höringen 17:34-17:55 HÖm57 (männlich, 57 Jahre); HÖm62 (männlich, 62 Jahre); HÖw55 (weiblich, 55 Jahre) 01 02 03 04 08 06 07 08
HÖm57: ich such no BEIspiele fer mich is es kleineegal ERna odder sowasaber wenn ich jetzt die frau MEIer betracht do iwwe.=ne, des_s fer mich die frau MEIer; (2.8) [do kenn ich kää HINergrund.] HÖm62: [ja warum] HÖw55: [hm_hm. ] HÖm51: [genau. ]
174
09 10 11 12 13
7 Grammatik von Familienname+Rufname
HÖm57: HÖw55: HÖm57: EXw90: HÖw55:
[ja do kenn ich kää HINergrund vun de familie.] [do hot mer kää beZUG dezu. ] des is die frau MEIer. [beschreib mo genauer was] [do kennsch_e kää noome vun VORher;]
Analoge Angaben zur Pragmatik von d- und s-Artikel liegen für den mittelalemannischen Ort Diersburg (Ortsteil der Gemeinde Hohberg, Ortenaukreis) vor. Dort fand keine Datenerhebung statt, es gab jedoch eine E-Mail-Korrespondenz mit einer Informantin.90 Darin beschreibt sie den Unterschied zwischen d- und s-Artikel wie folgt: „s'Müllers Frida und s'Meiers Rosie – das s' weist darauf hin, dass die Frauen Töchter aus den Familien Müller und Meier sind. d'Müller Frida und d'Meier Rosie – das d' bedeutet, dass diese Frauen einen Mann geheiratet haben, der Müller bzw. Meier heißt.“ Die Information „Abstammung“ ist insbesondere bei der Referenz auf diejenigen (verheirateten) Frauen relevant, die den FamN ihres Ehepartners angenommen haben. Dies gilt in heterosexuellen Ehen synchron noch immer für das Gros der Frauen und wird auf dem Land konsequenter praktiziert als in Städten (vgl. Rosar 2021: 164–166). Der folgende Kommentar einer Informantin aus Höringen, die zuvor bereits am Onlinefragebogen teilnahm, macht dies deutlich: es Müllers Peter verwende ich, wenn ich auch die Familie, d. h. auch Peters Eltern noch kenne. es Müllers Anna stammt für mich aus einer Familie namens Müller oder auch aus einer Familie, die eine Mühle betrieben hat, die Müller Anna hingegen heißt unbedingt mit Nachnamen Müller und kann den Namen auch durch Heirat erworben haben.
Zur Referenz auf weibliche Personen verwenden demnach Sprecher:innen in Höringen den s-Artikel-Typ besonders frequent. Dies hat dazu geführt, dass heute beim s-Artikel hauptsächlich Frauen konzeptualisiert werden. Zudem ist der Artikel homophon zum neutralen Rufnamenartikel und v. a. zum neutralen Personalpronomen im Nominativ und Akkusativ. Pronomen (und seltener auch Artikel) werden in Höringen zur Referenz auf vertraute Frauen genutzt (vgl. Fritzinger 2020: 77). Mit ihnen gehen ähnliche Konzeptualisierungen der Referenzpersonen einher wie beim Genitivartikel: „Neutral klassifiziert werden primär junge, vertraute, verwandte Frauen und Mädchen“ (Busley/Fritzinger 2018: 200). Auch die regionale Nähe und die Kommunikation im Ortsdialekt spielen eine Rolle bei der
90 Ich danke der engagierten Gewährsperson aus Diersburg, der das Thema ebenso viel Spaß bereitet hat wie mir selbst. Der Corona-Pandemie war es geschuldet, dass dort keine Erhebung vor Ort stattfinden konnte.
7.3 Familienname+Rufname zwischen Grammatik und Pragmatik
175
Wahl von neutralem vs. femininem Artikel/Pronomen: „Kommt R[eferentin] aus der gleichen Region oder gar dem gleichen Ort und spricht den gleichen Dialekt wie S[precher:in], ist das Neutrum wahrscheinlicher als wenn R von weiter weg stammt und keinen Dialekt spricht“ (Busley/Fritzinger 2018: 196). Diese überlappenden Referentinnenkonzepte fördern die Geschlechterasymmetrie zusätzlich (vgl. dazu auch Kapitel 6.2.3.1; Schweden 2020, 2021a). (b)
(a)
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Genitiv
kein
Nicht-Genitiv
11 80 1 6 weiblich
8 männlich
(ehemalige) Phrase
Kompositum
Genitiv kein 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
Genitiv oder Artikel im Neutrum Nicht-Genitiv 8 11
22
11 7 weiblich
8 3 männlich
(c) 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%
12 35
39 32 weiblich
männlich
Abb. 29: Artikeltyp nach Geschlecht der Referenzpersonen in Höringen (rheinfränkisch): a) Fotogespräche und Fokusgruppen, n = 106 Realnamen (Tokens, referenzieller Gebrauch); b) schriftliche Daten, n = 70 (Tokens, Referenzen auf fingierte Personen); c) Grammtische Typen, n = 118 (Types, Fotogespräche und Fokusgruppen, referenzieller und metasprachlicher Gebrauch).
Abb. 29 a) zeigt alle referenziell gebrauchten GesamtN aus Höringen (Tokens). Die Annotation folgte einem weiten Referenzbegriff, „nach dem jede Nominalgruppe in einer Argumentposition, d. h. einer Subjekt- oder Objektposition, einen Referenten
176
7 Grammatik von Familienname+Rufname
einführt“ (Geist 2006: 17).91 Die Grafik zeigt, dass auf Frauen zu 33,33 % (6 Tokens) mit Genitivartikel referiert wurde, auf Männer nie. Auch in den elizitierten schriftlichen Daten (b) zeigt sich in Höringen eine deutliche Präferenz des s-Artikels für weibliche Personen (70 % weibliche Referentinnen, 30 % männliche). Da für die schriftlichen GesamtN keine Akzentpositionen bekannt sind, kann es sich bei FamN mit e-Modifikation auch um einen Artikel im Nominativ/Akkusativ Neutrum handeln (z. B. (e)s 'Fuchs-e Lena; diese Fälle sind in den orangenen Balken aufgeführt). Da das Neutrum in Höringen allerdings vielmehr im Pronominalsystem als beim Artikel eine Rolle spielt (vgl. Fritzinger 2020: 112), ist ein Genitivartikel auch in diesen Fällen wahrscheinlicher.92 Geht man vom Artikel im Genitiv und damit von Typ 3 aus, wird auf Frauen zu 48,65 % mit Genitivartikel referiert, auf Männer lediglich zu 9,09 %. Bei 17 von 19 artikellosen GesamtN-Tokens wird s- oder e-Modifikation verwendet. Da es sich in den meisten Fällen um Übersetzungen ohne syntaktischen Kontext handelt (13 Tokens) ist es naheliegend, dass der eigentlich obligatorische Genitivartikel in den artikellosen Belegen ausgespart wurde. Man kann demnach bei 10 von 11 weiblichen Namen von einem elidierten Genitivartikel ausgehen, was den Anteil der Phrasen auf 75,68 % erhöhen würde, bei Männern auf 30,30 % (7/8 artikellose GesamtN mit Modifikation). Grafik c) zeigt alle von den Gewährspersonen in den Audioaufnahmen genannten Namen-Types (referenziell und metasprachlich) aufgeschlüsselt nach grammatischem Status: Kam ein Name sowohl als (ehemalige) Phrase als auch als Kompositum vor, wurde er doppelt gezählt. Auch hier wurde Typ 4a mit aufgenommen, Typ 1 wurde ausgeschlossen. Es zeigt sich dieselbe Präferenz für Phrasen bei weib91 Zudem wurden alle metasprachlichen Belege ausgeschlossen, sodass als genuin referenzielle Ausdrucke die folgenden gewertet wurden: – nicht-metasprachliche prädikative Ausdrücke, z. B. Die Müller Frida ist schon gestorben. – nicht-metasprachliche Vergleiche, z. B. Die sieht genau aus wie die Müller Frida. – nicht-metasprachliche Nennungen ohne syntaktischen Kontext, z. B. Ah, der Müller Peter (z. B. geäußert, indem auf ein Foto gedeutet wird) – Appositionen, z. B. Die Müller Frida, wenn ich die manchmal treffe … – Identitätssätze in nicht-metasprachlichem Gebrauch, z. B. Das ist die Müller Frida. (auf einem Foto oder in einem Narrativ über bekannte Personen, vs. metasprachlich: Das ist (für mich) die Müller Frida ˈich nenne diese Person Müller Fridaˈ). Diese Beispiele spiegeln authentische Kommunikationssituationen wider und werden deshalb als Referenzformen gefasst. 92 In der Methode Fotogespräch kamen in Höringen nur 6,1 % neutrale Rufnamenartikel vor, bei den Personalpronomen waren es 89,7 %, bei den Possessivpronomen 70 % (vgl. Fritzinger 2020: 112). Beim schriftlichen Lückentext lagen die Anteile etwas höher, aber noch immer unter den anderen untersuchten rheinfränkischen Orten.
7.3 Familienname+Rufname zwischen Grammatik und Pragmatik
177
lichen bzw. eine Vermeidung bei männlichen Referenzpersonen. In Höringen hat demnach bei Typ 3 eine Reanalyse vom Abstammungsmarker zum Marker für weibliches Geschlecht stattgefunden. Auch für das hochalemannische Feldkirch gaben die Gewährspersonen im Fragebogen von Berchtold/Dammel (2014: 256) an, die beiden Typen (s- und d-Artikel) seien pragmatisch konditioniert: „Die genitivische Abfolge steht für Bekanntheit mit bzw. Nähe zum Benannten; die nominativische hingegen für Nicht-Bekanntheit bzw. Distanz.“ Dieser Befund lässt sich vor dem Hintergrund des Fokus des Genitivartikeltyps auf Abstammung und Ortsgebundenheit erklären. Die Information „Abstammung“ wird beim d-Artikel nicht mitgeliefert; mit dieser Form kann demnach ebenso auf weniger bekannte Mitglieder der Sprechgemeinschaft referiert werden. Während die Informant:innen aus Höringen und Diersburg sehr gut zwischen den beiden morphosyntaktischen Typen zu unterscheiden wissen, können sich die Gewährspersonen aus Worfelden weder für die Zuweisungsregeln der Modifikationen noch für die Pragmatik der beiden Typen eine Systematik erschließen. Dies mag v. a. daran liegen, dass sich diese Typen durch die Übernahme des d-Artikels bei ehemaligen Phrasen formal bereits stark einander angenähert haben. In Beispiel 24 (Waaß de Deifel) kommen die Gewährspersonen zu dem Schluss, es gebe keine Systematik hinter der Zuweisung der Fugen (GesamtN mit oder ohne Fuge). Dass sich im System zwei verschiedene Zuweisungsregeln für zwei verschiedene strukturelle Typen verbergen, können sie nicht abstrahieren. Beispiel 24: Waaß de Deifel Fokusgruppentranskript Worfelden 48:20-52:12 WOm52 (männlich, 52 Jahre), WOm65 (männlich, 65 Jahre), WOm83 (männlich, 83 Jahre, Wom87 (männlich, 87 Jahre) 01 EXw90: jetzt noch ne KNIFflige frage; 02 ich hab jetzt VORhin, 03 als sie über die FOtos gesprochen haben, 04 hab ich geHÖRT05 einer oder EIne von ihnen06 ich weiß nicht mehr genau WER_S war hat gesagt07 LOHmeier franz, 08 de LOHmeier franz, 09 (0.8) und einer hat gesagt de lohmeiERS franz. 10 WOm83: des is de lohmeiers FRANZ. (…) 11 EXw90: was würden sie_n sagen12 also einer von ihnen hat da noch en ES drangehängt,
178
13 14 15 06 (…) 17 18 19 (…) 20 (…) 21 22 (…) 23 24 (…) 25 26 27 (…) 28 (…) 29 30 31 32 33 (…) 34 35
7 Grammatik von Familienname+Rufname
und jemand anders hat des NICH gemacht. WOm52: UNbewusst vielleicht; EXw90: was würden sie_n SAgen was is_n da der Unterschied; (1.1) WOm52: pfde aan hängt vielleicht noch en ES droo, un der anner macht_s NET alsodes spielt vielleicht glaaw ich KAA roll. WOm65: wie der NOOme halt flüssischeinfach so also bei UNS zum beispiel würdst_e nie e ES hinnedroo hänge.
WOm87
wär immer KLEIne. an s KLEine kannst_e kaan es droohänge.
ja aber mer hot bei dem MÜLler kall hot mer jo aa net gsaatmüllers kall do hot mer gsaat MÜLler kall. WOm52: genau SAA ich jo. WOm87: waaß de DEIfel wie do; WOm52: wer die regele do UFgstellt hot, un kontrolliert dass die EIgehalle wer_n((lacht)) WOm31: also is es UNerschiedlich; WOm52: ja offenBAR;
WOm65:
wie sich_s EIgebürsch[ert hot. ] [wie sich_s] flüssisch SPREche losst.
Die höhere Frequenz des s-Artikels bei der Referenz auf Frauen in Höringen kann als synchroner Reflex der historischen Verhältnisse gedeutet werden, in denen Frauen häufiger über andere Personen definiert wurden. Durch das Verhalten von Frauen bei der Ehenamenwahl wird die Geschlechterasymmetrie zusätzlich bestärkt. Betrachtet man kontrastiv die Daten von vier Erhebungsorten, in denen Phrasen und Komposita verwendet werden (Höringen, Worfelden, Idar-Oberstein und Ehringen), spiegeln diese auch insgesamt die historischen Verhältnisse wider. Tab. 30 zeigt die erhobenen GesamtN-Types (referenziell und metasprachlich) aus den vier Ortspunkten. Dabei fallen Typ 2, Typ 3 und Typ 4a und 4b in die Kategorie „(ehemalige) Phrasen“. Typ 1 wird unter „Kompositum“ eingestuft. Für weibliche Personen verwendeten die Sprecher:innen zu 86,79 % Phrasen und ehemalige Phrasen. Für Männer gilt dies nur zu 70,97 %. Wesentlich größere Divergenzen zeigen sich bei den Komposita: Mit 29,03 % wurden für Männer mehr als doppelt
7.3 Familienname+Rufname zwischen Grammatik und Pragmatik
179
so viele Komposita verwendet wie für Frauen (13,21 %). Die Unterschiede sind statistisch signifikant.93 Dem Umstand, dass es bei Frauen wegen des Namenwechsels umso wichtiger ist, sie einer Herkunftsfamilie zuzuordnen, können auch die Befunde von Roolfs (2016) geschuldet sein, die verstärkten Gebrauch der Genitivmarkierung bei RufN+ FamN als Funktionswandel des Flexivs zum Movierungssuffix deutet. Tab. 30: Verwendung verschiedener grammatischer Strukturen nach Geschlecht in Höringen, Ehringen, Idar-Oberstein und Worfelden, n = 469 Realnamen (referenzieller Gebrauch). Geschlecht
(ehemalige) Phrase absolut
weiblich männlich gesamt
138 220 358
relativ 86,79 % 70,97 % 76,33 %
Kompositum absolut 21 90 111
gesamt
relativ 13,21 % 29,03 % 23,67 %
159 310 469
Dass die Wahl zwischen Phrasen und Komposita weiteren komplexen und ineinandergreifenden pragmatischen Steuerungsfaktoren unterliegt, zeigen auch die Daten aus den schriftlichen Übersetzungen. In den Sätzen, die von den Gewährspersonen frei in ihren Dialekt übertragen werden sollten, wurden verschiedene Informationen über die Referenzpersonen mitgeliefert, die die Wahl der Referenzform beeinflussen sollten. Abb. 30 zeigt die Ergebnisse für ausgewählte Namen aus den vier Orten Ehringen, Höringen, Idar-Oberstein und Worfelden. Gezeigt werden GesamtN mit zweioder mehrsilbigen FamN, die nur mit -s modifiziert werden können. In diesen Fällen kann eindeutig unterschieden werden, ob Phrasen oder Komposita verwendet wurden: Sofern Modifikation vorliegt, handelt es sich immer um (ehemalige) Phrasen (Typ 2, 3 und 4b), andernfalls um Komposita (Typ 1). Beim Namen Lisa König wäre wegen des Auslauts, der konsonantisch oder sibilantisch realisiert werden kann, e-Modifikation möglich ([ke:nɪɕə]) diese trat aber nicht auf. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass auf ein 13-jähriges Mädchen (Lisa König), die gerade verheirateten bzw. sesshaft gewordenen jungen Frauen (Britta Meier und Tanja Neumann) und auf die aus Berlin zurückgekehrte Jutta Engel am häufigsten mit Phrasen und selten mit Komposita referiert wurde. Am häufigsten wurden letztere für die drei männlichen Referenten (Gerhardt Schneider, Georg Fischer
93 χ2(1, n = 469) = 14,57, p ((d)s) Müllers (Pl.) sind (dialektal, z. B. alemannisch) > (die) Müllers (Pl.) sind Im ersten Schritt von Pfad a) wird das pluralische Kopfnomen noch konzeptualisiert, jedoch auf das Genitivattribut übertragen, das zum Plural reanalysiert wird. Dennoch handelt es sich bei s Müllers grammatisch bereits nicht mehr um ein Genitivattribut, sondern um das neue Kopfnomen. Im letzten Schritt, dessen Resultat im Standarddeutschen und in einigen Dialekten (im Niederdeutschen, Ripuarischen und Moselfränkischen) ohne Artikel auftritt ((die) Müllers), kann der Genitivartikel durch einen Artikel im Plural ersetzt worden sein, der im Nominativ, Dativ und Akkusativ auftreten kann. Das Verb bleibt pluralisch und das ehemalige Genitivflexiv ist zum Pluralmarker reanalysiert worden.
