Die starken Verben im Deutschen und Niederländischen: Diachrone Morphologie 9783111358420, 9783484302143

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 353 [356] Year 1988

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen
Abkürzungsverzeichnis
0. Einleitung
1. Der synchrone Vergleich
1.1 Die morphologischen Grundbegriffe
1.1.1 Die grammatischen Kategorien des nhd. und nnl. Vbs.
1.1.2 Der Untersuchungsgegenstand
1.1.3 Die 5 Einteilungskriterien
1.1.3.1 Ablaut und Umlaut
1.1.3.2 Dentalsuffix
1.1.3.3 Endungen des Part. II
1.1.3.4 Personalendungen
1.1.4 Die Stammformen
1.2 Herkunft, Benennung und Einteilung des Materials
1.2.1 Herkunft
1.2.2 Stark + unregelmäßig = unregelmäßig? Zur Terminologie
1 3 Die Klassifikation
1.3.1 Die Grundlagen
1.3.1.1 Diskussion einiger nhd. Klassifikationsmodelle
1.3.1.2 Das der Klassifikation zugrundegelegte Modell
1.3.2 Das nhd. System
1.3.3 Das nnl. System
1.4 Der Vergleich
1.4.1 Die Unterschiede der Systeme
1.4.2 Die Interpretation in der vorliegenden Literatur
1.5 Zusammenfassung und Ausblick
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Zwei strukturalistische Arbeiten zur historischen Verbmorphologie
2.1.1 Die Entwicklung des germ. Verbalsystems: KERN/ZUTT 1977
2.1.1.1 Die Darstellungsweise
2.1.1.2 Beurteilung
2.1.2 Der germanische Verbalablaut und seine Entwicklung: VAN COETSEM 1980, BORN 1980
2.1.2.1 Das Beschreibungsverfahren
2.1.2.2 Beurteilung
2.2 Zur Theorie morphologischen Wandels
2.2.1 Zu einigen ausgewählten Arbeiten
2.2.1.1 RONNEBERGER-SIBOLD 1980 und LÜDTKE 1980b
2.2.2 Das neue Vorgehen der Natürlichen Grammatik
2.2.2.1 WURZEL 1984: Flexionsmorphologie und Natürlichkeit
2.2.2.1.1 Grundlagen
2.2.2.1.2 Flexion und Flexionsklassen
2.2.2.1.3 Systemangemessenheit
2.2.2.1.4 Flexionsklassenstabilität
2.2.2.1.5 Produktivität
2.2.2.1.6 Generelle Prinzipien morphologischer Natürlichkeit
2.2.3 Natürlichkeit und Ökonomie
2.2.3.1 Das Problem der Erhaltung instabiler Flexionsklassen bzw. unregelm. Flexionsformen
2.2.3.2 Suppletion: Definition und Motivation
2.2.3.3 Die Stellung der Suppletion in der Natürlichen Morphologie
2.2.3.4 Suppletion und Ökonomieprinzip
2.2.3.5 Type- und token-Freguenz bei den Natürlichen Morphologen
2.2.3.6 Fazit
2.3 Zusammenfassung und Ausblick
3. Das Urwestgermanische
3.0 Vorbemerkungen
3.1 Die sprachlichen Kennzeichen der wg. Sprachen
3.2 Das urwg. Verbalsystem
3.2.1 Die starken Verben
3.2.1.1 Das urwg. Ablautsystem
3.2.1.2 Die Aufspaltung des Systems
3.2.1.3 Exkurs: Zur Zuordnung der Vb. mit Resonant vor dem Ablautvokal
3.2.1.4 Liste der urwg. Vb. in Ablautreihen
3.2.2 Die schwachen Vb. des Urwestgermanischen
3.2.3 Die Kleineren Verbklassen
3.2.3.1 Exkurs 2: Zur Zuordnung von urwg. *aegan
3.3 Die systemdefinierenden Struktureigenschaften des urwg. Vbs.
3.3.0 Die einzelnen Parameter
3.3.1 Kurze Interpretation der Ergebnisse
3.3.2 Vorläufige Beurteilung des WURZEL'schen Verfahrens
3.4 Die Flexionsklassenstabilität
3.4.1 Kurze Beurteilung der "Flexionsklassenstabilität"
3.5 Zusammenfassung
4. Althochdeutsch
4.0 Vorbemerkungen
4.1 Phonologische Veränderungen vom Urwg. zum Ahd.
4.2 Das ahd. Verbalsystem
4.2.1 Das Präs. der st. und schw. Vb.
4.2.2 Das Prät. der st. und schw. Vb.
4.2.3 Die Veränderungen in den Kleineren Verbalklassen
4.2.4 Der Verfallsprozeß der ahd. Personalendungen
4.3 Das ahd. System der st. Vb.
4.3.1 Die ahd. Systematisierung
4.3.2 Die weitere Aufspaltung der Reihen
4.3.3 Liste der ahd. st. Vb. in Ablautreihen
4.4 Die systemdefinierenden Struktureigenschaften
4.5 Die Flexionsklassenstabilität
5. Altniederfränkisch
5.0 Vorbemerkungen
5.1 Phonologische Veränderungen vom Urwg. zum Anfrk.
5.2 Das anfrk. Verbalsystem
5.2.1 Das Präs. der anfrk. st. und schw. Vb.
5.2.2 Das Prät. der anfrk. st. und schw. Vb.
5.2.3 Die Veränderungen in den Kleineren Verbalklassen
5.3 Das anfrk. System der st. Vb.
5.3.1 Die anfrk. Systematisierung
5.3.2 Die Aufspaltung der Reihen
5.3.3 Liste der anfrk. st. Vb.
5.4 Die systemdefinierenden Struktureigenschaften
5.5 Die Flexionsklassenstabilität
6. Mittelhochdeutsch
6.0 Vorbemerkungen
6.1 Die phonologischen Veränderungen vom Ahd. zum Mhd.
6.2 Das mhd. Verbalsystem
6.2.1 Das Präs. der st. und schw. Vb.
6.2.2 Das Prät. der st. und schw. Vb.
6.2.3 Die Veränderungen in den Kleineren Verbalklassen
6.3 Das mhd. System der st. Vb.
6.3.1 Die mhd. Systematisierung
6.3.2 Veränderungen gegenüber dem Ahd.
6.3.2.1 Strukturelle Veränderungen
6.3.2.2 Lexembezogene Veränderungen
6.3.2.3 Neubildungen
6.3.3 Mhd. Listen
6.3.3.1 Liste der mhd. st. Vb. in Ablautreihen
6.3.3.2 Liste der mhd. st. Vb., die gegenüber dem Ahd. neu hinzukommen
6.4 Die systemdefinierenden Struktureigenschaften
6.5 Die Flexionsklassenstabilität
7. Mittelniederländisch
7.0 Vorbemerkungen
7.1 Die phonologischen Veränderungen seit dem Anfrk.
7.2 Das mnl. Verbalsystem
7.2.1 Das Präs. der st. und schw. Vb.
7.2.2 Das Prät. der st. und schw. Vb.
7.2.3 Die Kleineren Verbalklassen
7.3 Das mnl. System der st. Vb.
7.3.1 Die mnl. Systematisierung
7.3.2 Veränderungen gegenüber dem Anfrk.
7.3.2.1 Strukturelle Veränderungen
7.3.2.2 Lexembezogene Veränderungen
7.3.2.3 Neubildungen
7.3.3 Mnl. Listen
7.3.3.1 Liste der mnl. st. Vb. in Ablautreihen
7.3.3.2 Liste der mnl. st. Vb., die gegenüber dem Anfrk. und As. neu hinzugekommen sind
7.4 Die systemdefinierenden Struktureigenschaften
7.5 Die Flexionsklassenstabilität
7.6 Exkurs: Liste der as. st. Vb.
8. Frühneuhochdeutsch, die Entwicklung zum Neuhochdeutschen
8.0 Vorbemerkungen
8.1 Die phonologischen Entwicklungen
8.2 Die Veränderungen im Verbalsystem in der fnhd. Periode
8.2.1 Das Präs. der st. und schw. Vb.
8.2.2 Das Prät. der st. und schw. Vb.
8.2.3 Die Veränderungen in den Kleineren Verbalklassen
8.3 Die Veränderungen im Ablautsystem der st. Vb.
8.3.1 Qualitative Veränderungen
8.3.1.1 Ausgleich des Grammatischen Wechsels
8.3.2 Quantitative Veränderungen
8.3.2.1 Verluste
8.3.2.2 Neubildungen
8.4 Die Systemangemessenheit
8.5 Die Flexionsklassenstabilität
9. 16. und 17. Jh., die Veränderungen zum Neuniederländischen
9.0 Vorbemerkungen
9.1 Die phonologischen Veränderungen vom Mnl. zum Nnl.
9.2 Die Veränderungen im Verbalsystem
9.2.1 Das Präs. der st. und schw. Vb.
9.2.2 Das Prät. der st. und schw. Vb.
9.2.3 Die Veränderungen in den Kleineren Verbalklassen
9.3. Die Veränderungen im System der st. Vb. (vgl. Schema 11)
9.3.1 Qualitative Veränderungen
9.3.1.1 Ausgleich des Grammatischen Wechsels
9.3.2 Quantitative Veränderungen
9.3.2.1 Verluste
9.3.2.2 Neubildungen
9.4. Die Systemangemessenheit
9.5. Flexionsklassenstabilität
10. Ergebnisse
10.0 Vorbemerkungen
10.1 Der Vergleich der einzelnen Sprachstufen
10.1.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung vom Urwg. zum Ahd. bzw. Anfrk
10.1.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung vom Ahd. zum Mhd. bzw. vom Anfrk. zum Mnl.
10.1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung vom Mhd. zum Nhd. bzw. vom Mnl. zum Nnl.
10.2 Theorie und Praxis
10.2.1 Welche neuen Gesichtspunkte ergeben sich durch die Anwen dung der Theorie auf das Material? - Zugleich Beantwortung der Eingangsfrage
10.2.1.1 Neue Gesichtspunkte bei der Materialinterpretation
10.2.1.2 Drei neuere Arbeiten: BORN 1980, RAMAT 1985, BITTNER 1985
10.2.2 Welche neuen Gesichtspunkte ergeben sich für die Theorie durch die Überprüfung am Material?
Literaturverzeichnis
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Die starken Verben im Deutschen und Niederländischen: Diachrone Morphologie
 9783111358420, 9783484302143

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Linguistische Arbeiten

214

Herausgegeben von Hans'Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Ute Hempen

Die starken Verben im Deutschen und Niederländischen Diachrone Morphologie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hempen, Ute : Die starken Verben im Deutschen und Niederländischen : diachrone Morphologie / Ute Hempen. - Tübingen : Niemeyer, 1988. (Linguistische Arbeiten ; 214) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1986 NE: GT ISBN 3-484-30214-3

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.

Vorwort

Die hier etwas gekürzt und aktualisiert vorliegende Arbeit wurde im Winter 1986 von den Philosophischen Fakultäten der Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Die Anregung zu diesem Thema erhielt ich von Prof.Dr. Otmar Werner, Institut für Vergleichende Germanische Philologie und Skandinavistik, dem an dieser Stelle herzlicher Dank gebührt für die fachliche Begleitung, durch wertvolle Hinweise und Diskussionen, sowie die Aufnahme in diese Reihe. Ich möchte mich ferner bedanken bei den anderen Institutsmitgliedern, besonders Thomas Birkmann, der mir mit Rat und Tat geholfen hat, bei Prof.Dr. Jan Goossens, Münster, für die Überlassung eines unveröffentlichten Vorlesungsmanuskripts, sowie bei Dr. Hans-Joachim Solms, Bonn, der mich durch seine Gesprächsbereitschaft und sein Interesse unterstützt hat. Für die günstigen Arbeitsbedingungen, die sie mir während der Entstehungszeit der Arbeit gewährt haben, möchte ich auch allen Mitgliedern des Sprachwissenschaftlichen Seminars der Universität Freiburg danken. Wichtige Impulse erhielt ich darüber hinaus in ihrer Lehre (besonders bei Dr.Michael Back) und durch die unermüdliche Diskussionsbereitschaft (Prof.Dr. Helmut Rix, Dr. Michael Back und Dr. Gerhard Meiser). Die moralische Unterstützung aller Mitglieder des Seminars hat mir sehr geholfen, die Arbeit abzuschließen. Last but not least geht mein herzlicher Dank an Sonja und Dr. Klaus-Christian Küspert, z.Zt. Hamar nhd. gebären.

Das Nnl. kennt zwar keinerlei Umlautgrapheme, dennoch ist der Umlaut eine sprachgeschichtliche Erscheinung des Ndl., vgl. germ, skap-jan, nnl. scheppen 'schaffen 1 . Synchron wird er morphologisch jedoch nur in der Substantivflexion zum Ausdruck von 'Plural' verwendet: Sg. stad - Pl. steden. 1.1.3.2 Das Dentalsuffix Das Dentalsuffix ist ein Morphem, das zum Ausdruck der Kategorie 'Präteritum' direkt an den Stamm eines schw. Vbs. tritt. Es lautet im Nhd. im Prät. -t(e) (vgl. zur Segmentierung der Personalendung im Prät. KERN/ZUTT 1977:20), im Part.H -t: leb-t-e, geleb-t. Nur bei den Verben, deren Stamm mit einem dentalen Verschluß auslautet, wird ein -e- zwischen Stamm und Tempussuffix eingefügt: arbeit-e-t-e, gearbeit-e-t. Im Nnl. erfolgt die Auswahl zwischen d und t abhängig von der Qualität des stammauslautenden Konsonanten: endet der Stamm auf einen stimmlosen Okklusiv oder Spiranten (p, t, k, f, s, c h ) , so folgt -te, -t; in den anderen Fällen tritt -de, -d an den Stamm: maken, Stamm maak-, Prät. hij maakte, Part H gemaakt vs. zeggen, Stamm zegr-, Prät. hij zegde, Part.H gezegd.

Dabei kommt es aufgrund der nnl. Orthographieregeln zu solchen Formen wie hij leefde 'er l e b t e ' , geleefd und hij reisde 'er r e i s t e ' , gereisd. Die I n f . leven und reizen gehören zu den Stämmen leev- und reiz-, an die ein -de, -d treten muß. Im Nnl. kann im Silbenauslaut aber kein v oder z stehen, sondern nur f und s entsprechend der orthographischen Norm, b, d, g dagegen bleiben erhalten (GEERTS 1984:424ff). Historisch betrachtet ist die Bildung des Präteriturns mit einem Dentalsuffix eine germanische Neuerung, die zunächst bei den von Substantiven oder st.

Vb.

abgeleiteten schw. Vb. angewendet wurde (vgl. LUHR 1984 und Abschn. 3 . 2 . 2 . 2 ) . Das Dentalsuffix folgt dem ableitenden Wortbildungssuffix, das (im Ahd.) entweder -i/j-,

-o- oder -e- lautete, vgl. ahd.

Inf. nerien salben haben

Prät. ner-i-ta salb-o-ta hab-e-ta

Part. H gi-ner-i-t gi-salb-o-t gi-hab-e-t

'retten' 'salben' 'haben'

Bei denjenigen Verben der 1. Klasse der schw. Vb., die eine lange Wurzelsilbe haben, ist das Ableitungssuffix -i-

im Prät. schon früh (vorahd.) ausgefal-

len, so erfolgte hier keine Umlauteinwirkung auf den Wurzelvokal, z.B. got. brann-jan, Prät. brannida, aber ahd. brennen - branta, wir erhalten nhd. brennen - brannte. Diese Verben wurden von GRIMM (1819:870) fälschlich Rückumlautsverben genannt, wie sie bei den meisten Sprachwissenschaftlern heute noch heißen. Das Ndl. kennt dieselbe Erscheinung, z.B. anfrk. sendan - santa 'schicken 1 , mnl. kennen - kande, hat aber zum Nnl. alles zum Infinitivvokal hin ausgeglichen. Einige Verben der 1 . schw. Kl., die schon germ, das Dentalsuffix des Prät. ohne Ableitungsvokal direkt der Wurzel anfügen, und die ebenfalls ein umgelautetes Präs, aufweisen, sind dagegen auch noch im Nnl. belegt: got. bagkjan bahta, ahd. denken - dähta, anfrk. thencon - thähta, nhd. denken - dachte, nnl. denken - dacht. Mit Ausnahme der soeben angeführten Vb. der 1. Kl. fielen die Vb. der 3. ahd. schw. Klassen wegen der Endsilbenabschwächung und dem damit verbundenen lautlichen Zusammenfall bzw. Ausfall der Bindevokale schon im Mhd. zu einer Gruppe zusammen. Auch die Präteritopräsentien, deren (Resultativ-) Perfektformen des idg. Präsenssystems im Germ, semantisch konsequent dem Präsens des neuen Tempussystems zugeschlagen wurden (Musterbeispiel: gr. oida 'ich habe erblickt' > 'ich weiß 1 , got.

wait, vgl. BIRKMANN 1987, Kap. 1), bilden ein neues schw. Prät. Das Den-

talsuffix tritt ohne Bindevokal an die Wurzelform mit der Ablautstufe des Prät. Pl. (= Ablautstufe des neuen Präs.PI.): got. Präs.Sg. kann - Pl. kunnum - Prät. kunba.

Hier zeigt sich schon eine vielseitige Verwendung der neuen Bildungsweise, sie konnte überall dort eintreten, wo nicht die nötigen strukturellen Voraussetzungen für einen Ablaut gegeben waren (hier z.B. bestand schon ein Ablaut zwischen Präs.Sg. und P L ) . Im Laufe der Sprachgeschichte werden zunehmend ehemals st. Vb. schwach konjugiert. Im Nhd. zeigt sich eine Anfügung des Dentalsuffixes als das einzig produktive Verfahren (ÄUGST 1975:248; SCNDEREGGER 1979:258).

1.1.3.3 Endungen des Part. H Die Endungen des Part.H lauten für die schw. Vb. im Nhd. -t, -d; das Part. H der st.

im Nnl. -t/

Vb. lautet jeweils auf -en aus.

Beim Part.H handelt es sich der Bildungsweise nach um idg. Verbaladjektive auf *-no- bzw. *-to-, die im Germ, zum Part.H ausgebaut wurden (vgl. z.B. SZEMERENYI 1970:297). Das st. Vb. verwendet die Bildungsweise mit *-no-Suffix: idg. *bhr-o/e-no-s > germ. *bur-a-n(a)-z > got. baurans > and. giboran. Das -t des P a r t . H der schw. Vb. geht auf das idg. *-to-Suffix zurück (vgl. gr. dotos), das im Germ, zu *-da wurde, dessen -a dann ausfiel: got salbo-bs, ahd. gi-sal-

bö-t.

1 .1 .3.4 Personalendungen Aus dem Idg. übernimmt das Germ. 3 Endungssätze zum Ausdruck von Person/ Numerus: ( 1 ) im Ind.Präs, der st. und schw. Vb. erscheinen die sogenannten Primärendungen, (2) im Konj.Präs. die Sekundärendungen; (3) die idg. Perfektendungen werden weitgehend im germ. Ind.Prät. der st.

Vb. fortgesetzt (Ausnah-

me im Wg.: 2.Sg.). Die Endungen der schw. Vb. im Ind.Prät. sind ebenso wie die Tempusbildung

mit Dentalsuffix eine germ. Neubildung (MEID 1969:227) und un-

terscheiden sich im Sg. von den Endungen der st. Vb., vgl. ahd.: Prät.stamm schw.: st.

:

salbotbant

l.Sg. -a bant-0

2.Sg.

3.Sg.

-os bunt-i

-a bant-0

Im Laufe der Sprachgeschichte ergibt sich durch den Endungsverfall und durch analogen Ausgleich ein umfangreicher Formenzusammenfall. Die dadurch entstandenen Homophonien (z.B. ahd. 1.Sg.Ind.Präs, bintu 'ich binde1 und 1./3.Sg.Konj. Präs, binte 'ich/er binde1 fallen zusammen in mhd. binde) werden durch zusätzliche Kennzeichen (z.B. Pronomina) erneut unterschieden. UTI aufzuzeigen, wo sich Oppositionen bei den Endungen erhalten haben, möch-

te ich der Übersichtlichkeit halber die Endungen in Paradigmen aufführen: Neuhochdeutsch: Ind.Präs.

Ind.Prät.

Konj. I

Konj. I

trag-e träg-st träg-t trag-en trag-t trag-en

trug trug-st trug trug-en trug-t trug-en

trag-e trag-est trag-e trag-en trag-et trag-en

trüg-e trüg-est trüg-e trüg-en triig-et trüg-en

leb-t-e leb-t-est leb-t-e leb-t-en leb-t-et leb-t-en

leb-e leb-est leb-e leb-en leb-et leb-en

leb-t-e leb-t-est leb-t-e leb-t-en leb-t-et leb-t-en

Imp.: trag-0! leb-e leb-st leb-t leb-en leb-t leb-en Imp.: arbeit-e!

Im Anschluß an KERN/ZUTT 1977:20 analysiere ich als Dentalsuffix das -tund nicht -te-, was durchaus auch möglich wäre und zu geringfügig anderen Analyseergebnissen führte. Wir können im Nhd. also 3 Sätze von Endungen zur Kennzeichnung von Person und Numerus unterscheiden:3 Satz A im Ind.Präs, der st. und schw. Vb. ; Satz B im Ind.Prät. der st. V b . ; Satz C im Ind.Prät. der schw. Vb. sowie im gesamten Konj. Ein Unterschied zwischen st. und schw. Vb. besteht in den Endungen des Prät Sg., die bei den st. Vb. -0, -st, -0, bei den schw. dagegen -e, -est, -e lauten. Darüber hinaus im Imp., der bei den st. Vb. auf -0, bei den schw. Vb. auf -e auslautet. Tempusunterscheidende Funktion haben die Endungen der 1. und 3. Sg.Ind. bei den st. Vb.: Präs, trag-e, träg-t vs. trug-0. Modusunterscheidende Funktion kommt bei den st. Vb. dem Umlaut und dem Endungssatz C zu, bei den schw. Vb. im Präs, den Formen der 2./3.Sg. und 2.P1.

3 Zur Einfügung des -e- nach Dentalen oder Kons. + Dental, vgl. I n f . rechn-en, 3.Sg.Ind.Präs, rechn-e-t, die bis auf wenige Ausnahmen ( z . B . gilt, wird, flicht) automatisch seregelt i s t , vel. DROSDOWSKI 1984:119.

10 Neuni ederländisch Ind.Präs. draag

Ind.Prät droeg

draag-t

droeg

draag-t drag-en drag-en

droeg droeg-en droeg-en

drag-en

droeg-en

Imp.: draag! leef leef-t leef-t lev-en lev-en lev-en

leef-d-e leef-d-e leef-d-e leef-d-en leef-d-en leef-d-en

Imp. : werk! Dabei analysiere ich wie im Nhd. -d-/-t- als Dentalsuffixe. Im Nnl. sind ebenfalls 3 Endungssätze zur Kennzeichnung von Person und Numerus zu unterscheiden: Satz A 1 im (ind.)Präs. der st. und schw. V b . ; Satz B' im (Ind.)Prät. der st. V b . ; Satz C' im ( i n d . ) P r ä t . der schw. Vb.

Ein Unterschied zwischen st. und schw. Vb. besteht im Prät.Sg., der bei den st. Vb. auf-0, bei den schw. auf -e auslautet. Eine tempusunterscheidende Funktion haben die Formen der 2. und 3.Sg., eine modusunterscheidende Funktion die Form der 2.Sg.: Ind.Präs, draag-t vs. Imp. draag! Die verschiedenen Endungssätze bieten also sowohl im Nhd. als auch im Nnl. nur eine kleine Möglichkeit, die st. und schw. Vb. zu trennen; in beiden Sprachen wird nur im Prät.Sg. unterschieden, im Nhd. zusätzlich bei der isolierten Endung des Imp. Weist ein nhd. oder nnl. Verb in seiner Formenbildung eine andere als die hier angegebene Verteilung der Personalendungen auf, so handelt es sich um ein nicht zu den st. oder schw. Vb. gehörendes unregelm. Vb. Die Verteilung der Personalendungssätze ist bei ihnen ein wesentliches Unterscheidungskriterium,* das in der jeweiligen Klassifikation mit angegeben ist.

4 Auf der Tatsache der unterschiedlichen Endungen und nicht auf der Art der Tempusbildung wie im vorliegenden Fall hat HENKEL 1974 seine Einteilung der nhd. Vb. aufgebaut.

