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German Pages 340 Year 1969
R . v . K I E N L E , HISTORISCHE LAUT-UND FORMENLEHRE DES D E U T S C H E N
SAMMLUNG K U R Z E R GRAMMATIKEN GERMANISCHER DIALEKTE
BEGRÜNDET
VON W I L H E L M
FORTGEFÜHRT
BRAUNE
VON K A R L
HERAUSGEGEBEN
HELM
VON
HELMUT DE BOOR, HANS E G G E R S UND HANS SCHABRAM
A. H A U P T R E I H E
N R . 11
RICHARD VON K I E N L E HISTORISCHE
LAUT- UND
DES
FORMENLEHRE
DEUTSCHEN
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N
1969
R I C H A R D VON
KIENLE
HISTORISCHE LAUT- UND F O R M E N L E H R E DES DEUTSCHEN
2., durchgesehene Auflage
MAX N I E M E Y E R
VERLAG TÜBINGEN
1969
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1969 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Druck: Karl Grammlich KG Pliezhausen Einband von Heinr. Koch Tübingen
Vorwort zur ersten Auflage Der vorliegende Abriß einer historischen Laut- und Formenlehre des Deutschen will dem Studierenden der Germanistik einen Überblick über die Entwicklung der deutschen Laute und Formen geben, der mit dem frühest erfaßbaren, der indogermanischen Sprachepoche einsetzt, um die Entwicklungslinien übers Germanische zu den bezeugten deutschen Sprachstufen weiterzuführen. Der Zweck des Buches ließ es als selbstverständlich erscheinen, daß Indogermanisches nur insoweit behandelt wurde, wie es für den Germanisten zur Verständnis der Laut- und Formengeschichte notwendig ist. Um die germanische Sprachstufe deutlich sichtbar zu machen, wurde das Gotische ausführlich in die Betrachtung einbezogen. Im Bereich des Deutschen wurde der Weg der sprachlichen Entwicklung in nach-mittelhochdeutscher Zeit auf die schriftsprachlichen Erscheinungen beschränkt, während die bunte Vielheit des Mundartlichen beiseite blieb. Von Literaturangaben wurde bewußt abgesehen, da sie in den einschlägigen Grammatiken ausführlich verzeichnet und so dem Benutzer leicht erreichbar sind. Wie stark die Darstellung auf dem dort Erarbeiteten fußt, wird dem mit dem Stoff vertrauten Benutzer von selbst deutlich werden, genauso wie er leicht erkennen wird, wo die Darstellung eigene Wege geht.
Vorwort zur zweiten A u f l a g e Eine gründliche Neufassung, die ich vorgesehen hatte, ist mir für diese zweite Auflage noch nicht möglich gewesen. Ich hoffe, sie in den nächsten Jahren in Angriff nehmen zu können. In der vorliegenden Neuauflage ist vor allem die Lautlehre durchgesehen und verbessert. Für die Überarbeitung des Registers danke ich Frau Susanne Roessler.
INHALT Einleitung. §§ 1-7 I. Kapitel: Der Akzent. §§ 8-10 Π. Kapitel : Der Vokalismus der starktonigen Silben in seiner Entwicklung bis zum Ende der ahd. Zeit
1 15 18
1. Der idg. Vokalismus und seine Vertretung im Germanischen. § 11 18 2. Vorliterarische Veränderungen unter Einfluß der lautlichen Umgebung. §§ 12-13 20 3. Sondererscheinungen des got. Vokalismus. §§ 14-17 . . 21 4. Vorahd. und ahd. Vokal Veränderungen. §§ 18-27 . . . 22 5. Der i-Umlaut. §§ 28-31 26 III. Kapitel : Die Entwicklung starktoniger Vokale bis zur neuhochdeutschen Zeit 1. Die Diphthongierung der mhd. Längen, i, ü, ü. § 32 . . 2. Die Monophthongierung der alten Diphthonge ie, uo, üe. § 33 3. Rundung und Entrundung. § 34 4. Änderungen der Vokalquantität. §§ 35-36 5. Änderungen der Vokalqualität. §§ 37-52
33 34 35 36 37 42
IV. Kapitel: Die Vokalentwicklung in den nichthaupttonigen Silben 47 1. Der Vokalismus der idg.-frühgermanischen Endsilben. §§ 54-58 47 2. Der Vokalismus in den idg.-frühgermanischen Mittelsilben. §§ 59-61 51 3. Die Entwicklung der nichthaupttonigen Silben in ahd. und mhd. Zeit. §§ 62-65 55 V. Kapitel: Der Ablaut. §§66-70 VI. Kapitel: Der indogermanische Konsonantismus und seine Entwicklung in germanischer Zeit. Gotische Sonderentwicklungen
66
67
Vili
Inhalt
1. Allgemeines zur phonetischen Terminologie 2. Der idg. Konsonantismus. § 71 3. Die germanische Lautverschiebung; Verners Gesetz. §§ 72-74 4. Gemeingermanische Konsonantenentwicklungen. § 75 . 5. Gotische Sonderentwicklungen. § 76
67 69
VII. Kapitel: Der Konsonantismus in voralthochdeutscher Zeit
79
1. Die westgermanische Konsonanten-Gemination. § 77 . 2. Die hochdeutsche Lautverschiebung. §§ 78-81 . . . .
79 81
70 75 76
VIII. Kapitel : Konsonantenveränderungen der deutschen Sprachgeschichte. §§ 82-85 87 I X . Kapitel: Der hochdeutsche Konsonantismus nach Einzellauten dargestellt 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Die Die Die Die Die
Dentale. §§ 85-106 Labiale. §§ 107-119 Gutturale und der Hauchlaut h. §§ 120-128 . . . Halbvokale j und w. § 129-137 Liquiden r und 1. §§ 138-139 Nasale. §§ 140a-140b
89 89 103 110 116 123 124
Formenlehre X. Kapitel: Die Substantivflexion im Got., As. und Ahd.
. . 127
Vorbemerkung. §§ 141-142 1. Die idg. o- = germ. a-Stämme und ihre Unterklassen. §§ 143-146 2. Die idg. ä- = germ. δ-Stämme und ihre Unterklassen. §§ 147-149 3. Die idg.-germ. i-Stämme. §§ 150-154 4. Die idg.-germ. u-Stämme. §§ 155-157 5. Wurzelnomina und Verwandtes §§ 158-162 6. Die idg. nt- = germ. nd-Stämme. § 163 7. Die Verwandtschaftsnamen auf -r. § 164 8. Die η-Stämme. §§ 165-168
127 129 137 142 146 150 155 156 158
X I . Kapitel: Die Substantivflexion in mittel- und neuhochdeutscher Zeit 163 1. Die Ausformung der starken Flexion bei Maskulina und Neutra. §§ 169-170 163 2. Die Entwicklung der sehwachen Deklination bei Maskulina und Neutra. § 1 7 1 171
Inhalt
IX
3. Die Entwicklung der Flexion bei den Feminina. §§ 172 bis 174 174 XII. Kapitel: Das Personalpronomen
178
Vorbemerkung 178 1. Das Personalpronomen erster und zweiter Person und das Reflexivpronomen. § 175 179 2. Das Personalpronomen dritter Person. § 176 183 ΧΠΙ. Kapitel: Einfache Demonstrativpronomina
188
1. Das Pronomen 'der, die, das'. § 177 2. Der germ. Pronominalstamm *hi-, § 178 3. Das Pronomen 'jener'. § 179
188 193 193
XIV. Kapitel: Zusammengesetzte Demonstrativa. §§ 180-181 . 194 XV. Kapitel: Interrogative und relative Pronomina 1. Das Interrogativpronomen. § 182 2. Das Relativpronomen. § 183 XVI. Kapitel : Pronomina indefinita 1. 2. 3. 4.
198 198 200 201
jeder. § 184 irgendein, jemand, etwas. § 185 keiner, niemand. § 186 nichts. § 187
201 203 205 206
XVII. Kapitel: Adjektivische Pronomina
207
1. Das Possessivpronomen. § 188 2. Pronominale Adjektiva. § 189
207 208
X V n i . Kapitel: Adjektiv und Adjektiv-Adverb
209
Vorbemerkung. § 190 1. Das starke Adjektivparadigma im Got., As. und Ahd. §§ 191-194 2. Die starke Adjektivflexion im Mittel- und Neuhochdeutschen. § 195 3. Die schwache Adjektivflexion. § 196 4. Die Steigerung des Adjektivs. § 197 5. Die Adjektiv-Adverbia. § 198 XIX. Kapitel: Die Zahlwörter 1. Die Kardinalia. §§ 199-202 2. Die Ordinalia. § 203 XX. Kapitel: Die Stammformen des germ. Verbs
209 211 217 219 220 225 227 227 233 235
Inhalt
χ
1. Indogermanisches und germanisches Verbalsystem. §204 bis 207 235 2. Die Stammformen des starken Verbs 240 a) Die ablautenden Verben. §§ 208-214 240 b) Die reduplizierenden Verba. §§ 215-217 255 3. Die Stammformen des schwachen Verbs im Got., As. undAhd 260 a) Die schwachen jan-Verben. §§ 218-219 260 b) Die δη-Verben. § 220 265 c) Die ën-Verben. § 221 266 d) Die nan-Verben. § 222 267 4. Die Entwicklung der schwachen Verben im Mhd. und Nhd. §§ 223-229 268 5. Die Stammformen der Verba praeterito-praesentia. § § 230 bis 236 272 X X I . Kapitel: Die Praesensflexion der starken und schwachen Verben 278 1. Allgemeines. §§ 237-240 278 2. Der Indikativ des Praesens 282 a) im Got., As. und Ahd. §§ 241-246 282 b) vom Ahd. bis zum Nhd. §§ 247-249 287 3. Der Optativ des Praesens 290 a) im Got., As. und Ahd. §§ 250-253 290 b) vom Ahd. bis zum Nhd. § 254 293 4. Der Imperativ. § 255 295 5. Der Infinitiv. § 256 296 6. Das Partizip des Praesens. § 257 297 XXII. Kapitel : Das Praeteritum und das Praesens der PraeteritoPraesentia 1. Das Praeteritum der starken Verba und das Praesens der Praeterito-Praesentien. §§ 258-259 2. Das Praeteritum der schwachen Verben und der Praeterito-Praesentien. §§ 260-261 3. Der Optativ des Praeteritums. §§ 262-263
298 298 301 304
X X I I I . Kapitel : Das unregelmäßige Verbalsystem 1. Das Hilfsverbum sein. §§ 264-266 2. Das Verbum wollen. § 267 3. Das Verbum tun. §§ 268-269 4. Die Verben gehen und stehen. §§ 270-271 5. Kontrahierte Verbalformen. § 272
306 306 310 312 316 319
Sachverzeichnis
323
EINLEITUNG § 1. Jede Sprache lebt nur, solange sie gesprochen wird, solange sie Menschen zur unmittelbaren Mitteilung dessen dient, was sie beschäftigt und was sie erleben. In dieser Form, als Mittel menschlicher Verständigung, lebt sie von Generation zu Generation in ununterbrochener Folge fort, indem die Kinder sie von den Eltern erlernen und sie ihren Kindern weitergeben. Bricht diese Folge einmal ab, stellt eine Sprache nicht mehr das unmittelbare Verständigungsmittel zwischen Menschen dar, ist sie tot, und die Geschichte kennt kein Beispiel dafür, daß eine tote Sprache wieder auflebte und zu einem echten Verständigungsmittel einer Sprachgemeinschaft wurde. Wenden wir diese Tatsache auf die Sprachgeschichte an, so reicht jede der bezeugten Sprachen in ununterbrochener Folge bis in jene unvordenklichen Zeiten zurück, in denen der Mensch zu sprechen begann, Zeiten freilich, die wir bis heute nicht mit den Mitteln der historischen Sprachforschung greifbar machen können. Der für die wissenschaftliche Betrachtung überschaubare Teil dieses historischen Ablaufes wird von der Forschung in Epochen gegliedert, die durch das Eintreten markanter sprachlicher Veränderungen charakterisiert sind ; sie gliedern also nur den geschichtlichen Weg einer Sprache. Ihre Abgrenzung ist stets fließend, eben weil sie die ununterbrochene Kontinuität der Sprache zu gliedern haben, und weil die charakteristischen Merkmale einer solchen Epoche nicht gleichzeitig im gesamten Raum dieser Sprache auftreten. Für die hochdeutsche Sprache gehören hierher Bezeichnungen wie Neu-, Mittel- und Althochdeutsch, ebenso aber auch Germanisch und Indogermanisch; denn das Hochdeutsche stellt ja nur eine der Fortsetzungen der germanischen Sprache dar, mit der es durch eine lückenlose Kette sprachlichen Lebens verbunden ist. Entsprechend ist das Germanische eine echte Fortsetzung des Indogermanischen: es ist überall die gleiche Sprache, die uns in den einzelnen historischen Epochen in immer veränderter Form entgegentritt. Nicht anders stellt etwa die Abfolge Neu-, Mittel-, Altfranzösisch, Vulgärlatein, Altlatein, Indogermanisch nur eine Kette von sprachgeschichtlichen Epochen der gleichen Sprache dar. Beide bieten den Begriff .Indogermanisch' als den ältesten; aber auch er stellt nicht den Anfang dieser Sprachen dar, sondern nur die älteste Epoche, die wir bis heute mit wissenschaftlichen Mitteln greifen können. Auf dieser ungebrochenen Kontinuität der hochdeutschen Sprache bis in jene indogermanische
2
Einleitung
Frühzeit zurück beruht es, wenn in dem heute gesprochenen Deutsch sprachliche Erscheinungen nachleben, wie etwa der Ablaut oder die Endungen des verbalen Systems, die aus idg. Erbe stammen. Vergleichen wir die für die deutsche Sprache gegebene Epochenfolge Idg.-Germ.-Ahd.-Mhd.-Nhd. mit der oben vergleichsweise angezogenen Neu-, Mittel-, Altfranzösisch, Vulgärlateinisch, Altlateinisch, Indogermanisch, so steht bei beiden der Begriff 'Indogermanisch' am Anfang, d. h. beide haben die gleiche Sprachepoche durchlaufen, sind aus der gleichen Ausgangssprache entstanden. Das Indogermanische hat also durch sprachliche Veränderungen so verschiedene Formen erreicht, daß wir es schon vor der Erreichung der modernen Endstufen als verschiedene Sprachen empfinden, weil wir sie ohne Studium, ohne Neulernen nicht mehr verstehen. Diese sprachlichen Veränderungen erstrecken sich auf alle sprachlichen Erscheinungen, angefangen vom einzelnen Laut, von den Arten des Akzentes über die Formen des nominalen und verbalen Systems bis zur Wortbildung und syntaktischen Fügung, ja bis zur Wortbedeutung und zum Wortschatz selbst. I n der Summe dieser Umformungen besteht die Geschichte einer Sprache. Je nach dem Gang dieser Entwicklung umgreift jede Sprache Ältestes und Altes, Jüngeres und Junges. Ihr Verhältnis zueinander kann nur in der historischen Schau deutlich werden, es darzustellen ist die Aufgabe der historischen Grammatik, die systematisch den Entwicklungsgang einer Sprache zu erfassen hat. Sie muß die älteste greifbare Epoche der Sprache zum Ausgangspunkt nehmen, um so die Genesis der sprachlichen Form zu erklären. Diese ältesten Epochen der deutschen Sprache sind nicht mehr literarisch bezeugt; die germanische wie die indogermanische Sprachstufe ist nur noch durch den Vergleich der bezeugten Sprachformen, die aus ihnen erwachsen sind, zu erschließen. Unsere Kenntnis des Indogermanischen beruht auf der Tatsache, daß eine Reihe von Sprachen Europas und Asiens untereinander verwandt sind, d. h. daß sie sich aus einer gemeinsamen Ausgangssprache entwickelt haben, die wir die 'indogermanische' oder 'indoeuropäische' nennen. Alle so verwandten Sprachen haben also die idg. Sprachepoche durchlaufen, haben sich dann aber in verschiedenen geschichtlichen Räumen und unter verschiedenen geschichtlichen Bedingungen zu eigenen Sprachen entwickelt, die uns zu ganz verschiedenen Zeiten literarisch fixiert entgegentreten. Entscheidend für die Zuordnung einer solchen Einzelsprache zur idg. Sprachfamilie ist vor allem die Gleichartigkeit des Formensystems und der Wortbildungsmittel. Neben diesen Kriterien treten die Wortgleichungen zurück, denen wir für sich allein keine entscheidende Beweiskraft zubilligen dürfen, weil sehr frühe Wortentlehnungen, die alle uns erkennbaren Lautentwicklungen einer Sprache durchlaufen haben, sehr schwer als solche erkennbar sind.
Einleitung § § 1 - 2
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§ 2. Möglich wird der exakte Nachweis sprachlicher Verwandtschaft dadurch, daß die Laute eines Wortes, wenn sie sich verändern, unter den gleichen Bedingungen die gleiche Veränderung erfahren. Man spricht daher von lautgesetzlichen Veränderungen. Diese Lautgesetze wirken stets innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, um dann zu erlöschen. Sie setzen innerhalb eines bestimmten geographischen Raumes ein, können über diesen hinausgreifen, wenn die nachbarlichen Beziehungen, die Verkehrsverhältnisse günstig sind, die Ausstrahlung politischer und kultureller Zentren sie fördern, um immer schwächer zu wirken, je weiter sie von ihrem Ausgangspunkt entfernt sind. Typisch für eine solche Sprachbewegung ist etwa die sog. zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung, die vom alemannischen Süden ihren Ausgang nimmt, um den deutschen Sprachraum in immer schwächer werdender Wirkungskraft zu durchlaufen und in seinem Norden nicht mehr zum Durchbruch zu gelangen. Wir werden uns die sprachlichen Erscheinungen, die zur Ausformung der germanischen und der indogermanischen Einzelsprachen führten, ähnlich vorzustellen haben, wenn wir dabei in Rechnung stellen, daß die zweite Lautverschiebung im wesentlichen bereits die festere Seßhaftigkeit der Nachvölkerwanderungszeit als historische Voraussetzung hat, während die früheren Epochen der Sprachgeschichte Zeiten starker Völkerbewegungen kennen, die leicht alte Sprachzusammenhänge zerbrechen und neue herstellen konnten. Neben der lautgesetzlichen Veränderung steht als zweite bedeutsame Kraft im Leben der Sprache die Analogie, die Prägung von Wörtern im Lautgefüge und im Formensystem nach dem Vorbild anderer Wörter, die der Sprecher assoziativ mit ihnen verbindet. Ζ. B. das Substantiv mhd. lüge 'Lüge' steht neben dem Verbum liegen 'lügen'. Nach dem Vorbild des Substantivs Lüge erscheint frühnhd. das Verbum als lügen, sich so zugleich lautlich von liegen (mhd. ligen) scheidend. Zieht nun frühnd. lügen die reimende Lautung trügen für mhd. triegen nach sich, so bezeichnet man diese Auswirkung der Analogiebildung als Reimwortbildung. Eine andere Form der Analogiewirkung ist der sog. Paradigmazwang, durch den lautgesetzlich abweichende Gruppen eines Paradigmas der regulären Form wieder angepaßt werden; z . B . : Die Lautgruppe -ja(-) wird in unbetonten Silben zu ahd. -e(-), vgl. § 132, so etwa im Nom.Akk.Sg. der fem. jö-Stämme (ahd. minne). Die übrigen Kasusformen der jö-Stämme aber bleiben denen der reinen δ-Stämme gleich, deren Nom.Akk.Sg. auf ahd. -a endet. Nach deren Vorbild wird die lautgesetzlich entstandene, von der Hauptmasse des Paradigmas aber abweichende Endung -e wiederum zu -ja umgeformt, im Paradigmazwang entsteht der Nom.Akk.Sg. ahd. minnia neu. Wesentlich für die Erfassung sprachgeschichtlicher Vorgänge und das Verständnis sprachlicher Aufzeichnungen überhaupt ist das Verhältnis
4
Einleitung
zwischen Sprache und Schrift, zwischen gesprochenem Laut und geschriebenem Zeichen. Schon wenn wir die Rechtschreibung unserer Schriftsprache mit der heute gültigen Aussprache vergleichen, wird deutlich, wie wenig sich gesprochener Laut und geschriebenes Zeichen decken, nicht nur etwa bei h, das nur vor vollem Vokal als Hauchlaut gesprochen wird (Herz, Ahorn), sonst aber stumm bleibt (nahe, ruhig, gehst), bei ie, das nur orthographischer Brauch für langes i ist, sondern etwa auch bei der Schreibung e, das etwa in Herz, Ferse kurzes, offenes e, in Erde, Herd langes geschlossenes ë, in Nebensilben aber oft nur einen Murmellaut (behalten, Handel) wiedergibt. Die gleiche Verschiedenheit zwischen Sprache und Schreibung besteht auch für die älteren Denkmäler. Wo immer germanische Sprachen zur Aufzeichnung kommen, stehen antike Alphabete zur Verfügung mit einer aus der eigenen Sprachgeschichte erwachsenen Relation zwischen Schriftzeichen und Laut. Während Wulfila unter Anlehnung an griechische Schreibung ein eigenes Alphabet mit eigener Orthographie für das Bibelgotische schafft, übernimmt der deutsche Sprachkreis das lateinische Alphabet und steht nun vor der Aufgabe, das hier Tradition gewordene Verhältnis zwischen Schreibung und Aussprache auf das Deutsche anzuwenden. Dies ist um so schwieriger, als die deutschen Laute keineswegs denen des Lateinischen entsprechen; z. B. : Das Ahd. besitzt die Laute k und ζ (Affrikata ts) ; dem steht im späten Latein die Schreibung c gegenüber, das vor den hellen Vokalen i, e, ae ( = ä) den Lautwert ts, vor dunklen Vokalen a, o, u, vor Konsonanz und im Auslaut den Lautwert k besitzt. Von der lat. Aussprache her war also die Schreibung ciohan 'ziehen', cehan 'zehn' möglich, während eine Schreibung cuo zur Lesung kuo 'Kuh' führte, so daß für deutsches ζ in ahd. zuo 'zu' das im Lat. seltene Zeichen ζ übernommen werden mußte. Nun steht neben ahd. Affrikata ζ auch ein stimmloser Spirant (phonetische Bezeichnung j ) und s ; während nun für ahd. s die Schreibung mit lat. s üblich wurde, mußte für 5 ebenfalls die Schreibung ζ übernommen werden, da kein anderes Zeichen im Alphabet mehr zur Verfügung stand. So kommt es, daß in den ahd. Handschriften für zwei verschieden gesprochene Laute das einheitliche Zeichen ζ verwendet wird. Ebenso muß für den ahd. k-Laut vor hellem Vokal ein eigenes Lautzeichen gefunden werden, was durch Wiederaufnahme des alten Lautzeichens k geschieht. Oft liegen freilich die Verhältnisse noch schwieriger als hier gezeigt. Jedenfalls entwickelt sich in den klösterlichen Schreibstuben keine einheitliche Schreibgewohnheit, die für den ganzen hochdeutschen Raum Gültigkeit gewinnt. So bleibt für die ganze Zeit des Mittelalters das Problem bestehen, daß aus der Schreibgewohnheit der Handschrift erst der genauere Lautwert des Schriftzeichens ermittelt werden muß.
Einleitung §§ 2 - 4
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§ 3. Zur idg. Sprachfamilie gehören außer der germanischen Sprachengruppe: 1. Die keltische, im Irisch-Schottischen, Kymrischen und Bretonischen bis heute fortlebend, während das größte Gebiet der festländischen Kelten, das Siedlungsgebiet der Gallier in Frankreich und Oberitalien, der Romanisierung erlag. 2. Die slawische Sprachengruppe mit ihren weitverzweigten Sprachen im Osten und Südosten Europas. 3. Die baltische Sprachengruppe, die heute noch im Litauischen und Lettischen vertreten ist. Ferner rechnet an europäischen Sprachen hierher: das Lateinische, aus dessen vulgären Formen die romanischen Sprachen entstanden, das Albanische, eine eigenständige idg. Sprache mit starkem romanischem Einschlag. Außerhalb Europas sind die vielfach gegliederten indogermanischen Sprachen Indiens zu nennen, die iranischen Sprachen, wie das Persische, Afghanische, Kurdische, ferner das Armenische. Zahlreiche andere idg. Sprachen sind ausgestorben, so die umbro-sabellischen Dialekte Italiens, das Venetische, das Illyrische, Thrakische, Phrygische, Tocharische sowie die idg. Sprachen des alten Hethiterreiches. Bei all diesen Sprachen weist die sprachgeschichtliche Betrachtung auf eine Entstehung aus der idg. Ausgangssprache hin, deren Laut- und Formensystem wir durch den Vergleich der Einzelsprachen in seinen Umrissen erkennen können. Diese so erkennbare idg. Sprache wird man wohl ins 3. Jahrtausend vor Chr. verweisen müssen, da schon zu Beginn des 2. Jahrtausends ausgeprägte idg. Einzelsprachen in schriftlichen Aufzeichnungen sichtbar werden. Ihre Träger vermutet man in Mitteleuropa, von wo aus sie sich in großen Wanderungen in eine Reihe von idg. Kreisen aufgelöst hat, aus denen später die idg. Einzelsprachen erwuchsen. § 4. Wie die idg. bezeichnet auch die germanische Sprachepoche einen erschlossenen Sprachzustand, den die späteren germanischen Einzelsprachen etwa seit der 2. Hälfte des 1. Jahrtausends vor Chr. durchlaufen. Er wird erkennbar aus den ältesten Erscheinungen der germanischen Einzelsprachen. Hierher gehören in etwa die 1. oder germanische Lautverschiebung samt Verners Gesetz, die germanische Akzentveränderung und wohl auch der Beginn der Ausformung des Zwei-Tempus-Systems beim germanischen Verb. An diese germanische Sprachepoche reichen nun wenigstens mittelbare Sprachquellen heran ; denn seit die Germanen in den Gesichtskreis der antiken Völker treten, bezeugen uns die griechischen und römischen Schriftsteller die Namen von Stämmen, Personen und örtlichkeiten ; nur vereinzelt kennt die antike Uberlieferung germanische Wörter. In die gleiche Zeit fällt auch die älteste Entlehnung germanischer Wörter ins Finnische sowie in die baltischen und slawischen
6
Einleitung
Sprachen. Auch eine auf dem Rand eines bei Negau in der Steiermark gefundenen Helmes eingeritzte Inschrift wird in die Zeit bald nach Christi Geburt zu setzen sein. Aber all diese Funde sind zu wenig ergiebig, um aus ihnen ohne den Hintergrund des Vergleiches ein Bild der germanischen Sprache zu zeichnen. Etwas reicher fließen die sprachlichen Quellen f ü r die Völkerwanderungszeit: die bezeugte Namensschicht wird breiter und vielgestaltiger, neben sie treten die ältesten Runeninschriften, die, soweit sie ostgermanischen Stämmen zugehören, ins dritte und vierte Jahrhundert nach Chr. fallen; solche aus Südnorwegen, der Insel Fünen und der Landschaft Angeln in Schleswig stehen fürs 3. ( ?) bis 6. J h . daneben, während der anglofriesische Sprachraum erst seit dem δ. J h . runenschriftliche Denkmäler überliefert, deutsche Runeninschriften erst mit dem Ausgange des 5. Jhs. greifbar sind, um gegen 700 wieder zu verschwinden. Neben diese spärlichen Sprachquellen tritt die erste zusammenhängende literarische Überlieferung einer germanischen Sprache: die gotische Bibelübersetzung, die dem westgotischen Missionsbischof Wulfila zugeschrieben wird. Um 311 geboren, 383 gestorben, hat dieser bei den Westgoten an der unteren Donau wirkende Missionar die ganze Bibel ins Gotische übersetzt. Große Teile davon sind in ostgotischen Handschriften des 5. und 6. Jhs. aus Oberitalien erhalten; von ihnen ist der jetzt in Upsala befindliche Codex Argenteus die bedeutendste. Der Völkerwanderungszeit und der Zeit unmittelbar danach gehört schließlich der Wortschatz an, der aus den verschiedenen Reichsgründungen der Völkerwanderungszeit einschließlich des Frankenreiches in die romanischen Sprachen überging bzw. uns als Glossen oder in latinisierter Form in den Urkunden jener Zeit entgegentritt. Diese Belege bilden die Brücke zu der in der Nachvölkerwanderungszeit beginnenden geschlossenen Sprachüberlieferung in literarischer Form. Dem Angelsächsischen, dessen Denkmäler etwa um 700 einsetzen, folgt das Althochdeutsche, dessen älteste Quellen bis in die Mitte des 8. Jhs. zurückreichen, während die altniederfränkischen und altsächsischen Denkmäler etwa um 800 beginnen; erst mit dem 12. J h . werden friesische Sprachdenkmäler faßbar. Anders als im germanischen Süden liegen die Überlieferungsverhältnisse im Norden. Nur hier wird die Runenschrift seit dem 4. J h . zu Inschriften auf Stein verwendet und bietet so eine feste Folge sprachlicher Überlieferung, die bis in die Zeit der literarischen Denkmäler hineinreicht. Deren Handschriften setzen etwa mit dem 12. J h ein, bieten aber teilweise eine ältere Sprachstufe. Aus dieser Überlieferung können wir entnehmen, daß die Sprache der Nordgermanen bis etwa ins 6. J h . hinein sehr einheitlich war; man spricht daher von einer urnordischen Sprachperiode; dann verändert sich die Sprache rasch, bis etwa in der
Einleitung §§ 4-5
7
Mitte des 8. Jhs. die 3 nordischen Sprachen Dänisch, Schwedisch, Norwegisch in ihrer frühesten Form ausgebildet sind. Mit der Besiedlung Islands (ca. 870-930) vom südlichen Norwegen her dehnt sich das Norwegische zunächst nach Island aus, u m dort in den folgenden Jahrhunderten, vor allem im 13. Jh., stärkere Eigenwüchsigkeit zu zeigen. § 5. Den germanischen Sprachraum der Frühzeit hatte Müllenhoff gegliedert in 1. N o r d g e r m a n e n , d. h. die Träger jener urnordischen Sprache, wie sie die skandinavischen Runeninschriften zwischen dem 4. und 6. J h . bieten und aus der das Dänische, Schwedische, Norwegische und Isländische erwächst. 2. O s t g e r m a n e n , d. h. Goten und die nach ihrer spärlichen sprachlichen Hinterlassenschaft enger zu ihnen gehörigen Stämme wie Gepiden, Wandalen, Burgunder u. a. 3. W e s t g e r m a n e n , d. h. Angelsachsen und Friesen einerseits, die vordeutschen Stämme wie Franken, Hermunduren, Alemannen, Baiern andrerseits. Diese Gliederung, die die Grundlage vieler sprachlicher und geschichtlich-kulturhistorischer Darstellungen bildete, hat in den letzten Jahrzehnten sehr starke Kritik erfahren; sie ist zu statisch gesehen und wird der ständigen Wanderbewegung nicht gerecht, die bis zum Ende der germanischen Völkerwanderungszeit die Stämme der Germanen immer wieder in neue Sitze führt und damit neue sprachliche Beziehungen zwischen den n u n benachbarten Sprachräumen schafft. Es wird daher überhaupt schwierig sein, ein klares Bild der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen germanischen Stämmen als Sprachräumen fÜT die frühe Zeit zu schaffen, weil die Stammessitze ja noch wechseln und je nach den historischen Umständen ein wandernder Stamm bald in diese, bald in jene sprachlichen Bewegungen einbezogen worden sein kann. Andrerseits wird es kaum möglich sein, dem dürftigen Sprachmaterial der Völkerwanderungszeit so viel abzugewinnen, daß eine Skizzierung der Sprachbeziehung von Sitz zu Sitz erreichbar wird. So kann man einstweilen nur die Beziehungen im Groben zu umreißen versuchen, wie sie auf Grund der neueren Untersuchungen deutlich werden. Zunächst weist manches darauf hin, daß etwa im 2. J h . v. Chr. eine Schei · dung zwischen den skandinavischen Nordgermanen und den Südgermanen des Festlandes vorhanden war (nordgerm. ii zu ggj, uu zu ggu; südgerm. Verdrängung der alten 2. sg. Perf. im Prt.). Bald nach dieser Zeit wandern skandinavisch-nordgermanische Stämme nach dem Festland ab, wo sie zunächst zwischen Oder und Weichsel seßhaft werden, bald aber weiter nach dem Südosten drängen, so die Wandalen, Burgunder, Rugier, Goten, Gepiden. Durch diese Abwanderung treten sie
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Einleitung
aus dem ursprünglichen Sprachraum heraus, an dessen weiterer Entwicklung sie keinen Anteil mehr nehmen. Diese Gruppe entspricht den Ostgermanen Müllenhoffs. Das Germanentum des Festlandes gliedert sich in Nordseegermanen, Elbgermanen und Weser-Rhein-Germanen. Aus den Nordseegermanen erwächst das Friesische und das Angelsächsische; auch im Altsächsischen wird eine klare nordseegermanische Komponente greifbar. Aus dem elbgermanischen Bereich erwächst das spätere Alemannische, Bairische und Langobardische, während die Weser-Rhein-Germanen im späteren Fränkischen aufgehen. Dieses Gefüge erlebt wohl erst nach der alemannischen Landnahme im Süden Deutschlands und vor der Abwanderung der Angelsachsen nach England als Nord-Süd-Bewegung die sog. westgermanische Konsonantengemination, die in schwachen Wellen auch auf nordgermanisches Gebiet übergegriffen hat. Auch die Anfänge des i-Umlautes, der sich ebenfalls als Nord-Süd-Bewegung darstellt, werden in diese Zeit fallen. Daneben tritt schließlich als spätere Erscheinung die zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung als Bewegung von Süden nach Norden, die freilich nur einen Teil des Sprachgebietes erfaßt, das in dieser Zeit erst zu dem eigentlichen deutschen Sprachraum zusammenwächst. Man sieht aus diesem knappen Aufriß, daß der alte Müllenhoffsche Begriff 'Westgermanisch' auf einer ganz anderen zeitlichen Ebene liegt als etwa der Begriff Nord- oder Ostgermanisch. Der ihm in etwa ähnliche Begriff 'Südgermanisch' ist in sich bereits früh gegliedert : zwei seiner Komponenten, das Weser-Rhein-Germanentum der Franken und das Elbgermanentum der Alemannen und Baiern (und wohl auch der Thüringer) wachsen zur Einheit des Deutschen zusammen und beziehen in diesen Bereich weite Teile des ursprünglich nordseegermanischen Sprachgebietes ein. § 6. Die mit der zweiten Hälfte des 8. Jhs. einsetzende literarische Überlieferung des Deutschen wird von der Forschung zwiefach gegliedert, einmal nach den Mundarten, denen sie zugehört, eine Aufgliederung, die vor allem für die Zeit vor der Ausprägung einer Schriftsprache wichtig ist, dann nach der zeitlichen Epoche, der sie zugehört. Das Gerüst f ü r die räumliche Aufgliederung des deutschen Sprachgebiets bieten im Wesentlichen die Erscheinungen der zweiten oder hochdeutschen Lautverschiebung. Durch sie wird zunächst das deutsche Sprachgebiet aufgegliedert in hochdeutsch und niederdeutsch, wobei als niederdeutsch der Dialektraum gilt, in dem sich die zweite Lautverschiebung nicht mehr durchzusetzen vermag. Die systematischen Aufnahmen des Deutschen Sprachatlas zeigen als Grenze für die Gegenwart eine Linienführung, bei der Aachen auf hochdeutschem, Düsseldorf
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eben noch auf niederdeutschen Boden bleibt, während Siegen und Kassel zum Hochdeutschen, Magdeburg zum Niederdeutschen gehört, wie Dessau und Wittenberg hochdeutsch, Frankfurt an der Oder niederdeutsch ist (Benrather Linie, benannt nach dem Ort, an dem diese Lautgrenze den Rhein überquert). Doch ist diese Sprachgrenze im Laufe des Mittelalters und der Neuzeit nach Norden vorgeschoben worden, so daß das Niederdeutsche Städte wie Mansfeld, Eisleben, Merseburg, Halle, Kothen, Dessau verlor. Das hochdeutsche Sprachgebiet gliedert die Mundartforschung in eine Reihe Dialektgebiete, die sich ζ. T. in ihrem Kern bereits in ahd. Zeit klar abzeichnen, ζ. T. aber auch erst im Laufe der mittelalterlichen Entwicklung ausformen. Ihre Abgrenzung ist im Laufe der Geschichte mancherlei Änderungen unterworfen, je nachdem, ob territoriale Grenzen Gebietsteile zu anderen Sprachräumen brachten oder einheitlichere Sprachräume aufgliederten, je nachdem, ob neue Kultur- und Wirtschaftszentren andersdialektische Gebietsteile zu sich hinüberzogen. Im allgemeinen scheidet man als Mundarten: 1. Das M i t t e l f r ä n k i s c h e , das von den Bistumsgrenzen aufgegliedert w i r d i n d e n r i p u a r i s c h e n Raum um Köln und den m o s e l f r ä n k i s c h e n Raum mit dem Zentrum Trier. 2. Das R h e i n f r ä n k i s c h e , das heute von der niederdeutsch-hochdeutschen Grenze zwischen Siegen und Kassel im Norden bis zum Heidelberg-Mannheimer Raum im Süden reicht und sich in den hessischen Nord- und den pfälzischen Südbereich gliedert. Ihm schließt sich im Süden eine Ubergangszone zum Alemannischen an etwa im Raum um Karlsruhe und Weißenburg im Nordelsaß, die als S ü d r h e i n f r ä n k i s c h oder auch S ü d f r ä n k i s c h bezeichnet wird, östlich schließt sich an das Rheinfränkische an 3. das T h ü r i n g i s c h e , dem weiter östlich 4. das O b e r s ä c h s i s c h e und 5. das Schlesische folgen. Die beiden letzten Mundartgebiete sind erst durch die deutsche Siedlungsbewegung des Mittelalters entstanden. Südlich des Thüringischen folgt 6. das O s t f r ä n k i s c h e , etwa im Raum Meiningen-Plauen-Nürnberg (das selbst aber bairisch bleibt)-Würzburg. 7. Südlich davon, etwa im Raum zwischen oberem Neckar und Lech, dehnt sich das S c h w ä b i s c h e aus, das sich erst mit dem 13. Jhd. stärker vom Alemannischen absetzt. 8. Südwestlich des Südfränkischen und Schwäbischen erstreckt sich das A l e m a n n i s c h e bis zur deutschen Sprachgrenze im Süden. 9. östlich des Alemannischen und Schwäbischen folgt schließlich das B a i r i s c h e , das sich mit der frühmittelalterlichen Siedlungsbewegung auch auf die heute österreichischen Gebiete ausdehnt.
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Einleitung
Von diesen Dialekträumen faßt man das Mittel- und Rheinfränkische als W e s t m i t t e l d e u t s c h , das Thüringische, Obersächsische und Schlesische als O s t m i t t e l d e u t s c h zusammen. Als O b e r d e u t s c h gilt für die einen nur der Alemannisch-Bairische Sprachraum als derjenige, der die hochdeutsche Lautverschiebung am radikalsten durchführt, für die anderen auch der schwäbisch-südfränkisch -ostfränkische Raum, der in der p-Verschiebung mit dem alemannisch-bairischen Raum übereinstimmt. § 7. In der zeitlichen Gliederung unterscheidet man seit Jacob Grimm auf hochdeutschem Sprachgebiet zwischen Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch. Dabei ist die Scheidung der einzelnen Epochen schwierig und nicht ohne eine gewisse Willkür möglich. Am klarsten ist nach rein sprachlichen Merkmalen die ahd. Epoche zu umreißen. Sie umfaßt die Sprache des hochdeutschen Sprachgebiets von ihren Anfängen bis um die Mitte des 11. Jhs. Die im 10. und 11. Jh. immer deutlicher sichtbar werdende Abschwächung der vollen Endsilbenvokale hat etwa um 1050 im allgemeinen den Lautstand e erreicht, wenn auch im Alemannisch-Schwäbischen und auch im Bairischen sich lange Vollvokale der Ableitungs- und Endsilben länger erhalten. Die Folge dieser Abschwächung ist der Zusammenfall substantivischer und verbaler Flexionstypen, die in ahd. Zeit noch durch verschiedenen Vokalismus differenziert waren. Zugleich mit dem Eintreten dieser Abschwächung bei den alten Vollvokalen wird der i-Umlaut in den ahd. Hinderungsfällen graphisch sichtbar und bietet das zweite Kennzeichen, das die mhd. Sprachepoche von der ahd. klar differenziert. Weniger deutlich differenzieren sich die mhd. und die nhd. Sprachepoche. Daher hat gerade hier die zeitliche Abgrenzung im Laufe der Forschung nicht unerhebliche Veränderung erfahren. Die ältere Forschung setzte der mhd. Sprachepoche etwa mit 1500 ein Ende. Luther und seine Sprache standen für sie am Anfang der nhd. Zeit, da man in Luther den eigentlichen Schöpfer der nhd. Schriftsprache sah. Seit die Erkenntnis gewonnen wurde, daß Luthers Deutsch auf der kursächsischen Kanzleisprache fußt, die ihrerseits wieder neben anderen Versuchen steht, eine überregionale Sprache zu schaffen, ist eine neue zeitliche Gliederung der mhd. und nhd. Epoche üblich geworden. Man verlegt das Ende der mhd. Zeit in die Mitte des 14. Jhs., um die nächsten 3 Jahrhunderte bis zum Ende des 30jährigen Krieges als frühneuhochdeutsche Epoche zu bezeichnen, der nach 1650 die eigentlich neuhochdeutsche Zeit folgt. Innerhalb der mhd. Zeit scheidet man das Frühmittelhochdeutsche bis etwa 1170 von der klassisch-mittelhochdeutschen Zeit zwischen 1190 und 1250 und der spätmhd. zwischen 1250 und 1350. Dabei ist die Set-
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zung der früh mittelhochdeutschen Epoche nicht so sehr sprachgeschichtlich als dichtungsgeschichtlich begründet. Als klassisch-mittelhochdeutsche Zeit gilt die der ritterlichen Dichtung. Diese standesgebundene Literatur ist von der Sprache des Rittertums in seiner Blütezeit geprägt, einer Sprachform, die in der Dichtung wie wohl auch in der gepflegten Rede solche mundartliche Laut- oder Formengebung meidet, die der Verständigung über ein größeres sprachliches Gebiet hin abträglich ist. Diese Sprache ist einer Welt verwachsen, deren Menschen durch verwandtschaftliche Beziehungen, territoriale Bindungen, Kriegszüge und Turniere, Hoffeste und Reichstage nicht mehr ausschließlich an den engeren Dialektkreis der Heimat gebunden waren. Die entstehenden Dichtungen sind für den Kreis dieser überregionalen Gesellschaft bestimmt und tragen deren gesellschaftlichen Verfeinerung auch in der Wortwahl Rechnung. Die Dichter leben oft genug fern ihrer Heimat an den Fürstenhöfen und müssen sich so in ihrer Sprache auf einen weiteren Hörerkreis einstellen. Sie kennen die Dichtungen anderer und entlehnen aus ihnen passendes Sprachgut oder den für den Reim gerade benötigten Lautstand. Was sich so bietet, ist keine geregelte Gemeinsprache, aber trotz aller mundartlichen Verschiedenheit auch nicht mehr die als Umgangssprache gesprochene Sprache eines Dialektgebietes. Das klassische Mittelhochdeutsch der Dichtung ist eine standesgebundene Sprache, die Tendenzen zu einer Gemeinsprache zeigt, ohne es jemals zu werden ; ihre Kraft erlischt mit dem Niedergang des ritterlichen Standes, wenn sie auch Eingang in die klösterlichen Schreibstuben und Schreibschulen fand. Sie ist stark genug, noch nach ihrem Niedergang in der zweiten Hälfte des 13. und im 14. J h . nachzuwirken, und zwar nicht nur in der Dichtung, sondern auch in der Sprache der Prosa, die freilich dem Bildungsstand des Verfassers entsprechend stärker oder schwächer beeinflußt worden ist. Wesentlich stärker der Mundart verbunden ist oft die deutschsprachige Urkunde, die ja in der Regel nur für den engeren regionalen Gebrauch bestimmt ist. So ist die sog. spätmhd. Zeit sprachlich bestimmt von der wieder stärker werdenden mundartlichen Prägung der literarischen Sprache einerseits und dem langsam schwächer werdenden Nachwirken der ritterlichen Standessprache andrerseits. Die frühnhd. Zeit ist charakterisiert durch das Aufkommen überregionaler Gemeinsprachen. Sie entstehen einerseits an den Kanzleien des kaiserlichen Hofs der Luxemburger in Prag oder der Habsburger in Wien, andererseits auf ostmitteldeutschem Boden. Die mit dem 12. J h . stark einsetzende deutsche Siedlung in den Landen östlich der Elbe und Saale bringt Siedler aus verschiedenen Mundartgebieten dorthin. Hier schleifen sich im Zusammenleben mundartliche Eigenheiten ab, die dennoch bleibende sprachliche Verschiedenheit aber schafft in den landesherrlichen Kanzleien und in den Städten das Bedürfnis nach einer aus-
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Einleitung
geglichenen Sprache für Verkehr, Verwaltung und Handel. Auf den Gewohnheiten der kaiserlichen Kanzlei und den Ausgleichungen der ostöiitteldeutschen Verkehrssprachen aufbauend formen sich hier im 14. und 15. Jh. festere Schreibgewohnheiten im Lautstand wie auch in der Formengebung heraus, die eine stärkere Vereinheitlichung vorbereiten. Unter diesen Ansätzen gewinnt die Sprache der kursächsischen Kanzlei eine führende Stellung, die sich als 'Meißner Deutsch' schon vor Luther einen weiteren Verbreitungskreis schafft und die gerade deshalb von ihm für seine Schriften benutzt wird (vgl. Luther, 'Tischreden' Nr 1040i „Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im deutschen, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, das mich beide, Ober- und Niederlender (d. i. Hoch- und Niederdeutsche) verstehen mögen. Ich rede nach der sechsischen cantzlei, welcher nachfolgen alle fürsten und könige in Deutschland"). Neben der großen Nachwirkung der Schriften Luthers kamen der Tendenz nach einer einheitlichen Hochsprache vor allem das Aufkommen und die rasche Verbreitung der Buchdruckerkunst zugute. Die überall entstehenden Druckereien sind an einem weiten Absatzgebiet interessiert und brauchen darum eine Sprachform, die in den verschiedenen deutschen Mundartgebieten verstanden und gelesen wird, sie brauchen vor allem auch eine Vereinheitlichung der Schreibung, damit ihre Werke den nötigen Absatz finden. Sie lehnen sich deshalb in Sprachform und Schreibung bald stärker, bald schwächer an diese Kanzleisprache an, die ja schon Luthers Einsatz über den rein geschäftlichen Rahmen hinausgeführt hatte. Aber all diese Momente sind nicht stark genug, um im 16. und 17. Jh. eine einheitlich deutsche Hochsprache zu schaffen. Rechtschreibung, Lautstand und Formengebung differieren immer noch erheblich, Kanzlei- und Druckersprachen verschiedener regionaler Prägung gehen immer noch nebeneinander her. Die nach dem 30jährigen Krieg einsetzenden Bemühungen um eine Einheitlichkeit der deutschen Sprache versuchen hier Wandel zu schaffen. Langsam greift das Bestreben nach einer stärkeren grammatischen Regelung im Formengut und in der Rechtschreibung um sich, aber trotz manoher Fortschritte gehören im 18. Jh. weder die einheitliche Rechtschreibung noch ein eindeutiger Formenstand der Schriftsprache zum festen Bildungsbesitz der Schreibenden. Nur langsam schleifen sich in der Schriftsprache die regionalen Eigenheiten des Formenguts im 18. und frühen 19. Jh. ab, während sich im späten 18. und frühen 19. Jh. festere Normen der Schreibung herausformen, freilich noch von stärkerer Verschiedenheit zwischen den deutschsprachigen Staaten. Erst die Berliner Orthographische Konferenz' von 1901 hat jene einheitlichen Schreibnormen festgelegt, die in dem „Amtlichen Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung an den preußischen Kanzleien" ihren Nieder-
Einleitung § 7
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schlag fand, um seit 1907 maßgebend für die deutschen Schulen zu werden. Mit dem Aufkommen einer der Alltagssprache fernen Hochsprache tritt eine nicht unwesentliche Verschiebung des Verhältnisses zwischen Sprache und Schrift ein. Während sich der Schreiber früher mühte, Aussprache und Schreibung in Harmonie zu bringen, wobei Schreibtradition und gesprochene Sprache oft genug in Widerspruch geraten können, wird jetzt die Schreibung Vorbild für die Aussprache. Das „Schreib, wie du sprichst" weicht einem „Sprich, wie du schreibst". Damit wird die Frage der Orthographie zum echten Problem. Schon in dem Gegensatz zwischen Jacob Grimm, der eine historisch-etymologisch ausgerichtete Rechtschreibung forderte, und v. Raumer, der eine stärker phonetisch ausgerichtete Orthographie verlangte, wird dieser Gegensatz deutlich, der in der gegenwärtigen Norm sicherlich nicht in allen Fällen glücklich gelöst ist und der in der Debatte um die Schreibreform in unseren Tagen erneut seinen Niederschlag findet. Zugleich mit der Normung der Schreibung wird die richtige Aussprache der Schriftzeichen zum Problem. 1803 schreibt Goethe in den „Regeln für Schauspieler": „Daher ist das Erste und Wichtigste für den sich bildenden Schauspieler, daß er sich von allen Fehlern des Dialektes befreie und eine vollständige, reine Aussprache zu erlangen suche. Kein Provinzialismus taugt auf die Bühne ! Dort herrsche nur die reine deutsche Mundart . . . " Das Streben nach einer Normung und Kodifizierung dessen, was nach der Lautung als deutsche Hochsprache zu gelten habe, fand 1898 seinen Niederschlag in der „Deutschen Bühnenaussprache" von Th. Siebs, dem Ergebnis gemeinsamer Arbeit von Bühnenleitern und Sprachforschern (heute Siebs Deutsche Hochsprache hg. von H. de Boor und P. Diels. 16., völlig neuerarbeitete Auflage Berlin 1957).
LAUTLEHRE I. KAPITEL
Der Akzent § 8. Als Akzent bezeichnet man jede mit stimmlichen Mitteln erfolgende Heraushebung einer sprachlichen Einheit innerhalb einer zusammengehörigen Reihe solcher Einheiten. Man spricht daher 1. von einem S a t z a k z e n t , der zur Heraushebung eines für den Sinn des Satzes bedeutungsvollen Wortes innerhalb des Satzes dient; 2. von einem W o r t a k z e n t , der innerhalb eines Wortes eine bestimmte Silbe heraushebt; 3. von einem S i l b e n a k z e n t , der innerhalb der Silbe die Betonungsart des silbentragenden Lautes, in der Regel also eines Vokals, bestimmt. Während der Satzakzent für Wortstellung und Satzbau wichtig ist, sich also enger zur Satzlehre stellt, gehören Wort- und Silbenakzent zur Wortbildungslehre und zur Lautlehre, müssen also hier besprochen werden, vor allem deshalb, weil im Bereich der germanischen Sprachen der Wortakzent für die lautliche Entwicklung innerhalb des Wortes von großer Bedeutung geworden ist. Grundsätzlich wichtig ist, daß nicht jedes Wort einen eigenen Wortakzent tragen muß. Eine Reihe von Wörtern neigt dazu, sich entweder an den Wortton des folgenden oder den Wortton des vorausgehenden Wortes anzuschließen (proklitische bzw. enklitische Stellung). Proklitische Stellung ist etwa typisch für den Artikel, der dadurch umgangssprachlich und mundartlich starke Verkürzung erfahren kann (vgl. ein Vogel > 'n Vogel), enklitische Stellung ist nicht selten beim nachgestellten Hilfsverb oder beim Pronomen (vgl, nhd. Wer's weiß·, denkste u. ä.). Die Heraushebung einer Sprecheinheit durch den Akzent kann auf zweierlei Weise erfolgen: entweder wird die betonte Einheit durch verstärkten Atemdruck gekennzeichnet (dynamischer oder exspiratorischer Akzent) oder sie wird durch eine Erhöhung des Tones charakterisiert (musikalischer oder chromatischer Akzent). Oft sind beide Typen miteinander verkoppelt, wobei der eine oder andere Typ überwiegt. § 9. Der Wortakzent der idg. Sprachepoche war zumindest gegen Ende der idg. Zeit stärker musikalisch als exspiratorisch. Sein Sitz konnte
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Lautlehre
innerhalb der verschiedenen Flexionsformen des gleichen Wortes wechseln, d. h. bald die Wurzelsilbe, bald die Ableitungssilbe, bald die Endung treffen, wie es etwa die griechische Betonung bei μήτηρ, μητέρα, μητρός verdeutlicht. Aber dieser Wechsel war nicht willkürlich, sondern unterlag festen Regeln. Man bezeichnet diese Form des Wortakzentes als 'freien' Akzent, um zum Ausdruck zu bringen, daß der Wortton keiner bestimmten Silbe (Anfangs-, Mittel-, Endsilbe) vorbehalten ist. Der idg. Silbenakzent kennt zwei Arten der Silbenintonation: die gestoßene, bei der die Tonhöhe nur einen Gipfel kennt, und die geschleifte (zirkumflektierte), bei der die Tonhöhe nach dem ersten Gipfel eine Senkung, dann wieder ein Ansteigen des Tones erfährt. Stoßtonigkeit kann bei kurzen und langen Vokalen und bei Diphthongen erscheinen, Schleiftonigkeit nur bei langen Vokalen und Diphthongen, wobei gerade die germanische Sprachgeschichte zeigt , daß die indogermanischen schleiftonigen Längen eine größere Lautdauer hatten als die stoßtonigen.
§ 10. Innerhalb der germanischen Sprachepoche erfährt der W o r t a k z e n t eine doppelte Veränderung: er wird überwiegend exspiratorisch und wird in seinem Sitz auf die erste Silbe des einfachen Wortes festgelegt: der freie und überwiegend musikalische Akzent des Idg. weicht also einer vorwiegend exspiratorischen Anfangsbetonung. Die Entstehung dieses Anfangsakzentes fällt in die germanische Sprachepoche, da der sog. 'Grammatische Wechsel' noch den freien Akzentsitz des Idg. voraussetzt (vgl. § 74). Bei den mit Präfixen gebildeten Wortzusammensetzungen spaltet sich die germanische Akzententwicklung. Bei den verbalen Komposita war zur Zeit der Entstehung des germanischen Anfangsakzentes das Präfix noch nicht fest mit dem Verbum verwachsen; können doch noch im Gotischen Enklitika zwischen Präfix und Verb treten (vgl. ζ. B. J . 7, 32 in-uh-sandideduη 'und sie entsandten' zu insandjan 'entsenden'). Infolgedessen zeigt das verbale Kompositum den Wortakzent auf der ersten Silbe des Verbs und nicht auf dem Präfix. Beim nominalen Kompositum dagegen tritt der germanische Wortakzent auf das Präfix, weil die Verbindung Präfix und Nomen bereits fest geworden war: nhd. Urteil, Antwort (aber mit Abschwächung des unbetonten Präfixes nhd. erteilen aus *uz-dailjan). Nur die Präfixe germ, bi-, fra-, ga- vor einem Nomen übernehmen ζ. T. schon in vorahd. Zeit die den verbalen Zusammensetzungen eigene Betonung der Stammsilbe : daher nhd. Bedarf, Verlust (aber got. frâlusts), Gebirge. Die sich scheinbar nicht zu dieser Betonungsregel fügenden Fälle wie nhd. ántworten, urteilen sind so wenig Ausnahmen von dieser Regel wie die Substantiva vom Typ Empfehlung, Empfängiiis. Erteilung, sondern antworten, urteilen sind sekundär zu den
Der Akzent §§ 9-10
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Substantiven Antwort, Urteil gebildete Verben und als solche zu jung, um an dem alten Wandel teilzunehmen ; Empfängnis, Erteilung dagegen sind ebenso junge Substantiva zu den Verben empfangen, erieilen. Die Folge der germanischen exspiratorischen Anfangsbetonung war eine zunehmende Abschwächung der unbetonten Mittel- und Endsilben und damit eine Aufspaltung der Vokalentwicklung in die der germanischen Tonsilbe und in die der schwach- und unbetonten Silben, die teils stark abgeschwächt werden, teils überhaupt schwinden. Dieser Vorgang der Abschwächimg und Ausstoßung unbetonter Vokale reicht von der germanischen bis in die mhd. Zeit, was zeigt, daß sich die Intensivierung des exspiratorischen Akzentes langsam vollzieht, genau so wie die in den mhd. Mundarten verschieden starke Tendenz zur Vokalausstoßung beweist, daß die Intensivierung des Anfangsakzentes in den deutschen Mundarten verschieden stark vollzogen wurde. Der germanische Anfangsakzent bleibt im Deutschen zu allen Zeiten im heimischen Wortgut lebendig. Nur beim Fremdwort wird die fremde Betonung in der Regel bewahrt, zum Teil auch erst in nhd. Zeit wiederhergestellt (vgl. etwa mhd. álter : nhd. Altár; mhd. pedas : nhd. Palast u. a.). Auch wo fremde Ableitungssilben an deutsches Wortgut treten, gilt fremde Betonung (vgl. etwa Bâckeréi·, hausieren, hofieren, Lappalie, burschikos u. a.). In einigen wenigen deutschen Wörtern wurde die alte Anfangsbetonung in nhd. Zeit aufgegeben, so mhd. lébendec : nhd. lebendig, dessen Betonung im 16. Jh. zuerst greifbar wird. Ferner etwa Holúnder, Wacholder, Maßholder, Forelle, Hermelin, deren fremdartige Betonung in manchen Fällen der Anpassung an Fremdwörter entspringen mag, in anderen unklar bleibt. Der haupttonigen Silbe ordnen sich die übrigen Wortsilben in der Tonfülle unter, ohne daß sie deshalb alle einheitlich unbetont wären. Vor allem bei mehrsilbigen Wörtern und Wortformen entwickelt sich ein Nebenton, der in vielen Fällen nach dem Zusammenhang der Rede wechselt, in manchen Fällen aber durch die ganze deutsche Sprachgeschichte hindurch eindeutig festliegt; so tragen etwa seit alters den Nebenton die Ableitungssilben -ung, -in, -nis, wo der Nebenton stark genug war, um die vollen Vokale vor der Abschwächung zu schützen. Fest ist auch die Regel, daß beim Aneinandertreten von zwei Suffixen das zweite den Nebenton trägt ; vgl. nhd. gléichnishàft, Schnéiderìn. Bei der Komposition zweier Nomina trägt die Tonsilbe des Simplex beim ersten Nomen den Haupt-, die Tonsilbe des Simplex beim zweiten Nomen den Nebenton: Mórgengàbe; Hóchzeitsgeschènk; Geschenkartikel usw.
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DER
VOKALISMUS II. KAPITEL
Der Vokalismus der starktonigen Silben in seiner Entwicklung bis zum Ende der ahd. Zeit 1. D e r idg. V o k a l i s m u s u n d s e i n e V e r t r e t u n g im G e r m a n i s c h e n § 11. Der Vokalismus des Indogermanischen kannte nur die 5 Vokale a, e, i, o, u, die als Kürzen und Längen bezeugt sind, die Diphthonge ai, ei, oi bzw. au, eu, ou, deren erster Vokal kurz oder lang sein konnte ; ferner war sicher ein Murmelvokal vorhanden, etwa dem verdumpften e in dt. bitte vergleichbar (Schwa indogermanicum, geschr. a). idg. a ist nur durch seine Vertretung als i im Altindischen von idg. ä zu unterscheiden, da es in allen anderen Sprachen sehr früh als ä erscheint und alle lautlichen Entwicklungen des idg. ñ in ihnen durchlaufen hat. Das Vorhandensein anderer Muxmelvokale im Idg. ist in der Forschung strittig. Schließlich können die Nasale und Liquiden die Rolle eines Vokals übernehmen und eine Silbe tragen; man bezeichnet sie in dieser durch den idg. Ablaut bestimmten Funktion als nasales bzw. liquidae sonantes oder kurz als Sonanten (geschr. m, n, r, l). Aus diesem idg. Vokalsystem entwickelt sich ohne Einfluß der lautlichen Umgebung das folgende germanische System, das allen germanischen Sprachen ursprünglich eigen ist. a) Die idg. Kürzen, idg. a,o, 9 > germ, a idg. *agros (gr. άγρός, lat. ager) : got. akrs, as. akkar, ahd. ackar 'Acker', idg. *oktöu (gr. οκτώ, lat. octo) : got. ahtau, as. ahd. ahto 'acht', idg. *jntër (aind. pitá, gr. πατήρ, lat. pater) : got. as. fadar, ahd. fater 'Vater'. idg. e > g e r m , e (got. i bzw. ai vgl. § 14) idg. *ed (gr. εδομαι, lat. edo) : got. itan, as. ètan, ahd. ëjjan 'essen', idg. i > g e r m , i (got. i bzw. oí,vgl. § 14) idg. *uidheuä (lat. vidua) : got. widuwo, as. widowa, ahd. witwwa 'Witwe'. idg. u > g e r m , u (got. u bzw. aú vgl. § 15) idg. *uper(i) (aind. upari, gr. υπέρ) : got. ufar, ahd. ubir 'über'. Die idg. Sonanten entwickeln im Germanischen ein u vor dem Nasal bzw. vor der Liquida, das in seiner Entwicklung mit germ, u völlig zusammenfällt. In den übrigen idg. Sprachen sind die liquidae sonantes
Idg.-Germ. Vokale § 11
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nur mehr im Altindischen als r vertreten, während sich sonst vor oder nach l, r ein Vokal bildet; die nasales sonantes erscheinen im Indoiranischen und Griechischen vor Konsonant als a, sonst als am, an, im Lateinischen zeigen sie ein vorgeschlagenes e. idg. r > germ, ur (got.aúr vgl. § 15) idg. *bhrtis (aind. bhrtih das Tragen, lat. fors) : got. gabaúrfis, as. giburd, ahd. giburt 'Geburt', idg. I > germ, ul idg. *plnos (aind. -prnah, lit. pllnas) : got. fulls, as. full 'voll', vgl. ahd. fulll 'Fülle'. idg. m > germ, um idg. *g%mtis (gr. βάσις) : got. ga-qumßs 'Zusammenkunft', mnd. an· kumpst 'Ankunft', ahd. kumft 'das Kommen', idg. η > germ, un idg. *mntis (aind. matih 'Gedanke', lat. mens) : got. ga-munds 'Andenken', ahd. gi-munt 'Erinnerung'. b) Die idg. Längen. idg. ä, ö > germ, δ (ahd. uo,vgl. § 23) idg. *bhrâtêr (lat. frater) : got. bropar, as. brödar, ahd. bruoder 'Bruder', idg. *plötus (vgl. gr. πλωτός 'schwimmend') : got. flôdus, as. flöd, ahd. fluot 'Flut'. idg. ë > germ, ë (as. ahd. ö,vgl. § 21) idg. *sêtis (vgl. lat. së-men Same) : got. mana-sêps eigtl. 'Menschensaat', 'Menschengeschlecht', as. sâd, ahd. sät 'Saat', ahd. sâmo 'Same', idg. % > germ. I (got. Schreibung ei) idg. *suïnos (lat. suinus 'schweinern') : got. swein, as. ahd. swln 'Schwein'. idg. ü > germ, û idg. *müs (lat. müs) : mnd. ahd. müs 'Maus'. Innerhalb des Germanischen bildet sich ein zweiter langer ê-Laut (e2) aus, der durch enge Aussprache von germ. ê1 = idg. ë getrennt war. Im Gotischen sind beide Laute zusammengefallen (vgl. § 16); im As. wie im Ahd. bleibt ë2 zunächst erhalten, entwickelt sich dann zu ahd. ea, ia, ie weiter (vgl. § 22). Entstanden ist germ. ë 2 ζ. T. aus dem idg. Langdiphthongen ëi, in anderen Fällen ist seine Entstehung unklar; auch vulgärlat. ê erscheint in Lehnwörtern als ë 2 . got. Kër 'hier' : as. her, ahd. hear, Mar, hier lat. mensa, vulgär mësa : got. mes, ahd. meas, mias 'Tisch'. c) Die idg. Diphthonge. idg. ai, oi > germ, ai (as. ë, ahd. ei, ë,vgl. § 24) idg. *ghaidis 'Ziege' (vgl. lat. haedus 'Bock') : got. gaits as. gët, ahd.
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Vokalismus
greij 'Geiß, Ziege'. idg. *yoida (gr. οϊδα) : got. wait, as. wët, ahd. weij 'ich weiß', idg. ei > g e r m . ï, das mit germ. ï = idg. I zusammenfällt (got. Schreibung ei). idg. *steigh (gr. στείχω) : got. steigern, as. ahd. stîgan 'steigen'. idg. au, ou > germ, au (as. ö, ahd. ou, ô,vgl. § 25) idg. *aug 'mehren' (lat. augeo) : got. aukan 'sich mehren', as. ökian, ahd. ouhhön 'vermehren'. idg. *roudhos (lat. rüfus) : got. raups, as. röd, ahd. rôt 'rot'. idg. eu > g e r m , eu (got. iu,vgl. § 19, as. ahd. iu, io § 26) idg. *deuk (lat. duco) : got. tiuhan, as. tiohan, ahd. ziohan 'ziehen'. Die idg. Langdiphthonge sind in den starktonigen Silben im Germ, schwer zu erkennen; sie dürften teils mit den Kurzdiphthongen, teils mit den alten Längen zusammengefallen sein. 2. V o r l i t e r a r i s c h e V e r ä n d e r u n g e n u n t e r E i n f l u ß d e r lautlichen Umgebung Unter dem Einfluß der benachbarten Laute erfährt dieses germanische Vokalsystem in allen germanischen Sprachen einige Veränderungen. Als solche sind zu nennen : § 12. g e r m , e > i a) vor Ñas. + Kons., auch vor doppeltem Nasal. Der Vorgang ist gemeingermanisch und älter als der Nasalschwund in der Lautgruppe germ, -inh- (vgl. § 13). idg. *bhendh (lat. of-fendix 'Knoten') : got. as. bindan, ahd. hintan 'binden'. idg. *penqWe 'fünf' (gr. πέντε) : got. fimf, ahd. fin f . Diese Lautentwicklung wird auch in einigen Wortentlehnungen aus dem Lat. nachvollzogen: lat. menta : ahd. minza 'Minze'; lat. census : ahd. zins 'Zins'. b) vor i, ï, j der folgenden Silbe. Der Vorgang ist gemeingermanisch und vielleicht schon vor dem Schwund eines auslautenden -i (vgl. § 55) vollzogen, idg. *esti (gr. εστί) : got. as. ahd. ist 'ist'. An festen Kategorien neigen zu dieser Entwicklung: 1. die Verbalabstrakta auf idg. -ti: ahd. gëban 'geben' : gift 'Gabe'. - 2. alte Abstrakta auf -ï: ahd. wert 'wert' : wirdï 'Würde'. Die Umformung e > i fehlt bei jüngeren Bildungen dieser Art ; die Bildung bleibt also länger produktiv als das Lautgesetz wirkt: vgl. ahd. snël 'tapfer' : snellì. - 3. die 2. und 3. sg. ind. prs. der starken Vba 3.-5. Ablautsreihe: ahd. hëlfan 'helfen' : hilfis, hilfit; nëman 'nehmen' : nimis, nimit; gëban 'geben' : gibis, gibit. - 4. die nominalen j-Bildungen: lat. medius : got. midjis, as. middi, ahd. mitti 'mitten'; ahd. hërta 'Herde' : hirti 'Hirte'; ibes, die neutralen Kollek-
Germ.-Got. Vokale §§ 11-16
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tiva des Typs ahd. gibirgi 'Gebirge: ahd. bërg, ahd. giwitiri 'Gewitter' : ahd. wëtar. - 5. die schwachen Verben der jan-Klasse : ahd. rëht : rihten. 6. alte Ableitungen mit i, ï der Ableitungssilben : ahd. ërda 'Erde' : irdin 'irden', irdisk 'irdisch'. § 13. a) In den Lautgruppen germ, -änh-, -ïnh-, -ünh- schwindet der Nasal, zunächst unter Nasalierung des vorausgehenden Vokals. Die Vokale erscheinen sowohl im Got. wie im As. und Ahd. dann als entnasalierte Längen ä, i, ü. Der Lautwandel ist jünger als die Umformung von germ, e zu i vor Nas. + Kons. (§ 12, a), da so entstandenes -ïnh- an der Lautentwicklung teilnimmt. germ. *bränht- (Praeteritalstamm zu bringan) : got. as. ahd. brähta 'brachte'. germ. *pñnht- (Praeteritalstamm zu * pankjan) : got. pähta, as. thähta, ahd. dähta 'dachte'. germ. *pïnhan- : got. peihan, as. thîhan, ahd. dïhan 'gedeihen', germ. *puriht- (Praeteritalstamm zu punk jan) : got. puhta, as. thühta, ahd. dühta 'dünkte'. b) Idg. Länge vor Nas. bzw. Liq. + Kons, verfällt bereits vorgerm. der Kürzung, vgl. ahd. wint 'Wind' < germ. *uindaz < vorgerm. *uentos (vgl. lat. ventus) gegenüber aind. vänt- 'wehend' (< idg. *uë-nt-) und ahd. wäen 'wehen' (Wurzel idg. *jtè). ahd. fersana 'Ferse' < germ. *fersnä : aind. pärsnify < idg. *përsni-. 3. S o n d e r e r s c h e i n u n g e n des g o t i s c h e n V o k a l i s m u s § 14. Germ, e erscheint im Got. stets als i, sofern nicht r, h, h folgen, vor denen e (geschr. ai) gilt. Germ, i erscheint im Got. vor r, h, hr als e (geschr. ai). Damit erscheinen germ, e und i im Got. einheitlich vor r, h, hr als ai, sonst als i. ahd. gëban : got. giban; as. ëtan, ahd. ë^an : got. itan 'essen', as. wërpan, ahd. wërfan : got.waírpan 'werfen'; as. ahd. sëhan : got. saíhtan 'sehen'. ahd. gizigan Part. Prät. zu ahd. zihan 'zeihen' : got. gataihans : gateihan. idg. *uiros (lat. vir) : got. wair 'Mann'. § 15. Germ, u erscheint im Got. vor r, h, h als o (geschr. aú). as. tugun, ahd. zugum : got. taúhum 'wir zogen', as. ahd. burg 'fester Ort, Burg' : got. baúrgs 'Stadt'. § 16. germ. ë1 und ê2 fallen im Gotischen zu einem engen ë-Laut zusammen, der in der gotischen Bibel z. T. als ï erscheint. germ, ëj erscheint im Got. als ài, germ. *sêjan- 'säen' (vgl. lit. séju 'ich säe') : got. saian (vgl. ahd. säjan, säen mit â nach § 21).