110 Bei Weise (1900: 32–33) wird jedoch auch Haus genannt.
9.1 Forschungsstand
219
b) (des) Müllers (Sg.) Haus/Familie/Sippe ist > ((d)s) Müllers (Pl.) sind (dialektal, z. B. alemannisch) > (die) Müllers (Pl.) sind In Szenario b) existiert zu Beginn ein singularisches Kopfnomen, das aber pluralisch konzipiert wird. Demnach ändert sich das Kongruenzverhalten des Verbs je nach Kopfnomen. Wenn das neue, elliptische Kopfnomen zum Plural reanalysiert wird, kongruiert auch das Verb entsprechend. Rauth (2014: 361) geht für das Südhessische davon aus, dass das Genitivflexiv am FamN zum Pluralmarker reanalysiert wurde, da dort Possessivkonstruktionen mit Familienkollektiva in Possessorposition und einem adnominalen possessiven Dativ auftreten (s Vierhellersch ehrn Saistall).111 Brandstetter (1904: 56–57) betrachtet inoffizielle Referenzformen mit s-Artikel in Luzern als ambig interpretierbar: „ʼs Rämmerte Äänivatter ist also zweideutig, es kann heissen: Renwards Urgrossvater, oder: Der Urgrossvater der Familie, welche den Zunamen R. hat“ (Brandstetter 1904: 56–57). Zudem dokumentiert er (1904: 56) die Luzerner Formen: „ʼs Müllers de jünger Knecht, ʼs Ätis de gross Hängst; ’s Müllers dä gross Hund“, bei denen es sich um Übergangsstadien zwischen Genitivphrasen und Kollektiva handeln kann. Auch Alles (1907: 4) (Oberhessen, rheinfränkisch) und Labouvie (1938: 7) (Dillingen, moselfränkisch) gehen aufgrund pluralisch flektierender Verben oder Possessivpronomen im Plural (Müllers ihr Frida) für die von ihnen untersuchten Dialekte von pluralischer Lesart aus. Der Atlas zur Deutschen Alltagssprache (AdA, Elspaß/Möller 2003ffb) hat Familienkollektiva als Mehrzahl von FamN in verschiedenen syntaktischen Konstruktionen (… sind nicht zuhause/daheim; Wir sind … eingeladen; Heute gehen wir …) erhoben (siehe Abb. 35). Die daraus resultierenden Karten zeigen die Verbreitung der Familienkollektiva für einen zweisilbigen FamN mit Reduktionssilbe -er in der Alltags- bzw. Regionalsprache. Das Kollektivum wird überall mit -s gebildet, wobei vor allem in der Nominativform in bairischen Dialekten auch nicht-modifizierte Namen auftreten (vgl. Elspaß/Möller 2003ffb). Für das Bairische beschreibt Weiß (2014) als kollektive Familienreferenzformen unflektierte Strukturen mit der Präposition von oder bei: Do draußd gengan von Amann; Beim Semmelmeier, des san komische Leit, wobei von Amann und beim Semmelmeier mehrere oder alle Mitglieder der entsprechenden Familie meinen. In Kapitel 9.2 werden Daten aus Dialektgrammatiken und historische Daten vorgestellt, bevor Kapitel 9.3 zu Befunden aus den Projekterhebungen überleitet. 111 Im Südhessischen führen Familienkollektiva einen reduzierten Genitivartikel. FamN können mit -s bzw. -sch und -e modifiziert werden (vgl. Rauth 2014: 358). Sie können laut Rauth (2014: 359) auch aus Übernamen gebildet werden, die sich aus Berufsbezeichnungen, Namen der Hausbesitzer oder Ortsbezeichnungen speisen. Gemeint sind mit diesen Übernamen Hausnamen.
Abb. 35: Plural von Familiennamen im Nominativ (links) und mit Präposition+Dativ (rechts) im Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA) (Elspaß/Möller 2003ffb); https://www.atlas-alltagssprache.de/runde-7/f07a-c (03.10.2022).
220 9 Familienkollektiva
9.2 Daten aus historischen Quellen und Dialektgrammatiken
221
9.2 Daten aus historischen Quellen und Dialektgrammatiken Eine Beschreibung der Kollektiva durch Jutz (1925: 232) für Südvorarlberg und Liechtenstein deutet auf einen Ursprung des Typs FamN+RufN sowie der Familienkollektiva in der Sozialform (Ganzes) Haus hin: Desgleichen wird die Art der Genitivbildung bei einigen mask. appellativen Personenbezeichnungen durch den Wortauslaut bestimmt, so daß auch hier starke und schwache Formen erscheinen, z. B. smų̈lrs – des Müllers; spekχə – des Bäckers usw. In allen diesen Fällen handelt es sich um ein Besitz- oder Zugehörigkeitsverhältnis und wenn diese Gen. der letzterwähnten Art auch nur im S[in]g[ular]. des Subst[antivs] gebildet werden, so gilt doch auch hier [...], daß sie als eine Art Plur[al] gefühlt werden; denn es wird dabei in der Regel alles, was zur Familie bzw. zum Besitz des Müllers, Bäckers usw. gehört, in die Vorstellung miteinbezogen.
Auch Henzen (1927: 179) bemerkt für Freiburg (Schweiz), ein possessiver Genitiv werde noch verwendet bei Eigennamen und Appellativen, die dann jedoch die ganze Familie bezeichnen, ts wirts buəbe die Söhne in der Familie des Wirtes, tɔkxtərš wœ̄gəli der Wagen der Doktorsfamilie, usw.; elliptisch: tsɔssus, pürus, jœkkus xlïnas die Familie Zosso, Pürro, des Jakob, des „Kleinen“ (Zuname);
In seiner Analyse wird nicht nur der FamN im Kollektivum, sondern auch im GesamtN pluralisch konzipiert. Steht jedoch eine einzelne Person in Attribut-Position, wird eine Kontamination aus Genitiv und (adnominalem) possessivem Dativ verwendet: „dum tɔkxtərš wœ̄gəli der Wagen des Doktors“ (Henzen 1927: 179). Befunde aus den historischen Hexenverhörprotokoll-Daten tragen zur Beantwortung der Frage bei, welcher der beiden Pfade a) oder b) als wahrscheinlicher für die Genese der Kollektiva angenommen werden kann: Zum einen kommen in den Protokollen Kollektiva nicht vor, woraus man vorsichtig schließen kann, dass eine Reanalyse zum Kollektivum erst dann möglich war, als die Genitivphrasen nicht mehr als solche begriffen wurden, sondern sich bereits auf Namen spezialisiert hatten und dadurch zu festen Strukturen avanciert waren. Zum anderen gibt es in den Texten lediglich ein kollektives Kopfnomen, das mit pränominalem Genitivattribut verwendet wird und wegen seines mehrfachen Vorkommens als Basis für ihre Genese in Frage kommt: Dabei handelt es sich um das Substantiv Haus (27 Belege): z. B. sey der Boese Gaist in des Lenzins Hauß Iro widerumben erschienen (Rottweil 1615, Topalovic/Hille/Macha 2007), Wahr das die Zeit einer so bei Pawell Hoykendorf in der Erndte gedienet, in des Burgkmans haus kommen (Güstrow 1615, Macha et al. 2005: 160), Sie ein trog in beekh Jackhen haus gehohlet (Hechingen, 1648, Topalovic/ Hille/Macha 2007). Kollektivierende Lexeme wie Familie/Sippe oder Leute/Angehörige treten nicht auf.
222
9 Familienkollektiva
Da das Haus als Sozialform den Vorgänger der Familie darstellte, der erst später vom heutigen Konzept der Kernfamilie abgelöst wurde (vgl. Schweden 2021b und Kapitel 8.2.2), erscheint der zweite Pfad mit dem Kollektivum Haus als Kopfnomen am plausibelsten. Dazu passt die ambige Lesart der Kollektiva als Referenzform für Wohnsitz und darin lebende Personen, die z. B. im Deutschen Wörterbuch betont wird: „er wohnt bei Müllers, ich gehe heute zu Lehmanns, er ist zu Meyers eingeladen (verstanden zu dem hause, der familie Lehmanns oder Meyers)“ (DWB: Band VIII, 1577). Holzträger (1912: 83–84) liefert für das Siebenbürgisch-Sächsische (moselfränkisch) in Bistritz zusätzliche Evidenz: Er dokumentiert die gebräuchliche Äußerung „ich-gôn a Webəš etc. ich gehe in Webers, im Gegensatz zu anderen md. Maa., wo es ‚zu‘ heisst. Dieses a = in beweist die Ellipse Haus, damit auch, dass Webəš etc. Genitiv sein muss“ (Holzträger 1912: 84). Die Form a Frengse tritt auch in den Referenzformen im ripuarischen Erhebungsort Rheinbach auf und wird dort als Richtungs- oder Ortsangabe verwendet. In Pernegg (Kärnten, bairisch) stellt Lessiak (1963: 162) einen ungewöhnlichen Sprachwandelprozess fest: Bei Erhalt des Genitivartikels kann das starke Flexiv am FamN wegfallen: s nīsl, s drakslr. Als mögliche Ursache dieses Schwundes vermutet er verschiedene Gründe: Für den schwund des -s werden wol mehrere factoren massgebend gewesen sein, die sich gegenseitig förderten. […] der gen[itiv] des artikels bringt ja die abhängigkeit des substantivs vom beziehungswort ohnehin deutlich genug zum ausdruck und macht eine weitere endung entbehrlich. In einzelnen fällen, wenn der stamm auf einen zischlaut endigte, musste nach synkope des vocals der schwund lautgesetzlich eintreten; dies konnte zu einer verallgemeinerung führen (Lessiak 1963: 162).
Verzeichnet sind Kollektiva vom Typ s Müllers auch in der westmitteldeutschen Sprachinselmundart im rumänischen Banat (vgl. Barba 1982: 113). Abb. 36 stellt die formalen Typen aus Dialektgrammatiken und Dialektwörterbüchern kartographisch dar. Der Entstehungszeitraum der Quellen zwischen 1894 bis 2013 ist sehr groß, somit zeigt die Karte keine Diachronie. In den Dialektgrammatiken treten Typen mit genitivischem Artikel (s Müllers), ohne Artikel (Müllers) und mit Artikel im Nominativ/Dativ/Akkusativ (die Müllers) auf. Da die Familienkollektiva auf possessiven Genitivphrasen basieren, gelten für die Modifikationen am FamN, sofern vorhanden, analoge Zuweisungsregeln zu den GesamtN-Strukturen von Typ 2 und Typ 3. Weder in den Dialektgrammatiken noch in den direkten Erhebungsdaten zeigten sich hier Unterschiede. So beschreibt beispielsweise Sütterlin (1894: 47) für Heidelberg: Einsilbige Namen nämlich wenden in unserem Falle zwar nur die schwache Form an, so daß man sagt: s Rothe, s Weisse, s Mocke, s Bäte, s Hohle, s Kamme, s Biene, s Pfaue, s Mäie, s Frie
9.2 Daten aus historischen Quellen und Dialektgrammatiken
223
Abb. 36: Gebrauch verschiedener Kollektiva in Dialektgrammatiken, n = 31, Kartenerstellung mit QGIS und Natural Earth. ("bei Früh‘s). Bei zwei- und mehrsilbigen ist dagegen die schwache Form in zwei Fällen ausgeschlossen, einmal wenn das Wort auf einen e-Laut ausgeht, das anderemal, wenn es auf r, l und n ausgeht und die Schlußsilbe nicht nebentonig, sondern tonlos ist. Man sagt also: s Bongēs, s Langēs, s Braunēs, s Überles, ferner s Maiers, s Kellers, s Kolilhammers, s Hambergers, s Frommeis, s Stachels, s Rothermeis, s Herrigels, s Kohlhagens, s Witsenhausens, ins Gulden's. Die starke Form dagegen ist ausgeschlossen aus Gründen der Lautbarkeit nach auslautendem s oder z. Man sagt demnach nur: s Straithause, s Wilckense, s Junghannse, s Trasschitze (s Traschütze), s Ehlgetze (s Ehlgötze). Sonst sind an sich immer beide Formen erlaubt, auch bei den Wörtern, die auf r, l, m, n ausgehen, wenn die letzte Silbe den Nebenton hat. So kann man nebeneinander hören nicht nur s Goldschmitte, s Sigmunde, s Uhlige, s Heilige, s Helwerte, s Schweikarte und s Goldschmitts, s Schweikarts, sondern auch s Lóewenthäle, s Mólitōre, s Cohnheime, s Kirchheime, s Zimmermanne, s Wallmanne, s Adlone, s Sitterline neben s Loewenthals, s
224
9 Familienkollektiva
Molitors, s Sitterlins. Auch wenn ein anderer Vokal als e in einem solchen Falle im Auslaut steht, sind diese Doppelformen möglich, also s Intraue, s Lipowskye nebens Intraus, s Lipowskys. Im einzelnen wird zwar eine Form üblicher sein als die andere; aber eine alle Fälle erschöpfende Regel darüber läßt sich nicht geben.
Analog zu den GesamtN-Systemen können auch für die Kollektiva Prozesse des Komplexitätsabbaus beobachtet werden: So beschreibt Mottausch (2004: 309–315) in Südhessen einen rheinhessischen Typ, der eine weniger komplexe Version des von ihm ebenfalls dokumentierten Lorscher Typs darstellt. Während im System des südhessischen Lorsch Flexive auch phonologisch nach Auslaut gesteuert sind, sind sie im rheinhessischen Typ durch die Silbenzahl des FamNs konditioniert: -e bei einsilbigen Namen, -s bei mehrsilbigen. Alles (1907: 4–5) beschreibt für oberhessische Dialekte eine kombinierte Steuerung aus Auslaut und Silbenzahl: Auslaut auf -er, -el, Vokal und Diminutiva auf -i und -che werden durch -s modifiziert, einsilbige mit Auslaut -st und einige weitere einsilbige durch -e. Auch hier scheint die Auslautsteuerung bereits einer prosodischen Steuerung nach Silbenzahl zu weichen. Eine Kombination aus Auslaut und Silbenzahl bei der Steuerung existierte zudem vor rund 90 Jahren in Pfungstadt (rheinfränkisch: einsilbige FamN und solche auf Sibilant werden mit -e modifiziert, alle anderen mit -s) (vgl. Grund 1935: 55).
9.3 Daten aus eigenen Erhebungen Im Folgenden werden aktuelle Daten zu Form und Gebrauch von Kollektiva in den deutschen Dialekten vorgestellt. Datenbasis stellt zum einen der Onlinefragebogen dar, der einen allgemeinen Überblick über den Gebrauch der Kollektiva auf bundesdeutschem Gebiet gibt. Weitere Befunde stammen aus den direkten Erhebungen. Im Onlinefragebogen (Karte in Abb. 37) wurde die Verbreitung der Kollektiva auf der Basis von drei Discourse Completion Tasks mit vorgegebenen Situationen ermittelt, die in den eigenen Dialekt zu übertragen waren. Sie enthielten drei fingierte Familien mit den Namen Müller, Schmidt und Lorenz. Um im vorgegebenen standarddeutschen Satz auf die Familie zu referieren, wurde in der Aufgabenstellung standarddeutsches Familie Müller verwendet, z. B. Gestern haben Sie Familie Müller beim Einkaufen getroffen. Heute erzählen Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin davon. Was sagen Sie? Der Aufgabentyp evozierte problemlos dialektale Bezeichnungen für Familien, wobei die Referenzform (die) Familie Müller in manchen Antwortsätzen auch gespiegelt wurde. Diese Fälle betrafen hauptsächlich Teilnehmende, die insgesamt kaum Dialekt nutzten und wurden für die kartographische
9.3 Daten aus eigenen Erhebungen
225
Abb. 37: Diatopische Variation der Referenz auf Familien, Kartenerstellung mit QGIS und Natural Earth.
Darstellung ausgeschlossen. Analog zu Abb. 20 fasst die Karte in Abb. 37 die Ergebnisse aller drei Aufgaben zusammen. Der FamN Müller wird hier exemplarisch verwendet. -s steht dabei für eine verwendete Modifikation.112 Analog zu den GesamtN-Typen in der Abfolge FamN+RufN zeichnen sich auch für die Kollektiva klare Areale ab, die frappierende Gemeinsamkeiten mit ersteren aufweisen (vgl. zum direkten Vergleich Abb. 38). Die Verbreitung deckt sich außerdem mit den Daten aus den Dialektgrammatiken und aus dem AdA (siehe
112 Weitere Modifikationen konnten z. B. -en (Schmidten, Lorenzen) oder seltener -ens (Schmidtens, Lorenzens) sein. Auch wurde -s in entsprechenden Gebieten zu -sch assimiliert (Müllersch; vgl. für dezidiertere Karten Schweden 2022).