11

1.1.4

Die Stammformen

Die Grundlage für die Beschreibung der verbalen Formenbildung ist üblicherweise die Nennung ihrer primären Stämme, die alle nhd. und nnl. Vb. betrifft und ihrer sekundären Stämme, die nur die nhd. st. und unregelm. Vb. betrifft (vgl. fürs Nhd. z.B. FABRICIUS-HANSEN 1977:194); zu den primären Stämmen zählen: ( 1 ) Der Präs.-Stamm; er wird zumeist durch den Inf. (=Präs.-Stamm + Inf.-Endung) repräsentiert, z.B. nhd. nehmen, leben, und steht im gesamten Präs, außer bei denjenigen st. Vb., die in der 2. und S.Sg.Ind. einen Vokalwechsel aufweisen, vgl. ( 4 ) unten. (2) Der Prät.-Stamm; er wird repräsentiert durch die Form der 1. und B.Sg.Ind. Prät., nhd. nahm, nnl. nam, und gilt im allgemeinen für den ganzen Ind.Prät. Bei einigen nnl. Vb. mit Prät.Sg.-Vokal /a/ ist jedoch zwischen Sg. und Pl. ein völlig regelmäßiger Quantitätsunterschied in geschlossener vs. offener Silbe gegeben: Sg.Ind.Prät. nam /a/ vs. PI. namen /a:/. Bei den st. Vb. ist für die historischen Sprachstufen bis inkl. Mhd./Mnl. die zusätzliche Nennung der Stammformen des Prät.Pl. nötig: mhd. Sg.Ind.Prät. half - Pl. hülfen, mnl. halp - holpen. Die Stammform des Prät.Pl. diente gleichzeitig zur Bildung des Konj.Prät. mhd. hülfe. Nach dem fnhd. Numerusausgleich im Prät., der im Nhd. zu half - halfen führte, ist dieses Flexionsprinzip durchbrochen. Im Nhd. kommt es dadurch zu Varianten wie z.B. hälfe neben hülfe, vgl. (5) unten. (3) Der Part.Prät.-Stamm, repräsentiert durch das Part. II: nhd. genommen, gelebt; nnl. genomen, geleefd. Zu den sekundären Stämmen zählen: ( 4 ) Ein zweiter Präs.-Stamm (Präs. II); es gibt ihn bei denjenigen Vb., die in der 2. und 3.Sg.Ind.Präs, einen Vokalwechsel aufweisen: Inf. nehmen-3 .Sg. nimmt. Nicht hierher rechne ich den Vokalwechsel zwischen Inf. = Präs.Pl. ? Präs.Sg. bei einigen unregelmäßigen Vb., wie z.B. nhd. können - ich kann, nnl. kunnen ik kan. Er wird bei den betreffenden Vb. jeweils angegeben. (5) Ein zweiter Prät.-Stamm (Prät. II); er ist bei den st. Vb. mit umlautfähigem Vokal im Prät.-Stamm anzugeben und repräsentiert den Konj. II, da dieser nicht mehr automatisch vom primären Prät.-Stamm abzuleiten ist. Auf der Basis dieser Stammformen in Verbindung mit den jeweiligen Personalendungen zum Ausdruck von Person und Numerus und eventuell einem Hilfsverb können sämtliche Verbalformen des Nhd. und Nnl. gebildet werden. Im Nnl. ist die Trennung in primäre und sekundäre Stammformen nicht gegeben, da es keinen Vokalwechsel im Präs. (=Präs.II) und keinen synthetischen Konj. (mehr) gibt. Wird jedoch im ndl. Sprachgebrauch von "primaire en secondaire

12 vormen" gesprochen,so bezieht sich das auf den Gegensatz: Stamm (=Präs.) vs. veränderter/erweiterter Stamm (=Prät. und Part. II) (VAN HAERINGEN 1940:225)

1.2

Herkunft, Benennung und Einteilung des Materials

1.2.1

Herkunft

Für die Sammlung des Materials greife ich für das Nhd. auf den DUDEN (DROSDOWSKI 1984) zurück, für das Nnl. auf die "Algemene Nederlandse Spraakkunst" (ANS; GEERTS 1984). Für beide Sprachen bestehen zur Bezeichnung der verschiedenen Vb.-Gruppen unterschiedliche Definitionen bzw. Konventionen. Dies trifft besonders diejenigen Vb., die weder eindeutig st. noch eindeutig schw. flektieren: Nachdem in Abschn. 1.1 bereits die Bildeweise der st. und schw. Vb. erläutert wurde, wollen wir uns nachfolgend den unregelm. Vb. und ihrer Beziehung zu den beiden großen Vb.-Gruppen zuwenden. 1.2.2

Stark + unregelmäßig = unregelmäßig? - Zur Terminologie

Die Verben, die nicht der st. oder schw. Flexion angehören, nennt GRIMM 1918:988 "Anomalien". Er listet sie in 9 Punkten auf: (1) sein; (2) müssen, wissen, mögen, sollen,

dürfen;

(3) wollen; (4) tun;

(5) haben; (6) gehen, stehen;

(7) die mhd. Verba mit w, h, j, die zum Nhd. hin den Konsonant ausgeglichen haben und auch keine unumgelauteten Prät.-Formen mehr aufweisen, nhd. z.B. blähen, krähen, mähen, bauen, brauen, kauen; (8) bringen, denken, dünken;

(9) fragen, mit dem mda. Prät. frug. Die sogenannten Rückumlautverben brennen, kennen, nennen, rennen, senden und wenden führt GRIMM bei den schw. Vb. auf, wohingegen er st. Vb. mit inzwischen teilweiser schw. Konjugation bei den einzelnen Klassen der st. Vb. beläßt. Diese Einteilung wird von PAUL 1959,11:259-276 prinzipiell übernommen: die "gemischten Verben" erscheinen bei ihrer entsprechenden st. Klasse, die Rückumlautverben bei den schw., die übrigen Vb. werden dann bei "Anomala" in einzelnen Abschnitten wie bei GRIMM systematisch zusammengezogen.

13

Daß hier deutlich sprachgeschichtliche Erwägungen der Einteilung zugrundeliegen, zeigt bei GRIMM das Aufführen der Vb. in ( 7 ) , die nhd. sämtlich regelm. schw. flektieren, bei PAUL die Nennung der 3 Verben taugen, gönnen (nhd. beide schw. gebildet) und mhd. türren 'wagen', das jetzt "untergegangen" ist, bei den "Präteritopräsentia" (PAUL 1959,11:265). Die meisten neueren Grammatiken zum Nhd. behalten noch weitgehend die GRIMM' sehen Begriffe bei, führen aber z.B. die 6 Rückumlautverben bei den "unregelmäßigen" an (GREBE 1973:127; DROSDOWSKI 1984:129; JUNG 1980:180). Für die Vb. mit einer schw. und einer st. gebildeten Prät.-Form (z.B. backen - backte gebacken) wird eine zusätzliche Gruppe geschaffen: "Verben mit Mischformen" (GREBE 1973:126). Hier zeigt sich m.E. ein Ansatz zur synchronen Behandlung, insofern nicht mehr die historisch zusammengehörigen Verben in einer Gruppe vereint werden, wie bei PAUL 1959 auf dt. Seite und DE VOOYS 1967:126 fürs Ndl., sondern es werden synchrone morphologische Merkmale als Kriterien benannt, und neue Gruppen unter Beibehaltung der traditionellen Terminologie gebildet. Die Tendenz bei der morphologischen Beschreibung der dt. Vb. geht jedoch dahin, daß man sich völlig von den traditionellen Begriffen löst. So verwendet FLÄMIG "stark", "schwach", "gemischt" und "unregelmäßig" nur in Anführungszeichen (HEIDOLPH u.a. 1980:499). In der Grammatik von HELBIG/BUSCHA 1974 wird zwischen "regelmäßigen" (schw.) und "unregelmäßigen" Vb. unterschieden. Sie trennen jedoch in beiden Abteilungen noch "besondere" Gruppen ab; bei den "unregelmäßigen" sind dies gehen, stehen, tun, werden und sein neben den übrigen st. Vb. Die "besondere Gruppe der regelmäßigen Verben" setzt sich zusammen aus allen übrigen, die nicht "unregelmäßig" sind, aber auch nicht richtig regelm. konjugieren, z.B. senden, bringen, dürfen, haben u.a. Sie sind im übrigen in die anschließende "Alphabetische Liste der unregelmäßigen Verben" (HELBIG/BUSCHA 1974:42-47) mit aufgenommen! Aufgrund einer streng synchronen Betrachtungsweise kamen die Verfasser der Sprachlehren, die in der Zeit vor GRIMM in den deutschen Schulen dem Sprachunterricht dienten, zu vergleichbaren Ergebnissen: z.B. unterscheidetAICHINGER 1754 zwei große Konjugationen nach der Bildeweise des Part. II (auf -et oder -en). Ihnen ordnet er entsprechend demselben morphologischen Kriterium die "unrichtigen Verba", die sich durch weitere Veränderungen entweder von der "ersten oder der anderen" Konjugation unterscheiden, in Untergruppen zu. So stellt er brennen ( u . a . ) , bringen ( u . a . ) , haben und dürffen ( u . a . ) zu der gleichen Konjugation wie-Zieben (§284f). Seyn, werden, gehen, stehen, fahen ' f a n g e n ' , hauen und thun erscheinen bei der "anderen" Konjugation als "unrichtige Verba", sie bilden ihr Part. II auf -en (§294). Hier sind also ebenfalls die unregelm. Vb. auf die Gruppen der st. und schw. Vb. verteilt.

14

In der neuesten 4. Auflage des DUDEN (DROSDOWSKI 1984} wird mittlerweile auch in regelm. (=schw.) und unregelm. Vb. unterschieden. Bei der weiteren Unterteilung der unregelm. wurden jedoch im Gegensatz zur 3. Auflage (GREBE 1973) nicht nur lautliche (Konsonantenwechsel) oder morphologische Kriterien (Dentalsuffix) verwendet, sondern auch syntaktische ("Modalverben"). Dies führt keineswegs zu einer Verwirrung beim Leser, sondern die Autoren haben offenbar versucht, die klarste Gruppierung und die deutlichste Bezeichnung für ihre Vb.Gruppen zu finden. Dabei haben sie im Bereich der Modalvb. einen Blick in die Diachronie getan, indem sie die Herkunft der Modalvb. - mit Ausnahme von wollen - aus den Präteritopräsentien nennen. Das ist für sich gesehen nicht schlecht, wird jedoch dadurch falsch, daß sie neben den 6 nhd. Modalvb. auch das Präteritopräsens wissen unter "Modalverben" auflisten, wo es sicherlich nicht hingehört (DROSDOWSKI 1984:130). Ebenfalls nicht unproblematisch ist es, innerhalb der Gruppen der unregelm. Vb. zwischen "Verben mit Ablaut" und "Verben mit Vokalwechsel" (Rückumlautvb.) zu unterscheiden, nachdem, wie wir oben in 1.1.3.1 gesehen haben, die Phänomene synchron nicht so ohne weiteres zu differenzieren sind. Hier wäre ein Zusatz "Verben mit Vokalwechsel und Dentalsuffix" o.a. deutlicher.5 Auf niederländischer Seite liegt die Einteilung in regelm. und unregelm. Konjugation schon länger vor: VAN HAERINGEN 1950:21 bezeichnet SMIT in ERNE/ SMIT 1946-50 als Pionier bei der Verwendung dieser Begriffe, die auf Ndl. bezogen erstmals in der "Grammar of Modern Dutch" von KRUISINGA 1924 verwendet wurden. VAN HAERINGEN selbst gebraucht sie seit 1950, und von da an werden die nnl. Vb. überwiegend in "regelmatig" und "onregelmatig" getrennt. Die "onregelmatige" Gruppe nimmt dabei neben den st. Vb. die in traditioneller Terminologie unregelm. Vb. wie z.B. gemischte Bildungen und Präteritopräsentien in Untergruppen auf. Begründet ist das Aufkommen der neuen Terminologie durch den Wunsch, entsprechend der SAUSSURE'sehen Forderung Sprachen rein synchron zu beschreiben, weil man festgestellt hat, daß die traditionelle Klassifikation den synchronen Sachverhalt nicht z u t r e f f e n d systematisierte. So ergeben sich schon für die ahd. Zeit Zuordnungsprobleme der Restgruppe "IV b" ( z . B . ahd. brecnan) zu der 4. oder 5. Klasse (BRAUNE/MITZKA a 1967, §341, vgl. Abschn. 3.1 unten). Nhd. synchron erweist es sich als schwierig, die zahlreichen Ablautreihen (39 nach DROSDOWSKI 1984:127; 41 nach KERN/ZUTT 1977:19) den 7 GRIMM'sehen Klassen zuzuordnen.

5 Größere Deutlichkeit ist nur bei einer systematischen Analyse nötig, der DUDEN listet vor allem für praktische Zwecke die konkreten Fälle jeweils auf, so daß Mißverständnisse dort gar nicht erst aufkommen.

15

Auf ndl. Seite ist z . B . das Verb nnl. weten - wist - getreten 'wissen' betroffen, das aus diachroner Sicht zu den Präteritopräsentia zählt (DE VOOYS 1967:126), synchron aber auch wie ein st. Vb. behandelt werden kann (GEERTS 1984:441). In synchronem Zusammenhang werden die Begriffe "stark", "schwach", "unregelmäßig" als Stellvertreter oder mögliche Indikatoren für eine diachrone Betrachtungsweise abgelehnt, da sich viele Assoziationen - wie z.B. die Zugehörigkeit eines Verbs zu einer bestimmten Gruppe der Vb. im Germ, oder Ahd. - damit verbinden . DUDEN und ANS vermeiden deshalb den traditionellen Sprachgebrauch. Ein Unterschied zwischen der Einteilung des DUDEN (DROSDOWSKI 1984) und der ANS (GEERTS 1984) in "schwach" = "regelmäßig" und "stark" + "unregelmäßig" = "unregelmäßig" besteht dennoch in erster Linie in der Terminologie, während die Kriterien der Unterteilung weitgehend vergleichbar sind. Der DUDEN verwendet Begriffe, die sich zwischen traditioneller (diachroner) Bezeichnungsweise und strukturalistischen Anforderungen (synchrone Analyse) hin- und herbewegen, es sind "sprechende" Begriffe; die ANS vergibt Kürzel: DUDEN-Bezeichnung

entspricht

in der ANS

regelmäßige Verben

regelmatige werkwoorden

Verben mit Mischformen

half regelmatig

Verben mit Ablaut

geheel onregelmatig - A , a

Verben mit Vokalwechsel Verben mit Vokal- und Kon sonantenwechsel

geheel onregelmatig - A , b geheel onregelmatig - B

Modalverben sein, haben, werden Da die Unterscheidungsmerkmale vergleichbar sind, können wir schon an dieser Stelle - und ohne dem nachfolgenden Vergleich allzu sehr vorzugreifen konstatieren, daß offensichtlich das nnl. Vb.-System mit 5 Untergruppen etwas regelmäßiger erscheint als das nhd. mit 7 (vgl. Abschn. 1.3 unten). Sowohl die traditionelle als auch die neuere Terminologie beschreiben die synchrone sprachliche Situation angemessen. Ich habe mich für die vorliegende Arbeit - da sie auch sprachgeschichtlich ausgerichtet ist - entschieden, die traditionellen Begriffe beizubehalten, obwohl die neuere Terminologie in der Nederlandistik seit über 30 Jahren gebräuchlich ist und die Argumente für die neue Bezeichnung nicht zu unterschätzen sind.

16

(a) Für die zweiteilende Klassifikation in "regelm. - unregelm." spricht besonders die sprachliche Realität: Die Vb. der älteren Sprachstufen des Germ. (Got., Ahd., Ae., As., Anfrk.) werden mit den Begriffen "stark - schwach - unregelmäßig" unzutreffend beschrieben, da sie nach der Inf.-Form einer der Flexionsweisen zugeordnet werden können. Das ist seit dem Zusammenfall der vollen Endsilben zu -en nicht mehr möglich, so daß wir strenggenommen seit dem Mhd., Mnl., (Mnd.) die zweiteilige Klassifikation in "regelm. - unregelm." verwenden müßten. Es gilt für sie, was ÄUGST zu recht für das Nhd. feststellt: Dem Sprecher sind keine Regeln gegeben, ein Vb. als st. oder schw. zu erkennen. Es wird von vornherein erst einmal als regelm. betrachtet: "die schwachen Verben sind die regelmäßigen, alles andere sind Ausnahmen." (ÄUGST 1975:266) (b) Darüber hinaus kann z.B. ein Vb. wie nnl. weten, das historisch als Präteritopräsens in die "unregelmäßige" Gruppe gehört, bei der neuen Bezeichnungsweise leichter, da von historischem Vorwissen unbelastet, in eine andere Gruppe der nicht regelm. Vb. eingeordnet werden. Es gehört nach GEERTS 1984:441 zu den "geheel onregelmatige werkwoorden - A,b" (= völlig unregelm. Vb. - A , b ) , also den st. Vb. mit zusätzlichem Konsonantenwechsel. Für die synchrone Beschreibung erweist sich demnach die zweigliedrige Betrachtung als vorteilhaft, für die historische die dreigliedrige. Ich möchte jedoch nicht zwischen einer synchronen und einer diachronen Terminologie wechseln. Da sie beide teilweise die gleichen Begriffe unterschiedlich verwenden, birgt ein ständiger Wechsel immer wieder Möglichkeiten zu Mißverständnissen, die ich von vornherein vermeiden möchte. Ich entscheide mich daher für die traditionelle Terminologie (dreiteilige Gliederung), da ich sie für aussagekräftiger halte, sie in den historischen Grammatiken üblich ist, und da sie darüber hinaus zugleich fürs Nhd. und Nnl. geeignet ist. Gegen eine Anwendung der zweiteiligen Gliederung auf die Diachronie spricht m . E . , daß sie nicht differenziert genug ist. Wenn ich demnach ein Vb. als "unregelm." klassifiziere, so ist es weder eindeutig schw. noch eindeutig st. (vgl. die Überschrift des Abschnittes), sondern z.B.

ein gemischtes Vb. oder ein Rückumlautvb. und gegebenenfalls näher zu be-

nennen. Dennoch sollte diese terminologische Diskussion außer der Klärung der Begriffe auch die ersten Argumente dafür liefern, daß die st. und unregelm. Vb. als gemeinsame Ausnahme gegenüber den schw., regelm. Vb. zusammen betrachtet werden müssen.

17 1 .3

Die Klassifikation

Unter den sprachvergleichenden Betrachtungen zum nhd. und nnl. Verbalsystem liegen mit VAN HAERINGEN 1956 + 1962 und auf ihm beruhend BRACHIN 1977 drei Arbeiten vor, die ausgewählte Unterschiede beschreiben; VAN BERGEN 1971 behandelt aus nnl. Sicht das nicht vollständige nhd. Material unter sprachdidaktischen Gesichtspunkten. Das bedeutet auch hier eine Konstatierung der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede. Nur VAN HAERINGEN und PONTEN 1976 gehen einen Schritt weiter, insofern sie versuchen, die Differenzen auch zu begründen (wir werden darauf in Abschn. 1.4 näher eingehen). Doch in keiner der vorliegenden Arbeiten' ist das Material der beiden Sprachen vollständig aufgeführt, so daß wir auf die jeweiligen einzelsprachlichen Analysen als Grundlage für einen Vergleich zurückgreifen müssen.

1.3.1

Die Grundlagen

Die Betrachtung des jeweiligen einzelsprachlichen Verbalsystems hat besonders zum Nhd. in den letzten Jahren zu zahlreichen Publikationen geführt, in denen es den Verfassern in erster Linie um eine (auflistende oder systematisierende) Klassifikation der st. Vb. ging. Ich möchte hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit nur auf die neueren Arbeiten verweisen: Fürs Nhd. sind neben den Abschnitten in den nhd. Grammatiken von CURME 1905, DROSDOWSKI 1984, HEIDOLPH/FLÄMIG/MOTSCH 1980, HELBIG/ BUSCHA 1974, JUNG 1980 vor allem eine Reihe von Aufsätzen zu nennen, i.e. DELACK 1975, DURRELL 1980, FABRICIUS-HANSEN 1977, FOURQUET 1970, HALLE 1970, HENKEL 1974, HOOK 1968, LODGE 1971, MARCHAND 1955, ROSS 1967, SPITZ 1966, ULVESTAD 1970, VAN DE VELDE 1973, WURZEL 1970. Fürs Nnl. liegen mir neben den Grammatiken von VAN DEN BERG '1967, DONALDSON 1981, GEERTS 1984, RIJPMASCHURINGA 21 1968, TACX 1960, VAN DEN TOORN 1982 und DE VOOYS 1967 die Aufsätze von EECKHOUT 1968 + 1969 sowie von VAN HAERINGEN 1950 vor. Der größte Teil dieser Arbeiten behandelt nur die st. V b . , häufig auch diese nicht vollständig.

Da nur SPITZ 1966 und GEERTS 1984 sämtliche nicht-regelm. Vb. berücksichtigen und in aller Ausführlichkeit zu klar abgegrenzten Untergruppen zusammenfassen, entsprechen letztlich nur ihre Arbeiten unseren Erwartungen, auch wenn ich mich im folgenden in einigen Punkten von ihnen distanziere. Dennoch werfe ich einen Blick auf einige der übrigen Klassifikationen, um aufzeigen zu können, worauf es mir in meiner eigenen Darstellung ankommt.

6 Eine in Marburg entstandene Examensarbeit zum Thema ist unveröffentlicht geblieben, vgl. PONTEN 1976:50, A.2.

18

1 .3.1 .1 Diskussion einiger nhd. Klassifikationsmodelle Ich möchte davon absehen, die vorhandenen Ansätze im einzelnen zu kritisieren, da das bereits durch ÄUGST 1975, FABRICIUS-HANSEN 1977, DURRELL 1980 und SOLMS 1984 erfolgt ist; ich werde vielmehr versuchen, deren Ergebnisse zusammenzufassen. ÄUGST 1975 hat bei der näheren Betrachtung dreier Klassifikationen, die von Regelsystemen ausgehen, an jeder etwas anderes auszusetzen. HOOK 1968 w i r f t er vor, daß er keine Regel geschaffen habe, um prinzipiell die nicht-regelm. von den regelm. Vb. zu unterscheiden. Dies hat dagegen HALLE 1970 unternommen, indem er sein System auf die 3.Fers.Sg.Ind.Prät. eines Verbs aufbaute. HALLEs Entwurf ist jedoch vorzuwerfen, daß er unökonomisch sei (ÄUGST 1975: 137), und daß die Form der 3 .Per s.Sg.Ind.Prät. nicht die im Lexikon eingetragene Zitierform ist (FABRICIUS-HANSEN 1077:193). Die Diskussion zu dem generativen Vorschlag von WURZEL 1970 endet mit der Feststellung, daß das Regelmodell zwar einerseits beschreibungsadäquat sei, indem es "genau die gleichen Formen erzeugt, wie sie in der Empirie anzut r e f f e n sind." (ÄUGST 1975:240). Dieses Regelmodell sei deshalb nicht falsifizierbar, andererseits sei damit aber auch nicht erwiesen, daß das Modell adäquat ist, d.h., daß "die Sprache nach dem gleichen Prinzip verfährt". (ÄUGST 1975:240). Mit einer deskriptiv-adäquaten Grammatik soll man sich nach CHOMSKY aber nicht zufrieden geben, sondern es sei Erklärungsadäquatheit anzustreben: "... die Kernfragen, die Fragen mit dem größten Gewicht sowohl in unserer Auffassung von Sprache als auch in der Praxis der Beschreibung, sind fast immer jene, die explanative Adäquatheit im Hinblick auf besondere Aspekte der Sprachstruktur involvieren." (CHOMSKY 1969:54). Die Frage ist demnach, ob das generative Regelsystem von WURZEL dem postulierten Anspruch gerecht wird, d.h. ob die Sprache nach diesem Modell produziert wird. ÄUGST verneint das. Er entzieht den 3 Modellen nachfolgend jegliche Grundlage, indem er nachweist, daß es keine Klasse der st. Vb. mehr im Nhd. gibt. Denn nach seinen Untersuchungen zur Sprachgeschichte und zum Spracherwerb kann er konstatieren: es gibt keine Regeln zur Subklassifizierung in st. und schw., "weil der kompetente Sprecher eine solche Subklassifizierung nicht vornimmt." (ÄUGST 1975:266). Daraus ergibt sich zum einen, daß der Sprecher sich die st. Vb. als "Ausnahmen" merken muß (vgl. VAN DE VELDE 1973:270). Zum anderen haben damit die Regelsysteme keinen Anwendungsbereich mehr. Hierin liegt nun für ÄUGST die Schwäche der Beschreibung von WURZEL; die 157o Ausnahmen, die sein Regelsystem produziert, mögen noch erträglich sein, "aber die Auslösung des Regelmechanismus muß jedesmal markiert werden, ist daher nicht Bestandteil der Regeln, und daher erscheint mir der Regelmechanismus nicht erklärungsadäquat, d.h. auch nicht funktionsgerecht." Ein auf Regeln beruhendes Beschreibungssystem für die st. Vb. t r i f f t die sprachliche Realität nicht. Von dieser Feststellung sindalle Klassifikationsvorschläge betroffen, die mit Regelsystemen arbeiten, also auch z.B. FABRICIUS-HANSEN 1977. Ihnen wird allerdings nicht die deskriptive Adäquatheit abgesprochen, die nach ÄUGST "einen nicht zu unterschätzenden heuristischen Wert" besitzt (ÄUGST 1975:241). Hier könnten wir einen Schritt weitergehen. Wenn wir es bei den nicht-regelm. V b . m i t Ausnahmen zu tun haben, die sich der Sprachbenutzer einzeln merken muß, ist diejenige Beschreibung notwendig und der Sachlage angemessen, die die paradigmatischen Formen für jedes Lexem bereit hält. D.h. aber nicht mehr, als

19 daß auch in einer strukturalistischen Beschreibung, die ohne generativistische Regelformulierungen arbeitet, die angestrebte "explanative Adäquatheit" liegen kann, indem sie a u f z e i g t , daß die einzelnen Formen einzeln - möglicherweise in kleine Untergruppen zusammengefaßt - gelernt und produziert werden. Die Feststellung AUGSTs, daß wir es bei den nhd. st. Vb. mit Ausnahmen zu tun haben, wird durch DURRELL 1980 bestätigt, der zu folgendem Ergebnis kommt: "Im heutigen Dt. ist der Ablaut ganz deutlich eine morpholexische Erscheinung." (DURRELL 1980:21). DURRELL entschließt sich in seiner Beschrei bung, die unbestrittenen Typen der Ablautreihen, die die st. Vb. trotz allem Suppletivismus aufweisen, nach gewissen Gesetzmäßigkeiten zu "Flexionsklassen" zusammenzufassen. Auf die jeweilige Klassenzugehörigkeit könnte dann im Lexikon bei dem einzelnen Vb. hingewiesen werden. DURRELL geht davon aus, daß eben diese Gesetzmäßigkeiten einer möglichst adäquaten Darstellung bedürfen, denn "solche lexematische (sie!) Klassifizierungen bilden eigentlich die morpholexische Regelmäßigkeit der Sprache." (DURRELL 1980:21). Sie werden am besten dargestellt, indem die paradigmatischen Veränderungen von Wortformen aufgezeigt werden, "es drängt sich also deutlich eine Zuweisung der starken Verben zu Flexionsklassen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Ablautreihen auf!" (DURRELL 1980:23). Als Beispiel für ein Klassifikationsmodell, das auf einem anderen Kriterium basiert, sei die Arbeit von HENKEL 1974 angeführt. Er übt Kritik an der herkömmlichen Dreiteilung der Verben in "starke, schwache und unregelmäßige Verben", da die herangezogenen Kriterien sachlich und terminologisch unzureichend seien. In seinem Klassifikationsvorschlag geht er aus von den 26 "Personalmorphemen", die jedes Vb. bilden kann, und teilt die Verben daraufhin in 7 Matrizes auf. Dabei vermischt er jedoch regelm. und nicht-regelm. Vb., z.B. fallen die Verben bringen, denken, brennen, kennen usw. mit den schw. Vb. wie z.B. sagen zusammen. HENKEL trennt also nicht strikt zwischen den schw. Vb. einerseits und den st. und unregelm. Vb. andererseits, die in dieser Arbeit vorzugsweise betrachtet werden sollen. Das Kriterium der unterschiedlichen Personalendungen kann deshalb wie die Part. II-Endung erst sekundär zur Untergliederung der st. und unregelm. Vb. herangezogen werden, nicht aber zur Einteilung in schw., st. und unregelm. Vb.

1 .3.1.2 Das der Klassifikation zugrundegelegte Modell Mit dem Modell sollen sämtliche nicht-regelm. Vb. des Nhd. und Nnl. in einer strukturierenden Beschreibung erfaßt werden (vgl. Abschn. 1.3.2 und 1.3.3). Die schw. Vb., die keinen Ablaut kennen und ihr Prät. und Part. II völlig regulär mit einem Dentalsuffix bilden, werden nicht aufgenommen. Nach der Anwendung der Einteilungskriterien (vgl. 1.1.3) auf die nicht regelm. Vb. erhalten wir in den beiden Sprachen 3 Gruppen, deren Reihenfolge durch die zunehmende Abweichung von der regelm. Formenbildung bestimmt ist: (I) die gemischten Vb.; sie flektieren entweder im Prät. oder im Part. II schw., in der jeweils anderen Stammform stark: nhd.: melken - melkte - gemolken mit schw. Prät. und st. Part. II; nnl.: vragen - vroeg - gevraagd mit st. Prät. und schw. Part. II;

20 (II) die st. Vb.; ihre Kennzeichen sind: - Wechsel des Stammvokals im Prät. und Part. II (Ablaut); - Verwendung der normalen für die st. Vb. vorgesehenen Personalendungen (vgl. zur Verteilung Abschn. 1 . 1 . 3 . 4 ) ; - Part. II-Endung auf -en; (III) die unregelm. Vb.; dazu zählen alle Vb., die ihre Verbalformen weder regulär nach Art der schw., noch nach Art der st.

und auch nicht die eine Stamm-

form schw., die andere Stammform st. bilden (vgl.