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Vokalismus
germ. *uëjan- 'wehen' (lit. víjas 'Wind') : got. waian (vgl. ahd. wäjan, wäen mit ä nach § 21). Schreibungen wie saijip 'er sät' 2. Kor. 9, 6 weisen auf eine Aussprache ai). § 17. germ, öw erscheint im Got. vor folgendem Vokal als du, vor folgendem j als ö : got. taui 'Tat' gen. tojis Wortstamm *töwja- (aber got. tanjan 'machen' prt. tawiia Wortstamm *tawj-). got. stojan 'beurteilen' Prt. stauida; staua F. Gericht, statuì Μη 'Richter', vgl. ahd. stouwen 'anklagen'. Der gleiche Lautwandel dürfte auch in got. bauan 'wohnen', trauan 'trauen', bnauan 'zerreiben' vorliegen, denen dann aschwed. bòa, tróa, gnóa entsprächen, während ahd. bü(w)an, trü(w)an, nüan, aisl. búa, trúa, gnúa dazu im Ablaut stünden, germ, eu erscheint im Got. stets als tu. germ. Teuto-burgiensis saltus : got. piuda 'Volk'. 4. Vorahd. und ahd. Vokalveränderungen § 18. germ, ë kann vor u der folgenden Silbe als i erscheinen : idg. *pëlu > germ. *fëlu : as. ahd. filu 'viel'; idg. *ghëbhô > germ. *gëbô > *gëbu : as. gibu, ahd. gibu (so stets bei der 1. sg. ind. prs. der st. Vba 3.-5. Ablautsreihe). Daneben stehen freilich nicht selten Wörter, die diesen Lautwandel nicht kennen: ahd. ëbur 'Eber'; nëbul 'Nebel'; ërnust 'Kampf, Ernst'; swëhur 'Schwäher' usw., ohne daß sich eine lautgesetzliche Erklärung böte. Fälle wie ahd. fëhu neben fihu 'Vieh' deuten sich aus dem Wechsel des folgenden Vokals im Flexionsparadigma. Folgerichtig schreibt Otfried neben dem nom. acc. fihu den gen. fëhes (der dat. wäre also *fëhe). Nach solchen Fällen ist der Nom. sg. fëhu rückgebildet. Der Wandel fehlt stets bei den Verbalabstrakta auf -unga: ahd. nëmunga, wërfunga, gëbunga, weil das Suffix -unga erst nach dem Wirken dieses Lautwandels produktiv wurde. Sonst erscheint germ, ë im As. und Ahd. als offener e-Laut (Schreibung ë). § 19. germ. ï kann vor a, e, o der folgenden Silbe als as., ahd. ë erscheinen; der Wandel liegt so früh, daß auch später geschwundene Vokale der Endsilben (vgl. § 55, 1 u. 2) den Lautwandel verursachten. Das so entstehende ëist offenes ë und fällt mit ë = germ, ë zusammen, idg. *uiros (lat. vir) germ. *uiraz : as. ahd. wër 'Mann'. Aus germ. *stig- im Ablaut zu ahd. silgan 'steigen' stammen ahd. stëg 'Steg', stëgôn 'steigen'.
Vorahd.-Ahd. Vokale §§ 17-22
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In anderen Fällen ist dieser Lautwandel nicht eingetreten, ohne daß sich Gründe dafür bieten: ahd. Minen 'lehnen', wisa 'Wiese', skidön 'unterscheiden'. § 20. germ, w kann vor a, e, o der folgenden Silbe als ahd. δ erscheinen, sofern nicht Nas. + Kons, dazwischen stehen; auch einfacher Nasal kann hemmend wirken. Der Lautwandel kann durch a, e, o in auslautenden Silben verursacht werden, die später schwanden (vgl. § 55, 1 u. 2). Auch im As. ist der gleiche Wandel zu beobachten, doch ist die Zahl der Ausnahmen nicht gering. germ. *iü1ca, got. juk 'Joch' : ahd. joh\ aber as. juk-ruoda. germ. *gülpa, got. gulp 'Gold' : as. ahd. gold, aber guldïn 'golden', ahd. gizogan 'gezogen', aber zugum 'wir zogen'. Vor Nas. + Kons. : got. hunds 'Hund' : as. hund, ahd. hunt ; got .bruniva 'Brunnen' : as., ahd. brunna. Vor einfachem Nasal: as. ahd. fruma 'Nutzen'; sumar 'Sommer'. Entsprechend dem Wechsel des Endungsvokals ist im nominalen Paradigma ein Wechsel ujo beim Stammvokal möglich: ahd. loh : pl. luhhir\ ahd. got 'Gott' : dat. pl. abcudum. Doch ist in der Regel bereits im Ahd. ein Ausgleich eingetreten derart, daß nach dem Nom. sg. die i- und uStämme ein u, die o- und ä-Stämme ein o des Stammvokals kennen. Häufiger sind Verschiedenheiten zwischen Grundwort und alter Ableitung; sie bleiben teilweise bestehen : vgl. ahd. hold 'hold' : huldi 'Huld' ; ahd. fol 'voll' : ahd. fuUï 'Fülle, füllen 'füllen'; ahd. dorren 'verdorren' : ahd. durri 'dürr'. Teilweise tritt Ausgleich ein: ahd. got 'Gott' : gutinna, gotinna 'Göttin'; ahd. bok 'Bock' : buckili, bockili 'Böcklein'..Auf diese Weise wird o über seinen Kreis hinaus häufig. Die Praeterita ahd. onda 'ich gönnte', konda 'ich konnte' zeigen trotz folgendem Nasal -f- Kons. ahd. o, wohl analogisch zu anderen Praeterita der Praeterito-Praesentia wie mohta, skolta, dorfta. § 21. geim. ëj erscheint im As. und Ahd. als ä und fällt lautlich mit dem aus *-änh- entstandenen ä zusammen. Für das Alemannische belegen schon die Personennamen des 4. Jhs. bei Ammianus Marcellinus diesen Lautwandel (Chnodomarius, Vadomarius), im Fränkischen erscheint ä erst in den PN. des ausgehenden 6. Jhs. germ. Segimërus : ahd. Sigimär; vgl. got. mërjan 'verkünden' : as. mârían, ahd. mären. § 22. germ. ë2 erscheint im Fränkischen und Alemannischen des 8. Jhs. anfangs als ë, dann als ea; im 9. Jh. setzt sich auf dem ganzen ahd. Gebiet die Lautung ia durch, das in der 2. Hälfte des Jhs. von ie abgelöst wird, das bis ins Mhd. bleibt.
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Vokalismus
got. her 'hier' : ahd. hear, Mar, hier. got. fera 'Seite' : ahd. fera, feara, fiara. § 23. Germ, δ unterliegt im Ahd. der Diphthongierung. Sie beginnt im Rheinfränkischen um die Mitte des 8. Jhs. als uo neben seltenerem ita, ihm schließt sich das Mittel- und Niederfränkische an, zuletzt folgt auch das Ostfränkische. Das Südfränkische zeigt anfangs ua, bis sich um 900 uo durchsetzt. Im Alem. beginnt die Diphthongierung in der 2. Hälfte des 8. Jhs. als oa, das im 9. Jh. von ua verdrängt wird, bis um 900 uo herrscht. Im Bair. bleibt ö noch im 9. Jh. häufig, bis in der zweiten Hälfte des 9. Jhs. uo vordringt. got. brôpar, as. brödar 'Bruder' : ahd. bruoàer. got. sôkjan, as. sôkian 'suchen' : ahd. suohhen. lat. scola : ahd. skuola 'Schule'. § 24. germ, ai wird im As. stets zu è monophthongiert; im Ahd. erscheint ein urspr. offenes è (ältere Schreibung ae) nur vor germ, h, vor w und r (gleichgültig ob germ, r oder z,vgl. § 78, 4). Der Lautwandel ist seit dem 7. Jh. bezeugt und stellt wohl eine von Norden nach Süden greifende Lautbewegung dar. Da dieses é offen war, fiel es nicht mit germ. ê 2 zusammen, wurde aber im Laufe der ahd. Zeit zu geschlossenem ê. got. aihts 'Besitz' : ahd. eht. got. air 'früher' : as. ahd. êr. got. aiz 'Erz' : as. ahd. êr. got. saiwala 'Seele' : ahd. sëula, sëla, as. sëola. In allen anderen Fällen wird germ, ai mit dem Ende des 8. Jhs. zu ahd. ei : got. stains : ahd. stein. § 25. germ, au wird im As. stets zu ö monophthongiert; im Ahd. erscheint δ nur vor allen Dentalen (d, t, z, j , s, n, r, l) und germ. h. Der Übergang kündigt sich im frühen 8. Jh. durch die Schreibung ao an, für das die fränkischen und alemannischen Literaturdenkmäler schon durchgängig ö schreiben, während die bairischen bis in den Anfang des 9. Jhs. hinein noch die Schreibung ao kennen. Der so entstehende öLaut war offen und fiel daher nicht mit germ, δ zusammen, got. tauh 'er zog' : ahd. zöh. got. clausus 'Tod' : ahd. töd. got. audaqs 'selig' : ahd. ötag 'reich', got. stautan 'stoßen' : ahd. stö^an. got. laus 'los' : ahd. lös. got. laun 'Lohn' : ahd. lön. got. auso 'Ohr' : ahd. óra (germ. ζ).
Vorahd.-Ahd. Vokale §§ 23-27
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In allen anderen Fällen bleibt ahd. au, das im 9. Jh. ou weicht : got. galaubjan 'glauben' : ahd. gilouben. § 26. germ, eu erscheint im As. wie in den fränk. Denkmälern des Ahd. vor i, l, j, u der folgenden Silbe als tu, vor a, e, o der folgenden Silbe als eo, jünger als io. Der Diphthong zeigt also vor i, u die gleiche Entwicklung wie germ, e vor i, u (vgl. § 12b; 18), vor a, e, o die gleiche Entwicklung wie germ, u vor den gleichen Vokalen (vgl. § 20); auch hier kann der Lautwandel durch Vokale verursacht sein, die in historischer Zeit bereits geschwunden sind. In den alem. und bair. Denkmälern hat der Wandel von eu zu eo, io nur statt, wenn vor dem a, e, o der folgenden Silbe ein Dental oder germ. h steht. got. biudan 'bieten', binda 'ich biete', biudis 'du bietest', as. biodan biudu biudis ahd. biotan biutu biutis got. liuhap 'Licht' : as. ahd. lioht, aber as. liuktjan, ahd. liukten 'leuchten'. got. siuks 'siech' : as. siok, ahd. frk. sioh (aber siuhï 'Seuche'), alem. bair. siuh (und siuhi). got. Mugan 'lügen' ; as. ahd. frk. liogan, liugu, liugis ; alem. bair. liugan, liugu, liugis. got. Hufs 'lieb' : as. liob, ahd. frk. Hob; alem. bair. liup. Diese Trennung der ahd. Mundarten wird im 10. J h . auf weiten Strekken des alem.-bair. Gebietes zugunsten der fränkischen Lautgebung ausgeglichen. Wo innerhalb der Nominalflexion der wechselnde Endvokal ein Schwanken zwischen io und iu hervorrufen sollte, ist Ausgleich zugunsten des Nom. sg. erfolgt: ahd. diota 'Volk' : dat. sg. diotu. Ahd. eo wird in der ersten Hälfte des 9. Jhs. von io abgelöst; ihm folgt im 10. Jh. ie\ damit fällt der Laut mit ie aus germ. ë 2 zusammen (vgl. §22). Ahd. iu hat etwa im 10. Jh. den Lautwert w angenommen. Es fällt dadurch mit dem durch i-Umlaut aus ü entstandenen w zusammen (vgl. § 30, 7). § 27. Ahd. eo, io, ie in Wörtern wie ahd. knëo, knio 'Knie', dëo, dio 'Dienerin' ist aus germ, ey, entstanden (vgl. § 136). Ahd. iu in Wörtern wie triuwi 'treu', triuwa 'Treue', hriuwan 'reuen', kiuwan 'kauen', bliuwan 'schlagen' ist aus germ, euy, entstanden (vgl. § 137). Hier hält sich auch vor folgendem a stets iu, wohl weil zur Zeit der Entwicklung eu > eo hier noch euy, Gültigkeit hatte.
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Vokalismus
§ 28. Der i-Umlaut. Der i-Umlaut wird durch i, l, j der folgenden Silbe verursacht, denen sich der Vokal der vorausgehenden Silbe annähert. Dabei bewirken nur solche i-Laute Umlaut, die im ältesten Ahd. noch vorhanden sind, nicht aber bereits vorliterarisch geschwundene (vgl. § 55, 4b). Der Umlaut wird in zwei Etappen erkennbar : 1. der sog. primäre i-Umlaut: germ, a > e, d. h. geschlossener e-Laut, der sich bis in mhd. Zeit hinein in vielen Mundarten klar von ë = germ, e unterscheidet. E r wird um die Mitte des 8. Jhs. bereits in der Schreibung erkennbar; nur die ältesten Glossen kennen noch unumgelautete Formen. Mit dem 9. J h . ist dieser Umlaut auf ahd. Gebiet allgemein. 2. der sog. sekundäre i-Umlaut. Er umfaßt die übrigen Vokale mit Ausnahme von solchen, die selbst ein i enthalten wie i (vgl. § 12b) ï, ie, ei. Er wird nur in einigen Fällen gegen Ausgang der ahd. Zeit graphisch sichtbar, in der Regel aber erst in frühmhd. Zeit ; daher gilt er gemeinhin als Kennzeichen des Mhd. Trotz dieser zeitlich verschiedenen Bezeugung darf man in den beiden Umlautserscheinungen einen einheitlichen Sprachvorgang sehen. Darauf weist nicht nur die Tatsache, daß beide von den gleichen Lauten ausgelöst werden, sondern auch, daß ahd. j nach Konsonant schon zu Anfang des 9. Jhs. schwindet (vgl. § 132), daß i im Auslaut nur im alemannischen Bereich die ahd. Zeit überdauert, sonst aber schon in spätahd. Zeit zu -e geworden ist (vgl. § 62). Da aber in beiden Fällen primärer wie sekundärer Umlaut ausgelöst wird, muß sich der i-Umlaut als Ganzes schon im 8. J h . angebahnt haben. Die ahd. Zeit drückt nur den Wandel a > e graphisch aus, findet aber erst langsam die Möglichkeit die anderen Umlautsvokale wiederzugeben. Uberhaupt bleibt die Schreibung der Umlautsvokale auch in der mhd. Überlieferung oft ungenau, ja nicht selten wird der Umlaut in den Handschriften nicht eigens bezeichnet. § 29. Der primäre Umlaut. Germ, a erscheint als ahd. e vor i, i, j der folgenden Silbe. Got. ahina 'Elle' : ahd. elina ; ahd. kraft 'Kraft' : kreftïg 'kräftig'; ahd. lamb 'Lamm' : pl. lembir; ahd. farv 'ich fahre' : ahd. feris 'du fährst'; Umlaut in Lehnwörtern: lat. catena Kette, vulgärlat. catina : ahd. ketina; vulgärlat. calicem : ahd. kelih 'Kelch'. Ein i der dritten Silbe kann Umlaut bewirken, wenn der Vokal der zweiten Silbe ihm angeglichen wird. Der Vorgang ist aber im Ahd. noch nicht ganz durchgedrungen. So heißt es etwa stets: ahd. /remidi 'fremd' (Glossenbeleg vor dem Umlaut framadi) ; ahd. hemidi 'Hemd'; ahd. edili 'edel' (zu ahd. adal 'Adel'); ahd. aphul 'Apfel' : pl. ephili. Daneben aber auch ohne Umlaut: ahd. zaharí, zahiri 'Zähre', magadi, magedi 'Jungfrau', fravali, fravili 'kühn'.
i-Umlaut §§ 28-30
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Der primäre Umlaut wird verhindert: a) auf dem gesamten ahd. Sprachgebiet 1. durch die Lautgruppen ht, hs : ahd. makt 'Macht' : pl. mahti, dazu Adj. mahtîg 'mächtig', ahd. wahsan 'wachsen' : 3. sg. wahsit. 2. durch die Lautgruppen Kons. + w, die jedoch ahd. oft durch Sproßvokale von einander getrennt erscheinen (vgl. § 61) : ahd. garwen, garateen (< *garwjan) 'bereiten'; ahd. skatwen, skatawen 'beschatten', Part. Prt. biskatwit. 3. Die Flexionsendung -iu im Nom. sg. Fem. und Nom.-Acc. Neutr. hat in der Regel keinen Umlaut bewirkt: ahd. langiu, starkiu; nur zu al 'jeder' heißt es fränk. elliu, eUu, im Alem. u. Bair. aber in der Regel alliu, selten elliu. b) Umlaut der fränk. Mundarten steht Umlautlosigkeit im Alem. und Bair. gegenüber 1. vor l + Kons. ahd. haltan : 3. sg. haltit, aber fränk. heltit; ahd. alt 'alt' : Komp. altiro, aber fränk. eltiro ; Sup. altisto, aber fränk. eltisto. Vor r + Kons, fehlt der Umlaut regelmäßig im Bair., während fürs Alem. sowohl umgelautete wie unumgelautete Formen bezeugt sind: fränk., alem. wermen 'wärmen' : alem., bair. warmen-, fränk., alem. merren 'hindern' : alem. bair. marren. 2. vor ahd. Ah (ch): ahd. sahhan 'streiten' : 2. sg. fränk. sehhis : alem. bair. sahhis. 3. vor germ, h fehlt in alem. u. bair. Denkmälern oft der Umlaut, während ihn die fränk. regelmäßig zeigen: ahd. fränk. ehir 'Ahre' : alem. bair. auch ahir. Durch Systemzwang wird der Umlaut in einigen Fällen innerhalb der Flexion wieder ausgemerzt, so etwa im gen. dat. der mask. n-Stämme: ahd. hano 'Hahn' : gen. dat. älter henin, jünger hanin. § 30. Der sekundäre Umlaut wird wie der primäre durch i, %, j der folgenden Silbe ausgelöst. Da er in der Regel erst frühmhd. graphisch sichtbar wird, sind die umlautswirkenden i, ï bereits zu e abgeschwächt (vgl. § 62), j der Nebensilben geschwunden (vgl. § 132). Die den Umlaut verursachenden i-Laute sind also aus dem mhd. Sprachstand nicht mehr zu erkennen, sind auch seit dem Ausgang der ahd. Zeit nicht mehr als i-Laute vorhanden. Das zwingt zu der Annahme, daß die umgelauteten Vokale sich schon in ahd. Zeit von den unumgelauteten in der Lautfärbung unterschieden, wenn vielleicht auch der Unterschied zwischen beiden noch nicht so ausgeprägt war wie in der mhd. Zeit. Der sekundäre i-Umlaut erscheint 1. bei Λ in solchen Fällen, die in ahd. Zeit nicht vom primären i-Umlaut erfaßt wurden. Die Schreibung kennzeichnet den Lautwandel erst in
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Vokalismus
frühmhd. Zeit. Die Färbung des so entstellenden e-Lautes ist mundartlich verschieden. Im allgemeinen ist er fürs Alemannische und Bairische als sehr offen anzusetzen, während er in mitteldeutschem Gebiet weniger offen ist, aber doch von dem geschlossenen e des primären i-Umlauts geschieden bleibt, weitgehend aber mit ë zusammenfällt. Die Schreibungen der Handschriften variieren daher zwischen &, ä und e; die grammatische Darstellung schreibt einheitlich ä. Im Gesamtbereich der hochdeutschen Sprache erscheint der sekundäre Umlaut bei a a) vor den Lautgruppen ht, hs : mhd. maht 'Macht' : pl. mähte, Adj. mähtec. mhd. wahsen : 3. sg. wüchset. b) vor der Lautgruppe rw : ahd. garwen 'bereiten' : mhd. gärwen. c) in Formen, wo das umlautswirkende i in dritter Silbe stand: ahd. magadi : mhd. mägede; ahd. fravali : mhd. frävele; ahd. aruzi : mhd. ärze. d) öfters auch vor -tu als Endung des Nom. sg. Fem. und Nom.-Acc. Neutr. ahd. ganziu : mhd. gänzin. Ebs. alem.-bair. älliu für ahd. alliu neben fränk. elliu. Auf alem.-bair. Boden dringt der sekundäre Umlaut ebenfalls über die hemmenden Konsonantengruppen vor. So erscheint er a) vor r + Kons., I + Kons.;mhd. märhe 'Stute' zu marh 'Roß'; mhd. ivälhisch, wälsch 'welsch' (ahd. wal(a)hisk). Daneben steht eine geringe Zahl von Fällen, in denen sich Umlaut nicht nachweisen läßt: mhd. einfalte 'Einfalt', drïfalte 'Dreifaltigkeit' ; mhd. arte als gen. dat. sg. zu art 'Ait'. In diesen Fällen fehlt auch dem Nhd. der Umlaut. b) vor germ, h: ahd. ahir 'Ahre' : mhd. ähir. c) vor germ, k = ch: ahd. hachul, *hachil 'Hechel' : mhd. hächel. 2. ahd. ë kann unter den Bedingungen des sekundären i-Umlauts als e erscheinen. Die Beispiele sind indes selten, da germ, bereits ë vor i, ï, j zu i geworden war (vgl. § 12 b). Es kommen daher aus dem ererbten Wortschatz nur solche Fälle in Betracht, wo ë vor i analogisch erhalten geblieben war: ahd. sëhsi, flektierte Form des Zahlwortes sëhs 6 : mhd. sehst, wonach auch sehs, sehste, aber sëhzehen, sëhzec· mhd. ledec' ledig' (mit e < germ. i). Ferner läßt sich die Erscheinung in Lehnwörtern beobachten: mhd. belliz, beiz 'Pelz' aus mlat. petticia (vestís); mhd. venster aus einem *fenistra, lat. fenestra. 3. ahd. ö kann nur in solchen Fällen umgelautet werden, wo es analogisch statt des sonst vor i, ï, j zu erwartende ü (vgl. § 20) eingetreten ist, ferner in Neubildungen und in Lehnwörtern: mhd. horn : pl. hörner·, mhd. got : götinne (neben gütinne, ahd. gutinna); möhte, dürfte als 1. 3. Sg. Opt. Prät. nach dem Ind. mohte, dorfte; mhd. hof 'Hof', dazu adj.
i-Umlaut § 30
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Neubildung hövesch 'höfisch', daneben die ältere Bildung hübesch. Als Lehnwörter vgl. mhd. öle 'öl', mhd. sölre 'Söller'. 4. ahd. u > ü. Die Ansätze einer Kennzeichnung des Umlautes reichen schon ins Spätahd. ahd. kunni 'Geschlecht' : mhd. künne; ahd. sunt(i)a 'Sünde' : mhd. siinde; ahd. turi 'Tür' : mhd. tiir; ferner alte jan-Verben wie mhd. spürn 'spüren', hügen 'denken'; 1. 3. Opt. Prät. ahd. zugi : mhd. züge. Gehemmt wird der Umlaut in der Regel von den Lautgruppen It, Id: vgl. mhd. dulten, gedvltec, mhd. schiddec; hulde 'Huld'; doch daneben auch güldln 'golden' neben guiditi, giilte 'Zahlung' neben gulte. Im Obd. verhindern den Umlaut außerdem gg/ck; pf, tz: vgl. brugge 'Brücke* (vgl. Innsbruck : Osnabrück) ; rugge 'Rücken' ; drucken 'drücken' ; hupfen 'hüpfen'; nutze 'nützlich', nutzen 'nützen'. Oft hindert auch die Gruppe Nas. + Kons., auch einfacher Nasal: so umnne, künde, dunken, umbe neben wünne 'Wonne', künde 'Kunde', dünken, ümbe 'um' ; vrumen, drumen neben vrümen 'vorwärts schaffen', drümen 'zertrümmern'. 5. ahd. ä > se. Der im Umlaut entstehende Laut ist im Obd. ein überoffenes ä, während im md. Bereich teilweise ein offener, teilweise ein geschlossener ë-Laut gilt. Seine Schreibung schwankt daher in den Handschriften zwischen ae, â, ä und e ; die grammatische Schreibung ist oe. ahd. 1. 3. Sg. Opt. prt. nämi 'nähme' : mhd. nseme. ahd. swäri 'Schwere' : mhd. swsere ; mhd. här 'Haar' : hserln'&vts Haaren' ; ahd. säen (aus säjan) 'säen' : mhd. sse(j)en. 6. ahd. ö > ce. Der Umlaut erfaßt das aus germ, au entstandene ö: ahd. rôti 'Röte' : mhd. roete ; ahd. röten 'röten' : mhd. rœten ; mhd. hoch : Komparativ hoeher, Superlativ hoehest, ferner hœhe 'Höhe'. 7. ahd. ü > û, geschr. mhd. iu. Die Schreibung rührt daher, daß der ahd. Diphthong iu in einem Teil der Mundarten in spätahd. Zeit den Lautwert M annimmt (vgl. § 26). Dadurch steht in diesem Bereich der spätahd. Zeit eine Schreibungsmöglichkeit für das umgelautete ü zur Verfügung, das daher seit dem 10. Jh. vereinzelt so geschrieben wird, so etwa bei Notker. Eine andere Schreibung der spätahd. Zeit schreibt w durch ui, so oft Williram. ahd. mhd. hüt 'Haut' : pl. älter hüti, Notker und mhd. Mute. ahd. mhd. lût 'Laut' : mhd. liuten 'tönen'. Im Obd. wird der Umlaut verhindert durch labiale Konsonanten : vgl. mhd. rümen 'räumen', sumen 'säumen', beides alte jan-Verben. 8. ahd. iu. Wo der aus germ, eu entstandene Diphthong iu nicht zu M monophthongiert wurde, sondern als Diphthong bestehen blieb (bes. im Schwab., Bair., Moselfränk., Hess, und Nordthüringischen),tritt Umlaut zu û ein: ahd. liuti : mhd. Hute (sprich Iute) ; ahd. diutisk : mhd. tiutsch 'deutsch' ; mhd. liuhten 'leuchten', altes jan-Verb. Gehindert wird
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Vokalismus
der Umlaut durch w und r : also mit altem Diphthong mhd. triuwe 'Treue', tiure 'teuer'. 9. ahd. ou > mhd. öu: mhd. loup 'Laub' : pl. lövher-, ahd. loufit 'er läuft' : mhd. löufet. Der Umlaut unterbleibt stets vor w: mhd. frouwe 'Frau', ouwe 'Au' (über Fälle wie mhd. gouwe : göuwe vgl. § 137). Im Obd. wird er von folgendem Labial verhindert, auch von gg; md. entsprechen umgelautete Formen: mhd. houbet 'Haupt'; gelouben 'glauben'; toufen 'taufen'; troumen 'träumen'; gouggeln 'gaukeln'; lougenen (mit altem gg) 'leugnen'. 10. ahd. uo > mhd. üe : ahd. truogi, 1. 3. Sg. Opt. prt. zu tragan 'tragen' : mhd. trüege; mhd. füeren 'führen', altes jan-Verb; zu mhd. gluot 'Glut' vgl. glüejen 'glühen'. Der Umlaut unterbleibt wohl wegen des folgenden ch in den alten jan-Verben suochen 'suchen', mochen 'bedacht sein'; neben Heben 'üben' steht uoben. § 31. Bestimmte Formen der Flexion und gewisse Suffixe mit i, ï, j ziehen bei einsilbigen Wortstämmen in regulärer Lautentwicklung den Umlaut nach sich. Daraus entwickelt sich ein analogisches Übergreifen des Umlauts auf Fälle, in denen er lautgesetzlich nicht begründet ist, d. h. auf Bildungen, die ihrem Alter nach jünger sind als die Wirkungszeit des Umlauts. Der Umlaut ist in solchen Fällen oft als typisch für eine Formenkategorie, einen Bildungstypus empfunden und erweitert auf diese Weise noch in nhd. Zeit seinen Bereich. Als typische Fälle seien genannt : 1. Der Plural maskuliner und neutraler Nomina. a) Der Plural der mask. i-Stämme zeigt schon ahd. Umlaut: ahd. gast : gesti. Durch den Zusammenfall der maskulinen i- und o-Deklination in mhd. Zeit (vgl. § 169) beginnt der Umlaut auf die urspr. umlautslosen Plurale der a-Stämme überzugreifen ; so schon mhd. : vgl. ahd. stab 'Stab' pl. staba : mhd. pi. stabe, stöbe; gleichartige mhd. Plurale sind: halme : hälme 'Halme'; sarke, särke 'Särge'; mit erst nhd. Umlaut gehören hierher: Höfe, Frösche, Hüte. Der Umlaut wird nhd. gern dort gesetzt, wo das Schwinden der Endung den Nom. Acc. pl. dem Nom. Acc. sg. gleichmachte: Acker : Äcker; Vater : Väter, wonach analogisch die Feminina Mutter : Mütter, Tochter : Töchter-, weiter Garten : Gärten, Graben : Gräben, Boden : Böden, Vogel : Vögel, Mantel : Mäntel usw. Die Mundarten gehen zum Teil im pluralischen Gebrauch des Umlautes noch wesentlich weiter. b) Im Neutrum galt ursprünglich bei alten -s-Stämmen der Plural auf -ir (vgl. § 144), der im ahd. bereits den primären Umlaut nach sich zieht: ahd. lamb : lembir. Mit dem Ausgreifen der Endung mhd. -er auch auf neutrale a-Stämme wuchert auch der Umlaut weiter, weil er als fest mit dieser Pluralform empfunden wird; so mhd. bat 'Bad' : bäder;
i-Umlaut §§ 30-31
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buoch 'Buch' : büecher; do-f : dörfer; houbet : höubter; genauso bei erst nhd. Ausgreifen: Fach : Fächer·, Schloß : Schlösser. Im Nhd. dringt die Endung -er samt dem Umlaut auch in die maskuline Flexion vor, so Rand : Ränder-, Wald : Wälder; Vormund : Vormünder·, Strauch : Sträucher; Wurm : Würmer usw. 2. Analogisches Ausgreifen und Eindämmen des Umlautes ist auch bei einer ganzen Reihe von Wortbildungstypen zu beobachten. Der Tendenz zu analogischer Erweiterung steht hier in einer Reihe von Fällen die Tendenz entgegen, die Ableitung in ihrem Vokalismus möglichst nahe beim Grundwort zu belassen. Hier seien als Beispiele genannt: a) Die Deminutiva auf ahd. (i)li(n): nhd. -lein. ahd. -ili vernachlässigt in der Regel den Umlaut um der engeren Bindung an das Grundwort willen: ahd. lant : lantilï 'agellus'; lamb : lampill 'Lämmlein'; tal : talilï 'Tälchen'. Im Mhd. schwanken die Belege, umgelautete und unumgelautete Formen stehen nebeneinander: mhd. sun 'Sohn' : sunlln, sünlin\ dabei greift der Umlaut auch über eine zweite Silbe hinweg: tohter : tohterlin, töhterlin; houbet : houbetlin, höubetlln; vogel : vogelin, vögelin. In der nhd. Schriftsprache ist er fast allenthalben fest mit der Verkleinerungsform verbunden. In ähnlicher Weise dringt auch bei (i)chin, nhd. -chen der Umlaut vor, wo er in der nhd. Schriftsprache sehr weite Verbreitung gefunden hat: Häkchen, Röllchen, Hütchen, Häutchen, Äckerchen, Väterchen usw. b) Bei den Abstrakta auf ahd. -nissi, -nissa fehlt im Ahd. in der Regel der Umlaut: ahd. forstantnissi 'Verständnis', irwartnissi 'Beschädigung', antfancnissa 'assumptio'. Im Mhd. überwiegen, soweit die Belege zu übersehen sind, in frühmhd. Zeit wie im Bereich der Literatur der Blütezeit die Formen ohne Umlaut, während mit dem 14. Jh. die umgelauteten Formen zunehmen: mhd. gevancnisse, geväncnisse; erkantnisse, erkentnisse usw. In der nhd. Schriftsprache ist der Umlaut sehr weit verbreitet, auch in Fällen, in denen das Wort mhd. nicht zu belegen ist: Bündnis, Bedrängnis, Ärgernis, Gelöbnis, Vermächtnis, Erträgnis. Die umlautslosen Bildungen sind in der Minderzahl: Erfordernis, Befugnis, Besorgnis, Wagnis. Wie weit das vor allem im älteren Obd. verbreitete Suffix -nuss(e), -nüss(e) das Unterbleiben des Umlauts beeinflußt hat, muß dahingestellt bleiben, doch zeigen die bis ins 18. Jh. literarisch weiterlebenden Formen oft genug auch bei -nuss, -nüss den Umlaut: Gefängnuss, Gedächtnuss, Bedrängnüss, Betrübnüss. c) Die Bildungen auf -ling bleiben im Ahd. in der Regel ohne Umlaut : ahd. gatiling 'Vetter', kamarling 'Kämmerling', sarling 'Soldat'. Wieder nimmt der Umlaut im Mhd. langsam zu, vgl. vündelinc 'Findelkind', griuslinc 'wer Grausen erregt', sperlinc 'Sperling', daneben kumelinc, komelinc '(An-)Kömmling', hungerlinc 'Hungerleider', uzwurfelinc 'Verworfener'. Die Schriftsprache zeigt auch bei jüngeren Wörtern eine starke
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Vokalismus
Neigung zum Umlaut: Dümmling, Flüchtling, Hänfling, Häuptling, Säugling, Ankömmling, Wüstling (aber daneben etwa Sonderling, Rohling). d) Die Bildungen auf ahd. -ari, mhd. -ere konnten mhd. dort Umlaut zeigen, wo das Suffix unmittelbar an die Stammsilbe trat. Hier neigt vor allem der md. Sprachbereich dem Umlaut zu, während der obd. die umlautslose Form bevorzugt, so noch in frühnhd. Zeit. Die nhd. Schriftsprache bietet ein buntes Gemenge von umlautenden und umlautslosen Formen, das zumindest einstweilen nicht in eine Regel zu kleiden ist. Analogisch drang der Umlaut schon im md. Mhd. in Wörter vor, bei denen -er in dritter Silbe stand: mhd. hafener, häfener 'Töpfer' (vgl. die PN Hafner, Häfner), hüebener, huobener 'Inhaber einer Hufe Lands' (vgl. PN Hüh(e)ner), wagener, Wegener 'Wagner' (vgl. PN. Wagner, Wegner) usw. Im allgemeinen sind solche Fälle in der nhd. Schriftsprache ohne Umlaut geblieben: vgl. Zauberer, Gaukler, Sattler, Wagner usw. Analogisch in den Umlaut einbezogen werden zwei Wörter, die gar nicht zu den Bildungen dieser Art gehören, die aber mhd. auf -er auslauten: mhd. korper, körper 'Körper' (Lehnwort aus vulgärlat. corporem), ahd. kustor, mhd. kuster, küster 'Küster'. e) Bei den Adjektivbildungen auf -lieh fehlt der Umlaut im Ahd., im Mhd. setzt er ein, freilich mit sehr starkem Schwanken bis in den individuellen Sprachgebrauch hinein, weil gerade hier die eindeutige Bindung an das Grundwort den Sprecher am Umlaut hindert, andererseits die assoziative Bindung an Vorbilder zum Umlaut führen kann (vgl. etwa für Nhd. den Umlaut täglich : jährlich, wöchentlich, stündlich, minütlich). Oft greift der Umlaut über die zweite Silbe hinweg: mhd. väterlich, brûederlïch, jœmerlîch, ängestllch, aber auch hier ohne Regel. Noch in der älteren nhd. Schriftsprache begegnen in dem Gebrauch des Umlauts deutliche Abweichungen vom jetzt Üblichen: vgl. behaglich, gläublich, sommerlich, vertraulich-, herkömmlich, unerlässlich, nordlich, ostlich, öffentlich (Paul, Dt. Gr. 5, 106). f) Die ahd. Adjektivbildungen auf -lg zeigen bei a des Stammes den primären Umlaut, soweit er nicht durch umlautshindernde Konsonantengruppen gehemmt ist. Im Mhd. ist der sekundäre Umlaut weit verbreitet. Doch wird die mhd. Lautentwicklung durch zwei Momente gestört: einmal fällt das ahd. Suffix -ag mit -ig lautgesetzlich zu mhd. -ec zusam men, so daß in der mhd. Kategorie der Adjektive auf -ec solche mit und ohne Umlaut erscheinen. Zum andern stört die stärkere Anlehnung an das Grundwort das lautgesetzliche Auftreten des Umlauts. Daher erscheinen mhd. alte -«^-Bildungen teils mit, teils ohne Umlaut, teils stehen beide Formen nebeneinander; zum Teil wurde aber der Umlaut analogisch auf alte -«¡/-Bildungen übertragen. Vgl. ahd. nötag : mhd. nötec, ncetec 'nötig' ; ahd. wuotag : mhd. wuotec, wüetec 'wütig' ; ahd.
Mhd.-Nhd. Vokale § 31
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skamag : mhd. schamec, schämet 'schämig'; mhd. ruowec, rüewec 'ruhig'; ahd. dürftig : mhd. durftec, dürftec 'dürftig', ahd. muoyg : mhd. mitotee, müe^ec 'müßig', ahd. giwaltîg : mhd. gewaltec, gewältec 'gewaltig' usw. Die nhd. Verteilung des Umlauts bleibt willkürlich; nicht selten steht neben umlaiitlosem Simplex ein umgelautetes Kompositum : mutig : übermütig, zornmütig ; durstig : blutdürstig ; lustig : wollüstig usw. g) Ähnlich wie bei diesen Adjektiven ist die Situation beim schwachen Verb, wo die ursprünglich umlautenden jan-Verben in mhd. Zeit mit den umlautlosen -δη und en-Verben zusammenfallen. Auch hier hat der Umlaut ins Gebiet umlautsloser Formen übergegriffen und ist andrerseits durch die engere Anlehnung der verbalen Ableitung an das nominale Grundwort zurückgedrängt worden: vgl. ahd. drangön : mhd. drangen, drängen 'drängen' ; ahd. skamön, skamën : mhd. schämen, schämen 'schämen'; ahd. offanön : mhd. offenen, offenen 'öffnen'. Daneben mhd. antvmrten : nhd. antworten nach Antwort; mhd. halsen, halsen 'umhalsen' nach hals; mhd. rasten, rästen 'rasten' nach rast usw.
ΠΙ. K A P I T E L
Die Entwicklung starktoniger Vokale bis zur nhd. Zeit Das Auftreten des sekundären i-Umlautes gewährt im Bereich des betonten Vokalismus eine, wenn auch rohe, Scheidungsmöglichkeit zwischen der ahd. und mhd. Epoche. Zwischen der mhd. und der nhd. Epoche fehlt auch die Möglichkeit einer rohen Scheidung, weil eine Reihe von markanten Lautveränderungen über die übliche Grenzsetzung beider Epochen hinweggreift, in dem einen Mundartgebiet sich noch in mhd., im anderen sich erst in nhd. Zeit vollzieht. Aus diesem Grunde ist es notwendig, die mhd. und die nhd. Epoche in dieser Darstellung zusammenfassend zu behandeln. Naturgemäß werden in dieser Zeit die mundartlichen Verschiedenheiten allenthalben immer deutlicher greifbar. Wir müssen uns dabei hier auf die Darstellung der Hauptcharakteristika beschränken, schon weil eine Übersicht über die Ausformung in allen Mundarten heute in historischer Sicht noch nicht zu geben ist. Die folgende Darstellung behandelt zuerst eine Reihe markanter Lautwandlungen, um dann eine Betrachtung der einzelnen starktonigen Vokale folgen zu lassen.
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Vokalismus
1. Die D i p h t h o n g i e r u n g d e r m h d . L ä n g e n l, ü, ü § 32. In einem großen Teil der hochdeutschen Mundarten werden die mhd. Längen i, ü, ü zu Diphthongen, deren Lautwert in den einzelnen Gebieten zwischen ei, äi-, ou, au; öü, äü schwankt (sog. neuhochdeutsche Diphthongierung). Der Lautwandel wird zuerst im ausgehenden 12. Jahrhundert auf kärntnischem Gebiet graphisch sichtbar; bis zum Ausgange des 13. Jhs. hat er den ganzen bairischen Sprachraum erfaßt. Ihm folgen in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts Böhmen und das südliche Ostfranken, in der zweiten Hälfte das nördliche Ostfranken und Schlesien. Im Laufe des 15. Jhs. schließt sich das Ostthüringische, Obersächsische und Schwäbische an, um die Wende des 15. und 16. Jhs. folgen das Süd- und Rheinfränkische, während das Moselfränkische erst im 16. J h . davon erfaßt wird. Im Norden des alemannischen Gebietes (Niederalemannisch) tritt die Diphthongierung der alten Längen erst im 16. und 17. Jh. in Erscheinung, freilich nur in sehr beschränktem Ausmaß, indem die alten Längen nur im absoluten Auslaut der Einsilbler und inlautend vor Vokal diphthongiert werden, sonst aber erhalten bleiben. Im südlichen Teil des Alemannischen (Hochalemannisch) unterblieb jede Diphthongierung, ebenso in weiten Teilen des Niederhessischen und Thüringischen (etwa zwischen Fulda und Erfurt), ferner im Ripuarischen, die sich so durch die Erhaltung der alten Längen enger zum niederdeutschen Sprachgebiet stellen. Die ursprüngliche Lautung der neu entstandenen Diphthonge war ei, ou, öü, bald aber stellen sich auf dem größten Teil des diphthongierenden Gebietes die Laute äi, ai; au·, eü, äü, aü ein. Lautlicher Zusammenfall dieser neuen Diphthonge mit den alten mhd. ei, ou, öu tritt in den Mundarten selten ein, weil deren lautliche Entwicklung andere Bahnen ging. Von einem echten lautlichen Zusammenfall ist wohl nur im Bair. und Schwäbischen zu sprechen, wo mhd. ou und ω in au, mhd. öu und ü in äü, aü zusammenfallen, während mhd. ϊ als ei, mhd. ei als ai erscheint. Weite md. Gebiete monophthongieren die alten Diphthonge. Anders liegen die Verhältnisse in den Schriftsprachen. Sie nehmen weitgehend von der Monophthongierung der alten Diphthonge der Mundarten keine Notiz, behalten also die alten Diphthonge bei, so daß sich hier von der Schreibung her ein Ausgleich anbahnt. Er wird bei au und äu früher vollzogen als bei ei, wo sich bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein Versuche halten, beide Diphthonge in Gebieten, wo sie verschieden gesprochen wurden, durch verschiedene Schreibungen auseinander zu halten (etwa ei : ey, ei : ai). Luther schreibt entsprechend dem Gebrauch der kursächsischen Kanzlei in der Regel einheitlich den Diphthong ei für mhd. ei und l, au für mhd. ou und ü, eu für mhd. öu und M. Damit entspricht sein Sprach-
Mhd.-Nhd. Vokale §§ 32-33
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gebrauch dem der heutigen Schriftsprache, in der sich die Schreibung ei bei der Normaussprache ai durchgesetzt hat. Das in der nhd. Rechtschreibung seltene ai dient oft nur der graphischen Unterscheidung gleichlautender aber sinnesverschiedener Wörter; dabei ist ai dort gewählt, wo alter Diphthong vorliegt: also mhd. leip : nhd. Laib; mhd. seite : nhd. Saite; aber mhd. lïp : nhd. Leib; mhd. site : nhd. Seite. Bei dem modernen Nebeneinander von eu und äu, das die Orthographie Luthers noch nicht kennt, ist äu überall da gewählt, wo der Zusammenhang mit au klar ersichtlich ist, sonst herrscht überall eu, auch für altes im; vgl. mhd. bongen : nhd. beugen; mhd. löugenen : nhd. leugnen. Altes l blieb bewahrt in nhd. Friedhof, mhd. vrlthof durch Anlehnung an Frieden und ausgehend von nichtdiphthongierenden Mundarten, während in schwäbischen u. bairischen Mundarten die reguläre lautliche Entwicklung Freithof lebendig blieb. Unter Kürzung der alten Länge (vgl. § 36) lebt altes ï als nhd. i fort etwa in dicht, lichten 'in die Höhe heben', Linnen, Wörtern, die nd. Mundarten entstammen. Ebenso lebt altes ü, û in Wortgut aus nd. o. nl. Sprachgebiet weiter, so etwa in Luke, Kruke, Uhr; Hüne, Düne, düster. Wo der alten Länge in Einsilblern r folgt, entwickelt sich nach der Diphthongierung ein Ausgang -er. mhd. lir(e) > Leier; vire > Feier; bür > Bauer; mür > Mauer; tiur > teuer; viur > Feuer. 2. Die M o n o p h t h o n g i e r u n g der m h d . D i p h t h o n g e ie, uo, üe § 33. Die mhd. Diphthonge ie, uo, üe werden in weiten Gebieten des Süd- und Rheinfränkischen, im östl. Ostfränkischen, Böhmischen und den ostmd. Mundarten zu l, ü, û monophthongiert, vgl. mhd. liej : nhd. ließ (mit ie als Längezeichen), mhd. bluot : nhd. Blut, mhd. blüejen : nhd. blühen. Der Zeitpunkt dieser Monophthongierung ist noch nicht eindeutig geklärt, doch dürfte der Vorgang in den westmd. Mundarten schon im 11. und 12. Jh. eingesetzt haben, freilich ohne daß völliger Zusammenfall mit den alten Längen eintrat, da gute Dichter solche Reime meiden und die so entstandenen Längen nicht an der in diesem Gebiet ja späteren Diphthongierung der alten Längen teilnehmen (vgl. § 32). Jünger als diese Monophthongierung ist die Kürzung der Längen vor zweifacher Konsonanz (vgl. § 36), so mhd. lieht : nhd. Licht; mhd. dierne : nhd. Dirne; mhd. gienc : nhd. ging ; vgl. auch nhd. vier, aber mit kurzem i gesprochen trotz der Schreibung mit ie : nhd. Viertel. Ebenso mhd. stuont : nhd. stund ; muoter : Mutter ; muo3 : muß ; gruonmät : Grummet; nüehtern : nüchtern; miieter : Mütter. Bei Luther sind die alten Diphthonge stets als Langvokale gebraucht. Die dem urspr. Diphthongen entstammende Schreibung ie bezeichnet wie im Nhd. die Länge und wird auch für gedehntes mhd. i gebraucht. Über
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Vokalismus
das Nachleben der alten Diphthonge in den nicht zu l, û, û monophthongierenden Mundarten s. §§ 50, 51. 3. R u n d u n g u n d E n t r u n d u n g § 34. A. Unter Rundung versteht man die Neigung, die Vokale e, i, ei unter Rundung der Lippen zu sprechen, so daß ö, ü, eu zustande kommt. Diese Tendenz ist seit der klassischmhd. Zeit öfters unter dem Einfluß umgebender Konsonanten zu spüren, ohne daß bis jetzt die Bedingungen exakt festgelegt,-die Zeitverhältnisse dieses Vorganges in den einzelnen Mundarten eindeutig zu umreißen wären. Mhd. e scheint im Alem. seit Anfang des 13. Jhs., im Schwab, und Ostfrk. seit Anfang und Mitte des 14. Jhs., im Bair. teilweise wohl schon im 13. Jh. zu ö zu werden, vor allem in der Nachbarschaft von w, sch, l und Labialen. Vor allem in frühnhd. Zeit ist die Neigung, ö statt e zu schreiben, sehr weit verbreitet, teilweise eher als modische Erscheinung der Hochsprache denn als echter mundartlicher Sprachstand. Teilweise hält sich diese Rundung bei e bis ins frühe 19. Jh. hinein. In einer Reihe von Fällen ist ö für mhd. e in der nhd. Schriftsprache (nie für ë) festgeworden: so mhd. derren : nhd. dörren-, mhd. vletz 'geebneter Boden' : nhd. Flöz 'Erzgang'; mhd. ergetzen : nhd. ergötzen-, mhd. helle : nhd. Hölle-, mhd. leffel : nhd. Löffel-, mhd. schöpfen : nhd. schöpfen; mhd. swern : nhd. schwören-, mhd. gewenen : nhd. gewöhnen-, mhd. zwelf : nhd. zwölf usw. Seltener erscheint für mhd. ë die Länge δ, über deren Verbreitung nähere Angaben noch ausstehen. Doch erscheint sie in schriftsprachlichem röhren : mhd. rêren, Möwe : mnd. Mêwe. Die Parallelentwicklung von i > ü ist im Frühnhd. nicht selten, hat sich aber nur in einigen Belegen in der Schriftsprache eingebürgert, so etwa in Würde : mhd. wirde; in lügen für mhd. liegen liegt freilich Einfluß des Substantivs Lüge, mhd. lüge vor ; nach lügen wird dann mhd. triegen zu trügen. In anderen Fällen ist beim nhd. Nebeneinander von i und ü alter Ablaut im Spiel, so in Hilfe: Hülfe, giltig: gültig, wirken: würlcen. Volksetymologische Anknüpfung an Sünde liegt der Form Sündflut für Sintflut zugrunde. Auch eu für ei ist vor allem in spätmhd. und frühnhd. Handschriften nicht selten, gleichgültig ob ei aus altem ei oder l stammt; unter Mitwirkung volksetymologischer Bezugsetzung zu leuchten erscheint in der Schriftsprache mhd. ivëterleick als Wetterleuchten. B. Im Gegensatz zur Rundung bezeichnet die Entrundung das Aufgeben der Lippenbeteiligung bei den Vokalen ü, ö, eu, so daß i, e, ei daraus entsteht. Die Erscheinung wird bereits im 12. Jh. in manchen Mundarten graphisch sichtbar, so im Bair., Ostfrk. und Rip., dringt im 13. und 14. Jh. auf alem. und ostmd. Gebiet vor, ohne daß es möglich wäre, die genauen Bedingungen für das Eintreten dieses Lautwandels anzugeben.
Mhd.-Nhd. Vokale §§ 34-35
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In frühnhd. Zeit ist die Erscheinung nicht selten zu beobachten; in einigen Fällen ist sie in der Schriftsprache festgeworden, so etwa in Findling, für das etwa Moser, Wieland und Schlegel noch Fündling schreiben ; Gimpel : mhd. gümpel; Schlingel : frühnhd. Schlüngd; Spritze, dafür noch im 18. J h . oft Sprötze·, schon mhd. steht bimj neben büme3 ahd. pumis (aus lat. pumicem) Bimsstein; mhd. bule3 : nhd. Pilz; mhd. küssen : nhd. Kissen, e für älteres ö etwa in Nerz für älteres Nörz; für eu zu ei vgl. mhd. eröugen'sich vor Augen stellen': nhd. ereignen-, mhd. ströufen : nhd. streifen 'abstreifen' (nicht zu mhd. streifen 'gleiten' ; mhd. slöufe, frühnhd. Schlaufe : Schleife; mhd. kriusel : nhd. Kreisel, wo die Entrundung nach der Diphthongierung des alten w zu äu eingetreten ist (vgl. § 32). § 35. Änderungen der V o k a l q u a n t i t ä t . I. Dehnung a l t e r Kürzen Seit der mhd. Zeit haben die alten Quantitätsverhältnisse sehr einschneidende Veränderungen erfahren. Für alle diese Veränderungen ist es typisch, daß sie sich nur auf solche Vokale erstrecken, die einen Hauptoder Nebenton tragen, während unbetonte Silben davon unberührt bleiben. Sehr starkes Ausmaß hat die Dehnung alter Kürzen angenommen. Wir können hier folgende Vorgänge festlegen : 1. auf Vokal auslautende Einsilbler dehnen unterm Satzton den Vokal schon in ahd. Zeit; noch mhd. stehen in betonter Stellung langvokalische Formen neben den kurzvokalischen in unbetonter Stellung. Hierher gehören etwa bi, aber in Komp. bi-, be- ; jä neben ja ; nü neben nu ; dü neben du; sö neben so. 2. die kurzen Stammsilbenvokale erfahren in ursprünglich offener Silbe Dehnung. Der Vorgang erstreckt sich über das ganze hd. Gebiet mit Ausnahme des Hochalem. Diese Dehnung setzt im Altwestniederfränkischen bereits in ahd. Zeit ein und ist im Mnl. bereits voll durchgeführt. Heinrich von Veldeke kennt bereits die Dehnung dieser Kürzen, aber er reimt sie nicht mit alter Länge, wohl weil beide noch nicht völlig gleich in Qualität oder Quantität sind. Im Laufe des 13. Jhs. erstreckt sich dieser Dehnungsvorgang über den ganzen md. Raum; dabei wird die neue Länge auch mit der alten gereimt. Seit dem 14. Jh. wird sie auf alem. Boden greifbar, unterbleibt aber im Hochalem., Südschwäb. und in einem Teil der südfrk.-pfälz. Mundarten. Die Dehnung ist bei Luther ebenso vorhanden wie in der nhd. Schriftsprache. Im Nhd. nahm durch die Dehnung gelängtes kurzes ë des Mhd. den Lautwert des geschlossenen langen ê an. vgl. mhd. sagen : nhd. sägen; mhd. geben : nhd. geben; mhd. übel : nhd. übel usw.
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Vokalismus
Die Dehnung unterbleibt a) vor sch und vor ch aus germ, k, wohl weil hier z. Zt. des älteren sk resp. hh die Silbe noch geschlossen war. vgl. nhd. Flasche, löschen, Tische, zwischen ; Sache, brechen, Woche. Mundartlich gilt hier Dehnung nur in einem Teil des Mittelfränkischen. b) vor m und t in einem in den einzelnen Mundarten ganz verschiedenen Ausmaß. Durchgehend bleibt die Kürze gewahrt in den westmd. Mundarten und im Ndalem., sehr oft im Südbair. und Obersächsischen, seltener im Ostfrk., Thür., Sehles. und dem Westen des Schwäbischen. Welche Rolle -en, -er, -el als Folgesilben spielen, bedarf noch eingehender Klärung. In der nhd. Schriftsprache stehen hier Fälle mit Dehnung bewahrter Kürze gegenüber, ohne daß eine klare Regel erkennbar wäre. Wo die Kürze bewahrt bleibt, wird die Silbengrenze in das w bzw. t hineingelegt, das daher als Geminate geschrieben wird. Vgl. mit Längung: jäten, waten, nehmen, Name·, daneben Kürze in Stätte, gestatten, Kette, Sitte, Zotte, Schramme, Sammet, kommen, zusammen usw. Sehr häufig ist die Kürze vor den Ableitungssilben -er, -el: vgl. Gatter, Vetter (aber Vater), Gitter, Butter-, Sattel, Vettel, schütteln·, auch bei -en: Schatten, gelitten, gesotten (aber Knoten, geboten)·, für m: vgl. Hammer, Schimmer, Sommer, Schlummer·, Hammel, Himmel, Schimmel, tummeln (aber Schemel). I n einigen Fällen erscheint Kürze auch vor l und n: Eller, Koller-, Donner, Banner-, Füllen. Vor d: Widder, lautmalende Wörter wie die Intensiva buddeln, krabbeln, kribbeln, wabbeln, wibbeln, lallen sind nicht nach dieser Regel zu beurteilen. c) Intervokalisches k und ρ ist nur in Wörtern aus nd. Mundarten oder in Lehnwörtern möglich. Sie zeigen ζ. T. Dehnung, so kapern, Kaper, Stapel, Skrupel, blöken, Höker, Makler, Makel, ζ. T. Kürze mit folgender Geminierung, so jappen, Schoppen, Kuppel, Kruppe, Truppe, Puppe. d) Wo kurzer Vokal vor Doppelkonsonanz zu stehen kommt, die durch Vokalsynkope in zweiter Silbe entstanden ist, stehen in der gesprochenen Hochsprache heute Länge und Kürze nebeneinander, so in Obst, Jagd, gibst, gibt, sagst, sagt usw. 3. Analogisch wird diese Dehnung auch auf solche Einsilbler mit urspr. Kürze in geschlossener Silbe ausgedehnt, bei denen Flexionsformen oder stark anklingende Ableitungen bei Mehrsilbigkeit die Kürze in offener Silbe dehnen. Hier etwa nhd. Tag nach Tage, Tages-, fragst, frägt nach fragen, Frage-, Schäm nach schämen usw. Analog hierzu Kürze mit Verdoppelung von t und m in Gott : Gottes-, Blatt : Blätter-, Bett : Bettes-, fromm : frommen, frommer. I n Fällen wie viel, wohl dürfte die Dehnung wohl aus alter Zweisilbigkeit stammen, vgl. flu, wola. Adverbiell erstarrte Kasusformen zeigen oft noch die alte Kürze: vgl. Weg : aber weg; Flug : aber flugs.
Mhd.-Nhd. Vokale § 35
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4. auf dem ganzen hd. Gebiet wird kurzer Vokal in Einsilblern, die auf -r enden, gedehnt. Die Dehnung ist vereinzelt fürs Rheinfrk. bereits im 9. Jh. greifbar, wird im Bair. im 12., im Alem. im 13. Jh. erwiesen. Hierher gehören die nhd. Längen in er, der, wer, dir, wir, Tor usw., aber auch in urspr. zweisilbigen Wörtern, in denen mhd. -e nach § 65 durch Apokope fiel, so Schar, gar, hehr, mehr, Bär, Gier, vor, Tür. Andere Fälle von Dehnung bei Einsilblern sind analogisch entstanden, vgl. oben 3. die Akkusative den, wen, ihn sind wohl analog zum Dativ dem, wem, ihm gelängt, wo das e in den zweisilbigen Formen déme, w'éme, ime in offener Silbe stand. Über die Diphthongierung dieser Längen in obd. Mundarten s. § 39. Unterschiedliche Quantität zeigt im Nhd. die Vorsilbe ur-, die in Fällen wie uralt, Urahn, Urfehde, Urkunde, Ursache, Ursprung lang, in Urteil aber als Kürze erscheint, das Gleiche bei vor-, wo der regulären Länge in Vorsicht, Vorzug, Vorbild, Vormund, Vorgang usw. Kürze in Vorteil und vorwärts gegenüber steht. 5. auf dem ganzen hd. Gebiet tendiert a und e vor rd, rt zur Dehnung ; sie ist in der nhd. Schriftsprache ziemlich häufig üblich, so etwa in Art, Bart, Gefährte, Herd, Pferd, Erde, Herde, werden, daneben Kürze etwa in vjard, hart, Karte, Garten, Marder, Marter, fertig, Gerte, gewärtig. In Begierde Dehnung analogisch zu Gier (s. o. 4). Andere Vokale bleiben ungedehnt, vgl. irden, irdisch (zu Erde), Hirte (zu Herde). Seltener ist die Dehnung vor rz, rsch, wo neben gedehntem a in Arsch, Harz häufig die Kürze steht, so etwa barsch, verharschen, Karst, barst. Die hier erscheinenden Dehnungen sind z. T. schon in mhd. Zeit greifbar, doch bleibt der Vorgang im einzelnen noch unklar. Es ist jedoch festzustellen, daß manche Mundarten in dieser Dehnung wesentlich weitergegangen sind, so daß z. T. vor r + Kons, jeder Vokal gedehnt erscheint, wie denn auch die Neigung zur Dehnung vor l + Kons, in md., besonders in omd. Mundarten auftritt, daher etwa hd. elend für mhd. çllende, das im Obd. des 16. u. 17. Jhs. noch als eilend erscheint. Nicht eingegangen werden kann hier auf weitere in den Mundarten erscheinende Dehnungen, die ohne stärkeren Einfluß auf die nhd. Hochsprache bleiben. Die hier aufgezeigten Quantitätsveränderungen mußten zu Quantitätsschwankungen innerhalb des Paradigmas führen, die aber in der Regel ausgeglichen wurden. Hierher gehört nicht nur die § 35 Abs. 3 behandelte Dehnung in Fällen wie Weg, Flug u. ä. bzw. der orthographische Ausgleich in Fällen wie Gott, fromm, sondern auch eine Reihe von Erscheinungen beim Verbum. So setzt sich beim schwachen Verb die in Formen wie legen, lege regelrechte Dehnung auch in Formen wie du legst, er legt, legte, gelegt durch. Beim starken Verb gleichen sich die einsilbigen Formen der 2. und 3. sg. ind. prs. der Dehnung dann an, wenn sie nur durch i-Umlaut davon getrennt sind : nach regelrechtem graben : gräbst, gräbt. Wechselt aber e und i im Stammvokal, erscheint in den einsilbigen
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Vokalismus
Formen teils die reguläre Kürze: nehmen, aber nimmst, nimmt-, geben, aber gibst, gibt, teils aber auch analogische Dehnung, so sehen·, siehst, sieht·, lesen: liest, liest-, stehlen: stiehlst, stiehlt. Selten sind Ausgleichungen in den Ableitungen, so ζ. B. lesen : lesbar; angeben : angeblich-, doch fehlt die Analogie in der Regel dort, wo Verschiedenheit der Lautgebung die etymologische Zusammengehörigkeit verdunkelt·, vgl. geloben : Gelübde; tragen : Tracht, trächtig-, schlagen : Schlacht-, wiegen : Gewicht-, geben : Gift-, Fahrt : fertig-, desgleichen in solchen Kompositen, deren Beziehung zum Grundwort verdunkelt war: Heer : Herberge, Herzog-, Bohle : Bollwerk -, Wal : Walroß usw. Die hier behandelten Dehnungsgesetze haben eine eindeutige Umschichtung im Silbenbau bewirkt. Das frühe Mlid. kennt 1. Silben, die auf kurzen offenen Vokal enden: vgl. mhd. lë-ben, hi-mel, e-del. 2. Silben, die kurzen Vokal vor Kons, kennen: mhd. wër-den; hël-fen. Im Nhd. ist der Typ 1 nur in unbetonter Silbe möglich : Ge-birge ; Forelle; Ho-lunder, Pa-pier, pro-bieren. I n der Tonsilbe aber erscheinen nur mehr gedeckte Silben als Kürze, seien es nun alte wie etwa in hel-fen, wer-den oder nach 2 b neu entstandene wie Got-tes, Him-mel, Sache usw. Blieb aber die Einkonsonantigkeit gewahrt, trat die Dehnung ein : so Le-ben, e-del usw. § 36. Ä n d e r u n g e n d e r V o k a l q u a n t i t ä t . II. Kürzung alter Längen Wesentlich unklarer ist die lautgesetzliche Regelung bei der Kürzung alter Längen. Da hier die einzelnen Mundarten stark voneinander abweichen, kann hier nur eine Übersicht über die in der nhd. Schriftsprache bezeugten Kürzungsfälle gegeben werden. 1. Alte Längen sind weitgehend gekürzt vor cht, ft, seltener bei st ;ebenso erscheint nicht selten Kürze bei chs. Die hier erscheinende Kürzung ist vor allem im Omd. und Ofrk. heimisch. Als Beispiele gehören hierher etwa : mhd. brähte, gebräht : nhd. brachte, gebracht; mhd. dähte, gedäht : nhd. dachte, gedacht; mhd. täht zu töht (§ 43) : nhd. Docht. Nd. Länge wird gekürzt in Fällen wie mnd. sacht : nhd. sacht ; mnd. echt zu nhd. echt, ebs. in nhd. dicht, lichten 'in die Höhe heben', Gerücht, berüchtigt, während die mhd. Längen iu.ü auch vor cht diphthongiert wurden: vgl. nhd. Beichte, leicht; feucht, leuchten; d. h. also, daß die Diphthongierung der mhd. Längen hier älter ist als die Kürzung vor cht; aus mhd. ie resp. üe entstandenes i und ü unterliegt der Kürzung, so mhd. Hecht : nhd. Licht; mhd. viehte : nhd. Fichte; mhd. nüehtern : nhd. nüchtern. Kürzung vor ft liegt vor in mhd. kläfter : nhd. Klafter.
Mhd.-Nhd. Vokale §§ 35-36
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Vor chs stehen Länge wie Kürze in der nhd. Aussprache gleichberechtigt nebeneinander : Wuchs, nächst, höchst. Das Gleiche trifft für einige Wörter vor st zu: so in Osten, düster, Schuster, während im allgemeinen die Länge erhalten bleibt: vgl. etwa Kloster, Ostern, Priester, Wüste, Biest usw. 2. Kürzung älterer Längen erscheint auch vor r + Kons. Die Kürzungstendenz ist im gleichen Mundarten-Bereich beheimatet wie 1. Sie wirkt nach in nhd. Wörtern wie Lerche : mhd. îérche; horchen : mhd. horchen·, Herr, herrschen : mhd. lierre, hërre, Mrsen, hërsen; in Dirne ist das gekürzte ι aus altem ie entstanden, ebenso die gesprochene Kürze in vierzig, vierte, Viertel, deren ie-Schreibung Analogie nach dem ungekürzten einfachen Numerale vier darstellt. Alte Länge vor r + Kons, der Kompositionsfuge liegt etwa vor in Lorbeer-, Gertrud. Andrerseits ist Länge erhalten etwa in Gebärde, ebenso neben der Kürze in Behörde, erst usw. Wesentlich seltener sind Fälle vor l + Kons., so etwa in Elster, elf, Nelke, wo das urspr. lange ë aus älterem ei monophthongiert ist (vgl. § 48, 2), in tilgen, wo schon mhd. tilgen neben til(i)gen, ahd. tïligôn steht. In Ulrich ist älteres uo nach seiner Monophthongierimg gekürzt. Im Typ galten, halfen trat die Kürze wohl analogisch zu dem Singular galt, half ein. 3. Vor Nasal + Kons, wurden alte Längen gekürzt in Winzer : mhd. wlnzürl; Pfründe : mhd. phrüende; ebenso in fing, ging, hing : mhd. fienc, gienc, hienc, wo Luther noch regelmäßig die Länge kannte, weil er hier häufig die Schreibung ie gebraucht; weiter in stund : mhd. stuont-, aber Länge wie Kürze gilt in Dienst, z. T. wegen der ursprünglichen Zweisilbigkeit in mhd. dienest, z. T. wohl auch durch die Länge in dienen, Diener analogisch gehalten; ferner herrscht die Länge in Mond wegen der ursprünglichen Zweisilbigkeit in mhd. mäne. 4. Recht unterschiedlich durchgeführt ist die Kürzung von Längen vor j , ch, f , welche durch die zweite Lautverschiebung entstanden; hierher gehören etwa nhd. Genösse : mhd. genome ; lassen : mhd. lä$en ; ansässig : mhd. -scejec ; müssen : mhd. müe^en; in Fällen wie grüßen, süß aber bleibt die alte Länge von der Kürzung unberührt. Ferner nhd. Rache : mhd. räche, Schach : mhd. schäch, Schächer : mhd. schsêcher, während in Fällen wie Wucher, Buch, Fluch der nhd. Sprachgebrauch zwischen Länge und Kürze schwankt, bei nach, hoch, Buche, suchen die alte Länge erhalten bleibt. 5. Häufig ist dem md. Sprachbereich entstammende Kürzung einer Länge vor ra, t unter Verlegung der Silbengrenze in diese Konsonanten, die daher als Geminaten erscheinen; sie begegnet vor allem, wenn die Nachsilbe -er folgt. Hierher gehören etwa nhd. Blatter : mhd. blätere-, Natter : mhd. näter; Bestatter zu mhd. bestceten; Mutter : mhd. muoter-, Futter : mhd. water ; der Kürzungsvorgang trat hier also nach der
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Vokalismus
Monophthongierung von uo zu « ein; nhd. quitt : mhd. quit ; Jammer : mhd. jämer\ immer, nimmer : mhd. imer, nimer neben iemer, niemer. Ä n d e r u n g e n der V o k a l q u a l i t ä t § 37. 1. Mhd. α tendiert im Niederalemannischen und Bairischen, ebenso in großen Teilen der west- und ostmd. Mundarten nach o hin, teils spontan, teils unter dem Einfluß der umgebenden Laute. Diese Entwicklung, die zuerst im Bair. seit dem 12. Jh. zu beobachten ist, anderwärts im 13. und 14. Jh. um sich greift, äußert sich um so seltener in den Texten, je höher deren sprachliche Form ist. Schon Luther kennt keine Belege für diesen Wandel,und die nhd. Schriftsprache hat keinen eindeutigen Beleg dafür aufgenommen. 2. In einigen, vor allem frk. Mundarten löst auch folgendes ei den sekundären Umlaut von a zu ä aus, daher mhd. arbeit zu ärbeit, erbeit\ mhd. arweiz zu ärweiz, erweis, daher nhd. Erbse. 3. Auch vor sch kann seit dem 14. Jh. im Alemannischen, in den angrenzenden Teilen Westtirols, in süd- und rheinfrk. Gebieten a als ä erscheinen, also mhd. asche > äsche; waschen > waschen·, tasche > täsche (vgl. den PN Teschenmacher) usw. 4. mhd. a in der Lautgruppe -age- vgl. § 123 mhd. a nach qu- vgl. § 122 mhd. a zu ä vgl. § 35. § 38. Drei verschiedene e-Laute treten in die sprachliche Entwicklung ein: ä überoffen, durch den sekundären i-Umlaut aus ahd. a entstanden (vgl. § 30,1); ë offener e-Laut, im wesentlichen Fortsetzer von germ. e resp. i (vgl. § 19). e geschlossener kurzer e-Laut, durch den primären i-Umlaut aus germ. a entstanden (vgl. § 28,1). 1. Diese Dreiheit bleibt, wie man am Reimgebrauch sehen kann, nur im Bair. und Ostschwäb. erhalten, wenn auch unter einer gewissen Einschränkung des ursprünglichen Umfangs der einzelnen e-Laute. Überall sonst strebt die Entwicklung einer Zweiheit der Laute zu, um teilweise dann zu einer Einheit zu gelangen. Die einzelnen Mundartbereiche gehen dabei sehr verschiedene Wege. Für das Bair. und Alem. gilt zunächst, daß ä als überoffener Laut gewahrt bleibt, bis es bair. zu offenem a wird. Das offene ë bleibt im Bair. sicher vor l und r erhalten, während es vor b, d, g, t und vielleicht auch in anderen Fällen zu geschlossenem e wird. Geschlossenes e wird schon spätahd. vor r zu i verengt. Im Nieder- und Hochalemannischen wird ë und e vor Nas. + Kons, zu ä, während im Schwäbischen ë und e vor Nas. zu ä werden; sonst gleicht sich im Westschwäbischen offenes ë an ä an.
Mhd.-Nhd. Vokale §§ 37-40
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Im Ostfrk. erscheint ë und ä vor r als ä, e vor r als ë, während ë und ä vor Nasal und in der Dehnung zu geschlossenem e-Laut werden. In allen übrigen Fällen ist ä zu ë geworden. Im Süd- und Rhfrk. fallen ä und ë vor r und in der Dehnung in a zusammen, während sonst ä zu ë geworden ist, e vor r teils als ë teils als ä erscheint. Im Ripuarischen fallen zunächst ä und ë, später auch e in einen offenen e-Laut zusammen. In den ostmd. Mundarten gilt im allgemeinen eine Entwicklung von e zu ë, von è' zu ä. 2. In der nhd. Schriftsprache ist kurzes ë und ä offener e-Laut, gedehntes è aber geschlossen, während ä als gedehnter Laut wohl unter dem Einfluß der Schrift offen gesprochen wird. 3. Allgemein gilt im Mhd. eine Entwicklung von ë zu e vor i der folgenden Silbe (vgl. § 30, 2), ebs. vor sch: daher mhd. dreschen, leschen (vgl. den Umlautsvorgang von a zu ¿i vor sch § 37), und vor st : daher mhd. deste, gestern, swester (aber ostmd. swëster), schwankend bei bresten, nest, fest
usw. 4. mhd. mhd. mhd. mhd.
e, e zu ö vgl. § 34 A e, e nach qu- vgl. § 122 e, e zu ë vgl. § 35 e in der Lautgruppe egi vgl. § 123.