226
9 Familienkollektiva
Abb. 38: Diatopische Variation von Familienkollektiva (links) und Gesamtnamen (rechts) im direkten Vergleich, Kartenerstellung mit QGIS und NaturalEarth.
Abb. 35). Am weitesten verbreitet sind die Typen die Müllers (blaue Kreise) und Müllers (grüne Kreise). Bei diesen Varianten scheint es sich um regionalsprachliche oder sogar standardsprachliche Formen zu handeln. Dafür spricht, dass sie auch in den AdA-Karten auftreten. Es ist anzunehmen, dass sie sich entweder expansiv verhalten, da sie als am wenigsten dialektal empfunden werden, oder unabhängig von den Dialekten als standardnähere Varianten entstanden sind. Bei Müllers könnte das großflächige Verbreitungsgebiet auf den ähnlich distribuierten formähnlichen Typ 2 (Müller-s 'Peter) zurückzuführen sein, der von allen Typen in Deutschland am weitesten streut. In Bayern ist zudem der Typ die Müller (gelbe Kreise) belegt – analog zu den Formen mit vorangestelltem FamN ohne Modifikation. Vereinzelt tritt im Ripuarischen und Westfälischen der Typ Müller (rosa Punkte) auf, der in den AdA-Daten gänzlich fehlt. Auffallend ist v. a. das rote Areal im südlichen und mittleren Westen. Hier ist der Typ s Müllers verbreitet, der deckungsgleich ist mit dem Areal für den GesamtN-Typ 3 (s Müller-s 'Peter): Dass die Daten in der Karte mehr basisdialektale Belege fassen als die AdA-Karten zeigt sich auch hier im größeren Verbreitungsbild des Typs nach Norden und nach Osten hin. Die beiden Verbreitungsgebiete sind die vielleicht wichtigste Evidenz für die Genese der Kollektiva aus der Genitivphrase. Erwähnenswert ist außerdem, dass die Kollektiva mit s-Artikel in der indirekten Erhebung engmaschiger auftreten als bei den GesamtN. Auch in Ortspunkten, in denen dieser Artikeltyp bei GesamtN nicht verwendet wird, erscheint er noch erstarrt
9.3 Daten aus eigenen Erhebungen
227
in Kollektiva. In zwei Orten der direkten Erhebung, in Worfelden (rheinfränkisch) und Unadingen (mittelalemannisch), werden Kollektiva ebenfalls mit s-Artikel gebildet, obwohl GesamtN nur mit d-Artikel auftreten. Daraus lassen sich verschiedene Hypothesen ableiten: Zum einen kann es Typ 3 dort diachron gegeben haben. Für Unadingen ist dies aufgrund seiner Lage im Typ 3-Areal wahrscheinlich. Aufgrund der Konkurrenz durch den zweiten vorhandenen Typ 1 (der 'Müller Peter) kann der Genitivartikel-Typ progressiver abgebaut worden sein als das Kollektivum. Wahrscheinlich ist, dass Referenzformen für Individuen eher dem Einfluss des Standards ausgesetzt sind als Bezeichnungen für Kollektive. Zusätzlich kann ein Abbau des Typs durch Unsicherheiten der Sprechenden bedingt sein, da die Anzahl möglicher ortsgebundener Referent:innen heute stark beschränkt ist. In Worfelden ist die historische Existenz von Typ 3 nicht gesichert. Für GroßGerau belegt Bach (1952) um 1860 Strukturen vom Typ 2 (Müller-s 'Peter). Berchtold/ Dammel (2014) gehen von einem noch früheren Stadium mit Genitivartikel aus, dessen Existenz nicht gesichert ist. Für diese Annahme spricht, dass die Informant:innen in Höringen (rheinfränkisch) GesamtN und Kollektiva in Einzelfällen auch ohne Artikel äußern (Müllers (Peter) statt s Müllers (Peter)). Da durch die FamN-Modifikation die possessive Lesart noch eindeutig markiert ist, liegt es nahe, dass der Artikel aus sprachökonomischen Gründen oder durch lautliche Reduktion ausgespart und irgendwann ganz abgebaut werden kann. Ebenso wäre es denkbar, dass nicht Typ 3 sich zurückgezogen, sondern das Kollektivum-Areal mit s-Artikel sich von seinem alemannischen Schwerpunkt aus nach Norden hin ausgebreitet hat. Ähnliches ließ sich vom 16./17. Jahrhundert bis heute für Typ 3 (s Müller-s Peter) beobachten. Bei einer Kartierung der – leider spärlichen – Belege in vor 1950 verfassten Dialektgrammatiken (siehe Abb. 39) kann eine solche Entwicklung jedoch zumindest für die letzten 70 Jahre ausgeschlossen werden. Da Worfelden sich in einem stark von Überschneidungen gezeichneten Areal befindet, ist deshalb anzunehmen, dass die Systeme für Kollektiva und GesamtN unabhängig voneinander umgebaut wurden: Während sich bei den GesamtN ein hybrider Typ mit d-Artikel herausgebildet hat (siehe Kapitel 7.2.1), wurde bei den Kollektiva der s-Artikel aus südlicheren Varietäten übernommen. Dass das Genitivattribut bei den GesamtN durch den sekundären d-Artikel nicht mehr als Vorbild dienen konnte, kann zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Aus einer weiteren Frage des Onlinefragebogens, in der die Teilnehmenden eine Besitzrelation zwischen den beiden Nominalphrasen Familie Becker und Hund herstellen sollten, ergab sich eine weitere interessante Variation: In vielen mitteldeutschen Dialekten ist für Possessivkonstruktionen mit kollektiven Attributen neben Typ 2 und Typ 3 (s Beckers Hund bzw. Beckers(ch) Hund, rote und türkise Punkte auf der Karte in Abb. 40 die Form (s) Becker-s(ch) bzw. de(n) Becker-s(ch) ihr(n)(e) Hund (grüne und blaue Punkte) verbreitet. Es ist anzunehmen, dass diese
228
9 Familienkollektiva
Abb. 39: Diatopische Variation der Referenz auf Familien vor 1950, n = 15 Ortspunkte (Datenbasis: Dialektgrammatiken), Kartenerstellung mit QGIS und NaturalEarth.
Formen nicht, wie noch von Bach (1952) angenommen, zu den GesamtN-Typen zählen, sondern erst in Gebrauch kamen, als das Kollektivum bereits pluralische Lesart hatte. Außerdem wurden hauptsächlich im Bairischen adnominale possessive Dative mit dem Kollektivum als Attribut verwendet, bei denen die Kollektiva nicht flektieren: de(n) Becker ihr(n)(e) Hund (gelbe Punkte). Tab. 32 zeigt die Kollektivformen, die sich in den einzelnen direkten Erhebungsorten finden (siehe für Ergebnisse aus den schriftlichen Übersetzungsdaten ergänzend Tab. 36 und 37 im Anhang).
9.3 Daten aus eigenen Erhebungen
229
Abb. 40: Possessivkonstruktionen aus den Substantiven Familie Becker/Hund. Tab. 32: Typen von Familienkollektiva in 12 Erhebungsorten. Erhebungsort
Dialekteinteilung (Wiesinger 1981)
Beispiel
Artikeltyp
Modifikation
Hollenstedt
nordniedersächsisch
Möller-s, Frenk-?e-?n-?s
kein
-s, -(e)(n)-s
de Henz-?e-?n
Nicht-Genitiv
-(e)n
Becker-sch, Klein-s, Behrens-es, Fritz-?e-?n
kein
-s (zum Teil realisiert als -sch bei FamN auf -er), -es (nach Auslaut -s), -(e)n
Wartenburg
nordobersächsisch
230
9 Familienkollektiva
Tab. 32 (fortgesetzt) Erhebungsort
Dialekteinteilung (Wiesinger 1981)
Beispiel
Artikeltyp
Modifikation
Wendeburg
ostfälisch
Klein-s, Henz-e-n, Möller,
kein
-s, -(e)n, keine
die Fring-s
Nicht-Genitiv
-s
die Becker, die Müller-s,
Nicht-Genitiv
keine -s
die von Müllers,
NichtGenitiv+Präposition
-s
(der Sepp) von Kleinacker, (d Regina) vo de Bickel
Präposition/ Präposition+NichtGenitiv
keine
Fürstenzell
bairisch
Höringen
rheinfränkisch
s Müller-s, s Schmidt-e
Genitiv
-s, -e
Worfelden
rheinfränkisch
s Müller-s, s Schmidt-e
Genitiv
-s, -e
Idar-Oberstein
moselfränkisch
Müller-sch, Diel-s, Lenz-e
kein
-s (realisiert als -sch nach -er), -e
die Lenz-e (Einzelbeleg und wahrscheinlich pragmatisch)
Nicht-Genitiv (Einzelbeleg und wahrscheinlich pragmatisch)
-e
Müller-s, Behrens-en, Schmidt
kein
-s, -en, keine
bei Langenfeld
Präposition
keine
die Stein die Möllisch
Nicht-Genitiv
keine (Assimilation bei FamN auf -ers zu -isch)
Müller-s Frengs-e
kein
-s, -e
die Müller-s, die Hermännchens
Nicht-Genitiv (auch mit Diminution inklusive Umlaut)
-s, -chens
Osterath
Rheinbach
ripuarisch
ripuarisch
9.3 Daten aus eigenen Erhebungen
231
Tab. 32 (fortgesetzt) Erhebungsort
Dialekteinteilung (Wiesinger 1981)
Beispiel
Artikeltyp
Modifikation
Alstätte
westfälisch
Möller-s, Möller
kein
-s, keine
de von Möller
NichtGenitiv+Präposition
keine
Ehringen
westfälisch
Müller-s, Schmidt
kein
-s, keine
Unadingen
mittelalemannisch
s Müller-s, s Schmidt-e,
Genitiv
-s, -e
Schmidt-s
kein
-s
Während der s-Plural im Standard auch für nicht-verwandte Träger:innen desselben Namens verwendet werden kann (In meiner Klasse sind drei Müllers) (vgl. Nübling/Schmuck 2010: 159), ist die sprachliche Realisierung der Konzepte Plural und Kollektiv nicht in allen Dialekten deckungsgleich. So werden im rheinfränkischen Höringen z. B. für das Kollektivum das starke Genitivflexiv-s (s Ehrhard-s), für den Plural hingegen -en (apokopiert zu -e) verwendet: In Heringe hot’s viel Ehrhardt-e gebb. In einigen Dialekten findet sich zum Ausdruck des Plurals sogar Wurzelflexion (viel Neumänner vs. s/die Neumann-s) (vgl. dazu auch Curme 1922: 106). Tab. 33 zeigt zusätzlich die verschiedenen Pluralbildungsverfahren von FamN, die in den Daten aus den direkten Erhebungen vorkommen. Tab. 33: Pluralisierungen von Familiennamen in den direkten Erhebungen. Erhebungsort
Dialekteinteilung (Wiesinger 1981)
Beispiel
Pluralallomorph
Hollenstedt
nordniedersächsisch
die Meyer-s, Frenk-?e-?n-?s
-s, -(e)(n)s
Wartenburg
nordobersächsisch
/
/
Wendeburg
ostfälisch
die Meier-s, Neumänn-er
-s, UL+-er
Fürstenzell
bairisch
so viel Ölmüller-Ø
-Ø
Höringen
rheinfränkisch
die Ehrhardt-e
-e
113 Für den Erhebungsort sind keine Daten vorhanden.
232
9 Familienkollektiva
Tab. 33 (fortgesetzt) Erhebungsort
Dialekteinteilung (Wiesinger 1981)
Beispiel
Pluralallomorph
Worfelden
rheinfränkisch
bei de Rosch-e, mit denne Müller-Ø, Neumänn-er
-s, -e, -Ø, Umlaut+-er
Oberstein
moselfränkisch
die Müller-Ø
-Ø
Meerbusch-Osterath
ripuarisch
Rosch
-Ø
Rheinbach113
ripuarisch
/
/
Alstätte
westfälisch
achtzehn Döhring-s
-s
Volksmarsen-Ehringen
westfälisch
Weber-Ø, Neumänn-er
-Ø, Umlaut+-er
Unadingen
mittelalemannisch
die Füchs-Ø, alle Müller-Ø
Umlaut+-Ø, -Ø
Den Richtungs- oder Ortsangaben a Schmidts, die in Kapitel 9.2 bereits für Rheinbach beschrieben wurden, entspricht in den rheinfränkischen Orten Höringen und Worfelden die Wendung in s Schmidte und in Alstätte bi Schmidts, z. B. in/a/bi (s) Schmidts wird heute gefeiert. Im bairischen Fürstenzell ist die Präposition von als Teil des Kollektivums reanalysiert worden: die von Müllers, der Wast von Kleinauer, d Regina vo de Bickel. Diese Formen ähneln den von Weiß (2014: 204) beschriebenen Typen von Müller/bei Müller (do draußd gengan von Amann; beim Semmelmeier, des san komische Leit), weisen jedoch eine höhere formale Variation auf, da sie einen zusätzlichen Definitartikel und eine Modifikation am FamN (die von Müller-s) führen können. In Unadingen (mittelalemannisch) zeigen sich bei den Kollektiva erste Tendenzen zur Standardannäherung: So bildet der 14-jährige Informant UNm14 das Kollektivum zum HausN Schmidt nicht mit der im Erhebungsort üblichen silbischen e-Modifikation s Schmidt-e, sondern mit dem standardnäheren -s: s Schmidt-s: Hier liegt wohl eine Anpassung an den überregional verbreiteten Typ (die) Müller-s/ Schmidt-s vor.
9.4 Pragmatik der Familienkollektiva Pragmatische Besonderheiten zeigen sich zum einen im Erhebungsort Höringen (rheinfränkisch). Hier wird neben dem genitivischen Artikel lediglich von zwei Gewährspersonen für eine aus Ostdeutschland zugezogene Familie ein standard-
9.4 Pragmatik der Familienkollektiva
233
näheres Kollektivum ohne den genitivischen Artikel gebraucht (Nowaks)114. Erwähnenswert ist hier zudem der ortsuntypische FamN, der diese Form begünstigt haben kann. Bei den direkten Erhebungen war insgesamt festzustellen, dass das Referenzobjekt der Kollektiva meist nicht eindeutig begrenzt werden kann. Ob zum Beispiel der Schwiegersohn oder die verheiratete und weggezogene Enkelin einer Familie noch in der Referenz auf s Müllers inbegriffen ist, ist den Gewährspersonen selbst oft unklar. Dies veranschaulichen Beispiel 31 (Drei Generationen) und Beispiel 32 (Alles was dazugehört) aus Osterath (ripuarisch) und Idar-Oberstein (moselfränkisch). Beispiel 31: Drei Generationen Fokusgruppentranskript Osterath 58:34-59:15 OSw73 (weiblich, 73 Jahre), OSm66 (männlich, 66 Jahre), OSm43 (männlich, 43 Jahre), OSw65 (weiblich, 65 Jahre), OSw71 (weiblich, 71 Jahre) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
EXw90: und wer is da genau also du sagst jetzt ALle wer is da alles mit inbegriffen, OSm66: ja da IS dannOSm43: ( ) OSw71: unter umständen drei generaTIOnen.=ne, OSm43: [ja; ] OSm66: [wenn] hier von von denDIE möllisch im dorf sprechendann is dat WILli dann is dat seine frau( ) OSm43: [äh daniel-] OSm66: [alle die ] wer daZUgehörtOSw73: ALles; OSw65: also es gibt noch ZWEI, brüder die achzisch und ACHTendachzisch sind so ungefähr; (1.1) DAS sind die alten. die ham JEweils, (0.5) zwei oder drei SÖHne. (0.7) und die leben ja AUCH hier. OSm43: hm_hmOSw65: und dat die gehörn AUCH zu derMÖLlisch.
114 Allerdings lebt auch diese Familie bereits seit ca. 70 Jahren im Ort.
234
22 23 24 25 26
9 Familienkollektiva
OSm66: EXw90: OSw71: OSw65:
[MÖLlisch.] [aha. ] [und DIE ham ja wieder-] [truppe und ] die ham ja AUCH schon wiedermehrere kinder.
Beispiel 32: Alles was dazugehört Fokusgruppentranskript Idar-Oberstein 00:58-01:12 IOw67 (weiblich, 67 Jahre), IOm81 (männlich, 81 Jahre), IOm51 (männlich, 51 Jahre) 01 02 03 04 05 06 07 (…) 08 09 10 11
IOm81: so do seet mer jo gar kää vorname do seet mer nur DIELS; do weeß JEderbei DIELS dat is die familie gemeint. also wird gar kää vorname geNANNT, do is mann und FRAU gemeint. also die ganz faMIlie. EXw90: und die kinder NICH,=oderIOm51: IOw67: IOm51: IOm81:
[doch diels is al ALles.] [ALles] alles was daZUgehört. alles was in der familie daZUgeheert.