( I ) ) , sondern:

- (lila) sie verwenden gleichzeitig in einer Stammform sowohl Vokalwechsel als auch Dentalsuffix: nhd. denken - dachte, nnl. denken - dacht oder - (Illb) die Verteilung der Personalendungen Vb. anders geregelt, vgl.

ist gegenüber den st. und schw.

1.1.3.4;

- (IIIc) sie bilden ihre Formen suppletiv; Ich betrachte weitere Stammveränderungen bei den st.

Vb. außer dem Vokal-

wechsel als untergeordnet. Vb. wie ziehen - zog - gezogen gehören in die gleiche Ablautreihe wie fliegen - flog - geflogen,

da diese konsonantischen Verän-

derungen jeweils pro Lexem gelten, in keine synchronen Gesetzmäßigkeiten zu fassen sind und für sich genommen keine grammatische Funktion tragen. Die betreffenden Vb. erscheinen deshalb in ( I I ) , sie werden in den Anmerkungen extra erläutert. An dieser Stelle sei SPITZ 1966 noch einmal erwähnt, der in seiner Klassifikation die Vb. meiner Gruppe III zusammen mit den st. Vb. (=11) anführt und sie entsprechend der Qualität ihres Prät.-Vokals integriert. Dies halte ich für berechtigt und angemessen, solange ausschließlich die Ablautverhältnisse betrachtet werden. Für eine umfassende morphologische Klassifikation ist das Vorgehen jedoch deshalb zu undifferenziert, weil hier weitere verkomplizierende Kriterien wie zusätzliches Dentalsuffix und abweichende Endungssätze einfach vernachlässigt werden. Die Darstellung im vorliegenden Modell erfolgt in Form von Ablautreihen, die die primären Stammformen enthalten. Die Unterteilung innerhalb der 3 großen Gruppen ( I ) , (II) und (III) ist verschieden geregelt. Bei den gemischten Vb. unterscheide ich drei Untergruppen: (la) Vb. mit schw. Prät., st.

Part. II ohne Vokalwechsel;

(Ib) Vb. mit schw. Prät., st. Part. II mit Vokalwechsel; (Ic) Vb. mit st. Prät. und schw. Part. II. Die Gruppe III

(unregelm. Vb.) ist nach den oben genannten Kriterien unterteilt.

Die Aufteilung der st.

Vb. ( I I ) erfolgt, wie auch in anderen Klassifikations-

vorschlägen üblich (KERN/ZUTT 1977:20; JUNG 1966:179; FABRICIUS-HANSEN 1977:

21 195; WURZEL 1970:69), nach der Art der Opposition der Vokale in den 3 primären Stammformen Präs., Prät. und Part. II.

Es ergeben sich im Nhd. 3 (A, B, D ) , im

Nnl. 5 Möglichkeiten (V = Vokal): (A) Präs. 4 Prät. = Part. II

Vt V2· V2

(B) Präs,

VL V2 V3

Prät.

(C) Präs. / Prät.Sg.

Part. II Prät.Pl. ± Part.

(D) Präs. = Part. II + Prät. (E) Präs. = Part. II ?i Prät.Sg.

V,. V2 V3 M„ Vi V2 Vl

Prät.Pl.

Vt V2 V3 \

Die Untergliederung der einzelnen Ablautreihen kann natürlich auch nach anderen Prinzipien erfolgen. GEERTS 1984 teilt innerhalb der nnl. st. Vb. nicht nach der Opposition der Vokale, sondern nach der zunehmenden Zahl der unterschiedlichen Vokale ein, wobei nnl. 2 bis 4 verschiedene Vokale möglich sind. Die Prinzipien der weiteren Gliederung sind undeutlich, jedenfalls beruht die Reihenfolge nicht auf dem Vokal einer der drei Stammformen, auf alphabetischer Anordnung, oder auf der Anzahl der durch eine Ablautreihe repräsentierten Vb. (wie DUDEN 1984:127).

Nachdem die Verschiedenheit der Vokale ein Kriterium für die Aufstellung der Gruppen A-E ist, kommt für die Festlegung einer Reihenfolge innerhalb dieser 3 bzw. 5 Untergruppen nun die Qualität des Wurzelvokals zum Tragen. Dabei ist der Präs.-Vokal wegen seiner vielfältigen Erscheinungsweise ziemlich bedeutungslos (BRINKMANN 1971:239 ) , so daß diese Aufgabe entweder dem Prät.oder Part. II-Vokal zukommt. SPITZ 1966 entscheidet sich ohne Nennung von Gründen für den Prät.-Vokal, FABRICIUS-HANSEN 1977 zieht aus Gründen der Simplizität - also ganz im Sinne der generativen Sprachberatung - ebenfalls die Einteilung nach dem Prät.Vokal vor: es gibt nur 4, deshalb verringert sich von vornherein die Zahl der möglichen Hauptklassen, aus denen dann durch einen Regelmechanismus die einzelnen Verbalformen abgeleitet werden. Sie benötigt dadurch weniger Regeln, ihre Beschreibung wird "einfacher" (vgl. jedoch Abschn. 1.3.1.1).

Ich möchte aus einem sprachgeschichtlichen, einem wissenschaftsgeschichtlichen und zugleich darstellungstechnischen und aus einem methodischen Grund den Part. II-Vokal als Einteilungskriterium in den Untergruppen vorziehen: Die einschneidendsten Veränderungen im Verbalsystem betreffen das Prät., das seit 1500 in Oberdeutschland geschwunden ist (vgl. LINDGREN 1957). Diese Erscheinung scheint sich jetzt auf den gesamten deutschen Sprachraum auszudehnen (ROWLEY 1983). Darüber hinaus spiegelt sich die deutlichste Veränderung im Übergang vom Mhd. zum Fnhd./Nhd., der Ausgleich des Numerusablauts (BESCH1980: 594), im Prät. wider. Der Numerusausgleich, wenn auch mit anderen Ergebnissen, liegt auch im Ndl. des 17. Jns. vor. Auch aus anderen Sprachstufen sind Veränderungen im Prät. bekannt. So nimmt VAN COETSEM ein Eindringen des -e- aus dem Prät. der 5. Kl. (urgerm. *gebun

22 'sie gaben 1 ) in das der 4. Kl. für die voreinzelsprachliche Zeit an (*nwnun > *nemun 'sie nahmen'; VAN COETSEM 1963:281). Im Ndl. kennen wir bei den Vb. der 6. Kl. (z.B. äs. skeppian - sköp - sköpun - -skapan; mnl. holl. scoep 'erschuf', sonst sciep - ghescepen) die Übernahme des Prät.-Vokals aus der 7. Kl.: nnl. scheppen - schiep - geschapen. Der Präs, und der Part. II-Vokal sind dagegen stabiler (vgl. fürs Nhd. ULVESTAD 1970:337). Somit erweist es sich als unangebracht, das Prät. zum Ausgangspunkt der Strukturierung zu machen. Richten wir uns bei der Festlegung der Reihenfolge innerhalb der Gruppen der st. Vb. nach dem Part. II-Vokal, so ist festzustellen, daß weitgehend diejenigen Vb. zusammen stehen, die auch in der traditionellen Grammatik in die gleiche historische Ablautklasse gehören (vgl. FOURQUET 1956:61). Das bewirkt zugleich, daß bei der historischen Betrachtung der Blick auf das Detail nicht durch eine grundlegende Änderung in der Beschreibung verstellt wird. Drittens erhalten wir eine größere Vergleichbarkeit zwischen dem nhd. und nnl. System. Die Unterschiede zwischen den beiden Systemen bestehen nämlich auch und gerade im Prät., so daß durch die Wahl des Part. II-Vokals zur Grundlage der Sübklassifikation die Unterschiede leichter hervorscheinen. Die Ablautreihen werden innerhalb der 3 nhd. bzw. 5 nnl. Untergruppen nach der Qualität (a, e, i, o, u, Diphthonge) und Quantität (lang, kurz) des Part. II-Vokals aufgelistet. Bei gleichlautendem Part. II-Vokal entscheidet die Qualität und Quantität des Präs.- (bei II A) bzw. des Prät.-Vokals (bei B - E). In den beiden nachfolgenden Beschreibungen habe ich aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die objektsprachliche Kennzeichnung verzichtet. Die Ablautvokale der Stammformen sind durch ihre Phoneme vertreten und sollten m i t " / . . . / " bezeichnet sein. Die mit Kleinbuchstaben angezeigten Anmerkungen befinden sich jeweils am Ende der Tabellen. Vb., die nach DUDEN Varianten aufweisen, habe ich doppelt aufgeführt und entsprechend gekennzeichnet; II D bedeutet, daß dieses Vb. ein zweites Mal vorkommt und zwar in Gruppe II D.

.1 .3.2

Das nhd. System

Gruppe I: gemischte Vb.: (a): Vb. mit schw. Prät., st. Part. II, ohne Vokalwechsel: Präs.

Prät.

Part.

1 '

a:

a:

a:

1

mahlen

2

a

a

a

3

backen , salzen, spalten

Nr.

Anzahl Verben

23 ( b ) : Vb. mit schw. Prät., st. Part. II, mit Vokalwechsel:

Nr.

Präs.

3

e

4

i

Part.

Anzahl

e

o

1

melken (II A)

i

u

1

dingen (II B)

Prät.

Verben

( c ) : Vb. mit st. Prät. und schw. Part. II:

5

a: ae:

e

e

1

stecken

Gruppe II: starke Vb.: ( A ) : Präs. 4 Prät. = Part. II

b

6

u:

a: ae :

a:

1

tun

7

e:

a

a

1

stehen

8

ai

i:

i:

17

bleiben, gedeihen, leihen, meiden, preisen, reiben, scheiden, scheinen, schreiben, schreien, schweigen, speien, steigen, treiben, verweisen, weisen, zeihen

9

ai

i

i

21

beißen, (er )bleichen, gleichen, , gleiten, greifen, kneifen, leiden , pfeifen, reißen, reiten, scheißen, schleißen, schmeißen, schneiden , schleifen, schleichen, schreiten, spleißen, streichen, streiten, weichen

10

e:

o: ö:

o:

5

bewegen , heben, pflegen weben

11

ae:

o: ö:

o:

2

gären, (er) wägen

12

i:

o: ö:

o:

11

13

ö:

o: ö:

o:

1

schwören

14

y=

o: ö:

o:

2

lügen, trugen

15

au

o: ö:

o:

2

saugen, schnauben

16

a

0

Ö

0

1

(er Ischallen

17a

e

0

Ö

o

1

melken (I B)

o

ö

0

6

dreschen, fechten, flechten, quellen, schmelzen, schwellen

17b

e

i

V

, scheren,

biegen, bieten, fliegen, fliehen, frieren, erkiesen , schieben, stieben, verlieren, wiegen, ziehen

24

Part.

Anzahl

Verben

Nr.

Präs.

Prät.

18

i:

o ö

o

19

i

0

Ö

o

2

glimmen, klimmen

0

Ö

o

1

erlöschen

o ö

0

1

saufen

u y

u

1

schinden

20

ö

21

au oi

22

i

i

11

genießen, gießen, fließen, kriechen, riechen, schießen, schließen, sieden'·*, sprießen, triefen, verdrießen

(B)·: Präs. ^ Prät. £ Part. II Q

23

e:

i

a

1

gehen

24

e

i

a

1

hängen

25

i:

a: ae:

e:

1

liegen

26

i

a: ae :

e:

1

bitten

27

i

a: ae:

e

1

sitzen

28

ae: i:

a: ae:

o:

1

gebären

29

e: i:

a: ae:/ö:

o:

3

befehlen,

30

e: i:

a: ae:

o

1

nehmen

31

e

i

a: ae:

o

5

brechen, erschrecken, sprechen, stechen, treffen

32a

e

i

a

ö

o

2

gelten, schelten

32b

e

i

a

e

o

2

bergen, bersten

32c

e

i

a

y

o

5

helfen, sterben, verderben, werben, werfen

a ö/e

0

6

beginnen, gewinnen, rinnen, schwimmen, sinnen, spinnen

u

y

o

1

werden

a

e

u

18

33 34 35

i e

i i

empfehlen,

stehlen

binden, dingen (I B ) , dringen, finden, klingen, gelingen, ringen, schlingen, schwinden, schwingen, singen, sinken, springen, stinken, trinken, winden, wringen, zwingen

25 Vx V2 Vl

( D ) : Präs. = Part. E ^ Prät.

Nr.

Präs.

Prät.

Part.

Anzahl

36

a: ae:

i:

a:

4

blasen, braten, raten,

37

a: ae:

u: y:

a:

5

fahren, graben, laden, schlagen, tragen

38

a e

i:

a

3

fallen, halten, lassen

39

a

e

i

a

1

fangen

40a

a

e

u: y:

a

3

backen (I A), wachsen, waschen

a

u: y:

a

1

schaffen

40b

Verben schlafen

41a

e:

a: ae:

e:

1

genesen

41b

e: i:

a: ae:

e:

4

geben, geschehen, sehen, lesen

41c

e: i

a: ae :

e:

1

treten

42

e

a: ae :

e

4

essen k , * fressen, messen, vergessen

43

o: ö:

o:

1

stoßen

o

1

kommen

i

i:

44

o

45

u:

i:

u:

1

rufen

46

ai

i:

ai

1

heißen

47a

au

i:

au

1

hauen

47b

au oi

i:

au

1

laufen

a: ae :

Gruppe M: Unregelm. Vb.: ( a ) : Vb., die sowohl im Prät. als auch im Part. leine schw. (Dentalsuffix) und eine st. Erscheinung (Vokalwechsel) aufweisen.

48

e

a

49

e

a

50

i

a

a

6

brennen, kennen, nennen, rennen, senden, wenden

e

a

1

, , m denken

e

a

1

, . m bringen

( b ) : Vb., die im Präs, keinen Endungssatz A aufweisen, Dentalsuffix im Prät. und Part. I ( 1 ) : mit Vokalwechsel Präs. I und I, Präs. - Prät.:

51

ö

a

o

ö

o

2

können, mögen

52

y

u

u

y

u

1

müssen

26 Nr.

Präs.

Prät.

Part.

Anzahl

Verben

53

a

u

y

u

1

dürfen

54

i ai

u

y

u

1

wissen

o

1

wollen

o

1

sollen

( 2 ) : mit Vokalwechsel Präs. I und I:

55

o

i

o o

( 3 ) : ohne Vokalwechsel:

56

o

o

( c ) : Verben mit suppletiver Formenbildung:

57

haben - hat -

58

sein

- ist

hatte

-

hätte

- war

- gehabt - gewesen

Anmerkungen zu den Tabellen: a)

backen (la N r . 2 ) ist das einzige Vb. dieser Gruppe, das laut DUDEN (DROS-

DOWSKI 1984:133) Präs. I bäckst - bäckt, also mit Umlaut bildet. b) Das Prät. tat von tun weist einen konsonantischen Zusatz -t auf, im Part. endet das Vb. auf -n (sonst -en) c) stehen hat im Prät. und Part. II eine -nd-Erweiterung zu stand - gestanden. d) leiden, schneiden, sieden und zienen haben im Prät. und Part. I konsonantische Veränderungen zu litt - gelitten, schnitt - geschnitten, sott - gesotten, zog - gezogen. e) pflegen und bewegen werden in anderer Bedeutung auch regelm. flektiert. f ) Der Inf. und das Präs, sind ungebräuchlich; erkiesen verändert im Prät. und Part. Idas -s- zu -r-: erkor - erkoren. g) gehen hat im Prät. und Part. leine -ng-Erweiterung zu ging - gegangen. h) sitzen verändert den stammauslautenden Konsonanten im Prät. und Part. I zu saß - gesessen. i) Die Endung der 1. und 3.Sg.Prät. von werden ist -e: wurde. Das Verb wurde nicht in Ib (mit schw. Prät.) eingeordnet, weil das Dentalsuffix im Nhd. stets -te lautet wie in reden - rede-te. k) Das Vb. essen hat im Part. leine konsonantische Erweiterung: gegessen.

27

1) Für hauen bieten sich synchron 2 Lösungen an: es läßt sich entweder zu laufen stellen, dann betrachten wir das -b im Prät. als Hinzufügung, oder zu raten - riet, das bedeutet, das -u- wird im Prät. zu -b(-). m) denken und bringen verändern im Prät. und Part. I die stammauslautende Konsonantengruppe: dachte - gedacht, brachte - gebracht.

1.3.3

Das nnl. System

Gruppe I: gemischte Vb.: ( a ) : Vb. mit schw. Prät. , st. Part.

, ohne Vokalwechsel:

Nr.

Präs.

Prät.

Part.

Anzahl

1

a:

a:

a:

3

braden, laden, malen

2

a

a

a

6

bakken, bannen, barsten, lachen, spannen, wassen

3

e:

e:

e:

2

beten, weven

4

o:

o:

o:

1

stoten ( I D )

5

u:

u:

u:

1

rooeten a

6

ou

DU

DU

4

brouwen, spouwen, vouwen , zouten

1

scheiden

7

ei

Verben

( b ) : Vb. mit schw. Prät., st. Part. I, mit Vokalwechsel: 8

e:

e:

o:

2

wreken, zweren ( H A )

9

i:

i:

o:

1

zieden

10

e

e

0

2

delven ( I A ) , melken (I A)

(c): Vb. mit st. Prät., schw. Part. I: 11

a:

12

e

13

a: i

u:

ui

a:

2

jagen, vragen

e

1

z egge n

a:

1

waaien

28 Gruppe I: starke Vb.; (A) Präs.

Nr.

V2 V2

Prät. = Part. I

Präs.

14

Prät.

Part.

Anzahl

e:

e:

48

Verben aantijgen, belijden, bijten, blijken, blijven, bezwijken, drijven,glijden, grijpen, hijsen, kijken, kijven, knijpen, krijgen, krijten, kwijten, lijden, lijken, mijden, nijgen, nijpen, prijzen, rijden, rijgen, rijten, rijzen, schijnen, schijten, schrijden, schrijven, slijpen, slijten, smijten, snijden, spijten, splijten, stijgen, stijven, strijden, strijken, verdwijnen, vergelijken, wijken, wijten, wijzen, wrijven, zijgen, zwijgen

15

e:

o:

o:

3

bewegen, scheren, zweren 'schwären' (I B)

16

i:

o:

o:

14

bedriegen, bieden, genieten , gieten liegen, kiezen, rieken, schieten, vlieden, verdrieten, verliezenc, vliegen, vlieten, vriezenc

17

y:

o:

o:

1

spugen

18

ei

o:

o:

1

tijgen

19

oe i

o:

o:

20

buigen, druipen, duiken, fluiten, kluiven, kruipen, luiken, pluizen, ruiken, schuiven, sluipen, sluiten , snuiven, snuiten, spruiten, spulten, stuiven, schuilen, zuigen, zuipen

20

e

o

o

17

bergen, delven (I B), gelden, kerven, melken (I B ) , scheiden, sehenden, schenken, smelten, treffen, trekken, vechten, vlechten , zenden, zweigen, zueilen, zwemmen

21

i

0

o

25

beginnen, binden, blinken, dingen, dringen, drinken, dwingen, glimmen, klimmen, klinken, krimpen, slinken, spinnen, springen, stinken, schrikken, verslinden, verzwinden, vinden, winden, winnen, wringen, zingen, zinken, zinnen

29 (B):Präs. ? Prät. ^ Part.

V2 V,

I

Nr.

Präs.

Prät.

Part.

Anzahl

22

u:

e:

a:

1

doen

23

e

i:

a:

1

scheppen

24

e

i:

e:

1

heffen

25

e:

u:

o:

1

zweren

26

e

i:

0

6

bederven, helpen, sterven, werpen, werven, zwerven

( C ) : Präs. ?i Prät.Sg. £ Prät.PI. ji Part. I

Verben d

Vx V2 V, V4

27

i

a a:

e:

3

bidden, liggen, zitten

28

e:

a a:

o:

6

bevelen, breken, nsmen , spreken, steken, stelen

( D ) : Präs. = Part. I

Prät.

29

a:

i:

a:

4

blazen, laten, raden, slapen

30

a:

i

a:

1

gaan e

31

a:

0

a:

1

staan

32

a:

u:

a:

4

dragen, graven, slaan , varen

33

a

i:

a

2

vallen,

34

a

i

a

2

hangen, vangen

35

e:

i

e:

1

we t en

36

0

e

0

1

worden

37

o:

i:

o:

2

lopen, stoten (I A)

38

u:

i:

u:

1

roepen

39

ou

i:

ou

1

houden

40

ou

i (u)

ou

1

houwen

(op)wassen

30 ( E ) : Präs. = Part. I 4 Prät.Sg.

Prät.Pl.

Vl V2 V3 Vt

Verben

Präs.

Prät.

Part.

Anzahl

41

e:

a a:

e:

8

eten , genezen, geven, lezen, meten, treden, vergeten, vreten

42

i:

a a:

i:

1

zien

43

o:

a a:

o:

1

körnen

Nr.

m

Gruppe M: unregelm. Vb.: ( a ) : Vb., die sowohl im Prät. als auch im Part. leine schw. (unvollständiges Dentalsuffix, vgl. 1.4.1-6) und eine st. Erscheinung (Vokalwechsel) aufweisen: 44

e

a

a

2

brengen , denken

45

u:

0

o

1

. n zoeken

0

0

1

, n dünken

46 47

e:

a

-

1

, n plegen

48

o:

0

0

1

, openn

(b): Vb., die im Präs, keinen Endungssatz A aufweisen: ( 1 ) : mit Dentalsuffix im Prät. und Part. I: 49

i

i

i

1

willen (]H B b)

( 2 ) : mit Dentalsuffix im Part. E und Vokalwechsel zwischen Präs, und Prät. 50

y a

o

y

1

kunnen '"

51

y a

au

y

1

>r 7l °/ P zullen

52

i

au

i

1

willen0 Cm B a)

( 3 ) : mit unvollständigem Dentalsuffix im Prät. und st. Part. I: 53

mögen n,P

o: a

(c): Sonderfälle: 54

hebben

-

55

zijn

-

heeft

is

- had

gehad

- was

geweest

31

Anmerkungen zu den Tabellen: a) moeten bildet sein Prät. mit einer konsonantischen Veränderung -t- zu -svor dem unvollständigen Dentalsuffix -t: moest. b) Prät.Sg. zei 'sagte1 ist häufig verwendet, in der Schriftsprache wird das Prät. von zeggen jedoch meist schw. gebildet: zegde. c) verliezen und vriezen verändern im Prät. ihren stammauslautenden Konsonanten —z— zu — r ( - ) : verloor - verloren, vroor - gevroren.

d) doen bildet sein Prät. mit einer konsonantischen Erweiterung: deed. e) Das Prät. wird mit einer konsonantischen Erweiterung gebildet: ( n ) g ( - ) : ging. f ) Das Prät. wird mit einer konsonantischen Erweiterung gebildet: ( n ) d ( - ) : stond. g) slaan erweitert im Prät. und Part. I um einen Konsonanten: -g(e-): sloeg geslagen. h) Das Prät. wird mit einem konsonantischen Einschub -s- gebildet: wist, i) Das Prät. wird mit einem konsonantischen Einschub -l- gebildet: hield. k) Das Vb. eten hat im Part. leine konsonantische Erweiterung: gegeten. 1) Das Prät. wird mit einer konsonantischen Erweiterung -g

gebildet: zag.

m ) Bei komen wird im Prät. ein -w- nach dem Anlaut eingeschoben. n) brengen, denken, zoeken, dünken, plegen, kopen und mögen haben vor dem unvollständigen Dentalsuffix -t eine konsonantische Veränderung von -(n)g- bzw. -(n)k- und p zu . o) kunnen, zullen und willen weisen im Prät.Pl. zusätzlich zum Vokalwechsel ein Dentalsuffix auf: konden, zouden, wouden (koll.). p) kunnen, zullen und mögen haben Vokalwechsel zwischen Inf. und Präs.Sg.: kan, zal, mag.

1.4

Der Vergleich

1.4.1

Die Unterschiede der Systeme

Vergleichen wir nun die beiden vorliegenden Systeme miteinander, so lassen sich folgende Unterschiede konstatieren. Diejenigen Punkte, die nicht direkt mit der Tempusbildung zusammenhängen, nenne ich zuerst, ( 1 ) bis ( 4 ) , damit sie

32

uns in der späteren Datenfülle nicht untergehen. Die Punkte ( 5 ) bis (8) betreffen die Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten in den einzelnen Gruppen I - II (vgl. Abschn. 1.3.1.2, 1.3.2 und 1.3.3). ( 1 ) Bezüglich der grammatischen Kategorien (vgl. 1 . 1 . 1 ) ist festzustellen, daß das Nnl. im Gegensatz zum Nhd. keinen synthetischen Konjunktiv kennt (vgl. VAN HAERINGEN 1956:57). ( 2 ) Das Nnl. kennt bei den Personalendungen sowohl im Präs. als auch im Prät. weniger Differenzierungen als das Nhd.; im Präs, lauten die 2. und 3.Pers. gleich (jij, hij leef-t)

ebenso der gesamte Plural (wij, jullie, zij

lev-en),

während im Nhd. nur die Endungen der 1. und 3.P1. übereinstimmen. Im Prät. sind im Nnl. sogar der gesamte Sg. und Pl. jeweils gleichlautend (ik, jij, leef-de;

wij, jullie, zij leef-den),

im Nhd.

hij

dagegen sind die jeweils 2.Pers.

vom restlichen Sg. und Pl. abgesetzt (ich, er leb-t-e vs. du leb-t-est; wir, sie leb-t-en vs. ihr leb-t-et; VAN HAERINGEN 1956:51). (3) Im Nhd.

sind bei der Formenbildung einiger Vb. 5 Stammformen zu berücksich-

tigen, im Nnl. 3 bzw. maximal 4. Während die primären Stämme (Präs., Prät. und Part. I) bei allen nhd. und nnl. Vb. zur Bildung der Vb.-Formen grundlegend sind, sind die sekundären Stämme (Präs. I und Prät. I) nur für einige nhd. st. und unregelm. Vb. relevant. Das Nnl. kennt keinen Präs. I-Stamm - der Vokalwechsel zwischen Inf. und Präs.Sg. bei einigen unregelm. nhd. und nnl. Vb. ist anders geartet und wird, da er nicht so regelmäßig verläuft, jeweils per Lexem angegeben - und keinen Prät. I-Stamm (vgl. ( 1 ) kein synthetischer Konjunktiv im Nnl.). Dagegen macht das Nnl. bei denjenigen Vb., die im Prät.Sg. ein kurzes /a/ haben, einen Quantitätsunterschied zum Prät.Pl. mit /a:/ (vgl. Abschn. 1.3.3; Gruppen I C = Nr. 27 und 28 und I E = Nr. 41-43). ( 4 ) Die Gruppe I der gemischten Vb. enthält im Nnl. in allen Unterabteilungen mehr Lexeme als im Nhd.:

Nhd.

