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German Pages 744 Year 2005
Erika Timm
Historische jiddische Semantik
Erika Timm unter Mitarbeit von Gustav Adolf Beckmann
Historische jiddische Semantik Die Bibelübersetzungssprache als Faktor der Auseinanderentwicklung des jiddischen und des deutschen Wortschatzes
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-73063-3 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2005 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Stefanie Roll, Trier Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach
Inhalt
Vorwort
A.
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Allgemeiner und synthetischer Teil 1. Ziel dieses Buches 2. Suche nach Faktoren der Differenzierung zwischen der deutschen Komponente des Jiddischen und dem Deutschen selbst 3. Der soziale und institutionelle Hintergrund der Bibelübersetzungssprache 4. Zwei Proben der Bibelübersetzungssprache 5. Die bisherige Forschung 6. >Mircevess hamisne< (MM) als >Leittext< 7. Sonstige Texte 8. Zur Sprachbenennung und zum Sprachbegriff 9. Das Verhältnis zwischen der altjiddischen und der jüdisch-altfranzösischen Bibelübersetzungstradition 10. Die >Anfänge< und das > Sichtbarwerden der jiddischen Bibelübersetzungstradition 11. Die Auseinanderentwicklung Jiddisch / Deutsch: auch der deutsche Zweig in Bewegung 12. Humanistische >Rekorrektur< fehlt im Jiddischen . . . . 13. Einheit und Vielfalt der jiddischen Bibelübersetzungstradition 14. Die >Wörtlichkeit< der traditionellen jiddischen Bibelübersetzungen 15. Syntagmatische Wörtlichkeit 16. Paradigmatische Wörtlichkeit; Wörtlichkeit als Quelle sprachlicher Kreativität . . . . 17. Vermeidung von Anthropomorphismen 18. Anachronismen der Sozialstruktur 19. >Übersetzungspflicht< 20. Eine Ausnahmegruppe: die Himmelsrichtungen . . . .
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VI
Inhalt 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.
B.
Die -wng-Bildungen Die -rt«c/i-Bildungen Die -fce/i-Bildungen Adjektiva auf -haftik Substantivierte Adjektivneutra Der s-Plural Die Diminutivplurale Appositionelle statt genitivischer Gruppen Die Demonstrativa: der/di/dos dosik- und der/di/dos selbikDie Übersetzung der Stammesmodifikationen Das Partizip Präsens Gottesbezeichnungen Verwandtschaftsterminologie
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Realien in den Bibelübersetzungen 1. Musikinstrumente 2. Die Edelsteine des Hohepriesters 3. Fauna und Flora (einschließlich tabellarischer Übersicht)
D.
116 121 124 128 131
Alphabetischer Teil achpern - zwei
C.
82 88 91 95 97 100 109 114
580 611 619
Verzeichnisse 1. 2. 3. 4.
Wortregister Transkriptionszeichen Fachspezifische Zeichen und Abkürzungen Zitierte Quellen Jiddische Quellen bis etwa 1750 Jüdischfranzösische Quellen 5. Zitierte Literatur
685 692 695 698 698 708 709
Vorwort
Das vorliegende Buch hat zwei Jahrzehnte lang ohne nennenswerte Unterbrechung beträchtliche Teile meiner Arbeitskraft beansprucht. Die Konzeption des Buches entstand 1984. Von 1985 bis 1987 habe ich, noch ohne Hilfskräfte arbeitend, das hebräisch-jiddische Bibel Wörterbuch >Mircevess hamisne< (erschienen um 1534) Wort für Wort durchgearbeitet und daraus eine tentative Liste aller jiddischen Lexeme erstellt, die als Zeugnisse einer Wegentwicklung der deutschen Komponente des Jiddischen vom Hauptstrom der deutschen Entwicklung in Frage kamen. Mit gewissen Abstrichen - nämlich Lexemen, die bei näherer Untersuchung entweder keine Tradition in den jiddischen Bibelübersetzungen bildeten oder die sich auch im Deutschen bis etwa ins 18. Jahrhundert als lebendig erwiesen - ist daraus der Lemmabestand des alphabetischen Teils der vorliegenden Untersuchung hervorgegangen. Von 1987 bis 1992 förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Unternehmen, anfangs durch zwei Hilfskraftstellen, später durch eine halbe Mitarbeiter- und eine Hilfskraftstelle. Dafür möchte ich ihr auch hier noch einmal in aller Form danken. Denn erst so wurde es unter meiner ständigen Überprüfung möglich, durch fortgeschrittene Studierende der Jiddistik signifikante Teile der gesamten jiddischen Überlieferung sowohl innerhalb der Bibelübersetzungstradition (darunter umfangreiche handschriftliche Texte) als auch außerhalb von ihr auf ein und denselben Lemmabestand hin systematisch exzerpieren zu lassen. Durchgeführt haben diese Arbeit zunächst Ursula Becker(-Leuk), Liliane Gehlen und Simon Neuberg (die beiden letzteren auch nach dem Magisterexamen), später Andrea Rapp, Suse Bauschmid, Anna Maria Trede und Tanja Vadrot. Nach Abschluß der eigentlichen Exzerptionsarbeit (1992) hat mir bis in die jüngste Vergangenheit Simon Neuberg, inzwischen promoviert und habilitiert, noch laufend Dateien der von ihm in den Computer eingegebenen Texte zur gezielten Nachexzerption zugänglich gemacht. Er hat darüber hinaus aus seiner reichen Textkenntnis manche wertvolle Belege unmittelbar beigesteuert und zuletzt das ganze Buch noch einmal kritisch gelesen. Mein Kollege Walter Röll stellte mir mit nie versagender Freundlichkeit Daten aus seinen Hiobprojekten zur Verfügung und war mir die Jahrzehnte hindurch ein wertvoller Gesprächspartner. Ebenso hat mir meine Jeru-
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Vorwort
salemer Kollegin und Freundin Chava Turniansky in liebenswürdigster Weise eine Fülle von präzisen computergestützten Auskünften zur Sprache Glückeis von Hameln und manche hilfreiche Hinweise zukommen lassen. Bei technischen Problemen des Tustep-Programms fand Dr. Michael Trauth vom Rechenzentrum der Universität Trier stets eine Lösung. Stefanie Roll gestaltete wie schon bei mehreren meiner Bücher kompetent und aufmerksam den Tustep-Satz. Mit unendlicher Geduld hat sie noch während der Schlußarbeiten Ergänzungen eingebaut, und durch exzellentes Mitdenken konnte sie mich noch auf nicht wenige Unebenheiten der Präsentation aufmerksam machen. Während der Abschlußphase hat ferner meine Doktorandin Jutta Schumacher alle hebräischen Bibelzitate und einen Teil der jiddischen Zitate überprüft. Gabriele Diehr M.A. hat ebenfalls einen Teil der jiddischen Zitate nachgeprüft und sorgfältig Korrektur mitgelesen. Beim Max Niemeyer Verlag habe ich eine stets verständnisvolle Betreuung durch Dr. Thomas Ehlen, Margarete Trinks und - nicht zum ersten Mal - Wolfgang Herbst und insbesondere Birgitta Zeller gefunden. Mein Ehemann Gustav Adolf Beckmann hat wie schon bei meinen letzten drei Büchern eine Unzahl von Formulierungen mit durchdacht und zudem die romanistischen Aspekte des Buches betreut. Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank. Noch ein Wort zur Physiognomie des Buches. Dieses Buch handelt von Traditionen. Wer durch einzelne Belege beweisen wollte, daß es zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Sprachgemeinschaft diese oder jene sprachliche Form >auch gabauch gabhinuntergespültArum dem tanachdes< Jiddischen schlechthin, darzustellen.2 Denn dieser Beitrag, der sich vor allem auf Wortschatz einschließlich Wortbildung und Idiomatik, in einigem Umfang aber sogar auf die Morphologie erstreckt, wird nach unserer Meinung bisher selbst innerhalb der Jiddistik in eklatanter Weise unterschätzt. Doch da die jiddische Bibelsprache selbst, obwohl sie ein typologisch hochinteressantes Phänomen ist, wissenschaftlich noch weitgehend unbeschrieben ist,3 würde sich die Demonstration unserer These in einem für den Leser historisch fast leeren Raum abspielen, wenn wir nicht diese Sprache in einiger Konkretheit und Detailliertheit auch um ihrer selbst willen vorführten - also auch in Aspekten, die keinen Einfluß auf die jiddische Gemeinsprache genommen haben, sondern gattungsspezifisch geblieben sind. Vergleichsweise dürfen wir daran erinnern, daß ja z.B. auch die Germanistik Luthers Bibelübersetzung einerseits in ihrem Einfluß auf die Ausformung der neuhochdeutschen Standardsprache, andererseits aber auch um ihrer selbst willen untersucht. Jede der beiden Perspektiven ist offensichtlich nicht nur legitim, sondern verschafft der jeweils anderen auch eine Art komplementären Hintergrund, in die strukturelle bzw. in die zeitliche Tiefe hinein. In diesem Sinn haben wir also auch über das hinaus, was für unsere diachronische These unabdingbar ist, manches andere typologisch Interessante aufgenommen in der Hoffnung, dadurch die fehlende deskriptive Gesamtdarstellung der Bibelsprache einigermaßen zu ersetzen.
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Dabei ergibt sich allerdings eine spezifische Schwierigkeit, die jedermanns, also auch unseren Aussagen über das rezente Jiddisch zwangsläufig inhärent ist. Die Tatsache nämlich, daß schon heute von den sich als jiddische Muttersprachler fühlenden Personen die erdrückende Mehrheit nie Schulunterricht auf Jiddisch erhalten, vielmehr zahllose intellektuelle Erfahrungen primär in einer anderen Sprache erworben hat, bringt es mit sich, daß in vielen Teilbereichen des jiddischen Wortschatzes und der Idiomatik weniger Konsens besteht als bei den Sprechern der großen europäischen Schriftsprachen. Dabei geht es in erster Linie nicht einmal um eine genuin diatopische (dialektale) Zerklüftung, speziell um die slavische Komponente. Vielmehr sind auch für die deutsche Hauptkomponente die individuellen Unterschiede in Umfang und Eigenart des Vokabulars schwer vorherzusagen. Diskussionen darüber, ob >man< so oder so sage, verlaufen deshalb nicht selten elusiv. Als Konsequenz daraus bemühen wir uns, für die rezente Sprache statt eigener Erfahrung grundsätzlich die Wörterbücher sprechen zu lassen.
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Zur (spärlichen) bisherigen Forschung vgl. unten § 5.
2. Suche nach Faktoren der Differenzierung zwischen der deutschen Komponente des Jiddischen und dem Deutschen selbst
Vor mehr als fünfzehn Jahren haben wir versucht, die Auseinanderentwicklung der jiddischen und der deutschen Sprache hinsichtlich ihres grammatischen Baus zu skizzieren, und zwar nicht durch bloßen synchronischen Vergleich der heutigen Sprachzustände, sondern durch ein wenigstens andeutendes Nachzeichnen der diachronischen Linien.4 Dasselbe muß grundsätzlich auch für den Wortschatz möglich sein. So wie Darstellungen der deutschen Sprachgeschichte epochenweise die charakteristischen Wandlungen des Wortschatzes vorzuführen pflegen, so sind entsprechende Abschnitte auch Desiderata einer jiddischen Sprachgeschichte. In diesem Sinne sprechen wir von historischer Semantik, nicht einfach von historischer Lexikographie einer Sprache. Zwar setzt eine so verstandene Semantik die Lexikographie voraus; aber sie braucht keineswegs auf die gleichmäßige lexikographische Durcharbeitung des Gesamtwortschatzes zu warten, sondern kann auf gezielter Teilarbeit aufbauen. Betrachtet man den jiddischen Wortschatz kontrastiv vom Deutschen aus, so fallen einem zuerst die nichtdeutschen Komponenten 5 auf. Doch die romanische Komponente ist immer quantitativ schwach gewesen; die slavische tritt in der schriftlichen Überlieferung erst seit 1800 stärker hervor und geht im amerikanischen Jiddisch schon wieder zurück. Selbst die wichtigste außerdeutsche Komponente, die hebräisch-aramäische, schwankt in der Überlieferung quantitativ sehr stark je nach dem Bildungsgrad des Autors und mehr noch nach Stilsorte und Redesituation; laut Yudel Marks Zählung macht sie im heutigen Jiddisch durchschnittlich nur noch etwa 4 5
Timm 1986: passim. Wir benutzen den Begriff >Komponenteübersetzungsbedingte< und >institutionsbedingte< Prozesse unterscheiden. Bei den übersetzungsbedingten geht es vor allem um die Auswirkungen des Bibelübersetzens, wie es den Inhalt des Heders, der jüdischen Elementarschule, ausmachte; diese sind also der Gegenstand des vorliegenden Buches. Mischna, Talmud und rabbinische Literatur hin6
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Mark 1954: 2 8 - 4 7 . In die Komponentenproblematik führen z.B. ein: Birnbaum 1974: 17-44, Birnbaum 1979: 5 8 - 8 5 sowie in einer bis heute unerreichten Ausgewogenheit M. Weinreich 1973 (und 1980): Großkapitel VII und VIII. Landau 1928: 199-214. Vgl. auch Schaechter 1951 und 1952, Wexler 1964 und 1972, Weissberg 1991. Vgl. Neuberg 1999: 89-101. - Uns ist natürlich nicht unbekannt, daß sich Paul Wexler seit Jahren (vgl. speziell Wexler 1991, 1991a, 1993) für eine ganz andere Sicht einsetzt, derzufolge das (Ost-) Jiddische eigentlich eine slavische Sprache sei, nämlich ein nur in oberflächlicher Weise deutsch relexikalisiertes Judäosorbisch. Wir teilen diese Ansicht nicht, brauchen hier aber nicht auf sie einzugehen, da die in diesem Buch beschriebene Tradition mit Sicherheit im Westen entstanden ist und dann in räumlicher Kontiguität auch im Osten aufblüht; ihre relative Einheitlichkeit ist geradezu das kulturelle Rückgrat des e i n e n Aschkenasentums. Andererseits bestreiten auch wir natürlich nicht, daß das Ostjiddische seit Jahrhunderten mit dem Slavischen in einem >Sprachbund< lebt, und wir würden uns freuen, wenn diese unseres Erachtens außerordentlich nützliche Begriffsprägung Roman Jakobsons auch in der Jiddistik stärker zu ihrem Recht käme, etwa in Monographien über den Eintritt des Jiddischen in diesen Sprachbund.
Die deutsche Komponente des Jiddischen und das Deutsche
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gegen speisten äußerst intensiv und unmittelbar die hebräisch-aramäische Komponente von der Redensart bis zum Einzelwort. Übersetzt wurden diese Texte aber - mit Ausnahme der Pirqe Avot - in der Regel nur in der mündlichen Diskussion, so daß sich weder handschriftlich noch später im Druck feste Übersetzungstraditionen aufzeigen lassen. Gewiß fehlen auch hier nicht linguistische Einzelreflexe in der deutschen Komponente. Max Weinreich hat ohne Anspruch auf Vollständigkeit etwa 25 aufgezählt (1973: 2.304-309 = 1980: 641-647), beginnend bei völlig eindeutigen, wie ojf ejn fus (auch hebräischkomponentig in der Originalform al regel ahess, Sabbat 31a) '[ungebührlich] schnell', bis zu vageren wie (wohlgelitten u.ä.) zu got un zu lajt, das er an Qiddusin 40a ('zum Himmel und zu den Geschöpfen') anschließt, das uns allerdings ebenso eng unmittelbar an 1S 2.26 ('bei Gott und bei Menschen') zu hängen scheint. Hauptsächlich aber wirkte die nachbiblische Literatur (im weitesten Wortsinn) institutionsbedingt, indem sie das prägte, was Max Weinreich im bewundernswerten Großkapitel III seiner Sprachgeschichte derech ha-sas, den 'talmudisch bestimmten Lebensstil', genannt hat. Da es sich ebenfalls um ein weites Gebiet handelt, das mit unserem Thema immerhin eine breite Berührungsfläche hat, wollen wir noch einen Augenblick bei ihm verweilen. Vor 1500 belegtes institutionsbedingtes Material aus der deutschen Komponente - von lernen bis °vrau'en-schul - habe ich seinerzeit vorgeführt (Timm 1987: 376f.); es ist noch nicht sehr viel, weil die frühe schriftliche Überlieferung des Jiddischen eben großenteils aus biblisch-übersetzungsbedingten Texten besteht. Einiges institutionsbedingtes Gut habe ich dann exemplarisch auch bis ins 18. Jh. verfolgt (Timm 1990 passim). Die beiden großen Darstellungen institutionsbedingten Gutes hingegen geben zur Hauptsache Synchronschnitte des frühen 20. Jhs. aus der eigenen Erfahrung der Autoren. Für das Ostjiddische gehört hierher nämlich so gut wie alles Deutschkomponentige in Max Weinreichs gerade zitiertem Großkapitel. Aber auch im Westen hat erstaunlich viel solches Gut das Ende des Westjiddischen überdauert und lebte noch in der Sprache der deutschen Juden des 20. Jhs., wo es Werner Weinberg (1994) sorgsam gesammelt hat. Bei solchen Sammlungen kommt es wohlgemerkt nicht darauf an, ob auch der Deutsche ein Wort oder eine Redewendung leidlich versteht, sondern ob er sich idiomatisch ebenso ausdrücken würde; das gilt selbst für die deutschkomponentigen Anteile gemischtkomponentiger Redewendungen. Daß man ζ. B. tilim (Psalmen) im Osten sogt (nicht dawnt, lejent oder was immer) und auch im Westen 'sagt' (nicht 'liest', laint, 'betet', ort oder was immer), ist distinktiv nicht nur durch den Hebraismus tilim, sondern auch durch die Wahl des Verbs. Denn im Deutschen sind zu >Psalmen< die Verben erster Wahl ja 'beten' und 'lesen'; 'sagen' bleibt marginal. In diesem Sinne hat Weinberg (op.cit. 299f.) noch 30 deutsche Verben mit zusätzlichen jüdisch-religiösen Bedeutungen aufzählen können (z.B. abfragen
Teil A, § 2
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'widerlegen', vgl. ostjidd. opfregen), dazu 36 weitere in über 90 gemischtkomponentigen Redewendungen (z.B. schiwwesitzen 'die siebentägige Volltrauer nach dem Tode eines engen Verwandten einhalten', vgl. ostjidd. sizn sive). Als Memento sei hier ein Spruch zitiert, den wir durch Vermittlung von Chava Turniansky der aus Hamburg stammenden Informantin Batya Rabin verdanken (wir bewahren die Orthographie): Die Juden sind ein Volk doch wirklich ganz apart, und jeden Brauch sie tun auf ganz besondere Art: Kidesch macht man, Lichter benscht man, Schachres ort man, Tilim sagt man, Sedre leint man, Gemore lernt man, Tfilin legt man, Arba kanfes trägt man, Schaufer bläst man, Lolov [sie] schüttelt man, Schlachmones schickt man, Gut-Jontef wünscht man, Chomez battelt man, Afikaumen sucht man, Eruv legt man, Chasne macht man, Schive sitzt man, Ezes gibt man, Mitzves tut man, nach Kowed laueft [sie] man, Mesuse küßt man, meschuge wird man, wovor uns G'tt bewahre gesund bis 120 Jahre.
Nach Chava Turniansky würde der Hauptteil des Spruches in ihrem Ostjiddisch lauten: kideS macht men, licht bentscht men, sahress dawnt men, tilim sogt men, di sedre lejent men, gemore lernt men, tfiln lejgt men, an arbe-kanfess trogt men, sojfer blost men, a lulev schoklt men, slachmoness schikt men, gut jontev wintscht men homez batlt men, dem afikojmen sucht men, ejrev lejgt men, hassene macht men, äive sizt men, ejzess git men mizvess tut men, noch koved lojft men, di mesuse kuscht men, meSuge wert men ...
Von den beiden Isoglossen ort / dawnt und schüttelt / schoklt abgesehen - von denen nur die zweite die deutsche Komponente betrifft - , sind die Redewendungen also identisch (denn bei zwangloser Ausdrucksweise würden die Artikel auch im Westen stehen) - die eindrucksvolle Exemplifizierung der grundlegenden Einheit des Aschkenasentums vorgängig gegenüber jeder Unterscheidung von West und Ost.
3. Der soziale und institutionelle Hintergrund der Bibelübersetzungssprache
Hier ist zunächst eine soziolinguistische Vorüberlegung am Platze, bei der wir auch zeitlich weit zurückgehen müssen. Als das jüdische Volk, in Fortsetzung einer schon seit dem Babylonischen Exil feststellbaren Tendenz, im ersten vor- und den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten nunmehr unter dem Druck politisch-militärischer Katastrophen das Hebräische als Sprache des Alltags allmählich aufgab, 9 mußte es den meisten jüdischen Vätern immer schwerer fallen, dem religiösen Gebot gemäß 10 ihre Söhne in der Tora zu unterrichten. Als Abhilfe in dieser Notsituation entstand in den genannten Jahrhunderten das von den jüdischen Gemeinden organisierte Schulwesen für Jungen.11 Zwar hatten anscheinend die Väter weiterhin Einfluß auf die Auswahl konkurrierender Lehrer oder konnten statt dessen einen Privatlehrer anstellen, doch war der Unterricht als solcher, wenn auch noch nicht durch administrativen Zwang, so doch moralisch obligatorisch.12 Sieht man davon ab, daß den Kindern zunächst das Alphabet und das Syllabieren sowie einige (biblische und nachbiblische) Grundgebete beigebracht wurden,13 so war der gesamte Unterricht vom Alter von etwa sechs bis zum Alter von etwa zehn Jahren ein - in der Regel kantillierend durchgeführter - Bibelunterricht;14 er begann mit dem Buch
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Wir übergehen die Tatsache, daß das Hebräische in Teilen Judäas resthaft noch nach 200 eine gesprochene Sprache gewesen sein kann. Sonst vgl. zum Untergang des Hebräischen als Alltagssprache vor allem die Forschungen von Kutscher, zusammengefaßt bei Strack / Stemberger 1982: 104-106, oder von Kutscher selbst (1982: 115-118). Dazu genauer Ebner 1956: 21 f., 23f., 38, 74, 105 Anm. 1, vgl. auch 113 Anm. 2. Zusammenfassend dazu: Strack / Stemberger 1982: 18f. Ausführliche Harmonisierung der beiden loci classici, pT Ketubbot v m Ende 32c und bT Bava batra 21 a, bei Ebner 1956: 38-50. Zur (zumindest partiellen) Finanzierung durch die Gemeinden op.cit. 57f. und Arzt 1976: 189-201, hier 192-194. Ebner 1956: 48-50, 54, 58. Alphabet: zu erschließen aus Sabbat 31a (Hillel lehrt einen Proselyten) und Avot de-Rabbi Natan, A, Kapitel 6 (Aqiva nimmt verspätet Elementarunterricht). - Syllabieren: Goldin 1976: 3-18, hier 8f. - Grundgebete: Arzt 1976: 197. Beginn der Bibellektüre mit fünf Jahren (und Übergang zur Mischna mit zehn) empfohlen: Pirqe Avot 5.21; Schulbeginn mit sechs oder sieben normal: Bava batra 21a,
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Teil A, § 3
Leviticus.15 Und in dem Maße, wie das Hebräische schon nicht mehr Muttersprache der Kinder war, wurde fast zwangsläufig das sukzessive wörtliche Übersetzen aus dem Hebräischen in die Muttersprache zum Kernbestandteil des Unterrichts; im Idealfalle arbeiteten die Kinder so im Laufe der Jahre die ganze Tora durch.16 Das war zugleich ihr einziger systematischer Hebräischunterricht,17 nach heutigen Kategorien also ein rein induktiver Unterricht. Mit etwa zehn Jahren begannen die Jungen dann das Mischna-Studium; als einige Jahrhunderte später auch die Gemara redigiert vorlag, wurde diese zum Gegenstand einer dritten Unterrichtsstufe. Doch blieb der einzelne nicht nur auf dem Umweg über Mischna und Gemara mit der Bibel in Berührung, sondern war sein Leben lang in der Synagoge Zeuge der zyklischen Verlesung von Tora, Haftarot und Megillot und war dabei nach Berachot 8 a gehalten, die jeweiligen Wochenabschnitte vorher in häuslicher Präparation ('zweimal im Bibeltext und einmal im Targum') durchzugehen. Mit dem rabbinischen Denken selbst setzte sich das beschriebene Schulsystem auch allgemein in der Diaspora durch; die Übersetzung erfolgte jetzt notwendigerweise in die je verschiedene Muttersprache der Kinder. In den meisten Diasporakulturen, auch der jiddischen, beruht also, wenigstens historisch-genetisch gesehen, das hebräisch-alltagssprachliche Übersetzungswissen im Regelfall auf dem vorhergehenden mehrfachen Wechsel der Zielsprache.18 Bedenkt man diese lange Vorgeschichte auch der aschkenasischen Tradition, so wird man manche Feststellungen beispielsweise in der sonst sehr verdienstvollen Anthologie von Staerk / Leitzmann (1923), die nur das Hebräische und das Jiddische in den Blick bekommen, relativieren müssen.
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in Babylonien erst mit sechs gestattet, ebd. und Ketubbot 50a; später in Aschkenas mit fünf normal: Ginzberg 1928: 1-34, hier 16, 19 (= 1976: 287-320, hier 302, 305). Keine weltlichen Unterrichtsgegenstände: Ebner 1956: 86. Kantillation: ebd. 91 f., dazu >Pesiqta de-Rav KahanaSbjme Reb Hajims< Slojmeles Kindheit, d.h. seine eigene Kindheit, porträtiert (Anfang des 4. Kapitels). Ebner 1956: 77, 79f., Arzt 1976: 191. Ebner 1956: 75, 80. Eine möglichst vollständige Liste der jüdischen Diasporasprachen und der ihnen zugrunde liegenden Sprachwechsel gibt Wexler 1981: 99-149. Von einem freilich ganz anderen begrifflichen Rahmenwerk ausgehend, hat Banitt (1985: speziell 70-128) anhand des verkappten jüdischgriechischen Erbes in der jüdischfranzösischen Tradition exemplarisch aufgezeigt, welche Wirkungen auch später vergessene Zwischenglieder in Übersetzungsketten gehabt haben können.
Hintergrund der Bibelübersetzungssprache
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Dazu gehört z.B. die ohne nähere Beweise ausgesprochene Behauptung (1923: 8), aus den gelegentlichen muttersprachlichen Glossen in hebräischen Kommentaren habe sich die Gattung der selbständigen zweisprachigen Glossare erst >entwickeltSicherheit< kann zwar im Frühneuhochdeutschen
auch 'Verpflich-
tungserklärung', 'Vertrag' bedeuten, aber es scheint nie wie hebräisch 1V)3 den Vertrag Gottes mit Menschen zu bezeichnen. Insgesamt dürfte an diesen Proben klar geworden sein, daß die jiddische Bibelübersetzungssprache ein sehr lohnendes Forschungsobjekt darstellt.
5. Die bisherige Forschung
Dennoch wird der Anteil dieser Bibelübersetzungssprache an der Sonderentwicklung des Jiddischen gegenüber dem Deutschen in der Forschung bisher sehr unterschätzt. Die verdienstvollen Bücher von Grünbaum (1882) und Staerk / Leitzmann (1923) haben Anthologiecharakter; Grünbaum geht auf Wortschatzfragen oft nur in kurzen Notizen, Staerk / Leitzmann gehen auf sie so gut wie gar nicht ein. Nechama Leibowitz behandelte 1931 überwiegend die Syntax, nicht den Wortschatz, und zwar fast ausschließlich anhand der Psalmen. Diese textliche Beschränkung vermindert die Aussagekraft der sonst brillant geschriebenen Studie beträchtlich; denn der Leser wird ständig mit einem nichtnarrativen, oft überdurchschnittlich schwierigen Text konfrontiert und verliert so die mögliche Wirkung der Übersetzungssprache auf das >normale< Jiddisch völlig aus den Augen. Der dreiseitige Beitrag von Opatoshu (1941) mit drei Realienlisten aus Opatoshus eigenen Hedeijahren (1893-94) verdient hier wegen der literarischen Statur des Autors genannt zu werden. Shlomo Nobles Arbeit über die Βibelübersetzungsspräche (humestajtsch) erschien 1943 in den USA, als ihm dort fast keine Quellen der Zeit vor 1600 zugänglich waren; er begann deshalb seine Untersuchung etwa mit dem 17. Jh. und machte aus der Not eine Tugend, indem er fragte, welche in der Gemeinsprache veralteten oder nie in sie eingedrungenen Wörter damals und später in der Übersetzungsspräche >noch< lebten oder leben. Diese Fragerichtung führt dazu, daß bei Noble Kuriositäten der letzten Jahrhunderte relativ breiten Raum einnehmen, während Gemeinsamkeiten der Bibelübersetzungs- und der Allgemeinsprache nicht aufgenommen sind, weil Noble von vornherein nicht damit rechnete, daß sie aus der ersteren in die letztere eingedrungen sein könnten.32 32
Diese Perspektive ist übrigens innerhalb der jiddischen Sprachgemeinschaft über den Kreis der Fachwissenschaftler hinaus weit verbreitet. Die Bibelübersetzungssprache wird als solche nur erkannt in den Elementen, die nicht in die Gemeinsprache eingegangen oder dort im Veralten begriffen sind. Deshalb gilt sie a priori als archaisch, und jene Elemente aus ihr (tajtsch-werter) bieten sich den Literaturschaffenden als
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Teil A, § 5
Die bisher detaillierteste Darstellung der jiddischen Übersetzungstradition ist die ungedruckte Arbeit von Aije Gealja (1969). Sie wurde uns erst zugänglich, als große Teile unseres Buches schon geschrieben waren, insbesondere das Kapitel über die Edelsteine am hohepriesterlichen Pektorale (unten Teil C, Kapitel 2). Gealja (1969: 73-97) und wir stehen hier beide in der Nachfolge vor allem von Blondheim (1925: LXXIV-LXXXI), dessen Untersuchung auf die Geschichte der jiddischen Tradition auszudehnen sehr nahelag. Da die Präsentation aber bei Gealja und bei uns sehr unterschiedlich angelegt ist, halten wir die Doppelbearbeitung für kein Unglück. Insgesamt sind auch Gealjas Interessen auf intensivste Weise traditionsgeschichtlich, nur bei gewissen Problemen wie Worttrennung, Zieralef u. ä. sprachhistorisch. Von einer Wirkung auf die jiddische Gemeinsprache ist nicht die Rede. Für fruchtbarer als die speziell Noblesche Perspektive halten wir die umgekehrte Fragerichtung, also die nach der Übersetzungssprache als Zeugnis und zugleich Triebkraft einer frühen Differenzierung gegenüber dem Deutschen. Erwähnung verdient hier der Aufsatz von W.-O. Dreeßen (1977), weil er anhangsweise eine Reihe von syntaktischen Mustern der Bibelübersetzungssprache erstmalig in einer Estherdichtung aufzeigt, die keine Übersetzung ist - so daß hier die Erkenntnis anklingt, daß die Bibelübersetzungssprache in die allgemeinere Literatursprache hineingewirkt haben könnte. Die solide und informative Studie von Marion Aptroot über Blitz und Witzenhausen gibt einleitend (1989: 26-36) auch einen Überblick über die traditionelle Übersetzungstechnik, führt aber sonst ihrem Thema entsprechend eher aus unserer Tradition heraus als in sie hinein. Und last but not least muß die jiddische Bibel-Übersetzungs- und darüber hinaus -Exegese-Tradition auf ihren literarischen und geistesgeschichtlichen Gehalt hin erforscht werden. Was dazu nottut, sind Editionen. Schon aus Gründen des Arbeitsvolumens liegt hier vorläufig die Beschränkung auf jeweils ein Bibelbuch nahe, etwa auf den besonders problemreichen Hiob. Im Jahre 1996 erschien die Edition der Hiob-Paraphrase des Abraham b. Samuel Pikartei (1579) durch Brünnel / Fuchs / Roll, im Jahre 2002 eine Gesamtedition der glossarischen Hiob-Überlieferung von Walter Röll -
Archaismen an. Paradoxerweise können so weder die Leser des Jiddisten Shlomo Noble noch die eines Dichters wie Itzik Manger ein Wort wie etwa der dosiker als hedersprachliches Erbe erkennen, weil es dazu einfach zu bekannt ist. (Freilich rekurrieren die literarischen Anleihen beim älteren Jiddisch manchmal nicht eigentlich auf die Sprache des Heders, sondern auf die der Bibelepik, speziell des Schemuelbuches. Wir können hier auf diese interessante Erscheinung nicht näher eingehen und verweisen ein für allemal auf Shmeruk 1988: 159f., 169-171 und die dort genannte Literatur.)
Die bisherige Forschung
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letztere konnten wir im einzelnen nicht mehr berücksichtigen. Von Roll ist weiterhin eine Ausgabe der ältesten zusammenhängenden Hiob-Übersetzung (R13) zu erwarten. Paraphrase und Übersetzung sind zudem bisher unbeachtete Marksteine der frühen jiddischen - diskursiven wie narrativen Prosa.
6. >Mircevess hamisne< (MM) als >Leittext
Leittext< benutzen? Daran schließt sich die zweite Frage an: Wie konzentriert man sich in diesem Gesamtwortbestand am einfachsten auf das sprachgeschichtlich Wichtigste? Anders ausgedrückt: Wie hält man die Unzahl sprachgeschichtlich uninteressanter Wörter fern (in unserer ersten Textprobe [S. 16] außer den grammatischen Dienstwörtern etwa sait, wäser, leib, leben, vogel, erden, himel usw.) und wie kann man zugleich bei den interessanten Wörtern knapp, aber anschaulich den Weg vom deutschen Ausgangsmaterial über die Auswahl-, Umdeutungs- und Wortbildungsprozesse der jiddischen Bibelübersetzungssprache möglichst bis ins heutige Jiddisch darstellen? Auf die erste Frage, die nach einem passenden >LeittextLeittexte< wären die meisten Textzeugen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Es sind unedierte Handschriften, meist nur von mehr oder minder umfangreichen Bibelteilen, paläographisch unterschiedlich gut lesbar, oft aus Gründen der Papierersparnis nicht sehr übersichtlich, in sehr unterschiedlichen, oft stark dialektalen, noch schwerfälligen und variantenreichen Graphemsystemen, zudem von sehr unterschiedlichem Typ - von Interlinearglossen über Glossare bis zu kohärenten Übersetzungen. Um so besser geeignet ist dann das schon erwähnte, erstmalig um 1534 gedruckte 33 hebräisch-jiddische Bibelwörterbuch >Mircevess hamisneMircevess hamisne< (MM) als >Leittext
Me'ir nativ< eine ebenfalls einsprachige Konkordanz des Urtextes an; sie wurde 1445 fertiggestellt, 1523 bei Bomberg in Venedig gedruckt. Der Autor von M M kannte sie; denn er weist im Artikel nx darauf hin, daß für dieses äußerst häufige und semantisch leere Wort nicht einmal der >Me'ir nativ< Stellen angebe. Der von ihm für sein eigenes Werk gewählte Titel >Mircevess hamisne aller lekonkärdasjcx (so die Drucker in ihrem hebräisch geschriebenen Nachwort) spielt an auf Gn 41.43 ft—mx ΠΐψΒΠ r a r n ö 'der Zweitwagen/Stellvertreterwagen, der ihm (Pharao) zugehörte' (Onkelos: 'das zweite Gespann, das ihm zugehörte', Raschi: 'der zweite Wagen nach seinem Wagen, der also gleich neben ihm fuhr', Steinschneider: Currus Secundani 'Wagen des Rangzweiten'). Das setzt wohl voraus, daß er den >Me'ir nativ< als >Konkordanz< des Urtextes unter dem Bilde des ersten Wagens sah. (Etwas anders erklären freilich die Drucker im Nachwort den Titel: 'weil das Buch aus den beiden Sprachen zusammengeschichtet ist', also etwa 'Wagen der Verdoppelung'.) Doch konnte er aus dem >Me'ir nativ< nur wenig Nutzen ziehen. Erstens fehlte dort ja das für ihn Wichtigste, die Übersetzung. Zweitens folgte er aber dem >Me'ir nativ< auch keineswegs in der Auswahl der Belege; ganz anders als dieser beginnt er bei jeder Wurzel seine Suche nach charakteristischen Belegen in der Genesis und geht dann die ganze Bibel durch. Seine Unabhängigkeit vom >Me'ir nativ< zeigt sich ferner hier und da an Alphabetisierungsfehlern; z.B. ordnet er 1U3 ein, als ob es ~)S)3 hieße, "7Ϊ1Π vor der Wurzel 3"in, die Wurzel "IMG vor der Wurzel BOQ) u.ä. Dergleichen Fehler sind leider nicht selten. Man muß also wohl annehmen, daß er sich tatsächlich Zettelkästen anlegte, die das jeweilige Bibelstichwort in Quadratschrift aufwiesen.
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aber zumindest dann, wenn in der Übersetzungstradition ein hebräisches Lexem als polysem anerkannt und deshalb an verschiedenen Bibelstellen verschieden übersetzt wird.35 Wir haben nun - als unseren ersten Arbeitsschritt 1985 - etwa ein Zehntel des Wörterbuchs Beleg für Beleg einer dreifachen Probe unterworfen: erstens auf Traditionalität des jeweiligen Lexems, d.h. auf Übereinstimmung mit anderen jiddischen Übersetzungszeugnissen; zweitens auf Kontextsensitivität, vor allem auf Beibehaltung der jeweiligen Rektionsverhältnisse aus dem zusammenhängenden Satz; drittens auf Vollständigkeit hinsichtlich des hebräischen Bibelwortschatzes. Die beiden ersten Proben hat das Buch sehr gut bestanden, die Vollständigkeitsprobe allerdings nur mit dem Prädikat >ausreichendDienstbuchstaben< herausschälen. Die Benutzung eines nach solchen (vermeintlichen) Wurzeln geordneten Wörterbuches ist also einfacher als die unserer Wörterbücher, wo man z.B. na1? unter "f?n, nicht Ύ?, oder Π3Π unter m l , nicht Π3, suchen muß. Um 1000 kam dann in Spanien die Theorie von der grundsätzlichen Dreiradikaligkeit der Verbalwurzeln auf, wie sie mit gewissen Abstrichen noch heute gültig ist; sie liegt natürlich auch den grammatischen Arbeiten der Familie Qimhi zugrunde. Sie setzte sich zwar wegen ihres strukturellen Erkenntnisgehaltes im Mittelmeerraum schnell durch (so auch im >Me'ir nativMe'ir nativ< den Wortschatz nur zum kleineren Teil 'nach Qimhi', zum größeren 'nach Dunaä ben Labrat' alphabetisiert (wie fol. Iva Mitte gesagt wird), so ist das eindeutig eine Konzession an aschkenasische Melammedim (und lehrende Väter), die sich sonst mit einem Wörterbuch überhaupt nicht befreundet hätten, sondern bei den noch bequemeren Hilfsmitteln vom Glossartyp geblieben wären. Aber die Konzession nützte wenig: M M hat nur noch einen Nachdruck (Krakau 1584) erlebt. (Der von Wolf aufgeführte angebliche Druck Krakau 1552 ist, wie Steinschneider, Cat. Bodl., Nr. 4423.1 wohl überzeugend dargelegt hat, eine ghost edition.)
>Mircevess hamisne< (MM) als >Leittext
Mircevess hamisne< in eine EDV-Anlage eingeben, so wäre eine vorherige Präparation aller Belege, auch der 85 Prozent uninteressanten, nicht zu umgehen. Erstens ist fast ein Viertel der Verszahlen nach heutiger Zählung um eine oder wenige Einheiten falsch. Dies darf man zwar nur zum geringsten Teil dem Autor anlasten; denn ähnliche Schwankungen sind aus anderen, auch christlichen Bibeln derselben Zeit bekannt. Trotzdem möchte man natürlich den Computer nicht mit den >falschen< Verszahlen füttern. Zweitens zeigt das Graphemsystem der >Mircevess hamisne< noch eine solche Variationsbreite, daß bei bloßer Transliteration vieles Zusammengehörige schon aus graphematischen Gründen - von den morphologischen ganz zu schweigen - voneinander getrennt würde. In beiderlei Hinsicht ist es eine große Mehrarbeit, wenn man auch die Unzahl der offensichtlich irrelevanten Belege präparieren muß. Umgekehrt möchte man, sobald man einen Beleg als relevant einstuft, die Argumente dafür festhalten; dazu braucht man dann ohnehin die Karteikarte und nicht den fortlaufenden Computerausdruck. Wir haben deshalb auch bei der anschließenden Gesamtbearbeitung von MM auf den Computer verzichtet und gleich im ersten Arbeitsgang die relevanten Belege auf Karteikarten verarbeitet. Es wurde jeweils zunächst der hebräische Urtext aufgeschlagen, um die Übersetzung im Kontext prüfen zu können; dann wurden einerseits der große Lexer (samt Nachträgen auch im kleinen Lexer und samt Findebuch), die Kurrelmeyersche Ausgabe der vorlutherischen hochdeutschen Bibeldrucke, die Luther-Übersetzung, das Deutsche Wörterbuch und (soweit erschienen) das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch,37 andererseits das Große Jiddische Wörterbuch (GWb, soweit erschienen) sowie die Wörterbücher von Harkavy, Birnbaum, Uriel Weinreich und Zanin verglichen; auch Niborski (2002) konnte noch berücksichtigt werden. Der Gesamtbestand an für uns interessanten Belegen der MM liegt dann, wie gesagt, bei etwa 2000 und die Zahl der verschiedenen Lexeme bei etwa 600, erstens, weil MM eben für viele Lexeme mehr als einen Beleg bietet, und zweitens, weil in der gesamten jiddischen Überset-
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Daneben wurden in wechselndem Umfang deutsche Dialektwörterbücher herangezogen, wo immer der Verdacht dialektaler Beschränkung bestand.
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zungstradition hebräische Synonyme oft durch dasselbe jiddische Lexem wiedergegeben werden. Noch stärker, nämlich auf etwa 300, reduziert sich diese Zahl, wenn man statt Lexeme Wortfamilien zählt. Auf diese Weise haben wir also hauptsächlich aus MM den Lemmabestand des folgenden Wörterbuch-Teils erstellt, und zwar schon 1985-87 in der ersten Phase unseres Projekts, als dieses noch nicht von der DFG gefördert wurde. Im Rückblick können wir heute sagen, daß eine nur auf MM beruhende Darstellung der Bibelübersetzungssprache die Richtigkeit unserer These zwar umrißhaft erahnen lassen, aber nicht eigentlich beweisen würde. Denn zum Beweis gehört es ja in den Geschichtswissenschaften auch, eine genügende Mächtigkeit der Ursache sowie die Kontiguität (d. h. den räumlich-zeitlichen Zusammenhang) zwischen Ursache und Wirkung aufzuzeigen. Beides ist, wie man leicht einsieht, mit e i n e m Leittext grundsätzlich nicht zu schaffen, sondern verlangt eine weit breitere Materialbasis einerseits von Texten innerhalb der Bibelübersetzungssprache selbst, andererseits von literarischen Werken, die das Einströmen bibelsprachlicher Elemente in die Gemeinsprache dokumentieren.
7. Sonstige Texte
Hier setzte dann die Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein, die das Unternehmen von 1987 bis 1992 - anfangs durch zwei Hilfskraftstellen, später durch eine halbe Mitarbeiter- und eine Hilfskraftstelle - gefördert hat. So wurde es möglich, durch fortgeschrittene Studierende der Jiddistik, die schon Erfahrung im Altjiddischen und im Lesen von altjiddischen Handschriften hatten, beträchtliche Teile der gesamten jiddischen Überlieferung innerhalb und außerhalb der Bibelübersetzungssprache auf denselben Lemmabestand hin und auf mögliche Alternativen dazu systematisch zu exzerpieren. Durch diese allmähliche Vervielfältigung der Materialbasis wirkt jetzt zwangsläufig MM in der endgültigen Darstellung fast nur noch wie ein Text unter vielen. Die Dokumentation der Bibelübersetzungssprache selbst beginnt jetzt mit den beiden großen Handschriften R9 und R13, die zu den ältesten überhaupt erhaltenen zählen (s. unten S. 45f.). 38 Großzügigerweise stellte uns ferner Walter Röll aus seinem Forschungsunternehmen, das die Aufarbeitung der jiddischen Hiobtradition zum Ziel hat, die Datei zur Hiobparaphrase von 1578/79 lange vor deren Veröffentlichung (Brünnel / Fuchs / Röll 1996) zur Verfügung und beantwortete bereitwillig Fragen zur sonstigen Hiobtradition (vgl. jetzt Röll 2002). Eine weitere Perspektive eröffnete sich in den letzten Jahren dadurch, daß Simon Neuberg im Zusammenhang mit einem eigenen Forschungsvorhaben entscheidend wichtige und umfangreiche Texte früher jiddischer Erzählprosa - unter anderem >§evet JehudoMa'esebuchZenereneMa'ese Nisim$imhass hanefes< - zur Gänze in den Computer eingab und mir die Dateien zur gezielten Nachexzerption zur Verfügung stellte. Damit wurden nicht nur Werke erfaßt, die beim Einströmen der Bibel-
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Was die Aufarbeitung der Übersetzungstradition angeht, so lassen sich bei einer mehr als fünfzehnjährigen Arbeit am selben Thema einzelne Ungleichheiten nicht vermeiden. Wir haben die Bedeutung von Lo erst spät erkannt, und M i j o haben wir überhaupt erst bei der Vorbereitung der Mailänder Ausstellung (Februar-März 1996) zum Italo-Aschkenasentum entdeckt. Beide konnten deshalb nur in einem Teil der Artikel berücksichtigt werden. Andererseits müssen wir daran erinnern, daß R9, M i j o und B M Glossare, nicht fortlaufende Übersetzungen sind - das erklärt scheinbare >Lükken< in anderen Belegreihen.
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Teil A, § 7
Übersetzungssprache in die Gemeinsprache eine entscheidende Mittlerrolle gespielt haben, sondern es wurden zugleich statistisch signifikante Aussagen möglich, die bei der Untersuchung häufiger Wörter wie etwa des Verhältnisses von sogn, re(j)dn, °sprechn u.ä. schlechthin unabdingbar sind. Chava Turniansky schließlich habe ich zu danken für eine Fülle präziser, ebenfalls computergestützter Nachprüfungen an der Sprache Glückeis von Hameln. Indem wir so zu zeigen hoffen, wieviel die im westjiddischen Bereich entstandene Übersetzungstradition - und durch welche Kanäle sie es - dem Gesamtjiddischen vermittelt hat, ist das vorliegende Buch ein emphatisches Bekenntnis zu der fundamentalen Einheit von West- und Ost-Aschkenas im Sinne vor allem von Max Weinreich (1973 = 1980 passim, speziell Großkapitel I). Für alles weitere zur Materialbasis muß auf das Quellenverzeichnis verwiesen werden.
8. Zur Sprachbenennung und zum Sprachbegriff
Im begrifflichen Rahmenwerk unserer Arbeit folgen wir grundsätzlich der Theorie der Jewish Languages, wie sie vor allem von Salomo Birnbaum und Max Weinreich ausgearbeitet worden ist.39 Demzufolge haben alle jüdischen Regionalkulturen seit der Aufgabe des Hebräischen als Alltagssprache in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bis zur Aufklärung bzw. Emanzipation des 18./19. Jhs. eine nichtjüdische Sprache adoptiert und zugleich adaptiert. Sie haben sie adoptiert aus elementaren sozioökonomischen Gründen: Denn nahezu jeder Jude mußte auch mit seiner nichtjüdischen Umgebung sprachlich kommunizieren. Und sie haben sie zugleich für den inneijüdischen Gebrauch adaptiert gemäß den vielfältigen Bedürfnissen ihrer jüdischen Kultur, Bedürfnissen, die man >religiös< nennen kann, wenn man >Religion< nicht als einen Lebensbereich neben anderen, sondern als ein alle Lebensbereiche durchdringendes und zutiefst prägendes System versteht.40 Zu dieser Adaptation gehört unter anderem, daß Elemente aus den Vor-Sprachen der betreffenden jüdischen Regionalkulturen in die neue Sprache eingeschmolzen werden, ins Jiddische also vor allem hebräisch-aramäische,41 aber auch romanische Elemente;42 weiterhin, 39
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Die Vorgeschichte dieser Theorie reicht allerdings zurück bis in die Zeit kurz nach der Jahrhundertwende; vgl. die Bibliographie bei Birnbaum 1979: 319ff., wo jedoch auch Arbeiten aufgezählt sind, die nur das Jiddische als jüdische Sprache im Blick haben. Umgekehrt fehlt dort z.B. Blondheim (1925), dessen Thema die jüdischromanischen Idiome waren, nicht aber das Jiddische. Für unübertroffen halten wir M. Weinreich 1973, Großkapitel II: Jidisch in gerem jidische lesojness; Askenas in gerem jidische ejdess (1980, ohne Fußnoten: 'Yiddish in the Framework of Other Jewish Languages'). Systematische Bilanz nach einer Vielzahl von Gesichtspunkten: Wexler 1981. M. Weinreich 1953 und 1967. Pionierwerk dieser Auffassung, aber mit technisch oft sehr unglücklicher Durchführung: Mieses 1915. M. Weinreich 1973 (und 1980): Großkapitel III, Großkapitel VII §97-113 (bzw. 7.1-7.17); Katz 1979, 1985, 1986; Timm 1987: 365-375. M. Weinreich 1973 (und 1980): Großkapitel VIII § 114-119.5 (bzw. 7.18-7.23.5); Wexler 1988 (unterschätzt meines Erachtens die rom. Ingredienzien des frühen Jiddisch merklich); Timm 1987: 361-365. - Dazu kommen, im wesentlichen ösüich der Elbe-Saale-Böhmerwald-Grenze, slavische Elemente, soweit sie, vom Jiddischen aus gesehen, jüdischen Vorsprachen entstammen können. Inwieweit das der Fall sein kann, ist die wohl strittigste Frage der gegenwärtigen Jiddistik; vgl. oben § 2 Anm. 8.
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daß teils schon im Lexikon, teils durch psychoostensive Zusätze - vor allem formelhafte Wunschsätze und dgl. - die Verbundenheit mit den jüdischen Werten und die Distanzhaltung gegenüber nichtjüdischen Begriffen ständig zum Ausdruck gebracht wird;43 ebenso, daß die ideologisch-sprachästhetischen Vorstellungen der nichtjüdischen Umgebung von Sprachrichtigkeit oder Hochsprachlichkeit großenteils ignoriert werden, so daß die Sprache der inneijüdischen Kommunikation formal weit freier vor sich hinwächst,44 während umgekehrt vor allem im Lexikon sich auch Archaismen halten können; schließlich, daß geographische Ausgleichsprozesse dank innerjüdischer Sprecher- und Sprachbewegungen ganz anders verlaufen als in der nichtjüdischen Umgebung.45 Zusammengenommen bewirken diese Faktoren eine Entfernung der jüdischen Internsprache von der nichtjüdischen Ausgangssprache - beim Jiddischen also vom Deutschen - nicht nur relativ schnell in Wortschatz und Stil, sondern langsamer auch in Phonemik, Morphemik und Syntax. Birnbaum und Weinreich sind so weit gegangen, den jüdischen Internsprachen durchweg eigene Namen zu geben, z.B. Jahudisch - die jüdischen Varietäten des Arabischen, Zarfatisch (Birnbaum) bzw. Western Loes (M. Weinreich) = die jüdischen Varietäten des Altfranzösischen und eben Jiddisch = die jüdische Umprägung des Deutschen, wie sie bis zur Emanzipation die Muttersprache a l l e r Aschkenasen war. Erst seit der Emanzipation gehen diese Jewish Languages zurück, weil die Juden sich nun entweder den reinen Formen der Landessprachen oder aber - zunächst zögernd, dann äußerst intensiv - der Wiederbelebung des Hebräischen zuwenden. Dieser Birnbaum-Weinreichschen Theorie kann man zwar im einzelnen viel entgegenhalten, etwa daß der sprachliche Sondercharakter der latein-
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M. Weinreich 1973 (und 1980): Großkapitel III; Timm 1990. Schon die Septuaginta schockierte durch ihre Sprache nichtjüdische Griechischsprecher, Blondheim 1925: CXXII. Noch auffälliger ist die Erscheinung natürlich bei denjenigen Jewish Languages, deren nichtjüdische Pendants in ihrer schriftlichen Tradition notorisch konservativ sind; so beim Jüdischgriechischen des 16. Jhs. (vgl. z.B. Belleli 1890: 289 und passim; Goldschmidt 1958: 131) und beim Jüdischarabischen des Mittelalters (Blau 1981 passim). Aber auch beim Jiddischen ist diese >praktizistische< Haltung recht früh zu erkennen, Timm 1986 passim, 1987: 403-405,421-427. - Selbst Philologen, die sich von der Theorie der Jewish Languages energisch distanzieren, finden in den von ihnen untersuchten Werken >populäre< Züge, die in der zeitund raumgleichen christlichen Überlieferung nicht oder nur sporadisch zu finden sind. Für Italien vgl. z.B. Berenblut 1949: 200ff. (wo auch Archaismen, Dialektalismen und Reichtum der Wortbildung dem Begriff popular subsumiert werden, vgl. die Ausdrucksweise 200, 209, 210). Für das mittelalterliche Frankreich: Banitt 1972: 111, Abschnitt 7.24.223 Langue parlee. Timm 1987: 435-457.
Zur Sprachbenennung und zum Sprachbegriff
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sprachlichen Juden nur relativ schwach ausgeprägt gewesen sein kann 46 oder daß die italienischen Juden schon zur Zeit Leone Modenas bei reinem Italienisch (plus einem gewissen, fakultativen Sondeijargon) angekommen waren. 47 Abgesehen einmal von ihrer hebräisch-aramäischen Komponente, scheinen auch uns die meisten dieser Idiome außer dem Jiddischen den Status eines communal dialect (religiös-ethnisch definierten Sozialdialekts) der Ausgangssprache nicht zu überschreiten. Insbesondere halten wir es für wahrscheinlich, daß ein heute nicht mehr bestimmbarer, aber beträchtlicher Teil ihrer Sprecher ihre jüdischen Spezifika im Verkehr mit Nichtjuden überhaupt >abschalten< konnte. Wir benutzen deshalb außer für das Jiddische (zu ihm s. unten) die von Birnbaum (z.B. 1979: 7f.) abgelehnten »Jüdisch-Plus«-Namen. Andererseits hat die Theorie aber auch dazu geführt - so kürzlich beim Idiom der georgischen Juden 48 - , daß beträchtliche sprachliche Spezifika jüdischer Regionalkulturen überhaupt erst wahrgenommen wurden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde tut der Jiddist gut daran, grundsätzlich für diese Theorie zu optieren: Sie macht feinhörig für Unterschiede gegenüber dem Deutschen. 49 Versteht man hingegen auch die Sprache der vor-emanzipatorischen Aschkenasen von vornherein als eine Varietät des Deutschen, so führt das leicht dazu, daß Unterschiede, die im rezenten Jiddisch fortleben, durch belanglose Einzelerklärungen heruntergespielt oder überhaupt übersehen werden. Nun braucht die Auseinanderentwicklung zweier Sprachen - bzw. hier einer Sprache und der quantitativen Hauptkomponente einer anderen Sprache - selbst im Optimalfall geraume Zeit. Und vor allem, was man nicht genug betonen kann: Sie ist ein statistischer Prozeß, kein binärer Allesoder-Nichts-Prozeß. Beim Jiddischen und Deutschen kommt hinzu, daß das Jiddische praktisch zu allen Zeiten unter dem Druck des demographisch übermächtigen Deutschen gestanden hat. Jeder, dessen Leseerfahrung im Jiddischen über die Textbücher des 20. Jhs. hinausgeht, weiß, daß nur relativ wenige deutsche Lexeme und Redewendungen eine so evidente christliche Färbung tragen, daß man ganz sicher sein darf, sie nicht plötzlich als sporadische Einsprengsel in einem jiddischen Text anzutreffen. In manchen
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Direkte Zeugnisse gibt es fast gar nicht, und auch wenn man den Auffassungen Blondheims (1925) von der gemeinsamen Grundlage der jüdischromanischen Bibelübersetzungssprachen sehr wohl positiv gegenüberstehen kann, lehnen heute die meisten Forscher seine weitere Hypothese vom jüdischen Einfluß auf die Vetus Latina ab. Vgl. etwa das Fazit der Untersuchungen von Berenblut (1949) oder Freedman (1972). Ben-Oren / Moskovitz 1987. Ihren vielleicht größten Triumph in diesem Sinne hat sie übrigens, schon lange vor ihrer modernen Ausformulierung, in dem Werk von C. W. Friedrich (1784) gefunden, einem der großen Meilensteine aller deskriptiven Sprachwissenschaft, auf das nicht oft genug verwiesen werden kann.
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jiddischen Texten ist vielmehr die Haltung gegenüber dem Deutschen fast ebenso offen wie in manchen deutschen Texten des 17./18. Jhs. die Haltung gegenüber dem Französischen: In jedem Augenblick können nahezu beliebige Wörter und Wendungen der anderen Sprache als aVollständigkeitnur< statistischer Natur, aber wie sich allmählich herumgesprochen haben sollte, sind Regularitäten - in den Gegenstandsbereichen sowohl der Natur- wie auch der Humanwissenschaften fast immer >nur< statistischer Natur: Es sind signifikante Abweichungen von der Gleichverteilung / Nullhypothese / maximalen Entropie. So ist auch Sprache grundsätzlich eine >Struktur mit unscharfen RändernThe Ashkenazic scriptsaschkenasisch< auch subsumiert, was Birnbaum 1954-71 >zarfatisch< nannte: »The Ashkenazic type was employed in medieval Germany, central and northern France, England, and later, following the lewish settlement eastward, in central and eastern Europe.« Einige stilistische Unterschiede zwischen »the French and the German script« seien zwar zu beobachten, aber gegenwärtig noch nicht klar genug >zu definieren und zu präsentieren^ Es besteht keinerlei Grund, ihre Echtheit zu bezweifeln. Vgl. Timm 1986 passim; Banitt 1985: 145f.
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wichtigste Gebertradition. Erstens kann man ihr und anderen jüdischromanischen Traditionen doch wohl mit Blondheim (1925) einen gewissen gemeinromanischen Wurzelgrund aus Spätantike oder frühestem Mittelalter zuschreiben. Zweitens war in den mittelrheinischen Zentren jüdischer Gelehrsamkeit das frankophone Element schon vor Raschis Kommen sehr stark53 und blieb bei der geistigen Elite dominierend bis ins 13. Jahrhundert.54 Drittens hat Raschi selbst einen herrschenden Einfluß wie auf die französische Tradition (Banitt 1985), so auch auf die jiddische Tradition ausgeübt. Viertens geht aber auch nach Raschi bis zur (und noch durch die) Vertreibung der Juden aus Frankreich (definitiv 1395) der Einfluß von Westen nach Osten. Exemplarisch sichtbar ist das für den Talmudbereich im Berner Kleinen Aruch von 1290, wo ein und derselbe aschkenasische Schreiber nach Möglichkeit doppelsprachlich jüdischfranzösisch und jiddisch glossiert (Timm 1977), und für den Bereich der Bibel in dem jüdischfranzösischen Glossar F = G 2 (Leipzig 1099) des 13. Jhs., das im frühen 15. Jh. noch eine jiddische Spalte erhielt.55 Wir werden deshalb in diesem Buch recht oft bei der jüdischfranzösischen Tradition anzusetzen haben. Da sind erstens die materiellen Anleihen, der Hauptteil der >romanischen Komponente< des Jiddischen. Unser Buch zeigt in den Bemerkungen zum s-Plural (s. unten § 26), zu önkil (S. 139ff.), zu tötschen (S. 595f.) sowie in den Artikeln aljander, antspojsn, brotern, farlantert, flank, Jipt(e)n, kirt(e)n, kolner, lejenen, loml, lomp (s.v. licht), madregol, mer(ge)wirz,
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Zu den Überlieferungen über die zentrale Rolle der Familie des R. Abbun des Großen »aus Le Mans« vgl. M. Weinreich (1973: § 93 bzw. 1980: 6.6), freilich auch Grosman (1981: 86ff.). Die beiden Genealogien der Kalonymiden »aus Lucca« und der Abbuniden »aus Le Mans« bleiben trotz aller fraglichen Einzelheiten die mentalitätsgeschichtlich charakteristischsten Dokumente für das Selbstverständnis des hochmittelalterlichen Aschkenasentums bezüglich seiner Wurzeln; keine Familie behauptete, aus Konstantinopel, Kiew oder dem Chasarenreich zu stammen. - Jüdischfranzösische Glossen in nicht unbeträchtlicher Zahl enthält schon der >Quntres Magenz.a< zum Talmud, der jedenfalls essentiell vor-raschianisch ist, wie viel oder wie wenig darin auch von R. Geräom Meor ha-Gola persönlich stammen mag; vgl. Grosman 1981: 165-174. Edition der Glossen von Brandin 1901. - Von Raschis Lehrern muß mindestens sein Wormser Hauptlehrer Jizhaq ha-Levi aus Vitry (Grosman 1981: 270f.) frankophon gewesen sein. Von seinem Mainzer Lehrer Jizhaq b. Jehuda mit dem Beinamen Zarfati ist das trotz gewisser, eher theoretischer Zweifel Grosmans (1981: 300f.) immerhin wahrscheinlich.
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Güdemanns berühmte Demonstration dieses Faktums (1880: 114 und 273-280) ist wenigstens für die schreibende Elite prinzipiell richtig, wird aber begrenzt dadurch, daß jedenfalls vor 1272/73 das Gros oder die Gesamtheit der mittelrheinischen Juden zu ihrer neuen Muttersprache auf deutscher Grundlage, die wir heute retrospektiv Jiddisch nennen, übergegangen war (M. Weinreich 1963/64, Röll 1966). Paläographische Datierung nach Birnbaum 1964: 525 (»um 1425«). Näheres dazu s. unten § 10.
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Altjiddische und jüdisch-altfranzösische Bibelübersetzungstradition
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milgrojm, or(e)n, pen, pintl, pilzl, post, prejen, present, rojtflejsch (zu eiwd'), rosl, stirdisch, taiwlskojt (zu galme/galbdne), tejtl, tempi, tolm und wermil, daß diese Komponente reicher war, als man bisher glaubte, und zwar von Anfang an. Sie ist also mit Sicherheit eine vordeutsche im Sinne von Max Weinreich (1973 = 1980 passim, speziell Großkapitel VII), nicht eine adstrathafte im Sinne von Paul Wexler (1988 passim, speziell S. XVÜ). Wichtiger noch ist aber die semantische Abhängigkeit: Oft versteht man die jiddische Lösung eines Übersetzungsproblems, sobald man die jüdischromanische, speziell die jüdischfranzösische Lösung kennt; vgl. unsere Bemerkungen zur Übersetzungstechnik der Stammesmodifikationen (unten § 30), zu rose (S. 631-635) sowie die Artikel bagitikn, bajspil, balkenen, baschwegern, bawilikn, farkrimen, farschwechn, farstopt/farstopung, fartumlen, di finfte rip, finger, flejzn, fruchpern sich (zu fruchtikn), furem/furemen, gas, gebirt, gemark, gemischechz, geweltikn, hejlikejt, iblen, kestikn, kinigl, klogerin, koln/kolung, kuperner stern, lajtselik, lernen, logl, macht Rasi, mojlschlos, ojssprejtung, onbajsn, polisch, preglen, schechtn, schuldikn, spanbet, sterk/stark, strofn, stundn/stindlen (Vb.), taks, trogn, umkajschn (zu onbrejterin), widerspenikn, widerwaksung. Nun ist das Studium der jüdischfrz. Tradition in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich von Menahem Banitt betrieben worden in zwei musterhaften großen Editionen (C = G1 und F=G2 von 1972 bzw. 1995-2001), einer Monographie zu Raschi (1985) sowie mehreren programmatischen Aufsätzen (1963, 1966, 1967, 1968, 1972, 1974, 1988). Während wir über die Traditionswege und über viele Einzelstellen von Banitt reiche Belehrung empfangen haben, die wir dankbar anerkennen, bleibt ein grundsätzlicher Unterschied. Banitt besteht nämlich darauf (am kompromißlosesten und detailliertesten 1963 passim), daß die Sprache dieser Tradition nicht mit Birnbaum >zarfatisch< oder mit Weinreich >westliches Loesjüdischfranzösisch< (judeo-frangais) zu nennen sei, sondern daß sie schlicht >französisch< sei. Entsprechend nennt er (1995: X) die jüngere Glossenschicht in F=G2 >deutschjiddisch(jüdisch-)deutsch< zu nennen. Denn ihr Sondercharakter
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manifestiert sich ja zunächst in denjenigen Dimensionen der Sprache, die vom traditionellen und noch vom klassisch-strukturalistischen Standpunkt aus als eher peripher gelten müssen (Alphabet, Graphemik; Anwesenheit quantitativ minoritärer Komponenten; Idiomatik und sonstige Lexik) und erreicht erst ganz allmählich jene weniger ideologieträchtigen instrumenteilen Bereiche (Phonemik und Morphemik der deutschen Hauptkomponente), die Traditionalisten und noch Strukturalisten als zentral anzusehen pflegen (dazu ausführlich Timm 1987: § 47-50). Da die jiddische Überlieferung nun aber nicht abbricht, sondern eine bruchlose Geschichte bis ins rezente Jiddisch hat, erkennen wir zwangsläufig auch den frühen Unterschieden einen anderen Stellenwert zu, was uns insbesondere aus einer pragmatisch-kommunikativen Sprachauffassung heraus nicht schwerfällt. Damit tun wir philologisch nichts Ungewöhnliches. Bräche z.B. die Überlieferung der niederländischen Sprache 1395 ab, so wäre es sehr schwer, in dieser Sprache etwas anderes zu erkennen als die westlichsten Dialekte eines zusammenhängenden niederdeutschen Sprachgebiets, zumal die Sprecher ihre Sprache dietsch nannten (wie die Aschkenasen die ihre dajtschl). Aber da sie eben nicht abbricht, ist sie heute zu erkennen und anzuerkennen als der genuine Vorläufer des heutigen Niederländisch, als Mittelniederländisch. Es ist nicht nur das kulturelle Recht der niederländischen Sprachgemeinschaft, diese terminologische Anerkennung einzufordern; vielmehr erhalten jetzt frühe Spezifika auch im technisch-linguistischen Sinne einen neuen Stellenwert zur Gegenwart hin. Diese unterschiedliche Grundeinstellung, die aus dem so unterschiedlichen Schicksal des Jüdischfranzösischen und des Jiddischen resultiert, führt nun auch in den Einzelfragen zu einer gegensätzlichen Ausnutzung des Interpretationsspielraums. Da Banitt keine altjiddischen Gegebenheiten diskutiert, müssen wir eine kleine Grenzüberschreitung im umgekehrten Sinne wagen. Zu den Einzelwörtern »consideres naguere comme particuliers au domaine soi-disant judeo-frangais«, die Banitt jetzt als Archaismen erklären will, zählen auch bandir/bendire und madoyr/meldoir (1972: 1.111). 'Segnen' (lat. benedicere) führt in jüdischfranzösischen Texten durchweg auf Formen mit -d- (11 Belege bei R. Levy, Tresor s . w . bendire, bendizor, benei'gon·, dazu der Name Bendit vom 12. Jh. bis zum heutigen Familiennamen; zwei Gegenbelege nur in der Ableitung benei'gon, R. Levy, Tresor s.v.). Die Formen mit -nd- sind die lautgesetzlich zu erwartenden, da in so günstigem Lautkontext frühe Synkope des -e- zu erwarten ist. In der normalfranzösischen Überlieferung jedoch blieb dieses -e- unerwartet lange erhalten, so daß -d- intervokalisch fiel: altfrz. bene'istre oder mit Konjugationswechsel benei'r, dazu der Name Beneeit > neufrz. benir (samt de l'eau benite), Benoit. Pope (1952: § 961) führt die lange Erhaltung des -e- auf kirchenlateinischen Einfluß zurück (man denke speziell an das in
Altjiddische und jüdisch-altfranzösische Bibelübersetzungstradition
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jeder Messe prominent hörbare benedictus) - sicherlich zu Recht, da ja dadurch e contrario auch das jüdische -nd- erklärt wird. Banitt ist nun auf die -nd-FoTm auch in zumindest einem nichtjüdischen Text gestoßen: »se retrouve dans des textes non juifs de langue d'oi'l: Modus, glossaire: bendit 'beni'.« (1972: 1.127) Da aus soziokulturellen Gründen eine sekundäre Übernahme des Wortes aus jüdischem in christlichen Gebrauch kaum vorstellbar ist, muß dieses sporadische christliche bendit in der Tat als Archaismus gewertet werden und kann einst weiter verbreitet gewesen sein, zumal sich auch im Altprovenzalischen okkasionell bendir 'louer, approuver' findet. Aber damit hat sich doch die Vorkommensstatistik (und damit das synchronische Sprachbewußtsein) um und nach 1200 im französischen Sprachgebiet kaum geändert. Essentiell ist und bleibt dort bendit ein Wort der jüdischen, ben(e)i(t) eines der christlichen Überlieferung. Auch die Auseinanderentwicklung des Jiddischen und des Deutschen besteht ja zu einem beträchtlichen Teil darin, daß linguistische Entitäten in einer von beiden Sprachen veralten (wir werden passim darauf zurückkommen); sie ist aber doch deshalb nicht weniger real. Noch etwas krasser liegt der Fall von meldoir 'ecole (rabbinique)' samt meider 'enseigner, etudier, mediter'; jüdisch-südromanische Verwandte des Verbs bedeuten etwas breiter auch 'lire n'importe quoi en hebreu', 'reciter des prieres pour le salut de son äme' u. ä. Das Verb geht über lat. meletare (dürftig belegt in den Komposita com-, pro-, praemeletare) zurück auf griech. μελετάν, das in interlingualer Paronomasie aber auch Π1Π, nittf und lltff wiedergibt (Blondheim 1925: § 92 samt Additions, R. Levy 1960: § 556, Banitt 1985: 80, 126) - also einen sehr zentralen Begriffskomplex des rabbinischen Judentums. Entsprechend imposant ist die Bezeugung in jüdischen Texten. Der Wortstamm erscheint griechisch schon in der Septuaginta und war noch um 1900 in den synagogalen Gesängen von Korfu zu hören; er erscheint jüdischitalienisch schon im >Maqre Dardeqe< des 15. Jhs. und noch im 19./20. Jh. bei den Juden von Triest, Florenz, Modena, Ferrara, Verona, Görz; jüdischfranzösisch in den Glossaren C = G1, F=G2, A=G4, E = G5, dem Wörterbuch G = D2, zwei liturgischen Dichtungen und einzelnen weiteren Texten; bei den provenzalischen Juden noch im 20. Jh. in Nice, Avignon, Aix, Carpentras, Cavaillon; in einem jüdischkatalanischen Manuskript des Mittelalters; bei den Sefarden schon 1432 und gegen 1488 in Spanien, dann in der Zerstreuung jüdischportugiesisch vom 17. bis 20. Jh. in Amsterdam, jüdischspanisch im 19./20. Jh. z.B. in Paris, Bordeaux, Livorno, Saloniki, Jugoslawien, Istanbul, Jerusalem und USA. Die nichtjüdischromanische Bezeugung ist sehr schütter: im Logudoresischen (Nordsardinien) und Languedokischen mit starker semantischer Umbiegung, im Katalanischen (aber dort als Entlehnung aus dem Judentum) und, von R. Levy entdeckt (1960 loc.cit.), einmal im anglonormannischen Altfranzösisch bei Bozon um 1320. Auf letzteren Beleg stützt sich Banitt
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Teil A, § 9
(1972: 1.111 und 150), um die Wortfamilie zum normalfranzösischen Archaismus zu erklären. Wenn er recht hat, steht es mit ihr wie mit bendit. Aber daß im christlichen Schulbetrieb ein Wort griechischer Etymologie von den Anfängen bis 1320 unsichtbar bliebe, um danach gleich wieder unsichtbar zu werden, ist wenig glaubhaft. Vor allem benutzt Bozon das Wort, wie schon Levy gesehen hat, ironisch-pejorativ ('ich werde dir eine Lektion verpassen / die Leviten lesen'), das spricht für eine okkasionellumgangssprachliche Entlehnung aus dem Judentum. Aber wenn nun ein jüdischromanisch breit belegtes Wort in den nichtjüdischen romanischen Sprachen überhaupt nicht zu belegen ist? Etwa täme/talme '(speziell Hochzeits-)Baldachin' (< griech. θάλαμος; Blondheim 1925: § 151). Daß das Wort im Mittelalter ausschließlich in jüdischen Quellen bezeugt ist, erfahren die Leser von Banitts C = G1-Ausgabe nur, wenn sie dem Verweis auf Blondheim folgen. Banitt selbst (1972: 1.111) nennt es einen »occitanisme«, einen »terme d'origine [!] occitane«, der aus den »ecoles provengales« in »la traduction des Juifs du Nord« gelangt sei. Aber ist »occitanisme« nicht ein merkwürdiger Ausdruck für ein Wort, das im normalen, nichtjüdischen Okzitanisch/Provenzalisch gar nicht vorkommt? Und was an dem Wort beweist eigentlich eine Wanderung von Süd- nach Nordfrankreich? Weshalb kann man es nach den von Blondheim zusammengetragenen Materialien nicht für gemein-jüdischromanisch von Anfang an halten? Und schließlich: Woher wissen wir, daß das Wort auf die Sphäre der traduction beschränkt blieb? Eine huppa gab es bei jeder jüdischen Hochzeit, und sei es in symbolisch-sublimierter Form. Wo wird diese huppa anders genannt als eben huppa oder °talme1 Auch bei den rezenten provenzalischen und sefardischen Juden bezeichnet das griechischstämmige Wort ja einen materiellen Hochzeits-Sitz des Paares oder doch der Braut. Und aus jiddistischer Perspektive dürfen wir hinzufügen, daß sich einer unserer ältesten Belege nicht in einer Bibelübersetzung findet, sondern in dem poetisch hochstehenden >Gan-EdenAnfänge< der jiddischen Bibelübersetzungstradition
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Weitaus kritischer stehen wir Versuchen gegenüber, Prosaquellen unseres Typs oder gar deren supponierte Vorstufen mit Hilfe der deutschen Komponente und mit den Mitteln der deutschen Sprachgeschichte zu datieren, wie dies (ohne Angabe von Gründen) insbesondere Staerk / Leitzmann passim tun. Daß dabei chronologische Erkenntnisse vom Deutschen kurzerhand auf die deutsche Komponente des Jiddischen übertragen werden, mag für die hier interessierende frühe Zeit noch leidlich angehen. Aber auch die deutsche graphematisch-phonematische Entwicklung des Spätmittelalters ist teils zu wenig durchgearbeitet, teils an Überschneidungen und Zwischenstufen zu reich, um hier eine große Hilfe sein zu können. Morphemik und Syntax wiederum sind sogar nach fast allgemeinem Konsens für Datierungszwecke wenig ergiebig. Bleibt der Wortschatz - doch in der deutschen Lexikographie ist gerade die Zeit etwa von 1280 bis 1500 gegenwärtig, wo vom Frühnhd. Wb. erst der kleinere Teil erschienen ist,60 noch am stiefmütterlichsten behandelt. Und da es bei der jetzt interessierenden Problemstellung essentiell um das Verschwinden alter Wörter, also um Feststellungen ex silentio geht, hätten nicht Einzellexeme, sondern allenfalls statistisch nennenswerte Bündel von Lexemen eine gewisse Aussagekraft. Bleiben Paläographie und Wasserzeichen als Datierungsmittel der erhaltenen Handschriften und damit des >Sichtbarwerdens< der Tradition. Die wissenschaftliche Paläographie der hebräischen Schriften im hier gemeinten Sinne beginnt erst mit Birnbaums seit 1928 vorbereitetem zweibändigen >The Hebrew Scripts< (1954-1957 und 1971), das einen sehr beträchtlichen Teil seines Lebenswerks ausmacht und unseres Erachtens in der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Schlüsse neue Maßstäbe für alle Paläographie, nicht nur die jüdische, setzt.61 Wenn das gigantische Thema die Kraft eines Einzelnen auch schon bei der Materialsammlung zu übersteigen drohte, wenn man sich weiterhin heute das Belegnetz chronologisch - und zumindest im aschkenasischen Bereich auch geographisch - dichter wünschen mag und wenn Birnbaums Methode der zeitlichen Eingrenzung, obwohl logisch nahezu die einzig mögliche, gerade durch ihre in der Paläographie ungewohnte völlige Offenlegung etwas mechanisch wirken mag, handelt es sich bei den >Hebrew Scripts< um eines jener großen Werke, die
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Bis November 2003: die Buchstaben Α und B, ferner Ga - Gegense-, Gna - Groß, I - Ki-, L - Leschen. Bernheimer (1924) ist trotz des Titels eine Einführung in die Kodikologie (nicht die Paläographie) der jüdischen Überlieferung. »But not before the pioneering publication of S. A. Birnbaum's The Hebrew Scripts [...] did Hebrew palaeography become an independent discipline. One cardinal aspect of it, the typology and evolution of the script, was for the first time studied systematically« (Beit-Arie 1993: 7).
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Teil A, § 10
man eigentlich nur kritisieren kann, indem man ihre Darstellung verfeinert.62 Paläographische Datierungen aus vor-Birnbaumscher Zeit kann man demgegenüber wegen fehlender intersubjektiver Nachprüfbarkeit ihrer Grundlagen strenggenommen nur als Vermutungen bezeichnen. Ein Beispiel aus der Peripherie unseres Themas möge genügen. Die Handschrift Cambridge Trinity College F. 12.135 - ein Fragment von neun Blättern aus der Sammlung Aldis Wright, enthaltend Raschis Bibelkommentar, aber überarbeitet und mit etwa tausend jiddischen Wörtern (meist Wortübersetzungen) durchsetzt - wurde von Loewe (1926: Nr. 94) datiert auf »Cent. 13-14 [...] The Ms. is old, perhaps of the 13th century.« M. Weinreich (1928: 141) sagt von der Handschrift, sie sei lojt Loves opschazung fun 13-14tn j"h, enthält sich aber (wie er es in paläographischen Fragen auch sonst zu tun pflegt) eines Urteils. Auch Bar-El, der die Handschrift 1992 als >Sefer Pitronot Rashi< ediert hat, übernimmt Loewes Datierung ohne jede paläographische Diskussion, bezeichnet den erhaltenen Text auch aufgrund seiner eigenen inhaltlichen Analyse als sechs oder sieben Jahrhunderte alt und hält eine Vorstufe des 12. Jhs. für nicht unwahrscheinlich (1992: 11 f., 15, 140-142). Nun hatten wir uns vor etwa zwanzig Jahren eine Photokopie der Handschrift besorgt, und da damals in Jiddistenkreisen gelegentlich die Vermutung zu hören war, die Handschrift stamme aus der Kairoer Genisa (wovon weder Loewe noch M. Weinreich etwas wissen, was aber jetzt bei Bar-El 1992: 12f., 140 ohne Nachweis als Faktum vorgetragen wird), erkundigten wir uns bei Mr. McKitterick, Bibliothekar des Trinity College, nach der Möglichkeit einer solchen Herkunft. Mr. McKitterick zog Dr. Stefan Reif, den Experten der University Library für ihre Genisa-Dokumente, zu Rate und schrieb uns am 2.3.1988: »[Dr Reif] thinks it highly unlikely that it is from the Genizah, and also suggested that it dates from perhaps two hundred years after Loewe thought.« Wir selbst haben nach den Kriterien von Birnbaum (1971: 305-308) den Eindruck, daß die Handschrift um 1400 geschrieben ist,63 möchten aber vor allem zeigen, mit welchen Unsicherheitsspannen man bei einigen Texten noch immer zu rechnen hat, wenn es um das > Sichtbarwerden der Tradition geht. Nun zu den paläographischen Datierungen von Birnbaum. Die frühen für unser Thema relevanten Handschriften hat er 1964 (: 525) bzw. 1979
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Reichliche Materialien dafür hat inzwischen das 1965 begründete israelisch-französische Gemeinschaftsprojekt zur hebräischen Paläographie publiziert: Sirat / Beit-Arie 1972-86. Doch liegt bis heute der Schwerpunkt der Projektarbeit bei der Kodikologie, noch nicht bei der Paläographie im engeren Sinne; vgl. Beit-Arie 1993 passim. Unter anderem sind die Durchschnittsformen von He, Schluß-Mem und Pe etwas jünger als in der Cambridger Hs. von 1382/83.
Die >Anfänge< der jiddischen Bibelübersetzungstradition
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(151 ff.) zusammengestellt. Demnach stellt sich das Sichtbarwerden der Überlieferung etwa in nachstehender Reihenfolge dar: R9: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Reuchlin 9 (= Kat. Nr. 7), Pergament, 373 Bll., Glossar zur ganzen Bibel: »Ende 14. Jh.« bzw. »um 1400« (Birnbaum 1979: 151, 1964: 525).64 Der Schriftduktus ist nicht leicht lesbar, doch die Anlage in Doppelspalten übersichtlich. Das Manuskript ist von zwei Händen geschrieben: Teil I bricht in IS 12 ab, Teil II beginnt erneut mit Jos, so daß Jos, Ri und IS 1-12 in zwei verschiedenen Fassungen vorliegen (die erste kürzer). Die Schreiber beider Teile haben extrem ähnliche Schriften. Auch die äußere Anlage beider Teile ist verblüffend ähnlich (durchgehend 29 Zeilen je Spalte). Man darf die ganze Handschrift als paläographisch gleich alt ansehen. Das gesamte Glossar ist im hebräischen Bibeltext und im jiddischen Text essentiell gleichzeitig von einem, vielleicht mehreren Punktatoren vokalisiert - außer im ersten Durchgang von Jos bis IS 12. Die Punktation paßt oft sehr schlecht zum jiddischen Konsonantentext; wir werden sie beim Zitieren der Belege grundsätzlich ignorieren. Der Schreibort ist am ehesten im linksrheinischen niederalemannisch-fränkischen Übergangsgebiet zu suchen (vgl. Heide 1974: 289-302, speziell 301 f.). R9 ist als das umfangreichste und wohl älteste hebr.-jidd. Glossar für uns die wichtigste Quelle der frühen Übersetzungstradition. Es wurde deshalb vollständig durchgearbeitet. Bln701: Staatsbibliothek zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz, Ms. Or. Qu. 701, Pergament, Teil Α (bis fol. 75 v), Glossar zu Ps, Pr, Hi, 1,2 Ch, Dn, Esra: »Ende 14. Jh.« bzw. »um 1390« (Birnbaum 1979: 151, 1964: 525).65 Auch hier wird Dip1?« (Pr 30.31, fol. 38v) als Initialenfolge gedeutet, aber als Atölf, Lutwik, Karl, Wenzel, Mosiah.
Die Prophezeiung kann
also nur bis kurz nach der Absetzung Wenzels als deutscher König (1400) formuliert worden sein, und diesmal stimmt dazu die Paläographie; man braucht kein unkritisches Abschreiben anzunehmen.66 Doch ist die Handschrift für unsere Zwecke nicht vorrangig wichtig, da sie nur die Hagiographen enthält, die nicht zum Hederpensum gehören. Außerdem ist sie unübersichtlich dadurch, daß Textworte und Interpretamente in der gleichen Schrift fast ohne weitere Gliederungsmarken einander folgen. Wir haben sie nur okkasionell herangezogen. R8: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Reuchlin 8 (= Kat. Nr. 6), Pergament und Papier, 209 Bll., Glossar zur ganzen Bibel, fragmen-
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Genaue Beschreibung der Handschrift jetzt bei Röll 2002: 8*-14*. Auch die weiteren, von Birnbaum nicht untersuchten Teile der Handschrift (fol. 76r bis 105v) sind unseres Erachtens paläographisch nicht wesentlich jünger. Anders Röll, der aufgrund sprachlicher Kriterien eine spätere Niederschrift »nach 1450?« erwägt (2002: 26*, vgl. 87*ff. - Genaue Beschreibung der Handschrift 26*-29*).
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Teil A, § 10
tarisch (Anfang bis Ex 25 fehlt; 10 weitere Blätter verloren; Esra, Neh, 1,2 Ch fehlen): »um 1410« (Birnbaum 1964; zu Gealjas Datierung s. oben S. 42).67 Das Glossar wurde von uns nur okkasionell herangezogen. R13: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Reuchlin 13 (= Kat. Nr. 8), Papier, 485 Bll. (sehr große Schrift); fol. 23-485 zusammenhängende jiddische Übersetzung von Hi, Pr, Ps; das erste Wort jedes Verses als hebräisches Stichwort, sonst aber einsprachig jiddisch: »um 1420« (Birnbaum 1964: 525). Inzwischen ist das Datum aufgrund einer Untersuchung der Wasserzeichen durch die Bibliothek leicht zu korrigieren auf »um 1440« (Kat. Karlsruhe 1970: 2.65). Als älteste zusammenhängende jiddische Übersetzung irgendwelcher Bibelbücher ist das Korpus für uns unverzichtbar; es wurde vollständig durchgearbeitet. L: Leipzig, Universitätsbibliothek, Cod. 1099, Pergament, jüdischfranzösisches Glossar zur ganzen Bibel außer 1,2 Ch (R. Levy: F = Banitt G2), auf dessen breite Ränder eine nahezu ebenso vollständige jiddische Spalte nachgetragen ist, beides ediert von Banitt (3 Textbände 1995-2001; der Kommentar steht noch aus). Das jüdischfranzösische Glossar stammt unbestritten aus dem 13. Jh. Die nachgetragene jiddische Spalte: »1. Viertel 15. Jh.« bzw. »um 1425« (Birnbaum 1979: 151, 1964: 525).68 Als später zugesetzte Randglossen bezeichnete den jiddischen Text nach sorgfältiger Autopsie der Handschrift schon Porges (1907: 16): »Altfranzösisches Bibelglossar, doppelt wertvoll durch die am Rand von jüngerer Hand in deutsch-rabbinischer Schrift hinzugefügten deutschen Glossen.« Ähnlich Aron (1908: 831): »Die Breite des Randes benutzte nachmals ein deutscher Jude, um das Manuskript durch Hinzufügung deutscher Glossen zu den hebräischen Stichwörtern zu bereichern.« Und (832): »Zu den Büchern der Könige und Jeremia (fol. 59a-77a) findet man außerdem zahlreiche hebräische Bemerkungen von einer andern Hand, die in dem jüngeren Schriftduktus und der helleren Tintenfarbe mit der des deutschen Glossators übereinstimmt, mit dieser aber nicht identisch zu sein scheint. Der deutsche Glossator fand, wie aus der Anordnung seiner Glossen hervorgeht, die Zusätze dieser Hand schon vor.« Wir schließen uns diesen Einschätzungen, insbesondere der Birnbaums, nach Studium der Handschrift am Film ausdrücklich an. Daß der jüdischfranzösische Erstschreiber breite Ränder ließ, kann grundsätzlich höchstens beweisen, daß er späteren Besitzern Randnotizen ermöglichen wollte, nicht aber, daß er schon mit einer weiteren, fremdsprachlichen Textspalte rechnete. Auf den Faksimiles in Banitts Edition zeigt insbesondere (vorn in Bd. I) die Verteilung der jiddischen Edelstein-Namenreihe klar, daß der Erstschreiber nicht schon Rücksicht auf einen Übersetzerkollegen nahm. Anders Banitt (1966: 22f.). - Während 67 68
Genaue Beschreibung der Handschrift jetzt bei Roll 2002: 15* -20*. Genaue Beschreibung der Handschrift jetzt bei Röll 2002: 20*-25*.
Die >Anfänge< der jiddischen Bibelübersetzungstradition
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der Exzerptionsphase stand die Ausgabe Banitt noch nicht zur Verfügung. Doch haben wir etwa hundert Belegstellen noch eingearbeitet. Mün391: München, Bayerische Staatsbibliothek, Chm 391: Obwohl unseres Wissens von Birnbaum nirgends erwähnt, ist dieser hebräische, aber sehr dicht mit jiddischen Glossen durchsetzte Kommentar zu Jesaja und dem Dodekapropheton (Grünbaum 1882: 25-53, Staerk / Leitzmann 1923: 15-22) hier anzuschließen, weil er inzwischen nach den Wasserzeichen auf 1415-1440 zu datieren ist (Heide 1974: 8). Von uns nur gelegentlich zitiert. Lo: London, British Library, Cod. Add. 18694, Papier. Übersetzung der Tora. Haupthand paläographisch »1. Hälfte 15. Jh.« bzw. »Mitte 15. Jh.« (Birnbaum 1974: 69, 1979: 153); viele Blätter sind jedoch ersetzt durch eine Hand des 16. Jhs., die oft auch kommentierende Bemerkungen einschiebt. Wir zitieren nur aus dem älteren Teil. Was schließlich unsere frühesten literarischen, also nicht zur Bibelübersetzungstradition gehörigen Werke angeht, hat Birnbaum von der Cambridger Handschrift (CH), die ja auf 1382/83 datiert ist, ausführlich gezeigt, wie sich diese auch nach ihren paläographischen Kriterien ins späte 14. Jh. stellen würde (1971: 306-308). Er datierte ferner (brieflich an W.-O. Dreeßen) Chm 347, also die Handschrift des Barlaam (Bar) und der >Münchener< Esther (EM), die Steinschneider ins 16. Jh. verweisen wollte, auf das dritte Viertel des 15. Jhs.; die unabhängig davon veranlaßte Bestimmung der Wasserzeichen ergab 1460-90. 69 Während also bisher für keines der heute erhaltenen Denkmäler der Bibelübersetzungstradition ein Niederschriftsdatum vor >Ende 14. Jh.< einigermaßen definitiv gesichert werden konnte, scheinen wir aus den 50 Jah69
Unser obiges Bekenntnis zur Birnbaumschen Paläographie ist allerdings nicht ganz unkritisch gemeint - aufgrund der folgenden Erfahrung. Die Hs. Berlin Or. Qu. 310, erster Teil (= Hauptteil), Psalmenübersetzung (beiderseitig fragmentarisch: Ps 4 Mitte bis Ps 116 Mitte) enthält ein lateinisch redigiertes Vorsatzblatt (in einer Schrift der Zeit um 1500), wonach dieser Psalter im Jahre 1490 von einem Juden auf Bestellung des Propstes des Kanonikerstifts Ror geschrieben wurde. Leider versteifte sich Birnbaum trotz Kenntnis dieser Notiz auf »1410« (1964: 525) bzw. »1. Viertel 15. Jh.« (1979: 152) als paläographisches Datum. Wir haben inzwischen die (verschiedenerlei) Wasserzeichen von der Berliner Bibliothek sorgfältig prüfen lassen: Danach stammt die Hs. jedenfalls aus der Zeit nach 1470, so daß man an dem Datum 1490 nicht mehr gut zweifeln kann. Nun muß man allerdings bedenken, daß sich die Handschriften vieler Menschen während ihres Erwachsenenalters kaum noch ändern, so daß ein rüstiger Siebzigjähriger noch essentiell dieselbe Schrift wie als Zwanzigjähriger haben kann. Der Paläograph braucht da auch nicht unbedingt auf das arithmetische Mittel, den Fünfundvierzigjährigen >±25 Jahre< abzustellen, sondern könnte, die damalige Alterspyramide der Bevölkerung berücksichtigend, als Wahrscheinlichkeitsmaximum etwa auf den Dreißigjährigen > + 4 0 / - 1 0 Jahre< zielen, so daß >um 1450um 1410< noch eine paläographisch >korrekte< Einschätzung gewesen wäre.
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Teil A, § 10
ren nach 1400 sieben große solche Texte zu besitzen - und das Spektrum geht vom hebräischen, dicht jiddisch glossierten Kommentar über die Glossare (schon mit vielen Alternativangaben) bis zur zusammenhängenden Übersetzung. Die Schreiber müssen größtenteils zwischen 1350 und 1400 geboren sein, also in dem halben Jahrhundert nach den Pogromen von 1349. Nach Lage der Dinge kann man da nicht ernsthaft mit einer Blüte aus dem Nullstand rechnen. Es mußte vielmehr primär darum gehen, das wenige Gerettete durch ein (nicht sklavisches, aber doch ganz überwiegendes) Kopieren breit zugänglich zu machen, um die Weiterführung des Bibelstudiums zu sichern. Heißt das nun, daß die Tradition (als Tätigkeit) vor und nach 1349 dieselbe war? Überwiegend ja, aber wahrscheinlich nicht ganz, wie die folgende Überlegung zeigt. Denken wir uns aus M M (von etwa 1534) einmal alle jüdischen Eigenbildungen weg und betrachten nur den (majoritären) Bestand von Lexemen, die irgendwann auch im Deutschen zu belegen sind. Von der Erneuerung des Wortschatzes, die sich im Deutschen zwischen der ersten Druckbibel um 1466 und Luthers Tod 1546 vollzieht, ist darin noch nichts zu merken (wir kommen im nächsten Abschnitt darauf zurück). Andererseits sind aber in M M so gut wie keine Lexeme zu finden, die nach Ausweis von (großem und kleinem) Lexer (samt Findebuch und Frühnhd. Wb.) im Deutschen letztmalig vor 1400 belegt wären. Ein lexikalisches Zurückbleiben der jiddischen Bibelübersetzungssprache gegenüber dem gleichzeitigen Deutsch kann somit nicht wesentlich über 1400 zurückragen. Das heißt: Auch wenn die Tradition nach 1349 nie wirklich zu einem Entwicklungsstillstand gekommen ist, scheint sie sich doch vor 1349 unbefangener lexikalisch erneuert zu haben. Dazu paßt, daß Banitt (passim) ständige Erneuerung als ein Grundfaktum der jüdischfranzösischen Tradition (des 13. Jhs.) ansieht und daß auch Gealja (1969) in der jiddischen Tradition erst nach deren Frühphase ein »integrative stage« (S. 2 der englischen Zusammenfassung) ansetzt. Er läßt es essentiell mit R 9 beginnen, wir würden es geringfügig später beginnen lassen. Mit dem noch sehr flexiblen, lexikalisch also unauffälligeren Charakter der Frühphase der Tradition vor 1349 hängt es zweifellos zusammen, daß deren Stil auf die Cambridger Hs. von 1382/83, auch auf deren religiöse Gedichte, noch wenig durchschlägt. Immerhin sind hier aus dem Abrahamsgedicht zu nennen: das zweimalige sichern an 'vertrauen auf' (110, 469; ~3 nU3, Timm 1987: 381), das Verbum vruchtigen 'gedeihen' (108; s. unten den Art. fruchtikn), di gs [= 'Gottes'] er' als Inbegriff der Theophanie (448; Timm 1987: 384). Die Pogrome von 1349 führen dann in der Bibelübersetzungstradition zu einer viel stärkeren Dissoziation vom Deutschen und zu einer konservativeren, wenn auch nicht sklerotischen Grundhaltung - entfernt so, wie einst die Vorgänge des Jahres 70 den Geist der Synode von Jawne heraufführten.
11. Die Auseinanderentwicklung Jiddisch / Deutsch: auch der deutsche Zweig in Bewegung
Bevor wir uns im Detail der jiddischen Bibelübersetzungssprache und ihrer differenzierenden Wirkung gegenüber dem Deutschen zuwenden, müssen wir noch kurz die Bewegung des Deutschen selbst betrachten. Denn etwa ein Drittel des >interessanten< Materials, das wir aus MM und den anderen Quellen herausgeschält haben, entfällt auf einen Typ, den viele Germanisten bei flüchtiger Betrachtung vielleicht gar nicht zum Thema rechnen würden. Im heutigen Jiddisch und entsprechend schon in den ältesten Quellen (R9 und R13) heißt z.B. °gewinerin 'Wöchnerin' und °gewinen ain kind 'ein Kind zur Welt bringen'. Da man sich im Standarddeutschen heute nicht so ausdrücken kann, wirkt dieser Gebrauch auf den deutschsprachigen Jiddischlerner spezifisch jiddisch. Aber der Germanist wird einwenden, daß die Redensart °ein kind gewinnen auch im Ahd. (seit Otfrid), im Mhd. und noch im ersten deutschen Bibeldruck von 1466 durchaus gängig war. Um 1470 wird sie von dem ersten Nachdrucker Eggestein in der Regel durch ein kind geberen ersetzt, fristet aber bis 1518 in Kapitelüberschriften noch ein dürftiges Dasein. In Luthers Übersetzung fehlt sie dann ganz (DWb gewinnen, Sp. 5930f„ 5943f.; Kurrelmeyer, z.B. 2S 12.24 contra Überschrift zu Gn 4). Das Jiddische hat also hier und in vielen Parallelfallen im Gegensatz zum Nhd. einfach altes Gut bewahrt. (Wohlgemerkt ist dabei das mit dem älteren Deutsch Gemeinsame nur der sprachliche Fundus, nicht eine Übersetzungstradition selbst.) Dennoch gehört diese Kategorie zu unserem Thema; denn sie zeigt uns deutlich, daß die Auseinanderbewegung der beiden Sprachen auf Neuerungen nicht nur im Jiddischen, sondern ebenso im Deutschen beruht. Genaugenommen zieht sich dieser Prozeß des Veraltens im Deutschen natürlich bis in die Gegenwart hin. So wird das Verbum spreiten, dessen Entsprechung im Jiddischen, eben sprejtn, noch heute das Normalwort für 'ausbreiten' ist, auch im Deutschen Wörterbuch um 1900 noch als voll lebendig vorgeführt; heute ist es den meisten Sprechern schon unbekannt. Insgesamt jedoch zeigt sich der Veijüngungsprozeß recht deutlich schon in den Frühdrucken und erreicht dann seinen Höhepunkt in der Person Luthers.
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Teil A, § 1 1
Heutiges Standardjiddisch
MM um 1534
Deutsche Bibeldrucke 1466-1518
Luther 1545
(h)ajlik 'empfindlich (gegen Temperatur, Säure usw.; von den Zähnen)'
eilig
iligen, verilgen. erzitteren
stumpf werden
bajstidl 'Türpfosten'
bei-stüdel
beistudel, beistal, geschwel
pfosten. vberschwelle
baschafii 'schaffen'
bischafen
beschaffen, geschaffen, schaffen
schaffen
dich 'Hüfte'
dich
diech, huff
huffte, knie
farstejnen
ver-stainen
versteynen, steinen
steinigen
fingerl 'Fingerring'
vingerei
vingerlein
ring
gejeg 'Jagd'
gejeg
gejegt, geiäg u.ä.
wildbret, weidwerg
gewinen '(ein Kind) zur Welt bringen'
gewinen
(ein kind) gewinnen, geberen
(ein kind) geberen
gruntfestikn 'den Grund legen zu'
grunt-visten
gruntfesten
bereiten [seil. den Erdkreis]
ind 'Welle'
Und
vnde, vnde oder tunne, flusz
Welle
klajbn 'wählen, sammeln' [nicht pejor.]
klöuben (kloubent)
klauben
auff lesen
lajlech 'Leinentuch'
leiloch
leilach
hemd, rock, schleier
lefz 'Lippe'
lefz
leftz(e), lebs(e), lespe
lippe
lugn 'lauern'
lugin
lügen, schawen
schawen
schmekn 'riechen'
schmeken
schmecken
riechen
schnit 'Ernte'
schnit
snit
emd
senftikejt 'Glückseligkeit'
senftikait
senftikeit, senfftmutigkeit
gute
tener 'Handfläche'
tener
tener, fawst
faust
trer 'Träne'
treher
treher, zäher
threne
wejtog 'Schmerz'
wetag
wetag, siech(en)tag
[anders]
weigern 'wälzen'
weigern
weigern, welgen. bewellen
[anders]
wintschojflen 'worfeln (= Spreu vom Weizen trennen)' (Vb.)
wintschouvlen (Vb.)
windschaufel, wintfang (Subst.)
worffschauffel (Subst.)
helfandbejn 'Elfenbein'
helfen-bain
helffenbein
elphenbein
keml 'Kamel'
kernel
kemmel, kämmeltier
kame(e)l
kestikn 'züchtigen'
kestigen
kestigen
casteien
'steinigen'
Die Auseinanderentwicklung Jiddisch / Deutsch
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Zur Illustration haben wir in der nebenstehenden Tabelle Wörter zusammengestellt, die gleichzeitig mehreren Bedingungen genügen: - sie sind im Jiddischen noch heute und schon in MM vorhanden (fast alle übrigens auch schon in R9, also Ende des 14. Jhs.; Spalte 1 und 2); - sie stammen aus dem mittelalterlichen Deutsch und sind in den deutschen Bibelfrühdrucken zwischen 1466 und 1518 mindestens noch hier und da belegt (Spalte 3); - doch in Luthers Ausgabe letzter Hand von 1545 (Spalte 4) sind sie durch andere ersetzt und heute aus dem Standarddeutsch meist ganz, zumindest aber in der angegebenen Bedeutung verschwunden. Insgesamt exemplifiziert die Tabelle also eine Neuerungswelle innerhalb des deutschen Wortschatzes, wobei sich die Neuerung bei genügend langer Zeitperspektive zur Neuzeit hin auch als geographische Vereinheitlichung darstellt. Freilich wird diese Bewegung einerseits in gewissen Ansätzen schon etwas vor Luther faßbar; andererseits steht in vielen Fällen ihr Sieg auch bei Luthers Tod noch lange nicht fest, sondern wird erst in den folgenden zweihundert Jahren durch das Meißner Deutsch als sozusagen säkularisierte Fortsetzung des Lutherdeutsch entschieden. Luther aber hat jene frühen Ansätze über die Bewußtseinsschwelle gehoben und in grandioser Weise vervielfacht. In diesem Sinne darf man ihn auch heute als Zentralfigur der gesamten Entwicklung sehen. Paradoxerweise hat also der erste Verdeutscher der gesamten hebräischen Bibel den schriftdeutschen Wortschatz merklich von der gemeinsamen deutsch-jiddischen Grundlage wegbewegt.
12. Humanistische >Rekorrektur< fehlt im Jiddischen
Am Fuße der Tabelle S. 50 sind einige alte Lehnwörter angefügt. Hier halten sich in den deutschen Frühdrucken noch weitgehend die volkstümlichen Formen. Luther ersetzt sie durch die lateinnäheren Varianten elphenbein, kame(e)l, casteien; wir wollen diese Wiederannäherung an das Lateinische als >Rekorrektur< bezeichnen. Das Jiddische bleibt diesem rekorrigierenden Einfluß Luthers (und der Humanisten) so gut wie verschlossen und hat noch heute helfandbejn, keml, kestikn. Wenn man den Begriff Rekorrektur zeitlich etwas lockerer definiert, nämlich nicht gerade durch einen obligatorischen Gegensatz der vorlutherischen deutschen Bibel zur Lutherbibel, kann man noch ziemlich viele Parallelfälle für Rekorrektur im Deutschen und ihr Fehlen im Jiddischen beibringen; vgl. die Artikel aptejk, draj-okers, kest, krel, kretajer, lempert, majnster, mer(ge)wirz, mirmlstejn, palmesn, parmet, purpl, trumpltreris. Auch bei den Edelsteinnamen beruht heutiges standarddt. Hyazinth, Diamant, Jaspis und Smaragd gegenüber neujidd. jochzum/jochzung, stj. diment, jasme und schmoräk auf Rekorrektur älterer volkstümlicher Formen; vgl. im einzelnen unten S. 612f. Insgesamt zeigen diese Auseinanderentwicklungen bei Latinismen, daß das Aschkenasentum zur humanistischen Schulkultur als einer >galchischender< jiddischen Bibelübersetzungstradition im Singular. Ihre minimale Rechtfertigung fände diese Redeweise schon darin, daß die verschiedenen Teile der Tradition vielfältig miteinander verknüpft sind, die Begrenzung der Tradition nach außen aber eine klare ist. In der Tat: Gibt man eine beliebige Bibelstelle von einigen Versen Länge vor, so unterscheidet sich - mit partieller Ausnahme nur der späten holländisch-jiddischen Übersetzer Blitz und Witzenhausen - jeder jiddische Textzeuge, auch wenn man ihn in Lateinschrift und phonemisch-morphemisch unauffälliges Frühneuhochdeutsch umschreibt, noch durch Wortgebrauch und Syntax in spezifischer Weise von den christlich-deutschen Übersetzungen, selbst von den recht wörtlichen vorlutherischen. Ein Kenner der christlich-deutschen Überlieferung kann sich davon sehr einfach überzeugen, indem er die Anthologie von Staerk / Leitzmann durchsieht. Wir möchten nun bei dieser Gelegenheit gleich präzisieren, daß wir - außer wieder bei Blitz und Witzenhausen - trotz darauf gerichteter Aufmerksamkeit keinen einzigen Fall von christlichem Einfluß, etwa der Vulgata oder Luthers, haben finden können. Gewiß wird heute kein einzelner den Anspruch erheben, die christliche und die jüdische Tradition lückenlos zu überblicken. Aber was uns in dieser Hinsicht entgangen sein mag, kann nur sehr wenig und sehr atypisch sein. Insgesamt hält sich die jiddische Überlieferung von christlichen Einflüssen gedanklich wie sprachlich bemerkenswert frei. Sie steht damit in deutlichem Kontrast zu der jüdischitalienischen Überlieferung, wo allerspätestens in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. sprachliche Einflüsse der Vulgata schnell um sich greifen.70 Ebenso kontrastiert sie mit der jüdischspanischen Überlieferung: Deren erster Bibeldruck (Ferrara 1553) ist ja sogar ein lateinschriftlicher, während wir
70
Berenblut 1949: 41, 251ff., speziell 255f. - Berenblut schreibt zwar S. 256 weiter: »There is no reason to doubt [mit Blondheim 1925: XCIVf.] that similar borrowings occurred throughout the preceding centuries«, doch lassen sich dafür aus Italien anscheinend keine Belege beibringen. Was das mittelalterliche Frankreich betrifft, ist in [Berenblut-] Banitts Ausgabe von C = G1 aus dem Jahre 1972 trotz einer eindringlichen Quellenanalyse (1.179-186) von Vulgataeinflüssen nicht die Rede, ebensowenig in seinem Raschi-Buch (1985) - offensichtlich aus gutem Grund.
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Teil A, § 13
aus dem Aschkenasentum von dessen Anfängen bis mindestens ins späte 18. Jh. nicht das geringste Indiz geschweige denn ein Stück Bibelübersetzung als Beleg dafür beibringen könnten, daß ein Aschkenase sich im Verkehr mit anderen Aschkenasen der Lateinschrift bedient hätte. Spätestens nach den Pogromen von 1349 hat eben das Aschkenasentum viel systematischer als das südeuropäische Judentum Distanz gewahrt zu allem, was irgendwie >galchischgalchisch< in diesem Sinne war dann auch der Protestantismus nicht minder als der Katholizismus. Damit ist aber noch immer nichts gesagt über den Grad der Einheit oder Vielfalt innerhalb der jiddischen Überlieferung. Hier muß nun, schon um Mißverständnisse auszuschließen, als erstes betont werden, daß in der graphemisch-phonemischen Dimension die Bibelübersetzungen die normale Weiterentwicklung der jiddischen Sprache diachronisch wie diatopisch mitmachen. Sie sind eben an dieser Dimension als einer rein instrumentellen - abgesehen vom obligatorischen Gebrauch der hebräischen Schrift - im großen und ganzen desinteressiert, wollen hierin also weder patinahaftaltertümlich noch soziolinguistisch >gehoben< wirken. Deshalb wird von dieser Dimension, von einigen lexemgebundenen Fällen abgesehen, im vorliegenden Buche nur wenig die Rede sein. Von den sonstigen, den für uns jetzt relevanten Dimensionen der jiddischen Bibelübersetzungstradition kann man dasselbe sagen wie von vielen anderen kulturellen Äußerungen des Aschkenasentums: In ihnen wird eine Vielfalt in den Details gerade noch, aber letztlich verläßlich, zu einer Einheit verklammert nicht durch den Machtspruch einer Zentralinstanz (die es nicht gab), sondern durch den grundlegenden Willen praktisch aller Beteiligten, innerhalb der Tradition zu bleiben und nur hier und da nach bestem Wissen ihr Scherflein zu deren >Verbesserung< beizusteuern. So gravitiert die Tradition nicht zu einer Zentralinstanz, sondern sozusagen zu einem unsichtbaren Schwerpunkt hin. Deshalb sind hier die Quellenberufungen selten. Der Autor von M M sagt über sein Werk (fol. Ivb in fine - 2ra): das vil wort dorinen sein, di ich hab mekabel gewest vun meinen rabi s"l, un* vil noch den guten perusim ('Kommentartexte'), di man izund vind ouf gedrukt, un~ nichz vun mir selbert.