In beiden Transkripten gehen die Gewährspersonen vom prototypischen Kernkonzept „Ehepaar“ bzw. „zweigenerationale Kernfamilie“ aus, das dann um eine unscharfe Peripherie erweitert wird. Solche Erweiterungen können je nach Ortsansässigkeit und Nähe der Sprechenden zu weiteren verwandten Referenzpersonen stattfinden. Die Informant:innen aus Osterath zählen von diesem Ausgangspunkt zuerst mögliche lineale und kollaterale Verwandtschaftsbeziehungen (Kinder und Geschwister) auf, die das Kollektivum einschließen kann. Ob diese Blutsverwandten tatsächlich bei jeder Referenz konzeptualisiert werden, ist nicht gesichert. Im Transkript aus Idar-Oberstein ergänzen die Informant:innen erst auf Nachfrage der Exploratorin die Dyade um deren Kinder. Ortsansässige Personen sind sich nicht nur über die aktuellen Strukturen des dörflichen Sozialraums bewusst, sondern haben zusätzlich ein Verständnis dafür, wie der Ort historisch (sozial und räumlich) strukturiert war: Dieses zeigt sich in den Fokusgruppen in einer Rückführung der Kollektiva auf historische Sozialformen – auch wenn die Informant:innen dabei teils auf wissenschaftlich nicht fundierte Vorstellungen Bezug nehmen, so z. B. die mehr als zwei Generationen umfas-
9.4 Pragmatik der Familienkollektiva
235
sende Großfamilie als dominante ländliche Sozialform (vgl. Rosenbaum 1982: 59–64).115 Beispiele sind Beispiel 33 (Unner einem Dach) und 34 (Die warn do in Miet) aus den rheinfränkischen Orten Höringen und Worfelden. Beispiel 33: Unner einem Dach Fokusgruppentranskript Höringen: 24:43-25:18 HÖm62 (männlich, 62 Jahre), HÖw55 (weiblich, 55 Jahre) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
EXw90: und wer is do jetzt alles mit INbegriff bei s neumanns,116 HÖm62: die ganz faMIlie.(1.3) HÖw55: also DU aa noch. ((lacht)) EXw90: ICH aa noch; HÖw55: ja. [deed ich jetzt schun so siehe.] HÖm62: [des war die ganz faMIlie mitge]määnt. weilmusch jo aa musch jo aa beDENke, dass zu dem zeitpunkt wo diese name hauptsächlich angewenn un entSTANN sin, die familie all in ääm HAUS gewohnt hot. HÖw55: geNAU; HÖm62: do warn drei generatione unner einem DACH. do HAT net jeder sei eigeni wohnung gehadd. do war die familie hot in dem HAUS gewohnt. des warn s NEImanns. und do war net de sohn woANnerscht, (xxx xxx) des warn s WAR so.
115 Einzelne Haushalte mögen sicher aus mehr als zwei Generationen bestanden haben. Doch scheinen Gewährspersonen hier von ihnen bekannten Fällen auf allgemeine Gegebenheiten zu schließen. 116 In Z. 03–06 wird die Exploratorin, die aus dem Erhebungsort stammt und dort im Vereinsleben noch aktiv mitwirkt, ebenfalls dem diskutierten Kollektiv zugeordnet. Interessant ist dabei, dass sie nie den FamN getragen hat, der für das Kollektivum verwendet wird, sondern ihre Herkunftsfamilie bereits seit einer Generation unter anderem Namen geführt wird. Dies zeigt, wie stark die Gliederung des Sozialraums auf die Wahl der Referenzformen wirkt und wie gering die Rolle ist, die dabei offizielle Namen spielen, vergleiche hierzu auch die Anmerkungen in Kapitel 7.3.1 zur Referenz auf verheiratete Frauen, die einen Namenwechsel hin zum Mannesnamen vollzogen haben. Zum Dialektgebrauch der Exploratorin vgl. Kapitel 4.4.2.
236
9 Familienkollektiva
Beispiel 34: Die warn do in Miet Fokusgruppentranskript Worfelden 30:12-30:46 WOm52 (männlich, 52 Jahre) 01 EXw90: wer zählt da alles dazu, 02 WOm52: ja oma oba deed ich emol SAAche wann se noch läwe, 03 die eldern vadder MODder, 04 un die kinner un die ENkelcher eventuell. 05 EXw90: hm_hm06 WOm52: also des dann awwer alles faMIliebezoe; 07 s gibt jo aach durchaus gro GREEßere08 anwesen, 09 wie s10 ich saa mol s s METZgerjakobs, 11 do hun jo frieher aa schun ANnern leit noch mit dringewohnt; 12 die hawwe jo13 die awwer mit de familie nix zu DU han die warn do in miet, 14 MIEter, 15 EXw90: hm_hm16 WOm52: die ho sin jo net so benannt worn wie d wie der wie des die eigentlich faMIlie.
Bezieht man die sozialgeschichtlichen Erkenntnisse aus Kapitel 8.2.2 mit ein, kann vom Ganzen Haus und damit von der Wohn- und Arbeitsgemeinschaft als Ursprungskonzept für die Kollektiva ausgegangen werden. Diese Annahme macht es naheliegend, dass es sich beim heutigen Kernkonzept um Personen handelt, die im selben Haushalt leben. Je größer die Nähe blutsverwandter Familienmitglieder zu diesem Haushalt, desto wahrscheinlicher werden sie im Kollektivum mit konzeptualisiert. Über die Kernfamilie hinaus variieren die Referenzobjekte je nach Kontext. Aus diesem Grund fällt es den Gewährspersonen schwer, diese klar einzugrenzen. Transkript 26 aus Worfelden macht deutlich, dass ein gemeinsamer Wohnsitz für eine Referenz mit dem Kollektivum nicht hinreichend ist: Der Informant Wom52 spricht Mietern, die im selben Haus oder auf demselben Grundstück wie s Metzgerjakobs lebten, diese Referenzform explizit ab. Dies lässt sich kulturhistorisch dadurch erklären, dass in vorindustrieller Zeit auf das Haus als Wohn- und Produktionsgemeinschaft referiert wurde. Nicht-verwandte Personen, wie Mädge und Knechte, waren demnach inbegriffen, nicht aber Außenstehende, die lediglich dieselbe Wohnfläche teilten, aber nichts zum Haushalt beitrugen. Evidenz dafür, dass Mägde und Knechte diachron dem Ganzen Haus zugerechnet wurden, liefert Stellmacher (1996: 1729):
9.4 Pragmatik der Familienkollektiva
237
Nachhaltiger Zeuge bäuerlicher Namentradition sind die sog. Hofnamen, Bezeichnungen für bäuerliche Anwesen, die vor allem in der dörflichen Kommunikation anstelle der eigentlichen Fa[milien]N[ame] verwendet werden konnten. Damit waren die Bauern Heinrich Landers und Emil Landers im niedersächsischen Brelingen/Landkreis Hannover für den Ortskundigen bequem auseinanderzuhalten, indem jener, der auf dem Kuhls-Hof saß, zu Kuhls Heinrich wurde; Emil Landes bewirtschaftete den Sievers-Hof und wurde Sievers’ Emil genannt. Die Fa[milien]N[ame] der auf diesen Höfen dienenden Knechte und Mägde verblaßten, bis man schließlich nur noch Landers Willi oder Kuhls Berta sagte.
Weitere Hinweise finden sich bei Busley (2021b), die die Frageliste 39 (Anredeformen) der Kommission Alltagsforschung für Westfalen untersucht hat. Dort gibt es Berichte darüber, dass Mägde und Knechte von der Bauernfamilie, in deren Dienst sie standen, mit dem Possessivartikel unser benannt wurden (unser Peter, vgl. dazu auch Werth 2020 für rezente Dialekte). Zu Dienstpersonal geben die Fokusgruppen keine Auskunft. Hier wären tiefergehende Interviews zu historischen Verhältnissen in den jeweiligen Orten nötig, die die synchron ausgerichtete Studie nicht leisten konnte. Beispiel 35: s Müllers kummet hiet nit Fokusgruppentranskript Unadingen 06:10-06:51 UNm66 (männlich, 66 Jahre), UNm57 (männlich, 57 Jahre), UNw35 (weiblich, 35 Jahre) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15
EXw90: und was SIND des denn für personen was würden sie sagen wo si e denHAUSnamen benutzen, oder wo sie den nachnamen zuERST sagen, (1.8) wenn sie über die SPREchen, (3.0) UNm66: hm- (3.7) meischtens wenn mehrere auf EINmal sind; (1.0) s MÜLlers oder so; UNm57: ja. UNw35: dass dann SA ähdaniel und de dieter kummet hiet net und do secht mer bei s MÜLlers kummet hiet nit; EXw90: hm_hm, (1.3) UNw35: des wär jetzt so e typische FALL sodie zwei sind heut nich DA. EXw90: oke wer kann da alles mitEINbegriffen sein dann wenn man sagt s müllers, UNm66: des isch jetzt praktisch vereinsmäßig das sind zwei in de MUsik.
Im in Beispiel 35 (s Müllers kummet hiet nit) beschriebenen Fall aus Unadingen wird mit dem Kollektivum lediglich auf zwei im Musikverein mitwirkende Brüder (Daniel und Dieter) referiert. Sprechende und Hörende greifen in dieser Referenz-
238
9 Familienkollektiva
situation auf ihr Weltwissen zurück, um das Referenzobjekt einzugrenzen: Da nur diese beiden Personen im Verein aktiv sind, kann sich die Referenz nicht auf weitere Mitglieder der Familie beziehen. Die lange Pause in Z. 04 und 05, bevor die Gewährspersonen zu einer Antwort ansetzen, deutet darauf hin, dass ihnen eine eindeutige Eingrenzung der Referenzobjekte schwerfällt: Durch die hochgradig pragmatische Steuerung und Kontextgebundenheit der Kollektiva sind allgemeine Abstraktionen nicht möglich. Obwohl einzelne FamN innerhalb eines Ortes oft hochfrequent sind, wird sehr streng unterschieden zwischen zusammengehörigen Kollektiven einerseits und Träger:innen des gleichen FamNs, die nicht zum selben Kollektiv gehören, andererseits. Das belegt Beispiel 36 (Mehrere Sorten) aus Wartenburg. Beispiel 36: Mehrere Sorten Fokusgruppentranskript Wartenburg 12:55-13:17 WAm64 (männlich, 64 Jahre), WAw81 (weiblich, 81 Jahre), WAw60 (weiblich, 60 Jahre) 01 02 03 04 05 06 07 08 09
EXw90: und wenn man dann sagt äh neumanns oder BEckersch oder sowaswer zählt denn da alles daZU; wer is da geMEINT; (1.4) WAw60: ja die faMIlie die vorher drin geWOHNT hat; WAm64: a die alle so HEISsen mit nachnamen. WAw81: ja. WAm64: und wenn das MEHrere sorten sind dann wird unterschieden wieja wie HÄNdelbecker oderMÜLlerhauser und so-
Durch den Ausdruck MEHrere sorten in Z. 07 wird nicht verwandten Namenträger:innen eine Zusammengehörigkeit abgesprochen; gleichzeitig werden die Grenzen zwischen den verschiedenen Kollektiven klar abgesteckt. Beispiel 37: E gewisser Kreis Fokusgruppentranskript Höringen 35:36-36:44 HÖm57 (männlich, 57 Jahre), HÖm62 (männlich, 62 Jahre), HÖw55 (weiblich, 55 Jahre), HÖw47 (weiblich, 47 Jahre), HÖw90 (weiblich, 90 Jahre), HÖm79 (männlich, 79 Jahre) 01 02 03
HÖw55: awwer des stimmt ich hab wann ich jetzt iwwerlee ich iich hab noch NIE gesaatdie kleine LOTti; ich saa immer die lotti KLEIN.
9.4 Pragmatik der Familienkollektiva
04 05 06 07 08 09 10 (…) 11 12 13 14 15 16 17 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
HOw47: HÖw55: HÖm57: HÖW55: HÖm57:
239
[obwohl ich die jo jetzt aach schun lang genug KENN un un-] [ja. ] [un veTRAUT bin mit ihr] [ja awwer es is kää kleine LOTti.] [s is net s is net s kleine LOTti s is die lotti klein.] [s gebt in heringe s KLEIne. ] [((lacht)) die geheern net deZU.
HÖm57: mit de mit de kleine lotti wie ich ewei grad geSAAT hab heike des is fer mich kää[des geheert bei mir net zu s KLEIne.] HÖw55: [des SAAT mer net. ] hm_hm- ((lacht)) HÖm57: zu s kleine geheert e gewisser kreis ihr wissen all was ich domit MÄÄN. HÖw55: ja. HÖm57: un die lotti klein geheert net zu denne net zu DEM kreis !KLEIN!. des is des is die lotti klein net s kleine LOTti. EXw90: also du määnsch jetzt es anne es ANnere kleine; [also weil_s-] HÖm57: [JA. ] EXw90: weil s kleine quasi oke; HÖm79: [altINgesesse sin.=gell;] HÖW90: [ja ja. ] ich wollt grad SAA. einheimische un die lotti is e ZUgereisti.=net, HÖm57: vielLEICHT. kennt SEI ja.
In Beispiel 37 (E gewisser Kreis) aus Höringen wird durch die deutliche Abgrenzung einer ortsansässigen und einer „zugereisten“ (also nicht „altINgesessenen“, Z. 22) Familie Klein auch zugleich die variierende GesamtN-Serialisierung begründet. Die ortsgebundene Familie wird von Höm57 metaphorisch als Kreis beschrieben, der andere Träger:innen desselben Namens ausschließt. Nur auf Mitglieder der ortsansässigen Familie Klein kann der Informant nach eigener Aussage auch mit vorangestelltem FamN referieren: Konzeptuelle Grenzen werden demnach durch die entsprechende Referenzform kodiert. Die Exploratorin, die ebenfalls aus dem Erhebungsort stammt, greift diese sprachliche Trennung weiter mit der Spezifikation es ANnere kleine (Z. 18) auf. In Kapitel 9.3 wurde bereits beschrieben, dass sich in Höringen die Pluralbildung für die Träger:innen desselben FamNs formal von den Kollektiva unterscheidet. Dies bezieht sich auf den Artikeltyp sowie die Affigierung
240
9 Familienkollektiva
am FamN: s Ehrhard-s (Kollektivum) vs. die Ehrhard-e (Plural). Die formale Distinktion kann als Reflex des Bedürfnisses gedeutet werden, die (Nicht-)Zusammengehörigkeit von Personen zu markieren.
9.5 Zusammenfassung Kapitel 9 konnte zeigen, dass es neben Pluralen für verschiedene Träger:innen desselben FamNs in den Dialekten und in höheren Registern Bezeichnungen für Familienkollektive gibt, mit denen man auf verwandte Personen oder Personen desselben Hausstands referiert. Familienkollektiva haben sich aus GesamtN entwickelt. Dabei wurde bei den Genitivphrasen Typ 2 und Typ 3 das singularische Possessum (Kopfnomen) Haus elidiert, dem bereits eine pluralische Lesart anhaftete. So konnte sich die pluralische Bedeutung reanalytisch auf den ursprünglichen Possessor (Attribut) übertragen. Historische Daten und rezente Wendungen wie Ich geh in s Müllers/a Müllers, die durch die Präposition eine Räumlichkeit suggerieren bzw. auf einen Ort referieren, machen Haus als Kopfnomen ebenso plausibel wie die Belege in historischen Hexenverhörprotokollen. Denkbar wären auch mehrere Kopfnomen mit pluralischer Bedeutung, die parallel verwendet wurden und irgendwann ausgespart wurden. Wichtigstes Indiz für die Genese der Kollektiva aus den GesamtN ist die nahezu identische Verbreitung strukturell ähnlicher GesamtN-Typen und Kollektiva. Kollektiva bezeichnen Eheleute und blutsverwandte Personen aus demselben Hausstand. Historisch war wohl v. a. die Hausgemeinschaft als Wohn- und Produktionsgemeinschaft gemeint. Die Peripherie der vom Kollektivum kodierten Referenzpersonen ist jedoch verschwommen und für die Gewährspersonen selbst nur schwer abzustecken, da sie sprecherspezifisch und je nach Referenzsituation variieren. So wird im Kontext des Musikvereins nur auf diejenigen Familienmitglieder referiert, die Mitglieder im Verein sind. Umso klarer werden dafür verwandte von nicht-verwandten Namenträger:innen unterschieden. Diese Grenzziehung scheint in einigen Orten so bedeutsam, dass für Pluralia und Kollektiva formal verschiedene sprachliche Formen existieren: s Ehrhard-s (Kollektivum) vs. alle Ehrhardt-e (Plural).
