Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Band 8 Silber - Vulkan [[Lfg. 1–12]. Reprint 2020 ed.] 9783112335161, 9783112335154

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Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Band 8 Silber - Vulkan [[Lfg. 1–12]. Reprint 2020 ed.]
 9783112335161, 9783112335154

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HANDWÖRTERBUCH DES DEUTSCHEN ABERGLAUBENS HERAUSGEGEBEN UNTER B E S O N D E R E R M I T W I R K U N G

VON

E. HOFFMANN-KRAYER U N D M I T A R B E I T Z A H L R E I C H E R F A C H G E N O S S E N VON

HANNS BÄCHTOLD-STÄUBLI

BAND YIII i. LIEFERUNG SILBER-SPECK

BERLIN

UND

LBIPZIQ1936

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. VORMALS G.J.GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSB U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - KARL J. T R Ü B N E R - VEIT & COMP.

HANDWÖRTERBÜCHER ZUR D E U T S C H E N VOLKSKUNDE H E R A U S G E G E B E N VOM V E R B A N D DEUTSCHER VEREINE FÜR

VOLKSKUNDE

ABTEILUNG I

ABERGLAUBE

BERLIN

UND

LEIPZIG

1986/1937

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSB U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - K A R L J. T U Ü B N E R - V E I T & C O M P .

HANDWÖRTERBUCH DES DEUTSCHEN ABERGLAUBENS HERAUSGEGEBEN U N T E R B E S O N D E R E R M I T W I R K U N G VON

E. H O F F M A N N - K R A Y E R f UND MITARBEIT ZAHLREICHER FACHGENOSSEN VON

HANNS B Ä C H T O L D - S T Ä U B L I

BAND VIII

BERLIN

UND

LEIPZIG

1936/193?'

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCH H A N D L U N G - GEORG R E I M E R - KARL J. T R Ü B N E R - V E I T & COMP.

Copyright

1937

by

Walter de Gruyter & Co.,

vormals G . J . Göschen'sche

Verlagshandlung

J . Guttentag. V e r l a g s b u c h h a n d l u n g , G e o r g Reimer. K a r l J . Trübner, Veit & C o m p . Berlin und L e i p z i g

Archiv-Nr. 4 6 0 2 3 7 Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin \V 35 Printed in Germany

Silber, i a. Wie allen Metallen ist auch dem Silber die K r a f t eigen, Dämonen und Krankheiten abzuwehren. Silberne Ringe werden namentlich als Amulett und Talisman gern getragen. In Süddeutschland benutzt man i 1 ^ cm breite, mit kabbalistischen Zeichen und Buchstaben bedeckte silberne Ringe zum „Wenden" d. h. Aufhörenmachen der Krankheiten 1 ). In Ostfriesland trägt man dicke S.ringe am Finger gegen Epilepsie 2 ); in Schwaben gelten silberne Fingerringe als Mittel gegen den weißen Fluß 3) (similia similibus). Im Sarganserland legt man Kindern eine S.kette um den Hals, um die Krampfanfälle, welche den schweren Zahnausbruch begleiten, einzudämmen 4 ). Gegen Schadenzauber steckt man vielfach in die Wiegen der Kinder S., in Siebenbürgen auch ins Bett der Gebärenden 5 ). Leute vom Theater schätzen bekanntlich S.schmuck als bestes Schutzmittel 6 ). In der Mark steckt man den Toten ein S.stück als Zehrgeld, Totenteil (oder Schutz?) in den Mund 7 ). Gute Reisen macht ein Fahrzeug, das in der Mastspur ein S.stück trägt (Heims „ S e e s p u k " ) 8 ) . In verhexte Milch schießt man mit einer S.kugel 9 ). Das dem Kinde übergebene Patengeld muß schön geprägtes S.geld sein (Ostpr., Baden); sonst schadet es dem Kinde (und es wird nicht reich) 1 0 ). Ein der Braut geschenktes S.stück macht sie zu einer guten und reichen Hausfrau (Oberpf.) n ) . In Falkenau stecken die Weiber beim Flachssäen silberne Fingerringe an, damit der Bilwisschnitter dem Flachs nicht schade und dieser schön weiß (similia similibus) werde 1 2 ). In Mecklenburg und im Vogtland steckt man einem Baume, der nicht mehr recht tragen will oder bestohlen worden ist, eine S.münze in die Rinde oder legt sie an die Wurzel 1 3 ). In Mecklenburg und Schwaben legt der Hauswirt am WeihBächtold-Stäubli,

Aberglaube

VIII.

nachtsmorgen dem Vieh eine S.münze in die Tränke, damit es im neuen Jahre gutes Gedeihen habe 1 4 ). b. In Böhmen gilt der S.groschen, mit dem ein Schlangenkopf abgeschnitten 1 5 ) wurde, als Heckpfennig, der, so oft man ihn ausgibt, stets in die Tasche wieder zurückkehrt 1 6 ). S. gehört zu den Metallen, mit denen man heilkräftige Pflanzen (z. B . am Tage Petri-Pauli das Eisenkraut) graben soll (Magia naturalis 1702) 17 ). Nach einem schwäbischen Aberglauben kann man sich auf acht Tage hieb- und stichfest machen, wenn man mit silbernem Geschirr im Zeichen der Jungfrau eine weiße Wegewarte herausgräbt und sie an einem Freitage ißt18). c. Von der Heilkraft des S.s lehrte man im 16. Jh.: Geschabtes S., mit Weinsteinöl vermischt, vertreibt als Salbe die Räude, verzehrt, in böse Wunden gebracht, das faule Fleisch, zieht Wunden zusammen usw.; S. stärkt das Herz und macht gut Geblüt 1 9 ). S. galt als Mittel gegen Tollwut und Nasenbluten 2 0 ). Auf Quetschungen gebunden hält es die Geschwulst nieder 2 1 ). Mit Pillen aus S.kristallen glaubte man Wassersüchtigen das un1 natürliche Wasser abtreiben zu können; j flos Lunae sollte bei venerischen Kranki heiten gut sein usw. Die Alchimisten ; eigneten das S. wegen seiner blassen ; Farbe dem Monde zu, durch dessen Ein' fluß es unaufhörlich Nahrung erhalte. Sie behaupteten auch, es sei infolge einer I gewissen Harmonie mit Haupt und Hirn i für alle Gebrechen derselben besonders ; heilsam. S. hieß es, hat seine Zeiten, wo j es in den Bergwerken zu- und abnimmt 2 2 ). | Nach altem Bauernglauben ist es üble | Vorbedeutung, wenn man kein S.stück i bei sich hat, wenn man zum ersten Male den Neumond sieht 2 3 ). |

Andree-Eysn

136;

vgl.

Seyfarth

Silberfischchen—Simon und Judas Sachsen 264. 2 ) W u t t k e 355 § 532; vgl. F r a n z Benediktionen 2, 502. 3 ) B i r l i n g e r Volkst.

5

1,

480 N r . 4.

4

)

Manz

Sargans

55.

) W u t t k e 382 § 561; H i l l n e r Siebenbürgen 15. •) S e l i g m a n n 2, 8. ' ) T e m m e Altmark 88; K u h n Mark. Sagen 368. 8 ) S a r t o r i 2, 161; S e l i g m a n n 2, 18 (Pommern). •) F o g e l Penns.

Germ.

178 N r . 854.

10

)

Wuttke

389

§ 594- n ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 124 Nr. 12. 12 ) J o h n Westböhmen 196. 13 ) J a h n Opfergebräuche 211. 14 ) ebd. 285. 15 ) W u t t k e 115 § 153 u. 409 § 634. 1 6 ) B i r l i n g e r Schwaben 1, 402. 1 7 ) ebd. 340 Nr. 576, 3; vgl. A g r i p p a v. N. 4, 188. 1 8 ) P e t e r s Pharmazeutik 2, 84; L o n i c e r 51; vgl. M o s t Encyklopädie 573. R o c h h o l z Gaugöttinnen 24; F o g e l a. O. 293 Nr. 1549; vgl. B a r t s c h Mecklenburg 2, 138 Nr. 615. 20 ) Z a h l e r Simmenthai 85. 21 ) Z e d i e r 2, 1342 s. v. argentum und 37, 1245. 1 2 7 4 0 . s. v. Silber; A g r i p p a v. N. 1, 139; H e l l w i g Kalender 64. 2 2 ) T y l o r Cultur 2, 303; vgl. D r e c h s l e r 2, 131; K r a u ß Slaw. Volksglaube

15.

2. Durch mehrere Generationen v e r e r b t e s S. ( E r b s . ) ist besonders wirksam. U m sich vor Verhexung zu schützen, trägt man gern alte S . r i n g e 1 ) . Noch im 19. Jh. trugen viele Männer kleine Ringe aus altem S. im linken Ohre, bei Schiffern sieht man es heute noch bisweilen 2 ). Sie tragen sie jetzt als A b w e h r gegen allerhand K r a n k h e i t e n 3 ) . Böse Menschen können die Flinte eines Jägers behexen, so daß der Schuß sich nicht entlädt oder nicht trifft; man verhindert das, indem man sie mit Erbs. (gegossene K u g e l oder silberner Knopf) l ä d t 4 ) . Wer fest ist, kann durch eine solche K u g e l getötet werden 5 ). Hexen, die sonst schußfest zu sein pflegen, und Tiere, in die sie sich verwandelt haben (Hasen, Füchse, Schweine) werden durch einen Schuß mit Erbs. verwundet und getötet, ebenso der durch gewöhnliche Waffen unverletzbare Werwolf, in Norwegen der Trollhase und der Führer der T r o l l e 6 ) . Eine m i t Erbs. gemachte W u n d e heilt n i e 7 ) . A u c h in der Volksheilkunde hat das Erbs. Bedeutung. Wenn einer einen geerbten silbernen Ohrring trägt, so weichen die heftigsten Zahnschmerzen 8 ). Geschabtes Erbs. wird gegen mancherlei Krankheiten, namentlich angehexte, eingegeben 9 ). E s soll vor allem wirksam sein gegen K r ä m p f e , Fallsucht, den bösen Schaden 1 0 ). A u c h kranken Tieren gibt

4

man, meistens unter Sprechen eines Zauberspruches, etwas Erbs. ein, besonders bei verstautem Blute u ) . S t r a c k e r j a n 1, 435 u. 2, 118 Nr. 345; Se l i g m a n n 2, 8; W u t t k e 282 §414. 2 ) S c h w a r t z Studien 121. 3 ) mündlich aus Schlesien. 4 ) S t r a c k e r j a n a. O. 1, 435 Nr. 234; W u t t k e 4 5 3 § 7I5:

5

v g l . Z d V f V k . 20 (1910), 3 8 5 , 3 N r . 3.

) W u t t k e 287 § 421; B e r t h o l d Unverwund-

barkeit

68;

Jahn

Pommern

334

Nr.

418;

M e i c h e Sagen 562 Nr. 698; K u o n i St. Galler Sagen 99; N o r k Sitten 706; 254 N r . 345; Jägerbrevier 1,

Grässe Sachsen 202 f . 207, v g l .

S c h o b e r Spessart 210 Nr. 43. *) S t r a c k e r j a n a. O. 1, 435 Nr. 234; W u t t k e 283 § 415 u. 160 § 217; M ü l l e n h o f f Sagen 229 Nr. 315 u. 230 Nr. 316; B a r t s c h Mecklenburg 1, 148 Nr. 183 u. 145 Nr. 178; 2, 470 Nr. 663 u. 40 N r . 40; J e c k l i n

Volkst.

(1916), 34; N i e d e r -

h ö f f e r Mecklenburg 2, 14; 4, 163; vgl. M e y e r Aberglaube 277 f . ; E i s e l Sagen 140 N r . 375 f . ; J a h n Hexenwesen 18; Pommern 378 N r . 483;

H a a s Rügen 98; H e s e m a n n Ravensberg n o 1 ;

ZdVfVk.

11 (1901),

317;

Meyer

Relg.

Hertz

Werwolf 83; vgl. R o c h h o l z

mythen

260 f . ;

Grässe

Jägerbrevier

129;

Natur-

1,

233;

Heide

240.

A s b j ö r n s e n Huldre-Eventyr 2, 128 f. (Norwegen). ' ) W u t t k e 287 § 421; M ü l l e n h o f f a. 0.231 Nr. 317. 8 ) M ü l l e n h o f f a. O. 239 oben. 9 ) W u t t k e 343 § 510 u. 360 § 542; S t r a c k e r j a n a. O. 1, 435 Nr. 234; M ü l l e n h o f f a. O. 230 Nr. 315. 10 ) B a r t s c h a. O. 2, 112 Nr. 430 u. n

114 N r . 443; K ü c k

Lüneburger

) B a r t s c h a. O. 2, 438 Nr. 2025; M u s s ä u s Mecklenburg 105 Nr. 14. Vgl. L i e b r e c h t Zur Volkskunde 312 (Norwegen) (Silberring). f Olbrich.

Silberfischchen, Z u c k e r f i s c h c h e n s. Zuckergast. Silvester s. N e u j a h r . Similia similibus s. Nachtrag. Simon und Judas. 1. Simon mit dem Beinamen Zelotes, der Eiferer, Apostel Jesu. E r kommt im Segen gegen Schlangenbiß v o r 1 ) und reitet nach Rom in einem Segen des 16. Jh. und in einem Kuhsegen 2 ). Scherzhaft gemeint ist die Mahnung: A m Sanct Simonstag soll kein Mann seinem Weibe widersprechen. S. ist der Patron der „Simannlbrüderschaft", d. h. der Ehemänner, die unter der Herrschaft ihrer Weiber stehen 3 ). Steht am Tage S. und J. die Frau eher auf, so ist „sie Moan" und führt das Jahr über das R e g i m e n t 4 ) . *) ZfVk. 24 (1914), 154 (Frankreich); Séb i l l o t Folk-Lore 3, 277. 2 ) MschlesVk. 9, H. 18, 12, Anm. 1. Dafür Simeon: E b e r m a n n Blutsegen 5; ZfrwVk. 7, 147; Ztschr. f. d.dtschen

5

6

singen—Sintflut

U n t e r r i c h t 25 ( 1 9 1 1 ) , 447 ff. Simeon im A u g s 3) burger W o l f s s e g e n : Z f V k . 1, 302. Leopr e c h t i n g Lechrain 197 f . ; Z f V k . 12 (1902), 299; M e i s i n g e r Hinz u. Kunz 89; G e r a m b Brauchtum 85. 4 ) D r e c h s l e r 1, 279.

2. Simon hat seinen Gedächtnistag am 28. O k t o b e r zusammen mit Judas Thaddäus 5 ). Der Tag bezeichnet das Ende der Weidezeit 6 ) und wird als Wintersanfang betrachtet 7 ). „Mit Simon Jude kimmt der Schnie ei de Bude" 8 ). In Niederdeutschland sagt man: „Semendü smit den Dreck mank de L ü " 9 ). Ein französisches Sprichwort lautet: „ A la St. Simon et Judas les vaisseaux ä l'ancre" 1 0 ), ein ungarisches: „ E s naht Simon-Judas, weh dem, der in bloßer Unterhose i s t " 1 1 ) . Die Sperlinge zeigen sich nicht auf den Feldern, weil der Teufel sie wegfängt (polnisch-russisch) 12 ). Im übrigen gilt der Tag als Unglückst a g 1 3 ) . Kein Rad darf sich drehen 1 4 ), und es darf nicht gesponnen werden 1 5 ). Für den Vers in Schillers-Teil (I, 1): ,, 's ist h e u t Simons und Judä, D a r a s t der See und will sein O p f e r h a b e n "

scheint sich freilich noch kein Beleg aus dem Volksmunde gefunden zu haben 1 6 ). Die Letten begehen in den vier Wochen von Michaelis bis S. u. J. ihr Seelenfest mit Bewirtung der Geister. Das Dreschen ist in dieser Zeit verboten 1 7 ). 5) K ü n s t l e Ikonographie 539. •) E b e r 7) hardt Landwirtschaft 20. Reinsberg 8 Böhmen 487. ) D r e c h s l e r 152; vgl. N o r k Festkalender 2, 6 5 8 . ' ») L a u f f e r Niederd. 10) Volksk. 7 3 . S c h w V k . 1, 86. " ) ZfVk. 4 (1894), 405. 1 2 ) D ä h n h a r d t Natursagen 1, 198. 1 3 ) Z f V k . r, 302. 1 4 ) W u t t k e 8 6 (103: K ä r n t e n ) . 15) Ebd. 402 (619). ") SchwVk. 1, 86. ' " ) F r a z e r 6, 74 f. f Sartori.

singen s. Nachtrag. Singrün s. I m m e r g r ü n 4, 673!?. Singvogel. S., die zu früh singen, frißt die K a t z e g e r n 1 ) . Redet man in Gegenwart von S.n, sie zu verkaufen, dann sterben sie gern 2 ). Wer S. tötet, hat kein Glück m e h r 3 ) . Das Fleisch eines S.s gibt man einem Kinde zu essen, damit das Kind eine schöne Stimme bekommt 4 ). Den S.n gibt man Kuchen, damit sie besser singen 5 ). Im MA. waren Erzählungen von künstlichen S.n beliebt 6 ). Über mehr-

stimmigen Gesang der Vögel vgl. Förster zu Y v a i n 460 ff. und Cliges 2846 ff. *) W o l f Beitr. 1, 233; W u t t k e 205 § 2 8 1 ; G r i m m DWb. s. v . Vogel, 8; auch sprichwörtlich s. W a n d e r Sprichwlex. 4, 1662. 2) W o l f Beitr. i , 233. 3 ) D r e c h s l e r 2, 225. 4 ) Z f r w V k . 2, 184; J ü h l i n g Tiere 247. 5) H ö f l e r Weihnacht 26. ' ) L i e b r e c h t Zur Volksk. 8 9 ! ; S p a r g o Virgil the Necromancer (1934), Kap. IV. Taylor.

Sintflut. 1. U m Mißverständnissen vorzubeugen, muß betont werden, daß der vorliegende Artikel ausschließlich w i r k l i c h e S.überlieferungen behandelt — also n i c h t die so zahlreichen Sagen über Uberschwemmungen lokalen Charakters, die zur Bildung von Seen und ähnlichen permanenten Wasseransammlungen geführt haben sollen 1 ). — Die wirklichen S.Überlieferungen, die aus dem Munde einer Unzahl von Völkern aufgezeichnet worden sind, lassen sich sehr scharf in v i e r voneinander ganz verschiedene G r u p p e n trennen. ») V g l . z. B . G r i m m Myth. 1, 481 f . ; h a r d t Natursagen 2, 133 — 140. 286 f.

Dähn-

2. Zur e r s t e n Gruppe gehören diejenigen S.sagen, die nichts als eine mehr oder weniger entstellte gedächtnismäßige Reproduktion des biblischen Flutberichts sind (welch letzterer bekanntlich wiederum auf eine babylonische Urquelle zurückgeht). Ein geradezu klassisches Beispiel für diese weniger volkskundlich, als psychologisch und kulturhistorisch interessante Gruppe ist jener S.bericht, den M. Merker bei dem ostafrikanischen Volke der Masai aufgezeichnet h a t 2 ) und der, trotz der gegenteiligen Meinung Merkers (und Riems: vgl. u.), auch nicht eine Silbe enthält, die auf eine selbständige Fluttradition der Masai hindeutete. 2)

M. M e r k e r

Die Masai,

Berlin 1904, 302 f.

3. Den direkten Gegensatz zu diesen mündlichen Bibelplagiaten bildet die z w e i t e Gruppe — die v o n d e m b i b l i s c h e n B e r i c h t u n a b h ä n g i g e n 3 ) S.s a g e n der verschiedensten Völker. Es ist dies eine hochinteressante und wissenschaftlich äußerst bedeutsame Kategorie von Erzählungen, ohne deren genaue Kenntnis eine Lösung der noch dunklen Frage nach dem Ursprung der S.vor1*

7

Sintflut

Stellung überhaupt sich nicht erzielen läßt. Um sich eine solche Kenntnis zu verschaffen, muß man — da eine halbwegs abschließende Monographie über die S.sagen noch nicht existiert — mit möglichster Aufmerksamkeit und Sorgfalt die einschlägigen Schriften von Andree 4 ), Winternitz 6 ), Gerland 6 ), Frazer 7 ) und Riem 8) durchstudieren; was sonst darüber geschrieben worden ist, ist von geringer Bedeutung — sogar das bekannte Buch Hermann Useners 9 ), welch letzterer glaubte, eine Monographie über die Flutsagen bloß auf Grund der Überlieferungen der alten Kulturvölker schreiben zu können. Die genannten fünf Schriften ergänzen sich gegenseitig, und wer da meint, die Schrift Frazers oder gar Riems enthalte das letzte Wort der Wissenschaft und mache die Lektüre der übrigen Schriften überflüssig, befindet sich in einem argen Irrtum. — Was die Theorien über den Ursprung der S.sage anbetrifft, so kann keine von ihnen als endgültig bewiesen angesehen werden; die astralmythologischen Hypothesen von Usener und von Gerland stehen auf mehr als schwachen Füßen, ebenso die geologischhistorischen Phantastereien eines Franz v. Schwarz 10 ); mehr Berechtigung haben die Hypothesen von einer übertreibenden Erinnerung an wirkliche große Überschwemmungen und von einer naiven ätiologischen Deutung geologischer Tatsachen (versteinerte Muscheln auf hohen Bergen u.dgl.); die letztgenannte Hypothese wird besonders von Frazer bevorzugt. — Sehr wichtig ist die geographische Verbreitung der von der Bibel unabhängigen S.sagen: obwohl solche Sagen bei weitem in den meisten Ländern der Erde vorkommen, gibt es dennoch riesige Gebiete, die völlig oder fast völlig flutsagenfrei sind: Japan, China, Afrika; auch Europa ist auffallend arm daran (besonders wenn man die Verdächtigkeit z. B. der litauischen S.sage in Betracht zieht); wenn dagegen bisher allgemein geglaubt wurde, daß auch Nordasien flutsagenfrei sei, so hat der Schreiber dieser Zeilen nachgewiesen u ) , daß eine derartige Annahme gänzlich unbegründet

8

ist: Westsibirien und die nordwestliche Mongolei einerseits, Kamtschatka andererseits sind geradezu reich an echten S.sagen, die bis jetzt nur infolge der russischen und ungarischen Sprache der Publikationen den mittelund westeuropäischen Forschern so gut wie unbekannt geblieben waren; dabei zeigt sich nicht nur zwischen den nordwestasiatischen und den kamtschadalischen Sagen trotz der geographischen Trennung ein deutlicher genetischer Zusammenhang, sondern auch zwischen diesen beiden Gruppen einerseits und den nordwestamerikanischen S.sagen andererseits (Motiv des an den Erdboden angeseilten Flosses, dessen Seil sich als zu kurz erweist und deshalb gekappt werden muß). — Wenn sich also zwischen den Flutsagen der einzelnen Länder und Erdteile weltweite historische Zusammenhänge nachweisen lassen, so wird dieses doch schwerlich in s ä m t l i c h e n Fällen möglich sein: um eine gewisse P o l y g e nese der S.sagen werden wir wohl kaum herumkommen können. — Die aus der jüngeren Edda bekannte eigenartige nordische Flutsage von der durch das Blut des getöteten Riesen Ymir verursachten S. 1 2 ) hat in der heutigen deutschen Volksüberlieferung nicht die geringste Spur hinterlassen; ebensowenig hat dies irgendeine andere selbständige S.sage getan. Die hier behandelte zweite Kategorie von Flutsagen kommt also (ganz wie die erste) für die mündliche deutsche Volksüberlieferung überhaupt nicht in Betracht. 3 ) Man beachte übrigens, daß echte unabhängige S.sagen nicht selten mit dem biblischen Bericht kontaminiert werden — eine Erscheinung, die besonders von Winternitz 4) R i e h . ausführlich behandelt worden ist. A n d r e e Die Flutsagen, Braunschw. 1891. 6 ) M. W i n t e r n i t z Die Flutsagen des Altertums und der Naturvölker, Mittheilungen d. Anthropol. Ges. in Wien 31 (1901), 305 — 333. ' ) G. G e r l a n d Der Mythus von der Sündflut, Bonn 1912. ' ) J. G. F r a z e r Folk-lore in the Old 8) J o Testament I, Lond. 1919, 104—361. h a n n e s R i e m Die Sintflut in Sage und Wissenschaft, Hamb. 1925 ( = Natur u. Bibel in d. Harmonie ihrer Offenbarungen 4). •) H . U s e n e r Die Sintflutsagen, Bonn 1899 ( = Religionsgeschichtliche Untersuchungen III). 10 ) F r a n z v. S c h w a r z Sintflut u. Völker-

Wanderungen, S t u t t g . 1894. " ) W . A n d e r s o n Nordasialische Flutsagen, D o r p a t 1923 ( = A c t a

et Commentationes Univ. Dorpatensis B IV 3). 12

10

Sintflut

9

) A n d r e e Flutsagen 43 f. Nr. 22.

4. Letzteres gilt auch für die d r i t t e Kategorie — traditionelle, zum Teil über tausendjährige A u s s c h m ü c k u n g e n und E r g ä n z u n g e n des b i b l i s c h e n F l u t b e r i c h t s . Solche apokryphe Zusätze zur biblischen Erzählung (teils unbedeutende Details, teils lange Episoden) kommen bei den J u d e n recht häufig vor, noch viel häufiger bei den M o h a m m e d a n e r n , bei den Christen aber f a s t a u s s c h l i e ß l i c h in O s t e u r o p a , und auch da nur in geringer Anzahl (obschon die einzelnen in Betracht kommenden Sagen—der Teufel läßt Noahs Frau den Noah durch Branntwein berauscht machen, zerstört die Arche, die von neuem gebaut werden muß, dringt mit Hilfe von Noahs Frau in die Arche ein, knabbert in den Boden der letzteren in Gestalt einer Maus ein Loch, wird von der eigens zu diesem Zwecke erschaffenen Katze aufgefressen, die Arche wird durch die Schlange gerettet usw. — eine jede durch sehr viele Aufzeichnungen vertreten sind). Die christlichen Sagen dieser Art sind nur selten in die schriftliche Literatur der betreffenden Völker eingedrungen, während analoge Geschichten sich bei Juden und Mohammedanern meistens gerade in den Literaturdenkmälern finden. — Die beste vorläufige Ubersicht über die hier besprochenen osteuropäischvorderasiatischen Legenden bietet Oskar Dähnhardt im I. Bande seiner „Natursagen" 1 3 ); man beachte jedoch, daß die jüdischen und mohammedanischen Sagen bei ihm unglaublich lückenhaft vertreten sind — schon deshalb, weil die wenigsten unter ihnen den Charakter ätiologischer Natursagen tragen. l3

)

Dähnhardt

Natursagen

1,

257—294.

356 f.

5. Somit bleibt für die mündliche deutsche Volksüberlieferung nur die v i e r t e und letzte Art von S.sagen übrig — ä t i o l o g i s c h e O r t s s a g e n , die auf irgendeine Weise mit der S. in Zusammenhang stehen (wie schon oben erwähnt, suchte Frazer gerade in solchen Ortssagen eine der Hauptquellen der S.vorstellung über-

haupt). Es gehört hierher z. B. die Überlieferung von ein paar großen Steinen auf dem Scharfenberge bei Hilwartzhausen, die zur Zeit der S. dahin gekommen sein sollen 14 ); die Sage von dem Ilsenstein im Harz, der sich während der S. plötzlich spaltete, wobei ein gerade darauf stehendes Liebespaar umschlungen in die Fluten stürzte und ertrank 1 5 ); die Überlieferung von einem Gletscher in Südtirol, der früher bis nach Deutschland gereicht habe und wahrscheinlich durch die große S. „fortgebracht" worden sei 16 ). Von besonderem Interesse sind die Sagen von den großen eisernen S . r i n g e n hoch oben an den Bergen, an die man während der S. (oder aber zu einer Zeit, als ganze heutige Täler Seen gewesen seien) die Schiffe angebunden habe 1 7 ). Auch sonst spielt die S. hie und da in deutsche Ortssagen hinein: Rodeneck in Tirol sei von der S. verschont geblieben 18 ); eine in Ruinen liegende Kapelle am Kressinschen See in der Mark sei von der S. zerstört worden und dabei ihre Glocken in den See gesunken 19 ); örtliche Riesen 20 ) oder 21 Zwerge ) sollen vor der S. gelebt haben. In Iserlohn stammt die Fußspur einer Kuh, auf der eine Zauberin ritt, aus der Zeit der S. 2 2 ) usw. Ganz biblisch klingt die Nachricht von dem Stücke eines sehr großen S c h i f f e s (scheinbar von Eichenholz), das seit der S. auf der obersten Spitze des Bristengebirges im urnerischen Schächental liege 23). 14 ) ZfdMyth. 2, 404 f. 1 6 ) G r i m m Sagen 224 Nr. 316. 1 9 ) Z f V k . 2, 193. 1 7 ) D e o n n a Croyan-

ces relig. 3 4 3 — 3 4 5 ;

Laistner

305;

Testament 1,

Frazer

Old

Tirol 148 N r . 43.

18

) Heyl

Nebelsagen

179;

Tirol 667 N r . 144. 2

" ) K u h n Mark. Sagen 108 N r . 105. Tirol 149 N r . 43.

82

21

) Heyl

169.

Heyl

«) H e y l

Tirol 396 f. N r . 81.

) M a n n h a r d t Germ. Mythen 79.

a3

) Lütolf

Sagen 369 f . N r . 337; v g l . D ä h n h a r d t sagen 1, 293.

Natur-

6. Einen ganz eigenartigen Nebenzweig der S.Überlieferungen bietet das manchmal auftauchende Schauerg e r ü c h t v o n e i n e r in a l l e r n ä c h s t e r Z e i t d r o h e n d e n W i e d e r h o l u n g der S. Solche Ideen von einer zukünftigen zweiten S. kommen auch bei nichtchristlichen Völkern vor, z. B. bei den Wogulen 24 ); besonders berühmt ist je-

Sitte und

Brauch—Skapulier

doch die im Jahre 1524 in Mittel- und Westeuropa erwartete S.; die Astrologen, die sie prophezeit hatten, stützten sich auf die Konjunktion der drei Planeten Saturn, Jupiter und Mars im Zeichen der Fische. „ J e näher die Zeit herankam, desto größer wurde die Angst der Leute. Dem Kaiser K a r l V . wurde der R a t gegeben, seine Armeen in hohe Gebirgsgegenden zu konsignieren und dort große Magazine anzulegen, in Toulouse wurde sogar eine Arche gebaut. Auch Luther sah in dieser gefährlichen Konstellation ein Wahrzeichen Gottes" 25 ). 21)

Anderson Stemplinger Volksk. 70 f.

25)

Nordas. Aberglaube

Flutsagen 14 f. 111; Schmidt Anderson.

Sitte und Brauch s. I, 1511. sitzen s. Nachtrag. Sixtus hl., Papst und Märtyrer, unter Valerianus enthauptet 258. Gedächtnistag: 6. A u g u s t 1 ) . In einer Handschrift des 14./15. Jahrhunderts in der Bibliothek zu St. Florian steht: „item die swangern frawn messent ain dacht noch sand Sixt pild, als lank es ist, vnd guertns vber den pauch, so misslingt in nicht an der purd" 2 ). Eine mittelalterliche Sage behauptet, Papst S. habe eines Tages in Vreden in Westfalen das h. Meßopfer dargebracht und zum Andenken an ihn werde sein Meßgewand, das er der Stiftskirche zurückgelassen, dort noch mit großer Ehrfurcht aufbewahrt. Am S.tage wird Obst verschiedener Art und Brot aus neuem Roggen gesegnet und unter die Stiftsmitglieder verteilt 3 ). K ü n s t l e Ikonographie d. Heiligen 540 f f . ; D o y e Heilige u. Selige d. römisch-katholischen Kirche 2, 3 4 7 ; S a m s o n D. Heiligen als Kir2) chenpatrone 365. G r i m m Mythol. 3, 4 1 7 ( 3 1 ) ; S A V k . 29, 204 t. 205 f . ; Z f V k . 13, 3 6 7 ; O b e n 3, 1 2 1 9 . Vgl. F r a n z Benediktionen 1, 3 7 1 . 3 ) Zeitschr. f. vaterl. Geschichte und A l t e r t u m s k u n d e (Münster i. W . ) 52 (1894), 1, 1 f. V g l . 46 (1888), 2 1 0 fi.; 49 (1891), 138 f. (Vielleicht w a r S. ursprünglich K i r c h e n p a t r o n in Vreden). Ü b e r die W e i h e v o n W e i n t r a u b e n u. B o h n e n a m S . t a g e : F r a n z Benediktionen 1, 184. 370. 373 ff. •f Sartori.

Skabiose (Apostem-, Grind-, kraut, Witwenblume; Scabiosa baria).

Krätzcolum-

12

1. Die S. hat hellviolette Blütenköpfe und fiederteilige Blätter. Die nahverwandte Acker-S. (Knautia arvensis) ist ihr ähnlich, die unteren Blätter sind jedoch ungeteilt, die oberen fiederspaltig. Beide Arten sind auf trockenen Wiesen, an Rainen usw. nicht selten 1 ). Die S. (von lat. scäbies = Krätze, Aussatz) gilt offenbar nach der signatura rerum als „Grindkraut", weil die rauhen rundlichen Blütenköpfe an den Kopfgrind der Kinder denken lassen 2 ). Gegen den Rotlauf (rote Blütenfarbe?) gibt man den Schweinen einen Absud der S. 3 ), dem Vieh gibt man diesen Absud ein, wenn es nicht stallen kann4). Die an den Hals gebundene Wurzel der S. soll vor Augenblattern schützen 5 ), vielleicht eine Verwechslung mit dem ähnlichen und nahverwandten Teufelsabbiß (s. d.) Im Sagittario soll man (im November) S.wurzel graben, fein länglich voneinander spalten, an einen Faden reihen und trocknen lassen, und wenn sich ein Kind krimmt (jucken beim Ausschlag) 6 ), ins Trinken legen 7 ). x) M a r z e i l Kräuterbuch 273. 2 ) W e i n k o p f Naturgeschichte 72; vgl. T a b e r n a e m o n t a n u s 3) Kräuterbuch 1588, 552. Knoop Pflanzenwelt 12, 13. 4 ) T r e i c h e l Westpreußen 1. 88. 6 ) S c h i l l e r Tierbuch 2, 29. •) H ö f l e r Krankheitsnamen 330. ') Colerus Calendarium 1604, 2 1 1 .

2. Wohl wegen der rötlichblauen Blütenfarbe (s. Gewitterblumen 3, 833) gilt die Acker-S. in Altbayern, im Vogtland und in der Lausitz als blitzanziehend. Man darf sie nicht abreißen und ins Haus bringen, sonst kommt ein Gewitter und der Blitz schlägt ein 8 ), daher auch die Volksnamen Gewitter-, Donnerblume, in Belgien „fleur du tonnere" 9 ). 8) K ö h l e r Voigtland 4 1 3 ; S t ü b l e r Zur Lausitzer Volksbotanik u. -Zoologie (1926), 13; M a r z e l l Bayer. Volksbot. 133. *) R o l l a n d Flore pop. 7, 4. Marzell.

Skapulier. Das Wort S. oder Schäpelier, in der Schweiz Tschäpelier 1 ), leitet sich aus dem mittel-lat. Wort scapulare = Schultergewand her 2 ). Dieses scapulare war ursprünglich (Regula S. Benedicti cap. 55) ein Überwurf über das Ordensgewand, der nur Haupt und Schultern deckte und zur Schonung der Ordenstracht diente; später bildete es einen be-

13

Skapulier

ständigen Teil vieler Ordenstrachten, aus einem breiten, vorn und hinten herabfallenden Tuchstreifen bestehend 3 ). Von diesen Ordens-S.en sind die sog. kleinen S.e zu unterscheiden, auch Laien- oder Bruderschafts-S.e genannt 4 ), die von den Mitgliedern bestimmter, meist aus irgendwelchen Orden hervorgegangenen Kongregationen um den Hals getragen werden als äußeres Zeichen der Gebetsverbrüderung. Am bekanntesten ist die S.bruderschaft Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel mit braunem S. Am S.fest (16. Juli) wird dieses S. von einem besonders bevollmächtigten Priester benediciert und unter bestimmten Gebeten den Gläubigen, die in die S.brüderschaft eintreten wollen, um den Hals gelegt. Die von den Trinitariern geleitete Bruderschaft der allerheiligsten Dreifaltigkeit trägt ein weißes S., die von den Sieben Schmerzen Mariä ein schwarzes. Das von den Theatinern geweihte b l a u e S. konnte früher (vor 1894) auch von Nichtmitgliedern der Theatinerbruderschaft getragen werden. Ebenso ist das rote Passions-S. mit dem aufgenähten Bild des Gekreuzigten auf der einen, dem der hl. Herzen Jesu und Mariä auf der andern Seite, ferner das v i o l e t t e St. Josephs-S. nicht den Mitgliedern einer bestimmten Kongregation vorbehalten. Für das unablässige Tragen der erwähnten S.e und Verrichtung regelmäßiger kleiner Gebete verleiht die Kirche allerlei Ablässe 5 ). Auf die vorgeschriebene Form und Farbe der S.e wird von dem gläubigen Landvolk besonders geachtet. Auch hält man streng darauf, daß das S. auf bloßem Leib um den Hals getragen wird, auch wenn manche Unbequemlichkeit (Schweißerzeugung) damit verbunden ist. Erst in jüngerer Zeit hat man aus hygienischen Gründen die oben beschriebenen S.e häufig durch Medaillen ersetzt 6). Die geläufige Form des S.s ist folgende: es besteht aus zwei durch Schnüre verbundenen Teilen, wovon der eine auf der Brust, der andere auf dem Nacken aufliegt. Die beiden Teile selbst sind aus viereckig geschnittenen und aufeinandergenähten, farbigen Wollstoffläppchen zu-

14

sammen gesetzt; oben darauf ist in der Regel ein Stoffkreuzehen oder ein helleres Leinwandstückchen aufgenäht, bedruckt mit einem Marienbild oder einer Segensformel, wie sie auch die Medaillen tragen. Neben diesen kirchlich konzessionierten S.formen findet man andere, die kleine viereckige Kissen darstellen, meist noch um den Hals getragen, aber auch manchmal unter das Kopfkissen gelegt oder in dasselbe eingenäht werden. Solche Stücke, die schon ganz Amulettcharakter haben, führen mitunter trotz ihrer kirchlichen Herkunft — wie die in Beuron gekauften, kräutergefüllten S.e oder ähnlicheKräuterkissen der Mönche vom Kloster Fremersberg, vom ölberg oder Kalvarienberg herstammend—bereits den Namen „Mamlette" oder „Ammenetli'*7). Außer diesen Kräuter-S.en gibt es S.kissen, die im Innern mehrfach zusammengefaltete, mit Gebeten und geheimnisvollen Zeichen versehene Zettel 8 ) (Gebetsamulett) oder reliquienartige Wallfahrtsandenken wie etwa ein winziges Fläschchen ö l aus den Gebeinen der hl. Walpurgis in Eichstätt 9) enthalten. Andere wieder sind mit einem oft schwer bestimmbaren Mehl gefüllt; vorwiegend handelt es sich um Reliquien- oder Kräutermehl 10 ). Oft ist es so, daß kirchlich geweihte S.e nachträglich mit derlei, meist geweihten Dingen gefüllt werden. Ist aber nicht wenigstens die Hülle, das Säckchen oder Kissen, benediziert, sondern vielleicht von einem Wunder- oder Sympathiedoktor verfertigt, darf man von einem S. wohl kaum mehr sprechen. Neben der Gnadenvermittlung erwartet man vom Tragen des S.s besonderen Schutz Marias. Man trägt das S. besonders, wenn man großen Gefahren entgegengeht; so haben z.B. in den Kriegen 1866,1870 und besonders auch im Weltkrieg viele Soldaten aus kath. Gegenden draußen im Feld ihr S. getragen n ). Bis zu dem Glauben an die übelabwehrende (apotropäische) Wirkung des S.s, ähnlich etwa einem auf der Brust getragenem Kugelbrief, ist nur noch ein kleiner Schritt. Tatsächlich wird dem S. in vielen Fällen unmittelbare Amulettwirkung zuge-

IS

Skapulimantie—Skiomantie

schrieben. In Baden (Krumbach, A. Meßkirch) legt man ein in Beuron gekauftes, mit Kräutern ausgestopftes und mit Heiligennamen versehenes S. Frauen zur Erleichterung der Geburt unter das Kopfkissen 1 2 ). In der Pfalz trägt man zum Schutz vor Krankheiten und Gefahren die Benediktuss.e, in die man blühend getrocknete Kräuter und Benediktusdisteln eingenäht h a t 1 3 ) . S.e schützen nach badischem Volksglauben den Säugling gegen „ G i c h t e r " 1 4 ) , im Sarganserland (Schweiz) 15 ) ebenso in Litauen 1 6 ) gegen Krankheiten und Leibesschaden aller Art, besonders auch gegen Hexen und Gespenster. Nach einer schles. Sage will ein dem Teufel Verfallener sich ertränken, wird aber im letzten Augenblick durch ein zugeworfenes S. gerettet 1 7 ). In der Oberpfalz sucht die Mutter ihr Kind dadurch vor dem Auswechseln zu schützen, daß sie ihm ein S. umhängt 1 8 ). Eine genaue Beschreibung eines S. aus Litauen 1 9 ) vom Jahre 1732 nennt als weitere Wirkungen: das S. soll behüten vor einem plötzlichen Tod und dem, der es stets trägt und sechsmal täglich den Rosenkranz betet, die Todesstunde offenbaren, ferner soll es behüten vor Donner und Hagel, wenn daneben ein an Lichtmeß geweihtes Wachslicht angezündet und das erste Kapitel aus dem Evangelium Johannis gelesen wird. S.e schützen nach Sagen aus Posen und Tirol beim Schatzgraben vor dem Teufel 2 0 ). Ein Teufelsweible verlangt von einem Burschen, den es betört hat, daß er den „Lausfleck" d. i. das S. wegtue 2 1 ). Im bayrisch-österreichischen Alpengebiet aber muß beim Perchtenlaufen der Bursche, der den Teufel macht, das S. ablegen, weil es sich nicht mit seiner Rolle vertragen würde. Eine Sage erzählt, wie ein solcher Bursche, offenbar vom Teufel besessen, hoch in die Luft erhoben wurde, durch Weihwasserbesprengung tot herabfiel und erst durch das umgelegte S. wieder lebendig wurde 2 2 ). *) S c h i l d D'r Fenner-Joggeli (D'r Grossätti us em Leberberg, Bd. 4) S. 57. 2 ) D u C a n g e Glossarium mediae et infimae latinitatis 7, 335 f. 3 ) W e t z e r - W e l t e 10, Sp. 1747 fi. 4 ) RGG. 5, 5 705 s . ) B e r i n g e r Die Ablässe 2 (1895),

jg

397 ff- 576 ff. 653 ff. 697 ff. •) Eigene Beobachtungen aus Baden und Westfalen. 7 ) M e y e r Baden 38. 8 ) P f a f f Amulette des badischen Volkes in der Gegenwart. Freiburger philos. Diss. 1922 S. 22 (in Maschinenschrift). 9 ) In meinem Besitz. Über Walpurgisöl vgl. A n d r e e E y s n Volkskundliches 129 ff. 10 ) P f a f f a. a. O. 26. 1 1 ) G r ü n e n w a l d Volkstum u. Kirchenjahr. Mitt. d. histor. Ver. der Pfalz 44 (1927), i n und eigene Feststellung im Weltkrieg. 1 2 ) M e y e r Baden 388. 13 ) G r ü n e n w a l d a. a. O. S. i n . 14 ) ebda. S. 38. gtoll Zauberglauben S. 35 t.; M a n z Sargans S. 51. 16 ) G ö c k i n g Vollkommene Emigrationsgeschichte von denen aus dem Ertz-Bisstum Saltzburg vertriebenen und größtenteils nach Preußen gegangenen Lutheranern. Franckfurt u. Leipz. 1734/37. 2, 297 (wieder abgedr. ZfVk. 21, 287 f.). 17 ) K ü h n a u Schlesien 3, Nr. 922, 3 u. 9. 18 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 190 Nr. 7. 19 ) G ö c k i n g a. a. O. 2 0 ) K n o o p Schatzsagen 15 Nr. 26; H e y l Tirol 506 Nr. 70. 2 1 ) D ö r l e r Tiroler Teufelsglaube ZfVk. 9, 372 f. 2 2 ) And r e e - E y s n Volkskundliches 218. Künzig.

Skapulimantie s. Sp. 125 ff. Skiomantie, Schattenwahrsagung (axtoi „Schatten"), mittelalterliche, nach antikem Muster gebildete Bezeichnung. Die alten Divinationssystematiker verstehen unter S. nicht, wie man annehmen könnte, irgendwelche mit dem Schatten des lebenden Menschen zusammenhängende Wahrsagungsformen, wie solche aus dem Volksglauben wohl nachweisbar sind (s. S c h a t ten), sondern lediglich eine Untergruppe der Nekromantie (s. d.). Man teilte diese nämlich in zwei Hauptgruppen ein, je nachdem bei der Beschwörung der Toten der Leichnam vorübergehend neubelebt oder nur die schemenhafte Seele, der Schatten des Verstorbenen, zitiert und zum Reden gebracht wurde. Jene Form bezeichnete man als Nekromantie, diese als S. Die Beispiele für diese beiden Formen lieferte die antike Literatur, besonders die klassischen Schilderungen nekromantischer Beschwörungen bei Horaz 1 ), Statius 2 ), Lucanus 3 ) und Seneca 4 ). Erklärt werden diese nach den Grundsätzen der christlichen Dämonologie, wonach es sich nicht um tatsächliche Wiedererwekkung von Toten, sondern um das trügerische Werk des Teufels oder der bösen Geister handelt, die die Gestalt der Verstorbenen annehmen, sei es in körperlicher, sei es in schattenhafter Form.

17

Skorpion

Diese theoretische Aufteilung der Nekromantie wird übrigens nur selten streng durchgeführt, da sich die Vorstellungen in den vorliegenden Zeugnissen selbst vermischen. Die Bezeichnung S. tritt anscheinend erstmalig bei Giov. Fr. P i c o d e l l a Mirandola (f 1533) auf 5 ) und ist vielleicht von diesem geprägt worden. Alle späteren Erwähnungen sind unmittelbar oder mittelbar von ihm abhängig 6 ). 1) Sat. 1, 8, 20 fl. 2 ) Thebais 2, 89 ff. 3 ) De bello civili 6, 507 ff. 4 ) Oedipus 568 ff. 5 ) De rerum praenotione (Strassburg 1507) üb. 4, 6) A g r i p p a cap. 7. In Plin. Comm. cap. 2. E d . Bering. 1, 529; P i c t o r i u s De speciebus magiae (In: Varia, 1559), auch bei A g r i p p a 1, 479, dt. Ausg. 4, 161; P e u c e r Comm. de praecip. generibus divinationum (Wittenberg 1560) 152; D e l r i o Disquis. Mag. lib. 4, c. 2, q. 6, s. 2 (Mainz 1603) 2, 167; M a i o l u s Dies caniculares 2 (Mainz 1608), 237; B u l e n g e r u s De ratione divinationis, Opuscula (Leyden 1621) 197; R a b e l a i s Garg. 3, 25, dt. v . Gelbcke 1, 400; G e r h a r d t Franz. Nov. in; A z o r i u s Insiilutiones Morales 1 (Leiden 1625), 882. Balduinus De casibus conscientiae (Wittenberg 1635) 769; A n h o r n Magiologia (Augsburg 1675) 310; P r a e t o r i u s Coscinomantia (1677) A 3 ; T h i e r s Traité 3, 1 (1712), 185; P o t t e r Antiqu. Graec. (Oxford 1697) 316. Boehm.

Skorpion. 1. B i o l o g i s c h e s . Nach Megenberg „ist das eine Schlangenart, welche ein gar zartes Gesicht hat, dem Antlitz einer keuschen Jungfrau zu vergleichen. Wer vom Sk. vergiftet wird, hat noch drei Tage Zeit, ehe er sterben muß. Man sagt, in Wein getrunkene Sk.asche sei ein Mittel gegen seinen Stich. Es wird auch erzählt, daß es Sk.e mit zwei Spitzen am Schwanz gebe. Die Männchen sind gefährlicher wie die Weibchen, die man an der verschiedenen Größe erkennt. Ein Forscher behauptet auch, der Sk. lebe von Erde. Aristoteles gibt an, der Sk. habe zwei Haken an seinem Schwanz. Wenn der Sk. ein schwarzes Schwein gestochen hat, so stirbt es, und um so schneller, wenn es ins Wasser geht. Schweine dagegen, die nicht schwarz gefärbt sind, sterben nicht immer am Sk.enstich. Der Sk. hat die Eigentümlichkeit, daß er nie in die Hohlhand eines Menschen sticht, er mag nur solche Körperstellen, die behaart sind und rauh, angreifen. Sk.enöl (s. d.) ist gut gegen ihren Stich, deshalb reibt man die

18

Wunden damit ein. Wenn man einen Sk. in ö l ertränkt und bei Sonnenlicht Essig auf ihn gießt, wird er sofort wieder lebendig. Das ö l verstopft nämlich die kleinen Öffnungen an seinem Leibe, die beim Menschen Schweißlöcher und lateinisch Pori heißen. Der Essig dagegen öffnet beim Sk. die Poren wieder" 1 ). Über die Entstehung der Sk.e waren im Altertum die verschiedensten Ansichten verbreitet: Einige lassen sie auf faulenden Krokodilen entstehen, Plinius aus begrabenen Seekrebsen, wenn die Sonne durch das Zeichen des Krebses geht. Nach Paracelsus entstehen sie aus faulenden Sk.n, weil sie sich selbst töten sollen. Es ging die Sage, daß sich ein von einem Kreise glühender Kohlen umgebener Sk. lieber mit seinem Stachel totsticht als verbrennen läßt. Vereinzelt ist der Glaube, daß sich die Jungen aus dem Bauch des Muttertieres herausfressen2). Nach deutschem Volksglauben fliegt der Sk. nachts umher, was er anrührt, vertrocknet 3 ). Vielleicht hat der babylonische Schütze des Tierkreises mit Flügeln und Sk.schwanz diese Vorstellung hervorgerufen4), als Sternbild findet sich der Sk. schon auf den ältesten babylonischen Kalenderzeichnungen 5 ). M e g e n b e r g Buch der Natur 239. 2 ) K e l l e r Antike Tierwelt 2, 473; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 396; G r i m m DWb. 10, 1326. 3 ) Z f V k . 1 (1891), 181. 4 ) K e l l e r Antike Tierwelt 2,479. 6 ) K e l l e r 2, 473.

2. Es ist verständlich, daß der Sk. wegen seines giftigen Stachels als A p o t r o p ä o n häufige Verwendung fand. Er gehört zu den Tieren, die den bösen Blick bekämpfen 6 ). Zaubernägel 7 ) und Lampen 8) weisen sein Bild auf. Die vorderasiatische Stadt Horns, das alte Emesa, soll durch einen talismanischen Sk. vor Schlangen und Sk.n geschützt gewesen sein 9 ). 6 ) S e l i g m a n n Blick 1,132, wo weitere Lit. ib. Fig. 1 1 7 — 1 2 0 . 122. 125. ' ) ib. Fig. 24. 8 ) ib. Fig. 52 u. 62. 9 ) L i e b r e c h t Z. Volksk. 88.

3. In der V o l k s m e d i z i n spielt das S k o r p e n ö l (Skurpenöl) eine große Rolle, das dadurch gewonnen wird, daß man Sk.e lebendig in ein Gefäß mit Olivenöl steckt und das Ganze über gelindem Feuer er-

Skorpion—Smaragd

19

hitzt 1 0 ). Damit heilt man vornehmlich W u n d e n " ) , Gicht 1 2 ), K o l i k 1 3 ) , Ohrenschmerzen 1 4 ) und andere Leiden 1 5 ). In Tirol heilt man mit dem Skorpenöl Harnbeschwerden, Leibschmerzen und Ohrenleiden, Pest, ferner den Stich von Sk.n, Schlangen, Bienen usw. 1 6 ). Die G a l l e des Sk.s verwendete man im Altertum als Heilmittel gegen Star der Augen, gegen Haarausfall und als Hautverschönerungsmittel 1 7 ). — Den Sk.enstich heilt man auch dadurch daß man den Sk. zerstört und auf die Wunde legt 1 8 ). 1 0 ) H ö r m a n n Volkstypen 193; J ü h l i n g Tiere 98; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 397. u ) H o v o r k a 1 2 ) Z f V k . 8, 1 7 8 ; K r o n f e l d 2, 366. Höfler 13) Organotherapie 228. Z f V k . 8, 1 7 7 ; H o v o r k a - K r o n f e l d i , 203. « ) Z f V k . 8, 1 7 7 . " ) Z f V k . 8, 1 7 7 ; S A V k . 15 ( 1 9 1 1 ) , S. 1 7 7 ; 16) Hovorka-Kronfeld 1, 397. Grimm DWb. 1329. 1 7 ) H ö f l e r Organotherapie 227. 228. 1 8 ) G r i m m DWb. 10, 1326.

4. In der M a n t i k verkündigt der Sk. Krankheit und frühen Tod. 5. Eine alte L e g e n d e berichtet daß die Sk.e des Bistums Trient nicht giftig seien: Der hl. Vigilius, Bischof von Trient, fand einst bei der Kommunion einen Sk. im Kelch, der von der Decke herabgefallen war. E r wollte ihn nicht herausnehmen, sondern bat Gott, daß ihm das giftige Tier nicht schade, wenn er es hineintränke, was auch geschah 1 9 ). 19)

Hörmann

Tiroler

Volkstypen

194. Schnee weis.

Skorpion s. S t e r n b i l d e r I. Skorpionkraut. So heißt die Sonnenwende, heliotropium, auch Warzenkraut genannt. Der Name Sk. ist vielleicht darin begründet, daß die Blütengruppen wie der Schwanz eines Skorpions gekrümmt sind oder weil es pfriemenförmige, stehende Blätter aufweist 1 ). Man verwendete es als Heilmittel gegen Skorpionstiche und schrieb ihm die K r a f t zu, einen Skorpion zu töten 2 ). DWb.

M a r z e l l Pflanzennamen 10, 1327.

13.

2) Grimm Schneeweis.

Skorpionschwanz. Ein Kraut, dessen Blüten die Gestalt eines Sk.es hat. Man heilt damit krebsartige Geschwüre und Skorpionstiche 1 ). Vielleicht identisch mit dem Skorpionkraut. 1)

G r i m m DWb.

10, 1329.

Schneeweis.

20

Smaragd. Griechisches Wort unklarer H e r k u n f t 1 ) . Von den vielen Kräften, die man im Mittelalter dem Steine nachrühmte, werden folgende besonders hervorgehoben: Der S. sichert seinen Träger vor Fallsucht 2 ), er bekämpft die Unkeuschheit und zerspringt, wenn man ihn bei unkeuschen Handlungen t r ä g t 3 ) , er ist ein Krankheitsorakel: legt man ihn einem schwerkranken Menschen aufs Herz, so zerspringt er, wenn dieser sterben m u ß 4 ) . In Tirol schreibt man noch heute dem S. besondere sympathetische Wirkungen zu: A m Halse getragen, soll er das Gedächtnis stärken und die Augen schärfen; man erschrickt nicht vor Menschen und Geistern, wenn man diesen Edelstein bei sich trägt 5 ). Abgeschabt und eingenommen soll er gegen Gift, Bauch- und Blutflüsse, Pest, Fieber u. a. wirken 6 ). Der S. gehört zu den Monatssteinen und läßt die im September Geborenen falsche Freunde erkennen und treue fesseln 7 ). Über die in der alchemistischen Literatur eine große Rolle spielende T a b u l a s m a r a g d i n a , die die Lösung des alchemistischen Rätsels (Gold zu machen) in dunkler Schreibweise enthalten sollte, vgl. Peuckert, Pansophie 98 ff. 483. — In E . T. A. Hoffmanns Phantasiestück „Der goldene T o p f " besitzt der S. im Fingerringe des Archivarius Lindhorst die Eigenschaften eines Zauberspiegels (Kristalls). In französischen Novellen gilt der S. als ein Aphrodisiakum; unter die Zunge gelegt, läßt er die Tiersprache verstehen und sein künftiges Schicksal erkennen (Gerhardt, Franz. Novellen 82). 2) *) S c h r ä d e r Reallex,2 1, 212. Megenb e r g Buch der Natur 394; S c h a d e 1424 f f . ; L o n i c e r 58; M e y e r Aberglaube 56; F r a n z 3) M e g e n b e r g , Benediktionen i , 437 u. 2, 499 a . O . ; A g r i p p a v . N . 1, 1 1 4 ; H o v o r k a - K r o n f e l d 1 106; v g l . F e h r l e Keuschheit 154 S c h a d e 2, 1430. 4 ) L a r a m e r t 98; Staricius 5) Heldenschatz (1706) 331. Alpen bürg Tirol 4 1 2 ; v g l . S e l i g m a n n 2 , 3 1 ; Hellwig Kalender 63; A m e r s b a c h Grimmelshausen 2 63; Z e d i e r 38, 86 u. die antiken Quellen bei 6) D i e t e r i c h Kl. Sehr. 42. Lonicer a.O.; H e l l w i g a. O. ') H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 106; s. Monatssteine.

•f Olbrich.

21

Sodom und Gomorrha

Sodom und Gomorrha. I. M o t i v e : Die SuG-Sage vereinigt eine Anzahl auch bei uns bekannter Motive; nur die Art des Strafgerichtes, das sie beschreibt, ist außer in ihrem näheren Umkreis nicht nachzuweisen. Die Einwohner eines reichen, paradiesischen Ortes*) sind bis auf einen 2 ) verderbt, -böse und übermütig 3 ). Sie mißachten die Gebote der Gastfreundschaft 4 ), berauben Fremde 5 ), lassen sie hungern und töten den, der sich zu ihnen mildherzig zeigt 6 ), bedrücken Arme 7 ). Kultische Promiskuität 8 ) und Homosexualität 9 ) wird ihnen zugeschrieben. Wandernde quälen sie in einem Prokrustesbett 10 ). Ihre Richter sind ungerecht 11 ) und unterstützen die Bosheit, die man an Fremden begeht 1 2 ). Die Urteile der Richter gehören an und für sich dem Motiv vom „klugen Richter" an, — der eine Schwangere verletzte, mußte ihr ein neues Kind machen; der einem geliehenen Esel ein Ohr abriß, behielt ihn, bis das Ohr wieder wuchs, usw.13) —, aber diese Urteile gelten hier als Hohn, dem Rechtlosen angetan. Nur einmal zahlt Elieser mit ärgerer List das Urteil heim; er wird an der Stirn verletzt und soll dem Täter den Lohn für einen Aderlaß zahlen; da schlägt er den Richter, um dessen Aderlaßschuld gegen die seine verrechnen zu können 14 ). Wir sehen, die Motive der jüdischen SuG-Sage gehören dem internationalen Motivschatze an. Gott zögert mit der Strafe; er warnt die Städte durch Erdbeben 15 ), aber das nützt nichts, im Gegenteil, der Frevel läßt sogar die wandernde Gottheit nicht ungeschoren. Drei Gottheiten 16 ), die in SuG als blühende Jünglinge 17 ), meist sonst als alter Mann 1S ) erscheinen, Engel " ) oder Gott Jahve selbst besucht die Stadt, wo ihn der einzig Gerechte vor Schändung bewahrt 20 ), nur dieser herbergt 21 ) usw. Dem unerhörten Frevel folgt die Strafe: Gott läßt Feuer und Schwefel auf die Stätte regnen 22 ) und kehrt sie um 2 3 ), oder sein Engel 2 3 ), ein Heer Engel zerstört sie 2 4 ) vor Anbruch des Morgens (in der Geisterstunde!) 25 ).

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Das Weib des Gerechten, das sich nach dem dämonischen Geschehnis umsieht 26 ) (vgl. umsehen), wird zur Salzsäule, an der die Ochsen lecken 27 ). Eine menschenähnliche Gesteinsbildung wird hier durch eine Versteinerungssage erklärt 2 8 ). Nach drei Tagen bricht das Salzmeer über die untergegangene Stätte herein 29 ). l ) Genesis 13, 10; bin G o r i o n Sagen der Juden 2 (1914), 230 f. ; G u n k e l Genesis 1 9 1 7 , 2 1 4 . 2 1 5 ; J e r e m i a s Das Alte Testament im Lichte des alten Orients 1930, 336; M ü l l e r Uri 1, 43. 45; G r i m m DS. Nr. 92; G r a b e r Kärnten 1, 262 f.; 2, 259. 262. 263. 264 f. 267; H e y l Tirol 93 f.; vgl. „Untergang", „Versteinerung", „wandernde Gottheit" usw. 2 ) Genesis 18 f.; vgl. W o l f Beitr. 2, 27 s . ; M ü l l e r Uri 2. (82). 83; D ä h n h a r d t Natursagen 2, 1 3 3 ff.; S é b i l l o t Auvergne 237. 238; C a r n o y Picardie 139 ff.; K ü h n a u Sagen Nr. 1742. 3) bin 1 7 4 7 ; H e y l Tirol 93 t. G o r i o n 2, 230 f.; M ü l l e r Uri 1, 7 1 ff.; L ü b b i n g Friesen Sagen 256; G r i m m DS. Nr. 96; K ü h n a u Nr. 1730. 1740; G r a b e r Kärnten 2, 259. 4 Nachw. 1. 2. ) Genesis 18; Jud. 19 t.; bin G o r i o n 2, 220 f. ; G u n k e l 208 f. 2 1 4 ; J e r e m i a s 336. 338; G r i m m DS. Nr. 344; G r a b e r Kärnten 1, 262 f.; Nachw. 1. 2. 18. 32—34. 6 ) b i n G o r i o n 2, 2 1 2 . 2 1 3 f. 235. •) Ebd. 2, 222 f. (mildherziges Mädchen mit Honig über7) strichen). Jes. 1, 10 ff.; bin G o r i o n 2, 235. 2 2 7 f.; G u n k e l 208. 2 1 6 ; Kühnau Sagen Nr. 1749; G r a b e r Kärnten 2, 265; 1, 8 262 f. ) bin G o r i o n 2, 2 1 1 f.; Promiskuität als Laster, das die Sintflut verursachte: ebd. 1, 193Vgl. auch „Hurerei" als Ursache des Unterganges der Klariden: M ü l l e r Uri 1, 7 1 ff.; G r i m m DS. Nr. 92; „Unzucht" der Nonnen: W o l f Deutsche Märchen u. Sagen 166 f.; Sünde u. Laster: Kühnau Sagen Nr. 1 7 3 0 ; H e y l Tirol 93 f. ») Nach Dr. C h e v a l i e r Aberrations de l'instinct sexuel 1905, 70 war la pédérastie das Laster Sodoms, le saphisme das Gomorrhas. Vgl. Gen. 1 9 ; bin G o r i o n 2, 228 f. 2 3 1 f.; J u d . 1 0 19 f.; G u n k e l 208. 2 1 5 . 216. ) bin u ) bin G o r i o n 2, 2 1 3 ; J e r e m i a s 336 3 . G o r i o n 2, 228. 1 2 ) Ebd. 2, 2 1 4 ff. l s ) Ebd. 2, 1 5 ) Ebd. 2, 236 f. " ) Ebd. 2, 2 1 9 f. 227. 1 6 ) G u n k e l 206. 2 1 2 . « ) Ebd. 208. « ) W o l f Beitr. 2, 27 ff. 44 ff. 40 ff. ; G r i m m DS. Nr. 45. 344; D ä h n h a r d t Natursagen 2, 136 ff. Eine „ H e x e " : G r a b e r Kärnten 2, 267 f. " ) bin s o ) Gen. G o r i o n 2, 2 3 2 ; vgl. G u n k e l 208. 2 1 2 2 19 usw. ) Nachw. 1. 2. 18. ) Gen. 1 9 ; bin G o r i o n 2, 232. 226; G u n k e l 2 1 2 ; vgl. die Sage Jud. 20, 40. 48; J e r e m i a s 338. — Noch heut im Sprichwort „Feuer und Schwefel". Flüsse zu Pech: bin G o r i o n 2, 238; feurige Luft: Gunkel. 2 1 2 . 2 3 ) bin G o r i o n 2, 238. 2 1 ) Ebd. 2, 232. " ) G u n k e l 2 i o f . 2 «) Gen. 1 9 ; G u n kel 2 1 3 . 2 7 ) b i n G o r i o n 2, 225. 2 8 ) G u n k e l

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Sodom und Gomorrha

2 1 3 ; J e r e m i a s 3 3 7 ; vgl. G r i m m DS. Nr. 2 3 3 . b i n G o r i o n 2, 226.

2. D e u t u n g e n . Wenn es uns möglich ist, die SuG-Geschichte in eine Summe landgängiger Sagenmotive aufzulösen, in denen die Untergangssagen dominieren, dann tritt die Frage nach dem historischen Geschehnis zurück; auch u n s e r e Untergangssagen hängen nicht stets an Wüstungen oder abgängigen Orten. Gunkel und Ed. Meyer haben gezeigt, daß in der Gegend des Toten Meeres kein Ort für die beschriebenen Vorgänge sein kann, und nehmen Übertragung der Sage aus Midian (Arabien) an 3 0 ). Dem stehen keine Bedenken entgegen; wahrscheinlich knüpfte die Sage am Toten Meer an eine Gegend an, in deren Bildungen ein naiver Beschauer Uberreste aus dem Untergang vermuten konnte, so wie wir in einer Gesteinsbildung die Grundlage zur Entstehung der Sage von Lots Weib vermuten und wie die Sagen bei Müller, Uri 1 , 42ff. oft ähnliches andeuten. Ein zweiter Deutungsversuch knüpft an die schon in biblischen Zeiten empfundene Parallele zur Sintflut an 3 1 ), der Wasser- tritt die Feuerflut zur Seite. E s scheint beachtenswert, daß in den uns geläufigen Sagen niemals von einem solchen, dagegen oft von einer Wasserflut 32 ), vom Untergange eines Ortes in Stein- oder Sandregen 33 ) oder von einem Versinken 34 ), Vergletschern die Rede ist. Endlich hat man die SuG-Sage als Zeugnis eines Mythus angenommen, welcher den Untergang des alten Aion, in der Geschichte von Lot und seinen Töchtern (moabitische Urgeschichte) den Anbruch eines neuen beschreibt 35 ).

30 ) E d . M e y e r in SitzbBerl. 1 9 0 5 ; Ders. Israeliten u. ihre Nachbarstämme 7 1 ; G u n k e l 2 1 5 f. Weitere Deutungsversuche, die vom Geologischen ausgehen: G u n k e l 2 1 2 . 2 1 4 . 31 2 i 5 f . ; Globus 7 1 (1897), 390 t. ) Luc. 1 7 , 25 fi.; II. Petr. 3, 3 ff.; J e r e m i a s 336. 3 2 ) O v i d Met. 6, 616 ff.; D ä h n h a r d t Natursagen 2, ^ ä f f - i " J e r e m i a s 3 3 8 ; G r i m m DS. Nr. 4 5 ; W o l f Beiträge 2, 44 a . 40 g . 26 fi.; B l a d é Gascogne 2, 1 4 6 ; S é b i l l o t Folk-Lore 3, 392 ff.; W o l f Deutsche Märchen u. Sagen 166 f.; ( K ü h n a u Sagen Nr. 1 7 5 6 ) ; H e y l Tirol 93 f.; G r a b e r Kärnten 1, 239. 2 4 1 f. 262 f. 3 3 ) Buddhist. Legende: J e r e m i a s 3 3 8 nach J u l i e n Mémoires sur les contrées occident. 2, 243 f. ; Jos. 10,

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1 1 in Verbindung mit Qoran Sure 67,5 gehört nicht hierher, wie J e r e m i a s 338 f. annimmt; W o l f Beitr. 2, 27 ff.; L ü b b i n g Friesen 2 5 7 ; G r i m m DS. Nr. (93). 96. 3 1 ) W o l f Beitr. 2, 2 7 s . ; J e r e m i a s 3 3 s 3 ; J e g e r l e h n e r Oberwallis 1 4 3 f.; M ü l l e r Uri 1, 45 ff.; L ü b b i n g Friesen 2 5 6 f. 258 f.; W o l f Deutsche Märchen u. Sagen 166 f.; K ü h n a u Sagen Nr. 1 7 3 0 . 35 ) J e r e m i a s 3 3 3 ff.

3. Z i t a t e und biblische Parallelerzählungen sind häufig, — ein Zeichen dafür, wie sehr lebendig diese Sagen gewesen sind 3 6 ). Auch in neueren Sagen lassen sich deutliche Nachbildungen 43 ) erkennen, wobei sich zuweilen der Werdegang deutlich feststellen läßt 4 4 ). 36

) G u n k e l 2 1 6 f.

4. L o t s W e i b . In der Kirche zu Dobberan wird eine beschädigte Statue gezeigt, welcher der Kopf und ein Teil der Beine fehlen; sie weist eine gebückte Haltung auf und ist aus Sandstein gearbeitet. Man sieht in ihr Lots Weib 3 '). 37

) P r ö h l e Deutsche Sagen

111.

5. T a g des U n t e r g a n g e s . Nach jüd. Sage ging SuG am 16. Nisan unter, da Sonne und Mond gleichzeitig am Himmel stehen, um einem Sonnen- oder Mondglauben den Boden zu entziehen 38 ). Nach dem Glauben des 17./18. Jh.s war es am ersten Montag im August, daß die Städte verbrannten 39 ); in Oldenburg hält man den 1 . August für den in Frage kommenden Tag 4 0 ), sonst weithin den 1. Dezember 41 ).

38 ) b i n G o r i o n 2, 229. 3 9 ) M a e n n l i n g 1 8 9 : „ D a werden die drei Montage im J a h r zu fürchten vorgestellet; Der erste Montag im April, daran Cain gebohren . . . Der andere Montag im August, darinn S u G . verbrandt . . . und der dritte Montag, im December, daran Judas Ischarioth jung worden" ist undeutlich; die Bemerkung über Judas zeigt aber, daß es heißen muß: erstens der erste Montag . . . . zweitens der erste Montag im August usw. So auch Wolfgang T r e u t l e i n Das Arbeitsverbot im deutschen Volksglauben 1932, 58. 40 41 ) S t r a c k e r j a n 2, 52. ) M e y e r Aberglaube 2 1 0 ; S t e m p l i n g e r 1 1 5 ; S c h n i p p e l 2, 1 2 ; W a l t h e r Schwaben 1 8 7 ; Z i n g e r l e 2 0 1 ; H ö f l e r Oberbayr. Jahr 1 1 4 ; B a u m g a r t e n 2 9 ; ZföVk. 5, 1 3 1 , nach T r e u t l e i n Arbeitsverbot 58; dazu D r e c h s l e r 2, 190; Pollinger Landshut 1 6 8 ; T o p p e n Masuren 76.

5. S e g e n . In Segen ist von SuG seltener, m. W. nur im Feuersegen und gegen den kalten Brand die Rede, wohin das Motiv ja auch paßt 4 2 ).

25 42 ) H. H a r m j a n z Die u. ihre Varianten (FFC Brand: Albertus Magnus heimnisse Brabant 1 7 2 5 . 1,

Sodomiterei—Sommer deutschen Feuersegen 103), 107; Kalter . . . egyptische Ge6.

7. U r s p r u n g s s a g e n . Seitdem Gott über SuG Feuer fallen ließ, ist in irdischen Dingen (Feuerstein, Holz usw.) Feuer enthalten 4 3 ). Parallel der Sage von der Flucht aus S. ist eine bulgarische Sage gebildet, in der die sich umwendenden Töchter Lots zu Bär, Nachtigall, Affe verwünscht werden 44 ). Vgl. auch Sodomsapfel. In einer französischen Sage wird aus diesen Motiven die Entstehung des Sees von Grandlieu, Issarles usw. erklärt 45 ). " ) D ä h n h a r d t Nalursagen 1, 3 1 5 . 4 4 ) Ebd. 1, 3 1 6 ; G r a b e r Kärnten 1, 274 f. 4 5 ) D ä h n h a r d t Natursagen 2, 1 3 6 ff.

8. G e i s t l i c h e D e u t u n g . Sodom ist schon früh ein Gleichniswort für das verderbte Jerusalem 46 ), dann „die Welt". Im MA. gilt es als Ort der schlimmsten Sünde, nach dem für sie der Name „Sodomiterei" geprägt wird (s. d.). Doch lehrt Hrabanus Maurus, die Juden erwarteten, daß im 1000jährigen Reich auch S. wieder in den alten Zustand versetzt werde 47 ).

16 ) Wilh. B o u s s e t Die Offenbarung Johannis 1906, 3 2 1 . 4 ' ) M i g n e PL. 1 1 0 , 691 f.; M u r a w s k i Juden b. d. Kirchenvätern 36. Peuckert.

Sodomiterei s. Nachtrag. Solanum s. N a c h t s c h a t t e n 6, 804!. Soldat s. Nachtrag. Solmantie, Sonnenwahrsagung. Vereinzelt auftretende, im 16. J h . geprägte Bezeichnung, zwitterhaft aus einem lateinischen und einem griechischen Bestandteil zusammengesetzt, das Gegenstück zur Mondwahrsagung, Selenomantie (s. d.) x ). Sie umfaßt vor allem die Wettervoraussagungen, die sich aus der Färbung der untergehenden Sonne ergeben 2 ). Bei Aristoteles, der hierfür als Zeuge angeführt wird, finden sich zwar dergleichen Beobachtungen 3 ), doch ohne Beziehung auf Mantik, geschweige denn eine besondere Benennung. Die sprachlich richtige Bezeichnung Heliomantie ist durch ein antikes Zeugnis belegt: P r e i s e n d a n z Papyri Graecae Magicae 2 ( 1 9 3 1 ) , 1 2 1 (Pap. X I I I , 7 5 1 ) . 2 ) C o d e s Chyromantie

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ac Physionotnie Anastasis (Bologna 1 5 1 7 ) 2 rb, 3 rb, 3 va. 3 ) Problemata 26, 8. 2, 9 4 1 a . Boehm.

Solsequium s. L ö w e n z a h n , gelblume, Wegwarte.

Rin-

Sommer. In dem Worte S. selbst 1 ), das zu Sanskrit samd (griech. 6p.oi) „gleich", samd „Jahreshälfte" (auch „ J a h r " ) gehört, liegt noch die Erinnerung an die ursprüngliche, für Länder ohne eine Übergangszeit natürliche Zweiteilung des Jahres in S. und Winter, wie sie auch heute noch im deutschen Volksbrauch üblich ist. Denn das Wort S., das in manchen Sprachen einfach die „heiße Zeit" (griech. ttspo?, lat. aestas) bezeichnet 2 ), wird im deutschen Sprachgebrauch häufig für die ganze warme Jahreszeit mit Einschluß des Frühlings und des Nachsommers im Herbst verwendet und tritt dabei gar oft an die Stelle des Frühlings. Denn wie das nordische S . o p f e r ein Frühlingsopfer w a r 3 ) , so sind nichts anderes als F r ü h l i n g s b r ä u c h e und F r ü h l i n g s f e s t e (s. d.) die Kampfspiele zwischen S. und Winter (s. d.) mit den dabei gesungenen Liedern 4 ), die ausdrücklich den S. w e c k e n sollen 5 ),wie dies ähnlich von den westfälischen Hirten durch den aus den Türpfosten getriebenen S . v o g e l (Schmetterling) geschah 6 ), ferner das S . s i n g e n oder Maisingen 7 ); das S . e i n b r i n g e n 8 ), das sich gewöhnlich an das Todaustragen (s. d.) anschließt, z. B. in Westböhmen, wo zumeist die männliche Jugend den Tod hinausträgt, während die Mädchen, die manchmal auch eine Tödin ins Wasser werfen, die S.d o c k e bringen, die an grünes Tannenreis befestigte, mit Blumen und bunten Bändern gezierte Puppe 9 ), der in Ostböhmen der S . b a u m entspricht, ein aufgeputztes Tannenbäumchen 10 ), und in Schlesien der S. (Tannenbaum oder bunt geschmückte Tannenreiser), den die S . k i n d e r tragen u ) und den man von diesen kaufen und an die Stalltür stecken soll, wenn man viel Milch haben 1 2 ) und das Vieh vor Hexen und Unglück bewahren will 1 3 ), dann die Feier des „ S . p u t z " im thüringischen Niederhessen 14 ), das „Dingen

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Sommer

der S . h e i r a t " während des Fastnachtfeuers in Ehingen (Württemberg) 15 ) u.a. So heißt auch der erste Frühlingstag der S . t a g (s.d.), und in Luxemburg gilt als Sommeranfang der 17. März, an dem die Arbeit bei Licht aufhört, weshalb Gertrud den Namen S . b r a u t führt 1 6 ). Als Braut des S.s wird in den Dörfern um Leobschütz die beim S.einbringen mitgetragene Puppe aufgefaßt und daher auch „Braut" genannt 17 ). Ihr entspricht in St. Leon der S . m a n n , ein kleiner Knabe mit einem buntbebänderten Tännchen auf dem Kopf, den Brezelträger auf einer Bahre herumtragen 18 ). An Stelle dieser Verkörperungen des S.s treten in Eisenach die S . v ö g e l oder heiligen Geister, Blumenscherben mit künstlicher Flora oder buntgefiederte Gickelhähne, die man, wie sonst die S. und Maien in der Stube am Querbalken aufhängt 1 9 ). Wie also hier fast durchweg der ältere Begriff S. den Frühling vertritt, so ist es ähnlich auch bei Herbstbräuchen. In Mersch (Luxemburg) zündete man früher am Martinstag auf dem Pflaster der Küche ein Feuer an und legte einen Korb darüber, worauf die Frati des Hauses über das Feuer springen oder hindurchgehen mußte. Dies nannte man „ d e n S. v e r b r e n n e n " M ). Astronomisch beginnt der S. auf der nördlichen Halbkugel mit dem 21. Juni und dauert bis zum 22. oder 23. September, meteorologisch bezeichnet man Juni, Juli und August als Sommermonate. Im Volke führt besonders der Juni den Namen S . m o n a t (auch westfries., niederl., dän.), in Norwegen heißen Juni und Juli Sumarmoaner, auf Sylt wird der Juli Sommermuun genannt 21 ). Das Wort S. kommt nicht selten als F a m i l i e n n a m e vor 22). Abgesehen von dem J a h r e s z e i t e n m y t h u s (s. d.), von Thors und Freys S.mythen 23 ) und anderem nordischen Mythus 24 ), wie auch von den erwähnten Frühlingsbräuchen, findet sich auch sonst eine P e r s o n i f i z i e r u n g des S.s, so z. B. auch eine der schleichenden S.hitze in der S . k a t z e des Saterlandes, wo man, wenn an heißen Tagen die Luft in wellenförmiger, zitternder Bewegung ist, sagt: „Die S.katze läuft" 2 5 ).

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Vom Volksglauben über das Gewebe kleiner Feldspinnen, welches im Frühjahr, öfter aber im Spätherbst in der Luft umherfliegt und fliegender S., Flugs., S.flug, S.fäden, Mädchens., Mariens. u. a. genannt wird (s. A l t weibers.), ist hier der Glaube anzuführen, daß die im Frühling sichtbaren Fäden den S. bringen, der mit den Herbstfäden wieder entfliegt 26). Im S. sind nur drei mit abergläubischen Überlieferungen verknüpfte Höhepunkte: das Fest der S o n n e n w e n d e (s. d.), die H u n d s t a g e (s. d.) und die schon zum Herbst überleitende Zeit des F r a u e n d r e i ß i g e r s . (s. d.). Sonst bietet der S. weder im natürlichen Jahreslauf noch im religiösen und wirtschaftlichen Leben irgendeine bedeutsame Grundlage zur Bildung abergläubischer Vorstellungen und Bräuche. Im Wirtschaftsleben ist der S. die Zeit schwerer Arbeit, welche dem Landmann nicht gestattet, Feste zu feiern. Dieser hat jetzt, wo die Ernte gesichert ist, keinen Anlaß mehr, irgendwelche höhere Mächte um das Gedeihen der Saaten anzuflehen und sie durch besondere Festlichkeiten zu ehren oder Abwehrmittel gegen feindliche, böse Geister zu ergreifen. Bezeichnend ist, daß das nüchterne römische Bauernvolk nur den ersten Monaten des Jahres den Namen von Göttern gab und diese in der gleichen Zeit auch feierte, vom S. an, wo für die Saat nichts mehr zu fürchten war, aber die Monate bloß zählte (Quintiiis, Sextiiis, September usw.) 27 ). Die V o l k s m e d i z i n kennt allerlei Mittel gegen die S . s p r o s s e n (s. d.), die vom Märzregen oder Märztau (s. März) herrühren sollen und durch den Maitau (s.d.) vertrieben werden können. Der Name selbst erklärt sich aus der richtigen Beobachtung, daß diese Hautflecken während des S.s infolge der stärkeren Belichtung gewöhnlich dunkler und damit sichtbarer werden. Nach dem Glauben der deutschen Pennsylvanier soll man im S. K i n d e r nicht entwöhnen28). In Württemberg nennt man den S. hie und da in Scherzreden die günstigste Zeit für die H o c h z e i t , weil man dann eher wisse,

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S o m m e r und W i n t e r — S o m m e r t a g

was Liebe sei; denn im Winter schlüpfe man wegen der Kälte zusammen 29 ). Aus dem W e t t e r g l a u b e n seien die Regeln angeführt: Ist der Vors. schön, wettert's im Nachsommer 30 ); heißer S., kalter W i n t e r 3 1 ) ; viel Höhenrauch im S., kalter Winter 3 2 ). Vgl. J u n i , J u l i , A u g u s t . Vgl. G r i m m Myth. 2 , 6 3 2 . 2 ) S c h r a d e r Ä « allex. 7 8 1 f. 3 ) G r i m m Myth. 1, 3 5 . 4 ) J u n g b a u e r Bibliogr. 1 5 0 Nr. 9 1 1 ff. 5 ) G r i m m Myth. 2 , 6 3 7 ff.; 3, 2 3 2 f f . 6 ) M e y e r Germ. Myth. 98. 7) J u n g b a u e r Bibliogr. 1 5 9 N r . 9 7 4 fVgl. e) E r k - B ö h m e 3, 1 3 0 ff. S a r t o r i Sitte u. s) Brauch 3 , 1 3 0 ff. Jungbauer Bibliogr. 1 5 6 Nr. 9 5 5 ff. 1 0 ) E b d . Nr. 9 7 2 . n ) W e i n h o l d Weihnachtsspiele 1 5 ff.; Drechsler 1, 73. 1 2 ) G r i m m Myth. 3,475 Nr.1097 = M a n n h a r d t x. 1 5 7 . 1 3 ) D r e c h s l e r 1, 74. 1 4 ) S a r t o r i Sitte u. Brauch 3 , 1 5 8 . I 5 ) E b d . 3 , 1 0 9 = K a p f f Festgebräuche 1 3 = K ü c k u. S o h n r e y 79. 1 6 ) F o n 17) t a i n e Luxemburg 34. D r e c h s l e r 1, 7 1 = S a r t o r i a. a. O. 3, 1 3 2 . 1 S ) M e y e r Baden 87. « ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 298. 2 0 ) F o n t a i n e Luxemburg 80 = S a r t o r i a. a. O. 3, 2 7 2 . 21) Weinhold Monatnamen 5 6 . 2 2 ) A. H e i n t z e Die deutschen Familiennamen (Halle 1922) 5 2 . 2 3 ) M e y e r Germ. Myth. 2 0 7 . 2 2 5 . 2 4 ) Vgl. G r i m m Myth. 2, 6 3 2 f. 2 5 ) S t r a c k e r j a n 2, i n N r . 3 3 8 ; 1 4 6 Nr. 3 7 5 . Vgl. M a n n h a r d t 2, 3 1 8 f f . (Getreidewölfe). 2 i ) A . L e h m a n n Altweibersommer (Diss. Berlin 1 9 1 1 = L a n d w i r t schaftl. J b . 1 9 1 1 ) 6 u. oben Altweibersommer A n m . n f. 2 7 ) F e h r l e Volksfeste2 7 1 . 2 8 ) F o g e l Pennsylvania 46 Nr. 1 0 6 . 2 9 ) H ö h n Hochzeit 31 Nr. 6, 1. 3 0 ) R e i t e r e r Ennstalerisch 60. ) R e i n s b e r g Wetter 2 7 ; B . H a l d y Die deutschen Bauernregeln ( J e n a 1 9 2 3 ) i n ; F o g e l a. a. O. 2 3 3 N r . 1 2 0 1 . 3 2 ) Urquell 6 ( 1 8 9 6 ) , 1 6 . Jungbauer.

Sommer und Winter. In ältester Zeit wurden wohl nur diese zwei Jahreszeiten scharf unterschieden Ein Kampf zwischen beiden und der erwünschte Sieg des S.s ist schon früh durch Mimik eines Wortgefechtes oder eines wirklichen Kampfes zwischen menschlichen Vertretern zur Anschauung gebracht worden 2 ). Das älteste deutsche Zeugnis solcher Wortgefechte findet sich vielleicht im 9. J h . 3 ) . Gewöhnlich spielen sich diese Kämpfe im Frühling ab, namentlich zu Fastnacht 4 ) und Laetare 5 ), auch noch zu Pfingsten 6 ). E s ist möglich, daß der mehr oder weniger gewaltsam herbeigeführte Sieg des S.s nicht nur „Allegorie" 7 ) und dem Wunsche nach Anschaulichkeit entsprungen ist, sondern auch einen Z a u b e r darstellt 8 ), der in einer

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Art von Augenblickshandlung den allmählichen Verlauf des Überganges in der Natur günstig beeinflussen will. Wo solche Kämpfe aber im Herbste, gleich nach Allerheiligen 9 ), zu Martini 10 ) oder in den Zwölften 1 1 ) ausgetragen werden, da kann man zweifelhaft sein, ob nun der S. unterliegend gedacht wird 1 2 ), oder ob, was wahrscheinlicher ist, auch im Herbst und im W. schon der künftige Sieg des S. vorbereitet werden soll. Weiteres, auch über Kämpfe größerer Scharen, in denen man den Streit zwischen W. und S. erkennen kann, s. unter Kampf, Laetare. x) A m P t a h - T e m p e l in Memphis s t a n d e n zwei Bildsäulen, v o n denen die Ä g y p t e r die nördliche als Sommer, die südliche als W i n t e r 2) bezeichneten: H e r o d o t 2, 1 2 1 . Grimm Mythol. 2, 6 2 9 ff.; 3, 2 2 7 ff.; F r a z e r 4, 2 5 4 ff.; U h l a n d s Schriften z. Gesch. d. Dichtung u. Sage 3 , 1 6 ff.; S A V k . 11, 2 4 0 t . ; J a n t z e n Gesch. d. Streitged. ( 1 8 9 6 ) 3 8 ; S c h m e l l e r Bayr. Wb. 2 , 2 8 1 f.; A R w . 7, 2 9 7 ff.; 1 7 , 1 4 5 f.; N i l s s o n Jahresfeste 28 f . ; M a n n h a r d t 1, 4 1 8 ; B r o n n e r Sitt' u. Art i o i f i . ; B a u m g a r t e n Jahr u. s. 3 Tage 2 5 . ) U h l a n d s Schriften 3 , 23 f. 4 ) S a r 5 t o r i Sitte 3 , 1 2 0 f. ) E b d . 3, 1 3 3 f.; ZfVk. 3 ( 1 8 9 3 ) , 3 5 6 . •) S a r t o r i 3, 202 A n m . 3 5 . 7 ) G o l t h e r Mythologie 1 9 0 . 8 ) F r a z e r 4, 2 5 9 f. 9 ) 10) ZföVk. 8 ( 1 9 0 2 ) , 1 9 1 ( B ö h m e n ) . ZfrwVk. 8, 1 0 9 ff.; S a r t o r i 3 , 2 7 0 f. 1 1 ) J o h n Westböhmen 1 2 ; K u h n u. S c h w a r t z 4 0 3 ^ 1 2 ) ZfrwVk. 8, 1 6 7 . f Sartori.

Sommerkäfer s. M a r i e n k ä f e r 5, 1691 ff. Sommersonnenwende s. J o h a n n i s 4, 704 ff. Sommersprossen s. Nachtrag. Sommertag heißt in manchen Gegenden der S o n n t a g L a e t a r e , an dem „Sommer und Winter" umziehen, der Tod ausgetragen wird und der Sommer seinen siegreichen Einzug hält. Namentlich in der Pfalz ist diese Bezeichnung allgemein 1 ). In Schlesien soll auch der Palmsonntag so genannt werden 2 ). S. L a e t a r e , S o m m e r u. W i n t e r , S t a b aus. *) R e u s c h e l Volkskunde 2, 5 4 ; L e o p r e c h t i n g Lechrain 1 6 7 f.; D r e c h s l e r 1, 6 5 ; B r o n n e r Sitt' und Art 1 0 1 ff. 1 3 9 ; HessBl. 6 ( 1 9 0 7 ) , 1 5 1 ff.; A R w . 8 (Beiheft) 82 ff.; Urquell N . F . 1, 1 9 0 ; Oberd.ZfVk. 5 ( 1 9 3 1 ) , 1 ff. 2 ) L i p p e r t Christentum 596. j Sartori.

Sommervogel—Sonne

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Sommervogel s. S c h m e t t e r l i n g i b a . Somnimantie, Wahrsagung aus Träumen. In der Predigtsammlung Biga Salutis des sog. Frater Hungarus, eines ungarischen Predigermönches aus dem 15. Jh., wird im 8. Sermon über das 1. Gebot die S. g e n a n n t D i e Bezeichnung steht vereinzelt neben der verbreiteteren Oniromantie (s. d.) und ist eine willkürliche Neubildung; die zwitterhafte lateinisch-griechische Form ist für die Liste der Biga typisch. H a g e n a u 1498, 27 v 6 ; katechismus 32. 55.

Geffcken

BilderBoehm.

Sondersprachen s. Nachtrag. Sonnabend s.

Samstag.

Sonne. 1. E i n l e i t u n g . 2. D i e S . und der Mensch. 3. D i e S. in der Z u k u n f t s d e u t u n g . 4. S.nverehrung in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Z e i t auf d e u t s c h e m B o d e n . Germanische A n s c h a u u n g e n . 5. D i e v o l k s t ü m l i c h e n V o r s t e l l u n g e n v o m W e s e n der S. 6. Zur G e schichte des deutschen S.naberglaubens. 7. Kinderreime.

1. E i n l e i t u n g . Instinktmäßig weiß jede, insbesondere jede bäuerische Bevölkerung um die Abhängigkeit ihres Lebens von dem Lauf der S., und das ist immer so gewesen. Die für viele Völker seit Jahrhunderten und Jahrhunderten bezeugten rituellen Begehungen der S.nwenden und des Frühlingsanfangs verdanken diesem Abhängigkeitsgefühl ihre Entstehung und ihren Sinn; man bittet für die Zukunft und man dankt für in der Vergangenheit Empfangenes. Daß noch heute Teile solcher Riten bekannt sind, ist angesichts der Natürlichkeit dieses Zusammenhangs verständlich. Ebensowenig erstaunt man, wenn sich noch mancherlei sonstiger Volksglaube finden läßt, der Glaube an starke Kräfteeinwirkungen des Gestirns in andern Lebensbereichen als dem Ackerbau verrät, vor allem in dem körperlichen Ergehen. In allen diesen Glaubensvorstellungen hat die S. entweder eine rein dingliche Seite oder — seltener — eine dämonische. Hier gelten dieselben Feststellungen des gleichzeitigen Nebeneinanders und Ineina n d e r all dieser Ansichten bei denselben

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Menschen, die wir oben (s. v. M o n d B d . 6 Sp. 478ff.) gemacht haben. Mit Zurückführung einzelner dieser Vorstellungen auf die germanische Religion wird man bei dem fragmentarischen Charakter dieser Meinungen, die wie sonst so auch hier in einfachen Sprüchen und Warnungen ihren Niederschlag gefunden haben, sehr vorsichtig sein müssen; so wird auch hier, ähnlich wie es im Artikel M o n d geschehen ist, zunächst der heutige Volksglaube der Deutschen dargelegt werden; anschließend ist dann über die Zeugnisse der deutschen Vergangenheit bis hinauf in die Zeiten der germanischen Religion lediglich zu berichten. — Über die astrologischen Vorstellungen vgl. den Artikel P l a n e t e n Sp. 171 ff. Im Vergleich zum Mond als dem andern der beiden großen Lichter sei vorweg bemerkt, daß die Volksphantasie, -frömmigkeit und -fürchtigkeit sich nicht annähernd von der S. so beeinflußt zeigt wie vom Mond (vgl. auch Grimm Mythol. 2, 600). Die Nüchternheit ihres grellen Lichts, ihre zuweilen gefährliche Wärmeerzeugung sowie ihr — mit dem Volksglauben zu sprechen — an den Tag gebundenes Erscheinen beleben das Gefühl ungleich weniger. Man macht sich das am besten klar, wenn man an den gespenstigen Anblick einer im Vollmond daliegenden Landschaft denkt, deren Unheimlichkeit zwar die Menschen fürchtig macht, aber verlockt. Der deutsche S.nvolksglauben ist im ganzen merkwürdig zusammenhanglos. Ich erkläre diese Tatsache daraus, daß man die ungeheuere Vielfalt der menschlichen Tätigkeiten im Hause, auf dem Feld und im Leben überhaupt, ferner das Pflanzenreich und Tierreich mit der S. in Verbindung setzte, die als Beherrscherin des Lebens alles durchwaltete. D a aber der Mensch nicht von der S. aus, sondern von sich aus das Leben sieht, müssen diese Regeln und Anschauungen in Beziehung zur S. diese Vielfalt des Lebens widerspiegeln, wodurch eben jene Zusammenhanglosigkeit entsteht. 2. D i e S. u n d d e r M e n s c h . a) D i e l e b e n d e S. u n d d e r M e n s c h . Die Nachrichten, in denen von Beziehun-

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gen zwischen Mensch und einem persönlich gedachten S.nwesen gesprochen wird, schildern in nur manchen Fällen die Natur dieses Wesens als h e l f e n d . So kann man zur S. bei Fieber beten: „Liebe S., komm herab und nimm mir die 77 Fieber a b " (Pommern) 1 ) oder: „Ich richte mich gegen die S. auf, ach Gott, thu mir die Fieber auf, die heiße wie die kalte, daß ich sie nimmermehr über Nacht behalte f t t " (Württemberg) 2 ). Im Kalotaszeger Bezirk wird am Tage dem Vieh bei S.naufgang gesalzenes Brot zu essen gegeben und eine Handvoll Salz der S. zugeworfen mit den Worten: „Gib, was man braucht, nimm, was man nicht braucht" 3 ). Bei den Südslaven des Dorfes Racisce auf der Insel Curzola schlägt man bei S.naufgang ein Kreuz, kniet nieder und begrüßt die Sonne dreimal mit folgendem Gebet: „Sei mir willkommen, trautester Bruder, flammende S., zu Gutem seist du angelangt und in Besserem mögst du mich verlassen" 4 ). Die Zeit des S.naufgangs gilt vielfach als heilig 5 ); außer mit Gebet 6 ) erweist man der aufgehenden S. seine Verehrung vor allem dadurch, daß man vor ihr den Hut abnimmt (Oberpfalz, Westböhmen) 7 ). Hilfreich erscheint die S. in dem Märchen vom Jüngling, der sein Schwerst erchen sucht. Bei der S. erfährt er, daß es jenseits eines großen Wassers in einem Palast auf einer Insel sich aufhalte. Über dieses Wasser führe aber nur eine gläserne Brücke, die so glatt sei, daß ein Mensch sie nimmermehr überschreiten könne. Sie hilft dem Jüngling aber mit ihrem Rat. E r solle sich eine schwarze Henne kaufen und diese verzehren; nur die Knochen müsse er sorgfältig aufheben. Ferner solle er ein Töpfchen Sirup mitnehmen. Komme er dann an die Brücke, so solle er immer einen Knochen nehmen, in den Sirup tauchen und auf die Brücke legen; er werde dann schon darauf treten können und hinaufkommen. Am andern Morgen ging der Jüngling fort und tat, wie ihm die S. gesagt hatte. Wirklich vermochte er die Brücke zu ersteigen; nur für die letzte Stufe fehlte ihm ein Knochen, den er verloren hatte. E r ersetzte ihn durch Bich told-Stäubli, Aberglaube VIII.

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den kleinen Finger, den er sich abschnitt. E r legte ihn auf die Brücke wie die Knochen, trat darauf und war oben 8). Diesen Nachrichten steht die weitaus größere Zahl derjenigen gegenüber, in denen der S. eine bösartige Natur zugeschrieben wird. Zuweilen läßt sich erkennen, daß vor allem die heiße Mittagssonne der Feind des Menschen ist. So berichtet eine Sage aus Siebenbürgen: Auf dem Berge der Senndorfer Gemarkung, der gegen Windau hin liegt, befindet sich mitten im Walde ein großer und tiefer Sumpf. Über seine Entstehung wird folgendes erzählt. Ein Bauer aus Senndorf ackerte hier einst mit sechs Ochsen auf den Ackerländern, die seit alter Zeit sich daselbst befanden. Die S. stieg immer höher und schien immer wärmer. Der Mann konnte die Hitze kaum mehr aushalten. Ärgerlich über die so heißen S.nstrahlen ergriff er das „Kulter" und hieb nach der S. Im gleichen Augenblick aber sank er samt seinen sechs Ochsen und dem Treiber in die Tiefe, und an der Stelle befindet sich bis heute der große und tiefe Sumpf, Grändelsmor genannt 9 ). Hier ist einerseits die Mittagssonne der Feind des Menschen (wie z. B . auch bei den Südslaven, die vom „gehörnten Mittag" sprechen 10 )), anderseits ein Gott, der jede Schmähung seines Wesens zu rächen imstande ist. Wie bei Blitz und Mond, soll man demnach auch nicht mit dem Finger nach der S. zeigen; ob der Glaube vorkommt, daß der Finger einem dann abgeschlagen wird (vgl. Blitz Sp. 1415), weiß ich nicht u ) ; die Wenden warnen, da man sonst dem lieben Gott die Augen ausstäche (s. u. Sp. 56) 1 2 ). Im Märchen von den sieben Raben frißt die S. gar Kinder 1 3 ). Ferner ist die S. die Ursache schlechten Wetters. Sie zieht Wasser 1 4 ), und nicht nur das, sondern sie zieht auch Schlangen, Fische, Ungeziefer und Frösche mit empor, die dann zuweilen wieder herabfallen 1 5 ). Man spricht danach z . B . von einem Froschregen, dessen Tradition bis ins Mittelalter hinaufreicht (s. Frosch 3, 125f. 1 6 )). In einer schlesischen Sage wird erzählt, daß ein Leiermann, der sich in 2

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den Nesselgrunder Wald wagte, dort dem Vogelhannes begegnete, der den Leiermann zu spielen zwang, um seinerseits dazu zu tanzen. Der arme Leiermann mußte darauf den ganzen Tag über seine Leierkurbel drehen, bis die S. hinter der Hohen Mense verschwand und mit ihr der tolle Tänzer. Also auch der Tag ist dem Spuk günstig, d. h. die S. ist dem Menschen feind 17 ). Aus Bartelshagen wird berichtet, daß auf der Pantlitzer Heide den Jungens, die daselbst die Pferde hüteten, öfters S. und Mond zugleich erschienen und ihnen die Pferde scheu machten 18 ). Aus Oldenburg und Lübeck ist bekannt, daß man ausgedroschenes Getreide, das in Säcke gebracht oder den Tieren zum Futter gegeben werden soll, nicht gegen die S. zu fegen darf 1 9 ). In Oststeiermark hütet man sich, die S. auf die Milch scheinen zu lassen 20 ). In Schlesien glaubt man, daß Taufwasser, das in die S. gegossen wird, dem Kind Sommersprossen bringt21). Auch ist es Unrecht, bei S.nlicht Feuer zu tragen oder sie sonstwie zu beleidigen 22 ). Wer bei S.nuntergang schläft, dem schmerzt der Kopf (Wotjaken, Siebenbürger Sachsen 23 )), wer der S. gegenüber sich seiner Exkremente entledigt, dessen Fingernagelwurzeln spalten sich 24 ). An dem Tage der S.nwende (s. d.) muß man sich mit gewissen Arbeiten in acht nehmen. Man darf z. B . nicht brauen; täte man es, so würde sich der Rost im Brauhause schämen und sich umdrehen. Am gleichen Tage zu backen oder irgendeine andere Arbeit zu verrichten, bei der etwas umzudrehen ist, ist hier gleichfalls verpönt 25 ). Doch ist für andere Gegenden das Wenden von allerlei Dingen das irdische Gleichnis der S.enwende 26 ). So ist es denn schließlich kein Wunder, wenn die Dunkelmänner in dieser S. einen Feind erblicken. Der Freischütz schießt in die S., denn da er, einer Schweizer Sage zufolge, alle Tiere zu bannen verstand, genügte ihm das sterbliche Wild nicht mehr als Jagdbeute 27 ). Aber nach dem Schuß fielen drei Blutstropfen (s. d.) auf die Hand des Jägers, so daß er er-

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lahmte. In der schwäbischen Fassung (Freudenstadt) lautet die Sage etwas anders. Der ewige Jäger, heißt es da, habe in der Weihnacht oder in der Karfreitagsnacht gegen die S. geschossen. Darauf sei Blut herabgeflossen. Das Blut habe er in einem Tuche aufgefangen und Bleikugeln damit benetzt; seine Kugeln trafen nun alles, was er treffen wollte. Seien die Kugeln verschossen gewesen, habe er einen frischen Schuß in die S. getan. Zur Strafe dafür muß er nun immer jagen und zieht mit seiner Meute in der ganzen Welt umher 28 ). Wieder andere sagen, der Schütze sei Kaiser Friedrich Rotbart gewesen; Übermut habe ihn zu dem kühnen Schuß verführt. Die Kugel sei dann in der Kirche in Oberhofen niedergefallen 29 ). Man hat mit Recht an den Halbgott Herakles erinnert, der einen S.nschuß t a t 3 0 ) ; auch an die in den Himmel schießenden Riesen ist zu denken. Der Mensch, von der S.nhitze bedroht, oder vom Übermut und der Verwegenheit, selbst der Gottheit zu trotzen, angestachelt, wagt den Schuß, der ihn u. U. selbst richtet (s. Freigewehr usw. §4)-

b) A b e r g l a u b e im A n s c h l u ß an die d i n g l i c h e N a t u r der S. Neben der Auffassung von der S. als einer Art göttlicher Person tritt in vielen Ansichten und Vorschriften des deutschen Volksglaubens deutlich eine andere heraus. Sie knüpft an die dingliche Seite der S. an als eines Körpers, von dessen Ost-West-Bewegung die besonders beachteten Hauptzeiten des Tages (Morgen, Mittag und Abend = S.naufgang, höchster Stand der S. und S.nuntergang) bestimmt werden und dessen Strahlen eine heilende und befruchtende Wirkung im Dasein der Natur eignet. Die damit zusammenhängenden Riten und Vorschriften, die vor allem das Tagesgeschehen des Menschen berücksichtigen, sind meist magischer Natur; die meisten erscheinen mit einer der genannten Hauptzeiten verbunden. Dabei gelten als glückbringend die Zeremonien, die s o n n e n l ä u f i g , d.h. in der Richtung der täglichen Wanderung der S. vollzogen wer-

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•den 3 1 ). Wer gegen den Lauf der S. einen Ritus zelebriert, will entweder etwas Böses oder bedarf der bösen Mächte der Dunkelheit, deren eigentliche Zeit die Nacht ist. Im allgemeinen heißt es deshalb auch, daß alle schwarzen Künste nur nach S.nuntergang und vor S.enaufgang auszuführen seien (vgl. Nacht V I 776, Mitternacht V I 418 f. 432 ff.). Die Gefahr für das häusliche Glück beginnt mit dem Augenblick des S.nuntergangs. Dieser Zeitpunkt spielt daher vor allem in Warnungen eine Rolle; zu S.naufgang und Mittag liegen positive Vorschriften vor. Diese beziehen sich teils auf die glücklichen Lebensumstände des Menschen (in Haus und Feld), teils auf die Gesundheit im besonderen, und sind entschieden die wichtigeren. Auch als an die Stelle •des S.nuntergangs mehr der Abend (s. d.) trat, hielt man doch fast allgemein an der Wichtigkeit des S.naufgangs statt des Morgens (s. d.) fest; es hat sich aber nicht vermeiden lassen, daß man oft nunmehr auch vom Morgen dieselben Aussagen machte wie vom S.naufgang. Bei Abend und S.nuntergang deckt sich sehr vieles, woraus sich ergibt, daß in all diesen Riten und Ansichten die S. schließlich nunmehr als Zeitgeber betrachtet worden ist. Beginn des „Abends" und S.nuntergang fallen nämlich so gut wie nie zusammen (s. Abend I, 23 f.), seit man sich daran gewöhnte, den Beginn des Abends mit dem Abendläuten (s. d.) eintreten zu lassen. Ganz allgemeine Beziehungen zwischen Menschenleben und S. lassen folgende Überlieferungen erkennen. Wenn man die S. in den Stall sperrt, dann hat man das ganze J a h r einen warmen Stall (Allgäu, Schwaben, Bayern) 3 2 ). In Mecklenburg (Parchim) müssen kleine Kinder vor der Taufe in die S. gucken, sonst werden sie gelb 3 3 ). Legt man sie am Tauftage mit den Taufkleidern in die S., so bekommen sie keine Sommersprossen (Norwegen) 34 ). S.nregen (s. Regen § 1 ) , der dann entsteht, wenn die S. in den Regen scheint, ist bei Kindern sehr beliebt; sie stellen sich gerne in ihn, weil er das Wachstum fördern soll 3 5 ). Beim kirch-

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lichen Akt der Trauung kennt man in Baden, im Böhmerwald, im Rheinland, in Schlesien und Österreich einen s o n n e n l ä u f i g e n Umgang um den Altar, der heute als Verehrungsgang aufgefaßt wird, aber ursprünglich doch wohl einen Zusammenhang mit dem Glück bedeutenden Umgang gehabt haben muß 36 ). In der Tatra umkreist der Hirte dreimal sonnenläufig seine Hütte und sein Gehege, damit ihm nichts gestohlen wird 3 7 ); in Manatqn (Devonshire) trägt man die Leiche in der Richtung des S.nlaufs um ein Kreuz, um sie dem Bösen zu entziehen 3 7 ). Entsprechend umwandelt man mit der S. das Osterfeuer (s. d.); sonnenläufig füllt man Säcke mit Getreide oder fegt das Futter dem Vieh zu (Oldenburg) 38 ). Die Bedeutung des S . n a u f g a n g s (s. d.) für die Verrichtungen des Lebens erhellt aus folgendem Glauben 39 ): Wenn man die Frucht aus dem Sack in die Saatwanne (Brackenheim) oder in das Sätuch (Blaubeuren) schüttet, muß man gegen S.naufgang stehen 40 ). In Österreich stellt man die Betten so, daß der Schlafende gegen S.naufgang schaut 4 1 ), in der Schweiz begräbt man in dieser Richtung 4 2 ). Am 1 . Mai schneidet der westfälische Kuhjunge von einer Eberesche einen vom ersten S.nstrahl getroffenen Zweig mit scharfem Schnitt ab und schlägt mit ihm Kreuz, Hüfte und Euter einer jungen Kuh dreimal, um sie milchreich zu machen 43 ). Ähnliches berichtet man aus Altindien und dem Marserland des alten Italien 4 3 ). Andere Handlungen wirken nur segensvoll und erfolgreich, wenn sie beim höchs t e n S t a n d d e r S., also mittags um 12 Uhr vorgenommen werden 44 ). Die Gefährlichkeit der Mittagsstunde, die oben Sp. 34 in dem Ausdruck 'gehörnter Mittag' uns entgegentrat und die auch sonst anerkannt wird (s. Mittag, Mittagsgespenst), tritt hier völlig zurück, weil es sich um zauberisches Tun handelt, dem diese Stunde besonders günstig ist. So gräbt man in Westböhmen das Johanniskraut, das Knabenkraut und den F a m samen zu dieser Zeit, und zwar am Jo2*

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hannistag, dessen Beziehung zur S.nwende wiederum die Berücksichtigung der S. in dieser Tätigkeit deutlich werden läßt. Um die Mittagszeit nach der S. zu ermitteln, stellt man sich in den S.nschein: Ist der Schatten so klein, daß man ihn mit einem Schritt überschreiten kann, d. h. „wenns Mannl am kleinsten is", dann ist es Mittag (Nallesgrün). Auch im Erzgebirge ist der Erfolg gewisser Handlungen an den höchsten Stand der S. gebunden 45 ). In Oldenburg bedarf man seiner zur Aufsuchung der Wünschelrute 46 ); ebenda ist man der Ansicht, daß ein mit Gold vergrabener Kessel so steht, daß die Mittagssonne durch beide Griffe scheint. Hier scheint wohl an Beziehungen der Mittagssonne zu Schatzgräberei gedacht zu sein (vgl. Mittag, V I 403 f.); zu bestimmten Zeiten (1. März) kommen bekanntlich Schätze aus der Erde an die Oberfläche und sonnen sich ( S i n n ? ) « ) . Mit S . n u n t e r g a n g (s.d.) beginnt die gefürchteteZeit (s. a. Nacht). Alle zur Tagesarbeit gehörigen Verrichtungen müssen daher vorher beendet sein, will man nicht Gefahr laufen, sein Glück zu gefährden 48). Wer nach S.nuntergang seine Stube kehrt und den Kehricht hinausträgt, der trägt das Glück aus dem Haus (Erzgebirge, Schlesien, Ostpreußen, Mecklenburg) 49 ); aus demselben Grunde soll man auch keinen Stall ausdüngen und den Mist hinaustragen, nachdem die S. untergegangen ist 50 ). In Bulgarien erscheint dieser Glaube dahingehend abgeändert, daß man es vermeidet, den Schaf stall zu fegen, aus Furcht, die Tiere könnten erkranken, da diese den Nachtdämonen sonst ausgeliefert wären 5 1 ). Unheilvoll ist ferner, über Nacht eine Trauerbotschaft im Hause zu behalten 52 ) oder aus einem Hause fortzubleiben, in dem ein kleines Kind angekommen ist; man könnte die Nachtruhe des Kindes mit fortgeben 53 ). Die Feindschaft zwischen Dämonen der Finsternis und der (christlichen) Lichtgottheit kommt ferner deutlich zum Ausdruck in der aus Teterow (Mecklenburg) berichteten Anschauung, man dürfe das Zeug, das ein Kind vor seiner Taufe trage,

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nach S.nuntergang nicht draußen hängen lassen, weil sonst das Kind betöwert (vgl. a. Nacht, V I 785) werde 54). Auch die Wenden kennen das Verbot 5 S ). Eine Wöchnerin ist nach S.nuntergang ebenfalls bedroht. Man verlangt in Sprottau (Schlesien), daß sie vor S.nuntergang ins Bett oder hinter den Bettvorhang gehe 56 ); keinesfalls darf sie mehr aus dem Hause, es sei denn, daß ein lebendes Wesen, und wenn es eine Katze wäre, sie begleitet; andernfalls geschieht ihr durch ein graues Männel ein Unglück (Ludwigsdorf b. Görlitz) 57 ). Was zum täglichen Leben gehört, darf nach S.nuntergang nicht aus dem Hause gegeben werden, so vor allem keine Milch, weil sonst die Kühe keine Milch mehr geben oder die Milch behext wird (Böhmen, Baden) 5 8 ). Manche Gegenden verbieten das Hergeben von Milch, Butter oder Käse nach S.nuntergang an bestimmten Tagen des Jahres, so vor allem am Christabend 5 9 ). Eine Notiz des Schlesischen Tageblattes zu Schweidnitz vom 4 . 1 2 . 1 8 9 0 berichtet, daß dort eine Arbeiterfrau bei einer Bäuerin nach S.nuntergang Butter kaufen wollte; sie hatte sich leider etwas verspätet. Da aber das ganze Dorf glaubte, daß die Kühe sich nicht mehr würden melken lassen, wenn man nach S.nuntergang Milch aus dem Hause gäbe, erhielt die Frau nirgends mehr Butter 6 0 ). Auch die Milchgefäße, die bis nach S.nuntergang noch im Freien bleiben, sollen behext werden (von der Muare, Kr. Brieg) 6l ). Ferner ist allgemein verpönt, nach diesem Zeitpunkt etwas aus dem Hause zu leihen 62). Zuweilen läßt man es zu, ein Gefäß mit Milch über die Straße zu tragen, aber dann muß dieses zugedeckt sein oder die Milch durch- ein Körnlein Salz geschützt werden 63) (Anhalt). Zu den bestimmten Hausarbeiten, die vor S.nuntergang fertig sein müssen, gehört in Schlesien neben dem Kehren das Buttern 64 ); Gartenoder Feldarbeit ist für den Menschen selbst geradezu gefährlich. Wer nach S.nuntergang in Feld oder Garten arbeitet, heißt es im Kreis Goldap, dem zerwühle der Maulwurf das Land 6 5 )-

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Andere Gegenden, wie Oldenburg und der Kreis Ohlau, meinen, daß in der Zeit Unholde auf den Feldern ihr Wesen trieben, denen man nimmermehr begegnen dürfe. Auf den Fluren des einer Wasserflut zum Opfer gefallenen Dorfes Wische im Kreise Ohlau, die heute zu Lichtenberg und Marinau geschlagen sind, geht nach S.nuntergang die weiße Wischer Frau (s. weiße Frau) 66 ) um. In Edewecht (Oldenburg) gibt es ein Stück Land, von dem man nach S.nuntergang kein Fuder Heu, und wenn auch zehn Pferde vorgespannt würden, herabbringen kann, wohl weil es in dieser Zeit behext ist 67 ). Folgerichtig hielt man also zu Erlte im Kreis Visbek darauf, daß nach S.nuntergang auch nicht gemäht wurde. Ein Bauer gebot einst, als beim Mähen die S. zu früh unterging, mit dem Mähen aufzuhören. Der Knecht hatte aber nur eine kleine Strecke noch zu mähen und erwiderte, fertig machen zu wollen, selbst wenn der Teufel vor dem Stücke stehe. Als nun die S. untergegangen war, rief plötzlich eine Stimme: „Ich will auch wohl mähen". Erst achtete der Knecht nicht darauf; als aber die Stimme mit einem Male näher kam und die andern sich davon machten, befiel auch den Knecht die Angst. Er warf seine Sense von sich und rief dem Wesen zu: „Dann mähe nur zu!" und lief spornstreichs nach Hause. Als sie am andern Morgen zu der Stelle kamen, war die Sense in lauter kleine Stücke zerbrochen, und aller Roggen, der noch auf dem Halme stand, war durch und durch zerschlagen, als wenn er verhagelt wäre 68). Schließlich sei noch auf einige rein z a u b e r i s c h e R i t e n und magische H e i l u n g e n vermittels der S. hingewiesen. Auch hier gilt der Grundsatz, daß man g e g e n die S. bösen Zauber verübt, den man m i t der S. wieder auflöst (Oldenburg) 69). Die Seite des S.naufgangs aber ist günstig für gutartigen Zauber. Gegen Mäusefraß wehrt man sich, indem man vor dem Säen mit Andacht drei Vaterunser und Gegrüßt seist du, Maria betet 70 ); hernach muß man, den Rücken gegen die S. gekehrt, die ersten drei Würfe

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gegen die Morgensonne über die rechte Schulter machen. Wollte man Gott und den Heiligen abschwören, so wandelte man, eine schwarze Henne unter den Armen tragend, dreimal um den Kirchhof gegen die S. 7 1 ); hier ist das Bündnis mit den Todesmächten deutlich als Grundlage des Ritus zu erkennen. Ein weiterer Zauberritus dient dazu, das Fahrzeug ganz zu erhalten. Man liest zuerst die Satorarepo-Formel (s. Sator), dann geht man dreimal ebenfalls wider die S. im Kreise herum und bekreuzigt sich mit dem 75. Verse aus Psalm 118 (der Vulgata) „Cognovi Domine, quia aequitas iudicia tua; in veritate tua humiliasti me" , s ). Volksmedizinische Regeln sehen ähnlich aus. Leidet man am Ausschlag, so soll man vor S.nuntergang an ein fließendes Gewässer gehen, daraus stromabwärts mit einem Gefäße Wasser schöpfen und damit die kranken Stellen waschen. Doch muß man bei S.nuntergang schon wieder zurück sein 73). Auf die Gebete eines Kranken bei S.naufgang wird unten unter anderem Gesichtspunkt hingewiesen. In Mecklenburg trägt man Kranke bei S.naufgang unter einen Apfelbaum 74 ), bei den Deutschen in Pennsylvanien heilt man Husten dadurch, daß man zu diesem Zeitpunkt durch einen Brombeerstrauch durchkriecht7S) (s. Brombeere 2 in Bd. I, 1581, durchkriechen usw. II, 477). Kommt es hier wohl vor allem auf die Zeit an, so bezeichnen anderseits die Segen-Formeln die mit der S. verbundene Handlung des In-die-S.-Sehens als heilkräftig. So gibt man in Orsoy gegen das Schlucken den Rat: „gap över den dumm (Daumen), kik in de sonn" 76). Wer eine Blatter im Auge hat, soll in Böhmen durch einen Seiher in die S. schauen 77) Der Blick in die S. heilt aber nicht nur, sondern verhindert unter Umständen, wie wir oben in anderm Zusammenhang erwähnten (Sp. 37), auch Krankheiten oder Entstellungen. Anderseits gibt es auch Vorschriften, den Anblick der S. zu meiden, wohl wegen der Erblindungsgefahr 7 8 ). Nicht nur Menschen mußten sich vor Schaden durch Blick in die S. hüten, sondern man schützte auch Sachen davor. So wird einmal erzählt, daß man.

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wenn eine Kuh eben gekalbt hatte und das erste Mal gemolken wurde, geschwind eine Schürze über den Eimer warf, damit weder S. noch ein anderes Licht noch böse Menschenaugen sie treffen mögen 7 9 ). In Schwaben (Ertingen) soll man nicht in die S. sehen, man erblindet sonst; die S. ist nämlich Gottes Auge 80). Aber solche Anschauungen sind ganz selten belegt.

Auch die rein zauberischen Riten, die mit der S. in Zusammenhang stehen, berücksichtigen zuweilen, wie die andern Vorschriften, deren wir oben gedachten, bestimmte Tage des Jahres, vor allem den Weihnachtstag. In einem smäländischen (Schweden) Zauberbuch wird eine Methode beschrieben, die einem Fischer einen zum Fischfang guten Faden zu erhalten verspricht. Er muß sich dazu während des Weihnachtsgottesdienstes, wenn der Priester predigt, mit dem Spinnrocken an den Herd setzen und dem Laufe der S. entgegenspinnen 81 ). Femer wird aus Norwegen berichtet, daß ein Ehestandskandidat am Weihnachtsabend, wenn die Julgrütze gekocht ist, den Quirl nimmt und mit diesem dreimal um das Darrhaus, dem Lauf der S. entgegen, herumgeht. Der Umgang bezweckt, die künftige Ehegenossin zu sehen; sie soll auch wirklich aus der Tür des Hauses heraustreten und mit ihm sprechen 82 ). 2 ) W u t t k e 169 § 227; !) W u t t k e 13 § 11. weiteres Material Lammert 143; vgl. 3 ) Z V f V k . 4 (1894). Z V f V k . 15 (1905), 316. 404; vgl. Art. Johannes d. Täufer Sp. 726 f. Butteropfer in Norden Z V f V k . 8 (1898), 1427. 4 ) Urquell 3 (1892), 202. 6 ) J a h n Opfergebräuche 348. 6 ) ZfdMyth. 3, 176. ' ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 51; J o h n Westböhmen 233. Einst wurde wohl auch bei S.untergang, wie heute beim Abendläuten, ein A b e n d g e b e t (s. d.) verrichtet. Von den „Druisteinen" bei Weigsdorf in der Oberlausitz, vom Volke der „alte Götzentempel" genannt, wird überliefert, daß dort noch vor 200 Jahren Leute bei S.aufgang und -unterg. zu beten pflegten. ( P e u c k e r t Schlesien 14). Weiteres s. F i s c h e r Angelsachsen 42; V e r n a l e k e n Alpensagen 368. 8 ) ZfdMythol. 1,312; M a n n h a r d t G e j - w . Mythen 366. — Das Märchen hängt in der angeführten Fassung eng mit dem von den sieben Raben zusammen (Grimm, K . u. H. Anhang). Die S. erscheint in ähnlicher Weise als Helferin im „Borstenkind" betitelten M ä r c h e n b e i H a l t r i c h Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen. 9 ) M ü l l e r Siebenbürgen 5 (Mündl. 10 ) Urquell aus Senndorf). 3 (1892), 202 u. Artikel M i t t a g sowie M i t t a g s g e s p e n s t .

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) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 52; vgl. L i e b r e c h t Zur Volksk. 341; H a l t r i c h Siebenb. 12) S c h u l e n b u r g Sachs. 299. Wend. Volkstum 168. Die Sonne wird z. B. in Schwaben als Auge Gottes aufgefaßt. 1 3 ) G r i m m K.u.H.; vgl. H a l t r i c h Siebenbürger Sachsen 314; R o c h h o l z Glaube 1, 68. Ferner Art. M i t t a g s g e s p e n s t Sp. 414. 14 ) Oft belegt. Beispiele: L a i s t n e r Nebelsagen 223; F o g e l PennsylIS) G r o h m a n n vania 231 Nr. 1189. Aberglaube 28 Nr. 145. 16 ) J o h n Westböhmen 221 1 7 (233); S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 54. ) Kühn a u Sagen 1, 589 f. 1 8 ) Z V f V k . 5 (1895). 428. 19) S t r a c k e r j a n 1, 55; M a a c k Lübeck 99. 20 ) F i s c h e r Oststeierisches 114. 21) D r e c h s l e r Schlesien 1, 197. 22 ) Z V f V k . 25 (1915), 21. 25. 2 3 ) Urquell 4 (1893), 90. 2 4 ) E b d . 117. ^Liebr e c h t Zur Volkshunde 315. 26 ) Siehe Art. Jo27 hannes der Täufer Sp. 707. ) Rochholz Sagen 2, 51; vgl. S c h e l l Berg. Sagen 28 Nr. 24. 2S ) M e i e r Schwaben 1, 116 Nr. 3; vgl. auch 29 ) Ebd. H a l t r i c h Siebenb. Sachs. 299. 1, 280 Nr. 2; vgl. auch L o s c h Balder 156 t.; H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 299; Verwechslung mit Friedrich II. von Hohenstaufen ? 30 ) Z V f V k . 16 (1906), 179. 3 l ) S t r a c k e r j a n 2, 103; vgl. K n u c h e l 19. 36. 32 ) R e i s e r Allgäu 2, 103; B i r l i n g e r Schwaben 2, 62; B r o n n e r Sitt' und 33 ) B a r t s c h Art 87. Mecklenburg 2, 44. 3 1 ) L i e b r e c h t Z. Volksk. 332. 3S ) Z V f V k . 9 (1899), 229; K n o o p Hinterpommern 158: Bei S.nregen müssen die Kinder die Kopfbedeckung abnehmen, dann wachsen sie gut. 3S ) K n u c h e l 37 ) Ebd. 36. 38 ) S t r a c k e r j a n 2, 103. 19. 39 ) 40 ) J o h n Erzgebirge 249. Eberhardt Landwirtschaft 3, 3. 4 1 ) ZföVk. 13 (1907), 134. 42 ) SAVk. 24 (1922), 63; vgl. Urquell 3 (1892), 43 ) Z V f V k . 22 (Mohammedaner in Bosnien). 44 ) J o h n Westböhmen 233. 14 (1904), 132. 46 ) J o h n Erzgebirge 249. 46 ) S t r a c k e r j a n 2, 103. * 7 ) W a i b e l u. F l a m m 2, 267; R e i s e r Allgäu 1, 254 ff.; G r i m m Myth. 2, 811. 48 ) „Feierabend hat der liebe Gott gemacht, Nachtarbeit hat der Teufel erdacht", Z V f V k . 5 49 ) W u t t k e (1895), 426. 397 §610; J o h n Erzgebirge 36; B a r t s c h Mecklenburg 2, 198; Z V f V k 13 (1903), 99. s o ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 130. 6 1 ) Z V f V k . 11 (1901), 264; vgl. W i t z s c h e l Thüringen 2, 79 Nr. 93. 62 ) Urquell 1 (1890), 10. 63 ) Ebd. 4 (1893), 170. 6 1 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 44. 65 ) S c h u l e n b u r g Wend. Volkssage 233. u ) D r e c h s l e r 1, 205. 6 7 ) Ebd. 88 ) W u t t k e 447 § 705; D r e c h s l e r 2, 253; G r o h m a n n 138 Nr. 1008. Vgl. G r i m m Myth. 3, 473 Nr. 1023 (nichts verkaufen). 69 ) Z V f V k . 1 (1891), 178. "0) Urquell 2 (1891), 113. s l ) D r e c h s l e r 2, 253. «2) Ebd. 249. 63 ) Mitt. Anh. Gesch. 14, 21; vgl. auch 64 ) D r e c h s l e r 2, 254; Alemannia 24, 154. vgl. S e b i l l o t Folk-Lore 1, 136 f. « ) Urquell 1 66 ) K ü h n a u (1890), 184. Sagen 2, 213. *') S t r a c k e r j a n 2, 22. 68 ) Ebd. 69 ) Ebd. 2, 71) Z V f V k . 3 103. 10) H ü s e r Beitr. 2, 25. (1893). 387. " ) Ebd. 13 (1903), 162. » ) Ebd. 7 (1897), 55. 74 ) W u t t k e 57 § 64; meist vollu

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zieht man diese Zeremonien freilich n a c h Sonnenuntergang oder v o r Sonnenaufgang, s. d. ,5) F o g e l Pennsylvania 294 Nr. 1555. 76 ) ZrhwVk. 1913, 110. " ) G r o h m a n n 174 Nr. 1237; vgl. G a n z l i n Sachs. Zauberformeln 17 78 ) Vgl. S e l i g m a n n Nr. 19. Blick 1, 167. 79 ) Z V f V k . 11 (1901), 329. so) Vgl. Anm. 217. 8 1 ) K n u c h e l 74. 82 ) L i e b r e c h t Z. Volksk. 325, auch H ö f l e r Weihnacht 17.

3. D i e S. in der Z u k u n f t s d e u t u n g . Wie am Mond (s. d.) hat man auch an der S. zukünftige Geschehnisse abgelesen. Die Weissagungen beziehen sich im allgemeinen auf das Wetter, eheliches Glück und Krieg. Sie berücksichtigen fast alle entweder bestimmte Tage des Jahres oder auffällige Erscheinungen an der S. Die lediglich aus dem S.nschein allein abgeleiteten Regeln sind selten. a) S.nschein. Wenn de sunne dorch den heidrök schint, het we lange gut wedder (Braunschweig) 83 ). Brennt die S. nach Regen oder, wie man vielfach sagt, sticht die S., so gibt es noch mehr Regen 84 ); zieht die S. Wasser, so folgt der Regen in den nächsten Tagen (allgemein) 85). Regnet es bei S.nschein, so hat der Teufel seine Großmutter auf der Bleiche, verkloppt sein Weib u. ä. (siehe Regen § 1 ) ; auch heißt es, daß dann ein Schneider in den Himmel komme 86 ). b) S . n a u f g a n g . Geht die S. in feuriger Morgenröte (s. d. im Nachtrag) auf, dann prophezeit man vor allem Regen und Wind 8 7 ). Auch wenn der S.nschein beim Aufgang bleich oder „gälstern" oder „geistern" ist, wird Regen und Wind kommen 88 ). Die bekannten Sprüche s. unter Morgenröte. Viele beobachteten auch das Hüpfen der S. an Ostermorgen im Spiegel des Wassers in einem Gefäß und lasen daraus allerlei Dinge, die im Laufe des Jahres geschehen würden (Schlesien) 89). c) S . n u n t e r g a n g . Der schöne rote, klare und heitere Untergang der S. (s. Abendröte) ist immer ein Zeichen für schönes Wetter am folgenden Tag 8 0 ). Geht die S. indes zwischen den Wolken unter, durch die sie wie durch eine Lücke guckt, dann muß man auf Regen schließen, zuweilen auch auf ein Gewitter 91 ). In Mecklenburg sagt man bei diesem Untergang: die S. „geit in' n

Sump"

92),

vgl. den Vers

Dei Sünn geit unnern Sump, Morgen regent plump 93 ).

Auch wenn die S. abends Wasser zieht, hat man für den folgenden Tag Regenwetter zu gewärtigen 94 ). — Ansichten wie die über kommendes Blutvergießen in der Welt, wenn die S. ,,ümmer in Blaud" untergeht, sind selten ausgesprochen, doch nicht unbekannt, wie Schillers Verse in der Kapuzinerpredigt (s. Abendröte I, 57) beweisen, d) S . n s t i l l s t a n d hingegen gilt in den Weissagungen ausgesprochen als Kriegszeichen. Den Reinerzer Bewohnern (Reinerz, Kr. Glatz) soll z. B. die S. durch einen stundenlangen Stillstand an einer Stelle die Kriegsgefahren vorauskünden 95 ). So sah vor dem Kriege 1870/71 ein Mann dort zwischen zwei Pappeln des Friedhofs zwei Stunden lang um die Mittagszeit die S. stillestehen ; er war auf den kommenden Krieg gefaßt 9 6 ). Auch eine große Krankheit soll in Schlesien durch S.nstillstand angezeigt werden 97 ), e) S . n s c h e i n am H o c h z e i t s t a g e ist von besonderer Bedeutung für das Glück in der Ehe 9 8 ). In Reichenbach (Vogtland) wird aus einem sonnigen, hellen Hochzeitstag eine glückliche Ehe gefolgert; andernfalls gibt es Streit (s. auch Regen) 99 ). Dasselbe glaubt man in Schlesien 100 ). f) S.nschein in den J a h r e s z e i t e n dürfte wenig beachtet sein. Wer die S. im Winter „tanzen" sieht, weiß, daß eine große Kälte die Folge sein wird 101 ). In einer alten Kärntenschen Jägerpraktik (17. Jh.) wird empfohlen, den S.nuntergang im Sommer, vor allem aber im Anfang Herbst zu beobachten; klarer Himmel und schöner S.nuntergang bedeutet in dieser Zeit schönes Wetter am folgenden Tag 102 ), g) S . n s c h e i n an b e s t i m m t e n T a g e n des J a h r e s hat die meiste Beachtung gefunden. Günstig deutet man den S.nschein am Christtag (Ennstal) 103 ); wenn am zweiten Weihnachtstag nachmittags die Bäume von der S. beschienen werden, so tragen sie im kommenden Jahr viele Früchte 104 ). Die am Neujahrstage rot aufgehende S. ist ein Kriegsvorzeichen 10S ); hier liegt vielleicht ein

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antiker Aberglaube vor (s. unten Sp. 48). In Ludwigslust (Mecklenburg) bedeutet S.nschein um den Altar am Neujahrstag ein gutes Flachsjahr 106 ); in Ostpreußen heißt es, ein gutes Flachsjahr komme schon dann, wenn die S. an Neujahr herauskomme 107 ). — S.nschein in den Zwölfen ist immer von Wichtigkeit gewesen. Im Erzgebirge und in Westböhmen bedeutet er am 1. Lostage ein gutes Jahr, am 2. Teuerung, am 3. Streit der Geistlichen, am 4. Kindesblattern, am 5. eine reiche Obsternte, am 6. Überfluß an Früchten jeder Art (Westböhmen, von Baumfrüchten insbesondere im Erzgebirge), am 7. eine gute Viehweide (Erzgebirge). Der 8. Lostag kündet durch seinen S.nschein viel Vögel und Fische in Westböhmen, der 9. im Erzgebirge den Kaufleuten gute Geschäfte. Der 10. bedeutet, daß gefährliche Gewitter kommen (Westböhmen); der 11. bringt große Übel und Pest, der 12. endlich weiß von zukünftigem Blutvergießen und Krieg zu melden 108). Hier liegt ebenfalls alter Aberglaube vor, dessen Grundlage größtenteils oder ganz auf die Antike zurückgeht (s. Bauernpraktik). — S.nschein am Tage Mariae Lichtmeß (2. Febr.) wird unterschiedlich gewertet. Im Saterland folgert man daraus einen langen Nachwinter 109 ), ebenso in Schlesien, denn sonst fröre es noch sechs volle Wochen 110 ). In Oberbayern sagt man statt dessen, der Fuchs und Bär bleibe noch lange in den Höhlen, es gebe noch lange keinen Frühling, die Fruchtbarkeit des Jahres werde beeinträchtigt m ) . In Schlesien sieht der Schäfer an diesem Tage deshalb lieber den Wolf kommen als die S., weil ihm bei S.nschein an Mariae Lichtmeß die Lämmer draufgehen würden 112 ). Diese Furcht vor dem S.nschein an Lichtmeß deckt sich mit der Freude über Sturm, Schnee und Tauwetter an diesem Tage (s. Lichtmeß V, 1269 f.). Regeln wie die, daß bei S.nschein am Lichtmeßtage der Flachs wohl geraten soll (Schlesien 113 ), Ostfriesland) oder ein gutes Bienenjahr zu erwarten sei, sind ungleich viel seltener (vgl. a. Lichtmeß V, 1270 f., wo noch weiteres Material über S.nschein am Licht-

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meßtage verzeichnet ist). — Beachtet wird sodann der Fastnachtstag und der Aschermittwoch. Auch am Fastnachtstag deutet S.nschein auf ein gutes Geraten des Flachses 114). In Westböhmen macht man die frühe oder späte Leinaussaat vom S.nschein am Vormittag oder Nachmittag des Faschingsdienstags abhängig. Vormittägiger S.nschein erlaubt frühere Aussaat, nachmittägiger spätere 115 ). Vom Aschermittwoch hieß es im Mittelalter, sei die S. zu prüfen; erglänze diese des morgens schnell, so sei es gut, frühmorgens Lein zu säen 116 ). — Endlich darf es am S.nwendtag nicht regnen, weil es dann der Bäuerin in die Teigschüssel regne, d. h. das K o m nicht vom besten wird (Ennstal) 117 ). E i n e gebildete Ü b e r t r a g u n g dieses Volksglaubens dürfte ein Ausspruch N a p o l e o n s sein. A l s a m 7. September 1 8 1 2 die S. a n der M o s k w a aufging, rief der K a i s e r seinen Offizieren m i t den W o r t e n „ V o i l à le soleil d ' A u s t e r l i t z " die siegreiche Schlacht v o n A u s t e r l i t z in die E r innerung zurück, den S . n a u f g a n g gleichsam als ein gutes O m e n f ü r die S c h l a c h t bei B o r o d i n o l l a nehmend ).

h) S.nhof. Wie beim Mond gibt es auch an der S. bestimmte Erscheinungen, deren Beobachtung ebenfalls für die Zukunft wichtig ist. In erster Linie ist unter diesen der S.nhof zu nennen. Nach elsässischem Volksglauben bringen S.nringe Erdbeben 119 ). Die Antike hat den S.nhof wie den Mondhof (Plinius n. h. 18, c. 78) vor allem zu Witterungsprognosen verwendet 120 ), und in der Tat gilt auch für unsere Gegenden, daß Regen die Folge eines (übrigens sehr selten zu sehenden) S.nhofes ist. i) N e b e n s o n n e n . Wenn man drei S.n am Himmel sieht, so gibt es Krieg (Schwaben). In Mecklenburg sagt man: Drögniss (Demern) 122 ). Aus den Größen- und Richtungsverhältnissen kann man den Schlachtensieger 121 ) erkennen. So wurde es 1812 in Herbrechtingen in Schwaben bestätigt. Man erblickt diese drei S.n immer des Morgens beim Aufgang der S., wobei die eine stets größer ist als die andere. Die größte ist das Urbild des Siegers. In Herbrechtingen stand kurz vor Napoleons Feldzug nach Rußland die größte S. nach Norden, wes-

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halb der Russe auch gesiegt habe. Auch dieser Aberglaube dürfte gelehrten Ursprungs sein 123 ). k) Endlich sei der T r ä u m e gedacht, die von S. und S.nschein handeln. In Rogasen weiß man zu erzählen, daß in der folgenden Nacht etwas abbrennt, wenn man von der S. geträumt hat 1 2 4 ). Bei den BukowinaRumänen heiratet ein Mädchen sicher einen Junggesellen, wenn es von S.nschein träumt; träumt sie vom Mond, so erhält es einen Witwer zum Mann 125 ).