Wie man sieht, werden die Kommentare nicht spezifiziert, der Lehrer bleibt namenlos, und so wirkt die Feststellung nur wie ein allgemeines Bekenntnis der Traditionskonformität. Im Nachwort zu Elias Psalmenübersetzung beutet der Drucker Cornelio Adelkind Elia Levitas Ruf als profunder Kenner des diqduq, der Grammatik, aus, aber Elias Übersetzung selbst ist durchaus traditionell. Nur Mose Settels kann an einen großen Namen anknüpfen: er betont im Vorwort zu BM, er biete grundsätzlich die Übersetzungen, die er
Einheit und Vielfalt der jiddischen Bibelübersetzungstradition
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als Hauslehrer und gewissermaßen Sekretär bei ha-Goen maharar Hajim Vridburg (also dem älteren Bruder des Hohen Rabbi Low) niedergeschrieben habe, wenn dieser seinen Kindern Bibelunterricht gab. Im Regelfalle aber verläuft die Niederschrift überhaupt ohne Quellenberufung. Geht man nun an die Analyse der Überlieferung selbst, so drängen sich zwei gegensätzliche Beobachtungen auf. Zum einen gibt es nicht selten Textstellen - meist sind es sogar die theologisch oder sachlich profilierteren Stellen - , an denen die gesamte jiddische Überlieferung einheitlich oder nahezu einheitlich ist. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist etwa die Liste der Edelsteine am Pektorale des Hohepriesters (s. unten in Teil C die Tabelle S. 612f.). Wesentlich häufiger, sozusagen im Normalfall, liegen die Dinge zwar weniger eindeutig, aber immerhin so, daß man noch eine Art mainstream der Tradition herauspräparieren kann. Es ist dies die Aufgabe, vor der wir auf Schritt und Tritt in diesem Buche stehen. Wer sich aber auf die Schnelle einen exemplarischen Eindruck verschaffen möchte, sei verwiesen auf Birnbaum 1964, wo 9 handschriftliche und 24 gedruckte Fassungen von Psalm 6 aus insgesamt sechs Jahrhunderten zusammengestellt sind. In der jüdischfranzösischen Nachbartradition scheinen die Dinge ähnlich zu liegen, zwar nicht bei den Edelsteinen, wohl aber im allgemeinen; andernfalls könnte nicht Banitt in Wiederaufnahme der mittelalterlichen Ausdrücke TB1? oyn bzw. oVian TSJ"? (1966: 29; 1968 passim) von »la Version Vulgate« bzw. »the Vulgate Version« (z.B. 1972: 1.179; 1985: 6 und passim; 1995: XV) sprechen als einer Normalfassung, die in keinem Manuskript voll verkörpert ist (weil es in jedem Manuskript Neuerungen gibt), die aber im allgemeinen von Stelle zu Stelle ermittelt werden kann. Andererseits muß in der jiddischen Tradition aber auffallen, wie großzügig manche Quellen vom Glossar- bzw. Wörterbuchtyp - so schon R9 Ende des 14. Jhs., aber auch M M um 1534 oder BM 1602 - Übersetzungsalternativen angeben, eingeleitet meist durch X"' (= D^IDIX tf"· 'manche sagen'). 71 Man muß sich klarmachen, daß hier jeweils ein Zusammenfluß zweier Informationen vorliegt, technisch gesehen also eine Kontamination, mag sie nun mündlich oder schriftlich, im Textzeugen selbst oder in einer Vorstufe eingetreten sein. Damit muß unseres Erachtens für Handschriften und Erstdrucke die Hoffnung, die Verwandtschaftsverhältnisse durch Stemmata zu erfassen, schnell gegen Null konvergieren. An Übersetzungsfamilien mit jeweiligen Archetypen dachten zwar Staerk / Leitzmann (1923: 79, 107, tendenziell auch 115) sowie M. Weinreich (1928: 119-123). Weinreich führt an einem Beispiel vor,72 daß die Handschriften de Rossi Judaeo71
72
Wir haben diese Alternativen nicht immer angegeben, da sie manchmal von unserem jeweiligen Argumentationszusammenhang unnötig ablenken würden. Wir lassen einige Nebenumstände der Demonstration, die auch der Kritik bedürfen, beiseite.
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Germanicus 1 und Berlin Or. Qu. 691 näher zueinander gehören als eine von beiden zum Druck Konstanz 1544, und glaubt nun, daß sie ein und derselben Familie angehören. Aber dazu müßte er nicht Gemeinsamkeiten, sondern gemeinsame Neuerungen aufgezeigt haben. Man kann seinen Befund vielmehr auch so deuten, daß die beiden Handschriften unauffällige Glieder der Tradition sind, Κ hingegen hier (wie öfter) individualistisch ist. Die These mündlicher Tradition wurde ganz allgemein von Leibowitz vertreten (1931: 390), und sie scheint uns zumindest zu einem guten Teil richtig zu sein. Denn auch die obengenannten drei Quellenberufungen sind ja wohl so zu deuten, daß der anonyme Redaktor von MM, Elia und R. Hajjim b. Bezalel Friedberg im wesentlichen >aus ihrem Wissen< schöpfen, also einer komplexen Größe, in die die einstige Belehrung durch den oder die eigenen Lehrer ebenso eingegangen ist wie die Summe der Lesefrüchte. Schon aus der handschriftlichen Epoche können wir uns kaum einen >Kopisten< vorstellen, der auf seinen Rabbi so wenig stolz wäre, daß er nicht auch aus dessen Unterricht manches einfließen ließe. Wir halten also die Trennung mündlich und schriftlich tradierter Elemente für undurchführbar. Anders werden die Dinge freilich im Zeitalter der Nachdrucke. Jetzt wird es zum einen möglich, die Elementarlehrer einer Gemeinde auf eine bestimmte Übersetzung zu verpflichten. Dafür haben wir wenigstens ein Beispiel: Krakau verpflichtete seine Lehrer auf den >Be'er Mose< (Turniansky 1988: 49). Zum anderen gilt jetzt, daß der normale Nachdrucker dem Setzer, der ja meist nicht mit ihm identisch ist, global einen älteren Druck zum möglichst gewissenhaften Neusatz an die Hand gibt. Hat er den Ehrgeiz, die Vorlage zu überbieten, so äußert sich das am ehesten in Zugaben und sonstigen Details der Ausstattung, ohne daß damit die Integrität des Textes gefährdet wird. Insofern sind Nachdrucke in der Regel stemmatisch zu erfassen, aber diese Erfassung ist meist nicht vordringlich.
14. Die >Wörtlichkeit< der traditionellen jiddischen Β ibelüber Setzungen
Als dominierendes Kennzeichen der traditionellen jüdischen Bibelübersetzungen und speziell der jiddischen pflegt man ihre extreme Wörtlichkeit anzusehen. Das ist, wie wir uns bereits an den beiden Proben überzeugt haben, nicht falsch, gibt aber doch manchmal Anlaß zu schiefen Nebenvorstellungen und bedarf deshalb eines ausgiebigen Kommentars. Erstens ist Wörtlichkeit kein distinktives Merkmal jüdischer Übersetzungen: Beispielsweise sind auch die vorlutherischen deutschen Übersetzungen der Vulgata, vom heutigen Standard aus betrachtet, recht wörtlich.73 Zweitens gibt es auch im Judentum unterschiedliche Grade der Wörtlichkeit. Die Septuaginta, die ja von jüdischer Hand stammt, ist - von den textlichen Diskrepanzen ihrer hebräischen Vorlage (n) zur massoretischen Bibel einmal abgesehen - wörtlicher als unser heutiger Standard, aber doch noch gemäßigt. Gut drei Jahrhunderte nach ihrer Entstehung gab das Judentum sie wieder auf, nicht nur weil das junge Christentum sich ihrer bemächtigt hatte, sondern auch weil man sich inzwischen unter der Wirkung der bohrenden Aqivaschen Exegese eine viel wörtlichere Übersetzung wünschte. Hier erfüllte Aquilas Übersetzung ins Griechische dann auch die striktesten Wünsche, indem sie z.B. sogar die Akkusativpartikel ΠΧ nicht unübersetzt ließ, sondern durch σύν wiedergab gemäß Aqivas Lehre, dieses DS bezeichne als Verwandter der Präposition DK 'mit' ein Mitbetroffensein.74 Schon die älteren Targume bleiben im Durchschnitt ein wenig hinter Aquilas Wörtlichkeit zurück; jüngere Targume können überhaupt in die midraschische Literatur überleiten, indem sie etwa ausführliche Allegorisierungen bringen (Targum zum Hohelied) oder ganz selbständige Abschnitte haben (>Targum Seni< zu Esther, z.B. mit langer Schilderung von Salomos Thron und seinem Schicksal). In den (zeitlich späteren) (jüdisch-)
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74
Bei der Beurteilung von Blondheims (1925) Hypothese, die Vetus Latina sei durch die jüdische Tradition beeinflußt, sollte also die relativ enge Wörtlichkeit beider Übersetzungen keine Rolle spielen. Knappe, etwas mechanische Kennzeichnung des Unterschiedes zwischen Septuaginta und Aquila: Alfred Rahlfs in der Einleitung seiner Septuaginta-Ausgabe (deutsche Fassung XLIff.). Mit mehr Einfühlung illustriert die Stellung Aquilas in der jüdischen Tradition Banitt in seinem Raschi-Buch (1985: 79-130).
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arabischen und jüdischromanischen Übersetzungen wird zwar der Wörtlichkeitsgrad des Aquila nirgends wieder ganz erreicht, aber doch der der Septuaginta deutlich überboten. Dasselbe gilt allgemein von den jiddischen Übersetzungen, abgesehen wieder von Blitz und Witzenhausen im späten 17. Jh. und von Jehojes in unserer Zeit. Doch ist nicht zu übersehen, daß auch die jiddische Haupttradition unter unseren Augen zwischen 1400 und dem späten 19. Jh. in fast unmerklich kleinen Schritten flexibler wird, verglichen allerdings mit den gleichzeitigen christlichen Übersetzungen noch immer auffallend wörtlich bleibt. Eine präzisere Charakterisierung scheint uns nun nur möglich, wenn man >Wörtlichkeit< differenzierter definiert als üblich. Und zwar sollte man grundsätzlich unterscheiden zwischen >syntagmatischer< und >paradigmatischer< Wörtlichkeit.
15. Syntagmatische Wörtlichkeit
Syntagmatische Wörtlichkeit soll dadurch definiert sein, daß sich im l a u f e n d e n T e x t die Einheiten (Wörter oder sogar Moneme) des Originals und die der Übersetzung in Z a h l u n d R e i h e n f o l g e möglichst genau entsprechen. In der jiddischen Bibelübersetzungssprache ist im allgemeinen die syntagmatische Wörtlichkeit sehr gut gewahrt. Nur haben sich im wesentlichen schon vor Beginn der Überlieferung einige wenige Klassen von elementaren, aber zugleich häufigen Ausnahmen durchgesetzt: 1) Die Akkusativpartikel ΠΧ bleibt unübersetzt. Schon die ältesten zusammenhängenden Texte um 1400 verfahren so, und M M stellt dies auch explizit s.v. DX fest. 2) Da im Hebräischen nur einbuchstabige Elemente als Präfixe in ein graphisches Wort eingehen, 75 werden meist auch im älteren Jiddisch nur die Präfixe >be-< und >ge-< (aufgrund der anfänglich alleinherrschenden Schreibung ohne Vokalbuchstaben, Timm 1987: 20.2.2) mit dem Wortstamm zusammengeschrieben, nicht aber sonstige Präfixe (wie >ent-ver-< usw.) oder Präpositionen, Artikel, Pronomina und Hilfsverben (deren Schriftbild durchweg mehr als einen Buchstaben umfaßt). 76 Und da Pronomina und Hilfsverben sich proklitisch als selbständige Wörter erwiesen haben, werden sie in aller Regel (mit Ausnahme des invertiert angehängten -tu 'du')
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Der Grundsatz ist besonders klar daran zu erkennen, daß ρ selbständiges Wort ist (höchstens maqqefiert wird), während die Schwesterformen ~ a / ~ D graphisch Teil des Folgewortes sind. - Wohlgemerkt können mehrere einbuchstabige Präfixe hintereinandergeschaltet werden. In der jüdischfrz. Überlieferung liegen zwar wegen anderer Wortlängen die Dinge im einzelnen anders, scheinen aber, nach C = G1 zu urteilen, etwa demselben Prinzip zu folgen. Dort wird die zwar zweibuchstabige, aber einphonemige Konjunktion 'X 'und' wie hebr. 1 zum Folgewort gezogen, desgleichen in der Regel auch die Singularformen des bestimmten Artikels und die Präpositionen de und ä. Umgekehrt tendieren auch dort die Verbalpräfixe deutlich zur Selbständigkeit. Banitt (1972: 1.96f.) sieht in letzterem eine Manifestation der altfranzösischen Wortbildungsfreiheit. Uns aber scheint auch hier die Gesamtheit der Erscheinungen am ehesten erklärbar durch einen vom Hebräischen vorgeprägten Begriff des graphischen Wortes.
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Teil A, § 15
auch enklitisch als solche behandelt.77 Wie man sieht, ergibt sich durch diese Schreibnormen eine Diskrepanz zwischen Original und Übersetzung nur ganz vordergründig in der Zahl der graphischen Wörter, nicht aber in der Zahl und Reihenfolge der Moneme. Wie genau im übrigen die syntagmatische Wörtlichkeit in aller Regel gewahrt bleibt, hat an einer Fülle von Beispielmaterial Nechama Leibowitz vorgeführt. 78 In der Tat ist es fast undenkbar, daß um der deutschen Wortstellungsregeln oder gar um der Intonation willen Umstellungen vorgenommen werden oder auch z.B. eine persönliche durch eine unpersönliche Konstruktion ersetzt wird. Doch lohnt es, sich klarzumachen, daß z.B. auch ein so elementares Wort wie das Demonstrativum der dosiker seine Aufnahme in die Übersetzungssprache (und damit mittelbar seine Beliebtheit im Jiddischen schlechthin) der Tatsache verdankt, daß sich mit ihm das volladjektivische Verhalten von bibelhebräisch Π?Π nachbilden läßt: ΓΗΠ t^XH ~ der man der dosiker (s. unten § 29). Schon die syntagmatische Wörtlichkeit resultiert also hier und da in sprachlicher Kreativität.
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Wenn wir für PuW eine Tendenz festzustellen hatten, Enklitika in den Reim und in das graphische Wort aufzunehmen, dann handelte es sich dabei um Sprachkomik, die ihren Effekt gerade aus dem Angehen gegen die Tradition (und damit gegen die Erwartung) zog (Timm 1996: XLIIf.). Leibowitz 1931: 401-405, 411-433, 437, 440-448.
16. Paradigmatische Wörtlichkeit; Wörtlichkeit als Quelle sprachlicher Kreativität
Während somit die syntagmatische Wörtlichkeit auch eines kurzen Textstücks an eben diesem Textstück selbst zutage tritt und deshalb verhältnismäßig leicht zu erkennen ist, soll paradigmatische Wörtlichkeit dadurch definiert sein, daß im Zwei-Sprachen-System des gesamten zu untersuchenden Corpus jede Einheit (Wort oder sogar Monem) möglichst immer durch d i e s e l b e Einheit wiedergegeben wird. Hier können also, von kurzen Textstücken ganz zu schweigen, auch einzelne Bibelbücher noch wenig beweisen. Da wir aber jiddische Gesamtbibeln, die mit Sicherheit von einem einzelnen Übersetzer oder Redaktor verantwortet sind, erst in Gestalt der Blitzschen und Witzenhausenschen Übersetzungen besitzen, die beide nicht nur spät, sondern auch ungewöhnlich individuell sind, ist hier die fast 150 Jahre ältere >Mircevess hamisne< als Corpus schlechthin unersetzlich, auch wenn sie sicherheitshalber ständig einer Gegenkontrolle an normalen Teilübersetzungen unterworfen werden sollte. Eine bidirektionale Wörtlichkeit läge vor bei strenger 1:1-Entsprechung zwischen Urtext und Zielwort, dergestalt, daß auch das Zielwort einen eindeutigen Rückschluß auf ein und nur ein Urtextwort erlaubte. Eine solche bidirektionale Eindeutigkeit ist wegen der unterschiedlichen Wortschatzdichte natürlicher Sprachen kaum durchzuhalten, scheint jedenfalls in den jüdischromanischen und den jiddischen Übersetzungen nie ernsthaft versucht worden zu sein.79
79
Erst Rosenzweig / Buber fordern sie im Prinzip, aber doch mit Einschränkungsklauseln, die dem Übersetzer im konkreten Fall Freiheit lassen: »Dieses innere Band sichtbar zu machen, ist ein Dienst, in den auch der Übersetzer gestellt ist. [...] dazu gehört, daß er, wann es nottut und wann es angeht, einen hebräischen Wortstamm durch einen einzigen deutschen wiederzugeben bestrebt sei, einen nicht durch mehrere, mehrere nicht durch einen.« (Buber 1954: 14; wiederholt 1962: 4.) Anschließend werden die Einschränkungen »wann es nottut« und »wann es angeht« besprochen. Und später: »[...] wir versuchen, die Synonyme auseinander zu halten, soweit es die deutsche Sprache ermöglicht, also nicht zwei verschiedene hebräische Wörter durch das gleiche deutsche, noch auch - zumindest innerhalb desselben Zusammenhangs ein hebräisches Wort durch zwei verschiedene deutsche wiederzugeben [...]« (1954: 35).
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Eine immerhin unidirektionale Wörtlichkeit läge vor, wenn wenigstens jedes beliebige Lexem des Urtextes immer durch dasselbe Lexem der Zielsprache wiedergegeben würde. In der älteren Forschungsliteratur drücken sich Forscher oft kurzerhand so aus, als würde dieses Ziel in den jüdischen Übersetzungen im Regelfall erreicht; so Blondheim (1925: XI): »Les traducteurs juifs et Chretiens [antehieronymiens] avaient pour but une litteralite qui nous parait exageree. Pour l'atteindre, ils essayaient autant que possible de traduire [...] un meme mot toujours de meme [...]. Le scrupule theologique explique cette litteralite ä outrance [...]«. Das hat Banitt mehrfach zu energischem Widerspruch veranlaßt.80 Er hat dem Wortlaut nach recht; wir haben aber den Eindruck, daß ein Forscher von der eminenten Leseerfahrung Blondheims gar nicht umhingekommen sein kann, diesen Grundsatz als einen nur idealtypischen zu erkennen, und daß er sich nur der Kürze halber relativ dezidiert ausdrückte. Denn formuliert werden mußte dieser Grundsatz einmal in aller Klarheit, auch wenn er bei genauerer Erforschung auf den Status einer machtvollen Tendenz zurückgenommen werden muß. Diese Tendenz ist denn auch in den jüdischfranzösischen Übersetzungen so unübersehbar, daß Banitt sie unter dem Namen >(intralinguale) Paronomasie< zu einem der wichtigsten Übersetzungsprinzipien erklärt (z.B. 1985: 31). Der Terminus besagt: Wo in der Ursprache zwischen zwei Lexemen (etymologische oder pseudoetymologische) Lautähnlichkeit vorliegt, da sollte sie möglichst auch in der Zielsprache vorliegen.81 Freilich ist Banitt
80
81
So Banitt 1985: 31 und 68 Anm. 131. Besonders klare Beispiele für seine Auffassung 1972: 1.171 f. und 1985: 19 (T), 20 ( o ) , 32f. (UDtra, 3p>S>), 68 Anm. 131 (XtW). Außer der intralingualen Paronomasie kennt Banitt auch eine interlinguale. Gemeint ist die Tatsache, daß in der Zielsprache, wo es möglich ist, ein dem Urtext auch lautlich nahestehender Ausdruck gewählt wird. Der Bezug ist natürlich fast immer ein pseudo-etymologischer, wurde aber von den Übersetzern, in deren Weltbild ja das Hebräische die Mutter-Sprache aller anderen Sprachen war, als ein etymologischer betrachtet: die nichthebräischen Sprachen schienen hier eben ursprüngliches Gut mehr oder minder gut bewahrt zu haben. Die Erscheinung wurde schon von Blondheim (1925: CVn-CXn und 145ff.) als eine nicht ganz seltene beobachtet (>moins commune^, ebenso z.B. von Berenblut (1949: 35) und R. Levy (1960: Nr. 760) vorgeführt, dann von [Berenblut-]Banitt in seinem Raschi-Buch (1985: 36ff.) sehr aufgewertet. In der Tat ist sie schon bei Aquila, speziell bei Saadja und noch bei Raschi häufig genug, um den Gedanken an Zufall auszuschließen. Zu bedenken ist aber, daß sie beim Weiter-Übersetzen in die nächste Sprache der Sprachwechsel-Kette meist unsichtbar wird (Banitt 1985: 80), da sich der Glücksfall der Existenz eines lautähnlichen Wortes nur selten wiederholt. Wir gestehen, daß wir in der jiddischen Bibelübersetzungstradition nicht viel mehr interlinguale Paronomasie (zum Hebräischen oder zu einer der anderen Vor-Sprachen des Jiddischen) finden können, als durch Zufall zu erwarten wäre. Wir weisen deshalb gelegentlich auf sie hin, können in ihr jedoch keine tragende Kraft der jiddischen Tradition erkennen.
Paradigmatische Wörtlichkeit
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dabei bestrebt, einer möglichst großen Zahl von Fällen eine unerwartete Sinntiefe abzugewinnen (1972: 8.23 >Image identiqueHomoplasyschlank< und die Hauptargumentation präsent bleibt. (Die detaillierte Darstellung findet man jeweils im zweiten Teil dieses Buches.) Zeile 1: Auswahlvorgänge. Es ist in der Jiddistik erst spät üblich geworden, die Übernahme sprachlicher Elemente aus einer der Gebersprachen, auch aus dem Deutschen, grundsätzlich als Auswahlvorgang zu betrachten, also immer zu fragen, was auch möglich gewesen wäre.84 Gerade dieser Grundsatz stellt aber den Schlüssel zum Verständnis großer Teile der Bibelübersetzungssprache dar. Typ la: Beeinflussung durch präexistente semantische Eigenschaften. Das hebräische ΠΙ") bedeutet 'Wind', 'Atem', speziell dann 'Geist' als Eigenschaft Gottes, aber auch des Menschen. Die MM gibt das Wort wieder durch wint, ötem, gemiit, durch hebräisch ΠΧΠΙ und vereinzelt durch andere Wörter; sie erkennt hier also die Polysemie eines Wortes in ziemlich großzügigem Maße an. Ebendeshalb aber kann es kaum Zufall sein, daß sie - und anscheinend auch die sonstige Übersetzungstradition bis mindestens tief ins 18. Jh. - das Wort >Geist< durchweg vermeidet; es erinnert offenbar zu sehr an die christliche Trinitätslehre. Heute ist im Standardjiddischen gajst zwar vorhanden, aber charakteristischerweise mit dem neuhochdeutschen lail statt des zu erwartenden /eil·, das Wort dürfte also aus inhaltlichen wie aus formalen Gründen erst sehr spät im Jiddischen heimisch geworden sein. (Vgl. im einzelnen den Art. gajst.) Typ lb: Tendenz zu lexemkonstanter Übersetzung. Wir dürfen hier einen etwas komplizierteren Fall herausgreifen. Das hebräische "QT hat zwei große Bedeutungskomplexe: der eine reicht von 'Wort' bis 'Rede'; der andere entspricht den deutschen Wörtern 'Ding' und 'Sache'. Die MM erkennt zwar diese Zweiteilung an, vermeidet aber eine weitere Untergliederung: Sie läßt für den ersten Komplex nur red, für den zweiten nur sach zu. Wir beschäftigen uns zunächst nur mit dem zweiten Komplex. Im Deutschen haben die Wörter >Ding< und >Sache< beide den Bedeutungswandel von 'Gerichtsstreit' über 'Gegenstand des Gerichtsstreits' zu 'Gegenstand' schlechthin durchgemacht und überschneiden sich deshalb weitgehend. Doch bewahrt >Sache< noch sehr oft die alte Vorstellung der Komplexität, etwa im Sinne von 'Angelegenheit, Sachlage', z.B. >deine Sache steht schlecht, >die Sache ist schwierig< und ähnlich. Im heutigen Jiddisch ist di sach voll lebendig, hingegen *ding auffälligerweise untergegangen bis auf resthaftes alzding in der Bedeutung 'alles'. Und zwar hat schon MM
84
M. Weinreich 1973 (1980), Großkapitel VII (Di sprachike determinantn) (selektiwkejt un οjfSchmelzung).
und VIII
Paradigmatische Wörtlichkeit
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für Ί3Τ nur sach, nicht *ding, und die Pentateuchübersetzung Augsburg 1544 zeigt (außer sporadischem al-ding) dasselbe Bild. Prüft man nun aber den Gebrauch von IDT in der Bibel, so zeigt sich, daß das Wort kaum je konkrete Einzeldinge, viel häufiger aber eine komplexe 'Angelegenheit' bezeichnet, z.B. die 'Sache' eines Menschen vor Gericht oder vor Gott. Unter der Voraussetzung, daß man nur eines von beiden Wörtern als Übersetzung zulassen wollte, traf sach also den Schwerpunkt des Bedeutungsspektrums viel besser. Interessanterweise verwendet der Autor der MM in seinem Vorwort - anders als im Wörterbuch selbst - noch ding (2ra, 2va zweimal). Die Bibelübersetzungssprache ist hier also der Spontansprache historisch voraus, und eben das sollte uns ermutigen, sie nicht nur als Zeugen, sondern als Triebkraft der Entwicklung anzusehen. Daß eine jahrhundertelang gültige Vorschrift >sach nicht ding< von der Heder- allmählich auf die Alltagssprache übergriff, scheint uns soziolinguistisch keineswegs erstaunlich. (Vgl. im einzelnen den Art. sach.) Typ lc: Tendenz zu wurzelkonstanter Übersetzung. Wir kommen zu dem anderen Bedeutungskomplex von "a'!T, also zu dem, den MM durch di Γέά übersetzt. Hier hängt IST mit ~Q"7 zusammen, dem Normalverbum für 'sprechen, reden'. Obwohl im spätmittelalterlichen Deutsch sowohl 'sprechen' als auch 'reden' überall noch voll lebendig sind, optiert MM einseitig für reden und hält so den etymologischen Zusammenhang aufrecht. Auch im heutigen Jiddisch existiert nur re(j)dn, nicht *sprechn. Wieder ist ein Zusammenhang zwischen der Übersetzungstradition und der heutigen Sprache nicht zu leugnen. (Vgl. im einzelnen den Art. re(j)dn.) Typ ld: Nachahmung syntaktischer Eigenschaften des hebr. Lemmas. Im Deutschen wird gedenken zu allen Zeiten überwiegend mit dem Genitiv konstruiert. Daneben nistet sich schon im Mittelalter der Akkusativ ein, wird aber im 19. Jh. durch Sprachpurismus wieder verdrängt. Mit diesem (Pyrrhus-)Sieg des Genitivs hängt die Tatsache zusammen, daß das Wort heute nur noch in gehobener Diktion üblich ist. In der jiddischen Übersetzungssprache hingegen hat gidenken vor allem das meist transitive hebräische "DT wiederzugeben und wird deshalb ebenfalls transitiv gebraucht. Durch diese Verwendung in der Bibelsprache wird eine Geringerwertung des Akkusativs gegenüber dem Genitiv von vornherein unmöglich, und transitives gedenken ist noch heute der Normalausdruck für 'sich erinnern'. (Vgl. im einzelnen den Art. gedenken.) Soweit also die Zeile 1 der Matrix. In Zeile 2 begegnen uns deutliche inhaltliche Abweichungen, aber aus denselben Motiven; wir können uns deshalb kürzer fassen. Typ 2 a: Semantische Eigenschaften. Das Wort 'UnWürdigkeit' wird in MM - und laut Harkavy (s. v. umwirdigkejt) noch bei den Melammedim seiner Zeit - auch prägnant für rDSJin
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Teil A, § 16
'unreine Speise, Götze' verwendet. (Vgl. im einzelnen den Art. umwerdikejt.) Typ 2b: Lexemkonstanz. Das hebräische Verbum ΓΓΟ 'abschneiden, zerschneiden' hat, wie schon S. 18 vorgeführt, auch die Bedeutung 'vernichten'; es erscheint ferner in der Wendung JVQ ΓΠ3 'einen Bund schließen', wo es sich aus dem begleitenden Zerschneiden der Opfertiere herleitet. Als jiddische Übersetzung dient immer farschnajdn; dieses hat deshalb bis heute erstens die Bedeutung 'vernichten' und erscheint zweitens in der Wendung farschnajdn a bund 'einen feierlichen Bund schließen'. (Vgl. im einzelnen den Art. farschnajdn. ) Typ 2c: Wurzelkonstanz. Neben dem hebräischen Adjektiv 3i">i? 'nahe' steht ein Verbum 'nahebringen', speziell 'darbringen, opfern', also 'in den Tempel bringen'. Entsprechend hat das Jiddische zu noent 'nahe' das im Deutschen seltene genehen übernommen, ihm aber die Zusatzbedeutung 'darbringen, opfern' gegeben; heute heißt es genenen, ist freilich aus inhaltlichen Gründen selten geworden. (Vgl. im einzelnen den Art. genenen.) Typ 2d: Syntax. Im Deutschen gibt es seit dem 15. Jh. ein sehr seltenes Adjektiv dasig, das erst gegen 1700 häufiger wird, dann aber allmählich durch dortig abgelöst wird. Im Jiddischen hingegen ist der dosiker früh zum Demonstrativpronomen geworden. Sein Aufstieg ist darauf zurückzuführen, daß man mit ihm die volladjektivische Syntax des bibelhebräischen Demonstrativs Π1Π nachbilden kann. (Vgl. im einzelnen unten § 29.) Wir kommen zur dritten Zeile der Matrix und damit zu den Lexemen, die auch ein inneqiddisches Moment der Wortbildung einschließen. Typ 3 a: Das Suffix -nis bildet schon im Deutschen Ereignis- und Ergebnisnomina aus nicht-aktiver Sicht, und zwar Abstrakta wie Konkreta. Beide Untertypen werden von den jiddischen Bibelübersetzern aus inhaltlichen Gründen sehr produktiv ausgenützt, ohne daß ein einzelner hebräischer Wortbildungstyp als Vorbild dominiert. Als Beispiel für die Abstrakta kann ziternisch, für die Konkreta baschefenisch dienen, beide im Deutschen anscheinend unbelegt, im Jiddischen bis heute lebendig. In MM steht ziternis für Γή'π'ρπ, nisVs, ΟΟΊ (Jer 49.24), ΊΏΊ, ηηη (Hos 13.1) und yritf und beschefnis für ΠΙΓΊ3. (Vgl. im einzelnen unten § 22.) Typ 3b: In der Bibel erscheinen Verben der Grundbedeutung 'schwanken' - vor allem nil und Uli - häufig im Sinne von 'fliehen, flüchtig umherschweifen', aber auch 'den Kopf oder die Lippen zitternd bewegen'. Das Jiddische gibt diese Verben wieder durch woglen, eine ältere, noch ungeschärfte Variante unseres Verbs wackeln; es setzt aber zum deutlicheren Ausdruck jener negativen Schattierungen meist das Präfix far- dazu. Durch den Einfluß der Bibelsprache bedeutet heute woglen 'wandern, umher-
Paradigmatische Wörtlichkeit
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schweifen', farwoglt 'heimatlos', farwoglt wem 'weit von zu Hause herumziehen', auch: 'an unerwarteter Stelle auftauchen'. Im Deutschen hat wakkeln samt seinen Varianten keine dieser Bedeutungen, und verwackeln ist - noch dazu in ganz anderer Bedeutung - erst im 19. Jh. belegt. (Vgl. im einzelnen den Art .farwoglt.) Typ 3 c: Das heutige deutsche Adjektiv widerspenstig hat zwischen etwa 1500 und 1800 ein älteres widerspän(n)ig abgelöst, das in jiddisch widerspenik noch fortlebt. Im Hebräischen sind aber in diesem Sinne die finiten Verben ΓΠΟ und TIS mindestens ebenso gebräuchlich wie ihre Partizipien oder ihre nominalen Ableitungen. Deshalb hat sich das Jiddische zu seinem Adjektiv ein Verbum geschaffen: widerspenikn 'widerspenstig sein'. (Vgl. im einzelnen den Art. widerspenikn.) Schließlich Typ 3d: In der Tora besteht Gottes erstes Gebot an die Menschen aus zwei knappen Imperativen 1ΊΒ 'seid fruchtbar und mehret euch'. Schon Hieronymus hat diese Kürze nicht ganz durchhalten können: crescite et multiplicamini. Die vorlutherischen deutschen Drucke haben im zweiten Glied eine Zwei-Wort-Übersetzung: Wachst vnd werd gemanigueltigkt, ebenso Luther im ersten Glied (oder wenn wir das Reflexivum mitzählen, sogar in beiden): Seid fruchtbar vnd mehret euch. Demgegenüber hat die jiddische Übersetzung Augsburg 1544, wie zu erwarten, zwei einfache Imperative: vruchtigt un mert. Ein intransitives fruchtigen hat sich bisher im Deutschen nur einmal85 finden lassen (und auch ein transitives nur extrem selten), so daß die jiddische und die deutsche Bildung wohl voneinander unabhängig sind. Später freilich ist die Wendung auch im Jiddischen in den Sog der Reflexivkonstruktionen geraten; zudem ist die Ableitung von 'fruchtig' durch eine Ableitung von 'fruchtbar' ersetzt worden. So verzeichnen heute die Wörterbücher fruchpern sich und fruchpern un mern sich. Immerhin enthält die Wendung auch jetzt noch kein Adjektiv. (Vgl. im einzelnen den Aal. fruchpern sich.) So weit der Versuch einer Matrix. Klassenhaft-lautliche Entwicklungen können bei der beschriebenen Zielsetzung des Buches nicht Gegenstand der Darstellung sein. Doch haben wir es nicht verschmäht, eine Reihe von interessanten lexemgebunden-lautlichen Entwicklungen unserem Begriff >Wortschatz< zu subsumieren; vgl. die Artikel as, brengen, der-, ejl, entfern, enzlit, fardejen, farlendn, flejzn, fodern/federn, glust, glustik, glustn, grejchn, gumen, hojch/hejch, inewejnik/ojs(n)wejnik, Jipt(e)n, kalch, knobl, lejkenen, lejm, mark, miner, nestn, rojmen, sifzn, wajrech, zim(e)ring.
85
Vgl. die Diskussion unten im Art. fruchpern
sich.
17. Vermeidung von Anthropomorphismen
Die Bibel ist bekanntlich voll von Anthropomorphismen, d.h. von Aussagen, die, wenn buchstäblich genommen, Gott nach Analogie des Menschen körperliche Organe (Auge, Hand usw.) oder psychische Zustände (Reue, Zorn usw.) zuschreiben. Daneben stehen aber ebenso viele eindeutig anti-anthropomorphe Aussagen - vom Bilderverbot bis zur Kennzeichnung Gottes als unsichtbar, unwandelbar und unbegrenzt. In nachbiblischer Zeit setzte sich im Judentum das Bewußtsein durch, daß die Anthropomorphismen nur uneigentlich verstanden werden dürfen. Auf der gedanklich-diskursiven Ebene erreichte dieser Anti-Anthropomorphismus seinen Höhepunkt wohl mit Maimonides, wurde aber de facto immer wieder unterlaufen nicht nur durch kabbalistische Vorstellungen, sondern auch - was den Bibeltext selbst angeht - dadurch, daß man die beschränkte Abstraktionsfähigkeit des einfachen Gläubigen in Schutz nahm und argumentierte, wenn Gott auch nicht so >seiChristianismen< sind höchstens °untergäng (MM und Κ Gn, je einmal) und °uf-gang (K Gn, mehrfach). Bis heute gibt es im Jiddischen trotz aller Säkularisierung und Europäisierung/Amerikanisierung zu den hebräischkomponentigen Ausdrücken keine Alternative, nicht einmal bei Zusammensetzungen und nicht einmal bei modernen geographischen Begriffen: UDX~),,'X_n")T',D_mn 'Südosteuropa', m r D - i t t t r n ΊΧΠ 'der Ferne Osten'. Erklärungsbedürftig sind also zwei Dinge: die fast alleinige Verwendung dieser Termini in den Übersetzungen und ihre heutige Resistenz.94 Will man aus Gründen der Denkökonomie eine einheitliche Erklärung, so wird sie also nicht auf je eine Schwäche der beiden europäischen Systeme, sondern auf spezielle Eigenschaften des hebräischen Systems abzustellen sein. In der Tat ist dieses System für das jüdische Bewußtsein in ungewöhnlichem Grade aufgeladen mit religiösen, speziell religiös-kosmologischen Assoziationen. In der Bibel spielt es z.B. eine Rolle bei der Ordnung der Stämme im Lager (Nu 2 passim), beim Dienst der Leviten an den Toren der Stiftshütte, dann des Tempels (1 Ch 9.24), bei Ezechiels großer Vision von Tempel, Jerusalem und Land Israel der Zukunft (Ez 40-48 passim). Gott straft ein Heidenvolk, indem er 'die vier Winde von den vier Enden des Himmels' über es kommen läßt (Jer 49.36); er züchtigt Israel, indem er es für eine gewisse Zeit 'in die vier Winde unter dem Himmel zerstreut' (Sach 2.10); er leitet apokalyptische Ereignisse ein, indem er 'die vier Winde' als roßbespannte Wagen in die vier Himmelsrichtungen ausziehen läßt (Sach 6.1-8); aber er wird auch die Toten auferwecken, indem er sie durch Odem 'von den vier Winden' anblasen läßt (Ez 37.9). Auf seinem Spaziergang im Gan Eden (Gn 3.8) ist er im Westen, als er auf das gefallene Menschenpaar 94
Hauptsächlich zu letzterem Faktum hat D. Katz (1986: hier 235) einen kurzen Forschungsbericht und ein eher agnostisches Bekenntnis gegeben. Wir selbst können uns mit dem Gedanken, aus einer vormals stärkeren hebräischen Komponente ragten diese Termini sozusagen dank ihrer vis inertiae in die Gegenwart hinein, schon wegen ihrer Sonderrolle in den Übersetzungen nicht zufriedengeben.
Die Himmelsrichtungen
81
trifft (so gedeutet in >Beresit Rabba< und danach bei Raschi). In einer speziellen Situation kann er seinen 'Geist' (~ ΓΓΠ) aber sogar im Norden ruhen lassen (Sach 6.8), und in Ezechiels Tempelvision zieht er in den Tempel durch das Osttor ein, das von da ab geschlossen bleibt (Ez 44.2). Von der Zeit des Zweiten Tempels bis in die frühe Amoräerzeit gibt es zahlreiche Zeugnisse, die die 'vier Winde' (= Himmelsrichtungen), vermehrt um die Richtungen Oben und Unten, als den universalen Raum definieren, in dem Gott, ohne darin eingeschlossen zu sein, sich manifestiert (Lerner 1968 passim). Von den 'vier Enden der Erde' sein Volk in die Heimat zurückzuführen, wird Gott im Achtzehngebet angefleht. In talmudischer Zeit wird aber auch kurzum geäußert, die Sechina wohne im Westen, vielleicht im Gegenzug gegen Häretiker, die sie im Osten ansiedelten (Bava batra 25 ab; J. Levy s . w . und ΧΠΠ). Entsprechend liest man (Gittin 56a), bei der Eroberung Jerusalems sei Vespasians arabischem Vasallen Pangar die Westmauer zugefallen, über die im Himmel beschlossen war, sie sollte in Ewigkeit nicht vernichtet werden, weil die Gottheit im Westen wohne. Das Universum in seiner Gesamtform hielt Rabbi Josua anfangs für allseitig verschlossen 'wie ein Zelt', doch bekehrte er sich dann zur Überzeugung Rabbi Eliesers: Es ist nur dreiseitig verschlossen, aber nach Norden offen (Bava batra 25 b; EJ, Art. Cosmology). Diese Vorstellung wurde noch durch die ZuR populär gemacht: Ihre erste Erzählung berichtet, daß Gott die Tora mit 3 beginnen ließ, weil dieser drei-, aber nicht vierseitig geschlossene Buchstabe zur Erschaffung der Welt passe, die ja nach Norden offengeblieben sei; mit X begann Gott dafür die Zehn Gebote. Die wahrscheinlich wirksamste Überhöhung einer Himmelsrichtungsangabe stellt aber wohl, in jedem traditionell-jüdischen Haus, das miö-Schild zur Angabe der Gebetsrichtung dar. Da man sich ein gemischtes System schlecht vorstellen kann, könnte dieses Schild sehr dazu beigetragen haben, das ganze Vierersystem präsent zu halten. Darüber hinaus wird man freilich annehmen müssen, daß auch das Vierersystem als Ganzes im kollektiven Unterbewußtsein als kosmisch, als Koordinatenkreuz aus einem Schöpfungs-Weltbild präsent blieb, von dem sich auch der säkularisiert Lebende nicht mutwillig distanzieren mochte.
21.
Die -«ftg-Bildungen
Im Mhd. und Frühnhd. sind -wngfe)-Abstrakta sehr häufig, vor allem in der mystischen Literatur und in der gelehrten Prosa einschließlich der frühen Bibelübersetzungen (vgl. Rückl. Wb. Mhd.; Findebuch, rückläufiger Teil; Henzen 1965: 180). Doch kann sich die jiddische Bibelsprache an Dichte und Vielfalt der -«ng-Bildungen selbst mit diesen Gattungen messen: Wir haben allein rund 400 verschiedene Lexeme auf -ung registriert, die im heutigen Deutsch keine gleichlautende Entsprechung haben. Darunter sind allerdings - wie in der Geschichte des Deutschen - viele ephemere Bildungen. Wir stellen im folgenden natürlich nicht auf sie, sondern auf den >harten Kern< ab, und der ist interessant gerade dadurch, daß er sich lexikalisch vom Deutschen unterscheidet. Machen wir uns zunächst die bibelsprachlichen Voraussetzungen klar. In den semitischen Sprachen lassen bekanntlich erstaunlich viele, wenn auch bei weitem nicht alle Wurzeln eine verbale Grundbedeutung erkennen; deshalb ist eine Unzahl von Nomina strenggenommen deverbal. Und schon in den einfachen, sehr alten Wortbildungstypen - die semantisch meist nicht scharf profiliert sind - gehen viele dieser Nomina nicht wesentlich über eine bloße Nominalisierung der Wurzelbedeutung hinaus, sind also Nomina actionis (oder sekundär Nomina acti). Oft ist dann die nächstliegende Übersetzung eben eine (bereits vorhandene oder ad hoc zu bildende) -wng-Form zu einem Verbalstamm. Hier eine fast willkürliche Auswahl von Beispielen aus MM in der Reihenfolge, wie diese Wörter oder doch ihre Wortbildungstypen bei Bauer/ Leander (1922: 448-506) besprochen werden: ηψΐ baisung 'Zins', Π$η sturmung 'Gedonner', Π3Τ schechtung, 3üj? ver-schneidung 'Vernichtung (hier durch Pest o. ä.)', 'SS zirung, gisung 'Libation', setung 'Sättigung', ptpy zukung 'Bedrängung', DDT beheftung 'Zusammenrottung' (Ps 31.21), foulung 'Fäulnis (von Fleisch oder Knochen)', Πϋ^Β antrinung 'Entrinnen, Flucht', rnüj? demfung 'Räucherwerk', Π31Π hantgiftung 'Einweihung', "P~)iP iberbleibung 'Übriggebliebene (Menschen oder Sachen)', ITDD widerwächsung 'Nachgewachsenes', "VDT ver-schneidung 'Schneiteln', n ^ t n kusung 'Kuß', |ίΟΠ brumung 'beliebige Stimmgeräusche eines oder vieler Lebewesen', trou'erung 'Kummer'.
Die -KMg-Bildungen
83
Auffällig stark vertreten ist dabei der Wortbildungstyp qetälä, z.B. in Π3Ί3 Schenkung 'Geschenk (mit Segenswunsch)', ΠOj?l rechung/rochung 'Rache', ΠΜψ misgreifung 'Schwachheitssünde', ΠΠΊ] mildigung 'freiwillige Gabe', n ^ f ? vluchung 'Fluch'. Aber auch von den Präfixbildungen mit ~Q und ~D fügen sich viele hier semantisch ein: t£H"ia lernung 'Forschen, Lehre', ^WDp strouchelung 'Hindernis, (Stein des) Anstoß(es)', TjyQ anrichtung 'Zurüstung', H^DO geweltigung 'Herrschaft', rnUJß an-schrei'ung 'Fluch Gottes', "P^ö über-nechtigung 'Nachtquartier', ΠΠΙΙΟ ru'ung 'Ruhe', ni|?D 1) höfiing 'Hoffnung', 2) sämlung '(Wasser-)Ansammlung', ΓΓΠΏ (Lv 13.10) vrischung 'nachwachsendes Fleisch', "TSJiD bitedigung 'Verabredung (>Fest)', nnXD vluchung 'Fluch', Π01Π0 ver-tiimelung 'Verwirrung', n p n höfung 'Hoffnung', ΓΠίΓ) lernung 'Lehre, Gesetz', ΠΩ^ΊΡ) schlofung 'Tiefschlaf', ΠΠ31Π ströfung 'Züchtigung', ΠΟΙΙΓ) schlumung 'Schlummer', Π011Γ) ouf-hebung 'Schwingopfer'. Die biblisch noch seltenen, nachbiblisch extrem häufigen Typen qetllä, qittül, qattälä und haqtälä steuern immerhin schon einige Beispiele bei: nn,17p ver-gebung, ver-schmehung 'Lästerung', CTX^O häntgißung 'Füllung (der Hände bei Einsetzung eines Priesters)', ΠΊ3Π der-kenung 'Berücksichtigung'. Insbesondere drängen sich solche -wng-Formen auf, wenn das zu übersetzende Wort in Figura etymologica zum Verb steht. Hier geht ja das Bestreben des Übersetzers unwillkürlich dahin, außer in der Endung ein Maximum an Gleichklang zu erzielen, und das ist meist durch eine -ungBildung am einfachsten möglich. (Gelegentlich wird auch der absolute Infinitiv so übersetzt.) Aus MM lassen sich seiner Anlage entsprechend solche Stellen kaum ausheben, um so mehr aus den zusammenhängenden Übersetzungen. Da ist dann z.B. in Α ηΰΟψ Ι ^ α ψ ' Dt 2.25 statt 'sie hören Neues/Nachrichten von dir' vielmehr siJ werden hören dein hörung·, struk-
turgleiche Beispiele auch Gn 29.13, 30.37, 46.4, Ex 28.17, 29.24, 29.26, Nu 14.15, 25.11, 31.2, Dt 33.8. Wie man aus allen diesen Beispielen ersieht, ergeben sich durch Anwendung des aus dem Deutschen übernommenen Wortbildungsrezeptes zwar manche Überschneidungen mit dem Deutschen, aber auch sehr viele Eigenbildungen. Soweit also der Befund der Bibelsprache. In auffälligem Gegensatz dazu sind nun in den Nicht-Bibelübersetzungen die -«ng-Formen anfangs selten und nehmen nur allmählich zu, wobei der Anteil der >bibliogenen< Formen wächst. Die ganze CH hat nur zwei Belege (wändlungen GE 93, sämenung3 DH 556), BB nur sechs, PuW ebenfalls sechs (plus reichtung 'Reichtum' 607.3), dann aber MR 65 Belege (27 Lexeme, darunter nunmehr so charakteristische wie benschung 'Segnung', brumung,
rochung,
ru'ung, schlumung,
setung,
über-bleibung
und wieder reichtung), MB 58 Belege (27 Lexeme), schließlich ZuR 127
84
Teil A, § 21
Belege (35 Lexeme, darunter benschung, betedigung, brumung, frischung, hofung, ru'ung, schechtung, setung, strofung, trou'erung, vär-timilung, zirung). Es ist evident, daß hier die Literatursprache von der Bibelübersetzungssprache beeinflußt wird, nicht umgekehrt. Gelegentlich wird sogar die Figura etymologica nachgebildet; so hat Glückel in einer eingeschobenen Erzählung (39.24) [sein] frum weib wainet ain grose wainung. Wie sieht nun die Weiterentwicklung aus? Da gibt es viele Lexeme, die sich im Jiddischen bis zur Gegenwart gehalten haben, im Deutschen aber nicht oder fast nicht nachweisbar sind. (Im folgenden benutzen wir als Stichwort jeweils die neujiddische Form, da wir an der genauen graphemisch-phonemischen Gestalt gegenwärtig nicht interessiert sind. Und da es nur um die Kontinuität von einem möglichst frühen bis zu einem möglichst rezenten Zeitpunkt geht, zitieren wir in der Regel jeweils eine Form aus dem ältesten uns bekannten Dokument [meist R9], in dem das Wort auftritt. Danach darf sich der Leser das Wort >passim< vorstellen; es bezöge sich oft schon auf weitere Belege derselben Quelle, sonst auf Belege aus jüngeren Quellen. Bei einzelnen Wörtern freilich mochten wir nicht darauf verzichten, die Belegdichte zu dokumentieren. Auch die Angaben zum Deutschen beziehen sich natürlich auf -Mng-Bildungen, nicht auf die zugrunde liegenden Verben.) antplekung 'Enthüllung': von R9 (Jer 32.11) bis ins 20. Jh. (GWb), stj. [Lexer oo, DWb l x Kaysersberg.] Vgl. den Art. antplekn. antrinung 'Entkommen, Flucht': von R9 (Gn 32.9) bis ins 20. Jh. (GWb), stj. [Lexer, DWb oo.] Vgl. den Art. antrinen. bahaltung 'Versteck, Verstecktes': von R9 (Jes 48.6) bis ins 20. Jh. (Harkavy, Stutchkoff Nr. 351). [Lexer selten; DWb, Frühnhd. Wb. nicht mehr diese Bedeutung.] Vgl. den Art. bahaltn. baheftung 'Vereinigung': von R9 (Jes 27.1) bis ins Stj. [Findebuch: Seuse; Lexer, DWb oo; Frühnhd. Wb. anders.] Vgl. den Art. baheftn. bajsung 'Zins': von R9 (Ex 22.24) bis zu den meisten Informanten von Noble (Nr. 92). [Lexer, DWb, Frühnhd. Wb. oo.] bentschung 'Segnung': von R9 (Gn 27.38) passim (z.B. R13, Lo, Mü, A, K, HiP, TP, TM, MR, Sdt, Br, MB, ZuR, Mag, GL2, NH, ShN, MaMi, Informanten bei Noble Nr. 100) bis Harkavy, Zanin und Niborski. [Lexer, DWb oo.] Vgl. den Art. bentschn. derwajterung '(das Lassen von) Zwischenraum, das Sich-Entfernen': von A (Gn 32.17) bis Stutchkoff Nr. 188. [Lexer oo; DWb, DWb2 semantisch anders.] Vgl. den Art. derwajtern sich, farflejzung 'Flut, Überflutung': von R9 (Jer 47.2) bis Stj. [Lexer, DWb oo; DWb 'Verflößung' nur anders.] Vgl. den Art. flejzn. farkrimung 'Falschheit, Verzerrung': von R9 (Ps 125.5) bis Stj. [Lexer oo, DWb nur 2 Wörterbücher.] Vgl. den Art. farkrimen.
Die -wng-Bildungen
85
farlajchterung 'Erleichterung': von R9 (Jer 6.14 'auf erleichternde Weise') bis Stj. [Lexer, DWb nur er-, nicht ver-.] Vgl. den Art. farlajchtern. farschnajdung 'Vernichtung': von R9 (Dt 24.1) bis Stutchkoff Nr. 244. [Lexer oo; DWb nicht so.] Vgl. den Art. farschnajdn. farzukung 'Beute': von R9 (Gn 31.39) bis Mendele, >Masoess Binjomin ha-slisU (>Geklibene werk< 2.189; zitiert bei Noble S. 28), und Harkavy 'prey'. [Lexer oo; DWb selten 16./17. Jh.] Vgl. den Art.farzukn. geweltikung 'Herrschaft': von R9 (Ez 19.11) bis Stj. 'domination'. [Lexer anders; DWb selten 16.-18. Jh. 'Vergewaltigung'.] Vgl. den Art. geweltikn. glustung 'Lust': von R9 (Ez 26.12) bis Stj. [Lexer oo; DWb Gelüstung 2x 18. Jh.] Vgl. den Art. glust. hofung 'Hoffnung': von R13 (Ps 9.19) passim (z.B. MM, MR, PuW, Br, MB, ZuR, TA, ShN) bis Stj. [Lexer lx, DWb oo.] Vgl. den Art. hofung. iberblajbung 'Übriggebliebene (Menschen oder Sachen)': von R9 (Jes 1.9) passim (z.B. Lo, MM, Mü, A, K, MR, Br, MB, BM, MbD, S, SbS, weitere im GWb s.v.) bis Harkavy 'remainder, remnant'. [Lexer oo, DWb 10x 15.-18. Jh.] ibernechtikung 'Nachtquartier': von MM (2Κ 19.23) bis ins 20. Jh. (GWb: A. Rejsn). [Lexer, DWb oo.] Vgl. den Art. ibernechtikn. ojfhejbung 'Schwingopfer': von Lo (Ex 29.24) bis Jeh (GWb). [Lexer, DWb, DWb2, Frühnhd. Wb. nicht so.] ojssprejtung 'Firmament': von Κ (Gn 1.6) über Wi bis zu J. L. Perez: a najem >himlojssprejtung< (>Dos oreme jinglsimpler< Ableitungstyp wie die -wng-Bildungen, wie stark die jiddische Bibelübersetzungssprache - im wesentlichen schon um oder vor 1400 - unter Beibehaltung des Typs lexikalisch umprägend wirkte.
95
Die Umstände, die zum Hochkommen dieses Typs im Ostjiddischen geführt haben, bedürfen noch genauerer Untersuchung. Im Deutschen ist der Typ zwar bis heute produktiv, aber doch nur mäßig (ζ. B. waren Ausgleich, Befall, Dreh den Grimms noch unbekannt); im Schlesischen allerdings scheint er ähnlich produktiv wie im Ostjiddischen gewesen zu sein (Henzen 1965: 128). Doch ist er das auch im Polnischen; man vergleiche etwa wwoz 'Einfuhr', wywöz 'Ausfuhr', wstgp 'Eintritt', przejazd 'Durchfahrt', wstrzqs 'Erschütterung' (zu den Infinitiven wwozic, wywozic, wstgpowac, przejeidiac, wstrzqsac) mit stj. der arajnfir, arojsfir, arajnkum, durchfor (Infinitive auf -n), schokl (Infinitiv auf -en). Vermutlich haben wir im Ostjiddischen eine dünne Kontinuität zum älteren Deutsch, aber ein Aufblühen in Symbiose mit slavischen Sprachen.
22. Die -msc/i-Bildungen
Die -««^-Bildungen stehen ursprünglich für eine aktive, sekundär aber oft statt dessen (durch kontextbedingten Wechsel der Blickrichtung) für eine passive Aussage (vgl. dt. >die Behauptung des Täters< - >die Bestrafung des Tätersmedialer< Zwischenbereich, in dem der Gedanke an einen Agens überhaupt zurücktritt, vielmehr gesagt werden soll, daß an einem Menschen oder einer Sache 'sich etwas vollzieht'. Hier hat das Suffix mhd. -nisse, stj. -nisch, nhd. -nis seinen Schwerpunkt (vgl. eben das Wort Ereignis)·, es ragt allerdings in gewissem Grade in den eindeutig passiven Bereich hinein (vgl. etwa jidd. baschefenisch 'Geschöpf' oder dt. Begräbnis). Auch bei ihm gibt es - wie bei -ung - eine Tendenz vom Ereignis- (bzw. bei -ung Tätigkeits-) zum Ergebnisabstraktum oder sogar zur Konkretisierung (z.B. jidd. baheltenisch 'Versteck' oder dt. Zeugnis). Und schließlich tritt dieses Suffix - im Deutschen ziemlich häufig, im Jiddischen seltener - statt an Verbalstämme auch an Partizipien oder sogar an Adjektive an (z.B. stj. gedechenisch 'Gedächtnis' zu 'gedacht', tifenisch 'Tiefe' zu 'tief'); die sich ergebenden Vorstellungen sind jedoch auch dann agenslos. Insgesamt haben wir in der jiddischen Bibelsprache etwa 70 -nischBildungen 96 registriert, übergehen dabei aber im folgenden wieder die vielen Gelegenheitsbildungen zugunsten des >harten Kerns -e. Denn da dort -e(-) seit derselben Zeit der typische Flexionsvokal war und ist, konnte dieses -e nicht gleichzeitig als adäquate Bezeichnung von semantisch weit gewichtigeren Ableitungskategorien gefühlt werden. Im Jiddischen verschärfte sich die Situation bald noch durch die Apokope -e > 0. Deshalb leben im Standardjiddischen nur noch wenige Abstrakta dieses Typs fort: di brejt, der ('Dürre'), grejs, hejch, set ('Sättigung'), tif, leng, krenk ('Krankheit'). Der radikale Rückgang im Jiddischen ist alt; schon M M scheint über den heutigen Bestand hinaus nur di sterk (~ TiSJ, DSi?) und di trüken (~ zu bieten. Die Gruppe ist also für uns von sehr geringem Interesse. Im Deutschen gibt es demgegenüber z.B. noch Blässe, Bräune, Güte, Härte, Helle, Süße, Fülle, Schärfe, Schwere, Strenge, Schräge, bei denen allen im Standardjiddischen wohl noch das zugrunde liegende Adjektivum, nicht aber ein endungsloses Abstraktum lebendig ist (zum Deutschen vgl. Henzen 1965: § 110). Die Nachfolge von -ϊ(η) > -e als produktives Haupt-Suffix für Adjektivabstrakta98 trat im Deutschen seit dem 8. Jh. vor allem -heit an. 98
Antritt von -heit (später -keit) an Substantiva bleibt im Jiddischen anders als im (vor allem ältesten) Deutsch (Henzen § 121) so selten, daß wir ihn hier übergehen.
92
Teil A, § 23
Aus ihm spaltete sich im Spätmhd. durch Metanalyse -keit in folgender Weise ab. Von den vielen Adjektiven auf -ec (nhd. -ig) ließen sich die Abstrakta auf -ec-heit als -e-keit analysieren. (Denn selbst im Gebiet der binnendeutschen Konsonantenschwächung bleibt ja fast überall der Phonemunterschied Ig/ φ Ikl vorvokalisch dadurch erhalten, daß Ikl aspiriert ist.) Und da im größten Teil dieses Gebietes ein Neutralvokal in Mittelsilben stark zur Synkope neigte, ist auch -e-keit > -keit verständlich. Mental gegenüber dem sonstigen -heit verselbständigt, konnte -keit nun analogisch auf andere Adjektivgruppen ausgedehnt werden. Im Deutschen spielte sich dabei - essentiell im 15./16. Jh." - folgende Verteilung ein: -keit sprang von den Adjektiven auf -ec —ig infolge rhythmischer Ähnlichkeit auf die anderen mehrsilbigen (nicht-endbetonten) Adjektiva (-bar, -lieh, -sam, -isch u. ä.) über, wobei allerdings die auf -en (meist ursprüngliche starke Partizipien) gar nicht, die auf -el und -er nicht alle erfaßt wurden. Inzwischen setzte sich nun freilich gerade bei den Adjektiven auf -ec allmählich die Variante auf -ig durch, da eben im Deutschen, wie schon gesagt, -i- in Ableitungssilben willkommener als -e- ist. Dieses -ig drang auch in die zugehörigen Abstrakta ein, wobei sich von den drei Schreibvarianten -igheit, -ikeit, -igkeit die dritte, obwohl eigentlich nur eine Kompromißgraphie, schließlich durchsetzte, und zwar standardsprachlich sogar in der norddeutschen Leseaussprache mit ΙςΙ + Ikl. Da die Adjektiva auf -ig und damit die Abstrakta auf -igkeit sehr häufig sind, wurde nun -igkeit als drittes Suffix neben -heit und -keit empfunden und dehnte sich seinerseits auch auf nicht ganz wenige einsilbige Adjektiva aus: Helligkeit, Feuchtigkeit u.a., als läge ein *hellig, *feuchtig usw. zugrunde. Analysiert man diese Bildungen einmal wirklich als Hellig- + -keit usw. und ignoriert man die Bildungen auf -enheit und die wenigen auf -elheit, -erheit, so kann man vereinfachend sagen: -heit steht im Deutschen an einsilbigen, -keit an mehrsilbigen Adjektiven." 3 Im Jiddischen hingegen wurde -kejt verallgemeinert. Abstrakte Substant i a auf -hejtm gibt es im Standardjiddischen nur noch vereinzelt, und zwar " Vgl. z.B. DWb s.v. Keit, Sp. 501. - Die oberdt. Mundarten haben einzelne -keitBildungen mehr als die dt. Schriftsprache: So haben oder hatten Bairisch und Schwäbisch Frumkeit, Schwäbisch und Schweizerdt. haben Boskeit. Aber Pendants zu jidd. blindkejt, falschkejt, ganzkejt, glajchkejt, grojskejt, hartkejt, hojchkejt, midkejt, schejnkejt, siskejt, wildkejt, wistkejt haben wir in den einschlägigen Mundartwörterbüchem vergeblich gesucht. " a Die sehr materialreiche Untersuchung von Regina Doerfert (1994) zur Substantivableitung mit -heit/-keit (und ida, -() im Friihneuhochdeutschen, die uns erst während der Drucklegung begegnete, bestätigt im wesentlichen die oben gezeichnete Skizze. 100 Wir sprechen hier nicht von den Adverbien des Typs jungerhejt 'in seiner/ihrer Jugend, als junger Mensch / junge Menschen'. Diese haben wir bisher nicht in der Bibelsprache (sondern nach einem Hinweis von Simon Neuberg erst in SL von 1649
Die -fce/f-Bildungen
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in Fällen, wo rezenter dt. Einfluß nahezu sicher ist: ganzhejt (neben ganzkejt) 'Ganzheit, Totalität', gothejt 'Gottheit', glajchhejt '(mathematische/ soziale) Gleichheit' (neben neutralerem glajchkejt), frajhejt '(politische) Freiheit' (neben neutralerem frajkejt), schejnhejt 'Schönheit' (= 'schöne Frau'; doch hört man selbst in dieser Bedeutung auch schejnkejt). Läßt man diese Fälle beiseite, so gilt: jidd. -kejt entspricht dt. -heit und -keit. Für mhd. -ec ist auch im Jiddischen -ik eingetreten (im Stj. mit Verallgemeinerung der Auslautverhärtung: hejliker usw.), bei den zugehörigen Abstrakta -ikejt. Fälle von Verselbständigung dieses -ikejt (entsprechend dt. Helligkeit usw.) gibt es nicht selten auch im älteren Jiddisch, aber fast immer in anscheinend freier Variation mit bloßem -kejt, so daß z.B. in R13 susikait (Ps 16.6, 11) neben suskait (Pr 5.3), in HiP süsikait (36.11) neben süskait (Anh. 1.31), ganzikait (21.23) neben ganzkait (2.3) steht; beide Formen gelten also jeweils wohl als fakultative Varianten >desselben< Wortes, wobei aber numerisch die mechanische Bildung mit -kait vorgezogen wird. Zum Standardjiddischen hin sind die Doubletten verschwunden, und durchgesetzt haben sich erwartungsgemäß siskejt, ganzkejt usw. Eine Ausnahme macht schwerikejt = schwerkejt (zu schwer, *schwerik existiert im Stj. nicht);101 ein Sonderfall ist rejnkejt/rejnikejt, s. den eigenen Artikel im alphabetischen Teil. Die große Frage lautet dann also: Seit wann überschreitet jidd. -kait deutlich den Bereich, auf den sich standarddt. -keit einpendelt? Die Antwort lautet: schon seit R9, also essentiell seit Beginn der Überlieferung gegen 1400. Man vergleiche R9 und das rezente Jiddisch: blindkait' Dt 28.28, noch stj. blindkejt. durkait Jes 4.6, 25.4, 25.5, 32.2, 35.1, 48.21, 49.10, Jer 17.6, 36.30; noch Harkavy und Zanin darkejt (stj. der, s. oben). ganzkait Jes 1.6 (neben genzkait Jes 47.9, Pr 2.7, 10.29, 11.3, 19.1, 29.10 u.ö.); noch stj. ganzkejt (neben -hejt, s. oben). gutkait Jer 2.7; noch Harkavy und Niborski gutkejt (stj. gutskejt). hertkait Ez 34.4, Hi 30.25; noch stj. hartkejt. lerkait Jes 5.6, 24.12, 30.7, 34.11, 65.23, Jer 51.58, Hi 39.16; noch Harkavy, Zanin und Niborski lerkejt.
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und DZ von 1650) finden können, was daran liegen mag, daß das Hebräische (wie das Standarddeutsche) keine formale Entsprechung zu ihnen hat. Bei ihnen tritt natürlich nie -kejt ein, da hier -hejt nicht in Kontakt zu -ec/-ik geraten konnte. Zu den deutsch-mundartlichen Antezedentien bzw. Parallelen vgl. Henzen § 121 Anm. 6 mit Lit. Freilich kann man sich auch bei einzelnen heute regelmäßigen Paaren wie erstikejt 'Priorität, Primat' - erstik 'primär' oder gerechtikejt 'Gerechtigkeit' - gerechtik 'gerecht' (neben gerecht, das aber hauptsächlich in sajn gerecht 'recht haben' erscheint) fragen, ob nicht das -ifc-Adjektiv sekundär aus dem Abstraktum gebildet ist.
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Teil A, § 23
müdkait Jes 46.1, Ez 24.17; noch stj. midkejt. Stölzkait Lv 26.19, Dt 33.29, Jes 51.9, Pr 8.13, Hi 9.13, 26.12; noch Harkavy und Zanin stolzkejt (stj. stolz, m.). °siis'kait Dt 33.19, Ri 9.11, Jes 17.10, 49.26, Ez 3.3, Hi 36.11, Pr 16.21, Ct 4.11, 5.1, 8.2; noch stj. siskejt. valschkait Ps 101.7; noch stj .falschkejt. °vuchtkait Ct 6.11, Hi 5.26; noch stj. fajchtkejt. vrischkait Hi 8.12; noch Harkavy und Zanin frischkejt (im MEYYED fehlt zu frisch ein Abstraktum). wildkait Dt 30.3, Jes 47.10, Jer 2.19, 5.6, 14.7, Ez 16.53, Hos 6.11, Thr 2.14; noch stj. wildkejt. wustkait Jes 25.5, Hi 30.24; noch stj. wistkejt. Offensichtlich kann also -kait schon in R9 auch an beliebige einsilbige Adjektiva angehängt werden; das ist der Zustand, der im wesentlichen bis zur Gegenwart andauert. Und die einleuchtendste Ursache für diese fast mechanische Handhabung - verglichen mit der ziemlich verwickelten Komplementarität dreier Suffixe im Deutschen - ist eben, daß im Heder ein möglichst einfaches Rezept zur Bildung der Abstrakta aus den Adjektiva hochwillkommen war. Das heißt nun natürlich nicht, daß -hait als Abstraktsuffix abrupt verschwand. Nimmt man die Gesamtlexemzahl derer auf -hait und -kait als 100%, so machen die auf -hait selbst in MM, also innerhalb der Bibelübersetzungsliteratur, noch etwa 20% aus. Noch etwas höher scheinen die Prozentsätze außerhalb dieses Bereichs zu sein: in MB über 35%, in ZuR 25%. (Zählt man statt Lexeme Belege, so sind die Prozentsätze abermals höher, da gerade einige häufige Bildungen wie °kränkhait, "schönhait, 0 worhait besonders resistent sind. Für die Produktivität eines Wortbildungssuffixes ist jedoch die Lexemzahl ein besseres Maß als die Belegzahl.)
24. Adjektiva auf -haftik
Die Adjektiva auf -haftik bilden ein delikateres Problem als die anderen in diesem Zusammenhang zu behandelnden Erscheinungen, weil sie, obwohl in der Übersetzungssprache nicht gerade selten, dennoch im Neujiddischen quantitativ nur schwache Spuren hinterlassen haben. Wie und warum? Im Deutschen werden Adjektiva auf -haftig (neben solchen auf -haft) vereinzelt schon im Ahd., viel häufiger im Mhd., am zahlreichsten im 14. Jh. gebildet. Die Bedeutung des Formans erweitert sich dabei von ursprünglichem 'behaftet mit' zu 'charakteristisch für', und es kann im Mhd. und Frühnhd. anscheinend an beliebige Nominal- und Verbalstämme antreten. Das verleitet zu ad-hoc-Bildungen, die oft kurzlebig sind. So geht der Typ bald wieder stark zurück und lebt heute wohl nur noch fort in leibhaftig, teilhaftig, wahrhaftig (Henzen 1965: § 136 [S. 208], Wilmanns 1899: § 379.3). Ganz entsprechend haben wir in unseren biblischen Materialien 22 Lexeme auf -°haftik gefunden, aber zehn davon nur in je einem Vorkommensfall. Sie verdanken ihre Existenz wohl improvisierenden, punktuellen Verdeutlichungsversuchen. Ein Beispiel mag genügen. In Gn 23.9 kauft Abraham eine Höhle xba η033 'um ihren vollen Silberwert'. Der Redaktor von Mü spürt, daß °um silber vol (so A, K) nicht gerade deutlich wäre, und schreibt um silber völhäftik, findet damit aber keinen Anklang. Beschränken wir uns auf die vier -haftik-Lexeme, die in sechs oder mehr (Übersetzungen oder frei formulierenden) Texten erscheinen. Drei davon geben sehr wichtige Adjektiva der Bibel wieder und sind zugleich unseres Wissens im Jiddischen überhaupt die einzigen -Aq/fr'ft-Adjektiva, die bis ins 20. Jh. überlebt haben: °worhaftik übersetzt 'wahr, fest' (häufiges Attribut Gottes, aber auch anderer Begriffe und Sachverhalte) und gelegentlich auch andere Formen der Wurzel 1QX; es erscheint in einer Fülle von Belegen von R9 (z.B. Ex 17.12, Dt 7.9, 28.59, Jes 1.21, 22.23, Pr 25.13, 27.6, Hi 12.20) bis BM (z.B. Ex 17.12, Dt 28.59); in frei formulierten Texten: SM 62v4 u.ö., ShJ 4r u.ö., 26mal in HiP, MR 46.27, 114.80, SJ 7r26 u.ö. (40x), Br 34.31 u.ö., ZuR 7vb47 u.ö., TA 2r37 u.ö., Smt 9r u.ö., Bhm 12r u.ö., BhmA 11 ν u.ö., GL 2vl u.ö. - bis stj. worhaftik.
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Teil A, § 24
°schalkhaftik übersetzt ^ai und (adjektivisch gedeutetes) also zwei der stärksten Ausdrücke für menschliche Bosheit, und reicht ebenfalls von R9 (z.B. Dt 32.6, 32.21, Pr 6.12) bis BM (Dt 13.14, 32.6, 32.21); in frei formulierten Texten z.B. SJ 56r4 u.ö., MB 104.36 u.ö., Br 200.31, 200.32, 200.34, ZuR 5va40, 129ra22, 192va44, TA 2vl6, dazu NH - schalkhäftiger - maligno - malignus - bis stj. schalkhaftik 'böse, schurkisch' (nicht 'schalkhaft'). °zwejghaftik beginnt atypisch R9 Gn 22.13 in zwäghäftik ~ "^303, wird aber bald (z.B. Lo und Spätere, Dt 12.2) zur Normalübersetzung jenes ]isn 'reich an Zweigen, üppig sprießend', das oft, aber längst nicht immer, Inbegriff unerlaubter Naturkulte war; es erscheint z.B. auch El Ps 37.35, 52.10, 92.11, 15, ShJ l l v , HiP 15.32, ZuR 159Λ15, Smt 45r und noch bei Jeh (Dt 12.2; Ps 37.35 u.ö.) und bei Harkavy. Wir glauben also, daß diese - anscheinend einzigen - Überlebenden der -haftik-Familie ihr Überleben ihrer ungewöhnlich guten Ausgangsposition in der Übersetzungssprache verdanken. Das Überleben knapp verfehlt hat das vierte Lexem, demhaftik 'demütig'. Es entstand wie folgt. Seit dem 15. Jh. erscheint 'demütig' im Jiddischen oft mit hl in der Mittelsilbe: R13 Ps 18.36 temetikait; Lo Nu 12.3 temetig; in dem Lied >Adir hu< am Ende der Haggaden Prag 1526102 und Mantua 1560A (Tröger 1995: 5) demetiger got; MM Sach 9.9 demetik ~ "•ly, Pr 15.33 demetikait ~ ΠΊ15). Damit wurde lange nach dem ersten auch der zweite Teil von mhd. diemuot unanalysierbar. Das Adjektiv sah jetzt - zumindest im Einflußbereich des binnendeutschen Konsonantenzusammenfalls - ähnlich wie °hinkedig, °zweigedig aus. Man konnte also einen vermeintlichen Kern dem-/dem- isolieren, und so, wie viele Redaktoren °zweighaftik vor °zweigedik bevorzugten, ergab sich spätestens im frühen 16. Jh. ein °demhaftik: MM Nu 12.3, Jes 11.4 demhäftig ~ IIS), 2S 22.36, Ps 18.36 demhäftikait; BM Nu 12.3 demhäftig. Kurz nach dem Auftauchen innerhalb der Bibelsprache wird das Wort auch außerhalb sichtbar: ShJ l l v demhäftikait, Shg 2rl8, 10v9, 10, 25 demhäftig, TM 206.3, 4 demhäftig, 186.16 demheftikait, ZuR 160rb31 demhäftig, 140rb26 demhäftikait, Bhm 9v, BhmA 9v demhäftig, NH IIS? - demhaftiger - umile - humilis und 1699 Wagenseil in der Umschrift des >Adir huCollege Yiddishein guter Mann< - >der gute MannGutesviel Gutes< - >das Gutealles Guteein Gefangener, Beamter, Verwandten - >der Gefangene, Beamte, Verwandteinkorrekte< s-Formen (Belege in Gegenrichtung, also für ein Fehlen von -s, wo es im Deutschen stehen müßte, sind uns nicht bekanntgeworden): MM Jos 15.19 däs dürs 'der Negev'; PuW 4.3, 154.8 das/däs' guts, 70.3 zu guts, zu er, 516.2 in ale guts (PI.!), 708.4 däs si mit guts ver-schlis ir tegen\ HiP 21.13 I1??' •Π-ΖΤ 3itfl? - si' ver-schleisen in guts ire teg, 22.18 Πίϋ ΠΓΓΡα Χ1ΠΊ ~ ist er der, der do hot geviilt ire höuser ale guts, 42.11 *7S? ~ ouf al däs böses, Anh. 2.59f. wirdik [...] zu sölchom guts·, Mi 12vl5 das guts, 28vl8 das gebrotens\ Br 3.30 u.ö. °das gutes, 11.5 °von fil gutes, 11.12 "von dem gutes, 120.11 u.ö. °ales gutes; MB 5.2 das gekechts',104 BM Nu 10.32, Koh 5.10 das/däs guts'; ZuR 28vb42 u.ö. ales guts, 29vbl9 u.ö. däs guts. Hier drängt sich folgender Schluß auf. Zumindest bei 'gut' und 'böse' ist neutrische Substantivierung speziell in biblischer oder bibelnaher Sprache so häufig,105 daß die Flexionsfrage nicht gut unterhalb der Bewußtseinsschwelle geblieben sein kann. Vor etwa 1540 entscheidet sich die Autorenmehrheit noch für formale Korrektheit, danach für inhaltliche Angemessenheit (substantivischer Begriff verlangt substantivische Flexion). Zur letzteren Gruppe gehören übrigens auch Autoren mit kraß westjiddischer Sprache wie PuW, HiP, MR, Mi, so daß die Entscheidung nichts mit einem Ost-West-Gegensatz zu tun hat. Vermutlich ist also in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. in den meisten Hadorim schon unveränderliches guts gelehrt worden. Nach Lineoff (1963: 66-68) sind im Jiddischen beim normalen Adjektiv (vom substantivierten spricht sie nicht) die beiden Flexionen im Maskulinum und Neutrum im 16. Jh. noch geschieden und erscheinen erst in den PB von 1619 »for all practical purposes« zusammengefallen. Dieses Er-
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Im Deutschen ist demgegenüber ein das Guts (mit Immobilisierung des -s) nur als kindersprachliches Wort für 'Bonbon, Leckerei' (etwa von Köln an südwärts) zu verzeichnen, DWb Guts (ohne historische Belege!), nicht aber bei der sonstigen Substantivierung des Adjektivs (DWb gut Adj., Vin BC und IX AB). Für den Autor des Br ist °gekochts schon so sehr Substantiv, daß er es als zweiten Teil eines zusammengesetzten Substantivs benutzen kann: °gojim-gekochts 'NichtjudenGericht' (= von Nichtjuden gekochte Speise) 136.4 (als Übersetzung des unmittelbar vorhergehenden bissul gojim). Daß 'Böses' in der obigen Liste nur vereinzelt erscheint, liegt daran, daß hier die beiden s-Laute verschmelzen (und zudem für die meisten Schreiber die Auslautverhärtung das Problem kaschiert).
Substantivierte Adjektivneutra
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gebnis ruht dort zwar auf einer bedenklich schmalen Materialbasis, in der übrigens für den entscheidenden Zeitraum die Bibelsprache überhaupt nicht vertreten ist; aber wenn es auch nur einigermaßen zutrifft, kann im allgemeinen jiddischen Sprachbewußtsein der Heder-Absolventen die Bibelsprache vielleicht sogar mit ihrem guts noch eine gewisse Schrittmacherfunktion, jedenfalls aber gegenüber deutsch-inspirierten retardierenden Einflüssen wiederum eine Legitimationsfunktion gehabt haben.
26. Der s-Plural
Der Ursprung des Pluralmorphems -s (im Jidd. in gewissen Fällen -es) ist sowohl für das Jiddische wie für das Deutsche umstritten. Die deutschen Verhältnisse zu kennen, ist auch für die Beurteilung der jiddischen Verhältnisse nicht unwesentlich. Im Deutschen ist der j-Plural nach Johannes Franck (1882: 321) französischer Herkunft, und zwar über Flandern und Niederdeutschland vermittelt. Nach Öhmann (1924 passim) und Schirmunski (1962: 422ff.) hat vielmehr der genuin-germanische (essentiell ingväonische) Plural auf -os (-as) > -es (wie in engl, days), obwohl er im Niederdeutschen des 10.-12. Jhs. abzusterben schien, ebendort eine Latenzphase bis gegen 1300 überstanden und sich seitdem wieder ausgedehnt, zuerst vor allem bei den Nomina agentis auf -er(e), bald auch bei Wörtern auf -el, -en (einschließlich der -&en-Diminutiva). Heute ist er im Niederdeutschen (samt kleinen ripuarischen und nordthüringischen Nachbargebieten) in diesen und kleinen formal ähnlichen Kategorien ganz gewöhnlich. Weiter südöstlich, vom Obersächsischen bis zum Frankfurter Raum, ist er seit dem 17., spätestens 18. Jh. wenigstens bei einer Reihe von Personenbezeichnungen (Kerls u.ä.), bei Diminutiven (-chens, -leins) und bei wenigen sonstigen Sachbezeichnungen (wie Talers, Ofens, Möbels) gängig. Zugleich wird er zum Normalplural aller nicht gräko-lateinischen Fremdwörter (Leutnants usw.) und aller Substantivierungen (die Warums usw.) - Funktionen, die er dann auch in der Standardsprache bis heute konkurrenzlos ausfüllt. Bedenkt man allerdings, daß er im flämisch-holländischen Sprachgebiet sich früher hervorwagt (12. Jh.) und zu allen Zeiten noch stärker vertreten ist als im durchschnittlichen Niederdeutsch, so sollte man gegen Schirmunski106 Francks Theorie nicht schlechthin verwerfen, sondern mit Öhmanns Theorie zu harmonisieren suchen. Das jiddische Plural-j wurde von Birnbaum (1922: 37f. und 1974: 40f.) und King (1990 passim) auf hebräische, von Bin-Nun (1973: 28 und 115 Anm. 1) auf (jüdisch)französische Ursprünge, von M. Weinreich (1973: 106
Auch Schirmunskis Argument, »daß im damaligen Französischen die Endung -s noch nicht als Pluralkennzeichen verallgemeinert worden war«, ist irreführend: Grundlage der Übernahme ist der Obliquus, und der endet im Plural seit frühester Zeit a u s n a h m s l o s auf -s.
Der s-Plural
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2.63-68 und 4.91ff. = 1980: 408-412) auf eine Kombination beider zurückgeführt; King hält außerdem eine frühe (aber doch sekundäre) Beeinflussung des Ostjiddischen in polnischen Städten durch norddeutsche (und vielleicht ostmitteldeutsche) Ostsiedler für möglich. Wir selbst haben zweimal (Timm 1977: 23f., 1987: 364 mit Anm. 14) das frühe Belegmaterial vermehrt und zugleich darauf hingewiesen, daß sich eine befriedigende Antwort nur bei Unterscheidung mehrerer Entwicklungsphasen geben läßt; denn der jiddische s-Plural ist weder linear angewachsen noch stets aus derselben Quelle gespeist worden. Hier nun eine gedrängte, aber möglichst vollständige Liste aller Belege vor 1660, sowohl der schon bekannten als auch der von uns in der Bibelübersetzungsliteratur gefundenen: Erste Phase: Bis um 1435 (also aus hebr. Werken und aus R9) - Raschis Talmud-Glossen: °(h)amfers, °kniehoses, °ristes (Darmesteter / Blondheim 1929: Nr. 577, 617 bis, 901c). Wir glauben (Timm 1985 passim) gezeigt zu haben, daß es keinen Grund gibt zu bezweifeln, daß diese Glossen von Raschi selbst stammen. - Elieser b. Natan (Mainz, erste Hälfte 12. Jh., nach Erstausgabe Prag 1610; Güdemann 1880: 278): urhäns, bechers/bechers, herings, runges. - Kommentar zu 2Ch (hier 26.10 D n a x und 34.11 r r m n a ; 12. Jh., Textzeugen 16. Jh.; Aptowitzer 1908: 88f.): buvers 'Bauern', spänges 'Klammern'. - Elieser b. Joel ha-Levi (aus Bonn, gestorben um 1225; Π'^ΪΝΊ ISO, ed. Aptowitzer, zitiert nach M. Weinreich loc.cit.): fladons, wrimseles.107 -
>Or Zarua< (13. Jh.; Güdemann 1880: 278 und 215): brezles\
ΠΙΠΠΙΧ
'Zotten' (sehr problematisch; vgl. M. Weinreich 4.91 f.). - K1A (die Hs. des Kleinen Aruch von 1290; Timm 1977 loc.cit.): ames, ankers, gäles (2x; neben gäleri), helmes, livkoches, päches, pales, rimes (neben remeri), ristes (neben risten, 2x), rates, swämes, smerzes. - Mün66 (jidd. Glossen in einem hebr.-hebr. Glossar, Grundstock um 1300, Kopie 16. Jh.; Staerk / Leitzmann 1923: 12): °lates 'Gitterfenster' 2 Κ 1.2, °markes 'Grenze' 2 Κ 3.21. - K1A (Beschwörungsformel, Zusatznotiz zweites Viertel 14. Jh.,108 Timm 2003: 18): dinges. - Zürcher >Sma"k< (frühes 14. Jh.; Güdemann 1880: 278): strigels.
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Wir übergehen hier und bei Späteren °sargenes. Da von diesem Wort nur der Stamm sarg- als international zu erweisen ist, dürfte eine Bildung vom Typ dt. Leinenes, Tuchenes vorliegen (vgl. M. Weinreich 1973: 4.94 nach Grünbaum 1882: 502-504); man beachte, daß das Wort auch laut Weinberg 1994: s.v. ein singularisches Neutrum ist!
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Paläographische Datierung von S. A. Birnbaum, brieflich an E. Timm.
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Teil A, § 26
- >Sefer ha-Assufot< (Worms, frühes 14. Jh.; Güdemann 1880: 278f.): bukings, birkhuners (doppeltes Suffix!), °breztels (3x, mit Varianten), gebäkenbirs 'gebackene Birnen', herings, muskäts, näglins, plumweders, pänköches/pänkuches, kächels, Sterkes.109 - R9 (Ende 14. Jhs.): di bergers 'Berge' (doppeltes Suffix!) Jer 17.3, legers Gn 49.4.110 - >Sefer Mahari"l< (kompiliert hauptsächlich kurz nach 1427, ed. Spitzer 1989): frimseles 85, 129, vrimseles 169, lätes 365, dazu essentiell gleichzeitige Zusätze: wimpels '(Tora-)Wimpel' (nicht mit Spitzer 'Wams') 452, härings 528. Charakteristisch für diese erste Phase ist, daß sich das Plural-,ν nicht auf bestimmte Deklinationstypen eingrenzen läßt. Schon das führt gebieterisch auf romanischen Ursprung.111 In dieselbe Richtung weist aber überdies, daß zumindest drei der genannten Quellen, nämlich Raschi, Elieser b. Natan und K1A, auch französische Glossen, und diese natürlich mit -s als einzig möglicher Pluralendung, aufweisen: Es tut sich also vor unseren Augen sehr konkret der breite Berührungs- oder vielmehr Durchdringungsbereich beider Kulturen auf. Man könnte fragen, ob denn die Bausch-und-Bogen-Übernahme einer Einheits-Pluralendung nicht eine zu grobschlächtige Annahme sei, um plausibel zu sein. Doch geht der Bildungstyp vermutlich schon zurück auf nach Aschkenas einwandernde Sprecher des (Jüdisch)Französischen: Sie mußten immer mehr >Fremdwörter< aus ihrer neuen Umgebung aufnehmen, integrierten diese aber selbstverständlich in ihre muttersprachliche Morphologie, statt das aus ihrer Perspektive äußerst komplizierte mhd. Pluralsystem mitzuübernehmen. Den etwas späteren Sprachwechsel überstand der Typ dann zunächst wegen seiner Einfachheit. Daß sich die Schreiber der obigen Belege im Normalfall schon einen jiddischen Sprachkontext (und nicht ein jiddisches >Fremdwort< in einem jüdischfranzösischen Sprachkontext) vorstellten, wird nahegelegt nicht nur durch das ausdrückliche bilson askenaz (abgekürzt das im K1A (Timm 1977: 23a) und auch sonst 109
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Und möglicherweise sälmes, das zweimal im >Sefer ha-Assufon und in einigen etwa gleichzeitigen Quellen belegt ist, wenn man es nämlich als altjiddisches Lehnwort aus dem (Jüdisch)Französischen anerkennt. Dazu kommt nahezu sicher noch trumpeltrarjos 'Dromedare' Esth 8.10, wozu allerdings der Singular nicht zu ermitteln ist. Das Wort ist dann passim bis ins spätere 17. Jh. belegt (vgl. unten den Art. trumpltreris) und muß, falls das Isl an ihm Pluralzeichen ist, für die oben zu behandelnde zweite und dritte Phase den Internationalismen zugerechnet werden. Daß in dieser Liste Wörter, die im Mhd. identischen Plural haben (vielleicht einschließlich solcher, die bei Apokope identischen Plural bekämen), überrepräsentiert sein mögen, ist verständlich: bei ihnen zeichnete sich ja der s-Plural nicht nur durch systematische Einfachheit, sondern überdies durch Deutlichkeit aus.
Der s-Plural
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(im >Sefer ha-Assufot< sogar regelmäßig, Güdemann 1880: 279 oben) neben der Glosse steht, sondern auch durch den Plural dinges in einem kohärenten Text (der Beschwörungsformel im K1A), durch die doppelt bezeichneten Plurale birkhuners im >Sefer ha-Assufot< und bergers in R9 sowie durch den bestimmten Artikel di in R9. Man kann also nicht etwa die ganze Erscheinung n u r dem Schlußakt eines schon überfremdeten Jüdischfranzösischen zuschreiben. Zweite Phase: Von etwa 1435 bis 1580 - R13 (um 1440): pulzels Ps 78.63. - Isserlein (um 1450; Lunski 1924: 290f.): herings (2x), mdrkeles 'Makrelen'. - >Leket joscher< zu Isserlein (Hs. vor 1475; 1.44.14 und 18, 1.60.36, 1.34.30): käperöns, kutes, limones, vrumseles. - Lo (15. Jh.): eselins Gη 12.16, 32.16, 45.23, judins/judinis Ex 1.15, 16, 19, 2.7. - EM (15. Jh.): judins 134. - Mab (Hs. um 1500, 99r): pulzels. - M M (um 1534): eselins Gn 12.16, bekens 'Bäckerinnen' 1S 8.13, herins Ri 5.29, wirzlerins I S 8.13, judins Ex 1.16, malerins 'Müllerinnen' Koh 12.3, kochins I S 8.13, klegerins Jer 9.16, schöperins Gn 24.11, schelkins Hi 2.10, schefins 'weibliche Schafe' Gn 21.28, 21.29, speiserins 'Huren' 1Κ 3.16. - Sb, Hs. Ρ (16. Jh., wohl vor 1544; ed. Süsskind 1942): eselins 137.2, 138.1, 138.3, 141.1, 142.2, 158.3, 165.1. - Mü Gn (~ 1530): eselins 12.16, 32.16, 45.23, kemlichs 24.20, 37.25 (sonst passim kemlich), schöper-rins 24.11. - PuW (~ 1540): letres 125.7, pulzels 168.2 (+ Titelblatt letres). - Italojiddisches Dokument von 1543 (Schulwas 1950: 169 Anm. 46): kimpeterins. - A (1544): iselins Gn 45.23, judins' Ex 1.15, 16, 19, 2.6, 7, pülzels Thr 1.18, 2.21, schefins Gn 21.28, 29, schöpferins Gn 24.11. - Κ (1544; schon zitiert von Staerk / Leitzmann 1923: 142 Anm. 4): herins Esth 1.18. - El Ps (1545): giselins 45.15, poukerins 68.26, pülzels 45.15, 78.63, 148.12, schefins 78.71. - Gu (Hs. um 1555): judens 614, dinerins 882. - LBr (1560, Versvorwort): letres. - HiP (1579): eselins 1.3, eselines 42.12.112 112
Max Weinreich (1928: 143f.) zitiert aus der >Ma'ese vun Würms< (Hs. wohl um 1530) ein Kinderspiel namens C ^ ' l i a a Tlj?; Bildungen dieses Typs sind aber alte Genitive Singular (Henzen 1965: 245).
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Teil A, § 26
So unmöglich es während der ersten Phase war, -s auf bestimmte Substantivtypen einzugrenzen, so sehr drängt sich für die zweite Phase eine Eingrenzung auf: Etwa zwei Drittel aller Belege sind weibliche Personenbezeichnungen auf mhd. -in(ne), etwa ein Drittel Internationalismen. Sehen wir uns beide Gruppen genauer an. Die Feminina auf -in(ne) haben im Mhd. identischen Plural, so daß selbst beim Dazutreten des bestimmten Artikels beide Numeri von vornherein im Genitiv und Akkusativ, allmählich auch im Nominativ identisch sind - ein Zustand, den auch das Deutsche allmählich aufgibt, indem es den Plural in die schwache Konjugation (-innen) überführt. Sei es, daß das Jiddische schon gegen den starken Identitätsplural reagierte, sei es, daß es auch -innen noch als zu schwach determiniert empfand (in großen Teilen des dt. Sprachgebiets tritt in der Umgangssprache Ekthlipse ein: -inn) - das Jiddische führte den s-Plural ein. Da nun im späteren Mittelalter auch in der hebr. Komponente die Pluralendung Di" wie etwa in ni1?? (zu Π1?? f. 'Braut'), aber auch in n n n (zu Ί Π m. 'Generation') in nichtsakraler Aussprache zu l-esl geworden war (und die meist zugehörige Singularendung ϊ\~ zu l-el\ Diskussion bei Timm 1987: 343f., 346f., 353f.), ergibt sich auch hier ein /-s/-Plural (Ikalel: /kale-sf) bzw. ein /-es/-Plural (Idorl: /dojr-esf), wobei die große Mehrzahl der Fälle auf das Femininum entfällt. Leitet man also den s-Plural bei den Wörtern auf mhd. -in(ne) in der zweiten Phase aus hebr. Di" ab, so sind damit sowohl der zeitliche Ablauf 113 wie auch die Präponderanz des weiblichen Geschlechts erklärt.114 Aber es gibt nun einmal auch in unserer zweiten Phase jenes Drittel der Belege, bei dem die >hebraistische< These durchaus versagt. Der Begriff >InternationalismusOr Zarua< (aus der ersten Phase, s. oben) ist mit drei Hypotheken befrachtet: η ist (jedenfalls im Wortinnern) nicht für deutschkomponentiges Itl zu erwarten (Timm 1987: 296); graphische Gemination findet sich schon im ältesten Jiddisch nur als große Ausnahme, und dann nur bei Sonoren (Timm 1987: 255); und: der Autor von >Or Zarua< ist jüdischslavischer, nicht jiddischer Muttersprachler. Alles das macht Spekulationen darüber, ob es ein Vorläufer der zweiten Phase ist, äußerst unsicher.
114
Der rhythmische Unterschied zwischen einerseits (mhd. jüdinne, köchinne >) stj .jidene, kechne und andererseits (mhd. küniginne >) stj. kinigin ist in älterer Zeit - wahrscheinlich aus graphematischen Gründen - nicht zu erkennen. Er würde aber auch die obige Diskussion nicht beeinflussen, da erstens strenggenommen das Suffix synchronisch beidemal l-sl ist (wie bei /kale-sf), zweitens aber auch für eine logisch weniger stringente Analyse ohnehin beide Suffixvarianten l-sl und l-esl zur Verfügung stehen.
Der s-Plural
105
rerseits typische Wanderwörter wie käperons oder limones einschließt (die wenigstens prinzipiell religionsindifferent sind und in der Regel mit der Sache selbst wandern). Dabei ist limönis interessant, weil es weder mit dem ital. Plural limoni noch mit dem frz. Plural limons voll zusammenfällt, sondern eben auf eine etwas vagere Weise ein >Internationalismus< ist. Selbst herings (frz. harengs) und markeles (frz. maquereaux) bei Isserlein könnte man mit gewissem Recht als Internationalismus bezeichnen; vielleicht ist es aber richtiger, sie als Relikte - möglicherweise hauptsächlich schriftlich tradierte Relikte - aus Phase I anzusehen. Wie dem auch im einzelnen sei, von Phase II können wir jedenfalls sagen, daß sich der historisch-französische s-Plural von seiner Allverwendbarkeit in Phase I jetzt, nach dem fast völligen Untergang des eigentlich französischen Judentums, zurückzieht auf die Verwendung bei Internationalismen - eine engere, aber typologisch um so interessantere Funktion.115 Dritte Phase: Seit 1580 -
MR (um 1585):
-
S (1594): letres 32r.
-
SJ (1595): kechins un" bekins 62bv, begerirs 76v. Br (1596): °ver gesers Gotes ~ bx -nDW 159.31. ZuR (~ 1600): gέbrechens 173rb46, sekles 164ral8,
-
34, letres
pülzels
69.6, 69.21, 69.39.
lauferens
31vb33,
143ral0.
-
MB (1602):
-
B M (1604): seherins Koh 12.3, schefins Gn 21.28, scheferins Gn 24.11.
pilzels
120.18, 30, 33, 37, 252.12.
- PB (1619): mumes 39.25. - Mag (1630; hier zitiert nach Staerk / Leitzmann 1923: 309): 'Gesellinnen' Ri 11.38.
115
°geselens
King (1990: 51) glaubt, das jidd. Plural-ί könne nicht aus dem Jüdischfranzösischen stammen, weil romanisches Isl im Jiddischen >normally< Isl ergeben habe. Es gibt für dieses >normally< aber nur die beiden Belegwörter Vivus > Fajvis und Senior > Snejer (beides also Eigennamen), und obwohl Max Weinreich sie besser als jeder andere kannte (1973: 2.54 und 63 = 1980: 399 und 408), hat er sie gleich darauf durchaus nicht für Gegenargumente zu seiner Theorie vom romanischen Ursprung des jidd. j-Plurals gehalten. In der Tat haben stirdisch (sterdisch) / stirdes und sargenes Isl, nicht Isl. Ersteres kommt aus dem Jüdischfranzösischen (M. Weinreich 1973: 2.59f. = 1980: 404f.); von letzterem behauptete ebendas schon Elia Levita (M. Weinreich 1973: 4.67 und 94). Umgekehrt kann Fajvis attrahiert sein durch die slavischen Namen auf -iS und -u$, die ja im Jiddischen, selbst im Westjiddischen, schon im Mittelalter gut belegt sind (Timm 1987: 360). Und Snejer ist wohl schon wegen der beispiellosen Metathesis als Aussprache nach der Schrift anzusehen (wahrscheinlich unter Einwirkung der Volksetymologie 11X + 'Itf und der Tatsache, daß die deutsche Komponente nur ISn-l, nicht Isnl kennt).
106
Teil A, § 26
- Joel Sirkes (gestorben 1640; RGA 74, zitiert nach M. Weinreich 1973: 4.91): Moskewiters. - Smt (1644): judens 31r, 31v, schreibens ('Briefe') 62r. - KO, Erstdruck (anscheinend Prag) kurz vor September 1648 (zitiert nach Shmeruk 1988: 130): CPOXp, stj. kose's - poln. kosy, PI. von stj. kose ~ poln. kosa 'Sichel'; T,l?UOXD, jidd. (Harkavy) posteles ~ poln. postoty 'Sandalen, Schuhe'. - Dasselbe, Nachdruck Amsterdam, nur wenig später (nach Shmeruk loc.cit.): ersteres fehlt, letzteres ist durch r ^ D ' ü ü 'Stiefel' ersetzt. - G L (um 1650): kind-beterins 8rl4. - Rechtsgutachten (erste Hälfte 17. Jh.; Rubaschow 1929: 179) schwegerins. - Rechtsgutachten (1657; op.cit. 173): tWU^Xp, stj. koltns/koltenes ~ poln. koltuny 'Weichselzöpfe'. - NH (1660): letres, pin teles, psälmes.I16 Wir brechen mit dem Jahr 1660 ab, da praktisch der heutige Stand erreicht ist. Wie man sieht, leben die s-Plurale der Phase Π weiter und machen reichlich die Hälfte der Belege aus. Daneben finden wir eine, vielleicht zwei neu hinzugekommene Gruppen. 1) Wörter auf unbetontes -er, -el, -en und zweifellos auch -em (wobei letzteres infolge seiner relativen Seltenheit im obigen Belegmaterial fehlt). Hier liegt die Schwierigkeit darin, daß solche Wörter schon innerhalb der Phase I eine bedeutende Rolle gespielt haben, in der Phase Π aber bisher nicht mit s-Plural aufzufinden sind. Ist diese Lücke von etwa 1435 bis 1580 eine echte, so mag King (1990: 52f.) recht haben mit seiner Vermutung, daß hier in Polen das Deutsche norddeutschen (bzw. ostmitteldeutschen) Typs nachgeholfen haben könnte. Α priori ist aber nicht gerade wahrscheinlich, daß eine Sprache mit relativ wenigen s-Pluralen (das sind auch diese Varietäten des Deutschen) solche Plurale in eine Sprache hineinträgt, die davon schon mehr hat (wie das Jiddische selbst in Phase Π). Schwer einzusehen ist auch, weshalb die jiddische Abneigung gegen identische Plurale sich in Phase I (als statistisch förderndes Moment) und in Phase ΙΠ (als auslösendes Moment), aber nicht in Phase Π auswirken sollte. Falls sich also irgendwann diese Lücke von knapp 150 Jahren durch einzelne weitere °-ers oder °-ens entwerten läßt, bekommt Max Weinreich recht mit seiner Zusammenschau vom bechers des 12. bis zum bechers des 20. Jahrhunderts. Aber auch solange solche Belege nicht da sind, scheint uns eine (dünne) Kontinuität des genetisch romanischen Anteils am jiddischen s-Plural durch die Internationalismen der Phase II gesichert. 116
Hingegen ist geschrifts vermutlich schon Singular wie im Standardjiddischen, wo der Plural geschriftsn lautet.
Der s-Plural
107
Diese Internationalismen sind noch in anderer Hinsicht von Bedeutung. Da die durchschnittlichen Sprecher einer Sprache die Vorgeschichte von Entlehnungen nicht im einzelnen kennen, wird ein Pluralmorphem für Internationalismen fast automatisch zu einem Universal-Pluralmorphem für Neuübernahmen aus beliebigen Sprachen, sofern diese Übernahmen sich nicht durch ihre Endung unwillkürlich einer schon bestehenden Gruppe einpassen. Van Dam (1951: 183, zitiert nach King 1990: 52) nannte das einen >Notpluralneuen< Gruppe von s-Pluralen. Es geht um: 2) Die große Mehrheit der Slavismen. Sie bekommt bei vokalischem Wortausgang (der im Jiddischen in der Regel zu -e wird) einfaches -s, bei konsonantischem Wortausgang -es: chate 'Hütte' - chates (~ poln. chata chaty), slup 'Pfosten' - slupes (~ poln. slup - slupy). Eine Minderheit von Slavismen geht statt dessen noch in ältere Paradigmen ein. So schließt sich koltn 'Weichselzopf' (~ poln. koltun) entweder noch den deutschkomponentigen Wörtern an: stj. koltns - oder folgt der Slavismen-Regel stj. koltenes. Da nun im Slavischen ausnahmslos alle Wörter im Nom. PI. auf Vokal ausgehen (der im Jiddischen noch zu -e werden müßte), kann man die jidd. Plurale chates, slupes gegenüber dem theoretisch zu erwartenden *chate, *slupe (< chaty, slupy) als - zunächst tautologische - Verdeutlichungen mit Hilfe des -s und damit als Fälle des >quasi-universalen Neuheitenplurals< ansehen. Diese Entwicklung erschiene uns psychologisch völlig unverständlich, wenn wir das Ostjiddische mit Wexler als eine relexifizierte slavische Sprache ansähen. Das Prinzip, tonlose Schlußsilbenvokale in ein einziges Neutralvokalphonem zusammenfallen zu lassen, ist doch den west- und ostslavischen Sprachen unbekannt und setzt einen phonetischen Grundhabitus germanischen Typs voraus. Aus Wexlers Perspektive könnte es also in anfangs slavischem, dann jiddischem Munde nur eine mechanische Übernahme von außen sein (und selbst für diese wäre übrigens das Modewort >Relexifikation< in ganz ärgerlicher Weise zu eng). Da sollte dann ein mechanisch übernommenes Prinzip mit solcher Konsequenz durchgehalten worden sein, daß es das überkommene Pluralsystem der einzigen »native [...] component of Yiddish« (Wexler 1991a: 14) völlig funktionsunfähig machte und die Sprecher zwang, in einer Gipfelleistung von Selbstentäußerung ausgerechnet diese Komponente im Plural so neu aufzubauen, als bestünde sie aus lauter Neuheiten? Völlig plausibel ist der Verlauf hingegen, wenn die slavische Komponente im Jiddischen die jüngste Komponente ist - wie im Standardmodell (M. Weinreich 1973). Denn dann unterwarfen die Einwanderer aus Mitteleuropa die gehörten slavischen Pluralformen noch i h r e m >nativenüberarbeiteter< Reflex von slupy.ni Doch wie dem auch sei - der s- (samt dem es-)Plural ist ein deutlich und einfach markierter Plural und mußte deshalb den Hederlehrern zur Wiedergabe der ja ebenfalls deutlich markierten hebräischen Plurale bewußt oder unbewußt willkommener sein als etwa der Identitätsplural. So hat die Bibelübersetzungssprache den s-Plural wenn nicht gerade durchgreifend gefördert, so doch auch nicht gemieden. Pluralbildung gehört zu jenem instrumenteilen, praktizistisch gewerteten Teil der Sprache, in dem Deutlichkeit erwünscht ist, aber sonst keine restringierenden Vorstellungen bestehen, insbesondere keine konservativ-ästhetisierenden. Und wenn der Melammed den s-Plural benutzt, warum sollten seine Schüler dagegen Hemmungen haben? Man kontrastiere damit den Purismus, mit dem die deutsche Schule zumindest des 19. und 20. Jahrhunderts Formen wie Bräutigams, Briefleins, Blättchens, Möbels, Passagiers (Schirmunski 1962: 425) zwar nicht mehr dem Johann Wolfgang von Goethe, wohl aber ihren Schülerinnen auszutreiben vermochte, während sie nur bei Jungens, Mädels, Kerls einigermaßen an der Beharrungskraft der lebendigen Alltagssprache scheiterte.
117
Der Status des lel im Nominaltyp slupes (statt *slups) scheint uns übrigens durchaus vergleichbar mit demjenigen im Verbaltyp straschen (statt *straschri).
27. Die Diminutivplurale
Diminutiva gibt es in der hebr. Bibel fast gar nicht. Selbst wenn man außer dem leidlich sicheren litt^X 'Pupille' (= 'kleiner Mann im Auge') noch eine Handvoll semantisch weniger einleuchtender Bildungen auf I i - und als Diminutiva anerkennt (vgl. etwa Gesenius / Kautzsch / Bergsträsser § 86g, Bauer / Leander 500f.), darf man sicher sein, daß mittelalterliche Bibelleser sie nicht zu einer semantisch definierten Kategorie zusammenfassen konnten. Dennoch fehlt es in der jidd. Bibelübersetzungsliteratur von Anfang an nicht an Diminutiven. Sie ergaben sich also nicht aus der Nachahmung einer bestimmten hebr. Form, sondern jeweils aus semantischen Gründen. Wie stand es mit den Voraussetzungen in der deutschen Komponente? Das Deutsche mag in grauer Vorzeit sehr diminutivarm gewesen sein, für die mhd. Zeit gilt dies aber nicht mehr (Diskussion z.B. bei Henzen 1965: 140f.). Und da in der hochdeutschen Gesamtüberlieferung das Z-Diminutivum gegenüber dem k- bzw. c/i-Diminutivum bis ins 14. Jh. fast alleinherrschend und bis ins 17. Jh. majoritär war (Henzen op.cit. 148f.), zudem in der Umgangssprache und den Mundarten bis heute in der ganzen Südhälfte des dt. Sprachgebiets (einschließlich der Südhälfte des Ostmitteldeutschen!) herrscht (König 1994: 157 Karte), wo auch die große Mehrheit der frühen jiddischen Texte entstanden sein dürfte, ist es nicht erstaunlich, wenn wir innerhalb der jiddischen Bibelsprache das c/i-Diminutivum überhaupt nur wenige Male in R9 (auch dort neben dem /-Diminutivum, s. unten) vorgefunden haben, so etwa kremchen 'Haken' (= 'Krampen') Ex 26.6, heftchen 'Überwürfe' Jes 3.23, ketchen Jes 40.19, ferner (nach Stammauslaut -k-) additive (Z+cA-)Bildungen wie hekelchen 'Haken' - 'II Ex 27.10, hukelchen 'Gabelhaken' Ez 40.43, zikilchen Ct 1.8 (alles Plurale). Sonst herrscht erwartungsgemäß durchaus das /-Diminutivum. Was die Numeri angeht, halten wir eine genaue Untersuchung der Singularformen gegenwärtig nicht für vordringlich. Die Hauptfrage ist vielmehr das Vordringen der ja für das heutige Jiddisch so charakteristischen Plurale auf -lieh (stj. -lech, heute dialektal auch -lach).m Dieser Diminu118
Mit dieser unserer Entscheidung hängt auch zusammen, daß wir im folgenden nicht zwischen erstem und zweitem Diminutiv unterscheiden werden. Die schriftliche Uber-
110
Teil A, § 27
tivtyp einschließlich seiner frühen Spezialisierung auf den Plural stammt eindeutig aus dem Deutschen; vgl. zuletzt Stopp (1978: § 27 mit reichlichem Belegmaterial und Literatur), ferner Wrede (1908: speziell 126), DSA Karte 59, Schwäb. Wb. s.v. -ach, -lein, Schirmunski (1962: 483f.). Um 1870 war er in den deutschen Mundarten noch in essentiell vier kleineren Gebieten vertreten, die sich von Landau in der Pfalz bis Schweinfurt in Ostfranken und Rudolstadt in Thüringen hinzogen; im Spätmittelalter jedoch muß er viel weiter nach Süden und Südosten gereicht haben, zumindest bis in die Stadtsprache von Augsburg und in die Sprache der Predigten Bertholds von Regensburg. Allerdings gehört er schon im Mhd. und Frühnhd. nicht der Haupttradition an, sondern findet sich hauptsächlich in volkstümlicher und kraß-regionaler Sprache. Im Jahre 1592 stellte Schadäus dieses Diminutiv schon als charakteristisch für die Judensprache dar (M. Weinreich 1923a: 1.194 [1993: 99]), kannte es also nicht mehr aus dem Deutschen; da er aus Liebenwerda in Kursachsen stammte und nach dem Studium in Straßburg als Pfarrer blieb - beide Städte liegen außerhalb des -lieh-Gebietes, schließen es aber immerhin ein - , drängt sich der Eindruck auf, daß das Suffix im Deutschen schon nicht mehr einer einigermaßen öffentlichen Sprachvarietät angehörte. Es blieb dann so gut wie unsichtbar, bis die Philologen es in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. wiederentdeckten: Doch hatte es da schon seine ganze (ostschwäbisch-nordbairische) Südhälfte eingebüßt, und seine Nordhälfte war in essentiell vier Inseln zerbrochen. Obwohl das maximale Vorkommensgebiet dieses Diminutivtyps ihm eigentlich gute Chancen für eine Übernahme in die Gemeinsprache bot, hat er also nach volkssprachlichen Anfangen eine konsequente Ablehnung durch die Gemeinsprache erfahren, eine Ablehnung, die dann sogar auf sein volkssprachliches Vorkommen zurückgewirkt hat. Diese Ablehnung erklärt sich zweifellos aus seiner ursprünglichen Bedeutung: Das Suffix besteht ja aus dem /-Diminutivsuffix plus dem Kollektivsuffix ahd. -ahi > mhd. -ech (-ach, -ich) > nhd. -ich(t), wie wir es in der Gemeinsprache noch in (singularischem!) Röhricht, Kehricht, Spülicht finden (Schirmunski 1962: 484). Mundartlich stehen Formen auf -ech und -lech manchmal noch unmittelbar nebeneinander; so nennt Henzen (1965: 139 f.) als Kollektiva in einem Atem »Weiberech 'Weibervolk', Volkelech, Diernlech u.ä.«. Nun ist die
lieferung des älteren Jiddisch scheint uns das nicht zuzulassen: Im Plural ist zu erwarten, daß das innere -e- bzw. 1-3-1 des zweiten Diminutivs meist ungeschrieben bleibt; im Singular finden wir meist Τ"1?-, Γ1?" oder f ? - , was traditionelle morphemgebundene Korrektheitsvorstellung sein kann - so wie auch der unbestimmte Artikel fast immer nicht 1« oder gar X geschrieben wird. Andererseits kann es keinen Zweifel geben, daß die jiddische Unterscheidung von erstem und zweitem Diminutiv letztlich aus deutschen Mundarten stammt; es genügt, dazu Schirmunski 1962: 482f. speziell zum Nürnbergischen und gewissen bairisch-österreichischen Mundarten zu lesen.