Nnl.

la

4

18

Ib

2

5

Ic

1

4

Auffallend zahlreich sind die Vb. mit schw. Prät. und st. Part. I d a und I b ) . (5) Auch die Verteilung in der Gruppe I ist bei fast gleichvielen st. Vb. in beiden Sprachen anders geregelt:

33

Nnl.

Nhd.

Zahl d. Vb. E A (Vt V2 B (Vt V2

v, ) v,)

C (Vx V2 V3 V „ ) D (Vx V2 V i ) E (Vt V2 V3 V , )

Summe :

87 49

Ab laut reihen

d. Vb.

17

130

72 ,27.

8

13

10

5 ,67.

5

5

7.

2

21

11 ,67.

12

10

5 ,67.

3

7.

30

51, 57. 29 7.

Zahl

9 33 169

21

19, 57. 100

42

7.

180

7.

100

Ablautreihen

Im Nnl. konzentrieren sich fast 3/4 der st. Vb. in der Gruppe I A, die übrigen Vb. verteilen sich mehr oder weniger gleichmäßig auf die anderen 4 Typen. Dagegen steht im Nhd. nur etwas mehr als die Hälfte in I A. Berücksichtigen wir zusätzlich noch die Zahl der verschiedenen Ablautreihen, auf die sich die Vb. in den jeweiligen Gruppen verteilen, so zeigt sich eine stärkere Aufsplitterung der nhd. Vb. (im Schnitt 4 Vb. pro Reihe gegenüber 6 Vb. im N n l . ) . Hervorzuheben ist wieder die nnl. Gruppe I A, in der durchschnittlich 16 Vb. auf eine Ablautreihe kommen. Wir können also eine große Vorherrschaft der Gruppe

A, be-

sonders im Nnl. beobachten (vgl. VAN HAERINGEN1 956:55 und PONTEN 1976:48-49). Eine Übersicht über die ( z . T . unterschiedliche) Verteilung der jeweiligen nhd. und nnl. st. V b . , die historisch auf das gleiche Etymon zurückgehen, werde ich nicht erstellen. Eine solche materialreiche Gegenüberstellung ist nur sinnvoll, wenn sie auf einer sprachgeschichtlichen Grundlage erfolgt, die eine über eine bloße Beschreibung hinausgehende interpretierende Darstellung ermöglicht. Während die Gruppen I und l i m Nhd. und Nnl. die gleichen Aufteilungen aufweisen, und sich dadurch die Unterschiede auf eine zahlenmäßige Verteilung beschränken, sind die beiden Gruppen

auch qualitativ differenziert:

( 6 ) Die unregelm. Vb. in Gruppe Ula und das nnl. Vb. mögen m b3 bilden im Nnl.

ihr Prät. nur mit einem unvollständigen Dentalsuffix (-t statt - t e ) ;

(vgl. VAN DAM 1951:26) gegenüber dem regulären Suffix -te aller nhd. Vb. der Gruppe 1C (mit Ausnahme des Suppletivums sein, Prät. war). Dies bewirkt

bei

den unregelm. nnl. Vb. eine Opposition: einsilbiger Prät.Sg. vs. zweisilbiger Prät.Pl. (VAN HAERINGEN 1962:233); in dieses Muster passen auch die Prät.-Formen der nnl. Vb. in Gruppe BI b2: kon - konden, zou - zouden, wou - wouden und HI c: had - hadden, was - waren, sowie sämtlicher st. Vb. (Gruppe I).

Einzig

und allein das Vb. willen paßt mit seiner Prät.-Form wilde, die neben wou die "höherstehende" Variante darstellt, nicht in diese strukturelle Opposition, die eine starke Affinität zwischen den st. bringt.

und unregelm. Vb. zum Ausdruck

34 Im Nhd. dagegen haben wir im Prät.Sg. und Pl. der unregelm. Vb. jeweils die gleiche Silbenzahl, d.h. unter diesem Aspekt verhalten sie sich wie schw. Vb.

( 7 ) Bezüglich der guantitativen Verteilung verhalten sich die Sprachen nur geringfügig anders. In Gruppe m b fällt auf, daß das nhd. 3 Vb. mehr aufweist als das Nnl.: die nnl. Entsprechung von wissen: weten ist in I D (Nr. 35), von müssen: moeten in I a (Nr. 5 ) , während nhd. dürfen im Nnl. keine direkte lexikalische (etymologisch gleiche) Entsprechung hat. Auch in II a ist die lexikalische Besetzung anders, die nhd. Vb. brennen, kennen, rennen und wenden haben ihre nnl. Entsprechungen bei den schw. Vb. ; nnl. zenden ist st. (Gruppe I A, Nr. 2 0 ) , während nennen keine direkte lexikalische Entsprechung hat. Umgekehrt sind die nhd. Entsprechungen zu einigen Vb. in der nnl. Gruppe H a zoeken, dünken, kopen alle schw. Vb. 1.4.2

Die Interpretation in der vorliegenden Literatur

Wie in Abschnitt 1.3 bereits erwähnt, ist die Zahl der kontrastiven Arbeiten zum nhd. (bzw. d t . ) und nnl. (bzw. ndl.) Verbalsystem nicht sehr groß, und sie verringert sich noch einmal um die Hälfte auf 3, wenn wir nur diejenigen unter ihnen berücksichtigen, die ihre Untersuchungsergebnisse auch zu interpretieren versuchen. Die umfassendsten Stellungnahmen zu den Unterschieden zwischen dem nhd. und dem nnl. Verbalsystem stammen zweifellos (mangels Konkurrenz) von VAN HAERINGEN 1956 und 1962, auf den auch die Arbeit von PONTEN 1976 zurückgeht. Sie befassen sich jedoch nicht mit allen angeführten Unterschieden im Detail; PONTEN 1976 behandelt ausschließlich den Punkt (5) unserer Liste, nämlich die Verteilung in Gruppe I (st. V b . ) , VAN HAERINGEN berücksichtigt dagegen einen größeren Rahmen. Doch sind seine Darstellungen einzelner sprachlicher Phänomene eher skizzenhaft und dienen primär dazu, seinen Gesamteindruck über die unterschiedlichen Entwicklungen der beiden Sprachen zu unterstützen. Danach hat das Ndl. im Laufe seiner Sprachgeschichte mehr geneuert als das Dt. und sich ein morphologisches System geschaffen, das aufgrund seiner starken Vereinfachung und damit auch größeren Regelmäßigkeit eine gewisse Lebensfähigkeit entwickelt hat. Nachfolgend die Ausführungen zu den einzelnen Punkten: - ad (1), Fehlen des synthetischen Kon j. im Nnl. Die Erhaltung des synthetischen Konj., der im Ndl. "met voordeel" (VAN HAERINGEN 1956:57) ausgeglichen wurde, ist für VAN HAERINGEN ein Kennzeichen des dt. Sprachkonservatismus. Einen wei-

35

teren Grund, warum sich die beiden Sprachen in diesem Punkt unterscheiden, sucht er nicht, ebensowenig beschäftigt er sich damit, ob der Unterschied irgendwelche Auswirkungen auf die beiden Sprachen hat. - ad (2).Differenzierung der Personalendungen. Auch bezüglich der Personalendungen kommt VAN HAERINGEN 1956:53 über eine Beschreibung der Fakten nicht hinaus. - ad (3),Zahl der Stammformen. Dagegen beurteilt er den Vokalwechsel im Präs, einiger nhd. st. Vb. als Punkt, der die Unregelmäßigkeit der st. Vb. noch verstärkt. Er habe unter dem Aspekt von "efficiency" (VAN HAERINGEN 1956:52) auch den Nachteil, daß die Kategorie 'Person 1 durch drei unterschiedliche Merkmale (Pers.pron., Vokalwechsel und Endung) zum Ausdruck gebracht ist. Dem Faktum, daß einige nnl. Vb. im Prät. zwei verschiedene Vokalquantitäten kennen (Gruppe 1C und I E ) mißt VAN HAERINGEN zu Recht keine Bedeutung bei, da dieser Quantitätswechsel zwischen Sg. und Pl. auch bei den nnl. Substantiven (cf. dag - dägen; GEERTS 1984:65) vorkommt und somit im phonologischen System des Nnl. verankert ist. Zusätzlich finde ich jedoch bemerkenswert, daß in einigen Dialektgebieten, besonders im Nordholl., zwischen diesen Formen Ausgleich erfolgt, und zwar in Richtung auf den kurzen Sg.-Vokal (VAN HAERINGEN 1962:229). Das ist m.E. durchaus als Hinweis dafür zu werten, daß das morphologische System hier sein Systematisierungsstreben durchsetzt gegenüber einer phonologischen Eigenschaft, der verbreiteten Opposition Länge - Kürze von Vokalen in Abhängigkeit von der Silbenstruktur (offen vs. geschlossen). Den Erscheinungen innerhalb der Gruppen I-m (Punkte (4) - ( 7 ) ) schenkt VAN HAERINGEN seine besondere Aufmerksamkeit. Hier verläßt er auch erstmalig die reine Deskription und versucht, die beobachteten Erscheinungen untereinander in Beziehung zu setzen, was zu aufschlußreichen Ergebnissen führt. - ad ( 4 ) , die Vb. der Gruppe I. Bei den gemischten Vb. stellt er fest, daß die überwiegende Mehrzahl ein schw. Prät. und ein st. Part. I bilden und keinen Vokalwechsel kennen. Sie unterscheiden sich demnach von schw. Vb. nur durch die Part. I-Endung -en, die nach VAN HAERINGEN 1962:228 kein so großes funktionelles Gewicht trägt wie ein Vokalwechsel. Dadurch, daß diese Vb. im st. Part. I den gleichen Vokal haben wie im Präs.-Stamm, sei das Part. I sowieso schon als "half regelmatig" anzusehen, denn das Präfix ge- hätten sie ebenfalls mit dem schw. Part. I gemein. Historisch betrachtet seien demnach die Vb. der Gruppe I D (Präs. = Part. Prät.) besonders gefährdet, weil bei ihnen nur die Prät.-Form verändert werden muß, um eine weitgehend regelmäßige Bildeweise zu erzielen. Das Prinzip von

36

einheitlich gebildetem Prät.- und Part. I-Stammvs. anderslautendem Präs.-Stamm sei bei den Vb. der Gruppe I D nicht gegeben, so daß sie für Veränderungen eben besonders in Frage kommen. Der Unterschied zwischen den beiden Sprachen besteht nun darin, daß das Nnl. zahlreiche Vb. in Gruppe I hat, die im Nhd. in I D erscheinen; das Nnl. hat also auch in diesem Punkt geneuert, wodurch VAN HAERINGENs Konservatismus-These erneut gestützt wird. - ad ( 5 ) , Unterschiede bei den st. Vb. Als für unsere Fragestellung viel wichtiger erweisen sich die Ausführungen zu dem Phänomen, daß innerhalb der st. Vb. (Gruppe H) im Nnl. die Bildeweise A (V t Va V2 oder Präs. ^Prät. = PartH) stark vorherrscht (vgl. 1.4.1, ( 5 ) ) . Für VAN HAERINGEN 1962:229 ist mit diesem Bildemuster eine deutliche Unterscheidung von einheitlichen Vergangenheitsformen (Prät. und Part. D gegenüber einem anderslautendem Präs, gegeben, wie wir es auch bei den schw. Vb., dort allerdings in Form eines Dentalsuffixes, finden. Wiederum nach einem Blick in die (jüngste) Sprachgeschichte stellt VAN HAERINGEN 1962:230 fest, daß sich innerhalb der Vb. der Gruppe I A die Reihe mit Präs.-Vokal ~ij-, Prät.- und Part. I-Vokal-ee-/-e- /e:/, vgl. grijpen greep - gegrepen, als besonders produktiv erweist, indem sie einige ehemals schw. Vb. (z.B. hijsen 'hissen') aufgenommen hat. Die Ursache hierfür sieht er sowohl in der strukturalen Eigenheit dieser Vb., im Prät. und Part. I den gleichen Vokalismus aufzuweisen, als auch in der großen Zahl von Vb., die nach dieser Ablautreihe flektieren, und schließlich in der Tatsache, daß es auch beträchtlich viele schw. Vb. mit dem entsprechenden Präs.-Vokalismus gibt, die für eine eventuelle Neuerung in Frage kommen. Zu dem gleichen Ergebnis kommt PONTEN 1976:48, der anders als VAN HAERINGEN konkrete Zahlen liefert:7 97 von 180 nhd. st. Vb. gehen bei ihm nach dem Typ A, 52 nach B, 31 nach D, während es im Nnl. 142 von 191 sind (11 nach B, 9 nach C, 21 nach D, 8 nach E). Danach stehen die Alternationstypen (=Gruppen) 3E A, B und D - C und E hat er weiter nicht berücksichtigt - im Nnl. in einem Verhältnis von 13:1:2, im Nhd. dagegen 3:2:1. Einer eindeutigen Bevorzugung eines Bildemusters im Nnl. steht eine fast gleichmäßige Verteilung im Nhd. gegenüber. "Der hohe Vorkommensgrad eines Alternationstyps dürfte auf dessen Produktivität - erloschen oder existierend hinweisen." urteilt PONTEN 1976:48. Nach VAN HAERINGEN erhöht das einheitliche Bildemuster die Lebensfähigkeit und die Ausbreitungskraft des Systems; PONTEN 1976:49 betrachtet die größere 7 Seine Zahlen weichen in einigen Punkten von meinen ab; leider ist es mir nicht möglich, den Grund zu finden, da PONTEN das Material nicht im Einzelnen angibt, sondern nur auf mehrere Handbücher gleichzeitig verweist.

37

Systemhaftigkeit des Nnl. vor allem als ein Zeugnis für "seine typologische Position und Eigenständigkeit." Einen Ansatz zur Erklärung, worauf diese unterschiedliche Häufigkeitsverteilung zurückzuführen sei, liefert nur VAN HAERINGEN 1956:55, der feststellt, daß u.a. die Vb. der historischen 3. Klasse in beiden Sprachen in verschiedenen Gruppen erscheinen: nhd. binden - band - gebunden steht in I B, nnl. binden - bond - gebenden in I A. Bei diesen Vb. wurde der Numerusablaut im Prät. in der Zeit vom Mhd./Mnl. zum Nhd./Nnl. in unterschiedlicher Richtung ausgeglichen (vgl. Abschn. 8.3.1 und 9.3.1). - ad ( 6 ) , nnl. Prä't.bildung mit unvollständigem Dentalsuffix. Ein weiterer auffallender Unterschied zwischen dem nnl. und nhd. Verbalsystem liegt nach VAN HAERINGEN 1962:223 in der Apokope des auslautenden -e bei den Prät. der Vb. der Gruppe H. Das -e konnte nur dort ausfallen, wo es nicht tempusunterscheidende Funktion trug, und das traf für diejenigen Vb. zu, die außer dem Dentalsuffix noch ein anderes Unterscheidungsmerkmal trugen: konsonantische Veränderungen am Stamm. So kann er nnl. denken - dacht in die gleiche Gruppe der "stammwechselnden" Vb. stellen wie zien - zag 'sehen - sah'. Einen Grund für die e-Apokope sieht er in dem Streben des Nnl. nach Einsilblern, das auf den schweren Anfangsakzent zurückgeht und im Engl., wo er besonders ausgeprägt ist, bereits große Wirkung gezeigt hat (VAN HAERINGEN 1962:233) Völlig parallel dazu verhalten sich die Vb.fcunnen- icon ( got. hart 'du trugst' fortsetzen. Das Wg. hat diese Bildeweise bei den Präteritopräsentien bewahrt: ahd., äs. magt 'du kannst'.

86 - Im Bereich der st. und unregelm. Vb. heben sich die wg. Sprachen lexikalisch dadurch vom Nord- und Ostgerm, ab, daß fürs Urwg. *gan, *stan und * wg. *gripan 'greifen' ist der Diphthong idg.

*-ei-

schon gemeingerm. zu *-i-

geworden. Zwischen der Wurzel und den Endungen erscheint in den konjugierten Präs.Formen der Themavokal, der zur Präs.-Kennzeichnung dient, und der für die 1.Sg. und Pl. und für die 3.P1. idg.

*-o- > germ. *-a-, sonst *-e- lautet, vgl.

*help-a-nd. Die thematischen Personalendungen des Ind.Präs, sind die gleichen wie bei den schw. Vb. der 1. Klasse, vgl. Abschn. 3.2.2: (jeweils mit Themavokal); uridg. Sg. *-o-mes, -e-te, -o-nti entspricht urwg. Sg. *-u, -is, -id;

Pl. *-um,

-ad, -and. Es handelt sich jedoch nicht in allen Fällen um rein lautgesetzliche Entwicklungen, wie bei der 2.P1. urwg. *-ad < *-o-te sichtbar wird, wir würden *-id aus *-e-te erwarten (vgl. z.B. ahd. nemet 'ihr n e h m t ' ) . Themavokal, Modussuffix und Personalendungen sind im Wg. bereits in vielen Fällen so verschmolzen, daß es nicht immer möglich ist,

die einzelnen Bestandteile klar ab-

zutrennen. Bei der Darstellung in den Paradigmen habe ich deshalb ganz darauf verzichtet. Zwei kleine Gruppen von st.

Vb. zeigen abweichende Präs.-Bildungen:

88

( 1 ) Beim Typ *lükan 'schließen' haben wir weder -e- noch -a- als Wurzelvokal, sondern ein langes -ü-, das VAN COETSEM 1956:69 in Nachfolge der traditionellen Handbücher (HIRT 1,1932:169; PROKOSCH 1939:150) als Analogie zur 1. Klasse germ. *steigan, urwg. *stlgan mit i < ei aus *-eu- > -ü-, dem in der 2. Klasse auftretenden Diphthong, erklärt wird. An dieser Annahme werden schon seit längerem Zweifel geäußert, weil ja nicht alle, sondern nur ein Teil der Vb. der 2. Klasse (nämlich vom Typ lükan) diese morphologische Entwicklung mitgemacht hätte. Neuere Untersuchungen auf breiterer idg. Basis lassen dann auch den Schluß zu, daß wir es bei diesem Typ Vb. mit aus dem Uridg. ererbten Präs.Bildungen zu tun haben (VINE 1985:69+75). ( 2 ) Die sogenannten primären jan-Verben weisen im Inf. und Präs, im Urwg. ein -j- vor der jeweiligen Endung auf, flektieren aber ansonsten völlig wie die übrigen st. Vb. der jeweiligen Klasse. Zur Klasse 5 sind drei Vb. zu rechnen: *biddjan

'bitten', *liggjan 'liegen' und *sittjan 'sitzen', zur 6. Klasse

*hebbjan 'heben', *hlahjan 'lachen', *skeppjan

'schöpfen' und *swerjan 'schwö-

ren' . Aufgrund des Ae. kann man eventuell hierzu noch ae. picgan 'empfangen', das nach der 5. Klasse st., sonst schw. flektiert, fricgan staeppan 'gehen', 6. Kl.; nach dem As. noch af-sebbian

'fragen', 5. Kl., und 'wahrnehmen', 6. K l . , da-

zurechnen. In der Präteritalbildung stimmen diese zwei kleinen Gruppen völlig mit den anderen st. Vb. überein. Die Personalendungen des Prät. der st. Vb. (urwg. Sg. *-0, -i, -0; Pl. *-um, -ud, -im) werden ohne Themavokal an den Tempusstamm des Prät. angefügt, z.B. 1.Pl.Ind.Prät. *grip-um 'wir griffen'. Sie gehen mit Ausnahme der 2.Sg.-Endung zurück auf idg. Perfektendungen (idg. Sg. *-a, -ta,

-e; Pl. *-me, -te,

-nt)

und weisen damit auch auf die Entstehung des germ. Prät. aus dem idg. Perf. hin. In der morphologischen Kategorie Modus werden im Germ. Ind., Opt. und Imp. unterschieden. Das Bildeelement des idg. Opt. ist das schwundstufige -l-

*-ie/I-, im Germ, ist nur

fortgeführt.

Im Präs, verschmolz das -I- mit dem vorangehenden Themavokal, der in allen Personen *-o- lautet: uridg. *-oi- > germ. *-ai- > urwg. *-ei-, vgl. *grip-ei-m 'wir greifen (Konj. I ) 1 . Im themavokallosen Prät. wird das Opt. Zeichen -i- an den Pl.Prät.-Stamm gefügt, vgl. *grip-i-m 'wir griffen (Konj. I ) ' . Die Personalendungen des Opt. sind im Präs, und Prät. ursprünglich jeweils die gleichen (im Präs, mit Themavokal), durch die lautlichen Entwicklungen kam es zu folgenden Unterschieden: Präs.Sg. *-e ( < e < germ. *-ai(m)), -eis, Pl. *ei-w, -ei-d", -ei-n; Prät.Sg. *-e ( < germ. -i(n))t

- - , -i-n.

-e;

i-s, -e; Pl. *-i-m,

89 Der Imp. (nur Präs.) ist im Sq. endungslos: *grip 'greif, im Pl. treten in den Einzelsprachen für die alten Imp.formen überwiegend Ind.formen ein: im And. lautet die 1. und 2.Pl.Imp. nem-ames und nem-et· im Anfrk. die 2.P1. queth-it , im As. lautet der einheitliche Pl.Imp. far-ad, nur im Ae. stehen neben den Ind.formen fremm-ad auch Opt.formen wie fremm-en zum Ausdruck des Imp.Pl.

3.2.1.1 Das urwg. Ablautsystem Das markanteste Kennzeichen der st. Vb. ist der Ablaut, mit dessen Hilfe das Prät. und das Part.Prät. der st. Vb. gebildet werden. In der traditionellen Grammatik werden den drei Ablauttypen 7 Klassen von Ablautreihen zugeordnet. Die 1.-5. Kl. folgen im Präs, und Prät.Sg. dem idg. e-o-, germ. e-a-Ablaut, die 6. Kl. dem germ. a-ö-Ablaut, die 7. Kl. umfaßt die red. und red.abl. Vb., die im Laufe der weiteren germ. Sprachentwicklung in das Ablautsystem integriert wurden.5 Wir können die einzelnen Klassen des Urg. der Einteilung VAN COETSEMs in die e- und a-Gruppe zuordnen, das sich anschließende Schema 1 (S. 91) zeigt dagegen das urwg. Ablautsystem. Urg. System der st. Vb.: Präs. e -Gruppe : Trad. 1. Kl. ei O I; gripan

2. Kl. eu beudan

3a. Kl. e+Liq+K helpan

3b. Kl. e+Nas.+K bindan

4. Kl. e+Nas/Liq neman

Prät.Sg.

Präs.Pl.

Part.Prät.

ai

i

i

graip

gripum

gripan-

au

u

o

bauet

budum

buaan-

a

u

o

halp

hulpum

hulpan-

a

u

u

band

bundum

bundan-

a

u/i

o

nam

nemum

numan-

3 SONDEREGGER 1979:88f gibt bereits fürs Urg. in der 7. Kl. nicht mehr red., sondern nur (neu) ablautende Formen an; dies ist m.E. so zu grob schematisiert, das Urg. kannte sicherlich red. Vb.formen (vgl. Got.).

90

Urg. System der st. Vb. (Fortsetzung):

5. Kl.

Präs.

Prät.Sg.

Präs.Pl.

Part.Prät.

e

a

e

e

geban

gab

gebum

geban-

a+Nas/Liq/K

o

o

a

far an

för

forum

faran-

a-Gruppe :

6. Kl

7. Kl. a+Liq/Nas./

a

2/U+K

baitan

hehait

hehaitum

haitan-

ö(+K) flokan

red.

0

feflök

red. feflokum

flokan-

red.+ö

red.+ö

e

.Zelot

lelotum

letan-

o -Gruppe : * 7. Kl.

e-Gruppe :

7. Kl. e letan

4 Die o- und e-Gruppe mit jeweils nur wenigen Vertretern wurden von VAN COETSEM 1980:294 nicht berücksichtigt (wegen der Symmetrie?).

91 Ε

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92

Vergleichen wir das in Schema 1 dargestellte urwg. Ablautsystem, das völlig entsprechend den Kriterien VAN COETSEMs (vgl. Abschn. 2.1.2.1) aufgestellt wurde, mit der von VAN ODETSEM rekonstruierten frühurg. e-a-Periode (vgl. Schema VAN 5 1980:294, S. 46 in Abschn. 2.1.2.1), so zeigt sich, daß sich die Ablautreihen aufgesplittert haben: Aus vier Reihen in zwei Gruppen der angenommenen e-a-Periode wurden 18 Reihen in 7 Gruppen im Urwg. Dieser Zuwachs ist jedoch nicht allein auf die Folgen sprachlichen Wandels zurückzuführen, sondern vier der 18 Reihen sind bei VAN COETSEM und BORN 1980:398 gar nicht berücksichtigt, nämlich 2.2 lukan, 4. spurnan, 6.4 latan und 7.2 hropan, so daß letztlich nur die Entstehung von 10 Reihen zu beschreiben ist. Es bleibt nicht aus, daß ein rekonstruiertes Schema zugleich ein in dem einen oder anderen Punkt idealisiertes ist: Bei dem Vb. standan ' s t e h e n ' , das aufgrund der einzelsprachlichen Zeugnisse in Reihe 5.1 ( = 6 . K l . ) gehört, tritt eine Unregelmäßigkeit auf. Im Prät. stod - stodum fehlt das -n- nach dem Ablautvokal gegenüber dem Präs. Aufgrund seiner Wurzelstruktur sollte standan völlig parallel zu gangan 'gehen' in die 7.Kl. gehören, was nicht der Fall ist. Mit der Zuordnung zur Reihe 5.1 ( = 6 . K l . ) gehe ich aus von einem nicht belegten Inf. *stadan (vgl. faran, graban). Das lange a des Präs, bei *fahan (Reihe 6.5) entstand durch Ausfall des n vor h; dies gilt jedoch nicht für die 3. und 4. Stammform, in denen aufgrund des Grammatischen Wechsels g erscheint und deshalb das vorangehende n erhalten bleibt. Das n bewirkt wiederum einen kurzen Stammvokal e, vgl. Prät.Pl. ae. äs. fengun (vgl. STREITBERG 1900:331); diese Stammsilbe breitet sich analog in den wg. Sprachen auf den Sg. aus. Weitere D i f f e r e n z i e rungen durch das Wirken des Grammatischen Wechsels sind hier nicht berücksichtigt, da der Wechsel regelmäßig erfolgt und keinen weiteren Einfluß auf die Schematisierung hat. Einordnungsschwierigkeiten ergaben sich zunächst nur bei den Vb. mit Resonant vor dem Wurzelvokal, d.h. Vb. mit der Wurzelstruktur ( K ) R V K ( K ) - , z.B. *brestan 'bersten' oder *brekan ' b r e c h e n ' ; dem Exkurs in Abschn. 3.2.1.2 ist zu entnehmen, wie sich die Vb. in den Einzelsprachen auf die Kl. 3 - 5 verteilen. Ich habe daraufhin in Schema l der urwg. st. Vb. vom Typ KRVKK(z.B. *breskan 'dreschen') der 3.Kl. (= Reihe 3 . 2 ) , die Vb. vom Typ KrRKder 4.Kl. (= Reihe 3.3) und die Vb. vom Typ RVK- und Kn/JVK- (z.B. *plegan 'sich e i n s e t z e n ' ) der 5.Kl. (= Reihe 3.4) zugeordnet.