83 ) A n d r e e Braunschweig 4 1 1 . 8 1 ) ZVfVk. 9 (1899), 229. 8 S ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 210 f.; A n d r e e Braunschweig 4 1 1 ; K ü c k Wetterglaube 86 in. ) Z V f V k . 24 (1914), 59; K ü c k Wetterglaube 1 1 7 . 8 ' ) ZVfVk. 9 (1899), 229. 88 ) Ebd.; K ü c k Wetterglaube 110. 89 ) D r e c h s l e r 1, 96. 90 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 208 f. 9 1 ) Z V f V k . 9 (1899), 229; B a r t s c h Mecklenburg 2, 208 f.; K ü c k Wetterglaube 1 1 7 ; D r e c h s l e r 2, 129. 92 93 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 210. ) Ebd. 94 ) M a n z Sargans 1 1 7 ; D r e c h s l e r 2, 129. 95 96 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 198. ) Kühnau Sagen 3, 514 Nr. 1919. 9 7 ) D r e c h s l e r 2, 129 f. " ) J o h n Erzgebirge 249. " ) K ö h l e r Voigt10 land 439. °) D r e c h s l e r i, 258; 2, 130. 101 ) ZVfVk. 9 (1899), 230. Man sagt auch „torkeln" (Welt u. Mensch [b. Barth Lpz.] 2. Folge (1926), S. 6). Die Deutung auf die Mitternachtssonne dürfte Zweifeln begegnen. 102 ) ZföVk. 10 (1904), 53. 1 0 3 ) R e i t e r e r Enns104 talerisch 56. ) Z V f V k . 4 (1894), 312. 105 ) ZfdMyth. 3, 32; D r e c h s l e r 2, 129; K r o n 106 f e l d Krieg 147. ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 242. 1 0 7 ) W u t t k e 196 § 264. 108 ) J o h n Erzgebirge 150; Westböhmen 12. 1 0 9 ) S t r a c k e r j a n 2, 89. " » ) D r e c h s l e r 1, 53. i " ) ZVfVk. 15 (1905), 316. 1 1 2 ) D r e c h s l e r 1, 53. " 3 ) a . a. O.; 114 vgl. Z V f V k . 9 (1899), 230. ) J o h n West118 böhmen 41. " « ) Ebd. 195. ) ZVfVk. 1 1 117 (1901), 273. ) R e i t e r e r Ennstalerisch 56. 118 ) O. J ä g e r Geschichte des ig. Jh. 278; 119 K r o n f e l d Krieg 164. ) Elsäss. Mtschr. 1 (1910), 93; vgl. den Sonnenring, der Domitians Ermordung ankündigt bei P h i l o s t r a t . Vita Apoll. V I I I 25. i 2 °) s. u. Anm.; die antike Beobachtung dann bei M e g e n b e r g Buch d. 121 Nat.78. ) W u t t k e 196 § 264. 1 2 2 ) B a r t s c h 123 Mecklenburg 2, 198. ) Meier Schwaben 1, 237 Nr. 2. 1 2 4 ) Rogas. Fam.-Blatt 2 (1898), 48. 12ä ) ZföVk. 3 (1897), 21.

4. S . n v e r e h r u n g in v o r g e s c h i c h t licher und g e s c h i c h t l i c h e r Zeit auf d e u t s c h e m Boden. G e r m a n i s c h e Anschauungen. Alle die beschriebenen neueren Volksanschauungen über die als Lebewesen aufgefaßte S. und deren Handlungen sind kaum in einen inneren Zusammenhang zu bringen. Man darf weder

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von ihnen insgesamt noch von einzelnen Regeln auf den Inhalt eines germanischen oder vorgermanischen S.nkultes schließen noch einen solchen aus ihnen überhaupt folgern, denn diesen Komplex des heutigen S.naberglaubens vermögen wir kaum bis ins 16. Jahrhundert zurückzuverfolgen, und das auch nur zu Teilen. Jeder Aberglaube ist außerdem nur verwertbar für die Zeit seiner Anerkennung. Auch von hier aus verbietet sich jeder Rückschluß. Anders ist es mit den noch heute geübten Bräuchen des Räderschiebens, Scheibenschlagens u. ä. an gewissen Tagen des Jahres, worin man wohl sicher einen alten S.nzauber, also eine kultische Handlung, zu erblicken hat (s. Frühlingsfeuer 172f.; Perchtai484; Rad), Hinzutreten die noch verwendeten Anreden wie „Frau S.", die kaum anders als Gebetsrelikte zu deuten sind (s. u.). Von hier aus könnte man eher daran gehen zu fragen, inwieweit Zusammenhang zwischen einem alten S.nkult und den heutigen Vorstellungen denkbar ist. Aber man kommt zu keinem Ergebnis, und es will so scheinen, als ob vieles dem Leben oder falscher Analogie abgelauscht ist. Auch eine Ursache für die Zusammenhanglosigkeit der Vorstellungen. Eine kurze Skizze — (ohne Seitenblick auf die Inder, Griechen und Römer) — der in vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit auf unserm Boden in der Jungsteinzeit und den folgenden Zeiten der Bronze und des Eisens getätigten S.nverehrung macht das noch deutlicher. Man wird so gut wie gar keine Beziehungen zwischen Einst und Jetzt außer den genannten finden. Ausgangspunkt einer Erörterung der alten germanischen und vorgermanischen S.nverehrung in Deutschland muß immer Caesars Notiz VI, 21 bleiben. Er berichtet, daß die Germanen, an sich religiösen Bräuchen nicht sehr zugetan 126 ), neben Mond und Feuer der S. göttliche Verehrung erwiesen hätten (Grimm, Myth. 2, 587 f.). Diesem Hinweis auf S.nkult bei den Germanen des 1. vorchristlichen Jh.

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treten als weitere Quellen zur Seite i . Nordische Epen; 2. die Bodenfunde. Unter den letzteren sind die wichtigsten die S.nschiffe, Kultbeile mit S.nstrahlenkranz, S.nscheiben darstellende Grabbeigaben, der Kultwagen von Trundholm und wohl S.nscheiben symbolisierende Felsritzungen auf Felszeichnungen des Nordens 127 ). Diese Funde umspannen die Zeit rückwärts bis ins Neolithikum; sie bestätigen Caesars Notiz schlagend, aber sie sind schwer zu deuten. So viel wird man aber wohl sagen dürfen, daß sie uns lehren, daß man keiner anthropomorphen Auffassung der S. in den kultischen Gegenständen Ausdruck verliehen hat, also auch wohl eine anthropomorphe S.nauffassung in der Religion nicht kannte. Der S.nwagen von Trundholm scheint in der Tat entweder einen S.nschild zu tragen, der die heißen Strahlen abwehrt 128 ), oder dieser ist ein Abbild der S., das man auf die Felder hinausfuhr, um es zum Vorbildzauber zu verwenden, indem das aufs Feld „scheinende" Bild die erbetene Wirkung vorwegnahm 129 ). Letztere Auffassung kann sich auf religionsgeschichtliche Parallelen, erstere auf eine Eddast eile stützen. Die Edda erwähnt die S. nicht häufig. Für uns ist in diesem Zusammenhang die Stelle wichtig, an der sie als Schild des S.nwesens bezeichnet wird 130 ). Im Gegensatz zu den kultischen Denkmälern aber erscheint die S. in der alten Dichtung auch anthropomorph. Bei der Schilderung des Weltuntergangs wird berichtet, daß die S., die bei dieser Katastrophe durch den Fenrirwolf verschlungen wird, vorher eine Tochter zur Welt bringe, die hernach in einer neuen Welt an ihre Stelle trete 131 ). Ein andermal ist die S. die Tochter eines Mannes namens Mandilfari, die zur Strafe für eine überhebliche Handlung ihres Vaters von den Göttern bestimmt wird, die Rosse der S. zu lenken, die die Götter erschaffen haben 132). Der Hinweis ist wichtig wegen der Vorstellung, daß der S.nwagen am Himmel von zwei Rossen — sie heißen Allbehend und Frühwacht 133) — gezogen wird. Denn das Kultbild von Trundholm zieht ebenfalls

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ein Pferd, das wohl einst für den Gottesdienst ebenso bevorzugt wurde 134), wie später bei den Germanen 135 ). Schließlich weiß man zu erzählen, daß Weltende und Vernichtung der S. zusammenhängen; man ist sich also der Wichtigkeit der S. durchaus bewußt gewesen 136 ). Ein letztes Bild schildert, wie die S. auf ihrem Tageslauf von zwei Wölfen, Trug und Hasser, begleitet wird 137). Man hat immer schon versucht, diesen Vorgang mit der Erscheinung der Nebens. zu erklären 138 ); mir erscheint das unwahrscheinlich. Es ist den Namen nach zu schließen, doch vielleicht eher an die ständige Bedrohung des S.nwesens durch zwei böse Feinde des Lebens zu denken; der Mensch hat hier einfach seinen Erlebnisbereich zu dem eines himmlischen Wesens gemacht 139 ). Auch ist sehr fraglich, ob sich Snorris Bericht über die Verschlingung der S. durch den Wölk Skoll, des Mondes durch Managarm aus dieser Vorstellung entwickelt hat oder Erzeugnis einer späteren Zeit ist 140 ). Die Tatsache der Verschlin-j gung selbst ist aber wichtig, weil ihr Sinn,! Vernichtung des Gestirns und Welt- J Untergang, im Finsternisaberglauben wohl immer noch nachlebt (s. Finsternisse); hier läge also ein altes Relikt vor. Erwähnt sei noch, daß in einem der Merseburger Zaubersprüche die S. unter bekannten germanischen Gottheiten erscheint (Braune, Alth. Leseb. X X X I b). Alles andere, was man gelegentlich mit diesem germanischen S.nkult in Zusammenhang brachte, wie die Kenntnis des S.njahrs und der Zwölfnächteglauben, wird in Deutschland und im Norden den christlichen Zeiten verdankt 1 4 1 ). J Auf die neuerlich sehr energisch ver-,' fochtene Einführung dieses frühgeschichtlichen S.nglaubens in Deutschland und im Norden durch „die von den asiatischen Steppen eingewanderten Indogermanen" 142) gehe, ich bei dem Gegensatz der Meinungen nicht ein. Seit dem i . Jh. v. Chr. liegen sporadisch meist literarische Zeugnisse von S.nverehrung auf deutschem Boden bis ins 17. Jh. vor. Aber über den Inhalt der Vorstellungen und über den Zusammen-

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hang dieser Verehrung mit der früh- und vorgermanischen läßt sich nichts aussagen, wenngleich ich keine entscheidenden Gegengründe gegen eine solche Annahme, wenigstens für die bis zum 11./12. Jh. gepflogene S.nverehrung wüßte und derS.nradzauber für die Kontinuität spricht 1 4 3 ). Sieht man von einer Jupiter-Gigantensäule ab, auf der Jupiter ein S.nrad führend reitet 1 4 4 ), so ist das nächste, freilich mir doch recht schwach erscheinende Zeugnis der Gestirnanruf eines Germanen, den Tacitus erwähnt 1 4 5 ): Bei Verhandlungen über die Besitzergreifung eines strittigen Gebietes am Niederrhein, habe der Germanenfürst mit einem Blick von unten zur S. 146 ) und unter Anrufung der übrigen Gestirne die Frage an diese gestellt, ob sie menschleeren Boden sehen wollten ? Das Meer solle die Räuber verschlingen. Prokop schildert eine S.nfeier auf der Insel „ T h ü l e " bei den dorthin ausgewanderten germanischen Herulem 147 ). Die Begrüßungsfeier des wiedererscheinenden Gestirns erinnert in der Tat sehr stark an die norwegische Feier dieses Ereignisses in Helgeland 148 ); sie hängt mit der Fruchtbarkeit des Jahres zusammen. Einen ähnlichen Sinn hat wohl auch die bei uns übliche Erwartung des österlichen S.naufganges. Man feiert die Auferstehung der Natur und die beginnende Feldfruchtbarkeit. Eligius wendet sich im 7. Jh. mit einer Predigt gegen die Gebete an den „dominus Sol" und verbietet das Schwören bei i h m 1 4 9 ) ; das Schwören beim S.nlicht bezeugt auch Saxo 1 5 0 ). Die Eligiusstelle ist ferner wichtig, weil sie von dem d o m i n u s Sol spricht. Der Indiculus erwähnt die S.nfeiern unter den heidnischen Bräuchen nicht, wohl aber Hilfe bei Mondfinsternis 151 ). In einer freilich für England erlassenen Verordnung Knuds vom J. 1032 wird als heidnisch definiert „die göttliche Verehrung von Götterbildern wie der S. und des Mondes" 152 ). Und noch 1405 berichtet Nikolaus Magni de Jawer er habe eine alte Frau gekannt, die die S. für eine Göttin gehalten habe, und fast das Gleiche erzählt der etwa 50 Jahre jüngere Prediger Gottschalk Hollen 153 ).

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Für die Zeit um 1404 wird üppige Blüte eines S.nkultus im Waadtland behauptet 154 ). Man vergleiche dazu die Verse aus Hans Vintlers „Pluemen der T u g e n t " : Und etlich leut hond die tick Das sy den teüffel petten an, Sterne, sonnen und auch den man

165 ).

Dann hört man wieder im Jahre 1646 von einem Menschen, der S. und Mond mit abergläubischen Worten anredet und Zeremonien dabei macht statt den Sonntag zu heiligen 156 ). Bei den Zeugnissen nach dem 10. Jh. (vielleicht das über die S.nverehrung im Waadtland ausgenommen) muß man daran denken, daß die bezeugte S.nverehrung auch eine Folge der Bekanntschaft mit den Ansichten über die dämonische Natur der Planeten (s. d. Sp. 263ff.) und deren religiöser Verehrung sein kann, die über Spanien und Frankreich aus dem arabischen Kulturkreis bekannt geworden war. Erwähnt sei schließlich doch auch noch die anscheinend im MA. vollzogene Angleichung der S. an Jungfrau Maria, über deren Verbreitung mir freilich nichts bekannt ist. Unter bestimmten Bedingungen könnte man eine Art Verehrung der Maria als Fortsetzung des S.nkultus ansprechen. Konrad von Megenberg vollzieht nämlich eine Gleichsetzung der 15 Eigenschaften der S. mit der entsprechenden Zahl bei Maria. Zu dem 1. Satz, die S. strahle in eigenem Licht, lautet die Parallele „Unsere Frau erstrahlt im eigenen Glänze aller Tugenden, aller Reinheit und aller Seligkeit" 1 5 7 ). Die Identifizierung erfolgt auf Grund von Salomos Hohem Lied 6, 9. Doch handelt es sich an der Stelle nicht nur um gelehrte Allegorie. Man vergleiche die Bezeichnung „Mariken" (s. u. Sp. 57) und die Beziehung zwischen der S. und dem Marienkäfer (s. Marienkäfer, V iöqöf. 1693). 126) v g j N e c k e l Kultur d. alten Germanen (in Handb. d. Kulturgeschichte) 178f. 1 2 ') E m s t W a h l e Deutsche Vorzeit 87. 74. 143. 1 5 8 ! ; N e c k e l a. a. O. 118. 179. Auch K . S c h u m a c h e r Siedlungs- u. Kulturgeschichte d. Rheinlande 1 , 1 1 7 . 1 2 8 )s. N e c k e l a . a . O . 179. 1 2 9 )Vgl. E. F e h r i e s Ausgabe der Germania des Tacitus (1929) 105. 13 °) Grimnirlied 31 (Thüle 2, 83); dazu ein althochdeutscher Vergleich bei Notker,

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G r i m m Myth. 2, 585. m ) Wafthrudnirlied 132 4 6 — 4 7 (Thüle 2,93). ) Gylfaginning c. 1 1 (Thüle 20, 58). 1 3 3 ) Grimnirlied 30. 1 3 4 ) Vgl. E . W a h l e Deutsche Vorzeit 74. 1 3 S ) T a c i t u s German. 10, 4. 1 3 6 ) Völuspä 44 (Thüle 2, 42); 137 G r i m m Mythol. 2, s88f. ) Grimnirlied (Thüle 2, 83). 1 3 8 ) Thüle 2, 83 Kommentar zur Stelle; L i e b r e c h t Volksh. 368 A . ; Welt und Mensch (Barth 1 9 2 6 ) 2. Folge V 9. 1 3 9 ) So Neckel Kultur der alten Germanen 1740. 140 ) G r i m m Mythol. 1, 2o2f. (Thüle 20, 1 1 0 ) ; N e c k e l a. a. O. 1 4 1 ) E . W a h l e Deutsche Vor142 zeit 87. — A r t . J a h r Sp. 594. ) E. W a h l e a. a. O. 95. 159. 1 4 3 ) Vgl. M e i n c k Über die Verehrung der S. bei den Germanen in „ F e s t schrift z. 600jährigen Bestehen Gymnas. Liegnitz 1 9 0 9 " S. 3 1 ; s. auch Z V f V k . 3 ( 1 8 9 3 ) 349f., vgl. 4 (1894), 1 9 7 . 1 4 4 ) K . S c h u m a c h e r Siedlungs- u. Kulturgeschichte der Rheinlande 2, 302. 1 4 6 ) Anm. 13, 5 5 . 1 4 6 ) Solem suspiciens. Das Wort suspiciens auch German. 10, 2. (caelum suspiciens): es ist die Haltung nach dem Gebet vor dem Aufheben der Losstäbchen gemeint; in der Tat auffällig. 1 4 7 ) De hello Gothico 2, 1 5 ; P a u l y - W i s s o w a s. v. H e r k u l e s Sp. u 6 o f . 1 4 8 ) Welt u. Mensch 2. Folge, V , 6. ,4 ») G o l t h e r Germ. Mythol. 4 8 7 ; M i g n e PL. 87, Sp. 528 D ; auch bei G r i m m Myth. 3, 402. J5 ° ) S a x o p. 2 1 4 . Ferner s. G r i m m Myth. 2, 587, doch gehört die Tacitusstelle nicht hier161 her. ) G r i m m Myth. 2, 403; vgl. auch 152 S a u p e Indiculus 20. ) Z V f V k 23 ( 1 9 1 3 ) , 163 113. ) Z V f V k . 19 (1909), 1 4 5 f. 1 5 4 ) S A V k . 2 1 ( 1 9 1 7 ) 8 7 f f . ; vgl. auch die im 1 5 . J h . noch bezeugte Feier des Frühlingssonnenaufgangs in Genf, s. Art. Frühlingsfeste 1 6 5 . 1 6 6 ) Z V f V k . 158 16 2 3 ( 1 9 1 3 ) . 6 Vers 7 7 7 3 — 7 5 ) Ebd. ') M e g e n b e r g Buch d. Natur 4 5 I

5. D i e v o l k s t ü m l i c h e n V o r s t e l lungen vom Wesen der S. a) Die S. als lebendes Wesen g ö t t l i c h e r N a t u r . Mannigfache Vorstellungen über das Wesen der S. gehen noch heute im Volke um. Man knüpft seine Gedanken an ihre Tätigkeit, ihre Bewegung und an für die Fruchtbarkeit des Feldes wichtige Tage. Das meiste erscheint christlich oder christianisiert. Zu den wenigen heidnischen Resten muß außer der A n r e d e „Frau Sonne" die Bezeichnung Jungfer gehören, die im Harz bei der Feier des 23. Juni zu hören war (und ist?). Die Mädchen drehen mit bunten Eiern und Blumen geschmückte Tannenbäume, um die sie tanzen, von der Linken zur Rechten (sonnenläufig, s. o.) um und singen dabei: „Die Jungfer hat sich umgedreht usw.", worin Mannhardt eine Anspielung auf die S.nwende erkannte 158 ). Ferner

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wurde noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts das Wort „Sonnenochse" gebraucht; in ihm muß ebenfalls irgendeine alte mythische Personifizierung enthalten sein. Im Gespräch über das heiße Juliwetter äußerte am Anfang der 80 er Jahre ein kleiner Bauer oder Knecht in der Nähe von Grimma i. Sa.: „Aber heite meents der Sonnenochse gut". Dasselbe Wort war bei den Zöglingen der Fürstenschule St. Augustin zu Grimma (nicht bei den Bürgern der Stadt, wie ausdrücklich mitgeteilt wird) bekannt. Störte beim Arbeiten die S. die Schüler in den Studiersälen, pflegte der Ältere zu einem der ihm unterstellten jüngeren Schüler zu sagen: „Sperre mal den Sonnenochsen raus"; auf diese Aufforderung mußten die Vorhänge des Studiersaales zugezogen werden 159 ). Sodann geht auf alte Wurzeln der Glaube an die die Wahrheit der einen Sachverhalt offenbarenden Kraft des Gestirns zurück; die S. sieht mit ihren überallhin gelangenden Strahlen alles 160 ); die orientalischen Völker des Altertums, die derselben Anschauung gehuldigt haben, führte dies zu der Bezeichnung „Sonne der Gerechtigkeit" 161 ). Auf dem Schloßberg bei Possenheim lebte ein Bauer, der einem Juden Geld schuldig war, aber die Schuld, obgleich oft gemahnt, nicht zurückbezahlte. An einem Sonntag ging der Jude morgens auf den Schloßberg, mahnte und drohte, den Bauer bei Gericht zu verklagen. Dieser geriet in Zorn und ermordete den Juden bei heller S. Der Sterbende sprach: „Wenn kein Mensch deine Tat sieht, so muß die S. dich verraten". Und so geschah's. Denn jedesmal, wenn der Bauer den S.nschein in seiner Schlafkammer sah, mußte er lachen. Sein Weib drang darob in ihn, bis er alles erzählte. In einem ehelichen Streit rief ihm seine Frau zu, ob er es ihr auch wie dem Juden machen wolle, den er umgebracht und in einen Brunnen geworfen habe ? Umstehende hörten diese Worte. Man zeigte den Bauer bei Gericht an. Er selbst ward flüchtig und gestand so. Die S. hatte es verraten 162 ). Dieser Sagen gibt es eine ganze Menge. Die bekannten

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Aussprüche „die S. bringt es an den T a g " oder ,,Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der S.n" gehören hierher. Wie alt die bekannten Bezeichnungen die 'alte Mutter' 1 6 3 ) (de ollsch, de oll madam, mudder gläunig), Mariken (s. 0. Sp. 54), die liebe S., die frohe, liebe gnädige Frau S. sind, wird nicht ganz leicht zu ermitteln sein 164 ). Dieselben sind dazu zu naheliegend. „Frau S . " weist aber doch wohl auf alte kultische Verehrung 165 ). Der S.n lauf hat die Gemüter viel beschäftigt. Wolken, die neben der S. goldene Ränder zeigen, bezeichnet man als die Taschentücher der S., mit denen sie sich den Schweiß abwasche 1 6 6 ). Geht sie unter, so sagt man in Oldenburg „se kruppt int Nest" oder ,,se geiht to Rüste" 167 ). Eine alte Wendung ist „die S. geht zu Golde" im Hinblick auf die goldenen Strahlenbüschel, die sie bei ihrem Untergang aussendet 1 6 8 ); bei den Böhmen (Oord) wurde daraus mißverstanden, daß die S. zu Gott gehe („De Sunne giht zo Goute"); auch hört man in Norden, sie gehe zu Walde 1 7 0 ). Die blutrote Farbe, die man bei manchen S.nuntergängen wahrnehmen kann 169 ), rührt von den blutigen Tränen her, die die S. dann bei ihrem Untergang weint (Oberpfalz) 171 ). Geht die S. nach rechts unter der Erde durch, badet sie sich in einem großen See (sie „geht zu bade") 172 ), geht sie verkehrt auf, so bedeutet das ebenso das Weltende 1 7 3 ) wie ihre ständige Verfinsterung (s. Finsternisse Sp. I 5 i 4 f f . ) . Auf ihrer täglichen Nachtreise unter der Erde kommt sie zu den Zwergen; bei ihnen soll die S. um Mitternacht, auch um 1 2 Uhr nachts aufgehen: ein mehrfach belegtes Motiv deutscher Volkssage 1 7 4 ). In den „Zwölfen", nach anderen auch zur Zeit der Sommersonnenwende und an den beiden Tag- und Nachtgleichen soll die S. gar stille stehen 1 7 S ). Diese Vorstellungen haben zur Entwicklung von allerlei Bräuchen, die Zukunftsforschung zum Inhalt haben, geführt (s. die Anm. 103 ff. 1 7 6 ); sie gehören zu den S.nwendfeiern. In Oldenburg glaubt man, daß mit dem Dreikönigstag die S. wieder vorrücke 1 7 7 ),

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was wohl mit der Möglichkeit, die bereits wieder länger werdenden Tage wahrzunehmen, zusammenhängt. Die christlichen Zeiten kennen den Glauben an die Beziehungen der S. zum S o n n a b e n d , d . h . Samstag. Die Überlieferung ist aber nicht einheitlich. Ganz allgemein heißt es, daß die S. an allen Samstagen scheinen müsse 178 ), in Schwaben nimmt man drei dunkle Samstage aus 1 7 9 ); letzteres habe sich die Mutter Gottes ausgebeten 18 °). Manche wissen dies dahingehend zu ergänzen, daß Maria an dem Tage ihren Schleier 1 8 1 ) oder auch ihr Hemd 182 ) oder die Windeln des Christkinds trocknen wolle 183 ). E s genügt unter Umständen der S.nschein eines Augenblicks 1 8 4 ). Schlesien, Sachsen und die Oberpfalz glauben zu wissen, daß Maria dies vor allem am Ostersamstag 185 ) tue. Andere Gegenden wiederum behaupten dasselbe von den Sonntagen 1 8 s ). In der bezeichneten Tätigkeit ist vielleicht irgend ein Zug der alten Holle auf Maria übergegangen (s. Perchta, V I 1483); der Samstag ist schon seit Bonifacius ein Marientag, wird aber oder wurde in Mitteldeutschland noch als Hollen- oder Hullentag bezeichnet 187 ). Ist der S.nschein an diesem Tag eine Huldigung an die göttliche Gestalt Marias? Beziehungen der S. zu den c h r i s t l i c h e n F e s t e n sind ähnlicher Art. So nimmt sie in Schwaben an der Trauer um Christi Tod am Karfreitag bis mittags 3 Uhr teil 1 8 8 ), was auf die biblische Darstellung der S.nfinsternis bei Christi Tod (Math. 27, 46) zurückzuführen ist. An dem die Natur und die Menschen beglückenden Jubel des Osterfestes denkt man sie sich allenthalben beteiligt. Überall weiß man von den drei Sprüngen zu erzählen, die die S. beim Aufgang an diesem Tag mache 189 ) aus Jubel über die Auferstehung des Herrn 19 °). Man hat für diese Erscheinung die verschiedensten Ausdrücke. Im ehemaligen österr. Schlesien spricht man vom „Sonnehoppen" 1 9 1 ), in Westböhmen von den „Hupfa" (Sprüngen) 192 ) der S., in Hinterpommern heißt dies „Osterlammspringen" 193 ). Manche Gegenden wissen zu berichten, daß

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man ein Osterlamm sehen könne 194 ), wenn man am Ostermorgen bei S.naufgang durch ein Papier mit nadeldünnem Loch nach der S. schaue 195 ) oder diese sich in einem Kübel Wasser spiegeln lasse. Andere erzählen von der Erscheinung eines weißen Lammes bei S.naufgang, eines blauen bei S.nuntergang197). Die Sprünge kann man in Mecklenburg beobachten, wenn man zur gleichen Zeit196) durch einen Zaun schaut 198 ). Man glaubt an die Sache selbst so fest, daß man ebenda denjenigen für behext erklärt, der es nicht erkennen kann 199). Ganze Dörfer in Österreich, Schwaben und sonst ziehen am Vorabend hinaus auf einen Hügel, um dort auf den S.naufgang des Ostertages und die drei Sprünge zu warten 20°). In Schlesien besucht der fromme Christ die Auferstehungsfeier, die zuweilen vor S.naufgang begangen wird 201 ). Vgl. auch Ostersonne. In diesen Bräuchen erscheinen zwei Dinge miteinander vermischt. Einmal steckt in diesem Tun die Erinnerung an Fruchtbarkeitsfeste im Frühling, an denen die S. eine besondere Bedeutung hatte. Ferner die Freude der Menschen an der Auferstehung Christi, dem Bringer des Heils. Die S., ursprünglich selbst vielleicht Gegenstand der Verehrung in diesen Tagen, tritt nun unter der diesen Tag preisenden Kreatur auf. Merkwürdig ist die nur aus Westböhmen (Schüttarschen) belegte Ansicht, daß in Verbindung mit den drei Freudensprüngen die S. Gift über die ganze Welt speie. Man müsse sich dagegen vorsehen und vor S.naufgang die Füße mit Flußwasser waschen 202). Letzteres versteht man aus bestimmten volksmedizinischen Ansichten, die mit der S. zusammenhängen und von denen eine behauptet, daß Flußwasser am Ostersonntag vor S.naufgang geschöpft — junge Mädchen sollen das tun — besondere Heilkraft besitze (s. Osterwasser). Aber was soll das Giftspeien ? Die drei Freudensprünge macht die S. aber nicht nur an Ostern. Andere Gegenden glauben vielmehr, daß dies am Himmelfahrtstage (Aargau203), Tübingen, Mös-

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singen, Pfullingen, Reutlingen 204), Endingen b. Balingen 205)) geschehe; auch dort zieht man dann auf in der Nähe gelegene Berge, um das Schauspiel zu sehen. Dabei werden auch einmal zwei Sprünge 206), ein anderes Mal drei Sätze genannt, mit denen die S. aufgehe ^'J. Zum Pfxngstsonntag berichtet Vernaleken von einem Zug auf den Berg der Umgebung zur Betrachtung des S.nhüpfens 208); in Schwaben (Ulm) wiederum feiert man so den S.naufgang am Johannistag 209). Schließlich weiß man aus Rotenburg a. N., daß in der Christnacht die S. zwei Freudensprünge macht 21°). Interessant ist, was einmal über die S. am Dreifaltigkeitstage berichtet wird. Danach soll man an ihm drei S.n sehen, die als Sinnbild Gott Vaters, Sohnes und des Hl. Geistes erklärt werden 2 1 1 ). Das geht wohl auf eine einmal beobachtete Nebensonnenerscheinung an diesem Tag zurück. Gänzlich anderer Überlieferung wird eine badische Ansicht verdankt, daß die S. am Ostertage viel roter und blutiger aufstehe als sonst 212 ). Über S. und Mond als Geschwister vgl. Grimm, Mythol. 2, 586, als Ehegatten Art. F i n s t e r n i s s e 1513. b) Z e u g n i s s e d i n g l i c h e r A u f f a s sung der Sonne. Neben der S. als Person kennt das Märchen der Deutschen auch eine dingliche Auffassung vom Wesen der S. Sie hat das deutsche Märchen mit den Märchen vieler anderer Völker gemein 213 ). So werden die alten, am Abend verbrauchten S.n dazu verwendet, das Heer der Sterne zu vermehren 2U ). Man zerspellt sie und befestigt die kleinen Splitter am Himmel. Dies Zerspellen besorgen im Auftrag des lieben Gottes alte Jungfern nach ihrem Tode; die Junggesellen müssen im Osten die neuen Sterne an den Himmel hinaufblasen (Sylt) 2 1 5 ). Nach anderer Anschauung schmieden die Zwerge die Sonne stets neu 216 ). Eine Siebenbürger Sage erzählt, daß nach der Erschaffung der Welt, weil es noch so dunkel war, Gott in seinem Palast ein Lichtgewand genommen und aus ihm zwei große Scheiben geschnitten habe,

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von denen die eine zur Erleuchtung des Tages, die andere zur Erleuchtung der Nacht bestimmt sei. Den übrigen Rand zerschnitt er, um daraus die Sterne zu machen, in lauter ganz kleine Fetzen. Andere erzählen diese Sage so: Unser Herr nahm, als er der Welt das Licht bringen wollte, aus seinem Himmelspalast eine große Schale von Goldkristall. Den runden Boden dieser teilte er und machte die größere und glanzvollere Hälfte zur Tageslampe, die untere, etwas abgenutzte zur Nachtlampe. In wieder einer anderen Fassung erscheint die S. als die von Gott aus dem Kristallhimmel herausgehängte goldene Lampe 217 ). Einem schwäbischen Volksglauben zufolge schaut der Herrgott durch die S. auf die Welt herab, sie ist also sein Auge; daher wird derjenige blind, der sich erfrecht, in die S. zu schauen 218 ). Diese Auffassung steht der von der heilenden Wirkung eines Blickes in die S. diametral gegenüber, ein schlagendes Beispiel für das beziehungslose Nebeneinander solcher Volksanschauungen, die ganz verschiedenen Quellen und Empfindungen entstammen und doch nebeneinander im Denken und Fühlen Raum haben. Nach einem nordischen Märchen wurden S., Mond und ein Stern allein in je einer Kammer des Hauses aufgehoben, wo die Jungfrau Maria wohnt, bis zu größtem Schmerz Marias ein Pflegekind aus Neugierde die S. entschlüpfen ließ 2 1 9 ). Die Gestirne sind also auch hier wohl dinglich aufgefaßt; es ist das bei dem naheliegenden Vergleich mit einem Ball, einer goldenen Kugel oder einem R a d auch ganz verständlich und wird durch viele Märchen der Primitiven bestätigt 22 °). Schließlich sei noch einer Sage aus Dithmarschen gedacht. Sie schildert den S.naufgang und -Untergang. Hinter Büsum ist nämlich die Welt mit Brettern zugenagelt. Da sitzt am äußersten Ende ein Riese, der hat die S. an einem Tau und windet sie jeden Morgen in die Höhe und am Abend herunter. Nach einer anderen Version besorgen das S.naufgang- und -untergangMachen die Büsumer selbst, weil sie die 5 . in ihrem Kirchtum an einem Seil

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haben, das sie morgens hochziehen und abends wieder herunterlassen 2 2 1 ). c) S o n n e u n d M o n d in d e r E n t r ü c k u n g s s a g e . E i n e Mischung der beiden beschriebenen Vorstellungen des Volkes von der S. dürfte in der Sage von der Frau in der S. vorliegen. Ihr Inhalt ist folgender: E s ist gefährlich, am Sonnabend zu spinnen 2 2 2 ). Manche sagen sogar, es sei sündlich. Wer es tut, wird in die S. versetzt. Hier muß er auf ewig fortspinnen, wie jene gottlose Frau, die diese Strafe erlitt, weil sie einst einen ganzen Winter auch an den Sonnabenden fortspann. Auch die Feiertage darf man bei gleicher Strafe nicht durch Spinnen entheiligen. Wenn die Frauen und Mädchen vom Osterwasserholen heimkommen, dann können sie die Gottlose ganz deutlich in der S. sitzen und spinnen sehen 223 ). Die Sage tritt oft in Verbindung mit der parallelen Sage vom Mann im Mond auf (s. Mond Sp. 5 i o f . ) . Letztere hat aber zu größerer Variierung gereizt. Ein schwäbischer Spruch verbindet beide Begebenheiten : Haun is daun Haun i g'sponne

so komm i in maun. so komm i in d'sonne224).

Die Vorstellung eines Wesens in der S. dürfte durch die S.nflecken und die Unrecht und Beleidigung strafende Gewalt des Gestirns (vgl. o. Sp. 34) nahegelegt worden sein, nicht anders als beim Mond. 158 159 ) M a n n h a r d t 1, 181 f. ) ZVfVk. 1 (1891), 443; vgl. M a n n h a r d t Germ. Mythen 160 40ÍÍ. ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 52; B o l t e - P o l i v k a 2, 5 3 1 ; vgl. S t r a c k e r j a n 2, 104. 1 6 1 ) F. J . D ö l g e r Die Sonne der Gerechtigkeit u. d. Schwarze ( = Liturgiegeschichtliche Forschungen H. 2), 83 f f . Vgl. M a l e a c h i 3, 20. 1 6 2 ) P a n z e r Beitrag 2, 23 ff. 1 6 3 ) Z V f V k . 1 (1891), 75 f.; G r i m m Myth. 3, 414; M a n n h a r d t 16 Germ. Mythen 287 f. 664*. ie

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©ein HJadjfen unb HJerben Don JULIUS VON NEGELEIN" toeü. ot&. Ptofelfoi a. 6. Unioetfität itlonacn ©to6=©!tao. VIII, 372 Seiten. 1931.

Ritt 17.10, gebunden Rift 18.—

2lus ben Urteilen: „ . . . f o unternimmt »on ZTegeleht eine grofjangelegte,tiefgrimbige gufammenfdjau... überall feffelnb, überall anregenb, aus bet Stumpfheit aufrüttelnb, bie uns i n biefer ijinjtdjt alle umnebelt, immer frifd?, immer lebenbtg, immer erliellenb; nie entläßt er ujts aus bim Banne feines ungeheuren JDiffens, felbft ba. nidjt, n>o er 3U tDiberfprud; reijt. IlTan fül)lt ftdj erhoben unb gebemütigt, man folgt ifjm willig unb roiberjlre» benb, man lieft bas 23ucfy in einem guge burd; Cage unb Hackte, unb brennt 00t Segier auf ben 3»eiten S a n b . . . H i m m unb l i e s t . . . " Deutfd?es pijilologenbtatt H r . 55. 1932.

n . 2 3 a n b : J ^ a u p t t w e t t t>e$ 2C6etgfou&en$ Don JULIUS VON NEGELEIN nieil. otf>. Piofeüoc a. b. Untoer|lt5t (Erlangen ®rofc®ft. XVIII, 441 Seiten. 1935. RITC 16.—, gebunden Ritt 17.50 Verlag Walter be ©rupter & (Eo., Berlin

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Dos U3er£ u>iit unferen lebenben U3ortfchafy in irnffenfchaftlich ernfthaften unb eintnanbfreien 7Bortgefcf)icf)ten barfteiien; bei fc^ärffict Tkumausnufyung arid es ben bcutfi^cnHJortf^a^ nicht ecfc^öpfcn, fonbern in gctoiffcn^aftcr ftus* iefc bie fpracbgfd)icf)iitd) anjiebenben unbfriiturgefcf)icf)t(td)bebeutfamen KJortgeföichten ausgeben. THit belegen fotl bas lüerf nicht überlaftet fein, boch werben burch ftreng ausgewählte 3^ugniffc alle Angaben belebt unb löenbepunfce im ßeben ber Wörter beleuchtet. Der bunte Reichtum unfern Uoiisfprac^e (od in bas U3eti einftrömeti; fotoof)! bie iänblid>en THunbarten bes beutfc{»en ©übens unb Horbens, ais auch bie mancherlei TOifchformen, bie ben ftäbtifefren Jlllfag oon beute beherrfchen. (Ein ausführlicher Profpeft fteht foftenlos jur T3erfügungl

kalter be ©rupter & (To., Berlin

35, SBoprjcftfft. )3

Die Deutsche Schachzeitung erscheint als ältestes aller bestehenden Schachblätter seit 1846 in ununterbrochener Folge. Monatlich 1 Heft im Umfang von 32 Seiten. Preis vierteljährlich RM 2.—

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BAND YIII 2. LIEFERUNG SPEICHEL - SPIRITISMUS

BERLIN

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LEIPZIG

1936

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSB U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - KARL J. T R Ü B N E R - VEIT & C O M P .

läppen und steckte das Päckchen in einen Ameisenhaufen; wenn die Ameisen das Zeug gefressen hatten, hatte der Bezauberte die Läuse 26 ). Nach der Rockenphilosophie : Hat das Jüdel ein Kind verbrannt, so schmiere man das Ofenloch mit Speckschwarte 27 ). Um den Geist, der den Schatz hütete, zu gewinnen, vergrub eine Frau an einem Kreuzweg Sp. 28 ). 25 )

io, 49 ff. 26 ) D r e c h s l e r Schlesien 2, 258. G r i m m 1. c. 3, 449, 473. 28 ) F i s c h e r Aberglaube 157. 2')

7. S p e i s e v o r s c h r i f t e n und Ähnliches: Wer am Karfreitag Sp. ißt, stirbt vor dem 30. Jahr (Ungarn) 29 ). Aus der Donnerstagspeise Sp.-Erbsen zieht Rochholz seltsame Folgerungen 30 ). Den Sp. soll man erst anschneiden, wenn im Frühjahr der Kuckuck ruft 31 ). 29 ) Z f V k . 4, 394; S a r t o r i Sitte und Brauch 3, 144. 30 ) Glaube 2, 46 ff. 3 1 ) A n d r e e Braunschweig 463.

8. V o r z e i c h e n : Wenn man träumt, man esse Sp., stirbt ein Bekannter 32 ). Sieht man im Traum Sp. oder Würste, so gibt es einen unangenehmen Besuch 33 ). Wenn der Sp. schwitzt, wird es regnen (Schlesien und allgemein) 34 ). 32 ) 34 )

S A V k . 2, 218, 36. 33 ) SchwVk. 10, 31. D r e c h s l e r 2, 198, 568.

9. Sp. im H e i l z a u b e r und in der V o l k s m e d i z i n : Gestohlener S. ist gut zum Heilen von Krankheiten, vor allem zum Übertragen von Krankheiten 35 ). So kann man Fieber übertragen 36 ). Wenn man an Krebs leidet, verschafft man sich aus drei verschiedenen Häusern, in denen geschlachtet wurde, je ein Stück S. und reibt damit die kranke Stelle ein. Nach dem Gebrauch näht man die S.stückchen in Leinwand ein und läßt das Päckchen durch einen Schreiner in einen Sarg legen, ohne daß die Angehörigen davon etwas wissen (Gußenstadt-Heidenheim) 37 ). Durch sympathetischen Zauber heilt man vor allem Warzen: In Duderstadt muß ein altes Weib die Warze mit S. bestreichen und dabei allerlei Formeln sagen 38 ). Im Saarland reibt man die Warzen mit S. ein, den man bei Vollmond (und auch bei abnehmendem Mond) 39 ) unter einem Stein vergräbt 40 ); man läßt allgemein Bächtold-Stäubli,

146

Speck

145

Aberglaube V I I I .

den S. nach dem Gebrauch vertrocknen oder verfaulen 41 ), hängt den S. an einen Baum 4 2 ), oder vergräbt ihn unter der Dachtraufe 43 ); man legt den S. auf einen Zaun und spricht 44 ): De schwuort wierfen ich da krön, Mai wuarzen si'n fergön.

Man streicht auch dreimal kreuzweise über die Warze und rodet den S. unter der Dachtraufe ein 45 ). Man streicht bei zunehmendem Mond über die Warzen und sagt: Was ich sehe, nehme zu. Was ich streiche nehme ab. Im Namen

46 ).

Kann man aus einer Pfanne, in welcher S. gebraten wird, unbemerkt drei Spirkel herausnehmen, mit diesen die Warzen bedrücken und die Spirkel wieder in die Pfanne legen, so verschwinden die Warzen 47). Hühneraugen vertreibt man, wenn man mit einer S.schwarte über sie streicht und sie bei einem Begräbnis nach einem Vaterunser ins Grab wirft 4 8 ). Hat man sich mit einem Instrument verwundet, so muß man dasselbe in S. stecken, bis die Wunde geheilt ist 4 9 ). Bei den verschiedensten Salben gegen Brandwunden finden wir S. in den mannigfachsten Zusammenstellungen ®°); gegen gefrorene Füße macht man eine Salbe aus Eis und geschmolzenem Speck 6 1 ). „Vor die Breune im Munde (des Königs zu Dennemark): Wann ein Mensch die Breune hat, so nim ein stücklein S., eines halben fingers langk und zween finger breit, das lege dem Kranken auff seine Zunge, das ein theil die zeene anrüret, das ander teil inwendig den schlundt und der Kranke soll es im Mund behalten und saugen, weil etwas dran ist. So wirdt ihm die Hitze geleschet und wird gesund" 62). Gegen Verwundung bestreicht man am Karfreitag die Wunde mit S. und gräbt diesen ein 53 ). Sonst wird S. in den reichhaltigsten Auflagen und Kompositionen bei Wunden verwendet 64 ). Nach Hildegard von Bingen macht S. fruchtbar 65 ). Man verwendet ihn innerlich mit Honig gegen Lungensucht 56 ). Äußerlich vor allem auch gegen Halskrankheiten: in Form von Umschlägen S7). Auch hier finden wir Sym5b

147

148

Speck

pathiezauber: Wer einen dicken Hals hat, muß, bevor er zu Bett geht, ein Stück S. nehmen, in den Mond sehen und das S.schnittchen über den Kopf hinweg in einen Bach hinein werfen 58 ). Bei Erkrankung der Atmungsorgane reibt man Brust und Hals mit S. ein 59), auch bei Schwindsucht60). Gegen Ohrenschmerzen steckt man S. ins Ohr 6 1 ), im Rheinland muß der S. von einem Borg (verschnittenes männliches Schwein) stammen 62 ). Gegen Blutruhr nimmt man geschmolzenen S. 6 3 ) ein, oder man tunkt ein Hölzchen in das Blut und steckt es in den Speck (vgl. A.49) 64 ). Bei Scharlach und Masern reibt man mit S. den Kranken ein 65 ); die Säuglinge läßt man zur Förderung des Zahnens an einer S.schwarte lutschen 66 ); gegen Bettnässe bindet man S. auf den Nabel 67 ); eine Frau, die an Verstopfung litt, steckte unter Anrufung der drei höchsten Namen S. ins rectum (?) 6 8 ); zur Erleichterung der Menses69), gegen Krebs 70 ), bei Ausschlag 71 ) wird S. äußerlich verwandt. Knochenbrüche umwickelt man mit gesottenem S. 7 2 ); eine Salbe von Quecksilber und S. gegen Grind 73 ), den Fettrückstand von gesottenem Räuchersp. gegen Nisse und Läuse (Schwaben)74) finden wir anempfohlen. „Zu dem Manngliede: Nim einen s. und den zerlaß und laß in trieften auf ein kaltes wasser und wasch es gar sehen und offt, das es weis werde, so salb in dann gar oft, damit es hilft" 75). Wenn man sehen will, ob ein Schwerkranker leben oder sterben wird, reibt man das Kranken Stirn, Brust und Fußsohlen mit S. ein und wirft es einem Hund vor; frißt er es, so bleibt der Kranke am Leben 76 ). Gegen Magenweh ißt man morgens und abends nüchtern schwarzgeräucherten S. 7 7 ). Neben abstrusestem Zeug finden wir unter diesen Mitteln Praktika der Hauserfahrung, z. B. entzündungsmildernde S.umschläge, die die heutige Medizin nicht mehr bei Beachtung von volksmedizinischemMaterial verachtet. Oft ist der Sammler im Zweifel, welche Auswahl er unter diesen Belegen bringen soll. Damit die Kuh den Nutzen nicht verliert, bestreut man in Schlesien eine

Schnitte Brot mit Salz, legt den „Nutzn" (ein bestimmtes Stück der Nachgeburt), drei Streifen S. und drei Zwiebelköpfe darauf, befestigt kreuzweise darüber drei Schwefelfaden und Ruten von einem Besen und gibt das der Kuh zu fressen 78 ). Gegen Sonnenbrand des Viehs bestreicht man die schmerzende Stelle mit einer Salbe aus S.fett und Essig 79 ). Gegen Warzen von Mensch und Vieh nagelt man an drei aufeinanderfolgenden Freitagen im abnehmenden Mond nach Sonnenuntergang stillschweigend eine S.schwarte an die Wand, die von der Sonne beschienen wird; wie die S.schwarte vergeht, so auch die Wenen (Warzen) (s. oben) M ). 35 ) Strackerjan 2,142, 371; W.171. 3 , ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 273, 2. 3 7 ) H ö h n Tod Nr. 7, 334. 3 8 ) Z f d M y t h . 2, 107, 8, vgl. S A V k . 12, 280; SchwVk. 1, 27. 3 9 ) J ü h l i n g Tiere 180. 40 ) N . F o x Saatländer Vk. 306; J ü h l i n g I . e . 1 8 3 . Vgl. S t a r i c i u s Heldenschatz (1679) 5 6 1 . " ) W. 5 1 3 . 504. 4 2 ) W.504. 4 9 2 ; F o g e l Pennsylvania 3 1 9 , 1692. 4 3 ) J ü h l i n g I.e. 1 8 2 ; F o g e l 1.e. 3 2 3 , 1 7 2 2 s . 4 4 ) I.e. 180. 4 5 ) A n d r e e Braunschweig 419. 4 6 ) S e y f a r t h Sachsen 98. 47 ) F r i s c h b i e r Hexenspruch 94. 4 8 ) W . 496; einfacher: Hovorka-Kronfeld 2, 776. **) J ü h l i n g 1. c. 183, vgl. 180; P a n z e r Beitrag 2, 277, 988; H e i n r i c h M y l p o r t Gründliche u. nützliche Erklärung.... Breslau 1624 I I c. 5. 50 ) ZföVk". 4, 218, 5 7 3 ; vgl. J ü h l i n g 1 7 1 . 1 7 7 . 179. 6 1 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 4 2 1 . 5 2 ) J ü h l i n g 1. c. 178, vgl. 1 7 3 . 1 7 1 ; H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 1 1 . E 3 ) D ä h n h a r d t 1, 80, 4. M ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 3 7 4 ; vgl. BlpommVk. 8, 127, 1 0 4 ; ZrwVk. 1 9 1 4 , 1 6 4 ; 1904, 1 0 1 , 8; 1909. 250; J ü h l i n g 1 7 0 fi. 1 7 7 . 180. 1 8 1 . 184. E5 ) H i l d e g a r d causae et curae 182, 3 1 (Kaiser). 6e ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 48. 5 7 ) S A V k . 8, 1 4 8 ; vgl. H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 1 1 ; ZrwVk. 1908, 1 5 0 ; J ü h l i n g I.e. 182. 180; D r e c h s l e r 2 , 3 1 1 , 6 8 8 . 68) S e y f a r t h S a c A s « n 2 2 3 . * » ) M a n z Sargans 76; vgl. L a m m e r t 2 4 5 ; S A V k . 8, 148. eo sl ) J ü h l i n g I.e. 182 ) S A V k . 18, 1 1 8 . 62 ) Z r w V k . 1904, 92. e 3 ) J ü h l i n g I.e. 184. ,4 5 66 ) I.e. 184. « ) 1. c. 182. ) J o h n Erzgebirge 54. , 7 ) M a n z Sargans 79. 6 8 ) J ü h l i n g I.e. 1 8 3 ; W . 540. • ' ) J ü h l i n g 1 7 3 . 7 0 ) I.e. 178. 71 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 697. 7 2 ) J ü h l i n g 74 I.e. 170. 7 3 ) I.e. 1 7 4 . ) L a m m e r t 134. 75 ) J ü h l i n g I. c. 1 7 1 . 7«) 1. c. 1 8 1 . 7 7 ) S A V k . 8, 149. 7 S ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 1 0 1 . 7 ») Heimat 37, 1 1 4 , 36. 8 0 ) Z f V k . 8, 200.

10. V a r i a : Über die S.seite als Wahrzeichen am roten Turm in Wien Nork 8 1 ) und Köhler 82 ). 81

) Kloster 9, 1043.

82

) Schriften 3, 609. Eckstein.

149

Speichel

Speichel (vgl. spucken). 1. Die besondere Kraft, die dem Sp. zugeschrieben wird 1 ), ist darauf zurückzuführen, daß ihm tatsächlich eine therapeutische Bedeutung zukommt. Sieht man doch Tiere, namentlich Hunde, ihre Wunden belecken und dadurch heilen 2 ), weshalb man auch im Frankenwalde offene Wunden von Hunden belecken läßt 3 ). Die moderne Medizin ist der Meinung, daß der Sp. eine bakterienfeindliche Wirkung besitzt 4 ), und so hat man schon im 18. Jh. Salben und andere äußere Mittel mit Sp. vermengt 5 ). Wie ausgedehnt die Verwendung des Sp.s in der Volksmedizin ist, ersieht man daraus, daß er als das Pflaster der Bauern bezeichnet wird (Oberpfalz) 6 ). Sp. tut man gegen Würmer in die Ohren (Böhmen) 7 ). Man reibt damit schwache (Schweiz) 8 ) oder kranke (Schleswig-Holstein 9 ), Schwaben 10 ))Augen oder ein Gerstenkorn (Stige) ein (Oldenburg) u ) , wozu bereits das Wunder Jesu eine Parallele bildet 1 2 ). Gegen Halsweh streicht man die mit Sp. angefeuchteten Daumen über den Hals 1 3 ), einen Kropf reibt man jeden Abend mit Sp. ein (Schweiz) 1 4 ), Leberflecke bestreicht man damit und läßt ihn über Nacht kleben (Steiermark) 1 5 ), auf ein Muttermal spuckt , man und leckt es sofort wieder ab (Bayern) 16 ). Warzen werden bestrichen (Bayern) 1 7 ), auch nimmt man dazu einen Spülhadern, benetzt ihn mit Sp., fährt damit über die Warzen und vergräbt ihn (Bayern) 1 8 ); auch der sog. Käferspeichel an den Weidenzweigen ist gut gegen Warzen (Schwaben) 1 9 ). Man bestreicht mit Sp. eine verbrannte Stelle (Schweiz) 20 ), die Beine des Kindes, das durch Brennnesseln gelaufen ist (Schwaben) 2 1 ), Flohund andere Insektenstiche (Schwaben) 22 ), Hämorrhoidenknoten (Steiermark) 2 3 ), Wunden (Schwaben 2 4 ), Schlesien 25 ), Böhmerwald 2 6 )) und Hautausschläge 2 7 ). Den „ W o l f " bestreicht man mit Sp., den die Pferde während des Fressens absondern 28). Wadenkrampf beseitigt man durch Reiben der zusammengezogenen Muskeln mit Sp. (Niederrhein) 29 ), Krampf im Beine, wenn man mit dem eigenen Sp. drei Kreuze im Kniegelenke macht (Braun-

I50

schweig) 30 ), Gliederverrenkung und Verstauchung durch Bestreichen mit Sp. (Steiermark) 3 1 ). Ist ein Schwein behext, so spuckt die Magd dreimal auf den unteren Saum des Unterrocks und macht dann mit dem Saume dreimal auf das Tier das Zeichen des Kreuzes (Schlesien) 32 ). In manchen Fällen wird eine Fernwirkung erzielt: Bei Hals- und Zahnweh streicht man den mit Sp. benetzten Daumen an dem Arme (der leidenden Seite) vom Handgelenk bis zur Mitte des Unterarmes nach aufwärts (Steiermark 3 3 ), Schlesien 3 4 )). Bei angeschwollenem Zäpfchen wird Sp. auf den A r m des Leidenden von einer anderen Person gestrichen und dann stark eingerieben, unter peinlicher Beachtung der Haltung (Bergisch) 3 5 ). Bei Seitenstechen (oder Schlucken) macht man mit Sp. ein Kreuz (vorn) auf den (linken) Schuh (Schweiz 3 6 ), Oldenburg 3 7 )). Im Elsaß begegnet Sp. als Bestandteil eines Teiges, der auf Blasen gelegt wird 3 8 ). l) Vgl. Spucken Abschnitt 1; H ö f l e r Volksmedizin 1 4 2 ; S t r a c k e r j a n 2, 180, 416. 2 ) V g l . 3 H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 400. ) Flügel 4) Ä u ß e r u n g Volksmedizin 74. Eiseisbergs in einem W i e n e r V o r t r a g v o n 1 9 1 3 . s ) H o v o r k a 6) u. K r o n f e l d 1, 399. S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 243. 7 ) S c h m i d t Kräuterbuch 42, 60. s ) S A V k . 7, 138, 90; 8, 1 5 1 ; M a n z Sargans 69. 9) 10) U r q u e l l 4, 2 7 7 . K n o r t z Streifzüge 1, u ) 140. S t r a c k e r j a n 1, 9 5 ; 2, 180, 4 1 6 . 1 2 ) Marc. 8, 23, v g l . Joh. 9, 6. S. a u c h Marc. 7, 33. 13)

H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 9. 1 4 ) S A V k . 7, 138. 1 6 ) F o s s e l Volksmedizin 135. 1 6 ) P o l l i n g e r Landshut 279. " ) L a m m e r t 187. 1 8 ) P o l l i n g e r 19) Landshut 290. Buck Volksmedizin 42. 20 ) S A V k . 12, 216. 2l) B u c k Volksmedizin 41t. 22 ) E b d . 4 2 ; K n o r t z Streifzüge 1, 142. 23 ) F o s s e l Volksmedizin 122. 24 ) B u c k Volksmedizin 4 1 . 28 ) S c h r a m e k 25 ) D r e c h s l e r 2, 281. Böhmerwald 257. 2 ' ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 364. 28 ) 29 F o s s e l Volksmedizin 136. ) Z f r w V k . 1, 2 0 0 , 4 . 30 ) A n d r e e Braunschweig 4 2 1 . 3 1 ) F o s 32 ) D r e c h s l e r s e l Volksmedizin 162. 2, 1 x 8 . 33 ) 3») F o s s e l Volksmedizin 101. Drechsler 2, 299. 36 ) U r q u e l l 3, 2 1 1 . 3«) S A V k . 7, 1 3 7 ; Z a h l e r Simmenthai 1 1 3 . 3 7 ) S t r a c k e r j a n 1, 79, 82. 38 ) A l e m a n n i a 10, 219.

2. Namentlich ist es der nüchterne Morgenspeichel, der als wirksames Heilmittel gilt 3 9 ), speziell gegen kleinere Leiden (Bergisch) 40 ). Man bestreicht mit ihm schwache (Bayern) 4 1 ) und kranke (Rheinland 4 2 ), Schwaben 4 3 ), Schweiz 4 4 ), Steiermark 4 5 )) Augen, sowie Gersten-

I5i

Speichel

körner (Stigen) 46 ) (Nordwestdeutsch4 7 land ), Steiermark 48 )). Er ist gut fürs Zahnen (Hessen) 49 ), zu dessen Beförderung der Vater ihn mit dem Daumen der rechten Hand dem Kinde aufs Zahnfleisch reibt (Steiermark) 50). Bei Halsweh reibt man den Hals mit nüchternem Sp. ein (Schweiz) 51 ). Er wird auf den Kropf gestrichen (Tirol) 52 ), auf den Kopf, um der Kahlheit zu begegnen (Bayern) 53 ), auf das Überbein (Schwaben) 54 ), auf Warzen (Rheinland 5S ), Pennsylvania-Deutsche56)), Ausschlag (Rheinland 57 ), Harz 58 )), Sommersprossen (Steiermark) 59 ), Flechten und Wunden (Sachsen) 60 ), Grind (Steiermark) 61 ), Geschwüre (Pennsylvania-Deutsche) 62 ), mit dem Mittelfinger auf das Knie gegen den Knieschwamm (Kniegelenkstuberkulose) (Sachsen) ®3), auf das Rückgrat des Kindes gegen englische Krankheit (Westdeutschland) 64 ). In Böhmen wurde bei entzündeten Augenlidern, beim sog. Angewachsensein der Kinder (wenn sie nicht wachsen), bei geschwollenen Drüsen und Mandeln der leidende Teil mit nüchternem Sp. bestrichen 65), desgl. im Isartal bei Sommersprossen, Excoriationen, Zitterach usw.66). Beim Herabfallen des Zäpfchens streicht man die mit nüchternem Sp. befeuchteten Hände über die beiden Kopfnickermuskeln des Kranken oder hebt mit den befeuchteten drei Schwurfingern drei Haare vom Scheitel des Patienten auf, wobei also der Sp. eine nur indirekte Wirkung 67) ausübt (Steiermark) 68). In Westböhmen hebt man die „gefallenen Mandeln" und das „gefallene Zäpfchen", indem man den befeuchteten Daumen unter die Unterkieferwinkel, die anderen Finger der Hand an die Schläfe legt und mit dem Daumen eine streichende Bewegung ausführt 69 ). Der auf der Stirn des Kindes eingeriebene Sp. der Mutter oder Hebamme benimmt die Wirkung des Verschreiens (Steiermark) ,0 ). Nach einer Minoritenpredigt (wahrscheinlich eines österreichischen Minoriten) aus dem Anfang des 14. Jh.s kann der Teufel durch den Sp. eines nüchternen Menschen ausgetrieben werden 71 ). 39 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 364; H ö f l e r Volksmedizin 1 4 2 ; B u c k Volksmedizin 4 2 ; S e y -

152

f a r t h Sachsen 243. 40) Urquell 4, 1 5 3 ; Z f r w V k . 3, 1 6 1 . 4 l ) L a m m e r t 227. 42 ) Z f r w V k . 3, 188. 43 ) B u c k Volksmedizin 42. 44 ) S A V k . 8, 1 5 1 ; R o c h h o l z Kinderlied 334. 45 ) F o s s e l Volks46 ) M o s t medizin 69. 92. Die sympathetischen Mittel 153, 135. 4 7 ) G o l d s c h m i d t Volksmedizin 9 7 f . 48 ) F o s s e l Volksmedizin 93. 49 ) W o l f Bei50 ) träge 1, 208. Fossel Volksmedizin 78. 51) 62 ) H o v o r k a Z a h l e r Simmenthai 80. u. K r o n f e l d 1, 400. 63 ) L a m m e r t 188. 5 4 ) B u c k 5 5 Volksmedizin 42. ) Z f r w V k . 1, 98, 3 ; 5, 149. 58 ) F o g e l Pennsylvania 321, 1700. 5 7 ) Z f r w V k . 68 ) H e i n e 3, 188. Harzreise, Sämtl. Werke ( H o f f m a n n u. C a m p e ) 5, 26. 59 ) F o s s e l Volks6J ) medizin 134. S e y f a r t h Sachsen 243. 61) 62 ) F o s s e l Volksmedizin 81. 135. Fogel Pennsylvania 279, 1463. 63 ) S e y f a r t h Sachsen TJ. 64) S e l i g m a n n Blick 2, 216. 6 5 ) L a u b e Teplitz 59. 6e ) H ö f l e r Volksmedizin 142. 67 ) V g l . 68 ) Abschnitt 1 Ende. Fossel Volksmedizin 100. 69 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, I i . 70 ) F o s 7 1 s e l Volksmedizin 64 f. ) Hess. B l . 7, 1 1 9 .

3. Der Sp. wird nicht nur zur Heilung verwendet, sondern auch um einem Übel vorzubeugen. Es entwickelt sich somit eine apotropäische Bedeutung. Man bestreicht die Augenlider mit nüchternem Sp. um die Sehkraft zu behalten und dem Brennen zu entgehen (Schlesien) 72 ). Der Vater befeuchtet den Daumen mit nüchternem Sp. und bestreicht damit das Zahnfleisch des Kindes, damit es keine Zahnschmerzen bekommt (Bayern) 73 ). Um das Schrunden der Brustwarzen zu verhüten, reiben manche Frauen vor der Niederkunft nüchternen Sp. ein (Bayern) 74). Die Schwangere soll sich jeden Morgen mit nüchternem Sp. die Nabelgegend einreiben, damit die Nachgeburt nicht anwächst (Westböhmen) 75 ). Sp. von einem gesunden Menschen, der an dem betr. Tage keine Zwiebeln gegessen hat, mit Terra sigillata zu einer Salbe vermischt, schützt vor Tollwut und Schlangenbiß (Schlesien) 76 ). Sp. bewahrt die gepflanzten Erbsen vor den Nachstellungen der Vögel (Oldenburg) 77 ). Vor dem Abfahren spuckt der Kutscher auf einen Rockzipfel und macht mit ihm auf die Stirn des Pferdes drei Kreuze (Schlesien) 78). Im römischen Taufritus werden Nase und Ohren des Täuflings nach dem Exorzismus vom Priester mit Sp. berührt 79 ), damit durch diese Öffnungen künftig kein unsauberer Geist in sie einfahre, ein Brauch, den noch

Speichel

153 Luthers Taufbüchlein von halten hatte 80 ).

1523

beibe-

72 ) D r e c h s l e r 2, 296. 7 3 ) L a m m e r t 126. ,5 ) Ebd. 177. ) J o h n Westböhmen ior. 76 j D r e c h s l e r 2, 2 8 1 . 7 7 ) S t r a c k e r j a n 2, 180, 7S 79 416. ) D r e c h s l e r 2, 1 1 2 . ) D ö l g e r Der Exorzismus im altchristl. Taufritual 1 3 0 ff. 80 ) K l i n g n e r Luther 1 1 4 . 71

4. Manche Personen haben einen besonders zauberkräftigen Sp. So eine alte Frau, die in der Gegend der Nahe und Blies ihre Kunst ausübte und eine Fußverrenkung heilte, indem sie dreimal mit ihrem mit Sp. angefeuchteten Zeigefinger über die schmerzende Stelle strich 8 1 ). In derselben Gegend lebte ein Mann, der den „Nachtsbrand" genannten Gesichtsausschlag dadurch heilte, daß er den mit Sp. befeuchteten Zeigefinger der rechten Hand dreimal um die wunden Stellen herumstrich 82 ), die Krankheit gewissermaßen im Zauberkreise erstickend. Bei den Deutschen in Pennsylvania können Warzen durch den darauf gestrichenen Sp. einer Person geheilt werden, die nie ihren Vater gesehen hat 8 3 ). Der bierbrauenden Geirhild verhilft Odin durch seinen Speichel, den er ihr als Hefe gibt, zum Siege 84 ). 81 ) Z f r w V k . 2, 1 4 2 . 82 ) Ebd. 1 4 3 . 83 ) F o g e l 84 Pennsylvania 322, 1 7 1 4 . ) Grimm Myth. 2, 857, 1 ; S i m r o c k Myth. 226.

5. Der Sp. hat wie jeder Manaträger nicht nur heilsame, sondern auch schädliche Eigenschaften. In Schwaben ist es Lebensregel, jedweden Sp. wie etwas Giftiges zu meiden 85 ). Im Böhmerwald gilt der Sp. des Menschen als das stärkste Gift 8 6 ). Ebenso in Schwaben der Sp. wütiger, zorniger Menschen oder eines wütigen Hundes, besonders aber der Sp. eines Menschen, den man zu Tode gekitzelt hat 8 7 ). Giftig ist der Sp. eines Epileptikers (Schwaben) 88 ) und überhaupt der nüchterne Sp. jedes Kranken (Sachsen) 89 ), dgl. der Sp. einer gejagten Ratte und eines wilden Pferdes 90). Das vom Sp. einer Kröte getroffene Glied schwillt auf, namentlich wenn das Tier vorher zornig gemacht wurde (Schwaben) 91 ). Nüchterner Sp. tötet nach mittelalterlichem Glauben Schlangen 92). Spuckt einem eine Hexe auf die Haut,

154

so bekommt man bösen Ausschlag (Elsaß) 93 ). Spuckt eine fremde Frau dem Kinde in den Brei, so ist es behext (Schweiz) 94 ). Spuckt einen eine schwarze Frau an, so wird der Leib wund (Siebenb. Sachsen) 95 ). Spuckt einem ein Jude auf die Kleidung, so entsteht ein Loch (Elsaß) 96 ). Wenn ein Mädchen ihrem ungetreuen Geliebten ins Gesicht spuckt, macht sie ihn allen Mädchen abscheulich (Böhmen) 97 ). Will man Jemandem schaden, so legt man etwas in seine Fußspur, spuckt dreimal in des Teufels Namen darauf und hängt es dann in den Kamin, worauf der Mensch (der ja sympathetisch mit seiner Fußspur und weiter mit dem in sie hineingelegten Gegenstand verbunden ist) ausdörrt (Oberpfalz) 98 ). Nach einer mittelalterlichen Legende vernichtete ein Bischof einen Drachen, indem er das ganze Volk, das 10 Tage gefastet hatte, in ein Becken speien ließ und mit diesem Sp. einen (Zauber-)Kreis um den Drachen zog. Da konnte er nicht herauskommen, sondern mußte in dem Kreise sterben 99 ). 85 ) B u c k Volksmedizin 42. 86 ) S c h r a m e k Böhmerwald 257. 97 ) B u c k Volksmedizin 42. 88 ) E b d . 89 ) S e y f a r t h Sachsen 243. ••) K n o r t z Streifzüge 1, 143. 9 1 ) B u c k Volksmedizin 42. 82 ) H ö f l e r Volksmedizin 142. 9 3 ) Alemannia 8 , 1 2 1 . 9 1 ) R o c h h o l z Kinderlied 292. 95 ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 97. 96 ) Alemannia 8, 1 2 1 . 97 ) G r o h m a n n 2 1 1 , 1469. 88 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 200, 3. 9 , j H e r t z Abhandl. 1 7 8 .

6. Die Kraft des Sp.s erscheint besonders merkwürdig in der Erzählung der Edda, nach der die Asen und Vanen beim Friedensschluß gemeinsam ihren Sp. in ein Gefäß speien und aus diesem Sp. alsdann von den Göttern der weise Kväsir geschaffen wird 10 °). Dabei mag die'Vorstellung, daß der Sp. gleich dem Sperma sei 1 0 1 ), mitwirken. Daß aber mit dieser Vorstellung die bei auffallender Ähnlichkeit gebrauchte Redensart: „er ist ausgespuckt der Vater" 102 ) zusammenhinge, muß als höchst fraglich bezeichnet werden. Wenn im Märchen wiederholt redender Sp. begegnet 103 ), so ist daraus nicht auf „Seelenhaftigkeit" des Sp. zu schließen: im Märchen können alle Dinge reden. Der Sp. wird auch zu Orakel-

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Speik—Speise

zwecken verwendet: sinkt der am Morgen früh in den Brunnen gespuckte Sp., so ist man schwindsüchtig (Schweiz) 104 ); doch wird auch das Gegenteil ungünstig gedeutet (Schweiz)105). Der Sp. gehört zu den menschlichen Aussonderungen, mit denen allerhand Zauberei getrieben werden kann 106), deswegen muß man ihn, wenn man ausspeit, gleich zertreten (Schwaben) 107 ). Läßt ein Kind Sp. fließen, so läßt man es mit dem Munde das Maul eines Esels berühren, steckt es dann dreimal unter seinem Leibe durch und läßt es zuletzt auf ihm reiten (Waldeck) 108 ). Die-Deutschen in Krickerhäu (Ungarn) bezeichnen die sog. Sommerfäden als Ochsengeifer, weil jene nach einer Sage aus dem Sp. eines Stieres entstanden sind109). Sp., der frühmorgens an den Pflanzen sitzt, stammt von dem nachts vorüberziehenden glüstert (Gespenst) (Braunschweig) 110 ). 10 °) G r i m m Myth. 1, 266; 2, 7 5 1 f. 1 0 1 ) Vgl. S t o r f e r Jungfr. Mutterschaft 98, 8. 1 0 2 ) Mir als deutsche Redensart aus meiner Vaterstadt Riga ganz geläufig. Auch in der Gegend von Mainz nach Mitteilung von Prof. Dr. OsternHeidelberg durchaus gebräuchlich. Für England, Frankreich, Italien u. Portugal bezeugt von L i e b r e c h t Gervasius 7 1 A n m . ; d e r s . Zur Volksk. 304 Anm. 1 0 3 ) Z. B . Z a u n e r t Deutsche Märchen seit Grimm 308; vgl. B o l t e - P o l i v k a 2, 527, 1, 1 0 4 ) S A V k . 8, 1 4 3 ; 9, 2 7 1 , 5 4 ; M a n z Sargans 77. 1 0 5 ) E b d . l o e ) S. Spucken, A b schnitt 5 ; F r a z e r 2, 2 8 7 s . " ' ) B u c k Volks108 medizin 42. ) C u r t z e Waldeck 380, 55. 189 ) Z f V k . 3, 347. 1 1 0 ) A n d r e e Braunschweig 389. Deubner.

Speik (Valeriana celtica). 1. B o t a nisches. Niedriges Baldriangewächs mit stark aromatisch riechendem Wurzelstock, länglich lanzettlichen Blättern und kleinen schmutzig gelben Blüten. Der S. ist eine Alpenpflanze (besonders der Ostalpen), die besonders früher von „Wurznem" (Speikgräbern) gesammelt wurde und einen Ausfuhrartikel nach dem Orient bildete 1 ). Auch noch einige andere niedrige (oft stark riechende) Alpenpflanzen nennt der Gebirgler S. und unterscheidet sie nach der Farbe, so den blauen (Primula glutinosa u. Androsace alpina), gelben (Primula Auricula, Geum montanum u. reptans, Senecio incanus u. carniolicus), roten (Primula minima), weißen S. (Achil-

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lea Clavennae), ferner den Roß-(Primula glutinosa u. minima) und den Frauens. (Phyteuma hemisphaericum)2). Der echte S. (Valeriana celtica) war früher als „Nardus celtica" eine hochgeschätzte Droge 3). 1 ) Z f V k . 6, 288 f.; Archivum Romanicum 1 0 (1926), 2 0 1 — 2 2 0 ; Wiener Mediz. Wochenschr. 61 ( 1 9 1 1 ) , 3 1 5 4 ; G e n t n e r Einiges über den Speik. In: Jhrb. d. Ver. z. Schutze der 2 Alpenpflanzen 4 (1932), 6 3 — 7 5 . ) Pfaff Was ist Speik? In: Der Schiern 6 (1925), 3 3 3 0 ff. ) H ö f l e r Kellen 256.

2. Als stark aromatisch riechende Pflanze schützt der S. v o r den bösen Geistern. Nach einer Kärtner Sage verrät der Teufel selbst: „Hobrat (wohl Achillea Clavenae, s. Schafgarbe 4), Widertot (s. Widerton) und S. ist gut für Alpenreiten" (Alpdruck) 4). In den Rauchnächten wird in Kärnten und in Steiermark Haus und Stall mit S. ausgeräuchert; das vertreibt die Hexen 5 ). 4 ) ZfdMyth. 3, 35 = R a n k e Volkssagen2 263, 5 vgl. S A V k . 23, 1 7 5 . ) Z f V k . 6, 288; Gailtal: Orig.-Mitt. v. M o d i 1908.

3. In einer oststeirischen Erzählung will der Bauer unter seinem Pflaumenbaum, dessen Früchte ihm immer gestohlen werden, S. eingraben. Er glaubt, daß es dann dem Dieb schlecht wird, wenn er die Pflaumen ißt 8 ). Der Bauer glaubte wohl, daß sich der starke Geruch des S.s auf die Pflaumen übertrage. •) Blätter für Heimatkunde Graz 5 ( 1 9 2 7 ) , 3 0 . Marzell.

Speise!) (vgl. Essen und Speiseopfer, dazu abschneiden, anschneiden, backen, Bissen, Blutwurst, Brei, Brezel, Brosamen, Brot, Butter, Ei, Fett, Fleisch, Fladen, Gebäck, Gebildbrote, Glücksbrot, Grütze, Hauswolf, Hefe, Howölfle, Honig, Käse, Kindsfuß, Knaufgebäcke, Knödel, Krapfen, Kuchen, Lebkuchen, Lichtmeßgebäcke, Mahl, Martinshörner, Marzipan, Mehl, Neujahrsgebäcke, Ostergebäcke, Pfannkuchen, Pfefferkuchen, Pumpernikel, sauer, Semmel, Speck, Suppe, Stollengebäck, Teig, Urei, Wecken, Weißbrot, Windeier, Wurst, Zopfgebäcke, bes. auch Nahrung, trinken). I n h a l t s ü b e r s i c h t : A. Allgemeines. — B. B e r e i t u n g und B e t r e u u n g der S p . n .

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Speise

1. Kunst der Sp.bereitung von den Göttern gelehrt. 2. Kathartische Vorschriften für Betreuer der Sp.n. 3. Bereitung einzelner Sp.n: Sympathetische Wirkung usw. — C. A n a l o g i e r i t e n der P r i m i t i v e n z u r B e s c h a f f u n g u. E r h a l t u n g der Sp n. — D. H e i l i g k e i t der Sp n u n d S t r a f e f ü r die S c h ä n d u n g — E. Sp. und S c h a d e n z a u b e r . 1. Dämonen dringen mit der Sp in den Körper ein. 2. Sp.n während des Gewitters. 3. Sp.n und Krankheitsdämonen. 4. Sp.n in fremder Hand zu Schadenzauberzwecken 5 Sp.n nicht gegönnt. 6. Sp.n und böser Blick. 7. Sp.n und Menstruierende. 8. Sp.n auf der bloßen Erde. " Theodor Frings, Germania Romana 1932, 178f. n ) S u o l a h t i Vogelnamen 127 f.; R o l l a n d Faune 2, 154 fif. 1 2 ) DWb. 10, 2163 f.; GudaObend (-Kalender d. Grafsch. Glatz) 10, 96; S u o l a h t i Vogelnamen 129 f.; R o l l a n d Faune 2, 156; D a l l a T o r r e 105 f.; (oiToifaYOs, Ge-

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treidefresser:) K e l l e r Tiere 2, 88; Polnische Namen: Der Oberschlesier 3, 569. Die Königsberger tragen den Übernamen Sperlingsschlukker: G r ä s s e Preußen 2, 551.

ib. Nebennamen. Rohrspatz, Rohrsperling, wird die Rohrammer (Amberiza Schoeniclus) genannt 13 ); doch ist nach Weise das Wort Rohrspatz in der Redewendung „er schimpft wie ein R." eine einfache Verstärkung von „Sperling" 14). In Schlesien unterscheidet man nach Drechsler, — ich habe diese Unterscheidungen nie gefunden, — den Haus-, Baum-, Hirse- und Rohr-Sp. 15 ). Feuersperling wird der aus dem Feuer in die Luft entweichende Funke genannt 16 ) ; als aus spark: Sperling wurde, wandelte sich analog „spark, sparke, in nd. Dialekten der Funke" 17), und erhielt dann zur Verdeutlichung ein „Feuer-" vorgesetzt. 1 3 ) DWb. 10, 2005; D a l l a T o r r e 129; Karl S c h i l l e r Zum Tier- und Kräuterbuche d. mecklenburg. Landvolkes 1861 H. 2, 15 f.; S c h u l e n b u r g Wend. Volkst. 158 nennt R . : Sylvia turdoides. 1 4 ) ZfdMundarten 16, 170; Joh. H ü b n e r s Natur-, Kunst usw. Lexikon 1731, 1905 kennt neben dem gewöhnlichen Sp. den Passer arundinarius. l 6 ) MschlesVk. 10, 92. 1 6 ) M e r t e s in ZfdMundarten 16, 41. " ) DWb. 10, 1941 s. v. Spark.

2 a. Wesen und Eigenschaften. Der Sp. ist ein unbedeutendes, k l e i n e s T i e r . Klein wie ein Sp., ist ein isländ. Vergleich 18 ); die Bergpredigt spricht davon, daß man zwei Sp.e für einen Pfennig kaufe, so geringwertig sind sie 19 ), und deutsche 20 ) wie französische Redensarten 21) sagen dasselbe. Aus seiner Schwäche und Kleinheit nimmt ein nd. Witz die Pointe; er sagt im kalten Winter zu Petrus: wenn ich so viel vermöchte wie du, schöbe ich Knubben ein, so dick wie meine Oberschenkel, dawürd es schon warmwerden 22). In sprichwörtlichen Vergleichen ist Sp. ein junger, schmächtiger Mensch usw. 23). Trotzdem wird auch ein Frevel an ihnen von Gott hart gestraft 72 a). S. auch 2 b. Seine Farbe ist grau wie die der Barfüßer 24), Kapuziner 25 ). Megenberg sagt, er werde selten fett, das mache seine schnelle Verdauung 26). Man könnte hier auch daran denken,daß er als geilerVogelgilt; ein gt.Bock wird selten fett.

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Sperling

Die Sp.e fressen nicht, man streiche ihnen denn den Schwanz, sagt Fischarts Gargantua 27). Der Sp. ist ein Körnerfresser. Er folgt dem Getreidebau 28 ) und der Hirse; Spatzen in der Hirse ist es wohl, sagt Gotthelf 29 ). Doch soll er auch das fressen können, was andern Tieren ein Gift ist 30 ). Durch seinen Appetit und seine starke Vermehrung hat er die Meder zur Auswanderung gezwungen 31). Auch Unkrautsamen 32), Bilsenkrautsamen 33) wird verzehrt, doch bekommt er nach dem Genuß des letzteren die Epilepsie 33 ); es wird sich um eine Vergiftungserscheinung handeln. Spinnen hingegen sind ihm gesund 34 ). In seinen Ruf wird sein Hunger und Freßbedürfnis gelegt 35). Der anhaltende, eintönige Ruf hat überhaupt zu manchen Deutungen Anlaß gegeben 36 ), — wie zu der Bemerkung, daß ein öffentliches Geheimnis durch die Spatzen von den Dächern geschrien werde 37). Die Sp.e leben in Schwärmen 3S); fliegt einer auf, so fliegt der ganze Häuf 3 9 ). Wenn die Jungen zum ersten Mal ausfliegen, helfen ihnen die andern alten Spatzen, die in der Nähe nisten, folgen ihren Vätern und Müttern nach, gerade wie getreue Nachbarn, und helfen die jungen Sp.e führen, daß sie nicht fallen 40 ). Megenberg sagt, der Sp. raube der Taube das Nest 4 0 ). Er nistet am Hause41) in Spatzenhäfen 48 ), pots ä moineaux 43 ); auch an Kirchtürmen 44) findet sich sein liederliches Nest 45 ). Heut durch den Landmann, wurden die Nester früher gern durch Knaben ausgenommen 46 ), wie der Sp. überhaupt ein Wild der Knaben ist 4 7 ). Feindschaft herrscht zwischen ihm und dem Star (Schlesien), der Schwalbe 4S ), nach antiken Fabeln mit Schlange, Adler und Falk 4 9 ); in Ägypten sind sich Sp. und Eule feind 50 ). Er hat nur ein kurzes Leben 51 ); das Männchen wird ein Jahr alt, das Weibchen älter 62 ). Im allgemeinen wird er nicht für eßbar gehalten 53 ); Spatzenfleisch stopft den Bauch, weil es zu hitzig ist 54 ), aber schon

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das Sprichwort vom Sp. in der Hand und der Taube auf dem DacheSB), mit der Abwandlung „besser ein Spatz im Hafen als gar kein Fleisch" 56) läßt den Gedanken nicht als unmöglich erscheinen. In der Antike ist er gegessen worden 57), und in Rußland gilt er als eßbar 58 ). Die Sitte, Sperlingsköpfe aufzuhängen, zeugt ebenfalls für den Gebrauch 59). Es sollte mich auch sehr wundern, wenn alle Jagdzüge unserer Jungen gegen den Sp. zwar mit dessen Erbeutung, aber nicht mit dem Genuß der Beute ausgingen; bei der Krähe (s. d.) fällt jedenfalls beides zusammen. Und das früher für Knaben beschriebene Spiel, den Sp. an einen Faden zu binden und ihn so flattern zu lassen 60), scheint schon längere Zeit ausgestorben zu sein. Der Sp. galt als hitzig (s. o.), deshalb verdaut er schnell 23 ); sein Kot ist hitzig, erkaltet aber bald, so wie sein Zorn schnell vergeht 23 ), obwohl er leicht zornig wird 23 ). Mit seinem hitzigen Temperament hängt wohl auch seine Geilheit zusammen 23 ); vgl. u. Dazu gilt er als klug, gewitzigt 61 ), listig und falsch 62 ), frech und spöttisch 63), dünkelhaft 64 ), prahlerisch 6S), diebisch 66), zänkisch 67), als ein Schelm 68 ), Herumstreicher 69) und schädlicher Vogel 70 ), den man nicht los wird 71 ). Aber das ist mit den Augen des Bauern gesehen. Dem Städter ist der Sp. als einer der wenigen Vögel, der in seinem Qualm, Staub, Ruß und Lärm aushält, lieb, — mag er gleich zerzaust und häßlich erscheinen 72). Er füttert ihn durch den Winter und hat an seinem munteren Geflinker seine Freude72*). 18 ) A. A v e n s t r u p u. T r e i t e l Island. Märchen u. Sagen 1921, 184. Vgl. DWb. 10, 2004 (alle kl. Vögel heißen Spatzen); 10, 2164. 2166 f. 2169 unter Sperlingsseele. 19 ) Vgl. dazu DWb. 10, 2165. 20 ) DWb. 10, 2005. 2006. 2007. 21 ) JohannLeonhardFr i s c h Nouveau dictionnaire 1739, I 35 I - 22 ) ZfVk. 5, 319; dazu vgl. die Wiener Redensart: DWb. 10, 2005. 23 ) DWb. 10, 2007. 2008. 2167. 24 ) DWb. 10, 1919, nach Geiler v. Keisersberg. 25 ) DWb. 10,2007, nach Fischart. Vgl. ebd. 2167. 26 ) M e g e n b e r g 182 f. Vgl. DWb. 10, 2005. 27 ) DWb. 10, 2005. 28 ) Georg J a c o b Altarabisches Beduinenleben 1897, 22. 2 30 ») DWB. 10, 2005. ) Osvaldus C r o l l i u s Basilica chymica 1623, 52. 31 ) Diod. III 30; 32 Keller Tiere 2, 88. ) Dähnhardt

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Sperling

33 Natursagen 2, 296 s. u. 2b. ) Megenb e r g 183, nach Aristoteles; L o n i c e r Kreuter31 buch 1577, C C C X X V I I I R. ) Osvaldus C r o l l i u s Basilica chymica 1623, 52. 3 5 ) BIPommVk. 5, 42 f.; C u r t z e Waldeck 286; S c h u l e n b u r g Wend. Volkst. 158; H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 154; K n o o p Volkstüml. aus d. Tierwelt Nr. 434. 36 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 154; Germania 24, 68 (Ndr.Österreich); Guda-Obend (-Kalender d. Grafsch. Glatz) 1 1 , 92; MschlesVk. 10 (1908), 92; Volkskunde 1, 83; Urquell 5 (1894), 5 5 ; ZfVk. 13 (1903), 94: C. J u r k s c h a t Litauische Märchen u. Erzählungen 1898, 56. 3 7 ) DWb. 10, 2006. 2166. 3 8 ) K e l l e r Tiere 2, 88; DWb. 10, 2003.2168. 39 ) DWb. 10, 2005. 4 0 ) M e g e n b e r g 183. " ) DWb. 6, 1306. 4 2 ) DWb. 10, 2008. Sie werden im März aufgehängt: ebd. 4 3 ) F r i s c h 45 1351. " ) DWb. 10,2164. )Ebd. «)DWb. 10, 2008. (2164I. * 7 ) DWb. 10, 2009. 2008 f. usw. « ) DWb. 10, 2166. 49 ) K e l l e r Tiere 2, 88. t0 ) Ebd. 2, 89. 5 1 ) DWb. 10, 2004, nach H e y d e n v. D h a u n Plinius 464. 62 ) L o n i c e r Kreuterbuch 1577, C C C X X V I I I R ; DWb. 10, 1919. S3 ) Joh. H ü b n e r s Natur-, Kunst- usw. Lexikon 1 3 7 1 , 1905; DWb. 10, 2004. 64 ) DWb. 10, 2007. 65 ) DWb. 10, 1919. 2005. 2 1 6 5 ! ; R o l l a n d Faune 2, 157 f. 66 ) DWb. 10, 2005. 6 ? ) K e l l e r Tiere 2. 68 ) D ä h n h a r d t Natursagen 3, 238. 5 ») K e l l e r Tiere 2, 88; Nachw. 42. 43. 80 ) DWb. 10,2009. 6 l ) D W b . 10,2166. 6 2 ) DWb. 10, 2009. 63 ) Urquell 5 (1894), 55; K n o o p Tierwelt 9 Nr. 424. 64 ) DWb. 10,2005; W e i g a n d - H i r t in W S . 7, 131. 66 ) J u r k s c h a t Litauische Märchen 56. «•) DWb. 10, 2164. 67 ) DWb. 10, 2166. «8) DWb. 10, 2164. 2165. «») DWb. 10, 2165. 70 ) DWb. 10, 2166. 7 l ) DWb. 10, 2166. 2005. 72 )DWb. 10,2164f. 7 2 a ) S c h a m b a c h - M ü 11er 243.

2 b. In U r s p r u n g s s a g e n . Der Sp. rettet seine Jungen aus einem brennenden Nest und versengt sich dabei die Kehle; die Narbe ist noch zu sehen 73 ). Nach seiner Farbe und seinem schwarzen Käppchen heißt er moineau (aus: moine) 74 ). E r bewegt sich hüpfend fort, weil er bei einem Sturz in den Keller das Bein gebrochen hat 7 5 ). Vor allem seine Entstehung ist oft besprochen worden. So heißt es, die Nachtigall werde, wenn sie nicht mehr singe, zum Sp. 76 ). Das ist eine Wertminderung. Noch deutlicher wird diese ausgesprochen, wenn man ihn zum Teufelsgeschöpf schlechthin macht 77 ) oder zu des Teufels Diener 78). Er ist aus dem Kopf eines getöteten Unholdes entstanden79). Bei den Slaven ist eine Überlieferung vom Messen der Sp.e verbreitet; Simon und Juda füllt sie der Teufel in ein großes Scheffelmaß; was er davon oben abstreift,

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darf bleiben, das übrige muß zur Hölle 80 ), — ein Versuch, die herbstlichen Züge und damit die Verminderung des Bestandes zu erklären. Seine Unbeliebtheit geht auch daraus hervor, daß man ihn als verflucht ansieht 81 ); zuweilen heißt es gar, Christus habe ihn verflucht, weil er ihn verriet 82 ). Doch gilt in den Kindheitsevangelien gerade der Sp. als ein Geschöpf des Kindes Jesus 8 3 ).

73 ) D ä h n h a r d t Natursagen 3, 75 (Indien). ) Johann Leonhard F r i s c h Nouveau dictionnaire 1739, 1351. , s ) (Vlämisch): D ä h n h a r d t Natursagen 3, 369 f. 7 6 ) N e g e l e i n Weltgeschichte d. Aberglaubens 1, 80. " ) (Haute Bretagne): S 6 b i l l o t Folk-Lore 3, 156; Dähnhardt Natursagen 1, 164. 78 ) (Lettisch): Ebd. 1, 143. 79 ) (Indien): D ä h n h a r d t Natursagen 3, 158. 80 ) (Böhmerwald): D ä h n h a r d t Natursagen 3, 2 6 1 ; (bei Russen u. Polen): ebd. 1, 198. 81 ) (Rumänisch): D ä h n h a r d t Natursagen2, 296. 82 ) (Russisch): D ä h n h a r d t Natursagen 2, 5 1 ; Wallonia 2, 208 = S 6 b i l l o t Folk-Lore 3, 1 6 1 ; ArchivslavPhil. 19,260. 83 ) D ä h n h a r d t Natursagen 2, 72. 74. 74

3. Der Sp. in der M y t h o l o g i e . Es scheint, als ob allein die indische und griechische Mythologie dem Sp. Rechte eingeräumt hat. Er ist hier dem Asklepios 84 ), vor allem aber um seiner Geilheit (s. u.) willen, der Aphrodite heilig 85 ), deren Wagengespann aus Sp.en oder Tauben besteht, und deren Sohn Amor mit ihm tändelt 86 ). Den Indern ist der Kalavinka-Sp. ein heiliger Vogel 87 ). In der germ. Mythologie finde ich ihn nicht erwähnt. In einem japanischen Märchen erscheint er als eine Art Götterbote, durch dessen Machtspruch das goldene Zeitalter zu Ende geht 88 ). " ) Aelian h. a. V 15; K e l l e r Tiere 2, 88 f. ) K e l l e r Tiere 2, 89; H ö f l e r Organotherapie 132; DWb. 10, 2003. 2164. 88 ) DWb. 10, 2005. 87 ) J tilg Mongol. Märchen 127 zu S. 75. 88 ) (Atayalen auf Formosa): ZfEingeborenensprachen 22 (1932), 195 f. 85

4. Unheimliche Wesen in S p . g e s t a l t . Davon ist verhältnismäßig selten die Rede. In der Uckermark wie in Sachsen erscheint der Kobold als Sp. 89 ). Vielleicht auch hat der Binsenschnitter Sp.sgestalt 90 ), denn die gegen ihn im Erzgebirge üblichen Abwehrmittel sind dieselben wie die gegen den Sp. Im Wirbelwind sitzt der Teufel; er zieht voran und viele kleine Sp.e hinterdrein 91 ). Bei den Arabern gilt er

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als der Seelenvogel kleiner Kinder 92 ), aber auch bei uns mag eine ähnliche Anschauung vorhanden sein, denn die ungetauft gestorbenen Kinder erscheinen als Vögel, und andrerseits hören wir von einer Spukerscheinung, bei der es wie eine Schar Sp.e durchs Fenster geschwirrt kommt 93). Wer zuletzt begraben wurde, muß nach der Meinung der Trauschkowitzer auf dem Friedhof die Spatzen hüten, bis der Nächste beerdigt wird 94). Von einem Schatz erzählen sich Sp.e auf einem Baum im Walde bei Labischin, und der Mensch unterm Baum hört zu 9 5 ). 89 ) L o h r e Mark. Sagen 30I; S c h m ö l k e Volkssagen aus d. Meißener Hochlande: Mitteldeutsche Blätter f. Vk. 9 (1934), 48 f. 90) J o h n Erzgebirge 225. 9 1 ) Germania 1, 105. 92 ) D ä h n h a r d t Natursagen 3, 480. 93) K ü h n a u Sagen 1, 117 f. 94 ) Heimatkd. d. Bez. Komotau. Viktor K a r e l l Volksbrauch u. Volksglaube 1 (1933), 51. 95) K n o o p Posener Schatzsagen 14 t.

5. Sp.e v e r b a n n t . Man ist gewohnt, den Sp. in jedem Ort anzutreffen. Um so auffälliger ist es dann, wenn manchen Dörfern die Sp.e fehlen. Entweder macht das die hohe Lage 96) oder das Fehlen des Getreidebaues in höheren Gebirgsdörfern 97), dem er ja folgt 28 ); ebenso sind Waldstreifen zwischen zwei Siedlungen für ihn ein unüberwindbares Hindernis 98). Gerade das Gegenteil behauptet Köhler: in der waldlosen Dorfumgebung falle der Sp. Raubvögeln zum Opfer; er fliehe daher solche nackten Dörfer 99 ). Das Volk erklärt, die Sp.e seien einst durch die Buschweibel 100 ), Rübezahl 101 ), Zauberer wie Pumphut 102 ), einen Müller103), Kapuziner m ) , Jägerburschen, der Fichtensamen aussäte und sie damit bannte 104 ), einen fremden Mann105), die Zigeuner 106), oder durch einen Bischof 107 ), durch eine Verwünschungspredigt 108) verbannt worden. Abseits steht eine schlesische Sage: Sp.e verfingen sich im Schleier der Frau von Nimmersath, als sie in ihren Forst fuhr; sie verwünschte sie, und seitdem finden sich keine mehr in der Vogelhecke (Kolonie Vogelherd) 109 ). Die ausgesprochene Verwünschung wirkt in ihrer Schwere heut noch nach; kein Sp. wagt sich in den O r t n o ) , und bringt man welche

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hin, dann müssen sie sterben oder fortziehen m ) . 96 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 411. 97 ) H. B. P e t e r s Die Vogelwelt des Waldenburger Berglandes 52. 9S ) E b d . ; vgl. E i s e l Voigtland 230 Nr. 579. 99) K ö h l e r Voigtland 552. 100 )s. P e u k k e r t Waldfrau. 101 ) G r o h m a n n 73; R. erschien als Bettler und bannte alle bis auf i'/j Paare. 102 ) M e i c h e Sagen 502 Nr. 652. 103 ) K ü h n a u Sagen 3, 298. 104 ) E i s e l Voigtland 230 Nr. 579. 106 ) M e i e r Schwaben 1, 199; B i r l i n g e r Schwaben 1, 483. 106 ) K ö h l e r Voigtland 552; M e i c h e Sagen 555 f. 588 f. = H a u p t Lausitz 1, 206 f. = K ü h n a u Sagen 3, 295 f.; P e t e r s Vogelwelt d. Waldenburger Berglandes 52; G r o h m a n n 73. 107 ) Glatzer Heimatblätter 5, 83; MschlesVk. 10, 92; S ö b i l l o t Folk-Lore 3, 214. 108 ) M e i c h e 109 ) Bolkenhainer Sagen 589 Anm. Heimatblätter 1923/24, 360. n 0 ) K ü h n a u Sagen 3, 295 f. U 1 ) K ö h l e r Voigtland 552; M e i c h e 555 f.; S i b i l l o t Folk-Lore 3, 214; Heimatkd. d. Bez. Aussig. I I 1 Die Sagen 39. 96.

6. Im a g r a r i s c h e n Brauch. Als erstes und wichtigstes ist hier der S c h u t z der S a a t (Getreide und Erbsen) zu nennen. Er beginnt schon bei der Aussaat, die am Mittwoch 112 ) oder Sonnabend 113 ) erfolgen muß, damit die Vögel sie nicht sehen 114 ). In Hessen gilt der Dienstag oder Freitag für geeignt 115 ). Sie soll in einer ungeraden Tagesstunde 116 ), beim Stoßen der Betglocke 1 1 7 ) geschehen. Besonders geeignet sind die Stunden nach Sonnenuntergang 118 ), vor Sonnenaufgang 119 ), wenn die Vögel noch schlafen120); denn Tausaat hindert Vogelfraß 121 ). Im 18. Jh. besäte ein Sämann in Schlesien den Acker nackt 1 2 2 ). Im Anhaltischen tat er erst einige Schritte in den Acker hinein, ehe er mit dem Säen begann 123). Eine Anweisung aus Altenburg besagt, der Sämann solle die ersten Schritte auf das Gut zu tun 124 ); in Süd- und Mitteldeutschland wirft er die erste Hand gen Osten 125 ); in Thüringen wirft er ein Korn, das er im Munde behielt, nach Sonnenuntergang (Zeit oder Richtung?); das nennt man eine Maulsperre machen, damit die Vögel die Maulsperre bekommen 126 ). Er geht mit aufgespeiltem Munde, um den Sp.en den Mund zu verschließen 127 ), ihnen den Mund aufzusperren, ohne daß sie fressen können 128 ). Hauptbedingung ist aber, bei der Aussaat zu schweigen 129), denn die Körner dessen, der spricht, werden gefressen und

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das Stroh zu Neste getragen 13°). Dreimal wird schweigend der Acker umwandelt 131 ), in Siebenbürgen schweigend und ohne hinter sich zu sehen 132 ); er wird an seinen vier Ecken gesichert 133 ), indem an ihnen je ein Korn in die Erde gelegt wird 134 ), die der Sämann vorher im Munde hielt 135 ), oder indem die Körner aus dem Munde am Ausgangsorte verscharrt werden 136), auf die vier Ecken Graberde gebracht wird 1 3 7 ). Zuletzt wird die Dreifaltigkeit angerufen 138), ein Segen gesagt 139 ). Bei der Umwandlung oder beim Säen hält der Sämann einige Körner im Munde unter der Zunge 140), die entweder an den Ackerecken niedergelegt oder vergraben (s. o.), zuletzt gesät 141 )oder (gekaut ?) auf die Ecken gespuckt 142 ), ausgeworfen143) werden und zwar ins erste beste Loch 144), auf den Weg 1 4 5 ), an den Ackerrand 146 ), in einen Strauch 147 ). Sie werden vergraben 148) oder über den Kopf 1 4 9 ), die Schulter 150 ) fortgeworfen, wobei der Sämann spricht: da habt ihr Sp.e das eure. In Anhalt hält der Säer zuweilen auch etwas Erde im Munde 151 ). Geschieht die eben beschriebene Handlung nicht, so wird wohl die erste Handvoll 152 ), die drei ersten Würfe 1 5 3 ) ausgestreut, nach rückwärts 154), in den Wald 1S5 ), auf den Hof vor die Speichertür 156 ) geworfen, rückwärts über den Kopf 1 5 7 ), rückwärts gehend drei Hände voll über die Achseln 158), mit geschlossenen Augen 159), — je eine Handvoll Samen nach den vier Himmelsrichtungen für die Vögel ausgestreut 160 ). Sie werden damit „abgefunden". In Hessen streut man ihnen zwei Gescheit 161 ). Dieses Ausstreuen geschieht „im Namen . . .*' 162 ) oder mit diesen Worten unter Antritt des rechten Fußes 1 6 3 ). In Thüringen sät man zuerst die Außenseiten des Ackers und sagt beim Auswerfen an den Ecken: „Das ist für die Vögel", sät dann den Acker fertig und schließt die letzte Seite „im Namen des Vaters . . . " 164). Im Siebenbürgischen wird nach Beendigung der Saat der Acker noch einmal mit der Gebärde des Säens überschritten, wobei man sagt: „Dies ist für dieTiere"usw. 165 ). Das Stroh,

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auf dem die frischen Würste gelegen haben, wurde in „Wische" gebunden und vor Sonnenaufgang auf Stangen in die Ecken des Gerstenackers gestellt als Schutz gegen Sp., ohne daß dabei gesprochen wurde 168 ), oder man ging an der Ecke des Ackers drei Schritt ins Feld hinein und steckte dort Ellernreiser ein 166), man streute nach beendeter Saat Hanfabfälle quer über den Acker auf die Grenzen desselben 167 ). Um Grevenbroich betet man das Evangelium Johannes gegen die Sp.e 1 6 8 ). n 2 ) BIPommVk. 5, 42; B a r t s c h Mecklenburg 2, 164 Nr. 774 b; K u h n 2, 302; 161 Nr. 751 c (oder Donnerstag); W i t z s c h e l 2 215; R a n t a s a l o 2, 47. 1 1 3 ) BIPommVk. 5, 42; D r e c h s l e r 2, 188; K u h n 2, 302; R a n t a s a l o 2, 48; S a r t o r i Glocken 35; B a r t s c h Mecklenburg 2, 164 Nr. 774b. c. 114 ) BIPommVk. 5, 42. 1 1 6 ) (Fränkisches Niederhessen : ) H e ß 1 e r Hessen 112. 1 1 6 )Heimatbl. Wohlau 6 (1927), 53. " ' ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 164 Nr. 774 c = S a r t o r i Glocken 35. 1 1 8 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 162 fi. Nr. 752 d. 774a. b; D r e c h s l e r 2, 56; W i r t h Anhalt 261; W i t z s c h e l Thüringen 2, 215; M e y e r Baden 418; R a n t a s a l o 2, 60 f. 62 f. " ' ) G r i m m Myth. 3, 469 Nr. 934; B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 fi.; D r e c h s l e r 2, 56 f.; P e u c k e r t Schles. Volkskd. 69; P e t e r Österreichisch-Schlesien 2, 264; W i t z s c h e l Thüringen 2, 215; W i r t h Anhalt 260 f.; H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 280. 305; M e y e r Baden 418; R a n t a s a l o 2, 61 f. 120 ) P e u c k e r t Schles. Volksk. 69; D r e c h s l e r 2,65f.; vgl. H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 280. 1 2 1 ) P e t e r 2, 264; vgl. B a r t s c h Mecklenburg 2, 164 Nr. 774a.m)PeuckertScÄi.rft.69123)Wirth/4nÄa/i 261. m ) L o b e Altenburg 443 Nr. 2. 125 ) M e y e r Volkskd. 222; R a n t a s a l o 3, 51. 128 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 215. 127 ) D r e c h s l e r 2, 65; P e u k k e r t Schles. Volksk. 69; M e y e r Dtsch. Volkskd. 222. 128 ) D r e c h s l e r 2, 57. Vgl. W i r t h Anhalt 263 : dann holen die Vögel den Samen nicht heraus. 129 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 fi.; K u h n Mark. Sagen 382 Nr. 49; D r e c h s l e r 2, 56 f.; P e u c k e r t Schles. Volksk. 69; K n o o p Volkstüml. aus d. Tierwelt 49 Nr. 425; G r o h m a n n 145; H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 305; W i t z s c h e l Thüringen 2, 2 1 4 0 . ; J o h n Erzgebirge 220; ZfdMyth. i , 200; W i r t h Anhalt 260 261. 262; G r i m m Myth. 3, 469 Nr. 934; H e ß l e r Hessen 112. 536; W o l f Beiträge 1, 218 Nr. 244; J a h n Opfergebräuche 71 f.; M e y e r Baden 418; Ders. Dtsch. Volkskd. 222; R a n t a s a l o 3, 52. 69 f. 13 °) D r e c h s l e r 2, 56; Der Oberschlesier 3, 773. 131 ) Vgl. H e ß l e r Hessen 536. Peuckert Schles. Volksk. 69; D r e c h s l e r 2, 56; W i t z s c h e l Thüringen 2, 216; HessBl. 2, 16; R a n t a s a l o 3, 7; J a h n Opfergebräuche 72. 132 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 280; vgl. ebd. 350. 133 ) R a n t a s a l o 3, 50. Vgl. auch B a r t s c h Mecklenburg

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2, 161 Nr. 751 b. 134 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161; J a h n Opfergebräuche 71; Peuckert Schles. Vkd. 69; D r e c h s l e r 2, 56; R a n t a s a l o 1 3 6 3,52. ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 Nr. 751c; Nachw. 140. Ebenso wird Erde in den Mund genommen: W i r t h Anhalt262. 1 3 6 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 Nr. 751 a. 1 3 ') D r e c h s l e r 2, 56; VfitzschelThüringen 2, 214. V g l . R a n t a s a l o l . c . über den Gebrauch von Graberdeusw. 138 ) J a h n Opfergebräuche 71; W i t z s c h e l Thüringen 2, 214 (bei Beginn der Saat; ebenso J a h n 72). W l i s lockiSt>6. Volksgl. 125. 1 3 9 )HessischeBl.2,16; H e ß l e r Hessen 321; W i t z s c h e l Thüringen 2, 216; W i r t h Anhalt 263; L o b e Altenburg 443 Nr. 2; J a h n Opfergebräuche 72 f.; M o g k Dtsch. Sitten u. Bräuche 1921, 82; R a n t a s a l o 3, 7. 140 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 ff.; ! K u h n Mark. Sagen 382 Nr. 49; P e u c k e r t Schles. Vk. 69; J a h n Hexenwesen 157; D r e c h s l e r 2, 56; P e t e r österr.-Schlesien 265; K n o o p Tierwelt 49 Nr. 425; J o h n Erzgebirge 220; MsäVk. 2, 53 = R a n t a s a l o 3, 52 f.; (Anhalt:) Z f V k . 7 (1897), 150; W i r t h Anhalt 262; H e ß l e r Hessen 103; W o l f Beiträge 1, 218 Nr. 244; G r i m m Myth. 3, 469 Nr. 934; M e y e r Baden 418; Ders. Dtsch. Volkskd. 222; (Wetterau:) J a h n Opfergebräuche 71; G r o h m a n n 145; R a n t a s a l o 3, 52 f. 73. Nach den Heimatblättern d. Krs. Wohlau 6 (1927), 53 zu Ehren der Hl. Dreifaltigkeit! 141 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 164 Nr. 774c!. m ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 Nr. 751 c = J a h n Opfergebräuche 71; R a n t a s a l o 3, 52. 143 ) M e y e r Volkskd. 222; ZfVk. 7 (1897), 150; auf dem Acker: W i r t h Anhalt 262 f. 144 ) K u h n Märk. Sagen 382. I46 ) D r e c h s l e r 2, 56; J o h n Erzgebirge 220; MsäVk. 2, 53 = R a n t a s a l o 3, 53. 148 ) (Brandenburg): R a n t a s a l o 3, 53. Auf den Acker: ZfVk. 7 (1897), 150. 147 ) D r e c h s l e r 2, 56; G r o h m a n n 145. 148 ) D r e c h s l e r 2, 56; B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 Nr. 751 a ; J a h n Opfergebräuche 71. J 4 i ) Heimatbl. Wohlau 6 (1927), 53; H e ß l e r Hessen 103; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 125. 150 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 Nr. 751 d; M e y e r Volkskd. 222. 1 5 1 ) W i r t h Anhalt 262. 162 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 214; X o e p p e n Masurenqy, J a h n Opfer gebrauche 73; Mo g k Dtsch. Sitten u. Bräuche 1921, 82. 153 ) L o be Alienburg 443 Nr. 2; D r e c h s l e r 2, 57; MschlesVk. 1, 10. 164 ) R a n t a s a l o 3, 45; J a h n Opfergebräuche 73. 166 ) R a n t a s a l o 3, 44 f.; B a r t s c h Mecklenburg 2, 162 Nr. 753 (drei Körner). 166 ) R a n t a s a l o 3, 45. l 5 7 ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 125; J a h n Opfergebr. 73. 15S ) MsäVk. 2, 53; R a n t a s a l o 3, 51. 159 ) Dann sehen die Vögel die Körner nicht. Meyer Dtsch.Vk. 220. 222; J a h n Opfergebräuche 73; Z e l e n i n Russische Volkskd. 1927, 29. 16 °) J o h n Erzgebirge 220; oben 4, 35 f.; M e y e r Volkskd. 222; MsäVk. 2, 53; R a n t a s a l o 3, 53. i e i ) J a h n Opfergebräuche 71 nach W o l f Beiträge 1, 218 Nr. 249. 162 ) J a h n Opfergebr. 72. 163 ) (Niedersachsen:) J a h n Opfergebräuche 72. 164 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 216 Nr. 22. 16S ) J a h n Opfergebräuche 73; Nils L i d Joleband og vegetasjonsguddom 1929, 105. 166 ) W i r t h Anhalt

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263. 283. " ' ) W l i s l o c k i Sieb. 168 ) M e y e r Volkskd. 222.

Volksgl. 125.

6 a. Aber bereits der Same wird verschiedenen Prozeduren unterworfen, um ihn später gegen die Vögel, d. h. vor allem die Sp.e zu schützen. Er wird mit Weihwasser besprengt 169 ), in das Tischtuch, das am Hl. Abend aufgedeckt war, getan 1 7 0 ); man hält einen „abgestorbenen" Schlüssel 171 ), ein Schloß 172 ) unter den Samen, mischt Sand aus einem Grabe unter ihn 173 ), oder mengt ihn mit dem Kot eines Sp.s, und sagt, wenn man den ersten Wurf tut: Friß erst deinen Kot, ehe du meine Gerste frißt 1 7 4 ). In Mecklenburg nimmt man vom Grenzzaun drei Domen, beißt die Spitzen ab und hält sie während des Säens schweigend im Munde, um sie darnach auf den Acker zu werfen 17S ). In Schlesien sät man oder läßt man beim Einsacken den Samen durch einen Reifen oder einen aus Erlenruten geflochtenen Ring laufen 176 ). In Thüringen erscheinen beide Bräuche; am Karfreitag werden kleine Erlen- oder Weidenzweige schweigend nach Hause getragen und schweigend zu einem Kreuz oder Kranz geformt. Wenn man Weizen oder Gerste sät, nimmt man das Kreuz in den Mund oder den Samen durch den Kranz heraus 177 ). Auch läßt man den Samen durch ein Astloch 178 ), einen Erbschlüssel 179), einen Topf, in dem Leichenwasser war 18°), durch ein Mannshemde181), einen Rasenring 182 ), eine Wolfskehle 183 ), einen Schlangenkopf 184 ) laufen. Die Wenden säten ihn aus der Mütze eines Verstorbenen 185). In Mecklenburg beschmierte der Sämann seine Hände mit Hasenfett 186 ), in Posen verbrennt man einige Sp.e zu Asche und mischt diese in die zu säende Gerste. Das hält sie ab 1 8 7 ). In Pommern muß man beim Untereggen der Saat, links gehen 188 ). In Thüringen setzt man den Sack mit dem Saatgut auf dem Acker des Nachbarn nieder, da werden die Sp.e blind gemacht und können der reifen Frucht nichts anhaben 189 ). l69 )

D r e c h s l e r 2, 56; vgl. R a n t a s a l o 2, 118. (Bretagne) W o l f Beiträge 1, 218 Anm. 242; l71) vgl. R a n t a s a l o 2, 76 f. Schulenburg l 7 °)

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172 ) Wend. Volkst. 110; R a n t a s a l o 2, 78. W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 124; R a n t a s a l o 2, 78. 1 , 3 ) S c h u l e n b u r g Wend. Volkst. 242; R a n t a s a l o 2, 90. 174 ) R a n t a s a l o 2, 100. 176 ) B a r t s c h 176 ) Mecklenburg 2, 162 Nr. 751. Drechsler 2, 56. 1 7 7 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 214 Nr. 7; ähnlich W i r t h Anhalt 261. I78 ) Ed. R u h l a n d t Album f . Schlesien u. d. Lausitz 1856, 53 Nr. 2; N.lausitz. Magazin 21, 342 Nr. 270. 179 ) N.lausitz. Magazin 21, 346 Nr. 291. 180 ) S c h u l e n b u r g 181 ) Wend. Volkst. 110; R a n t a s a l o 2, 91. D r e c h s l e r 2, 55 f. 182 ) R a n t a s a l o 2, 90 ff. 183 ) D r e c h s l e r 2, 57; R a n t a s a l o 2, 103 (Estland). 181 ) R a n t a s a l o 2, 99 f. 185 ) S c h u l e n b u r g Wend. Volkst. 110; R a n t a s a l o 2, 77. 186 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 162 Nr. 242; R a n t a s a l o 2, 135 f. l 8 7 ) K n o o p Volkstüml. aus d. Tierwelt 49 Nr. 425. 188 ) J a h n Opfer189 ) gebräuche 72. Witzschel Thüringen 2, 216 Nr. 21.

6 b. Auch die reifende Saat wurde zu schützen versucht. Ein toter Sp. wird auf einem Stecken aufgehängt 190 ); ein Knochen vom Karfreitagsbraten in den Acker gesteckt 191 ), Friedhofserde 192 ), Sargholz 183 ) wird auf das Feld gebracht, oder dieses mit Weihwasser 194 ), mit Wasser, in dem Eisen gelöscht wurde 195) besprengt, ausgeräuchert 195 ). In der Nacht vor Johannes soll der siebenbürgische Bauer sein Feld nackt umwandeln 196), der mecklenburgische einige Halme an jeder Ecke abmähen 197), oder am Johannistage an den vier Ecken des Kornfeldes vier Büschel abschneiden, so daß man von einer Ecke zur gegenüberliegenden auf der Diagonale quer über das Saatfeld geht, somit ein Kreuz auf das Feld geht. Das abgeschnittene Korn wird in ein Bündel gebunden und in den Schornstein gehängt oder an einen Ort, wo weder Sonne noch Mond hinscheint 198). Oder er umgeht das Feld vor Sonnenaufgang 199), das Gesicht nach Osten gewendet, bricht von jeder Ecke eine Ähre ab und vergräbt sie unter dem Dach des Hauses, daß sie weder Sonne noch Mond bescheinen kann 200 ). Er beißt vor Sonnenaufgang an jeder Ecke eine Ähre ab und hängt diese in den Schornstein 201 ). Er geht an einem Donnerstag-Morgen vor Sonnenaufgang stillschweigend dreimal um das Kornfeld, zieht an jeder Ecke jedesmal einen Kornhalm aus und hängt diese zwölf Halme im Rauchfang auf 202). Er umwandelt

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in der Reifezeit vor Sonnenaufgang 203), in der Johannisnacht zwischen 11 und 12 Uhr 203), in der Laurentiusnacht 204) nackt das Feld. Der siebenbürgische Sachse soll vor Sonnenaufgang Korn mahlen und das Mehl sollen ihrer zwei nehmen und in Wasser dick machen, dann aufs Kornland gehen, aber bis dahin und nach Hause, auch sonst miteinander kein Wort reden; dann sollen sie einen Faden durch das dickgemachte Mehl ziehen, so daß viel daran hängen bleibt; jeder geht dann in einer Furche, und so gehen sie mit dem Faden quer über das Land; dann tun die Vögel dem Korn keinen Schaden 205). Er geht vor Sonnenaufgang auf den Acker, zieht sich nackt aus, geht dreimal um das Getreide, betet ein Vaterunser, zieht sich wieder an, macht etwas Schwefeldampf, nimmt eine Ähre in den Mund und kehrt schweigend heim 206). An andern Orten tut dies die Besitzerin, indem sie dabei ein Licht in der Hand hält 206 ). Der Bauer streut die zu Pulver gebrannte Nabelschnur eines toten Säuglings 207), einen Kuchen aus der Milch einer Frau, deren Säugling gestorben ist 207), über den Acker. 19 °) D r e c h s l e r 2, 57; (oder vergraben:) M a a c k Lübeck 60. 191 ) D r e c h s l e r 2, 57; vgl. W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 129. 192 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 305; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 128 in vielfachen Variationen. 193 ) G r o h m a n n 181) 73; J o h n Erzgebirge 220. (Rumänisch:) Siebenbürg. Archiv NF. 33, 347 f . 1 K ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 129. 106) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 280; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 127 f. 197 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 161 Nr. 751 c; vgl. J o h n Erzgebirge 226. 198) B a r t s c h Mecklen199 burg 2, 161 f. ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 20 280. °) B a r t s c h 2, 162 Nr. 152 b; vgl. H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 305. 201 ) B a r t s c h 2, 162 Nr. 152 c = Karl S c h i l l e r Zum Tier- u. Kräuterbuche d. mecklenburg. Volkes 2 (1861), 15. 202 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 216 f. = K n u c h e l 80 f.; vgl. H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 305. 203 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 280; H W b . Abergl. 1, 162; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 127 f. 2 ° 4 ) ZfVk. 4 (1894), 405. 205 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 305; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 128 f. 2 ° 8 ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 127. 207 ) Ebd. 128.

6 c. Hier sind nun auch die Möglichkeiten des Schadenzaubers mit Sp.en zu erwähnen. Sollen sich Sp.e auf dem Weizenfeld eines Feindes einfinden, so kaut man 5 Weizenkörner zu einem Brei,

249

Sperling

spuckt sie dann auf den Acker jenes Mannes und lockt sie damit hin 208), ein Glaube, der über die germanische Welt zu den Finnen und Esten reicht 209). Zu dem vorhin besprochenen Saatzauber, ein Feld zuerst an den Außenseiten des Ackers zu besäen, beim Auswerfen des Samens in die Ecken „das ist für die Vögel" zu sprechen und ihn zu schließen, tritt ein Schadenzauber: der Saat ist nichts anzuhaben, es sei denn, daß ein Schelm gerade an der letztgenannten Seite die Hose umwendet und einen Haufen in die Frucht setzt; dies hebt den Bann auf und lockt alle Sp.e an 210 ). 208

) W i t z s c h e l Thüringen 2, 214 Nr. 7. den gekauten Körnern vgl. auch 6 a. ) R a n t a s a l o 2, 82. 2 1 °) W i t z s c h e l Thüringen 2, 216 Nr. 22. Zu

209

6d. Auch zu den Hochzeiten des bäuerlichen Jahres scheint ein Opfer als Abfindung an die Sp.e stattzufinden. Im Harz blieb ein Büschel Korn bei der Ernte für sie stehen 2 1 1 ). Am Hl. Abend werden sie im schlesischen Vorgebirge hinter der Scheune gefüttert 2 1 2 ). In Deutschland wie in Skandinavien wird am Julabend eine volle Garbe den Vögeln ausgesetzt, damit diese im kommenden Jahr keinen Schaden auf dem Acker machen 21S ). Häufig wird dafür die erste oder letzte Garbe aufbewahrt 214 ). Vgl. auch die „Vogelhochzeit" der Oberlausitz. Der Gedanke einer Opferung liegt wohl auch zugrunde, wenn man mit den Zähnen eine Ähre für die Sp.e auszieht 21B ). Vermag man hier schon Anklänge an vegetationskultische Gebräuche anzunehmen, so fällt eine französische Übung durchaus unter diese. In einem Dorf nahe Saint-Honore-les-Bains wurde der erste Heuwagen zum Gutsherrn geführt. Auf ihm befand sich ein gefesselter Sperling 217 ).

211 ) Pfannenschmid Erntefeste 107 t.; J a h n Opfergebräuche 181. 2 1 2 ) D r e c h s l e r 1, 38. 213 ) J a h n 276 nach Z i n g e r l e Johannissegen 200; BirlingerKo/A.siMmi.2, 8; R o c h h o l z Deutscher Glaube i, 322. Nils L i d Joleband og vegetas2ie jonsguddom 1929, 88 ff. 2 1 4 ) Ebd. 91 f. ) E b e r h a r d t Landwirtschaft 3, 4. 2 1 7 ) R o l l a n d Faune 2, 159.

6 e. Spatzenheiliger. In der Kirche von Louroux wird St. Palätre gegen die

250

die Ernte rufen 218 ). 218

schädigenden

) R o u g 6 Touraine

Sp.e

ange-

1931, 228.

7. Vorzeichen. Der Sp. ist seit alters als „wissendes Tier" betrachtet worden. Sein Lied galt in Indien schon als gute Vorbedeutung bei der Geburt des Vikramäditja 2 1 9 ). Den Römern schien das Verhalten eines Sp.s vor dem ersten Bürgerkrieg vorbedeutend 220 ). Agrippa von Nettesheim, der ja von antiker Weisheit zehrt 221 ), hält den Sp. für einen Fliehenden von schlechter, in Liebessachen aber von guter Vorbedeutung 222 ). Auch den germanischen Völkern galt er als wissend. König Dag hat einen Sp., der ihm jeden Tag die Neuigkeiten aus der ganzen Welt mitteilt 223 ). Heut entnimmt man dem Verhalten der Sp.e Anzeichen der kommenden Ernte. Sind die Sp.e fett, wird die Ernte reich 2 2 4 ); kommt als erster Vogel zur Julgarbe ein Sp. 225 ), kommen viele Sp.e 226 ), sind sie vergnügt 226 ), so deutet das auf eine gute Ernte. Nisten Sp.e am Hause, bedeutet das Glück und Reichtum 227 ). Wenn ein Sp. ans Fenster geflogen kommt, bedeutet das in Posen einen Brief 228 ), dicht am Fenster vorbei fliegend: die Frau wird einen Sohn gebären 229 ); vertreibt der Sp. eine Schwalbe aus dem Nest, wird dem Hause ein Sohn geboren, doch eine Tochter sterben, und vertreiben die Schwalben Sp.e, geschieht das Umgekehrte 230 ); sitzt er bei offenem Fenster auf dem Fensterbrett, passiert Unglückliches im Hause 2 3 1 ); fliegt er in eine Wohnung, zeigt er schlechte Nachrichten an 2 3 2 ); fliegen Sp.e beim Nahen des Menschen auf, vernimmt man bald eine böse Nachricht 232 ). Sp.e ahnen auch Krankheiten vor; bereits Aldrovandus erzählt, daß sie ihre Gelege verließen, als eine Pest im Anzüge war 233 ). Klopft der Sp. an die Fensterscheibe, bedeutet das einen Todesfall 234 ). Sp.e im Traum gesehen, bedeutet Unglück 2 3 5 ); man erleidet einen Schaden 2 3 6 ). 219 ) J ü l g Mongolische Märchen, NachtragSammlung 75. 2 2 0 ) P l u t a r c h Sulla c. 7; H o p f

Sperling

251

Tierorakel I2gi. 2 2 1 ) P e u c k e r t Pansophie 119ff. 223 ) A g r i p p a v . N e t t e s h e i m 1, 2 5 1 . ) Ynglinga-Saga 38; G e r i n g Weissagung und Zauberei (Kieler Rektoratsrede 1902, 8 f.); H o p f Tierorakel 1 3 0 . 2 2 4 ) Z f V k . 4 (1894), 399. i25 ) L i d Joleband 89. 2 2 6 ) E b d . 2 2 7 ) Rockenphilosophie 1706. 1, 2 8 3 ; G r i m m Mylh. 3, 228 4 3 9 N r . 1 4 8 ; S < 5 b i l l o t Folk-Lore 3, 1 7 2 . ) K n o o p Volkstüml. aus d. Tierwelt 49 N r . 429. 229 231 ) E b d . N r . 4 2 8 . 2 3 0 ) E b d . 46 N r . 399. ) E b d . 49 N r . 427. 2 3 2 ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 233 234 179. ) H o p f Tierorakel 1 3 0 . ) (Schonen): Globus 79, 3 8 6 ; vgl. P s y c h . Studien 44, 5 7 5 . 236 ) N e g e l e i n Traumschlüssel 2 1 5 . 2 3 6 ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 1 7 9 . 22a

8. A b w e h r . In Gläsen (Krs. Leobschütz) müssen die Sp. gejagt werden, wenn eine Jungfer einen erstgeborenen Jungen zur Taufe trägt, sonst beschwatzen die ihr Glück. Es heißt nämlich, eine solche Patin heirate in demselben Jahre noch 237 ). 237

) P e u c k e r t Schles.

Volksk.

179.

9. W e t t e r . Sitzen die Sp.e morgens pluschig da, gibt es Regen 238 ); kommen sie im Winter mit struppigem Gefieder den Häusern nahe, kommt strenge Kälte; entfernen sie sich mit glattem Kleid, wird es mild 240). Wenn sie faul und träge sitzen, ist ungestüme Witterung, im Winter Schneegestöber in Aussicht 241 ). Baden sie im Sand oder Staub, gibt es Regen 242 ); bauen sie, gutes Wetter 243). Frühes eifriges Schreien bedeutet, daß Sturm und Regen in der Luft liegt 244 ); die Kassuben meinen, zwitschernde Sp.e deuteten auf Frost 245). Ubermäßiges Schreien und Zirpen wird im Winter als Anzeichen eines nahen Schneegestöbers genommen 246). Schirpen sie auf dem Dach, erwartet man gut Wetter 247). Sitzen sie im Winter zusammengeschart mit gesträubten Federn, verheißt das Schnee und Kälte 249 ); lebhaftes Schreien abends zusammen mit den Genossen zeigt Regen an 248 ); große Sp.-Schwärme deutet man in Albanien als Vorboten strenger Kälte. 238 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 207. 2 4 0 ) E b d . 24 241 207 f. °) Ebd. 2 1 1 . ) ZfdMundarten 8 i 1 ? ) ^ ) . 308; D W b . 10, 2 0 0 5 ; K n o o p Tierwelt 4 9 N r . 4 3 1 ; Heimatbl. Wohlau 9 ( 1 9 3 0 ) , 8 7 ; W i r t h Anhalt 2 6 5 ; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 1 7 9 ; Eilert P a s t o r Deutsche Volksweisheit in Wetterregeln u. Bauernsprüchen (1934), 167 242 a u s Solothurn; B I P o m m V k . 5, 4 2 . ) Alte 243 Weiber Philosophey: Z f d M y t h . 3, 3 1 0 . )

252

K e l l e r Tiere 2, 90; H o p f Tierorakel 1 2 9 . 2 " ) 246 S e e f r i e d - G u l g o w s k i 180. ) Bartsch Mecklenburg 2, 2 1 1 ; K a r l S c h i l l e r Zum Tierund Kräuterbuche d. mecklenburg. Volkes 2 246 (1861), 15. ) Alte Weiber Philosophey: 247 Z f d M y t h . 3, 3 1 0 . ) Bartsch Mecklenburg 24S 2, 207 f. ) H o p f Tierorakel 1 2 9 . 2 4 9 ) J o h a n n Georg v. H a h n Albanes. Studien 1 8 5 4 , 1 5 8 .

10. L i e b e s z a u b e r . Der Sp., wahrscheinlich um seiner starken Vermehrung willen 250), gilt als ein sehr liebehungriges Tier. Aristoteles sagt, er sei im actus sehr schnell am Ziele 251 ), und, lehrt Horapollon, wiederhole ihn oft siebenmal in einer Stunde 252). Megenberg hält ihn für sehr unkeusch, weil er hitziger Natur sei 253). Geil nennen ihn die deutschen älteren Autoren 254) wie die deutsche 255) und französische 256) Volksmeinung. Schütze lehrt, „Finke" sei ein Name für den Hänfling und für den penis; in Holstein nenne man daher die Sp.e Finken und brauche das Zeitwort für: nach Sp.sart der Liebe pflegen 257). Struthion (Sp.) ist im Griechischen ein Hetärenname 258), wie passerula (kleiner Sp.) ein lateinischer Kosename war 258). Die Gassen, in denen die Huren wohnten, wurden in älterer Zeit Sp.gasse 259), Sp.berg 260) usw. genannt. Die Magia naturalis 261 ) lehrt nun: wenn wir Liebe magisch erwecken wollen, müssen wir ein Tier suchen, das in der Liebe sich auszeichnet; dahin gehören der Sp. usw. Von diesen Tieren müssen wir diejenigen Teile oder Glieder nehmen in denen hauptsächlich der Liebestrieb herrscht; solche Teile sind das Herz, die Hoden, die Gebärmutter, das männliche Glied, der Samen, das Blut von der Reinigung. Dies muß geschehen, wenn solche Tiere in der Brunst sind 262). Nach solcher Anweisung ist nun der Sp. oft als Liebeszaubermittel oder Aphrodisiakum gebraucht worden. Sein Fleisch befördert die Geilheit 263), bewirkt Erektionen 264), wirkt besonders, wenn ein Mann das Fleisch des weiblichen, die Frau das des männlichen Tieres eines Paares ißt 265). Eine Salbe aus Sp.blut 266), Blut an den penis gestrichen 267) erweckt Liebe. Das Hirn gilt als Aphrodisiakum 268), besonders in den Morsellen des Grafen Pappen-

253

Sperling

heim 269), vor allem, wenn die Tiere in coitu geschossen wurden 270 ); es stimuliert das Blut 271 ). Ebenso gelten die Hoden272) und die Eier 273) als nützlich für dergleichen Zwecke. Von hier aus ist ein nächster Schritt nicht weit. Ringe, welche in ein Sp.nest gelegt wurden, vermögen Liebe zu erwecken 274). Fängt man zwei sich zankende Sp.e und rauft ihnen die Federn aus, vermag man damit Uneinigkeit zu stiften 275).

260 ) K e l l e r Tiere 2, 88. 2 " ) Ebd. 2 5 2 ) Horapollon. II 1 1 5 ; K e l l e r Tiere 2,88. 2 6 3 ) M e g e n 251 b e r g 182. ) A g r i p p a v. N e t t e s h e i m 1, 1 1 9 ; Alemannia 10, 5 nach J . Valentin K i r c h g e ß n e r Tribunal Nemesis juste judicantis oder Richterstuhl der recht richtenden Gerechtigkeit 1706, 384; S c h r o e d e r Medizinchymische Apotheke 1683, 1350; Caspar S c h r ö der Jagdkunst 1728, 166; (vgl. B a r g h e e r Eingeweide 166); L o n i c e r Kreuterbuch 1577, C C C X X V I I I R ; DWb. 10, 2009. 2164; vgl. auch Lorenzo V e n i e r o Puttana errante IV. 255 ) DWb. 10, 2004. 2005. 2168 unter Sper256 lingsleben, Sperlingsschwätzer. ) Chaud comme un moineau: F r i s c h 1 3 5 1 ; R o l l a n d Faune 2, 159. 267 ) S c h ü t z e Holsteinisches Idiotikon 1, 316; vgl. K e l l e r Tiere 2, 590 f.: 26S strutheum = pars virilis. ) K e l l e r Tiere 2, 89. 259 ) P e u c k e r t Schles. Volkskd. 1 3 1 ; 26 doch vgl. DWb. 10, 2168. °) Peuckert ebd.; T r ä g e r Breslauisches Tagebuch . . . Steinbergers 1891, 2 1 5 3 ; S c h r o e d e r in Germanisch-roman. Monatsschr. 17, 26. 2 6 1 ) P e u c k e r t Pansophie 1936, 577 f. 262 ) A g r i p p a v. N e t t e s h e i m 1, 104; P e u c k e r t Pansophie 130. 263 ) L o n i c e r Kreuterbuch C C C X X V I I I R ; S e b i l l o t FolkLore 3, 204; R o l l a n d Faune 2, 159; (gepulvert:) Joh. Joachim B e c h e r Parnassus medicinalis 1663, 73. 284 ) (Russisch:) Anthropophyteia 10, 265 337) Andreas T e n z e l i i Medizinischphilosophischund sympathetische Schritten 1725, 284. 26e ) A g r i p p a v. N e t t e s h e i m 1, 227 f. 2 « ) J ü h l i n g Tiere 237. 268 ) DWb. 10, 2008; Janus 1899, 235; Joh. Joachim B e c h e r Parnassus medicinalis 1663, 73; S c h r o e d e r Medizin-chymische Apotheke 1685, 1350; Caspar S c h r ö d e r Jagdkunst 1728, 165 = B a r g h e e r Eingeweide 166; H ö f l e r Organotherapie 132; Zentralbl. f. Okkultismus 25 (1931/2), 571. 269 ) William M a r s h a l l Neu eröffnetes wundersames Arzenei-Kästlein 1894, 14; J ü h l i n g Tiere 5. 237; H ö f l e r Organotherapie 132. 2 7 0 ) 271 H ö f l e r 132, nach K r ä u t e r m a n n 214. ) K r ä u t e r m a n n 214. 2 ' 2 ) M a r s h a l l Arzenei273 Kästlein 91. ) L o n i c e r Kreuterbuch 1577, • C C C X X V I I I R ; Caspar S c h r ö d e r Jagdkunst 274 1728, 165; B a r g h e e r Eingeweide 166. ) A g r i p p a v. N e t t e s h e i m 1, 108; ZfVk. 13 275 {1903), 277. ) Hs. Ende 16. Jh.: ZfdMyth. 3. ¿21.

254

10. Z a u b e r . Sp.knochen haben Heilund Zauberkräfte und werden als Totenfetische benutzt 276). In Thüringen reinigt ein Jäger ein verderbtes Rohr durch Auswischen mit einem Sp.kopf, der dann in die Esse gehängt wird, und mit einer Blindschleiche 277). Kleine Kinder, die verhext worden sind, erhalten eine Arznei aus Sp.kot und Kreuzkraut 278). 276 ) K r a u ß Rel. Brauch d. Südslaven 147. ) Quensel Thüringer Sagen 289. 278 ) W i r t h Anhalt 138 t. 305. 277

1 1 . V o l k s m e d i z i n i s c h e s . In Posen glaubt man, daß der, der Sp.fleisch esse, die Fallsucht bekomme 279 ); in Absam heißt es, er akquiriere den Veitstanz 280 ). Wenn man abgeschnittene Haare ins Freie wirft und die Spatzen damit Nester bauen, bekommt man Ausschlag am Kopf 2 8 1 ) oder Kopfschmerzen 282). Frisches Sp.fleisch legt man noch blutig und warm bei Krebsgeschwüren auf, läßt es 24 Stunden lang liegen und vergräbt es dann unter die Dachtraufe oder wirft es einem Hunde oder Raben vor. Das Geschwür wird dann gereinigt und wieder Fleisch aufgelegt 283). Paracelsus oder ein Unbekannter unter seinem Namen rühmt das Fleisch als brauchbar gegen die schwere Not oder hinfallende Sucht 284). Zwei Löffel Asche von gebrannten Sp.en erscheinen in einem Rezept gegen die Gelbsucht 285). Frisches Sp.blut wird bei Hornhautgeschwüren in die Augen geträufelt 286). Bei den Juden wurden gegen eine syphilitische Hautkrankheit zwei lebende reine Sp.e vom Priester geschlachtet und in das Blut derselben, das mit Wasser, Zedernholz und Ysop gemengt war, ein dritter Vogel getaucht 287). Kot wird gegen Veitstanz 288), Verhärtung des Leibes 289), in öl gewärmt und ins Ohr geträufelt gegen Zahnweh (es kitzelt dich aber sehr!) 288), bei den Magyaren in Branntwein oder Pfeifentabak gebraucht, um einem Trinker das Trinken abzugewöhnen 290). Die Gebeine von einem Sp. kommen in das Epileptische Hispanische Pulver 291 ). 279 ) K n o o p Tierwelt 49 Nr. 432; Rogas. Familbl. 5 (1901), 8. 2 8 °) ZfdMyth. 2 (1854), 420 Nr. 5 1 ; DWb. 10, 2005. 2 8 1 ) Z i n g e r l e Tirol 28 f. Nr. 181. 282 ) K n o o p Tierwelt 49

255

Sperrnacht—Sphondylomantie

283) N r . 433. L a m m e r t 207 f . ; H o v o r k a 281) P a r a c e l s u s K r o n f e l d 2, 401. Bücher und Schritten (ed. H u s e r 1589) 3, 38. 50; O s v a l d u s C r o l l i u s Von den innerlichen Signaturn der Dinge 1623, 30. 2 8 6 ) J ü h l i n g Tiere 288) L a m m e r t 237. 228; darnach Strack Blut 5 7 ; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 80; B a r g 287) h e e r Eingeweide 278. Höfler Organotherapie 132. 2 8 8 ) J ü h l i n g Tiere 237. 2 8 9 ) Joh. J o a c h i m B e c h e r Parnassus medicinalis 1663, 73; Schroeder Medizin-chymische Apotheke 2 9 1685, 1350. °) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 352. 291) Schroeder Medizin-chymische Apotheke 1685, 1350.

12. I m Kinderbrauch. Sp. als J a g d wild der K n a b e n s. 2 ; gegessen: 2. In Kinderliedern und Anrufen wird er erwähnt 292 ). 292 ) F r a n z E r n s t Die Tiere der deutschen Anrufe u. Ansingelieder. Diss. H a m b u r g 1932, 1 3 ; Z f d M y t h . 2 (1854), 192; Z f r w V k 2 9 ( i 9 3 2 ) , 7 9 .

13. W e i ß e r Sperling. V o n weißen Sp.en weiß schon Aristoteles 293) und A l b e r t u s Magnus 294 ). E r wird als Kirchsp. bezeichnet 29S ) und gilt als sehr selten; selten wie ein weißer Sp. 296) ist eine geläufige Redensart, und ein seltener B e such wird als weißer Sp. bezeichnet 2 9 7 ). In Schömberg, im östlichen Riesengebirge, haben die Buschweibel den Sp.en, ehe sie das L a n d verließen, die weiße F a r b e gegeben, u m ein Andenken von sich zu hinterlassen 298 ). Der „silberne N a g e l " im Harz wurde verwünscht, nicht eher seine Schätze herzugeben, bis ein weißer Sp. auf dem Schloß zu finden sein werde 299 ). Weiße Sp.e bedeuten schlechte Zeiten 300), großes Unglück für den, der einen sieht 3 0 1 ), sind Todesboten. V o r m Tode des Herzogs Hans von Holstein ward in Dithmarschen ein weißer Sp. beobachtet 3 0 2 ). Ein weißer Sp., der sich auf der Leuchtenburg, bei der wüsten Kapelle zu Haussen bei Hohndorf und sonst sehen läßt, ist ein Todesbote für eins der Glieder der Leuchtenburger Familie 303 ). Vor der Schlacht von Marienburg 1612 erschien ein weißer Sp. als unheilkündendes Vorzeichen 3 0 4 ). 2 9 3 ) K e l l e r Tiere 2, 88 nach A r i s t o t e l e s hist. an. I I 15 und de gener. V 7 1 . 2 9 4 ) de animalibus (opera, ed. J a m m y 6), 536; J. S i g h a r t Albertus Magnus 1857, 353. 2 9 6 ) D W b . 10, 2 1 6 7 ; s. ebd. 296) Kirchsperling. Z f d M u n d a r t e n 16, 175. 2 9 7 )Mschles. V k i o , 92; C u d a - O b e n d ( - K a l e n d e r d. 298 Grafsch. G l a t z ) 10, 96. ) K ü h n a u Sagen 2, 184. 299 ) P r ö h l e Unterharz 163 Nr. 422. 3 0 0 ) 301) K n o o p W u t t k e 205 § 281. Volkstüml.

256

aus d. Tierwelt 49 N r . 430; v g l . D W b . 10, 2003. Grässe Preußen 2, 1052; Schwebel Tod u. ewiges Leben 124. 3 0 3 ) E i s e l Voigtland 304) 148 N r . 403. M ü l l e r Siebenbürgen 70; W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 178 f. Peuckert. 302)

Sperrnacht heißt im badischen Mittelland und im E l s a ß das höchste Fest der Spinnstube (die N a c h t vor dem h. Abend), weil dann den Frauen das Spinnrad „gesperrt" wird. Mitunter werden wirklich die Saiten an den Spinnrädern weggenommen oder zerschnitten 1 ). Man verbringt die Nacht bei Schmaüs, T a n z und Gesang. I n Balzhoven mußten die Mädchen um Mitternacht über den Besen springen. Wenns an das Fenster klopft, darf man ja nicht den K o p f hinausstrekken, denn in der S. ,,spukts besonders" 2 ). S. D u r c h s p i n n a c h t . M e y e r Baden 1 7 9 f . ; D e r s . Deutsche Volkskunde 1 5 7 . 2 5 2 ; S a r t o r i Sitte 3, 27 A . 7. 2 ) H m t l . 15 (1928), 216. t Sartori.