Die Diminutivplurale
111
deutsche Gemeinsprache aber aufgrund einer gewissen leicht pedantischen Grundhaltung seit eh und je gegen eine formale Vermischung von Kollektivund Pluralvorstellungen allergisch gewesen; es gab und gibt keine Gegenstücke z.B. zu den zahlreichen bibelhebräischen Numeruskonstruktionen ad sensum (Gesenius / Kautzsch / Bergsträsser § 145) oder zu den englischen Numerusproblemen um family, army, Government, majority, people, cattle, mathematics, data usw. Diese Grundhaltung der deutschen Gemeinsprache mußte sich, bewußt oder unbewußt, auch gegen ein pluralisch umgedeutetes -(l)ich(t) richten, und zwar um so eindeutiger, als die Kollektivvorstellung anders als die Pluralvorstellung ja oft auch den leicht pejorativen (und deshalb in der Gemeinsprache unerwünschten) Nebengedanken des Ungeordneten (>SammelsuriumKorrekteres< oder >Feineres< an seine Stelle zu setzen, gefeit sein. Daß die Bibelsprache allerdings beim Diminutivplural nicht nur legitimierend-schützende, sondern sogar >schiebende< Wirkung gehabt hätte, läßt sich nicht beweisen. Denn auch außerhalb der Bibelübersetzungen dringt das expressive -lieh sehr früh durch. CH hat noch -lin (DH 408, 608 vögelin, PL), aber im >Sefer Mahari"l< (1. Hälfte 15. Jh.; ed. Spitzer 129, 136) und im >Leket joscher< 1.34 (Hs. vor 1475) finden wir kreplich 'Krapfen', in einem Hochzeitslied (Hs. 1504, zitiert bei M. Weinreich 1928: 146) vingarlicht. Und von Sb an ist -lieh dann durchaus die Norm: Sb 782.1 f., 784.1 renerlich 'kleinwüchsige Reiter', 782.2 kemlich 'Kamele', 1348.3-1356.1 neunmal küchlich 'kleine Kuchen', 1774.3, 1777.3 scheflich\ Mel 155.2 vischlich, 1367.3 kemlich, 1758.3 hünlich, 2089.3 türlich. So auch Elia, BB: 120.5 blumlich, 135.8 zöüzlich, 309.2 vleschlich 'Fläschchen', 466.7f. krepflich, geretlich, apfel-muslich, küchlich, bretlich, 547.7 zenlich; PuW: 17x -lieh, keine anderen Diminutivplurale (Timm 1996 zu PuW 4.6); El Ps: 1.3, 46.5 bechlich, 104.18 küniglich 'Kaninchen', keine anderen; schließlich sehr aufschlußreich in SD das attrahierte 'Nelke': neglich - nerd - Chariophylum - Ή egelin (!). Für Italien sei noch hingewiesen auf MR, welches sehr arm an Diminutiven ist: hünlich llb.17 (2x), bröklich 30.12, heftlich 104.27; für ein Jiddisch mit süddeutscher (wohl ostschwäbischer) Grundlage auf Mi: kindlich 3v5, bislich 13v33, stüklich 14rl, bröklich 20r22, 20r29, 21v6 usw.; für den eigentlichen Westen (Mainz bzw. Weisenau) auf HiP: kemlich 1.3, 1.17, 3.26, 42.12, kemlich-tir 1.17, eneklich 5.25, 42.16, neflich 'Fehlgeburten' (zu *7E>a!) 3.16, perlich 26.5 (2x), schiplich 'kleine Schippen/Schaufeln' 26.5 (3x). Für Prag sei eine Belegauswahl aus Br gegeben: °brivlech 58.8, 9, 0 baindlech 78.34, °veilich (attrahiert; 'Veilchen', d.h. Leas Liebesäpfel) 81.14, °heftlech 101.3, °kemlech 109.31, 34, 35, °stiren-tüchlech 111.15, °mentlech 127.1, °filzlech 'Pantoffeln' 149.18, °hüntlech 250.37 - und zu PB auf die Bemerkung von Landau / Wachstein
Die Diminutivplurale
113
1911: S. XLI verwiesen; für das Ostjiddische auf Koppelmanns FF: wermlich 2.5 (aber auch wermlein 2.9), hinerlich(\) 'Hühnchen' 9.11, hintlich 16.15 (aber auch hintlein 4.4, 9.12, 42.4), kineglich 104.1 (2x) und 22, lecherlich (!) 'Löchlein' 24.23, schoflich 28.84, sowie summarisch auf die Dutzende von Belegen in ZuR - von bislich über breklich/breklech, brivlich, feilech/fei'elich, fischlech, fleklech, gleklich, haitlich, heftlich, heklich, hentschechlich, kindlich, maidlech, rerlich 'Röhrchen', wermlich bis ziklech/ziklich.no Von hier führt dann der Weg geradlinig zum Standardjiddischen. Freilich herrschte im rezenten Jiddisch unter dem Einfluß des (nördlichen) Deutsch bzw. des Niederländischen statt des /- ein c/i-Diminutivum (phonetisch auch Isl- bzw. ///-Diminutivum) in den Niederlanden, in Nord- und großenteils Mitteldeutschland (Frankfurt/M. gerade noch einschließend) sowie in einem westpolnischen Anschlußstreifen bis Kalisz/ Rypin (Beranek Atlas Karte 44 und 1961: 293f„ M. Weinreich 1973: 2.97, 173 = 1980: 441, 514 [unrichtig für Elsaß und Schweiz]). Für die Niederlande haben unsere TA um 1650 noch junglich, maidlich (12rl8). Auch Bli und Wi haben eine knappe Generation später meist noch -°lich, doch dringt hier und da -°cher ein (z.B. Bli = Wi Ex 28.13 kastcher, Bli Jes 3.23 heibcher 'Häubchen', Ct 2.13 treibcher 'Träubchen'; Kombinationssuffix Ct 1.11 Bli stiplicher = Wi stiplecher 'Tüpfelchen'). Die weitere Entwicklung in den Niederlanden bleibt im einzelnen zu erforschen. In Hamburg hingegen hat Glückel - die nur wenig später als Bli und Wi schreibt, aber der bewahrenden Wirkung der Übersetzungstradition kaum unterliegt - als Norm das c/x-Diminutiv, d.h. im Plural -eher, die wenigen /-Diminutiva sind jeweils einer Sondererklärung fähig (Landau 1901: 39).
120
Ein einziges Mal erscheint statt dessen ein s-Plural: klaine sekles 'kleine Säckchen' 164ral8 (~ nVll 'Fluchtgepäck' Jer 46.19).
28. Appositionelle statt genitivischer Gruppen
Nach Maß- oder Mengenangaben erscheinen die gemessenen (amorphsingularischen) bzw. gezählten (pluralischen) Gegenstände in den älteren indoeuropäischen Sprachen einschließlich des Mhd. und heute noch in den slavischen und den romanischen Sprachen sowie im Englischen im Genitiv bzw. in dessen analytischer Nachfolgekonstruktion (mit de/di, of). Im heutigen Standarddeutsch hingegen steht in zwangloser Ausdrucksweise scheinbar kasuslos das bloße Substantiv (>zwei Liter Weinein Dutzend Äpfeldies sind zwei Liter guter Wein, ein Dutzend schöne Äpfel; der Preis von zwei Liter gutem Wein, einem Dutzend schönen Äpfeln; wir haben zwei Liter guten Wein, ein Dutzend schöne Äpfel100, Ez 19.10 zweigedig ~ HD3U, HiP 37.21 wolkendiger täg, BM Dt 15.18 zweifechentig. Erst allmählich spezialisiert sich die η-lose Form auf echte Adjektiva: stj. hinkedik 'habituell hinkend' (gegen hinkendik Partizip), und tritt, zu -dik synkopiert, an Nicht-Verben: stj. waserdik 'wässerig', majrewdik 'westlich', kegniberdik 'gegenüberliegend', oder unter Zwischenschaltung des slavisch-komponentigen -ew- erneut an Verbalstämme: schemewdik 'schamhaft', waschewdik 'waschbar' und viele andere. Hier überall scheint es für das wuchernde -d- keine andere Erklärung zu geben als die Herkunft aus der alten Partizipialendung -ndik, deren Generalisierung ihrerseits auf Kosten von -nd in dem relativ kurzen Zeitraum von eineinhalb Jahrhunderten wohl nicht ohne starke Nachhilfe der Heder-Sprache möglich war. Um 1900 drangen in die jiddische Presse ohne jede dialektale Grundlage im Ostjiddischen vorübergehend noch einmal daitschmerische Partizipien auf -end ein. Im Stj. sind sie wieder verschwunden (Schaechter 1969: 301 erkennt allerdings noch glenznd an).
130
Übrigens ist dieser Lautwandel, genauer gesagt: seine eng-parallele Form l-mtl > /-(s)t/, für die jiddische Sprachgeschichte weiterhin dadurch wichtig, daß er dem Jiddischen die Ordinalia vom Typ sibezet/sibezt (neben sibeznt) eingebracht hat (vgl. das MEYYED in beiden Richtungen). Vor allem aber scheint er uns, bisher unerkannt, auch das gemischte Verbalparadigma hargenen-harget hervorgebracht zu haben. Uns fehlt hier der Raum, diese Annahme zu elaborieren.
32. Gottesbezeichnungen
Zu den Gottesbezeichnungen in der jiddischen Überlieferung kann hier nur ein skizzenhafter Abriß gegeben werden. Ausgespart bleibt dabei die Hiob-Überlieferung, da das Buch Hiob ja auch nach traditionellem jüdischen Verständnis unter Nichtjuden spielt und deshalb gerade hinsichtlich der Gottesbezeichnungen unter Sonderbedingungen steht. Sonst gilt von den Bibelübersetzungen ungefähr folgendes: Das Tetragramm Π1ΓΓ (passim), seine Kurzform FT (-)jah (z.B. Ex 15.2), t r r f t x elohim (passim; auch mit Artikel, z.B. Gn 5.22), Πι1?« eloah (z.B. Dt 32.15), el (z.B. Nu 23.8; auch mit Artikel z.B. Gn 46.3) werden prinzipiell durch °göt wiedergegeben. Noch nicht in R9 (got mit zusätzlichem Kamez), R13 (got) und Lo (got), wohl aber in Mü, A, K, El Ps (got), nicht mehr bei Bli und Wi (got) ist Waw oder Gimel-Waw überstrichen; dadurch wird das Wort als nomen sacrum ausgewiesen, zugleich aber seine Verlesung als gut verhindert (wie schon Schadäus 1592: 63 erkannte). Die bloße Tatsache, daß die häufigsten Gottesbezeichnungen sämtlich gleich wiedergegeben werden, zeigt, daß hier eine adäquate Übersetzung als unmöglich galt und statt dessen der generische Begriff substituiert wurde. Bei der Kombination Tetragramm + (unerweitertes) elohim wird eines der beiden °göt durch °her ersetzt. Und zwar haben R13, Lo, Mü, A, El Ps, Bli und meist auch Wi °göt der her, Κ hingegen der her got, was er im Vorwort durch den Hinweis rechtfertigt, man spreche im hebr. Text das erste Element als adonai aus. Steht hingegen elohim im Konstruktus bzw. mit Possessivsuffix, so bleibt gewöhnlich (außer in K) doppeltes °got, z.B. Tetragramm + elohecha ~ °got dein got. °Her steht ferner, wie zu erwarten, überall da, wo schon der Konsonantentext der Bibel (und nicht erst die Aussprachetradition) eine Form von 1ΠΧ hat; Bli und Wi haben freilich auch hier manchmal got (z.B. Gn 18.27). Für saddai erscheint durchweg °der almechtig - gemäß der rabbinischen Etymologie H + tf se+dai 'der da (für alles) genügend Machtfülle (hat oder ausströmt)'; vgl. bT Hagiga 12a und >Beresit Rabba< 46.2, danach z.B. Raschi zu Gn 17.1, weniger explizit auch zu Gn 28.3, 35.11 und Ps 91.1.
Gottesbezeichnungen
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tv'py 'eljon schließlich, adjektivisch oder substantivisch verwendet, wird wiedergegeben durch ebensolches der ° oberst, so in R9, R13, Lo, MM, Mü, A, K, El Ps, BM; in lockerer Bibelparaphrase erscheint der °oberst z.B. in Db 382.3, HiP zu 31.28, Mag zu Ps 92.2. Zumindest in El Ps und HiP lautet es mit Umlaut °öberst, in Db und BM mit Entrundung °eberst, und diese Form lebt, lautlich und flexivisch regulär weiterentwickelt, bis heute in stj. der ejberster 'der Höchste, Gott' (reiches rezentes Material für diesen volkstümlichen Ausdruck im GWb s.v.). Im Deutschen hat sich ein Oberster' in dieser Bedeutung bisher nicht finden lassen; vielmehr hat die christliche Tradition hierfür bekanntlich altissimus, der Höchste, the MostHigh u.ä.; Witzenhausen und z.T. Blitz haben die christliche Ausdrucksweise übernommen, sich aber damit, wie man sieht, außerhalb des Hauptstroms der jiddischen Überlieferung gestellt. Die jiddische Ausdrucksweise erklärt sich daraus, daß der etymologische Bezug erhalten bleiben sollte, nicht nur zu den anderen Verwendungen desselben Wortes in der Bibel ('oberes Tor, oberer Teich, oberes Bet Horon'), sondern vor allem zu by 'al ~ oben, n^lJO1? lemala ~ zu oben (so in MM). Wie verhält es sich nun mit den Gottesbezeichnungen außerhalb der Bibelübersetzungen? In der jüdischen Kultur hatte sich seit der Zeit des Zweiten Tempels in ständig wachsendem Maße eine numinose Scheu gegenüber den zentraleren der biblischen Gottesbezeichnungen herausgebildet, die bis zur mehrfachen Ersetzung führen konnte: Das Tetragramm wird von den Massoreten zwar noch geschrieben, aber beim Lesen durch adonai ersetzt; bald wird es außerhalb der Tora-Rollen auch beim Schreiben durch eine Abkürzung ersetzt, und außer im Gebet wird statt adonai abonai oder adosem, statt elohim elokim gelesen; abonai, adosem und elokim wiederum werden in jiddischer Rede zwar nicht verboten, aber doch von den meisten Autoren sichtlich als noch zu bibelnah gemieden (abonai erscheint z.B. bei Elia in HLC 8.2 sowie als Refrainwort in SrL, elokim z.B. in ZuR 4val7, 142va33, 180rb2, elokenu in WG 62v, MN 34r23, adosem wird in ShNI 62vbl7 als volkstümliche Form bezeichnet, allerdings abgelehnt). Die Ausdrücke, die im nachbiblischen Hebräisch an die Stelle der biblischen getreten waren, sind entweder schon im Kern eulogisch (Typ ribbono sei 'olam 'Herr der Welt') oder werden es durch feste Anfügung einer Eulogie (Typ ha-sem jitbarech 'der Name, gepriesen sei er'). Da die jiddische Literatursprache im selben geistigen Klima numinoser Scheu aufwächst, zieht sie diese Ausdrücke gegenüber den biblischen im großen und ganzen vor. Und zwar übernimmt sie sie entweder unübersetzt (so die beiden genannten) oder bildet sie mit deutschkomponentigen Materialien mehr oder minder genau nach {her fun der weit, sein hailiger namen, got jissborech u.ä.). Eine exemplarisch-tabellarische Zusammenstellung findet man bei Timm 1990: 512; doch würde das Thema eine Monographie verdienen. Dabei müßte auch auf mögliches Nichtvorkommen von christlich-
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Teil A, § 32
klerikal klingenden Wendungen geachtet werden. So kommt her/har zwar in mancherlei Verbindungen vor - aber kommt auch einfaches der her ohne jede Erweiterung vor?131 Eine einzige Literaturgattung freilich steht spätestens seit um 1600 unter Ausnahmebedingungen: die thehiness, die als individuelle Bittgebete für Frauen, und zum Teil sogar von Frauen, formuliert sind. Sie bauen sowohl auf biblischem wie nachbiblischem Formelschatz auf, zeichnen sich aber, hauptsächlich natürlich in der Anrede, durch ungewöhnlich reiche und freie Variation der Gottesbezeichnungen aus, und zwar am stärksten die von Frauen verfaßten Gebete, wie Devra Kay (1988 passim) überzeugend gezeigt hat.
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Bisher scheint es nicht so - wobei daran zu erinnern ist, daß zwar in der Septuaginta κύριος Normalübersetzung des Tetragramms ist (vgl. später bei den Massoreten die Vokalisierung des Tetragramms nach adönaj), daß aber im Christentum zunächst im Neuen Testament κύριος / Dominus ganz überwiegend Christus bezeichnet und die Gleichsetzung von κύριος und Christus geradezu der Bekenntnisruf der Christen ist (vgl. etwa Luk 2.11, Rom 10.9, 1 Kor 8.6, 12.3 usw.) und daß später beim Bezug von Dominus auf den dreieinigen Gott die zweite Person - oft emphatisch - mitgemeint ist. Alles das wirkt blockierend auf den Gebrauch dieser Gottesbezeichnung bei den Juden.
33. Verwandtschaftsterminologie
Im folgenden geben wir keine Gesamtdarstellung der jiddischen Verwandtschaftsterminologie, sondern arbeiten einige übergreifende Charakteristika heraus.132 1) Verkettungsdenken bei der Blutsverwandtschaft Wer von der heutigen europäisch-amerikanischen Alltagserfahrung aus an die biblische Verwandtschaftsterminologie herantritt, muß von deren lexikalischer Kargheit befremdet sein: das Wort für 'Eltern' bleibt Hapax ( n i n , wörtlich 'meine Zeugenden', Gn 49.26), und es fehlen eigene Wörter (und damit präzise Ein-Wort-Ausdrucksmöglichkeiten) nicht nur für die Paarbezeichnungen 'Schwiegereltern', 'Großeltern', 'Brautpaar' sowie (wie allerdings auch in vielen europäischen Sprachen) für das Kollektiv 'Geschwister', sondern auch für 'Neffe'/'Nichte', 'Vetter'/'Kusine'. Und das, obwohl doch Verwandtschaftsbeziehungen für die altisraelische Gesellschaft so konstitutiv waren, daß sogar das ganze Volk sich unter dem Bilde der gemeinsamen Abrahamsnachkommenschaft sah. Dieser Befund ist für die Linguistik von prinzipieller Wichtigkeit, weil er beweist, daß die gängige Vorstellung von der sozioökonomischen Beweiskraft eines reichen Vokabulars (Dutzende von Ausdrücken für Schnee bei den Eskimos und dergleichen), so richtig sie ist, nicht umkehrbar ist: nicht Kargheit des Vokabulars, sondern erst Kargheit der Aussagen könnte die Unwichtigkeit eines Vorstellungsfeldes für eine bestimmte Sprachgemeinschaft beweisen. Im vorliegenden Falle wird die Kargheit des Vokabulars wie folgt wettgemacht. In Kontexten, wo es nicht auf Genauigkeit, sondern auf das allgemeine Moment der verwandtschaftlichen Solidarität ankommt, können die Begriffe 'Vater' / 'Mutter', 'Bruder' / 'Schwester', 'Sohn' / 'Tochter' in weiterer Bedeutung für entferntere Verwandte früherer bzw. ungefähr gleichzeitiger bzw. späterer Generationen stehen. Das Verfahren mag dem Bibelleser so vertraut scheinen, daß es keiner Illustration bedürfte. Doch sei daran erin-
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Zum standardjiddischen S y s t e m der Verwandtschaftsbezeichnungen im synchronischen Vergleich mit dem standarddeutschen s. Timm 2002: 443-464.
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Teil A, § 33
nert, daß es manchmal auch bei bestens bekannten, relativ engen Beziehungen eintritt: Lot z.B. wird als Sohn von Abrahams Bruder Haran eingeführt (Gn 11.27), in der Folge aber zweimal (Gn 13.8, 14.16) als Abrahams Bruder bezeichnet. 133 Und Gott nennt im Gespräch mit Jakob dessen Großvater Abraham η η χ 'dein Vater' (Gn 28.13). Wo hingegen Genauigkeit als notwendig empfunden wird, werden Elementartermini verkettet, d. h. logisch parallel oder hintereinander geschaltet: Die Eltern sind eben 'Vater und Mutter', nicht nur bekanntlich im Gebot der Elternliebe (Ex 20.12), sondern auch sonst mehrere Dutzend Male in der Bibel mit der einen obengenannten Ausnahme; zu Hiob kommen nicht alle seine Geschwister, sondern 'alle seine Brüder und alle seine Schwestern' (42.11); Neffe/Nichte, Vetter/Kusine sind 'Sohn/Tochter eines Bruders / einer Schwester, eines Onkels/einer Tante' (z.B. Gn 12.5, 29.13, Lv 25.49, Nu 36.11, Esth 2.7 - freilich sind nicht alle Kombinationen in der Bibel belegt). Kargheit des Lexikons und Konkretheit des Ausdrucks bedingen sich hier also wechselseitig. Im mittelalterlichen Hebräisch wird dann zwar D",~lin 'Eltern' leidlich geläufig (vgl. z.B. den Beleg aus Maimonides bei Even-Shoshan s.v.), doch die anderen Strukturmerkmale bestehen weiter. Insbesondere sind erst im 20. Jh. Ί^ΠΝ 'Neffe', ΓΡΓΠΧ 'Nichte', ϊ ] Π 'Vetter', 1ΤΠΠ 'Kusine' geschaffen worden (nach der midraschischen Deutung eines biblischen Namens), und selbst heute stehen diese noch unter der Konkurrenz der überkommenen Verkettungen. Allerdings berichtet Kutscher (1982: 245), daß von den vier cousin-Verkettungen "ΤΠ"!?, ΓΠΠ"!?, ΎΠ_Π3, Π1Π~Γ)3 nur die erste und die vierte (also die beiden ohne inneren Geschlechtswechsel) gängig seien; hier zeichnet sich somit immerhin eine innere Aushöhlung des Verkettungsprinzips zugunsten der moderneren Sichtweise ab. Selbstverständlich überträgt sich die Kargheit des biblischen Lexikons auf die jiddischen Übersetzungen: Ein Wörterbuch wie M M bringt als Lemmata nur die Kerntermini, Glossare unterdrücken oft selbst diese (als elementar-altbekannt), und die zusammenhängenden Übersetzungen geben die Verkettungen wörtlich wieder. Damit wäre der Beitrag des Wortfeldes zu unserem Unternehmen sehr gering - hätte nicht die biblische Verkettungstechnik selbst eben in ihrer Präzision einige Vorbildwirkung für die jiddische Sprachgeschichte gehabt. Freilich kennen auch das Mhd. und viele deutsche Dialekte solche Verkettungstendenzen, und materiell lassen sich die jiddischen Ausdrucksweisen, soweit sie deutschkomponentig sind, dorthin zurückverfolgen. Zur Diskussion steht aber die größere Vorliebe
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Das Problem ist bekanntlich auch in der christlichen Theologie von Wichtigkeit: Sind im Neuen Testament die 'Brüder' Jesu nur seine Vettern, so brauchen Maria und Josef ihre Ehe auch nach der Geburt Jesu nicht vollzogen zu haben.
Verwandtschafts terminologie
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oder Beharrlichkeit des Jiddischen bezüglich solcher Ausdrücke, vor allem im Vergleich zum Standarddeutschen. Man veranschaulicht sich das am besten zunächst als Denkfigur, noch ohne nach dem Grad der Lexikalisierung zu fragen. ZuR kennt die Wendungen sein bruders sun (12rbl9 u.ö.), sein bruder-sun (13ral6), seinem bruders weib (35vb2 u.ö.), bruder-weiber (134ra38), fater unx muter (148va22 u.ö.), dein faters kinder (45rb41 f.), faters weib (45rb2 u.ö.), bei' sein faters weibern (47vb31 u.ö.), feters sun (173vb35), gέschwister-kind (136va45), kinds-kinder (161va37 u.ö.), dein kindern weiber (8rb53), sein muters bruder (27ra5 u.ö.), noch der muter bruder (25vb49), sein schwesters sun (70va44), der schwester-sun (141rb27f. u.ö.), schwester-tochter (137va32f.), sin-kinder (121rb37), seins suns weib (35rb40), des weibs brider (51va9). Da ferner Briefeingänge und -schlüsse oft mehr oder minder formelhaft auf Hebräisch konzipiert wurden und in aller Regel hebräische Verwandtschaftsbezeichnungen mit Possessivsuffixen enthielten, wurden diese suffigierten Hebraismen häufig auch ins Briefinnere oder sogar in andere Textgattungen übernommen. So finden wir in den PB von 1619 auf Hebräisch 'Sohn meines/unseres Bruders' (1.7, 3A.29), 'Tochter meines Bruders' (3A.56), 'Sohn deiner Schwester' (15.21, 29.21 f., 32.18, 37.32), 'Sohn deines Schwagers' (37.18), 'Sohn deiner Tante' (32.52f.); aber auch auf Jiddisch dein fater un muter (3A.9, ähnlich 14.28, 30.28, 39.20), meinen [...] schwester-kinder (6B.3), deiner mumes tochter (14.15f.), dein schwester-tochter (20B.8, ähnlich 25.11, 26.9, 30.1 f., 30.46), dein mem schwester (30.40). Manchmal sind solche Verkettungen nur mit einiger Anstrengung nachvollziehbar; so, wenn auf Hebräisch die Rede ist von 'Resel, Tochter des vornehmen Mhrr Abraham, Schwiegersohnes meines Schwagers R. Isak CZ' (24A.5f.) oder wenn auf Jiddisch jemand mitteilt, seine Tochter heirate mein bruder Avrom weibs bruder sun (14.11). Auch G1H hat inmitten ihres jiddischen Textes immerhin hebräische Gruppen wie bass ahösso 'die Tochter ihrer Schwester' (259.4). Und eine Selbstparodie dieses Verkettungsdenkens und zugleich des aschkenasischen Suchens nach Verwandtschaft >um drei Ecken< ist, freilich unbekannten Alters, die heute in allen Wörterbüchern verzeichnete Wendung ferds fus podkewes (an) ejnikl: Jemand ist nicht mein Enkel, nicht einmal meines Pferdes Enkel, sondern höchstens meines Pferdes Fußes Hufes Enkel.134 Bis ins heutige Jiddisch trifft man gelegentlich sogar auf einen noch systematischeren und abstrakteren, aber erst seit talmudischer Zeit (Sanhedrin 28 a) belegten Verkettungstyp, bei dem zwei hebräische Ordinalia (formal maskulin, inhaltlich aber geschlechtsindifferent) die Entfernung der beiden beteiligten Individuen vom (ungenannten) nächsten gemeinsamen
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Varianten dazu bei Stutchkoff 1950: Nr. 239, S. 175, Sp. a.
134
Teil A, § 33
Ahnen angeben: Α ist mit Β ΊΒ3 "Ί© 'Zweiter mit Zweitem', d.h. Vetter/ Kusine (so G1H 153.9), oder " ^ t t a 'Dritter mit Drittem', d.h. Halbvetter/Halbkusine (so PB 41.49), oder v ' T O -3» 'Vetter/Kusine eines Elternteils von B', aber auch 'Kind eines Vetters / einer Kusine von B' (vgl. Spivak / Bloomgarden s.w.). Alles das zeigt, auch und gerade wo es noch nicht lexikalisiert ist, das Verkettungsdenken135 permanent in actu. Doch nun zu den einzelnen Verwandtschaftsverhältnissen. a) Das Wort °eitern ist von den ältesten zusammenhängenden Übersetzungen an extrem häufig, aber im Sinne von 'Vorfahren', in der Regel für hebr. Γ)ί3Χ. So also in R13 unser eitern Ps 22.5, 44.2, min eitern 39.13 usw. Auffälligerweise hat allerdings Mü Gn vor allem in den letzten Kapiteln ungefähr 15 mal vödern (entsprechend dt. Altvordern), wo Α und Κ Gn eitern haben. Andererseits ist °eltern 'Vorfahren' auch außerhalb des Bibeltextes z.B. in CH (GE 68), Db 19.3 u.ö., Mel 541.4, HiP (zu 5.20 u.ö.), Mi 16r22 u.ö., ZuR 20ra6 und passim, TP 2vb28 u.ö., TA l v l und passim noch sehr gängig. Nun gibt es freilich Bibelstellen, wo aus Sachgründen DiüX praktisch nur eine Generation umfassen kann, z.B. Α Dt 24.16 nit siJ solen sterben di' eitern um wilen der kinder, und sicherlich gab es entsprechende Kontexte noch häufiger im täglichen Leben. Sie haben zweifellos (wie im gleichzeitigen Deutsch) den Verengungsprozeß in Gang gebracht. Aber wesentlich beweiskräftiger für seinen Vollzug ist die Wiedergabe des Hapax "Hin (Gn 49.26), weil es ja hier wegen dessen durchschaubarer Etymologie ('die Zeugenden') von vornherein auch im Denken der Übersetzer nur um eine Generation gehen kann.136 Hier stellt R9 mein eider und mein treger zur Wahl (vgl. DWb tragen Bl, aber auch Träger 2a), Α hat trechtung, MM, Mü und Κ °eltern, aber selbst im 20. Jh. gibt wenigstens einer von Nobles Informanten noch troger statt eitern an (Noble Nr. 224). Insgesamt kann also die Bibel bei der Popularisierung der neuen Bedeutung nicht merklich geholfen haben, eher im Gegenteil. Diese Popularisierung vollzieht sich dann auch sehr zögernd. BB hat noch keinmal 'Eltern', aber neunmal 'Va-
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136
Unter den neueren Anthropologen nennt G. P. Murdock Verwandtschaftsterminologien, die von dieser Tendenz beherrscht werden, descriptive (z.B. 1981 passim, jeweils Column 27). Murdock bezeichnet die Verwandtschaftsterminologien der meisten semitischen Völker richtig als descriptive, die der alten Hebräer aber versehentlich als Eskimo-Typ (op.cit. 86-89). Wir übernehmen den Ausdruck descriptive nicht, da er von älteren Anthropologen (z.B. Morgan 1871) in einem anderen, nur scheinbar ähnlichen Sinne verwandt wurde. Daß hier viele heutige Übersetzer, darunter sogar Buber / Rosenzweig, mit der Septuaginta 'Berge' statt 'Eltern' verstehen, ist natürlich in unserem Zusammenhang ohne jedes Interesse.
Verwandtschaftsterminologie
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ter und Mutter', darunter einmal unter Verwendung der Hypokoristika et und mom; P u W hat 164.7 (aber nicht 504.3) die neue Bedeutung 'Eltern', dagegen z w ö l f m a l die Verkettung, darunter fünfmal mit denselben Hypokoristika. 137 H i P hat zu 38.41 und 3 9 . 4 die neue Bedeutung, zu 17.14 und 38.41 die Verkettung. Z u R hat auf ungefähr 3 0 B e l e g e der alten Bedeutung nur einen eindeutigen B e l e g ( 1 9 6 v a l 8 ) und einzelne Grenzbelege für die neue, dazu salvo errore fünfmal die Verkettung. P B hat kein 'Eltern', aber mehrfach die Verkettung (3A.9, 14.28, 30.28, 39.20). Im Westen ist schließlich für G 1 H das Wort eitern
offenbar ebenso alltäglich geworden w i e i m
Deutschen (6.26, 15.15, 17, 17.3, 5, 12, 16, 24.8 usw.); im rezenten Ostjiddisch hingegen erweist die Verkettung ihre gegenüber d e m Deutschen größere Gängigkeit noch darin, daß in tate-mame
das verbindende un idio-
matisch zu fehlen pflegt. b)
Für 'Schwiegereltern',
Standardjiddische nur schwer
137
'Großeltern' und 'Brautpaar' kennt noch das un schwiger,
sejde-bobe
und
hossn-cale.
BB 12.5, 85.3, 85.6, 139.7, 164.8, 208.7, 483.1, 628.1; 480.8. PuW 257.2, 263.8, 424.4, 432.7, 475.2, 556.3, 698.7; 164.2, 186.1, 187.3, 188.8, 238.2; vgl. noch 119.5-6, 435.5. - Zu den Hypokoristika für 'Vater' und 'Mutter' - die selbstverständlich nicht in den Bibelübersetzungen vorkommen - sei hier kurz wenigstens folgendes bemerkt. Im Deutschen füllen die Typen atte > etti/ette/et und tatte > tette, teil seit alter Zeit zumindest das ganze alemannische und bairische Gebiet, doch anscheinend so, daß allmählich ersteres im Westen, letzteres im Osten überwog (Lexer atte, cete, tetel; Findebuch atte', DWb Ätti, Deite\ ferner die einschlägigen Dialektwörterbücher). Dies kann man auch als Ausgangszustand der jiddischen Verteilung ansehen: et zweimal in einem Brief des Jahres 1476 aus Norditalien (dessen Edition von Wolfgang Treue und Jaakov Guggenheim vorbereitet wird), ferner BB zweimal (336.5, 480.8; zur Semantik von 336.5 vgl. Kaysersberg >Postill< 1,21.22, zitiert im DWb Ätti), PuW 26x, MB 42.18, ZuR 49ral6f. (eten Nom. Sg.; hier aber Zitat eines Liedtextes); et(t)e Weiß für Elsaß und Baden, Voorzanger für Holland, Selig und C. W. Friedrich für Ostdeutschland (Wolf JWb s.v.); tet PuW 287.3, PB 3B.3, 4.11, 5.7, 10.17, 10.22, 14.28, 28.14, 35.20, 39.20, femer eine ostjiddische, aber wahrscheinlich um 1700 in Amsterdam gedruckte Maise, zitiert bei Zfatman (1985: Nr. 64); tette Voorzanger; dazu täte (< poln. tata) aus dem Osten vordringend auch bei Selig, C. W. Friedrich und Herz (Wolf JWb s.v.). - Im Deutschen ist memme, memm belegt bei Fischart für das Elsaß, bei Steinbach für Schlesien (DWb Memme 2). Im Jiddischen haben wir memen Mel 35.4 (Obliquus Sg.), 108.4 (Vokativ Sg.), mem PB 3B.122, 5.12, 8B.16, 25.4, 26.4, 34.33 (memes, Gen. Sg.), 38.2, 38.22, memen (Obliquus Sg., Zitat) ZuR 49ral6f.; meme in >Qehillat Ja'aqov< (Fürth 1693), zitiert nach Grünbaum (1882: 226), meme/meme G1H 72.24, 85.19, 180.10, 186.18, 198.14; mem(m)e Weiß, Herz, Voorzanger sowie C. W. Friedrich, der aber auch das ostjidd. mame (< poln. mama) kennt (Wolf JWb s.v.). Im Vokalismus isoliert, aber semantisch sicher (nicht 'Muhme'), ist schließlich dreimaliges mom in dem obenerwähnten Brief von 1476 aus Norditalien, ferner mom/momen BB 480.8 und Nachwort V. 6, möm/mome/mömö PuW 164.2, 186.1, 187.3, 188.8, 238.2, 435.5. Vgl. noch Beranek Atlas Karten 81, 82.
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Teil A, § 33
c) 'Geschwister', das also ebenfalls nicht durch die Bibel gestützt wird, ist gegen 1600 noch vom Westen bis in den Osten des jidd. Sprachgebiets zu belegen: geschwistrig HiP zu 17.14, geschwistreg PB 6A.26, 6B.10, 30.29, geschwistreg ebd. 39.24, geschwistrig ZuR 142rb44, im Westen auch noch (vielleicht unter deutschem Einfluß) bei G1H 201.11, 202.6, 263.2, 277.15. Im Osten ging es trotz tschechisch sourozenci und polnisch rodzenstwo unter. Da aber Sozialwissenschaftler und Biologen unserer Zeit einen geschlechtsindifferenten Singular zu 'Geschwister' brauchen, wozu im Englischen das Wort sibling geprägt oder wiederbelebt, im Deutschen ein Singular das Geschwister gebildet wurde, entstand im Jiddischen dafür der Fachterminus mitkind (U. Weinreich 1968: 51). d) Für 'Neffe'/'Nichte' sind Verkettungen vom Typ brudersun usw. im Mhd. und Frühnhd. so gut belegt (Lexer, Findebuch, DWb s.w.), ferner sind ebendiese Verkettungen oder strukturell ähnliche Ausdrucksweisen in den deutschen Dialekten immerhin so verbreitet (Schoof 1900: 266f.), daß jidd. brudernsun / bruderntochter / schwesternsun / schwesterntochter (Silverman Weinreich 1975: 13) hinsichtlich ihrer Entstehung keiner weiteren Erklärung bedürfen. Sehr bemerkenswert ist aber, daß mhd. neve/niflel, nhd. Neffe/Niflel, dann Nichte, die schon im Mittelalter bei vielen, auch süddeutschen Autoren die heutige Bedeutung hatten und (nach deren zeitweiligem Zurücktreten in der Zeit des Humanismus) seit etwa 1700 in dieser und nur dieser Bedeutung Standarddeutsch sind, nie Einlaß ins Jiddische fanden.138 Heute allerdings ist auch im Jiddischen die modernisierende Verdrängung der Verkettungen im Gange: Sie gelten inzwischen als dialektal, weil sie sich im Zentraljidd. unter der Wirkung des polnischen Adstrats (bratanek, bratanica, siostrzeniec, siostrzenica) noch halten, während die Standardsprache und die östlichen Mundarten plimetiik, plimenize, ein junges Lehen aus dem Ostslavischen (russ. pljemjännik, pljemjännica), bevorzugen (Silverman Weinreich loc.cit.). Diese gespaltene Situation des Jiddischen hat offenbar auch die obenerwähnte, ebenfalls gespaltene des Ivrit hervorgerufen.
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Im Jiddischen Norditaliens finden wir allerdings nevod, PI. nevodi (< nordital. nevode statt toskanisch nipote) in dem midraschartigen Kommentar zu den Pirqe Avot, geschrieben 1579 von Anschel Levi (= AL; Maitlis 1978: 215), und nawod im Kolophon (fol. 117v) von MJ, geschrieben 1596. Sonst ist uns als Ausnahme nur aufgefallen R 9 Hi 18.19, wo für "Dl als Übersetzung außer ür-enkeln auch nev' angeboten wird. Hier ist aber nicht 'Neffe' gemeint, sondern - möglicherweise in Fortsetzung der jüdischfranzösischen Tradition - die alte Bedeutung 'Enkel' (vgl. die Darlegungen zu 13) unten S. 146 mit Anm. 150). - Zur Bedeutungsentwicklung des indogermanischen Wortpaares nepos/neptis vgl. Timm 2002: 461 mit Literatur.
Verwandtschafts terminologie
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e) Für 'Vetter' und 'Kusine' schließlich gibt es noch im Stj. den verkettenden, geschlechtsindifferenten Terminus schwesterkind. Er wirkt zunächst provozierend unlogisch, bis man die Variante geschwesterkind kennenlernt, die auf die ursprüngliche Form °gischwis'ter-kind zurückweist. Das Wort ist also aufgekommen in pluralischen Aussagen vom Typ Ά und Β sind Geschwisterkinder'. (Auch heute sind selbstverständlich solche pluralischen Aussagen noch gängig: Das MEYYED s. v. onkern sich hat den Mustersatz mir kern sich on schwesterkinder 'we are related as cousins'.) Aber man brauchte solche Sätze nur leicht umzubauen zu dem Typ Ά ist mit Β Geschwisterkind', wie ZuR 136va45: do is nun der Bo'as geschwister-kind gewesen mit Mahlön. Damit war man schon in den Singular geraten, und die Bedeutung 'Vetter' bzw. 'Kusine' war voll konstituiert. Bis hierher etwa hat die Entwicklung in deutschen Dialekten Parallelen (Schoof 1900: 254f.). In dem Maße nun, wie das Wort °geschwister im Jiddischen unüblich wurde, trat Vokalwechsel zu geschwester-kind ein - etwa nach der Logik 'es heißt nicht *schwister, sondern schwester'. Selbst in SD von 1542 lesen wir schon: geschwester-kind - "ΊίΟ "ΊΕ> - Consobrini Geschwistrigkinder. Allmählich ging bei vielen Sprechern die Analogie noch weiter: 'es heißt nicht *geschwester, sondern schwester' - und deshalb auch schwesterkind. Erst im Laufe des 19. und 20. Jhs. haben sich dann auch hier neben dem ererbten verkettenden Ausdruck (ge)schwesterkind die nichtverkettenden Internationalismen kusin und kusine eingestellt, etwa zur selben Zeit wie in den slavischen Sprachen; doch kann Silverman Weinreich noch 1975 (: 9) schreiben, sie seien (nur) »adopted in some quarters«. Alles in allem mag es schwer sein, den Anteil des verkettenden Verwandtschaftsdenkens der Bibel an der jiddischen Entwicklung gegenüber anderen gleichlaufenden Faktoren abzuschätzen - ihn schlechthin zu leugnen, dürfte unmöglich sein. 2) Kein Bifurkationsdenken bei Blutsverwandten Von Bifurkation in einer Verwandtschaftsterminologie sprechen die Anthropologen, wenn (anders als infolge puren Verkettungsdenkens) >gleiche< Verwandte auf der väterlichen und der mütterlichen Seite unterschiedlich benannt werden. Das heute bekannteste Beispiel sind die lat. Bezeichnungen für 'Onkel' und 'Tante' avunculus 'Mutterbruder', patruus 'Vaterbruder', matertera 'Mutterschwester', amita 'Vaterschwester'. Eine bifurkative Verdopplung sämtlicher Verwandtschaftstermini findet man anscheinend nirgends; der klassische Manifestationsort für Bifurkation sind vielmehr die Seitenverwandten der Eltern. (Denn am stärksten erlebt der Mensch die bifurkationsbedingten Rollenunterschiede in seiner eigenen Adoleszenz, und zwar stärker an der Onkel- und Tantengeneration als an den Großeltern, da erstere ihn im Durchschnitt auf einem längeren Teil seines Lebensweges
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begleitet.) In diesem Sinne neigen die älteren Stufen der indoeuropäischen Sprachen stark zur Bifurkation. Aufgegeben wurde sie dann im Griechischen allmählich schon in der Antike, im Lateinischen bzw. Romanischen etwa zur Völkerwanderungszeit, im Englischen im Gefolge der normannischen Eroberung, in der Haupttradition des Deutschen zwischen dem 14. und dem 18. Jh. Auch in einem Teil der skandinavischen, baltischen und slavischen Sprachen ist sie heute schon abgeschafft, in anderen von ihnen ist der Prozeß noch auf Zwischenstufen oder kaum angelaufen.139 In der deutschen Haupttradition verlief die Entwicklung etwa wie folgt. Bis ins 14. Jahrhundert bezeichnet fast ausnahmslos oheim den Mutterbruder, veter(e) den Vaterbruder, muome die Mutterschwester, base die Vaterschwester.140 Dann verloren allmählich Oheim und Muhme ihre bifurkative Einschränkung, doch so langsam, daß im 17. und frühen 18. Jh. Comenius, Gueintz und Frisch das alte System noch für das eigentlich richtige hielten (DWb s.w.); noch etwas langsamer wurden Vetter und Base auf die Folgegeneration abgedrängt.141 Kurz bevor auf diese Weise Oheim und Muhme endgültig gesiegt hätten, wurden jedoch in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. Onkel und Tante aus Frankreich eingeführt (belegt bei Schottel 1663 bzw. Nehring 1694 laut Schoof 1900: 234, 245) und trugen im 18./19. Jh. ihrerseits den Sieg davon. Die Bibel läßt keine Bifurkation erkennen.142 Es gibt nur "Til 'Onkel' / ΓΠΠ 'Tante' (insgesamt 21 Belege). Sie beziehen sich in der Bibel zwar, soweit sich das erkennen läßt, immer auf Onkel/Tanten väterlicherseits; die viel seltener vorkommenden Onkel/Tanten mütterlicherseits werden durch Verkettung bezeichnet (Gn 29.10, Lv 18.13, Ri 9.1, 9.3). Aber da auch Onkel und Tanten väterlicherseits gelegentlich durch Verkettung bezeichnet werden (Gn 29.12, Lv 18.12, 18.14, Nu 27.4, 27.7), kann man dies hier als ein Stilistikum ansehen, das über den Gebrauch der Ein-Wort-Ausdrücke nichts aussagt. Spätestens im Talmud gilt "ΤΠ beiderseitig (Jevamot 54b).
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Eine zusammenhängende Darstellung versucht Anderson 1963: 2f., 9-14, 16-22. Sie erweist sich aber gerade für das ältere Deutsch als sehr schief (speziell 17); Anderson nimmt weder die Darstellung von Schoof 1900 noch die Wörterbücher geschweige denn die Primärtexte zur Kenntnis. Lexer, DWb s.w.; Schoof 1900: 228-250. Verunklart werden alle diese Befunde allerdings dadurch, daß 1) schon früh Angeheiratete auf der Seite des Ehepartners einbezogen werden (also mit muome auch die Frau des Mutterbruders bezeichnet wird usw.), daß 2) alle diese Termini manchmal jovial auf entfernte Verwandte oder bloße Bekannte angewandt werden und daß 3) gelegentlich >Spiegeleffekte< auftreten, sich also z.B. Onkel und Neffe mit demselben Terminus anreden. Daß die Begriffe 'Schwiegervater' und 'Schwiegermutter' unterschiedlich ausgedrückt werden, je nachdem, ob sie vom Mann oder von der Frau aus gesehen werden, ist etwas anderes.
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So bleibt es natürlich auch später; z.B. ist in den PB ΎΠ 29.1 und 29.28 der Vaterbruder, 15.6 und 17.13 der Mutterbruder. Die Lexikographen haben unterschiedliche Positionen bezogen: Ben-Jehuda beschränkt beide Ausdrücke auf die Vaterseite (ohne daß man über die Ausdrucksweise für die Mutterseite etwas erfährt), Kena'ani und Even-Shoshan definieren sie von vornherein seitenindifferent. Für uns ist gleichgültig, wer für biblische Zeiten recht hat; entscheidend ist vielmehr, daß der normale Bibelleser von einer möglichen Bifurkation mangels eigener Termini nichts bemerkt. Charakteristischerweise lassen dann auch das Jiddische und speziell seine Bibelübersetzungssprache schon bei Beginn der Überlieferung so gut wie keine Bifurkation erkennen. Obwohl für die vaterseitige Tante der Bibel (s. oben) base der zu erwartende Ausdruck wäre, können wir diesen aus der ganzen jiddischen Sprachgeschichte nur in einem Text belegen: nämlich bas in Κ (das also auch hier idiosynkratisch zu sein scheint) als Randvariante zu Lv 18.14 und 20.20, wo der Text mu'm hat. An der dritten Stelle, Ex 6.20, bietet auch Κ zu mum nur die Randvariante miimel. Diese Koseform miimel ist, obwohl vom Bifurkationsdenken aus falsch, durchaus die normale Wiedergabe für die (vaterseitige) ΠΎΠ: R9 Lv 18.14 mumUn, Lo Ex 6.20, Lv 18.14, 20.20 mumiein, MM Ex 6.20, Lv 18.14 miimel, Mü Ex 6.20, Lv 20.20 mumlen, A Ex 6.20 mümlen, Lv 18.14, 20.20 mümlein, BM Ex 6.20 mimel, Lv 18.14 mimlen, Lv 20.20 mume j"o mimel·, ähnlich noch Bli und Wi. Die Koseform kommt auch außerhalb der Bibelsprache vor: SD mumlen - ΓΠΠ - Patruelis - Mumien; MJ Kolophon (fol. 117v) meiner miimelen\ G1H mimele 259.7, mimele 263.27; Voorzanger memmele (Wolf JWb s.v. mimele). Was die nicht-hypokoristischen Formen angeht, so finden wir apokopiertes mum in Prag, nämlich PB 1.72 und passim (in etwa 15 Briefen). Und zwar bezeichnet es eindeutig 6B.38 die Mutterschwester, 10.21 die Vaterschwester. (Auch 3A.124 veter un mumen, 39.25 deine fetrin un mumes beweisen schon in sich die Aufgabe der Bifurkation.) Die heutige Form mit Schlußvokal zieht sich von (spätestens) mume BM Lv 20.20 und °mumi' ZuR 24ra21 u.ö. bis zu stj. mume. (Dabei diskutiert ZuR 51va28 die Frage, warum im Judentum eine Frau ihren feter Onkel', aber nicht ein Mann seine mume3 'Tante' heiraten darf - wieder ohne alle Erwähnung eines weiteren Begriffspaares.) Ebenso früh ist auch beim männlichen Geschlecht die Bifurkation aufgegeben worden und dabei die Entscheidung gegen °ohaim gefallen. Doch verkompliziert sich die Sachlage geringfügig durch das zeitweilige Dazwischentreten von 0önkel. Für °ohaim können wir wieder aus der ganzen jiddischen Sprachgeschichte nur einen einzigen Beleg beibringen: R9 stellt 1S 10.14 önkel, öhem und veter zur Wahl. (Lv 10.4, Nu 36.11, Esth 2.7 hat er nur önkel, Am 6.10, 1 Ch 27.32 nur veter, 2 Κ 24.17 önkel und veter.) Die Rolle von °önkel im frühen Jiddisch scheint bisher völlig übersehen worden zu sein.
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Hier zunächst der Befund aus den //«mei-Übersetzungen: Lv 10.4 R9 Lo MM Mü A Κ BM Bli W i 144
onkel önekel veter onkel önkel veter -
feieren feieren
20.20
25.49a
25.49b
_
_
_
önkel
onkel veter onkel onkel veter
onkel
-
onkel _143 vetem veter ~ onkel fetern fetern
-
onkel onkel veters
-
-
feter feter
feters feters
Nu 36.11 onkel onkel vetem önkel önkel vetern feter ~ onkel feieren fetern.
Außerhalb der Bibelübersetzungen erscheint °önkil·. in Elias SrL 97 önkel (Sg.!), Sb 164.3 onkel, in einem Brief von 1562 aus der Umgegend von Minden (Linnemeier / Kosche 1998: 287) dreimal önkel, EH 301.1 önkel (: dunkel), Smt 58 ν (ebenfalls zu Esth 2.7) seines önkels töchter, bei G1H 257.27, 263.27 önkel sowie im rezenten niederländischen Jiddisch (Beem 1970: Nr. 778f.). Das GWb s.v. onkl bietet: zwei weitere westjiddische Belege (Amsterdam 1734, Fürth 1743) sowie drei ostjiddische aus dem 19./20. Jahrhundert. Nur für diese letzteren ist die dortige Charakterisierung des Wortes als daitschmerisch bzw. amerikanisch zutreffend. Für die ältere Zeit gilt jetzt gerade das Gegenteil: Da das Wort im Westjiddischen mehr als 250 Jahre früher als im Deutschen belegt ist, drängt sich überhaupt der Verdacht auf, daß es zuerst auf inneijüdischen Wegen aus Frankreich nach Deutschland kam, also der romanischen Komponente des Jiddischen zuzurechnen ist. Und zwar gehört es wohl zu jenen Elementen, die die Böhmerwaldgrenze ostwärts nicht überschritten. Denn da in Prag die PB °feter vielfältig, aber önkel gar nicht belegen (vgl. Landaus Glossar), wird auch in BM das jeweils nur an zweiter Stelle angebotene onkel auf erlerntem Wissen, nicht auf Alltagsgebrauch basieren. Weil nun avunculus im klassischen Latein den Onkel mütterlicherseits, schon im Spätlatein aber auch denjenigen väterlicherseits bezeichnete, frz. oncle also von vornherein für beide Seiten galt (FEW avunculus), wäre bei diesem Wort die Annahme einer erneuten bifurkativen Einengung in Deutschland von vornherein unwahrscheinlich und die Annahme einer Einengung auf die Vaterseite (wie sie die Bibelstellen ja inhaltlich erfordern würden) so gut wie absurd. Man darf also sagen: Das Wort beweist eo ipso die Aufgabe der Bifurkation.
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Α hat Lv 20.20 durch einen klaren Flüchtigkeitsfehler zweimal mümlein, wo an der zweiten Stelle önkel stehen müßte. Alle Lv-Stellen zwangsläufig identisch mit Bli; vgl. Timm 1993 passim.
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Hingegen kann °veter sie in den Bibelübersetzungen strenggenommen nicht beweisen, da ein ursprünglich vaterseitiges Wort auch hier vaterseitig verwandt wird. Aber hier kommen uns außerbiblische Stellen zur Hilfe. Wenn wir für 'Onkel' und 'Tante' in Elias und Fagius' SD in der Liste von über zwanzig Verwandtschaftsbezeichnungen nur das eine Paar veter - 1Π - Patruus - Vetter mumlen - ΓΠΠ - Patruelis - Mumien finden, so beweist das schlüssig, daß Elia an eine Bifurkation nicht einmal dachte.145 Gerade daß ihn Fagius nach Ausweis der lateinischen Spalte zu eng interpretierte, ist da aufschlußreich. In PB ist feter 7A.2 und 7B.9 der Vaterbruder, aber 25.1 der Mutterbruder (oder Mann der Mutterschwester). Die Beweise, die sich aus der Kopplung von °feter und °mum(e) in ZuR und PB ergeben, haben wir schon zitiert. So also ostjiddisch feter bis ins heutige Standardjiddisch, ohne daß die polnische Unterscheidung von wuj(ek) 'avunculus' und stryj(ek) 'patruus' Eindruck gemacht hat. Auch hier kann wohlgemerkt unsere These nicht so weit gehen, daß sich die heutigen stj. Termini sozusagen automatisch aus der Bibelübersetzungstradition ergeben hätten. Wohl aber hat diese Tradition, indem sie ständig eine (wirklich oder scheinbar) bifurkationsfreie Terminologie vorführte, dafür gesorgt, daß jede Möglichkeit, die Bifurkation aus der Alltagssprache fernzuhalten oder zu eliminieren, genutzt wurde. Die überraschende Rolle des Wortes onkel läßt dabei vermuten, daß die Bifurkationsfreiheit der Alltagssprache in jüdischromanische Zusammenhänge zurückreicht. 3) Lexikalische Präzision in den Bezeichnungen der Heiratsverwandtschaft Die Bibel unterscheidet ΠΠ 'Schwiegervater der Frau' (also Vater des Ehemannes), Diion 'Schwiegermutter der Frau', in Π 'Schwiegervater des Mannes', nin'n 'Schwiegermutter des Mannes'. 146 Aber schon die Mischna neigt zur Verallgemeinerung von ΠΠ/ΠΙΟΠ (Kutscher 1982: 133; Even-Shoshan s.w.). So auch das spätere Hebräisch: in den PB beispielsweise werden Schwiegervater und Schwiegermutter eines Mannes meist bibelwidrig ΟΠ und m a n genannt (3A.126, 11.22, 13.3 u.ö.), nur 19.22 steht bibelkonform imn. Und da von den indoeuropäischen Sprachen zumindest die westlichen (Lateinisch-Romanisch, Keltisch, Germanisch) seit Menschengedenken für
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En passant: In BB reden sich der König und sein veter (169.7) Oglin gegenseitig als veter an (206.5, 209.1); das beweist aber nicht die heutige deutsche Bedeutung, sondern ist lockere Verwendung mit Spiegeleffekt (DWb Vetter 2, speziell 2a). Im technischen Sinne ist dies keine Bifurkation, da hier nicht von einem Individuum aus mütterliche und väterliche Blutsverwandte unterschieden werden. Doch sind beide Erscheinungen sich letztlich darin ähnlich, daß sie durch eine sehr unterschiedliche Stellung beider Geschlechter in der Ehe bedingt sind.
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beide Schwiegerelternpaare ein und dieselben Termini benutzen (Szemerenyi 1977: 67), ist von vornherein damit zu rechnen, daß die jiddischen Übersetzungen für beide biblischen Wortpaare identisch sind. So ist es denn auch in der gesamten Überlieferung: Entsprechend mhd. sweher und swiger ist °schwe(he)r das einzige Wort für 'Schwiegervater', °schwiger das einzige Wort für 'Schwiegermutter' schon von R9 an (dort zu ΟΠ 1S 4.19, ]η'Π Ex 18.6, nian Ru 1.14, nin'n Dt 27.23) - und so im Westen über G1H schweher 60.5, 76.13, schwiger 38.7 bis ins späte niederländische Jiddisch (Voorzanger schwäher/schwer, schwigger laut Wolf JWb), im Osten bis stj. schwer, schwiger. Die kontrahierte Form schwer finden wir vereinzelt in MB 16.74 (aber noch schweher, schwehers 16.68, 16.71 usw.), als Norm z.B. ZuR 35vb23 und passim (etwa 15x), PB 3A.17 und passim (in acht Briefen) usw. Für hebräisch 'Schwager' und Π03' 'Schwägerin' erscheinen entsprechend dem mhd. swäger und geswie (f.) von R9 an °schwoger und °gischweP(en) (Dt 25.5, Ru 1.15). Ersteres setzt sich geradlinig bis ins stj. schwoger fort. Letzteres finden wir nach R9 noch in Lo, Mü, MM, A, Κ, BM und selbst Bli. Aber das Wort war moribund: Der Stamm hing mit den anderen Termini nur in nicht mehr nachvollziehbarer Weise zusammen (nämlich über bloßes indoeurop. *swe-, Debus 1958: 41, Szemerenyi 1977: 45f.), und der ursprünglich kollektive Bildungstyp (Debus loc.cit.) konnte beim jetzigen singularisch-femininen Gebrauch nur störende Nebenvorstellungen erzeugen. Demgegenüber wurde die Neubildung mhd. swcegerinne im Deutschen zwar erst durch Luther leidlich populär (Debus op.cit. 59), war also essentiell zu jung, um noch in den Hauptstrom der Übersetzungstradition zu gelangen, hatte aber so evidente Vorzüge, daß sie sich im Jiddischen gleich in der Alltagssprache durchsetzte: Elia in SD hat noch geschwei - Π03'' - Sororia - Geschwey, die PB haben sowohl geSchwei' (6B.40, 36.18, 37.3) als auch, in der Feder einer Arzttochter, schwegerin (Brief 1, 7x); ZuR hat schwegeren 133va25 (anscheinend ohne Gegenbeleg), G1H schwegire[n]s PI. 86.18. In die Bibelübersetzung aber wird °schwegeren, wie es scheint, erst von Wi eingeführt (Dt 25.7, 9, Ru 1.15). Hier hat sich also eine evident sinnvolle Neuerung gegen das Beharrungsvermögen der Bibelsprache durchgesetzt. Die Wörter Π1?? 'Schwiegertochter' und ]Γ)Π 'Schwiegersohn' schließlich bedeuten vom Bibelhebräischen bis zum heutigen Ivrit auch 'Braut' und 'Bräutigam', so daß sich z.B. in den hebr. Passagen der PB die Briefschreiber sowohl an "Ti^D 'meine Schwiegertochter' (3A.2) wie an "Ή r t o 'die Braut meines Sohnes' (31.5) wenden können. Im Jiddischen sind, offensichtlich unter europäischem Einfluß, die beiden Begriffspaare getrennt, doch so, daß für Braut und Bräutigam essentiell vom Beginn der Überlieferung bis zu stj. cale und hossn eben diese Hebraismen verwandt werden, da die Hochzeit als religiöses Ereignis emp-
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funden wird. In der Bibelsprache schlägt sich das darin nieder, daß Glossare und Wörterbücher beide Wörter in diesen Bedeutungen fast immer übergehen, um keine identischen Gleichungen niederzuschreiben; nur ganz vereinzelt wird Π1?? als brout wiedergegeben (R9 Ct 4.8, MM Jes 49.18). In den zusammenhängenden Übersetzungen hingegen erscheinen gegen das allgemeine >Übersetzungsgebot< die Hebraismen im jiddischen Kontext (so R13 und El Ps 19.6; Α und Κ Jes 61.10, 62.5, Ct 4.8ff„ 5.1; Α auch Jes 49.18, Κ auch Jer 7.34, die jeweils im anderen Text fehlen). BM muß wenigstens für Ct als zusammenhängend gewertet werden und hat 4.8 ff., 5.1 calo. Die nichtbiblische Sprache folgt mit leichter Verzögerung: Mel hat überwiegend die Hebraismen (315.2, 315.4, 733.2, 735.4, 1445.3), aber immerhin einmal noch brout (833.4) in einem aus dem Deutschen bekannten Sprichwort (Wander, Glück 848). BB hat 344.7 und 625.4 die Hebraismen, aber 315.3 ain supen vun der brout (vgl. DWb Brautsuppe·, der im heutigen Jiddisch traditionelle Ausdruck ist gildene jojch) und 359.5 däs haist ain hochzeit ön di brout, wohl auch sprichwörtlich. PuW hat die Hebraismen (5.6, 430.7, 451.2, 471.5, 704.4), aber der bröutig 459.1 und der bröüt 456.1, 473.3 für einen glücklosen Bräutigam (spöttisch?). Nur die Hebraismen finden wir z.B. in AJ 41.4, BSR 464, BSP 386, 452, MR 34.23, 117.98, MT 212. Quantitativ eindrucksvoll sind dann PB 3A.57, 69, 5.21, 7.11, 14.10, 39.16, ZuR 7rb27 und passim (45 calo), 22vall und passim (22 hosson), MB (26 calo, 45 hosson), MN (11 calo, 14 hosson), ShNI/II (32 calo, 23 hosson), und G1H (einschließlich ihrer hebräischen Einsprengsel: 30 calo, 91 hosson) - sie alle ohne deutschkomponentige Synonyme. Auch C. W. Friedrich gibt nur kale und chossen an und verwendet sie im Gespräch (1784: 334ff.). Im Gegensatz zu den religiös eingefärbten Begriffen 'Braut' und 'Bräutigam' gelten Heiratsverwandte als allgemein-menschliches Schicksal. So überleben ungeschwächt die deutschkomponentigen Wörter aidem 'Schwiegersohn' (westjiddisch teilweise > -en ) und schnür 'Schwiegertochter' von R9 (D-T-y eidem Gn 19.14, I S 18.8, diminutivisches schnurchen Ru 1.6, schnurch Mi 7.6; normales schnür dann ab Lo Gn 11.31) über beispielsweise Sb, Mel, Lo, Mü, MM, PuW, SD, A, K, MR, Br, ZuR, BM, PB, NH, Bli, Wi und C. W. Friedrich (die sämtlich beide Wörter bieten) bis ins verklingende niederländische Jiddisch (Voorzanger) und ins stj. ejdem und schnür. (Wobei der Vollständigkeit halber gesagt sei, daß Bli und Wi in einem Teil der Fälle, so Hos 4.13, und Voorzanger mit snerrisch das Diminutivum schnurchen/schnurch von R9 fortsetzen. Aus der deutschen Dialektologie ist zu vergleichen rheinisch Schnürchen, Schnörch, Schnerich bei König 1994: 170.) Insgesamt entsprechen somit dem mhd. sweher, swiger, swäger, geswie, eidam, snuor im Standardjiddischen schwer, schwiger, schwoger, schwegerin, ejdem, schnür. Von einer einzelnen, evident sinnvollen Neuerung
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abgesehen, ist das Jiddische also bei den Heiratsverwandten sehr konservativ geblieben. In den deutschen Dialekten gibt es nur ein sehr kleines Gebiet an der oberen Werra, das im selben Grade konservativ blieb (König 1994: Karten S. 168-170). In der deutschen Haupttradition vollzog sich die Umstrukturierung wie folgt. Eine leichte Schwachstelle in dem mhd. System stellte das Wort swiger dar: es ließ formal das Femininum nicht erkennen, und die erwünschte Ähnlichkeit mit sweher war synchronisch kaum größer als die unerwünschte mit swäger. Deshalb findet man etwa seit dem 14. Jh. gelegentlich Verdeutlichungen wie Schwiegerfrau, später auch Schwiegermutter und Schwigerin - alle in der Bedeutung 'Schwiegermutter'. Von ihnen hat aber nur das Wort Schwiegermutter die Eigenschaft, uminterpretierbar zu sein in ein Vorschaltelement Schwieger-, das von jetzt an also 'heirats-, nicht blutsverwandt' bedeutet, plus das generationsmäßig richtige Bestimmungswort -mutter. Diese Uminterpretation ist strukturell die Hauptsache. Sie tritt uns in voller Eindeutigkeit zuerst kurz vor 1600 in den Dramen des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig entgegen, wo neben Schwiegermutter auch Schwiegervater und Schwiegersohn belegt sind (Debus 1958: 58, 68-70). Nun war im späten 14. Jh. im Englischen das gleichbedeutende Nachschaltelement -in-law, spätestens im 15. Jh. im Französischen das Vorschaltelement beau(x)-/belle(s)-, danach im 16. Jh. im Holländischen schoon- aufgekommen. 147 Da der neue deutsche Typ kurz darauf in der Sprache der nordwestdeutschen Oberschicht auftaucht, wird man ihn zwar nicht als volle Lehnübersetzung ansehen müssen (wie den holländischen Typ), aber doch als Lehn-Uminterpretation. Erst im Laufe des 18. Jhs. hat er sich dann in der deutschen Schriftsprache als Normaltyp durchgesetzt. Warum ist das Jiddische ihm gegenüber immun geblieben? Eine interessante These findet man bei Anderson (1963: 29, zustimmend Goody 1983: 270). Dem Sinne nach führt er aus, das Vorschaltsystem bei Heiratsverwandtschaft sei aus dem Geiste des katholischen Kirchenrechts geboren und ebendeshalb von den Aschkenasen abgelehnt worden. Ersteres ist völlig richtig für die englischen in-Zaw-Benennungen aus dem 14. Jahrhundert. Nach damaliger kirchenrechtlicher Auffassung bedingt ja die Tatsache, daß Mann und Frau 'ein Fleisch' werden (Gn 2.24), Identität der Inzestdefinitionen für beide. Durch die Ehe wird ζ. B. der Bruder des Mannes auch zum Bruder(-m-/aw 'nach Kirchenrecht') der Frau; ganz entgegen dem Alten Testament wäre also auch nach dem Tod des Mannes die Leviratsehe ein Geschwisterinzest. Aber nach Deutschland hinein wirkte nicht das engli-
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Vgl. die historischen und die etymologischen Wörterbücher. Für das Französische früherer Ansatz bei Öhmann (zitiert bei Debus 1958: 91).
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sehe, sondern das französische und niederländische System, dessen Vorschaltelement 'schön' nicht kirchenrechtlich, sondern oberschichtlich-höflich motiviert war. Zwar ist in den deutschen Mundarten im Raum Fulda das Vorschaltsystem an Konfessionsgrenzen zum Stehen gekommen (Debus 1958: 21 f. und Karte 4), aber sonst ist im Deutschen weder zeitlich noch räumlich eine positive Korrelation zwischen Vorschaltsystem und Katholizismus zu erkennen. Eher das Gegenteil: Es scheinen »die Komposita mit Schwieger- von Niederdeutschland ausgegangen zu sein« (Kluge / Mitzka bei Debus 1958: 70). Auch Herzog Heinrich Julius war evangelisch. Ob nun die Aschkenasen das Vorschaltsystem, in dem Maße, wie es bei dieser geographisch-chronologischen Lagerung überhaupt auf sie eindrang, als katholisch oder, wie wir eher glauben, als allgemein unjüdisch-modernistisch empfanden - jedenfalls wird man bei seiner Ablehnung auch die bewahrende Kraft des Heders in Anschlag bringen dürfen. Freilich konnte sich diese Kraft nur auf kongenialer soziologischer Grundlage behaupten. In der Enge der damaligen aschkenasischen Judenviertel war ja das Zusammenleben eines jungen Paares mit einem der Elternpaare ganz alltäglich, als kest in den ersten Ehejahren überhaupt die Regel. Da erreichte die alltägliche Kommunikation zwischen Heiratsverwandten also etwa dieselbe Dichte wie zwischen engsten Blutsverwandten, und ein Simplex wie schnür >lohnte sich< so sehr wie ein Simplex tochter. Das wird erhärtet durch einen benachbarten Umstand. Auch das andere Elternpaar nämlich, wenn es sich um das Wohlergehen seines Kindes kümmerte, interessierte sich zwangsläufig zugleich für sein 'Gegenschwäher'-Paar - und darin liegt einer der Hauptgründe für die Spezialisierung der (nachbiblischen) Wörter mehutn, mehuteneste 'Verschwägerte^)' auf das Verhältnis der beiden Elternpaare (vgl. etwa PB 12.1 samt Landaus Bemerkung sowie 31.2). Während aus der deutschen Schriftsprache der Begriff 'Gegenschwäher' allmählich ersatzlos schwand, erzeugte im Jiddischen die gerade besprochene Konstellation unter anderem Volkslieder wie >Mehuteneste majneuntenoben< oder >seitwärts< zu erweitern; vgl. stj. urejnikl 'Urenkel', eltersejde 'Urgroßvater', glidschwesterkind 'Vetter/Kusine zweiten Grades'.
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Text z.B. bei Vinkovetzky u.a. 1984: 180f.
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Die jiddischen Bibelübersetzer wurden mit diesem Problem allerdings nur konfrontiert bei der Wortgruppe 1311 Π 'Nachkommenschaft (unspezifizierten Grades)' Jes 14.22, ähnlich Gn 21.23, Hi 18.19, deren beide Substantiva sonst nicht vorkommen.149 Doch ist in Gn 21.23 immerhin die Rede von 'mir, meinem Ή und meinem 131'. Wenn man der Meinung ist, daß hier die erste Generation der Nachkommen nicht gut übersprungen sein kann, ergeben sich die Bedeutungen Γ1 'Kind' und *73] 'Enkel'. So schon die Targume zu allen drei Stellen, ebenso die jüdischromanische Tradition, wo auf diese Weise pseudoetymologisch gleichgesetzt wurde mit lat. nepot(em) > altfrz. nevo(ud) in dessen älterer Bedeutung 'Enkel' 150 (vgl. Samuel ben Meir und Ibn Esra zu Gn 21.23, wo Raschi lakonisch ist; Raschi, Ibn Esra, Qimhi zu Jes 14.22; Raschi zu Hi 18.19; die jüdischfrz. Stellen sind aufgezählt bei R. Levy 1960: Nr. 461). Diese Auffassung strahlt in einigem Umfang auch aus bis in den aschkenasischen Bereich, so R13 und MM Hi 18.19, Κ Gn 21.23; ferner Elia SD TDl - enklen. Eine zweite Deutung hatte sich im Frühmittelalter daraus ergeben, daß Qallir und Spätere Ή als 'Urenkel' statt als 'Kind' nahmen (Kena'ani s. v.); sie hat sich im Ivrit durchgesetzt. Sie ist wohl lautsymbolisch inspiriert, aber um den Preis einer weniger natürlichen Generationenfolge im Verständnis der biblischen Formel ('Urenkel und Enkel'). Indem man sie im Gesamtinhalt beibehielt, aber gleichsam >auf die Füße stellten ergab sich die im älteren Aschkenasentum majoritäre Deutung: T*l als 'Enkel', Π31 als 'Urenkel', so R9 an allen drei Stellen, Lo, Mü, A Gn 21.23, HiP 18.19, NH. Beide Traditionen werden von BM Gn 21.23 akzeptiert: sun ... [un] eniklen j"o eniklen un'' ur-eniklen. Die beiden anderen Vorschaltelemente, elter- und glid- zur Erweiterung nach >oben< und >seitwärtsDodi ve-nechdi< '(Lehrgespräch zwischen) einem Onkel und seinem Neffen'; vgl. femer Ben-Jehuda s.v. 131 in fine. Diese Ausdrücke stammen (wie auch die gleich zu nennenden °herle, °fra(u)le) aus dem Deutschen; vgl. insbesondere Debus 1958: Karte 18, DWb s . w . und für elterauch Lexer s. vv. - Allerdings finden wir auch im nachbiblischen Hebräisch für 'Groß-
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zurück dadurch, daß sich für 'Großvater' und 'Großmutter' Hypokoristika durchsetzen, und zwar in Teilen des späten Westjiddisch °herle, °fra(u)le (Wolf JWb s.w., Beranek Karten 100, 101, LCAAJΙΠ, Karten 72, 82), im Ostjiddischen das slavische sejde, °bobe (mit Ausstrahlungen nach Westen);152 es verbleiben ihm aber die selteneren Fälle wie elter-sejde 'Urgroßvater'. Glid- scheint erst - ohne daß wir freilich systematisch danach gesucht hätten - der Neuzeit anzugehören, vgl. etwa Scholem Alejchems >Tevje grejsn, s. unten den Art. grejsn.) In ältester Zeit findet sich achpern neutrisch für das Qal: R9 Nu 14.17 es söl achperen ~ 'es möge glorreich sein'. Sehr bald bleibt aber nur der transitive Gebrauch, so daß A an derselben Stelle sagen muß: es söl werden geachpert. Schon R9 kennt auch diesen Gebrauch: z.B. achpert (hna) Ahasveros zunächst den Haman (Esth 3.1). So wird geachpert (statt achper) Attribut Gottes (z.B. Α Dt 10.17), aber auch z.B. des Mose (A Ex 11.3). Noble (Nr. 34) führt achpern aus Mag und MaMi Ez 38.23 und als Übersetzung vieler seiner Informanten zu Nu 14.17 an. Das transitive achpern geht nun in großem Umfang auch in die Gemeinsprache ein und bleibt bis heute: ShJ 5r iber ale göter du bist giachpert ser (insgesamt 4x); SJ 6r6 di selbigen juden sein gar gros un" geachpert gewesen, 18r2 do war mesiv Tomas: >geachperter melech!korrekte< Apoteker, Apotekerin Ex 30.25, 1S 8.13 u.ö. Seit 1700 kennt das Standarddt. nur noch die Formen mit -o- entsprechend griech. άποθήκη. Im Jidd. sind Versuche zur Rekorrektur sehr selten und auf die Dauer erfolglos geblieben. In der jidd. Bibel tradition haben wir zwar in Α und BM Fälle von -e- in der Mittelsilbe angetroffen: A Ct 3.6 des apetekers (~ ^pil), BM Ex 30.25 apeteker (~ Π[?Ί), Ct 3.6 des apeterkers {-r- offensichtlicher Druckfehler!). Dieses -e- kann nur als /a/ gedeutet werden.
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arumringlen
Theoretisch könnte also auch die viel häufigere Nullschreibung als /a/ gedeutet werden; da die Entwicklung aber zum Schwund führt, ziehen wir die Deutung als 0 vor: R9 Ex 30.25 des aptekers, Jes 39.2 sin waren-aptek (~ nhb3 n-3), 57.9 din apteken (~ η-Πί?!), Ez 17.4 apteker ( - η,173Ί), Ct 3.6 des aptekers, Neh 3.8 di apteker (~ • , Πί?Ί) und 3.31 (~ Ähnliche -pi-Gruppen in Lo, MM, K, Mijo (hingegen apotek, apotek bei Bli und Wi nach holl. apotheek', einmal auch in BM). Außerhalb der Bibeltradition: Mel 737.2 aptekerei\ FF 94.15 apteken (PL), Sdt 2ν apteker, ZuR 191rb38 apteker, NH apteker. Von hier geradlinig zum Stj.; GWb läßt zwar bei aptejk (nicht bei den Ableitungen!) auch apotejk als Variante zu, gibt aber dafür nur einen Beleg von Amsterdam 1718. arumringlen 'einkreisen, umringen, umgeben, bedrängen', stj.; arumringlung 'Einkreisung', stj.; umringten, umringlung dasselbe, neujidd. (GWb, bis Anfang des 20. Jhs. belegbar) Die hebr. Verben 330 (samt Nifal und Polel) '(her)umgehen, umringen, umgeben' (und samt Hifil 'etwas mit etwas umgeben'), η'ίρπ (dgl.), ^DS 'umgeben', ~>üy 'umgeben' (samt Piel 'bekränzen') und ")Γ)3 / ΤΤΟΠ 'umringen' werden in der jidd. Bibelsprache seit Beginn der Überlieferung normalerweise (und noch andere Verben werden sporadisch) durch °um-ringelen wiedergegeben. So schon R9 ( - 3 3 0 ) Gn 19.4, 37.7, Ex 13.18, Nu 21.4, 32.38, 34.4, Dt 32.10, Ct 3.2, 9.14, 12.5, Jer 52.21, Ez 41.7, 41.24, 47.2, Hi 16.13, 40.22, (~Τί?Π) Lv 19.27, Thr 3.5, Jes 15.8, Hi 1.5, 19.6, 19.26 (und einzelne andere). Auch das Substantiv °um-ringelung finden wir schon R9 Ex 34.22 ~ HDlpri, Hi 37.12 ~ niSOJD, 41.6 ~ ni3-30 u.ö. In ähnlicher Dichte dann - vor allem dank der Häufigkeit der Wurzel 330 sowohl beim Verb wie beim Substantiv die weitere Bibel-Überlieferung (einschließlich Witzenhausen; Blitz allerdings erneuert weitgehend nach christlichem Vorbild). Von der Bibelsprache wirkt das Wort in seiner Häufigkeit zurück in die freie Formulierung: Mah 98 r do haben mich um-ringelt vil zoross; Sb 451.1 si3 um-ringelten Dovids hous, ferner 584.1, 584.3, 776.3, 1065.3, 1695.3, BB 56.3, 398.7, 539.7, 598.4, PuW 63.8, Shg 5vl4 (umringlung), HiP 36.30 (dgl.), MR 67.4f. (2x), Mi 65rl5, 65rl6, Br 196.11 (Zitat Ps 32.10), MB 217.35, ZuR 33vb38, 89va26, 90vb49, 90vb50f„ 91ra6, 91ra42, 105ra55, 106vb20, 107vb40, 115rb9, 129ral3, 139rb7, 189va57, 194vbl3, SL 10.1, TA 12vl9, 12v20. Das Perfekt-Partizip lautet, wie zu erwarten, °um-ringelt in R9, R13, Sb, Mü, A, HiP, Mi, Br, SL, TA; aber °um-geringelt BB 539.7, MM Ex 28.11, Ps 40.13 (contra Ps 18.5, 22.13), El Ps 18.5 u.ö. (8x), ZuR 90vb49 u.ö., BM Ex 28.11. (Weitere Beispiele für beide Partizipial-Typen GWb s.v. umringlen.) Offensichtlich griff also seit etwa 1500 Initialbetonung um
as
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sich. Sie war wohl auch der Auslöser dafür, daß um- dann allmählich zu arum- verstärkt wurde. Der älteste bekannte Beleg für arum-ringlen steht laut GWb im Mag I S 16.11 (und zwar schon in der Erstauflage Lublin 1623-27, wie wir nachgeprüft haben); umgekehrt stammt der letzte Beleg des GWb für umringten in einer uns interessierenden Bedeutung von 1914. Stj. also nur noch arümringlen, ich ringl arum, ich hob arumgeringlt. Für den Sprachhistoriker liegt das Hauptinteresse bei dem Element -/-. Denn im Dt. ist umringen von kurz nach 1200 bis heute dicht belegt; umringein ist erst im 14. Jh. indirekt belegt (umringelunge, Findebuch), im frühen 15. Jh. direkt (DWb), aber bis gegen 1700 lediglich im ungefähren Verhältnis 1:7 als seltenere Variante von umringen ('von Feinden umringt/umringelt'); dann erst entwickelt sich die heutige Differenzierung ('von Feinden umringt / von Locken umringelt'). Erstaunlich ist dabei nicht so sehr, daß das Jidd. für die (wahrscheinlich expressiver klingende) Variante auf -/optierte (vgl. etwa unten die Artikel fartumlen und farwoglt), sondern mit welcher Sauberkeit das geschah. Wir haben nämlich unter unseren mehr als 200 Belegen nur einen einzigen ohne -/-Element: das um'-ringt in CH GE 143 (im Reim auf enzspringt), also aus einer Zeit deutlich vor 1383.5 Geradezu witzig im umgekehrten Sinne ist PuW 63.5-8: si' klungen as wol, as sP ni' bas / haten geschlagen un gέsungen. / do si' nun haten ganz ous tun klingeln, / wi' bald waren si di zehen man um-ringeln! Hier wird das in 63.5 gebrauchte Verb klingen offensichtlich nur deshalb zu klingeln variiert, damit im Reim das gewohnte um-ringeln statt eines ungewohnten *um-ringen erscheinen kann. Wir können uns nicht vorstellen, daß eine so saubere Option gegen das im Dt. bei weitem majoritäre umringen - spätestens gegen 1400 und mitten im dt. Sprachgebiet! - von der mündlichen Sprache ausgegangen sein könnte, die doch noch mannigfache Beziehungen zur deutschen Umgebung hatte. Vielmehr muß auch hier die Bibelsprache die Entwicklung angeführt haben: wer im Heder einige Dutzend Male 320 mit °um-ringelen wiedergegeben hatte, empfand dann einzig dieses als normal, °um-ringen hingegen als fremd. as 'als' [und 'daß'], stj. Im Dt. erscheinen bei mhd. als(e) > standarddt. als Formen ohne -/- gelegentlich seit etwa 1300, aber nach 1500 anscheinend nur noch handschriftlich und in einzelnen hochalem. Drucken (Timm 1987: 423).
5
Der GWb hat freilich unter umringen fünf Belege: der älteste, aus dem Josippondruck von 1661, ist mangels Stellenangabe nicht nachprüfbar; die übrigen vier (Berlin 1760 bis Warschau 1914) scheinen uns vom Dt. beeinflußt.
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bagitikn
In der jidd. Bibelsprache hingegen sind sie seit Beginn der Überlieferung überwältigend in der Mehrheit (meist as, nur selten as oder as). Die Formen mit erhaltenem -/- machen in R9 weniger als 1%,6 in Mü weniger als 2%, in Α etwa 18%, in BM etwa 3% der Belege aus; in R13 und Κ scheinen sie ganz zu fehlen. Außerhalb der Bibelsprache hingegen hat CH in allen 117 Fällen noch -Z-.7 Erste, nicht quantifizierbare as finden sich dann um 1400 im Frankfurter Urfehdebrief und im Kölner Aderlaß-Traktat (Timm 1987: 279). Sb hat etwa 140 Formen ohne, aber noch fast 40 mit -l- (552.2 [2x], 570.1 [2x], 751.4, 864.3 usw.). Der Druck EB restituiert vereinzelt als, wo die etwa 80 Jahre ältere Hs. EM as hat (EB 548 [2x], 906, 1733 = EM 552, 886, 1631). HiP schreibt über 200mal ales/ales (durch Überanalyse), etwa 90mal als/als und nur etwa 25mal as. Auch BSR hat zweimal alis durch Überanalyse neben sonstigem as (Timm 1987: 233). In ZuR (Druck Amsterdam 1648) machen die Schreibungen mit -/- auf fol. 1 - 5 noch über 50% aus (über 20 Fälle), fallen im Rest von Gn auf 22%, dann in den Anfangskapiteln von Ex auf etwa 4%. MB hat bei einer Gesamtmenge von etwa 570 Belegen noch 35% Formen mit -/-. Auch die TA haben auf über 60 as noch 9 als (lv20, 2rl, 2rl4 usw.). Bei as als Norm finden wir immerhin einzelne Formen mit -l- in Db (232.1, 493.4), MR (227 °as : 5 als), Mi (2rl0, 12r29, 14v22), Br (261.3, syntaktisch atypisch). Ausschließlich as haben salvo errore Bar, EM, BB, SrL, HLC/HLO, PuW, AJ, Shg, FF und eine Fülle späterer Texte. Wie man sieht, hat sich die Hedersprache früh und resolut für die im Dt. nur umgangssprachliche Form ohne -l- entschieden - mindestens so resolut wie die sonstige jiddische Überlieferung, so daß sie auch hier eher Schrittmacher als Mitläufer ist. Der Weg geht dann zum stj. as, wobei freilich im Prager Jidd. und im Ostjidd. gegen 1600 auch 'daß' in as aufgegangen ist (Timm 1987: 106 und 280f., speziell 281). Neujidd. als, das nur in der Bedeutung 'in der Funktion von; qua' möglich ist, beruht klar auf Neuentlehnung aus dem Dt. des 19./20. Jhs. und wird deshalb im MEYYED als daitschmerisch zugunsten von wi, betojress, majse geächtet. bagitikn 'etwas gut verrichten', auch '(jmd.) Gutes tun' oder 'guttun', stj. eingeengt auf 'meliorieren, (Boden) verbessern' Hebr. 2iü, durch 3 t r suppletiv zum Vollverb ergänzt und z.B. ins Hifil gesetzt, läßt sich in den meisten indoeuropäischen Sprachen schlecht durch 6
7
Da im Hebr. "3 mit dem Folgewort zusammengeschrieben wird, bieten auch die Glossare statistisch signifikantes Material, allein R9 etwa 500 Fälle. In den zusammenhängenden Übersetzungen liefert jeweils schon Gn über 150 Belege. Über einen scheinbaren Gegenbeleg Timm 1987: 279 Anm.
baglikn
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ein einzelnes leidlich gängiges Verbum wiedergeben. Griech. άγαθύνω ist zuerst in der Septuaginta und dort sogleich häufig belegt. Im Jüdischrom. überwiegt *bonificare (Blondheim 1925: 30f. und 173; jüdischital. Varianten bei Berenblut 1949: 151). Manchmal wird es durch ad- verstärkt; so im Jüdischfrz. C = G1, I S 16.16 abonijera a toy - η1? aiül 'das wird dir guttun'. Diesem a(d)- entspricht das altjidd. °be-, stj. ba- hier wie so oft, daß man an ein festes Rezept für Lehnbildungen denken darf. Reichlich Belege bietet schon R9: Jes 23.16 begütig ~ 031) ' r r t r n 'machs gut (auff dem Seitenspiel)' (Luther); ähnlich Ez 33.32; Pr 30.29 di do begütigen den trit ~ Tys '(Tiere,) die einen stattlichen Gang haben'; Ru 3.10 du host begütigt ~ ( t f t f i n r n ö f n n x n ηΐΟΠ) nau-Π 'du hast (deine Güte jetzt) noch besser erzeigt (als vorher)'; Jes 1.17 zu begütigen ~ 3ϋ-Π (HO1?) '(lernt) Gutes zu tun'; Hi 24.21 er begütigt ~ ΠΙΕ^ΧΙ) a-Ü^ (X1? 'er tut (der Witwe nichts) Gutes'; ähnlich Ez 36.11; Dt 6.3 wirt bigutikt ~ (ϊή>) a u " OfX) '(auf daß dir's) wohlgehe'; ähnlich Ru 3.1. Ganz ähnlich die weitere Übersetzungstradition mit einer zwangsläufig sehr großen Belegzahl.8 Belege für das Ausströmen in literarische Texte: Br 20.11 °es wert begütigen zu dir; 73.23 °itlicher, der do ain mizwo tut, dem selbigen begutikt man; MR 108.271 üm wilen es wert begütigen zu dir; ZuR 136va22 (Zitat: Ru 3.10) du host bέgitigt dein genod di hinterste min weder di erste; Bhm 2v der kinig der got der do mächt begitigen zu ider-man (und mehrfach). Ein Blick in die dt. Wörterbücher zeigt, daß dt. begütigen erst um 1500 belegt ist und fast immer (nach 1550 wohl immer) eine andere Bedeutung hat, nämlich 'besänftigen, günstig stimmen'. Das jidd. Wort ist also eindeutig von dem dt. Wort unabhängig. Im Neujidd. allerdings gehen die Bedeutungen auseinander. 1) Harkavy kennt nur 'to calm, soothe', was klar daitschmerisch ist. 2) MEYYED kennt nur '(den Boden) meliorieren', Stutchkoff (im Register) außerdem die Bedeutungen bastetikn 'gut heißen' (so auch noch Niborski) und balojnen 'vergüten' - alles Neuerungen wohl erst des 19./20. Jhs., die aber eher das alte jidd. Verbum in seiner Breite als das dt. auf Emotion eingeengte begütigen 'besänftigen' vorauszusetzen scheinen. baglikn 'Erfolg/Glück haben', stj. Im Dt. hat sich beglücken als Hapax in der Mentelbibel von 1466, dann erst wieder im späteren 17. Jh. finden lassen (Frühnhd. Wb.).
8
Ein 0 beguten statt °begütigen haben wir allerdings sporadisch in R9 (Dt 30.5), etwas häufiger in R13 gefunden (Ps 36.4, Pr 15.13 u.ö., aber begütigen Ps 51.20, 125.4 u.ö.).
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baglikn
Im Jidd. ist ° begliiken schon um 1400 beim Sichtbarwerden der Übersetzungstradition ein wichtiges Verb, und zwar gleich in drei Konstruktionen, von denen sich nur die zweite mit dem (späteren) dt. Verb berührt. 1) Mit belebtem Subjekt, ohne Akkusativobjekt: '(in einer spezifischen Angelegenheit oder allgemein) Erfolg/Glück haben': R9 Gn 39.2 was beglukin ~ '(in Potiphars Haus war Josef ein Mensch, der in allem) Erfolg hatte'; Jes 52.13 er söl beglukin ~ O^ns?) "rsär '(mein Knecht) wird Erfolg haben'. 2) Mit belebtem Subjekt (oft, aber nicht immer: Gott) und (meist unbelebtem) Akkusativobjekt: 'erfolgreich gestalten, gelingen lassen': R9 Gn 24.21 ob' het bigluget ~ (Ί3"Π 'Π) ΓΓ'ΡΧΠΠ 'ob (Gott Eliesers Reise) gesegnet hätte'; R13 Ps 37.7 nit soltu dich reizen mit dem, der do begluket sin weg ~ i3~n rr^SDa ")Πΐρη_17Κ 'entrüste dich nicht über den, der seinen Lebensweg erfolgreich gestaltet'. 3) Mit unbelebtem Subjekt (auch unpersönlichem 'es'), ohne Akkusativobjekt: 'gelingen': R9 Nu 14.41 es beglukt ~ n^sn ΧΊΠ1) '(die Sache) wird (euch nicht) gelingen'; Ez 17.9 sold si begluken? ~ n*7Sn 'sollte (dieser undankbare Weinstock, f.) geraten?'. Die ersten beiden Konstruktionen haben ihr klares Vorbild im Hifil von n*7S und von ^Dttf (die erste jeweils im >inneren< Hifil), und die Hifilkategorie hat auch das °be- suggeriert. Die dritte Konstruktion dürfte einfach durch Übertragung des fertigen be-Verbums auf das Qal entstanden sein. Freilich glauben manche Übersetzer, das >äußere< Hifil der zweiten Konstruktion durch zusätzliches 'tun', 'machen' klarstellen zu müssen: so prinzipiell MM, z.B. Gn 24.21 ob erhät tun begliken (vgl. demgegenüber oben R9!), 24.42 mächt begliken ~ C S U ) ΓΓ'ρχο. Für diese Übersetzer ist dann also 0 begliken selbst (schon wie im Stj.) immer intransitiv, indem die zweite Konstruktion zum faktitiven Sonderfall der ersten wird. Alle drei Konstruktionen strömen in die Gemeinsprache aus. Belege für die erste Konstruktion: Sb Epilog 6; Mel 75.3, 1013.3, 1551.3; fflP 8.16, 21.31, 22.28, 27.7, 11, 12, 13; MR 96.53 der knab wert nun begliiken in seinem lernen; SJ l l r 3 Janus der hot beglikt in seinen milhomöss, 18rl4 u.ö.; Br 230.2; ZuR 100Λ48, 161vbl2; TP 3rb3. Hier schließt das Stj. an. Vgl. ζ. B. den Abschiedswunsch for gesunt un solst baglikn oder das Sprichwort wojl zu dem mentschn was baglikt ojf der elter. Die zweite Konstruktion: ZuR 21rb22; TA lv27 beglik mich, 2vl4 beglik uns. Hierher noch Stutchkoff Nr. 495 baglikt wem 'Erfolg haben' (nicht stj.!). Die dritte Konstruktion: BB 410.6; PuW 249.2, 338.6; HiP 20.21; MR 96.28 ob es möcht begliiken, 108.167 es wert dir nit begliiken; Br 145.4, 209.23 (Zitat: Hi 20.21); ZuR 142vb30, 31, 183ra38; PL 2v27; TA 9v28. Weitere alte Belege zu den drei Konstruktionen bei Timm 1987: 378.
bahaltn
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bahaltn 'verbergen', bahaltn (Adj.) 'verborgen', baheltenisch 'Versteck', stj.; bahaltung 'das Verstecken', neujidd. (Ha, Za) Im Mhd.-Frühnhd. hat behalten ein »sehr umfängliches Bedeutungsfeld; eine Gliederung nach einem obersten Kriterium ist nicht sinnvoll möglich« - so jetzt Reichmann im Frühnhd. Wb.; er unterscheidet dann 32 semantische Nuancen. Nur drei davon (Nr. 8, 18 und 22) sind mehr oder minder synonym mit 'verbergen'. Noch weniger tritt eine solche Interpretationsmöglichkeit im DWb oder bei Lexer hervor. Im Jidd. hingegen ist 'verbergen' zur Hauptbedeutung aufgestiegen, dergestalt, daß Harkavy, Birnbaum, Stutchkoff, U. Weinreich und Zanin (zum Teil allerdings neben der gelegentlichen Bedeutung 'beerdigen', die man als einen Euphemismus ansehen darf) nur noch 'verbergen' registrieren. Auch diese Entwicklung geht großenteils auf die Bibelsprache zurück. Denn: 1) In der Bibel heißt p x zwar grundsätzlich 'verbergen', wird aber häufig gebraucht für 'aufbewahren': Gott bewahrt Sünde auf (hat sie nicht vergeben), bewahrt auch eine Bestrafung oder Belohnung auf (hält sie schon bereit; hierher auch das Hapax 003, Dt 32.34), bewahrt Menschen selbst auf (beschützt sie), Menschen bewahren Lehre/Weisheit im Herzen, heben etwas als Geschenk für einen Freund auf. 2) Umgekehrt heißt "1X1 'bewahren, erhalten', im Passivpartizip aber sekundär 'verborgen' (durch Gottes Fügung oder menschliche Hinterlist). 3) An "1XX 'horten, (Werte für sich) behalten' hängt ~)X1X 'der Schatz'. Hier sind Tätigkeit und Ergebnis unter den Lebensbedingungen des Alten Orients wie auch der Diaspora fast untrennbar von der Nebenvorstellung des sichernden Verbergens. Hier überall ließ sich die semantische Breite der hebr. Verben gut durch die semantische Breite von behalten abbilden. Manche Übersetzer wie MM haben °behälten nur - ISS (und 003), hingegen °ver-bergen ~ p x , °hüten ~ ")XJ. Andere hingegen bevorzugen auch für p x und die einschlägigen Fälle von nxi °behälten. So gleich R9: Dt 32.34 bέhalten ~ Oö3 '(Geheimnis) verwahrt (bei Gott)'; ferner für ΊΧΧ Jes 23.18; für p x Jer 16.17, Hi 10.13, 14.13, 15.20, 17.4, 21.19, 23.12, Pr 2.1, Ct 7.14; für ΊΧ1 immerhin Jes 48.6 behaldung ~ ni-)XJ 'Verborgenes'. Ebenso z.B. R13 für p x : Ps 31.20, 119.11, Pr 2.1, 2.7, 7.1; für 1X1: Ps 119.22, 119.129, Pr 3.1, 3.21, 4.13, 4.23, 5.2, 6.20, 7.10 (behälten, Part. - 31? r n x i 'verschlossenen Herzens'). So auch manche Spätere. Außerhalb der Bibelübersetzungen vollzieht sich, wie zu erwarten, der Aufstieg der Bedeutung 'verbergen' viel langsamer. Die im Dt. bis heute häufige Bedeutung '(ein Objekt) nicht zurück- oder weitergeben' liegt z.B. noch vor in Sb 114.1, 697.2, 1154.3 und ZuR 57ra34, 36 u.ö., die im Dt. noch ebenso lebendige Bedeutung '(im Gedächtnis) behalten, nicht vergessen' in PuW 180.2, 606.4 und TA lOvlO.
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baheftn sich
Hingegen finden wir die Bedeutung 'verbergen' z.B. Bar 483, 501, ZuR 51 vb27 u.ö., reflexives °sich behalten ZuR 52rbl0, 88vb42 u.ö., die Bedeutung 'beerdigen' ZuR 32va40 (behälten im kever), die biblische Wendung 'bei sich im Jenseits behalten' Sb 1712.2, ZuR 132ra31, TA 1 Irl, ebenso 'eine Belohnung/Bestrafung bereithalten (von Gott)' Br 245.36 (Zitat Ps 31.20), TA lOrl, 10v21. Am Ende dieser Entwicklung steht dann beim Verb (samt quasi-adjektivischem Partizip) der stj. Zustand. Was das begleitende Substantiv angeht, ist also ~ °beheltenis, z.B. R9 Jer 38.11, Pr 8.21, 21.20, R13 Ps 33.7, MM Dt 32.34, Α Dt 28.12, 32.34, El Ps 33.7, 135.7, HiP 38.22 (2x), BM Dt 32.34. Doch werden mit demselben Wort unter anderem auch wiedergegeben: Π"·!!! 'Schätze', z.B. R9 Ez 27.24, MM Esth 4.7, BM ebd.; nilDOO 'Magazine', z.B. R9 Ex 1.11, MM und Α ebd.; ΕΓΩΟΧ 'Vorratskammern' z.B. R9 Dt 28.8, Pr 3.10, BM Dt 28.8; ήΟϋΟ 'verborgener Schatz' A Gn 43.23, BM ebd.; ]1DS 'Verborgenes' R13 Ps 17.14, El Ps 83.4, HiP 20.26; Tilge 'Depositum' R9 Gn 41.36, MM Lv 5.21, Mü, Α und Κ Gn 41.36, A Lv 5.21, 23, BM Lv 5.23. In freien Formulierungen: Mel 457.4, 1512.3 wohl beidemal 'Schatzhaus', Shg lr5, Br 195.33, 35, TA 3r33, 10v9. Dazu NH nsix - beheltenis tesoro - tesaurus. Wie man sieht, schillert auch dieses Wort noch zwischen 'Schatz(haus)' und 'Versteck'. Das Stj. hat dann für 'Schatz' den Hebraismus ojzer selbst, für 'Versteck' (der Entwicklung des Verbums folgend) baheltenisch, auch z.B. 'Partisanenversteck'. Bemerkenswert ferner stj. bahalter 'Luftschutzraum', bahelterlech 'Versteck (en) spiel (en)'. Nie haben wir übrigens schaz in der Bedeutung ojzer gefunden; stj. schaz 'Wert, Einschätzung' ist deverbales Abstraktum zu schazn 'schätzen', nicht dessen Grundwort. Schatz als jüdischer Familienname ist Akronym aus H3S Π,17ψ 'Kantor', eigentlich: 'Gemeinderepräsentant'. baheftn sich 'sich vereinigen, sich eng befreunden', auch 'kopulieren', baheftung 'Vereinigung (als Tätigkeit)', stj. Die erste Sozialbeziehung, die die Bibel erwähnt (Gn 2.24), wird von Luther bekanntlich wie folgt wiedergegeben: Darumb wird ein Man seinen Vater vnd seine Mutter verlassen vnd an seinem Weibe hangen vnd sie werden sein ein Fleisch. Das von Luther mit 'hangen' übersetzte p3"T bedeutet eigentlich '(physisch an)haften'. Die jidd. Übersetzungstradition hat hier sich hiften (Lo, K), sich beheften (MM, Mü), sich beheften (A, Wi), beheften (ohne sich) Bli. (Die Glossare R9, L, Mijo und BM übergehen die Stelle.) Auch sonst ist seit Beginn der Überlieferung °sich beheften die Normalübersetzung für p3"T, nV?!, n a s i und ρΒΊΠΠ, die alle ungefähr 'sich (einem oder einer anderen) beigesellen, sich (an ihn oder sie) halten' bedeuten, wobei der 'andere' auch (und gerade) Gott sein kann.
baheftn sich
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Beispiele: i?3T R9 Dt 30.20, Jer 13.11, Ru 1.14, 2.8, 2.21; R13 Ps 101.3; A Nu 36.7, 36.9, Dt 4.4, 10.20, 11.22, 13.5, 30.20, Ru 1.14, 2.21; El Ps 63.9, 101.3; BM Nu 36.7, Dt 4.4, 10.20; nftl: R9 Gn 29.34, Nu 18.2, Jes 14.1, 56.3, Jer 50.5; M M Jes 14.1; Mü Gn 29.34; A Gn 29.34, Nu 18.4; BM Gn 29.34, Nu 18.2, 18.4; TöM: Α und BM Nu 25.3, 25.5; psnnn: MM, A, K, M i j o und BM Ct 8.5. Man kann geradezu voraussagen, daß dieses Verbum sich auch in freier Formulierung eine Position erobern mußte. Das geschieht zunächst relativ langsam: Mel 582.2 [...] apgöterei', daran beheft sich Selomo, 1772.1 Hiskijo [...] wäs asö gar vrum un* beheftet sich an got', Α Erklärung zu Ct 1.15 dp touben, dp beheft sich zu kainem anderen, ebd. kinder Levi [...] dp wolten sich nit beheften zu kainem anderen göf, HiP zu 28.22; MR 82.46 ain itlicher, der sol sich beheften zu seinem weib. Doch Br bietet dann viele Dutzend Belege, und in ZuR sind es allein im Gn-Teil über sechzig. Solche ohne Bezug auf die Sexualität bleiben durchaus möglich, so Br 44.15 °beheft dich nit zu böser chawruso, 154.17 °beheft dich an in (einen bewährten Freund), ZuR 7ra5 asö bäld beheft er sich zu im un" sagt zu im [...], 112rb29 ain itlicher mensch der sich beheft zu ainem kestlichen man, der wert auch kestlich. Aber spätestens in ZuR ist der Partner meist vom anderen Geschlecht, und der körperliche Akt ist dann fast immer mitgemeint oder sogar das eigentliche Mitteilungsziel: wen der Livjosson wert sich beheften mit seinem weib 2vb46; es hot kain beschefenes giwist zu beheften sich zu seiner nekevo, bis däs Odom Horisön sich hot for beheft zu seiner nekevo 6vb30f.; er sagt zu dem maidien: biheft dich zu mir 8ra29; so speziell von der Ehe (sich beheften zu seinem weib, passim). Hier lexikalisiert sich sichtlich die noch im MEYYED (unter anderen) genannte Bedeutung 'to copulate'. Der deutsche Hintergrund: Im Mhd. ist sich beheften mit oder zuo + Personenangabe einige Male belegt (Lexer s. v.), und das Frühnhd. Wb. s. v. beheften kann unter mehr als dreißig Belegen der Bedeutungsnuance Nr. 6 ('verstricken, verwickeln, ... [psychisch] binden') immerhin noch einen Beleg des 14. Jhs. für eben diese Konstruktion beibringen. Das Verbum wurde also von den jüdischen Übersetzern wegen der im Urtext bei p3"7 durchklingenden Grundbedeutung 'anhaften' gewählt und trat zunächst in den Übersetzungen, erst dann auch in der jidd. Gemeinsprache seinen Siegeszug an. Überraschenderweise zitieren allerdings die Grimms im DWb s.v. beheften (nach zwei transitiv-nichtreflexiven Belegen bei Luther bzw. Sachs, die weit abliegen) ohne Quelle, also als Umgangssprache des 19. Jhs.: »sich mit einem beheften = befassen, abgeben«. Nach Lage der Dinge kann hier durchaus ein Rückwanderer aus dem Jidd. vorliegen; aber auch wenn es sich um ein innerdt. Relikt handeln sollte, verschiebt sich damit die historische Bilanz nur geringfügig.
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bajgartl
Das zugehörige Abstraktum beheftung begegnet ebenfalls schon in R9, Jes 27.1 ~ ΤΓΠ1?, Pr 1.9 - fri> und führt schließlich auf stj. baheftung. bajgartl 'money-belt', 'Geldkatze', neujidd. (Ha, Stu, Ni) Hebr. ö , "in kommt nur zweimal in der Bibel vor: Jes 3.22 bezeichnet es ein Accessoire der luxuriösen Jerusalemiterinnen, 2 Κ 5.23 einen Beutel, der einen Zentner Gold faßt. Man kann beide Belege harmonisieren zu 'Geldbeutel' (was auch die Bedeutung von arab. harltah ist, Klein s.v.). Die schon im Mittelalter wohl gängigste Form des Geldbeutels ist der (am Gürtel oder auch an einem eigenen Gürtel getragene) bigürtel, Beigürtel (Lexer, Findebuch, Frühnhd. Wb., DWb). So ist wenigstens für einen Teil der Tradition ü , - in gleich beP-gürtel MM 2 Κ 5.23, beV-gurtel Mijo ebd. Ferner bezeichnen einzelne Übersetzer auch den TiDN der hohepriesterlichen Kleidung manchmal als bei'-gürtil A Ex 28.26ff. und 39.7ff., Lv 8.7, bei-girtel BM Lv 8.7, haben daneben aber gurt A Ex 25.7, BM Ex 28.26, Lv 8.7 wie die sonstige Tradition (Lo, MM, Mijo, teilweise K), sofern diese nicht überhaupt den Begriff unübersetzt läßt (Mü, Bli, Wi, teilweise K).