10 Zusammenfassung und Fazit Im Gegensatz zum Standarddeutschen sind dialektale Referenzsysteme um GesamtN in der Abfolge FamN+RufN erweitert. Während die beiden Serialisierungen historisch noch soziale Unterschiede markierten (FamN+RufN zur Referenz auf niedere soziale Stände aus der bäuerlichen und handwerklichen Bevölkerung auf dem Land), drücken sie heute soziale Nähe zur Referenzperson aus: In den Dialekten haben sich komplexe, soziopragmatisch gesteuerte Referenzsysteme herausgebildet, mit denen enge Bezugspersonen, ortsgebundene Personen, integrierte Zugezogene und Außenseiter sprachlich voneinander abgegrenzt werden. Neben den in der bisherigen Forschung durchgeführten Tiefenbohrungen an einzelnen Ortspunkten bieten die Ergebnisse der indirekten Erhebung erstmals ein Gesamtbild für den bundesdeutschen Raum (und teilweise für die Schweiz). Die Kartierung von vier verschiedenen Typen zeigt deutliche Areale ebenso wie Überschneidungen. Auch konnten Fokusgruppen, Fotogespräche und Fragebogen genauere Erkenntnisse zu Verwendungskontexten liefern.
10.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Verbreitung Während mit Dialektgrammatiken und Einzelfallstudien lediglich punktuelle Daten zur Verbreitung und strukturellen Variation von FamN+RufN vorlagen, konnte mit den Antwortsätzen aus der indirekten Erhebung erstmals eine Überblicksdarstellung der Strukturen im bundesdeutschen Gebiet und der Schweiz geboten werden. Ausnahmen stellen der ostmittel- und ostniederdeutsche Raum dar, wo trotz vieler Bemühungen wenige Teilnehmende akquiriert werden konnten. Aus der Fragebogenstudie resultierten vier strukturelle Typen, für die klare Areale abgesteckt wurden. Der süddeutsche Typ (Typ 1: der Müller Peter) und der norddeutsche Typ (Typ 2: Müllers Peter) bilden dabei die größten Areale ab, während der südwestdeutsche Typ 3 (s Müller-s Peter) das kleinste Verbreitungsgebiet zeigt. Auch die Hybridtypen 4a und 4b (der Schmidt-s/Schmidt-e Karl) bilden kleinere Areale im Übergangsgebiet der Typen 1 und 2. Sie können als Kontaminationen aus Typ 1 und Typ 2/Typ 3 analysiert werden.
https://doi.org/10.1515/9783110987706-010
242
10 Zusammenfassung und Fazit
Pragmatik/Soziolinguistik In Kapitel 4.3 konnte zunächst diatopische Variation bei der Abfolge von RufN und FamN im GesamtN festgestellt werden: Im Niederdeutschen und in der Schweiz tritt FamN+RufN selten auf, wohingegen diese Abfolge von Teilnehmenden aus dem Westmitteldeutschen, Ostmitteldeutschen, im Westoberdeutschen auf bundesdeutschem Gebiet und im Bairischen präferiert wurde. Während diese Variation auf verschiedene Stadien des Dialektabbaus und negative Konnotationen zurückzuführen ist, die sich für FamN+RufN herausgebildet haben, liegt auch pragmatisch motivierte Variation vor. Aus den Fokusgruppen-Daten und den Antworten auf offene Fragen aus der indirekten Erhebung ergaben sich ortsübergreifende soziopragmatische Steuerungsfaktoren für die beiden Abfolgen im GesamtN: Während der RufN v. a. zur Referenz auf Personen verwendet wird, die Sprechenden und Hörenden nahestehen, referiert FamN+RufN auf Ortsansässige, die nicht zum engen Freundes- und Familienkreis der Sprechenden und Hörenden gehören. RufN+FamN ist hingegen wenig integrierten Zugezogenen und auswertigen Personen vorbehalten. HausN stellen die inoffiziellste Referenzform mit der geringsten Reichweite dar, die Referenz lediglich innerhalb des Wohnortes oder in den umliegenden Nachbarorten erfolgreich herstellen kann. Der Dialektgebrauch von Referenzperson und Hörer:in und die aktive Teilnahme der Referenzperson am Ortsgeschehen, z. B. in Vereinen und Kirchengemeinschaften, begünstigen ebenfalls FamN-Voranstellung. Da die Zuordnung einer Referenzperson zu einer ortsgebundenen Herkunftsfamilie (einem Kollektiv) eine wichtige Funktion der Abfolge FamN+RufN darstellt, zählt auch (mehrgenerationale) Ortsgebundenheit zu den Steuerungsfaktoren. Diese muss jedoch für die Referenz mit FamN+RufN nicht zwingend gegeben sein; ebenso kann mit dieser Form auf gut integrierte Zugezogene referiert werden. Dabei wird v. a. zwischen den Strukturen ohne Modifikation am FamN unterschieden, die für alle bekannten Referent:innen gebraucht werden, und solchen mit (ehemaligem) Genitivflexiv, die der Referenz über die Herkunftsfamilie vorbehalten sind und lediglich den Geburtsnamen (nicht aber den Heiratsnamen) einer Person zulassen. Die Bekanntheit und gute Vernetzung der Ortsbewohner:innen untereinander setzt voraus, dass die entsprechenden Orte eine gewisse Größe nicht übersteigen. Die soziolinguistischen Auswertungen des Onlinefragebogens zeigen, dass FamN+ RufN in Orten bis ca. 20.000 Einwohner:innen (Landgemeinden und Kleinstädten) frequent genutzt werden. Auch das Alter der Teilnehmenden nahm bei der indirekten Erhebung einen Einfluss auf die Wahl der Referenzform: So gab es einen Umbruch bei Gewährspersonen, die 1990 oder später geboren sind: Sie nutzten zunehmend weniger FamN+RufN. Der Sprachwandel, der sich aus dieser Apparent-time-Studie ablesen lässt, geht wohl auf berufliche Mobilität und die daraus
10.1 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
243
resultierende lediglich lose Verbindung zur Sprechgemeinschaft ebenso zurück wie auf Dialektabbau, der sich am stärksten im Niederdeutschen zeigt. In Ortspunkten mit mehreren strukturellen Ausprägungen vom Typ FamN+RufN können auch diese verschiedene soziopragmatische Aufladungen erfahren. So wird der s-Artikel bei Typ 3 (s Müller-s 'Peter) im Erhebungsort Höringen speziell zur Referenz über die Herkunftsfamilie und nur mit dem Geburtsnamen gebraucht und ist deshalb v. a. bei weiblichen Referentinnen relevant, während der d-Artikel weniger spezifisch auf Ortsansässige referiert (siehe Kapitel 7.3.1).
Diachronie Der diachrone Vergleich der Erhebungsdaten und der historischen Personenreferenz in Hexenverhören hat Parallelen ebenso wie diachronische Variation bei der Personenreferenz aufgedeckt. So wird auf Frauen sowohl im Frühneuhochdeutschen als auch in rezenten Dialekten am häufigsten mit ihrem RufN referiert. Movierung wird dagegen heute nur noch selten gebraucht, während sie in den historischen Protokollen neben dem RufN die frequenteste Art der Referenz darstellt. Die historischen Daten belegen eine diachrone Veränderung der verschiedenen Strukturen in der Abfolge FamN+RufN. Dabei hat Typ 3 seinen Ursprung in der Appellativik; eine Spezialisierung auf Namen fand frühestens im späten Frühneuhochdeutschen statt. Neben der Movierung dienten possessive Genitive mit pränominalem Attribut primär zur Identifikation von Frauen über den männlichen Hausvorstand (Ehemann oder Vater): Peter Schmidt des Müllers Hausfrau/Tochter. Das Attribut dieser Phrasen bestand meist aus einer Kombination von GesamtN und Berufsbezeichnung und resultierte synchron in Typ 3 (s Müller-s 'Peter), indem Attribut und Kopf sich auf Namen spezialisierten. Dagegen sind sowohl Typ 2 (Müller-s 'Peter) als auch Typ 1 (der 'Müller Peter) bereits im Frühneuhochdeutschen auf die Onymik beschränkt. Typ 3 muss demnach jünger sein als die anderen beiden. Seine appellativischen Ursprünge sind in den Hexenverhören fast ausschließlich im westoberdeutschen Raum belegt. Diachron hat er sich bis ins Rheinfränkische ausgebreitet. Während Typ 1 im 16./17. Jahrhundert noch ohne onymischen Artikel auftritt (Müller Peter), ist dieser Artikel heute grammatikalisiert. Typ 4a und Typ 4b (der Schmidt-e/Schmidt-s Peter) sind in den historischen Daten nicht verzeichnet und bildeten sich erst viel später heraus, wohl als Hybridformen aus im südwestdeutschen Raum kookkurierenden Typen. Der Genitivartikel-Typ s Müller-s 'Peter (Typ 3) befindet sich heute am stärksten im Abbau (siehe Kapitel 7.3.1). Seine geringe Frequenz ist als Folge daraus zu deuten, dass seine Funktion, eine Person durch ihre Herkunftsfamilie zu disambiguieren, heute kaum noch Relevanz besitzt. Dies geht mit einer Unsicherheit über die Verwendung der Struktur einher, über
244
10 Zusammenfassung und Fazit
die lediglich in den Orten Höringen (rheinfränkisch) und Diersburg (mittelalemannisch) reflektiert wurde.
Familienkollektiva Aus onymischen Genitivphrasen (Typ 2 und Typ 3) konnten durch Verkürzung und pluralische Lesart des Attributs sogenannte Familienkollektiva ((s) Müllers) entstehen (siehe Kapitel 9). Sie kongruieren mit Verben im Plural. Während sie historisch wohl auf die Hausgemeinschaft als Wohn- und Arbeitsgemeinschaft referierten, bezeichnen sie heute blutsverwandte Träger:innen desselben FamNs, meist aus demselben Hausstand (eine Dyade oder Kernfamilie). Artikellose Kollektiva und solche mit d-Artikel ((die) Müllers) sind zur regionalsprachlichen, standardnahen Form avanciert. Auch die Variante mit s-Artikel besitzt heute ein größeres und dichteres Verbreitungsbild als Typ 3 selbst. So ist im Raum Nauheim-Worfelden-Groß-Gerau historisch Typ 2 (Müller-s 'Peter) ohne Artikel belegt, während heute das Kollektivum in Worfelden mit s-Artikel gebildet wird. Typ 3 als am stärksten dialektale und am stärksten spezialisierte Referenzform wird demnach sukzessive abgebaut, während das zugehörige und noch immer funktionale Kollektivum konserviert wird und sogar expandiert.
Grammatik Eine grammatische Analyse der dialektalen GesamtN in Kapitel 7 hat gezeigt, dass es sich bei FamN+RufN nicht lediglich um ein soziopragmatisches oder onymisches Randphänomen handelt. Im Gegenteil lassen sich die Strukturen in übergeordnete morphologische Fragestellungen einbetten und leisten dadurch einen wichtigen Beitrag nicht nur in der Onomastik, sondern auch zur Erforschung dialektaler (Morpho)-Syntax: So erscheinen durch sie z. B. der Abbau des Genitivs, die Entstehung und Grammatikalisierung des onymischen Artikels und Prinzipien, die hinter dem Erhalt synthetischer Strukturen stehen, in neuem Licht: In vielen Erhebungsorten ist ein morphologischer Komplexitätsabbau der Genitivflexion am FamN zu beobachten. Modifikation am FamN wird primär durch phonologisch-prosodische Kriterien bestimmt: Insbesondere hat sich die Silbenzahl und damit der Trochäus im Output als ortsübergreifender Steuerungsfaktor erwiesen: einsilbige FamN nehmen silbisches -e(n), zwei- und mehrsilbige asilbisches -s. Ebenfalls ausschlaggebend ist der Auslaut des FamNs: Bei sibilantischem Auslaut folgt meist -e(n). Lediglich zweitrangig spielen auch ehemalige morphosyntaktische Kriterien, wie Hauptakzent und Artikeltyp, in denjenigen Orten noch eine Rolle, in
10.2 Fazit und Ausblick
245
denen es diachron verschiedene morphosyntaktische GesamtN-Typen gab oder sie heute noch gibt. Andere Orte weisen ein weiter fortgeschrittenes Stadium des Komplexitätsabbaus auf: Dort avanciert -s, analog zur deutschen Appellativik, zum (über)stabilen Possessivmarker. Dabei wird die Markierung auch auf solche FamN ausgeweitet, bei deren zugrundeliegenden Appellativen starker Genitiv nicht auftrat. Auch Verwandtschaftsbezeichnungen in Attributposition nehmen klassenübergreifend -s: s Mutter-s, s Nachbar-s. HausN können, wie für Worfelden eruiert, ein älteres System mit komplexerer (semantischer) Steuerung konservieren. Als besonders gewinnbringend für die strukturelle Analyse hat sich das Rheinfränkische vom Pfälzischen bis zum Südhessischen erwiesen: Hier kollidieren die Areale von Typ 1, Typ 2 und Typ 3 und hybride Formen entstehen an der Schnittstelle von Flexion und Wortbildung. Synthetische Genitivphrasen haben ihren morphosyntaktischen Status nicht in allen Erhebungsorten erhalten. In einigen rheinfränkischen Dialekten haben sich Phrasen von Typ 2 und Typ 3 diachron zu Komposita weiterentwickelt, in deren Kontext die Modifikation am FamN als Fugenelement zu analysieren ist. Durch diesen Statuswechsel der modifizierenden Elemente und deren Übergang von der Flexion in die Wortbildung tritt der zuvor bereits fortgeschrittene Komplexitätsabbau in den Hintergrund. In Osterath (ripuarisch) kommt es zur vollständigen Aufgabe morphologischer Markierung, da Genitivendungen in FamN fossilisiert werden und die Systeme opak gemacht haben. Im Bairischen existieren von Anfang an lediglich Komposita, die sich diachron nicht verändert haben. Inoffizielle Personennamen weisen viele theoretische Anknüpfungspunkte mit Theorien über Sprachsystem und Sprachwandel einerseits (Komplexitätsabbau, überstabile Marker, Ikonismus, (In)alienabilität, sprachliche Muster, Referenztheorie) und mit soziologischen und sozialpsychologischen Theorieansätzen andererseits auf (sozialer Raum, Self-Categorization-Theory, kulturanalytische Linguistik). Einige davon wurden in den Kapiteln 4.4.5, 4.4.6, 7.2 und 8 vorgestellt Besonders die Konservierung von Typ 2 und Typ 3 als letzte Domäne synthetischer possessiver Genitive in den Dialekten zeigte sich als fruchtbarer Analyseboden für sprachsystemische Prinzipien.