Sphondylomantie, Wirbelwahr sagung. Die Bezeichnung kann aus der antiken Erwähnung von otpov8uXo[xavTsi?, d. h. Ausübern dieser Divination 1 ), ohne weiteres erschlossen werden, so daß die S. zu den für das Altertum belegten W a h r sagungsmethoden gezählt werden darf. Leider ergibt das antike Zeugnis nichts Näheres über die Ausführung und erlaubt höchstens nach dem Zusammenhang anzunehmen, daß es sich nicht u m eine gelegentlich und von jedermann anzustellende Zukunftsbefragung, sondern u m eine von Wahrsagern gewerbsmäßig betriebene „ K u n s t " handelt. W i e unserm „ W i r b e l " eignet dem griechischen W o r t (jcpovSuXo? (auch a^övSuXo;) die Grundbedeutung des Drehens; vorzugsweise wird es für die Wirbelknochen, und zwar namentlich für die 7 Halswirbel des Menschen gebraucht 2 ). Doch bezeichnet man damit u. a. auch die Spinnwirtel u n d die zu Abstimmungen verwendeten rundlichen Sternchen. Wegen der Gestalt der Wirbelknochen deutet man die S. zumeist als eine F o r m der Wahrsagung mittelst freischwingender, meist an einem Faden aufgehängter ringförmiger Körper3). Über die Praxis dieser, im „siderischen Pendel" noch heute sehr lebendigen Methode (vgl. Daktyliomantie) ist eine

Spiegel—Spiel

257

ausführliche Beschreibung aus dem Altertum erhalten anläßlich eines im Jahre 371 n. Chr. eingeleiteten Gerichtsverfahrens gegen einige Mitglieder der Hofgesellschaft, die mit Hilfe des Ringpendels den Namen des zukünftigen Kaisers hatten feststellen wollen 4 ). Falls diese Deutung des Namens richtig ist, müßte man annehmen, daß zur Verstärkung des Zaubers anstelle von Ringen menschliche Wirbelknochen verwendet wurden, was angesichts der bekannten Benutzung von Totenknochen für Beschwörungen u. dgl. durchaus möglich wäre 5 ). Doch bleibt auch die harmlosere Verwendung von Spinnwirteln anstelle von Ringen nicht ausgeschlossen. An eine Deutung S. = Wahrsagung mit Hilfe von Steinchen (Psephomantie) oder Würfeln (Kybomantie), also als Loszauber, zu denken, dürfte sich verbieten, weil die Bedeutungen von cksovSoXo? „Steinchen" oder „ A s t r a g a l " 6 ) gegenüber „Wirbel" zu sehr zurücktreten. 1)

P o l l u x Onomastikon 7, 188. 2 ) Ebd. 2, 130. B o u c h ^ - L e c l e r q Hist. de la Divination 1, 183; W ü n s c h Antikes Zaubergerät (Ergänzungsh e f t V I zum Archäol. Jahrbuch 1905) 48; H o p f n e r Griechisch-ägyptischer Offenbarungszauber 2 (Leipzig 1924) 146 § 309. 4 ) A m m i a n u s M a r c e l l i n u s 29, 1, 28 ff.; oben 2, 136. 6 ) H o p f n e r a. a. O. hält in diesem Falle die S. für eine Spezialität der Nekromantie, bei der die Offenbarung durch den in den Wirbel hineingebannten Totengeist desjenigen gegeben wurde, dem dieser Knochen im Leben angehört hatte. 6 ) P o l l u x 2, 130 verweist dafür auf H o m e r Odyss. 10, 560. Boehm.

3)

Spiegel s . N a c h t r a g . Spiel. Unter diese Bezeichnung fallen nicht nur die selbstgewählten, ihren Zweck nur in sich tragenden Tätigkeiten, an denen sich jung und alt aus „freiem und uninteressiertem Wohlgefallen" vergnügt, sondern auch gewisse der Geschicklichkeit und öfter noch dem Glück anheimgestellte Beschäftigungen, die neben lustbringender Erregung und Spannung auch materiellen Gewinn in Aussicht stellen, s. K i n d e r s p i e l , B a l l - , K a r ten-, Kegel-, Würfelspiel, Lotterie; auch T a n z , W e t t r e n n e n . Hier kann nur auf einige Gruppen von Spielen kurz hingewiesen werden, die B Jchtold-Stiubli,

Aberglaube

VIII

258

zwar heute zum weitaus größten Teile der reinen Belustigung dienen, aber in magischen Absichten zu wurzeln scheinen oder doch mit ihnen in Berührung getreten sind. 1. B e e i n f l u s s u n g v o n Naturers c h e i n u n g e n : Einigen Jahrzeitspielen, in denen es sich um Kämpfe zweier Parteien handelt, kann man noch die Herkunft aus dem S t r e i t z w i s c h e n S o m m e r u n d W i n t e r (s.d.) ansehen 1 ). Dem österlichen B a l l s p i e l 2 ) ist vielleicht Einfluß auf die Kräftigung der steigenden Sonne zugeschrieben worden 3 ), ähnlich wie den großen Jahresfeuern und den dabei geworfenen Scheiben 4 ), s. Funkensonntag, Scheibenschlagen. Das über so viele Völker verbreitete F a d e n s p i e l , bei dem aus einem zwischen beiden Händen ausgespannten Faden durch Abheben immer neue Gestalten hervorgerufen werden, dient sowohl in Neuguinea wie in Grönland zur Beförderung der Fruchtbarkeit, indem man die Sonne wie in einer Schlinge festhält oder das Wachstum der Saat n a c h a h m t 5 ) . Die Maori auf Neuseeland schreiben seine Erfindung ihrem Gotte Maui zu und benennen es nach i h m 6 ) . In Braunschweig heißt es H e x e n s p i e l ' ) . A u c h das brauchmäßige S c h a u k e l n (s.d.) wird zur Sonne in Beziehung gesetzt 8 ). Desgleichen h a t man dem Stephansj a g e n am zweiten Weihnachtstage den Sinn eines Analogiezwanges auf die Sonne zuschreiben wollen 9 ), wie überhaupt vielen rituellen W e t t l ä u f e n und - r e n n e n 10 ). Beim österlichen Spiel des E i e r w e r f e n s und - r o l l e n s hat man die Absicht vermutet, dem Rasen Fruchtbarkeit zu übermitteln 1 1 ). Mit dem D r a c h e n s t e i g e n , das in Deutschland erst gegen Ende des 17. Jh.s bekannt geworden sein soll, haben sich in Ländern des fernen Ostens abergläubische Vorstellungen und Absichten verbunden 1 2 ). Zum bloßen Spiel ist vielfach das S u c h e n nach dem Vegetationsgeist geworden (s. s u c h e n 2). D a ß das W e r f e n von platten Steinen über die Oberfläche des Wassers von einem Wetterzauber herstamme, durch den man glaubte Gewitter hervor 9

259

Spiel

rufen zu können 13 ), ist wohl kaum nachweisbar. S a r t o r i Sitte 3, 234 f . ; Z f r w V k . 12 ( 1 9 1 5 ) , 158 ff. 2 ) S a r t o r i 3, 16 f. V g l . 2, 187 und oben 1, 860; S c h r ö d e r Arische Religion 2, 1 7 6 ff. s ) D i e Sonne als B a l l i m Spiel der M e x i k a n e r : G l o b u s 87 (1905), 1 3 7 . I n M a r o k k o spielt m a n Ball, bald u m Regen, bald u m trockenes W e t t e r zu schaffen (nach E r k l ä r u n g eines A r a b e r s : weil der B a l l so dunkel wie die R e g e n w o l k e i s t ) : F r a z e r 9, 179. 4 ) S c h r ö d e r a. a. O. 2, 1 5 6 ff. A u c h andere Scheibenspiele f ü h r t Schröder auf die A b s i c h t , den Sonnenlauf zu fördern, z u r ü c k : E b d . 2, 160 ff. 169 ff. 5 ) F r a z e r 7, 101 f. 103 A n m . 1 ; Z f r w V k . 13 (1916), 167. 6 ) A n d r e e 7 ) Ders. Braunschweig Parallelen 2, 97. 325; Künßberg Rechtsbrauch u. Kinderspiel 52. 8 ) Z f r w V k . 23 (1926), 53 ff. •) H e c k s c h e r 161. 407 f. Ü b e r Spiele bei Sonnenfesten: S c h r ö d e r 10) Arische Relig. 2, 193 f. E b d . 2, 190 ff. " ) S a r t o r i 3, 160 f . ; oben 2, 622; S c h r ö d e r 2, 187 ff. sieht a u c h in diesen Eierspielen einen 12) Sonnenzauber. Z f r w V k . 13, 166; A n d r e e 13) Parallelen 2, 94 f. Handelmann Volksu. Kinderspiele in Schleswig-Holstein 93.

2. S p i e l e u n d L a n d w i r t s c h a f t : Manche mit der E r n t e und dem Erntefeste verbundenen Spiele können als Versuche betrachtet werden, das Wachstum des künftigen Getreides zu fördern 11 ). Das gilt für allerlei W e t t l ä u f e 1 6 ) , für das K r a n z r e i t e n 1 6 ) , für H a h n s c h l a g e n 1 7 ) und G a n s r e i t e n 1 8 ) . Das ostpreußische B o k c h e n w e r f e n ahmt möglicherweise die Tötung eines Korndämons nach 19 ), wie vielleicht auch die E b e r k ä m p f e am Martinsfeste 20 ). Ein in den schlesischen Spinnstuben oft geübter Scherz war das A s c h e t o p f w e r f e n , durch das das Gedeihen des Flachses gefördert werden sollte 21 ). Dem S c h a u k e l n wird Einwirkung auf Pflanzen und Wild auf weite Entfernung hin zugeschrieben 22), und in dem Spiel „Wollt ihr wissen, wie der Bauer seinen Hafer aussäet" usw. hat man einen Zauber gesehen, der der Nachahmung des Säens dieselbe Wirkung verschaffen möchte wie dem Säen selbst 23 ). 14)

Bei Naturvölkern: Frazer 7, 92 ff. K u h n u. S c h w a r t z 399 (109); D r e c h s l e r 2, 70 f. V g l . F r a z e r 7, 76 f . ; S a r t o r i Sitte 2, 98. l e ) K u h n u. S c h w a r t z 400 ( 1 7 ) ; S c h r ö d e r Arische Religion 2, 173 ff. sieht im K r a n z - und Ringstechen, wie auch i m Vogelschießen, einen magischen Versuch, die Sonne zu gewinnen. 1 7 ) O b e n 3, 1343. 1 8 ) O b e n 3, 298 f. «) Kück 20) u. S o h n r e y 2 276t. Pfannenschmid I5)

26o

21) Erntefeste 225. 501. D r e c h s l e r 1, 1 7 1 . Z f r w V k . 23 (1926), 52 f. 2 3 ) E b d . 13, 167 ff.

22)

3. A n f a n g s z a u b e r z u N e u j a h r : Am Weihnachtsabend 24 ) wie am Neujahrs- und Dreikönigsabend 2S) vertreibt man sich die Zeit mit Glücks- und Gesellschaftsspielen. Sie sollen wohl auch für das kommende Jahr Freude und Erfolg gewährleisten. In Wierland feierten die Mädchen den 15. Februar in der ,,Spielstube", wo sie bis spät in die Nacht ohne Beleuchtung sangen und spielten. Dadurch sollten die Teilnehmerinnen munter bleiben und zeitig unter die Haube kommen 26). 2 1 ) S a r t o r i 3, 39. 2 5 ) E b d . 3, 5 4 ; D e r s . falen 139. 2 6 ) B o e d e r Ehsten 76.

West-

4. Zur S c h i c k s a l s b e f r a g u n g benutzt werden Würfel 27 ) (s. W ü r f e l o r a k e l ) und K a r t e n (s. d.) 28). In den Spinnstuben dienten viele Spiele als L i e b e s o r a k e l wie Fingerknacken 29 ), das Anzünden von Wergstücken 30 ), der umtanzte Gänserich 31 ). 27) 2S) H e c k s c h e r 163. Schnippel Ostu. Westpreußen 2, 92 f. Ü b e r die Ä h n l i c h k e i t Glücksspielen: von Wahrsagekünsten und T y l o r Cultur 1, 78 ff. 2 9 ) S p i e ß Fränkisch30 ) Henneberg 1 1 6 f. Drechsler 1, 170; 31) J o h n Westböhmen 10. Z f V k . 8, 2 1 6 f . ; A n d r e e Braunschweig 1 7 1 ; K ü c k u. S o h n r e y 2 205.

5. L e i c h e n s p i e l e . In der Ilias veranstaltet Achilleus Spiele zu Ehren des toten Patroklos 32 ). Die großen Festspiele Griechenlands sollen ursprünglich der Ehrung toter Heroen gegolten haben. Auch geschichtlichen Helden wurden solche Ehren zuteil 33 ). Derartige Spiele dienen der Freude und Beruhigung des Toten und stellen zugleich einen Gegenzauber gegen die Mächte des Todes dar. Sie kommen auch bei andern Völkern vor 3 4 ). In bescheidenem Maße werden sie bis in die jüngste Zeit bei den Leichenwachen am Sarge des Verstorbenen vorgenommen 35). 32) 23, 257 ff., v g l . 630 ff. (für A m a r y n k e u s ) , 679 f. (für Oedipus); Od. 24, 85 ff. (für Achilleus). 33) V g l . R o h d e Psyche 18 f. 140 f. Frazer 4, 92 ff. 3 4 ) E b d . 4, 96 ff.; S a m t e r Volkskunde i , 162 ff. I n Irland erwartete m a n a u c h E r n t e 3S) segen d a v o n : F r a z e r 4, 102 f. Sartori 1, 3 1 9 ; L a d y W i l d e Ancient eures etc. of Ireland 129 f . ; D i e s . Ancient legends etc. 1 1 9 ff.;

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Spielkarte—Spillaholle

Zelenin Russische Volkskunde 331; M a n s i k k a Relig• d- Ostslaven 1, 84 fl. 182.

b. S p i e l e n d e G ö t t e r u n d G e i s t e r : Die Asen vergnügten sich in der Urzeit auf Idafeld mit Brettspiel 3 6 ). In unzähligen Sagen erscheinen Riesen, Zwerge und Geister, die Kegel schieben 37 ) oder mit Steinen Ball 3 8 ) oder Karten spielen 39 ). M) V ö l u s p a 8; vgl. 60. 37 ) Q u i t z m a n n 15; Zingerle Sagen 201 f. (Literatur); K ü h n a u Sagen 1, 230; 2, 71. 139. 512; S c h e l l Bergische Sagen 92 (18); 93 (23)- 38 ) S c h e l l 310 (333); S t r a c k e r j a n 1, 503 f. 39 ) E i s e l Voigtland 71 f.

7. S ü n d h a f t e S p i e l e : In den Sagen ist ferner der Zug häufig, daß B r o t 4 0 ) oder B u t t e r 4 1 ) aus Übermut zum Kegeln verwandt wird. Man soll überhaupt nicht mit Brot, Feuer oder Salz spielen 42 )• Den Teufel lockt die in den Spinnstuben hergestellte „Stoppegäs" (Stopfgans) und das auch zum Wahrsagen benutzte „Niphaun" (Nickhuhn) 43 ). 40 ) K ü h n a u Sagen 2, 610; 3, 394. 397; Zaunert Rheinlandsagen 1, 209. Vgl. dazu Laistner Nebelsagen 246. 41 ) A l p e n b u r g Tirol 230 f.; Ders. Deutsche Alpensagen 59. 65. 42 ) S t r a c k e r j a n 1, 49. 43 ) S c h a m b a c h u. Müller 158 f. 356. 357; Andree Braunschweig 171. f Sartori.

Spielkarte s. Kartenspiel. Spielmann s. Nachtrag. Spillaholle (Spindelholle) heißt die schlesische Sonderprägung der HoldaPerhta, die mit zu den unheimlichen Geistern der Zwölften (s. d.) gehört. In Katscher treffen wir sie als Zompeldroll, in Troppau und Glatz als Spillaoder Mickadrulle; in Neiße, Reichenbach, Langenbielau und der Striegauer Gegend ist sie die Spilla- oder Popel( = vermummte) Hole 1 ). In Leobschütz und Katscher heißt sie auch Spillagritte 2), in Katscher auch Spillalutsche 3 ); in Braunsdorf im Jägersdorfer Bezirk hingegen Spillmarthe 4 ). Wie die Tiroler Stampa (s. d.) erscheint sie ausschließlich mit bösen Eigenschaften und schädlichen Funktionen. Meist wird sie als Kinderschreck verwandt; sie sieht „altfränkisch" aus, hat kurze Arme und Beine, sie ist ,,ein Balg wie die Wassernixe" 5 ). Sie holte die faulen Spinnerinnen weg 6 ). Aus Kupferhammer (Neiße) wird berichtet:

262

in einer Familie spann ein Mädchen nie di6 aufgegebene Zahl der Gebinde ab, der Vater befahl eines Abends im Zorn, das Mädchen zu der Holunderpappe vors Fenster zu setzen. Das geschah, die Spillahulle hat beide, Kind und Brei, weggeholt. Alles Suchen blieb vergebens, die Eltern starben bald aus Kummer. Wenn der Wind abends im Ofen heult, sagt man wohl auch: „Die Spillagritte kommt!" 7 ). Träge Kinder treibt man mit einem Sprüchlein zum Spinnen a n 8 ) : Spennt, Kendala, spennt, De Spellalutsche kemmi; Se guckt zu olla Lechlan rei, Ebs Stranla watt bäle fertig sein.

Die Sp. ruft aber auch selbst einen Vers 9 ): Verzage nicht, verzage nicht! Warum spinnst du die Zahl (der Gebinde) am Tage nicht ?

Diese Worte haben einst ein Kind getötet, das bei Tage seine Gebindzahl nicht vollendet hatte, in der Nacht das Versäumte nachholen wollte, weil es gescholten worden war. Denn wie das Kind nachts spinnt, kommt „ein Ding wie ein Pelzärmel auf dem Fußboden dahergerollt", es rollte einigemal auf dem Fußboden auf und ab und seufzte sein Sprüchlein. Am nächsten Morgen fand man die Leiche des Kindes 1 0 ). Sonst kennt man die Sp. als vermummte Frau, die in den Zwölften ihr Unwesen treibt 1 1 ); als unheimliche Waldfrau geht sie in Neiße und Polnisch-Oberschlesien um. Sie kann die Menschen zu Tode erschrecken, sie ist der Buschmutter (s. d.) ähnlich, sie hat eine glühende Spindel, sie setzt sich den Leuten auf den Schoß 12 ). Im Kreis Habelschwerdt (Grafschaft Glatz) soll sie eine „fahle Muhme" sein, und man machte mit ihr die Kinder fürchtig 1 3 ). In Frankenstein (Glatz) macht sie den Weg unsicher 14 ), man bezeichnet sie wohl auch kurzweg als Hexe 1 5 ). Schließlich erzählt man von ihrem Wohnsitz: die Spillalutsche wohnt unter einem Stein bei Niederwalde in der Hutung, nachts brennen sieben Lichter darauf 1 6 ). Auch in dieser stark abgewandelten 9*

263

Spinat—Spindel

Gestalt ist noch immer das Vorbild der Holda-Perhta (s. d.) deutlich geblieben 17 ). *) Drechsler i, 172; S a r t o r i Sitte 3, 13; Z a u n e r t Schles. Sagen 189. 2 ) Drechsler 2, 164. 3 ) Ebda. 4 ) K ü h n a u Sagen II, 59. 6 ) K n ö t e l Schlesien 110. e ) Ebda. ' ) K ü h n a u 2, 53 f. 8 ) Ebda. 2, 59. 8 ) K ü h n a u 2, 53 ff. 10 ) K ü h n a u 2, 61; Peter Volkstümliches 2 ll (1867), 21. ) V o g t Weihnachtsspiele 112. 12 ) Z a u n e r t , a. a. O. 189; 232. 1 3 ) K ü h n a u 2, 188. " ) Ebda. 185. 16 ) Ebda. 186. 16 ) K ü h n a u Sagen ( 1914) 27. 1 7 ) K l a p p e r Schles. Vkde. 2 2 1 ; W a s c h n i t i u s Perht 182. Schwarz.

Spinat (Spinacia oleracea). Der S. war den Alten unbekannt. Erst im MA. erscheint er als Gemüse 1 ). E r gehört zu den Gründonnerstagskräutern; die „S.krapfen" an diesem Tage sind eine Kultspeise 2 ). 2 *) S c h r ä d e r Reallex,2 2, 426. ) Höfler Ostern 8; A l b e r s Das Jahr 155; auch in der Franche-Comté: Sébillot Folk-Lore 3, 490. Marzell.

Spindel, i . Sp. (Kunkel) und Rocken (s. d.) waren früher das A b z e i c h e n der deutschen H a u s f r a u so wie das Schwert das Merkmal des deutschen Mannes war x ) ; daher nannte man im MA. die Verwandten väterlicher Seite „Schwertmagen", die der Mutter „Spindelmagen". Als Sinnbild vorbildlicher Hausfrauentugenden war über dem Grabe der Herzogin Liutgart, einer Tochter Ottos I., eine silberne Sp. angebracht 2 ). Wie im Arbeitsleben der Vergangenheit, so spielt die Sp. auch in Sage, Märchen und Volksglauben eine wichtige Rolle, in den deutschen Rechtsaltertümern erscheint sie als Rechtssymbol. Grimm RA. 1, 236; Hoops Reallex. 3, 476; 4, 206; s. auch P a u l y - W i s s o w a 2, 2, 2134; K r a u ß Sitte u. Brauch 399. 452. 2 ) T h i e t m a r chron. 2, 24 (in GddV. 11. Jh. 1. Bd., 56); s. auch B a c h o f e n Gräbersymbolik 308 f.

2. Zur Nachfolgerin der Holle wurde die hl. G e r t r u d . Ihr Festtag (17. März) ist in den Bauernkalendern durch eine Sp. (oder einen Rocken), an der (dem) zwei Mäuslein (s. Maus) nagen, bezeichnet und gilt in den österreichischen Alpenländern als E n d e der S p i n n z e i t (s. Rockenstube) 3 ). 3

) G e r a m b Brauchthum 28; Meisinger Volkskunde 194 f.; Rochholz Gaugöttinnen 164.

3. Die S p i l l - ( S p i n d e l - ) s t e i n e (auch

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Kunkel- oder Rockensteine) 4) sind nach ihrer spindel-(rocken-)ähnlichen Gestalt benannt, sie erinnerten das Volk an die spinnende Holle = Perchta, die zugleich als Regen- und Nebeldämon galt, aber auch an andere mythologische Gestalten; die „hl. Bertha" bewässert das Land, indem sie ihren Rocken (s. d.) hinter sich herschleift, man muß da an das Bild einer aus der Ferne gesehenen Regenwolke denken, deren Erguß wie ein Schleppkleid auf die Erde herabhängt. Einzelne der genannten Steine scheinen als Grenzsteine verwendet worden zu sein. Der Sp.stein, der die uralte Grenze von Burgund bildete, wurde der Sage nach von der Holle selbst dahingetragen und aufgerichtet. Andere waren vielleicht Freisteine und dienten Verurteilten als Sitz. 4 ) S i m r o c k Myth. 388; L a i s t n e r Nebelsagen 98. 145 f. 268 f.; P a n z e r Beitrag 1, 279. 375 ff.; 2, 136; Sepp Sagen 99 Nr. 3 1 ; Rochholz Sagen 1, 355; 2, 223; H e r t z Elsaß 5 f.

4. In Märchen und Sagen gilt die Sp. als K e n n z e i c h e n der w e i s e n F r a u e n , H e x e n u. d g l . 5 ) , von ihrer Gefährlichkeit sagt ein Narr in einem Fastnachspiel: „Ich will hir frauen huld erwerben, Und solt ich den hals über ein Sp. abfallen" 6). Im Märchen vom „Dornröschen" 7) erinnert sie an den Schlaf dorn Odins, mit dem dieser die Walküre Brynhild sticht und in Schlaf versenkt 8 ).

5 ) B o l t e - P o l i v k a 1, 440; W u t t k e 32 § 32; 6 Grimm Myth. 1, 390; 3, 119. ) Keller 7 Fastnachtspiele 1, 267, 11. ) Grimm Kinder- u. Hausm. Nr. 50; vgl. Nr. 53 u. 93. •) M a n n h a r d t Germ. Mythen 6 1 1 ; Grimm Myth. 3, 353.

5. Uber Z a u b e r mit einer Sp. (bei Verlust eines Gegenstandes) berichtet schon Hartlieb der Leibarzt Herzog Albrechts v. Bayern (1455) 9). In Tandern (Oberbayern) schlagen die Bäuerinnen, am Karfreitag, wenn in der Kirche beim Gottesdienst mit Holzklappern geratscht wird, den Sp.n die Spitzen ab und verbrennen dann den Wicken am Rocken, „damit die Hexe keine Arbeit hat" 10 ). — Vielleicht wurde in alter Zeit die Sp. als Fetisch verwendet u ) .

9 ) Grimm Myth. 3, 428 Nr. 50; s. auch ebd. 416 Nr. 18; ferner S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 10 11 417. ) P a n z e r Beitrag 2, 554. ) Meyer Religgesch. 72. Klein.

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Spinne

Spinne. 1. E t y m o l o g i s c h e s . Sp. kurzweg bedeutet entweder die Haussp. (tegenaria domestica) oder die Kreuzsp. (epeira diadema), die im Franz. als araignée porte-croix bezeichnet wird (wegen der lichten, ein Kreuz darstellenden Fleckchen auf dem Rücken). Die Sp. ist in verschiedenen Sprachen nach dem Spinnen oder Weben x) benannt (vgl. steir. S p i n n e r i n 2 ) ) . Hochd. S p i n n e beruht auf mhd. spinne < ahd. spinna 3 ). Vgl. hierzu engl. Spider, dän. spinder, schwed. Spindel4), ndd. spente, spinte, spenne 5), schweiz. spinnmugg 6 ), holl. spinnkop '). Franz.-dial. filère, filandreuse (Vogesen) 8 ) beruhen ohne Zweifel auf Ubertragung aus dem Deutschen (Bedeutungslehnwort). Im Altengl. wird die Sp. als „Weberin" bezeichnet in gangewaefre „Gangweberin"? 9 ). Vereinzelt steht altengl. hunta „Jägerin" 10). Auf die Eigenart der Sp., ihr Opfer mit zusammengekrallten Füßen zu ergreifen, beruht siegerländ. kremm zu mhd. krimmen „drücken, kratzen" u ) . Andere Namen beziehen sich auf die vermeintliche Giftigkeit der Sp. (s. weiter unten). So heißt sie in Creuse geradezu vrin < lat. venenum (franz. venin „Gift") 1 2 ). Die Giftigkeit des Tieres ist auch angedeutet in altengl. attorcoppe, dän. edderkop. Altengl. áttor, bzw. dän. edder ist deutsch E i t e r , dessen Grundbedeutung „tierisches Gift" ist 1 3 ). Ebenso ist altengl. lobbe „ S p . " verwandt mit got. lubja„Gift", altnord. lyf „Arznei", altengl. lybb „ G i f t " ahd. luppi id. 1 4 ). In den romanischen Sprachen sind die Nachkommen von aranea15) < griech. àpciyvTj16) zahlreich 16 ) : altprov. aranha, eranha, limous. ragno, altfrz. araigne, iraigne, neufrz. araignée Sp.gewebe > Spinne, span. araña, port, aranha. Auf araneus 17) beruht ital. ragno friaul. rañ. Auch im Altengl. ist aranea als ringe erhalten 18 ). Personifikationen bietet das Pariser A r g o t 1 9 ) : tendeuse (von tendre »,spannen"), vagabonde, maçonne „Maurerin". 2) U n g e r *) S c h r ä d e r Reallex. 788. u. K h u l l Steir. Wortsch. 527. 3) W e i g a n d - H i r t

26 6

4) E d l i n g e r DWb. 1, 920. Tiernamen 102; C o r t e l y o u Insekten 110; D W b . io/i, 2506. 6) L e i t h a e u s e r Volkstüml. 1/2 S. 34. 6) K l u g e EtWb. 428. ') H e i n z e r l i n g Wirbellose Tiere 8) R o l l a n d Faune 12, 124. 9) C o r t e l y o u 20. op. cit. 110. 10) op. cit. 106. u ) H e i n z e r l i n g 12 ) op. cit. 19. R o l l a n d Faune 12, 125. 13 ) C o r t e l y o u op. cit. 101; W S . 4, 219. 14 ) 15 ) M e y e r - L ü b k e a.a.O. REWb. Nr. 593; J a b e r g - J u d AJS. Karte 485. i e ) S c h r ä d e r 17) Reallex. 788. R o l l a n d Faune 3, 235 f. 18 ) C o r t e l y o u op. cit. 108. 19 ) R o l l a n d op. cit. 12, 125.

2. B i o l o g i s c h e s . Im Altertum glaubte man, die Sp. sei aus dem Blute eines Ungeheuers der Titanen, des Typhon oder der Gorgonen hervorgegangen 20 ). Nach Megenberg 21 ) können Sp.n entstehen aus verfaulten Gegenständen, aus „gefaulten" Sonnenstäubchen und endlich aus dem Speichel, den der Mensch nach der Mahlzeit auswirft. Über das „Spinnen" sagt Megenberg 22 ): Dieser Wurm, d. i. die Sp., besitzt die besondere Eigenschaft, aus seinen Därmen Fäden spinnen und Netze weben zu können, mit denen er die Fliegen fängt. Die Sp.n haben näm-lich eine Wolle produzierende Kraft, durch die sie die Fäden hervorbringen. Häufig därmt sich die Sp. bei ihrem Spinnen so aus, daß nichts mehr in ihr bleibt und sie zugrunde gehen muß. Man sagt auch, die weibliche Sp. spänne und webte die Netze und die männliche fange die Fliegen damit. Weiters bemerkt Megenberg 23 ), die Sp. könne nicht verhungern, denn sie lebe von Säften und Feuchtigkeiten. Sie habe die Gewohnheit, sich an einem Faden über dem Kopf einer Schlange zu schaukeln. Strecke diese den Kopf in die Höhe, so beiße sie die Schlange so gewaltig, daß sie bis aufs Gehirn komme und sie so umbringe 24 ). Hinsichtlich ihrer Lebensweise heißt es bei Megenberg 25), sie mache nicht eher neue Beute als bis sie die vorher erlegte völlig aufgezehrt habe. Nach polnischem Aberglauben (Kujawien in Posen) gilt die Sp. gleich dem Salamander als unverbrennbar 26). Wirft man eine Kreuzsp. ins Feuer, so verbrennt sie nicht, sondern platzt auf, bekommt Flügel und fliegt davon 27 ). Sie gilt allgemein als giftig. Das Gift saugt sie aus den Blumen 2 8 ).

267

Spinne

Ihr Stich gilt als tödlich 29 ). Sie vergiftet das Hausgesinde, indem sie ihr Gift von der Zimmerdecke in die Suppenschüssel herabläßt 30 ). Schon im Mittelalter glaubte man von ihr, sie vergifte alle Speisen 31 ). Noch jetzt gelten in Westböhmen Speisen, die mit dem Saft der Sp. in Berührung geraten, als todbringend. Dem Tode geweiht ist auch, wer unmittelbar von diesem Saft berührt wird 32 ). Gifttränke, sog. „böse" Tränke, wurden noch im 17. Jh. aus einem Gemisch von Wein und Sp.n bereitet 33 ). Ebenso werden Kreuzsp.n wie Gift eingegeben 34). Fällt eine Sp. ins Wasser, muß es ausgeschüttet werden, da es durch die Sp. vergiftet wird 35). Eine Einschränkung erfährt der Aberglaube von der Giftigkeit der Sp. durch die Meinung, ihr Speichel sei nur im Sommer, in der Begattungszeit giftig 38 ). Umgekehrt soll der Speichel eines Menschen in nüchternem Zustand für die Sp. tödliches Gift sein37). Die Sp. (Kreuzsp.) kann aber auch wohltätig wirken, indem sie im Hause alles Gift an sich zieht und aus allem Gift saugt 38 ). Von den geistigen Fähigkeiten der Sp. hat das Volk eine gute Meinung. Nach dem bestiaire d'amour 39 ) übertrifft sie alle übrigen Tiere an feinem Taktgefühl. In den afrikanischen Volksmärchen spielt sie die Rolle des schlauen Fuchses 40 ). Sie fasziniert die Kröte 41 ), gegen die sie eine natürliche Abneigung hat 42 ), und ist eine Feindin des Seidenwurms 43 ). Ihr Orientierungssinn gilt als unbeirrbar. Wirft die Bäuerin Sp.n zum Fenster hinaus, sagt sie: „Den nächsten Morgen sind sie wieder in ihrem Eck; sie kennen ihre Heimat" 44). 20) K e l l e r Antike Tierwelt 2, 469. 21 ) Buch 22) Ebd. 23) Ebd. 24) Ebd. der Natur 250. 25) Ebd. 26) K n o o p Tierwelt 50 27 ) K l a p p e r Erzählungen 318, 18; BayHfte. 1, 249; DWb. 10, 1. 2509 f. 28) D W b . 10, 1. 2510. 29) G o m i s Zoologia S. 443 Nr. 1736 (Tarragona); B o n n e r 30) B a u m g a r t e n j e a Superstitions 242. Aus 31 ) der Heimat 1, 122 f. G e r h a r d t Franzö32 sische Novellen 73. ) J o h n Westböhmen 221. 33) B i r l i n g e r Schwaben 1, 406. 34) S c h u l e n 35 ) b u r g Wend. Volksthum 124. Urquell 3«) H o v o r k a N. F. 1, 48. u. K r o n f e l d i, 3 ') W ü s t e r 38) 259. Tiere 229. Grimm

268

Mythologie 3, 203; B i r l i n g e r Aus Schwaben 1, 400; B a u m g a r t e n op. cit. 1, 122 f.; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 259; A l p e n b u r g 40) K n o r t z Tirol 308. 39) W ü s t e r a. a. O. 41 ) S e l i g m a n n Insekten 113. Blick 1, 135. 42) B o n n e r j e a op. cit. 242; D W b . 10, 1, 2511. 44) Z f V k . 10, 48. « ) D W b . 10, 1, 2508.

3. A n i m i s m u s und D ä m o n i s m u s . a) Seelenepiphanie. Als eigentliche Seelenepiphanie erscheint die Sp. selten. In Schwaben entschlüpft einem schlafenden Mädchen die Seele in Sp.ngestalt. Es ist wie tot, bis ihm die Sp. wieder in den Mund kriecht 45 ). Der Hexencharakter dieses Mädchens ist nicht ausgesprochen, in einer anderen Version ist jedoch ausdrücklich von einer Hexe die Rede 46). b) Zauberei, Gottheit, Hexe 4 7 ). Die Vorstellung der Verwandlung weiblicher Wesen in Sp.n ist sehr alt. So wurde schon Arachne (griech. vpdyyq „ S p . " , siehe unter 1), die ehrgeizige Weberin der griechischen Sage, von der eifersüchtigen Athene, der Meisterin der Webekunst, in eine Sp. verwandelt 47 ). In Polen und Ungarn erscheint die ArachneSage christianisiert. An Stelle der Arachne trat Maria 48). In einer Schweizer Sage 49 ) verwandelt sich die den Bauer verfolgende Sp. plötzlich in eine Jungfrau und führt ihn in eine schimmernde Grotte, die einer katholischen Wallfahrtskirche ähnelt. In Tirol zeigt sich der hilfsbereiten Bäuerin eine Sp. als wunderschöne Frau (Elfin) im Wochenbett und erweist sich ihr in der Folge wohltätig Bei vielen Indianerstämmen gilt die Sp. als gütiges, helfendes Wesen, den Indianern Südamerikas erscheint sie als Sonne 51 ). Sie ist die Schöpferin von Mensch und Tier 52 ) und lehrt die Menschen die Kunst des Netzstrickens 52 ). Vielfach ist sie Totemtier. Ihr Gewebe bildet die Brücke zwischen Himmel und Erde 53). Bei den Kongonegern holt sie mit anderen Tieren das Feuer vom Himmel 54 ). Im Gegensatz zu dieser optimistischen Auffassung erscheint die Sp. häufig als verderbenbringendes Hexentier. In der Oberpfalz verhindert sie die Geburt 55 ). Bei den Wenden haben die Vampire die Gestalt von riesigen Sp.n 56). Nach japa-

2Ó9

Spinne

nischem Volksglauben hausen gewaltige Sp.ndämonen in Erdlöchern 57 ). In Wallonien bringt eine Großmutter ihre Enkelkinder in Sp.ngestalt ums Leben 58 ). In der Wildg'fahrhöhle am Naturnser Sonnenberg lauert die riesige Totenkopfsp. Eindringende umspinnt sie mit ihren Fäden, die stark und fest wie Pferdeschweifhaare sind 59 ). Homöopathisch wird die Sp. gegen den bösen Blick verwendet 60 ). Als Liebeszauber dient sie, bzw. ihr Gespinnst bei den Wenden 61 ) und anderswo 62). H. H. E w e r s hat das Motiv der dämonischen Sp. meisterlich in seiner Erzählung „Die Spinne" verarbeitet 63) (In der Sammlung „Die Besessenen". München 1918). c) Zwerg, Kobold. Auch Zwerge nehmen nicht selten Sp.ngestalt an. Nach G r i m m 6 4 ) bedeutet schwed. dwerg „Zwerg" und „Sp.". In der BasseBretagne gibt es nach dem Volksglauben Sp.n, die in der Nacht dick und groß werden und die Schlafenden erwürgen, auch nehmen sie zuweilen die Gestalt von Kobolden (lutins) an 65). In Schlesien erscheint ein Berggeist als glühende Sp.66), wobei das Glühen deutlich auf den dämonischen Charakter des Tieres weist. d) Teufel. Die Sp. tritt in engste Beziehung zum Teufel, der gelegentlich auch ihre Gestalt annimmt 67 ). In Gleiwitz (Schlesien) heißt die Sp. der U n g e nannte88). Nach lettischer Sage läßt sich die Sp. an einem Faden in die Hölle hinab, um dem schlafenden Teufel das Feuer zu rauben 69 ). In slawischen Mythen tut sie dem Teufel Botendienste70). Wie Satan zur Sp. wurde, erzählt eine bulgarische Sage 71 ). Als die Geister, die sich gegen Gott empört hatten, von diesem aus dem Himmel vertrieben wurden, blieb einer in der Luft hängen und wurde zur Sp. Daher soll der Mensch, sieht er eine Sp., sie töten, denn er sündigt, läßt er Gottes Feind am Leben. In einer Emmentaler Sage 72 ) küßt der Teufel die Wange einer Frau und erzeugt dadurch eine schwarze Beule, aus der eine schwarze Sp. hervorkriecht. Nach dem Tode der Frau setzt sich die Sp. auf andere Personen, die sämtlich schwarze Beulen (d.

270

1. die Pest) empfangen. Schließlich wird die Sp. in einen Balken verpflöckt (Vgl. G o t t h e l f s Erzählung „Die schwarze Sp.") 73). Von der Verpflockung des Teufels in Sp.ngestalt ist auch in einer Appenzeller Sage die Rede 74 ). Sieht man auf dem Körper des Sterbenden eine Sp., so ist dies der Teufel, der Gott die Seele strittig macht (Naintre) 7S). Als dämonischer spiritus familiaris wird die Sp. in einem Glas gehalten 76). L a n d t man 77) konstruiert Beziehungen der Sp. zu dem Gotte Loki, dem altnordisch-heidnischen Vorläufer Satans. Auf der Wesensgleichheit von Teufel und Sp. beruht auch der schwäbische Volksglaube 78), der Teufel verstehe sich aufs Spinnen. 4 5 ) M e i e r Schwaben 184; T o b l e r Epiphanie 4 6 ) M e i e r ebd.; C o c k 38. Volksgelooj 147. 49) D ä h n h a r d t " ) S A V k . 26, 75. Natur49) R o c h h o l z sagen 2, 253. Sagen 1, 248. 50) H e y l Tirol 30 N r . 34; Z i n g e r l e Sagen 330 N r . 681; T o b l e r Epiphanie 76. 6 1 ) S A V k . 26, 52) K n o r t z 5 3 ) D e r s . op. 58. Insekten. 54 ) D ä h n h a r d t op. cit. 3, 1, S. 106. cit. 113. 55) S c h ö n w e r t h Oberpfalz i , 207 N r . 17. 56j V e c k e n s t e d t 67 ) Sagen 354. Bertsch 58) S 6 b i l l o t Weltanschauung 66. Folk-Lore 69) A l p e n b u r g 60 ) Ur3, 331. Tirol 70. 61) quell 4, 211. Schulenburg Wend. 62 ) Z f V k . 1, 182. 63) S A V k . Volksth. 160. 26, S. 69—76. « ) Mythologie 3, 203. *>) S „ K r ä t z e " 9 2 ) ) . L ä u f t sie über das Auge, so entzündet es sich (Anhalt) 9 3 ). '•) K e l l e r Antike Tierwelt 2, 469. 80) Grimm Mythologie 3,471 Nr. 968. 81) Ders. op. cit. 3, 347; SAVk. 18, 82. 82) SAVk. 25, 51. 83) SAVk. 25, S. 51—53. M ) WS. 7, 129. 85) R i e g l e r Tier 278. 8«) SAVk. 26, S. 76—82. ") Krankheitsnamen s. v. Spinne; SAVk. 26, 74. 88) 89) SAVk. 26, S. 81—86. SAVk. 26, 79. 91) »») SAVk. 26, 79. SAVk. 10, 341. 9!!) M e y e r - L ü b k e REWb. Nr. 593. 93) W i r t h Beiträge 4—5, S. 37.

5. Sp. als O r a k e l . Ihrem dualistischen Wesen entsprechend gilt die Sp. bald als wohltätig, bald als bösartig. Ob sie Gutes oder Böses bedeutet, hängt oft von der Zahl der Individuen ab. So gilt nach englischem Aberglauben eine einzelne Sp.

als schlechtes Zeichen (Sorge), zwei oder drei bedeuten etwas Gutes (Frohsinn, Hochzeit), vier sind ein Todeszeichen: One for sorrow — two for mirth Three for a wedding — four for death

94).

Die Sp. kann prophezeien und wird daher wie ein Orakel befragt. Dies geschah schon im Altertum, wovon Beispiele bei H o p f 9S ), wo auch von den Sp.norakeln südamerikanischer und australischer Stämme die Rede ist 9 5 ). Aus deutschem Gebiet liegen zahlreiche Beispiele vor. Auf den Bettstollen eines Sterbenden gesetzt, verrät sie aus der Richtung, in die sie läuft, ob der Verscheidende noch ein Erbe besitzt und wo er es verborgen hat 96 ). Der Getreidepreis im Herbste wird hoch oder niedrig sein, je nachdem die Sp. ihr Gespinnst hoch oben unter der Ähre oder tiefer unten um den Halm angesetzt hat (Arensdorf, Quellendorf) 9 7 ). Über die etwas komplizierte Art und Weise, wie man mittels einer Sp. einen Dieb entdeckt, berichtet John 98). Eine Sp., die sich vor jemandem herunterläßt, bedeutet eine Nachricht oder eine Neuigkeit 9 9 ). Sonst bedeutet Sp.nangang Besuch 10°). 94) R o l l a n d Faune 95) 3, 242. Tierorakel 98) B i r l i n g e r Volksth. 1, 119. 97) ZfVk. 223. 98) Westböhmen e9) H o v o r k a 7, 150. 323. u. K r o n f e l d 1, 401; Wolf Beiträge 1, 249. 10°) John Erzgebirge 33; F o g e l Pennsylvania 80 Nr. 288 f.; 95 Nr. 384.

6. G u t e s O m e n , a) allgemein. Es ist begreiflich, daß die Kreuzsp. wegen des Kreuzeszeichens auf dem Rücken in hohem Ansehen steht 1 0 1 ) und im allgemeinen als glückbringend gilt 1 0 2 ). Vielfach wird sie für heilig gehalten (Tirol, Pfalz) 1 0 3 ), in Tirol heißt sie M u t t e r gottestierchen104). Aber auch die Haussp. gilt oft als ein gutes Omen 1 0 5 ). Ganz besonders bedeuten kleine Sp.n Glück 106). Die jungen Sp.n werden vom Volke für eine eigene Art gehalten und G l ü c k s s p . n — westf. glücksköbbekes 107) — genannt 1 0 8 ). Häufig ist die Farbe maßgebend: weiß 1 0 9 ), rot 1 1 0 ) oder m schwarz ) . Im Erzgebirge ruft man der Sp. zu: Bringst du Glück, so bleibst du stehen, Bringst du keins, so kannst du gehen 112 ). 101 )

Wolf Beiträge 2, 457.

102)

Bohnenberger

Spinne

273

N r . 1, S. 22; L ü t o l f Sagen 360; Z f d M y t h . 2, 420; R e i s e r Allgäu 2, 438; R o s e g g e r Steiermark

62;

Baumgarten

Aus

der

Heimat

1,

122 f. l m ) ZfdMyth. 1, 201 f.; W u t t k e S. 113 104 § 150; SAVk. 26, 56. ) Wuttke a.a.O.

105 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 183; M a n z Sargans 120; D r e c h s l e r 2, 219; W u t t k e S. 206 106 § 283; S. 307 § 451. ) W o l f Beiträge 1, 233; B a r t s c h Mecklenburg 2, 183; V e r n a l e k e n Alpensagen 345 N r . 11; Z f V k . 20, 383. 107 108) ) Kuhn Westfalen 2, 79 N r . 240. B a r t s c h Mecklenburg 2, 183; G r i m m Mythologie 2, 951; C o c k Volksgeloof 148; G e r h a r d t

Französische uo

Novelle

) Bartsch

73.

109

)

ZfVk.

op. cit. 2, 183;

20, 383.

Strackerjan

m 112 Oldenburg 1, 27. ) Ebd. ) J o h n Erzgebirge 239; K ö h l e r Voigtland 290; R i e g l e r

Tier

278.

b) Nach der Tageszeit. 1) Morgen und Mittag. Verhältnismäßig selten gilt die Sp. morgens oder vormittags als gutes Omen 113 ) ; eher ist dies der Fall zu Mittag1"). 113

) Bartsch

Baden

515;

Mecklenburg

2,

184;

Voigtland

Köhler

Meyer

357.

390;

F o g e l Pennsylvania 116 Nr. 446. u 4 ) D i r k s e n Meiderick 49 N r . 7; ZfVk. 4, 326; J o h n Erzgebirge 239; E n g e l i e n u. L a h n 278 N r . 238:

„Freuden u. Geldsack".

ß) Abend. Ein ausgesprochenes Glücksomen ist die Sp. am Abend: Sp. am Abend, erquickend und labend;

franz. : araignée du bon espoir-,

soir,

fläm.: s'avonds 115

min

(Liebe)

115

).

) ZfVk. 4, 82; 4, 326; 10, 211; 20, 383; 23

283; P o l l i n g e r Landshut

168; W o l f

Beiträge

2,

Sagen

N r . 69;

457 f . ;

Kuhn

Mark.

385

274

österreich gilt es als besonderes Glückszeichen, läuft einem eine Sp. auf dem K o p f 1 1 9 ) , in Steiermark, wenn sie einem über die Brust gegen das Herz kriecht 1 2 0 ). U m Glück zu haben, läßt man sich die Sp. dreimal über die Hand laufen m ) . Auch eine Sp. auf dem Spinnrocken macht wenigstens für einen Tag glücklich 1 2 2 ). 116 ) Grimm Mythologie 3, 439 N r . 134; B a r t s c h Mecklenburg 2, 183; ZfdMyth. 3, 311;

Panzer

1, 264; S e e f r i e d - G u l g o w s k i

Ka-

schubei 180; H e y l Tirol 786 N r . 133; U r q u e l l 2, 48; W o l f Beiträge 1, 233; 2, 457; U n o t h

181

(Schaffhausen); W u t t k e

S. 266 § 283;

Leithaeuser Volkskundliches 1/2, S. 34. 117 ) ZfVk. 20, 383; J o h n Erzgebirge 239; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f . ; H e y l Tirol 786 Nr. 133; W u t t k e S. 206 § 283. 118 ) W o l f Beiträge 1, 233; 2, 457; ZfVk. 10, 211; Strackerjan Oldenburg 1, 27; Rolland Faune 3, 240. n 9 ) B a u m g a r t e n op. cit. 1, 122 f. 1 2 0 ) R o s e g g e r Steiermark 62. 1 2 1 ) J o h n Erzgebirge

239.

122

)

Meyer

Aberglaube

135.

d) Geld. Das Glück, das die Sp. bringt, besteht gemäß der materialistischen Denkweise des Volkes in Mehrung von Hab und Gut. Kommt eine Sp. ins Zimmer 1 2 3 ), fällt sie einem plötzlich auf den Arm 124) oder sieht man sie spinnend 1 2 S ), so bedeutet dies Geld. In Frankreich gilt derselbe Aberglaube 126 ). In England heißt eine kleine Art goldig gefärbter Sp.n (aranea scenica) money Spider. Schwingt man sie dreimal um den Kopf und steckt sie dann in die Tasche, wird sich diese bald mit Geld füllen 127 ). Auch zeigt diese Sp. an, wo Gold zu finden ist 1 2 8 ). I23

) SAVk. 8, 268.

121

) Rogasener Familien-

J o h n Westböhmen 222; S c h r a m e k Böhmerwaldbauer 245; E n g e l i e n u. L a h n 278 Nr. 238; S t r a c k e r j a n Oldenburg 1, 27; Urquell 1, 64;

125 b l a t t 3, 22. ) W o l f Beiträge 1, 248, 249. 126 127 ) op. cit. 2, 457. ) R o l l a n d Faune 3, 128 240; B o n n e r j e a Superstitions 170. ) op.

Sargans Meyer

e) Lotterie. Häufig dient die Sp. als Orakel beim Lotteriespiel. Man sperrt das Tier in ein Glas, eine Schachtel, ein Kästchen, einen ungebrauchten Topf und legt die 90 Nummern des Zahlenlottos dazu. Diejenigen Nummern, die die Sp. umspinnt, werden in der nächsten Ziehung gezogen 129 ). Ähnlich ist ein in der Picardie 1 3 0 ) geübter Brauch, um im Spiele Glück zu haben (Vgl. das ital. Sprichwort: Ragno porta guadagno). Man verschließt eine Sp. in eine Schachtel und wartet, bis das Insekt zu Staub zerfällt. Diesen streut man dann auf die Karten

3, 107; ZfwVk. 1905, S. 206 (Nahetal); M a n z

120; B o h n e n b e r g e r N r . 1, S. 22; Baden 515; J o h n Erzgebirge 239;

W u t t k e S. 206 § 283; SAVk. 3, 41; 10, 38; R e i s e r Allgäu 2, 427; G r o h m a n n Aberglaube 84; ZföVk. 13, 133; D i r k s e n Meiderich 49 N r . 7 ; U n o t h 1, 182, 186; J o h n Oberlohma

164; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 259; Germania

2

° . 355: W i r t h Beiträge 4/5, h a l t ) ; H o p f Tierorakel 224.

S. 37

(An-

c) Art des Umgangs. Vielfach herrscht die Auffassung vor, die Sp. müsse, um ein gutes Omen zu sein, mit dem Menschen irgendwie in Berührung kommen, so z. B . über das Kleid kriechen 116 ), an ihm hinauflaufen 1 1 7 ), oder sich auf ihn von der Decke herablassen 118 ). In Ober-

cit. a. a. O.

275

Spinne

und ist seines Glückes im Spiel sicher. Ein ähnliches Motiv benützt T h e u r i e t in seiner Skizze „L'araignée" m ) (Aus der Sammlung „Contes de la primevère". Paris 1897). 1M) Z f d M y t h . 2, 423; Z f ö V k . 3, 1 2 ; L a u b e Töplitz 50; W o l f Beiträge 1, 249 f . ; 2, 4 5 7 ; G r o h m a n n Aberglaube 85; J o h n Westböhmen 221, 2 5 5 ; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f . ; Schramek Böhmerwaldbauer 245; Unoth J, 182, 1 8 6 ; B i r l i n g e r Volksth, 1, 338; H e y l Tirol 786 N r . 183; H o p f Tierorakel 225. 1 3 0 ) R o l l a n d Faune 12, 134. 1 3 1 ) S A V k . 26, 82 f.

f) Verwandlung in Geld und dgl. Auch unmittelbar spendet die Sp. Schätze. Bis weit ins 18. Jh. hinein läßt sich der Aberglaube verfolgen, eine in eine Schachtel gesperrte Kreuzsp. verwandle sich nach einer gewissen Zeit (6 bis 7 Jahre) in Gold oder Edelstein 132 ). 132)

K e l l e r Grab 5, 89; P a n z e r Beiträge i , 268; W u t t k e S. 1 1 3 § 150; K ü h n a u Sagen 2, 5.

g) Befreiung vom Militärdienst. Wer eine Kreuzsp. bei sich trägt, wird nach Hettinger Volksglauben frei vom Militärdienst 133). In den Départements Loireet-Cher, Deux-Sèvres, Gironde wurde den Rekruten, bevor sie zur Auslosung gingen, ohne daß sie davon wußten, eine lebende Sp. in das Westenfutter genäht, damit sie eine gute Nummer zögen. Ähnliches geschieht in Lothringen 134). 133)

M e y e r Baden

239.

134)

S é b i l l o t 3, 309.

h) Freier (s. auch „Spinngewebe"). Vorzugsweise deutsch ist der Volksglaube, die Sp. im Haus bedeute einen Freier 135 ), wohl deshalb, weil eine Braut besonders fleißig spinnen und weben muß 136). Daher nennt man auch das Sp.ngewebe überdem Bett den H e i m a t s b r i e f 1 3 7 ) , tschech. psanicka „Briefchen" 138), im Ndd. Brutlaken oder Brutsleier (Brautlaken, Brautschleier) 139). 13ä) G r i m m Mythologie 3, 203; Andree 136) Braunschweig 296. Kück Lüneburger 2 1 3 7 1 3 8 Heide 156 . ) G e r m a n i a 20, 355. ) Grohm a n n Aberglaube 85. 1 3 9 ) K ü c k a. a. O.

i) Schutzmittel. Vereinzelt findet sich der Glaube, die Sp., namentlich Kreuzsp., schütze das Haus gegen Blitz 140). Ebenso wird sie im Stalle gern gesehen 141 ), denn sie bewahrt das Vieh vor Krankheit (Tirol) 142 ), indem sie die giftigen Stoffe aus der Luft an sich zieht. Nur am Kar-

276

freitag soll der Stall von Sp.n gesäubert werden (Ellwangen)1.43). Sie schützt ferner gegen Hexen (Pfalz, Schwaben, Tirol) 144 ) und hält den Hagel ab 1 4 5 ). Eine Kreuzsp. im Gewehrlauf hindert das Losgehen des Schusses 146 ). In geschichtlichen Anekdoten spielt die Sp. die Rolle einer Beschützerin von Flüchtlingen. Sie überzieht die Höhle, in der sich ein Verfolgter (z. B. Mahomet) versteckt hat, mit ihrem Gewebe 147 ). 14 °) D r e c h s l e r 2, 2 1 9 ; R e i s e r Allgäu 2, 438; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 259; W u t t k e Schwaben S. 1 1 3 § 150; S. 304 § 448; M e i e r 1, 221. 1 4 1 ) R o l l a n d Faune 3, 240. 1 4 2 ) Z f d M y t h . 143) E b e r h a r d t 1, 236. Landwirtschaft Nr. 3 144 ) 145) S. 14. S e l i g m a n n Blick 2, 132. E b e r h a r d t op. cit. Nr. 3, S. 4. 1 4 8 ) R e i t e r e r 147) Ennstalerisch 50. S A V k . 8, 3 0 1 ; B o n n e r j e a Superstitions 241.

j) Sp. nicht töten. Nach dem Vorgebrachten ist es begreiflich, daß nahezu im ganzen deutschen Sprachgebiet die Sp. als unverletzlich gilt. Wer eine Sp. tötet, heißt es, töte sein Glück 148). Die Hausfrau entfernt wohl das Sp.ngewebe an der Wand, das Tier selbst aber tötet sie nicht 149 ). Eine Wöchnerin soll keine Kreuzsp. töten, sonst gerät ihr kein Hefenzeug 150 ). Die Sp. darf nicht nur nicht getötet, sie darf auch nicht vertrieben werden 151 ). Ganz vereinzelt das Gegenteil: Das Töten einer Sp. bringt Glück 1 5 2 ), verhütet Unglück 153 ). 148) Grimm Mythologie 3, 437 Nr. 76; B a r t s c h Mecklenburg 2, 1 8 3 ; B o h n e n b e r g e r N r . 1, 22; J o h n Erzgebirge 2, 39; Köhler Voigtland 390, 423; E n g e l i e n u. L a h n 2 7 8 ; W o l f Beiträge 2, 4 5 7 ; Z f ö V k . 3, 1 2 ; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f . ; Z f r w V k . 1 9 1 4 , 8 . 2 6 5 ; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 3 1 ; Rogasener F a m i l i e n b l a t t 3, 22; G e r m a n i a 20, 3 5 5 ; F o g e l Pennsylvania 99 Nr. 403; M e y e r Germ. Myth. 1 1 3 ; Z f ö V k . 13, 99; 13, 1 3 3 ; G r o h m a n n Aberglaube 85; J o h n Westböhmen 149 ) 2 2 1 ; W u t t k e S. 1 1 3 § 150. J o h n Erz1 5 °) E b d . 151) gebirge 239; Westböhmen 221. 162) Z f V k . 3, 41. W o l f Beiträge 1. 249. 1 5 3 ) F o g e l Pennsylvanien 84 Nr. 316.

7. B ö s e s Omen, a) Allgemeines. Abweichend vom heutigen Aberglauben erschien den Alten die Sp. nie als gutes Omen 154 ). Träume von Giftsp.n galten als schlechtes Vorzeichen 155). Im modernen Volksglauben überwiegen zwar die Fälle einer günstigen Deutung des Sp.n-

277

Spinne

angangs, doch scheint die freundliche Auffassung der Sp. erst durch das Christentum (Kreuzsp. = Kreuzträgerin) Eingang gefunden zu haben. Die immerhin zahlreichen Fälle einer ungünstigen Deutung des Angangs scheinen Überbleibsel einer altheidnischen Auffassung. So gilt die Kreuzsp. nicht selten als unglückbringendes Tier 156), wenn man ihr unversehens begegnet 157 ), sie gar berührt oder in die Hand nimmt 158 ). Doch heißt es ausdrücklich: Spinnt eine Kreuzsp. über einer Haustüre ein Gewebe, so bedeutet dies Glück für das Haus, ist es aber eine andere Sp., so ist das Gegenteil der Fall 1 5 9 ). 154)

165) K e l l e r Antike Tierwelt. Ebd. Z f d M y t h . 1, 201 f . ; K e l l e r Grab d. Abergl. l") 5, S. 4. W i r t h Beiträge 4/5, S. 37. 168) Stall 1 5 9 ) S A V k . 2, 281. Zauberglauben 135. 156)

b) Am Morgen. Häufig richtet sich das Omen nach der Tageszeit. Gilt die Sp. am Abend meist als günstiges Vorzeichen (s. oben), so ist sie des Morgens, bzw. vormittags ein böses Omen 160) : Sp. am Morgen, Kummer und Sorgen, franz. araignée du matin, chagrin. Daher töten die Juden die Sp. am Morgen 161 ). leo) G r i m m Mythologie 2, 9 5 1 ; U n o t h 1, 182, 186; W o l f Beiträge 2, 457/58; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f . ; K u h n Mark. Sagen S. 385 N r . 69; M a n z Sargans 120; P o l l i n g e r Landshut 168, B o h n e n b e r g e r N r . 1, S. 22; J o h n Oberlohma 164; J o h n Erzgebirge 239; Westböhmen 221; Schramek Böhmen 245; G r o h m a n n Aberglaube 84; Egerl. 5, 34; S t r a c k e r j a n 1, 27; E n g e l i e n u. L a h n 278 Nr. 238; M e y e r Baden 515; Wuttke S. 206 § 283; Z f r w V k . 1905, S. 206; Z f ö V k . 13. 1 3 3 ; A l e m a n n i a 2 0 , 3 5 5 ; 2 5 , 4 6 ; Z f V k . 4, 82; 4, 326; 10, 211 ; 20, 383; S c h w V k . 10, 38; Urquell 2 , 6 4 ; 3, 104; K ö h l e r Voigtland 390 (zehnte V o r m i t t a g s s t u n d e ) ; R e i s e r Allgäu 2, 4 2 7 ; D i r k s e n Meiderich 49; S c h w V k . 3, 41 (franz.); R o l l a n d Faune 3, 2 4 1 ; W i r t h Beiträge 3/4, S. 3 7 ; Hopf Tierorakel 224; Riegler Tier 278. " i ) Z f V k . 23, 383.

c) Am Nachmittag, Abend, nachts. Selten gilt die Sp. zu anderen Tageszeiten als schlechte Vorbedeutung: so am Nachmittag 162), am Abend 163 ), zur Nachtzeit 1M ). 182) M e y e r Baden 5 1 5 ; K ö h l e r 163) 390. Bartsch Mecklenburg 164) K ö h l e r op. cit. 389.

Voigtland 2, 184.

d) Färbung und Laufrichtung. Zuweilen ist für die Beurteilung des Angangs die Färbung maßgebend: eine schwarze

278

Sp. bedeutet Trauer 165 ), eine weiße Tod 166) oder es wird die Laufrichtung beobachtet: Unglück bedeutet es, läuft die Sp. von einem fort 1 6 7 ) oder an einem herum 168). Ebenso ist es ein schlechtes Zeichen, läßt sie sich an einem Menschen herab 169). 165) Urquell 1, 7. 1 6 6 ) F o g e l Pennsylvania 167) 115 Nr. 503. W u t t k e S. 206 § 283. 1 4 8 ) M e i e r Schwaben 1, 221 f. 169 ) J o h n Erzgebirge 283; Rogas. Familienblatt 4, 40; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f.

e) Tod. Läuft die Sp. über das Bett eines Kranken oder an der Wand bei ihm hin, so zeigt sie dessen Tod an 170 ). Einen Todesfall bedeutet es auch, wenn sich eine Sp. in der Milch findet171). 1 7 °) W o l f Beiträge 2, 4 5 7 ; H ö h n Tod N r . 7, S. 3 1 4 ; M e i e r Schwaben 1, 221 f . ; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 259; W u t t k e S. 206 § 283; H o p f Tierorakel 224; G o m i s Zoología S. 443 Nr. 1 7 3 5 . « i ) S A V k . 2, 218.

f) Zank. Auf der richtigen Beobachtung, daß die Sp.n untereinander sehr unverträglich sind und sich gegenseitig aufs heftigste bekämpfen 172 ), beruht der Volksglaube, eine große Sp. bedeute Zank 1 7 3 ). Vgl. span. arañero „störrisch" (Jagdterminus) 174 ), dial, franz. aragneux (Mayenne) „zänkisch" 17S ). Auch altfranz. hargner „zanken", hargneux „zänkisch" gehören hierher 176 ). Ein Heranziehen von fränk. harmjan „plagen" 1 7 7 ) ist wohl nicht nötig. 172) R i e g l e r 173) W o l f Tier 2 7 7 . Beiträge 1, 233; W u t t k e S. 2 1 6 § 2 8 3 ; S c h u l e n b u r g 174) R i e g l e r Wend. Volkstum 118. Tier 1 7 7 ; 176) 170) S a i n é a n Etym. fran$. 1, 1 1 3 . Roll a n d Faune 3, 238; R i e g l e r Tier 2 7 7 ; S a i 177) W a r t b u r g n é a n op. cit. 1, 1 1 2 . FEWb. 1, 1 2 1 .

8. W e t t e r p r o p h e z e i u n g e n . Sp.n gelten allerorten als Wetterpropheten 178 ). Erwähnt sei die auf Wissenschaftlichkeit Anspruch erhebende Untersuchung über die meteorologische Bedeutung der Sp.n von dem Franzosen Q u a t r e m e r d ' I s j o n v a l , erschienen in gekürzter Übersetzung von Jos. S c h m i d (München 1801), kurz besprochen bei H o p f 1 7 9 ) . 178) J o h n Westböhmen 221; H o v o r k a u. Kronfeld 1, 259; ZfrwVk. 1914, S . 2 6 5 ; B a r t s c h Mecklenburg 2, 184; C o c k Volksgeloof 149. 1 7 9 ) Tierorakel 221 ff.

a) Schönwetter. Wenn die Kreuzsp. mitten in ihrem Netze sitzt 180 ) oder fleißig

Spinne

279

daran webt 1 8 1 ), ist es ein Zeichen von schönem Wetter.

180 ) M ü l l e r Isergebirge 15; Z f V k . 10, 211; M a n z Sargans 120; R o g a s e n e r Familienblatt 4, 17; B a r t s c h Mecklenburg 2, 209; M e i e r 181 ) Schwaben 1, 221; L a u b e Teplitz 45. Schramek Böhmerwaldbauer 250; Megenb e r g Buch der Natur 250; B a r t s c h o p . cit. 2, 206; R o g a s e n e r F a m i l i e n b l a t t 4, 1 7 ; H o p f Tierorakel 222.

b) Regen. Verhält sich die Sp. still 182 ), läßt sie sich auf den Boden herab 183 ), ist ihr Gewebe naß 184), sammelt sie Speisen und Vorräte 185 ), besagt es Regen. Im Sarganser Land deutet es auf Niederschläge, wenn große Sp.n herumkriechen 186), wie überhaupt mancherorts unruhige Sp.n als Zeichen eines höchst ungünstigen Witterungswechsels gelten 187 ). Je weiter sich die Sp. von ihrem Zufluchtsorte entfernt, desto unbeständiger wird das Wetter sein 188). Sitzt die Sp. mürrisch im Winkel, bedeutet dies schlechtes Wetter 1 8 9 ), bei P l i n i u s (XI c. 24) jedoch das Gegenteil 19°). In Böhmen fängt es an zu regnen, wenn man eine Kreuzsp. tötet 1 9 1 ). 182 ) Megenberg Buch der Natur 250; S c h r a m e k Böhmerwaldbauer 250. 1 8 3 ) M e i e r Schwaben a . a . O . R o l l a n d F a w « « 3,242. 1 M ) F o g e l 186 Pennsylvania 228. ) Rogasener Familienb l a t t 4, 17. 1 8 6 ) M a n z Sargans 120. 1 8 7 ) Z f V k . 188 4, 82. ) R o g a s e n e r F a m i l i e n b l a t t 4, 17. 18S ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 206. 1 8 0 ) H o p f m Tierorakel 221. ) Schramek Böhmerwaldbauer 245.

c) Sturm. Zerreißt eine Sp. ihr Netz 192 ), so gibt es Sturm. Ebenso, wenn sie am „Rande des Netzes" sitzt 193 ). Eine Änderung in der Windrichtung tritt ein, wenn eine Kreuzsp. ihr Netz verläßt und anderswo ein neues spinnt 194 ). m ) R o g a s e n e r F a m i l i e n b l a t t 4, 17; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f . ; Bartsch Mecklenburg 2, 184; H o p f Tierorakel 222. 193 194 ) Z f V k . 10, 241. ) Rogasener Familienb l a t t 4, 17.

d) Gewitter. Läuft eine Kreuzsp. plötzüch aus ihrem Netz weg und verbirgt sich, so ist ein Gewitter im Anzug 1 9 5 ). 195

) Rogasener

Familienblatt

4,

17.

e) Frost und Tauwetter. Webt eine Haussp. ihr Netz in der Nähe des Ofens, steht Frost bevor 196 ). Tut sie dies nahe beim Fenster, tritt Tauwetter ein 197 ). 19

' ) R o g a s e n e r F a m i l i e n b l a t t 4, 22.

9. V o l k s m e d i z i n .

197

) Ebd.

In der Heilkunst

280

spielen Gifte eine große Rolle, daher gilt im Volksglauben die Sp. wegen ihrer vermeintlichen Giftigkeit als Heilmittel. Bezeichnenderweise tritt sie in einem Kameruner Tiermärchen als Arzt auf 198 ). a) Verwendungsarten. Man kennt verschiedene Verwendungsarten. Man läßt die Sp. über die Hände laufen 199 ), legt sie auf 200), zerquetscht sie 201), verschluckt sie 202), nimmt sie mit ö l 203), in gedörrtem Zustand 204), als Pulver 205), trägt sie in einer Nußschale 206), in einer entkernten Pflaume 207), in einem Beutelchen 208), in einem Fingerhut 209). Man bereitet ferner aus Sp.n ein Pflaster 210 ) oder mit ölzusatz eine Salbe 2 U ). Auch sperrt man sie in ein Schächtelchen, worin sie sich im Laufe von sieben Jahren in einen Stein verwandelt, der als Gegengift und sonstiges Heilmittel verwendet wird 212 ). 198 ) D ä h n h a r d t Natursagen 3, 1, S . 343 f. 20 ) J ü h l i n g Tiere 96. °) o p . cit. 97. 201 ) F o g e l Pennsylvania 302 N r . 1598. 2 0 2 ) H o 203 v o r k a u . K r o n f e l d 2, 16. ) A l e m a n n i a 2, 204 139 ) Höhn Volksheilkunde 1, 94. 2 5 ° ) H o v o r k a u. K r o n f e l d r, 259. 2 M ) H ö h n o p . c i t . 1, 107. 2 0 ') Z f ö k V k . 13, 131. 2 ° 8 ) H u l m e 209 Natural History 308. ) Fogel Pennsylvania 210 387 f . N r . 1793. ) H o v o r k a u. K r o n f e l d ai1 212 3 1, 400. ) L a m m e r t 196 . ) Mülh a u s e 74; D r e c h s l e r 2, 219, 220; K ü h n a u Sagen 2, 5; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 401. 199

b) Gegen äußere Krankheiten. Die Sp. ist gut gegen Geschwüre („bösen" Finger) 213), Nasenbluten 214 ), Krebs 215 ), 2 1 6 217 Kropf ), Zahnweh ), Augenleiden 218 ). 213 ) L a m m e r t 196 3 ; J ü h l i n g Tiere 96; Z a h l e r Simmenthai 48; F o g e l Pennsylvania 214 302 N r . 1598. ) J ü h l i n g o p . cit. 96, 97. 216 216 ) M ü l h a u s e 74. ) S A V k . 14, 271 (Zigeuner). * « ) U n o t h 1, 186 N r . 119. 218 ) J ü h l i n g o p . cit. 97; H o v o r k a u . K r o n f e l d 1, 418 f . ; S e y f a r t h Sachsen 187; Z f ö V k . 9, 215; W u t t k e S. 326 § 485; S. 349 § 5 2 4 ; L a m m e r t 229.

c) Gegen innere Krankheiten. In Fällen von Vergiftung schluckte man als Gegengift Sp.n, da man glaubte, sie saugten das Gift auf 2 1 9 ). Dies wird z. B. von P a r a c e l s u s berichtet 220). Vielfach wird die Sp. bei innerlichen Krankheiten verwendet 221 ), namentlich wenn diese ansteckend sind 222). Allgemein dient die Sp. (Kreuzsp.) zur Bekämpfung des Fiebers 223). Außerdem wird sie angewendet gegen Schwindsucht 224 ), Hart-

28i

leibigkeit 225 ), Blattern 226), Gelbsucht 2 2 7 ), Keuchhusten 228), Rheumatismus 220 ).

219 ) ZfVk. 8, 178; SAVk. 2, 281. 22°) W a i b e l u. F l a m m 2, 320; L ü t o l f Sagen 201. 2 2 1 )ZföVk.

13,

223

222

131.

)

Hulme

Natural

history

279.

u. K r o n f e l d i , 140. 143 f. f.; 2, 108. 323. 336; H e y l Tirol 787 Nr. 143; S c h m i d t Kräuterbuch 39 Nr. 14; ZfdMyth. 3, 102; G r o h m a n n 165 f.; Rogasener Famblatt 1, 40; A l p e n b u r g ) Hovorka

259.

Tirol

282

spinnen—Spinngewebe

400.

418

390; F o g e l

Pennsylvania

296 N r .

1564;

J ü h l i n g Tiere 96, 97; R o l l a n d Faune 3, 239; W u t t k e S. 113 § 150; S. 326 § 485; S. 335 § 499; S. 353 § 529; S t r a c k e r j a n Oldenburg 1, 182; 2, 176; S e y f a r t h Sachsen 187; ZfrwVk. 1905, S. 289; ZfVk. 8, 178; A l p e n b u r g Tirol 390; G e r h a r d t Französische

Novelle

73;

Rol-

l a n d Faune 3, 239 (Basses-Alpes); B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 122 f.; B a r t s c h Mecklenburg 2, 106 f.; S t a r i c i u s 522 f.; W i r t h Beiträge

4/5 S . 3 7 ; H ö h n

Volksheilkunde

1, 107.

224

22S ) op. cit. 1, 94. ) J ü h l i n g Tiere 97; Alemannia 2, 139; L a m m e r t 191. S2e ) D e r s . 227 229. ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 110; L a m m e r t 248; J ü h l i n g op. cit. 97. 228 ) F o g e l

Pennsylvania

337 N r . 1793 f . ; S . 338 ff. Nr.1800;

H u l m e Natural history 308. Sachsen

229

) Seyfarth

187.

d) Tierarzneikunde. Auch in der volkstümlichen Tierarzneikunde findet die Sp. Verwendung. Man gibt sie bei manchen Krankheiten Hühnern und Kanarienvögeln ein 230). 23 °) B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 123; B a r t s c h Mecklenburg 2, 184; ZfrwVk. 193, S. 68.

Zusammenfassung. Die Sp. liefert der Volkskunde einen sehr interessanten Mythenkomplex. Während sie im Altertum negativ gewertet wird, zeigt sich späterhin eine dualistische Auffassung vom Wesen des Tieres. Bald erscheint sie als Schutzgeist, bald als böser Dämon. A l s solcher spielt sie im Hexen- und Teufelsglauben eine gewisse Rolle, wobei ihre Bedeutung in Verwandlungssagen zu betonen ist. Ihre doppelte Wertung als Orakeltier im guten und bösen Sinn hängt meist von der Stunde des Angangs ab (z. B . am Morgen gutes, am Abend böses Zeichen). In Haus und Stall wird sie geschont, in der Meinung, sie zöge als giftiges Tier die giftigen Stoffe aus der L u f t an sich. In der Volksmedizin findet sie vielfach Verwendung, hauptsächlich gegen Fieber. Auf die dichterische Phantasie hat die Sp. eine große Anziehungskraft ausgeübt 2 3 1 ).

231 ) Vgl. R i e g l e r glaube in der neueren 26, S . 5 5 — 8 8 ) .

Sp.nmythus und Erzählungsliteratur

Sp.naber(SAVk. Riegler.

spinnen s. Nachtrag. Spinngewebe. 1. Etymologisches und Semasiologisches. Das Spinnennetz heißt im Volksmund S p i n n w e b e f. oder S p e n w e b e f., auch S p i n n w e b n. < mhd. spinniweppe < ahd spinnaweppi, jetzt noch bayr. S p i n n w e p p e n f. neben S p i n n w e b e n J ). — Für das Französische ist zu bemerken, daß araignée < lat. araneata „Spinngewebe" jetzt „Spinne" bedeutet 2 ), während Spinngewebe mit toile d'araignée wiedergegeben wird. In ital. Dialekten wird ragna für ,,Sp." gesagt (Foggia, Palermo) 3 ), was auf das klassische Latein zurückgehen kann, wo araneus das Tier, aranea das Gewebe bezeichnet 4 ). Auch Zusammensetzungen nach deutscher Art (Sp. = aranea + tela) finden sich im Romanischen: afrz. arantèle 5 ), jetzt noch in Poitou 6 ), dial, rentella (Creuse) 7 ), ital. ragnatelo (ragnatela) und umgekehrt tela + aranea > span. telaraña 8), südfrz. teragnigna (Menton) 9 ), ital. telaràgna (Aquila) 1 0 ), land. tériakeu) geht auf theriaka12) „Gegengift" zurück (Spinne als giftanziehendes Tier vgl. „Spinne" 2). — Nach der Tarantel (s. d.): tarántula, taràntola (Bari, Messina) 13 ). Von den zahlreichen ital. Dialektnamen seien noch als volkskundlich merkwürdig angeführt: lunzol de Crist „Christi L a k e n " (Chieti) u ), celudiragnu,,Spinnenhimmel" (Sâssari) 1 5 ), magária „Hexenwerk" {maga „ H e x e " ; Catanzaro) 1 6 ), ciciamaluöcchie (malocchio „böser B l i c k " ; Caserta) " ) . Aus der Kindersprache stammt fila-fila „spinne, spinne!" (Cágliari) 1 8 ). W e i g a n d - H i r t DWb. 2, 920. 2 ) W a r t b u r g FEWb. 1, 121. 3 ) G a r b i n i Antroponimie 121. 4 ) W a r t b u r g a. a. O. 5 ) M e y e r - L ü b k e REWb.

7

Nr.

593.

6

) Rolland

Faune

3, 237.

) Ebd. o) M e y e r - L ü b k e a. a. O. 9 ) R o l l a n d a . a . O . 10 ) G a r b i n i op. cit. 109. n ) R o l l a n d 12 op. cit. 12, 125. ) M e y e r - L ü b k e op. cit. Nr. 8704. 13 ) G a r b i n i op. cit. 121; M e y e r L ü b k e op. cit. Nr. 8569. 14 ) G a r b i n i op. cit. 15 124. ) op. cit. 123. 18 ) op. cit. 125. 17 ) op. cit. 124. 18 ) op. cit. 1 1 5 .

ist

2. Sp. = F r e i e r . Weit verbreitet der Glaube an das Sp. als Lie-

besomen, das auf einen Bräutigam 1 9 ), auf Hochzeit 20 ) deutet. Wo in einem Hause Spinnweben hängen, haben die Freier das Taschentuch hängen lassen, d. h. sie gehen aus und ein 21 ), oder es heißt geradezu: „Da sitzt ein Freier" 8 2 ) oder: „Da hängt ein Freier 23 ). Ein Faden vom Sp. heißt daher F r e i e r (Rosefeld) 24). Eheglück bedeutet es, wenn sich ein Spinnfaden an den Brautkranz heftet 2 S ). 19

) J o h n Westböhmen 253.

Mecklenburg

21

2,

56;

Hopf

20

)

Bartsch

Tierorakel

225.

) J o h n Erzgebirge 75. 239; MsäVk. 4, 114. 22 23 ) ZfVk. 23, 280. ) S c h u l e n b u r g Wend. Volksthum

284

Spinngewebe

283

161.

24

) W i r t h Beiträge

ZfrwVk. 1914, 265. W u t t k e S. 306 § 283.

25

)

4/5, S . 37;

Lammert

115;

3. M y t h i s c h e s . In der altnordischen Überlieferung heißt das Sp. Locka nät, es gilt also als Erfindung Lokis 26 ). Grimm 2 7 ) macht darauf aufmerksam, daß im Schwedischen dwerg „Zwerg" und „Spinne" heißt, was verständlich wird mit dem Hinweis auf das Spinnen und Weben der Zwerge. Manche Völker verehren die Spinne als kunstreiches Tier 28), weswegen der Versuch Sieckes 2 9 ), schicksalspinnende Mythengestalten wie Räkä, Athene, Frigg, Freyja, Bertha, Holda, die Moiren, Penelope, Kirke, die Spinnerin im Monde bei Deutschen und Finnen usw. mit der Spinne in Bezug zu bringen, nicht allzu kühn erscheint 30 ). Es ist daher als ein Überbleibsel alter mythischer Vorstellungen zu werten, wenn heute noch mythische Gestalten mit Spinnwebegesicht erscheinen, so z . B . die Klagemutter 3 1 ). In einer Suhler Sage 32) ist von einem gespenstischen grauen Mann die Rede, dessen Gesicht „in Spinnweben gehüllt zu sein schien". Einem Schatzgräber springt eine Gestalt, zart wie Spinnweb, auf den Rücken, klammert sich an seinen Hals und verursacht so seinen späteren Tod 33 ). Die Spinne verrät ihren dämonischen Charakter auch dadurch, daß sie nicht verbrennt (Kuj awien in Posen) 34 ). In Schlesien bedarf es zur Vernichtung der Spinnweben eines Feuerzauberers, der mit einem dünnen, langen Stab alle Spinnen im Hause abbrennt, ohne dabei den geringsten Schaden anzurichten 35 ).

**) L e y e n Sagenbuch

1, 213.

2? )

Mythologie

29 1, 390. 28 ) L e y e n a. a. O. ) Mythol. Bibl. VIII, 4, S. 61 ff. 30 ) SAVk. 26, 58. 31 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 266 ff.; 3, 103. 32 ) K u n z e

Suhler

856.

Sagen

M

19.

33

) Meiche

) SAVk. 25, 68.

35

Sagen

693 N r .

) K ü h n a u Sagen 3,

186.

4. V o l k s m e d i z i n . Sp. wird in der Volksmedizin vielfach verwendet. Schon P l i n i u s 3 6 ) empfiehlt das Auflegen von Sp.weben auf Geschwüre: tela araneae super

quaedam

ulcera

velut

suavis

sit

sen-

titur37). Heute dient Sp. hauptsächlich zur Heilung blutender Schnittwunden 38 ). „Wenn ich mich in den Finger schneide", sagt in S h a k e s p e a r e s „Sommernachtstraum" der Weber zum Alfen S p i n n g e w e b e , „werd ich mir die Freiheit nehmen, Euch zu benutzen" 39). Sonst legt man Sp.weben auch auf beschädigte Glieder40), Brandwunden 41 ), wehe Finger 42) und stillt damit das Nasenbluten 43 ). Sehr behebt sind Sp.weben gegen Fieber (s. a. Spinne § 6), namentlich Wechselfieber, die der Kranke in Zucker 44 ), auf Butterbrot 45) oder mit einem Gemisch von Roggenbrot, Honig, Salz und Weinessig nimmt 46 ). Auch werden Schwaben in ein Tüchlein gewickelt, das dem Kranken über Stirn und Schläfe gebunden wird 4 7 ). Das Sp. findet schließlich noch Verwendung bei Ohnmachtsanfällen 48 ), Schwindsucht 49), Kolik der Kinder, denen man es mit einer Omelette zu essen gibt 50 ). 3 **) X X X , 38. ') L a m m e r t 196. 206; 38 H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 358. ) Megenb e r g Buch der Natur 250; SAVk. 8, 152; 23, 188; Z a h l e r Simmenthai 80; W i r t h Beiträge 4/5. 37; B a u m g a r t e n Aus der Heimat 1, 123; B a r t s c h Mecklenburg 2, 382; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 259. 401; 2, 374; F o g e l Pennsylvania 292 Nr. 1546; Urquell 4, 154; ZföVk. 4, 216; 8, 178; 9, 241; 24, 157; ZfrwVk. 1904, 103; 1913, 189; 1914, 165; M e s s i k o m m e r 1, 176; P o l l i n g e r Landshut 280; S t o l l Zauberglaube 95; S c h r a m e k Böhmerwaldbauer 280; M a n z Sargans 71; D r e c h s l e r 2, 220; S c h u l e n b u r g 102; R o l l a n d Faune 3, 39 239. ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 365. 40 41 ) R o c h h o l z Sagen 1, 355. ) Lammert 42 208. ) F o g e l Pennsylvania 302 Nr. 1597. 43 ) Z a h l e r Simmenthai 81. 44 ) S t r a c k e r j a n 45 Oldenburg 1, 83. ) ZfrwVk. 1908, 149. 46 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 328. 48 ) D r e c h s 49 l e r 2, 220. ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 63. 60 ) R o l l a n d Faune 3, 239. Riegler.

285

Spinnenstein—Spiritismus

Spinnenstein. Zedlers Universallexikon berichtet unter A n f ü h r u n g einer Menge alter Quellen von dem mit d e m Sp. verbundenen Aberglauben. Man gewinnt ihn auf folgende W e i s e : man f ä n g t eine g r o ß e alte Kreuzspinne und hält sie in einer Schachtel oder einem Glase sieben J a h r e verschlossen; dann v e r z e h r t die Spinne sich selbst und v e r w a n d e l t sich in einen grauen, gesprenkelten Stein. N a c h anderen k a n n man ihn gewinnen, wenn m a n eine große Kreuzspinne m i t Salz, Z u c k e r oder gestoßenem B a l d r i a n bes t r e u t . Den Sp. soll man in einen R i n g fassen und bei sich tragen; denn er s c h ü t z t vor G i f t und v e r w a n d e l t sofort seine F a r b e und überzieht sich wie mit W o l k e n , wenn er Gift in der N ä h e spürt. E r ist ein furchtbarer Giftstein; wer ihn v e r s c h l u c k t , m u ß sofort sterben In Schlesien lebt dieser A b e r g l a u b e noch heute 2 ). In Hessen legt man den Kreuzsp. auf an K r e b s erkrankte Stellen 3 ). l) Z e d i e r s. v . Arachneolitus B d . 2, 1097; B e r g m a n n 5 1 2 ; Breßl. Samml. 24, 523. 2) D r e c h s l e r 2, 219 f. Nr. 594; Kühnau 3 ) M ü l h a u s e 329. Sagen 2, 5. f Olbrich.

Spiritismus bezeichnet theoretisch den Glauben an die Möglichkeit eines Verkehrs zwischen den Verstorbenen u n d den auf E r d e n Lebenden, praktisch die experimentelle Herbeiführung solchen Verkehrs u n d der K u n d g e b u n g aus der anderen Welt. 1. W i r finden solchen S. mit wechselnden Formen in allen Zeiten u n d Zonen. In der primitiven Völkerwelt ist er eine fast allgemein herrschende Geistesrichtung, denn alle primitiven Völker sind überzeugt, daß die Abgeschiedenen sich wenigstens während einiger Zeit, Monate oder Jahre, nach dem Sterben durch Tiere oder Menschen betätigen und zu erkennen g e b e n ; in der Regel allerdings nur, u m die Uberlebenden in die L a g e zu versetzen, den Dahingegangenen das für ihre Fortexistenz Nötige darzureichen. Nur d a ß für diese Mentalität auch die Geister vieler verstorbener Tiere in B e t r a c h t kommen und d a ß die Tiere sich rächen, wenn Menschen sie erschlagen oder geschlachtet haben, worauf eine A n z a h l v o n

286

Vorsichts- und Abwehrriten beruht B e i den Maori findet sich zwar auch die Meinung, d a ß die Toten zu existieren aufgehört haben, jedoch zugleich der Glaube, daß sie in W ü r m e r n oder als W ü r m e r sich wieder zeigen u n d erst durch den nun eintretenden zweiten T o d , der v o n sehr vielen primitiven Völkern angenommen wird, existenzlos werden 2 ). O f t wird der Geist eines Verstorbenen durch Opfer und A n rufungen dazu bewogen, eine F r a g e zu beantworten; so holen die afrikanischen Basoga, B a g a n d a u. v . a. von ihren toten Häuptlingen Orakel e i n 3 ) . So g a b es Nekromantie bei den alten B a b y l o n i e r n ; Gilgamesch beschwört den Geist seines Freundes E a b a n i , wie die „ H e x e " v o n E n d o r für den K ö n i g Saul denjenigen v o n S a m u e l 4 ) . D a s Gewahrwerden v o n umgehenden oder gelegentlich auftauchenden Geistern Verstorbener ist die geistgeschichtliche Voraussetzung des S. in alter wie neuer Zeit. A u s der unübersehbaren Fülle solcher „ B e o b a c h t u n g e n " ein Beispiel: 1632 starb der Schloßherr v o n I.ähn, der immer in heftigstem Streit mit den Bewohnern gelebt hatte. Immer wieder begegnete man seinem umgehenden Geist, wenn er nachts v o m Schloßberg in die S t a d t r i t t 5 ) . In solchen Sagen u n d Meinungen steckt noch etwas v o m alten „ W i e d e r g ä n g e r " - G l a u b e n . In ihrem Verhalten unterscheiden sich diese nach dem Tode leibhaftig fortexistierenden K r a f t menschen wenig v o n Kobolden. Sie erscheinen auf Kirchhöfen, an düstren einsamen Orten, auf Kreuzwegen, in H ä u sern, oft nur durch Poltern sich anzeigend, ungesehen. A b e r der Wiedergänger kann auch F r e u n d des Hauses sein. Diese Überzeugung h a t dazu geführt, daß die Germanen, wie auch andere V ö l k e r , durch das Begraben eines geachteten T o t e n unter der Türschwelle dem Hause einen Schutzgeist sicherten 6 ). Hier wie auch hinter dem Herde halten sich die zeitweilig wiederkehrenden Seelen ebenso auf wie die immer zuhandenen Hausgeister. D a liegt wurzelhafter Glaube an die Möglichkeit des Einvernehmens oder Gedankenaustausches mit Verstorbenen. Hieran k n ü p f t der Glaube, d a ß m a n diesen Gei-

28 7

Spiritismus

stern gewissermaßen aufpassen, ihnen in ihrer Absicht zu erscheinen behilflich sein, sie, auch wenn sie jene Absicht nicht haben sollten, zum Kommen und Verweilen nötigen k a n n ' ) . Auch die heutige Form spiritistischer Zeremonien geht in recht alte Zeiten hinauf. E s ist nicht möglich, den heutigen S. erst von der großen Tischtanz-Epidemie im Jahre 1848 zu datieren. Denn wir haben das einwandfreie Zeugnis des Kirchenvaters Tertullian, der im Jahre 190 schreibt: „Die Zauberer (der Heiden) lassen Gespenster erscheinen und würdigen Seelen schon Verstorbener herab, quälen Knaben, indem sie sie zum Aussprechen eines Orakels zwingen und vertreiben sich die Zeit mit lauter solchem Wunderkram in gauklerischen Rundsitzungen; und sie schicken Träume, indem sie die Macht der einmal zitierten Engel und Dämonen als Assistenz bei sich behalten (Kontrollgeister), durch welche sowohl Ziegen als auch Tische zu weissagen pflegen" 8 ). Wohl aber verdankt das gegenwärtige starke Interesse am S. seine Geburt der Mitte des 19. Jh.s von Amerika herüberschlagenden Welle, nachdem in Hydeville Klopftöne gehört waren, die nach den Angaben des kleinen Andrew Jackson Davis, des Verfassers von zahlreichen Schilderungen seiner Gespräche mit Verstorbenen, von Geistern im Keller des Hauses ausgingen, wo alsbald ein Skelett bloßgelegt wurde. Doch ergab sich bald, daß die Töne vielmehr an die Schwestern Fox gebunden waren, die nuninRochester, New York und London durch tänzelnde und schwebende Tische wahrsagten und damit eine allgemeine Bewegung entfesselten. Nach fast 4oj ähriger Wirksamkeit hat zuerst die eine Schwester die Sache als Schwindel bezeichnet, danach die andere desgleichen. Von 1888 an hielten sie Enthüllungssitzungen, in denen sie Klopflaute öffentlich durch das erste Gelenk der großen Zehe demonstrierten 9 ). Bedeutsam wurde sodann, daß der Physiker Sir William Crookes sich 1868 davon überzeugte, daß es Fembewegungen (Telekinesen) und Materialisationen gibt. E r arbeitete mit den beiden stärksten

288

Medien der Zeit D. D. Home und Florence Cook. Uberzeugt, daß ein Mädchen nicht betrügt, glaubte er an die Existenz des Geistes Katie als ihre Kontrollperson, obgleich sie alle Eigenschaften eines normalen weiblichen Wesens aufwies, wie er konstatierte 10 ). Gleichfalls mit für den S. positiven Ergebnissen erforschten die Phänomene in England der Zoologe R . Wallace und der Physiker B a r r e t t 1 1 ) . An diese Arbeiten schloß sich die Gründung der Society for Psychical Research in London 1882, die sich seitdem eifrig um die Feststellung einschlägigen Tatsachenmaterials bemüht und in ihren monatlichen „Proceedings" die Grenzlinie zwischen reinen Tatsachen und abergläubisch angenommenen Vorkommnissen zu ziehen versucht. Wie diese Gesellschaft und ihre Veröffentlichungen mitbedingt waren durch die Hochflut des alle Selbständigkeit des Geistes verneinenden Materialismus, so rief diese Weltanschauung auch in Deutschland eine Reaktion hervor, die in dem Astrophysiker Carl Friedrich Zöllner (zum Teil in Gemeinschaft mit E . H. Weber und Theod. Fechner) einen Vorkämpfer hatte, der namentlich mit dem durch die Kritik übel beleumdeten amerikanischen Medium Slade experimentierte 12 ). Zahlreiche Medien wurden durch den Mäzen des S., Freiherr v. Schrenck-Notzing, untersucht (Eusapia Palladino, E v a C, Brüder Rudolf und Willy Schneider 1 3 ). Das Auffallende bei allen diesen Experimenten ist der Umstand, daß sich der S. durchschnittlich mit der Vorstellung von einem diesseitigen wesentlich gleichartigen Weltbilde als dem Jenseits, in dem sich die sich bekundenden Seelen aufhalten, begnügt, während er doch von den meisten seiner Anhänger als das entscheidende Beweismittel für die Fortexistenz (s. Unsterblichkeit) der menschlichen (und von nicht wenigen auch der tierischen) Seele genommen wird, angesichts der Unmöglichkeit, einen solchen Beweis in der erwünschten logischen Denkform zu erbringen. Jener obengenannte A. J . Davis beschrieb das „Sommerland" des ewigen Paradieses in den entzückendsten Farben, besuchte es 65 Billionen englische

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289

Spiritismus

Meilen von der Erde entfernt, sah es mit Bäumen, Bergen, Seen, Wolken 14 ). Der herbeizitierte Sohn Raymond des Physikers Ol. Lodge lebt im Jenseits mit einem kleinen Hund und einer Katze mit Ungeziefer zusammen 15 ). *) F r a z e r Old Testament 1, 92 ff. 2 ) F r a z e r Immortality 2, 29. 3 ) F r a z e r Old Test. 2, 533 fi. 4) I 6) K ü h n a u Samuel 28. Sagen 1, 339. 7 ) Ebd. •) L i p p e r t Christentum 438. 439. 8) T e r t u l l i a n Liber Apologeticus Kap. 23. Sphinx 1890 (10), 224 f.; R o s e n b u s c h Die dialektische Gesellschaft in v . GulatW e l l e n b e r g u. Graf K l i n c k o w s t r ö m u. R o s e n b u s c h Der physikalische Mediumismus 97 f . J 0 ) W . C r o o k e s Der Spiritualismus und die Wissenschaft, deutsch 1871. 1 1 ) Bericht über den S. von Seiten des Komitees der Dialektischen Gesellschaft zu London, deutsch 3 Bände 1875. 12 ) Friedr. Z ö l l n e r Vierte Dimension u. Okkul13) tismus, herausgeg. v. R. Tischner 1922. Von S c h r e n c k - N o t z i n g vgl. bes. Physikalische Phänomene des Mediumismus 1920. Materialisations-Phänomene 1923. Experimente der Fernbewegung 1924. Die physikalischen Phänomene der großen Medien 1926. 14 ) A. J. D a v i s The magic staff 181 ff. 1 6 ) Oliver L o d g e R a y m o n d 1970.

2. Es ist nicht anderszu erwarten als daß die Von seiten des S. für seine Weltauffassung beigebrachten Phänomene von allen nicht auf den S. eingeschworenen Menschen mit größter Behutsamkeit aufgenommen werden und daß selbst angesichts unableugbarer, aber aus dem Bereich der bisher bekannten Naturgesetze nicht erklärbarer Phänomene das Verständnis mittels verschiedener Theorien versucht wird, ehe man sich der spiritistischen Deutung überläßt. Hinsichtlich des theoretischen S. ist seine Gegnerschaft weniger erbittert, weil da nur der Glaube an eine gewisse Freibeweglichkeit der Verstorbenen in Frage kommt. Das frei erscheinende Phantom, der Spuk bedeutet den Erlebenden häufig einen Verstorbenen, und der Wahrnehmende bemerkt bisweilen an ihm Einzelheiten, welche oft erst durch andere, die jenen Menschen näher als der unmittelbar das Phantom Sehende gekannt haben, verifiziert werden. Nicht selten werden durch den angeblichen Geist Mitteilungen gemacht, welche außer ihm nur Personen bekannt sind, von denen man annehmen darf, daß gerade sie an den betreffenden MitteilunB ä c h t o l d - S t ä u b ü , Aberglaube V I I I

290

gen keinen besonderen Anteil haben. Hierher gehören vor allem die Ankündigungen des eigenen Todes eines soeben Sterbenden oder kürzlich Gestorbenen. Die ungeheure Menge solcher Wahrnehmungen wird beleuchtet durch die in Boston (Mass.) erscheinende Zeitschrift The Banner of Light mit seiner ständigen Rubrik Message Department (Abteilung für Geisterbotschaften) und einer weiteren Rubrik, welche die Bestätigungen solcher Botschaften seitens Nahestehender bringt. An sich sind die beiden eben erwähnten Vorkommnisse etwas Verschiedenes und sollten auseinandergehalten werden. Denn während im ersteren Falle der Vorankündigung die telepathische Deutung größte Wahrscheinlichkeit für sich hat, sofern eine gedankliche Verbindung zwischen Sterbendem und Ahnendem vorhanden sein mag, wird im zweiten Falle der Sachverhalt verwickelter, sofern Telepathie nur dann angenommen werden könnte, wenn auch der Verstorbene noch der Herstellung einer seelischen Verbindung mit dem Überlebenden fähig wäre. Mit Recht unterscheidet daher Mattiesen telepathische (Spuk-)Phantome und solche Spukphantome, welche „den verhältnismäßig besten Anspruch auf Rückführung auf Verstorbene haben" 1 8 ). Schwierig wird das Phänomen des Phantoms, wenn der vor längerer Zeit Verstorbene und jetzt Anwesende im Gespräch Tatsachen berührt, die in der von ihm angegebenen Weise nur zu seinen Lebzeiten vorhanden waren. Man müßte unter Voraussetzung, daß es sich um reale Erscheinung des Toten handle, annehmen, daß der Tote der irdischen Entwicklung nicht gefolgt sei, wofür sich mancherlei metaphysische Gesichtspunkte konstruieren ließen. Anderseits scheint die Schwierigkeit nicht erheblicher als hinsichtlich der von den Erscheinenden gewöhnlich getragenen Gewänder. Für diese letzteren Fälle hat man die Hypothese gebildet, daß es „ätherische" oder „astrale" Kleider seien, die nach Belieben sichtbar und unsichtbar gemacht werden, da jedes Ding sein feineres unsichtbares Gegenbild in sich trage, wel10

291

Spiritismus

ches auch seine dingliche Form und Daseinsweise überdauern könne. Diese Annahme entspricht derjenigen von einem unsichtbaren ätherischen Menschenleibe und weiterhin der schon berührten Annahme einer ganzen Welt ätherischer Art, in der es nicht bloß Kleider, sondern alles Mögliche, was auf Erden vorkommt, gibt bis zu Bäumen und Blüten und Katzen mit Ungeziefer 17 ). Die Objektivität der Erscheinungen vorausgesetzt, erscheint die antispiritistische Auffassung erschwert in Fällen, wo ein Verstorbener sich an mehreren Orten kurz nacheinander zeigt und selber sich an einem auf den anderen bezieht 18 ). Weit weniger erträglich als die spiritistische Deutung ist jedenfalls die mit den Mitteln materialistischen Denkens vorgenommene, welche d'Assier vorschlägt, um die Realität der Erscheinungen Verstorbener mit seiner positivistischen Ansicht zu vereinigen. Sie lautet, daß solche Phänomene, obgleich sie der Betätigung eines überlebenden fühlenden Wesens entspringen, nicht so sehr das Weiterleben des Seelischen voraussetzen, sondern die Fortwirkung der stofflichen Bestandteile, die aber natürlich unter den Anstürmen der chemiko-physikalischen Kräfte alsbald sich verflüchtigen müssen19). Da aber, falls die Objektivität der Phantome sichergestellt erscheint, dieselben auch auf solche ausgedehnt werden muß, welche über sehr lange Perioden wiederkehren, da manche Phantome noch hundert Jahre nach dem Tode erscheinen, so erweist sich diese positivistische Theorie wertlos. Ernesto Bozzano kommt nach sorgfältiger Prüfung der Phänomenengruppen zum Schluß, daß in vielen Fällen die hemach zu erwähnende telepathische Theorie zur Erklärung der Spukphänomene ausreiche, aber nicht in allen. Für diese restlichen Fälle neigt er zu einer Anleihe bei DuPrels Theorie von den Monoideismen der Verstorbenen, d. h., es seien nicht die abgeschiedenen Personen selber, die in Erscheinung treten, sondern die sich manifestierenden Gedanken derselben, welche an Orten, wo sie lebten oder den tragischen Tod fanden oder wo sie durch besondere Interessen häufig

292

weilten, sich verdichten 20). Man kann dies eine Kombination von spiritistischer und moderner telepathischer Deutung nennen. Die Gegner des S. machen aber immer wieder den Versuch, alle hierher gehörigen Vorgänge auf Halluzinationen zurückzuführen, wie solche in vielen Fällen einwandfrei vorliegen. Wie oft wurde doch festgestellt,daßderschabernakischeSpukgarnicht vorgefallen ist, daß die gegeneinander geworfenen und auf den Boden geschmetterten Küchengeräte, sobald ruhige Prüfer nachsahen, unversehrt an ihrem alten Platz waren. Man beruft sich ferner darauf, daß jeder Bewohner des Spukhauses die Geister anders sehe; also spiele augenscheinlich die persönliche Disposition eine große Rolle beim Empfänger der Geisterkundgebungen. Ehe man seine Zuflucht zu einem unsichtbar bleibenden Phantom nimmt, wie es zu spiritistischer Deutung zahlreicher Spukgeschichten nötig wäre, lassen sich die fraglichen Leistungen nach Mattiesen eher der telepathischen Begabung eines Lebenden zuschreiben; dies wird indessen vom Genannten unter der ausdrücklichen Einschränkung gesagt, daß genug Fälle leibhaftiger Erscheinung oder Beobachtungen leibhaftiger Wirkungen von Gespenstern übrig bleiben, denen durch keine regelrechte Kritik ihre spiritistische Basis abgesprochen werden kann. So wenn die Hand des Gespenstes Löcher in ein Tuch brennt oder dem Lebenden die dargereichte Hand schwärzt 21 ). Das heißt, die schwierigeren Probleme innerhalb dieser Phänomenengattung bieten die nicht nur unheimlichen, sondern schadenbringenden Ereignisse, die nach Art der bösen Koboldgeschichten verlaufen und die vielen den Anlaß geben, in eine dämonistische Theorie hinüberzulenken. Oder der S. nimmt in solchen Fällen seine Zuflucht zu der Meinung, daß es sich, wenigstens vielfach, um menschliche Seelen handele, die der Erlösung noch harren und daher in der Zwischenzeit wie Dämonen umherirren und sich in ungeordneter Weise betätigen. Man spricht manchmal auch von unerlösten Kinderseelen.

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Spiritismus

M a t t i e s e n Der jenseitige Mensch 518. 1S 19 ) E b d . 587 f. ) Ebd. 635 f. ) Ernesto B o z z a n o Die Spukphänomene, dt. von W . K . 20 Jaschke 1930, 13 f. ) Ebd. 1 1 9 ff. 2 1 ) Emil M a t t i e s e n Der jenseitige Mensch 1925, 546 ff. ,7

3. Dem Einwände, daß die Geister oft recht unwürdige geistige Haltung einnehmen und unzuverlässig auftreten, zugleich wenig deutlich sind, begegnet der S . mit dem Hinweis, die Kundgebungen Sterbender, und dann weiterhin auch der schon Gestorbenen beruhten auf einer der sich lösenden oder der schon gelösten Seele eignenden selbständigen, plötzlich erlangten, durch Raum und Zeit nicht mehr behinderten Irgendwoheit, d. h. einer außerordentlichen freien Beweglichkeit. F . W. H. Myers folgert daraus, daß der Sterbende häufig von ihm nahestehenden Personen selbst in großer Entfernung wahrgenommen wird, daß die sich vom Körper lösende Seele eines Raum überfliegenden Daseins fähig sei und also auch an sich diese Fähigkeit, wenn auch in der Regel latent, besitze. Dieser Seelentheorie setzt die naturwissenschaftliche Biologie entgegen, daß es sich wahrscheinlich um eine hochgradige telepathische Bekundung handle; im Zustande der körperlichen Auflösung lockere sich natürlich auch der Zusammenhang der Hirnteilchen und treten die Bewußtseinsfunktionen auseinander, wodurch das Bewußtsein fähig werde, für sich allein zu operieren. E s sei daher verständlich, daß in Zuständen, welche eine weniger beträchtliche Lockerung zur Grundlage haben, z. B . in Träumen, Hypnosen, Ohnmächten, auch bei besonderen Erregungen gleichfalls schon eine erhöhte telepathische Leistung eintrete 22 ). — Diese biologische Theorie sucht die bekannte Euphorie Sterbender, die ihnen •eignende Behaglichkeit, das „Überwundenhaben" und Glücklichsein auf die Schwächung des absterbenden Nervensystems zurückzuführen. Sonst, so meint diese Theorie, müßten die Qualen und Todesängste doch auch in den Visionen Sterbender enthalten sein, und das komme fast nie vor. Aber dies Nicht vorkommen wird nun gerade vom S. in Anspruch genommen, da es anzuzeigen scheint, daß

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die sich vom Leibe lösende Seele in der Tat infolge ihrer Befreiung von den materiellen Hindernissen zu ihrer Eigentlichkeit und zu Selbstzufriedenheit gelange 23 ). Mag nun dies voll zutreffen, so ist damit noch nicht der mindeste Anhaltspunkt für die Theorie des S. gegeben, zumal die von den Geistern in den Sitzungen des S. erteilten „Botschaften", wie selbst die überzeugten Spiritisten beklagen, die unscheinbarsten Nichtigkeiten zum Inhalt haben und gerade über alles, worüber die Teilnehmer als etwas sie interessierendes Neue Aufschluß erhalten möchten, nichts angeben. Alles, was ein um einige Grad den Anwesenden überlegener Geist aus höherer Dimension her wissen sollte, und worüber die Fragenden dringend etwas zu erfahren wünschen, wird in den Antworten außer acht gelassen. Einer der jüngst meist besprochenen Fälle ist der am 14. September 1 9 1 5 in Flandern gefallene Sohn Raymond von Sir Oliver Lodge, der in zahlreichen Sitzungen sowohl dem Vater wie der Mutter als anderen Familienmitgliedern sich bekundet hat. Viele Leser von des Vaters Buch darüber sind dem S. gewonnen worden. Da wird mit höchster Überzeugungskraft eine Menge von lebensvollen Gesprächen des Sohnes vorgetragen, die so gehalten sind, daß ein klares Bild seiner Person entsteht. Man wird aber Bärwald zustimmen müssen, daß andere Erklärungsgründe als die spiritistischen näher liegen 24 ). Lodge schreibt: „Wenn ich (oder ein anderes Mitglied meiner Familie) zu einem echten Medium gehe, dann ist sogleich mein Sohn anwesend und setzt seine klare und überzeugende Beweiskette fort, indem er bisweilen Zeugnisse kritisch auswählenden Vermögens gibt, bisweilen sich mit freundlichem Familiengeplauder und Erinnerungen begnügt, stets aber in Übereinstimmung mit seiner Persönlichkeit, seinen Erlebnissen und wechselnden Stimmungen" 25). Gerade dies wird dem Kritiker durch das Verhalten des Mediums, nicht bestätigt. „ F e d a " , unter welchem Namen das Medium ein kleines Mädchen als Sprechgeist spüren will, tappt sich sorg-

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Spiritismus

fältig ausfragend vorwärts: „Feda erinnert sich eines Buchstabens, in Zusammenhang mit einem R. Der hat mit ihm zu tun. Es ist ein sonderbarer Name. Nicht Robert? Nicht Richard? Er gibt nicht die übrigen Buchstaben des Namens, nur R." — Daran nehmen die Sitzungsteilnehmer keinen Anstoß, sondern sie geben dem Medium jede Hilfe, damit es sich endlich hin durchtastet. Offenbar gelingt diesem Medium nicht der telepathische Kontakt mit dem Wachoder Oberbewußtsein der Anwesenden, wo ja der Name Raymond vorliegt. Eben dieser Umstand erhärtet, daß es sich auch hier um Telepathie handelt, bei der aus dem Unterbewußtsein der Anwesenden die Enthüllungen entnommen zu werden pflegen. Beim heutigen Stande der parapsychologischen Diskussion steht der telepathische Lösungsversuch so im Vordergrunde, daß seiner besonders gedacht werden muß. Die Streitfrage ist weithin auf das Entweder S. oder Telepathie hinausgespielt. Die spiritistische Theorie behauptet, daß hellseherische Angaben und automatische Schriften, zumal wenn sie mit Toten in irgendwelchem Zusammenhange stehen, durch das Eingreifen einer nicht mehr lebenden Person, die sich in einem Medium verkörpert, zustande kommen. Die andere Ansicht denkt dabei an das Vorhandensein der gesprochenen oder geschriebenen Gedanken im Unterbewußtsein (seltener im Oberbewußtsein) eines der Anwesenden. Daneben kommt allerdings noch die Autosuggestions-Hypothese in Betracht. Die Streitfrage, ob das Unterbewußtsein, wie die meisten Parapsychologen meinen, der höhere, wesentlichere, 'unsterbliche' Teil des menschlichen Seelenbestandes sei, oder, wie die Gegner meinen, der niedere, unwesentliche, tierisch-verworrene Teil, zeigt, wie weit die Ansichten auseinandergehen, weil eine streng empirische Grundlage über diese Dinge bisher nicht zu erreichen gewesen ist 26 ). Die Spiritisten führen nicht ohne Grund an, daß das Unterbewußtsein, wenn es aktiv in den Vordergrund tritt, Leistungen vollbringt, die diejenigen der

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anderen Seelenhälfte übertreffen können; dagegen läßt sich wieder geltend machen, daß eben jene Leistungen für das bewußte Alltagsleben wenig ins Gewicht fallen. Der S. fährt deshalb aber fort, darin zeige sich, daß das gewöhnliche Leben falsch eingestellt ist, während die Enthüllungen seiner Medien beweisen, wo das wertvolle Unsterbliche liege. Werde nun bei den Sensitiven, den Medien, die erstaunliche Überlegenheit des Unterbewußten klar, so erkläre sich das eben nur durch die Hilfe „fremder Intelligenzen". Für das Studium der Frage nach den fremden Intelligenzen hat das berühmte Medium des Genfer Professors Flournoy, dem er das Pseudonym Helene Smith gegeben hat, aufhellenden Stoff geboten 27). Diese H. S. hatte die Persönlichkeit der unglücklichen Königin Marie Antoinette angenommen und deren Rolle Monate lang in vollendeter Weise gespielt. Wie der Experimentator, so haben auch die meisten anderen mit diesem Fall Befaßten die Annahme des S. hierfür völlig abgelehnt. Flournoy zeigt, wie in der Tiefe der Seele der H. S. der Hang zu Wunderbarem, große Eitelkeit, der Trieb zur höheren Gesellschaftsschicht, der Wunsch nach Zärtlichkeit, nach Geachtetheit durch ihre Phantasie zu den Persönlichkeiten von Schutzgeistern gestaltet werden, so daß sie in ihren Tranceträumen vier Romane durchlebt, die ihr die besagten Wunschbefriedigungen ersetzen. Sie lebt in diesen Ausnahmezuständen entweder als besagte Königin oder als Cagliostro oder als arabisch-indische Prinzessin Simandini oder auf dem Planeten Mars. Flucht in die durch die Phantasie (im Unterbewußtsein) erzeugte andere Wirklichkeit. Dennoch sind unverkennbar die Einflüsse des bewußten Geisteslebens des Mediums. — Als bedeutendstes Medium gilt weithin Frau Piper in Boston, die ein Vierteljahrhundert unter ständiger Kontrolle von Forschern gestanden hat und in hypnotische Zustände verfiel, während deren sich andere Persönlichkeiten in sie einkörperten, durch ihre Stimme sprachen und mit ihrer Hand schrieben und in der Regel Geister

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Spiritismus

von Verwandten oder Freunden solcher Menschen zu sein behaupteten, die in der betreffenden Sitzung anwesend waren. Der Inhalt der mündlichen und schriftlichen Botschaften, welche durch Vermittlung der Piper von jenen Abgeschiedenen ausgehen, betrifft zumeist Familienverhältnisse, über welche das Medium kaum eine einfache normale Kenntnis haben kann. Die Anwesenden erhalten daher den Eindruck, daß hier ein übernormales Wissen und eine dasselbe vermittelnde Welt abgeschiedener Geister vorhanden sei. Keiner der zahlreichen Beobachter zweifelt die volle Ehrlichkeit an, und wie viel auch durch Zufall und geschickte Kombination sowie durch feines Aushorchen zustande kommen mag: zur Erklärung aller Phänomene reicht das nicht aus. Lodge bestätigt, daß die Tatsachen, von denen sie spricht, gewöhnlich im Wissensfelde der Anwesenden liegen, wenn auch vielleicht unterbewußt sind. In Frau Piper ist augenscheinlich keine Verbindung zwischen Wach- und Trancebewußtsein vorhanden. Vieles ist auf den ersten Blick nur durch S. verständlich. Eine längst gestorbene Tante eines Professors, der aber dem Medium nicht bekannt und nicht als solcher vorgestellt ist, macht intime Bemerkungen, die hernach sich als wahr erweisen. Fälle sind verzeichnet, wo Gedankenübertragung aus dem Unbewußten ausgeschlossen schien. So wenn 'Onkel Jerry' daran erinnert, wie die Anwesenden als Knaben in der Bucht schwimmen, beinahe ertrunken wären, eine Katze auf bestimmtem Felde töteten, eine Schlangenhaut aufbewahrten, der einzelne Anwesende sich an diese Dinge nur mühsam erinnert, manches davon erst durch Nachfragen als richtig herausgestellt wird. So wenn nach dem Anfangswort im getragenen Ring gefragt wird und das Anfangswort des seit Jahren verlorenen Ringes genannt wird. Hier scheinen Tatsachen vorzuliegen, die über telepathische Wirkungen hinausgehen und leicht Anlaß für die Annahme des Hineinspielens außerweltlicher Wesen werden können 28 ). Doch gegen diesen Schluß wenden sich

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selbst in diesem Falle die Vorsichtigen, welche behutsam über den hergebrachten Dogmen der Wissenschaft wachen, wie sie im Rahmen des Positivismus ausgebildet ward. Gerade mit Bezug auf letzterwähnte Vorgänge verweist man auf die Ähnlichkeit mit Trauminhalten oder einfachen dichterischen Phantasieschöpfungen. Denn Frau Piper schafft phantasiemäßig ungezählte Gestalten, und die so entstehenden Scheinpersönlichkeiten tun sich durch Schreiben und Reden kund, wie ganz in sich geschlossene und von derjenigen der Piper verschiedene Individualitäten. Richet anerkennt stets und so auch hier nur kryptästhetische Fähigkeiten. Diese bedeuten bei ihm einen weiteren Bezirk okkulter Fähigkeiten als die ihm angehörige Gedankenübertragung und Telepathie. Frau Piper weist eine erstaunliche Menge von überwältigenden Beispielen kryptästhetischer Leistungen auf, ohne daß es möglich wäre, mit aller wissenschaftlichen Strenge auf das Eingreifen einer fremden Intelligenz zu schließen 29 ). „Warum sollte man dabei an eine andere Intelligenz glauben als an diejenige der äußerst hellsichtigen Frau Piper selbst? Warum nimmt man nicht an, daß diese Hellsichtigkeit gewissermaßen um Pelhams Persönlichkeit (dessen Verkörperung in ihr sie behauptete) kristallisierte?" 30 ). Dann aber wird die Kryptästhesie zur Hyperästhesie. 22)

Bärwald

Die

intellektuellen

Phänomene

(d. i. Der Okkultismus in Urkunden, herausg. 23 ) Mattiesen v. M. Dessoir Bd. 2) 118. a.a.O. 656: „Der Tod ist eine anhaltende Exkursion von mindestens beträchtlicher Dauer". 24 ) B ä r w a l d 130 u. o. 25) Ebd. 336 ff. 28)

Alexander S p e c z Das dunkle Reich in uns.

1935-

" ) Th. F l o u r n o y Die Seherin von Genf,

dt. 1914. 28)Über Mrs. Piper, vgl. Max Dessoir, Vom Jenseits

29)

der Seele6

(1931),

1 9 0 f. 2 4 7 ff.

Charles R i c h e t Grundriß der Parapsycho-

logie und Paraphysik,

dt. v o n R u d . L a m b e r t ,

o. J., ganz und bes. 115 ff.; K. T. Oesterreich Der Okkultismus

im modernen Weltbild2

(1921),

47 ff. 30 ) Richet a.a.O., 177. 4. Andere Forscher wollen dem Umstände, daß doch aus den Medien mehrere Personen hervortreten, mehr Rechnung tragen und arbeiten behufs einer Verständlichmachung mit dem Gedanken einer psychischen Persönlichkeits-

299

Spiritismus

Spaltung31). Die vom Medium behauptete Anwesenheit eines fremden Geistes, der sich seiner zum Sprechen oder Schreiben oder zum Bewegen von Gegenständen bedient, wird dann als eine Ausdeutung des tatsächlich vorhandenen neuen Bewußtseinszustandes eben auf das Vorhandensein einer anderen Person gefaßt. Verfügen doch die 'abgespaltenen' Persönlichkeiten, deren z. B. im Falle der Helene Smith vier, im Falle der von Walter Prince beschriebenen Doris Fischer fünf vorhanden waren, über ganz eigentümliche Bewußtseinszustände, eigenartige Reihen von Erinnerungen, Gedanken, Empfindungen, Bewegungen und selbst Gesichtsausdrücken32). Meint nun jemand (so erklärt diese Theorie), bei dem sich die Symptome der Bewußtseinsspaltung zeigen, jenes fremde Ich, von dem er, d. i. sein Ober- oder Tagesbewußtsein, regiert wird, sei die Seele seines Vaters oder Bruders oder der Mutter, Schwester, dann setzt alsbald die Suggestion mit ihrem Werk ein und führt dahin, daß er die Rolle jener verstorbenen Person vollständig übernimmt. Man meint auch, daß solche Spaltung nicht nur spontan, ungewollt auftrete, sondern daß ein Medium auch dadurch werden könne, daß aus dem einfach an einen etwas Fremdseelisches verspürenden Menschen herangetragenen Wunsch, es möchte sich ein Verstorbener zeigen, genug Suggestionskraft erzeugt wird, um dem abgespaltenen Teile des Unterbewußtseins diese neue Figur zu verleihen. Dann aber setzt auch gewöhnlich sofort der Trieb ein, die Identität mit jener Person nachzuweisen. Das geschieht vor allem durch Beantwortung von 'Beglaubigungsfragen'. Während der überzeugte Spiritist nun glaubt, daß der Verstorbene wirklich durch den Mund des Mediums spricht, und während der Gläubige auch schon nur schwach anklingendeÄhnlichkeiten zugunsten seines Glaubens deutet, behauptet die antispiritistische Richtung der Psychologie, daß die positiven Tests lediglich telepathische Erscheinungen sind. Während jener die Vertrautheit des Mediums mit den Verhältnissen des Verstorbenen nicht

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anders als durch Anwesenheit de? letzteren selber verstehen kann oder will, rechnet dieser damit, daß das Medium aus dem mit den erwünschten Antworter gefüllten Unterbewußtsein des Fragenden oder auch aus den unwillkürlichen dij Antwort formulierenden Sprechbewegungen' des Fragenden die Antwort zusammenstellt. Die Spiritisten wiederum wissen sogar wider die Tatsache, daß die Antworten der Medien so gar häufig versagen, ganz ausbleiben oder danebentreffen, die entschuldigende Begründung anzugeben, daß dann eben der Geist noch nicht hinlänglich auf das Gehirn des Mediums eingeübt sei 33). 3 1 ) Über Persönlichkeitsspaltungen, wofür man auch Bewußtseinsspaltungen sagt, vgl. bes. K . T. O e s t e r r e i c h a . a . O . ; ders. Die scheinbare Spaltung des Ich 1910 u. ders. Die Besessenheit 1921; Max Kemmerich Gespenster und Spuk 1921; R. T i s c h n e r Geschichte der okkultistischen Forschung 2 (1924). 32 ) Doris Fischer ist Pseudonym für eine der Hauptversuchspersonen von W. Prince. Vgl. Morton P r i n c e und Walter P r i n c e Die Spaltung der Persönlichkeit, dt. von W. Herms, 33 ) B ä r w a l d 1932. a . a . O . 340 ff.

6. Die Anhänger des S. wissen es zu rühmen, daß sich die Phänomene immerfort vervollkommnet haben. Sie leiten daraus die Überzeugung her, daß sich die gerufenen Geister dankbar erweisen und auf die ihnen erwieser.e Beachtung mit stärkeren Selbstmanifestationen antworten. Die Gegner des S. erkennen in den neuen Phänomenen niclts weiter als die Versuche der Spiritisten selber, sich über die Unsicherheit ihres Standpunktes durch Übertrumpfen der fiüheren Phänomene hinwegzuschwingen Unter diesem doppelten Aspekt sind gegenwärtig die M a t e r i a l i s a t i o n s p h ä n o m e n e in den beiderseitigen Diskussionen behandelt. Materialisation nenit man die Erzeugung stofflicher, fleiscilich-menschlicher oder tierischer oder pflanzlicher u. a. m. Gebilde „aus dem Nichts" des „geistigen" Seins, die greibar scheinen und denen doch einiges m wirklicher Materialität gewöhnlicher A;t fehlt. Man beobachtet etwa, daß vom Medium aus eine sichtbare, greifbare und photographierbare Masse von verschiedener

30i

Spiritismus

Stärke, Schwere und Farbe, mit starrer oder beweglicher Form sich bildet, die sich zu weniger oder mehr konkreten Gestalten, etwa Gliedmaßen oder Köpfen oder ganzen Leibern oder Gewandungen formt. Man spricht da von physikalischem Mediumismus. Die Spiritisten erblicken in solchen Erscheinungen ferner einen Hauptbeweis für das Arbeiten von Geistern, und selbst diemenschlichen Gebilde, welche dabei entstehen, werden direkt als sich materialisierende Geister angesehen. Der S. nimmt an, daß solche Phantombildungen die Verwirklichung einer phantastischen Imagination sind, welche durch einen Geist auf das Medium übertragen und aus der Materie des Mediums selber geformt wurde. Und von da schreitet der S. zu der Ansicht fort, daß überhaupt häufig die Erscheinungen Verstorbener dadurch zustande kommen, daß sie sich aus der Leibstofflichkeit der Medien ihre Phantomleiber konstruieren, während das Medium in Trance und nicht Herr über seine Stofflichkeit ist. Der wissenschaftliche S. ist bestrebt, die Art der hierbei sich bekundenden psycho-biologischen Kraft zu entdecken, wobei er überzeugt ist, daß die Ursache eines solchen Vorgangs in dem Walten außerirdischer geistiger Mächte zu suchen ist, die mindestens zum Teil, wenn nicht ganz mit den überlebenden Seelen Verstorbener identisch sind (Aksakow, du Prel) 34 ). Somit wird spiritistischerseits solcher Materialisationsvorgang im wesentlichen als eine Kraftentäußerung des Mediums aufgefaßt, die aber durch anreizende, gebietende und formende Kraft des Spirits hervorgerufen und weitergebildet wird. Die nicht spiritistisch eingestellten Okkultisten, welche auf einen wissenschaftlichen Namen Wert legen, erblicken in den Materialisationserscheinungen lediglich einen der Energetik des Mediums entstammenden Prozeß. In einem abnormalen Bewußtseinszustande des Mediums spalten sich hiernach in diesem Vitalkräfte seines Organismus ab, die nach außen projiziert werden 35). Man meint weiter, um den ganzen Vorgang etwas genauer zu analysieren, erschließen zu dürfen, daß auf

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diese Weise unsichtbare Kraftlinien und Kraftfelder entstehen, welche in einen pyknotischen Prozeß übergeleitet werden, indem im Unterbewußtsein des Mediums entstehende (Traum- oder Wach-)Bilder mittels dieses feinsten Stoffes zu Gestalten verdichtet werden. Hierbei wären dann nicht bloß die im Medium befindlichen Kräfte wirksam, sondern auch diejenigen der Sitzungsteilnehmer und nicht zuletzt deren Suggestion und Wille. Dies alles gilt unter der Voraussetzung, daß die Materialisationsphänomene sich bei jeglicher Kontrolle als echte Vorgänge ausweisen. Das muß deshalb angemerkt werden, weil der Streit über die Zuverlässigkeit der Beobachtungen und der Kontrolle während der Sitzungen noch im Gange ist und doch nur durch seine Beendigung entschieden werden kann, ob es einen zwingenden Beweis für die Wirklichkeit der Materialisationen gibt; und erst wenn diese Frage bejahend entschieden ist, könnte die weitere Frage in Angriff genommen werden, ob die Materialisationen streng spiritistisch, d. h. als Erzeugnisse von Geistern (Verstorbener) betrachtet werden dürfen. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, daß sich die allgemeine wissenschaftliche Lage in den beiden letzten Jahrzehnten so geändert hat, daß der Denkwiderstand gegen die spiritistische bzw. okkultistische Annahme nicht mehr unüberwindlich erscheint. Um 1900 standen Materialisationsphänomene ebenso wie Phänomene der Ent(De)materialisätion im direkten Widerspruch zu den damals geltenden Grundsätzen des (naturwissenschaftlich bestimmten) Denkens. Eine große Zahl der Okkultisten hat sich der Erwartung hingegeben, die Feststellungen über drahtlose Schall- und Licht-(Wort- und Bild-) Übertragung analog auf Telepathie anwenden und zu ihrer Erklärung benützen, dadurch einerseits die okkultistische These erhärten, die speziell spiritistische zurückweisen und dadurch anderseits dem Okkultismus sein Existenzrecht in den Wandelgängen des wissenschaftlichen Parlaments sichern zu können. Jedoch reichen jene physikalischen Vorgänge

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Spitziges—Spodonomantie

nicht aus zur Durchziehung jener Linien; selbst Tischner sagt: „ W i e groß müßte die Energie (der physikalischen Fernwirkung) sein, um auf Hunderte von Kilometern zu wirken. . . . Da diese physikalischen Vorstellungen grundsätzlich nicht zureichen, so wird man dazu geführt, eine irgendwie geartete direkte seelische Fernwirkung anzunehmen, eine Übertragung der Vorstellungen ohne direkte engste Abhängigkeit von einer materiellen Unterlage" 36 ). Inwieweit sich eine solche Erwartung empfiehlt, wird von den Fortschritten des Verständnisses der Phänomene der Telepathie und des Hellsehens abhängen. Gegenwärtig gehen die theoretischen Versuche eines solchen Verstehens noch außerordentlich auseinander 37 ). 31 ) Carl du P r e l Die Entdeckung der Seele durch die Geheimwissenschaften8 1910. 35 ) Vgl. zu dieser Streitfrage: im Sinn des S. S c h r e n c k N o t z i n g Materialisationsphänomene s. o.; Gustave G e l e y Materialisationsexperimente mit Franek-Kluski, dt. 1922. Kritisch H. R o s e n b u s c h u. M. v. G u l a t - W e l l e n b u r g , in Der Okkultismus in Urkunden Bd. 1, s. o. 36 ) R. T i s c h n e r Einführung in den Okkultismus u. S. 2. Aufl. 1923. 37 ) Vgl. Rieh. B ä r w a l d Gedankenlesen und Hellsehen 1934 u n d J. B. R h i n e Extra-Sensory Perception 1935. K . Beth.

Spitziges s. Nachtrag. Spiritus familiaris s. Nachtrag. Spitzklette (Xanthium strumarium). Korbblütler mit herzförmig-dreieckigen Blättern und stachligen (Schein-)Früchten. Als Unkraut hin und wieder auf Schutthaufen, an Wegrändern usw. Im 16. Jh. war die S. ein Orakel für die kommende Ernte: „Hie haben mit disen Kletten etliche Naturkündiger vnnd alte Weiber jre Observation vnnd erfarung, wann im Herbst so obgemelte Kletten zeittig vnnd uffgethon werden, finden sie inn eyner yeden Kletten zwey Gerstenkörner verschlossen, soll eyn gut fruchtbar, volkummlich jar bedeutten, werden aber zwey spitziger haberkörnlein funden, halten sie das gegentheyl nemlich eyn künfftige theurung aller frucht, das hab ich auch selbs erfaren vnnd gemeynlich auss yeder Kletten zwey schwartzer Haberkörnlein genommen" 1 ). Bei den Serbokroaten wird ein ähnliches Orakel noch jetzt geübt.

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Wenn man an Weihnachten in einer S. (eieak, Xanthium spinosum) zwei kleine Körner findet, so wird das nächste Weihnachten verregnet 2 ). In Siebenbürgen heißt es, daß die stachlige S. („Kolerak r e t j " ; X . spinosum) erscheine, wenn die Cholera ins Land komme 3 ). In Galizien dient der Tee aus den Wurzeln gegen Cholera 4 ). B o c k Kreuterbuch 1539, 75 r. 2) S c h n e e w e i s Weihnachten 130. 3) S c h u l l e r u s Pflanzen 4 1 1 ; vgl. H e g i III. Flora v. Mittel-Europa 4) H o e l z l Galizien 1906 ff. 6, 503. 153. Marzeil.

Spitznamen. Neben dem bedeutungsvollen, vielfach schicksalshaften verliehenen Namen, die bei den indogermanischen Völkern zweistämmig zu sein pflegen, hat der Volksmund kürzere Namen geschaffen, die entweder aus einer Verkürzung des Hauptnamens entstanden sind oder als Spitzname eine Besonderheit hervorheben. Diese vererbten sich und dienten oft zur Scheidung der verschiedenen Zweige der Familie. Im Griechischen gehen zweistämmige Namen x ) und Sp. wie Phrynon, Piaton durcheinander. Die Römer haben neben dem eigentlichen Familiennamen das cognomen festgehalten, das ursprünglich oft höhnend war (Naso, Asina, Varus; Cicero gehört zu cicaro Knirps). Wie aus deutschen Sp. Familiennamen entstanden sind, zeigen gut die von Weinhold gesammelten Salzburger Zunftnamen schon um 1400 2 ). Zur Regel wird der Spitzname in engeren Bünden, wie sie die Jugendbewegung wieder gebracht hat. x) B e c h t e l Die histor. Personennamen 2 ) Z d V f V k . 5, 120. Griechen.

der Aly.

Spitzwegerich a. W e g e r i c h . Spodonomantie, Aschen-Namenwahrsagung (dTCoSoi „ A s c h e " , ovofia „ N a m e " ) , nach antikem Muster geprägte Bezeichnung, vermutlich von D e l r i o (gest. 1608) stammend 1 ), von dem alle späteren Belege 2 ) abhängen. Für die Beispiele, die er aus dem Altertum beibringt, würde die einfache Form Spodomantie genügen, da in diesen von Namen nicht die Rede ist. Da Delrio jedoch auch auf abergläubische Aschenwahrsagerei seiner Zeit hinweist, in

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Spodonomantie

der der Name der gesuchten Sache oder Person mit im Spiel ist (s. u.), dürfte er diese Zusammensetzung mit Onomantie (s. d.) gewagt haben. Mit diesem Ausdruck, der meist statt der regelrechten Form Onomatomantie gebraucht wird, bezeichnete man zwar in der Hauptsache die Wahrsagung aus den Zahlenwerten der Namenbuchstaben, doch wurde er auch in weiterem Sinne verwendet. Im übrigen ist D e l r i o s Erfindung recht müßig und entspringt nur der Sucht, immer neue Divinationsnamen buchen zu können, denn er selbst stellt die S. als völlig gleichbedeutend mit der oft bezeugten Tephramantie (s. d.) hin, deren Name sich schon bei C a r d a n u s 3 ) findet. Einem Gelehrten des 17. Jh.s genügte auch diese zwiefache Benennung nicht, und er erfand noch dazu die Koniomantie (xovti „Staub", seltener „Asche") *). Als Beispiel für die antike S. bezw. Tephramantie verweist D e l r i o in erster Linie auf das Orakel des Apollo Ismenios in Theben, bei dem, wie man meist annimmt, aus der Opferasche gewahrsagt wurde 5 ). Welche Regeln etwa dabei beobachtet wurden, ist nicht überliefert; auf jeden Fall handelte es sich um Beobachtungen beim Opfer (Empyromantie), z.B. wurde es als günstiges Vorzeichen betrachtet, wenn nach beendetem Opfer die Flamme noch einmal aus der Asche hervorbrach 6 ). Wertvoll ist, was D e l r i o bei dieser Gelegenheit aus dem Brauche seiner eigenen Zeit, also der 2. Hälfte des 16. Jh.s, berichtet; vermutlich handelt es sich um flämischen Volksaberglauben. Danach schrieb man die Sache, über die man etwas zu erfahren wünschte, mit dem Finger oder einem Stock in die Asche, setzte diese der freien Luft aus und achtete auf die Buchstaben, die „sich in der bewegten Asche zeigten", was wohl bedeutet, daß man aus den. Buchstaben, die vom Luftzug nicht verwischt wurden, einen Orakelspruch herstellte 7 ). Außerdem führt D. folgendes Heiratsorakel an: Einer läßt den Befragenden drei für die Ehe in Betracht kommende Personen nennen. Dann zieht

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er drei Furchen durch die Asche, für jede der drei genannten Personen je eine; der Heiratslustige muß der Asche den Rücken zukehren, während der andere mit einer Feuerzange solange auf die verschiedenen Furchen zeigt, bis jener dreimal richtig erraten hat, auf welche Furche er getippt hat. Die Person, der diese Furche zugewiesen war, ist die oder der Zukünftige 8). l) Disqu. Mag. lib. 4, c. 2, q. 7, s. 1 (Ausg. Mainz 1603, 2, 175). 2 ) De l ' A n c r e L'incrédulité (1622) 279 (Spondanomantie); A n h o r n Magiologia (1675) 313; ( B o u h o u r s ) Remarques ou Reflexions (1692) 116; F a b r i c i u s Bibliogr. antiquaria3 (1760) 6x1; auch die beiden zuletzt 3) Angeführten schreiben Spondanomantie. Opera 1 (Leiden 1663) 566 a. «) J. E . P f u e l Electa Physica (1665) 148: xovioficivTtia ex cineribus. 5 ) S o p h o k l e s Oed. Rex 21. Freilich erklärt der in den Scholien zu diesem Vers angeführte P h i l o c h o r o s (Eragm. Hist. Graec. ed. Müller 1, 416 Nr. 197) die Worte ¡xavTeiif ) J a h n Opfergebräuche 104 = S a r t o r i Sitte 3, 111. 20 ) E b e r h a r d t Landwirtschaft 5; B o h n e n 21 b e r g e r 18. ) M e y e r Baden 214; W r e d e Rhein. Volksk. 180; SAVk. 11 (1907) 260; P a n z e r Beitrag 1, 210; J a h n Opfergebräuche 87. 92. 98. 22 ) H ü s e r Beiträge 2, 33 Nr. 5. 23 ) G r i m m Myth. 2, 1037; P a n z e r Beitrag 2. 550; J a h n Opfergebräuche 194 = S a r t o r i Sitte 2, 109; M e i e r Schwaben 2, 499. 2 4 ) J a h n Opfergebräuche 194 = S a r t o r i Sitte 3, 113. 25 ) S t r a c k e r j a n 2, 88 = S a r t o r i Sitte 3, 2 213. «) H a u p t Lausitz 2, 70 Nr. 109. ") S o m m e r Sagen 148 Nr.5 = J a h n Opfergebräuche 2S 194. ) E b e r h a r d t Landwirtschaft 5 ; ZfrwVk. 191°. 35; M e y e r Baden 422. 438; John Westböhmen 265; W u t t k e 421 § 657; S a r t o r i Sitte 3, i n ; Jahn Opfergebräuche 152; F r a z e r 3, 262. 29 ) E b e r h a r d t Landwirtschaft 5. 3 0 ) F r a z e r 3, 262. 31 ) M e y e r Germ. Myth. 139; J a h n Opfergebräuche 182. 167. 170. 174. Siehe: der, die Alte. 3 2 ) S a r t o r i Sitte 2,83. K u h n u. S c h w a r t z 399 = S a r t o r i Sitte 2, 84. 3 4 ) ZfVk. 4 (1894), 46. 3 6 ) J a h n Opfergebräuche 182; M e y e r Germ. Myth. 139; S a r t o r i Sitte 2, 83. 3 ') S a r t o r i Sitte 3,95. S. A n m . 8. 37 ) ZfVk. 3 (1893), 39. 3 8 ) S. A n m . 40—44. 40 S. A n m . 10. ) S t r a c k e r j a n 2, 200 Nr. 444. 4 l ) H a u p t Lausitz 2, 70 Nr. 109. 4a ) W i t z s c h e l 2, 239. 43 ) S c h u l e n b u r g Wend. 44 Volkstum 124. ) W i t t s t o c k Siebenbürgen 84. 45 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 172. 46 ) J ü h 47 l i n g Tiere 279. ) L e o p r e c h t i n g Z e e A r a i w 183. 48 ) W u t t k e 395 § 607. 4 9 ) F r a z e r 1, 112. 164; 2, 112. 60) Jahn Opfer gebrauche 329. 5 1 ) F r a z e r 1, 2, 327. 329. 62 ) F r a z e r 7, I, 107. 195. 344. i3 54 ) W e i n h o l d Neunzahl35. ) Radermacher Beiträge 125; G r i m m Myth. 1, 514; J a h n •Opfergebräuche 37. 47; K ö h l e r Voigtland 373; Lammert56. 6 6 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 113. • 5e ) G r o h m a n n 173 Nr. 1229. 6 7 ) G r o h m a n n 164 Nr. 1153. Schmekel. s p u c k e n (vgl. S p e i c h e l 8, 1 4 9 f f . ) . 1 . D a s abergläubische Sp. h a t eine ver-

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schiedene Grundbedeutung, je nachdem es sich u m d a s A n s p . eines O b j e k t s oder u m ein einfaches A u s s p . h a n d e l t . Im ersten Fall hat das Sp. hauptsächlich den Zweck, irgend Jemanden oder irgendetwas abzuwehren oder zu vertreiben; i m z w e i t e n F a l l soll e t w a s Schädliches, d a s sich i m Munde oder im K ö r p e r befindet, ausgeschieden werden. In den mit der ersten Kategorie zusammenhängenden B r ä u c h e n k r e u z t sich zuweilen die V o r stellung des Abwehrmittels m i t der v o n der besonderen, namentlich heilenden Z a u b e r k r a f t d e s S p e i c h e l s (s. d . ) . S p . u n d Speichel spielten schon i m a n t i k e n A b e r g l a u b e n eine große R o l l e 1). B e i der w e i t e n V e r b r e i t u n g indessen und den elementaren Motiven der in B e t r a c h t k o m m e n d e n B r ä u c h e ist es n i c h t n o t w e n d i g , eine historische A b h ä n g i g k e i t des deutschen v o m antiken Aberglauben anzunehmen. Nur dort, w o gelehrte B e z i e h u n g oder eine g a n z spezielle Ü b e r e i n s t i m m u n g nachweisbar ist, darf a n eine solche A b h ä n g i g k e i t gedacht werden2). !) Hauptstelle P l i n i u s h. n. 28, 35 ff. Vgl. J a h n in Sächs. Sitzber. 1855, 83 s . ; S i t t l Gebärden 117 s . ; N i c o l s o n Harvard Studies i n Class. Philol. 8, 23 fi.; G r u p p e Griech. Mythol. 890,4. a ) Allgemeine Literatur: M e n s i g n a c La salive et le crachat, Bordeaux 1892; C r o o k e in E R E . I i , 100 ff. (ohne genügende Durchdringung); D e u b n e r Magie und Religion, Freiburger Wiss. Ges. H e f t 9 S. 20 f. Äußerliche Zusammenstellungen bei K n o r t z Streifzüge 1, 135 ff.; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 399 f. — S. a u c h W l i s l o c k i Magyaren 73 ff. 2. D e r a l l g e m e i n e G e d a n k e , d a ß d a s Sp. Unheil abzuwehren vermag (Schlesien 3), S c h w e i z 4 ) ) , t r i t t in d e r m a n n i g fachsten Weise differenziert auf, wobei h ä u f i g ein dreimaliges S p . vorgeschrieben wird. Aussp. verjagt den T e u f e l 8 ) , wesw e g e n a u c h die altchristlichen T ä u f l i n g e g e g e n d e n T e u f e l , d e m sie a b s c h w ö r e n , n a c h W e s t e n hin, ausspeien6). Unser „ P f u i T e u f e l " ist m i t R e c h t a u f ein ursprüngliches Aussp. zurückgeführt worden 7). E b e n s o s c h ü t z t m a n sich v o r Hexen, indem man ausspeit8), sowohl w e n n m a n einer b e g e g n e t 9 ) , als a u c h w e n n m a n in die N ä h e des H a u s e s einer H e x e k o m m t 1 0 ) oder eine K u h d a r a n v o r beitreibt (Harz) u ) . I m W i r b e l w i n d sitzt

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spucken

eine böse Hexe, darum muß man hineinspeien, wenn er vorbeibraust, sonst bekommt man bösen Ausschlag im Gesicht (Westfalen) 1 2 ). In Schlesien spuckt man, wenn man in einen Wirbelwind gerät, abgewendet dreimal aus und sagt dazu oft: „Pfui, alte Sau" (Hexe) 1 3 ). In Bayern sagt man bei der gleichen Gelegenheit „Pfui, pfui! Hex laß d a " 1 4 ) . Auch in Baden spuckt man in den Wirbelwind 1 5 ). Beim Angang des walachischen Priesters speien die Siebenbürger Sachsen aus, um den bösen Einfluß zu brechen 1 S ), dasselbe geschieht beim Angang eines alten Weibes (Oberpfalz 17 ), Schlesien, Böhmen 18 )), wenn Leute mit bösem Blick in den Viehstall treten (Steiermark) 19 ), sowie überhaupt gegen bösen Blick (Sachsen) 20 ), namentlich gegen den bösen Blick und sonstige Schädigungsversuche einer Hexe (Elsaß) 21 ). Auch speit man aus, wenn man morgens die erste Person trifft (Westböhmen) 22 ). Das Aussp. bei Erwähnung verhaßter Personen (Österreich) 23 ) ist wahrscheinlich anders zu beurteilen und als Geste des Abscheus zu werten. Auch vor begegnenden Tieren wird ausgespuckt, vor Schweinen 24 ), Katzen 2 5 ) und Hasen 26), wobei gelegentlich „pfui, pfui" gesagt wird. Auf das am Wege liegende Aas soll man spucken, damit man nicht räudig wird (Schwaben) 27 ). In Österreich spuckt man vor einem begegnenden Strohwagen aus 28), in Schleswig-Holstein spuckt man auf einen „Blatterstein" (von dem man Blasen auf der Zunge bekommt, wenn man ihn in den Mund nimmt) und wirft ihn rücklings fort 29). Bei der Belagerung von Danzig (1734) spien die alten Weiber jedesmal, wenn eine Bombe angeflogen kam, dreimal aus und riefen: „phy, phy,phy,da kömmt de Drack (Drache) getragen", in der Meinung, sich dadurch zu sichern 30 ). An unheimlichen Orten speit man aus, damit einem die dort vorauszusetzenden bösen Geister nicht schaden, so wenn man über eine Brandstätte geht (Böhmen, Mähren) 3 1 ). Wenn man beim Gehen mit dem Fuß umgekippt ist und die Hacke dabei ein Loch in die Erde gemacht hat, muß man gleich hineinspucken (Norddeutschland) 32 ), weil der Unfall anzeigt.