Außerhalb der Bibelübersetzungen finden wir bigürdel schon 1290 in K1A als Übersetzung des talmudischen (Timm 1977: Nr. 40), später °bei gürtel beispielsweise Br 88.4, 88.7, 206.40, 225.38f., 228.5, ferner NH ^plIN - bei'-gärtel - borsa - sacculum; im 19. Jh. z.B. bei Axenfeld (>Dos sterntichU S. 194) der ganev hot gelt arum sich in α bajgartl·, im 20. Jh. bajgartl bei Harkavy, Lerer 1928: 369, Stutchkoff Nr. 486 und 487. In der dt. Schriftsprache ist das Wort schon im frühen 17. Jahrhundert verklungen. Doch hängt das Schicksal eines Wortes dieser Bedeutung mehr vom Schicksal der Sache als vom Schulgebrauch ab: so kann das Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch (s. v.) noch im 20. Jh. solche Beigürtel aus unmittelbarer Anschauung beschreiben. °bajspil 'lehrhafte Kurzerzählung' u.ä., °bajspiln 'solche Erzählung vortragen oder erdichten', °bajspiler 'einer, der dies tut', älteres Jidd.; mosl 'Beispiel', stj. Das biblische ^tPD bedeutet: 1) 'Parabel, Gleichnis, Fabel', 2) 'Sentenz', d.h. 'Spruch eines Wahrsagers' oder 'Sprichwort', 3) 'Gegenstand des Gespöttes, Entsetzens' (in 'zum Gespött werden' u. ä.). Daraus abgeleitet ist ein Verb 'ein Masal vortragen oder erdichten' (nicht identisch mit 'herrschen'); dessen Aktivpartizip schließlich wird auch als Nomen agentis gebraucht: 'Rezitator oder Erfinder eines Masal'. Septuaginta, Hieronymus und wahrscheinlich sogar Aquila, in ihren Muttersprachen an etwas engere literarische Gattungsbegriffe gewöhnt,
bajspil
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unterscheiden - freilich wohl nicht ganz scharf - παραβολή und παροιμία, parabola und proverbium (von vereinzelten weiteren Ausdrücken abgesehen). Dabei wird die Bedeutung 3) von den Griechen überwiegend zur παραβολή gezogen, Hieronymus schwankt stärker. Für das Verb hat Aquila ein παροιμιάζειν, für das Nomen agentis die Septuaginta einmal άινιγματισταί 'Rätselmacher' (Nu 21.27); sonst aber weicht man - und Hieronymus immer - auf Umschreibungen aus. Die jüdischfrz. Überlieferung hingegen hat einförmiges °essanple und ein Verb °essanpler (beide auch aus nichtjüdischen Texten bekannt), dazu einen °essanplor, der wohl jüdischfrz. Eigenbildung ist (ganz wie ein Hapax ansanpelement statt essanple\ zu ihnen allen R. Levy 1932 und 1960: Nr. 86, 421, 422). Die jidd. Übersetzungstradition verfährt von Anfang an genau parallel zur jüdischfranzösischen. Für *?tZ?Q selbst steht °bei'-spil (< mhd. btspel, das ja eine ähnliche Bedeutungsbreite hat und das insbesondere, von der VersProsa-Frage einmal abgesehen, die einzige volkssprachliche Entsprechung von lat. exemplum ist): R9 Nu 23.7, Jer 24.9, Ez 14.8 u.ö.; R13 Ps 44.15, 49.5 u.ö.; MM Nu 23.7, Dt 28.37, Pr 1.1; El Ps 44.15, 49.5, 69.12 usw. ähnlich die gesamte Überlieferung einschließlich Bli und Wi. Für das Verb steht °bei'-spilen, eine Bildung, die sich im Dt. bisher nur je einmal im 14. und 15. Jh. hat finden lassen (Findebuch, Frühnhd. Wb.): R9 Ez 18.2, 21.5, Hi 17.6; MM Ez 18.2, 21.5 u.ö. Bli und Wi weichen hier allerdings schon aus auf Umschreibungen vom Typ 'Beispiele sagen'. Das Nomen agentis schließlich ist der °beP-spiler: R9 Jes 28.14, Ez 16.44; R9, MM, Lo, Mü, A, K, Mijo, BM, auch Bli Nu 21.27 (Wi umschreibt). Und noch mehr als die Hälfte der Informanten von Noble (Nr. 95) kannten das Wort. Außerhalb der Übersetzungen haben wir zwar nicht °beP-spilen und °beP-spiler, recht reichlich aber bis etwa 1600 - danach nur noch ganz vereinzelt - °beP-spil gefunden. Manchmal bibelparallel: Sb 1393.1 ('erdichtete Fallgeschichte'); Mel 232.3 ('die 3000 Lehrsprüche Salomos'; 1Κ 5.12), 448.2 ('Gegenstand des Entsetzens'), 954.1 ('Prophetenspruch'). Häufig bibelunabhängig für die lehrhafte kurze Verserzählung (speziell Tierfabel): so schon in der Löwenfabel von CH (bispel, V. 28) an typischer Stelle resümierend zu Beginn des Epimythions ('dieses bispel lehrt ...'). Etwas lockerer in Bar (51, 213 und etwa ein Dutzend weitere Fälle) und in MzK § 104 (nem das beP-spil fun den hart 'der beherzige die Fabel von dem Hahn', fast schon: 'der nehme sich ein Beispiel an dem Hahn'). Hingegen wieder stereotyp jeweils am Epimythion-Anfang in Koppelmanns FF (1583) und in KüB (1595) samt seiner Neuausgabe von Wallich (1697). Schon bei Koppelmann muß aber auffallen, daß er in vielen Überschriften statt dessen sagt: ain mosel fun [...]. Hier muß die Prosa der Überschrift gegenüber dem Vers-beP-spil selbst wohl schon als die spontanere Rede-
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bajstidl
form gelten. Ferner ist auffällig: daß in S j (1591, fol. 71r) der Vers Ps 49.5 zuerst im Urtext mit dann in der Übersetzung mit bei'-spil zitiert wird, unmittelbar davor und danach aber in eigener Formulierung von kurzweiligen mesolim und von dem mosel mit der grousen frosch geredet wird; daß °beV-spil z.B. in Shg, ZuR oder SbS gar nicht mehr zu finden ist; daß auch Wallich den burschikosen Titel >Kü'-buch< nicht in *BeV-spil-buch o.ä., sondern in >Sefer mesolim< ändert. Kurzum, das deutschkomponentige Wort wird offenbar um 1600 im Rahmen eines gewandelten literarischen Bewußtseins auch im Alltag durch das hebräischkomponentige verdrängt. Eine mögliche Ausnahme bildet nur die Redensart 'sich ein Beispiel nehmen', im Deutschen seit dem späten 15. Jh. belegbar (Frühnhd. Wb. beispiel3). Nach dem schon zitierten Grenzbeleg erscheint sie z.B. MR 88a.81 ir sölt bei'-spil nemen an meinen heverim, in ZuR (2x), MB (2x), ShN (lx). Für das Stj. verzeichnet freilich das MEYYED auch bajspil, zum bajspil, aber mit dem Warnpunkt für gemäßigte Daitschmerismen. Offensichtlich liegt eine Neuentlehnung der Zeit nach 1800 vor. Das Interessante ist nun aber, daß auch stj. lemosl 'z.B.' die Entwicklung von 'narratives bispeV zu 'beliebiger Einzelfall einer Kategorie', wie sie im Dt. des 15./16. Jhs. erst langsam in Gang kommt (Frühnhd. Wb. beispiel 2), parallelisiert, d. h. wohl: nachvollzieht. Dieses lemosl hat bereits G1H 4.10, 15.18, aber beidemal zur Einleitung von Gleichnissen; im allgemeineren Sinne bezeugen es dann im 18. Jh. ein Briefsteller (>Hanoch le-naarJudensprache< (»J. W.«, Callenberg, Tirsch, Friedrich, Selig; Klayman-Cohen 1994: 142). Das heutige Hebr. hat für 'z.B.' außer talmudischem 1130 und spätmittelalterlich-außeraschkenasischem btiü "!~Π auch btftif und XQJn1?, die mit biblischem bzw. talmudischem Wortmaterial gebildet, aber noch bei Ben-Jehuda nicht verzeichnet sind und auch laut Even-Shoshan erst der neuhebr. Literatur angehören. Zumindest in btifcb lebt offensichtlich die jidd. Wendung weiter. bajstidl 'Türpfosten', stj. Die meisten oberdt. Mundarten kennen ein °stu(o)del 'Pfosten', das seit dem 12. Jh. (in Komposita seit dem 8. Jh.) auch schriftlich belegt ist. Auch eine Nebenform mit Umlaut ist rezent belegt und läßt sich bis ins Spätmittelalter, indirekt bis ins Ahd. zurückverfolgen (DWb Studel)·, sie liegt also - mit zu erwartender Entrundung - der jidd. Form zugrunde. Wohl indem sich ein anderes Wort für 'Türpfosten', mhd. bistal (Lexer s.v.; Frühnhd. Wb. beistal 3) mit studel kreuzte, ergab sich ein mhd. btstudel, das im Scherz-Oberlinschen Glossar erfaßt und als beistudel, Beistüdel, Beistidl in gewissen Drucken der vorlutherischen Bibel (Kurrelmeyer s.v.) sowie z.B. 1445 in Bayern, 1730 in der Schweiz zu belegen ist (Bair. Wb. 2.733,
balejtn
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Schweiz. Id., Art. Stud, Sp. 1378). Luther hat zwar in der Zerbster Hs. von 1523 noch stüdel (1Κ 6.31), gibt das alte oberdt. Wort in den Drucken aber auf (meist zugunsten von pfosten) und besiegelt damit sein Schicksal in der deutschen Schriftsprache. ΓφΤΩ ist in der Bibel nur der 'Türpfosten'. (Im Talmud bezeichnet das Wort dann überwiegend, aber noch nicht ausschließlich, durch Metonymie das oben am rechten Türpfosten befestigte Kästchen mit dem Pergamentröllchen.) Die gesamte jidd. Überlieferung übersetzt ntllD (und manchmal semantisch benachbarte Wörter, im folgenden eingeklammert) durch 0 bei'-stüdel; so beispielsweise R9 Ex 21.6, (Jes 6.4,) Ez (40.9, 40.16,) 41.21, Pr 8.34 (Schwa-Waw bzw. Kibbuz-Waw deutet schon Umlaut an); R13 Pr 8.34 (beistulen); MM Ex 12.7, 21.6, (Jes 6.4,) Ez (40.13,) 43.8, (Am 9.1, Zeph 2.14); A Ex 12.7, 22, 23, Dt 6.9, 11.20; BM Ex 12.7, 21.6 (-/-). Nur Bli versucht sich Ex 12.7, 22, 23 mit der Neuerung postin (nach Luthers pfostenl), kehrt aber schon mit Ex 21.6 zu bei'-stidel zurück und zwar endgültig (auch Dt 6.9, 11.20, Ri 16.3, I S 1.9, 1Κ6.31, 33, 1K7.5, Jes 57.8, Ez 41.21, 43.8, 45.19, 46.2, Pr 8.34). Noch Jeh benutzt das Wort passim. In freier Formulierung erscheint es z.B. Mel 359.1, ZuR 53vb53, 114vb33, 152rb33, 187vb35. (Doch kennt ZuR sogar noch einfaches stidel 62rb21, 187vb34.) Auch C.W. Friedrich benutzt es noch im Alltag: »Thürposte: die Beystidel«. So bis zu stj. bajstidl. Aus sachlichen Gründen (Wichtigkeit von Ex 12.7 und Dt 6.9 für den jüdischen Glauben) wie auch aus sprachlichen Gründen (schmale dt. Basis der präfigiert-umgelauteten Form) darf man das Überleben von stj. bajstidl ohne Zögern dem Heder gutschreiben. balejtn 'begleiten, geleiten', stj., dazu balejtung, balejter, balejterin sowie balejt-/baglejt-(simptom) 'Begleit-(Symptom usw.)', stj. Das Mhd. kennt als leichte Modifikationen von leiten die Verben beleiten und geleiten; dazu noch vergeleiten auf dem Umweg über das Nomen geleite. Spätestens im 16. Jh. greift hier die Synkope -gel- > -gl- lexemgebunden (wie bei glauben, Glück usw., nur weniger stark) über ihr lautgesetzliches Verbreitungsgebiet hinaus, so daß das DWb vergleiten, Vergleitung z.B. auch bei Melanchthon, Kirchhoff und in Zeitz, gleite auch bei Heinrich Julius von Braunschweig belegen kann. Das führt spätestens um 1600 dazu, daß gleit- auch in beleiten hineininterpretiert wird, damit also begleiten vom frühen 17. Jh. bis heute (Frühnhd. Wb., DWb). In einigen Mundarten halten sich Formen ohne -g- (z.B. Bair. Wb. 1.1529). In den jidd. Bibelübersetzungen erscheint °belaiten von Anfang an dort, wo das Piel τΐ?ψ kontextbedingt '(beim Verabschieden noch) begleiten' bedeutet: R9, Lo, MM, Α, Κ Gn 18.16; Lo, K, BM Gn 12.20 usw.
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balkn
Außerbiblisch z.B. BB 168.5 däs dich der almechtig go(t) belaif, PuW 135.4 bέlaitung•, Mi 2v4 däs mdn den saboss singedig hinwek-belaif, Br 30.18, 34.35 u.ö.; ZuR 26rb33, 37, 38, 30ra31, 33 u.ö.; NH. So bis ins Stj., wo das MEYYED nur bei dem gelehrten balejt-/baglejt(-simptom) u.a. auch eine daitschmerische Nebenform mit -g- anerkennt. balkn 'Zimmerdecke', neujidd. (Ha, Bi, Za, Ni); 'Balken; Dachbalken', stj.; (untergehend:) balkenen 'mit Balken belegen' Das Wort 'Balken' tendiert in dt. Mundarten dazu, durch Metonymie benachbarte Bauteile mitzubedeuten. Selbst wenn wir langobardisch balkun (Akk.) > ital. balcone (das dann um die Welt ging) beiseite lassen, bleiben unter anderem 'Heuboden' (vgl. z.B. Schles. Wb.) und 'Stubendecke' (vgl. z.B. Pfalz. Wb.). Während aber diese Ausweitungen aus der dt. Schriftsprache so gut wie ganz herausgehalten wurden (Friihnhd. Wb. balke 3), muß sich beim obigen Befund zum rezenten Jidd. der Verdacht melden, daß sich dort umgekehrt die Bedeutung 'Balken' nur regional im Kontakt zum Deutschen gehalten hat und 'Zimmerdecke' als die genuine Hauptbedeutung des rezenten Jidd. anzusehen ist. Jedenfalls ist unter den Synonymen für 'Zimmerdecke' nach Karte 73 des LCAAJ ΠΙ balkn (auch baltn) neben sufit das einzige allgemein-ostjidd. Wort. Aus der Literatur des 20. Jhs. seien nur zwei eindeutige Beispiele für die Bedeutung 'Zimmerdecke' angeführt: a brik, fir went un α balkn, d.h. 'eine Heimstatt', beginnt Grinbergs Manifest in der ersten Nummer des >Albatros< (1922, ed. Shmeruk 2.421), und in Sutzkevers Gedicht >Gehejmstot< (S. 15) heißt es: α loch in tschugunenem balkn ('ein Loch in der gußeisernen Decke [des Kanalrohrs als Partisanenversteck]'). In gewissem Maße >legitimierend< für diese Entwicklung kann hier die Tatsache gewirkt haben, daß hebr. ΠΎΐρ> 'Balken' an seiner einzigen Vorkommensstelle in der Tora, Gn 19.8, die übrigens bis ins heutige Hebr. idiomatisch lebendig geblieben ist, ähnlich metonymisch gebraucht wird: 'unter den Schatten meines Balkens' (Sg.!), d.h. 'in mein Haus, unter meinen Schutz als Gastgeber' sind die Fremden eingekehrt. R9, Lo, A, K, Mijo, BM und Wi haben alle singularisches °meines (bzw. mein, fun meinem) balken, nur Mü hat pluralisches meiner bälkan (und Bli hat meines dachs aus Luther). Interessant sind auch zwei dicht aufeinanderfolgende Stellen aus ZuR: 37vb48 ich hab gesehen im holem, der bälken fun meinem hous is worden zu-brochen; 37vb53 do sagt si ir holem: ain bälken in mein hous is zu-brochen. Der Wechsel im Artikelgebrauch deutet auf einen visuell unscharfen Rand des Begriffsinhalts, hier also wohl auf die im Gang befindliche Bedeutungserweiterung, wobei die erste Formulierung die spontanere ist.
banir
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Zu rnij? hat die Bibel auch ein denominales Verbum Γηρ 'mit Balken belegen', d.h. 'ein verfallenes Gebäude erneut überdachen' (Neh 2.8, 3.3, 3.6, 2Ch 34.11) oder 'einen Oberstock (zu einem intakten Gebäude) bauen' (Ps 104.3). Im Jüdischfrz. konnte man hier auf ein aus tref 'Dachbalken' abgeleitetes, auch in christlichen Quellen dünn belegbares Verb traver oder travoner zurückgreifen (R. Levy 1960: Nr. 781). Im Jidd. hingegen mußte man sich ein entsprechendes Verb anscheinend neu bilden: R9 Ps 104.3 der do belkent, Neh 2.8 zu belkenen, 3.3 si belketen in, 2Ch 34.11 zu belkenen; MM Ps 104.3 der do bdlkent, 2Ch 34.11 zu bälkenen; El Ps 104.3 der do hot gibelkt; M i j o Ps 104.3 der balked; Bli Ps 104.3 der do belkt; Wi Ps 104.3 der do belkt, Neh 2.8 zu belken, 3.3 und 3.6 si' haben sV gebelkt. (Zitat Ps 104.3:) MR 29.3 der do belkent; BM 60.3 der do hot gebelkt; S 26r der do hot gebelkent. Jeh hat das Wort noch im poetischen Stil: Ps 104.3 [der] wos balknt mit waser sajne ojberstubn, umschreibt aber in Neh und 2Ch mit lejgn balkns ojf. 0
banir/bonir 'Fahne, Banner', °banirn/bonirn 'mit einer Fahne versehen', älteres Jidd.
Für die Aussprache banir optiert Noble (Nr. 74) nach seinen Informanten 4 und 17; aus alter Zeit sprechen für ihre Existenz außerdem Patach-Punktierungen in L, R9 und NH, einmalige Nullschreibung in M M und El Ps sowie Fehlschreibungen mit - westjidd. lal in R13 Ps 20.6, PuW 125.4, 5, 126.8, 136.3, 6, 7, 138.8, 143.6, 149.1, 208.7, 217.3, 225.4, BM zu Ct 6.4. Für die Aussprache bonir optiert M. Weinreich 1973: 2.50 = 1980: 395; aus alter Zeit spricht für ihre Existenz zweimaliges (ge)bönir(t) BM zu Ct 5.10. Im Dt. wird bei mhd.-frühnhd. banier(e), panier u. ä. (< altfrz. baniere) eine Spaltung in heutiges Bänner und Panier frühestens im 16. Jh. faßbar; noch das Frühnhd. Wb. entscheidet sich für einen Einheitsartikel. Jiddisch banir/bonir, essentiell dazwischenliegend, beweist also lautlich keine Eigenentlehnung aus der jüdischfrz. Überlieferung. Semantisch beweist es sie noch weniger. Denn das jidd. Wort steht, wo das jüdischfrz. nicht steht, und umgekehrt. Das jidd. Wort ist Normalübersetzung von 'Fahne (beliebiger Größe)', so R9 Nu 2.17, 2.18, Ct 2.4, MM Nu 1.52, A Nu 1.52 u.ö., Ct 2.4, BM Nu 1.52, 10.22, 10.25, Ct 2.4 usw. (so bis ins 19. Jh., Noble Nr. 74); sporadisch übersetzt es auch Ol 'Feldzeichen', so MM Jes 11.12, 49.22. Das Jüdischfrz. hingegen hat für durchweg gonfanon 'Fahne (beliebiger Größe)'; besonders auffällig ist ~ son gonfanon ~ [jidd. Spalte:] sin banir in L Nu 1.52. Jüdischfrz. baniere 'Hauptfeldzeichen des Heeres' erscheint (laut R. Levy, Tresor) einmal zur Kennzeichnung von Moses' 'Gottesstab' (Π'Γί'ίΧΠ HWO Ex 17.9,
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banugenen sich
wo der Stab in der Tat als Hauptfeldzeichen dient), sonst nur außerhalb der Bibel. Nun lehrt ein Blick in den Lexer, daß mhd. baniere nicht nur in seiner frz. Grundbedeutung als 'banner, fahne als führendes zeichen einer schaar', sondern seit dem dt. Rolandslied auch für 'fähnlein am speer' - und damit also für Fahnen beliebiger Größe - ganz geläufig ist. Erst durch diese semantische Erweiterung eignet es sich als Normalübersetzung von Die jidd. Tradition repräsentiert hier also einen semantisch späteren Entwicklungsstand als die jüdischfranzösische. In freier Formulierung steht das Wort z.B. Sb 445.4, 1219.2, BB 169.6, 172.4, 488.8, 530.8, 580.6, PuW (12x, s. oben), ZuR 90rb48 u.ö. (über 30 χ), NH Vw - banir - bandiera - vexillum. Und sogar Nobles Informant 17 kennt banir noch aus mündlichem Gebrauch für 'Simhass-tojre-Fahne'. Außer dem Substantiv hat die Bibel wenige Male ein denominales Verb 'die Fahne erheben', 'mit einer Fahne versehen' (Part. Pass, 'ausgezeichnet', Nifal 'mit Fahne versehen sein'). Die jüdischfrz. Überlieferung bildete sich hier ein Verb go(n)faner, gonfanoner (R. Levy, Tresor); die jidd. Überlieferung hat ein °baniren, das sich außerjüdisch nur als Hapax hat finden lassen (Lexer s.v. banieren):9 R9 Ct 5.10 gebanert, 6.4 gebenirt, R13 Ps 20.6 painiren, MM Ct 5.10 gebanirt, 6.4 gebänirt, Ps 20.6 baniren, El Ps 20.6 bdniren, BM zu Ct 5.10 gibönirt (2x), 6.4 gibainirt, 7.5 gebanirt. Auch Nobles Bibeldrucke des 19. Jhs. und sein Informant 4 haben Ct 5.10 noch banirt. Da Jiddischsprecher kaum Anlaß hatten, sich mit Militärdingen zu identifizieren, ist der Quasi-Untergang von Nomen und Verbum verständlich. Als Nomen ist stj. difon eingetreten, das in unseren Bibel-Materialien nicht vorkommt. Da einerseits dt. Fahne im wesentlichen erst im 16. Jh. Femininum wurde (DWb), andererseits das jidd. Wort den Wandel A3 > stj. ο noch mitmacht, dürfte es um 1600, vermutlich durch das Landsknechtswesen, seinen Weg in den jidd. Alltag gefunden haben. Belege bieten im späten 17. Jh. historische Lieder, z.B. >Ain sehen lid fun Öven< (Prag 1688) 21.6 ain kaiserlichen fan. C. W. Friedrich (1784) hat dann Foen. banugenen sich 'sich begnügen', stj. Mhd. benüegen (mitteldeutsch benugen) enthält dieselbe Wurzel wie mhd. ge-nu(o)g- 'genug'. Besonders wer letzteres zu gnu(o)g- synkopierte, konnte das für die richtige Gestalt der Wurzel halten und das Verbum entsprechend >korrigieren3nn und Yprmri (gelegentlich auch Vpn, vereinzelt andere): R9, Lo, MM, A, K, M i j o , BM Ex 8.5, Dt 29.18; R 9 Jes 10.15, 44.23, 52.5 (zu bbn gezogen); L Dt 29.18; R13 Ps 10.3 (2x), 34.3, 49.7 u.ö., Pr 25.14; M M 1Κ 20.11, Ps 10.3 0"?Π), 49.7, 97.7, Pr 25.14; El Ps 10.3 Opa), 34.3, 44.9, 49.7 u.ö. Auch außerhalb der Bibelübersetzungen ist sehr auffällig, daß °sich berümen häufig, °sich rümen nahezu oder völlig inexistent ist. In SM haben wir zehn sich berümen 1.107, 112, 113, 128 (2x), 131, 9.22 (2x), 23, 11.105 gegenüber zwei °sich rümen 9.35 (2x). In ZuR ist die Proportion sogar 36:0, im MB 7:0, in ShN 9:0. Das sieht ganz nach einem völligen Verschwinden von °sich rümen aus. Weitere typische Belege für °sich berümen: AJ 72.1 der Sotan war sich berümen gegen got; Db 223.1 er wäs sich berimen, wP er Bovel hät zu-gericht; Mel 1816.4, 1877.1, 4, 1879.1 "sich be rumen/be rümen-, PuW 174.7 sein si' sich berümen; F F 8.13 ain bei'-spil 10
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Ein anderer Teil der Tradition sagt allerdings statt °benugen überhaupt 0 genügen, so daß dort das Problem entfällt. Auf die -en-Erweiterung können wir hier nicht eingehen.
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baschafn
zu ainem, der sich tut berimen un hoch machen, 12.8 do tet sich di' mous berimen", HiP 39.13 (frei formuliert) oder hostu di' nätou'er in-geben der pfö' öder papegai1, di' sich vrai'et un" berümt mit vil-arlai' värben, di3 si' hot an iren vligel?; MR 113.75, 80; Br 9.26, 15.21, 19.15, 91.33, 114.22, 121.30, 172.39, 173.1, 174.31; NH I S S n o - berimen (sich wohl durch syntaktische Inkohärenz ausgefallen). Das Stj. hat freilich außer barimen sich auch rimen sich. Und wo z.B. die den >Miqra'ot gedolot< (Lublin 1887-1899) beigedruckte jidd. Übersetzung noch traditionsgerecht barimen sich hat (1Κ 20.11, Jes 10.15 usw.), sagt Jeh rimen sich. Doch charakteristischerweise gehören alle jidd. Ableitungen zu barimen sich: barim, barimenisch, barimeraj 'Prahlerei', barimer 'Prahler', barimerisch 'prahlerisch', barimerischkejt 'Prahlsucht' (teils stj., teils Stutchkoff und Zanin); rimen sich ist demgegenüber völlig unproduktiv - und deshalb halten wir es für einen Germanismus. baschafn '(er)schaffen' (von Gott), baschefer 'Schöpfer' (Gott), baschefenisch 'Geschöpf', stj. Für creare und creator sind im Mhd. schejfen, schepfen, schaffen und schepfcere bei weitem majoritär, aber auch beschaffen und bescheffer bis tief ins 16. Jh. nicht ganz selten (Lexer, DWb). Luther hat einmal außerhalb der Bibel beschaffen '(er)schaffen', sonst immer die präfixlosen Formen, die bald nach ihm als einzige übrigbleiben. Das Jidd. bewegt sich in umgekehrter Richtung. Bloßes °schäfen, genauer gesagt, dessen perfektivierende Variante °geschäfen (also mit ge~ in allen Formen!), haben noch CH (Ab 57, 87, 202, 421) und R9 Gn 2.7, 2.8, 14.19, präfixloses °schafen Κ Gn 2.7, 2.19 und wohl 3.1 (ferner der-schafen Κ Gn 1.1 und passim). Isoliert bleibt Bar 5135 ist [...] geschöpfet (gegenüber mehrfachem beschafen, 686 u.ö.). Sonst erscheint (in der Bibelübersetzungssprache vor allem ~ X~a, "ix-", ntPSJ, Πΐρ) °beschäfen in R9 Gn 1.1 (beschuhf) und ab Nu 16.30 (2x) anscheinend regelmäßig; in Κ immerhin einige Male (Gn 1.21, 1.27 u.ö.); im übrigen von R13 Ps und Pr über MM, Mü Gn, A, HiP (übersetzte und frei formulierte Teile insgesamt über 80mal!) und BM ausnahmslos, parallel dazu außerhalb der Übersetzungen MR 20mal (1.34 usw. gegen einmaliges geschafen 1.90), als salvo errore einzige Form in Sb 20.3, Mel 410.2 u.ö., Db II.2 (Vorrede) u.ö., BB 168.6, PuW 1.7, AJ 46.3, 55.4, Shg lvl9, Mi 2vl8 u.ö., in Br und ZuR viele Dutzend Mal. Abgesehen von K, das wieder einmal des christlichen Einflusses verdächtig ist, ist die Drift zu °beschäfen also um 1400 in vollem Gang, um 1500 abgeschlossen. Dem Verbum folgt das Substantiv mit einer gewissen Phasenverschiebung. In R9 haben wir nur schefer gefunden (Dt 32.6, 15, 18, Jes 6.2, 16.11, 17.7 usw., manchmal ohne Rafe); in R13 schafer Pr 17.5 gegen
baschejdn
177
beschäfer Ps 115.15; in MM schöpfer Koh 12.1, aber beschefer Gn 32.15, 18 und Jes 43.1; in A schepfer, schepfer z.B. Dt 32.4, 15, 18, 30, 31 (2x), 37 gegen beschefer Dt 32.15, 18 (sic!); in Mü und Κ bischäfer z.B. Gn 14.19, 22; in HiP bischefer 31.15 (+ 3x); und noch in BM neben normalem beschefer Dt 32.4, 15, 18, Ct 5.2, Koh 12.1 ein einzelnes schepfer Dt 32.18. Natürlich bildet in dieser langen Übergangsphase - von etwa der Mitte des 15. Jhs. bis um 1600 - die Variation innerhalb eines Werkes oft Ausdrucksvariationen des Urtextes ab (X~)>, Πψΰ, Hp, Vpino); übrig bleibt aber schließlich nur baschefer. Außerhalb der Übersetzungen finden wir °schöpfer z.B. Bar 1267, 2567, 5343 und noch MR 26.42, 118.106, 108; hingegen °beschefer schon in dem Lied >Almechtiger göt< von Avigdor Kara (gestorben 1439; Shmeruk 1988: 55), dann in BB 247.1, MR 9.27 (und im angehängten Purim-Lied 22.11), Br 64.8, 162.6, 172.8, 173.33, 211.23, 226.8, ZuR 3vb51 (und über 15 weitere; einmaliges beschepfer 76vbl9 ist wohl Druckfehler), TA 3r27 und passim (30x), NH beschefer. Für 'Geschöpf' haben wir geschepf geschöpf geschöpft nur im Bar 2997, 3023 u.ö. gefunden. Sonst herrscht °beschefenis (vgl. im einzelnen oben Teil A, § 22 >-n/sc/i-Bildungen spirantischem /γ/ eine besonders im Niederdt. beheimatete Lauttendenz; Hfl und llbl sind sichtlich Hyper-Verhochdeutschungen eines vermeintlich mundartlichen llv/ nach Mustern wie elve > elf, halve > halbe.) Angesichts dieser Vielfalt dürfen wir von vornherein auch für das Jidd. mit Varianten rechnen. Zwar finden wir hier (für mehrere seltene bzw. kommentarbedürftige hebr. Verbalformen) nur den erweiterten Typ auf -ern und, abgesehen von einem frühen sulpern in R9 (Jer 6.26 si dich weigeren j"o sulpern ~ 'ψ^δηπ), nur die Bildung mit °be-, aber der Labial schwankt: R9 Gn 37.32 besulbertin ~ Ιπ'νΊΤΙ, Jes 53.5 besulpert ~ Vj'no, 59.3 si sint besulpert ~ 1*7X11, 63.3 ich hon besulpert ~ Ti'pxis, Jer 25.34 un sint besulpern ~ W^snni, 48.9 besulpern si ist besulpert ~ X5£R XXI, Ez 16.6
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bawajsn sich
besulpert ~ DOOianp, Mai 1.7 besulpert ~ *?i0D, Thr 3.51 si ist besulpert ~ n*7*?lSJ, 4.5 si warden besulpert ~ 1p3n, 4.14 si sint besulpert ~ l^Xll, Hi 3.5 es mils besulpern in ~ ΙΠ^ΧΓ, 16.15 un" ich hön besulpert ~ "TlVpÜl; MM Gn 37.32 besulperten, 2S 20.12 besülperen, Ez 16.6, Hos 6.8, Hi 15.9 besülpert, Hi 16.15 besulpert·, A Gn 43.18 besiilpirn, Thr 4.14, Mai 1.7 besiilpert\ MzK § 49 bisilpern; HiP 3.4, 30.18 bisiilpert, 16.15 ich besülper; MR 77.5 bisülpert; SJ 9v27 besulpern, 12v7 besilpert, 115vl6 besilperen; Br 13.4, 30.28 °besülfert, 270.25 °besülfren; MB 90.6 bisulbert; ZuR 19vb27 besilbert, 23vb9, 139val5 besilfert, 139vb24, 26 besilpert·, BM Gn 43.18, Ct 5.3 bisilpern, Thr 3.51 bisiilpert, 4.14 besulpert; Lt Jes 59.3 besilpert; Wi Jes 59.3, 63.3 besilpert, Hi 16.15 besilpert; G1H 7.5 besilpert. (Hier läßt sich das majoritäre -ρ- statt -b- wohl nur aus dem binnendt. Konsonantenzusammenfall erklären, wobei die Tendenz abermals zur hyperkorrekten Form geht.) Während also Witzenhausen und Glückel das Wort noch in der traditionellen Hauptform kennen, hat Blitz es völlig verunstaltet: zu far-silbert Jes 59.3, zu °far-unsilbert Thr 4.14, Jes 63.3, Hi 16.15. Er führt uns damit vor, wie die seit der Entrundung ü > i unabweisbare Fehlassoziation zu silber das Wort allmählich ruiniert hat. Im Westjidd. kennt allerdings Tendlau (1860: Nr. 555) noch den Ausdruck besulwert un beschmiert, doch eben in einer Form, die zu Silber Abstand gehalten hat. bawajsn sich (und wajsn sich) 'erscheinen' (perfektiv), 'auftauchen, sichtbar werden', stj. als Verdränger von °der-zejgn sich Im Jidd. ist die Konkurrenz zwischen 0 weisen und 0 zaigen - ganz anders als im Dt. - mit einem Sieg von °weisen ausgegangen. Es ist also nicht erstaunlich, daß sich die Präfixbildungen beider Verben zueinander tendenziell ebenso verhalten; doch muß man ihnen dazu wegen je eigener semantischer Nuancen Spielraum gegenüber den Simplizia zubilligen. In der Bibel wird der Begriff des 'Sichtbarwerdens' visuell geprägt durch dessen spektakulärste Erscheinungsform, die Theophanie, ausgedrückt durch ΠίΟΙ. (Die jidd. Übersetzungstradition liebt es außerdem, aus Furcht vor Anthropomorphismen auch ein 'Herabsteigen' Gottes [TV] oder umgekehrt die an Gott gerichtete Aufforderung 'Erhebe dich!' [Imperativ ΠΟίρ] in ein Sich-offenbaren umzuformulieren.) Da nun mhd. zeigen und seine Wortfamilie vor 1500 auf das Oberdt. beschränkt ist (vgl. unten den Art. wajsn), dort aber an visueller Plastizität dem überall vorhandenen mhd. wisen überlegen ist (DWb zeigen), darf uns in der jidd. Tradition ein altes Nebeneinander von °sich biweisen (auch °sich der-weisen) und "sich derzaigen nicht überraschen, und wir müssen zugleich damit rechnen, daß °sich der-zaigen in seinem Bereich merklich resistenter ist als einfaches °zaigen in dem seinen. Das ist in der Tat der Fall. R9 (Gn 11.5, 18.1, 18.21,
bawern
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Ex 3.8, 6.3, Lv 9.4, 16.2) und R13 (Ps 3.8, 7.7, 9.20, 10.12, 17.13, 74.22, 82.7, 132.8) haben konsequent °sich beweisen. Mü hat ebenso konsequent °sich der-weisen (Gn 12.7, 17.1, 18.1, 18.21, 26.2, 24, 35.1, 9, 46.29, 48.3 usw.) und Κ °sich der-zaigen (Gn 11.5, 12.7, 17.1, 18.1, 18.21, 22.14, 26.2, 26.24, 35.1, 35.9, 46.29). Hingegen schwankt Α zwischen °sich biweisen (Gn 18.1, 46.29, 48.3, Ex 16.10, 19.20, Lv 9.6, Nu 10.35, 12.5, Dt 31.15) und °sich der-zaigen (Gn 11.5, 12.7, 17.1, 18.21, 26.2, 26.24, 35.1, 35.9, Ex з.8, 3.16, 4.1, 4.5, 6.3, 19.11, 19.18, 34.5, Nu 11.17, 11.25); ebenso noch BM zwischen 0sich beweisen (Gn 18.1, 46.29, Nu 14.10, 20.6, Dt 4.35, Ct zu 5.10) und 0sich der-zaigen (Gn 11.5, 12.7, 18.21, Ex 3.2, 6.3, 19.11, 34.3, Nu 6.35, 11.17, 11.25). Wir können weder in Α noch in BM eine Regularität erkennen (und möchten ebendeshalb durch die lange Belegliste dem Leser eine Nachprüfung ermöglichen). Auch die wenigen außerbiblischen Belege der Zeit vor 1600 bringen keine Entscheidung: °sich beweisen Bar 4418, HiP 2.10; °sich der-weisen PuW 691.3; °sich der-zaigen MR 84.18, 117.5 (und vgl. noch °sich weisen PuW 241.1, HiP 35.15; sich zaigen HiP 2.2). Statistisch beweiskräftig wenigstens für den Osten ist dann aber ZuR mit 31 0sich biweisen (und 5 °sich weisen) allein in Gn, ohne Gegenbelege. Auch hier ist damit - wiewohl merklich später als beim (nichtreflexiven Gebrauch des) Simplex der stj. Zustand erreicht. Im Westen allerdings hat selbst Glückel noch zweimal °sich erzaigen/ erzaigen (55.18, 250.5). Dazu kommt - um bei ihr für die ganze Wortfamilie um zaigen vollständig zu sein - noch zweimal nichtreflexives °erzaigen (92.28, 104.10), dreimal °an-zaigen (168.13, 207.19, 207.23f.), aber nicht mehr das Simplex zaigen. bawern 'sich bewahrheiten, eintreffen', stj.; dazu neujidd. (Stu) auch bawertkejt, bawerung Dem mhd. bewceren 'als wahr oder wirklich dartun' entspricht in der jidd. Bibelsprache ein °bewerin\ es übersetzt die Wurzel ΓΟ* in der Bedeutung 'als Recht oder als wahr dartun' (sonst °strofen), gelegentlich auch die Wurzel ]ΓΏ - 'auf seinen Wert prüfen' (neben °ver-suchen, °pruven). Ersteres z.B. R9 Jes 1.18, R13 Pr 8.9, MM Gn 20.16, 24.14, 31.37, Jes 1.18 и.ö., Mü, Α, Κ Gn 24.14, 24.44 u.ö., HiP 13.15, 19.5, BM Gn 21.25, 24.15, 31.37; letzteres A Gn 42.15, Κ Gn 42.16, BM Gn 42.15 und 16. Dazu in freier Formulierung biweren 'als wahr dartun' z.B. Mel 829.3, AJ 72.4, MR 54.71; MB 126.10, 135.20, 135.28 also sol ain bass-köl kumen fiin himul un sol beweren zwischen uns, wer do wor hot. Das Wort hat zum heutigen Dt. und heutigen Jidd. hin viel Terrain verloren, aber in unterschiedlicher Weise. Im Dt. bezieht es sich etwa seit 1600 kaum noch auf Sachverhalte ('bewähren, daß etwas so ist'), sondern nur
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bawilikn
noch auf Nomina (z.B. 'seine Unschuld') und verliert im Sprachbewußtsein dadurch den Kontakt zu 'wahr'; etwa seit 1800 wird es fast nur noch reflexiv gebraucht (laut Wahrig 1970 und 1978 n u r so!). Im Jidd. kennt es U. Weinreich für 'to materialize, realize' und Harkavy für 'to come true'. Vgl. auch das Sprichwort: Wos baschert, dos is bawert 'was von Gott beschert ist, ist damit unentrinnbar geworden' (Bernstein Nr. 554). bawilikn 1) 'gewähren', 2) 'geruhen (zu tun)', stj.; dazu neujidd. bawilikt 'gefällig, hochherzig' (Ha) Im Dt. taucht ein bewilligen erst kurz vor Luther auf, ist dann bei Luther sehr häufig, auch bei Alberus, Melanchthon, Frank gut belegt, aber immer intransitiv (wie heutiges einwilligen). Die transitive Konstruktion erscheint einmal bei Maaler (1561), wird aber erst im 18. Jh. häufiger (DWb). In der jidd. Bibelsprache ist °bewiligen schon bei Beginn der Überlieferung sehr häufig, und zwar in der Regel transitiv. Es ist nämlich schon in R9 die Normalübersetzung von 'zu einer freiwilligen Tat antreiben' (mit dem eigenen Herzen als Subjekt oder Objekt: 'ich treibe mein Herz / mein Herz treibt mich') und von HS")1 'Wohlgefallen haben an, lieben' (einschließlich nx") n '[eine Schuld, sie anerkennend] abtragen, bezahlen, sühnen', das manche heutige Lexikographen als eigene Wurzel zählen). Die Auffassung, in die Übersetzung dieser Verben müsse ein Element 'Wille' oder 'willig' eingehen, ist vor allem bei 311, aber auch bei ΠΧ1 schon voraschkenasisch (Blondheim 1925: Nr. 164): die jüdischrom. Übersetzungen haben hier einen denominalen Typ *voluntare (auch *ad-/involuntare, nach voluntas 'Wille' oder voluntarius 'willig'), der nicht ausschließlich, aber doch weit überproportional jüdisch ist. Jidd. °bewiligen ist wohl Lehnübersetzung dazu. Jedenfalls sind das jidd. und das dt. Wort unabhängig voneinander entstanden. Einige typische Beispiele aus R9: Ex 25.2 wen bewiligin in ~ 113T '(sein Herz) treibt ihn an (zu spenden)', Lv 26.34 si sol bewiligen ~ ΠΧΊΠ '(die Erde) wird (ihre Sabbate) ableisten', Ex 20.40 al-do ich wil bewilegen si ~ Π^ΊΧ Dt£> 'dort will ich sie gnädig annehmen'. Auch das Abstraktum ist schon da: Ez 46.12 bewiligung ~ Π3Ί1 'freiwillige Gabe'. Ähnliche Belege aus MM: Ex 25.2 werft] bewiligen in (s. oben); Lv 1.4 un sol weren bewilegt ~ Π^ΊΙΙ 'damit er wohlgefällig werde'; 1S 29.4 er wert sich sein bewilegen ~ Π£~)ΓΓ 'könnte er sich beliebt machen'. Hier erscheint auch schon das adjektivische Partizip: Esth 10.3 un" bέwiligt ~ ,!I201 'und wohlgefällig, angesehen (war Mordechai)'. Statt °bewiligen erscheint freilich in R9 gelegentlich, in R13 anscheinend regelmäßig und selbst in Α manchmal noch einfaches wiligen, in Κ oft sogar ein bejözen (vulgär< (DWb). Wo das Oberdt. gegen das Ostmitteldt. steht, ist für das Ostjidd. das Ergebnis kaum vorauszusagen; sein Verbleiben bei bejn (und kollektivem gebejn) ist also keineswegs trivial. Wir haben deshalb auch nach *knochen o. ä. gesucht, in der Bibelübersetzungstradition selbst (~ DSU) aber nur bain (z.B. Gn 2.23 in Lo, MM usw.) und °gebain (z.B. Ri 19.29 in R9, Gn 29.14 in Lo, MM usw.) gefunden. Ein einzelnes knochen bietet ZuR 105va29; aber bain erscheint mehrfach auf derselben Seite und schon von 46rb8 an passim, gebain 47va50. Kurzum, knochen ist hier die sprichwörtliche Ausnahme, die nur die Regel bestätigt - ein Zufallsinfiltrat aus der ostmitteldt. Umgangssprache.
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bentschn
bentschn '(eine Person) segnen', 'das Mahlzeit-Abschlußgebet sprechen', stj.; bentschlicht 'Kerze zur Heiligung des Sabbats oder Feiertages', stj.; neujidd. auch noch bentscherl 'kleines Gebetbuch mit dem Mahlzeit-Abschlußgebet und sonstigen häuslichen Gebeten' (Ha, Stu, Za, Ni), bentschung 'Segnung' (Ha, Stu, Ni) Bibelhebr. T)3 wird im Griech. durch εϋλογεΐν wiedergegeben, das dann die Verschmelzung von lat. bene dicere > benedicere wenn nicht bewirkt (TLL s.v.), so doch stark gefördert hat (Blondheim 1925: Nr. 26). An benedicere schließen sich die jüdischrom. Formen an (Blondheim loc.cit.). Auf die jüdischital. Formen geht, wie M. Weinreich 1973: 2.68f. (und 4.96f.) = 1980: 412f. gezeigt hat, jidd. bentschn zurück. Über dessen Lautstand kann man dreierlei hinzufügen. Erstens erweist das jidd. (t)s, nicht (t)s, Entlehnung nicht aus Nord-, sondern aus Mitteloder Süditalien, wie dies für eine sehr alte Entstehung zu erwarten ist (vgl. unter anderem das Stichwort >Luccaliturgischen< demfn. Stj. dempn '(eine Speise) dünsten' schließlich hängt semantisch wohl an dt. dämpfen (dessen kulinarische Verwendung bis ins 15. Jh. zurückreicht, DWb2 dämpfen3), hat sich aber lautlich nicht an die liturgische, sondern an die profanere Stammform demp- angeschlossen. der- (Verbalpräfix) 'er-', stj. In der frühnhd. Überlieferung finden wir (hauptsächlich in Handschriften, nur selten in Drucken) der- statt er- im Bair., Ostfränk. und Ostmitteldt., seltener im Schwäb., aus dem es im Gegensatz zu den übrigen Gebieten heute selbst in der Mundart verschwunden ist (Timm 1987: 325; Reichmann / Wegera 1993: 92). Daß es in der entstehenden dt. Schriftsprache nicht dominieren würde, kann man schon aus den Verhältnissen im späten 15. Jh. ablesen. In der jidd. Bibelsprache hingegen setzt sich °der- recht früh durch. In R9 beträgt die Proportion °der-: °her- etwa 2:1 (dazu kommen vereinzelte er- und or-). In R13 ist der- fast alleinherrschend (in Hi 77 der- auf 2 er-), in Lo ist es bei weitem majoritär. In MM, Mü, Α, Κ, BM ist uns überhaupt nur noch der-/der- begegnet. Die Indifferenz gegenüber der dt. Schriftsprache ist eklatant. Außerhalb der Übersetzungen verläuft dieselbe Entwicklung merklich uneinheitlicher. Noch er- oder er- als Norm haben CH, FU, Bar (vereinzelte der- z.B. 3609, 4706), EO, EH (Korman 1930: 35, 42), G1H (Landau 1901: 41) und z.T. selbst noch ShNII (Fleiß 1913: 34) - also bis nach 1700 immerhin eine nennenswerte Minderheit von Texten, wiewohl auch hier die große Mehrheit seit dem frühen 16. Jh. °der- hat (Timm 1987: 325). Insgesamt hat also auch hier die Hedersprache die sonstige jiddische Überlieferung vom Schriftdeutschen weggezogen und nicht etwa sich ziehen lassen. Nach Beranek (Atlas S. 224) ist der- schließlich gesamtjiddisch geworden. derbaremdik, baremharzik 'barmherzig', stj.; derbaremkejt, baremharzikejt 'Barmherzigkeit', stj.; dazu jeweils die Verneinungen mit um'un-', stj. Mhd. erbarmec, erbarmeclich 'barmherzig', erbarmecheit 'Barmherzigkeit' (und die zugehörigen wn-Bildungen) leben nach 1500 im Dt. nur in dürftigstem Umfang fort (DWb). An ihre Stelle sind, quantitativ hauptsächlich im 15. Jh., barmherzig und Barmherzigkeit (samt deren ««-Bildungen) getreten, die nach ahd. Vorstufen im Mhd. noch relativ selten geblieben waren (Besch 1967: 158f„ 161; aber auch Lexer, Findebuch, DWb).
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derbaremdik
Wie zu erwarten, übernahm die jiddische Bibelübersetzungssprache anscheinend ausnahmslos - die vor 1400 gängigeren Ausdrücke: R9 Gn 19.16 herbarmekait' ~ rfron, Ex 22.26 her-barmig ~ 113Π, 34.6 her-barmig (2x, iwni m n i ) , Dt 32.33 under-barmig ~ i p x , Thr 4.3 under-bermlich ~ ira«, 4.10 der-bermlich ~ n r i a r n , Pr 27.4 un-der-bermlichkait ~ Π Ι ' Ί ρ κ - ähnlich die spätere Tradition. Beispielsweise hat El Ps: 78.38, 86.15 (2x), 103.8, 111.4, 112.3, 116.5 (2x), 145.8 der-barmig, 25.6, 40.12, 51.3, 69.17, 77.10, 79.8, 119.156 °der-barmikait. Entsprechend gehen diese Ausdrücke auch in die frei formulierte Rede in reichem Maße über: Bar 609, 2883 erbarmik, 2680 erbarmekait, 3524 un-erbarmig, 3609 underbarmik\ Mel 937.4, 2062.2 der-barmig, 128.2, 1508.3 un-der-barmig; PuW 17.1 der-bärmig-, HiP (frei formulierte Stellen) 11.11, 24.1, 33.20, 34.13, 38.11 der-bärmikait, 39.16 ön-der-bärmiklich\ MR 85.13, 114.89, 114.94, 117.65, 119.33 °der-bärmikait, 74.27 un-der-bärmig-, Br 177.36 °der-barmig, 204.24 °underbarmig\ TM 201.11, 202.25 as ain vater ain der-bärmiger, 203.19, 205.3, 207.25, 211.14 der-bärmikaif, ZuR 6vb3 u.ö. (über 25 x) der-bärmig, 39vb48 u.ö. (etwa ΙΟχ) °der-bärmikait, 83val2 u.ö. (5x) °underbärmig·, NH ΊΏΠ") - der-bärmiger - pietoso - misericors; ebd. ">TDK - um-der-bärmeger - crudele immisericors - usw., bis stj. (um)derbaremdik, (um)derbaremkejt. Ein interessanter, aber atypischer Fall sind die Bildungen mit barmherz-· Da sie vor 1400 im Dt. ziemlich selten waren, finden wir sie nicht in der jidd. Bibelsprache. Aber schon im 15. Jh. müssen sie im Dt. vor allem durch die Laienfrömmigkeitsbewegungen ganz alltäglich geworden sein, und da das Gemeinte ja schon im Alten Testament eine zentrale Rolle spielt, könnte nicht ihre Bedeutung, sondern höchstens ihr anfangs spezifisch christlicher Stilwert einer Aufnahme ins Jidd. entgegengestanden haben. Aber hier traf es sich unter anderem so, daß der (uns unbekannte) Verfasser des jiddischen >Adir hu< in seinem alphabetischen Akrostichon von Gottesattributen auch ein Adjektiv mit Bet brauchte. So lesen wir schon im ältesten erhaltenen zusammenhängenden jiddischen Drucktext, nämlich am Ende der Prager Haggada von 1526: Almechtiger got, [...] bärmherziger got, gerechter göt [...] 1 9 - ein Text, der bald von jeder aschkenasischen Familie jedes Jahr gesungen wurde.20 Die Einbürgerung der Wortfamilie ließ nicht auf sich warten: HiP 33.29, 37.13 (freie Formulierungen) bärmherzikait; MR 118.121, 119.31 barm-herzikait, 118.145 u[n]bärm-herzig-, NH n i i a r n (sie) - bärmhärzikait - compassione - misericordia. Vor allem aber thine-losn: TM 206.8 bärm-herzikaif, TA 2r36 u.ö. (etwa lOx) barm19 20
Faksimile z.B. in Uriel Weinreichs >College Yiddish stet es drouf, das ir mein laid wolt heint derweitern? [...]« 'Wie kann es denn zugehen, daß ihr heute meine leidvolle Gefangenschaft in Freiheit umwandeln zu können glaubt?') Auch substantivisch: El Ps 18.20 er höt ous-gizöhen mich zu der-weiterung ~ ^ΠΊΏ1? 'führte mich hinaus ins Weite'. Hier überall geht es um die Vergrößerung einer leeren Fläche, eines Spielraums, Freiraums. c) Die Vergrößerung einer beiderseitig begrenzten leeren Fläche, essentiell nur noch eines Abstandes, liegt dann vor bei pij?S: R9 Ez 16.25 un" du her-weiterst (MM un du host der-weitert) ~ 'du hast (deine Beine) gespreizt'. d) Und schließlich wird die Wortfamilie um ΠΠ 'weit sein' (vom leeren Raum) gewöhnlich durch der-weitern oder einfaches weitern wiedergegeben - möglicherweise, weil man eine Paronomasie zwischen den Wurzeln a m und n n empfand. Die Vorstellung ist manchmal 'Spielraum' wie oben unter b): R9 Hi 32.20 un es wirt der-weitert - θ'?-)ΠΓη '(mir) wird leichter ums Herz' (HiP .90 söl mir werden der-weitert zu meinem herzen)·, Ex 8.11 ~ ΠΠ1")Π her-weitenes (Lo, MM °der-weiternis, A, K, BM Weiterung) (Pharao sah, daß er) 'Luft' (gekriegt hatte). Die Vorstellung kann aber
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dich
auch linear, also 'Entfernung, Abstand' sein: R9 Gn 32.17 ~ Π1Ί Weiterung' (K dgl., Lo er-weiternis, A, BM °der-weiterung) 'Abstand voneinander' sollen Jakobs Herden vor dem Treffen mit Esau einhalten. Wie man sieht, sind wir innerhalb des bibelsprachlichen °der-weitern bei der zweiten Hauptbedeutung von weit angekommen: der Bezeichnung des Abstandes, des Entferntseins. Während also dt. erweitem auf die erste Hauptbedeutung beschränkt bleibt, oszilliert das jiddisch-bibelsprachliche Wort von der ersten zur zweiten. Die heutigen jidd. Bildungen gehören überhaupt zur zweiten ('weit[er] wegstellen'). Sie sind mit den bibelsprachlichen nicht identisch, da sie Transitivität (bzw. eine andere Art Transitivität) voraussetzen; aber sie sind durch die bibelsprachlichen doch wohl begünstigt worden. Denn während im Dt. die klare Zugehörigkeit von erweitern zur ersten Hauptbedeutung die Entstehung eines zweiten erweitern erschweren mußte, andererseits das Weiterbestehen von fern ein Ausweichen auf die Bildung entfernen zuließ, war umgekehrt im Jidd. fern moribund oder schon untergegangen, aber derwajtern semantisch breit genug, einen Anschluß neuer Nuancen an die zweite Hauptbedeutung zuzulassen; insbesondere das bibelsprachliche derwajterung 'Entfernung, Abstand' dürfte hierbei eine Vermittlerrolle gespielt haben. dich 'Oberschenkel', stj. Mhd. diech 'Oberschenkel' fehlt schon in der Lutherbibel (die statt dessen meist 'Hüfte' hat) und schwindet aus der dt. Schriftsprache - bis auf Wörterbücher - kurz nach 1600 so gut wie ganz (Details bei von Bahder 1890: 79f.; DWb2 bringt noch zwei Einzelbelege bis gegen 1700). In den jidd. Bibelübersetzungen ist dich die Norm für η*ν und erscheint deshalb unter anderem in mehreren einprägsamen Szenen (Eliesers Eid vor Abraham, Jakobs Kampf mit dem Engel, Josefs Eid vor dem sterbenden Jakob, Sulamiths Erscheinung im Hohelied). Auch das Schwert trägt man am dich, und die Nachkommen eines Menschen sind die aus seinem dich Hervorgegangenen. Einige charakteristische Belege: R9 Gn 24.2, Ct 7.2; MM Gn 24.2, Jer 31.19; Lo, Mü, Α, Κ Gn 24.9, 32.26, 32.33, 46.26; Lo, Α, Κ Gn 24.2, 47.29 (Mü beidemal Icni); A Ex 1.5, 25.31, 28.42, Ct 3.8, 7.2; El Ps 45.4; BM Gn 32.32, Ex 25.31, 28.42, Nu 5.21, 8.4, Ct 7.2. Außerhalb der Übersetzungen: Sdt 3v; ZuR 20va37, 31rb3 u.ö. (etwa 15x); Smt 19v, 48r - und so bis stj. dich. dingen 'mieten, pachten, chartern, dingen', stj.; fardingen 'vermieten, verpachten, verdingen', stj. Die Konkurrenz zwischen mieten und dingen (bzw. vermieten und verdingen) ist im Deutschen fast ganz zugunsten von mieten (bzw. vermieten)
draj-okers
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ausgegangen.21 Mieten, ursprünglich einfach 'bezahlen, belohnen', gewann seine prägnantere Bedeutung 'sich eine temporäre Leistung (Arbeit, Überlassung einer Örtlichkeit usw.) durch Abmachung eines Entgelts sichern' schon im Spätmittelalter im Ostmitteldt. und drang seit (und teilweise durch) Luther langsam im ganzen dt. Sprachgebiet durch. Auch dingen ist bei Luther in derselben Bedeutung noch gängig, erleidet dann aber - zur Hauptsache im 18. Jh. - eine so starke Bedeutungsverengung und -Verschlechterung, daß es heute in nicht-archaisierender Sprache nur noch in der Verbindung 'einen Mörder dingen' vorkommt. Im Jiddischen ist umgekehrt °miten sehr früh verschwunden, dingen ein Wort des Alltags geblieben. In der Bibelsprache haben wir ersteres noch gefunden in R9 Dt 23.5 er hot gem^t j"o gidinkt ~ "Ottf (gegen bloßes °dingen ~ Tpfe Ex 12.45, 22.14, Hi 7.1, ~ "Dfr Pr 26.10 [2x]) und in MM Ez 16.33 un* du host gemidet ~ ,ΤΠψΓ)Ί (gegen dingen ~ "Qttf bzw. vergingen ~ ~)3ψ1). Sonst beherrscht °dingen durchaus die Überlieferung, vgl. etwa A Gn 30.16 [2x], Ex 12.45, 22.14, Lv 19.13, 22.10, 25.6, 25.40, 25.50, 25.53, Dt 15.18, 23.5, 24.14 usw. Ebenso die frei formulierten Texte. Wir lassen die gängigsten Kontexte ('Dingen' von Handarbeitern, Mägden bzw. Knechten, Söldnern, falschen Zeugen) beiseite, weil dort das Wort auch in hochliterarischem Deutsch noch möglich wäre. Aber °dingen kann man z.B. auch einen Rabbi als Hauslehrer (MR 92.44, 92.48, 92.55, Br 115.5), ein Schiff (PuW 328.7, 610.1) oder ein Haus (FF 16.5, Mi 22v3, 6, 7), und °ver-dingen kann man nicht nur sich selbst (Bar 5128, MR 19.2, 58.52, Br 152.36, 226.28, ZuR 192rb31; auch ein-dingen ZuR 184va35ff. [7x]), sondern z.B. auch sein Vieh (MR 9a. 1, 7, Br 153.9). Von da geht es geradlinig zum stj. dingen 'to hire, rent, lease, charter', zum dingen 'for hire' ('Zu vermieten!'), dingung 'lease, charter', ding-opmach 'lease (agreement)', dinger 'lessee', ojsdingen 'to obtain (cheaply) by haggling', ondingen 'to hire', fardingen 'to let, rent, lease (as lessor)'. °draj-okers 'Balsam', älteres Jidd. Das vielleicht bekannteste Heilmittel der Bibel ist n s , das Harz des Mastixbaumes und der Terebinthe, speziell aus Gilead (Gn 37.25 u. ö.). Die Septuaginta hat ρητίνη, die Vulgata resina, Luther Balsam. Luthers Über-
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Es gab einzelne weitere Konkurrenten wie mhd. bestän und huren (bzw. bestaten und verhären), die schließlich in keiner von beiden Sprachen zum Zug gekommen sind. Wir schließen aus der obigen Diskussion weiterhin jene (etymologisch sogar primären) Bedeutungsnuancen von mhd. dingen aus, die um Gerichts- oder ähnliche Verhandlungen kreisen.
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draj-okers
setzung ist in viele europäische Sprachen übergegangen und liegt damit letztlich sogar den Ivritwörterbüchern zugrunde, für die 'Balsam' bzw. balm n s ist. Andere Wege ging die jüdische Tradition selbst. Das griechische Θηριακή 'Heilmittel' (ursprünglich Gegengift gegen Schlangenbisse) ist als ni?X-nn° in die talmudische Literatur eingegangen (J. Levy s. v.), aber noch ohne Beziehung zum "HS. Erst Saadja im Babylonien des frühen 10. Jh. identifiziert ausdrücklich den biblischen Ή st als arab. tirjäq, ebenso dann wohl durch Vermittlung von Dünas ben Labrat - Raschi als altfrz. triacle (Grünbaum 1882: 170-172; Blondheim 1925: 151, vgl. 143). Wie zu erwarten, folgt die aschkenasische Übersetzungstradition Raschi. Wir geben jeweils die Formen in Gn 37.25 und Gn 43.11: R9 trVökels (2x); L - , triokul·, Lo tri'ökles, triökres·, MM drei-ökris, - ; Mü NpX!*)ü triakA °drei'-okers (2x); Κ trüok\ trüokris; M i j o treiokuls, triölkes [sic]; BM drei'-oks (2x); Bli drei'öks (2x); Wi 010*7X3 (2x) (aber später Jer 8.22 treioks, 46.11 und 51.8 dreioks); und Jeh OxrVxa (2x). Im Gegensatz zu ihm kannten noch drei Informanten von Noble (Nr. 228) triak zu Gn 43.11, aber für ein anderes Wort desselben Verses, n t o l . Außerhalb der Bibelübersetzungen stehen: triokies Med (von 1474) Nr. 981, °triokss (1602, Wolf JWb s.v.), dreioks ZuR 34va53, dreP-joks Smt 26r und die Gleichung '"IS - dirioks - tariaca [sie] - resina bei NH. Spezifisch jüdisch ist also die Überzeugung, Theriak sei das '"IS der Bibel; nicht aber sind es die Wortformen. Denn 'Theriak' war ja ein Begriff auch der nichtjüdischen Medizin. Das DWb gibt s . w . Dreiaker und Theriak jeweils eine reiche Formenübersicht; vgl. dort speziell altfrz. triacle, mhd. driakel, ferner driacors Voc. inc. teut., triackers Voc. theut. von 1482, driockers Kaysersberg, dreiackers Ettner (und noch im 19. Jh. mundartlich in Henneberg), dreiacas Sterzinger Spiele von 1510/11. Wie man sieht, entwickeln sich bei diesem populärmedizinischen Terminus jüdische und nichtjüdische Formen in ständigem Zusammenhang: die Erweiterung zu -cle ist typisch altfrz.; deren Umformung zu -ker, die Diphthongierung und das Hineinhören von 'drei' sind auf dt. Boden hinzugekommen. Als hingegen Salman Zwi Aufhausen 1615 gegen den >Jüdischen abgestreiften Schlangenbalg< des Konvertiten Samuel Friedrich Brenz eine Gegenschrift >Judischer Terjak< (piCT'ü) erscheinen ließ - in deren Titel also 'Theriak' nicht als irgendein 'Balsam', sondern im präzisen ursprünglichen Sinn als 'Gegengift gegen Schlangenbisse' zu verstehen war - , entschied er sich offenbar bewußt für die gelehrte Wortform (Grünbaum 1882: 560ff., hier 562). In der Tat nahm er damit nur die allgemeine Entwicklung vorweg; denn untergegangen sind ja im Jidd. wie im Dt. die volkstümlichen Wortformen wohl mit der Sache selbst, d.h. mit dem Prestige der mittelalterlichen Medizin überhaupt.
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durchwarfn 'etwas mit etwas durchsetzen', stj., (Ha auch:) 'etwas mit etwas verweben', '(in die Rede) mit einfließen lassen'; durchwarfn sich 'hier und da auftauchen', neujidd. (Ha, Ni); durchwarf '(Gewebe-)Einschlag', neujidd. (Jeh) 3ΊΒ Lv 13.48-59 passim ist nach vorherrschender Deutung der 'Einschlag' des Gewebes, d. h. die Querfaden. In der älteren jidd. Tradition ist die Wiedergabe unterschiedlich (offenbar noch vom regionalen Dt. beeinflußt): R9 indrag1 j"o wevel, Lo, Mü ein-trag (vgl. Luthers eintracht), A webil, Κ wevel, M i j o worfel, MM durch-warf, BM durch-wurf, Bli, Wi durch-warf, Jeh durchwarf. Die heutige jidd. Wortfamilie beruht also in einer interessanten Gewebemetapher gerade auf dem Terminus, der schon im 16. Jh. bzw. um 1600 in einem Krakauer und einem Prager Druck erscheint. Für das Deutsche geben DWb und DWb2 s.v. durchwerfen je einen einzelnen Beleg von 1777 bzw. 1853 aus technologischen Texten; Spuren einer allgemeinsprachlichen Verwendung fehlen. ejdlen 'veredeln, adeln', neujidd. (Za, GWb; Ni nur 'veredeln'); ejdlen sich 'gute, bessere Manieren annehmen', neujidd. (Stu, GWb, Ni); ejdlschaft 'Adel, Edelmut, edle Herkunft', altjidd. (und sporadisch neujidd., 20. Jh., GWb); jihes (ΟΊΠ") dasselbe, stj. Im Mhd. ist edelen 'edel machen' (meist auf Tugenden, nicht Adelsstand bezogen) ein leidlich gängiges Verbum, sehr seltenes adelen eine Variante dazu (Lexer, Findebuch). Intransitiver und reflexiver Gebrauch - also edelen und sich edelen 'edel werden' - bleiben vereinzelt (Lexer). Im Nhd. kommt dann ein Simplex edeln nur noch sporadisch vor (nämlich bei zwei Lexikographen sowie zweimal als dichterische ad-hoc-Bildung, vgl. DWb2); sein Inhalt ist übergegangen teils auf adeln, teils auf veredeln. Ein Substantiv adelschaft ist zwischen 1400 und 1900 leidlich belegt (Lexer, Frühnhd. Wb., DWb2), doch eine Variante edelschaft nur als Hapax (1674). Der normale mhd. Terminus ist edelecheit, edelkeit. In der jidd. Bibelsprache übersetzt nun ein sich °edelen die Verben • f r n n (Nu 1.18, in den Targumen übersetzt als OIVJVX) und ttfirnn (Esr, Neh, 1,2 Ch, in heutiger Schreibung ΟΓΓΙΊΠ). Sie werden heute meist wertneutral gedeutet als 'sich in ein Geschlechtsregister eintragen lassen'. Doch Raschi und die aschkenasischen Übersetzer hörten darin zweifellos das nachbiblische und zu ihrer Zeit schon stark positive Ollf '(edle) Abstammung' . Zunächst zu Ι^ΠΠ. Raschi erklärt Nu 1.18 wie folgt: 'sie [die Israeliten mitten auf der Wüstenwanderung!] brachten ihre Stammbaumbriefe ("HDO •ΓΓΟΙΓΡ) und Zeugen zur Bestätigung ihrer Geburt bei'. Das sind Aussagen, die in der mittelalterlichen nichtjüdischen Umgebung nur auf Adlige hätten zutreffen können und die deshalb, wenn man sie in der Bibel vorfand,
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ejdlen
bezüglich der Israeliten der Mose-Zeit analoge Vorstellungen hervorrufen mußten. Deshalb also in Nu 1.18: R9 si edelten sich, Lo sP waren sich έάΐέη, M M si edelten sich, A sP warden sich edlen, Κ si' edelten sich, M i j o si adelten sich, BM sP waren sich έάΐέη. Und ZuR Amsterdam 1711 103ral2 interpretiert: sP waren sich eidlen, clomer: si' brockten iri jihus-brif (die früheren Ausgaben von ZuR haben nur das letztere).22 Wenn somit sich °έάέΙέη das Hitpael von "ir wiedergab, lag es nahe, einfaches °edelen wenigstens an einer Stelle für das Qal eintreten zu lassen: Ps 2.7 TF·!1?? Π1"Π 'IN, wörtlich: 'heute habe ich dich gezeugt' - spricht Gott. Der biblische Autor hatte wohl einst in der Salbung eines israelischen Königs eine Art Adoption durch Gott gesehen und gab diese dichterisch überhöht durch das Bild der Zeugung wieder. Aber jetzt wurde die Stelle von den Christen christologisch gedeutet. Man wich aus, wobei man nicht dem Literalsinn, wohl aber der ursprünglichen Intention nahekam: Bln701 ich hon ge'edeltich, R9 ich hon geedelt dich, L ich han geschäfundich, R8 (Staerk / Leitzmann 1923: 38) °ich hon gemacht gewinen dich, R13 ich hon höut geedelt dich, MM ich hab ge'idelt dich, Hbgl81 (op.cit. 88) °ich hüt ich hon geedelt dich, El Ps ich höüt ich hon ge'edelt dich, MSt (op. cit. 210) °heit hab ich dich edel gemacht, Lt (op.cit. 71) °ich heit hab tun edeln dich zum malkuth, Bli heint hab ich dich geadelt, Wi ich hab dich [zu ainem melech gemacht, das is gleich as wen ich dich] heit het gewunen, Epstein (GWb ejdlen 4) ich hab dich ge'edelt zu mir, erst Jeh ich hob hajnt dich geborn. Zu frrrnn: Schon in R9 Esr 8.3 ist dieses Verbum wiedergegeben als er was sich edelen, und Esr 2.62, 8.1, 1 Ch 4.33 und 2 Ch 31.16, wo überall das pluralische Partizip oder der Infinitiv substantiviert erscheinen, ist das eine edel-schafi/adilschaft. Robert G. Warnock hat bei seinen Forschungen zum altjidd. >Artushof< bemerkt (1981: 106), daß in der ältesten Fassung fünfmal °edel-schaft erscheint und sich in seiner Bedeutung eher zu jidd. jihes als zu mhd. edelecheit stellt. Wir können dem jetzt hinzufügen, daß das Wort eben in der jidd. Bibelsprache seit Anfang der Überlieferung die Standardübersetzung für Substantivabstrakta der Wurzel ίΡΓΓ (später ΟΓΓ) war. So sagt denn auch Elia Levita im >Tisbi< s.v. ΟΓΡ ausdrücklich, bilson Askenaz heiße das edelschäft.23
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Luther hat hier: rechneten sie nach jrer Geburt / nach jren Geschlechten / und Veter heuser [...]. Und Blitz (dessen Übersetzung hier auch in die sonst Witzenhausensche eingegangen ist, Timm 1993 passim) verquickt Luther mit der überkommenen jüdischen Ubersetzung wie folgt: rechneten si' noch irer gebord; si warten [sie] si' edlen ir fater noch iren geschlechtin [...]. Man muß befürchten, daß Blitz ein hier durch Korrekturen und Streichungen unlesbar gewordenes Manuskript zum Druck gab. Wenn Fagius in der lat. Übersetzung dieses Satzes sagt, es heiße Germanice Edel-
ejl
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Bli und Wi haben das Wort aufgegeben. Teils experimentieren sie mit Umschreibungen wie °geschlecht-rechenung (Bli Esr 8.1, Neh 7.5, 7.64, Wi lCh4.33), teils hat wenigstens Wi schon jihus-briv (Esr 2.62, 8.1, 8.3, Neh 7.64) wie heute Jeh jihes-briw (Esr 2.62, 8.1, Neh 7.5, lCh4.33). Denn während sich ejdlen bis ins 20. Jh. kontinuierlich belegen läßt (Stutchkoff Nr. 556 [S. 631a], GWb, Niborski), ist ejdlschaft nahezu untergegangen vor dem zugehörigen Hebraismus, eben stj. jihes. Der GWb zitiert allerdings noch einen Beleg von Efrojim Ojerbach (1963): mit ejdlschaft fardekter, frumer. Kontinuität, Wiederaufnahme oder Neubildung?
ejl 'Elle', stj.; °dojm-ejl 'kürzere Elle', älteres Jidd. Das ahd. elina, mhd. eine, eile u.ä. (mit geschlossenem e durch Primärumlaut) hat Kürze des Tonvokals in denjenigen dt. Mundarten bewahrt, wo zum jeweiligen Zeitpunkt der Dehnung in freier Stellung der Tonvokal durch -In- oder -II- gedeckt war; diese Form war auch die Luthers und hat sich nach 1600 in der dt. Schriftsprache weitgehend durchgesetzt (wobei in vielen Mundarten und in der heutigen Standardlautung betontes kurzes e immer offen gesprochen wird). In Mundarten hingegen, wo der Ton vokal im entscheidenden Zeitpunkt in freier Stellung stand, mußte Dehnung zu e eintreten; viele oberdt. und mitteldt. Mundarten setzen noch heute die Länge fort (DWb Elle und Ehle\ DWb2 Elle). Hier schließt auch jidd. ejl an (mit E 3 in Max Weinreichs Terminologie). In unseren Materialien haben wir für ΠΘΧ den erstgenannten Typ nur in R9 (z.B. Esth 5.14 vunfzik elen) gefunden. Dem stehen gegenüber (wir wählen als Beispiel Gn 6.15): Lo, Α έΐέη, MM el, Mü, Κ elen. R9, L, Mijo und BM glossieren diese Stelle trivialitätshalber nicht; doch hat BM Ex 25.10, Dt 3.11 έΐέη. In freier Formulierung: BB 100.3 ainer elen hoch, 397.3 vir elen\ ZuR 8rb46f. u.ö. (etwa 20x) έΐ(έη); SrL 180 acht elen; NH nsx - el - braccia - cubitus - und von da geradlinig zu stj. ejl. Neben der normalen Elle (vom Ellenbogen bis zur Spitze des Mittelfingers) gab es in Deutschland noch die kürzere 'Daum(en)elle' (bis zur Spitze des Daumens; Lexer düm-elle, DWb, DWb2 Daumelle). Schon Raschi glossiert in·» (Ri 3.16) als bilson Askenas: °dome elene (Darmesteter 1907: 13; Timm 1985: 63, 75), ebenso R9 doum^-el, BM doumen-el, Mag doum-el, Bli doumin-έΐ, Wi doumen-έΐ. In Teilen der jidd. Überlieferung tritt das Wort auch für Γητ (Ex 28.16 u.ö.) ein, jeweils Ex 28.16: R9 ain halb3 el j"o ain el di min mist ('die minder mißt'), Mü (2x) ain dum-el, A (2x) ain doum-el, BM ain doumen-el, ZuR 133va38 ain doum-el. Noch vier Informanten von Noble (Nr. 140) kannten dojm-ejl (für ΓΠΤ). schafft, so ist das eben eine Transkription und beweist nicht im geringsten, daß Fagius das Wort aus dem Deutschen kannte.
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(der/dos) ejnikl
(der/dos) ejnikl 'Enkel', (dos) ejnikl 'Enkelin', stj. Zu mhd. eni(n)kel, eni(n)kltn 'Enkel' finden wir in der dt. schriftlichen Überlieferung Synkope des Mittelvokals seit dem 14. Jh., aber nur langsam zunehmend; Ayrer um 1600 schreibt noch enicklein, und erst danach kann man die dreisilbige Form als bloße, in der Regel ungeschrieben bleibende Mundartform (großer Teile Oberdeutschlands) ansehen (sehr ausführlich zum Ganzen von Bahder 1890: 83-86). In unseren Materialien hat R9 Formen, die wahrscheinlich Synkope bezeugen, obwohl Lesung mit -e- nicht unmöglich ist: ~ Ή Gn 21.23, Jes 14.22, Hi 18.19 enklin (ebd. °ur-enklin). Ebenso Elias SD: "D2 enklin. Alle anderen Texte haben den Mittelvokal, z.B. Gn 21.23: Lo eniklich, MM eniklicht, Mü eniklen, A eniklich, BM eniklen. In freier Formulierung: Mel 875.4, 1991.3 enikil; HiP 5.25, 42.16 eniklich PI. (und 18.19 nach dem Urtext eniklen, wohl Sg.); ZuR 23vb35 u.ö. (fast 20x) eniklen Sg. / iniklech PI.; SJ 3vl7 das eniklen fun Jehösia'; MB 91.1 den-selbig mans eniklen bin ich; NH Γ1 - enikel - nepote - proles. Auch hier hat also offenbar zwischen etwa 1400 und 1550 Vereinheitlichung entgegen der dt. Schriftsprache stattgefunden. Zur Bedeutung vgl. oben Teil A, § 33 >VerwandtschaftsterminologiePartonopier< 17566). Nun bezieht sich in der jiddischen Tradition das Übersetzungsgebot (vgl. oben Teil A, § 19) auch auf Fauna und Flora, und es genügt, unsere Fauna- und Floraliste (unten ab S. 636) durchzumustern, um sich zu überzeugen, daß die Begründer der Tradition eine Befragung des christlichen Klerus nach den deutschen Entsprechungen der Vulgataausdrücke durchaus vermieden, vielmehr letztlich über das Sachwissen der nicht-klerikalen Deutschsprecher zu ihren Termini gelangten. Im vorliegenden Fall befragte man das Volkswissen offenbar nach dem kleinen Tier, das mit dem Schwanz sticht, und geriet an die egedehse. Das schien um so eher zu passen, als an der einzigen Bibelstelle mit zoologisch relevantem Kontext,
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eint
Dt 8.15, von 3Τί?ΰΐ ηη® tfm 'Schlangen, Feuerschlangen und Echsen', also jedenfalls von drei Reptilien, die Rede zu sein schien. So also Dt 8.15 ~ R9 egdis,27 Lo egdis, MM egdis, Mü schiltkröten (keine Regel ohne Ausnahme!), Α egdis, Κ egdis, M i j o negdis, BM egdis'. In freier Formulierung: BB 250.4 vun egdesen uns ötern un" schlangen-,28 Lnz 29 ν wein as egdusen unv wespin (können alle drei einen Menschen zu Tode bringen); ZuR 32rb25 ain egdis ist, 80val9 ain egdis däs hot auch gift as ain schläng, 104vb33 ales was do beist, afilu ain egdis' öder ain hajo ro'o oder ain biser hunt, l l l r a l 2 eitel fei'ere schlängen un" egdis, 173rb21 ain negdus däs do beist ain menschen; SbS 6rl3 und 18 ain egdis (beißt sich wie eine Schlange in der Hand fest); NH 3Tj?SJ - egdis - scorpione - scorpio. Dagegen hat Elia in SD im Abschnitt >Tierkreiszeichenc skorpio - Scorpio - Scorpion. Wo er also in BB 1507 aschkenasisch dachte oder sich volkstümlich gab, da dachte er 1542 in SD in bezug auf die per definitionem gelehrten Tierkreiszeichen mediterran. Das Verblüffende ist, daß nicht die Realität 'Eidechse' das Wortpaar ekdisch / semantisch zu sich herübergezogen und in der Neuzeit schließlich entdämonisiert hat, sondern daß umgekehrt - wie die obigen Belege illustrieren - die biblische Grundvorstellung vom als einem höchst gefährlichen Tiere standhielt (und sich beim modernen Sprecher mit Außenwissen über den Skorpion wiederaufgeladen hat). Die echte, beobachtbare Eidechse hingegen hat längst einen slavischen Namen: jastserke. eint 'einsam, verlassen', stj. Bei mhd. eilende (< ahd. ali-lenti) 'in fremdem Lande lebend' (oft: 'verbannt') wurde die Nebenvorstellung 'in Not lebend' manchmal schon am Rande der mhd. Klassik zur Hauptvorstellung (Lexer). Diese Fälle nahmen so zu, daß schon Luther den Ausdruck die eilenden ~ peregrini (~ • , ")J) der vorlutherischen dt. Druckbibeln um der Deutlichkeit willen in fremdlinge änderte. Der letzte Lexikograph, der die Bedeutung lands vertrieben noch kannte, ist Rädlein (1711; DWb).29 Dann ist die räumliche Vorstellung völlig geschwunden, und das Adjektiv bewegt sich sogar von personenbezogenem 'in Not lebend' auf sach- und zustandsbezogenes 'jämmerlich, außerordentlich schlecht' zu.
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Möglicherweise sind manche / als sch zu interpretieren; vgl. das analoge Problem bei den -tti.se/i-Bildungen oben S. 88 Anm. 96. Auch das ist offensichtlich eine Reminiszenz zu Dt 8.15, vgl. den vollen Wortlaut von A: schlangen, oteren un" egdis. In DWb 2 halten wir den Goethe-Beleg (Sp. 1223) für nicht beweiskräftig; den Schillerund den Tieck-Beleg (Sp. 1224) bezeichnen die Herausgeber zu Recht als »historisierend«.
(di) elter
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In der jidd. Bibelsprache ist °ilend(er), also substantiviert, die völlig feste Übersetzung von ~)J, das in der Bibel den als Schutzbefohlenen eines einzelnen (Dt 1.16) oder der herrschenden Gemeinschaft arbeitenden Landesfremden bezeichnet (nicht wie heute den Proselyten zum Judentum): R9 Ex 2.22, 18.3, Ez 47.22, R13 und El Ps 39.13, 94.6, 119.19, 146.9, MM Gn 15.13, Ex 20.10, 22.2, Mü, Α, Κ Gn 15.13, 23.4, A Ex 12.19, 12.48, 12.49, 20.10, 22.20 (2x) usw.; HiP 22.29 (frei), 31.32; BM Ex 12.19, Dt 1.16.30 In frei formulierenden Texten erscheint das Wort Bar 450-580 passim, PuW 372.8 das er war nebuch vremd un älender, Br 220.9 (hier allerdings Zitat aus Hi 31.32), ZuR 15rb36, SJ 98rl2 alain un elent sowie NH i s elender - pellegrino - peregrinus. Die Vorstellung 'Landfremder' ist überall noch präsent.31 Das Stj. bewahrt in der Bedeutung 'lonely, lonesome, forlorn' (MEYYED) immerhin noch den Kern der alten Raumvorstellung 'von seines-, ihresgleichen getrennt', die im Dt. völlig geschwunden ist (vgl. Sätze wie 'sie wohnten elend zu sechst in einem Zimmer'). Man kann dieses Zurückbleiben erklären aus der langen Verwendung im Heder für das biblische 1ϊ. Wenn allerdings über das Stj. hinaus Harkavy auch die Bedeutung 'miserable, wretched' angibt, so liegt darin zweifellos der diffuse, aber fast omnipräsente Einfluß, den die dt. Umgangssprache generationenlang auf das Jiddische ausübte. (di) elter '(hohes) Alter', (der) elter '(beliebiges) Alter', stj. (außer MEYYED und Ni kennen die Wörterbücher aber nur ein einheitliches elter: f. bei Bi, Za, Wolf, Geschlecht ungenannt bei Ha, wie dort immer) Im Dt. ist alter n. in der schriftlichen Überlieferung zu allen Zeiten die Normalform, obwohl es in seiner Bildungsweise isoliert steht. In dieser Laut- und Genusform erscheint es auch in Κ Gn 18.12, 21.2, 21.7, 24.36 usw., beruht dort aber wohl wie manches andere auf Anlehnung an die dt. Haupttradition. Im Dt. seit etwa 1200 dürftig nachweisbar (Lexer, Hapax; Frühnhd. Wb.), aber nach Ausweis der Mundarten im gesamten Oberdt. und Teilen des Mitteidt. gängig ist älte/elte f., völlig regelmäßig gebildet wie Länge usw. Es findet sich auch in R13 Ps 71.18 bis di elten ~ Π1(?Τ—
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Hier und da zeigt sich eine Tendenz, -er als Teil des Wortkörpers anzusehen: R9 Ez 47.22 un zu den elendem, R13 Ps 119.19 (2. Hand), M M Ex 22.20, A Ex 12.19 u.ö., El Ps 146.9, BM Ex 12.19. Sie hat sich nicht durchgesetzt. Wahrscheinlich in R9, sicher in Bar, MM, PuW, Mü, El Ps, HiP, BM, NH, meist auch in Α und Κ deuten die Graphien (in verschiedener Weise) noch auf einen Vollvokal in der zweiten Silbe (wie bis heute im Dt.), in R13 und ZuR deutet Nullschreibung auf Murmelvokal oder (wie im heutigen Jidd.) auf silbischen Sonor.
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entfern
Kreuzung zwischen alter und elte ist elter. Es ist im dt. Mittelalter bisher nur bei Tilo von Kulm (1331, Findebuch s.v. alter), in den heutigen dt. Mundarten aber mindestens von Österreich bis Hessen nachzuweisen (anscheinend unter Ausschluß des Westoberdt.), und zwar als Fem. zumindest in Rheinhessen und der Pfalz (vgl. die Dialektwörterbücher). In den jidd. Bibelübersetzungen herrscht es schon bei Beginn der Überlieferung: in R9 (hier wohl noch als Neutrum) Gn 18.12 ~ "Tfra meinem3 elter, Dt 33.25 (im Kommentar zu ΉΙΟΙ) in deinem elter, in R13 (hier schon als Fem.) Ps 17.14, 39.6, 92.15, Pr 16.31, dann in der gesamten Überlieferung (außer K), und zwar, soweit erkennbar, immer als Femininum. So etwa MM elter ~ Π}(?Τ, D^lp], "ή>Π u. a., Lo, Mü Gn 18.12, Lo, Mü, A Gn 21.2, 21.7, 24.36, 48.10 elter (Lo)' elter (Mü), elter (A); El Ps 17.14, 39.6, 71.9, 71.18 °ilter; HiP 5.26 u.ö. (7x, darunter freie Formulierungen); BM Gn 18.12, 21.2, 48.10. Von den frei formulierten Texten hat CH noch alter (DH 80), in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. dann Bar 223 in jugent un elter, ebenso AJ 2.1 zu irer elter, 18.4 in irer elter, Mel 586.2 in sein elter, 684.4 vor groser elter, BB 4.7, 644.6 e/fer; PuW 117.6 in meiner elter (allerdings alter 306.3); weiterhin (in der, seiner, irer) °elter MR 12a.5, 42.26, 114.8, 114.30, 114.69, 116.241; Sdt lv; Br 138.36, 168.16, 168.18; MB 148.6, 148.13; ZuR 15rb3 u.ö. (über 30x). Hier verläuft also wieder einmal die jidd. Entwicklung ebenso entschieden wie die dt.-schriftsprachliche, aber diametral entgegengesetzt; die Übersetzungssprache scheint den freien Formulierungen voranzugehen; und auf die Frage, welche soziale Kraft denn selbst bei einem so relativ neutralen Wort das Jidd. aus der Vielfalt des dt.-dialektalen Alltags zum Ausgleich führen konnte, läßt sich wohl auch hier nur antworten: der Heder. entfern 'antworten', (der) entfer 'Antwort', stj. Unsere Materialien enthalten für Verb und Substantiv zusammen über tausend Belege; wir können also nur die Grundlinien der Entwicklung skizzieren. 1) Der Initialvokal: Zu mhd. antwürten ist in der dt. schriftlichen Überlieferung die ent-Variante nur bis kurz nach 1450 zu belegen (Stopp 1978: § 8 Anm. 4). In unseren Materialien haben ant- (vereinzelt an-) Bar, EM, EB; je einmal ant- und ent- BSR; ent- als Norm, aber noch einzelne ant- R9, Sb, AJ, HiP, Br, MB und ZuR, ferner Α und K, wo wir ant- nur im Substantivum nachweisen können; und salvo errore ausschließlich ent- CH, R13, Db, Mel, BB, PuW, Mü, MM, MR, BM, PL, StL, TL, SbS, TA, KO und NH. Auf eine Formel gebracht: ent- überwiegt seit Überlieferungsbeginn und ist seit etwa 1500 fast ausschließliche Norm.
enzlit
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2) Die innere Konsonanz: -/- taucht gegen 1600 auf (MB, ZuR, PB, aber zunächst sehr inkonsequent). 3) Der Mittelvokal: Da bis dahin -w- (Doppelwaw) graphematische Probleme in der Deutung des Nachbarvokals schafft, verzichten wir auf eine Aussage. 4) Der Stammauslaut: In der 3. Sg. und 2. PI. Präs., im (noch vorhandenen) Präteritum und im Part. Pass. - insgesamt also in der großen Mehrzahl der Vorkommensfalle - tritt im Jidd. wie in vielen dt. Dialekten lautgesetzlich Ekthlipse -rt-t > -rt ein. Das ermöglicht, in diese Formen einen Stamm auf bloßes -r hineinzuhören und mit ihm das Paradigma neu zu vervollständigen. In CH, R9, R13, Bar, Α und Κ haben wir zwar auf Schritt und Tritt Belege für die Ekthlipse, aber noch nicht für die Umlagerung finden können.32 In Mü, BB, PuW, HiP, MR und TL sind beide Stämme zu belegen; selbst ZuR hat noch wenige Male den Stamm auf -rt-, als Norm aber den heutigen Zustand. Ausnahmslos oder nahezu ausnahmslos finden wir den Stamm auf -r- in MM, BSV, Mi, Br, MB, BM, TA, NH. (Die Entscheidung hängt aber oft an einem oder wenigen Fällen, da die große Mehrzahl doppeldeutig ist.) Das Substantiv wird von diesen Entwicklungen durch Analogie mitergriffen, ist aber im Stj. maskulin - wie die anderen endungslosen Verbalnomina. Summa summarum laufen also auch hier zwischen 1400 und 1600 Entwicklungen ab, die der dt. Schriftsprache diametral entgegengesetzt sind. °enzlit 'Gesicht', altjidd.; ponem dasselbe, stj. Mhd.-frühnhd. antlütte (-lüt, -litte, -lit u. ä.), antlitze (-litz, -lütze, -lütz), frühnhd. auch antzlit (-let) ist so variantenreich (Lexer antlütte, Frühnhd. Wb. antliz, DWb und DWb 2 Antlit, Antlitz), weil sich zwei Substantiva, die im Präfix identisch, im zweiten Wortteil unverwandt, aber lautähnlich waren, regional unterschiedlich gekreuzt haben. Im Schriftdt. vollzieht sich die Vereinheitlichung so, daß der essentiell westoberdeutsche Typ antlit und der unmittelbar nördlich davon beheimatete, aber schwer eingrenzbare Typ antzlit33 (Hunsrück bis Donauwörth?) gegen 1570 ausklingt; es bleibt Antlitz, das von Luther in der Schreibung Andlitz im Alten Testament auf
32
33
Das bloße du entwerst der 2. Sg. (~ H1U R9 Hi 30.20, R13 Ps 22.3) beruht auf Gruppenerleichterung und läßt weiter keine Schlüsse zu. Sechs Belege im DWb s. v. Antlit, zwei im Frühnhd. Wb. s. v. antliz. Dem Typ liegt eine Metathesis zugrunde: antlitz > antzlit. Sie setzt voraus, daß ant- als Präfix zu selten geworden war, um analysierbar zu bleiben, und folgt dann der allgemeinen Tendenz, daß die betontere Silbe die komplexere Konsonanz - hier also Itsl gegenüber Itl - zu tragen vermag.
214
enzlit
Schritt und Tritt verwendet worden war (DWb). Nach 1600 beginnt das Wort allerdings sich auf gehobene Diktion zurückzuziehen und ist heute aus den Dialekten und der Umgangssprache verschwunden. Ganz anders, aber kaum minder energisch vollzieht sich die Vereinheitlichung im Jidd., nämlich zu enzlit. Das Wort ist die Standardübersetzung von •"'JS 'Gesicht' und damit extrem häufig;34 außerdem übersetzt es ηχ, • , Βί< in den eher seltenen Fällen (z.B. in R9 Gn 19.1, Ct 7.5), wo die Übersetzer nicht die Deutung als 'Zorn' oder 'Nase' bevorzugen. Aus den insgesamt Hunderten von Vorkommensfällen, die wir zu registrieren hatten, können wir aus Raumgründen nur wenige Beispiele geben. Wie zu erwarten, herrscht vor 1500 noch ungeregelte Vielfalt: R9 Gn 19.1 anzlit, 30.40 antliz, Jes 3.9 anzliz; L Lv 13.45 antlet (~ OSfr); R13 Ps 11.7 antliz, 34.6 antlit, 84.10 (2. Hand) anzlit; Lo Gn 4.5 entliz. Seit 1500 hingegen schwankt zwar noch der Tonvokal zwischen Nichtumlaut und (häufigerem) Umlaut,35 aber der Konsonantenstand ist fest: MM anzlit ~ D'IB, enzlit ~ D'BN; Mü Gn 9.23 anzlit, 4.5 enzlit, A Gn 4.5 enzlit, vereinzelt Dt 10.17 enzlet; Κ Gn 19.1, 42.6 enzlit'?6 EL Ps 11.7 enzlit (u.ö., etwa 20x), 10.11 enzlet (u.ö., 4x); HiP 13.10 anzlit, 9.24 enzlit', BM Gn 19.21 enzlit (u.ö., 8x), 42.6 enzelt (u.ö., 3x). Ähnlich außerhalb der Übersetzungen: Sb 740.1 antliz', aber Mel 859.4 anzlit, 438.3, 865.3 enzlit·, Db 350.1 enzlit' BB 564.3 enzlef, PuW 701.3 und 8 enzlit; SD anzlit - [dt.] Antzlif, Shg 3rl, 8r6, 9v21, 10rl5 enzlef, MR 116.236 anzlit, la.16, 2.37, 86.17, 96.50 enzlit; TM 208.3 enzlit, 211.25 enzlet, Br 55.23, 24, 29, 176.13 anzlut, ZuR 118val5, 135ra42, 140ra5 enzlet; TP 3vb2, 3 enzlit; TA 9v6, 7, llr6, 12v4 enzlit; MhP (Schnitzler 1966: 35 f.) °anzdt, enzalt. Heute ist das Wort verschwunden, und zwar hauptsächlich durch den zugehörigen Hebraismus ponem ersetzt. Das MEYYED verzeichnet zwar auch gesicht 'countenance' (~ 'Gesicht, das man macht'), doch die ganze Idiomatik hängt an ponem.
34
Wo allerdings 'IB in eine quasi-präpositionale Wendung eingeht, wird diese in der Regel als solche übersetzt. Dabei wird 'IB ('Vorderseite') meist als °vür 'vor' wiedergegeben, so daß Mehrfachpräpositionen entstehen, z.B. M M Gn 6.13 vun-vür si' ~ Dn'lBa, Gn 4.16 vun-zu-viir ~ 'IsVa. Doch gibt es Grenzfälle und Schwankungen, die wir hier nicht behandeln können. - Durch °an-gesicht statt durch °enzlit wird D'IB wiedergegeben: 1) so gut wie immer in K, 2) selten in A (z.B. Gn 32.31 [2x], 40.7), HiP (26.9, 38.30, 41.5) und BM (Gn 32.31 [2x], Nu 6.26). In der Regel hingegen übersetzt °an-gesicht ΠΧΊη 'Anblick'.
35
In Fällen wie mhd. antlütte, antwürten, arbeit scheinen uns präzise Aussagen über die umlautende oder nicht-umlautende Natur des Folgevokals schwierig. Wir verzichten auf eine Diskussion. Sonst an-gisicht; vgl. die vorvorige Anm.
36
er gotes
215
°er gotes 'die Herrlichkeit Gottes (speziell in der Theophanie)', älteres Jidd. In der Bibel ist oft die Rede von Gottes TOS. Speziell die Theophanie wird in der Regel berichtet mit der Formel: 'Π 1133 Π ί 0 1 / χ Τ ! (Ex 16.10, Nu 16.19 u.ö.). Zur jidd. Wiedergabe des Verbums vgl. den Art. bawajsn sich. Dem Substantiv entspricht bei Hieronymus in der Regel gloria. Im ersten deutschen Bibeldruck (wie in dessen handschriftlicher Vorlage) steht dafür wunniglich (Subst.!); doch die Nachdrucker ersetzen dies, weil syntaktisch mißverständlich, ζ. T. durch wunni oder glori (vgl. jeweils Kurrelmeyer). Luther hat dann Herrligkeit, was im gesamten dt. und niederld. (Heerlickheyt) Sprachgebiet, auch bei Reformierten und Katholiken, Anklang findet. Das Wort 1133 des Urtextes - etymologisch zu 133 'schwer sein' gehörig, also eigentlich 'Gewichtigkeit', hier etwa 'Hoheit, Majestät' - hatte inzwischen schon in anderen biblischen Zusammenhängen, allgemein dann in mischnisch-talmudischer Zeit die Bedeutung 'Ehre' angenommen. So tritt dafür allgemein im Jidd., selbst bei der Theophanie, er' (> er) ein. R9 glossiert zwar 'Π 1133 nicht, offenbar weil ihm dies zu elementar erscheint (ebenso später Mijo und BM); aber er hat im selben Sinne Ex 33.18 dein er\ wo Moses in direkter Rede Gottes Herrlichkeit schauen zu dürfen bittet. Der Ausdruck ist nun (bis auf das Genitiv-s) fest; nehmen wir als Beispiel Ex 16.10: Lo er got, Mü er gotes, Α er gotes, Κ er gotes - man könnte die Belege vervielfachen. Noch Bli und Wi haben oft °er gots oder °er fun got,37 manchmal aber statt er das von Luther kommende herlichkait.38 Natürlich steht °er in der gesamten jidd. Tradition auch an Bibelstellen, wo selbst nach unserem Gefühl von der 'Ehre' Gottes die Rede sein kann, so Ps 19.2: R13 di himel di derzelen er gotes, El Ps di himel di der-zelen er gotes 'Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre'. Auch in frei formulierte Texte dringt die Wendung ein, wobei sie allmählich zu einem bloßen Synonym für 'Gott' selbst wird. Drei Belege bietet schon CH: Theophanie: Ab 448 dem liben truten kind di g* [= gotes] er* erschain. Gottes 'Ehre' als ständige Lichtquelle: GE 46 di klaider schälen sin: däs ist der lichte wölken schin, di vun der g" ere erliichtet umer mere. Kein ausdrücklicher Bezug auf Lichterscheinungen: Paradiesesgedicht 145 g' er' si ermeren. Vgl. weiter Sb 1700.4 wer kan es als gedenken wäs gotes er uns höt getön\ Shg 2v22, 7v2 gotes er, MR 51.28 (nach Jes 58.8) di er gotes si' wert ein-tun dich-, Smt 40v in düsem reden erzaigt sich
37
38
Beide: Nu 14.10, 14.21, 16.19, 1K8.11, 2Ch7.1. Bli auch Ex 16.10, 40.34, Lv 9.23, Ez 1.28, 8.4, 10.18. Beide: Ez 3.12, 3.23, 10.4, 11.22. Wi auch Ex 16.10, Ez 1.28, 8.4, 10.18. Bli auch Ex 24.16f.
216
erstikejt
gotes er in wölken. In der f/ime-Literatur trifft man dann um 1650 auf Variationen wie: far er deins hailigen namen, stul deiner eren/er/eer, stul eer deiner hailikait TA 3r6, 6vl9, 8v2, 10r7, llv31. Zum rezenten Jidd. hin ist er als Simplex allgemein verdrängt worden durch den zugehörigen Hebraismus koved.39 Natalie Zemon Davis hat bemerkt (1995: 243 n. 119), daß von den etwa sechzig Vorkommensfällen des Begriffs 'Ehre' in den Glückel-Übersetzungen die große Mehrheit einem koved, nur sechs einem er bei G1H selbst entsprechen. Und zwar bezieht sich gleich das erste er (ed. Kaufmann 1.8) auf Gott, zwei stammen aus einer eingestreuten Erzählung (280.12, 288.8), eines gehört zu einer festen Höflichkeitsfloskel (296.24), zwei zu der festen Formel 'Zucht und Ehre' (302.27, 312.25). Die spontane Verwendung - und damit die Zukunft gehört sichtlich schon dem Wort koved. In unserem Jahrhundert hat Jeh koved fun got z.B. Ps 19.2, wo es also nicht um die Theophanie geht. Was hingegen in der Theophanie sichtbar wird, z.B. Ex 16.10, ist di pracht fun got. erstikejt 'Vorrang(stellung)', stj.; 0 erster 'Erstgeborener', älteres Jidd. Hebr. 1133 'Erstgeborener' (von Mensch und Tier), ein wichtiger Begriff des mosaischen Rechts, ist in der Septuaginta und bei Aquila πρωτότοκος; wohl Lehnbildung dazu ist lat. primogenitus bei Juden und (schon seit der Vetus Latina) bei Christen (die Heiden sagten maximus natu). Im Mittelalter bleiben die Juden der Südromania meist dem Typ primogenitus treu (Blondheim 1925: Nr. 114 [S. 94]; Beispiele für leichte Abstriche dazu bei Berenblut 1949: 156). Die frz. Juden haben statt dessen prumeruije; das ist etymologisch eine Kreuzung von lat. primarius (> frz. premier) 'erster' mit spätlat. primoticus 'Erstlingsfrucht' (R. Levy 1960: Nr. 678), kann synchronisch in altfrz. Zeit aber nur noch als premier + unanalysierbare Endung gehört worden sein. Und die Aschkenasen? Im Deutschen ist 'erstgeboren' einmal im Ahd. (eristporan), einmal kurz vor 1190 (Millstätter Psalmen ersteborn), dann gleich in acht geistlichen Werken zwischen 1300 und 1360 belegt (Findebuch s.v. ersteborn, erstgeborn). Falls die Aschkenasen das Wort überhaupt wahrgenommen haben, muß es für sie ausgesprochen >galchisch< geklungen haben,40 Grund genug, es zu ignorieren und statt dessen - da der Kontext fast immer eindeutig war - einfach °erster (sehr selten °ehester) zu sagen; dabei wird hier und da 39
40
Das MEYYED brandmarkt ere als vollen Daitschmerismus, läßt aber Komposita wie ernwort zu; wir halten auch sie für Entlehnungen aus dem Deutschen. Max Weinreich zitiert noch ein pleonastisches ern-koved (1973: 2.304 [und 4.348] = 1980: 642). Auch bei Luther und später ist ja Christus der Erstgeborne [...] vnter vielen Brüdern /vor allen Creaturen / von den Todten (Rom. 8.29, Col. 1.15, 1.18).
fajnt hobn
217
-er als invariabler Teil des Wortes empfunden. Aus der Fülle der Beispiele greifen wir heraus: R13 Ps 78.51, 105.36 erster, Lo Gn 4.4 vun ersten, 10.15 sein ersten, 22.21 sein ersten-, MM Vorwort 3b "1133Q ~ fun erster, Mü Gn 4.4, 22.21, 25.13, 27.19 °erst (flektiert; aber 10.15 ehester)·, Α ebd. (einschließlich 10.15) erst (flektiert), Ex 11.5 und 12.29 erster (je 4x, invariabel); El Ps 136.10 iren ersten; BM Dt 21.16 zu machen erst ~ "D?1? 'zum Erstgeborenen erklären'. Nur Κ hat wieder einen >Christianismuserste< untergegangen, das >zweite< beliebter geworden. Man muß das zweifellos auf das Konto von dt. vereinigen setzen, das ja mit dem Hineinwachsen der aschkenasisehen Juden in die gesamtgesellschaftliche, speziell politische Geschäftigkeit des 19. Jhs. auch für sie zu einem wichtigen Begriff wurde. Während aber sonst oft die traditionelle und die daitschmerische Bedeutung koexistieren konnten, war das hier schlecht möglich. Und die moderne Bedeutung siegte. farergern 'verschlechtern' (auch 'verbittern'), stj. Deutsch ärgern und verärgern bedeutet bis ins 17. (und vereinzelt ins 18.) Jh. 'ärger machen' (DWb, DWb2). Ursprünglich nur ein Sonderfall davon ist 'jmdn. ( - jemandes Laune) ärger machen, jmdn. verstimmen'. 46 Beim Simplex setzt sich diese Bedeutung, speziell im reflexiven Gebrauch, während des Spätmittelalters allmählich durch (Lexer, Findebuch, DWb2); bei verärgern ist sie seit dem 16. Jh. belegt, aber anscheinend vor 1900 selten, da sie 1886 im DWb-Artikel nicht als Gegenwartssprache aufgeführt wird. Das Substantiv Ärger ist eine Rückbildung des 18. Jhs. aus dem Verb (DWb).
45
Viel wichtiger wurde das verbale i r r im nachbiblischen Hebräisch; hauptsächlich von da strahlte es auch ins Jidd. aus: 1) Das Piel 'die Einheit Gottes bekennen' erzeugte eine altjidd. Lehnbildung ainigen in derselben Bedeutung, z.B. AJ 30.4, 31.4 P, 48.3, 49.4, 55.2 Ρ (vgl. Dreeßen 1971: 168), GWb s.v. ejnikn 3. - 2) Das Hitpael/Nitpael 'sich räumlich absondern (speziell unerlaubterweise mit einer nichtverwandten Person des anderen Geschlechts)' ergab im Altjidd. entweder ainigen sich: ZuR 134rb29 ain frau tor sich nit ainigen in ain heder mit ain vremden man\ oder auch ver-ainigen sich: Br 101.19 "das sich kain vrau sol ν er einigen mit ainem vremden man. Diese Ausdrucksweisen sind untergegangen; doch das hebr.-komponentige Abstraktem n n O T hat im Stj. noch beide Bedeutungen.
46
Luthers Wiedergabe von Matth 5.29 ergert dich aber dein rechts Auge / So reis es aus ist durchaus im älteren Sinne zu verstehen ('macht dich ... zu einem schlechteren Menschen'), wurde aber durch bloße Beibehaltung in der Lutherbibel zweifellos allmählich falschlich im neueren Sinne ('irritiert') verstanden. Die Einheitsübersetzung hat demgegenüber zu Recht Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verfuhrt [...].
222
farfalbn
Das Jidd. hat das Simplex aufgegeben 47 und führt beim präfigierten Verb die alte Bedeutung weiter. R9 Jes 3.12 si hon vör-ergert ~ 1SJV3, 9.15 vör-ergert ~ D^Vaa, 44.25 er vör-ergert ~ vor allem aber für n*7Xl: R9 Ps 14.3 (si sint) vör-ergert, 53.4 dgl.; R13, Bln310, El Ps 14.3, 53.4; M M Hi 15.16; Lt Ps 14.3, Hi 15.16. Und noch stj. farergern 'to worsen (tr.), aggravate', farergern sich 'to worsen (intr.), deteriorate'. Daß stj. farergern auch die Bedeutung 'to exacerbate' angenommen hat, ist offensichtlich relativ junger dt. Einfluß. Doch ein deutschkomponentiges Analogon zu Ärger ist nicht gebildet worden; auch farergerung bedeutet noch 'Verschlechterung'. farfalbn 'verwelken, verfallen (von Lebendigem)', stj.; (der) farfalb 'Verfall (von Lebendigem)', stj.; falb 'schlaff', stj. Im Mhd. ist valwen (d.h. val 'fahl' werden) das Normalwort für 'verwelken' ; vervalwen ist im 14. Jh. bei drei Autoren, aber in der ganzen Neuzeit (als verfalben) nur bei je einem Autor um 1700 und um 1800 nachgewiesen; verwelken ist im 14. Jh. einmal, ab etwa 1500 häufig belegt (Lexer, DWb, Findebuch).48 Im Stj. lebt außer farwelkn auch farfalbn fort. Dies war die Standardübersetzung des hebr. Normalwortes für 'verwelken', *?3l. Da man darin in Aschkenas vor-triliteralistisch nur *73 als Wurzel sah (noch MM ordnet die ganze Wortfamilie unter 3 ein!), bestand zum Adj. val interlinguale Paronomasie; doch wäre die Wahl wohl auch ohnedies auf diesen Stamm gefallen. Allerdings finden wir das Simplex 0 valben nur wenige Male gegen Anfang der Überlieferung (R9 Ex 18.18 als erste Möglichkeit, R13 Ps 1.3); dann wird °vör-välbin zur Norm, weil das Jidd. schon sehr früh für perfektive Vorstellungen Präfixbildungen vorzieht: R 9 Ex 18.18 als Alternative, Jes 1.30, 24.4, 34.4, 50.9 (~ irrig zu 33), 64.5, Jer 8.13, Ez 47.12; R13 Ps 18.46, 37.2 (~ M M Ex 18.18 und fünf weitere; El Ps 1.3, 37.2; HiP 14.18 (übersetzt); Bli, Wi Ps 1.3. Übergang in die Gemeinsprache: BB 309.8 unter sein äugen er gänz ver-valbt, 368.2 ir varb un' ir roter mund, der hub ir an zu ver-valben; Br 34.5 °as ain blüt vürfalbt; ZuR 180va40, 184ra21; StL 2rl2; TA lr22 ain gras däs bald ver-falbt. Eine junge Abstraktbildung dazu ist der farfalb. Und wenn U. Weinreich im MEYYED dem Adj. falb - das doch etymologisch wohl mit dt. falb und fahl identisch ist - vielmehr die Bedeutung flabby 'schlaff' zuspricht, so muß das eine Rückwirkung aus dem Verb sein. 47 48
Noch PuW 454.4, aber in intr. Bedeutung: si' hot geergert 'ist kränker geworden'. Mhd. erswelken und ervalwen bleiben sehr selten, verblichen und verblüejen sind Nachbarwörter.
farhojln
223
fargliwert wern, fargliwern sich 'gerinnen, erstarren, gelieren (intr.)', stj.; fargliwern 'gerinnen lassen, fest werden lassen, gelieren (tr.)\ stj.; gegliwert 'geronnen, erstarrt, geliert', stj.; (der) gliwer 'Gerinnung, Erstarrung', gliwer fun tojt 'Totenstarre', stj. Mhd. liberen 'gerinnen' ist im Deutschen des 16.-18. Jhs. allmählich auf den Status eines Mundartwortes abgesunken und aus der Standardsprache ausgeschieden (DWb s . w . liefern 1, auch beliebern, libbern, von Bahder 1890: 155). Präfigierung mit ge- ist häufig (DWb geliefern), führt aber nicht bis zu gl- (wie bei glauben usw.) - vorausgesetzt, man folgt dem DWb in der Entscheidung (DWb s.v. glibber, glibberig, glipferig), die hauptsächlich norddt. Bildungen mit gl- wegen holl. glibberig, engl, glib u. ä. einer eigenen Wurzel zuzuweisen. Für das Jidd. läßt sich aber die gut belegte Entwicklungsreihe °beliveren/° geliveren (mit Part. °gelivert) > °gliveren (mit Part. °geglivert) > °bi-/far-gliwern nicht leugnen. Das Verbum gibt XBj? 'gerinnen' wieder: R9 Ex 15.8 si' beliberten, Hi 10.10 du beliverst mich, Lo Ex 15.8 si' geliberten, MM ebd. si sein biglivert, Hi 10.10 du host mächen gliveren mich, Mü Ex 15.8 si sein geglibert, Α ebd. si' geliverten, Κ ebd. sP sein gelivert, Mijo ebd. si sein geglibert, Bln691 ebd. si gliverten, BM ebd. si' geliverten, Lt Hi 10.10 du tust begliveren mich, Bli Ex 15.8 si' giliverten, Hi 10.10 gliveren, Wi Ex 15.8 geglibert, Zeph 1.12 di' do gilibert seinin, Sach 14.6 geglibert is, Hi 10.10 gilibern. In freier Formulierung: PuW 355.3 sich an ain milch geglivert nun 'stell dir jetzt (zum Vergleich) geronnene Milch vor', KoT 62ν cohanim rirten im dam, däs es nit solt gliwern ton, ZuR 55vb45 di' wasir warin hert uns gigliwert, 55vb46f. es war nit gegliwert ain stik ous dem waser, nei'ert es war gegliwert stik-weis. Da g- jetzt zum Stamm gehört, wirkt sich die Neigung, perfektive Verben zu präfigieren, wenigstens im Verbum finitum ein zweites Mal aus: stj. fargliwern. farhojln 'verborgen', stj. (Za farhojlt); farhojln 'verbergen', neujidd. (Ha, Za, Stu, Ni; Ha auch farhejln)49 Gegenüber mhd. verheln 'verhehlen, verheimlichen, geheimhalten, verbergen' (Lexer) hat nhd. verhehlen im Laufe der Jahrhunderte sehr an Boden verloren. Der Umgangssprache gehören nur noch wenige Wendungen an ('ich will dir nicht verhehlen, daß', 'schlecht verhohlene Schadenfreude'). Aber selbst in gehobener Sprache kann das Wort nur noch moralisch dubiöse Handlungen bezeichnen (man kann seine bösen Absichten verhehlen, 49
Der (mit dem Perfektpartizip identische) Infinitiv farhojln statt farhejln ist durch den litwischen Zusammenfall von E2 3 4 und 0 2 3 4 in lejl zumindest stark gefördert, wenn nicht sogar erzeugt worden. Vgl. dasselbe Problem bei onhojbn statt onhejbn.