§ 39. Mhd. i wahrt im Bair. und Alem. im allgemeinen seine Qualität; doch erscheint gedehntes i in geschlossener Silbe und in Einsilblern vor r, seltener vor l und ht, hs seit dem 12. Jh. als it, das mit altem ie reimt, z. T. auch als ie geschrieben wird (vgl. den parallelen Vorgang bei u § 42). In den md. Mundarten setzt ein von Nordwesten her sich ausbreitender, im Süden und Osten schwächer spürbarer Wandel zu e ein. Im Mittelfrk. und Hess, wird er schon in frühmhd. Zeit, vor allem in geschlossener, seltener in offener Silbe greifbar, im Thür, erst in klass.mhd. Zeit, ebs. in Teilen der Pfalz, des südlichen Hessen und vielleicht erst spätmhd. im Obersächs. Im Ostfrk., Böhm, erscheint diese Entwicklung vor allem vor r + Kons. 2. mhd. i in igi vgl. § 123 mhd. i nach qu- vgl. § 122 mhd. i zu ï vgl. § 35. § 40. Mhd. o bleibt in der Regel gewahrt. Die mundartliche Entwicklung zu offenem o und ev. weiter zu a kündigt sich teilweise schon mhd. an, so im Bair. vor r und vor Nas., wo es mit dem dort getrübten a zusammenfällt, ja, wo vor r die Entwicklung bereits mhd. bis a weitergeht. Ähnlich in gleicher Umgebung pfälz., obersächs. und schles. und im
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Vokalismua
Mittelfränkischen, wo diese Entwicklung bereits im klass. Mhd. greifbar wird. Umgekehrt trübt sich gedehntes δ hess. u. thür. zu u, ebenso o vor l + Konsonant im Mittelfrk. der frühmhd. Zeit. 2. Vorgänge wie mhd. dorfte > durfte, mhd. vorhte > wirkte 'Furcht* sind durch die Anknüpfung an die verbalen Infinitive entstanden. 3. mhd. o zu ö § 35 mhd. oge zu oi § 123. § 41. mhd. ö entrundet zu e vgl. § 34 Β mhd. ö gedehnt zu δ vgl. § 35. § 42. Weitgehend parallel ist die Entwicklung von mhd. u und ü. Beide Laute bleiben im Bair. und im Hoch- und Niederalem. erhalten; im Schwab, tritt seit dem 14. Jh. vor Nasal o und ö an die Stelle von u und ü, während vor Nas. + Reibelaut Diphthongierung zu au, äu eintritt. Im ganzen alem.-bair. Gebiet wird gedehntes ü resp. ü vor Nas., vor r, ht, hs und im Auslaut zu uo, üe diphthongiert; die so entstandenen Diphthonge reimen mit altem uo, üe. Die md. Mundarten zeigen die Neigung, u und ü zu o, ö zu entwickeln. Im Mfrk. und Hess, erscheint in geschlossener Silbe o und ö bereits in frühmhd. Zeit, während in offener Silbe das Rip. häufiger, das Moselfrk. und Hess, seltener diesen Wandel zeigt, ohne daß die lautlichen Bedingungen eindeutig feststünden. Im Thür, beschränkt sich der Wandel, der in der klass.mhd. Zeit sichtbar wird, auf die geschlossene Silbe. Im Pfalz., Südhess., Ofrk., Osächs. und Böhm., ferner in Teilen des Schles. erscheint o für u seit klass.- oder spätmhd. Zeit vor r + Kons. Die nhd. Schriftsprache zeigt den Wandel häufig vor Nasal : mhd. sun : nhd. Sohn ; mhd. sunne : nhd. Sonne; mhd. vrum : nhd. fromm,·, mhd. künec : nhd. Körnig-, mhd. giinnen : nhd. gönnen·, ebs. nach m etwa in mhd. mügen : nhd. mögen. Wenige Belege zeigen den Lautwandel vor Nas. + Kons., etwa mhd. besunder : nhd. besonder-, mhd. su(n)st : sonst. Vor Liq. oder Liq. + Kons, fehlen der nhd. Schriftsprache eindeutige Belege: vgl. mhd. durst : nhd. Durst neben mundartl. Dorst ; mhd. vürste : nhd. Fürst neben mhd. Mundartformen wie vorste, vörste. Fälle wie mhd. guldïn : nhd. golden, mhd. antwürte : nhd. Antwort wird man daher besser auf Einfluß des Grundwortes zurückführen. Vereinzelt ü > ö vor r in mhd. stüre : nhd. Stör; nach r in mhd. rücheln : nhd. röcheln. 2. mhd. u, ü gedehnt zu ü, û vgl. § 35 mhd. ü entrundet zu i vgl. § 34 B. § 43. Mhd. ä tendiert in obd. und md. Mundarten zu ö; ein Zusammenfall mit altem δ wird nur im Ndalem. und im Oberpfälzischen stets, sonst nur vor Nasal erreicht, während mhd. ä als offenes ö neben das
Mhd.-Nhd. Vokale §§ 41-46
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alte geschlossene ö tritt, sofern dies erhalten bleibt. Der Vorgang läßt sich für das Bair. bereits im 12. Jh. beobachten, während er in den übrigen Mundarten seit dem 13. Jh. feststellbar ist. Im Schwab, wird mhd. ä seit der zweiten Hälfte des 13. Jhs. zu au diphthongiert, das im Westschwäb. nur vor η bleibt, sonst aber zu offenem δ assimiliert wird. Im Ndbair. erscheint für mhd. ä der Diphth. ou, au. Der in vielen Mundarten verbreitete Wandel von mhd. ä zu δ wird in einer Reihe von nhd. Wörter greifbar: vgl. mhd. äne : ohne; mäne : Mond\ wäc : Woge ; mhd. wägen : wogen als 3. pl. prt. zu wiegen ; brädem : Brodem ; mä(he)n : Mohn ; slät : Schlot ; täheie : Dohle ; mit Kürzung von so entstandenem o vor zwiefacher Konsonanz mhd. täht : Docht·, brämber : Brombeere. mhd. ä vor qu- s. § 122 mhd. ä zu a vgl. § 36. § 44. Das Mhd. kennt zunächst zwei lange e-Laute : die überoffene Länge 3?, durch sekundären i-Umlaut aus ahd. ä entstanden, und mhd. ë, ein offener langer e-Laut, der ahd. ë entspricht. Die Fortentwicklung führt χ im Bair. schon in klass.mhd. Zeit zu ä weiter, was in beschränkterem Umfang auch im Alem., westl. Ofrk., Thür, und Schles. eintritt; das Schwäb. diphthongiert seit dem 14. Jh. altes χ zu äu, das dann weiter zu offenem ë, vor Nasal zu geschlossenem ë wird. In den übrigen Mundarten ist früher Zusammenfall von « und ë eingetreten, mhd. ë wird im Alem. seit dem 14. Jh. zu einem geschlossenen e-Laut, ebs. noch in der älteren frühnhd. Zeit vor Nas. im Bair. Im Schwäb. erscheint teils nur vor Nas., teils stets geschlossenes ë. Im Ostfrk. und einem Teil der übrigen md. Mundarten stellt sich vor r offenes œ ein, während sonst geschlossenes ë erscheint. Dieses ist sehr oft zu i weiterentwickelt worden. 2. mhd. ë zu e vgl. § 36. Wo im Nhd. altes « oder ë gekürzt erscheint, ist es offenes e, während die erhaltene Länge geschlossen ist, es sei denn, daß sich von der Schreibung als ä die offene Länge durchsetzt. § 45. mhd. I wird durch die Diphthongierung zu ei vgl. § 32 2. mhd. qui- vgl. § 122 mhd. ei gerundet zu eu vgl. § 34 A. § 46. mhd. δ kann in einigen Mundarten, ibes, im frk. Gebiet von folgendem ei umgelautet werden: vgl. mhd. öheim : œheim. Während δ wie œ in der Schriftsprache gut erhalten bleiben, kennen manche Mundarten stärkere Veränderungen, so etwa in md. Mundarten die Trübung zu ü, û, die teils schon klass.mhd., teils erst spätmhd. greifbar wird ; andere Gebiete neigen zur Diphthongierung, so etwa seit klass.mhd.
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Vokalismus
Zeit in Teilen des Bair. und im Ostschwäb. zu oa, im Nordbair., Westschwäb, in den pfälz. und südhess. Teilen des Rheinfrk. zu ou, öu resp. au, äu. Über Entrundung vgl. § 34 B. § 47. mhd. ü und û unterliegen der Diphthongierung, vgl. § 32. § 48. mhd. ei wird im Bair. früh zu ai und weiter zu ä und fällt auf diese Weise nicht lautlich mit ei aus i zusammen. Die Schreibung ei bleibt bei den Wörtern geist, vleisch, heilic, oft auch bei rein als Wörtern der Kirchensprache erhalten, ein seit etwa 1350 greifbarer Einfluß der Prager Kanzlei. Auch im Schwäbischen setzt sich weithin die Aussprache ai durch, doch wird je weiter im Westen die α-Färbung desto schwächer. Im Alem. bleibt ei gewahrt, seit Ende des 14. Jh. erscheint vor l, η (ev. + Kons.) in manchen Gebieten die Monophthongierung zu ë. In den md. Mundarten setzt sich weithin die Monophthongierung zu ë durch, die im Mfrk. wie im Westen des Ofrk. wohl schon dem 12. Jh., im Ostmd. dem 13. Jh. zugehört, während die linksrheinische Pfalz und Südhessen den Lautwandel wohl erst spätmhd. zeigt. Im rechtsrhein. Moselfr., Rheinfrk. entwickelt sich wie im östl. und südlichen Ofrk. ä. 2. mhd. ei wird vor mehrfacher Kons, zu e: vgl. eilf zu elf, zweinzec zu zwenzec. 3. mhd. ei gerundet zu eu vgl. § 34 A mhd. ei aus ahd. egi, agi vgl. § 123. § 49. mhd. ou und öu erscheinen im Bair. und Schwab, als au, wobei im Schwäbischen die a-Färbung je weiter nach Westen desto schwächer wird. Im Bair. tendiert dieses au, äu vor Labialen und ch schon im 12. und 13. Jh. zu ä, im Schwäb. vor nn zu ö, 5, im Ostschwäb. über die Zwischenstufe ä, ä. Im Alem. bleiben zunächst ou und öu erhalten, bis im 15. Jh. ou zu au wird; schon mhd. erscheint vor Labialen δ, δ. Das Böhmische schwankt im 14. und 15. Jh. zwischen der bairischen Lautgebung und dem Anschluß an die ostmd. Mundarten, um sich später der ostmd. Lautgebung anzuschließen. In den md. Mundarten setzt sich die Monophthongierung zu ö, o durch, die im Mfrk. noch der frühmhd. Zeit angehört, im Ostmd. im 13. Jh. vordringt. Im Rhfrk. wie im Ofrk. setzt sich im 14. Jh. die Monophthongierung zu ä durch. § 50. mhd. ie ist in weiten Mundartgebieten zu ϊ monophthongiert worden vgl. § 33. Es bleibt Diphthong im Alem., Bair. und im westl. Ostfrk. Im Mfrk., und in Teilen des Hess, und Thür, erscheint dafür ë, das ζ. T. das hier nicht gebrochene ahd. ê2 fortsetzt, ζ. T. aus ie = ahd. io, germ, eu entstand.
Nichthaupttonige Vokale §§ 47-54
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2. in mhd. iegelïch, ietwëder, ieman, iezuo entstand schon vor der Monophthongierung jegelich, jetweder, jeman, jetzuo, die in der nhd. Schriftsprache als jeglich, jedweder, jemand, jetzt weiterleben. § 51. Während sich mhd. uo, üe in weiten Mundartgebieten zu den Längen ü, û monophthongieren (vgl. § 33), erhält das Alem. wie Bair. den Diphthong, der sich im Bair. zu ue abschwächt. Auch das westl. Ofrk. bewahrt die Diphthonge. Im Mfrk. und in Teilen des Hess, und Thür, ist germ, ö nicht zu uo gebrochen worden, sondern bleibt ungestört erhalten. Das durch die Monophthongierung entstandene ü, û resp. ö, δ kann der Kürzung nach § 36 unterliegen. § 52. mhd. iu aus germ, eu ist im Bair. und Schwab. Diphthong geblieben, soweit es nicht durch i-Umlaut zu ü geworden war. Es erscheint im Bair. wohl schon seit dem 12. Jh. stets als ui, im Schwäb. wohl erst älterfrühnhd. vor Nasal als oi. Im Alem. ist der Laut mit mhd. ü zusammengefallen und teilt dessen Entwicklung, ebs. im Ofrk. Eine Sonderentwicklung führt die Lautfolge -iuw- in den hess. Teilen des Rheinfrk., im Mittelfrk. und Ostmd. durch, wo zunächst -üw- entsteht, dessen ω der Diphthongierung zu au unterliegt ; vgl. mhd. briuwen > brüwen : nhd. brauen; mhd. kiuwen > hüwen : nhd. kauen-, mhd. Nüwenburc : Naumburg.
IV. KAPITEL
Die Vokalentwicklung in den nichthaupttonigen Silben § 53. Der dynamisch-exspiratorische Charakter der germanischen Anfangsbetonung bringt es mit sich, daß die Vokale der nichthaupttonigen Silben, die sich zunächst kaum von denen der haupttonigen Silben unterscheiden, sehr bald Abschwächungen oder Neigung zum Schwund zeigen. Eine Reihe dieser Vorgänge gehört noch in die Zeit der gemeingermanischen Lautentwicklungen, andere sind noch vorliterarisch, während die letzten Phasen dieser Entwicklung sich in der ahd. und mhd. Epoche vollziehen. 1. Der Vokalismus der idg.-frühgermanischen Endsilben § 54. In allen Einsilbern mit eigenem Wortton gelten die Regeln der starktonigen Silben, gleichgültig, ob der Vokal durch einen folgenden Konsonant gedeckt ist oder im absoluten Auslaut steht, vgl. lat. ad
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Vokalismus
'zu' : got. as. at, ahd. ay, griech. τήν Akk. Sg. F. des Artikels < idg. *täm : got. pö ; idg. *tâs als Nom. Akk. Pl. F. des Artikels got. pos ; lat. quod < idg. *qV-od as. hwat, ahd. (h)way, griech. ό Nom. Sg. M. des Artikels < idg. *so : got. sa ; griech. ή Nom. Sg. F. des Artikels < idg. *sâ : got. sö. idg. *tû : got. pü, as. thû, ahd. dû 'du'. Wo das einsilbige Wort teils betont, teils schwachtonig erscheint, treten im As. und Ahd. geschwächte Formen neben die volleren, so idg. *ne 'nicht' : got. ni, as. ahd. né, ni; idg. *is 'er' : got. is, ahd. ir, er; idg. *tü 'du' : as. thü, thu, ahd. dil, du. § 55. I n zwei- und mehrsilbigen Wörtern ist 1. idg. -a, -o, -e im absoluten Auslaut stets geschwunden: griech. οίδα < idg. *uoida 'ich weiß' : got. wait, as. wët, ahd. weiy, idg. Endung des Gen. Sg. der mask.a-Stämme: *-eso: vgl. got. dagis, as. dages, ahd. tages; griech. οΐδε < idg. *uoide 'er weiß' : got. wait, as. wêt, ahd. wei^; idg. Endung der 2. Pl. *-te: got. bairip, ahd. bëret 'ihr tragt'. 2. idg. a, e, o gedeckt durch einfache Konsonanz ist im Got., As., Ahd. stets geschwunden, doch in der ältesten germanischen Lehnwortschicht im Finnischen wie in den ältesten Runeninschriften noch bewahrt, vgl. finn, kuningas : as. ahd. kuning; run. stainaR : got. stains, as. sten, ahd. stein; mit germ. *-a < idg. *-om: finn, kulta : got. gulp, as. ahd. gold; run. Akk. Sg. staina : got. stain, as. sten, ahd. stein; run. Nom. Pl. dohtriR 'Töchter' : as. dohtar, ahd. tohter; der Umlaut in Fällen wie an. fepr 'Väter', ags. jet 'Füße' weist daraufhin, daß die idg.germ. Endung *-es über *-iz geschwunden ist. 3. idg. -o gedeckt durch auslautendes -ns erhalten: vgl. Akk. Pl.: got. dagans, ahd. toga. 4. idg. i im ungedeckten und einfach gedeckten Auslaut ist a) bei mehrsilbigem Wortstamm stets geschwunden ; vor dem Schwund eines i wurde vorausgehendes e zu i umgefärbt: vgl. idg. *bheresi 'du trägst' : got. baíris, as. ahd. biris) idg. *bheronti 'sie tragen' : got. baírand, as. bërad, ahd. bërant. b) bei einsilbigem Wortstamm geschwunden, wenn der Wortstamm natura oder positione lang war, erhalten, wenn der Wortstamm kurz war. Auch bei Schwund des i wurde vorausgehendes e zu i umgefärbt, vgl. idg. *esti 'ist' : got. as. ahd. ist; run. -gastiR : got. gasts, as. ahd. gast; germ. *dëdiz : as. däd, ahd. lät 'Tat'. Aber germ. *uiniz : as. ahd. M t 'Freund'; germ. *mari : as., ahd. meri 'Meer'. Im Got. erfolgt bei den i-Stämmen ein Ausgleich der Art, daß sich der Typus der langsilbigen Wortstämme durchsetzt, also i stets aufgegeben ist : vgl. as. kumi : got. qums 'Ankunft' < *qumiz; in isolierten Resten der adjektivischen i-Flexion bleibt die lautgesetzliche Regelung gewahrt: vgl. got. sutis 'mild', nawis 'tot'.
Idg.-Germ. Endsilbenvokale §§ 54-56
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c) bei mehrfach gedecktem Auslaut bleibt i erhalten, so im Akk. PI. der i-Stämme : got. gastins, as. ahd. gesti. 5. idg. u im uiigédeckten und einfach gedeckten Auslaut fügt sich den gleichen Gesetzen wie i, vgl. : a) bei mehrsilbigem Wortstamm: germ. Akk. Sg. *hananum : got. hanan, as. ahd. hanon. b) bei einsilbigem Wortstamm: germ. *handuz, as. hand, ahd. hant 'Hand' ; germ, flöduz : as. flöd, ahd. fiuot 'Flut' ; aber germ. *siÔuz : as. sidu, ahd. situ 'Sitte'; germ. *sunuz : as. ahd. sunu. Auch hier zeigt das Got. Ausgleich, doch nach der Seite des kurzsilbigen Typus: also nach got. sidus 'Sitte', sunus 'Sohn' auch got. handus 'Hand', flödus 'Flut'. I n isolierten Fällen ist jedoch auch hier der lautgesetzliche Schwund eingetreten: vgl. germ. *tagru (griech. δάκρυ) : got. tagr 'Träne'. c) bei mehrfach gedecktem Auslaut : got. sununs als Akk. PI. § 56. I n der Auslautentwicklung der idg. Längen scheiden sich die stoßtonigen von den schleiftonigen (vgl. § 9). Letztere sind in der Regel durch eine bereits idg. Verschleifung zweier Vokale oder einer Länge mit einem Nasal entstanden; ihre Lautdauer war dadurch größer als die der stoßtonigen Längen; man spricht daher auch unter Anwendung metrischer Terminologie von drei- bzw. zweimorigen Längen. Die stoßtonigen Längen idg. -â und -o fallen germanisch zunächst als -o zusammen. In ungedecktem Auslaut erfährt diese Länge zunächst Kürzung zu -o, das im Got. als -a erscheint, während es sonst zu -u wird, das wie germ, -u nach langer Silbe schwindet, nach kurzer erhalten bleibt. Vgl. Nom. Akk. Pl. N. idg. *-ä : got. barna, aber as. ahd. barn (nach positione langer Silbe) ; -u erhalten etwa in as. fatu 'Fässer', während sich in der Regel die langsilbige Vertretung durchgesetzt hat. Nom. Sg. F. idg. *-â : got. giba 'Gabe' : as. tharf 'Bedarf', ahd. buo^ 'Besserung'; Formen mit auslautendem -u sind aufgegeben. 1. Sg. Ind. Prs. Act. idg. *-o : got. giba 'ich gebe', as. gibu, ahd. gibu. Hier ist -ü auch bei den langsilbigen verallgemeinert: got. greipa, as. grïpu, ahd. grîfu 'ich greife'. Ist die stoßtonige Länge germ, -o- durch Nasal gedeckt, so erscheint sie got. wie as. ahd. als -α: vgl. Akk. Sg. F. idg. -am : got. giba, as. gëba, ahd. gëba 'Gabe'; Nom. Sg. F. idg. *-ôn : as. tunga, ahd. zunga 'Zunge'. Stoßtoniges -os liegt wohl der 2. Sg. des schwachen Praeteritum ahd. nçritôs zugrunde. Die stoßtonige Länge -é ist nur fürs Got. sicher zu erweisen, wo sie als -a erscheint: dem erhaltenen -ë des einsilbigen Instrumentaladverbs got. pê 'desto' entspricht der pronominale Dativ got. pamma 'diesem', foamma 'wem V (vgl. § 177). Stoßtoniges -ém, -ét sind wohl auch Aus-
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Vokalismus
gangspunkt der got. 1. und 3. Sg. des schwachen Prt. nasida, während die 2. Sg. got. nasides wohl auf *-és weist. Stoßtoniges 4 erscheint als got. -i im Nom. Sg. Fjô mauri 'Mädchen' und vielleicht auch im Dat. Sg. as. ιυίηί 'dem Freund'. Auf idg. *-tm, 4t weisen die 1. und 3. Sg. Opt. Prät. as. ahd. bàri 'ich trüge' bzw. got. béri, as. ahd. bàri 'er trüge', auf idg.* 4s die 2. Sg. got. bëreis, as. ahd. bärls, auf *-int ahd. bàrin als 3. PI.
Für stoßtoniges ü fehlen Belege. § 57. Die schleiftonigen Längen sind selten bezeugt. Idg. -δ im ungedeckten Auslaut erscheint got. als -ö, as. ahd. als -o im Nom. Sg. der neutralen η-Stämme, got. augô 'Auge', und im Nom. Sg. Μη,as. ahd. hano 'Hahn'. Auf idg. *-öm endet der Gen. Pl. Ma:as. dago, ahd. tago, ebenso der Gen. PI. Fö : got. gibo. Auf altes ablativisches* -öd weisen die Adverbialausgänge auf got. -δ, as. ahd. -o; got. galeikô, as. gillko, ahd. gillhho 'gleich'. Idg. -ös liegt dem Nom. Pl. Ma got. dagôs, as.
dagos zugrunde, während ahd. toga, wohl als tagä anzusetzen, auf germ. -öz zurückgeht. Parallel weist auf igd. -äs, germ, -ösföz der Nom. Akk. PI. der femininen ö-Stämme: got. gibös, as. gώα, ahd. gebä. Altes schleiftoniges -è oder -ëd erscheinen in den got. Pronominaladverbien wie hidrê 'hierher', foadrl 'wohin'. Für schleiftoniges i und ü fehlen Belege. § 58. Der gleiche Unterschied zwischen Stoßtonigkeit und Schleiftonigkeit wiederholt sich bei den Diphthongen. Auch hier sind die schleiftonigen Diphthonge Kontraktionsprodukte idg. Alters. Stoßtonige Diphthonge sind nur in den got. Resten des Mediopassiv greifbar, wo ererbtes *-ai als -a erscheint: vgl. got. haitada 'ich werde genannt'. An schleiftonigen Diphthongen sind bezeugt : idg. -öi im Dat. Sg. der masculinen a-Stämme : Germ.got. -ai, das sonst in vorliterarischer Zeit zunächst zu -ê monophthongiert, dann im absoluten Auslaut zu -e verkürzt wird : vgl. as. dage, ahd. tage 'dem Tag'. Die gleiche Entwicklung zeigt sich auch dort, wo der alte Diphthong konsonantisch gedeckt war. Im As. und Ahd. blieb die Länge ë dann erhalten, wenn der Konsonant erhalten blieb, während ë zu e gekürzt wurde, wenn der auslautende Konsonant schwand. Vgl. 1. Sg. Opt. Prs. idg. *-öim : as. ahd. bere 'ich möge tragen' ; 3. Sg. Opt. Prs. idg. *-öit : got. baírai, as. ahd. bere 'er möge tragen' ; 2. Sg. Opt. Prs. idg. *-öis : got. baírais, as. ahd. bërës; 3. Pl. Opt. Prs. -oint : ahd. b'érèn 'sie mögen tragen'. (In got.
baíraina ist -a analog zu der 1. Pl. angetreten.) Altes -ëis liegt wohl vor im -i des Gen. Sg. der femininen i-Stämme: as. ahd. ensti 'der Liebe', wo ëi wohl zunächst zu i, das nach Schwund des auslautenden -z zu -i gekürzt wurde. Entsprechend -öus im Gen. Sg. Mu got. sunaus, während
Idg.-Germ. Mittelsilbenvokale §§ 56-59
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in den südgermanischen Dialekten wiederum zunächst Monophthongierung zu -δ eintrat, vgl. ahd. fridoo 'des Friedens', mit gekürztem -o as. suno 'des Sohnes'. Idg. Langdiphthonge sind selten bezeugt : auf idg. *-äi geht got. -ai im Dat. Sg. der femininen ö-Stämme zurück: got. gibai 'der Gabe'. Idg. *-ëi erscheint im Dat. Sg. Fi als got. -ai : anstai 'der Liebe', während in den südgermanischen Dialekten zunächst Verkürzung zu -ei eintrat, das dann über -i im ungedeckten Auslaut zu -i wurde : as. ahd. ensti. Analog verläuft die Entwicklung von idg. *-ëu im Dat. Sg. der masculinen u-Stämme : got. sunau 'dem Sohne', während der nur mehr selten bezeugte Dativ ahd. suniu auf -eu, der Verkürzung von -êu beruht. Ebenso ist idg. -öu zu got. -au geworden in got. ahtau 'acht', während die südgermanischen Dialekte -au zu -ö monophthongierten, das im absoluten Auslaut zu -o gekürzt wird, vgl. as. ahd. ahto 'acht'. Andere Belege fehlen. 2. Der V o k a l i s m u s in den i d g . - f r ü h g e r m . M i t t e l s i l b e n Anm. Der Begriff 'Mittelsilbe' ist hier auf jene Silben beschränkt, die in frühgermanischer Zeit zwischen der ersten Silbe und der aus dem Idg. ererbten Endsilbe stehen. Durch den weitgehenden Zerfall dieser Endsilben in vorliterarischer Zeit erscheinen diese Mittelsilben in der Überlieferung auch als Endsilben. § 59. Die Vokale der Mittelsilben erfahren im großen und ganzen die gleichen Veränderungen wie in den starktonigen Silben. Es werden hier nur die Abweichungen der Entwicklung genannt. 1. idg. e nimmt im Gotischen stets an der Aufhellung zu i teil, während es im As. und Ahd. zwischen e und i schwankt, ohne daß sich klare Regeln finden ließen. Es ist als as.ahd. e vertreten: im Gen. Sg.der a-Stämme : Endung idg. *-eso : as. dages, ahd. tages, got. dagis. In der 2. PI. Ind. Prs. des starken Verbs : idg. *-ete : ahd. nëmet ihr nehmt, aber got. nimip. Im Gen. Dat. Sg. der mask, und neutr. η-Stämme erscheint für idg. *-en-esj-os bzw. *-en-i im As. -en, im Ahd. sowohl -en wie -in, wobei die frk. Denkmäler -en, die obd. -in bevorzugen: as. hanen, ahd. hanen, hanin 'des, dem Hahn'. Der Unterschied wird verschieden erklärt. Einerseits nimmt man an, der Gen. Sg. -en gehe auf idg. *-en-os zurück, der Gen. Sg. -in aber auf idg. *-en-es, der Ablautsvariante der Endung, die über germ, -iz (vgl. oben § 55, 2) geschwunden sei. Die Doppelform im Dativ wäre dann unter Einfluß des Gen. Sg. zustande gekommen. Andrerseits ist es durchaus möglich, dass urspr. Gen. -en (aus idg. *-enos) und Dat. -in (aus idg. *-eni) sich zu dem Nebeneinander von -en bzw. -in ausgeglichen hätten.
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Vokalismus
Im As. und Ahd. erscheint i für ererbtes e in der 2. und 3. Sg. Ind. Prs. der starken Verba: idg. *-esi resp. *-eti: as. nimis, nimid, ahd. nimis, nimit. Könnte man hier das auslautende -i für den Wandel verantwortlich machen, so trifft dies nicht zu für den Nom. Akk. PI. der neutralen -es/-os-Stämme : idg. *-esä : ahd. lembir, ebenso für das alte Abstraktsuffix idg. *-etä : ahd. -ida in ahd. heilida, gimeinida; got. háuhipa usw. Auch sonst lassen sich Belege für die Entwicklung von e > i in Mittelsilben beibringen, vgl. etwa lat. Veneti : ahd. Winida, was zeigt, daß der Wandel von e > i in Mittelsilben die Aufhellung von altem e der Stammsilbe nach § 12 nach sich zog. Schwankend ist die Vertretung vor r : vgl. idg. *uperi : got. ufar, ahd. ubar. Daneben im Akk. Sg. der r-Stämme idg. -erro zu -eru(n) : got. fadar, bröpar, dáuhtar : ahd. fater, muoter, bruoder, tohter. Doch ist hier nicht abzusehen, inwieweit diese Formen vom alten Nom. Sg. auf idg. -ir her beeinflußt wurden. 2. idg. o nimmt weitgehend an der Umformung zu germ, a teil: vgl. 3. pi. ind. prs. der starken Verben idg. -onti : got. nimand, ahd. nëmant, as. nëmad 'sie nehmen'. Doch muß sich die Entwicklung in den Mittelsilben später vollzogen haben als in den betonten Stammsilben, wie die antik bezeugten Germanennamen Lango-bardi, Chario-valdus zeigen, welche in der Stammsilbe des ersten Gliedes bereits germ, α für idg. o zeigen, in der nebentonigen Kompositionsfuge aber noch altes -o- bewahrt haben. Hierzu fügt sich, daß sich nur im Got. die Entwicklung zu a stets vollzieht, während im As. und Ahd. vor m ein u für idg. o erscheint : dat. pl. o-Stämme : *-o-mis : got. dagam, aber as. dagum, ahd. tagurn', 1. pi. ind. prs. der starken Verben:idg. -omes: got. nimam, aber ahd. nëmumës. 3. idg. a ist teilweise schon voreinzelsprachlich geschwunden, teilweise vermutet man eine Entwicklung zu germ, u in Fällen wie der 1. pl. prt. der starken Verben idg. *-ame (vgl. aind. bubudhimà) : got. budum, ahd. butum 'wir boten'. 4. Nicht eindeutig ist die Entwicklung von idg. ë in den Mittelsilben. Im Got. dürfte ä die Entsprechung sein (vgl. idg. g > got. a in Endsilben § 57) : inf. prs. der -ëw-Verben : idg. -ênom : got. haban ; 3. pl. ind. prs. -ènti : got. haband 'sie haben'. Die gleiche Lautentwicklung auch in der 2. sg. ind. prs. idg. -ëfesi über germ, -ëjis(i) zu -ëis und weiter zu got. -ais in habais 'du hast', ebs. in der 3. sg. und 2. pi. got. habaip. Das so entstandene ai wird analogisch in das Praeteritum übertragen; got. habaida 'ich hatte'. In den ahd. Formen hohes, habet dürfte das ë eher aus -aientstanden sein (s. unten 6 und vgl. § 59), so daß die ahd. Formen den gotischen entsprechen, als daß hier athematisches *-êsi, *ëti zu ahd. -es, -et geführt hat. Die Formen des übrigen Paradigmas wären dann analogisch danach geformt.
Idg.-Germ. Mittelsilbenvokale §§ 59-60
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5. idg. ä und ö fielen zunächst in germ, δ zusammen; dies bleibt im Got. stets erhalten, während es vor -n im As. als u, im ahd. als ü erscheint, sonst aber stets as. o neben ahd. ö. Vgl. dat. pl. ö-Stämme: *-ämis : got. gibôm, ahd. gëbôm, as. gëbon; dat. pl. F n-Stämme: *-ön-mis : got. tuggôm, ahd. zungôm, as. tungon; nom. pl. F η-Stämme: *-önes : as. tuggôns, ahd. zungûn, as. tungun; aber 3. pl. ind. prs. der δη-Verben: *-änti : got. salbönd, ahd. saïbônt, as. saîbod analogisch zum übrigen Paradigma. 6. Idg. oi wird zu germ.-got. ai, das im As. und Ahd. zu ë monophthongiert wird: vgl. Dat. PI. des starken Adj: got. blindaim : ahd. blintém·, 2. Pl. Opt. Prs. idg. *-oite : got. baíraipt ahd. bërët 'ihr mögt tragen'. § 60. Kurzer Vokal der Mittelsilbe ist synkopiert worden, wenn die vorausgehende Silbe natura oder positione lang war, d. h. entweder einen Langvokal bzw. einen Diphthongen zeigte oder einen kurzen Vokal, der durch mehrfache Konsonanz gedeckt war, oder wenn zwei Silben dem Vokal vorausgingen. Die Stellung des Gotischen zu diesem Synkopierungsvorgang ist unklar, da es teilweise solche Synkopierungen zeigt, teilweise nicht. Im As. und Ahd. liegen die hier einschlägigen Synkopierungserscheinungen bereits vor der westgermanischen Konsonantengemination, da die durch sie entstandene Positionslänge nicht zur Synkope führt. Es ist weiterhin festzustellen, daß diese Synkopierung im As. wie im Ahd., wenn sie überhaupt allgemein Gültigkeit hatte, sekundär durch starke Analogiewirkungen überkreuzt wurde. Der Synkopierungsvorgang ist im As. und Ahd. klar zu erkennen beim Prt. der schwachen Verben erster Klasse, wo dem Gotischen parallele Erscheinungen fehlen. Vgl. Synkope des Bindevokals -i- : a) bei altem Langvokal bzw. altem Diphthongen: got. wênjan 'hoffen, warten' Prt. wïïnida : as. wända, ahd. wänta· got. dailjan 'teilen' Prt. dailida : as. dëlda, ahd. teilta·, - b) bei kurzem Vokal, dem mehrfache Konsonanz folgt: ahd. küssen 'küssen' : kusta; ahd. werden 'wenden' : wanta; - c) nach mehrsilbigem Stamm: ahd. mahalen 'geloben': mahalta. In gleicher Weise unterliegt im As. wie im Ahd. der Vokal der Kompositionsfuge der Synkopierungsregel, wenn auch in einigen Fällen analogische Umformungen greifbar werden: ahd. ër-haft 'ehrenhaft', ërd-rïchi, himil-richi, aber taga-Ιδη, turi-wart, bota-skaft usw. Anm. 1. Wo ja-Stämme das erste Glied des Kompositums stellen, hat eine analogische Lösung Platz gegriffen, durch die adjektivische ja-Stämme bei Länge der ersten Silbe völlige Synkope zeigen (vgl. ahd. milthërzi, kuon-heit), während substantivische ja-Stämme bei Länge und Kürze der ersten Silbe -i- zeigen: ahd. sunti-lös, heri-bërga. Anm. 2. Im Gotischen fügen sich die ja- und i-Stämme als erste Glieder eines Kompositum der Synkopierungsregel: nach langer erster Silbe er-
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Vokalismus
scheint bei den ja-Stämmen -i- : andi-laus 'endlos', arbi-numja 'Erbnehmer', nach kurzer erster Silbe aber erscheint -ja- : alja-kuns 'anderswoher stammend', frapja-marzeins 'Verstandestäuschung'. Bei den iStämmen fehlt nach langer erster Silbe der Vokal der Fuge, während er nach kurzer erhalten ist: brüp-faßs 'Bräutigam'; mari-saiws 'Meer'. Im Gegensatz hierzu zeigen die u-Stämme stets ü, vgl. fotu-baúrd 'Fußschemel', filu-fáihs 'bunt', während bei den a-Stämmen Fälle mit und ohne a in der Kompositionsfuge ohne, erkennbare Regel nebeneinander stehen: auga-daúro 'Fenster' : gud-hüs 'Tempel'; lausa-waúrds 'leeres Gerede vollführend' : laus-handja 'mit leeren Händen'. In einer Reihe anderer Fälle ist die Synkopierung sekundär analogisch ausgeglichen worden. Typisch für solche Ausgleichungen ist etwa ahd. ander, dessen flektierte Formen bei Isidor stets Synkope des e der Mittelsilbe zeigen (z. B. Dat. Sg. andremo), während in anderen Denkmälern analog zu ander auch aneleremo usw. erscheint. Überhaupt zeigt das älteste Ahd. häufigere Belege für diese Synkope wie die späteren Quellen (vgl. Paul in PBB. 6, 153 u. 12, 552). § 61. In vorliterarischer Zeit hat sich im As. und Ahd. zwischen einem Konsonanten und r, l, m, η dann ein Sproßvokal entwickelt, wenn diese Laute durch den Abfall der ursprünglichen Endung in den Auslaut treten. Seine Form ist u oder o. Im As. ist die ursprüngliche Form der Sproßvokalbildung gewahrt: as. fugai, aber Gen. Sg. fugles. In den ältesten ahd. Quellen erscheint der Sproßvokal in den Formen mit Flexionsendungen dann, wenn die erste Silbe kurz ist, er fehlt aber bei langer erster Silbe: ahd. fogal, Gen. fogales, aber Mütar, Gen. hlütres. Diese Verteilung fügt sich zu der oben § 60 gegebenen Synkopierungsregel. Erst im 9. Jh. setzt sich der Sproßvokal auch bei vorausgehender langer Silbe durch: Mütar, Gen. Mütares usw. Der hier entstandene Sproßvokal bleibt fest und nimmt an der späteren Lautentwicklung teil. Dadurch unterscheidet sich diese Sproßvokalbildung von einer zweiten, die einen Sproßvokal nicht regelmäßig kennt. Und zwar erscheint auf dem ganzen ahd. Sprachgebiet fakultativer Sproßvokal zwischen r, l und h sowie zwischen r, Z,selten auch s,und w: ahd. bifëlhan : bifëlahan 'befehlen'; forMa : forahta 'Furcht'; garwen : garawen 'bereiten'; mëlo Gen. mëlwes : mëlewes 'Mehl', dazu milwa : miliwa 'Milbe'; zëswa : zësawa 'rechte Hand'. Der Sproßvokal paßt sich sehr oft dem vorausgehenden oder dem folgenden Vokal an; er wird mit dem späten Ahd. seltener geschrieben, schwindet erst in der mhd. Zeit vollständig. Aufs Alemannische und Bairische beschränkt bleibt eine Sproßvokalbildung zwischen r und Labial oder Guttural, ferner zwischen r und l : ahd. arbeo : aripeo 'Erbe'; ahd. wërk : wëràh 'Werk'; ahd. karl : charal
Vokale der Vorsilben §§ 60-63
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'Mann'. Fälle wie ahd. wërah 'Werk', storah 'Storch' zeigen, daß der Sproßvokal hier zur Zeit der zweiten Lautverschiebung vorhanden war. Diese Sproßvokalbildung schwindet in mhd. Zeit infolge der nach r, l um sich greifenden Synkope. 3. Die E n t w i c k l u n g der n i c h t h a u p t t o n i g e n Vokale in ahd. und mhd. Zeit § 62. Die Vokale der nichthaupttonigen Silben erfahren in der ahd. und in der mhd. Epoche ganz wesentliche Veränderungen. Die starke Ausprägung des Hauptakzentes und wohl auch eine Beschleunigung des Sprechtempos führt zur Schwächung der nichthaupttonigen Silben in Qualität und Quantität, sofern nicht ein Nebenton sie schützt. Der Abschwächungsvorgang führt zunächst zur Kürzung alter Längen und zur Aufgabe der vollen Vokalqualität zugunsten eines meist als e, seltener auch als i geschriebenen Murmelvokals. Er beginnt bei den Vokalen der vortonigen Silben, also bei den Präfixen der Verben, die dem germanischen Wortakzent vorausgingen, und bei solchen Präfixen der Nomina, die sich sekundär der verbalen Wortbetonung anschlossen. Ihr Zerfall ist bereits im 9. Jh. in vollem Gange. Auf sie folgen zuerst die kurzen, dann die langen Vokale unbetonter Mittelsilben und schließlich die Endsilben, deren Reduzierung im 10. Jh. deutlicher spürbar wird. Bei all diesen Abschwächungsvorgängen gehen die fränkischen Denkmäler den alemannisch-bairischen voraus; vor allem das Alemannische bleibt konservativ, wo sich volle Langvokale teilweise bis in die mhd. Zeit hinein als volle Kurz vokale behaupten können. Der zweite Teil dieses Vorganges, die Ausdrängung unbetonter Vokale, wird in spätahd. Zeit in den bairischen Quellen bereits vereinzelt sichtbar, bleibt aber noch selten, bis er um 1200 mit größerer Häufigkeit erscheint; schwächer und später folgt das Alemannische, dann das Ost- und Südfränkische, während das Rheinfränkische vor allem in seinem Norden, das Mittelfränkische und auch die ostmitteldeutschen Mundarten weniger zur Synkopierung und Apokopierung neigen. a) Der Vokalismus der Vorsilben § 63. Soweit die Vokale der Vorsilben vor dem Wortakzent stehen, unterliegen sie bereits in ahd. Zeit der Reduzierung. Dies ist stets der Fall beim verbalen Kompositum, das seit vorliterarischer Zeit den Wortakzent auf der Stammsilbe trägt. Beim nominalen Kompositum aber behalten die ahd. Präfixe ant-, ur-, bi-, in-, furi- den germanischen Akzent, während sich bei ahd. ga-, za- wohl schon in vorahd. Zeit die verbale Stammbetonung auch im nominalen Kompositum durchsetzt:
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Vokalismus
diese Vorsilben erfahren daher die gleiche Reduzierung beim Nomen wie beim Verb. Im Bereich dieser Aufspaltung schließen sich die denominativen Verben in der Regel dem Verhalten des Nomens, die deverbativen Nomina dem des Verbs an. In einigen Fällen geht auch die Präposition den gleichen Weg wie die verbale Vorsilbe, weil sie in der Regel unbetont vor dem Nomen steht, also der Reduzierung unterliegt. ant-, das im nominalen Kompositum den Wortakzent behält und dessen Vokal daher dort nicht reduziert wird, erscheint im verbalen Kompositum nur mehr in den ältesten Quellen als ant-, Regelform der ahd. Zeit ist die Abschwächung int-, daneben seltener ent-, das im Spätahd. häufiger wird und in der mhd. Zeit die Regelform bildet. Vgl. ahd. antlä* 'Entlassung', mhd. antläj 'Ablaß', aber frühahd. antläjen > intlä^en, mhd. entlüden 'entlassen'. Daneben aber zum Nomen Antwort gebildet das denominative Verb antworten. ga- erscheint nur mehr selten in fränk. Quellen beim nominalen oder verbalen Kompositum, gi- ist schon im 9. Jh. die Regel; das Gleiche gilt für die alem. Quellen; nur im bair. Bereich bleibt ga- bis etwa zur Mitte des 9. Jh., um dann gi- zu weichen. Neben gi- tritt dann im 10. Jh. allgemein ge-, das seit dem 11. Jh. die allgemeine Form ist. za hat als Präposition wie als Präfix die gleiche Entwicklung etwas früher durchlaufen. Die frühen frk. Quellen zeigen nur zi, die alem., die in den frühesten Belegen noch za neben zi und ze kennen, haben seit, dem 9. Jh. nur zi ; auch hier halten die bair. Denkmäler za neben ze und seltenerem zi noch im 9. Jh. Im 10. Jh. stehen zi und ze nebeneinander, ze setzt sich im 11. Jh. weitgehend durch. bi, Präposition wie Präfix, hält sich bis ins 10. Jh. und weicht dann be, während sich als Präposition das urspr. adv. bï durchsetzt. ur, Präposition wie Präfix. Im nominalen Kompositum bleibt ur- unterm Wortakzent erhalten, im verbalen Kompositum aber und als Präposition zeigen nur mehr die ältesten obd. Quellen ur, sonst aber ar, bis im 9. Jh. ir und er herrschend werden, von denen er sich durchsetzt. Als Präposition wird es schon im 9. Jh. von dem ursprünglich adverbialen Mj abgelöst. Vgl. mhd.urteil : erteilen; nach Urteil dann das denominative Verb urteilen, nach erteilen das deverbative Nomen Erteilung. furi- behauptet sich im verbalen Kompositum als fur, for nur im Ostfrk. bis ins 9. Jh., während die übrigen frk. Denkmäler selten far-, häufiger fir-, fer- bieten. Im Obd. ist for- selten und alt, far- die Regel, bis seit dem Ende des 9. Jh. fir-, fer- sich durchsetzen, in spätahd. Zeit ver- sich verallgemeinert : vgl. mhd. vürsatz : versetzen. In den Vorsilben bi- und ga- ist schon in vorahd. Zeit der auslautende Vokal vor vokalischem Anlaut des zweiten Wortteiles geschwunden, so etwa schon ahd. gëfôan als P P zu ëjjan 'essen', ahd. gunnen 'gönnen',
Vokale der Mittel- und Endsilben §§ 63-64
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ga-unnan, mhd. erbunnen 'mißgönnen' < *bi-unnan usw. Synkope der reduzierten Vokale in den Vorsilben be-, ge-, ver- erscheint im Bair. vor r, l, m, «..seltener auch, vor w seit dem 11. Jh. und ist dann im ganzen dt. Sprachraum anzutreffen; doch bleiben die unsynkopierten Formen stets möglich, so mhd. bllben neben belïben, gnäde neben genäde, vliesen neben Verliesen usw. Die nhd. Schriftsprache hat in einer Reihe von Fällen die synkopierte Form bei den Vorsilben be- und ge- zur Norm erhoben: vgl. gleich, Gleis, Gnade, Glück, bleiben usw. Synkopierung des Vokals vor Verschlußlauten ist nur in bair. Denkmälern anzutreffen. § 64. b) Der V o k a l i s m u s der Mittel- und E n d s i l b e n Anm. Seit dem Verfall der germanischen Endungssilben sind die Begriffe Mittel- und Endsilben nicht mehr klar zu unterscheiden, da vor allem beim mehr als zweisilbigen Nomen in vielen Deklinationsklassen die Ableitungssilbe im Nom. Akk. Sg. nun als Endsilbe erscheint, während sie in den übrigen Kasus noch als Mittelsilbe fungiert: vgl. germ. *kuningaz : ahd. kuning, aber Gen. Sg. kuninges. Im folgenden werden Silben dieser Art als Mittelsilben bezeichnet. In der Entwicklung des Vokals der Mittelsilben vollzieht sich in ahd. Zeit bereits sehr früh eine Trennung derart, daß ein kurzer Vokal vor einfacher Konsonanz seine feste Qualität wesentlich früher aufgibt als ein kurzer Vokal vor mehrfacher Konsonanz oder als ein langer Vokal. Kurzer Vokal vor einfacher Konsonanz neigt seit der Frühzeit der Denkmäler dazu, sich von einem benachbarten Vokal beeinflussen zu lassen und sich ihm anzugleichen. Dabei ist es gleichgültig, ob der Vokal der Mittelsilbe germanisches Erbe bzw. aus altem Lehngut übernommen oder ob er Sproßvokal ist. Die einzelnen Denkmäler sind im Ausmaß dieses Vorganges sehr ungleich und lassen keine festen Regeln erkennen. Im allgemeinen ist die Angleichungstendenz an den folgenden Vokal größer als an den vorausgehenden: vgl. zëhan; zëhen, zëhini als Formen für 10; offan: offenen, offenen. Daneben besteht die Tendenz in der Mittelsilbe zunächst a zu verallgemeinern, auch da, wo es an die Stelle älterer o, u tritt; vgl. die alten Lehnwörter: diabolus : tiufal; speculum : spiagal·, tegula : ziagal usw. Am festesten gegenüber diesen Umformungen verhält sich i. Mit dem ausgehenden 10. Jh. wird in den Quellen für alle diese Vokale die Schreibung durch e häufiger, die in der spätahd. Zeit weitgehend die Regel ist. Wesentlich konservativer ist kurzer Vokal vor mehrfacher Konsonanz. In den Ableitungssilben ahd. -in(n)-, -ing-, -ung(a), -ling-, -isk- bleibt er im allgemeinen erhalten und gilt auch in mhd. Zeit, weil er hier durch einen Nebenton vor der Abschwächung bewahrt bleibt. Doch erschei-
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Vokalismus
nen auch hier bereits ahd. vereinzelte Abschwächungsformen mit -e- in spätahd. Zeit, so -enn- für -inn-, -esk- für -isk- bei Notker, ohne daß diese Formen die ursprünglichen Vokale je ganz verdrängen konnten, die sich in der mhd. Zeit behaupten und zum guten Teil ja auch in der Schriftsprache Gültigkeit gewonnen haben. Langer Vokal bleibt in der Qualität bis in die spätahd. Zeit hinein in der Regel erhalten, erfährt aber teilweise Verminderung in der Quantität; so bezeichnet etwa Notker das δ der schwachen Verben zweiter Klasse nicht mehr als Länge, wenn eine langvokalische Endung folgt: also skadotön aber skadôta. Auch bei den schwachen Verben der dritten Klasse wird ë bei Notker nur mehr im Ind., Imp. und Inf. Prs. als Länge bezeichnet, sonst fehlt jede Charakterisierung als Langvokal, so daß der Laut bereits gekürzt gewesen zu sein scheint. Den Stand in den übrigen Quellen können wir kaum beurteilen, da die Quantität in der Regel unbezeichnet bleibt. Qualitative Veränderungen bleiben vereinzelt, so etwa u für ö der schwachen Verben zweiter Klasse, das häufiger erst in bairischen Quellen der spätahd. Zeit sichtbar wird, a für ë bei den schwachen Verben der 3. Klasse, das seit Otfried in fränkischen Quellen gelegentlich erscheint, aber erst spätahd. in den bairischen Denkmälern häufiger belegt ist. Langvokale halten sich hier bei δ und ϊ im Alemannischen, seltener im Bairischen bis in die mhd. Zeit hinein, während auf fränkischem Boden die mhd. Zeit allenthalben die Abschwächung zu e vollzogen hat; die einzige Ausnahme bildet ahd. -ari als Suffix der Nomina agentis, das mhd. als -sere erscheint, bis es von -er(e) < ahd. -ari, -eri verdrängt wird. In den Endsilben setzt der Verfall im 9. Jh. langsam ein, und zwar auf fränkischem Boden, wird aber erst im 10. Jh. deutlicher. Im allgemeinen bleiben in dieser Entwicklung a und o relativ lange fest, während i und u seit dem 9. Jh. als e und o zu erscheinen beginnen, ein Lautstand, der im 10. Jh. allgemein gilt, -e zeigt seit dem 10. Jh. im Bair. die Neigung, in -a überzugehen, was in fränkischen und alemannischen Quellen wesentlich seltener zu belegen ist. Im 11. Jh. gilt dann e für die fünf Vokale fast allgemein; der nur im Alem. und Bair. belegte Diphthong -iu bleibt im Auslaut bis in die mhd. Zeit hinein erhalten. Eine eindeutige Entwicklung für die einzelnen Vokale kann nicht gegeben werden, da die einzelnen Quellen sehr stark differieren, ja ζ. T. die gleichen Quellen im Auslaut verschiedenen Vokalstand bieten. Es sei daher hier auf die bei der Formenlehre vermerkten Einzelheiten verwiesen. § 65. c) A p o k o p e u n d S y n k o p e Der zweite Akt der Vokalentwicklung in Mittel- und Endsilben, die Ausdrängung des unbetonten e unter bestimmten lautlichen und auch
Apokope und Synkope §§ 64-65
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rhythmischen Voraussetzungen, vollzieht sich nicht nur in den einzelnen Mundarten in ganz verschiedenem Ausmaß, sondern in jeder Mundart werden die lautgesetzlichen Tendenzen wieder durch Analogiewirkungen gestört, weil im gleichen Paradigma unbetontes e je nach der lautlichen Umgebung einmal der Ausdrängung unterliegt, das andere Mal erhalten bleibt, so daß nun der Systemzwang zum Ausgleich der Verschiedenheiten drängt, was wiederum zu Restituierungen führt, manchmal wohl auch zu analogischen Ausweitungen der Synkope. Daher zeigen die folgenden Angaben nur Situationen auf, in denen die Synkope lautgesetzlich erfolgt; doch erscheinen immer und überall die gleichen Formen mit restituiertem e daneben. Das gilt auch für den obd. Bereich, der generell der Synkope stärker zugetan ist als der mitteldeutsche. Ausdrängung von e in Mittel- und Endsilben ist zu beobachten: 1. bei kurzer Stammsilbe nach l und r. Sie ist in den klass.-mhd. Texten für die Endsilben fast allgemeingültige Regel : vgl. mhd. spil: Gen. Sg. spils, Dat. Sg. spil, Gen. PI. spil, Dat. PI. spiln; ahd. aro : mhd. ar 'Adler'; Dat. PI. arn; ahd. neriu : mhd. ner 'ich nähre': nerst, nert, nern usw. In nachklassischer Zeit erscheint in md. Texten häufiger e, in den obd. seltener. In Mittelsilben ist die Synkope nach kurzer Stammsilbe bereits im Spätahd. Notkers gut bezeugt : gemalnemo, verlornej usw. Sie erscheint ebenso in mhd. Zeit, aber neben mhd. gemähtem, verlorne3 treten unter Systemzwang die Restituierungen gemalenem, verlorene3 usw. Bei langer Stammsilbe zeigt wiederum Notker bereits Belege wie etwa sälda : ahd. salida 'Glück', mhd. scdde-, zierda: mhd. zierde usw. Doch bleiben diese Belege auch in mhd. Zeit auf den obd. Raum beschränkt, wirken von dort her in der klass.-mhd. Sprache nach, sind aber in nachklassischer Zeit in den md. Texten nicht eben häufig; vgl. mhd. geveerde 'Hinterlist', geb&rde, trürde 'Trauer'. 2. nach den Ableitungssilben -el, -er, -en, -em. Auch hier ist die Ausdrängung bereits im Spätalemannischen Notkers greifbar, vgl. andermo, luzelmo, unserro usw. ; sie ist klass.-mhd. sehr verbreitet, ebenso in nachklassischer Zeit ; ahd. dër gifangano : mhd. dër gevangen, PI. die gevarigen (< -enen); mhd. ahsel, ahsein·, lüter, Gen. lüters-, wagen, wagens usw. Hierher auch mhd. michelme neben michelem(e), michelre neben micheler (e) usw. 3. bei kurzer Stammsilbe nach m, n. Die erst mhd. greifbaren Belege sind mundartlich beschränkt ibes, auf obd. Mundarten und deren Grenzzone: ahd. hano : mhd. han, hane; ahd. namo : mhd. nam, name·, manet : mant; nimet: nimt' nement : nem(n)t usw. Bei langer Stammsilbe werden Ausdrängungsfalle nach m, n, ng erst spätmhd., ibes, spätbair. deutlicher greifbar : vgl. dienen : dien ; pluomen : pluom; gevangen : gevang usw.
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Vokalismus
4. zwischen gleichen oder artikulatorisch nah verwandten Konsonanten: vgl. bceseste : boeste; wirseste : wirste; weinende : weinde; beveste : beste-, betete : bette-, wartete : wart(t)e; nïdete : nïte usw. Sehr verbreitet ist diese Synkope nach langer Stammsilbe auf t, d in der 3. Sg. Ind. Prs. : ahd. rätit : mhd. rœt; ahd. fintit : mhd. vint-, ahd. wirdit : mhd. wirt; doch stehen auch hier restituierte Formen wie roetet, rindet usw. daneben; nach kurzer Stammsilbe erscheint hier die Synkope vor allem alem.: badet : bat; erstatet : erstat usw. 5. zwischen h und t resp. s : ahd. sihist, sihit : mhd. sihst, sïht ; slehit : sieht usw. 6. zwischen betonter Stammsilbe und unbetonter Endung : vgl. mhd. ambet, Gen. amptes ; dienest, Gen. dienstes ; market, Gen. marides, wonach wiederum die Nominative ampt, markt, dienst entstehen. In gleicher Weise erklärt sich das Nebeneinander von weihisch : welsch, tiutesch : tiutsch, ferner ahd. mennisko : mhd. mensche, aber meneschlich, em$ec, aber emejlich; minner e : minre; ahd. gimeinida : mhd. gemeinde; ahd. frewida : mhd. vröude; ahd. dionöta : mhd. diente ; ahd. /olgèta : mhd. volgte usw. 7. bei unbetontem e der Endsilbe, wenn haupt- und nebentonige Silbe unmittelbar vorausgehen: — - e > - -: boumgarte > boumgart; äbendes > äbents; kirmësse > kirmSs u. ä. 8. bei satzunbetonten Wörtern ist die Ausdrängung von e stark verbreitet : vgl. abe > ab ; mite > mit ; hërre, vrouwe werden vor Namen zu her, vrou; mines > mïns; dïnem > dim; eine3 > e¿wj; hete > het; wœre > wœr; worden > worn usw. Außer den hier genannten Fällen ist die Ausdrängung von e vor allem in spätmhd. und frühnhd. Zeit in kleineren, vor allem obd. Mundartgebieten festzustellen; zum Teil greift die Ausdrängung wohl auch analogisch weiter. Im schriftsprachlichen Bereich wird die Synkope und Apokope in der eigentlichen nhd. Zeit vor allem bei den Flexionsendungen stärker zurückgedrängt. Über die hier sich einstellenden Regulierungen vgl. die Formenlehre passim.
V. KAPITEL
Der Ablaut § 66. Als "Ablaut" (Alternation) bezeichnet man einen sich nach festen Regeln vollziehenden Wechsel in der Qualität und Quantität der Vokale innerhalb etymologisch verwandter Wortteile, also in Stammsilben, Ableitungssilben und Endungen, der von jeder Beeinflussung durch die
Ablaut §§ 65-66
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umgebenden Laute unabhängig ist. Durch den Ablaut treten bestimmte Vokale in ein festes Verhältnis zueinander dadurch, daß sie miteinander wechseln. Durch die Unabhängigkeit des Vokalwechsels von der lautlichen Umgebung scheidet sich der Ablaut deutlich vom 'Umlaut', wo die Vokalveränderung stets von einem der benachbarten Laute verursacht wird. Er wird ferner vom Umlaut dadurch geschieden, daß er bereits indogermanischen Alters ist, während alle Umlautserscheinungen sich innerhalb der germanischen oder der deutschen Sprachepoche vollzogen haben. Auf Grund des hohen Alters des Ablautes nehmen alle ihm unterliegenden Vokale an den typischen Vokalentwicklungen des Germanischen und Deutschen teil ; dies hat zur Folge, daß ursprünglich einheitliche Ablautserscheinungen der idg. Zeit innerhalb der germanischen und deutschen Sprachepoche sich nicht unerheblich auseinander entwickelten, wie andrerseits verschiedene idg. Ablautserscheinungen innerhalb des Germanischen auch zusammenfielen. Der Ablaut wird daher als sprachliche Erscheinung nur deutlich, wenn man von der idg. Sprachepoche ausgeht. Die Ablautserscheinungen sind für die germanische Sprachgeschichte deshalb so wichtig, weil bestimmte von ihnen in der germanischen Wort- und Formenbildung größte Bedeutung erlangten und heute noch lebendig sind. Innerhalb der Gesamterscheinung des idg. Ablautes unterscheidet man zwei Arten, die freilich in der Regel miteinander verbunden sind, und zwar 1. die sog. "Abtönung" oder den qualitativen Ablaut, bei dem die Qualität der Vokale verändert wird. Der häufigste idg. Wechsel dieser Art ist der zwischen idg. ë und o, wie er etwa vorliegt in lat. tego 'ich decke' : toga 'die Toga' eigtl. die Decke. Ebenso auch bei langen Vokalen: lat. pës 'der Fuß' : griech. dor. πώς. Aus den germanischen Sprachen gehört hierher etwa der Wechsel von ë : a (aus idg. o) in ahd. nëman 'nehmen' : nam 'nahm', oder von langen Vokalen got. lêtan 'lassen' : laî-lôt 'ließ'. Auch idg. ñ und o können so wechseln, vgl. griech. αγω : όγμος 'Furche'. 2. die sog. "Abstufung", den quantitativen Ablaut, durch den die Quantität der Vokale verändert wird. Geht man etwa von einer Kürze als der Normalstufe (Vollstufe) aus, so kann sie im quantitativen Ablaut entweder zur Länge gedehnt (Dehnstufe) oder bis zum Schwund des Vokals gekürzt werden (Schwundstufe): vgl. etwa lat. Acc. Sg. pëdem : Nom. Sg. pës 'Fuß'; das gleiche Ablautverhältnis in der Abtönung liegt zugrunde in griech. Acc. Sg. πόδα : Nom. Sg. dorisch πώς 'Fuß'. Im Germanischen ist hier zu vergleichen etwa got. niman (mit got. i aus germ, e) : nëmum 'wir nahmen'; as. nëman : nämun, ahd. nëman : nämum, beide mit ä aus germ. è. Andrerseits kann die Kürze bis zum Schwund reduziert werden: vgl. griech. πέτομαι 'ich fliege' : έ-πτόμην 'ich flog';
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Vokalismus
Dehnstufe, Normalstufe und Schwundstufe einer Ableitungssilbe werden deutlich sichtbar in griech. πατήρ : πατέρα : πατρός; entsprechend im Germanischen das Verhältnis im stammbildenden Suffix von got. bröpar 'Bruder' < idg. *bhrâtër : acc. pl. bröpruns < idg. *bhrätrns. Im Bereich des quantitativen Ablauts wird auch eine weitere Differenzierung des idg. Ablauts deutlich. Während in den bisher angezogenen Fällen stets von einer Kürze als der Normalstufe auszugehen war, die entweder gedehnt oder bis zum Schwund reduziert werden konnte, gibt es innerhalb der idg. Ablautsreihen solche, in denen zwar Vokallängen erscheinen, aber keine kurzen Vokale; in diesen Fällen kann der Vokal zu einem Murmelvokal a reduziert werden (Reduktionsstufe), der in den idg. Sprachen in der Regel als ä, nur im Altindischen aber als ì erscheint. Solchen Ablautsreihen fehlen also kurze Vokale: vgl. lat. stä-re : stä-tus = griech. στατός = aind. sthitás < idg. *statós ; im Germanischen gehört etwa hierher das Verhältnis von got. lëtan, as. latan, ahd. lä^an 'lassen' : got. lats, as. lat, ahd. í a j 'lässig', aus idg. *hdos. § 67. Aus der Fülle der idg. Ablautsmöglichkeiten sind bestimmte für die germanische Wort- und Formenbildung von großer Bedeutung geworden. Wir betrachten hier nur solche idg. Ablautsverhältnisse, die fürs Germanische von unmittelbarer Bedeutung sind, um die Vielgestaltigkeit der Entwicklung zu zeigen und zu erklären, die sie innerhalb des Germanischen erfuhren. Die z. T. analogischen Angleichungen, welche die ablautenden Formen des starken Verbs innerhalb der deutschen Sprachentwicklung erfuhren, werden bei der Tempusbildung des starken Verbs besprochen. Die häufigste und geläufigste Ablautserscheinung innerhalb der idg. Sprachen variiert idg. ë wie folgt : Normalstufe : idg. e : Abtönung idg. o Dehnstufe : idg. ë : Abtönung idg. ö Schwundstufe: idg. 0. Dieses Ablautsverhältnis ist etwa erkennbar in dem Nebeneinander von lat. pedem : griech. πόδα : lat. pës : griech. dor. πώς : griech. έπφδαί, wo in bd-ai die Schwundstufe der in *ped, pod- vorliegenden Wurzel erscheint: "die (einem Fest) auf dem Fuße (folgenden Tage)." In den germanischen Sprachen wird dieses Ablautsverhältnis idg. e : o : è : δ : 0 mannigfach differenziert: a) I n der einfachsten Form der Weiterentwicklung muß erscheinen : got. i bzw. ai (§ 14) : a (§ 11) : ë : δ : 0. as. ë bzw. i (§§ 11, 12, 18) : a bzw. e (§§ 11, 29) : ä (§ 21) : δ : 0. ahd. ë bzw. i (§§11,12, 18): a bzw. e (§§ 11, 29) : α (§21) : «o (§23) : 0. so weisen auf idg. *sed zurück :
Ablaut §§ 66-67
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got. sitls 'Sitz, Stuhl', ahd. së^al 'Sessel, Stuhl'; got. sitan 'sitzen'; as. sittian, ahd. sizzen 'sitzen' (germ. *sitjan). auf idg. *sod- : got. satjan 'setzen' ; as. ahd. mit primärem i-Umlaut as. settian, ahd. sezzen. auf idg. *sêd- : got. anda-sëts, ahd. ant-sä^ic 'entsetzlich'. auf idg. *zd- : ahd. nëst 'Nest' aus idg. *ni-zd-os ( = lat. nidus) eigtl. 'Nieder-sitz'. Diese Form des idg. e/Ö-Ablauts ist innerhalb des Germanischen nur dort möglich, wo germanische Spiranten oder Verschlußlaute dem ablautenden Vokal unmittelbar folgen; sie ist daher bei den starken Verben der 5. Ablautsreihe Regel, wo jedoch die Schwundstufe im Part. Prt. durch die Normalstufe ersetzt ist: vgl. ahd. gëban : gab : gabwm : gigëban. Überall sonst muß dieser Ablaut verändert erscheinen aus Gründen, die teils im Germanischen, teils im Idg. begründet liegen. Solche Sonderformen bieten sich in den germanischen Ablautsreihen 1-4. b) Die 1. Ablautsreihe ist dadurch charakterisiert, daß das ablautende idg. é vor idg. i steht, mit dem es den Diphthongen idg. ei bildet. Daneben tritt zunächst die Abtönung idg. oi. Die Erscheinungen der Dehnstufe bleiben für das Germanische unwesentlich, da es keine Langdiphthonge bewahrt. Als Schwundstufe muß idg. i erscheinen: vgl. griech. λείπω 'lasse zurück', Pf. λέ-λοιπά : Aor. ε-λιπον; oder lat. fido (alat. feido) 'ich vertraue' : foedus 'Vertrag' (oe aus oi) : lat. fïdes 'Treue'. Im Germanischen erscheint idg. ei als i, oi als ai, i als i oder e (vgl. §§ Π , 12). idg. *ueid- : got. fra-weitan 'rächen, strafen', ahd. far-m^an 'strafen, verweisen', als Simplex as. untan 'vorwerfen', ahd. wl^an 'verweisen', idg. *uoid- : ahd. wei^an 'wissen machen, beweisen'; got. wait, as. wët, ahd. weij 'ich weiß'. idg. *jiid- : got. as. witan 'wissen', ahd. wi^jan. e) Die 2. Ablautsreihe ist dadurch charakterisiert, daß das ablautende idg. e vor einem idg. u steht, mit dem es den Diphthongen eu bildet. Entsprechend der Typik beim i-Diphthong treffen wir daher einen idg. Ablaut eu : ou : u. Innerhalb der germanischen Einzelsprachen erscheinen daher in der Normalstufe die Vertretungen von idg. eu, also got. iu, aber as. ahd. iojiu ; in der Abtönung got. áu, as. ö, ahd. je nach dem folgenden Laut ou oder ö; in der Schwundstufe got. u oder aú, sofern h, hr, r folgen; as. ahd. wechseln u und o. idg. *leubh- : got. liufs 'lieb', as. Hof, ahd. liobßiub. idg. *l(mbh- : got. ga-laubjan 'glauben', as. gi-löbian, ahd. gi-louben 'glauben'. idg. *lubh- : got. -lubo 'Liebe', ahd. tuba 'ds.', gi-lubida 'Gelübde' ; ahd. lob 'Lob'.
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Vokalismus
idg. *geus- : got. kiusan, as. kiosan, ahd. kiosan 'wählen, prüfen', aber kiusu 'ich wähle'. idg. *gous- : got. kausjan 'kosten, prüfen'. idg. *gus- : ahd. ¿»¿-¿oröw'kosten, erproben', as. korön 'ds.', got. ga-kusts 'Prüfung', kustus 'ds.', ahd. kust 'Wahl'. d) In der 3. Ablautsreihe folgen auf das ablautende é Nasal oder Liquida + Konsonant (auch doppelter Nasal, doppelte Liquida). Hier wird bereits idg. bei der Schwundstufe der Nasal oder die Liquida Träger der Silbe, es entsteht also idg. n, m, r, l. Eine Dehnstufe kann im Germanischen nicht sichtbar werden, da idg. ë, δ vor Nasal oder Liquida + Kons, schon vorgermanisch (aber nicht idg.) gekürzt werden (vgl. § 13b). Wir haben daher folgende Vertretungen: idg. e idg. o idg. n, m, r, l a ur, ul germ. e vor liq. + cons. a un, um i vor nas. + cons. ul, aber aúr a got. i vor liq. + cons. a un, um i vor nas. + cons. a ur, ul bzw. or, 61 as. S vor liq. + cons. a un, um i vor nas. + cons. a ul, ur, bzw. ol, or ahd. 'è vor liq. + cons. a un, um i vor nas. + cons. vgl. idg. *y,ert- : got. waírpan, as. wëràan, ahd. wërdan 'werden' *y,ort- : got. fra-wardjan 'zunichte machen', ahd. farwerten *y.rt- : ahd. vrnrt 'Schicksal' neben Part. Prät. ahd. giwordan, got. waúrPans. idg. *kelb- : got. hilpan, as. hëlpan, ahd. hëlfan 'helfen *kolb- : got. halp, as. halp, ahd. half 'half' *klb- : got. hulpum, as. hulpun, ahd. hulpum 'wir halfen' got. hulpans, as. giholpan, ahd. giholfan 'geholfen', idg. *bhendh- : got. as. bindan, ahd. bintan 'binden' *bhondh- : got. bandi 'Band'; as. band, ahd. bant 'Band' *bhndh- : got. bundum 'wir banden', bundans 'gebunden'; as. bundun, ahd. buntum; as. gibundan, ahd. gibuntan·, ahd. gibuntili 'Bündel'. e) In der 4. Ablautsreihe folgt auf das ablautende idg. ë einfacher Nasal oder einfache Liquida. Wieder erscheint in der Schwundstufe idg. Nasalis oder Liquida sonans ; Dehnstufe ist lautlich möglich. Idg. sind also in dieser Reihe vorhanden: ë : δ : ë : ö jeweils vor einfachem Nasal oder einfacher Liquida, daneben Nas. bzw. Liq. sonans, wenn der Nasal oder die Liquida zum Silbenträger wird, sonst einfacher konsonantischer Nasal oder Liquida. Vgl. griech. πατέρα : εύπάτυρα : πατήρ : εύπάτωρ : πατράσι = aind. pitrsu 'bei den Vätern' : griech. πατρός. Fürs germ. vgl. idg. bher- : got. bairan, as., ahd. heran 'tragen
Ablaut §§ 67-68 idg. idg. idg. idg. idg. idg. idg.
*bhor*bhër*bhör*bhr*sker*skör*kel-
idg. *kolidg. *këlidg. *kl-
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: got. barms, ahd. barm 'Schoß'; got. as. ahd. barn 'Kind'. : got. bèrusjôs 'Eltern'; as. ahd. bära 'Bahre'. : germanisch ohne Beleg. : got. baúrpei, ahd. burdï 'Bürde'. : ahd. skëran 'scheren'. : ahd. skuor 'Schur'. : got. hilms, as. ahd. heim 'Helm' als 'Schutz' zu as. ahd. hëlan 'bergen', : got. halja, as. hellia, ahd. hella 'Hölle', : ahd. häli 'verbergend', : got. huljan, ahd. hüllen 'hüllen'.