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daß böse Geister an der betreffenden Stelle ihr Wesen treiben. Auch in der Gerichtsstube muß man auf den Boden spucken und den rechten Fuß darauf setzen (Anhalt) 33 ), offenbar damit man nicht durch die Tücken der Geister seinen Prozeß verliert. Wenn die Siebenbürger Sachsen morgens beim Überschreiten der Schwelle dreimal ausspucken, um den Neid unwirksam zu machen 34 ), so liegt der eigentliche Grund vielmehr darin, daß sich Geister an der Schwelle aufhalten 35 ). So muß auch in Schlesien der Kutscher, bevor er die Pferde aus dem Stalle führt, dreimal auf die Stallschwelle spucken 38 ). Will man in Waldeck ein neugekauftes Tier ins Haus bringen, so legt man in die Stalltür einen Besen und darauf eine Axt ins Kreuz, spuckt dreimal auf die Axt und läßt das Tier über Besen und Axt in den Stall gehen: dann haben die Hexen keine Macht über das Tier 3 7 ). Hier werden also mehrere Abwehrmittel gehäuft, denn der Besen erinnert an das Ausfegen der Geister 3 8 ), und die Axt wird als Waffe und wegen des Eisens (s. d.) von ihnen gefürchtet. In Norddeutschland spuckt man auf die Türschwelle, wenn man dort ein Messer geschärft hat 39 ), was natürlich die Geister besonders reizen muß. Ebenda spuckt man auf die Stelle, wo sich ein ermüdetes Pferd im Kote wälzt •'J, weil auch dieser Vorgang von dort anwesenden Geistern bewirkt sein muß. In der Kaschubei darf man sein Bedürfnis nicht auf dem Aschenkehricht befriedigen, ohne dreimal auszuspucken, weil man sonst von den Heinzelmännchen mit Ausschlag beworfen wird 41 ). Sehr verbreitet ist der Brauch, in knisterndes Feuer hinein zu spucken, um den dadurch angekündigten Zank, Verdruß oder sonstiges Unglück abzuwehren (Brandenburg 42 ), Mecklenburg 43 ), Bayern 44), Oberpfalz 4 5 ), Siebenbürg. Sachsen 46 )). Daß auch in diesem Falle an Geister gedacht wird, die im Feuer sitzen und den Zank hervorrufen, beweisen die in Mecklenburg mit dem Sp. eventuell verbundenen Worte: „Düwel, wist rut" 47). In Mecklenburg bekommen zwei Leute Streit, wenn sie sich in demselben Wasser waschen, ohne dreimal hineinzuspeien 48 )„

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ein Aberglaube, der mit deutschen Kolonisten auch nach Pennsylvania gewandert ist: hier muß der Zweite, der sich wäscht, in das Wasser speien 49). Der Aberglaube wird verständlich, wenn man an den sympathetischen Zusammenhang denkt, der zwischen dem Waschwasser und der betreffenden Person besteht so ). Nach dem Durchstecken eines kranken Kindes durch einen Garnstrahn (Böhmen, Schweiz) oder durch ein Stück Garn (Oldenburg), muß man dreimal über oder durch das Garn spucken S1 ), um die beim Durchstecken abgestreifte Krankheit abzuwehren. Verwandt ist folgender Brauch der Siebenbürger Sachsen: Um ein Gerstenkorn zu vertreiben, blicke man durch ein Reibeisen, kehre es dann auf die andere Seite und speie rasch durch die Löcher hindurch: dadurch hindert man das Gerstenkorn, das sich durch die Löcher des Reibeisens entfernt hat, an der Rückkehr 62 ). Die Krähenpose, mit der man Warzen bestrichen hat, wird in Mecklenburg dreimal bespuckt und über den Kopf weggeworfen 53 ). Da sie die Krankheit aufgenommen hat, ist sie ein Träger unmittelbar drohenden Übels geworden und muß unschädlich gemacht werden. Die an sich sehr verständliche Vorstellung, daß die Geister durch Sp. ferngehalten werden können, wird andererseits dadurch illustriert, daß man glaubt, die Poltergeister tobten, wenn der Hausherr ausspeit M ): es ist ihnen eben sehr unangenehm, angespuckt zu werden. Ähnlich ist der Glaube zu beurteilen, daß es im Klinkerbrunnen bei Osterode (Harz) klingelt, wenn man hineinspuckt 65 ): offenbar reagieren auf diese Weise die Brunnengeister. 3 4 ) D r e c h s l e r 2, 238. ) SAVk. 8, 143. ) C a e s a r i u s v. H e i s t e r b a c h 140 f. s ) D ö l ger D. Sonne der Gerechtigkeit 10 ff. ') S i t t l Gebärden 118, 1. 8 ) W o l f Beitr. 2 , 3 7 1 . •) S e l i g m a n n Blick 2, 210; K n o r t z Streifzüge 1 , 1 4 3 . I0 ) K n o r t z ebd. a ) G r i m m Myth. 3, 461, 756. 1 2 ) K u h n Westfalen 2, 93, 290. 18 14 ) D r e c h s l e r 2, 280. ) DG. 12, 146, 1. ls ) W u t t k e 184, 2 5 1 ; M e y e r Baden 369. 16 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 320. 1 7 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 273 f. 1 8 ) W u t t k e 288, 422. " ) F o s s e l Volksmedizin 64. 20) S e y f a r t h Sachsen 50; Seligma,nn Blick 2, 210. 2 l ) Ale22 mannia 8, 1 2 1 . ) J o h n Westböhmen 252. s

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24 ) ZföVk. 1, 192. ) Ebd.; P o l l i n g e r Landshut 167. 25 ) S e l i g m a n n Blick 2, 210. 26 28 ) Ebd. " ) Buck Volksmedizin 42. ) ZföVk. 2, 32. 2») ZfVk. 23. 282, 36. 30 ) T e t 3l tau u. T e m m e 284. ) G r o h m a n n 43, 273. 32 ) S e l i g m a n n Blick 2, 210. 3 3 ) Mitt. Anhalt. 31 Gesch. 14, I i . ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 1 1 6 . 35 ) S a m t e r Geburt 141 f.; D e u b n e r ARw. 20, 420. 38 ) D r e c h s l e r 2, 1 1 2 . 3 7 ) C u r t z e Waldeck 406,177. 38 ) S a m t e r Geburt 29 ff. 3 9 ) S e l i g mann Blick 2, 210. 40 ) Ebd. 4 l ) S e e f r i e d G u l g o w s k i Kaschubei 187. 42 ) W u t t k e 184, 2 5 1 ; 288, 422. 4 3 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 130, 44 541 a—d. ) P o l l i n g e r Landshut 164. " ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1,88, 3. " ) H a l t r i c h 47 Siebenb. Sachsen 320. ) B a r t s c h a. a. O. *•) Ebd. 2, 314, 1532. 49 ) F o g e l Pennsylvania 88, 340. 50 ) Vgl. unten Abschnitt 5. 6 1 ) Oben Art. Durchkriechen § 4. 6 2 ) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 8 3 I M ) B a r t s c h Mecklenburg 2,120. 64 ) G r i m m 65 Myth. 1, 425. ) P r ö h l e Harzsagen 175.

3. Das übelabwehrende Sp. wird nicht nur angewandt, wenn eine Bedrohung unmittelbar gegeben ist, sondern auch dann, wenn eine solche erwartet werden muß oder kann. Der erste Fall liegt vor bei dem bekannten Berufen oder Beschreien (s. d.). Wenn man einen Menschen, namentlich ein Kind, oder einen Gegenstand lobt, so wird der Neid der bösen Geister erregt, die das Gelobte zu schädigen trachten. Um sie abzuwehren 66), spuckt man im Falle des Beschreiens (dreimal schnell) aus S7) (Ostpreußen 58), Schlesien 59), Sachsen 60), Erzgebirge 61 ), Bayern 62), Siebenb. Sachsen 63))( namentlich wenn eine Hexe etwas gelobt hat 64 ). Der Berufende selbst kann durch Ausspeien die Wirkung seiner Worte aufheben (Berlin 65 ), Schlesien66), Siebenb. Sachsen 87)). In Riga und Schlesien speit man über die linke Schulter 68 ), in der Oberpfalz auf die Seite 69 ). Auch spuckt man dem Berufenden ins Gesicht 70). Wenn man das berufene Kind selbst (Siebenb. Sachsen) 71 ) anspuckt, so ist dies wohl nur als eine mechanische Abwandlung des allein verständlichen Aussp.s zu betrachten, die angesichts solcher Bräuche, wo das Ansp. durchaus logisch ist, leicht entstehen konnte. Nicht ganz unmöglich wäre es, daß die Zauberkraft des Speichels (s. d.) hereinspielt, wie es sicher der Fall ist, wo die Mutter die Stirne des beschrienen Kindes (dreimal) ableckt (Preußen72)) und dabei jedesmal ausspuckt (Böhmerwald73)) oder nach

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dem Ablecken dreimal hinter sich oder über den Kopf des Kindes (Westböhmen74), ähnlich in Pommern 76)) oder dreimal zur Türe hinausspuckt (Steiermark 76 )). Diese Beispiele zeigen eine Verbindung der Zauberkraft des Speichels mit der Zauberwirkung des Sp.s. 56) Vgl. die richtige Erklärung bei H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 33. 57) W u t t k e 184, 251; 282, 413. 5S) L e m k e Ostpreußen 1,109. 69) D r e c h s ler 2, 259. 280. eo) S e y f a r t h Sachsen 47. 61 ) S e l i g m a n n Zauberkraft des Auges 38. ®2) L e o p r e c h t i n g Lechrain 18. 63) F r o n i u s Siebenbürgen 19. M ) G r i m m Myth. 2, 923. 65 ) K u h n u. S c h w a r t z 459, 438. 6S) Drechsler 1, 208. " ) H i l l n e r Siebenbürgen 21, 1. 68) Sel i g m a n n Blick 2, 210. •») S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 186, 5. 70) W u t t k e 184, 251. 71 ) G a ß ner Mettersdorf 19. ,a ) F r i s c h b i e r Hexenspr. 22. 73) S c h r a m e k Böhmerwald 180. 74) John Westböhmen 252. 75) S e l i g m a n n Blick 1, 295. 76) F o s s e l Volksmedizin 64.

4. In vielen Fällen wird ausgespuckt oder werden Dinge angespuckt, wenn bloß mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß Unheil oder böse Geister zur Stelle sind oder an Dingen haften. So war es schon altgermanischer Brauch, sich nicht auf die Erde zu legen, aus einem Fluß oder See nicht zu trinken, nicht über ein Wasser zu fahren, ohne auszuspucken"). In Bayern nimmt man, ehe man ins Flußbad steigt, drei Kiesel aus dem Bach, spuckt sie an, und wirft sie über den Bach 78) (wobei doch wohl gemeint ist, daß das Bad im Bach stattfindet). Mit den so bespieenen* Kieseln wird eine etwa im Bach vorhandene feindliche Macht entfernt. In Norddeutschland spuckt eine schwangere (und darum des Schutzes besonders bedürftige) Frau in ein Fahrzeug, bevor sie es betritt 78 ). Im Allgäu spuckt man in ein fremdes Bett, ehe man sich hineinlegt 80 ). Im Böhmerwald spuckt man tüchtig beim Krautsetzen 81 ). Im Erzgebirge spuckt man dreimal auf das Kraut, das man vom Felde holt 82 ). In Mecklenburg spuckt man dreimal auf einen gefundenen Gegenstand, ehe man ihn aufnimmt 83 ). Bei den Siebenbürger Sachsen leckt man dem gewickelten Kinde als Schutz gegen den bösen Blick mit der Zunge ein Kreuz an die Stirne und spuckt dann gegen alle vier Winkel des Hauses über das Kind aus 84 ). In Niederösterreich spuckt man, wenn ein Kalb drei

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Tage alt ist, dreimal aus oder dem Tier auf den Rücken, damit es nicht verhext werde 86 ). Das Ansp. des Tieres erscheint hier und in den folgenden Fällen als völlig gleichwertig mit dem Aussp. und ist demgemäß wie in Abschnitt 3 gegen Ende zu beurteilen. In Schlesien spuckt man dreimal aus, wenn man neuerworbenes Vieh in den Stall bringt 86 ), in Böhmen spuckt der Bauer aus, der ein Stück Vieh zum ersten Male sieht, und sagt: „Pfui Teufel, daß ich dich nicht verschrei" 87 ); ebenda spuckt man, wenn man in einen fremden Stall geführt wird, das Vieh dreimal an, damit es nicht beschrieen werde 88 ). Wenn junges Vieh das erste Mal auf die Weide getrieben wird, muß es beim Verlassen des Stalles dreimal angespuckt werden, damit ihm nichts Schlechtes widerfahre, desgleichen beim Zurücktreiben in den Stall (ebd.) 89). In österreichisch-Schlesien spuckt man beim Hinaustreiben dreimal über die Kuh ®°), desgleichen in Böhmen über das Pferd, das zum ersten Male ins Freie geführt wird, damit es nicht beschrieen werde 91 ). Der norddeutsche Bauer spuckt auf den Schwanz seines Pferdes, wenn er ausspannt 92). Beim Austrieb eines verkauften Tieres spuckt der Verkäufer dreimal über den Rücken des Tieres zurück (Westböhmen) ®8). Man spuckt dreimal in das Wasser, mit dem man die Pferde tränkt, um sie vor Bauchschmerzen zu bewahren (Schlesien) 94 ), ebenso in das Wasser, das man den Kühen (Mecklenburg) 95) oder überhaupt dem Vieh (Schlesien) 96), sowie in die erste Milch, die man den Kälbern zu trinken gibt (Ostfriesland, Schlesien) 97 ). Auch in das Futter der Pferde und anderer Tiere wird dreimal gespuckt (damit ihnen die Hexen nicht schaden) (Schlesien, Brandenburg, Mecklenburg, Nahetal 98 ), Schleswig-Holstein 99), Oldenburg 10°), Waldeck 101 )). Wenn Schweine auch dadurch vor Behexung und Krankheit geschützt werden sollen, daß man dreimal in den Backtrog spuckt (Oldenburg) 102 ), so scheint eine Verwechslung mit dem Schweinetrog vorzuliegen ; andernfalls müßte an eine Analogiewirkung auf das Futter im

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spucken

Schweinetrog gedacht werden, was nicht gerade wahrscheinlich ist.

" ) E . H. M e y e r Mythol. 136. n ) L a m m e r t 46. '•) S e l i g m a n n Blick 2, 210. 80 ) R e i s e r Allgäu 2, 448, 246. 8 1 ) S c h r a m e k Böhmerwald 235. " ) W u t t k e 425, 665. 83 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 37, vgl. W u t t k e 308, 452. 81 ) S e l i g m a n n Blick 2, 216. Vgl. zum Nebeneinander von Speichel und Spucken Abschnitt 3 Ende. 8S 8S ) L a n d s t e i n e r Niederösterreich 60. ) D r e c h s l e r 2, 280. 8 ') J o h n Westböhmen 252. 88 89 ) S c h r a m e k Böhmerwald 241. ) Ebd. 240. so ) R e u s c h e l Volkskunde 2, 35. 9 l ) G r o h m a n n 92 129,946. ) S e l i g m a n n Blick 2, 210. 9 3 ) J o h n Westböhmen 209. 255. 94) D r e c h s l e r 2, 112. 147. S6 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 445. s i ) D r e c h s l e r 2, 104. »') W u t t k e 443, 698. 98 ) S a r t o r i Sitte u. Brauch 2, 136, 12. " ) ZfVk. 24, 62, 30. 10 °) S t r a c k e r j a n 1, 446, 244. 1 0 1 ) C u r t z e Waldeck 392, 1 1 3 . 102 ) W u t t k e 438, 688.

5. Einen Spezialfall des Abschnittes 4 stellen die Bräuche dar, die mit der sympathetischen Bedeutung des Haares, Urins, Badewassers usw. zusammenhängen. Es ist wie bekannt ein weit verbreiteter Glaube, daß Jemand, der in den Besitz der genannten Dinge gelangt, dem Betreffenden, von dem sie stammen, Schaden zufügen kann. Um solches zu verhüten, werden jene Dinge vielfach angespuckt, um die bösen Geister von ihnen fern zu halten; daneben tritt wiederum das Ausspucken gleichwertig auf 1 0 3 ). Es vollzieht sich hier eine leise Umbiegung des in Abschnitt 4 zu Grunde liegenden Gedankens, sofern weniger beabsichtigt zu werden scheint, in der Nähe befindliche Geister zu verscheuchen, als vielmehr zu verhindern, daß s p ä t e r h i n jene sympathetisch mit dem eigenen Leibe zusammenhängenden Dinge von Hexen und dgl. in Besitz genommen werden. Das ursprünglich dem gegenwärtigen Moment dienende Apotropaion hat eine seinem Wesen an sich fremde Zukunftswirkung zugeteilt erhalten, wobei vielleicht wiederum (vgl. Abschnitt 3 Ende) die Zauberkraft des Speichels von Einfluß gewesen ist. Das Sp. auf abgeschnittene oder ausgekämmte Haare (Luxemburg104), Baden 1 0 6 ), Tirol 106 )) ist schon im 16. Jh. von d em Arzt Georgius (Gregor) Pictorius aus Villingen (geb. 1500) angemerkt worden 107 ). In Schlesien spuckt man dreim al aus, wenn ein ausgezogener Zahn

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über den Ofen geworfen wird 108 ). Sp. auf den Urin ist in Schlesien 109), Württemberg 110 ), Schwaben 111 ), Baden 112 ), Fränk. Schweiz 113 ) üblich. In Schwaben heißt es auch, daß einem die Hexen nicht bei können, wenn man dreimal ausspeit, nachdem man seine Notdurft verrichtet, namentlich sein Wasser gelassen hat 1 1 4 ). Denselben Brauch bezeugt schon Matthias Praetorius (17. Jh.) 1 1 6 ). Eine Variante scheint die böhmische Sitte darzustellen, nach der am Karsamstag Angehörige einander bei Abgang von Wasser ins Gesicht spucken, was wohl auch eine apotropäische Bedeutung haben soll 116 ). In Württemberg 1 1 7 ) und Österreich speit man nach dem Bad der Kinder ins Badewasser 118 ). Schon zu Anfang des 17. Jh. spie man nach Meußthurn ins Fußwasser 119 ), und nach einem Schmalkaldener Flugblatt vom Jahre 1627 auf die auf dem Herd zusammengekehrte Asche 120). In Schlesien spuckt man dreimal auf einen abgenutzten Sandwisch, wenn man ihn wegtut, und wirft ihn ins Ascheloch: dann bekommt man keinen bösen Finger (als Folge von Behexung) m ) . 103 ) Vgl. dazu Abschnitt 3 . 4 . 1 M ) R a n k e 105 Volkssagen 23. ) S c h m i t t Hettingen 17. 10 «) Z i n g e r l e Tirol 28, 176; 67, 580. 1 0 7 ) Epitotne de speciebus magiae ceremonialis Kap. 26 Ende = D e l r i o Disquisitiones magicae p. 929k 10i E = W o l f Beiträge 1, 227. ) Drechsler 2, 280. l«9) Ebd. 2, 318. u ° ) ZfVk. 2i, 297. 111 l12 ) B u c k Volksmedizin 42. ) M e y e r Baden 113 529. ) C a e s a r i u s v. H e i s t e r b a c h 141 114 115 Anm. ) Meier Schwaben 1, 177, 17. ) Philosophia colus 171. Vgl. auch P l i n i u s h. n. 1M 28, 38. ) S c h r a m e k Böhmerwald 147. 118 " ' ) H ö h n Geburt Nr. 4 S. 260. ) ZfVk. 21, 297. 1 W ) M e u ß t h u r n Von wunderbarlicher Natur (Frankfurt a. M. 1618) 66f. ZfVk. 21, 294. l a l ) D r e c h s l e r 2, 280.

6. Zuweilen hat das apotropäische Ausspucken eine sekundäre Bedeutung. Es besteht beim Vollziehen einer rituellen oder magischen Handlung vielfach die Befürchtung, daß ihre Wirkung durch das Auftreten feindlicher Kräfte gestört oder vereitelt werden könne. Um sich dagegen zu sichern, spuckt man dreimal aus. So bei manchen Besprechungen 122 ), nach jeder Besegnung (Preußen) 123 ), bei Gebeten gegen allerlei Krankheit (Siebenb.

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spucken

Sachsen) 124 ), beim Entfernen von Hautgeschwüren (Mecklenburg) 125 ), beim Zerteilen von Beulen (Schlesien) 126 ) und beim Behandeln von Rotlauf (Bayern) 1 2 7 ). 122 123 ) W u t t k e 184, 2 5 1 . ) Frischbier Hexenspr. 26. 1 2 4 ) W l i s l o c k i Siebenb. Volksgl. 125 107. ) Bartsch Mecklenburg 2, iogi. 12, j D r e c h s l e r 2 , 2 9 2 . 1 2 7 ) P o l l i n g e r Landshut 287.

7. Das Sp. wird nicht nur angewendet, um ein drohendes Unheil fernzuhalten, sondern auch um ein bereits eingetretenes zu vertreiben. Dreimaliges Ausspucken bewirkt, daß es aufhört zu regnen (Erzgebirge) 128 ), und wird insbesondere in dieser Absicht geübt, wenn es zu stark regnet, so daß Schaden für Feld und Flur vorauszusehen ist (Voigtland) 129 ). Schon die mittelalterliche Kirche ordnete an, in Fällen von Besessenheit dem Kranken in den offenen Mund zu spucken 1 3 0 ). Krämpfe können auf die gleiche Weise durch eine Person geheilt werden, die diese Krankheit noch nie gesehen hat (Hessen 1 3 1 ), Brandenburg 1 3 2 )). Ins Gesicht spucken, namentlich unvermutet, heilt Bleichsüchtige (Oberpfalz) 133 ) und Gelbsüchtige 134 ) (Sachsen 135 ), Schlesien 136 ), Oberpfalz 1 3 7 ), Salzkammergut 1 3 8 ), Steiermark 1 3 9 )). Speziell in Nordböhmen läßt man gewöhnlich ein altes Weib dem Gelbsüchtigen ins Gesicht spucken, wobei es gut ist, wenn der Kranke recht erschrickt 140 ). Auch Warzen werden bespuckt (Böhmen) 1 4 1 ), oder man läßt sich im Allgäu von Jemand in die Hände spucken (in denen sich die Warzen offenbar befinden) 142 ). Flechten verschwinden, wenn Jemand unangemeldet darauf speit (Ostpreußen) 143 ). Wenn in Mecklenburg vorgeschrieben wird, den eigenen Speichel nüchtern auf die Flechten zu speien (bei abnehmendem Monde) und mit einem Messerrücken über sie hin zu streichen 144 ), so ist klar, daß es hier nicht auf eine Vertreibung durch das Sp., sondern vielmehr auf die Wirkung des zauberkräftigen Speichels ankommt (vgl. Abschnitt 3 und 5). Das Gleiche gilt von dem Brauch, ein Gerstenkorn (oder Blattern) im Auge von Jemand anspucken und den Speichel eintrocknen zu lassen (Oldenburg 145 ), Sachsen 1 4 6 )). Die Geschwulst einer Kuh

336

wird dreimal von einer Person angespieen, die das Tier noch nicht gesehen hat (Mecklenburg 147 )). Wenn sie beim Melken pißt, wird ihr dreimal in den Harn gespuckt (Pfalz) 1 4 S ). Ist ihr Leib angeschwollen, so spuckt ihr eine kluge Frau dreimal in die Augen (Schlesien) 149 ). Mit einem unruhigen Kinde geht im Erzgebirge die Mutter kreuzweis aus einer Zimmerecke in die andere, wobei sie ihm dreimal über den Kopf spuckt; dann kehrt sie in den vier Ecken der Stube Staub zusammen und legt diesen in den Kinderkorb 15 °) (wodurch vermutlich die bösen Geister von dem Kind auf den Kehricht abgelenkt werden sollen). Einem „verneideten" Schwein spuckt man dreimal über die Ohren weg (Böhmerwald) 151 ). Die Kohlen des unheimlichen Feuers unter dem Hexenbaum zu Kontern in Luxemburg verwandeln sich in Gold, wenn man in das Feuer spuckt und so den Hexenbann bricht 1 5 2 ). Sehr merkwürdig ist die böhmische Sitte, die Wirkung eines im Zorne erfolgten Schlages dadurch zu beseitigen, daß man sich sofort auf die flache Hand spuckt 1 5 3 ). Hier scheint ein Zusammenhang mit dem identischen antiken Brauch 154 ) kaum abweisbar. Der Sinn kann doch wohl nur der sein, daß das Sp. eine nachträgliche Lähmung der Hand bewirkt, durch die der Schlag sozusagen rückwirkend aufgehoben wird. 128 ) W u t t k e 303, 446. 1 2 9 ) K ö h l e r Voigt130 land 433. ) F r a n z Benediktionen 2, 5 6 1 . 131 ) H e s s l e r Hessen 2, 3 1 9 , 18. 1 3 2 ) Folklore 3 2 1 , 388. " ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 270. 134 ) W u t t k e 184, 2 5 1 . 1 3 5 ) S e y f a r t h Sachsen 13 242. «) D r e c h s l e r 2, 2 8 1 ; Z f V k . 4, 84. 137 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 255. 1 3 8 ) A n 139 drian Altaussee 136. ) F o s s e l Volks14 medizin 1 2 1 . ° ) G r o h m a n n 154, 1113. 141 142 ) W u t t k e 3 3 7 , 502. ) R e i s e r Allgäu 143 2, 444, 189. ) F r i s c h b i e r Hexenspr. 5 7 ; l44 Urquell 1, 1 3 7 . ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 1 1 8 . 1 4 5 ) W u t t k e 350, 5 2 5 . 146 ) S e y f a r t h 147 Sachsen 243. ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 4 5 7 . 148 149 ) W u t t k e 446, 704. ) D r e c h s l e r 2, 15 281. °) J o h n Erzgebirge 5 5 . 1 5 1 ) Z f V k . 1, 152 312. ) R a n k e Volkssagen 2 4 1 f. 1 6 3 ) W u t t k e 406, 627. 1 5 4 ) P l i n i u s h. n. 28, 36 si quem paeniteat ictus eminus comminusve inlati et statim expuat in mediam manum qua percussit, levatur ilico in perusso culpa.

8. Die Abwehr oder das Vertreiben des Unsegens kann sich zu einer Garantie des

337

spucken

Segens verschieben, denn wo jener gewichen ist, hält dieser seinen Einzug. Auf diese Weise erhält das Anspucken eine glückbringende Bedeutung. Die Siebenbürger Sachsen spucken auf die vier Ecken eines neu errichteten Gebäudes, beten bei jeder Ecke, küssen sie und entleeren sich vor der Westseite (d. h. nach dem Dunkel, dem Teufel, den bösen Geistern hin) 15S). Offenbar soll das neue Haus für die Zukunft vor allem Schaden bewahrt werden. Damit stimmt überein, daß in Deutschland eine fertige Arbeit zuweilen angespuckt wird 156 ). In beiden Fällen wird das Sp. zu einer Art Weihung. Ganz deutlich tritt diese positive Seite in der Begründung der betreffenden Bräuche hervor. So spuckt man in Schlesien in das Viehfutter, damit das Vieh gedeiht 1 6 7 ), und ebenda spie man den Backofen dreimal an, ehe das Brot hineingeschoben wurde, damit es gut gerate 158). Die böhmische Bäuerin spuckt in ihr Flachsfeld: das hiflt für einen guten Flachsbau 159). Noch heute spucken sich die Leute in die Hände, wenn sie fechten160), oder vor einer schweren körperlichen Arbeit, namentlich vor dem Heben einer schweren Last: „das bringt Kräfte" sagen sie (Bergisch 161 ), Sachsen 162 )). Der Köder wird angespuckt (Preußen 163 ), Kärnten 164), Pennsylvania-Deutsche 165 )), damit die Fische gut anbeißen. Besonders verbreitet aber ist das Anspucken des zuerst eingenommenen Geldes 166 ) (Berlin 167 ), Brandenburg 168 ), Königsberg 169), Schleswig-Holstein170), Hamburg, Erzgebirge m ) , Schlesien 172 ), Nordböhmen 173 ), Westböhmen 174 ), Wien 1 7 5 ), Eisacktal 1 7 6 ), Siebenb. Sachsen 177 )), was den Zweck hat, weitere Einnahmen zu garantieren (vgl. den sog. Heckpfennig). Wenn in Westböhmen auch gefundenes Geld angespuckt wird 178 ), so fällt dieser Brauch unter das Anspucken gefundener Gegenstände (Abschnitt 4); wenn man anderseits das Anspeien des im Kartenspiel zuerst gewonnenen Geldes (Westböhmen 179 ), Braunschweig 18 ")) damit begründet, daß man dann nicht verliere •(Braunschweig), so wird hier wieder die negative Seite herausgekehrt und an die

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Abwehr schädlicher Mächte gedacht. Im Erzgebirge spuckt man in die Geldbörse, wenn ein kleines Kind schreit: dann hat man immer Geld 1 8 1 ). Wahrscheinlich zeigt das Schreien des Kindes die Anwesenheit eines bösen Geistes an, der auch dem Gelde gefährlich werden könnte, daher wehrt man ihn durch das Sp. ab, und die Folge ist dann eben, daß es am Gelde niemals mangelt. Hier ist der Übergang zu der segnenden Bedeutung besonders deutlich. Spuckt man auf ein Los, so gewinnt es (Schleswig-Holstein) 182 ). Der Schneider spuckt auf die Innenseite des Rockfutters, damit das Kleid bezahlt wird (Schweiz) 183 ). Frauen spucken auf ihr hinten aufgedrehtes (d. h. wohl aus der Fasson gekommenes Kleid) : dann kriegen sie ein neues (Pennsylvania-Deutsche) 184 ). Beim Abschluß eines Kaufes spuckt man sich in die Hand (Schlesien) 185 ). In Berlin wird hinter dem Ausgehenden hergespuckt, damit er Glück habe 18e ). An den Küsten Deutschlands spuckt man im Namen des Teufels auf den Henkel eines Topfes, um viele Fische zu fangen 187 ). Der Topf wird wohl deswegen gesegnet, weil in ihm das Fischgericht gekocht wird. Mit der segnenden Bedeutung des Anspeiens muß es zusammenhängen, daß auf St. Salvator in Schwaben die 'Näberle' genannte Figur der 'Kreuzigung Christi' von jedem hinaufgehenden Kinde angespuckt wird 188 ). Besonders charakteristisch ist, daß in der Sprache der Kameruner matelli (segnen) eigentlich so viel heißt wie ausspucken 189), und daß in Kalabrien für Glückspilz lu sputatu, 'der Bespuckte' gesagt wird 190). 1 5 5 ) W l i s l o c k i Siebenb. Volksgl. 110. 1 5 6 ) S i t t l Gebärden 119, 2. 1 5 7 ) D r e c h s l e r 2, 281. 158) Ebd. 2, 13. 1 5 9 ) J o h n Westböhmen 196. 18°)

H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 399- 1 8 1 ) Urquell 3 , 2 1 2 . 1 9 2 ) S e y f a r t h Sachsen 243. 1 , 3 ) F r i s c h b i e r Hexenpr. 158. "«) ZföVk. 1, 192. 165 ) F o gel

Pennsylvania

256, 1379.

18S)

Wuttke

184, 251. 187 ) K u h n u. S c h w a r t z 459, 439; ZföVk. 1, 288. 1 6 9 ) W u t t k e 409, 633. 189 ) S e l i g m a n n Blick 2, 209. 17 °) ZfVk. 20, 383; J a h n Sachs. Sitzungsber. 1855, 84, 234. m ) S a r t o r i Sitte 2, 181, 6. 1 7 2 ) W u t t k e 409, 633; K n o r t z Streifzüge 1, 138; D r e c h s l e r 2, 280; ZföVk. 1,288. 173 ) ZföVk. 13,133. 174 ) J o h n Westböhmen 252, 265. 17E) H o v o r k a u. K r o n f e l d i, 32; ZföVk. 1,192. l 7 8 ) Ebd. 2,32.

339

spucken

«») H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 320. 178 ) ZföVk. 1, 288. 179 ) E b d . 18 °) A n d r e e Braunschweig 402. 18] ) J o h n Erzgebirge 38. 182 ) Z f V k . 20, 382. 183 ) SchwVk. 3, 73. 184 ) F o g e l Pennsylvania 82, 301. l 8 5 ) D r e c h s l e r 2, 280. 1 8 t ) S e 188 ) l i g m a n n Blick 2, 210. 1 8 7 ) Ebd. Bir199 ) l i n g e r Aus Schwaben 1, 160. Dölger Sol Salutis 40. 19 °) D e u b n e r Magie und Religion 21. 51.

9. Ist das Sp. somit in vielen Fällen angebracht, um ein Unheil oder böse Geister abzuwehren oder zu vertreiben, so gibt es anderseits mancherlei Gelegenheiten, wo es als unehrerbietig und sündhaft angesehen wird, weil das angespuckte Objekt Rücksicht oder Verehrung heischt. Im Rheinland hieß es sogar sehr summarisch : wer spuckt, kommt nicht in den Himmel 1 8 1 ), und Kinder, die spucken, sollten vom Teufel besessen sein 192 ). Uber Kinder, die öfter ausspucken, erhält der Satan Gewalt (Tirol) 193 ). Spuckt ein Kind ein anderes an, so wächst ihm eine Kröte zum Munde heraus (Erzgebirge) 194 ). In Schlesien wird verboten in das Feuer oder Wasser zu spucken 195 ). Wer in das Wasser spuckt, spuckt unserem Herrgott in die Augen (Waldeck 196 ), Schweiz 197 )) oder der Mutter Gottes ins Antlitz (Schlesien) 198). In Tirol ist es Sünde, ins Feuer zu spucken 199 ), und wer es tut, bekommt Zahnweh 20°). Gegen das gleiche Leiden nimmt man sich vor, in der Kirche nicht mehr auszuspucken (Franken) 201), d. h. man betrachtet das Zahnweh als Strafe für die Verunglimpfung der Kirche. " ! ) ZfrwVk. 10, 244. l 9 2 ) E b d . "3) Heyl Tirol 799, 237. 1 M ) J o h n Erzgebirge 57. 186) 19e ) C u r t z e D r e c h s l e r 2, 139. Waldeck 412, 203. 197 ) K u o n i St. Galler Sagen 60, 124; S i b i l l o t Le paganisme 294. 198 ) D r e c h s l e r 2, 147. 1 9 t ) Z i n g e r l e Tirol 38, 309. 20°) Ebd. 38, 308. 2 0 1 ) W u t t k e 351, 527.

10. Wenn es heißt, daß nach dem Hineinspucken ins Feuer Ausschlag, Geschwüre, Blasen usw. am Munde, namentlich an der Zunge auftreten (Bergisch 202), Hessen 203), Mecklenburg 204)), so handelt es sich hier nicht um eine von einer höheren Macht verhängte Strafe für die Verletzung von etwas Verehrungswürdigem, sondern um eine Wirkung des Feuers durch den mit ihm in Berührung gekommenen ausgespuckten Speichel auf den mit diesem in sympathetischem Zusammenhang blei-

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benden Mund. Der ins Feuer Spuckende verbrennt sich richtig den Mund. Vielleicht gehört auch das oben20S) erwähnte Zahnweh hierher. Wenn Kinder ins Feuer spucken, bekommen sie einen Grindkopf (Schweiz) 206). Der gleiche Gedanke liegt vor, wenn man nicht auf eine Herdplatte spucken darf, weil man sonst ein böses Gesicht bekommt 207). Die Vorstellung, von der Heiligkeit des Herdes wird hier ferngehalten werden müssen. Das bestätigen zwei analoge Äußerungen des Volksglaubens: Wer an den heißen Ofen oder auf das glühende Eisen spuckt, bekommt einen Grindmund (Baden 208),. Pfalz 209)). Auf dieselbe Weise erklärt sich der süddeutsche Aberglaube, daß man ein. geschwollenes Maul bekommt, wenn man in den Wirbelwind spuckt 210 ). Auf Kröten und Frösche darf man nicht spucken,, sonst wächst einem ein solches Tier nach drei Tagen auf der Zunge (Böhmerwald 211 ), Mähren 212)). Der Tischler darf in Mecklenburg beim Verfertigen eines Sarges nicht auf die dazu bestimmten Bretter spucken, sonst stirbt er auch bald 213) (denn er tritt in Kontakt mit dem Tode). Hunde werden dadurch anhänglich gemacht, daß man ihnen früh nüchtern ins Maul spuckt (Schlesien 214 ) r Tirol 2 1 6 )); einen ähnlichen Sinn hat der gegen das Verfangen geübte mecklenburgische Brauch, dreimal mit dem Daumen der linken Hand vom Nacken bis zum Schwänze eines Tieres abwechselnd mit und gegen den Haarstrich zu streichen (Bindezauber), dreimal auf die Schnauzedes Tieres zu spucken und es dreimal in die eigene Mütze riechen zu lassen 216 ). Offenbar soll das Verlorengehen des Tieres d a durch verhütet werden. 202 ) Urquell 3, 212. 203) W o l f Deutsche My2M) B a r t s c h thologie 235, 418. Mecklenburg 2, 130, 544. 206) Abschnitt 9, 200. 2 M ) R o c h 207 ) J o h n h o l z Kinderlied 319, 789. Westböhmen 252. 208) M e y e r Baden 52. 209) K l e e b e r g e r Fischbach 45. 21 °) W u t t k e 303, 444; 2U) vgl. Abschnitt 2, 1 2 — 1 5 . Schramek: 212 ) Böhmerwald 246. W u t t k e 116, 154. 213 ) B a r t s c h 211 > Mecklenburg 2, 95, 320. 215 ) Drechsler 2, 96. Wuttke 433, 679- 21S ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 439, 2028.

11. Das bloße Aussp. dient vielfach dazu, irgendeine schädliche Substanz aus

34i

spucken

dem Körper oder speziell aus dem Munde auszuscheiden (vgl. Abschnitt 1). So schreiben bereits die Pestärzte des 17. und 18. Jahrhunderts vor, im Krankenzimmer fleißig auszuspucken 217 ), offenbar damit man nicht den Krankheitsstoff hinunterschlucke und selbst krank werde. Dasselbe wird in Schwaben und anderwärts angeraten 218 ), namentlich falls es Jemand beim Krankenbesuch ekelt (Schwaben219), Allgäu 220)). Sogar wenn dies Letztere beim bloßen Erwähnen einer Krankheit eintritt, soll der Betreffende sogleich dieses Gift ausspucken, sonst erbt er die Krankheit (Oberpfalz) 221 ). Wenn etwas ins Auge gerät, soll man schon nach den Vorschriften des 17. Jahrhunderts dreimal über die rechte Hand speien 222), damit es wieder herauskommt, oder über den linken Arm 223 ). Oder man hält den Atem an, bis man dreimal über den entgegengesetzten Arm gespuckt hat (Süddeutschland) 224), spuckt also links über die Achsel, wenn etwas ins rechte Auge geraten ist (Bayern) 225). Oder es wird einfach empfohlen, dreimal über die Achsel zu spucken (ohne Angabe der Seite) (Sachsen) 22S ), oder sich dabei mit dem Rücken gegen die Wand zu stellen und dag kranke Auge zuzudrücken (Schlesien) 227 ), oder mit dem Rücken gegen die Wand und mit zugedrücktem Auge kräftig auszuspucken (Schlesien) 228), oder mit geschlossenem Auge in einen Winkel zu spucken (Steiermark) 229), oder mit geschlossenem Auge mit dem Fuß zu trampeln und auszuspucken (Schlesien) 2S0), oder das beschädigte Auge aufzusperren und dabei dreimal auszuspucken (Steiermark) 231 ), oder das andere aufzuspreizen und dazu auszuspucken (Böhmerwald) z3a ), oder einfach dreimal auszuspucken und dabei zu rufen: „Pfui Teufel, pfui" (Schlesien) 233 ). Daß man dabei an ein dem Ausspeien analoges Ausscheiden des Fremdkörpers denkt, zeigt deutlich der schlesische Brauch, das Augenlid in die Höhe zu heben, dreimal auszuspucken und dabei zu sprechen: „Teufel, geh raus; Mutter Gottes, komm rein" 234). Bei Husten spuckt man rasch einmal zur Tür hinaus (Steiermark) 235 ), bei Sodbrennen auf ein auf dem Wege gefundenes, von

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einem Wagen abgefallenes Stück Teer, das man hinterher auf einen Baum legt (Mecklenburg) 236), bei Gelbsucht durch einen zum Kranz gefaßten Faden, mit dem man sich hat messen (s. d.) lassen und der hinterher ins Feuer geworfen wird (Oldenburg) 237 ), bei Zahnschmerzen in den Abort (Erzgebirge) 238), oder man läßt seinen Speichel auf eine zerquetschte Ameise, Biene oder Fliege tröpfeln, mit deren Saft man das Zahnfleisch bestrichen hat 239), oder man kaut Ingwer, läßt den Speichel an den kranken Zahn fließen und speit ihn auf ein Leinwandläppchen, das ein anderer zu sich steckt 240), oder fünfmal in einen gelben Weidenstrauch, in dessen eine Rute man fünf Knoten knüpft (Voigtland) 241 ), so daß die Schmerzen in den Strauch gebannt sind, bei Blasen auf der Zunge und überhaupt wehem Munde ins Feuer (PennsylvaniaDeutsche) 242). Wer Blasen auf der Zunge bekommt, wird von jemandem belogen oder verlästert. Der Belogene soll dreimal ausspeien und dem Belüger alles Böse anwünschen 243), der Verlästerte in die Fußspur eines Menschen spucken und dazu sprechen: „Blatter, Blatter, wandre zum bösen Gevatter" (Siebenb. Sachsen) 244). Die Fußspur ist mit dem Menschen, von dem sie stammt, sympathetisch verbunden, daher müssen die Blasen auf diesen übergehen. Vom Magenkrampf kann man sich befreien, indem man, ohne daß es jemand sieht, einen Toten im Sarge aufrichtet und dreimal stillschweigend unter ihn speit (Mecklenburg)24S): die Krankheit wird dann mit begraben. Bei den Siebenb. Sachsen speit man in ein offenes Grab, um ein Halsweh loszuwerden 246). In derselben Richtung liegt es, wenn man bei Seitenstechen oder Schlucken im Boden eine kleine Grube macht, hineinspuckt und sie wieder zudeckt (Schweiz) 247), oder wenn man bei Zahnweh am Karfreitag frischen Rasen aushebt, in die Öffnung Speichel laufen läßt und dann den Rasen wieder darauf deckt, wobei kein Wort gesprochen werden darf (Hessen) 248). Besonders beliebt ist es, einen Stein aufzuheben, darunter zu spucken und den Stein wieder in seine

343

Spuk

alte Lage zu bringen, so daß er auf der mit dem Speichel ausgeschiedenen Krankheit lastet. Dies geschieht bei Lungenleiden (Salzkammergut) 249 ), namentlich aber bei Seiten (Milz-)stechen (Erzgebirge 2S0 ), Bayern, Schwaben 261 ), Schweiz 252 ), Steiermark 2 5 3 ), Böhmen 254 )). E s kann auch die untere Seite des Steines bespieen werden, der dann wiederum in die alte Lage zu bringen ist: bei Zahnweh (Schwaben) 255 ), bei Seitenstechen (Sachsen 256 ), Württemberg 257 ), Schweiz 258 ), Tirol 259 )). Dasselbe ist jedenfalls auch gemeint, "wenn die Seite des Steines nicht genauer bezeichnet wird, bei Seitenstechen (Brandenburg 260), Schweiz 2 6 1 )), bei Milzhacken, d. i. Herzklopfen (Schwaben) 262 ), bei Kolik (Schweiz) 263 ). Der Schwimmer schützt sich vor Krämpfen, wenn er vorher auf einen Stein spuckt und die bespuckte (vorher obere) Seite nach unten legt (Pennsylvania-Deutsche) 2 M ). Wenn man bei plötzlichem Schreck dreimal ausspucken muß, um vor Krankheit bewahrt zu bleiben (Preußen 265 ), Brandenburg, Schlesien,Böhmen 266 )), so wird auch der Schreck als ein in den Körper eingedrungenes, schleunigst auszustoßendes Übel empfunden. In Straßburg begegnete es, daß ein Zauberer vor Gericht aufgefordert wurde auszuspucken, wonach er ein umfassendes Bekenntnis über sein Verhältnis zum Satan ablegte 267 ). Mit dem Aussp. hatte er die böse Macht, von der er besessen war, ausgeschieden, und konnte daher alles gestehen. 2 1 7 ) ZföVk. 218) L a m m e r t i, 192. 102; B u c k Volksmedizin 42. 2 1 9 ) B i r l i n g e r Aus Schwaben 1, 487. 2 2 °) R e i s e r Allgäu 2, 447. 221) SchönwetthOberpfalz 3, 264. 2 2 2 ) Rockenphilosophie S. 999 Kap. 94. 2 2 3 ) P r a e t o r i u s Philosophia colus 165; Rockenphilosophie S. 596 Kap. 40 = G r i m m Myth. 3, 444, 317. 224) P a n z e r 22S) Beitrag 1, 258. Lammert 230. 2 2 8 ) S e y f a r t h Sachsen 243. 2 2 7 ) D r e c h s l e r 2, 281. 2 2 8 ) Ebd. 2 2 9 ) F o s s e l Volksmedizin 94- 2 3 °) D r e c h s l e r 2, 296. 2 3 1 ) F o s s e l Volks233) medizin 94. 2 3 2 ) ZfVk. 1, 201. Knortz Streifzüge 1, 141 (nach Grabinski). 2 3 1 ) D r e c h s l e r 2, 296. 2 3 S ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 20. 2 3 8 ) B a r t s c h Mecklenburg2, 116. 2 3 7 ) S t r a c k e r j a n 1, 91. 2 3 8 ) J o h n Erzgebirge 110. 2 3 i ) M o s t Die sympathetischen Mittel 120, 36. 2 1 °) E b d . 2«) Köhler 120, 37. Voigtland 414, 432. 242) F o g e l Pennsylvania 89, 347; 272, 1416 f. 2") Rockenphilosophie S. 588 Kap. 34 =

344

2") G r i m m Myth. 3, 444, 311. Wlislocki 2«) Siebenb. Volksgl. 85. Bartsch Mecklenburg 2, 113. 2 4 6 ) W l i s l o c k i Siebenb. Volksgl. 95SAVk. 7, 137. 2 » 8 ) H e s s l e r Hessen 493- 2 4 9 ) A n d r i a n Altaussee 136. 2 5 °) J o h n Erzgebirge 110. 2 S 1 ) L a m m e r t 256. 2 5 2 ) SAVk. 2, 261, 124; Unoth 189, 10; M a n z Sargans 253) 251) 82. Fossel Volksmedizin 119. 265) W u t t k e 358, 539. Birlinger Aus Schwaben 1, 483; B u c k Volksmedizin 42. 2") " • ) ' S e y f a r t h Sachsen 221. Bohnen258) Z a h l e r b e r g e r 14. Simmenthai 113. 2 5 9 ) S e l i g m a n n D. magischen Heil- u. Schutzmittel 212. 2 8 °) ZfVk. 1, 192. 2 6 1 ) Mitteilung aus Stein a. Rhein. 2 6 2 ) B u c k Volksmedizin 42. 283) M a n z 284) F o g e l Sargans 78. Pennsyl265) vania 281, 1 4 7 6 1 Frischbier Hexenspr. 42. 2 M ) W u t t k e 184, 251. 2 8 7 ) Alemannia 8, 121.

12. Die psychologische Erklärung versagt in folgenden Fällen: Spuckt man dreimal auf eine Glockenblume, so bleibt der Regen aus (Böhmerwald) 268). Wenn man sich von ungefähr anspeit, erfährt man etwas Neues 269 ). Wenn man schnell auf den Finger spuckt und ihn hinter das Ohr hält, so muß der Verleumder sich benässen (Oldenburg) 270). Wenn in Mühlhausen ein Knabe einem andern gegenüber etwas beteuert, sagt letzterer zu jenem: „ S a g ja und spei". Dies gilt als Ehrenwort 271 ). 288) 2«») Schramek Böhmerwald 248. Rockenphilosophie S. 940 Kap. 55 = G r i m m 2,°) Myth. 3, 449, 453. S t r a c k e r j a n 1, 33f., 22. 2 7 1 ) Alemannia 8, 121. Deubner.

Spuk. Das Wort S p u k ist erst in frühneuhochdeutscher Zeit aus dem ndd. spook (als spokne in dem chron. saxon. bei Eccard. p. 1391. Detmar 1, 136 hat spuk, 2, 206 vorspok praesagium, heute spök, nnl. spook, spookzel, schwed. spdke, dän. sp6kenis a. 1618, spogelse spectrum, spög iocus; dafür sollte im mhd. spuoch, nhd. spuch erwartet werden, was aber nicht vorkommt. Nur gespüc (bei Berthold cod. pal. 35 fol. 27b) ist in die hochdeutsche Schriftsprache eingedrungen und ist erst seit dem 18. Jh. allgemein verbreitet. Wie ahd. gispanst (zu ahd. spanan locken, reizen, s. Gespenst) und ahd. gitroc, ags. gidrog (zur indogerm. Wurzel *drugh,.schaden", wozu auch altnord. draugr) bedeutet es sowohl Gespenstererscheinungen, unheimliches Treiben übernatürlicher Wesen, bes. Toter, als auch diese Wesen selbst 1 ). Heute bezeichnet man ganz all-

345

Spuk

gemein als Sp. „von den menschlichen Sinnen, besonders Gesicht und Gehör, wahrnehmbare, unirdische, rätselhafte und darum unheimliche Vorfälle mancher A r t " , zuweilen auch einen Ort, an welchem es nicht geheuer ist. Hierher gehört das Erscheinen lebender Menschen an anderen Orten, als an welchen sie sich in Wirklichkeit befinden (s. Doppelgänger), das Erscheinen Verstorbener (s.a. Wiedergänger), das Vorhersichtbarwerden oder andere Vorzeichen (s. Geisterkutsche, Geistermesse, Geistermusik, Geisterohrfeige, Kettenlärm) zukünftiger Ereignisse, besonders des Todes Dritter (s. geistersichtig, zweites Gesicht), auf natürliche Weise nicht erklärbare Sinneswahrnehmungen, die sich gewöhnlich an bestimmte Orte knüpfen 2). Losgelöst vomZusammenhang mit menschlichen Wohnungen lassen sich Sp.erscheinungen als W e g s p u k (zeigt sich an bestimmter Wegstelle, begleitet einsamen Wanderer und verschwindet wieder spurlos), W a n d e r s p u k (zieht als flüchtige Erscheinung vorüber und verliert sich in der Ferne), N a t u r s p u k (in Wälder, Schluchten, Berge, Einöden, Gewässer usw. gebannte, als Quäl- und Poltergeister lästige Seelen, die in Naturgeister übergehen). Dabei ist die Grenze zwischen ursprünglichen Seelenwesen und Dämonen nicht immer genau zu erkennen. Unbestimmte, wechselvolle Erscheinungen weisen auf Seelenwesen hin, während typische, scharfgezeichnete Gestalt den Dämonen eignet. Den Übergang bilden weiße Frauen und graue Männchen (Zwerge, Elben, Kobolde) 3). Die feurigen Sp.erscheinungen entstammen teils dem Glauben an das brennende Fegfeuer (s. Arme Seelen, Geist), teils wirklichen Beobachtungen (moderndes Holz, Irrlichter u . a . ) 4 ) . Spukhafte Vorgänge haben zu allen Zeiten die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich gelenkt. In jüngster Zeit hat besonders der im Frühjahr 1916 einsetzende sog. „Sp. von Großerlach", einem etwa 300 Einwohner zählenden Dorf im württembergischen Oberamt Baknang, unweit Stuttgart, Aufsehen erregt 5 ). Ob es bei solchen Sp.vorgängen um Phänomene übernatürlicher Art, etwa um Kundgebun-

34

gen abgeschiedener Seelen, bzw. einer bestimmten Kategorie von Geistern, handelt, wie von manchen aus Überzeugung behauptet wird 6 ), ist wissenschaftlich noch nicht genügend geklärt. Eine rein mechanische Auffassung der rätselhaften Erscheinungen führt jedenfalls nicht durchwegs zum Ziel. Da man Sp. nicht absichtlich herbeiführen oder auch nur vorhersehen kann, kann er auch nicht Gegenstand von Experimenten sein. G e i s t e r s p . bedeutet T o d , besonders das Erscheinen eines Verstorbenen (Wiedergängers), der sog. N a c h s p . 7). Sp.hafte Vorgänge werden besonders n a c h t s wahrgenommen (s. Geisterzeit, Geisterstunde), lassen sich aber auch tagsüber, während eines Gewitters (s. d.) besonders häufig beobachten 8). Sie sind regelmäßig nur von ganz k u r z e r D a u e r 9 ) . Die bekanntesten nächtlichen Sp.erscheinungen im Freien haben Reiter und bellende Hunde gemein und gehen gewöhnlich unter dem Namen „wilde J a g d " (s. d.) oder „wildes Heer" (s. d.). Einzelne sp.hafte Vorgänge sind an bestimmte örtlichkeiten gebunden (s. Geisterort). So ist es an heidnischen, römischen oder keltischen Orten nicht geheuer 10 ), ebenso auf Brücken u ), in Burgruinen, wo vielfach wie an anderen Geisterorten Geld gefunden wird 1 2 ), auf Schlachtfeldern, Mordsteilen, Richtstätten, an einsamen Feldkreuzen und Kreuzwegen und besonders Friedhöfen 1 3 ). Unter den Sp.orten nehmen die Sp.h ä u s e r einen hervorragenden Platz ein (s. a. Geist, Geisterhaus). Vielfach sind es nur einzelne Teile eines Hauses, einzelne Zimmer, in denen sp.hafte Vorgänge beobachtet werden. Da hört man ein merkwürdiges Sausen und Klingen, Rufe und Musik aus der Mauer, dazwischen ein Geräusch wie von einer Säge, lautes Klopfen und Hämmern, Trommeln und Peitschenknallen. Am meisten werden die Nerven der Bewohner erregt durch ein unheimliches Tasten und Kratzen an den Betten und Wänden, erbsengroße, bläuliche Funken fliegen durch die Stube (Prozeß von Oels 1916) 1 4 ). In anderen Fällen werden Türen und Fenster aufgerissen, auch wenn.

347

Spur—Stabaus

m a n sie mit Stricken angebunden h a t t e ; Kisten und Kasten werden untereinander geworfen, j a die Bewohner so geängstigt und gequält, d a ß schließlich niemand sich mehr findet, der in solchem Hause wohnen bliebe 1 6 ). Sp.hafte Erscheinungen können l e b l o s e D i n g e sein: eine brennende Garbe, «in R a d , Beil, ein Wagengestell, das sich ohne Fuhrmann und Pferde dahinbewegt, u. a . 1 6 ) . S p u k e n d e T i e r e (s. Dorftier, Geistertier, Gespenst) sind nach dem Volksglauben Seelen von Verdammten, die in solcher Gestalt umgehen m ü s s e n 1 7 ) . M e n s c h e n g e s t a l t i g e Sp.wesen zeichnen sich durch Größe und Farbe (schwarz, weiß) aus (s. Geist, weiße Frau), tragen z. T . altertümliche Kleidung, und ihr graues schimmliges Gesicht, das zuweilen a u c h an Spinnweben erinnert, gewährt •einen schaurigen Anblick 1 8 ). Daneben steht der einfache nächtliche Sp. m i t ,,großen Augen, die Fensterscheiben gleich sehen, hinter denen ein Licht b r e n n t " . Dieser Sp. scheidet sich oft in der verschiedensten Weise als Geisterkutsche (s.d.), wilder Jäger (s.d.), Wetterhexe, nächtlicher Reiter u. a . 1 9 ) . I m allgemeinen gilt das Spuken als Strafe für die Toten, die dadurch ihre Sünden abbüßen *>), aber auch als Ung l ü c k für die Lebenden. Manche L e u t e sehen sich sogar Wochen, Monate, selbst Jahre lang von Sp.erscheinungen verfolgt. V o n bedeutenden Personen, die darunter zu leiden hatten, führt Piper u. a. Martin Luther, die Dichter Lenau, E . T . A . Hoffmann, Friedr. Wilh. Weber, d e n Feldmarschall v . Steinmetz a n 2 1 ) . Man sucht deshalb, den sich bemerkbar machenden Sp. durch die bewährten Mittel der Geisterabwehr (s. d., Geisterbann, -prozeß) unschädlich oder noch besser durch vorbeugende Maßnahmen überhaupt unmöglich zu machen. U m Sp. aus d e n Häusern z u bringen rät ein Heilbüchlein etwa v o m J . 1720: „Vergrabe daselbst Surtarbrandur. So läßt der Sp. nach"22). Gegen den in voller körperlicher Gestalt erscheinenden Wiedergänger (lebenden Leichnam) bediente man sich des Pfählens: der Körper wurde mit einem

348

Pfahl durchbohrt (Saxo I 246, 43). Auch wurde der K o p f der Leiche als Ausgangspunkt des Sp.s abgeschlagen und verbrannt, wie bisweilen auch der ganze Körper. U m auch der Asche jede Wirkungsmöglichkeit zu nehmen, wurde sie ins Meer gestreut oder an einem abgelegenen Ort begraben oder in einem Gefäß in eine Quelle versenkt (altisländ.). Man schließt alle Öffnungen der Leiche, besonders die Nasenlöcher (als Ausgangspunkt des Sp.geistes?) 23 ). !) G r i m m Myth. 2, 762; 3, 278; Hoops Reallexikon

4, 2 0 7 s . ; P a u l DWb.

516;

Sim-

r o c k Mythologie 467; vgl. A c k e r m a n n Shakespeare 52S.

P i p e r Spuk 7. 2 4 f f . 3 9 g . 67.

2)

96ff. i37ff.; S t r a c k e r j a n 1, 144. 176. 178; ZfrwVk. 1914, 284. 3 ) K ü h n a u Sagen 1, X X X I V f . ; Helm Relig.gesch. 1, 30 f.; W r e d e Rhein. Volkskunde2 1 4 1 ; W u n d t Mythus u. Religion 1,462. 4 ) R a n k e Sagen 55 ff. 5 ) P i p e r Spuk

76 ff. nach 29. J u l i

1916.

der

6)

„Wiesbadener Grabinski

Ztg."

Mystik

vom

33off.;

P i p e r Spuk -JÜ. 7 ) E i s e l Voigtland 142 Nr. 383; P i p e r Spuk 107®. 8 ) K u h n u. S c h w a r t z 454 Nr. 407. •) P i p e r Spuk 21. 10 ) B i r l i n g e r Aus Schwaben 1, 348. u ) B a r t s c h Mecklenburg 1, 1 7 9 f . Nr. 222; U r q u e l l 3 (1892), 344t. 12 )

Eisel Voigtland 240 Nr. 596.

13 )

Crooke

Northern India i 8 2 f f . ; K ü h n a u Sagen 3, 2 i 2 f . ; P i p e r Spuk 67S. 8gff.; S c h e l l Berg. Sagen

341 Nr. 36; S t r a c k e r j a n 2, 243. 273. 314; ZfrwVk. 1913, 61; SAfVk. 24 (1922), 8 4 ! 15 ) B i r l i n g e r ") G r a b i n s k i Mystik 360.

Aus Schwaben 1, 209. 229; K n o o p Hinterpommern 1 0 3 ! ; K ü h n a u Sagen 1, 108. i 2 o f . ;

P i p e r Spuk 67 ff. (hier besonders reiches Material); SAVk. 8, 312; ZfVk. 10 (1900), 286 f.; 18 (1908), 94; Urquell

3 (1892), 253 f.

ie)

B a r t s c h Mecklenburg 1, 176. 183t.; K ü h n a u Sagen 1, 391; S t r a c k e r j a n 1, 296; ZfVk. 7

(1897), I 3 I - 1 7 ) P i p e r Spuk i o 2 f . ; S t r a c k e r j a n 2, 355; Z f V k . 6 (1896), 94. 440; 12 (1902), 19) B i r l i n g e r 71. Aus Schwallen 1, 22öf.; K ü h n a u Sagen 1, 308f. 5 2 8 I 5 7 4 t . ; P f i s t e r Hessen g8ff.; P i p e r Spuk 8 4 ; ' R e i s e r Allgäu

1, 312; S o l d a n - H e p p e 2, 427; S t r a c k e r j a n 3 r 5.' 2 . 321. 368. 18 ) S c h w a r t z Volksglaube 20 ) B a r t s c h 1850. Mecklenburg 1, 1760. i87f. 191 f.; J o h n Erzgebirge 131; S t r a c k e r j a n 1, 145. 226; Urquell 3 (1892), 163. 252 f. 279f. 21 ) P i p e r Spuk 96Ü. 22 ) ZfVk. 13 (1903), 275. 2S ) Hoops Reallexikon 4, 209. Mengis. r.

Spur s. F u ß s p u r 3, 240 ff. Stab s. Nachtrag. Stabaus oder Staubaus ist der Anfang eines Liedes, das beim „ W i n t e r a u s t r a g e n " an Lätare (s. d.) in bestimmten Gegenden der Pfalz und Rheinhessens gesungen wird.

349

Stabi fabi fati—Stachelbeere

Das Wort wird dann als Bezeichnung für die Handlung, für das ganze Fest und für das Werkzeug der Handlung (das Strohoder Holzbund) gebraucht 1 ). In der südlichen Nachbarschaft ist mehr die Bezeichnung „Sommertag" (s.d.) üblich, und das Lied beginnt: „ R i ra ro! De Summerdag is do". Das Wort Stabaus ist wohl eine imperativische Bildung und drückt die Aufforderung zum Angriff auf den Winter aus, der aus dem Lande gestäupt werden soll 2 ). Andere finden darin eine Aufforderung zum Wandern 3 ). Die Kinder tragen bei den Umzügen den mit Brezeln geschmückten Stabaus- oder Sommertagsstecken (Sommertagsgabel)4. *) HessBl. 6 (1907), 155 fr.; G r i m m Mythol. 2, 637 f. s ) HessBl. 6, 156 f. Vgl. M e y e r Baden 90. In Schleswig-Holstein werden am Fastnachtsmontag die Langschläfer aus den Betten gestäupt mit den Worten: Stuw (stup) ut, stuw ut, min Heiteweck usw. (in Flensburg: stuf op, auf Föhr: klopp op). Nds. 16, 250 f. 252. Vgl. OberdZfVk. 5 ( i 9 3 i ) , 3 f . *) A m i r a Stab 4 = K ü n s s b e r g Rechtsbrauch u. Kinderspiel 54 Anm. 5.; B e c k e r Pfalz 304 f. 4 ) HessBl. 6, 158 f.; H ö f l e r Fastnacht 92; A R w . 8 (Beiheft), 82 f. 91. 97 f. f Sartori.

Stabi fabi fati 1 ), Zauberworte, aus Habere usw. (s. d.) entstellt. *) Urquell 3 (1892), 68.

Jacoby.

Stabwunder s. Nachtrag. Stabwurz s. E b e r r e i s 2, 527 ff. Stachelbeere (Christophsbeere, Grosselbeere, Kräuselbeere; Ribes grossularia). 1 . Gartenstrauch, der in einer Abart (var. uva crispa) auch öfters an Waldrändern, in Hecken usw. wild vorkommt. In der Urzeit scheint die St. wenig beachtet worden zu sein, doch war sie schon im frühen MA. gut bekannt *). In Preußen hieß die St. Christophsbeere, „man glaubt, Christoffel sei mit einer Krone von dem Strauche gekrönt worden" 2). Der Name Christophsbeere ist aber wohl volksetymologisch aus „Krusel-", „Grosseibeere" usw. entstanden, so daß auch die von Mannhardt an den Namen „Christophsbeere' ' geknüpften mythologischen Spekulationen hinfällig sind. Im Englischen ist „gooseberry" ( = St.) auch eine Bezeichnung für den Teufel 3 ). *) H o o p s Reallexikon 1, 204; K i l l e r m a n n Zur Geschichte d. Johannis- und Stachelbeere.

350

In: Naturw. Wochenschr. 34 (1919), 344—347. ) H e n n i n g Preuß. Wb. 1785, 47 = ZfdMyth. 3, 118. 3 ) L i e b r e c h t Zur Volhsk. 500.

a

2. Die Zweige der St. dienen, wie die anderer Dornsträucher (s. 2, 357), zur Abhaltung der Hexen. Schon F u c h s 4 ) schreibt: „man sagt auch das die Äste von den Krüselbeeren für die thür und fenster gestrewet oder gelegt allerley zaubereyen onnd vergifftung vertreiben. Vnd daher kompt es on alle zweifei das man die zeune mit disem gewechs verwaret dann es nit allein verhütet mit seinen dornen das niemands hinein inn die guter kommen kann sondern auch vertreibet allerley zauberey vnnd vergifftung so den gärten schaden bringen kann". Um die Hexen am Walpurgisabend (oder an Fastnacht) fernzuhalten, steckt man besonders in der Oberpfalz und in Oberfranken Zweige der St. an die Türen und Fenster der Stalltüren 6 ). Auch nach altem französischen Glauben sollten die im Haus befindlichen St.zweige die „diables" vertreiben 6). 4 ) NewKreuterbuch 1543, cap.68. e ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 3 1 2 ; M a r z e i l Bayer. Volksbot. 18. 30. 200; J ä c k e l Oberfranken 1 7 3 ; Heimatbild, aus Oberfranken 4 (1916), 1 5 3 ; B a u e r n f e i n d Nordoberpfalz 41 (soll am Karfreitag gesteckt an die Dornenkrone Christi erinnern, wohl eine christliche Umdeutung der hexenabwehrenden Dornzweige), vgl. auch R e i n s b e r g Böhmen 2 1 0 ; W u t t k e 286 § 420. 6) A r n o u l 1 5 1 7 = R o l l a n d Flore pop. 6, 75.

3. Gegen den Blutfluß nimmt man neun St.dornen, steckt sie dem Kranken in die Seite und spricht dazu: „Blut, Blut, Blut! Im Namen des Heilandes Jesus Christus, der wahrhaftig am Kreuz für uns gestorben ist, gebiete ich dir, du sollst stille stehen. Im Namen des Vaters usw. — Amen, Amen, Amen". Dabei wird übers Kreuz über den Mund des Kranken geblasen 7). In Ruhla glaubte man, daß diese Sträucher (vgl. auch die verwandte schwarze Johannisbeere = Gichtbeere) von Gichtkranken gepflanzt seien und dem Gesunden die Berührung dieser Sträucher gefährlich sei 8 ). In Lothringen sagt man den Kindern, die man vom Essen der unreifen St.n abhalten will, daß deren Genuß Läuse verursache 9 ), vgl. auch die schwäbische Bezeichnung „Lausbeere"

351

Stachelkugel—Stall

für die St. (wohl wegen der Form der Samenkörner). 7 ) Grafschaft Ruppin: Z f V k . 7, 59; vgl. W e i n h o l d Neunzahl 1 3 f. 8 ) R e g e l Ruhlaer Mundart 1868, 1 4 3 f. ' ) Mémoires de l'Acad. de Metz 35 (1905/06), 1 2 5 ; R o l l a n d Flore pop. 6, 74.

4. Wenn man wilde Stachelbeerstöcke drei Jahre nacheinander am Gründonnerstag vor Sonnenaufgang versetzt, so entwickelt sich ein Garten-Stachelbeerstrauch daraus 10 ). 10

) Spessart: Bayerland 25 ( 1 9 1 3 / 1 4 ) , 233. Marzeil.

Stachelkugel (Stachelvotiv) 1 ). S.n, auch Bärmutter, Muetter, Spieß, Kästenigel, Stacheligel genannt, sind rings mit Stacheln versehene, meist aus Zirbelholz, selten aus Messing oder Eisen gearbeitete Kugeln mit einem Durchmesser von 8 bis 19 cm 2 ). Sie wurden — heute ist der Brauch erloschen3) — nach überstandener Geburt oder Gebärmutterkrankheit an Stelle der sonst üblichen Votivkröten 4), mitunter auch bei Magenerkrankungen B), dargebracht. Das Verbreitungsgebiet der S.n ist auf Südtirol, insbesondere den Vinschgau, beschränkt 6 ), wo sie allerdings an Zahl alle anderen Votive zusammen übertreffen '). Uber das Alter gibt Aufschluß ein aus Ulten bei Meran stammendes Votivgemälde in Andechs (Oberbayern) vom Jahre 1685, das eine S. neben einer sich der heiligen Jungfrau verlobenden Frau darstellt 8 ). Während Höfler ®) die S.n mit dem sog. Igelkalb, dem umgestülpten Uterus der Kuh, in Verbindung brachte, wurden sie von Eysn 10 ), Hein u ) , später von Kriß 12 ) wohl mit mehr Wahrscheinlichkeit gedeutet als Darstellung der aufsteigenden Gebärmutter, die allgemein das Gefühl von einer im Leibe sich bewegenden Kugel verursacht, wie auch das unter dem Namen globus hystericus bekannte Erstickungsgefühl im Halse der Gebärmutter zugeschrieben wird 13 ). Darstellungen: H e i n Die Opferbärmutter als S. Z f V k . 10 (1900), 4 2 0 f i . ; K r i ß Das Gebärmuttervotiv, Augsburg 1929 (ausführliches Literaturverz.). 2 ) Abb. bei K r i ß Nr. 19 u. 20; Beschreibung bei A n d r e e A R w . 1 9 1 3 , 618. 3 ) Z f V k . 25, 189. 4 ) W e b e r im Korrbl. f. Anthrop. 30 (1899), 59. 6 ) A n d r e e Votive 1 3 7 .

352

«) K r i ß 48. ' ) Karte bei K r i ß . ") B a r g h e e r Eingeweide 4 2 1 . 9 ) Z f V k . 1 1 , 8 2 ; J u n g b a u e r Volksmedizin 28, vgl. 1 9 1 . 1 0 ) Z f V k . 9, 1 5 4 — 1 5 7 . u ) a. a. O. 1 J ) a. a. O. 4 2 ; vgl. H o v o r k a u. K r o n f e l d i, 4 3 6 ; 2 , 6 2 8 . 1 3 ) B a r g h e e r Eingeweide. Groth.

Stachelschwein. Das nach der Verödung Mittelitaliens von umherwandernden Italienern in Europa eingeführte S. (Hystrix) spielt im deutschen Aberglauben keine Rolle. Vielleicht ist (nach Höfler) J ) der sog. Sauigel eine dunkle Erinnerung an das südliche Tier (vgl. Igel). Bei den Zigeunern heißt der Igel »Stachelengero«2), in Schlesw.-Holst, der swinegel auch stachelswien 3 ). Das S., auch sein Blut, spielt in den magischen Büchern der griechisch-ägyptischen Juden (300—350 p. Chr.) eine Rolle; auf kretischen Bildinschriften der mykenischen Periode kommt es als magisches Zauberzeichen vor 4 ). Die im. Altertum und heute noch in Nordindien verbreitete Fabel, daß das S. seine Stacheln wie tödliche Pfeile aus großer Entfernung abschießt, leitet sich wohl davon her, daß die Stacheln leicht ausfallen 5 ). Nach Gesner 6 ) half das Fleisch bei Magenkrankheiten, Verstopfung, Aussatz, Bettnässen und Wassersucht; die Stacheln linderten Zahnschmerzen; Stacheln und Fleisch als Pulver von Schwangeren eingenommen, bewahrten die Frucht und erleichterten die Geburt'). Der Sage nach ist das S. ein Betrüger, dem die Zinken eines entwendeten Kammes durch die Haut wuchsen, oder eine Frau, die das am Feiertag gesammelte Reisig als Stacheln mit sich schleppte 8 ). x ) H ö f l e r Organotherapie 1 1 2 . 2 ) D e r s . 1 1 3 ; Urquell 6, 2. 3 ) M e n s i n g Schlesw. Wb. 4, 794. 4 ) H ö f l e r a. a. O. 1 0 2 ; Neue Jahrb. f. Phil. 1888, Suppl. Bd. 16, 784. 8 1 6 (nach H ö f l e r ) . 5 ) K e l l e r Tiere 1, 207; ähnlich G e s n e r Thierbuch 3 5 ; dass. vom Igel bei den nordam. I n dianern; die europ. Türken nennen das S . „pfeiltragender Igel"; in Shakespeares Hamlet „fretful porcupine" ( K e l l e r a. a. O.). 6 ) G e ß ner Thierbuch 35 f. 7 ) Ebd. und J ü h l i n g Tiere 343. 8 ) HessBl. 8, 72. Dort weitere Sagen. Groth.

Stahl s. E i s e n 2, 717 ff. Stall s. Nachtrag.

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stammeln—Stampa

stammeln ( = stottern). D a s St. oder S t o t t e r n , d a s im R a h m e n des A b e r g l a u bens dasselbe ist, scheint eine B e z i e h u n g z u m D ä m o n i s c h e n insoferne z u h a b e n , als i m B e r e i c h e des B a y r i s c h e n , w o d a t t e r n a u c h s t a m m e l n d , s t o t t e r n d sprechen heißt, D a t t e r e r a u c h S t o t t e r e r u n d K r e t i n bed e u t e t . D i e B e z i e h u n g des K r e t i n s z u m D ä m o n i s c h e n aber ist b e k a n n t (vom a u f fallenden S t o t t e r n z u m s t a m m e l n d e n L a l len des K r e t i n s ist ein k u r z e r W e g ) ; halten wir dazu den Tattermann überhaupt und d e n im F i e b e r s c h a u e r w i r k s a m e n B e u t e l m a n n (Schüttler) als d ä m o n i s c h e Gestalten, ferner die d e m S t o t t e r e r o f t eigenen k r a m p f a r t i g e n Z u c k u n g e n des Gesichts und die d a m i t n i c h t selten v e r b u n d e n e n ungew ö h n l i c h e n A r m - oder H a n d b e w e g u n g e n , so sind der A n h a l t s p u n k t e g e n u g , i m S t o t t e r n eine v o n einem D ä m o n beeinflußte E r s c h e i n u n g z u sehen. A u c h der i m Fieberfrost S p r e c h e n d e s t a m m e l t , desgleichen der v o m S c h r e c k Ü b e r k o m m e n e , f ü r beide E r scheinungen h a t die v o l k s t ü m l i c h e D ä monologie ihre V e r u r s a c h e r . F ü r diesen Zusammenhang wird das unter T a t t e r m a n n Gesagte zu vergleichen s e i n l ) . J e d e n f a l l s stehen elbische W e s e n m i t d e m menschlichen S t o t t e r n in V e r b i n d u n g . S o l ä ß t eine Tiroler S a g e einen B a u e r n m i t einem Saligen F r ä u l e i n eine E h e eing e h e n , w o b e i es die B e d i n g u n g stellt, d a ß er es nie m i t der F a u s t schlage. A l s ers a b e r t r o t z d e m t u t , v e r s c h w i n d e t die Salige und der B a u e r hat seitdem das St., das a u f alle N a c h f o l g e r ü b e r g e h t 2 ) . W e n n d e r Geistliche beim T a u f a k t e im G e b e t e s t a m m e l t , sich v e r s p r i c h t oder ein W o r t a u s l ä ß t , so w i r d ein K n a b e m o n d scheinig, ein M ä d c h e n aber z u r D r u d 3 ) ; ä h n l i c h h a t S t . u n d S t o t t e r n des Priesters b e i d e r T a u f e z u r F o l g e , d a ß d a s K i n d zeitlebens „ V i e h u n d L e i d d b e s c h r e i t " , w e n n es sie ansieht oder anspricht ohne „ p f o i d s G o d " d a z u z u sagen 4 ). D a m i t ist also a u c h die u m g e k e h r t e B e z i e h u n g z u m E l b i s c h - D ä m o n i s c h e n gegeben. I ß t oder k o s t e t eine S c h w a n g e r e aus einem Kessel, wird ihr Kind s t a m m e l n 5 ) ; dem Neugeb o r e n e n löst m a n die Z u n g e , u m es v o r S t . z u b e w a h r e n 6 ). W e n n K i n d e r schreien o d e r singen, so darf m a n sie nicht auf den B ä c h t o l d - S t ä u b l i , Aberglaube VIII

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Mund t r o m m e l n , sonst lernen sie stottern ( T h ü r i n g e n ) 7 ) ; sehen sie in den Spiegel, so b e k o m m e n sie d a s St. ( M e c k l e n b u r g ) 8 ) ; kitzelt m a n ein K i n d , so lernt es s t o t t e r n 9 ) , ebenso w e n n m a n es u n t e r einem J a h r e s c h l ä g t 1 0 ) , i m allgemeinen herrscht der G l a u b e , d a ß d u r c h plötzliches E r s c h r e c k e n ein K i n d , j a selbst ein E r w a c h s e n e r z u m S t o t t e r e r w i r d u ) . D i e M u t t e r scheut es, des K i n d e s F i n g e r n ä g e l z u f r ü h z u beschneiden, d a m i t es n i c h t später stottere (oder stehle)12). Für Frankreich vgl. Sebillot13). !) ZföVk. 31, 86 ff. 2) V e r n a l e k e n Mythen 2. 3) L a m m e r t 173. 4) P l o s s Kind2 i , 368; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 169. 5) G r i m m Mythologie 3, 468 Nr. 924. e ) M e y e r Volkskunde 107. ') W u t t k e § 600. 8) Ebd. ») M e y e r Baden 51; F o g e l Pennsylvania 42 Nr. 79. 10) F o g e l a. a. O. 43 Nr. 86. l l ) In den Alpenländern allgemein. 12 ) W r e d e Eifel. Volksk. 140. 13 ) Folk-Lore 4, 432. Webinger. Stampa ( S t a m p e a ) , S t ä m p e , S t e m p e 2 ) , G s t a m p a 3 )) ist in d e n O s t a l p e n eine E r scheinungsform d e r F r a u H o l d a - P e r h t a (s, d.), die i h r e m W e s e n e n t s p r e c h e n d unter h ä ß l i c h e n u n d v e r ä c h t l i c h e n N a m e n a u f t r i t t : so als T r e m p e 4 ) oder W e r r e 6 ) , a u c h als S a n g a 6 ). Sie s t e h t also i m G e g e n s a t z z u r m i l d e n F r a u R o s e (s. d.). M a n b r i n g t d e r sehr g e f ü r c h t e t e n U n holdin, die w i e ein A l p oder M a h r t r i t t , d r ü c k t oder s t a m p f t 7 ), gern O p f e r 8 ) , u m ihre Ü b e l t a t e n a b z u w e h r e n , besonders in den „ G e b n ä c h t e n " , a u c h „ R a h n ä c h t e n " ( R a u h n ä c h t e n ) , also v o r W e i h n a c h t e n , N e u j a h r oder D r e i k ö n i g s t a g 9 ). G e w ö h n lich stellt m a n i h r K r a p f e n , K ü c h l e i n , b e sonders gern a b e r N u d e l n h i n 1 0 ). L e t z t e r e sind v i e r e c k i g u n d p l a t t g e d r ü c k t , ihr T e i g steht b e r e i t , ehe a m G s t a m p e n a b e n d H a u s u n d S t a l l m i t W e i h r a u c h besprengt u n d d a n n fest abgeschlossen w e r d e n . M a n t r ä g t die N u d e l n der S t . u n d ihren K i n d e r n a u f nebst „ d r e i a n d e r n D i n g e n , die n i c h t b l ü h e n " : Salz, Eier, B u t t e r werden noch d a r g e b r a c h t u ) ; h i e r m a g alter F r u c h t barkeitszauber zugrundeliegen. Die Tiere, die in jenen N ä c h t e n M e n s c h e n v e r s t a n d u n d -spräche h a b e n , b e k o m m e n ein H a n d büschel v o m b e s t e n H e u 1 2 ). Gespenstisch, m i t langer N a s e (wie P e r h t a ) 1 3 ) , h i n k e n d , u n g e s t a l t i g , als k e t t e n k l i r r e n d e s , 12

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Stampa

unheimlich pfeifendes „Unkatl" treibt sie mit dem Wilden Heer oder hinter diesem her durch die Lüfte 1 4 ), von einigen Hündlein begleitet 15 ), auch wohl an der Spitze einer Kinderschar 16 ) (wie Holda). Wenn sie nicht winselnd, mit aufgelösten Haaren, die Säumigen und noch zu ihrer Umgangszeit Tätigen jagt 1 7 ),hockt sie als böses, grimmiges Weibele wohl auch versteckt zu oberst auf den Höfen, entzieht sich aber den Blicken Neugieriger. Verfolger und Nachspürer drückt sie in die Wände 1 8 ) oder hackt ihnen die Hacke in den Fuß 19 ). Den Sohn des Moserhofbauern in Wälschnoven hat sie allerdings nach einem Jahr wieder geheilt; sie hatte ihm selbst verkündet: Dir hack ich mein Hackl in den Fuß.

Das

nächste Jahr werd ich dir's, wenn du wieder da stehst, wieder herausziehen.

Meist kamen aber die Neugierigen und Unvorsichtigen ums Leben, so erzählt man 20). Wenn die St. umgeht, herrscht Schweigegebot 21 ); auch husten darf man nur in den eigens in der Stube dafür aufgestellten Mohnstampf. Sonst wird die St. aufmerksam 22 ). Jagt einen die St., so muß man ein Haus zu erreichen suchen, aus dem Rauch aufsteigt, dann muß man die Dachtraufe gewinnen, innerhalb derer dreimal ums Haus laufen und laut dazu schreien, dann ist man gerettet 23 ). In Afers hatte ein alter Bauer einen Kalbskopf am Stadelfirst hängen, der die St. abwehrte 24 ). In Taufers mußte in jedem Haus, das einen „Kreuzweg", d. h. zwei oder gar drei Türen (Vorder-, Hinter-, Seitentür) hatte, in der Christnacht „geratscht" werden, um die Unholdin aus der Hölle zu verscheuchen 2S). Aus Angst vor der St. wurden noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Uttenheim am Tage des hl. Andreas, des hl. Stephan, sowie am Dreikönigstag Vespern und Ämter gehalten, die man „Stampervesper" und „Stamperamt" nannte. Christlicher Ritus sollte heidnischen Zauberspuk bannen 26 ). Ackergeräte bringt man vor der St. tunlichst in Sicherheit, damit sie den Lässigen nicht damit den Bauch aufschlitze 27). Von der Sündwag im Allgäu soll sie

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früher hereingekommen sein, wird in Reutte und Umgebung berichtet 28 ). Als Kinderschreck, groß, mit verschleiertem Gesicht, mit langer schleifender Schleppe kennt man sie dort. Man verkleidet sich dort gar als St. In den „Stämpenächten", den Nächten der drei Sonntage vor Weihnachten, „stupft" man in Tannheim Samenkörner in die Blumentöpfe. Je nachdem, ob sie schnell oder langsam keimen, wird auch das Frühjahr herankommen 29). Wollen die Kinder nicht ordentlich essen, so ermahnt man sie und warnt sie folgendermaßen vor der „Berhte", die hier der St. sehr ähnlich ist: Ir sült vast ezzen, daz ist min bete, daz iuch Berht(e) niht trete 3 0 ).

Ferner 3 1 ): E z ist so griullch getan, daz ich dir'z niht gesagen kan; wan swer des vergizzet, daz er niht fast izzet, Uf den kumt ez und trit in.

Hier wirkt das Unwesen fast wie ein Albdruck, der durch den leeren Magen verursacht wird und im primitiven Denken Gestalt annahm. Vielleicht bestehen Zusammenhänge zwischen der St. und der Schweizer Sträggele, Streggele 32 ). Zumindest sind Übereinstimmungen da: auch die Sträggele erscheint als Ungeheuer, manchmal in Katzengestalt 33 ), sie entführt Kinder34) und träge Spinnerinnen 35 ), sie zieht mit Hunden an der Spitze eines Dämonenzuges 36 ), sie „richtet Malefiz an" 3 7 ). Der Ausdruck „Stempeneien machen" kann allgemeineren Sinn als nur die Tätigkeit der Unholdin St. haben 38). — Der Tiroler St. ähnelt die schlesische Spillaholle (s. d.), allerdings stellt sie nur faulen Kindern nach, vor der St. hingegen muß man gar die Neugeborenen schon in Sicherheit bringen. Wir erkennen hier einen Zug der Perhta (s. d.) wieder39). *) Art. „Bauchaufschlitzen" oben 1, 937; Art. „Perhta", Anm. 148; M a n n h a r d t Götter 299; P a n z e r Beitr. 2, 1 1 7 ; Waschnitius Perht 40 ff.; W u t t k e 23. 2 ) G o l t h e r Mythol. 494; G r i m m Mythol. 1, 230; 3, 90; Q u i t z m a n n Baiwaren 114; R e i s e r Allgäu 2 , 1 2 ; S i m r o c k Mythol. 398. 413. 558; W a s c h n i t i u s Perht 182; W u t t k e a. a. O . ; ZdVlV. 14, 264. 3 ) H e y l Tirol 156, 429. 4) S i m r o c k Mythol.

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stampfen—Star

398; W u t t k e a. a. O. 6 ) Ebda. «) J a h n Opfergebräuche 283. ' ) G r i m m 1,230; S i m r o c k 413. 8 ) J a h n a. a. O.; S a r t o r i Sitte 3, 74. •) H e y l Tirol 751 fi. 10) Ebda. » ) H e y l 753. 1 2 ) Ebda. " ) P a n z e r a.a.O. " ) 1 6 ) 1 8 ) H e y l 429. 1 7 ) H e y l 165. 1 8 ) H e y l 429. Ebda. 2 °) H e y l 165. 21 ) H e y l 165. 429. 22 ) Ebda. « ) H e y l 429. 21 ) H e y l 165. « ) H e y l 660. 2 6 ) Ebda. " ) S i m rock Mythol. 558. 28 ) R e i s e r Allgäu 2 , 1 2 . 2») Ebd. 30 ) v. d. H a g e n Gesamtabenteuer 3, 33 f. Vers 23 f. 3 1 ) Ebda. Vers 31 ff. 3 2 ) G r i m m Mythol. 779. 868; L ü t o l f Sagen 28. 34. 3 3 ) L ü t o l f 466. 3 397- 7 8 ) F r a z e r 7, 1, 205 f. 79) H a s t i n g s 3, 657; K u h n u. S c h w a r t z 471. 8 0 ) S e b i l l o t Folk-Lore 4, 63. 8 l ) Ebd. 4, 63. 8 2 ) Ebd. 4, 157. 83) G o l d m a n n a. a. O. 102; daselbst noch weitere Literaturangaben. 8 4 ) S e b i l l o t a. a. O. 4,62. 8 5 ) Ebd. 4, 158. 8 8 ) W e i n h o l d Quellen 64. 8 7 ) S e b i l l o t a . a . O . 1, 340 f. 8 8 ) Ebd. 4, 63. 8 9 ) Rtrp. 16, 69 f. "0) Ebd. 24, 63. 9 1 ) H e y l a. a. O. 305 N r . 121. s a ) S e b i l l o t a. a. O. 4, 62. 9 3 ) Ebd. 4, 63. M ) Jahrb. f. Gesch. Spr. L i t . Elsaß-Lothr. 7 (1891), 206. 9 5 ) W o l f Beiträge 1, 228. 9 6 ) S e b i l l o t a. a. O. 4, 61. 9 7 ) Ebd. 4, 62 f. 9 8 ) Rtrp. 18, 502. 9 9 ) S ö b i l l o t a. a. O. 4, 62. l 0 ° ) Ebd. 1, 338 ff.; R o c h h o l z Gaugöttinnen 83; über ähnliches Verfahren der unfruchtbaren Frauen vgl. N o r k Festkalender 28; ähnliche S.e im griechischen A l t e r t u m A R w . 15, 364 ff.; sakrale Masturbation an S.en als Fruchtbarkeitszauber ebd. 305 f.; phallisch ausgearbeitete S.e auf den Hebriden s. R ü t i m e y e r Urethnographie 375. 1 0 1 ) S 6 b i l l o t a. a. O. 335 ff.; R ü t i m e y e r a. a. O. 377 f. Schon im alten Athen rutschten die jungen Mädchen, um heiraten zu können, auf einer Gleitfläche auf dem Areopag auf bloßem Gesäß herunter, vgl. H ü n n e r k o p f O b d Z f V k . 5 (1931), 24 A n m . 20. Über fruchtbarmachende Gleitsteine in Nordafrika u. Arabien s. A R w . 14, 308 f. 1 0 2 ) R ü t i m e y e r a . a . O . 375 f. 1 0 3 ) Ebd. 382. 1 0 1 ) Ebd. 381. 1 0 5 ) S e b i l l o t Folk-Lore 1, 121 f. 1 0 6 ) Z f d M y t h .

4. 79-

5. Für kultische Handlungen benützt man gerne S . g e r ä t e , da die Phantasie die überwundene Kultur mit dem Schimmer des Ehrwürdig-Zauberhaften um-

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Stem der W e i s e n — S t e i n b e i l

g i b t und auch der Glaube vorherrscht, •der Zauber könne nur glücken, wenn die Handlung immer in den gleichen Formen u n d mit den gleichen Mitteln vor sich geht107). 1 0 7 ) J i r i c z e c k Heldensagen beil.

1, 2, s S t e i n Hünnerkopf.

Stein der Weisen s. Nachtrag. Steinbeil. Z u den ständigen Vorkommnissen in Gräbern und Verwahrfunden der Jüngern Steinzeit gehören die Steinbeile. Ihr Vorkommen in der Nähe von Quellen l ä ß t jedenfalls vermuten, daß sie als Weihegaben an Quellgottheiten niedergelegt worden sind. Darstellungen von geschatteten Steinbeilen in den unterirdischen Totengrüften der Marnegegend sind offenbar aus ähnlichen kultischen Vorstellungen heraus erwachsen 1 ). Auf -endneolithischen Dolmen der Bretagne und Grabplatten finden sich ebenfalls solche Darstellungen in Form von geschäfteten Steinbeilen 2 ). Im französischen Volksglauben werden •die Steinbeile in Verbindung mit dem Gew i t t e r gebracht. Deswegen heißen sie dort „pierres de foudre", „pierres de tonnerre", im Elsaß Donneräxte, Donnerbeile, Donnersteine oder Strahlsteine, in E n g l a n d „thunderbolts". In der Gegend der Loire-Inférieure sollen Riesen einst bei dem Pont d'Os mit diesen Donnersteinen eine Schlacht geliefert haben. Die Vorstellung von ihrem Ursprung im Gewitter ist in Frankreich noch lebendig. Mit dem Blitz fallen sie in den Boden, bis in die Tiefe von neun F u ß , aus dem sie allmählich herauswachsen. Wer ein Steinbeil findet, verwahrt es sorgfältig in Felsklüften, am F u ß e von Bäumen und an Marksteinen. Oftmals gelten sie als Talismane gegen den Blitz, doch wird ihnen in der Gironde auch eine schädliche W i r k u n g zugesprochen. Deswegen werden sie tief in die Erde eingegraben (Gironde), zwischen zwei Steinen zermalmt (lies de la Manche) oder die Schneide schartig g e m a c h t (Alpes Maritimes). In Lothringen unterscheidet man kalte und warme Donnersteine; die ersteren löschen die Feuersbrunst, die. letztern verursachen sie. A b e r nach allgemeiner Auffassung bil-

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den die Steinbeile für Menschen und Tiere ein mächtiges Schutzmittel. Deswegen werden sie in die Grundmauern der Häuser eingemauert. Meistens werden sie unter deren Eingang gelegt, sowohl bei Wohnhäusern wie bei Ställen. Im Morbihan werden sie auf dem Dache wie Blitzableiter aufgestellt. A b e r auch im Innern der Häuser finden sie ihren Platz, besonders unter dem Herde oder in dessen Nähe. Gelegentlich wurden sie in Silber gefaßt. Eine flache Jadeïtaxt in Silberfassung liegt im Britischen Museum. In einem Kellerloch eines Hauses in Seengen (Kt. Aargau) fand sich ein Steinbeil eingekeilt 3 ). Im Stalle sind Mauerlöcher oder Krippen die beliebten Verwahrorte, und die Steinbeile sollen vor Krankheiten, wie Schafspocken bewahren. Das Steinbeil wird auch auf dem Leib getragen und schützt vor Blitzschlag, Krankheiten. Nach einem Volksglauben im Elsaß kann man sich durch Einverleiben eines Steinbeilsplitters übernatürliche K r ä f t e verschaffen. Die Verwendung aber v o n Steinbeilen bei alltäglichen Arbeiten wirkt gefährlich. Sie dürfen nicht als W e t z steine gebraucht werden, da sonst jede Verletzung einen tödlichen Ausgang nimmt. Andererseits besitzen sie Heilkraft, sind also doppelwertig. Mit ihnen werden Blutungen gestillt und Frauenleiden gemildert. Die Geburt wird erleichtert, indem man leicht den Leib der Gebärenden damit berührt. Wasser, in das ein Steinbeil geworfen worden ist, erhält Heilkraft. Der Besitz eines Steinbeils verleiht dem Träger Zauberkraft. In Corscul (Côtes-du-Nord) wurde den Sterbenden ein Steinbeil zur Umarmung gereicht. Im Gebiete von Morbihan wurden die mit den Steinbeilen verwandten Beilhämmer „ m a r t e a u x bénits" genannt, weil sie nach dem Volksglauben dazu gedient hatten, die z u langlebigen Greise zu töten. Diese Vorstellung, vielleicht auf urgeschichtliche Gebräuche zurückgehend, scheint noch u m 1845 nachgewirkt zu haben. Die Anwohner der Montagne de Mané-Guen w u ß t e n zu erzählen, daß die lebensmüden Greise sich früher auf dessen Gipfel begeben hätten,

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Steinbock—Steinbrech

wo ihnen ein Druide mit einer heiligen Keule ein Ende bereitet habe. In der christlichen Zeit habe man einen geweihten Hammer verwendet, mit dem vorzugsweise Frauen erschlagen worden seien. Aber auch das Mitgeben von Steinbeilen ins Grab wurde bis in die Neuzeit geübt. Nach der herrschenden Auffassung brauchte der Tote das Beil, um den Weg zu erkennen, wenn er zu seinen Verwandten zurückkehrte 4 ). Mit der Einführung der Metalle trat offenbar keine Änderung in der Bewertung der Beile ein. Immer noch erscheinen sie in großer Zahl in Gräbern und Verwahrfunden. In Salez bei Sennwald fanden sich in drei Reihen 60 Äxte nebeneinander gelegt 6 ). Der Verwahrfund von Ringoldswil (Kt. Bern) weist neben einem dreieckigen Dolch neun Bronzeäxte verschiedener Form a u f 6 ) . Unzweifelhafte Weiheäxte sind dünne Bronzeäxte, mit Gold und Bernstein verziert, die aus Skogstorp im westlichen Södermanland stammen 7 ). Den sicher kultischen Charakter der Bronzeäxte bezeugen deren Abbildungen auf skandinavischen Grabkammern und Felsenzeichnungen; dort spielt sie eine Rolle bei rituellen Kämpfen und Vermählungsszenen, offenbar als Sinnbild von Fruchtbarkeitsund andern Gottheiten 8 ). Aber auch in die Eisenzeiten hinein dauerte die Vorstellung von der Heilkraft der Steinbeile und Beilhämmer. So hat man in Oberschlesien in eisenzeitlichen Gräbern fünfeckige Beilhämmer gefunden. Einer dieser Beilhämmer in Messingfassung im Dorfe Lugnian, Kreis Oppeln, wurde lange Zeit zu Heilzwecken an Nachbarn ausgeliehen und wanderte erst in das Museum Beuthen, als der letzte Besitzer nicht mehr an die Heilwirkung glaubte 9 ). Waren so noch in der Eisenzeit eigentliche Steinbeile als Amulette gelegentlich noch im Gebrauch, so wurde die Vorstellung von der unheilabwehrenden K r a f t der Ä x t e auf die Eisenäxte übertragen. Eine Anzahl derartiger Gebräuche hat P. Aebischer für den Kanton Freiburg nachgewiesen l0 ). Bei drohendem Gewitter und Hagel wird die A x t

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vor dem Hause aufgestellt, mit der Schneide nach oben (Praroman, Montagny, Orsonnens, Pont-la-Ville). Oder es kommt vor, daß man sie auf den Scheitblock legt. Fällt ein Hagelkorn auf die Schneide und wird gespalten, so hört der Hagel bald auf. Auch in Frankreich besteht der Brauch, ein schneidendes Werkzeug, A x t oder Sichel, mit der Schneide nach oben aufzustellen. In Montagny werden zwei Ä x t e kreuzweise aufgestellt, mit der Schneide in die Luft. In der Lenk (Berner Oberland) wird heute noch bei Gewittern die A x t mit der Schneide nach oben in die Dachtraufe gelegt als Schutz gegen Blitzschlag. Bei der sog. Bergbesetzung (Alpaufzug) im Amt Saanen wurde bei dem Bergtürchen das offene Messer mit der Schneide nach oben aufgestellt, mit einem Brettchen gedeckt und das Vieh darüber hinweggejagt. Das heißt man „über das offene Messer umziehen" u ) . Dadurch sollten die Tiere vor Blitzschlag und Krankheit geschützt werden. So hat sich im Volksglauben die unheilabwehrende K r a f t der A x t und der Axtschneide aus der Urzeit bis auf unsere Tage erhalten. ' ) D é c h e l e t t e Manuel 1, 457 Abb. 160. Ebd. 1, 607. 3 ) R. B o s c h in Heimatkunde aus dem Seetal 1 (1927), 88fí. *) S é b i l l o t 5) Folk-Lore 4, 66 ff. J. H e i e r l i Urgesch. 6) Schweú S. 235. O. T s c h u m i Urgesch. Schweiz Taf. 10. 7 ) O. M o n t e l i u s Kulturgesch. 8 ) O. A l m g r e n Schwedens S. 135 f. Hallristningar och Kultbruk 1927/28 S. III. •) H. , K u r t z Eine Steinaxt der ältesten Eisenzeit aus \ 10 ) P. Lugnian, Kreis Oppeln. Aebischer Comment on se protège de la foudre et de la grêler dans les campagnes fribourgeoises. Annales frib. X V I I I (1927), 4 9 - 6 9 . u ) A. J a g g i , R. M a r t i Wehren Volksglaube in F r i e d l i Saanen, Bärndütsch Bd. 7 (1927), S. 445. Tschumi. 2)

Steinbock (Tier) s. Nachtrag. Steinbock (Sternbild) s. S t e r n b i l d e r I. Steinbrech (Saxifraga-Arten). Die meisten Arten sind Alpenpflanzen, die mit Vorliebe auf Felsen, bezw. in Felsspalten wachsen, woher auch wohl der Name St. stammt. Andererseits wird auch der Name damit erklärt, daß diese Pflanzen den „ S t e i n " in der Harnblase „zer-

Steinbücher—Steinhaufen

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brechen", so sagt P l i n i u s 1 ) vom „polytrichum": „cálculos (Blasensteine) e corpore mire pellit frangitque, utique nigrum (seil, polytrichum), qua de causa potius quam quod in saxis nasceretur a nostris s a x i f r a g u m appellatam crediderim". Vom „stainprech" sagt Konrad v. Megenberg: „Wenn man des krautes wurzel nimt in wein, sö pricht si den stain in der plätern" [Harnblase] 2 ). Vielfach (z. B . in Altbayern) gilt der auf den Wiesen der Ebene wachsende Körner-St. (S. granulata) als ein unfehlbares Mittel gegen Stein und Grieß (Blasensteine) 3 ). Man verglich wohl die kleinen Knöllchen (Brutzwiebeln) in den unteren Blattachseln mit Harnsteinen. Die alten Botaniker verstanden übrigens unter „saxífraga" auch noch andere Pflanzen, z. B. Steinsame (s. d.), Spiraea filipéndula, Pimpinella saxifraga und kleinere Farnarten. Dem Fieberkranken hängt man in Lupburg (Oberpfalz) „Büscherl" um, die man mit der „Fieberwurzl" (einer im Mai gegrabenen Wurzel des Körner-St.s) füllt4). Zur Entfernung von Hühneraugen benutzt man die Blätter des „ J u denbarts", einer St.-Art (S.sarmentosa) 8 ). Nat. hist. 22, 64, vgl. auch 27, 75. 2 ) Buch der Natur, ed. Pfeiffer 421. 3 ) M a r z e i l Bayer. 4 ) Höser Volksbot. 157. Volksheilkunde 32. 5 ) T r e i c h e l Westpreußen 2, 210.

2. Die roten Punkte auf den Blumenblättern des Schatten-St.s (Porzellanblümchen; S. umbrosa) sollen von den Blutstropfen Jesu herrühren, daher wird er auch „Jesus-Blümlein" genannt 6 ). 6)

F i s c h e r Schwab.

Wb. 4, 95.

3. Der Körner-St. zieht das Gewitter an, man scheut sich daher, ihn abzureißen und ins Haus zu bringen 7 ), s. Gewitterblumen (3, 833). Der Grund für diesen Glauben ist wohl darin zu suchen, daß die Art im Frühjahr blüht, wenn die Gewitter häufiger werden. ' ) D G . 11, 112 (Oberpfalz) = Marz eil Bayer. Volksbot. 134. Marzell.

Steinbücher s. Nachtrag. Steinbutt (Rhombus maximus), s. B u t t e (1, 1722), wo zum Märchen vom schiefen Maul nachzutragen: BIPommVk. 5, 127; H a a s , Rügensche Sagen. Vgl. Scholle.

Hoffmann-Krayer.

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Steingeräte. Auf deutschem Volksboden beschränken sich die abergläubischen Vorstellungen, die sich an Steingeräte knüpfen, im wesentlichen auf gelochte und ungelochte Steinäxte und Hämmer, die als Donnerkeile (s. d.) aufgefaßt wurden. Über ihre Entstehung verbreitete sich des Happelius Kleine Weltbeschreibung und der Pastor Leonhard David Hermann befaßte sich in seiner „Maslographia" Breslau 1711 außer mit den vorgeschichtlichen Tongefäßen und andern Funden ausführlich auch mit ihnen. Die Steine mit Löchern sollen einschlagen und brennen, aber die glatten und schlichten nur Göller sein, heißt es d o r t 1 ) . Die Anwendungen sind im neuzeitlichen Aberglauben wesentlich die gleichen wie damals, und auch die Vorstellungen über ihr Herkommen stimmen über Europa hinweg weitgehend überein, wobei die germanische Mythologie und Gedankengut der antiken Naturphilosophie die gemeinsame Grundlage abgegeben haben dürften. !) Vgl. MschlVk. 1904, 8 ff. — Allg. Nach2) weise: S e y f a r t h Sachsen 262. Andree Parallelen N. F. 1889, 30 ff. — Ergänzungen: A. B a r t e l s Verh. d. Berl. anthrop. Ges. 1893, 558 ff.; ebd. 1894, 197; M. anthrop. Ges. Wien 1882, 159. Vgl. die germanischen Grundlagen bei Grimm Myth. 1, 149 ff. Haberlandt.

Steinhaufen J), Steinopfer, Steinwerfen. Der Brauch, einen T o t e n m i t S t e i n e n z u b e d e c k e n , war bei den Germanen nicht unbekannt. Weinhold berichtet, daß die Leichen Erschlagener, wenn es nicht bedeutendere Männer waren, bei den Nordgermanen unter Steinhaufen begraben wurden, und erinnert dabei an die Steinhaufen über der Ruhestätte Erschlagener in deutschen Wäldern, auf welche jeder Vorübergehende einen Stein wirft 2 ). Im westlichen Deutschland kommen solche Steinhaufen seltener vor, im katholischen Westfalen und in den katholischen Teilen Süddeutschlands wurde die als altheidnisch verpönte Sitte des Steinwerfens durch den christlichen Brauch, Unglücksstätten durch Sühnekreuze oder Marterln zu kennzeichnen, fast ganz verdrängt. Häufiger findet sie sich im Osten Deutschlands 3 ). So ist der

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Steinhaufen

Steinhügel bei Hedesum (Föhr) dadurch •entstanden, daß jeder, der des Weges kam, •einen Stein zu dem. Haufen warf, zum Gedächtnis eines Predigers, der während der Reformationszeit durch einen Sturz vom Pferde tödlich verunglückte 4 ). In der Nähe von Reichstadt (Nordböhmen) erhebt sich unter einer mit einem Kreuz geschmückten Kiefer ein Haufen von Kieselsteinen, der durch Zuwurf von Vorübergehenden vermehrt wird. Dort brachte vor mehr als 50 Jahren ein Fleischerbursche seine Geliebte um 5 ). Auf der Wordener Heide an der Landstraße von Falkenburg nach Kallies ist ein Steinhaufen zu sehen; hier ist jemand erschlagen worden 6 ). Zwischen Jütrichau und Tornau bei Zerbst wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts ein Scherenschleifer ermordet. Vorübergehende warfen seitdem Steine auf die Mordstelle 7). Unweit des Dorfes Markgraf-Pieske liegt ein Nobiskrug genannter Hügel, der durch Zuwurf seitens der Vorübergehenden immer höher wird. Dort soll ein Mord geSüdlich von Markirch schehen sein 8). oberhalb Erkkirch liegt mitten in einer Waldlichtung ein ziemlich großer Haufen Steine. Man erzählt, daß dort ein Mädchen begraben liegt, das von ihrem Geliebten erschlagen wurde. Sitte ist, daß jeder Vorübergehende einen Stein aufnimmt, ihn auf den Haufen wirft und dazu ein Vaterunser betet 9 ). Über das Grab einer hingerichteten Kindesmörderin warf man einen Haufen Findlingssteine 10). Haupt erwähnt als in der Lausitz übliche Sitte, an Stellen, wo jemand gestorben oder begraben ist, aus Steinen, zu denen jeder Vorübergehende einen Beitrag gibt, nach und nach einen Hügel zu bilden; solche Hügel nennt man den „Toten Mann" u ) . Im Isergebirge soll der Brauch, Mordstellen mit Steinen zu bewerfen, noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gang und gäbe gewesen sein 12 ). In allen bisher genannten Stellen handelt es sich um Menschen, die auf außergewöhnliche, gewaltsame Weise aus dem Leben geschieden waren. Es fragt sich nun, weshalb man gerade diese

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Leichen mit Steinen bedeckte. Es gibt dafür zwei Deutungen. Einmal wollte man durch diese Kennzeichnung den Ort des Unglücks nicht in Vergessenheit geraten lassen. Dann aber war es die Furcht vor den wiederkehrenden Toten, die dazu trieb. Zu den gefährlichsten Toten aber gehören nach einem bei allen Völkern anzutreffenden Glauben, die gewaltsam oder plötzlich ums Leben gekommenen Menschen 13 ). Sie finden keine Ruhe im Grabe; sie wollen zurückkehren, um für die jähe Abkürzung ihrer Lebenszeit sich auf Kosten der Menschen schadlos zu halten. Deshalb durfte der auf freiem Felde oder im einsamen Walde gefundene Leichnam nicht unbestattet liegen bleiben. Damit er „Ruhe habe" und um sich selbst vor dem Leichendämon zu schützen, legte man über ihn eine schwere Steinschicht, die ihn festhielt; und je höher sie I aufgeworfen wurde, desto fester gebannt war der Tote. Deshalb trugen Umwohnende der unheimlichen Stätte und ebenso alle Vorübergehenden einen Stein zur Erhöhung des Haufens bei, und schließlich wurde der seit alters geübte Brauch zur feststehenden Sitte, die auch ohne Kenntnis des ursprünglichen Zweckes bei jeder auftretenden Gelegenheit wieder im Volksgedächtnis emportauchte 14 ). Man vergleiche dazu folgende Stellen: Ist wo ein Totschlag geschehen, so darf man nicht vorübergehen, ohne einen Stein (eine Handvoll Erde, einen Zweig) auf die Stelle zu werfen, sonst hat der Tote „keine Ruhe" 15 ). Unter einem Steinhügel bei Friedland ruht ein armer Handwerksbursche, der von einem Strolche ermordet wurde. Noch heute hält der vorübergehende schlichte Landmann es für heilige Pflicht, einen Stein darauf zu werfen, damit der Geist des Erschlagenen „Ruhe habe" 16). Jeder in Adolfing Neuverheiratete mußte eine Fuhre Schutt auf den verrufenen Grabhügel eines angeblich im Heidenglauben verstorbenen Obersten fahren, damit „er nicht wiederkehre und recht tief in die Erde zu liegen komme" 17 ). Auf die Leiche eines berüchtigten Diebes aus Klingnau, der sich im Gefängnis erhängt hatte, warf man

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Steinhaufen

einige Fuder Steine, damit er „ja nicht wieder auferstehe" 18). Auf den Fleck, wo der berüchtigte Jäger Hoperli, der sich an einen Holzbirnbaum erhängt hatte, verscharrt wurde, vergaß kein Vorübergehender einen Stein zu werfen, damit der Unhold nicht „gleich wieder hervorkommen könne", wenn ihn etwa der Teufel wecken sollte 19). In Gottschee errichtet man an Orten, wo ein Unglück geschehen ist, einen Schotterhaufen, damit „der böse Dämon nicht herausfahre und neues Unheil anstiften könne" 20). Solche Stätten galten als beschrien, und nur mit Scheu und Angst ging man an ihnen vorüber. „Es ist noch nicht lange her", sagt Witzschel, „daß jeder, der an einem beschrienen Orte vorbei kam, Steine (oder was er sonst in die Hand bekam) darauf warf, damit „kein Unkundiger zum Schaden seines Leibes oder gar seiner Seele ihn betrete" 21). Mit der Steinwurfsitte hat am meisten Zusammenhang der Brauch, Mordstellen mit einem oder mehreren Steinen zu bedecken 22). Strackerjan führt einige solcher Fälle an 23). In Niederdeutschland wurden Selbstmörder zuweilen so beerdigt, daß man auf ihr hügelloses Grab drei Steine setzte, einen zu Häupten, einen zu Füßen und einen dazwischen 24). Aus Anhalt wird berichtet, daß man auf dem Lande noch in neuerer Zeit auf das Kopfende des Grabes, auch ehrlich Verstorbener, große Steine und Findlinge wälzte 2S ). Der gleiche Brauch bestand in Mecklenburg 26). In Ostfriesland wird auf das Kopfende des fertigen Grabhügels ein Ziegelstein gestellt 27 ). Um die armen Seelen im Grabe zurückzuhalten, legt man in Hessen einen großen Stein darauf 28 ). Damit sie nicht zu ihrem Kinde zurückkehre, breitet man auf das Grab einer Wöchnerin in Hessen, Baden, Bayern eine Windel und beschwert sie an den vier Ecken mit Steinen 29). Auch in diesen Fällen schwebt der ursprüngliche Gedanke vor, den Toten zur Ruhe zu zwingen. Auf den Volksglauben, man könne durch St. die Wiederkehr eines Toten verhüten, geht vielleicht zurück, daß vor der Beerdigung eines wenig be-

liebten Finanzers im Riesengebirge seine Verwandten alle Steine aus der Nähe des Grabes entfernten, damit niemand aus Groll dem Toten einen Stein nachwerfen könne 30 ). Auch die Wiederkehr eines noch Lebenden sucht man auf gleiche Weise zu verhüten: So wirft man dem Abdecker, der ein gefallenes Stück Vieh geholt hat, einen Stein nach, damit er nicht wiederkomme 31). Kahle bezeichnet das Steinw. unklar als ein O p f e r , dessen Ursprung wahrscheinlich in der Furcht vor dem Toten zu suchen sei; auch F. Kauffmann vertritt in seinem Buche „Balder, Mythus und Sage" die Ansicht, daß die Sitte des Steinw.s aus dem alten Opferwesen stamme, ohne recht anzudeuten, welche Art. des Opferwesens er meint. Die richtige Deutung des Steinw.s dagegen ist die primitive Art der Bestattung verbundea mit dem Gedanken, sich so vor dem Leichendämon zu schützen 32). Wohl aber kann man von Steinen sprechen, die als. Opfer elbischen Geistern gegeben werden. So rollen Kinder vom Hämmerle regelmäßig durchlöcherte Steinchen oder solche» auf die die Sonne ihr Gesicht gebrannt hat, an einer steilen Stelle als Gabe für die Urschel herab; eine Strecke weiter unten legen sie auf den Remselstein je zwei bis drei durchlöcherte Hornknöpfe^ sog. Remsele, für die im Urschelberge wohnende alte Urschel hin. In eine Grube auf dem Hörnle, einem Vorhügel des Urschelberges, wirft jeder Vorübergehende einen Stein und sagt: „Wir wollen den Nachtfräulein ein Opfer bringen" 33). A u f dem Steige zur Zerzeralp (bei Burgeis im Vintschgau) heißt ein Platz „Zu den wilden Fräulein". Dort befindet sich ein. Steinh. Kinder, die zum erstenmal auf die Alp gehen, müssen hier Steine aufheben, sie anspucken und mit den Worten: „Ich opfere, opfere dem wilden Fräulein" auf den Haufen werfen. Wer es. unterläßt, setzt sich großer Gefahr aus 31).. In den Wasserfall beim Dorfe Krimmel wirft jeder Vorübergehende einen Stein,, um den Wassergeist günstig zu stimmen und vor Unfall bewahrt zu sein 35). Wer nicht in den Brunnen auf dem Tomberge

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Steinhaufen

(Bez. Köln) fallen will, muß einen Stein hineinwerfen 36). Ebenso wird der Geist an der Querchkuhle bei Weingarten in der Eifel durch ein Steinopfer beschwichtigt 37 ). Auf frühere Steinopfer für die Unterirdischen weisen die zahlreichen mit Steinen gefüllten Querxlöcher in der Schweiz hin 38). In allen diesen Fällen handelt es sich also um ein Opfer, um Dämonen sich günstig zu stimmen 39 ). Am Füllegraben beim Zobten wurden früher auf eine bestimmte Stelle Steine geworfen, angeblich um den dort hausenden wilden Jäger zu bannen, wahrscheinlich aber um ihn durch das Opfer zu versöhnen 40). Aber dieses Steinw. mit dem Zwecke, Dämonen sich günstig zu stimmen, wandelte sich später zum Ausdruck des Abscheus und Hasses. So warf man früher auf die sog. Sau am Zobtenberge, ein uraltes, vom Volke für heidnisch gehaltenes Steingebilde, Steine mit dem Rufe: „Sau, da hast du ein Ferkel". Um es vor Vernichtung durch diese Steinwürfe zu schützen, stellte man es vor der neuen Zobtenbaude auf. Auch die vom Volke für heidnische Götzenbilder gehaltenen Steinbilder „Jungfer und Bär" am Hauptbergwege weisen deutliche Spuren von Steinwürfen auf 41 ). Das erinnert an das sog. Heidenwerfen, dessen bekanntestes Beispiel die Venus von Trier ist 42 ). Auch die Beschädigung des Steinbildes der bösen Anna von Helmstett durch Steinwürfe gehört hierher; vielleicht geht sie auf die Verehrung einer Schutzheiligen durch Steinopfer zurück 43). Aus solcher Umkehrung der ursprünglichen Verehrung lassen sich auch westfälische Kinderspiele und das Schonholdenschmeißen im Lüdenscheidschen zurückführen, das an den Brauch bei den Tiroler Fräulein erinnert 44 ). Auch christlichen Heiligen werden in katholischen Gegenden Steine als Opfergaben dargebracht. Wenn z. B. die Wallfahrer zu Ehren St. Wolfgangs zu seiner Gnadenstätte Steine heraufschleppen, so handelt es sich dabei neben der beschwerlichen Bußübung sicher um ein Opfer. St. Wolfgang am Hange des Falkensteins hat seit Jahrhunderten Steinopfer empfan-

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gen, und man staunt über den langen, riesigen Wall, zu dem sie angewachsen sind 45 ). Auf dem Britzgenberge bei 111furt lagen früher bei der Kapelle des Sundgauheiligen Präjektus Steine aufgehäuft, welche die Wallfahrer aus der Ebene hinaufgetragen hatten 46). Vor der Kreuzigungsgruppe bei Weißenstein erhebt sich ein mächtiger Steinh., der noch heute von Wallfahrern vergrößert wird 47 ). Bei Kruzifixen legen auch sonst Wallfahrer Steine nieder, so bei Meransen auf den Querbalken des Kruzifixes; dasselbe wiederholt sich bei einem höher gelegenen Bildstöckel 48 ). Bei Maria-Eck legen die Wallfahrer Nummuliten zum Opfer hin49) (vgl. Fossilien). Auch die Herrgottssteinchen, welche die Kinder in Bildstöcke legen, sind Opfer für die Mutter Gottes 50 ). In der Oberpfalz warf man an Martersäulen und Totenkreuze Steine 51 ). An das Steinkreuz auf dem Wege von Münster (Schweiz) nach Neudorf warfen bei den Prozessionen Jungen Steine 62 ). Im Walde bei Oberlohma (Egerland) liegen am Fuße von Bäumen, an die ein Marienbild geheftet ist, Steinhäufchen, zu denen jeder Vorübergehende einen Stein zu legen pflegt 53 ). *) A n d r e e Parallelen 1, 46 ff. „Steinwerfen"; K . H a b e r l a n d Die Sitte des Steinwerfens und der Bildung von Steinhaufen in Z. f. Völkerpsych. 12, 289 ff.; Liebrecht Zur Volhsk. 267 ff. „Die geworfenen Steine"; B. Kahle Uber Steinhaufen insbesondere auf Island in Z f V k . 12, 89. 203. 219; E. G r o h n e Der Tote Mann in N d Z f V k . 1 (1923), 73 ff. 2 ) W e i n h o l d Altnord. Leben 488. 3 ) G r o h n e 4 a. a. O. 80. ) M ü l l e n h o f f Sagen 124 Nr. 161. 6 ) T r e i c h e l in Urquell 6, 220. 6 ) BlpommVk. 8) 5, 104. ' ) G r o h n e a. a. O. 77. Kuhn Märkische Sagen 113 Nr. 110; K u h n und S c h w a r t z 85 Nr. 92. Zu der Bedeutung des Nobiskruges als deutscher Hades vgl. S e p p Sagen 639 Nr. 174; L i e b r e c h t Gervasius 168. ') S t ö b e r Elsaß 1, m Nr. 157. 10 ) R o c h h o l z ll) Sagen 1, 261 f. H a u p t Lausitz 1, 179. I 2 ) K n a u t h e in Urquell 5, 235. 1 3 ) S t r a c k e r 1 4 j a n 1, 200 Nr. 172. ) Vgl. G r o h n e 82 f. 1S) Kuhn und Schwartz 436 Nr. 305. 18 ) Bartsch Mecklenburg 1, 456 Nr. 635. 17) 18 ) P a n z e r Beitrag 1, 100. Rochholz a. a. O. 2, 107. 1 9 ) Eb. 1, 70. 20 ) H a u f f e n Gottschee 94. 2 l ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 144 22 ) Nr. 179. G r o h n e a. a. O. 86; über das internationale Vorkommen dieses Brauches, den Zusammenhang mit den prähistorischen Steingräbern, das Fortleben dieser Sitte in den

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steinigen

Grabsteinen und Steinplatten auf Friedhöfen vgl. eb. 86 f. 23 ) S t r a c k e r j a n a. a. O. 1, 204; 2 362. 24 ) G r i m m RA. 2, 326; BlpommVk. 5 25 ) (1897)' io 4> 3' G r o h n e a. a. O. 86. 2«) B a r t s c h a. a. O. 2, 98 Nr. 397. 27 ) L ü p k e s Ostfriesische Volksk. (1907) 120. 28 ) W u t t k e 473 § 754 - 29 ) E b - 47° § 748- 30 ) MschlesVk. 25 (1924), 124, 2. 3 1 ) Z V f V k . 1 (1891), 189. - Zu den aus Abscheu oder Haß Toten nachgeworfenen Steinen vgl. L i e b r e c h t 275, 96 Nr. 5; 282 I V ; A n d r e e Parallelen 1, 48—58; H ö h n Tod 333 Nr. 7; A R w . 15, 148 f.; Urquell 3 (1892), 188; über das Vorkommen der Steinwurfsitte als primitives Gemeinschaftsgut s. G r o h n e 80 fi., zu der Verbindung der Flurbezeichnung „Toter Mann" mit den Steinhaufen eb. 73 f.; zu der jüdischen Sitte, Steine auf Gräber zu legen, vgl. H ö h n a . a . O . 357; A n d r e e a. a. O. 1, 46 f.; L i e b r e c h t a. a. O. 33 ) M e i e r 269. 32 ) Vgl. G r o h n e a. a. O. 85». Schwaben 3 Nr. 1 u. 4 Nr. 2; L i e b r e c h t 276; S e p p Sagen 101 Nr. 33 u. 102; M e y e r Germ. Myth. (1891) 285 § 268. M ) Z i n g e r l e Tirol 220; S e p p a . a . O . 103; G r o h n e a . a . O . 96; M e y e r a. a. O. 138 § 176; L i e b r e c h t 268 u. 276; H e r t z Elsaß 71; vgl. H e y l Tirol 405 Nr. 90; zum Anspucken des Steines s. s. v. 35) F r e i s a u f f Salzburg 229. 36 ) ZfdMyth. 4, 106 Nr. 6; L i e b r e c h t 276. 37 ) W o l f Beiträge 2, 28. 38 ) S e p p a. a. O. 103, vgl. P r ö h l e Unterharz 41; G r i m m Sagen Nr. 110. 39 ) Vgl. dazu die Sage vom Opferdorn H ü s e r Beiträge 2, 11 Nr. 10; P e r g e r Pflanzensagen 240; G r o h n e 89 fi. 40) Mündlich. 4 1 ) Mündlich vgl. Schles. Monatshefte, Oktober 1925, 4954 2 )ZVfVk. 2,131 fi.; L i e b r e c h t 280 I I I ; zu den bei anderen Völkern aus Haß gegen Götzen geworfene Steine vgl. L i e b r e c h t 28ofl. 4 3 ) Z V f V k . 12 (1902), 223 f. (Abbild, eb. 324). M ) K u h n Westfalen 2, 132 u. 1, 156 f.; L i e b r e c h t 280; ZfdMyth. 2 (1854), 90. 45 ) A n d r e e - E y s n 13 f.; vgl. A n d r e e Parallelen 1, 417; ZfdMyth. 2, 61; Z V f V k . 19 (1909), 175 u. 12 (1902), 325; S e b i l l o t Folk-Lore 1, 345 (Steinwerfen an geweihten Orten); L i e b r e c h t a. a. O. 273 ( K y rienhügel). 46 ) S e p p Sagen 103 (haben hier Namen und Legende des Heiligen mitgewirkt?). 47 ) A n d r e e - E y s n 14 (Abbild 7 u. 8). Vgl. B i r l i n g e r Volkst. 1, 178 u. R e i s e r Allgäu 1, 48 ) A n d r e e - E y s n 483. 37 (Abbild. 17). *') S e p p a. a. O. 103. 60) Vgl. Herrgottsteine. 5 1 ) S e p p a . a . O . 571. 62 ) Eb. 103. 63 ) J o h n Oberlohma 159. f Olbrich.

steinigen (s. a. Steinhaufen). Die St.ung, ihrer Natur nach eine T o d e s s t r a f e zu gesamter Hand, d. h. eine Strafe, die als Ächtung vom Volke selbst vollstreckt wurde, ist den germanischen Rechten nicht sehr gewöhnlich; sie ist mit Anbinden an einen Pfahl bei den alten Franken und Sachsen, ferner angelsächsisch und skandinavisch überliefert,

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hier verbunden mit Teeren, Federn und Gasselaufen 1 ). Wie aller Strafvollzug hat auch der des St.s ursprünglich einen sakralen Charakter besessen, als wohl einen Ausgestoßenen, unrein Gewordenen aus der Ferne zu töten und zugleich den verruchten Körper zu belasten 2 ). Daneben findet sich ein zauberkräftiges St. in alten Fruchtbarkeitsbräuchen, wenn etwa der westfälische Erntehahn oder der „Wasservogel" an Pfingsten gesteinigt werden 3 ). Die Handlung des St.s erscheint ebenso beim Todaustreiben, wo seine heiligende K r a f t deutlich wird, wenn es heißt, daß der, welcher die Puppe traf, im gleichen Jahr nicht sterben werde 4 ). Vgl. Kegelspiel 4, 1199 ff. 1209. Der Zauber des gemeinsamen Tötens, ohne Berührung des Opfers, und die Absicht der Abwehr und des Opfers stärken solche und ähnliche Handlungen 5 ). In diesem Sinne dürften in Bosnien und Montenegro noch im 19. Jh. Hexen gesteinigt worden sein 6 ). Doch ist im O r i e n t , zumal in semitischen Gebieten 7 ), das St. eine beliebte Form der Lynchjustiz gewesen. In der Antike ist sie eine seltenere Strafart, die offenbar als Sühnenopfer und Gegenzauber auch einen sakralen Ursprung genommen hat 8 ). Für die Antike und den Orient ist das Steinewerfen ein geläufiger Ausdruck des F l u c h e s , der Verwünschung 9 ), der vereinzelt auch bei uns, so in Oldenburg bis Ende des 18. Jh.s, am Gründonnerstagabend gegen die Haustüren der Juden mit Kieselsteinen geübt worden ist 1 0 ). Dem entsprach vielleicht auch das dt. „Heidenwerfen", ein St. römischer Götterstatuen zu T r i e r 1 1 ) und ähnlich erscheinende Bräuche zu Hildesheim und Halberstadt um Lätare 1 2 ); hier könnte auch ein Zusammenhang mit dem Frühlingszauber des St.s beim Todaustreiben bestehen, oder es ist ein A b w e h r z a u b e r wie der rituelle Steinwurf, der auf der Mekkawallfahrt gegen den Teufel ausgeführt w i r d 1 3 ) . S. a. Steinopfer. S t e i n w u r f a l s A b wehrhandlung gegen einen Toten vgl. Steinhaufen. Steine werfende Geister s. o. 3, 479. 1)

B r u n n e r Dt. Rechtsgeschichte 2 (1928), 614.

Steinklee— Steinregen

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782; S c h r ö d e r Dt. Rechtsgesch. (1932) 83 Anm. 20. 370; G r i m m RA. 2, 274 ff.; H o o p s Reallex. 4, 280; A m i r a Todesstrafen 155 ff., 218 fi.; H e u s l e r D. Strafrecht d.Isländersagas (1911) 36; F e h r D. Recht im Bilde 102; R. H i r z e l D. Strafe der Steinigung, Abh. Lpz. 1909, 27, 223 fi. 255 ff. 2 ) H i r z e l a. a. O.; S c h w e n n Menschenopfer 39; F r a z e r 9, 24. 3 ) A m i r a a. a. O. 4 ) H a u p t Lausitz 2, 54 f. = S a r t o r i Sitte u. Brauch 3, 133; M a n n h a r d t 1, 412. 419; Germania 22, 28 f. = L i e b r e c h t Zur Volksk. 280 f.; s. o. 3, 1302; vgl. auch das S. der „Wuschte" der Villinger Fastnacht, Hmtl. 13 (1926), 45 ff. 6 ) Vgl. Z f V k . 39, 62 f.; das St. einer Nixe bringt dagegen dem Frevler den Tod, W i t z s c h e l Thüringen 1, 280. 6 ) K r a u ß Sitte u. Brauch 216. 291; Relig. Brauch 122; Slav. Volkforschung 68. ' ) 3. Moses 20, 27; Josua 7, 25; F. S c h w a l l y D. Leben nach dem Tode 48. 50; H i r z e l a. a. O. 237 ff. 8 ) S c h w e n n Menschenopfer 20. 34. 39. 65. 183; A R w . 7, 300 f.; U s e n e r Sintflut 275; ders. Kl. Sehr. 256; E i t r e m Opferritus 280 ff.; N i l s s o n Griech. Feste 108 f.; H i r z e l a. a. O. 223 s . ; F r a z e r 9, 24, 253 f.; P a u l y - W i s s o w a 2. R. 5, 2294 f. 9 ) P a u l y W i s s o w a a. a. O.; F L . 28, 133 ff. 449. 10 ) S t r a c k e r j a n u ) 1, 453. ZfdMyth. 2, 131 ff.; L i e b r e c h t Zur Volksk. 280, 411. 1 2 ) 14. Jh. bis 1742 bekannt, G r ä s s e Preußen 2, 889 f.; S a r t o r i a. a. O.; s.w. oben 3, 16530.; 1 3 4, 1 1 9 9 I 1209 f. ) ZfVölkerpsychologie 12, 294 ff.; L i e b r e c h t a. a. O. 280. Müller-Bergström.

Steinklee (Melilotus officinalis). 1/2 bis 1 Meter hoher Schmetterlingsblütler mit dreizähligen Blättern und kleinen, gelben, traubig angeordneten Blüten. Häufig an Wegrändern, steinigen Orten usw. Neuvermählte hängen einen Kranz oder Strauß reich fruchtenden St.s über den Eingang des neuen Heims mit einem Papier voll reifer Samen; der Kranz muß an diesem Platz bleiben, denn er bringt jedermann Glück, der darunter hinweggeht (Greiz) 1 ). Vielleicht galt der St., der im trockenen Zustand stark duftet, ursprünglich als Hexenabwehr. Irmischia 1881, 25.

Marzeil.

Steinkreuz s. Nachtrag. Steinöl gilt im Volksaberglauben als geisterabwehrend. In Baden bestreicht man noch hier und da die Ecken des Stalles mit schwarzem, stinkenden St., um die Hexen abzuwehren 1 ). Zu demselben Zwecke hängt man in Leonberg einen Kolben mit St. auf, ebenso ist in Mosbach, Ettlingen, Sinsheim noch teilweise das Aufhängen von Gefäßen mit St.

416

üblich 2 ). In Kalw und Weinsberg werden die Tiere gegen Hexen geschützt, indem man ihnen St. um die Nase oder an die Krippe streicht 3 ). Obergälligem Vieh schüttete man morgens nach dem Füttern ein Häflein einer Mischung, in der neben anderem St. enthalten war, zum linken Nasenloch hinein 4 ). — In der Lausitz und im Voigtlande bestreicht man erfrorene Stellen und Frostballen mit S t . 5 ) . 1 ) M e y e r Baden 554. 2 ) E b e r h a r d t Landwirtschaft 13; M e y e r a. O. 396 u. 560. 3 ) E b e r 4 h a r d t a. O. 14; M e i e r Schwaben 178. ) ZdV6) K ö h l e r f V . 8 (1898), 44. Voigtland 350; L a m m e r t 218; S e y f a r t h 297; vgl. M o s t Encyklop&die 487. Vgl. Petroleum.

t Olbrich.