224
farhojln
aber seine Telefonnummer nur geheimhalten/verheimlichen), und in aller Regel ist das Objekt immateriell (der Dieb kann seine Vorstrafen verhehlen, aber den gestohlenen Schmuck nur verbergen /verstecken wollen). In der jidd. Bibelsprache übersetzt °ver-helen die Wurzel 0*71) 'verbergen' (insbesondere also °ver-hölen sein das Nifal) sowie diejenigen Fälle der Wurzel 'wundersam sein', bei denen der Mensch als Maßstab ins Bild kommt ('zu hoch für dein Verständnis' u.ä.). Einige Belege: R9 Lv 5.2 un" wirt vör-hölen von im' '(wenn die Sünde dem Sünder selbst zunächst) unbemerkt bleibt', 20.4 si vör-helen 'sie verschließen (ihre Augen)', Nu 5.13 un" wirt vör-holen '(wenn die Untreue der Frau dem Mann) verborgen bleibt', Dt 22.1 un" du wiltich sein vor-helen '(nicht) sollst du dich dem entziehen', 30.11 vör-höl'en '(dieses Gebot ist nicht) zu hoch (für dein Verständnis)', Ri 13.18 vör-hölen '(der Name des Engels ist) ein Geheimnis', 1K 10.3 vör-hölen '(nichts blieb Salomo) verborgen', 2Κ 4.27 er hot vör-helt '(Gott) hat (vor mir) verborgen', Jes 1.15 ich wil vor-helen 'verschließe ich (meine Augen)', 58.7 du sölt dich vor-helen 'du sollst dich (nicht vor deinen Verwandten) verleugnen', Ez 22.26 si hon vör-helt '(vor meinen Sabbaten) verschließen sie (ihre Augen)', Hi 28.21 si is vör-hölen '(die Weisheit) ist verborgen (vor allem Lebendigen)', Pr 28.27 un" der do vör-helt 'wer (seine Augen) verschließt', Koh 12.14 däs do is vör-hölin '(alles) was verborgen ist (ob gut, ob böse)', Thr 3.56 nit du sölt vör-helen 'verschließe (deine Ohren [!]) nicht'; R13 Ps 10.1 wärum got du [...] ver-helst dich zu ziten, Pr 28.27 ver-helt sin ögen usw. - so in der gesamten Übersetzungstradition. In freier Formulierung: Mel 1230.2 got hot mir es vör-helt·, PuW 100.2 den vör-hölen man 'den seine Identität verbergenden Mann', 148.1 ain riter in verholen klaid, 501.1 vör-hölen ganz in vremd gewand, 666.2 Paris hunt sich nit min vör-helen 'nicht länger verstellen'; HiP 9.24 (ein König) der do ist ain roso', der do tut ver-helen un" bedeken enzlit irer richter 'der die Richter veranlaßt, ihr Angesicht (vor Rechtsuchenden) zu verbergen', 11.6 (Gott) sölt künden zu dir ver-hölenhait der weishait der thöro ~ ni/D^SJFi Π03Π, 28.11 wäs do ist ver-hölen unter dem wäser an grund des jam, 28.21 (die Weisheit) ist vür-hölen von augin ales, wäs do lebt, 42.11 si' ale öder däs mainst tail vör-helen ire äugen von zu sehen ain koröv un" ain armen bruder, der ver-armt ist; Br 144.25 °wer seine äugen vür helt fon den lerner, ähnlich 200.27; ZuR 176rbl8 do wil ich mein äugen vär im vör-helen\ SbS 3r\9 fär-hel dein äugen fun ain schene frau'. Als geradezu charakteristisch für das Wirken der Hedersprache darf man die Tatsache ansehen, daß alle oben zitierten Bibelstellen auch im 20. Jh. bei Jeh noch mit farhojln erscheinen. Auch diejenigen Lexikographen (Birnbaum und U. Weinreich), die für die Gegenwartssprache nur noch das Partizip farhojln anerkennen, geben es einfach als 'verborgen', 'concealed' wieder, also ohne die obengenannten Restriktionen im heutigen Deutsch.
farkrimen
225
farkrimen 'deformieren, verzerren, verdrehen, falsch darstellen', stj., farkrimen sich 'das Gesicht verziehen', stj.; farkrimt 'schief, verzerrt', stj., (di) farkrimung, (der) farkrim 'Deformation, Verzerrung', stj. Mhd. verkrümben 'krumm, lahm machen' (und verkrumben 'krumm, lahm werden'), nhd. verkrümmen (samt Verkrümmung) sind ziemlich dürftig belegt, fast gar nicht in einem übertragenen Sinne (Lexer, DWb).50 In auffälligem Gegensatz dazu steht nicht nur die Häufigkeit der entsprechenden Bildungen in der ganzen jidd. Sprachgeschichte, sondern auch die Vielzahl der durch sie wiedergegebenen bibelhebr. Wurzeln. In MM beispielsweise, das als Lexikon eine relativ einfache Nachprüfung erlaubt, gibt einfaches krum, krüm, krümenis die Wurzel ^py 'sich winden' 51 und sporadisch die Wurzel 3pSJ (Jes 40.4) wieder. Vor allem aber ist der Stamm ver-krüm- (in seinen verbalen und nominalen Ausprägungen) die einzige Übersetzung der Wurzeln η*70 und 132SJ[n| (beide ~ 'verdrehen'), die Hauptübersetzung von 11*7 ~ 'sich wenden', ms? ~ 'beugen', DIU und IPfSJ 'krümmen', ^PD 'schlingen' und "pfr 'kreuz und quer laufen' sowie die sporadische Übersetzung von U31? (Pr 10.10) und (Jer 2.36). Abgesehen von den beiden letzten, bezeichnen diese Wurzeln in der Bibel häufig, in einer vielfach variierten Fundamentalmetapher, ein 'verkehrtes', 'verdrehtes' oder auch '(rechts-)verdrehendes', '(rechts-)beugendes' Verhalten. Auffällig ist also, daß die jidd. Übersetzungstradition erstens alle diese Varianten in ein Verbum zusammenfallen läßt und zweitens dazu gerade den Stamm -krum- heranzieht. Beides erklärt sich aus der jüdischromanischen Vorgeschichte der aschkenasischen Tradition. Im späten Vulgärlatein hatte nämlich die erwähnte Fundamentalmetapher ebenfalls gewirkt, und zwar hatte sie das Passivpartizip lat. tortum von torquere (> ital. torcere, frz. tordre) 'verdrehen, krümmen' zum neuen Normalwort für 'Unrecht' (ital. torto, frz. tort) gemacht, und diese Metapher blieb für jedermann nachvollziehbar, solange das Partizip in genau der Form des neuen Nomens weiterlebte - in Frankreich bis gegen Ende des Mittelalters (Pope 1952: § 1053), in Italien bis heute. Das machte den Stamm tord-/tort- so geeignet, entweder in einheitlicher Form oder aber durch bloße Suffixvariation die biblische Krümmungsmetapher bzw. deren Variationen nachzubilden. Die jüdischital. Tradition beschritt 50
Bei unpräfigiertem krumm, krümmen ist im Dt. der metaphorische Gebrauch viel häufiger, wird aber auch dort nicht lexikalisiert, wie das im Romanischen der Fall ist (s. unten).
51
Ein einzelnes indoeuropäisches Verbum zur >Grundbedeutung< einer semitischen Wurzel zu erklären, setzt immer ein gewisses Maß an Willkür voraus. In unserem Falle kommt es nur darauf an, zu veranschaulichen, daß die Wurzeln nicht schlechthin gleichbedeutend sind, vielmehr einige Variation auch in der Übersetzung leicht möglich und a priori zu erwarten gewesen wäre.
farkrimen
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anscheinend eher den ersten Weg; denn tortefecare übersetzt nach Blondheim (1925: Nr. 153 mit n. 4) die Wurzeln CO1?, Π1?, und Berenblut (1949: 141, 157) bringt Stellen bei, wo es die Wurzeln ΠΊΰ undtfp>SJübersetzt. Doch wissen wir über die jüdischital. Tradition vor 1500 insgesamt zu wenig, um hier Definitives sagen zu können. In der jüdischfrz. Überlieferung hingegen herrschen bei unserem Komplex die Suffixvariationen. Wir bringen eine Auswahl aus dem über R. Levy I960 52 und Banitt 1972 zugänglichen Bestand und fügen gleich die Lesart aus R9 hinzu: tordre, antorsir torsement torte, torture tortefet tortefinement tortefiner II II II II II II II
tortelor, tortement tortre, antorter antors antors antorter antorter antortilie
~ ~ ~ ~
Jes 59.8 nwi?V Pr 4.24 crefcua Jes 42.16 , nnjB Thr 3.59 ΉζΠΪ (aram.) Dn 4.24 ry?D-l Ex 23.8
~ ~ ~ ~ ~ ~
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
η^Ο'ΐ Dt 16.19 iniyna 2 S 7.14 i n u n 1 Κ 8.47 nyn Jer 3.21 n u r Hi 8.3 -irny Hi 19.6 *y?on Pr 13.6 n n i ^ p y Ps 125.5 liuasr Joel 2.7 Ti1?} Jes 30.12 npa Jes 40.4 W|?sr Mi 3.9 2S 22.27 ^tfpriB Dt 32.5
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
si sint vör-krumt; vör-krumung; vör-krumenis; min vör-krumung; un" dein vör-krumung; un" krumet (MM un* er ver-krümt); un* krumet; so er vor-krumt\ mir hon vor-krumf, si hon vör-krumt; er vör-krumV, er hot vör-krumt mich; si macht vör-krumen; er ['ihre'] vör-krumung', si vör-krumen·, vor-krumf, vör-krumf, si vör-krumen; ainem vör-krumten; gekrumt\
Obwohl die Rechnung nicht immer so glatt aufgeht wie in diesen Beispielen, dürfte es schwer sein, hier eine Kausalbeziehung in Abrede zu stellen. Wir sind also überzeugt, daß die jidd. Konzentration auf farkrim- ihr Vorbild in der jüdischrom. Konzentration auf tord- hat. Nur braucht der Anstoß nicht vom belegten Jüdischfrz., sondern kann schon von einer älteren jüdischrom. Stufe ausgegangen sein. So wie R9 und MM verhält sich mit geringen Schwankungen auch die übrige Übersetzungstradition. Einige Belege: R13 Ps 38.7, 106.6, 119.78, 146.9, Pr 3.21, 3.32, 4.21, 19.3, 21.12, 22.12; Α Dt 16.19, 32.5, Jes 42.16, Koh 1.15, 7.13, 12.3, Thr 3.36; El Ps 18.27 (2x), 101.4, 106.6, 119.78, 52
Wir lassen die Manuskriptangaben als für uns uninteressant weg.
farlajchtern
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146.9; HiP 6.18, 8.3 (2x), 9.20, 12.19, 19.6, 33.27, 34.12 (alles übersetzter Bibeltext); BM Ex 23.8, Koh 12.3, Thr 3.9. In freier Formulierung: MR 60.34 un' di hend [...] dV sölen ver-krumen\ Br 31.8 °un seine gedanken nit ver unrainikt. un" das moul nit ver krümt. un" al zeit den jezer ho-ro bezwungen; 125.20 °wer sein moul ver kriimt un" ret uniize red do komt vil bös der fon\ ähnlich 125.27, 127.6, 127.10; 245.23 °der do lernt sein tochter Toro, is gleich as lernt man si ver krumnis; TM 202.15, 208.5 mir haben ver-krimt unsere weg', ZuR 82rb37 un" das moul war im fer-krimt, 139rb50 un begert auch nit zu fär-krimen an krig des menschen', TP 3ra6, 3va31. Und so bis zum heutigen Jiddisch. farlajchtern 'erleichtern' (physisch und übertragen), stj.; farlajchterung 'Erleichterung', stj. Im Dt. ist mhd. verlihten (Lexer) bzw. frühnhd. verleichten (DWb) von etwa 1300 bis kurz nach 1600 zu belegen, aber so extrem sporadisch, daß an der Kontinuität Zweifel aufkommen. Eine Bildung auf -er(e)n statt -en scheint ganz zu fehlen. (Hingegen ist erlihten seit dem 13. Jh. belegbar; dafür findet sich seit Ende des 14. Jhs. erlihtern, das langsam, aber stetig zunimmt; Lexer, Findebuch, DWb, DWb 2 erleichtern.) Im Jidd. benutzte man zur Wiedergabe des Verbs V?p in seiner physischen Grundbedeutung 'leicht sein oder werden' zunächst nicht-präfigiertes sich °leichtern, bald auch °ver-leichtern. Gn 8.8 will Noah wissen, •ΈΠ ~ ob die Wasser sich schon °geleichteret hätten - so R9, Lo, Mü, A, K, aber ver-leichtert MM. Dazu im Abstraktum schon R9 Jer 6.14 ~ mit vör-lichterung 'leichthin'. Im übertragenen Sinne bedeutet 'an Ehre leicht sein oder werden', d.h. 'mißachtet sein oder werden'; 53 hier erscheint in der jidd. Übersetzungstradition von vornherein °ver-leichtern. Als Gn 16.4 Hagar schwanger wurde ( i v r u ? n r n a j ^prn ~), wurde in ihren Augen ihre Herrin Sara vor-lichten R9, °ver-leichtert Lo, MM, Mü, A, K, BM. Auch auf das Piel von O?1?? 'verfluchen', eigentlich: 'für verachtenswert erklären') greift °ver-leichtern über, jetzt natürlich aktivisch konstruiert: R9 Jes 8.21 un" wirt vor-lichtern ~ V?i?l; BM Lv 24.11 un" er ver-leichtert - V??'!; 24.14 den ver-leichterer Vppon. Dazu das Passiv: R9 Jes 65.20 söl werden vör-lichtert ~ sowie das Abstraktum (hier als Ergebnis-Abstraktum): R9 Dt 21.23 vör-lichter-ung> j"o schmöchhait ~ O^Fi Ή) r l i l ? '(ein Erhängter ist) ein Fluch (Gottes)' (= 'von Gott verflucht'); MM, A, BM, ebd. °ver-leichterung. Eine Art Nebenform des Verbs bbp ist das Verb nbp 'verunehren': R9 Dt 27.16 wer Vater und 53
Wie im Hebr. 'Ehre' unter dem Bild von 'Schwere' erscheint ("1*133 von vgl. den Artikel er gotes), so 'Ungeehrtheit, Mangel an sozialem Status' unter dem Bilde von 'Leichtigkeit'.
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farlantert
Mutter vör-lichtert ~ Γή>ρη 'verunehrt', Jes 3.5 der vör-lichtert ~ Π ^ ϊ Π 'der Verachtete'; vgl. Jes 16.14; MM Dt 25.3; A, BM ebd., Dt 27.16. Und schließlich werden auch die Wurzeln b^n 'entweihen' und y?T 'verachten' gelegentlich so übersetzt: R9 Jer 34.16 un ir vör-lichtert ~ ^^ΠΓΐ] 'ihr habt (meinen Namen) entweiht', Jes 48.11, Ez 20.9, 22.26, 48.15 vör-lichtert ~ *7Π, Thr 1.8, 1.11, 2.2. [Weitere Belege jetzt bei Heide 2002: 35Iff.] In frei formulierte Texte scheint diese Metapher 'erleichtern' = 'Ehre mindern' allerdings kaum übernommen worden zu sein; vielleicht wurde sie als unnötiges understatement empfunden. Br 75.10 °ir sun hot ver leichtert den namen fon hkb'h, und 103.25f. °un di mir si (= meine Ehrungen) ver schmehen, si werden vür leichtert sind essentiell Zitate (Lv 24.11, I S 2.30); TA llv26f. un" beschirm uns [...] for fer-leichterung (= Entehrung) ist wohl gattungsspezifischer Stil. Im Stj. ist von dieser Metapher nichts mehr Übriggeblieben. Wenn farlajchtern übertragen gebraucht wird, so bezieht es sich - wie entsprechende Verben anderer europäischer Sprachen - auf eine Aufgabe, Pflicht u.ä. Trotz dieser semantischen Säkularisierung ist es zweifellos, eben wegen der Form farlajchtern, nicht *derlajchtem, die Fortsetzung des altjidd. Wortes. °farlantert 'schwach geworden (vom Auge)', altjidd. Bei Ps 6.8 "T5J 0U3D 'mein Auge ist schwach geworden vor Gram' bezeugen Semitistik (z.B. Klein 1987 s.v. ÜTO), Septuaginta (έταράχθη), Vulgata (turbatus est), sefardische Überlieferung (Ibn Esra und Qimhi ad loc.) und die Parallelstelle Ps 31.11 ('meine Gebeine sind schwach geworden') gleichermaßen für WDV die Bedeutung 'schwach werden'. Aber Raschi glaubte das Wort in Ps 6.8 mit dem talmudischen rvtftfy 'Laterne' verbinden zu sollen und kommentierte: 'TWVS): gehört zu rPWttfU, vulgärsprachlich lanterne. Ein Auge, dessen Licht trübe (ΠΠ3) ist und das seinem Eigentümer den Eindruck vermittelt, als blicke er durch ein Glas vor seinen Augen.' 54 Offensichtlich ist Raschi die Vorstellung einer Brille noch ganz fremd. Die Rede ist vielmehr vom grobkörnigen und ungeschliffenen Glas des Mittelalters, das im wesentlichen wie heutiges Milchglas nur Helligkeitsunterschiede, nicht Formen durchscheinen ließ. Eine Glaslaterne ließ also nicht die darin befindliche Lichtquelle erkennen, sondern bot dem Auge nur eine milchig-helle Fläche, und ein halbblindes Auge nahm im ganzen Gesichtsfeld nur solche Flächen wahr; deshalb konnte man auf die 54
Der Raschikommentar fährt allerdings fort, nach Menahem b. Saruq habe das Wort vielmehr die Bedeutung 'in Verfall geraten'. Da diese Feststellung in Hs. Α fehlt, bezeichnet Banitt (1985: 26) sie als interpoliert. Damit ist aber die Frage nicht beantwortet, weshalb Raschi an der Parallelstelle Ps 31.11 wiederum (und diesmal nur) Menahems Meinung referiert.
farlendn
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Idee kommen, es >laternierend< zu nennen. Und da man in Ps 6.8 in der Tat ein Verbum braucht, taucht nun in einigen jüdischfrz. Glossaren ein wohl ad hoc gebildetes lanterner/lanternir auf, das R. Levy im Tresor - sichtlich nach dem Zusammenhang - als 's'obscurcir, faire sombre' deutet.55 Dieses Verbum ist auch ins Altjidd. übernommen worden, unseres Wissens aber noch nirgends in der Forschung besprochen worden. Da es sich schon in Frankreich um eine innerjüdische Bildung handelte, die auch nur durch inneijüdische Kanäle nach Deutschland gelangt sein kann, gehört es per definitionem zur rom. Komponente des Jiddischen und nicht zu den Internationalismen. Hier die Belege nach den Texten von Ps 6 bei Birnbaum 1964: 509: Bln701 werlandernt, R8 werlänternt, Bln310 verläntert, Hbgl81 (1532, Schreiber aus Prag) ver-läntert, MM (Druck Krakau um 1534) ver-läntert
j"o ver-vinstert,
L t (Prag 1604)
ver-läntert.
Dreierlei ist an diesem Verbum bemerkenswert: Erstens, daß sein perfektiver Charakter schon im Altjidd., außerhalb des slav. Einflußbereichs und anders als im Frz., nach Präfigierung drängte. Zweitens, daß bei innerjüdischer Entlehnung aus Frankreich nicht die Infinitivendung mitübernommen wird (wie in dt. -ieren); das deutet auf eine breitere zweisprachige Vermittlerschicht (ohne bewußt-lexikalische Abfrageakte). Und drittens, daß die drei jüngsten Belege das Wort als auch in Prag und Krakau verständlich erweisen; das Wort ist also nicht im Westen steckengeblieben. Die restliche Überlieferung hat das Wort allerdings aufgegeben zugunsten von °vör-vinstert (so schon R9) oder vör-tunkelt (so schon L, auch El Ps), vgl. Birnbaum loc.cit. farlendn 'vernichten, verheeren, niederstrecken', stj. (Ha auch 'beenden'); farlendndik 'vernichtend' (Antwort u.ä.), stj. Das Verbum 'vollenden' (meist ~ H^D) wird in R9 oft in zwei Wörtern geschrieben, was auf richtige etymologische Analyse deutet, so Gn 2.1 völ-endit, 18.33 (hier volen-ent\ entsprechend der mhd. Nebenform vollen-enden), 21.15, Ex 5.13, Lv 23.22, Ez 4.8, Pr 16.30; oft aber auch schon in einem Wort, so Gn 2.2 volendet, Lv 16.20, Nu 16.31 (hier volen'endet), Dt 26.12, 31.30 (hier ~ Dan). Α hat Gn 2.1 und 24.19 zwei Wörter, aber schon Gn 2.2 und passim Zusammenschreibung. Diese ist dann allgemeine Norm.56 Doch daß das etymologische Gefühl nicht mehr nachzieht, lassen z.B. BSR 474 vel-enden und B M Gn 21.15 sP velenden vermuten; auch das
tautologische ous-fölend ZuR 3vb37, 93va34 weist in diese Richtung. Und 55
56
Zu dem anderen frz. lantemer (FEW s.v. landica und lantema) und zu ital. lanternare (Battaglia s.v.) bestehen anscheinend keine Beziehungen. Mel soll nach Fuks' Glossar Zwei-Wort-Schreibung haben, nach dem Faksimile herrscht aber Zusammenschreibung.
230
farmischn
da man sich solche Formen im Normalfall ohne Knacklaut vorzustellen hat, wird verständlich, daß die Sprecher unter Verlegung der Silbengrenze Ifa-I als das Präfix Ifor-, far-/ zu identifizieren beginnen. So schon vor Mitte des 16. Jhs. Mü Gn 17.22 wnx er ver-lendet zu reden (aber sonst immer richtig), dann HiP 26.10 ist ver-lendet, BM Lv 19.9 du solst verlenden, Nu 4.15, 7.1, 17.25 jeweils verlend- (daneben aber noch Gn 24.45 fölend, passim volend-/fölend-), ZuR 162rb33 fer-derbt un fer-lend (daneben aber außer den oben zitierten noch einige weitere fölend-). Nur fer-lend/-lent haben wir gefunden in Mag: Ps 18.38 ich hab gejagt meine feind [...] un ich ker nit wider bis ich si' fer-lend, 59.14 Dovid tet thefilo un" sprach: fer-lend mit deinum grim-zorn [···] fer-lend si', 78.33 er hot fer-lent, Pr 16.30 der do winkt mit sein lefzen, der fer-lent däs bes, Hi 21.13 er hot fer-lent. Ein literarischer Beleg: FF 29.426 der leb hot schir sein lauf fer-lent.51 Die anfängliche Nebenform erweist sich als die einzig überlebensfähige Form. Zur Bedeutung genügt es darauf hinzuweisen, daß bibelhebr. sowohl das wertneutrale 'vollenden' oder 'beenden' als auch das negativ getönte 'vertilgen' bezeichnet und damit den Rahmen setzt, den das jidd. Verbum trotz Verlagerung seines Schwerpunkts nicht überschritten hat. farmischn 1) 'mischen, zusammenbrauen', 2) 'verwirren, verwechseln (to confuse)', 3) '(jmdn. in etwas) verwickeln (to implicate)', stj. 1) Die Hauptbedeutung dieses Verbs entspricht mhd./nhd. vermischen und braucht nicht kommentiert zu werden. Anders die Nebenbedeutungen. 2) Verwirren oder Verwechseln als 'Vermischen' zu bezeichnen, ist eine leichtverständliche und weitverbreitete, aber keineswegs allgegenwärtige Metapher. Man überzeugt sich davon leicht an Hand der Artikel vermischen bei Lexer und im DWb: das Wort ist dort mit verwirren strenggenommen nie, mit verwechseln nur einige Male im 18. Jh. (DWb vermischen 3) synonym. Es ist also durchaus sinnvoll zu fragen, wieso das Jidd. mit der zweiten Bedeutung über das Dt. hinausgeht. Bibelhebr. heißt im allgemeinen eindeutig 'mischen', speziell 'mit einer Flüssigkeit vermischen', 'in eine Flüssigkeit einrühren' (und wohl auch 'Mischfutter [V'pa] für das Vieh bereiten'); die Übersetzung jüdischfrz. meler (A = G4 Ex 29.2, C = G1 Ex 29.40), 0 mengen R9, °müschen jidd. Haupttradition, farmischn Jeh (Ex 29.2, 29.40 usw.) bedarf also keiner weiteren Rechtfertigung. 57
Die Erwägung von Schnitzler (1966: 50), es könne bei dem jidd. Verbum eine Kreuzung von mhd. erlenden und verenden vorliegen, erscheint uns also gänzlich unnötig, um so mehr, als erlenden nur in einer einzigen Quelle erscheint und von Schnitzlers Bedeutungsangaben 'landen, ans Ziel bringen, beenden' nur die erste - und zwar in intransitivem Sinne! - belegt ist.
farmischn
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Nun erscheint V73 aber auch als Schlüsselwort der so einprägsamen Erzählung vom Turmbau zu Babel: Gott fährt hernieder, um die Sprache (Sg.!) der Erbauer zu meler (A = G4, F=G2 Gn 11.7), zu vor-mengen R9, zu °ver-müschen L, Lo, MM, Mü, A, K, Mijo, BM, ZuR (10val5), Bli, Wi, zu zemischn Jeh bzw. zu verwirren Luther (Gn 11.7). Und er hat sie dann auch wirklich mele, vor-menget, °ver-miischt, zemischt bzw. verwirret (Gn 11.9, dieselbe Verteilung).58 Da es sich hier nicht um die Vereinigung einiger vorher getrennt vorhandener Ingredienzien handelt, sondern - nahezu gegenteilig - um die Überführung einer Einheit in eine Vielheit, trifft Luther den Sachverhalt präziser. Aber der biblische Erzähler hatte keine Wahl; denn seine Erzählung sollte ja kulminieren in der (Volksetymologie Babel < Vw. Und die jüdischfrz. und die jidd. Übersetzer folgten ihm - im Jidd. einmal abgesehen von der Präfixwahl - einfach nach dem Grundsatz der monemgetreuen Übersetzung, auch wenn sie damit die Bedeutung des Verbums etwas ausweiten mußten. Luther seinerseits wußte, was er tat; denn er erklärte auf dem Rande: (Babel) Auff Deudsch / Ein Vermischung oder Verwirrung - zunächst also die philologisch (vermeintlich) exakte, dann die idiomatisch richtige Übersetzung. Sehr lehrreich schließlich ist Blitz' Übersetzung: wöl-ouf lose uns nider-faren un" ire sproch far-mischen. Das ist Luthers Wolaujf / lasst vns ernider faren / vnd jre Sprache da selbs verwirren - ausgenommen das alte jidd. Schlüsselwort far-mischen, das Blitz nicht zu ersetzen wagte, obwohl er in seiner Sprache ein Verb for-weren 'verwirren' hatte (z.B. Jes 19.2). Ebendadurch führt er uns vor, wie genau seine Leser solche Schlüsselwörter kannten und bewahren wollten - und das heißt hier zugleich: wie wesentlich in ihrem Sprachbewußtsein zum Verb farmischn auch die Bedeutungsmöglichkeit 'verwirren' gehörte.59 3) Das Piel "[DDO (zu 110) Jes 9.10, 19.2 wird heute als 'jmdn. aufstacheln' genommen (so auch im Ivrit). Die jüdischfrz. Tradition nahm es aber als meler (A = G4) bzw. entremeler (C = G1),60 was dank der bemerkenswerten Polysemie von meler (Banitt 1985: 15f., 142) nicht nur '(untermischen', sondern auch 'verwickeln' heißen konnte. Entsprechend dann R9
58 59
60
Nur L, M i j o und ZuR wiederholen das Verbum nicht. Ein anderer Faktor, der diese Bedeutungsmöglichkeit gestärkt haben kann, ist die Tatsache, daß wenigstens in einem Teil der Tradition V?n m 'töricht, wahnsinnig sein' mit "ver-mischen wiedergegeben wird, so in M M ver-müscher Ps 5.6 und 102.9, ver-miischung Hi 4.18; zur talmudisch-raschianischen Vorgeschichte dieser Übersetzung vgl. Banitt 1985: 15f. Aber selbst M M hat Ps 75.5 (2x) und Koh 1.17 när und dessen Derivate; R9, R13 und El Ps haben durchgängig tor und dessen Derivate. Und zwar wahrscheinlich auf Grund (pseudo-)etymologischer Spekulation über einen Zusammenhang zwischen 1 0 3 0 und "[00 (Banitt 1985: 142).
232
farnuft
Jes 9.10 (er vör-wirt j"o) er vör-mengt, 19.2 un ich wil v0r-mengen\ MM Jes 9.10 er wert ver-miischen, 19.2 uns ich wil ver-miischen·, noch Blitz hat wenigstens 9.10 farmischen.61 Wir glauben hier die unmittelbare Vorstufe von U. Weinreichs farmischn 'to implicate' zu sehen. Wir hoffen, in diesem Artikel exemplarisch vorgeführt zu haben, wie auch die weniger auffällige semantische Feinstruktur eines jidd. Verbums durch vorjidd. Faktoren beeinflußt sein kann. farnuft 'Vernunft', neujidd. (Stu, archaisch) Mhd. vernu(n)st, vernu(n)ft ist das Abstraktum zu 'vernehmen'. Im Dt. überwiegt bis etwa ins 14. Jh. -st, dann dringt -ft schnell vor, anscheinend vom Mitteidt. aus (Lexer vernunst, DWb Vernunft). Die Konkurrenz zwischen -nunft und -nuft geht noch im 15. Jh. zugunsten des ersteren aus, so daß der materialreiche Artikel des DWb ausdrücklich für die Zeit nach 1500 - und damit speziell für Luther - nur noch Vernunft bieten kann. Ιή der jidd. Überlieferung haben wir nur den -^r-Typ, aber von den Anfängen an nur in der Form auf -nuft gefunden: R9 Dt 32.28 vor-nuft\ ähnlich Jer 10.12, R13 Pr 2.11, MM Hi 20.3 fun meiner vernuft ~ ' n r a a , Gn 41.33 ver-nuftig ~ ]Π1 u.ö., Mü Gn 41.39 ver-nuftik, Α Dt 1.13, Koh 9.11 vör-nuftig, Dt 4.6 vör-nuftikait, Dt 32.28 vor-nuft, El Ps 49.4 ver-nuftikait. Nur Κ bietet neben Gn 41.33 ver-nüftig auch Gn 41.39 ver-ninftig. Auch in freier Formulierung ist -nuft, wie es scheint, alleinherrschend: Bar 35, 1982 °ver-nüftig, 45 und passim (über 40x) °ver-nüft, 894, 4434 un-vir-nüft, AJ 73.1 al seine ver-nüften, BB 605.6 vör-nuften, SM 48r25 ver-nuft, EB 782 ver-nuft, Shg \\6fer-nuft, SJ 9v28 u.ö. (30x) -nuft, Br 2.6, 2.8, 3.3, 9.31, 225.31, 247.8, 247.11, 258.10, 258.25 °ver nuft, StL 3rl0 fer-nuften, TA lv31, 3r31, 4v23, 4v29, llr33 ver-nuft. Wieder verblüfft die absolute Indifferenz gegenüber der dt. Entwicklung. Das Wort ist schließlich zurückgetreten vor allem gegenüber dem Hebraismus sejchl. farschemen 'beschämen', stj.; farschemen sich 'sich schämen, schüchtern sein', stj. Mhd. verschonten, verschemen (einschließlich des Perfektpartizips verschämt, verschemt und des Reflexivums) hat zwei sich ausschließende Bedeutungen: 1) mit perfektivierendem ν er- (wie in vergolden, verhüllen 61
Α übersetzt auch Lv 19.16 V a i T^n-N1? nit du solst gon vör-muschung, ähnlich SM 72r9 du' solt nit gen rechiluss treiben [...] rechiluss haist ouf töutsch ver-müschung. däs maint, das man di' löut unter-anänder ver-miischt. Bli, Wi, Jeh haben hier rechiluss ohne deutschkomponentige Erklärung.
farschemen
233
u.ä.): 'jmdn. in Scham versetzen, beschämen', 2) mit negierendem ver(wie in verbieten, versagen u.a.): 'jmdn. schamlos machen'. Wahrscheinlich ist es dieser kommunikativ unerwünschte Doppelsinn, der im Dt. gegen 1600 zum Untergang des Verbs führte - ausgenommen des Perfektpartizips: bei ihm ist die zweite Bedeutung, also verschämt - 'schamlos', immerhin bis Grimmelshausen belegt; dann siegt die erste Bedeutung, also verschämt = 'voller Scham', wohl hauptsächlich, weil ihr Negat unverschämt, -schämt schon seit dem Spätmittelalter nur in der einprägsamen Bedeutung 'schamlos' (und nicht in der komplizierten Bedeutung *'des Schamgefühls noch nicht beraubt') beliebt war (Lexer, DWb). In den jidd. Übersetzungen gibt °ver-schemen von Anfang an die wichtigen Wurzeln nsn 111 und 0*73 wieder, ist also sehr häufig. Da es dabei im allgemeinen um ein Bereiten, Bekommen oder Besitzen, nicht ein Aufgeben oder Austreiben von Schamgefühlen geht, tritt automatisch die erste Bedeutung ein, und zwar unter völligem Ausschluß der zweiten, weil offensichtlich im Heder nicht beide gleichzeitig geduldet werden können. So schon in R9: (zu ΕΠ3) Jes 1.29a si sölen werden vör-schemt ~ WID1, ähnlich 37.27, Jer 2.26, 2.36, 14.3, 20.11, 31.19, 46.24, 50.2, Ez 32.30, Hi 6.20, Pr 10.5, 12.4, 14.35; (zu -©Π) Jes 1.29b un ir sölt sin vör-schemt ~ nsnni, ähnlich 33.9, 54.4, Hi 6.20; (zu n^D) Jer 3.3 zu sin vör-schemt ~ •173Π, ähnlich 8.12, Ez 16.27, 36.32, 43.10, Hi 11.3, Pr 28.7, Ru 2.15; R13 Ps 6.11 (2x), Ps 14.6 rot des armen ir ver-schemt und passim (insgesamt 44x), MM unter ΊΟΠ, 0*73 insgesamt 19 Beispiele, El Ps 6.11 und passim (32x) usw. - die ganze Überlieferung. Unter diesen Bedingungen ist es nicht erstaunlich, daß auch in freier Formulierung nur die im Heder gebilligte Bedeutung auftritt und daß es deshalb anders als im Dt. eine Krise des Verbums bis heute nicht gegeben hat: Bar 4789, 5079, Sb 1248.1, EM 1495, EB 1582, PuW 285.2, 467.7, Shg 9rl4, MR 59.31, 116.236, Br 7.4 und passim (viele Dutzend Mal), TM 208.3, 211.25, ZuR 5va3 und passim (über 50x), BSP 81, TA 9rl4, SbS 14v2 und (offenbar mit Ungenauigkeiten) NH ΠΟ*73 - fär-schemter - vetuperio (sie) - ignominium (sie), ebd. - er fer-schemt - si vergogna pudore afficit. Eine einzige Ausnahme haben wir zu registrieren, im SD: Verschampter - Impudens - ΊΙΧΠ - in (sie) verschemter, wo ain un-verschemter zu erwarten ist. Nun hat Elia ja in seinen Psalmen das Verb (einschließlich des Partizips) über 30mal im jiddischen Sinn verwendet (s. oben); deshalb ist es schwer, dem Beleg Glauben zu schenken. Und da SD erst nach Elias Abreise aus Isny erschien (Weil 1963: 148), kann es sich einfach um eine Eigenmächtigkeit oder einen Fehler des nichtjüdischen Druckers handeln, der diese Zeile ohnehin zusammendrängen mußte. Jedenfalls würde ein Beleg nicht ausreichen, die Logik des ungebrochenen Weiterlebens von farschemen bis ins Stj. in Frage zu stellen.
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farschnajdn
farschnajdn 'vernichten, vertilgen', stj.; farschnajdn a bund 'feierlich einen Bund schließen', stj. Im mhd. Wörterbuch fällt versniden dadurch auf, daß sich um die Grundbedeutung 'auseinanderschneiden' (z.B. Tuch ellenweise, aber auch den Schild des Gegners) eine breite, vieldeutig negative Aura legt: man kann die Person des Gegners selbst versniden 'ihn durch Tötung oder Verwundung außer Gefecht setzen', man kann Tiere und Menschen versniden 'kastrieren', und man kann übertragen Menschen auf vielfältige Weise versniden 'schwächen, schädigen' u.ä., so daß sie z.B. versniten an guote und an den eren sind. In der Gegenwartssprache ist davon wenig geblieben und noch weniger hinzugekommen (eine Hecke, ein männliches Tier, einen Weinbrand verschneiden, Wahrig s. v.), so daß auch jene sinister-destruktive Tönung aus dem Verb verschwunden ist. Die extreme Häufigkeit von °ver-schneiden in den jiddischen Bibelübersetzungen macht man sich am einfachsten anhand des Lexikons MM klar. Hier übersetzt dieses Verb über ein Dutzend hebr. Verba. Von ihnen ist aber n~D mit der Grundbedeutung 'ab-, zerschneiden' mit Abstand das häufigste (in der Bibel über 280 Vorkommensfalle gegenüber knapp hundert von allen im folgenden zu nennenden Wurzeln zusammen). Die Bedeutung 'abhauen' (z.B. Bäume) kommt in der Bibel immerhin oft genug vor, um bei der Wahl der Normalübersetzung nicht übergangen werden zu können; doch bestimmen sein Hifil und Nifal mit der Bedeutung 'ausrotten' (bzw. 'ausgerottet werden') das Gesamtbild mindestens ebenso stark.62 Mhd. versniden ist also wohl die bestmögliche Wahl. Es kann dann auch mitbenutzt werden für die Wurzeln SHl 'abhauen', 1TJ1 'entzweischneiden', X-n m 'roden', Π03 'abschneiden', ηρΐ 1 'abhauen, abreißen', wo jeweils die Grundbedeutung noch ziemlich gut paßt; ferner für üöp>, iDp und y~)j?, alle etwa 'knittern, zusammenstauchen', wo das schon weniger zutrifft; für Wn 1 , VON Ο?1?»«) und Vnp, alle etwa 'welken', wo es jeweils nur im übertragenen, und zwar passivischen Sinn um ein °ver-schniten-Sein oder -Werden gehen kann; schließlich an Einzelstellen für SJ2£3 (Hi 6.9), DO Π (Jer 13.22, Hi 15.33), p n (Jes 10.22, 23, Dn 9.27). Dazu kommt für die Nomina ver-schneidung und ver-schneide r noch das in der Bibel nur substantivisch vorkommende 3üp 'Seuche, Pest' (Dt 32.24, Hos 13.14). Soweit also MM mit seinen über fünfzig Beispielen. Dort scheint °ver-schneiden das häufigste jidd. Verbum überhaupt zu sein. Ähnliches gilt schon von R9: 1) Verbal: DID Gn 41.36, Ex 8.5, Lv 26.22, Nu 4.18, Jes 11.13, 37.24, Jer 6.6, 11.19, 31.31, 44.11, 46.23, Ez 14.8, 29.8, Pr 2.22,
62
Im nachbiblischen Judentum ist Γ)~0 geradezu Terminus technicus für den von Gott über individuelle Sünder verhängten 'vorzeitigen Tod', ohne daß damit über dessen Art etwas ausgesagt wird; vgl. etwa J. Levy s.v., EJ, Art. Karet.
farschnajdn
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24.14, Ru 4.10; SHJ Dt 7.5, 12.3, Jes 10.33, 14.12, 22.25, 45.2, Jer 48.25, 50.23, Ez 6.6, Thr 2.3; Lv 16.22, Jes 53.8; ηρι Jes 29.1; UOj? Hi 22.16; iDj? Jes 38.12; Y?o Hi 14.2, 18.16, 24.24; •?»« Jes 16.8, 24.4, 33.9, Jer 14.2, 15.9, Ez 16.30, Thr 2.8; "?op Jes 19.6, 33.9; ΟΒΠ Jer 13.22, Ez 22.26, Pr 8.36, Hi 15.33, Thr 2.6; 3üp Jes 28.2; m t t 'hinschlachten' Jer 11.19; "Ol Hifil 'denunzieren' Jer 20.10; Uli (wohl verlesen als Uli) Ez 5.11; 2) Substantivisch (°vor-schneidung): n"D Dt 24.1, Jer 3.8; ηρΐ Jes 3.24; Γ)? Jer 46.20; n s p Ez 7.25; Γ>Π Jes 10.22, 10.23, 28.22; 3üp Dt 32.24; rau Jes 53.7, 65.12, Pr 7.22; ΊΟΙ1 'schneiteln' Ex 15.2, Jes 25.5, Hi 35.10. Dasselbe Bild zeigt die sonstige Tradition, aus der Belege anzuführen sich also wohl erübrigt. Unter diesen Umständen ist es auch nur natürlich, daß ein so stark hedergestütztes Wort nicht wie im Dt. sozusagen innerlich austrocknet, sondern auch außerhalb des Heders mit seiner Aura erhalten bleibt: Bar 658, 1245, 2084, 3147, 4289, 5338 bösen gelüst, di verschneiden al hail·, Db 443.2; Mel 76.2, 407.3, 448.1; EM 720, 1425; PuW 159.6 süst is mein höfung ganz vür-schniten, 293.8; MR 5.16, 5.20 ain ver-schniten künigreich·, TM 209.22; ZuR 70ra20 do wert im hkb"h fer-schneiden seine jor, 83vb20 di ceressöss, das der guf wert fer-schniten, is getailt oufdrei halokim, 83vb21 ain coress is, der guf wert alain fer-schniten, 83vb22 dcis ander is, zu zeiten ist di nesomo alain fer-schniten, 83vb23 zu zeiten wert der guf un di nesomo mit-anänder fer-schniten u.ö. (etwa 40x); TA 12vl9, 20, 21. (Die Bedeutung 'kastrieren' ist aus sachlichen Gründen selten: EB 265 Hegai, der do wäs ver-schniten", NH ΠΠ3 - fär-schniten — tagliato - exsectus.) Von hier geht es geradlinig zu stj. farschnajdn. Zur Gegenwartssprache sei noch hingewiesen auf einen Buch-Untertitel von 1964: Antologje poesje un prose fun zwelf farschnitene jidische schrajbers in ratn-farband.63 Gesonderter Behandlung bedarf farschnajdn a bund, gerade weil diese Bedeutung weder inneijidd. noch mhd. aus den sonstigen Bedeutungen des Verbs ableitbar ist. In biblischer Zeit besiegelte man einen Bund, indem man ein Opfertier zerteilte und zwischen den Teilen hindurchschritt (Jer 34.18, vgl. auch Gn 15.18); daraus die gedrängte Ausdrucksweise r r " n ΓΠ3 - altjidd. ver-schneiden ain sicherhait (wobei sicherhait 'Bund' bedeutet). Einige Übersetzungsbelege: R9 Ez 34.25, Hi 31.1, 40.28; R13 Ps 50.5 di ver-schnider miner sicherhait ~ ' r n s (ähnlich El); MM Gn 15.18, 21.27; Mü 15.18 am tag dem selbigan vor-schnaid' got mit Avrom sicherhait, 21.27, 21.32, 26.28, 31.44 (A und Κ jeweils ähnlich); A Ex 23.32, 24.8, 34.10, 12, 15, 27, Dt 4.23, 5.2, 7.2 u.ö.; HiP 31.1, 40.28. Und einige
63
>A spigl ojf a stejn.< Antologje Ch. Shmeruk. Tel Aviv 1964.
[...]
Zunojfgestelt:
B. Hrushovski, A. Suzkever,
236
farschwechn
frei formulierte Stellen: Mel 245.2 (Hiram und Salomo) si' ver-schnaiden ain sicherhait vor idermdn öfen-wor, ähnlich 405.4, 943.4; FF 12.42; Br 65.5 (Übersetzung von Dt 29.23f.); ZuR 167ral ich hab fer-schniten ain briss mit [...], 171ra22; TA 2vl do hostu ver-schniten mit in ain sicherhait. Und so bis zu stj. farschnajdn a bund. Hier lebt also eine Redensart weiter, die im Hebr. seit vermutlich 2500 Jahren und im Jidd. von Anfang an nicht mehr durch das ursprüngliche sachliche Korrelat und ebensowenig durch eine verwandte Gebrauchsweise des Verbs selbst gestützt wurde. farschwechn 'entehren, entweihen', stj. Mhd. swach ist meist nicht 'schwach', sondern 'schlecht, unedel, verachtet', mhd. verswechen also 'herabsetzen, beschimpfen, verringern', gelegentlich sogar 'vergewaltigen' (Lexer). Erst im Frühnhd. zieht sich das Verbum - dem Adj. schwach folgend - zurück auf die Bedeutung 'schwächen, in seiner Kraft mindern', geht dabei aber schließlich zugunsten des Simplex unter: Goethe benutzt es noch, aber Adelung und Campe verzeichnen es nicht mehr (DWb). In der jidd. Bibelübersetzungstradition gibt °ver-schwechen die hebr. Wurzel V?n wieder, insbesondere deren Piel Vpn 'profanieren, nicht integer lassen'. Y?n war ins Griech. als βεβηλοΰν übersetzt worden; dieses, anlautend mit lvev-1 gesprochen, trug anschließend durch interlinguale Paronomasie dazu bei (Banitt 1985: 96), im jüdischen Lat. ein disviolare umzuformen zu disvivolare (jüdischfrz. devivoler, jüdischprovenz. desviolar, jüdischspan. esbivlar; Blondheim 1925: Nr. 160; R. Levy 1960: Nr. 315; Banitt 1972: 1.136). Devivoler war dann wohl - speziell durch seine negativ-perfektive Präfigierung - das unmittelbare Vorbild bei der Auswahl von °ver-schwechen. Schon in R9 ist die Entsprechung eine ganz feste: Gn 49.4 Ruben hat das Bett seines Vaters vör-schwechtEx 20.25 durch Berührung mit Eisen vor-schwechts du die Altarsteine, Lv 19.12 du vör-schwechtes' den Namen Gottes durch Meineid, 21.4 vör-schwechen würde sich der Priester durch Berührung einer Leiche, 21.9 durch Unzucht vör-schwecht eine Priestertochter ihren Vater, 21.14f. eine vör-schwecher'in ~ Π^Π darf ein Priester nicht heiraten, er würde sonst seine Nachkommen vör-schwechen-, Jes 23.9 kann Gott auch Hochmut vör-schwechen, 43.28 sündige Fürsten, 56.2 der Mensch den Sabbat; vgl. weiter Ez 7.21, 7.24, 13.6 (zu V?n statt zu ^ΓΓ gezogen), 21.30, 24.21, 25.3, 28.16, 39.7, dazu 28.9 dein vör-schwecher, R13 und El Ps 55.21, 74.7, 89.32, 89.40. So auch die weitere Übersetzungstradition. In freier Formulierung: AJ 42.4 nit zu ainem korban werd ver-schwecht, Db 129.1 wer sein veVer-täg [tut] ver-schwechen, 405.4 dein thöro uns dein
farsichern sich
237
hailigen nämen lös nit verschwechen; PuW 306.4, 443.4, 562.4, 688.4; Br 21.21 °fer schwechen die eigene Seele durch böse Sitten, 28.18, 28.21, 116.18, 120.7, 120.10, 120.22, 127.6, 127.13, 154.6, 173.20, 221.21, 265.3 (überall:) die eigene Rede, 102.2 den Namen Gottes, 120.25 den eigenen Mund, 125.19 ihre Priesterwürde, 237.25 den Sabbat; ZuR 45ra33, 35, 45 Ehebetten, 61vb34 den Altar, 97va3, 167ra7, 196ra27 den Namen Gottes, 138va53 die Könige von Israel, 142vb38 den Bund, 158ra42 Gott selbst; dazu das Partizip Jersckwecht 114rb25, 170va9, 24, 28, 173rb46, 173va8, 191rb48, 52, 55; StL 4r6 hot er sein sei ferschwecht, TA 2r6 di3 hailige red, 10v30 dein namen. Hier schließt sich stj. farschwechn an. Auch Jeh hat an 21 von den 23 oben aus R9 und R13 vorgeführten Stellen noch farschwechn. Nur in Ez 13.6 hat er den philologischen Fehler beseitigt, und 28.9 ist aus dem farschwecher ein derschloger geworden. farsichern sich 'vertrauen, sich verlassen auf', neujidd. (Ha, Jeh) Das Streben nach wurzelkonstanter Übersetzung setzt voraus, daß jeweils ein Lexem der Wortfamilie als das Zentrum empfunden wird, dem die anderen Lexeme sich in der Übersetzung anzupassen haben. Dieses Zentrum ist meist, aber nicht immer das Verb. So wurde bei der Wurzel Πϋ3 vielmehr das Adverb Πϋ3 ~ °sicher als Zentrum empfunden; das Verb ~3 Πϋ3 'vertrauen auf' ergab dann zunächst 1) ein °sichern an, das mit dt. 'sichern' weder die Bedeutung noch die Konstruktion gemeinsam hatte. Wir finden es in CH Ab 110: (das Kind) begunde [...] sichern an des milden g[ötes] minne; 469 (die bisherigen Heiden) sicherten an g[öt] un hüben ufir' hende.64 Und wir finden es noch in R13 als Eintragung erster Hand: Ps 44.7 wen nit ain [lies: an] minem bögen ich bin sichern 'denn ich verlasse mich nicht auf meinen Bogen'. 2) Sehr bald jedoch setzte sich statt dessen °versichern an (selten ouf, zu, in) durch: R9 Jer 7.4 ir sölt versicheren ~ ΐΠϋ3Γ>; MM Ri 9.26 un si versicherten ~ 1Πϋ3"1, Hi 6.20 er höt versichert ~ Πϋ3, Jes 47.10 un du versicherst ~ TTtpani; El Ps 4.6 un versichert zu got ~ 'Π-*7X 1Πϋ31, 9.11 un si weren versichern an dich ~ ^3 1Πϋ3Ί, 25.2, 26.1, 31.7, 32.10, 37.3, 44.7, 115.10, 135.18; MR 1.117 got jissJ[...] do Avrohom [...] an versichert·, ZuR 55ra20 zu fersichern [...] ouf got. 3) Und bei diesem °versichern seinerseits wird die intransitive Konstruktion bald überwunden durch die reflexive bzw. zustandspassivische ("sich versichern, versichert sein). Sie ist die häufigste schon in R9 (Jes 12.2, Jer 9.3, Ez 16.15, Hi 39.11, Pr 31.11). In R13 Ps 44.7 (oben zitiert) hat eine (zweite?) Hand eingefügt: (ich bin) mich ver(-sichern). In El Ps ist das
64
Schon M. Weinreich 1960: 112 erkannte "3 nua als Vorbild; s.a. Timm 1987: 381.
238
farstejnen
Verhältnis zwischen intransitiv und reflexiv schon 10:33, und danach ist letztere Form nahezu alleinherrschend (einzelne Ausnahmen s. oben). 4) Allmählich verschiebt sich nun auch das Rektionsbild: an/on geht zurück zugunsten von ouf/ojf. Bei El Ps war das Verhältnis noch 34 an : 3 οκ/(31.15, 37.5, 49.7) : 3 zu (4.6, 31.7, 56.4) : 2 in (33.21, 52.10). ZuR hat teils an (z.B. 47vbl4, 55ral7, 152vb8), teils ouf (z.B. 55ra20, 57rb34f.). Nach ausführlichen Stichproben zu urteilen hält Wi fest am alten an, während Bli meist ouf hat; Jeh scheint konsequent farsichern sich ojf zu haben. Vermutlich ist das ein Einfluß des semantisch benachbarten farlosn sich ojf und dann wohl zugleich ein Indiz dafür, daß die Umgangssprache inzwischen dieses bevorzugte. Auch für Jehojes (wie für Harkavy) ist die Bedeutung jedoch noch immer sehr eindeutig die überkommene: 'vertrauen, sich verlassen (auf)'. 5) Hier bringt erst das MEYYED die letzte Wandlung: farsichern sich (as) ist jetzt 'to make sure (that)' und damit gleich dem dt. sich versichern (daß). (Schon Harkavy hatte außerdem wieder ein nicht-reflexives farsichern, das dann vom MEYYED übernommen wird, und zwar gleich in beiden Bedeutungen des dt. versichern: 'to assure' und 'to insure'.) farstejnen 'steinigen', stj. Die dt. Sprachgeschichte kennt für 'steinigen' vier Verben, die man sich am besten zeitlich-räumlich geschichtet vorstellt. 1) steinen 'mit Steinen, bes. Edelsteinen versehen; [...] mit Marksteinen versehen, abgrenzen; steinigen' (Lexer); noch in der ersten dt. Druckbibel und wenigen Texten des 16. Jhs., heute noch schweizerdt. (laut DWb). 2) versteinen 'zu Stein erstarren; [...] mit Steinen [...] Marksteinen versehen, abgrenzen; steinigen' (Lexer), bis ins 16. Jh. majoritär und in den meisten Bedeutungen offenbar als Verdeutlichung des vorigen empfunden, noch Kaysersberg, Franck (in zwei Sprichwörtern), Sachs; für Adelung oberdt. Mundartwort; heute noch schwäb. und bair. (DWb). Beide Verben fallen durch starke Polysemie auf, bei der eine makabre Hinrichtungsart ebenso bezeichnet wird wie harmlose Tätigkeiten. 3) steinigen, Erstbeleg 15. Jh., erst durch Luthers Bibelübersetzung allgemein bekannt, dann angenommen schon von Franck, Wickram, Sachs, Fischart. Doch bevor es allein übrigblieb, hatte es bis zum 17. Jh. einen ernsthaften Konkurrenten in 4) versteinigen, vereinzelt um 1400 belegt, von Kaysersberg bis Abraham a Sancta Clara - oft wohl als Kompromiß zwischen Lutherwort und Mundart - in ganz Süddeutschland beliebt und erst dann dem Lutherwort erlegen. Man könnte voraussagen, daß für die Aufnahme in die jidd. Bibelsprache versteinen wegen der Bezeichnung der Perfektivität bessere Chancen hatte als steinen und daß steinigen und versteinigen dafür wahrscheinlich zu jung waren. So ist es denn auch: von den Anfängen der Überlieferung bis
farstern
239
heute finden wir nur °ver-stainen/farstejnen (~*7pD und DJ")). Die Polysemie behindert das Wort in der jidd. Bibelsprache nicht, da es eben nur in der Bedeutung 'steinigen' vorkommt. Eine Belegauswahl aus den Übersetzungen: R9 Ex 8.22 vor-stainen, 21.28, Lv 20.27, Dt 22.24, Ez 16.40, 23.47; MM Ex 8.22 si weren ver-stainen mich, 19.13, Lv 20.2 u.ö.; A Ex 17.4, 19.13 vör-staint er sol werden vör-staint, 21.29, 21.32, Lv 20.2 u.ö., Nu 15.35f„ Dt 13.11 u.ö.; BM Ex 8.22, Lv 20.2, Nu 14.10. Auch wer frei formuliert, hält sich an das im Heder Gelernte und bleibt gegenüber den Wandlungen in der dt. Umgebung völlig indifferent: Db 129.1 wer sein vei'er-täg tut ver-schwechen, in män ver-stainen tut; Sb 754.3 do weiten in dp seinen vor grösem laid' vör-stainen; Mel 974.1, 982.1; MR 116.47, 50, 61, 70, 155, 221; Br 16.21, 75.11, 114.5, 123.37; ZuR 49rb43 do war man in fer-stainen u.ö. (über 20x); MB 89.77 u.ö. (14x); NH nVpD - fär-stainen - lapidazione - lapidum oppressio. So bis zu stj.farstejnen, wenn man einmal davon absieht, daß C. W. Friedrich das Kompromißwort versteinigen anbietet. farstern 'verderben, zunichte machen', stj. (Za auch 'kaputtmachen; hetzen'); farsterung 'Zerstörung, Frustration', stj. Mhd. versteeren hat eine große semantische Breite: sie reicht vom Vernichten von Konkreta über das mehr oder minder gewaltsame Beenden oder Verhindern von Zuständen, Bündnissen, Plänen und dgl. (das wohl das semantische Zentrum bildet) bis zum bloßen Beunruhigen (Lexer, DWb). Heute lebt davon im Dt. nur noch die Bedeutung '(tief) beunruhigen' und auch diese hauptsächlich im Perfektpartizip (Wahrig 1970; bei Wahrig 1978 fehlt der ganze Artikel). Machen wir uns die Rolle von °ver-stören in der jidd. Bibelsprache wieder an R9 und MM klar. Dort übersetzt °ver-stören: 1) das Hifil Π'ίψΠ (von ΓΠ2?) 'stoppen' (so daß das Qal als ver-stört weren oder sein wiedergegeben werden kann): R9 Gn 8.22 Saat und Ernte usw. sollen nicht mehr vör-störet sein ~ ΙΓώϊΓ Ex 5.5 (Pharao anklagend zu Moses und Aaron) un ir vör-stören (2. PI.) das Volk von seiner Arbeit -•ΓΏψΠΙ, 12.15 ir sölt vor-stören allen Sauerteig aus euren Häusern - m r a t ^ ähnlich Lv 2.13, 26.6, Jes 13.11, 14.4, 16.10, 17.3, 21.2, 24.8 (2x), 30.11, Jer 7.34, 16.9, 31.36, 36.29, 48.33, Ez 6.6, 7.24, 12.23, 16.41, 23.27, 23.48, 26.13, 30.18, 33.28, 34.10, 34.25, Ru 4.14, Pr 22.10, Thr 5.14 (und Thr 1.7 ir vör-störung ~ ΠΓαψρ); MM Gn 8.22, Ex 5.5, 12.15, Lv 26.6, Dt 32.26, Ru 4.14. 2) das Verb 13")E 'frei lassen': R9 Ex 5.4 (Pharao anklagend zu Moses und Aaron, unmittelbar vor dem oben Zitierten): ir vör-stört ~ W-lDF), Ex 32.25 vör-stort (als eine von drei Möglichkeiten) 'zuchtlos' — S?1"iD; ferner Ez
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farstojsn
24.14, Pr 1.25, 4.15, 8.33, 13.18, 15.32; M M Ex 5.4, Ez 24.14, Pr 1.25, 4.15, 13.18, 29.18. 3) das Hifil "ΐ£?Π (von "HD1) 'brechen' (Bund, Gelübde, Gnadenstand): R 9 Lv 26.15, Nu 15.31, 30.13 (2x), Jes 24.5, 44.25, Jer 14.21, 31.36, 33.20; M M Gn 17.14, Lv 26.15, 26.44, Nu 30.9, 30.14, Ps 89.34 ( ~ T B K von -i-pn), Jes 8.10, Jer 33.20. 4) gelegentlich (als °ver-stört weren) 'zur Untätigkeit gezwungen sein': R 9 Koh 12.3 die Müllerinnen werden vör-stört, M M ebd. un si weren ver-stört ~ l^üai. 5) in M M SJOtf 'schelten, anfahren': I S 24.8 un er ver-stört (R9 vorwert). Ganz ähnlich die sonstige Übersetzungstradition; Beispiele erübrigen sich. Wie zu erwarten, ist das Verbum auch in freier Formulierung sehr häufig: Db 23.3 das Wort Gottes, 90.2 menschliche Gewalt, 282.2 Jerusalem; AJ 72.2 die Bindung Isaaks; Sb 1729.2 einen Ratschlag; Mel 1664.4 so manche Stadt; PuW 603.4 die eigene Dichtung, 663.2 Gottes Gnade; FF 3.33 einen Streit; BSR 200 eine Judenverfolgung; MR 8.37 u.ö. (7x) dgl., 35.51 ein Gelübde; Mi 16r29 einen Brunnen, 20r27, 20v30 allen Sauerteig; Br 14.38 die Halacha (und mehrere Dutzend weitere Stellen, auch 276.1 °ver Störung des Jerusalemer Tempels); TM 203.8 böse Gedanken der Völker; ZuR 35ra44 das Ehebett des Vaters (und rund 40 weitere Stellen, z.B. Zwangsarbeit, Zauber, religiöse Pflichten, das Synhedrion); PL 3rl8 u.ö. (5x), StL 4vl9, TL 7vl6, KO lv5 u.ö. (3x), TA 2r27 u.ö. (lOx, dazu °fer-sterung 2v5, 7v28). Ohne wesentliche semantische Einbuße schließen sich stj. farstern, farsterung an. farstojsn 'verstoßen; (räumlich in ein Exil o. ä.) vertreiben, verschlagen; unterdrücken, hemmen, verdrängen', stj. (Lötzsch 'mit schmerzhaften Stößen traktieren'); farstojsung 'Unterdrückung', stj. Die im Dt. heute wohl wichtigste, nämlich intransitive Gebrauchsweise 'er verstößt gegen das Recht, Gesetze, Sitten, Abmachungen, den guten Geschmack' - hat im Mhd. nur schwache Vorstufen (Lexer s.v. verstoßen in fine) und wird erst im 17. Jh. häufiger (DWb verstoßen B2). Wie zu erwarten, fehlt sie sowohl in der jidd. Bibelsprache wie im heutigen Jiddisch. Transitives verstoßen hingegen hatte vom Spätahd. über das Mhd. bis ins Frühnhd. eine »reiche ΒedeutungsVerzweigung« (DWb verstoßen, einleitend), die faktisch alle (wörtlichen und übertragenen) Nuancen des VonSich-Stoßens umfaßte (vgl. im einzelnen Lexer, DWb verstoßen A). Erst in den letzten zwei- bis dreihundert Jahren ist diese im Dt. zusammengeschmolzen auf das formelle 'Verstoßen' der Frau, der Kinder, zur Not noch der königlichen Ratgeber u. ä.
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Das breite transitive Bedeutungsspektrum von mhd. verstoßen machte es geeignet als Hauptübersetzung (neben minoritärem stoßen) erstens der wichtigen hebr. Wurzel m i 'verstoßen, vertreiben', manchmal auch 'stossen, hauen' und 'vom rechten Wege abbringen' (mitsamt ihren seltenen Schwesterwurzeln ΠΓΠ und ΠΓΠ), zweitens der ebenfalls ziemlich wichtigen Wurzel N3T '(beschädigend) stoßen', manchmal auch 'unterdrücken' oder 'quälen' (mitsamt ihren seltenen Schwesterwurzeln Π3Τ und ΤΠ),65 drittens der Wurzel ηΐΠ 'stoßen, vertreiben'; nicht selten übersetzt das Passivpartizip auch iOJ/rrai '(körperlich oder seelisch) zerschlagen'. Alles das gilt schon für R9, ebenso für die spätere Tradition. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, aus unseren mehr als hundert Belegen diejenigen zu zitieren, die mit 'verstoßen' übersetzt werden können. Wohl aber seien beispielhaft solche zitiert, die zu einer der anderen obengenannten, also im heutigen Standarddt. nicht üblichen Bedeutungen hinführen: 1) Das °ver-stösen meint ganz räumlich ein 'ins Exil (oder von einem Exil ins andere) treiben'; das Passivpartizip bezeichnet dann also 'Vertriebene, Flüchtlinge, ins Ausland Verschlagene' u.ä.: R9 Dt 9.4 so do vör-stöst 'sobald (Gott die Kanaaniter aus dem Lande) treibt', 30.1 wenn Gott hot vör-stosen dich 'dich (aus dem Lande in die Zerstreuung) getrieben hat', Jes 16.3 vör-stösen ~ Π'Ί'ΠΙ '(ins Ausland) vertriebene (Moabiter)', im Prinzip ähnlich Ez 34.4 di vör-stösin ~ ΠΓΠ3Π 'das verirrte (Schaf)'. So auch die späteren Übersetzer. In freier Formulierung: SJ 14vl7 die Juden gedenken nit, däs sP im goluss sein un ver-stösene knecht fun ainem folk zum andern, 87r27 wen ain mensch wert kumen un wert ver-sämlen dp fer-stosenen Jisro'el un* wert bou'en das bess-hamikdos, 102br23 manche Exulanten aus Spanien sind zunächst gigängen zu den malchuss Naväre [...] un män hot sP fer-stösen-, ZuR 162rb53 diejenigen Juden di do sein fer-stösen im länd Mizrajim, 164rb52 wu du bist woren för-stösin zwischen den umöss, 171rb4 col Jisro'el, di do sein fer-stösen in ale lender. Auch die Wendung di °fer-stosenen herz MbD lv27 und 10rl4 scheint zu bedeuten 'die Herzen der in die Diaspora Zerstreuten'. - Hier schließt sich stj .farstojsn 'to displace' an. 2) Das °ver-stösen ist im wesentlichen ein 'Unterdrücken' von (negativ oder positiv zu bewertenden, fremden und gelegentlich eigenen) Persönlichkeitsäußerungen; das Passivpartizip bezeichnet dann also 'Gedemütigte, seelisch Zerbrochene' u.ä.: R9 Jes 57.15 Gott ist solidarisch mit dem vör-stosen ~ 'mit dem Zerschlagenen (und dem Gedemütigten)', 65
Nach der älteren, biliteralen Wurzelkonzeption waren die Schwesterwurzeln ja gar nicht als eigene Gebilde zu erkennen, und die beiden verbleibenden Wurzeln m und ~p mußten phonetisch verwandt erscheinen.
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farstopt
66.2 vör-stösen ~ (Π1Τ)Π31 'der zerbrochenen Gemütes ist', Jer 44.10 si sint worden vor-stösen ~ 1X3*7 'sie sind gedemütigt', Pr 15.13 gemüt vör-stösen ~ HXD1 ΠΠ 'ein zerbrochenes Gemüt', 17.22 ähnlich, 22.22 du sölt vor-stösen ~ Χ311Ί 'du sollst (den Armen nicht im Gerichtsverfahren) unterdrücken'. So auch die spätere Tradition. In freier Formulierung: S j 96vl2 in der-worten däs män sol ver-stösen den glauben fun cisuf dp do sagen [...] 'den Zauberglauben derer, die'; 97rl8 Jonathan is ain gröser geschwinder kluger man gewest, däs er mit sein fer-stand un lernen hot fer-stösen un" fer-brent αΐέ falschen un nerische Sachen; ZE 3r du sollst beim Almosengeben den Armen nicht ostentativ beobachten und ihn auch nicht fer-stösen mit Worten. - Von hier führt der Weg zu stj. farstojsn 'to repress, inhibit'. 3) Das °ver-stösen ist ein essentiell physisches Mißhandeln oder wird unter dem Bilde eines solchen gesehen: R9 Jes 53.5 der Gottesknecht ist um unserer Sünden willen vör-stösen ~ l O l ö 'zerschlagen', Thr 3.34 zu vör-stösen ~ ΧΞΠ1? '(Gefangene) zu treten', Hi 34.25 un si warden vör-stösen ~ 1Χ3ΤΊ 'und daß sie (oder ihre Werke) zerschlagen werden'; R13 Ps 44.20 (ähnlich El) wen du häst ver-stösen uns an der stet der trachen ~ •"'ϊΓΐ Dij?03 UIVS·! 'S 'wenn du uns zerschlugst am Ort der Schakale', 51.10 di gebain di du häst ver-stösen ~ n , 3 r 7 DiOSSJ 'die Knochen, die du zerschlagen hast'. Der 'Verschnittene', X3T in Dt 23.2, heißt in R9 und M i j o °zu-stösen 'zerstoßen', in Lo, Mü, A, BM °ver-stösen(er). In freier Formulierung: ZuR 139rb48 er bigert, got, nit zu fer-stösen den menschen unter sein fisen, nei'ert di averöss tun däs. - Von hier geht der Weg zu neujidd. 'mit schmerzhaften Stößen traktieren'. °farstopt 'unbeschnitten', °farstopung 'Unbeschnittenheit; Vorhaut', älteres Jidd. Bibelhebr. Π^Ίΰ 'Vorhaut' wird schon in der Septuaginta66 Gn 17.11 u.ö. wiedergegeben als άκροβυστία 'die Verstopftheit an der Spitze' (βύω 'ich verstopfe'). Im Sinne der wurzelkonstanten Übersetzungstechnik fügte Aquila hinzu άκροβυστίζειν ~ ^"ISJ 'unbeschnitten (= unabgeerntet) lassen' (von einem Baum) Lv 19.23 und άκρόβυστος ~ ^"ΐΰ 'unbeschnitten' Ex 6.12 u.ö. Das Abstraktum ging in gewissem Umfang als acrobustia in das Lat. der Christen (TLL s. v.) und der Juden über; bei Juden des provenzalischen oder katalanischen Sprachgebiets ist ein daraus gebildetes Verb agrobistir noch im späten 14. Jh. nachweisbar (Blondheim 1925: 16, 164, zum Datum 5 f.). Die frz. Juden hingegen haben sich die Wortfamilie (oder doch deren jeweils zweites Element) übersetzt: et(o)upe und et(o)upement
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Nicht erst bei Aquila, wie man Banitt 1985: 100 verstehen könnte.
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('Verstopfung') heißt die Vorhaut, et(o)upe ('verstopft') der Unbeschnittene (R. Levy, Tresor s . w . und 1932: Nr. 450, 1960: Nr. 449; Banitt 1985: 26, 100). Daneben kommen et(o)uper 'zustopfen' und et(o)upement ('das Zustopfen') auch im normalen Sinne, ohne Bezug auf Unbeschnittenheit, vor (R. Levy 1960: Nr. 450; Banitt 1985: 26). Genau dieser doppelte Wortgebrauch findet sich im Altjidd. wieder: dem et(o)upe entspricht °ver-stopt(er), dem et(o)upe(ment) °ver-stopung. Die neue Wiedergabe ist nicht nur sinngleich und lautähnlich, sondern sehr wahrscheinlich auch etymologisch identisch; denn wie die frz. Wortfamilie um etouper ist nahezu sicher auch die germanische um dt. stopfen, engl. to stop entstanden aus vulgärlat. stuppare '(mit Werg) verstopfen'. 1) 'Unbeschnittensein': a) im wörtlichen Sinne: Übersetzungsbelege: R9 Gn 34.14 es ist eine Schande, Dina einem Mann mit vör-stop'ung ~ n*7")y zu geben; Jer 9.24 alle, die an der vor-stöpung beschnitten sind - Π^ΊίΠ ^lö -1 ?^, Ez 31.18 und 32.19 den vor-stöpten (PI.) ~ Π,17~)ΰ; MM Gn 17.11 öuher ver-stopung, 17.14 ver-stoper (sic) ~ Via, ebd. sein ver-stopung, Ri 14.3 di ver-stöpten (= die Philister), Hab 2.16 un sein ver-stöpt ~ Viani; Mü, Α, Κ Gn 17.11, 14, 23, 24, 25 °ver-stöpfung, 17.14 °vor-st0pfet, A Ex 4.25, Lv 12.3, 19.23 vor-stopfung, Ex 12.48, Lv 19.23 vör-stöpft(er). Frei formuliert: Sb 845.4 es sölen di' vör-stöpften haiden iren wilen nit mit mir hön\ MR 80.7 ver-stöpung-, MB 88.8 kain fär-stöpter, däs maint: der nit gejudescht ist\ NH Via -fär-stöpder - incirconciso - incircumcisus. Dann wird der Ausdruck abgelöst durch seinen Hebraismus stj. ort (südwestliches Jidd. erl, Lowenstein 1969: 32). Doch während orl 'uncircumcised, non-Jew' und orle 'prepuce' noch für Harkavy stilistisch unmarkierte jidd. Wörter sind, ist orl für U. Weinreich (MEYYED) und Niborski pejorativ. Als stilneutral führt Niborski hingegen umbaschnitn und forhojt auf, offensichtliche Germanismen, die beide schon von Jehojes im ethnischwörtlichen Sinne benutzt wurden (z.B. Gn 17.11, 14, Ri 14.3); umbaschnitn findet sich vereinzelt auch schon im 18./19. Jh. (GWb). lb) (schon biblische) Übertragung des Bildes auf Lippen, Ohren, Herzen, Bäume: Übersetzungsbelege: R9 Ex 6.12 ver-stopft an den Lippen, Lv 19.23 ir sölen vor-stöpen Bäume, Jer 4.4 Herzen, 6.10 ihr Ohr; MM Lv 19.23; A Ex 6.30, Lv 19.23 (3x), 26.41, Dt 10.16; BM Ex 6.12, Lv 19.23. Frei formuliert: PuW 368.7 zwei Herzen; HiP 11.12 ein Herz; EK 99r6 Hamans Herz; MR 96.35 mein herz is mir zu ver-stopft zum lernen·, Br 17.20 °öfnen eure fer stopte herz, 137.15; ZuR 51val3 lefzen, 80rb32 herz", ShNI 3vl6 far-stopte herzer (und mehrfach herz). Hier bleibt auch Jehojes oft bei der überkommenen Ausdrucksweise: Ex 6.12, 6.30 farstopte lipn, Jer 6.10 sejer ojer is farstopt. lc) (nachbiblische) Übertragung auf den 'Taumel'-Kelch als 'Verstopfungs'-Kelch (durch speziell Raschis paronomastisehen Bezug zwischen
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fartumlen
"TW und VST), Banitt 1985: 26, 109 η. 117): R9 Jes 51.17, R13, MM, El Ps 60.5 Kelch bzw. Wein der °vör-st0pung. Während bei diesen Gruppen 'verstopfen' im Dt. zu allen Zeiten unüblich ist, folgen nun die Gebrauchsweisen, wo - bildlich oder wörtlich dt. verstopfen und stj .farstopn möglich sind; wir raffen deshalb stärker: 2a) 'Verstopfung' von Körperteilen ohne Dazwischentreten des Bildes vom Unbeschnittensein (andere Verben als *?")ΰ): Übersetzungsbelege: R9 Lv 15.3 Harnröhre, Nu 24.3 Augen, Jes 6.10 Augen, 33.15 Ohren, Hi 9.7 Gott 'versiegelt' die Sterne; R13 Ps 58.5 Ohren, 63.12 Mund, 119.70 Herz, Pr 17.28 Lippen, 21.13 Ohr; El Ps 51.8, 58.5, 60.5, 63.12, 69.16 - usw. Frei formuliert: TM 203.10 meiler, Br 270.14 Auge; ZuR 41rb20, 107vb49 Mund, 122ra41 Ohr; TA 4v6 meiler. 2b) 'Zustopfen' sonstiger Objekte: Übersetzungsbelege: R9, Mü, Α, Κ Gn 8.2, 26.15, 26.18, MM, BM Gn 26.15 Brunnen, R9 Ez 40.16 Fenster. Frei formuliert: HiP 3.23 das Geschick 0?Tö) eines Menschen; TA 7r5, 8vl Löcher. fartumlen 'verwirren', stj., fartumlen sich 'in Verwirrung geraten, nicht mehr aus noch ein wissen (vor Kummer und Sorgen)', neujidd. (Za); fartumlung 'Verwirrung, Aufregung, Tumult', neujidd. (Za) Für das Mhd. bietet Lexer nur ein seltenes vertümeln 'betäuben', das sich in einem ebenso seltenen nhd. vertaumeln fortsetzt (DWb vertaumeln 1 und Vertaumelung). Aber so wie nhd. tummeln mindestens zum Teil aus altem tümeln durch Vokalkürzung hervorgegangen ist,67 so ist hauchdünn seit dem 16. Jh. auch ein vertummeln 'verwirren, betäuben' oder zumindest dessen Perfektpartizip belegbar (DWb vertummeln 4 und 5).68 Jidd. °vor-tumelen hingegen ist in der Übersetzungstradition schon bei Beginn der Überlieferung ein wichtiges und wohletabliertes Wort: R9 Ex 14.24 Gott vör-tumelt das Heer der Ägypter ~ ΠΠ"!, 23.27 Gott verspricht, Israels Feinde zu vör-tumtin ~ Τ)ΒΠ1, Dt 2.15 zu ver-tumelen si' ~ Dan1?, ähnlich 7.23, Jer 14.9 vor-dumilt ~ ΟΓΠ1, 51.34 er hot vör-dumelt mich ~ Haan, Esth 9.24 zu vör-dumeln si ~ 03Γή>, dazu Dt 28.20, Jes 22.5, Ez 7.7, 22.5 °vor-tumelung ~ Haina; R13 Ps 18.15 er vertumelt si ~ ΟΏΓΡΙ, ähnlich 144.6; M M Ex 14.24 er ver-tümelt (und 4 weitere zu Dan), Jer 14.9 ver-tu-
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DWb tummeln3, wo freilich als Möglichkeit neben konsonanzbedingter Vokalkürzung auch Ablaut erwogen wird. Die drei Stellen freilich, die das Bair. Wb. s.v. verdummein aus >Reimen von 1562< zitiert, stammen aus Paulus Ämilius' angedeutschter Version des Schemuelbuches! Der dann folgende Beleg stammt aus einem Judeneid, den sichtlich ein Proselyt entworfen hat. Es ist ärgerlich, daß Schnitzler 1966: 50 das Bair. Wb. kommentarlos zitiert und so den Zirkel schließt.
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melt (zu Dm, s. oben), Jes 24.1 un er wert ver-tümeln ~ ΓΗΰΙ, Jes 28.1 ver-tumelte ~ (und ein weiteres zu Π1??!), 2 Κ 19.28 dein ver-tumeln ~ 'dein Übermut, Wahnwitz', dazu Dt 7.23, 28.28 ver-tümlung ~ ΠΏΙΠΏ bzw. linan; Α Dt 2.15, 7.23, dazu 7.23, 28.20, 28.28 vör-tumlung·, El Ps 18.15, 144.6; BM Ex 14.24, 23.27, Dt 2.15, 7.23, Esth 9.24, dazu Dt 7.23 vertimelung, 28.28 vertumlung. Das Wort ist also wohl zwar dem Dt. entnommen,69 aber zu einer Zeit, als es dort noch so selten war, daß es sich mit den Mitteln der heutigen dt. Lexikographie noch nicht nachweisen läßt. Unter diesen Umständen ist der Auswahlakt der jidd. Bibelsprache ebenso erklärungsbedürftig, wie es eine Neuschöpfung wäre. Es drängt sich folgende Hypothese auf: Der jiddischen Wortfamilie ver-tumeln, ver-tumelt, ver-tumlung hatte in der jüdischfrz. Tradition recht genau die Wortfamilie e(s)to(u)rdir, e(s)to(u)rdiz, e(s)to(u)rdison entsprochen (R. Levy 1960: Nr. 430, Banitt 1985: 15, 22, 52f„ 122). Estordizon ist ein Lieblingswort Raschis: er benutzt es zur Glossierung siebenmal im Talmud (Darmesteter / Blondheim 1929: Nr. 438a-f), darunter dreimal als Übersetzung des talmudischen Χ3ΗΓ) 'Abstumpfung, Stumpfsinn (durch Krankheit)', und siebenmal in der Bibel (Darmesteter 1907-08: Gn 1.2, Ex 14.24, Dt 28.28, 28.37, Jer 23.32, Ob 16, Ps 38.7), darunter Dt 28.28 für linan. 70 Wer nun, von der jüdischfrz. Tradition aus die aschkenasische aufbauend, unter den nicht sehr zahlreichen möglichen Entsprechungen von estordison nach der besten suchte, dem mußte sich der Stamm °ver-tumeldadurch empfehlen, daß er die Perfektivität ebenso klar zum Ausdruck brachte (es-tord— ver-tumel-), außerdem aber in den Gleichungen X31W bzw. ΙίΠδΓ) = ver-tumelung interlinguale Paronomasie zum Urtext bot. Wie dem auch sei - wenn nun der Stamm ver-tumel- seit dem späteren 15. Jh. auch in frei formulierten jidd. Texten auftritt, so wird man wegen seiner großen Seltenheit im Dt. nicht an eine unmittelbare Herkunft von dort, sondern an einen Umweg durch das >Vergrößerungsglas< der jidd. Bibelsprache zu denken haben. Bar 4665 hat zwar eine sehr ephemer aussehende Adjektivbildung: däs ir disen ver-kürzten, ver-tumeleschen71 weit nit achten [2. PI.] noch achten ires gelt. Aber mit Sb sind wir auf bekanntem Boden: 122.4 do lis got hören ain Stirn also' schwer, däs si' (die Heiden) vor-tumelt waren un vlöhen hin un" her, 219.1 däs her also' gros ward' vor-tumelt ser, 362.3 du' vor-tumelter haid, ich nim dir noch höut dein leben, 1703.4 mit donder un" mit bliz vor-tumelt er si' zu-hant\ Mah 69
70 71
Die alternative Hypothese, nur tummeln sei ins Jidd. aufgenommen worden (vgl. stj. tuml, tumldik, tumlen) und erst im Jidd. durch °ver- perfektiviert worden, bietet keine erkennbaren Vorteile. Übergegangen zumindest in die Bibelglossare A, F, S = G4, G2, F3. Wenn nicht überhaupt nur Schreib- oder Lesefehler (tt> statt D: ver-tumelten).
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102r er hot mich ver-tumelt Nevuchadnezar; ZuR 56ra30 do macht hkb"h di Mizrajim fer-tumelt, das si mustert laufen in däs jam, 165ra5 er macht ver-tumlen hkb"h Sisro mit al sein folk; dazu 195vb50 hkb"h der wert brengen ouf si* ain ver-timilung·, G1H 287.2 abir got der schikit αϊηέ grose far-tiimlung\ NH ΠΟΙΠΟ - fdr-tumling - assombrazione - tumultus. - Hier schließt das Stj. an. 1) farumwerdikn 'entweihen', stj. (Ha farumwirdign 'verabscheuen'); 2) farumern 'traurig machen', farumert 'traurig, niedergeschlagen', stj. Zu mhd. mcere 'berühmt, von Wert' und wert (Adv. werde) / wirdec 'würdig' sind auch die Antonyme unmcere 'unwert, verachtet, zuwider' und unwerde / unwirdec 'unwürdig' gut belegt; sie bilden die Verben unmceren und unwirden (unwerden) / unwirdigen 'unmcere bzw. unwerde / unwirdec machen, verachten' u. ä. Eine Weiterbildung °verunmceren ist im Deutschen anscheinend nicht zu belegen, wohl aber, allerdings sehr dünn, mhd. verunwerden > frühnhd. verunwerten bis ins frühe 17. Jh. (bei Lexikographen bis ins frühe 18. Jh.) und frühnhd. verunwürdigen in der ersten dt. Druckbibel (und bei dem Lexikographen Campe um 1800). Im Jidd. ist hier ein schnell verläßlich werdender Ausdruck der Perfektivität, eben in Gestalt des Festwerdens von νer-, zu erwarten. In der jidd. Bibelsprache dienen nun sowohl °ver-unwerd(ig)en als auch °ver-unmeren - wie uns scheint, unterschiedslos - als Normalübersetzungen der Wurzeln ^l» (samt *7NJn), yip, γρύ und nan, die alle ungefähr 'verabscheuen, entschieden verschmähen' bedeuten; ver-unmeren erscheint außerdem als okkasionelle Übersetzung von fXl 'verwerfen'. 72 Lehrreich ist hier Dt 7.26, die einzige Bibelstelle, wo yptP und 3SJn im selben Vers zusammentreffen (und zwar beide verstärkt durch den absoluten Infinitiv: HDSJnn auni lasjpwn Hier hat R9 vör-schmohen / vor-unwerdigen, Lo und A °ver-unwerdigen / °ver-unmeren, Mü un-werden (2. Verb übersprungen), MM ver-un-werden / un-werden (ver-un-werden), Κ um-meren (umeren)/unwirdigen, BM ver-unmeren/ver-unwerdigen, Wi far-unmeren/ far-unwirdigen, Bli un-werdig machen / gröu'el der-far haben, Jeh miesn sich mit / farumwerdikn. R9 weist also, wie manchmal auch sonst, zurück in eine Frühphase relativer Noch-Unfestigkeit. Gleich danach beginnt die klassische Phase, zu der manchmal, so auch hier, noch Witzenhausen ge-
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Mein alter Studienkollege Gernot Heide hat in einer etwa gleichzeitig entstandenen Einzelwortstudie (in der FS Timm [1999], wofür ich ihm herzlich zu Dank verbunden bin) die Wirkung der jiddischen Bibelübersetzungstätigkeit an gerade diesem Wortpaar farumwerdikn / farumern verfolgt. Er hat für seine Studie die frühesten Quellen nahezu erschöpfend durchforstet und auf diese Weise auf einer weit dichteren Materialbasis unser Ergebnis bestätigt.
farumwerdikn
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hört. In dieser Phase kommt es sichtlich auf die Zuordnung nicht an; denn Lo, Α (und in gewisser Weise Mü, MM) stehen gegen Κ, BM, Wi - eine sehr ungewöhnliche Konstellation. Blitz hingegen hat sich den einen seiner beiden Termini, wie so oft, von Luther beschafft (Luther: du solt einen ekel vnd grewel daran haben). Jehojes widerum kann sich beim ersten Terminus nicht in der Tradition halten, weil farumern inzwischen einen Bedeutungswandel durchgemacht hat (s. unten); anders als seine Vorgänger darf er sich aber aus der hebr. Komponente bedienen. Wir behandeln nun der Übersichtlichkeit halber beide Wortfamilien nacheinander und reduzieren dabei die jidd. Formen auf den Infinitiv, die hebr. auf die Wurzel. 1) Zu °ver-unwerd(ig)en: Bibelübersetzungen: R9 vör-unwerdigen ~ *7iJJ Lv 26.11, Jer 14.19, - Vxj11 Esr 2.62, Dn 1.8, ~ TV Ex 1.12, Nu 22.3, ~ 3!?n Dt 7.26, Ez 16.25, 16.52, Hi 9.31, 15.16, 19.19; vör-unwerden ~ yij? Gn 27.46, ~ ΠΗΠ Dt 23.8, Jes 14.19, Hi 30.10; R13 ver-unwerten ~ yxi Ps 74.10, 74.18, 107.11, Pr 1.30, 5.12, ~ yip Pr 3.11, ~ Tptf Ps 22.25, - 213Π Ps 5.7, 14.1, 53.2, 106.40, 107.18, Pr 6.16, 8.7, 15.26, 16.12, 17.15, 20.23, 24.9, 29.27 (2x); M M ver-unwerden ~ Lv 11.11, 11.43, Ps 22.25, ~ 35jn Dt 7.26, 23.8, Jes 14.19, Ps 14.1; un-werden ~ 3ΚΠ (absoluter Inf.) Dt 7.26; Α vör-unwerdigen ~ Vsn Lv 26.11, 15, 30, 43, 44, ~ yptf Dt 7.26 (2x), ~ nun Dt 23.8 (erstes aann); ver-unwerden ~ V"ip Gn 27.46, ~ TP® Lv 11.13; un-werdigen ~ 3SJD Dt 23.8 (zweites 2ann); El Ps ver-unwerdigen ~ γρΰ 22.25, ~ ayn 5.7, 14.1, 53.2, 106.40, 107.18, 119.163; HiP ver-unwerdigen ~ ^sn 21.10, ~ 3SJD 9.31, 19.19, 30.10 (alles Übersetzung); BM ver-unwerdigen ~ Lv 26.11, ~ yip Lv 20.23, ~ 3SJD Dt 7.26; Lt ver-unwerdigen ~ Mal 1.7. Frei formuliert: Br 270.37 °den di böse gedanken sein ver unwirdikt in äugen Gotes, 270.41 °do wert di neschomo auch ver unwirdikt', Joz 8 - 3 r do wurden si ver-loschen un" ver-un-werdigt mit grim-zom un mort, 9-1 r haben mich meine sünd ver-un-werdikt un" ous-gespi'en ins goluss; BhmA 32v ale speis, si' fär-un-w erdige η ir leib. - Hier schließt sich das heutige Jidd. an. 2) Zu °ver-unmeren: Bibelübersetzungen: MM ver-unmeren ~ ^iO" Jes 59.3, Zeph 3.1, Mal 1.7 (2x), Hi 3.5 (recte ^XJ1), Esr 2.62, ~ "7m Lv 26.11, 30, 44, Ez 16.45 (2x), ~ yip Gn 27.46; Κ ver-unmeren ~ T P Gn 27.46; Α vör-unmeren ~ f i p Nu 21.5, - 3ΚΠ Dt 7.26 (2x); BM ver-unmeren ~ yip Gn 27.46, Nu 21.5, 22.3, ~ r p ^ Dt 7.26. Frei formuliert: Bar 4043 däs ist däs best, di nöchkünftige weit zu erwelen un" dise weit vör-unmeren-, Mel 1497.1 däs musten Jisro'el entgelten, göt wäs si3 vör-un-meren und nahm ihnen das Ostjordanland; 2201.4 infolge von Zedekias Eidbruch hat Gott vör-unmert an Judo as an ainer spin; MR 62.49 (nach Jes 49.7) wäs do is ver-un-mert zu alen velkern\ ZuR 157vb37 du solst kainemfiin Edöm ver-unmeren.
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farwoglt
Bei farumern und speziell beim Partizip farumert ist zum heutigen Jidd. noch ein Bedeutungswandel von 'verschmähen' zu 'traurig machen' bzw. von 'verschmäht' zu 'traurig' eingetreten. Die gerade zitierte ZuR-Stelle kann man als Grenzfall ansehen, der den Gang der Entwicklung veranschaulicht: wie auch sonst oft verschiebt sich der Fokus von einem Diskriminierungsvorgang auf den resultierenden Gemütszustand des Betroffenen.73 farwoglt 'weit weg von zu Hause, heimatlos', stj.; farwoglt wern 'fern von zu Hause umherwandern, (an unerwarteter Stelle) auftauchen', stj.; dazu neujidd. farwoglen sich 'umherwandern' (Ha), farwoglung, farwogltkejt 'Hin- und Herbewegung, Wurzellosigkeit' (Za); ferner woglen 'umherwandern', (der) wogl, (dos) woglenisch '(das) Umherwandern', wogler 'Wanderer', woglkind 'obdachloses Kind', stj. Mhd. wagen tr. 'schütteln, wiegen', intransitiv 'schwanken, wackeln' ist allmählich untergegangen, und zwar hauptsächlich zugunsten seiner eigenen Weiterbildungen. Ein verwagen ist nur dünn vom Mhd. bis Fischart bezeugt. Auch eine Diminutiv-(Iterativ-)Bildung (Henzen 1965: § 147) wagein, wägein erscheint schon gegen 1550 nur noch hier und da in volkstümlichen Texten, dann in heutigen Mundarten; und s.v. verwageln zitiert das DWb nur Gerzon (!) sowie (aus dem Bair. Wb.) einen Judeneid von 1713, der eindeutig von einem Proselyten stammt; verwageln muß also im Dt. als unbezeugt gelten. Die Hauptentwicklung geht im Dt. vielmehr durch Schärfung (wie bücken, nicken, schmücken, zücken/zucken von biegen, neigen, schmiegen, ziehen, Henzen 1965: § 141a) zu einem Intensivum wacken, das sich in oberdt. Mundarten gehalten hat, und daraus - wieder durch Diminutiv(Iterativ-)Bildung - zu dem hauptsächlich mitteldt.-niederdt. wackeln, das dann in der Schriftsprache siegte. Ein verwackeln ist erst 1879 bezeugt, 73
Also 'verschmäht' > 'sich verschmäht fühlend' = 'traurig'. Vgl. zu dieser >Subjektivierung< etwa ahd. elilenti 'der Verbannte' mit heutigem 'mir ist elend'; auch der Übergang der dt. Partizipien 'niedergeschlagen', 'betrübt', 'bekümmert' und neuerdings 'frustriert' zu faktisch reinen Adjektiven. Allerdings scheint beim obigen Fall die Umdeutung vom Partizip aus auf das finite Verbum zurückgeschlagen zu sein. Weiterer Forschung bedarf der umer 1) 'Schwermut', 2) 'Gemütszustand'. Ist das Wort wirklich ein direkter Nachfahre von mhd. unmcere f., wie GWb glaubt? Muß dann nicht mindestens das mask. Geschlecht durch Einpassung in die neujidd. mask, endungslosen Abstrakta erklärt werden? Wann hat sich das Wort aufgeladen mit der älteren internationalen Bedeutung von 'Humor', nämlich 'Laune'? Hat die Nähe zu der umet (< mhd. unmuot) 'Schwermut' schon den oben besprochenen Bedeutungswandel der ganzen Wortfamilie in Richtung 'Traurigkeit' gefördert?
farwoglt
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dann mit der Photographie alltäglich geworden, obwohl das DWb 1930 diese letztere Verwendung noch nicht zur Kenntnis genommen hatte. Im Jidd. fehlen die geschärften Bildungen. Auch das Grundwort °wägen ist nicht mehr zu finden. Wohl aber findet sich unpräfigiertes wägein (in R13 wegein, östlich dann °woglen) kontinuierlich seit ältester Zeit (~ "Π3, 113, öll), so R13 Ps 11.1 (außerdem ist hier mehrfach, z.B. Ps 36.12 und 64.9, ver- erst sekundär über der Zeile eingefügt); MM 1S 1.13, 1 Κ 14.15; El Ps 64.9; Sb 22.4 ir lefzen sach er wageln\ Mi 5vl0 wi' di' söulen sich wagilten vun wegen das stim der do ruft-, dazu das Subst. wagelung ~ ΓΤ R9 Ps 50.11. - Von hier geht der Weg zur oben angeführten unpräfigierten stj. Wortfamilie. Das jidd. Spezifikum ist aber erst das Verb °ver-wageln: es übersetzt in R9 und in MM regulär die wichtigen Verben U1J 'wanken, schwanken', III 'sich hin- und herbewegen, den Kopf schütteln' 74 und TT] 'fliehen' sowie das seltenere U1T 'zittern', ganz vereinzelt auch andere Verben. Dadurch gewinnt es in der Übersetzungsliteratur eine viel höhere Frequenz, als sonst zu erwarten wäre. So schon R9: Gn 4.12 vör-wagelt vör-veret (Lo, A, Mü, BM °ver-wagelt un ver-wagelt) ~ III SJ3, Ex 20.18, Jes 6.4 un si vör-wagelten ~ 12H, Jes 7.2, 10.31, 16.2, 21.14, 24.20 (2x) vör-wagelt ~ U13 bzw. "711, 37.13 er hot don vör-wageln ~ UIH, 37.22 si hot vör-wagelt ~ nSJ,in, 38.18 ich bin vör-wagelt ~ ΓΠ1Χ (nach heutiger Analyse von ΠΠ), Jer 4.1, 4.25, 9.9, 14.10, 18.16, 48.27 (du sölt sin vör-wagelt ~ ΤΤΐηη), 49.5, 50.3, Hi 2.11, 7.4, 15.23, 16.4, 18.18, 20.8, 28.4, Pr 5.6, 26.2, 27.8 (di do vör-wagelt ~ ΠΤΤΠ), Koh 12.3, Thr 2.15, 4.14, Esth 5.9, 6.1; dazu °vör-wagelung Dt 28.25, Jer 15.4, 24.9, Ez 23.46 überall ~ mui, Hi 7.4 D"H"I1, Thr 1.8 ~ ΠΤ3. Und so auch die gesamte weitere Tradition; allein das Wörterbuch MM exerziert fast dreißig Vorkommensfälle durch, El Ps hat fünfzehn (beidemal °ver-wagelung mitgezählt). Entsprechend sind seit etwa 1500 auch frei formulierte Vorkommensfälle häufig: Mah 102v ich mus ver-wageln im goluss as ain vögel·, Mel 1872.1 si' höt ouf dich vör-wagelt, Jerusolajim, iren köpf, di' stät 'über dich (Sanherib) schüttelt die Stadt Jerusalem ihren Kopf', 1989.1 ich wil Jisro'el nit ver-wageln ous iren lant\ PuW 207.4 aber vun ort war si' nischt vör-wageln 'aber (Paris' Mutter) räumte (in Paris' Zimmer) nichts von der Stelle', 334.7 den ganzen weg war er doch nit vör-wagiln 'den ganzen Weg über wurde er doch (trotz des Unwetters) nicht unsicher'; Br 72.3Iff. (die Hausfrau) °ver wogelt sich den schlof. in masseches Kesubos stet, das di 74
Bei beiden Verben bleibt die Trennung von Qal und Hifil sehr unvollkommen. Es konkurrieren die Zuordnung Qal ~ Aktiv, Hifil ~ Umschreibung mit 'tun' oder 'machen' und die Zuordnung Qal - Zustandspassiv (oder .sem-Perfekt?) bzw. Reflexivum, Hifil - Aktiv. Die letztere scheint langsam vorzudringen, ist aber auch im 17. Jh. noch nicht alleinherrschend.
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farzukn
weiber sein soche zum ebigen leben, darum das si ver woglen iren schlaf un" warten auf di manen bis si komen\ 199.30ff. °Schlomo ha-melech sagt in Mischle [Pr 5.6] nou magloseho lo sedo das is teutsch: si sein verwogelt, ire steig nit du waist; di mizwos fon der Toro sein vür wogelt, das man nit wais, das ainer vil gibt un bekomt klaine Ion, un" ainer gibt weneg un bekomt grosen low, ZuR 60rb48 der berg war sich fer-wageln un schiteln, 60rb50 un Jisro'el warin sich auch fer-wageln un schiteln, 117rb46 do sein Jisro'el gewesen fer-wagelt in der midbor, 138rb38 si' hot gesindigt, Jerusolajim, drum is si geworden zu ver-wageln in goluss, 140rb23 si3 fer-wägeln di blinde in der gasen, 147va3 e do weren dein ripen un* plänken fer-wageln, 166rb8 un si ver-wagelten sich di' schwelen vun dem bess ha-mikdos, 166va50 ir herz war sich fer-wageln als ain bäum im wald u.ö. (insgesamt mindestens 14 Fälle); TA l v l 6 si' ver-wagelen fun furcht·, NH 711 ai fär-wogelen - sperso - mobilis et vagus. farzukn 'verschlingen' (Ha, Bi, Ni 'zerreißen'), stj.; farzukung 'Beute', neujidd. (Ha, Ni) Mhd. zücken, zucken 'schnell und mit Gewalt ziehen, an sich reißen, rauben' (Lexer) ist (Momentan-)Intensivum zu ziehen. Von der Präfixbildung mhd. verzücken, verzucken mit essentiell derselben Bedeutung lebt im Dt. seit dem 17. Jh. nur noch verzücken in der (seit dem Mittelalter gut bezeugten) übertragenen religiösen Verwendung '(ekstatisch u.ä.) entrücken', heute meist sekundär verweltlicht und fast nur noch im Partizip verzückt gebräuchlich. Im Jidd. ist umgekehrt früh nur das umlautlose farzukn, und zwar in der physischen Bedeutung, übriggeblieben. Der Unterschied zum Dt. erklärt sich zwanglos wieder aus der jidd. Bibelsprache. Wenn wir davon absehen, daß der Punktator von R9 häufig ein Kibbuz (~ /üf) unter das Waw setzt, haben wir in allen Übersetzungstexten nur -u- gefunden. Das Wort übersetzt die wichtigen Verben η ΐ υ '(zer)reißen, rauben' (meist mit wilden Tieren als Subjekt) und ptfSJ 'gewalttätig behandeln, bedrücken, berauben', von MM an manchmal auch das seltenere ηϋΠ 'rauben' - also Bezeichnungen kraßphysischer und durchweg negativ bewerteter Tätigkeiten, die die gleichzeitige Sublimierung des Wortes in Richtung 'Entrückung' (wie im Dt.) so gut wie unmöglich machten. Übersetzungsbelege: R9: - T>U Dt 33.20, Jer 5.6, Ez 19.3, 22.25, Hi 16.9, 18.4; ~ ptfSJ Dt 28.29, Jes 23.12, 52.4, Jer 50.33, Hi 35.9, Pr 28.3, 28.17, Koh 4.1, dazu vör-zukung Gn 31.39, Ez 44.31 ~ nsnü, Jes 30.12, 59.13, Jer 22.17, Koh 5.7, 7.7 überall - ρψΰ, Jes 33.15 - niptfyö. So auch die weitere Tradition. Als Beispiel diene noch El Ps: ~ η ΐ ϋ 7.3, 17.12, 22.14, 50.22, 76.5, ~ ptfSJ 72.4, 103.6, 105.14, 119.121, 146.7, ~ «ηϋΠ 10.9 (2x); dazu ver-zukung ~ «yiü 124.6, ~ pt£?Ü 62.11, 73.8, 119.134.
felschn
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Frei formuliert: Bar 913 as Uwan un* lepärten ale mensch ver-züken, 2512 nün hot si der t'od' ale ver-zükt; nur noch mit -u-: SM 86r27 es sterben laider vil junger löüt un" werden ver-zukt; HiP 1.10 (2x), 35.9 (3x), 35.10 (2x), 35.13 (2x), 39.8, 40.15 (2x), 40.20 (sowie in übersetzten Passagen ~ ptzftJ 10.3 und 35.9, ~ «pü 16.9 und 18.4); ZuR 45rb47 du} host mein sun Jösef fer-zukt un" der-schlagen; 46ral ähnlich, 54ra20 wen ain behemo ist fer-zukt geworen durch ainem wolef, 110ra49 si solten nit fer-zuken epesfun dem raub, 144va37, 154ral2, 162va23, 28; 181ra36; TP 3va22 mach mich ver-zukin mein geseziglich bröt mit er; TA 8v3 un" sein fer-zukt geworen durch dl· hinderer, SrL 110; KO 8vl4 ouf di do seinen woren far-zukt\ NH ηϋίΠ - fär-zukung - rapzione - raptio. Auch farzukung, obwohl im MEYYED nicht aufgeführt, ist durchaus ein Wort der Klassiker, vgl. den Beleg aus Mendeles >Binjomin< bei Noble (S. 28) er hot sich farborgn hinter der wintmil un gelugt dort wi a lejb lugt ojf sajn farzukung.75
felschn neujidd. auch 'verräterisch handeln' (Ha, Bi, Stu); feischer auch 'Verräter' (Ha) Mhd. velschen bedeutet: 1) 'für falsch erklären' - eine Gebrauchsweise, die im Dt. untergegangen ist, im Jidd. anscheinend überhaupt unbezeugt ist; 2) 'ein unechtes Objekt herstellen' oder 'ein präexistentes Objekt verunechten' - die heutige dt. und stj. Hauptbedeutung. Sie besitzt im Jidd. bestenfalls eine hauchdünne Kontinuität (PuW 428.8 Verfälschen der Quelle des Erzählers, 690.8 sich velschen seine Identität verfälschen), ist aber durch das Dt. in den letzten Jahrhunderten zumindest wieder gestärkt worden. 3) Im Mhd. und Frühnhd. bedeutet velschen /fälschen mit Akk. gelegentlich 'jmdn. täuschen, irreführen' (Lexer, DWb2; die späteren fünf Belege des DWb2 Sp. 106 sind unrichtig klassifiziert). Hingegen bedeutet jidd. 0 velschen seit Beginn der Überlieferung 'untreu, verräterisch handeln'. Es übersetzt iptf (Piel), ^ n (Hifil), VUD, TO und vereinzelt noch andere Wurzeln. Die jidd. Übersetzungssprache geht also sichtlich nicht von einer dt. Verbalbedeutung aus. In solchen Fällen muß man nach einem elementareren hebr. Wort suchen, das sich als Angelpunkt der Wortfamilie aufdrängt. Hier ist es das Substantiv dessen sehr einprägsame Torastellen einheitlich durch das substantivierte Adjektiv °valsch wiedergegeben wurden: so R9, MM Ex 20.16; Lo, Mü, Α, Κ Ex 5.9, 20.16, 23.7, Lv 5.22, 5.24, 19.12, Dt 19.18 (2x).76 Hieraus folgte zunächst 75 76
Mendele Mojcher Sforim, Geklibene werk 2.189, New York 1946. Auch im Mhd. ist ja die Substantivierung dieses Adjektivs extrem häufig, häufiger als die adjektivische Verwendung selbst (Lexer). Vgl. noch im heutigen Deutsch 'ein Mann ohne Falsch'. - Wenn jiddische Übersetzer oder ihre Leser das Wort in Kon-
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felschn
wurzelkonstantes ~ °velschen, eine Übersetzung, die sich dann auch für die Synonyma *?ηπ, ·?ΰθ und "Π3 anbot. Als Lehnbildung verrät sich dieses °velschen nicht nur durch seine Bedeutung, sondern auffälliger noch durch sein Rektionsbild. Es ist intransitiv und schließt die geschädigte Person oder Sache mit an (selten zu; Urtext ~3, selten -1 ?) an - eine Tatsache, die sich freilich nicht aus dem Glossar R9, sondern nur aus kohärenten Übersetzungen ablesen läßt: R13 Ps 44.18 wir häben gevelschet an diner sicherhait ~ ^ΓΡΊΜ 'wir haben deinen Bund gebrochen'; 89.34 nit ich wil velschen an miner wärhait ~ ' r m a x a - ι ^ χ - χ 1 ? 'ich will meine Treue nicht brechen'; Lo Gn 21.23 sei schweren [...] ob du velscht zu mir ~ ,17 ~)ρψΓ)-αχ [...] Mü ebd. [...] ob du wilst velschen zu mir, A Ex 21.8 an seinem velschen an ir ~ Π3~Π333 'wenn er sie verschmäht', Nu 5.12 un" si velscht an im velschung ~ i3 'wenn (seine Ehefrau) ihm untreu wird', ähnlich Nu 31.16 (velschung an), Dt 21.14, 24.7, Thr 1.2; El Ps 25.3, 44.18, 73.15, 78.57, 89.34 °velschen; BM Ex 21.8 an seinem velschen an ir. Auch die freien Formulierungen bewahren durchweg das Rektionsbild der Hedersprache und zeigen damit eindeutig die Herkunft des Wortes auf: Bar 115 di gέvelscht haben an mir, 4035 welcher ver-velscht [!] an seinem tröuen geselen\ HiP 6.15 di' do sölen sein meine brüder, di' velschen an mir, 15.31 velscht er, so velscht män wider an im (beide in freier Formulierung); MR 118.106 ich hon ain e-man. worum weit ich an im velschen?, ähnlich 118.107f. (2x), 118.154, 118.181; Br 60.4 °du host gefelscht an deinem weib, 80.1 °ir hat al gevelscht an mir, SJ 26v3 ain alilo [...] däs di cohanim haben an im gefelscht, ZuR 27vb29 Ja'akov hot feint gehät Le'o, der-weil si hot gefelscht an ir schwester Rohel, 138rbll den al ire geseien haben gefelscht an ir, MB 174.94f. (Rabbi Juda zum Bischof:) so du aber dein reden kain kräft gibst un" wilst nun wider an uns armen juden felschen, wP du for ach ain-mol gevelscht host, solstu wisen [...]. So also noch Harkavy, Birnbaum und Stutchkoff (Nr. 589). Einige Belege für °velscher, das seine Bedeutung natürlich aus °velschen bezieht und deshalb kaum je zu nhd. Fälscher stimmt (alle zu "7IQ): R9 Jes 21.2 (2x), 24.16, Jer 3.7 (di velschersch ~ rniia, f.!), 9.1, Hi 29.17 (~ Vjy), Pr 11.3; R13 Pr 2.22, 21.18, 22.12; El Ps 59.6, 119.158; Mel 862.1 Elijohu hoch schrai': greift dV velscher an!', Br 147.14 °ain velscherin.
struktusgruppen wie doch als Adjektiv gehört haben sollten (K schreibt Ex 20.16 gezöug falscher statt falsch), so beeinträchtigt das die zentrale Stellung des Wortes und damit die obige Analyse nicht. Dasselbe gilt von der Tatsache, daß außerhalb der Tora manchmal schon früh - offenbar weniger traditionsgebunden, aber deutlicher - als velschung (R9 Pr 19.5) bzw. valschkait, velschhait o.ä. (R9 Jer 3.23, R13 Ps 52.5 zweite Hand), vereinzelt gar als um-süst (MM 1S 25.21) wiedergegeben wird.
finger
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°di finite rip 'empfindlichste Stelle des Leibes', altjidd.; di sibete rip dasselbe (übertragen), stj. tfO'n (2 S 2.23, 3.27, 20.10) bedeutet 'Bauch(wand)' nicht nur nach dem Befund der vergleichenden Semitistik (Klein 1987 s.v.), sondern auch nach medizinischer Analyse von 2S 20.10: Joab stach Amasa in den tPö'n »und verschüttete seine Eingeweide zur Erde« (Preuß 1911: 493). Das Wort hat nach heutiger Lehre mit 1ΡΟΠ 'fünf' nichts zu tun, wurde aber schon in Sanhedrirt 49 a (und danach von Raschi zu 2S 2.23) erklärt als 'der fünfte 1ΒΠ, wo Galle und Leber hängen'. Mit ΊΟΠ »könnte nur der (weiche) Zwischenrippenraum gemeint sein, was der Wirklichkeit etwa entsprechen würde« (Preuß loc.cit.). So übersetzt schon die jüdischfrz. Tradition tPQ'n 2S 2.23 kurz als 'die fünfte Rippe' (z.B. A = G4, C = G1, F=G2). Ebenso die jidd. Tradition: R 9 zu der vunften ripen, L ζό dur vunftun rip', MM vunften ripen, Mijo di vunft rip, Lt der fünften ripen, Bli in di ' finfte ripf Wi zu der finfte ripf, hingegen Jeh in bojch. Entsprechend in freier Formulierung: Sb 904.2 Avner stach Aso'el [...] durch al sein geschmeid zu der vunften ripen ein (~ 2S 2.23); 949.4 un' stach in kreftiklichen zu der vunften ripen ein (~ 2S 3.27), 1642.3 do stis er im däs schwert durch di' vünft ripen ein (~ 2S 20.10); Mel 139.1 (Joab erwähnt rückblickend) do ich herzig Avner in di' vünft rip ein-stach. Die biblische Wendung benutzt auch noch I. Meir Dick (als ich der-sehe es, stecht es mir infinftn rip, zitiert bei Sadan 1972: 165), gleichzeitig kennt er aber auch 'die zehnte Rippe' (5 Belege bei Sadan art.cit. 166, z.B. antwortn, wos hoben im gestochέn in zehenten rip). Hier ist die Verdoppelung einfach als psychologische Steigerung aufzufassen. Wesentlich häufiger ist im rezenten Jidd. die siebte Rippe als empfindlichste Stelle des Leibes: stj. (s.v. rip) derlangen emezn in der sibeter rip 'jmdn. an der empfindlichsten Stelle treffen, jmdm. einen schweren Schlag versetzen'. Die Redensart wird oft in der Bedeutung 'ins Herz treffen' gebraucht (Belege seit Axenfeld bei Sadan art.cit. 164f.), und das Herz sitzt in der Tat hinter der siebten Rippe. Ein grundsätzlich anderes Bild liegt vor, wenn die dreizehnte Rippe soviel wie 'Ehefrau' bedeutet. Die dreizehnte Rippe ist beim Menschen nur ansatzweise vorhanden - nach dem Targum, weil Gott aus ihr Eva schuf (Sadan art.cit. 167 f.).
finger auch 'Zehe', stj. Im Hebr. bedeutet das Wort für 'Finger', SJ3SX, zugleich 'Zehe'. Entsprechendes gilt für das Aram., Griech., Lat., Ital., Frz. (hier wenigstens fakultativ: doigt 'Finger, Zehe', orteil 'Zehe'), für das heutige Jidd. und für die slav. Sprachen. Nötigenfalls muß man den Ausdruck jeweils durch den
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fingerl
Zusatz 'des Fußes' disambiguieren. Die germ. Sprachen hingegen halten beide Begriffe lexikalisch getrennt; insbesondere ist die Trennung im Mhd. eine saubere, wenn man davon absieht, daß vom 14. bis ins 19. Jh. Naturwissenschaftler gelegentlich die Greifwerkzeuge von Vögeln, Krebsen u. a. als 'Finger' bezeichnen (Lexer, DWb und DWb2). Bei der Herausbildung der jidd. Übersetzungstradition war also zu entscheiden, ob Wortkonstanz bewahrt werden sollte oder nicht. Nun kommt D3SN 'Finger' in der Bibel etwa dreißigmal vor, 173SX 'Zehe' aber nur 2S 21.20 (ein Philister hatte 'sechs Finger an seinen Händen und sechs Zehen an seinen Füßen, zusammen vierundzwanzig') 77 und Dn 2.41 f. Dabei ist schon auffällig, daß das Wort in R8, L und Mijo an beiden Stellen, in R9 und Lt an der ersten unglossiert bleibt, als sei für die Redaktoren die Normalübersetzung, eben °vinger, auch hier akzeptabel. Mag hat dann 2S 21.20 ausdrücklich dp finger sein ('seiner') hent un finger sein fis war seks und noch Wi di finger fun seine fis. Mehr noch: in Nebukadnezars Traum vom stockwerkhaft mehrstoffigen Menschenbild wird das fünfte und unterste Stockwerk zunächst eingeführt als 'Füße, teils von Eisen, teils von Ton' (Dn 2.33), dann aufgenommen als 'die Füße und xriU3Si mhd. vlij > nhd. Fleiß, stj.flajs 'Heiß', das zu keinem Kommentar Anlaß gibt, steht von Anfang an ein Verbum ahd. fli^an > mhd. vli^en > frühnhd. fleißen 'sich bemühen, sich befleißigen' (Lexer, DWb, DWb2 s.v.). Es erscheint sowohl intransitiv: thes rehtes fli^an 'sich des Rechts befleißigen', als auch transitiv: sine sinne an ditze buch
vliyn
'seine Sinne mit Eifer auf dieses Buch wenden'. Indem für sine sinne und ähnliche Akkusativobjekte vereinfachend sich eintritt, entsteht die reflexive Konstruktion sich vlt^en, die bald überwiegt. Doch verebbt im Dt. das Simplex etwa im 17. Jh. zugunsten des seit Luther belegten (sich) befleißen/ befleißigen (DWb, DWb2 s.w.). Im Jidd. hingegen ist das Simplex dank der Bibelübersetzungssprache lebendig geblieben, wenn auch auf einem merkwürdigen Umweg. Die hebr. Redensart ttfDl Xfrl 'das Gemüt erheben zu etwas' (= 'nach etwas streben, sich nach etwas sehnen') kommt schon in der Tora vor (Dt 24.15), hat aber ihre Kernstellen im dreimaligen 'ich erhebe meine Seele zu Gott' des Psalters (25.1, 86.4, 143.8). Schon der Targum glaubt hier jeweils präzisieren zu müssen 1*7^3 'im Gebet'. Psychologisch subtiler leistet Raschi dasselbe, wenn er (an den ersten beiden Psalmenstellen) in seiner Paraphrase die unabdingbare Willenskomponente dieser 'Erhebung' betont: 'ich richte mein Herz (auf Gott), lasse mein Herz streben (zu Gott)' - mit jenem Piel dessen Abstraktum das erst nachbiblische, dann aber schnell zum Schlüsselbegriff avancierende ΓΠ}3 'intensives seelisches Streben' ist. Die aschkenasische Tradition übersetzt nun auch den Urtext, angeregt durch die raschianische Paraphrase mit dem Verb "vleisen: Bln701 Ps 25.1 iWX ~ ich weleis [sie, mit Sproß-e], dazu der hebr. Kommentar: ]1Όηο "ΊΧ nittttJ1? 'sozusagen: ich befleißige mich zu tun'; R9 Ps 25.1 ich wil vleisen min gemüt, 86.4 meinen wilen ich vlisen [mit westmitteldt. -en als Endung der 1. Sg.]; Par Ps 25.1 zu dir got mein leib3 ichfleis, 86.4 wen zu dir got mein leip' ich wleis, 143.8 wen zu dir ich wleis mein leip'; El Ps 25.1 zu dir got mein sei ich vleis, 86.4 wen zu dir got mein leib ich vleis, 143.8 wen zu dir ich vleis mein leib'; Lt 25.1, 86.4 ich vleis, 143.8 ich fleis. Daß es sich
hier um Raschi-Einfluß handelt, sagt schließlich ganz explizit Mag: Ps 25.1 zu dir got heb ich ouf mein leib zu biten, oder: ich wil mein leib (Rasi).
fleisen
Das Verb diffundiert dann auch in die frei formulierte Literatur: SM 8 4 v l 8 auch is ain mensch schuldig, becawono zu ören [...] un' drouf vleisen, däs er wäis, was er sagt', M R M T 102 drei' Sachen kan sich ain mensch nitfür hüten al tag: zu vleisen mit un-docht in seiner thefilo [...]; SJ 18vl9 unser fleisen is nit anders nei'ert zu sagen: [...]; Smt 44r den der klug sein gut herz kan nit recht fleisen-, Bhm 8 ν zu saboss dein senftikait fleisen un" schlofen lang hot di' thoro gehaisen.