Der gleiche Ablaut liegt auch vor beim Suffix der germanischen η-Stämme : Suffix idg. -en- : got. hanins, as. ahd. hauen gen. sg. des Hahns -on- : got. hanans, ahd. hanon nom. pl. die Hähne -in- : got. hana, aisl. hane nom. sg. der H a h n -on- : ahd. ouga, as. öga nom. sg. das Auge -n- : got. auhsnë der Ochsen. Die ersten 5 Reihen des germanischen Ablauts sind also nur die lautgesetzlichen Variationen einer einzigen idg. Ablautsmöglichkeit. Dabei fällt die Seltenheit des völligen Vokalschwundes auf, die nur bei den Diphthongen ei, eu und vor Nasal oder Liquida regelmäßiger in der Wort- und Formenbildung erscheint. Vor germanischen Spiranten und Verschlußlauten erscheint dagegen in der Regel die Normalstufe an ihrer Stelle: vgl. ahd. gi-gëban 'gegeben' neben der Schwundstufe in ahd. gi-ritan 'geritten'. Die zu erwartende Schwundstufe hätte hier den Silbenbestand vernichtet und ist deshalb aufgegeben worden. Aber außerhalb der hier umrissenen Kategorien ist sie durchaus noch anzutreffen: vgl. lat. genu 'Knie' : griech. γόνυ, aber got. kniu, ahd. knëo < germ. *kneuan, idg. *gneuom\ griech. δόρυ 'Speer, Holz' : got. triu, as. trio, ahd. treo < germ. *treuan, idg. *dreuom; got. fair-, ahd. fir- (vgl. griech. περί) : got. fra- (vgl. griech. πρό). § 68. Neben diesen idg. Ablaut idg. e/o treten andere : so idg. α, δ, ä, ö, 0 lat. ago, griech. ογμός 'Furche'; lat. amb-äges 'Umtrieb'; griech. άγ-ωγ-ός 'führend', aind. jmán- 'Bahn'. Ihre lautgesetzliche Entwicklung führt zu germ. ä : ä : ö : ö, da idg. ä und δ in germ. Η, idg. ä und ö in germ, δ zusammenfallen; Beispiele für die Schwundstufe fehlen dem Germanischen. Ferner haben wir hier zu nennen solche Ablautsreihen, denen der kurze Vokal überhaupt fehlt, so daß ein Langvokal als Normalstufe erscheint, der zu 3 reduziert wird (s. o. § 66, 2) :
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Vokalismus
idg. ä : δ : a vgl. etwa lat. fä-ri 'sagen : griech. φω-νή 'Stimme' : lat. fä-teri 'bekennen', oder ohne o-Abtönung lat. stä-re stehen : stä-tus = aind. sthitâs < idg. *stdtos. Auch hier muß die lautgesetzliche Entwicklung zu einem germanischen Ablaut: germ. ö : germ, a führen. Das gleiche trifft zu für einen idg. Ablaut ö : a, wie er etwa in dem Verhältnis lat. dönum 'Geschenk' : dä-re 'geben' faßbar wird. Diese von Haus aus verschiedenartigen Ablautsreihen haben zu einer einheitlichen germanischen geführt, die als 6. bezeichnet wird. Sie zeigt also die Vokale germ, ñ : δ got. ñ : δ as. ä :δ ahd. ä : uo. Eine Feststellung, welcher idg. Ablautstypus in dem germanischen Einzelfall vorliegt, ist vom Germanischen aus unmöglich. Hierher etwa: got. hana, as. ahd. hano 'Hahn' : as. hön, ahd. huon 'Huhn'; as. ahsla, ahd. ahsala 'Achsel' : ahd. uohsana 'Achselhöhle'. Got. du-stödjan 'anfangen', un-ga-stöps 'ohne bleibende Stätte', ahd. stuot'(Standplatz der Pferde), Pferdeherde : got. staßs, ahd. stat 'Stätte'. § 69. Eine idg. Ablautsreihe idg. ë : δ : 3 wird deutlich in dem Verhältnis griech. τί-θη-μι 'setze' : θωμός 'Schober' : aind. hitás, θετός; lat. fëcl : fació. Ihm muß entsprechen ein Lautverhältnis germ, ë : δ : ä got. ë : δ : a as. â :δ :ä ahd. ä : uo : ä Dieser Ablaut wird greifbar im Bereich der ablautend-reduplizierenden Verba des Gotischen, anderwärts nur mehr in der Wortbildung: vgl. got. lêtan : lai-löt ; as. latan, ahd. läjan 'lassen' : got. lats, as. lat, ahd. i a j 'träge'; got. tëkan, taí-tok 'berühren' : aisl. taka 'nehmen'; hierher auch got. ga-dêps 'Tat', as. däd, ahd. tat : as. don, ahd. tuon 'tun' ; got. slëpan, as. slâpan, ahd. släfan : mnd. slap, ahd. slaf 'schlaff'. § 70. Der idg. Ablaut bildet freilich nur den Ansatzpunkt, sozusagen das Gleis, in dem sich der germanische Ablaut bewegt. Sehr vieles ist hier seine eigenen Wege gegangen; analogische Entwicklungen sind nicht selten. Auf einiges sei kurz verwiesen: got. preihan 'drängen' ist st. Vb. 1. Ablautsreihe: prdih, pralhum, pralhans. Etymologisch verwandt ist ahd. dringan, drang, drungum, gidrungan 'dringen', ein starkes Verb der 3. Ablautsreihe. Got. preihan ist aus germ. *prinhan entstanden; durch den »-Schwund vor germ, h und die Ersatzdehnung entstand ein Stamm *Prih-, der zur ersten Ablautsreihe gezogen wurde, während
Konsonantismus §§ 68-70 das durch grammatischen Wechsel geschiedene germ. * pringann-Schwund erlitt, also in der 3. Ablautsreihe verblieb,
67 keinen
got. faran, för, forum, farans 'fahren' ist st. Vb. der 6. Ablautsreihe wie
as. ahd. faran auch; dazu aus germ. * forjan entstanden ahd. fuor en 'führen'. Der hier vorliegende Ablaut germ, ö : ä geht aber nicht auf die oben genannten idg. Ablautsreihen zurück, aus denen sich die germanische 6. Reihe bildet; denn zur gleichen Wurzel gehört ahd. furt 'Furt' aus idg. *prtom, aisl. fjordr < germ. *ferâuz < idg. *pertus. Hier liegt also eine idg. Wurzel *per vor. Das zur o-Abtönung gebildete faran, die dazugehörige Dehnstufe in germ. *förjan schaffen ein Ablautsbild, das sich dem der Verba der 6. Ablautsreihe völlig anpaßt.
DER
KONSONANTISMUS VI. KAPITEL
Der indogermanische Konsonantismus und seine Entwicklung in germanischer Zeit. Gotische Sonderentwicklungen 1. Allgemeines zur p h o n e t i s c h e n T e r m i n o l o g i e Eigenart und Lautcharakter eines Konsonanten ist eindeutig durch die Angabe dreier Kategorien zu klären : 1. Angabe der Stelle, an der der Konsonant erzeugt wird : Artikulationsstelle oder -basis. 2. Angabe der Art, in welcher der Konsonant hervorgebracht wird Artikulationsart. 3. Angabe, ob der Konsonant unter Beteiligung der Stimmbänder, also stimmhaft, oder ohne Beteiligung der Stimmbänder, also stimmlos gesprochen wird. Die möglichen Artikulationsstellen sind 1. die Lippen; dort erzeugte Laute: Labiale. 2. der vordere Zahnbereich; dort erzeugte Laute: gemeinhin Dentale, auch näher bestimmt als interdental, d. h. zwischen den vorderen Zahnreihen erzeugt; postdental d. h. hinter der vorderen Zahnreihe erzeugt; alveolar d. h. an den Alveolen erzeugt. 3. der vordere, harte Gaumen; dort erzeugte Laute: Palatale. 4. der hintere, weiche Gaumen: dort erzeugte Laute: Velare. Palatale und Velare werden auch kurz als Gutturale zusammengefaßt. Auch zwei Artikulationsstellen können gleichzeitig an der Bildung eines Lautes beteiligt sein; so wirken etwa bei der Formung von hochdeut-
68
Konsonantismus
schem / Lippen und Zahnreihe mit: Labiodental. Zu den idg. Labiovelaren vgl. § 71. Ungleich mannigfaltiger sind die Artikulationsarten. I n grober Aufgliederung scheiden sich zunächst 4 Arten : 1. Der Atemstrom der Rede kann an einer der Artikulationsstellen durch Schließung, die ev. mit Hilfe der Zunge erfolgt, unterbrochen und rasch wieder explosiv gelöst werden : Verschlußlaut, der nun je nach der Stelle des Verschlusses als labialer (p, b), dentaler (t, d), palataler ( i ) k , (i)g), velarer (a)k, (a)g) bezeichnet wird. 2. Der Atemstrom der Rede kann an einer der Artikulationsstellen nur durch eine von den Sprechwerkzeugen gebildete Enge entweichen: Reibelaut oder Spirant; auch hier erfolgt die nähere Bestimmung nach der Stelle, an welcher die Engenbildung erfolgt, als labial, dental, labiodental,palatal, velar usw. 3. Beide Artikulationsarten können so gekoppelt sein, dass die Bildung des Verschlusses und seine Öffnung zur Bildung eines Reibelautes an der gleichen Stelle erfolgt, also etwa p-f: Affrikata; auch hier richtet sich die nähere Bezeichnung nach der Artikulationsstelle. 4. Der Atemstrom der Rede wird durch Verschluß an einer der Artikulationsstellen am Verlassen des Mundes gehindert und nimmt seinen Weg durch die Nase : Nasal, der wiederum je nach der Stelle des Verschlusses als labial, dental usw. bezeichnet wird. Alle diese Laute können mit oder ohne Beteiligung der Stimmbänder gesprochen sein, sie sind dann je nachdem stimmhaft oder stimmlos; vgl. etwa stimmhaftes b im intervokalischen Inlaut des Hochdeutschen (lieber) und stimmloses b im hochdt. Auslaut: lieb. In dem uns hier interessierenden Sprachraum erscheinen alle Nasale stimmhaft, alle Affrikaten stimmlos, während die Verschlußlaute und Spiranten stimmhaft wie stimmlos begegnen. Die Erfassung der deutschen Lautgeschichte macht es nun notwendig vor allem im Bereich der Verschlußlaute, aber auch der Spiranten eine differenziertere Aufgliederung zu benutzen. Der Verschluß eines Verschlußlautes kann mit leichtem oder mit starkem Atemdruck gelöst werden (vgl. etwa den Unterschied bei dt. und frz. ρ in Paul). Ist der Atemdruck nur leicht, spricht man von einfachem oder unbehauchtem Verschlußlaut (frz. ρ in Paul), ist der Atemdruck dagegen stark, so daß der Atemstrom der Rede als Hauch entweicht, spricht man von behauchtem oder aspiriertem Verschlußlaut. Diese Behauchung ist bei stimmhaftem wie bei stimmlosem Verschlußlaut möglich. In der häufig verwendeten lateinischen Terminologie bezeichnet man den stimmlosen, unbehauchten Verschlußlaut als T e n u i s ; den stimmlosen, behauchten Verschlußlaut als T e n u i s a s p i r a t a ; den stimmhaften, unbehauchten Verschlußlaut als M e d i a ;
Idg. Konsonanten § 71
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den stimmhaften, behauchten Verschlußlaut als Media a s p i r a t a . Diese phonetische Terminologie ist heute zur Charakterisierung der idg. und germ. Zeit allgemein üblich. Für die innerdeutsche Sprachgeschichte hat sich aus der phonetischen Erforschung der deutschen Mundarten in den letzten Jahrzehnten eine feinere Differenzierung durchgesetzt. Man scheidet hier bei den Verschlußlauten : F o r t e s , d. h. stimmlose Verschlußlaute mit starker Behauchung, wie sie etwa in der hochsprachlichen Aussprache im Anlaut der Wörter Paul, Tee, Kind üblich sind. Lenes, d. h. stimmlose Verschlußlaute ohne Behauchung, wie sie etwa die dt. Hochsprache für auslautendes b, d, g in Lob, Tod, Tag bietet. Der hier gesprochene Laut scheidet sich durch Stimmlosigkeit von den im Wortinlaut (loben, Todes, Tages) üblichen stimmhaften Verschlußlauten der Hochsprache, für die neben der traditionellen Bezeichnung als Mediae auch die als s t i m m h a f t e Lenes üblich ist. Auch bei den Spiranten gilt die Scheidung in F o r t e s und Lenes, je nach dem, ob die Reibung durch starke ( F o r t e s ) oder schwächere Engenbildung (Lenes) erzeugt ist. Für die in manchen Mundarten vorhandenen Zwischenstufen zwischen beiden Kategorien ist die Bezeichnung als H a l b f o r t i s üblich. 2. Der i n d o g e r m a n i s c h e K o n s o n a n t i s m u s § 71. Die indogermanische Sprachepoche verfügte a) über ein sehr ausgeprägtes System von Verschlußlauten. Sie besaß sowohl stimmhafte und stimmlose, behauchte wie unbehauchte, wobei freilich die Gruppe der behauchten stimmlosen Verschlußlaute (tenues apsiratae) nur im Altindischen und Griechischen deutlicher greifbar wird, ohne eine stete Übereinstimmung zu zeigen; ihr Vorhandensein ist daher umstritten. Unbestritten aber ist, daß in der Entwicklung zum Germanischen keine Unterscheidung in der Behandlung der behauchten und der unbehauchten Verschlußlaute zu beobachten ist. Nach der Artikulationsstelle unterscheidet man für die idg. Epoche folgende Verschlußlaute : Artikulationsart Artikulationsstelle
Labiale Dentale Palatale Velare Labiovelare
tenuis
ten. asp.
media
med. asp.
Ρ
ph th £h kh qVh
b d
bh dh gh gh gm
t
£ ife qV-
§ 9
SrV
70
Konsonantismus
Die Labiovelare sind Velare, die mit Lippenrundung gesprochen werden ; ihre Aussprache ähnelt also bei der Tenuis etwa dem hochdeutschen qu. Palatale und Velare sind im Germanischen wie etwa auch im Keltischen, Lateinischen, Griechischen der gleichen Entwicklung unterworfen, während andere idg. Sprachen wie etwa das Altindische, Iranische, Armenische, Slawische und Baltische die Palatale zu Zischlauten umformen, während die Velare Verschlußlaute blieben. Man spricht daher von der ersten Gruppe als centum- Sprachen, von der zweiten als satdmSprachen, wobei die lateinische und die iranisch-awestische Vertretung des idg. Wortes für 100 (idg. Icmtom) wegen des anlautenden Palatals zur Unterscheidung gewählt sind. b) Dem ausgeprägten System der idg. Verschlußlaute steht ein sehr schwach ausgeformtes der Spiranten gegenüber: nur s und, an die Stellung vor idg. Media und Media aspirata gebunden, seine stimmhafte Entsprechung ζ sind vorhanden. c) Dem Idg. eigneten ferner die Nasale m, n, q, die Liquiden r, l und die Halbvokale i, u, d. h. konsonantisch gesprochene i- bzw. u-Laute. 3. Die germanische L a u t v e r s c h i e b u n g ; Verners Gesetz § 72. Das idg. Verschlußlautsystem erfährt in germanischer Zeit eine sehr tiefgreifende Umformung durch die sog. " E r s t e oder Germanische L a u t v e r s c h i e b u n g " , ein Umformungsakt, an dem alle germanischen Sprachen teilgenommen haben und der als der älteste für alle germanischen Sprachen typische Lautwandel zu gelten hat. Die germanische Lautverschiebung verändert zwar die Artikulationsart der idg. Verschlußlaute, behält aber in der Regel die Artikulationsstelle bei. Sie zeigt folgende gesetzmäßigen Lautwandlungen: 1. die idg. stimmlosen Verschlußlaute, gleich ob behaucht oder unbehaucht, werden zu stimmlosen Spiranten. idg. ρ > germ. / idg. *pdtèr vgl. lat. pater : got. fadar, as .fader, ahd. fater 'Vater', idg. *nepöts vgl. lat. nepos, nepot-is : as. ahd. nëfo 'Enkel, Neffe', idg. ph > germ / idg. *phoi-nos, *phoi-mos vgl. aind. phenas : ahd. feirn 'Schaum', idg. t > germ, p (got. Schreibung p, as. th, ahd. älter th, später zu d geworden,vgl. § 93). idg. Hreies vgl. lat. tres : got. preis, as. thrî, ahd. thrï, dri 'drei', idg. *bhräter vgl. lat. frater : got. broPar, ahd. bruoder 'Bruder', idg. th > germ, ρ (Schreibung s. unter t) idg. *skëth-l*.skdth- im Ablaut vgl. griech. άσκηθής 'unbeschädigt' : got. slcapis, as. skatho, ahd. skado 'Schade'.
Germ. Lautverschiebung §§ 71-72
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idg. k > germ, χ, das sich im Anlaut und im intervokalischen Inlaut früh zu dem Hauchlaut h entwickelt hat (vgl. § 76a, 78, 2) idg. *ícmtom vgl. lat. centum : got. as. hund, ahd. hunt 'hundert', idg. *kap- vgl. lat. capio : got. hafjan, as. hebbian, ahd. heffen 'heben', idg. *peícu vgl. lat. pecu : got. faihu, as. fëhu, ahd. fihu 'Vieh', idg. *leuk- vgl. lat. lux, luc-is : got. liuhap, as. ahd. lioht 'Licht'. Für idg. Ich, kh fehlen eindeutige Beispiele. idg. qV > germ, γη, das sich im Inlaut des As. und Ahd. als h spiegelt, im Anlaut als hw erscheint; im Gotischen erscheint stets h (vgl. §§ 76, 78, 2). idg. *sequ- '(mit den Augen) folgen, sehen' : lat. sequor : got. saihan as. ahd. sëhan 'sehen'. idg. *qUod vgl. lat. quod : got. ha, as. hwat, ahd. Awaj 'was'. In einigen Wörtern, die bereits einen idg. Labial wie p, u enthalten, hat sich der idg. Labiovelar im Germanischen zur labialen Spirans entwickelt : idg. *ujqWos vgl. aind. vrkas : got. wulfs, as. ahd. wolf 'Wolf'. idg. *peQqWe vgl. lat. quinqué, griech. πέντε : got. ahd. fimf, as. fîf 'fünf'. Generell vermieden wird das Entstehen zweier unmittelbar aufeinanderfolgenden Spiranten. Daher bleiben idg. sp, st, sk stets unverschoben,und die idg. Lautgruppen pt, kt zeigen nur Verschiebung des ersten Verschlußlauts, während der zweite erhalten bleibt, idg. sp: vgl. lit. spiáuju, lat. spuo 'speie' : got. speiwan, as. ahd. splwan 'speien'. idg. sfc:vgl. griech. σκότος 'Dunkel' : got. skadus, as. skado, ahd. skato 'Schatten'; lat. piscis 'Fisch' : got. fisks, as. ahd. fisk 'Fisch', idg. st:vgl. griech. στείχω 'steige' : got. steigan, as. ahd. stigan 'steigen' ; lat. gustus 'Kosten, Genießen' : got. kustus 'Prüfung', ahd. kost 'Schätzung, Wahl'. idg. pt > germ, ft : vgl. lat. captus 'gefangen' : got. hafts, as. ahd. haft ; lat. neptis 'Enkelin, Nichte' : ahd. nift. idg. kt, kt germ. χ< : lat. octo : got. ahtau, as. ahd. ahto 'acht' ; lat. nox, noct-is : got. nahts, as. ahd.'Nacht'. 2. Die idg. Mediae werden zu Tenues. Da die germanischen Tenues in der zweiten oder hochdeutschen Lautverschiebung wiederum verändert werden (vgl. §§ 79ff.), sind für die germanischen Lautverhältnisse nur die gotischen oder altsächsisch-niederdeutschen Lautungen beweisend, die den sprachhistorisch älteren Zustand wiederspiegeln. Für hochdeutsche Belege sind die Belege bei der hochdeutschen Lautverschiebung §§ 79ff. zu vergleichen. idg. b > germ, ρ: vgl. lit. baia : mnd. pòi, ahd. pfuol 'Sumpf'; abg. slabü 'schlaff' : mnd. slap, ahd. slaf, wozu ablautend got. slëpan, as. släpan, ahd. släfan 'schlafen'.
Konsonantismus
72
idg. d > germ, t: vgl. lat. decern : got. taíhun, as. tëhan, ahd. zëhan 'zehn'; griech. dorisch π ω δ - 'Fuß' : got. fôtus, as. fòt, ahd. fuoj. idg. g, g > germ, k: lat. gustus : got. kustus 'Prüfung', ahd. kost 'Schätzung, Wahl'; lat. augeo : got. aukan, as. ökian, ahd. ouhhön 'vermehren', idg. gU > germ, q : vgl. lat. venio (idg. *gUem-) : got. qiman,ahà. queman 'kommen'; griech. έρεβος (idg. *regV-):got. riqis 'Finsternis' 3. Die idg. M e d i a e a s p i r a t a e werden im Germanischen zunächst zu s t i m m h a f t e n S p i r a n t e n , die sich teilweise schon früh zu stimmhaften Verschlußlauten entwickeln, vor allem im Wortanlaut und im Inlaut nach Nasal (vgl. §§ 76,78, 3). Auch hier trüben teilweise die Umformungen der zweiten Lautverschiebung das Bild im Ahd., so daß wiederum das Gotische und Niederdeutsche die sprachhistorisch älteren Belege bieten, idg. bh > germ, δ, b: vgl. lat. fero : got. baíran, as. ahd. bëran 'tragen'; griech. νεφέλη, lat. nebula : as. nëbal, ahd. nëbul 'Nebel', idg. dh > germ. Ö, d:vgl. griech. θυγάτηρ : got. daúhter, as. dohtar, ahd. tohter; lat. offendimentum 'Kinnband' : got. as. bindan, ahd. bintan 'binden'. idg. gh, gh > germ, g, g: vgl. lat. hostis (< idg. *ghostis) : got. gasts, as. ahd. gast-, griech. στείχω 'steige' : got. steigern, as. ahd. stlgan 'steigen', idg. gV'h erscheint nach η als germ, gw: idg. *seQgWh- : got. siggwan 'singen', aisl. syngva; mit sekundärem Verlust des w. as. ahd. singan 'singen'. Vor germ, u ist die Labialisierung früh geschwunden, so daß nur g erscheint: idg. *gV'hnt- : germ. *g.unp- in as. güth-fano, ahd. gund-fano 'Kriegsfahne'. Vor germ, a, e, i erscheint germ, w: idg. *gVìwrmos: vgl. \a.t.formus : as. ahd. warm, got. warmjan 'wärmen'; idg. *sneig^heti 'es S G h n e i t ' : ahd. sniwit; idg. *snoigWhos 'Schnee' : germ. *snaiwaz, got. snaiws, ahd. snëo, snëwes
'Schnee'.
§ 73. Bereits vor der germanischen Lautverschiebung haben sich innerhalb des idg. Konsonantismus, vor allem bei den Verschlußlauten, gewisse Veränderungen vollzogen, so daß gar nicht die zu erwartenden, sondern andere Laute in die germanische Sprachentwicklung eintraten ; zum Teil handelt es sich hierbei um gemeinindogermanische Erscheinungen, die phonetisch ohne weiteres verständlich sind, zum Teil aber auch um frühe Dialektbildungen aus vorgermanischer Zeit. Wesentlich für das Verständnis der germanischen Sprachgeschichte sind die folgenden Entwicklungen, die man als primäre BerührungsefFekte bezeichnet : 1. Steht eine idg. Media vor der idg. Tenuis t, so wird sie zur Tenuis: vgl. lat. rego : rectus, daher got. rikan 'aufhäufen' : got. raíhts, as., ahd. rëht 'recht'; alat. tongeo 'weiß' : got. pagkjan, ahd. denken 'denken', aber als Praeteritum vorgerm. *tonk-t- : germ, "paqht- in dem Prt. got. pahta,
Germ. Lautverschiebung; Verners Gesetz §§ 72-74
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as. thähta, ahd. dähta 'dachte'; lat. scabo 'kratze, schabe' : got. ga-skapjan 'erschaffen' ; got. ga-skafts 'Erschaffung' aus vorgerm. *skap-tis. 2. Tritt eine idg. Tenuis vor eine idg. Media oder Media aspirata, so wird sie zur Media. Idg. Hip- in aisl. Ufa 'leben' ; as. libda 'ich lebte' kann auf vorgerm. *lib-dh- weisen. 3. Unklar ist das Ergebnis des dritten primären Berührungseffektes: der Zusammenstoß idg. Media aspirata mit idg. Tenuis. Einerseits weist got. gahugds, as. gihugd, ahd. gihuct 'Gesinnung' zu got. hugjan 'denken' auf germ. -g. Ö vorliegt. Andrerseits legen Part. Prt. wie got. brähts, as. ahd. bräht zu bringan, got. baúhts zu bugjan 'kaufen' germ, yt als Vertretung nahe. 4. idg. t + t, das nach oben 1 auch idg. d + t sein kann, ergibt bereits vorgerm. -ss-, das nach langem Vokal oder nach Diphthong zu -5- vereinfacht wird: vgl. got. witan 'wissen' < vorgerm. *uid-, idg. *uid-tnach 1 zu *uitt- und weiter vorgerm. *uiss-: daher got. as. ahd. wissa 'ich wußte'; idg. *ueid-tos über *ueittos, *ueissos, germ, ulsaz vgl. got. un-weis 'unweise', ahd. as. wis 'weise'; got. missa-, ahd. missi- 'miß-, verschieden-' aus urspr. *mith-to- vgl. aind. mithas 'abwechselnd', got. mötan, as. motan 'veranlassung haben, müssen', ahd. mitotan 'dürfen' : Prt. ahd. muosa. 5. idg. t, d, dh + s, die analog zu 1 in idg. ts zusammenfallen, sind bereits vorgerm. zu -ss- geworden, das germ, als -ss-, bzw. nach langem Vokal oder nach Diphthong als -s- erscheint: idg. *ueid-s- vgl. lat. vtsere 'zu sehen trachten, besuchen' : got. gaweisôn, as. ahd. wisön 'besuchen, as. wïsian, ahd. wisen 'weisen'. Andere bereits idg. Lautvorgänge spielen nicht so unmittelbar in die innergermanischen Verhältnisse hinein und können daher hier übergangen werden. § 74. Ein zweiter für die germanische Lautgeschichte sehr wichtiger Vorgang ist nach seinem Entdecker, dem dänischen Sprachforscher Karl Verner, ' V e r n e r s G e s e t z ' benannt. Dieses Gesetz lautet: „Die durch die germanische Lautverschiebung entstandenen stimmlosen Reibelaute /, ρ, χ, χ^, sowie der ererbte Spirant s werden stimmhaft, wenn nach i n d o g e r m a n i s c h e m Akzent der Wortton nicht unmittelbar vorausgeht und nicht stimmlose Nachbarschaft das Stimmhaftwerden verhindert." Der Lautwandel ist also noch vom indogermanischen Wortakzent bestimmt und hat daher vor dem Eintreten der germanischen Anfangsbetonung, aber nach der ersten Lautverschiebung stattgefunden. Er beweist, daß zur Zeit der ersten Lautverschiebung noch der idg. Wortakzent bestand. Die so aus germ. f , p, χ, yu, entstandenen stimmhaften Reibelaute
74
Konsonantismus
6, d, g., gy· fallen mit den aus den idg. Mediae aspiratae entstandenen stimmhaften Reibelauten zusammen. Da der idg. Wortakzent sowohl innerhalb der Flexion wie auch innerhalb der Wortbildung stark wechselte, entstanden germanische Formen etymologischen Zusammenhanges, die im Lautstand verschieden waren. Sofern solche Formen innerhalb des verbalen Paradigmas erscheinen, spricht man von 'grammatischem Wechsel'. Er wurde z. T. früher oder später ausgeglichen, z. T. besteht er innerhalb des Nhd. fort. Besonders ausgeprägt war der idg. Aktzentwechsel im Perfekt; vgl. etwa 1.-3. sg. aind. di-deéa,di-deáitha, di-deáa idg. Stamm betont *di-dóik- (aind. á Zischlaut < idg. palatalen k). 1.-3. pl. di-diéimú, di-diáá, di-diéúr idg. Stamm unbetontes di-dik-, da der Wortakzent auf der Endung lag. idg. *dóik- ergab germ. *taih- und liegt vor in as. tëh, ahd. zèh Prt. Sg. zu zihan 'zeihen'. idg. *dik- mit betonter Verbalendung ergab nach Verners Gesetz germ. *tig.-< daher 3. pl. prt. as. tigun, ahd. zigun. Das Part, praet. ahd. gizigan aus germ. *tig,anas < idg. *dikonós. as. têh, ahd. zêh : as. tigun, ahd. zigun unterliegen also dem grammatischen Wechsel. Dieser ist im Gotischen fast stets ausgeglichen, während das Altsächsische wie das Althochdeutsche wesentlich konservativer geblieben sind. Als Beispiele seien noch genannt : germ, f ß : got. fiarf 'ich bedarf' : pàurbum 'wir bedürfen' ahd. heffen 'heben' : prt. huobun Part, praet. gihaban germ. p¡d: as. lithan 'gehen' : lidun, gilidan ahd. lïdan litun, gilitan germ, h Ig.'· as. tiohan 'ziehen' : tugun, gitogan ahd. ziohan zugun, gizogan nhd. ziehen zogen, gezogen germ, h/gu: as. sëhan (mit -h- aus germ. yV, vgl. got. saihran): säwun, gisëwan ahd. sëhan 'sehen', sähun (d. h. bereits nach dem Sg. ausgeglichen) : gisëwan germ, s/z as.keosan 'wählen' : kurun, gikoran ahd. kiosan : kurun, gikoran, wobei as. ahd. r aus germ, ζ entstanden ist, vgl. § 78, 4. Ferner wird Verners Gesetz in vielen Fällen der verbalen Wortbildung deutlich, vor allem durch den idg. Betonungsunterschied zwischen dem primären Verb und seinem Kausativ : vgl. etwa aind. svápati 'er schläft' : aind. svapáyati 'er schläfert ein', die idg. *suépeti und *syOpdjeti entsprechen. Daher as. swëfan 'schlafen' : mhd. ent-swebben 'einschläfern'; ebenso got. leipan, as. lithan, ahd. lidan 'gehen' : as. lëdian, ahd. leiten 'gehen machen, geleiten'; got. ahd. hähan (aus * hachan) 'hangen' : aisl. hengia, ahd. henken 'aufhängen'; got. ganisan 'gerettet werden',
Germ. Konsonanten §§ 74-75
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as. ahd. ginësan : as. nerian, ahd. neren aus germ. *nazjan-, das im Gotischen mit sekundärem Ausgleich des grammatischen Wechsels als nasjan 'retten' erscheint. Auch innerhalb der nominalen Bildung stehen nicht selten Doppelformen nebeneinander: vgl. as. hafaro 'Hafer' : habaro, ahd. habaro 'ds.'; got. swaïhra, ahd. swëhur 'Schwäher' : ahd. swigar 'Schwieger'; got. salivan 'sehen' : siuns 'Gesicht' (aus germ. *segunis) ; mhd. zëche : got. têwa 'Ordnung'; got. auso : as. ahd. óra Ohr'. 4. Gemeingermanische K o n s o n a n t e n e n t w i c k l u n g e n § 75. An weiteren gemeingermanischen Konsonantenentwicklungen sind zu nennen: 1. Dentale Verschlußlaute des idg. Auslautes sind nur in Einsilblern erhalten geblieben, sonst gefallen. lat. ad : got. as. at, ahd. a j 'zu', lat. quod : as. hwat, ahd. hwaj 'was', aber lat. velit : got. ahd. ivili 'er will'. idg. -od (vgl. alat. meretod 'nach Verdienst') : got. adv. galeikö, as. gilîko, ahd. gilïhho 'gleich'. idg. -nt als Endung der 3. pl. prt. : germ, -un in got. nëmun, as. ahd. nämun 'sie nahmen'. 2. Idg. r und l bleiben in der Regel unverändert. Geminata -II- entstand aus der Assimilation von -In-: idg. *plnos (vgl. lit. pUnas 'voll') : got. fulls, as. full, ahd. fol, follër 'voll'. 3. idg. m, η, i} bleiben in der Regel unverändert. Nur vor germ, h schwindet i} unter Ersatzdehnung des vorausgehenden Vokals, vgl. § 13 a. Im As. (wie im Ags. und Fries.) greift der Nasalschwund weiter: Mit Ersatzdehnung schwindet der Nasal vor jeder Spirans der gleichen Silbe, vgl. as. säfto 'leicht' : ahd. samfto; as. gislÖ 'Gefährte' : ahd. gisind; as. üs 'uns' : ahd. uns. Ζ. T. wird a zu ö getrübt (wie im Ags. u. Fries.): as. ööar 'der zweite' : ahd. ander. idg. -nu- wird -nn- : idg. Hnnuis : germ. *punnjaz : as. thunni, ahd. dunni 'dünn'; lat. minus : *minu-ison- : germ. *minniza,vgl. got. minniza, as. minnira, ahd. minniro 'kleiner'. Erwähnt werden muß ferner ein sehr alter Assimilationvorgang, der in einer Reihe von Fällen greifbar wird: Jeder idg. Verschlußlaut vor η erscheint im Germanischen als geminderte Tenuis bzw. deren einzelsprachliche Nachfolgelauten : ahd. knöpf 'Knoten', mnd. knopp 'Knospe', germ. *knuppa-, älter *knupna : zu mhd. knouf 'Knauf', knübel 'Knöchel', die auf idg. ρ weisen. nd. schuppe 'Schaufel', ahd. skupfa 'Schiebebrett', germ. *skuppa- aus *skub-na zu ahd. skioban 'schieben', dessen b auf idg. bh weist.
76
Konsonantismus
mhd. knotze 'Knorren', dessen tz auf germ, tt < tn weist, neben ahd. knodo 'Knoten'. ahd. as. lëckon 'lecken' : got. bilaigon 'belecken'; ahd. lëckon mit -ckaus idg. -ghn-, vgl. griech. λίχνος 'naschhaft'. got. skatts 'Geld', as. skatt 'Geldstück, Vermögen', ahd. skaz aus idg. skod-no- zu griech. σκεδάννυμι 'zerstreue'. Diese von manchen Forschern bezweifelte Erscheinung ist schwer von der Geminierung durch folgendes η in der westgermanischen Konsonantengemination zu trennen, sofern nicht gotische oder nordische Formen zur Aufhellung verfügbar sind. 4. Im Auslaut ist idg. -m zunächst zu germ, -η geworden. Dies -n bleibt in eigentonigen Einsilblern nach kurzem Vokal erhalten: idg. *qV-om lat. quom, cum : got. h-an, as. hwan. idg. *tom vgl. lat. tum : got. pan, as. than 'dann'. Ebenso auch got. pana 'den', ina 'ihn', wo an urspr. *pan, *in (< idg. * torn, *im) sekundär erweiternde Partikel traten (vgl. §§ 176, 177). Geschwunden ist germ, -η in Einsilblern mit langem Vokal und in allen zwei- und mehrsilbigen Wörtern : idg. *täm acc. sg. fem. vgl. griech. τήν : got. pò 'diese'·, germ. *hornan, vgl. urnord.-run. horna, got. haúrn, as. ahd. horn 'Horn'. 5. idg. i und u können innergermanisch unter unbekannten Bedingungen geminiert werden. Diese Geminaten erfahren einzelsprachlich weitere Veränderungen, vgl. §§ 76, 131, 137. 5. G o t i s c h e S o n d e r e n t w i c k l u n g e n § 76. a) Im Gotischen unterliegen germ. /, ρ und h keinen erkennbaren Veränderungen. Germanisch χ ist indes bereits weitgehend zu dem Hauchlaut h geworden, so sicher im Anlaut vor Vokal, wahrscheinlich auch im intervokalischen Inlaut und im postvokalischen Auslaut, da der uns überlieferte Text es gelegentlich willkürlich vokalischem Anlaut hinzufügt oder es im postvokalischen Auslaut wegläßt. Im Satzzusammenhang gleicht es sich in schwachtonigen Wörtern gern dem folgenden Konsonanten an, so got. jah Pan zu jappan-, ebs. aippau 'oder', duppi 'deshalb, jappé 'und wenn'. b) Nicht exakt zu bestimmen ist der gotische Lautstand für die germ, stimmhaften Spiranten germ, g, Ò, g.. Sie werden in den Handschriften einheitlich bezeichnet und in der Transkription in der Regel mit b, d, g wiedergegeben. Den einzigen sicheren Einblick gewährt die sog. 'Auslautsverhärtung' des Gotischen. Durch sie erscheinen germ. 5, d und ζ im absoluten Auslaut und vor auslautendem -s als stimmlose Reibelaute f , p, s, sofern ein Vokal vorausgeht, doch als b, d (z ohne Beleg), wenn ein Konsonant vorausgeht :
Got. Konsonanten §§ 75-76
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vgl. got. hlaifs 'Brot' acc. sg. hlaif:&her dat. sg. hlaiba. got. gaf 'er gab' : aber gêbun 'sie gaben', aber stets lamb 'Lamm', gaivairbs 'gehorsam', got. witöj» 'Gesetz' : gen. witödis. got. qipip 'er sagt' : qipiduh 'und er sagt', aber bindan, band; gards, gard; huzd. got. h-as 'wer' : hrazuh 'jeder'. Dieser Lautwechsel erweist für got. δ, δ, ζ im Inlaut Aussprache als stimmhafte Spiranten, die im Auslaut und vor s, sofern Vokal vorausgeht, stimmlos wurden. Nach Konsonanten aber h a t die Auslautsverhärtung keinen Raum, was nahe legt, daß hier die urspr. Reibelaute bereits zu stimmhaften Verschlußlauten geworden sind. Got. g bleibt stets unverändert: dags 'Tag' Acc. dag, Gen. Sg. dagis; bairgan 'bergen', barg und baúrgs 'Burg' usw. Die Annahme eines einheitlichen Lautes, wohl eines stimmhaften Yerschlußlautes g, liegt nahe, ist aber nicht sicher zu erweisen. Unsicher bleibt auch der genauere Lautwert für den Wortanlaut. c) Germ, p, t, k, qu dürften unverändert geblieben sein. d) Idg. z, das idg.nur vor stimmhaften Konsonanten, ibes, vor Mediae und Mediae aspiratae möglich war, blieb im Gotischen dann erhalten, wenn der folgende Konsonant stimmhaft blieb, wurde aber zu s, sofern er in der germanischen Lautverschiebung zur Tenuis wurde: vgl. griech. μισθός 'Sold' : idg. *mizdh- : got. mizdö 'Lohn'; aber griech. οζος 'Ast', idg. *ozdos : got. asts. Innerhalb des Germanischen nach Verners Gesetz entstandenes z ist selten, da das Gotische den grammatischen Wechsel weitgehend zugunsten der stimmlosen Laute aufgab ; soweit es im Auslaut stand, wurde es durch die Auslautsverhärtung (s. o.) zu -s. e) Idg. s = germ, s bleibt in der Regel erhalten; inlautendes -sm- ist zu -mm- assimiliert: got. pamma 'dem' < idg. *tosmê; got. imma 'ihm', idg. *ismê. Möglicherweise ist dieser Vorgang gemeingermanisch. Auch die Kasusendung des Dativue PI. got. -m ist aus *ms, älter - *mis entstanden, wohl ebenfalls über -mm, das im Auslaut vereinfacht wurde. Die Vorsilbe us- erscheint vor einem mit r- anlautenden Simplex als ur- : got. ur-reisan 'sich erheben',aber us-leipan 'weggehen'. K o m m t -s durch den Ausfall eines Vokals hinter r oder s zu stehen, ist -s als Nominativendung der Substantiva in der Regel geschwunden: vgl. wair 'Mann', baúr 'Sohn', hals 'Hals' ; anders bei akrs 'Acker', wohl weil hier das postkonsonantische r zum silbentragenden Laut geworden war. Bei den Adjektiven aber ist die Nominativendung -s durchweg erhalten: vgl. got. skeirs 'rein', gàurs 'traurig': hier dürfte es analogisch erhalten geblieben sein, weil die Kasusendung beim Adjektiv für die syntaktischen Beziehungen wichtig war. f) In nicht haupttoniger Silbe erscheint stimmhafter Spirant, wenn ein
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Κ onsonantismus
stimmloser Konsonant im Silbenanlaut steht,und umgekehrt ein stimmloser Spirant, wenn ein stimmhafter Konsonant im Silbenanlaut steht (Spirantendissimilation) : got. fraistubni 'Versuchung', mtvJtmi 'Erkenntnis', aber waldufni 'Gewalt', ivundufni 'Wunde'; mannisködus 'Menschlichkeit', îvratôdus 'Reise', aber baurjöpus 'Last', gäunöpus 'Trauer'; hatiza 'dem Haß' : agisa 'dem Schrecken'. Die Spirantendissimilation ist in unseren Handschriften nicht ausnahmslos überliefert (vgl. etwa hàuhipa 'Höhe', ßusna 'Menge'). g) Idg. i und u sind konsonantische ¿-bzw. «-Laute und können daher je nach der lautlichen Umgebung als Konsonanten oder als Vokale erscheinen : vgl. got. nom. pl. sunjus 'Söhne' : gen. pl. suniwe ; tawida 'tat' : taujan 'tun', i und m erscheinen innerhalb des Gotischen α) im Wortanlaut, wo j nur vor Vokalen, w auch vor r und l möglich war; vgl. got. juk 'Joch'; wulfs 'Wolf', wlits 'Aussehen', wrikan 'verfolgen'. ß) im intervokalischen Inlaut : germ, i bleibt vor dunklem Vokal erhalten, schwindet aber vor hellem : got. prija 'drei', aber air 'eher' < *apri, aieri. Germ, u bleibt vor hellem Vokal erhalten, schwindet aber vor dunklem: got. awistr 'Schafstall', awèpi 'Schafherde' aber juggs 'jung' aus *juuungaz, idg. iuunkos, lat. iuvencus 'jung'; got. niun 'neun' aus germ. *niuum, idg.*neum, vgl. lat. novem. γ) idg. i und u können intervokalisch im Germanischen auch geminiert erscheinen, ohne daß die Bedingungen hierfür klar erkennbar sind. Solches germ, ii erscheint im Gotischen als ddj (in den nordgerm. Sprachen als ggj, während es sonst zunächst erhalten blieb): vgl. got. gen. pl. twaddjè 'zweier' : as. tweio, ahd. zweio; got. daddja 'ich säuge' < germ. *daüö ; ahd. tâju < germ. *dêiiô. germ, MM erscheint im Got. wie im nordgerm. als ggw. got. triggws 'treu' : as. ahd. trinivi; got. slcuggwa 'Spiegel' : ahd. sküwo 'Schatten'. δ) postkonsonantisch sind i, u erhalten: got. hafjan, nasjan, warjan; gatwö, siggwan, uhtwö usw. ε) Tritt germ. {, u durch den Schwund einer Endung in den absoluten Auslaut oder kommt es durch die Ausdrängung eines Vokals vor auslautendes -s zu stehen, so erscheint es nach kurzer Silbe als i bzw. u : vgl. germ. *kunjan : got. kuni 'Geschlecht'; germ. *nauis : got. naus 'Toter'; urnord.-run . -pewaR : got. pius 'Diener'; germ. *treuam : got. triu 'Baum' ; germ. *suniues Nom. Pl. 'die Söhne': got. sunjus. Nach langer Stammsilbe, d. h. nach langem Vokal, nach Diphthong oder auch nach kurzem Vokal vor mehrfacher Konsonanz, erscheint dagegen w; vgl.: lëw 'Gelegenheit'; gaidw 'Mangel', saggws 'Sang', lasiws 'schwach', für j fehlen die Belege, da Formen wie reiki, gawaîrpi neutr. ja-Stamm Ausgleichsformen sein werden. Diese Regelung ist innerhalb des verbalen Paradigmas durchbrochen,
Westgerm. Konsonanten-Gemination §§ 76-77
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wo sich oft analogischer Ausgleich durchsetzte: ζ. B. trotz kurzer Stammsilbe wilwan 'rauben', prt. walw.
VII. KAPITEL
Der Konsonantismus in vordeutscher Zeit Der Konsonantenstand, der deutschen Dialekte in der ältest literarisch faßbaren Zeit ist durch zwei Vorgänge maßgeblich bestimmt, die noch in vorliterarische Zeit fallen: 1. die sog. westgermanische Konsonantengemination, auch Konsonantendehnung genannt; 2. die zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung. Die westgermanische Konsonantengemination ist älter als die zweite Lautverschiebung; sie umfaßt neben der Gesamtheit der später deutschen Mundarten auch das Angelsächsische und Friesische, umspannt also die Nordseegermanen und die Südgermanen in gleicher Weise; sie ist deshalb schon immer das gewichtigste Argument für die Aufstellung des Begriffes 'Westgermanen' gewesen. Wesentlich jünger und geringer in ihrem Umfang ist die zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung. Sie ist diejenige Spracherscheinung, die den deutschen Sprachraum in Hoch- und Niederdeutsch aufteilt, indem das Hochdeutsche an der zweiten Lautverschiebung, wenn auch in wechselndem Umfang, teil hat, während das Niederdeutsche keine Beteiligung an ihr zeigt, daher den älteren Konsonantenstand bewahrt. 1. Die w e s t g e r m a n i s c h e K o n s o n a n t e n - G e m i n a t i o n (Konsonantendehnung) § 77. Im Angelsächsischen, Friesischen und in den deutschen Dialekten, gleich ob hoch- oder niederdeutsch, werden im Inlaut alle Konsonanten außer r verdoppelt, wenn ihnen unmittelbar ein germ. % folgte; seltener trat die gleiche Verdoppelung ein, wenn ein w, r, l, m oder η unmittelbar folgten. Der Vorgang erklärt sich aus einer Verlegung der Silbengrenze in den Konsonanten, sofern einer der vorgenannten Laute folgte, also urspr. *bid-jan > *bid-djan. Der Vorgang hat ursprünglich auch die letzten Konsonanten von Konsonantengruppen verdoppelt, wie das Verhalten solcher Laute in der hochdeutschen Lautverschiebung beweist; doch wurde später, aber noch in vorliterarischer Zeit, der Vorgang dort wieder rückgängig gemacht, wo die hochdeutsche Lautverschiebung keine Veränderung bewirkt hatte. Nach langem Vokal oder nach Diphthong
80
Konsonantismus
ist die ursprüngliche Verdoppelung noch im frühesten Ahd. bezeugt und wird erst später, zumindest graphisch, aufgegeben. Doch zeigt das Verhalten solcher ursprünglichen Geminaten bei der Lenierung (vgl. § 82), daß sich zu mindest in einzelnen Dialekten die Geminate als konsonantische Länge in der gesprochenen Sprache erhalten haben muß, nachdem die Schreibung sie aufgegeben hatte. Da in der Flexion j und i wechseln konnten, entstanden Doppelformen mit und ohne Konsonantengemination, die entweder teilweise bereits vorliterarisch ausgeglichen wurden oder zu Doppelformen führten, welche bis in die mhd. und frühnhd. Überlieferung hinein greifbar sind; vgl. got. kuni 'Geschlecht' : gen. kunjis ; von der Gemination der j-Formen bestimmt: ahd. lettimi, mhd. künne. Nach dem Nebeneinander von ahd. bitten (< *biddjan), Uggeri (< Higgjan) aber bitis, ligis bzw. bitit, ligit entsteht einerseits bittis, bittit, liggis, liggit, andrerseits bit en, ligen, wie sie Notker belegt. Die gleiche Ursache hat das ahd.-mhd. Nebeneinander von 2 und j bei jan-Verben; hier geht ζ auf die durch die westgermanische Konsonantengemination entstandene Geminata vordt. tt, j auf vordt. t zurück: vgl. mhd. heizen : heilen 'heizen'; beizen : beiden 'beißen machen'; grüezen : grüe^en 'grüßen'. Die Geminationsursache j ist an den ahd. Belegen oft nicht mehr erkennbar, weil postkonsonantisches j schon im frühen Ahd. schwindet ; ferner ist zu beachten, daß in der zweiten Lautverschiebung die Geminaten anders behandelt werden als die einfachen Laute. Daher bietet auch hier der niederdeutsche Sprachbereich die sprachgeschichtlich älteren Formen, während für die hochdeutschen Belege die Erscheinungen der zweiten Lautverschiebung zu beachten sind. Beispiele für die Verdoppelung durch j : got. satjan : as. settian, ahd. setzen 'setzen', got. pridja : as. thriddjo, ahd. dritto 'Dritte', got. skapjan : as. skeppian, ahd. skepfen 'schöpfen', got. hugjan : as. huggian, ahd. huggen, huccen 'denken', got. sibja : as. sibbia, ahd. sippa 'Sippe', got. hlahjan : ahd. hlahhan 'lachen', germ. Scadin-avia : ahd. ouwa 'Aue' (< *awwja). Verdoppelung vor τ : got. snutrs : as. ahd. snottar 'klug' (a ist Sproßvokal). got. akrs : as. ahd. ackar 'Acker' (a ist Sproßvokal). lat. cuprum : mnd. hopper, ahd. kupfar (Lehnwort mit Sproßvokal). Verdoppelung vor l : aisl. epli : nd. appel, ahd. apful 'Apfel' (u ist Sproßvokal). Verdoppelung vor w: auch w ist postkonsonantisch im As. wie im Ahd. vor dem Eintreten der literarischen Überlieferung geschwunden, also nur an außerdeutschen Formen erkennbar.
Hochdeutsche Lautverschiebung §§ 77-78
81
got. aqizi : as. ahd. ackus 'Axt', got. naqaps : ahd. nackot 'nackt'. Verdoppelung vor η ist meist in den Formen der n-Deklination zu erweisen, so etwa ahd. rocko, as. roggo 'Roggen'; nicht selten entstehen Doppelformen mit (ahd. tropfo 'Tropfen' mit -pf- kch ist nur Alemannisch und Bairisch, während alle fränkischen Mundarten k beibehalten. ahd. obd. chorn deckhen pokh, pokkhes trinkhan skaikh starkhen qhuëdan
: : : : : : :
frk. frk. frk. frk. frk. frk. frk.
körn 'Korn' dekken 'decken' bok, bokkes 'Bock' trinkan 'trinken' skalk 'Knecht' sterken 'stärken' quedan 'sagen'.
3. Von der zweiten Lautverschiebung unberührt blieben allenthalben die Lautgruppen sp, st, sk, ferner ht, ft sowie die Lautgruppe tr, gleich ob im Anlaut oder im Inlaut, wo germ, tr durch die westgermanische Konsonantengemination zu ttr wurde und sich zwischen tt und r später ein Sproßvokal entwickelte, vgl. ahd. spil 'Spiel', hrëspen 'rupfen'; stein 'Stein', lust 'Lust'; skeidan 'scheiden', waskan 'waschen'; ahd. naht 'Nacht'; kraft 'Kraft'; triuwa 'Treue', snottar 'klug'; älter Müttar, jünger lutar 'lauter, rein', wintar 'Winter' (vgl. got. wintrus, das die Lautfolge -tr- belegt, die in der westgerm. Konsonantengemination zu -ttrgeworden, nicht der hochdt. Lautverschiebung unterliegt). Ahd. wintar zeigt Vereinfachung der Geminata nach Kons, und zwischen -tr- Sproßvokalbildung. § 81. Im Bereich der germanischen stimmhaften Spiranten b, d, g. trifft die hochdeutsche Lautverschiebung vor allem für germ. 6, g. auf recht verschiedene Lautentwicklung (vgl. § 78, 3). Daher ist das Ergebnis der Verschiebung nur bei germ, ö > d im Alem.-Bair. u. Ostfrk. einheitlich, während germ, δ, g. selbst im Alem.-Bair. verschieden behandelt werden. 1. Die vordeutsche Media d erscheint als t durchgängig im Alemannischen, Bairischen, Ostfränkischen; im Südrheinfränkischen dürfte d- im Anlaut, t im Inlaut Geltung gehabt haben, wie man aus dem Verhalten Otfrieds schließen darf. Im Rheinfränkischen scheint d geherrscht zu haben, doch sind die Verhältnisse hier bereits früh durch die hochdeutsche Lenierung getrübt (vgl. § 82) ; im Mittelfränkischen herrscht d, nur im Auslaut -t. Die Geminata vordeutsch dd erscheint nur mittelfränkisch als dd, sonst als tt. Alem.
Bair.
Ostfrk.
Südfrk.
Rheinfrk.
Mittelfrk.
tohter piutan pintan pitten
tohter piutan pintan pitten
tohter biutan hintan bitten
dohter biutan hintan bitten
dohter biudan bindan bitten
dohter biudan bindan bidden
Konsonantismus
86
2. Bei vordeutsch δ/ό h a t das Mittelfränkische den alten Lautstand bewahrt (vgl. § 78, 3), während im Rhein-, Süd- und Ostfränkischen einheitlich die Schreibung b erscheint, in der Geminata zunächst bb, später pp. Im Alemannischen erscheint für vordeutsch b ein p, aber für vordeutsch δ b, während das Bairische zunächst einheitlich ρ zeigt; seit dem 10. J h . dringt dann im Alem.-Bair. die Schreibung durch b vor, doch bleibt stets pp. Im Mitelfränkischen wird die germ. Spirans δ als ν geschrieben. Alem.
Bair.
poto leben seibo lempir sippa
poto lëpen sëlpo lem/pir sippa
gab, gap
gap
Ostfrk.
Südfrk.
boto leben seibo lembir sippa sibba gab
boto lëben seibo lambir sippa sibba gab
Rheinfrk. bodo lében seibo lembir sippa sibba gab
Mittelfrk. bodo leven sélvo lembir sibba gaf
3. Für vordeutsch g.¡g erscheint in allen fränkischen Mundarten durchgehend die Schreibung g, für die Geminata gg. Im Alem.-Bair. erscheint dafür k im An- und Auslaut häufig neben g, im Inlaut neben häufigerem g auch k ; nur die Geminata gg erscheint durchgängig in ahd. Zeit als kk. Mit dem 10. J h . nehmen im oberdeutschen Bereich die ^-Schreibungen zu, doch bleibt kk für die Geminata. Im Bairischen erscheint f ü r auslautendes -g neben -k seit dem Ende des 8. J h . -ch, das im 10., 11. J h . in der Mehrzahl der Schreibungen erscheint. Wie die heutigen südbairischen Mundarten beweisen, ist mit der Schreibung -ch die Affrikata k/ gemeint. Die im Bair. hier entstandene Fortis -k ist also zur Affrikata weiterverschoben worden, ahd. obd. këban neben gëban : frk. gëban 'geben' piukan neben piugan frk. biugan 'biegen' huckan : frk. huggen 'denken' tak, bair. tach : frk. tag 'Tag'. Die germ. Spirantengruppe /, p, h, s wird nicht von der hochdeutschen Lautverschiebung berührt.
Deutsche Konsonantenentwicklungen §§ 81-82
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v m . KAPITEL
Konsonantenveränderungen der deutschen Sprachgeschichte § 82. Erst in der ahd. Zeit beginnt eine Schwächung in der Artikulation der Verschluß- und Reibelaute sichtbar zu werden, die Lessiak als „Binnenhochdeutsche Konsonantenschwächung" in die Sprachgeschichte eingeführt hat. Diese Verringerung der Intensität hat im Laufe der Entwicklung die binnendeutschen Mundarten erfaßt, also das Nordalemannische, das Mittel- und Nordbairische, den ost-, süd- und rheinfränkischen Bereich sowie die östlichen Gebiete des Moselfränkischen, auf Kolonialboden das Südthüringische und Obersächsische, während das Hochalemannische, Südbairische, das westliche Moselfränkische und das ripuarische Gebiet ebenso unberührt bleiben wie das Nordthüringische und Schlesische. Im Bereich der Lenisierung entwickelt sich 1. anlautendes t- stets, anlautendes p, k vor l, r, n, ferner anlautendes qu- (also kw-), schließlich anlautendes st-, sp- und pf- aus ursprünglicher Fortis zu Halbfortis oder zur Lenis, d. h. zu schwach- oder unbehauchten stimmlosen Verschlußlauten. Im Nord- und Mittelbairischen hat die Lenisierung auch anlautendes p- und k- vor Vokal erfaßt und zur Lenis umgeformt, die im übrigen lenisierenden Sprachbereich Fortes bleiben. 2. a) Im In- und Auslaut zeigen die nichtbairischen Mundarten die Lenisierung bei p, t, k, pf, tz sowie bei den Geminaten pp, tt, kk. b) Im Nord- und Mittelbairischen dagegen unterliegen inlautende p, t, k nur dort der Lenisierung, wo sie nicht Geminaten sind und nicht in einer Gruppe mit Spiranten stehen (also Spirant + Verschlußlaut bzw. Verschlußlaut + Spirant), ferner bleibt mp ohne Lenisierung (die Lenisierung unterbleibt also hier in den Lautgruppem pp, tt, kk, st, sp, pf, ks, ζ ( = ts), ft, cht, mp). Inlautendes kh ist zu k lenisiert. In bereits ahd. Auslaut, wo die Geminata vereinfacht war, trat hier Lenisierung ein, ebenso bei auslautendem -st, -pf, -cht, -tz, während -chs, -mp auslautend unleniert bleiben. Dieser Lautwandel wird in ahd. Zeit dort sichtbar, wo die Schreibung die veränderten Lautverhältnisse wiederzugeben sucht, und zwar zuerst auf rhein-, süd- und ostfränkischem Bereich. In den Bereich dieser Erscheinung gehört das rheinfränkische Schwanken zwischen d und t im Inlaut, gehören Schreibungen wie diuri statt tiuri 'teuer', duri statt turi 'Türe' im ostfränkischen Tatian, Schreibungen wie gnëht statt knëht im rheinfränkischen Williram oder wangta, sangta für wankta 'wankte', sankta 'senkte' im Südfränkischen Otfrieds. Naturgemäß sind den graphischen Kennzeichnungen durch die anderen Lautwerte von b
88
Konsonantismus
und g (s. u.) ebenso wie durch die Schreibtradition Grenzen gesetzt. Doch führen ähnliche Belege über die mhd. Zeit hinweg zur nhd., wo die Mundarten die Lenes deutlich zeigen. 3. I m Bereich der stimmlosen Spiranten unterliegen germ. /, p, s, h ebenfalls der Schwächung. Germ. / wird intervokalisch und im Anlaut schwach stimmhaft. Der Lautwandel äußert sich in der Schreibung durch u, v, die im Inlaut in der zweiten Hälfte des 8., im Anlaut im 9. Jh. greifbar wird. / < germ, ρ nimmt an diesem Wandel nicht teil. Germ, ρ wird d, was in der Schreibung dh, seltener d in fränkischen Quellen deutlich wird. Dieser Wandel wird freilich von der Entwicklung Ρ zu d durchkreuzt, die im Oberdeutschen älter ist als im Fränkischen und von Süden nach Norden ausgreift (vgl. § 93). Die entsprechende Abschwächung von s zu schwach stimmhaftem Spiranten findet graphisch keinen Ausdruck, weil ein passendes Zeichen fehlt, ist aber mundartlich deutlich greifbar. Der im intervokalischen Inlaut vorhandene Hauchlaut h wird gleichfalls geschwächt und beginnt in manchen Gebieten schon spätahd. zu schwinden (vgl. § 124). Wohl gleichzeitig mit der Lenisierung wird in weiten Teilen des gleichen Gebietes der Verschluß bei b, d, g aufgegeben, so daß (meist stimmhafte) Reibelaute entstehen. Es bleibt unklar, ob es sich hierbei um einen Vorgang der gleichen Sprachbewegung handelt, wie sie in der Lenisierung sichtbar wird ; die Gebiete decken sich nicht völlig, so unterbleibt etwa im Schwäbischen die Entwicklung b > w, während die Spirantisierung von d > ö auf bestimmte rheinfränkische Mundarten beschränkt bleibt. § 83. Notkers Anlautsgesetz. I n der Sprache Notkers des Deutschen, also dem Alemannischen um 1000, wechseln p, t, k und b, d, g im Wortanlaut nach fester Regel : p, t, k erscheinen 1. nach einer Sprechpause, d. h. am Anfang eines Satzes oder Nebensatzes, 2. innerhalb des zusammenhängenden Satzes dami, wenn das vorausgehende W o r t auf einen stimmlosen Laut endet. b, d, g erscheinen nurim Satzzusammenhang und nur dort, wo das vorausgehende W o r t auf einen Vokal oder auf die stimmhaften Konsonanten l, r, m, η endet. Nach der gleichen Regel wechselt auch der Anlaut des zweiten Gliedes eines Kompositum. Der Wechsel zwischen t und d gilt nur bei dem Nachfolgelaut von germ. p (vgl. § 82, 3), während germ, d stets als t erscheint. Dieser in den ältesten Handschriften Notkers klar durchgeführte Anlautswechsel findet sich weniger genau bezeichnet auch in anderen
Deutsche Konsonantenentwicklungen §§ 82-85
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alemannischen und bairischen Denkmälern seit dem 9. Jh. und ist über mhd. Belege bis in lebende alemannische und bairische Mundarten zu verfolgen. Er erklärt sich dadurch, daß die Schreibung b, d, g Lenes bezeichnet, die im Satzanlaut und nach stimmlosem Konsonant als Fortes erscheinen. Daß b, d, g hier Lenes sind, d. h. stimmlose Verschlußlaute, beweist die Tatsache, daß sie als Wortauslaut p, t, k, d. h. also Fortes nach sich ziehen. § 84. Auslautsverhärtung. Mit dem Ausgange der ahd. Zeit erscheinen die Verschlußlaute b, d, g im Auslaut als p, t, k. Diese Auslautsverhärtung ist in früh- und klassischmhd. Zeit die Regel. Sie entspricht einer Umformung der auslautenden Lenis zur Fortis, wobei im Bairischen das auslautende k aus g sich seit dem 9. Jh. zur Affrikata weiterentwickelt (§ 81,3). In dem Ausmaß, in dem durch die Apokopierung der Endsilben die ursprünglich inlautenden b, d, g neu in den Auslaut treten, wird die Auslautsverhärtung aufgegeben, soweit nicht k entstanden war; diese Entwicklung beginnt im Mittelbairischen mit dem 12. Jh., das Südbairische folgt im 13. Jh., Tirol um 1300. In den übrigen Mundarten setzt sich seit dem 13. Jh. allmählich die Angleichung an die im Inlaut übliche Schreibung durch. Es handelt sich hierbei also nur um eine Erscheinung der Schreibung, während in der Sprache die Auslautsverhärtung auch hochsprachlich bis heute fortbesteht. - Parallel mit dieser Verhärtung des Auslautes geht die Tendenz, -b-, -g- am Silbenauslaut vor folgender Fortis als -p-, •k- zu schreiben, also mhd. gelouben, geloupte; neigen, neide, die freilich
nicht allenthalben konsequent geschrieben werden.
IX. KAPITEL
Der hochdeutsche Konsonantismus nach Einzellauten dargestellt 1. Die Dentale § 85. In hd. t bergen sich der Entstehung nach drei verschiedene Laute der vordeutschen Zeit : 1. vordeutsch t, das in den Lautgruppen st, ft, cht und tr unverschoben bleibt. Dabei entwickelt sich die inlautende Lautgruppe germ, -tr- zu vordeutsch -ttr-, aus dem sich nach der zweiten Lautverschiebung durch festwerdenden Sproßvokal ahd. -ttar bildet, dessen Geminata nach Kon-
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Konsonantismus
sonant, nach langem Vokal und nach Diphthong der Kürzung unterliegen kann. Daher entspricht got. snutrs : ahd. snottar 'klug', got. hlûtrs : ahd. älter hlüttar, jünger lütar 'lauter' ; ahd. eitar 'Eiter', das sich etymologisch zu ahd. e i j 'Geschwür stellt ; got. wintrus : ahd. wintar 'Winter'. Außerdem zeigen germ, t die bis heute im Mittelfränkischen unverschobenen dat, dit, wat, it, allet. 2. vordeutsch d, das im Alemannischen, Bairischen, Ostfränkischen stets zu t verschoben ist. I n den ostmitteldeutschen Mundarten ist ebenfalls t für altes d üblich, das sich nur in den Lautgruppen Id, rd erhalten hat. In den übrigen Mundarten des hochdeutschen Gebietes ist nur die Lautgruppe dr bis ins Mittelfränkische zu tr verschoben, die Geminata dd erscheint als tt mit Ausnahme des Ripuarischen, das dd bewahrte. Schließlich gilt im Auslaut in allen hd. Mundarten -t. 3. vordeutsches p, das über die Zwischenstufe d (vgl. § 93) in einzelnen Wörtern bereits ahd., in einer größeren Zahl mhd. und frühnhd. die Schreibung t- im Anlaut erreicht. In der Geminata trat für pp über dd schon ahd. tt ein. Zu diesen ererbten Lauten tritt schließlich noch t für fremdes t in solchen Lehnwörtern, die nach der zweiten Lautverschiebung übernommen wurden. § 86. t- in vordt. tr-, t- < d- oder t- in Lehnwörtern bleibt im Hochalem. und Südbairischen Fortis t- bis in die nhd. Mundart. Im übrigen hochdeutschen Bereich bewahrt nur das Schlesische, das westliche Moselfränkisch und das Ripuarische t- als Fortis. Fortis t- gilt ferner in jenen ursprünglich niederdeutschen Bezirken, in denen das Hochdeutsche als Schriftsprache Boden faßt. In den übrigen Gebieten tritt Lenisierung ein. Im Rheinfränkischen darf man in ahd. Schreibungen mit d- bereits die Lenis erkennen, ebenso in südfrk. d- neben seltenerem -ttr-, wo die Geminata nach langem Vokal oder nach Diphthong vereinfacht ist (vgl. § 85, 1), c) fremdes -Í-. In den obd. Mundarten bewahrt das Hochalem. und Südbair. die Fortis ebenso wie im Norden das westliche Moselfrk. und Ripuarische, im Osten das Schlesische. Die ersten Anzeichen der Lenisierung zeigt wieder das Rheinfränkische, wo der schon ahd. Wechsel zwischen t und d in der Schreibung als Ausdruck der Lenisierung zu werten ist. Die Schreibung -t- wird hier durch obd. Einfluß in den Kanzleien der älteren frühnhd.
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Konsonantismus
Zeit fest. Das Mfrk., das mit Ausnahme des westlichen Moselfränkischen mundartlich den stimmhaften Verschlußlaut -d- bewahrt, übernimmt die gemeindeutsche Schreibung -t- in den Handschriften und Drucken des 15. Jhs. Der Lenisierung erhegt -t- im Niederalemannischen und Schwäbischen noch in mhd. Zeit, in spätmhd. Zeit folgen das Mittel- und Nordbairische, das Ostfränkische und das Ostmitteldeutsche mit Ausnahme des Schlesischen nach, wo die Fortis gewahrt bleibt. In der Schreibung überwiegt hier oft das traditionelle -t- die d- Schreibung, die im Lenierungsgebiet den lautlichen Zusammenfall mit altem -d- anzeigt. Germ, -t- als -tzeigen schriftsprachliche Wörter aus nd. Sprachbereich, so Kate 'Hütte', Beute, erbeuten usw. § 88. In der Lautgruppe -nt vertritt t a) germ t, soweit es in der vordt. Lautgruppe -nttr- vorlag (vgl. oben § 85, 1 Winter, ebs. munter). Hier unterliegt t im Alem. und Bair. nicht der Lenisierung, sondern ist weitgehend trotz der schon ahd. bezeugten Einfachschreibung Geminata geblieben. Md. ist die Lenisierung hier später eingetreten als in ahd. -nt- < -nd- (vgl. Abs. b), so daß die Lautgruppen in vielen Mundarten geschieden bleiben. Eine Lautgruppe -nttentstand sekundär bei den Praeterita der schwachen Verben der janKlasse, deren Stammesauslaut -nt-, -nd- war, durch Synkopierung aus *-nt-(i)da > -ntta > -nta\ so zu ahd. wenten Prt. wanta; senten: sarda-, künden : kundta, kunta. In solchen Verben bleibt die Lenition dem obd. Lenierungsgebiet fremd, im Md. erscheint sie später im Typ dienen : diente, diende. b) germ, d, das im Alem., Bair., Ost- und Südfrk. verschoben als -nt- erscheint. Im Rheinfrk. steht nt neben nd, das im Mittelfrk. herrscht. Dabei wird man wieder das rheinfrk. Schwanken als Ausdruck der Lenierung fassen müssen, die spätahd im Alemannischen Notkers zu -nd- als fester Schreibung führt. Auch im Ostfrk. wird -nd- vereinzelt schon ahd. sichtbar, während das Bairische über das 11. Jh. hinaus -wischreibt, bis in der klass. mhd. Zeit nord- u. mittelbair. -nd- eindringt. Die Verhältnisse im Ostmd. sind für die mhd. Zeit noch unklar, in frühnhd. Zeit kennt auch hier das binnenhochdeutsche Lenierungsgebiet die Lenis. Während die Lautgruppen -nt-, -mt- bei den schwachen Praeterita mit stammhaften -n, -m die gleichen Lenisierungserscheinungen zeigen wie die Lautgruppe sonst, erscheint d als Leniszeichen bei den Verben mit stammhaften -nn (brennen, branta) seltener und später. In Lehnwörtern wird die Schreibung -nt- in mhd. und frühnhd. Zeit meist gewahrt, obwohl heute mundartlich die Lenis greifbar ist, die nur in seltenen d-Schreibungen aus früher Zeit belegbar ist. Schriftsprachlich gilt -nt-: vgl. Finte, Mantel, Rente. Bei den einheimischen Wörtern
Dentale §§ 87-91
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bietet die nhd. Schriftsprache kein einheitliches Bild: in der Regel erscheint -nt-, so unter, unten, siebente, neunte u n d in sw. P r t . wie diente,
nannte usw., daneben aber steht d etwa in binden, hindern (aber hinter, hinten) usw.
§ 89. In den Lautgruppen -rt-, -It- bleibt die Fortis im obd. Bereich, bis im Spätmhd. vereinzelte ¿-Schreibungen im Lenisierungsgebiet die Abschwächung erkennen lassen, die durch die festgewordene Schreibtradition -rt-, -It- im Schriftbild verdeckt wird. Im Ost- und Südfrk. gilt rt, It bis ins 14. Jh., dann erst setzen die auch hier seltenen ¿-Schreibungen als Ausdruck der Lenis ein. Im Rheinfrk. überwiegt die Schreibung Id, rd solche mit t. Im Mfrk. ist rd, Id ohne Verschiebung geblieben, ebenso auf ostmd. Boden. Im Lenierungsbereich weisen die heutigen Mundarten auf Lenierung. In der Schreibung greift rt als oberdeutscher Einfluß schon in mhd. Zeit auf rheinfrk. Gebiet über, It folgt erst im 15. Jahrhundert, wo sich auch auf mittelfrk. Gebiet rt, lt in den Handschriften und Drucken durchsetzen. Im Ostmd. setzt sich zwar die Schreibung -rt-, wesentlich schwächer aber die Schreibung -lt- in frühnhd. Zeit durch. In der nhd. Schriftsprache herrscht die Schreibung -rt-, -lt-·, -rd- gilt nur in Herde (aber Hirt), Id in Wörtern wie dulden, geduldig, milde u n d im nd. Wort Gilde.