Steinregen 1 ). Johannes Kepler hielt die M e t e o r e (s. 6, 228) für Ausdünstungen der Erdenluft, und noch bis tief ins 18. Jahrhundert war das die Meinung der Wissenschaft, ja, noch im Jahre 1795, als bereits der Wittenberger Physiker Chladni in einer wissenschaftlichen Abhandlung für den kosmischen Ursprung der Meteorsteine eingetreten war, hielt man daran fest, daß die Ansicht des Volkes, die Meteore seien Steine, die vom Himmel fielen, reiner Aberglaube sei. Erst mit dem 19. Jahrhundert brach sich eine bessere Erkenntnis Bahn 1 ). Der alte Volksglauben vom St. fand damit eine wissenschaftliche Bestätigung; es handelt sich wahrscheinlich meistens um kleinere Meteore, die in Massen niederfielen, oder um Meteorsteine, die in der Luft zerplatzten; beides konnte den Eindruck, es „regnete" Steine vom Himmel, hervorrufen. Manchmal hat vielleicht ein Hagelschlag mit ungewöhnlich großen Schloßen Veranlassung zu dem Aberglauben gegeben; auch das Geprassel einschlagender Blitze kann den Eindruck erweckt haben, daß ein Haufen Steine krachend vom Himmel herniederstürzte 2 ). Alte Chroniken verzeichnen einen St. gewissenhaft als ungewöhnliches Ereignis, schmücken den Vorgang aus, knüpfen daran Erklärungen und Prophezeiungen: In der Mitte des 17. Jahrhunderts hat es in Gräfenhein (schles. Lausitz) während der Heuernte bei verfinstertem Himmel und unter furchtbarem

Steinsame

417

Sturme runde Steine von der Größe einer Mannesfaust geregnet, während in den benachbarten Bergen, wo „sich die Steine zweifelsohne losgerissen", es wie von blauen Flammen leuchtete und wie ferner Donner dröhnte" 3 ). 1725 hörte man in Böhmen ein starkes Krachen und Knallen in der Luft, worauf es starke Steine vom Himmel „regnete", ebenso 1559 i n Siebenbürgen usw. 4). Die Gelehrten erklärten, es seien von Vulkanen ausgeworfene Steine, die vom Sturmwind fortgeführt und an weit entfernten Orten herniedergeworfen würden, andere, es seien vom Wirbelwind von der Erde aufgehobene Steine, die anderswo niederfielen 6 ). Das Volk aber glaubte, der Teufel, böse Geister und schlimme Menschen verursachten, ebenso wie Hagelwetter, Wind- und Wasserhosen, plötzliche große Sturzwellen und Lawinen, auch die St.; besonders legte man sie den Hexen zur Last 6 ). In einer Osteroder Sage lassen „die ganz schlechten schwarzen Seelen" Steine auf Wanderer regnen 7 ), in einer schlesischen Sage verursacht eine verfolgte Hexe einen St. 8 ). Nach dem Volksglauben gehört ein St. zu den Naturereignissen, aus denen man auf ein bevorstehendes Unglück schloß 9), er galt auch als Strafe Gottes für begangenen Frevel, z. B. Entweihung kirchlicher Festtage durch Arbeiten 10 ). Die Kunde von Meteoren, durch die Menschen getötet, ja ganze Dörfer angezündet wurden 11 ), hat wahrscheinlich diesen Aberglauben hervorgerufen. *) Vgl. Berliner Illustr. Zeitung 1927 (15), 598. ) S c h w a r t z Studien 96. 3 ) H a u p t Lausitz 1, 259 Nr. 327 = K ü h n a u Sagen 3, 452 Nr. 1831 = M e i c h e Sagen 640 Nr. 791. 4 ) Breßl. Sammlungen Regb. 271; Schles. Provinzialblätter 26 ( I 797), 393 ff. 6 ) P a r a c e l s u s 64 u. 66; Schles. Prov. a. O. u . 31, 44 ff.; vgl. M e g e n b e r g Buch der Natur 67 u. P l i n i u s n. h. 2 § 149. •) P a r a c e l s u s 71 f.; Z e d i e r 39, 1721; vgl. M ö l l e n h o f f Natur 14 Nr. 21; K l i n g n e r Luther 76; G ö t z e Luther 13; R e i s e r Allgäu 1, 192 Nr. 206; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 183 Nr. 28; G r i m m 2

MW>>-

8

3. 456 N r . 648. ' ) P r ö h l e Harz 170 N r . 7.

) Kühnau

Grimmelshausen

Sagen 1, 208. 2, 73;

•)

Amersbach

Prätorius

Anthropo-

demus 225; ältestes Beispiel Ilias IV, 75 ff. ) O b e r h o l z e r Thurgau 42 f. u ) B r o c k h a u s Konversationsiex. s. v. Meteorsteine; Schles. Zeitung 27/12/1925 Nr. 629. Zu der Verehrung

10

B ä c h t o l d - S t ä u b l i .

Aberglaube

VIII

418

der Meteorsteine bei orientalischen Völkern vgl. F r i e d r e i c h Symbolik 119 f. u. 99. f Olbrich.

Steinsame (Meerhirse; Lithospermum officinale). 1. Rauhblättler mit lanzettlichen Blättern und kleinen grünlich-weißen, trichterförmigen Blüten 1 ). Besonders kennzeichnend sind die weißen, sehr harten ( s t e i n ä h n l i c h e n ) Samen. Nach D i o s k u r i d e s 2 ) hat der Same mit Weißwein getrunken die Kraft, den Stein (Blasenstein) zu zertrümmern 3 ). Der Glaube an die blasensteinlösenden Eigenschaften des St.ns hat sich im Volk bis auf die heutige Zeit erhalten 4). J ) M a r z e l l Kräuterbuch 416. 2) Mai. med. 3, 141. a ) Vgl. auch P l i n i u s Nat. hist. 27, 98: „inter omnes herbas lithospermo nihil est mirabilius" (weil auf der Pflanze „Steine" wachsen); M a r z e l l Pflanzenwelt 77. 4 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 147; FL. 8, 387.

2. Wohl wegen ihres sonderbaren (steinähnlichen) Aussehens genießen die Samen der Pflanze im Zauberglauben ein großes Ansehen. In Niederbayern bediente man sich gegen den „Neid" eines „Neidsteines". Das war ein eiförmiges Stück Harz, in das diese Samen eingedrückt waren 5 ). Häufig sind auch die Samen des St.ns (zusammen mit Palmkätzchen, zerriebenen geweihten Kräutern usw.) in den Schutzbriefen (Breverl, Froasbeten, Hexenbündli), die als Amulette gegen Verzauberung usw. umgehängt werden 6 ). Als Bestandteil des „Mariazeller Rauches" wird der St. in Österreich zur Beförderung des Eierlegens (die Samen gleichen winzigen Eiern!) der Hühner benutzt 7 ). In der Oberpfalz ist „Mirhirsch" ( = Meerhirse, St.) ein Bestandteil des an Maria Himmelfahrt geweihten Kräuterbüschels8). Um das Vieh gegen Hexerei zu schützen, wasche man es am Walpurgisabend mit Meerkraut ( = Meerhirse? oder Wasserlinse [Lemna]?), das man in Urin gekocht hat 9 ). 5

) Jahresber. d. naturhist. Ver. Passau 4

(1861), 150. 6 ) A n d r e e - E y s n Volkskundliches 67. 146; K u m m e r Volkstuml. Pflanzennamen usw. aus dem Kt. Schaffhausen 1928, 103 f. ( m i t

Abbildungen). namen 8

d.

') H ö f e r u. K r o n f e l d Volks-

niederösterr.

Pflanzen

) M a r z e l l Bayer. Volksbotan. 54.

Mark.

Sagen

375.

1889, 9

82.

) Kuhn Marzell.

14a

419

Steintragen—Steinverwandlung

Steintragen. Scheltenden Weibern wurde vielerorts ein Stein (oft Pag- oder Bagstein genannt) um den Hals gehängt. Die zu dieser Strafe verurteilte Frau mußte ihn vor allem Volke eine Strecke weit tragen. Mit Aberglauben hat dieser Rechtsbrauch nichts zu tun, es sei denn, daß man der unwahrscheinlichen Ansicht huldigt, die Seele eines übelredenden und verleumderischen Menschen fahre in einen stummen Stein und diese Vorstellung sei die Ursache für die Strafart. Viel eher ist das St. ein Überrest der alten Steinigung oder eine Abspaltung und Abschwächung der Strafknechtschaft 1 ). v. K ü n s s b e r g Über die Strafe des Steintragens (Gierke, Untersuch. 91) 41 u. 46; F e h r Die Rechtsstellung der Frau u. der Kinder in den Weistümern (1912) 15 f.; ZfVk. 16 (1906), 1 7 7 6 . u. 18 (1908), 124; S t ö b e r Der Klapperstein nebst ähnlichen Straf arten 2. Aufl. (1876); Zfd. Kulturgesch. 2 (1873), 49; Z. f. Rechtsgesch. (Germ. Abt.) 29, 410 u. 33 (1912), 572; L i e b r e c h t Zur Volksk. (1879) 513; P i c k Aachen 180 f.; B i r l i n g e r Volksth. 2, 199—203; H i l l n e r Siebenbürgen 18 Anm.; F r e y b e Leben im Recht 1907. Fehr.

Steinverwandlung. Verwandlung in Stein scheint teilweise eine präanimistische Umschreibung für den Tod in Märchen und Sage *) zu sein. Der bei vielen dieser Sagen 2) auftretende Zug, daß der Stein durch Blut wieder zum Leben erweckt werden kann, zeigt, daß es sich um einen Toten handelt. Eine besondere Ursache für Entstehung von V e r s t e i n e r u n g s s a g e n sind merkwürdige, z. B. menschenähnliche Steingebilde. Die Verwandlung in Stein geschieht in den meisten Fällen als Strafe für ein Vergehen, sei es nun, daß der Frevler selbst, oder eine Sache, z. B. Brot, das verunehrt wurde, in Stein verwandelt wird. Voraus geht gewöhnlich ein Fluch; Donner und Blitzstrahl folgen dem Frevel auf dem Fuße. Die allermeisten Sagen sind christlich stilisiert: Gott ist es, der den Frevler straft. Sie werden erzählt als abschreckendes Beispiel für Sonntagsentheiligung, Verunehrung von Brot, falschen Schwur usw. Bei Riesensagen finden wir oft eine Versteinerung durch die aufgehende Sonne. Die wichtigsten Typen von Versteine-

420

rungssagen seien im folgenden kurz aufgeführt 3 ): Entheiligungen, Entweihungen: Drei Jäger jagten am Fronleichnamstage während des Gottesdienstes. Einer ermahnte die zwei anderen, beim Ertönen der Böllerschüsse niederzuknieen, sie lachten ihn aber aus. Da wurden die zwei Frevler in Stein verwandelt; der dritte kam davon 4 ). Südlich von Lutschariberg schössen drei Jäger, weil Wallfahrer die Gemsen verjagt hatten, auf die Kirche. Deshalb wurden sie in Stein verwandelt 5 ). Eine Frau, die am Sonntag im Flachs arbeitete, wurde von Kirchgängern verwünscht und zu Stein verwandelt. Noch jetzt zeigt man zu Woidieten einen Stein in Gestalt einer gebückten Frau 6 ). Eine ähnliche Sage: Eine Frau wurde beim Flachsjäten vom Gewitter überrascht. Sie sagte vermessen, sie wolle nicht weggehen, auch wenn sie zu Stein verwandelt würde. Das geschah; wenn man mit Hacke oder Beil auf den Stein haut, blutet er 7 ). Drei Schwestern waren an Maria Himmelfahrt in die Heidelbeeren gegangen und wurden von einem Venediger Manndl, das Gold suchte, verflucht und versteinert. Der Manndl erlöste so sich, indem er sie an seiner Stelle dem Bösen übergab 8 ). Vor dem Festtage der hl. Jungfrau mähte eine Magd Gras; während des Aveläutens fluchte sie anstatt zu beten und spottete noch, als ein Geisterzug vorbeizog. Ein Männchen aus diesem Zuge verspottete sie und sie wurde zu Stein 9). Auf dem Eichberg bei Budow waren Eltern und Kinder Sonntags nach Nüssen gegangen und zur Strafe in Stein verwandelt worden. Später, als die Steine zu Kegeln verarbeitet wurden, bluteten sie 10 ). Ein Bauer fuhr am Sonntag vormittag Heu, blieb im Sumpfe stecken, fluchte und wurde zu Stein verwandelt l l ). Die steinernen Driften ( = Heuhaufen) in Asten: Ein Bauer machte am Sonntag Heu, deshalb wurde er versteinert 12 ). Weil am Karfreitag getanzt wurde, wurde eine ganze Stadt versteinert 13 ). Kirchgänger

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Steinverwandlung

verwünschten zwei Kinder, mit denen der Teufel Karten gespielt hatte 14). Eine Frevlersage aus dem Jahre 1905: in Ostpreußen ging ein Bauer, der sich über zu große Regenfälle geärgert hatte, aufs Feld, um den lieben Gott totzuschießen. Wegen dieses Frevels wurde er versteinert. Man konnte ihn nicht begraben, denn er war nicht von der Stelle zu bringen. Bei dieser Sage, die Ende Juli 1905 im ostpreußischen Osterode plötzlich auftauchte, gelang es allerdings nicht, ein Steingebilde zu finden, an das sich die Sage hätte anknüpfen können 15 ). B r o t e n t h e i l i g t und zu Stein verwandelt : Sage von Frau Hütt in Tirol: Eines Tages ließ sie ihren Sohn, der in Schlamm gefallen war, mit Brosamen reinigen. Daraufhin entstand ein furchtbares Gewitter, und Frau Hütt wurde versteinert 16 ). Hütebuben, die trockenes Brot als Frühstück erhalten hatten, verunehrten es, schlugen es mit Peitschen, traten darauf, deshalb in Stein verwandelt 17 ). Drei Männer sagten beim Brotessen: Wenn der Leib Christi im Brote ist, so soll dieses Brot, wenn wir hineinstechen, bluten. Da versteinerten sie 18 ). Das Brot H a r t h e r z i g e r versteinert: Ein Bettler kam zu Schiffsleuten und bat um Brot. Sie verspotteten ihn aber und sagten: Unsere Ladung besteht nur aus Steinen. Da verfluchte sie der Bettler, und ihr Brot und Fleisch wurde zu Stein 19 ). Bes. in Westfalen ist die Sage bekannt, daß zur Zeit großer Teuerung eine arme Frau, die ihre Schwester für sich und ihre Kinder um Brot bat, hartherzig abgewiesen wurde mit den Worten: Wenn ich Brot hätte, wollte ich, daß es zu Stein würde. Das geschah auch 20). 1579 wurde einem Dortmunder Wucherer alles Brot versteinert. Als er es anschneiden wollte, floß Blut heraus 21 ). Zu Landshut in der Kirche des hl. Castulus wird ein Stein in Gestalt eines Brotes gezeigt. Davon die Sage: Der Heilige erbat ein Almosen von einer armen Frau, diese wollte ihm ihr letztes Brot geben, die Tochter aber wollte erst noch ein Stück abbrechen, daraufhin versteinerte das Brot 2 2 ). In Danzig wurde ein Mönch von einer armen

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Frau um ein Brot gebeten; er sagte, er habe keins, sondern nur einen Stein, um die Hunde damit zu vertreiben. Zur Strafe wurde sein Brot wirklich zu Stein 23 ). Frau Holle wurde von einem Schäfer um Brot gebeten; als er es verweigerte, wurden er und seine Herde zu Stein 24). Versteinerung von L i e b e s p a a r e n , unglücklich Liebenden, H o c h z e i t s g e s e l l s c h a f t e n u. a.: Bei Kramsach im Unterinntale liebte die Tochter eines Ritters einen armen Jäger. Dieser wurde von dem Vater des Mädchens mit Hunden aus der Burg gehetzt und ertrank im See. Das Mädchen stürzte sich ihm nach. Ihre Leichen konnte man nicht finden, denn sie waren zu Stein verwandelt worden 25). Der Ritter von Chammerau wollte die Tochter eines Müllers vergewaltigen, setzte ihr durch den Fluß Regen nach. Mitten im Fluß wurde er versteinert 26 ). Bei der Wartburg ist ein merkwürdiger Felsen, den das Volk deutet als Mönch und Nonne, die sich liebend umfingen und zur Strafe versteinert wurden 27 ). An den HansHeiling-Felsen knüpft sich die Sage: Hans Heiling habe ein Mädchen geliebt, das aber nachher einen anderen geheiratet habe. Am Hochzeitstage versteinerte der Teufel auf Geheiß des Hans Heiling die ganze Gesellschaft 28). Die Bridfnarhoger ( = Hügel der Hochzeitsgesellschaft) auf Sylt: Ein Mädchen, das trotz seines Treugelöbnisses mit einem anderen Hochzeit hielt, wurde mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft zu Stein 29). Die drei spitzigen Jungfrauen: Mädchen, die täglich Wasser aus der Brenz holen mußten, fingen eine Liebschaft an und blieben zu lange fort; sie sind zu Steingeworden, weil ihre Herrin sie verwünschte 30). Der versteinerte Mensch bei Diesbar: Ein Räuber, der unglücklich liebte, wurde zu Stein, als er sich vom Felsen stürzen wollte 31 ). Auf dem Jaufen wurden Prinzessin und Rosengarten wegen ihrer sträflichen Kälte gegen Freier versteinert, nachdem ein Ritter an gebrochenem Herzen gestorben war 32). Der Brautstein bei Lychow: Eine Hochzeitsgesellschaft versteinert, weil die Musikanten während des Gewitters nicht aufhörten zu spielen 33).

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Steinverwandlung

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Versteinerung von M ö r d e r n : Die stei- j Hirten zu Stein verwandelt, der ihren Ver48 nerne Agnes von Reichenhall ist eine Sen- folgern ihren Weg verriet ). Die Eulenmutter: Auf der Straße nach Zell liegen nerin, die ihr Kind mordete 34 ). Der rote Schuh: Ein Vater, der sein Kind ermordete, zwei große Steine, die Anlaß zu folgender Sage gaben: Eine Mutter sandte ihre verlor seinen Schuh, der zu Stein wurde 35 ). Gespensterspuk im Rautal: An einer Dolo- zwei Kinder täglich aus, um zu betteln. Sie verpraßte das Geld und ließ die beimitenwand ist ein riesiger Steinmönch. E r ist versteinert, weil er eine wälsche Mör- den Kinder hungern. Als die Kinder um derbande ins Land geführt hat 3 6 ). Bei Essen baten, verfluchte die Mutter sie, 49 Malborghet wollte im Kriege 1809 ein worauf die Kinder(!) zu Stein wurden ). Österreicher seinen eingeschlossenen Lands- Ein Bauer fuhr mit sechs Ochsen eine leuten ein Zeichen geben, wurde aber schwere Ladung; als sie von der Straße niedergemacht und sein jüngstes Kind abwichen, verfluchte sie der Bauer und 50 in der Kapelle getötet. Wegen dieses das ganze Gespann wurde zu Stein ). 37 Auf dem Felde von Damsdorf hüteten Frevels sind die Franzosen versteinert ). Versteinerte T ä n z e r : Der Adamstanz zwei Schwestern die Schweine, die eine stickte dabei, dessen wurde die andere bei Wirchow in der Mark Brandenburg: Die Eine Anzahl junger Leute führten an überdrüssig und verwünschte sie. Pfingsten einen Nackttanz auf und wur- Stickerin wurde zu Stein; als man den den versteinert 38 ). Ein Bursche, der am Stein sprengen wollte, blutete er. Ihn Hexentanz teilnahm, wurde versteinert 39 ), wegzuschaffen war nicht möglich wegen 51 Der versteinerte öfters gilt ein Steinkranz für die Leichen seiner Schwere, ). 10 Mehlsack: Ein Müllerknecht verwünschte versteinerter Tänzer ). vom Andere F r e v e l t a t e n : Eine Magd, die einen Mehlsack, der ihm wiederholt S2 Ein den Herrn über seine Frau belogen hatte, Wagen gefallen war zu Stein ). Schäfer wünschte seine Herde in Unmut wurde zu Stein, da sie geschworen hatte, Gott möge sie zu Stein werden lassen, zu Stein. Als seine Frau die versteinerte wenn sie gelogen habe 4 2 ). Eine Frau Herde sah, sagte sie: wenn nur auch du zweifelte an der Richtigkeit der Waage und dein Hund zu Stein würdest. 53 Auch eines Fischers. E r schwur, er wolle zu dieser Wunsch ging in Erfüllung ). Stein werden, wenn etwas nicht stimme. Der Geißelstein: Bei einer ÜberschwemDas geschah auch 4 3 ). Ein Schäfer mit mung ertranken die beiden Söhne des seiner Herde wurde versteinert, weil er am Grafen von Geißelstein. Der Vater Sonntag sehr geflucht und gelogen spähte von einer Stelle solange nach den und seine Lüge mit der Erklärung beSöhnen aus, bis er auf dem Platze zu kräftigt habe, er wolle zu Stein werden, Stein wurde 5 4 ). In Wiesenstein wurden 44 wenn seine Worte nicht wahr seien ). viele Frauen der Hexerei angeklagt, sie Bei einem Streit zweier Gemeinden um baten den Himmel um ein Zeichen ihrer ein Stück Land beschwor der älteste Unschuld, worauf die Anklägerin zu Mann der Gemeinde, daß das Stück Stein wurde 5 5 ). Ein Graf wurde durch seinem Dorf gehöre. Weil er falsch ge- den Wind, den er geschmäht hatte, verschworen, wurde er zu Stein 4 5 ). Das steinert, später aber wieder erlöst 5 6 ). Ein versteinerte Ehepaar: Ein Mann lästerte Edelmann, der sein Hab und Gut durchGott, als seine Frau starb; als ihn der gebracht hatte, mußte schließlich betteln Pfarrer zurechtwies, sagte er, wenn er gehen; dort, wo er und seine Familie vor wirklich Unrecht habe, solle Gott ihn Hunger zusammenbrachen, wurden sie und seine Frau zu Stein werden lassen 46 ). zu Stein 57 ). Mönch und Kriegsknechte des TeufelsVersteinerte abgelöste Stilglieder eines steines: Mönch und Kriegsknechte, die Haarsterns (Encrinus liliiformis) werden zusammen gespielt und getanzt hatten, als versteinerte Rosenkranzperlen des wurden von einem Abt verflucht und ver- hl. Hyazinth gedeutet 58 ). Im Grimmsteinerten 47 ). Die hl. Barbara hat den schen Märchen vom treuen Johannes

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Steinverwandlung

wird dieser zu Stein und kann nur durch Blut von Kindern wieder lebendig gemacht werden 59 ). Versteinerung von R i e s e n , Z w e r g e n (vgl. oben Frau Hütt, Hans Heiling): Sage vom König Serles: Wo jetzt die Riesenpyramide Serles steht, herrschte früher der Riesenkönig Serles. Er fiel mit seinen Hunden in friedliche Herden ein. Einst schlug dabei ein Hirte einen der Hunde des Königs, der ein Schaf erwürgt hatte. Da ließ der König alle Hirten und Herden zerreißen, und wurde zur Strafe mit seiner Frau und seinem Ratgeber versteinert60). Ähnlich ist König Watzmann ein versteinerter Riesenkönig 61 ): am Strande der Saale wohnte ein gottloser Riese, der schlug seine Mutter, darauf erfolgte unter Donner und Blitz seine Versteinerung, sein kleiner Finger wuchs aus dem Grabe heraus, das ist der Fuchsturm 62 ). Der zu Stein erstarrte Riese: In der Nähe der Bründienalp ist die Dominikhöhle. Vor ihrem Eingang steht eine große riesige Steinfigur. Der Riese habe immer die Schweizer zur Wehr aufgerufen, wenn der Feind ins Land gekommen sei. Als einmal eine Schlacht zwischen Schweizern ausbrach, sei er vor Schreck versteinert 63 ). Der Mönch: Auf dem Drachenfels steht ein Felsen in Gestalt eines den Berg hinaufklimmenden Mönches. Dies soll ein Riese sein, der mit einem Zwerge um den Besitz des Drachenfelses gestritten habe. Von Zwergen überlistet, verfluchte er sich und wurde zu Stein 64). Der Spitzlierg in der Oberlausitz soll die versteinerte Keule eines Riesen sein 65 ). Sehr zahlreich sind die Sagen von Riesen, die von der aufgehenden Sonne versteinert werden. Wenn den Riesen Jötunn der Sonnenstrahl trifft, wird er zu Stein 66 ); ebenso die Riesin im Liede von Helgi Hjörwardsson 67). Der hl. Olav verflucht den Riesen Trolle, der dem Christentum feindlich war, in Klippen 68). In Böhmen bei Einbogen wurde Zwerge, als sie Hochzeit feiern wollten, von einem Geisterbanner versteinert 69 ). ' ) N a u m a n n Gemeinschaftskultur S. 43, dort Nachweis dafür. 2 ) Vgl. Beispiele weiter unten.

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3 ) Absolute Vollständigkeit ist bei der großen Menge von Versteinerungssagen fast unmöglich, ich glaube aber, daß ich die allermeisten Sagen 4) H e r z o g aufführe. Schweizersagen 2, 32; Variation G r ä b e r Kärnten 254; L ü t o l f Sagen S. 268/69. Ähnlich A l p e n b u r g Tirol S. 226; B e c h s t e i n Sagenbuch S. 997; S c h ö p p n e r Bayr. Sagenbuch Nr. 60; N i d e r b e r g e r Unterwaiden 2, 65; Z i n g e r l e S. 425. 6 ) G r a b e r Kärnten S. 255. •) R e u s c h Samland Nr. 82, 1 u. 2; ähnlich B a r t s c h Mecklenburg 1, 427. 7) S c h a m b a c h u. M ü l l e r Sagen S. 41; E c k a r t Südhannoversches Sagenbuch S. 75/76; B a a d e r S. 435. 8 ) A l p e n b u r g Tirol S. 255 ff.; Heimat 1, 49—53; M e i c h e Sagen 5 7 4 ^ . 7 1 5 . ' ) P a n z e r Beiträge 1, 128. 10 ) K n o o p Hinterpommern S. 57. n ) E b d . S . 45. 1 2 ) G r a b e r Kärnten S. 256; Variante A l p e n b u r g Tirol S. 255; Z i n g e r l e S. 73. 1 3 ) K ü h n a u Sagen 3, 397. 1 4 ) R e u s c h Samland Nr. 81, 1. 15) Ranke Volkssagen S. 238. 1 8 ) G r i m m D.S. 161 Nr. 234; 1 7 R a n k e Dtsch. Volkssagen S. 237. ) K ü h n a u Sagen 3, 394. Ähnliche Sagen aus dem Heuschobergebirge ebenda 3, 397; vgl. noch: B a r t s c h Mecklenburg 1, 427; M ü l l e n h o f f Sg. 547 Nr. 547 u. ähnliche von Dienstmagd B a r t s c h 1, 429. 1 8 ) H e y l Tirol S. 18 Nr. 13. 19) W o l f Beiträge 2, 37. 20 ) G r i m m D. S. S. 167 Nr. 241; ähnlich M ü l l e n h o f f Sagen 23 ) G r i m m D. S. ebenda. S. 145 Nr. 199. 24 )

S o m m e r Sagen S . i o f . ; P a n z e r 2, 181. A l p e n b u r g Tirol S. 255. 28) S c h ö p p n e r Bayr. Sagenbuch Nr. 56; ähnlich A l p e n b u r g Tirol S. 226. 27 ) P f i s t e r Hessen 93; B e c h s t e i n Thüringer Sagenbuch 1, 198. 2S ) G r i m m 2») M ü l l e n h o f f D. S. 234 Nr. 328. Sagen 30 ) M e i e r Schwaben 1, 198; 108 f. Nr. 131. L a i s t n e r Nebelsagen S. 143 dort auch Varianten aufgezählt. 3 1 ) M e i c h e Sagen S.568 Nr.709; G r ä s s e 1, Nr. 56. 3 2 ) A l p e n b u r g Tirol 128 (gehört zum Kreis der Rosengartensagen). 33 ) K u h n 34 ) und S c h w a r t z S. 269 Nr. 502. Panzer Beitrag 1, S. 10. Interessant ist die Variante bei S c h ö p p n e r i , 55: Der frommen Sennerin Agnes entführte der Teufel eine Kuh. Bei der Verfolgung öffnet sich ihr eine Felswand, der Teufel findet nur ein Steingebilde, während sie selbst entrückt wurde. 35 ) K o h l r u s c h Sagen38 ) H e y l buch S. 215. Tirol S. 590 Nr. 51. 3 ') G r a b e r Kärnten S. 255. 38 ) R a n k e Volkssagen S. 237. 39 ) L a i s t n e r Nebelsagen S. 144; A l p e n b u r g Tirol 297. 4 °) L a i s t n e r Nebelsagen S. 144. 42 ) G r a b e r S. 256. 43 ) G r a b e r S. 256. 44 ) K n o o p Hinterpommern S. 141. 45 ) M e i e r Schwaben 1, 310. 4S ) G r a b e r Kärnten S. 254. 25 )

4,)MeicheSagíM

S. 610/11 Nr. 753. 48 ) L a i s t n e r 5. 166. 49 ) V e r n a l e k e n Alpensagen S. 276/77. M ) K u h n Märkische Sagen S. 23. 51) K n o o p S. 22 f. Eine andere Version sagt, daß die zwei Steine ein streitendes Ehepaar gewesen seien. 62 ) K n o o p S. 48. 63 ) P a n z e r Beitrag 2, 181. 54 ) M e i e r Schwaben 1, 290. 65 ) Ebd. 1, 197. 58 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz S. 24. 5 7 ) K n o o p 58 ) MschlesVk. Heft 3 (1896), S. 63. S. 69. 5Í) KHM. Nr. 6; vgl. N a u m a n n Gemein-

427

stellen—Stephansminne

schaftskultur S. 43. 80) A l p e n b u r g Tirol S. 225; B e c h s t e i n Bisch. Sagenbuch S. 1000. 8 1 ) P a n z e r i, Nr. 276; V e r n a I e k e n ^ / £ e M s a £ i » N r . 86; S c h ö p p n e r Bayr. Sagenbuch Nr. 46. 62 ) G r i m m D. S. S. 106 Nr. 137. >3) K o h l r u s c h Sagenbuch S. 174. M ) S c h e l l Bergische Sagen S. 498 Nr. 10. 65 ) H a u p t Lausitz i, 82. 6S ) M a n n h a r d t German. Mythen 188. «7) G o l t h e r S. 185. 68 ) Ebd. «8) G r i m m D. S. S. 22 Nr. 32. Pehl.

stellen s. B a n n i, 874 ff. Stenzmarin. 1. N a m e . S t . 1 ) , auch Stinzmarin 2 ), Stinzmarie 3 ), Stanzmarie 4 ), Stenze5 marie ), Stinkmarie 6 ), Stolzemarie') geht auf S c i n c u s m a r i n u s = der über das Meer gebrachte Skink zurück. *) L a m m e r t 125; A r e n d s Volkstümliche Namen der Arzneimittel, Drogen und Chemikalien10 1926, 243. 2 ) J ü h l i n g Tiere 12. 3 ) D e r s . 12. 4 ) A r e n d s 240. 5 ) Z d V f . Hennebg. G. Schmalkalden 1 (1875), 43. •) Z r w Y k . 5 (1908), 7) 101; A r e n d s 244. D e r s . 244; Z d V f . Hennebg. G. 43.

2. D e r S c i n c u s ist eine Eidechsenart von 16—20 cm Länge. Über den Rücken ziehen dunkle, beim lebenden Tiere lilafarbene Querstreifen, die beim toten Tier braun werden. Das Tier wird von den Eingeweiden befreit, getrocknet, mit Lavendelblüten ausgestopft und in solchen, auch zuweilen in Hopfen verpackt aufbewahrt als Scincus officinalis (Apothekerstink) 8 ). Der Heimat nach kennt der Arzt D i o s k u r i d e s I I 7 1 ägyptische, indische, arabische und libysche Skinke, die er allerdings für kleine Landkrokodile hält, was P l i n i u s in n. h. 28, 119 nicht für annehmbar scheint. Während Plinius von der Einfuhr gesalzener Skinke berichtet, werden sie bei Dioskurides trocken in Kresse aufbewahrt. ' ) v . D a l l a T o r r e in R. E. d. ges. Pharmazie 11, 249 (1908).

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Sonst zähle der Skink zu den wirksamsten Gegengiften; in zahlreicher Menge verabreicht wirke er tödlich; mit Honigabsud vermischt vertreibe er dagegen die Geilheit. Auch die Araber scheinen den Skink gekannt und gebraucht zu haben, da der Arzt A b d e l L e t i f (gest. 1231) eine Abhandlung über ihn verfaßte 10 ). Im 16. Jahrhundert schreibt G e s n e r u ) : „ D a s Fleisch des Tieres soll auch eine sonderbare krafft haben u m zu der unkünschheit zu reitzen; die feißte der Tiere wird auch gebraucht zu der unkünschheit". Noch bis in die n e u e s t e Z e i t wird der Skink als Aphrodisiacum in den Apotheken verlangt 1 2 ). In Bayern wird St. „ v o r Gichtern bei jungen Kindern" in den Brei gegeben 13 ). 9) n.h.8, 10) S c h e l e n z 9 1 ; 28, 119. Geschichte der Pharmazie Berlin (1904) 284. n) Tierbuch Zürich (1563) = Hovorka12) K r o n f e l d 1, 395. K r ä u t e r m a n n 164; J ü h l i n g 12; B u c k Schwaben 50; Köhler Voigtland 355; A b e l s in Arch. f. Krimin. A n 1 3 thropol. 66 (1916) 254 f. ) L a m m e r t 125. Karle.

Stephansminne. 1. Allgemeines. — 2. Die ältesten Belege. — 3. Kirchlicher und volkstümlicher Gebrauch in späterer Zeit. — 4. Abergläubische Meinungen und Gebrauch in der Gegenwart.

1. A m Stephanstag (26. X I I . ) zum Gedächtnis und zu Ehren des Heiligen Stephan seine Minne auszubringen J ), ist eine Sitte, deren Bestehen wir von den Tagen Karls des Großen bis in unsere Zeit verfolgen können. Der Stephanstrunk ist der älteste namentlich erwähnte Minnetrunk, der uns quellenmäßig bezeugt ist; älter als Johannis- und Gertrudenminne (s. d.), hat er sein langes Fortdauern wohl besonders dem Umstände zu danken, daß seine Übung an einen hohen Festtag der allgemeinen Fröhlichkeit geknüpft war und ist. D a ß auch die Kirche ihn nicht völlig ignorierte und ihm gelegentlich einen Platz in ihrem Ritus einräumte, mag als begünstigender Umstand braucherhaltend und -verstärkend gewirkt haben.

3. In der V o l k s m e d i z i n gilt der Skink als A p h r o d i s i a c u m . Nach D i o s k u r i d e s sollen die Teile, welche die Nieren umgeben, mit Wein genommen, die K r a f t haben, das Verlangen nach Liebesgenuß mächtig anzuregen. Dasselbe berichtet P l i n i u s 9 ) ; am wirksamsten sei das Fleisch von der Seite, doch hätten Vgl. den Artikel Minne. auch Füße und Schnauze besonders unter j 2. Das 26. Kapitel des Kapitulars Zugabe von Pfeffer die gleiche Wirkung. ! Karls des Großen vom Jahre 789 2) unter-

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Stephansminne

sagt Völlerei und Trunkenheit in dieser F o r m : omnino prohibendum est ómnibus ebrietatis malum. et istas coniurationes, q u a s faciunt per sanctum Stephanum aut per nos aut per filios nostros 3 ), prohibemus. E s war also damals verbreitete Sitte, den Namen Stephans beim Trunk, j a sogar in der Trunkenheit anzurufen. Wir haben hier die ursprüngliche Form des christianisierten Minnetrunks vor uns, wie er aus vorchristlicher Zeit bekannt und beliebt w a r : beim Gelage wurde das Gedächtnis eines besonders in Ansehen stehenden Heiligen (statt des einstigen Gottes) getrunken. D a ß dies kein religiöser A k t mehr, sondern lediglich eine Zechangelegenheit war, die im besten Falle die Üppigkeit des Gelages durch ein fromm scheinendes Mäntelchen vor den Zechern rechtfertigen sollte, erhellt aus dem Verb o t : wäre es eine würdige, fromme Sitte gewesen, hätte K a r l kaum Veranlassung gefunden, dagegen einzuschreiten. Aus dem Beleg darf weiterhin geschlossen werden, d a ß der B r a u c h damals noch nicht auf den Stephanstag beschränkt w a r ; die St. wurde, wie späterhin die Minnen anderer Heiligen 4 ), bei jeder passenden (oder unpassenden) Gelegenheit getrunken. Diese Auffassung wird gestützt durch die skandinavischen Zeugnisse, die die Übung der staffansminni oder staffanskanna als beliebten Brauch der ersten christlichen Jahrhunderte erkennen lassen, ohne d a ß sie jedesmal auf den F e s t t a g des Heiligen festgelegt wäre 5 ). 2

) MG. Capit. Reg. Franc. I 64. 3 ) Vgl. den Artikel Karlsminne. 4 ) Vgl. die Artikel Johannis-, Gertruden-, Christ-, Emmerams-, Benedikt-, Bernhardsminne. 5 ) E. H. Meyer German. Mythologie S. 227; F i n n M a g n u s s e n Lexikon mythologicum 1053; F r a n z Benediktionen 1, 293. 3. I n den folgenden Jahrhunderten hören w i r wenig von der St. A l s sie wieder in greifbarer und deutlicher F o r m auftaucht (15. Jahrhundert), h a t sie bereits a n einigen Punkten Oberdeutschlands Eingang in den kirchlichen R i t u s gefunden: a m Stephanstage wird gelegentlich W e i n v o m Priester mit besonderer F o r m e l geweiht und den Andächtigen

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zum Trunk gereicht, so in Münster (Elsaß) 6 ), Freiburg i. B . 6 ) , in Niederbayern 7 ) und auch in Essen 8 ). Das setzt voraus, daß sich inzwischen der volkstümliche Minnetrunk an den Stephanstag geknüpft hatte, mit dem er nun verbunden bleibt. F ü r Freiburg bezeugt noch Fischart im „ B i e n e n k o r b " 9 ) die kirchliche Sitte; hier legte man einen Stein, mit dem Stephan gelyncht worden sei, am Stephanstag in einem Kelch, geusst wein darüber, gibt dem opfernden volck darab zu trincken, das heißt für S. Johannssegen S. Stephanswein. D a anscheinend auch an den andern Orten, an denen der Stephanswein kirchlich geweiht wurde, Stephansreliquien verehrt wurden 10 ), ist vielleicht der Schluß erlaubt, d a ß die Weinweihe für Stephan nur in Kirchen, die besonders das Andenken dieses Heiligen pflegten, geübt wurde und dort an die Stelle der bekannteren Johannisweinweihe, die j a einen T a g später vorgenommen werden sollte, t r a t ; darauf deutet auch die Bemerkung Fischarts hin (für S. Johannssegen S. Stephanswein). Jedenfalls ist die k i r c h l i c h e Johannesminne älter,die v o l k s t ü m l i c h e Johannisminne dagegen anscheinend jünger als die Stephansminne. 6 ) Franz Benediktionen 1, 293. ') J a h n Opfergebräuche S. 274. 8 ) Franz Benediktionen 2 1. 93I 2; T h o m a s i u s De poculo S.Joannis, quod vulgo appellant S. Johannis-trunck (1675) 10 § 5°- ) Franz Benediktionen 1, 293. 4. Abergläubische Meinungen, die sich an den Genuß der S t . knüpfen, sind seit seiner kirchlichen Weihe zu beobachten. Bereits Fischart bemerkt von i h m : soll für die baermutter gut s e y n 1 1 ) . In Niederbayern war es üblich, den geweihten Wein zur Erlangung von Fruchtbarkeit auf die Felder zu spritzen 1 2 ). In Haselberg (Westböhmen) m u ß man zu Stephani Steffelswasser trinken, d. h. ins Wirtshaus gehen und Schnaps trinken, u m gegen Mückenstiche immun z u s e i n 1 3 ) . Auch in Steiermark trinkt man Stephaniwasser1*). In den Sudeten trinkt man sich, weil Stephan ein starker Mann war, an seinem Tage die Stärke an 1 S ), ebenso in Neuern und Silberberg 1 8 ). A u f dem Heuberg im Schwarzwald trinkt man am

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Stephanstag

Stephanstage den Letzetrunk 17 ), andernorts erhält man im Wirtshaus ein Glas Schnaps umsonst vorgesetzt 18 ). So bleibt die St. trotz gelegentlicher kirchlicher Weihe, was sie schon zu Zeiten Karls des Großen gewesen: ein Trinkbrauch ohne allzu frommen Inhalt, hauptsächlich um des Trinkens willen geübt. Ihre Verbindung mit dem ohnehin gelagefrohen Weihnachtsfest verstärkt diese Bedeutung; ob nun freilich der Stephanstag seinen Namen süpsteffenstach (westnd.) 1 9 ) erst von der an ihm getrunkenen St. erhalten hat, bleibt eine offene Frage. u ) Bienenkorb I. 2. 1 2 ) J a h n Opfergebräuche S. 2 7 3 f. « ) J o h n Westböhmen2 S. 24. " ) G e r a m b SteirVk. S. 58. 1 5 ) L e h m a n n Sudeten16 Vk. S. 1 3 4 . ) S a r t o r i 3, 50. " ) Ebd. 18 ) Ebd. " ) E b d . 3, 49; K u h n Westfalen 2, 102 Nr. 3 1 4 b . Mackensen.

Stephanstag (26. D e z e m b e r ) . 1 . Der zweite Weihnachtstag hat viele Anschauungen und Bräuche, die dem J a h r e s w e c h s e l anhaften, an sich gezogen. In Ostfriesland rollt man einen Jungen in einer Tonne umher, ein Bild des umrollenden J a h r e s 1 ) . Man soll am S.e kein Fleisch kochen, um Krankheiten zu verhindern 2 ). In Tafertsweiler suchen und verzehren alle Leute noch Hagebutten; sie sollen gegen Seitenstechen und Magenleiden gut sein 3 ). Auch ißt man Grünkohl 4 ). In Tirol ist „Zeltenziehen", wobei der Haus- oder Familienzelten feierlich angeschnitten und verzehrt wird. Im steierischen Ennstal geben die Mädchen ihren Burschen die abgeschnittenen Endstücke (Scherzin) des Weihnachtszeltens, die dann von den Burschen an einer Schnur um die Achsel getragen werden B). Man soll recht viel t r i n k e n 6 ). Jedermann trinkt Branntwein („Stephanswasser"), um kein Seitenstechen zu bekommen oder um es zu verlieren 7 ), oder damit einen die Mücken während des Jahres nicht beißen 8 ). Schon in den Capitularien Karls d. Gr. werden die Zechereien zu Ehren des Stephanus verboten 9 ). Der (rote) Wein wurde an diesem Tage gesegnet 10 ), am Johannistage der weiße u ) . Die Burschen führen die Mädchen ins Wirtshaus, um mit ihnen Schönheit und Stärke zu

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trinken 1 2 ), und die Mädchen bewirten: jene in der Bodenstube 1 3 ), oder sind beim Tanze die Auffordernden 14 ). In Schwaben wird die Sichel- und Flegelhenke gewöhnlich am S.e gehalten, wenn der Bauer geschlachtet- h a t l s ) . Die Kinder werden beschenkt 18 ) oder heischen Gaben 17 ). Die „Gödnleut" bringen dem Patenkinde ein neues J a h r " 1 8 ) . Im Ratzeburger Lande hieß auch der Sammelgang der Knechte zu Faßnacht „steifen" 19 ). Auf der Insel Man zogen Knaben mit einem toten Zaunkönig herum und verteilten dessen Federn. Diese galten als Schutzmittel gegen Schiffbruch für ein J a h r 2 0 ) . In Irland vergrub man, wenn kein Geld gegeben wurde, den Zaunkönig an der Tür, was als große Schande galt 2 1 ). In Unterengadin verkleiden sich abends Jünglinge und Mädchen und ziehen von Haus zu Haus 22 ). In Viöl (Schleswig) erhielt das Kind, das zuletzt aufstand, den Namen Steffen und mußte auf einer Heugabel zum Nachbarn reiten, erhielt dort zwar Leckerbissen, wurde dann aber hinausgejagt 23 ). Die Burschen richten allerhand Unfug durch Sachenverstellung an 24 ), das sog. „Steffeln" 25 ). Sie peitschen auch in der Morgenfrühe die Mädchen mit Ruten 26 ), ein Fruchtbarkeitszauber wie das Bewerfen der Mädchen und anderer Leute mit Hafer 2 7 ) und Erbsen 2 8 ). In einigen Kirchen Kuj awiens kam es vor, daß man vom Chore herab auf die Kahlköpfe und selbst auf den die Kirche betretenden Geistlichen mit ungeweihtem Hafer warf 2 9 ). Man soll am S.e eine Spazierfahrt machen (s. gleiten), dann wird sich im kommenden Jahr der Flachs nicht lagern 30 ). In Schweden ist ein Wettfahren aus der Kirche gebräuchlich, indem der zuerst nach Hause Kommende auch die Ernte des Jahres zuerst einzubringen hofft 3 1 ). In einigen Gegenden gießt man Weihwasser in die Quellen, damit sie nicht versiegen, und besprengt die Felder mit Weihwasser, damit sie fruchtbarer werden 32 ). In Smäland findet in der Stephansnacht das „Jahrsganggehen" statt 33 ). Ist es an diesem Tage schönes Wetter, wird der Flachs

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immer lebenbig, immer erljellenb; nie entlägt er uns aus bem S a n n e feines ungeheuren KJijfens, felbß ba nidjt, wo et j u IDiberfprud? reijt. Irtan fühlt ftd? erhoben unb gebemiitigt, man folgt ihm willig unb t»iberftre= benb, man lieft bas 23ud) in einem § u g e butdj (Tage unb tladjte, unb brennt por JSegier auf ben jroeiten S a n b . . . tftmrn unb I i e s l . . . " Deutfdjes ptfilologenblatt Hr. 55. 1932.

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Don JULIUS VON NEGELEIN roeU. oxb. profe||ot a. 6. Mnioerfttät (Erlangen

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XVIII, 441 Seiten. 1935.

Verlag d a t i e r

RITT 16—, gebunden RITT 17.50

be © t u p f e t & I 9 4 . Iis) SAVk. 21, 32 (Bern) = F r e u d e n t h a l a. a. O. 75. 1 4 7 ) W . §§ 251. 294 (Brandenburg); dreimaliges Spucken, vgl. Svenska Landsmäl 8, 3, 367: när det bläser i spisen, skall m a n spotta tre ganger, annars kommer h a n i gräl andra dagen, Smäland. 148 ) Urquell 1, 123 (Königsberg) = F r e u d e n t h a l a. a. O. 177. 1 4 9 ) G. 3, 445 Nr. 323; G r o h m a n n 226 Nr. 1602 = W . § 293. 1 5 0 ) F o g e l Pennsylvania 96 Nr. 391; s. o. 4, 793. 1 6 1 ) S. o. 6, 1077. 1 6 2 ) G. 3, 439 Nr. 141. 1 5 3 ) S. o. 4, 793 f. 154 ) P f o r z h e i m 1787, G. 3, 455 Nr. 625. 155 ) Worms 1790, G. 3, 452 Nr. 536 = HessBl. 15, 129; W o l f Beiträge 1, 240 Nr. 478; Alemannia 19, 166Nr. 35 ( B r e t t e n ) ; SAVk. 8, 269 f. 1 5 6 ) G o e t h e Hermann u. Dorothea 8, 100 f. 1 5 7 ) F o g e l a. a. O. 58 Nr. 174. 1 6 8 ) Fränk. Monatshefte 1928, 418. 169) W o l f a. a. O. i , 239 Nr. 467; C u r t z e Waldeck 386 Nr. 89; K. 398; D . 2, 202; Alem a n n i a 19, 166 Nr. 36; SAVk. 7, 135; Z i n g e r l e Tirol 34 Nr. 262; W Z f V k . 34, 70 (Wiener Kinderglaube); W . § 325; F o g e l a. a. O. 75 Nr. 256; s. o. 2, 644. 16 °) H m t l . 1932, 210 181 (Ilvesheim). ) Traumbuch Artemidori 162 (Straßburg 1624) 179. ) W Z f V k . 34, 70. 163 ) R y f f Traumbuch (1551) 59. 1 6 4 ) W Z f V k . 34, 70; viel kleine Geldstücke, W . § 325; vgl. o b e n 3, 602. 1 6 5 ) W Z f V k . 34, 70. 1 6 6 ) R o t h e n b a c h Bern 45 Nr. 425. 1 6 7 ) F o g e l a. a. O. 74 Nr. 253; 78 Nr. 280; vor der Türe sich herumbalgende K a t z e n bedeuten Z. zwischen Mann u n d Frau, norwegisch, L i e b r e c h t a. a. O. 328

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Nr. 125. 1 8 8 ) S. o. 7, 447. 1 6 9 ) F o g e l a. a. O. 78 Nr. 282 f. 1 7 i ) Ebd. 79 Nr. 284; vgl. K n o o p 171 Hinterpommern 182. ) K. 398; ZfVk. 20, 172 384 Nr. 19 (Schleswig-Holstein). ) HessBl. 173 15, 130. ) ZfVk. 20, 384 Nr. 12. 1 7 4 ) W Z f V k . 17ä 178 33. 92) Ebd. 33, 97. ) E b d . 34, 70; vgl. Urquell 1 (1890), 203 Nr. 10 (Ostpreußen); W . § 325- 1 7 7 ) K - 3 9 8 ; D - 2 - 2 0 2 : Urquell a. a. O.; v g l . a u c h den S, b e d e u t e n d e n A n g a n g einer Nonne, v o n vorne gesehen, s. o. 6, 1115. 1 7 8 ) H m t l . 1932, 210. 1 7 ' ) B e i t l Dt. Volkstum d. Gegenwart 29 (Schlesien). 18 °) ZföVk. 3, 2 1 ; SAVk. 21, 46 (Bern); F r e u d e n t h a l a. a. O. 83. 1 8 1 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 2 7 1 ; W . §325; SAVk. 7, 135. 182 ) L e m k e Ostpreußen 1, 117. 1 8 3 ) S. o. 6, 1597. 184 ) W Z f V k . 34, 70.

5. Der e h e l i c h e U n f r i e d e n hat über die allgemeinen Vorzeichen eines S.s hinaus auch noch eine Reihe b e s o n derer V o r z e i c h e n . Wenn man in der Thomasnacht einen Apfel zerschneidet und einen Kern teilt, bekommt man häufig S. in einer künftigen Ehe 1 8 5 ). Zerbricht einem Mädchen beim Nähen von Mannshemden die Nadel, so wird es von seinem späteren Mann geprügelt 186 ). Wenn es am H o c h z e i t s t a g e regnet oder schneit, „hat das Brautpaar S." 1 8 7 ). Regnet's der Braut in den Kranz, hat sie Unglück in der Ehe 188), eine Regel, die nicht überall gilt 189 ). Erst recht deutet Sturm (Nebel) am Hochzeitstag auf Zwietracht, Z. und S. 190 ). Ein Unfall am Hochzeitstage, besonders S. unter den Hochzeitsgästen ist natürlich auch von schlimmer Vorbedeutung für die neue Ehe 191 ). Ebenso schlagen die Eheleute einander, wenn auf der Hochzeit die Hunde sich beißen 192) oder wenn zwei Gickel (Hähne) auf dem Weg des H o c h z e i t s z u g e s zur Kirche streiten 193 ). Begegnet einem Hochzeitszuge ein Mistwagen oder eine schwarze Katze, so gibt es Z. und S. in der Ehe 1 9 4 ), desgleichen, falls ein Leichenzug, eine Wöchnerin oder Verwandte entgegen kommen 195 ) und wenn eine Katze vor der Trauung auf dem Altar sitzt 196 ). Unglück in der Ehe zeigt auch mancherlei Geschehen mit den Pferden des Brautwagens an 1 9 7 ) oder ein Anhalten, Stocken des Hochzeitszuges auf dem Wege 198 ), feiner wenn bei der T r a u u n g Fehler vorkommen, eines der Brautleute dabei niest, der Braut der Kranz vom Kopf oder der Ring herab-

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Streit, Zank

fällt oder sie ihr Schnupftuch verliert 199 ). Flackern und Zittern der Lichter bei der Trauung bedeutet Unfrieden in der Ehe 20°). Eine böse Ehe wird es, wenn der Hochzeitskranz beim Verbrennen lange glüht W1 ). Wird der Braut bei der Hochzeit das Kleid zerrissen, so geht die Ehe auseinander 802 ), ebenso wenn auf der Hochzeit das Glas beim Rückwärtswerfen durch die Braut zerbricht 203). Wer von den Brautleuten abends das Licht auslöscht, streitet zuerst 204). In all diesen Vorzeichen tritt der g l e i c h n i s h a f t e Z u g des bedeutungsvollen Vorzeichens am Anfang und unter den Einführungsbräuchen eines neuen Lebensabschnitts stark hervor. Erblickt eine junge Frau den ersten Vollmond nach der Hochzeit nicht im Freien, dann zerschlägt sie viel Geschirr und bringt so Unfrieden in die Ehe 20S). Das Verlieren der Schürze bedeutet für Mädchen oder Frau nicht nur Untreue des Schatzes oder Mannes, sondern zuweilen auch S. mit ihm 206). ) V e r n a l e k e n Mythen 339; W . § 334. I M ) W . § 3 1 1 (Thüringen). 187) Z i n g e r l e Tirol 21 Nr. 141; ZfVk. 21, 258 (Isartal). " « ) H. H. 38; J . 93; L a m m e r t 155; SAVk. 12, 150. rt9) M e y e r Baden 292. 1 9 °) NdZfVk. 8, 55 (Ostpreußen); Sturm a m Morgen = Z. im 1. Teil, a m Abend = Z. im 2. Teil der Ehe, B a r t s c h Mecklenburg 2, 60 f.; A n d r e e Braunschweig 304; J o h n Westböhmen 239; J . 93; K. 439»' W . § 265; W e t t s t e i n Disenlis 172; D ä h n h a r d t Natursagen 1, 87. 1 9 1 ) M e i e r Schwaben 483 Nr. 265; W . § 291; vgl. oben 4, 161 f. l e 2 ) G. 3, 448 Nr. 433. 1 9 3 ) Alemannia 24, 155 191) (Wiesloch). G. 3, 475 Nr. 1088; Weinheimer Geschichtsblatt 3/4, 16. m ) W . §§ 291. 577. 1 9 6 ) W . § 271 (Schwaben). 1 9 7 ) S. o. 6, 1621. 1 9 8 ) Östergötland (Schweden). 1 9 9 ) W . § 304. l 0 ° ) M e i e r Schwaben 485; M e y e r Baden 295; F r e u d e n t h a l Feuer 175; s. w. oben 4, 1246. 201) 1252 f. Anm. 11 (Lit.). L ü t o l f Sagen 548 f. = F r e u d e n t h a l a. a. O. 75; Vorzeichen durch das Gedeihen der Myrte, s. o. 6, 715. i 0 2 ) W . §291. 2 0 3 ) Alemannia 24, 154. 2 M ) Z i n g e r l e Tirol 21 Nr. 136. 2 0 5 ) ZföVk. 5, 137; D. 2, 134 (nordböhmisch). 2 0 6 ) SudetendtZfVk. 2, 35. m

6. So bedrohen zahllose Gefahren den ehelichen Frieden, den stets zu wahren fast unmöglich erscheint und auch unnatürlich wäre nach der Ansicht des Volksglaubens; denn „ w o kein Z., ist auch kein E h ' " *»), „d'Liebe muess zanket ho" 2 0 8 ). Ein Zuviel des e h e l i c h e n U n f r i e d e n s wird freilich vom Gefühl des Volkes auch

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nicht gebilligt und durch kräftige Mittel g e a h n d e t . Noch in der Mitte des 19. Jh.s rügte man an der Saar einen Ehes. öffentlich durch zwei Strohpuppen auf dem Haus der Streiter und durch Katzenmusik 209 ); ähnlich brandmarkte man solchen Z. in den verschiedensten Gegenden 210 ), einst auch durch anschauliche gerichtliche Bestrafung am P r a n g e r 2 U ) , vgl. Eselsritt 2 1 2 ). 207) B a u m g a r t e n Aus der Heimat 3, 40. 208) ZfVk. 2i, 263 Nr. 122 (Vorarlberg); „in jedem Haus donnert's zuweilen", Becker Pfalz 235. 2 0 9 ) ,,S. schlichten", F o x Saarland 369 f. 2 1 ° ) „Tierjagen", S c h m i t z Eifel 1, 63; ZfVk. io, 44 f. ( B e r g ) ; P a n z e r Beitrag 1, 252 f. (Mittelfranken); Z i n g e r l e Tirol 224 f. (Oberinntal); C a d u f f Die Knabenschaften Graubündens (1932) S. i g ö f f . ; S a r t o r i Sitte u. Brauch 1, 120 f.; streitende Ehepaare im Volksschwank, bes. des 16. Jh.s, vgl. B o l t e P o l i v k a 3, 275 f. 277 f.; Sonne und Mond als streitende Eheleute s. o. 2, 1511. 1513. 2 U ) Vgl. B i r l i n g e r Schwaben 2, 502; G r i m m RA. 2, 318 ff. 2 1 2 ) S. o. 2, 1016 f.; s. a. C a d u f f a. a. O. 200 f.; F r e y b e Leben im Recht 191 fl.

7. Ü b l e W i r k u n g d e s S.s: In einem Hause, wo Unfrieden herrscht, bleiben die Bienen nicht 213 ). Ähnlich hat man sich zu hüten, wenn man Bienen halbpart hält, darum zu zanken, sonst gedeihen sie nicht 2 M ). Wenn man sich neckt und zankt, verdirbt man das Wetter 2 1 5 ). Natürlich sollen die Nachbarn, die fröhlich am Neujahrsabend zusammenkommen, nicht zanken, sonst bringt ihnen das neue Jahr kein Glück 2 1 6 ). Umgekehrt verleiht Friedfertigkeit gleich der Unschuld (s. d.) besondere K r a f t : drei Brüder Schneider, die sich im Leben nie gezankt haben, können daher einen Schatz heben 217 ). Wer aber im Leben miteinander gestritten hat, muß übers Grab hinaus den Zwist fortsetzen, so daß viele Sagen von s t r e i t e n d e n G e s p e n s t e r n zu berichten haben 218 ), man vergleiche auch die Fortsetzung eines irdischen S.s durch eine Ladung ins Tal Josaphat, vor Gottes Gericht 2 1 9 ). Wohl auch daher darf keiner Leichen wache halten, der mit dem Verstorbenen S. hatte 220). S. einander nahestehender Menschen wird zuweilen durch ein S t r a f w u n d e r gebüßt, wenn z. B. die Leichen zweier Brüder, die sich im S. getötet haben, in Stein

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Streit-!Segen

verwandelt werden 221 ) oder an der Kampfstelle ein kahler, unfruchtbarer F l e c k bleibt 2 2 2 ) oder ein Ehepaar, das sich im Hader gegenseitig zu Steinen verwünscht, eine solche Verwandlung erleiden muß 2 2 3 ). 2 1 3 ) M e y e r Baden 414; s. o. 1, 1229. 1234 A n m . 17. 19 f. 2 1 4 ) K n o o p Hinterpommern 175; M e y e r a. a. O. 2 1 5 ) W . § 624 (Thüringen). 3 1 °) S A V k . 24, 66. 2 " ) M a c k e n s e n Nds. Sagen 218 ) 142. M ö l l e n h o f f Sagen 553; M e y e r Schleswig-Holstein 244; S i e b e r Harzland 182; J u n g b a u e r Böhmerwald 161 f. 235 f.; R e i s e r Allgäu 1, 301; K ü n z i g Schwarzwald 330 f.; S A V k . 14, 190. 2 1 9 ) S. o. 4, 772 f.; vgl. die Zusammenstellung von Beispielen in S. H a r d u n g Vorladung vor Gottes Gericht (1934) S. 15 ff. 2 2 0 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 94. 2 2 1 ) S t r a c k e r j a n 1, 204; E c k a r t Südhannover. Sagen 215. 2 2 2 ) K a p f f Schwaben 113. 223) K n o o p Hinterpommern 22; vgl. P o l l i n g e r Landshut 96 f.

8. H i l f e i m S t r e i t , vgl. G e r i c h t (Rechtsstreit) 3, 673 ff. Diese wird gew ä h r t durch allerlei A m u l e t t e 224) wie "Wiedehopfäugen, Steinlein, welche man in einem Ameisenhaufen findet, in den man acht T a g e eines Raben A u g e gelegt h a t 22S ), S t a u b von einer Schlangenhaut, ein Alraun, eine Glückshaube 226 ). Ein Geierherz, an den rechten Ellenbogen gebunden, hilft in einem vorauszusehend e n S. 227 ). Allermannsharnisch, Dill und K n o b l a u c h sind beliebte Helfer 2 2 8 ). W e r ein Fläschchen mit Taufwasser bei •sich trägt, siegt in jeder Rauferei und es kann ihm kein Schade geschehen 229 ). Mit einem Stocke, mit dem man vor Georgi eine Schlange totschlägt, wird man jeden Gegner überwinden 230 ). D a s Schwert, womit man eine Kröte vor einer Schlange rettete, soll Frieden zwischen Streitenden schaffen 231 ). Natürlich fehlt •es nicht an G e b e t e n „ v o r Widerwärtigkeit und allerhand S . " als wie der Spruch: „ K r a f t , Fried, Friedefürst. 1 . 1 . I . " 232 ), a n Waffensegen und Mitteln, sich schuß-, hieb- und stichfest zu machen 233 ), und a n kräftigen Z a u b e r s p r ü c h e n „für R a u f e n und Schlagen" 234 ), die z. B . d e m starken Gegner unter Anhauchen drei Blutstropfen aus Herz, Leber und Lebenskraft und damit die Mannschaft entziehen wollen 2 3 5 ); s. a. Fernzauber 2 3 6 ). Hört ein in einen S. Verwickelter im T r a u m Trompeten oder Posaunen blasen, s o bedeutet es ihm Sieg 237 ).

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224 ) Vgl. W . § 627. 225 ) A l b e r t u s Magnus (Enßlin) 2, 33; Mitteil. Anhalt. Gesch. 14, 8. 226 ) S. o. 3, 892. 2 2 7 ) S. o. 3, 458. 228 ) S. o. 1, 229 ) A l p e n b u r g 264 ff. 2, 297; 5, 2 f. Tirol 230 ) W . § 627. § 627 (Böhmen). 3 5 4 = W. 2 3 1 ) S. o. 3, 132. 232 ) Geisil. Schild (Enßlin) 166. 172. 233 ) Z. B . A l b e r t u s M a g n u s 4, 31 Nr. 109; vgl. oben 2, 1353 ff.; 3, 1528. 234 ) A l b e r t u s M a g n u s 1, 30. 2 3 S ) E b d . 1, 53 = Romanusbüchlein, W . § 627; W o l f Beiträge 1, 257; vgl. A l b e r t u s M a g n u s 1, 32 ff. 2 3 e ) S. o. 2, 1343. 216 ff. 3, 1540 ff. 2 3 ') Traumbuch A r t e m i d o r i 166. S. a. K a m p f 4, 952ff., Z w e i k a m p f . Müller-Bergström.

Streit und verwandte Motive in d e n Segen x ). 1. A l l g e m e i n e s . Die betreffenden, ganz volkstümlichen Segen sind sämtlich spät überliefert (wohl nicht vor 1675), wesentlich durch die mündliche Tradition ; v e r w a n d t ist indessen der seit dem 15. Jh. bekannte dualistische Mordsegen, s. d. In Nord- und Mitteldeutschland sind sie sehr beliebt, süddeutsch, wie es scheint, spärlicher belegt. Niederländisch, Englisch, Skandinavisch bieten Seitenstücke, doch in recht wenigen Belegen 2 ). — D a s besprochene Übel ist fast immer eine (relativ) äußerliche K r a n k heit, Rose, Flechte, Ausschlag verschiedener Arten, dazu noch Schlucksen. Vier Hauptgruppen sind zu unterscheiden: der St., das Gericht, das Spiel, der Übergang. F ü r die W a h l der Besegner z w i schen den Gruppen ist z. T . die A r t des Leidens m i t Rücksicht auf den Reim bestimmend gewesen. In allen Gruppen bildet der Segen einen Vierzeiler mit paarweisen Reimen; formell wie besonders inhaltlich gibt es auch mißglückte Varianten. F ü r die drei ersten Gruppen ist gewöhnlich gemeinsam der A u s g a n g : ,,(A) gewann, (B) verschwand". J ) Literatur: ( G r i m m Myth. 2, 1043) Eberm a n n Z f V k . 25, 80 ff., mit Belegen, nach den 2 Leiden geordnet. ) N d l T V k . 1, 163 (Übergang); The popular Science monthly (New Y o r k ) 70, 168 aus S. Carolina (Übergang, Boil and dragón), deutschen Kolonisten entlehnt ? Danmarks Tryllefml. Nr. 565 (Übergang); L e v i Joh a n s s o n Hälsa och sjukdom (östersund 1916) 44 (Streit); A m i n s s o n Bidrag tili Södermanlands äldre kulturhistoria 2, 106 (Streit?). Vgl. auch Schlucksensegen Anm. 2.

2. Der S t . (das G e f e c h t ) .

Beispiele:

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Stremmes

Die Rose und die Weide, die standen beide im St.; die W . die gewann, die R. ¿ie verschwand" 3 ). U n d : „Flogasche und Flechte, de wollen sik tohope fechten" 4 Der Sieger ist in einem (auf U S vv. ). ältere Tradition zurückgehenden?) Siebenbürger Texte 5 ) Gott („G. u. der Ohm, die stritten miteinander", vgl. den Mordsegen), ein Paar Mal „ I c h " , sonst irgend «in Heilmittel: die Flug-Asche, die Weide, auch der Mond; in einigen Fällen wird zugleich ein Ritus vorgeschrieben: die kranke Stelle soll mit Asche bestrichen, mit einem Weidenzweige berührt werden o. ä. Der Gedanke ist hier also nicht, daß das Leiden auf einen anderen Gegenstand übertragen wird, sondern daß dessen K r a f t die Krankheit überwindet. 3 ) ZfVk. i, 193 Brandenbg. 4) ZfrwVk. 1908, •94. 5) W l i s l o c k i Sieb. Volksgl. 93.

3. Das G e r i c h t (die S c h u l e , der S t u h l ) . Beispiele: „ D e Man' (Mond) un de Jicht, dei güngen tausam tau Gericht" usw. 6 ). „ D e Wid' un de Flecht', de lagen beid' im R e c h t " u s w . 7 ) . „ D e Pogg und de Pol, de güngen in de Schol, de Pol de sang, de Pogg de slang" 8 ). Ist das recht gewöhnliche Schol „Verbesserung" von Stuhl (d. i. Gericht), welches seltener 9 ) vorkommt ? Gewinner ist in dieser Gruppe neben Weide, Mond, Speckschwarte u. a. öfters der Pfuhl (Pol, Paul); mitunter ist dann vorgeschrieben, mit Mistwasser oder Teer zu schmieren; S. Bugge sah in Pol, Paul den Apostel 1 0 ) (andere den Gott Phol, s. d.), was nur für eine ganz späte Sprachform des Segens zulässig w ä r e 1 1 ) ; der Ritus müßte dann sekundär sein.

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beid' um einen (auch: in einem 1 3 )) vergold'ten R i n g " u s w . 1 4 ) . Ist wohl in das ursprüngliche: das „ S p i e l " (der St.) wird innerhalb eines hl. Kreises gespielt ? Vgl. die Form: „Hier schrief ik enen Rink mit en stalern Messer; de Rink is sunt, dat Hildink verschwund" (indem mit Stahl und Stein kreuzweise Feuer geschlagen w i r d ) 1 5 ) ; vgl. auch z . B . Geisterzitierungen, bei denen der Geist innerhalb eines Kreises gebannt ist. — Das „ S p i e l " des Bösen kommt auch in Schlangensegen vor, s. d. § 2c. 12 ) J a h n Hexenwahn 110. 13 ) So ZfVk. 10, 231 N.-Lausitz. 14 ) ZfVk. 7, 408 Mecklenbg. l ä ) M ü l l e n h o f f Sagen 516 Nr. 27.

5. Der U b e r g a n g , gewöhnlich über Wasser; diese Gruppe ist auch süddeutsch reichlich vertreten. Beispiele: „ D i e Pottasch und die Flechte, die flogen wohl über das weite Meer; die P . die kam wieder, die F. nimmermehr" 16 ). „ W i t t e Wulle un Hesebrand, gät tausammen nä Engeland" usw. (hier wird mit Watte getupft, die nachher ins Wasser geworfen wird) Der Sieger kann auch z. B . die Schwalbe sein oder eine Person (Ich, Jesus); hierher gehört eine Gruppe der Schlucksensegen, s. d. § 2. — Ohne Gegensatz zwischen den Beteiligten, in recht beliebter, schon um 1675 bezeugter 1 8 ) Form: „ D e r Schlier (Ausschlag) und der Drach gehn miteinander über'n B a c h ; der S. muß versinken, der D . muss ertrinken" 19 ) (Gedankengang wie 3. Mosis 16, 22 ?); vgl. 2, 389 t. — Ähnliche Strophen wie die „St."-strophe kommen in sonstiger Volksdichtung vor 80 ).

7)

" ) F r i s c h b i e r Hexenspr. 57 Nr. 3. « ) ZfVk. 10, 63 Braunschweig. 18 ) F r o m m a n Tractatus de fascinatione31 (ZfVk. 25, 83). 19 )Meyerßarf«« 574. 20) E b e r m a n n ZfVk. 25, 84. Ohrt.

4. Das S p i e l und der R i n g . Beispiele: „Maria und das Kind spielten um einen (mit einem) Ring; und Jesus (auch: der Ring) der da gewann, und die Rose verschwand" 12 ). Solche Formen scheinen sinnlos, und „(hl.) K i n d " ist wohl aus »hl. Ding" verdreht. Es heißt nämlich auch: „Maria und das heilige Ding (Hilgeting, Hille, d. i. hier die Rose) die spielten

Stremmes. Im saarpfälzischen B l i e s t a l (unweit Saarbrückens) übliche Bezeichnung für K i r c h w e i h (s. d.). Das Wort stellt eine auch durch andere ähnliche Bildungen bekannte Kürzung und Zusammenziehung 1 ) aus dem Namen des Frankenheiligen St. R e m i g i u s (s. d.), des Schutzheiligen mancher westpfälzischen Kirche dar, nach dem auch das sog. R e m i g i u s l a n d mit seinen R e m i g i u s l e u t e n um K u s e l benannt ist.

•) B a r t s c h Mecklenburg 2, 401 Nr. 1871. ZfVk. 7, 72 Mecklbg. 8) B a r t s c h 2, 446 9 Anm. ) B a r t s c h 2, 368 Nr. 1726. 10) B u g g e Heldensagen 301. 1 1 ) v. G r i e n b e r g e r ZfdPh. 2 7 . 459-

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Strenze—Strohblume

Nach saarländischer Sage, in der etwas von Geschichte weiterklingen mag, war Chlodwig am Remigiusbrunnen bei Kirf im Kreise Saarburg (Mosel) unter einer Linde von Remigius getauft worden 2). Tatsächlich hat der volkstümliche Bischof von R e i m s , dessen Gedächtnistag, der i . Oktober, von Basel und Salzburg bis hin nach Münster und Osnabrück, von Metz und Straßburg, Luxemburg und Trier bis nach Olmütz und Klosterneuburg bei Wien kirchlich begangen wird, nie auf pfälzischem Boden geweilt, der erst durch des Remigius Nachfolger auf dem Reimser Bischofsstuhl Erzbischof H i n k m a r (877) und seine Neufassung angeblich alter Testamente mit Remigius in Beziehung gebracht wurde 3 ). Der 1 . Oktober ist seit alters ein bedeutsamer Termin, in T r i e r Tag des Amtsantritts der Beamten und der Rechnungsablegung. Unter den vielen O r t s n a m e n , die auf Remigius zurückgehen, sind Reims und Domremy, die Heimat der Jungfrau von Orleans, wohl die bekanntesten. !) Ph. K e i p e r in ZfDkde 30 (1916), 627. ) F o x Saarland 27. 2 5 1 ; L o h m e y e r Saarbrücken3 163. 3 ) A. B e c k e r Remigiusland und Remigiustag (Palatina [Speyer] 1935 Nr. 48). Becker. 2

Strenze s. Meisterwurz. Strick. Der einfache gedrehte St., der in der Wirtschaft verschiedentlich Verwendung findet, bekommt magische Wirksamkeit durch Gebrauch und Berührung. Beim Verhandeln eines Stück Viehs muß der Verkäufer den St., an dem das Tier geleitet wurde, mit belassen, sonst behält er die Milch zurück, auch wird vorgeschrieben, daß er knotenlos sein müsse 1 ). An der oberen Nahe mußte die Kuh den St., an dem man sie nachhause geführt hatte, drei Tage um die Hörner geschlungen tragen, sonst verzog sich die Milch 2). Hierher gehört auch der Aberglaube, der Hexen aus einem St. oder Seil daheim am Türpfosten u. dgl. den Kühen in der Nachbarschaft die Milch abmelken läßt 3 ). In der Niederlausitz hinwiederum bringt der St. dem Verkäufer auch künftig Glück 4). Der als Ochse verkaufte Zau-

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berer muß bei solcher Zurücklassung der Volkssage nach die angenommene Gestalt behalten 5 ). Wenn eine Kuh Heimweh nach dem ihr abgenommenen Kalbe hat, so muß man ihr den St., woran das Kalb gebunden war, um die Horner hängen 6). Besondere Bedeutsamkeit kommt seit alters dem St. des Gehängten zu. Plinius Nat. hist. X X V I I I , I i empfiehlt einen Nagel oder St. vom Kreuz gegen Fieber um den Hals zu binden'). In Italien schützte einem alten Manne ein dicker St. um den Hals seiner großen schönen Ziegen diese vor dem bösen Blick 8). Es gehört wohl mit in den Kreis dieser Anwendungen, wenn es in Böhmen geboten ist, um von Sodbrennen befreit zu werden solle man einem St. bis 2 Ellen lang mit Wagenschmiere bestreichen, die aus einem Rade gelaufen sein muß, und diesen in einem Winkel des Hauses aufhängen. Man braucht nur lebhaft an ihn zu denken, um sich von der Belästigung frei zu fühlen 9). Um Warzen zu vertreiben, bestreiche man diese mit einer gefundenen St.leine und lege sie dann wieder hin. Offenbar auf Grund dieser starken Bindung an Berührungsmagie bedeutet es in Böhmen Unglück, wenn man einen St. am Wege findet10). Stricke aus Sand drehen vgl. Seil (s. auch Knoten). L e m k e Ostpreußen 1, 82; J o h n Westböhmen 209. 2 ) ZfrwVk. 2, 293; vgl. S a r t o r i Sitte 2, 141. 3 ) Urquell 2, 92 ff., 105. 4) S a r t o r i 5 Sitte 2, 141. ) Meiche Sagen 540 Nr. 679. 6 ) R o t h e n b a c h 33 Nr. 267. ' ) S c h e f t e l o w i t z Schiingenmotiv 33. 8 ) S e l i g m a n n Blick 2, 287; R ö c h l i n g de coronarum vi 15 f. •) S c h r a m e k Böhmerwald 262. 1 0 ) W. 341 § 508. Über Stricktragen der vom Tode Begnadigten nach altem Rechtsbrauch vgl. ZfVk. 27, 235. Haberlandt.

Stroh s. Nachtrag. Strohblume (Sand-St., Reinblume; Heiichrysum arenarium). Stark wollig behaarter Korbblütler mit kleinen goldgelben Blütenköpfen. Ab und zu auf sandigem Boden, an sonnigen Hügeln usw. 1 ). Zur leichteren Entbindung legt man den Frauen die St. unter die Kissen (Unterfranken) 2 ). Dort legte man auch den im Kindbett gestorbenen Wöchnerinnen einen St.nkranz auf die Brust.

Strohfigur,-mann—Strumpf

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B e i der Geburt eines Kindes wurde mit neun Kräutern, worunter die St. sein mußte, geräuchert 3 ). Hier erscheint die St. als „Mariabettstroh" 4 ), das der Gebärenden als Lagerstreu diente. Gegen Zahnschmerz läßt man den Rauch von St.n in den Mund einströmen. l) 2) M a r z e l l Kräuterbuch 305. Marzell 3 ) M i t t . u. Umfragen z. Bayer. Volksbot. 62. 4 ) S. L a b k r a u t bayer. Volkskunde 1911, 210. 5, 865; im Dänischen heißt die St. auch „Maries sengehalm": F e i l b e r g Ordbog 2, 558. 6 ) T r e i c h e l Westpreußen 3, 1 1 ; W i r t h Beiträge 6/7, 29. 42. Marzell.

Strohfigur, -mann s. Nachtrag. Strom s. F l u ß . Strudeli (Waldfrau) s. 5, 1794 f. Strumpf. 1. Allgemeines. wehr u. Zauber. 5. Volksmedizin.

Erklärung. 2. Sage. 3. A b 4. Liebe u. Hochzeit. Tod.

i . Wenn auch der Str. erst spät zu einem festen Bekleidungsstück geworden ist und auf d e m Lande eigentlich nur in der kalten Jahreszeit getragen wird, so ist er doch ziemlich stark im Aberglauben vertreten, w a s sich vor allem durch Ü b e r t r a g e n abergläubischer Überlieferungen v o m F u ß (s. d.) und S c h u h (s.d.) auf den Str. erklärt. D a s W o r t soccus, aus dem unser Socke entstanden ist, bedeutet ursprünglich „leichter S c h u h " 2 ). W i e der Schuh und die Schürze (s. d.) vertritt der Str. das weibliche Geschlecht und steht daher in enger Beziehung zum Geschlechtsleben3). V o n Bedeutung ist ferner die F a r b e , der S t o f f und die F o r m des Str.es, was auch beim Damenschuhfetischismus in Betracht kommt 4 ); dann der Umstand, ob der Str. n e u oder g e t r a g e n ist, endlich ist, wie beim Ärmel, d e r Hose und dem Schuh, die P a a r i g k e i t der Str.e wichtig und die verschiedene Auslegung, welche der rechten und der linken Seite zukommt. D a z u gesellt sich die verschiedene A r t der Verwendung bei Zauberhandlungen, das Verkehren oder U m d r e h e n der Str.e 4 a ), das Umtauschen des rechten und linken Str.es, die verschiedene Färbung haben können, der Gebrauch als Binde oder Wickel bei K r a n k h e i t e n u. a., wozu sich der Str. von N a t u r a u s gut eignet und zuweilen bloß Bächtold'Stäubli,

Aberglaube VIII

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das Beiwerk abergläubischer A r t ist. Wegen seiner sackartigen Form dient der Str. wie der Schuh (s. d.) oder H u t (s. d.) auch als Behälter und Tasche zum A u f b e w a h r e n von Geld und anderem, namentlich aber zum Aufnehmen der Geschenke zu Nikolaus und zu Weihnachten, wo die Kinder die Str.e an das Fenster binden 5 ). Neben dem Str. hat das S t r . b a n d (s.d.) seine besondere Stellung im Aberglauben. 1) F. H o t t e n r o t h Handbuch der deutschen Tracht (Stuttgart o. J.) 979 (Socke). 980 (Strumpf); H o o p s Reallex. 2, 5 6 1 ; W e i n h o l d 2 Frauen 2 (1882), 263; M e y e r Konv.-Lex. 19 (1908), 134; H e c k s c h e r 260 ff. 492 ff.; H j a l mar F a l k Altwestnordische Kleiderkunde, Videnskapsselskapets Skrifter II. Hist.-filos. Kl. 1918 Nr. 3 (Kristiania 1919) 122 ff. 2 ) S c h r ä d e r Reallex. 740. 3 ) V g l . A i g r e m o n t Fußerotik 31. 47. 53 f. 4 ) V g l . ebd. 49. 4 a ) V g l . K n o o p Hinterpommern 163Nr. 84; 167 Nr. 126. 6 ) S a r t o r i Sitte 3, 16; Z f V k . 4 (1894), 52.

2. In der S a g e trifft man besonders Angaben über die Farbe und Bedeutung der Str.e. R o t e Str.e tragen der Wassermann und die Wasserfrau in der Lausitz 6 ), mit einem roten Str. ist zuweilen der Menschenfuß bekleidet, den der wilde Jäger h e r a b w i r f t ' ) , in Tirol hielt man Weiber mit roten Str.en für H e x e n 8 ) . W e i ß e Str.e, rote Weste und schwarze Hosen trägt ein schwäbischer Schreckgeist 9 ) und verweist so auf die Tracht des 18. Jh.s, wo man weiße Str.e bevorzugte, während man schwarze nur in der amtlichen Tracht und beim Trauerkostüm trug 10 ). Weil an manchen Orten die Polizeidiener und Lakaien b l a u e Str.e trugen, entstand der Spottname B l a u s t r u m p f — Schiller nennt in den „ R ä u bern" (II. 3) den Teufel den „höllischen Blaustrumpf" — für Aufpasser und A n geber, der aber auch schon im 18. Jh. für gelehrte, schriftstellernde Damen gebräuchlich w u r d e 1 1 ) . Str.e v e r s c h i e d e n e r F a r b e , wie sie tatsächlich früher auch getragen wurden, haben in der Sage nicht selten eine besondere Bedeutung. Nach dem Glauben der Bevölkerung von Montavon geht jene Person, welche im nächsten Jahre zuerst sterben m u ß , i n zweifarbigem Kleide (s.d.) als letzte hinter der wilden Jagd. So be18

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Strumpf

merkte einmal ein Mann aus Tschagguns, daß dieser Letzte im Zuge einen w e i ß e n und b l a u e n Str. anhatte und gewahrte, heimgekehrt, zu seinem Entsetzen, daß er ebensolche Str.e trug. E r starb auch im folgenden Jahre als E r s t e r 1 2 ) . Hier soll vielleicht ausgedrückt werden, daß die betreffende Person schon mit einem Fuß im Grabe steht, zur Hälfte bereits der Unterwelt gehört. Bloße phantastische Ausmalung scheint vorzuliegen, wenn von dem schlesischen Flurgeist Vogelhannes erzählt wird, daß er entweder bloß einen Strumpf und den andern Fuß nackt hat (s. Schuh § 7) oder einen roten oder blauen Str. t r ä g t 1 3 ) , oder wenn nach einer Überlieferung der Esten aus einem heiligen Bache zuweilen ein Kerl mit blauem und gelbem Str. steigt 1 4 ), also bunt gekleidet ist wie sonst der Wassermann. Einen roten und weißen Str. hat das Hüttenweiblein auf dem Schönberg im Harz und der ruhelose Geist eines falschen Zeugen aus Tegerfelden 1S ). Aus der Begegnung mit einsam strickenden Schäfern, Hirten oder Hirtinnen mag wohl der Sagenzug entstanden sein, daß auch Geister Str.e s t r i c k e n . Das Holzweiblein strickt an einem grünlichen Str. 1 6 ), die Zwerge spinnen oder stopfen Str.e auf Kreuzwegen 1 7 ). Schwerlich läßt sich hier ein mythischer Hintergrund annehmen. Die Kunst des Strickens begann sich erst in der 2. Hälfte des 16. Jh.s auszubreiten 18 ). Doch schrieb man sicher, bald nach dem Aufkommen der gestrickten Str.e, die gegenüber den früheren, aus Teilen zusammengenähten Str.en ganz und einheitlich waren, eine besondere Zauberkraft zu. Nach der dänischen Sage kann der giftspeiende Wurm Bläsvorm auf Mors durch sieben Kirchenmauern blasen, aber nicht durch gestrickte Str.e 19 ). •) H a u p t Lausitz 1, 46. 50 = Z f V k . 4 (1894), 301. ' ) J u n g b a u e r Böhmerwald 86. 8 ) Z i n 9 g e r l e Tirol 60 = Z f V k . 4, 302. ) Kapff 10 Schwaben 97. ) H o t t e n r o t h a. a. O. 676. 12 " ) M e y e r Konv.-Lex. 3 (1905), 38. ) Vonb u n Beiträge 1 3 ; vgl. N i d e r b e r g e r Unterwaiden 2, 7 2 ; K u o n i St. Galler Sagen 66 f. I3 ) P e u c k e r t Schlesien 1 7 3 f. Bei K ü h n a u Sagen 1, 580 ff. Nr. 614 ff. wird aber nichts da14 von erwähnt. ) G r i m m Myth. 1, 498 = Z f V k . 4, 301. 1 S ) Z f V k . 4, 4 1 3 f. 1 6 ) Q u e n s e l Thü-

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ringen 2 1 1 . 1 7 ) M e i c h e Sagen 350 Nr. 458 = Z a u n e r t Natursagen 1, 85. 1 8 ) H o t t e n r o t h a . a . O . 5 4 1 . 557. 1 9 ) G r i m m Myth. 3, 199.

3. Gegen B e h e x u n g schützt man sich, indem man z w e i e r l e i Str.e anzieht 20) (s. Schuh) oder indem man sie v e r k e h r t anlegt 2 1 ), was auch in Frankreich üblich ist 22 ), wo man in Nièvre einen schwarzen und blauen Str. anzieht, um die Hexen zu verwirren 23 ). Eine Täuschung böser Geister bezweckt zum Teil wohl auch die eigentümliche Sitte, daß die Sylter Wöchnerin beim ersten Kirchgang einen grünen und roten Str., nach andern einen grünen und gelben Str. trägt und eine Gangart einschlägt, die dem Kiebitzgange nicht unähnlich ist 2 4 ). In Hessen wehrt man Hexen dadurch ab, daß man einen Str. links anzieht 25 ), im Nahetal, indem man den einen Str. mit der rechten, den andern mit der linken Seite nach außen kehrt 26 ). Das K i n d schützt man, indem man in Norddeutschland neben anderen Dingen einen linken Str. in die Wiege legt, damit der Nickert dem Kind nichts anhaben kann 27 ) oder, wie im Oberamt Cannstatt (Württemberg), den linken Str. des Vaters oder auch ein anderes Kleidungsstück auf das Deckbett des Kindes zum Schutz gegen die Hexen legt 2 8 ). Zu demselben Zwecke trägt im Hunsrück das Kind, wenn es zu laufen beginnt, einen Str. rechts, den andern links gewendet 29 ), In Vannes darf man einem Kinde nicht zwei Str.e von demselben Paar anziehen30), und in den schottischen Hochlanden müssen einige Kleidungsstücke des Kindes fehlerhaft sein, wie ein Str. oder ein Jäckchen, dessen Innenseite nach außen gedreht ist 3 1 ). V e r k e h r t e s Anziehen der Str.e am' Morgen bedeutet in Mecklenburg, daß man den ganzen Tag alles verkehrt macht 32 ), bei den pennsylvanischen Deutschen, wenn es unwissentlich geschehen ist, daß man etwas geschenkt bekommt. Hiezu glaubt man in England, daß man die Str.e, wenn man den Fehler entdeckt, so lassen soll; wenn man sie umdreht, hat es Unglück zur Folge 3 3 ) (vgl. Schürze). In Frankreich wird dem, der einen Str. verkehrt anzieht, am selben Tage ein guter Rat gegeben 34 ).

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Strumpf

Verbreitet ist der Glaube, daß der, welcher früh zuerst den linken Str. anlegt, Unglück hat 35 ). Besonders soll man am Montag (s.d.) keinen Str. links antun36). Am Morgen soll man zuerst beide Str.e anziehen und dann erst die Schuhe, sonst hat man wenig Glück 37). Zieht man sich Str. und Schuh hintereinander erst auf einem Fuß an, so zieht man sich das Unglück an; zieht man sich beides ebenso aus, dann zieht man sich das Glück aus oder es freut sich der Teufel 38 ). Wie durch andere Kleidungsstücke (s. Kleid) kann man einen S c h a t z durch Daraufwerfen des rechten Str.es b a n nen 3 9 ). An die Redensart von den „Hosen, die Wasser ziehen", erinnert der Glaube, daß es bald zu regnen anfängt, wenn jemand die Str.e herabhängen läßt40), was man in Thüringen besonders von Kindern 41 ), in Westböhmen von Mädchen 42) sagt. Nach einer Sage aus der Oberpfalz erregt ein Knabe dadurch einen S t u r m , daß er über einen Bach, der übers Kreuz fließt, den rechten Str. hängt 43 ). Beim ersten A u s t r e i b e n des Viehes im Frühjahr wurde früher ein Beil oder ein anderer Gegenstand aus Stahl u. a. in einen roten Weiberstrumpf oder in eine blaue Schürze (s. d.) gewickelt und auf die Schwelle der Stalltür gelegt, so daß die Tiere darüber gehen mußten 41 ). In Finnland mengte man früher unter das S a a t k o r n Samenkörner, die im linken Str. eines von einem unehelichen Kinde entbundenen Weibes aufbewahrt waren45) und umhüllte die beim Z a u b e r gegen F e l d d i e b e verwendeten Schlangenköpfe mit einem Leichentuch oder dem Str.schaft eines Verstorbenen46). 20 ) W u t t k e 282 § 4 1 4 ; S e l i g m a n n Blick 2, 222; S p i e ß Fränkisck-Henneberg 1 5 1 . Vgl. A i g r e m o n t Fußerotik 61. 2 1 ) S t r a c k e r j a n 2, 227 Nr. 482; P o l l i n g e r Landshut 1 1 2 . 2 2 ) Seligm a n n Blick 2, 222. 23 ) Ebd. 2, 226. 2 4 ) ZfVk. 4 .2, i4og;Sitzb. Wien 14 u. 16, Anhang 97; 25, 2 5 5 ; vgl. ZföVk. 31. 83- 2 ) S c h i l l e r - L ü b b e n MndWb. 4, 514; vgl. ZföVk. 31, 83. 3 ) ZföVk. 31, 83; Mitt. Hist. Ver. Steiermark 11, 242 ff.; 22, 9 f.; Austria TJniversalkalender 1846, 20; G r i m m Mythol. 3. 145; DWb. 2, 827 f.; widerlegt ZföVk. 31, 85 f- 4 ) ZföVk. 3, 8; vgl. ebenda 31, 83 Anm. V e r n a l e k e n Mythen 69 f. •) Ebd. 70. ') Ebd. 280 = Q u i t z m a n n B a i w a r e n 80. 8 ) Vgl. meine sprachlichen Auseinandersetzungen Zfö"Vk. 31, 82 f. •) B r e h m Tierleben2 3, I, 618.

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) Vgl. ZföVk. 31, 82 f.; Sitzb. Wien 25, 255. " ) S c h m e l l e r BayWb,2 i, 361 = ZfdMyth. 3, 207; S i m r o c k (mit Leoprechting) Mythol. 433, darnach M e y e r Aberglaube 341. 1 2 ) ZfdMyth. 3, 207 = S i m r o c k Mythol. 433; M e y e r Aberglaube 341. 13 ) Vgl. Literatur ZföVk. 31, 86. 14 ) H ö f l e r Kranhheitsnamen 730. 1S ) ZfdA., N. F. 20, I45ff. 16 ) Ausführlich ZföVk. 31, 86f. 17 ) ARw. 2, i n f. ( = H ö f l e r Krankheitsnamen); vgl. ZföVk. 31, 86 f.

2. V e r w e n d u n g s g e b i e t e . Jedenfalls wird T. verwendet wie ein Appellativ zur Bezeichnung eines feigen, zitternden Menschen, eines ohnmächtigen Kerls — so schon bei Hugo v. Trimberg (V. 1 1 525 ff.) und heute noch 1 8 ); dann für Feldscheuche 19 ), die mit ihrem Zittern das Wild abhalten soll (so selbst im Slowenischen 20)), für Vogelschreck 21 ), ja sogar für buntgefleckte Gegenstände schlechtweg, wie für scheckige Tüchl 2 2 ); auch überhaupt für Spottfigur, die (sitzengebliebenen oder verworfenen) Frauenspersonen aufs Hausdach oder vors Fenster gesetzt wird u. ä. 2 3 ); T. heißt ferner auch eine Haus- oder Stallgiebelfigur aus Stroh 84 ), eine Brunnenfratze oder -ein Brunnenstock bei den Deutschen Kärntens wie bei den Slowenen26) (vgl. Brunndockerl, Schmeller BayWb. 1 , 488), auch die Dachröhre 26) ( = Traufe), ein Wappenschildhalter auf einem Brunnen der Stadt Salzburg 27 ), ein großer Grenzstein im Slowenischen (Rumpfgestalt) 28 ), sowie auch der Schneemann, um den die Jugend ihr Spiel treibt 29 ). Nach all dem ist es nicht verwunderlich, wenn weiterhin der Ausdruck T. auch oft und schon früh mit Docke oder Puppe zusammen erscheint30) und für Drahtpuppe und Schachfigur 3 1 ) wie für Puppe im Volksspiel 32 ) verwendet wird und selbst heute noch in Steiermark die Spielpuppe der Kinder Tatterpuppe und T. 33 ) heißt; aber auch die Strohpuppe und Fetzenpuppe bei verschiedenen Volksfeiern nennt man T., so im allgemeinen bei der Frühlingsfeier 34 ), im besonderen in Graz 35 ), dann beim Faschingsfest 36), beim Johannisfeuer 37 ), beim Samsonumzug im Salzburgischen 38) und sonst noch in Oberösterreich39). Weiterhin wird T. oft zusammengebunden mit Kobold 40 ) und Götz 4 1 ) und nicht 22*

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Tattermann

selten für Götzenbild 42) gebraucht (auch im Slowenischen, wohin es aus dem Deutschen gelangt ist 43 )) oder für Götzenmannderl an Kirchen 44 ). Einen Schritt weiter aber geht T. als Schreckgespenst im Kinderlied 45), in dem er geradezu dem Schutzengel gegenübergestellt wird, oder als Schreckgestalt, die auf dem Dachboden haust 46 ); so kommt T. schon dem Begriffe Dämon nahe, auch wenn er einmal plötzlich als Geiger in lustiger Gesellschaft auftaucht 47 ); dann aber erscheint der T. sogar als Glücksverkünder auf goldenem Rößchen, jedoch auch als Todesbote mit Sense oder weißer Schlafmütze 48), selbst unmittelbar am Sterbebett 49 ); im Pestgärtl sich zeigend, bringt er Unglück so ), er erscheint oft bucklig, mit langer Nase und grünen Augen 61 ), besonders gerne im volkstümlichen Vierzeiler NiederösterreichsS2). Geradezu als Wassergeist scheint er auf schlesischem Gebiete aufzutreten 53 ), ist aber auch angeblich Personifikation der zuckenden Herdflämmchen S4), daher auch Feuergeist 55) (vgl. unten Salamander) und taucht neben Butz und Putz als steirischer Hausgeist 86 ) auf, welche Rolle ihm allerdings von Quitzmann 57) abgesprochen wird. Die dämonische Natur dürfte dem T. auch eignen, wenn er zur Bezeichnungdes Salamanders verwendet wird (auch im Slowenischen) 58), der eben (als Dattermanndl) Abgesandter des Teufels ist und böse Menschen beobachtet69), selbst zu Zauber gebraucht wird (ins Gewehr geladen, sichert er unfehlbaren Schuß und auch das Wetter vorherkündet 61 ). Schließlich heißt die Abbildung des Salamanders auf Öfen ebenfalls T.bild 62 ). Es führt jedoch auch das kretinische Kind neben anderen Bezeichnungen wie Alp, Butz, Drut, Kobold, Schratt, Trull, die alle für dämonische Wesen gelten63), den Namen T. Der Vollständigkeit halber muß noch erwähnt werden, daß T. auch als Ortsbezeichnung64) (für Berg, Weiler, Haus, Kreuz) und als Schreibname auftritt. ls ) ZfdMyth. ZföVk. 3 1 , 85.

3, 207 f.; zahlreiche Belege ) P a n z e r Beiträge 2, 532 =

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V e r n a l e k e n Mythen 205; G r i m m Mythol. 3 , 145. 20 ) W o l f Slow.Wb. 2, 657 (aus d e m D e u t schen übernommen). 2 1 ) Vgl. ZföVk. 3 1 , 84. 22 ) ZfdMyth. 3, 209. 2 3 ) J o h n Westböhmen 74. 1 2 2 ; ZfdMyth. 3, 209 = L e o p r e c h t i n g Lechrain 1 7 7 ; K u h n Westfalen 2, 156 Nr. 442; B a varia 1, 3 7 2 ; vgl. ZföVk. 3 1 , 84. 2 4 ) ZföVk. 31 84. 2S ) Ebd. 3 1 , 84f. Ebd. 3 1 , 85 Anm. 27 ) Salzburger Chronik 1926 (24. Dez., Weihnachtsbeil. S. 3 f.). 2 8 ) W o l f Slow.Wb. 2, 6 5 7 ; vgl. ZföVk. 3 1 , 85. 2 9 ) V e r n a l e k e n Mythen 279 t. = Q u i t z m a n n Baiwaren 80. 30 ) G r i m m 31 Mythol. 1, 4 1 4 ; ZföVk. 3 1 , 87 f. ) ZfdMyth. 3, 207; G r i m m Mythol. 3, 416. 3 2 ) V e r n a l e k e n 33 Mythen 205. ) Vgl. ZföVk. 3 1 , 87. 34 ) ZföVk. 3, 8. 36 ) ZföVk. 8, 447. 3") Topographie v o n Niederösterreich 1, 2 1 2 . 37 ) V e r n a l e k e n Alpensagen 372 f. 38 ) ZföVk. 3 1 , 84. 39 ) Ebd. 3 1 , 84. 40 ) H . v. T r i m b e r g Renner V. 10883 f. und V. 1 0 3 1 6 ff.; vgl. G r i m m Mythol. 3, 1 4 5 ; S i m r o c k Mythol. 478; H ö f l e r Krankheitsnamen 3 9 5 ; ZfdMyth. 3, 207. 4 1 ) G r i m m Mythol. 1, 1 1 4 ; vgl. P a n z e r Beitrag 2, 532 und ZföVk. 31, 42 87. ) ZfdMyth. 3, 207 f.; S i t z b W i e n 25, 255 = Q u i t z m a n n Baiwaren 78. 43 ) S i t z b W i e n 25, 2 5 5 — Q u i t z m a n n Baiwaren 78. 44 ) ZföVk. 3 1 , 85. 4S ) V e r n a l e k e n Mythen 75. 46 ) ZföVk. 3 1 , 84 („Geh net aufi aufn Bodn, is da T. drobn" 47 Steiermark). ) V e r n a l e k e n Mythen 75. 4S ) E b d . 280 f. 49 ) E b d . 282. 5 °) Ebd. 281. « ) Ebd. 281. 5 2 ) Ebd. 69 fi. 5 3 ) G r i m m Mythol. 1, 4 1 6 = V e r n a l e k e n Mythen 205. 64 ) M e y e r Aberglaube 3 4 1 ; vgl. Simrock 65 Mythol. 478 u. oben. ) S i m r o c k Mythol. 478; ZfdMyth. 3, 208. 5«) M u c h a r Geschichte Herzogt. Steiermark 1, 258 = U n g e r - K h u l l Steir67 S8 Wb. 135. ) Baiwaren 1 7 5 . ) ZfVk. 10, 5 9 ; ZfdMyth. 3, 208; G r i m m Mythol. 3, 1 4 5 ; ZföVk. 3 1 , 85 (mit Literatur). 5 9 ) ZfVk. 9, 3 7 5 . 60 ) W u t t k e § 714. " ) ZfVk. 8, 1 7 4 ; ZfdMyth. 3, 208; ZföVk. 3 1 , 89 f. «2) ZfdMythol. 3, 208. 63 ) ZfdPh. 3, 331 ff.; vgl. ZföVk. 3 1 , 91. 64 ) ZföVk. 3 1 , 85, dazu ZfVk. 8, 447.

3. D e u t u n g . Vor allem müssen wir nach dem Vorgebrachten feststellen „ daß bei einer ganzen Reihe von Verwendungen der Ausdruck T. im Sinne eines Gattungsnamens aufgefaßt werden kann für eine roh gefertigte, in beiläufigen Umrissen menschenähnliche Figur, wobei sich der Name ziemlich ungezwungen auch aus der nachlässigen, unfertigen, schwankenden, „tatternden" oder „Tattern" erzeugenden Erscheinung ergäbe, so daß T. von Haus aus ein verhuzeltes Zerrbild wäre. Nun spielt allerdings eine andere Verwendungsreihe sehr stark ins Dämonische hinein, was freilich so erklärt werden könnte, daß der T., der im ersteren Sinne bereits festgelegt war, auf

Tattermann

Gespenstisch - Schwankendes übertragen wurde. Praktisch lautet also die Frage: heißt z . B. die Strohpuppe der Frühlingsfeier T. als schlottrige, fetzige Gestalt oder ist in ihrem Namen die ursprüngliche Bezeichnung eines göttlich-dämonischen Wesens erhalten? Die Entscheidung erscheint schwierig. Vielleicht dürfen wir an Hugo v. Trimberg anknüpfen, der im Renner (V. 10883 f.) behauptet, die Abgötter der Heiden waren Kobold und T . ; damit ist für verhältnismäßig frühe Zeit T. geradezu als Abgott, d. h. hier irgendwie göttlich verehrtes Wesen aus vorchristlicher Zeit belegt; bekräftigend wirken die Rolle der Puppe und des Kobolds (s. dort) in der volkläufigen Dämonologie, dazu noch die Tatsache, daß T. geläufige Bezeichnung für Salamander ist und der Salamander doch als Seelentier mit dämonischen Kräften gilt. Ganz besonders für die ursprüngliche Bedeutung T . = D ä m o n spricht der Umstand, daß Berge und Fluren den Namen tragen und gerade in den Alpenländern, wo für die Benennung solcher örtlichkeiten überhaupt häufig Dämonennamen erscheinen 6S) (neben T. besonders Kobold, Schrattl, Putz, Unhold). Dazu ist zu halten, daß bei den Frühlingsfeiern die Puppe, die verbrannt oder ertränkt oder doch wenigstens verulkt wird, durchweg eine dämonische Erscheinung vertritt, die eine dem Menschen (während des Winters) feindselige Rolle gespielt hat. Da diese Frühlingsfeierpuppe nun allenthalben nach spezielleren, lokalen Einstellungen benannt und je nach Gegenden verschieden, aber meist plastisch aufgefaßt wurde, so als Luther, Papst, Judas, Perchta-Holla 66 ), ist schwerlich anzunehmen, daß gerade die im Steirischen so fest verankerte Bezeichnung T. diesmal ganz allgemeiner appellativer Natur sein sollte, also T . = Fetzenbild 67 ). Für diese Landschaft kommt nämlich außerdem noch dazu, daß auch der in den Alpenländern noch vor wenigen Jahrzehnten gehäuft auftretende Kropfidiot die Bezeichnung T. neben anderen

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für Dämonen geltenden Namen führt 673 ). Da der Idiot auch als Wechselbalg gilt, dieser aber wieder selbst als Dämon aufgefaßt wird und auch dessen Namen trägt, so ist die Beziehung bereits ziemlich deutlich festgelegt. Gleichzeitig erscheint T. für den torkelnden, schlottrigen, stammelnden Idioten als eine geradezu treffliche Benennung. Und bezeichnenderweise ist Name und Begriff T. vorzüglich im Gebiete des endemischen Kropfes bodenständig 68 ). Somit läge es nahe, im T. einen spezifischen Krankheitsdämon zu vermuten, den Verursacher des Kropfkretinismus, eines Übels, das auch anderwärts auf dämonische Einflüsse zurückgeführt wird. Mit dieser Rolle des T.s wäre recht gut zu vergleichen die Erscheinung des Tannawaschl, des Erregers der Mumpsgeschwulst in volkstümlicher Auffassung 69 ); ebenso — allerdings als g u t e r Hausgeist in Fratzengestalt — das „Klopferle" in Großsachsenheim 70 ). Zu dieser eben entwickelten Bedeutung des T.s stehen in keinerlei Widerspruch-all die anderen Rollen, die der Ausdruck T. auf dämonologischem Gebiete oder in dessen Umgebung spielt. Die verschiedenen Bedeutungen wie Grenzstein, Brunnenstock u. ä. erklären sich teils mit den unter Puppe (s. dort) gegebenen Zusammenhängen, teils aber fügen sie sich sonst leicht in den Rahmen wie etwa der Hausname T., da doch für Hausbezeichnungen gerne Bildstöcke oder Hauskennzeichen verwendet wurden. Die Entwürdigung zur Vogelscheuche, zum Kinderschreck, zum Götzenmannderl und zum Schneemann sowie zum Narren- und Spottbild in der Frühlingsfeier 71 ) ist dann durch den bekannten Einfluß des Christentums nur zu klar gegeben, sodaß wir mit Vernaleken übereinstimmen können, der meint: „Der Gott ist zu einem Götzen, zu einem Popanz geworden" 72 ), ganz entsprechend dem Schicksal, das das Schreckmännlein über sich ergehen lassen mußte 73). 65 ) B l ä t t e r Ver. Landesk. Niederösterreich 1887, 135. 66 ) Z f ö V k . 31, 87; A R w . 2, 142. 67 ) B l ä t t e r f. H e i m a t k . (Graz) 5 (1927), 15 f6 ? a ) Salamander = kleiner, kurzer Mensch, m i t Molch verglichen. H ö f l e r Krankheitsnamen 419.

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•») ZföVk. 31, 88. •») Ebd. 31, 87 (mit Literatur); dazu S c h m e l l e r BayWb.2 i, 608; L e x e r MhdWb. 2, 1402. ,0 ) Leipziger Illustr. Zeitg. Nr. 4327 (16. 2. 1928) S. 247 (mit Bild). ™) ZföVk. 31, 89. ™) Mythen 280. " ) H ö f l e r Krankheitsnamen 395. Webinger.

Tau. 1. E i n l e i t u n g . T. ist im Volksglauben als eine Art Lebenswasser empfunden, das mit bestimmten magischen Kräften auf das Irdische wirkt. Schon in den, freilich nurmehr geringen, Überresten von Beschreibungen des T . f a l l s wird das deutlich, daß es sich beim T. um etwas Lebendiges handelt: es sind in den dafür in der Oberpfalz gebrauchten Redensarten fast nur Verben der Tätigkeit verwendet. So macht der.T. Rosenkränze, perlt, sitzt auf dem Zaun, tränkt die Wiesen, färbt das Gras, frißt das Schuhleder, zündet die Lichtlein an ( = schillert im Sonnenlicht) 1 ). Gemeint ist in den meisten Fällen unter T. der Morgent.; aber auch Abendt. und Nachtt. kommen häufig vor. Die Wirkung des T.s ist im besonderen Maße förderlich; von schädlichem T. ist selten die Rede, wobei es sich obendrein meist nicht um echten T. zu handeln scheint. Der förderlichen Wirkung des T.s sind vor allem Kühe und deren Milch samt der daraus gewonnenen Butter unterworfen. Der zweite Bereich, in dem T. eine ganz große Rolle spielt, ist die Volksmedizin. In der Fruchtbarkeit fördernden Kraft ist der T. den ähnlichen Eigenschaften des Regens (s. d.) verwandt. Die Tatsache, daß man im Volk glaubt, daß der T. an bestimmten Tagen und in den dazu gehörigen Nächten, wie der Neujahrs-, Karfreitags-, Oster-, Pfingst-, Johannisund Weihnachtsnacht, sowie am 1. Mai besonders starke Wirkung habe, zeigt seinen überirdischen Herkunftsbereich 2 ). Er gehört irgendwie zu einer göttlichdämonischen Welt; auch zauberische Verwendung deutet darauf hin. S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 132. 92 § 113; S t r a c k e r j a n 2, 110.

2

)Wuttke

2. Ü b e r die E n t s t e h u n g des T.s. Mannhardt erklärte in seinen Germanischen Mythen den T. für die Himmelsmilch, die Donar aus den Wolkenkühen

684 mit seinem Blitz melke 3 ). Das ist u . a . aus den Bezugsetzungen zwischen dem T. und den Kühen sowie dem durch T.zusatz erzeugten Butterüberfluß im Volksglauben erschlossen, aber natürlich unbelegt und steht dahin. Es gibt im Volksglauben keinerlei Erklärungen mehr, die man als ausgesprochen heidnisch ansprechen kann. Lediglich einige christliche Überreste führen zu einer solchen Anschauung unserer Vorfahren; mehr als der Glaube an die himmlische Herkunft des T.s ist aber nicht daraus zu erkennen. Alles andere ist christliche Zutat. Verhältnismäßig hohen Alters dürfte die Ansicht sein, daß der T. aus dem Paradies stamme 4 ). Die andern Erklärungen sind inhaltlich jünger. In der ehemaligen Provinz Posen sind die Leute in manchen Gegenden der Meinung, der T. sei die Tränen der Engel und der Seelen des Fegfeuers, die über die Sünden der Menschen auf Erden vergossen werden; in den T.-losen Zeiten seien die Sünden der Menschen zu groß, und die Tränen reichten (zur Erlösung?) nicht aus 5 ). In der Oberpfalz (Neuenhammer) sieht man im T. die Tränen der gefallenen Engel, die jünger und unerfahren dem Lucifer allzu leichtfertig gefolgt sind und nun jeden Abend und Morgen darob weinen. Indem sie vor und nach der Sonne fliegen, haben sie die Freude, auf kurze Zeit noch den farbigen Glanz ihrer Tränen in der Sonne zu sehen; es soll sie an ihren eigenen früheren Glanz erinnern. Am Morgen, wenn die Sonne kommt, verbergen sich die Geisterchen in dem Schutz der Frauenmäntelchen und sehen da noch die Tränen glitzern, bis diese von der Sonne aufgezehrt sind. Dann haben die Engelchen kein Existenzrecht mehr und müssen sich in die Räume zwischen Himmel und Erde zurückziehen, bis die Sonne wieder untergeht. Aber das Naß vom Himmel haben sie der Erde gebracht 6). 3 ) M a n n h a r d t Mythen 5 f. 4 ) Ebd. 30. 5 ) Z V f V k . 22 (1912), 89. 6 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 133 Nr. 6.

3. F r u c h t b a r k e i t u n d T. a) T. und Butter stehen in innigster Wechsel-

685 beziehung. T. am Maimorgen deutet auf ein gutes Butter jähr 7 ). T.zusatz im Butterfaß steigert u. U. das Quantum ins Ungemessene; denn die magische Kraft des T.s wirkt sich besonders auf den Butterreichtum aus 8 ). In den Erzählungen erscheinen Frauen als hervorragend begabt, T. zu diesem Zwecke auszuwerten. Es sind meist Hexen 9 ); daß gerade sie hier Einfluß haben, ist sicher herabwürdigende Deutung des aliquid sanctum, das nach Tacitus den germanischen Frauen teilweise innegewohnt hat 1 0 ). Der ostfriesische Bauer oder seine Frau streichen am i. Maimorgen vor Sonnenaufgang das t.feuchte Gras auf ein Bettuch und pressen aus diesem den T. in eine Butterkarne. Sie erhalten dann soviel .Schepel vull' als Bauern in der Nachbarschaft wohnen 11 ). Meistens beschäftigt sich der Volksglaube aber mit der Möglichkeit, durch Stehlen des T.s auf den Wiesen des Nachbars sich dessen Milch und Buttersegen anzueignen; in diesem Falle spricht man von den Hexen und ihren Künsten. Man erzählt das in der mannigfaltigsten Form in Deutschland. Eine Schleswig-holsteinsche Sage berichtet, wie eine solche Hexe in einem Linnenlaken — dieses streichen die Hexen meist vor Sonnenaufgang über eine betaute Wiese des Nachbars (daher T.streicher, -Schlepper genannt) — T. sammelte und die Flüssigkeit in einem Krug auswrang. Davon tat sie jedesmal, wenn sie buttern wollte, einen Löffel voll ins Faß mit den Worten ,,Uet elk hues en läpel vull". Sie nahm damit den Besitzern jener Felder so viel Butter. Als einmal der Knecht buttern mußte, nahm er ebenfalls davon, brauchte aber in der Formel statt ,läpel' fälschlicherweise das Wort .schäpel'. Da floß ihm die Butter im Übermaß aus dem Faß, und man wußte nicht, wohin mit so viel Butter 1 2 ). Nach einer anderen Sage aus dem Butjadingerland in Oldenburg war ein Arbeiter noch spät abends am Mähen. Die anbrechende Nacht war die Johannisnacht. Als er nun müde war, legte er sich hin, um auszuruhen. Kaum aber hatte er sich gelegt, da kam eine alte Frau, zog ein Bett-

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tuch hinter sich her auf das Land, fing damit den T. auf und wrang es in einen Topf. Der Arbeiter, dem diese alte Hexe bekannt war, wußte, daß sie mit diesem T. den Bauern die Butter stehlen konnte, nahm ihr den Topf weg und trug ihn nach seinem eigenen Hause. Am folgenden Morgen wollte er Butter machen, tat aber statt einiger Tropfen von diesem probaten Zusatz den ganzen Topf voll hinein, und als er nun anfing zu buttern, ging alles von Butter über und über 1 3 ). E s ist folgerichtig, wenn die Butterbehexung, die übrigens schon bei Burchard von Worms erwähnt wird und auch in den Hexenakten eine Rolle spielt 1 4 ), auch auf die Kühe übertragen wird. Auch hier ist wiederum der T. das vornehmste Mittel dazu. So verlieren z. B. Kühe, die von Hexen enttautes Gras fressen, ihre Milch. Wer in der Dämmerung T. in der Nähe eines Gehöftes mit Kühen in ein Gefäß sammelt, und dazu „Ich sammle den Nutzen" spricht, behext die Kühe 1 5 ). In böhmischem Aberglauben erlangen Hexen durch T. sammeln in den Holzschlägen der Kühe die Macht, daß sie bei den Kühen, die dort geweidet haben, die Milch herausmelken können 16 ). Ähnlich mäht bei Teplitz der Bauer das betaute Gras seines Nachbars in der Frühe des Tages und läßt es seine Kühe fressen, damit sein Vieh gute, das des Nachbars schlechte Milch gebe 17 ). b) Aber auch für Schweine 18 ), Schafe 19 ), Pferde 20) u. a. ist der T. sehr förderlich. Nach polnischer Ansicht wird Wild fett: das macht der T.regen, der im Herbst fällt und den es frühmorgens beim Abgrasen der Wiesen und des Waldgrases genießt 21 ). Auch künstlich führt man dem Vieh T. zu; im OA. Aalen gibt man ihm T. auf Brot zu fressen 22 ). In Stralsund stellte man eine Garbe in der Mittwinternacht ins Freie, damit der Weihnachtst. darauf falle und durch das so benetzte Futter das Vieh fruchtbar werde 23 ). Aus Böhmen wird ein anderer Ritus berichtet (Wlaschimir Chlum bei Kaurim). T. soll die Kühe gesund erhalten und viel Milch geben lassen. Nach einem Gebet strich an einem Kreuzweg der Bauer nachts

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nackt T. mit einem Tuch vom Gras und legte das Tuch auf seine mitgeführte Kuh. Das zu Hause ausgepreßte Wasser gab er seinen Kühen zum Saufen, wodurch der Milchertrag außerordentlich gut wurde 24 ). Auch Weinberge werden durch T. befruchtet 25), ebenso Felder 26 ). Doch existiert hier auch die Vorstellung, daß der T., wenn echter T. gemeint ist, schädlich sei und man ihn vom Korn abschütteln müsse z7 ). Auffällig ist, daß man in der Oberpfalz an ein gutes Honigjahr glaubt, wenn viel T. vom Himmel fällt 28 ). Denn hier besteht die einzige Parallele zu einem antiken auf den T. bezüglichen Aberglauben, dem der Honig als Himmelst, gilt 2 9 ). Dem guten T. gegenüber ist nur selten von schädlichem T. die Rede, wobei zweifellos, wie schon gesagt, etwas anderes gemeint sein dürfte. Dringend wird in der Oberpfalz vor giftigem T. bei Sonnenfinsternis gewarnt, s. Finsternisse Sp. 1515 30 ). Schädlichen T. auf blühendem Getreide vertreibt man durch Glockenläuten 31 ). Stinkendem T. fiel einmal eine ganze Viehherde zum Opfer 32 ). ' ) M ü l l e n h o f f Sagen 565 Nr. 573. 8 ) S t r a k k e r j a n 1, 383 Nr. 217. 9 ) M ü l l e n h o f f a . a . O . ; Z V f V k . 22 (1922), 95; M e y e r Baden 220; S c h r a m e k Böhmerwald 1 5 1 ; v g l . M ü l l e n h o f f a. a. O. 214 und K ü h n a u Sagen 3, 73. 1 0 ) s. A r t . F r a u Sp. 1736. » ) W u t t k e 76 § 88. 1 2 ) M ü l l e n h o f f a. a. O. 565 Nr. 573. 1 3 ) S t r a c k e r j a n 1, 383. " ) s. A r t . B u t t e r § 5. 1 5 ) Z V f V k . 4 (1894), 395. 1 6 ) G r o h m a n n 131 Nr. 960. 1 7 ) E b d . Nr. 956; vgl. 959; vgl. die rutenische Anschauung in Galizien Urquell 2 (1891), 157, dazu französischer Glaube, der an Stelle der Frauen Männer setzt, in L i e b r e c h t Zur Volksk. 347. 1 8 ) Z V f V k . 22 (1912), 90. 1 9 ) E b d . 20 ) S a r t o r i Sitte 3,52. 2 1 ) Z V f V k . 2 2 ( 1 9 1 2 ) , 90. 2 2 ) B o h n e n 23 ) H ö f l e r b e r g e r 23. Weihnacht 25, auch M a n n h a r d t Wald-u. Feldkult 233; vgl. J o h n 2 4 Westböhmen 65. ) G r o h m a n n 132 Nr. 961. 25) Knoop Hinterpommern 135 Nr. 274. 2 e ) Sonst wäre das W e g h e x e n der Erträgnisse 27) des Nachbars unerklärlich. C y s a t 28. 28) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 133. 2 9 ) P l i n i u s n. h. X I 30 f. 30 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 56 Nr. 4. 3 1 ) Z f d M y t h . 2 (1854), 419 (Cevennen), v g l . Z V f V k . 7 (1897), 363. 3 2 ) Z V f V k . 2 2 ( 1 9 1 2 ) , 94-

4. D e r T. in der V o l k s m e d i z i n . Die Wunderkraft des T.s äußert sich bei Mensch und Tier sowohl in heilender wie prophylaktischer Hinsicht. Abgesehen

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von so allgemeinen Anschauungen wie denen, daß der T. alle Unreinlichkeit des Leibes an sich zieht, wenn man in ihm barfuß geht 3 3 ), oder daß Mädchen, die im T. baden, ihre verlorene Jungfernschaft wiedererhalten 34 ), kennt man, über fast ganz Deutschland verbreitet, Regeln, die den T. in direkter Verbindung mit verschiedenen Krankheiten nennen. Auch hier spielen die oben genannten t.kräftigen Tage eine besondere Rolle 35 ). a) Beim Menschen heilt der T., der je nach dem von Leichensteinen 36) — nach anderer Vorschrift darf er nicht von Leichensteinen stammen, sondern muß aus den Vertiefungen der groben auf den Kirchhöfen herumliegenden Steine genommen werden 37) — , Rosen 38), Roggen, der noch nicht blüht 39), Weizen 40) oder Gänseblümchen 41) oder in der Nähe eines Flusses gesammelt sein muß 42 ), Sommersprossen43), Augenleiden 44 ), Fieber und Krämpfe 45), krumme Beine 46) und erfrorene Glieder 47 ). Ferner vertreibt er die Unreinlichkeiten der Haut, wie Ausschlag, die Griesein, Krätze, Warzen und Geschwüre 48 ). Er heilt auch offene Wunden 49 ), Hautabschälungen 50), Schwindsucht 51) und Rheumatismus 52). Manche Regeln beschreiben die Heilungszeremonien ganz einfach. Man wäscht mit T. zuweilen bei zunehmendem Mond53) die kranke Stelle oder das Gesicht oder trinkt ihn. Andere Verfahren sind umständlicher. Man muß barfuß durch den T. gehen, Gebete sprechen, sich einen Hollerzweig in der Früh ins Gesicht schlagen 54) u. ä. Die Handlung ist heilig. In der Erzählung von einer durch Brandwunden gequälten Frau, deren eine Hand gar nicht heilen wollte, ist es sogar ein Engel, der das Heilungsverfahren durch T. und Gebet beschreibt 55 ). An einer anderen Stelle tritt die heidnische Grundlage der Mitteilung noch deutlicher heraus, indem eine alte Frau den Heilungsweg für das blinde Auge eines Kindes angibt S6). Unter den Mitteilungen über prophylaktische Verwendung des T.s durch die Menschen steht zunächst eine Mecklen-

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burger Nachricht, wonach junge Mädchen am Abend vor Ostern ein Linnen im Garten ausbreiten und sich morgens mit dem darauf gefallenen T. waschen, weil dies das ganze Jahr vor Krankheit bewahre 5 7 ). In der ehemaligen Provinz Posen (Kr. Obornik) genießen die Frühaufsteher auf dem Lande den T., wohl um der Gesundheit willen 58). Ebenda sind es wiederum junge Mädchen, die sich am Fluß auf einer Wiese an Pfingsten mit T. bestreichen, um das Jahr über keinen Ausschlag im Gesicht zu bekommen 59 ). Im Sarganserland schützte früher, als man daselbst noch Weizen baute, T. vor Kropf 6 0 ), in Mecklenburg vor Sommersprossen 61 ), ebenso geschieht es in Schlesien, wenn man am Karfreitagmorgen das Gesicht in T. badet (Breslau, Lauban) 62). Vor allem aber glaubt man im T.bad ein wirksames Mittel gegen Behexung gefunden zu haben; dabei die t.kräftigen Tage zu beachten ist wichtig 6 3 ). Daß auch nichtdeutsche Völker diese abwehrende Kraft des T.s kennen, beweist u. a. der Glaube der Sizilianer, daß Benetzung (des Gesichts?) mit frischem Morgent. des Himmelfahrtstages das ganze Jahr vor Kopfschmerz schützt 64 ). b) Unter den Tieren sind die Pferde und Kühe durch den T. in gesundheitlicher Hinsicht besonders beeinflußbar. Wer in Havixbeck im Münsterland am Stephanstag Karren mit Häcksel unter den blauen Himmel stellt, damit der T. darauffällt, dem werden die Pferde im ganzen Jahr nicht krank 65 ). Auch hier dürften etliche Vorschriften zu beachten sein. Ein Jude wollte einst ein blindes Pferd mit T. heilen. Er ging frühmorgens mit dem Tiere auf das Feld und benetzte ihm die Augen mit T . ; dann begab er sich stillschweigend wieder nach Haus. Als er nachsehen wollte, ob das Pferd sehend sei, hatte es weder Augen noch Schwanz, was die Leute der Umgebung auf Mißbrauch des T.s schließen ließ (polnische Mitteilung aus Schrimm, ehem. Prov. Posen) 6 6 ). Nach anderer Überlieferung bewahrt man das Vieh vor Krankheiten, indem man selbst in der Walpurgisnacht seine Hände mit T. reibt und zwar vor Sonnenaufgang (s.

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d.) und dabei dreimal spricht: „ J e t z t wasche ich'meine Hände im Walberntau, das hilft fürs gah, fürs bläh, für'n unflat". Bekommt ein Tier das Jahr über eine dieser Krankheiten, so legt man seine t.geweihten Hände auf das kranke Tier und spricht dreimal: Ich hab meine Hände gewaschen im Walberntau, das hilft usw. wie oben. Dabei schlägt man jedesmal das Tier auf den Bauch 67 ). Auch Futter fürs Vieh, das man in den Festnächten in den T. legt (besonders beliebt ist die Dachtraufe), bewahrt das Vieh vor aller Krankheit 6 8 ). Damit die Kühe keine Blähung kriegen, wäscht man sich am Ostersonntagmorgen mit T . (Moes bei Bühl) 6 9 ). 33) Oberpfalz s. S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 132 Nr. 3. 34 ) a. a. O. 2, 133. 35 ) S a r t o r i Sitte 3, 191. 1 5 1 ; Z f ö V k . 4 (1898), 149; v g l . S e l i g m a n n 2, 235 (Montenegro). 36 ) S t r a c k e r j a n 2 . 2 2 . 1 1 0 . 3 7 ) W u t t k e 9 2 § 113. ^ D r e c h s l e r Schlesien 2, 292; S e y f a r t h Sachsen 252. 3 9 ) Z V f V k . 8 (1898), 59 (Neu-Ruppin). 40 ) M e y e r Baden 549; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 264. Auch an G r ä s e r n hängender T., in Eierschalen gesammelt, hilft, wenn man sich damit wäscht: Z V f V k . 2 2 ( 1 9 1 2 ) , 91. 41 ) Z V f V k . 22(1912), 92. 42) Ebda. 91. 43) M e y e r Baden 549; Z V f V k . 8 (1898), 59; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 132 Nr. 3; Z V f V k . 22 (1912), 9 1 ; P a n z e r Beitrag 1, 259; M e i e r Schwaben 2, 509 Nr. 405; B i f l i n g e r Volkst. 1, 198; L a m m e r t 179; Z r h w V k . 1 (1904), 98; Alemannia 25, 43; D r e c h s l e r Schlesien 1, 142; S c h r a m e k Böhmerwald 262; Urquell 4 (1893), 155. 4 4 ) Z V f V k . 22 (1912), 89. 93; D r e c h s l e r Schlesien 2, 292; W o l f Beiträge 2, 366; L a m m e r t 227; B a r t s c h Mecklenburg 2, 102 f.; S e y f a r t h Sachsen 252; Z f ö V k . 4 (1898), 149; 13 (1907), 131; A m Urquell 4 (1893), 70. 46 ) F i e b e r : H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 336; G r o h m a n n 164 Nr. 1154. Krämpfe: B o h n e n b e r g e r 23 (OA. Ohringen). 48 ) W u t t k e 92 § 113 (Oberpfalz, Böhmen). " ) S e y f a r t h Sachsen 252. 48 ) D r e c h s l e r Schlesien 2, 204; S e y f a r t h a . a . O . 252; L a m m e r t 206, 1 ; B i r l i n g e r Schwaben 1, 384. 49 ) Z V f V k . 22 (1912), 91 (der T., mit dem man die Wunden bestreicht, muß auf einen Kuhfladen gefallen sein). 50 ) Aus Zirke (Posen), Z V f V k . 22 (1912), 92. 6 1 ) D r e c h s l e r Schlesien 2, 316. 62 ) Z V f V k . 22 (1912), 92. 5 3 ) Im Gegensatz zu dieser Anschauung berichtet P l u t . quaest. nat. 6, daß derjenige, der betaute Bäume streife, an diesen Stellen vom Aussatz befallen werde. 64 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 102 f. 5 6 ) Z V f V k . 22 (1912), 92. s e ) E b d . 93 f. 67 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 261 (Gegend von Woldegk). 58 ) Z V f V k . 22 (1912), 69 ) E b d . 91. 60 ) M a n z 90 f. Sargans 73. 6 1 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 212. 62 ) D r e c h s l e r

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Schlesien 1, 84. 63 ) W u t t k e § 113; S e l i g m a n n 2, 235. «4) S a r t o r i Sitte 3, 188. 65 ) K u h n Sagen 2, 101 Nr. 313. 66 ) Z V f V k . 22 (1912), 92. 4 7 ) P a n z e r Beitrag 2, 301. 6 S ) B o h n e n b e r g e r 1, 23. 6 9 ) M e y e r Baden 401.

5. S o n s t i g e s , a) H e l f e n d e r T. Wie sonst gibt es auch zum T. noch einigen Volksglauben, der sich außerhalb der zwei beschriebenen Hauptbereiche bewegt. In Bentheim zieht man am Himmelsfahrtsmorgen aus, um den T. zu treten, weil man davon ganz allgemein Glück erwartet 7 0 ). Den Mädchen machte der T. in der Oberpfalz den Liebsten gefällig 7 1 ); er läßt sie auch die Gedanken der Männer erraten (Posen) 72) und fördert ihre Klugheit und Schönheit 7 3 ). In der Provinz Posen gilt das Wäschebleichen im T. als bei weitem besser als das Bleichen mit Wasser bei Tage 74 ). Nach einer ebendaher stammenden polnischen Mitteilung hilft der T. in der Johannisnacht dazu, böse Geister, Gespenster und Hexen zu erkennen 75 ). Dasselbe kennt man auch in Schleswig-Holstein 76 ). Auch in anderer Hinsicht ist der T. ein Weissagungsmittel. Wie man an ihm in der Oberpfalz ein gutes Butter- und Honigjahr erkennen kann 77 ), so in Mecklenburg ein gutes Flachsjahr 78). In Oldenburg zeigt T., der auf ein linnenes Laken fällt, daß ein Verbrecher errettet werden kann 79 ). Fällt der T. in der Weihnachtsnacht auf ein vors Fenster gelegtes Brot, so schimmelt dieses nicht; es scheint gleichzeitig als ein Schutzmittel gegen Menschen- und Tierkrankheiten zu gelten 80). b) F e i n d l i c h e r T. Windeln vertragen den T. nicht; man soll sie nicht in den T. hängen, sonst bekommen die kleinen Kinder Bauchweh (Simmenthai) 8 1 ). W o T. hinfällt, findet man bestimmt keine Schätze; diese bekunden ihre Nähe vielmehr dadurch, daß an der Stelle des Morgens kein T. liegt (Schwaben) 8 2 ). Schafe soll man in Polajewo (Prov. Posen) nicht auf die Weide treiben, wenn noch T. liegt, sonst sterben sie (polnische Notiz) 8 3 ). c) T. u n d Z a u b e r . Außer den erwähnten Fruchtbarkeitszaubern wird noch folgendes berichtet: In Ehingen kann man einen dadurch langsam töten, daß man die Fußstapfen des betreffenden Menschen,

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namentlich auf einer betauten Wiese, ausschneidet und in den Rauch hängt; in dem Maße als der Rasen dörre, sieche der Unglückliche dahin 84). In Mähren (Gegend von Podol) gilt als Gegenmittel gegen die magische Kraft t.sammelnder Männer, daß man ihnen ihre irdenen Töpfe zerschlägt, wodurch sie nicht nur alle Macht verlieren sollen, sondern auch bald sterben und nach dem Tode sich in Nachteulen und Kuckucke verwandeln 8 5 ). d) W e t t e r u n d T. Nach einer deutschen Mitteilung aus dem Kreise Obornik in Posen regnet es an dem Tage, an d e m morgens kein T. liegt; liegt T., so bleibt das Wetter schön. In der Oberpfalzschließt man aus Abendt. auf einen kühlen Morgen am folgenden T a g 8 6 ) . 70 ) S a r t o r i Sitte 3, 187. 7 1 ) W u t t k e 92 § 1 1 3 . " ) E b d . 92 § 1 1 3 . Z V f V k . 22 (1912), 91 ( G o e t h e Faust I, 386—97); M a n n h a r d t Mythen 28; W u t t k e 92 § 113 (Baden). 74 ) Z V f V k . 22 (1912), 89. 76 ) E b d . 95. 76 ) M ü l l e n h o f f Sagen 214 (Niederselk, Ditmarschen u. sonst). " ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 133. 78 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 261. 79 ) S t r a c k e r j a n 2, 110. 80 ) H ö f l e r Weihnacht 24 f. 8 1 ) Z a h l e r Simmenthal 19. 82 ) M e i e r Schwaben 2, 502 Nr. 3 5 1 . 83 ) Z V f V k . 22 (1912), 90. 84 ) B i r l i n g e r Volkst. 1 , 1 9 8 . 85 ) G r o h m a n n 213 Nr. 1477. 8 « ) Z V f V k . 22 (1912), 89 (Posen); S c h ö n w e r t h Oberpfalz

2. 133-

6. A l t e V o l k s b r ä u c h e . Kuhn, Sagen 2, 164 f. erzählt von einem alten westfälischen Festbrauch zu Pfingsten. Die Pferdejungen steckten die Pfingstweide aus, und es war gefährlich, seine Pferde dort vor der allgemeinen Einweihung an Pfingsten weiden zu lassen. Zu dieser Einweihung saßen am 1. Pfingsttag alle Pferdejungen auf und ritten zu dieser Pfingstweide. Wer dort zuerst ankam, wurde .däwestruch' (T.strauch) genannt und an. einigen Orten auf einen Strauch gesetzt und durch den T. ins Tal gezogen. W e r zuletzt ankam, hieß Pfingstmocke. Die Pferde des ersten bekamen Maienkränze, die des letzten Blumen. Dann gab es Wettrennen 8 7 ). D a ß Fruchtbarkeitszauber hier vorliegt, dürfte sicher sein; aber die näheren Zusammenhänge sind nicht mehr klar. Ähnlich ist ein alter Brauch in Groningen, in einem Teil von Gelderberg und in Südholland, wo sich

Tau—Taube

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im Mai oder am 1. Pfingsttag das Volk im Feld versammelt und mit Laubwerk und Blumen bekränzt, was man ,daauwtrappen' (Tautreten) oder ,daauwslaan' (T.schlagen) nennt 88 ). 87 ) Nr. 461. 88 ) M a n n h a r d t Mythen 29; M ü l l e n h o f f Sagen 565 Nr. 573. •— Hier verdient ein eigenartiger Brauch im oberösterreichischen Mühlviertel Erwähnung. Dort üben Gruppen von je fünf bis sechs Burschen am Vorabend und um zwei Uhr morgens in der Johannisnacht ein Geißelschnalzen. Wer dabei den. T a k t nicht hält, wird durch den Morgent. gezogen und führt das ganze Jahr hindurch den Spottnamen , , T . w a s c h e r " . Scheinbar verdächtigte man ursprünglich denjenigen, welcher bei diesem Abwehrakt gegen die Hexen nicht T a k t halten konnte, daß er selbst zu diesen gehöre, selbst ein T.streicher sei. Doch kann hier auch der Rest eines Regenzaubers (s. d.) vorliegen (Geramb Brauchtum 62 nach G. J u n g b a u e r s privater Mitteilung).

7. Z u s a m m e n h a n g zwischen den deutschen Anschauungen und denen der umliegenden Völker besteht, wie die gelegentlichen Hinweise zeigten. Verbindungen, die zur Antike führen, sind nur ganz selten zu finden 89). Wir dürften in dem Volksglauben zum T. mithin verhältnismäßig reine germanische Vorstellungen natürlich oft nicht ohne christlichen Firnis erhalten haben. 89 ) Pauly-Wissowa Sp. 43, 50 ff.

s.

v.

Aberglauben Stegemann.

T a u s. T h a u .

Taube.

Die T. stammt aus Mesopotamien, wo sie der Göttin des weiblichen Prinzips, der animalischen Fruchtbarkeit und der Geburt, assyr. Istar, heilig war, welcher die griech. Aphrodite entspricht. Deshalb erscheint die T. als Symbol letzterer, und zwar schon in mykenischen Gräbern. Zu den Kelten und Germanen gelangte die T. wahrscheinlich über Italien. Bei den Germanen der Völkerwanderungszeit erscheint sie als Grabbeigabe 1 ). In der altgermanischen Poesie spielt sie noch keine Rolle, in der Lex Salica wird sie als Lock- und Jagdvogel erwähnt 2 ). 1. B i o l o g i s c h e s . Wegen ihres sanften Wesens hält man die T. für gallenlos 3 ), doch kam diese Meinung erst in den ersten Jh.en n. Chr. auf, während ihr die Alten (Aristoteles, Plinius, Galenus) eine

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Galle zusprechen 4 ). Nach Megenberg, der sich in vielen Stücken auf Aristoteles beruft, „erhält sie ihre Sehkraft neunmal wieder. Anstatt zu singen, weint die T. Die T.n sind in der Liebe sehr treu und brechen ihre Ehe nicht. Sie bekommen jedesmal zwei Junge, zuerst ein männliches, und drei Tage später ein weibliches. Es brüten auch beide T.n, der T.r und das Weibchen, abwechselnd. Das Weibchen brütet nachmittags und früh am Morgen, das Männchen in der übrigen Zeit. Vom achtzehnten Tage ab bleibt der Tauber vom Nest fern. Treffen die T.n eine andere, verirrte an, so nehmen sie sie in ihre Gesellschaft mit auf. Sie pflegen auch Steinchen zu verschlucken, um die Hitze des Magens zu mildern, denn sie sind sehr heißer Natur. Ihr Kot ist sehr heiß und scharf, sie werfen ihn aus ihren Nestern und lehren auch ihre Jungen, ihn auszuwerfen. — Der T.r wirft die ausgewachsenen Jungen aus dem Nest, vorher aber begattet er sich mit ihnen. Das Eierlegen macht der T. viel Mühe, und wenn sie während der Zeit verträgt, wird sie schwer krank. — Einige bleiben nach dem Verluste ihres Gemahls verwitwet und vermeiden die gemeinsame Wohnung der gepaarten T.n, damit sie die Männchen nicht beunruhigen. Sie fliegen von ihnen fort und wohnen in den wilden Felsen" 5 ). Auch der T u r t e l t a u b e rühmt derselbe Verfasser Keuschheit, Treue und Trauer um den gestorbenen Gatten nach. Um ihre Jungen vor anderen Tieren zu schützen, legt sie die giftigen Blätter der Meerzwiebel, lat. squilla, um ihr Nest 6 ). — Die wilden T.n stammen nach Mecklenburger Volksglauben von jener T. Noahs ab, die er aus der Arche hat ausfliegen lassen und die nicht wieder zurückgekehrt ist 7 ). x) Korresp. Bl. f. Anthrop. 28 (1897), 5 1 ; 2) H ö f l e r 128. S c h r ä d e r Reallex. 852 f.; H o o p s Reallex. 4, 307. 3) G r i m m Myth. 3, 504. 4) H ö f l e r Organotherapie 219. 6) M e g e n b e r g Buch der Natur 149 f. •) M e g e n b e r g ib. 187. ') B a r t s c h Mecklenburg 2, 490.

2. Dem G i r r e n der T. legt das Volk verschiedenen Text unter: Schweizer Kinder deuten das Rufen der Wildtauben bzw. Turteltauben:

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T u - t u - t u , bisch z' Züri g s i ? S ä g j a ! H a s c h t Chröli ( = Gebäck) g ' c h a u f t ? S ä g j a l H ä t s vill g h a ? Säg j a ! Sinds guet g s i ? Säg j a ! " -— , , J a ! " 8 ) .

Nach schlesischer Auffassung ruft der T.r: „Heb a Ruck, heb a Ruck!", die Turteltaube: „Was ich tu, is alls gutt" 9 ). In Mecklenburg sagt der T.r zur T.: „Trutenfru, Trutenfru" (Bartsch, Mecklenburg 2, 178); die wilde T. ruft „Ju, ju, rote K u h " 10). Von der Holztaube heißt es, daß sie um ihre Kuh jammere, um die sie die Elster betrogen hat: „Ach meine Kuh, ach meine Kuh, hätt ich doch wieder meine K u h " 11 ). In Hinterpommern schmeichelt der T.r: „Nu kann' k' t all! Nu kann' k' t all!" oder „Rrrukopp,Rrrukopp Rrrukopp"; der Bauernfrau rufen die T.n nach: „Grochu, grochu!" d. h. 'Erbsen' 12 ). Anderswo girrt der Täuber: „Olsche" und „Mine Fru", der wilde Täuber: „Bring her mine Fru, Fru, Fru". Die T. mahnt frühmorgens: „Rucke die Kuh, die Tür ist noch zu". Sie lobt auch die aus der Küche kommenden Gerüche: ,,'t rucket gut, 't rucket gut". Wenn ihre Jungen geschlachtet werden, so schilt sie: „ D u " 1 3 ) . Nach wendischer Auffassung ruft der Täuber: „War' muku, war' muku, kulki nie!" = Koche Mehl, koche Mehl, Kartoffeln nicht 1 4 ). Vielfach faßt man das Rufen der T. als Wehklagen auf (z. B. in der Oberpfalz 16 )); auch bei den Bulgaren trauert sie um ihren Sohn 16 ), vielleicht ist die Rolle der T. als eines Toten- und Unglücksvogels (bei alten Indern und Germanen) darin begründet. — Hierzu stimmt die Auffassung der Taubenfiguren bei Paulus Diaconus, die bei Pavia von Grabstangen nach der Richtung blickten, in der das Grab eines in der Fremde gestorbenen Langobarden lag, als klagender Verwandter 17 ). Vgl. hierzu die aus Holz geschnitzten Kuckucke auf serbischen Grabkreuzen : sie stellen die trauernden Hinterbliebenen dar 18). e) 9) SAVk. 25, 203. MschVk. 10 (1908), 92 f. 1 0 ) B a r t s c h ib. 1, 520. u ) Knortz Vögel 242. Urquell 5 (1894). 55- 1 3 ) ZfVk. 13 (1903). 9 2 - 1 4 ) S c h u l e n b u r g Wend. Volkstum 154. l s ) P a n z e r B e i t r a g 2, 171. " ) M a r i n o v Narodna vera, Sofia 1914, 92. " ) M e y e r Germ.