10.2 Fazit und Ausblick Es wurde ein dialektales bzw. (im Bairischen) regionalsprachliches Phänomen erhoben und analysiert, das bis heute bereits stark abgebaut wurde. Dieser Rückgang zeigt sich sowohl in seiner strukturellen Vereinfachung als auch in seinem geringen Auftreten im Niederdeutschen und in der Deutschschweiz. Bei Schweizer
246
10 Zusammenfassung und Fazit
Sprecher:innen ist die Abfolge FamN+RufN heute negativ konnotiert und wird aktiv gemieden. Synchron wurden demnach lediglich die letzten Ausläufer der Referenzsysteme abgegriffen, die auf historische Sozialstrukturen hindeuten, in deren Kontext gegenseitige Bekanntheit in Dörfern und Kleinstädten noch die Regel war. Heute sind diese differenzierten Referenzsysteme durch berufliche Mobilität der Sprecher:innen und eine nur noch lose Verbindung zum Wohn- oder Heimatort funktionslos geworden. Insbesondere in Gebieten mit großem Einwohnerzuwachs, die lediglich als Wohnstätte und nicht mehr als sozialer Raum genutzt werden, macht zunehmende Anonymität die Referenz über die Herkunftsfamilie obsolet. Mit der im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführten bundesweiten Studie konnten neue und tiefgreifende Einblicke in dörfliche Referenzsysteme erlangt werden – und mit ihnen auch in die dörfliche Sozialstruktur selbst. Auch viele methodische Entscheidungen erwiesen sich als ungemein nützlich: Personen als Gatekeeper:innen zu rekrutieren und ihnen diese Rolle auch vor der Erhebung offen zu kommunizieren war besonders fruchtbar und sollte in jeder tiefgehenden dialektologischen Einzelstudie als Standard etabliert werden. Die Gatekeeper:innen werden auf diese Weise zur Mitarbeit motiviert, da sie sich als Expert:innen wahrgenommen und für den Verlauf der Erhebung mitverantwortlich fühlen. Trotzdem bleiben einige Forschungsdesiderate offen. Die vorliegende Arbeit hat sich auf die onymische Personenreferenz beschränkt. Namen bilden jedoch nur einen kleinen Teil vollständiger dialektaler Referenzsysteme. Bisher ausgeklammert wurde die anaphorische Referenz über Personalpronomen und Nominalphrasen, die das Mainzer Projekt „Das Anna und ihr Hund“ in ähnlich weitreichenden Erhebungen mit einem engeren Fokus auf weibliche Personen untersucht hat: Im Westmitteldeutschen und in Teilen des Niederdeutschen und Alemannischen zeigte sich dabei Variation zwischen femininen und neutralen Artikeln und Pronomen (vgl. ausführlich Nübling/Busley/Drenda 2013; Busley/ Fritzinger 2018; Busley 2021a; Baumgartner et al. 2020; Fritzinger 2020). Auch die Possessivartikel unser/user/us (Peter) für Personen, die der eigenen Familie angehören, bilden einen Teil dialektaler Referenzsysteme (vgl. Werth 2020). Zudem bot der Rahmen dieser Arbeit keinen Platz für einige anknüpfende Themen, wie Rufnamenkürzungen oder dialektale Verwandtschaftsbezeichnungen, die teilweise miterhoben wurden. Es steht noch aus, diese Referenzsysteme nicht nur schlaglichtartig zu beleuchten, sondern vollständig zu erheben und zu beschreiben. Dies erweist sich jedoch aus mehreren Gründen als schwierig: Während das Fotogespräch sich methodisch gut eignet, um authentische Referenzsituationen in der Masse zu erheben, besteht seine Schwäche darin, dass es keine Hintergrundinformationen zu Referenzpersonen, zu deren sozialen Beziehungen und deren Funktionen und Verhalten innerhalb des Ortes liefert. Diese Kontexte können nur durch eine komplexe Netzwerkanalyse, teilnehmende Beobachtung oder (zeit-)intensive Interviews
10.2 Fazit und Ausblick
247
erlangt werden, die in mehreren Erhebungsorten kaum durchführbar sind. Deshalb sind Explorator:innen darauf angewiesen, dass Gatekeeper:innen ihnen über den gesamten Forschungsprozess für Rückfragen zur Verfügung stehen. Besonders in Orten, zu denen Explorator:innen keinen persönlichen Bezug haben, ist ein solch umfassender Datensatz nahezu unerreichbar. Eine tiefgreifende Untersuchung müsste sich demnach auf einen einzigen Ort beschränken, wie es das Erp-Projekt des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte 1970 und 1990 in einer Real-time-Pilotstudie für den ripuarischen Ort Erp umgesetzt hat (vgl. Besch 1981; Hufschmidt/Besch 1983). So vorzugehen fiele zulasten des dialektvergleichenden Blicks, der allgemeingültige Aussagen über dialektale Personenreferenz zulässt und Divergenzen zwischen Orten und Regionen aufzeigt. Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass Explorator:innen auch bei erfolgreicher Akquise von Gatekeeper:innen mit Türöffnerfunktion nicht immer einen leichten Zugang zur Kommunikationsgemeinschaft finden. Bei den Erhebungen für diese Arbeit wurde schnell deutlich, dass eine ähnliche soziale und/oder regionale Herkunft sowie eigene Erfahrungen im dörflichen Sozialleben einer guten Forschungsbasis in hohem Maße zuträglich sind. Nicht zuletzt können Explorator:innen mit entsprechendem Hintergrund Interviewfragen präziser stellen. Diese Kriterien werden jedoch natürlicherweise nicht von allen Dialektolog:innen erfüllt. Bei der diachronen Betrachtung der onymischen Referenz auf Personen haben sich sowohl in den historischen als auch in den rezenten Daten in erster Linie geschlechterspezifische Unterschiede gezeigt. Auch diese gilt es genauer zu betrachten und Gründe für ihre Entstehung und ihre Konsistenz über die Jahrhunderte zu eruieren. In Bezug auf die Analyse historischer Quellen bleibt jedoch ein Desiderat, weitere Textsorten und Zeitschnitte zu untersuchen und nicht-onymische Personenreferenz miteinzubeziehen. Hier ergeben sich ebenfalls methodische Probleme, da die meisten schriftlichen Quellen kaum mit den heutigen Dialektdaten vergleichbar sind und es der Mangel an basisdialektalen Daten erschwert, ein angemessenes Korpus zu erstellen. Mit den Ingelheimer Haderbüchern haben Busley/Schweden (2022) eine weitere schriftliche Quelle erschlossen, doch handelt es sich dabei um dieselbe Textsorte wie die hier behandelte. Ein weiteres unumgängliches Defizit ist das Fehlen von mündlichen Daten für ältere Zeitschnitte, die eine bessere Vergleichbarkeit gewährleisten könnten. Auch das im Rahmen dieser Arbeit erhobene Datenmaterial bietet Potential für eine weitere Verwertung und zahlreiche thematisch verwandte oder distinkte Studien zu den untersuchten Dialekten bzw. Gruppensprachen. Dabei kann v. a. mit Fotogesprächen und Fokusgruppen interaktionslinguistisch untersucht werden, wie Gruppenidentität durch die Kommunizierenden hergestellt wird. Mehrfach thematisierten die Gewährspersonen in fast allen Erhebungsorten, wie Zugezogene sprachlich verhandelt werden. Für die Konstitution von Gruppenidentität und die
248
10 Zusammenfassung und Fazit
sprachliche Grenzziehung zur Outgroup ist Personenreferenz sicherlich nur einer von vielen entscheidenden Faktoren. Obwohl diese Arbeit als primär onomastische Studie dialektaler GesamtN begonnen hat, wurde schnell deutlich, dass der Fokus auf vollständige dialektale Personenreferenzsysteme erweitert werden muss. Als solche bietet sie sicherlich Anknüpfungspunkte für weitere Studien zur Personenreferenz.
Anhang A.1 Onlinefragebogen Einleitungstext Inoffizielle Personennamen in Dialekten des Deutschen Diese Onlineumfrage im Rahmen des DFG-Projekts "s Bachmanns Anna und de Schmidte Karl. Grammatik und Soziopragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster beschäftigt sich mit inoffiziellen Personennamen. In vielen Dialekten und im Niederdeutschen steht der Nachname oder ein anderer Name (z. B. ein Hausname) vor dem Rufnamen, z. B. s Müllers Peter, der Unnerdörfer Emil, Schulten Anna. In anderen Dialekten sagt man dagegen eher (der) Heinrich Meier. Es gibt bei diesem Fragebogen keine richtigen oder falschen Antworten. Sie sind der Experte/die Expertin. Bitte tragen Sie nur Formen ein, die Sie selbst verwenden. Ihre Antworten werden selbstverständlich anonym behandelt und nur zu Forschungszwecken verwendet. Vielen Dank für Ihre Teilnahme! Theresa Schweden, Mitarbeiterin im DFG-Projekt "s Bachmanns Anna und de Schmidte Karl. Grammatik und Soziopragmatik inoffizieller Personennamen in Dialekten des Deutschen" Dialektgebrauch 1. Wie oft sprechen Sie Dialekt bzw. Platt? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten: – nie – selten – gelegentlich – häufig – immer Discourse Completion Tasks 2. Anleitung: Versetzen Sie sich in die folgenden Situationen und antworten Sie so, wie Sie es in Ihrem Dialekt oder Platt bzw. im täglichen Sprachgebrauch tun würden. Falls man in Ihrem Dialekt/Platt vor Namen der, die, das oder eine andere Form dieser Artikel wie de, d', s, et etc. benutzt, schreiben Sie diese bitte mit auf. Wie https://doi.org/10.1515/9783110987706-011
250
Anhang
Sie Ihre Antworten schreiben, spielt keine Rolle. Falls Sie aus Ihrem Dialekt/Platt eine andere Variante des jeweiligen Nachnamens kennen, nutzen Sie gerne diese. WICHTIG: Schreiben Sie alle Möglichkeiten auf, wie Sie diese nennen können. Beispiel: Peter Müller hat die Gemeindehalle für seinen Geburtstag gemietet. Heute werden Sie gefragt, wer in der Halle feiert. Wie antworten Sie
de Müller Peter, Müllers Peter, s Müllers Peter, Peter Müller
Sie haben Ihrer Bekannten Emma Fischer Ihr altes Fahrrad verkauft. Heute werden Sie von Ihrer Mutter gefragt, wem Sie das Fahrrad verkauft haben. Was antworten Sie? Das Fahrrad Erzählen Sie Ihrem Vater, dass Sie auf einem Fest drei Bekannte der Familie, Paula Bock, Hannes Arnold und Anna Lorenz, getroffen haben.
Ihre Bekannten Markus Klein und Inga Friedrich sind dem Gesangverein beigetreten. Nach der Probe werden Sie gefragt, wer die beiden Neuen waren. Wie antworten Sie? Das waren Sie sehen Gretchen Schmitz an Ihrem Fenster vorbeilaufen. Ihr Partner/Ihre Partnerin fragt Sie, wer da vorbeigelaufen sei. Wie antworten Sie? Das war Nach einem Vereinsfest sind Sie zusammen mit Karla Vogel und Peter Groß zum Aufräumen eingeteilt. Ihre Mutter/Ihr Vater fragt Sie, mit wem Sie aufgeräumt haben. Wie antworten Sie? Mit Sätze bilden/Freitext 3. Im Folgenden sind jeweils eine Person und ein Gegenstand genannt. Wie sagen Sie in Ihrem Dialekt, dass der Gegenstand der Person gehört? Nennen Sie alle Möglichkeiten.
A.1 Onlinefragebogen
251
Martin / Haus Familie Schmidt / Haus Lina / Tasche Peter / Hund Lene / Bein Harald / Buch Familie Müller / Hund Martin / Schwester Übersetzungen (ohne syntaktischen Kontext) 4. Übersetzen Sie folgende Namen in Ihren Dialekt bzw. in Ihr Platt. WICHTIG: Schreiben Sie alle Möglichkeiten auf, wie Sie diese nennen können. Falls man in Ihrem Dialekt oder Platt vor Namen der, die, das oder eine andere Form dieser Artikel wie de, d', s, et etc. benutzt, schreiben Sie diese bitte mit auf. Falls Sie aus Ihrem Dialekt/Platt eine andere Variante des jeweiligen Nachnamens kennen, nutzen Sie gerne diese. Gustav Otto Lene Busch Michel Hofmann Ella Frey Nina Nowak 5. Übersetzen Sie folgende Namen in Ihren Dialekt bzw. in Ihr Platt. WICHTIG: Schreiben Sie alle Möglichkeiten auf, wie Sie diese nennen können. Falls man in Ihrem Dialekt oder Platt vor Namen der, die, das oder eine andere Form dieser Artikel wie de, d', s, et etc. benutzt, schreiben Sie diese bitte mit auf. Falls Sie aus Ihrem Dialekt/Platt eine andere Variante des jeweiligen Nachnamens kennen, nutzen Sie gerne diese. Thomas Mohr Oscar Kaminski Karlchen Schubert Rita Baron
252
Anhang
Offene Fragetypen (Freitext) 6. Nun einige allgemeine Fragen zur Bezeichnung von Personen in Ihrem Dialekt bzw. Ihrem Platt. In welchen Situationen oder für welche Personen nennen Sie den Nachnamen oder Hausnamen vor dem Vornamen? 7. Gibt es in Ihrem Dialekt/Ihrem Platt Formen wie (e)s Müllers Peter und (e)s Meiers Rosie? 8. In welchen Situationen oder für welche Personen nutzen Sie Namen wie der Müller(s) Peter, wann dagegen (e)s Müller(s) Peter? 9. Fallen Ihnen aus Ihrem Dialekt/Ihrem Platt ähnliche Formen ein, die keine Personen bezeichnen, wie z. B. (e)s Müllers Haus, (e)s Vaters Hut? Nennen Sie einige Beispiele. 10. Anleitung: Versetzen Sie sich in die folgenden Situationen und antworten Sie so, wie Sie es in Ihrem Dialekt oder Platt bzw. im täglichen Sprachgebrauch tun würden. Wie Sie Ihre Antworten schreiben, spielt keine Rolle. Beispiel: In einem Hotel treffen Sie überraschend die Ihnen gut bekannte Familie Friedrich. Nach Ihrer Rückkehr erzählen Sie Ihrer Mutter/Ihrem Vater davon. Was sagen Sie?
Ich hab s Friedrichs
Gestern haben Sie Familie Müller beim Einkaufen getroffen. Heute erzählen Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin davon. Was sagen Sie?
Sie waren gestern bei Familie Schmidt zum Abendessen eingeladen. Heute erzählen Sie Ihren Eltern davon. Was sagen Sie?
Sie möchten Ihren Nachbarn, Familie Lorenz, aus dem Urlaub eine Postkarte schicken. Wie erzählen Sie diese Idee Ihrem Partner/Ihrer Partnerin?
A.1 Onlinefragebogen
253
Sozialdaten 11. Abschließend benötigen wir noch einige Angaben zu Ihrer Person. Bitte überspringen Sie diesen Teil nicht, da diese Angaben wichtig zur Auswertung Ihrer Antworten sind. Ihre Daten werden nicht an Dritte weitergegeben und nur zu Forschungszwecken verwendet. Ihr Geburtsjahr 12. Zu welchem Ort gehört Ihr Dialekt (bitte Ort UND Postleitzahl)? 13. Ihr Geschlecht – weiblich – männlich 14. Wie lange leben oder lebten Sie in dem Ort, zu dem ihr Dialekt/Ihr Platt gehört? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten: – weniger als ¾ Ihres Lebens – ¾ Ihres Lebens oder länger – immer 15. Welche Familienmitglieder leb(t)en noch in diesem Ort? Bitte wählen Sie einen oder mehrere Punkte aus der Liste aus. – Vater – Mutter – Großeltern – Urgroßeltern – sonstiges 16. Wie viel Kontakt pflegen Sie zu den Einwohnern in diesem Ort? Bitte wählen Sie eine der folgenden Antworten: – außerordentlich viel Kontakt – ziemlich viel Kontakt – gelegentlichen Kontakt – kaum Kontakt – überhaupt keinen Kontakt
254
Anhang
17. Wenn Sie sich für Rückfragen bereiterklären möchten, können Sie hier Ihre E-Mail-Adresse hinterlassen:
18. Haben Sie weitere Anmerkungen zum Thema?
A.2 Direkte Erhebungen
255
A.2 Direkte Erhebungen A.2.1 Übersetzungen (ohne syntaktischen Kontext) Name Stellen Sie sich vor, Sie kennen die folgenden Personen. Wie würden Sie diese in Ihrem Dialekt oder Platt nennen, um über Sie zu sprechen? Falls Sie einen Artikel wie der/de/die/(e)s/et vor den Namen verwenden würden, schreiben Sie diesen bitte mit auf. Peter Hoffmann
Anna Meyer/Meier (wählen Sie die Variante, die Sie am besten kennen)
Lotte Fuchs/Voß (wählen Sie die Variante, die Sie am besten kennen)
Thomas Schmidt
Philip Koch/Kock (wählen Sie die Variante, die Sie am besten kennen)
Cindy Wolf/Wulf (wählen Sie die Variante, die Sie am besten kennen)
Stefan Nowak
Lina Braun/Bruhn (wählen Sie die Variante, die Sie am besten kennen)
Markus Busch
256
Anhang
Robert Dietrich
Emma Lorenz
Familie Becker
Familie Schmidt
Familie Neumann
Familie Lorenz
Familie Schmitz
Familie Martin/Merten (wählen Sie die Variante, die Sie am besten kennen)
A.2.2 Übersetzungen (mit syntaktischem Kontext) Name Übersetzen Sie die folgenden Sätze in Ihren Dialekt/Ihr Platt. Stellen Sie sich dabei vor, dass Sie die genannten Personen aus ihrem Umfeld kennen. Tanja Neumann hat kürzlich das Haus von Familie Schmitz gekauft und zieht nächsten Monat schon mit ihrer Familie ein.
A.2 Direkte Erhebungen
257
Robert Müller/Möller ist jetzt neuer Vorsitzender vom Sportverein, weil es seinem Vorgänger, Heiner Koch, zu viel wurde.
Gestern habe ich Lisa König gesehen. Sie ist jetzt ja schon 13. Sie ist ganz schön groß geworden.
Emma (Hund der Familie Sommer) läuft seit kurzem immer frei herum. Dabei ist doch im Ort eigentlich Leinenpflicht.
Gestern waren die Sternsinger unterwegs. Timo Stein/Steen ist schon das dritte Jahr dabei.
Jutta Engel ist seit kurzem wieder hergezogen und hat sich selbstständig gemacht. Du weißt doch, sie hat lange in Berlin gewohnt.
Thomas Klein singt seit Neuestem im Chor. Obwohl er letztes Jahr erst hergezogen ist, engagiert er sich schon sehr in den Vereinen.
258
Anhang
Britta Meier/Meyer hat doch letztes Wochenende geheiratet. Jetzt heißt sie Britta Schulz.
Lena Fuchs ist jetzt mit der Schule fertig. Sie ist für ein Jahr ins Ausland gegangen und will dann studieren.
Ingrid Bock hat sich in den letzten Jahren so verändert. Findest du nicht auch, dass sie richtig eingebildet geworden ist?
Georg Fischer/Visser war schon wieder nicht auf dem Dorffest dieses Jahr. Er pendelt auch jeden Tag in die Stadt zum Arbeiten und kommt abends erst spät heim. Kein Wunder, dass er hier keine Kontakte hat.
Gerhard Schneider/Snider, der Pastor, war auf dem 70. Geburtstag von Berta Schmidt. Drei Stücke vom Geburtstagskuchen hat er da verdrückt.
A.2.3 Ergebnisse der schriftlichen Aufgaben Unter „nicht auswertbar“ fallen Vermerke der Gewährspersonen, bei denen es sich nicht um Referenzformen handelt. Unter „sonstige“ fallen Referenzformen, die keiner der hier aufgeführten Kategorien entsprechen. In Rheinbach als Pretest-Ort wurden die Übersetzungs-Aufgaben mit syntaktischen Kontexten noch nicht gestellt. Diese wurden erst später entworfen. Deshalb entfällt der Ort in Tab. 35.