258
fläm-fäjerdik
Indem nun (wie im Dt.) statt der soeben zitierten Akkusativobjekte gemiit, °leib\ sei, herz, senfiikait usw. vereinfachendes sich eintritt, ergibt sich die reflexive Konstruktion: Hug 14.9 gots dinst si sich luzel vleisen; MzV 64.2 so sol si sich vleisen um wilen got; MzK 105.9 so' hofich auch ain tail mizvo zu haben, den zu göt [hab] ich mich tun vleisen, 107.55 der man mus sich auch fleisen zu got; SJ 60r28 er vleist sich nei'ert noch libschaft seiner thoro; ZuR 114ra2 der tut nit recht, wen er sich schon fleist fun gots wegen usw. Unsere Belege gehen in die Dutzende - und so eben noch stj. flajsn sich. fläm-fäjerdik 'feurig, lodernd', stj.; (dos) flamfajer 'Feuer, Lohe', neujidd. (Ha, Bi); flam-fajer 1) 'voller Zorn', 2) 'voller Begeisterung', neujidd. (MWei, Stu; Ni nur 2); ejs-lehove nur 'voller Zorn', stj. Im Dt. können die Begriffe 'Feuer' und 'Flamme' zwar in beiden Reihenfolgen zusammentreten; aber Flammenfeuer (nach DWb und DWb 2 zwischen 1300 und 1900 etwa lOx zu belegen) ist nur ein Kompositum ohne jede emotionale oder idiomatische Aura: ein Feuer »mit deutlich sichtbarer flamme, im gegensatz zum glutfeuer« (DWb2). Von diesem Wort abgesehen, treten die Begriffe 'Feuer' und 'Flamme' gewöhnlich in dieser Reihenfolge auf. Das gilt für: 1) Die mhd. Genitivformel des viures vlamme(n) (seit Mitte 12. Jh., zehn Belege ohne Gegenbeleg bei Lexer und BMZ vlamme); Voranstellung des Genitivs überwiegt im Mhd. auch sonst zumindest, wo dadurch einer von zwei bestimmten Artikeln eingespart wird. 2) Die Rechtsausdrücke mit fiure oder mit flammen bzw. (mit) feur und flam 'mit eigenem Haushalt' (seit dem Spätmittelalter) sowie dem missethäter feuer und flamme löschen 'ihn ächten' (Lexer vlamme in fine, DWb Feuer 13, DWb 2 Feuer 6a); es ist natürlich, daß in der Alliterationsformel das Erbwort an erster Stelle, das erst langsam beliebter werdende (DWb Flamme) Lehnwort (< lat. flamma) an zweiter Stelle steht. 3) Die aus 1) verdichteten Substantive Feuerflamme und Feuersflamme (16.-19. Jh., DWb und DWb 2 s.v.). Nachzutragen ist z.B.: Luthers fewr flammen ~ tfx rran 1 ? Ps 29.7, aber auch ~ ΓήΠΠ1? tfx Ps 105.32 - der Beweis, daß für Luther die Reihenfolge schon idiomatisch fest war und nicht von der hebr. Wortfolge abhing. - Die folgenden Ausdrucksweisen beruhen dann auf der schon gefestigten Reihenfolge: 4) Feuer und Flamme 'Zorn' (DWb Feuer 18e, DWb 2 Feuer 6b in fine). 5) Feuer und Flamme '(voller) Begeisterung' (DWb2 ebd.) - nur dieses ist heute noch gebräuchlich. Daß sich im Jidd. die umgekehrte Reihenfolge gefestigt hat, ist schwerer zu erklären. Denn im Bibeltext selbst finden sich eben beide Reihenfolgen: a) Ete-na1? Ex 3.2, WX 3Π1? Jes 29.6, 30.30, tfx nnn 1 ? Ps 29.7; und b) tfx
fläm-fäjerdik
259
Π3Π·7 Jes 4.5, Hos 7.6, Thr 2.3, nnn*? tfX Ps 105.32. Es erhebt sich die Frage: hat in älterer Zeit der Typ a) gewirkt, als im Heder der Konstruktus noch durch einfache Juxtaposition nachgebildet wurde, wie z.B. noch A an der wichtigen Stelle Ex 3.2 vlam vöü'er hat? Oder hat in jüngerer Zeit der Typ b) in freierer Übersetzung gewirkt? Wir glauben: beides. Denn schon in Α ist das erste Indiz für die Festigung der Wortgruppe zu finden. Während nämlich sonst von den Anfängen mindestens bis BM einschließlich TB1? mit °brand 'Brand, Fackel' wiedergegeben wird, also Gn 15.17 tfx TS1? z.B. in Κ mit brand vöu'er, hat Α dort vlam vöü'er. Dasselbe leistet sich dann Wi an einer anderen Stelle: er hat zwar Gn 15.17 brand fei'er, aber Dn 10.6 für VH ,TB1? ain flam fei'er. Überhaupt zeichnet sich bei Wi eine Tendenz ab, flam(-) vor fei'er(-) zu stellen, ohne auf die hebr. Wortfolge Rücksicht zu nehmen: a) Ex 3.2 ainer flam fei'er, Jes 29.6 brenendige flam fun fei'er, Jes 30.30 flam [fiin] brenendig fei'er (eckige Klammern im Original!), Ps 29Π flamin fei'er, und b) Jes 4.5 ainflamendig fei'er, Hos 7.6 ain flam fei'er, Ps 105.32 flamendig fei'er, nur Thr 2.3 ain fei'er [...] di' flam, weil Wi hier andere Satzteile dazwischengestellt hat. Jeh schließlich verallgemeinert flamfajer auf tfX TS1? Gn 15.17, tfx D31? / tfx an1? Ex 3.2, Jes 29.6, 30.30, ηΌη1? tfx / nan1? tfx Jes 4.5, Hos 7.6, Thr 2.3, Ps 105.32; nur wo im Urtext an erster Stelle ein Plural steht, hat er flamen fajer: tfx 'TS1? Dn 10.6, rärnn1? Jes 66.15. Für ihn ist also flamen fajer praktisch der Plural von flamfajer - im Einklang mit der alten Hederanalyse von Typ a). Auch A. Landaus ausdrücklicher Hinweis (1923: Nr. 30) auf die Hederübersetzung "flam-feier ~ tfXTQ1? Ex 3.2 als Quelle des rezenten jidd. Gebrauchs sowie U. Weinreichs Betonung des Adjektivs als fldm-fäjerdik schließen sich hier an.81 Für viele Sprecher hingegen hatte sich der Ausdruck längst umgelagert im Sinne der neueren Übersetzung von Typ b). Nicht erkennen kann man das zwar an Fällen wie ZuR 160ra35 fun hous Jösef wert gen ain flam fei'er, S 27r2 seine malochim senen eitel flam fei'er, sehr wohl aber z.B. an SJ 131rl6 er sagt, Tomas: nun sein di' Jehudim as ain fläm-fei'er, däs (!) do fer-brent un* fer-derbt sich selbst. Hierzu paßt dann das kompakte Neutrum flamfajer bei Harkavy und Birnbaum sowie die Übernahme von ejs-lehove (nicht von *labass-ejs o.ä.) ins Jiddische. Was schließlich die beiden übertragenen Bedeutungen angeht (vgl. M. Weinreich 1973: 2.262 = 1980: 600), so darf man 'voller Begeisterung' wohl als ziemlich junges semantisches Lehen aus dem Deutschen ansehen.
81
Auch Stutchkoff schwankt zwar zwischen der Schreibung mit Bindestrich (Nr. 254, S. 216b; Nr. 508, S. 545b; Nr. 510, S. 549a,b [2x], 550a) und derjenigen in zwei Wörtern (Nr. 256, S. 219b, 220b; Nr. 415, S. 403b; Nr. 433, S. 428a), kennt aber nicht die in einem Wort.
260
(der) flank
Bezeichnend ist, daß das hebräischkomponentige ejs-lehove diese Bedeutung nicht annimmt (M. Weinreich loc.cit., so auch Spivak / Bloomgarden und das Stj.). (der) flank 'Seite, Flanke', stj. Das bibelhebr. Konkretum ·?03 bezeichnet die Lende. Das Wort kommt Ps 38.8 82 und Hi 15.27 vor, speziell aber in Lv (3.4 und vier weitere Male): hier erscheint die Lende jeweils als die Stelle, an der das Nierenfett sitzt, das beim Tempelopfer wie der benachbarte Leberanhang (vgl. unten den Art. rojtflejsch) verbrannt werden mußte. Im Jüdischfrz. übersetzt schon Raschi das Wort Lv 3.4 (und mehrfach im Talmudkommentar) mit flank 'Flanke'. Diese Übersetzung bleibt dann fest: A = G 4 Lv 3.4 lesflons, Ps 38.8 mesflons, Hi 15.27 flont, F = G 2 = L Lv 3.4 les flons, Ps 38.8 mes flanks, Hi 15.27 flank'·, mehrere weitere Belege bei R. Levy, Tresor s.\. flan [sie]. Nun hat das Dt. sein Wort 'Flanke' aus frz. le flanc erst im 17. Jh. bezogen und es zudem (wohl nach 'Seite', 'Lende' o.a.) als Femininum eingereiht. Im Jidd. hingegen ist °flank seit Anfang der Überlieferung gut bezeugt und bleibt Maskulinum bis ins Stj. hinein. Es ist also jüdischfrz. Erbe: R 9 Lv 3.4 uf den vlanken ~ n ^ c o n bv, Ps 38.8 mein flanken ~ ,,7D3, Hi 15.27 uf den flankin ~ bO^bV;, L Lv 3.4 flank, Ps 38.8 minflänk, Hi 15.27 uf flank-, MM di vlänken, Hi 15.27 vlänken', Lo Lv 3.4, 10, 15, 4.9, 7.4 oufden °vlänken; Mü Lv 3.10, 15, 4.9, 7.4 ouf den "vlanken (3.4 fehlt); A Lv 3.4, 10, 15, 4.9, 7.4 oufden vlanken·, ähnlich Κ Αχ flanken, l x vlanken', Mijo Lv 3.4 di vlanken, Hi 15.27 vlanken', vier weitere Glossenbelege zu Hi 15.27 bei Röll 2002: 2.289; Bli, Wi Hi 15.27 flanken:83 Dafür, daß tatsächlich der Kontext in Lv die Aura des jiddischen Wortes geprägt und folglich der Heder das Wort tradiert hat, gibt es noch aus dem 20. Jh. ein überraschendes Indiz: Jehojes nennt die tierischen Körperteile Lv 3.4, 10, 15, 4.9, 7.4 flanken, die menschlichen Ps 38.8 und Hi 15.27 aber lend(n). In Max Weinreichs Liste der jüdischfrz. Komponente des Jiddischen fehlt das Wort - ein Beweis, wie leicht solche Wörter übersehen werden können, wenn sie auf den ersten Blick wie Internationalismen wirken.
82
Hier leistet allerdings Raschis Erklärung 'rownaa der Meinung Vorschub, es liege vielmehr das Abstraktum "703 'Zuversicht' o.ä. vor; dem haben sich R13 (gedenken),
MM, El, Bli und Wi ("gedankdn) angeschlossen. 83
In ihrem durch Luther überfremdeten Lv haben Bli und der damit identische Wi
°lenden.
flegerl
261
°flegerl u.ä. 'Kopftuch, Schleier', altjidd.; dektuch dasselbe, stj.; (der) zudek 'Bedeckung, Decke', stj. Die Decke, Π10Ω Ex 34.33-35, die Moses über sein Gesicht legt, wird in den jidd. Übersetzungen auf drei konkurrierende Weisen benannt: L steht allein mit töch 'Tuch'. Ein Teil der Tradition hat Bildungen mit dek: R9, Lo °gedek\ MM (als erste Möglichkeit) und Κ vür-gidek, Mü Ex 34.33, 34 gedek, 34.35 (däs) dek, Bli, Wi Ex 34.33 (als zweite Möglichkeit), 34.34, 35 (als einzige Möglichkeit) (dt) dek, Jeh (der) zudek (stj. für 'Bedeckung, Decke'). Der andere Teil hat ein im Dt. kurz nach 1300 als/Zoier, kurz vor 1400 als flügerltn bezeugtes Wort der ungefähren Bedeutung 'Kopftuch, Schleier' (Lexer s.w.): 8 4 MM (als zweite Möglichkeit) vlogirel, A Ex 34.33 vlegerlein, 34.34 vlegerlin, 34.35 vlegerlein, Mijo ain belögern (sie, wohl Mißverständnis einer schriftlichen Vorlage), BM vlegerlein, Bli, Wi Ex 34.33 (als erste Möglichkeit) flegerlin. Hierzu aus einer literarischen Bearbeitung der Episode in >Ma'ese hasem< (Wilhermsdorf 1724, Nr. 13) 25rll ach is far sein [Moses] ponim ain flegerei, gleich as wi' bei' sein leben, 25rl6f. so' leichten di' wölken ganz durch bis an sein flegerei, un wer däs söcho is zu sehen däs flegerei, der is söcho zu sehen ain werdig licht. Eine ähnliche doppelte Benennung hatte der Schleier, mit dem man in der Zeremonie namens (stj.) dos badekns (im deutschsprachigen Judentum das Bedecken, Weinberg 1994: 63) vor dem Gang zur Trauung das Haupt der Braut bedeckte: einerseits stj. dektuch, dektichl, auch in Deutschland Decktuch (Weinberg loc.cit.), andererseits "vlögerlen: so eine frühe (vor Mitte des 15. Jhs.) und breitgestreute Variante im >Sefer Mahari"l< (Spitzer 1989: 464) vlogerlin-, die Regensburger Hs. (Chm 390) des Kleinen Aruch vlegerl, der >Aruch qazur< (Krakau 1592) flegerlein (Perles 1884: 58); Mi 75v5 di' calo hot däs vlögerlen vor (wo nach Grünbaum 1882: 341 der Nachdruck Frankfurt/M. 1762 °flegerln hat); Br 241.28ff. "das man der kalo ain vlügerl vür hengt [...] un" das di kalos gemaineklich izund di vlügerlech auf schlagen un* hin un' her ruken (abgedruckt mit breiterem Kontext auch bei Grünbaum 1882: 343 aus einem jüngeren Druck, dort "fligerl, °fligerlich)·, Buxtorf als Ausdruck der deutschen Juden Flugerlein (Perles loc.cit.).
84
Es scheint abgeleitet von dem Verbum mhd. floieren 'flattern, sich aufgeblasen betragen'. Dieses sieht romanisch aus, soll aber nach Lexer s.v. und den im Findebuch s.v. genannten Darstellungen von Suolahti und Rosenqvist vielmehr ahd. flogarön 'flakkern, flattern' fortsetzen - wozu wiederum die beiden fleiger-Belege im Bair. Wb. schlecht passen. Das dt. flügerltn und ähnliche Formen im Jidd. (s. sogleich) könnten durch 'Flügel' bzw. 'fliegen' attrahiert sein.
262
flejzn
Vermutlich erklärt sich die doppelte Benennung sowohl in den Übersetzungen wie bei der Trauungszeremonie daraus, daß man - z.B. im 14. Jh. uneinig darüber sein konnte, ob man ein zunächst erkennbar nichtjüdisches Mode-Wort (im buchstäblichen Sinne) rezipieren oder auf deskriptive Neutralität dringen sollte. flejzn 'strömen, fließen, heraussprudeln, branden', stj.; (der) flejz 'Gießbach, Erguß', stj.; flejz- 'Gezeiten-, Flut-', stj.; farflejzn 'überschwemmen, heimsuchen', stj.; farflejzung 'Flut', stj.; (der) mabl 'Sintflut', stj. Die Frage, warum zur Wiedergabe hauptsächlich der hebr. Wurzeln ηϋΦ und ηΐ2£ gerade das Verbum germ. *flöt-jan > vorahd. *flöttjan > mhd. vlce^en/vloezen ('fließen machen') > neujidd. flejzn mit seiner Wortfamilie gewählt wurde, läßt sich wenigstens um eine Stufe zurückschieben: auch die jüdischfrz. Überlieferung benutzt hier altfrz. floter (mit den rein lautlichen Stammnebenformen floit /frot /flont). Und zwar für ηϋΙΡ: A = G4 Ct 8.7, B = G3 Hi 38.25, D,E,F (= G6,5,2) Lv 15.11, E,F Lv 6.21, Ε Ps 124.4; für ηΐ2£: A,B,C,D,E,F (wo C = G1) Ez 32.6, E,F Dt 11.4 (vgl. Lambert / Brandin 1905 für A; R. Levy 1932 und 1960: Nr. 482, Tresor s.v. floif, Banitt 1972 für C, 1995 für F). Was die Lautform betrifft, so wirkte im Vorahd. -j- auf den vorhergehenden Konsonanten geminierend, nicht nur wenn dieser nach Kurzvokal, sondern im Prinzip auch, wenn er nach Langvokal stand; doch wurde die Gemination im letzteren Falle oft unterdrückt, um überlange Silben zu vermeiden, also *flötjan neben *flöttjan. So ergaben sich Doppelformen, hier durch die Zweite Lautverschiebung mhd. vlce^en neben vlcezen. Die Handschriften pflegen allerdings 3 und ζ nicht zu unterscheiden, und die Affrikate wird zunächst nur faßbar bei der gelegentlichen Schreibung tz\ vgl. solche Formen bei Lexer s. vv. vloe^en, vlce^er, vlöyholz, vlce^pfenninc, vlöjwec, während das DWb eigene Artikel Flotz, Flötze, flötzen, Flötzer hat.85 Doch als im 15. Jh. die graphische Doppeldeutigkeit des -z- verschwand (Moser 1929: 69), erwiesen sich die Affrikataformen in der schriftlichen Überlieferung auch objektiv schon als die selteneren, wurden von Luther nur noch vereinzelt gebraucht (flötzen Hi 14.19) und sackten in den folgenden zweihundert Jahren endgültig ins Mundartliche ab. Umgekehrt wurden sie im Jidd. etwa zwischen 1400 und 1535 zur Norm. Wir lassen dabei zunächst die Entsprechungen des Begriffs 'Sintflut' beiseite; diese behandeln wir weiter unten gesondert. Im übrigen gilt dann: R9 hat vereinzelt noch -s- (Jes 10.22), meist schon -z- (~ HIS und z.B. 85
Fernzuhalten ist (mit dem DWb) das bergmännische Wort Flöz < frühnhd. flez 'flache Schicht'.
flejzn
263
Dt 11.4, Jes 8.8, 28.2, 28.17, 30.28, 43.2, Ct 8.7, Thr 3.54, dazu Jer 47.2 vör-vlözung, Hi 38.25 vlözung'); R13 hat noch -s- als Norm (Ps 69.3, 69.16, Pr 28.3 [~ ηπο]); M M hat selten noch -s- (Ps 90.5 [~ Bit], dazu Ps 32.6 flosung), meist schon -ζ- (~ ηΐ2£ und η ϋ Ρ z.B. Lv 6.21, 15.12, Dt 11.4, Thr 3.54, Ps 69.3, Pr 28.3 [s.o.]). Von da an können wir nur noch z-Belege beibringen, z.B. M ü Dt 11.4; Α Dt 11.4, Thr 3.54; El Ps 69.3, 69.16, 78.20, 124.4, dazu vlözung 32.6; BM Dt 11.4, Ct 8.7, Thr 3.54. Ähnlich in frei formulierten Texten: -s- noch Bar 808 (und 2502 der sünde vlös-weter, allerdings poetische Umschreibung von 'Sintflut'), aber -z- Mel 241.3 vlezen 'Flöße'; P u W 338.4 der Regen hat die Brücke vör-vlözt, 339.5 vloz 'Strömung'; HiP 14.19 wider-vlöz 'Zurückfließen', 26.12, 36.31, 38.11 °ver-vlezen, 36.31 und 37.7 vlöz-regin (dazu 14.19 ver-vlezt, 22.11 vlöz wäser, 38.25 vlöz-regen in übersetzten Stellen); M R 2.26 (nach Jes 43.2) ver-vlözen-, ZuR 68vb52, 152vb44, 162val7, 164ra50, 183vb2, 185rb29 Jer-flezen, 105ra35, 139val9 flezen (Verbum), 139va20 flez-wdsir, TA 3vl7 flezung waser - also der stj. Stand. Was nun bibelhebr. ^ISD 'Sintflut' (Gn 6.17 u.ö.) betrifft, so übergehen die Glossare R9, L, M i j o und BM das Wort trotz seiner evidenten Wichtigkeit; schon das deutet darauf hin, daß mabul auch das Wort des zwanglosen jidd. Gesprächs war. In Lo schreibt die erste Hand (noch 15. Jh.) Gn 6.17 mabul, dann auf neugeschriebenen Seiten die zweite (etwas jüngere) Hand Gn 7.6, 7, 10, 17 gevlös, dann wieder die erste Hand Gn 9.11, 15, 28, 10.1, 32, 11.10 mabul. M M hat flözung Gn 6.17; M ü vlösung Gn 6.17, vlozung 7.6, 10, 17, vlönzung 7.7, 9.11 (2x), 9.15, 28, vlötsunk 10.1, vlötsung1 10.32, flötzung 11.10; A Gn 6.17 gevles, 7.6, 10, 17 gevles', 7.7 givlös, 9.11 (2x), 9.15, 28, 10.1, 32, 11.10 vlesung-, Κ Gn 6.17 ver-flezung, 7.7 ver-vlözung, 7.6, 10, 17, 9.11 (2x), 9.15 vör-vlözung, doch 9.28, 10.1, 32, 11.10 mabul. Es gibt nur eine Erklärung: in ungezwungener Ausdrucks weise sagte man damals wie heute mab(u)l, aber etwa zwischen 1500 und 1550 versuchten mehrere Schulen mit konkurrierenden Prägungen auch hier das Übersetzungsgebot durchzusetzen. Die Kommunikation war dabei zum Teil eine nur mündliche - sonst bliebe der Befund zumindest in M ü und A unverständlich. Zur Diskussion stand dabei aber nur der Begriff 'Sintflut'; denn in allen anderen Verwendungen erfolgte die Hinwendung zur Stammform flejz(-) ja bruchlos und wird zudem durch das heutige Jidd. voll bestätigt. Wichtig ist, daß um diese Zeit auch die Promotoren deutschkomponentiger Ausdrucksweisen sich nicht im geringsten an die christlich-dt. Wörter anlehnten, als da waren Sint-/Sin-/Sündflut/-fluß/-flucht, sint(ge)wage und hinvlu$ (DWb; Großer Lexer samt Nachtrag). Der mentale Unterschied vom aschkenasischen zum ital.-jüdischen Bereich, wo zumindest im späteren 16. Jh. massenweise gebildet-ital. Sprachgut aus Vulgataprovenienz aufgenommen wird (Berenblut 1949 passim), könnte nicht krasser sein.
264
flien
flien (Part. Perf. geflojgn) 'fliegen', stj. Ahd. fliogan 'fliegen' und fliohan 'fliehen' sollten dadurch, daß bei letzterem grammatischer Wechsel (> -g-) zu erwarten ist, im Präteritum Plural und im Perfekt-Partizip zusammenfallen. Doch ist der Wechsel schon vorhistorisch rückgängig gemacht, so daß die Paradigmen im Dt. bis heute formal ganz getrennt geblieben sind (Braune / Eggers 1975: § 334 A.2). Es bleibt freilich die semantische Nähe: denn flugfähige Lebewesen fliehen ja fast immer fliegend, nichtflugfähige oft so schnell, als flögen sie. So gibt es gelegentlich Verwechslungen zwischen beiden Verben auch im Dt. (für das Ahd. Braune / Eggers 1975: § 333 A.l; für das Mhd. Lexer vliegen in fine; für das Frühnhd. DWb und DWb 1 fliegen: Luther bis Olearius, in der Poesie auch später). In der jidd. Bibelübersetzungsliteratur sind beide Verba seit Beginn der Überlieferung schon völlig zusammengefallen. Wir nennen nur Formen, die im Dt. >falsch< wären: R9 Gn 1.21 vögel vlihen ~ Ex 2.15 Moses vlög' (~ r n : H ) vor Pharao, Jes 31.5 Vögel di do vlihen ~ DiDS?, 60.8 si söUn vlihen ~ n r s w n , Hi 9.26 wie ein Adler auf seine Beute schwebt j"o vluhet ~ tfltr; MM flihen 7x s.v. «γΐΰ, l x s.v. m c " 'fliegen' (ist aber auch Norm für ΓΠ3 und 012 'fliehen'); Mü und A Gn 1.21 °vlihen (aber Κ vligen); A Gn 31.21, 39.13, 15 Jakob bzw. Josef vlög; El Ps 18.11 givlöhen, 55.7 vlihen, 90.10 ver-vlihen, alle zu ηΐΐ?; BM Gn 1.20 er sol vlihen ~ ^ElST. Außerhalb der Übersetzungsliteratur sind in CH, d.h. hier: in DH, die beiden Verba noch getrennt: 192 ich wil vil luzel vlihen um' däs schone megetin, 608 die Vögel bei Horants Gesang ir vligen musten lösen sin; vgl. auch DH 389, 810, 837. Danach nicht mehr: EM 819 (EB 837) däs in ist wider ir gevider hin un" her zu vlihen\ Sb 674.4 ain stechendig wespJ zu vlihen kam\ BB 332.2 die Pferdeknechte vlöhen do-hin, as heten si vlugel (Grenzbeleg), 605.2 das Pferd sprang, as vlöch es in lüften-, PuW 9.2, 343.8, 344.1, 423.3, 628.6, 628.7 (dazu 699.1 vlucht 'Flug'); MR 116.97 die Frau vlög hinweg; Br 230.7 °ain vogel der lean nit vlihen on vlügel; ZuR 3v43, 30ra43, 56va21 usw. etwa 15x flihen (und 9ra34, 37ra30, 71rbl0 usw. etwa 6x giflohen [sie]) 'fliegen' (von Engeln, Vögeln, Insekten, Buchstaben), aber vereinzelt noch umgekehrt: worum fligstu vär deinem got 194va42; SbS 9r23 flihen (von Mücken); NH di' fegel wos flihen ~ •,D13-'75?3 [sie]. Zusammenfassend kann man dann sagen: 1) Die Bibelsprache verschmilzt die beiden Verben mindestens so früh wie die sonstige Literatursprache, wahrscheinlich geht sie dieser sogar - weil von der dt. Literatur nicht gehemmt - voran. 2) In dem >Mischverb< überwiegt semantisch von 86
Wahrscheinlich 'fliegend', jedenfalls semantisch eindeutig 'fliegen'
foder-
265
vornherein 'fliegen', doch kommt in abnehmendem Maße - und schließlich vereinzelt bis in ZuR - auch 'fliehen' vor (dessen Hauptinhalt auf antrinen und antlojfn abwandert). 3) Die Form des Perfektpartizips muß bis über ZuR hinaus unbestimmt geblieben sein. flosfeder 'Flosse', stj. Dt. Flosse ist seit dem Ahd. gut belegt (mhd. vlo^e, Lexer, DWb). Erst im 13. Jh. taucht daneben vlo^vedere auf (Findebuch, Lexer, DWb Floszfeder), möglicherweise zur Verdeutlichung von v/033' i n apokopierenden Mundarten. Luther hat Flosfedder (Lv 11.9, Dt 14.9 und eine Tobias-Stelle), setzte sich damit aber nicht durch, wohl weil der Begriff für Christen ohne rituelle Bedeutung, vielmehr eine zoologische Realität wie andere ist, über deren Sprachform man sich nicht notwendigerweise in der Bibel Auskunft holt. Anders natürlich die jiddische Tradition; denn die Flosse ist ja unabdingbar zur Definition der koscheren Meerestiere. Und so ist °vlos-veder' von Anfang an fest: R9, L, Lo, Mü, Α, Κ, BM Lv 11.9, Dt 14.9; MM Lv 11.9 (~ TSIO). Im Gefolge davon auch der außerbiblische Gebrauch: Sdt 4v vlos-veder, ZuR 80rb27 flös-federn, Joz l - 3 r der sör-habor [...] mit dem livjosson er wert fechten, mit seiner flös-feder er in wert schichten, NH VB1D - flös-feder - ale - pinnula. Hier schließt sich stj. flosfeder an. foder- (Ha auch feder-) 'Vorder-', stj., foderster, auch federster 'vorderste^)', stj.; fodern (Ha auch, Bi nur federn) 'fordern', stj.; federn sich 'früh(er) aufstehen, zuvorkommen' (Ha 'zuvorkommen' auch ohne 'sich'), stj. Der deutsche Wortstamm vorder-/forder macht in vielen dt. Mundarten eine Schwunddissimilation zu fo(d)der- durch. Beim (quasi-)adjektivischen vorder-, wo der Zusammenhang mit vor, vorn evident (und deshalb auch in der heutigen v-Schreibung bewahrt) ist, konnte sich der r-Schwund in der gemeinsprachlichen Tradition von vornherein nicht durchsetzen (vgl. immerhin die Belege bei Lexer vorder, voder und im DWb fodder2, foder, vorder). Bei fördern, wo der Zusammenhang mit vor, vorn schon weniger evident ist (siehe die heutige Orthographie!), finden wir r-Schwund nicht selten vom Mhd. an immerhin bis Klopstock und Lessing (Lexer vürdern, DWb fördern). Daß schließlich fordern einst als rechtssprachliches Verbum soviel bedeutete wie 'verlangen, daß jemand oder etwas hervortrete', ist vergessen; so findet sich fo(d)dern bei Luther (speziell in der Bibelausgabe letzter Hand), überwiegend oder ausschließlich bei Opitz, Gottsched, Lessing, Wieland sowie in Kants und Schillers Erstausgaben, selten bei Geliert und im Reim bei Goethe (DWb foddern, fodern, Foderung). Endgültig
266
fruchpern sich
siegte fordern erst in der gymnasial-vereinheitlichenden Sprache des 19. Jahrhunderts. Im Jidd. hat sich, wie zu erwarten, foder(-)/feder- völlig durchgesetzt, und zwar im 16. Jahrhundert. Noch -r- in der Stammsilbe haben: R9 Lv 13.42 sein vörder-kal ~ 1ΠΠ333 'Vorderglatze', Hi 3.12 si hon gefördert mich ~ W I , ? , R13 Ps 18.6, 18.19, 21.4, 59.11, 68.26, 79.8, 88.14, 89.15, 95.2, 119.147, 119.148 überall Formen von °vordern ~ ETlj?, Lo, Mü Lv 13.42 °vörder-kal. Außerhalb der Bibelübersetzungen Sb 147.1 nun vördert öüch behenden un ge'et zu im hin und noch HiP 24.1.63 und 79 das vörderst (frei formuliert). Hingegen mit Schwund des -r-\ MM Lv 13.42 voder-kalung, Dt 23.5 u.ö. (4x) Formen von °vödern ~ D^p, 1S 24.14 dem vodersten 'Vorfahren' ~ - I b ^ n Οψα)·, A Lv 13.42 voder-kalung-, BM Lv 13.42 veder-kalung, Dt 23.5 si' haben gefedert ~ Wlp. Starkes Schwanken zeigt El Ps: das -rder Tonsilbe ist erhalten 17.13, 59.11, 79.8, 89.15, 119.147, 119.148, aber gefallen 18.6, 21.4, 68.26, 95.2. Außerhalb der Bibelübersetzungen: Mel 2093.4 di' vodersten vüs\ SJ 101 bv4 wu-mit sol ich in vederen (~ mpX), 58r9, 60r2, 108v21 gefodert 'gefordert', 131 ν 12 fodern 'fordern'; MB 9.38 wen dich hkb"h fodert zum tot, ähnlich 9.40 födert und 9.61 gέfodert. NH ~ SJDin federer 'Überbringer einer gerichtlichen Vorladung', vani ~ wert gefedert 'wird vorgeladen', HDTj?n -federung - admonitio lectoris. Da bis ins frühe 16. Jh. die meisten altjiddischen Graphemsysteme umlautindifferent sind (Timm 1987: 175ff.) - so im großen und ganzen auch noch das System von MM, in manchen Spuren das von El Ps - sind die beiden Verben in älterer Zeit graphisch nicht sauber zu trennen: möglicherweise war die Überlappung schon in alter Zeit hier und da auch eine phonische - wie noch heute. fruchpern sich 'fruchtbar sein', stj.; fruchperung 'Vermehrung, Zuwachs', stj.; fruchperdik 'fruchtbar', stj.; fruchperdikejt 'Fruchtbarkeit', stj.; fruchpern un mern sich 'fruchtbar sein und sich mehren', stj., dazu fruchperung un merung, stj.; fruchtik 'fruchtbringend', stj.; °fruchtikn un mern 'fruchtbar sein und sich mehren', älteres Jidd. ΏΊ1 Π δ - in wuchtiger Kürze und doch Parallelität ruft Gott es den Tieren als einziges, den Menschen als erstes Gebot zu (Gn 1.22, 28). Schon die Septuaginta, dann Hieronymus, die vorlutherischen deutschen Bibeldrucke und Luther selbst konnten diese Kürze nicht durchhalten: Αύξάνεσθε και πληθύνεσθε, crescite et multiplicamini, wachst und werd gemanigueltigkt, seid fruchtbar vnd mehret euch. Die jüdischrom. Tradition sah als Zentrum der Wortfamilie um m c wohl "HS 'Frucht' an. Denn sie übersetzt n~)D durch den Typ fructificare, der auch im christlichen Lat. und als fructifier in der (halb-) gelehrten Schicht
fruchpern sich
267
des Frz. eine bedeutende Rolle spielt, der uns aber in der jüdischfrz. Überlieferung in ungebrochen-mündlicher Entwicklung, so z.B., was speziell unsere Genesis-(Doppel-) Stelle angeht, in A = G 4 und in F=G2 als frotijeg entgegentritt (Blondheim 1925: Nr. 56, Lambert / Brandin 1905 und Banitt 1995 ad Gn 1.22; vgl. noch R. Levy 1960: Nr. 350, wonach frotigier und frotigement nur jüdischfrz. belegt sind). In der jidd. Tradition haben hier einzelne Textzeugen vrühtet (L), drucktet (Mijo), was auch gutes Mhd. wäre (Lexer vrühten, vruhten, DWb fruchten). Anders die Mehrheit: Mü vruchtiget, MM, Κ vruchtiget, A vruchtiget. R9 und BM glossieren die (Doppel-)Stelle nicht, bieten aber ersatzweise R9 Gn 26.22, 41.52, Ex 1.7 und BM Gn 47.27, Ex 23.30 die Gleichung °vruchtigen - Π~ιΕ>. In Lo ist das einschlägige Blatt ersetzt durch einen Text von einer jüngeren Hand des 16. Jhs., die Gn 1.22 ir sölt frichpern (s. unten), 1.28 ir sölt fruchtigen schreibt; von erster Hand sind aber auch hier z.B. Gn 26.22, 41.52, 47.27, Ex 1.7 und 23.30 die Formen von °vruchtigen. Dieses °vrucht-ig-et stimmt fast buchstäblich zu dem jüdischfrz. frotij-ές, was um so schwerer wiegt, als mhd. vrühtigen ein ziemlich seltenes Verbum ist (Großer Lexer samt Nachtrag und Findebuch kennen insgesamt acht Stellen) und zudem fast nur transitiv vorkommt.87 Da ferner der Wortstamm °fruct- dem Griech. und den slav. Sprachen abgeht, könnte eine Ostoder Südost-Herkunftshypothese hier nicht mithalten. Außerhalb der Bibeltradition kommt das Verbum interessanterweise in der jüdischen intransitiven Gebrauchsweise schon in CH vor: Ab 108 dem' selben bildnere ein kint geboren wärt, däs vruchtigte härte klaine noch sines väter art. Und es kommt noch vor in ZuR 141rb47 hosson un calo sölin sich aso frichtigen as άϊ hiner mit-anänder. Während somit unter anderem BM und ZuR um 1600 noch das überkommene Verbum benutzen, macht sich anderswo schon im 16. Jh. eine Neuerung breit: das Verbum wird ersetzt durch °fruchtbaren/früchtbaren. Auch das neue Verbum ist im Dt. sehr selten: Lexer und essentiell das Findebuch kennen es nicht,88 und von den vier Belegen im DWb ist Sebastian Francks Satz fruchtbart und mehret euch wie dieser weitz (im >Weltbuch< von 1534) vielmehr ein ganz explizites Zitat Francks aus der aschkenasischen Hochzeitszeremonie. Es ist der älteste datierbare, wiewohl indirekte Beleg für die neue Formel. Ein Jahrzehnt jünger ist K; dort finden wir zunächst °vrüchtigen Gn 1.22, 1.28, 8.17, 9.1, 9.7, 17.6, 17.20, 26.22,
87
Der einzige bei Lexer als >absolut gebrauchte bezeichnete Beleg ist transitiv; BMZ zitiert das Objekt: einen samphten ruch. Aber dem Hinweis des Findebuchs nachgehend, findet man, daß von zwei Cranc-Stellen die eine (Jes 42.5) vruchtiget absolut gebraucht (die Vulgata hat germinant).
88
Im Findebuch ist das Hapax vruchtbemde als 'fruchttragend' zu verstehen.
wohl mit den Herausgebern (e, nicht Deutsch< gebessert zu haben von vrüchtigen zu vruchten. Der nächste Zeuge ist Br 74.28, 99.18, 249.13: er zitiert dreimal Gn 1.28 und übersetzt jeweils ohne weitere Rechtfertigung "früchbart (vruchpart, vrüchpart) un" mert. Nur das neue Verb benutzt dann auch Wi Gn 1.22 seit fruchtbaren un" far-mert [eich] (eckige Klammern von Witzenhausen selbst), 1.28 seit fruchtbaren un" meren usw.; vereinzelt schreibt er schon fruchberen Ex 23.30. (Blitz echot wieder einmal offen Luther: Gn 1.28 seit fruchtbar un* me ret eich.) Das neue Verb fruchpern benutzen auch nahezu alle Informanten Nobles (Nr. 330), ähnlich Jeh fruchpert ajch un mert ajch - und das Stj. (der) furem '(prägende) Form, pattern', stj., neben (di) forem 'Form, Gestalt', stj., (di) forme '(vor allem grammatische) Form', stj.; furemen neben formirn 'bilden, formen', stj. 'Π D^sa - 'zum Bilde Gottes' schuf Gott den Menschen (Gn 1.27). Für die Septuaginta ist diese Ausdrucksweise problemlos: κατ' εικόνα θεοί); ebenso für Onkelos: xa'psa; und für die Christen: Hieronymus hat ad imaginem Dei, Luther zum Bilde Gottes. Hingegen empfinden Jonathan und Symmachus die Gefahr eines Anthropomorphismus und gehen ihr aus dem Wege, indem sie den Genitiv unübersetzt lassen (vgl. hierzu EJ, Art. Anthropomorphism, Sp. 54f.). Wenn nun die jüdischfrz. Tradition hier forme benutzt (A = G4, F=G2; G=D2 s.v. Obs), liegt das auf derselben Linie (R. Levy 1960: Nr. 471). Dieses forme übersetzt aber außer D^s noch D'UX 'Gebärstuhl' Ex 1.16 (A, F) bzw. 'Töpferscheibe' Jer 18.3 (A, C = G1), "latfö 'Gebärstuhl' Hos 13.13 (A, B = G3, C, D = G6, E = G5, F; G s.v. mtf), Opferkuchen in Form einer Gottheit' Jer 7.18 (A,C,D,E,F, z = F7; G s.v. I'D) und abi 'Embryo' Ps 139.16 (A). Dazu kommt ein Verbum former ~ 3ä£a 'bilden' Hi 10.8 (A,D,E), ~ I S ; 'bilden' Jer 1.5 (A,F) bzw. aformer ~ rrsijn 'bilden, figürlich darstellen' Jer 44.19 (A). Man vergleiche nun die jidd. Tradition: Gn 1.26 (bzw. 27) furem' R9, Mü, furem Lo, MM, A, Wi, vurem' K, vrum (Schreibfehler) Mijo, furem BM, forem Bli 'Bild'. - Ex 1.16 furem' R9, Lo, forem' L, furem Mü, A, K, Wi, furim MM, Mijo, BM 'Gebärstuhl'. - Jer IS.3 furem' R9, furem Mijo, Wi, forem Bli 'Töpferscheibe'. - Hos 13.13 (an der) furemen R9, furem Mijo 'Gebärstuhl'. - Jer 7.18 furemen (PI.) R9, furem MM, furemen Mijo, [ainen] gefuremden [kuchen] Wi, geforemtέ kuchen Bli 'Kuchen in der Gestalt einer Gottheit'. - Ps 139.16 furem R13, MM, El Ps, furem
(der) furem
269
Mijo, ungefuremden klumpfen Wi, ungeforimten klumpf Bli (wobei Bli und Wi, obwohl sie inhaltlich das Gegenteil glauben sagen zu müssen, doch ihr Stichwort 'Form' zweifellos aus der älteren Ausdrucksweise bezogen haben). - Hi 10.8 si haben gefuremt mich MM, Mijo 'haben mich gebildet'. - Jer 44.19 furemen ain bild Wi, machen ires (sic) /«rem Bli 'stellen eine Gottheit bildlich dar'. - Jer 1.5 hab geförmirt Wi, hab [...] geförmirt Bii 'habe gebildet'. - Was hier den Kausalzusammenhang völlig sicher macht, ist gerade die Tatsache, daß eine Mehrheit von nur locker miteinander verknüpften Bedeutungen 89 beiden Traditionen gemeinsam ist. In frei formulierten Texten: BB 507.4 mench tir mit wilden furem (: lint-wurem : sturem); PuW 101.6 kain solche furem (: lind-wurem : sturem), beides ihrer Stellung zufolge weibliche Reime; HiP 36.5 in seinem form; Br 63.21 °der forem, 63.24 °in seinem forem, 64.4 dgl., 121.25 °aso ain forem, 121.35 °ain neuen forem, 160.21 °in sein forem',90 ZuR 41ral5, 66va24, 66va25 ous dem-selbigen furem, 66va26 in ain gildeni furem, 68va20, 121ra54, 55 (2x), 169vb30; TA 3v27 in seinem forum-, Bhm 25r in seinem furem, 27 ν got kinig der weit, der eich gifuremt hot mit rechten. Noch einige Bemerkungen zur Phonemik und Morphemik. Lat. forma hat trotz gedeckter Silbe langes ö. Die einmal belegte Schreibung mit Apex und die häufige griech. Transkription φωρμα, vereinzelt sogar φουρμα (neben φόρμα; TLL s.v. forma), ital. forma mit geschlossenem ο (Battaglia), dialektal auch furma (so sporadisch in jüdischital. Texten, Berenblut 1949: 159f.), span, horma, nicht *huerma, im Alt- und Mittelfrz. häufig fourme (mit rezenten Fortsetzungen in nordwest- und südostfrz. Dialekten; FEW s.v. forma), im Mittelengl. häufig fourme (und furme, MED s. v. forme) sie alle lassen für Zweifel keinen Raum. Erst die mittellat. Aussprache nach der Schrift, d.h. ohne phonologisch gültige Quantitäten, hat nördlich der Alpen seit der Karolingerzeit über die älteren /örma-Reflexe eine noch dichtere /omuz-Schicht gelegt. Der Wandel δ > u ist einzelsprachlich; im Dt. kann man vergleichen lat. mörus, löra > ahd. mürberi, Iura > Maulbeere, Lauer und das ahd., früh rückgängig gemachte rümisk, Rümärl 'römisch, Rom' (Braune / Eggers 1975: § 41), nur daß sich bei *fürm Kürzung in gedeckter Stellung anschließt. In der dt. schriftlichen Überlieferung finden wir furm(e), mehrfach durch Reim gesichert, bei Südostdeutschen (Lexer forme, DWb Form, Sp. 1898), in den oberdt. Mundarten ist es noch heute weit verbreitet (vgl. Schwäb. Wb. mit Verweisen). In L ist lol Dialektmerk-
89
90
Im Frz. und Dt. haben wir für forme/Form zwar Bedeutungen wie 'Bank', 'Bettgestell', 'Kuchenform', aber nicht 'Gebärstuhl', 'ein gewisses Backwerk' oder 'Embryo' gefunden. HiP kann auch als furem gelesen werden; vermutlich steht auch in Br das ο der Ausgabe für Waw (der Druck Basel 1602 hat durchgängig •'mB).
270
gajst
mal, in Bli bezeugt es schriftdt. oder (frz.-)holl. Einfluß; sonst scheint im Jidd. überall lul zu herrschen. Im Mhd. scheint das Wort immer noch Femininum zu sein (Lexer, Findebuch). Das Maskulinum verzeichnet das DWb nur für Sachs und für Gotter (18. Jh., aus Gotha); wiederum ist es aber in oberdt. Mundarten sehr gängig.91 Im Jidd. finden wir das Fem. in einigen alten und/oder romanianahen Texten: R9, Lo, Mü, Mijo, wahrscheinlich auch L und PuW; hingegen das Mask, vielleicht in BB, sicher in MM, A, K, HiP, Br, ZuR, BM, TA, Bli, Wi. Während sich also der fur(e)m in den süddt. Mundarten jahrhundertelang vor dem lateinnahen die Form der Schriftsprache verstecken mußte, eroberte es sich im Jiddischen, wo Lateinnähe kein Positivum war, früh auch die schriftliche Tradition. Bemerkenswert bleibt bei dem jidd. Wort aber, daß semantische Bindung an die vorjiddische Übersetzungstradition mit lautlich-flexivischer >Autochthonie< vereinbar war. Doch auch für das Jidd. änderten sich die Zeiten: di forem wurde vermutlich im späten 18. oder frühen 19. Jh. aus der dt. Schriftsprache entlehnt (und geringfügig adaptiert), di forme noch später im gymnasialen oder universitären Milieu aus slav. forma. Zu dem altererbten furemen stellt sich der Konkurrent formim früher ein. Das Wort, das im Dt. seit dem 12. Jh. belegt ist, freilich wegen der Endung als Fremdwort leicht erkennbar blieb (Lexer, DWb), begegnet uns im Jidd. immerhin bei Bli und Wi (s. oben). gajst, stj., und die Vermeidung dieses Wortes im älteren Jiddisch In R9 erscheint noch viermal das Wort ° gaist, und zwar außerhalb der Tora: 1Κ 22.22, Ps 104.3, Hi 32.8 ~ n n , Jes 2.22 ~ ΠΟψΙ. Wenn dann Elia Levita und Paulus Fagius in SD die Gleichung gaist - ΠΙ") - Spiritus - Geist bringen, so kann das, mehr oder minder auf Fagius' Suggestion hin, eine sozusagen theoretisch gemeinte Gefälligkeitsantwort Elias sein. Wenn weiterhin in SJ gleich elfmal gaist vorkommt (18 ν dreimal, 67 v, 78 v, 82ν zweimal, 83 r, 97 r dreimal), so geschieht das immer in den ausführlich referierten Disputationen mit Christen, wo sich die jüdische Seite sichtlich der christlichen Terminologie anpassen muß. Und wenn schließlich um 1600 Binjamin Merks in seiner handschriftlichen Bearbeitung des >Eulenspiegel< (MünlOO, fol. 188v) dreimal vom schmalig(en) gaist spricht, so hat er heilig geist der dt. Vorlage aus Distanzierungsgründen deformiert (M. Weinreich 1973: 2.286 und 4.335, 1980: 624). Denn sonst können wir vom 14. bis tief ins 18. Jh. hinein inner- und außerhalb der Übersetzungen 91
Der Übergang zum Mask, setzt wohl die Apokope voraus. Da im Dt. alle Wörter auf -rm (außer den jungen Fremdwörtern Farm und Norm) Maskulina sind - Arm, Darm, Harm, Lärm, Schirm, Schwärm, Sturm, Turm, Wurm - , kann lautliche Analogie gewirkt haben. Ein >Trägerwort< für den Genuswechsel ist nicht zu finden.
gajst
271
überhaupt keine jidd. Belege beibringen, obwohl in den Übersetzungen die Polysemie von ΠΙ") großzügig anerkannt wird. MM führt acht verschiedene Übersetzungen vor, die wir, um einen Gesamteindruck zu vermitteln, durch die wichtigeren Übersetzungen verfolgt haben; s. die Tabelle auf den folgenden beiden Seiten. Selbst wenn noch einzelne Belege für gaist auftauchen sollten, kann es keinen Zweifel geben: das Wort wird im innerjüdischen Gebrauch bis über Blitz und Witzenhausen hinaus, also offenbar bis ins 18. Jh., generell gemieden. Der Grund ist nicht schwer zu erraten: gaist klingt zu sehr an die christliche Trinitätslehre an. Das veranschaulicht man sich am einfachsten (mit Ginzberg 1903-38: V 7 4 n. 17) an seiner ersten Vorkommensstelle in der Bibel, Gn 1.2, die wir deshalb in die Tabelle aufgenommen haben. Jener Π?") ~ πνεϋμα ~ spiritus, der da über den Wassern schwebt, wurde seit Origines in der christlichen Literatur mit der dritten Person der Trinität gleichgesetzt. Der Talmud (Hagiga 12a) erklärt ihn demgegenüber als 'Wind', doch viele Midraschim, beginnend mit Beresit Rabba, identifizieren ihn mit der Seele des künftigen Messias. Ginzberg vermutet wohl zu Recht, daß letzteres schon eine korrigierende Abwehr der christlichen Auffassung darstellt. Wie die Tabelle zeigt, stehen auch in der jidd. Übersetzungstradition wint und nevu'o '(Geist der) Prophetie' nebeneinander. Andererseits ist es eine Abwehr der talmudischen Auffassung, wenn Luther seiner Übersetzung 'Geist' auf dem Rand hinzufügt: Wind ist da zumal noch nicht gewest / darumb mus es den heiligen Geist deuten.92 Der unseres Wissens erste aschkenasische Autor, der in Gn 1.2 'Geist' verwendet, ist - nun schon außerhalb des Jidd. - Mendelssohn: und der götliche Geist webend auf den Wassern. Im heutigen Stj. ist gajst vorhanden, aber schon das lail statt des zu erwartenden leil deutet auf eine junge Entlehnung aus dem gesprochenen Standarddt. der letzten Jahrhunderte.93 In dieselbe Richtung weisen die im MEYYED verzeichneten Weiterbildungen, und zwar gajstik und gajstrajch durch ihren Inhalt, gajstlech 'die christliche Geistlichkeit betreffend' durch die Neutralität des Tons.94 92
93
94
Die jüdischrom. Bibelübersetzungen benutzen zwar ohne Scheu die rom. Kognate von spiritus (Blondheim 1925: Nr. 139), aber eben deshalb, weil ihre gemeinsame Grundlage nach Blondheim in die Spätantike zurückreicht, d. h. in eine Zeit, wo die christliche Trinitätslehre noch nicht den jüdischen Alltag bedrohlich überschattete; ganz anders war dies später, als sich die jidd. Übersetzungstradition festigte. Nicht etwa aus dem bairischen Dt.; denn stj. hejlik, flejsch und rejn haben den zu erwartenden Vokal. Zur bair. Wortgruppe 'Geist, heilig, Fleisch, rein' vgl. ζ. B. Kranzmayer 1956: § 20 m. 1. Freilich erscheint in der jidd. Überlieferung völlig isoliert die Personenbezeichnung der gaislich schon in Bar V. 3 und passim; doch geht es dort eigentlich um einen Derwisch, und es ist in der fragmentarischen Hs. nicht zu erkennen, wie sich der Autor die Religionszugehörigkeit dieser Person vorstellt; vgl. Dreeßen 1974 passim.
272
gas Entsprechungen von ΠΠ in Bibelübersetzungen
Gn 1.2
Gn Gn Gn Ex Ex Nu
3.8 6.3 26.35 10.19 15.10 11.17
Nu 11.29 Nu 14.24 Nu 16.22 Jes 11.4 Ez 1.12 Hi 19.17 Thr 4.20
R9
Lo
wint'
nevu'o
-
gern ut gedank\ gemut
-
Mü nevu'o
seit gemut gemut wint wint nevu'o
Seiten gemüt gemüt wint wint nevu'o
nevu'o
nevu'o gemut gemut
nevu'o rot gemut
nevu'o gemüt seien (g.sg.)
-
-
-
-
otem ötem
MM
-
-
red wilen otem otem
wind' gemüt _95
wint _96
-
gas '(Stadt-)Straße', stj., stros '(Land-)Straße', stj. Mhd. ga^e '(bebaute) Straße' ist nach Kretschmer (1918: 491 ff.) etymologisch identisch mit altnordisch und schwedisch gata, dänisch gade, engl. gate und nicht zu trennen von germ. (z.B. holl.) gat 'Loch'. Es meint ursprünglich den zwischen Häuserzeilen freibleibenden Durchgang, setzt also solche Häuserzeilen obligatorisch voraus und wird so im Mhd. zur Bezeichnung der Stadtstraße ohne Rücksicht auf deren Breite oder Länge. So hat z.B. Nürnberg seine Breite Gasse, Augsburg seine Weite Gasse. Mhd. strafe, aus lat. (via) strata 'gepflasterte Straße', meint im Mittelalter einen wenn auch nicht mehr gepflasterten, so doch unterhaltsbedürftigen öffentlichen Weg von Ort zu Ort; ferner, als Abstraktion daraus, die Route eines Wanderers ('er geht seiner Straße', d.h. 'seines Weges').
95 96
Textlücke. Textlücke.
gas
Κ
273
A
BM/Lt
Bli
Wi
wint, [am Rand:] nevu'o wint gemüt gemüt wind wind nevu'o
wint
gemit, nevuJo
wint
nevu'o
wint gemüt gemüd wint wint gemüd
seiten gemit
_97 ötem (herz-laid)98 wind wind nevu'o
seit gemit gemit wint wind nevu'o
nevu'o gemüt gemüt
gemüd gemüd gemüd
nevu'o gemüt gedanken
nevu'o gemit gemit
wint wint -
_99
wint -
wind
wint
-
wint -
nevu'o, gemit -
ötem wilen -
wint
_100 gemut ötum otem
ötem wilen ötem ötem
Im Niederdt. fehlte das Wort 'Gasse' so gut wie ganz; deshalb galt dort strate spätestens seit dem 13. Jh. auch für die Stadtstraße, so daß z.B. Lübeck seine borgstrate hatte (Kretschmer 1918: 493). Straße für 'Stadtstraße' drang dann allmählich südwärts vor, gefördert auch dadurch, daß bei Stadterweiterungen bisherige Ausfall-'Straßen' bebaut wurden, aber in der Regel weniger eng, als die Altstadt-'Gassen' es schon waren. So bildete sich ein Gegensatz zwischen breiten 'Straßen' und engen 'Gassen' heraus. Nachdem dieser Gegensatz bewußt geworden war, wurde er auch durch die Behörden gefördert, die aus Prestigegründen bei Neuanlagen fast nur 'Straßen'-Namen festlegten. So orientierte sich in den letzten drei Jahrhunderten Süddeutschland zwar nicht in den Straßennamen seiner Altstädte, wohl aber im Appellativgebrauch fast ganz um. Als 1951 der Artikel Straße
97 98 99 100
do der tag ki'l war geworden (nach Luther). Nach Luther. Text verkürzt. Blattverlust.
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gas
des DWb erschien, hatte (nach Sp. 887) Gasse in der Bedeutung 'Stadtstraße' »einigermaßen uneingeschränkte Geltung« nur noch in Österreich. Wir können hinzufügen: und im Jiddischen. Denn das Jidd. ist bei der alten Opposition gas 'Stadtstraße' (MEYYED: 'street') contra stros 'Landstraße' (MEYYED: 'highway, turnpike') geblieben - wie es ja auch ähnliche Umorientierungen des Dt. nach nord- oder mitteldt. Muster in der Regel nicht mehr mitgemacht hat. Und zwar übersetzen unsere Bibeltexte ganz einhellig durch °gas nicht nur ΉΠ, wo immer es 'Straße' (nämlich 'Stadtstraße'), nicht 'draußen' heißt - so schon R9 Jes 5.25, Jer 37.21, Ez 11.6, 26.11, Pr 1.20, 24.27, ebenso die spätere Tradition. Sondern °gas ist auch a i m - so R9 Gn 19.2, Dt 13.17, Jer 9.20, Hi 29.7, Thr 2.11, 4.18 und die Späteren. Daran ist zweierlei bemerkenswert. Zum einen empfinden die Übersetzer, da ja die Zugehörigkeit von Din") zur Wurzel Dm 'breit (sein)' völlig klar ist, eine 'breite Gasse' offenbar nicht als Widerspruch; R9 schreibt sogar vereinzelt Jer 5.1 in iren weiden gasen für bloßes «TTinima, ähnlich Ct 3.2. Zweitens heißt aber doch a i m in der Bibel 'Platz', nicht '(Stadt-) Straße' wie heute im Ivrit. Die Bedeutung '(Stadt-)Straße' soll sich im Hebr. nach Even-Shoshan sogar erst im 19./20. Jh. belegen lassen. Doch die Gleichung 31ΠΊ ~ rue ist gelegentlich schon in der jüdischfrz. Bibelübersetzungstradition zu finden, so in F=G2 Gn 19.2 (als zweite Möglichkeit, Banitt 1995 ad loc.) und Ct 3.2 (vgl. R. Levy, Tresor s.v. rue). Und in den Kölner Schreinsurkunden findet sich a i m - ga^e von Anfang an als feste Entsprechung: Hoeniger / Stern 1888: Nr. 106 von 1270 "isp 31 m 'auf deutsch' Xt^JXllX {engegase), Nr. 139 um 1280 KIM-IJJX ίΟρίΠ a i m a (ιengergase) u. ö. Zugleich wird aber auch das ganze Judenviertel, das in den lat. Urkunden passim platea iudeorum oder vicus iudeorum heißt, freilich zur Hauptsache aus der Engegasse besteht, in den hebr. Urkunden passim •ΗΙίΓΠ a i m genannt (zu beidem Hoeniger / Stern 1888: Register S. 227). Im Alltag entsprach dem zweifellos 'Judengasse', wie uns später explizit z.B. MR 93.48 und 95.3 jüden-gds oder Br 136.39 °juden gas begegnet, mit jenem leicht erweiterten Sinn von 'Gasse', wie er im rezenten Jidd. in afder jidischer gas 'im Judenviertel' vorliegt. Wir können hier nicht untersuchen, inwieweit diese durch eine interlinguale Paronomasie zwischen hebr. 3ΊΓΓ] und frz. rue (< lat. ruga) und inwieweit durch städtebauliche Gegebenheiten gefördert wurde. °stros haben wir freilich in den Bibelübersetzungen vergeblich gesucht - aus dem einfachen Grunde, weil ""["Π 'Weg, Straße' selbst in Fällen wie η"7!3Π η "Π 'Heerstraße' Nu 20.17, 21.22 durch weg (hier weg des kunigs) abgedeckt wird. Doch außerhalb der Übersetzungen ist die Opposition - nach unseren ungefähr 115 °gas- und 75 °.v/roi-Belegen zu urteilen - schon von CH an
gebirt
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über die Jahrhunderte durchaus fest. Das idiomatische 'er geht (reitet, fährt usw.) seiner Straße' (allein über 35 Belege) steht zwar auch dann, wenn das Subjekt sich gerade innerhalb einer Ortschaft oder eines Hauses befindet; z.B. sagt Amnon zu Tamar: nun ge' dein strös Sb 1360.1; ähnlich Sb 1675.2, 1766.4, MR 109.25, 114.15, die Redensart kann sich sogar auf die Fahrt zu Schiff beziehen: BB 297.8, PuW 505.7. Aber sonst gibt es zwischen beiden Begriffen so gut wie keine Überschneidungen. Besondere Betonung verdient, daß gas auch im Nordteil des Westjiddischen - und damit gegen die koterritorialen Sprachen - so gebraucht wurde. Vgl. für Amsterdam: TA 4vl8 und 3vl6 ouf der gasen, Beem 1970: Nr. 229 uf der gas (Beem übersetzt: op straat)·, für Hamburg: G1H ouf / in der gas, ouf dV gas(en) 22.12, 87.22, 140.12, 151.19, 166.9, 208.10, 238.14, 301.6; für Berlin oder Umgebung C. W. Friedrichs Angabe (1784: 273), 'Straße' heiße in der Judensprache Gaß oder rechow. gebirt 'Generation', neujidd. (Ha, Stu, Ni); dor 'Generation', stj. Hebr. ΠΠ^ίΓ) 'Zeugungen, Geburten' meint in der Bibel oft 'Generationen, Geschlechterfolge, Nachkommenschaft'. Die Septuaginta gibt es durch γενέσεις 'Zeugungen, Geburten' wieder, Aquila einmal durch γενέσεις Gn 2.4 und einmal durch γεννήματα 'Erzeugnisse, Sprößlinge' Gn 5.1. Das biblische Normalwort für 'Generation' ist aber "Iii, abgeleitet von 1Π in dessen ursprünglicher Bedeutung 'kreisen', eigentlich also '(Lebenszyklus', ein Ursprung, der in der Bibel kaum noch zu erkennen ist. Das Wort mußte deshalb einfach nach dem Sinn übersetzt werden: die Septuaginta und Aquila wählten (ή) γενεά 'Zeugung'. Die lateinsprechenden Juden und Christen gaben dann beide griech. Wörter durch das urverwandte generatio (bzw. dessen Plural) wieder, das auf diese Weise ebenfalls von der klass. Bedeutung 'Zeugung' zur Bedeutung 'Generation' kam. Luther hat dafür Geschlecht (was er erklären muß, DWb Geschlecht, Sp. 3906), manchmal auch mansalter, zeit u. ä. Erst im 17. Jh. wurde Generation ins Dt. übernommen, konnte aber noch im 19. Jh. so fremd wirken, daß Rudolf Hildebrand 1886 im DWb unmittelbar nach einem 15-spaltigen Artikel General das Wort stillschweigend überging, obwohl er selbst es ein Jahrzehnt vorher im Artikel Geburt (Sp. 1906) benutzt hatte. Dort sind freilich die maximal drei Belege (aus der Zeit vor und um 1200), die für das Dt. die Bedeutung 'Generation' beweisen sollen, alles andere als durchschlagend, da sie z.B. keine Ordnungszahl enthalten; Lexer s.v. geburt kommt demgegenüber (wie schon BMZ) ohne diesen Bedeutungsansatz aus. Bei den rom. Juden entwickelte sich generatio in Frankreich zu jarnazion (A = G4), gendracion (F = G2, Hi 8.8), generasion (G=D2 s.v. "in), in Italien zu jenordzio u.ä. (Blondheim 1925: Nr. 58; vgl. aber auch Berenblut
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gebirt
1949: 153). Doch finden sich auch andere Übersetzungen, z.B. in Frankreich nadelte ς (< nativitates) 'Geburten' Gn 2.4 (F=G2; Banitt 1995 ad loc.). Von bibelhebr. ΓΠ^ίΟ 'Herkunft(sfamilie), Geschlecht' schließlich wäre die Übersetzungsgeschichte schwerer zu skizzieren, da z.T. Umschreibungen eintreten. Hier genüge es, daß auch die obengenannten Übersetzungen vorkommen, z.B. bei Aquila γένεσις Jer 46.16, in der Septuaginta γενεά Gn 31.3, in der Vulgata generatio ebd., in der jüdischfrz. Überlieferung nai'te (< nativitatem) Esth 8.6 (B = G3; R. Levy, Tresor s.v.). In der jidd. Tradition ist nun für alle drei hebr. Wörter ° gebürt/0 geburt (meist n.) die Übersetzungsnonn. R9 °geburt: ~ ΎΠ Dt 32.5, Esth 9.28 (2x); ~ nilVin Gn 25.19, 37.2; ~ Γϊφίο Gn 12.1, Ru 2.11, Esth 2.10, 8.6; MM gebürt/gebirt·. ~ ")Π Gn 6.9 in seinem gibiirt, 7.1 im gebärt, 9.12, 17.7, Jes 38.12 (heute anders verstanden), Ps 72.5; ~ nn'pin Gn 2.4; ~ rrfpia Gn 12.1. So auch die übrige Tradition.101 Für I i i bieten allein die Psalmen mehr als 50x geburt in R13, geburd/ geburd' / gebürd' in El Ps. Da diese quantitativ wichtigste Bedeutung aus dem Dt. schlecht abzuleiten ist (s. oben), hat wohl jüdischfrz. nadei'teς Pate gestanden; beispielsweise stehen in F = G 2 = L Gn 2.4 nadei'teg und geburt unmittelbar nebeneinander. Auch das schon voraschkenasische Bewußtsein, daß I i i , ΠΠ'ρίΓ) und r n ^ i a meist gleich übersetzbar sind, wird mitgewirkt haben. Schon vor 1500 dringt dieses ° geburt /gebärd 'Generation' aus den Übersetzungen in die jidd. Gemeinsprache ein. Wir finden es in freier Formulierung: Bar 1888 g0bürt, Mel 1495.3 und 1661.3 däs vird gebürd, SD geburd - ΠΠ^ΊΓ) - Generatio - Geburt, HiP 18.20 di' hintersten, un" di' ersten gebürt, 24.1 di' nevi'im un* hechomim in itlichem gebürt (beide Stellen frei formuliert), MR 52.12 gebürd, Br 126.23 (2x), 162.36, 229.24 (2x) °gebürd, ZuR 78ra44, 91rb46, 151 rb5, 6, 8 gebirt, gebird, 174ra4 zu tousent gebird, TL 3r5 zehen gebirt, NH I i i - gebirt - sjenaräzjo [sie] generatio. Noble (Nr. 112) gibt gebirt für Mag und MaMi sowie gebirt/ geburt für etwa die Hälfte seiner Informanten an. Hier schließen sich dann Harkavy, Stutchkoff und Niborski an. Noch ein Wort zur Lautgestalt. Mhd. geburt hat Umlaut zu gebürt nicht nur im Plural, sondern auch im Gen./Dat. Sg.; Ausgleich ist also zu erwarten, aber in der Richtung nicht vorhersagbar. Im Dt. reichen die letzten iRelexifikation< oder dgl. laxer. gemischechz 'Gemisch, Durcheinander', neujidd. (Ha, Za, Ni) Die vierte ägyptische Plage, DIU Ex 8.17ff., wird zwar in der Septuaginta präzisiert als κυνόμυια 'Hundsfliegen', von den anderen Übersetzern aber zu Recht relativ unbestimmt belassen: die Vulgata hat omne genus muscarum, Luther (hier 8.21 ff.) allerley Vnzifer, Aquila hatte wahrscheinlich 109 110
Ich expandiere hier geringfügig meine schon 1987 (: 333f.) gegebene Erklärung. Alternative Erklärung, die aber unnötigerweise den Zusammenhang mit den dt.-dialektalen fc-Formen zerreißt: be- erkläre sich aus einem analogischen Wuchern der hebr. Präposition " 3 (M. Weinreich 1923b: 213f. nach Tendlau; Korman 1930: 55).
gemojsechz
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πάμμεικτος (wie an zwei anderen Bibelstellen), die jüdischfrz. Tradition hat mel(e)ig 'Mischung' (A = G4, F=G2). Von derselben Wurzel 31U 'mischen' ist die Bezeichnung des 'großen Schwanns' von mitziehenden Nichtisraeliten abgeleitet, (3Ί) Ex 12.38. Die Septuaginta hat έπίμικτος (πολύς), die Vulgata vulgus promiscuum (innumerabile), Luther (viel) Pöbeluolck. Die jüdischfrz. Tradition ist geteilt: F hat melemant 'Mischung', also wie im Urtext eine andere Form derselben Wurzel, Α hingegen hat abermals melig, identifiziert also die beiden Begriffe. Wenn nun in der jidd. Tradition R9 an der ersten Stelle däs gemusch' hat, an der zweiten gemeng und gimuhsch zur Wahl stellt, so stellt er damit im wesentlichen beide Verfahren zur Wahl: Unterscheidung oder Identifizierung. Unterscheidung finden wir in Lo Ex 8.17 gemuschecht, 12.38 muschung (vil), ganz ähnlich in K; Identifizierung hingegen in MM gemüschecht/gemuschecht, Mü muschung, A gέmüschέch, BM gemiischech. El Ps hat 78.45 gimüschicht (Bezug auf Ex 8.17ff.), 105.31 gimuschecht (dgl.). Außerhalb der Übersetzungen: Sdt 5r gemischecht, NH gemischichts - mescolume - insecta, womit die neujidd. Form erreicht ist. Hier ist -ech identisch mit dem im Dt. noch dialektal vertretenen Kollektivsuffix oberdt. -ach < ahd. -ahi\ -echt ist eine auch im Dt. belegte Erweiterung, die in Einzelfällen wie Kehricht u.ä. bis in die dt. Gemeinsprache gedrungen ist (Henzen 1965: § 88.3); doch ist gemischecht im Lexer, Findebuch und DWb nicht zu finden. Um schließlich im Jidd. die Erweiterung zu -echz zu erklären, braucht man wohl keine Kreuzung mit dem mitteldt. -z(e) (zu diesem Henzen op.cit. § 88.2) zu bemühen. Vielmehr hat im Jidd. ja das Flexions-ί der substantivierten Neutra (s. oben Teil A, § 25) eine Neigung, unberechtigt an Neutra auf -t zu treten: stj. dos gezolt / gezolts 'Gehalt', dos gericht / gerichts 'Gericht, Gang'; so dann auch an -echt. Jeh hat allerdings Ex 8.17 a gemischflign und Ex 12.38 a sach gemischt folk. Zumindest letzteres, wahrscheinlich auch ersteres ist als stilistische Abdämpfung gegenüber dem alten gemischechz gedacht. Vielleicht hat U. Weinreich auf Jehojes geschaut, als er gemisch, nicht gemischechz ins Stj. aufnahm. gemojsechz (auch gemejsechz) 'Dreck, Modder', stj. (Ha, Bi, Stu, Ni 'Sumpfland') Nhd. Moos (< ahd. / mhd. mos) bedeutet in alter Zeit auch und hauptsächlich 'Sumpf' (so noch in süddt. Geographica; Moor drang differenzierend erst im 17. Jh. aus dem Niederdt. ein). Das Kollektivum dazu ist mhd. /frühnhd. gemose, gemöse, gemüse (Lexer, DWb; zu gemose auch Findebuch; das Wort ist zu trennen von mhd. gemüese > nhd. Gemüse).
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genenen
Das Wort entwickelt sich im Jidd. bezüglich des Wortausgangs wie gemischechz (s. dieses). In der Bibeltradition übersetzt es DJX und ΠΧ3 'Sumpf'. Allerdings benutzen R9 und R13 statt dessen noch °bruch < mhd. bruoch 'Sumpf'. 111 Doch dann haben an der Kernstelle Ex 7.19: Lo gemösecht, MM gemösecht (Ex 8.1 und Ps 107.35 gemesecht), Mü gemös, Α gemösech, Κ gemosecht (Ex 8.1 gemös), Mijo gemösech, BM gemösech. Vgl. auch El Ps 107.35, 114.8 gemosecht, HiP 8.11, 40.21 gemösecht (beide ~ Π23). Außerhalb der Übersetzungen bleibt die Entwicklung geringfügig zurück: FF 12.30 däs gemös·, MR 14.26 in den gemösen, 14.27 ufden gimös (MJ beidemal gemösicht)', Sdt 2r gemesecht; ZuR 80rb30 in dem gemesecht', NH DJX - gemösicht wasär - pantano - stagnum. Das Schwanken zwischen mhd. ο und ö setzt sich also im Jidd. zwischen oj und ej fort. genenen 'nahen, sich nähern', transitiv 'heranbringen, (ein Opfer) darbringen', stj. (Za auch genenung 'Annäherung') Die hebr. Wurzeln 3")p und tPll bedeuten im Qal 'nahen, sich nähern', und schon das meint in der Bibel oft 'an Gott, seinen Altar o.a. herantreten'. Im Hifil bedeuten beide Wurzeln 'heranbringen', und hier ist der Anteil der Aussagen, wo 'als Opfer darbringen' gemeint ist, noch höher: Man kann sogar sagen: T-ipn und tl^jn sind die gängigsten Ausdrücke für das Opfern' überhaupt.112 In der jidd. Bibeltradition ist nun °ginehen < mhd. genahen die Normalübersetzung beider Wurzeln, sowohl im Qal (also in der Regel intransitiv) als auch im Hifil (also in der Regel transitiv),113 also R9 Gn 44.18
111
112
113
In R13 Ps 114.8 stand zuerst mosecht (wäser), durchstrichen und von etwa gleich alter (erster?) Hand ersetzt durch bruchech (wäser). rrättJ 'tun, machen' ist in dieser Bedeutung deutlich seltener (und unspezifischer), andere Ausdrücke wie Π3Τ 'schlachten' umfassen nur bestimmte Opferarten oder Opferteilhandlungen. MM versucht - wohl aus didaktischen Gründen - das Hifil/Hofal durch die Umschreibung mit faktitivem 'tun' vom Qal zu trennen. Das gelingt ihm aber (wie übrigens bei vielen anderen Verben) nur, wenn das Π sichtbar ist, also nntran Arnos 5.25 ir hät tun geneh' (= genehen) 'ihr habt (Opfer) dargebracht', aber (Hofal) Mal 1.11 is woren genehet 'wurde dargebracht'. Die letztere Form zeigt, daß M M bei natürlicher Ausdrucksweise genehen auch transitiv gebraucht, wie allgemein im Jidd. üblich. Nur kennt seine vor-triliteralistische Lehre vom Finden des Stammes durch bloßes Abstreichen formativer Buchstaben eben keine durch lautliche Prozesse unsichtbar gewordenen Buchstaben - weder bei den Formantien selbst (so hier Π als durchgängiges Element der Faktitivstämme Hifil und Hofal) noch in der Wurzel (er ordnet das ganze Verbum unter irä ein).
genenen
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un er genecht' ~ tP3"l '(Juda) trat heran (an Josef)', aber auch Nu 17.4 si haten genechet 'sie hatten (Pfannen an das Heiligtum) herangebracht' - und so allgemein die Tradition. Demgegenüber sind im Mhd. erstens die präfixlosen Bildungen {nähert, nähenen, ncehen, ncehenen) um ein Mehrfaches häufiger als die mit dem perfektivitätsbetonenden ge-, während in der jidd. Bibeltradition die Simplizia so selten sind, daß sie sich beinahe unserer Aufmerksamkeit entzogen hätten: Mü Gn 12.11 neheten, Α Dt 4.7 nohet gegenüber mehr als fünfzig °ge-Belegen allein in R9, vielen Hunderten in unserem Gesamtmaterial. Zweitens ist im Mhd. das umlautlose (meist intransitive) genähen deutlich häufiger als das umgelautete gencehen. In der jidd. Bibeltradition hingegen muß man okkasionelles genohen, genohet in Κ Gn 33.3 und 37.18 wieder als (unsystematische) Anlehnung ans Dt. ansehen; von dem schon zitierten unerklärten Α Dt 4.7 nähet abgesehen, finden wir in der jidd. Bibeltradition sonst, ob intransitiv oder transitiv, von vornherein nur die umgelauteten Formen. Drittens haben im Dt., nach den Wörterbüchern zu urteilen, weder genähen noch gencehen irgendeinen Bezug zum Thema 'Opfer', bis sie im späten 16. und im 17. Jh. ohnehin aus der lebendigen Sprache ausscheiden (Lexer, Findebuch, DWb zu allem bisher Gesagten). Außerhalb der Bibeltradition hat CH DH 555 nohen, aber auch Bar durchaus noch Formen ohne Präfix: 617, 1090 nehet, und sogar ohne Präfix und Umlaut: 1108 nohen, andererseits aber einmal (4674) schon genehen. Ebenso hat PuW noch sich genohet 133.1 und schon (intransitives) genehen 76.4, 527.7. Ein nehen erscheint sogar noch ZuR 144rbl2 zwischen lauter genehen (s. unten). Sonst scheint °genehen allein belegt: intransitiv etwa EM (=EB) 210, EM 1004; Db 183.2; Mel 826.1, 845.1; HiP 12.5 (frei formuliert); MR 17.24, 46.23 der vremd, der do genehet, der sol werden gitöf, MB 241.30 do genehet das schif; ZuR 16val0, 17vb32, 40vb45 u.ö.; GL 2v8, 8v2. Ebenso aber auch transitiv: AJ 6.3 hkb"h hot mich haisen ain korban genehen; Sb 203.3 das öpfer, däs wil ich ginehen; BSR 13, BSP 15 zu genehen öpfer, HiP 33.22 hasem jissborech genehet in zum tot 'bringt ihn nahe an den Tod' (essentiell frei); Br 107.26 °mir welen genehen ain opfer Gotes (Zitat Nu 31.50), 203.13 °der di zedoko recht gibt, der genecht di der lösung auf Jisroel·, TM 193.10 nimänt wil uns zu sich genehen; ZuR 20rbl4 weil Soro hot selbert den tot genehet ouf sich, 55va35 un" genehenten ir herz zu got, 55va39 ebenso; KO lr20 korbonöss genehen. Dazu das Abstraktum (13~ji? 'Opfer', Π3")? 'Annäherung'): R9 Lv 1.2 geneg'ung', Jes 58.2 genehung-, MM Lv 1.2, A Lv 1.2 (2x) und passim, Nu 6.14, 7.10 und passim, El Ps 73.28 genehung. Zum Neujidd. hin ist genehung, inzwischen genenung, in der Bedeutung 'Opfer' durch den zugehörigen Hebraismus korbn ersetzt worden, in der Bedeutung 'Annäherung' aber bei manchen Sprechern, vertreten durch Zanin, bis heute lebendig geblieben.
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gerecht
Das neujidd. n-Infix erscheint gelegentlich schon in Mü, z.B. Gn 27.41 und 33.3 geriehenen. Es erscheint dann sehr häufig, aber noch nicht regelmäßig, in A, z.B. Gn 12.11 und 33.7 genehent, Gn 27.41, 33.3, Ex 12.48, 21.6 (2x), 22.7, 24.14, 29.8, 29.10, 30.20, 36.2, 40.32, Lv 1.3(a), 1.5, Nu 4.19 genehenen usw., fehlt aber z.B. noch Lv 1.2 genecht und genehen, 1.3(b), Nu 8.19, 17.28 genehen. Im Osten kennt M M es noch nicht, BM schwankt (z.B. Nu 8.19 genehen, 31.50 genehent)·, selbst ZuR hat es erst in etwa 30% der möglichen Fälle (genehent 40vb45 u.ö., genehenen 72rbl6 gegen genehet 16val0 u.ö., °genehen 17vb31 u.ö.). Man hat also den Eindruck, daß die Erweiterung nicht aus dem Osten, sondern aus dem oberdt. Bereich ausstrahlt. Wir erinnern daran, daß schon Lexer und selbst BMZ die Varianten nähenen, ncehenen und gencehenen aus dem alem. und bair. Raum kannten, sie allerdings als eigene Verben buchten. Dies wiederum gehört in einen breiteren Zusammenhang, der erst vor reichlich einem Jahrzehnt durch den rückläufigen Lexer (Bachofer / von Hahn / Möhn 1984) sichtbar wurde: dort sind S. 337-344 von nidergeslanen bis blitznen unter anderem Dutzende von Verben, eigentlich Verbvarianten, auf -nen aufgezählt, deren Normalformen auf -(e)n bestens bekannt sind. Dieses Material bedürfte zwar einer sorgfältigen Siebung, läßt aber schon jetzt keinen Zweifel darüber, daß es spätmhd.-frühnhd. Mundarten gab, die sich durch Verdoppelung der Endung -en infigierte Verben schufen. Für das Jidd. muß man zumindest die wenigen infigierten Verben der nichthebr. Komponenten, etwa banugenen, genenen, widmenen und lej(e)nen, in diesem Licht sehen. (Zum Infix-Problem bei den hebr.-komponentigen Verben vgl. Neuberg 1999: 42-47.)
gerecht '(in einer Frage oder mit einem Argument) recht habend; fair, gerecht', stj.; gerechtik 'fair, gerecht', stj. Das bibelhebr. Qal pHS, übersetzt durch °gerecht sein, drückt hauptsächlich zweierlei aus: Erstens, daß das grammatische Subjekt sich in seinem Handeln (auch Urteilfällen) an ethische Normen hält, 'gerecht ist'. Exemplarisch ist etwa R9 Hi 4.17 er ist gerecht ~ pliT (Πί^ΝΟ EhlXH) 'kann (ein Mensch vor Gott) gerecht sein?' So die gesamte Überlieferungstradition. Weitere Belege erübrigen sich, da hier auch das Mhd. und das heutige Dt. ist gerecht sagen. - Zweitens kann es aber auch ausdrücken, daß das grammatische Subjekt in seinen Behauptungen mit den Fakten übereinstimmt, 'recht hat'. Dabei kann der Denkrahmen ein Rechtsstreit, aber auch ein einfacher Dialog sein. Historisch scheint die zweite aus der ersten Bedeutung hervorgegangen zu sein, indem auch das Behaupten als ein (Rede-) Handeln empfunden wurde, das einer ethischen Norm, nämlich dem Wahrhaftigkeitsgebot, unterliegt. Nun reproduziert aber die Bibel kaum Alltagsdiskussionen, setzt vielmehr gern den Denkrahmen >Rechtsstreit< auch dort,
gerecht
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wo kein wirklicher juristischer Prozeß stattfindet. Vgl. etwa R9 Jes 43.9 un" si solen sin gerecht ~ IpTTl 'und (die Heiden) sollen (in diesem QuasiProzeß) ihr Recht doch zu beweisen versuchen', Hi 9.20 ob bin ich wol gerecht 'auch wenn ich (Gott gegenüber) recht habe', 40.8 ähnlich, Ps 51.6 du bist gerecht ~ pi^P) 'du (Gott) behältst recht'; HiP 9.2, 15, 20, 10.15, 13.18, 33.12 (Elihu zu Hiob:) dar-mit bistu nit gerecht ~ Bpl^ - ^ 1 ? n s i 'in diesem Punkt hast du nicht recht', 34.32, 40.8; BM Gn 38.26 (Juda über Tamar:) si' is gerecht mer wen ich 'hat mehr recht als ich', 44.16 (Josefs Brüder in der Becheraffäre:) mir sölen sein gerecht ~ p l ü ^ C T O ) , Hitpael statt Qal, '(wie) könnten wir uns rechtfertigen (= recht zu haben nachweisen)?' Nur in den beiden letzten Beispielen liegt so etwas wie ein wirklicher Prozeß vor. Wenn diese Redeweise nun aus der Bibel bzw. dem Heder in den Alltag eindringt, wird es dort natürlich noch viel mehr Gelegenheiten geben, sie im zweiten - neben dem ersten - Sinne zu verwenden. So schon Bar 607 f. der junge künik spräch: du bist gerecht mit deiner wishait, 1957 iwer rede sind' gerecht un wor 'zutreffend', 2568 ir sint gerecht·, SJ 16r der kinig wais [...] däs ir gerecht seit, 78ν der apifior war mesiv: ir seit gerecht·, PB 46.105 er is gerecht - überall 'recht haben', und so bis heute. In dieser zweiten Verwendung finden wir zwar im Mhd. und Frühnhd. (bis etwa 1650) beim Denkrahmen >Rechtsstreit< hin und wieder ebenfalls ist gerecht (DWb gerecht 7a,b); ganz überwiegend aber - und insbesondere im Alltag - wurde die faktische Richtigkeit von Behauptungen bis ins 16./17. Jh. ausgedrückt durch er/sie hat war (was in oberdt. Mundarten fortlebt) und seitdem in der Gemeinsprache durch er/sie hat recht (DWb haben Sp. 62, wahr Sp. 740f., Recht Sp. 373 f.). Der Unterschied zum Jiddischen war immerhin so auffällig, daß kurz vor 1800 Heynatz in seinem >Antibarbarus< vermerkte, »der Herr [= der Angeredete] ist gerecht« statt »hat recht« gehöre >zur polnischen Judensprache< (DWb gerecht Sp. 3601 unten). Die Doppelverwendung von is gerecht in der ersten und der zweiten Bedeutung ist nun der Sprachstand, den noch Harkavy reproduziert und den auch U. Weinreich noch als weitverbreitet kennt. Es ist zugleich der Sprachstand, der das Ivrit geprägt hat: Alcalay gibt ρ "TS wieder als 'to be right, correct, just, righteous, innocent; to be acquitted.' Und Zanin kennt sowohl gerecht als auch gerechtik, übersetzt aber beide als p l i s . In unseren Bibeltexten wird übrigens sogar p ,,: lS '(exemplarisch) gerecht, fromm' oft noch durch einfaches °gerecht wiedergegeben, z.B. MM Gn 6.9, 18.24a, A Gn 6.9, 18.24a, Ex 23.7, Koh 7.20, 9.1 usw. In dem Maße jedoch, wie die Doppeldeutigkeit bzw. Banalisierung des Wortes 0 gerecht den Übersetzern zum Bewußtsein kam, mußte sich das Bedürfnis nach einem fakultativen Ausdruck melden, der den ethischen Sinn unzweideutig wiedergab.
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(dos) geschrifts
Zum Zuge kam hier zunächst p""72£ selbst: es blieb schon früh manchmal unübersetzt, z.B. R13 Pr 21.15, A Gn 18.24b u.ö. In den von Noble untersuchten Bibelausgaben des 19. Jhs. (S. 21) ist dies zum Regelfall geworden. Aber ρ ^ χ ist im Jidd. nur Substantiv und neigt zu prägnanten Gebrauchsweisen ('heiliger Mann', 'einer der 36 Frommen', 'chassidischer Rebbe' u. ä.), läßt also zumindest außerhalb der Bibel noch einen Freiraum für ein echtes und semantisch weniger auffälliges Adjektiv übrig. Hier nistet sich sehr langsam °gerechtik ein. Im älteren Dt. ist gerechtig nur je einmal im Mittelalter (Findebuch) und um 1600 (DWb) zu belegen. Im älteren Jidd. finden wir immerhin: El Ps 112.4 es scheint in vinsternis licht zu den gerechtigen ~ (ebenso in den späteren Drucken Zürich 1558, Mantua 1562, Amsterdam 1676); PuW 127.8 mir höfen al-gemain zu dem almechtigen, / der wert sein hülf geben dem gerechtigen; SJ 14r däs do is z[u] den jehudim gesez un" gerechtigi recht 'daß die Juden Gesetz und gerechte Rechte besitzen'. Doch ist über die Kontinuität zum heutigen Jidd. schwer zu urteilen (bei Harkavy und Birnbaum fehlt das Wort), zumal gerechtik jederzeit aus gerechtikejt zurückgebildet werden konnte, das seit R9 Dt 9.4 zu allen Zeiten bestens belegt ist (wir haben rund 150 Belege vor uns) und das semantisch fest 'Gerechtigkeit' ohne erkennbare Drift auf 'Richtigkeit' bedeutet.114 (dos) geschrifts (PI. geschriftsn) 'Handschrift, Schriftstück', stj. Im Dt. scheidet mhd. geschrift f. 'Schrift, Inschrift, Schriftstück' (Lexer, Findebuch) im 17. Jh. aus der Schriftsprache aus (noch Opitz und Schottel benutzen es), bleibt aber in oberdt. Mundarten, so daß es von Gotthelf und Auerbach regionalisierend benutzt werden kann (DWb). In der jidd. Bibelsprache gibt °gischrift hebr. 3ΓΟΟ, ΠΓΟ, ΓΟΓ)3 (und sporadisch anderes) wieder: R9 Ex 32.16 das geschrift', Dt 33.2 (~ HTtiS), Jes 38.9, Ez 13.9, Koh 12.10 (31Π3), Esth 1.22; MM Ex 32.16 das geschrift, Jes 10.1 (~P1. von pin); A Ex 32.16 däs geschrift, 39.30, Koh 12.10, Esth 3.12, 8.8, 8.9 (2x), 9.27; BM Ex 32.16 das geschrift, Lv 19.28. Wie man sieht, hat sich der Genuswechsel vom mhd. Femininum zum Neutrum in der Hedersprache früh vollzogen. Die außerbiblische Sprache 114
Noble (S. 21 und Nr. 132) fand in den Bibelübersetzungen des 19. Jhs. und bei einzelnen Informanten ein gerechtiker, aber offenbar mit festem -er, denn er ist geneigt, es als Nomen agentis des sehr seltenen Verbs °gerechtigen anzusehen, für das er nur einen Beleg, Mag zu Jes 45.25, beibringen kann, wo es das Qal von p n s wiedergibt. Wir kennen einige weitere Belege: R9 Hi 25.4 und El Ps 51.6 für das Qal, R9 Hi 33.32 für das Piel, M ü Gn 44.16 für das Hitpael von ρ ΐ ϊ ; dazu: S j 16v was solen mir girechtigen 'was sollen wir uns (durch eine Lüge) zu rechtfertigen versuchen?' Das Wort kam offensichtlich zustande als Versuch, rein verbal wiederzugeben - statt wie selbst im Heder üblich durch °gerecht + Hilfsverb.
geses
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folgt mit erkennbarer Verzögerung: EM 91 as Uns di' geschrift ist sagen, ähnlich 284, aber 1161 in dem' geschrift-, Db 280.3 von diser geschrift·, Mel 1096.1 doch sagt uns di' geschrift, 1382.2 mit geschrift', PuW 7.4 sein geschrift, 405.8 und 507.1 °däs geschrift, 482.3 ain ganz geschrift; EB 89, 281, 973, 1220, 1222, 1223, 1662 überall Fem.; MR 103.57 däs geschrift; MB 173.66 däs geschrift; Br 271.41 °di geschrift (PI. nicht ganz ausgeschlossen); SJ 125r9 in sein geschrift dem dosigen; ZuR 70rb38, 71va35, 73rb55, 121va40 °däs geschrift, 71 va21 er hot zu-brochen fun sich selbert di luhöss, di hailigέ geschrift (PI.?); TA 10r33 di geschrift; NH Ι ϋ ψ geschrift - polizza - epistola, - geschrifts - scritture - scripturae (Plural oder Verkennung der s-Variante als Plural?). Das Auftreten des finalen -5 ist wohl auch hier als Analogiebildung zu dem Flexions-s der substantivierten Neutra zu erklären (s. oben Teil A, § 25 und den Art. gemischechz). Laut Noble (Nr. 135) fehlt es noch bei MaMi Dn 5.7 °geschrift und ist noch im 19. Jh. durchaus fakultativ: geschrift Bibel Wilna 1898 und fünf seiner Informanten, geschrifz Bibeln Jozefow 1873, Pietrikow 1893, Wilna 1898 und drei seiner Informanten. geses 1) 'Sitz', 2) 'Gesäß', stj. Mhd. gesceje war ein polysemes Wort. Doch verschwand im Dt. die Bedeutung 'Wohn-(auch Amts-)Sitz, (Truppen-)Standort' u.ä. aus der Schriftsprache schon gegen 1500, die Bedeutung 'Hose' u.ä. gegen 1600115 (Luther kennt beide nicht), die Bedeutung 'Sitzgelegenheit' (sowohl das ganze Möbel wie dessen Sitzfläche) gegen 1750. Es blieb nur die Bedeutung 'Podex', und obwohl Gesäß hierfür ein ausgesprochen disziplinierter Ausdruck ist, dürfte diese Bedeutung an dem Schwund der anderen Bedeutungen von dt. Gesäß ursächlich beteiligt sein. In der jidd. Bibelübersetzungssprache gibt °gises nominale Ableitungen von wieder, vor allem 3ψίΩ '(das) Wohnen, Wohnsitz, Sitz(platz)', in vielen Texten aber auch den Infinitiv Π3ψ, wenn dieser einem Substantiv nahekommt, und sogar das Nifal-Partizip in Γι3ψ12 γ~)Χ Ex 16.35, was die aschkenasische Überlieferung als 'Land des Wohnens' statt 'bewohntes Land' deutet. Wir zitieren nur einige nichttriviale Belege; zu bedenken ist dabei immer, daß wie im Hebr. so auch im älteren Jidd. sizen sowohl 'sitzen' wie 'wohnen' heißt (s. unten den Art. sizer). Also: R9 Ex 16.35 gesef, Ez 8.3, 34.13, 48.15; R13 Ps 1.1 geses 'Sitzplatz, Sitzgruppe (der Spötter)', 33.14 sines geses ~ iratf, 68.17 ähnlich u.ö.; M M Gn 10.30, Ex 115
Wenn sich heute im Jidd. (Stutchkoff: 'tejl beged') und im Dt. gelegentlich die Bedeutung 'Hosenboden' findet, so ist das im wesentlichen nicht ein Weiterleben der alten Bedeutung 'Hose', sondern metonymische Benennung nach dem Körperteil, wie man auch von den 'Knien' und 'Beinen' einer Hose spricht.
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gesind
10.23; A Gn 16.3 (zehen jor) zu geses ~ ΓΏψ1? 'nachdem (Abraham zehn Jahre in Kanaan) wohnte', Ex 12.40 geses kinder Jisro'el ~ ^ΝΗψ1 ' Π 'das Wohnen der Israeliten (in Ägypten hatte 430 Jahre gedauert)', 15.17 zu deinem geses ~ ^ΓΟψ1? '(was du, ο Herr,) dir zur Wohnung (bereitet hast)' u.ö.; El Ps 1.1, 33.14, 68.17 "gises (wie oben), 127.2 geses (~ ΓΟψ) 'das Sitzen'; HiP 29Π in der gäsen ich häb gehät berait mein geses ~ "ΟφίΟ 'meinen (festen Sitz-)Platz'; BM Ex 15.17 zu deinem gises u.ö. In freier Formulierung: Mel 183.3 Salomo ließ ein Haus bauen zu seinem gises 'sich zur Wohnung', 398.1 gebout ich hab gebout ain herbig [sie] zu deinem geses\ ZuR 142va41 nun haben mir kain geses ouf der erden, 152val9 un" zu ous-zihen eich fun der gefenknus, fun finster geses des goluss, vgl. noch 161va27. Auch hier dürfte der Hedergebrauch die Bedeutung 'Sitz' lebendig gehalten haben. Hingegen haben wir das Wort in der Bedeutung 'Gesäß' im älteren Jidd. nirgends finden können (auch z.B. nicht als Übersetzung von Γ)ψ oder ΎΙΠΧ). Wir haben diesen Gebrauch deshalb im Verdacht, ziemlich junger Germanismus zu sein.116 gesind 'Familie (als Haushaltsgemeinschaft)', stj., hojsgesind 'Haushalt; dessen Mitglieder', stj., °klejngesind 'die Kinder', älteres Jidd. Ahd. gasindi, mhd. gesinde, nhd. Gesinde, etymologisch 'Schar der Weggenossen', bezeichnete ursprünglich 'die Gefolgschaft eines Fürsten auf einer Kriegsfahrt oder Reise', dann - da sich der mittelalterliche Herrscher fast ständig auf irgendeiner solchen Unternehmung befand - seinen 'Hofstaat' schlechthin ohne den Gedanken an eine zeitliche Begrenzung, schließlich (seit dem 14. Jh. in wachsendem Maße) durch Übertragung auf nichtadlige Verhältnisse die 'Gesamtheit der Hausgenossen' (d.h. sowohl der Bluts- und Heiratsverwandten als auch der Bediensteten) des sie nach außen vertretenden Hausherren, in dieser Bedeutung im Spätmhd. und Frühnhd. oft verstärkt zu Hausgesinde (Lexer gesinde stn., hüsgesinde\ DWb Gesinde, Hausgesinde). Auf jeder dieser Stufen war das Wort überdies einer Aushöhlung dadurch ausgesetzt, daß oft die der Spitze näherstehenden Personen ausdrücklich genannt wurden und so für 'Gesinde' nur die Unteren übrigblieben: 'der König mit (seinen Großen und) dem Gesinde', 'der Bauer mit (seiner Familie und) dem Gesinde' - bis das Wort im
116
Übrigens werden 11ΠΧ und ΠΠΠ in dieser Bedeutung von Elia im >Tisbi< s.v. l l n x und als jiddische Wörter von C. W. Friedrich s. v. Hintere, der, sowie von Harkavy und Spivak / Bloomgarden an ihren alphabetischen Stellen behandelt, fehlen aber im MEYYED, wo auch das wohl autochthone der hintn nur mit unspezifischer Übersetzung erscheint. Vgl. noch unten den Art. sizer Anm. 269.
gesind
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19. Jh. fast nur noch die 'Knechte und Mägde' auf dem Bauernhof bezeichnete und heute nur noch historisch gebraucht wird. In die jidd. Übersetzungstradition wurde das Wort sehr früh aufgenommen, als die beschriebene Aushöhlung noch in den Anfängen steckte. Das beweist erstens der Ausdruck ° klain-gesind. Wir haben ihn im Dt. weder als Kompositum noch als Wortgruppe auffinden können. Im Jidd. halten wir ihn für ein Kompositum, da wir auch im Dativ (z.B. Gn 45.19, 47.12, 47.24) an klain nie eine Kasusendung angetroffen haben, klain-gesind übersetzt ηϋ 'Gesamtheit der kleinen Kinder (jedweden sozialen Standes) innerhalb eines größeren, oft eines auf dem Marsch befindlichen Kollektivs'. Es erscheint gleichmäßig von R9 Gn 47.12 mindestens bis zu Wi einschließlich (bei Bli allerdings nur sporadisch, so Gn 46.5, meist hingegen einfach kinder). Außerhalb der Übersetzungen finden wir es z.B. §J 102rl8 fun jungen bis alten, klain-gesind un weiber, 128rl6 das klain-gesind, welches war fun seks joren un" ddrunter (jeweils unter den Vertriebenen); ZuR 41vb53, 195 va3; NH ηϋ - klain-gesind - ragazzi - parvuli. Das Wort ging dann unter, offensichtlich weil sein zweiter Bestandteil keiner der beiden noch gängigen Bedeutungen von gesind, 'individuelle Familie' und 'Gesinde' (s. unten), mehr entsprach. Heutiges klejnwarg, derselben Bedeutung, ist unbekannten Alters, also möglicherweise noch in Kenntnis des zurückgehenden klejngesind als dessen Ersatz gebildet. Zweitens - und noch eindeutiger - erweist sich die frühe Übernahme des noch nicht auf irgendeine Unterschicht eingegrenzten mhd. gesinde in die jidd. Bibelübersetzungssprache darin, daß gesind (und fakultativ °hous-gesind) die Normalübersetzung von ΓΡ3 (bzw. dessen Konstruktus) in der Unzahl von Fällen ist, wo dieses Wort nicht eine Baulichkeit, sondern eine (Groß-)Familie bezeichnet. Gewiß kann man hier manchmal unsicher sein, ob Domestiken mitgemeint sind; sicher aber ist, daß die Nachkommen des Hausherrn in beliebiger Generation (und soweit sie schon verheiratet sind, deren Frauen) mitgemeint sind. Der Ausdruck Γ)Ί3Χ~ΓΓ3 des Urtextes wird auf diese Weise zu gesind eitern A Ex 12.3 und oft, entsprechend vax~iva zu gesind seines vateres A Gn 34.19 usw. (allein in Nu über 50 Stellen). Wir zitieren im folgenden nur Beispiele, in denen der Einschluß der Familienmitglieder schon aus je inhaltlichen Gründen sicher ist. Zunächst °gesind>: R9 Ex 12.3; R13 Ps 45.11, Pr 27.27, 31.15, 31.21 (2x); MM Gn 7.1 dein gisind (nur Noah und seine sieben Familienmitglieder!), 45.18; M ü / A Gn 18.19, 34.30, 45.11, 45.18, 46.27; A Lv 16.6, Dt 12.7, 15.20; BM Gn 41.51. Besonders frappant sind dabei die automatisch zustande kommenden Ausdrücke °gesind Jisro'el, 0gesind Ja'akov für das israelische Volk, °gisind Levi für den Stamm Levi und 0 gisind Ahäron für die Aaroniden; sie alle machen ja die Beschränkung auf eine Domestikenschaft von vornherein unmöglich: R13 Ps 98.3, 114.1, 115.12 (2x), 135.19 (2x), 135.20; A Ex 16.31, 19.3; El Ps 98.3, 114.1, 115.12, 135.19 (2x), 135.20.
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gesind
Seltener als gesind, aber gleichbedeutend ist ° hous-gesind, so A Gn 7.1 und 47.12 (wo Mü °gesind> hat), ferner 30.30 und 50.22 (wo Mü °hous hat). Im breiten Sinne findet sich auch hier vereinzelt stul zu hous-gesind Dovid 'Thron der Davididen' El Ps 122.5, hous-gesind Israels BM Nu 20.29. Jeh hat hojsgesint z.B. Gn 7.1, 30.30, 45.11, 45.18, 50.22, Ex 12.3, Dt 12.7, 15.20, aber hojs (fun Jisro'el) usw. in jenem breiteren Sinne: Ex 16.31, 19.3, Nu 20.29. Insgesamt sollte also die Bibelsprache auf die Bedeutung 'Familie' erhaltend und einer Einengung auf 'Domestikenschaft' entgegen wirken. Das tut sie in der Tat bis ins 16. Jh. im ganzen jidd. Sprachgebiet, wie die frei formulierten Texte zeigen: Db 5.2 des melech gisind meint hier vor allem seine leiblichen Kinder (wie 5.3 zeigt), 471.3 Ahäron hacohanim gesind 'die Priester als Nachkommen Aarons'; AJ 79.3 (hkb"h) söl sich der-barmen über unsere areme gesind 'über das ganze Haus Israel, alle Juden'; Sb 11.2, 11.4, 12.1 und 26.4 jeweils Elkana mit seiner Familie, 63.2 und 64.1 Eli gesind wird von Gott aus der Priesterschaft ausgestoßen, 292.2 David soll herrschen über Jisro'el gesind\ 338.4, 344.3, 548.2 und 553.2 die Formel °seinsVmeins vater gesind als Lehnübersetzung von ΓΓ3 Γ3Χ, 848.3, 913.2 und 1290.3 °däs gesind Jisro'el 'die Israeliten', ähnlich 999.1 Mö'avs gesind 'die Moabiter', 1289.2 ainer vun deinem gesind (in prophetischer Verhüllung:) 'dein Sohn Absalom', 1477.3 So'ul un" sein gesind schließt hier vor allem seine Söhne ein; HiP 22.19, 20 °Noah [...] mit seinem gesind (frei formuliert), 27.15 sein über-enzik gesind 'seine wenigen überlebenden Nachkommen'; MR 71.16 do sagt er: »ich wil mich for mit meinem gisind biroten« un* ging zu seinem weib un vrögt si ezo\ auch 114.84 und 117.41 muß ich [...] mit meinem gesind bzw. mich un" mein gisind die Familie noch einschließen. Doch dann schwenkt das Westjidd. - etwa im Dreieck Venedig - Prag Holland - ziemlich schnell um: gesind heißt nur noch die 'Dienerschaft'. Für die Verhältnisse in Venedig steht schon Elia 1542 im SD: ΓΡ3 '13 ['zum Haus gehörige Hörige'] - gesind - Gesind - domestici. Für Prag empfiehlt Moses Henochs 1596 im Br 145.3 und 213.37 zwar noch, einen Freund zu fragen, wie es 'ihm und seinem °gesind' gehe. Er kennt natürlich auch noch die Heder-Übersetzungstechnik, glaubt aber charakteristischerweise, sie erläutern zu müssen: 26.3 °das gesind Jaakow [Ex 19.3] sein di weiber, 76.30 °du un dein gesind [Dt 14.26] das maint sein weib. Und wenn er spontan formuliert, sieht er die Hausfrau verantwortlich für °di kinder un* das gesind 5.20; so noch etliche Dutzend Male gesind klar 'Gesinde'. Es kann auch kaum Zufall sein, daß in den PB eine ausgesprochen oberschichtliche Schreiberin schon die Wendung mit ain gesind un" mit kinder benutzt (1.21), hingegen eine höchstens mittelschichtliche unter däs gesind die Familie zumindest noch mitversteht, vielleicht sogar allein versteht (45A.19). Bei G1H wiederum sind das hous-gesind 70.6 und das gesind
gesind
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71.13 möglicherweise, das gesind 149.16 und 283.4 mit Sicherheit auf Dienerschaft beschränkt, und der Ausdruck lumpin-gesind 25Π (vgl. DWb Lumpengesinde, -el, im Dt. seit etwa 1600 belegt) kann sich überhaupt erst aus dem schon unterschichtlich eingeengten Wort entwickelt haben. Für Holland schließlich stehen bei Beem (1970) die Sprichwörter Nr. 259 Durch gescht un gesinder bringt me araus die kinder 'Gäste und Gesinde plaudern Schwächen der Kinder aus', Nr. 471 Was nit gut is fier es kindsche, is gut fier es gesindsche und Nr. 472 wie aanem acht das kindsche, acht aanem das gesindsche.117 Insgesamt macht sich in dieser Bedeutungsverengung von westjidd. gesind teils der Einfluß des Dt., teils aber auch ein gewandeltes soziologisches Leitbild bemerkbar. »Die Leserin, die Moses Henochs beim Schreiben im Sinn hat, ist eine Hausfrau, die über Dienstpersonal verfügt. [...] Sie hat die Aufgabe, das Dienstpersonal zu überwachen, vor allem bezüglich der Essenszubereitung [...]« (Riedel 1993: S. XVIII). Auch wenn sich von der Gesamtheit der mitteleuropäischen Aschkenasinnen erst eine relativ kleine Minderheit in einer solchen Position befand - für Prag selbst gewinnt man da schon aus den PB andere Vorstellungen als aus Br - , kann diese Minderheit doch, auch sprachlich, als Leit- und Wunschbild der Allgemeinheit wirken. In Osteuropa konnte ein solches Leitbild aus offensichtlichen Gründen nicht so leicht Fuß fassen. So hat ZuR nicht nur 9ra40 Noah mit seinem gesint, sondern kann zum gesind sogar Familienväter zählen, die sich aufs Altenteil zurückgezogen haben: 10vb51 es is wisiglig däs Avrohom ist gewesen iker (~)li?,y) un der her iber al däs gesind afilu iber sein fater Therah. Oder 22ra45: Elieser fragt Bethuels gesind (weil Bethuel selbst todkrank ist), und es antworten bruder un muter. Weitere Stellen, wo gesind die Verwandtschaft einschließt, fehlen nicht, vgl. 23val9, 31va29, 31vbl7, 42va50. Im >breiten< Sinne finden wir 129vb46 gesind Levi, 163va38 gesind Jisro'el und wohl ebenfalls noch im biblischen Sinne dein faters gesind 169ra22. Auch hous-gesind lebt selbstverständlich weiter, 40ra38, 43rb43, 47rb3, 126va38, 127va6, 150rb8. Von hier geht der Weg zum Stj.; doch erinnern wir daran, daß gewisse Schwächezeichen nicht fehlen: Jehojes vermeidet gesind selbst (vermutlich weil er die dt. Bedeutung kennt und ferngehalten wissen will), und im >breiten< Sinne benutzt er auch hojsgesind nicht, sondern hojs. Auffällig ist ferner, daß ganz anders als bei mispohe 'Familie als Solidaritäts-, aber meist gerade nicht Haushaltsgemeinschaft' bei gesind emotionale Nebentöne selten sind. 117
Außerdem kannte das niederld. Jidd. ein Mask, der gesind 'Dienstbote' (zitiert bei Wolf JWb nach Voorzanger / Polak), das wohl nicht mhd. der gesinde < ahd. gasindo (beachte den Endvokal!) fortsetzt, sondern (wie stj. di dinst 'Dienstmädchen') auf umgangssprachlicher Umprägung beruht.