§ 90. In den Lautgruppen -st-, -ft-, -cht- bleibt zwar die Schreibung mit t in der Regel gewahrt, doch unterliegt auch hier t im außerbairischen Lenierungsbereich weitgehend der Abschwächung, die freilich öfters nur zur Halbfortis führt. § 91. Die Geminata -tt- setzt auf dem ganzen hd. Sprachboden germ. -tr- fort, dem kurzer Vokal vorausgeht (vgl. dt. bitter)', vom Oberdeutschen bis zum Moselfrk. reicht die Verschiebung von dd zu tt. Schließlich erhält tt Zuzug durch die Entwicklung von vordt. J>p über ahd. -ddzu ahd. -tt-, so etwa ahd. fëthdhahha fettäh 'Fittich', smitta 'Schmiede' (ags. smidde), ahd. spottön 'spotten', klëtta 'Klette', -tt- ist ferner aus -gt- entstanden, vgl. as. brëgdan : ahd. brëttan 'ziehen, zucken'. Die Geminata bleibt hochalem. und auf gesamtbairischem Boden unlenierte Fortis; sonst erliegt sie der Abschwächung im binnenhochdeutschen Lenierungsbereich. Doch hält sich in der Schreibung -tt- überwiegend und gilt auch in der nhd. Schriftsprache allgemein, wo -tt- noch durch nd. -tt- in Wörtern wie stottern, Sprotte, die seit frühnhd. Zeit auch hochdeutsch heimisch werden, vermehrt wird. Wo das Suffix -ida des sw. Prt. durch Synkope des i unmittelbar hinter germ, d zu stehen kommt, entsteht Geminata tt : rçtten : ratta 'rettete', skutten : skutta 'schüttelte'; sie wird nach langem Vokal oder nach Diphthong vereinfacht: leiten : leitta, leita 'führte'. Bei sw. Verba mit
94
Konsonantismus
Stammesauslaut germ, -ί-begegnen Formen mit unverschobenem -tt- in mhd. Belegen des Mittelfrk., so letzen : latte 'hemmen', schetzen : schatte 'schätzen', beeren : bœte 'büßen', grœ^en : grœte 'grüßen'. Während diese Formen mit dem Ende der mhd. Zeit in den Denkmälern den gemeindeutschen Formen weichen, ist setzen, satte, gesät noch im 15. Jh. häufig. Seine Formen reichen in mhd. Zeit bis ins Alemannische, wo das Prt. satte im Elsässischen bis zur Mitte des 15. Jhs. häufig bleibt. -tt- entsteht häufig aus 4- nach kurzem Vokal, weil die Silbengrenze bei Bewahrung der Kürze in den Konsonanten verlegt wurde, so mhd. beteten : betteln; buter : Butter; schate : Schatten·, Reime von urspr. einfachem- twingan > mhd. twingen > zwingen einerseits, zu quingen andrerseits. ahd. dwëreh > twëreh > mhd. twërch > zwërch- einerseits (vgl. nhd. Zwerchfell) zu quërch, quëres nhd. quer andrerseits. Hierher gehören weiter ahd. dwiril : nhd. Quirl, ahd. dwalm : nhd. Qualm, u. a. (zum gleichen Wechsel bei ahd. tw- s. § 86). Ahd. dr- wird im Obd. noch in ahd. Zeit tr-, das hochalem. regelmäßig, sonst im Wechsel mit dr- geschrieben wird. Dem Md. bleibt dieser Wechsel fremd, aber altes tr- wird durch die Lenierung dr-, so daß Schreibungen mit tr- hier teils obd. Einflüsse, teils Verwirrung der traditionellen Schreibung durch die Lenierung darstellen. Vereinzelt wird die Schreibung tr- fest, so ahd. thrvha, drüba, trüba mhd. trübe,nhd. Traube·, as. thrumi, ahd. mhd. drum neben mhd. trum, pl. trümer nhd. Trümmer. Germ, pl- war bereits in vordeutscher Zeit zu fi- geworden. Die nordseegermanischen und nordgermanischen Sprachen nehmen an dieser Entwicklung teil, vgl. got. plâihan : ahd. flëhôn 'flehen', got. pliuhan : ahd. fliohan 'fliehen'. Das Präfix er-, ir- wird durch Vorsetzen eines d- zu der-, dir-. Diese Formen sind vereinzelt schon frühmhd. bezeugt und werden seit dem 13. Jh. häufiger. Diese Bildung, deren Entstehung unklar ist, gilt vor allem im Bair., reicht aber auch ins Ostfrk., Böhm, und Ostmd. § 96. Inlautend -d- bleibt in der Regel unverändert. Wo -t- im Inlaut fest wird, handelt es sich zum Teil um Angleichung an verwandte Wörter, so etwa mhd. vierde, sibende, niunde, zëhende > nhd. vierte, siebente, neunte, zehnte wegen des festen alten t in dritte, fünfte, sechste, doch wechselt hier noch frühnhd. die Schreibung mit d und gunte,kunte, begunte im sw. Prt. wegen der sonst häufigen Form auf -te (vgl. auch §§ 88, 89). Über das Vordringen der Auslautsverhärtung -t in den Inlaut und ihr Nachwirken im Nhd. vgl. §92. Vorwiegend alem. ist die starke Abschwächung von intervok. -d-, die zu Kontraktionen beider Vokale führt, so etwa quidit : quit 'er sagt', ahd. rediöt > mhd. reit 'er redet' ; mhd. schadet > schät 'schadet', ladet > lät 'ladet'. Die kontrahierten Formen treten im 13. Jh. auf, ohne allgemeine Gültigkeit zu erlangen, und treten seit dem 14. Jh. immer mehr in der schriftlichen Fixierung zurück, um den regulären Formen Platz zu machen.
Dentale §§ 94-99
97
Die Lautgruppe nd wird in einer Reihe von Mundarten schon früh zu ng, so schon frühmhd. im Mittelfrk., spätestens klass.-mhd. im Hessischen, später auch im Niederalem. und Schlesischen. Schreibungen mit ng sind in mhd. und frühnhd. Handschriften nicht selten, gelten aber dem Druck als zu stark mundartlich und werden so gemieden. In schlingen < schlinden (zu Schlund) wird dieser Lautwandel seit dem 16./17. Jh. in der Schreibung fest. § 96. Inlautend -pp- erscheint ahd. noch als thth, dann als dd und ebenfalls schon ahd. als -U-. Vgl. Belege § 91. Doch entspricht got. pp in aippau 'oder' in den älteren Quellen des ahd. dd in ëddo, dessen Geminata infolge der proklitischen Stellung der Konjunktion vereinfacht wird: ahd. ëdo 'oder'. Zu der Nebenform ahd. ërdo vgl. den r-Einschub in wirthar, wirdar neben regulärem ivithar, widar. § 97. Nhd. -dd- in Widder, Troddel (vgl. mhd. wider, trade) ist Ausdruck der in den Konsonanten verlegten Silbengrenze. In Wörtern wie Kladde, Padde (aber Schildpatt), schnodderig ist sie nd. Ursprungs. § 98. Auslautend -p erscheint ahd. als -d; seit dem 11. Jh. kündigt sich in häufigeren Schreibungen mit -t die Auslautsverhärtung an, die in mhd. Zeit Regel ist. Seit dem Ausgange des 13. Jhs. dringt die Schreibung -d in Angleichung an den Lautstand des Inlauts vor. So bleibt -d die reguläre Vertretung bis in die nhd. Zeit, vgl. mhd. kint : Kind, bat : Bad. § 99. Einschub eines dentalen Verschlußlautes findet sich in verschiedenen Gebieten zwischen n, selten l und folgendem Konsonanten. Nur ein Teil der Formen erfährt weitere Verbreitung oder gelangt in die nhd. Schriftsprache. a) η + l >-nd(e)l nach der Tonsilbe ist vor allem obd. verbreitet. Die Anfänge der Erscheinung liegen in mhd. Zeit, das Frühnhd. kennt solche Formen obd. häufig, eine Reihe erfährt weitere Verbreitung und wird schriftsprachlich, mhd. end, anel : obd., ibes. bair. endel, andel 'Großvater'; ahd. Icanala 'Kanne' : spätmhd. obd. kandel·, mhd. kanel 'Röhre' : kandel, das allgemeiner verbreitet in die nhd. Schriftsprache eingeht. Ahd. queríala: mhd. quënel, quëndel 'Thymian', schriftsprachlich seit frühnhd. Zeit. Vor -lein ist d seit dem 15. Jh. häufig im Obd. belegt, mit dem 17. Jh. klingt der schriftliche Gebrauch ab : vgl. Formen wie /endlein 'Fähnlein', mändlein 'Männlein'. Vor -lieh ist der Einschub fast nur bair. seit spätmhd. Zeit; mit dem 17. Jh. schwinden Formen wie gewöndlich, persöndlich.
98
Konsonantismus
b) Nach unbetonter Silbe erscheint t als Gleitlaut zwischen η und l vor allem auf md. Boden seit mhd. Zeit häufig und wird schriftsprachlich fest, vgl. eigentlich, namentlich, ordentlich usw. c) η + r > ndr geht vom obd. Bereich seit dem 14. Jh. aus ; es wird fest in nhd. minder, ist frühnhd. weiter verbreitet in Fändrich. Formen wie Donder, M ander, H Under (für Hühner) bleiben aufs Obd. beschränkt. d) η + s > -nts(-), -nz(-) wird fest in ahd. munita : nhd. Münze, während in mhd. binej : bintz das Nhd. die nd. bestimmte Form Binse weiterführt, aber mhd. binz im Ortsnamen Pinzgau weiterlebt. I n mhd. tanz, tanzen kann der z-Laut ebenso entstanden sein oder aber der frz. Aussprache von dancier neben danser entstammen. Der gleiche Einschub von t zwischen η und sch in Formen wie mentsch bleibt mundartlich. e) l + s >-lts,-lz wird schriftsprachlich fest in frühnhd. pültz, nhd. Pilz für mhd. pülij, während Formen wie frühnhd. Holz, alz nur mundartlich sind. § 100. -t tritt an mittelbar auslautendes η nach unbetonter Silbe bei der Verbindung des Possessivpronomens oder von Adjektiven mit -halben, -wegen, -willen, so meinenthalben, beidenthalben, allenthalben usw. Teilweise erscheinen solche Formen schon in mhd. Zeit ; die erleichterten Formen wie meinet-halben erscheinen seit dem 16. Jh. Nach -n der unmittelbar auslautenden Stammsilbe erscheint -t oder -d selten: ζ. B. band 'Bann', pfant 'Pfanne'; fest geworden durch Luthers Sprachgebrauch ist Mond : mhd. män(e), mön(e). Wesentlich häufiger erscheint -t nach η in unbetonten Silben, und zwar teilweise bereits ahd., und hat sich in einer Reihe von Fällen in der nhd. Schriftsprache durchgesetzt: ahd. dëchant neben dëchan für decanus; mhd. barchan, barchant, barchent für parchanus, mhd. dutzent, tutzen für afrz. dozeine 'Dutzend'; mhd. pergamënt, zimmè'(n)t usw. zeigen -t in Lehnwörtern, mhd. iemant, niemant, iergent, niergent sind Belege aus dt. Wortgut, die schriftsprachlich geworden sind. Wesentlich seltener ist das Antreten von -t an mittelbar auslautendes r, so schriftsprachlich anderthalb, neben dem frühnhd. Formen wie innerthalb, außerthalb stehen. Bei Substantiven mit stammesauslautendem - f ( f ) erfolgt das Antreten von -t in Analogie zu den häufigen Bildungen auf -/i,also mhd. saf, frühnhd. saff zu saft 'Saft'; mhd. huf, frühnhd. huff zu huft 'Hüfte'. Vorbilder sind echte Bildungen auf -fi wie Duft, Gruft. Ebenso erscheint neben frühnhd. runs auch runst nach echten t-Bildungen wie brunst. Andere ¿-Erweiterungen, die nhd. festgeworden sind : mhd. ackes : Axt; mnd. maros, moras : Morast; mhd. suns : sonst, nach unbetonter Silbe etwa mhd. babes : bähest, Papst ; pallas : païïaet, obëz : obëst, Obst usw.
99
Dentale §§ 99-102
§ 101. Hinter der Schreibung ζ ahd. und mhd. Handschriften bergen sich zwei verschiedene Laute, nämlich einerseits die dentale Affrikate t-s, die vor hellen Vokalen auch durch c wiedergegeben wird, andrerseits die stimmlose Spirans s, in der Aussprache von ererbtem s zunächst verschieden (vgl. § 102). Diese Spirans wird in grammat. Darstellungen zur besseren Differenzierung oft als 3 geschrieben. a) Hd. 2 ist dentale Affrikata t-s ; sie erscheint als Vertreter von vordt. t im Anlaut vor Vokalen und w und im In- und Auslaut nach Konsonanten außer s, f und ch, ferner als Vertreter von vordt. tt im intervokalischen Inlaut und im postvokalischen Auslaut auf dem gesamten hochdeutschen Raum einschließlich des Mittelfrk. Ihre Schreibung ist seit ahd. Zeit 2, das zugleich die durch die zweite Lautverschiebung entstandene Spirans 3 bezeichnet, seltener vor e und i auch c ; die Vertretung der Geminata vordt. tt wird im Inlaut ahd. auch als zz geschrieben, seltener als tz, das in mhd. Zeit häufig wird. Im Auslaut wird stets -z geschrieben bis in die friihnhd. Zeit; -tz entspringt dem frühnhd. Bestreben, den gleichen Laut im In- und Auslaut auch gleich zu schreiben. In wenigen Lehnwörtern aus dem Lateinischen vertritt es spätlateinische A f f r i k a t a c vor e u n d i, so lat. census : ahd: zins\
lat. crucem : a h d .
krüzi 'Kreuz'; lat. (kcima : ahd. dècimo, dëzëmo 'Zehnt'. Vermehrt wird sein Bestand durch solche Fälle, wo zwischen l, η und ahd. 3 der Mittelvokal in mhd. Zeit synkopiert wurde und in der nun entstehenden Lautfolge Z-3, n-3 der Gleitlaut t eintrat (vgl. § 99 d), so lat. moneta : a h d . munita, pülis > bülz 'Pilz'.
m h d . münze
' M ü n z e ' ; lat. boletus
: mhd.
Im Lenierungsbereich wird die ursprüngliche Fortis-Intensität der Affrikata abgeschwächt. b) ahd., mhd. 3 setzt auf hd. Bereich vordt. t des intervokalischen Inlauts und des postvokalischen Auslauts fort. Seine Schreibung ist seit ahd. Zeit 2 bzw. 22 für die Gemmata nach kurzem Vokal, bis mit der lautlichen Annäherung von s die Schreibung s eindringt (weiteres s. §§ 102ff.). Es hat seit ahd. Zeit den Lautwert eines stimmlosen rein dentalen Fortisspiranten. § 102. hd. s setzt im ahd. und mhd. An-, In- und Auslaut vordt. s fort, -ss- ebenso vordeutsche Geminierung. In allen Stellungen ist der s-Laut bis in die mhd. Zeit hinein leicht palatalisiert, klingt also mehr nach S, vgl. seinen Lautwert in frühen slawischen Lehnwörtern aus dem Deutschen: poln. zak 'Fischernetz' : mhd. sac; slow, zmach : mhd. smach 'Geschmack'. Mit dem Ausgange des 13. Jhs. vollzieht sich seine Aufspaltung in rein dentales s einerseits und in S andrerseits. Mit der Hinwendung des ahd.-mhd. s zum rein dentalen Spiranten erfolgt in vielen Mundarten lautlicher Zusammenfall mit ahd.-mhd. 3.
100
Konsonantismus
§ 103. Anlautendes hd. s- setzt nur vordt. s- fort. Im Anlaut vor Vokal und vor den stimmhaften Konsonanten l, m, n, w hat es in ahd. Zeit an der Spirantenschwächung teilgenommen und darf bereits in ahd. Zeit im Alem., Bair., Ost-, Süd- und Rheinfrk. als Lenis gelten. Im Mittelfrk. ist es zum schwach stimmhaften Reibelaut geworden, der vor Vokal heute noch in den mittelfrk. Mundarten gilt. Im ostmd. Bereich ist der genauere Lautstand für die mhd. Zeit noch unklar; in den heutigen Mundarten gilt vor Vokal im nördlichen Obersächsischen und im Schlesischen stimmhafter dentaler Spirant, sonst Lenis; doch dürfte stimmhaftes s in mhd. Zeit weiter verbreitet gewesen sein. Mit dem ausgehenden 13. Jh. verliert s- vor Vokal den palatalen Charakter und wird zum dentalen Spiranten, der je nach dem Stand der Mundart Lenis oder stimmhaft ist. Hochsprachlich gilt heute vor Vokal der stimmhafte Spirant. Vor den Lauten l, m, n, w verstärkt sich dagegen die vorhandene Palatalisierung zu s, für die sich die Schreibung seh durchsetzt, die im 14./15. Jh. noch selten ist und erst mit dem 16. Jh. stärker in Erscheinung tritt: mhd. slange : Schlange; mhd. smal : schmal-, snëcke : Schnecke; swëllen : schwellen. Vordt. sk- erscheint in ahd. Zeit noch als sk-, entwickelt sich in spätahd. Zeit zu s, für das die Schreibung sg, sch auftaucht, wovon sich sch in mhd. Zeit durchsetzt: vgl. ahd. skrtban : mhd. schrlben, schreiben-, ahd. skif : mhd. schif, Schiff. Ebenso erscheint für fremdes sk- in Lehnwörtern sch- etwa in Schachtel, Schatulle, die beide aus it. scatola entlehnt sind, Scharmützel aus it. scaramuccio, Schöps 'Schafbock' < tschech. skopec. Ahd. mhd. st-, sp- werden gleichzeitig mit si-, sm-, sn-, sl-, sw- auf hd. Boden zu st-, sp-, für das sich jedoch die Schreibung st-, sp- gegen vereinzelte Versuche der scÄ-Schreibung behauptet. Auch in jüngeren Entlehnungen kann s- vor m als S erscheinen. Neben frühen Schreibungen wie schmaragd 'Smaragd' ist sch- schriftsprachlich festgeworden in Schmirgel < it. smeriglio. § 104. Inlautend -s- zwischen Vokalen aus vordt. -s- nimmt wie anlautendes s- an der Spirantenschwächung teil. Es darf im Alem., Bair. schon ahd. als geschwächt gelten und ist wohl Lenis oder Halbfortis gewesen. Unklar sind die näheren Eigenschaften im Ost-, Süd- und Rheinfrk. in ahd. und mhd. Zeit, wo heute weitgehend die Lenis gilt. Im Mittelfrk. wie im nördlichen Obersächsischen und Schlesischen dürfte die heutige Stimmhaftigkeit bis in die mhd. bzw. ahd. Zeit zurückreichen. Auch hier hatte das vordt. s palatalen Beiklang wie im Anlaut. Dadurch ist es zunächst von -3- geschieden, das im ganzen hd. Bereich stimmlose dentale Fortis ist. Mit dem Schwinden des palatalen Einschlages bei -$· stehen sich
Dentale §§103-105
101
im Bair. und Hochalem. seit dem Ausgang des 13. Jhs. beide als Lenis und Fortis gegenüber, urspr. noch durch die Schreibung s und z, später durch die Schreibung als / und f f geschieden. Im Niederalem. und Schwab, fallen beide zur Halbfortis oder Lenis zusammen, deren Schreibung anfangs noch durch die überkommene Schreibtradition s : ζ getrennt gehalten wird, bis die gleichartige Aussprache zur Vermengung beider Schreibungen führt. Im Ostfrk. erscheinen beide Laute sicher seit dem Anfang des 14. Jhs. als Fortes oder Halbfortes, im Rheinfrk., Thür, und Obersächs. beide als Lenes, während das Mittelfrk. im Westen, das nördliche Obersächsische und das Schlesische im Osten beide Laute als stimmhaften und stimmlosen dentalen Spiranten trennt, was vor allem die mittelfrk. Schreibtradition in der Regel genau scheidet, während sich im Ostmd. die Scheidung als / und f f erst in den Drucken des 16. Jhs. fester einbürgert. Heute trennt die nhd. Schriftsprache beide Laute als stimmhaften und stimmlosen s-Laut, der eine in der Regel als s, der andere als -ss- geschrieben,vgl. hd. lesen : wissen. Nur in einigen Wörtern ist früheres j in Schrift und Aussprache durch s ersetzt: vgl. mhd. ämeije : Ameise; mhd. mü^en : mausern-, mhd. verteilen : verweisen, wohl in Klangassoziation an Meise, Maus, unterweisen. Inlautend -ss- aus vordeutsch -ss- bleibt ahd. und mhd. stimmlose Fortis palatalen Charakters. Mit der Aufgabe dieser Eigentümlichkeit fällt sie mit -33- aus vordt. -t- überall lautlich zusammen und wird wie diese geschrieben, daher auch hd. -ss- etwa in küssen, (ahd. küssen), missen (ahd. missen), gewissen usw. Wo vordt. ss nach langem Vokal oder nach Diphthong bereits ahd. als -s- erscheint, ist es mit vordt. -s- zusammengefallen und wie dieses entwickelt, vgl. ahd. wissen, wïsen, mhd. wïsen, nhd. iveisen; ahd. lassen, lösen, mhd. leesen, nhd. lösen. Zu -ss- aus -hsvgl. § 126 e. Tritt -33- durch die Synkopierung eines Vokals vor s, so gleicht es sich ihm an: vgl. ahd. b esisto > mhd. beste ; ahd. grö^isto > mhd. grœste; ahd. ejjisc > mhd. ejjesch > esch 'Flur'. § 105. Hd. s nach oder vor Konsonant geht in der Regel auf vordt. s zurück, soweit es nicht entlehntem Wortgut entstammt. Ahd. 33, das ja nur in intervokalischer Stellung möglich war, kann nur in unbetonter Silbe durch die Synkopierung des vorausgehenden Vokals in eine nachkonsonantische Stellung geraten. Hier war es bereits ahd. zu 3 vereinfacht worden. Es erscheint als nhd. s, in ahd. emetic, mhd. emjec : emsig-, mhd. areweij, ärwij : Erbse. -rs- erscheint seit dem 14. Jh. als -rsch-, soweit stimmloses -s- vorliegt, a) in einheimischen Wörtern für ursprüngliches -rss-, das durch die westgermanische Konsonantengemination entstanden Avar, so mhd. zerkniirsen : knirschen; zermürsen : morsch.
102
Konsonantismus
b) in fremdem Wortgut aus roman, rs: mhd. birsen (afrz. berser) : birschen; mhd. burse (mlat. bursa) : Bursche-, mhd. torse (ital. torso) : Dorsche. In der Hauptmasse der Belege aber ist rs in der Schriftsprache erhalten geblieben, wenn auch mundartlich teilweise rè Gültigkeit hat: vgl. hd. Hirse, Ferse, Färse, ebs. Pfirsich neben Pfirsche (noch bei Goethe) (aus lat. Persicus). Unklar ist mhd. hërsen : nhd. herrschen. -rst(-) ist auf hd. Boden weitgehend mundartlich zu rst geworden, doch bleibt die Schreibung rst gewahrt, die durch norddeutschen Einfluß auch zur hochsprachlichen Aussprache als rst führt. Vgl. erster, Fürst. Ebenso ist auch Is, ms, ns mundartlich vor allem im alem. Gebiet und in einer Reihe von westmd. Mundarten $ geworden, doch gilt heute hochsprachlich wie in der Schreibung (stimmhaftes) s. Mundartliches s ist in feilschen hochsprachlich festgeworden, st wandelt sich im Anlaut wie auch im Inlaut zu st im Alemannisch-Schwäbischen, in Tirol und im südfrk.rheinfrk.-pfälzischen Bereich; sonst gilt st wie in der hochdt. Schriftsprache. Inlautend -sp- > -sp- gilt alem.-bair., pfälzisch und nordböhm.südschles., sonst gilt -sp- wie in der nhd. Schriftsprache. -sk- ist bereits in spätahd. Zeit durchgehend zu ë geworden, -ts- gilt seit spätmhd. Zeit in einigen Wörtern als -tS- ohne allgemeine Gültigkeit zu haben, vgl. hierfür nhd. fletschen, klatschen, plätschern, Pritsche, quetschen, Rutsche neben -ts-, geschrieben (t)z in flitzen, glitzern, hetzen, Tatze usw. § 106. -s aus vordt. -s ist seit ahd. Zeit wohl allgemein stimmlose Lenis ; -3 ist dagegen stimmlose Fortis. Mit dem Zusammenfall beider Laute nach der Aufgabe des palatalen Charakters bei s setzt mundartlich der Ausgleich ein, sei es nach der Seite der Lenis oder nach der der Fortis. Tritt -3 durch die Synkopierung eines schwachtonigen Vokals hinter l, η usw., so tritt -t- als Gleitlaut ein (vgl. § 99 d). -sk, -st, -sp, -Is, -ns zeigen die gleiche Entwicklung wie im Inlaut. -rs ist nhd. schriftsprachlich als -rsch vertreten: vgl. mhd. bars : Barsch·, mhd. wirs : unwirsch. - 3 fällt mit -s zusammen ; wo im gleichen Wort durch die Flexion Inlautsstellung neben auslautender Stellung erscheint, hält sich in der nhd. Schriftsprache die graphische Trennung in -ß und -ss-; vgl. Haß, muß neben Hasses, müssen usw. W o die Inlautstellung fehlt, erscheint -s: was, dies, das, alles usw. Von dieser Regelung abweichend erscheint nhd. -s für altes - 3 in einigen Wörtern, wo es auch für die Inlautsstellung Gültigkeit gewonnen hat: so mhd. krei3 : nhd. Kreis·, mhd. ¿03 : nhd. Los.
Labiale §§ 105-109
103
2. Die L a b i a l e § 107. Hd. ρ ist a) germ, ρ, soweit es nicht durch die zweite Lautverschiebung verändert wurde; so ist es im Alem., Bair. und Ostfrk. auf die Lautgruppe sp beschränkt, die stets unverschoben blieb. Im Süd-, Rheinund Mittelfränkischen steigt die Häufigkeit von ρ = germ, ρ mit dem Abebben der Verschiebungsintensität von Süd nach Nord. Während die Mundarten unverschobenes ρ hier bis zur Gegenwart weitgehend beibehalten, dringt in der Schreib- und Drucksprache pf als gemeindeutscher Schreibgebrauch vor. Die Schreibung pf bürgert sich in den Kanzleien des Südfrk. und des südlichen rheinfrk. Gebiets schon im 13. J h . ein, bis sie im 15. J h . auch im übrigen Rheinfrk. als Norm gilt, der im 16. J h . auch der mittelfrk. Raum folgt. Im Bereich des Ostmd. zeigt der südthüringische Raum heute den gleichen Verschiebungsstand wie das Ostfrk. Sonst gilt mp, pp neben sonstigem /, pf. b) germ, b nur im Bereich des Obd., vgl. § 118f. c) fremdes ρ in Wortentlehnungen nach der zweiten Lautverschiebung. § 108. Anlautend p- vor Vokal bleibt auf md. Boden Fortis, die im heutigen Ripuarischen und Thüringisch-Obersächsischen nur schwach behaucht ist. Vor r und l unterliegt p- im Lenierungsbereich der Abschwächung zur Lenis, so daß die alte Fortis vor r, l in der heutigen Mundart auf das östliche Moselfrk., das Rip. einerseits, das Nordthüringische und Schlesische andrerseits beschränkt ist. Wo es leniert wurde, fällt es lautlich mit b zusammen, das sich zur Lenis entwickelt. Daher schwankt vor allem in fremdem Wortgut mhd. und frühnhd. Schreibgebrauch zwischen p- und b-, so mhd. pabes : babes 'Papst'; pëch : bëch 'Pech'; prüeven : brüeven 'prüfen'. In entlehntem Wortgut setzt sich für p- in frühnhd. Zeit die p-Schreibung durch : Papst, Palme, Perle, Pilger, Punze·, Plage, Planke-, predigen, Preis, Propst, prüfen. Obwohl sich im Schreib- und Druckgebrauch pf- allgemein hd. einbürgert, dringt in einer Reihe von Wörtern die p-Schreibung langsam durch und wird in der nhd. Schriftsprache Schreib- und Sprachnorm, obwohl im Frühnhd. oft noch ^/-Formen vorhanden sind, soweit es sich um allgemein hd. Sprachgut handelt. Dieses Eindringen der pFormen in den Gebrauch der Schreibsprache setzt auf md. Boden ein und greift ins Obd. über, wo diese mit Lenis gehörten Wörter auch mit 6-Schreibung erscheinen. Nhd. Wörter dieser Art sind etwa packen, pausen, Pocke, plump, Plunder, plündern, prallen, prellen, Prunk. § 109. Inlautend -pp- entspricht a) in den md. Mundarten vordt. -pp-, das hier unverschoben blieb ; b) auf dem gesamthd. Gebiet mit Ausnahme des Ripuarischen vordt. -bb-, das auf md. Gebiet mit erhaltenem germ, pp zusammenfällt;
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Konsonantismus
c) auf fremdem pp in Lehnwörtern wie Kappe, Mappe, Puppe oder fremdem -p-, das nach erhaltenem kurzen Vokal zu -pp- geminiert wird: Koppel, Klippel, bzw. ebenso gemildertem fremdem -b- in äfrühnhd. doppel, hd. doppelt (afrz. doble). Im nichtbairischen Lenierungsgebiet wird -pp- zur Lenis, weshalb auch hier Schreibungen mit -66- erscheinen. Trotz des in der frühen Schreib- und Drucksprache sich allenthalben einbürgernden obd.-ostfrk. -pf- für heimisches -pp- der md. Dialekte werden einzelne Wörter mit unterschobenen pp vom md. Gebiet her gemeindeutsch fest ; sie erhalten Zuzug durch Wortübernahmen aus dem niederländischen oder niederdeutschen Sprachgebiet, die unterschobenes -pp- zeigen. Daher stammt nhd. -pp- in klappern, Knüppel, Krüppel, Lappen, Lippe einerseits, in Wappen, wappnen andrerseits. § 110. Inlautend -mp- entspricht unterschobenem vordt. -mp- in den md. Mundarten des Westens und Ostens. Auch hier entwickelt sich der p-Laut im Lenierungsbereich zur Lenis, was zu -ra6-Schreibungen führt. Wie bei -pp- setzt sich zwar in der Schreib- und Drucksprache allenthalben die obd. Schreibung mit pf durch, doch werden auch hier in einzelnen Wörtern md. und nd. mp-Schreibungen früh allgemeiner verbreitet und werden so im Nhd. schriftsprachlich, vgl. Wimpel, Klumpen, plump, zimperlich. § 111. Inlautend -Ip-, -rp- statt verschobenen -l(p)f, -r(p)f- gelten in ahd. und teilweise noch in mhd. Zeit im Norden des rheinfrk. Gebiets, in ahd. Zeit auch im Mittelfrk., wo im Moselfrk. die Verschiebung schon in mhd. Zeit Fuß faßt, der wohl in spätmhd. Zeit auch der hessische Norden des Rheinfrk. erliegt. In den modernen Mundarten gilt so -Ip-, -rp- nur mehr im Ripuarischen. Im Ostmd. schließt sich der Süden des Thüringischen dem ostfrk. Verschiebungsstand an, im übrigen thüringischen Raum gelten noch mhd. unverschobenes Ip, rp, das heute wie weithin im Ostmd. verschoben ist. In der Schreib- und Drucksprache gewinnen die Verschiebungsformen allgemein Gültigkeit. Ip, rp in der nhd. Schriftsprache sind teils md. oder nd.-nl. Einfluß wie Knirps, Knorpel, stolpern, stülpen, Tölpel oder entstammen fremdem Wortgut : Alpen, Tulpe. In den übrigen Stellungen des In- und Auslautes ist ρ in allen hochdeutschen Mundarten verschoben; hier erscheinendes nhd. -p- entstammt teils nd.-nl. Einfluß, so Stapel, Staupe, teils fremdem Wortgut. § 112. ρ erscheint in regellosem Wechsel mit b als Einschub zwischen m und den dentalen Lauten η, l, d, t, s, r. Dieser Gleitlaut findet sich vereinzelt schon ahd., öfters mhd. und ist seit dem 14. Jh. ausgesprochen
Labiale §§ 109-115
ΙΟδ
häufig, tritt aber am Ende der frühnhd. Zeit zurück und ist heute ausgemerzt. Hierher gehören Schreibungen wie sampnen 'sammeln', verdampnüss 'Verdammnis', nemblich 'nämlich', Verleumbder 'Verleumder' berümpt 'berühmt', kompst 'kommst' usw. § 113. hd. pf ist im Bereich der zweiten Lautverschiebung aus germ. ρ, pp entstanden. Als Schreibung erscheint in ahd. Zeit neben pf auch ph, die sich in der mhd. Zeit bis ins 13. J h . hält; dann wird pf allgemein üblich. Für pf aus vordt. pp erscheint ahd. auch die Schreibung pph, ppf, die die Verteilung des Lautes auf zwei Silben auszudrücken versucht. Alem. Denkmäler kennen auch die Schreibung f, ff für pf, so auch Notker, der nur germ, pp mit pf wiedergibt, sonst aber / (flegen für pflegen, chçmfo für kempfo) schreibt. Da die Mundarten heute nur auf pf weisen, dürfte kein Lautwandel vorliegen. Die Affrikata pf bleibt auf obd. und westmd. Boden im allgemeinen unverändert bestehen, nur erfährt die ursprüngliche Fortis ρ auch hier im Lenierungsgebiet Abschwächung. Die dreikonsonantige Gruppe Ipf, rpf (ahd. hëlpfan, wërpfan) wird zu If, rf erleichtert; der Vorgang beginnt bereits in ahd. Zeit und setzt sich in mhd. Zeit weitgehend durch, wenn auch unerleichterte Formen sich bis in die nhd. Zeit (vgl. Karpfen) halten. In weiten Bereichen des Ostmd. wird auch die Anlautsgruppe pf- zu /- erleichtert, was zu /-Schreibungen führt, die freilich die Drucker fast stets als zu stark dialektisch meiden. Sekundär entstanden ist pf in den Kompositen mhd. empfän 'empfangen', empfëln 'empfehlen', empfinden aus ent-f-, vgl. § 92. § 114. hd. / entspricht a) germ. /, das in der ersten Lautverschiebung aus idg. ρ entstanden ist. b) vordt. p, das in der zweiten Lautverschiebung auf gesamthd. Boden > f(f) wurde. Seiner Entstehung nach gilt es nur im intervokalischen Inlaut und im postvokalischen Auslaut. So entstandenes / ist ursprünglich stets Geminata gewesen, die sich zwar im Inlaut nach kurzem Vokal hielt (as. opan : ahd. offan, mhd. nhd. offen), nach langem Vokal oder nach Diphthong schon frühahd. vereinfacht wurde, wie auch im Auslaut nur einfacher /-Laut galt : vgl. got slëpan : ahd. släffan, släfan, mhd. släfen, nhd. schlafen·, got. hlaupan : ahd. hlouffan, loufan, mhd. bufen, nhd. laufen. Lautlich bleiben beide Laute weitgehend differenziert. c) / in Wortentlehnungen aus fremden Sprachen. § 115. Anlautend /- begegnet nur als Nachfolger von vordt. /- oder in entlehntem Wortgut. Es unterliegt bereits ahd. der Erweichung zu einem schwach stimmhaften Spiranten, über dessen genauere Aussprache als
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Konsonantismus
bilabialer oder labiodentaler Spirant keine Aussage möglich ist. Graphischer Ausdruck dieser Erweichung ist die Schreibung mit u (v), die sich im 9. Jh. deutlich zeigt; doch bleibt daneben stets die Schreibung mit /- bestehen, die der graphischen Deutlichkeit wegen vor u, ü, iu, ou, üe häufig ist. Im Obd. wird es im 13. Jh. zum stimmlosen labiodentalen Spiranten; die md. Mundarten folgen dieser Entwicklung, nur im Ripuarischen gilt in frühnhd. Zeit noch stimmhafter /-Laut, wie gelegentliche Schreibung als w zu deuten sind. Die Schreibung als / und ν wird aufrecht erhalten und lebt in dem schriftsprachlichen Nebeneinander von /- und v- nach. § 116. Intervokalisches / oder / zwischen Liquida und Vokal kann innerhalb des Bereiches der zweiten Lautverschiebung ebenso germ. / wie vordt. ρ verkörpern. Das gleiche trifft für den postvokalischen Auslaut oder den Auslaut nach l, r zu. Beide Laute werden zunächst lautgeschichtlich geschieden, germ. / wird in ahd. Zeit stimmhaft, was die im 8. Jh. einsetzende Schreibung durch u (v) zum Ausdruck bringt. Der aus germ, ρ entstandene hd. /-Laut ist ursprünglich langer stimmloser Spirant f f , der mit Ausnahme des Bairischen nach langem Vokal oder nach Diphthong vereinfacht wird. In den Lautgruppen If, rf, kann altes / und aus pf vereinfachtes altes ρ vorliegen. W o / auf vordt. ρ zurückgeht zeigt es keinen Wandel zur Stimmhaftigkeit, die Schreibung als ω ( ν ) fehlt also. Die Laute -v- und -/- bleiben im Bairischen wie im Hochalemannischen geschieden, ν als stimmlose Lenis, / als stimmlose Fortis und darum in der Regel als ff geschrieben bis in die frühnhd. Zeit hinein, wo nach gemeindeutschem Schreibgebrauch nach langem Vokal oder nach Diphthong die Schreibung durch einfaches / vordringt. Die Lenis wird mhd. und frühnhd. mit v, häufiger mit / geschrieben. Im Niederalemannischen und Schwäbischen fallen beide Laute zu einer Halbfortis zusammen, weil / < vordt. ρ durch die Lenierung abgeschwächt wird. Das gleiche trifft auf md. Boden für das Südfrk., das südliche Rheinfrk., das Ostfrk. und das nordwestliche Böhmen zu. Sonst halten die Mundarten in verschiedener Form die Trennung beider bis zur Gegenwart aufrecht, ausgenommen das nordwestliche Schlesien, das für beide Laute stimmhafte Spiranten kennt. In der Schreibung trennt die mittelfrk. und die ostmd. Norm in der Regel beide durch Bezeichnung mit ν bzw. / einerseits, ff andrerseits. § 117. Im In- oder Auslaut vor t und s sowie in jedem mittelbaren oder unmittelbaren Auslaut sind beide Laute schon in ahd. Zeit zusammengefallen zu einem stimmlosen Reibelaut, der im Obd. weitgehend Fortis bleibt.
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Labiale §§ 115-118
Im Mittelfrk. erscheint seit spätahd. Zeit cht für ft wie im benachbarten Niederfrk. und im westlichen Nd. Vereinzelt dringen Wörter dieses Lautstandes ins md. und obd. Gebiet vor, wo bis in die frühnhd. Zeit hinein ft und cht-Formen nebeneinander stehen können. In der nhd. Schriftsprache gilt cht aus ft in Fällen wie Gerücht neben frühnhd. Gerüft·, ruch(t)bar,
echt (mhd. ehaft), Nichte (frühnhd. nift), Schlucht (neben lange
gültigem Schluß). § 118. hd. b geht auf vordt. b oder auf einen 6-Laut fremden Ursprunges zurück. Im Anlaut war vordt. 6- durch die zweite Lautverschiebung im Alem.-Bair. zur Fortis p- geworden. Im Alemannischen setzt schon spätahd. die Erweichung zur stimmlosen Lenis ein, die im stimmhaften Sprechzusammenhang zuerst erscheint, während nach der Sprechpause oder nach stimmlosen Konsonanten die Schreibung p- auf längere Erhaltung der Fortis weist (vgl. Notkers Anlautgesetz). In dem Maß, in dem b zur Kennzeichnung der Lenis in die Schreibung eindringt, zeigt sich Wechsel p/6, wobei in der Regel die Tendenz zur einheitlichen Schreibung des gleichen Wortes über den ev. länger verschiedenen Lautwert die Oberhand behält. So setzt sich weitgehend die Anlautschreibung als b- in mhd. Zeit durch. In einer Reihe von Wörtern erscheint in spätmhd.-frühnhd. Zeit die Fortis p- vor Vokal als regelmäßige Anlautsbezeichnung. Die Gründe hierfür sind bisher nicht festgestellt : vgl. Schreibungen wie pundt, pusch, paur 'Bauer', pürtig in Drucken, die sonst b schreiben. Im Bairischen erhält sich im Südbair. p- bis in die heutige Mundart, im Mittel- und Nordbair. überwiegen die p-Schreibungen als Ausdruck einer Fortis oder Halbfortis bis ins 16. Jh., doch erscheint seit dem 14. Jh. zunehmend daneben b-, das seit dem 16. Jh. die übliche Schreibung wird. In dieser Umformung des Schreibgebrauchs spiegelt sich die Entwicklung zur Lenis wieder, die sich nach Kranzmeier seit etwa 1300 auf mittel- und nordbair. Gebiet ausbreitet. Im md. Raum ist vordt. anlautendes b- unverschoben geblieben. Es bleibt stimmhafter Verschlußlaut bis heute im Ripuarischen und im Niederschlesischen, doch dürfte die Stimmhaftigkeit in mhd. Zeit auch noch in anderen Gebieten Gültigkeit gehabt haben; sonst herrscht heute freilich die Lenis b-. Seit spätmhd. Zeit erscheint im Anlaut einer Reihe von Wörtern vor Vokal oder vor r, l die Schreibung p-, deren Ursache dunkel ist. Vor allem im Ostmd. wird diese Verhärtung frühnhd. sehr deutlich, teilweise wird diese Schreibung in die nhd. Schriftsprache übernommen; vgl. Schreibungen wie pusch purtzeln, pracht, prangen, prügel usw.
'Busch', puckel,
plick,
putzen,
Das anlautende 6- romanischer Lehnwörter, die erst in mhd. oder frühnhd. Zeit entlehnt worden sind, zeigt in der Regel obd. und west-
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Konsonantismus
md. b- (baucke 'Pauke', bosaune 'Posaune', birschen, büffel·, nur alem. panier, panner, die von dort aus anderwärts gültig werden). Im Ostmd. erscheinen diese 6- meist als p-, wohl als Wiedergabe westmd. Lenis, daher Panche, Pickelhaube, Panier, Posaune. Italienische Wörter zeigen wegen der südbairischen Vermittlung Schwanken zwischen b- und p-: bastey : pastey ; bocal : pokal. In onomatopoetischen Wortbildungen schwankt die Schreibung allgemein zwischen b und p, wobei das Obd. und Westmd. b-, das Ostmd. pbevorzugt : bappeln : päppeln, bochen : pochen, boldern : poldern, Mötzlich : plötzlich usw. In mittelbarem Anlaut galt bair. in ahd. und mhd. Zeit die Regel, daß nach unbetontem Präfix (be-, ge-, ze- usw.) b- erscheint; sie tritt mit dem 14./15. Jh. zurück gegenüber der allgemeinen Erscheinung, daß nach Vokal und stimmlosem Konsonant p-, nach Nasal oder Liquida 6erscheint: also gepurd, gepot, Augspurg : Amberg; kostpar : erbar. Mit dem Vordringen der δ-Schreibung im 16. Jh. wird diese lautliche Erscheinung in der Schrift unsichtbar. Im übrigen Gebiet wird b nach stimmlosem Konsonant p-, also entperen, entpieten, entpor, wiltpret, achtpar, nutzpar, wie bis zum Ende der frühnhd. Zeit häufig geschrieben wird. Stoßen in der Kompositionsfuge -t und b- zusammen, so entsteht p: ent-brechen, mhd. emprëchen ; doch vermag dieser Lautwandel sich in den etymologisch durchsichtigen Fällen nicht zu behaupten, wohl aber in dem etymologisch vereinzelten empor, empören. § 119. Intervokalisches b und b zwischen Liquida und Vokal hat schon in ahd. Zeit auf dem ganzen obd. Gebiet die Umformung von verschobenem ρ zu b erfahren. Dieses b bleibt stimmlose Lenis im Südbair., Hochalem. und Schwäbischen, erfährt aber im Bairischen wie im Norden des Niederalem. die Öffnung des Lenis-Verschlusses zu bilabialem w, was sich in w-Schreibungen neben traditionell gewordenem b ausdrückt. Die gleiche Öffnung des Verschlusses erfährt b auch in mitteldt. Bereich, wo nur das Mittel- und Niederschlesische heute den stimmhaften Verschlußlaut bewahren. Daher sind auch in md. Handschriften ««-Schreibungen neben solchen mit b belegt und zwar von mhd. Zeit bis in die frühnhd. Zeit hinein, doch herrscht in den Drucken gemeinhin die gemeindt. Schreibung mit b. Nur in etymologisch nicht erkennbaren Formen erscheint hier w, so in ungebräuchlichen oder absterbenden Wörtern wie lieweren = mhd. liberen 'gerinnen', kowen 'Koben' oder in ingwer, wo die ω-Schreibung sich frühnhd. allgemeiner verbreitet hat und in der nhd. Schriftsprache gilt. Der besseren Kenntlichmachung des Verschlußlautes dient wohl die Schreibung als p, das in md. Denkmälern nach kurzem Vokal auch als pp erscheint. Hier erscheint ρ seit dem 14. Jh. neben ¿»-Schreibungen
Labiale §§ 118-119
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und wird ζ. T. in der schriftsprachlichen Rechtschreibung fest, so krap(p)eln,
grap(p)eln,
grabein; zap(p)eln,
zab(b)eln,
bap(p)eln,
bab(b)eln\
stets ρ (ρ) erscheint in dem erst im 16. Jh. entlehnten duppel(t), dop(p)elt (afrz. doble).
Im Bereich der Öffnung des Lenisverschlusses kann sich altes b so weit verflüchtigen, daß es zwischen kurzen Vokalen schwindet : gibst > gît, geben > gên, gëbent > gënt, gebende > gënde, gegeben > gegen. Der Vor-
gang ist bei haben > hän in schwachtoniger Satzstellung schon im 12. Jh. zu beobachten und ist seit der Mitte des 13. Jhs. sehr verbreitet, ohne daß die vollen Formen verdrängt würden, die vor allem in gehobener Sprache üblich bleiben. Eine Ausnahmestellung innerhalb der md. Mundarten nimmt das Mittelfrk. ein, das im Inlaut den vordt. labialen Reibelaut seit ahd. Zeit bewahrt. Er wird im Inlaut durch ν als stimmhafte Spirans gekennzeichnet, im Auslaut durch -/, als stimmlos. Schon mhd. erscheint auch im Inlaut Schreibung mit /, frühnhd. auch mit f f . In den Kanzleien und Drucken schwanken die Schreibungen bis ins 16. Jh. zwischen dem heimischen / und gemeindeutschem b, das im 17. Jh. Regel wird. In einzelnen Fällen dringt /, v, mit heimischem Wortgut ins hd. Gebiet vor, so schon klass. mhd. traven, trafen 'traben', später hafer neben haber, hufe neben hube, hafen, haven ( = Topf) neben haben, die in der dt.
Schriftsprache heimisch wurden. Auch dieses -v- kann in mhd. Zeit im Ripuarischen zwischen Vokalen vernachlässigt werden; in der Regel erscheint der erste Vokal gedehnt : hovisch : hoisch 'höfisch', baves : pais 'Papst' (i ist hier Dehnungszeichen und weist auf keinen Diphthong). -mb- wird im 12./13. Jh. vor allem md. zu mm: umbe > unme; kumber > kummer, imbe > imme. Das so entstandene -mm- wird dann in den Wortauslaut übernommen, also nach kammes : kam 'Kamm', nach lammes : lam 'Lamm', wobei die Schreibung in frühnhd. Zeit die Doppelkonsonanz des Inlauts in den Auslaut übernimmt. Tritt b vor einen stimmlosen Laut, so erscheint ahd. bair. p, ebenso im älteren Alem., während jünger b¡p wechseln, da beide die gesprochene Lenis bezeichnen. In den md. Mundarten überwiegt b als Schreibung der gesprochenen Lenis. Tritt in mhd. Zeit infolge der Synkopierung eines e ein stimmloser Laut hinter b, so erscheint im Obd. bald b bald ρ bis ins ältere Frühnhd. hinein, während die md. Mundarten b bevorzugen, doch setzt sich auch hier in vereinzelten Fällen ρ als Schreibung durch und gelangt in die nhd. Schriftsprache : vgl. ahd. houbit, mhd. houbet, houbt, houpt nhd. Haupt, aber mhd. obëz : nhd. Obst, abbet : nhd. Abt.
Die Geminata vordt. -66- erscheint seit ahd. Zeit als pp, vgl. § 81, 2. -66- in Ebbe ist nd.
Auslautendes -6 erfährt spätahd.-mhd. Verhärtung zur Fortis -p : mhd.
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Konsonantismus
graben : gruop-, kamp : kambes. Seit dem 14. Jh. setzt die Rückentwicklung zur Lenis b ein, die in der nhd. Schriftsprache herrscht. 3. D i e G u t t u r a l e und der H a u c h l a u t h § 120. Hd. k vertritt a) vordt. k im Anlaut vor Vokal oder Konsonant und im Inlaut bei Konsonant. Im Bereich des Alem.-Bair. wird es zunächst zur Alfrikata ¿χ verschoben, deren Spirant bereits sehr früh im Süden des Obd. stärker velar war als in seinem Norden. Als Schreibung dieser obd. Affrikata erscheint in ahd. ch, das gleichzeitig auch die Spirans χ bezeichnet ; seltener erscheint daneben kh, öfter nur k oder c. Im Obd. der spätahd. Zeit wird der Gebrauch von ch fast allgemein üblich. Auch in mhd. Zeit gilt ch neben der Schreibung mit c oder k. Während die Affrikata als Fortis-Laut im Südbair. und Hochalem. bewahrt bleibt, unterliegt sie im Mittel- und Nordbairischen ebenso wie im Niederalem. und Schwäbischen der Lenierung. Sie führt teils zur Spirans χ, welche bereits Schreibungen wie ahd. starhta 'stärkte', starh 'stark', wërh 'Werk' für das alem. Notkers erweisen, teils zur behauchten Fortis. Im Schwäbischen wird anlautend vor Vokal die Fortis k, bei Konsonant die Lenis g erreicht, so daß sich das Schwäbische hierin dem Lautstand der md. Dialekte anschließt. Im Mittel- und Nordbairischen setzt sich nach 1300 die Lenis durch, die vor Vokal behaucht bleibt. Im Ostfrk. und Md. bleibt der k-Laut von der zweiten Lautverschiebung unberührt, formt sich aber im Lenierungsgebiet zur Lenis um, soweit er anlautend vor, inlautend bei Konsonant steht, bleibt aber im Anlaut vor Vokal Fortis. b) Fremdes k in Lehnwörtern nach der zweiten Lautverschiebung, für das auch mhd. und frühnhd. g als Ausdruck der gehörten Lenis erscheint : kanël, ganêl 'Zimt' ; ¡collier, gollier 'Koller'. c) über sk > S vgl. § 105. § 121. Hd. ck vertritt a) vordt. kk. Es wird im Alem. und Bair. zur Affrikata ky verschoben, deren Spirant bereits sehr früh im Süden des Obd. stärker velar war als in seinem Norden. Als Schreibung erscheint neben ck und einfachem k oder c auch ch oder cch in ahd., ch und ck in mhd. Zeit. Die Lenisierung führt im Mittel- und Nordbair. zur aspirierten Fortis, ebenso im Niederalem. Das Schwäbische schließt sich wieder dem md. Lautstand an, wo die Affrikata unverschoben blieb, aber durch die Lenisierung zur langen Lenis wird. b) vordt. gg. Im Obd. wird die Geminata durch die zweite Lautverschiebung erfaßt. Ihre Schreibung ist ahd. ck, kk, cc und weist auf eine Fortis. In mhd. Zeit erscheint daneben auch die Schreibung mit gg: brücke : brugge-, snëcke : snëgge, die wohl die heutige Aussprache als lange Lenis
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wiedergeben. In den md. Dialekten gilt ahd. gg, neben dem selten ck erscheint. In der mhd. -md. Doppelheit der Schreibung ck/gg wird man wiederum Ausdruck der langen Lenis sehen dürfen, die heute mundartlich gilt. Dieses Nebeneinander währt noch in frühnhd. Zeit und wird erst in der nhd. Schriftsprache meist zugunsten von ck entschieden, vgl. Brücke, Rücken, Schnecke, aber etwa gg in Roggen, flügge. § 122. hd. qu geht auf vordt. ku zurück. Es nimmt im Alem.-Bair. im gleichen Ausmaß wie k an der zweiten Lautverschiebung teil, daher begegnen obd. Schreibungen wie chu, qhu, quh neben qu. Im Bairischen und Alemannischen schwindet in spätahd. Zeit der u-Laut und zwar im Bair. unter Umfärbung des folgenden Vokals, im alem. spurlos; doch bleiben noch in mhd. Zeit ^w-Formen neben den ¿-Formen bestehen. ahd. quam, quämen : alem. kam, kämen : bair. kom, körnen queman : alem. kernen : bair. körnen, daneben entrundet kernen quëc : alem. këc : bair. köc\ vgl. hd. Quecksiiher, aber keck quërder : bair. körder, das als Köder in die nhd. Schriftsprache eingeht. Im Inlaut ist vordt. ku schon vorliterarisch zu k geworden, vgl. got. sigquan : ahd. sinkan (vgl. § 78,5). Über anlautendes qu- < tw- s. § 86, 94. § 123. Hd. g geht auf vordt. g, g. zurück (vgl. §78, 3). Bereits vor der zweiten Lautverschiebung dürfte im Alem. wie im Bair. hier stimmhafter Verschlußlaut gegolten haben. In den obd. Denkmälern der ahd. Zeit erscheint dafür die Schreibung k, c neben g, wobei k, c insbesondere im Anlaut der älteren Quellen erscheint; auch im Auslaut ist die Schreibung als -c, -k nicht selten, während im Inlaut g die Regel ist, k oder c dagegen seltener erscheint. Die Schreibung läßt also nur erkennen, daß ein Verschlußlaut gesprochen wurde. Für den Lautwert einer Fortis spricht Notkers Anlautsgesetz, nach dem k- wie p- und t- eine Fortis bezeichnen muß. Doch dringt daneben die Lenis vor, die dann zur allgemeinen Gültigkeit gelangt, während sich die alte Anlautsregelung nur mehr in mundartlichen Restgebieten erhält (vgl. § 84). Die überwiegende ^-Schreibung des Inlauts würde dann wohl bereits ahd. als Lenis zu fassen sein, die im wesentlichen bis heute Gültigkeit hat, wo nur das nördliche Niederalem. den Spiranten der südlichen Nachbarmundarten kennt, während das Nordbairische und niederösterreichische Mundarten postvelares ch sprechen, beide wohl im Gefolge der allgemeinen Spirantisierung aus der früheren Lenis entstanden. Unklar bleibt, ob dieser inlautenden Lenis eine durch die zweite Lautverschiebung entstandene
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Konsonantismus
Fortis vorausging, die aber bereits beim Einsetzen der Denkmäler in der Umformung zur Lenis geworden ist (daher g-Schreibung neben k). Im Auslaut wird die überwiegende fc-Schreibung auf Fortis weisen, die fürs Bairische gesichert ist. Hier setzt seit der Mitte des 9. Jhs. für den Auslaut die Schreibung -ch ein, die als Ausdruck einer Aussprache als Affrikata zu werten ist, wie sie in den südbairischen Mundarten heute noch gilt. Ahd. -k wurde hier also seit der Mitte des 9. Jhs. zu verschoben. In den frk.-md. Mundarten gilt die Schreibung g seit ahd. Zeit, freilich ist auch hier der Lautwert unklar, da diese Schreibung Ausdruck eines stimmhaften oder stimmlosen Verschlußlauts oder eines stimmhaften Spiranten sein kann. Für das Mittelfrk. weisen g-Schreibungen für altes j bereits ahd. auf den Lautwert j, der bis heute gilt. Sonst überwiegt heute im Anlaut die Lenis g-, im In- und Auslaut die Spirans, doch mag in mhd. Zeit der (stimmhafte) Verschlußlaut verbreiteter gewesen sein als heute. -g- zwischen i, e und ahd. i beginnt seit dem 12. Jh. zu schwinden, die Vokale werden kontrahiert : ahd. ligist : list, ligit : Ut, legist : leist, legit : leit, megidi : meide, gegin : gein usw. Da der Wandel nur vor ahd. i eintritt, bleiben im verbalen Paradigma Formen wie der Inf. ligen, legen, die 2. PI. liget, leget bestehen und ziehen im Systemzwang des Paradigmas wiederum ligest, legest bzw. liget, leget nach sich. Nur bair. ist der Schwund von -g- in der Lautgruppe ahd. -age- vor folgendem t bzw. st: ahd. saget : seit-, ebs. seist, seite, geseit-, älteres maget : meit usw. Anderwärts ist der g-Schwund zwischen Vokalen nur vereinzelt und in Beschränkung auf engere mundartliche Bezirke zu beobachten, so etwa tagelanc > tälanc ; nagel > nail·, segen > sein, sen; voget > voit usw. In der Lautgruppe ng gilt noch mhd. der Lautwert y g (daher im Auslaut mhd. -nc = # + &)> der nhd. schriftsprachlich allgemein, mundartlich häufig zu 9 assimiliert ist. Im Auslaut galt der Verschlußlaut wohl allgemein, wie die Auslautsverhärtung von -g > -c erweist. Das mundartliche Vordringen des Spiranten in den Auslaut stellt daher wohl jüngere Entwicklung nach solchen Fällen dar, wo in der Flexion Stellung im In- und Auslaut wechselte (Typ mhd. tac : tages). Über gg vgl. § 121b. § 124. Hd. h geht auf vordt. h zurück, ist aber teilweise sekundär als Dehnungszeichen eingeführt. Auf vordt. h weist es im Anlaut vor Vokal, wo es erhalten blieb, während es vor l, r, m, n, w im Anlaut seit dem 9. Jh. schwindet : vgl. ahd. hlûtar :
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Iwtar 'lauter' ; ahd. hnïgan : nîgan 'neigen' ; ahd. hring : ring 'Ring' ; ahd. hwër : wër 'wer'. Im Inlaut, wo es nur in intervokalischer Stellung erscheint, erfährt es früh Absehwächung und kann bereits in ahd. Quellen fehlen; deutlicher wird dieses Schwinden in der mhd. Zeit sichtbar, wo es in den md. Mundarten ausgedehnter als in den obd. zu Kontraktionen der nun aufeinanderstoßenden Vokale kommt; so obd. und md. bei langem Vokal der Tonsilbe: hohen > hän, dihen > din 'gedeihen'; insbesondere md. bei kurzem Vokal der Tonsilbe : slahen > slän 'schlagen' ; sehen > sên 'sehen' ; stahel > stäl 'Stahl', ziehen > zien, zln 'ziehen', freilich ohne daß daneben die Formen mit h aus der Schreibung verschwinden. Die frühnhd. Zeit benutzt dieses h in der Schreibung einerseits als Dehnungszeichen, so mhd. stahel > stäl > Stahl; gemahel > gemal > Gemahl, andrerseits erscheint es als Hiattrenner, so nhd. sehen (sê-dn), ziehen (zl-vn). I n dieser Funktion erscheint es bereits ahd. und mhd., so zur Behebung des Vokalkontakts bei den Verba pura : sähet 'er säht', als Vertreter von inlautend geschwundenem j oder w: vgl. mhd. krseje : Krähe, müejen : muhen ; ëwe : Ehe, ruowe : Ruhe. I n nhd. gehen : mhd. gën, stehen : mhd. sten erwächst es aus dem Bestreben, diese irregulären Verbalformen dem üblichen zwei- und mehrsilbigen Infinitivschema anzupassen. Als gesprochener Laut hat es sich im Inlaut der nhd. Schriftsprache selten erhalten, so in Ahorn wohl durch lautliche Anlehnung an Horn, in Uhu wohl als Anklang an den gehörten Ruf und in Interjektionen wie aha, oho. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jhs. erscheint in bair. Mundarten inlautend -ch- für -h- aus vordt. h, so vächen für vahen 'fangen, höcher f ü r höher 'hoher'; die Aussprache als velare Spirans wird durch Reime wie ziehen : siechen gesichert. Auslautendes -h des Nhd. in Formen wie jäh, sah ist noch in mhd. Zeit -ch und erst durch lautliche Angleichung an den Inlautstand in den Auslaut geraten; vgl. § 126b. § 125. Anlautendes h- erscheint als Zusatz bei deutschem Wortgut in einigen Fällen dadurch, daß volksetymologische Bindung an Wörter mit echtem h-Anlaut eintrat, die nach Form oder Bedeutung ähnlich waren. Schriftsprachlich geworden ist heischen, ahd. eiscôn (nach heissen gebildet), wo die Α-Form seit dem 16. J h . überwiegt. Hierher gehören ferner Formen wie ahd. heigan 'haben' für eigan mit dem h- von haben-, ahd. hërda 'Erde' statt ërda nach herd 'Erdboden', wo sich die Α-Formen bis ins Mhd. halten. Im 16. und 17. J h . häufiger Heidechse für Eidechse nach Heide. Seltener erscheint h-, ohne daß eine solche Anlehnung erkennbar ist, vielleicht als geschriebener Ausdruck eines emphatischen Vokaleinsatzes,
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Konsonantismus
so etwa im 14. und 15. J h . häufig her- für die Vorsilbe er- in herarbeiten, herkennen, herlauben usw. An Schriftdeutsch gewordenen Formen mag heikel (ältere Nebenformen haiggel, hägel, häckd) neben dem Substantiv Ekel (Nbf. Eickel) hierher gehören. I n fremden Wörtern, ibes, aus der antiken Welt und der Romania stammend, ist das Schwanken zwischen h- und unmittelbarem Vokalanlaut häufiger. Es ist hier aus den gebenden Sprachen übernommen. Den Hauchlaut des griechischen Spiritus asper schreibt die lateinische Überlieferung teils durch h-, teils vernachlässigt sie ihn, so daß bei der Übernahme solcher Wörter ins Alt- oder Mittelhochdeutsche verschiedene Vorlagen der antiken Handschriften vorhanden waren. Nach diesem Vorbild wurde das der Romania fehlende h- nicht nur in deutschen Quellen teils willkürlich zugefügt. So erklären sich Formen wie schon ahd. hymno : imno für lat.-griech. hymnus·, isop, hysop für (hjysopus; mhd. armonìe, harmonie für (h)armonia·, ahd. mhd. hëlfant 'Elephant' ist wohl an ahd. hëlphant 'Helfer' angelehnt. Griech. Ούννοι = mlat. Hunni daher Hunnen. Ebs. im 15.-17. Jh. häufig Hungern neben Ungern 'Ungarn'. Hierher gehören auch die teilweise schon im Ahd. bezeugten A-Schreibungen in Helias, Hiob, Hesekiel. I n späterer Entlehnung etwa it. arciere 'Bogenschütze' zu hartschier, harschier·, it. avaria über ndl. havarie > dt. Haverey, Havarie usw. § 126. Hd. ch geht zurück 1. auf vordt. χ, das nach inlautend l, r, vor t und im Auslaut bis in die mhd. Zeit hinein erhalten blieb. Seine Schreibung ist ahd. wie mhd. h oder ch, das mhd. häufiger wird: vgl. mhd. bevelhen 'anvertrauen'; forhen 'Forelle', march 'Pferd', lihte 'leicht'; jach 'sprach' (aber mit mhd. h: inf. jëhen), hoch 'hoch' (aber flektiert höher mit h). In dieser Position erfährt der noch mhd. in der Regel greifbare cA-Laut folgende Veränderungen : a) I n den md. Mundarten wird die Spirans nach l, r seit dem 12. Jh. aufgegeben, zunächst im Wortinlaut, dann auch im Wortauslaut : mhd. bevëlhen, bevalch > bevëlen, beval, vgl. nhd. befehlen, befahl, schilhen > schilen, vgl. nhd. schielen, merhe > mere, vgl. nhd. Mähre, bërht > bërt 'glänzend', vgl. nhd. Albert, vorhte, vorht > vorte, vort,aber nhd. Furcht. Die Gegenüberstellung der nhd.-schriftsprachlichen Entsprechungen zeigt, das die nhd. Schriftsprache in vielen Fällen md. Lautstand übernahm: vgl. weiter ahd. twërah, mhd. obd. twërch, zwërch, md. twër > quër nhd. quer, aber Zwerchfell. Der in den md. Mundarten verbreitete cA-Schwund in dieser Stellung ist älter als die Vokaldehnung in offener Silbe, da durch den cA-Schwund offen gewordene Silben gedehnt werden: vgl. nhd. befehlen, Mähre.
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Nicht hierher gehört in den obd. Mundarten und ihren "Übergangsgebieten bezeugtes weler, soler für welcher, solcher. In ihnen liegt eine Entwicklung welicher > weliher > weler, solicher, soliher > soler vor. b) seit mhd. Zeit ist in den md. Mundarten auch der Schwund des auslautenden -ch nach langem Vokal verbreitet, so statt älterem hoch : hö 'hoch', rüch : rü 'rauh', schuoch : schuo 'Schuh'. Auch solche Formen finden Eingang in die nhd. Schriftsprache, vor allem dann, wenn in der Flexion Formen mit inlautendem Hauchlaut -h- daneben stehen, vgl. nhd. rawA,aber Rauchwerk·, Schuh, aber hoch trotz hoher usw. Analogisch vom Inlaut her übertragen ist der nhd. Schwund von -ch in Fällen wie sah, geschah nach sahen, geschahen für mhd. sach, geschach. c) in unbetonter Silbe kann die Lautgruppe ht zu t vereinfacht werden, so mhd. ambeht > ambet > Amt·, hinaht > hïnet > heint 'heute nacht'. d) Tritt ch vom Silbenauslaut in den Silbenanlaut, so kann es zu k werden, dessen älteste Belege bis in die klass. mhd. Zeit zurückreichen: vgl. nëch-ein > në-kein, dëch-ein > dë-kein > kein; mhd. varch, verchilïn > verkelïn > Ferkel·, mhd. durch : dürkel 'durchlöchert'. e) In der vordt. Lautgruppe ys vor Konsonant ist χ bereits vorliterarisch geschwunden: vgl. got. maíhstus : ahd. mist 'Mist'; got. taihswö : ahd. zëswa; got. niuhsjan : ahd. niusen 'versuchen'. Im intervokalischen Inlaut stellt sich die Assimilation von chs zu ss vereinzelt bereits in ahd. Zeit ein (vgl. /oZw-assaw'perfecta1 Is. ; wasset 'wächst' Physiol.), seit frühmhd. Zeit erscheint diese Assimilation vor allem in westmd. Mundarten, ohne schriftsprachlich zu werden. § 127. Hd. ch geht zurück 2. auf vordt. Geminata χχ, so etwa in ahd. hlahhan 'lachen' (got. hlahjan), mhd. zëche < germ. *teyuö, vgl. got. tèwa 'Ordnung' < germ. Hé^uò (germ, yu und 3« nach Verners Gesetz). 3. auf vordt. k, das in- und auslautend vor Vokal auf dem gesamten hd. Gebiet von der zweiten Lautverschiebung erfaßt wurde. Die Schreibung ist in beiden Fällen zunächst ahd. hh, das im Auslaut zu h vereinfacht wurde; seit der Mitte des 9. Jhs. überwiegt die Schreibung durch ch die auch für die mhd. Zeit gilt; daneben seltener die Schreibung durch h. Die Gleichheit der Schreibung beweist, daß beide Laute trotz der verschiedenen Entstehung gleichartig waren. Doch dürften sich schon in ahd. Zeit die Laute dialektisch geschieden haben, indem ch auf obd. Boden postvelar, auf md. aber velar war. Von ch aus vordt. χ dürften sie sich wohl noch in mhd. Zeit als Lenis und Fortis geschieden haben, bis in frühnhd. Zeit beide als Lenis zusammenfielen. § 128. Als Einschub erscheint ch zwischen betontem Vokal und s oder t seit spätmhd. Zeit im Bair. So entstehen Schreibungen wie pfercht
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Konsonantismus
'Pferd', sintvluecht 'Sintflut', umechste 'Wüste'. In den Lehnwörtern Schachtel < skattel, schattel < it. scatola, Spachtel < spatel < it. spatola ist dieses ch in schriftsprachlichem Gebrauch, bair. -ch-, -h- vgl. § 124.