In der Darstellung des urwg. Systems schlagen sich folgende phonologischen und morphologischen Entwicklungen seit der e-a-Periode nieder (die Reihenfolge orientiert sich an der Reihenfolge in Schema 1 ) . ( 1 ) Die Entwicklung von idg. *ei zu germ., wg. *I, dadurch löst sich die 1.K1. (*grlpan) vom Ablautschema e-a-0-0. (2) Die Entwicklung von urg. *e>i vor i,j,u der Folgesilbe und vor der Konsonantengruppe Nasal+Konsonant bewirkt in der 3.Kl. eine Trennung der Reihen 3.1 (*jbindan) und 3.2 (*helpan) , bzw. in der 5.Kl. der Reihen 3.4 (*geban) und 3.5 (*biddjan). Darüber hinaus führt sie in den Kl. 3 - 5 zu einem Präs.vokal i in der 2. und 3. Sg.Ind.Präs., vgl. ahd. nimis, nimit statt *nemit.

93 As. und and. ist diese Entwicklung auch auf das germ. *e vor u ausgedehnt: äs. ahd. nimu < germ. *nemö 'ich nehme'. (3) Der "a-Umlaut" (Brechung) von i>e und u>o vor a, e, o der Folgesilbe,5 wenn nicht umlauthindernd Nasal+Konsonant dazwischensteht, bewirkt ebenfalls eine Trennung der Ablautreihen 3.1 (*bindan) und 3.2 (*helpan, Part.Prät. *-/joJpan urwg. *haetan (Kl. 7), *h_Zaopan (Kl. 7) und *beodan (Kl. 2 ) . Dadurch ist der zweite Bestandteil der Diphthonge nicht mehr als Halbvokal j bzw. w und damit als Teil der konsonantischen Wurzelstruktur zu betrachten, was im Urg. ermöglichte, z.B. *haldan und *haitan in die gleiche Reihe zu ordnen. Jetzt liegen eindeutige vokalische Qualitäten vor, die als Bestandteil des Ablauts zu betrachten sind. Wir erhalten dadurch in Kl. 7 die Reihe 6.1 (*haetan) und 7.1 (*hlaopan) als eigene Ablautreihen, die Reihe 2.1 (Kl. 2 *beodan) löst sich vom Ablautschema e-a-0-0. ( 4 ) Eine morphologische Entwicklung liegt vor in der analogischen Angleichung des Prät.Pl.-Vokals der Reihe 4.3 (= 4.Kl.) an Reihe 4.4 (= 5 . K l . ) : *numun > urg. *nemun > *namun, das bewirkt eine Lösung der Reihe 4.3 vom Ablautschema der Reihen 1 - 4.2 (= 1.-3.K1J; (5) Der i-Umlaut von a>e vor i, j der Folgesilbe bewirkte die Entstehung der Reihe 5.2 in Kl. 6 (*hebbjan < urg. *hafjan 'heben') und der Reihe 6.3 in Kl. 7 (*erjan < urg. *arjan 'pflügen'); (6) Der Ausfall von n vor h unter Ersatzdehnung, vgl. 7. Kl. urg. *fanhan > urwg. *fähan 'fangen' bewirkt eine Trennung der Reihen 6.2 und 6.5; ( 7 ) Die Eingliederung der ehemals red. Vb. unter Aufgabe der Reduplikation und Neubildung von charakteristischen Prät.vokalen (e und eu).

3.2.1.2 Die Aufspaltung des Systems Analysieren wir nun das urwg. Ablautsystem mit den Kriterien VAN COETSEMs (vgl. Abschn. 2.1 .2.1 ) : es liegen 18 verschiedene Ablautstrukturen und 9 verschiedene Wurzelstrukturen vor. Eine der Wurzelstrukturen, nämlich KVK- weist vier verschiedene Ab5 Aufgrund des a-ümlauts würden wir in der Kl. l im Part.Prät. ein e in der Wurzelsilbe erwarten. Dies ist nicht eingetreten, so daß wir den Lautwandel als "mannigfach gestört" (HIRT 1931:45, KRÄHE/MEID 1969:57) oder als "nicht regelmäßig" durchgeführt (RAMAT 1981:27 A. 35) betrachten müssen, weiterhin würden wir ein o im I n f . *spurnan (3. K l . , Reihe 5) erwarten, dies ist jedoch nicht belegt.

94

lautstrukturen auf, nur einer, nämlich VRj- ist eindeutig eine Ablautstruktur zuzuordnen, auf alle anderen Wurzelstrukturen verteilen sich je zwei oder drei Ablautstrukturen. Die Ablautreihen 2.1 - 2.2 lassen sich ebenso wie 3.1 - 3.5, 5.1 - 5.2, 6.1 - 6.5 und 7.1 - 7.2 zu jeweils einer Gruppe zusammenfassen, innerhalb derer die gegenseitige Abhängigkeit (Interdependenz) Ablautstruktur «—· Wurzelstruktur erhalten bleibt, da ihre Wurzelstrukturen sich jeweils komplementär ergänzen. Kbrrelieren wir die beiden Größen Ablautstruktur und Wurzelstruktur miteinander, so können wir eine abnehmende Kohärenz des urwg. Ablautsystems feststellen, da die Zahl der einseitigen Implikationen zugenommen hat. Hat ein Vb. die Wurzelstruktur KVK-, so können wir vier dazugehörige Ablautstrukuren einsetzen, eindeutig wird eine Zuordnung erst, wenn wir die Gruppe oder die morphologische Umgebung kennen: z.B. wenn ü im Präs, und Wurzelstrukur KVK-, dann Reihe 2.2 (Kl. 2 *lükan). Rein theoretisch müßten wir also für die urwg. st. Vb. vier Gruppen festlegen, da Gruppen nach VAN COETSEM dann zu konstituieren sind, wenn die gleiche Wurzelstruktur in der gleichen morphologischen Umgebung verschiedene Ablautstrukturen aufweist. Es erwies sich jedoch als nicht möglich, die verbleibenden 14 Ablautreihen aufgrund eines sofort erkennbaren Zeichens (wie in der e-a-Periode der Inf.vokal) eine der vier Gruppen zuzuweisen. Daher ergab sich die Notwendigkeit von 7 urwg. Gruppen, wie sie in Schema 1 dargestellt sind. Diese wenigen Beobachtungen bestätigen das Resultat, das NEWFIELD 1981:115 für das Engl. formuliert: "...the structural developments we see taking place in the ablaut system between Pgmc and OE, i.e. the loss of simplicity and 'cohesion 1 which is brought on by the increase in unpredictable categories and the loss of system-internal parallels or pattern congruity, represent the f i r s t stage in the progress of disintegration of the ablaut system."

Nach der Betrachtung des urwg. Materials ist diese Feststellung nicht mehr sehr überraschend, zeigt aber im Vergleich mit der traditionellen Klassifikation der st. Vb. in 7 Klassen, die anderen Kriterien folgt als die hier in Schema 1 vorgeschlagene, daß die Anwendung von VAN COETSEMs Darstellungsprinzipien durchaus sinnvoll ist, auch wenn wir nicht alle seine Unterscheidungen herangezogen haben. Da für VAN COETSEM bei der Interpretation eines Ablautsystems der Status der Reihen eine große Rolle spielt, unterscheidet er zwischen "series" und "subseries". Die Unterreihen repräsentieren eine phonologisch bedingte Variante der Ablautstruktur einer Reihe, und zwar eine phonologisch bedingte Variante, die in der betreffenden Sprachperiode eine synchrone Regel darstellt. Die Unterscheidung in "subseries" wäre somit völlig vorhersagbar

95 und unabhängig von morphologischen Bedingungen. So muß z.B. der a-Umlaut von u > o vor a der Folgesilbe als eine synchrone phonologische Regel des Urwg. betrachtet werden. Da sie jedoch durch die Kombination Nasal+Kons. behindert wird, kommen wir im Westgerm, zu der bekannten Unterteilung in Kl. 3a und Kl. 3b: *bindan - band - bundum - bundan- vs. *helpan - halp hulpum - holpan-, die nun zwei zusammengehörige "subseries" darstellen. Wie sowohl VAN COETSEM 1980:317ff als auch NEWFIELD 1981:118 im Gegensatz zu BORN 1980 erkannt haben, sind mit dieser Untergliederung umfassende theoretische Probleme verknüpft, wie z.B. das Problem der Abstraktheit einer phonologischen Regel und im Zusammenhang damit die Frage nach der optimalen phonologischen Beschreibung einer Sprache. Es scheint mir nicht wichtig, das Problem hier lösen zu wollen, aber wir müssen z . B . die Frage stellen, ob wir i statt e vor Nasal + Kons. (vgl. Kl. Ha), das auf einer wg. phonologischen Regel beruht, noch als synchrone Regel des Mhd. (!) auffassen und dieser Ablautreihe den Status einer "subserie" zuschreiben können, wie es BORN 1980:416 fürs Mhd. getan hat.

Zusätzlich zu den Unterscheidungen, die VAN COETSEM und seine Schülerinnen vorgenommen haben, möchte ich im Hinblick auf eine größere Vergleichbarkeit auch mit den anderen Verbalklassen und in Anlehnung an KERN/ZUTT 1977 und WURZEL 1984 eine Einteilung in Distinktionstypen überordnen (vgl. Abschn.1 .3.1 . 2 ) . Sie ist im Schema 1 in der 3. Spalte mit Großbuchstaben bezeichnet und beschreibt die Gleichheit oder Ungleichheit der Ablautvokale zwischen den vier Stammformen. Es liegen 6 Distinktionstypen vor: Verhältnis der Ablautvokale: Anzahl der Reihen Verben

Typ A

1 2 3 3

Präs.

Prät.Sg. 4 Prät.Pl. = Part.

2

123

B

1 2 2 3

Präs. 4 Prät.Sg. = Prät.Pl. £ Part.

3

10

C

1 2 3 4

Präs, , Prät.Sg. i Prät.Pl. / Part.

5

137

D

1 2 2 1

Präs. = Part. ^ Prät.Sg. = Prät.Pl.

6

81

E

1231

Präs. = Part. 4 Prät.Sg. 4 Prät.Pl.

l

28

F

1213

Präs. = Prät.Pl.

1_ 18

2_ 381

Part. 4 Prät.Sg.

Etwas anders gestaltet sich das Bild, wenn wir bei der Betrachtung der Ablautrelationen (vgl. Schema 1 ) das Verbaladjektiv/Part.Prät. unberücksichtigt lassen; wir erhalten dann nur 2 Distinktionstypen: I

Präs. 4 Prät.Sg. 4 Prät.Pl.

(Reihe 1 - 4 )

= 290 Vb.

I

Präs. ^ Prät.Sg. = Prät.Pl.

(Reihen 5.1- 7.2) = 91 Vb.

Das Verbaladjektiv e r f ü l l t in dieser frühen Periode noch nicht die Aufgabe eines z.B. temporalen P a r t i z i p s , wie sie in der periphrastischen Perfektbildung im Ahd. aufkommt (HIRT 1934:179; BORN 1985:38), so daß man zur urwg. Zeit von Oppositionen von 2 bzw. 3, nicht jedoch von 3 bzw. 4 unterschied-

96 liehen Ablautvokalen ausgehen kann. Daß ich das Verbaladjektiv trotzdem in das Schema l aufgenommen habe, geschah wegen der besseren Vergleichbarkeit mit den späteren Sprachstufen.

Wie wir den Aufstellungen entnehmen können, weisen 3/4 der urwg. Vb. einen Unterschied auf zwischen Prät.Sg. und Prät.Pl., während 1/4 der Vb. im gesamten Prät. einheitlich ablautet. Wir können also an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob wir zur urwg. Zeit vom Ablaut als einem tempusunterscheidenden Merkmal sprechen können, oder ob wir ihn nicht zunächst noch als ein prinzipielles morphologisches Unterscheidungsmerkmal, d.h. ohne Einengung auf eine Kategorie, betrachten müssen. 3.2.1.3 Exkurs: Zur Zuordnung der Vb. mit Resonant vor dem Ablautvokal Für die Vb. mit Resonant vor dem Ablautvokal hat VAN DER RHEE 1973 eine Erklärung für die jeweilige Zuordnung zu einer der Ablautreihen in urg. Zeit in einem größeren Zusammenhang versucht.6 Er unterscheidet prinzipiell zwischen kurzen (*nem-an, *geb-an, *far-an) und langen Wurzeln (*greip-an, *beud-an, *help-an, *heit-an), jeweils gemessen ab dem Wurzelvokal: folgt ein Kons., ist es eine kurze, folgen zwei Kons. oder der zweite Teil eines Diphthongs + Kons., bzw. Resonant + Kons., so liegt eine lange Wurzel vor. Lange Wurzeln treten demnach auf in den Klassen I - M und VI, während die 4., 5. und 6. Kl. je kurze Wurzeln kennen (Ausnahmen sind solche mit den Auslautsverbindungen -sk- und -st-, die offenbar als ein Elenent zu betrachten sind, z.B. Inf. waskan - Prät. wosk, 6. Kl.). Diese Verteilung von kurzer und langer Silbe auf die unterschiedlichen Ablautreihen wirkt sich nun auch auf die Verteilung der Vb. mit Resonant vor dem ablautenden Vokal aus. Diejenigen Vb. mit Resonant vor dem Ablautvokal, die eine lange Wurzelsilbe haben, also auf zwei Kons. bzw. V/R+K enden, bilden ihren Ablaut nach VAN DER RHEE 1973:26 nach der 3. Kl. (vgl. die Tabelle am Ende dieses Exkurses): Idg. *xelb-

Prät.Pl. *xlb-

> germ. *help - hulpum

Idg. *tresk-

Prät.Pl. *trsic- > germ. *presk - purskum

'helfen' 'dreschen 1

6 VAN DER RHEE hebt in seiner Arbeit vor allem die mögliche Bedeutung von langen und kurzen Wurzelmorphemen bei der Entstehung des germ. Ablautsystems, insbesondere der 6. K l . , hervor. Die Vorstellung, daß die Wurzelstruktur ebenso wichtig für die Zuordnung zu Klassen sei wie der Ablaut selbst, ist nicht unumstritten; sie wird z.B. von STUTTERHEIM 1960 allerdings nicht sehr überzeugend abgelehnt.

97 Die Vb. mit kurzer Wurzel dagegen gehen nach der 4. oder 5. Kl., wobei VAN DER RHEE 1973:26 sich hier nicht festlegen will, sondern nur auf die Verteilung in den Einzelsprachen hinweist. Es ist eigentlich erstaunlich, daß er an diesem Punkt nicht konsequent mit den gleichen Prinzipien weiterargumentiert wie zuvor, um hier zu einer ursprünglichen Zuordnung zu kommen. Wenn wir nämlich voraussetzen, daß die Länge der Wurzelmorpheme eine Rolle gespielt hat, so müssen wir also die kurzen Wurzeln vom Typ (K)RVK- der 4. oder 5. Kl. zuordnen, aufgrund des Resonanten jedoch können wir eine Zuordnung zur 4. Kl. festlegen: folgende vier Beispiel-Vb. Idg.

*nem-

nom-

nm-

nm-

'nehmen 1

*bhreg-

bhrog-

bhrg-

bhrg-

'brechen'

*ghebh-

ghobh-

ghbh-

ghbh-

'geben'

*leg-

log-

Ig-

Ig-

'leck sein'

bei denen schon das Aussehen der 3. und 4. Stammform von *ghebh- : ghbh- sehr zweifelhaft ist,

erhalten durch die u-Vokalisierung der silbischen Nasale und

Liquiden im Germ, folgende Formen: germ.

*nem-

nam

num-

num-

*brek-

brak

burk-

burk-

*geb-

gab

gb-

gb-

*lek-

lak

ulk-

ulk-

Das Prät.Pl. und das Part.Prät. von *geb- konnten natürlich so nicht existiert haben. Nach VAN DER RHEE trat hier das Vorbild der im Präs, ebenfalls kurzwurzligen

6. Kl. ein, der neue Vokal des Part.Prät. entspricht dem Präs.-

Vokal: Inf.

*faran-

- Part.Prät.

farans

6. Kl.

Inf.

*geban-

- Part.Prät.

gebans < gbanaz

5. Kl.

Der neue Vokal im Prät.Pl. ist gedehnt wie in der 6. Kl.: Inf.

*faran-

- Prät.Pl.

förum

(-o- wg. *gripe.

Bei den schw. Vb. der 1. Kl. ( jan-Vb. ) erscheint zwischen Wurzel und Themavokal das Ableitungssuffix, ansonsten ist die Bildung gleich:

108 germ. *nazi-a-i-(n) > wg. *nerje,

bei den schw. Vb. der 2. Kl. haben wir keinen Ihemavokal: germ. *salt>-o-i-n germ. *hab-e-i-n

> >

wg. *salt>o wg. *hake

Im Prät. der schw. Vb. tritt das Opt.-Zeichen -I- an den Prät.-Stamm: germ. *salböd-i(n) >

wg. *salbödi

Die Endungen sind die gleichen wie im Opt.Präs, und Prät. der st. Vb.: Opt.Präs. germ. salbo-i-(n) salbo-i-s salbo—i— salbo-i-m salbo-i-d salbo-i-n

Opt.Prät. wg.

> > > > > >

salbo salbos saloo salbom salbod salkon

germ. salboa-i-(n) salt>od-i-s salbod—isalbod-i-m salbod-i-d salbod-i-n

wg. > > > > > >

salboffi salt>od~is salbooi salbodim salbodid salbodin

Es sind somit im Wg. bei den schw. Vb. der 2. und 3. Kl. jeweils die Formen der 2.Sg. und der 1. und 2.Pl.Ind. und Opt.Präs, zusammengefallen. Innerhalb der Gruppe der schw. Vb. lassen sich (schon urwg.?) einige Ausgleichsbewegungen beobachten. Als Resultat zeigt sich, daß im Ae. und As. ehemalige en-Vb. zu den ön-Vb. oder in die 1. Kl. übergewechselt sind, während das Ahd. die Gruppierung beibehält. 3.2.3

Die Kleineren Verbklassen

Bei den Präteritopräsentien (Prät.präs.) handelt es sich um eine Gruppe von ursprünglich st. Vb., die schon vorgerm. ihr Präs, verloren haben, nachdem ihre entsprechenden Perfektformen Präs.Bedeutung angenommen haben, z.B. Prät.präs. germ. *witan 'wissen', dessen Eerf .-Formen Sg. *wait (-P1. witun) < idg. *woida 'ich habe erblickt" = 'ich weiß' Präs.Bedeutung angenommen haben. Das hatte zur Folge, daß die Ablautrelationen, die wir bei den st. Vb. zwischen Prät.Sg. und Pl. festgestellt haben, bei diesen Vb. im Präs, zwischen Sg. und Pl. auftreten. Diese Gruppe kam wahrscheinlich in einem allmählichen Prozeß zustande. Zu dem Vb. idg. *woida > wait 'weiß' stießen im Laufe der Zeit andere hinzu, die vermutlich nicht alle den gleichen Entwicklungsprozeß mitgemacht haben, die aber von ihrer Bedeutung her in die Gruppe paßten (vgl. MEID 1971:19ff). Die Prät.präs. haben in germ. Zeit ein Prät. nach dem Muster der schw. Vb. gebildet, und zwar wie die schw. primären jan-Vb. (vgl. Abschn. 3.2.2) binde-

109

vokallos: urwg. Inf. kunnan 'können', Präs.Sg. kan, Pl. kunnum, Prät. kunda; das Part. I *kund 'kundig, bekannt', das auf ein ehemaliges to-Partizip zurückgeht, ist teilweise als Adj. erstarrt erhalten, vgl. ae. cüd, as. küd, afris. kuth, ahd. kund. Im Allgemeinen kennen die Prät.präs. bis in die mittll

leren Sprachstufen kein Part. I

und bilden es dann meist schwach neu (vgl.

Abschn. 6.2.3 und 8.2.3). Prät.präs.

Inf.

Ind.

Opt.

Präs.

kan kant kan kunnum kunnud kunnun

kunni kunnis

kunda k unties kunda kundum kundud kundun

kundi kundis kundi kundim kundi d kundi n

Prät.

'können':

kunni

kunnim kunnid kunnin

Die Personalendungen des Präs, stimmen bis auf die 2.Sg. -t, vgl. *kant 'kannst' vs. *gripi

'griffst', das Wg. geneuert ist

(vgl. STREITBERG 1900:325),

zu den Prät.-Endungen der st. Vb. Die Endungen des Prät. entsprechen denen des schw. Prät. Aufgrund der Ablautstruktur lassen sich die wg. Prät.präs. den Ablau treihen der st. Vb. zuordnen: Reihe

Inf.

Präs.Sg.

Präs.Pl.

Prät.

Bedeutung

(1) (2) (3.1) (3.1) (3.2) (3.2) (3.3) (3.3) (3.4) (3.4) (5.1) (6.1)

wit an dugan kunnan unnan durran burban skulan munan mag an -nugan mot an aegan

weit doux

wit um dugum kunnum unnum durrum burtium skulum

wissa dohta kunda unda dorst a borfta skolda munda mahta -nohta mosta aehta

'wissen' 'taugen 1 'kennen' 'gewogen sein' 'wagen' 'bedürfen' 'schulden' 'meinen' 'können' 'genügen' 'können, müssen' 'haben'.

kan an dar

barf skal man mag

munum mag.um/muyum

-nah

-nug.um

mot aeh

mot um

aegum

Nicht alle zwölf Vb. sind in den drei großen wg. Einzeldialekten vertreten. Dem As. fehlt ( 3 . 4 ) *-nugan 'genügen', dem Ahd. *munan 'meinen'. Eine Abweichung gegenüber der Ablautstruktur der st. Vb. liegt vor im Präs.Pl. der Reihe 11 Eine Ausnahme stellt das anstelle von *giwiss 'gewiß' neugebildete Part.K von wg. *witan dar: ahd. giwizzan, äs. giwitan, ae. gewiten, afries. witen.

110 (3.3): dem -u- von *skulum entspricht das -a- im Prät.Pl. von nämum 'wir nahmen 1 . Es ist bei den st.

Vb. nach dem Vorbild der 5. Kl. neu eingeführt wor-

den. Auffallend ist ebenfalls das -u- in *ga-nugum, wo wir ein -ä- erwarten sollten. In allen drei Einzelsprachen wird der Inf. entsprechend dem Vokal im Präs. Pl. gebildet, er lautet auf -an aus. Es verbleiben für unsere Übersicht noch die athematischen Wurzelvb. mit der nhd. Bedeutung 'sein 1 , ' t u n ' , •gehen' und •stehen 1 sowie das Vb. nhd. 'wollen', für die ich nachfolgend die rekonstruierten urwg. Formen angebe: athematisches Vb. Inf. wesan ' s e i n ' Ind.

Opt.

Präs. biu bis(t) est (b)erum (berud) sind

si sis si s im sld sin

Prät. was wari was warum warud warun

wari war is wari war im war id war in

Imp.

we sum wesad

Part, wesan athematisches Vb. I n f . don ' t u n ' : Präs.

Prät.

dorn dos död dorn död dond

doi dois doi doim doid doi n

de da

dedi/dedi dedis/dedis dedi/dedi dedim/dedim dedld/dedld dedin/dedin

decies deda dedum/dedum dedud/dedud de dun /de dun

Part,

do

död

don/dan

athem. Vb. Inf. gran 'gehen' (stan 'stehen' ist völlig analog): Präs. gam gas gad gam gad grand (Prät. st. Vb. gangan) Part, gan

ge gres ge_ gern

ged

gen

ge

111 Das Vb. ' w o l l e n ' : Inf.

wiljan/waljan:

Präs.

Prät.

weli weliz weil welim

wolua woldes wolaa woldum

welin

woldun

Die Formen des verbum stubstantivum Inf. "wesan 'sein' sind in allen germ. Sprachen recht individuell gebildet. Darüber hinaus kennen die Einzelsprachen jeweils Varianten, die das Rekonstruieren wg. Formen erheblich erschweren. Im Präs. Ind. Sg. liegen uns im Gegensatz zum Got. und An. Formen mit anlautendem b- vor. Hier ist der idg. Verbalwurzel *es- eine zweite idg. Wurzel *bhü- vorangestellt worden, vgl. ae. beo(m), bist, ist, äs. bium, bist, ist, ahd. bim, bist, ist. Daneben sind im Ae. jedoch die Formen eom, eart, is gültig. Im Pl. bestehen noch größere Unterschiede: während das Ae. earun, sind und b e o ahd. t sowie die jeweiligen urwg. Personalendungen

(Ausnahme 1.P1. vgl. 4 . 2 . 1 ) fort. Innerhalb der 1. Kl. der schw. Vb. erfolgt eine Trennung in kurzsilbige Vb., die bei der Bildung des Prät. in der Regel ihren Bindevokal -i- erhalten, und die langsilbigen bzw. mehrsilbigen Vb., die das -i- verlieren. In dem Verlust des -i- liegt zugleich die Ursache für die sog. Rückumlautsvb., vgl. urwg. *brannjan, ahd. brennen, Prät. urwg. *brannicfa, ahd. branta. Sie erhalten als Folge der Synkope und durch Umlautwirkung also einen Vokalwechsel zwischen Präs, und Prät. Wir unterscheiden somit im Ahd. drei Klassen von schw. Vb., da sich die urwg. 1. Kl. in die genannten zwei ahd. aufgespalten hat.

Inf.

schw. Vb. l (langsilb.)

schw. Vb. l (kurzsilb.)

schw. Vb. 2

schw. Vb. 2

suochen

nerien

salbon

haben

nerita neritos nerita neritumes neritut neritun

salbota salbotos salbota salbotumes salbotut salbotun

habeta habetos habeta habetumes habetut habetun

Ind.Prät. suohta suohtos suohta suohtumes suohtut suohtun

133 schw. Vb. 1 (langsilb.)

schw. Vb. 1 (kurzsilb.)

schw. Vb. 2

schw. Vb. 2

Opt.Prat, suohti suohtis suohti suohtimes suohtit suohtin

neriti

salboti

habeti

usw.

usw.

Part. I

ginerit

gisalbot

gihabet

gesuochit

usw.

Das Part. K wird im Ahd. im allgemeinen mit dem Präfix gi- als Ausdruck der Perfektivierung gebildet; diejenigen Vb., die an sich schon punktuelle Bedeutung haben, wie findan det. Die Part. I der st.

'finden 1 und queman 'kommen 1 werden ohne Präfix gebilVb. enden auf -an < urwg. *-an < urg. *ana(z)


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) io > ia > ie. Im Anfrk. sind alle Schreibformen belegt, ie erscheint am häufigsten. Wie im Ahd. fallen die Resultate der Monophthongierung von ae und ao nicht mit den anfrk. Vertretern von urwg. e und o zusammen: urwg. e und o werden diphthongiert zu ie und uo. Das ie fällt mit dem ie aus urwg. eu zusammen. Wir können somit für die anfrk. diphthongischen Entwicklungen eine Parallelität zum Ahd. feststellen, wie sie z.B. im As. nicht gegeben ist. Nach GOOSSENS 1974:36 kennt das Anfrk. den Umlaut nur bei den Kurzvokalen a und u vor i, j, u der Folgesilbe. Während das Ergebnis des umgelauteten a orthographisch als e erscheint, vgl. urwg. *taljan > anfrk. tellon 'zählen', liegen bei u je nach Umgebung die Allophone ßi] und [u] vor: urwg. *hrugja > anfrk. ruggi [ü]. Diese Verteilung des Umlauts beim u läßt sich jedoch erst rückwirkend aus einer Analyse des Mnl. erschließen (vgl. GOOSSENS 1974:47), da Wörter mit dem anfrk. erschlossenen Allophon [u] im Mnl. mit geschrieben werden (germ. *munpa > anfrk. munt > mnl. mont ' M u n d ' ) , diemit anfrk. Allophon [ü] als erscheinen (mnl. rucge 'Rücken'). Einen Umlaut von Langvokalen kennt das Anfrk. nicht. 2 GOOSSENS 1974:37f berücksichtigt den a n f r k . Diphthong ou gar nicht.