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geweltikn
geweltikn 'herrschen', geweltikung 'Herrschaft', stj. (Ha auch geweitiger 'Herrscher') Von den vier gängigen Verben des Bibelhebr. für 'herrschen, beherrschen' sind drei, nämlich "f?0, bW'D, ü*7tP, immer intransitiv, das vierte, ΠΤ"), fast immer. Man versteht somit, daß die griech. Übersetzer, je mehr sie enge Wörtlichkeit anstrebten, desto mehr dazu neigen mußten, diese Verben durch denominative Verben ('Herr sein', 'Herrschaft ausüben') wiederzugeben. Zu "f?0 - βασιλεύειν vgl. unten den Art. kinign. Nach Blondheim (1925: Nr. 112) werden bvto und schon in den jüngeren Teilen der Septuaginta manchmal durch έξουσιάζειν wiedergegeben (denominativ von έξουσία 'Herrschaft'); für bwa kommen dazu bei Aquila weitere Stellen. Diese Übersetzung wurde später auch auf ΠΤ) ausgedehnt; der jüdischgriech. Pentateuch von 1547 übersetzt alle drei Verben durch ξουσιάζειν. Die rom. Juden benutzten eine wörtliche Übersetzung von έξουσιάζειν, den Typ *potestare, in Frankreich pooster, poter, apoter, in Italien potestare, podestare, Verben, die völlig oder fast völlig auf jüdische Quellen beschränkt sind (soweit Blondheim loc.cit.). Und zwar ist pooster »une des gloses les plus communes du judeo-frangais« (R. Levy 1960: Nr. 647f.), und podestare »is very much alive« in zwei der vier untersuchten jüdischital. Texte des späteren 16. Jhs. (Berenblut 1949: 155). Das Mhd. besaß drei ähnlich gebildete Verben: reduplizierendes gewalten, schwaches gewalten und schwaches gewaltigen / geweitigen. In den jidd. Übersetzungen hat R9 Jes 52.5 (2x) sin weidiger ~ l'wb 'seine Tyrannen', aber Jer 30.21, Pr 6.7, 23.1 und 29.12 schon geweidiger in derselben Bedeutung. Außerdem schreibt Κ ständig gewaltigen, gewaltigung, gewaltig Gn 1.16, 1.18, 42.6 und passim - offensichtlich wieder einmal unter dt. Einfluß. Sonst hat die gesamte Tradition nur das Verb °gäweltigen samt Nomen agentis °geweltiger und Adj. °geweltig, während im Mhd. -a- dem -e- beim Verb etwa die Waage hält und beim Adj. stark überwiegt. Schon hierin liegen also Auswahl- bzw. Vereinheitlichungsakte der Hedersprache. Dazu kommt dann, daß dt. gewaltigen / geweitigen so gut wie immer transitiv (s. die Belege bei BMZ, Lexer und DWb), aber °giweltigen in der jidd. Bibelsprache zwangsläufig so gut wie immer intransitiv ist. Im Dt. wird das Verbum allmählich abgelöst durch überwältigen (+ vergewaltigen) / bewältigen und ist seit 1600 fast nur noch Fachausdruck der Bergmannssprache; an diesem findet Goethe Gefallen, so daß das Verb im 19. Jh. in erneuter Erweiterung eine kleine, unseres Erachtens unnatürliche Nachblüte erlebt, die heute auch schon wieder vergessen ist (DWb). In der jidd. Bibelsprache beschränken wir uns angesichts der hohen Belegzahl auf R9 und MM. R9 ~ Verbalformen: Jes 3.12, 49.7, 63.19, Koh 9.17, Pr 22.7, Thr 5.8; Nomen agentis: s. oben; geweldigung Hi 41.25 (heute als 'seinesgleichen' gedeutet); Wendungen mit Adjektiv geweldik:
gewinen
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Gn 24.2, Jes 40.10, Pr 16.32, 19.10, 29.2; - i m , Verbalformen: Gn 1.26, Lv 26.17, Jes 14.2, Ez 29.15; ~ Oiv, Verbalformen: Koh 5.18 (für Hifil), Esth 9.1; dazu in Einzelfällen für andere Wurzeln, z.B. ('Szepter', PI. Konstruktus) ~ geweldigung Ez 19.11. MM ~ "TOO, Verbalformen: Gn 1.18 und 6 weitere Belege; giweltigung Gn 1.16, geweitig ~ byh Gn 45.8; ~ a n , Verbalformen: Gn 1.26 und 3 weitere, er wert weren geweitig ~ τ η Nu 24.19; ~ tfrtf, Verbalformen: Ps 119.133, Esth 9.1, er tut geweitigen ~ l ü ^ m Koh 5.18; Nomen agentis (f.): geweitigeren ~ nüVtf Ez 16.30; geweitig ~ Gn 42.6, Koh 7.19; dazu in Einzelfällen für andere Wurzeln. So also die ganze Tradition. Außerhalb der Bibelübersetzungstradition ist uns Bar 675, 1354 und 3439 noch gewalten begegnet; daneben steht auch dort schon, allerdings transitiv, giweltigen All (und adjektivisches °geweitig 3057, 3622, 4360, 4713, das wir auch Db 96.4, 104.2, 110.4, 117.4, 121.1, EM 1588, EB 1688, BSV 137 und ZuR 50vbl3 überall mit -e- finden). Das Verb geweitigen erscheint von nun an aber fast ausschließlich intransitiv, ein ganz klarer Beweis, daß es nicht unmittelbar aus dem älteren Dt., sondern aus dem Hedergebrauch gespeist wird. Wir geben jeweils die präpositionale Rektion an: SM 2v21, 22 über, 7vl7, 41r20, 45r29 an, 54r26 über, Shg 3vl0 an; HiP 9.8 über, 24.1 an (2x), 34.17 absolut, 34.17 an, 39.9 und 41.25 transitiv; MR 34.26 an, 47.17 über, 51.12 absolut oder wu 'worüber'; Br 74.26 an (Übersetzung von Gn 3.16), 85.20 an-, ZuR 3ra39, 14rb51, 44va55 an, 50vbl0 iber, 50vbl2 deriber, 50vbl3 absolut oder ouf, 51va29 an und noch etwa 25x; TP 2va23 wohl absolut, 3vb21 an; SbS 13rl7 ouf, 15r4 an\ TA 2v23 an, 2v33 iber - und so bis stj. geweltikn (iber) samt geweltikung. Das Nomen agentis °geweltiger erscheint MR MT 57, ZuR 167rb2, ferner bei NH *7ψίη - giweltiger - podestä - dominator; Noble (Nr. 115) hat es für tr^tf in Mag, in MaMi und als geweltiker noch bei fast allen seinen Informanten gefunden.
gewinen '(ein Kind) zur Welt bringen, (ein Kind) zeugen', stj., gewinerin 'Wöchnerin', stj. Im Dt. ist die Verbindung 'ein Kind gewinnen' schon im Ahd. bei Otfrid (und im >Heliandveraltet-gölt R 9 Hi 28.16, Thr 4.1, Pr 25.12; M M Hi 28.16; HiP 28.16, 28.19, 31.24. gim R13 Ps 45.10, Hi 28.16, 28.19, 31.24, Pr 25.12; A Thr 4.1; El Ps 45.10; BM Thr 4.1. ~ TS: "gim'-gölt R9 Ct 5.15; HiP 28.17. gim R9 Thr 4.2; R13 Ps 19.11, 21.4, 119.127 (von zweiter Hand), Hi 28.17, Pr 8.19; M M Ps 19.11 (sowie 1Κ 10.18 TBM und Jer 10.9 TBWö); A Ct 5.15, Thr 4.2; El Ps 19.11, 21.4, 119.127; BM zu Ct 5.15, Thr 4.2.122 - Speziell TB DTQ: °gim'-g0lt R9, A, BM Ct 5.11 (K gölt-gim). ~ r n n : °gim'-gölt R 9 Hi 41.22 (heute anders verstanden); M M Pr 3.14. gim R9 Pr 3.14; R13 Ps 68.14, Pr 3.14, 8.10, 8.19, 16.16; El Ps 68.14. Zum Vergleich nun aber auch DTIB 'Perlen, Korallen': gim-göld M M Pr 3.15; HiP 28.18. gim R13 Hi 28.18] Pr 3.15, 8.11, 20.15, 31.10; A Thr 4.7; BM Thr 4.7. Noch Jeh hat gingold (aber nicht mehr gim) sowohl für 0Γ)3 (z.B. Ps 45.10, Hi 31.24) als auch für TB (z.B. Ct 5.15, Ps 19.11, 21.4, Hi 28.17) als auch für Ή"1Π (z.B. Pr 3.14, 8.19), allerdings jeweils mit gewissen Ausnahmen, deren Besprechung hier nicht lohnt. Für OTIS hat er selbstverständlich nicht mehr gingold, sondern perl (z.B. Pr 3.15, 8.11, 20.15, 31.10) bzw. karein (z.B. Thr 4.7, Hi 28.18). Bevor wir uns an eine Erklärung wagen, hier die Verhältnisse außerhalb der Bibelübersetzungen. Dort heißt gim zunächst eindeutig 'Gemme (n)': Bar 3792 das män nimt edel gestain un* güt gim ous des wildes meres grim un gold vun wilder erz. Von etwa 1500 an sind °gim-göld und gim beide zu belegen. Und zwar bedeutet gim jetzt manchmal eindeutig '(Fein-)Gold', nie mehr eindeutig 'Gemme'; doch kommt es allmählich fast nur noch in der Formel gold un" gim vor, wo es semantisch vage bleibt. Umgekehrt bleibt 0gim-göld bis etwa 1600 selten, erweist sich dann aber als das über-
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Die jidd. Tradition leitet übrigens (anders als die heutigen Bibelphilologen) auch das verbale Gn 49.24 denominativ von TB ab: (und sie wurden) "ubir-golt R9, Mü, K, 0uber-gimt Lo, MM, A, Mijo, MB, ZuR 46vbl.
gingold
301
lebende und damit das normale Wort für 'Feingold'. Die assimilierte Form gingold ist uns bis 1660 (einschließlich NH) nicht begegnet: Mel 358.1 mit louterem gim-göld\ 384.4 vun eitil gim-göld, 358.3 mit louter kloren gim, 549.2 vun stain un vun gim; PuW 177.1 as gim machen si> gel ir hör (also 'goldblond'), 308.5 uns ['und das'] gim uns gölt (beachte das Neutrum!), 434.4 gim un gold·, SD TB - gim - Gimgold - obrizum; Shg 5r24 ain krön fun gim\ KüB 8vl6 der do löucht as gold un* as gim·, Br 11.25 °in gold, in gim, 12.2 °drei zehen stül gim (Stoffbezeichnung in Apposition), 29.14 ° kronen auf irem haipt von gim, 29.15 °drei zehen stül [...] eitel gold un gim un" edel gestain·, ZuR 139va41 haben gileicht mit iren ponim als ain gold un* as gim-gold, 139va44 fil schener as gim-gold, 139vb7 si sein rot gewesen ain bain as gim, un" säfir ir gestälf, MB 197.134 wen ainer hochmo lernt, ist beser alum gim-gold·, TL 6vl2 beser weder gold un" gim-, NH TS DTD - gim-gold - oro puro - massa auri. Noble (Nr. 107) führt aus Mag und MaMi nur noch gim-gold, aus dem Munde seiner Informanten nur gingold auf. Hier schließt dann stj. gingold an. Nun zur Erklärung. Da gim'-gölt in R9 schon gut etabliert ist, können seine Anfänge beträchtlich weit in die undokumentierte Zeit zurückreichen. Zumindest da, wo in der Bibel mehrere Ausdrücke für 'Gold' beieinanderstehen (s. oben), mußte für die Übersetzer ein Ausdruck der Struktur °X-gold (mit stark positiv klingendem X), der also das benachbarte °göld überbot, sehr willkommen sein. Mhd. gimme (< lat. gemma) vereinigte dazu auf sich die folgenden Eigenschaften: 1) So wie schon dem lat. gemma die Vorstellung des durchscheinend Leuchtenden nahezu definitorisch anhaftete (TLL gemma, speziell 1754.33 und 37, überhaupt 1754f. passim), so wurde diese Vorstellung auch bei mhd. gimme sehr stark betont (lieht, durchliuhtic, liuhtet usw., BMZ). 2) Die übertragene Bedeutung 'das Herrlichste seiner Art' ist wie schon im Lat. (TLL gemma 1757.21 ff.) so mehr noch im Mhd. (BMZ, Lexer) gängig. 3) Die Alliteration golt unde gimme bzw. gimmen unde golt ist immerhin dreimal belegt (BMZ) und war vermutlich sprichwörtlich. Alle drei Eigenschaften zusammen machten im Jiddischen gim - das ursprünglich nur D"T1B übersetzte - zu einem idealen Kandidaten für die oben beschriebene X-Stelle. War nun das Kompositum °gimm(en)-golt schon im Dt. da oder ist es eine jidd. Bildung? Die Frage ist schwer zu beantworten. Die dt. Lexikographie (DWb Gimgold, erschienen 1937, Schwäb. Wb. Gimm-gold) hat vier Texte mit insgesamt fünf Belegen beigebracht. Aber nach unserer Meinung sprechen sie vielmehr für jidd. Herkunft: 1) Berthold Auerbach (geboren 1812 in Nordstetten/Württemberg) schöpft einfach aus dem Fundus westjiddischer Relikte seiner Jugendzeit. 2) Kaspar Amman, dessen Psalter von 1523 im DWb und Schwäb. Wb. auf ärgerlich indirekte Weise (via »Schmid«) zitiert wird, ist durchgehend abhängig von der jiddischen Übersetzungstradition, was schon Grünbaum
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gingold
auffiel und von Leibowitz (1931: 457 ff.) bis zur Evidenz erwiesen wurde. 3) Der anonyme >Hiob< aus dem Deutschordenskreis, 1338 abgeschlossen, hat V. 10851 diz clare gymmengolt, 11804 zu dem roten gymmengolde, und zwar in Partien, die fast bloße verreimende Übersetzungen von Hi 28.13-18 bzw. Hi 31.24ff. sind, wo die jiddische Übersetzungstradition im ersteren Falle gleich mehrfach, im letzteren Falle immerhin einmal °gim'-g0lt aufweist. Nun ist nach dem >HiobPostilla< »obschon nirgends namhaft gemacht, nächst dem Vulgatatext die wichtigste Quelle« des Deutschordensdichters; auch in unmittelbarer Nähe der beiden gymmengolt, nämlich V. 10843 f. und 11821 f., hat Karsten Lyra-Spuren gefunden. Nur bleibt ihm bezeichnenderweise die Beziehung chronologisch problematisch, da der Deutschordens->Hiob< kaum jünger ist als Lyras in Frankreich geschriebene >Postilla< selbst (Karsten 1910: XLIII Anm. 1); außerdem zeigt der Dichter »in der Stoffwahl aus Lyra [...] eine auffallende Willkür« (op.cit. XLIII; die LyraFrage jetzt essentiell unverändert bei Norbert Ott in Killy 1988-93: 5.344). Wir sind in den Deutschordens->Hiob< nicht genug eingearbeitet, um LyraBenutzung ganz in Abrede stellen zu wollen; aber zumindest zusätzlich scheint sich der Dichter, wie der Terminus gymmengolt nahelegt, der Dienste eines Proselyten bedient zu haben (Juden selbst waren ja im Ordensgebiet nicht zugelassen). 4) Der letzte Beleg steht in V. 1426 von Tilos von Kulm Gedicht >Von den siben InsigelnHiob< in ganz demselben Kreis gedichtet; mehrfach wurde sogar Verfasseridentität angenommen, allerdings mit beachtlichen inneren Gründen auch bestritten (Karsten 1910: XLIVf.; kurz Ott bei Killy op.cit. 5.343 und Schmolinsky op.cit. 11.374). Wenn wir nun weiter erfahren, daß Tilo die vorchristliche Zeit »nach dem AT sowie nach nicht identifizierten Quellen« darstellt, hingegen die Passionserzählung zum »Anlaß aggressiver antijüdischer Passagen« nimmt (Schmolinsky op.cit. 11.373) - dürfen wir da nicht in Versuchung geraten, schon hier den Einfluß des besagten Proselyten zu sehen?123 Doch im Grunde ist es fast gleichgültig, ob °gim(men)-golt im Dt. äußerst selten oder ob es dort inexistent war - seine Karriere hat es im Jidd. und nur dort gemacht. Kristallisationspunkt war vermutlich TB DOS in dem jedes Jahr gelesenen Hohelied; denn nur hier deckt sich ein zweigliedriger mit einem zweigliedrigen Ausdruck. Fast sofort mußte sich zeigen, daß °gimi-gölt überall gute Dienste leistete, wo benachbartes °gölt überboten
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Zum Problem jüdischer Übersetzungsspuren in diesem Komplex der Deutschordensliteratur s. a. oben den Art. erstikejt.
glajchn (zu)
303
werden sollte; das ist der Zustand in R9. Andere Texte wie R13 verhalten sich zunächst noch spröde; doch welche Fortschritte ° gim-gold macht, zeigt z.B. ein Vergleich der Hiob-Übersetzung in R13 (nur gim) mit der etwa ein Jahrhundert jüngeren in HiP (nur gim-gold). Um 1500 greift die Ersetzung von gim durch °gim-gold in gewissem Maße sogar ganz irrig auf DT1D über. Etwa gleichzeitig taucht °gim-gold jetzt auch in freien Formulierungen auf, wo es in den nächsten ungefähr 150 Jahren als die klarere Form den vollen Sieg über gim davonträgt, zum Schluß auch über die Formel gold un" gim. Gim selbst ist für 'Feingold' in den Übersetzungen noch bis gegen 1600 so stark vertreten, daß man es wohl nicht überall schon als sekundär von gim-gold losgelöst betrachten kann, sondern für den Anfang ein (historisch unzutreffendes) Verständnis als 'Gemme' (wie partiell in Septuaginta und Vulgata) voraussetzen muß. Nun konnte man aber aus Entsprechungen wie TS Drß ~ gim-gold auch schließen wollen, daß die syntaktische Beziehung in beiden Sprachen dieselbe sei, gim also eine Art gold sein müsse. In den Übersetzungen kann man naturgemäß nicht erkennen, wie diese Interpretation um sich griff. Aber außerhalb der Übersetzungen gab es jetzt manchmal, z.B. in PuW, eindeutig ein Neutrum gim '(Fein-)Gold', das allerdings schließlich vor der unmißverständlichen Vollform gim-gold dahinschwand. glajchn (zu) 'vergleichen (mit)', (einschließlich kenen sich glajchn zu 'sich messen können mit, gleichwertig sein'), stj. Durch Zusammenfall eines alten -jan- mit einem -en-Verb (zu dem spurenweise noch ein altes -όη-Verb kommt) ist mhd. geliehen ganz überwiegend transitiv (~ 'vergleichen, gleichsetzen'), in gewissem Umfang aber auch intransitiv (~ 'gleichen'). Häufig wird freilich selbst der intransitive Gedanke durch das Reflexivum des transitiven Verbs ausgedrückt. Im Dt. geht der transitive Gebrauch, bei Luther noch gut belegt, im 16./17. Jh. entscheidend zurück - hauptsächlich zugunsten eben von vergleichen - und beschränkt »sich dann seit dem späten 18. Jh. endgültig auf gelegentliche poetische Verwendung«, während der intransitive Gebrauch zum alleinherrschenden wird (DWb). Zu dem frühen Zeitpunkt, als die jidd. Bibelübersetzungssprache mhd. geliehen in Dienst nahm, war dieses also meist transitiv. Deshalb ist °g(e)leichen auch in den jidd. Übersetzungen seit Beginn der Überlieferung fast immer transitiv. Beginnen wir mit den Ausnahmen, den wenigen intransitiven Belegen, die uns begegnet sind (alle vor 1540): R9 Jes 14.14 ich wil geliehen ~ n a i x 'ich will gleich sein'; R13 Pr 8.11 al di hafozim nit si mugen geliehen ir ~ 11ΒΓ, ähnlich schon 3.15; MM Pr 3.15 si geieichen ~ Πψ"1, 26.4 du werst geieichen ~ Πίψη (vgl. auch Jes 40.25 un* ich sol sein geleich ~ ΠΙψΧΊ). Mindestens ebenso häufig ist aber schon damals der
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glajchn (zu)
Umweg über das Passiv oder Reflexiv des transitiven Verbs, selbst beim Qal von ΠΟΤ R 9 Ez 31.2 du bist geliehen124 - Γ Ρ ρ τ (ganz wie beim Nifal: 32.2 du bist geliehen ~ rfOll), Ct 2.17 er geleich sich (Konjunktiv, frei für 2. Person des Urtextes: ηγ-ΠίΠ); R 1 3 Ps 144.4 er ist geliehen ~ ΠΟΤ, M M
Jes 1.9 mir weren geglichen ~ ΙΓΟΤ Sonst ist ohnehin transitives °geieichen die Norm für ΠΏ1 und mttf, und zwar erscheint es je nach dem Sinn der hebr. Stammesmodifikation im Aktiv oder Passiv, wobei das Passiv aus inhaltlichen Gründen überwiegt. Wegen der Gleichförmigkeit des Befundes beschränken wir uns wieder auf
R9 und MM. R 9 Jes 14.10 du bist geliehen geliehen ~ ΙΓΏΊΓι, Ez 28.14 Jisrfoel], di do vun flier (Interpretation zu ΡΝ"'!!«), Jer 2.8 hirten (Interpretation zu ΕΓΙΠΠ), Thr 2.13 ich
~ n^tfQJ, 40.18 ir mugent sint geliehen zu den engein di künig, di sin geliehen zu söl geliehenen dir125 ~ (Π0)
-[V-naiX '(was) soll ich dir gleichsetzen?', ebd. ich söl geliehenen ~ ΠΙψΧ; M M Ps 49.13 si weren giglichen ~ (heute anders verstanden), Ct 1.9 ich hab giglichen dich ~ ητΓ'Ώ'ΐ, Jes 40.18 ir gleicht ~ Train, Pr 27.15
is woren giglichen ~ ΠΙΓίψΙ. Auch außerhalb der Übersetzungen ist intransitives °gleichen von vornherein recht selten: CH DH 725 häb ich [...] wöl gesungen, du stolze
kunegin, däs mochte nicht geliehen dem3 liben heren min: er singt vil bäs den' ich häbe getän; Mel 917.3 dorän sölstu prüven, däs got nimänt geieichen lain. Spätere Belege haben wir nicht gefunden; die Belegreihe ist einförmig transitiv (bzw. reflexiv): Bar 804 dorüm so ist di' wishait zu geieichen zu ainem mechtigen kiinig-reichen, 1475, 2410, 2578, 4460,
4470; B B 94.7 f. di welt is zu ainer laiter geglichen: der get ouf, der kumt her-ab-geschlichen; Mel 1883.3 du host mich [...] geglichen zu guter, holz un stain\ Db 294.4, 375.1, 448.1, 480.4; AJ 77.2 ach gleicht sich niks kegen der fraid ouf jener weit; PuW 43.2 wiJ söl ich mich zu ir nun gleichen?, 276.4; HiP 5.23, 13.12, 24.5, 36.25, Anh. 1 (5x), alle frei formuliert; MR 35.16, MT 73, 396; T M 205.4; Br 8.3, 21.12, 56.11 °unsre chachomim geieichen aso ain weib zu ainem hous und passim (mehrere Dutzend Mal); ZuR 4vb8, 13vb47, 26vbl0 der posek gleicht weiber zu bröt und passim
(etwa 60x); PL 2r7 di kinder Jösef senen geglichen zu dp fisch. Bemerkt glajchwertl, von glajchn radisch von
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sei noch, daß auch stj. glajehwort, Harkavy und Birnbaum 'witziges Wort, Bonmot, Aphorismus' eine inneijidd. Bildung aus sein muß, da dt. 'Gleichwort, gleichwörtig' (im DWb spo1641 bis 1808 belegt) etwas ganz anderes bedeutet.
Das ge- ist hier wie auch sonst in R9 noch Augment; erst allmählich wird (wie im Dt.) durch dessen Anwachsen °liehen (vgl. engl, to liken) > °(ge)lichen. Beweis für den Abschluß des Vorgangs ist das neue Partizip geglichen (s. sogleich in MM). Das -en-Infix bleibt bei diesem Verbum Episode.
gletn
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gletn 'streicheln', stj., Za und Ni auch 'schmeicheln', Ha und Ni auch 'glätten, polieren'; (der) glet 'Streicheln, Liebkosung', stj., gletenisch (Za auch gletung) 'Schmeichelei', stj.; gletling 'Liebling', stj. In der Bibel wird die Wurzel ρ'7Π 'glatt (sein)' in beträchtlichem Umfang auch übertragen im Sinne von 'schmeichlerisch, schmeicheln' gebraucht. So können also Worte oder auch Herzen 'glatt sein' bzw. man kann (im Hifil) die eigenen Worte, Zungen, Lippen 'glatt machen'. Gelegentlich (Ps 36.3, Pr 29.5) wird dabei im Hifil sogar das Objekt 'Worte' ausgelassen, so daß Ρ'^ΠΠ zur Bedeutung 'schmeicheln' kommt. Auch das Abstraktum p"?n 'Glätte' (Pr 7.21) bedeutet 'Schmeichelei'. Es gibt sogar gemischte Vergleiche: ein Mund kann 'glatter als Butter' sein (Ps 55.22). Die Vulgata hat das Bild fast immer aufgelöst und den Sachverhalt entweder direkt durch Formen von dolosus, blandus, oder aber durch andere Bilder ('weich' Ps 55.22, Pr 2.16, 'süß' Pr 7.5) ausgedrückt. Im Dt. wiederum stellen sich wohl durch langes Nachwirken der Grundbedeutung 'glänzend, blank' bei mhd. glat, frühnhd. glatt negative Konnotationen wie 'schmeichlerisch, unaufrichtig' nur langsam ein. Doch ist mit glatten Worten immerhin im 13. Jh. erstmalig belegt (Lexer), im 15. Jh. gängig (DWb glatt E). Das zugehörige Faktitivum gletten setzt aber selbst in seiner physischen Grundbedeutung erst im 15. Jh. ein. Eine übertragene Verwendung mit belebtem Objekt hat sich bisher überhaupt erst einmal belegen lassen: in einem Vokabular von 1482 wird lat. mulcere erklärt als senfftmütigen, geleiten, ut mulier mulcet herum, i[d est] virum, piis verbis mitigando iram eius, streichelt als einer ein pferd streichelt, weicht und geleitet (DWb glätten, Sp. 7750 unten). Aus dem gesamten Zeitraum von damals bis heute kann der sehr materialreiche DWb-Artikel an übertragenen Verwendungen sonst nur solche mit unbelebtem Objekt beibringen (Mißstände, die Wogen usw.). Die jüdischen Übersetzungen hatten die Bandbreite von p*7Π von Anfang an zu verkraften. Die jüdischfrz. Übersetzungen benutzen Ableitungen von altfrz. piain 'eben, glatt', und sie brauchten dazu ähnliche normalaltfrz. Entwicklungen nur leicht zu erweitern oder vorwegzunehmen (ausführlich R. Levy 1960: Nr. 95). In Deutschland war der Boden nicht so gut vorbereitet. Ein Teil der jidd. Tradition erkannte die Polysemie von ρ^Π an und gab die übertragene Bedeutung durch °schmaicheln, °schmaichelung (im dt. Wortsinn) wieder, diese Lösung braucht uns hier nicht zu interessieren. Der andere Teil optierte für Monemkonstanz. Das muß anfangs ungewöhnlich geklungen haben. R9 übersetzt z.B. Ps 55.22 nxana ΐρ^Π 'sie sind glatter als Butter' durch si sind glat, schlechter me wen buter, selbst wenn schlecht seinerseits hier '(verdächtig) glatt' heißen sollte (DWb schlecht, Sp. 523 oben), fürchtet der Schreiber offensichtlich, ohne das eingeschobene schlechter könne der Satz mißverständlich sein. An anderer Stelle freilich
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(der) glust
geht es schon - wie in der späteren Tradition - ohne diesen Zusatz ab: R9 Pr 5.3 un es is glat 'es ist glatter (als Öl ihre Kehle)'. So also auch R13 Ps 12.4 lefzen glat ~ Γ)ίρ*7Π "ΊΊΕψ, 55.22 si sind gleter wen puter, Pr 5.3 gleter me wen öl, 7.21 mit iren glaten lefzen; El Ps 55.22 si seinen gleter men wen buter, Lt ebd. si sein gleter men den puter. Zum Adjektiv gehört nun auch ein Verbum: M i j o Jes 57.6 in mein gleten j"o schmaicheln\m und zu diesem ein Abstraktum: R9 Pr 6.24 vun schmaichelung j"o gletung, 7.21 mit gletung, M M Pr 7.21 mit gletung überall 'Schmeichelei'. Wenn somit ein jidd. Verb gleten, Synonym von (noch dt. verstandenem) schmaichelen 'to flatter', auf direkte Weise vor 1550 - und indirekt durch sein Abstraktum gletung 'Schmeichelei' schon gegen 1400 - zu belegen ist, so läßt sich dieser Befund wohl nicht vom Bedeutungsanteil 'schmeicheln' in der rezenten jidd. Wortfamilie trennen. Dennoch verdankt die heutige Wortfamilie inzwischen dem slav. Adstrat mehr als dem Heder. Denn die heute dominierende Bedeutung 'streicheln' ist plausibel weder aus dem Hedergebrauch noch aus jenem vereinzelten dt. Beleg des >Vocabularius< von 1482 abzuleiten, sondern spiegelt die Doppelbedeutung des (mit dt. glatt urverwandten) poln. gladzic 'glätten' und 'streicheln'. Dieser Einfluß spiegelt sich wohl schon in ZuR 159rb42 do sein di kelber noch-gelofen den asirim un haben sich geglet an den asirim 'sich an den reichen Männern schmeichelnd gerieben'. 127 (der) glust (zu/noch) 'Verlangen (nach), Lust (auf)', stj., (di) glustung 'Verlangen', stj. (Stu auch glustikejt) Im Gegensatz zur schriftdeutschen Wortfamilie um Gelüst bewahrt die stj. Wortfamilie um glust in der Synkope ge- > g- oberdeutsches Erbe (vgl. vor allem DWb gelüsten/gelüsten 5c), ebenso in der Umlautlosigkeit, die in der (oberdt. dominierten) mhd. Überlieferung zumindest überwog (s. die Belege bei Lexer und BMZ) oder (nach der Vermutung des DWb loc. cit.) praktisch alleinherrschend war. Luther hingegen benutzt ganz überwiegend den mitteldt. Typ gelüst-, der dann in der dt. Schriftsprache allmählich durchdrang. Beim jidd. Substantiv der glust schließlich ist auch die Festlegung auf das Maskulinum essentiell oberdeutscher Herkunft. Selbst im Dt. finden wir der Gelüst statt des heutigen das Gelüst noch im 18. und der ersten Hälfte des 19. Jhs. bei den Oberdeutschen Schiller, Hölderlin, Hebel und Rückert.
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Fol. 266r oben der Zählung in arabischen Ziffern; die Lage ist verheftet. Daß man heute die Stelle ganz anders versteht, braucht auf unsere Interpretation von Mijo keinen Einfluß zu haben. Die physische Grundbedeutung 'glattstreichen' schließlich findet sich z.B. Mi 32v34 di leinwät gleten, hat also im Jidd. eine kontinuierliche Geschichte. Dafür spricht auch der glet-stain ebd., der noch bei Harkavy als gletstejn 'Polierstein' verzeichnet ist.
glustik
307
In der jidd. Bibelsprache ist nun °g(i)lust die majoritäre Übersetzung von ΓΠΟΠ, "70 ΠΟ und ΠΊΧΓ), so z.B. R9 Jer 12.10 mins gelust ~ "ΤΠΟΠ, Jes 64.10 unser gelust ~ ΙΓΠΟΠΟ, 26.8 gelust unser leibs ~ tf£>J_n]Xri; MM 1S 9.20 gilust ~ ΓΠΟΠ, 1Κ 20.6 gelust ~ ΤΟΠΟ, Gn 3.6 gelust ~ Π1ΧΓ). - In freier Formulierung z.B.: SM 3rl4 gelust seines leibes, 81rl2 der gilust is der schaden zu alen bösen werken (und 14 weitere). Doch findet sich für ΓΠΟΠ und Π1ΧΓΙ manchmal auch °gelustung. Dies ist eine Eigenbildung der jidd. Bibelsprache; denn im Dt. ist Gelüstung nur bei zwei Lexikographen um 1730 belegt, also offenbar papiernes Produkt von deren Vollständigkeitsstreben (DWb). Jidd. Belege sind etwa: R9 Ez 26.12 gelustung ~ ΓΠΏΠ, Nu 11.4 gelus'tung ~ ΠΊΧΓΙ, so auch A Nu 11.4, 11.34. Sowohl der glust als auch di glustung halten bis ins Stj. durch. Eine dritte Bildung hingegen, °gelustikait (< mhd. gelusticheit, im Dt. gegen 1500 verschwunden), ist zwar von A Thr 1.10 ~ ΠΟΠΟ über SJ 2rl4 u.ö., Br 33.28 u.ö., ZuR 84ra50 u.ö. bis zu Nobles Informanten (Nr. 110) hier und da zu belegen und auch bei Stutchkoff (Nr. 541) noch verzeichnet, aber nicht in die Standardsprache gelangt. glustik 'begehrenswert, begehrt, köstlich', stj. (neujidd. auch 'lüstern, sehnsuchtsvoll', Za, Stu)128 Mhd. gelustec (Lexer, unzureichend; Findebuch, vor allem DWb gelustig/ gelüstig) heißt häufiger 'Lust verspürend, lüstern, sehnsuchtsvoll' als 'Lust erzeugend, begehrenswert, köstlich'. Im Dt. verschwindet die zweite Gebrauchsweise um 1500, die erste (und damit das Wort selbst) im 18. Jh. (unter Rückzug auf die oberdt. Mundarten). Die jidd. Bibelsprache hingegen zieht das Wort in der ersten Gebrauchsweise nur vereinzelt heran: 'lüstern' A, BM Nu 11.34, 'sehnsuchtsvoll' El Ps 107.9 er hot geset ain leib ain gelustigen ~ tfBl *Γ3ψΠ. Um so häufiger in der zweiten, nämlich als Normalübersetzung von ΊΟ Π1 und 110Π: R9 Gn 27.15 Esaus Kleider, die gelustigen ('Feierkleider'), Pr 21.20; MM Gn 2.9, 27.15; Lo, Mü, Κ Gn 2.9, 3.6 (2x) Bäume, insbesondere der verbotene, ° gelustig anzusehen; El Ps 19.11; BM Gn 2.9. Außerdem dürfen Abstrakta adjektivisch übersetzt werden an Stellen, wo indoeuropäische Sprachen ein Adjektiv benutzen: R9 Jes 32.12 velt glustik ~ ΠΟΠ_-,Ί!ψ 'liebliche Äcker', ähnlich Jes 2.16, Jer 3.19, 25.34, Ct 5.16 (alles an ihm ist) gelustik ~ Π'-'ΙΟΠΟ (i^Dl), Thr 2.4; El Ps 106.24. Außerhalb der Übersetzungen hat Bar noch den im Dt. dominierenden Sinn: 5349 so ist si gelüstig, hüngerik, türstik. Umgekehrt dann ZuR 162va31 ain hipschi schene krön, glustigi krön, 170va53 un ir gelustige
128
Zu Synkope und Umlautlosigkeit vgl. oben den Art. glust.
308
glustn
a[vode] s[ore], di kenen si nischt helfen, wo das Adj. ironisch gemeint ist; TA 11 r 17 as du uns host fer-sichert durch den gelustigen man Doniel. Hier schließt das Stj. an. Daß außerhalb des Stj. auch die im Mhd. dominierende Bedeutung existiert, zeigen Zanin und Stutchkoff (Nr. 541); sie findet sich bei Mendele in >Pejrek Sire< (S. 22, ~ Ps 107.9) dos glustike nefes setikt er on. glustn (+ Akk. oder noch) 'begehren, Lust haben auf', z.B. wifl dos harz glust; glustn sich (+ Dat.), unpersönlich, 'gelüsten', stj.129 Im Dt. ist die Normalkonstruktion des Verbs zu allen Zeiten die unpersönliche (begehrende Person im Akk., seit dem 15. Jh. auch im Dat.; begehrte Sache im Gen., seit dem Mhd. auch mit nach, seit dem 16. Jh. gelegentlich im Nom.). Die persönliche Konstruktion 'ich gelüste' (begehrende Person im Nom.) ist im Mhd. extrem selten (Lexer), etwas häufiger erst seit Wieland; schon im Mittelalter kann sie transitiv sein (ein Beleg bei Lexer). In der jidd. Bibelsprache ist °gelüsten die Normalübersetzung von HJS (samt rnsnn), τοπ, Π03, ICQ (samt 1031) und 3JU. In einem Teil der Überlieferung (z.B. MM) übersetzt es auch ρψπ, wofür jedoch andere Texte (z.B. R9) °begeren haben, das ja auch bis ins stj. bagern fortlebt, gelegentlich auch Π3Χ 'wollen'. Dazu kommen für °gelüsten im Großteil der Überlieferung noch einige randhafte Funktionen wie die Wiedergabe von Π*73, η χ φ und wo diese 'sich sehnen' bedeuten. Nun sind im Hebr. ΊΟΠ und Π1Ν, meist auch ΓΠΧΠΠ und ηχψ sogar transitiv, und auch die übrigen werden immerhin persönlich konstruiert. Was geschieht beim Übersetzen? Überraschenderweise ist die Konstruktion manchmal in R13 (so Ps 17.12, 119.40, 119.131, Pr 6.25, 21.10, 24.1), vereinzelt auch in El Ps (119.131) ins Unpersönliche umgeschrieben: R13 Pr 6.25 nit dich sol gelüsten ir schönhait - PPD^ "70ΠΓΐ-,7Χ.130 Aber selbst diese Texte verwenden daneben die persönliche Konstruktion: R13 Ps 106.14 si gelüsten ~ imJVl, Pr 1.22 si häben gelust zu in ~ Dn"? ΠΟΠ; El Ps 106.14 si gelüsteten u.ö'.131 Die Mehrzahl der Bibelübersetzungstexte kennt überhaupt nur die persönliche Konstruktion. Wegen der Einförmigkeit des Befundes können wir uns auf R9 und MM beschränken, aber auch da nur eine Belegauswahl geben. ~ ΓΡΧ: R9 Hi 23.13 si hot gelüstet; MM Ps 132.14 ich häb gelust si. ~ rnxnn: R9 Nu 11.4 si gelüsten (Prät.), Jer 17.16 ich hon gelüstet, Koh 6.2 129 130
131
Zu Synkope und Umlautlosigkeit vgl. oben den Art. glust. Vgl. schließlich noch BM Gn 3.16 dich sol gelüsten ~ ^nf^tön 'deine Lust soll sein'; Ex 20.17 du sölt dich losen gelüsten ~ Ibnn. Und vgl. (zur vorigen Anm.): BM Dt 7.7 er hot begert oder gelust ~ ρψπ - u.ä.
grejchn
309
er gelust; M M Nu 11.4 si teten gelüsten. ~ ΊΩΠ: R 9 Ex 20.17 du sölt gelüsten, 34.24 sol gilustin, Jes 1.29 ir habt gelust, 53.2 Sölden mir in glustin, Pr 1.22 si gelustin (Prät.); M M Ex 20.17 du sölst gelüsten, Jos 7.21 ich gelüstet si. ~ ΠΏ3: R 9 Ps 63.2 si gelüstet, M M ebd. es gelust.132 ~ «103: R 9 Hi 14.15 du sölst gelustin-, M M ebd. du sölst gelustin. ~ 1031: R 9 Gn 31.30 gilusf; M M ebd. du host gelust. ~ ajH: R9 Ez 23·5 si gelust,
23.7 si hot gelust; MM Ez 23.5 si gelüstet. ~ ρψΠ: R9 (anders, s. oben); M M Dt 21.11 du werst gelüsten. — Π"73: R 9 2 S 13.39 un* si gelust leip Dovid; M M ebd. si} gelust. ~ η χ ψ : R 9 Jes 42.14 ich wil gelüsten, Hi 7.2 er gelust (den sche ten); M M ebd. er gelust. ~ R 9 Jes 29.8 gelust; M M ebd. si gelust.
Ähnlich in den frei formulierten Texten. In Bar überwiegt noch die unpersönliche Konstruktion: 1880 was gelüst dich meiner armüt?,
ähnlich
666, 1863, 2439, 4273, 4452, 4536. Doch ist auch die persönliche Konstruktion schon nicht selten: 1431 wer si vun herzen gilüst, 1575, 2674, 4024, 5124. Gut hundert Jahre später finden wir in HiP nur die persönliche Konstruktion, teils frei formuliert (9.26, 24.13, 33.4), teils dem Urtext folgend (14.15, 23.13); nur die persönliche Konstruktion auch in MR (115.113, 117.117). Aber sowohl Br als auch ZuR haben in etwa 15% der Fälle die unpersönliche Konstruktion, z.B. Br 98.14 °möcht irgent ainen vremden
man gelüsten;
ZuR
104vb22 das selbig
was
im höt
gelust,
117rbl6, 123val0, 170vbll; Belege für die persönliche Konstruktion erübrigen sich. Das Nebeneinander von persönlicher und unpersönlicher Konstruktion ist bis heute geblieben. Da das Jidd. in semantisch ähnlichen Fällen wie ei gefeit mir die unpersönliche Konstruktion pflegt, hat sich diese auch bei glustn offenbar aus eigener Kraft gehalten, während die persönliche Konstruktion lange vom Hedergebrauch gestützt wurde. grejchn 'reichen, sich erstrecken', stj.; dergrejchn 'erreichen, erlangen', stj. Im Mhd. und Frühnhd. hat reichen sowohl in seinen intransitiven Gebrauchsweisen ('sich erstrecken'; 'erfolgreich gelangen'; 'ausreichen'; 'wohin langen'; 'jmdm. ausschlagen [zu]') als auch in der wichtigsten transitiven Gebrauchsweise ('erreichen, erlangen') ein gereichen neben sich, das ihm an Frequenz nachsteht, aber nach dem DWb >verstärkend< wirkt; wir würden sagen: das den lexikalischen Gehalt des Verbums etwas in Richtung auf die perfektive Aktionsart verschiebt. Erst im 17. Jh. wird gereichen dann eingeengt auf seine heute einzige Verwendung 'jmdm. ausschlagen (zu)': 'das gereicht ihm zum Ruhme' u.ä.
132
Könnte auch unpersönlich gemeint sein.
310
grejchn
In der jiddischen Bibelübersetzungssprache, die ja allgemein auf den Ausdruck der Perfektivität durch Präfigierung mehr bedacht ist als das Dt., dient von Anfang an °g(e)reichen und nicht *reichen als Normalübersetzung des intransitiven y a n (zu SJM) und des transitiven ΓφΠ (zu 1IW, speziell I T ΠΓίΡΠ) sowie einiger seltenerer synonymer Ausdrucksweisen. ~ y w : R9 Ez 13.14 ich wil dun geraichen in ~ ΙΓΡηίΗΠ, Hi 4.5, Ct 2.12, Koh 8.14, Thr 2.2, Esth 2.12, 4.3, 4.14; MM Gn 28.12 geraicht ~ STJO (und 7 weitere); A Lv 5.7, Ct 2.12, Koh 8.14, 12.1, Esth 2.12, 2.15, 4.3; El Ps 32.6; BM Esth 2.12. ~ rfeH: R9 Dt 19.6, Jes 51.11, 59.9 si geraichet uns ~ u r f r n , Jer 39.5, 52.8, Thr 1.3; R13 Ps 69.25 und din grim-zörn sol geraichen si ~ Drfrü; MM Gn 31.25 (und 4 weitere); A Lv 5.11 ob nit sP geraicht sein hant zu zwaP turtel-touben 'wenn seine Mittel für zwei Turteltauben nicht ausreichen', 14.22, 30, 31, 32, 25.26, 49, Nu 6.21, Dt 19.6, 28.15, 28.45; El Ps 7.6, 18.38; BM Gn 31.25, 44.4, 47.9, Ex 15.9, Lv 26.5, Dt 28.2. - Als Beispiel für die selteneren Ausdrucksweisen sei Ru 2.14 genannt: R9 er geraicht, MM, K, Mijo geraicht, BM geraichet (aber A ous-klopft \) ~ C*?5 n*7~)ü3S"} 'er reichte (ihr geröstete Körner)'. Als Zitat erscheint diese Stelle auch ZuR 135va53 er geraicht zu ir geribene sangen-, ebenso 135vb8. Auch in frei formulierten Texten findet sich sowohl der intransitive als auch (etwas seltener) der transitive Gebrauch. Intransitiv: Bar 4029 er begert, däs (= 'was') im nit mäg geraichen, 4735, 2353; Mel 357.2, 1189.2, 2000.2; PuW 160.6, 543.6; Br 83.19 °is genügen un" kan geraichen zum ebigen leben, 162.16; ZuR 45va45, 52vb26, 79ra6 di laiter war geraichen bis ken himel, 113ra55, 150ra8, 170ra47; TA 8v2, 10r7. Transitiv: PuW 473.1 un" do nun war geraicht di' zeit; MR 83.32 ich un" du' welen im noch-reiten, vil-leicht geraichen mir in', Br 62.27 °e si im geraicht das waser, 76.10 °neuert er geraicht zu im der melech di ruet di giilde 'außer wenn der König diesem Menschen das goldene Szepter entgegenstreckt', 145.10; ZuR 19rb35, 147va43 men as däs herz kan geraichen, 147va44 do wert der mensch mid weren un" wert es nit geraichen.133 Da die volle Schreibung ge- unter anderem noch in MM, PuW, El, BM und ZuR häufig ist, scheint die (lexemgebundene) Synkope erst nach 1600 eingetreten zu sein, dann aber bald. Denn MK, um oder kurz nach 1660 in Prag gedruckt, schreibt das Präfix in anderen Wörtern durchweg ge-, hat aber V. 457 und 671 bis mein hänt wert kenen graichen, also offenbar Igrl. Sobald dadurch das Präfix unkenntlich wurde, entbehrte das Wort - wie einst *reichen - eines Indikators der Perfektivität, und der Präfigierungsprozeß konnte, wenngleich mit einem anderen Präfix, neu beginnen. Es 133
Keine Entscheidung zwischen intransitiv und transitiv scheint uns möglich bei PuW 404.8 däs di briv Ödoardo (Akk.? Dat.?) Sölten geraichen und NH inrtpril - werst graichen - e arrivera - et consequeris.
grejsn
311
entstand - schon außerhalb unseres Dokumentationszeitraums - dergrejchn, das bereits dem Bildungstyp nach sofort als perfektiv-transitiv zu erkennen ist und in der Tat von grejchn den transitiven Gebrauch fast ganz abgezogen hat; das im MEYYED angeführte gring zu grejchn 'leicht zu greifen, in bequemer Reichweite' ist ein Rest. grejsn 'als groß preisen', grejsn sich 'prahlen, sich brüsten', stj. Das Mhd. kannte ein großen 'dick oder groß sein oder werden' und ein grossen 'groß machen' (spätmhd. auch: mit bloßen Worten, also 'rühmen'), zwischen denen es aber in beiden Richtungen Grenzüberschreitungen gab. In der dt. Schriftsprache verklang ersteres um 1600, letzteres im 17. Jh.; Luther scheint nur einmal sich grossen zu bieten (DWb, Frühnhd. Wb.). Für 'groß machen' findet man außerdem vereinzelt vom 14., häufiger vom 15. bis ins 17. Jh. (bei Lexikographen bis gegen 1800) ein größern (DWb, Frühnhd. Wb.), das seinerseits durch das noch heutige vergrößern abgelöst wurde. In der Bibel geht es um die Verbalwurzeln ^"n und (selten) XW/miP. Hier ist zunächst daran zu erinnern, daß in Teilen der jidd. Übersetzungstradition transitives in gewissen Fällen als achpern (s. dieses) übersetzt wird; das Folgende gilt also unter Ausschluß dieser Fälle. In der Bibel bedeutet nun zwar das Qal immer 'groß sein oder werden', das Piel 'groß machen' (in verschiedenen Schattierungen), aber das Hifil partizipiert als äußeres ('groß machen') und inneres ('Größe entfalten' ~ 'groß sein oder werden') an beiden Bedeutungen. Bei solchen Überschneidungen sowohl im Hebr. wie im Mhd. ist verständlich, daß in der jidd. Bibelsprache von vornherein nur ein Verbum vorliegt. Was seine Form betrifft, lassen zwar bis tief ins 16. Jh. umlautindifferente Graphemsysteme (Timm 1987: 175ff.) nicht erkennen, ob /ö/ oder /ö/ vorliegt; die Weiterentwicklung entscheidet dann aber (im wesentlichen wohl auch retrospektiv) zugunsten von /ö/ (>/e/ > /ei/). Etwa so: in Gn 19.19 hat R9 sei' gros'en, Lo host geachpert, MM host gegröst, Mü, Κ host gegröst, A host gegröst, BM host gegrest ~ V ^ n i . Und was die Bedeutung betrifft, so fehlt es zwar nicht an Inkonsequenzen; aber in einer klaren Belegmehrheit (insgesamt 70%) ist das Verbum transitiv (was ja sowohl wegen des Umlauts vom Mhd. her als auch in der Konstruktion vom Stj. her zu erwarten ist), und das Intransitivum wird durch das Reflexivum oder Passivum umschrieben. Vgl. etwa in R9 die zahlreichen regelkonformen Fälle: Gn 12.2 (ich) wil grösen dich, 19.19 sei3 gros'en, 41.40 ich wil sein gegröst ~ ^IJX, Jes 10.15 er söl sich grösen ~ ^"IJIV, Ez 24.9 ich wil grösen - "ΤΉΧ, 35.13 ir habt gegröst ~ ^"Hirn, Hi 36.24 du gröst ~ χηψΓ), Thr 1.9 er ist gegröst ~ "Γ^Π '(der Feind) triumphiert', 4.6 un es ist gegröst ~ ^ll"]· Dazu zwei Inkonsequenzen: Jes 44.14 er düt grösen ~ 'ϊΊΓ
312
grimzorn
(Umschreibung mit 'tun' überflüssig), Koh 1.16 ich hon gegröst ~ "'Γι'ρΐΙΠ 'ich bin herrlich geworden' (man vermißt ein mich). Ähnlich wie R9 die sonstige Übersetzungstradition. Außerhalb der Übersetzungstradition haben wir nur regelkonforme Fälle gefunden: Mel 58.3 (Benajas Wunsch an den sterbenden David zugunsten Salomos) κ/Γ sein stul sol sich grösen wen öuerer ist gewesen·, Br 77.26 °um wilen sein gerechtikait hot er (seil. Gott) gegröst di Toro; ZuR 8vb35 dp waser, dp häben sich gesterkt un" gigrest hundert un' fünfzig tag. Dies ist bereits die stj. Konstruktion; nur fehlt noch die semantische Einengung auf den >deklarativen< Sinn. grimzorn 'Zorn', stj. Über die Wiedergabe der hebr. Ausdrücke für 'Zorn, Grimm, Wut' kann man sich am bequemsten in MM informieren. Dort werden übersetzt: ηχ (samt seinem Dual D'BX), QSJT, η$?Τ, ΠΟΠ, 0SJ3, ΓΤΠΰ und «^j? sämtlich
durch °zörn, Ή Π Ex 11.8 durch grim, f n n Ex 15.7 durch grim-zorn, aber Ex 32.12 durch grim und das zur selben Wurzel gehörige Verbum ΓΠΠ durch grimen.134 Der Sonderstatus der Wurzel m n ist einfach zu erklären. Sie bedeutet ursprünglich nur 'auflodern' und hat deshalb auch in der Bibel in der Mehrzahl der Fälle (65% beim Verbum, 80% bei ]ί"!Π, alle sechs Vorkommensfälle bei '"in) noch ηχ 'Zorn' bei sich. Die jidd. Übersetzer wollen dort - insbesondere natürlich bei den 33 ηχ ΤΠΠ und 6 ηχ "ηπ einer Verdoppelung des Stammes zorn entgehen. Hier tritt dann eben der Stamm grim- ein. Das Verb °grimen wird dabei übrigens im Jidd. bis ins spätere 16. Jh. stark flektiert, wobei zweifellos das stereotype ~)Π"1 ~ un" es gram an über vierzig Bibelstellen konservierend wirkte. Dieses gram finden wir z.B. R9 Hi 32.2; Mü, A Gn 4.5, 30.2, 31.36, 34.7, 39.19 u.ö.; El Ps 106.40; HiP 32.2 (übersetzend). Im Dt. hingegen, wo die vorlutherischen Übersetzungen keine vergleichbare sprachprägende Kraft haben, war das Verbum (nach DWb grimmen) schon im 14. Jh. in die schwache Konjugation übergewechselt. Ist nun 0grim-zorn eine jidd. Bildung oder aus dem Dt. übernommen? Essentiell ersteres. Das DWb (vgl. auch Frühnhd. Wb.) kann Grimmzorn
134
Bemerkenswert ist, daß M M wie salvo errore auch die anderen jidd. Übersetzungen auf die Wortfamilie um mhd. wuot(-) verzichten, die dann auch im heutigen Jidd. fehlt. Vermutlich klang der Wortstamm - um einen Ausdruck des DWb-Artikels Wut zu gebrauchen - noch zu >dämonistisch< (Watendes Heer u. ä.). Auch die vorlutherischen dt. Übersetzer gebrauchen ihn selten, und noch auffälliger ist der Gegensatz zwischen Luthers diesbezüglicher Abstinenz im Bibeltext und seiner Vorliebe für den Stamm in der Polemik (DWb Wut, wüten passim).
grimzorn
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nur bei Berthold Aucherbach nachweisen, der >öfter< auch grimmzornig hat - offensichtlich Erinnerungen an das Sprachmilieu seiner Kindheit. Allerdings findet sich der Nominativ grimmenzorn in einzelnen Kirchenliedern und grimmzornig bei Sachs und im Alemannischen seit dem 16. Jh.; diese Belege sind aber sämtlich mehr als ein Jahrhundert jünger als grim'-zörn' in R9 Gn 49.7. Doch selbst wenn grimzorn schon vor 1400 sporadisch im Dt. vorkäme - beliebt geworden ist es nur im Jidd., und zwar eindeutig von den Bibelübersetzungen aus. Denn es verdankt dort seine schon vorhistorische Beliebtheit ursprünglich zweifellos den gängigen Ausdrücken ηχ ]ί~ιπ und ηχ Ή Π. So kommt grim-zörn in MM zustande beim Aneinandersetzen der beiden Lemmata in Ex 11.8 und in 32.12, und so ist es auch direkt belegt z.B. in A Ex 11.8, Nu 32.14, Thr 2.3; HiP 20.23; BM Ex 11.8 usw. Wenn allerdings an ηχ noch ein Possessivsuffix hängt, schwanken die Übersetzer: A Ex 32.12 grim dein zorn ~ ^SX f n n gegen Thr 4.11 sein grim-zörn ~ 1SX f n n . War nun aber das Wort °grim-zorn erst einmal konstituiert, so förderten auch andere Umstände seinen Gebrauch. Erstens konnte man grundsätzlich das kurze "ΗΠ und das etwas voluminösere 1ί~)Π differenzieren wollen: also grim contra grim-zörn. So erklärt sich in MM das schon zitierte dein grim-zorn ~ (ohne folgendes ηχ!) Ex 15.7; ebenso z.B. A Ex 15.7; El Ps 2.5, 58.10, 88.17; BM Ex 15.7. Zweitens weist die Bibel oft zwei Ausdrücke für 'Zorn' im Parallelismus membrorum auf; auch hier war dann zorn [...] grim-zorn eine naheliegende Steigerung. Das trifft schon zu auf die gerade zitierte Stelle El Ps 2.5 mit seinem zorn un" mit seinem grim-zorn, aber auch ζ. B. auf R9 Gn 49.7 ir zorn' ~ DDX [...] ir grim'-zörn' ~ nn-na; ähnlich Α Dt 9.19, 29.22, 29.27 grim-zorn ~ ΠΏΠ; El Ps 6.2, 37.8, 38.2, 90.7 grim-zorn ~ ΠΟΠ, 7.7 ~ ni-QU, 102.11 ~ Diese Tendenzen führen z.B. in El Ps dazu, daß i n Π 69.25, 78.49 und 85.4 grim, aber 2.5, 58.10 und 88.17 grim-zörn ist, ebenso ΓΠ35) 85.4 zorn, aber 7.7 grim-zörn, ebenso ηχί? 38.2 zorn, aber 102.11 grim-zorn. Da das Wort auf diese Weise häufiger wird und zugleich die Bedingungen seiner Anwendung immer weniger zu erkennen sind, ist es nicht erstaunlich, wenn grim-zörn in HiP einigemal einfach für ηχ (9.5, 20.28) oder für ΠΟΠ (21.20) oder für rn3U (21.30) steht, ohne daß ein benachbartes zorn übersteigert werden müßte. grim-zörn ist einfach zu einer Verstärkung von zorn geworden, die man nach Gutdünken verwenden darf. In frei formulierten Texten findet man natürlich seit ältester Zeit hier und da zorn und grim(en) benachbart: Bar 1004 sein z'orn un" sein grim, 1355 vor grime un" z'orn, 4774 z'orn un" grimen; PuW 300.4 mit zören gros un" mit ain grimen; SM 29v so wert grimen mein zorn\ Shg 9rl8 do wert grimen götes zorn\ SJ 5r es sol nit grimin der zorn. Spätestens seit Mah aber findet man auch das Kompositum °grim-zörn: 102r Uber her, mit deinem zörn söltu mich nit ströfen, un" mit deinem grim-zörn söltu mich nit
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gring
ver-wiisten\ weiterhin PuW 391.2 un in den selbigen grim-zoren, 441.2 un schalt si3 vast mit ain grim-zören-, SM 67r grim-zorn; Br 65.3 (Zitat Dt 29.23 ~ ηχπ ηπ), 118.26 (Zitat Nu 11.1 - 1BX) °grim zorn; SJ 5v, 7r, 15r, 41r, 67v, 108r grim-zorn·, ZuR 139rb3 grim-zoren, 171ra27 grim-zorn·, MB 219.44 grim-zorn-, KO 8rl6, 8v2 grim-zorn. Und so noch stj. grimzorn neben einfachem zorn. gring, lajcht, beide außer 'leicht von Gewicht' auch 'leicht zu tun', stj. Mhd. ringe, geringe und lihte sind Adjektive von großer semantischer Breite. Sie haben alle drei die Grundbedeutung 'leicht (von Gewicht)', die wir als trivial im folgenden nicht behandeln. Sie haben aber auch ähnliche übertragene Bedeutungen - von 'leichtfüßig, behende' über 'leichtherzig, leichtsinnig, schnell bereit' bis zu der wohl wichtigsten übertragenen Bedeutung 'leicht zu tun, facilis, easy'. (Nur das Adverb liht 'vielleicht' steht allein. Es heißt auch im älteren Jidd. oft leicht, lecht, so mindestens bis MR - wir haben nicht systematisch gesucht. Später tritt dafür der Hebraismus eßer ein.) Bei den mhd. Klassikern ist ringe insgesamt noch um ein Mehrfaches häufiger als geringe. Luther hingegen zieht in den meisten Bedeutungsschattierungen gering vor. Etwa im 17. Jh. scheidet ring überhaupt aus der Schriftsprache aus, bleibt allerdings in vielen Mundarten. Im Jiddischen finden wir es noch CH DH 504 ring' 'leichten Mutes (diesem Vorschlag zustimmend)' und Bar 3186 ir süsen wort wäs in gar ring' 'war für sie von geringem Gewicht'. Spätere Vorkommensfälle sind uns nicht bekannt. Im Dt. wurde nun auch gering seit Ausgang des Mittelalters von einer allmählichen Begriffsverschiebung und -Verengung betroffen. In den vorlutherischen Bibeln bezeichnete es unter anderem auch den »Schwierigkeitsoder Schweregrad« (Ising 1968: 61). Für diesen hat Luther dann einigemal gering und leicht, häufig aber schon einfach leicht. Gegen 1700 verschwand gering in dieser Bedeutung so gut wie ganz aus der Schriftsprache (DWb), außer im erstarrten Neutrum: es wäre mir ein geringes/leichtes, das zu tun; sonst ist etwas nicht mehr gering, sondern nur noch leicht (zu tun). Inzwischen war gering allerdings - vor allem bei Luther - zu einer Größen- und Mengenbezeichnung, also einem Synonym von klein und wenig, geworden (Ising loc. cit.). Doch hat es sich selbst da nur in einem Teilbereich halten können, nämlich bei kontinuierlich skalierbaren Abstrakta (geringer Verlust, geringe Verluste, aber weder *geringes Wasser noch *geringe Ereignisse); dazu kommen noch einige überlebende Redensarten (z.B. kein Geringerer als Goethe-, Wahrig). Im Jidd. fiel der Rückgang von g(e)ring weniger durchgreifend aus. Wohlgemerkt schwinden auch hier allmählich die Bedeutungen 'leichtfüßig,
gruntfestikn
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behende' (noch recht lebendig in BB 51.3 u.ö., PuW 342.3 u.ö.) und 'leichtherzig, leichtsinnig' (noch ZuR 6rb48, 7 r b l l u.ö.). Aber völlig ungeschwächt bleibt g(e)ring als Synonym von lajcht in der Bedeutung 'leicht zu tun'. Betrachten wir zunächst die Bibeltradition, ~ ^ j ? etwa I S 18.23 'dünkt euch das ein geringes/leichtes, des Königs Schwiegersohn zu werden?': R9 ob dunkt licht, MM ob is leicht, Bli licht, Wi ain gerings, Jeh gring in ajere ojgn. - 2 Κ 3.18 'und Besagtes ist noch ein geringes/leichtes für den Herrn: er wird auch die Moabiter in eure Hände geben': R9 es ist leicht, Mijo gering, Bli gering, Wi leicht, Jeh un dos is noch winzik in di ojgn fitn got. - 2 Κ 20.10 'es ist ein leichtes für den Schatten, vorwärts zu gehen': R9 es ist licht zu don ('leicht zu tun'), Bli es is gering, Wi es is leicht, Jeh gring is dem schotn. - Pr 14.6 'dem Verständigen ist Einsicht leicht': R9 es ist licht, MM gering, Bli gering, Wi giring, Jeh wisn is gring dem farstandikn.135 Aufgrund dieser Belege wird man zwar auch dem Wort lajcht selbst in der Bedeutung 'leicht zu tun' eine dünne Kontinuität zum Stj. hin nicht absprechen. Aber das gängige Wort bleibt g(e)ring: Mel 369.4, 410.1; MM Vorwort fol. 1 va däs ganz esrim ve-arba, es sei herbe worter, es sei geringe worter, PuW 283.2 es sei' dir herb oder geringen, 511.8 möcht vür-sten dp red gär gerinklich; Shg Irl8 in geringer sproch; SJ 60r25 gering zu far-wekseln', Br 14.12 Gott °gibt im kraft das es im gring is was si mainen es is schwer, 19.41 °di mizwo is gering zu tun, 172.36 °wi gar gering is der dinst, 273.17 das Kind ist °gering zu der zihen, 273.25 dgl.; ZuR 5va30 do mecht di frau' ir kind gering haben 'leicht gebären', 6va8 geringe kinder 'leicht geborene', 6val0 ähnlich, 19va25 den es is geringer däs [...] 'es kommt eher vor, daß', 23val3 zu gen gering ouf däs bet 'um leicht auf das (hohe) Bett zu gelangen', 26va20 däs länd sol gering sein zu bezwingen usw. So bis stj. gring. gruntfestikn (Stu und Za daneben noch gruntfestn) 'fundieren, fest begründen', stj.; Jeh und Za auch gruntfest(n) 'Fundament(e)', Za auch gruntfestikung 'Grundlegung' Das Subst. ahd. gruntfesti ist die Entsprechung von lat. fundamentum; mhd. gruntveste, nhd. Grundfeste, auch von Luther gebraucht (z.B. Dt 32.22, Ez 30.4, Ps 18.8, 82.5 u.ö.), ist bis in die Goethezeit voll lebendig, heute aber praktisch nur noch in der Verbindung 'bis in die Grundfesten erschüttern' (mit einigen Varianten) gängig (DWb), sonst hauptsächlich durch Grund135
Wenn diese Belegreihen, verglichen mit dem Durchschnitt unseres Buches, etwas dünn wirken mögen, so liegt das vor allem daran, daß verbales Vjp, um das es hier im wesentlichen geht, teilweise auch verbal übersetzt wird, vgl. oben den Art. farlajchtern.
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gruntfestikn
läge und Fundament verdrängt. Als zugehöriges transitives Verbum erscheint seit dem 12. Jh. grundfesten, parallel dazu seit dem 13. Jh., grundfest(e)nen und seit Mitte des 14. Jhs. grundfestigen; alle drei, von Luther gemieden, sind nach 1600 nur noch vereinzelt in individuell sein wollender Sprache belegt (DWb). Die jiddische Bibelsprache übernimmt die Wortfamilie zur Wiedergabe der Wurzel ΙΟ"" (und vereinzelt von anderen). Betrachten wir zunächst das Substantiv: °gruntvest steht schon in R9 für ΤΟΊΟ Dt 32.22, Jes 24.18, 28.16, 40.21, Jer 31.37; und für TiCP Ez 30.4, Thr 4.11, Hi 4.19. (Einzelfälle: für D'BhftC Jes 16.7, heute meist anders; für Γήηψ Jes 19.10 dgl.; für psiQ Hi 37.10.) Ähnlich die spätere Tradition, z.B. El Ps 11.3, 18.8, 18.16, 82.5, 87.1 grund-ves't, 137.7 grunt-vest.136 Noch Jehojes benutzt das Wort, wo kosmische Größe gefordert ist, z.B. Dt 32.22 gruntfestn fun di berg, Jes 24.18 gruntfestn fun der erd, nennt aber z.B. den Sockel des Altars Ex 29.12, Lv 4.7 usw. einfach grunt fun misbejah. Auch in freier Formulierung ist das Wort zunächst gängig: Bar 488 ain kluges herz ain grünt-vest ist; Sb 627.3 David beschließt die Zerstörung von Navals hous mit dem grunt-ves'f, PuW 510.3 den grund-vest [...] vun jenem turen oder keichen; Shg 2v23 gruntfest der thöro\ SJ lOv grunt-fest der erden, 71r, 72r (2x) grund-fest, 95r grunt-vest, 112r der grund-feststain\ ZuR 179vbl7 di grunt-fes vun der weit, 183 vb6 dö wert zitern di erd un" grunt-fes di himel, 183vb20 wert gesehen di grund-fes fun der weit und so noch im 20. Jh. z.B. Sutzkever >Gehejmstot< 50.15 di fajnd - nit gesete, sej hobn gerisn di went un gebojert dem gruntfest, 130.5, 148.14. Noch lebendiger ist im Jiddischen das Verbum - oder vielmehr die Verben. Denn schon in R9 überwiegt zwar 0grunt-vesten (meist ~ 10''): Ex 9.18 ist worden geruntvest' [sie], Jes 44.28 si sol werden gegruntvest, 48.13, 54.11, Ct 5.15, Hi 22.16 er grunt-vest (grammatisch falsch), Jes 26.1 (~ rvir), Hi 36.16 (~ psiö). Wir finden aber auch (alle Belege ~ 10^): Ez 41.8 gegrunt-ves'tigt, Hi 38.4 do ich grunt-vestigt, Pr 3.19 er hot gegrunt-vestigt. Ebenso in El Ps 8.3, 24.2, 89.12 gegrundfest, 78.69, 102.26, 119.152 0 gegrund-fest, aber 104.5 gigrund-vestigt. Noch von Nobles Informanten benutzen neun gruntfestn, sieben grundfestikn (Nr. 136). Auch in freier Formulierung finden wir PuW 187.6 mit eitel recht war ers grund-vesten (nämlich seinen dringenden Rat an Paris), SJ 112r gegrunt-fest, aber HiP 22.24 grunt-vestigen (ebenso gegrunt-vestigt in der übersetzten Passage 38.4). Das sekundäre Substantiv gruntfestikung schließlich, das noch Zanin bringt, ist immerhin in HiP 22.16 und 38.6 grunt-vestigung belegt.
136
M M hat allerdings als Folge seiner Alphabetisierungsschwankungen die Wurzel TO'' schlicht vergessen.
hak
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gumen 'Gaumen', stj. Von mhd. guom(e), goum(e) 'Gaumen' ist der Typ guom(e) in der dt. Überlieferung bis ins 16. Jh. klar majoritär (Lexer, Frühnhd. Wb.). Bei Luther finden wir beides: die Zunge klebt am gumen (< mhd. wo) Hi 29.10 oder am gaumen (edlen< Sprache anzugehören; das Wort siecht dahin. Auch die jüngere Verdeutlichung Hindin beginnt zu verblassen. Umgekehrt ist Hirschkuh im DWb erst bei Tieck belegt. Hirschin schließlich taucht schon im 15. Jh. auf, ist aber »nicht jägermäßig« (DWb). Insgesamt exemplifiziert der Begriff die im Dt. (und wohl auch anderen europäischen Sprachen) seit einigen Jahrhunderten wirksame Tendenz, den Geschlechtsunterschied bei Tieren nicht mehr durch selbständige (synchronisch unanalysierbare) Ausdrücke, sondern durch Motion zu bezeichnen. Während man im Jidd. theoretisch dieselbe Entwicklung oder aber Slavisierung erwarten sollte, hält sich dort das Wort besser als im Deutschen zweifellos aufgrund der Bibelsprache. Hind übersetzt nVx, oft auch "rx (sonst °rech) und/oder ΓΓ3Χ (sonst °hirsch). Durch jedes der drei Wörter kommen ihm unter anderem suggestive Hohelied-Stellen zu. Belege: R9 Dt 12.15, 14.5, Jes 35.6, Jer 14.5, Ct 2.7, 4.5, Thr 1.6, Hi 39.1, Pr 5.19 hind\ flektiert hinde n; R13 Ps 18.34, 22.1, 29.9, Pr 5.19 hind, flektiert hinden;
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(der) hinderer
MM Gn 49.21, Ps 18.34 hind, PI. hindert·, Lo, Mü, A Gn 49.21 Naftholi ain hind (Mü hind', Α hünd') ain schneie-, Α Dt 14.5 hind\ 15.22, Ct 2.7, 2.9, 2.17, 3.5, 4.5, 7.4, 8.14, Thr 1.6 hind, PI. hinden-, Κ Gn 49.21 hind\ El Ps 22.1, 29.9, 42.2 hind, PI. hinden-, HiP 39.1 (und 3) hinden PL; BM Gn 49.21, Dt 14.5, Ct 2.7, 2.9, 2.17, 3.5, 7.4, 8.14 °hind. In freier Formulierung: Sb 897.4, 1720.1 er mächt mich bald laufen as dl· hinden ouf dem veld (~ 2S 22.34); Mel 224.4; BB 472.8, 473.1, 473.2 hind(en); SD nVx - hind - Hinde - hinnulus', Sdt 2r hind. In ZuR ist gleich der erste Beleg interessant: 46va9 kleich as ain hind un ain hinden di do bihend lauft. Zu kommentieren ist hier Gn 49.21 'Naftali ist wie eine schnelle Hirschkuh'. Der Bibelleser hat also in dem Vergleich eine Genusdiskrepanz zu überwinden. Sein Gedanke geht zuerst wohl zu 'Hirsch' (vgl. Hirsch als festen Begleitnamen von Naftali eben aufgrund dieser Stelle), dann erst, um des Urtextes willen, zu 'Hirschkuh'. Da nun ZuR kurz darauf hind einmal als Mask, oder Neutrum verwendet (46va22 zu ainem hind), drängt sich der Verdacht auf, daß der Autor in seiner Sprache nach der Proportion n*7*idie hinteren Feiertage< die jeweils letzten der sieben Tage Peßach und Suckot« (Weinberg 1994: 122). hitn 'beachten, einhalten (z.B. Gebote, Sabbat)', neujidd. (Ha, Bi, Za, Ni), ophitn dasselbe, stj. Nach Lexer und dem DWb zu urteilen, erscheint mhd. hüeten, nhd. hüten nie (und behüeten nur im Mittelalter manchmal) mit Begriffen wie 'Gebot, Gesetz, Bund, Eid, Treue' oder auch 'Feiertag, Sonntag' u. ä. als (direktem oder, nach älterer Konstruktion, genitivischem) Objekt.
hitn
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In der Bibel aber entfällt von den über 400 Vorkommensfällen des Verbs "löttf 'hüten, bewachen' (zu denen noch über 50 "löitf 'Hüter' kommen) und von den über 60 Vorkommensfällen des Verbs "isi derselben Bedeutung ein sehr beträchtlicher Teil auf Konstruktionen des genannten Typs. So gehören von den insgesamt zehn Beispielen, die MM für die Gleichung ΊΏψ ~ hüten gibt, zwei zu diesem Typ (Gn 17.9, Ex 12.17); Luther übersetzt beidemal halten (einen Bund bzw. ein Gebot). Auch von den sechs Stellen, mit denen MM die Gleichung 1S1 ~ hüten exemplifiziert, gehören zwei hierher (Ex 34.7, Dt 33.9); Luther übersetzt beweisen (Gnade) bzw. bewaren (Bund). Die jidd. Übersetzungstradition hingegen hat gemäß der Tendenz zur Monemkonstanz °hüten. Für ηοψ z.B.: R9 Koh 8.2; R13 Ps 18.22, 37.37, 78.10, 89.29, 89.32, 99.7, 103.18, 105.45a u.ö., Pr 2.20; MM Gn 17.9, Ex 12.17; Mü, Α, Κ Gn 17.9, 17.10, 18.19, 26.5; A Ex 12.17, 12.24, 12.25 u.ö., Lv 18.4, 26.3 u.ö., Dt 4.2, 4.6, 7.8, 7.9, 7.12 u.ö.; El Ps 18.22, 19.12 u.ö. (über 30x); HiP 23.11; BM Nu 23.12. Und für i s i z.B.: R9 Dt 33.9, Pr 3.1, 4.13, 4.23; R13 Ps 25.10, 25.21, 78.7, 105.45b u.ö.; MM Ex 34.7, Dt 33.9; Α Dt 33.9; El Ps 25.10, 25.21 u.ö. (über lOx). Ebenso außerhalb der Übersetzungen: Sb 1236.2 dein gebot wil ich hüten, 1708.3 got jiss* gebot hüt al Jisro'el geschlecht; MR 115.34 der do hütet ain mizvo, dem geschickt niks bös; TP 3va31 dein gebot nit ich hab gehif, Br 80.4 °wie lang ir nit weit hüten mein gebot, 90.11 °dein bevelnis ich wil hüten (~ Ps 119.100), 90.13 °so kan ich dein bevelnis - das sein di mizvos - halten un hüten; ZuR 161va33 mein mispot weren si halten un" mein gesez weren si' hiten un" weren tun mein mizvoss, 161va55 du sölst hiten di mizvoss, 161 vbl zu hiten sein gesez (die beiden letzten Stellen Paraphrase von 1Κ 2.3); MB 8.18 tut ainer den saboss recht hiten, do tut im hkb"h wider wol behiten-, TL 2v7 er tet sP [= dp mizvoss] nit läng hiten, 2vl 1 der wert deine mizvoss hiten, 5rl 1 und 7v2 das solt ir hiten, 6vl 1 wer dP thöro hot ton hiten, 6vl6 ähnlich. Als das Jidd. später sein System von Präpositionalverben ausbaute, trat neben den Typ hitn dem sabess der Typ ophitn dem sabess. Das GWb kennt für das gesamte Verbum ophitn (wie übrigens auch für ojshitn und ojfhitri) keine Belege vor 1800; doch scheint inzwischen der jüngere Typ den älteren zu verdrängen. Neben beiden Ausdrücken gibt es auch haltn (dem sabess u.ä.). Wie schon oben der je eine Beleg aus Br und ZuR gezeigt hat, handelt es sich dabei um ererbtes Alltagsgut der dt. Komponente,144 nicht etwa um einen 144
Im klassischen Mhd. ist dieser Gebrauch von halten erst schwach ausgeprägt (Lexer); man hätte wohl eher behalten oder gehalten gesagt (Lexer s . w . ) . Im Frühnhd. ist er aber in den Fastnachtspielen, bei Reuchlin und vor allem bei Luther nachzuweisen (DWb halten, Sp. 291, 293f.), dürfte also zumindest ins 15. Jh. zurückreichen.
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hofung
jungen Germanismus. Andererseits spielt dieser Ausdruck in der jidd. Bibelsprache so gut wie gar keine Rolle. R13 hat einmal (Ps 78.56) und sin thöro nit si Hilten - das ist die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. Hingegen hat das hälfen in HiP 23.11 (mizvoss), 23.12 {gebot) und BM Ct 1.8 (thöro un mizvoss) keine Entsprechung im Urtext, ist vielmehr jeweils frei formuliert. Gut vertreten ist die Wendung aber schon seit Sb 975.2 (aid), 1708.4 (thoro) und AJ 65.2 (gebot) außerhalb der Übersetzungen; sogar auffällig häufig ist sie in ZuR 4rb20 und passim. hofung, hofenung 'Hoffnung', stj. Im Dt. hat Hoffnung seit Beginn der Überlieferung (mhd. hoffenunge) ein unorganisches -n-; ohne dieses hat sich bisher nur hoffunge aus einer Elsässer Historienbibel des 15. Jhs. beibringen lassen (Lexer, DWb). Im Jidd. stehen (vor allem ~ n p n , auch ~ ifJOS, m ^ p , -nfc, Π^ΠίΠ) immerhin beide Typen nebeneinander. Zunächst die Bibeltradition. Mit -n-\ R9 Jer 31.17, Hi 5.16, 7.6, 11.20, Pr 13.12, 24.14, 26.12 höfinung, Jer 14.8, 29.11, 50.7, Ez 19.5, 37.11, Hi 4.6, 17.15, 41.1, Ru 1.12, Thr 3.18, 3.29 höfnung; A Ru 1.12, Thr 3.18, 3.29 höfnung; HiP 4.6 u.ö. (15x) höfnung; BM Thr 3.18 höfnung. - Ohne -«-: R13 Ps 9.19 u.ö. (insgesamt 20x) hofung, Pr 3.26 (von zweiter Hand), 19.18, 23.18, 24.14, 26.12, 29.20 "hofung, Hi 4.6 u.ö. (19x) "höfung. - Gemischt: MM Ru 1.12, Ps 78.7, Hi 8.14, 31.24, Pr 3.26 höfnung, aber Jer 14.8, Ps 39.8, 119.116, 146.5, Pr 10.28 höfung, ferner Lv 26.16 - nV??a, Dt 28.65 ~ IvVs und Mi 7.4 ~ l'SSO höfung (aber alle drei heute anders übersetzt); El Ps 119.116 höfinung, 39.8, 146.5 höfnung, aber 9.19, 71.5 höfung. In den frei formulierten Texten finden wir mit -n-: Sb 407.4, MR ausnahmslos (11 x) °höfnung. - Ohne -«-: Bar 3772 h'öfung'; SJ 82v, 123ν (4χ), 136v, 137v hofung; Br 178.38, 179.3, 4 "hofung-, TA 8r9 hofung. Gemischt: PuW 716.5 höfnung, aber 159.6, 270.8 höfung-, ZuR 38vb3 u.ö. (8x) hofenung, 113rb 18 hofnung, aber 134ra28, 174rb42 hofung. Je ein Beleg für hofung bei Mag, MaMi und einem Informanten bei Noble Nr. 160. Da hofenung durch das Schriftdt. gestützt wurde, ist es in den letzten beiden Jahrhunderten stark vorgedrungen: Stutchkoff läßt hofenung unmarkiert und bezeichnet hofung als archaisch, Harkavy bringt nur hofenung. hojch (auch in Deklination und Komparation immer -ch-) 'hoch', hejch 'Höhe', derhejcht 'erhöht', derhejchung 'Erhöhung', stj. Die im Mhd. reguläre Alternation zwischen finalem -ch und vorvokalischem -h- (z.B. schuoch - schuohe), die in der dt. Schriftsprache (essentiell im späten 16. und im Laufe des 17. Jhs.) gewöhnlich zugunsten von (heute
hojch
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stummem) -h(-) ausgeglichen wurde, hat sich beim Adj. hoch (flektiert hohe usw.) ausnahmehaft erhalten. Im Jidd. ist sie hingegen hier und in einigen anderen Wörtern wie schuch zugunsten des -ch- ausgeglichen. Das stimmt zwar zu gewissen süddt. Dialekten (Schirmunski 1962: 365), zeugt aber wiederum von der grundsätzlichen Indifferenz noch des Mitteljidd. gegenüber dt.-schriftsprachlichen Tendenzen. R9 zeigt noch ein sehr uneinheitliches Bild, z.B. Gn 49.26 hohe (der welt) ~ Π*7ίΰ nina, aber Jes 2.11 höged ~ η?Π3|, beides 'Höhe', ebd. ist der-högt ~ a n 'erhöht', doch auch schon Nu 16.3 er-hechen ~ XtPl. Und in der Folge breitet sich rapide ch aus. So erscheint das Abstraktum (~ ΠΏ3, nyriJ, nstJ, n j o s , nQii?) als (di) hoch MM Nu 21.20, (di) hoch A Gn 49.26, Ex 17.9, 10, 25.10, 23, 27.1, 18, 37.1, 12, Dt 4.49, BM Nu 21.20; als hoch Mü Gn 49.26, A Ex 37.10, 25, 38.1, Dt 3.17, 27, 12.2, 32.13, 33.29, Jes 42.15, Koh 12.5, HiP 5.7, 9.8, 11.8, 15.7, 26.12, 38.38, 39.18, 39.29 (teilweise frei formuliert), BM Ct 4.6; als Mch BM Ex 17.9, Nu 20.28, Dt 32.13, 33.29, Ct 2.8, Koh 12.5. (Dazu höchkait HiP 33.21, 36.29, 37.24, 38.11, 40.10, 41.26.) Flexionsformen des Verbums: R13 Ps 21.14 erhoch ~ Hon; A Nu 21.19 do waren sP der-höcht ~ niö3; HiP 39.27 der-höcht; BM Ex 15.2 der-hechen ~ a n , Nu 21.19 der-hecht. Flexionsformen des Adjektivs: HiP 1.6 zum höchen [...] gericht, 28.4, 38.11 höcher, BM Ct 2.12 hechir. Allerdings gibt es diesmal zwei Abweichler. Der eine ist K, der auch hier wieder gewisse Anlehnungen an das Dt. zeigt wie etwa Gn 49.26 höhe·, wir sind dem nicht systematisch nachgegangen. Der andere ist Elia, für den die -ch-/-h-Alternation noch voll lebendig ist, z.B. El Ps 21.14 der-höch dich, 18.47, 30.2 u.ö. der-höcht, aber 18.49, 27.5 u.ö. der-höhen, 61.3 höher, 104.18 di hohen berk, 148.1 in den höhen, 149.6 der-höhung.145 (Dieselbe Regel befolgt er in BB und er oder sein alter ego in PuW, so daß man auch dort noch Formen findet wie BB 3.3 höher, 9.4 höhen, PuW 243.4 höhe, 135.7 hohen, 436.6 höher.) Die frei formulierte Literatur zieht essentiell gleichzeitig mit. Das Abstraktum als hoch: Bar 3735, Mel 184.3, MR 99.26, MT 332, Br 181.29, 182.34; als hech: ZuR 4rb49, 66rbl6 u.ö. (etwa 15x), TA lv20, 6vl0, 8vl3, 10r25, NH. Flexionsformen des Verbums: Mel 1873.1 gehöchf, MR 18.16, 107.80 der-höcht, MT 332 der-höch\ Br 4.29, 54.25, 152.21, 183.38 °der höchen, 22.21, 23.1, 84.32, 180.10, 242.24 °der höcht; TP 3vb7 der-hechs'f, TA l l v l 5 der-hech. Flexionsformen des Adjektivs: zwar Db 237.1, 468.3 noch mit höher Stirnen, aber Sb 170.2 höcher, Mel 1614.4 bei' höcher zeit·, MR 89.9 höcher, 89.10 höcheren, aber 97.104 höheren-, Br 108.32, 177.11, 178.39, 184.3, 191.36 °hoche, 180.24, 182.12, 186.5, 145
Bei 37 Belegen in der obigen Verteilung (18 -ch(t) : 19 -h-) findet sich ein Gegenbeleg: 30.2 der-höchen (neben der-höcht im selben Vers).
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hojch
240.1 °hochen, 77.20, 176.5 ° höcher, ZuR 125rbl6 u.ö. (etwa lOx) höche, 160rb46 höcher, 132rb34 u.ö. (etwa 15x) hochen, 125val9 u.ö. (etwa 5x) hecher, KO 5rl4 hoche, 4r27 höcher. Hier schließt das Stj. an. hojch auch 'laut', stj.; hojchkejt 'Lautstärke', stj. 'Laut' kann im Mhd. schon durch lüt (eigentlich 'hell für Ohr oder Auge'), aber auch noch durch einfaches hoch wiedergegeben werden (Lexer s. vv.) - letzteres wie z.B. im Frz. und Ital., die kein eigenes Adjektiv für 'laut' haben. Bei Luther scheint kein klarer Beleg für hoch in diesem Sinne zu existieren; sein Normalwort ist jedenfalls schon laut. Gegen 1700 verebbt dann im Dt. hoch für 'laut' so gut wie ganz (DWb s.w.). 146 Im Jidd. hingegen ist hojch, Komparativ hecher, bis heute das Normalwort für 'laut' (auch z.B. im Zuruf hecher! 'lauter!'). Nun finden wir in der Bibel Dt 27.14 in einer sehr einprägsamen Szene (zwölffache Fluchankündigung durch die Leviten beim Betreten des Heiligen Landes) die Wendung DT ·?ίρ 'mit lauter Stimme'. Die Übersetzungen haben statt 'laut' hoch: Lo, A stim hoch, Mü stim houch, Κ mit Stim hoher, Bli mit ainem hochen stim, Wi [mit] ainer hoche stim, Jeh ojf a hojchn kol·, R9, Mijo und BM übersetzen die Stelle nicht, was auf deren Bekanntheit deutet. In der Tat ist diese eine Stelle laut M. Weinreich (1973: 2.304 = 1980: 642) die Quelle der beiden heutigen jidd. Redensarten (be)kol rom und ojf α hojch kol 'mit lauter Stimme'. 147 Wir glauben, daß sie auch dazu beigetragen hat, bloßes hojch 'laut' zu legitimieren und gegenüber dem Dt. lebendig zu halten. Man vergleiche das enge Nebeneinander: Db 237.1, 468.3 mit hoher stimen ~ Db 94.2 gär härt wäs ich der-schroken, gär hoch schrai un* rif. Oder Mi 3r35, 25rl3, 25r26, 55v25 mit höcher stim ~ Mi 2v24 und passim (über 30x) hoch 'laut', 41v8 u.ö. höcher 'lauter'. Oder schließlich ZuR 60rb31 ouf-hiben sein köl gar hoch ~ ZuR 49rb4, 52ra34 u.ö. (etwa 15x) hoch wainen, schreiben u.ä. Weitere Vorkommensfalle in freien Formulierungen: AJ 53.3 mach di' brocho hoch-, Sb 1095.3, 1377.3, Mel 801.3, 840.3, 862.1, BB 264.1, 273.4, 412.5, 449.4 hoch überall mit 'schreien', Sb 1379.3 mit 'weinen'; Br 128.1 °ain hochschraierin mit stim als Übersetzung von talmudisch ΓΡΛίρ». Hingegen haben die im heutigen Jidd. auch vorhandenen Redensarten ojf a kol und ojjh kol 'laut, lauthals' zwar ebenfalls einen Vorläufer im vereinzelten biblischen *7ip3 Ex 19.19, scheinen aber hauptsächlich aus der Symbiose mit poln. na glos 'laut' (wörtlich: 'auf Stimme') zu leben. 146
147
Im DWb-Art. hoch, Sp. 1599, ist der Uhland-Beleg offensichtlich archaisierend; sonst geht es bei vermeintlichen Belegen nach 1700 mehr um die Tonhöhe oder um den Begeisterungsgrad, weniger um die Lautstärke. Auch im Ivrit hat sich DT ·?1ρ>3 gegenüber "na Vip>3 durchgesetzt.
iberhip(er)n
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hojern 'kauern', stj. Mhd. huren, frühnhd. hauern 'kauern' scheidet im späten 16. Jh. aus der dt. Schriftsprache aus148 und zieht sich als dialektales Wort auf den Süden, speziell den Südwesten zurück; ein Beleg bei Wieland erklärt sich aus dessen württembergischer Herkunft (DWb). In der jidd. Bibelsprache übersetzt °hou,ern von Anfang an y m 'lagern' (von niederkauernden oder brütenden Tieren) und 5Π1 'sich legen' (speziell zu tierischer Begattung), manchmal auch das nur Jes 46.1 f. vorkommende Olj? 'sich krümmen, in die Knie gehen' (von Götzenbildern oder Tieren): R9 Ex 23.5 houher'en, Lv 18.23 houeren, Nu 22.27 si houert, Dt 22.6 houert; Lo, MM, Mü, Α, Κ, BM Lv 18.23 °houyern, Lv 19.19 "(machen, losen) hou'ern, Nu 22.27 °sP hou'erf, Mü, K, BM Dt 22.6 dgl.; MM Jes 46.1 er hou'ert (ähnlich 46.2); El Ps 23.2 in wotiung des gras er mächt hou'em mich, 78.31 bahurim Jisro'el er mächt hou'ern, 139.3 mein houern·, HiP 11.19 du' werst hou'eren. Noble (Nr. 168) belegt das Wort aus Mag und MaMi für Jer 10.17 TOtp) sowie von nahezu allen seinen Informanten für Gn 29.2. Außerbiblische Belege: BhmA 1 ν er sol machen hou'ern mich ouf waser ru'ung-, ShNI 85 vb drum sol itleche iso nishor sein, eer sP sich tovel is in der mikvo, erstlich sich anider-hou'ern, bis däs waser ir an halis git [...]; MhP (Schnitzler 1966: 39) °hou'erung 'das Niederlegen, Begatten'. Wahrscheinlich ist der Mangel an Belegen einfach durch den engen Inhalt des Wortes bedingt. Doch hat sich das Wort immerhin bis ins Stj. gehalten. iberhip(er)n 'überspringen, auslassen', stj. Die hebr. Wurzel ΠΟΒ bedeutet 'hinken, lahm sein'. Beispielsweise kann ein Hinkender, ein ΠΘΒ, nicht als Priester fungieren (Lv 21.18): R9 hinketig, Lo hinketer, MM hinkender, Mü hinkidik, A hinkediger, Κ hinkendig, Mijo hinkedig, BM hinkediger, Bli = Wi hinkendiger, Jeh hinkediker. In einer agrarischen Gesellschaft mit bedeutendem Viehzuchtanteil liegt bei der Vorstellung des Hinkens der Blick aber auch auf dem Vieh: ein hinkender Vierbeiner sucht beim Gehen den wunden Fuß zu übergehen/ überspringen/-schlagen. So kommt nOD zu der Bedeutung 'überspringen', die es bei der letzten ägyptischen Plage hat: der Verderber 'überspringt' jeweils die jüdischen Häuser, was dem Pessachfest den Namen gab.149 148
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An seine Stelle trat zunächst hauptsächlich hocken, Intensivum zu mhd. hüchen, frühnhd. hauchen, seit dem 18. Jh. auch kauern, welches, obwohl gemeingermanisch, bis dahin im Dt. mitteldt. Dialektwort war; kauchen und kauzen blieben dialektal. Zu ihnen allen DWb s. vv. Die gegenseitige Beeinflussung dieser Wörter scheint uns näherer Untersuchung zu bedürfen. Ob schon vor dem Exodus eine Frühjahrszeremonie der noch nomadischen späteren
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ibernechtikn
Da nun Ex 12.13 und 12.23 das Wort hinken sehr mißverständlich wäre, wurde hier schon vor Beginn der jidd. Überlieferung die Polysemie der Wurzel anerkannt und °über-hüpfen als Übersetzung gewählt. Auch das Dt. hatte nämlich ein überhüpfen, das vom 12. bis 19. Jh. auch im übertragenen Sinne 'übergehen, überspringen' bedeuten konnte, so daß z.B. diese kranckhait oder alles Unglücke eine Person oder eine ganze Personenklasse 'überhüpfen' konnte (DWb). Luther benutzt das Wort einmal außerbiblisch, aber in den Exodusstellen hat er 12.13 fur (= vor) euch vbergehe, 12.23 wird er fur der Thür vbergehen. Er hat also bewußt oder unbewußt um des Ernstes der Situation willen die motorische Assoziation eines Springens oder Hüpfens zurückgedrängt, wie es ihm übrigens Hieronymus mit transire, transcendere vorgemacht hatte. In seiner Randbemerkung (neben 12.43) Passah heisset eingang kommt dies noch stärker zum Ausdruck und erleichtert ihm, eine christologische Erklärung anzuschließen. Das Jidd. ist wieder unbefangener (Ex 12.13): R9 ich wil uber-hupen mit Alternative ich wil mich her-bärmin (ähnlich dann K), Lo, MM, Mijo uber-hupfen, Mü uber-hüpfen, Α über-hupfen, BM iber-hupfen, Bli iber-hupen, Wi über-hupfen, Jeh iberhipn. Man kann die Suggestionskraft, die diese im Heder erlernte Stelle dem Verb °über-hüpfen verleihen mußte, kaum überschätzen. Insbesondere bewahrt sie das Verbum natürlich ein für allemal davor, läppisch zu wirken und dadurch - wie im Dt. überhüpfen - aus der Schriftsprache verdrängt zu werden. So ist es denn Normalwort für 'überspringen' auch in liturgischen Zusammenhängen, wie die Reihe von Belegen aus Mi zeigt: 5v8, 14rl9 (2x), 20vl5, 3 5 v l l un über-hupft [die Worte] H f b TV1 1E>"1, 39v32 un über-hupft das' ma'es'e vum egel, 41v4, 42r32. Vgl. ferner Br 254.15, 17 beim Schneiden der Fingernägel darf man nicht benachbarte Nägel unmittelbar hintereinander schneiden, sondern man °über hupt jeweils einen; ZuR 53vb55, 62rbl8, 132rb4, 132rbl2; BhmA 52r (2x), 60v {er hot /du' host) uber-hupft bis hin zu stj. iberhip(er)n. ibernechtikn 'übernachten', stj.; ibernechtikung 'Übernachtung', neujidd. (GWb, 20. Jh.) Im Mhd. heißt 'übernachten' gewöhnlich benahten (Lexer); das Wort verebbt in dieser Bedeutung gegen 1600 (DWb). Schon im Mhd. gab es auch die Formel über naht und dazu das Adj. und Adv. übernehtic 'eine Nacht hindurch (dauernd)' (Lexer, DWb). Aus ihnen muß die jidd. Übersetzungssprache spätestens gegen 1400 das Verb °übir-nechtigen (samt einer im Israeliten ähnlichen Charakter und vielleicht gar Namen hatte, kann in unserem Zusammenhang außer Betracht bleiben. Für das jüdische Bewußtsein ist das Fest mit dem Exodus entstanden.
iblen
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Jidd. bald erfolglosen Variante °über-nechten) gebildet haben (s. unten). Im Dt. sind beide Bildungen - jedenfalls bisher - erst aus deutlich späterer Zeit belegt. Übernächtigen konnte im DWb überhaupt nur an zwei Belegen150 aus der ersten Hälfte des 16. Jhs. nachgewiesen werden: bei Sebastian Münster (in einer Erzählung über Kyros) und bei Böschenstein (in der Ruth-Übersetzung); beide Autoren können offensichtlich aus biographischen Gründen durch das Jidd. beeinflußt sein. Übernachten erscheint im Dt. zunächst Mitte des 16. Jhs. in etwas anderer Bedeutung im Partizip übernachtet, Ende des 16. Jhs. dann in der heutigen Bedeutung und als volles Verbum, aber zunächst in der Variante Übernächten, erst vom 17. Jh. an ohne Überraschungen bis heute. In den jidd. Übersetzungstexten geht es durchweg um hebr. v1?. Die Wortbildungsvariante °uber-nechten finden wir in R13 Ps 25.13, 30.6, 49.13, 55.8, 59.16, 91.1, Pr 15.31, 19.23, dann noch ein vereinzeltes uber-nechtet in Mü Gn 24.54. Sonst immer °über-nechtigen: R9 Gn 19.2 u.ö. (etwa 20x), auch Jes 24.20 as ain hut, do man in uber-nechtigt ~ nil^Q?; Lo Gn 19.2 u.ö. °uber-nechtigf, MM ebd. (und neun weitere) °über-nechtigt, auch Jes 24.20 ain übemechtig-hüten, 2 Κ 19.23 uber-nechtigung\ Mü Gn 19.2 u.ö. °uber-nechtig [sie]; Α ebd. u.ö. °über-nechtigt; Κ ebd. u.ö. °über-nechtigen (Imperativ 2. PL); El Ps 25.13, 30.6, 49.13, 55.8, 59.16, 91.1 °über-nechtigen·, HiP 19.4, 24.7, 29.19, 31.32, 39.9, 28, 41.14 (alle übersetzt) °über-nechtigf, BM Lv 19.13 du solt iber-nechtigen oder si sol iber-nechtigen,151 Dt 21.23, Ru 1.16, Ct 1.13, 7.12. Das Verbum ist dann aus den Bibelübersetzungen allmählich in die Gemeinsprache gedrungen. Zwar erscheint es Br 134.9, 211.36 und 220.8 jeweils in Bibelzitaten (Lv 19.13 °du solst nit über nechtigen den Ion,152 Pr 19.23, Hi 31.32). Doch in freier Formulierung hat es z.B. ZuR 15va47 u.ö. (etwa 15x) als °iber-nechtigen; MB 155.2, 197.51, 53, 61 °iber-nechtigen·, ShNI 7v hot er welen iber-nechtigen in ainer stat [...] un hot iber-nechtigt in ain wald, 40v, 54rb - bis hin zu stj. ibernechtikn. iblen 'Übelkeit, Ekel verursachen' (mit Dat., laut GWb mit Akk., in der Regel unpersönlich), stj. Im Dt. ist verbales übelen seit dem 14. Jh. belegt (Findebuch, DWb), aber räumlich, zeitlich und semantisch so fragmentarisiert, daß unentscheidbar bleibt - aber auch unwichtig ist - , ob irgend etwas davon mit dem °übelen 150
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Abgesehen natürlich vom noch heute gebräuchlichen adjektivisch gebrauchten Part. übernächtigt, das aber nur eine junge Umformung des Adj. übernächtig ist. BM läßt also die Wahl zwischen einer exzeptionellen faktitiven Verwendung ('du läßt den Lohn übernachten') und der üblichen intransitiven ('der Lohn übernachtet'). Also faktitiv (vgl. die vorige Anm.).
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ind
der jidd. Bibelübersetzungssprache zusammenhängt. Denn letzteres ist ein häufiges Verbum, weil im Urtext verbales USn häufig ist, und zwar sowohl im Qal 'schlecht sein' als auch im Hifil 'Schlechtes, Böses tun' (oft: 'jmdm.'). Schon in den jüdischrom. Bibelübersetzungen hatte übrigens dieselbe Ursache ähnliche Folgen gezeitigt (Blondheim 1925: Nr. 89, R. Levy 1960: Nr. 558f.): dort sind die Fortsetzer von vulgärlat. malignare 'Böses tun' ausgesprochen häufig, während deren nichtjüdischer Gebrauch zumindest für Frankreich (vgl. R. Levy loc. cit.) starke Zersplitterung zeigt. Das Hifil führt also in den jidd. Bibelübersetzungen auf ein im allgemeinen persönlich konstruiertes Verb. Wegen der Regelmäßigkeit der Konstruktion genüge ein Beispiel. Gn 19.9 sagen die Einwohner von Sodom zu Lot: 'Wir wollen dir Übles tun (mehr als deinen Gästen)' - (ΟΠΟ) sni. Das ergibt R9 wir weten ubelen, MM mir wolen übelen, Lo, Mü, Α, Κ °wir welen ubelen zu dir, BM übersetzt die Stelle nicht, hat aber in der Nachbarschaft Gn 19.7 ganz paralleles ir sölt ibelen. Die Konstruktion ist aus den Übersetzungen auch in die frei formulierende Literatur übergegangen: Mel 691.1 sag dem schalk Jerov'om, er hot gi'übelt vor mein (sagt Gott); SJ 25ν zu ibelen sich selbert ainer dem andern, 26r zu ibeln sP, 140r si ibelten uns, di Mizrijim', ZuR 104ra28 men hot ge'ibelt uns mit fil zoross in Mizrajim usw. - weitere Belege bis ins 18. Jh. im GWb iblen 1. Auch mehrere Informanten von Noble (Nr. 22) kannten diese Konstruktion und Bedeutung noch (bei Noble exemplifiziert an Gn 19.7). Die heute lebendige unpersönliche Konstruktion läßt sich als Sonderfall der älteren persönlichen (nämlich mit es der Situation als Subjekt) auffassen. Sie ist in unserem Material noch nicht vertreten; auch der GWb iblen 2 kennt auffälligerweise nur Belege aus dem 20. Jh., und U. Weinreich versieht die Konstruktion sogar mit dem milderen der beiden stilistischen Warnzeichen. ind 'Welle, Woge', stj. Mhd. unde, ünde 'Welle' (ein gemeingerm. Wort, nicht aus lat. unda entlehnt) wird schon in den vorlutherischen dt. Bibeldrucken teilweise zurückgedrängt (von Bahder 1890: 97), fehlt dann bei Luther ganz, erreicht in der dt. Schriftsprache nur noch in Einzelbelegen das 17. Jh., ausgenommen eine sehr enge, dem heutigen Durchschnittssprecher unbekannte technologische Verwendung (Lexer, DWb). In der jidd. Bibelsprache gibt °ünd hebr. 'Welle' (und 13ψΩ 'Brandung') wieder: R9 Jes 51.15 si brumen sin unden 'es tosen seine Wellen', Jer 5.22 und 31.35 ähnlich, Ez 26.3, Ps 42.8, Hi 38.11; R13 Ps 42.8 al din unden und din unden [sic] ~ T"?21 Τ"!??» - 1 ??, 65.8, 88.8, 89.10, 93.4,
inewejnik
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107.25, 107.29; MM Jes 48.18, Ps 65.8, Hi 38.11; Α Jona 2.4 al dein unden; Κ ebd. ale deine ünden; El Ps 42.8, 65.8, 88.8, 89.10, 93.4, 107.25, 107.29 "iinden; HiP 38.11 (und frei formuliert 2.11 zweimal, 26.12, 28.11 zweimal) iinden. Weitere freie Formulierungen: PuW 394.2 der-weil vör-röüscheten di3 iinden; SJ 64vl8 di inden, 71rl, 72r28, 93v24, 25, 112rl; ZuR 68vb51 ain indfun dem jam, 131vb41, 43, 132ral7, 19, 180vb50, 181rb26, 27, 29, 30, 31, 193val7, 19; TA l v l 5 un* ale inden das mer; SbS 14rl2 di inden fun jam. Weitere Belege GWb ind und Noble (Nr. 33). In den letzten Jahrhunderten erhielt ind freilich starke Konkurrenz durch slav. chwalje. Aber der GWb definiert einen gewissen Unterschied: ind 'chwalje, spez[jel] α starke, hojche chwalje'. Da die große Mehrzahl der ostjidd. Sprecher wenig Gelegenheit hatte, starke, hohe Wellen in der Realität zu beobachten, dürfen wir ziemlich sicher sein, daß diese Aura des Wortes einfach aus der Bibel stammt, das Wort also durch den Heder überlebt hat. inewejnik (Adv.) 'innen, drinnen', inewejnikst (attributives Adj.) 'innere(r)', stj., ojs(n)wejnik (Adv.) 'außen, draußen', ojs(n)wejnikst (attributives Adj.) 'äußere(r)\ stj. Mhd. in(ne)wendic 'innerlich' Adj. und Adv., 'innerhalb' Präp., sowie Ü3(en)wendic 'äußerlich' Adj. und Adv., 'außerhalb' Präp., enthalten nach Meinung z.B. von Moriz Heyne (DWb s.v. inwendig) oder Kluge / Seebold (s.v. auswendig) den Verbalstamm 'wend(en)'. Wenn diese Etymologie richtig ist, gehören sie zu jenen Ausdrücken, die objektiv auf die Frage 'Wo (relativ zu einem Zentrum)?' antworten, aber etymologisch noch ein Element der Bewegung enthalten, weil die Redenden - jedenfalls in der Entstehungsphase dieser Ausdrücke - eben das Bedürfnis hatten, die Orientierung relativ zu diesem Zentrum als fiktive Bewegung auszudrükken. Allerdings wird dabei diese Bewegungskomponente sonst nicht durch einen Verbalstamm, sondern durch eine Präposition ausgedrückt. Vgl. dt. 'der Topf ist von innen / von außen (= innen/außen) emailliert'; lat. a tergo 'im Rücken' u.a., ab occasu solis 'im Westen' u.ä., ab novissimis 'im Hintertreffen (des Gesamtheeres)' usw.; frz. dans 'in' < de intus, verdoppelt dedans 'drinnen', dehors 'draußen' zu hors < lat.foris 'draußen', de ce cote 'auf dieser Seite' usw. Auch im Bibelhebr. bezeichnen Wendungen mit oft keine Hinbewegung mehr: ΓΡ-11? / ^tföi?1? 'rechts/links (von)', T1? 'seitlich (von)', ""IS1? 'vor' (wo? räumlich und zeitlich), 1Ώ1? 'von ... her, von ... an', fin 1 ? 'draußen'. Noch häufiger ist ID ohne Wegbewegung: ΩΊβΟ 'östlich' und sogar 'ostwärts' u.ä., ΠΠΓΐρ 'unterhalb' u.ä., ΉΠΟΙ ΓΓ3Ώ 'innerhalb und außerhalb'. Auch He locale antwortet manchmal auf die Frage 'Wo?' statt 'Wohin?', z.B. ΠΧ1Π 'draußen' Jes 35.7, no'JS 'drinnen' 1K 6.18. Kumuliert: nnrip1? 'unterhalb', rraa 1 ? 'innerhalb', vereinzelt auch
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inewejnik
ΠΓΡ3Ώ 'innen' I K 6.15. Nun taucht in der jidd. Bibelsprache 0 inewejnik / °ojsnwejnik sehr oft in der Übersetzung eben solcher Ausdrücke mit ΓΡ3, Τ1Π, no",;D auf. Die beiderseitige unterschwellige Bewegungsvorstellung hat also wohl die Wahl gefördert. Freilich wird dabei in der Regel auch die logisch überschüssige Präposition noch übersetzt: R9 Lv 16.2 vun indewenik ~ ΓΓ30 usw. Im Gegensatz zu den neueren Etymologen sahen die Grimms (DWb s. v. auswendig) in beiden mhd. Ausdrücken vielmehr 'Wand', allerdings über ein adjektivisches *'-wändig'. Sie verwiesen dazu auf eine nach ihrer Meinung nicht-adjektivische Vorstufe in ahd. innenewendiun/u^enewendiun theru grasceffi 'innerhalb/außerhalb der Grafschaft', wörtlich 'innerhalb/ außerhalb der Wände (= Grenzen, Dat. PI.) der Grafschaft'. Neuere Forscher (z.B. Braune / Eggers 1975: § 148 Anm. 1) finden hier allerdings rein lautliches -wendiun < -wendigun und damit doch schon die Adjektive. Wie dem auch sei, die Assoziation zu 'Wand' mußte mindestens ebenso naheliegen wie die zu 'wenden' und scheint auch bei den jidd. Übersetzern produktiv geworden zu sein: ΓΡ3 'das Innere' war ja einfach das Wort 'Haus' ~ 'die (vier) Wände'; ΉΠ 'das Draußen' (samt Adj. ή2ΤΠ) hing zusammen mit y n 'Wand', nachbiblisch HSTia 'Trennwand' (samt denominativem Tin 'eine Trennwand bilden'); na'lB 'einwärts, innen' gehörte zu Q^S 'Gesicht, zugewandte Seite'. Ein instruktives Beispiel ist gleich das erste in der Bibel (Gn 6.14): die Arche muß verpicht werden yinoi JV3D 'innen und außen' (= 'von der Hausseite und von der Außenseite ihrer Wand aus'). Doch wäre es wohl unfruchtbar - weil nicht objektivierbar - , darüber zu rechten, in welchem relativen Stärkeverhältnis die 'wenden'und die 'Wand'-Assoziation in der Frühphase der jidd. Bibelsprache die Auswahl des '-wendig'-Wortpaares bestimmten. Wichtiger ist, daß sie es sehr früh vermochten, zum größeren Teil noch vor Beginn der Überlieferung. Denn wenn für uns der Vorhang aufgeht, ist eine lautliche Weiterentwicklung schon dabei, diese Assoziationen wieder auszuschließen, und zwar wie folgt. Mhd. in(ne)wendic und u^(en)wendic erscheinen seit Mitte des 14. Jhs. dialektal auch als -wennig bzw. -wenig.153 Ersteres setzt die hauptsächlich mitteldt. Assimilation -nd- > -nn- voraus (wie sie im Jidd. in gefinen, gestanen, nicht aber in bindn u. ä. durchgedrungen ist). Letzteres beruht auf einer anschließenden Kontamination mit wenig; es mischt sich wohl eine Idee ein
153
Thüringische Belege seit 1349, obersächsische seit 1432 in größerer Anzahl bei Frings / Schmitt (1942: 55); dort auch ein osthessischer von 1421. Das DWb inwendig zitiert eingangs innewinnick, indewennig, ynweng bei Diefenbach (15. Jh., teilweise aus der Umgebung von Mainz) sowie Sp. 2150 oben einmaliges innwennig bei Kaysersberg (elsässisch). Das Frühnhd. Wb. s . w . inwendig, inwendigkeit, inwendiglich hat auf etwa 60 -nd- sieben -n(n)-, davon sechs ostmitteldeutsche.
inewejnik
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wie 'nur wenig nach innen bzw. außen von der Wandung aus'. In der dt. Schriftsprache sind diese Tendenzen nicht durchgedrungen. In der jidd. Bibeltradition haben wir -nd- noch gefunden: sporadisch in R 9 Ex 39.19 inde-wendik154 ~ ΠΓΡ3, Lv 18.9 usen-wendik ~ yin (doch Lv 16.2 vun indewenik - ΓΓ3Ώ, Jes 23.1 vun inewenek ~ ΓΓ30, Ez 1.27 inewenik zu ir ~ H^TTS, 40.16 zu inewenik ~ nO'UD1?, Hi 20.25 vun inewenik ~ ΠΒΏ, 30.5 vun inewenik ~ Ct 4.1 vun inen-wenik ~ 1S?3Q, Jes 33.7 ous-wenik ir stat ~ ΠΧΠ, Thr 1.20 vun ousen-wenik ~ Tino); in L Gn 6.14 inewenduk un" uswenduk, Ex 25.11 inewendik un uswindik, beidemal ~ ΉΠΟΙ ΓΡ30, Lv 16.2 vun inewendik (und so anscheinend durchgängig); in Κ Gn 6.14 u.ö. inen-wendig [...] ous-wendig; in HiP 17.6 inen-wendig, 31.32 ousen-wendik. Sonst herrscht durchaus -n-. Der vor diesem stehende Vokal ist offen in Mü, z.B. Gn 6.14 du solst beklaiben si' [die Arche] vun inen-wenig un vun ousen-wenik mit pech, und in M i j o ebd. inen-wenig (der Gegenbegriff wird nicht glossiert). Er schwankt in R 9 (s. oben e contra e), aber auch noch in A, z.B. Gn 6.14 inen-wenig [...] ousen-wenig. Geschlossenes langes e/e finden wir schon in Lo, z.B. ebd. inen-wenig [...] usen-wenig, in El Ps 31.12 meine seher in ousen-wenig si ver-wagiln vun mir ~ 'äSO Π"Π ΊΊΠ3 ' ι ό , 45.14 inen-wenig - HO'IS sowie wohl in der gesamten späteren Tradition, für die hier B M stehe: Gn 6.14 inen-wenik un* ousen-wenik. Die Belege könnte man vervielfachen. Außerhalb der Übersetzungen ist das e-Stadium noch vertreten durch Mel 353.3 inen-wenig däs ködes hakodosim mit tenen Iis er bedeken. Sonst ist uns nur e/e begegnet: M R 6.26 inen-wenik im schlos, 6.27 ousen-wenig des hous, 6.28 der löst sein knecht inen-wenig sein, 37.6 inen-wenik war es hol, 79.39 inen-wenik der tiir, 79.47 sömerim, di inen-wenik waren; ZuR 8rb26f. und passim (fast 40 Fälle) °inen-weneg [...] °ousen-wineg\lii SbS 7r20 inen-wenig\ NH inenweneg un' ousen-weineg, wobei im letzteren schon die neujiddische Diphthongierung in die Schrift dringt - wie in stj. inewejnik, ojs(n)wejnik. Der meist adverbiale bzw. präpositionale Charakter der biblischen Formen und der jeweiligen jidd. Übersetzungen führt dazu, daß inewejnik und ojsnwejnik auch sonst bis heute fast nur adverbial benutzt werden. Die Superlative belegt der GWb seit 1762. Sie mögen anfangs mit der Absicht einer (meist subjektiven, >expressiven -n(n)-. 155
Auch B r hat passim natürlich -n-, nicht -nd-; doch läßt sich bei dem Umschriftsystem der Edition Riedel nicht entscheiden, ob e oder e/e vorliegt.