Myth. 1903, 76. 1 S ) V u k K a r a d z i c negro 99; G r i m m Myth. 2, 950.

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3. V e r e h r u n g der T. Wie oben erwähnt worden ist, war die T. im Altertum der Istar-Aphrodite-Venus heilig, also Gottheiten der Liebe und der Fruchtbarkeit, denen sie vornehmlich geopfert wurde 19 ). Nach Reitzenstein 20) galt die T. in ganz Vorderasien als Träger von Kinderkeimen: so erkläre sich die Conceptio der hl. Maria durch die T., die man mit dem hl. Geist identifiziert habe. Schon Hippokrates empfahl T.nfleisch (auch Turteltaubenfleisch) als Konzeptionsmittel 21). In der neuen christlichen Auffassung der T. als des Symbols des hl. Geistes ist wohl die große Verehrung begründet, deren sich die T. nicht bloß bei den Deutschen, sondern bei fast allen christlichen Völkern, besonders bei den Russen 22) erfreut. Die T., besonders die Turteltaube, gilt als ein „Herrgottsvogel" 23), sie schützt das Haus gegen Blitz 2 4 ), gegen Todesfall 25 ), gegen Feuersgefahr 26). In Böhmen darf man sie nicht schlachten, sonst entflieht das Glück 27 ). Im Allgäu heißt es, daß die Turteltaube der Mutter Gottes den Ehering gebracht habe; deshalb hat sie einen Ring um den Hals und deswegen sagt man von ihr „sie stirbt" und nicht „sie geht drauf" 28). Noch im späten Mittelalter opferten die Wallfahrer in Dippoldskirchen (N.-Bayern) bei Pestseuchen weiße Tauben 29 ). " ) M a n n h a r d t Forschungen 381; H ö f l e r Organotherapie 128, wo L i t . und Darstellungen antiker Taubenopfer. 2 0 ) Kausalzusammenhang 668. 2 I ) H ö f l e r ib. 129. " ) H ö f l e r ib. 129. 23) M e i e r Schwaben i, 217. 2 4 ) M e i e r 1. c . ; B o h n e n b e r g e r 1, 22; M e y e r Baden 414; 25) Hovorka-Kronfeld 1, 424. Meyer Baden 578. 2 6 ) Urquell 4 (1893), 95. « ) G r o h m a n n Aberglaube 77. 2 8 ) R e i s e r Allgäu 2, 437. 29) H ö f l e r ib. 128.

5. D i e T. a l s S e e l e n v o g e l . Ungemein verbreitet ist die Vorstellung, daß die Seele eines unschuldig hingerichteten Menschen in Gestalt einer weißen T. zum Himmel flattere. In zahlreichen Sagen spiegelt sich dieser fromme Glaube wieder 30). Der Geist des Verstorbenen zeigt sich den Lebenden sehr oft als weiße T. 31 ).

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Damit hängt der Glaube zusammen, daß Sterbende weiße T.n sehen, welche kommen, um sie abzuholen 32 ). Nicht selten begegnen deshalb T.n als Schmuck der Grabkreuze 33 ). Auch die hl. Maria 34) und die Engel 35 ) erscheinen in manchen Legenden in T.ngestalt. Als so heilig gilt die T., daß sich der Teufel und die Hexen nicht in sie verwandeln können 36). Vereinzelt ist der Glaube, daß während der Zwölften ein Glück und Fruchtbarkeit spendender Dämon als T. durchs Land fliegt 37 ). 30 ) B i r l i n g e r Schwaben 1, 281 f. Nr. 302. 282; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 37; K ü h n a u Sagen 1, 68, aus K l o s e Sagen der Grafschaft (1888) 1 1 ; ZfVk. 15 (1905), 1 1 ; 23 (1913), 162; 24 (1914), 4 1 6 ; G r i m m Myth. 2, 690; 3 , 2 4 6 ; M e y e r Germ. Myth. 1903, 76; H e r z o g Schweizersagen 1, 256 f.; S c h e l l Bergische 31 Sagen 67 Nr. 106. ) M a n n h a r d t Germ. Mythen 614; S t r a c k e r j a n 2, 159 Nr. 359; SAVk. 2, 2 2 3 ; K n o o p Posener Märchen 4; S c h a d e Ursula 70; Q u i t z m a n n 160; L ü t o l f Sagen 157. 3 5 7 ; E i s e l Voigtland 105 f. 148 Nr. 404; E c k a r t Südhannover Sagen 167; S c h a m b a c h u. M ü l l e r 106 f.; M u u s Altgerm. Religion 1914, 4 1 ; D e e c k e Lübische Sagen 23; W o l f Beitr. 2, 284; K n o r t z Vögel 238. 32 ) ZfVk. 15 (1905), 3; K ü h n a u Sagen 3, 487; M e y e r Baden 578; J o h n Erzgebirge 130 f. S c h w e b e l Tod u. ewiges Leben 123. 3 3 ) G r i m m Myth. 2, 690; H e e r Altglarn. Heidentum 28; Meyer Baden 601. 34 ) W o l f Beitr. 2, 207 f.; K r u s p e Erfurt 1, 87. 36 ) K u h n Westfalen 1, 275 Nr. 3 1 5 ; W o l f Beitr. 2, 208; K n o r t z Vögel 237. 36 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 39; K ü h n a u Sagen 2, 559; S t r a c k e r j a n 2, 159 Nr. 389. 3 7 ) W o l f Beitr. 2, 208.

5. V o l k s m e d i z i n i s c h e s . Sehr verbreitet ist die Meinung, daß im Zimmer nistende Turteltauben verschiedene Krankheiten an sich ziehen 38), wie R o t l a u f 3 9 ) , Gicht 4 0 ),Rheumatismus 4 1 ), S c h w i n d sucht 42), Z a h n w e h 4 3 ) . Um Ü b e r tragung von Krankheiten auf die T. handelt es sich in folgenden Fällen: Hat ein Kind die „Gichter", bindet man eine weiße T. auf die Brust des Kindes 44 ) oder mit ihrem Bürzel an den Anus des Kindes; die T. stirbt, das Kind wird gesund 45). Dasselbe Verfahren hilft gegen Schlaflosigkeit der Kinder 48). Andere stecken, um Krämpfe 4 7 ) oder Gehirnhautentzündung 48) zu heilen, die T. mit dem Schnabel in den Anus des Kranken. In Franken reißt man bisweilen die T.

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entzwei und bindet ihren Steiß an den des Kindes, wenn es die „Gichter" hat 49). Gegen Krämpfe bindet man eine frischgeschlachtete, in zwei Teile zerschnittene T. dem kranken Kinde auf die Fußsohlen 50). Wer an Gelbsucht leidet, soll eine junge T. aus dem Neste aufbinden, bis sie stirbt 5 1 ), oder sie in zwei Hälften zerschneiden und auf den Magen legen 52 ). Bei Brustfellentzündung bindet man sie ebenso zerteilt auf den Rücken des Kranken 63). Bei Meningitis legt man eine T. auf den Kopf des Kranken 64 ), bei Typhus eine getötete T. auf die Stirn des Leidenden, bis sie dort verfault 66 ). Um Ausschlag zu heilen, wird empfohlen, eine Handvoll Hirsekörner im Urin des Kranken zu kochen und sie von der T. aufpicken zu lassen 66 ). Bei Zahnweh soll man Brot zerbeißen und damit T.n füttern S7 ). Gegen Gliederweh schützt man sich dadurch, daß man die Kleider über Nacht auf den Turteltaubenkäfig legt 68 ). Die Römer heilten Wurmkrankheit des Viehs, indem sie einen T.r dreimal um die erkrankten Teile bewegten 59). Besondere Heilkraft schreibt man seit der Antike dem B l u t der T. zu, namentlich dem aus dem rechten Flügel 60 ). Man verwendet es bei Augenleiden 61 ), Schlaganfällen 62 ), als Blutstillungsmittel 83), bei Verwundungen 84 ), gegen Krämpfe 6 6 ), Podagra 66 ), Bauchweh 67 ), Sommersprossen 68) und Warzen 69). Im 16. Jh. aß man mit T.nblut angemachtes Brot gegen Vergiftung 70 ). Ungemein vielseitige Verwendung findet auch der T.nkot. E r hilft gegen Augenleiden 7 1 ), Halsschmerzen 72 ), Kropf 7 3 ), Gicht 74 ), Kolik 7 6 ), Darmgicht 74 ), Stuhlzwang 77 ), Wassersucht 78 ), Gelbsucht 79 ), Urin80 zwang ), Blasenstein 81 ), Fisteln 82), Furunkeln 83), Geschwüre 84), Frostbeulen86), Geschwülste 86), Warzen 87), Stinken der Nase 88) und Gliedschwamm 89) und befördert den Bartwuchs. Räucherungen mit T. m i s t sind gut nach einem Abortus90). In Form von Umschlägen 91 ) hilft er gegen fast alle Pferdekrankheiten. Altes T.n f l e i s c h ißt man bei Nervenschmerz 92), warmes rohes ist ein beliebtes Mittel gegen Epilepsie 93) — schon

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699

in der A n t i k e gegen Nervenkontraktur und Schlangengift 9 4 ), aber man bekommt bei zu häufigem Genuß des Fleisches das Zipperlein 9 5 ). Junge T a u b e n reinigen das B l u t und lindern Nierenschmerzen 9 6 ). W i e in der A n t i k e wird auch heute noch T . n f l e i s c h als Konzeptionsmittel empfohlen: „ W e n n ein w e y b empfangen hat, v n n d besorgt, daz sy die empfenknuß nit behalten möge, so sol sy ein Blochtauben ässen" 97 ). T . n s u p p e gibt man W ö c h nerinnen 98 ), auch t u t sie g u t gegen D a r m winde, Bauchgrimmen und mit Essig gekocht gegen rote R u h r " ) . Wenn einem W e i b die „ H e b e m u t t e r aufsteiget, nehme man eine junge T . , lege sie auf glühende Kohlen und lasse der F r a u den R a u c h in den Mund gehen" 10 °). T . n e i e r sind gut gegen „ d a s gifft deß b l e y w e y ß " , auch bestreicht man m i t gesottenen Eiern „schrunden vnnd spälten an glideren" 1 0 1 ). D a m i t die Kinder leichter zahnen, bestreichen ihnen die Mütter den Gaumen mit dem noch warmen G e h i r n einer T . 1 0 2 ) . Der Genuß frischer roher T . n l e b e r wird seit alter Zeit bei Leberentzündung empfohlen 1 0 3 ), Bestreichen mit T . n s c h m a l z bei Urinzwang104). Gegen Fieber hilft ein getrockneter und gestoßener T.nmagen, in W e i n gelöst 1 0 5 ). Die Asche von T . n f e d e r n wird bei Gelbsucht eingenommen 106 ), bei Podagra mit Nesseln aufgelegt. A u c h in Z a u b e r s p r ü c h e n gegen das Fieber spielen die T . n eine Rolle: H i e r komme ich und bringe mein Fieber Und kriege es gar nicht wieder. Die alte Turteltaube hat keine Gallen, D a m i t lasse ich das 77ste Fieber fallen 1 0 7 ). W i e das Tuttel Täublein ohne Gallen, Also laß ich meine 77 Fieber und Gelbsucht fallen 1 0 «). I m Vogtland wird folgender Segen „ f ü r das Lendengeblüt der T i e r e " gesprochen : Fieber hin, Fieber her! L a ß dich blicken nimmermehr! Fahr derweil in eine wilde A u ! Das schafft dir eine alte Frau. Turteltäubchen ohne Gallen; K a l t e Gichtchen, du sollst fallen 1 0 »). Turteltaub ohne Gall, Lendengeblüt fall, Fall nein ins tiefe Meer,

Doch mein Ochs oder K u h kriegt Lendengeblüt nimmermehr 1 1 0 ). R e i s e r Allgäu 2, 437; D r e c h s l e r 2, 226. 39 ) M e i e r Schwaben 1, 218; J ü h l i n g Tiere 242; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 424; ZföVk. 6, 1 1 2 ; H ö h n Volksheilkunde 1, 9 1 ; S A V k . 8, 147; M a n z Sargans 77. 82. 40) W u t t k e 433; J o h n Westböhmen 218; S e y f a r t h Sachsen 186. 4 1 ) W u t t k e § 533; SchwVk. 3 , 1 6 . 42 ) H ö h n Volksheilkunde 1, 9 1 ; S t r a c k e r j a n 1, 82; 2, 159 Nr. 389. 43) G r o h m a n n Aberglaube 170; 44) J ü h l i n g 243. B o h n e n b e r g e r Nr. 1, S. 13; M e y e r Baden 41. 45 ) W u t t k e § 157. 46 ) § 485; L i e b r e c h t Zur Volksk. 347. J ü h l i n g 243. 47 ) L a m m e r t 125. 48 ) J ü h l i n g 221 f. 49) W u t t k e § 485. 60 ) L a m m e r t 125; J ü h l i n g 243. 6 1 ) J ü h l i n g 243. 62 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 116. 63 ) Jühling 222. 64) J ü h l i n g 2 2 2 . 65 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2,300. 6«) S e y f a r t h Sachsen 186. 57 ) B o h n e n b e r g e r 1 , 1 3 . 5S ) H ö h n Volksheilkunde 1,140. 69 ) 60 ) P l i n i u s nat. hist. 30 144. Höfler 81 ) Organotherapie 184 f. M e g e n b e r g Buch der Natur 150. 187; J ü h l i n g 23g. 242; Z f V k . 8 (1898), 170; H ö f l e r Organotherapie 129. ea) Jühling 241. H ö f l e r 184. 256. «3) Höfler 129; J ü h l i n g 243; HovorkaK r o n f e l d 1, 80. , 4 ) J ü h l i n g 239; H ö f 85 ) l e r 256. D r e c h s l e r 2, 307; Mschl67 ) V k . 10 (1908), 92 f. 88) J ü h l i n g 240. J ü h l i n g 241. 88) D r e c h s l e r 2, 95. 226. 8») L a m m e r t 185. 70 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 416. 7 1 ) J ü h l i n g 240. 242. 72 ) J ü h l i n g 240. 242; H o v o r k a - K r o n f e l d i , 247; 2, 8. 73 ) J ü h l i n g 239. 71 ) J ü h l i n g 243. " ) J ü h l i n g 242. 76 ) J ü h l i n g 240. 77 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, r 45" ) J ü h l i n g 240. 79 ) L a m m e r t 249. 80) J ü h l i n g 241. 242; H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 1 45- 81 ) J ü h l i n g 241 f.; H o v o r k a - K r o n f e l d 2 146. 82) L a m m e r t 207; J ü h l i n g 242. 243. 83 ) J ü h l i n g 239; H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 391. 84) J ü h l i n g 239. 241. 86 ) S t a r i c i u s 1 1 5 ; J ü h l i n g 242; Z f V k . 8 (1898), 170. 88) J ü h l i n g 242. 87 ) J ü h l i n g 243. 88 ) J ü h l i n g 241. 38 )

89 )

J ü h l i n g 243; H o v o r k a - K r o n f e l d 2,403. J ü h l i n g 241. 9 1 ) Z f V k . 8(1898), 17; W u t t k e § 1 5 7 . 92 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 257. »3) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 416. 94 ) H ö f l e r 1 8 4 t 95 ) B i r l i n g e r Volksth. 1, 497; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1,354; J ü h l i n g 243. 99) D r e c h s l e r 2 - 95*') J ü h l i n g 240. 98 ) D r e c h s l e r 2," 99 ) 10 °) 95. J ü h l i n g 240. J ü h l i n g 242. 101) J ü h l i n g 239. 1 0 i ) Urquell 3 (1892), 73. 103) J ü h l i n g 239; H ö f l e r 184 t. 1 M ) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 142. 105 ) J ü h l i n g 239: 1 M ) J ü h l i n g 240; H ö f l e r 257, 107 ) Z f V k . 7 (1897), 68. 108 ) H ö h n Volksheilkunde 1, 156. 109 ) G r i m m Myth. 3 504 Nr. 43. 110 ) S e y f a r t h Sachsen 127: aus D u n g e r Rundds und Reimsprüche aus dem Vogtlande S. 282. 90)

6. Die T . im Z a u b e r , a) T . n b a n n . Die T . n gewöhnen sich ans Haus und locken sogar fremde an, wenn man sie aus einem Totenschäde]

Taube f ü t t e r t 1 U ) . Dieselbe Bannkraft hat auch ein Stück Brettchen vom Sarge eines ungetauften oder unschuldigen Kindes, 1 1 2 ), auch u n t e r das T.nschlagloch genagelt € in Strick eines erdrosselten Menschen, in das T.nhaus gelegt 1 1 3 ) oder an dem Zugang aufgehängt 1 1 4 ). In vielen Landschaften rupft man der neu gekauften T. zwei bis drei Federn aus dem rechten Flügel oder aus dem Schwanz, die man in ein in den Balken gebohrtes Loch steckt 1 1 S ). Denselben Zweck glaubt man dadurch zu erreichen, daß man in einem Glase etwas Milch von einer einen Knaben stillenden Frau in den Schlag hängt 1 1 6 ) oder daß man Haselruten, die man am Freitagmorgen vor Sonnenaufgang unter Hersagung der drei höchsten Namen schneidet, vor das Loch nagelt, so daß die T.n darüber weggehen müssen 1 1 7 ). Dem Verfasser der Rockenphilosophie gab eine alte Frau den Rat, die T.n unter einem Spruch dreimal durch die Beine zu stecken, ihnen aus seinem Handbecken die Beine zu waschen und sie dann auf den T.nschlag zu setzen 118 ). Es wird auch empfohlen, die T.n „hinter sich" in den Schlag zu bringen und einen Tag lang anzubinden 119 ) oder sie mit gekautem Brot 12°) oder mit Erbsen, die man mit Spiritus benetzt hat, zu füttern 121 ). Um fremde T.n anzulocken, soll man Gerste, in Honig aufgeweicht, in das T.nhaus werfen 122) oder Lehm von einem alten Backofen, mit Anis angemacht 1 2 3 ). Die T.n werden auch dadurch festgehalten, daß man sie aus einem Menschenschädel saufen läßt 1 2 4 ). Anderseits darf man während des Essens nicht von T.n sprechen, sonst fliegen sie anderswohin 125 ). b) L i e b e s z a u b e r . Um die Liebe der Mitmenschen zu erringen, soll man das H e r z einer Turteltaube bei sich tragen 126 ). Gegenliebe erzeugt man schon seit Jahrhunderten dadurch, daß man dem andern ein in Brot verbackenes oder pulverisiertes Herz einer Turteltaube zu essen gibt 1 2 7 ). Verwendung der T.nlunge zum Liebesaugurium ist schon bei den Römern bezeugt 128 ). Wenn ein Bursche mit einer Turteltaubenzunge im Munde ein Mäd-

702

chen küßt, kann sie nicht mehr von ihm lassen, auch keinen Wunsch versagen 129 ). c) J a g d z a u b e r . Um sicher zu treffen, bestreicht man die Kugeln mit T.nblut oder die Büchse mit T.n- und Laubfroschblut 130). d) A b w e h r - Z a u b e r . In Nordschwaben bringt man über dem Schlage auf hoher Stange eine Sense an, um die T.n gegen den Habicht zu schützen 131 ). — Gegen die Blitzgefahr bringt der Waldbauer am First seines Hauses einen T.nkopf an 132 ). — Wenn man mit dem Vieh das erstemal auf die Weide zieht, soll man ihm mit einer T.nfeder Holzbeerenöl an die Nase schmieren 133 ). — Gegen die Ligatur soll man das Herz einer Turteltaube bei sich tragen 134 ). Mit T.nblut läßt sich jeglicher Zauber wirksam bekämpfen 135 ). — Zaubersprüche zur Abwehr des Fiebers s. o. l n ) R o c h h o l z Schweizersagen 2, 159. 160, wo L i t . ; R e i s e r Allgäu 2, 437; V e r n a l e k e n

Alpensagen

419;

Schönwerth

Oberpfalz

114 )

(1893),

1,

353. 1 1 2 ) B i r l i n g e r Schwaben 1, 454; M e i e r Schwaben 2, 497; Urquell 2, 130 f . ; 3, 171. 256; SAVk. 25, 155; E b e r h a r d t Land113) wirtschaft 3, 21; D r e c h s l e r 2, 239. G r i m m Myth. 3, 447 Nr. 386; M e y e r

Aberglaube

223.

ZfVk.

3

141.

M e i e r Schwaben 2, 510; B o h n e n b e r g e r Nr. 1, S. 19; E b e r h a r d t Landwirtschaft Nr. 3, S. 20; J o h n Westböhmen 218; Urquell 3, 175; D r e c h s l e r 2 97; P o l l i n g e r Landshut 157; W o l f Beiträge 1, 221. l l e ) W u t t k e § 678: 117) Hessen. R o t h e n b a c h Bern 1876, 36

115)

Nr.

118 )

303.

Baden 413.

ZfVk.

12 °)

23

( I 9 i 3 ) , i 2 2 . 119 )

ZfVk. 23, 183.

121 )

Familienblatt 5 ( 1 9 0 1 ) , 8. 122 ) 155. 1Ü3) Urquell 3 (1892), 256 f.

Meyer

Rogasener

SAVk. 25 Grimm

124 )

Myth. 3, 774 Nr. 1054. W e i t e r e L i t . bei S a r t o r i Sitte u. Brauch 2, 131 f. 1 2 5 ) G r i m m

3, 448 Nr. 441. 128 ) SAVk. 7 (1903), 5 1 : Kt. Bern; H ö f l e r Organotherapie 256; D r e c h s -

Myth.

l e r 1, 229; J o h n Westböhmen 317; ZfVk. 13

(1903), 272. 127 )

D r e c h s l e r 1,

233;

Hovorka-

K r o n f e l d 1, 416; H ö f l e r Organotherapie 256; ZfVk. 13, 272. 1 2 8 ) J u v e n a l Satiren 6, 548; H ö f l e r Organotherapie 276. 1 2 9 ) M a n z Sargans 143; M e y e r Baden 170; B i r l i n g e r Schwaben 1, 406; J o h n Westböhmen 317; B a r t s c h Mecklenburg

2,

Ennstalerisch

23.

30;

Fogel

Pennsylvania

62

Nr. 192. 1 3 0 ) J o h n Westböhmen 327; K r o n f e l d Krieg i n . 1 3 1 ) M e y e r Baden 386. 414; S a r t o r i Sitte u. Brauch 2, 17. 1 3 2 ) R e i t e r e r 403.

quell

134)

3

133)

Birlinger

Schwaben

S e l i g m a n n Blick 2, 133.

(1892),

7. D i e

T.

13S)

1,

Ur-

115.

in d e r

Mantik.

Schon

703

Taube

in der Bibel begegnet die T. als Orakeltier (Noah). Bei den alten Griechen (Dodona) war die angeblich aus dem ägyptischen Theben zugeflogene T. ein Orakeltier für glückliche Schiffahrt, auch zu Thisbe in Böotien war ein T.norakel des Zeus 1 3 6 ). Den Deutschen gelten die T.n im allgemeinen als glückbringend, nur wilde T.n, die ein Haus umfliegen, künden Unglück und Tod 1 3 7 ); vielleicht wirkt darin die altgermanische Auffassung von der T. als einem Unglücks- und Totenvogel nach. Aus dem Verhalten zieht man vor allem Schlüsse auf das bevorstehende Wetter: Wenn sich die T.n im Wasser oder im Kot baden 13S ), wenn sie die Federn häufig durch den Schnabel ziehen 139 ), wenn sie mehr Nahrung zu sich nehmen und demnach später in den Schlag zurückkehren140) oder in einer Reihe hintereinander auf dem Dache sitzen 1 4 1 ), gibts bald Regen. Starkes Rucksen deutet in manchen Gegenden auf Regen 1 4 2 ), anderswo auf schönes Wetter 143 ). Reichen Körnerertrag erhofft man, wenn die eingesperrten T.n am Christabend große Unruhe zeigen 144 ), und aus dem Girren der Waldtaube schließt man auf den künftigen Getreidepreis, ähnlich wie aus dem Schlag der Wachtel 145 ). T.n, die im Kreise um ein Haus fliegen, verkünden baldige Feuersbrunst 146 ). Nach wendischem Glauben fliegen drei weiße T.n oben über dem Feuer 147 ). Verbrennen T.n bei einem Schadenfeuer, so ist es um den Frieden des Hauses geschehen148). Auf eine glückliche Ehe deutet es, wenn das Brautpaar beim Heraustreten aus der Kirche zuerst T.n sieht oder wenn beim Hochzeitsmahl T.n um das Haus fliegen149). Wenn aber dem Brautpaar bei der Fahrt zur Kirche ein Paar T.n über den Kopf wegfliegt, ist das ein schlimmes Zeichen150). Ein Todesfall in der Familie steht bevor, wenn die Turteltauben schreien und sich trauernd ins Eck setzen 1 5 1 ). Im Oldenburgischen erzählt man sich, daß vor mehr als zweihundert Jahren einer armen Frau drei T.n erschienen, eine blaue, eine rote und eine weiße: die erste bedeutete Pest, die zweite Feuer und Krieg, die dritte die Friedenszeit 1M ).

704

Auch als glückverheißende Wegweiserin tritt die T. auf, z. B. nach der Gründungssage des Klosters Maulbronn 153 ).

136 ) K e l l e r Antike Tierwelt 2, 1 2 3 . 1 3 7 ) S t r a k k e r j a n 1, 2 7 ; 2, 1 5 9 ; Z f V k . 1 5 (1905), 7. 138 ) SchwVk. 10, 3 5 ; D r e c h s l e r 2, 9 5 ; B a r t s c h Mecklenburg 2 208; M e i e r Schwa139 14 ben 1, 2 1 7 . ) B a r t s c h 2, 207. °) 141 H o p f Tierorakel 159. ) Andree Braun142 schweig 410. ) M e i e r Schwaben 1, 2 1 7 f. 143 ) ZfrwVk. 1914, 164; B a r t s c h 2, 208; 141 Hopf 159. ) John Erzgebirge 153. 14S ) B i r l i n g e r Aus Schwaben 1, 4 1 3 . 1 4 6 ) Z f ö V k . 3 (1897), 12. 1 4 7 ) S c h u l e n b u r g Wend. Volkstum 168. 1 4 8 ) J o h n Erzgebirge 235. 1 4 9 ) G r o h m a n n 9 1 6 ; H o p f 36. 1 5 °) J o h n Erzgebirge 95. 1 6 1 ) H ö h n Tod Nr. 7, S. 307. 1 5 2 ) S t r a c k e r j a n 1, 24. 1 5 3 ) H o p f 32, 159.

8. Die T. im F e s t b r a u c h . Als Symbol des hl. Geistes spielt die T. eine große Rolle in den Pfingstbräuchen 154 ). In Westfalen z. B. hängt inmitten der Pfingstkrone eine aus Torf oder Holz geschnitzte T. mit zwei roten Maikirschen im Schnabel 165 ). Zu Weihnachten werden T.n und Hühner aus einem durch einen Faßreifen oder eine Kette gebildeten Kreise gefüttert, damit sie beisammen bleiben und gedeihen 156 ). Im Erzgebirge werden sie vor den drei hl. Abenden mittags mit Hirse gefüttert, damit sie gedeihen und am Christtag eingesperrt, damit sie vor dem Habicht sicher sind 157 ). Wegen des Habichts werden sie in Westböhmen am Faschingsdienstag sorgfältig gefüttert 158 ), an demselben Tag sowie auch am Karsamstag muß der T.nschlag gereinigt werden, sonst brüten die T.n nicht 159 ). In Hohnsdorf gab man den T.n vom Aschermittwoch ab vier Wochen lang Brot mit Anis zu fressen, das am Aschermittwoch gebacken worden war, damit sie gut geraten 16°). Der Brauch des T.nschießens ist uralt, schon Homer kennt ihn 161 ). 164 ) P a n z e r Beitrag 2, 90; S a r t o r i Sitte u. Brauch 3, 1 9 8 ; H o f f m a n n - K r a y e r 162; A n d r e e - E y s n Volkskundliches 78 f.; A l b e r s 156 Das Jahr 226. ) S a r t o r i Westfalen 1 6 3 . 16e ) D r e c h s l e r 1, 3 7 ; K ö h l e r Voigtland 369. 157 158 ) J o h n Erzgebirge 235. ) J o h n Westböhmen 38. 1 6 9 ) K e l l e r Grab d. Abergl. 2, I 9 7 f . ; J o h n 4 1 . 64. 2 1 8 . " » ) Z f V k . 7 (1897), 75. lel ) K e l l e r Antike Tierwelt 2 130.

9. S o n s t i g e r A b e r g l a u b e . Die T.n werden für so rein gehalten, daß ihnen Zauberei und Hexerei nicht schaden

705

Taubenkraut-:—Taubnessel

kann 162 )• Wer ein Paar Turteltauben halten will, darf sie nicht kaufen, sondern muß sie sich schenken lassen, eventuell ein Gegengeschenk machen 163 ). Nach schwäbischem Glauben hört die Turteltaube auf zu girren, wenn jemand im Hause erkrankt; bei einem Todesfall trauert sie oft jahrelang 1 6 4 ). Im März und April auskriechende T.n fliegen am schnellsten, so daß sie der Stoßvogel nicht leicht einholt 1 6 5 ). Interessant ist der Glaube, daß man auf Kissen mit T.nfedern nicht ruhig schlafen und nicht sterben kann 166 ). 163 i « ) ZföVk. 4 (1898), 2 1 5 . ) Meier Schwaben 1, 2 1 8 ; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 424. 1 6 4 ) M e i e r Schwaben 1, 2 1 8 ; H o v o r k a K r o n f e l d i, 424. l i 5 ) D r e c h s l e r 2, 226. 16») S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 3 5 3 f.; S a r t o r i Sitte u. Brauch 2, 2 5 ; Urquell 4 (1893), 50; ZfVk. 1 1 , 221 ; 22, 232.

10. Zahlreich sind die S a g e n , in denen verwandelte Menschen, Geister der Verstorbenen, der unschuldig Hingerichteten, Engel usw. in T.ngestalt erscheinen 167 ). Nach einer oldenburgischen Sage bringen zwei T.n dem hl. Hippolyt Nahrung 168 ). Das Kloster Feuchtwangen wurde der Sage nach von Karl dem Großen zum Danke dafür gestiftet, daß ihm auf der Jagd eine auffliegende Wildtaube eine Quelle verriet („T.nbrünnlein"), deren Wasser ihn vor dem Verschmachten rettete 169 ). Zwei weiße T.n bekräftigten dadurch die Unschuld des Bischofs Sueder von Münster auf dem Reichstag zu Speyer, daß sie sich ihm auf die Schulter setzten 170 ). Nach einem Kindermärchen (Nr. 33) setzen sich zwei T.n auf die Schulter des Papstes und sagen ihm alles ins Ohr, was er vorzunehmen h a t 1 7 1 ) . 16? ) Außer den oben § 4 zitierten Sagen noch: P f i s t e r Hessen 86; ZfdMyth. 1, 3 1 0 f.; K ü h n a u Sagen 3, 4 7 4 ; P a n z e r Beitrag 1, 2 2 4 : Gründungssage der Kirche in Büchlberg bei Passau; R a n k e Volkssagen 79: Eine weiße Frau wird als T. von der wilden J a g d verfolgt. 168 169 ) S t r a c k e r j a n 2, 1 5 9 Nr. 389. ) Birl i n g e r Aus Schwaben 1, 186 f. 1 7 °) K n o r t z 1?1 Vögel 236. ) G r i m m Myth. 1 2 2 . Schnee weis.

Taubenkraut s. E i s e n k r a u t . Taubnessel (Bienensaug, Weiße T., tote Nessel; Lamium album). 1. Häufiger Lippenblütler mit Blättern, B ä c h t o l d - S t ä u b l i , Aberglaube V I I I .

706

die denen der Brennessel gleichen. Wohl wegen der weißen Blüten (signatura rerum) ist die T. ein allgemein verbreitetes Volksmittel gegen den „weißen" Fluß (Fluor albus) der Frauen J ). Aus dem gleichen Grunde gebrauchen die Wenden die Blüte gegen Bleichsucht 2 ). Das zerstoßene Kraut wurde zur Heilung des „Wurms" am Finger (panaritium) aufgelegt, daher auch Wurmkraut genannt 3 ), desgleichen gegen den „Stoatritt" (Hautverhärtung an den Füßen beim Barfußgehen) 4). Wenn einer das kalte Fieber hat, so muß er sein Wasser (Harn) auf die Nesselblumen machen und sprechen: Hier mach ich mein Wasser auf diesen Samen In allen Fieber Namen Das Fieber will mich meiden Bis daß ich komm und will die Sonne abschneiden Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes usw.

Und dann das Gebet des Herrn darauf getan und dann von dem Grunde weggegangen und nicht wieder auf den Grund gegangen, sonst wird es wieder kommen, das kalte Fieber (Elberfelder Rechenbuch, Ende des 18. Jh.s) 5 ), vgl. Brennnessel (1, 1558). Auch in einem Krankheitsorakel erscheint die T . 6 ) . Urquell 3, 68; ZföVk. 4, 46; Hist. Stud. aus d. pharmak. Inst. d. Univ. Dorpat 4 (1894), 2 3 1 (Letten); R o l l a n d Flore pop. 8, 203 (Wal2 lonen); L a m m e r t 1 7 4 . ) Schulenburg Wend. Volksth. 100. 3 ) T a b e r n a e m o n t a n u s Kräuterbuch 1 6 1 3 , 923. 4 ) B r u n n e r Heimatb. 5 d. bayer. BA. Cham 1922, 89. ) Z f V k . 16, s 176. ) S t a r i c i u s Heldenschatz (1679), 3 5 3 ; M a n n h a r d t Germ. Mythen 103.

2. Die weiße T. zur Dreisgenzeit gesammelt und in Zypressensaft, der ein J a h r alt ist, gelegt und gut verwahrt bei sich getragen, macht sanft und gütig und hilft allen Widerpart überwinden. Wer einem Rinde das Kraut um den Hals bindet, dem folgt es überall nach 7 ). „ G r a b an einem Auffahrtstag Todtennessel würz, trag sie in fließendes Wasser und darnach wasch sie mit Wein, trag sie bei dir, so mag dich niemand überwinden" 8 ). Das Mittel stammt offenbar aus der gelehrt-magischen Literatur. Den Dieb zu zwingen, das gestohlene Gut wieder zu bringen: „Nimm einen neuen Hafen und einen Deckel darauf, schöpfe dreimal aus dem fließenden Wasser in den drei höchsten Namen, 23

7 07

Taucher—Taufbrot

unterwärts, den dritten Teil des Hafen voll, nehme ihn mit heim, stelle ihn auf Feuer, nimm ein Stücklein Brot, tue es in dem Hafen sieden, auch ein wenig T h a u n e ß l e n darein. Dieb oder Diebin, bring mir meine gestohlene Sach herbei, du seiest Knab oder Mägdlein. Dieb du seiest Weib oder Mann, ich zwing dich im Namen 1 1 1 " 9)- Die Wenden brühen gegen die Hexen die Michtöpfe mit Dorant (Sumpfgarbe, Achillea ptarmica) und T.n aus 1 0 ), vgl. auch den verwandten Gundermann. Möglicherweise ist hier unter ,,T." ein anderer Lippenblütler, der Andorn (s. 1, 397), der in der älteren Literatur auch als „Taubnessel, Mariennessel" bezeichnet wird, zu verstehen 1 1 ). 7) A l p e n b u r g Tirol 400; Z a h l e r Simmene) thal 193. S A V k . 19, 217. ») A l b e r t u s M a g n u s 2 0 . Toledo. 1, 19. 10) S c h u l e n b u r g u) 268. Vgl. auch H ö f l e r Botanik 79.

Marzell.

Taucher, S ä g e r , ein Gänsevogel (mergus, gr. aiöoia). Die v o l k s m e d i z i n i s c h e n Anschauungen, über die uns G e s n e r im Vogelbuch 42 (u. nach ihm Jühling u. Höfler) berichtet, gehören sämtlich der Antike an, wie auch die Meinung, daß er S t u r m k ü n d e 1 ) . *) M e g e n b e r g 207 (nach A m b r o s i u s , dieser nach P l i n i u s 18, 362). f Hoffmann-Krayer.

Taufbrot (Fortsetzung von Brot; vgl. Kuchen § 25). Es verbinden sich Fruchtbarkeits- und Abwehrzauber; niemand ist mehr den bösen Dämonen ausgesetzt, als die Wöchnerin und ihr Kind 846) (vgl. § 18); schon über das Kapitel Schwangere und Brot gibt es viele Vorschriften. Sie ist ja verhext und unrein 847), und besondere Vorschriften gelten für das Brot 848) und den Brotschrank 849), ebenso für das Backen 85°). In der Oberpfalz legt man ein G e b e t b u c h unter das Kopfkissen und einen L a i b B r o t zu Häupten der Wöchnerin 8 5 1 ). In Kroatien legt man auf den Tisch des Geburtszimmers Wachskerzen, B r o t u n d S a l z 852 ), man opfert in der Geburtsnacht dem Schicksalsfräulein Brot, Käse und Honig 863 ); in Schwaben bringt man der Wöchnerin Gvatterwecka und Batzenlaible 864). Dem u n g e t a u f t e n N e u g e b o r e n e n 855) legt

708

man Brot in oder unter die Wiege oder in die Kleidung; auch nach der Taufe wickelt man Brot ins Tragkissen oder hängt es als Amulett 856) an; besonders auf dem Taufgang schützt man das Kind mit Brot 857) und opfert es den Armen (Bö.) 858 ); das bei dem Taufakt geweihte Brot bringt Segen und Fruchtbarkeit 859 ). In Thüringen bindet man dem Kinde am Tauftage ein Leinenläppchen um, gefüllt mit gekautem Brot 86°). In Breslauer Kreisen gebrauchte man gekautes Brot gegen „Besehen" 8 8 1 ). In einem Erlaß vom 19. X I I . 1580 heißt es: „ I t e m daß sie abergläubischen Segens-Sprechens, auch Salz u. Brod aus Aberglauben zu Kinder zu legen sich bemüßigen" 862 ). Auch Auguria auf Grund des Schimmeins des Brotes werden angestellt, wie bei der Hochzeit 863). In Ostpreußen 864) legt man in den Patenbrief Brot mit Übertragungszauber und Anfangszauber, in Bayern bekommt es beim ersten Ausgang Brot, damit es nicht „neidig" wird 866 ); eine interessante Verbindung von Fruchtbarkeitszauber (Laib Brot) und Apotropaion (Sieb) kennt man in Monastir beim Anlegen des Kindes 866), bei uns nicht belegt; die Wöchnerin soll bes. Dienstags und Freitags nicht gestatten, daß Brot und Fleisch aus dem Hause verliehen wird 867). 846) Drechsler 1, 189 ff. 204; Grimm Myth. 3, 451, 509; S a m t e r Geburt 21 ff.; S a r t o r i S. «. B. 1, 30 ff.; Globus 42, 77; aus dem Haus der Wöchnerin darf kein Brot u. Salz abgegeben werden: Giimm-Myth. 3,452Nr. 538. 847) G r o h m a n n 115, 857; F r a n z Benedik84S) tionen 2, 240. Journal 1790, 1 4 2 — 4 4 ; G r i m m Myth. 3, 458, 702; Hess.B.f.V. 15, 129; sie darf kein Brot stehend essen, sonst wird das Kind naschhaft: M e n s i n g 1. c. 530. 8 " ) G r i m m Myth. 3, 336, 41. 458, 702; J. H . F i s c h e r I.e. 257; V o n b u n 66 ff.; E n g e l i e n u. L a h n 247; B ö c l e r Ehsten 44; K ü h n a u Familie 36; B a r t s c h Meckl. 2, 41, 47a. 43, 64; M e i c h e Sagenbuch der sächs. Schweiz 122, 22. 850) W e i n h o l d Neunzahl 29; vgl. Krauß Anthropophyteia 3, 37. 851 ) S c h ö n w e r t h 1, 852) 191, 10; M e i c h e 1. c. 122, 23. Krauß Relig. Brauch 23. 853) K r a u ß 1. c.; in Kärnten opfert man den Saligen B . : G r a b e r I.e. 56 Nr. 64. 854) B i r l i n g e r Schwaben 2, 236; vgl. Globus 42, 77. 85S) M e y e r Baden 372; H o f f m a n n Ortenau 18; S e l i g m a n n 2, 9 3 — 4 ; G r o h m a n n Aberglaube 107, 7 7 3 — 4 ; F r a n z Benediktionen 1, 228; W. 580. 85 ') W. 175, 414;

;o9

710

Taufe—Tausendgüldenkraut

P r a e t o r . Phil. 102; G r i m m Myth. 2, 9 2 3 ; 3, 460, 748; 3, 564, 7 1 3 ; J o h n Westböhmen 2 4 7 ; W o l f Beiträge 1, 206 (auch für Frankreich); L i e b r e c h t Zur Volkskunde 320; B i r l i n g e r Volkstüml. 2, 447, 4 1 9 ; S A V k . 15 ( 1 9 1 1 ) , 1 3 ; W i t t s t o c k Siebenbürgen 69; S e l i g m a n n 2, 94 für Estland; vgl. B a r t s c h 2, Nr. 1 1 6 a . F r a n z Bened. 1 , 2 2 8 ; als Schutzmittel gegen das Unkraut", die Krämpfe in Bö.: J o h n Erzgebirge 5 3 ; vgl. S e y f a r t h Sachsen 269; M a n n h a r d t Germ. Mythen 637, 591 A . ; S a m t e r Geburt 1 5 3 A . 3; H i l l n e r Siebenbürgen 2 4 ; S o l d a n - H e p p e 2, 362; M e y e r Baden 3 7 2 ; vgl. die Esten bei G r i m m 3, 490, 54; eigenartig die Erzählung bei M ü l l e r Siebenb. Sachsen 36, 54. 8 5 ') W. 5 9 1 ; H ö h n Geburt Nr. 4, 269; R o t h e n b a c h 12, 2 9 — 3 1 ; J o h n Erzgebirge 6 1 ; Alemannia 24, 228; W l i s l o c k i Magyaren 69; H i l l n e r Siebenbürgen 38 Nr. 1 ; S t a u b 54. S58) J o h n Westböhmen 1 1 4 u. 2 4 7 ; Wolf Beiträge 1, 206. 8 5 9 ) G r i m m Myth. 3, 441, 860 222; vgl. B r e v i n u s N o r i c u s 3 3 3 . ) Witz861 schel Thüringen 2, 249, 43. ) Glotta 2, 862 398. ) B i r l i n g e r Volkstüml. 2, 447, 4 1 9 ; vgl. F r a n z Bened. 1 , 2 2 8 . 863 ) J o h n Westböhmen 107. 864 ) W. 594, vgl. 591. 885 ) P o l l i n g e r Landshut 2 4 3 ; G r o h m a n n Aberglaube 1 1 5 , 858. 86e ) S t e r n Türkei 2, 3 1 9 . 8 " ) K e l l e r Grab des Aberglaubens 5, 308. Eckstein.

Taufe s. Nachtrag. Taurant s. Dorant. täuschen. Was Dämonen u. Zauberer den Menschen vort., ist unter „blenden" § 2 und „verblenden" behandelt; hier handelt es sich um die Maßnahmen, mit denen der Mensch die Dämonen und Toten täuscht, um sich vor ihnen zu schützen. S. Abwehrzauber 1 , 138 u. Dämon 2, 166 ff., wo schon mehrere Beispiele aufgeführt sind; einige Ergänzungen seien hier noch beigefügt. Die Braut muß bei der Hochzeit vor der Gewalt der Dämonen geschützt werden, da diese bei Beginn eines neuen Lebensabschnitts besonders gefährlich sind. Deshalb wird dem Bräutigam mitunter zunächst die Braut versteckt, oder man führt ihm zuerst ein häßliches altes Weib oder ein kleines Mädchen statt der Braut vor, oder die Braut j ungfern müssen dieselbe Kleidung wie die Braut haben : alles zu dem Zwecke, die Dämonen über die Person der Braut zu t. Die Trauerkleidung hat ursprünglich den Zweck, sich vor dem Toten unkenntlich zu machen: Völker, die im allgemeinen ganz oder fast ganz nackt gehen, bekleiden sich bei Trauer

oder beschmieren sich den Körper, andere, die im allgemeinen bekleidet sind, gehen bei Trauer nackt 2 ). Ebenso wird beim Tode des Hausherrn das Vieh vor der Seele des Toten geschützt, indem man ihn täuscht: man bringt es zeitweilig in einen andern Stall oder läßt es seinen Stand wechseln 3 ) oder es scheinbar mit seinem toten Herrn gehen 4).

*) F e h r l e Volksfeste 95. 2 ) Ebd. 1 0 1 . 3 ) ZfrwVk. 1 (1904), 45. 4 ) Ebd. 49. Hünnerkopf.

Tausendgüldenkraut (Aurin, Erdgalle, Laurin; Erythraea centaurium). 1. Botanisches. Der 20—30 cm hohe Stengel trägt unten eine Rosette verkehrt-eiförmiger Blätter, die Stengelblätter sind gegenständig. Die Blüten sind fleischrot und stehen in gabeligen Trugdolden. Das T. wächst meist auf Waldlichtungen. In der Volksmedizin wird es häufig als bitteres Magenmittel verwendet 1 ). Von den antiken Schriftstellern wird als xevraüpstov xh ¡xtxpov2), bei den Römern als centaurion 3 ) bezeichnet 4). M a r z e i l Kräuterbuch 461 f. 2 ) D i o s k u r i des Mat. med. 3,7. 3 ) P l i n i u s Nat. hist. 25, 4 66. ) Marzell Heilpflanzen 126—131; T s c h i r c h Handb. d. Pharmakogn. 2 (1917), 1605 f.

2. Schon in der antiken Sympathiemedizin fand das T. Verwendung. Marcellus E m p i r i c u s 5 ) schreibt (4. Jh. n. Chr.): ,,fel terrae ( = T.) tritum ex vetustissimo vino bibere dabis jejuno s u p r a limen s t a n t i uno pede, qui coxam dolebit, sed non in v i t r o hanc potionembibat"8). Wohl wegen der roten Blütenfarbe wird das T. bei „Blutkrankheiten" verwendet. Es fördert die Menstruation7), hilft gegen Bleichsucht 8), das Rotharnen des Viehes 9), wirkt blutstillend 10). Die wundenheilende Kraft ist so groß, daß sogar noch im Topf, in dem sich T. befindet, die Fleischstücke zusammenwachsen11), vgl. Sanikel. Als ein die Menstruation beförderndes Mittel ist das T. ein „Frauenkraut". Darauf geht vielleicht der (angeblich) Aargauische Glaube zurück: Wenn ein Reiter auf der Straße ein T. sieht, so soll und darf er nicht vorbeireiten; er soll absteigen, die Pflanze pflücken und sie mit sich nehmen. Begegnet ihm 23*

Tausendgüldenkraut

7ii

dann auf seinem weiteren Ritt ein Frauenzimmer, so muß es dieser Pflanze in der Hand des Reiters einen Kuß geben 12 ). Vgl. Erdbeere (2, 893). Alt und weitverbreitet ist der Glaube, daß das T. ein Mittel gegen den Biß eines tollen Hundes ist 1 3 ). Es heißt daher im Lüneburgischen auch „Dullhunnskrut" 14 ). Gegen Hühnersterben soll man den Hühnern T. ins Trinkwasser tun und auf das Kraut einen glühenden Schmiedesinter (mhd. sinter = Hammerschlag) legen 15 ). Das am „güldenen" Sonntag (Dreifaltigkeitsfest) geholte T. sollte gegen Gicht er und Krämpfe helfen 16 ). Um Zahnschmerzen oder Gesichtsreißen zu vertreiben, band man drei Stengel ,,Unpfennigkraut" (wohl mißverständlich für „Ung'segnetkraut"; „Ung'segnet" = Rotlauf 1 7 )), angeblich das T., auf die schmerzende Stelle und sprach dabei: „Ungpfennig, Ungetüm, weich von meinem Gliede" 18). Als im Anfang des 18. Jh.s in Ostpreußen die Pest wütete, erschien ein Vogel und sang: „Bennwell (s. Schwarzwurz) und Laurin ( = T.), Dat sull de Mönsche ehr Lewe sin". Die Leute machten aus diesen Pflanzen einen Tee, und das Sterben hörte auf 1 8 ), vgl. Bibernelle (x, 1223). 6) De medicamenlis, ed. H e l m r e i c h 25, 35- 6 ) Vgl. H ö f l e r Kellen 247. ') Schon antik: D i o s k u r i d e s Mat. med. 3,7; ferner S t o l l

Zauber glauben 98; Schulenburg Wend. Volksth. 103; T i r o l e r H e i m a t b l . 3 (1925), 2. H .

S. 10 (Unterinntal). 8 ) Tirol. Heimatbl. a. a. O. ' ) M a r z e l l Bayer. Volksbot. 154. 10 ) K ö h l e r Vogtland

u

350.

)

Plinius

Nat.

hisl.

25, 67;

in die ma. „Naturgeschichten" übergegangen: A l b e r t u s M a g n u s De Vegetabilibus 6, 311; M e g e n b e r g Buch d. Natur, hrsg. v. Pfeiffer 398; ferner K ö h l e r Vcigtland 349. 1 2 ) ZfdMyth. i,

446.

13)

Meddygon

Myddfai.

Transl.

by

P u g h e 1861, 422; S c h r o e t t e r Apotheke 1693, 920; A m e r s b a c h Grimmelshausen 2, 58; ZfVk. 4, 403 (Ungarn). 1 4 ) K ü c k Lüneburger Heide berges 16

238. 1716,

15

) Pachelbl 157; W i r t h

Beschr. d. FichtelBeiträge 6/7, 19.

) H ö h n Volksheilkunde 1, 128, vgl. Urquell 4, 150. 1 7 ) H ö f l e r Krankheitsnamen 231. 631. 1S ) Oberfranken: M a r z e l l Bayer. Volksbot. 176 f.

3. Der Name T. ist wohl eine „freie" Übersetzung des lat.-griech. Namens centaurium (weil der Centaur Chiron damit seine Wunde geheilt haben sollte) 20 ).

7U

Dieses „Centaurium" wurde später von centum = hundert und aurum = Gold (Gulden) abgeleitet. Das T. hat seinen Namen daher, weil einmal ein reicher Mann, der ständig an Fieber (das T. heißt in den alten Kräuterbüchern auch „Fieberkraut") litt, versprach, den armen Leuten 1000 Gulden zu geben, wenn ihm ein Mittel dagegen gebracht würde. Da verriet man ihm das T. 2 1 ). Auf seinen Namen hin gilt das T. als geldvermehrend. Die Leute pflücken am Johannistag unter dem Mittagsläuten T. und tragen es im Geldtäschchen mit sich, dann geht ihnen das ganze Jahr das Geld nicht aus (Falkenau a. d. Eger) 22 ). Mit Schabziegerklee (s. d.) in die Sparbüchsen gelegt bewirkt es, daß diese immer voll bleiben 23). Im Badischen dient das T . als Liebesorakel für die Mitgift 24 ). " ) F r i s c h b i e r Naturkunde 332. i 0 ) Vgl. Plinius Nat. hist. 25, 66; Mannhardt 2,47. 2 1 ) Orig.-Mitt. v. K e r l , Dixenhausen in Mittelfranken 1914; G l o n i n g Oberösterreich 1884, 108 f. « ) MnböhmExc. 25, 180. « ) Oberfranken: Orig.-Mitt. v o n H o f m a n n 1908. 24 ) Alemannia 1914, 187.

4. Das T. (rote Farbe als Apotropaeum!) schützt gegen bösen Zauber und gegen die Hexen 25). ,,T. du nimmst mir meine Braut" 2 6 ), sagt der Teufel in einer unterfränkischen Sage, s. Quendel (7, 4x9). Die Hirten in der mährischen Walachei verwenden das T. gegen Verzauberung der Schafe 27). Mit einem Kranz von T . auf der Stirn kann man in der Walpurgisnacht an einer Kreuzstraße die Hexen auf Ofengabeln usw. gegen den Untersberg reiten sehen 28), vgl. Gundermann (3, 1204), der auch sonst manche abergläubische Züge mit dem T. teilt. " ) W u t t k e 281 § 411; D r e c h s l e r 2, 212; M e y e r German. Myth. 131. 2 6 ) M i t t . u. Umfr. z. bayer. Volkskde N . F . 26/27 (191 !)• 210. 2 ' ) ZföVk. 13, 26. 2S ) S t r o b l Altbayer. Feiertag 1926, 53; a u c h i m Harz: S i e b e r Harzland-Sagen Myth. 141.

1928, 269, v g l . M e y e r

German

5. T. (rote Farbe) zieht den Blitz an 29)„ in der Lausitz wird es jedoch bei heranziehendem Gewitter auf den Herd gestreut, damit der aufsteigende Rauch die Gefahr abwende 30 ). 29 ) M a r z e l l Bayer. Volksbot. 133. Mitt. v. A r n d t 1911.

30

) Orig.-

713

Tee—Teer

6. In Süddeutschland ist das T. häufig ein Bestandteil des an Maria Himmelfahrt geweihten Kräuterbüschels 3 1 ). 3 1 ) M a r z e i l Bayer. Volksbot. 52 ff.; Tiroler Heimatbl. 3 (1925), H. 2, S. 10; R e i s e r Allgäu 2, 156; M a r t i n u. L i e n h a r t ElsässWb. 1, 532. Marzell.

Tee (Thea chinensis). Ähnlich wie der Kaffee spielt auch der T. im Volksorakel eine Rolle. Wenn das T.kraut in der Tasse schwimmt, bekommt man Besuch ; ist das Blatt kurz und dick, wird die (kommende) Person auch so sein 2 ), ist das Kraut hart, so ist der Kommende kein guter; wenn weich, dann ist er gut. Oder: ist das T.blatt hart, so ist der kommende eine männliche Person; ist es weich, so eine weibliche. Ein T.blatt auf einer Tasse bedeuten auch eine Braut oder einen Bräutigam im Hause 3 ). Wenn die Zuckerbläschen auf dem T. (oder Kaffee) sich alle in der Mitte der Oberfläche treffen, schickt einem jemand in Gedanken einen K u ß ; gelingt es einem, sie alle mit dem Löffel anzufassen, so bekommt man den K u ß wirklich 4 ). Wenn der T.kessel kocht und der Dampf steigt gerade in die Höhe, so gehen die Freier zum Schornstein hinaus s ). Wenn man die Milch in den schwarzen T . schüttet und es bildet sich die Form eines Geistes, bedeutet es frühen Tod®). Wenn man die Milch vor dem Zucker in den T. gießt, gibt es eine unglückliche Liebe oder man bekommt keinen Mann (oder keine Frau) 7 ). F o g e l Pennsylvania 87. 2 ) S A V k . 8, 270. Dithmarschen: ZfVk. 24, 58; 23, 280. 4) S A V k . 7, 134. 6 ) Dithmarschen: Z f V k . 23, 280. 6) SchweizVk. 10, 32. 7 ) S A V k . 7, 134; vgl. Z f V k . 24, 58. Marzell. 3)

1)

Teer. Der T. gilt (wegen seines durchdringenden Geruchs?) als Abwehrmittel gegen Zauberei. In Preußen macht man am Johannistage vor Sonnenaufgang mit einem T.pinsel drei Kreuze an die Stalltür, damit der Zauberer, die Hexe über das Vieh keine Macht h a t l ) . In Westfalen macht man Kühen, wenn sie zum erstenmal auf die Weide getrieben werden, mit T. ein Kreuz vor den Kopf und schmiert ihnen T. ins Maul 2 ). In Oldenburg streicht man ebenfalls dem Rindvieh T.

7M

ums Maul und gibt ihn Kühen gegen Verstopfung ein 3 ). In Schlesien fährt man dem Vieh beim ersten Austreiben als Mittel gegen die „ G i f t e n " , mit einem T.pinsel in den Rachen und gibt jeder Kuh einen Löffel Wagenschmiere ein 4 ). In der Volksheilkunde wurde und wird der Teer vielfach benutzt. Lange Zeit galt er als Mittel gegen die Pest 6 ). Bei Gelbsucht sieht (similia similibus!) man in ein Gefäß mit Teer oder gelber Wagenschmiere (fast allgemein) 6 ). In der Gegend von Insterburg riecht man bei Schnupfen und Heiserkeit in eine T.tonne und zieht den Geruch kräftig in Nase und Mund ein 7 ), das entspricht dem heutigen Gebrauch von T.kapseln, T.wasser zum Inhalieren und dem Einziehen von Karbolgeruch bei Schnupfen. Bei Entzündungen unter den Schwielen der Haut streicht man schwarzen T., wie man ihn beim Lohgerber bekommt, auf8). Verrenkte Glieder werden in Westböhmen mit einem T.bande umwickelt. T.pflaster wurden bei Gicht, Rheumatismus usw. aufgelegt 9 ). Schwindsüchtigen bringt man ein Gefäß mit Schiffst, ins Zimmer und läßt diesen allmählich über der Lampe verdunsten, oder man läßt den Kranken in einer Schiffstaufabrik die Dünste des erhitzten T.s einatmen 10 ). In Mecklenburg hebt man bei Sodbrennen ein von einem Wagen gefallenes Stück dicken T. auf, spuckt dreimal in aller Stille darauf und legt es dann auf einen Baum (Übertragen der Krankheit) n ) . In der Altmark und in Posen glaubt man, die Brüste der gespenstischen Kornmutter seien mit T. gefüllt; Kindern, die ins Getreidefeld kommen, gibt sie T.stullen oder beschmiert sie mit T . 1 2 ) . Wahrscheinlich ist damit die schmutziggelbe, übelriechende, durch Brandpilze verursachte Schleimmasse gemeint, die sich an den Getreidekörnern manchmal entwickelt 1 3 ). In Urland (Norwegen) glaubt man, der Juleskrei dringe den Leuten in den Keller, um das Julbier zu kosten. Man stellt deshalb eine Teerbutte vor das Bierfaß, dann kann der Juleskrei nicht daran rühren.

Teich—Teig

715

1 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 227; L e m k e Ostpreußen i, 42; vgl. K r a u ß Slam. Volkforschung 128 (T. als Abwehrmittel gegen den Vampyr). z ) K u h n Westfalen 2, 62 Nr. 189; vgl. L i e b r e c h t Zur Volksk. 3 1 5 Nr. 36 (Norwegen). 3 ) S t r a c k e r j a n 2, 235 Nr. 497; vgl. F o g e l Perms. 167 f. Nr. 800 u. 158 Nr. 748. 4 ) D r e c h s l e r 2, 109 Nr. 481. s ) Bressl. Samml. 9, 320 f.; Z e d i e r 43, 5 5 5 ; vgl. J a h n Opfergebräuche 29®. 6) S t r a c k e r j a n a. O.; B a r t s c h Mecklenburg 2, 108 Nr. 403; L e m k e Ostpreußen i, 49; E n g e l i e n u. L a h n 266 Nr. 156; F i n d e r Vierlande 2, 273; S e y f a r t h 178; D r e c h s l e r a. O. 2, 305 Nr. 682; G r i m m Myth. 3, 436 Nr. 66; W u t t k e 355 § 5 3 1 ; vgl. Huß Aberglaube 4 Nr. 3; F o s s e l Volksmedizin 120. ') Urquell 1 (1890), 136; vgl. M o s t Enzy8 klopädie 592 f. ) ZfrwVk. 1 (1904), 101. 9 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 405; M o s t a. O. 170. 1 0 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 62; M o s t a. O. 592 f. n ) B a r t s c h a. O. 2, 1 1 6 Nr. 450. 12 ) M a n n h a r d t Forschungen 307 f. 1 3 ) S c h m e i l Leitfaden der Botanik (1919), 275 2 . 1 4 ) G r ä s s e Jägerbrevier 1, 238. f Olbrich.

Teich s. See 7, 1558. Teig (vgl. Backen, Brot, Hochzeitbrot Kuchen, Zelten, Birnbrot, Gebildbrote): 1. Wie das Brot ist der T. als F r u c h t b a r k e i t s s y m b o l und K r a f t ü b e r t r ä ger heilig, und jede Verunehrung wird bestraft : Die Einwohner einer Stadt machen Spielsachen aus Weckenteig; die Stadt versinkt (vgl. Brot § 7). J

) Bockel

Die

deutschen Volkssagen 104.

2. Die V e g e t a t i o n s g e i s t e r und Hexen gieren nach T.: In SchleswigHolstein darf man in der Weihnachtsnacht nicht backen; sonst wird die wilde Jagd kommen; alle müssen still zu Hause sein; läßt man die Tür auf, so zieht der Wode hindurch, und seine Hunde verzehren alles im Hause, besonders Brotteig, wenn gebacken2) wird. Wodes Hunde fallen in die Backstube ein und schlürfen den Teig, wie wenn sie bei der Tränktonne wären 3). Bei einem Bauern in Sykow 4) hatte man gerade den Teig eingesäuert, da kamen die Hunde der Waur und fraßen ihn auf; als die dreiste Magd fragte: Was bekommen wir nun dafür ? wurde sie geheißen, vor der großen Türe nachzusehen; da fand man einen Haufen Pferdemist, der dann zu Geld wurde. In Benekenhagen zog ,,de Wauer" durch ein Bauernhaus, als die Bäuerin den T. einsäuerte; die Hunde machten so, als ob sie den T. fressen wollten. Aber der

716

Jäger sagte: die Hunde tun nichts 5 ). Einer Bäuerin aßen die weißen Weiber den T. weg 6 ). Die Zwerge von Friedersdorf stehlen den Menschen den T. 7 ). Die Venusmänndel bei Neuhaus in Schlesien stehlen, wenn sie backen, den T. aus den Dörfern8). Die Zwerge bei Werterhausen stehlen den T. und lassen beim Verlassen des Hauses den T. fallen 9 ). 2 )Müllenhoff Sagen 390 Nr. 577; S i m r o c k Mythologie 205; M a n n h a r d t German. Mythen 304; ders. WF. 1,75. 92. 107. 3 ) ZföVk. 1903, 201; vgl. R a n k e Volkssagen 78. 4 ) B a r t s c h Mecklenburg 1, 10 Nr. 1 3 ; K ü h n a u Brot 25. 5 ) B a r t s c h 1. c. 2, 478 Nr. 677. 6 ) Ders. 1, 18 Nr. 23, 1. 7 ) K ü h n a u Sagen 2, 90 Nr. 749. 8 ) Ders. 1. c. 94 Nr. 751, 1. 9 ) K u h n - S c h w a r t z 163 Nr. 189. 223, 248.

3. Wie die wilde J a g d , sind die Hexen nach Teig lüstern: sie stehlen den T., wenn man keine Kreuze darauf macht 10 ). Bei dem Bäcker eines Kraichgauer Dorfes erschien abends, wenn er den Teig knetete, mehrmals eine, schwarze Katze, die sich ein Schürzchen umgebunden hatte und immer vom T. mitnahm. Der Bäcker, der in ihr eine Hexe vermutete, schlug sie; die Katze verschwand im Nachbarhause; am nächsten Morgen lief eine in diesem Hause wohnende und als Hexe verschriene Frau mit verbundenem Kopfe herum u ). Die Elfenfrau der Dänen ist hinten wie ein Backtrog 12 ), ebenfalls der Teufel 18 ) (vgl. Backen § 14). Der Kuckuck ist ein Bäcker, der zur Strafe dafür, daß er T. stahl, in einen Kuckuck verwandelt wurde 14 ). 10 ) Drechsler Schlesien 2, 255. n ) K ü n z i g Sagen 62 Nr. 181. 1 2 ) ZfdMyth. 4, 430; G r i m m Mythol. 1, 371 A. 3. 1 3 ) G r a b e r Kärnten 300 Nr.409; W a s c h n i t i u s Perht 1 7 5 s . 1 4 ) G r i m m 1. c. 2, 608; G r o h m a n n Aberglaube 68 Nr. 474 A.; M a n n h a r d t 2 , 3 3 4 ; C o r e m a n s La Belgique et la Bohême 46.

4. Wie die Kölner Heinzelmännchen (die Stuttgarter H. schenken Hutzelbrot: Mörike) beim Backen helfen 15 ), so bereiten die guten Leutlein den T.: als aber die Bäuerin dem guten Fräulein ein neues Kleid 16 ) hinlegte, ging es weg mit den Worten 17 ) : Hinten schön, vür schön, I kann nit mehr in Tag gehn.

Einer aus der Schar der wilden Jagd taucht seinen Finger in das Säuerwasser;

717

Teig

das hat die Wirkung, daß das Brot nicht ausgeht 17a ). Die weiblichen Fänggen verstehen sich sehr auf das Teigmachen und Brotbacken 17b ).

15 ) Kloster 9, 1 9 5 ff.; W o l f f Mythologie der Elfen 2, 33. 1 6 ) S c h e l l Bergische Sagen 5 2 3 . " ) G r a b e r 1. c. 65 Nr. 7 2 ; vgl. Z f V k . 25, 1 1 6 . 119. 1 7 a ) Z a u n e r t Natursagen 1, 20; vgl. R o c h holz Naturmythen 106; G r i m m Mythol. 3, 126. 1,b ) Z a u n e r t 1. c. 1 4 1 .

5. Auch das Motiv der B u t t e r - K ä s e Geld s c h l e p p e n d e n D r a c h e n findet sich: In einer Mühle hatte die Müllerin immer den Trog voll T., obwohl die Knechte nicht sahen, daß sie T. anmachte; da sah ein hinter dem Ofen verborgener Knecht, daß in der Nacht ein Drache erschien und den T. ausspie, wobei die Wirtin sagte: Immer spei, mein Hänschen, spei! Der Drache aber rief: Kachelchen Kuk, K . kuk; er wurde mit Milchhirse gefüttert 1 8 ) (vgl. Butter § 6, Brei, Käse, Knödel); in Baden macht die Katze Knöpfle 1 9 ), in Strega speit der Drache Klöße 20 ). 18 ) G a n d e r Niederlausitz 37 Nr. 92. 1 9 ) K i n 20 zig Sagen 63 Nr. 184. ) G a n d e r 1. c. 39 Nr. 99.

6. Wie man den Backprozeß in b i l d lichen R e d e n s a r t e n auf die Z e u g u n g und den Charakter des Menschen überträgt (vgl. Backen 2), so sagt man auch in Kalabrien zum letzten Kind: Laibchen aus den Teigresten im Backtrog 2 1 ); über ähnliche deutsche Wortbilder: Grimm 22 ), Fischer 23 ), Martin-Lienhart 24 ) und 2S Schindler ). 21 ) Anthropophyteia 8, 1 5 1 . 2 2 ) DWb. 1 1 , 237. ) SchwäbWb. 2, 132. 2 4 ) s. v. Teig. 2 5 ) Bayr. Wb. 1, 595.

23

7. V o r s i c h t s m a ß r e g e l n beim T e i g bereiten (vgl. Backen § 3 ff.): Diese sind begründet in der Angst vor dem bösen Blick und dem Schadenzauber überhaupt. Die slovenischen Hausfrauen schließen sich beim Kneten des T.es ein, damit niemand mit dem bösen Blick schaden kann; denn der behexte T. geht nicht auf 2 6 ); in der Oberpfalz soll die Hausfrau den T. nicht ohne Fürtuch kneten, sonst wird das Brot offen (sympathetisch) 27 ); auch soll sie mit der flachen Hand 3 Kreuze über den Sauerteig machen und sagen, daß es der

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Ofen h ö r t : Backofen, rieht dich! Brott. darf man nicht über das Feld tragen, sonst gedeiht das Brot in demselben Teigfasse nicht mehr28). Wenn der Beck auf den gemachten T. nicht drei Kreuze macht, verderben die Hexen den T. 2 9 ). In Distelhausen (Baden) macht man in den T. Kreuze30). Nach 1868 machte man im Lugauer Gebiet auf den T. 3 Kreuze 31 ) (vgl. Backen § 3—5). Dieselbe Angst vor den Hexen besteht in Schlesien 32 ). Die ungarischen Hexen können bewirken, daß das Brot blutrot wird, indem sie Tau unter den Teig mischen; und in einem Hexenprotokoll heißt es, die Angeklagte habe den Teig so bezaubert, daß man daraus habe kein Brot backen können 33 ). Damit die Zwerge bei Westerhausen den T. nicht rauben können, macht man drei Kreuze darauf; diese Zeremonie raten die abziehenden Zwerge selbst an 34 ). Insbesondere ist der gährende T. dem Schadenzauber ausgesetzt: Wer auf den gärenden T. schaut, soll die Worte sagen: Gottes Segen!, sonst würde das Gebäck nicht geraten 36 ). Die Gegenmaßnahmen sind im Artikel Backen § § 3 und 4 aufgezählt ; sie sind fast alle noch in Bayern gebräuchlich: Kreuz mit einer Messerspitze, mit dem Daumen, mit dem Zeigefinger, mit der Schneide der Hand; oder man schüttet Weihwasser darauf 3 6 ). Könnte wohl auch auf die Bekreuzung des T.es die benedictio panis im Kloster eingewirkt haben, die schon früh durch die Schrift Ekkehard's bezeugt ist ? 37 ): Sit cruce signatus panis de fece levatus. Verstärkt ist die apotropäische Maßnahme in Schlesien: Man macht 3 Kreuze und streut Salz (kreuzweise) 38) im Namen der Dreifaltigkeit über den T. 3 8 ). Wenn die böhmische Hausfrau den T. einsalzen will, muß sie über das Salz drei Kreuze machen, damit der T. nicht gerinne 40). Nach einem Codex des 14. J h . muß der T. für das Ordalbrot vom Priester mit Weihwasser angemacht werden 41 ). Auf dem Backtrog darf man nicht sitzen, solange der Teig im Gehen ist, sonst wird das Brot spindig 42 ). 26 ) S e l i g m a n n Blick 1, 236. 2 7 ) Bavaria 2 a , 304. 2 8 ) G r o h m a n n 1. c. 103 Nr. 7 2 5 ; W . 620.

29)

F i s c h e r Wb. 2, 132. 30 ) A l e m a n i a 24, 145. S t a u b Brot 22. M ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 258. 33) M) W l i s l o c k i Magyaren 155. Kuhn35) S c h w a r t z 164 Nr. 189, 2. Grohmann 3 ") B a y r . 1. c. 103 Nr. 723. H e f t e 9, 208, 36; S c h ö n w e r t h 1, 406; B a v a r i a 2 a , 304, 1 2 ; v g l . die A b b . in T r o e l s - L u n d Dagligt liv 1, 35 3') F i g . 30. Mitteil. d. antiquarischen G e sellschaft in Zürich 3, 13 Vers 14. 3 8 ) D r e c h s l e r I . e . 2, 13. 3 9 ) D e r s . 2, 258. 4 0 ) G r o h m a n n I . e . 103 Nr. 724. 4 1 ) Z e u m e r in M G . 42) leg. Sectio 5 (formulae) 691, 12. Schönw e r t h Oberpfalz 1, 406 ff. N r . 15. 31)

8. S y m p a t h e t i s c h e r u n d s o n s t i g e r A b e r g l a u b e beim T.bereiten: Daß die Hausfrau das Fürtuch vorbinden muß, damit das Brot n i c h t o f f e n bleibt, ist erwähnt. Der von einem sanguinischen Weib geknetete T. geht nach österreichischem Aberglauben gut auf, der von einem phlegmatischen Weib geknetete schlecht 43 ). In Rendsburg in Schleswig-Holstein nimmt man Märzschnee als,, Sürwater' * .damit das Brot nicht schimmele 44 ). In einem Prozeß 1615 gesteht ein Bäcker, daß er aus den Furchen, die durch die Räder eines Leichenwagens entstanden waren, Wasser schöpfte und unter den T. mischte, damit das Brot gut gerate und Abgang finde 4 5 ); eine ähnliche Manipulation erwähnt Zimmermann: Man legt ein Stück eines Strickes, an dem ein Dieb hing, auf die Platte, mit der man das Brot einschießt, damit das Brot nicht anbrennt 4 6 ). 43) Z f ö V k . Wb. 1, 207. 332-

720

Teig

719

1897, H 9 Nr. 213. « ) Z f V k . 1897, 195.

4l)

Mensing " ) 1. c. 199.

9. B e s o n d e r e F e s t t . Den T. für die cesnica, den Weihnachtskuchen, bereiten die Serbinnen mit besonderer Vorsicht und mit Zeremonien; wenn die Hausmutter menstruiert oder gerade durch Geburt oder Geschlechtsverkehr unrein ist, knetet die Tochter den T . ; das Wasser wird aus einer Quelle vor Sonnenaufgang geholt; in Bosnien holt ein Mann mit Handschuhen das Wasser in der Nacht; man rührt in Piaski den Teig mit zwei Haselruten an, die man in derselben Nacht geholt hat. In der Lika holt man drei Haselnußstäbe, mit denen man dann später die Saat umrührt. Die Hausfrau beschmiert mit t.igen Händen die Bienenstöcke und die Hausbalken und Türen zur Förderung der Gesundheit

und Fruchtbarkeit. Wenn eine Frau sich Nachkommenschaft wünscht, schmiert sie sich T. an die Stirn, dem Mann an die Nase. In der Herzegowina trägt die Hausfrau den T. durch die Ställe (zu erklären aus folgendem Analogiezauber: die serbischen Grenzer geben einem gekauften Schweinchen Säuert., damit es schwelle, wie der T.) 4 6 a ). Besondere Zeremonien beachtet man bei den Bulgaren bei der Bereitung der Hochzeitsfladen. A m Donnerstag früh versammeln sich mehrere Mädchen und kneten den T . : Man schafft drei Brottröge zum Kneten und drei Siebe zur Stelle; drei Mädchen sieben jedes das M. in den Trog; ein kleines Kind, dessen Vater und Mutter am Leben sind, schüttet Wasser und Salz zu und rührt den Teig mit einem Stäbchen an von einer bestimmten Pflanze; wenn die Mädchen den T. geknetet haben, heben sie das Kind hoch; es schlägt dreimal an die Zimmerdecke und spricht jedesmal: Jüngling und Mädchen 4 7 ). In Varbarin tanzen die Mädchen unter magischen Zeremonien um den Weihnachtssauert.: jede bekommt ein Stück, das sie an die Brust steckt, um es da die ganze Nacht zu tragen: „sie hüten den Weihnachtssauert., der heilkräftig bei Schwangerschaft und Viehkrankheiten ist". In Bulgarien wird der T . unter Tänzen 3 Nächte gehütet 47 »). Eine Zeremonie ist auch das Kneten des T.es zu den Weihnachtszelten 4 8 ); in England beteiligt sich das ganze Haus am Umrühren des T.es für den Weihnachtspudding, da jeder vom Hausglück mit verdienen will 4 9 ). In besonderer, nicht gerade sehr appetitlicher Weise bereitet der Gemeindehirt z. B . im Pilsner Kreis von Böhmen den T . zu dem Gründonnerstagsgebäck (svitek), wozu er die Wirtinnen, Mädchen, und Jungmägde einlädt; in den T. werden die Samenhängsel vom kastrierten Vieh geknetet 50). 16a)

W i e n e r Z f V k . Suppl. 15, 4 0 — 4 4 . 9 6 — 1 2 1 . K r a u s s Südslaven 437fr.; Z f ö V k . Suppl. 7, 28. 4 7 a ) Wiener Z f V k . 1. c. 44. 48 ) H ö r m a n n 49) Volksleben 225. H ö f l e r Weihnachten 30. 50) R e i n s b e r g Böhmen 124.

47)

10. Über die Maßnahmen, die nach dem Einschieben des Brotes nötig sind, siehe

Teig

721

Backen § 5. Wenn der Brott. in den Ofen geschoben ist, muß man sich die Hände waschen, weil sonst das Brot nicht gut backt S 1 ). Das erste Backkörbchen (in dem die T.laibe „gehen") muß verdeckt hingeworfen werden und darf nicht aufgehoben werden, bis alles Brot aus dem Ofen genommen ist 8 2 ). 52 )

51)

E n g e l i e n und Bavaria 2 a, 304.

Lahn

272 Nr. 206.

11. T e i g r e s t e (teils Opfer, teils heilsam) : Das Mädchen, das fleißig die Wulgern rührt, d. h. die T.reste zusammenkratzt und zu Nudeln walgert, wälzt und knetet, hat einen treuen Schatz; daher die mütterliche Mahnung: Mädel, rührt fleißig die Wulgern um, daß der Schatz an euch denkt 5 3 ). Den sogenannten Scherrlaib soll man solange aufheben, bis man von der nächsten Bachet wieder einen solchen h a t 5 4 ) . Dieser Scherrlaib heißt in Böhmen Klatschlaibl oder Goteisch 5 5 ). Beim Brotbacken gehört der T.rest den Armen; der daraus gebackene Laib heißt Lieb-Seelen-Mutscheli 56 ). ,,Das Brot, welches zuletzt in den Ofen geschoben wird, zeichnen sie und nennen es den Wirt; solange der Wirt im Hause ist, mangle es nicht an Brot, werde es vor der Zeit angeschnitten, folge Teuerung" S7 ). In Tirol backt man aus den Resten den Gott 5 8 ). Von besonderer K r a f t ist der letzte T. aus der letzten Gabe, in der die ganze Wachstumskraft gewissermaßen konzentriert erhalten ist. Für mehrere der Julbrote in Schweden haben wir das ausdrückliche Zeugnis, daß sie aus dem letzten, beim Weihnachtsbacken zusammen gescharrten T. geformt sind; man bewahrt sie bis zum Frühjahr auf und gibt sie den Pflügern und Pflugtieren 59) (vgl. Gebildbrote). In Mecklenburg macht man v o m „Utschrapel" des Neujahrsbrott.es ein Brot, das gibt man dem Vieh als heilkräftig 6 0 ). Wenn aber in Steiermark ein Kind von einem Schabkuchen ißt (Kuchen aus den T.resten, vgl. K u chen), bekommt es die Brotrhachitis 61 ). In Ungarn macht man aus den T.resten eine menschenähnliche Gestalt und opfert sie den schönen Frauen 62). 53 )

Drechsler

1. c. 1, 227.

54 )

Birlinger

722

Volksth. 1, 494 Nr. 14; vgl. S c h r a m e k Böhmerwald 254. 55 ) J o h n Westböhmen 246. 5 6 ) L ü t o l f Sagen 555 Nr. 566. 67 ) G r i m m Mythol. 3, 469 Nr. 946. 5S ) Z i n g e r l e Tirol 36, 293. 59 ) R e u t e r s k i ö l d Speisesakramente u6ff. mit Lit.; NdZfVk. 1926, 14 ff. 60) B a r t s c h 1. c. 2, 241 Nr. 1253c. 6 l ) ZfVk. 4, 52. 62 ) 1. c. 311; H ö f l e r Weihnachten 56.

12. T e i g o p f e r : Wenn man zu Spalt in der Oberpfalz Brot backt, wirft man hinter sich eine Handvoll Mehl in den Backofen für die Armen, in Hambach ein Stückchen des angemachten T.es 6 3 ). Die Masuren bereiteten noch in jüngster Zeit zu Neujahr Puppen aus T . ; diese T.puppen bewahrte man längere Zeit auf, damit die Dämonen an ihnen Gefallen finden und sie mitnehmen möchten; dafür verschonten dann die Dämonen als Gegengabe die Menschen vor Krankheit und Zauber (do, ut des als Ersatzopfer) 63a ). Bei den Mongolen bekommt der Tote neun aus T. geformte Menschenköpfe 64 ). Die primitiven Völker formen T.puppen bei Opfern zur Abwehr von Trockenheit oder als Ersatz für Menschen 6S ). Nach Paulus bei Festus gab es ein „comptum genus libaminis, quod ex consparsa farina faciebant" 66). 63 ) S c h ö n w e r t h l . c. 1. 285. 286 Nr.5; R o c h h o l z Glaube 1, 323. 63a ) T o e p p e n Masuren 67. 64 ) A R w . 5, 67. 65 ) F r a z e r 5, 2, 101. 66 ) F e s t u s 40; Thesaurus linguae lat. 6, 1, 281 ff.

13. T. a l s F r u c h t b a r k e i t s s y m b o l . Wie der Primitive zwischen der Vegetation und dem T. einen sympathetischen Zusammenhang voraussetzt, zeigt der Vorwurf der Abessinier gegen die Harris'sche Expedition, daß die Reisenden durch Rösten des von der königlichen Tafel halbgebacken gelieferten Teiges Hungersnot über das Land bringen. Nachdem früher in Alpach die Hausfrau den T. zum Weihnachtszelten geknetet hatte, mußte sie mit den t.igen Armen die Obstbäume umfassen gehen, damit sie im folgenden Jahre reiche Früchte trügen 67 ). Sobald in Mähren die Hausfrau den T . zum Weihnachtsbrot angemacht hat, geht sie in den Garten, streichelt mit den Händen den Baum und spricht: Bäumchen bringe recht viele Früchte 6 8 ). Die bulgarischen Bäuerinnen backen am 1. II. einen Festkuchen; wenn sie den T. bereitet haben,

7 23

Teig

berühren sie mit den T.händen die Muttertiere, damit sie leicht gebären 68a ) (vgl. A. 46 a). Nach Zimmermann knüpft man, um die Fruchtbarkeit der Bäume zu heben, die Strohseiler mit teigigen Armen an die Bäume 69). Unter den Trog, in dem man den T. zum Weihnachtsbrot knetet, aus dem die Hausfrau die teigbeschmierten Hände zieht, um die Frühlingsbäume zu umfassen, wird das Stroh gelegt, damit an demselben die T.reste haften bleiben 70). Auch im Jura streicht man die T.hände an den Bäumen ab 7 1 ). Über die simulacra de comparsa farina und die T.götter in Mexiko 72 ), siehe Gebildbrote, über T.knochen siehe Knaufgebäcke. Bei dem symbolischen Fruchtbarkeitsopfer in Mexiko ist das Messer aus Brott. 73 ). Wenn Fischer meint, „das Wort T.affe mag von einem Gebäck in Menschenform herkommen, wofür das Wort gebraucht wurde" 74 ), so ist zu bedenken, daß das Wort auch als Spitzname in Leipzig für Bäcker gebraucht wurde 75). 97 ) ZfdMyth. 3 , 3 3 4 ; Z i n g e r l e Tirol 190 Nr. 1 5 7 1 ; R e i n s b e r g Jahr 3 9 3 ; J a h n Opfergebräuche 2i2ff.; H ö r m a n n Volksleben 2 2 5 . 68 ) G r o h m a n n 1. c. 87; Globus 72, 3 7 5 ; 88a H ö f l e r Weihnachten IT, W . 78. 4 3 1 . ) 6> S t r a u ß Bulgaren 334. ) Bre vinus-Nori70 cus-Fago-Vilanus 107s. ) ZföVk. 1 9 1 2 , 71 49; vgl. 1 9 1 3 , 3 5 ; W . 27. ) S e b i l l o t 3, 378. 7 2 ) R e u t e r s k i ö l d Speisesakramente gyfi. 102. 1 2 4 ; W i d l a k Synode von Liftinae 33. 71 AfAnthrop. N F . 1, 1 4 5 . ) Fischer SchwäbWb. 2, 1 3 2 S . ; C o h n Tiernamen 1 2 . 75 ) G r i m m DWb. 1 1 , 2 3 7 . vgl. Obd. Z f V k . 6, 163 ff.

14. T. als A p o t r o p a i o n : Der T. als Fruchtbarkeits- und Kraft vermittler wirkt, wie das Brot selbst, apotropäisch: Der Restlaib des T.es vom Neujahrsbrot hat in Mecklenburg diese Kraft 7 6 ). Wer in Württemberg am ersten Knopfleintag den Löffel ungesehen aus dem T. zieht, und ihn am zweiten und dritten ebenso unbemerkt wieder einsteckt und auszieht, daß zuletzt T. von allen drei Tagen daran hängt, und ihn nun am Christtag mit in die Kirche nimmt, der sieht daselbst alle Hexen verkehrt stehen; er muß aber, bevor der Segen gesprochen wird, zu Hause sein; es könnte ihm sonst das Leben kosten 77). Ganz ähnlich heißt in einer Wiener Pergamenthandschrift des 14. J h . :

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Wil du, dass die Unholden zu dir chomen, so nym ain Leffel an dem Fassangtag und stoß in in gesoten Prein und behalt in also untz in die drey Metten in der Fasten und trag den Leffel in dy Metten, so wird es dir chunt, wo sew sint 78 ). Bei den syrischen Christen reibt man jedes neugeborene Kind mit einem T. ein, der mit Sesamöl vermischt ist; aus diesem T. formt man eine Art Kreuz und klebt das an die Türe des Zimmers, iii dem sich das Kind befindet gegen den bösen Blick 79). Aus dem T. des Thomasfestkuchens macht man bei den serbischen Bauern ein Kreuz an die Decke 793 ). Die „Totenmänner" der Zigeuner bestehen aus einem aus den Haaren, Nägeln usw. eines Kindes und der Asche von Kleiderresten des Toten sowie aus Baumöl gefertigten T.; dieser T., zu Staub gerieben, wird dem Vieh gegen die Hexen gegeben80). Am Georgstag bereiten die Frauen in Bulgarien mit Wasser, das unter ganz besonderen Zeremonien gehölt ist, einen Teig; das Brot davon wird vom Popen geweiht und mit Weihrauch beräuchert; jede Frau bricht sich einen Bissen für die Ziegen ab, damit sie Milch geben80a). 78 ) B a r t s c h I.e. 241 Nr. 1 2 5 3 c . 7 7 ) G r i m m Mythol. 2. 903; ZfVölkerpsychologie 18, 284. 7S ) G r i m m 1. c. ™) S e l i g m a n n 2, 3 3 5 . 78a ) S c h n e e w e i s Weihnacht 1 3 . 8 0 ) W l i s l o c k i Zigeuner 102 ff. 8 0 a ) A r n a u d o f f 1. c. 45.

15. T. im Z a u b e r : Der Henker Diepolt Hartmann gibt in einem Verhör (14. 2. 1494) über seine Erfahrungen mit Hexen an: Item sie nemen die crucifix in den wegen und verpfrennen es zu pulfer und des unschuldig kindlins beyn auch zu pulvermele am Gründornstag genialen und wasser, daraus machen sie eynen deigk und lassen eyn messe darüber lesen uff eyn Gründornstag, domit bezaubern sie die mentzschen 81 ). Der T. zum Lamplbrot 82 ), das die Wildschützen kugelfest macht, muß mit dem Blute eines während der Mette geschlachteten Lammes angemacht werden von Mehl, das während der Christmette gemahlen ist; ähnlich der Zauberkuchen83) in Böhmen zum selben Zweck. Um sich gefroren zumachen, schrieb man 1646 auf einen Zettel aus Jungfernpergament die Buchstaben J .

7 25 N. R-1-; diesen überzog man mit Weizenmehlt., formte daraus drei Kügelchen, über die an Weihnachten drei Messen gelesen wurden; die Kugeln verschluckte man morgens unter Zauberworten M ). Garcilaso de la Vega berichtet von den Inkas, daß am vierten Jahresfest der Sonne ein T. mit Kinderblut bereitet wurde, mit dem sich die Gläubigen nach Fasten und einer Reinigungszeremonie einrieben, um sich von allen Krankheiten zu befreien 86). Nach einem Leidener Papyrus muß sich der Zauberer den Stundengöttern empfehlen, indem er drei Götterfiguren aus Semmelt. formt und sie unter Hersagen von Formeln verzehrt 86 ). 81) Soldan-Heppe 1, 232; H a n s e n 90, 82) 7 ; G r i m m 1. c. 902ff. Zingerle Tirol 75 Nr. 6 2 7 ; A l p e n b u r g Tirol 358; Z f d M y t h . 3, 83) 343. Grohmann 1. c. 207 N r . 1439. S c h w e i z l d . 4, 6 6 1 ; H ö f l e r Weihnachten 50. 85) H . J. B o n t e Francisco Pizarro (= Alte Reisen und Abenteuer 14) L . 1925, 74 ff. 8 e ) M s c h l e s V k . 2 2 (1920), 4.

16. T. i m L i e b e s z a u b e r : Frater Rudolphus wettert gegen die T.bilder im Liebeszauber: Andere, welche sich dieser Teufelskunst für kundiger erachten, machen sich Bilder in der Gestalt der Männer bald aus Wachs bald aus T. bald aus anderen Stoffen, und tun sie teils ins Feuer, teils in einen Ameisenhaufen, damit ihr Liebhaber gepeinigt werde 87). Die Südslavinnen mischen Menstrualblut und Honig in den T. und geben diesen den Männern, die sie toll machen wollen 88). Wenn in Samland eine Frau einen Liebesfladen backen will, soll sie neunmal vom T. zurücklegen 89). Die Weiber kneten im Frühmittelalter und heute noch bei den Südslaven den T. für das Liebeszauberbrot super nates discoopertas 87) MschlesVk. 17, 35 Nr. 3 7 ; v g l . H e s s B l . 1906, 160; v g l . G r i m m 1. c. 2, 913. 88 ) A n 89) t h r o p o p h y t e i a 7, 282ff. G r i m m 1. c. 2, 922ff. 9«) S c h m i t z Bußbücher 1, 459 C. 8 1 ; 2, 447 c. 1 7 3 ; W a s s e r s c h i e b e n 661 c. 1 6 1 ; G r i m m 1. c. 3, 409 f f . ; A n t h r o p o p h y t e i a 5, 245 Nr. 30; zur g a n z e n F r a g e : A R w . 25, 332 ff.

A u g u r i e n m i t T.: 17. a) A u s dem Aufgehen des T . e s : Da die Hexen besonders das Aufgehen des Teiges stören 91 ), so ist dieser neben dem Backen wichtigste Vorgang

Teig

726

sehr beobachtet. Wenn in Estland der T. nicht aufgeht, läßt man ein Schwein aus dem Backtrog fressen 92). In Schlesien geht der T. nicht auf, wenn die Hefe vorher auf dem Tisch lag 93). Auf die Vorstellung, daß die Hexen den T. beeinflussen oder sonst Schaden üben, führt Staub die Redensart zurück: Er weiß, wo die Katze in den T. langt 9 4 ) (vgl. § 3). Im Vogtland stirbt der Hausvater im nächsten Jahr, wenn der T. zum Weihnachtstollen nicht geht 9 5 ). Besonders in Oberbayern bedeutet das Nichtaufgehen des Zeltent.es (vgl. Lebzelten) für die Bäuerin den Tod eines Familienmitgliedes für das folgende Jahr 96 ). Daß dieser Aberglaube alt ist, beweisen zwei Zeugnisse: Burchard von Worms berichtet über die Augurien in der Neujahrsnacht: Oder wenn du in der erwähnten Nacht Brot in deinem Namen backen ließest: daß du, wenn es gut aufging und kernig und hoch wurde, daraus Glück für dein Leben in diesem Jahre weissagtest 97 ). Granau (Dominikanermönch aus Tolsemit) berichtet fast das Gleiche in seiner preußischen Chronik vom Aufgehen des Gebäckes 98 ): So ein person jemant lieb hatte und der anderstwo war, so nam die person ein T. und machte ein Kiechlein und legte es in die Kachel, gieng es hoch auf, so war es ein Zeichen und er fröhlich war und es im wol ging: gieng es aber nit auf, so glaubten sie und stunde nit wol umb in oder were todt. Die Ägypter sagten aus dem Verhalten des T.es das Steigen oder Fallen des Niles voraus " ) . 91) S t a u b Brot 21 f f . ; S e b i l l o t 3, 99; F o 92) g e l Pennsylvania 138 N r . 632. Selig93) P e t e r m a n n Blick 1, 289. ÖsterreichischSchlesien 248; Z f V ö l k e r p s y c h o l o g i e 18, 266. 94) F i s c h e r SchwäbWb. 2, 1 3 2 ; S t a u b 1. c. 2 1 . 95) H ö f l e r Weihnachten 46; K ö h l e r Voigt96) land 362; W . 273. Leoprechting Lechrain 210 f f . ; H ö f l e r Weihnachten 28; W . 300; G l o b u s 4, 1 0 5 ; B a v a r i a 1, 387; J a h n 1. c. 280; M o n t a n u s 1 8 ; K n o o p Hinterpommern 97) 178. S c h m i t z Bußbücher 2, 423 c. 62; W a s s e r s c h i e b e n 663 ff. c. 5 3 a ; A R w . 20, 363; 25, 332; R a d e r m a c h e r Beiträge 104; H ö f l e r Ostern 3 1 ; Z f ö V k . 1905, 2 3 5 ; zu d e m A u s d r u c k „ i n deinem N a m e n " : A R w . 20, 4 1 8 ; M s c h l e s V k . 98) 1 6 (1914), 1 7 9 f f . ; Z f V k . 24, 262. Simon G r u n a u s preußische Chronik herausg. v o n M.

72 7 P e r l e b a c h i (L. 1875), 694. »») 3 1 ; Z f ö V k . 1905, 235.

Teig YLöilexOstern

18. b) Andere Auguria: Klebt in der Weihnachtswoche der Magd beim Broteinschießen der T. an, so glaubt sie, im kommenden Jahr ein Kind zu bekommen 10°). Wenn im Holsteinischen ein Mädchen den T. nicht leicht von den Händen lösen kann, gilt sie als geizig 101). Wenn man beim Auswergeln des T.es Löcher in den T. macht, muß man mit dem Heiraten solange warten, als Löcher darin sind 101a ). Nach Zimmermann machte man in der Christ- oder Thomasnacht aus T. eine Leiter und trocknete sie auf einem Brett; diese Leiter stellten die Mädchen an das Bett, damit sie den Liebsten im Traume daran hinaufsteigen sehen 102). In Torna in Ungarn holt sich das Mädchen während der Mitternachtsmesse geweihtes Wasser aus der Kirche und macht daraus einen T. ; ihr Zukünftiger erscheint dann im Traume und fordert sie auf, den T. zu kneten 103). In Ostpreußen steigt man mit einer Mulde, in der der Neujahrst. geknetet ist, auf dem Kopf rücklings auf einer Leiter auf das Dach und sieht von oben durch den Schornstein; da sieht man alle, die in dem Jahre sterben werden 104). Ein Augurium mit T.kugeln haben wir in Österreich 105). Träumen von T. zeigt den Tod an 106). 10 °) R e i t e r e r Ennstalerisch 100. 1 0 1 ) M e n s i n g Wb. 1, 530. 1 0 1 a ) Alemannia 1905, 302. 102) B r e v i n u s - N o r i c u s 103 ) 184. Z f V k . 4, 316. 1 0 4 ) T o p p e n Masuren 67; W . 358. 1 0 5 ) Z f ö V k . 1897, 372 Nr. 437. 106 ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 203.

T. im Heilzauber und Übertragungszauber : 19. a) S y m p a t h i e z a u b e r : Man macht aus dem Urin des Fieberkranken und Roggenmehl einen T. und formt daraus eine Kugel; in diese Kugel sticht man Löcher mit einer Stecknadel, legt sie in einen Ameisenhaufen und betet drei Vaterunser 107 ). Nachts 12 Uhr macht man aus T. kleine Kügelchen; am ersten Tag gibt man davon den Hühnern, am zweiten wirft man sie ins Feuer, am dritten in einen Bach, wobei niemand zusehen darf 108 ). In Syrien reibt man den Fiebernden mit T. ein; aus dem T. formt

728

man ein Lämpchen und stellt es an einen Kreuzweg 109 ). Nach einer alten Handschrift verbindet man noch mit der Übertragungskur eine Diagnose: Dar nach mach ein teigk und bint yn ym umb sein fuß, laß im die nacht ligen troben, den morgen thu in ap und wirf yn eim hond vor: ist in der hond, so genest der krangk, ist ern niet, so stirbet der krangk 1 1 0 ). Gegen Warzen: Wenn gebacken wird, legt man auf jede Warze ein Stücklein T.; ist der Backofen in Glut, dann löst man die getrockneten Stückchen ab und wirft sie rücklings ins Feuer; dann muß man soweit laufen als man den Ofen nicht mehr hört und an einem Ort, wo einem niemand sieht, soviel Vaterunser beten, als man Warzen h a t l u ) ; öder man wischt die T.reste mit dem Spüllumpen in der Knödelschüssel zusammen, bestreicht damit die Warzen und begräbt alles unter der Dachtraufe; wenn es verfault ist, vergehen die Warzen 112 ). Bei Abzehrung der Kinder kennt man in Deutschland das Darrabbacken (vgl. abhacken): man knetet drei Donnerstage hintereinander bei abnehmendem Mond nach Sonnenuntergang einen T.; daraus backt man unter bestimmten Zeremonien und Zauberformeln drei Brötchen, die man in fließendes Wasser wirft 1 1 3 ). Kinder, die nicht laufen lernen, läßt man über gehenden T. schreiten 1 U ). Wenn ein Kind lange nicht stehen lernen will, soll man beim Kneten des T.es ein Stück im Backtrog liegen lassen, das Kind mit den Füßen darauf stellen, hernach aus dem T. ein Brot backen und das Brot der ersten Bettlerin geben, die einem begegnet 115 ). In Hohenstein führt man Donnerstag nach dem Abendrot bei abnehmendem Licht, ebenso am Sonnabend und am nächsten Donnerstag folgende Zeremonie aus: Man macht einen T.fladen und stellt das kranke Kind darauf zuerst mit beiden Füßen, dann nur mit den rechten, daß die Spuren sich abdrücken; aus dem T. werden drei Fladen gebacken; diese werden in Wasser zerkrümmelt und das Kind darin gebadet 1 1 8 ). Bei den Slowaken macht man einen T. aus Mehl von neun Häusern, in denen ein

729

Telepath«

-Tephramantie

730

Kind ist, das den gleichen Namen hat das kranke; aus dem T . wird ein T.kranz gemacht, dieser in Wasser gekocht, das K i n d durch den K r a n z gezogen und in demT.wasser gebadet; d e n T . k r a n z w i r f t man auf einen Kreuzweg 1 1 7 ). In R u ß land werden die rhachitischen Kinder in T. eingewickelt und in den Ofen in einem Körbchen geschoben; nach dieser Prozedur wird der T . abgebrochen und das Kind mit Weihwasser besprengt 1 1 8 ). Bei den Tschechen wird das kranke K i n d in T . eingegohren, d. h. völlig in T . eingewickelt; aus dem T . wird B r o t gebacken; drei heiße, nur angebackene Laibe gab man dem K i n d ins B e t t 1 1 9 ) . Die schwarzen Pocken hinterlassen keine Narben, wenn man während der Krankheit den Brott. beim Aufnehmen immer glatt streicht 1 2 0 ). Der Topf, in dem das Regenwurmöl fabriziert wird, wird in B r o t t . gebacken m ) .

nicht in den T . greifen, sonst reißen dem K i n d die Hände a u f 1 2 4 ) . „ W e n n das W e i b backt, m u ß sie zuerst ain Stük v o m T . wegreißen und ins Feuer werfen; geht das K i n d von ihr, so ist die Unterlassung s c h u l d " 1 2 8 ) (Opfer?). Wenn nach der Rockenphilosophie eine Magd Brot teigt und einem Burschen ins Gesicht greift, bekommt er einen B a r t 1 2 6 ) . In Vintlers Blume der Tugent wird gerügt: Vil wellen den taig talgen an der hailigen sampztag-nacht 1 2 7 ). In Böhmen darf man im Backtrog, den man gegen den Wind verwendet hat, am Karfreitag keinen Brott. machen, sonst verliert er die K r a f t 1 2 8 ) (vgl. Backen § 8 Backtage).

b) Sonstiger Heilzauber und V o l k s medizin: Gegen Seitenstechen gießt man in Ungarn von den vier Ecken kreuzweise in den B a c k t r o g Wasser, rührt mit dem Finger einen T . an und legt diesen unter einem Zaubergebet auf die Stelle 122 ). Wenn der T . für die Weihnachtskringel bereitet wird (vor Sonnenaufgang), sticht man mit dem Wollkrämpel oder mit einer gewöhnlichen Bürste in den aufgehenden T., damit man kein Seitenstechen bekommt. Darauf formt man aus einem Stück T . einen Kringel und legt ihn zum Trocknen w e g ; diesen T . gibt man den Kranken oder benutzt ihn zum Räuchern der K r a n k e n 1 2 2 a ) . In Serbien mischt man das B l u t des mit besonderen Zeremonien geschlachteten Weihnachtsschweines mit Kleie zu einem T . und gibt den dem Vieh, damit es sich gut vermehre; dem Geflügel, damit es gesund bleibe; den ersten Tropfen Blut mischen die Frauen ins Mehl als Heilmittel gegen die Ruhr 122b ). Bei Bauchgeschwülsten macht man aus Mehl, Kampfergeist und Weinessig einen T . und legt ihn mit Ingwer bestreut und mit Spiritus bespritzt auf den Leib 123 ).

W. 600. 1 1 6 ) B r e v i n u s - N o r i c u s 116) 260. Hovorka-Kronfeld 2, 662. 1 1 7 ) 1. c. 6 6 1 . 1 1 8 ) 1. c. 696. «») 1. c. 695. 120) F r i s c h b i e r 1 2 1 I.e. 80. ) Hovorka-

wie

T a b u s mit T . und Sonstiges: Nach der Rockenphilosphie soll eine Wöchnerin

107) P o l l i n g e r Landshut 288. 1 0 8 ) D e r s . I.e. 1 0 9 ) S t e r n Türkei 1, 246. 1 1 0 ) S c h ö n b a c h Berthold von Regensburg 137; vgl. ZfdA.

27, 310; Germania 32, 458. 1. c. 290. " 2 ) Ders. 1. c. bier

2 . 6 55-

Hexenspruch

43;

ul

) Pollinger Frisch-

113)

Hovorka-Kronfeld

114)

K r o n f e l d 2, 689.

122)

Wlislocki

Magyaren

143. 1 2 2 a ) A r n a u d o f f 1. c. 1 ff. 1 2 2 b ) Wiener ZfVk. Suppl. 15, 36. 1 2 3 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 136. 1 2 4 ) G r i m m 1. c. 3, 449 Nr. 460.

125)

B i r l i n g e r Schwaben 1, 390 ff.

126)

G r i m m I. c. 3, 444 Nr. 303. 127 ) Z i n g e r l e Tirol 289 Vers 7914. 1 2 8 ) G r o h m a n n 1. c. 3, 14; vgl. Bavaria 3, 300; ZfVölkerpsychol. 18, 24. Eckstein. Telepathie s. 8, 295 ff. Teil s. Nachtrag. Temper (F.) Abkürzung von Q u a t e m b e r (d. i. quatuor temporum sc. jejunium, das Fasten der 4 Zeiten), im Tirol als Bezeichnung der wilden Jagd 1 ). Hierher wohl auch die Form S e m p e r 2 ) 11. Z e m p a , Z e m b a , Z e m p e r a , in Westböhmen ein bösartiger Dämon, der in Dezembernächten umzieht und dem man Speiseopfer bringt. In der KarlsbadDuppauer Gegend zieht er mit dem „Schnappesel", einer Schreckgestalt u m 3 ). ZfdMyth. 1, 292; 2, 181; Z i n g e r l e Sagen S. 11 Nr. 17. 2 ) B i l f i n g e r Zeitrechnung 2, 104. 3) J o h n Westböhmen 18. 52.

f Hoffmann-Kray er. Tephramantie, Aschenwahrsagung 1 ) (xe»pa „ A s c h e " ) , nach antikem Muster

73i

Tephramantie

geprägte Bezeichnung, vielleicht erfunden von C a r d a n , bei dem sie jedenfalls zum ersten Male auftritt 2 ). Neben der T. nennt D e l r i o die Spodonomantie (s. d.), ohne wesentliche Unterschiede der Praxis beizubringen; eine dritte gelehrte Benennung für die Aschenwahrsagung ist Koniomantie 3 ). Soweit die Gewährsmänner die T. bereits für das Altertum in Anspruch nehmen, können sie sich nur auf wenige, z. T. unsichere Zeugnisse berufen, aus denen hervorgeht, daß die Griechen in der Tat unter anderen Erscheinungen des Opferfeuers auch die Asche mantisch beobachteten 4). Dagegen findet die in den Divinationsschriften mehr oder weniger eingehend geschilderte Ausführung der T. in den antiken Quellen keinerlei Stütze. So liegt die Vermutung nahe, daß die gelehrte Bezeichnung für nichtantike volkstümliche Gebräuche geprägt wurde, ähnlich wie bei der Phyllomantie (s. d.) und der Sykomantie (s. d.), deren Praxis auch sonst mit der der T. eng verwandt ist. In der Tat bezeichnet D e l r i o als Reste der antiken Aschenwahrsagung die sogleich zu beschreibende, in der Divinationsliteratur allgemein überlieferte Ausführung der T. und außerdem eine auch sonst belegte Form, die zu seiner Zeit und, wie man annehmen darf, in seiner Heimat geübt wurden. Delrio wurde 1551 in Antwerpen geboren und verbrachte einen großen Teil seines Lebens in den Niederlanden. Die erste, am weitesten verbreitete und bereits durch C a r d a n vertretene Beschreibung besagt, daß man den Namen des Befragenden und des fraglichen Gegenstandes in die Asche schrieb und diese dem Luftzug aussetzte. Aus den nicht verwehten Buchstaben kombinierte man die Wahrsagung; P i c t o r i u s läßt die Handlung von Beschwörungsformeln begleitet werden. Wie bei den meisten Wahrsagungsformen wird es sich oft um die Aufklärung von Diebstählen gehandelt haben 6 ); das gleichfalls vielfach vertretene Heiratsorakel findet sich in der zweiten von D e l r i o geschilderten Methode 6). Wegen äußerlicher Ähnlichkeiten in der Ausführung wird die T. ge-

732

legentlich mit der Geomantie (s. d.) verglichen, auch zu den Losbräuchen (s. Los) gerechnet 7 ). Als Ergänzung zu den Zeugnissen über Aschenorakel oben 1,616 seien noch einige Belege aus neuerem Aberglauben mitgeteilt, obwohl sie nicht unter der Bezeichnung T. überliefert sind. Bei den Esten beobachtete man, was für Fußspuren, menschliche oder tierische, sich in der Asche des verbrannten Leichenstrohs zeigten, und schloß daraus auf den nächsten Todesfall; in der Neujahrsnacht strich man die Herdasche glatt und maß am Morgen die darin sich etwa zeigenden Fußspuren. Wem sie zugehörten, der mußte in dem neuen Jahr sterben. Hörte man in der Neujahrsnacht ein Geräusch, so sagten die Leute, ,,der alte Aschentreter hat gepoltert" 8). Um Spuren in der Asche handelt es sich auch in dem englischen Brauch am Brigittenabend 9). Aschenhäufchen anstatt Salzhäufchen (s. d.) werden in dem bekannten Weihnachtsorakel nach einem Bericht v. Jahre 1732 im Magdeburgischen verwendet 10). Nach nordamerikanischem Aberglauben soll man das umgekehrte Hemd mit Asche bestreuen und unter das Bett legen; der Zukünftige schreibt dann seinen Namen in die Asche 1 1 ). Flugasche gilt im Wiener Aberglauben als Todesvorzeichen 12 ). 1 ) „Aschen-Deuteley" übersetzt F i s c h a r t in seiner Bearbeitung von B o d i n s Dämonomanie (Hamburg 1698) 87. Entstellte Formen sind Tephromantie bei F a b r i c i u s Bibliographia antiquaria3 ( H a m b u r g 1760) 612 u n d Tephranomantie bei B o i s s a r d u s De divinatione (Oppenheim 1615) 19 u n d dem von ihm abhängigen D e l ' A n c r e L'incrédulité (Paris 2 1622) 288. ) Cardanus De sapientia

c a p . 4, Opera

1 ( L e i d e n 1663), 566 a .

Von ihm

sind mehrere der späteren Zeugen abhängig, so Pictorius

De speciebus

De

divinandi

magiae

Varia

(1559).

67, abgedruckt auch in A g r i p p a Opera E d . Bering 1, 486, dt. Ausg. 4, 177; B u l e n g e r u s ratione

3, 23, Opuscula

(Leiden

1621) 215. Vgl. ferner R a b e l a i s Gargantua 3, 25, dt. Ausg. v. Gelbcke 1, 399, m i t scherzh a f t e r Deutung, dazu G e r h a r d t Franz. Novelle 110; B o d i n Démonomanie 1, 6 (Lyon 1598) 37> Delrio

Disquisitiones

Lexicon

theologicum

magicae

lib.

4, c a p .

2,

qu. 7, s. 1 (Mainz 1603) 2. 175 = L o n g i n u s Trinum magicum (Offenbach 1611) 99; A i s t e d (1612) 383.

Die

Beschrei-

Teratoskopie—Teuerung

733

b u n g bei F r e u d e n b e r g Wahrsagekunst 137 ist Ü b e r s e t z u n g a u s P i c t o r i u s . 3 ) E r f u n d e n v e r m u t l i c h v o n P f u e l Electa physica (Berlin 1665) 148- 4 ) s- S p o d o n o m a n t i e A n m . 5 u n d 6. fil M. P r a e t o r i u s Preußische Schaubühne (1703) B . 4' K a p . 6 § 10 bei W . M a n n h a r d t Letto-Preußische Götterlehre ( R i g a 1 9 3 6 ) 537 b e r i c h t e t , d a ß m a n d i e Asche eines d u r c h B l i t z schlag v e r b r a n n t e n M e n s c h e n u . a . zu s o l c h e m Zweck v e r w e n d e t e . I n einer V e r o r d n u n g des Oberkonsistoriums f ü r L i v l a n d v . J . 1 6 7 7 bei M a n n h a r d t a . a . O. 503 w i r d d i e A u f m e r k s a m k e i t der P r e d i g e r auf die o r a c u l a i n d e r Asche g e l e n k t . ®) E i n z e l h e i t e n d e r P r a x i s s. S p o d o n o m a n t i e a m S c h l u ß . Z u d e n d o r t beig e b r a c h t e n E n t s p r e c h u n g e n ist n o c h h i n z u z u f ü g e n J . A u b r e y Remaines of gentilisme (1686) ed. B r i t t e n ( L o n d o n 1881) 24 ( S ü d e n g l a n d ) . A n h o r n Magiologia ( Ä u g s t 1 6 7 5 ) 136 n e n n t unter den Dingen, m i t denen m a n in der Matt h i a s - o d e r A n d r e a s n a c h t die z u k ü n f t i g e H e i r a t zu e r f a h r e n s u c h t , a u c h d a s „ A s c h e n " . ' ) B o d i n und A u b r e y a.a.O.; D e l r i o und Ais t e d a . a . O. 8 ) B o e d e r Ehsten 67. 73. 75. I n St. M a r t i n a. d. M u r ü b t e n d i e K r o a t i n n e n i n der Christnacht einen ähnlichen Brauch. Die Albaner schließen e b e n f a l l s in d e r Christnacht a u s der Asche auf d i e F r u c h t b a r k e i t des n ä c h sten J a h r e s : S c h n e e w e i s Weihnachtsbräuche der Serbokroaten ( W i e n 1 9 2 5 ) 134. 1 7 5 ; Grundriß des Volksglaubens der Serbokr. ( B e r l i n 1 9 3 5 ) 166. 9 ) Z f V k . 15, 3 1 3 : S a r t o r i Sitte und Brauch 10 3, 85. ) Z f V k . 9, 17. u ) K n o r t z Amerikan. 12 Aberglaube (Leipzig 1 9 1 3 ) 156. ) WZfVk. 33, 7. Boehm.

Teratoskopie, Beobachtung und Deutung von Wunderzeichen (répara), „ist eine wunderäffische, vermessene Kunst, welche die Wunder, so fürgehen, beschauet und erweget und gar eigentlich derselbigen Ursachen, Wirkungen und Deutungen nachforschet" 1 ). Die aus dem Altertum stammende Bezeichnung 2) tritt in den späteren Divinationslisten nur vereinzelt auf 3 ). l ) B o d i n Démonomanie 1, 7 ( L y o n 1598) 103 in der B e a r b e i t u n g v o n F i s c h a r t ( H a m b u r g 1698) 93. 2 ) N e b e n xEpotTooxoma u n d xepatoOxdüo; finden sich a u c h die v e r e i n f a c h t e n F o r m e n 3 Tepotaxoraa u n d TepaoxÔTTo;. ) De l'Ancre L'incrédulité ( P a r i s 1622) 288 f., w o die a n t i k heidnische T . a u s d r ü c k l i c h v o n d e n W a r n u n g e n Gottes durch Wunderzeichen unterschieden w i r d ; ( B o u h o u r s ) Remarques ou Reflexions ( A m s t e r d a m 1692) 17 f ü h r t n e b e n d e r T . n o c h eine Wahrsagungsmethode ,,Peratomantie" (s. d . ) a u f , welche B e z e i c h n u n g lediglich auf einem D r u c k - o d e r Lesefehler des V e r f a s s e r s b e r u h e n d ü r f t e ; F a b r i c i u s Bibliographia antiquaria3 ( H a m b u r g 1760) 612. Boehm.

Terpentin

findet

in

der Volksheil-

734

künde mannigfache Verwendung. In Risse in der Handfläche streicht man den aus Tannenpfählen quellenden, dickflüssigen T.saft. Bei noch nicht ausgebrochenem Krebs trägt man auf die kranken Stellen ein T. enthaltendes Heilmittel auf *). Im Thurgau verwendet man ein aus T.öl hergestelltes Pflaster bei Rückenschmerzen2). Innerlich wurde T.öl gegen Wassersucht empfohlen, äußerlich in der Volksmedizin bei Gliederschwellungen, Wunden, Frostgeschwüren usw. verwendet 3 ). — In Oldenburg bedeutet T.geruch einen Todesfall; wer solchen Geruch verspürt, riecht seinen eigenen Sarg*). 2 Z f r w V k . 1 (1904), 99 u . 201. ) Höhn 3 Volksheilkunde 1, 1 5 3 ; S A V k . 3, 1 5 1 . ) Hov o r k a - K r o n f e l d 2, 7 5 ; F o s s e l Volksmedizin 123. 147. 156. 1 6 1 ; M o s t Enzyklopädie 491 f . ; 4 F l ü g e l Volksmedizin 73. ) Strackerjan 2, 236 N r . 497 u . 1, 34 = W u t t k e 221 § 3 1 4 . f Olbrich.

Testament, Altes u. Neues s. Bibel. Teuerling s. Pilze. Teuerung. In Zeiten der T. treffen wir die typischen S p e i s u n g s w u n d e r s a g e n (vgl. Speise): Als 1590 bei Freiburg eine Teuerung herrschte, fand ein Hirtenmädchen eine Art Wundermehl, aus dem man Brot bereiten k o n n t e G e l e g e n t l i c h einer Hungersnot bei Oderwitz spendete eine Himmelserscheinung einer armen Frau Mehl 2 ). Die Speisungswundersagen bei Caesarius von Heisterbach 3 ) (vgl. Brot § 5) sind eine typische Variation der Speisung der 5000, die sich in vielen Heiligenviten findet, so z. B. auch in der Vita des Aldhelmus, wo wir von einem Semmelwunder erfahren 4). l ) M e i c h e Sagen 625, 770; v g l . 660, 8 1 8 ; v g l . K ü h n a u Sagen 3, 455, 1 8 3 5 ; d a z u W a i b e l F l a m m 2, 106; H a u p t Lausitz r, 253, 3 1 4 . Vgl. 273, 3 5 5 ; B e c h s t e i n Thüringen 280, 146; über Engel- und Wundermehl- und Brot: ZföVk. 20, 77/79. 2 ) S e p p Sagenschatz 330. 3 ) Dialogus miraculorum 4, 65; 1, 23, 4 S t r a n g e ; d a z u K l a p p e r Erzählungen 344, 4. 4 ) M G a u c t o r e s a n t i q u i s s i m i 15, 291, 3.

Wichtig für das Volk waren zu allen Zeiten die V o r a u s s a g u n g e n u n d A n z e i c h e n der T e u e r u n g : 1. Eine bis in die antike Volksvorst el-

735

Teuerung

lung zurückreichende Überlieferungsreihe weist auf die K o m e t e n e r s c h e i n u n g e n als Vorboten von T. und Hungersnot, meist als Folgeerscheinung des Krieges: Viel diskutiert ist die berühmte Stelle aus Homer 6 ): oiov S'äaxepa f t xe Kpovoo rotte aY*uXofir(teu>, ij vaurgai Tepa? r(e OTpotrm... Hier ist der Komet (nach Boll wohl richtiger der Meteor«)) das Mittel für die Gottheit, die Zukunft zu verkünden. Nach den oracula sibyllina verkündet der Komet Seuchen und T. neben Mord usw.: po|xcpat7]j Xifiou öavätoio xe Frau oder Jungfrau) 92), die nach vollendeter Wallfahrt erlöst wird 93). Die Kröte im Feuer ist die büßende Seele eines Hirten 91 ), als Rächerin erscheint die auf dem Brotlaib hokkende giftige Kröte 9 5 ). Die Krötengestalt ist Strafe für Gottlosigkeit 96 ).

825

Tiergestalt

Oft ist die Kröte die arme Seele schlechthin 97). Die Epiphanie des Fisches ist naturgemäß besonders häufig in Ufergegenden. Ein verwunschenes Burgfräulein zeigt sich in Fischgestalt 98 ). Arme Seelen leben als kleine schwarze Fische fort, die nicht gefangen werden können (Oberpfalz)"). Von Verwandlungen in Insekten seien hier angeführt Bremse < alte Jungfer 10°) und Spinne < weiße Jungfrau 101). 37) B o e s e 3«) S k l a r e k Märchen 289 Nr. 4. b e c k Verwünschung 30, 247; G r i m m Myth. 3, 3 8 ) S e b i l l o t Folk-Lore 3 9 ) op. 3i7. 3, 144. 40) B o e s e b e c k cit. 3, 142. op. cit. 22153. 41 j B o e s e b e c k « ) S e b i l l o t op. cit. 3. 5ff. 43) op. cit. 104. R a n k e Volkssagen 53. « ) Ebd. 4 5 ) T o b l e r Epiphanie 4g4. 80; B o e s e b e c k op. cit. 76. 83; Q u i t z m a n n Baiwaren I77ff. 4 6 ) T o b l e r op. cit. 89; B o e s e b e c k op. cit. 83. ") op. cit. 78. 4 8 ) S e b i l l o t op. cit. 49) T o b l e r 3, 151. op. cit. 50; B o e s e b e c k op. cit. 50. 6 0 ) S e b i l l o t op. cit. 3, 1 4 8 ! 5 1 ) op. cit. 3, 141; Q u i t z m a n n op. cit. iy7&. 6 a ) T o b ler op. cit. 49. 6 3 ) S e b i l l o t op. cit. 3, 148; B o e s e b e c k op. cit. 36. 57. 61; Q u i t z m a n n op. cit. 177fr. 5 4 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 2 6 7 ^ ; G r i m m Myth. 2, 891. 6 6 ) T o b l e r op. cit. 51. 6 6 ) S e b i l l o t op. cit. 3,151. ") T o b l e r op. cit. 46f.; G r i m m Myth. 3, 247. 6 8 ) B o e s e b e c k op. cit. 75. 78; Q u i t z m a n n op. cit. I77ff. '•) B o e s e b e c k op. cit. 34f. , 0 ) op. cit. 52. 6 1 ) op. cit. 17. M ) S c h ö n w e r t h op. cit. 1, 267Ö. 6 3 ) R a n k e Volkssagen 53. 8 4 ) Q u i t z m a n n op. cit. 1 7 7 0 . 6 6 ) K o h l r u s c h Sagen 77; B e r t s c h Weltanschauung 386. 6 e ) op. cit. 382. 6') Panzer Beitrag 1, 182. 6 8 ) S e b i l l o t op. cit. 3, 58. 6 9 ) T o b l e r op. cit. 19. 7 0 ) op. cit. 33. ? 1 ) E b d . ; B o e s e b e c k op. cit. 22. 7 2 ) op. cit. t>"]i. , 3 ) S c h ö n w e r t h op. cit. 1, 2 6 7 ! . 7 4 ) T o b l e r op. cit. 30. 7 6 ) B o e s e b e c k op. cit. 36. 7 6 ) S c h ö n w e r t h op. cit. 1, 267f.; Q u i t z m a n n op. cit. i77ff.; S 6 b i l l o t op. cit. 3, 148. 7 7 ) T o b l e r op. cit. 301. 7 S ) op. cit. 32. 7 9 ) op. cit. 31; Q u i t z m a n n op. cit. 1 7 7 s . 8 0 ) T o b l e r op. cit. 31. 31 2 ; Q u i t z m a n n op. cit. 1 7 7 0 . ; 81) B o e s e b e c k op. cit. 87. op. cit. 53. 8 2 ) S c h ö n w e r t h op. cit. 3, 117 Nr. 5. 8 3 ) T o b ler op. cit. 34. 8 4 ) B o e s e b e c k op. cit. 39. 8 5 ) W o s s i d l o Mecklenburg 2, 403. 8 6 ) T o b l e r op. cit. 80. 8 7 ) B o e s e b e c k op. cit. 34f. 8 8 ) op. cit. 39. 8 ») T o b l e r op. cit. 80. 9 0 ) B o e s e b e c k 36. 9 1 ) T o b l e r op. cit. 2 5 2 ; B o e s e b e c k op. cit. 34f. 39. » 2 ) op. cit. 68. 9 3 ) T o b l e r op. cit. 86. M) op. cit. 25. 9 5 ) Ebd. 9 6 ) B o e s e b e c k op. cit. 49. •») T o b l e r op. cit. 26. 9 8 ) op. cit. 221; Q u i t z m a n n op. cit. I77ff. " ) ARw. x4. 39o. 1 0 °) B o e s e b e c k op. cit. 39. 1 0 1 ) T o b l e r op. cit. 80.

3- S c h a t z t i e r e . Von den genannten Tiergespenstern werden einige zu Schätzen

826

in Beziehung gesetzt, als deren Wächter sie erscheinen, so z. B. von vierfüßigen Tieren Böcke (Ziegen) 102 ), Hunde 103 ), seltener Schafe 104). Sie fallen durch ihren diabolischen Charakter (feuerspeiend), durch ihre Färbung (schwarz, weiß) oder durch ihre Riesengröße auf. In Schatzsagen verkörpern zuweilen Vögel den Schatzbesitzer: z. B. Huhn (Hahn) 106 ). — Die häufigste Schatzhüterin ist die Schlange 106), was mit der Totenepiphanie dieses Tieres zusammenhängt. Die zu gewinnenden Schätze sind ursprünglich die Grabbeigaben der Toten, die in T. über ihrem Besitze wachen 107) (Fafnirtypus) 108 ). Aus der schätzehütenden Schlange hat sich mit der Zeit der Drache entwickelt 109 ). Auch die Kröte findet sich als Schatztier > weiße Jungfrau ll °). Von den Insekten sei die Hornis genannt l u ). Dem kampflustigen Charakter dieser Schatzhüter aus dem Tierreich entsprechen die Schwierigkeiten bei der Schatzhebung. Würmer, die aus der Erde hervorschießen U 2 ), Visionen von weißen Hähnen mit feuerroten Kämmen, von Heuwagen durch Hasen gezogen, stechende Hornisse, die den Schatzgräber belästigen 113 ). 1 0 2 ) B o e s e b e c k Verwünschung 91 f.; B e r t s c h W e l t a n s c h a u u n g 363. 1 0 3 ) T o b l e r £ / > t ^ A a m e 48; B o e s e b e c k op. cit. 91. g i f . 1 0 4 ) T o b l e r o p . c i t . 5 1 . 1 0 5 ) W u t t k e S. 411 § 638; T o b l e r loe) op. cit. 34f. G r i m m Mythol. 2, 817. 1 0 7 ) T o b l e r op. cit. 20; G r i m m a. a. O. 1 0 8 ) op. 1 0 9 cit. 21. ) R i e g l e r Tier 199. 1 1 0 ) T o b l e r op. cit. 26. 1 1 1 ) op. cit. 37. 1 1 2 ) B o e s e b e c k op. cit. 96. 1 1 3 ) op. cit. 97.

4. U b e r g a n g s s t u f e n z u r A n t h r o p o m o r p h i s i e r u n g . Wenn in der Welt der Geistererscheinungen neben T.en menschliche Gestalten (weiße Frauen, Zwerge, Riesen) auftreten, so ist die theriomorphe Erscheinung durchaus als das Primäre zu betrachten. Sie ist erst allmählich im Laufe der Kulturentwicklung der anthropomorphen Auffassung gewichen. Die Tierepiphanie einer Sage oder eines Märchens ist daher ein sicheres Zeichen für deren hohes Alter. Bemerkenswert sind die mannigfachen Übergangsstufen, die von der theriomorphen Apperzeption zur

827

Tiergestalt

anthropomorphen überleiten. Zunächst ist noch die T. vorherrschend, jedoch mit irgendeinem menschlichen Merkmal. So begegnet z.B. eine Schlange mit Menschenkopf 114 ). Auch die Sirenen waren menschenköpfige Vögel 1 1 6 ), und ein Vogel mit Menschenkopf ist eine ägyptische Hieroglyphe 116 ). Ein Wiedergänger geht um als Hund mit Menschenhänden statt Pfoten 117 ). Eine Pferdemahr zeigt sich als Maus mit menschlichem Antlitz 1 1 8 ). Die fortschreitende Vermenschlichung führt zu den in der Sage sehr beliebten Zwitterbildungen, von denen genannt seien das Meerweibchen (oben Mensch, unterwärts schuppiger Fischschwanz) n 9 ), der Nickelmann (oben Mensch, unten Fisch) 12°), ein Wesen vorne Kröte, hinten Jungfrau 121 ), ein Ungetüm halb Mensch, halb neunköpfige Schlange m ). Nach Überwindung dieser Mittelstufe begegnen Gestalten, die den Menschentypus nahezu erreicht haben und nur durch ein tierisches Organ an den theriomorphen Zustand erinnern. So geht in einer französischen Sage ein Schloßherr mit dem Kopfe eines Füllens um 123 ), in einer schlesischen Sage zeigt sich eine Frau mit einem Schweinskopf 124 ). Im Mittelalter glaubte man an hundsköpfige und kranichköpfige Menschen 125 ) (Herzog Ernst). Eine weiße Frau hat eine spitze Zunge und Augen wie Feuer 126 ), eine andere einen Puterschnabel 127 ), eine dritte einen Schweinsrüssel statt der Nase 128 ), ein Mädchen trägt Schlangen statt der Zöpfe 129) (vgl. die Eumeniden). Häufig ist der Mensch mit Pferdefüßen 130), ein Knäblein zeigt sich mit Klauen an Händen und Füßen 1 3 1 ), den Zwergen und weißen Frauen werden Hühner-, Gänseund Geißfüße zugeschrieben 132), wie auch die sagenhafte Sibylle einen Gansfuß hat 1 3 3 ). Nixen haben Schwimmhäute zwischen den Zehen 134). Eine stark verblaßte Erinnerung an eine theriomorphe Erscheinung ist die Frau mit gelben Pantoffeln 135). Eine ledig gebliebene Schloßjungfrau hat einen Schlangenschwanz 136). Oft sind es nur menschliche Gebärden, die die beginnende Anthropomorphisie-

828

rung andeuten. So ist z. B. in Sagen die Rede von weinenden Tieren: Katzen 1 3 7 ), Schafen 138 ), Schlangen 139 ). Ferner begegnen eine niesende Otter 140 ), eine ohrfeigende Katze 1 4 1 ), ein lachendes Lamm 1 4 2 ), sodann redende Tiere: Kaninchen 143), Pudel 144 ), Ochs146), schwarze Ziege 148), Vögel 147 ), Schlange 148). Deutlich sehen wir in einer Harzsage die allmähliche Vermenschlichung. Am ersten Tage erscheint eine Schlange, am zweiten eine Gestalt halb Schlange, halb Mensch, am dritten ein ganzer Mensch 149). Nicht selten stehen auf dem Wege zur Anthropomorphisierung Mensch und Tier nebeneinander. So finden wir Jungfrau mit Schlange 150), mit Kröte 151 ), mit Vöglein 162), mit Kätzlein 163 ), mit Zicklein 164), mit Eber 1 5 5 ), weiße Frau mit Hund 156), Elbin mit Maus 167). Der Verlauf der Seelenepiphanie läßt sich also so darstellen: Seele > Schlange > weiße Frau mit Schlange > weiße Frau allein. Ähnlich ist in der antiken Mythologie einer Gottheit mit Tierattribut die T. des Gottes vorangegangen z. B. Zeus = Adler > Zeus mit Adler oder Hermes = Schlange > Hermes mit Schlangenstab158). Das Schwanken des Übergangsstadiums zeigt sich auch darin, daß z. B. eine verwunschene Jungfrau nur an bestimmten Tagen in menschlicher Gestalt, sonst als Tier erscheint 159 ). Häufig wird das Problem der doppelten Seelenapperzeption (menschliche und tierische Gestalt) dadurch gelöst, daß der Mensch auf dem Tiere reitend vorgestellt wird. So erscheint eine geizige Äbtissin als Schimmelreiterin 160), auf feurigem Roß reitet ein Grenzsteinversetzer m ), auf einer glühenden Sau eine verführte Nonne 162 ), ein Bergmann reitet auf einem schwarzen Widder 163 ), ein anderer auf einem hinkenden Ziegenbock 164 ), auf dem auch Grenzstein versetzer 165), Jungfrauen 166) und Zwerge 167) erscheinen. Die sächsische Buckmarte kommt gleichfalls auf einem Ziegenbock daher 168). Auch Hahn und Gans sind metaphysische Reittiere. So reitet ein Bergmann auf einem Hahn 169 ), ein Zwerg auf einer lahmen Gans 17°), langbeinige Vögel tragen feurige Zwerge 171 ).

829

Tiergestalt

Ein selteneres Bild ist die Jungfrau auf dem Schweife einer Schlange 172 ). Ohne tiefere Bedeutung, lediglich als Symptom des Spieltriebs volkstümlicher Phantasie zu werten ist der Wechsel der T. Hier seien einige beliebte Verwandlungsserien angeführt: Wasserfrau > Kröte > Schlange; schöne Jungfrau > Schlange > Kröte, Frosch > Schlange > Drache; jedesmal scheußlichere Kröte; Hund > Wurm > Drache; Frosch > Wolf > Schlange 173 ). Schlange mit Krötenkopf 174 ) deutet ein Ubergangsstadium an. Vgl. analoge sprachliche Bildungen wie hirizpero „Hirschbär", leoncavallo „Löwenpferd", ursleu „Bärenlöwe", camelopardalus „Kamelpardel" 175 ). 1 " ) T o b l e r Epiphanie 56. 1 1 5 ) op. cit. 6o 2 f. 11«) E b d . U 7 ) T o b l e r op. cit. 6 1 ; B o e s e b e c k 118) T o b l e r Verwünschung 57. op. cit. 79. op. cit. 98; B o e s e b e c k op. cit. 88. 120) T o b l e r op. cit. 98. m ) op. cit. 59. m ) op. cit. 80. 1 2 3 ) Sebillot Folk-Lore 3, 144. " ^ T o b l e r op. cit. 62. 1 2 5 ) H u l m e Natural history 11, 1 2 7 ) op. cit. 61. 56. 1 2 6 ) T o b l e r op. cit. 57. 128) E b d . 1 2 9 ) op. cit. 5 7 t . 1 3 0 ) op. cit. 62; B o e s e b e c k op. cit. 54. 1 3 1 ) T o b l e r op. cit. 62. 1 3 2 ) op. cit. 59; v g l . auch G r i m m Myth. 2, 83of. 1 3 3 ) T o b l e r op. cit. 60. 1 3 4 ) op. cit. 28. 1 3 ä ) op. cit. 61. 1 3 6 ) B o e s e b e c k op. cit. 36. 1 37 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 269t. 1 3 8 ) E b d . 1 3 9 ) T o b l e r op. cit. 55f. 1 4 0 ) op. cit. 55. 1 4 1 ) op. cit. 56. 1 4 2 ) E b d . 1 4 3 ) op. cit. 52. 1 4 4 ) op. cit. 54. 1 4 5 ) op. cit. 54t. 1 4 6 ) op. cit. 55. 1 4 7 ) op. 1 4 9 ) op. cit. 81. cit. 53f. 1 4 8 ) op. cit. 52f. 15 °) op. cit. 69. 1 5 1 ) op. cit. 70. 1 6 2 ) op. cit. 70f. 1 5 3 ) op. cit. 7 1 . 1 5 4 ) E b d . 1 5 5 ) op. cit. 69. 15«) E b d . 1 5 7 ) op. cit. 71 f. 1 5 8 ) op. cit. 70. 1 5 9 ) op. cit. 79f. 1 6 °) op. cit. 73. 161) B o e s e 162) T o b l e r b e c k op. cit. 54. op. cit. 73; ähnlich Q u i t z m a n n Baiwaren 1 7 7 0 . l 6 3 ) T o b l e r op. cit. 72. 1 6 4 ) op. cit. 73. 166 ) B o e s e b e c k 166) T o b l e r op. cit. 54. op. cit. 73. 1 8 7 ) Ebd. 1 6 8 ) op. cit. 74. 1 6 9 ) op. cit. 72. 1 7 °) E b d . 1 7 1 ) op. cit. 73. 172) Ebd. 1 7 3 ) op. cit. 805. 1 7 4 ) op. cit. 802. 1 7 ä ) Z f d A . 43, 165.

5. E n t z a u b e r u n g . Die Erlösung aus dem Zustand der Verzauberung (Verwünschung) geschieht in der Regel auf gewaltsame Weise. So wird die in ein Wiesel verwünschte Jungfrau durch Totschlagen des Tieres erlöst 176 ). Ein Wolf wird zu einem schönen Junker, als man dem Tier den Kopf mit einer Hacke abschlägt 177 ), wie Enthauptung überhaupt ein beliebtes Entzauberungsmittel ist 1 7 8 ). Der zum Hasen verwandelte mutwillige Tierquäler wird durch

830

neun Schüsse, die ihm ein Jäger aufs Fell brennt, befreit 179 ). Die Prinzessin im Märchen entzaubert einen Frosch, indem sie ihn an die Wand schleudert 180 ). Die Rückverwandlung aus der Schlangengestalt erfolgt durch einen dreifachen Schlag auf den Kopf, durch Auspeitschen mit Ruten, Aufschlitzen des Schlangenbauchs 181 ) (Über die Entzauberung des Werwolfs s. weiter unten). — Sehr beliebt ist die Erlösung durch Kußzauber 182 ). Das verwunschene Wesen muß vom Erlöser in seiner T. geküßt werden 183 ). Häufig ist hier in der Erscheinungsform eine Steigerung zu beobachten, z. B. Frosch > Wolf > Schlange 184 ). Auch hier zeigt sich wieder der Übergang zur anthropomorphen Apperzeption, wenn z. B. in einer masurischen Sage der Erlöser in Anwesenheit der verwunschenen Schloßjungfrau alle Tiere ihres Schloßberges küssen muß: Rehe, Hasen, Eichhörnchen, Ratten, Salamander, Würmer, Käfer, Kröten 185). In den Erlösersagen ist zuweilen das erotische Element stark ausgeprägt. Die als Natter, Blindschleiche, Eidechse Verwandelte sucht sich dadurch zu befreien, daß sie sich an ihrem Erlöser emporringelt. Vielfach muß sich die Verwunschene als Schlange um ihren nackten Erlöser hinwegwälzen 18a). Die theriomorphe Apperzeption wirkt nach in der Gefährdung des Erlösers durch allerlei Tiererscheinungen: Hunde mit feurigen Rachen, Wagen mit feuerspeienden Rappen, Schlangen, Frösche, Kröten, Drachen mit feurigen Augen usw. 187 ). In jenen präanimistischen Fällen, in denen die Verwandlung rein materialistisch gedacht wird, wie z. B. in den Bärenhäutermärchen, wo der Held bei Tage Bär ist und in der Nacht durch Ablegen der Bärenhaut sich in seiner menschlichen Gestalt zeigt, wird die Erlösung ganz naiv durch das Verstecken der abgelegten Haut vollbracht 188 ). So glauben auch die Eskimos, die den Seehund für einen verwandelten Menschen halten, er lege jeden neunten Tag seine Fischhaut ab und werde wieder Mensch 189). In den Märchen werden die Verwand-

831

Tiergestalt

lungen durch Feen und Zauberer bewirkt, sie hören nach Verlauf einer bestimmten Periode oder nach Erfüllung gewisser vom Opfer gekannter Bedingungen auf. Ein Prinz, von einer Fee in einen Löwen verwandelt, muß diese Gestalt sieben Jahre lang behalten. Die sieben Brüder, in Hirsche verwandelt, können nach vier Jahren befreit werden, wenn es ihrer Schwester gelingt, ein weißes Taschentuch auf ihr Geweih zu stecken 190 ). Christlicher Einfluß macht sich nicht selten in den Verwünschungssagen bemerkbar. So löst ein heiliger Gegenstand (z. B . Weihwasser, geweihter Rosenkranz) die Verzauberung m ) . Ein Pastor vollführt eine Erlösung, indem er den zum Pferde Verwandelten zur Kirche reitet 1 9 2 ). 1 7 6 ) B o e s e b e c k Verwünschung 76. 177) S e b i l l o t Folk-Lore 3, 52. 178 ) op. cit. 3, 140. 179) B o e s e b e c k op. cit. 79. l e o ) L a i s t n e r Sphinx 1, 59. 1 8 1 ) B o e s e b e c k op. cit. 79. 182 ) T o b l e r op. cit. 21, 7 9 ! 183 ) B o e s e b e c k op. cit. 88f. 184 ) op. cit. 89. 185 ) op. cit. 88. 186 ) op. cit. 85. 187 ) op. cit. 84. 188 ) S e b i l l o t op. cit. 3, 52f. 189 ) ZfEthn. 1, 53f.; G r i m m Myth. 2, 916 2 . 190 ) S e b i l l o t op. cit. 3, 52. 1 9 1 ) op. 192 ) cit. 3, I47f. B o e s e b e c k op. cit. 83.