155

Vom im Hdt. sogenannten Sekudärumlaut, der dann im Mhd. das gesamte Vokalsystem verändert, ist als einziger Vokal im Ndl. also das kurze u betroffen. An konsonantischen Veränderungen liegt uns im Anfrk. nach GOOSSENS 1974:65 eine anfrk. Auslautverhärtung (bei GOOSSENS "anl.") vor. Sie bewirkt, daß die urwg. stimmhaften Verschlußlaute und Reibelaute im Silbenauslaut stimmlos werden: auslautendes urwg. b, d, g > p, t, k; auslautendes i, f, t, ; urwg. g- wird im Anlaut zu j spirantisiert. h schwindet völlig vor Kons, im Anlaut: urwg. hlaupan > anfrk. Joupon; vor s und t bleibt es im allgemeinen erhalten. In einem ( ! ) Fall liegt im Anfrk. auch schon eine Assimilierung von hs zu ss: vusso 'Fuchs1 vor, die im späteren Ndl. die Regel wird, h schwindet ebenfalls völlig inlautend zwischen Vokalen: urwg. *fleohan > anfrk. flien 'fliehen'. Dies scheint der einzige Punkt der konsonantischen Veränderungen zu sein, der das Ablautsystem beeinflußt. An vokalischen Veränderungen könnte sich die Weiterentwicklung des urg. Diphthongs *eu auf das Ablautsystem auswirken: vor w und vor i, j , u der Folgesilbe wird er zu i u , geschrieben , , ; vor e, a, o der Folgesilbe zu (*eo >) i o > i a > i e ; ist die häufigste Schreibform, vgl. riecont 'sie riechen' neben beriuwan ' b e r e u e n 1 , GOOSSENS 1974:39. Leider ist jedoch das Belegmaterial der a n f r k . Psalmen keineswegs eindeutig, sondern höchstens in großen Zügen mit dieser Feststellung, die möglicherweise aufgrund des ahd. Stands gemacht wurde, in Einklang zu bringen, denn es stehen und in jeweils beiden Positionen: nieton 'sie -nießen 1 , flutit ' f l i e ß t ' , aber auch: utgietit 'gießt aus 1 neben fluigon 'sie f l i e g e n '

5.2

Das anfrk. Verbalsystem

Es sind wiederum die drei großen Verbalgruppen (st., schw. und Kleinere Verbalklassen ) zu unterscheiden. Anders als im Ahd. ist der Unterschied zwischen den st. und schw. Vb. jedoch in erster Linie durch die Präteritalbildung gegeben. Im Bereich der Personalendungen beeinflussen sich die st. und schw. Vb. im Präs, in großem Umfang gegenseitig. Deswegen werde ich die st. und schw. Vb. nicht getrennt behandeln, sondern zunächst das Präs, gemeinsam anführen, nachfolgend kommt dann die jeweilige Prät.-Bildung an die Reihe. Die Paradigmen sind jeweils mit dem in VAN HELTEN 1902 und BORGELD 1899 verzeichneten Belegmaterial erstellt, neuere Bearbeitungen liegen m.W. nicht vor. Da die Überlieferung nicht sehr umfangreich ist, ich aber dennoch belegte Formen angeben möchte, habe ich auf das wünschenswerte,3 aber noch etwas ungewöhnliche Verfahren zurückgegriffen, in den Paradigmen die Formen verschiedener Vb. zusammenzustellen. Die bei den Kleineren Vb.klassen durch mangelnde Überlieferung entstandenen Lücken ließen sich auf diese Weise nicht füllen. 3 Vgl. die Überlegungen SCHÜTZEICHELs 1975 und in Nachfolge SIMMLER 1987:138.

156 5.2.1

Das Präs, der anfrk. st.

und schw. Vb.

Der schon im Urwg. vorhandene Wechsel des Wurzelvokals e zu i im Ind.Präs. Sg. der Ablautreihen 3 . 3 - 3 . 5 (= Kl. 3b - 5) ist im Anfrk. erhalten. Nach dem Ausfall des -j-, das anders als im And. nachfolgendes a nicht zu e umgefärbt hat, sind im Anfrk. die Präs.-Endungen der st.

Vb. und der schw. Vb. der 1 . Kl.

zusammengefallen. Doch weisen die Formen dieser beiden Vb.-Klassen im Anfrk. auch Endungen auf, die eigentlich nur der 2. Kl. der schw. Vb. (ön-Vb.) zukommen (vgl. VAN KELTEN 1902:109). Die Gruppe der en-Vb. ist

anfrk. nicht mehr

vertreten, sondern mit den ön-Vb. zusammengefallen. Anfrk. Paradigmen: Präsens st. Verben Ind.Sg. Pl.

Opt.Sg. Pl.

sing-on bilg-is(t) upstig-it uuerth-un sprek-et/slapit uuerth-unt/-on t

schw. Vb. 1. Kl.

schw. Vb. 2. Kl. uuac-on

geriht-is behod-it

gemut-os gitru-ot

forht-it suoc-unt/-ont

uuon-ont/-unt

uuerth-e/sing-i

cund-e/cund-i

steck-e

uuerth-e/uuerth-i uuop-an

irlioht-e antkenn-an

uuon-e/genath-i thian-in

gesi-an/uuerth-in(t)

forht-an/mend-int

scam-an/blith-in

Imp.

utgiut sing-it

ginath-i/-e suok-it

think-o gitru-it

Inf.

bid-an/sing-en/ sing-in /lith-on/ cum-un

gehor-an/forht-on/ forht-un/mend-en gihor-in

gelic-un/irr-en bed-on

Die Endung der 1.Sg.Präs.Ind. urwg. -u (bei den st.

und schw. Vb. 1. K l . ) :

*sing-u, *nerj-u, *salk-on lautet im Anfrk. durchgängig -on: sing-on 'ich

sin-

ge1 nach dem Vorbild der Endung der 2. Kl. der schw. Vb., vgl. anfrk. uuacon 'ich wache' (vgl. BORGELD 1899, § 183 und VAN HELTEN 1902, § 9 1 a ) . Die Endung der 1.Pl., die nur ein einziges Mal in uuerthun 'wir werden1 belegt ist,

ist möglicherweise ebenfalls nach der 2. schw. Kl. umgebildet (vgl.

urwg. *gripem). Nur in der 2. und 3.Sg. ist ein Unterschied gewahrt zwischen den st. Vb. und der 1. Kl. der schw. Vb. einerseits (geriht-is 'richtest', stig-it 'steigt') und der 2. Kl. der schw. Vb. andererseits (gemut-os 'bewegst', gitru-ot 'vertraut ' ) .

157

Die Endung der 3.Pl. lautet sowohl -unt als auch -ont und -int. Ein zu erwartendes -ant oder -ent der jan-Vb. ist dagegen nicht belegt. Ein lautliches Muster, nach dem sich die Endungen entwickelt haben könnten, liegt nur für die Endung -ont vor. Sie erscheint in der 2. schw. Kl. Die Tatsache jedoch, daß dasselbe Vb. alle drei Endungen nebeneinander haben kann (z.B. uuerthunt, uuerthont und uuerthint 'sie werden 1 ), weist darauf hin, daß der Vokal der Endung keine eigene Punktion (z.B. die Unterscheidung von st. und schw. Vb.) mehr hatte. Einen ähnlichen Reichtum an Varianten weist z.B. die Inf.-Endung der st. Vb. auf: neben der zu erwartenden Endung -an (42x, vgl. bldan 'warten') erscheint 34x -on: lithon 'leiten', 11x -un: cumun 'kommen 1 ; außerdem 4x -en: singen und schließlich 2x -in: singin 'singen 1 . Dieselbe Erscheinung liegt bei den schw. ön-Vb. (2. Kl.) vor, die vier verschiedene Endungsvokale im Inf. aufweisen. VAN HELTEN 1902, § 91 konstruiert für die einzelnen vorliegenden Varianten analogische Einzelerklärungen. Mir erscheint es dagegen naheliegender, hierin eine Folge der auch im Anfrk. zu beobachtenden Endsilbenabschwächung zu sehen und die Varianten in der Schreibung als Reflex einer schon indifferenten Aussprache (Murmelvokal ) zu verstehen (vgl. FIRCHOW 1969:XXI). Für diesen abgeschwächten Vokal stand dem Schreiber kein eigenes Zeichen zur Verfügung, so daß er wahrscheinlich jeweils das Vokalzeichen gewählt hat, dem der Laut gerade am nächsten kam. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß sich der o-Vokal der schw. Vb der 2. Kl. erstaunlich gut gehalten hat. Das paßt übrigens zu den Ergebnissen, zu denen FÖRSTER 1966 fürs Ahd. gekommen ist (vgl. Abschn. 4 . 2 . 4 ) . Der Grund dafür, daß das o relativ gut erhalten ist, mag darin liegen, daß es der wohl schallstärkste Endsilbenvokal ist (< 5). Es ist im Anfrk. also ebenso eine Abschwächung der Endsilben zu beobachten, wie wir sie seit and. Zeit auch im Dt. zunehmend feststellen können (vgl. Ahd. Gr. u.a. § 59 und Abschn. 4 . 2 . 4 ) . Der Opt.Präs., der jeweils in der 1. und 3. Pers. belegt ist, zeigt die gleichen Endungen in allen drei Vb.-Gruppen. Außer in der 2. und 3.Sg.Ind.Präs, unterscheidet das Anfrk. die st. Vb. und schw. Vb. im Imp.: vgl. die Endung der st. Vb. -0: ütguit 'gieß aus 1 , der jan-Vb. -i: ginäth-i 'erbarme (dich)' und der ön-Vb. -o: think-o 'denke'.

158

5.2.2

Das Prät. der st. und schw. Vb.

Ind.Sg. Pl.

Opt.Sg.

st. Verben

schw. Vb. 1. Kl.

schw. Vb. 2. Kl.

beid nami beid gieng-on

gener-e-da gener-e-dos gener-e-da

arvid-o-da cor-o-dos hat-o-da

sung-un/farlith-on

then-e-don/-dun

hat-o-don thol-o-di

gisag-i/sprek-e gisag-i/sprek-e

befell-i-di

Pl.

farnam-in Part. E

irboig-an/behald-on ginum-en-a

beker-it/beker-et bescirm-ot

gerat-ot

Die st. Vb. bilden ihr Prät. mithilfe des Ablauts und gegenüber dem Präs, unterschiedlichen Personalendungen. Sie sind die regulären lautlichen Entsprechungen der urwg.; Varianten gibt es lediglich in der 3.P1. zwischen -un (72x; vgl. sung-un 'sie sangen') und -on (38x; vgl. farlith-on 'sie verführten 1 X Auch im gering belegten Opt.Prät. gibt es die zu erwartenden Personalendungen. Bevor ich das System der st. Vb. vorstelle, möchte ich die Beschreibung der schw. Vb. abschließen: Die Personalendungen des Prät. der 1. und 2. schw. Kl. im Ind. und Opt. lauten erwartungsgemäß gleich, sie setzen regulär die urwg. fort. BORGELD 1899 und VAN HELTEN 1902 trennen die Vb. der 1. schw. Kl. in langund kurzsilbige Vb. Die kurzsilbigen Vb. behalten im Prät. ihr Bildesuffix: grener-e-da 'ich befreite' (BORGELD 1899, § 233), die langsilbigen, deren Stamm auf Doppelkonsonanz endet, ebenso: geriht-o-da 'ich richtete 1 , während die langsilbigen mit einfacher Konsonanz synkopieren: gehor-da 'hörte'. Es gibt jedoch einige langsilbige Vb. der 1. schw. Kl., die den Bindevokal im Prät. früh verlieren und deshalb im Prät. nicht umlauten, wie z.B. anbranton 'sie zündeten an 1 , bicanda 'ich erkannte', sanda 'er schickte' (= Rückumlautvb.). Diese Vb. sind zu der Gruppe von Vb. zu stellen, die schon urwg. ihr Prät. ohne Bindevokal bildeten. Hierzu stellt BORGELD 1899, § 234 A1: brähtos 'du brachtest1, suohtun 'sie suchten', thahta 'dachte', uuarhton 'sie machten/arbeiteten'. Wir unterscheiden somit im Anfrk. 4 Klassen von schw. Vb. Als Bindevokal treten bei der 1. Kl. der schw. Vb. nebeneinander auf: 27x -i-, 25x -e-, 15x -o-; im Part. I 38x -i-, 6x -e-, 19x -o-. In der 2. Kl.

159 liegt im Prät. und Part. E überwiegend ein -o- vor; im Prät. erscheint außerdem 1x -u-, 2x -a- und 3x -e-· im Part. K 1x -a- als Bindevokal. Die Abweichungen in der 1. Kl. (15x im Prät. und 19x im Part. I -o-) nach Art der 2. Kl. der schw. Vb. sind demnach ungleich größer als umgekehrt, was erneut darauf hinweist, daß die Bildeweise der on-Vb. sich besonders gut hält. Das Part. I wird im Anfrk. mit dem Präfix gre-/gi- gebildet, das dem entsprechenden Verbalstamm vorangesetzt wird. Bei perfektiven Vb. wie findan und bringen fehlt dieses (perfektivierende) Präfix im Anfrk. ebenso wie im And. Die Endungen der Part. I der st. Vb. lauten anfrk. -an/-on < urwg. *-ans, z.B. behaldan/behaldon, flektiert überwiegend -o-, vgl. behaldona. Die Part. I der schw. Vb. lauten -t: irfullit

'erfüllt 1 , flektiert -d-, vgl.

irfullida

'Erfüllter'. Über die Verwendung des Part. l i m Anfrk. liegen keine Untersuchungen vor, doch lassen Stichproben annehmen, daß es auch zur periphrastischen Perfektbildung dient.

5.2.3

Die Veränderungen in den

Kleineren Verbalklassen

( 1 ) Bei den Prät.präs. werden anfrk. die urwg. Formen lautgesetzlich fortgeführt : (a) Inf. uuiton

'wissen'

Ind.Präs.2.Sg. 3.Sg.

uueist/uuest uueit

Ind.Prät.l.Sg.

uuista

(b) I n f . *sulan

'sollen'

Ind.Präs.l.Sg. 2.Sg. 3.Sg. 1.P1. 3.P1.

sal/seal salt sal sulun/fsalun) solun/solon/isalun)

(c)

'können'

Prät.Konj.3.Sg.

mohti

(2) Von 'wollen' sind anfrk. zwei Formen belegt: 3.Pl.Ind.Präs, uuilunt 'sie wollen' und 1.Sg.Ind.Prät. uuolda 'ich wollte', die ebenfalls keine neuen Aufschlüsse zulassen. ( 3 ) Das verbum substantivum zeigt gegenüber dem Urwg. die gleichen Veränderungen wie das Ahd.: urwg. *biu, aber anfrk. bim; die Endung dieser Kontamination entspricht der 1.3g. got. im < uridg. *esmi.

160 Ind. l.Sg. 2.Sg. 3.Sg. 3.P1.

Opt.

bim Ms (2x)/i>ist ( A x ) ist sint

sis si/sie

Die fehlenden Präs.formen sind anfrk. nicht belegt. Inf. und Prät. werden suppletiv vom Vb. uuesan gebildet BORGELD 1899, §§ 217 und 244. (4) Im Ind., Opt. und Imp.Präs, setzt duon 'tun 1 die urwg. Formen lautgesetzlich fort: Präs.Ind.3.Sg.

duot

Präs.Opt.2.Sg. 3.Sg. 1.P1.

duos duo duon

Imp.

Sg. Pl.

duo duot

Prät.Ind.2.Sg. 3.Sg.

dedi deda

Inf.

duon

Part. I

gidän

Im Prät. liegt mit der 2.Sg. dedi aus urwg. »dedes 'tatest' wohl eine analogische Bildung zu den st.

Vb. vor. Weder die Endung -i noch die Dehnung des

Wurzelvokals ist lautlich zu erklären, so daß als Vorbild die st. Vb. der Reihen 3 . 3 - 4 zugrunde liegen werden. ( 5 ) Can und stan sind zu wenig belegt, um Veränderungen feststellen zu können: Inf. gran, stan, Imp.Sg. st a, Gerundium fulganni nacheifern', Part. I

'aemulari' = 'nachfolgen,

up s t an diro'der Auferstehenden' (Gen.PL).

5.3

Das anfrk. System der st. Vb.

5.3.1

Die anfrk. Systematisierung (vgl. Schema 3)

Dem System liegen die st.

Vb. zugrunde, die BORGEID 1899 und VAN HELTEN

1902 aufführen. Es sind jedoch nicht alle Vb. im Prät. belegt, sondern eine Reihe von ihnen taucht nur im Präs, auf, wodurch letztlich eine präzise Zuordnung der Vb. zu den Ablautklassen nicht gewährleistet ist.

Diese erfolgt hier

ebenso wie bei BORGELD und VAN HELTEN nicht ausschließlich aufgrund anfrk. sprachlicher Daten, sondern auch aus der Kenntnis der historischen Grammatik des And., As. usw. Die erschlossenen Vokale sind in der Beschreibung der Ablautstruktur mit einem Asterisk versehen. Die erzielten Ergebnisse sind also immer vor diesem Hintergrund zu relativieren.

161

_

c

C φ

Ή φ 4-) :3 i—1 CO

ί

00

φ 00

q

q O Er, φ

HJ Οι M

φ β

•u to

C φ α φ •l-t 1—I

ο

q

ccu

1 Ή1 μs

o

1

••ι ι

ι 3

•H. 3'

co

1

4J

3

•H

)-l

Φ

4-1

C (fl ^ ·


s

1

'S

X co

|s/j

σ*

1

z

Ή rJ

-H

co

s s

•^,

f~^ 1

1

S

&

s

I Ν Ν

/—s

β!

ίί

I

1

ε

ii

S S S

1 I

s

q

'S S

1 Ρα

> χ

s Pi

Ι

o

μ

, j

j_l

o

lutstrukl

0) 4-1 4-1 •H

S Q

73 rH

..

"g S

ra

^

3

S

•iS * §

4-1 ^ c

1

"""*

•M

'

1 Ή ' 0) 1 01 1 1

1 3 1 3 O 1 Φ

3 1 IO

φ

13 1 13 1 3 O 1 3

CJ

0

>

s Ο 3

IO 1

•Ή Ι •Ή Φ

1 3

Ο

I Φ •Ή •M I 1 1) •Μ I Ή I I O

α α

Q

ο ο

-a·

LO

rH

CM

σν ο

Ο

ο

~~*

*"^

• '

(=1

Η

Ν



φ

I

I

Ι

φ ι



1 Φ

φ φ

ο

c 01 ι α

•C



>.

co

•H m

C

4-1

4J

C

co

Ο

Μ

IH

hH

KH

Μ

Μ

g

Η

1=1

Μ

180

Schema 5: Das mhd. Ablautsystem trad. Kl.

Reihe (mhd.)

mhd. Reihe Ablaut(Typ + Nr,. ) Struktur

Zahl d. Vb.

Beispiel

I

1.1

AI

i - ei - i - i

75

biten

I

1.2

A2

i-e-i -i

10

lihen

m n

3.1

A3

i - a - u- u

48

binden

2.3

A4

in - ou - u - u

5

bliuwen

VI

9.3

Bl

a - ie - ie - a

3

gan

VE

9.2

B2

e- ie - ie - a

1

ern

VI

(8.1)

B3

a - uo - uo - a

1

stan

VI

8.2

B4

e - uo - uo - a

4

heffen

VI

8.3

B5

e - uo - uo - o

1

swern

v

6.1

Cl

i - a - a- e

3

bitten

IV

5.1

C2

e - a - a- o

29

bern

39

bergen

m m n n n

3.2

C3

e - a - u- o

4

C4

i - a - u- o

2.2

C5

ie - o - u - o

22

bieten

2.1

C6

ie - ou - u - o

14

biegen

2.4

C7

u - ou - u - o

4

VE

9.1

Dl

a - ie - ie - a

15

halten

VI

7

D2

a - uo - uo - a

16

graben

VE

9.4

D3

a - ie - ie - a

8

blasen

v

6.3

D4

e - a - a- e

2

ezzen

VI

9.5

D5

ei - i e - i e - e i

6

heizen

VE

10.2 10.1

D6

o - ie - ie - o

3

stozen

VE

D7

ou — ie - ie - ou

2

loufen

VE

11

D8

uo - ie - ie - uo

2

ruofen

V

5

El

e - a - a- e

24

geben

E2

0 -

V

(6.2)

a - a- o

1

1

drillen

sufen

körnen

181

Die Darstellung in Schema 4 entspricht dem bisher gewählten Verfahren (vgl. Urwg., And., A n f r k . ) ; es soll die Möglichkeit zum Vergleich mit dem Ahd. geben. In Schema 5 sind dagegen nicht mehr die Wurzelstrukturen der einzelnen Reihen, sondern die Distinktionstypen berücksichtigt. Die Einteilung entspricht damit in den Grundzügen der in Kap. 1 für das nhd./nnl. Verbalsystem gewählten. Die zweifache Schematisierung hat zwei Ursachen. Einerseits bestand eine gewisse Notwendigkeit, ein anderes als das bisher verwendete System heranz u z i e h e n , da eine Orientierung an den Wurzelstrukturen, wie sie beim urg. Verbalsystem noch durchaus plausibel und e f f e k t i v war, schon fürs Ahd. aufgrund der zahlreichen einseitigen Implikationen nicht mehr völlig überzeugte In Abschn. 4.5 habe ich die Vermutung geäußert, daß möglicherweise auch der Vokalismus, nicht nur, wie bei VAN COETSEM, die Wurzelstruktur eine Rolle spielt. Diesen Überlegungen nachkommend habe ich das für die modernen Sprachen (vgl. Abschn. 1.3.1.2) verwendete System herangezogen, in dem der Vokalismus und die Distinktionstypen bei der Tempusbildung im Zentrum stehen. Darüber hinaus verändert sich bekanntlich durch den Numerusausgleich im Prät. das Ablautsystem bei den Kl. l - 5 vom Mhd. zum Nhd. grundlegend. Um das Ausmaß dieser späteren Veränderungen besser überblicken zu können, erscheint es mir sinnvoll, das Material für die Zeit vorher (mhd.) und nachher (nhd.) in gleicher Weise zu strukturieren. Der zweite Grund besteht also darin, eine bessere Vergleichbarkeit mit den späteren Sprachstufen zu schaffen.

In Schema 4 sind 26 verschiedene Ablautstrukturen und 14 verschiedene Wurzelstrukturen vertreten. Gegenüber dem Ahd. sind zwei Ablautstrukturen verschwunden (Reihe 2.5 ruzan und Reihe 4 spurnan), dafür sind drei neue dazugekommen: mhd. Reihe 4 drillen, 6.2 körnen und 7.1 stan. Ansonsten hat sich gegenüber dem ahd. Schema nichts verändert. Bemerkenswert sind vielleicht noch die Angaben der mhd. Wurzelstrukturen, die sehr viel detaillierter beschrieben sind als die ahd. : in 6 von 14 Wurzelstrukturen ist die konsonantische Umgebung nicht mit einem Klassifikationsmerkmal z.B. R für Resonant angegeben, sondern mit dem konkreten Phonem: z . B . KVVif- bliuwen. Dazu kommt, daß für fünf Vb. "Ein-Mann-Klassen" aufgestellt werden mußten, so daß insgesamt der Lernaufwand beträchtlich ist.

Gliederungskriterium in Schema 5 sind nicht die Wurzelstrukuren und ihre Verteilung auf unterschiedliche Gruppen, sondern die Distinktionstypen, die zwischen den vier Stammformen der mhd. st. Vb. festzustellen sind und die wir auch im Ahd. schon gekennzeichnet haben. Hiermit verlagern wir also den Schwerpunkt der Betrachtung vom Konsonantismus der Wurzelstruktur und seinem Zusammenspiel mit den Ablautstrukturen auf den Vokalismus der Ablautstruktur und die verschiedenen Relationen zwischen den Ablautvokalen. Die Reihenfolge innerhalb der einzelnen Gruppen in Schema 5 wird wie im Nhd. und Nnl. (vgl. Abschn. 1.3.2) durch die Qualität (a, e, i, o, u) und Quantität

182

(kurz, lang) des Part. I-Vokals bestimmt. Bei gleichlautendem Part. E-Vokal entscheidet die Qualität und Quantität des Präs.- (bei A - C) bzw. Prät.-Vokals (bei D - E). Zur besseren Orientierung habe ich sowohl die traditionelle Klassifizierung (nach Mhd. Gr.) als auch die mhd. Numerierung nach Schema 4 mitangeführt. Der Unterschied zwischen den Schemata 4 und 5 besteht ausschließlich in der Reihenfolge der 26 Ablautstrukturen. Während wir im Ahd. und in Schema 4 mit geringen Einschränkungen die Reihenfolge der traditionellen sieben Klassen vorfinden, ist sie in Schema 5 völlig aufgehoben. Nach wir vor bleibt jedoch die überwiegende Mehrheit der Vb. einer einzelnen Klasse bei einem Distinktionstyp zusammen (vgl. Kl. I unter Typ A, Kl. VI unter Typ D ) , und es sind vor allem die einzelnen Vertreter oder die kleineren Reihen (vgl. ezzen, 5. Kl. in D4 oder gan, 7. Kl. in B 1 ) , die das Schema so stark aufgefächert erscheinen lassen Es sind fünf Punkte bei der Zuordnung einzelner Vb. zu einer bestimmten Reihe anzumerken: ( 1 ) Die lautgesetzlichen Formen der 1.Sg.Prät. der Vb. mhd. schrien (Kl. la) und spiwen (Kl. Ib) sind schrei und spe (ahd. screi und s p e ( o ) ) , die dementsprechend auf die Reihen AI und A2 zu verteilen sind. Daneben gibt es jedoch die Parallelformen schre und spei. Die Vermischung der beiden Bildeweisen ist auch im Inf. und in den Formen des Prät. zu beobachten. Darüber hinaus bilden beide Vb. auch schw. Prät. Die große Variationsbreite weist m.E. darauf hin, daß beide Vb. nicht völlig in ihre Reihen integriert sind. Möglicherweise ist ein Grund der fehlende wurzelauslautende Kons, bei schrien. Das w in spiwen scheint mhd. einen eher vokalischen Charakter gehabt zu haben, so daß es intervokalisch ausfallen konnte, wodurch z.B. der Inf. spien entstand. Das w konnte auch den vorangehenden Vokal in seiner Qualität stark beeinflussen: so lautet der Prät.Pl. z.B. neben spiwen auch spiuwen. ( 2 ) Das ahd. Vb. gangan, 7. Kl., habe ich in seiner mhd. kontrahierten Form 1 gan in Reihe B1 mit aufgenommen, da es lautlich mit den aus ahd. hähan, fähan kontrahierten han, van zusammenfällt. (3) tüchen 'tauchen1 in Reihe C7 (2. K l . ) ist ein schw. Vb. mit st. Part. : getochen. (4) vehten und vlehten (4. Kl. = Reihe C2) werden md. wie ein Vb. der 3. Kl. (= Reihe C3) flektiert: vuhten, vluhten - vohten, vlohten im Prät.Pl. (SCHIROKAUER 1923:11). l Entsprechend meinen Ausführungen in Abschn. 3.2 und in Übereinstimmung mit LEXER 1:733 führe ich ahd. gangan und gan, mhd. gan auf dieselbe Wurzel zurück, auch wenn traditionell die Auffassung von zwei V b . , dem st. Vb. gangan und dem Wurzelpräsens gan besteht (vgl. z . B . Mhd. Gr. § 176).