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(dos) jidele
gegangen, nicht nur in emotional-getönte und wertende Bestimmungen: inewejnikster wejtik 'innerer Schmerz', inewejnikste stim 'innere Stimme', inewejnikste logik 'innere Logik (einer Handlungsweise u.ä.)', ojswejnikste gutskejt 'äußere/äußerliche Güte' usw., sondern auch in präzise Begriffsbildungen: inewejnikster/ojswejnikster handl 'Binnen-/Außenhandel', inewejnikste/ojswejnikste winklen 'Innen-/Außenwinkel (z.B. am Dreieck)', ojswejnikste injonim 'auswärtige Angelegenheiten'. Entsprechend nennt Max Weinreich (1973) sein viertes Großkapitel inewejnikste jidische zwejsprachikejt 'inneijüd. Zweisprachigkeit' (Alltagssprache vs. losn-kojdes). Hier überall sind die Denkinhalte natürlich modern; die sprachliche Form aber ist verdecktes Erbe der Bibelübersetzungssprache. (dos) jidele, PI. jidelech 'Jude' (leicht humorig, aber emotional positiv; UWei >endearingSibn gute jor< ein erwachsener deutscher Jude a dajtschl genannt wird.
jidischn 'beschneiden', stj.; mal sajn, male sajn (auch main, malen) dasselbe, stj. Bibelhebr. VlD/V?» 'beschneiden', z.B. Gn 17.10ff. in der Erzählung von Abrahams Beschneidung, wird schon in der Septuaginta und bei Aquila durch περιτέμνειν (wörtlich 'rundum schneiden') wiedergegeben. Danach lat. circumcidere in der christlichen Tradition bzw. *circumcire (vulgärlat. Variante dazu) im Großteil der jüdischrom. Überlieferung (Blondheim 1925: Nr. 38). Danach wiederum mhd. besniden, nhd. beschneiden in der christlichen Tradition einschließlich Luther, aber auch die jidd. Regelübersetzung °beschneiden, z.B. in Gn 17.10ff. von R9 über Lo, MM, Mü, A, K, Mijo, BM zu Bli und Wi. Da die Christen bei sich selbst keine Beschneidung kannten, brauchten die aschkenasischen Übersetzer in diesem Fall bei ihren Lesern weder eine Gleichsetzung zwischen einem jüdischen und einem nichtjüdischen Ritus noch eine positiv-anerkennende Wertung eines nichtjüdischen Ritus zu befürchten. Die üblichen Gründe für die NichtÜbernahme eines Terminus der Christen entfielen also, das christliche Bibelübersetzungswort konnte übernommen werden.
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jidischn
Außerhalb der Übersetzungen haben wir nach °beschneiden nicht systematisch gesucht. ZuR hat zwar nicht weniger als 67 Vorkommensfälle, aber manche davon übersetzen einfach einen Bibelvers, andere haben das Akkusativobjekt n ' p y 'Vorhaut' (so daß das gleich zu besprechende °jidischn wohl unmöglich wäre), wieder andere sind in einem Gespräch von Juden und Nichtjuden enthalten. Auch in BSR 260, 261, 263, BSV 158, BSP 262 (2x), 266 erscheint das Verb in Diskussionen mit einem Nichtjuden (und BSV 93 ist daraufhin wohl auch essentiell als indirekte Rede eines Nichtjuden aufzufassen). Im Neujidd. ist das Verb dann bis in die Bibelübersetzungen hinein durch den Hebraismus des Urtextes verdrängt worden: MaMi aus dem 18. Jh. hat Gn 17.10ff. noch °beschneiden, in der zugehörigen Erklärung aber schon mal sein (Grünbaum 1882: 144); Jeh endlich hat auch in der Übersetzung main. Der Verdacht nun, daß °beschneiden auch schon vorher kein gängiges Wort der Alltagssprache war, wird dadurch bestätigt, daß uns das Alltagswort bestens überliefert ist: es ist °jüdischen.156 Aus den Bibelübersetzungen können wir nur einen einzigen Fall, und diesen von außerhalb der Tora, beibringen: Jos 5.2 ^iD 'beschneide!' ergibt jüdischt [sic] in Α und seinen Nachdrucken Cremona 1560 und Basel 1583 (aber °beschneit in R9, K, Bli, Wi, mal bei Jeh). Wenn hingegen BM zu Dt 33.9 sagt: das si' waren judischen ir kinder, so ist das bewußt nicht Übersetzung, sondern Ausdeutung von Moses' prophetischem Sterbesegen. Um so häufiger ist c jüdischen in freier Formulierung: Mel 882.4 Jisro'el [...] lösen sich nümer judischen, 887.1; BB 499.2 do lis er di jungen judeschen tragen·, HiP 1.2 judeschen·, MR 3.3 do hät däs bös malchuss [...] ver-böten uf Jisro'el, däs sP nit Sölten ire kinder jüdischen, 62.35, 102.4, 8, 10 °jüdischen mit KibbuzWaw, 3.9, 62.60, 63, 80.9 mit bloßem Waw, 3.12, 4.48, 5.24, 80.8, 11 mit Waw-Jod und MT 130 mit Kibbuz-Waw-Jod; BSR 197 jüdeschen, BSV 160 jideschen, BSP 195 judeschen·, Mi 42vl0, 12, 56vl, 68r6, 74vl8, 19, 76v6, 13, 18 (2x), 22, 28, 34 (2x), 35 immer judesch(en); Br 76.4, 13, 77.9, 16, 138.5, 10 °gejudischt, 138.3 °judschen; MB (immer mit bloßem Waw) 34.24 du' bist nit gejudescht, 88.7 kain fer-stöpfter, däs maint, der nit gejudescht ist, 96.38 u.ö. (8x), 146.8 u.ö. (4x), 179II.3 wi' man das kind in der schulen wolt tragin judeschen, 187.41, 51, 191.2 u.ö. (12x), 209.90, 231.105; ZuR 14va28, 41va45, 41vb3 u.ö. (14x) judesch(en)·, NH *71ΠΟ gejideschter - cerconciso - circumcisus und *?ΠίΟ - ~)ψτ - cerconciditore 156
Lexer und Findebuch kennen das Verbum nicht. Von den beiden Belegen im DWb jüdschen ist der erste aus Helvicus' lateinschriftlicher Wiedergabe (161 Iff.) von MB, gehört also in die jidd., nicht die dt. Sprachgeschichte; der andere von Lohenstein (1690), enthält das Wort in pejorativ-übertragenem Sinne ('die Ohren abschneiden') und ist vermutlich ein früher Rückwanderer ins Rotwelsch.
Jipt(e)n
341
circumcisor. Das Wort blieb auch im Westjidd. lebendig; vgl. z.B. G1H 189.20, Beem 1970: Nr. 671, Weinberg 1994 s.y.jitschen (mit Lit.). °Jipt(e)n 'Ägypten', älteres Jidd., Mizrajim, stj. Die eminente Bedeutung des Begriffs 'Ägypten' für die Tora, speziell für deren erste zwei Bücher, bedarf keines Beweises. Auch die jidd. Bibelübersetzungen bleiben bei Mizrajim, und es ist selbstverständlich die Bibel, die teils direkt, teils auf dem Weg über die Pessachhaggada dafür gesorgt hat, daß Ägypten - und zwar das Ägypten aller Zeiten, auch das moderne noch im Stj. Mizrajim heißt. Mizrajim hat dabei eine alte >weltliche j in einem kleinen Teilgebiet (Beranek Atlas Karte 35) sähe man nicht, weshalb es gerade bei diesem einen Wort zum Zuge käme. Man wird deshalb auch an frz. dz > ζ (um 1200) in Egipte (heute Egypte) denken müssen, das ja wie bei Gente > Jente im Jidd. -j- ergeben mußte. 157
Aphärese ist auch im Ital., Span., Ostfrz. und Engl, beim Typ Aegyptius, Aegyptanus häufig, aber außerhalb Italiens nur in der Bedeutung 'Angehöriger des Roma-Volkes' (früher: 'Zigeuner'; span, gitano, engl, gypsy), also wohl erst seit dem 15. Jh. (FEW, REW).
342
jung
jung 'Bursche, junger Mann', stj. (dazu grober-jung 'Lümmel', stj., wojler-jung 'Playboy, Nichtstuer', stj.), häufiger wohl junger-man (oder boher), stj.; (dos) jingl 'Junge', stj. Altersangaben sind semantisch nur scheinbar einfach: sie operieren zwar nur in einer Dimension, haben aber (wie Quantitätsbezeichnungen vom Typ 'einige', 'manche' u.a.) oft unscharfe Grenzen. Deshalb kann insbesondere die Gleichsetzung über eine Sprachgrenze hinweg trügerisch sein. Im Mhd. ist substantiviertes der junge, PI. die jungen einfach Gegenbegriff zu der alte, die alten. Man kann es meist wiedergeben mit 'Jüngling, junger Mann'; im Kontext kann aber der PI. so Verschiedenes meinen wie 'der Ritter und das Fräulein' und 'die Jünger Jesu', der Sg. sogar 'Jesus' im Gegensatz zu 'Gott Vater'. Hingegen scheinen Stellen zu fehlen, in denen männliche Säuglinge oder Kleinkinder gemeint sind (Lexer, BMZ). Mhd. knabe hingegen reicht zwar >aufwärts< auch bis zum jungen Kämpfer, meint aber häufig den Säugling oder das Kleinkind (knaben werden geboren, weinen usw.; Lexer). Im Frühnhd. lebt die kontextgebundene Substantivierung von der junge im großen und ganzen weiter (DWb jung 3 und 4; man beachte unter 3 den Nominativ ein junger und den Vokativ junger]·, vgl. auch Frühnhd. Wb. jung 1). Außerdem hat sich aber jetzt eine festere Substantivierung herausgebildet (DWb und Frühnhd. Wb. Junge): das Wort bezeichnet einen jungen Mann, der schon in einem Arbeitsverhältnis, aber aus Altersgründen noch in einem dienenden steht - vom Troßknecht und Hirtenknaben über den Handwerkslehrling bis zum Gesellen, der vor der Meisterprüfung und vor der Gründung eines Hausstandes steht (DWb Junge 2, Frühnhd. Wb. Junge 2); das Wort deckt also die Spanne etwa vom 12. bis zum 25. Lebensjahr ab. Daß dieser frühnhd. Gebrauch auch im Oberdt. galt, hat Kretschmer (1918: 244f., 609) herausgestellt: noch im 18. Jh. stand in Österreich der (Schneider-, Müller-, Bäcker-)Junge (= Geselle) durch seine >Freisprechung< [im Alter von etwa 17 Jahren] über dem Lehrbuben, und noch Anfang des 20. Jhs. war in Österreich für den ersteren die Bezeichnung Geselle gerade erst offiziell eingeführt worden, Beckjung und Mühljung bezeichneten jetzt den Lehrling, Kleinjung (des Bäckers) den zweiten Gesellen oder den Lehrling; auch in Württemberg und Baden war Junge weiterhin der Lehrling. Doch zurück ans Ende der frühnhd. Epoche! Im 17. Jahrhundert bezeichnete ein Mitteldeutscher auch Schüler als Jungen, aber erst gegen 1750 taucht in der deutschen Schriftsprache die heute herrschende Bedeutung 'männlicher Mensch von der Geburt bis etwa ins 18. Lebensjahr' auf (DWb Junge 3).158 Sie beruht also auf einem Verrücken der Spannbreite: das Wort 158
So jedenfalls die Normalprosa. Breitere Verwendung bringt besondere Stilwerte her-
jung
343
verliert >oben< und gewinnt >untenMe'ir nativ$imhass hanefes er kasttet. Waren die Zisterzienser (und Prämonstratenser), die sich ja gerade im mitteldt. Raum engagierten, die Vermittler?
kestlech
351
und kestigung z.B. Jes 26.16, 28.22, 53.5; andererseits °kesti'en, °kestei'en166 z.B. Jes 8.11, Jer 10.8, Ez 23.48, Hi 4.3, 40.2, Pr 7.22, 9.7, 29.19, 31.1 und °kesti'ung z.B. Jer 2.30, 6.8, 30.14, Ez 5.15, Hi 33.16, Pr 1.2, 26.3 (~ ΙΠψ). Von R13 an haben wir jedoch nur noch ° kestigen angetroffen: R13 Ps 6.2 (zweite Hand), 38.2 (dgl.), 39.12, Pr7.22, 19.18, 29.17, 19; MM Lv 26.18 (und 8 weitere); A Lv 26.18, 23, 28, Dt 4.36, 8.5, 21.18, 22.18; El Ps 6.2, 16.7, 38.2, 94.10, 12, 118.18;167 BM Lv 26.18, 23, Dt 4.36, 8.5, 21.18, 22.18; dazu °kestigung R13 Pr 1.3, 7, 3.11, 15.33, 22.15; MM Hi 33.16; EI Ps 50.17; A, BM Koh 3.18 °zu läutern sP [...] mit kestigung ~ OTOh. Außerhalb der Bibel ist der Begriff aus inhaltlichen Gründen seltener. Vgl. immerhin: Bar 2180, 2223, Mel 627.3, Shg 2rl4, 5rl3, TA 12v25f. ° kestigen·, SJ 95v4 zu strofen oder zu kestigen, 138rl3 strofen un kestigen-, Bhm 19r du' solst sP nit kestigen un" ach nit schlagen', Bar 1776, 3187, 4003, 4006, SJ 101rl8, 141r22 °kestigung. Inzwischen ist es (vor allem gegenüber strofn) noch stärker zurückgetreten. Die Mehrheit von Nobles Informanten kennt das Verb noch (Nr. 354); Harkavy verzeichnet es nicht mehr, Niborski führt es als >literarisch< auf. kestlech 'köstlich', stj.; (von Personen) 'prächtig, hochangesehen, (rabbinisch) hochgebildet', älteres Jidd. Das Wort hängt nur marginal mit den Bibelübersetzungen zusammen, ist aber aus anderen Gründen interessant. Mhd. kostelich ursprünglich 'viele Kosten verursachend', daraus 'kostbar, köstlich' bezieht sich fast ausschließlich auf Sachbegriffe. Das gilt nach dem DWb auch noch für nhd. köstlich, wenn man ausscheidet: 1) die frühnhd. Bedeutung 'kostenverursachend' (z.B. hochbezahlter Advokat bei Brant, Kurtisane bei Fischart) und 2) die polemisch-ironische Verwendung (seit Luther: ein köstlicher meister, heute z.B. du bist vielleicht köstlich!). In dem sehr materialreichen Artikel des DWb bleiben dann aus fünf Jahrhunderten ganze fünf dt. Belege mit persönlichem Subjekt, in denen statt Ironie nur eine gewisse Bonhomie zu spüren ist. Nebenbei jedoch fiel dem Autor des DWb-Artikels (Rudolf Hildebrand) im »Jüdisch-Dt.«, nämlich in Helvicus' lateinschriftlicher Bearbeitung (161 Iff.) von MB, häufiges ein köstlicher mann, ein köstlicher rabbi u. ä. auf. Auf denselben Gebrauch stößt man in zwei Stellen der jiddischen Bibelübersetzungen. Nebukadnezar deportierte aus Jerusalem unter anderem 166
167
Wegen des -e- der ersten Silbe ist dies strenggenommen wohl eine Mischform zwischen den beiden dt. Haupttypen; Mischformen sind auch im Dt. belegt, s. vor allem DWb, auch Frühnhd. Wb. El hat daneben °kestigeren Ps 2.10 und 39.12, wieder angenähert an ital. castigare, mit dem bei ihm üblichen -eren - nhd. -ieren-, Timm 1996: 212 s.v. deliberert.
352
kestlech
'jeden Handwerker und "IJOID' (2 Κ 24.14). Der Targum versteht unter Ί30Ώ wahrscheinlich 'Torhüter', Septuaginta und Vulgata anscheinend auch, der Talmud (Sanhedrin 38a = Gittin 88a) 'Toragelehrte', die sefardische Tradition und die Neueren meist 'Schlosser'. Raschi beschränkt sich darauf, die targumische und die talmudische Auffassung wiederzugeben. Ihm folgt bei den Franzosen F = G 2 = L , wobei die aschkenasische Spalte 115χ·Ί1 Π (~ mhd. die witzigen) 'die Weisen' hat; kurz 'die Weisen' hat bei den Franzosen ferner C = G1. A = G4 bei den Franzosen und R9 bei den Aschkenasen übergehen das Wort. MM hat di kostlichen löut, Mijo di köstlichen·, wie schon L wollen sie sich damit offenbar dem Talmud anschließen. Hingegen gehören diesmal Bli eiser-schmiden und Wi schleser schon wie Jeh schlesers zu den Modernen. Im Sinne des Talmud und damit von L, MM und Mijo paraphrasiert die Stelle auch Mel 2197.3 siben tousent dp kirnten al lernen wol. Die zweite Bibelstelle ist Ps 49.3 mit dem prägnant gebrauchten 'Kinder eines (angesehenen) Mannes'. Hier hat El kinder aines köstlichen man, Bli kinder der kestlichi manen (R13, Wi, Jeh anders). Außerhalb der Übersetzungen ist im älteren Jidd. dieses personale köstlich, wie Hildebrand richtig sah, ungewöhnlich häufig. Wir haben rund 220 Vorkommensfälle geprüft. CH, Bar, Sb, Mel bieten noch nichts Einschlägiges; die Gebrauchsweise ist also für die alte Versepik noch nicht charakteristisch. In BB (117.7, 298.7, 515.2, Elias Glossar madona ~ ain köstliche vrau') und in PuW (123.1, 580.7) bleibt das personale köstlich quantitativ noch ziemlich selten, was damit zusammenhängen mag, daß es hier nicht auf Juden angewandt werden kann. In den Vorwörtern zu Handschriften und Drucken des 16. und 17. Jhs. wird dann oft °ain köstlicher rav, gewöhnlich als Autor, erwähnt; vgl. etwa Zfatman 1985: S. 13 (Ms. 1 3, um 1530), S. 18 (Ms. Π, nach 1579), Shmeruk 1982: Nr. 8 (ein frommer Rav und eine köstliche rebizin als Bearbeiter von MzV 1552), Nr. 24 und 26 (1598 und 1600, ain köstlicher rav ist R. Samuel Benveniste bzw. Slomo ben Gabirol) - oder die Handlung spielt in ainer köstlichen stät bzw. in ain kestlichi kehilo, Zfatman 1985: S. 18 (Ms. Π), S. 51 (Druck Nr. 33, 17. Jh.). In den Texten selbst schwillt die Belegzahl im späteren 16. Jh. vor allem dadurch an, daß in den großen Erzählwerken eine Vielzahl frommer Juden vorgestellt werden muß; auf diese Weise finden wir etwa in MR 15 personale °köstlich (plus ein personales köstlichkait), in SJ 13 (+ 3), in MB 41, in ZuR schon im Gn-Teil über 35. Sogar Gott wird vereinzelt köstlich genannt: HiP 33.12, ZuR 116rb27, ebenso die Engel HiP 25.2. In der Mehrheit der Fälle ist aber die hauptsächlich anvisierte Eigenschaft eben die rabbinische Bildung: °kestlicher rav MR 35.33, MB 139.24 u.ö., ZuR 47va26, 70rb8, KO 7v22, di kestlechen rabönim KO 7vl9, köstliche lerner MR 96.14. Man kann so °kestlich scheinen wie Moses selbst MR 26.21, Br 195.24 (vgl. 100.25). Moses seinerseits wolt sich nit kestlich alain mächen
(dos) kinigl
353
[...] er wolt sich nit alain hosuv mächen und nahm sich deshalb Aaron dazu ZuR 91ral8 und 23. R. Aqiva erscheint °kösstlicher als R. Elieser Br 171.34. Aber auch ein Arzt kann köstlich sein MR 109.68, ebenso maiden ZuR 82val2. Und Br 132.32ff. lesen wir ohne jeden Bezug auf Bildung: °ain vrau di vil dinst maiden haben [sic] un" si bedarf nit zu erbeten di haisen unsre chachomim ain ischo choschuwo das is teutsch ain vrau ain köstliche. Völlig tritt die Bildung zugunsten der 'Vornehmheit' zurück, wenn °kestlich gelegentlich - auch außerhalb von BB und PuW - auf Nichtjuden angewandt wird: römische Richter MR 3.59, vornehme Römer überhaupt MR 20.7, kaiserliche Torwächter BSV 229; nach Aarons und Miriams Meinung heiratete Moses die Kuschiterin, weil sie kestlich war ZuR 98rb48, König Ahasveros wollte anfangs Haman kestlich mächen 149ra32. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Auch hier sehen wir, wie ein >nur< quantitativer Unterschied zum Dt. sich zu einem lexikalischen Unterschied auswächst. Aber was ist in diesem Falle der Motor der Entwicklung, wenn die Bibelübersetzungen zur Erklärung sichtlich nicht ausreichen? Drei Beobachtungen weisen uns den Weg. 1) Der ÜbersetzerBearbeiter von SJ setzt sein °kestlich zwar oft ohne Anhalt im Urtext; wo aber seinem kestlich bzw. kestlichkait etwas entspricht, ist es bzw. rvirrtfn. 2) Der Autor von Br zitiert eine Talmudstelle mit 31ΒΠ und übersetzt dieses dann als °köstlich (s. oben). 3) Der Autor von ZuR nimmt einmal kestlich durch hosuv (= Dllin) wieder auf (s. oben). Zusammen deuten diese Umstände darauf hin, daß kestlich seine Beliebtheit einer festen Übersetzungsgleichung 31®Π ~ kestlich verdankt. Nur kommt in der Bibel noch nicht vor; erst im Midrasch und Talmud ist es gängig: CHX 'ein (hoch)geachteter, (hoch)angesehener, wichtiger Mann' usw. (vgl. die Wörterbücher, auch Elias >Tisbi< s.v. 3φΠ). Wir sind also überzeugt, daß 3Wn ~ kestlich feste Gleichung beim Talmudstudium war. Evidenz läßt sich nicht gewinnen, da ja beim Talmud anders als bei der Bibel nur mündlich übersetzt wurde. Talmudorientiertes Denken, Max Weinreichs OttfH |"Π, hat seinen Einfluß im Jidd. zwar vorwiegend in der hebr. Komponente hinterlassen, in der dt. Komponente fast nur auf der idiomatischen Ebene (M. Weinreich 1973 und 1980, Großkapitel 3 passim) - doch gelegentlich läßt sich dieser Einfluß, wie unser jetziges Beispiel zeigt, eben doch auch an Einzelwörtern wahrscheinlich machen.
(dos) kinigl, PI. kiniglech 'Kaninchen', stj. Der 'Klippdachs' Lv 11.5 u.ö. ist in Europa unbekannt. Da das Übersetzungsgebot aber auch für die Fauna gilt, trat an seine Stelle das ihm ähnliche Kaninchen, also z.B. in der jüdischfrz. Tradition altfrz. conin (R. Levy, Tresor s.v.; < lat. cuniculus mit Suffixwechsel). In Aschkenas
354
kinign
brauchte das Wort dann nur gegen das stammverwandte dt. ausgetauscht zu werden. Dieses existierte allerdings in drei sehr unterschiedlichen Formen. Unmittelbar aus lat. cuniculus stammt mhd. kiineclin (volksetymologisch als 'Königlein' gedeutet, Lexer). Es wird von Luther nicht benutzt und zieht sich gegen 1700 in südliche Mundarten zurück. Aus lat. cuniculus über altfrz. conirt stammt unser kanin, das erst im 15. Jh. belegt ist, aber im Mitteidt. schnell um sich griff, Luthers caninichen, seit dem späteren 16. Jh. Kaninchen. Zwischen beiden liegt die Zone des Kreuzungsproduktes Ka(r)nickel. Die jidd. Bibelsprache bleibt bei dem alten Ausdruck, so Lv 11.5: R9 däs kuniglin, Lo däs kuniglein, MM däs künigil, Mü das kunigelen, Α däs küniglen, Κ däs küniglein, M i j o kuniglan, BM das küniglen, Jeh kinigl. Ebenso jeweils (z.T. mit leichten Varianten) Dt 14.7. Der Plural: Ps 104.18 R9 und R13 noch kuniglin, MM küniglich, El Ps küniglich, Jeh kinigls. Außerbiblische Belege bietet die Fabelliteratur: FF Nr. 104 ('Von kleinen und großen Kaninchen'), Sg. zweimal kinegel, PI. zweimal °kinigel und dreimal kinigläch; Kad 51rff. ('Vom Falken und Kaninchen'), Sg. 16x kinigel, PI. 15x °kiniglech\ ferner die Wörterbücher: SD 1ξ>ψ - kiniglein (dt.) kiniglin - cuniculus; NH IDtP - kinigel - coniglio - regulus.168 kinign 'herrschen', stj. Zwischen hebr. "J^a 'herrschen' und ^ ö 'König' bewahren die jidd. Übersetzer die Wurzelkonstanz. Könnte man vorhersehen, in welcher Richtung? Die klassischen Darstellungen der hebr. Wortbildung, etwa von Jakob Barth und Paul de Lagarde, halten so viel hebr. Wurzeln wie irgend möglich für primär verbal; Bauer / Leander haben dem energisch widersprochen und so auch (S. 289) die Priorität von " ^ ö vor "1*70 verfochten. Zumindest nach dem schon indoeuropäischen Sprachgefühl unserer Übersetzer muß man Bauer / Leander recht geben: die Übersetzer bewahren °kinig und bilden daraus ein Verb °kinign. Im Spätmhd.-Nhd. bedeutet künigen/königen 'mit einem König versehen' oder 'zum König machen' und bleibt so sporadisch (je ein Beleg in Lexer und DWb), daß man an Improvisation glauben darf. Dieses faktitive °künigen 'zum König (oder zur Königin) machen' = 'herrschen machen' ist auch im Jidd. selten. In Esth 2.17 nS'^Oü! ist R9 er ded kunigen si nicht beweiskräftig, weil ded 'tat' wohl 'veranlaßte' heißen soll, wohl aber Α er 168
C. W. Friedrich, dessen (westpoln.-)nordostdt. Jidd. ja allgemein -che als Diminutivendung hat, gibt allerdings Kaninche an; offenbar hat die regionale Abneigung gegen -/-Diminutiva hier dazu geführt, daß statt dessen ein Wort der nichtjüdischen Umgangssprache akzeptiert wurde.
kiplen (ojf)
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künigt sP\ vgl. auch MM 2 Κ 10.5 mir wolen künigen 'zum König machen' ~ Τ1???· Der Normalfall in den Übersetzungen ist vielmehr das im Dt. völlig unbekannte °künigen 'als König herrschen': R9 Jer 22.15 ob wenstu lang zu kunigin ~ τ^οηπ, Hi 34.30 vun so er kunigt ~ "j^SD 'wegen der Tatsache, daß (ein Gottloser) herrschte', Pr 8.15 si kunigen ~ ID^ö"1 'sie (die Könige) herrschen (durch mich, die Weisheit)', Esth 1.1 der do kunigt ~ η^Π; R13 (und El) Ps 47.9, 93.1, 96.10, 97.1, 99.1, 146.10 (immer: Gott selbst herrscht), R13 Pr 30.22 um ainen knecht wen er kunigt 'wenn dieser zum König wird'; Lo, Mü, Α, Κ Gn 36.31-39 passim Formen von künigen (Mü kunigen), Gn 37.8 und Ex 15.18 dgl.; MM 2K 11.3 si künigef, Α, Κ Esth 1.1, 2.4; HiP 34.30; BM Lv 18.21 (inhaltlich falsch), Esth 1.1. Das Übergewicht dieses nicht-faktitiven künigen über das faktitive ist so erdrückend, daß Noble (Nr. 347) nur ersteres erwähnt. Auch außerhalb der Übersetzungen bleibt das faktitive 0 künigen, das einzige also, das theoretisch mit dem Dt. verbunden werden könnte, selten: Mel 481.3 got hot gekünigt mich über di' ganz weif, Mi 49rl 1 asö künigen mir ach got jissborech\ SJ 15r ich schwer do bei' unseren Mosiah der mich gikinigt hot. Es scheint dann unterzugehen - ganz im Gegensatz zu dem nicht-faktitiven: EM 4 as künigt er über Hödu [uns] Cus\ EB 4 as er künigt iber Hödu un" Cus\ Mel 36.3 do hot gekünigt Adönijo, 610.3 künig noch lust deines leib'! 'herrsche nach Herzenslust!'; PuW 492.7 un künig et di' stet unv al di' landen', FF 10.4 ain adler, der do kinigt iber al di' figel in der weif, Mi 2 v l l das er, göt jissborech, über in künigt, 49r9 Gott hat gekünigt über di welt, 49rl 1 wen er an-hebt zu künigen·, SJ 15r, 17r, 34v, 35ν (2x), 39v, 51 ν, lOOv, 109r, 125v, 127r; Br 63.3 Gott, °der do königt über ale könig, 210.9 °an mir di könig si königen (Pr 8.15); ZuR 56vb2 er sol kinigen iber uns, got, ebig, 56vb3, 91va27. Hier schließt stj. kinign an. Auch dieses Verbum verdankt also nicht nur sein Überleben, sondern schon seine Existenz ohne jeden Zweifel dem Heder. Wenn Schnitzler (1966: 53 [Nr. 90]) schreibt, das Verbum habe im Jidd. herrschen verdrängt, so hat er freilich nicht bedacht, daß herschn sich als ganz junger Germanismus wieder eingenistet hat (im MEYYED mit dem milden Warnzeichen bedacht). kiplen (ojf) 'herumnörgeln (an), lästern (über)', stj.; kiplerin 'Klatschbase', stj. (Ha nur kipler 'Nörgler', Ni mask, und fem. 'Nörgler/in; Lästerer / Klatschbase') Zu mhd. kiben, kiven (> nhd. keifen) verzeichnet Lexer ein momentanrepetitives kibelen, kipelen (Schärfung!), kivelen u.ä. 'scheltend zanken'. 169 Laut DWb kippeln (vgl. auch kibbeln) ist es nicht bei Luther, aber 169
Inwieweit Belege mit schon mittelalterlicher Reibelautfortis Ifl ein besonderes Ver-
356
kirt(e)n
immerhin bis ins 17. Jh. in der Schriftsprache zu belegen, zieht sich dann aber in die fränkischen und schwäbischen Mundarten zurück, außer daß im 19. Jh. der Märchenerzähler Bechstein es als kolorierendes Element verwendet. Für nicht-schriftsprachwürdig gilt es - wie viele ähnliche Bildungen - offenbar wegen seines vage imitativen Charakters. Der weitaus größere Teil der jidd. Bibelübersetzungen kennt keine solchen Skrupel. Dort steht das Verb, meist reflexiv gebraucht, für ülp 'Ekel empfinden', scheint aber (wie im Dt.) noch lange in der Lautform zu schwanken: R9 Ez 6.9 un" si sölen sich kiblin ~ Ittpll, 36.31 un" ir sölt öuch kiblen ~ Dnbpll; R13 Ps 119.158 ich hon gesehen di velscher und ich hon mich gekivelt (2. Hand fügt zu: mit in um) däs din thöro nit si haben gehut ~ ΠϋϋίρηίΟ, 139.21 und mit dinen vinden ich kivl(en 2. Hand) — üüipnx; M M Ez 20.43 un ir wert kiplen j"o krigen 'ihr werdet (mit euch selbst) hadern', Hi 10.1 si krigt j"o kipelt '(meine Seele) hadert (mit meinem Leben)'; El Ps 95.10 virzig jor ich hon gikipelt mit dem giburd; HiP 10.1 ich kipil mich mit mir seiwert. Außerhalb der Übersetzungen: SM 38v4 der Kaufmann kipelt sich ser un* geheb' sich übel·, PuW 114.7 teg un * nacht was sich der alt män kipeln 'haderte mit sich selbst'; Br 96.11 °so kifelt si in (die Frau ihren Mann) aso lang, das er irs mus sagen, 133.15 die Frau °sol den man nit kiflen\ PB 1.12 ich hab mein bruder gar ser gekipelt 'ihm immer wieder zugesetzt'; ShNI 37 ν däs weib hot im aso gekipelt un" hot im kain menuho gelosen. Auch hier darf man annehmen, daß die Verwendung im Heder das Wort stärkte, insbesondere, daß sie es, anders als im Dt., jeder sich >gebildet< gebenden Kritik entzog. Angelehnt an das Verbum, haben im Jidd. auch kipler und kiplerin die Jahrhunderte überdauert, zunächst wohl mit der alten Bedeutung (Harkavy 'troublesome person'; vgl. DWb Kippler und Kipplerin 'Zänker/in'), später mit einem leichten Bedeutungswandel (wie beim Verbum selbst). °kirt(e)n 'Vorhang', älteres Jidd. In der jüdischfrz. Überlieferung werden als kortines übersetzt: die Behänge, niü-V, am Bundeszelt (z.B. A = G4 Ex 26.1); die Behänge, trirtp, am Zeltvorhof (z.B. D,E,F = G6,5,2 Ex 27.9ff„ H = D1 Nr. 1010); schließlich die gewebten Behältnisse, D-na, für die Aschera (C = G1 2K23.7). Die jidd. Tradition übernimmt das Wort. Für niiT-p: R9 Ct 1.5 kurtinen, Jer 4.20 kurtein, 10.20 kurtin\ MM Ex 26.2 kürten', in dem Abschnitt Ex 26.1-13 hat Lo etwa 20x kurten und 5x kurt, Mü etwa 20x kurtin, 3x kurtein, 1 χ kurten, Κ 11 χ kurtene (neben um-heng)\ Κ Ct 1.5 kurtene\ El Ps bum konstituieren oder nicht (die Wörterbücher gehen auseinander), braucht hier nicht zu interessieren, da das Jidd. nichts dergleichen aufzuweisen scheint.
klajbn
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104.2 kürtein-, BM Ct 1.5 kirten. Für tra'??: L Ex 27.9 kurtin'. Und für die •Ti3 2Κ 23.7: R9 kurtin' j"ο vor-heng, Mijo kurten. Außerhalb der Bibel: ShJ 19v himel as kirten ~ Πΰ-V? trötf. Da das Dt. beim Frz. keine parallele Anleihe gemacht hat,170 muß das Wort - das bisher in der jiddistischen Literatur nirgends erwähnt zu sein scheint - der rom. Komponente zugerechnet werden. Es war wohlgemerkt auch im Osten, in Krakau und Prag, verständlich (MM, BM). Etymologisch undurchschaubar, ist es dann allerdings ersetzt worden durch (noch stj.) firhang, forhang (< mhd. vür-, Vorhang), anfangs auch durch °um-hang (ZuR zu 2 Κ 23.7, Bli, Wi). klajbn 'wählen, sammeln, pflücken', stj.; ojfklajbn 'sammeln, aufsammeln, zusammenbringen', stj.; ojsklajbn 'aus(er)wählen', stj. Mhd. klüben, kliuben, frühnhd. klauben, kläuben bedeutet 'pflücken, auflesen, aufsammeln', ohne daß die Vorstellung des motorisch Auffälligen präsent sein müßte (Lexer). In süddt. Dialekten bedeutet es noch immer 'pflücken'; in der Gemeinsprache hat es die motorisch unauffälligen Bedeutungen ganz allmählich aufgegeben, kennzeichnet heute also Bewegungen als mechanisch-schwierig, hastig oder dergleichen.171 Diese Bedeutungsverengung scheint sich schon bei Luther anzukündigen, zieht sich dann aber sehr lange hin (DWb). Etwa dasselbe gilt für die Komposita üf- und üyklüben, auf- und (her)ausklauben. In den jidd. Bibelübersetzungen verläuft die Entwicklung wieder einmal genau umgekehrt. Für XSp^?, üj?1? (gelegentlich auch ΓΠΧ, tPttfj? und andere) überwiegt zunächst "lesen, so z.B. R9, Lo, Mü Gn 31.46, 47.14, R9 Ex 5.7, 5.12 u.ö.; R13 Ps 104.28. Doch °lesen geht zumindest in dieser (physischen) Bedeutung, wahrscheinlich sogar als Ganzes, im Jidd. unter, und es herrscht nun konkurrenzlos °klouben: Lo, Mü Ex 5.7, 5.12; MM Gn 31.46, 47.14 (und 8 weitere Stellen); A Gn 31.46, Ex 5.7, 5.12 u.ö., Ru 2.2, 3, 7, 8 usw.; El Ps 104.28; BM Gn 31.46, Ex 5.7, 5.12, 16.4, Nu 11.8, Ct 6.2.
170
171
Negativer Befund in Lexer, Findebuch, DWb. - Dt. Gardine stammt zwar letztlich aus derselben Quelle, ist aber erst im letzten Viertel des 15. Jhs. am Niederrhein zu belegen als gardyn < mittelniederld. gordyne < altfrz. cortine (Kretschmer 1918: 215f.). Während der allmähliche Verlust von ikonischer (auch motorischer) Expressivität in der historischen Semantik geradezu den Normalfall darstellt, ist die entgegengesetzte Entwicklung, wie sie hier vorliegt, auffällig. Kann ein Wort durch bloßen Verlust unexpressiver Außenzonen (wieder) expressiv werden? Oder ist eigentlich klauben als Ganzes im Dt. moribund, und es hält sich nur noch eine semantische Zone, die unterschwellig mit dem (etymologisch unverwandten!) Klaue assoziiert wird?
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klesmer
Beispiele von außerhalb der Bibelübersetzungen: Mel 1028.3 kloub ains ous 'wähle dir eine von zwei Möglichkeiten aus', 1242.4 kröuter klouben, 1243.1 er [...] kloubt auch wildi' schwamen\ HLC 16.1 er kloubet [...] ouf, BSR 232, 235 die Wächter kloubten gelt uf, BSV 128, 131 die Wächter klubten/kloubten gelt, MR 26.36, 34.4, 36.5 ale morgens kloubt si irem män däs stro ous den hören, 44.5 dps uf-klouben, 118.35 kloubt kröiiter, SJ 36v5 noch wil ich mir ous-klouben acht reiche Juden', Br 13.16 °di weiber [...] werden sich ous klauben den guten weg, 19.25 °der knecht wil sich ous klauben was er vür ain erbet sol tun, 44.18 °merk eben oufire red un klaub das best herous, 66.29 °do hot er solen ous klauben kluge un" ver stendige, 98.35 °un" si klaubten zu sich Jiftoch mane[n], lose bös wicht (übersetzt Ri 11.3 lüjp'pn"! 'sammelten sich'); ZuR fast 50 Vorkommensfälle, darunter 20rb44 kloub dir ous däs beste feld, 43rb46 er kloubt ouf Jösef das silber ales (~ Gn 47.14 'er brachte zusammen'), 51ra2 klouben strou, 57rbl8 klouben man 'Manna', 100vbl7 ouf-klouben holz. Aus der heutigen Sprache schließlich sei erinnert an den festen Ausdruck Geklibene werk 'Ausgewählte Werke'. Fast überall wäre hier im heutigen Dt. klauben oder ein Kompositum davon unmöglich. Beträchtliche Teile des ostjidd. Sprachgebiets (Zentraljidd. und einige Nachbargebiete) hatten bis ins 20. Jh. (ojf-, ojs-)klojbn, also die lautgesetzliche Entsprechung von mhd. klüben und den meisten obengenannten Formen, speziell denjenigen aus ZuR; vgl. GWb s . w . ojf-, ojs-klojbn. Das (ojf-, ojs-)klajbn des Stj. und großer Teile des Nordost- und des Südostjidd. setzt zusetzlichen Umlaut voraus (der auch in frühen westjidd. Textzeugnissen vorliegen kann, wenn man Ί als öu interpretiert); dessen Resultat -aj- erlaubt Übertritt zu den starken Verben des Typs schrajbn - geschribn. Der älteste einschlägige Beleg des GWb s. vv. ojf-, ojs-klajbn ist ojs-geklibn aus einem Amsterdamer Druck von 1695. klesmer 'Musikant', stj. Wir behandeln zunächst den Begriff 'Musikinstrument'. In der Bibel spielen Musikinstrumente eine große Rolle (s. unten Teil C, Kap. 1), aber der generische Begriff, nämlich "VBj~,,73, kommt nur Am 6.5 (keine Haftara) und 2Ch 34.12 vor - an Stellen also, die im Heder zu behandeln kaum je Zeit blieb. Statt dessen übernahm das Jidd. aus dem mittelalterlichen Hebr. ")OT"'173, doch bedarf die Form des Wortes eines Kommentars. Wie es scheint, wurde von Anfang an in singularischer wie pluralischer Bedeutung nicht der Singular sondern nur der Plural übernommen. Man kann das natürlich (außer im Rückschluß aus heutigem klesmer) nur aus punktierten Schreibungen erkennen. So finden wir z.B. in Par (1510/11) in den Eingängen der Psalmen 6, 8 und 12 klar singularisches 1ΩΙ ,17D verwendet, doch alle dreimal als punktiert. Die Form
klesmer
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ist so fest, daß selbst ein so brillanter Hebraist wie Elia Levita das klar singularische ~)ÖT das er in fast zwanzig Psalmeneingängen benutzt, ständig ~)OT / ''Vs punktiert. Weiter: bei nicht wenigen festen Wortgruppen, die das Jidd. übernahm, wurden die Einzelteile im Alltagsgebrauch ja nicht mehr bewußt analysiert, sondern die Gruppe zog allmählich die allgemeine aschkenasische (Einzelwort-)Betonung auf sich (mikolsken, ojlem häbe usw.). So auch hier; ein Indiz dafür ist es z.B., wenn Par sein ~)ÖT zwar im Eingang von Ps 6 und Ps 12 wenigstens annähernd richtig 101 bzw. IDT schreibt,172 im Eingang von Ps 8 aber in ~)ÖT Ikle-zfsjmer/ abrutscht. Und schließlich: die >Singularisierung< von /klezmer/ zog das Bedürfnis nach einem neuen, klaren Plural nach sich: da finden wir den heutigen, nach hebr. Richtigkeitsmaßstäben zumindest dubiösen Plural Iklezmoriml z.B. schon um 1530 in der >Ma'ese mi-Menz< (Ms. 1 bei Zfatman 1985: 12f.), 21 r aler-laP cle-semorim. Da nun für 'Musikinstrument' mhd. sanc-geziug und sanc-gezouwe nur je einmal bezeugt sind (Lexer, Findebuch) und da dt. Instrument anscheinend erst im späten 16. Jh. auftaucht (DWb), zudem für aschkenasische Ohren >galchisch< geklungen haben muß, ist es ganz natürlich, daß sich im Jidd. früh der Hebraismus durchsetzte. Aber wie kommt er in die Bibelübersetzungen, wenn er im Urtext nicht vorkommt? Viele Psalmen enthalten in ihrem Einleitungsvers eine kurze, heute oft nicht mehr verläßlich deutbare Angabe für die Aufführungspraxis. Heute faßt man davon oft noch n i r m Ps 4, 6, 54, 55, 67, 76 (+ Hab 3.19), n r i i - ^ y Ps 61, n i V n i n - ^ x Ps 5, n^rpt^n-^y Ps 6,12, rrmn -L ?w Ps 8, 81, 84 als (mehr oder minder genaue) Instrumentenangaben auf. In alter Zeit ging man oft weiter: so glaubte Elia auch in den Einleitungsversen von Ps 7, 9, 16, 22, 45, 46, 53, 56, 59 und 69 Instrumentenangaben zu finden. Das ergab in den Übersetzungen eine schwankende Zahl von Relativsätzen des Typs 'auf dem °klesmer, das da heißt ...'. So schon in Bin701 (nach Birnbaum um 1390, Beispiel bei Birnbaum 1964: 522); nicht in R9 und R13, die sich mit Bezeichnungen wie ° saiten-spil, °gedon behelfen; wohl aber in Par Ps 6, 8, 12; Hbgl81 (von 1532, Birnbaum loc.cit.); MM Ps 7 s.v. fPJtP, Ps 8 s.v. rvm, Ps 56 s.v. Drop; El Ps (s. oben). Etwa pari passu zieht die frei formulierte Literatur mit: Mel 521.1 un" ous dem selbigen holz Iis er machen gute cle-semorim; SJ 71 r ouf andere cle-semorim geschlagen [...] oufkain cle-semer geschlagen, 111 ν män [...] hot gemächt cle-semorim, 118ν fun den singern un" cli-semorim-schlagern, 120r haben αΐέ cle-semorim herous geton, 121 r dP singer un" noch siJ dp mit cle-semorim un" noch sP dp trumeter; ZuR 143vb54 trumeten un" örgelen un* geigen, aler[l]lai' cle-semorim, 171rb31 mit ale cle-semorim, mit harpfen, geigen unv pouken un" schälmeien. 172
Zu Zere statt Segol vgl. Timm 1987: 336-338, 340.
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klogerin
Zugleich finden wir hier - was in der Bibel aus inhaltlichen Gründen unmöglich ist - Belege, die den Bedeutungswandel von 'Musikinstrument' zu 'Musikant' veranschaulichen.173 Die zitierte Stelle aus der >Ma'ese miMenz< lautet ausführlicher: der sar [...] Iis aler-lai' cle-semorim vor im gen\ vgl. weiter Mel 391.1 mit also1 groser herschaft (= Prachtentfaltung), mit al den cle-semorim ließ Salomo die Bundeslade in den Tempel bringen; SJ 139v wu sein di singer un" cle-semorim? (Urtext: D'HIOI ΟΉΦ 'Sänger und Musikanten'); ZuR 148ral5 worum sein nit gewesen cle-semorim bei der sudo där? klogerin 'Klagefrau', neujidd. (Za, Ni, klogern Ha) Die Klagefrauen, die man im Orient im Trauerfall zu engagieren pflegt, kommen in der Bibel Jer 9.16 - in der Haftara zum 9. Av und damit an ziemlich bekannter Stelle - vor und heißen Πίΐΐίρο, also (Part, polel von T*j?) 'heftig klagende Frauen'; das Wort ist in seinem Bildungstyp unauffällig, da ja im Hebr. selbst hauptberufliche Tätigkeiten wie üDitf 'Richter' durch substantivierte Partizipien bezeichnet werden können. Auch die Septuaginta kann durch das Partizip übersetzen: θρηνούσας von θρηνέω 'stimme einen Klagegesang an'. Im Lat. hingegen dienen Präsenspartizipien nur selten als Nomina agentis; außerdem wäre in lamentantes das Geschlecht nicht erkennbar. Deshalb schreibt Hieronymus vielmehr lamentatrices·, ihm folgen die vorlutherischen Bibeldrucke mit klagerin (PI.!). Luthers Klageweiber entfernt sich noch weiter vom Partizip; auch wenn Weib bei ihm noch nicht pejorativ ist, glaubt Luther offensichtlich explizit sein zu müssen, um verstanden zu werden. Das Wort bleibt dann so, nicht nur bei den Lexikographen (Steinbach: klageweib so ums lohn bei einer fremden leiche eines weint), sondern übersteht auch trotz des Absinkens von Weib bis 1964 einschließlich die Revisionen der Lutherbibel. Die Einheitsübersetzung hat jetzt Klagefrauen, Buber Klagemütter. Im Wortschatz des Durchschnittsdeutschen ist aber bis heute nur das Lutherwort verankert. Bei den hebr. Aktiv-Partizipien haben auch die jüdischen Übersetzer von vornherein die Wahl zwischen Partizip und Nomen agentis. Im vorliegenden Fall wählen sie selbstverständlich das Nomen agentis; so finden wir in der jüdischfrz. Überlieferung co(m)pleneres(s)es C = G1 (ed. Banitt), ähnlich E = G5 (R. Levy 1932: Nr. 249). In der jidd. Überlieferung zeigt R9 zu den klegerschen wie so oft noch Bindung an die koterritoriale dt. Mundart (vgl. heute regional-deutsch die Beckersche 'Frau Becker'). Dann setzt sich die normale Form der Motion
173
Zu diesem Bedeutungswandel vgl. übrigens den heutigen dt. Musikerjargon: 'die zweite Trompete (= der zweite Trompeter) wurde plötzlich krank' usw.
klug
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(mit oder ohne Umlaut) durch: MM klegerins, Κ klegerins (am Rand: di do klag-lider könen singen),174 Lt klegerins, Bli klagerins, Wi klegerins, Jeh klogerins. Das Wort fehlt im MEYYED offenbar nur aus Raumgründen; Harkavy, Zanin und Niborski hingegen halten es für wichtig genug, auch im 20. Jh. noch in ein einbändiges Wörterbuch aufgenommen zu werden. klug (verschiedene Nuancen von) 'intellektuell leistungsfähig', stj., und der Rückgang von älterem °weis; klign (sich) 'sich den Kopf zerbrechen', stj.; hochem (subst.), stj. 1) Die Konkurrenz von °weis und klug. Für das Dt. zeigte Jost Trier 1931 (passim, z.B. 337) unter anderem,175 daß mhd. wts(e) die Bedeutungsbereiche von lat. sapiens und prudens, nhd. weise und klug noch in sich vereint. Mhd. kluoc bedeutet in der Hauptsache 'fein, zierlich, höfisch, gewandt', wobei die rein intellektuelle Leistungsfähigkeit zwar kontextbedingt mitspielen kann, aber nicht primär anvisiert ist. »[...] der reine Klugheitsbereich hat keine eigenen Worte.« Der Übergang von kluoc zu einem Adjektiv der intellektuellen Leistungsfähigkeit falle erst ins 14. Jh. (loc.cit.); erst damit stelle sich innerhalb des Intellektualfeldes die im Dt. bis heute fortdauernde Unterscheidung von 'weise' und 'klug' ein. Scheidweiler hat dann Triers Schlüsse dahingehend modifiziert, daß >intellektuelles< klug, im wesentlichen also unser heutiges, schon im 13. Jh. zumindest im Mitteidt. (speziell Ostmitteldt.) und im Österreichischen existierte und dann in hauptsächlich südwestlicher Richtung so vordrang, daß gegen 1400 selbst in südwestlichen und südlichen Randmundarten manche Autoren wie der Schweizer Wittenweiler oder der Tiroler Vintler das >intellektuelle< klug bevorzugten (Scheidweiler 1941 passim, speziell 202, 207, 218ff., 222, 233).176 Einschränkend ist weiter 174 175
176
Α hat diese Stelle (wie einige andere) aus der Haftara weggekürzt. Das Wortfeld 'intellektuell leistungsfähig' umfaßt selbstverständlich in allen Sprachstufen des Jidd. (und Dt.) außer den hier untersuchten noch andere Wörter. Für das Mhd. genügt es, passim auf Trier zu verweisen. Im Altjidd. finden wir beispielsweise in M M auch die Adjektive listig ~ a n a , ver-nuftig ~ ltal, ferner die Abstrakta mit listen ~ na~iaa, na~|S)3, ver-nuft ~ n r a , ver-stendikait ~ Πΐαη, und, wenn man es hierher ziehen will, däs wisen ~ nsn, schließlich das Verbum er tut listen ~ D'TS};. Zum rezenten Jidd. bringt die reichsten Aufstellungen Stutchkoff Nr. 339 mit Verweisen. Eine Wortfelduntersuchung würde eine Monographie füllen, nicht minder umfangreich als die von Trier. Die im Haupttext zugrunde gelegten weis, klug und hochem dürfen aber beanspruchen, als (wortbildungsmäßig nicht hinterfragbare) Stammwörter viele Jahrhunderte lang die Basis des Feldes dadurch ausgemacht zu haben, daß sie dessen bloße Definition, nämlich 'intellektuell leistungsfähig', ohne wesentliche semantische Zusätze zum Inhalt hatten. Im Niederdt. reicht >intellektuelles< klug gegen Ende des 15. Jhs. von Osten aus etwa
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klug
hinzuzufügen, daß selbst in der Schriftsprache die Überschneidungen zwischen weise und klug beunruhigend breit bleiben (vgl. insbesondere DWb klug 3a und b, weise adj., Β), daß »die Mundarten weise, wise außer in den festen Wendungen weis sein, werden, machen [...] nur [!] in dieser Bedeutung 'klug, gescheit', auch in geringschätziger Betonung« kennen (DWb weise adj., Sp. 1021) und schließlich daß heute weise »in seinem vollen Sinne überhaupt aus der Alltagswelt wenigstens verwiesen ist« (Rudolf Hildebrand schon vor 1873 im DWb klug, Sp. 1274). Fast könnte man sagen, der Versuch einer konsequenten Unterscheidung sei das Werk von Intellektuellen des 14. bis 19. Jhs. mit einem Höhepunkt in der LessingKant-Generation und entsprechender Popularisierung über die Schule. Die jidd. Überlieferung, die ja kurz vor 1400 einsetzt, sei zunächst bis ins späte 16. Jh. betrachtet, und zwar zuerst die Nicht-Bibelübersetzungen. Von einem >höfischenintellektuellen< °klug ist da nichts mehr zu merken, es sei denn, man wolle dafür in CH die unscharfe Stelle JZ 51 in Anspruch nehmen. Wohl aber gibt es wichtige Texte wie Sb, Db und noch BB, in denen überhaupt nur weis, weishait, nicht klug, klughait vorkommt. Da ist dann zwangsläufig auch die Frau, die die Tötung des belagerten Scheba mit Joab aushandelt, ain weise' vrau' (Sb 1650.1); den Rat zur Heirat geben dem Herzog Guidon seine weise reken (BB 5.3), und Bovo denkt drohend von seinem Gegner: is er weis, so ent-weich er (BB 126.6). Noch im späten 16. Jh. liegen in MR die Dinge kaum anders: klug oder klughait finden sich nur dreimal, und zwar immer gepaart mit listig bzw. list (108.157, 108.181, 113.70); dazu kommt einmaliges verbales über-klügen '(jmd.) an Klugheit ausstechen' (113.25). Alles andere (18 Belege) heißt weis und weishait·, auch ein böser Geist ist einem Fürsten vil zu weis (94.39) und kann ihn deshalb täuschen. Diesen Typ kann man sichtlich anschließen an den mhd. (und dann noch partiell süddeutschen). Andere Texte hingegen benutzen beide Wörtfamilien weis(-) und klug(-) in den gleichen Größenordnungen der Häufigkeit, so CH (5:4, darunter uber-klugen Ab 116), Bar (etwa 140:62), PuW (6:6), HiP (etwa 40:60), BSR (1:1), BSP (3:1), MB (10:12). Dieser Typ stimmt also zu dem im Dt. während des 14. Jhs. majoritär gewordenen. Manchmal gibt es klare Überschneidungen, so wenn in PuW Paris als Fluchthelfer weis, aber Gottes Schöpfungswerk klüglich genannt wird (581.6, 1.7) oder wenn in jedem der beiden genannten BS-Texte Simra bald 'weise', bald 'klug' heißt (BSR 105 gegen 187, BSP 6, 31, 268 gegen 37). Anderswo wiederum wird versucht, die Begriffe auseinanderzuhalten, so in dem interessanten Passus
bis zur Weser; auch der Kölner Raum scheint damals noch fast unberührt (Ising 1968: 58f.).
klug
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Bar 779ff., wo die Klugheit 'Leib und Sitz der Weisheit' genannt wird. Substantiviert erscheint fast ausschließlich weis; speziell heißt es ünser(e) weisen (PuW 307.7, 567.7 sowie schon BB 208.5 unser weise). Das paßt zwar zum Dt., aber auch zum Π3Π der Bibel und speziell zu den nachbiblischen iraDn bzw. V'Tn 'unsere Weisen seligen Andenkens'. Damit kommen wir zu den Bibelübersetzungen desselben Zeitraums. Hier gelten seit Beginn der Überlieferung zunächst - so in R9, R13, Mü, Α und El Ps - mit geringen Abweichungen die folgenden Übersetzungsnormen: - die Wurzel Π3Π wird in den Nominalformen Π3Π und ΠΩ3Π wiedergegeben durch °weis, °weishait, in den Verbalformen überwiegend durch "weis sein/wer(d)en bzw. mächen·, - die Wurzel wird durch den Stamm klug- wiedergegeben, in der Regel also °klughait für ^DiP, manchmal für den absoluten Infinitiv ^'ϊψΠ, in R9 und R13 auch für die Psalmenüberschrift VstoO (wo El ain kluger °vür-sprech hat), klug für sonstiges ^Όψη, °klügen für verbales hottf (im wesentlichen also dessen Hifil - außer wo dieses 'Erfolg haben' heißt und durch °beglüken wiedergegeben wird, s. oben den Art. baglikn). Unter den Abweichungen von diesen Normen ist uns nur ein einziger Beleg zugunsten von °weis aufgefallen: R13 Ps 2.10 seit wis ~ iVofrn; alle anderen gehen zu Lasten von °weis. Und zwar werden schon in R13 Hifil und Piel von DDn gelegentlich (Ps 19.8, 119.98) durch klug machen wiedergegeben, in Α das Hitpael durch klugen (Ex 1.10 mir welen klügen ~ nasnni). Hier könnte man noch subtile semantische Gründe vermuten oder darauf hinweisen, daß ein (zu klugen alternatives) weisen nicht verfügbar ist, weil die Wortform schon durch weisen 'zeigen' besetzt ist. Aber in Mü Gn 41.8, Α Dt 1.15, Koh 2.16 (2x), 2.19 wird auch simples nominales Π3Π, in A Koh 7.19 Π03Π durch °klug bzw. klukait übersetzt. Auf derselben Linie liegt es, wenn HiP in Sätzen, die sonst wie eine wörtliche Übersetzung des Urtextes aussehen, verbales •2Π durch klug werden bzw. mächen (32.9 und 35.11b), D^^ODO bald durch weis herz·, bald durch kluge herzer (beides z.B. 37.24) und vereinzelt •3Π durch ain kluger (34.34) wiedergibt. Daß alle diese Indizien als ein schnelles Veralten von weis im gesprochenen Jidd. gedeutet werden dürfen, zeigt eine zweite, stärker innovative Gruppe von Bibelübersetzungstexten, die immerhin auch ins 15. Jh. zurückzureichen scheint: Lo, MM und K. In Lo erscheint für die Wurzel DD Π weis, weishait überhaupt nur noch resthaft (Gn 41.33, Dt 32.6, 32.29; Ex 28.3), Norm (mit über 20 Belegen) ist klug, klukhait und verbales klugin', selbst die Weisen des Pharao (Gn 41.8, Ex 7.11) sind seine klugin. In MM ist DDn klug (3 Beispiele), Π03Π klughait (2 Beispiele), 'lOSOn du solst mächen klug mich, *?3i27 klughait, Hifil und Piel von °(tun, mächen) klügen (5 Belege); dem steht nur noch ein verlorenes • , Π|?Β di weisen (Ex
364
klug
23.8) gegenüber. Auch in Κ schließlich ist, nach Gn zu urteilen, klug die Norm für Π3Π (und kluget übersetzt Gn 48.14). Nun zu den Texten seit etwa 1600. Aus den Nicht-Übersetzungen war im Verlauf des 16. Jhs. eine einseitige Dominanz von klug noch nicht abzulesen. Das ändert sich aber um die Jahrhundertwende: Br hat kein weis(-) gegenüber 75 klug (einschl. °klüger), 1 klüglich, 29 klughait, 6 °klügen (Verb), ZuR hat insgesamt keinerlei weis(-) mehr auf 56 klug und 8 verbale ° kligen, MbD kein weis(-) auf 2 klug, 1 klughait, SbS kein weis auf 4 klug, TA ein weishait auf 4 klughait und 1 verbales kligen, G1H kein weis auf 15 klug (von denen 6 in den Maises stehen), ShNI/II kein weis(-) auf 10 klug, 1 klughait, 1 verbales kligen. Wie TA und G1H zeigen, hat der Schwund von weis(-) bei Beginn der nordwestlichen und nördlichen Überlieferung auch diese Varietäten des Jidd. schon erreicht. Dafür sprechen auch die beiden in Amsterdam gefertigten Bibelübersetzungen. Blitz respektiert zwar im allgemeinen (vielleicht unter Luthers Einfluß) noch die Trennung weis(-) / klug(-), weicht aber gelegentlich in sehr auffalliger Weise zugunsten von klug(-) ab. So gibt er l K 5 . 9 f . (bei ihm noch wie bei Luther als 1Κ 4.29-30 gezählt) viermaliges Π03Π beim zweiten und dritten Mal durch klughaid wieder, wodurch ohne Bedeutungsunterschied 'Salomos Weisheit' durch 'Salomos Klugheit' aufgenommen wird. Dieses verfehlte Streben nach Variation (gegen den Urtext) zeigt, daß selbst Blitz ein vierfaches Vorkommen des archaisch klingenden weishaid als unerträglich empfand. Im Gegensatz zu Blitz gibt Witzenhausen die Wurzel 03Π in aller Regel durch klug(-) wieder. Gerade weil dies weder zur Luther-Tradition noch zum Holländischen stimmt, wo wijs 'weise' fortlebt, aber kloek 'stramm, herzhaft' bedeutet und für 'klug' andere Wörter eintreten, muß klug(-) für Witzenhausen das genuin-jiddische Wort sein. Wir brauchen kaum hinzuzufügen, daß auch die Sprichwörter im rezenten niederld. Restjiddisch klug, nicht weis bieten (Beem 1970: Nr. 217, vgl. 725). Zusammenfassend gesagt: der Untergang der Wortfamilie weis(-) im lebendigen Jiddischen erstreckt sich vom späten 15. bis ins frühe 17. Jahrhundert. 2) Das Verb klign (als klign sich, stj.). Man könnte nun glauben, die Bibelübersetzungssprache sei in diesem Fall in keiner Weise Motor der Entwicklung gewesen. Das ist richtig für den nominalen, aber falsch für den verbalen Bereich, den wir noch etwas genauer betrachten müssen. Im Dt. ist etwa von 1300 bis 1400 einigemal ein vor->intellektuelles< klüegen 'fein, zierlich sein' (Lexer s.v.) belegt; es hat mit dem jiddischen Verbum offensichtlich nichts zu tun. Ein >intellektuelles< °klugen, klugen hingegen ist im Dt. nahezu inexistent: Lexer und DWb kennen nur einen Glossarbeleg aus dem 15. Jh. und einen Herder-Beleg; ersterer ist wahr-
klug
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scheinlich, letzterer sicher eine denominale Gelegenheitsbildung. (Häufiger ist allerdings das seit Luther belegte und von ihm gern gebrauchte klügeln, das so gut wie immer abwertend ist, so bis ins 19. Jh. und noch im heutigen ausklügeln). Im Jidd. hingegen ist °klügen ein neutrales bis positives Verbum schon dank der sehr häufigen Hifil-Formen von b'yn in der Bibel (s. oben) und bleibt dies auch beim Heraustreten aus den Übersetzungen. Auch die Konstruktionen bleiben dabei dieselben wie bei VaiPn. Überwiegend ist das Verb einfach intransitiv: HiP 28.28 un klügst in der thöro (etwa 'bist beschlagen'); Sdt 1 ν un" bifrat in di' alef-bess tut er klugen ('besonders ins Alphabet gewinnt der kleine Junge Einsicht'); Br 81.14 °Leo hot geklügt unv hot irer schwester Rochel geben veilich ('klug gehandelt'); ZuR 161vbl2 du solst kligen [...] in ale deini weg ('die Gabe der Klugheit haben'; nach I S 18.14) - usw. Gelegentlich ist es transitiv: PuW 281.2 däs du ain hülf där-zu werst kligen-, ZuR 3rbl7 zu lernen thöro un" zu kligen di gevuro fun hkb"h; auch faktitiv: ZuR 191va32 er sol mich kligen mit sechel ('klug machen'). Gegen 1600 erscheint dann in unserem Material erstmalig die reflexive Konstruktion: das hebr. Π03ΠΠ3 'wir wollen klug handeln' Ex 1.10, das in Lo und Α noch durch °mir welen klügen wiedergegeben wurde, ergibt in BM mir welen sich klügen. Diese Konstruktion lebt fort in stj. klign sich 'sich geistig anstrengen, sich den Kopf zerbrechen' (Harkavy, MEYYED, Stutchkoff; MEYYED bringt auch eine Variante kliglen sich, die in alter Zeit bisher nicht zu belegen ist und möglicherweise auf dt. Nachbeeinflussung beruht). Mit der Lebendigkeit von klign (sich) mag zusammenhängen, daß auch iberklign (emezn) von CH über MR (s. oben unter 1) bis heute lebendig blieb (GWb s.v.), während dt. überklugen laut DWb gegen 1600 verebbte. 3) hochem, hochme, stj. Man könnte weiterhin glauben, im nominalen Bereich sei das Jidd. zwar zusammen mit dem Dt. von alter Einpoligkeit (weis) zur Zweipoligkeit (weis kontra klug), dann aber für sich in neue Einpoligkeit (klug) weitergeschritten. Auch das wäre essentiell unrichtig; denn dabei würde die hebr. Komponente mit den Bildungen der Wurzel Π3Π vergessen. Deren Vorkommenszahlen entwickeln sich in frappanter Weise. In CH und Bar fehlen diese Bildungen - wie zu erwarten - noch ganz; in Sb (1480.2) finden wir thalmid hochom 'gelehrter Mann', in Db 3 hachomim 'Weise', 8 hochmo 'Weisheit', in Mel (80.1, 83.4, 137.1, 145.3, 152.2) 1 hochmo und 4 thalmid hochom, in HiP 19 hechomim, 3 hochom, 1 hechomim-losön, 2 thalmidim-hechomim und 39 hochmo, in MR 3 hochom, eine hechomo ('weise Frau' 114.50), 6 thalmid-hochom, 21 hechomim, 4 °thalmidim-hechomim, 6 hochmo. Eine quantitativ neue Phase beginnt mit
366
klug
Br:177 die 450 Druckseiten der Edition Riedel enthalten 510 °chachomim, 8 °talmide chachomim, 64 °chochom, 44 °talmid chochom, 25 °chochmo, also rund 650 Vorkommensfälle der Wurzel. In ZuR finden sich 876 Vorkommensfälle (darunter 179 hochmo, auch in adverbialen Wendungen wie behochmo 'mit Weisheit'), in MbD 28 (darunter 5 hochmo), in MB 251 (60 hochmo, °hochmoss), in SbS 32 (14 hochmo, °-öss), in ShNI/II 170 (14 hochmo, 6 hochmass-). Bei G1H schließlich sind es nach freundlicher Mitteilung von Chava Turniansky immerhin über 30 (etwa 15 hochmo, -öss) bzw., wenn man die Maises und den >Jes-nohalin Itsl > Ist für Aschkenasen die Ähnlichkeit mit mhd. kalw- eindeutig blieb. Das Adj. und das Schimpfwort finden sich noch bei C. W. Friedrich als koel, koelkop, sind aber im Ostjiddischen untergegangen. Das Verb und das Abstraktum hingegen waren noch nahezu allen Heder-Informanten von Noble (Nr. 103) bekannt; nur sprachen sie es goln, golung aus (Noble fragte Lv 21.5 ab, wo beide Wörter vorkommen, s. oben unsere Belege). Die Informanten hatten das Wort also identifiziert mit stj. goln 'rasieren' (< poln. golic). Auch hier bewegt sich das Jidd. also hinein in den (und nicht heraus aus dem) slav. Sprachkreis. Spezielle Besprechung verdient Lv 13.40ff., wo die Bibel (Hinter-)Glatze und Vorderglatze unterscheidet, und zwar zuerst adjektivisch: n~)J? - naj, gleich darauf substantivisch: nnnj? - ΠΠ31. Die Übersetzer in abendlän-
kolner
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dische Sprachen haben für '(hinter-)glatzköpfig' bzw. '(Hinter-)Glatze' gängige Wörter, so die Vulgata calvus, Calvities. Die Vorderglatze aber deutet die Vulgata (wie schon die Septuaginta) als 'zurückgewichenen Haaransatz': recalvaster, recalvatio, wo also re- nicht 'hinten', sondern '(von vorn) nach rückwärts' bedeutet. Die vorlutherische dt. Druckübersetzung mißversteht re- und bildet nach der Vulgata monemgetreu °hinder-kal(ung) (statt 'Vorderglatze'!). Luther ersetzt das durch kalh(kopff), aber sein Begriffspaar 'Glatze' - 'Kahlkopf' bleibt unscharf. Die jidd. Tradition ist, wie vorauszusehen, genauer: R9 (und ähnlich Lo) hinder-kal : vürder-kal, M ü hinter-tail : vorder-tail, M M (ähnlich A, K , B M , Bli = W i ) °hinter-kalung : °v0der-kalung\ J e h hinterplich .foderplich.
Jidd. °hinder-kal(ung) hat also mit dem dt.-vorlutherischen Homonym nichts zu tun, sondern bedeutet das Gegenteil. kolner 'Kragen', stj. Frz. collier (genauer: altfrz. colier) ist im Mhd. als koll(i)er und als goll(i)er vertreten (Lexer gollier und koller, Findebuch gollier, DWb Koller). Nach dem DWb (art. cit. lc) ist g- essentiell oberdt. (noch Schiller und schweizerisch) - eine Lautsubstitution, deren Ursachen wir hier nicht zu untersuchen haben. Parasitisches -n- ist im 15. Jh. in kolner der Görlitzer Statuten belegt (DWb art. cit. ld), also vielleicht noch deutschen Ursprungs, obwohl es dann für jidd. kolner und poln. kolnierz charakteristisch wurde. Was die Bedeutung angeht, so ist die frz. Primärbedeutung 'Halsband' (des Tieres zum Geführtwerden und des Menschen zum Schmuck) im Dt. nur in sehr geringen Resten nachweisbar (DWb art. cit. 2 a; nichts bei Lexer). Vielmehr bezeichnet das Wort - im Frz. seit dem 12. Jh. unter anderem (FEW collare), im Dt. seit der Übernahme fast ausschließlich den 'Halsteil, Kragen' von Kleidungsstücken (Lexer; DWb art. cit. 2b; bis ins 16. Jh. gelegentlich auch der Rüstung, DWb art. cit. 2g und h). Im 16./17. Jh. bezeichnet es im Dt. zeitweilig sogar selbständige (westenoder überwurfartige) Kleidungsstücke (DWb art. cit. 2c,d,e).178 In der jüdischfrz. Überlieferung übersetzt °collier 'Halsband' z.B. 179 in A = G4 unter anderem Τ 3 Ί Gn 41.42, im Plural nlö-ül Jes 3.19, iQnptt? Ps 73.6 (falsch analysiert) und D'jpiV Pr 1.9; in C = G1 DiD'ül Jes 3.19; im Wörterbuch H = D1 CTpttJ; schließlich in F=G2 = L T3T Gn 41.42 und nipli! Ri 8.26, wobei beidemal zu dem coler(s) des Franzosen der Aschkenase in seiner Spalte golir zugesetzt hat. Aber auch alle anderen soeben 178
179
Die Zweitentlehnung des frz. collier 'Halsschmuck' ins Dt. - diesmal in unveränderter Schreibung, Aussprache und Bedeutung, vermutlich im 17. Jh. - wird im DWb wie die Geschichte so vieler Fremdwörter mit Stillschweigen übergangen. Der Artikel colier in R. Levys Tresor ist in ärgerlichem Maße unvollständig.
370
koz
zitierten Bibelstellen werden wenigstens in Teilen der jidd. Überlieferung durch °köler/°goler, in anderen allerdings (die wir nicht einzeln zitieren) durch °häls-bänt o.ä. wiedergegeben. Schon das Glossarfragment JTS Adler 4171 / Luzki 712, das Gealja noch vor R9 stellt, hat Gn 41.42 köler (Gealja 1969: 21, Glosse 178). Weiterhin: R9 Gn 41.42 köler, Nu 31.50 kölir ~ TOS, Ri 8.26 köler ~ DiDül, Jes 3.18 hals-köler ~ ΕΓήΠφ, Pr 1.9 köler, M M Ri 8.26, Pr 1.9 göler, Ps 73.6 sein häls-göler (falsch analysiert, wie oben im Jüdischfrz.), Ct 4.9 göler ~ pilJ; A Ct 4.9 göler, Κ Gn 41.42 köler, Ct 4.9 göler, Wi Ps 73.6 (um-geringelt as wi) ain kolner.m In freier Formulierung: ZuR 132rb45 kolner, 132va25 kolner (beidemal in Ausdeutung von Ct 4.9); Beleg aus Shk bei Wolf JWb s. v. kolner, NH piy ('Halsband') - kolner - collaro ('Halsband, Kragen') - collare ('Halsband'). Da Nathan Hanover über den Sinn von biblisch pjy kaum im Zweifel gewesen sein kann, meint er wohl wirklich noch 'Schmuckhalsband'. Stj. kolner hingegen bedeutet 'Kragen'. Das Wort hat in der jiddischen Sprachgeschichte einen eigentümlichen Zwittercharakter. Einerseits verdankt es sein Vorkommen in der jidd. Bibeltradition zweifellos alten innerjüdischen Bezügen zur Romania. (In den vorlutherischen dt. Druckbibeln kommt das Wort nicht vor. Luther hat zwar Jes 3.23 koller, also noch in derselben Aufzählung weiblicher Schmuckartikel wie die jüdische Tradition Jes 3.19, aber für ein ganz anderes Wort [T"70], das in der jüdischen Tradition nie so gedeutet wird.) Auch das Schwanken zwischen g- und k- stellt die alten inneijüdischen Bezüge nicht nachträglich in Frage; denn jidd. °prajen und altjidd. °pilzel haben ja ebenfalls Nebenformen mit Lenis (Timm 1987: 331; M. Weinreich 1973: 2 und 4 § 116.3 sowie 4 § 116.31), ohne daß dies ihrer historischen Zugehörigkeit zur romanischen Komponente im geringsten Abbruch täte. Wohl aber zeigen bei jidd. kolner dann das Eindringen des -n- und der Bedeutungswandel zu 'Kragen' - selbst wenn beide sich erst im Jidd. langsam eingestellt zu haben scheinen - Bezüge zur dt. und speziell zur poln. Umgebung, wie sie bei einem Begriff der Mode von vornherein zu erwarten sind. koz 'Decke', stj. Mhd.-frühnhd. kotze 'Decke oder Oberbekleidungsstück, speziell Mantel, aus grobem Stoff', nicht bei Luther, bis ins frühe 18. Jh. auch in Norddeutschland bekannt, dann Rückzug auf süddt. Mundarten (Lexer, DWb).
180
Die gelegentliche Schreibung mit g im Anlaut und mit έ in der zweiten Silbe sowie die ständige Bedeutung 'Schmuckhalsband' zeigen, daß selbst die Übersetzer nicht an das talmudische "typ» 'Strafhalsband' (< lat. collare) denken. Noch weniger tun dies natürlich die späteren Benutzer mit ihrem -o- (statt -ö-) und -n-.
krel
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In der jidd. Bibeltradition übersetzt es vor allem Γ)"ΠΧ 'Mantel': R9 Gn 25.25 koz, 1Κ 19.13, 2 Κ 2.8 mantel j"o köz\ Lo, Mü, Mijo Gn 25.25 koz:, MM ebd. közen-, Α ebd. kozen, 1Κ 19.13 közen\ Κ Gn 25.25 közen, 1Κ 19.13 mantel, am Rand: közen; BM Gn 25.25 közen-, Lt Jos 7.21, 1Κ 19.13 köz, 2K 2.13 koz\ Bli Gn 25.25 fei, Jos 7.21, Jona 3.6 iber-klaid, 1Κ 19.13, 2 Κ 2.8, Sach 13.4 mantel; Wi Gn 25.25, Jos 7.21, Jona 3.6 mantel, 1K 19.13, 2 K 2 . 8 mantel, Sach 13.4 kor, Jeh überall mantl. Außerhalb der Übersetzungen: Mel 886.1 sein anzlit er zu-dekt mit seiner közen wol (mit Bezug auf 1Κ 19.13); SD ΓΓΠΧ - köz - Kotz - gausape; ZuR 177vb3, 25 koz (mit Bezug auf 1Κ 19.13); NH ΓΓΠΧ - köz - schiavina - indumentum und ΙΤΠΧ - köz - bardella - gausape. Wie man sieht, wird °koz allmählich vor allem durch den Internationalismus °mantel (< altfrz. mantel) bedrängt, und zwar von Westen aus: in R9 und Κ ist der Prozeß weiter fortgeschritten als in den weit späteren BM und Lt. In Holland um 1680 benutzt der konsequente und feinfühlige Witzenhausen das Wort nur noch Sach 13.4, wo ausdrücklich von einer Γ)"ΠΧ aus Tierhaaren die Rede ist. Auch im rezenten Ostjidd. ist dem Wort nur die gröbere Bedeutung 'Decke', nicht die stärker modeabhängige Bedeutung 'Mantel' geblieben, und da die heutige Hebraistik r m x nur als 'Mantel', nicht als 'Decke' anerkennt, ist auch Jehojes, der ja eine wissenschaftlich einwandfreie Übersetzung geben will, zu mantl übergegangen.
krel 'Glasperle', stj.; koräl 'Koralle', stj. Im Dt. finden wir zu mhd. koral(le) 'Koralle' seit dem 15./16. Jh. in vielen Dialekten sowohl Formen mit Synkope der Vortonsilbe (wie noch heute z.B. rheinisch kral, schweizerdt. chralle) als auch solche mit Umlaut der Tonsilbe, manchmal nur im Plural und/oder Diminutivum (wie heute weithin im Elsässerdt., Schwäb., Bair.), manchmal aber auch im Sg. (wie heute im Südhessischen); vgl. Lexer und DWb. Heute schließlich finden wir auch solche mit Synkope samt Umlaut (wie im Lothringerdt., Rheinfränk. und Moselfränk. Sg. krel, PI. kreh). Doch das Standarddt. hat seit etwa 1600 nur >richtiges< Koralle (< griech. κοράλλιον). Im Jidd. ist die letztere Form extrem selten: HiP 26.5 köralen. Statt dessen finden wir Synkope seit R9: ~ •"'äio'px bzw. CTZm^X 1Κ 10.11, 2Ch 2.7 kral, ~ t r r i s Thr 4.7, Hi 28.18, Pr 3.15 kral (alle dreimal mit der Alternative perlen). Umlaut finden wir - z.B. für 1Κ 10.11 - seit L körel und noch Wi korelen-holz', auch in frei formulierten Texten: Mel 520.2, 521.3, 527.2 körel(n)-hölz, SJ 72r2 korelen, l l l r l O f f . korelen (3x) und korelen-baum (6x). Beide Entwicklungen zusammen - z.B. wieder für 1Κ 10.11 - in MM kerlen (wenn es Druckfehler für krelin ist) und Bli krelen-hölz', sonst SJ 19r22 krel (Sg.), I l l r 2 1 krelen-baum\ NH •-JlD'px -
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kretajer
kreiert - coralli - coralli [sic]; ShNI 11 r krelen. Erbwörtlich ist heute stj. krel 'Glasperle', hingegen junger Internationalismus koräl 'Koralle'. Innerhalb des Judentums schließt sich hier eine semantische Seitenentwicklung an. lö'px, PI. •"'JO'px, schon im Ugarit als Baumname belegt (Klein 1987 s.v.), in der Bibel 1K lO.llf. (und D^J 1 ?« 2Ch 2.7 und 9.11), ist nach Meinung der meisten Forscher der (in Indien und weiter östlich gedeihende) rote Sandelbaum. Wegen seiner Farbe wurde er als 'Korallenbaum', 'Korallenholz' bezeichnet, vgl. oben Mel, SJ, Bli, Wi (und noch Stutchkoff Nr. 250 [S. 211a] koraln-bojm als Synonym für sandalbojm, Nr. 115 [S. 86a] koraln-holz).m Doch schon im Talmud (bT Ros ha-sana 23a, Βανa batra 80b-81a) wird IID^X überhaupt mit 'Koralle' gleichgesetzt. Auch Raschi hat zu 1Κ 10.11 die Gleichung tri» 1 ?« OSIJ) - frz. corail, ebenso die jüdischfrz. (R. Levy, Tresor s.v. coral2) und die jidd. Glossentradition (vgl. oben R9, L, MM).182 Erst Jeh, um wissenschaftliche Korrektheit bemüht, spricht an den einschlägigen Stellen von sandlholzHingegen ist noch im Ivrit liö'pN: neben dem Internationalismus ^ Ί ϊ ρ für Koralle üblich. °kretajer 'Kreatur', 'Fleisch' im Sinne von 'Lebewesen', älteres Jidd. bis 17. Jh. Im Dt. ist zunächst mhd. creatiure mit lül aus altfrz. creatiure entlehnt worden, und zwar im Rahmen des höfischen Versromans: 'ein schönes Geschöpf' u.ä. Allmählich wurde aber nach mlat. creatura lül zu lül umgebildet, und die nunmehr stetige Erinnerung an das lat. Wort reichte aus, eine Diphthongierung abzublocken; entsprechend hat auch Luther passim creatur (DWb). Das Jidd. schließt völlig regelmäßig an die mhd. Form mit lül an und diphthongiert: lül > westjidd. löül > leil, > ostjidd. läül > fail. Hier eine Belegauswahl, zunächst aus den Bibelübersetzungen (~ ")i?3): R9 Jes 66.16 kre'äntür, Pr 14.30 kre'entür; R13 Ps 65.3 kretöu'er, Mü Gn 6.3 kre'ätöur, (Lo, A vlaisch, Κ flaisch), 6.19 kre'a-töu'er (Lo kretöur, Α kretöu'er, Κ kre'ätöu'er); El Ps 56.5, 65.3 kratöüer, 136.25, 145.21 kratöu'er; HiP 10.4, 12.10, 34.15 kretöu'er, BM Gn 6.12 kreteier, Nu 16.22 kretöu'er, Koh 12.12 kröteier, Wi Gn 6.12 kreJätei'er. Außerhalb der Bibeltradition: BU (von 1435) kre'äteir, Bar 2615, 4350, 4395 kreientür, EM 785 kreientür, EB 796 kretöuer, Shg 2r5 kreteier, 181 182
Vgl. auch den ostjüd. Familiennamen Krelenboim, Der legendenhafte Bericht in Rosha-sana 23a über dem Meer wird in S j l l l r v übertragen auf die den Tempel in Entsprechung zu 1Κ 10.11: Salomo Wurzeln aus dem Meer ziehen lassen.
hebraisiert zu Almogi (EJ s.v.). die Gewinnung von 'Korallen' aus Gewinnung von Baumaterial für habe ganze Korallen-'Bäume' mit
kuperner stern
373
S 2r24 kreteir, 2r25 kreteier, Smt 2v, 5r (2x), 5v kretöu'er, 5r fun alen kretePern, 37r kretei'er; TA lv5, 12, 13, 3v25, 4vl5, 9v23 kröteier.183 Das Wort ist im Jiddischen dann untergegangen. Neben baschefenisch und neben den hebr.-komponentigen Synonymen boser-ve-dom, brie, nefes nahm sich das Wort doch wohl vergleichsweise >galchisch< aus. kuperner stern 'eherne Stirn', stj. Das Kupfer (bibelhebr. ΠΙήΓη, ηψπΐ) 184 hat im Verlauf der dt. Sprachgeschichte zwei - genaugenommen sogar drei - Namen getragen: la) Lat. aes, aeris, n., engl, ore und mhd. er, das im heutigen Dt. nur als Kern des Adj. ehern erhalten ist, repräsentieren das älteste indoeuropäische Wort für 'Metall (als Erz oder schon verhüttet)', in Europa zugleich 'Kupfer', weil dieses lange das Metall par excellence war. lb) Im Dt. trat an die Stelle von er im Laufe des Mittelalters das an sich wohl unverwandte mhd. erz(e), so daß nunmehr Erz und ehern als zueinander gehörig empfunden wurden. 2) Spätlat. cuprum, (aes) cyprium und seine europäischen Weiterbildungen einschließlich dt. Kupfer spezifizieren dann dieses Metall (als das zunächst aus Zypern bezogene) gegenüber den anderen inzwischen gängig gewordenen Metallen. Obwohl im Dt. Kupfer seit dem Ahd. belegt und seit dem 13. Jh. samt seinem Adj. ganz alltäglich ist (Lexer s . w . kupfer und kupferin), blieb Luther durchweg bei Erz und ehern (DWb s. vv.) - wie wir glauben, weil ihm seit seinen Schul- und Mönchsjahren das durchgängige aes und aeneus der Vulgata im Ohre lag. Sehr auffällig ist nämlich, daß schon der LutherVertraute und Bergbaukenner Mathesius statt von Luthers ehrnefr] Schlange (Nu 21.9) vielmehr von der ehrnen oder küpfernen schlangen spricht und feststellt: was nun wir und die Lateiner kupfer von der insel Cypern nennen, daher es von ersten in dise land bracht ist, das heiszet die teutsche biblia [= Luther] er ζ (Sarepta 70a und b, zit. nach DWb kupfer Sp. 2757 und kupfern). Für das reale Erz und Kupfer hat zwar Luther die heutige Bedeutungstrennung nicht aufhalten können. Sehr wohl hat aber hauptsächlich die Lutherbibel bewirkt, daß wir in übertragenem Sinne z.B. von einer ehernen Stirn sprechen (Luther, Jes 48.4 deine Stirn ist eherne-, auch die
183
184
In Internationalismen trat im Jidd. Diphthongierung übrigens auch ein bei °natou'er (PuW 669.2, TA lv8 u.ö., Bli Vorwort 7r61 u.ö.; weiteres bei Landau 1901: 36 und Wolf JWb s.v. natur) und "päpeier (Bli, Vorwort des Uri Phöbus 4v40; Wi, Titelseite Z. 18 und Vorwort des Josef Atias 4 ν rechts Mitte) - beides später rückgängig gemacht durch Anlehnung an die gesamteuropäische Tradition. - Zu entsprechenden, aber gründlicher kupierten Ansätzen im Dt. vgl. V. Moser 1929: § 77 Anm. 6. Daß es sich in der Praxis oft um Legierungen, speziell um Bronze, handelte, kann außer Betracht bleiben.
374
lajlech
vorlutherischen Druckbibeln hatten dein stiern erein), während kupfern ein auraloses Wort geblieben ist. Im Gegensatz dazu ist schon in der jüdischfrz. Tradition °cuivre die Standardübersetzung von ntfm, ΠφΙΠΙ (A = G4, F = G2 Lv 26.19, 2S 22.35 usw.), auch im übertragenen Sinne: C = G1 Jes 48.4 e-ton front de-coyvre. Ebenso in der jidd. Tradition von Anfang an °kuper. R9 Lv 26.19, 2 Κ 18.4 kuper, Ps 18.35 kupern-, L Lv 26.19 kufrin, 2S 22.35 köfrun; R13 Ps 18.35, Hi 6.12 °kupern\ Lo Gn 4.22 kuper, Nu 21.9 kupern usw. - so noch Jeh kuper bzw. kupern. So ergibt sich für Jes 48.4 automatisch: Mag dein Stern is kupern, Bli dein stiren [is] kupfir, Wi dein Stirn is kupfir; Jeh dajn Stern is kuper. M. Weinreich (1973: 2.308 = 1980: 645): 'In Jes 48.4 sagt Gott: dajn Stern is kuper - daher hat das Jidd. den Ausdruck kuperner Stern zur Kennzeichnung einer schamlosen Person'. lajlech 'Bettuch', stj. Mhd. lilachen, Illach (Lexer), frühnhd. Leilach(en), nicht bei Luther, ist im Dt. bis gegen 1800 schriftsprachlich (DWb), zieht sich dann auf westliche und südliche Randdialekte zurück (Kretschmer 1918: 319 n. 3). In den jidd. Bibelübersetzungen steht es für Γ "7? und tfjofr. In der zweiten Silbe kann Nullschreibung Reduktion zu hl, aber auch das etymologische läl meinen, beweist also nichts. Hingegen sind hier gelegentliches Waw (MM, Mü, SD) sowie mehr oder minder konsequentes Jod (HLC, HLO, Mi, BM, ZuR) beweiskräftige Indizien einer Reduktion. Diese ist also spätestens seit dem frühen 16. Jh. im Jidd. Norm, während sie in der schriftlichen dt. Überlieferung ganz zu fehlen scheint. Belege aus den Bibelübersetzungen: R9 Ex 12.34 liläch j"o klaider, Dt 22.17 gewant'fo liläch, Pr 30.4, 31.24 liläch-, Lo Gn 9.23, Ex 12.34, Dt 22.17 leiläch; MM Ri 14.12 leilöcher, Pr 31.24 leiloch-, Mü Gn 9.23, Dt 22.17 leiloch-, A Ex 12.34 leilecher, Dt 22.17 leilech; Κ Dt 22.17 tuach j"o leilech-, BM Ex 12.34 leilecher, Dt 22.17 leilech. Außerhalb der Übersetzungen: Sb 1519.3 ouf das leilech tet si1 waiz', HLC 31.4, 32.2, 46.3 = HLO 11.4, 12.2, 24.3 leilech-, SD r"TO - leiloch Leinlach - Lodix; Mi 25r2 leilecher, 64vl0, 12 leilech\ Br 217.16, 238.30, 250.22 °leilecher, 250.5, 250.21, 252.11 °leilech\ ZuR 43va35, 37, 38, 40, 41, 54rb47, 121vbl6, 134vbl6, 141va46, 196ra42 (2x) leilech-, SbS 2r21 si mächt ain leilech-, NH Γ"ΙΟ - leilech - lenzolo - sindon. Hier schließt stj. lajlech an. Was das späte Westjidd. betrifft, sei darauf hingewiesen, daß im Dt. unter den insgesamt fast achtzig Belegen des Lexer und des DWb das -a- der zweiten Silbe ausnahmslos erhalten ist - außer in Heinrich Heines zweimaligem Leilich (beidemal im Reim), das also wohl eine Erinnerung an den Sprachgebrauch seiner Mutter darstellt.
lajtselik
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lajtselik 'liebenswürdig, huldvoll, gütig', stj. (Ha 'angenehm, liebenswürdig, beliebt', Za 'angenehm, edelgesinnt, liebenswert'); lajtselikejt Subst. dazu, stj. (auch Ha, Za); lajtselikn (+ Akk.) 'jmdm. Gunst zeigen', neujidd. (Ha; Bi: 'begnaden') Das Verbum ]]Π kommt in der Bibel im Qal 50 mal vor; es bedeutet dann 'huldvoll, gnädig sein' (+ Akk.), vereinzelt auch 'begnaden, beschenken'. Subjekt (im folgenden: Position Α genannt) ist in der Bibel meist, aber nicht immer Gott, direktes Objekt (B) Menschen. 185 Das zugehörige Substantiv ]Π (< hinri) kommt 68 mal vor. Es bezeichnet primär die Gnade, die Β in den Augen von Α oder aber durch A's Wirken in den Augen von C findet: also z.B. das Wohlgefallen, das Josef bei Gott findet, aber auch das Wohlgefallen, das Gott Josef bei dem Gefängnisverwalter finden läßt. Bleiben nun Α und C ungenannt, so wirkt die syntaktische Gruppe 'der ]Π von B' allgemein ('in jedermanns Augen') und wird zur Angabe einer Eigenschaft von B: 'gewinnendes Wesen, Anmut' von B; so schon einigemal in der Bibel. Das Adj. ΉϊΠ 'huldvoll' schließlich erscheint in der Bibel nur 13 mal, immer als Eigenschaft Gottes, davon elfmal formelhaft unmittelbar neben ΠΙΠΊ 'erbarmungsvoll', so z.B. Ex 34.6 in der berühmten Aufzählung der 'dreizehn Eigenschaften Gottes'. Dank seiner Kürze und Häufigkeit wirkte nicht Ii Π als das Zentrum der Wortfamilie. Zweifellos haben in diesem Sinne schon die lateinsprechenden Juden 1Π (und Π'ΟΓΠ) oft durch pietas (spätlat. 'gnädige, huldvolle Gesinnung', FEW pietas, Sp. 441 a) wiedergegeben und wurden dadurch für 71Π (und n r n ) auf ein pietari (oder -are) geführt, das durch Haplologie früh (oder unmittelbar?) aus dem zu erwartenden *pietatari (bzw. -are) entstand. Denn dieses Verbum - zumindest als Simplex - und seine rom. Nachfolger sind in der christlichen Literatur recht dürftig vertreten, ziehen sich aber um so eindeutiger durch die jüdischrom. Überlieferung vom ital. und span, über das provenz.-katalanische bis ins frz. Sprachgebiet, wobei das präfixlose Verb mindestens in Italien und Frankreich als Übersetzung von ]1Π (und απη) belegt ist (Blondheim 1925: Nr. 109; vgl. auch R. Levy 1932 und 1960: Nr. 637). So finden wir die Gleichung peyter - ]2Π in Frankreich z.B. A=G4, F = G 2 Gn 43.29, Dt 7.2, Ri 21.22 u.ö. Gelegentlich tritt wie für ]Π grace A,F Gn 39.21, so für 1?Π grader/gragoiier ein, z.B. A,F Nu 6.25; aber auch dann ist das Verb, wie man sieht, gegenüber dem Subst. sekundär. (Das Adj. 113Π scheint in den bisher zugänglichen Glossaren nirgends übersetzt zu werden, wohl aufgrund seiner Formelhaftigkeit.) Dieses simple Verfahren ließ sich mit dt. Wortmaterial nicht ganz leicht nachahmen. Wie man verfuhr, zeigt schon die jidd. Spalte in L; die Lösung ist dann durch die Jahrhunderte gleich geblieben: für 1Π tritt mhd. liutsce185
23 weitere Vorkommensfälle verteilen sich auf andere Stammesmodifikationen.
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lajtselik
lecheit ein (meist also °löutselikait geschrieben, in L Gn 39.21 luzeleket)·, dazu wird ein Verbum ° löutseligen (in L Gn 43.29, Nu 6.25 luzelegun) gebildet, das unseres Wissens im Dt. unbelegt ist.186 Daß die Wahl nicht auf einfaches mhd. scelecheit fiel, sondern auf liutscelecheit, wörtlich 'wohlgefälliges Wesen in den Augen der Leute', zeigt, daß man mehr oder minder klar außer dem Eigenschaftsträger eine Beurteilungsinstanz noch als konstitutiv empfand. Nur die nun als dritte zu erwartende Gleichsetzung des Adj. Τ13Π mit °löutselig funktionierte nicht, da man Gott nicht als 'wohlgefällig in den Augen der Leute' zu bezeichnen wagte. Hier trat °der-barmig ein, obwohl es dadurch mit dem benachbarten ΠΙΠΊ zu der Wortwiederholung °der-barmig un" der-barmig kam, so z.B. in R9, Lo, MM Ex 34.6, R13 Ps 103.8 oder El Ps 86.15, während in R13 Ps 86.15 und A Ex 34.6 eines der beiden °der-barmig einfach unterdrückt ist. Ein bescheidener Platz bleibt dem Adj. °löutselig in den jidd. Bibelübersetzungen aber dadurch, daß Gn 49.22 das singulare rnfe f[3), von Raschi erklärt als "[Π 03), vermittels der bekannten Umdeutung des nachgestellten Abstraktums zum Adj. als (sun) °löutselig übersetzt wird, so in R9, MM, A, K, Mijo und BM (anders Lo, Bli, Wi, Jeh) - was möglich ist, weil es hier nicht um Gott geht. Nun aber Beispiele zu den Normalfallen, zunächst wieder aus der Bibeltradition. Zum Substantiv: R9 Gn 39.21 Gott verleiht Josef löüzelekait in den Augen des Gefängnisverwalters, Ru 2.2, Pr 1.9, 3.4 löuzelichkait, atypisch Jer 31.9 gebed j"o löuzelichkait ~ d-iunn (Wurzel ]1Π!); R13 Ps 45.3, Pr 1.9, 3.4, 22, 34, 4.9 °luzeligkäf, MM Gn 6.8 löutselikaif, Lo, Mü, A Gn 6.8, 18.3, 19.19 usw. löüzelekait (Lo), löuzelikait/löut-selikait (Mü), löütselikait (A); Κ schwankt hier zwischen °löut-selikait und dem wohl deutsch-inspirierten genod; El Ps 45.3 löütselikät, 84.12 löut-selikaif, HiP 41.4 löütselikait ~ "pn; BM Gn 39.21 leitselikait. Auch Jeh hat meist noch lajtselikejt, gelegentlich das hejn des Urtextes. Zum Verb: R9 Gn 43.29 Gott möge Benjamin löüzelen (sie), Ex 33.19 löuzeligin (2x), Dt 7.2 löuzelichen\ MM Nu 6.25 (Priestersegen) er wer(t) löutseligen dich, Jer 22.23 mir weren gelöutselikt (grammatisch falsch); Lo, Mü, Α, Κ Gn 43.29 löuzeligen (Lo), löut-seligan (Mü), löutseligen (A), löut-seligen (K); Lo, Mü, A Ex 33.19 °ich wil löuzeligen den (Mü däs) ich wil löuzeligen (K statt dessen begnodeny, Lo, Mü, Α, Κ Nu 6.25 °er sol (Κ wirt) löuzeligen dich-, El Ps 67.2 löut-seligen·, BM Gn 43.29, Ex 33.19 (2x), Nu 6.25 leitseligen. Noch Jeh hat jeweils lajtselikn, und zwar wie manche Informanten von Noble (Nr. 246) sogar dort noch, wo das Wort 'beschen-
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Die Meinung von Noble (Nr. 246), im heutigen Dt. existiere das Verb, beruht sichtlich auf einer Verwechslung mit dem Adjektiv.
lajtselik
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ken' bedeutet und die gewährten Geschenke durch 'mit' eingeführt werden: Gn 33.5 di kinder mit woi got hot gelajtselikt dajn knecht 'die Kinder, mit denen Gott deinen Knecht (= mich) beschenkt hat.' Was die frei formulierten Texte angeht, entstammt hier das Verb, eben weil im Dt. völlig unbekannt, mit Sicherheit dem Hedergebrauch: PuW 554.8 wil ich löüt-seligen dich ins künigs agetv, HiP 41.2 ich löut-selik, wen ich löut-selik (Zitat Ex 33.19); ZuR 40ra33, 113Λ24, 25, 123rb39; TA lv25, 3r22, llrö, 12r36. Beim Subst. wird man aus semantischen Gründen bereit sein, für die ältere Zeit ebenfalls Bibelabhängigkeit anzunehmen: EM 348 liizelekait = EB 334 löutselikaif, MR MT 16 löüt-selikait; SJ 30rl8 löut-selikait, 36r6 got der almechtig gab im leit-selikait in das kinigs äugen, ferner 8v5, 25vl4, 28v2, 36r9 leit-selikait; Br 14.18, 176.38, 211.28, 225.30, 258.10 °leut selikait, 93.12 °leut seligkait (meist Bibelzitate, einmal Talmudzitat); ZuR 134vb44, 135ra43, 135rb7, 135va38 gefinden/gefimden leit-selekait/ leit-selikait in sein/dein(e) äugen; PL 3vl9 zu gefinen leitselikaif, TA 6v22, 10v26, llr33, l l v l 5 , 22. Das Adjektiv lajtselik hingegen ist, weil kaum durch den hebr. Bibeltext gestützt, im Altjidd. zunächst noch selten: SJ 36rll ain glik-hdftiger un ain leitseliger man. Bei TA llr34, 12r32 (Gott als) leit-seliger kann man schwanken, ob man ein Nomen agentis vor sich hat oder ob nicht doch jetzt durch allmähliches Zurücktreten der etymologischen Analyse auch Gott als °leit-selig bezeichnet wird, wie das schließlich eindeutig bei Jeh der Fall sein wird (lajtselik ~ ]ΗΠ z.B. Ex 22.26, 34.6, Ps 86.15, 103.8). Erst nachdem so die Wortfamilie in die jidd. Bibeltradition übernommen (und dort erweitert worden) war, hat sie im Dt. der letzten fünfhundert Jahre einen Bedeutungswandel durchgemacht: während liutscelec, leutselig bis ins späte 16. Jh. meist '(in den Augen der Leute) wohlgefällig, liebenswert' bedeutete, so daß auch z.B. die Füße eines Menschen oder junge Bäume liutscelec sein konnten (BMZ, Lexer), bedeutet es gelegentlich schon bei Luther, allgemein seit 1600 '(gegenüber den Leuten) gefällig, liebenswürdig, gnädig' (DWb). Die Überlappungsfläche zwischen beiden Verwendungen ist allerdings sehr groß, so daß sich der Wandel wohl unbewußt vollziehen konnte. Ein Blick in die Wörterbücher des heutigen Jidd. zeigt, daß sich dort in den letzten Jahrhunderten derselbe Bedeutungswandel wie im Deutschen breitmacht - sei es unter dt. Einfluß, sei es durch einen ähnlichen (verweltlichend-individualisierenden?) Fokuswechsel wie im Deutschen: noch zur älteren Bedeutung tendieren Harkavys 'pleasant' und 'popular' sowie Zanins ΎΙΟΠ und : m n , zur jüngeren Harkavys 'amiable', Zanins U. Weinreichs 'amiable, gracious, benign'. Da Harkavy und Zanin die neuere Bedeutung als mittlere von dreien angeben, scheint sich auch hier die Verlagerung weitgehend unbewußt zu vollziehen.
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lefz
lefz 'Lippe (von Mensch und Tier)', stj.; lip dasselbe, stj. Statt englisch, niederld. und niederdt. lip(pe) galt in mhd. Zeit im größten Teil des hochdt. Sprachgebiets (wahrscheinlich sogar in seiner Gesamtheit, von Bahder 1890: 34-36) die erweiterte Form lefs(e), spätmhd. oft lefz(e). Seit dem 14. Jh. ist nördliches lippe auch in einigen mitteldeutschen Texten vertreten. Von Luther wird es in die Gemeinsprache eingeführt, muß aber in frühen Basler Luther-Nachdrucken noch erklärt werden. Die Formen mit -soder -z- ziehen sich dann auf die westmitteldeutschen und oberdeutschen Mundarten zurück; nur für 'Tierlippe' bleibt bzw. wird Lefze gemeinsprachlich. Im Jidd. haben wir vor Blitz, aber unter Einschluß von Witzenhausen nur lefz gefunden; die Belege gehen in die Hunderte. In der Bibeltradition z.B. R9 Lv 13.45 bort j"o lefz' ~ DSttf (nur 'Bart' richtig), Dt 23.24 deiner lefzen ~ τ η ε ψ , Ct 4.3 dein lefzin - TnriDiP, Thr 3.62, Jer 17.16, Jes 36.5, Hi 2.10, 8.21, Pr 5.3, 10.8, 24.26. Entsprechend also R13, Lo, MM, Mü, A, K, El Ps (allein 28x!), HiP (in den übersetzten wie den frei formulierten Teilen), BM, Wi. Nach ausführlichen Stichproben zu urteilen, bleibt Bli in der Tora (Ex 6.12, Nu 30.7, 9, 13) noch bei lefzen, hat aber z.B. schon in den unmittelbar folgenden Megillot Ct 4.3 und Thr 3.62 ein daitschmerischhyperkorrektes lipfen. Jeh hat durchweg lipn. Ebenso in freier Formulierung: Bar 932 leftzen eines Löwen, 1166 dein lefzen süse, 4825; Sb 22.4 (Hanna, Eli) ir lefzen sach er wageln-, Mel 1884.4; SM 63vl2 unrecht ward3 nit gevunden in seinen lefzen, 68v25, 73v2; SD ΠΟψ - lefzen - lefftz - labium·, Shg 5v21; FF 11.18 lefzen eines Schafes; Sdt 6r lefzen-, Br 70.34, 36, 119.13f. (nach Hi 2.10 bzw. 33.3); ZuR 47ra42, 51 val3 usw. (etwa 25x); Smt 32r rifen got an mit iren lefzen-, BhmA 19r gesäng unser lefzen (Bhm 16r ebenso); TA 2r38, 2v7, 11; NH lefzin-, G1H 200.1 sein cosere lefzen. Lip dürfte also ein ziemlich junger Germanismus sein, der dann allerdings schnell und tief vordrang: Harkavy bringt ihn (neben lefz) ohne Kommentar, ebenso U. Weinreich im engl.-jidd. Teil, während er im jidd.-engl. Teil lefz als >literarisch-gehoben< kennzeichnet; Landau (1901: 56) bezeichnet lefzn sogar als >fast ausgestorbenrekorrigiert< dann zu leopard im Rückgriff auf lat. leopardus. Seit etwa 1600 finden wir in der Schriftsprache praktisch nur -eo-; die Form liebart bei dem Realienkundler Nemnich um 1800 muß Rückgriff auf eine dialektale Form sein, mit archaisierender oder deutschtümelnder Tendenz (Lexer lebart; DWb Leopard, Lefrat, Liebart). Das Jidd. übernimmt das Wort, wie zu erwarten, mit l-e-l·. R9 - ica1? Nu 23.24 lephart, Jes 5.29 lephärt, als Femininum Jes 30.6, Ez 19.2 lepärtin,
lernen
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Hi 38.39 (zu der) lepartin, ~ 101 Jes 11.6, Jer 5.6, 13.23 lepart, ~ Hi 10.16, Pr 26.13 lepart, ~ 1 D 3 Pr 19.12 lepart-, MM Gn 49.9, Jes 11.6 ttpärt, Ez 19.2 lepärtin. Ähnlich -