6. W i l l k ü r l i c h e V e r w a n d l u n g . a) T i e r g ö t t e r . Genau so wie in der neuzeitlichen Sage ist in der antiken Mythologie bei den Göttergestalten die allmähliche Entwicklung von der theriomorphen zur anthropomorphen Apperzeption zu beobachten, nur mit dem Unterschied, daß es sich hier um eine mehr oder minder willkürliche Verwandlung handelt. Wenn Adler und Wolf (Zeus Lykaios) 193) dem Zeus, die Eule 194 ) der Athene, der Pfau der Juno, die Schlange dem Asklepios, die Schildkröte dem Pan, der Delphin dem Poseidon, das Reh oder die Bärin 195 ) der Artemis, Ziegenbock und Fisch 1 9 6 ) der Aphrodite zugesellt und geweiht sind 197 ), so stak ursprünglich in diesen T.n die Gottheit selbst. In Griechenland ist das zweite Jahrtausend vor Christo die Blütezeit theriomorph er Göttervorstellungen 198 ). Auch bei den ägyptischen und indischen Gottheiten sind dauernde Tierinkarnationen festzustellen, bei letzteren sind sie Zwischenstufen zurMenschwerdung 199 ). Daher sind Mischformen in der indischen

832

Mythologie überaus häufig. Auch der slawische Triglav hatte Ziegenhäupter 20°). So deutet das Hörnermotiv in der Religion auf die ursprüngliche Darstellung der Götter in T. 2 0 1 ). Daher erscheinen auch Dämonen mit Hörnern 202), so der Teufel des Christenglaubens. Das Horn wird zum Symbol übermenschlicher Macht«»). Von der dauernden T. zu unterscheiden sind die momentanen theriomorphen Verwandlungen der Götter, namentlich zu erotischen Zwecken. So, wenn z. B . Zeus als Schwan zu Leda oder als Stier zu Europa k o m m t 2 M ) . In der nordischen Mythologie, ist diese Tierverwandlung ad hoc die einzig beglaubigte. Verwandelt sich ein Gott in ein Tier, so liegt jedesmal eine bestimmte Absicht zugrunde, die aus der Besonderheit des Tieres hervorgeht 2 0 S ). So nimmt Odin Schlangengestalt an, um durch ein gebohrtes Loch zu schliefen, Adlergestalt um eilends zu entfliehen. Als Schlange erscheint zuweilen auch der wilde Jäger, der sich sonst als Kuckuck oder Uhu zeigt (Schlesien) 206). Loki verwandelt sich in eine Fliege, um zu stechen oder durch ein Schlüsselloch zu kriechen. Eine Verwandlung zu erotischem Zweck (Bär) ist nur einmal zu belegen 207). E s fehlt daher auch jede Handhabe um anzunehmen, daß die Germanen ihre Götter jemals in T. verehrten 208). Mit Recht bezweifelt H e l m 209), daß die Pferdeund Vogelgestalten in der reich entwickelten germanischen Tierornamentik als Gottheiten zu deuten seien. Sicher jedoch ist, daß bei den Germanen gewisse Tiere in Bezug zu einzelnen Göttern gesetzt wurden, ja gewissermaßen in deren Dienst standen. So gehört der Eber zu Fro, Wolf und Rabe zu Wotan. Odin hieß Hrafna-gud „Rabengott" 2 1 0 ), wodurch diese Tiere, die man sich als beständige Begleiter der Götter dachte, als heilig erschienen 2 U ). 193 ) S c h w e n n 194 ) Menschenopfer 23f. 196 ) S a m t e r Religion der Griechen 6fi. 196 ) G r i m m Myth. 3, 200; S c h w e n n a. a. O. A R w . 14, 3781. Auch der Geburtsgöttin Hekate 197 ) S t e m p l i n g e r war der Fisch heilig (ebd.). 198 ) M e y e r Religgesch. Antiker Aberglaube 64.

39.

199)

G T i m m Mythologie

c i t . 2, 8 3 o f . 15,

450.

Beiträge 20C)

201) 203)

2, 64.

Drechsler

2, 834 op.

834

Tiergestalt

833

cit.

2°')

39.

1, 281.

A R w . 15, 451.

op. cit. 205)

2,

15, 456.

Grimm 161;

Religgesch.

G r i m m op. c i t . 2, 5 4 5 f .

74 1 -

211)

Tobler

281. Myth.

208)

202ff.

Wolf 1,

Grimm

op.

op. c i t .

2»4)

op. cit.

W o l f op. c i t . 2, 64. 209)

2 0 °)

2°2)

Meyer 210)

Epiphanie

b) Z a u b e r e r , H e x e n . Der innige Zusammenhang, der zwischen dem alten Götterglauben und dem Zauber- und Hexenglauben späterer Zeiten besteht, zeigt sich vor allem darin, daß sich unter den Tieren, in die sich die Hexen verwandeln können, so ziemlich alle Tiere wiederfinden, deren Gestalt die Götter und Dämonen anzunehmen pflegten 212), was natürlich nicht ausschließt, daß noch eine beträchtliche Anzahl von Tierepiphanien hinzukommt. Eine besondere Eigenheit dieser Tierverwandlungen ist es, daß die Wunden, die man dem Seelentiere beibringt, nachher am menschlichen Körper zu sehen sind 213 ). Typisch ist folgender Fall: Jemand schießt z. B. einer Katze eine Pfote weg, am nächsten Tage liegt irgendwo in der Nachbarschaft eine Frau mit zerschossener Hand zu Bette 214 ). Die Lieblingsepiphanie der Hexe ist die Katze 2 1 6 ). Sonstige Hexenepiphanien sind: Hase 216 ), Fuchs 2 1 7 ), Maus 218 ), Gans (Schwan) 219 ), Rabe 219), Krähe 219 ), Eule 220), Elster 220), Käfer 2 2 1 ), Wespe 222), Hummel 223). Die meisten Tierepiphanien der Hexen sind solche, die bei Angang als schlimme Vorbedeutung gelten 224). Feen verwandeln sich in Hündinnen, Mäuse, Ratten, Kaninchen 225), Schafe 226). Zauberer erscheinen als Wölfe, Bären 227), Habichte 228), Hunde und Kater 229). Schon bei Griechen und Römern schrieb man den Zauberern die Gabe der Tierverwandlung zu 23°), und zwar wird die T. weit öfter zu bösen als zu guten Zwecken angenommen 231 ). Bei den Mexikanern glaubte man an Zauberer (Nagual oder Naual), die nach Belieben eine bestimmte T. annahmen und in dieser allerhand Böses verübten 232). Bei vielen wilden Stämmen besitzen die Häuptlinge und Medizinmänner die Gabe der Tier Verwandlung, von der sie GeBäehtold-Stäubü,

Aberglaube V I I I

brauch machen, um sich an Feinden zu rächen oder aus reiner Freude am Blutvergießen 233). Und zwar handelt es sich in diesen Fällen nicht um einen Theriomorphismus der Seele, sondern um eine zauberische Verwandlung, die durch das Umwerfen eines Tierhemdes oder einer Tierhaut 234) zustande kommt. Die Verwandlung in einen Werwolf geschah durch das Anlegen eines Werwolfhemdes, das in der heutigen Sage zum Wolfsgürtel zusammengeschrumpft ist 235). Der Glaube an Menschen, die der Verwandlung in ein reißendes Tier fähig sind, gehört dem ganzen Erdkreis an. In anderen Ländern treten Bär 236), Löwe, Tiger, Hyäne, Jaguar usw. für den Werwolf ein 237). Um einen Werwolf zu entzaubern, muß der Wolfsgürtel zerschnitten oder vergraben und der Balg verbrannt werden 23S). Auch macht der Wurf eines Messers oder Stahls über den Werwolf die Verwandlung rückgängig 239). Über andere Mittel der Entzauberung vgl. B o e s e b e c k 240). 212) 213) S c h a e f e r Verwandlung 88. Tobl e r Epiphanie 42; Grimm Myth. 2, 919. 2 1 4 ) S e b i l l o t Folk-Lore 2 1 S ) op. c i t . 3, I 4 6 f . 219) S e b i l l o t 3, I 4 6 f . ; G r i m m a . a . O . op. c i t . 3, 57; Grimm Myth. 3, 3 1 6 ; Andree 21?) B e r t s c h Braunschweig 380. Weltanschau218) ung 3 8 6 f . ; G r i m m a . a . O . Sebillot 2 1 t op. cit. 3, 5 7 . ) G r i m m Mythologie 2, 9 i 8 f f . 2 2 °) H o f f m a n n - K r a y e r in O r n i t h o l . Beoba c h t e r 1 9 1 6 , S . A . , S. 8; G r i m m Myth. 2, 950. 221) T o b l e r 2 2 2 ) op. op. c i t . 39. c i t . 40. S23) E b d . 2 2 4 ) op. 226) cit. 451. Sebillot 2 2 8 ) o p . c i t . 3, 2 " ) op. cit. 3, 5 3 f . 145. 2 2 8 ) op. c i t . 2, 9 1 5 . G r i m m op. c i t . 2, 9 i 8 f f . 22®) S e b i l l o t 230) o p . c i t . 3, 146. Grimm op. cit. 2, 9 1 5 ; Z f V k . 7, 246 ( V e r w a n d l u n g in 2 3 1 2 32) einen Esel). ) Z f V k . 19, 38. op. 2 3 3 ) op. c i t . 19, 43. 234) T o b l e r c i t . 10, 239. 235) E b d . ; op. c i t . 44. G r i m m Myth. 2, 9 1 6 . 2 3 6 ) op. c i t . 2, 9 1 8 . 237) S c h a e f e r op. cit. 9 2 ; 238) C o h n Tiernamen 4. Boesebeck Ver23>) E b d . 2 4 0 ) op. c i t . wünschung 79. in, 82, 79.

c) T e u f el. An den Hexenepiphanien partizipiert der Teufel des Christenglaubens, in den viele Elemente heidnischer Götterund Dämonengestalten übergegangen sind. Der Teufel kann jede T. annehmen, außer die von Taube und Lamm 241 ). Besonders gern verwandelt er sich in folgende Tiere: Affe 242), Luchs 243), Hund (Hellehund) 2 "), Katze (Kater) 245), Eber 246), Sau 247), 27

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Tiergestalt

Ochse 248 ), Kalb 2 »), Pferd 250), Widder 261 ), Bock 252), Hase (einbeinig) 263), dreibeinig 254), Maus 255), Ratte 256), Eichhörnchen 257), Walfisch (bei den Angelsachsen) 258), schwarzer Vogel 259), schwarzer Hahn 260), Uhu 2 « 1 ), Rabe (Hellerabe) 262), Krähe 263), Elster 264), Gans266), Geier 266), Kibitz 267), Kuckuck 268), Gimpel 269 ), Schlange 270), Drache (Hellewurm) 271 ), Laubfrosch 272), Kröte 273), Molch 274), Fisch 275 ), Fliege 276 ), Mücke277). Von diesen T.en sind einige (Pferd, Hund, Katze, Widder, Bock, Rabe usw.) dem Teufel hauptsächlich der schwarzen Farbe wegen beigegeben 278). Auch bei erfolgter Anthropomorphisierung erinnern noch einige Attribute wie Hörner, Pferdehuf, Bocksfüße an die frühere theriomorphe Apperzeption 279). Das häufige Erscheinen des Teufels als Reiter bedeutet eine Paarung der älteren und jüngeren Apperzeption 280). 2 U ) T o b l e r Epiphanie 46; S e e f r i e d - G u l 242 ) S 6 b i l l o t g o w s k i Kaschubei 195. FolkLore 3, 5 7 ; G r i m m Myth. 3, 294. 243 ) Ebd. 244 ) G r i m m Myth. 2, 83of.; T o b l e r op. cit. 41. 245 ) op. cit. 46; S 6 b i l l o t op. cit. 3, 145. 2 M ) G r i m m Myth. 2, 832. 2 " ) T o b l e r op. cit. 46; G r i m m Myth. 2, 832; 3, 294. 248) T o b l e r op. cit. 46. 249) K l i n g n e r Luther 28. 25 °) S e e f r i e d - G u l g o w s k i Kaschubei 195; Grimm 2") Sibillot Myth. 2, 831. op. cit. 3, 145. 252 ) Ebd.; G r i m m a. a. O. 253 ) T o b l e r op. cit. 452. 254 ) op. cit. 45. *») Ebd. 258 ) S e e f r i e d 267 ) T o b l e r Gulgowski a.a.O. op. cit. 46; Z i n g e r l e Sagen 374; B a y H f t e 3, 89. 258 ) J e n t e Myth. Ausdrücke 142; G r i m m Myth. 2, 834. **•) T o b l e r op. cit. 45; M e y e r Aberglaube 295; 2S0) H o f f Seefried-Gulgowski a.a.O. m a n n - K r a y e r O r n i t h o l . B e o b a c h t e r 1916 S.A.8. 261) R i e g l e r 262 ) G r i m m Tier n 6 a . Myth. 2, 833; T o b l e r op. cit. 45 s . a83 ) G r i m m Myth. 3, 295. 284) A R w . 23, 350; G r i m m Myth. 3, 295. 286 ) G r i m m Myth. a. a. O. 268) G r i m m Myth. 3, 294. 287 ) G r i m m Myth. 3, 295. 288) Ebd. 269 ) Z i n g e r l e Sagen 375. 270 ) G r i m m a.a.O.; M e y e r a. a. O. 2 7 1 ) G r i m m a. a. O. 272 ) T o b l e r op. cit. 45. 273 ) op. cit. 453. 274 ) W j i n s c h e Teufd 100. 276 ) T o b l e r op. cit. 45. 278 ) G r i m m 2, 834; T o b l e r op. cit. 45 2 ; M e y e r a . a . O . 2") Tobler 278 ) G r i m m op. cit. 45. Myth. 2, 829f. 279 ) S 6 b i l l o t op. cit. 3, 148; G r i m m Myth. 3, 294. 28°) T o b l e r op. cit. 49 4 f.

7. K r a n k h e i t s d ä m o n e n . Weitaus die meisten Krankheitsdämonen sind therioform. Für den krankheiterregenden Dämon wird häufig das Wort „Tier" gebraucht. So kennt der deutsche

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Volksglaube ein ,Almtier', das den Alpdruck erzeugt, ein ,Duseltier', das epidemische Kinderkrankheiten hervorruft, ein 'laufendes Tier', das mit der fliegenden Gicht identisch ist, ein .Schwindeltier', das Schwindel veranlaßt, schließlich ein 'Ungenanntes Tier', worunter die mastitis puerperalis zu verstehen ist. Der Franzose bezeichnet die Gesamtheit der Krankheitsdämonen als betes noires 281 ). Die häufigste Dämonenfigur in T . ist der Wurm. Schon die Indogermanen sahen die parasitären Würmer als elbische Dämonen an 282). Die zahlreichen Würmer des Volksglaubens wie Heer-, Gift-, Brand-, Tollwurm, fliegender Krebs erzeugen Geschwüre 283). Der Ohrwurm (Ohrputz) 284) verursacht Ohrenkrankheit = Mumps 285), der Haarwurm Gicht 288). Der Schießwurm (Schießschlange, franz. gicle u. sangle) 287) hat seinen Ursprung in der Sonnenstrahlenwirkung (Mittagsalp) 288). Eine Geschwulst am Fingernagel heißt ndd. der ungenant wurm 289). Höfler 290) zählt den Wurm auch zu den elbischen Pißdämonen, zu denen er außerdem noch rechnet Kuckuck, Kröte, Salamander, Frosch, Ameise, Fledermaus, Maus, Ratte. Die Fledermaus gehört aber auch mit Unke und Nachtvogel zu den Haardämonen 291). Besondere Aufmerksamkeit verdient die Kröte, die nach dem Wurm die häufigste Gestalt eines elbischen Krankheitswichtes ist 292). Sie ruft hervor Alp 293), Halsgeschwür 294), Gebärmuttererkrankungen 295). Sehr gewöhnlich ist die T. des Alps. Außer den in Artikel „Alp" (1, 285 f.) angeführten Alptieren seien noch genannt das Wiesel 296), die schwarze Kuh 297) und die Hummel 298). Die Tiernamen, die heutzutage vielfach zur Bezeichnung von Geistesstörungen verwendet werden, gehen auf die uralte, wohl den meisten Völkern geläufige Vorstellung zurück, daß sich im Kopf des Menschen Elben in T. einnisten, die außer physischen Krankheitszuständen, wie z. B. Kopfschmerzen 299), Störungen der Denktätigkeit und des seelischen Gleichgewichtes verursachen 300). Als solche „Hirntierchen" erscheinen hauptsächlich In-

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Tiergestalt

sekten (Mücken, Grillen usw.) und Vögel, deren Summen und Schwirren bzw. Flattern sich sehr passend mit den Gedankensprüngen geistig Abnormaler vergleicht. Das Krabbeln der Krebse und Spinnen, das Hin- und Herhuschen der Mäuse und Ratten lassen auch diese Tiere besonders geeignet erscheinen, störend in die normalen Gehirnfunktionen einzugreifen301). — Da der Rausch — wissenschaftlich gesprochen — nichts anderes ist als eine durch akute Alkoholvergiftung hervorgerufene Störung der normalen Gehirntätigkeit, so ist es begreiflich, daß man für die Trunkenheit dieselben Urheber annimmt wie für die Verrücktheit. Daher hat die Verwendung von Vogel- und Insektennamen für „Rausch" nichts Auffälliges 302 ). Nicht ohne weiteres einleuchtend ist hingegen die Verwendung von Namen vierfüßiger Tiere wie Affe, Bär, Fuchs, Wolf, Hund, Katze. Diese auffallenden Tiermetaphern hängen zusammen mit der auf jüdischer Tradition beruhenden Vorstellung von der durch Weingenuß bewirkten Verwandlung der Menschen in Tiere 303). — Hund und Wolf erscheinen auch sonst als Krankheitsdämonen. Leichen- und Höllenhunde sind am Verwesungswerk beteiligt 304), ebenso ein wolfgestaltiger Dämon 305). In Frankreich ist der Wolf Erzeuger von Krämpfen und Stimmritzenlähmung nach dem Aberglauben 306), der Mensch verliere die Sprache, wenn der Wolf den Menschen eher sehe als dieser jenen. Vgl. franz. avoir vu le loup 307). Diese Krankheit heißt le mal St. Loup 308). Der helfende Heilige ist nach dem Krankheitserreger benannt und die Krankheit wieder nach dem Heiligen. Der würgend umgehende Wolf, der durch die Halspest { = Diphtherie) Kinder erwürgt, hieß ahd. warcgengel = lupambulus, woraus durch Volksetymologie unser .Würgengel* 309) entstand. — Die polnisch sprechende Bevölkerung Schlesiens kennt einen widdergestaltigen Fieberdämon310). Wenn einer bei der Ernte erkrankt, heißt es in Mecklenburg: Der Erntebock hat ihn gestoßen 311 ). Das vom Märzwind ericrankte Kind wird von der Märzkuh oder

dem Märzkalb gestoßen 312 ). Auch in Vogelgestalt sind Krankheitsdämonen nicht selten. Es gibt einen Pest- und Suchtvogel 313 ), und Dämonen, die das Verwesungswerk befördern, haben die Gestalt von Raubvögeln 314). Dämonen in Insektengestalt erzeugen außer Wahnsinn und Schwermut (s. oben) auch Fieberzustände. So gibt es Fiebermücken und Fiebergrillen 316 ). Läuse sind ebenfalls elbische Wesen, die gelegentlich Krankheiten erzeugen 316). Auch die Krankheiten des Viehs sind häufig das Werk tiergestaltiger Dämonen. So gibt es eine ganze Reihe von Tieren, die den Milchfluß von Kühen und Ziegen versiegen machen. Als solche dämonische „Milchsauger" galten Igel, Dachs, Hase, Wiesel, Hermelin, Ziegenmelker 317 ), Zaunkönig, Kuckuck, Eidechse, Kröte, Salamander, Schlange (Stollwurm) 318 ), Schmetterling, Mücke. Nach dieser dämonischen Tätigkeit sind einige Tiere benannt, so caprimulgus europaeus: Ziegenmelker 319 ), die Waldohreule = Melker, Milchsauger 32°), der Igel = berg. Köhsicker, „Kuhsauger" 321), der Schmetterling = Milchdieb, Milchtrud usw. 322) (s. unter „Schmetterling"). 281 ) W S . 6, 198 1 . 282 ) A R w . 2, 86 . 283) op. cit. 2, 114. 284) op. cit. 2, 154. 285 ) Ebd.; W S . 3, 286 ) G r i m m i g o f . ; 6, 198f. Myth. 3, 338. 287 ) W S . 8, I05f. 2 8 8 )ARw. 2, 158. 289) op. cit. 2, 125. 29°) G r i m m Myth. 3, 338. 291 ) op. cit. 2, 119. 292 ) op. cit. 2, 100. 293) T o b l e r Epipha294 ) A R w . 2, 140; AnSpr. 151, 278. nie 26. 295 ) Globus 87, io5ff.; 88, 2 5 s . 29S ) T o b l e r op. cit. 19. 297 ) NSpr. 33,368ff.; G r i m m Myth. 3, 191. 298) T o b l e r op. cit. 37. 299 ) G r i m m Myth. 3, 341. 30°) W S . 7, 1 2 9 I 301 ) A R w . 2, 100. 302 ) W S . 6, 194t. 303 ) Ebd. 304 ) B o e s e b e c k Verwünschung 78 922. 305) Ebd. 306) P a p a h a g i Folk-lorul romanic 129f. 307 ) R i e g l e r Tier 34; AnSpr. 151,278. 308) ARw. 2, 107. 309) op. cit. 2, 141. 310 ) D r e c h s l e r 2, 304; AnSpr. 154, 8off. 3 1 1 ) G r i m m Myth. 3, 336. 312 ) NSpr. 33, 369. 313 ) Miscell. Schuchardt 14. au) Boesebeck op. cit. 78. 315 ) A R w . 2, 108. 316 ) op. cit. 2, 120. 3 1 7 ) op. cit. 2, 134. 318 ) Ebd. 319 ) W S . 7, 136ff. 320 ) W S . 7, 138. 321 ) W S . 7, 129. 322 ) WS. 7, 141.

8. N a t u r g e i s t e r , a) Animalisierung der Naturerscheinungen. Die Naturdämonen, die sich das Volk nach Analogie der ,, Seelen "geister denkt 323), zeigen sich auf der ältesten Apperzeptionsstufe in T. Die ganze Na27*

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Tiergestalt

tur erscheint dem Urmenschen theriomorph. Die Wolke z. B. ist dem prähistorischen Menschen Stier, Rind, Kuh 324). Eine über Bergen lastende Wolkenmasse heißt im Mecklenburgischen noch jetzt Bullkater 325). „Katze" für „Wolke" begegnet außer im Bayrischen im Spanischen (gatas) und Italienischen (gattoni) 326). Häufige Welkentiere sind ferner Bock, Schaf, Roß 327). Mannigfach sind die Erscheinungsformen des nassen Elementes. Die T. des Nixes ist belegt durch ahd. nihhus „Krokodil" 328), dazu die Ableitung alteng. nicor „Flußpferd" (anord. nykr) 329). Wasserdämonen erscheinen seit alters als Stier (engl, waterbull) 33°) oder Pferd (schott. kelpie) 331 ). Der Wassermann der neueren Sage nimmt die verschiedensten T.en an: Pferd (am häufigsten) 332), Katze a33), Hund 334), Schwein, Kalb, Ziegenbock, Hase, Maus, Gans 33S), Ente, Taube, Huhn, Schlange, Frosch, Fisch 336). Als Doppelform auf dem Wege zur Anthropomorphisierung: Ein grüner Reiter zeigt sich auf grüner riesenhafter Schlange vor dem jeweiligen Anschwellen der Emme 337). Die Nixe (Seeweible) erscheint in Krötengestalt 338 ). Wesensgleich mit diesen theriomorphen Wasserdämonen ist im Grunde die Animalisierung der Welle, die in sprachlichen Tiermetaphern einen Niederschlag gefunden hat 339). Wenn die Korndämonen fast durchwegs dieselben Gestalten zeigen wie die Wasserdämonen (Roß, Hund, Stier, Bock, Katze) 34°), so ist dies auf die Gleichheit des Bildes zurückzuführen. Ob der Wind auf eine Wasserfläche oder in ein Getreidefeld bläst, er erzeugt hier wie dort Wellen, denen die Volksphantasie Tierformen verleiht. 3 2 3 ) T o b l e r Epiphanie 96. 3 2 4 ) H e l m Religgesch. 206. 3 2 5 ) V g l . o b e n 1, Sp. i y o i f f . d e s gleichn a m i g e n A r t i k e l s . 3 2 6 ) B e i h e f t d. Z f r P h . 1, 29. 3 2 7 ) W S . 3, 190. 328) G r i m m Myth. 1, 404; 3, 142. 3 2 9 ) T o b l e r op. cit. 9 7 3 . 33 °) H e l m a. a. O . ; G r i m m Mythol. 3, 1 4 2 f . ; W S . 3, 188 3 3 1 ) H e l m a. a. O . ; G r i m m a. a. O. 3 3 2 ) W S . 3, 333) W S . 334) i86f. 3, 189. W S . 3, 1S7 1 ». 335) Z f V k . 336) T o b l e r 1 1 , 103. op. cit. 9 7 . 3 3 ' ) op. cit. 99. 338 ) op. cit. 75. M e i c h e Sagen 339) 34 °) 298 N r . 387. W S . 3, 186f. WS.

3. 190.

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b) Elben und Verwandtes. Die Fähigkeit, T. anzunehmen, wird allen Arten von Naturdämonen zugeschrieben. Elben (Unterirdische), Zwerge, Kobolde, Hausgeister (spiritus familiaris), Wald- und Feldgeister erscheinen gelegentlich in T. — Weit verbreitet ist der Sagentypus von der kindenden Kröte (Elbinnen in Krötengestalt) 341 ). Als Kröten schlecken die Unterirdischen Milch und Bier 342). Sie zeigen sich auch als tanzende Frösche 343), schwarze Hühner 344 ), Ameisen 345 ); Zwerge erscheinen als Fische (Hecht) 346), Würmer 34 ') oder rote Ameisen MS ), Kobolde als Hühner 319) und Gänseriche 3S0); als Schmetterlinge 3S1 ). Der Berggeist kommt in Mausgestalt 352). Selten nehmen Elben die Gestalt größerer Tiere an wie der Norg in Tirol, der sich als Stier 363) zeigt, oder der Kobold, der als Pferdegespenst erscheint 354). — Das Ekerken ( = Eichhörnchen) ist ein ndd. Hausgeist 35s ). Als Epiphanie aller möglichen in der Natur wirkenden feindlichen Mächte galt in historischer Zeit der Drache (wurm, lint), den man sich bald in Bergen, bald in Wäldern, bald in Flüssen oder Sümpfen hausend dachte 356). Als entartete Nachfahren des grimmigen Drachen der mittelalterlichen Sage sind die kleinen Geld und Getreide bringenden Drachen der Landbevölkerung zu betrachten, die entweder als Katzen oder sonstwie in phantastischer T. mit feurigem Rachen und Schweif erscheinen 357). Von diesen gezähmten Drachen stammt vermutlich der spiritus familiaris, der im Gegensatz zu seinem diabolischen Charakter häufig die Gestalt eines harmlosen Würmchens, seltener die eines Salamanders hat 358). Bei den Waldgeistern ( = Waldleuten)' ist auffallenderweise T. verhältnismäßig selten 359). Zu nennen ist immerhin als männlicherWaldgeist derBär860). Die (weiblichen) Fanggen zeigen sich als Wildkatzen, dieHolzweiber alsEulen, die Saligen (Tirol) als Geier, die die Gemsen schirmen 361 ). Die Ziegenfüße der Waldfänken sind ein Rest theriomorpher Apperzeption 362). Die Feldgeister (Korndämonen), die schon bei den Wassergeistern kurz er-

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Tierjagen

wähnt wurden, erscheinen meist in T.: Roggenwolf, Roggenhund, Heupudel, Roggensau (Eber) 363 ), Hase, Hirsch 364 ). Als Übergangsstadium zur anthropomorphen Apperzeption ist aufzufassen der auf einem Bock durchs Feld reitende Bilwis 385).

3 " ) T o b l e r Epiphanie 27, 74f.; Meiche Sagen 298 Nr. 387. 3 4 2 ) T o b l e r op. cit. 28. 344 3 4 3 ) op. cit. 77. ) op. cit. 35. 3 4 S ) op. cit. 38 a . 31«) H o o p s Reallex. 4, 597; V e c k e n s t e d t Sagen 41 g S. 3 4 7 ) op. cit. 77, 77 2 . 348 ) Z a u n e r t Natursagen 1, 52. 349 ) T o b l e r op. cit. 36 1 . a50) IF. 30, 276. 3 5 1 ) V e c k e n s t e d t op. cit. 418. 3 5 2 ) K ü h n a u Sagen 2, Nr. 1037. 1039. s 53 ) Z i n g e r l e Sagen 77. 354 ) Z a u n e r t Natursagen 1 , 6 3 . 3 5 5 ) G r i m m Myth. 1, 418. 3 5 s ) H e l m Religgesch. ioöf. 3 5 7 ) B o e s e b e c k Verwünschung 51 ; Meiche a. a. O. ; T o b l e r op. cit. 81. 3 5 S ) op. cit. 25. 3 5 9 ) op. cit. 96. 3S0 ) op. cit. 97 2 . 3 6 1 ) op. cit. 97. 362 ) Ebd. 3 6 3 ) G r i m m Myth. 1, 395. 364) M e y e r Religgesch. 108; weitere Beispiele bei Hoops Reallex. 3, 92. 3 9 5 ) T o b l e r op. cit. 97; G r i m m Myth. 1, 395.

c) Wetter. In prähistorische Zeit reicht die Vorstellung zurück, daß dämonische Wesen, Hexen, Kobolde u. dgl. in T. das Wetter machen. So heißt es von nebeligem Wetter: Der Hase (Fuchs) braut 366 ). Ähnlich französisch: les renards font au four (Franche-Comté), die Füchse bakken 367) oder les renards font la buée, die Füchse haben Wäsche, wenn der Wasserdunst aus dem Flusse steigt 368). Vgl. deutsch .Fuchsbad' 369). Nach L a i s t ner 370) wird der den Atem benehmende dichte Nebel durch aufhockende Tiere personifiziert. Ein solches Nebeltier ist neben Fuchs und Wolf der Nebelkater Niff an der Wupper 3 n ). Vgl. mnd. neffel = Nebel. Wetterkatze, Donnerkatze waren beliebte Schimpfwörter gegen Hexen 372 ). Loup de Saint-Jean ist eine franz. Bezeichnung für den Nebel 373 ). Animalisierung des Windes durch rasch sich fortbewegende Tiere (Hund, Pferd) 374) ist einleuchtend. Doch waren auch Stier, Rind, Kuh in prähistorischer Zeit Sturmwesen 37S ). Das beliebteste Windsymbol ist jedoch der Vogel. Stürme heißen im Altnordischen arnar „Aare" 3 7 6 ). Mit den Schwingen seines Adlerkleides erregt Hraesvelgr (Aasschwelger) mächtigen Wind 377 ). Schon im klassischen Al-

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tertum glaubte man an die Befruchtung des Geiers durch den Wind 378 ). Die griechischen mit Flügeln und Krallen ausgestatteten Harpyen sind nichts anderes als die Personifikation der räuberischen Stürme 379 ). Auch bei wilden Völkerschaften glaubt man an die Erzeugung des Windes durch Vögel 380). Ob Schlange 381 ) und Maus 382) (diese wegen ihres blinkenden Zahnes) wirklich den Blitz ver sinnbilden, wie die ältere mythologische Schule will, bleibe dahingestellt, sicher ist nur, daß Geiß, Katze und Luchs 383 ) Wettertiere sind. So sagt jetzt noch der Däne bei drückender Schwüle: Lokke driver med sine Geder, L. treibt seine Geißen aus 384), und wenn die Luft im Hochsommer zittert, heißt es in Oldenburg 385 ): Die Sommerkatzen laufen. Zum Regen werden die Wölfe in Beziehung gebracht. Regnet's, heißt es: die Wölfe pissen 386). Ähnlich sagt man bei einem Regenschauer: die Wölfe haben das Fieber 387 ). — Die der nordischen Mythologie geläufige Vorstellung, daß die Sonne von einem Wolf (Fenriswolf) verschlungen wird 388), findet sich auch in Frankreich: Le loup a avalé le soleil, der Wolf hat die Sonne verschluckt, heißt es, wenn die Sonne hinter einer Wolke verschwindet 389).

366 ) L a i s t n e r Nebelsagen 18 u. passim. 368 ) R o l l a n d Faune 8, 1 3 1 . ) a. a. O. 369 ) L a i s t n e r op. cit. 18. 370 ) op. cit. 82. 371 ) Ebd. 3 7 2 ) G r i m m Myth. 2, 910. 3 " ) R o l land op. cit. 8, 59. 3 7 4 ) L a i s t n e r 6. 1 5 6 L 375 ) Helm Religgesch. 1, 206. 376 )Miscell. Schuchardt 7. 3 7 7 ) op. cit. 6; G r i m m Myth. 1, 526f. 37S 379 ) Miscell. Schuchardt 7. ) op. cit. 1 1 . 380 ) op. cit. 6. 3 8 1 ) L a i s t n e r op. cit. 74 ff. 382 383 ) op. cit. 285. ) Bullerluchs = Gewitterwolken ( M a n n h a r d t Germ.Mythen 8). 384 ) W S . 385 4,221. ) S t r a c k e r j a n 338. 3 8 6 ) L a i s t ner op. cit. 9. 3 8 7 ) a . a . O . 388 ) G r i m m Myth. i, 202f. M 9 ) R o l l a n d op. cit. 8, 60. Riegler. 367

Tierjagen. Eine Art Volksjustiz, ähnlich dem bayerischen Haberfeldtreiben (s. d.), wobei besonders ehebrecherische Liebschaften aufs Korn genommen werden, ist es am Rhein noch in der Gegenwart üblich (letzter Beleg aus Wormersdorf, Kreis Rheinbach, aus dem J . 1915). Mit allen zur Katzenmusik (s. d.) ge-

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Tierkönige

hörigen Instrumenten ausgerüstet zieht der lärmende Schwärm durch das Dorf, um „ d a s Tier zu jagen". In Mützenich (Kreis Monschau) nahmen im November 1897 200—300 Personen an einer solchen Exekution teil. Das Haus der Übeltäter wird umstellt. Leisten diese der Aufforderung, herauszukommen, keine Folge, so beginnt man, Türen, Fenster und Wände einzuschlagen und die Verfolgten mittels Rauch und Gewalt herauszutreiben. Dann jagt, stößt oder schleift man sie, bis sie in einer Jauchegrube oder einem Weiher ihre verbrecherische Leidenschaft gründlich abgekühlt haben. S i m r o c k Mythologie 5 5 i f . ; W r e d e Rhein. Volkskunde2 223 t.; Z f V k . 10 (1900), 44f. Mengis.

Tierkönige. Eine Übertragung menschlicher Verhältnisse auf das Tierleben scheint in jene prähistorische Zeiten zurückzureichen, wo der Mensch zwischen sich und dem Tiere keinen prinzipiellen Unterschied machte. Der Glaube an T. fand übrigens eine Stütze an der Beobachtung, daß kollektiv lebende Tiere sich der Leitung eines aus ihrer Mitte gleichsam' gewählten Oberhauptes unbedingt unterordnen (Bienenkönig (in) 1 ), Führer der Wandervögel, Leithammel u. dgl.). Ein Niederschlag des T.mythus findet sich heute noch im Märchen. So ist z. B . von einem „Vogelkönig** die Rede in dem Märchen „ D a s Zauberroß" 2 ). In dem Märchen „ D a s goldene Schloß" 3 ) haben die laufenden, die fliegenden und die kriechenden Tiere je eine Königin. Auch das rumänische Märchen kennt sie 4 ). Den alten Germanen galt der Bär als König der Tiere 5 ). Tor hatte den Beinamen Biörn „ B ä r " . „Götterbär" war als altgerm. Taufname sehr beliebt (altnord.: asbiörn, altengl. osbeom, ahd. ansfero. Bei den Briten wurde König Artus gelegentlich als Bär dargestellt 6 ). Erst fremdländischer Einfluß verdrängte den urdeutschen Bären von seinem Throne und setzte den exotischen Löwen hinauf. Bei den Primitiven finden sich vielfach T. Die Eskimos glauben, jede Tiergattung habe ein bestimmtes Oberhaupt'). In Bornu haben die Affen eine Stände-

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monarchie und die Adler einen K ö n i g 8 ) . Die Hinterindier verehren den Repräsentanten jedes Tiergeschlechts als dessen König8). Bei den alten Litauern und Preußen haben die vierfüßigen Tiere und Vögel je ein göttliches Oberhaupt 8 ). Bei den alten Kulturvölkern finden wir ähnliches. Nach dem Glauben der Perser hat jede Klasse von Wesen ihren Oberherrn mit übermenschlichen Eigenschaften, aber in tierischer Gestalt 8 ). Auch im alten Indien haben Tiere, insbesondere die Vögel und Schlangen, ihre (göttlichen) Könige 8 ). In Tiemamen finden sich noch zahlreiche Spuren des Tierkönigtums. D a ist zunächst der Zaunkönig (s. d.), der seinen Namen der weit verbreiteten alten Sage von der Königswahl unter den Vögeln verdankt (Überlistung des Adlers, des alten Königs der Vögel) 9 ). Schon Plinius, Nat. hist. X , 74 führt aus: [Dissident] aquilae et trochilus si credimus, quoniam rex appellatur avium. Auch Aristoteles, Hist. animal. I X , 11 spielt darauf an : tpoxiloç dsT

ee t»e$ Äraiauben* ©ein TBac&fen unö löe-tben Don JULIUS VON NEGELEIN

roetl. orb. Profcffot a. 6. Unioerlltät itlangen

ffirofe=®itat>. VIII, 372 Seiten. 1931. Tins

Hin 17.10, gebunöen RITT 18.—

ben U r t e i l e n :

„ . . .fo unternimmt con Hegelein eine groß angelegte, tiefgründige g u f a m m e n f c f j a u . . . überall feffelnb, überall anregenb, a u s ber Stumpfheit aufrüttelnb, bie u n s in biefer fjinftdjt alle umnebelt, immer frifd?, immer Iebenbig, immer erfjellenb; nie entlägt er u n s a u s btm S a n n e feines ungeheuren tüiffens, felbft ba nidjt, wo er 3U ItJiberfptudj reijt. ÜTan füf)It fid; erhoben unb gebemiitigt, inan folgt iijm »iUig unb wiberftre« benb, m a n lieft bas 33u. XVIII, 441 Seiten. 1935. Rift 16.—, gebunöen Hill 17.50

Verlag 2£alfer be ©rupfet & (So., Berlin

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V E R L A G W A L T E R DE G R U Y T E R & CO., B E R L I N W 35

DEUTSCHES VOLKSTUM Im Auftrage des Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde herausgegeben von J o h n

Meier

Bisher sind erschienen: B A N D 4:

DEUTSCHES VOLKSTUM IN GLAUBEN U N D ABERGLAUBEN Von Professor Dr. FRIEDRICH PFISTER. Oktav. IX, 161 Seiten. 1936. Geb. RM 3.80 Hier ist zum erstenmal der Versuch gemacht, eine Geschichte des germanisch-deutschen Volksglaubens von den vorgeschichtlichen Anfangen bis zur Gegenwart zu geben. Dazu wird in einem systematischen Teil der deutsche Volksglaube und sogenannte Aberglaube dargestellt, wie er sich in Gottesvorstellungen, im Brauchtijm, in Erzählungen und in der bildlichen Darstellung äußert, wobei stets auch auf die altgermanischen Glaubensformen Rücksicht genommen wird. In einem einleitenden Abschnitt werden grundsätzliche Fragen der religiösen Volkskunde erörtert.

B A N D 5:

DEUTSCHES VOLKSTUM IN SITTE UND BRAUCH Von Dr. PAUL GEIGER.

Oktav. VIII, 226 Seiten. 1936. Geb. RM 4.80

Das Buch will darstellen, welches die Hauptmerkmale von Volkssitte und Volks*brauch sind, wie der Brauch entstanden ist, wie er lebt, sich entfaltet und sich wandelt. Die Bedeutung des Brauchs für das Gemeinschaftsleben wird besonders betont. Im ersten Teil des Buches werden die einzelnen Elemente' des Brauchs untersucht, das heißt Handlungen und Gestalten wie 2. B. Feuer und Masken, die dem Volk bei seinen Festen als überlieferte Darstellungsmittel dienen, um seinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu geben. Im zweiten Teil werden die einzelnen Bräuche geschildert, die Marksteine des Menschenlebens, die Bräuche des Jahreslaufs und des Arbeitslebens. Die Beispiele sind aus der Gegenwart oder aus der jüngsten Vergangenheit genommen worden; ältere Formen sind nur herausgezogen worden, um den Ursprung eines Brauchs oder die Wandlungen seiner Form und seines Sinnes darzulegen.

Weitere Bände in Vorbereitung.

WALTER DE GRUYTER ZT CO., BERLIN W35

HANDWÖRTERBUCH DES DEUTSCHEN ABERGLAUBENS HERAUSGEGEBEN UNTER B E S O N D E R E R M I T W I R K U N G

VON

E. H O F F M A N - K R A Y E R f UND M I T A R B E I T Z A H L R E I C H E R F A C H G E N O S S E N VON

HANNS BÄCHTOLD-STÄUBLI

BAND YIII 7-/8. LIEFERUNG TIEROPFER — TRINKEN

BERLIN

UND

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1937

W A L T E R DE G R U Y T E R & C Q. VORMALS G.J.GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSB U C H H A N D L U N G - G E O R G R E I M E R - KARL J. T R Ü B N E R - VEIT & COMP.

Taufnamen und sicher die mit Verwandtschaftsnamen zu rechnen ist. Ferner hat die vom Volk geglaubte Beeinflussung durch übersinnliche Gewalten sei es heidnischer (Elben, Hexen, Teufel)» sei es christlicher Natur (Gott, Mutter Gottes, Heilige) viele T. veranlaßt. i. Sprachliches. Bevor in eine volkskundliche Erörterung der T. eingegangen wird, sollen einige sprachliche Betrachtungen vorausgeschickt werden. Zunächst fällt auf, daß sich viel altes Sprachgut in den mundartlichen T. erhalten hat. Im Rotwelsch heißt der Maulesel 'rankert' von mhd. 'ranken' „wie ein Esel schreien" 1 ). — In bayr. 'murmenteP „Murmeltier" ist ahd. 'murmente' < lat. 'murem montis' erhalten 2 ). — Kämt. 'turterl 5 „Turteltaube" 3 ) ohne den verdeutlichenden Zusatz geht auf ahd. 'turturo' zurück. — In 'Krammetsvogel' steckt ahd. 'chranawitu' „Kranichholz" = Wachholder 4) (Der Vogel liebt die Wachholderbeeren). — 'Rohrdommel' ist Umgestaltung von ahd. 'horotumbeP ('horo' = Sumpf, 'tumbel' = betäubender Schall nach dem eigentümlichen Ruf des Vogels 8 )). — In ndd. 'sever', 'maisewer' = Maikäfer steckt ahd. 'zepar' „Opfertier" ( = nhd. t i e f e r ' in 'Ungeziefer') 6 ). — Ahd. 'vivaltra' > nhd. 'feifalter' „Schmetterling" lebt in tirol. 'pfeifalter' weiter 7 ). Aus 'feifalter' entstand volksetym. 'feuerfalk' 8 ). — Auf vulg. lat. 'öricüla' < klass. lat. 'auricula' 9 ) gehen die nd. Formen 'üräkel', 'ürankel', '6räkel' 10 ),österr. 'orgel' n ), „Ohrenschliefer" zurück. Vielfach wurden alte T., die Gefahr liefen, unverständlich zu werden, durch entsprechende Zusätze semantisch gestützt. So entstanden Bildungen wie 'lindwurm', 'hermeltier' ( = Hermelin), 'maultier', 'hirschkäfer', 'damhirsch', 'windhund', 'walfisch', dän. 'säl-hund' „Seehund" usw. 1 2 ). Eine große Rolle spielt bei den volkstümlichen T. die Volksetymologie, 'maulwurf' ist umgedeutet aus mhd. 'moltwerf' „Erdaufwerfer" 13 ). Von den zahlreichen Varianten sei genannt 'molkworf' 14 ). — Aus 'hermelin' wurde 'heermännchen 15 ). — Auffallende Umformungen von 'Iltis' Bäcbtold-Stäubli,

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Tiernamen

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Aberglaube V I I I

< mhd. 'eltes' bietet die Gottscheeer Mundart: 'eltasch', 'engltasche', 'eidacksel' 1 6 ). — „Eichhorn" ist eine alte Umdeutung eines nicht mit Sicherheit festzustellenden Wortes 1 7 ). In 'grau-werk' „Fell des grauen Eichhörnchens" steckt der tschechische Name dieses Tieres: 'wewerka' 1 S ). — Murmeltier ist umgeformt aus ahd. 'murmenti' mit Anlehnung an 'murmeln' 19 ). — 'Trampeltier' ist Verdeutlichung von 'trampel' „Dromed a r " 2 0 ) . — Aus „Elefant" entstand mit Anlehnung an helfen, 'helfant', 'helfentie.r' 21 ). — 'Grasmücke' ist umgedeutet aus ahd. 'gra-smucca' „Grauschlüpfer" (zu „schmiegen") 22 ). — Aus der 'Goldammer' wurde ein 'goldhammer' (engl, 'yellowhammer') 23 ). Vgl. noch 'Emmerling'='hämmerling' 2 4 ). — 'Auerhahn' < mhd. 'orhan' < ahd. 'orrehon' (vgl. schwed. 'orre' „Birkhuhn") wurde später an 'ur, urochse' angelehnt 25 ). — Die „Rüttelweihe" erscheint schles. als 'rüttelw e i b ' 2 6 ) . — D e r „Pirol" wurde zu einem 'bierholer' 27 ). — Im Etschtal heißt es 'schilchkrot' statt „Schildkröte" mit Anlehnung an 'schilchen' = schielen 28). — Die Namen des Eichhörnchens und des Wiesels beeinflußten sich gegenseitig. So heißt in der Vorderpfalz das kleine Wiesel 'maushernel' ('hernel = hermel'). Umgekehrt ist aus dem 16. Jh. für Eichhörnchen 'eichhermel' belegt 29 ). — Merkwürdige Umformungen erfuhr das oben zitierte 'pfeifalter' < ahd. 'Vivaltra' „Schmetterling". Während 'pfeilvater' lautlich dem 'pfeifalter' nahe steht, ist 'pfeilmutter' nur semantisch zu erklären (Bedeutungsattraktion) 30). — 'schwabe' < 'schabe' lag nahe, trägt doch die Küchenschabe auch in anderen Sprachen Völkernamen 31) (siehe bei „Schabe"). — Die 'Hornisse' wurde an die Nessel angeglichen: nass. 'hornessel' 32 ) (tertium comp.: brennender Schmerz), 'hornessel' rief wieder ein 'eiternessel'33) für „Bremse'' hervor. — 'Skorpion' als Fremdwort wurde selbstverständlich im Munde des deutschen Bauern umgeformt: oberöst. 'stolprian' 34 ), kämt. (Mölltal) 'sturpion' 35 ). — Bei zusammengesetzten T. sind Umstellungen häufig: 'Rotkehlchen' 28

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Tiernamen

> 'Kehlrötchen'; 'rotzagel' (Rotschwänzchen) > 'zahlroten' (Ruhla) 36 ); westfäl. 'eikkatte' „Eichkätzchen" > mecklenb. 'Katteiker' 3 7 ); siebenb. 'splitterholz' < 'Holzsplitter' = Schmetterling (Mimikry) 3S). — Charakteristisch für gewisse mundartliche T. ist die Verbindung zweier gleichbedeutender Wörter. So heißt die Kröte im Waldviertel (Nö.) 'Krodhatschn' 39 ), und in Westfalen 'padhucke' 40 ) ('hatschn' und 'päd' deuten auf den schwerfälligen Gang). Hieher gehört auch der Name 'rattmaus' für die Ratte 41 ). Ratte und Maus sind zwei nahverwandte Tiere, die oft verwechselt werden. — Ein schriftsprachlicher oder der Schriftsprache nahestehender und ein mundartlicher T. werden zuweilen nebeneinander gebraucht und zwar in der Weise, daß ersterer im übertragenen, letzterer im eigentlichen Sinn verwendet wird. So ist 'krcet' in Mecklenburg nur als Scheit- und Kosewort üblich, während für das Tier 'pogg', 'huck' u. dgl. gesagt wird 42 ). — E i g e n tümlich ist im Schles. die Form 'täubin' für die weibliche Taube 43 ). Zu dem mask. 'Tauber' wurde ein neues fem. gebildet nach Analogie von Bäcker— Bäckin. x) G ü n t h e r 2) W e i Gaunersprache s . v . g a n d - H i r t DWb. 2, 238; U n g e r - K h u l l Steir. Wortsch. 469; B e r g m a n n DWb. 196. 3 ) Car. 4) L e i t h a e u s e r 96 S. 66. Volkskundliches I/2 S. 20. 5 ) W e i g a n d - H i r t DWb. 2, 600; B e r g m a n n DWb. 248. 6 ) KblndSpr. 2, 43. ') W e i n k o p f Naturgeschichte 144; Bergm a n n DWb. 70. 8 ) Egerl. u , 107. 9 ) M e y e r L ü b k e REWb. Nr. 793. 10 ) L e i t h a e u s e r op. cit. I/2, S. 26. n ) W e i n k o p f op. cit. 139. 1 2 ) R i e g l e r Tier 286; Natur u. Schule 6, 60; Zool. Garten 11, 282; U n g e r - K h u l l op. cit. 329. " ) B e r g m a n n DV/b. 182. 1 4 ) ZfSprV. 35, 8. 1 5 ) Zool. Garten 11, 278. 16 ) S a t t e r Tiere 18. " ) W e i g a n d - H i r t DWb. 1, 410; B e r g m a n n Deutscher Wortschatz 64. 18 ) Zool. Garten 13, 45; E d l i n g e r Tiernamen 29. 19) W e i g a n d - H i r t DWb. 2, 237t.; B e r g m a n n Deutscher Wortschatz 64. 20 ) W e i g a n d H i r t DWb. 2, 1060; B e r g m a n n op. cit. 65. 21 ) R i e g l e r 22 ) L e i t h a e u s e r Tier 89. op. cit. I/i, S. 13. 23 ) H e e g e r Tiere 2, 12. 24 ) 25 B e r g m a n n DWb. 7. ) Weigand-Hirt DWb. 1 , 9 9 . 28) ZfSprV. 35, 9. 2 ') W e i g a n d H i r t 2, 431; B e r g m a n n DWb. 223. 28) D a l l a T o r r e Tiernamen 77. 29 ) H e e g e r Tiere 1, 23. 30 ) W e i n k o p f op. cit. 144; B e r g m a n n DWb. 70. 3 1 ) B e r g m a n n Deutscher Sprachschatz 65.

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32 )

K e h r e i n Nassau 1, 462. 33 ) op. cit. 1, 461. W e i n k o p f op. cit. 144. 35 ) K r a n z m a y e r 38 ) W e i s e mündl. Mitt. Mundarten 108. 37 ) op. cit. 109. 38 ) ZfdWf. 11, 306. 39 ) W e i n 40 ) W o e s t e k o p f op. cit. 137. Wb. s. v. 4 1 ) K e h r e i n op. cit. s. v. 42 ) W o s s i d l o Mecklenburg 2, 332. 43 ) ZfSpV. 35, 8. M)

2. B i o l o g i s c h e r A b e r g l a u b e . Der Volksglaube schafft bei manchen Tieren künstliche Unterscheidungen nach eingebildeten Merkmalen. So unterscheidet der Tiroler Bauer einen 'hundsigel' (Männchen) und einen 'schweinsigel' (Weibchen), und zwar nach der angeblichen Verschiedenheit der Schnauzenform 44 ). Derselbe Unterschied wird in der Gegend von Göttingen beim Dachs gemacht: 'hunetax' und 'swinetax' 45 ). — A u f übertreibender Volksphantasie beruht siegerl. 'dausend gebänzel' „Tausendgebein" 46 ) als Bezeichnung von 'scolopendra'. Vgl. Schriftdeutsch 'Tausendfuß', franz. 'millepieds', 'millepattes', ital. (Parma) 'zentgambi' 47 ). — Auf Verwechslung der sieben Atmungsöffnungen mit Augen bei der Pricke (Fisch) geht der Name 'Neunauge' zurück 48 ). — Das Volk dichtet manchen Tieren Defekte der Sinnesorgane an. Hierauf beruhen 'Blindschleiche', holl. 'blindslang', mecklenb. 'blinnworm', 'blinne slange' 49 ) für 'anguis fragilis' Bei Insekten: ndd. 'blinnesnider' „blinder Schneider" heißt die Libelle 51 ), 'blinn fleig'52), 'blinne fleugen' 53) „blinde Fliegen" sind ndd. Namen der Regenbremse. Die Blindschleiche erscheint auf der Insel Rügen als taub: 'doofworm' 54). — Wegen ihrer geringen stimmlichen Betätigung gelten gewisse Schnepfenarten als stumm. So heißt die Moorschnepfe in Tirol die 'stumme' 5S ), während im Anhaltischen dieser Name auf die kleine Bekassine angewendet wird 56 ). Im Gegensatz hiezu wird anderen Vögeln ein märchenhaftes Stimmorgan angedichtet: so heißt in Schlesien (Neustadt) die Grasmücke 'neinstemmerla' (Neunstimmlein) S7),im oberen Mölltal (Kärnten) eine Drosselart 'sieben stimmlein' 58 ). Auch am Tun und Lassen der Tiere betätigt sich die Volksphantasie: 'speckmaus' oder 'speckfresser' heißt die Fledermaus, da sie sich angeblich in den Schorn-

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Tiernamen

steinen am Speck gütlich tut 6 9 ). Die Haselmaus heißt 'siebenschläfer', weil sie einen Winterschlaf von sieben Monaten halten soll 60 ). Der 'eisvogeP heißt deswegen so, weil er nach dem Volksglauben Eis ausbrütet 61 ). Für die Nachtschwalbe (caprimulgus europaeus) verzeichnet N e m n i c h 6 2 ) 'schlucker', was durch die Analoga franz. 'engoulevent' 63 ), ital. 'ingojavento' 64 ), engl, 'windsucker3 und 'windbibber' 65 ) verständlich wird. — Der Salamander heißt im Bergischen 'fürmoir „Feuermolch" nach dem Aberglauben, er könne im Feuer leben 66 ). — Gern werden den Tieren, namentlich den Insekten, Tätigkeiten angedichtet, die gegen den Menschen oder die Haustiere gerichtet sind und ihnen schaden sollen. Die Zwergfledermaus fliegt ins Haar und heißt daher in österr. 'haarrafferl' 67 ). Der Igel saugt am Kuheuter, was seinen berg. Namen 'köhsicker' „Kuhsauger'' erklärt 68 ). — Das Wiesel erzeugt durch Anblasen Krankheit, daher wird es von den Zigeunern 'phurdini' „das Blasende" genannt 6 9 ). 'Lanius collurio', der Würger, führt den Namen 'neuntöter' nach dem Glauben, der Vogel töte immer erst neun Tiere, bevor er sie verzehre 70 ). Demselben Aberglauben verdankt die Hornisse in Gellershagen (Minden-Ravensberg) ihren Namen 'nirgenmörder' ('nirg e n d neun) 7 1 ).—Die ätzende Flüssigkeit, die die Ameise ausscheidet, wird für ihren Urin gehalten; man glaubt daher, das Insekt „beseiche" einen 72 ), daher ihre Namen siegerl. 'seichämese' ('seimess') 73 ), westfäl. 'sekammelte' 74 ), 'migente' ('migen' = pissen) 75 ), niederrh. 'miegämpen' ('mieg' = Harn) 7 6 ), Minden-Ravensberg: 'mig-ampe', 'mäich-hiamken' ('hiamken' = Heimchen) 77 ), Bornum: 'pissemiere' 78 ), vgl. engl, 'pissmire' 79 ). — Häufig werden Tiere mit Blitz oder Feuer überhaupt in Verbindung gebracht und sind daher als Brandstifter gefürchtet. Beim Rotschwänzchen: 'branderP 80 ), 'branter' 81 ) gibt wohl die rote Farbe Anlaß zu diesem Aberglauben. In den Alpenländern glaubt man, daß, wer ein 'branderP tötet, sein Haus in Feuergefahr bringe 82 ). Zu Blitz und Donner steht seit altersher auch der

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Hirschkäfer in Beziehung, daher seine Namen 'donnerpuppe' 83 ), 'donnergueg' (schweiz. 'gueg' = Käfer) 84 ), 'borner' „Brenner", 'husbörner' „Hausbrenner" 86 ). Auch von den Ameisen ('woirumaissen' = Feuerameisen) glaubt man im Gottscheeischen, sie zündeten das Haus an, in das sie eindrängen 86 ). — Die Libelle gefährdet nach dem Volksglauben Augen und Ohren und heißt daher in den Alpenländern 'augenausstecher' und 'ohrenschiesser' 87 ). Als „Pferdestecher" 'piastiaker' erscheint sie in Minden-Ravensberg 88 ). — Von den gewöhnlichen Läusen unterscheiden sich die Erbläuse ('ehrflüse') dadurch, daß sie von einem Toten „angelaufen" sind 8 9 ). — Die vermeintliche Giftigkeit der Spinne kommt in ihren Namen zum Ausdruck. In engl.dial. 'atterkop', dän. 'edderkop' bedeutet das Bestimmungswort 'atter' > 'edder' > 'eiter' „tierisches Gift" 9 0 ). Ebenso ist altengl. 'lobbe' „Spinne" verwandt mit got. 'lubja' = , , G i f t " , altnord. 'lyf' „Arznei", altengl. 'lybb' „Gift",ahd. 'lupf 9 1 ). — Die zu den Spinnentieren gehörige Samtmilbe ist von den Viehzüchtern gefürchtet. Die Schafe, die diese Milbe fressen, verfallen angeblich einem jähen ('gâchen') Tod. Daher heißt dieses Insekt in Gottschee die 'gâche' 9 2 ). — Weit verbreitet ist der Aberglaube, der Ohrwurm (forfícula auricularis) krieche Schlafenden ins Ohr und richte dort Unheil an 9 3 ). Davon die Namen: steir. 'ohrwurler' 94 ), 'ohrätzel' u.dgl. 9 5 ). Schles. 'öhrle' 9 6 ), Schweiz, 'öhreli' < mhd. 'cerlin', 'orlîn' 97 ) erinnern an den imaginären Ohrwurm, der als Vermittler der Gehörsempfindung betrachtet wird 9 8 ). An die schädigende Tätigkeit des Insekts im Ohrinnern spielen Namen an wie berg. 'ûreknîfer' „Ohrenkneifer", 'ürepet scher', 'auernhilderer' „Ohraushöhler" 99 ). Viel seltener sind solche Namen, die ein Tier nach einer dem Menschen ersprießlichen Tätigkeit benennen. So 'wehdamsvogel' (Berchtesgaden) 10°) für den Kreuzschnabel, der angeblich Krankheiten an sich zieht. — Die Zauneidechse heißt in österr. 'natterretterlein' 101 ), weil sie den Menschen vor Nattern warnt. 28*

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Tiernamen

Vgl. im Trentino 'salva—òmeni' „Menschenretter" 102 ). — Die Heuschrecke wirkt wohltätig, indem sie angeblich die Warzen wegbeißt. Daher ihre Namen (Mecklenburg) 'wrattenfräter', 'wrattenbiter', 'wartenbiter' 103 ). 44 ) D a l l a T o r r e Tiernamen 54. 45 ) R o l l a n d Faune 1, 49 u. 7, 108. 4e ) H e i n z e r l i n g Wirbel47) R o l l a n d lose Tiere 21. Faune 12, 119. 48 ) B e r g m a n n 49 ) Deutscher Wortschatz 96. W o s s i d l o Mecklenburg 2, 348. 60 ) Natur u. Schule 6, 50; B e r g m a n n DWb. 266. 5 1 ) W o s 52 ) KblndSpr. 2, 41. s i d l o op. cit. 2, 423. 53 ) H a r t w i g M) Tiernamen 44. Wossidlo op. cit. 2, 349. E5) D a l l a T o r r e op. cit. 66. 68 ) W i r t h 57 ) ZfSprV. Beiträge 4 — 5 , S. 42. 35. 9f. 58 ) Car. 96 S. 64. 69 ) M ö l l e n h o f f Natur 10; Natur u. Schule 6, 51, 57. 60 ) B e r g m a n n Deutscher Wortschatz 96. 6 1 ) H ö f e r Vögel 7. 42 ) 1, 854. «3) R o l l a n d Faune 2, 385. «4) G i 66 ) S w a i n s o n g l i o l i Avifauna 249. British 86 ) L e i t h a e u s e r birds 140. Volkstümliches I/2 S. 30. 47 ) Fragebogen des bayr. österr. Wb.s. 69 ) Ur• 8 ) L e i t h a e u s e r op. cit. X/i S. 17. 71) quell 6, 1. 70 ) L e i t h a e u s e r I/2 S. 38f. 72) R i e g l e r H a r t w i g Tiernamen 41. Tier 240. 73 ) H e i n z e r l i n g op. cit. 6. 74 ) W e i s e Mundarten 100. 75 ) W o e s t e Wb. 175. " ) Zf77) H a r t w i g SprV. 30, 137. op. cit. 42. 78 ) W i r t h Beiträge 4 — 5 , S. 24. 79 ) R i e g l e r 80 ) W e i n k o p f Tier 240. Naturgeschichte 46. 81) D a l l a T o r r e op. cit. 75. 8a ) W e i n k o p f

а . a . O . 83 ) G r i m m Myth. 2, 577. 84 ) B e r g m a n n Deutscher Wortschatz 96; Natur u. Schule б, 65. 85 ) B e r g m a n n a . a . O.; Natur u. Schule a . a . O . 86 ) S a t t e r Tiernamen 12. 87 ) W e i n k o p f op. cit. 138. 88 ) H a r t w i g op. cit. 49. 89 ) H a r t w i g op. cit. 47. ®°) H e i n z e r l i n g op. cit. 20; W S . 4, 219. " ) W S . a. a. O. 92 ) 93 S a t t e r op. cit. 20. ) B e r g m a n n op. cit. 96. 94 ) U n g e r - K h u l l 95 ) Steir. Wortsch. 484. W e i n k o p f op. cit. 13 878. 96 ) ZfSprV. 35, 9. 97 ) W S . 98 ) Ebd. 3, 190. ") Heinzerling 10 °) Globus 91, 194. 1 0 1 ) Frageop. cit. 16. bogen des bayr.-österr. Wbs. 102 ) G a r b i n i 103 ) W o s s i d l o Antroponimie 831. op. cit. 2, 423; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 443.

3. Ü b e r t r a g u n g m e n s c h l i c h e r Verh ä l t n i s s e auf die T i e r w e l t . Die soziale Gleichsetzung des Tieres mit dem Menschen stammt offenbar aus prähistorischer Zeit, da der Mensch das Tier als seinesgleichen betrachtete. Am nächsten liegt die Übertragung familiärer Beziehungen. So findet sich für den Weisel in den germanischen Sprachen Bienenmutter: altengl. 'bèomodor', schwed. 'bimoder', ebenso in der Grafschaft Mark 'bìmóder', 'beimäur5, siegerl. 'bémóres' 104 ) ; vgl. franz. 'mère abeille' 105 ), ital. 'mare5

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( = 'madre'), 'ava mare >106 ). In der Mundart von Gottschee heißt das geflügelte Ameisenweibchen 'amaissmuetr1 „Ameisenmutter" 107 ). Als 'mother of herrings5 „Häringmutter" erscheint der Maifisch im Englischen 108 ). Besonders zahlreich sind derartige Bildungen in den italienischen Mundarten (Vgl. das Kapitel 'madre' bei G a r b i n i Antroponimie 109 )). — Auffallend ist 'regenmutter' für den Salamander 110 ). Von Tierkönigen (s. d.) seien hier nur genannt, außer der allbekannten Bienenkönigin, der 'meisenkönig' = großer Raubwürger (Tirol) m ) , der'mottenkönig' = dickleibiger Nachtfalter (Glatz) 112 ) und der 'ummassenkünig' „Ameisenkönig" im Gottscheeischen für die geflügelte Form dieses Insekts 113 ). — Der Kuckuck und der Wiedehopf, diese beiden durch ihren charakteristischen Ruf bekannten Vögel, die nahezu gleichzeitig erscheinen, werden vom Volksglauben gern zueinander in Beziehung gesetzt, und zwar gilt der Wiedehopf als des Kuckucks Untergebener, wie hervorgeht aus den Namen 'Kuckucks Küster' (ndd. 'K.'s köster') 114 ), 'K.sbote', 'K.sknecht'. Bei den Esten gilt die Grasmücke als Kuckucksknecht 115 ). — Vögel und Insekten, die man häufig in der Nähe anderer Tiere sieht, macht die Phantasie des Volkes zu Hütern dieser Tiere. So heißt in Kärnten die Bachstelze 'schofhalterle' 116 ), die Libelle '(n)-atternhalter' 1 1 7 ) oder 'sauhalterle' 118 ). In Gottschee heißt dieses Insekt 'katschenhatar5 „Schlangenhirt" (slov. 'kaca' = Schlange) 119 ), was auch einen Käfer (rosalia alpina) 120 ) bezeichnet. 104 ) H e i n z e r l i n g 105 ) Wirbellose Tiere 5. R o l l a n d Faune 3, 262. 106 ) G a r b i n i Antro107) S a t t e r ponimie 1019. Tiernamen 11. 108 ) S c h r ä d e r Reallex. 333. 109 ) S. 1 1 4 8 — 1 1 5 5 . no) Kehrein l u Nassau 1, 326. ) Dalla 1 1 2 ) ZfSprV. T o r r e Tiernamen 70. 35, 10. 113) S a t t e r 114) G r i m m op. cit. 12. Myth. 2, 568; W o s s i d l o Mecklenburg 2, 362. 1 1 6 ) Ebd. l i e ) Car. 96 S. 64. 117) K r a n z m a y e r mündl. Mitt. 1 » ) Car. a. a. O. 1 1 9 ) S a t t e r op. cit. 5 120 ) op. cit. 19.

4. B e n e n n u n g eines T i e r e s n a c h einem a n d e r e n . Bei den mundartlichen Benennungen von Tieren läßt sich die Beobachtung machen, daß seltenere Tiere

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Tiernamen

nach häufigeren, wilde Tiere nach Haustieren benannt werden. Hiebei genügt oft die Übereinstimmung weniger Merkmale. Gewöhnlich wird ein Tier nach einem anderen Tier derselben Klasse, aber verschiedener Spezies, benannt, z. B . ein Nagetier nach einem Raubtier; viel seltener erfolgt die Benennung nach einem Tier einer anderen Klasse, z. B . Hausunk für Iltis 1 2 1 ), wobei ein Raubtier nach einer Schlange benannt erscheint. a) Säugetiere. Nach der Katze sind benannt: der A f f e : n d d . ' a p k a t t ' 1 2 2 ) , das E i c h h ö r n c h e n : 'waldkater' (bei Frankfurt a. 0 . ) 1 2 3 ) , 'boamkoater' (Ostpreußen) 1 2 4 ), 'eichkatze', 'katzeicher' 1 2 S ), 'eichkätzel' 1 2 6 ), 'fibritzkatze' ('fibritz' < altslav. 'veverica' „Eichhörnchen") 1 2 7 ), 'romäni macka' „Zigeunerkatze" (Zigeunersprache) 1 2 8 ), westfäl. 'eikkatte' 1 2 8 ), mecklenb. 'katteiker' 1 3 0 ), nass. 'katzeicher, katzeichelchen' 1 3 1 ), das W i e s e l : 'gröbelkatze' (Murtal'gröbel' = Geröll 132 )), das F r e t t c h e n und der I l t i s : 'feuerkatze' (Morsbach bei Siegen) 1 3 3 ), die F i s c h o t t e r : rotw. 'flosserkatz' 1 3 4 ). — Nach dem Hunde: der M a u l w u r f : berg. 'erdhund' 1 3 S ). Nach dem Wolf: der L u c h s : Schweiz, 'tierwolf' 1 3 6 ) (vgl. franz. 'loup-cervier') 1 3 7 ), die W ü h l m a u s : ndrh. 'erdwolf' 1 3 8 ), der M a u l w u r f : 'maulwolf' 1 3 9 ). Nach dem Wiesel d a s - E i c h h ö r n c h e n : bayr. C eichharm(el)' 140 ); dasselbe Tier nach dem Bären: kämt, 'äachbär' ( = E i c h b ä r ) 1 4 1 ) . Nach diesem ist in Gottschee auch der H a m s t e r benannt: 'ueschpar' ( = Aasbär) 1 4 2 ). — Als 'ratz' werden M a r d e r , M u r m e l t i e r und B i l c h bezeichnet 1 4 3 ). 'bamrätz' heißt der I l t i s in Kärnten 1 4 4 ). Nach der Maus das M u r m e l t i e r : 'murmelmaus', 'bergmaus', 'alpmaus' (18. J h . ) 1 4 S ) , der M a u l w u r f : österr. 'schermaus' 1 4 6 ). Nach dem Hasen das K a n i n c h e n : österr. 'Kiniglhas' > 'königshase' 1 4 7 ), schwäb. 'stallhase', oberhess. 'greinhase' 1 4 8 ), 'kuhhase' (Erzgeb.) 1 4 S ), Schweiz, 'küllhase' 1 4 8 ), das E i c h h ö r n c h e n : pfälz. 'eichhäsel' 1 4 9 ). Dasselbe Tier nach dem Hirschen: steir. 'bamhirsch' (Stainz) 1 5 0 ). Nach dem Schweine der H a m s t e r : eis. 'Kornferle'

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= Kornferkel 1 S 1 ) (Vgl. schwed. 'gräfsvin' „Grabschwein" = Dachs 1 5 2 ), engl, 'hedgehog' „Heckenschwein" = Igel) 1 5 3 ). Nach dem Specht: die F l e d e r m a u s : westfäl. 'leerspecht' 1 5 4 ). Nach dem Wurm: der M a u l w u r f : spätmhd. (noch ostpreuß.) 'moltwurm' 1 5 5 ), mecklenb. 'mullworm' 1 5 6 ), fries. 'windworm' 1 S 7 ), mecklenb. 'winnworm', 'murrworm' 1 5 8 ), der H a m s t e r : pfälz. 'kornwurm' 1 5 9 ). b) Vögel. Auffallend ist die Benennung von Vögeln nach Säugetieren. So heißt der Pfingstvogel ndd. 'regenkatte' ('Katte' = Katze) 16 °), die Rohrdommel in Österreich nach ihrem Ruf 'moorochs' oder 'moorkuh' 1 6 1 ), die Sumpfschnepfe hess. 'hudergeis' ('hudern' == wiehern) 1 6 2 ), im Oberberg, 'himmelszie' ('zie' = Ziege) 163 ). Der Truthahn in Niedöst, 'bockerl' 1 6 4 ), der Grünspecht linksrh. 'boschhengst' (bosch = B u s c h ) 1 6 5 ) , die Kohlmeise 'Kohlmäuske' (Meiderich) mit volksetym. Angleichung an „Maus"; vgl. den engl. Namen 'tit-mouse' 1 6 6 ), die Feldtaube in NÖ. 'feldrätz' 1 6 7 ). Hingegen ist in gottscheeisch 'bildai ratze' für die Wildente ' r a t z e ' = slow. 'raca' „ E n t e " 1 6 8 ) . — Bei den Raubvögeln fällt auf, daß das Wort Adler < adel—aar in den Mundarten nicht vorkommt, wohl aber lebt im Schlesischen Aar (är) für „Habicht" weiter 1 6 9 ). Nach diesem wird in Tirol der Sperber benannt: 'hacht', 'hecht' 17 °). Sonst wird für „Adler" 'Geier' gesagt. So heißt der Steinadler in der Umgebung des ötschers 'gamsgeier' ('gams' = Gemse) 1 7 1 ) und der Mäusebussard in NÖ. 'waldgeier' 1 7 2 ). Der E i s v o g e l ist im Steir. nach dem Specht benannt: 'wasserspecht' 1 7 3 ), der B i e n e n f r e s s e r n a c h d e r Schwalbe: 'meerschwalbe' ( ' F i s c h a m e n d ' ) 1 7 4 ) , d e r W e n d e h a l s in Tirol nach dem Finken: 'natterfink', 'otterfink' (weil auch Schlangen angreifend) 1 7 5 ). — Der Name des Sperlings, dieses Allerweltsvogels, scheint vielfach übertragen. So begegnen berg. 'retmosche' „Riedsperling" für die Rohrdommel 1 7 6 ), berg. 'kollmösch' für die Kohlmeise 1 7 7 ), niederrh. 'grasmösch' für die Grasmücke 1 7 8 ) (mösch = Sperling), ndö. 'rohrspatz' für die Bartmeise 1 7 9 ), ndö. 'einsamer spatz' für die Blaudrossel 180 ). Der T a n n e n h ä h e r

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Tiernamen

ist nach dem Star benannt: ndö. 'windstarl' 1 8 1 ). Die überall anzutreffende Krähe muß zur Benennung verschiedener Vögel herhalten: z. B. tirol. 'eichelkrähe' = Eichelhäher 182 ), kämt, 'holzkrah' = Schwarzspecht 183 ), kämt, 'nusskrah' = Nußhäher 184 ), kämt, 'teufelskrah' = Uraleule 185), steir. 'holzkrähe' = Tannenhäher 186 ), anhalt. 'seekrähe' = Lachmöwe 187). — Nach der Elster ist benannt der D o r n d r e h e r : ndö.'sperelster', 'griglalster' 188 ). — Der Name des Haushahnes wurde übertragen auf den W i e d e h o p f : ndd. 'puphahn', 'stinkhahn' 189 ), 'kothahn' 190)( auf den P f a u : berg. 'pühän' 191 ). — Nach der Ente ist benannt das schwarze W a s s e r h u h n : kämt, 'blassanten' 192 ), nach der Gans der r o t r ü c k i g e W ü r ger: tirol. 'dorngansl' 193 ). c) Kriechtiere. Benennung der Eidechse nach vierfüßigen Tieren ist insofern nicht verwunderlich als die Eidechse durch ihre vier Beine auffällt (Vgl. die berg. Namen: c ferfaut\ 'feierfüt', dän. 'firebeen', schwed. 'fyrfota' 1 9 4 )). Die E i d e c h s e wird benannt nach der Geiß: tirol. 'heggoas' 19S ) (wohl volksetym. aus ahd. 'egidehsa'), schwäb. 'heckgeis' (ob in schles. 'heidox', 'edox' 1 9 6 ) der Wortausgang als „Ochs" gefaßt wird, scheint fraglich), nach dem Wiesel: tirol. (Drautal) 'wisele' 197 ). — Vereinzelt ist Benennung nach einem Vogel und zwar dem Hahn: österr. 'Krauthahn' 198 ). — Benennung nach der Schlange ist bei der E i d e c h s e , noch mehr aber bei der B l i n d s c h l e i c h e naheliegend. So heißt die Eidechse im Isergebirge 'fißlnotter' „Füßchennatter" 199), die grüne Eidechse in Schlesien 'ottala' „kleine Natter" 20°), in Nassau 'grünotter' 201 ). Die Blindschleiche heißt ndd. 'hedslange' = Heideschlange 202), 'hetschlange' 203), 'hedsliker', 'heidsnack' 204), auch 'schießotter' 204). — Sehr gebräuchlich für S c h l a n g e (Blindschleiche) ist in den Mundarten das mhd. 'wurm': 'hartworm' heißt die B l i n d s c h l e i c h e in Lübeck 205) wegen der Sprödigkeit des Tieres, 'heckwurm' ist im Steir. die Natter ('hecken' = beißen) 206). Dasselbe wie 'heckwurm' ist 'beißwurm', womitin K ä m t e n K r e u z o t t e r undSandv i p e r bezeichnet werden207). Im Etschtal

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heißen alle S c h l a n g e n 'beißwürmer' 208). In Bozen ist 'haselwurm' Bezeichnung der S a n d v i p e r 209). d) Lurche. Auch bei den Lurchen erklärt die Vierbeinigkeit die Benennung nach Säugetieren. So heißt der W a s s e r m o l c h tirol. 'molthund' (mhd. 'molte' = Staub) 2 1 0 ),dieFeuerkröte ebenda 'mooskua'2U). 'nahrungshunde' hießen ehemals die gem. K r ö t e n in Aargau 2 1 2 ). Eis. 'bodenlerche' für „Kröte" 2 1 3 ) ist eine bewußt scherzhafte Bezeichnung. Am Niederrhein heißen die Kaulquappen 'ülleköpp' „Eulenköpfe" 2 1 4 ).—Naheliegend ist die Benennung des S a l a m a n d e r s nach der Eidechse: 'feuereidechs' 215 ) (nach dem Glauben, der Salamander verbrenne nicht). Da alles kriechende Getier für den Landmann „Wurm" ist, so sind die Bezeichnungen 'multwurm' 216 ) (vgl. oben 'molthund') und 'goldwurm' 217 ) (nach der Farbe) ohne weiteres einleuchtend. e) Insekten. Bei den Insekten, diesen kleinen, unscheinbaren Tieren, stellte sich ganz besonders das Bedürfnis heraus, sie nach größeren Tieren zu benennen, weshalb die Übertragungen bei dieser Klasse besonders zahlreich sind. a) Benennung nach Säugetieren. Nach der F l e d e r m a u s : der Schmetterling (vielfach), z. B. berg. 'fladdermüs' 218 ). Nach der K a t z e : der Mistkäfer: ndd. 'scharrkatt' 219 ), der Maikäfer: westfäl. 'maikatte' 220). — W o l f wird nach L e i t h a e u s e r 221) auf gefräßige Insekten übertragen, vgl. auch 'wolfsspinne' 222). — Nach dem B ä r e n : die große Waldameise: österr. 'waldbär' 223), die Maulwurfsgrille: 'äckerbär' (Drautal) 224), vgl. engl, für eine Raupe 'woolly bear' 225). — Nach der Maus: die Hausgrille: nass. 'hammelmaus'226), berg. 'hememüs', 'hemelmüs'227), siegerl. 'hemermüs', westerw. 'hemelmeische' 228), der Schmetterling: berg. 'fluttermaus' 229). — Nach der R a t t e : die Läuse in der Soldatensprache: 'beutelratten' 23°), die Filzläuse in der Gaunersprache: 'sockratten' 231 ), die Ohrwürmer: niederrh. 'ohrratten' 232). Uber 'ratz' == Raupe vgl. R i e g l e r 2 3 3 ).—Nach dem H a s e n im Rotwelsch der Floh 234). — Nach dem S c h w e i n die Mauerassel:

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Tiernamen

mecklenb. 'mürsäg' „Mauersau" 2 3 5 ), holl. 'muurvarken5 ,, Mauer ferkel" 2 3 6 ), ebenso die Kellerassel: niederrh. 'iserferken', ,eisernes Ferkel" 237 ). Nach dem O c h s e n (Kuh, Kalb) der Hirschkäfer (wegen der Horner", urspr. nur „Hirsch" 2 3 8 ): steir. mhd. 'olbent', 'olbentier\ eigentlich „Elefant" die Bedeutung „ K a m e l " an 3 1 8 ). — Bei den Vögeln sei als offenkundige Verwechslung kämt. 'gimpeP für „Krummschnabel" angeführt 319). — Der mundartliche Ausdruck für „Schlange" ist vielerorts 'wurm' 32°). — Die Wörter für „ K r ö t e " und „Frosch" lassen sich nicht immer genau scheiden. In einigen französischen Gegenden gilt die Kröte als Männchen des Frosches 321 ). — Bei den Insekten gehen die Namen für den Sonnenkäfer ('coccinella') und den Goldkäfer ('chrysomela') vielfach durcheinander 322). — Im Ndd. von MindenRavensberg bezeichnet 'wispe? sowohl die Wespe 323) wie auch die Hornisse 324). In derselben Gregend sind 'hiamken* „Heimchen" Hausgrillen 325) und Ameisen 336). — 'Mücke* wird häufig für „Fliege" gebraucht 327). Auf einer doppelten Verwechslung (Fledermaus > Schmetterling > Libelle) beruht die ndd. Bezeichnung 'speckbiter* „Speckbeißer", 'speckfreter 1 „Speckfresser" für die Libelle 328). 308) Egerl. 11, 107. 304; MnböhmExc. 31, 143. 3 1 0 ) R i e g l e r Tier 60. 3 U ) 12, 200. 3 1 2 ) R i e g l e r op. cit. 16. 3 I 3 ) R o s e n m ü l l e r Bibl. 314 Naturg. 228. ) B e r g m a n n DWb. 58. 3 1 5 ) R i e g l e r op. cit. 18. 3 1 6 ) H o o p s Reallex. 3, 18. » » ) R i e g l e r op. cit. 60; S c h ü r e r ZfrPh. 47, 510. 3 1 8 ) op. cit. 88f. 3 1 9 ) K r a n z m a y e r mündl. Mitt. 3 2 0 ) Car. 96, S. 67. 3 2 1 ) R o l l a n d Faune 11, 116. 3 2 2 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 415. 323 324 ) H a r t w i g op. cit. 40. ) op. cit. 41. 325 ) op. cit. 48. 3 2 6 ) Ebd. 3 2 7 ) L e i t h a e u s e r o p . c i t . 1/2, S . 2 5 ; R i e g l e r Tier 2 5 6 L

328

) Kbl-

ndSprf. 2, 43.

6. T a b u . Das bei den Primitiven so weit verbreitete Namen verbot (Tabu), d. h. die Scheu, unangenehme Dinge wie Zauberwesen, Krankheiten bei ihren wahren Namen zu nennen, erstreckt sich vielfach auch auf schädliche oder gefährliche Tiere. Bei den Kulturvölkern finden sich zahlreiche Spuren dieses Aberglaubens. Letzten Endes beruhen die in allen

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Tiernamen

Sprachen so häufigen Euphemismen auf Tabu. Es liegt in der Natur der Sache, daß hauptsächlich Raubtiere wie Wolf, Fuchs, Bär, Luchs, Marder, Iltis, Wiesel vom Namensverbot getroffen werden. Ferner unterliegen ihm die schädlichen Nager Maus und Ratte, die so gefürchtete Schlange und die mit abergläubischer Scheu betrachtete Kröte. Man glaubt, die Tiere hörten es, wenn man sie nenne, überall, wo sie gerade wären, und sie kämen herbei, um den Frevler anzugehen und aufzufressen 329). Man greift daher — um die eigentlichen Namen zu vermeiden — zu irgendeiner Umschreibung, die das Tier leicht erkennen läßt. Einige dieser Tabunamen wurden so häufig gebraucht, daß sie mit der Zeit völlig an die Stelle der eigentlichen Namen traten. So wurde z. B. lat. Kerpens' „Schlange" im Ital. durch 'bestia'>'biscia' 330), lat. 'mustela' „Wiesel" im Französ. durch 'belette' „kleine Schöne" 331 ) verdrängt. Manchmal ist der Gebrauch der Tabunamen auf gewisse Zeiten beschränkt, was von Wundt 332 ) bei den Indianern festgestellt wird, gelegentlich aber auch in unseren Gegenden vorkommt (Zwölfnächte) 333 ). — Wenn es in Tirol heißt, die Hexen nährten sich von Würmern, Mäusen und Ratten und wüßten die geheimen Namen dieser Tiere 334 ), so sind damit wohl auch Tabunamen gemeint. Die Tabunamen lassen sich nach gewissen Gesichtspunkten ordnen. a) Benennung nach einem Haustier. Ein gefährliches Raubtier wird gerne nach dem ihm nächststehenden Haustier benannt. So war früher die Bezeichnung 'holzhund' ('holz1 = Wald) für den Wolf in Kärnten 335 ), für den Fuchs in Oberösterreich 336) allgemein üblich. Vgl. schwed.'skogshund' „Waldhund" = Fuchs in Smäland 337 ). Im Bretonischen heißt der Wolf 'ki-nos' „Nachthund' 338). In gewissen Gegenden Deutschlands muß man im Dezember den Wolf 'gewürm' nennen, sonst wird man von Werwölfen zerrissen 339). Ein finnischer Tabuname für den Luchs ist Waldkatze 340). b) Benennung nach einem charakte-

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ristischen Körpermerkmal oder sonstiger Eigenschaft. Nach der Körpergröße: die Bewohner der Karpathen nennen den Bären achtungsvoll den Großen, im Gegensatz zum Wolf, dem Kleinen 341 ). In Schweden heißen die Ratten „die mit dem langen Körper" 342). Nach der Farbe: im Ndd. begegnet für den Fuchs 'de rode', für den Wolf 'de grise' oder 'de grawe' 343), bei den Esten 'graurock5 344). In Schweden heißen die Mäuse 'die kleinen Grauen' 345). Nach der Beschaffenheit des Fußes: schwed.-norweg. 'gra-been' „Graubein" = Wolf 346 ); isländ. 'lägfaeta' „der mit niedrigem Fuß" = Fuchs 347), estnisch 'breitfuß' = der Bär 348), ndd. 'breetfoot' „Breitfuß" = Kröte 349). Im Steir. ist 'breitschädel' ein alter Name des Bären350). Im Mühlviertel (Oberöst.) heißt die Kröte 'broatling', 'broatstier' 351 ). Nach der Beschaffenheit des Schwanzes: steir. 'langschwanz' 352 ), ndd. 'dickstart' ('start' = Schwanz), 'dickswanz' 353) = Fuchs. — Aus dem Rotwelsch: 'wurfrüssel' = Elefant 354 ). c) Benennung nach einer Tätigkeit. In Oberösterreich heißt der Fuchs das 'rennad' ( = das Rennende) 355 ), der Hühnerhabicht in Obersteiermark das 'flöogad' (das Fliegende) 356), wobei das Neutrum eine Versachlichung des Tiernamens zu Verhüllungszwecken bedeutet. Hierher gehören aus dem Rotwelsch 'grunzer' (vgl. franz. 'grondin') für das Schwein 357 ), 'brummerling' für die Wespe 358), 'schwimmerling', 'schwimmes', 'schwämmes' (vgl. franz. 'flottant') für den Fisch 359). d) Benennung nach dem Aufenthaltsort. In der ersten Hälfte des 18. Jh.s rief man in Niederdeutschland die Wölfe mit 'hölting' an 3öü) ( = hochd. 'hölzing'; 'holz' = Wald). In den Zwölfnächten soll man in Brandenburg die Maus 'boenlöpper' „Bodenläufer" 361 ) nennen. Ein estnischer Name der Schlange bedeutet: die ünter'm Busch Wohnende 362). e) Versachlichung. Schon oben trafen wir das 'rennad' = Fuchs und das 'flöogad' = Habicht. Auch direkt werden Tiere als 'ding' bezeichnet. So nennt man in Brandenburg in den Zwölf-

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Tiernamen

nächten die Mäuse 'dinger' 363). In Bayern ist der Tabuname des Fuchses 'henading' 384). Das Panaritium, das man für einen Wurm hält, heißt 'bös' ding' oder 'ungenannter wurm' 365). f) Vermenschlichung. Die Vermenschlichung des Tieres führt in die ältesten Zeiten zurück, wo in der Wertung von Mensch und Tier kein Unterschied gemacht wurde. 'Alter Mann', 'Großvater' sind schwedische Tabunamen des Bären, wohl auf totemistischer Basis 366). Von den mit Personennamen gebildeten T. (s. weiter unten) dürfte allerdings nur ein geringer Prozentsatz hierher gehören, so sicher das totemistische 'Bruder Lars' in Schweden für den Seehund 367), ferner für den Wolf in der ndd. Hirtensprache 'hennicke' 368), in Oberösterreich 'pfiffiger Hansl' 369). Vgl. franz. 'Gabriel' (le Forez) 37°). g) Verallgemeinerung. Der Name eines bestimmten Tieres verbirgt sich unter der allgemeinen Bezeichnung 'Tier' oder 'Untier'. So wird 'Tier' häufig auf die marderartigen Raubtiere angewendet, im Ndd. auf den Marder selbst 371 ), im Französischen auf den Iltis (Mery-sur-Seine)372) und das Frettchen in verschiedenen Gegenden 373). Vgl. auch lat. 'bestia' > ital. 'biscia' „Schlange",port. 'bicha' „Wurm", „Insekt" usw. 374). — Als Untier wurde der Wolf im 17. und 18. Jh. bezeichnet 375 ), 'undir' wird jetzt auch im Bergischen für den Fuchs und die marderartigen Raubtiere gebraucht 376). h) Schmeichelnamen. Diese haben neben der Verhüllung noch den Zweck, die Gunst des Tieres zu gewinnen 377 ). Hierher gehören für den Wolf schwed. 'gullben' „Goldbein", 'gollfot' „Goldfuß", 'golltand' „Goldzahn" 378). Nach F r a z e r 379) ist Goldfuchs auch eine Bezeichnung des Bären 380). Zahlreiche Schmeichelnamen in den verschiedensten Sprachen weist das Wiesel auf, von denen hier nur angeführt seien bayr. 'schöntierle', franz. 'belette' „kleine Schöne", ital. 'donnola' „kleine Frau" 381 ). i) Schmähnamen u. dgl. Den Schmeichelnamen entgegengesetzt sind die Schmähnamen. Ganz besonders mußte

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sich der Wolf solche gefallen lassen, 'unflat' ist ein schles. Tabuname für das Tier 382), in Kärnten begegnet 'unkruter' (Etymologie?) 383). Die Kamtschadalen sprechen von Bär und Wolf nur mit dem Ausdruck 'sipang', d. i. Unglück 384). Ein Tabuwort dürfte wohl auch altengl. 'Jnöwend' = das erschreckende Tier als Bezeichnung für den Skorpion sein 385). 329 ) M e d i c u s Naturgeschichte 184; S e b i l l o t 330 Folk-Lore 3, 20fg. ) R i e g l e r Tier 194. 331 332 ) op. cit. 48 f. ) Mythus und Religion 2, 160f. 3 3 3 ) W u t t k e 64. 3 M ) Z i n g e r l e Sagen 450. 3 3 5 ) Car. 96, S. 59; Volksbildung 9, 64. 338 ) Natur 2, 88. 3 3 ' ) Angl. 40, 387. 3 3 8 ) S e 339 billot op. cit. 3, 21. ) ZfEthn. 1, 57. 340 ) F r a z e r 1, 455. M 1 ) K a i n d l Huzulen 103. 342 343 ) F r a z e r 1, 455. ) Germania 18, gfg. 344 ) F r a z e r 1, 455. 3 4 5 ) Ebd. M 8 ) Zool. Garten 10, 177; F r a z e r 1, 455. 3 4 7 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 339. 348 ) F r a z e r 1, 455. 349 ) W o s s i d l o 35 op. cit. 2, 465 (Index). °) W e i n k o p f in Natur 2, 88. 3 5 1 ) Ders. in Volksbild. 9, 72. 352 ) Natur 2, 88 . 3 5 3 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 466 354 (Index). ) G ü n t h e r Gaunersprache 77. 355 ) Natur 2, 88 . 3 5 8 ) Ebd. 3 5 7 ) G ü n t h e r op. 358 cit. 77. ) Ebd. 3 5 9 ) Ebd. 3 8 °) W o e s t e Wb. 329; Anglia 40, 385. 3 6 1 ) F r a z e r 1, 453fg. 382 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 340. 3 6 3 ) F r a z e r i , 4 5 3 f g . 384 ) Ebd. 366 ) W S . 6, 198. 386 ) F r a z e r 1 , 4 5 5 . 3 8 7 ) Ebd. 38S ) Anglia 40, 385. 369 ) Natur 2, 88 . 370 ) R o l l a n d Faune 1, 130. 3 7 1 ) L e i t liaeuser op. cit. I/2, S. 23. 3 7 2 ) R o l l a n d op. cit. 7, 134. 3 7 3 ) op. cit. 7, 138. 3 7 4 ) REWb. Nr. 1061; W S . 6, 196. 3 7 5 ) ZfdWf. 10, i69f.; Angl. 40, 385. 3 7 6 ) L e i t h a e u s e r op. cit. I/2, S. 28. 3 7 ') G r i m m Myth. 2, 556. 3 7 S ) Angl. 40, 383. 3 7 9 ) 1, 455. 380 ) G r i m m Myth. 2, 556*. 381 ) op. cit. 2, 944 2 ; R i e g l e r Tier 49. 3 8 2 ) Angl. 40, 388. 3 8 3 ) Car. 96, S. 66. 384 ) ZfEthn. 1, 58. 385 ) Z a n d t - C o r t e l y o u Insekten ggi.

7. B e l e g u n g mit T a u f n a m e n . Von den überaus zahlreichen T., die von Taufnamen hergenommen sind, können hier nur die häufigsten angeführt werden386). Sicher auf Tabu beruhende Taufnamen wurden schon weiter oben (§ 6) angeführt. Möglich, daß das Tabu als ursprüngliches Motiv der Namengebung vergessen wurde und daß der Brauch sich weiterhin auf solche Tiere erstreckte, die infolge ihrer Harmlosigkeit zu keinem Namensverbot Anlaß gaben. Sicher ist bei der Belegung der Haustiere mit Taufnamen Tabu ausgeschlossen. Im Folgenden seien einige Beispiele dieser Art Namengebung angeführt. 'Hans' findet sich bei Säugetieren,

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Tiernamen

Vögeln, Amphibien, Insekten. Es bezeichnet den Vogel im allgemeinen 387), 'eichhans' (Kreis Glogau) = Eichelhäher 388), ndd. 'gröt Jochen', 'lütt J.' = Zaunkönig 389), 'Hans driest' ('driest' = dreist) = Spatz 390), steir. 'Kuscherhanserl' = grüne Eidechse 391 ), hess. 'läbhans' ('lab' = Laub) = Maikäfer 392). — 'Jakob' wird selten auf Säugetiere — 'Jakerle', Spitzname des Bären imGottscheeischen 393) — häufig auf Vögel angewandet: niederö. 'holzjägl' = Edelfink 394 ), westfäl. 'gäle (gelber) Jakob' = Goldammer 395), 'Jäck' (Bodensee) = Eichelhäher 396). 'Jakob' ist übrigens für den gezähmten Raben allgemein üblich 397). —• 'Heinrich' beschränkt sich meist auf Säugetiere. So ist 'Hinze' = Kater, ' H e i n z ' = Hase 398). Außerdem 'stinkhoanri' = Baumwanze (Bozen) 3 "). 'Kaspar' begegnet bei Vögeln: anhalt. 'schwarzer Kaspar* = Wasserralle 40°), berg. 'möschenkäpp' „Spatzenkaspar" für das männliche Tier 401 ). — 'Katharine' nur bei Vögeln: schles. 'rutkätl' = Rotkehlchen 402 ), ndö. 'älsterkadl', 'Frau K a t ? 403), 'scherggätel' ('schergen' = verraten, 'Gätel' = veraltete Koseform für Katharina), letzteres auch im Inn viertel404). — Uber norweg. 'Gertrudenvogel' = Specht vgl. G r i m m 405). — 'Martin' erscheint im Deutschen hauptsächlich auf Säugetiere angewendet: in Gottschee Spitzname für den Bären 406), ndd. 'broder Martin' = Hase 407). Im 'Reineke' und im 'Reinaert' ist 'Martin' Name des Affenvaters 408). — 'Michel' und 'Peter' begegnen bei Säugetieren, Vögeln und Insekten: 'Michel': niederö. 'Kotmichel' = Haubenlerche 409), gottsch. 'trgizmichl' = Heuschrecke 410 ). Vgl. russ. 'miska' „Bär** 411 ). — 'Peter': 'Peterierdmann', 'P. Krus', 'P. Wöhlmann' = Maulwurf 412 ); berg. 'stenkpitter' (Stinkpeter) = Wiedehopf 4 1 3 ), 'fleutpiter' (flöte P.) = Kohlmeise 414 ), 'dackpeter' (Dachpeter) . = Sperling 415 ). Vgl. franz. 'pierrot' = Spatz 416 ); ndd. 'platter' Peter = Blattwanze 417 ). 386 ) Für das Italienische vgl. H. G a r b i n i Antroponimie ed omonimie nel campo della zoologia popolare (Verona—Ostiglia 191g).

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387 ) L e i t h a e u s e r op. cit. I/i, S. 19. 388) Teuthonista 1, 227. 389) W o s s i d l o op. cit. 2, 366. 3eo ) op. cit. 2, 390. 391 ) U n g e r - K h u l l Steir. 392 ) H e i n z e r l i n g Wortsch. 421. Wirbellose Tiere 8 . 393) S a t t e r op. cit. 21. 394) H ö f e r 395 ) W o s s i d l o op. cit. 12. op. cit. 2, 389. 39s ) D a l l a 397 ) L e i t T o r r e Tiernamen 26. h a e u s e r op. cit. I/2, S. 28. 398) op. cit. I/i, S. 19. 399 ) D a l l a T o r r e op. cit. 19. 4 °°) W i r t h Beiträge 4/5, S. 42. 401 ) L e i t h a e u s e r op. cit. I/2, 402 4 3 S. 34. ) D r e c h s l e r 2, 228. ° ) H ö f e r op. cit. i l . 4 M ) K r a n z m a y e r W b . Kommission. 405) 409 ) S a t t e r Mylh. 2, 561. op. cit. 21. 407 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 397. 408) L ü b b e n Reineke 49; vgl. auch M i g l i o r i n i Nome proprio 260f. 4°») H ö f e r op. cit. 8. 410 ) S a t t e r op. 4U) Riegler cit. 12. Tiernamenkunde (Fest412) W o s s i d l o schrift) 31. op. cit. 2, 343. 413) L e i t h a e u s e r op. cit. I/2, S. 38. 414 ) op. cit. I/i, S. 24. 4 1 5 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 390. 416 ) R i e g l e r Tier 171. 4 1 7 ) ZfSprV. 30, 198.

8. V e r w a n d t s c h a f t s und Gevatterschaftsnamen. Bei verschiedenen Völkern finden sich für gefährliche oder schädliche Tiere Verwandtschaftsund Gevatterschaftsnamen, mit denen sich der naive Naturmensch deren Gunst zu gewinnen sucht. Bei wilden Tieren wie Bär, Wolf, Fuchs, Schlange, ferner bei der Kröte deuten diese Namen sicher auf ehemaligen 'Totemismus', der ja bei Primitiven heute noch besteht 418 ). Im Deutschen sind die Spuren dieses alten Glaubens nicht sehr zahlreich: der Fuchs wird im Ndd. mit 'vaddermann voß' oder 'herr gevatter' 419) angesprochen. Wichtig für das Verständnis dieses Namens sind die Berichte über irländische Bräuche im 17. Jh. Es war dort Sitte, Wölfe und Füchse zum Gevatter ('gossip') oder Paten ('sponsor') zu nehmen. Man hoffte, die Tiere würden unter dem Einfluß der Patenschaft eine freundliche Gesinnung zeigen 420). Auch in Frankreich müssen ähnliche Gebräuche bestanden haben,wie franz. dial. 'compère quette grise' „Gevatter Graupfote" = Wolf (Côtes-duNord) 421 ) und die Bezeichnung des Fuchses in der Umgebung von Dinan (Bret.) als 'mon cousin' 422) beweisen. Auch das Wiesel, den gefürchteten Eierdieb, suchte man durch eine solche Gevatterschaft zu gewinnen, wie der schles.mährische Name 'gevatterle' 423) zeigt, zu dem sich span.'comadreja' „kleine Gevatterin" (Abi. von 'commater') 4241) ver-

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gleicht 425). Im Französischen begegnen derartige Namen auch für Vögel. So heißt in der franz. Fischersprache (Côtesdu-Nord) der Kuckuck 'parent' „Verwandter" 426), ebenda nennt man die Elster 'ma commère Margot' „meine Gevatterin Grete" 427). In Deux-Sèvres ist 'compère loriot' für den Pirol üblich 428). — Ganz deutlich weisen die Verwandtschaftsnamen der Kröte auf Ahnenkult. Nach bretonischem Aberglauben steckt in der Kröte die Seele eines Vorfahren 429 ). Man stelle hiezu die ndd. Namen 'großmudder', 'grootmööm' „Großmuhme" und 'mudder möömk' 430). Auch in Tirol heißt die Kröte 'nädl' = Ahne 431 ). Ähnliche Namen hat die Unke (Feuerkröte). So heißt sie ndd. 'mäumken' „Mühmchen" oder 'watermööm' „Wassermuhme", oberdeutsch 'müemelein' „Mühmlein" 432). Hieher auch tschech. 'babka' „Großmutter" als Name des Hirschkäferweibchens 433) sowie rätorom. 'mammadonna' „Großmutter" = Schmetterling 434). 418 ) W S . 4, 175. 419 W o s s i d l o op. cit. 2, 352. ® ) W S . 4, 176. 4 2 1 ) S é b i l l o t Folk-Lore 3, 20. 422 ) op. cit. 3, 21. 423 ) W S . 4, 176. 424 ) REWb. Nr. 2082. 425 ) W S . 4, 175. 426 ) S é b i l l o t op. 4 2 ') op. cit. 3, 180. 4S8 ) Ebd. cit. 3, 198. 429 ) S é b i l l o t Paganisme 197. 430 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 335. 431 ) Ebd. 432 ) Ebd. 433 G r i m m Myth. 2, 577. 434 ) AnSpr. 149, 272.

9. A n i m i s t i s c h e T. Der Glaube, in manchen Tieren steckten Menschenseelen, hat — wie z. T. schon oben gezeigt wurde — unter den T. Spuren hinterlassen. So beruht auf mythisch-animistischer Basis der Name des kleinen Wiesels in Gottschee, 'praitele' = Bräutchen 43S), wozu lusern. 'freula wille' „wildes Fräulein" 436 ) zu vergleichen ist. Über den mythischen Hintergrund dieser Namen und fremdsprachlicher Analoga habe ich schon früher geschrieben 437). Wenn in Luserna der Uhu der 'vogel von röschner' ( = Rosselenker) 438) heißt, so ist dies eine Erinnerung an die Sage vom Wilden Jäger, dem die Ohreule voranfliegt 439). Tatsächlich heißt der Uhu in einigen Gegenden Deutschlands 'wilder jäger' 44°). In der Schweiz begegnet < himmelsgeist' 441 ) für Wachtelkönig, in Preußen 'gespenst' 442 ), wozu man engl.dial. 'sprite' „Geist" (Suffolk) = Specht443)

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vergleiche. Mecklenb. 'scheper knecht' „Schäferknecht" = Nachtigall 444) beruht auf dem Glauben, die Nachtigall sei ein verwunschener Hirte. — Die Vorstellung, daß die Ringelnatter die irdische Hülle eines verstorbenen Ahnen sei, der im Hause als Schutzgeist walte 445), erklärt die Bezeichnung 'hausotter', 'hauswurm' für diese Schlangenart 446). Hiezu vergleicht sich gottsch. 'hauschkatschen' (slow, 'kaca' = Schlange) 447). Der schwedische Name 'gärdslyckorm' „Glückwurm des Hauses" hebt den Schutzgeistcharakter des Tieres noch mehr hervor 448). — Die Bezeichnung 'schuldkrott' 449) für die gemeine Kröte wurzelt in dem Glauben, daß Verstorbene in Krötengestalt ihre Sünden abbüßen. Auf einer ähnlichen Vorstellung beruht wohl für die Kröte lothr. 'paure homme' „armer Mensch" ('paure' = pauvre) 450). — Von den zahlreichen mythischen Namen des Marienkäfers ('coccinella septempunctata') 451) sei auf kämt, 'höfnträgerle' ('höfn' = Hafen) 452) hingewiesen, das auf die Vorstellung zurückgeht, der Käfer bringe aus dem Himmel den Kindern Geschenke. — Die Bezeichnung der Kleidermotte als 'schneidergeist' im Lavanttal (Kärnten) 453) ist keineswegs auffallend, wenn man damit die Namen der Nachtschmetterlinge in verschiedenen Sprachen (altgriech. '^Lr/nf, engl, 'soul', franz. 'äme') 454) vergleicht. 435 ) S a t t e r op. cit. 18. 438 ) D a l l a Torre op. cit. 96. 437 ) W S . 2, 189; 4, 175. 438 ) D a l l a T o r r e op. cit. 91. 439 ) Ebd. 440) R i e g l e r Tier 116 1 . 441 ) S u o l a h t i Vogelnamen 278. 442) op. cit. 294. 443 ) S w a i n s o n British birds 99. 444 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 367. 445 ) G r i m m Myth. 2, 367; W S . 6 , 1 9 6 fg. 446) Car. 96, S. 59; M e y e r Myth. d. Germanen 78. 447 ) S a t t e r op. cit. 9. 445 ) M e y e r a. a. O. 449 ) K e h r e i n Nassau 2, 62. 4®°) R i e g l e r Tier 211 2 . 451 ) W o s s i d l o 452 ) op. cit. 2, S. 414—420. Car. 96, S. 59. 453 ) op. cit. S. 64. 454 ) R i e g l e r Tier 246.

11. N a m e n t o d k ü n d e n d e r T i e r e . Der Glaube an eine theriomorphe Ahnenseele konnte leicht zu der Vorstellung führen, der Ahne in Tiergestalt wolle seine Nachkommen mit sich ins Totenreich nehmen. Dies ist wohl die ursprüngliche, später vergessene Bedeutung der todkündenden Tiere, zu denen in erster Linie Vögel, dann aber auch Insekten

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gehören. Unter den Vögeln gelten überall als Todkünder die Eulen 455) (Käuze). Daher die Namen: 'leich', 'leichenhuhn'456), 'lichvogeP, 'wickvogel 5 (mnd. 'wicken' = wahrsagen) 457), 'totenvogeP, 'totenwichtP 458), 'komittchen 5 , 'gehmitvogeP (Rufdeutung) 4S9), 'klag 5 , 'klagefrau 1 , 'klagemutter', 'wehklage5460), 'kriddewisschen' ( = Kreideweißchen) 461). 'totenvogeP heißen ferner der Schwarzspecht im Unterinntal 462) und der dreizehige Specht (apternus tridactylus) in NÖ. 463). Auch der Name des Wiedehopfs bei Grunddorf nächst Krems (NÖ.): 'saulocker', beruht auf Todesvorst eilungen. Es heißt dort nämlich, daß die Schweine erkranken und sterben, wenn der Wiedehopf in der Nähe des Hauses ruft 464). Vgl. franz. für den Wiedehopf 'oiseau de la mort' 465) (Bresse chalönnaise), ital. (Südtirol) 'osel de mal augurp 466). Ob Salzburg, 'totengreueP für den Neuntöter 467) mythisch zu werten ist, scheint zweifelhaft. Hingegen ist der Seidenschwanz ein ausgesprochener Totenvogel und dies ist auch sein steir. Name 468). Er gilt als Bringer der Pest: daher tirol. 'pestvogeP 469). 'sterbevogeP wird von Suolahti 470) angeführt. Wie der Seidenschwanz die Pest, so bringt die Goldamsel die Cholera: daher tirol. 'choleravogeP 471 ). Bei den rabenartigen Vögeln hat wohl ihre Vorliebe für Aas mitgewirkt, sie in den Ruf von Todesboten zu bringen. So heißt der Rabe in Gegenden Österreichs und der Schweiz 'galgenvogeP 472), in letzterem Lande auch 'plägvogeP 473). In Oberösterreich ist für die Nebelkrähe 'totenkrän> üblich 474). Auch die Elster heißt im Innviertel 'totenkrähe5 475) und bei Augsburg 'unglücksvogeP 476). Desgleichen muß bei den Goten die Turteltaube ominöse Bedeutung gehabt haben, denn im Gotischen ist für diesen Vogel 'hraivadubo' ,,Leichentaube" belegt 477). — Im Gegensatz zu den Unheilvögeln steht der kinderbringende Storch. Sein ndd. Name 'adebar 1 ('od' + 'bero') wird als „Besitz, Glück bringend" gedeutet 478). Von Insekten seien hier genannt der Trotzkopfkäfer (anobium pertinax), dessen unheimliches Klopfen als Todeszeichen gilt 479 )

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und der daher 'totenuhr' 48°), tirol. 'toat'nhammeP 481) heißt, sowie die Lichtmotte, für die in Schlesien 'tud J ( = Tod) gebräuchlich ist 482). 4S5 ) C o h n Tiernamen 3. 456 ) B e r g m a n n 4") DWb. 64; R i e g l e r Tier 115 2 . Leith a e u ser op. cit. I/i, S. 19. 458) H ö f e r op. cit. 6. 469 ) R i e g l e r a . a . O . 460 ) R i e g l e r Tier 1141. 4«) L e i t h a e u s e r a . a . O . 462 ) D a l l a Torre op. cit. 81. 463 ) N e m n i c h 1,957. 464) H ö f e r op. cit. 7. 465 ) R o l l a n d Faune 2, 133. 466 ) D a l l a T o r r e op. cit. 96. 467 ) Germania 21, 209. 468 ) U n g e r - K h u l l op. cit. 185. 469 ) D a l l a T o r r e op. cit. 82. 47°) S u o l a h t i Vogelnamen 145; vgl. noch H o p f Tierorakel 133 u. T o b l e r Epiphanie 27 Anm. 471 ) D a l l a T o r r e op. cit. 38; W e i n k o p f Naturgeschichte 143. 472 ) R i e g l e r Tier 146. 473 ) S u o l a h t i op. cit. 179. 474) H ö f e r op. cit. 11. 475 ) K r a n z m a y e r W b . Kommission. 4 7 t ) Ders. 477 ) G r i m m Myth. 2, 950. 478 ) op. cit. 2, 560; B e r g m a n n DWb. 3. 479 ) G r i m m op. cit. 2, 951; 3, 467 Nr. 901. 48°) B r e h m Tierleben 3 9, 124; Car. 96, S. 66. 481 ) D a l l a T o r r e op. cit. 57. 482 ) ZfSprV. 35, 9.

11. N a m e n w e t t e r k ü n d e n d e r T i e r e . Hier sind es wieder hauptsächlich die Vögel, denen die Gabe zugeschrieben wird, durch ihren Ruf oder ihr Gebahren Regen bzw. Wind vorherzusagen. Hiebei mag manches auf exakter Beobachtung beruhen. Als Regenkünder gelten: in Tirol 483) und in NÖ. 484) der Grünspecht: 'gießvogeP, vgl. engl, 'rain bird', franz. 'pic de la pluie' usw.48S) ('gießvogeP heißt in NÖ. auch der Eisvogel 486 )); der Pirol: ndd. 'regenkatte' „Regenkatze" 487), der Wendehals: 'regenbitter1 (Drautal) 488), 'charadrius hiaticula': 'regenpfeifer* (auch schriftsprachl.) 489), vgl. dän. 'regnfugP, ital. 'piviere5, franz. 'pluvier', span. 'pluviaP, engl, 'plover' 49 °). — Als Gewittervögel gelten die Schneegans, deren Untertauchen Gewitter mit Hagel ankündigt, daher 'hagelgans' 491 ), ferner das Rotschwänzchen (wohl wegen der Farbe), das eine Feuersbrunst entfacht, wenn es getötet wird 492), daher seine Namen: österr. 'branderP, brandvogel, branter, brantele, 'brantzeisele', schles. 'rotbräntelein5 49S). Die Fische spielen in diesem Kapitel kaum eine Rolle. Es sei lediglich der Schlammbeißer (cobitis fossilis) genannt, der bei drohendem Gewitter eine merkwürdige Unruhe zeigt und daher im böh-

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Tiernamen

mischen Riesengebirge 'wetterfisch' 494 ) heißt. Unter den Krustentieren ist die Mauerassel hier zu nennen, für die auch 'wetterwurm' 495) begegnet, vgl. südfranz. 'bestio de la pléjo' „Regentier" 496 ). Viel seltener als den Regen kündet der Vogelruf den Wind. In der Altmark heißt der Grünspecht 'windracker' 497), für den Brachvogel verzeichnet Nemnich 498) c •wind-' oder wettervogel\ Der Sturmvogel (procellaria) heißt auf franz. ebenso: 'oiseau des tempêtes' (Picardie)499). Charakteristisch ist sein normann. Name: 'chie-vent', 'chîvent' „Windscheißer"500). 483) D a l l a T o r r e op. cit. 39. 484) Germania 21, 209. 485 ) S w a i n s o n op. cit. 100; R o l l a n d op. cit. 2, 60 f. ; H o p f op. cit. 147 f. 48 ') H ö f er op. cit. 7. 487 ) S u o l a h t i op. cit. 173; H o p f op. cit. 128 f. 488) D a l l a T o r r e op. cit. 95; S u o l a h t i op. cit. 36; H o p f op. cit. 144. 489) S u o l a h t i op. cit. 26S f. 490 ) E d l i n g e r Tiernamen 86; G r i m m Myth. 2, 562. 4 9 1 ) B e r g m a n n DWb. 89. 492 W e i n k o p f op. cit. 46. 493 ) op. cit. 127; D a l l a T o r r e op. cit. 75; D r e c h s l e r 2, 228. 494) ZfSprV. 35, 10. 495 ) R o l l a n d Faune 3, 245. 496) Ebd. 4 9 ') S u o l a h t i op. cit. 33. 49S ) 2, 1254 f. 499) R o l l a n d op. cit. 2, 385 f. 60°) R o l l a n d a. a. O.

12. E l b i s c h e T. Da das Geschlecht der unterirdischen Geister (Elbe, Zwerge, Wichtel, Kobold usw.) gern Tiergestalt annimmt, sind elbische T. nicht weiter auffallend. Das Wort „Elbe" selbst ist in T. selten. W e i g a n d - H i r t S 0 1 ) verzeichnen aus der Jägersprache für den Iltis 'elbtier', worin 'elb' — wohl aus 'eil' — volksetym. umgedeutet ist. Vgl. 'ellkatze' = Iltis 502). Hingegen weisen mit aller Deutlichkeit auf die Elben der Eulenname engl.-dial. 'oaf' ( = Elfe) 503) sowie norw. 'elvekonge' „Elfenkönig", eine Bezeichnung für die weiße Bachstelze 504). Uber 'elbetritsch' vgl. oben 2, 761 und weiter unten. — Ein alpenländisches Wort für „Elbe" ist 'Butz' ('Putz') 505). Dies ist auch ein alter Name des Wolfes in Steiermark 506). — Nach der hauptsächlich in den Alpenländern so weit verbreiteten Spukgestalt der Habergeiß (s. d.) sind namentlich Vögel mit unheimlichem Ruf benannt. So der Waldkauz (syrnium aluco) in Tirol — seine Stimme ähnelt dem Meckern einer Geiß ®°7), dann

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der Wachtelkönig in Schwaben 508) und Niederöst. 'häbergas' 509), der Wiedehopf in Uttenheim (Tirol) 510) und endlich die Nachtschwalbe (Tirol) 511 ), die in England nach dem Kobold Puck 'puck bird' 5 1 2 ) heißt. Außerdem verzeichnet H e i n z e r l i n g 513) für den Weberknecht (Spinne) aus dem Hennebergischen 'habergeiß' und aus Retzat 'hawergaß'. Im Steirischen heißt diese Spinne 'habermann', d. i. ein Schutzgeist, der die Strahlen der Sonne meidet 514 ). — Im Schlesischen wird 'hemandl', der Name eines Waldgeistes von dem Rufe „he"!, auf die Eule angewendet 515 ). — Im Anhaltischen heißt der Trauerfliegenschnäpper 'ilmendritsch' 516 ), was identisch ist mit 'elbetritsch', westf. auch 'elbertritsch'. Über dieses Wort vgl. H e e g e r 5 1 7 ) ; im Eis. ist ilmetritsch Bezeichnung der Stockente 518). Dort waren die Ilmetritsche ursprünglich Wassergeister, den Schwanenjungfrauen vergleichbar 519). — D e r altgermanische Waldgeist 'schrat' (s.d.) lebt als 'schrätP weiter. Mit diesem Wort werden bezeichnet der Klopfkäfer im Drautal 520)„ der Schmetterling in Luserna 521 ), schließlich der Hirschkäfer an verschiedenen Orten Deutschlands522). Hierher wohl auch 'schratz' = Flußbarsch 523). Der 'Tättermann' (s. d.) ist ursprünglich ein alpenländischer Hausgeist 524). Tiernamen: 'tat'rmandP heißt der Salamander in Tirol 525), nach W e b i n g e r 526) auch im Slowenischen. Der pechschwarze Wasserkäfer (hydrophilus picens) führt in Gottschee gleichfalls diesen Namen: 'tottermandle' 527). — 'wichtl', dim. des schon im Ahd. belegten 'wicht' ('wiht' = Zwerg), bezeichnet verschiedene Vögel, wie das Käuzchen im Waldviertel (NÖ.), die Feldlerche und eine kleine weißkehlige Schwalbe im Steirischen 528). Dem Deutschen 'wichtel' entspricht norweg. 'trold' „Kobold", das von gewissen häßlichen Tieren gebraucht wird, z. B. 'kors-trold' „Walfischart", 'rumpetrold* „Froschbrut" 529). Doch gibt es auch ein deutsches 'Troll' < mhd. 'trol(le) 530). N e m n i c h 531) verzeichnet für den Hirschkäfer 'horntroll', vgl. schwedisch 'trollslända' S32 ) ('slända' = Spindel) für Li-

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Tiernamen

belle. — Insekten, die im oder auf dem Wasser leben, werden nach Wasserelben benannt. So heißt die große Libelle im Siegerland 'wassermä' 533 ), allgemeindeutsch 'Wasserjungfrau', der Wasserläufer (hydrometra) in Meerane (Sachsen) 'wassernix' 534). — Unter den Milben galt die als 'Mitesser' bekannte Haarbalgmilbe des Menschen für einen „zehrenden" Elben, der durch Zauberei in den Körper gekommen sein soll, um die Nahrung wegzuzehren 535 ). 501 ) 1, 917. 502 ) a. a. O. S03 ) R i e g l e r op. cit. 1 1 6 Anm. S04 ) N e m n i c h op. cit. 2, 606. 5 0 5 ) Vgl. hier 1, 1763 f. 506 ) U n g e r - K h u l l op. cit. 126. -507) D a l l a T o r r e op. cit. 92. 508 ) L a i s t n e r Sphinx 2, 261. 5 0 e ) H ö f e r op. cit. 13. " » ) D a l l a T o r r e op. cit. 96. 5 1 1 ) op. cit. 67. i12 ) S w a i n s o n op. cit. 96. 5 1 3 ) H e i n z e r l i n g op. cit. 20. 5 1 4 ) Grazer Volksblatt 1895 Nr. 2 1 1 . 616 ) Z a u n e r t Natursagen 1, 91. s w ) W i r t h op. cit. 4—5, S. 42. 6 1 7 ) H e e g e r op. cit. 2, 19. «*) M a r t i n - L i e n h a r t Wb. 2, 769. 51 ») S u o l a h t i op. cit. 427. 620 ) D a l l a T o r r e op. cit. 57. 5 2 1 ) op. cit. 78. 5 2 2 ) W e i n k o p f op. cit. 142« 9 . 5 2 3 ) Fragebogen des bayr.-österr. Wb.s. i24 ) W e b i n g e r in ZföVk. 31, S. A. S. 2. 5 2 6 ) 526 D a l l a T o r r e op. cit. 28. ) Webinger a . a . O . 5 2 7 ) S a t t e r op. cit. 13. 5 2 8 ) W e i n k o p f 91 528 op. cit. 143 . ) G ü n t e r t Kalypso 236. S30) W e i g a n d - H i r t DWb. 2, 1075. 6 3 1 ) 2, 457. i3a ) H e i n z e r l i n g op. cit. 15. 5 3 3 ) Ebd. 6 3 1 ) Natur u. Schule 6, 50. 5 3 5 ) H ö f l e r Krankheitsnamen 1 1 5 ; B e r g m a n n DWb. 63.

13. B e n e n n u n g e n nach der Hexe. Der weit verbreitete Glaube an die Fähigkeit der Hexen, Tiergestalt anzunehmen, spiegelt sich in vielen T. wieder. a) Vögel. Unter den Vögeln finden sich verschiedene Hexenepiphanien, daher die Namen: ndd. 'füürhex' „Feuerhexe" 536) für die Weihe. Ahd. 'holzmuoja' 637) ist „Hexe" und „Waldeule". Am Lechrain nennt man die Eule heute noch 'holzweibP 538). 'hexe' heißt die Nachtschwalbe in Ostpreußen 539). Auch ital.-dial. 'guardalepre' „Hasenhüterin" (Foggia) 540) bedeutet ursprünglich sicher „Hexe" (Vgl. hierzu schott. 'mither o'the mawkins' „Kaninchenmutter" als Name des kleinen Lappentauchers). Dem Vogel gibt seine Federhaube ein hexenartiges Aussehen541). Dem Glauben, daß die Nachtschwalbe Milch aus den Eutern der Ziegen und Kühe sauge, verdankt sie die Namen 'Ziegenmelker' und 'Kuhmelker' (mit vielen

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dial. Varianten und fremdsprachlichen Entsprechungen) 542). Auffallend durch seine Phantastik ist nö. 'kindermelcher' 543). — Im Anhaltischen heißt die Rauchschwalbe 'blutschwalbe', da man glaubt, sie verwandle durch Hinwegfliegen unter dem Bauche der Kuh die Milch des Tieres in Blut 544). Der französische Landmann nennt eine derartig verdorbene Milch 'lait harondale' (dial. franz. 'haronde' = Schwalbe). Dementsprechend heißt im Elsaß und in der Schweiz eine Eutererkrankung der Kuh 'unterflug' 545). — Im Bayr.-österr. begegnet für die Gartengrasmücke 'grashexe' 546). Ein ausgesprochener Hexenvogel ist die Elster, die schwäb. 'schätterhexe' heißt ('schättern' = kreischen), woraus durch eine naheliegende Volksetymologie 'scheiterhexe' wurde 547). In Schwaben begegnet für die Elster auch 'nagel-' oder 'gagelhexe'548). — Schlagen in Niederöst. krähende Hennen mit den Flügeln, nennt man sie 'weedahexn' 549). b) R e p t i l i e n und A m p h i b i e n . Die Eidechse gilt in manchen Gegenden als Hexentier; so bedeutet im Neuflämischen 'hakke-tisse' „Eidechse" und „Hexe" 55°). — Unter den Amphibien hat die Kröte ausgesprochene Beziehungen zur Hexe. Sie heißt in Gottschee 'hex' ('hexin') 551 ), auch 'milichkrot' 552) wegen des vermeintlichen Saugens am Kuheuter. Vgl. zentralfranz. 'tette-vache' S53 ). Einem ähnlichen Volksglauben unterliegt der Salamander: Kehrein 554) verzeichnet für das Tier 'rehmelker', westfäl. heißt er 'hackemolle' „Hexenmolch" 555 ). Vgl. in Morbihan 'er sorz' „Zauberer" 556). c) I n s e k t e n . Unter den Insekten sind namentlich Schmetterlinge und Libellen Hexenepiphanien, weniger Käfer, von denen der Maikäfer hier am ehesten in Betracht kommt. In der Sprachinsel Zong in Oberkrain heißt der Maikäfer 'zabrwabe' „Zauberweib" (auch Sagenfigur) 557 ). Nemnich 5 5 8 ) verzeichnet 'hexenkäfer', sicher eine Volksetym. des danebenstehenden 'heckenkäfer'. Der Glaube, daß Hexen in Schmetterlingsgestalt (s. unter „Schmetterling") Milch, Butter, Sahne stehlen, hat viele Schmetter-

lingsnamen gezeitigt wie 'milchdieb' 559), 'molkendieb' 560), ndd. 'botterhex' 561 ), 'bodderlicker' „Butterlecker" 562), 'smandlecker' „Sahnelecker" 563), 'ketelböter' „Kesselflicker" (Synonym von „Hexenmeister) 564), westfäl. 'hippendaif' „Ziegendieb" 565). Es ist naheliegend, daß besonders die Nachtschmetterlinge als Erscheinungsformen der Hexen gelten. So ist im Bayr.-österr. 'zauberin' = Nachtfalter 5 6 6 ),™ Bergischen'hexe' = Motte867). Auch schles. 'bielweise' „Motte" (zu

„Gespenst") bedeutete früher „Hexe" S68). — Die sonderbar gestaltete Libelle ist ebenfalls ein Hexentier. Sie heißt im Eis. 'wasserhex', 'hexenvogel', 'hexennodel' 569). 536) W o s s i d l o op. cit. 2, 399. 5 3 7 ) R i e g l e r 5 3 8 ) op. c i t . 539) Tier 1 1 5 . 1153). Suolahti 54°) o p . c i t . 20; W S . 7, 142. W S . 4, 173 f. 542) s « ) W S . 4, 1 7 5 . W S . 7, 1 3 7 ; N a t u r u. Schule 6, 5r. 5 4 3 ) H ö f e r op. cit. 7. 5 4 4 ) W S . 6 4 5 5 4 6 7, 138. ) Ebd. ) F r a g e b o g e n des b a y r . 547) österr. W b . s . Kranzmayer Wb.kom648) mission. Hovorka-Kronfeld 1, 122. « • ) W o s s i d l o op. c i t . 2, 398 f. 6 6 0 ) W S . 7, 142. i 5 1 ) S a t t e r op. cit. 8. M2) Ebd. s53) Rolland Faune 3, 46; W S . 7, 139. 5 5 4 ) Nassau 1, 326. 55e) Rolland « 5 ) N a t u r u n d Schule 6, 52. Faune 3, 77. 5 5 ' ) K r a n z m a y e r m ü n d l . M i t t . i5S) 559) 580) 2, 1237. Riegler Tier 245. B e r g m a n n Deutscher Wortschatz 96. 5 6 1 ) W o s s i d l o op. cit. 2, 425. 5 ' 2 ) op. cit. 2, 424. 5 S 3 ) op. c i t . 2, 426. 5 6 4 ) K b l f n d S p r . 2, 42. 5 6 6 ) W o e s t e 566) Wb. 103. F r a g e b o g e n des b a y r . - ö s t e r r . 567) L e i t h a e u s e r Wb.s. op. cit. 1/2, S. 25. 689) •5«8) W S . 7, 142. W o s s i d l o 2, 423.

15. T e u f e l s n a m e n . Der Teufel kann sich in mancherlei Tiere verwandeln, daher Benennungen von Tieren nach dem Teufel nicht selten sind. Für den Igel verzeichnet Nemnich 57°) ndd. 'bustedyvel' ('bustivel') „Borstenteufel". Umgekehrt hieß im Mittelalter der Teufel auch der crühe ige?. Vgl. im Engl, 'urchin' „Igel" > Kobold 6 7 1 ). Im .Gottscheeschen ist < holzganggel' „Waldteufel" eine alte Bezeichnung für „Wolf" 572). 'Waldteufel' für „Uhu" dürfte hingegen auf volksetym. Umdeutung von ursprünglichem 'waldäufl' (auf = Uhu) beruhen 573). Vgl. jedoch 'diavolo' di montagna' = Uhu in ital. Dialekten 574). — In der Lausitz heißt die Schwanzmeise Heufelsbolzen' 57S ), im Anhaltischen 'teufelspelzchen' 576), was Bächtold-Stäubli,

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Tiernamen

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Aberglaube VIII

wohl aus obigem volksetym. umgeformt ist. — Für das Wasserhuhn verzeichnet N e m n i c h 577) 'flußteufelchen'. — In Baden begegnet für den Hirschkäfer, dessen Beziehungen zu Blitz und Donner bekannt sind, des 'teufels roß' 578). 'teufelskatz' heißt in Vorarlberg die Raupe des Bärenspinners 579). — Der ausgesprochen dämonische Charakter der Libelle spiegelt sich in folgenden Namen: Schweiz, 'tüfelsgroßmueter' 580), 'teufelspferd', 'teufels reitpferd', vgl. dän. 'fandens ridehest' 581). Als Teufelstier erscheint die Spinne in Schönwald bei Gleiwitz: der 'ungenannte' 582). Werden Tiere nach dem Teufel benannt, so ist umgekehrt der Teufel zuweilen nach Tieren benannt. Namentlich im Mhd. sind solche Bezeichnungen gang und gäbe. So sind belegt 'helle-boc' 583), 'h.-gouch' (g. = Kuckuck) 584), 'h.-hunt' 585), 'h.-welP 586), 'h.-bracke' 587), 'h.-rüde' S88), 'h.-rabe' 589), 'h.-wolf' 59°), 'h.-wurm' 591 ), 'h.-tracke' (Drache) 592). Heute noch ist in Tirol für den Teufel 'gamsjakl' ('gams' = Gemse) üblich. Die Gemse gilt als Teufelsgeschöpf 593). Vgl. ital. ('Agordo') 'capra del diaol' „Teufelsziege" 594). Im Gottscheeschen begegnet für den Teufel auch 'pilichmandle', da er die Scharen der Bilche auf ihren nächtlichen Wanderungen begleitet 595). 5 7 ° ) 1, 671) 672) 1520. R i e g l e r Tier 17. 573) S a t t e r op. cit. 14. R i e g l e r Tier 1161. 5 7 4 ) G a r b i n i Antroponimie 1418. 576) Z f S p r V . 576) 677) 35, 9. W i r t h Beiträge 4 — 5 , S. 4 1 . 1 , 1 6 7 9 . 5 7 8 ) W i r t h a. a. O . S. 27. " • ) G r i m m 580) W o s s i d l o Myth. 3, 3 1 1 . op. c i t . 2, 423. M l ) G r i m m op. c i t . 2, 860; 3, 201. M2) ZfSprV. 35, 10. 5 8 3 ) G r i m m op. cit. 2, 831. M 4 ) L e x e r MhdWb. s . v . ; G r i m m o p . c i t . 2, 833. 5 8 5 ) G r i m m op. c i t . 2, 832. 5 8 6 ) E b d . 5 8 7 ) L e x e r MhdWb. s. v . 5 8 8 ) G r i m m a. a. O. 5 8 9 ) G r i m m op. c i t . 2, 833. 6 , ° ) op. cit. 2, 832. 6 9 1 ) op. cit. 2, 834. 5»2) E b d . 593) W u t t k e 5M) N a r d o S. 126 § 1 7 1 . Zoo68ä) logia veneta 35. S a t t e r op. c i t . 15.

15. R e l i g i ö s e N a m e n . Im Gegensatz zu den Hexen- und Teufelsnamen bei Tieren stehen die Benennungen nach Gott (Himmel), der h. Jungfrau u. dgl. Es wurde gelegentlich die Vermutung geäußert, diese Namen seien nach Verbreitung des Christentums an Stelle von heidnischen Götternamen getreten, was in dem 29

Tiernamen

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einen oder anderen Falle stimmen mag, ohne daß man jedoch eine Verallgemeinerung dieser B e h a u p t u n g wagen dürfte, da ja die heidnischen Namen in der Regel nicht erhalten sind. Eine Ausnahme macht höchstens die ndd. Bezeichnung 'herrgottsvogeP für den Storch, die sich als christlicher Ersatz deuten läßt, wenn man zum Vergleich das noch erhaltene schwedische 'odensvala' „Odins Schwalbe" 596 ) (Gothland) = schwarzer Storch heranzieht. 'herrgottsvöglein' (Westfal., Schwaben) heißt auch die Hausschwalbe, die nicht getötet werden darf 597 ). — Häufiger noch sind Insekten nach Gott benannt : so heißen in K ä r n t e n die R o ß k ä f e r 'unsern herrgott seine ochsen' 598 ), da sie der hl. Maria und dem Jesukinde auf ihrer R ü c k k e h r aus Ä g y p t e n behilflich waren, indem sie sich vor den Wagen spannten 599 ). 'herrgottenochs' ist in der Oststeiermark der Name des männlichen Hirschkäfers, der weibliche heißt 'herrgottenkuh' 60°). —• F ü r 'coccinella' sind aus dem Bergischen 6 0 1 ) belegt: 'gottsdîrche' (vgl. franz. 'bête au bon Dieu') 602 ), 'gotteslämmchen'. W u t t k e 603) bringt noch 'gotteskühlein', 'gotteskalb', 'herrgott skalb 1 . A u s Westfalen ist belegt 'herrgotts haineken' 604 ). Fremdsprachliche Analoga bei R o l l a n d 605) und G r i m m 606). — In Gottschee heißt der Goldkäfer (cetonia aurata) 'gottain herrnsch Kawerle' „Herrgottskäferchen" 607 ), die Feldgrille 'gottain herrnsch de röschlein 5 „Herrgottsrößlein" 608). — Von Christus hat der Kreuzschnabel seinen Namen : 'christvogel' 609 ) nach der Legende, daß er die Nägel am Kreuze des Erlösers habe herausreißen wollen 6 1 0 ). Vgl. dial. franz. 'Dieu, fils de D i e u ' 6 1 1 ) . Nach der Mutter Gottes sind benannt die Hausschwalbe: 'marienvogeP (Tirol) 612 ) 'liabnfraukinderP 6 1 3 ), der Maikäfer: 'marienwürmlein' 6 1 4 ), nach dem Himmel und den Engeln : 'coccinella' : ndd. 'himmelskühchen', 'h.tierchen', 'h.kindken' 6 1 5 ), 'leev engelke' u s w . 6 1 6 ). — Die Benennung von Tieren nach Heiligen, die im Deutschen weit weniger häufig ist als in den romanischen Sprachen, hat keine eigentlich religiöse Bedeutung, da mit dem Heiligen*

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namen meist nur die Zeit des Erscheinens des so benannten Tieres angegeben wird, wie z. B . beim Johanneskäferchen (lampyris). Vgl. Schweiz. 'Sant-Johannes güöggP 617 ) franz. c ver de Sant J e a n ' 6 1 8 ) . Der T a g des h. Johannes ist der 24. Juni. 59*) S u o l a h t i Vogelnamen 371 f. 697 ) W u t t k e S. 1 1 9 5 1 5 8 . 5 t 8 )Car. 96, 66. 5 " ) Car. 96, S. 71. 60 °) U n g e r - K h u l l op. cit. 343. 601 ) L e i t h a e u s e r op. cit. I/2, S. 23. 602) R o l l a n d Faune 3, 349. ®03) S. 114 § 151. 604) H e i n z e r l i n g op. cit. 9. ,05 ) op. cit. 2, 308. 606) op. cit. 2,578. 60 ') S a t t e r op. cit. 9. 608) op. cit. 12. 6°») S u o l a h t i i op. cit. 141. 61 °) W u t t k e S. 123 § 164. 9 n ) R o l l a n d op. cit. 2, 308. 612 ) D a l l a T o r r e op. cit. 80. 813 ) H ö f e r op. cit. 10. ®14) Natur und Schule 6, 64. 615 ) W o s s i d l o op. cit. 2,416. 616 ) Ebd. 6 1 7 ) R o l l a n d op. cit. 3, 342. 6 i e ) op. cit. 3, 343.

16. M e t a p h o r i s c h e Verwendung v o n T i e r n a m e n . E s m u ß als ein Rest von vorhistorischem Totemismus gewertet werden 619 ), wenn Volksstämme oder deren Führer nach Tieren benannt erscheinen. E s sei hier erinnert an Hengist und Horsa (Pferd) bei den Jüten, an den Gotenführer 'Berige' (Bär) und an den Anführer der Langobarden 'Ibor' (Eber) 620). A u c h die T . von Priestern und Priesterinnen bei den alten Griechen — so hießen z. B . die Priesterinnen der Artemis „ B ä r i n n e n " , die der Demeter „ B i e n e n " 6 2 1 ) — beruhen auf derselben Basis. — Altitalische Volksstämme benannten sich nach Tieren genau so wie es jetzt noch Indianerstämme tun. Die 'Hirpiner' haben ihren Namen von 'hirpus' „ W o l f " , die 'Piccnter 1 von 'picus' „ S p e c h t " 622 ). Bei den Germanen beachte man die Geschlechter der 'Wylfingas' (Wolf), 'Hundingas', 'Höcingas' ('Hoc' = Bock) 623 ). Ganz besonders verhielt sich diese A r t der Namengebung bei den Südslawen, wo Geschlechter-, Stamm- und Sippenverbände sowie einzelne Familien T . tragen. A m häufigsten sind vertreten Wolf ('vuk') und Schlange ('zmaj') 624 ). Während diese Namen deutliche Spuren einer alten Tierverehrung sind, werden in der Neuzeit entsprechend der veränderten Auffassung des Tieres T . zur Verspottung eines Nachbarvolkes gebraucht. Vgl. tirol. 'Boarfäkchn' für die Bayern, 'Hundehessen' u. dgl. 625 ). Wenn umgekehrt Völkernamen auf Tiere angewendet werden.