4. D i e H a l b v o k a l e j u n d w § 129. Hd. j geht oft auf vordt. j zurück. Ursprünglich war germ, j, konsonantischer i-Laut. Die Entwicklung seines Lautwertes in der ahd. bis zur frühnhd. Zeit liegt bisher noch nicht eindeutig fest. Als Schreibung erscheint in ahd. Zeit i, g und e ; dabei ist die Schreibung g in bestimmten Stellungen besonders häufig; sie erscheint in mhd. und frühnhd. Zeit wieder, und in vereinzelten Fällen gilt nhd. g in Schrift und Aussprache. So ist die Frage nach der lautlichen Entwicklung von j mit dem tatsächlichen Lautwert der Schreibung g verbunden, wobei im einzelnen oft strittig ist, ob es einen weichen gutturalen Verschlußlaut oder einen entsprechenden Reibelaut kennzeichnet. § 130. Anlautendes vordt. j-, nur vor Vokal vorkommend, ist ahd. vor a, o, u erhalten; die überwiegende Schreibung als ahd. i, mhd. i, j, y legt hier den Lautwert eines konsonantischen ¿-Lautes nahe. Vor -i- und auch vor e überwiegt ahd. die Schreibung g-, die auch mhd. und frühnhd. weitgehend Geltung hat; vgl. ahd. jëhan, gëhan 'sagen', 1. sg. prs. gihu, 2. sg. prs. gihis, sg. prs. gihit; ahd. gigiht, bigiht 'confessio', bigihtïg wërâan 'confiteri' ; mhd. giht 'Aussage' in nhd. Gicht weiterlebend (vgl. mnl. jiht ds.). In all diesen Formen erscheint g- immer wieder bis in die frühnhd. Zeit, wenn auch daneben eindeutige /-Schreibung nicht fehlt, während diese im Prt. ahd. jah, jähun, mhd. jah, jähen wie zu erwarten, die Regel ist und bleibt. Das gleiche Bild bieten etwa die Formen von ahd. jësan, jëran = nhd. gären, wo bei ë oder i als Wurzelvokal die ^-Schreibungen bis in die frühnhd. Zeit immer wiederkehren, ebs. bei ahd. jëtan = nhd. jäten. Die ^-Schreibung muß zumindest auf obd. Boden einen Verschlußlaut gutturaler Art bezeichnen, da g hier nur diesen Lautwert hat. Fraglich bleibt dies für andere Dialekte der ahd. mhd. Zeit ; nur im Mittelfrk. darf die ^-Schreibung als sicherer Ausdruck eines gutturalen Spiranten gelten. Allgemein gilt in mhd. Zeit der Übergang von j- > g- in moselfrk. Mundarten, im Obersächsischen, Nordbairischen und im östlichen Ostfrk., wo seit spätmhd. Zeit g- vor allen Vokalen erscheint, also auch gär 'Jahr'. I n einigen Fällen stehen Formen mit j- solchen ohne j- gegenüber, so schon ahd. belegt jämer : ämer 'Jammer', jënêr : ënër 'jener' ; in Fällen wie mhd. ingewer neben gingewer (aus afrz. gingebre), mhd. Ilge neben
Halbvokale j und w §§ 128-131
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Gilge als Kurzform für Aegilius, Aegidius mag dissimilatorischer Schwund vorliegen. § 131. Im Inlaut zeigen die ahd. Denkmäler nach langem Vokal oder nach Diphthong häufig die obigen Schreibungen für j, wobei wieder vor folgendem i, e das Zeichen g überwiegt; stets stehen aber Formen daneben, die keine ^'-Schreibung bieten, wohl weil es nicht oder nur knapp artikuliert wurde. Indes bietet keiner der bei Schatz, Ahd. Gr. § 300 verzeichneten Belege sichere Gewähr für ein höheres Alter des j-Lautes ; er erscheint hier angelehnt an ï oder ¿-Diphthong in Belegen wie fïiant neben fiant 'Feind', frîger neben frier 'freier' ; Eigennamen wie Peigiri, Geigo neben Gaio usw. ; ferner erscheint es bei den Verba pura mit stammhaftem ä oder uo neben w oder h im Hiat: ahd. säian, säwan,säen 'säen', bluoian, bluoen 'blühen', und schließlich, hier ibes, im Bair., in langen Konjunktiven der ση, -In-Verben wie ahd. rlchisöia, chösöge u. ä. Bei den Verba pura sind die j-Formen in der Regel jünger als die ohne j; man wird deshalb bei der Annahme vorsichtig sein müssen, das inter vokalische ; in säian, bluoian habe sich hier beim Übertritt dieser Verben gruppe von der reduplizierenden in die schwache j'aw-Klasse eingestellt, weil gerade das hier meist postkonsonantische j bereits im 9. J h . in der Regel geschwunden ist (vgl. § 132). Man darf um so eher dazu neigen, in j einen relativ jung entwickelten Gleitlaut zu sehen, als in Belegen wie Mien, hïgen für ursprüngliches hlwen 'heiraten' jjg für älteres w steht und sich erst nach dessen Schwund entwickelt haben kann. Gleitlaut dieser Art zeigen auch Belege wie ahd. vugir für fuir 'Feuer'. Anders geartet ist die Gruppe eij in Wörtern wie ahd. zweiio zweio, in eiies gen. sg., eigir nom.-acc. pl. zu ei 'Ei', hweiiön 'wiehern', wo sie germ, a -f- gemildertes ji vertritt, vgl. ahd. zweiio : got. twaddjë, aisl. tveggja (§ 75, 5). In all diesen Fällen dürfte es sich um die Ausformung eines echten Lautes handeln, der als j-Laut den vorausgehenden Vokal umlautet, vgl. ahd. säian : mhd. sasjen ; ahd. bluoian : mhd. blüejen. Wo hier in obd. Quellen vor i, e eine Schreibung als g erscheint, wird man von einer Entwicklung zum Verschlußlaut g sprechen dürfen, während sonst die (/-Schreibung auch als Ausdruck eines Spiranten gedeutet werden darf. Das Nebeneinander von Formen mit und ohne j bleibt im Mhd. ebenso bestehen wie im Frühnhd. Hier wird eine Entwicklung zu g im Alemannischen außer dem nördlichen Niederelsaß, im Bairischen außer dem Nordbairischen, in einer Reihe schlesischer Mundarten deutlich; diesem g entspricht im Obersächsischen und Pfälzischen ch als reguläre Weiterentwicklung von urspr. g. Weit verbreitet ist g < j auch da, wo es aus ursprünglich intervokalischem Inlaut durch Synkope antekonsonantisch wurde (mhd. krsejet > krëgt 'kräht') oder wo es nach inlauten-
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Konsonantismus
den Formen im Auslaut geschrieben (und auch gesprochen?) wurde: nach frïger frig 'frei', nach eiger eig 'Ei'. Anderwärts dürfte / schwach artikulierter Gleitlaut geworden sein, wie er in nhd. Eier, freier oder nähen, mühen gilt, wo h ohne typischen Lautwert ist. § 132. Germ, / nach Konsonant ist in der Lautgruppe -ji- schon vor dem Wirken der westgermanischen Konsonantengemination geschwunden (vgl. ahd. zelit 'er erzählt' < *taliÖ, aber zellu 'ich erzähle' < *tallju). Weiter ist in vorliterarischer Zeit die Lautgruppe -ja- in nicht erster Silbe zu e geworden: ahd. zellen < *taïljan, Nom. Acc. Sg. sunte < *sundja bei den Femininen der /ô-Klasse. Doch wird hier im Systemzwang zu dem -/- der übrigen Kasus und zu dem -a im Nom. Acc. Sg. der femininen δ-Stämme ja in frühahd. Zeit wieder hergestellt. Sonst ist inlautendes j nach Konsonanz in den älteren Quellen des Ahd. noch bezeugt ; vor e, u gilt die Schreibung i, vor a, 0 oft auch e : gilaubiu, minniu, kunnie, aber sippea, sippia (nach gëba restituiert neben lautgesetzlichem sippe), willeo, wiUio\ die Schreibung e zeigt, daß sich hier j dem folgenden Vokal bereits assimiliert hat und konsonantisches e geworden war. Seit dem 9. Jh. ist postkonsonantisches j außer nach r geschwunden. Inlautend nach r zeigt j eine doppelte Entwicklung. Geht langer Vokal voraus, so zeigen jene alten obd. Quellen, welche die Geminaten der westgermanischen Konsonanten-Gemination nach langem Vokal bewahren, Belege für rr : Ierren 'lehren', horren 'hören' oder mit noch erhaltenem j Acc. Sg. rörriün, gen. pl. rörreöno zu ahd. rör(r)ea 'Schilfrohr'. Sonst ist die Gemination der Regel nach aufgegeben, j wie nach den anderen Konsonanten geschwunden. Nach vorausgehender Vokalkürze aber ist altes rj erhalten, teils als ri, rg, teils mit Sproßvokal als rig, rix geschrieben: ahd. nerian, nergan, neriian, nerigan 'retten'. Alem.-Frk. Quellen zeigen neben rj Schreibungen mit rr : nerren ; die Geminata ist hier nicht durch die westgermanische Konsonanten-Gemination entstanden, weil in den entsprechenden Quellen Formen mit rrj fehlen. Dieser Stand der Belege weist darauf hin, daß sich j hier bereits vor dem Einsetzen des postkonsonantischen /-Schwundes, vielleicht sogar schon vor der hier ja fehlenden westgermanischen Konsonantengemination, von den anderen /-Vorkommen gleicher Position in der Aussprache unterschied. Wahrscheinlich war es hier schon sehr früh palataler Spirant und hat dann weitgehend dessen Entwicklung geteilt. In mhd. und frühnhd. Belegen bleiben einerseits die Schreibungen mit rj, rg, andererseits begegnen Formen mit /-Schwund und einfachem r, also nerjen, Tiergen neben neren, nern. Die ersteren setzen die ahd. /-Formen fort ; g als Nachfolgelaut ist so fest, daß es in synkopierten Formen vor Konsonant erscheint : verherjet, verbürget > verbergt. In Wörtern wie
Halbvokale j und w §§ 131-134
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ahd. ferio, nhd. Ferge, ahd. skerio, nhd. Scherge ist g schriftsprachlich erhalten; die schon bei Otfried erscheinende eingedeutschte Namensform Mária = *Márja erscheint als Marge, vgl. den Ortsnamen Sankt Märgen. Die Formen ohne j des Typs nern sind wohl Analogiebildungen zu Formen, die schon vorliterarisch kein j mehr aufweisen, wie etwa die 2. und 3. sg. prs. ahd. wem, nerit. Die ahd. rr-Formen sind geschwunden, weil bei der Synkopierung die dann antekonsonantische Geminata vereinfacht wurde: nerren > nern. Die gleiche Entwicklung wie j nach r zeigen /-Laute nach anderen Konsonanten in Lehnwörtern: so lat. cavea, vulgärlat. *cavia: mhd. kevje, kevige : nhd. Käfig·, lat. minium 'Zinnober', ahd. minig: spätmhd. menig 'Mennig'; vulgärlat. Aegilius (für Aegidius); mhd. Gilge, vgl. den ON Sankt Gilgen ; lat. lilium : mhd. frühnhd. lilge 'Lilie' ; die nhd. Form ist nach der lateinischen restituiert. § 133. Vordt. -i, das nur durch den Abfall von Vokalen in den Wortauslaut treten kann, erscheint bereits ahd. als -i, dessen weitere Geschicke es teilt, vgl. ahd. höri 'höre', heri 'Heer'. § 134. hd. w geht auf vordt. u zurück. Seine Schreibung ist in ahd. Zeit meist uu bzw. uv, vu, vv oder aber einfaches u, so besonders vor vokalischem u\ gegen Ende der ahd. Zeit entsteht aus der Zusammenrückung von vv das neue Zeichen w, dessen Verwendung neben ν und u in der mhd. Zeit üblich ist. Seiner Aussprache nach ist w bis ins 13. Jh. hinein bilabial, glich also in der Aussprache dem engl, w; dann setzt sich stimmhafter labiodentaler Reibelaut durch, der heute noch üblich ist. Im Wortanlaut vor Vokal bleibt w stets erhalten, schwindet aber vor l, r so früh, daß nur Reste der Anlautgruppe wr- in alten alem. Denkmälern bewahrt sind, wenn zwischen w und r ein Sproßvokal stand: werëhho 'ultor' ; sonst gilt wr- nur im Mittelfrk., ebenso wie im Niederfränkischen und Altsächsischen: as. wrëkan, ahd. reKhan, aber mittelfrk. noch im 14. Jh. wrëchen 'rächen'. Später erscheint es im Anlaut mittelfrk. als fr-, Nhd. Wörter wie Wrack, wringen sind nd. Lehngut der Hochsprache. Vordt. w als zweiter Laut nach anlautendem Konsonanten ist bezeugt : a) in hw-, das in den ältesten ahd. Quellen noch erhalten ist, später den Α-Laut verliert: ahd. hwër > wër 'wer' (vgl. § 124). Noch vor diesem Schwund aber ist der w-Laut geschwunden, sofern altes ö folgte und nicht Ablaut in der Stammsilbe für analogisches Erhalten sorgte: ags. hwósta : ahd. huosto 'Husten'. b) in qu-, das nur in den obd. Mundarten den w-Laut aufgeben kann (vgl. § 122).
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Konsonantismus
c) in dw-, tw-, sw-, deren w vor ahd. uo (< ö) und u, o schwindet, soweit nicht analogischer Ausgleich durch ablautende Formen es wiederherstellt: vgl. ahd. suuoföi, suuaföi (also sw-) neben allgemeinem suoföi 'süß' (vgl. as. swöti). ahd. sö 'so' (vgl. got. swa, ags. swa). ahd. suor, suar 'schwur' neben allgemeinerem swuor mit wiederhergestelltem w nach sweran 'schwören', ahd. duog 'wusch' neben dwuog naoh dwahan 'waschen', ahd. githungan, gidungan neben gidwungan 'gezwungen' nach dwingan 'zwingen'. § 135. Im Inlaut nach l, r ist w im Ahd. erhalten; mit dem Ausgang des 12. Jhs. setzt die Umformung zu -Ib-, -rb- ein, die nhd. allgemein gilt : so mhd. swalwe : Schwalbe ; varwe : Farbe ; im Mittelfrk. und Thüringischen ist w hier früh geschwunden, daher schon mhd. swale, vare. Im Inlaut nach s ist w vereinzelt bis ins Mhd. erhalten, erst nhd. ganz geschwunden, so ahd. zëswa, mhd. zëswe 'die rechte Hand' ; gen. sg. triswes zu nom. sg. triso 'Schatz', ebenso nach n, t, vgl. ahd. sënwa 'Sehne', ahd. biscatwen 'beschatten' und scato, scatwes, mhd. Schate, schatewes 'Schatten'. Sonst aber ist w nach Konsonanz schon vorahd geschwunden: got. ubiszwa : ahd. obasa 'Halle' ; got. wahtwö : ahd. wahta 'Wache' ; got. gat wö : ahd. ga^a 'Gasse', wo der w-Schwund älter sein muß als die zweite Lautverschiebung; an. vodve : ahd. wado 'Wade'; got. salipwo : ahd. selida 'Wohnung'; got. siggwan : ahd. singan 'singen' ; got. sigquan : ahd. sinkan 'sinken', got. leih-an : ahd. lihan 'leihen', got. saih-an : ahd. sëhan 'sehen'. Im Inlaut zwischen Vokal zeigt das Ahd. nach langem Vokal in der Mehrzahl der Belege Schreibung mit w, neben denen solche ohne w stehen, also ahd. èwa, ëa 'Gesetz'; spïwan, spîan 'speien'. Der w-Laut muß also zumindest in bestimmten Gebieten hier bereits weitgehend reduziert gewesen sein und war wohl kaum mehr scharf artikuliert; das wird auch dadurch deutlich, daß einerseits statt seiner auch j oder h geschrieben wird, beides Laute, die bereits ahd. ebenfalls Schwächung erfahren haben, also ahd. hiwen, Men, Mien resp. hïgen (g für j), Mhen 'heiraten', ëwa, ëa, eha 'Gesetz'. Andrerseits erscheint w nach langem Vokal zur Trennung alten Vokalkontakts bei den Verba pura, so säen, säwan 'säen', büan, büwan 'bauen', bluoan, bluowan 'blühen', ibes, in ostfrk.-thür. und bair. Quellen. Dieses Schwanken in der w-Setzung dauert in mhd. und frühnhd. Zeit an. Dabei formen sich mhd. bei den fem. tt>ö-Stämmen Doppelformen aus: ahd. bräwa > mhd. bräwe, ahd. bräa > mhd. brä 'Braue'. Seit spätmhd. Zeit wird in 'einigen Mundarten eine Entwicklung -äw- > -au- sichtbar, so bräwe > braue-, kläwe > klaue, gräwer > grauer usw., an dem auch w < lat ν in näwe > naue (lat. navis)
Halbvokale j und w §§134-136
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teilnimmt. Anderwärts bleibt -w- erhalten oder formt sich zu 6 um, so im Schwäbischen und in Teilen des Schlesischen : mhd. lëwen > leben 'die Löwen'; ëwic > ebig; pfäwen > f faben 'Pfauen', oder die Formen mit w-Schwund kommen zur alleinigen Geltung. Diese Vielgestaltigkeit der Entwicklung spiegelt sich in der nhd. Schriftsprache. Selten ist -w- geblieben, so nhd. ewig und nach sekundär gedehntem Vokal Löwe. Weitgehend durchgesetzt hat sich au für inlautendes -äw- : hd. Braue, Klaue, Pfau, blau, grau, wo es aus inlautender Entwicklung in den Auslaut gelangt. Der Wandel w > b spiegelt sich in Formen wie mhd. ïwe : Eibe\ hiewen : hieben, wonach hieb, Hieb; mhd. äventiure : Abenteuer. Schwund gilt in Formen wie mhd. spiwen : speien oder mit h-Schreibung im Hiat mhd. ruowe : Ruhe. Generell aufgegeben ist w nach diphtongiertem ü : mhd. büwen, büen : bauen. Tritt die Lautfolge Langvokal + w durch frühe Synkopierung vor Konsonant, so ist -w- bereits ahd. geschwunden: ahd. hita 'heiratete < *hiuida\ opt. prt. giläti 'verriete' zu einem got. lêwjan entsprechenden ahd. Infinitiv *giläwen\ Rest des ursprünglich auch hier noch vorhandenen w in ahd. sëula (Is.) neben allgemeinem sela 'Seele' (vgl. ags. sáwol, got. sàiwala). Inlautendes -w- nach kurzem Vokal ist ahd. und mhd. erhalten, wird aber schon spätmhd. seltener und im Laufe der Entwicklung zum Nhd. fast allenthalben aufgegeben durch Einflüsse, die Analogiewirkungen der Auslautsentwicklung oder alter -ww-Formen darstellen. Durchgängig erhalten bis zum Nhd. in ahd. lëwo, mhd. Uwe, löwe 'Löwe', dessen Vokal sekundär gedehnt wurde. Sonst ahd. fremda 'Freude', frawêr 'froher', gewi 'Gau'. § 136. Im Auslaut erseheint für vordt. -w bereits ahd. -o: ahd. knëo, knio 'Knie', gen. knëwes; ahd. sêo 'See', gen. sëwes\ ahd. frao 'froh', frawër 'froher'; ahd. melo 'Mehl', gen. mëlwes; ahd. garo 'fertig', garwër-, ahd. skato, gen. skatwes 'Schatten'. In der Weiterentwicklung wird schon in ahd. Zeit das aus -aw entstandene -ao zu -ö kontrahiert, also frao > frö, strao > strö 'Stroh' ; der so entstandene neue Stammvokal der Auslautsform setzt sich im Inlaut durch, so daß nun Formen wie fröwer, ströwes entstehen, denen sehr früh schon w-lose Formen, die nach dem endungslosen Nominativ gebildet sind, Konkurrenz machen: fröer, siróes-, diese Formen dringen in mhd. Zeit durch. In den übrigen Formen mit langem Stammvokal wird -o schon in ahd. Zeit weitgehend aufgegeben: sêo > së; bläo > blä; der Wechsel: ausi. -ä, -e,aber ini. -äw-, -ëw- bleibt bis in die mhd. Zeit hinein teils bewahrt, teils setzen sich analogisch zum Nominativ gebildete w>-lose Formen durch, die im Laufe der Entwicklung die Oberhand behalten. Ahd. knëo, knëwes 'Knie' wird zunächst knio, kniwes, das durch die Schwä-
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Konsonantismus
chung des Auslauts als mhd. knie, kniwes, häufiger mit Übernahme des Vokalismus des Nominativs kniewes; daneben Ausgleichsformen wie knies; endlich gibt es ahd., mhd. den Nom. sg. kniu = Nom. Acc. pl. kniu aus vordt. *knëum. Nach Konsonant erliegt -o entweder der Abschwächung zu mhd. -e, vgl. ahd. skato : mhd. Schate, oder weiter noch der Apokope, so ahd. mëlo: mhd. mël·, ahd. horo : mhd. hör 'Kot'. Auch hier dringen in mhd. Zeit vom Nom. sg. die w-losen Formen in der Flexion vor und führen zur allmählichen Aufgabe der w-Formen, so daß die nhd. Zeit nur w-lose Formen kennt. Gelegentlich entwickeln sich Doppelformen: ahd. falo, falwes, mhd. val, valbes und vales, vgl. nhd. falb und fahl, ebs. entstanden ist die neben gelb frühnhd. noch häufige Doppelform gehl. § 137. Vordt. uu ist entweder germ, uu (vgl. § 75, 5), kenntlich an got.nordischen Parallelen mit -ggw-, oder es ist germ, u, das vor j Konsonantengemination erfuhr. I n den nach germ, a und e belegten Fällen verbindet sich das erste u mit dem Vokal zu einem «-Diphthong, dem das zweite u als w folgt : germ, a + uu > ahd. -auw, ouw- : got. glaggums < germ. *glauuus : ahd. im flektierten Adjektiv glauwër, glouwêr 'klug'. I m Auslaut entsteht Diphthong : ahd. glow, vgl. ahd. hauwan, houwan 'hauen'; scauwön, scouwën 'schauen' ; ahd. tou 'der Tau'. germ, e -f- uu > ahd. älter -euw-, sofern kein i, j folgt, später iu (auch fränk. nicht io wie sonst!), vgl. as. trëuua, ahd. treuwa, triuwa 'Treue', ebs. ahd. bliuwan 'schlagen', kiuwan 'kauen' ; folgt germ, i, j, erscheint ahd. stets -iuw- : ahd. gitriuwi 'getreu', ahd. niuwi 'neu'. I m Auslaut erscheint ahd. -iu : ahd. spriu 'Spreu', pl. spriuwir. germ, u uu > ahd. -üw : ahd. blüwun 'sie schlugen', küwun 'sie kauten'; giblüwan 'geschlagen', daneben mit reduziertem w (vgl. § 135), giblüan. Die so entstandenen Diphthonge ahd. ou, iu und der lange Vokal ü nehmen an der weiteren Entwicklung dieser Laute teil. Der darauf folgende w-Laut wird spätmhd., frühnhd. aufgegeben: mhd. houwen > nhd. hauen·, mhd. triuwe > nhd. Treue. Doppelformen mit u und uu entstehen durch die westgermanische Konsonantengemination, je nachdem ob in der Formenbildung i oder j folgt: im germ. ia-Stamm *gaujam- wird der Nom. Sg. über * gavai zu ahd. gewi 'Gau', der Gen. Sg. *gauies über *gauuj.es > ahd. gouwes, mhd. gouwes oder mit ^'-Umlaut göuwes usw. Daraus entsteht ein Doppelparadigma ahd. gewi, gewes einerseits, gowwi, gouwes, mhd. gouwe, gouwes bzw. göuwe, göuwes andrerseits. Germ. *frauaz, ahd. frao, frö 'froh' (s.o.) dazu germ, franjan, *frauuian, ahd. frouwen, mhd. frouwen, fröuwen 'freuen'; germ. prt. *frauida, ahd.
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Liquiden r und 1 §§ 136-138
frewita 'freute', weshalb wieder Doppelformen entstehen, ahd. frewen und frouwen 'freuen'. In mhd. Zeit setzen sich die Formen mit «-Diphthong weitgehend durch. Doch wird das neben mhd. höuwe, höu bezeugte mhd. heu 'Heu' auf ahd. hewi mit Apokopierung des auslautenden Vokals zurückgehen. Auch mhd. vreude 'Freude' wird durch Synkope aus ahd. frewida entstanden sein, während die Form vröude vom Vokalismus des Verbs vröuwen beeinflußt ist. 5. Die Liquiden r und 1 § 138. Hd. r entspricht germ, r oder im Inlaut germ, ζ, das bereits in vordeutscher Zeit zu r wurde (vgl. § 78, 4). Auf den germ. Wechsel s : ζ nach Verners Gesetz geht der ahd. mhd. Wechsel s : r zurück : vgl. mhd. kiesen, kos, kurn, gekorn 'wählen'; Verliesen, verlos, verlurn, verlorn 'ver-
lieren'. Während das nhd. Verbalparadigma ausgleicht, erhält sich das
Nebeneinander in der Wortbildung, vgl. verlieren : Verlust ; Kür : kosten-, mehr : meist.
Wieweit in alter Zeit Zungen- oder Zäpfchen-r galt, bleibt offen. Heute ist mundartlich weitgehend die Vibration aufgegeben, wodurch der Konsonant vokalisiert wurde. Die Lautfolge r -f Vokal erfährt häufig Metathese, so schon ahd. belegt in rheinfrk. Kirst statt Krist, mhd. häufig dialektisch in md. Denkmälern. Diese Umstellung ist insbesondere niederdeutsch, doch hat sie in einer Reihe von Wörtern auf md. Gebiet übergegriffen; vgl. brennen > bernen·, brune > burne, borne (nhd. Brunnen : Born)·, mhd. brësten > bersten (nhd. bersten,ahex Gebresten)·, mhd. ors für ros 'Roß' ist niederfrk.
Lehnwort. Md. bezeugt sind auch Umkehrungen wie vrohte für vorhte 'Furcht', gewroht für gewohrt 'gewirkt'. Dissimilatorischer Wechsel der Lautfolge r . . .r > r . . . I ist greifbar in den unbetonten Silben von Lehnwörtern, so marmor, marmer : marmei; murmern : murmeln (lat. murmurare),
turter : turtel 'Turteltaube';
aus dem niederfrk. Lehnwort dorpere wird so mhd. dörpel, törpel, was seit dem 15. Jh. wieder in assimilatorischer Angleichung Tölpel wird. Die Dissimilation r . . .r > l... r in ahd. pilicrim 'Pilger' entspricht
roman, pelegrinus für peregrinus und dürfte in mhd. mörber >
mülber
'Maulbeere' volksetymologischer Anlehnung an mhd. mül 'Maul' entsprungen sein. Speziell alem. ist der Übergang von r > l in ahd. kirihha 'Kirche' zu dem seit Notker bezeugten chilihha, mhd. kilche. Dissimilatorisch bestimmt ist der r-Schwund in Wörtern wie mhd.
alrêrst > alrëst, körder > köder 'Köder', parlier
> palier, nhd. Polier,
vordem > vodern, wo die Doppelformen bis in die frühnhd. und nhd. Zeit nebeneinander bestehen, in wërlt > weit, wo sich die dissimilierte
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Konsonantismus
Form spätmhd. durchsetzt. Dissimilatorisch bestimmt ist weiter der r-Schwund in Verliesen : vliesen 'verlieren', verlust : vlust 'Verlust', der nach der Synkope des vortonigen e eingetreten ist. Das ahd. Nebeneinander von za-, ze-, zi- und zar-, zer-, zir- in vortoniger Silbe wird wohl auf bereits vorahd. Schwund weisen, dessen nähere Bedingungen noch unklar sind. I n ahd. Zeit ist auslautendes -r nach langem Vokal in einsilbigen Adverbien geschwunden; der Schwund, der seit dem 10. J h . sichtbar wird, unterbleibt, wenn diese Adverbia als erstes Glied eines Kompositum erscheinen: vgl. ahd. där > d wä 'wo', aber wärinne; Mar > hia, aber mhd. hierunder ; sär > sä 'alsbald', mir > ml 'mehr', ahd. l 'früher' (vgl. ahd. dër Irro 'der frühere'). Unberührt bleibt der Ausgang -r in Nomina, wo die zweisilbigen Flexionsformen den Abfall verhinderten; daher ahd. mhd. stets Ir 'Erz', jär 'Jahr'. Später ist das Verstummen von -r in Pronominalformen wie mhd. wir > wi, mir > mi, dir > di, wer > we, wie, wi, die in md. Dialekten teilweise neben erhaltenen r-Formen erscheinen. -r ist sekundär angetreten in mhd. ode > oder, dëste > dëster 'desto' nach dem -r Auslaut in weder, aber·, umgekehrt haben Formen wie ode, dëste r-loses abe 'aber' geschaffen. Vor -r stellt sich frühnhd. e als Sproßvokal ein, wenn unmittelbar vorausgehendes i, ü, iu zu ei, au, eu diphthongiert wurden: mhd. gir : Geier·, lire : Leier-, gebür : Bauer·, sûr : sauer-, viur : Feuer-, stiure : Steuer. § 139. Hd. I entspricht vordt. I und bleibt im wesentlichen unverändert. Verringert wird sein Bestand durch die seltenen Dissimilationen l . . .1 > η . . .1 so älter klobelauch > knobelauch, kliuwel > kniuwel 'Knäuel' ; andererseits entstehen dissimilatorisch neue 1-Laute, so r...r> r ... I vgl. § 138 oder r . . .n > r . . . Ζ in mhd. orgene > orgel 'Orgel', η . . . η > I . . . η in mhd. schërninc > schërlinc 'Schierling' ; m . . . η > I.. .η, mhd. samenen > samelen 'sammeln', ahd. kumin > mhd. kümil 'Kümmel'. Alem. ist l geschwunden, wenn durch Synkope η unmittelbar nachfolgt: sulen > sun·, vMlent > went. H d . II weist auf vordt. II, selten auf Zusammenrückung durch Synkope so ahd. elilenti > mhd. eilende oder mit gleichzeitiger Assimilation nl > II, mhd. zwinelinc > zwiUinc 'Zwilling'. 6. D i e N a s a l e § 140 a. Hd. m, dem vordt. m entsprechend, bleibt im wesentlichen unverändert bestehen. Vor / wird in den frk. Mundarten seit dem 9. J h .
Nasale §§ 138-141
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die Neigung zu η erkennbar in Wörtern wie ahd. fimf, finf 'fünf', zumjt, zunft, kumft, kunft; die obd. Mundarten erhalten hier m länger, so daß noch im 11. Jh. m in der Schreibung überwiegt und erst in mhd. Zeit η die Regel wird. Auslautendes -m der Flexionsendungen wird seit dem Anfang des 9. Jhs. -n, so in der 1. sg. der sw. Vba II. und III., also ahd. salbôm > salbön 'ich salbe', hohem > haben 'ich habe', ferner in tuom > tuon 'ich tue', gäm, gern > gän, gën 'ich gehe', stara, stem > stän, stën 'ich stehe', bim > bin 'ich bin'; in der 1. Pl. ahd. nëmëm > nëmën; nämum > nämun; im Dat. PI. ahd. tagum > tagun. Der gleichartige Wandel in unbetonten Silben mehrsilbiger Wörter tritt erst mhd. ein, so mhd. buosem > buosen, bodem > boden, vadem > vaden, bësem > bësen, die sich allgemein durchsetzen, so daß η auch im Flexionsinlaut Geltung hat, während in atem > aten das -m nach dem Inlaut restituiert wird. Bei einsilbigen Wörtern ist der gleiche Wandel ibes, in alem.-schwäb. Denkmälern häufig geschrieben, so heim > hein, nam > nan, doch wird -m vom Inlaut her wiederhergestellt. § 140 b. Hd. η weist auf vordt. η ; die Schreibung η gibt zugleich auch den gutturalen Nasal vor g und k wieder. Der dentale Nasal bleibt im wesentlichen unverändert. Im Auslaut des ersten Gliedes eines Kompositum gleicht er sich dann folgendem Labial an, wenn die Zusammensetzung im Sprachbewußtsein nicht mehr lebendig ist, so schon ahd. inblj > imbïj, so auch ahd. int-fähan > mhd. emphän, ebenso mhd. aneboj > ambo^\ sonst erscheint ahd. mhd. und frühnhd. neben der Angleichung m das etymologisch wiederhergestellte η: um-maht : un-maht; skvmbäre : skîn-bâre usw., amme < anme aus an deme, eime < eineme. In einzelnen mittelfrk. Denkmälern erscheint der im Niederdeutschen verbreitete Schwund von η oder m vor /, p und s bereits in ahd. Zeit, vgl. nödnüftigo für -numjtigo, Ahd. Gl. I 319, 9. Wesentlich später, wohl erst um 1200 geht η unter Ersatzdehnung auch im Alem. vor / und s verloren, ahd. finf > f ï f . Dissimilatorische Veränderungen liegen vor in der Folge η . . . η > I. . . η, § 139, r . . . η > r . . .1, § 139, m. . .η > m . . .1, § 139. Ausstoßungen dissimilatorischer Art erscheinen in mhd. einlant > eilant, ïsernïn > Iserïn, einlif > eilf oder häufig für η wie 9 vor Kons, in unbetonter Silbe, sofern bereits die Stammsilbe η zeigt; so schon ahd. honang : honag 'Honig', kuning : kunig 'König'; mhd. sënende > sënede, sunne(n)schîn, eni(n)kel 'Enkel' oder in jüngerer Schicht Hument : liumet 'Leumund'. Die durch die Verbreitung solcher Formen entstandene Unsicherheit zeigen hyperkorrekte Formen wie eininc für einic, manine für manie, wêninc für wënic.
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Konsonantismus
Von der Synkope her bestimmt ist die Aufgabe von η in so entstandenen mehrkonsonantigen Gruppen; vgl. etwa hëlende > hëlnde, hëlde, pfaUenze > pfalze usw. -η wird mhd. oft vernachlässigt, wenn der 1. pl. das Pronomen wir folgt: nëmen wir > nëme wir, ferner im Thüring., Ostfrk., seltener im Obd. im Inf. nëmen > nëme, ein Schwund, dessen älteste Bezeugung in Würzburg wie in Fulda ins 9. Jh. gehört. Einschub von η begegnet unter Einwirkung eines vorausgehenden oder folgenden Nasals vor allem seit dem 14. Jh., so das verbreitete genung, genungk für genug, sintemal für sitemal, seitemal (< sit dêm mal), wonach auch sint für slt\ spätmhd. umbe sunst für umhe sus(t) 'umsonst', wonach dann sunst 'sonst', beides Formen, die schriftsprachlich geworden sind, während andere wie meinster für meister, meinst für meist vereinzelt bleiben. Im Alem.-Schwab, erscheint frühmhd. η als Ausdruck mundartlicher Nasalvokale, so ins für ïs 'Eis', ynsen für Isen 'Eisen', funst für füst 'Faust', künsch für kiusch 'keusch'. -n wird angefügt seit spätmhd. Zeit bei nü > nun, das zuerst obd., dann md. in frühmhd. Zeit allgemein wird (aber nhd. im Nu ), ferner in albern, älter alber, mhd. alwcere. Von der Flexion her bestimmt ist das Antreten von stammhaft werdendem -n bei sw. Maskulinen vom Typ mhd. schate, nhd. Schatten, s. § 171. -nn- ist in der Regel vordt. -nn-, selten nhd. Gemination zur Wahrung alter Vokalkürze wie in mhd. doner > nhd. Donner.
FORMENLEHRE Α. D I E
SUBSTANTIVFLEXION
X. KAPITEL
Die Substantivflexion im Gotischen, Altsächsischen und Althochdeutschen § 141. V o r b e m e r k u n g Die nominale Flexion erfährt bereits in germanischer Zeit eine weitgehende Vereinfachung ihres Formenschatzes. Die idg. Dreiheit der Numeri - Singular, Dual zur Kennzeichnung der Paarheit, Plural - weicht der Gegenüberstellung von Sg. und Pl., während sich vom Dual nur außerhalb der Substantivflexion Restformen erhalten. Das idg. Kasussystem, das bis zu 8 Kasus entwickelte - Nominativ, Akkusativ, Vokativ, Genetiv, Ablativ, Dativ, Instrumental, Lokativ - weicht einem Gefüge von 4 oder 5 Kasus. Die ursprüngliche Vielheit der Flexionsklassen erfährt eine Reduzierung. Diese Vorgänge sind mit dem Auftreten der ältesten Denkmäler noch nicht abgeschlossen. Innerhalb der ahd. Zeit erlischt der Instrumentalis Sg. als eigene Kasusform. Restformen der u-Flexion werden noch in ahd. Denkmälern vor allem der ältesten Zeit sichtbar, wie auch die r-stämmigen Verwandtschaftsnamen und die reinen konsonantischen Stämme in Restformen bis in die mhd. Zeit hinein dauern. Der stärkste Schritt in der Entwicklung vollzieht sich zwischen der ahd. und der mhd. Zeit, wo die nominalen Flexionstypen sich auf die Unterscheidung von starker und schwacher Deklination vereinfachen. Diese Formenvereinfachung ist weitgehend durch den Verfall der Endsilben bedingt, der von der germanischen Erstbetonung verursacht wird. Er macht die eindeutige Charakterisierung der Formen durch Endungen unmöglich. Dieser lautliche Vorgang führt schon in vorahd. Zeit zur Erweiterung des Bedeutungskreises einzelner Kasus, überkreuzt wird diese Entwicklung durch eine andere: Bereits idg. Alters ist die Tendenz, einzelne Kasus durch adverbielle Formwörter näher zu charakterisieren, die sich teilweise schon voreinzelsprachlich zu einen Kasus regierenden Präpositionen entwickeln; sie kommen der germanischen Zeit bereits in weitgehender Ausformung zu. Der so entstehende präpositionale Aus-
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Substantivflexion
druck ersetzt schon in vorliterarischer Zeit Kasusformen und erweitert seine Funktion in der literarisch bezeugten Epoche fortlaufend. Erhalten bleibt im germanischen Sprachgebiet die ursprüngliche Verschiedenheit der nominalen und der pronominalen Flexion. Dabei formt sich innerhalb der germanischen Epoche die Adjektivflexion als eigener zwischen der substantivischen und der pronominalen Flexion stehender Typus aus ; sie erfährt in germanischer Zeit jene Doppelung der Flexion, die wir als starke und schwache Adjektivflexion zu unterscheiden gewohnt sind. § 142. Dem flektierten Wort liegt ein Flexionsstamm zugrunde. Er enthält ein mit etymologischen Mitteln nicht weiter zerlegbares Element, die Wortwurzel, die entweder unmittelbar zur Flexion gelangt (Wurzelnomina, vgl. § 158) oder durch Ableitungssilben (Suffixe) erweitert wird, um damit erst den Flexionsstamm zu bilden. Vgl. ahd. geba 'Gabe', das die Wurzel germ. *je6- um germ, -δ erweitert zeigt, also einen Flexionsstamm germ. *jeBô- bietet; got. fra-gifts 'Verleihung', ahd. gift 'Gabe, Gift' enthält die gleiche Wurzel, die, vermehrt um ein Suffix idg. *-ti, nach § 73 als germ. *^ifti- erscheint. Auch Koppelung mehrerer Suffixe ist möglich, vgl. ahd. kuninginna 'Königin', mit dem germ. Suffix *-injö ( > ahd. inna) zu ahd. kuning 'König' gebildet, wobei ahd. kuning germ. *kun als Wurzel zeigt und um ein Suffix germ. *-inga- erweitert ist. Die Flexionsstämme des Gotischen, Altsächsischen und Althochdeutschen pflegt man nach dem Ausgang des Wortstammes zu bezeichnen, an den die Kasusendung trat. Man unterscheidet so : 1. Die vokalischen Deklinationsstämme, deren Wortstamm enden konnte a) auf idg. -o = germ, -a (als o- bzw. germ. α-Deklination bezeichnet) b) auf idg. -ä = germ, -ö (ä- bzw. germ. ö-Deklination) c) auf idg. -i = germ, -i (¿-Deklination) d) auf idg. -u = germ, -u («-Deklination). 2. Die konsonantischen Deklinationsstämme, deren Wortstamm enden konnte a) auf ein idg. Suffix -en\-ön, das dem Ablaut unterlag (w-Stämme) b) auf ein idg. Suffix -nt = germ, -nd (nd-Stämme) c) auf idg. -er ¡-er, das dem Ablaut unterlag (r-Stämme) d) auf einen Konsonant, der entweder zur Wurzel des Wortes gehörte oder zu einem Suffix (Wurzelnomina bzw. konsonantische Stämme). Die Flexionsstämme des Mhd. und Nhd. scheidet man nur in stark oder schwach flektierende Substantiva, da die Abschwächung der vollen Endsilbenvokale die ursprünglichen Verschiedenheiten der Flexion weitgehend nivellierte. Fälle, in denen Endungen der starken und schwachen Flexion im gleichen Paradigma erscheinen, bezeichnet man als gemischte Flexion.
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a-Deklination §§ 142-143
1. Die idg. o- = germ. a - S t ä m m e u n d i h r e U n t e r k l a s s e n § 143. Die a-Deklination ist Erbe aus idg. Zeit, hat aber innerhalb der germanischen und der deutschen Sprachentwicklung eine wesentliche Erweiterung ihrer Gültigkeit erfahren; der Flexionsstamm endet auf idg. -o, das mit -e ablautet. Man bezeichnet hier den stammauslautenden Vokal auch als Themavokal, die Flexion auch als die thematische. An diesen Stamm tritt die den Kasus charakterisierende Endung, sofern der Kasus durch Endung charakterisiert ist. Dabei kann der Stammesauslaut mit einer vokalisch anlautenden Endung bereits in idg. Zeit kontrahiert werden; so entstandene Längen sind schleiftonig im Gegensatz zu der stoßtonigen Dehnstufe des Stammvokals. Ursprünglich umfaßte die Deklinationsklasse alle drei Genera, doch werden in germanischer Zeit die Femmina dieses Typus aufgegeben und in andere Flexionsklassen überführt (vgl. lat. fägus 'Buche' fem., aber as. bôkia, ahd. buohha 'Buche'). Endet der Wortstamm auf idg. -jp = germ, -ja bzw. idg. ψ) = germ, -MO, so entstehen durch den germanischen Verfall der Endsilben Unterklassen (s. u. §§ 145, 146). got. Sg. Nom. Vok. Akk. Gen. Dat. Instr. Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
dags dag dag dagis daga -
dagos dagans dage dagam
as. dag dag dag dages, -aa dage, -a dagu, -o dagos, -as, -ea daga, -e wie Nom. Pl. dago, -a dagum, -un, -om
ahd. tag tag tag tages, -as tage, -a tagu, -o tagâ, -a wie Nom. Pl. tago tagum, -om, -un, -on
Nom. S g. idg. -o-s mußte im Germanischen als -as oder nach Verners Gesetz als -az erscheinen, je nachdem, ob das Nomen endbetont war oder nicht (vgl. gr. λύκος 'Wolf' neben άγός 'Führer'); durch Ausgleich dürfte sich germ, -az durchgesetzt haben (vgl. urnord.-run. -aR). Der got. Ausgang -s zeigt Vokalsynkope (vgl. § 55, 2) und Auslautsverhärtung von -z zu -s (vgl. § 76). Zum Schwund von got. -s nach stammesauslautendem -r, -s, vgl. § 76. Im As. und Ahd. ist sowohl der Stammesauslaut wie die Kasusendung gefallen. Vok. Sg. idg. -e, d. h. endungsloser Stamm (vgl. griech. φίλε 'Freund'» lat. amice); das -e fiel bereits in germanischer Zeit aus (§ 55,1). So blieb
130
Substantivflexion
der Kasus nur im Got. vom Nom. sg. verschieden, fiel aber as. und ahd. lautlich mit dem Nom. sg. zusammen. Akk. Sg. idg. -ö-m > germ, -ñ-n (vgl. got. pan-a 'den', § 177) > germ, -a (vgl. urnord.-run. -a in staina 'den Stein'), das im Got. wie As., Ahd. schwand (vgl. §§ 55, 2). A n m . 1. Im Ahd. zeigen Eigennamen im Acc. sg. die Endung -an (vgl. Hartmuotan), ebs. oft truhllnan zu truhtln "Herr = Gott", wonach wohl alem. cotan für regulären acc. sg. got. Die Endung -an ist der pronominal-adjektivischen Flexion entlehnt (vgl. § 177). Gen. Sg. Got. -is ist durch Auslautsverhärtung aus germ, -iz entstanden, wie got. anpariz-uh 'und des anderen' erweist, und setzt germ, -ez voraus, von dem as. ahd. -es durch grammatischen Wechsel geschieden sind, der wie beim Nom. sg. durch den idg. Wechsel von Stamm- und Endbetonung innerhalb dieser Klasse bedingt ist und im Got. anders ausgeglichen wurde als im As. und Ahd. Germ. -ez/-es setzt einen ursprünglich vokalischen Auslaut voraus, da -z/s erhalten bleibt. Die idg. Endung -so des Gen. wird greifbar in altbulg. ¿eso = griech. τέο, idg. *qV"e-so 'wessen', entstammt also dem Bereich der pronominalen Flexion. Auf idg. -ö-so mit Ablaut im Stammvokal weist der urnord.-run. Gen. sg. Godagas (Personenname), die nordischen Genetivformen der a-Deklination und die alten ags. Gen. auf -ces wie domces 'des Urteils'. Sie werden im -as der altsächsischen Genetivformen ihre Entsprechung haben; doch erscheint in den as. Denkmälern mehrfach a für e der Endsilbe, was wohl Ausdruck der Vokalabschwächung ist, so daß die Schreibung keine eindeutige Entscheidung zuläßt. Fraglich bleibt es auch, ob sich hinter den ahd. Formen auf -as germ, -as birgt. I n den bair. Quellen des 10./11. Jhs. zeigt das e der Endsilbe allgemein die Neigung zu a; ähnliches läßt sich auch in alem. und frk. Quellen beobachten. So sind auch diese Formen für altes -as nicht eindeutig beweiskräftig. Ahd. -is für -es ist vereinzelt. D a t . Sg. As. wie ahd. erscheint als Regelform -e, das über älteres *-ê (vgl. urnord.-run. PN. Woduridë) auf -ai (vgl. urnord.-run. hähai 'dem Hengste') zurückgeht und mit dem idg. Ausgang -öi des Dativs zu verbinden ist (vgl. griech. λύκωι 'dem Wolf'). Der Ausgang stellt eine bereits idg. Kontraktion des Stammesauslauts -o mit einem »-Diphthong (-ei oder -ai) dar. Got. -a ist vieldeutig. Man wird wegen des pronominalen Dativs got. hsamma 'wem V : fv-ammeh 'jedem' germ. -Í darin sehen dürfen, das sich zu idg. -ê des Instrumentals stellt und die endungslose Dehnstufe des Stammvokals zeigt. Daneben könnte sich dahinter auch idg. -o, d. h. die Abtönung zu -t bergen, das im as., ahd. Instr. Sg. vorliegt. Schließlich kann got. -a germ, -ai entsprechen, das als idg. -ö + i alter
a-Deklination § 143
131
Lokativ wäre (vgl. griech. οί'κοι 'zu Hause'). Da auch im As. und Ahd. in Ortsnamen alte Lokativformen greifbar sind, ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß im gotischen Dativ alter Instrumental und alter Lokativ lautlich zusammengefallen sind. Neben -e zeigen das As. und Ahd. Dativausgänge auf -a\ sie haben in den übrigen germanischen Sprachen keine Entsprechungen und dürften -a für urspr. -e zeigen. I n s t r . Sg. Der nur in den as. und ahd. Quellen bezeugte Kasus ist in den Denkmälern des 8. und 9. Jhs. nicht selten, erscheint aber bereits im Tatian und bei Otfried fast nur mehr in Verbindung mit der Präposition mit, wo ihn im 10. J h . der Dativ so weit zurückdrängt, daß später nur Reste belegt sind. Seine ältesten Belege zeigen die Endung -u, jüngere -o als Abschwächung. -u ist aus germ. -6 entstanden und ist alter Instrumentalausgang, d. h. endungslose Dehnstufe, wie im got. Dativ. N o m . P l . As. -os weist auf germ, -ös zurück, ahd. -ä auf germ, -öz, während got. -os infolge der Auslautverhärtung beide durch den grammatischen Wechsel geschiedenen Formen vertreten kann. Germ. -0s¡óz setzt idg. -ös fort und erklärt sich aus stammhaftem -o und der Pluralendung -es. As. -as ist Ausdruck der Vokalschwächung; die daneben, stehenden seltenen Formen auf -a dürften Reste des alten Akk. PI. seinwenn sie nicht als hochdeutscher Einfluß zu werten sind. Ahd. -ä ist durch Notkers.Schreibung gesichert; daneben mag -a gegolten haben, das Rest des alten Akk. PI. sein kann. A k k . PI. got. -ans < germ, -anz bzw. -ans < idg. -ö-ns (vgl. griech. kret. έλεύθερονς 'die Freien'). Im As. und Ahd. gilt weitgehend die Form des Nom. Pl. Wie weit daneben -α als Restform des urspr. Akk. gelten kann, ist der mangelhaften Schreibung nicht zu entnehmen. Gen. PI. Got. -e steht innerhalb der germ, wie der idg. Sprachen völlig isoliert; es ist vermutlich innerhalb der gotischen Sprachentwicklung entstanden, ohne daß die Quellen das Zustandekommen dieser auffallenden Form erklären. As., Ahd. -o weist über germ, -δη auf idg. -öm (vgl. griech. λύκων ,der Wölfe'), aus dem Stammesauslaut -o und der Genetivendung -öm kontrahiert. D a t . PI. Got. -am wie as. ahd. -um weisen auf germ. *-δ-τη..., für das der urnord.-run. Dativ borumR 'den Bauern' germ, -ζ als Auslaut sichert, was durch germ. Dat. PI. auf römischen Inschriften des Rheinlandes Aflims (CIL. X I I I 8157), Vatvims (ebd. 7892, 8510, 7861a) für die Endung alter i-Stämme bestätigt wird. Zwischen -m und -z muß ein Vokal geschwunden sein. Im ags. Dat. PI. dám 'den' weist der i-Umlaut auf älteres *paimiz, so daß ein idg. Ausgang -δ-mis gesichert ist, der in Formen wie lit. rankomis 'mit den Händen' als alte Instrumentalendung bezeugt ist.
132
Substantivflexion
b) Neutra I n der Flexion scheiden sich die alten Neutra nur im Nom. und Akk. Sg. und PI. von den Maskulina
Sg. Nom. Akk. Pl. Nom. Akk.
got.
as.
ahd.
haúrn haúrna
horn horn grabu
horn horn fel
Der N o m . A k k . Sg. zeigt idg. den Ausgang -δ-m, der über germ, -α (vgl. urnord.-run. horna) endungslos wird. Lautgesetzliche Auslautsverhärtung erscheint in got. Wörtern wie haubip Gen. haubidis, witop, Gen. witodis. Der N o m . A k k . PI. weist mit dem Nebeneinander von got. -a, as. -u bzw. 0 auf germ. -Ó, das in vordeutscher Zeit zu -u wurde und wie germ. -u nach langer Silbe schwand, nach kurzer erhalten blieb. I m Ahd. hat sich die Form der langsilbigen Stämme verallgemeinert. Restformen des alten Ausganges auf -u sind im alem. Nom. Akk. PI. der Deminutiva auf -in und -lin bewahrt: vgl. alem. chindeliu 'die Kindlein'. A n m . 2. I m Obd. zeigen diese Deminutiva im Nom. Akk. Sg. oft den Ausgang -l, ebenso im Nom. Akk. Pl., während der Gen. Dat. die reguläre Form zeigt: Nom. Akk. chindell, aber Gen. Dat. chindelines, chindelïne usw. Die gleiche Eigentümlichkeit zeigen auch chussl 'Kissen' (frk. kussïn), pecchi 'Becken' (frk. bekin), endl 'Stirn' und die männlichen Personennamen auf -l wie Wezzï usw. A n m . 3. Die Neutra hüs, dorf, holz zeigen im Dat. sg. auch die Form hüs, dorf, holz neben hüse, dorfe, holze-, diese Kurzformen haben in endungslosen Dativen von Ortsnamen in frühen Urkunden ihre Entsprechung, so in bair. Namenskompositen, deren erstes Glied ein Adjektiv in dativischer Form zeigt: vgl. ad Hlütrinpah, ad Höhinperc u. a, I n einigen altbezeugten elsässischen Ortsnamen erscheinen Dat. sg. auf -i vgl. Chuzinchüsi. Entsprechend zu diesen hd. Formen bietet das As. dativische Wendungen wie at hüs, te hüs 'zu Hause' neben gleichartigen Dativen bei Ortsnamen auf -hüs, -hêm, -wïk, woneben das Gandersheimer Plenar bei Ortsnamen Dativausgänge auf -i kennt. Der hier erscheinende as.-ahd. Wechsel -i/0 weist auf älteres -i, das nach langer Stammsilbe lautgesetzlich schwand, nach kurzer erhalten blieb. Es darf als Vertreter von germ. -ï < idg. -e-i gelten und stellt eine idg. Lokativform zu estufigem Wortstamm dar (vgl. oben zum got. Dat. Sg.). § 144. Mit den neutralen a-Stämmen ist der idg. Flexionstyp der neutralen s-Stämme im Sg. zusammengefallen. Sein ursprüngliches Para-
a-Dekliixation §§ 143-144
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digma ist an lat. genus, generis (< *genës-ës) klar zu erkennen. Der endungslose idg. Nom. Akk. Sg. auf idg. *-os müßte über germ. -*az zu got. -s, as., ahd. -0 führen; die übrigen Kasus zeigten idg. einen Stamm auf -es-, an den die Kasusendung trat, also etwa Gen. Sg. idg. -ës-ës, das über germ. *-iz-iz infolge der Synkope des Endsilbenvokals zu einem Ausgang *-is geführt hätte, dessen i nach langer Stammsilbe wiederum der Synkopierung erlegen wäre. Der Typus konnte sich so im Got. nicht halten und ging völlig in den Neutra der α-Klasse auf. Ein Teil übernimmt den ursprünglichen Stammesausgang der obliquen Kasus germ. *-iz in den Nom. Akk. Sg., so mit Auslautsverhärtung got. riqis 'Finsternis', hatis 'Haß', agis 'Furcht', sigis 'Sieg', skapis 'Schaden', andere zeigen nur mehr -s als Stammesausgang, so got. ahs 'Ähre', weihs 'Dorf', peihs 'Zeit'. Spirantendissimilation (vgl. § 76f.) zeigt sich im Nebeneinander got. riqis, dat. riqiza aber agis : dat. agisa. Im Ahd. ist der Plural dieses Typs gut erhalten. Der alte Nom. Akk. PI. *-es-ä führt über germ. *-iz-ö zu vordt. -iru, dessen -u in den ja stets mehrsilbigen Stämmen schwand. Der idg. Gen. PI. -es-öm führte zu ahd. -iro, zu dem nach dem Vorbild der neutralen a-Stämme dann ein Dat. -irum trat. Der Sg. dagegen, dessen Nom. Akk. idg. -os, germ. -az dem Schwund verfallen war, ist bis auf geringe Reste mit den neutralen a-Stämmen zusammengefallen, so daß folgendes Paradigma entsteht : Sg. Nom. Akk. hrind Gen. hrindes Dat. hrinde
Pl. Nom. Akk. hrindir Gen. hrindiro Dat. hrindirum
Diesem Paradigma folgen regelmäßig ahd. blat 'Blatt', ei 'Ei', huon 'Huhn', kalb 'Kalb', luog 'Wildlager', hrind 'Rind', hris 'Reis', seid 'Strick', smalanöz 'Schmaltier', wild 'Wild'. Andere Neutra zeigen Doppelformen, indem teilweise der Plural nach dem Vorbild des Singulars ohne -ir- gebildet wurde, teilweise aber auch -ir schon in ahd. Zeit auf alte neutrale a-Stämme übergriff, wo es zur Keimzeichnung des endungslos gewordenen Plurals willkommen war. Anni. 1. Sg.-Formen, die den urspr. Stammesauslaut bewahren, sind nur mehr selten bezeugt, so rindares 'des Rindes' (Ahd. Gl. I 426, 24), chalbire 'dem Kalb' (ebd. 409, 9), daneben Reste in alten bair. Ortsnamen wie Pletirspahc, Kelbirisbach. Der alte Stammesauslaut -ir ist bewahrt im Nom. Akk. Sg. ahir, ehir 'Ähre', trestir 'Trester', -ar in dëmar 'Dämmerung'. Das As. hat nur dürftige Reste der s-Neutra erhalten, so Gen. PI. eiero 'der Eier', könero 'der Hühner'; für as. ehir 'Ähre' gilt das gleiche wie für ahd. ehir. Reste in der Wortbildung sind Adjektiva wie as. hrïtherin 'Rinds-', aharin 'Ähren-'. Sonst gelten nur die Formen der a-Flexion.
Substantivflexion
134
§ 145. Die idg. j o = germ. |'a-Stämme. Neben den reinen o-Stämmen stehen seit idg. Zeit die io-Stämme. Ihre Flexion gleicht in idg. Zeit völlig der der o-Stämme, differenziert sich aber in germanischer Zeit dadurch, daß sich nach kurzer Stammsilbe germ, - ja-, nach langer Stammsilbe aber germ, -iia ausformt. Das doppelte Paradigma ist im Gotischen noch bei den Maskulina greifbar : Sg. Nom. Vok. Akk. Gen. Dat.
harjis hari hari harjis harja
haîrdeis haírdi haírdi haîrdeis hairdja
Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
harjos harjans harje harjam
haírdjos hairdjans hairdje hairdjam
N o m . Sg. germ. *harias mußte bei der lautgesetzlichen Synkope des a der Endung zu got. *haris führen; nach dem Vorbild des Gen. Dat. Sg. und des Plurals setzt sich auch hier j fest : got. harjis ; germ. *herdiiaz f ü h r t durch Synkope des a > *herdïs got. haîrdeis. V o k . Sg. Durch den Abfall des idg. auslautenden -e entsteht got. hari, während urspr. *herdije über -ij zu -l mit Kürzung der auslautenden Länge zu got. haírdi wird, so daß beide Formen sekundär zusammenfallen. A k k . Sg. Germ. *haria(n) wurde nach dem Auslautsschwund got. hari. germ. *herdiia(n) über *hirdia zu got. haírdi. G e n . Sg. Germ. *harj,esa f ü h r t nach Schwund des -a zu got. germ. *herdijesa über -ips zu -is: got. haîrdeis.
harjis,
Die Bildung der übrigen Formen führt zu keiner lautlichen Sonderung des Paradigmas. Die gotischen Neutra zeigen folgende Paradigmen : Akk j Gen. Dat.
re
gawi
Akk } ^wnÍa
reikjis reikja
gaujis gauja
Gen. Dat.
iki
kunjis kunja
re
itya
kunje reikje kunjarn reikjam
gauja gauje gaujam
N o m . A k k . Sg. Die Lautentwicklung entspricht dem Akk. Sg. der Maskulina. I n germ. *gauja(n) t r a t nach dem Abfall des a das j in den Wortauslaut und wurde zu i (vgl. § 76 g ε), während das vorausgehende uzvLw wurde. Für tdui 'Tat' (vgl. § 17). G e n . D a t . Sg. Die beim Maskulinum noch übliche Sonderung ist bei dem Neutrum bereits aufgegeben; die Form der kurzen Stammsilbe ist im Gen. Sg. verallgemeinert. I m Typus gáujis, gáuja bleibt j erhalten, so daß der M-Diphthong gewahrt bleibt. Der N o m , A k k . PI. zeigt den Ausgang -a wie bei den reinen a-Stämmen; die übrigen Pluralformen gleichen denen des Maskuline.
135
ja-Deklination § 145
Wie gawi dürften auch hawi 'Heu' und hiwi 'Gestalt' flektieren, für die einschlägige Formen unbelegt sind. I m As. gelten im Maskulinum die Endungen der reinen a-Stämme, nur im Nom. Akk. Sg. erscheint stets -i: as. heri, hirdi, so daß beide germanischen Typen einheitlich flektieren. Das i vor der Endung ist als i oder e ( = kons, e vor a, o) bewahrt. Beim Neutrum gelten im Gen. Dat. Sg. und PI. und im Instr. Sg. die Endungen der reinen a-Stämme. Im Nom. Akk. Sg. zeigen die langsilbigen Stämme stets -i: rlki 'Reich', bei den kurzsilbigen erscheinen die gleichartigen Formen, also beddi 'Bett', kunni 'Geschlecht', beri 'Beere', ferii 'Sumpf'; daneben stehen Formen ohne -i wie bed 'Bett', kin 'Kinn', flet 'Haus'. Wie das As. zeigt auch das Ahd. bei Mask, und Neutr. ein einheitliches Paradigma Sg. Nom. Akk. Gen. Dat. Instr. Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
hirti hirtes hirtie, -e hirtiu, -u, -o
hirte hirtä, -a hirteo, -o (obd.) hirtum, -un, -on (fränk.) hirtim, -in
kunni kunnes kunnie, -e kunniu, -u, -o kunni kunniu, -u kunneo, -o (kunnum, -un, -on) kunnim,-in
Im N o m . Sg. M. ist der Typus germ. *hariaz über *hariz zu ahd. heri 'Heer' geworden, ebs. der Typus *herdijaz über *herdl(z) zu ahd. hirti, so daß beide lautgesetzlich zusammenfielen. Das Gleiche t r a t lautgesetzlich im A k k . Sg. M. und im N o m . A k k . Sg. N. ein (s. o. beim Gotischen). Im Gen. Sg. zeigt das Ahd. keinen Beleg für bewahrtes j, das sehr früh geschwunden zu sein scheint. I m D a t . Sg. bewahren die ältesten Quellen noch selten den Ausgang -ie, im allgemeinen gilt -e, neben dem vereinzelt -i steht, während sich im I n s t r . Sg. -iu länger hält. Im N o m . A k k . PI. M. ist -e die ältere Form, aus vorliterarischem -ja lautgesetzlich erwachsen. Jünger gilt -a, das -a oder -ä sein kann ; es ist nach der Verallgemeinerung des j-Schwundes aus der Flexion der reinen a-Stämme übernommen. I m N o m . A k k . Pl. N. erscheint -i durchgängig in den älteren Quellen; erst bei Tatian und in einigen alem. Quellen erscheint statt dessen -iu bzw. -u, das daher am ehesten zu erklären ist als jüngere Übernahme aus der adjektivischen Flexion, zur besseren Charakterisierung des Plurals. Formen auf -ir (s. o. § 144) erscheinen nur vereinzelt in spätahd. Zeit. Im G e n . PI. steht älteres -eo, -io neben jüngerem -o, während dem D a t . PI. Formen mit erhaltenem j fehlen. Statt dessen erscheint -im, jünger -in, d. h. der Ausgang der i-Stämme, der vor allem in fränkischen Denkmälern häufig ist, während im Obd. bei den Mask.
Substantivflexion
136
-um, bei den Ntr. -im, -in überwiegt. Der Ausgang -um (stets ohne j ) ist den reinen a-Stämmen entlehnt. Der im Paradigma zu verzeichnende /-Schwund unterbleibt nach r bei kurzvokalischem Stamm, wo j lautgesetzlich bewahrt bleibt (vgl. § 131), nur das ahd. als Ntr. und Mask, bezeugte meri 'Meer' zeigt stets den Gen. meres, den Dat. mere, meri. Es dürfte ursprünglich neutraler i-Stamm gewesen sein, der erst nach dem Absterben dieses Flexionstypus zur ¿a-Klasse übertrat. Im Bereich der ia-Stämme zeigen Genuswechsel ahd. heri 'Heer' Ntr., aber got. harjis, as. heri Mask.; ebs. ist ahd. enti 'Ende' in der Regel Neutrum und nur selten mehr Mask, wie as. endi, got. andéis. Neben den Neutra auf -i stehen ahd. oft Feminina auf -l, so ahd. antwurti, anticurtl 'Antwort', äbulgi, äbulgl 'Zorn', und die Wortbildungen auf -nissi Ntr. : nissï Fem., daneben auch -nissa (< *niss{a Fem. jö-Stamm). § 146. Die idg. -yo = germ. -ya-Stämme. Innergermanische Lautentwicklungen schaffen für den Stammesauslaut germ, -ua- manche Sonderungen. Im Gotischen bleibt -w- erhalten, sofern lange Stammsilbe vorausgeht; die Flexion ist regelmäßig: got. snáiws 'Schnee': Gen. snáiwis, Akk. snáiw, got. fráiw 'Same', Gen. fráiwis; waúrstw 'Werk', Gen. waúrstvñs. Nach kurzer Stammsilbe verbindet sich u mit vorausgehendem kurzem Vokal zu einem echten «-Diphthongen, falls kein Vokal folgt: germ. *Peuaz > *peus > got. *pius 'Knecht' (vgl. piu-magus 'ds.'), Gen. piwis. Ebenso wird zu den bezeugten Genetiven kniwis, triwis der unbelegte Nom. Akk. Sg. *kniu 'Knie', *triu 'Baum' gelautet haben. Die lautgesetzliche Entwicklung nach Konsonant zeigt der Nom. Sg. got. skadus 'Schatten' < germ. *skaduaz, dessen -a lautgesetzlich schwinden mußte ; der so entstehende Nom. Sg. skadus zog im Gotischen freilich die u-Deklination nach sich; doch vgl. unten as. skado, ahd. skato. Im As. und Ahd. bietet sich folgendes Paradigma : Mask. as. Sg. Nom. Akk. Gen. Dat. Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
skado, -u skado, -u skadowes, -as skadowe o. B. o. B. o. B. o. B.
Ntr. ahd.
skato, -u skato, -u skat(a)wes skat(a)we skat(a)wa skat(a)wa skat(a)wo skat(a)wum
as.
ahd.
horo, -u horo, -u horowes, -as horowe, -a o. B. o.B. beuwo kneo(h)on
horo, -u horo, -u hor(a)wes hor(a)we horo horo hor(a)wo hor(a)wum, -un
wa-Deklination, ö-Deklination §§ 145-147
137
Im Nom. Akk. Sg. tritt durch den vorliterarischen Auslautsverfall das ursprünglich inlautende -M- in den ungedeckten Auslaut und erscheint as., ahd. als -o, selten als -u. Geht dem so entstandenen o ein e unmittelbar voraus, so paßt sich eo dem gängigen Diphthongen eo an und wird zu io: so ahd. kneo, knio 'Knie'; älteres knëwu wird zu ahd. kniu 'Knie'. Die Vokalgruppe ëo wird im 9. Jh. zu -è: so ahd. Mèo, lëo, lë 'Hügel', snéo, snë 'Schnee', sëo, së 'See', kUo, klë 'Klee', hrëo, rëo, rë 'Leichnam'. Ebenso erscheint ahd. ao als ö: ahd. strao, strö 'Stroh'. Germ. -WM- erscheint as., ahd. als -ü in as., ahd. bü 'Bau' ; germ, MM erscheint im Auslaut als «-Diphthong: as. ahd. tou 'der Tau', ahd. sou 'Saft', ahd. spriu 'Spreu' (§ 136). In den übrigen Formen bleibt -w- inlautend erhalten, die Flexionsendungen sind die der reinen a-Stämme, nur dringen in Angleichung an den Nom. Akk. Sg. Formen ohne w und mit dem dort erreichten Vokalismus in die anderen Kasus vor: as., ahd. sëes, ahd. strö(w)es usw. In den Formen mit postkonsonantischem w erscheint oft Sproßvokal. Im As. zeigen späte Formen nach l und r den im Mnd. allgemeinen w-Schwund: Gen. Sg. mêlas 'des Mehles', smëras 'des Fettes'. Im Nom. Aldi. PI. Neutr. setzen as., ahd. kneo, ahd. knio, kniu, vordt. *kncwu fort. Die übrigen Pluralformen sind regulär. Wie im Sg. erscheinen auch hier ω-lose Formen. Bei den ahd. Neutra sind Nom. Akk. PI. Formen auf -ir bezeugt, so ahd. spriuwir zu spriu 'Spreu', rëwir zu rëo 'Leichnam', auch ahd. lëwir zu dem urspr. Ntr. lëo 'Erdhügel', das jedoch meist als Mask, erscheint. Ahd., as. sëo 'See', das die Mehrzahl seiner Formen als mask. Μα-Stamm bildet, war urspr. i-Stamm, was noch in vereinzelten Formen deutlich wird, so Instr. sg. sëwiu; Nom. pl. sëwi, sëowi, Dat. Pl. sëwim. 2. Die idg. ä- germ. ö - S t ä m m e u n d i h r e U n t e r k l a s s e n § 147. Die germ. ô-Deklination ist Erbe aus idg. Zeit; ihr Flexionsstamm endet auf idg. -d, an ihn treten die den Kasus charakterisierenden Endungen, sofern der Kasus Endungen zeigt ; dabei kann der Stammesauslaut mit vokalisch anlautender Endung zu schleiftoniger Länge kontrahiert werden. Die Flexionsklasse umfaßt innerhalb des Germanischen nur Feminina. Endet der Stamm auf idg. -jä = germ, -jp, idg. -uä = germ. uö, so formen sich auch hier in germanisch-deutscher Zeit durch Lautentwicklungen Unterklassen aus, die gesondert zu besprechen sind. Nom. Sg. Idg. *-â ist endungsloser Stamm, der im Germ, auf -o auslautete (so noch greifbar in dem finn. Lehnwort runo Gedicht = got. runa), das im Got. als -a erscheint, während es sonst zu -u wurde, das nach langer Stammsilbe fallen mußte. Solche Formen sind as. und ahd. vereinzelt erhalten, so as. thiod 'Volk', tharf 'Bedarf', winding 'Binde', ahd. ÒMOj 'Besserung', halb 'Seite', wis 'Weise', die freilich nur mehr in
Substantivflexion
138
Sg. Nom.
got.
as.
ahd.
giba
geba, -e tharf geba geba gebu gebu geba geba thiodo gebono gebon gebum, -un
geba buo3 geba geba gebu gebu geba gebä
Akk. Gen.
giba gibos
Dat.
gibai
Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
gibos gibo gibom
geböno geböm
formelhaften. Wendungen belegt sind. Bei den Feminin-Abstrakten auf -unga finden sich Nebenformen auf -ung. Sie zeigen vereinzelt maskulines Geschlecht, sind also wohl eher alte Maskulina, die unter dem Einfluß der häufigeren Feminina auf -unga zu Femininen geworden sind. Zu den Feminina auf -in aus *-inö vgl. § 148. As., ahd. -a ist aus dem Akk. Sg. übernommen. A k k . Sg. Idg. *-á-m > germ. *-6(n) > got., as., ahd. -α. Der ältere Ausgang -ö ist in der got. Wendung ni iveïlohun 'nicht eine Stunde lang' bewahrt, weil er durch enklitisch angetretenes -hun gedeckt war. I m As. findet sich statt -α vereinzelt fries, -e, das auch in nominativischem Gebrauch erscheint ; im Ahd. sind endungslose Nominative in akkusativischem Gebrauch selten. G e n . Sg. Idg. *-äs (aus -ä + es/os) > germ. *-δζ = got. -os, as. -a, ahd. -a, das vielleicht in den älteren Denkmälern noch Länge war. Daneben erscheint as. wie ahd. die Dativendung -u bereits in alten Quellen in den Genetiv übertragen; sie wird im Ahd. seit dem 10. J h . zur Regelform. D a t . Sg. Idg. *-äi (aus *-ä+ai oder -ei) = germ. got. -ai. Doch kann hier der idg. Dativ auf *-äi mit lokativischem -ä -f- i lautlich zusammengefallen sein. As., ahd. -u aus germ. *-o < idg. *-â stellt einen idg. Instrumentalis dar (vgl. griech. κρυφή 'mit Heimlichkeit, heimlich'). Auch hier sollte -u nach langer Stammsilbe gefallen sein, doch h a t sich das -u der kurzstämmigen Wörter als deutliches Kasuszeichen durchgesetzt. Wie weit endungslose Formen in festen Wendungen solche alte, endungslos gewordene Dative oder erstarrte Nom. Sg. sind, ist schwer eindeutig festzustellen. Selten ist ahd. und as. die Genetivendung -a in den Dativ übertragen. As., ahd. -u wird im 10. und 11. J h . zu -o abgeschwächt, das früher nur vereinzelt erscheint. N o m . P l . Idg. (aus -ä + -es) > germ. *-öz > got. -os, as. -a, ahd. -a, dessen Länge Notker klar bezeugt. I m As. erscheint neben Belegen für
ô-Deklination, jö-Deklination §§ 147-148
139
fries, -e vereinzelt ein Ausgang -o in tkiodo Hei. C, möglicherweise nur hyperkorrekte Form eines Schreibers, der öfters für reguläres -o fries, -a schreibt, -o für -ä in einigen alem. Quellen entstammt der Adjektivflexion. A k k . PI. Idg. *-äs (aus *-ä + ns) > germ, -δζ > got. -os, as. -a, ahd. -ä. Die Formengleichheit beruht also bereits auf idg. Entwicklung. Gen. PI. Idg. *-öm (aus *-ä + öra) > germ. *-δ(η) > got. -o. As. -a ist noch in der festen Wendung an allaro halba gehwilïlca 'nach allen Seiten' erhalten, sonst herrscht mit -ono die Form der fem. -öw-Stämme ; daneben stehende -ano, -uno, -ino, -ana sind Ausdruck der Vokalschwächung. Im Ahd. gilt -öno, das sich im Obd. über -owe zu -δη entwickelt, so bei Notker. In den frk. Mundarten dagegen vollzieht sich die Abschwächung über -ono zu -eno, neben dem -ano, -ino erscheinen, -öno gilt bereits bei Otfried. Daneben erscheint bei ihm und anderen eine Endung -o, die gemeinhin als metrisch bedingte Verkürzung erklärt wird, eher jedoch ein Rest der ursprünglichen Endung germ. -δ(η) sein dürfte. D a t . PI. In got. -om, ahd. -öm dürfte der gleiche idg. Instrumentalis *-ä-mis vorliegen wie bei den mask. a-Stämmen. Im As. gilt einerseits -on,-un, andrerseits -um, während Belege für zu erwartendes *-om fehlen. In frühem -on, -un wird man daher Beeinflussung durch die femininen ön-Stämme sehen müssen, während -um wohl der a-Flexion entstammt. Im Ahd. gilt -öm bis ins 9. Jhd., dann -δη. Daneben erscheint in älterer Zeit vereinzelt -um in Angleichung an die a-Stämme; später wird -un neben -on häufiger. Wegen der Formengleichheit im Nom. Sg. und Gen. PI. finden sich as. und ahd. manche Berührungen mit den femininen ön-Stämmen; so sind im As. eine Reihe von Wörtern in diese Klasse übergetreten, z. B. lëra 'Lehre', stola 'Seele', ahsla 'Achsel' u. a. m. Auch im Ahd. zeigt eine Reihe von Wörtern doppelte Flexion, die im Mhd. zunimmt. Seltener sind Nebenformen nach der ï-Flexion. § 148. Die idg. ja- = germ. jö-Stämme. Im Gotischen bieten sich zwei Typen : 1. die Wörter mit kurzsilbigem Wortstamm, 2. solche mit lang- oder mehrsilbigem Wortstamm, zu denen sich got. maivi 'Mädchen' und pimi 'Dienerin' stellt. Singular Nom. Akk. Gen. Dat.
banja banja banjos banjai
háijji háijaja háijjjos háijajai
Plural mawi máuja máujos máujai
banjos banjos banjo banjom
háijpjos háiJ)jos háiJ)jo hái]3jom
máujos maujos maujo máujom
140
Substantivflexion
Beide Typen differieren nur im Nom. Sg., wo die kurzsilbigen Stämme den Ausgang -ja zeigen, der über germ. *-jo auf idg. *-já weist. Die Langsilbigen zeigen dagegen -i, das über -l auf idg. -I zurückgeht. Ein idg. Typus dieser Art birgt sich in dem movierten Femininum aind. devi 'Göttin' (zu aind. devas 'Gott' gebildet), dessen Akk. Sg. auf -im, endet, während die übrigen Kasus einen Stammesauslaut aind. -yä = idg. -jä- zeigen (vgl. Gen. Sg. devyäs); dieser Typus steht neben einem anderen mit festem -yä = idg. -iä, der gleich den reinen ä-Stämmen flektiert (vgl. aind. Nom. Sg. kanyä 'Mädchen'). Im Gotischen lebt der aind. devi entsprechende Typus im Nom. Sg. aller lang- und mehrsilbigen jö-Stämme fort, ebs. in mawi und piwi, während alle kurzsilbigen im Nom. Sg. dem aind. Typus kanyä parallel gehen. Im Akk. Sg. gilt der Typus mit idg. -iäm bei allen jö-Stämmen, die anderen Bildungen sind verschwunden, die movierten Femmina got. mawi 'Mädchen', piwi 'Dienerin' flektieren wie die langsilbigen jo-Stämme. Hier wechselt -wmit u, je nachdem ob i oder j folgt. Im As. bilden die jö-Stämme nur einen Typ, dessen Nom. Sg. auf -ia endet ; seine Flexion entspricht völlig der der reinen δ-Stämme, das alte j vor der Endung ist bewahrt und als i oder e geschrieben. Neben dem regulären Paradigma stehen einige abweichende Formen, die auf älteres weisen, so endungslose Nom. Sg. wie makirin 'Macherin', wurgarin 'Würgerin', deren endungsloser Nom. Sg. *-i aus *-i verlor, da diese Bildungen stets mehrsilbig waren. Formen wie der einmal im Hei. C bezeugte Gen. Sg. helli 'Hölle' oder der einmal in der Genesis belegte Dativ helli, dem im Hei. M der Dat. Midi 'Kampf' und im Hei. C wöstunni 'Wüste' entspricht, zeigen Ausgänge der femininen i-Stämme (vgl. § 168). Auch bei den Nomina mit dem Suffix -nessia, -nissia, -nussia schwankt die Formenbildung zwischen der jô- und i-Klasse. Andere Nomina zeigen Flexionsformen der -jö und -ön-Klasse nebeneinander, so etwa sundea 'Sünde', oder sind ganz in die δη-Klasse übergetreten, so kribbia 'Krippe', gerdia 'Gerte'. As. thiu 'Dienerin' ( = got. piwi) hat neben den Nominativformen thiuwi (Fi) thiuua (Fö) den Gen. Sg. thiuun der ön-Klasse. Auch die ahd. Flexion kennt nur den Typus auf germ. -jö. Singular Nom. J sunte, suntea, -ia, sunta Akk. sunte, suntea, -ia, sunta Gen. suntiu, suntu Dat.