4 0,48 %
0 %
0 %
gesamt
/
Wartenburg
0 %
0 %
/
/
Varel
4 5,26 %
/
Unadingen
0 %
0 %
Wendeburg
/
Rheinbach
0 %
Worfelden
/
Osterath
0 %
/
/
Höringen
0 %
/
Hollenstedt
Idar-Oberstein
0 %
/
0 %
/
Ehringen
Fürstenzell
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
11
/
/
1
/
/
1
1,31 %
0 %
0 %
1,59 %
0 %
0 %
1,15 %
9 24,32 %
/
/
/
/
/
/
absolut relativ
absolut relativ
0 %
Nicht auswertbar
adnominaler possessiver Dativ (s Meiers ihr Anna)
/
Alstätte
Erhebungsort
0 %
3,64 %
1,15 %
0 %
0 %
1,32 %
5,41 %
0 %
18,31 %
0 %
39
/
1 4,65 %
0 %
2 %
17 26,98 %
/
2
1
/
/
1
4
/
13
/
absolut relativ
sonstige
62,16 %
72,31 %
51,32 %
81,08 %
90,91 %
70,42 %
0 %
65,79 %
82 %
34,92 %
0 %
80 %
529 63,05 %
50
41
22
/
44
83 95,40 %
23
47
39
60
70
50
/
absolut relativ
FamN+RufN
Tab. 34: Ergebnisse schriftliche Aufgabe (ohne syntaktischen Kontext), n = 839.
13,51 %
7,79 %
11,27 %
100 %
14 %
22,22 %
100 %
16,36 %
2,30 %
13,51 %
27,69 %
244 29,08 %
22 28,95 %
7
14
62
9
2
5
18
35 46,05 %
10
6
8
46
absolut relativ
RufN+FamN
RufN
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 % 0 % 6 0,72 %
/
/
5 7,94 %
/
/
/
/
/
/
/
1 1,30 %
/ 0,00 %
/
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
2 % 0 % 6 0,72 %
/
1
4 6,35 %
/
/
/
/
/
1 1,32 %
/
/
/
/
absolut relativ absolut relativ
FamN
839
76
50
63
62
55
87
37
65
76
74
77
71
46
Gesamt
A.2 Direkte Erhebungen 259
0 %
2,20 %
/
/
2
1
/
/
/
/
1
6
11
Fürstenzell
Hollenstedt
Höringen
Idar-Oberstein
Osterath
Unadingen
Varel
Wartenburg
Wendeburg
Worfelden
gesamt
1,20 %
5,83 %
1,92 %
0 %
0 %
0 %
0 %
1,28 %
0 %
0 %
/
1,28 %
1
5,13 %
0 %
1,54 %
5,13 %
0 %
3,30 %
5,49 %
2,20 %
2,56 %
4,85 %
1,92 %
39 4,26 %
5
1
14 19,72 %
/
1
2
/
3
5
2
2
4
absolut relativ
absolut relativ
Ehringen
nicht auswertbar
adnominaler possessiver Dativ (s Meiers ihr Anna)
Alstätte
Erhebungsort
FamN+RufN
0 %
1,10 %
0 %
0 %
17 1,86 %
0
1 1,92 %
2 2,82 %
0
3 4,62 %
2 5,13 %
1 1,28 %
1
4 4,40 %
2 2,20 %
1 1,28 %
0
17,95 %
19,72 %
0 %
423 46,23 %
54 52,43 %
31 59,62 %
14
/
53 81,54 %
29 74,36 %
35 44,87 %
31 34,07 %
49 53,85 %
81 89,01 %
32 41,03 %
14
absolut relativ absolut relativ
sonstige
Tab. 35: Ergebnisse schriftliche Aufgabe (mit syntaktischem Kontext), n = 915.
5,49 %
100 %
10,77 %
367 40,11 %
35 33,98 %
14 26,92 %
33 46,48 %
78
7
5 12,82 %
35 44,87 %
42 46,15 %
27 29,67 %
5
40 51,28 %
46 58,97 %
absolut relativ
RufN+FamN
RufN
1,10 %
0 %
0 %
0 %
1,10 %
0 %
0 %
1,41 %
0 %
7 0,77 %
/
/
1
/
1 1,54 %
/
/
1
2 2,20 %
1
/
1 1,28 %
4,40 %
0 %
3,85 %
51
3
4
7
/
/
1
6
5,57 %
2,91 %
7,69 %
9,86 %
0 %
0 %
2,56 %
7,69 %
11 12,09 %
4
/
3
12 15,38 %
absolut relativ absolut relativ
FamN
915
103
52
71
78
65
39
78
91
91
91
78
78
Gesamt
260 Anhang
nicht auswertbar
sonstige
FamN
(die) Familie [FamN]
(die) [FamN]Familie
(die) Familisch [FamN]
(die) [FamN]Familisch
(die) [FamN]Leute
/
6 33,33 %
29 78,38 %
2 14,29 %
17 36,96 %
29 96,67 %
12 66,67 %
11 30,56 %
14 51,85 %
28 77,78 %
225 53,32 %
Idar-Oberstein
Osterath
Rheinbach
Unadingen
Varel
Wartenburg
Wendeburg
Worfelden
Gesamtergebnis
60 %
2,70 %
0 %
21
/
1
1
/
4,98 %
0 %
3,70 %
2,78 %
0 %
0 %
4 28,57 %
1
/
0 %
2,50 %
21
1
Höringen
/
45 %
4,76 %
2
18
Fürstenzell
Hollenstedt
0 %
7 38,89 %
/
61,11 %
11
31 72,09 %
Alstätte
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
4,35 %
7,14 %
0 %
0 %
0 %
0 %
25 5,92 %
/
/
15 41,67 %
/
/
2
1
/
/
7 17,50 %
/
/
/
0 %
0,00%
4,65 %
8,33 %
7,41 %
2,78 %
0 %
0 %
2,17 %
0 %
0 %
0 %
14 3,32 %
3
2
1
/
/
1
/
/
/
5 12,50 %
/
2
/
0 %
40 %
2,50 %
3
0 %
3,33 %
0 %
0 %
0 %
0 %
10 %
7,14 %
/
/
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
/
0 %
12
/
/
/
/
2,84 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
5 10,87 %
7 50,00 %
/
/
/
/
/
0 %
13 3,08 %
5 13,89 % 86 20,38 %
0 % 0 %
5 13,89 %
/
1
/
/
/
/
4
/
5,56 %
0 %
0 %
0 %
0 %
/ /
10 37,04 %
2
/
/
/
/
7 18,92 %
14
1
37 88,10 %
10 23,26 %
/
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
22
/
/
1
/
/
5,21 %
0 %
0 %
2,78 %
0 %
0 %
21 45,65 %
/
/
/
/
/
/
/
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
0 %
10 %
0 %
0 %
4 0,95 %
/
/
/
/
/
/
/
/
/
4
/
/
/
absolut relativ absolut relativ absolut relativ absolut relativ absolut relativ absolut relativ absolut relativ absolut relativ absolut relativ
Kollektivum
Ehringen
Ort
Tab. 36: Verwendete Familienbezeichnungen in den schriftlichen Aufgaben, n = 422.
422
36
27
36
18
30
46
14
37
35
40
42
43
18
gesamt
A.2 Direkte Erhebungen 261
262
Anhang
Tab. 37: Kollektiva Typen in schriftlichen Aufgaben nach Erhebungsorten. Erhebungsort
Typen
Alstätte (westfälisch)
Typ Müller/Schmidt Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Ehringen (westfälisch)
Typ die Müller-s/Schmidt-(en)(s) Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Fürstenzell (bairisch)
Typ die Müller/die Schmidt
Hollenstedt (nordniedersächsisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Höringen (rheinfränkisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ s Müller-s/s Schmidt-e Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Idar-Oberstein (moselfränkisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Osterath (ripuarisch)
Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Rheinbach (ripuarisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Unadingen (mittelalemannisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ s Müller-s/s Schmidt-e Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Varel (nordniedersächsisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Wartenburg (nordobersächsisch)
Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Wendeburg (ostfälisch)
Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
Worfelden (rheinfränkisch)
Typ die Müller-s/die Schmidt-e(n)(s) Typ s Müller-s/s Schmidt-e Typ Müller-s/Schmidt-e(n)(s)
A.2.4 Leitfaden für Fokusgruppeninterview 1.
Beschreiben Sie eine typische Situation, in der Sie für eine Person den Nachnamen vor dem Vornamen nennen, wenn Sie über sie sprechen. – Welche Funktion hat es, wenn Sie diese Formen benutzen? – Welche Art von Sprache nutzen Sie in einer solchen Situation? – Wie wirkt es auf andere, wenn man solche Formen verwendet? – Wie würden Sie sich in einem Gespräch außerhalb des Ortes verhalten? – Wie wäre es in einer offiziellen Situation, z. B. einem Konzert oder Neujahrsempfang?
A.2 Direkte Erhebungen
– –
2.
3.
4.
263
Welche Verbindung besteht mit Dialekt? Nennen Sie Situationen, in denen Sie den Nachnamen nicht vor dem Vornamen nennen. Beschreiben Sie Personen, für die Sie typischerweise den Nachnamen vor dem Vornamen nennen, wenn Sie über sie reden? – Beschreiben Sie näher, wie Sie zu den jeweiligen Personen stehen. – Beschreiben Sie, wie diese Personen zum Dorf und zur Dorfgemeinschaft stehen. – Für welche Personen nennen Sie den Nachnamen wiederum nicht vor dem Vornamen? (Hier konnten z. B. soziale Höhersgetellte wie Lehrer:innen, Ärzt:innen etc. genannt werden, worauf sich dann weitere Fragen anschlossen) – Wie bekannt/vertraut sind diese Personen Ihnen? – Wie alt sind die Personen? – Besteht ein Duzverhältnis zu den Personen? – Wie lange leben diese Personen im Ort? – Sprechen diese Personen Dialekt? – Sind vorangestellte Familiennamen für Zugezogene möglich? – Wie lange muss eine Person etwa im Ort leben, um mit einer solchen Form bezeichnet zu werden? – Wie sprechen Sie über Personen in der Dorföffentlichkeit (OrtsvorsteherIn/Vereinsvertreter:innen etc.)? – Spielt der Nachname der Person eine Rolle (fremdklingende Namen)? – Wie spricht man über Kinder/Jugendliche/junge Erwachsene? Beschreiben Sie einige Fälle, in denen es sich verändert hat, wie man eine Person nennt, wenn man über sie spricht. – … wenn Personen heiraten? – … wenn Personen aus dem Ort wegziehen? – Warum glauben Sie, hat sich in den genannten Situationen der Name geändert/ist der Name verschwunden? Erzählen Sie mir von einigen Fällen, wo es für eine Person im Ort mehrere Namen gibt. – Gibt es Personen, für die verschiedene formale Typen mit vorangestelltem Familiennamen verwendet werden? (Die Frage wurde meist auf konkrete mitgehörte Beispiele aus den Fotogesprächen bezogen und auf diesem Weg nach den Gründen für zwei verschiedene Typen abgefragt.) – Beschreiben Sie die Situationen, in denen die jeweilige Form oder der Name verwendet wird.
264 5.
6.
7.
8.
Anhang
Welche Personen sind es, die solche Namen für andere Personen verwenden. – Werden diese Formen auch von Zugezogenen genutzt? – Wie sprechen weniger gut integrierte Personen über andere Personen im Ort? – Nutzen auch jüngere Personen diese Formen (Kinder/Enkel der Gewährspersonen)? Beschreiben Sie, mit welchen Personen Sie im Gespräch selbst vorangestellte Nachnamen verwenden. – Welches Verhältnis haben Sie zu diesen Gesprächspartner:innen? – Bei welchen Gesprächspartner:innen verwenden Sie dagegen keine vorangestellten Nachnamen? – Wie ist es, wenn Ihr/e GesprächspartnerIn die Person, über die gesprochen wird, nicht kennt? – Wie sprechen Sie über Personen, wenn Sie mit einer Person sprechen, die sozial höhergestellt ist, z. B. Ihrem Chef/Ihrer Chefin? – Welche Sprache nutzen diese Gesprächspartner:innen (Dialekt? Standard)? – Wie verhalten Sie sich, wenn Sie mit jemandem sprechen, der selbst den Ortsdialekt nicht spricht? – Wie sprechen Sie mit Zugezogenen über Personen? – Wie alt sind diese Gesprächspartner:innen (auch im Gespräch mit Jüngeren möglich)? Erzählen Sie, wie man sprachlich ausdrückt, wenn man über eine ganze Familie spricht. – Welche Familienmitglieder können bei solchen Formen mit inbegriffen sein, z. B. Familie Meyer hat ein neues Auto? – Was sagt man dagegen, wenn man mehrere Personen bezeichnen will, die denselben Familiennamen haben, aber nicht verwandt sind, z. B. im Ort gibt es mehrere Meyers. Wenn Sie an Familien im Ort denken: Wie nennen Sie dort die einzelnen Familienmitglieder, wenn Sie über sie sprechen? – Nennen Sie ein Beispiel für eine Familie im Ort und sagen Sie, wie Sie die einzelnen Mitglieder nennen, wenn Sie über sie sprechen? – Gibt es auch Bezeichnungen wie Müllers Vater/Mutter/Onkel/Tante?