183

(5) Das Md. hat im Prät.Pl. der Reihen C3 (= 3. K l . ) , C5 und C6 (beide 2. Kl.) statt -u- ein -o-, so daß die Vb. dort in die

-Gruppe einzuordnen sind

(WEINHOLD 1967:§ 355). Der Grammatische Wechsel, der auch and. schon teilweise gestört war (vgl. Abschn. 4 . 3 . 2 ) , wird im Mhd. weiter ausgeglichen. Er erfolgt nach Mhd. Gr. §§ 55 und 158ff. unsystematisch und von Lexem zu Lexem unterschiedlich. So haben einige Vb. ihren GW völlig ausgeglichen, z.B. llhen 'leihen', das neben Part.E gelihen mit Präs.Konsonantismus nur vereinzelt noch geligen zeigt. Daneben behält z.B. dihen 'deinen' völlig seine lautgesetzlichen Formen. Ein Ausgleich in die andere Richtung, also zugunsten des Prät.Pl./Part. I-Konsonanten liegt mhd. bei den ehemaligen j-Präsentien der 6. Kl. vor. Neben heven lautet der Inf./Präs, mit Prät.Pl./Part. E-kons. heben - huop - huoben - erhaben. Auch kommt es des öfteren zu Ausgleichen innerhalb des Prät., wie z.B. bei slahan sluoc statt lautgesetzlichem Prät.Sg. sluoch - sluogen - geslagen. In die gleiche Richtung hat in vielen Fällen die Auslautverhärtung gewirkt: sniden - Prät. sneit (< ahd. sneid) sniten - gesniten. Betrachten wir abschließend die Verteilung auf die Distinktionstypen, so erhalten wir wie im Ahd. eine homogene Gruppe Typ

Verhältnis der Ablautvokale Prät.Sg.

Anzahle der Reihen Verben

A

1 2 3 3

Präs,

Prät.Pl. = Part.

4

137

B

1 2 2 3

Präs. 4 Prät.Sg. = Prät.Pl. ^ Part.

6

11

C

1 2 3 4

Präs,

Prät.Sg. ^ Prät.Pl. / Part.

7

112

D

1 2 2 1

Präs. = Part. 4 Prät.Sg. = Prät.Pl.

8

54

E

1231

Präs. = Part. ± Prät.Sg. 4 Prät.Pl.

2

25

27

339

A (durchschnittlich 36 Vb. pro Ablautreihe); ein Verhältnis von 16 Vb. pro Ablautreihe weist auch die C-Gruppe auf, wohingegen die B-Gruppe mit 11 Vb. auf 6 Ablautreihen am ungünstigsten abschneidet. Wenn ich die Vb. mit unterschiedlichem Prät.-Vokal zusammenfasse: B,D

Präs. 4 Prät.Sg. = Prät.Pl. (Part.)

14

65

A,C,E

Präs.

13

274

Prät.Sg. / Prät.Pl. ( P a r t . )

so zeigt sich, daß nur 1/5 der Vb. den gleichen Vokal im Prät.Sg. und Prät.Pl. haben, während die restlichen 4/5 hier noch einmal ablauten. Nach wie vor stellt dieses Muster wohl die Subsystemangemessenheit das, wie schon in urwg. und ahd. Zeit.

184

K

C

K

K

C +J

§t s

i§. s ° ΜΌ

•£

Ό τ4

Is

·-

^

< < <
a;

i,e > 9

("zachtlang");

o,u > 9

("zachtlang").

Die neuen 9 und fielen besonders in den südlichen Sprachgebieten jedoch nicht mit den alten "scherplangen" Vokalen e und o zusammen, was aus Reimpaarbildungen zu entnehmen ist (vgl. VAN LOEY 1976:§§48,75). Da anfrk. i zu i gedehnt wird, geht ein mnl. I auf altes I zurück; Die Auswirkungen der Dehnung beeinflussen das Ablautsystem der st. Vb. nachhaltig, vgl. Abschn. 7.3.2. Die Bezeichnungen 'zachtlang' und 'scherplang' sind in der ndl. Terminologie sehr gebräuchlich (vgl. FRANCK 1910:§6, GOOSSENS 1974:42). Inhaltlich stehen sie für einen qualitativen Unterschied zwischen den alten 'scherplangen" Langvokalen e und o mit eher diphthongischem Charakter [i:aj und dem neuen durch Dehnung entstandenen "zachtlangen" Langvokalen 9 und mit weiterer Öffnung und eher monophthongischem Charakter [e:].

(3) Einen wichtigen Einfluß auf das mnl.Verbalsystem haben auch die Reflexe der urwg. Diphthonge ai und au, die in den Prät. der 1. und 2. Kl. erscheinen. Während die anfrk. Belege die Diphthonge ei und ou zeigen, hat das Mnl. e und o, d.h. den entsprechenden "scherplangen" Monophthong. Ein eventuelles Lautgesetz von anfrk. ou > mnl. o ist jedoch unbekannt. VAN LOEY 1970a:§63 nimmt dagegen an, daß die Entwicklung von urwg. au > o schon vor der mnl. Zeit abgeschlossen gewesen sein muß und zwar in anderen (nördlichen) Dialektgebieten als den anfrk., so daß hier also Varianten vorliegen. Das monophthongierte ö fiel in einigen mnl. Dialekten mit dem Ergebnis der Dehnung von u und o zu P zusammen. Ähnlich verhält es sich mit der Weiterentwicklung von urwg. ai, anfrk. ei, das sowohl in mnl. ei als auch in e fortgesetzt ist, wofür es aber keine Verteilungskriterien gibt wie im Hdt. und keine klaren Dialektunterschiede wie l Schreibung von Langvokalen Es gab mnl. keine einheitliche Orthographie. Generell treten bei den Vokalen folgende Graphien a u f : die Kurzvokale und Diphthonge werden durch das dem Phonem entsprechende Graphem bezeichnet. Bei den Langvokalen ist die Schreibung unterschiedlich, je nachdem ob sie in offener oder geschlossener Silbe stehen. In bereits weitgehender Übereinstimmung mit der modernen Orthographie erscheint in offener Silbe meist das gleiche Graphem wie bei den Kurzvokalen (Ausnahme /ö/, das geschrieben w i r d ) ; in geschlossener Silbe dagegen ist^die Schreibung v i e l f ä l t i g : /i/ erscheint als < i j > , /e/ und /?/ als , /a/ als , /u/ als , /o/ und /p/ als . Trotz dieser recht klaren Quantitätsbezeichnungen werde ich die Längen in offener Silbe durch einen Dehnungsstrich kennzeichnen, z.B. varen.

208

bei au > ö bzw. ou (VAN LOEY 1970a:§63). VAN LOEY 1970a:§63 hält es nicht für ausgeschlossen, daß das e im Prät.Sg. durch den Einfluß des Pl. -Vokals e den Vorzug vor dem ei erhalten hat. Dagegen spricht m. E. jedoch die Feststellung VAN LOEYs, daß im Gegensatz zu ö und > das monophthongierte e und das gedehnte 9 im Süden nur selten miteinander reimen, also als zwei unterschiedliche Phoneme betrachtet werden (VAN LOEY 1970a:§63). (4) Eine phonologische Entwicklung, die nicht die "Dehnung in offener Silbe" berührt,

betrifft altes ü und iu: ü wird in allen Positionen palatalisiert,

i u wird in allen Positionen, außer vor r, monophthongiert. Das Ergebnis ist komplementär distribuiert : anfrk. ü . » /üe/ / _r ^•5

anfrk. iu ^—*./üe/

/sonst

5

/_r /sonst

Anfrk. ü und i u fallen also im Mnl. zusammen. ( 5 ) Einige Sonder entwicklungen vor r betreffen besonders die trad. Kl. 3 der st. Vb. :

(a) Vor r + Dental werden in den meisten Fällen Vokale gedehnt, dabei fallen altes a und e in a zusammen, o und u in o; vor r + Labial/Velar blieben a und e dagegen in den meisten Dialekten kurz (FRANCK 1910§65). An weiteren Veränderungen liegen vor: (b) a bzw. u vor r + Labial/Velar > e bzw. o/u (=/ü/) , vgl. sterc, worm/wurm (c) i vor r + Kons. > e, vgl. kerke 'Kirche'. Durch die Entwicklung (a) und (b) ist die Ablautopposition, vgl. mhd. werden - ward, bei einigen mnl. Vb. aufgehoben. (6) In der Kombination mit w entwickeln sich a ( w ) , u(w) und iu(w) > ou(w) , vgl. anfrk. büwan > mnl. bouwen 'bauen'; dies gilt vor allem fürs Brab. und Holl.; eine Entwicklung derselben Kombination zu ü (= /ü/)

+ w liegt im Fläm.

(und auch Holl.) vor: huwen 'heiraten', spuwen 'spucken 1 (FRANCK 1910§62, VAN LOEY 1970a§54); häufig sind Doppelformen, vgl. duwen/douwen 'drücken1 (GOOSSENS 1974:51 ). (7) Ein anfrk. l wird in den Verbindungen a/o + l vor d/t>ou + d/t vokalisiert, vgl. haldar» mnl. houden 'halten'. Es kommt dadurch bei einigen Vb. der 7. Kl. zu Reihenwechsel. ( 8 ) Schwund von intervokalischem h mit anschließender Kontraktion der umgebenden Vokale führt mnl., wie bereits im Anfrk., zu einigen einsilbigen Vb. , wie sien , vgl. ahd. sehan , anfrk. sian 'sehen', mnl. dien 'gedeihen 1 , vgl. mhd. dlhen; davon sind die zwei Vb. der neuen mnl. Reihe C 2 betroffen.

209

( 9 ) Die im Ndl. ebenfalls zu beobachtende Endsilbenabschwächung kündigte sich bereits deutlich zur anfrk. Zeit an (vgl. Abschn. 5 . 4 ) . Sie führt wie im Hdt. (vgl. bes. Abschn. 4.2.4) zu einem Zusammenfall ehemals unterschiedlicher Personalendungen. 7.2

Das mnl. Verbalsystem

Wir unterscheiden wie im Anfrk., Ahd. und Mhd. im Mnl. schw., st. und unregelm. Vb. 7.2.1

Das Präs, der st. und schw. Vb.

Die Präs.-Bildung ist bei den st. und schw. Vb. sowohl im Ind. als auch im Konj. gleich. Der Konj.Präs. ist vom Ind. nur durch die Endung der 3.Sg. -e gegenüber -t im Ind. unterschieden: schw. Vb.

st. Vb.

Inf.

nemen

Ind. /Konj .

ic neme

'nehmen

du neems hi neemt/neme wi nemen ghi neerot si nemen

1

woenen

'wohnen

ic woene du woens hi woent/woene wi woenen ghi woent s i woenen

Der Wechsel von e zu i im Ind.Präs.Sg. der Kl. -V, der im Anfrk. zu verzeichnen ist, ist mnl. nicht mehr durchgängig anzutreffen, und zwar, wenn überhaupt , in der 2. und 3.Sg., nicht dagegen in der 1.Sg. wie im Anfrk., As., Ahd. und Mhd. Der Wechsel erscheint mehr im Osten als im Westen des Sprachgebiets, wo er nur "sporadisch" (VAN LOEY 1970a:§49) auftritt. Die Stammsilbenvokale der 2. und 3.Sg.Ind.Präs, der anfrk. Reihen 3.3 und 3.4, die den e-i-Wechsel zeigen, vgl. uirnimit 'vernimmt' (Reihe 3.3 = trad. Kl. 4) und givit 'gibt' (= 5. K l . ) , stehen in offener Silbe, sie werden also nach 7 . 1 . ( 2 ) gedehnt. Das Dehnungsergebnis von anfrk. i ist mnl. e wie im Inf. und im Ind.Pl. In den betreffenden Ablautreihen anfrk. 3.3 und 3.4 ist der e-i-Wechsel somit durch eine phonologische Entwicklung ausgeglichen. Dadurch war der Vokalwechsel zwischen Präs.Sg. und Pl. reduziert auf die trad. Kl. 2 und 3b, bei denen er anfrk. für die 2. und 3.Sg. ebenfalls belegt ist. Der Vokalwechsel in diesen Reihen konnte nun in Anlehnung an die Entwicklung bei der 4. und 5. Kl. zugunsten des Inf. und Ind.Pl.-Vokals analogisch ausgeglichen werden.

210

Etwas häufiger ist dagegen anfänglich der Umlaut von ä zu e in der 2. und 3.Sg.Ind.Präs., der eine spätere Umlauterscheinung darstellt: Inf. drägen 'tragen', hi dreecht 'er trägt' (vgl. Abschn. 7 . 1 . ( 1 a ) ) . Durch die Abschwächung der Endsilben sind vom Anfrk. zum Mnl. die Endungen teilweise verkürzt, bzw. ehemals unterschiedliche Personalendungen sind lautlich zusammengefallen: z.B. anfrk. singon 'ich singe' > mnl. singe mit Ausfall des -n und Umfärbung des vollen Vokals zu a. Die Aufgabe, die Verbalformen nach Person und Numerus zu differenzieren, übernimmt im Mnl. ebenso wie im Mhd. das Personalpronomen (vgl. FRANCK 1910:§123f, STOETT 1923:§26-41). In der 2. und 3.Sg. ist Synkope eingetreten: nemet > neemt 'nimmt', die nicht-synkopierte Form ist auch im Konj. im Mnl. wenig gebräuchlich (VAN LOEY 1976:§49). Im Imp. erscheint bei den st. Vb. mit e-i-Wechsel (= 3.-5. Kl.) im Sg. ab und zu noch i: gif 'gib!', häufiger dagegen ist der Ind.-Vokal. Bezüglich der Endung verhalten sich st. und schw. Vb. im Imp. gleich: beide Vb.-Klassen kennen sowohl Imp. mit als auch ohne Endungs-e: neem, neme, (nim) 'nimm!', merce, mere 'merke!'. 7.2.2

Das Prät. der st. und schw. Vb.

Ind./Konj.

st. Vb.

schw. Vb.

nam/name naems nam/name namen naemt namen

woende woendes woende woenden woendet woenden

Bei den st. Vb. hat sich im Ind.Prät. gegenüber dem Anfrk. die Endung der 2.Sg. geändert: anfrk. näm-i > naems 'du nahmst'; hier ist ganz offensichtlich das Endungs-s der übrigen Paradigmen verallgemeinert worden, womit eine auffallende morphologische Neuerung eingetreten ist. Die Endungen des Konj.Prät. der st. Vb. sind bis auf die 1. und 3.Sg. (Konj. näm-e 'nähme', Ind. nam) aufgrund der Endsilbenabschwächung mit denen des Ind. zusammengefallen. Der Stammsilbenvokal des Konj.Prät. ist nicht, wie im Mhd., durchgängig umgelautet, sondern mit dem des Ind. identisch. Allerdings ist ebenso wie in der 2. und 3.Sg.Ind.Präs, im Konj.Prät. bei umlautfähigen Vokalen im Osten des Sprachgebiets auch Umlaut belegt, vgl. hi queme 'er käme'; im Westen erscheint er nur sporadisch: hi guätne. Auch bei den schw. Vb. zeigt der Endsilbenverfall, der sich ja schon im Anfrk. deutlich ankündigte, Wirkung: durch ihn hat sich die Aufteilung der

211

schw. Flexionsklassen gegenüber dem Anfrk. geändert. Der Bindevokal, vgl. anfrk. e in grener-e-da 'ich rettete' bzw. o in thol-o-da 'ich erduldete', wurde entweder zu e vereinheitlicht, vgl. mnl. hi lövede 'er lobte' oder nach stimmlosem Kons, synkopiert: hi maecde 'er machte'. Daneben steht die Gruppe der Vb., die schon im Urg. ihr Prät. ohne Bindevokal gebildet hat. Sie hat gegenüber dem Anfrk. Zuwachs erhalten: außer bringen, denken, soeken und werken sind mnl. noch dünken 'dünken' Prät. dochte (das nur zufällig anfrk. nicht belegt ist, vgl. ahd.), roeken 'sich kümmern' Prät. rechte, copen 'kaufen' Prät. cochte und cnopen 'knüpfen' Prät. cnochte aufgrund des konsonantischen Wechsels im Wurzelauslaut zu dieser Gruppe zu zählen. Die letzten drei Vb. sind anfrk. nicht belegt. FRANCK 1910:§97+155 stellt roeken als altes bindevokalloses Prät. zur Gruppe von bringen und dünken, während er für cnopen undcöpen analoge Prät.-Bildungen zu Vb. aus dieser Gruppe annimmt, weil sie außerhalb des Ndl. keine Parallelen haben. Genauso wie cnopen und cöpen betrachte ich allerdings auch roeken als Neubildung, das im Ahd. neben ruohta auch Prät. mit erhaltenem Bindevokal: rohhita kennt. Es liegen also drei analoge Neubildungen in dieser Klasse vor. Cnopen und copen haben beide sicherlich keine direkten Vorbilder in der erwähnten Gruppe, so daß sich die Frage stellt, aufgrund welcher Gemeinsamkeiten sie sich angeschlossen haben. Zwar liegt uns fürs Wg. die Regel vor, daß p und f + t > ft wird und dieses ft wiederum zu ht, doch kann dieses Lautgesetz (GOOSSENS 1974:68) im Mnl. nicht mehr direkt gelten, da sonst alle Vb. mit dieser Lautstruktur (vgl. dopen ' t a u f e n ' ) im Prät. -cht a u f weisen müßten, was nicht der Fall ist. Andererseits werden diese Vb. nicht besonders häufig gewesen sein, so daß sich bei ihnen allein eine Lautentwicklung nicht hätte durchsetzen können.

Daneben besteht die Gruppe der sog. Rückumlautsvb. aus sechs Mitgliedern: bernen 'brennen' Prät. barnde/brande, kennen 'kennen' Prät. cande, nennen 'nennen1 Prät. nande, rennen (neu) 'rennen' Prät. ran de, scenden (neu) 'schänden' Prät. scande, senden 'senden' Prät. sande (auch schon st. sant, vgl. Mnl. Reihe A 2) und ("behenden (neu) 'wenden' Prät. befände. Scenden bildet anfrk. ein normales schw. Prät., vgl. Part. TL gescendida (BORGELD :§236); rennen und (behenden sind beide anfrk. nicht belegt, bilden aber im Ahd. ebenfalls ein schw. Prät. mit Vokalwechsel, so daß wir nur scenden hier als "echte" Neuerung der schw. Vb. mit Vokalwechsel ansehen können. Wir unterscheiden mnl. also vier Gruppen schw. Vb.: mit bzw. ohne Bindevokal im Prät., die alten bindevokallosen Prät. mit zusätzlichem Kons.-Wechsel sowie die Rückumlautsvb. In diese Gruppe der Rückumlautsvb. gehört auch mnl. hebben - hadde - gehad 'haben 1 , das im Inf. auf ein vormnl. *hafj-, vgl. äs. hebbian, (1. Kl.) zu-

212 rückgehen muß, also eine andere Ableitung zugrunde legt als ahd. haben (3. Kl. der schw. Vb.). Im Prät. und Part. I hat es den wurzelauslautenden Kons, b an den Dental des Prät.-Suffixes assimiliert und damit eine unregelm. Formenbildung entwickelt. Bei den schw. Vb. sind Ind. und Konj.Prät. zusammengefallen, die Endungen sind identisch mit denen des Konj.Präs. Dieser Synkretismus zeigte im Ndl. ebenso weitreichende Folgen wie im Dt. Schon im Mnl. wurde der Konj. nur eingeschränkt verwendet, vielfach tritt das (Ind.)Prät. für den Konj.Präs, ein, der sich ja ebenfalls nur geringfügig vom Ind. abhebt. Bei den schw. Vb. wurde die Konj.bedeutung auch schon vielfach durch Formen von zullen und willen umschrieben, während sich die Verwendung des (Ind.)Prät. bei den st.

Vb. länger hielt (vgl. DE VOOYS 1967:§65, STOETT

1923:209-11).

7.2.3

Die Kleineren Verbalklassen

Die Gruppe der mnl. unregelm. Vb. umfaßt 10 Prät.präs., dazu willen, sijn und doen. ( 1 ) Die auffälligste Neuerung der Prät.präs. gegenüber dem Anfrk. ist

die

Einführung eines -s in der Endung der 2.Sg.Ind.Präs, nach dem Muster aller anderen Vb.; sie löst allmählich die alte Endung -t ab. Inf.

durven

Ind.Präs.

ic darf du dorfs hi darf wi dorven ghi dorvet si dorven

Prät.

dorste

'bedürfen' (darfs/derfs) (dorft/derft)

(dorfte)

Part. II Parallel dazu taucht in der 2.Sg. in der Stammsilbe der Vokal der Pl.-Formen auf, vgl. dorfs. Diese Neuerungen sind ganz offensichtlich nach Analogie zum Prät. der st. Vb. zustande gekommen, vgl. bant - bonts 'band - bandest1. Sie bewirken ein neues gemeinsames Distinktionsmuster, das urwg. nach der Einführung einer neuen Endung in die 2.Sg.Ind.Prät. der st.

Vb. erheblich beein-

trächtigt war. Im Pl. und Inf. erscheinen auch umgelautete Formen, die eigentlich nur dem Konj. zukommen. Das Prät. der Prät.präs. ist durchgängig schw. gebildet, in den meisten Fällen mit der Einfügung eines -s- vor dem Dental: can - conste 'kann - konnte'

213 Diese Erscheinung, die im Anfrk. begegunsta (BORGELD 1899:§212 A . 2 ) nur einmal belegt ist,

ist vor allem äs. nachgewiesen (HOLTHAUSEN 1900:§469-72) und

trotz vieler Versuche m.E. noch nicht überzeugend nur bei drei Vb. nicht belegt: darf

geklärt. Ein Part. I ist

'bedarf, sal 'soll' und ooc/i 'habe' (ent-

spricht got. aigan); ansonsten wird es st. gebildet: an dar can mach dooch moet weet

-

ge(g)onnen (gegont) gedorren (gedorst) geconnen gewogen (gemocht) gedogen gemoeten geweten

'gönnen' 'wagen' 'können' 'mögen' 'taugen' 'müssen' 'wissen'

( 2 ) Das Vb. willen war im Anfrk. schlecht belegt. Die mnl. Formen zeigen im Gegensatz zum Hdt. keinen Vokalwechsel zwischen Sg. und Pl., sondern einheitlich -i-; die Endungen stimmen zu denen der st. und schw. Vb., Prät. und Part.! sind schw. gebildet: wilde/woude - gewilt 'wollte - gewollt', so daß wir eine völlig regelmäßige Formenbildung antreffen und das Vb. somit nicht mehr gesondert aufführen müßten/müssen.

Sg.

Pl.

wille - willes/wilt - wille

willen - willet - willen

Dem könnte nur entgegenstehen, daß in der 2.Sg.Ind.Präs, außer willes 'willst' auch wilt in sehr häufigem Gebrauch ist, ten)

also die Form mit der (al-

Endung der Prät.präs. ( 3 ) Die mnl. Formen von sijn

'sein1 sind lautlich den anfrk. völlig ent-

sprechend. Wie bei allen anderen Vb.-Klassen ist jedoch in der 3.Pl.Ind.Präs, anfrk. sint ^ mnl. sijn das -t apokopiert, wodurch eine Übereinstimmung der Formen der 1. und 3.P1. aller Flexionsklassen erzielt wurde. Beim Part. I dieses Vbs., das als Form von urwg. wesan (st. Vb. 5. K l . ) gebildet wird,

ist

das häufigste Auftreten der schw. Form geweest im Brab. und Holl. neben dem normalen gewesen bemerkenswert. Nach FRANCK 1910:§165 ist

dies eine mögliche

Analogiebildung zum Part. I der Prät.präs.; da die Prät.präs. kaum schw. gebildete Part. I aufweisen, ist dies jedoch unwahrscheinlich; sehr viel naheliegender ist eine Analogie zu hebben, das ebenfalls als Hilfsvb. in syntaktisch sehr verwandten Konstruktionen auftritt. ( 4 ) Doen 'tun' ist im Anfrk. im Ind.Präs, nur in der S.Pers. belegt, so daß eine Entwicklung nicht beschreibbar ist;

ein Vergleich mit dem And. und As. er-

gibt jedoch, daß in der 1.Sg. anfrk. *duon das -n ausgefallen ist, doen ebenfalls dem Schema der st.

wodurch sich

und schw. Vb. annähert, soweit dies bei dem

grundlegenden Unterschied, nämlich Einsilbigkeit vs. Zweisilbigkeit,überhaupt möglich

ist.

214

Part. E

Präs.

Prät.

doe does doet doen doet doen

dede dades dede daden/deden dadet/daet/dedet daden/deden

gedaen

Das Prät. von doen entspricht den anfrk. Formen, deren Endungen abgeschwächt wurden; die einzige Veränderung betrifft wiederum die Form der 2.Sg.Ind.Prät., die anstelle der anfrk. Form dedi, mnl. dades 'du tatest' lautet und somit den gleichen Stammvokal wie im Pl. und die gleiche Endung wie die st.

Vb. analo-

gisch eingeführt hat. Analogische Ausgleichungen innerhalb des Paradigmas kündigen sich dadurch an, daß das -e- der Stammsilbe der 1. und 3.Sg.Ind.Prät. häufig in den Pl. eindringt, seltener das -a- in den Sg. (FRANCK 1910:§164). (5) Die Vb. gaen und staen sind im Mnl. auch im Präs, in das System der

st.

Vb. integriert; sie verhalten sich in der Formenbildung völlig parallel zu den kontrahierten Formen, z.B. vaen zu vangen 'fangen' oder dwaen zu divagren 'waschen '. Sie werden demnach anders als im Mhd. nicht mehr gesondert behandelt.

7.3

Das mnl. System der st. Vb.

7.3.1

Die mnl. Systematisierung

Wie beim Mhd., so habe ich auch fürs Mnl. zwei Schemata erstellt, um unter Angabe der Wurzelstruktur (Schema 7) einerseits die Veränderungen zum Anfrk. besser aufzeigen zu können, andererseits (Schema 8) aber eine adäquatere Gliederung nach den Distinktionstypen vorzunehmen, die zugleich Grundlage für die jüngeren Entwicklungen ist

(vgl. Abschn. 6 . 3 . 1 ) .