Plural sunte, sunteä, -iä, suntä sunteöno, suntöno sunteöm, auntöm, -ön
Im Nom. Akk. Gen. Sg. und im Nom. Akk. PI. ist der Ausgang -e die älteste Form; er ist aus -jä lautgesetzlich entstanden, zeigt also die
jö-Deklination § 148
141
gleiche germ. Endungsgestalt wie die reinen δ-Stämme. -ea, -ia ist restituierte Form nach dem erhaltenen j-Laut der übrigen Kasus. Mit dem postkonsonantischen j-Schwund fallen im 9. J h . die jö-Stämme mit den δ-Stämmen zusammen und zeigen die gleichen Endungen wie diese. Bei sehr vielen Nomina dieser Gruppe erscheinen neben den Formen der jö-Flexion solche der i-Klasse, so neben redia : redi 'Rede', brunnea, brunnï 'Brünne', umnnea, wunnï 'Wonne' ferner bei den Ableitungen auf -nissea : -nissi. Seltener findet sich Schwanken nach der ön-Deklination, so bei redia 'Rede', rorea 'Rohr', brunnea 'Brünne', krippea 'Krippe' usw. ahd. diu 'Magd' zeigt neben Formen der jö-Flexion solche der fem. i-Stämme. Der Nom. Sg. diu wird auf älteres *piuwi mit Konsonantengemination uu nach den j-haltigen Formen zurückgehen, die in dem Gen. Sg diuwa, dem Nom. Pl. diuwä greifbar sind. Bei den zusammengesetzten weiblichen Personennamen wie Gertrud, Adalheid usw. ist der Nom. Sg. in der Regel endungslos, während die übrigen Kasusformen denen der jö-Klasse entsprechen. Eine Sonderstellung nehmen die Bildungen auf -in ein, die mehrere Gruppen mit typischen Flexionseigentümlichkeiten umfassen: 1. Eine feste Gruppe bilden die zu Maskulina gebildeten Feminina (sog. movierte Feminina) mit Suffix germ. *-injö oder *-unjp, mit westgermanischer Konsonantengemination *-inniô, *unnjô. Der Nom. Sg. ist im älteren Ahd. stets endungslos auf -in, -un, während die übrigen Kasus nach dem frühen /-Schwund die regulären Ausgänge der δ-Flexion zeigen : Nom. Sg. kuningin, Akk. Sg. kuninginna, Gen. Sg. kuninginna, Dat. Sg. kuninginnu usw. Neben dem Gen. PI. kuninginnöno ist kuninginno mit haplologischer Vereinfachung belegt. Innerhalb dieses Paradigmas vollzieht sich vor allem im Nom. Akk. Sg. eine Spaltung, indem einerseits die kurze Form des Nom. seit dem 9. Jh. in den Akk. vordringt, spätahd. auch für andere Kasus Gültigkeit gewinnt, andererseits der Akk. Sg. kuninginna seit dem 11. J h . im Nom. Sg. heimisch wird, so daß völlige Gleichheit mit der ö-Deklination erreicht wird. Der Ausgang -in erscheint bei Notker zu -en abgeschwächt. 2. Die gleiche Ableitungssilbe vordt. *-innjp, *-unnjö liegt bei einer kleineren Zahl nichtmovierter Feminina vor: so ahd. lungun, -in 'Lunge', wuostin 'Wüste', festin 'Schutzwehr', mistun 'Misthaufen', deren Flexionsformen denen der movierten Feminina entsprechen. 3. Eine dritte Gruppe bilden Substantiva mit der germanischen Ableitungssilbe -ino, vordt. -inu, dessen -u in den stets mehrsilbigen Wörtern schwinden mußte. Sie zeigen daher im Nom. Sg. den Ausgang -in (vgl. oben § 147 buoz) so lugin 'Lüge', burdin 'Bürde', lentin 'Niere, Lende', linsin 'Linse' usw. In den obliquen Kasus sind noch Formen der reinen δ-Klasse greifbar.
142
Substantivflexion
4. Eine weitere Gruppe bieten Lehnwörter aus dem Lateinischen in denen lat.-vulgärlat. -ina als ahd. -in erscheint: so mlat. butina·, ahd. butin 'Bütte', molina: ahd. mulin 'Mühle', vulgärlat. catina: ahd. ketin 'Kette'. I n den Gruppen 2-4 vermengt sich nicht nur die Flexion der δ und jö-Stämme, so daß vor allem bei ketin in obd. Denkmälern Formen wie Gen. Sg. chetenno, Dat. Sg. ketinnu, Nom. Akk. PI. chetennä mit -nnnach dem Typus kuningin bezeugt sind, sondern sie übernehmen auch Formen der femininen i-Deklination, so Gen. Dat. Akk. Sg., Nom. Akk. PI. lugi neben Akk. Sg. luginna Gen. PI. luginnöno·, Nom. Sg. hartin, harti 'Schulterblatt', Akk. Sg. harti usw. § 149. Die idg. uä- = germ. uö-Stämme. Diese Bildungen zeigen im Gotischen keine Sonderformen, sondern flektieren wie die reinen δ-Stämme, ebenso im As., wo postkonsonantisches w fast stets geschwunden ist, so nicht nur got. ahva : as. ahd. aha 'Wasser', got. salipwa : as. selida, ahd. selida 'Wohnung', sondern auch as. swala : ahd. swalwa 'Schwalbe', aber intervokl. as. treuwa 'Treue', bräwa 'Braue'. Im Ahd. steht im Nom. Sg. die Regelform kläwa 'Klaue', bräwa 'Braue' vereinzeltem brä, klö gegenüber, die vielleicht alte Nominative *bräwu, kläwu fortsetzen, wahrscheinlicher aber Formen mit frühem w-Schwund sind. Daneben stehende Formen wie bräa, klôa werden Mischformen beider Typen sein. Die übrige Flexion ist regelmäßig.
3. D i e i d g . - g e r m . i - D e k l i n a t i o n § 150. Diese aus dem Idg. ererbte Klasse zeigt in einer Reihe von Kasus -i als Stammesauslaut, das dem Ablaut unterliegt, so daß in anderen Kasus der Stamm auf die Vollstufe idg. -ei oder -oi oder auf die Dehnstufe -ei/öi endete. Ursprünglich umfaßte die idg. Klasse Maskulina, Neutra und Feminina, doch sind die Neutra in der literarischen Zeit nur mehr in Restformen zu greifen. Maskulina und Feminina flektierten ursprünglich einheitlich; erst in der germanischen Zeit spaltet sich die Flexion nach den Genera dadv.rch auf, daß die Maskulina frühzeitig starke Beeinflussung durch die Maskulinen a-Stämme erfahren. Die Eigenständigkeit der Klasse wird auch dadurch bedroht, daß das stammhafte -i in lang- oder mehrsilbigenWortstämmen lautgesetzlichem Schwund unterliegt. Das Gotische hat hier zugunsten des ¿-Schwunds ausgeglichen, das As. und Ahd. kennt wenigstens noch in gewissem Umfang erhaltenes -i bei kurzsilbigen Stämmen.
i-Deklination §§ 149-151
143
§ 1 5 1 . Die Maskulina a) langstämmige. got.
as.
Sg. Nom. Vok. Akk. Gen. Dat. Instr.
gaats gast gast gastis gasta
Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
gasteis gastins gaste gastim
gast gast gast gastes, -as gaste, -a gasti gastiu gesti, -e gesti, -e gçstio, -ΘΟ gestium, -ion
-
ahd. gast gast gast gastes, -as gaste, -a gastiu, gestiu, gastu gesti gesti gestio, gesto gçstim, -in, -en
Nom. S g. idg. *-i-s > germ. *-iz (vgl. urnord.-run. -gastiR) muß durch den Vokalschwund im Auslaut als got. gasts, as. und ahd. infolge des Verlusts von -z als gast erscheinen. Vok. Sg. idg. *-i als reiner Stamm schwindet lautgesetzlich nach langer Silbe: got. gast; as., ahd. Zusammenfall mit dem Nom. Sg. Akk.Sg.idg. *-i-m > germ. *-i(n), das nach langer Silbe schwindet : got., as., ahd. gast. In diesen drei Kasus fielen die langsilbigen i-Stämme in lautgesetzlicher Entwicklung mit den maskulinen a-Stämmen zusammen. Daher schwanden die eigenen Flexionsformen im Gen. Dat. Sg. und machten analogischen Nachbildungen der a-Stämme Platz. Als I n s t r . Sg. erscheint as. -i aus germ. idg. *·ϊ als idg. Instrumentalis; daneben steht as. -in, ahd. -in mit dem -u der a-Stämme nach der alten Instrumentalendung -i; daraus ahd. mit völliger Angleichung an die a-Stämme -u, das als Regelform gilt. Uber den dativischen Gebrauch dieses Kasus vgl. u-Deklination § 157. No m. Pl. idg. *-ej¡-es > germ. *iiiz und nach dem ^-Schwund *-ïz. Vgl. got. gasteis·, nach dem lautgesetzlichen Schwund von -z und Kürzung der alten Länge as., ahd. gesti mit altem ¿-Umlaut soweit dieser möglich ist. Im As. zeigt vereinzeltes gasti Ausgleich nach den Singularformen. Akk. PI. idg. *-i-iis > germ. *-inz > got. -ins, mit lautgesetzlichem Schwund der Endung und altem Umlaut as., ahd. gesti. Gen. PI. idg. *-i-öm > germ. *-iö(n) as., ahd. gestio. Got. -e gleicht dem Gen. PI. der a-Stämme und ist hier ebenso unklar wie dort. Dat. PI. idg. *-i-mis als alter Instrumentalis > germ. *-im > got. -im, ahd. -im, -in, für das schon im 8. Jh. die Abschwächung -em, später -en begegnet, die im 10. und 11. Jh. die Regelform ist. As. -ium, -iun, -ion ist
144
Substantivflexion
nach den ja-Stämmen gebildet; daneben vereinzelt belegtes -in ist wohl ahd.-frk. Einfluß. Der as., ahd. Plural ist durch den Umlaut gekennzeichnet. Daneben erscheinen im As. nur vereinzelt umlautlose Analogiebildungen nach dem Singular. Im Ahd. kann der Umlaut noch in den ältesten Quellen fehlen oder aber er unterbleibt vor Konsonantengruppen, die in den einzelnen Dialekten den Umlaut hindern. Im Plural erscheinen neben den Formen der i-Deklination auch solche der a-Stämme, die analog zum Singular gebildet sind. Wo solche infolge seltener Pluralbezeugung durch Zufall allein belegt sind, ist die Scheidung beider Klassen vom Ahd. her unmöglich. Ursprünglich maskuliner i-Stamm ist ahd., as. sêo 'See'. Es flektiert im As. als maskuliner ua-Stamm, ebenso in der Hauptmasse der Belege im Ahd. (vgl. oben § 146), doch ist hier ein Instr. Sg. sëwiu, ein Nom. Pl. sèwi oder (mit Angleichung an den Nom. Sg.) sêowi, ein Dat. Pl. sëwim belegt. § 152. b) kurzstämmige. Nach kurzer Stammsilbe blieb -i lautgesetzlich erhalten. Die dadurch sich ergebende Spaltung der Flexion wurde im Gotischen dadurch ausgeglichen, daß die kurzsilbigen Substantiva sich den lang- und mehrsilbigen anschlossen und -i aufgaben: vgl. got. staps 'Stätte', muns 'Gedanke', naus 'Toter' < *naiviz (vgl. Nom. Pl. naweis, Akk. PL nawins). Über das andere Verhalten des Adjektivs nawis 'tot' s. § 191. Deutlich griefbar ist die so entstandene Verschiedenheit im As., wo bei kurzsilbigem Stamm im Nom. Akk. Sg. -i die Regel ist, so daß alter ¿-Umlaut bereits im Singular gilt: vgl. seli 'Saal', meti 'Speise', beici 'Bach' usw. (vgl. nhd. Ortsnamen: Wandsbeck, Altenbeken usw.). Im Ahd. hat sich ähnlich wie im Gotischen der ¿-Schwund weitgehend durchgesetzt und zwar bereits vor Eintreten des ¿-Umlauts: vgl. ahd. slag 'Schlag' (as. slegi), bah 'Bach'. Nur einige Substantiva bewahren im Nom. Akk. Sg. -i: ζ. Β. wini 'Freund', risi 'Riese', quiti 'Ausspruch'. as. Sg. Nom. Akk. Gen. Dat. Instr. Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
ahd.
wini
wini
slag
winies, wines wini ; winie, wine wini; winiu
wines wine ο. Β.
slages slage o. B.
wini
slçgi
win(i)o winim, -in
slçg(i)o slçgim, -in
l wirn; winios winnio winniun, -on
145
i-Deklination §§ 151-154
Der Nom. Akk. Sg. zeigt den Ausgang -i aus germ, -iz resp. -i(n) dagegen im Typus ahd. slag den Endungsschwund nach dem Vorbild der langsilbigen. Die übrigen Formen des Paradigmas entsprechen im Plural des As. denen von gast, ebs. im Dat. und Instr. Sg. Damit ist für den Nom. Akk. Sg., den Gen. und Dat. PI. die Gleichheit mit den maskulinen ja-Stämmen gegeben, so daß deren Formen in den übrigen Kasus erscheinen; daneben zeigen der Gen. Sg. wines, der Dat. Sg. wine die vom Paradigma gast übernommenen Formen. Im Ahd. gilt mit Ausnahme des Nom. Akk. Sg. die Flexion des Typs gast. Nur vereinzelt erscheinen im Abrogans alte Dative Sg. auf -i, die der as. Form entsprechen. § 153. Neutra. Neutrale i-Stämme sind im Gotischen unbelegt. Im As. fehlen Belege für die langstämmigen, bei den kurzstämmigen ist halsmeni 'Halsschmuck', urlegi 'Krieg' zu nennen; die nur im Sg. belegten Komposita mit -skepi, -skipi schwanken zwischen maskulinem und neutralem Gebrauch; as. meri 'Meer' ist Femininum geworden. Die Flexion dieser Wörter entspricht der der kurzstämmigen Maskulina. Im Ahd. fehlen Belege einer geschlossenen Flexion, ahd. meri zeigt als Gen. stets meres, als Dat. mere und meri. Das auffallende Fehlen von Belegen mit -rj- nach kurzem Vokal distanziert das Wort von den neutralen ja-Stämmen und rückt es der i-Flexion näher, deren typische Formen jedoch ohne Belege bleiben, da ein Dat. Sg. auf -i vereinzelt auch bei ja- Stämmen erscheint. Alter neutraler i-Stamm ist wohl auch ahd. bini 'Biene', für das zwar nur Formen der ja-Flexion belegt sind, wo aber die fehlende Konsonantengemination gegen einen alten jaStamm spricht. § 154. Feminina a) langsilbige got.
as.
Sg. Nom. Akk. Gen. Dat. Instr.
ansts anst anstais anstai
Pl. Nom. Akk. Gen. Dat.
ansteis anstins anste anstim
anst anst çnsti, -e ensti wihti wihtiu çnsti ensti çnstio enstium
-
ahd. anst anst çnsti çnsti stçtiu çnsti çnsti çnstio, ensto çnstim, -in, -en
146
Substantivflexion
Die Formen des N o m . A k k . Sg. und des ganzen P l u r a l s entsprechen nach Genesis und Formengestaltung dem maskulinen Typus gast. Im G e n e t i v und D a t i v Sg. blieben die alten Formen der i-Flexion bewahrt, weil die Verschiedenheit der Geschlechter die Übernahme der a-Flexion verhinderte. Gen. Sg. got. -ais weist auf idg. *-oïs, während as., ahd. -i auf germ. *-ïz aus idg. *-eîs zurückgeht, das dazu ablautet. Die as. und ahd. Formen zeigen älteren i-Umlaut, wobei im Ahd. die ältesten Belege noch umlautlose Formen kennen, wie der Umlaut durch Konsonantengruppen allgemein oder dialektisch unterbleiben kann. D a t . Sg. got. -ai wird auf idg. *-èi zurückgehen, d. h. auf eine endungslose Dehnstufe des Stammvokals, woraus auch mit früher Kürzung des Langdiphthongen die Doppelform *-ei > germ. *-ï entstand, das in as., ahd. -i nachlebt. Für den Umlaut gilt das Gleiche wie beim Gen. Endungslose Formen im Gen. und Dat. Sg. erscheinen ahd. selten, im As. etwas häufiger, so bei kraft, maht, giwald, hüt 'Haut', fard, werold 'Welt'. Sie dürften von der konsonantischen Flexion her bestimmt sein, deren Wörter weitgehend in die i-Flexion übergetreten sind (vgl. § 161). As. Gen. Sg. auf -es wTie abunstes 'Mißgunst', giwunstes 'Gewinn' folgen der Analogie des Maskulins. Im I n s t r . Sg. ist im As. neben dem ursprünglichen Ausgang -i der nach den ja-Stämmen geschaffene auf -iu belegt. Davon zu trennen ist der Dativ brüdiu Hei. M 298 und 301 zu as. brüd 'junge Frau', dessen Ausgang -iu von den u-Stämmen her bestimmt sein wird (vgl. § 157). Ahd. zeigen sich Ausgänge auf -iu, -eo nur selten in alten Denkmälern, b) kurzsilbige. Fürs Gotische fehlen Belege. Im As. haben diese Wortstämme wie bei den Maskulina -i bewahrt: vgl. stedi 'Stätte', ewi 'Lamm', thili 'Diele', meri 'Meer'. Das Paradigma bietet so im Sg. durchgängig -i, der Plural entspricht dem der Maskulina, doch fehlt der Nom. Akk. PI. auf -ios. Zu den Abstrakta auf -i vgl. § 168. Im Ahd. trat weitgehend Angleichung an die langsilbigen Stämme ein, nur kuri 'Wahl', turi 'Tür' bewahren im Nom. Akk. Sg. den Ausgang -i. Ihre Flexion unterscheidet sich nicht von den langsilbigen Feminina. 4. D i e i d g . - g e r m . u - F l e x i o n § 155. Die u-Stämme des Germanischen sind idg. Erbe. Der Stammesauslaut zeigt idg.-germ, -u im Ablaut mit idg. -euj-ou, bzw. -èli¡-du. Die drei in idg. Zeit vorhandenen Genera zeigen die gleiche Flexion, abgesehen von der für die Neutra typischen Gleichheit des Nom. und Akk., der im Sg. den endungslosen Stamm -u, im Plural die Endung -a zeigte.
147
u-Deklination §§ 154-156
In germanischer Zeit hat -u das gleiche Schicksal wie -i : in ererbtem oder durch frühen Konsonantenschwund entstandenen ungedecktem Auslaut unterlag es nach langem oder mehrsilbigem Stamm dem Schwund, während es nach kurzer Stammsilbe erhalten blieb. Während das Gotische hier zugunsten der Erhaltung ausgleicht und so die Flexion erhält, führt der Abfall des charakteristischen Stammvokals im As. und Ahd. zur Aufgabe des eigenen Flexionstyps. Dabei gehen die lang- und mehrsilbigen den kurzsilbigen Stämmen voran, so daß mit dem Einsetzen der Denkmäler so gut wie keine klaren Belege der u-Flexion mehr vorhanden sind, während die kurzsilbigen noch Restformen des alten Endungssystems überliefern, die freilich allenthalben den Einflüssen anderer Deklinationsklassen weichen. § 156. Die u-Flexion im Gotischen. Maskulina und Feminina zeigen das gleiche Paradigma.
Paradigma : sunus 'Sohn' M. ; handus 'Hand' F . ; faihu 'Vieh' N . Singular
Nom. Akk. Gen. Dat. Vok.
Plural
m.
f.
m.
f.
sunus sunu sunaus sunau sunu sunau
handus handu handaus handau o. B.
sunjus sununs suniwe sunum
h and jus handuns handiwe handum
-
-
Das Neutrum zeigt im Nom. Akk. Sg. die Form faihu; Pluralformen fehlen. Nom. Sg. M. F. idg. *-u-s > germ. *-uz > got. -us. A k k . S g . MF. * idg. *-u-m > germ. *-u(n)
> got. -u.
Nom. Akk. Sg. N. idg. *-u, d. h. endungsloser Stamm > germ. got. -u. G e n . S g . idg. *-öus — germ., got. -aus.
Dat. Sg. idg. *-ëu, d. h. Dehnstufe des Stammesauslauts als idg. Lokativ > germ. *êu > got. -au. Vok. Sg. idg. *-u neben *-ou, d. h. endungsloser Stamm mit Schwundstufe oder o-Abtönung der Vollstufe des Stammesauslauts, > germ., got. -u oder -au. Nom. Pl. MF. idg. *-eu-es, d. h. Vollstufe des Stammesauslauts mit der idg. Endung *-es > germ. *-iuiz-, durch den lautgesetzlichen Schwund des i vor -ζ wird u zum Vokal u, während das vorausgehende i als j erscheint : got. -jus.
148
Substantivflexion
Akk. Pl. MF. idg. *u-ns > germ. *-unz > got. -uns. Gen. PI. idg. *-eu-om > germ. *-iuö(n)\ im Gotischen erscheint statt dessen -iwe, dessen -e dem des Gen. PI. der a- und i-Stämme entspricht. D a t . PI. idg. *-u-mis als alter Instrumentalis > germ *umiz > -umz > got. -um. Innerhalb der gotischen Denkmäler begegnet bei den Singularformen ein Schwanken zwischen u und au in den Endungssilben, wobei vor allem das Lukas-Evangelium und der Codex Ambrosianus A und Β au für zu erwartendes u und umgekehrt u für zu erwartendes au schreiben. Vgl. Nom. Sg. sumaus L. 4, 3 ; faìrfvaus Gal. 6,14B aber faîrhrus ebd. A; Xristaus Gal. 4, 19 Β aber Xristus ebd. A; Akk. Sg. piudinassau L. 9, 27 ; hairau Rom. 13, 4 A aber hairu ebd. Car. ; itmlpau 2. Kor. 3, 18B. Gen. Sg. sunus Eph. 4,13 A ; daujms L. 1, 79. / D a t . Sg. sunu L. 9, 38; Paìtru Gal. 2, 7 A aber Paltrau ebd. B. usw. Die handschriftliche Überlieferung weist hier auf eine innergotische Erscheinung, die erst sekundär in die ursprüngliche Textgestalt hineingeriet, da dort, wo der gleiche Text in Parallel-Überlieferung vorliegt, die sprachgeschichtlich zu erwartenden Formen neben den abweichenden auftreten. Nur beim Vok. Sg. liegen die Dinge anders : hier zieht sich die Doppelheit -u, -au über alle Handschriften hin. Fraglich bleibt freilich, was als sprachgeschichtlicher Vorgang hinter diesem jüngeren Nebeneinander von u und au steckt, vor allem weil der Lautwert des für altes u geschriebenen au unklar bleibt, das dem ursprünglichen Schreibgebrauch nach sowohl Diphthong wie kurzer o-Laut sein kann, der in der wulfilanischen Zeit offen war. Doch sagt dies nichts über die gesprochene Sprache der Zeit unserer Textüberlieferung aus. Nach der u-Klasse flektieren im Gotischen die biblischen Personennamen auf griech. -ος lat. -us, so Paitrus, Xristus-, nur Iesus zeigt als Akk. zwar Iesu, als Gen. aber Iesuis, als Dat. Iesua neben lern. Dabei entstammen der Akk. Dat. Iesu der Vorlage; der Gen. Iesuis, der Dat. Iesua sind der a-Klasse angeglichen. Als u-Stämme flektieren auch die Lehnwörter mit griech. -ος, lat. -us im Singular: gr. άγγελος, lat. angelus : got. aggilus, Gen. aggilaus, Dat. aggilau, während im Plural Formen der u- und i-Flexion erscheinen: Nom. aggiljus und aggileis; ebs. zwar Sg. Iudaius aber Nom. Pl. ludaieis, Akk. PI. Iudaiuns; Gen. Iudaie; Dat. Iudaium. Ursprüngliche Wurzelnomina sind got. fotus 'Fuß' und tunpus 'Zahn', die durch Formengleichheit im Akk. Sg. und PI. in die u-Klasse übertraten (s. u. § 160). u-Flexion zeigt auch der Dat. sg. aühsau, Dat. PI· aühsum 'Ochse' neben η-stämmigem Gen. pl. aúhsne (s. u. § 165). Gotskadus 'Schatten' ist ursprünglich maskuliner wa-Stamm (s. o. § 146).
149
u-Deklination §§ 156-157
§ 157. Die u-Deklination im As. und Ahd. Im As. und Ahd. lebt die u-Deklination nur mehr als Torso weiter. Die langsilbigen Maskulina zeigen teilweise die Flexion der a-, teilweise die der i-Stämme. So erscheinen als a-Stämme as. wald 'Wald', wërd 'Wirt', wëthar 'Widder', thorn 'Dorn' ahd. dorn, wald, tod, hungar; als i-Stämme as. ër 'Bote', kin 'Kinn', skild 'Schild', ahd. skilt, wirt, heit 'Wesen, Weise', widar 'Widder' u. a. m. Bei den langsilbigen Feminina bietet sich folgendes Paradigma: as. hand, ahd. hant 'Hand'. Singular
Plural
as.
ahd.
as.
ahd.
Nom. Akk. Gen.
hand hand ο. Β.
hant hant hçnti, -e
handi, hçndi handi, hçndi hando
Dat.
hçndi hand
hçnti, -e hant
handum, -on handiun
hçnti hçnti hçnteo, hendo hando hantum, -on,-en hçntin
Nom. und Akk. Sg. erklären sich leicht als lautgesetzliche Fortsetzungen von germ, -uz und -u(n) nach langer Silbe. Der Nom. Pl. -i geht auf -¡jwz zurück (vgl. oben § 156), dessen auslautendes -z fallen mußte und -u nach der vorausgehenden langen Stammsilbe schwand. Damit war ein Ansatz für den Anschluß an die auch im Geschlecht passenden femininen i-Stämme entstanden, der den Gen. Dat. Sg. und den Akk. PI. nach sich zog. Dagegen hielt sich im Dat. Pl. as. handum, ahd. hantum die alte Form der u-Flexion, bis erst spät as. handium, ahd. hentin als Einwirkung der i-Flexion mit analogischer Übernahme des Umlautes sichtbar werden, freilich noch ohne allgemeine Gültigkeit zu erlangen. Im Gen. PI. tritt neben ahd. henteo, hento nach dem Vorbild der i-Stämme schließlich unumgelautetes hando, das den Umlaut wohl nach dem Vorbild des umlautlosen Dat. PI. hantum meidet. Der endungslose Dat. Sg. as. hand, ahd. hant ist ebenfalls Einfluß der i-Stämme (s. o. § 151). Besser greifbar wird die u-Flexion bei den kurzsilbigen Stämmen, die ein Nebeneinander von Formen der u- und i-Deklination zeigen. Nom. Sg. as. sunu, -o, ahd. sunu, -o weisen auf germ. *-uz zurück. Während u in den Wörtern situ 'Sitte', fridu 'Friede', hugu 'Sinn', metu 'Met', sigu 'Sieg' erhalten bleibt, zeigen bei sunu nur mehr die ältesten frk. Quellen -u, sonst in Anpassung an den i-stämmigen Typus slag ahd. sun ; nur ohne -u bezeugt ist ahd. lid 'Glied'; neben hugu 'Sinn' steht hugi unter Angleichung an den Typus wini.
150
Substantivflexion
A k k . Sg. as., ahd. -u, -o weisen auf germ. *-u(n) zurück; sonst gelten die Formen des Nom. Sg. G e n . Sg. Das As. bietet nur Ausgänge auf -ies, ~eas nach der ja-Flexion; im Ahd. ist in den ältesten Quellen noch die Endung -δ belegt, die auf germ. *-auz zurückweist, also der gotischen Form entspricht; reguläre Form ist aber -es nach dem Vorbild der i-Stämme. D a t . Sg. I m As. ist noch in einigen Fällen ein Ausgang auf -o belegt, der aus älterem *-au entstand und gleicher Herkunft ist wie got. -au; daneben stehen Belege auf -u, was auf Übernahme der Akkusativendung weist. Sonst gilt neben dem -ie der ja-Stämme -e der a-Stämme. I m Ahd. kennen ältere Denkmäler noch die Endung -iu < germ. *-eu mit früher Kürzung aus *-êu (vgl. got. sunau); suni bei Isidor wird wohl hieraus gekürzt sein; sonst gilt -e in Analogie der i-Stämme. Da deren Singular seine Formen nach der a-Klasse bildet und j nach Konsonant früh schwindet, tritt bei dem alten Dativausgang -iu eine Vermengung mit dem Instrumentalis auf -u ein, so daß -iu auch instrumentalen Sinnes verwendet wird. Der daneben stehende Dativ-Gebrauch von -iu bei i-Stämmen (s. o. § 151), wird unter dem Einfluß der übertretenden uStämme entstanden sein. N o m . A k k . P l . As., ahd. -i im Nom. Pl. weist einerseits wie bei hendi, henti auf älteres -juz, wie es andrerseits Form der i-Flexion ist. Als Endung des Akk. PI. ist es eindeutig von der i-Flexion bestimmt. Daneben einmal als Akk. PI. frida (Ahd. Gl. 1, 694, 51) als Form der a-Klasse, einmal (Otfrit IV 5, 59) situ als Akk. Pl., das wie die i-stämmigen Akk. PI. wini, slegi Rest des alten Flexionsausganges -uns sein kann, wenn es nicht für siti verschrieben ist. I m G e n . PI. erscheint mit as., ahd. -io, eo, -o die Endung der i-Stämme, ebenso im D a t . P l . as. -iun, ahd. -im, -in, woneben as. -un alt sein kann, weil sonstige Anlehnungen an die a-Stämme zu fehlen scheinen. Bei ahd. fridun (Ahd. Gl. 1, 700, 54) wird man sich schwerer zu dieser Annahme entschließen, da hier ahd. Akk. PI. frida auf Einflüsse der a-Klasse weist. Das Neutrum as. fëhu, ahd. fihu 'Vieh' bewahrt im Nom. Akk. Sg. lautgesetzlich den schon idg. endungslosen Stammesauslaut. I m Gen. Dat. Sg. zeigen sich nur Formen der neutralen a-Stämme. 5. W u r z e l n o m i n a u n d V e r w a n d t e s § 158. Als konsonantische Deklination faßt m a n die Flexion solcher Substantiva zusammen, bei denen die Kasusendung entweder unmittelbar an die Wortwurzel t r a t (Wurzelnomina) oder an eine suffixiale Erweiterung, die auf einen Konsonanten endet, so daß hier also die Flexionsendung stets unmittelbar an einen Konsonanten tritt. Daher
Wurzelnomina §§ 157-159
151
ist auch die Flexion aller im folgenden (§§ 159-168) behandelten Klassen, was die ererbten Kasusendungen anbelangt, einheitlich. Im Bereich der Wurzelnomina und der in der Regel mit diesen zusammen behandelten suffixial erweiterten Substantiva wie got. waíhts 'Ding', dulps 'Fest', weitwops 'Zeuge', menops 'Monat' führt der Verfall der germanischen Endsilben zu sehr wesentlichen Einbußen, vor allem im As. und Ahd., wo nur mehr Flexionreste vorliegen. Das Gotische hat das ursprüngliche Paradigma vor allem bei den Feminina besser bewahrt. § 159. a) die femininen Konsonantstämme des Gotischen, got. baúrgs 'Stadt'.
Nom. Akk. Gen. Dat.
Singular
Plural
baúrgs baúrg baúrgs baúrg
baúrgs baúrgs baúrge baúrgim
Nom. Sg. idg. *-s als Endung bleibt bewahrt. Akk. Sg. idg. *-m > germ *-u(n), das nach lang- oder mehrsilbigem Stamm lautgesetzlich schwand. Für kurzsilbige Stämme fehlen gotische Belege. Gen. Sg. idg. *-esj-os im Ablaut; im Germanischen wurde wohl *-es verallgemeinert ; daraus got. -s. Dat. Sg. Zugrunde liegt der alte Lokativausgang idg. *-i, der bei den bezeugten lang- oder mehrsilbigen Stämmen schwinden mußte. Nom. Pl. idg. *-es > germ. *-ez, woraus mit Schwund des e got. -s. Akk. Pl. Die idg. Endung war *-ns, die germ. *-uns ergeben hätte. Die ursprüngliche Endung ist vom Nom. Pl. verdrängt. Gen. PI. idg. -öm. An seiner Stelle erscheint got. -e, wahrscheinlich nach dem Vorbild der femininen i-Stämme, die auch die Form des Dat. PI. bestimmt haben. Neben diesem Flexionssystem meldet sich auch hier bereits der Einfluß der femininen i-Stämme, so bei waíhts 'Ding', das einmal noch den Akk. PI. waíhts (Sk. 2, 11) kennt, in der Bibel aber die Form waihtins (L. 1, 1) zeigt, neben der der Gen. Sg. waihtais, der Dat. Sg. waihtai als reguläre Form gilt, während ein konsonantischer Genetiv nur mehr in der festen Wendung ni waíhts 'nichts' belegt ist; bei dulps 'Fest', für das neben dem i-stämmigen Gen. Sg. dulpais, dem Dat. Sg. dulpai ein konsonantischer Dativ dulp J 7, 14 und L. 2, 41 bezeugt ist. nahts 'Nacht' zeigt nur in der festen Wendung nahtam jah dagam den Dat. PI. auf -am in Anlehnung an dagam.
152
Substantivflexion
§ 160. b) die maskulinen Konsonantstämme des Gotischen. Sie sind wesentlich stärker zersetzt als die Feminina; überall begegnet bereits Einfluß der a- und i-Deklination. Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
reiks reikis reik reiks reike reikam
menons
*weitwoJ>s weitwoj)
meno}) menons menons menojwm
galiuga-weitwods weitwode
Von den belegten Formen gehören der Gen. Sg. reikis und der Dat. PI. reikam eindeutig zur a-Flexion; die Nom. Sg. reiks, menops, der Akk. Sg. weitwop und die Gen. PI. reike, weitwode können von der konsonantischen Flexion her bestimmt sein, scheiden sich aber nicht von denen der a-Klasse. Sicher konsonantisch sind die Dat. Sg. reik, menop, die Nom. Akk. PI. reiks, menops, galiugaweitioods, die zu den entsprechenden femininen Formen stimmen. Der Dat. PI. menopuni wird wohl ebenfalls eine ursprünglich konsonantische Form *menop-miz fortsetzen, bei der zwischen Wortstamm und Endung u als Übergangslaut eingetreten ist. § 161. c) die as. und ahd. Formen. Ein annähernd vollständiges Paradigma der konsonantischen Formen bieten nur mehr einige Feminina, aber auch hier ist das Vordringen von i-stämmigen Endungen deutlich zu erkennen.
Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
as. burg
ae. naht
burg burg burges burg, burgi burgi burgi burgo, -io burgun, -iun
naht naht nahtes naht, nahta naht naht nah to nahtun
ahd. naht naht naht naht, nahti naht, nahti naht naht nahto nahtum, nahtim
Nom. Akk. Sg. entstammen wohl der konsonantischen Flexion; durch den Endungsverfall gleichen sie den Formen langsilbiger i-Stämme und erleichtern den Übertritt in deren Flexion.
Wurzelnomina §§ 160-162
153
Gen. Sg. Im As. ist nur mehr ein Gen. der a-Deklination bezeugt, die Formen nahtes, burges sind also nach dem Typ tages geformt. Im Ahd. zeigt naht, bürg noch konsonantische Form, durch den Abfall der Endung aus älterem *-iz entstanden. Daneben stehen vereinzelt i-stämmige Formen wie nahti, häufiger burgi. Die adverbiell erstarrte Wendung (des) nahtes hat sich in Geschlecht und Endung dem korrespondierenden (des) tages angepaßt. Dat. Sg. Die endungslose Form der konsonantischen Stämme ist bei as. naht, bürg, magaÖ 'Magd', idis 'Weib', akus 'Axt', middilgard 'Welt.' gut bezeugt; flexionsfremde Formen stehen nur selten daneben, so burgi, idisi der i-Klasse, während der Dat. nahta wieder von daga her beeinflußt ist. Ebenso sind im Ahd. die konsonantisch gebildeten Dative nicht eben selten, häufiger belegt ist nur i-stämmiges burgi, während nahti, nahte noch selten bleibt, erst in frühmhd. Zeit häufiger wird, ohne sich durchsetzen zu können. N o m . Akk. Pl., ebenfalls lautgesetzlich endungslos geworden, erscheinen in as. naht, bök 'Bücher', magad 'Mägde' neben den i-Formen wie burgi, köi 'Kühe', idisi 'Weiber', böki 'Bücher'. Das gleiche Nebeneinander im Ahd., wo neben naht, buoh, bruoh 'Hosen', brüst, kuo Formen wie nahti, brusti, kuoi, ackussi 'Äxte' stehen. Gen. P L -o als Ausgang der konsonantischen Stämme steht as. nahto, burgo, ërito 'Erbsen', idiso, neben seltenerem -io der i-Flexion: burgio, idiseo. Im Ahd. herrscht -o, was in der Hauptmasse der Denkmäler auch aus älterem -io entstanden sein kann. Dat. PI. Während im As. -un der konsonantischen mit -tun der i-Stämme konkurriert (vgl. burgun : burgiun; bökun : bökiun), sind im Ahd. die i-Formen erst in späterer Zeit häufiger: ahd. nahtun, brudhhum, buohhum, brustum, sogar turun (zu turi 'Tür', das alter Konsonantstamm ist), i-Formen nur im nahtim, brustin, burgin. Bei den ursprünglich hierhergehörigen Maskulina ist der Übergang in die i- oder a-Flexion bereits vorliterarisch vollzogen. Nur Restformen sind zu erwähnen, die in ihrer Bildung denen der Feminina entsprechen, so Dat. Sg. ginös 'Genösse', Nom. Pl. ginö^ (neben Formen der a-Flexion), Dat. Pl. fuo^um, -un 'den Füßen' neben Formen der i-Flexion usw. § 162. d) got. manna, as., ahd. man 'Mann, Mensch'. Eine Mischung zwischen Formen der konsonantischen und der n-Flexion bietet die germanische Bezeichnung für 'Mann, Mensch', die in got. manna, as., ahd. man vorliegt. Seine Bildung, bei der -n- und -nn- im Stammesauslaut wechselt, ist im einzelnen unklar. Im As. wie im Ahd. dringen nach dem lautgesetzlichen Zusammenfall einzelner Formen Flexionselemente der a-Stämme in das Paradigma vor.
154
Substantivflexion
Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. SgSg. Sg. PI. PL PI. PI.
got.
as.
manna mannan mans mann mans, mannans mans, mannans manne mannam
man man mannes man, manne man, men man, men manno mannum
ahd. man man mannan man mannes man manne man (-)manna man (-)manna manno mannum
Nom. Sg. got. manna zeigt den Ausgang der maskulinen n-Stämme. Die as., ahd. Form kann auf eine alte konsonantische Bildung zurückgehen, gleicht aber durch ihre Endungslosigkeit völlig dem Nom. Sg. der a-Stämme und bietet damit eine der Einbruclistellen der a-Flexion. Akk. Sg. got. mannan ist wiederum nach der n-Flexion geformt. Der as., ahd. Akk. man kann auf germ. *mann-u(n) als konsonantisch gebildete Form zurückgehen, deren u nach langer Silbe schwand. Auch hier wird die Form durch die lautliche Entwicklung dem Akk. Sg. der a-Stämme gleich. Daneben zeigt das Ahd. vereinzelt die Form mannan, die pronominale Endung trägt; da diese pronominale Endung bei den Personennamen der a-Klasse üblich ist, dürfte sie ähnlich wie in ahd. truhtinan, cotan (s. o. § 143 Anm.), von dorther übernommen sein. Gen. Sg. got. mans wohl für älteres *mann-s ist eindeutig konsonantische Bildung; ahd. man, nur zweimal bei Otfrit belegt entspricht ihm völlig. Herrschende Form ist ahd. mannes, as. mannes, eine Bildung nach der a-Flexion, deren Geminata von der ursprünglichen Stammesgestalt *mann- bestimmt ist. Dat. Sg. got. mann, as. ahd. man ist als konsonantische Dativ-Lokativ Form für germ. *mann-i zu fassen. Neben ihr steht im As. und Ahd. die a-stämmige Bildung manne. Nom. Pl. got. mans setzt wie as., ahd. man die konsonantische Flexionsweise fort; as. men zeigt anglofriesische Lautgebung, wobei e auf die germ. Form *manniz weist. Daneben steht got. mannans als n-stämmige Bildung, korrespondierend zu dem Nom. Sg. manna. Das Ahd. kennt schließlich in Kompositen mit -man als zweitem Glied a-stämmige Formen, älter nur in gom-manna 'Ehemänner', später allgemeiner verbreitet. Akk. PI. Got. wie as., ahd. gelten die gleichen Formen wie im Nom. Pl. Gen. Pl. got. manne, as. ahd. manno sind Formen, die der konsonantischen mit der a-Flexion gemeinsam sind. Dat. PI. got. mannam zeigt wie bei reikam Übernahme der a-stämmigen Form, die hier wohl vom gleichartigen Ausgang der η-Stämme gestützt war. As., ahd. mannum wird der konsonantischen Flexion zugehören
155
nd-Deklination §§ 162-163
(vgl. oben fem. nahtum), wenn auch Formengleichheit mit der a-Klasse besteht. Das ahd. Kompositum gom-man 'Ehemann' zeigt neben der Flexion des Simplex gelegentlich abgeschwächte Formen, die zustande kamen, weil das Wort nicht mehr als Kompositum empfunden wurde. Hier erscheint dann -m-m- als einfaches -m-, a zu e abgeschwächt, die Geminata -nn- zu -η- vereinfacht, vgl. etwa Nom. Sg. gomen (Ν), Gen. gommants, gommenes usw. Zu den Komposita pronominalen Sinnes wie ioman, nioman vgl. § 182, 2 f. 6. D i e idg. - n t = germ. - n d - S t ä m m e . § 163. Die idg. Participia Praesentis Activi wurden mittels eines Suffixes idg. *-nt- gebildet, das im Germanischen mit grammatischem Wechsel als *-nd- erscheint. Während das germanische Partizip des Praesens seine alte Flexion aufgibt und im Gotischen im allgemeinen schwache Flexion, im As. und Ahd. die der ja-Stämme annimmt, erhält sich die ursprüngliche Flexion bei einer Reihe von Substantivierungen, wenngleich auch hier schon Einflüsse der a-Flexion spürbar werden. Der Typus umfaßt im Got. und As. noch eine größere Zahl von Wörtern, so got. frijonds 'Freund', fijands 'Feind', nasjands 'Heiland', allwaldands 'Allwalter' usw., as. friund 'Freund', fiond, flund 'Feind', neriand 'Retter', hëliand 'Heiland', waldand 'Herrscher' usw. Er ist aber im Ahd. weitgehend aufgegeben, so daß nur ahd. friunt 'Freund', fiant 'Feind' das reguläre Paradigma bewahren, andere Wörter nur noch Restformen kennen, während sonst die Substantivierungen die Formen des regulären Partizips zeigen, so ahd. nerrendeo 'Heiland', waltanto 'Herrscher' usw.
Nom. Akk. Vok. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
got.
as.
frijonds frijond frijond frijondis frijond frijonds frijonds fri j onde frijondam
friund friund friund friundes, -as friunde, -a friund, friundos friund, friundos friundo friundun, -on
ahd. friunt friunt friunt friuntes friunt, friunte friunt, friunta friunt, friunta friunto friuntum, -un, -on
Der N o m . Akk. Vok. Sg. fügt sich sowohl in das Flexionsschema der konsonantischen Stämme (vgl. oben § 159) als auch der a-Klasse, so daß eine eindeutige Zuweisung unmöglich ist, während der Gen. Sg. sich klar zur a-Deklination stellt. Im D a t . Sg. liegt in got. frijond und dem
Substantivflexion
156
vereinzelten ahd. friunt die Form der konsonantischen Flexion vor, deren auslautendes -i schwinden mußte. As. friunde wie die ahd. reguläre Form friunte zeigen Übergang zur a-Klasse. Im Nom. Akk. PI. bieten got. frijonds, as. friund, ahd. friunt und das schon seltene fiant die konsonantische Flexionsform, neben der as. friundos, friunda, ahd. friunta, fïanta als Formen der vordringenden a-Flexion erscheinen. Der Gen. PI. ist wie der Nom. Akk. Sg. doppeldeutig. Der Dat. PI. gehört im Got. sicher der a-Flexion zu, während die as. und ahd. Formen wieder doppeldeutig sind. 7. Die V e r w a n d t s c h a f t s n a m e n a u f -r. § 164. Eine Gruppe von Verwandtschaftsnamen zeigt seit idg. Zeit eine Stammesbildung auf -er, das in der Flexion durch Ablaut als -er, -r-, -r- erscheint. Die Wörter sind entsprechend dem natürlichen Geschlecht Maskulina oder Femmina. In den germanischen Sprachen gehören in diese Gruppe got. fadar, as. fader, ahd. fater·, as. möder, ahd. muoter-, got. daúhtar, as. dohter, ahd. tohter·, got. broftar, as. bröder, ahd. bruoder; got. swistar, as. swester, ahd. swester. got.
as.
ahd.
Nom. Sg. Akk. Sg. Gen. Sg.
bromar bromar brofirs
brööer, -ar, -or brööer, -ar, -or brööer, -ar, -or
bruoder bruoder bruoder
Dat. Sg.
brofir
brööer, -ar, -or
bruoder
Nom. Akk. Gen. Dat.
brojjrjus brojjruns broJ>re brojjrum
brööer, -ar, -or brööer, -ar, -or o. B. bröörun, brööarun
bruoder bruoder bruodero bruoderum
Pl. Pl. Pl. Pl.
fater fater fater fateree fater fatere fatera fatera faterò faterum
DerNom.Sg. got. bropar dürfte germ. *brôpêr idg. *bhrâtêr fortsetzen, das den endungslosen Stamm mit Dehnstufe des Auslauts zeigt (vgl. urn.run. swestar), ebenso as. brôôar, während as. brööer, ahd. bruoder die in den Nom. übernommene Akk.-Form sein wird. As. brödor fügt sich zu ags. brödor und zeigt in der Endsilbe Vokalassimilation nach dem ö der Stammsilbe. Im As. hat sich dann analogisch die Dreiformigkeit der Endsilbe in all den Kasus durchgesetzt, die keine Endung mehr zeigen. Akk. Sg. Got. bropar kann wie as. bröder, ahd. bruoder über germ. *bröf>eru(n) auf idg. *bhräter-m weisen, dessen -u nach dem mehrsilbigen Stamm schwand; im Got. wäre dann germ, -er -zu got. -or geworden,
r-Deklination §§ 163-164
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wie etwa in got. anfrar 'ander'. Doch gleichen die Formen völlig dem Nom. Sg. Gen. Sg. Got. broprs weist auf eine germ. Endung *-ez = idg. *-es nach schwundstufigem Stammesausgang (vgl. lat. fratrie). Auf die gleiche Form weisen auch as. broder, ahd. bruoder, fater, deren Ausgang sekundär dem Nom. Akk. Sg. angeglichen ist. Im Ahd. steht neben fater bereits der a-stämmige Gen. Sg. fateres schon im Hildebrandslied, doch hält sich die Form fater bis ins Mhd. Im D a t . Sg. haben got. bropr, as. broder, ahd. bruoder, fater das ursprüngliche *-i des idg. Lokativs lautgesetzlich nach langer Silbe verloren (vgl. griech. πατρί); auch hier wurde die endungslos gewordene Form im As. und Ahd. dem Nom. Akk. Sg. angeglichen. Ahd. falere belegt wieder den Einfluß der a-Flexion. N o m . Pl. Got. broprjus zeigt den Ausgang der u-Stämme, der infolge der Gleichheit beider Flexionen im Akk. und Dat. PI. eindrang. As.bröÖer, ahd. bruoder gehen auf germ. *bröf>er-ez zurück, dessen Endungssilbe lautgesetzlich schwand. Bei fater ist ahd. nur die Form der a-Klasse falera bezeugt, die bei bruoder nur vereinzelt begegnet (so bruodera Notker, mit Synkope des Mittelvokals nach langer Silbe bruodra Benediktinerregel, Otloh). Bei den Feminina dieser Klasse dringt in spätahd. Zeit die ö-Flexion ein und führt zu einer Form tohterä, der bei Notker tohterün nach dem Vorbild der femininen η-Stämme entspricht. Akk. PI. Got. broßruns weist auf ererbtes idg. *bhrätr-ns zurück, während die as. und ahd. Formen dem Nom. Pl. entlehnt sind. Daneben stets ahd. fatera, spätahd. bruodera, tohterä bzw. bei Notker tohterün wie beim Nom. Pl. Gen. Pl. Got. bropre zeigt bei schwundstufigem Suffix die im Got. verbreitete Endung -e; ahd. bruodero, faterò können auf den idg. Ausgang *-terôm zurückweisen oder idg. -*tröm mit sekundärer Ausweitung des vollstufigen Suffixes fortsetzen; da so entstandenes faterò sich zum Nom. Sg. fater verhält wie ahd. tag zu tago, dürfen wir in dieser Form eine jener Ansatzstellen sehen, durch welche die a-Deklination in das Paradigma eindrang. Bei den Feminina dieser Klasse erscheint spätahd. tohterôn nach den ö-Stämmen. D a t . PI. Got. broprum, as. bröÖrum < germ. *bröpru-miz dürfte die reguläre Fortsetzung eines idg. *bhrätr-mis sein, dessen r hier als -ruerscheint. Ahd. bruoderum, faterum zeigen die analogische Durchführung der volleren Ablautssilbe ; daneben stehendes pruadrum der BenediktinerRegel wird eher Synkope des e der Mittelsilbe zeigen als die germ. Form fortsetzen, da entsprechende Formen bei fater, tohter, sweater unbelegt sind. Auch hier führt die lautgesetzliche Entwicklung des Ahd. zur Formengleichheit mit der a-Deklination. Bei den Feminina erscheint spätahd. tohterön nach den δ-Stämmen.
Substantivflexion
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8. D i e n - S t ä m m e § 165. Die n-Deklination besteht aus Wortstämmen, die mit einem idg. Suffix -en- gebildet sind, das innerhalb der Flexion in allen Ablautstypen erscheint, also schwundstufig als η bzw. n, vollstufig als -en-,-on-, dehnstufig als -in-, -δη- greifbar wird, wobei die Dehnstufe im endungslosen Auslaut bereits idg. zu -ë resp. -ö vereinfacht werden kann. Der idg. Bildungstypus kennt Maskulina und Femmina, innerhalb der germanischen Sprachen sind auch Neutra hinzugekommen, die in der Stammesgestaltung den Femmina entsprechen, also wohl aus ihnen entstanden sind. I n den ererbten Flexionsendungen sind alle drei Genera einander gleich, soweit nicht der neutrale Nom. Akk. PI. seine ererbten Ausgänge beibehielt. Die stärkere Scheidung der Maskulina von den Femmina innerhalb des Germanischen entsteht durch verschieden starke Bewahrung des idg. Suffixablauts. a) Die Maskulina. Paradigma got. hana, as., ahd. ha.no 'Hahn'. got. Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
hana hanan hanins hanin hanans hanans hanane hanam
as. hano, -a hanun, -on, -an, -en hanen, -tin, -on hanen, -an, -on hanun, -on, -an hanun, -on, -an hanono, -ano hanun, -on
ahd. hano hanun, -on, -an, -en hanen, -in hanen, -in hanun, -on hanun, -on, -an hanöno hanöm, -δη
N o m . Sg. Got. hana kann in seinem Auslaut sowohl auf germ.-idg. -ë als auch -δ als Stammesauslaut weisen, der endungslos war. Nordgerm, -e aus -ä < idg. -ê legt den gleichen Ausgang fürs Gotische nahe; as., ahd. -o setzen dagegen ererbtes *-o fort. Die as. Ausgänge auf -a zeigen anglofriesische Lautgebung. Ahd. -o wird erst im 11. J h . zu -e abgeschwächt. A k k . Sg. Got. -an ist aus älterem *-anu(n) entstanden, das auf idg. *-on-m weist; -u ging nach dem ja stets mehrsilbigen Stamm verloren. As. stehen -un, -on neben -an ; vereinzeltes -en dürfte dem Gen. Dat. Sg. entstammen. I m Ahd. entsprechen -on und -un, von denen -on vorwiegend in fränkischen, -un in obd. Denkmälern des 8. und 9. J h s . belegt ist. Beide werden über älteres *-onu(n) auf idg. -*on-m zurückführen, dessen o vor η in der nebentonigen Silbe als o oder u erscheint. Dem As. -an entspricht auch ahd. vereinzeltes -an ; die gleichen Varianten -on-, -un neben -an erscheinen im As. auch im Nom. Akk. Pl., ebenso wie im Gen. PI. dort neben -ono auch -ano zu belegen ist. Dies legt nahe,
n-Deklination § 165
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in -an den anglofriesischen Lautstand zu sehen, wo das Ags. stets die Entwicklung zu -an bietet. Die ahd. Doppelheit -on, -un geht im 10. Jh. über die allgemeine Zwischenstufe -on in -en über, das etwa im Alem. Notkers gilt. Gen. Sg. Got. -ins, as. -en, ahd. -en, -in weisen auf vollstufiges idg. *-en-, dem der Genetivausgang idg. *-es oder *-ös folgte. Der Vokal der alten Endung ist im Got. geschwunden. Im Ahd. mag der Wechsel -en : -in, wovon -en ibes, den fränkischen, -in ibes, den obd. Denkmälern eignet, auf ein altes Nebeneinander von germ. -*in-iz (< idg. *-en-es) und *-en-az ( sie 'Sieg', mëte > met 'Met', höuwe > höu 'Heu', göuwe, gouwe > göu, gou 'Gau' u. a. m. Ebenso weicht in mhd. Zeit der Typus der Nomina agentis auf -cere zunehmend dem auf -er.
2. Die Gleichheit des Paradigmas bei den alten a- und i-Stämmen führt weiter zur Übertragung des Pluralumlautes auf alte a-Stämme; so steht neben ahd. halsa, mhd. helse 'Hälse', neben ahd. kamba : mhd. kembe
'Kämme' oder neben den Pluralen mhd. gedanke 'Gedanken', kränze 'Kränze', napje 'Näpfe', wagen 'Wagen' stehen bereits mhd .gedenke, krenze, nepfe, wegen usw. Doch setzt die Neigung, den Umlaut zur Charakterisierung des Plurals zu verwenden erst in mhd. Zeit ein und zeigt noch nicht das Ausmaß des Nhd. (s. u. § 170). 3. Innerhalb des Endungssystems zeigen sich beim maskulinen Paradigma wenig Sonderheiten. Bei Personennamen hat der Akk. Sg. nicht selten den Ausgang -en, der ahd. -an (s. o. § 143, Anm. 1) fortsetzt. Diese Endung wird in mhd. Zeit nach dem Vorbild der schwachen Flexion auch auf den Dativ übertragen. Obd., vor allem alem. Quellen übernehmen seit dem 13. Jh. auch für den Gen. PI. die schwache Endung -en. Stärkere Umformungen erfährt der Plural der Neutra. Hier greift die Pluralerweiterung -er analogisch weiter um sich, wie umgekehrt, wenn auch seltener, die endungslose Pluralbildung des Typs mhd. wort in den Kreis der alten er-Plurale eindringt, so daß etwa einerseits neben den alten Pluralen kint, kleit die neuen kinder, kleider, andrerseits neben altem rinder, bleter die neuen Plurale rint, blat zu belegen sind. Die Neutra des Typs I I werden erst spätmhd. und nur vereinzelt von dieser Erweiterung erfaßt, die Maskulina noch nicht, doch halten sich hier die er-Plurale bei den ursprünglichen Neutra got : göter\ wiht : wihter. Ferner zeigt der Nom. Akk. PI. der Neutra des Typ I in Anlehnung an die Maskulina seit dem 12. Jh. in md. Quellen in zunehmendem Maß den Ausgang -e, soweit nicht die Ausdrängung gilt : also wort : warte aber PI. waföer, zeichen ; her, spil neben seltenerem here, spile. Später dringen
die -e Formen auch ins Obd. ein. Auf diese Weise gleicht sich die maskuline und die neutrale Flexion im Typus I völlig aus. Im Alem. gilt bei den Deminutiva auf -i(n) noch der alte Nom. Akk. PI. auf -tu (vgl. o. § 143b) neben dem allgemein verbreiteten endungslosen Plural auf -in. Auch hier stellen sich, ibes, im Md., flektierte Formen wie vogeline daneben. 4. Schließlich werden in mhd. Zeit auch die Maskulina der konsonantischen Reststämme (vgl. o. §§ 158ff.) stärker in die starke Flexion ein-
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Substantivflexion
bezogen. Die konsonantische Flexion, die ja schon ahd. nur mehr in Restformen greifbar ist, zeigt in der Hauptmasse der Belege die Ausgänge der starken Flexion. Konsonantische Restformen wahrt noch der Dat. Sg. und Nom. Akk. PI. genöj, doch nur in festen Wendungen wie ir geriôs 'ihresgleichen', der engel genö3 'engelgleich', während der eigentlich substantivische Gebrauch entweder die starke Form genö3, gendres usw. oder die schwache flektierende genome, genäsen kennt. Sonst erscheint bei dem ursprünglichen Konsonantstamm /moj noch gelegentlich der alte umlautlose Dat. PI. in Wendungen wie ze fuo^en, gein fuo^en neben regulärem fiie^en. Vielleicht ist hierher auch zu stellen der endungslose Dativ Sg. in Wendungen wie ze /woj (s. o. § 161). Bei den nd-Stämmen mhd. vriunt, vient gilt die starke Flexion, nur als Nom. Akk. PI. erscheint vereinzelt noch vriunt. Konservativer bleibt die Flexion der alten Verwandtschaftsnamen voter und bruoder, wo sich die Ausgänge auf -e wegen der Ausdrängungstendenz nach -er nicht durchsetzen können. Im Gen. Sg. bleibt altes vater, bruoder neben vaters, brnoders bestehen und ist gebietsweise herrschend, so daß etwa im Spätbair. andere Substantiva auf -er danach den Gen. Sg. endungslos bilden (vgl. o. Abs. l e heiser, meister usw.). I m Plural erscheint neben vater, vatern umgelautetes voter, vätern, während neben bruoder, bruodern umgelautetes, brüeder, briiedern erst spätmhd. üblich geworden ist. Das Substantiv man 'Mann' zeigt folgende Formen : Sg. N o m . A k k . man; Gen. man, mannes-, D a t . man, manne P l . N o m . A k k . man, manne-, Gen. man, manne; D a t . man, mannen. Der Sg. setzt also die ahd. Formendoppelheit fort. Im Plural ist der Nom. Akk. manne Neubildung nach dem Vorbild tac : tage. Der Gen. Dat. man kann in Gebieten mit starker Ausdrängungstendenz aus älterem manne, mannen entstanden sein oder er kann entsprechend der weitgehenden Endungslosigkeit dieses Nomens neugebildet sein. § 170. b) Das nhd. Paradigma. Der mhd. Flexionstypus I zeigt bei Maskulina und Neutra ein sehr starkes Nachleben. Innerhalb der Endungen setzt die frühnhd. Zeit zunächst noch das regellose Nebeneinander von Formen mit und ohne e in den Endsilben fort, bis seit dem 17. Jh. die Neigung, die vollere Endung zu setzen im mitteldeutschen, vor allem im ostmitteldeutschen Bereich zunimmt, eine Tendenz, die von Grammatikern der Schriftsprache aufgegriffen wird und zur heute schriftsprachlich üblichen Regelung führt. Im Singular bleiben der N o m . und A k k . ohne Endung. Der Gen. zeigt bei allen einsilbigen Stämmen stets den Ausgang -es, außer bei Substantivierungen und bei Fremdwörtern, für die -s gilt : ¿Íes
Nhd. starke Maskulina und Neutra §§ 169-170
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Tages, Stieles, Heeres, Balles, auch des Sees, des Schuhes, aber stets des Seins, des Tuns, des Ichs und des Films, des Sports, woneben vereinzelt des Filmes, des Sportes als überkorrekte Schreibformen stehen. Reste des bis ins 18. Jh. hinein bei allen Einsilblern nicht seltenen Ausganges -s finden sich hochsprachlich nur in festen Wendungen wie von Rechts wegen, Tags darauf, Manns genug oder adverbiell erstarrt in Fällen wie keineswegs, unterwegs, flugs usw. Bei mehrsilbigen Stämmen gilt nach den Ableitungssilben -el, -er ,-en, -em, -chen, -lein nur -s, ebenso ist es auch bei anderen Mehrsilblern möglich, so eines Mittags, des Bergmanns ; doch erscheint -es stets nach Wortausgängen auf -s, -sch, -ss, -(t)z : Gefängnisses, Gemisches, Tanzes, Antlitzes usw. und ist auch dort beliebt, wo das Wort bereits auf mehrere Konsonanten endet : Anstandes, Entgeltes u. a. Im Dat. ist -e seit der mhd. Zeit im Abnehmen, wenn auch die schriftsprachliche Regelung zwischen 1700 und 1900 immer wieder versucht, -e durchzusetzen. Es erlangt schriftsprachlich keine Geltung nach den Ableitungssilben -er, -el, -em, -en und wird auch in mehr als zweisilbigen Wörtern gemieden. Bei Einsilblern fehlt es bei vokalischem Auslaut: dem See, dem Bau, ebenso dem Schuh, dem Vieh, bei zweisilbigen meist nach vollem Vokal der zweiten Silbe: dem Monat, im Vorteil, am Montag, dem Bergmann. Auch in festen präpositionalen Wendungen fehlt der Auslaut -e oft: vgl. mit Gott, mit Witz und Verstand, von Haus zu Haus, aus Zorn, zu Schiff usw. In den übrigen Fällen schwankt der Sprachgebrauch, wobei vor allem in gehobener Sprache oft rhythmisches Empfinden für das eine oder das andere entscheidet. Im Plural wächst seit mhd. Zeit die Tendenz zum Umlaut des Stammvokals bei den Maskulina stark an; die umlautslosen Plurale stehen oft bis ins 18. oder frühe 19. Jh. daneben; so Schwärme : Schwarme-, Kähne : Kahne·, Höfe : Hofe. Auch bei zweisilbigem Stamm kann der Plural-Umlaut zur Regel werden: so Handel : Händel·, Mangel : Mängel·, Vogel : Vögel, Schwager : Schwäger, ferner bei solchen, die aus der schwachen Flexion in die starke übergingen wie Garten : Gärten, Graben : Gräben, Anwalt : Anwälte. Schließlich greift der Umlaut auch bei jüngeren Fremdwörtern Platz: Paß : Pässe; Marsch : Märsche. Bei den Neutra ist der Umlaut selten: er gilt heute schriftsprachlich nur bei Kloster : Klöster und bei Floß : Flösse, das altes Maskulinum ist. Sonst konnten sich Umlautsplurale des 17. und 18. Jhs. nicht durchsetzen (z. B. Boot : Böte; Brot : Bröte, Tor : Töre u. ä.). Wasser zeigt in der Fachsprache des Bergbaues und der Wasserkunde den Plural Wässer, der nur im Kompositum Abwässer schriftsprachlich gilt. Stärker kommt bei den Neutra die schon mhd. greifbare Tendenz, den Plural durch -er zu erweitern, zur Geltung; bei umlautsfähigem Vokal zeigt der Stamm in der Regel Umlaut: so Bad : Bäder-, Buch : Bücher-, Dorf : Dörfer usw. Die alten Plurale auf -e stehen oft bis ins 18. Jh.