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Register (Ganzes) Haus 203, 206, 216 Abhängige Variable 51–52, 54, 183 Abstammung 57, 76, 174, 177, 181–182, 196, 198, 202, 209 adnominaler possessiver Dativ 93, 193, 213–214, 228, 259–260 Akzent 14, 98, 109, 133–135, 140–150, 153–155, 157, 159, 176, 183–186, 191 – Hauptakzent 6–7, 9, 14, 40, 133, 137, 140, 143–148, 150, 153–155, 157, 183–186, 190–191, 201, 244 – Kompositumakzent 148, 159–160, 171, 185 – Kontrastakzent 184 – Nebenakzent 22, 35 – Phrasenakzent 147, 183, 185 – Wortakzent 143–144, 183 Alemannisch 100, 137, 141, 227, 246 – Hochalemannisch 126, 133, 177, 191 – Höchstalemannisch 137 – Mittelalemannisch 27, 77, 93, 110–111, 115, 172, 174, 189, 198, 211, 227, 231–232, 244, 262 – Niederalemannisch 72, 115, 117 Alienabilität 245 – alienabel 213–215 Allo-Form 151 Allomorphie 156–157, 191 – Allomorph 156, 158 Althochdeutsch 135, 194–195 Angelsächsisch 194 Anlaut 168 Anrede 3, 16, 19, 40, 173, 237 Anredenomen 173 Anthroponym 8–9 Apokope 103 – apokopiert 15, 105 Apparent-time 29, 242 Appellativ 40, 122, 127–128, 130, 135, 148, 151–152, 155, 158, 160, 165, 172, 183, 193, 195, 215, 245 – Appellativik 128, 130, 135, 151–152, 243, 245 – appellativisch 128–131, 134–135, 140, 149, 157, 193, 195, 215, 243 Apposition 127, 139, 172, 176 https://doi.org/10.1515/9783110987706-013
Assimilation 102–103 Auslaut 8, 15, 22, 35, 40, 101, 103, 151–152, 154, 156, 158–159, 171, 179, 183–186, 188–189, 229, 244 außersprachlich 203 Bairisch 13, 27, 52, 58, 66–67, 95–96, 98, 106–107, 109–111, 117, 159, 180–182, 184, 192, 228, 230–232, 242, 245, 262 – Mittelbairisch 115, 181 – Nordbairisch 115 – Südbairisch 137, 181 Basisdialekt 2, 131 – basisdialektal 247 Basistranskript 1, 40 Berufsbezeichnung 8, 16, 113, 116, 122, 127–129, 131, 133, 155, 172, 181, 195, 219, 243 Brandenburgisch 115 CHAID 51, 182 Community of Practice 45–46 datengeleitet 41–43 Definitartikel 4, 7, 232 Deflexion 167 Deskriptor 207–208 Determinierer 197 Deutschland 6, 23, 52, 95, 226 Diachronie 18, 98, 111, 159, 201, 243 – diachron 4–5, 18, 59, 94, 112–114, 117, 122, 125, 131–132, 134, 136, 139, 149, 152, 155, 158–159, 171–172, 184, 190, 196, 214, 227, 236, 243, 245 Dialektgrammatik 4, 9, 18–19, 129, 225, 227, 241 Dialektgroßraum 26, 48, 52, 54 Dialektologie 34 – Dialektolog:in 247 – dialektologisch 28, 39, 246 Diatopie 5, 98 – diatopisch 9 direkte Erhebung 4, 19, 33–34, 56, 59, 98, 102, 104, 107, 154, 224, 227, 231, 233, 255 Disambiguierung 3, 93, 114, 122, 130–131, 206 – disambiguieren 17, 122, 128, 243
284
Register
Discourse Completion Task 21, 102, 224, 249 Diskurslinguistik – diskurslinguistisch 198 Distraktor 21 Dorf 16, 56, 60, 72–73, 96, 202, 216, 246, 263 – dörflich 8–9, 21, 28, 73, 128, 199, 202, 205–206, 209, 212, 234, 237, 246–247 Dorfname 16 Eifeler Regel 15 Eigenname 7 Einwohnerzahl 25–27, 47, 52–54, 89–90, 95–96 Enklise 167 Erhebungsort V, 2, 4, 14, 26–27, 29–30, 36–37, 39–40, 56, 59–61, 65–67, 69, 75–76, 96, 98, 104, 107, 109–110, 133–134, 138, 144, 147, 152, 159–160, 170, 172, 178, 181–186, 189, 192, 196, 210, 228–229, 231–232, 235, 239, 243–245, 247, 259–260, 262 Erstglied 133, 137, 140–141, 143–144, 150–152 Ethnomethodologie – ethnomethodologisch 33 Etymologie – etymologisch 3 Exaptation 17 Explorator – in 61, 69, 75, 235 Explorator:in 4, 31–32, 34, 36–39, 42, 65, 75, 105, 111, 234, 239, 247 extralingual 28 familiale Herkunft 199 Familienkollektivum 5, 35, 40, 172, 217, 219, 232, 240, 244 – Kollektivum 181, 224–228, 231–240, 244 Feld 30–33 Flexionsklasse 136, 151, 155, 158–159 Fokusgruppe 4, 19–20, 33, 36–43, 59–61, 63, 65–67, 70, 71, 73, 75, 77, 90, 93–94, 96, 105–106, 109, 111, 122, 172–173, 177, 180–181, 183, 199–200, 233–238, 241–242, 247 Formstabilität 137–138, 141–142, 158, 171 Fotogespräch 20, 31, 33–34, 36, 38–40, 104–105, 111, 144, 176, 183, 200, 210–212, 241, 246–247, 263
Fragebogen 4, 19–20, 22, 34, 42, 51, 56, 59–60, 72, 78, 96, 98, 111, 134, 171, 174, 177, 186, 224, 227, 241–242, 249 Freundesgespräch 19, 34 Friesisch 218 Frühneuhochdeutsch 105, 116–117, 121, 126, 128, 130–131, 135, 150, 152, 195, 197, 243 Fugenelement 133, 149–152, 157, 190, 245 – Fuge 133, 141, 150–151, 157–159, 172, 177, 182, 201 (Ganzes) Haus 203, 206, 216 Ganzes Haus 236 Gatekeeper V, 31, 96, 153–154, 246–247 – in 29–32 Geburtsjahr 21, 30, 52–54, 59, 61, 93–96, 253 Geburtsname 17, 76, 209, 242–243 Genitivattribut 14, 116, 120–123, 125–131, 134–136, 139, 143, 181, 193–197, 213–215, 227–228, 240, 243–245 Genitivphrase 106, 121–122, 128, 135, 149, 160, 185, 192, 195–196, 201–202, 206–207, 214, 226, 240, 244–245 georeferenziell 9 Germanisch 194 Geschlecht 13, 21, 29, 38, 52, 54, 61, 95, 106–107, 111, 116–117, 119, 121–123, 131, 173, 175, 177–179, 183–184, 247, 253 Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT2) 1, 40 Globale Kongruenz 137, 139, 141–142, 157–158, 171, 190 Grammatikalisierung – grammatikalisieren 7, 111, 243 Graphematik – graphematisch 138 Grounded Theory 40–43 Hauptakzent 22, 146 Häusername 9 Hausname XV, 8–9, 14, 16, 40, 56–57, 61, 63, 65, 91, 93, 96, 104–107, 109, 112, 122, 127–129, 146–148, 152–159, 181, 183, 185–186, 202, 205–207, 209, 211, 216, 219, 232, 242, 245, 249 Heiratsname 173, 209, 242
Register
Herkunftsfamilie 28, 57, 59, 76, 78, 93, 96–97, 114, 121, 123, 129, 131, 133, 141, 173, 179, 202, 204–205, 209, 211–212, 214, 235, 242–243, 246 Herkunftsname 209 Hessisch 13, 99, 102, 114, 126 – Südhessisch 14, 219, 245 – Zentralhessisch 60, 115, 130 Hexenverhörprotokoll 18, 114–115, 117, 119, 122, 126, 128, 130–131, 134–135, 139, 172, 192, 195, 206, 240, 243 Hofname 9, 16, 91, 93, 96, 105, 183, 237 holistisch 42 Idiolekt 63 Idiosynkrasie 156, 158 Ikonismus 212–213, 216, 245 – ikonisch 206–207, 212, 214, 216 Inalienabilität 245 – inalienabel 213–215 indexical expression 33 indirekte Erhebung 34, 68, 89, 95, 100, 107, 109, 226, 241–242 induktiv 29, 41–42 Inferenzstatistik 106 Ingroup 5, 57, 60, 62, 67, 70, 72–73, 75, 78, 96–97, 109, 130, 206, 209 inoffiziell 3–4, 6–9, 16, 19, 76, 242, 249 – Inoffizialität 7–8 Intensität 143–148 – Intensitätsmaximum 145 Interaktionale Linguistik 38, 45 Interaktionslinguistik – interaktionslinguistisch 247 interdialektal 19 Interview 4, 19, 36, 41, 43, 61, 67, 237, 247 – Experteninterview 37 Intonationsphrase 75, 145 intradialektal 193 Kinship-Term 193 Klassifikationsbaum 51, 93, 182, 184–186, 190 Klitikon 136 kodieren 41–43, 52, 239 – Code 43, 56, 58 – Codesystem 43 – Codewolke 58, 78
285
kollateral 234 Kollektion 60 Kollektivierung 206 – kollektivieren 216 Kommunikationsgemeinschaft 21, 202, 209 Kommunikative Praktik 46 Komposition 133, 141 – Determinativkompositum 140–141 – kompositional 191 – Kompositum 11, 45, 133–134, 137–144, 147, 149–151, 157–159, 171–172, 176, 178–181, 185, 190, 192, 245 – Kopulativkompositum 140–141, 143 Konditionierung 15, 156, 158, 190, 194 Konstruktionsgrammatik – konstruktionsgrammatisch 202 kontrastiv 19, 36, 38, 155, 178 Koronalisierung 103, 159 Korpuslinguistik – korpuslinguistisch 198 Kosename 7 kulturanalytisch 202, 206, 216, 245 kulturhistorisch 201–202, 236 Leitfrage 37, 42 lineal 234 linkssteil 47 Luxemburgisch 4, 15–16 Mecklenburgisch-Vorpommerisch 115 Metasprache 40 – metasprachlich 111, 172, 176, 178, 183 Miminal Referring Expression 208–212, 216 Minimization 208–210 Mittelfränkisch 143 Mittelhochdeutsch 103, 135, 151–152, 155, 194–196 Mixed Methods 4, 19 morphologische Komplexität 152, 156–158, 171, 190, 197, 244–245 – morphologisch komplex 201 – qualitativ 156, 158 – quantitativ 156, 158 morphologischer Kopf 116, 120–122, 127–129, 131, 134–135, 137, 139–140, 142, 172, 193, 195, 197, 202, 206, 240, 243 Morphosyntax 3, 133, 140, 244
286
Register
– morphosyntaktisch 13–14, 18, 111, 133–134, 138–139, 144, 147, 153, 171, 177, 183–185, 190, 192, 196, 201, 244–245 Moselfränkisch 27, 60–61, 73, 78, 103, 107, 110–111, 115, 129, 160, 185, 211, 230, 232–233, 262 Movierung 17, 105–106, 119, 122, 131, 179, 243 – movieren 105–106, 119, 122 Nähesprachlichkeit 15, 119, 131 – nähesprachlich 70, 107, 130 Namengebung 3 Namenverwendung 3 Narrativ 21, 75, 176 Natürlichkeitstheorie 156 Neuhochdeutsch 152, 197 Niederdeutsch 13, 16, 29, 35, 52, 54, 58, 63, 95–96, 105, 107, 109, 111, 115, 117, 124–125, 134–135, 173, 207, 242–243, 245–246, 249 – Nordniederdeutsch 27, 115 – Ostniederdeutsch 241 Niederfränkisch 16, 48 – Südniederfränkisch 143 Niederländisch 16 Nomen Proprium 6–7, 111, 139, 141, 202, 215–216 Nordniedersächsisch 27, 62, 93, 107, 110, 129, 183, 192, 229, 231, 262 Nordobersächsisch 27, 103–104, 106, 110, 122, 184–186, 192, 229, 231, 262 Oberdeutsch 96, 125, 190, 195 – Ostoberdeutsch 27, 121, 123 – Westoberdeutsch 27, 52–54, 58, 60, 72, 79, 95, 103, 114, 117, 123, 131, 139, 242–243 Obersächsisch 115 offiziell 3, 6–8, 31, 107, 130, 211, 235, 262 – Offizialität 7–8 Onomastik 3, 244 – onomastisch 248 Onym 104, 119, 127–128, 131, 133, 135, 151, 202, 215 – Onymik 128, 130–131, 152, 198, 243 – onymisch 1, 3, 5–6, 106, 113, 116, 118, 121–122, 125, 128–131, 134, 149–151, 172, 193, 202, 204, 208–209, 214, 244, 246–247
onymischer Artikel 7, 13–14, 20, 98, 109, 125–126, 130–131, 133, 135, 192, 243–244 Opazität 171 ordinalskaliert 20–21, 51, 53 – Ordinalskala 68 Ortsgebundenheit 21, 28–29, 59, 72–73, 77, 93, 96, 177, 182, 207, 242 – ortsgebunden 8, 61, 69, 75, 77, 93, 102, 109, 130, 141, 171, 173, 180, 202, 209–210, 212, 216, 227, 239, 241–242 – Ortsgebundene 209 Ostfälisch 2, 27, 65, 73, 107, 110, 115, 160, 185, 230–231, 262 Ostfränkisch 52, 115, 125 Ostmitteldeutsch 27, 29, 52, 115, 123, 241–242 Oszillogramm 145 Outgroup 5, 182, 248 paradigmatisch 162 paradigmisch 150–152, 159 – unparadigmisch 136–137, 150–152, 159 Patronym 113, 172 Personenbezeichnung 16, 128–129, 135, 137, 148, 194–196 Pfälzisch 124, 138, 143, 245 Phonetik – ohrenphonetisch 144, 146, 148, 183 – phonetisch 143–144, 147–148, 183 phonologisches Wort 154 Pitch 143–148 – Pitchmaximum 145 Platt 20, 47–48, 62–63, 65, 249, 251–253, 255–256 Possessivartikel 237, 246 Possessivmarker 135–136, 143, 149, 157–158, 160, 191, 196, 212–213, 215, 245 Possessor 116, 120, 131, 181, 213–215, 240 Possessum 116, 120, 131, 193, 213–216, 240 postnominaler Genitiv 126, 135–136, 193–196, 213–214 Postskript 32 prädikativ 176 Prädiktor 51 Pragmatik 3, 5, 18–19, 40, 172, 174, 177, 232, 242 – pragmatisch 3–5, 14, 17–19, 35–36, 38, 41, 43, 56, 65, 72–73, 96, 102, 141, 177, 179, 182, 191, 197–198, 207, 230, 232, 238, 242
Register
pränominaler Genitiv 5, 116, 121, 123, 126–128, 130–131, 135, 173, 181, 193, 195–197, 207, 213, 215–216, 243 Pretest 27, 30, 258 Prinzip der Offenheit 33 Produktivität – produktiv 201 Prosodie 22, 156 – prosodisch 14, 16, 40, 143, 151, 153–155, 183–184, 201, 244 Qualitative Inhaltsanalyse 40–42 Qualitative Sozialforschung 33, 40 Realname 40, 159, 189 Real-time 247 Reanalyse 14, 133, 150, 177 – reanalysieren 232, 240 – reanalysiert 219 Recipient Design 208, 210–212 Recognitional 208–212, 216 Reduktionssilbe 15, 22, 35, 102, 183, 185 Reduktionsvokal 183 referenziell 176, 178, 183 Referenzkoordination 212 – Referenzkoordinator 212 Referenzobjekt 208, 233, 236, 238 Referenzperson 1, 8, 13, 17, 19, 57–58, 61–62, 69, 73, 75–78, 93–94, 96, 101–102, 106–107, 111, 114, 119, 123, 129–130, 139, 141, 172–173, 177, 179, 182–184, 199, 201–202, 207–209, 211–212, 216, 234, 240–242, 246 Referenzsituation 21–22, 33–34, 40, 96, 105, 111, 146, 238, 240, 246 Referenzsystem 1, 3, 8–9, 19, 25, 97, 104, 158, 171, 206–207, 241, 246, 248 Referenztheorie 18, 207, 245 Regiolekt 131 Regionalakzent 20 Regionalsprache 13, 96 – regionalsprachlich 5, 67, 226, 244–245 Register 2, 13, 39, 61–63, 70, 73, 141, 240 Reinterpretation 197 Rheinfränkisch 13–14, 27, 60, 69, 72–73, 75, 78, 100, 103, 106–107, 110–111, 113, 115, 124, 129, 131, 152, 159–160, 172–173, 176,
287
184–186, 196, 198, 200, 227, 230–232, 235, 243–245, 262 Ripuarisch 14, 27, 29, 69, 96, 102–103, 106–107, 109–110, 129, 170, 184–185, 191, 226, 230, 232–233, 245, 247, 262 Rufnamenkürzung 40, 118 Schemafrequenz 15 Schemakonstanz 171, 191 Schwa 183, 185–186 Schwäbisch 60, 72, 79, 115, 130, 180 Schweiz 4, 52, 54, 58–59, 98, 137, 241–242, 245 Schweizerdeutsch 137 Self-Categorization Theory 245 Sibilant 15, 22, 35, 103, 158–159, 171, 183, 186, 189 – sibilantisch 179, 185–186 Siebenbürgisch-Sächsisch 222 Silbenzahl 14, 22, 35, 40, 101, 151, 153–154, 158, 183–186, 201, 244 Social Identity Theory 87 Soziales Netzwerk 28 Sozialgeschichte 18, 203 sozialhistorisch 202 Sozialpsychologie 18 Sozialraum 5, 96–97, 182, 199, 216, 234–235, 245–246 soziofunktional 202–203 Soziolinguistik 242 – soziolinguistisch 3–4, 13, 20, 116, 183, 242 Soziopragmatik 4 – soziopragmatisch 15, 19, 96, 241–244 Spektrogramm 145 Spitzname 7, 65 sprachliches Muster 197–198, 200–202, 216, 245 – signifikantes Muster 197, 202 Sprechgemeinschaft 18, 38, 59, 104, 107, 109, 177, 197, 202, 212, 243 – speech community 45 Sprechlage 2 Substandard 2, 13 Suffigierung 125 – Suffix 24 Synchronie – synchron 4–5, 13, 17–18, 59, 105, 111, 113–115, 126, 128, 130, 135, 137, 150, 158–159, 173–174, 178, 197, 237, 243, 246
288
Register
Synkope 168 syntagmatisch 162–163 syntaktische Phrase 1, 7, 11, 116, 123, 127–128, 133–135, 138–141, 143–144, 147, 149–150, 153, 158–159, 164, 168, 171–172, 176–181, 185, 191–192, 198, 201–202, 243, 245 – phrasisch 14, 190–191, 197, 201 Teilnehmende Beobachtung 41, 246 Theoretical Sampling 41 Thüringisch 115 Tischgespräch 34 top-down 29 toponomastisch 9 Toponym 8 Transkript 1–2, 41–43, 61, 63, 65–67, 69, 71, 73, 75, 77, 90, 94, 173, 177, 181, 199–200, 210–211, 233–238 Trochäus 151, 154–155, 244 – trochäisch 155, 159, 186 Übername 7, 219 überstabiler Marker 136–137, 160, 191, 245 Ultimabetonung 168 Unabhängige Variable 51–52, 183 unparadigmisch – unparadigmisch 151 Variation 3, 5, 13, 18–20, 40, 43, 63, 98, 101, 103, 105, 107, 109, 111, 117, 122, 125, 130, 134, 158, 193, 197, 227, 232, 241, 246
– diachronisch 4–5, 113, 133, 243 – diaphasisch 3, 18, 58 – diatopisch 3, 9, 20, 56, 98, 104, 107, 123, 242 – interdialektal 15–16 – inter-speaker 43 Verwandtschaftsbezeichnung 16, 127–128, 131, 137, 181, 213, 215, 245–246 Verwandtschaftsname 116, 126, 128–129, 136, 193 Vogtländisch 129 Vollvokal 15, 22, 183, 185 vorindustriell 202–203, 206, 236 Westfälisch 4, 16–17, 26–27, 65, 90, 96, 106–107, 109–110, 115, 128, 160, 183, 226, 231–232, 262 Westfriesisch 157, 201 Westmitteldeutsch 13, 27, 52, 58, 60, 72–73, 78, 98, 104, 111, 114, 117, 123, 125, 131, 134, 139, 172, 206, 242, 246 Westniederdeutsch 26, 103 Wohnstättenname 166 Wortbildung 7, 133, 141, 150, 157–158, 171, 181, 190–191, 201, 245 Zugehörigkeit 17, 123, 126, 128, 133, 149, 172–173, 202 Zweitglied 140, 148, 150, 201