Das Schema 7 enthält 31 verschiedene Ablautstrukturen verteilt auf 11 verschiedene Wurzelstrukturen. Gegenüber dem Anfrk. zeigen sich beträchtliche Veränderungen. Die anfrk. Reihe 2.2 kiesan 'wählen' fällt aus, mnl. kiesen erscheint in der gleichen Reihe wie bieden (Kl. 2), 15 ( ! ) Reihen kommen neu dazu (vgl. Abschn. 7.3.2.1) Deutlicher als das Mhd. zeigt das mnl. Schema 7 die starke Aufsplitterung der traditionellen Klassen, wobei besonders die 7. Kl. auffällt. Darüber hinaus ist die Erscheinung, daß sich bei gleicher Wurzelstruktur durch vokalische Veränderungen verschiedene Ablautstrukturen herausbilden, sehr ausgeprägt und weist darauf hin, welch geringen "strukturbildenden" Einfluß die konsonantische Umgebung noch hat.

215 Der Unterschied zwischen Schema 7 und Schema 8 liegt in der Anordnung der Reihen; ich werde mich im Folgenden vor allem auf Schema 8 beziehen. Die Reihenfolge innerhalb der Gruppen A - F beruht auf der Qualität ( a , e, i, o, u) und Quantität (lang, kurz) des Part. I-Vokals; bei gleichlautendem Part. I-Vokal entscheidet die Qualität und Quantität des Präs.- (bei A - C) bzw. Prät.-Vokals (bei D - F ) . Für die bessere Orientierung habe ich die trad. Kl. mit angegeben. Bei zahlreichen mnl. Vb. sind Doppelformen belegt, die sich entweder durch phonologische oder morphologische Veränderungen ergeben und die zu Problemen bei der Einordnung der Vb. in das Ablautsystem führen: ( 1 ) Die trad. Ablautklasse I ist mnl. in drei Gruppen gespalten. Einige Vb. zeigen im Präs, ausschließlich /!/ (vgl. Reihe A 4 fcieden), andere ausschließlich / / (A 5 buchen), 6 Vb. kennen beide Stammsilbenvokale, sie sind in der Liste (vgl. Abschn. 7.3.3.1) mit den Varianten in der jeweiligen Gruppe aufgeführt, wobei das häufigere Vorkommen über die Gruppenzugehörigkeit entschied. Die Gruppe der ü-Vb. ist mit 21 Vertretern übrigens erheblich größer als die entsprechende mhd. Die dritte Gruppe bilden die sechs Vb. vom Typ blouwen (= mnl. Reihe 3.2, Typ F ) . FRANCK 1910:§136 führt die unterschiedlichen Präs.-Vokale auf zwei verschiedene idg. Präs.-Typen zurück (vgl. jedoch Abschn. 3 . 2 . 1 ) , wobei sich das /U/Präs, im sächs.-fries. Sprachgebiet, das eu-Präs. (> mhd., mnl. ie) dagegen im Got. und Hdt. analogisch ausgebreitet hätte (vgl. ebenso VAN LOEY 1970a:§67). Bei der beobachtbaren regionalen Verteilung ergibt sich jedoch kein völlig klares Bild; zwar ist ein Vorherrschen der /5/-Formen im Holl., der /I/-Formen im Fläm. (und z.T. Brab.) festzustellen, biegen und criepen 'kriechen1 sind nach FRANCK 1910:§136 jedoch z.B. eindeutig holl. Formen; die geographische Verteilung ist also nicht völlig überzeugend. (2) vlien 'fliehen' (mnl. Reihe A 4) hat neben vlooch - vlogen - gevlogen auch Prät.-Formen, bei denen der Grammatische Wechsel völlig ausgeglichen ist: zum Sg. vlo tritt im Holl./Brab. ein vluwen/vlouwen - gevluwen/gevlouwen. Im Fläm. liegen kontrahierte Formen vor: vloen - gevloen. Es ist anzunehmen, daß die holl./brab. Formen auf analogischen Einfluß der Vb. der F-Gruppe zurückgehen (vgl. unten spuwen), während im Fläm. lautgesetzliche Bildungen mit Kontraktion, also phonologische Gründe vorliegen. ( 3 ) In Kl. m (mnl. Reihe A 2) wirken sich die phonologischen Veränderungen vor r + Kons, erheblich aus. Im Prät.Sg. einiger Vb. , z.B. bergen, werpen, werden, erscheinen dementsprechend in der 1. und 3.Sg.Prät. nebeneinander barch/berch 'barg', ivarp/tverp 'warf, sowie wart/wert 'wurde' (FRANCK 1910:

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fnhd. reiten, mhd. (er) kriuchet > fnhd. er kreucht, mhd. sufen > fnhd. saufen. Sie fallen schriftsprachlich (!) mit den Reflexen der mhd. Diphthonge ei, öu und ou zusammen (ERBEN 1970:404, SCHMIDT 1969:295, WOLF 1984:1310). ( 2 ) Fnhd. Monophthongierung Die mhd. Diphthonge [ia, üs, ua] erscheinen im Nhd. als [i:, y:, u:], sie fallen mit den Ergebnissen der Dehnung von mhd. i, ü und u zusammen, vgl. mhd. bieten > fnhd. bieten, mhd. brueder > fnhd. brüder, mhd. ruofen > fnhd. rufen. Monophthongiert wird vor allem in der md. Sprachlandschaft (seit 11./12. J h . ) ; die obdt. Gebiete widersetzen sich dem Eindringen der Neuerungen lange (ERBEN 1970:404; SCHMIDT 1969:296; WOLF 1984:1310), teilweise bis in die heutige Zeit. (3) Die Dehnung in offener Silbe (mhd. geben > nhd. geben) beginnt im Westmd. im 12. Jh.

(vgl. Ndl. ab 900!), von wo aus sie sich nach Osten und Süden

ausbreitet (obdt. erst 1200); sie wird jedoch nicht in allen Positionen konsequent durchgeführt, vor t , m und den Endungen -er, -el und -en, vgl. mhd. fcomen > fnhd. kommen, wird der Kurzvokal beibehalten (ERBEN 1970:403; SCHMIDT 1969:289). Die Dehnung bewirkt im System der st.

Vb. z.B. die Aufspaltung der mhd.

Reihe D 2 (= trad. Kl. 6) mit Vb. wie graben und schaffen, die nhd. graben (nhd.

Reihe D 37) und schaffen (D 40) lauten.

( 4 ) In engem Zusammenhang mit der Dehnung steht besonders im Md. die Kürzung mhd. Langvokale vor Kons.Verbindungen, d . h . in geschlossener Silbe (ERBEN 1970:404), z.B. mhd. Prät. gieng > fnhd. ging. Auch wird vor t, m und den Endungen -er, -el und -en gekürzt: mhd. muoter > fnhd. mutter. Kürzung zeigt sich z.B. auch bei den bindevokallosen Prät. mhd. brahte > nhd. brachte. (5) Die e-Apokope (ERBEN 1970:409) setzt bereits früh im Mhd. (Obdt.) besonders nach l und r ein und breitet sich seit dem 13. Jh. vom Bair. aus weiter aus. Das Ostmd. ist konservativer und widersetzt sich eine Zeitlang dem obdt. Einfluß. Nach einer Zeit häufiger Apokopierung wird besonders in der

252

Flexion (Konj.!, Pl. beim Substantiv) das auslautende -e im Md. wieder restituiert (BESCH 1980:593), z.B. Prät. lebete, daneben lebte und lebt. ( 6 ) Synkope des unbetonten -e- ist im Fnhd. nicht strikt durchgeführt und tritt in der Konjugation in den Endungen der 2./3.Sg. und 2.Pl. auf; außerdem wird häufig der Bindevokal bei den Prät. der schw. Vb. getilgt (WEGERA 1984: 1316; SCHMIDT 1969:302 und 320): er sprichet > er spricht, machete > machte. Dazu kommen einige kons. Entwicklungen (SCHMIDT 1969:302; ERBEN 1970:410), auf die ich nicht weiter eingehe, da sie auf die Veränderungen im Vb.system keinen Einfluß haben (zum Grammatischen Wechsel vgl. Abschn. 8.3.1.1). 8.2

Die Veränderungen im Vb.system in der fnhd. Periode

Vergleichen wir die mhd. Vb.paradigmen (Abschn. 6.2 und 6.3) mit den nhd. (Abschn. 1.1.3, 1.1.4 und 1 . 3 . 2 ) , so zeigen sich folgende Veränderungen: 8.2.1

Präs. der st. und schw. Vb.

Die im Mhd. schon gleichlautenden Präs.endungen der st. und schw. Vb. machen sowohl im Ind. als auch im Konj. die weiteren Entwicklungen gemeinsam: Die st. und schw. Vb. synkopieren in der 2. (und 3.) Sg. und 2.P1. das unbetonte Endungs-e, wobei sich eine starke regionale Verschiedenheit ergibt. Während die obdt. Mundarten sehr weitreichend synkopieren, ist das Westmd. etwas verhaltener, das Ostmd. am zurückhaltendsten. Zu der heutigen Regelung, bei der in der Konjugation Ind. und Konj. Präs, und Prät. in der 2. Pers. durch das Endungs-e unterschieden werden: du trägst vs. du tragest, kommt es erst nach der fnhd. Epoche im 1800 (vgl. MOSER 1909:153 und PAUL 1917:196) unter Einwirkung der Grammatiker. Daneben beginnt in der 3.Pl.Ind.Präs, seit dem 12. Jh. im Md. der Ersatz der 3.Pl.endung -ent durch -en, bis sie gegen 1500 ganz verschwunden ist: mhd. salbent > fnhd. sauen. Im Gegensatz zu SCHMIDT 1969:311 und WEGERA 1984:1317, nach denen die Endung -en der 1.P1. in die 3.P1. übertritt, sehe ich hierin eher eine Angleichung der Endungen an die Prät.- und Präs.Konj.-Formen, die schon mhd. in der 1. und 3.P1. ohne -t gebildet werden. Die Vereinheitlichung der 1. und 3-Pl.endungen und die Synkope hat für die Modusdistinktion zur Folge, daß der Konj. nur noch in der 2./3.Sg. und 2.P1. gekennzeichnet ist. Die st. Vb. vereinheitlichen ihren Stammvokalwechsel im Präs. Während die 2. Kl. zum Nhd. hin den umlautbedingten Wechsel von ie - eu, Griechen - du kreuchst ganz aufgibt, passen sich die Vb. der trad. Kl. 3b, 4 und 5 dem Präs.

253

distinktionsmuster 1.Sg. ^ 2.Sg. = 3.Sg. der 6. und 7. Kl. (mhd. vare - verst vert, nhd. fahre - fährst - fährt) an: mhd. gib - gibest - gibet > nhd. gebe gibst - gibt. Damit ist eine Reduzierung der Präs.bildungstypen von mhd. drei auf nhd. zwei erreicht: ( s t . ) Vb. ohne Veränderung des Stammvokals im Präs, vs. Vb., die in der 2./3.Sg.Ind.Präs. umlauten. Ausnahmen von e-i- bzw. a-äWechsel ( z . B . er webt) bilden diejenigen st.

Vb., die auch im Prät. schw. Va-

rianten zeigen, vgl. dazu SOLMS 1984:255-6. Im Imp. ergibt sich in der fnhd. Periode eine gegenseitige Annäherung der st. und schw. Vb., indem neben gib, nimm auch die Formen gebe, neme , d.h. mit auslautendem -e und Inf.- bzw. Präs.-Pl.-vokal im Stamm belegt sind. Bei den schw. Vb. werden dagegen besonders im Obdt. die Endungen apokopiert: hör (SCHMIDT 1969:312+320).

8.2.2

Das Prät. der st. und schw. Vb.

Auch im Prät. zeigt die Morphologie der st.

Vb. Annäherungen an die der

schw. In der 1. und 3.Sg.Ind.Prät. tritt häufig ein e an den Stamm des Prät. Sg.: sähe. Die 2.Sg. mhd. hülfe bleibt noch bis ins 15. Jh. erhalten, daneben sind seit mhd. Zeit Formen mit -st/-est belegt, die sich im 16. Jh. allmählich durchsetzen.

Parallel zu dieser Übernahme der Personalendung wird innerhalb des Sg.pa-

radigmas der Stammvokal ausgeglichen: half,

halfest,

half,

bevor anschließend

der Numerusausgleich vollzogen wird (SOLMS 1984:111). Bei den schw. Vb. (ausgenommen die Rückuntlautsvb. und die Vb. mit von altersher bindevokallosem Prät.) waren bereits im Mhd. Ind. und Konj.Prät. zusammengefallen. Für die Erhaltung einer deutlichen Modusdistinktion tritt seit dem Mhd. allmählich die Umschreibung mit würde ein und setzt sich im 16. Jh. durch. SOLMS (1984:311) beobachtet ein Anwachsen der würde-Konstruktionen zum Ausdruck des Konj.Prät. von 7% aller Konj.Prät. von 1350-1400 über 43,2% von 1550-1600 auf 63,7% in der Zeit 1650-1700. Darüber hinaus setzt gegen Ende der fnhd. Periode die Aufhebung der Tempusdistinktion beim Konj. ein (WEGERA 1984:1317), so daß wir im Nhd. statt von Konj.Prät. besser von Konj.

sprechen (vgl. auch

WERNER 1965:121 ). Die Apokope und Synkope des unbetonten -e (in) der Endung bei den schw. Vb. erfolgt uneinheitlich und führt zu häufigem Zusammenfall von Präs, und Prät.: synkopiertes mhd. lebete > fnhd. lebte wird zu fnhd. lebt (= 3.Sg.Ind.Präs, und Prät.) apokopiert. Hierin sehen einige Forscher (z.B. KOENRAADS 1953:72) einen Grund für den obdt. Prät.schwund (vgl. jedoch Abschn. 8 . 4 ) .

254 Die starke regionale Verschiedenheit in den Mundarten führt in den überregionalen Schriftsprachen zu einem vielfältigen Nebeneinander synkopierter und nicht synkopierter Formen, die dann in der Dichtung besonders zur Reimbildung ausgenutzt werden konnten. Die zwei mhd. Gruppen der schw. Vb. mit bzw. ohne Bindevokal im Prät. fallen im Fnhd. durch die Wirkung der Synkope zusammen. Beim gleichen Autor können längere Formen neben synkopierten stehen: redete und redte, zeigete und zeigte. Die gegenwärtig gültige Regelung der e-Einfügung vor dem Dental des Prät. besteht erst seit etwa 1800: nach Dentalen und Verbindungen von Kons, mit stammauslautendem Nasal wird vor das Prät.suffix ein e eingeschoben, vgl. DROSDOWSKI 1984:§193. War die Verteilung im Mhd. noch durch die Silbenquantität bedingt,1 deren Prinzipien durch die Dehnung aufgehoben wurden, so erhalten wir nach der Reorganisation eine morphologisch orientierte Verteilung, die die Verbalstämme deutlich kennzeichnet: rechn-en, Prät. rechn-ete statt fnhd. rechen-te; red-en, Prät. red-ete statt fnhd. red-te, dessen d in der gesprochenen Sprache mit dem t des Prät.suffixes assimilierte. Die Zahl der Rückumlautvb. hat in mhd. und fnhd. Zeit zeitweise enorm zugenommen, besonders im Md. haben viele Vb., die von dieser Erscheinung ursprünglich nicht betroffen waren, den Vokalwechsel zwischen Präs, und Prät. analogisch eingeführt: mhd. leren Prät. 2erete > fnhd. (md.) lerte/larte Part.H gelart/gelert

(SCHMIDT 1969:321).

Im Mhd. galt diese lautgesetzliche Regelung nur für die langsilbigen Vb. der 1. K l . , vgl. brennen - brannte, doch gab es auch schon zahlreiche Neubildungen: welzen - walzte (GRIMM 1918:948). Nach PAUL 1917:250 könnten die Präs.formen der analogisch gebildeten Rückumlautsvb. als Umlaute von a aufgefaßt worden sein, das dann analog zu trennen - brannte u.a. ins Prät. eingeführt wurde. Dies scheint mir eine hinreichende Beschreibung des Symptoms zu sein, doch die Ursache für die Ausbreitung dieser Unregelmäßigkeit erklärt sie nicht. Seit dem 16. Jh. wird der Rückumlaut dann bis auf die wenigen Ausnahmen mit stammauslautendem Doppelnasal oder Nasal+Kons. (vgl. Abschn. 1.3.2, m a) ausgeglichen (VAN DAM 1951:100; WEGERA 1984:1317). Aus SCHIRMUNSKIs Material ist

zu entnehmen, daß der Ausgleich regional un-

terschiedlich und in Verbindung mit dem Prät.schwund erfolgte. Im Hdt. wurde der Rückumlaut dort aufgegeben (obdt., südl. westmdt.), wo das Prät. fehlt, ansonsten wurde er beibehalten und diente - wegen der Apokope des auslautenden -e - zu deutlichen Kennzeichnung des Prät. (SCHIRMUNSKI 1962:491). Eine umfassende Untersuchung zum Thema liegt mit SOBBE 1911 vor, die zu folgendem aufschlußreichen Resultat kommt: l Nicht "lexemabhängig", wie WEGERA 1984:1316 schreibt.

255 "Wir verdanken die Ausgleichung dem obd. Einschlag unserer Schriftsprache, das geht aus dieser Untersuchung hervor; ebenso daß die Erhaltung des Rückumlautes in den 6 Vb. md. ist. Daß nun diese Vb. nicht umlauten, hat seinen Ursprung darin, daß es den md. Schriftstellern und Druckern schwerfiel, für diese gebräuchlichsten Wörter (denn daß sie das sind, sieht man aus den Belegen) die obd. umgelautete Form einzusetzen." (SOBBE 1911:78).

8.2.3

Die Veränderungen in den Kleineren Verbalklassen

( 1 ) Von den 9 mhd. Prät.präs. verschwindet erwartungsgemäß das Vb. türren (im 18. Jh., PAUL 1917:265; VON KIENLE 1969:275); schw. werden gunnen (PAUL 1917:264; VON KIENLE 1969:275) und taugen (seit dem 17. Jh. PAUL 1917:263 und VON KIENLE 1969:274); alle drei gehören nicht zur Gruppe der Modalvb. Die morphologischen Veränderungen bei den übrigen 6 Prät.präs. betreffen besonders die Endung der 2.Sg. mhd. -t, die durch die bei allen anderen Vb. übliche -st-Endung ersetzt wird: solt > sollest. Das Part. H ist bis auf gegunnen (das Vb. wird im 17. Jh. dann zunehmend schw. flektiert) bei den Prät. präs. schw. gebildet. Die Veränderungen des Stammsilbenvokals führen bei den Prät.präs. zu einem Muster Präs.vokal = Konj.Prät.vokal ^ (nicht umgelauteter) Ind.Prät.vokal: müssen = müßte ^ mußte. Einzige Ausnahme von diesem Prinzip macht mhd. soln, bei dem zu klären wäre, weshalb es keinen Uhilaut im Präs, bildet (vgl. BIRKMANN 1987:220). Mhd. wiste - gewist bildet fnhd. (ostmd.) Prät.formen mit u: wüste - grewust Der Ursprung des u ist "mehrdeutig" (VON KIENLE 1969:273), erfolgte jedoch möglicherweise über den Konj.Prät. wiste > wüste mit u statt i durch Rundung (vgl. schwümmen SCHMIDT 1969:294 und VAN DAM 1951:108). Die Opposition nichtumgelautet vs. umgelautet für Ind. vs. Konj. ist bei den st. (vgl. h ü l f e ) , schw. Vb. (vgl. decnte) und übrigen Prät.präs. gleichermaßen anzutreffen, so daß u als unumgelauteter Ind.vokal interpretiert worden sein könnte. Nicht auszuschließen ist auch eine phonologische Entwicklung von i zu ü nach w. Die Entwicklung von u, ü > o, o' im Md. besonders vor Nasalverbindungen ist bereits mhd. zu beobachten (vgl. WEINHOLD 1967:62; SCHMIDT 1969:300). Dies betrifft die fnhd. Prät.präs. Können und mögen. Die Unlaute sind aus dem Konj. Präs, in den Ind. eingedrungen (vgl. Abschn. 6.2.3). Bei dürfen (mhd. dürfen/ dürfen) zeigt sich in fnhd. Zeit ein Übergang von dorfte (< ahd. dorfta) zu nhd. durfte. Diese Entwicklung paßt ebenfalls in das oben beschriebene Muster von innerparadigmatischem Ausgleich. Eine vergleichbare Entwicklung ist bei mhd. müezen > nhd. müssen zu beobachten. Der Stammsilbenvokal von muostCe)

256

wurde in der 2.Sg.Präs. und im ganzen Prät. in geschlossener Silbe zu must(e) gekürzt; das kurze u wurde dann im gesamten Paradigma eingeführt. Unterstützend bzw. nicht behindernd kommt hinzu, daß die Kürzung von Längen vor mhd. z, ch und f uneinheitlich erfolgt, vgl. lazen > nhd. lassen, aber grüezen > nhd. grüßen (VON KIENLE 1969:41). (2) Bei mhd. wellen, nhd. wollen liegt die deutlichste Veränderung im Übergang von e zu o nach w (oder beeinflußt durch sollen ?) im Ind.PL, Konj. und im Inf. Wie bei allen übrigen Vb. erscheint außerdem in der 2.Sg.Präs. das -st statt mhd. -t. (3) Das verbum sübstantivum zeigt regional unterschiedliche Präs.formen (vgl. WEINHOLD 1967:382ff). Der Sg. lautet unverändert mhd. und fnhd. (md. und obdt.) bin, bist und ist, im Pl. ist ebenfalls mhd. Formenbestand fortgeführt: obdt. 2.P1. sint statt md. slt > nhd. seid; md. 1. und 3.P1. sein < sin (Konj.) oder sint, wobei also die Formen der mhd. 1. (sin) und 3.P1. (sint) für einander gesetzt werden. Hier zeigt sich wieder die bereits vielfach durchgeführte Angleichung der 1. und 3.P1. Die 1.P1. mhd. sin > nhd. sein hält sich bis ins 18. Jh. und wird durch sind schriftsprachlich verdrängt (Mhd. Gr. § 178; SCHMIDT 1969:324; VON KIENLE 1969:308). Das Part. H lautet im Fnhd. regional differenziertgesln (alem.), gewest (ostmd., ostfrk.), gewesen (obdt., schriftsprachlich überall, WEGERA 1984:1319). Die alem. Form ist als analogische Bildung zum Inf. sin aufzufassen, d.h. die suppletiven Formen mhd. wesen werden durch eine regelmäßigere Bildung ersetzt. Eine analogische Bildung nach dem Vorbild der übrigen Hilfsvb. (Modalvb. und haben) liegt wohl in ostmd. gebest vor; es erscheint überraschend, daß hier ein hochfrequentes Vb. eine regelm. Bildeweise annimmt, wir erwarten keine analogische Angleichung. Die Entwicklung könnte andererseits für die Existenz gewisser außermorphologischer Kriterien (z.B. syntaktisch: Hilfsvb. gekonnt, gehabt) sprechen (vgl. auch GOTTSCHED 1762, 1978:351). ( 4 ) Bei den Formen von fnhd. tun zeigen sich im Präs, die lautgesetzlichen Fortentwicklungen der mhd. Im Prät. mhd. 1., 3.Sg. tet(e) vs. 1., 3.P1. täten ergibt sich dagegen ein Ausgleich im Stammvokal, er setzt im 14. Jh. ein und ist im 17. Jh. durchgeführt zugunsten des Pl.vokals tat - taten wie bei den Vb. der mhd. Reihe E 1 (= trad. Kl. 5) gab - gäben, ich ordne das Vb. deshalb in die Liste 1.3.2 unter A 6 ein. (5) Die athematischen Vb. ahd. gän/stän verlieren in fnhd. Zeit, vor allem im Md. ihre Einsilbigkeit im Inf.; ab dem 17. Jh. erscheinen gehen und stehen. Der e-Vokal erscheint schon mhd. vornehmlich im Bair. und Md., Alem. halten sich dagegen noch bis heute Präs.-formen vom Stamm gang-. Die Vb. sind nhd. in Gruppe I B 23 und A 7 einzuordnen (vgl. Abschn. 1 .3.2).

257

Das nhd. Prät. stand als Fortsetzung des mhd. stu(o)nd ist erstmalig Ende des 17. Jh. belegt, so daß deren Durchsetzen aus dem Rahmen der Arbeit von GIESSMANN 1981:108-12 fällt, die auch keine Angaben über mögliche Ursachen dieses Wandels macht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß hier eine (hyperkorrekte) analoge Bildung zu den anderen Prät. mit stammauslautendem Nasal/Kons, vorliegt: band - banden statt band/bund - bunden; das weist einmal mehr auf die Unsicherheit bei der Prät.bildung hin. (6) Von den mhd. kontrahierten Vb. sind im Nhd. keine erhalten. Wie wir gesehen haben, sind gan und stän ausgeglichen, ebenso ergeht es van und han 'hängen ' , bei denen der kons. Stammauslaut des Prät. und Part.U auch in das Präs. übernommen wurde. Auch hän 'haben' verliert in der fnhd. Periode seinen kontrahierten Inf., bewahrt jedoch in der 2./3.Sg. hast/hat (analog zur Präs.Wechselflexion der st. Vb. ?) und im Ind. und Konj.Prät. hatte/nette kontrahierte und assimilierte Formen, sicherlich aufgrund der hohen Frequenz (VAN DAM 1951:103). Der mhd. phonologische "Eingriff" in die morphologische Regelmäßigkeit geht soweit, daß man mit WERNER 1977:276 das Vb. als suppletiv ansehen kann. Im Part. H ist gehat und gehabt md., das Alem. bildet st. Formen gehaben und gehän (SCHMIDT 1969:325), möglicherweise parallel zu Vb. der trad. 6. und 7. Kl. 8.3

Die Veränderungen im Ablautsystem der st. Vb. (vgl. SCHEMA 10) Eine Trennung in strukturelle und lexembezogene Veränderungen ist nicht mehr ohne Weiteres möglich, da die sehr umfangreichen strukturellen Veränderungen, wie Reihenspaltung u.a. im Fnhd. durch Veränderungen an einzelnen Lexemen hervorgerufen werden. Dies führt zu einer großen Zahl von "Ein-MannKlassen" im Nhd. (vgl. die nhd. Tabelle in 1.3.2 oder Schema 10). Ich habe deshalb hier in qualitative ( z . B . Reihenwechsel, Reihenspaltung) und quantitative Veränderungen (Verluste und Neubildungen) unterschieden. Den Ausgleich des Grammatischen Wechsels habe ich am Ende des Abschn. 8.3.1 kurz beschrieben.

8.3.1

Qualitative Veränderungen

Veränderungen im Ablautsystem der st. Vb. werden sowohl bewirkt durch phonologischen Wandel (Dehnung, Kürzung, Rundung, vgl. Abschn. 8.1) als auch durch morphologischen Ausgleich. Die analogischen Veränderungen betreffen vor allem den Numerusausgleich im Prät.ablaut, der in der Zeit vom frühen 15. Jh. bis ins 18. Jh., also über die fnhd. Periode hinaus, erfolgt. Er führt zu einer völligen Neuorganisation des Ablautsystems - soweit wir überhaupt noch von System sprechen können.

258

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