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Substantivflexion
daneben, so Bade, Felde, Gewände, Buche ; neben Haupt : Häupter bleibt etwa die Wendung zu Häupten usw. In vielen Fällen zeigt das 17. und 18. Jh. aber auch Pluralbildungen auf -er, die in der modernen Schriftsprache keine Geltung erlangten, so etwa Beiner, Gewölber, Hemder, Bösser usw. Von der Pluralbildung auf -er werden auch solche Neutra erfaßt, die durch späten Verlust des -e aus dem Flexionstypus II in den Typus I übertraten, so Bild : Bilder-, Geschlecht : Geschlechter, Gemüt : Gemüter u. a. In einer Reihe von Fällen bewahrt die Schriftsprache die frühere Doppelheit der Pluralbildung bei Differenzierung der Bedeutung, so Worte : Wörter, Gesichte : Gesichter, Tuche : Tücher, Lande : Länder·, Bande : Bänder usw. Von den Neutra greift die Pluralerweiterung auf -er auch auf die Maskulina über, so bei Geist, Leib, Rand, Schild, Strauch, Wald u. a. m. Diese Ausweitung wird im 16. Jhd. deutlicher sichtbar, die alten Plurale gelten teilweise bis ins späte 18. Jh. daneben. Im Bereich der Endungen wird die Pluralflexion durch die Entwicklung gespalten. Die Plurale mit der Erweiterung -er bleiben ebenso wie die zweisilbigen Bildungen auf -er, -el, -en im Nom. Akk. Gen. PI. endungslos, der Dat. endet auf -n. Die übrigen zeigen im Nom. Akk., Gen. den Ausgang -e, im Dativ -en. Auch hier bahnt sich die Vereinheitlichung der Endungen im 17. Jh. an, wird aber erst unter dem Einfluß der Grammatik und der Sprachregelung im 18. Jh. fest. Der Gen. PI. auf -en (vgl. § 169, 3) bleibt auf obd. Boden bis ins 18. Jh. hinein auch schriftsprachlich üblich. Er gilt heute nur in erstarrten Wendungen wie allerorten, allerwegen. Der mhd. Typus II ist bei den Maskulina bereits in mhd. Zeit im Schwinden. Seine größte Bildungsgruppe, die nomina agentis auf mhd. -cere gehen in Bildungen auf -er über (s. o. § 169, lg), schlagen sich also zur Gruppe I. Die daneben stehenden Einzelbildungen gehen meist in andere Flexionstypen über, so mhd. küte : Kitt-, mete : Met; sige : Sieg, die schon mhd. die Formen küt, met, sic neben sich haben. Mhd. weize zeigt neben starkem weiz, das bis ins 17. Jh. hinein häufig ist, auch die schwache Flexion, aus der sich im 19. Jh. das wiederum stark flektierende schriftsprachliche Weizen formt (s. u. § 171); mhd. vride mit der starken Nebenform writ (vgl. Störenfried), zeigt schon mhd. schwache Formen, ebenso hirte, rücke, schate-, sie bleiben nhd. teilweise in der schwachen Flexion (so Hirte : Hirten, Friede : Frieden), teilweise formen sie sich erneut zu starken Bildungen auf -en um (so Frieden : Friedens-, Rücken : Rückens, Schatten : Schattens), mhd. hirse, imbe 'Biene', site 'Sitte' werden Feminina gemischter Flexion. Als einziges Maskulinum bleibt mhd. kœse : Käse dem alten Typus voll erhalten. Bei den Neutra ist ebenfalls eine starke Reduzierung des Bestands eingetreten. Wörter wie mhd. bette : Bett, Mme : Hirn, kinne : Kinn,
Mhd.-Nhd. schwache Maskulina und Neutra §§ 170-171
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kriuze : kreuz, netze : Netz, riche : Reich zeigen schon mhd. die verkürzten Formen bett, him, kinn, kriuz, netz, rieh, andere wie mhd. bilde, gesiebte usw. erfahren diese Verkürzung erst in frühnhd. Zeit. Andere haben wieder feminines Geschlecht angenommen, das teilweise schon mhd. gilt, so mhd. meere, swelle, tenne. So bleibt von Simplizia nur das ausschließlich singularisch gebrauchte Neutrum Erbe erhalten und der Singular von Ende, dessen Plural schwach flektiert, ferner die mit der Vorsilbe Ge- gebildeten Kollektiva, sofern ihr Wortstamm auf -b, -d, -g, -s endet : Getriebe, Gewebe, Gebäude, Gemenge, Gehäuse u. a. und außerhalb dieser Regel Gefalle, Gerippe, während die übrigen teils mhd., teils später das auslautende -e verloren und zum Typ I übertraten (vgl. Gebein, Gestell, Geschrei, Gesetz, Gesicht). Hinzu kamen die jungen deverbativen ge-Bildungen meist abschätzigen Sinnes, wie Gesinge, Gerede, Getue, Gerenne (aber auch mit -el, er gebildet Gedudel, Geplapper, Gefasel). 2. Die E n t w i c k l u n g der schwachen D e k l i n a t i o n bei Maskulina und Neutra § 171. Die sogenannte schwache Flexion des Mhd. setzt die alte n-Flexion fort, die im Ahd. für Maskulina und Neutra je ein Paradigma kennt Mask. ahd. Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
boto boton boten boten boton boton botöno botón
Neutr. mhd.
bote boten boten boten boten boten boten boten
star starn starn starn starn starn starn starn
ahd.
mhd.
hërza herza herzen hërzen hërzon hërzon hërzôno hërzon
hërze hërze hërzen hërzen hërzen hërzen hërzen hërzen
Die ahd. Flexion bleibt im Mhd. ungestört, nur erfährt der volle Vokalismus der Endsilben die lautgesetzliche Abschwächung, und die Ausstoßung von -e führt zum Nebeneinander zweier Varianten, deren eine e der Endsilben in der Regel erhält, deren andere es ausstößt. Bei den sehr zahlreichen Maskulina gehören zur e-losen Variante die Einsilbler auf -r, -I wie kol 'Kohle', star 'Star', weiter die zwei- und mehrsilbigen auf -el, -er, -en, -em, bei denen Länge oder Kürze der ersten Stammsilbe die gleichen Verhältnisse schafft wie bei den starken Substantiven (s. o. § 169, l b ) : jünger 'Jünger', hoher(e) 'Hafer', bësem(e) 'Besen', nabel(e) 'Nabel' ; bei den Ableitungen auf -en(e) schwindet mit der Abstoßung von -e jede Veränderungsmöglichkeit der Kasus : gevangen
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Substantivflexion
'der Gefangene', beiden 'Heide', kristen 'Christ'. Das Weitergreifen der Abstoßung führt in mhd. Zeit zu einer starken Vermehrung dieses Typs, so schon mhd. grife, grif 'Greif', mensche, mensch·, spatze, spatz; leime, leim 'Keim' ; lichame, licham 'Leichnam, Körper' ; in frühnhd. Zeit folgen andere nach, so junkere : Junker-, blitze : Blitz, grise : Greis usw. Durch diese Entwicklung wird der Nom. Sg. dem der starken Flexion gleich, was teils schon mhd., teils erst später zum Auftreten starker Kasusbildungen führt; so mengen sich schon mhd. starke Formen unter die schwachen bei Wörtern wie bëseme, bësem 'Besen', habere, haber 'Hafer', gemahel, gemahele 'Gemahl' u. a. m., in frühnhd. Zeit vermehrt sich die Zahl der doppelflektierenden noch erheblich und bei vielen ursprünglich schwach flektierenden gilt heute schriftsprachlich die starke Flexion I. Typs, wobei des öfteren Komposita im ersten Bestandteil noch schwache Formen erhalten haben: vgl. April, Mai (Maien-zeit), März (Märzen-bier), Groll, Hafer, Junker, Nabel, Reif, Schelm (Schelmen-stück, -streich), Stern (Sternen-nacht), Greis (Greisen-alter) ; teilweise übernehmen so stark gewordene auch den Pluralumlaut, so Anwalt, Herzog, Hahn, Schwan. Bei anderen stellt sich in der Schriftsprache eine Mischflexion ein, bei der der Singular starke, der Plural schwache Formen zeigt, so Vetter, Vetters : PI. Vettern ; Schmerz, Schmerzes : PI. Schmerzen ; Psalm, Psalms : Psalmen. Einige ursprünglich stark flektierende haben sich dieser Gruppe heute angeschlossen: Dorn: PI. Dornen, im 18. und 19. Jh. noch Dorne und Dörner, schwache Pluralformen seit dem 16. Jh. belegt; Staat, PI. Staaten ; andere schwanken im Plural, so Mast, PI. Moste, Masten ; Pantoffel : PI. Pantoffel, Pantoffeln. Im Sg. schwanken bei schwachem Plural : Nachbar, Gen. Nachbars oder Nachharn : PI. Nachbarn ; Pfau, Gen. Pfaus oder Pfauen, PI. Pfauen ; Spatz, Gen. Spatzes oder Spatzen, PI. Spatzen. Wo -e im Nom. Sg. erhalten bleibt, führt die Gleichheit der Paradigmen auch zum Vordringen femininen Geschlechts. So zeigen etwa mhd. bluome, dille 'Dill', gride, snäke 'Mücke', sprone 'Sprosse', trübe 'Traube' schwache Flexion bei maskulinem wie femininem Genus, vane ist im Md. starkes Femininum geworden, auch bei seite 'Saite' sind starke wie schwache Femininformen neben den schwachen maskulinen greifbar. Später folgen andere nach, so daß heute eine Reihe ursprünglich schwacher Maskulina zur gemischten Femininflexion gehören, so Borte, Brille, Flocke, Knospe, Niere, Schlange, Schnecke, Wade u. a. m. Seit dem 15. Jh. tritt neben den Gen. Sg. auf -en der Ausgang -ens, der das -s der starken Flexion zur besseren Charakterisierung des Kasus übernimmt. Diese Form konkurriert bis ins frühe 19. Jh. mit dem historischen Ausgang auf -en, wird dann aber wieder zurückgedrängt und ist heute schriftsprachlich auf wenige Fälle beschränkt, so Name : Namen(s), Friede : Frieden(s), Buchstabe : Buchstabenfs); üblich ist er im
Mhd.-Nhd. schwache Maskuline und Neutra § 171
173
genetivischen Kompositum (vgl. Namenstag, Friedensvertrag und zu dem bis ins 18. Jh. hinein schwache Singularformen zeigenden Schmerz : Schmerzensgeld), wo das -s sich zux besseren Sprechbarkeit hält. Das Aufkommen dieser Genetivbildung schafft eine sehr weitgehende Formengleichheit mit den starken Substantiva auf -en, da etwa ein Paradigma Balke, Gen. Balkens-, Dat. Akk. Sg. und der ganze Plural Balken von einem starken des Typs Wagen, Gen. Wagens, Dat. Akk. Sg. und der ganze Plural Wagen nur mehr im Nom. Sg. differiert. Indem dieser den Ausgang -en übernimmt, schließen sich ursprünglich schwache Substantiva dem starken Paradigma an, das so seit dem 16. Jh. laufend Zuwachs erfährt, so etwa Ballen, Bissen, Bogen, Kragen, Rasen, Schinken u. a. m. Auch hier kommt es zu umlautenden Pluralformen etwa bei Garten, Graben oder mit bedeutungsverschiedener Doppelheit Bogen : Bögen, Laden : Läden. Bei anderen schwankt die schriftsprachliche Form des Nom. Sg., so Fels : Felsen-, Friede : Frieden-, Funke : Funken ; Gedanke : Gedanken ; Glaube : Glauben ; Haufe : Haufen ; Name : Namen·, Wille : Willen. Nhd. Ausgänge auf -en zeigen z. T. auch solche Substantiva, die ursprünglich starke des Typs I waren, in mhd. Zeit aber zur schwachen Flexion übertraten, von wo aus sie wieder zu starken en-Bildungen wurden, so etwa mhd. nac stm. 'Nacken' mit der schwachen Nebenform nacke, die im 17. Jh. den Nom. Nacken nach sich zieht; mhd. nuz stm. mit der schwachen Nebenform nutze und weiter zu Nutzen (aber Eigennutz, Nutznießung, nutzlos), mhd. reif stm. neben reife swm. heute mit Bedeutungsdifferenzierung Reif und Reifen. Schließlich erscheinen für mhd. schwache Maskulina heute schriftsprachliche Doppelformen zwischen starken Maskulina auf -en und gemischt-flektierenden Feminina auf-e: so Backen : Backe·, Socken -.Socke; Karren : Karre·, Zacken : Zacke. In der Flexion beginnt sich mit dem ausgehenden 16. Jh. -en im Gen. Dat. Akk. Sg. und im ganzen Plural durchzusetzen, auch da, wo der Nom. Sg. -e verloren hat; heute gilt es schriftsprachlich allgemein, nur bei Herr konkurrieren Herrn und Herren. Die Gruppe der schwachen Neutra ist stets klein geblieben. Aus dem Ahd. überkommen sind nur mhd. hërze, ouge, wange und ör(e), das zwischen -e-Ausgang und Endungslosigkeit schwankt. Die mhd. Formen setzen die ahd. fort. Bei herze gilt teilweise auch im Nom. Akk. PI. die Form hërze, wie schon ahd. der Singular hërza als Nom. Akk. PI. erscheint. Seltener ist das gleiche bei ouge, wange. Dies führt zur gelegentlichen Übernahme von Pluralformen der Neutra des Typs II, die wohl nur lokale Geltung gehabt haben. In frühneuhochdeutscher Zeit dringen bei Auge und Ohr starke Singularformen ins Paradigma, die sich dann schriftsprachlich durchsetzen, während der Plural schwach bleibt; die gleiche Mischflexion übernehmen die ursprünglich starken Neutra Bett,
174
Substantivflexion
Ende, Hemd. Bei Wange setzt sich das in md. Quellen schon in mhd. Zeit begegnende feminine Geschlecht durch. So hält sich nur bei Herz die schwache Deklination, die im Gen. Sg. zwischen Herzen und Herzens schwankt. 3. Die E n t w i c k l u n g der F l e x i o n bei den F e m i n i n a § 172. a) Die Ausformung der starken Flexion des Mittelhochdeutschen. Die starken Feminina des Mhd. erwachsen aus den alten ö-Stämmen, die durch die Abschwächung der vollen Endsilbenvokale auch die ahd. Adjektivabstrakta und Nomina actionis auf ahd. -I aufnehmen, und den femininen i-Stämmen. ö-Stämme ahd. Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
farwa farwa farwa farwu farwa farwa farwöno farwön
ïn-Stâmme
mhd. varwe varwe varwe varwe varwe varwe varwen varwen
zal zal zal zal zal zal zaln zaln
i-Stämme
ahd.
mhd.
ahd.
höhl höhl höhl höhl höhl höhl höhino höhin
hcehe hcehe hcehe hcehe hcehe hcehe hcehen hcehen
kraft kreft krçfti kiefti krçfti krçfti krçfto kreftin
mhd. kraft kraft krefte, kraft krçfte, kraft krefte krçfte krçfte krçften
Bei den δ-Stämmen tritt durch die Ausstoßung von -e der Endsilbe wiederum eine Spaltung ein. Ausstoßung erscheint : a) bei den einsilbigen auf -r, -l regelmäßig bei kurzem Stammvokal : wal 'Wahl', nar 'Nahrung', scher 'Schere', seltener und dann vor allem obd. nach langer Stammsilbe hell(e) 'Hölle', ll(e) 'Eile', êr(e) 'Ehre', mür(e) 'Mauer'. Bei den Einsilbigen auf -m, -n ist die Abstoßung im Obd. häufig, im Md. selten: scham(e) 'Scham', man(e) 'Mähne', won(e) 'Gewohnheit'. b) bei den mehrsilbigen auf -en zeigen die mit langer erster Silbe regelmäßig Ausstoßung und damit Flexionslosigkeit, so kiichen 'Küche', metten 'Mette', versen 'Ferse'; die mit kurzer Stammsilbe schwanken: lügen(e) 'Lüge', keten(e) 'Kette', ebenso bei -er, -el: vëder(e)'Feder', rëgel(e) 'Regel'. Bei den movierten Feminina schwankt der mhd. Ausgang zwischen -inne und -in im Paradigma des Singulars. Dabei setzt der Ausgang auf -in die ahd. Form des Nom. Sg. fort, die schon dort vereinzelt in den Akk. Sg. dringt und mhd. in allen Singularkasus erscheinen kann, während -inne des Nom. Sg. gleich dem ahd. Akk. Sg. ist, der seit dem 11. Jh. auch im Nom. Sg. erscheint (s. o. § 148). Im Plural gelten im Nom. Akk. -inne, im Gen. Dat. -innen, die regulären Fortsetzer der ahd. Flexion.
Mhd. starke Femmina § 172
175
Bei den wö-Stämmen haben die regulär flektierenden Formen auf mhd. -we solche ohne w neben sich, sofern Vokal vorausgeht, wie vereinzelt schon ahd., so bräwe 'Braue' : Sg. brä, PI. brä, brän\ kläwe 'Klaue' ; Sg. klä, PI. klä, Iclän-, ëwe 'Gesetz' : ë; diuwe 'Dienerin' : diu·, drouwe, dröuwe 'Drohung' : drou, dröu oder drö. Neben swalwe 'Schwalbe' erscheint aus *swale verkürztes swal. Die In-Stämme sind infolge der Abschwächung völlig mit der δ-Flexion zusammengefallen. Die Situation der Ausstoßung ist selten gegeben, so etwa, mhd. vinster < ahd. vin.strl 'Finsternis'. Bei den Kasusendungen halten sich vollvokalische Nom. Akk. PI. auf -a, Gen. Dat. PI. auf -on im Alemannischen bis in die mhd. Zeit, bei den In-Stämmen bietet das Bair. wie Alemannische Belege für -In in allen Kasus; sie setzen die auch fürs Ahd. bezeugten Iii-Formen in Sg. und Pl. fort (s. o. § 168). Die schon im Ahd. bezeugten erstarrten oder auf feste Wendungen beschränkten endungslosen Formen ÖMOJ, stund, wis, sit bestehen in gleichem Umfange weiter, ebenso die endungslosen Nom. Sg. bei den Eigennamen auf -gunt, -hilt, -lint, -rün, -trüt, -bure, -he.it, -rät·, sie dringen nach der sonstigen Gleichheit zwischen Nom. und Akk. in den Akk. vor und werden selten auch als Gen. und Dat. gebraucht; ebenso lebt bei den Verbalabstrakta der Nom. Sg. ahd. -ung als mhd. -une weiter neben mhd. -unge — ahd. -unga. Im Gen. PI. der Lehnwörter aventiure 'Abenteuer', kröne, mile 'Meile', rotte 'Schar', ünde 'Woge', raste 'Rast', strale 'Pfeil' erscheint der Ausgang auf -e teils als ausschließliche Form teils neben -en. Der gleiche Ausgang im Gen. PI. bei Wörtern wie varwe 'Farbe', bei leie, slahte, wo er besonders bei allgemeinen Artangaben nicht selten ist, ist dem gleichartig verwendeten hande nachgebildet. Die Vermengung der starken ö-Flexion mit der schwachen δη-Flexion, die schon ahd. nicht selten ist, nimmt in mhd. Zeit zu, vor allem im md. Bereich, wo die meisten Konkreta doppelte Formen zeigen, seltener die Abstrakta, wo die schwache Flexion dann häufiger erscheint, wenn die Abstrakta personifiziert werden. Die Flexion der i-Stämme hat noch weitergehend als in ahd. Zeit die Formenbildung der konsonantischen Stämme aller Art und des u-Stammes hant bestimmt. Mhd. hant zeigt neben einem durchgängigen Paradigma des Typs kraft noch häufig den Dat. PI. handen = ahd. hantun, ferner in festen Wendungen einen Gen. Sg. und PI. hande. In ihm lebt vielleicht der ahd. noch greifbare Gen. Sg. auf -ö nach, der dann aus singularischen Wendungen wie mhd. einer hande, guoter hande in pluralische wie zweier hande, aller hande, maneger hande übertragen worden wäre. Der Konsonantstamm naht bewahrt im Sg. und PI. endungs- und umlautslose Flexion neben i-stämmig gebildetem Gen. Dat. Sg. nehte, die
Substantivflexion
176
sich schon ahd. ankündigen. Im Plural konkurriert naht, Dat. nahten mit den umgelauteten Formen nach dem Vorbild der i-Klasse. Der endungslose Plural brüst neben brüste, brüste ist bereits selten. Bei den Verwandtschaftsnamen bleiben muoter, tohter, swëster im Sg. stets endungslos, im Plural tritt erst spätmhd. neben muoter(n), tohter (n) umgelautetes müeter(n), tohter (n). Die alten i-Stämme zeigen im Gen. Dat. Sg. neben dem regulären krefte mit Umlaut und Ausgang -e umlauts- und endungslose Formen wie kraft, deren erste Spuren schon ahd. sichtbar werden. Diese Formen dürften dem ursprünglich konsonantischen Gen. Dat. Sg. naht nachgebildet sein, wobei die so entstehende Gleichheit des Singulars am Typus zal eine Stütze fand. Beide Formen stehen in mhd. Zeit nebeneinander, doch treten die ursprünglichen zweisilbigen und umgelauteten im Laufe der mhd. Entwicklung langsam zurück. So zeigt die mhd. starke Feminin-Flexion zwei Typen: 1. Die Fortsetzer der alten ö- und in-Flexion, die ohne Pluralumlaut bleiben und je nach dem Stand der Ausstoßung im Sg. und im Nom. Akk. PI. -e, im Gen. Dat. Pl. -en zeigen oder im Sg. und im Nom. Akk. PL den konsonantischen Stammesauslaut bieten, an den im Gen. Dat. PI. -n tritt. 2. Die Fortsetzer der alten i-Flexion, deren Nom. Akk. Sg. ohne Umlaut und vokalischen Auslaut bleibt, während im Gen. Dat. Sg. umlauts- und endungslose mit solchen mit Umlaut und -e wechseln, im Plural Umlaut und Ausgänge auf -e im Nom. Akk. und Gen., auf -en im Dat. erscheinen. § 173. b) Die schwache Femininflexion des Mhd. Die schwache Flexion des Mhd. ist die reguläre Fortsetzung der ahd. ôn-Klasse. Plural
Singular
Nom. Akk. Gen. Dat.
ahd.
mhd.
ahd.
mhd.
zunga zungun zungun zungun
zunge zungen zungen zungen
zungun zungun zungono zungon
zungen zungen zungen zungen
Die vollen Endsilbenvokale der ahd. Flexion sind als -cm, -un noch in mhd. Zeit in alemannischen, seltener in bairischen Denkmälern belegt, und erfahren dort erst in mhd. Zeit die Reduzierung zu -en. Ausstoßung von -e nach l, r wird sichtbar in Wörtern wie kële, kël 'Kehle', bire, bir 'Birne', bei zweisilbigen in iuwel, iule 'Eule', nezzel 'Nessel',
NM. Feminina §§ 172-174
177
videl(e) 'Geige' und zwar im gleichen Ausmaß und unter den gleichen Bedingungen wie sonst. Neben regulär flektierendem krceje 'Krähe', krœe, kräe, ostfrk. kräwe erscheint krä, Gen. Dat. usw. krän. Teilweise schwankt das Genus zwischen Femininum und Maskulinum, so etwa bei rose, tübe 'Taube'. § 174. c) Die Ausformung der nhd. Femininflexion. Die stärkste Umformung erlebt der starke Typus I und die schwache Flexion, die langsam zu einem einheitlichen Paradigma verwachsen. Bereits in spätmhd. Zeit mehren sich bei den schwachflektierenden im Akk. Sg. die Ausgänge auf -e, soweit auch der Nom. Sg. -e zeigt. Vorbild für diesen Wandel ist die Formengleichheit der starken Flexion des Typus I. Seit dem 17. Jh. wird -e die Regel. Im Gen. Dat. Sg. der schwachen wie der starken Flexion stehen seit frühnhd. Zeit die Ausgänge -e und -en gleichberechtigt nebeneinander, bis im Ausgang des 18. Jhs. -e schriftsprachlich die Regel wird. Doch wahren alte δ- und ön-Stämme den Ausgang -en bis heute in festen Wendungen wie auf Erden, auf Seiten, Kloster unserer lieben Frauen, sowie in Genetiv-Komposita wie Sonnenschein, Gnadenstoß, Kronenwirt u. a. m. Im Plural zeigt sich in spätmhd.-frühnhd. Zeit die Tendenz, den Ausgang -en bei allen Feminina zu verallgemeinern, also auch bei dem Typus II, den alten i-Stämmen, durchzuführen. Er gewinnt allgemeine Geltung einmal bei den Pluralen des Typs I, dann auch stets bei solchen des Typs II, bei denen der Stammvokal nicht umlautsfähig ist, so bei Frist, List, Pflicht, Schrift, Welt, Zeit, dann bei solchen mit bereits umgelautetem Singular wie Tür, Willkür, seltener bei Substantiven, deren Stammvokal Umlaut zeigen kann : Andacht, Last, Tat, Gewalt, Brut, Burg. Das so entstandene Paradigma stellt sich auf dem Hintergrund der mhd. Flexionstypen als Mischtypus dar, dessen Singular von der starken, dessen Plural von der schwachen Flexion her bestimmt ist. Dabei bleibt im Singular der Unterschied zwischen Ausgang auf -e und Ausgang ohne -e bestehen, auch in den Reihen der alten ö-Klasse, wobei der Typus ohne -e vor allem in frühnhd. Zeit aus dem e-Typus stärkeren Zuwachs erfährt, so etwa mhd. bane : nhd. Bahn, huote : Hut, pine : Pein, quäle : Qual, mûre : Mauer. Bei den movierten Feminina auf mhd. -inne, -in setzt sich -in, bei den Abstrakta auf mhd. -unge : -ung, -nisse : -nis, nhd. -ung, -nis durch. Die mhd. starken Feminina auf -en wie büten : Bütte, keten : Kette, küchen : Küche, lügen : Lüge, metten : Mette, versen : Ferse werden ins neue Flexionsschema eingepaßt, indem das ursprünglich stammhafte -n im Singular aufgegeben wild. Als Pluralendung gilt allgemein -en, bei den zweisilbigen auf -el, -er nur -n : Regeln, Nesseln, Mauern, Federn. Bei dem Typus I I schwinden die umgelauteten Formen im Gen. Dat.
178
Pronominalflexion
Sg. im 16. Jh., so daß nunmehr die Flexion den endungslosen Formen des Typs I gleich wird. Doch vermag sich im Plural die Vereinheitlichung mit -en (Nom. Akk. Gen. Dat. Ängsten, Nöten, Früchten) dort nicht durchzusetzen, wo der Umlaut gewahrt bleibt. So bleibt der Typus als solcher trotz starker Verluste in seinem Bestand schriftsprachlich bestehen, vgl. Kunst : Künste, Magd : Mägde, Maus : Mäuse, Not : Nöte usw. Verloren gehen neben den oben erwähnten auch solche Wörter, bei denen vom Plural her eine neue Singularform geschaffen wird: ζ. B. mhd. bluot, pl. blüete 'Blüte' : nhd. Blüte, Blüten; mhd. hurt, PL hürde : nhd. Hürde, Hürden; mhd. sul, Pl. siule : nhd. Säule. Mhd. stat, pl. stete erfährt Aufspaltung zu nhd. Stadt, pl. Städte st. Fem.; nhd. Statt st. Fem. ohne Plural; Stätte, pl. Stätten, Fem. gemischter Flexion.
B. D I E P R O N O M I N A L F L E X I O N Vorbemerkung. Innerhalb des Pronominalsystems unterscheidet man : 1. ungeschlechtige Pronomina; sie umfassen das Personalpronomen erster und zweiter Person und das Reflexivpronomen. Sie zeigen keine Differenzierung der Formen nach dem Geschlecht; die Flexion jedes der Personalpronomina ist aus mehreren Stämmen zusammengesetzt und unterscheidet sich in der Flexion wesentlich von der übrigen nominalen oder pronominalen Formenbildung. 2. geschlechtige Pronomina, deren Flexionsendungen trotz mancher Verschiedenheit starke Beziehungen zur substantivischen aufweisen; doch treten in manchen Kasus zwischen die eigentliche Wurzel und die Kasusendung Lautgruppen, deren Natur und Bedeutung noch unklar sind ; vgl. z. B. aind. tarn, 'den', idg. Ηδ-m aber aind. tasmai 'dem' < idg. *te-sm-ôi, wo die Lautgruppe -sm- zwischen Stamm und Endung eine solche für das pronominale System typische Lautgruppe darstellt. 3. Pronominaladjektiva, d. h. Pronomina adjektivischer Art. In den germanischen Sprachen ist ihre Flexion der der Adjektiva gleich, weil die germanische Adjektivdeklination starke Einflüsse vom Pronomen her erfahren hat, die eben durch diese Pronominaladjektiva vermittelt wurden. Die germanischen Pronomina zeigen die gleiche Anzahl von Kasus wie die Nomina. Beim Personal- und Possessivpronomen werden noch dualische Formen sichtbar, die z. Z. der literarischen Überlieferung bereits im Absterben sind oder pluralische Bedeutung angenommen haben. Das Reflexivpronomen ist seit idg. Zeit numerus-indifferent, gilt also für Singular und Plural.
179 XII. KAPITEL
Das Personalpronomen 1. D a s P e r s o n a l p r o n o m e n e r s t e r u n d z w e i t e r P e r s o n und das Reflexivpronomen §175. Got.
As.
Ahd.
Nom. Sg. Akk. Sg. Gen. Sg.
ik mik meina
ik mik, mi, me min
ih mih min
Dat. Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
mis wit ugkis ο. Β. ugkie weis uns, unsis unsara iins, unsih
mi, me wit unk unkero, -aro unk wi, we us user üs
mir, mi
Sg. Du. Du. Du. Du. Pl. Pl. Pl. Pl.
ich mich mein meiner mir
-
-
-
-
-
-
unkër -
Ahd.
Nom. Sg. Akk. Sg. Gen. Sg.
tm t>uk fieina
thü, thu thik, thi thin
du dih din
Dat. Sg. Nom. Du.
J)US
thi git
dir, dï
Akk. PI.
igqis
ink
Gen. Du. Dat. Du.
igquara igqis
ink
Nom. Pl. Akk. Pl. Gen. Pl.
jus izwis izwara
Dat. Pl.
izwis
-
-
-
-
-
wir unsih unser uns
As.
gi, ge eu, iu, giù euwar, iuwar iuwaro eu, iu, giu
ich mich min miner mir, mí
Nhd.
-
Got.
o. B.
Mhd.
-
-
wir, wi unsich, uns unser uns Mhd.
Nhd.
du dich din dîner dir, di bair.-österr. e 3 (PI·) bair.-österr. enk (PI.)
du dich dein deiner dir
-
bair.-österr. enk (PI.) ir, gì ir, gi, i iuhwi, i uh iuch, iu iuwër iuwer -
iu
wir uns unser uns
iuch
-
-
-
ihr euch euer euch
180
Pronominalflexion Got.
Akk. Gen.
sik seina
Dat.
sis
As. -
-
Ahd.
Mhd.
Nhd.
sih sin (ira)
sich sin einer (ir) (im) (ir)
sich sein seiner ihrer sich
(imu) (ira)
Nom. Sg. got., as. ik, ahd. ih weisen wegen urnord.-run. eka 'ich' auf germ. *eka(n) < idg. *eg-om, das in awest. azdm seine genaue Entsprechung hat. Es enthält idg. *eg 'ich' (vgl. alit. eS, lett. es 'ich') und eine verstärkende Partikel -om. Idg.-germ, e wurde in unbetonter Stellung, ibes, wenn das Pronomen der Verbalform folgte, zu i. Im Mhd kann das Pronomen unbetont zu ech abgeschwächt, in nachdrücklicher Betonung zu ich gedehnt werden. Die so gedehnte Form ist in manchen Mundarten verallgemeinert worden. Got. pu, as. (hü, ahd. dü setzen germ. *pü < idg. *tü (vgl. lat. tu) voraus, neben dem sich as. ihn, ahd. du mit Kürzung der alten Länge in unbetonter Stellung entwickelt. Die ahd. Doppelheit hat sich in der mhd. Zeit bewahrt. Nhd. du zeigt Dehnung der Kürze in offener Silbe. Folgt das Pronomen enklitisch der 2. Sg. des Verbs, so wird nach der verbalen Endung -s, -t altes Ρ zu t: so as. skaltu < *skalt-tu; ahd. gilovhistu < giloubis(t)-tu·, in mhd. Zeit kann das auslautende -u solcher Verbindungen zu -e abgeschwächt werden, das vor Vokal synkopiert werden kann: biste, bist. Akk. Sg. Got., as. mik, ahd. mih, auf germ. *meka(n) weisend, ist als Reimform zu germ. *eka(n) gebildet und zeigt i aus unbetonter Stellung; die Form ist eine Erweiterung des idg. Akk. *me (vgl. gr. με). As. thik, ahd. dih sind ebenso Fortsetzer eines germ. *peka(n), das als Reimform zu germ. *meka(n) zu verstehen ist und ererbtes *te enthält. Got. puk hat den Vokalismus nach pu gerichtet. Ebenso ist die Reflexivform got. sik, ahd. sih als Parallelbildung zu den Formen des Personalpronomens zu verstehen. Im As. und in manchen ahd. Quellen erscheinen auch Dativformen im Akk., in mhd. Zeit gilt die Vermengung beider Kasus besonders im ripuarisch-niederfränkischen Grenzgebiet. Mhd. mich, dich können in nachdrücklicher Betonung als mich, dich erscheinen. Gen. Sg. Got. meina, peina, seina, as. min, thin, ahd. min, din, sin stellen sich eng zum Possessivpronomen, ohne daß ihre Bildung eindeutig zu erklären wäre. Das Verhältnis von got. -a zur as., ahd. Endungslosigkeit, das in dem gleichartig gebildeten Gen. PI. wiederkehrt und wahr-
Personalpronomen § 175
181
scheinlich auch dem Gen. Du. eignete, kann auf germ. *-o weisen, das im As. und Ahd. nach der langen Stammsilbe über -u schwinden mußte ; doch läßt sich ein solcher Ausgang nicht mit den übrigen Erscheinungen des pronominalen Systems in Einklang bringen, so daß die Endung unerklärt bleibt. Der reflexive Gen. ahd., mhd. sin gilt nur bezogen auf ein Maskulinum oder Neutrum. Als Femininum erscheint der Gen. Sg. des Personalpronomens ΙΠ. Person ahd. ira, mhd. ir. Seit dem Ahd. Otfrieds stehen neben min, din, sin die genetivischen Wendungen mines sëlbes, dînes sëlbes, sines sëlbes 'meiner, deiner, seiner selbst', die in mhd. Quellen md. Herkunft wiederkehren und bis in die frühnhd. Zeit hinein bezeugt sind. Sie zeigen den Gen. Sg. mit der Erweiterung -es analog zum Gen. sëlbes. Diese Formen werden gelegentlich als Formen des Possessivpronomens verstanden und ziehen vereinzelt Analogiebildungen wie ahd. iuwes sëlbes, ires sëlbes nach sich, die kein stärkeres Nachleben in mhd. Zeit zeigen. Spätere md. Quellen zeigen als Gen. miner, dlner, slner. Die Entstehung dieser Form ist nicht deutlich; sie könnte am ehesten nach dem Vorbild der Plurale unser, iuwer gebildet sein. Diese längeren Formen konkurrieren lange Zeit mit den kürzeren, die im 16. Jh. noch die häufigeren sind, bis meiner, deiner, seiner und nach ihrem Vorbild ihrer im 18. Jh. zur schriftsprachlichen Form werden, während die Formen mein, dein, sein auf altertümliche Wendungen beschränkt sind, vgl. ich denke dein. Dat. Sg. Got. mis, ahd. mir weisen auf germ. *miz, *mez, dessen Endung unklar bleibt, ebenso got. pus, mit u nach pu, ahd. dir auf germ. *piz, *pez. As. mi, me bzw. thi, the, zu denen sich ags. me, pe fügt, werden in unbetonter Stellung -z verloren haben. Das Verbreitungsgebiet dieser Formen reicht über die hochdeutsch-niederdeutsche Sprachgrenze hinaus, so daß diese Formen auch in mhd. Denkmälern erscheinen. Treten diese Formen sekundär unter den Satzton, so erfahren sie Dehnung zu ml, thl resp. mhd. ml, dl, die in md. Quellen bezeugt sind. Die Schriftsprache hat den Formen mir, dir, deren Vokale nach § 35,4 gedehnt wurden, den Vorzug gegeben. Beim Reflexivum kennt das Gotische noch den parallel geformten Dativ sis; Ahd. wie mhd. gelten die Formen des Personalpronomens III. Person. In den ripuarisch-moselfrk. Quellen der mhd. Zeit findet sich der Akk. sich in dativischer Verwendung. Seit dem ausgehenden 16. Jh. zeigt er allgemeinere Verbreitung und wird so in der Schriftsprache fest. Nom. Du. got., as. wit 'wir beide' führt über germ. *uet- auf idg. *uedmit unklarer Endung. Es dürfte in lit. vè-du 'wir beide' seine nächste Entsprechung haben.
182
Pronominalflexion
As. git — ags. git, anord. it, zeigt as. wie ags. g- als Schreibung für altes j-, das im anord. Anlaut regulär schwand. Die Formen weisen so auf älteres *jit-, das wohl nach wit aus germ. *jut- umgeformt wurde \ind sich zu lit. ju-du 'ihr beide' stellt. In bair.-österr. Quellen ist seit dem ausgehenden 13. Jh. ein Nom. Pl. e3 'ihr' sichtbar. Er stammt aus dualischem *jit- und wird in unbetonter Satzstellung die quellenmäßig bezeugte Form erhalten haben. Akk. Dat. Du. Got. ugkis entspricht as. und ags. die kürzere Form unk. Die Formen enthalten anscheinend als Kern ein germ. *u$k-, das in den obliquen Kasus des Plurals wiederkehrt. In der zweiten Person zeigen got. igqis und as., ags. ink das gleiche Verhältnis, doch steht hier die Form des Wortstammes innerhalb der idg. Sprachen isoliert; man vermutet daher, daß hier eine Mischbildung zwischen ugkis und pluralischem izwis vorliegt, deren Entstehung im einzelnen nicht greifbar wird, da sie sich in vorliterarischer Zeit vollzog. Die in as. ink vorliegende Form kehrt in dem pluralisch gebrauchten Dat. Akk. enk 'euch' wieder, das seit dem Ausgang des 13. Jhs. in bair.-österr. Quellen belegt ist. Gen. Du. As. unke.ro gleicht in seinem Wortstamm dem Dat. Akk.; in seiner Endung entspricht es dem adjektivischen Gen. Pl. as. bëdero 'beider'. Das nur einmal bei Otfried belegte ahd. unkêr zeigt die gleiche Dehnung des Ausganges -er wie der Nom. Sg. desér 'dieser' und ist ags. uncer, an. okkar gleichzusetzen. Auch hier bieten sich engere Bindungen an das dualische Possessivum, wie es anord. okkar, ags. uncer bewahren. In der zweiten Person zeigt das allein bezeugte got. igqara den Wortstamm des Akk. Dat., in der Bildung entspricht es der ahd. Form unkër, zu der für die Endung das gleiche Verhältnis besteht wie zwischen got. seina und ahd. sin. Nom. Pl. Got. iveis, as. vñ weisen über germ. *ulz auf idg. *uei-es, dessen -es die Endung des nominalen Nom. Pl. bietet; daneben mit Kürzung in unbetonter Stellung as. wi, ahd., mhd. wir, wobei mhd. Quellen des md. Gebiets auch wï = as. wî belegen. In der zweiten Person setzt got. jus 'ihr' germ. idg. *{us fort (vgl. aw. yui, lit. jus). Nach germ. *uïz umgeformtes *jiz liegt in as., ahd., mhd.md. gi vor, zu dem as. gi, ge die in unbetonter Stellung vollzogenen Kürzungen sind. In ahd., mhd. ir wurde der j-Anlaut analog zu dem Anlaut der übrigen Kasus beseitigt, sonst steht diese Form im gleichen Verhältnis wie wi zu wir. Mhd. kann es unbetont als er, in starker Betonung gedehnt als ir erscheinen. Nhd. ihr zeigt Dehnung nach § 35.4. Dat., Akk. PI. Im Got. konkurrieren uns und unsis, wobei uns als Akk. häufiger belegt ist als unsis; beide Formen stehen im Dat. etwa gleich häufig nebeneinander. Im As. zeigen beide Kasus nur üs < *uns mit Nasalverlust nach § 75, 3. Im Ahd. ist uns die normale Dativform, der Akk. hat die Form unsih, doch kündigt sich schon hier die Vermengung
Personalpronomen §§ 175-176
183
beider Kasus an, die das Mhd. zeigt, bis unsih schwindet und uns die in beiden Kasus herrschende Form wird. Beiden Formen liegt ein idg. *ns zugrunde, dessen Dehnstufe in lat. nos vorliegt. Die ursprünglich wohl dativische Form got. unsis gleicht im Ausgang dem Dat. Akk. Du. ugkis und könnte hierin vom Dat. Sg. mis bestimmt sein. Ahd. unsih = ags. Akk. PI. úsic könnte dann dem Akk. Sg. germ. *mik angeglichen sein. Bei der zweiten Person zeigt das Got. im Dat. und Akk. izwis, im As. erscheint einheitlich eu, iu, giu, während das Ahd. in der Regel zwischen dem Akk. iuwïh und dem Dat. iu scheidet, Vermengungen beider noch selten sind. Für iuwih erscheint seit der zweiten Hälfte des 11. Jhs. die synkopierte Form iuh, die im Mhd. gilt, wo sie den Akk. iu langsam verdrängt, so daß in der nhd. Schriftsprache nur euch gilt. Got. izwis weist auf germ. *ezuez, woraus durch Angleichung von *-zuzu -uu *euuez entsteht, das mit lautgesetzlichem Schwund der Endung in as., ahd. eu, iu vorliegt. Ahd. iuwïh differenziert den Akk. durch Angleichung an den Singular dih\ as. giu ist im Anlaut von dem Nom. gi bestimmt. Auffallend bleibt, daß germ. *ezues innerhalb der idg. Sprachen isoliert steht. Gen. PI. Got. unsara, as. üser, ahd. unser, got. izwara, as. euwar, iuwar, ahd. iuwër haben den gleichen Stamm wie die Dat. Akk. Formen. Bildung und Endung zeigen die gleichen Probleme wie der Gen. Sg. und Du. Mhd. iuwer zeigt bei Unbetontheit Verkürzung zu iur. Im 17. J h . kommen neben unser, euer die Formen uns(e)rer, eu(e)rer auf, die im 18. und 19. J h . recht verbreitet sind. Sie erklären sich als Anlehnung an den Gen. PI. der Adjektiv-Flexion.
2. D a s P e r s o n a l p r o n o m e n d r i t t e r P e r s o n § 176. Got.
Nom. Sg. Akk. Sg. Gen. Sg. Dat. Sg. Nom. Pl. Akk. Pl. Gen. Pl. Dat. Pl.
As.
m
η
f
is ina
ita ita
si i ja izos izai ijos ÍJOS izo
eis ms
is imma ize
ìja ìja im
m
f
η
he, hi, hie it, et ina, -e it, et is, es imu, o, im sia, sie, se siu sia, sie, se siu irò, a, era im
siu sia, sea ira, -e, iru ira, -ο, ira sia, sie, se sia, sie, se -
Pronominalflexion
184
Ahd.
Nom. Sg. Akk. Sg. Gen. Sg.
m
η
f
m
ër, ir he, her inan in sìη
i3
siu, si si sea, sie si ira ira ira, -o ira aio
ër, he hie , her in
Í3
ës, is sin imu , -o
Dat. Sg. Nom. Pl. Akk. Gen. PI. Dat. PI.
Mhd.
siu
sie
η
f
®3
si, si siu, sie sie, siu si, si ir(e)
ës sin im(e) si, si sie, siu ir(e) in
si, si, sie
irò im, in
ir(e) si, si sie
Nhd.
Nom. Akk. Gen. Dat. Nom. Akk. Gen. Dat.
Sg. Sg. Sg. Sg. Pl. Pl. Pl. Pl.
m
η
f
er ihn
es es
sie sie ihrer ihr
seiner ihm sie sie ihrer ihnen
Die Flexion des Personalpronomens der I I I . Person ist charakterisiert durch einen Wechsel der Stämme : einer großen Zahl von Bildungen liegt der idg. Pronominalstamm *ei-ji zugrunde (vgl. lat. i-s, eum < *ei-om)· daneben steht ein mit s- anlautender Stamm, der sich eng zu dem des einfachen Demonstrativ-Pronomens got. sa, so 'der, die' stellt. Sekundär entstanden ist schließlich der Nom. Sg. as., ahd., mhd. he. Im Endungssystem spiegelt sich das ererbte der Pronomina, das in manchen Kasus von dem der Nomina abweicht. N o m . Sg. M a s k . got. is, ahd. ër, ir weisen auf germ. *iz < idg. *is, wobei der Grund für den Wechsel von germ, i zu ahd. e unklar bleibt. Die Form hält sich in der Schriftsprache und gilt, gedehnt nach § 35, 4, im Nhd. As. hl, hë, deren Länge unterm Wortton entstand, erklären sich als Kreuzungen von germ. *iz, das wie im Dat. Sg. des Personalpronomens der ersten und zweiten Person mi, di, auslautendes -ζ verlor, und dem
Personalpronomen § 176
185
in got. hiña, hita (s. u. § 178) bezeugten Pronominalstamm. Die so entstandene Form reicht auf fränkischem Sprachboden in den hochdeutschen Bereich und erscheint vor allem in mittelfränkischen Denkmälern. Im Grenzbereich der Formen er und he entstand ahd., mhd. her als Kontamination beider Formen; es ist in ahd. Zeit vor allem im Tatian, in mhd. in moselfrk.-hessischen Denkmälern belegt. Beim F e m i n i n u m stellt got., ahd., mhd. si < germ. *sï eine feminine I-Bildung (vgl. oben § 148 zu got. munii) zum Demonstrativstamm idg. *so dar; ahd., mhd. sï zeigen Dehnung unterm Satzakzent. Weiter wird Germ. *sï nach dem Vorbild des einfachen demonstrativen as. thiu' ahd. diu schon vorliterarisch zu as., ahd., mhd. siu. Schon in spätahd. Zeit dringt der Akk. Sg. sie in den Nominativ ein und verdrängt im Laufe des Mhd. siu. Nhd. sie setzt sowohl mhd. sie wie si fort, da das offene -i Dehnung erfahren mußte. Im N e u t r u m geht der Nom. Akk. Sg. von idg. *i-d aus (vgl. lat. id); -d ist pronominale Kasusendung des Nom. Akk. Sg. N. Diese Form liegt in as. it, ahd. i j vor, während got. ita < älterem *it-Ó(η) eine verstärkende Partikel idg. -om enthält. Neben ahd. i j erscheint seit dem 10./11. J h . ë j mit einem unklaren Wandel von i > ë. Im Mittelfrk. gilt weiterhin it, auch in mhd. Zeit. Akk. Sg. Im Maskulinum zeigen got., as. ina die gleiche Erweiterung wie der gotische Nom. Akk. Sg. Neutr. ; sie ist hier erst an germ. *in angetreten, dessen -n aus der idg. Kasusendung -m entstand (vgl. alat. im 'ihn'). Die Erweiterung ist hier also erst erfolgt nachdem idg. -ra zu germ, -η geworden war, wohl nach dem Vorbild des Neutrum. Im Ahd. zeigen die älteren Denkmäler die erweiterte Form inan, zu der der Ausgang der starken Adjektivflexion das Vorbild bot. In den jüngeren Denkmälern herrscht in vor, das in mhd. Zeit allein gilt; wegen seines späten Auftretens wird man es besser als Verkürzung aus älterem inan in unbetonter Stellung fassen und nicht als Nachkommen eines germ. *in. Die mhd. Form geht mit Dehnung der alten Kürze in die Schriftsprache ein. Die ahd. inan zugrunde liegende Tendenz, die kurze Form der adjektivischen Flexion anzupassen, wiederholt sich in dem alem. Akk. inen, der seit dem 13. J h . sichtbar wird, ohne weiter an Boden zu gewinnen. Im 15.-17. J h . erscheinendes ihne ist dem Dat. Sg. ihme angeglichen. Beim F e m i n i n setzt got. ija < idg. *e\-wm (vgl. lat. earn) fort. Im As. und Ahd. erscheint dafür sia, sie, eine nach dem Nom. Sg. vollzogene Neubildung nach dem Vorbilde des einfachen Demonstrativpronomens. Im Ahd. dringt sie in den Nom. ein, umgekehrt nominativisches si, sì in den Akk. Nhd. sie setzt älteres sie und si fort. Gen. Sg. Mask. N e u t r . Dem got. is steht im As. die Doppelheit is, ës gegenüber, im Ahd. gilt beim Neutrum ës, während is erst spätahd. erscheint und so besser als sekundäre Angleichung an den Anlaut i- des
186
Pronominalflexion
übrigen Paradigma zu fassen ist. Die Herkunft der Form ist nicht eindeutig zu klären. Got., as. is können auf idg. *i-so weisen, das den Pronominalstamm *%- mit der Genetivendung -so bietet. As., ahd. ës wären dann von demonstrativem thës, dès 'des' beeinflußt. Weniger wahrscheinlich ist eine Deutung als idg. *e-so zu einem in anderen idg. Sprachen vorkommenden Pronominalstamm *e-, wobei as. is dann als Angleichung an das anlautende i- der übrigen Formen zu erklären wäre. Der Gen. Sg. ës ist im Ahd. beim Mask, nicht belegt, wohl aber erscheint er im Mhd., wenn auch selten. Meist gilt der Gen. Sg. des Reflexivum sin. Besser hält sich ës im Neutrum, wo es ahd. die Regel ist, mhd. häufig belegt wird, wenn auch sin bereits daneben erscheint. Durch die Angleichung von s an j fällt es dann lautlich mit dem Nom. Akk. Sg. Neutr. zusammen, weswegen das Reflexivum, das den Kasus eindeutig charakterisiert, bevorzugt wird. Beim F e m i n i n u m weisen got. izos, as., ahd. ira auf germ. *izös. Die Form zeigt den Stamm *i und die idg. Genetivendung der femininen ö-Stämme germ, -ös, idg. -äs\ zwischen Stamm und Endung erscheint der in der idg. Pronominalflexion verbreitete Einschub idg. *-si- als germ, -ζ- unter dem Einfluß der entsprechenden Formen des Demonstrativpronomens (vgl. u. § 177). Auch vereinzeltes ahd. ëra dürfte von demonstrativem dëra beeinflußt sein. Im As. und Ahd. drängt der feminine Dativ iru in den Gen. vor. Im Mhd. gilt infolge der Abschwächung für beide ire oder, mit Synkope nach r, ir; doch hält sich auf alem. Boden die volle Form ira bis ins Mhd. hinein. Nach dem mask, sïner stellt sich seit dem 14. Jh. irer ein, das zunächst noch selten, im 16./ 17. Jh. häufiger werdend, die kürzere Form verdrängt. Daneben zeigen ibes. alem. Denkmäler im 16. Jh. die Form ihren, die nach deren gebildet ist, aber keine größere Verbreitung erfährt. Quellen des ausgehenden Mittelalters zeigen schließlich als Gen. Dat. Sg. Fem. wie als Gen. PI. Fem. die Form ihro, die sich in Respektsformeln wie ihro Gnaden u. ä. länger hält. Die Entstehung des auslautenden -o ist dunkel. D a t . Sg. M a s k . N e u t r . Got. imma birgt wiederum den pronominalen Stamm *i, die Endung -a gleicht der der nominalen a-Stämme; -mmist aus germ. *-zm- assimiliert, das idg. *-sm- entspricht und einen jener pronominalen Einschübe darstellt, die im pronominalen System zwischen Stamm und Endung treten (vgl. aind. ta-sm-ai 'dem'). In as., ahd. imu ist -mm- in unbetonter Stellung zu -m- vereinfacht; die Endung entspricht dem Instr. Sg. der a-Stämme. As. im ist eher dem Plural entlehnt als Verkürzung aus imu. Vereinzeltes ahd. ëmo ist von demonstrativem dëmo beeinflußt. Im Mhd. gilt die Abschwächung ime ibes. md. neben apokopiertem im ; beide Formen stehen bis ins 17. Jh. nebeneinander gedehnt zu ihme, ihm, bis die kürzere Form alleinige Gültigkeit erfährt. Auf starke Abschwächung in unbetonter Satzstellung weisen mhd.
Personalpronomen § 176
187
Schreibungen wie em(e), om(e), um(e), öm(e), üm(e), welche sich mühen, die Reduzierung des Anlautsvokals zu einem Murmellaut graphisch zum Ausdruck zu bringen. Die F e m i n i n f o r m e n got. izai, as., ahd. iru entsprechen im Aufbau dem Gen., in der Kasusendung den femininen ö-Stämmen. Das Alemannische bewahrt wieder iru bis in die mhd. Zeit, in der sonst ire und apokopiertes ir konkurrieren, bis seit dem 18. J h . die kürzere Form sich allein durchsetzt. Auch hier weisen mhd. Schreibungen wie er(e), or(e), ur(e) usw. auf starke Reduzierung des Anlautvokals in imbetonter Satzstellung. Die analog zum Gen. erscheinenden Formen ihrer, ihnen sind selten. Zu ihro vgl. Gen. N o m . A k k . PI. Die maskuline Nominativform got. eis aus idg. *ei-es zeigt die Vollstufe des Stammes und die idg. Pluralendung -es ; die Ausstoßung des kurzen Vokals vor -s f ü h r t bei Monophthongierung des nun entstandenen Diphthongen ei zur gotischen Form. Entsprechend zeigt der mask. Akk. PI. got. ins aus idg., germ. *i-ns den schwundstufigen Stamm mit der ererbten Akk.-Endung. Der Nom. Akk. PI. des Neutrums got. ija geht über germ. Hip auf idg. *ei-ä mit der auch beim Nomen üblichen idg. Endung -ä zurück, der Nom. Akk. PI. F . got. ijos auf idg. *ei-äs, wiederum mit der ererbten nominalen Endung. Die as. und ahd. Formen sind Neubildungen, die den Formen des einfachen Demonstrativpronomens nachgebildet sind (vgl. § 177). Infolge der Formengleichheit mit dem Nom. Akk. Sg. Fem. dringt auch hier die mhd. Form si, si in den Plural ein ; wie dort, wird auch hier siu zurückgedrängt und schwindet. Die Konkurrenz si : sie wird durch die Vokaldehnung einerseits, die Monophthongierung ie > ï andrerseits behoben, so daß seit dem 16. J h d . einheitliches sie im Nom. Akk. PI. aller Genera gilt. G e n . PI. Nur das Gotische bietet nach Genera differenzierte Endungen: Mask. u. Neutr. ize, Fem. izo, die der Verschiedenheit beim Nomen entsprechen. Im As. und Ahd. fehlt diese Unterscheidung wie beim Nomen. Der Stamm germ. *iz > ir erklärt sich wie beim Gen. Sg. Fem. Die as. Nebenform èra ist von demonstrativem thëra beeinflußt. Im Mhd. gilt ire bzw. ir, doch behauptet sich alem. iro bis in die mhd. Zeit hinein. Seit dem 14. J h . erscheint daneben ihrer mit der Endung der starken Adjektiva, das seit dem ausgehenden 17. J h . allgemeine Gültigkeit in der Schriftsprache erlangt. Zur frühnhd. Form ihro vgl. Gen. Sg. Fem. D a t . PI. Die in allen Genera geltende Form got., as., ahd. im setzt altes *i-mis mit der nominalen Instrumentalendung fort. Seit dem 9. J h . gilt ahd. in, seit dem 12. J h . erscheint die nach dem Vorbild des starken Adjektivs erweiterte Form inen, die zuerst auf alem. Boden sichtbar wird, sich dann aber über das ganze hochdeutsche Sprachgebiet ausbreitet, um in frühnhd. Zeit alleinige Geltung zu erlangen.
Pronominalflexion
188
XIII. KAPITEL
Einfache Demonstrativpronomina 1. D a s Pronomen 'der, die, das' §177. As.
Got. η
m
f
Nom. Sg.
sa
]pata
so
Akk. Sg.
Jaana
J>ata
î>°
Gen. Sg.
J>is
Jnzos
Dat. Sg.
Jaamma
]sizai
Instr. Sg. Nom. Pl.
fiai
Akk. Pl.
J>ans
Gen. Pl. Dat. Pl.
(t>e)
-
t)0
J)0S
t>°
J)0S
J>ize
J)áim
Jdízo
m
η
se that the, thie thana that thëna thës thas thëmu thëm thiu the thiu thia thiu the thia thëro,-a thëm, thën
Akk. Sg. Gen. Sg. Dat. Sg. Instr. Sg. Nom. Pl. Akk. Pl. Gen. Pl. Dat. Pl.
m
η
f
dë dër dën
daz
diu
daz
dia die dëra dëru dëru,-o
dës
thiu thia thia thëra thëru thëru thëra the thia the thia
Mhd.
Ahd.
Nom. Sg.
f
dëmu, -o diu de diu deo, dio dia, die dia, die dei de diu deo, dio dia, die dei dia, die dëro dëm, dën deam, diam
m
η
dër dë, de, die dën
daz daz
f diu die die
dës
der(e)
dëm (e) (diu, die) die diu die diu die die dër(e) dën
dër(e) -
die die
Einfaches Demonstrativpronomen § 177
189
Nhd.
Nom. Sg. Akk. Sg. Gen. Sg.
m
n
f
der den
das das
die die der deren der deren
Dat. Sg.
des dessen dem
Nom. Akk. Gen. Dat.
die die der derer, deren den, denen
Pl. Pl. Pl. Pl.
Die ererbte Flexion des einfachen Demonstrativs kennt zwei Stämme : der nur im Nom. Sg. M. und F. übliche idg. Stamm *so, sä mit der alten Variante *sjp, sjß, dann einen idg. Stamm *to, tä mit der alten Variante *tjp, tjä, der die übrigen Kasusformen stellt. Das Gotische hat die alte Doppelheit s-jt- noch bewahrt, das As. kennt nur mehr vereinzelt als Rest den Nom. Sg. M. se, sonst ist, wie im Ahd. überhaupt, der Anlaut germ, p verallgemeinert. Nom. Sg. Das got. Mask, sa < idg. *so (vgl. griech. ó), das got. Fem. so < idg. *sä (vgl. griech. ή) zeigen den endungslosen Stamm. As. se, aus *së verkürzt (vgl. ags. se), weist auf älteres *sai = *sa i> einer verstärkenden Partikel, wie er etwa in griech. ούτοσί 'dieser' vorliegt. Analog zum Anlaut der übrigen Formen trat für *sê : *thë ein, dem ahd. dë entspricht. Es wird von mhd. dë, de, vor allem in md. Quellen bezeugt, nicht zu trennen sein, neben denen die auf alte Diphthongierung weist, so daß aus germ, ai in Wortunbetontheit entstandenes è wie germ, ë2 behandelt wurde. Die reguläre Form ahd., mhd. der ist Umformung von de nach dem Vorbild von Sr. Beim Femininum waren dem Germanischen neben *sö auch die Varianten *sjo < idg. *sjß eigen; aus ihr entwickelt sich mit dem gleichen analogischen Anlautswechsel wie beim Mask. as. thiu, ahd. diu, mhd. diu. Mit der Form des Nom. konkurriert im As. der Akk. thia. Ebenso dringt in md. Quellen bereits im 12. Jh. der Akk. die in den Nom. vor, dessen Form diu seltener auch im Akk. erscheint. In den obd. Quellen wird die im Nom. erst später sichtbar. In frühnhd. Zeit wird diu, diphthongiert deu, verdrängt, so daß schriftsprachlich im Nom. Akk. Fem. die gilt. Dem Nom. Akk. Sg. N. as. that, ahd., mhd. da3, nhd. das liegt germ. *pat idg. *to-d (vgl. griech. τό) zugrunde, das die neutrale Pronominalendung -d zeigt, während got. pata die gleiche Erweiterung wie got. ita 'es' erfuhr. Das Mfrk. bewahrt ahd., mhd. unverschobenes dat.
190
Pronominalflexion
A k k . S g. Bei den Maskulina got. pana, as. thana liegen die Verhältnisse wie bei got., as. ina: die Anfügung des verstärkenden Elements erfolgt sekundär nach dem Vorbild des Neutrums, nachdem idg. *to-m zu germ. *pan geworden war. Bei as. thëna und ahd. den h a t sich sekundär der e-Vokal der Gen. Dat. Formen durchgesetzt. Mhd. den lebt gedehnt als den im Nhd. weiter. I m Femininum weist got. fx> auf germ. *pö(n) idg. *tä-m (vgl. griech. τήν). As. thia, ahd. dea, dia sind aus der Parallelform germ. *piö(n) < idg. *tiä-m entstanden. Die Form dia bleibt unter dem Einfluß der starken Adjektivform bis in die Zeit Notkers erhalten, die jüngere Form die steht seit dem 9. J h . nur selten daneben, bis sie im 11. J h . durchdringt. Daneben steht schon in älteren ahd. Quellen de, das als Abschwächung in unbetonter Satzstellung entstand und auch in mhd. Quellen belegt ist. Seit frühnhd. Zeit gilt allgemein die. G e n . Sg. Die maskulinen Formen got. pis, as. thës, ahd. des weisen auf idg. *teso, während as. thas dazu ablautendes Hoso fortsetzen kann oder von dem Akk. thana sekundär das a übernahm. Die Form des gilt mhd. und nhd., hier freilich nur mehr in attributivem Gebrauch. Über dessen s. u. Die Entstehung der femininen G e n e t i v f o r m wird deutlich, wenn man den gesamtgermanischen Formenbestand im Sg. und PI. zur Erklärung heranzieht. Neben dem Gen. Sg. got. pizos, as. thëra, ahd. dëra, die auf germ. *pezös weisen, stehen an. peirar, ags. pœre die aus < germ. *paizös entstanden sind. Als Gen. PI. gilt got. pizo, as. thëro, ahd. diro < germ. *pezô(n) neben an. peira, ags. Para, pœra < *paizö(n). Die idg. Ausgangssituation wird deutlich aus dem aind. Gen. Sg. Fem. tasyäh < idg. *te-si-äs, das neben dem Pronominalstamm idg. He und der regulären Endung des Gen. Sg. der ä-Deklination -äs den für die pronominale Flexion typischen Einschub idg. -si- zeigt. I m Gen. PI. F. weisen aind. tesäm, abg. techü, apreuss. s-teison auf idg. *toi-s-öm, zeigen also eine erweiterte Wurzelform *toi-, die reguläre Gen. PI.-Endung -öm neben einem pronominalen Einschub -s-. Idg. *toisöm > germ. *paizö(n) leben in dem Gen. PI. an. peira, ags. para, pœra weiter ; ihr ererbter Diphthong wird sekundär auf den Gen. Sg. an. Peirar, ags. pœre übertragen. Der got. Gen. Sg. pizos, sowie as. thëra, ahd. dëra (< germ. *pezös) zeigen zwar die ererbte Wurzelgestalt idg. *te, übernehmen aber vom Gen. PI. -z- statt germ. *-zi- als Form des pronominalen Einschubs. Umgekehrt paßt sich der Gen. PI. got. pizo, as. thëro, ahd. dëro in seinem Vokalismus dem Gen. Sg. an und zeigt germ. e. As. thëru zeigt Eindringen der Dativform, die auch im Ahd. seit dem 9. J h . die Gen.-Form zu verdrängen beginnt. I m Mhd. gilt in den obd. Quellen vorwiegend die apokopierte Form der, in den md. dëre neben dër, Formen, die bis in die frühnhd. Zeit hinein nebeneinander stehen, wobei die vollere Form dere in sub-
Einfaches Demonstrativpronomen § 177
191
stantivischer Verwendung, d. h. alleinstehend als Demonstrativum oder Relativum bevorzugt wird ; der gilt, lautgesetzlich gedehnt, im attributiven Gebrauch noch schriftsprachlich, während es in substantivischer Verwendung von deren abgelöst ist. Über dessen Entstehung s. u. D a t . Sg. Im Mask, und Neutr. weist got. pamma auf idg. *to-sm-ê, ist also wie beim Substantiv alter Instrumentalis mit dem pronominalen Einschub idg. *-sm-. Ohne diesen Einschub lebt die Form in dem erstarrten got. pe 'dadurch' weiter. As. tJiëmu, ahd. dëmu zeigen die gleiche Ablautsdublette der Endung, die die as., ahd. Instumentale der a-Flexion bestimmt. Dabei wurde germ. *~mm- in unbetonter Satzstellung zu -mvereinfacht, der Stammvokal von germ. *pammo sekundär in ë umgeformt, wohl vom ë des Gen. Sg. beeinflußt. Auch as. them darf als Kürzung gleicher Art gelten, während as. thamo und tham auf Formen weisen, die in ihrem Wurzelvokalismus got. pamma entsprechen, sofern sie nicht sekundärem Bestreben, a als Wurzelvokal zu vereinheitlichen, ihr Dasein verdanken. In mhd. Zeit kennt das Alem. noch dëmo neben abgeschwächtem dëme und apokopiertem dëm, welche in den Denkmälern anderer Mundarten bis in die frühnhd. Zeit nebeneinanderstehen, wobei friihnhd. deme in substantivischem Gebrauch bevorzugt wird. Seit dem 18. Jh. gilt nur mehr dem, das lautgesetzliche Dehnung erfuhr. Die feminine Dativform got. pimi setzt einen germ. Dat. *pezai fort, dessen Endung der der got. fem. δ-Stämme entspricht. Es ist in gleicher Weise wie der Gen. aus ererbtem *tesiäi umgeformt. Die entsprechende Form as. thëru, ahd. dëru zeigen bei gleicher Stammesgestaltung einen Ausgang germ, -δ, idg. -a, der instrumentaler Art ist. Ahd. dëru ist im Alem. noch in mhd. Zeit als dëro belegt, daneben gilt, wie in den übrigen Mundarten dëre, dër, die bis ins 18. Jh. nebeneinanderstehen, wobei wiederum die vollere Form dere im md. Bereich in substantivischer Verwendung bevorzugt wird. Über deren s. u. I n s t r . Sg. Der nur mehr fürs Mask, und Neutr. greifbare Instrumental as. thiu, ahd. diu weist auf eine germ. Bildung *piö, idg. *tiö und entspricht dem Instrumental der a-Flexion. Er schwindet in adnominaler Verwendung in ahd. Zeit, bleibt aber in Verbindung mit Präpositionen bis in die mhd. Zeit hinein bestehen, wo er in Verbindungen wie inner diu 'indessen' von diu 'davon' teilweise auch abgeschwächt als die erscheint. Die vor Komparativen übliche Wendung mhd. des diu wird zu deste abgeschwächt, das seit dem 17. Jh. nach so zu desto umgeformt wird. Nom. Pl. Got. pai des Maskulinum weist auf idg. *toi, ebenso as. thé, ahd. dë, deren ë-Laut der gleichen Diphthongierung unterlag wie germ. ë 2 : as. thea, thia, ahd. dea, dia, die; in mhd., nhd. Zeit gilt die. Die Femininform got. Pos < germ. *pös < idg. *täs zeigt die gleiche Endung wie die Substantiva; ahd. deo, dio ist analog zum Nom. Pl. des
192
Pronominalflexion
Personalpronomens der dritten Person sio gebildet; daneben erscheint zuweilen schon in alten Quellen die mask. Form dea, die, die sich im 11./12. Jh. allgemein durchsetzt. Die Form bleibt mhd. und nhd. unverändert erhalten. Im As. gilt die mask. Form. Im Neutrum zeigt der Nom. Akk. got. po < germ. *¡>ó < idg. *tä die ererbte Form des neutralen Plurals, während as. thiu, ahd. diu < germ. *pjö < idg. *tiä, also die alte Stammesvariante fortsetzen. Daneben belegen alem.-bair. Quellen eine Form dei. Sie entspricht in der Gestalt dem ahd. Neutr. zwei und dürfte eine nach diesem gebildete Dualform fortsetzen, die pluralisch wurde. In mhd. Zeit tritt neben diu die maskuline Form die, welche die alte Form allmählich verdrängt, doch erlebt diu im Bair. noch die Diphthongierung zu deu ; auch dei lebt mhd. weiter. Die schriftsprachliche Uberlieferung übernimmt nur die. Akk. PI. Got. pans, po, pos setzen die ererbten Formen fort, deren Endungen denen der a- bzw. δ-Stämme völlig entsprechen. As., ahd. die ist die Form des Nom., die sich bis heute bewahrt. Gen. PI. Die mask, und neutralen Formen entsprechen in Aufbau und Endung den oben beim Gen. Sg. besprochenen Femininformen, nur got. pize zeigt wie stets bei den Mask, und Neutr. den Ausgang -e. Ahd. diro erscheint mhd. als dire, dër, doch wahrt das Alem. auch vollvokalisches dëra. Die frühnhd. Zeit bevorzugt wieder im md. Bereich dere in substantivischer Verwendung, neben dem die Formen deren und derer aufkommen (s. u.). D a t . P I . got. paira < germ. *pai-miz
< idg. *toi-mis
(zur Stammesge-
stalt idg. *toi- vgl. oben Gen. Sg.); ihm entsprechen as. them, then, neben welchem them, then die Kürzung in unbetonter Satzstellung belegen. Aus unbetonter Stellung erklärt sich auch die Monophthongierung in ahd. dem, den, deren ê im Alem. häufiger, sonst selten die Diphthongierung von germ, ë2 erfährt. Wann anderwärts die Kürzung zu den eintrat, ist der ahd. Schreibung nicht zu entnehmen. Im Mhd. gilt den, neben welchem das Alem. die diphthongierte Form dien wahrt. Frühnhd. tritt neben den die Form denen. Der heutige Gebrauch der Schriftsprache hat in attributiver Stellung die mhd. kurzen Formen übernommen. Alleinstehend d. h. in substantivischer Verwendung gilt im Gen. Sg. M. und N. dessen, im Gen. Sg. F. deren, im Gen. PI. aller Genera deren bzw. derer, sowie sich ein Relativum darauf bezieht, während im Dat. PI. aller Genera denen erscheint. Diese Formen werden im 16. und 17. Jh. greifbar und treten langsam aus ursprünglich allgemeiner Verwendung in die substantivische über, doch gelten vor allem derer, deren, denen bis ins 18. Jh. hinein auch attributiv. Die Entstehung der Formen dessen und deren ist bisher nicht eindeutig geklärt, dessen zeigt gegenüber des Geminierung des -s- zur Wahrung der bei des erhaltenen Kürze. Bei der Entstehung des Ausganges -en dürften
Demonstrativpronomina §§ 177-179
193
mehrere Momente eine Rolle gespielt haben. Aus negierten Wendungen wie mhd. des enwas niht, der enwas niht konnte ein des(s)en was niht resp. deren was niht entstehen, als en als Negation aufgegeben wurde. So entstandenes dessen, deren hatte als Gen. Sg. M. und F. und als Gen. PL eine Stütze an dem gleichartigen Adjektivausgang der schwachen Flexion, der auch die Verwendung von deren als Dat. Sg. Fem. ermöglichte. Sie standen damit neben Formen wie derer, bei dem dem Gen. PI. der Ausgang -er der starken Adjektivflexion angefügt worden war, und neben denen im Dat. Pl., das ebenfalls um die Endung der starken und schwachen Adjektivflexion vermehrt wurde. Dazu wird man berücksichtigen müssen, daß neben der die vollere Form dere stand. Hier konnte in Sprachgebieten, wo die mundartliche Tendenz zur Vernachlässigung des auslautenden η bestand, deren als korrekte Form für dere empfunden werden. Die Verwendung von dessen in adjektivischem Gebrauch ist selten. Es gilt im 18. Jh. nur substantivisch, teils noch neben des, welche in erstarrten Fügungen wie indes, deshalb, desgleichen, deswegen schriftsprachlich ebenso bewahrt bleibt, wie in der altertümlichen Sprache des Sprichworts (' Wes Brot ich eß, des Lied ich sing') ; derer erscheint als Gen. Dat. Sg. Fem. und im Gen. PI. aller Genera zunächst adjektivisch und substantivisch. Heute ist der adjektivische Gebrauch völlig aufgegeben, ebenso der substantivische im Gen. Dat. Sg. Fem., relativen Sinnes auch im Gen. PI. deren gilt nur mehr als Gen. PI. des Relative, denen ist demonstrativen wie relativen Sinnes in subst. Verwendung üblich. In frühnhd. Zeit erscheint für dere die Form dero. Sie ist wie ihro in ihrer Endung dunkel. 2. Der germ. P r o n o m i n a l s t a m m
*hi-
§ 178. In Resten ist in den germanischen Sprachen ein Pronominalstamm *hi- greifbar, aus idg. *ki- entstanden, das in lit. Sis, abg. sï 'dieser' vorliegt, in lat. Adverbialbildungen wie cis, ci-tra erscheint. Das Got. hat in festen Wendungen den Dat. Sg. M. himma (himma daga 'heute'), den Akk. Sg. M. hina (und hina dag 'bis heute') und den Akk. Sg. N. hita (und hita 'bis jetzt') bewahrt. Im As. lebt der Nom. Sg. M. hi im Pronomen Personale III. Person, der Akk. Sg. M. in der Univerbierung hindag 'heute', der Instr. Sg. N. in hiudu, ahd. hiutu 'heute' < *hiu dagu weiter, neben denen noch ahd. hiuru 'heuer' < *hiu järu steht. Die so bezeugten Formen entsprechen völlig denen des einfachen Demonstrativum. 3. Das Pronomen j e n e r § 179. Got. jáins 'jener' flektiert als starker adj. a-Stamm, ebenso ahd. jener, mhd. jener-, doch fehlen endungslose Formen. Daneben steht im
194
Pronominalflexion
Obd., ibes, im Alem., Ahd., Mhd. ëner. Im 15. und 16. J h . tritt die Folge der jene auf, wo jene schwache Flexion zeigt ; im Gebrauch ist es von jener zunächst nicht verschieden. An seine Stelle schiebt sich seit dem 16. J h . das ebenfalls schwach flektierende derjenige, dessen Gebrauch allmählich sich auf die Fälle einengt, wo sich ein Relativ darauf bezieht.
XIV. KAPITEL
Zusammengesetzte Demonstrativa § 180. Neben dem einfachen Demonstrativum stehen in allen germanischen Sprachen zusammengesetzte Bildungen von stärker hinweisender Kraft. Sie gehen vom einfachen Demonstrativum aus, das mit verstärkendem Partikel komponiert wird. 1. Eigene Wege geht das Gotische. Got. sa, so, Pata werden durch folgendes -uh verstärkt. Bei der Univerbierung verdrängt -uh den auslautenden kurzen Vokal in zweisilbigen Formen, während bei einsilbigen Formen wie sa, so, Pai das u von -uh schwindet. In der zusammengesetzten Form fehlt die Auslautsverhärtung von -z in den flektierten Formen. Bezeugt sind Sg. Mask. Nom. sah, Akk. panuh, Gen. pizuh, Dat. pammuh PI. Mask. Nom. paih, Akk. panzuh Sg. Neutr. Nom. Akk. patuh sowie die mit dem Mask, gleichlautenden Gen.- und Dat.-Formen Sg. Fem. Nom. soh\ gleichartig gebildet ist bi-peh 'danach'. Das got. Kompositum ist jung und setzt im Wortauslaut den gotischen Lautstand voraus. Dadurch unterscheidet sich diese Bildung von got. fvazuh 'jeder' (vgl. § 184a). § 181. Im As. und Ahd. wird, wie auch im Ags. und Nordischen das einfache Demonstrativum mit einer deiktischen Partikel -sil-s(e) komponiert. Den ursprünglichen Zustand zeigen runische Formen wie der Nom. Sg. M. sa-si; Akk. Sg. M. pan-si·, Nom. Akk. Sg. N. pat-si; Dat. PI. paim-si. Das so entstehende Paradigma flektiert also ursprünglich innerhalb des Wortes. Diese Binnenflexion wird in der weiteren Entwicklung weitgehend aufgegeben zugunsten einer teils nach dem Muster der starken Adjektiva, teils nach dem Vorbild der einfachen Demonstrativa geschaffenen Endflexion. Dabei setzt sich als Stamm *pe(s)durch.
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