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Tieropfer

so liegt mehr oder minder dieselbe unfreundliche Absicht zu Grunde. Vgl. 'Russen', 'Schwaben', 'Franzosen' als Bezeichnung der Küchenschabe 626 ), 'Franzosen' auch für die Wespen 627 ), ' Jud' für den Hasen (Schweiz) 628). Von diesem metaphorischen Kollektivgebrauch gewisser T. zum Zwecke der Beschimpfung oder Verhöhnung bis zur Belegung der Einzelperson mit einem T. ist nur ein Schritt. Wie in allen anderen Sprachen werden auch im Deutschen T. als Schimpfwörter von Individuum zu Individuum gebraucht. 'Hund', 'Schwein', 'Esel', 'Affe' sind die verbreitetsten Tierschimpfwörter 629), die nahezu internationale Geltung haben. 'Rind' ('Ochs') hingegen gelten nicht in allen Sprachen als Schimpfwörter. Cohn 630) spricht sich für totemistischen Ursprung aus. In den ältesten Zeiten der geschichtlichen Menschheit, wo man fest überzeugt war, daß Menschen von Tieren abstammten, war der Satz: „ D u bist ein H u n d " ganz wörtlich zu fassen, in dem Sinne nämlich, daß der Angeredete wirklich ein Hund sei, insofern die Seele eines Hundes in ihn gefahren sei 6 3 1 ). «19) Urquell 3, 24. 62 °) H o o p s Reallex. 4, 430 f. 6 n ) S a m t e r Religion 9. 6 ; 2 ) H o o p s 625 ) a. a. O. 623 ) Ebd. ®24) Urquell 3, 24. 626 ) H o o p s a. a. O. H a r t w i g op. cit. 48. 6 2 i ) op. cit. 40. 628) W o s s i d l o op. cit. 2, 397. 629 ) C o h n Tiernamen 8. 930 ) Ebd. 6 3 1 ) Ebd. Riegler.

Tieropfer. 1. D a s u r s p r ü n g l i c h e Menscheno p f e r wurde mit fortschreitender Kultur (regelmäßigem Ackerbau und Viehzucht) a b g e l ö s t v o m T., „das hier seine ersten Wandlungen vom individuellen Blutzauber zum gemeinsamen Opfermahl erfährt" 1 ). Durch das Opfermahl wurde der Mensch der durch den Gegenstand des Opfers vermittelten Zauberkraft teilhaftig. Zugleich ließen Erwägungen wirtschaftlicher Natur ein neben dem im eigentlichen Sinne blutigen Opfer übliches Vergraben des Tieres im Acker oder Versenken desselben im Fluß dem praktischen Sinn des primitiven Menschen mehr und mehr untunlich erscheinen 2 ). D i e ä l t e s t e n O p f e r t i e r e waren dem-

902

zufolge auch d i e s c h l a c h t b a r e n H a u s t i e r e : cur non eis et canes, ursos et vulpes mactatisü quia rebus ex his deos par est honorare coelestes, quibus ipsi alimur, sustentamur et vivimus, et quas nobis ad victum sui numinis benignitate dignati sunt (Arnob. 7 , 1 8 — 2 0 ) 3 ). Je nach Volk, Zeit und Ort wurden verschiedene Tiere verwendet. Bei den Römern war das am meisten gehaltene Haustier, das Schwein, das gewöhnlichste Opfertier; Schwein, Schaf und Stier, die Repräsentanten der drei Hauptvieharten, wurden bei den bedeutendsten Opfern, den suovetaurilia, dargebracht 4 ). Bei den Germanen war das Opfer eines Pferdes bei weitem das vornehmste. Pferdeopfer kannten auch slavische und finnische Völker ebenso wie Perser und Inder. Mit der Ausbreitung des Christentums wurde gerade das Pferdeopfer besonders verpönt; man hielt es für ein Zeichen hartnäckiger heidnischer Gesinnung, wenn jemand Pferdefleisch aß (Erinnerung an das Opfermahl!). Wo es Esel gab, traten schließlich diese an die Stelle des Pferdes. Schlesische Bauern, die Eselsfleisch statt Pferdefleisch aßen, wurden wegen dieser heidnischen Sitte von ihren Nachbarn als „Eselsfresser" verspottet 5 ). Bei den Opfertieren achtete man darauf, ob sie trächtig waren oder nicht (Arnob. 7, 22), ob sie Haare oder Borsten hatten (Weisth. 3,478); beim Kauf der Tiere durfte man nicht handeln. Besonders wichtig erschienen aber F a r b e u n d G e s c h l e c h t der O p f e r t i e r e . Man scheint den männlichen Tieren im allgemeinen den Vorzug gegeben zu haben; die Griechen opferten den Göttern ein männliches, den Göttinnen ein weibliches Tier (II. I I I 103) 6 ). Indische Opfervorschriften verlangen öfters mehrfarbige Tiere (Schecken), wie überhaupt im Glauben und in den Sagen indogermanischer Völker scheckige Tiere, besonders bunte Kühe und Stiere, eine Rolle spielen. Ein Nachklang solcher alten Vorschriften liegt wahrscheinlich vor, wenn nach den deutschen Weistümern die der Obrigkeit zu entrichtenden Tiere schwarz-weiß ge29*

903

Tieropfer

färbt sein müssen 7). Sonst werden ganz weiße, oder ganz schwarze Tiere bevorzugt, rote Tiere vermehren, ,,wie das Bestreichen mit Blut oder mit roter Farbe oder das Einhüllen in rote Gewänder" (Substitute für Blut!), die magische Kraft des Geistes, dem das Opfer dargebracht wird 8 ). Schwarze Tiere wurden den chthonischen Gottheiten geopfert. Daher erhielten dann böse G e i s t e r mit Vorliebe s c h w a r z e T i e r e : so warf man z. B. einen schwarzen Hahn als Opfer für die Wassergeister in die Bode (Harz) oder vergrub einen schwarzen Kater nachts unter einem Baum auf dem Felde (Böhmen) 9). Kohlschwarz sind die Opfertiere, die der Teufel liebt. Darum ist das bei Schatzhebungen immer wieder verlangte Opfer ein schwarzes Schaf, ein schwarzer Bock, ein schwarzes Huhn oder eine schwarze Katze (Hessen, Niedersachsen u. a.). Auch Bergmännchen (ebenfalls chthonischer Natur!) beschwört man, indem „man ihnen einen neuen Tisch setzt, zwei Milchschüsseln, zwei Honigschüsseln, zwei Teller und neun Messer daraufstellt und eine schwarze Henne schlachtet" 10 ). Bei vielen indogermanischen Völkern wird außer der Berücksichtigung von Farbe und Geschlecht für das Opfertier auch Unb e r ü h r t h e i t von j e d e r A r b e i t (Od. I I I 382t.) verlangt. Solch unberührte Fohlen oder Rinder wurden nach den alten deutschen Rechtsdenkmälern zu feierlichem Landerwerb oder zum Todpflügen der Marksteinfrevler verwendet 11 ). Auch Z u c h t t i e r e oder s ä u g e n d e Tiere, die in der Volksmedizin Deutschlands eine große Rolle spielen, wurden im Altertum n i c h t g e o p f e r t . Verschnittene Tiere eigneten sich für die Toten, nicht für die Götter 12 ). Zum Opfer wurden die Tiere bekränzt und g e s c h m ü c k t . Od. I I I 3 8 2 ! heißt es: 001 ö'au i-yä» pe£a> ßoöv . . . . ^poaov xspaatv itspi^eua?. K ü h e mit v e r g o l deten Hörnern werden verlangt, Edda Saem. 141», während im Mansfeldischen ein kohlschwarzes Rind mit weißer Blässe und weißen Füßen und ein Z i e g e n b o c k mit goldenen

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Hörnern entrichtet werden mußte. In Thüringen glaubt man, daß man ein goldenes F e r k e l zu Gesicht bekomme, wenn man am Christabend bis zum Abendessen sich der Speisen ganz enthalte. Offenbar ist das eine Erinnerung an alte, dem Freyr dargebrachte Eberund Ferkelopfer, wie sie sich auch in Schweden in dem bis in jüngere Zeiten geübten Gebrauch erhalten hat, „alle Julabende Brot oder Kuchen in Ebergestalt zu verbacken" 13 ). Dann wurden die T i e r e in der Volksversammlung herumgeführt, wahrscheinlich um den Anschein zu erwecken, als gingen sie f r e i w i l l i g in den Tod 14 ). Griechen und Römer legten darauf besonderen Wert, wie sie den Tieren auch vor der Schlachtung die Stirnhaare abschnitten und sie als Symbol des ganzen Tieres, auf das der Gott Anspruch hätte, weihten 15 ). Dann wurde das Tier geschlachtet und das Blut (s. d.) aufgefangen. Man bestrich damit die heiligen Geräte und besprengte die Teilnehmer (Blutzauber!). Auch zu Weissagungen wurde es benutzt, vielleicht auch unter Bier oder Meth gemischt getrunken. Reine Brandopfer (holocausta) scheinen bei den Germanen nicht gebräuchlich gewesen zu sein. Den Göttern überwies man edlere Teile des Tieres: Kopf, Herz, Leber, Zunge, während das Fleisch von den Teilnehmern verzehrt wurde 16 ). Als Ersatz für das Opfer von Haustieren galt zu gewissen Zeiten auch das blutig erlegte J a g d t i e r . Doch mußten es offenbar concessa animalia (Tacit. Germ. 9) sein, also Hirsche, Rehe u. a. Nur bei S ü h n e o p f e r n wurden nicht eßbare T i e r e dargebracht (analog dem ursprünglichen Menschenopfer), besonders Tiere, die man für Menschenfresser, Menschenblutsauger, Leichenfresser u. a. hielt (Geier, Hyäne, Krokodile, Taucher, Blutegel, Schlange, Fledermaus), oder solche, die als Toten- und Seelentiere (Bär, Wolf, Hund, Eidechse, Schlange, Kröte, Wiesel, Maus u. a.) als geisterhafte Wesen selbst Verehrung genossen 17 ). Schließlich wurde das blutige T. überhaupt ersetzt durch Opferung sym-

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Tieropfer

bolischer Figuren aus Teig, d i e G e b i l d b r o t e (s. d.), die in den unter unserem Weihnachtsgebäck beliebten Tierformen weiterleben. Auch die e i s e r nen T i e r e , die man in früheren Jahren in Rattersdorf, zwischen Lockenhaus und Güns, am Vitusberg bei Güns, ferner noch 1870—71 in Schlüsserbrunn auf dem Hochlantsch und in der Kirche Maria Rehkogl in Frauenberg am Rennfeld bei Bruck a. M. opferte, gehören hierher 1 8 ). i ) W u n d t Mythus u. Religion 3, 429. 467 f . ; Meyer Religgesch. 414 ff.; Scheftelowitz Huhnopfer 1 ff.; W l i s l o c k i Magyaren 26; P f a n n e n s c h m i d Weihwasser 81; H ö f l e r Organotherapie 9 ff.; S o m m e r Haar 53. 2) N a u m a n n Gemeinschaftskultur 73. 3 ) G r i m m Myth. 3, 26; H o v o r k a u. K r o n f e l d i, 419; F i s c h e r Angel4) W i s s o w a sachsen 7. Religion1 31. 345 ff. ») G r i m m Myth. 1, 40; MschlesVk. 15 6 Myth. 3, 26. (1906), 139 f) Grimm ' ) G o l d m a n n Einführung 73 ff. 80 f. 8 ) Z f V k . 23 (1913), 261. 9 ) Z f V k . 23 (1913), 150. 1 0 ) G r i m m Myth. 2, 843; K u h n u. S c h w a r t z 11 Nr. 1 1 . n ) G r i m m Myth. 1 , 4 4 f.; G o l d m a n n Ein12) führung 83. H ö f l e r Organotherapie 33. 1 3 ) G r i m m Afy/Ä. 1,41 ff. 1 4 )ebd. 1,45. 1 5 ) S o m mer Haar 53 ff. 1 6 ) G r i m m Myth. 1 , 4 5 ft.; 17) M ü l l e n h o f f Altertumsk. 4, 218. Grimm Myth. 1, 37 f. 43; R e u t e r s k i ö l d Speisesakr. 20; S t e m p l i n g e r Sympathie 56; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 419; R o s c h e r Sieben- u. Neunsahl n o A. 199. 113. 1 8 ) B r o n n e r Sitt' u. Art 10; M e y e r Religgesch. 416; Z f r w V k . 1912, 265; H ö f l e r Weihnacht 64 f.; Organotherapie 285 f.; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 297. 338; ZföVk. 9 (1903), 204 f.

2. Die m i t d e m a l t e n T. z u s a m m e n hängenden Gebräuche und Vors t e l l u n g e n haben ein ungemein zähes Leben und sind z. T. heute noch nicht ausgestorben. Noch im 17. Jh. sollen in Ostpreußen ganz nach heidnischem Ritus mit abschließendem Opfermahl geheime Opfer von Böcken gefeiert worden sein, während man in Samland gleichzeitig Schweine opferte, um reichen Fischfang zu erlangen. Das als Festtagsbraten in vielen Gegenden bevorzugte Schweinefleisch und der mit Blumen geschmückte, einen Apfel oder eine Zitrone im Maul tragende Schweinskopf, den bei hessischen Hochzeiten eine Jungfrau in feierlichem Zug durch das Dorf trägt, erinnern an alte Eberopfer. Nicht anders zu beurteilen sind der bekannte Pfingstochse und

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der „Osterochse", den man in Überlingen a. See mästet, um ihn bekränzt durch die Stadt zu treiben, dann zu schlachten und jeder Familie den Festtagsbraten zukommen zu lassen. In Lachenau (Oberbayem) wird zu Ostern ein Widder gebraten, den die Hofbesitzer abwechselnd stiften. Dann wird das gebratene Tier schön verziert, seine Hörner vergoldet (!), darauf der „Braten" in der Kirche geweiht und schließlich im Wirtshaus an die Hirten und Taglöhner verteilt. Auch die Schnitter- und Dreschermahle, bei denen jeder Arbeiter seinen Anteil von der ,,Sau" bekommt, gehen auf alte Opfer zurück 19 ). Auch das Opfer lebender Tiere statt des blutigen T.s hat sich in den mannigfachen Spenden an Kirchen, bzw. den vielerorts üblichen Geschenken an den Ortspfarrer erhalten. Ein ebenso lehrreicher wie amüsanter Fall wird von der protestantischen St. Veitskapelle bei Wiescht (Mittelfranken) berichtet. Zur Zeit des evangelischen Pfarrers Hörn (1632—1661) wurde dort eine K u h als Opfer an den Kirchturm gebunden. Ein Bericht des Pfarrers an das Konsistorium zu Ansbach aus dem Jahre 1671 besagt: Von jungen Hühnern geht wenig ein, welche man sonst häufig geliefert und in einem gewissen Behälter in der Kapelle gesperrt. Weil ich aber dieses wegen des Krähens unter der Predigt nicht leiden wollen, so unterläßt man's. Doch bringt man manchmal etwas von Hühnern in mein Haus 20). In einigen Gegenden Litauens schlachtet man beim Tod eines Familienmitgliedes ein Stück Vieh. Darin hat man eine Art T o t e n o p f e r zu erblicken, bei dem ja auch Tierblut das Menschenblut ersetzte 21 ). Besonders deutlich tritt uns dieser Brauch in der Opferung des Pferdes beim Leichenbegängnis eines Soldaten entgegen. In Deutschland wurde dieses Opfer zum letztenmal wohl bei dem Leichenbegängnis des Kavallerieoffiziers Friedrich Kasimir, das im Jahre 1781 in Trier nach den Formen des Deutschen Ordens stattfand, vollzogen: als der Sarg in das Grab gesenkt war, tötete man das

90 7

Tieropfsr

im Leichenzug mitgeführte Tier und warf es in die Gruft. Noch heute lebt das alte Opfer, freilich in sehr abgeschwächter Form, fort in dem Brauch, das Leibpferd eines gestorbenen Fürsten oder hohen Militärs im Leichenzug hinter dem Sarg zu führen 22 ). Schließlich sei an die ziemlich zahlreichen, mit ,,-haupten" gebildeten Ortsnamen, wie Tierhaupten, Roßhaupten (Bayern) erinnert, die ebenso wie das im Aargau und Zürcher Land häufige ,,Häuptli" auf alte Opferstätten deuten 23 ). 19 ) W u t t k e 289 ff. § 4 2 3 — 4 2 6 . 2 0 ) Z f V k . 21 ( 1 9 1 1 ) , 120. 2 1 ) S a r t o r i Totenspeisung 1 7 f.; W u t t k e 290 § 425. 2 2 ) T y l o r Cultur 1,467. « ) ZfdMyth. 2 (1854), 241 f.

3. Auch bei der L u s t r a t i o n (s. d.) begegnen wir dem T., wobei das Opfertier vollständig vernichtet wird (durch Verbrennen, Vergraben usf.). Noch im letzten Viertel des 18. Jh.s stürzte man in einigen Gegenden Deutschlands am Jakobitag (25. Juli) einen Bock mit vergoldeten Hörnern (s. o. § 1 ) und mit Bändern geschmückt unter Musikbegleitung vom Kirchturm oder vom Rathaus herab. Dann stach man ihm das Blut ab, das man trocknete und als Heilmittel in vielen Krankheiten aufbewahrte (s. S ü n d e n b o c k ) 24 ). In denselben Kreis gehört die grausame, jetzt meist ganz abgekommene oder durch Verwendung einer (in Kohlstädt im Lippeschen Wald: vergoldeten) Hahnenfigur abgeschwächte Sitte des Hahnschlagens (s.d., s. H a h n , E r n t e h a h n ) . Aus dem Hahnopfer entwickelte sich auch die über ganz Deutschland verbreitete Unsitte, Eulen, Habichte, Weihen und andere Raubvögel ans Scheunentor zu nageln 2 5 ). Der letzterwähnte Brauch greift schon über auf den Glauben an die apotropäische und zauberische Kraft der T. Dem weitverbreiteten Glauben, die Erde (bzw. ihre Geister) fordere ein Opfer, wenn ein Stück des Bodens menschlichen Zwecken nutzbar gemacht werde, verdanken ebenso merkwürdige wie grausame, noch keineswegs ausgestorbene Opferbräuche ihre Entstehung. Um einem Kirchenbau Festigkeit zu ver-

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leihen, mauerte man ein Lamm unter dem Altar ein; auf dem Kirchhof grub man ein lebendiges Pferd ein, bevor ein Toter der Erde übergeben wurde 2 6 ). Auch bei der G r u n d s t e i n l e g u n g v o n P r o f a n b a u t e n pflegte man an Stelle der ursprünglich auch hier üblichen Menschenopfer in Frankreich wie in Deutschland lebende Tiere (Hund, Katze, Huhn) einzumauern. Eine Milderung dieses grausamen Brauches stellt das Besprengen des ersten Steins oder der Grundmauern mit dem Blut des Opfers dar. In dieser Form hielt sich das Opfer z. B . in der Bretagne bis ins J a h r 1862. Unsere heutige Sitte, bei Grundsteinlegungen Münzen u. dgl. in den Stein einzumauern, stellt den letzten, vielfach nicht mehr verstandenen Abkömmling jenes alten Brauches dar 2 7 ). Demselben Vorstellungskreis entstammt der Aberglaube, daß d a s e r s t e W e s e n , w e l c h e s ein n e u e s H a u s b e t r i t t , s t e r b e n m ü s s e . Deshalb soll jeder, der eine neue Wohnung bezieht, zuvor etwas Lebendiges, eine Katze oder einen Hund, eine Maus oder einen Maulwurf, hineinwerfen 28). Brautleute sollen beim Heimgang von der Kirche eine schwarze Henne voran zur Haustür hineinlaufen lassen oder zum Fenster hineinstecken. Dann kann ihnen nichts schaden, und das Glück wird im Haus wohnen 29 ). Auch im F r u c h t b a r k e i t s und W e t t e r z a u b e r spielen T. eine Rolle; so, wenn in Böhmen ein schwarzer Kater unter merkwürdigen Zeremonien nachts auf dem Feld lebendig verscharrt oder im Frühling in einer Pfütze ertränkt und dann unter einem Baum im Garten oder auf dem Feld vergraben wird. Der Zweck ist immer Besänftigung des „bösen Geistes", der sonst den Bäumen und Feldern schaden könnte 30 ). Wenn heute Pferdehufe, Schweinsköpfe, Haare vom gebrühten Schwein, die tierische placenta, Hühner- und Taubenblut vielfach als ausgezeichnete Düngemittel für Obstbäume gelten, so sind auch das Überbleibsel alter T., die man zur Versöhnung des Fruchtbarkeitsgottes für notwendig hielt 3 1 ). Nach der Chemnitzer Rocken-

philosophie suchten die Maurer für die Zeit eines Neubaus dadurch gutes Wetter zu bekommen, daß sie einen rote"n Haushahn mit einer großen Metze Hafer oder Gerste und einer großen Schüssel Wasser einmauerten. Man war überzeugt, das Wetter bleibe so lang gut, als das Tier zu fressen und zu saufen habe 3 2 ). Die für Frankreich durch zahlreiche Belege bezeugte Verbrennung lebendiger Tiere im Wetterzauber 33 ) scheint für Deutschland nicht belegt zu sein. Besonders verbreitet waren die T. b e i Viehseuchen. Auch in Deutschland scheinen sie noch nicht gänzlich ausgestorben zu sein. Fällt ein Füllen oder Kalb wiederholt, so vergräbt es der Bauer im Garten und pflanzt eine Fach- oder Satzweide dem Tierkadaver ins Maul. Der daraus wachsende Baum schützt das Bauerngut in Zukunft vor ähnlichen Unglücksfällen; deshalb darf er auch nie beschnitten werden. Solche arbores ex morte

910

Tieropfer

9 09

vel

tabo

immolatomm

divinae

er-

wähnt schon Adam von Bremen 34 ). Auch die Köpfe der Opfertiere (s. T i e r k ö p f e ) und ihre Nachbildungen, die man an Bauernhöfen anbrachte, galten diesem Zweck 3S ). Junge Hunde, unter der Stalltürschwelle oder der Futterkrippe lebendig vergraben, sollen gegen Viehkrankheiten gute Dienste tun 36 ). Wir haben das, wie das Folgende, als Sühnopfer für die Krankheitsdämonen aufzufassen, die sich des Viehs im Stall bemächtigen wollen. Denn der Kuhtod, ein ungeheurer Stier, naht wie die Pest 3 7 ). Ist die Seuche bereits ausgebrochen, so wird das erste gefallene Tier vergraben und ihm eine Weide oder ein Reis ins Maul gepflanzt. Auch zu Opfern lebender Tiere greift man in solcher Not. In Beutelsbach bei Stuttgart versuchte man während einer Viehseuche auf den Rat eines alten Weibes den Hummel (Zuchtstier) lebendig einzugraben. Erst beim dritten Versuch glückte es, das mit Blumen bekränzte, starke Tier, das immer wieder ausbrach, in der Grube zu ersticken. Die Beutelsbacher haben davon den Namen „Hummelsbacher" 38 ). Ein schlesischer Schäfer köpfte in seiner Not das zuletzt „ver-

rückt" gewordene Schaf und vergrub den Leichnam an der Giebelseite des Stallgebäudes 39 ). In der Eifel verbrannte man bei einer unter den Schweinen ausgebrochenen Seuche ein gefallenes Tier und ließ die noch gesunde Herde von der mit Hafer vermengten Asche fressen 40). Hierbei kommt der allgemein verbreitete Glaube an die große Heilwirkung von Rauch und Asche des T.s zur Geltung 41 ). Zu den spätesten Herdent.n zählt wohl das vom Jahre 1841 in Burggen. Man ließ, als unter dem Vieh der Lungenbrand ausgebrochen war, die ganze Herde über eine bei der Kapelle der Mutter Anna quergestellte Stange springen. Die Kuh, die zuerst sprang, wurde in der Kapelle geopfert 4 2 ). Man loste also hier auf altheidnische Art das Opfertier aus, genau wie 1759 nach dem votum publicum des Weilheimer Rates bei einer Viehsucht u. a. jenes „ R o ß " zum Opfer zu St. Leonhard im Forst bestimmt wurde, „welches voran von der Weide nach Hause geht" 43 ). Schon früh wandelte sich dieses ~bei Viehseuchen dargebrachte Sühnopfer in ein jährlich wiederholtes Schutzopfer apotropäischen Charakters. Wenn deshalb nach der Sage im früheren Kloster Michaelstein bei Blankenburg a. H. Ochsen und Pferde fielen, so oft man die Statue des hl. Michael am Amtshause von ihrer Stelle nahm, so haben wir hierin einen Hinweis auf das früher am St. Michaelistag übliche T., bei dessen Unterlassung Tierseuchen eintraten 44 ). 24) G r i m m Myth. 3, 26; ZfVk. 23 ( 1 9 1 3 ) . 234 f.; S t r a c k Blut 55 ff. 2 5 ) J a h n Opferge-

bräuche, 6 2 . 1 8 6 . 1 9 0 ; B i r l i n g e r Aus Schwaben

378.

Zur

2e)

gof.;

G r i m m Myth. 2, 956.

Volksk.

292 f.

28)

Grimm

22

Myth.

Nr.

2,

Liebrecht

294; S e b i l l o t Folk-Lore

Bohnenberger

1912,230.

27)

1;

3,451;

4,

ZfrwVk. Wett-

s t e i n Disentis 175 Nr. 47. 2 9 ) G r i m m Myth. 3, 446. 3 0 ) G r o h m a n n 56, 1 4 3 ; W e i n h o l d Ritus 28. 3 1 ) H ö f l e r Waldkult 4; D r e c h s l e r 2,82;

J a h n Opfergebräuche 1 7 ; S a r t o r i Sitte u. Brauch 3 , 1 2 0 . 3 2 ) G r i m m Myth. 2, 9 5 6 ; J a h n Opferge-

bräuche 61. 3 3 ) N i l s s o n Jahresfeste 34. 3 4 ) G r i m m A/y/A. 3, 464 Nr. 838; 1 , 6 1 ; 2 , 5 4 2 . 3 5 ) ZfVk. 4 (1894), 458. 3 8 ) G r i m m Myth. 2, 956; J o h n Westböhmen 290; ZfVk. 10 (1900), 88. 3 7 ) G r i m m Myth.

«) 269.

3, 348.

38)

ebd.

S c h m i t z Eifel 42)

39)

i, 99-

R e i s e r Allgäu

Z f V k . 4 (1894), 458. 41)

ZfrwVk.

2,382. « ) H ö f l e r

1912,

Wald-

kult 71.

912

Tierorakel

9ii 44)

J a h n Opfergebräuche 67; Z f V k . 11

(1901), 196.

4. Schließlich sei noch kurz auf die große Bedeutung hingewiesen, welche das T. für die V o l k s m e d i z i n (s. d.) hat. Die Teile des Opfertiers, vor allem sein Herz und Blut, galten als Heilmittel 45 ). Gegen Epilepsie hilft das Blut einer schwangeren Eselin (Oldenburg), eines Bocks (Thür.), Taubenblut (Oberbayern), Wieselblut (Tirol), Katzenblut (Siebenbürgen), Schafblut (Simmental) 46 ). In Dithmarschen trinkt man Tierblut gegen Schwindsucht, während Gemsblut, warm getrunken, schwindelfreimacht (Simmental) 47). Statt des T.bluts wendet man hier und dort selbst heute noch ein auch von den Ostmongolen geübtes Mittel, das B a l n e u m a n i m a l e , an: das gelähmte Glied wird in den noch mit den Gedärmen gefüllten Leib eines frischgeschlachteten Tieres gesteckt, um die Lebenskraft des warmen Blutes auf den kranken Körperteil zu übertragen 48 ). Celsus 5, 27 empfiehlt: vivum gallinaceum pullum per medium dividere et protinus calidum super vulnus imponere, sie ut pars interiori corpori iungatur. Das Auflegen des warmen Tierfleischs verfolgte denselben Zweck wie das erwähnte Balneum. Jene Hühner verwendete man vor allem bei Lupus 49). Indes muß man sich hüten, jede Verwendung von Tierblut oder Tierteilen mit dem alten T. in Zusammenhang zu bringen. In vielen Fällen ist es die Zauberkraft eines Seelentiers (s. T i e r e § 4) oder die seines Blutes, die eine Heilung herbeiführen soll. So in all den Fällen, in denen Kröten, Wiesel u. a. auf irgendeine Weise zu Tode gebracht und dann ganz oder in Teilen zu Heilzwecken verwendet werden Andere sind sympathetische Kuren usf., wenn z. B. ein Knabe sich einen jungen Frosch unter die Zunge legt, ihn durch Drücken dort langsam sterben läßt und zeitlebens die Kraft erhält, die Froschgeschwulst an der Zunge (Ranula) zu heilen, indem er dem Kranken in den Mund bläst (Bayern); oder wenn man auf ein Krebsgeschwür einen lebendigen Krebs bindet, bis er stirbt und ihn

dann vor Sonnenaufgang vergräbt (Franken) 51 ). 45) G r i m m Myth. 2, 981; H ö f l e r Organotherapie 9. 49. 4 6 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2,

2 1 7 ; S e y f a r t h Sachsen

294.

47)

U r q u e l l 4 (1893),

279; Z a h l e r Simmenthai 77. 4 8 ) G r i m m Myth. 2, 980; H o v o r k a u . K r o n f e l d 2 . 2 1 3 . 4 9 ) G r i m m Myth. 2, 980. 5 0 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 415; L e s s i a k Gicht 131; W u t t k e 126 §170; 355 § 5 3 2 ; 3 5 6 § 534- 5 1 ) W u t t k e 316 §467; 322 § 477Mengis.

Tierorakel.

1. Die B e o b a c h t u n g der dem primitiven Menschen auffälligen und oft geheimnisvoll vorkommenden L e b e n s e r s c h e i n u n g e n in der T i e r w e l t ist wohl die ursprüngliche Form der T. Die Entdeckungen, die auf solche Weise gemacht wurden, und die Schlußfolgerungen, die man aus ihnen zog, verloren wohl schon früh ihr Aussehen als etwas Zufälliges und gewannen bald den Schein des Gesetzmäßigen und vererbten sich so von Generation auf Generation. Man stellte also zwischen dem Auftauchen und Verschwinden gewisser Tiere und dem Wechsel der Jahreszeiten einen Zusammenhang fest, und es ist kein Zufall, daß zu den beliebtesten Orakeltieren die Zugvögel gehören, deren sich bezeichnenderweise ja auch das Volkslied, vom rhodischen Schwalbenlied (Hiller-Crusius 44, Bergk 41) bis zum Kinderlied unserer Zeit, angenommen hat. Aus der Fähigkeit vieler Tiere, infolge der schärferen Sinne das Herannahen feindlicher Tiere anzuzeigen, lange bevor der Mensch etwas wahrzunehmen imstande ist, verleitet zu dem voreiligen Schluß, die Tiere verdankten diese Gabe irgendwelchen übernatürlichen Eigenschaften. Kommen seltene oder sonst wohlbekannte Tiere in großer Anzahl in eine Gegend, so schiebt man diesem Umstand die Schuld an gewissen günstigen oder ungünstigen Ereignissen zu, wie man z. B. in den Jahren 1562 und 1573 in Belgien die schlechte Witterung und die kriegerischen Ereignisse dieser Jahre mit den damals auftretenden ungeheuren Schwärmen von Schmetterlingen in Zusammenhang brachte. Andere T. schöpfen Nahrung aus der Lebensweise der einzelnen Tiere,

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Tierorakel

wenn z. B. das Erscheinen von Geiern und Raben vor einer Schlacht ungünstig gedeutet wird, da diese Tiere die Leiber der Gefallenen verzehren. Wieder andere Tiere sind befähigt, die Zukunft zu prophezeien, weil sie mit dem Menschen in besonders familiärem Verhältnis stehen, so die wirklichen und die nur in abergläubischer Einbildung existierenden (Hausschlange, -unke, Mühmlein) Haustiere. Oft beschränkt sich hier die Prophetengabe auf bestimmte Zeiten, mit Vorliebe auf die Christnacht, die Neujahrsnacht und die Nacht zum 6. Januar 1 ). Besonders beliebt sind die Tiere als Wetterpropheten. Aber man begnügt sich nicht mit der bis zu einem gewissen Grad berechtigten Feststellung, daß die Tiere schon eingetretene, dem Menschen aber noch nicht fühlbare Veränderungen in der Atmosphäre wahrnehmen können, sondern schreibt ihnen auch die Eigenschaft zu, künftige Veränderungen des Wetters, ja die Beschaffenheit der künftigen Jahreszeiten auf Wochen und Monate hinaus anzeigen zu können. Wenn z. B. die Wespen ihre Nester in der Erde oder in Gebüschen bauen, soll der Sommer trocken werden; viel Regen wird er dagegen bringen, wenn sie geschützte Orte (z. B. unter Dächern) bevorzugen 2 ). Von hier ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum Regenzauber, der auf der Vorstellung basiert, daß manche Tiere, besonders Wassertiere, Verursacher des Regens sind3). Neben solchen g e l e g e n t l i c h e n , zuf ä l l i g e n T.n stehen die w i l l k ü r l i c h h e r v o r g e r u f e n e n , erbetenen, die jetzt nur noch bei solchen Völkern in Übung sind, bei denen mit der Zeit ein eigener Priesterstand (AuguralWissenschaft) entstand 4 ). Dazu kommen die k ü n s t l i c h g e m a c h t e n O r a k e l , die von Tieren ausgehen, welche nicht völlig frei sind, sondern dauernd oder vorübergehend in der Gewalt des Menschen stehen und daher in ihren Handlungen beschränkt sind. Hierher gehören die heiligen Katzen und der heilige Stier Apis der Ägypter, die „griechischen Rinderorakel aus den Bewegungen zweier pflügender Ochsen, die

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Pferdeorakel der Germanen und Slaven" (Dressur) 5 ). Die untrüglichsten Orakelspender sind selbstredend die h e i l i g e n T i e r e (s. Tier), wie Pferd, Hund, Vögel, durch die nach dem Volksglauben die Gottheit selbst entweder dem Einzelmenschen ratend oder warnend sich offenbart oder ganze Heere und Völker zum Ziele führt. So wurden z. B. die Sabiner durch ihren Nationalgott Picus, der sich in Gestalt des Spechts auf ihr Feldzeichen setzte, in das Gebiet des späteren Picenum geleitet 6 ). Auch die Seelen der V e r s t o r b e n e n nähern sich in T i e r g e s t a l t (Hund, Hase, Schlange, Vogel, Kröte) den Menschen, um sie zu warnen '). S c h i c k s a l s t i e r e , die als Schutz-, Glücks- und Unglücksbringer und Todesboten gelten, zeugen von der weiten Verbreitung animalistischer Vorstellungen. Sie erscheinen nicht nur auch heute noch überall in Deutschland, sondern sind den Australiern und Polynesiern ebenso bekannt wie den Bewohnern der slawischen Länder und "den Livländern und Esten 8 ). Indes ist „die gelegentliche, vom Augenblick eingegebene, später traditionell vererbte Verwendung von Tieren zu Orakelzwecken zu allen Zeiten und bei allen Völkern die u r s p r ü n g l i c h e F o r m der Tierorakel"9). Als u n h e i l v o l l gilt allgemein, wenn ein Tier von h i n t e n erscheint oder gehört wird (s. Angang) 1 0 ), kommt einem ein Tier e n t g e g e n , so ist es ein s c h l e c h t e s Zeichen (Tier als Warner). Als g ü n s t i g e s Zeichen wird es betrachtet, wenn das Tier vor dem B e s c h a u e r h e r g e h t (Tier als Führer). Sehr wichtig ist, ob das Tier r e c h t s oder l i n k s (s.d.) oder t a s c h e n h a l b , d . h . auf der Seite, wo die Reisetasche hängt, erscheint u ) . Auch die Z a h l der T i e r e und die T a g e s z e i t ihres Erscheinens spielt eine große Rolle (z. B. Eule fliegt am Tag, Hund heult nachts, Spinne erscheint am Morgen, Abend) 12 ). Erscheinen T i e r e an u n g e w o h n t e n Ort e n , oder v e r l a s s e n sie ohne erklärlichen Grund i h r e n b i s h e r i g e n W o h n s i t z , so hat das sicher etwas zu bedeuten. So

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Tierorakel

sucht der Maulwurf, der aus dem Garten ins Haus kommt und unter dem Ehebett ein Loch auswühlt, eine Seele und verkündet Tod 1 3 ). Auch w a s d i e O r a k e l t i e r e im A u g e n b l i c k ihres Ers c h e i n e n s t u n , ist für die Prophetie von Bedeutung: Raubtiere mit ihrer Beute sind für den Soldaten ein günstiges Zeichen. D a r u m soll Götz v. Berlichingen, als er auf einem Fehdezug Wölfe in eine Schafherde einbrechen sah, voll Freude ihnen ein „ G l ü c k z u ! lieben Gesellen" zugerufen haben u ) . Vor allem aber waren die k ö r p e r l i c h e n und seelischen E i g e n s c h a f t e n d e r Tiere von Bedeutung, also G r ö ß e , S t ä r k e und besonders F a r b e , M u t und K l u g h e i t . Bei weiblichen Tieren kommt noch der Zustand hinzu, in dem sie sich befinden: eine trächtige Hündin galt den Römern als ganz schlimmes Omen 1 5 ). Bei Beobachtung der T i e r s t i m m e n wurde nicht nur auf angenehme (Rotkehlchen, Taube) und unangenehme (Eule, Rabe, Schakal, H y äne) geachtet, sondern auch auf die Richtung, aus der man sie hörte, und die Anzahl der vernommenen L a u t e : so schließen Bauern aus der Zahl der Wachtelrufe auf den Getreidepreis, der K u c k u c k zeigt jung und alt die noch zu erwartende Lebenszeit a n 1 6 ) . W a s schließlich die L e b e n s w e i s e d e r T i e r e angeht, so läßt sich feststellen, daß Nachttiere (z. B . Eule) naturgemäß als prophetische Tiere eher in Betracht kommen als Tiere, deren L e b e n s i c h am hellen T a g abspielt 1 7 ). A u g u r i e n und A u s p i z i e n (s. V o r z e i c h e n ) , die verbreitetesten T . des Altertums, kennen schon die ältesten Schriften des I n d e r ; sie haben sich in Indien trotz Opposition von buddhistischer Seite behauptet 1 8 ). C h a l d ä e r (Diodor. I I 29) und A r a b e r pflegten die T . außerordentlich, den I s r a e l i t e n waren sie ausdrücklich verboten (III Mos. 19,26) 1 9 ). Nicht nur in K l e i n a s i e n , wo sie schon die Aufmerksamkeit der Römer erregten, sondern auch bei den meisten Angehörigen der m o n g o l i s c h e n Rasse und den m a l a i s c h e n Völkern sind T. stark verbreitet 2 0 ). Wie sehr die G r i e c h e n auch die Vorzeichen aus der Tierwelt achteten,

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lehren zahlreiche Belege aus der Literatur seit Homer (II. xo, 214) 2 1 ). Überdies sagt z . B . Xenophon (Memor. I 1 , 4 ) : oE itXeitJToi csctatv uiro TS TÜ>V opviöcuv xat TAT X T X 2 2 ) . Bei den R ö m e r n galt es u. a. für ein schlimmes Zeichen, wenn zusammengespannte Rinder misteten 2 3 ). Über Augurium und Auspicium s. d. Die G e r m a n e n hielten in heiligen Hainen Pferde, die zu keinerlei Arbeit herangezogen werden durften. D a s Pferdeorakel (man beobachtete u.a. das Wiehern) war nach Tacit. Germ. 10 proprium gentis. Der nach 742 geschriebene Indiculus superstitionum et paganiarum sollte in c. X I I I de auguriis vel avium vel equorum handeln, und ein altes lateinisch-deutsches Glossar (in Nyerups Symbolae ad literaturam teuton. antiquiorem. Hauniae 1787, p. 274) sagt: solent etiam ex equorum vel mestitia vel alacritate futurum eventum dimicaturi eligere. D a s ganze Mittelalter hindurch finden sich literarische Spuren der T., besonders bei den Proven£alen. Der letzte Versuch, die T . wissenschaftlich zu verteidigen, dürfte das Unternehmen des Michael Scotus, des Hofastrologen Friedrichs II., in seiner Physiognomia c. 56 gewesen sein. Obwohl aus dem 14. und 15. Jh. literarische deutsche Quellen versagen, hat der Aberglaube sicher das ganze Mittelalter hindurch bis weit in die Neuzeit hinein fortgelebt 24 ). ' ) H o p f Tierorakel 2. 229 f. 232 f. 242 f . ; Z f r w V k . 1914, 258; W u t t k e 65 § 75. 2 ) H o p f Tierorakel 230 ff.; S c h w e i z . V k . 9, 24; Urquell N . F . 1 (1897), 46. 3 ) G e s e m a n n Regen4) H o p f zauber 79 f. Tierorakel 220 f. 229; G e r h a r d t Franz. Novelle 104. 1 1 1 . 5 ) H o p f Tierorakel 256 ff. 6 ) E b d . 243 ff. ' ) W u t t k e Sächs. Volksk. 3 2 1 ; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 102. 8 ) H o p f Tierorakel 33ff. 49; K r a u ß Relig. Brauch 164; W u n d t Mythus u. Religion 385 f. *) H o p f Tierorakel 229. 1 0 ) E b d . 255 f.; G r i m m Myth. 2, 946 f. n ) G r i m m Myth. 2, 944. 946 f.; 3 , 4 0 8 . 4 2 9 ; H o p f Tierorakel 246 ff. 1 2 ) H o p f Tierorakel 246 ff. 1 3 ) E b d . 237. 1 4 ) E b d . 237. 1 5 ) E b d . 234 ff. 1 8 ) E b d . 237 ff. 1 7 ) E b d . 241 f. 1 8 ) E b d . 3. 1 9 ) E b d . 4 f f . ; Z f V k . 2 3 (1913), 383 ff. 20 ) H o p f Tierorakel 7 ff. 2 1 ) E b d . 2 0 . 2 2 ) M ü l l e n h o f f Altertumsk. 4, 230 f.; G o l d m a n n Einführung 84; Z f r w V k . 1914, 258. 2 3 ) H o p f Tierorakel 24 f. 24 ) E b d . 3 1 ; Z V f V k . 11 (1901), 412.

2. Wenn auch die offiziellen Augurien und Auspizien dank der Einwirkung der

gi 7

Tierorakel

Kirche allmählich verschwanden, so konnte doch nicht verhindert werden, daß der einfache Mann an seinem T. zäh festhielt, indem er den A n g a n g (s. d.) der Tiere beobachtete, d. h. aus der Begegnung mit gewissen Tieren beim ersten Ausgang seine bestimmten Schlüsse zog 2 5 ). Schon die Griechen übten derartiges (Xenoph. Memor. I 1 , 4). Flavius Josephus (Ant. Jud. X V I I I 6, 7) berichtet, daß ein gefangener Germane seinem Schicksalsgenossen, dem späteren König Agrippa aus dem Erscheinen einer Eule sein künftiges Glück prophezeite. Daß die Germanen auf den Angang der Vögel achteten, bezeugt Tacitus (Germ. 10) 2 6 ). Die Tiere, deren Angang von Bedeutung ist, müssen entweder als einst göttliche Tiere angesehen werden, oder es ist die Dämonen- oder Menschenseele, die in Tiergestalt Glück oder Unglück bringt 2 7 ). Bei den Arabern gilt es noch heute als s c h l i m m e s Z e i c h e n , wenn einem beim ersten Ausgang ein Raubvogel e n t g e g e n f l i e g t ; fliegt der Vogel aber v o r e i n e m h e r , so ist das v o n g u t e r B e d e u t u n g . Bei Hartlieb c. 67. 68 ist zu lesen: die bösen cristen treiben mit der kunst vil ungelaubens, wann sie reden wann ainem ain has begegne das sei ungelück, und wann ainem ain wolf begegne so soll das ain gross gelück sein, der ungelauben sint gar vil in manigen tieren. Es sint lewt die mainent, wann ainem die vogel fliegen zu der 'rechten hant, so soll es bedeuten grossen gewin und gross gelück, und wann sie fliegen zu der linggen seiten, so sol es ungelück und verlust bedeuten . . . Es sint lut die gross glauben habent an den aren und mainent, ye wan er taschenhalb flieg, es süll bedeuten gross gelück oder grossen gewin28). Burchard von Worms Decret. p. 198 c sagt: credidisti quod quidarn credere solent, dum iter aliquod faciunt, si cornicula ex sinistra eorum in dexteram Ulis cantaverit, inde se sperant habere prosperum iter. et dum anxii fuerint hospitii, si tunc avis illa, quae muriceps vocatur, eo quod mures capiat et inde pascatur, nominata, vi am per quam vadunt ante se transvolaverit se illi augurio et omini magis committunt quam deo29). Nisten

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Schwalbe oder Storch auf dem Dach, so bringen sie Glück ins Haus. Dagegen sind Wiesel oder Schlange in solchem Fall sehr ungünstige Zeichen (Suidas s. v. Eevoxpoi-crjc); anguis per impluvium decidit de tegulis heißt es bei Terent. Phormio IV 4, 26 (707). Wenn gar Raben, Krähen, Elstern auf Krankenhäusern sich niederlassen, so hat das sicher etwas Schlimmes zu bedeuten. Wenn Rebhühner über ein Haus fliegen (Bö.), hängt sich ein Bienenschwarm an ein Haus (Sa.),so droht eine Feuersbrunst (Liv. 2 1 , 46; Tacit. ann. 1 2 , 64; Plin. 1 1 , 1 8 ; Cassius Dio 54, 33; Iul. Obsequens de prodig. 1 , 132) 30 ). Alle k r ä f t i g e n und e d l e n T i e r e gelten als g l ü c k b r i n g e n d , s c h w a c h e und u n e d l e als u n h e i l v e r k ü n d e n d 3 1 ). Wichtig ist besonders das aus der Edda bekannte Vorzeichen des heulenden und fortgehenden Wolfes, des siegbringenden Tieres Odins. Inter auguria ad dexteram commeantium praescio itinere, si pleno id ore lupus fecerit, nullum omnium praestantius (Plin. n. h. 8,22). Sei weren einen wulf op dem wege vangen, dei quam utem holte gegangen, des freueden sei sik all intgemein (Soester Fehde S. 677). Der obriste hielte die begegnus mit den wölfen für ein gut omen, noch ferners unverhofte beut zu erhalten (Simpl. 2, 74). Noch heute bedeutet ein Wolf am frühen Morgen in den Vogesen Glück. Ungünstig wird der Angang des Wolfes (mentes caesorum ostenta luporum horrificant) bei Claudian bell. get. 249 ff. beurteilt. Hirsch, Eber und Bär stehen dem Wolf für den Angang völlig gleich. Auch das Überfliegen von Adlern war bedeutsam (Ostpr.), wie überhaupt das Begegnen der sieghaften Raubvögel günstig gedeutet wird; in Träumen spielen Raubvögel die erste Rolle 3 2 ). Entsprechend war die Begegnung mit dem feigen, furchtsamen Hasen ein nachteiliges Omen. Im Elsaß suchte man sich vor den schlimmen Folgen dadurch zu schützen, daß man sich dreimal umwandte und dann weiterging (um 1650). Obwohl nach Cassius Dio 62, 6 im Altertum der Hase unter Umständen auch als glückbringend angesehen wurde, heißt es

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Tierorakel

schon bei Suidas: v I I , 30) schreibt ferner vor, daß man einen neu erworbenen Hahn dreimal u m den Speiset, führen soll, u m ihn bei Hofe zu halten, so daß also auch die Umwandlung des Tisches mit der antiken Überlieferung zusammenzustellen ist. Sie findet bezeichnenderweise auch gelegentlich von Feiertagsorakeln (Näppelgreifen im Erzgebirge) s t a t t 6 3 ) . Umwandlung muß im übrigen mit Vorsicht angewendet werden. Wenn man Nachts vor Schlafengehen u m den T . herumgeht, so wird im Stall kein Vieh ledig (Bayern), aber anderorts soll man nach dem Essen nicht u m den T . herumgehen, sonst verirrt man sich im Walde oder die Schafe bekommen die Drehkrankheit und anderes mehr 64 ). b) Mit dem Ritus des D u r c h z i e h e n s (s. d.) ist der Brauch vermengt, wenn man kleineres Getier, u m es einzugewöhnen, dreimal u m das Tischbein laufen läßt, oder es herumschwenkt und besonders mit „ a n gewachsenen" oder an Herzspann leidenden Kindern so v e r f ä h r t 6 5 ) . Doch legt man, um K a t z e n und Hunde anzugewöhnen, auch ein paar Haare von ihnen unter einen T . f u ß , was die Bindung an die Häuslichkeit gegenüber dem Durchziehen wieder in den Vordergrund rückt 6 6 ). 80 ) Urquell 4 , i i 2 f ; 5 , I 4 i f f . ; Nds. 5 , 3 2 4 ; 15, 291 f. 259. 298. 318. 372; G r i m m RA. Kap. 4; G o l d m a n n Andelang 41 f. § 542;

390

§595;

6l)

W . 360

H o v o r k a u. K r o n f e l d 31

2,

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Tisch

567. 6 2 ) W i t z s c h e l Thüringen 2,228; J o h n Westböhmen 1 4 8 ; K ö h l e r Voigtland 2 3 5 ; K n u c h e l Umwandlung 20; Weimarer Jahrb. 4, 263 f. 63 ) J o h n Erzg. 1 5 1 f.; W . 2 3 3 § 3 3 3 ; S p i e ß Aberglaube 2 4 ; K ö h l e r Voigtl. 363 f.; K n u c h e l Umwandlung 3 1 . 6 4 ) P a n z e r Beitrag 1, 266; U r q u e l l 4 , 1 1 1 ; S c h m i t t H e t t i n g e n 18. 6 5 ) G r i m m Myth. 3, 454 Nr. 5 7 7 ; 455 Nr. 6 1 6 = Urquell 4, 1 1 3 ; G r o h m a n n Nr. 1 4 2 ; S c h r a m e k Böhmerwald 242; A n d r e e Braunschweig422; FL. 8 , 1 8 7 ; M e y e r Baden 42, 4 1 0 . 4 1 3 ; B o h n e n b e r g e r 2 1 ; w - 433 §§ 678- 679. 6 6 ) S c h m i t t Hettingen 15; S t r a c k e r j a n 2, 232 Nr. 491 = W . 433 § 679.

5. a) Auch die T i s c h o r d n u n g ist bedeutsam. Die Wöchnerin soll 6 Wochen lang nicht bei T. essen; das Kind wird sonst ein Vielfraß und schreit, wenn man sich zum Essen niedersetzt (Schwaben) 67 ). Am hl. Abend darf niemand vom T. aufstehen, bevor nicht die Stubentür geschlossen ist (Erzg.) 68). Man heiratet bald, wenn man bei einer Hochzeit an eine T.ecke zu sitzen kommt, oder den Sitz der Brautleute beim Aufstehen schnell einnimmt (Westböhmen) 69 ). E s bedeutet dies offenbar ein Nachrücken als Nächster an der Reihe, dagegen kommt an die T.ecke bei einer gewöhnlichen Bauernmahlzeit nur ein Außenstehender zu sitzen; und so glaubt man allgemein, wenn ein Mädchen oder überhaupt jemand Unverheirateter an eine T.ecke zu sitzen kommt, er werde erst nach sieben Jahren heiraten, oder das Mädchen bekommt einen buckligen Mann 70), man heiratet jemand Verwitweten 71 ), bekommt eine böse oder blinde Schwiegermutter 72 ). Auch bringt es kein Glück, wenn man sich bei T. zwischen Eheleute setzt 7 3 ). Die T.ecke wird damit ominös: Man sieht von hier aus in der Christmette beim Fenster alle Leichen des folgenden Jahres vorbeiziehen oder in den Zwölfnächten steht um Mitternacht, wenn das Mädchen den Kehrbesen an die T.ecke lehnt, der Schatz dort 7 4 ). b) A b s c h a b s e i von den T.ecken gewinnen mit der zunehmenden Materialisierung der Anschauungen von den magischen Weihungen besondere Kraft. Von drei oder vier Ecken werden sie unter das Viehfutter gemischt, damit die Tiere beim Hause bleiben 75 ). In Baden gibt man sie dem Scheidenden in die Suppe 76 ), Spänchen davon legt man dem Kind unter das

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Kopfkissen, um es zu beruhigen (Erzgebirge) oder räuchert damit nebst anderem Beiwerk das Kind bei Veitstanz " ) . Drei Tropfen, die nach dem Abwaschen am T. hängen blieben, von einem Mann getrunken, schaffen ihm einen Liebeszauber für die Abwascherin 78 ). K n a c k e n d e T.e sind vorbedeutend, es werden Gäste kommen oder über dem Tisch ist einmal ein ungerechtes Urteil gesprochen worden (Schlesien), oder es stirbt jemand 79). Auch knackt er bei Wohnungswechsel oder wenn eine Leiche darauf gelegt wird (Oldenburg). K l o p f e n d e T.e und das T.r ü c k e n hat nur zeitweilig von den höheren Ständen her in den volkstümlichen Aberglauben Eingang gefunden 80). " ) H ö h n Geburt 4, 766. 6 8 ) J o h n Erzg. 1 5 5 . ) J o h n Westböhmen 1 2 3 ; vergl. P o l l i n g e r Landshut 168. 7 0 ) Alemannia 33, 302 (so a l l g . ) ; J o h n Erzg. 76 = W . 363 § 597; D r e c h s l e r 1, 2 2 6 ; B a r t s c h Mecklenburg 2, 5 7 ; Knoop Hinterpommern 1 5 8 ; ZfVk. 23, 280. 7 1 ) J o h n Westböhmen 252. 7 2 ) J o h n Erzg. 76; D ä h n h a r d t Volkst. 2, 87 Nr. 349. 7 3 ) D r e c h s l e r 2, 1 2 . 7 4 ) H ö h n Tod Nr. 7, 3 1 2 ; K a p f f Festgebräuche Nr. 2, 5. 7 5 ) G r i m m Myth. 3, 455 N r . 6 1 6 ; U n o t h 1 8 1 Nr. 29; E n g e l i e n u. L a h n 2 7 5 ; S c h ö n w e r t h Oberpfalz i , 3 1 0 ; M e y e r Baden = W . 435 § 683; F o g e l Pennsylvania 1 4 5 f. Nr. 670. 682; 1 5 4 Nr. 722; 2 7 1 Nr. 1408. 76 ) M e y e r Baden 374. " ) J o h n Erzg. 5 5 ; L a m m e r t 1 4 0 ; H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 208. 7S ) G r o h m a n n Nr. 209 f. 7 9 ) S t r a c k e r j a n 1, 1 3 4 ; 2, 2 3 2 ; M e y e r Aberglaube -2.17 = D r e c h s l e r 2, 1 9 9 ; Urquell 1 , 1 8 = ZfrwVk 4, 246. 80 ) W . 488 f. § 779; K ö h l e r Voigtland 4 0 1 . 69

6. a) Als Vertreter der Häuslichkeit darf der T. auch n i c h t v o n der S t e l l e g e r ü c k t werden, in Tirol wurde er in den drei Rauchnächten darum sogar angeklampt. In Baden dürfen T. und Christusbild nicht aus dem Haus getragen werden, anderwärts nimmt sogar die Pfändung auf dies Herkommen Rücksicht. In einigen thüringischen Dörfern mußten bei Verkauf eines Hauses T. und Bibel als Inventarstücke darinnen bleiben. In der Oberpfalz, ähnlich im Erzgebirge, wird er mit Brot in die neue Wohnung vorangetragen. Ist er an seinen Platz gesetzt, so wird dies als „T.ruckete" mit einer feierlichen Mahlzeit begangen 81 ), so wie in der Antike der Kult einer Gottheit erst durch Aufstellung von Speiset, und Altar begründet

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Tischbein—'-Tischtuch

wurde 82). Wackelt der T., so hat die Frau die Herrschaft im Hause 8 3 ). Gegen das Verschreien klopft man auch noch in höheren Ständen an der T.platte (ursprünglich wohl als Meldung an die Geister) 84), s. abklopfen. b) U m s t ü r z e n d e s T . e s : Im griechischen Altertum kam Umstürzen des einer Gottheit geweihten Altart.es der Aufhebung ihres Kultes gleich 8 5 ). So stürzt man bei Gewitter und Feuersbrunst gleicherweise den T. um (bezeugt von Böhmen bis Schwaben), um die Gefahr zu bannen. In Weiterbildung des Glaubens stellt man ein Kruzifix oder das Bild des hl. Florian zwischen die Beine, schließlich paßt man auch noch ein als magischer Kreis wirksames Wagenrad mit der Umschrift ,,consummatum est" darein ein und legt auf die T.füße oben Brot darauf 85). Der imitative sakramentale Charakter des Brauches ist hier ganz offenkundig und ist noch sinnfälliger, wenn man einen T. verwendet, auf dem bei der letzten Ölung einmal das hochwürdigste Gut gelegen war (Braunau). Umgestürzt wird der T. auch, wenn jemand nur schwer sterben kann und in Ostpreußen und Pommern genau wie bei den Südslawen bei Begräbnissen 86 ). Schließlich dient es auch als Diebeszauber 8 7 ). Ist in Tirol ein Käufer durch geheime Kunst gefeit, dann braucht man ihn nur auf einen Tisch zu werfen, und sofort ist seine unnatürliche K r a f t entschwunden 88 ). 8 1 ) B H f V k i , 230 Nr. 33, vgl. 34; M e y e r Baden 351; M e i e r Schwaben 382; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1,405 Nr. 9 ; J o h n Erzg. 28,36; G r i m m Myth. 3, 448 Nr. 439. 8 a ) W o l f Beitr. 1, 212; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 1 1 4 ; W . 212 § 296; Z f V k . 5, 416. 8 3 ) M i s c h k o w s k i 9. 84 ) S t r a k k e r j a n 2, 232 N r . 491. 8 5 ) M i s c h k o w s k i 9; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 2, 84 ff. = W . 401 § 618; G r o h m a n n Nr. 42. 268; L a u b e Teplitz 60 f.; P e t e r Österr. Schlesien 1,259; Z f V k . 4,83; P o l l i n g e r Landshut 160; B i r l i n g e r Volkstüm86 ) Z f V k . liches 1, 200. 11, 18 f.; K r a u ß Slavische Volkforschung 112. 8 7 ) G r a b o w s k i Sagen 52 f. Zusammenfassende Darstellung: C. H a b e r l a n d , Ztschr. f. "Völkerpsychologie 18, 262 ff. (Südslavisches Vergleichsmaterial für nahezu sämtliche Anschauungen S c h n e e w e i s Weihnachtsbräuche der Serbokroaten 30 ff. 54 ff. 88 ) Z f ö V k . Erg. B d . X V . Zingerle Tirol Nr. 605. Haberlandt.

Tischbein s. T i s c h .

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Tischecke s. T i s c h . Tischordnung s. T i s c h . Tischrücken s. T i s c h . Tischtuch. Das T., für den germanischen Norden auf der Tafel der Vornehmen etwa schon durch das Rigsmal der Edda bezeugt 3 ), gehört im volkstümlichen Sinn beim deutschen Bauern ebensowenig zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand wie anderwärts in Europa. Das T. kennzeichnet den zum f e i e r l i c h e n M a h l zugerichteten Tisch, wie den Weihnachtstisch oder den Gabentisch der weihnächtlichen Festzeit. In Nordmähren wird der Tisch nur einmal im Jahr, eben am heiligen Abend gedeckt 2 ), und so wohl auch anderwärts. Vielleicht ist in der abergläubischen Bedeutung des T.s aber noch seine urtümliche Verwendung als e i n z i g e U n t e r l a g e f ü r d i e S p e i s e n erkennbar, wie sich dies im Alltags- und Festbrauch der Balkanländer bis auf die Gegenwart erhalten hat. Dem Bewohner der Krivoscie (Herzogowina) dient sein Schultertuch („Struka") zugleich als Lager, Körperhülle u. Unterlage für die Speisen, und letzterer Gebrauch wurzelt so tief, daß auch der ärmste Hochalbanier auf Reisen darauf sieht, für die Speisen, sei es auch nur Brot und Käse, ein T. aufzulegen. In Montenegro und Serbien verwendet man, ganz diesen hochaltertümlichen Gepflogenheiten entsprechend, am Weihnachtstage nicht einen Tisch, sondern ein Tuch oder einen Sack als Unterlage für die Speisen, und auch die Kutzowalachen (Aromunen) benützen bei Festen ein langes Tuch als Tisch. Der gleiche Gebrauch besteht auf deutschem Volksboden bei dem Anrichten der Mahlzeit für den Schnitter im Freien seit alter Zeit 3 ). 1. a) Wenn der deutsche Volksaberglaube ein T. als T i s c h l e i n - d e c k - d i c h im Märchen kennt, so gehört dieser Zug wohl hierher, wenn nicht das ganze Motiv überhaupt von der geschilderten Gepflogenheit seinen Ursprung genommen hat 4 ). Wenn man sonst das T. im Freien ausbreitet, bewahrt es vor Hagel, besonders wenn die Osterspeise darauf gegessen wurde 5 ). Auch wirft man es zum Fenster hinaus oder hält 31*

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Tischtuch

wenigstens drei Zipfel ins Wetter hinaus (Württemberg, ähnlich in Oberösterr.) 5 ). b) Des T.s bedient man sich ferner, um die segenspendende K r a f t der Weihnachtsmahlzeit auch auf den Hausgarten zu übertragen. Die Speisenreste und Brosamen werden unter die Obstbäume geschüttelt, die davon fruchtbar werden, Blumen wachsen daraus, Maulwürfe fliehen 6 ). Darum wird auch das Säetuch, — b z w . ein Getreide- oder Mehlsack (Ungarn) — im Erzgebirge wie in Dänemark gerne als Weihnachtst. gebraucht 7 ). In Württemberg sät man den Flachs gerne aus einem T., auf dem die Fastnachtsküchel gegessen wurden 8 ). Unter das T. gelegt oder in das T. eingeschlagen verbleiben ein angeschnittener Brotleib und Speisereste am hl. Abend auf dem Tisch für die himmlischen Gäste 9 ) (vgl. T i s c h ) . Verschütten von Wein, namentlich Rotwein u. dergl., bei der Hochzeit gilt allgemein als Omen (Kindersegen). Mit Gegenständen, die am Weihnachtsabend u n t e r d a s T. gelegt werden, orakelt man in Niederösterreich 10 ). Mit Heubüscheln unterm T. kann man in Schlesien am hl. Abend losen, was uns an die Bedeutung des Weihnachtsstrohs erinnert, das in Osteuropa bis heute unter das T. gelegt wird11), c) Mädchen l o s e n auch mit einem selbstgesponnenen T. am Andreasabend 1 2 ). Wenn sie ein T. am Weihnachtsabend bei der Tür oder am Kreuzweg ausbeuteln, erkennen sie am Vorbeigehenden oder nach der Richtung eines Hundebellens oder des Echos den Zukünftigen (in Mähren, Schlesien, ganz ähnlich wie in Ragusa am Johannisabend 1 3 )). J. Grimm meint zwar, dies Ausschütteln sei an die Stelle des Ausbreitens eines Tuches oder einer Tierhaut getreten, doch läßt uns die neuste Verbreitung des Brauches seine Gestaltung nicht auf germanische Vorzeit allein gründen. S t e p h a n i Wohnbau 2, 342 f. 703; v g l . H e y n e Wohnungswesen 110. 258. 2 ) H ö f l e r 3) Weihnacht 10. S c h n e e w e i s 54. 56 ff.; H a b e r l a n d t Kulturw. Beiträge 13; N o p c s a Albanien 103; A. B a r t e l s Der Bauer 44 A b b . 46 (Holzschnitt d. 16. Jahrh.). 4 ) P a n z e r Beitr. 1, 199. 2, 101 ff.; S c h n e l l e r Wälschtirol

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29; B o l t e - P o l l v k a 1, 346 ff. 464 ff.; 4, 5) 118 ff. 190 ff. Eberhardt Landwirtschaft 4; B o h n e n b e r g e r 2 1 ; B a u m g a r t e n Aus der Heimat i , 66. 6 ) W . 426 § 668; v . H ö r m a n n Volksleben 234; Z f V k . 7, 356; Z f ö V k . 6, 121. 7 ) J o h n f r z g ' . 155 = W . 419 § 6 5 2 ; F F C . 31, 76 f. 8 ) E b e r h a r d t Landwirtschaft 3. 9 ) J o h n Erzg. 155. 183; H ö f l e r Weihnacht 21. 1 0 ) L a n d s t e i n e r Nieder Österreich 46. u ) R o g a s . F a m i l b l . 4 (1900), 12; S c h n e e w e i s 30 ff. 1 2 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz — W . 250 § 361. 1 3 ) G r i m m Myth. 2, 934 Nr. 2; 3, 446 N r . 369; V e r n a l e k e n Mythen 340; D r e c h s l e r Schlesien 1, 23 f. 47; W . 253 § 365; R e i n s b e r g Hochzeitsbuch 166.

2. a) Im südlichen Böhmen losen die Mädchen im Freien am heiligen Abend, indem sie sich das zu samt dem Eßbesteck zusammengelegte T. a u f d e n K o p f l e g e n . Ein entsprechender Brauch herrscht auch in Kephalonia. Im Vogtland nimmt man es zum gleichen Zweck mit neunerlei Speisen unter den Arm. In Mecklenburg tritt man in der Silvesternacht mit dem u m g e s c h ü r z t e n T. vom Abendessen rücklings zur Tür hinaus und blickt zum Dachfirst nach Vorzeichen für Tod, Hochzeit und Geburt aus 1 4 ). Das T. von der Taufmahlzeit eines Erstgeborenen bringt im sächsischen Erzgebirge, auf eine Unfruchtbare geworfen, dieser Kindersegen, in Böhmen und Mecklenburg bringt es, wenn es dem ledigen Patherrn bzw. einem Gast nach dem Taufschmaus ü b e r d e n K o p f g e w o r f e n wird, diesem die nächste Kindstaufe ins H a u s 1 5 ) . Im Vogtland bindet die Wöchnerin, die auf den Boden oder in den Keller gehen muß, zum Schutz ein T. um den K o p f ; ist hieran noch die alteuropäische Gleichung T i s c h t u c h = K o p f - u n d S c h u l t e r t u c h erkennbar ? In Baden schützten sich noch vor etwa 80 Jahren die Weiber vor Regen, indem sie ein weißes T . über den Kopf nahmen: die weißen Regentücher, die in Mitteldeutschland verbreitet waren, sind aber ganz sicher ein osteuropäisches (slawisches?) Überbleibsel 1 6 ). Bei den Polen deckt man das T. auch über die Leiche, beim Leichenschmause kommt es wieder auf den Tisch, dann kann niemand etwas genießen, so daß also hier ein Durcheinanderspielen verschiedener Zwecke im Gebrauch vor-

9") M e y e r Baden 583. d e r s . Baden 5 8 3 ^ ; H e s s B l l . 24, 48; v g l . 116) S a m t e r Geburt 58ff. Urquell 2, 10; 117) S a r t o r i Westf. 100. Z r w V k . 4, 2 7 2 f . ; S t r a c k e r j a n 2, 215 (nur b e i m T o d e v o n Hausherr oder H a u s f r a u ) ; H e s s B l l . 24, 46; A R w . 17, 480; v g l . S c h e r k e Primitive 123L 1 1 8 ) Urquell 4, 5 1 ; H ö h n Tod 316. 1 1 9 ) H e s e m a n n Ravensburg 89; K u h n Westf. 2, 47. 12 °) D r e c h s l e r Schlesien 1, 291; S t r a c k e r -

113)

115)

Tod ansagen

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i a n 1. 67; T e t z n e r Slaven 3 7 5 ; S a r t o r i i, 129. 1 2 1 ) M e y e r Baden 583t.; ZrwVk. 4, S t r a c k e r j a n 2, 2 1 5 ; B a u m g a r t e n 272f.; j . d . Heimat 3, 108; K u h n W^si/. 2, 47; Bern schriftl.; Alemannia 24, 143; Kolbe Hessen 76; ZföVk. 15, 1 7 1 ; MsächsVk. 2, 45; J o h n Erzgebirge I 2 i f . ; P f i s t e r Hessen 169; "VVirth Beitr. 2/3, 52t. 1 2 2 ) W i t z s c h e l 2. 261, K ö h l e r , Voigtland 441. 1 2 3 ) K ö h l e r Voigtland 4 4 3 ; vgl. ZrwVk. 4, 2 7 2 f . * 24 ) W e t t s t e i n Disentis 1 7 3 ; Z i n g e r l e Tico/ 49; R e i s e r Allgäu 2, 314. 1 2 5 ) S t r a c k e r j a n 2, 215; M e y e r Baden 594; Z i n g e r l e Tirol 49; H ö r m a n n Volksleben 425; Schweizld. 1, 235; S A V k . 10, 279; 13, 182; 12, 154; S c h i l d Orossätti (1863) 124; K e l l e r Grab 5, 3 2 3 ; R e i s e r Allgäu 2, 3 1 4 ; S e b i l l o t Folk-Lore 3, 3 1 6 ; RTrp. 12, 494. 1 2 6 ) Schweizld. 1, 235. 12') M e y e r Baden 584; R e i s e r Allgäu 2, 3 1 4 ; ZrwVk. 4, 2 7 2 f . ; K o l b e Hessen 76; D r e c h s l e r Schlesien 1, 292; K ö h l e r Voigtland 442; H ö h n Tod 324; RTrp. 15, 592; vgl. ZföVk. 3, 118. 1 2 8 ) P f i s t e r Hessen 169. 12») Graubünden, Thurgau, Luzern, Bern schriftl.; B a r t s c h Mecklenburg 2, 89; W i r t h Beitr. 2/3, 52; HessBll. 6, 100; W i t z s c h e l Thüringen 2, 258; B i r l i n g e r A.Schw. 1, 396; H ö h n Tod 3 2 3 ; W r e d e Rhein. Vk. 136; B o c k e l Volksl. a. Oberhessen X C I ; S e b i l l o t Folk-Lore 3, 5 1 8 ; S a r t o r i Westf. 100; H o o p s Sassen 1 1 6 ; S c h m i d t Hettingen 16; F o g e l Penns. 1 3 1 ; vgl. P i t r e Usi 2, 232. 13 °) S t r a c k e r j a n 1,68. 1 3 1 ) S c h u l e n b u r g WendVth. 236; Schweizld. 6, 1445; vgl. BF. 2, 349. 1 3 2 ) HessBll. 24, 48. 1 3 3 ) M e y e r Baden 3 8 3 ^ ; H ö h n Tod 3 2 3 I ; A R w . 17, 480; P f i s t e r Hessen 169; HessBll. 6, 100; 24, 4 7 f . ; BF. 2 , 3 4 9 ; W i t z s c h e l Thüringen 2, 258. 1 3 4 ) S c h ö n w e r t h 1, 247t. 1 3 5 ) ZfVk. 1 3 6 11, 275. ) H ö h n Tod 3 2 3 ; S c h ö n w e r t h 1, 247t. 1 3 7 ) H ö h n Tod 323. 1 3 S ) ZrwVk. 4, 121. 1 3 9 ) H ö h n Tod 322; K o l b e Hessen 77; 14 °) BdböVk. 4, 60; M e y e r Baden 5 8 3 ^ Germania 29, 89; H ö h n Tod 323. 1 4 1 ) S c h ö n w e r t h 1, 247t.; Unoth 180. i88f.; R o t h e n b a c h 59f.; S A V k . 12, 154; SVk. 20, 14; •Grimm Myth. 3, 4 5 3 I 458; M e i e r Schwaben 2, 489; H ö r m a n n Volksleben 425; H ö h n Tod 3 2 3 ; F o g e l Penns. 192; HessBll. 15, 130. 1 4 2 ) H ö h n Tod 322; MsächsVk. 6, 252; M ü l h a u s e 76; W i t z s c h e l Thüringen 2, 256; D r e c h s l e r Schlesien 1, 290; vgl. P i t r e Usi 2, 232. 1 4 3 ) D r e c h s l e r 1, 29of. 1 4 4 ) H ö h n Tod 322. 1 4 5 ) J o h n Erzgebirge 1 2 1 ; MsächsVk. 2, 24; vgl. BdböVk. 4, 59. 1 4 8 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 256; P e u c k e r t Schlesien 230; J o h n Erzgebirge 1 2 1 ; vgl. Volkskunde 13, 9 1 ; ZfVk. 11, 279. 1 4 7 ) W e t t s t e i n Disentis 1 7 3 ; W i r t h Beitr. 2/3, 52; vgl. B a u m g a r t e n A.d. Heimat 3, 107. Geiger.

Tod ansagen.

Im allgemeinen werden heute Verwandte und Bekannte durch gedruckte Anzeigen von einem Todesfall benach-

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richtigt; nur den nächsten Nachbarn zeigt man es oft noch mündlich an. Bis in die jüngste Zeit aber ist dieser Brauch des T. a.s an manchen Orten noch allein üblich gewesen, und zwar in bestimmten Formen: es ist ein bestimmter Kreis von Leuten, die benachrichtigt werden müssen; die Nachricht wird durch eine bestimmte Person in traditioneller Formel überbracht, und der oder die Anzeigende erhält eine Gabe. Außerdem aber wird der Tod oft nicht nur den Menschen, sondern auch Tieren, Pflanzen und Gegenständen angesagt. Zudem ist das Ansagen von einer Reihe von Abwehrhandlungen begleitet, und der Ansagende wird mit einer gewissen Vorsicht behandelt, so daß Sartori 1 ) mit Recht das T. a. mit den Vorsichtsmaßregeln zusammenhält, die beim Eintritt des Todes ergriffen werden (s. o. Tod 5). Man erkennt in einzelnen Fällen noch, daß die Furcht herrscht, der Tod könnte um sich greifen, oder der Tote könnte jemand oder etwas mit sich nehmen. Die Anzeige ist dann eine Art Warnung vor diesen Gefahren, manchmal (z. B . bei der Anzeige an die Tiere) ein Zauber, der verhüten soll, daß etwas dem Toten folge. Auch die Nachricht selbst und der sie Uberbringende bilden eine Gefahr. Das formelle Ansagen des Todes ist manchmal verbunden mit der Einladung zur Leichenfeier und zum Leichenmahl; an manchen Orten sind diese beiden Zeremonien aber noch getrennt 2 ). Hier kommt nur die Anzeige des Todes in Betracht. W e m w i r d der T o d a n g e z e i g t ? Im allgemeinen werden Verwandte und Bekannte genannt 3 ), vor allem die Nachbarn 4 ), auch der Pfarrer 5 ). E s darf ja niemand aus der Verwandtschaft vergessen werden 6 ). Sogar den toten Verwandten in den Gräbern wird der Todesfall angezeigt 7 ). Die Anzeige wird meist in einer bestimmten F o r m e l mitgeteilt (wie auch die Einladung zur Leichenfeier) 8 ). In Fordon (Preußen) soll früher üblich gewesen sein, daß die Leichenfrau im Namen des Verstorbenen die Mitteilung machte:

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Tod ansagen

„der Verstorbene ließe ein Compliment machen und grüßete zuletzt noch viel mal" 9 ). Bei den Herrenhutern war üblich, einen Todesfall durch Posaunenblasen vom Turm bekannt zu machen 10 ). Die Anzeige wird durch b e s t i m m t e P e r s o n e n überbracht. Oft gehört es zu den Nachbarpflichten 1 1 ) ; Angehörige oder Verwandte sind ausdrücklich ausgeschlossen 12 ) ; die Nachbarn geben die Nachricht weiter 13 ). Man schickt ärmere Leute 14 ), Totengräber 15 ), den Wächter 16 ), in Ulm früher ein Mädchen 17 ). Es kommt auch vor, daß dieser „Leichensager" die gedruckten Todesanzeigen austrägt 1 8 ). In Frankreich gab es früher clocheteurs des trépassés, die unter Schellenläuten in den Straßen den Todesfall ausriefen 19 ). Sehr häufig ist es Aufgabe einer Frau, die Anzeige zu überbringen: Leichenfrau 2 0 ), Leichenbitterin 21 ), Totenweib 22). Die Bezeichnung L e i c h e n b i t t e r , L e i c h e n b i t t e r i n paßt eigentlich auf diese Person nur, wenn sie „zur Leiche bittet", d. h. zur Beerdigung einlädt. Wie schon oben bemerkt, wird beides (Ansagen und Einladung) oft zugleich und von derselben Person besorgt. Sie ist manchmal eine Art Zeremonienmeister bei der Bestattung, hat verschiedenes zu besorgen und nimmt eine besondere Stelle im Leichenzug ein 23 ). Die Ansager und Bitter sind an der K l e i d u n g kenntlich. Im Wallis trägt der Weibel, der die Anzeige besorgt, einen schwarzen Mantel über den Arm 2 4 ) ; im Appenzell trug der Leichenbitter für unerwachsene Verstorbene einen Kittel, für Erwachsene einen langen R o c k 2 5 ) . Der Leichenbitter ist schwarz gekleidet, mit Zylinder und Flor 2 6 ). Auch die anzeigenden weiblichen Personen tragen ein schwarzes Kleidungsstück (Schürze, Halstuch) 2 7 ); früher war die Leichenbitterin weiß verschleiert 28 ), sie hatte auf dem Rücken ein langes weißes Tuch 29 ), sie trug ein Tischtuch über dem Arm, oder einen großen Strohhut auf dem Kopf 3 0 ). Weil die Todesbotschaft selbst wie der Überbringer als eine Gefahr betrachtet werden, so finden wir verschiedene V o r -

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s i c h t s - und A b w e h r m a ß r e g e l n (es betrifft dies sowohl den eigentlichen Ansager wie auch den, der zur Leichenfeier einlädt). Der Leichlader betritt das Haus nicht, sondern sagt seinen Spruch vor dem F e n s t e r 3 1 ) ; die Leichbitterin soll die Stube nicht betreten, sonst stirbt bald wieder jemand im Haus 3 2 ). Die einladende Person soll auch nicht angeredet werden 3 3 ). Dem, der dem Pfarrer den Tod anzeigt, muß man vorher zwei Becher Wein zu trinken geben; sonst kommt der Tote in der Nacht und richtet den Wein im Keller so zu, daß er keinem Käufer mehr schmeckt 34 ). Auch, daß die anzeigenden Mädchen die Haustür weit aufmachen und nachher offen lassen, gehört wohl zur Abwehr 35 ). Häufig wird berichtet, daß der Leichenbitter einen Stock bei sich hat, mit dem er an Fenster oder Türen anklopfen m u ß 3 6 ) . Die Einladende darf das Haus nicht betreten 3 7 ), oder erst wenn sie mit Gerte, Stab oder Schlüssel angeklopft hat; man grüßt sie nicht, und man antwortet auf das Klopfen nicht mit Herein 38 ). Das Klopfen geschieht auch mit weißem Stöckchen 3 9 ) oder mit einer Keule 4 0 ). Die Nachricht selbst bringt Gefahr; drum muß man sie möglichst rasch weitergeben, da, wo ein Nachbar sie dem andern übermittelt. Man soll die Nachricht nicht über Nacht im Haus behalten; der Letzte muß sie an einen Baum weitergeben, womöglich an einen hohlen 41 ). In Belgien werden Todesanzeigen, ohne daß man sie mit den Händen berührt, ins Feuer geworfen 42 ). Als Abwehr gemeint war ursprünglich auch die Gabe, die die ansagende Person erhält. Dies ist sehr oft ein Stück Brot oder andere Nahrungsmittel 4 3 ). Manchmal ist die Gabe in Geld umgewandelt worden und wird dann als eine Unterstützung der armen Leute, die das Ansagen besorgen, betrachtet 4 4 ). Seltener kommt vor, daß die Entschädigung in einem Kleidungsstück, oder in all dem, was der Tote beim Verscheiden auf dem Leibe trug, besteht 45 ). Eine ganz vereinzelte Art der Einladung wird aus Posen gemeldet: am Tag

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T o d ansagen

der Beerdigung werde eine kleine Puppe in den Häusern herumgetragen, wodurch zum Begräbnis eingeladen werde 4 6 ). Nicht nur den Menschen, auch T i e r e n , p f l a n z e n u n d G e g e n s t ä n d e n muß der Todesfall angezeigt werden. Diese Ansage, meist in feststehender Formel, ist oft mit dem Wecken, Auftreiben, Rücken verbunden, das oben erwähnt worden ist (s. Tod 5), und auch hier wird beigefügt, daß die Unterlassung ein „Sterben" der Tiere und Pflanzen nach sich ziehen würde. Oft ist auch die Ansage beschränkt auf den Tod des Hausherrn, und die Tiere sollen erfahren, daß sie einen neuen Herrn haben, d. h. wohl, sie sollen nicht dem alten folgen 47 ). Der Brauch ist weit verbreitet; er findet sich bei den Litauern 4 8 ), ja sogar bei den Negern 49). Dem Vieh im Stall, auch dem Hund und anderen Haustieren wird gemeldet : „Euer Herr ist t o t " ®°); manchmal wird gesagt, wer der neue Herr sei 5 1 ). Die Anzeige findet oft erst beim Heraustragen der Leiche statt 52 ). Außerordentlich häufig findet sich die Vorschrift, daß den Bienen der Todesfall, besonders der des Bienenvaters, angezeigt werden müsse, sonst ziehen sie weg, oder sie sterben ab Die Nachricht lautet: Ime, din här es d o t ; Verlatt mi nitt in miner N o t 6 4 )

(vgl. Trauer). Ferner wird der Tod den Obstbäumen 56 ), dem Flachs, dem Leinsamen, dem Schnittlauch, dem Saatgetreide, sogar den Kornhaufen auf dem Feld und dem Acker angezeigt 56 ). Auch den Weinfässern, dem Essig, dem Brunnenwasser 57 ), sogar der Uhr, den Geräten und Gebäuden soll angesagt werden 58 ). l) ZrwVk. 2) 1, 36Ü. S a r t o r i 1, 140; K r ü n i t z Encycl. 73, b-joi.; Z f V k . 19, 270L 3 ) Z r w V k . 5, 252; H ö h n Tod 326; G a s s n e r Mettersdorf 87; Z r w V k . 4, 2 7 3 ; U n t e r w a i d e n schriftl.; Leoprechting Lechrain 251. 4) Z f V k . 1, 2 1 9 ; Z r w V k . 5, 258; W r e d e 5 Eifel 125. ) M e y e r Baden 589; D H m t . 4, 2; Z r w V k . 4, 273; G a s s n e r Mettersdorf 86. 6) H ö h n Tod 327. ' ) D r e c h s l e r Schlesien 8) 291. M e y e r Baden 589; G a s s n e r Mettersdorf 86; J ö r g e r Vals 5 3 f f . ; B r a n d Pop. Antiqu. 2, 250. 9 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 711. 10) E b d . 73, 480f. ") Hesemann Ravensburg 89; Köhler Voigtland 251;

99O

Z f V k . 1, 2 1 9 ; U n t e r w a i d e n s c h r i f t l . ; H ö h n Tod 3 2 6 t . ; V o l k s k u n d e 13, 92. 1 2 ) T h u r g a u s c h r i f t l . ; H e s s B l l . 4, 10; J o h n Erzgeb. 123. 1 3 ) U r q u e l l 1, 10. 14) Bern, T h u r g a u schriftl. 1 5 j Z r w V k . 4, 273. 1 6 ) Z f V k . 6, 181. ") Krün i t z Encycl. 75, 6 7 0 I ; v g l . J e n s e n Nordfries. Inseln 336; Z f V k . 19, 270t. 1 8 ) R e i s e r Allgäu 2, 2 9 7 ; v g l . H i r s c h Doodenritueel 19) E . H . L a n g l o i s Essai... sur les danses des morts 1 (1852), 149ff. 20 ) U r q u e l l 1, 10. 3 1 ; D i e n e r Hunsrück 182; Höhn Tod 327; J o h n Erzgeb. 123; Rochholz Glaube 1, 196; B e r n s c h r i f t l . ; S c h w e i z l d . 7, 4 2 1 ; S A V k . 4, 304; Z r w V k . 4, 273; B i r l i n g e r Aus Schwaben 2, 3 1 4 ; v g l . A R w . 24, 286. 2 1 ) M e y e r Baden 525. 589. 22 ) B a v a r i a 2, 323. 23 ) Z r w V k . 1907, 282ff.; 1908, 2 5 2 ; H ö h n Tod 327. 342. 348; S a r t o r i 1 , 1 4 7 ; 24 ) M e y e r Baden 588. Wallis schriftlich: 2 5 ) T o b l e r Appenz. Sprachschatz 298. 26 ) J o h n Erzgeb. 1 2 2 ; Z r w V k . 5, 255; H ö h n Tod 328; v g l . V o l k s k u n d e 13, 92; 17, 129. 2 7 ) S A V k . 19, 4 2 f . ; 18, 1 1 4 ; 4, 304. 28 ) S c h u l t z Alltagsleben 225t.; v g l . H ö h n Tod 343; F e i l 29 ) b e r g Dansh Bondeliv 2, i o j f . Bodem e y e r Rechtsaltert. 188. 30 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 409. 7 1 1 . 3 1 ) T o b l e r Appenzeller Sprachschatz 298. 32 ) D H m t . 4, 1 4 8 ; J o h n 33) B a r t s c h Westb. 166. Mecklenb. 2, 95. 34 ) W i t t s t o c k Siebenb. 6 i f . 2 5 ) Z f V k . 1 9 , 27of. 39 ) S c h w e i z l d . 7, 422; 3, 1063; E u g ster Herisau 177; Meyer Baden 593. 3 7 ) Z f V k . 3, 1 5 1 ; H e s s B l l . 6, 102. 38 ) D r e c h s l e r Schlesien 1, 288 = P e u c k e r t Schlesien 232; Z f V k . 6, 408; B r a n d Pop. Antiqu. 2, 39 ) 250. Schullerus Siebb. Vk. 128. 40 )

Z f E t h n . 22, 550 (Gegend v . L ü b b e n ) . S a r t o r i Westfalen i o o f . ; H m t b l . R E . 4, 5 1 7 ; H e s e m a n n Ravensburg 89. 42 ) R T r p . 15, 688. 43 ) W u t t k e Sachs. Vk. 368; Z f V k . 6, 1 8 1 ; S c h w e i z l d . 4, 1854; 5, 9 3 7 ; K ö h l e r Voigtl. 2 5 1 I ; J o h n Westb. 1 7 0 ; B i r l i n g e r A.Schw. 2, 3 i 3 f . ; M e y e r Baden 589; H ö h n Tod 328; S A V k . 23, 183; B r u n n e r Ostd. Vk. 1 9 1 . 44 ) R e i s e r Allgiu 2, 297; B d b ö V k . 13, i n ; J e n s e n Nordfries. Inseln 336; H ö h n Tod 328; C a m i n a d a Friedhöfe 1 7 7 I 4 5 ) B i r l i n g e r A.Schw. 2, 3 1 6 ; H ö h n Tod 328; 4e) S c h ö n w e r t h 1, 249t. M s c h l e s V k . 8. H . 15, 79. " ) V g l . E R E . 2, 22; 4, 416. 48 ) 49 ) G r i m m Myth. 3, 492. PechuelL o e s c h e Loango I I I , 2, 1 0 5 . 3 2 4 . 50 ) H m t K . 40, 86; J o h n Erzgeb. I 2 i f . ; H o o p s Sassen 1 1 6 ; W i r t h Beitr. 2/3, 5 2 t . ; M s c h l e s V k . 27, 243; P a n z e r Beitr. 2, 2 9 3 t . ; T o e p p e n Masuren 106; W r e d e Eifler Vk. 1 2 5 ; L a u b e Teplitz 33; Z r w V k . 1, 3 8 f f . ; 5, 288; 6, 292; L e m k e Ostpreußen 1, 5 7 ; Z f ö V k . 8, 33; H ö h n Tod 324; H e s s B l . 6, 100; S c h ö n w e r t h I , 248; Z f V k . 13, 389; M s ä c h s V k . 2, 4 5 ; Z f V k . 6, 408; W i t z s c h e l Thüringen 2, 256; S t r a c k e r j a n 2, 2 1 5 ; M ü l l e r Isergeb. 24; F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 106; A R w . 17, 480; S e b i l l o t Folk-Lore 3, 103. 5 1 ) G a s s n e r Mettersdorf 85L 52 ) H ö h n Tod 322; D r e c h s -

41)

991

Tode (zum) Verurteilter—Todaustragen, -austreiben

l e r Schlesien 1, 292; Z f V k . 9, 444; J o h n Westb. 174; Volksleven 12, 97. 53 ) S t r a c k e r j a n 2, 215; J o h n Westb. 206; W i t z s c h e l Thüringen 2, 256; Z f V k . 6, 408; 10, i 6 f f . ; 13, 389; S c h ö n v v e r t h 1, 248; HessBll. 6, 100; L a u b e Teplitz 33; MschlesVk. 27, 243; H m t K . 40, 86; 36, 249; S c h u l e n b u r g Wend. Volkst. 160; W i r t h Beitr. 2/3, 53; H ö h n Tod 324; J o h n Erzgeb. 121; Z f ö V k . 8, 50; S A V k . 14, 291; V o n b u n 114; Graubünden, Thurgau, Bern, Aargau schriftl.; ZfdMyth. 4, 180; W i t t s t o c k Siebenb. 6of.; W r e d e Rhein. Vk. 136; M e y e r Baden 584; S c h r a m e k Böhmerwald 243; D r e c h s l e r Schlesien 2, 86; G r i m m Myth. 2, 57gff.; Urquell 6, 2 o f . ; Z r w V k . 8, 155; Z i n g e r l e Tirol 49; Globus 39, 22off.; S e b i l l o t Folk-Lore 3, 3 1 5 t . ; B F . 2, 348; Volkskunde 13, 9 1 ; B r a n d Pop. Ant. 2, 300t. 64) W o e s t e Mark 53; vgl. B d b ö V k . 4, 60; Z r w V k . 5, 247 t. 55 ) MschlesVk. 27, 243; T o e p p e n Masuren 106; HessBll. 24, 48; M e n s i n g Schlesw. Holst. Wb. 1, 749; D r e c h s l e r Schlesien 1, 291; J o h n Westb. 167. " ) D e r s . 167; D r e c h s l e r Schlesien 1, 291; M e y e r Baden 585; S c h r a m e k Böhmer-wald 235; S a r t o r i Westf. 100. 57 ) D r e c h s l e r Schlesien 1, 291; Z r w V k . 8, 155; Globus 59, 381. 58 ) Globus 59, 381; D r e c h s l e r Schles. 1, 291; T o e p p e n Masuren 106; Z r w V k . 8, 154t. Geiger.

Tode (zum) Verurteilter s. teilter.

Verur-

Todaustragen, -austreiben. 1. Ein bei Beginn des Frühlings, mitunter auch schon um die Wintersonnenwende üblicher Brauch, durch den alles Böse, das im Winter seine lebensfeindliche Macht zu zeigen schien, aus dem Wege geräumt werden soll 1 ). E r findet sich namentlich in Süd- und Mitteldeutschland und in den von da aus besiedelten slavischen Landschaften 2 ). Gewöhnlich wird eine Puppe aus Stroh oder Lappen, der Tod genannt, in einem kleinen Sarge, auf dem Arm oder auf einer Stange unter dem Gesänge herkömmlicher Lieder umhergetragen und dann ins Wasser geworfen, verbrannt oder vergraben. Mitunter stellt eine lebende Person den Tod dar 3 ). A m häufigsten wird die Handlung in dieser Gestalt am Sonntag Laetare (s. d.) vorgenommen, auch am vorhergehenden Sonntag Oculi sowie am folgenden, Judica (s. d.); ferner am 1. März 4 ), am Palmsonntag 5 ), an Mariä Verkündigung (25. März) und am Himmelfahrtstage 6 ), am Rupertustage (27. März) 7 ) und noch zu Pfingsten 8 ); in Rußland an St. Peter

992

(29. Juni) 9 ). Auch mit dem Abschluß der Fastnacht hat sich das T. eng verbunden, s. F a s t n a c h t b e g r a b e n . Ostern ist gewöhnlich vom Judasbrennen 1 0 ) oder Judasjagen (am Karmittwoch und Gründonnerstag) 1 1 ) die Rede, vereinzelt auch schon an Laetare 1 2 ). In Bautzen wurde bereits am Abend vor Petri Stuhlfeier (22. Febr.) „der P a p s t " verbrannt 1 3 ). An das T. schließt sich oft das S o m m e r e i n b r i n g e n a n 1 4 ) , s. Laetare. Manchmal wird aber auch dem Bilde des „Todes" selbst eine neue Macht zuerkannt, und er feiert eine Art Auferstehung 1 5 ). Man nimmt ein Stück von dem Stroh des „Todes" mit nach Hause und legt es in den Hühnerkorb; dann legen die Hühner besser 1 6 ). Man bindet ein Stück von seinen Lumpen um einen Ast des größten Baumes im Garten oder gräbt es auf dem Felde ein 17 ) oder wirft es in die Krippe des Viehes 1 8 ). In diesen Fällen betrachtet Frazer 1 9 ) mit Mannhardt 2 0 ) den sog. Tod als eine Verkörperung des Vegetationsgeistes. Nach K a u f f m a n n 2 1 ) wird beim T. nicht der abstrakte Tod, sondern ein dem Tode verfallener Gott ausgetrieben, der damit, daß er dem Tode überantwortet wird, Leben schafft. G r i m m Mythol. 2, 639 ff.; M a n n h a r d t 1, 155 f. 410 ff.; U s e n e r im RhMus. 30 (1875), 189 ff.; K ü c k u. S o h n r e y 66 ff.; R e u s c h e l Volkskunde 2, 52®.; F e h r l e Volksfeste 50 ff.; N i l s s o n Jahresfeste 29 ff.; S A V k . 11 (1907), 239 f.; C l e m e n in A R w . 17, 144 f.; F r a z e r 4, 233 ff.; K a u f f m a n n Balder 281 ff. 2 ) Z f V k . 3, 356; P e u c k e r t Schlesische Volksk. 97 ff. 3 ) S a r t o r i Sitte 3, 131 A. 2. 4 ) K ö h l e r Voigtland 171 f. 5 ) W l i s l o c k i Magyaren 45. 6 ) H a l t r i c h Siebenb. Sachsen 285 (hier dürfen die Kinder nach dem Tage des Todaustragens Stachelbeeren und andere Früchte essen, auch im Freien baden). ' ) V e r n a l e k e n Mythen 294. 8 ) S a r t o r i 3, 202 f.; K ü c k u. S o h n r e y 67 f. 9 ) M a n n h a r d t 1, 414. 10 ) S a r t o r i 3, 148. 150 f. n ) Ebd. 3, 139 f. Ebd. 3, 132 A. 3. 1 3 ) H a u p t Lausitz 2, 53 f. 1 4 ) M a n n h a r d t 1, 155 ff. 1 5 ) F r a z e r 4, 247. l e ) D r e c h s l e r 1,74. 17) V e r n a l e k e n Mythen 294. 18 ) F r a z e r 4, 250 f. 1 9 ) 4, 252 f. 20) 1, 418. 2, 287. Vgl. A R w . 17, 144 t. 21 ) Balder 292. Vgl. G e s e m a n n Regenzauber 55. 12)

2. Als „ T . " bezeichnet man in Iglau (Mähren) auch das A n s a g e n eines Sterbefalles bei den Ortsgenossen und die Einladung zum Begräbnis. Ein junges Mädchen besorgt das, darf aber erst in das

Todesvorzeichen

993

Haus eintreten, wenn sie mit einer Gerte an die Haustür geklopft hat und zum Eintritt aufgefordert worden ist; sonst brächte sie den Tod ins Haus 22).

32) ZfVk. 6, 408; vgl. ZfrwVk. 1,53 f. f Sartori. Todesvorzeichen.

Die T. sind so zahlreich, daß Strackerjan recht hat, wenn er bemerkt: der Abergläubische müßte sich eigentlich wundern, daß überhaupt noch ein Mensch am Leben ist 1 ). Sozusagen jedes ungewöhnliche oder unerklärliche Ereignis wird irgendwo oder irgendeinmal als T. ausgedeutet. Wir können daraus erkennen, welch starken Eindruck der Tod auf den Menschen macht, wie auch das volkstümliche Denken sich immer wieder damit beschäftigt, und wie es für das unvorhergesehene Ereignis gerne eine kausale Verknüpfung konstruiert. Denn die Vorzeichen sind ursprünglich nichts anderes als die Ursachen des Ereignisses 2 ). Für das heutige abergläubische Denken aber wird das Ereignis durch das Vorzeichen in einen wenn auch mystischen, so doch faßbaren Zusammenhang eingeordnet. Es tritt nicht plötzlich und unvermittelt ein, sondern der Tod schickt vorher wie im Märchen seine Boten. Freilich erkennt sie der Mensch nicht immer als solche, sondern es wird ihm erst hinterdrein bewußt. So werden auch viele T. erst nach dem Todesfall auf diesen bezogen und somit richtig gedeutet, d. h. die Angehörigen haben das Bedürfnis, nachzuforschen, ob nicht ein bisher als unbedeutend erachteter und darum übersehener Vorfall als Vorzeichen vorangegangen sei. Wird aber das Vorzeichen sogleich als solches empfunden, und tritt das Unglück wider Erwarten nicht ein, so hilft meist das Vergessen drüber hinweg. Von den Vorzeichen trennen müssen wir das Künden (s. d.), den Glauben, daß der Sterbende oder eben Verstorbene den Tod selbst anzeigt, und bei den Vorzeichen müssen wir die ungesuchten und die gesuchten ( = Orakel) Vordeutungen trennen. Eine weitere Einteilung nehmen wir nach äußerlichen Merkmalen vor, indem wir nach anzeigenden Wesen, Dingen und Bächtold-Stäubli,

Aberglaube V I I I

994

Vorgängen klassifizieren. Daneben könnte man auch die Vorzeichen nach ihrem Geltungsbereich trennen, d. h. danach, ob sie dem Betroffenen den eigenen Tod oder den eines Familienangehörigen, des Mitglieds eines Dorfteils oder der Gemeinde anzeigen 3 ). Ferner ziehen sich gewisse Merkmale durch alle Klassen von Vorzeichen hindurch, ich will nur die beiden Farben weiß und schwarz nennen 4 ). Die nachstehende Darstellung kann natürlich nicht vollständig sein; sie soll nur Beispiele aus den verschiedenen Klassen der Vorzeichen geben. 1. T i e r e . Solche kommen außerordentlich häufig als Vorzeichen vor. Meist ist das Auftreten an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit oder auch die Farbe des Tieres entscheidend. Zunächst seien einige genannt, die seltener vorkommen: Hase auf einem Kreuzweg 5 ), Hirsche 6 ), Eichhörnchen 7 ), das geschlachtete Schwein 8 ), weiße Gemse 9 ), Spinne 10 ), Bienenschwarm 11 ), Schlange 1 2 ), Kröte oder Frosch 1 3 ), Schmeißfliege 14 ), Raupe des Totenkopfschwärmers 15 ). Häufiger werden folgende genannt : a) H u n d . Wenn ein Hund, besonders nachts, „weint", heult oder bellt 1 6 ), genauer, wenn er mit gesenktem Kopf gegen die Erde heult 1 7 ), bedeutet es einen Todesfall. Die Richtung, in der er heult, zeigt an, wo der Tod eintreten wird 18). Dasselbe bedeutet es, wenn ein Hund vor dem Hause scharrt 19 ). Zur Erklärung wird gesagt, der Hund sehe den Leichenzug voraus 20), oder er rieche die Leiche 21). Läuft drum ein Hund aus der Stube eines Kranken fort, so stirbt der Kranke bald 22) (was wohl richtige Beobachtung sein wird). b) K a t z e . Wenn Katzen sich vor dem Haus beißen 23 ), oder wenn man eine schwarze Katze antrifft 2 4 ), bedeutet es einen Todesfall. c) M a u l w u r f . Wenn ein Maulwurf im Hause, unter der Schwelle oder unter der Mauer stößt 25 ), wenn er im Garten wühlt und Haufen aufwirft 26), „wenn er sich nach dem Krankenzimmer drängt" 27 ), oder wenn er unter der Schwelle nach 32

995

Todesvorzeichen

auswärts wühlt (nach einwärts = Schwangerschaft) 28), bedeutet es einen Todesfall. d) Maus. Wenn die Mäuse (oder Ratten) in einem Haus stoßen 29), wenn Mäuse singen ^ oder wenn sie zahlreich erscheinen 31 ), ist es ein T. e) P f e r d . Es sieht wie der Hund den Tod voraus 32 ), vgl. die Sagen von den in der Weihnachtsnacht redenden Pferden und Ochsen 33 ). Das Pferd schwitzt, weil es eine Leiche fahren muß 34 ); wenn Pferde unruhig sind oder wiehern, gibts bald eine Leiche 35). Pferde wollen nicht an einem Haus oder einer Stelle vorbei, wo es bald eine Leiche gibt, oder wo ein Leichenzug vorbeikommen wird 36 ). Ein T. ist es auch, wenn Füllenspuren auf einem Hauptwege des Dorfes nicht alsbald ausgetreten werden 37 ). f) Schwarzes L a m m . Wenn im Frühling viele schwarze Lämmer geboren werden, ist es ein T. 3 8 ). g) Außerordentlich häufig sind V ö g e l Todesboten. Manchmal ist nur unbestimmt ein Vogel genannt, der in die Nähe des Hauses, ins Haus, vors Fenster eines Kranken geflogen kommt 3 9 ); meist aber ist der ,,Totenvogel" eine bestimmte Art. Zunächst die seltener genannten: ein weißer S p e r l i n g 4 0 ) , ein K u c k u c k 4 1 ) , die F l e d e r m a u s 42), die T a u b e denn sie ruft „Tutenfru" 44), die S c h w a l b e n , wenn sie neue Nester bauen 45) oder wenn man sie vertreibt 46). Der eigentliche Totenvogel aber ist die E u l e (Kauz, Uhu). Ihr Ruf wird gedeutet als: „Komm mit" 47) oder „Kled di witt" 48). Meist heißt es nur, der unheimliche Ruf nachts in der Nähe des Hauses bedeute einen Todesfall 49 ). Eule oder Kauz werden darum etwa „Leichenhuhn" genannt M ). Tod bedeutet es ferner, wenn E l s t e r n sich auf ein Haus setzen, worin ein Kranker liegt, wenn sie in der Nähe des Hauses schreien 51 ), wenn sie auf die Erde hinabfliegen oder einen auf dem Wege begleiten 52 ). Wenn R a b e n oder K r ä h e n sich auf ein Haus setzen, oder in der Nähe krähen, bedeutet es einen Todesfall 53 ). Der Ruf der Krähe wird „Starb! starb!" gedeutet 54 ); schreit sie dreimal, bedeutet

996

es Tod eines Mannes, wenn zweimal, Tod einer Frau 5 5 ). Einen Todesfall bedeutet es ferner, wenn am Abend die H ü h n e r gackern 56), besonders wenn eine Henne kräht (wie ein Hahn) 57), oder wenn eine Henne einen Strohhalm unter dem Schweife hat 58), wenn der Hahn hinter dem Backofen kräht (bei einem Todesfall) 59), wenn der Hahn viel oder um Mitternacht oder am Fastweihnachtstag auf einem Wagen kräht 60 ), wenn ein schwarzes Huhn stirbt 6 1 ) ; man soll, wenn ein Huhn stirbt „Gott Lob und Dank" sagen, denn es vertritt die Stelle einer Person im Haus, die hätte sterben sollen 62 ). Ein sagenhaftes Tier ist das E r d h ü h n c h e n oder E r d h e n n l , das hervorkommt, wenn jemand sterben soll 63 ); ebenso ein sonderbarer „Toten vogel", der einen roten Kopf und goldene Flügel haben soll 64 ). h) Andere Tiere. Häufiger gilt als T. ein S c h m e t t e r l i n g ; wer im Frühjahr zuerst einen gelben 65), weißen 66), schwarzen 67) Schmetterling oder ein Pfauenauge 68) sieht, wird selbst sterben oder einen Trauerfall erleben 69 ). Ebenso wird gedeutet, wenn eine G r i l l e im Haus oder unter dem Herd zirpt 70 ). Seltener werden genannt: Ameisen, (weiße) Spinne, Larve des Johanniskäfers 71 ) und Totenkopf 7 2 ). i) Uberall verbreitet ist der Glaube an die sogen. T o t e n u h r , das Klopfen des Holzwurms als Todesvorzeichen 73 ). Er hat verschiedene Namen: Totenhammer 74), Totenglocke 75), Erdhämmerchen 76), Erdschmied 77 ), Goldschmied 78)> Hausschmiedlein 79 ), Toggeli 80 ), Tangelmannli 81 ), Totenchläfeli 82 ). 1 ) S t r a c k e r j a n 2, 214. 2) Lévy-BruhL Mental, primit. 142. 146. 3) Z. B. P e u c k e r t Schles. Vk. 227f. 4) A c k e r m a n n Shakespeare 115. H9Í. 5) ZrwVk. 15, 106; vgl. M a n n h a r d t Germ.Myth. 410. 6) P f ister//esse« 96. 7) ZrwVk.. 8) 15, 106. J e n s e n Nordfries. Inseln 327; Schuller Progr. v. Schässb. 1863, 30. 9) V e r n a l e k e n Alpensagen 402; W e t t s t e i n 10 Disentís 173. ) M e n s i n g Wb. i , 750; L a c h m a n n Überlingen 394. " ) M e i c h e Sagen 11; L e B r a z Légende 1, 248. 12 ) W i r t h Beitr. 2/3, 47; Germania 29, 101; M e n s i n g Wb. 1, 750. 13 ) W i r t h Beitr. 2/3, 47Í. 14 ) F o g e l Penns. Germ. 115. 15 ) FL. 11, 344. 16 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 252; S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 31; H e c k s c h e r 351; P e t e r Österr.-

Todesvorzeichen

997 Schlesien

2,

246;

Enders

Kuhländchen

83;

99«

h o f Wendunmuth 4, Nr. 2 4 1 ; A n h o r n

Magiol.

(1674) 144; K r ü n i t z Encycl. 73, 758; K e l l e r

F o s s e l Volksmedizin 169; D i r k s e n Meiderich 4 9 ; A l p e n b u r g Tirol 342; D u r m a y e r Reste 26; K e l l e r Grab 1, 209; K l a p p e r Schlesien 258; K t i c k Lüneb. 242; F o n t a i n e Luxemb. 156; H ü s e r Be;tr. 2, 28; F i s c h e r Oststeir. 1 1 5 ;

Braunschw. 314; ZrwVk. 4, 269; 15, 104; L a u b e Teplitz 51; BayHfte. 6, 210; MsächsVk.

Heimat 1, 79; 3,

Henneberg 153; Höhn

Slaven 94; B a u m g a r t e n

Tetzner

A. d.

W e t t s t e i n Disentis

173;

Kuhn u. S c h w a r t z 452; Kuhn Westf. 2, 51; F o g e l Perms. Germ. 1 1 7 ; Graubünden mdl.;

ZrwVk. 4, 270; MittschlesVk. 7, 75f.; Höhn Tod 308; SAVk. 2, 226; 4, 234; Grohmann

Aber gl. 54; Mélusine 5, 85; L e B r a z Légende

1, 7; P i t r è Usi 2, 202; Rosén Död 2; ARw. 24, 282; Volksleven 8, 197. 17) W i t z s c h e l Thüringen

2, 256; L a n d s t e i n e r

Niederösterr.

29t.; ZrwVk. 15, 105; H a l t r i c h Siebenb. 291; P o l l i n g e r Landshut 165; Aargau mdl. 1«) K r ü n i t z Encycl. 73, 360; B a u m g a r t e n

A. d. Heimat 3, 1 0 1 ; J e n s e n Nordfries.

327.

19 )

Inseln

K e l l e r Grab 1, 82; MschlesVk. 7, 75.

20 )

F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 97.

23 )

K r ü n i t z Encycl. 73, 360; K e l l e r Grab i , 93.

Der Arzt

1, 194.

22)

Tetzner

21 )

Unzer

Slaven

385.

ZrwVk. 15, 105; P i t r è Usi 2, 202. 25) Mensing Wb. 1, 750; W i t z s c h e l Thüringen 2, 252; Germania 29, 89; B r ü c k n e r Reuß 194; Alpenburg Tirol 384; MschlesVk. 7, 75; ZrwVk. 15, 106; BayHfte. 6, 210; W r e d e Ei fei 76; Kück Lüneb. 260; E i s e l Voigtl. 249; HessBll. 15, 131; P o l l i n g e r Landshut 295; F e i l b e r g

24 )

Dansk Bondeliv

2, 98.

26)

Hettingen

Schmitt

15; H o o p s Sassen 116; W i t z s c h e l Thüringen

2, 255; M o n t a n u s Volksmedizin

Volksfeste 92;

Fossel

169; R o c h h o l z Glaube 1, 156ÎÏ.

K r ü n i t z Encycl. 73, 337f. 28 ) Bernmündl.; vgl. B a r t s c h Mecklenb. 2, 125. 29) Thurgau mündl.; K o h l r u s c h 341. 30 ) Mensing Wb. 75°- 31) FL. 11, 344; vgl. Le B r a z Légende 32 ) A c k e r m a n n 1, 12. Shakespeare 76. M ) Z. B. Volksleven 12, 97; Landsteiner Niederösterr. 30. 34 ) ZrwVk. 20/1, 42. 35) S t ö b e r 27 )

Grab 1, 209; 2, 81 ; HessBll. 15, 131 ; M o n t a n u s Volksfeste 174; S t o l l Zaubergl.

7, 1 1 2 ; W r e d e Rhein.

131Î.;

Andree

Vkde 87; S p i e s s

Tod 307;

Frank.

Schmitt

Hettingen 15; F o g e l Penns. 124; P o l l i n g e r

Landshut 165. 295; L a m m e r t 99; H a l t r i c h Siebenb.

293;

Schneller

Wälschtirol

244;

Kuhn u. S c h w a r t z 452; B a u m g a r t e n A. d.

Heimat

89;

1,

Vernaleken

Myth.

3iof. ;

Alpens. 403; F i s c h e r Oststeir. 113; T e t t a u u. Temme 280; P e t e r Österr. Schles. 2, 246; Manz Sargans 122; MschlesVk. 7, 76; SAVk. 10, 279; W i t z s c h e l Thüringen 2, 252; A c k e r mann Shakespeare 73 f.; F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 98; ARw. 24, 282; R o s é n Död 2;

P i t r è Usi 2, 202; Volksleven 12, 7; RTrp. 27, 254. 50) H e c k s c h e r 350; L a n d s t e i n e r

Niederösterr. 29; W i r t h Beitr. 2/3, 48; K r ü n i t z

Encycl. 73, 758. 51 ) Rockenphilos. 248: umgekehrt: Der Kranke wird gesund. Tod vordeutend: M o n t a n u s Volksfeste92; V e r n a l e k e n Alpensagen 402I; ZrwVk. 15, 104; H e c k s c h e r 381; P o l l i n g e r Landshut 164; H e y l Tirol 789; Thurgau mündl.; S t o l l Zaubergl. 134; 134; W o e s t e Mark 54; W r e d e Rhein. Vk. 88;

Eifel 76; Le B r a z Légende 1, 5.

Westf. 2, 50; H a l t r i c h Siebenb. 293.

62 )

63 )

Kuhn

Kelter

Grab 1, 209; 2, 81 ; Rockenphilos. 181 ; MsächsVk. 7, 112; Gassner Mettersdorf 79; SAVk. 25, 283; 19, 44; Bern, Aargau mündl.; Höhn Tod 325; F o g e l Penns.

119; H a l t r i c h

Siebenb. 293;

Kuhn Westf. 2, 50; V e r n a l e k e n Alpensagen 404; L a c h m a n n Überlingen 394; D i r k s e n Meiderich

49; A c k e r m a n n

Shakespeare

74;

Volksleven 12, 15 (Rabe = Teufel); FL. 11, 237. 64 )

W i r t h Beitr. 2/3, 48.

A. d. Heimat

1, 95.

66)

65)

Baumgarten

F o g e l Penns.

115.

Elsaß 1 8 ; F o g e l Penns. Germ. 1 1 4 . 1 1 7 ; Z r w V k .

HessBll. 15, 131; K e l l e r Grab 5, 395; MschlesVk. 7, 76; Urquell 4, 29; Gassner

s e n Meiderich

Alpens.

15, io5f.; vgl. L i e b r e c h t ZVk. 313. 49; S c h e l l

Berg.

36 )

Sagen

Dirk-

403;

67 )

Mettersdorf 80; F o g e l Penns. 1 1 5 ; V e r n a l e k e n 402; L a n d s t e i n e r

Niederösterr.

30:

Wrede Rhein. Vk. 87; Mensing Wb. 1, 750. 37) Mensing Wb. 1, 750. 38 ) Mensing Wb. 75°; vgl. FL. 10, 121. 39) SAVk. 25, 283; V e r n a l e k e n Mythen 204; ZrwVk. 15, 103!;

schwarzes Huhn; P i t r è Usi 2, 202. 68) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 1, 92. 69) BdböVk. 4, 62. 60 ) ZrwVk. 15, 104; Fogel Penns. 118; B a u m g a r t e n A. d. Heimat 1, 92; vgl. Le B r a z

mannia 24, 155; P a n z e r Beitr. 2, 293; Manz Sargans 119; Kuhn u. S c h w a r z 436! (Vogel = Seele) ; Fossel Volksmedizin 168; Rosén Död 2; Le B r a z Légende 1, 7; vgl. S a u p e Indiculus ïji. 40 ) Eisel Voigtl. 148. 41 ) Mensing Wb. 1, 749. 42 ) FL. 16, 73 (Jamaica); ZrwVk. 15, 104; MschlesVk. 7, 76. 43) Mensing Wb. 1, 749; S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 32; got. hraiwadubo = Leichentaube: L ü e r s Sitte 67. " ) Wossidlo Mecklenb. 2, 135. 45) Rockenphilosophie 758; S c h u l l e r Progr. v. Schässb. i 8 6 3 . 32; vgl. ZrwVk. 15, 105. 46 ) Mensing

,2)

F o g e l Penns. Germ. 120; Urquell 1, 7; Ale-

Wb. 1, 749; vgl. L a n d s t e i n e r Niederösterr. 29. 47 ) A l p e n b u r g Tirol 343; W o s s i d l o Mecklenb.

2. 135f-

48 )

W o s s i d l o a.a.O. 2, 136.

49 )

Kirch-

Légende 1, 6.

61)

Mannhardt

W i t z s c h e l Thüringen 2, 252.

Germ. Myth.

299

(Elsaß).

Köhler Voigtl. 574; Rockenphilos. 222; ZfdPhil. 24, 151. 64 ) E n d e r s Kuhländchen 91. 65) Gassner Mettersdorf 80; ZrwVk. 15, 106; B a u m g a r t e n A. d. Heimat 1, 121; S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 33. 66) H a u p t Lausitz 1, 192; W i r t h Beitr. 2/3, 48. 67) Mensing Wb. 1, 744. e8 ) Mensing Wb. 1, 750. 69) Vgl. Mann63 )

h a r d t Germ. Myth. 372f. 70 ) MsächsVk. 7, 1 1 3 ; G r i m m Myth. 3, 468; S c h m i t t Hettingen 1 5 ;

Fogel Penns. 118; Mensing Wb. 1, 750;

P f i s t e r Hessen 169; A c k e r m a n n Shakespeare

75. 71) ZrwVk. 15, 106; Fogel Penns. 115; Mensing Wb. 1, 750. 72) L a m m e r t 100. 73)

K e l l e r Grab 1, 93. 2 i o f . ; K r ü n i t z 32*

Encycl.

999

Todesvorzeichen

73. 359; Urquell 4, 89. 280; F o s s e l Volksmedizin 1 6 9 ; S t o l l Zaubergl. 1 3 4 ; SAVk. 2, 2 1 7 ; 19, 44; M o n t a n u s Volksfeste 92; W i r t h Beitr. 2/3, 47; H e s e m a n n Ravensberg 88; ZrwVk. 1 5 , 1 0 6 ; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 420; MschlesVk. 7, 75; K u h n Westf. 2, 59; L e B r a z Légende 1, 1 3 ; Volksleven 8, 1 4 5 Î Ï . ; M e y e r Baden 5 7 7 ; J o h n Erzgeb. 1 1 3 ; A n d r e e Braunschweig 3 1 4 ; K ö h l e r Voigtland 390; D r e c h s l e r Schlesien 1, 285; E n g e l i e n u. L a h n 250. 74 ) M e n s i n g Wb. 1, 750. 75 ) A l p e n b u r g Tirol 76 343. ) A l p e n b u r g Tirol 3 4 3 ; H a r t m a n n Dachau u. Bruck 2 2 1 ; L a v a t e r Von gespänsten (1569) 2 5 a : Herdmenli. " ) H a r t m a n n Dachau u. Bruck 2 2 1 ; R o c h h o l z Sagen 1, 366 = P a n z e r Beitr. 1, 2 5 7 ; B i r l i n g e r A.Schw. 395; John Westböhmen 164; H ö h n Tod 308; P o l l i n g e r Landshut 295; M e i e r Schwaben 78 2, 488Î.; L a m m e r t 100. ) Vernaleken Alpens. 403; Schweiz. Id. 9, 860. 79 ) G r o h m a n n 80 Sagen 207. ) M ü l l e r Urner Sagen 1, 1 8 1 . " l ) V e r n a l e k e n Alpens. 420; H ö h n Tod 308; B i r l i n g e r Volksth. 1, 473. 82 ) SchwVk. 10, 32.

2. P f l a n z e n . Als T. gilt es, wenn Kohl oder andere Pflanzen weiße Blätter bekommen 83 ), ebenso weiße Bohnen oder Blumen 84), eine weiße Rose als T. kommt in Sagen vor 8 5 ). Wenn Pflanzen, besonders Bäume zur Unzeit b l ü h e n , deutet es auf einen Todesfall 86 ), ebenso das Blühen der Hauswurz 87), das Welken von Pflanzen 88). Wer beim Ansäen oder Pflanzen ein Stück vergißt, „hat sein Gräb gesät" oder „hat einen Sarg gesät", d. h. er selbst oder ein Angehöriger wird in dem Jahr sterben 89) ; ebenso wenn eine ledige Person denselben Acker zweimal baut 90 ). Vereinzelt kommt als T. noch vor: wenn die Galläpfel leer sind 91 ), wenn die Petersilie nicht aufgeht 9i ), wenn Krautstöcke schießen93), wenn der Holunder unter der Mauer hervorwächst 94 ), wenn der gelbe Veigel besonders schön blüht 95). 83 ) M e n s i n g Wb. 1, 750; W i t z s c h e l Thüringen 2, 2 5 2 ; Bern, Aargau mündlich; S A V k . 1 2 , 1 5 0 ; ZrwVk. 1 5 , 1 0 7 ; H e s e m a n n Ravensberg 88; S c h m i t t Hetlingen 1 5 ; F o g e l Penns. 121; P o l l i n g e r Landshut 1 6 6 ; H o o p s Sassen 1 1 6 ; W i r t h Beitr. 2/3, 48; K l e e b e r g e r Fischbach 46; B r ü c k n e r Reuss 1 9 4 ; F e i l b e r g Dansk 84 Bondeliv 2, 98; vgl. M ü l l e r Isergeb. 35. ) S t o l l Zaubergl. 1 3 6 ; ZfVk. 23, 163. 85 ) D e e k e Lüh. Gesch. 189; S c h e l l Berg. S. 256. 88 ) M e n s i n g Wb. i , 7 5 1 ; P e t e r Österr. Schles. 2, 2 7 1 ; D i r k s e n Meiderich 49; K u h n Westf. 2, 58; F o g e l Penns. 1 2 1 ; K ü c k Lüneburg 2 6 o f . ; ZrwVk 1 5 , 106f. ; SAVk. 25, 283. 87 ) SAVk. 10, 97; S t o l l Zaubergl. 1 4 0 ; Bern mündl. 88 ) R o c h h o l z DGl. 1 , 2 1 5 ; H ö h n Tod 309; ZfVk. 24, 1 9 3 ; ZrwVk.

1000

1 5 , 1 0 7 ; G a s s n e r Mettersdorf 80 (umstürzende B ä u m e ) ; P o l l i n g e r Landshut 296; M e i c h e Sagen 11; Ackermann Shakespeare 76. 89 ) J o h n Erzgeb. 1 1 4 ; J o h n Westb. 1 8 5 ; F o g e l Penns. 1 1 9 . 1 2 5 ; B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, i o i ; F i s c h e r Oststeirisches 1 1 5 ; L a n d s t e i n e r Niederösterr. 29; B r ü c k n e r Reuss 194; P e t e r Österr. Schles. 2, 265; Witzschel Thüringen 2, 2 1 6 ; FFC. 32, 7öf. ; L e B r a z Légende 1, 1 3 . 90 ) B a u m g a r t e n A.d. Heimat 91 3, 1 0 1 . ) H ö h n Tod 309. 92 ) F o g e l Penns. 206; ZrwVk. 1 5 , 1 0 7 ; vgl. S é b i l l o t Folk-Lore 93 94 3, 463. ) F o g e l Penns. 1 1 5 . ) Mensing Wb. x, 7 5 1 . 95 ) F o s s e l Volksmedizin 169.

3. Der Mensch. Bestimmtes Verhalten oder bestimmte Zeichen deuten beim Menschen meist auf seinen eigenen Tod. Wer mit dem Gesicht nach der Türe schläft, wird noch im selben Jahr als Leiche hinausgetragen96). Wenn 13 an einem Tisch sitzen, muß eins davon innerhalb eines Jahres sterben 97 ), und zwar das, das dem Spiegel gegenüber oder unter der Uhr sitzt 98). Weiße, gelbe, rote oder blaue Flecken am Körper oder an den Fingernägeln sind Todesvorzeichen 99), sie heißen Reflecken, Kirchhofsrosen u. ä.100) ; ebenso Verlust eines Zahns 101 ), Anschwellen der linken Hand oder des linken Fußes 102 ), brüchige Nägel 103 ), wenn einem ein oder 3 Blutstropfen aus der Nase fließen104) (s.o. Tod 2 ). Wenn ein Mensch seine Art plötzlich ändert, ist das (sprichwörtlich) eine „Änderung vor dem Tod" 105). Wenn jemand im Alter ein Haus baut oder ein Bild von sich machen läßt, wird er bald sterben 106). Wer nur mit einem Fuß geschuht herumgeht, verliert einen Angehörigen 107). Läuten in den Ohren und Niesen deutet auf einen Todesfall 108 ); wer sich selbst sieht, stirbt im Lauf des Jahres 109). Bei Kindern sieht man an gewissen Anzeichen („Totenaugen"), daß sie bald sterben u 0 ). Ebenso achtet man bei Kranken auf verschiedene Vorkommnisse m ) . Es gibt bestimmte Leute, die Todesfälle voraussehen. Solche Leute nennt man „Wicker" 1 1 2 ) ; diese Gabe des zweiten Gesichts haben Leute, die in der Neujahrsnacht 1 1 3 ), am Sonntag während der Predigt 1 U ), in der Matthiasnacht 115 ), in der Silvesternacht 116 ), an Lichtmeß 117 ) oder Fronfasten 118 ) geboren sind. Man

IOOI

Todesvorzeichen

kann sich diese Fähigkeit erwerben, indem man unter einem Sarg durchkriecht u 9 ) oder einem heulenden Hund auf den Schwanz tritt und zwischen den Ohren durchschaut 12°). Diese Leute sehen eine bestimmte Zeit vorher einen Leichenz u g m ) . oder irgend sonst ein Vorzeichen m ) . Manchmal ist nicht gesagt, daß der Voraussehende die Gabe des zweiten Gesichts habe 123 ) (vgl. Leichenzug). 9«) W i r t h Beitr. 2/3, 56; M e n s i n g Wb. 1, 751; vgl. P f i s t e r Hessen 170. 9 ') Urquell 3, 299; F o g e l Penns. 120; K e l l e r Grab 1, 187ÎÏ.; HessBll. 15, 131; M o n t a n u s Volksfeste 136; S c h u l l e r Progr. v Schässb. 1863, 27; W i t z s c h e l Thür. 2, 257. " ) M e n s i n g Wb. i , 751; Volksleven 8, 197; 9, 196- •') M e n s i n g Wb. 1, 751; M a n n h a r d t Germ. My th. 6 i 5 f f . ; Schuller Progr. v. Schässb. 1863, 28; Wallis schriftl.; 10 L e B r a z Légende 1, 9. °) ZrwVk. 15, 108; F o n t a i n e Luxemb. 156; M o n t a n u s Volksfeste 92; R o t h e n b a c h Bern 40. 1 0 1 ) ZrwVk. 15, 108; L e B r a z Légende 1, 366f. 102 ) G a s s n e r 103 Mettersdorf 81. ) W i r t h Beitr. 2/3, 50. i' 4 ) S c h u l l e r Prog. v. Schässb. 1863, 28; K ü c k Lüneb. 761; ZrwVk. 15, 108. 1 0 6 ) V e r n a l e k e n Alpens. 404; ZrwVk. 15, 109; SAVk. 12, 150; S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 27; H ö h n Tod 313; vgl. M o n t a n u s Volksfeste 92. li6 ) M e n s i n g Wb. 1, 7 5 1 ; Volksleven 9, 156. 10 ') S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 26. 108 ) ZrwVk. 15, 108; F o g e l Penns. 124. 10«) W i t z s c h e l Thüringen 2, 255. u o ) SAVk. ln 19, 44; vgl. M e y e r Baden 52. ) Birlinger A. Schw. 2, 310; ZrwVk. 15, 108; F o g e l Penns. 124. 1 1 2 ) H e c k s c h e r 104. 355f.; 1 1 3 ) F r i c k e Westf. 27. 114 ) S a r t o r i Westf. 75. 1 1 5 ) S c h e l l Berg. S. 458; K u h n Westf. 2, 124. 1 1 6 ) V e r 117 n a l e k e n Alpens. 405. ) H m t K . 36, 249. 118 ) V e r n a l e k e n Alpens. 349; B a u m g a r t e n 119 Das Jahr 31. ) R o s é n Död 1. 12 °) M ü l l e n h o f f Sagen 571. 1 2 1 ) D i r k s e n Meiderich 44; K u h n Westf. 2, 55f.; H e y l Tirol 468; S c h e l l Berg.S. 73; H e s e m a n n Ravensberg 88. m ) Aargau mündl.; MittsächsVk. 8, 93. 1 2 3 ) S c h e l l Berg.S. 52. 102. 244. 341; E i s e l Voigtl. 246; K u n z e Schles.S. 36.

4. Vorgänge in der N a t u r . Häufig gelten S t e r n s c h n u p p e n als T. 1 2 4 ), ebenso das Sternbild des Bären, falls es über einem Hause steht 126 ), auch andere Vorgänge am Himmel werden so gedeutet 126 ). 124 ) S t o l l Zaubergl. 130; ZrwVk. 15, 107; MsächsVk. 7, 113; G a s s n e r Mettersdorf 80; K e l l e r Grab 1, 209; 5, 239; F o g e l Penns. 114; V e r n a l e k e n Alpens. 414; F o s s e l Volksmediz. 169; Germania 29, 103; FL. 8, 2 0 3 ! ; M e n s i n g Wb. 1, 752; B o l t e - P o l i v k a 3, 235. 126 ) W r e d e Eifel 76; ZrwVk. 15, 107t. 1 2 6 ) M e y e r Abergl. 138; L i e b r e c h t ZVolksk. 327; Zaunert

1002

Rheinl. 2, 198f.; M e n s i n g Wb. 1, 752; FL. 10, 364; A c k e r m a n n Shakespeare 81. 83L

5. Eine Menge von T. können wir unter der Bezeichnung „ u n e r k l ä r l i c h e V o r g ä n g e " zusammenfassen. Es sind an und für sich unwichtige, Ereignisse, wie das Fallen oder Brechen von Gegenständen oder Geräusche, für die scheinbar keine Ursache vorliegt. Weil man sie nun sozusagen nach rückwärts nicht kausal verknüpfen kann (als Folge einer Ursache), werden sie nach vorwärts verbunden; allerdings bleibt die Art des Zusammenhangs zwischen Vorzeichen und Todesfall vollständig im Dunkeln. Häufig gilt das H e r a b f a l l e n eines Gegenstandes als T. 1 2 7 ), besonders eines Bildes oder Spiegels 128 ). Ebenso wird gedeutet, wenn etwas vom Dache fällt 1 2 9 ), oder wenn ein Tuch 1 3 0 ), ein Bund Stroh 1 3 1 ), ein Gefäß 132), Löffel oder Messer 133), ein Kranz 1 3 4 ), die Spannkette eines Wagens 135) herunterfällt. Ein weiteres Vorzeichen ist das Z e r s p r i n g e n oder Z e r b r e c h e n eines Glases (Trinkglas, Flasche, Spiegel) 136 ), eines Eherings 137 ), das Zerreißen der Ketten an einem Wagen 138). Ferner das A u f g e h e n v o n T ü r e n oder Fensterläden 139 ); der Tod hat die Türe aufgemacht 14 °). Besonders häufig werden alle möglichen G e r ä u s c h e genannt, deren Ursache man sich nicht erklären kann: Krachen oder Knacken von Möbeln 141 ), Poltern und Rufen 142), Schlag 143), Knarren der Türen 144) und andere Geräusche 145 ). Manchmal deutet das Geräusch deutlich auf den Todesfall: Bretter fallen, es tönt, wie wenn Männer einen schweren Gegenstand (Sarg) trügen 146). Schon geisterhaft ist ein, meist dreimaliges Klopfen 1 4 7 ). Als Vorzeichen gilt es auch, wenn es von der Zimmerdecke tröpfelt 148 ), wenn das Feuer „singt", platzt oder prasselt 149 ); wenn Gegenstände sich von selbst bewegen 15°), vor allem, wenn es Gegenstände sind, die mit dem Begräbnis zu tun haben, wie die Werkzeuge des Totengräbers 151 ), des Schreiners 152 ), die Schere der Schneiderin 153 ), besonders wenn man das Fallen von Brettern („Totenbrett") (s. o.) im Hause hört 1 5 4 ) oder andere Geräusche,

1003

Todesvorzeichen

die man auf die Beerdigung bezieht 155 ). Ein T. ist es, wenn eine U h r plötzlich still steht 1 5 6 ), auch wenn eine Uhr klingt, schlägt oder tickt 1 5 7 ), ebenso wenn sich eine Nähmaschine in Bewegung setzt 158 ) ; ferner wenn ein L i c h t von selbst verlöscht 159 ), wenn man viele Lichter sieht 160 ), wenn drei Lichter zugleich im Zimmer sind 1 6 1 ), und wenn am Talglicht sich Klümpchen wie Hobelspäne (dän. = Ligspaan) bilden 162). Das B r o t dient in verschiedener Weise als Vorzeichen : wenn es beim Backen einen Riß bekommt, „erlöst wird" (Schlesien) 163 ), wenn im ersten Brot, das man anschneidet, ein Loch ist 1 6 4 ), wenn Weißbrot mit weißer Oberrinde gebacken wird 16S), wenn man beim Backen vergißt, einen Laib in den Ofen zu tun 166). Begreiflich ist, daß man das K r e u z als T. ansieht, wenn es zufällig erscheint, so 2 gekreuzte Strohhalme 167 ) oder andere kreuzweise liegende Gegenstände 168), ebenso kreuzförmige Flecke auf der Wäsche 169). 127 ) K e l l e r Grab 1, 208; S t o l l Zaubergl. 139; L e B r a z Légende 1, 5; MsächsVk. 7, 113. 128 ) M e n s i n g Wb. 1, 752; F o s s e l Volksmedizin 169; F o n t a i n e Luxemburg 156; P o l l i n g e r Landshut 295; F o g e l Penns. 118; H e s e m a n n Ravensberg 88; ZrwVk. 15, 112; B a y H f t e 6, 210. 129 ) MsächsVk. 7, 113; H e y l Tirol 782. 130 ) Urquell 1, 18. 131 ) W u t t k e 213. 132 ) S c h e l l Berg.S. 552. 133 ) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 101; V e r n a l e k e n Mythen 311. 134 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 254. 136 ) W r e d e RheinVk. 87; ZrwVk. 15, 112. 136 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 360; S t o l l Zaubergl. 140; ZrwVk. 15, 113; SVk. 6, 24; 17, 30; SAVk. 7, 140; F o g e l Penns. 116. 223; H a u p t Lausitz 1, 269f.; Volksleven 11, 56. 137 ) SVk. 17, 30. 138 ) W o l f Beitr. 1, 213. 139 ) B a y H e f t e 6, 210; M e y e r Baden 579; ZrwVk. 15, 112; V e r n a l e k e n Alpens. 404; F o s s e l Volksmedizin 169; Mélusine 3, 277; S t r a c k e r j a n 1, 164; M e n s i n g Wb. 1, 752. 140 ) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 101. u l ) K r ü n i t z Encycl. 73, 358; Urquell 1, 17; ZrwVk. 15, 113; G a s s n e r Mettersdorf 81; J o h n Westb. 165. 142 ) K r ü n i t z 73, 358; S c h ö n b a c h Berth.v.R. 135; Egerl. 3, 59; S c h e l l BergS. 99f.; K ö h l e r Voigtl. 574; H ö h n Tod 309; J o h n Erzgeb. 113; M e y e r Baden 579; M e y e r Abergl. 138; L a m m e r t 97; C y s a t 37; 143 H a l t r i c h Siebenb. 308. ) Witzschel Thüringen 2, 252; P o l l i n g e r Landshut 295; Urquell 1, 8. 144 ) U n o t h 188. 14E) B a u m g a r t e n A.d. Heimat 3, 101 ; V e r n a l e k e n Alpens. 404; MschlesVk. 8, 75; Volksleven 9, 198; H ö r m a n n Volksleben 422; F o g e l Penns. 100; M ü l l e r Uri 2, 103; K r ü n i t z Encycl. 73,

IOO4

361; A c k e r m a n n Shakespeare 78t.; W i t z s c h e l Thür. 1, 246; 2, 255; M e n s i n g Wb. 1, 752; J o h n Erzgeb. 114. 146 ) ZrwVk. 15, 113; 147 5, 245; vgl. J o h n Erzgeb. 116. ) Hörm a n n Volksleben 422; K e l l e r Grab 1, 93; M e i c h e Sagen 237; E i s e l Voigtl. 249; K ü c k Lüneb. 261; G r o h m a n n Sagen 70; V e r n a l e k e n Mythen 81; L e B r a z Légende 1, 20. 14S ) ZrwVk. 15, 113; S c h u l l e r Progr. v . Schässb. 1863, 34; W u t t k e 226; F e i l b e r g 149 Dansk Bondeliv 2, 99. ) F o s s e l Volksmedizin 169; K e l l e r G r a f e 1, 82. 15°) W u t t k e 2 i 3 ; Egerl. 3, 59; J o h n Erzgeb. 252; M a n z Sargans 122; M e y e r Baden 579. 1S1 ) C y s a t 37; S t ö b e r Elsaß 18; B r ü c k n e r Reuß 194; MschlesVk. 27, 243; K r ü n i t z Encycl. 73, 362. 1S2 ) ZrwVk. 20/1, 42; S c h e l l Berg.S. 159. 425; S c h u l e n b u r g 110; J o h n Erzgeb. 116; K ü c k Lüneb. 243; K r ü n i t z Encycl. 73, 362; M e n s i n g Wb. i , 752; L e B r a z Légende 1, 5; F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 99. 153 ) K u h n Westf. 2, 58; vgl. S c h e l l Berg.S. 337. 154 ) K r ü n i t z Encycl. 73. 363; P e t e r österr. Schles. 2, 246; Rockenphilos. 708; K u h n Westf. 2, 56; M e i c h e Sagen 260; H e s e m a n n Ravensberg 88; S c h e l l Berg.S. 475- 155 ) B a u m g a r t e n A.d. Heimat 3, 103; K u h n Westf. 2 , 5 1 ; M o n t a n u s Volksfeste 92; L e B r a z Légende 1, i6ñ. 166 ) S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 34; F o s s e l Volksmedizin 169; W i r t h Beitr. 2/3, 49; MschlesVk. 8, 76; K u h n Westf. 2, 59; F o g e l Penns. 118; L e B r a z Légende 2, 174. 167 ) W i r t h Beitr. 2/3, 47; Mschles-" Vk. 7, 76; 8, 75; K e l l e r Grab 1, 93. 168 ) M a n z Sargans 122. 159 ) Rockenphilos. 610; H e y l Tirol 780; ZfVk. 6, 407. 160 ) K e l l e r Grab 3, 65. 161 ) W r e d e Rhein.Vk. 87. 182 ) M e n s i n g Wb. 1, 751; Urquell 3, 299; F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 98. 163 ) D r e c h s l e r Schlesien 2, 13; G a s s n e r Mettersdorf 80; J e n s e n Nordfries. Inseln 327; F o g e l Penns. 116; K u h n u. S c h w a r t z 436; B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 102; W i r t h Beitr. 2/3, 47; M e n s i n g Wb. 1, 751. 164 ) W i r t h Beitr. 2/3, 51. 165 ) J o h n Westb. 165. 168 ) F o g e l Penns. 117, vgl. 114. 116. 167 ) SVk. 17, 30; W r e d e Eifler Vk. 76; ZfdMyth. I, 240; SAVk. 25, 283; L e B r a z Légende 1, 6; F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 98. 168 ) ZrwVk. 15, i n ; H ö h n Tod 313; R o s é n Död 2. 189 ) M o n t a n u s Volksfeste 92; K u h n Westf. 2, 51.

6. Auch zahlreiche ganz g e w ö h n l i c h e V o r g ä n g e oder Ereignisse werden als T. gedeutet: wenn ein Kind sich ausschaukeln läßt 1 7 0 ), wenn ein Strohhalm in einer Wasserlache liegt 1 7 1 ), wenn ein Messer auf dem Rücken liegt 1 7 2 ), wenn man die Hände nebeneinander hält und ihre Größe vergleicht 173 ), wenn man ö l ausschüttet 174 ), wenn man einen Kranz findet17S), und verschiedenes anderes 176 ). 171

17 °) J o h n Erzgeb. 115; vgl. MsächsVk. 7, 113. ) ZrwVk. 15, 107. 172 ) J e n s e n Nordfries.

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Todesvorzeichen

Inseln 327; F o g e l Penns. 116. 173 ) M e n s i n g Wb. 1, 752; vgl. F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 174) S c h n e l l e r Wälschtirol 244 1 , 6 ) Msächs97 V k . 7, m ; vgl. Z a u n e r t Rheinland 2, 199. i?6) Z. B. J o h n Erzgeb. 115; W i r t h Beitr. 2/3, 48; F o g e l Penns. 1 1 7 . I 2 2 Í . ; ZrwVk. 15, 1 0 7 ; H ö h n Tod 313; S t o l l Zaubergl. 142.

7. An das Vorspuken von Begräbnisgeräuschen erinnert es, wenn das B e g r ä b n i s s p i e l e n der K i n d e r als T. erscheint 177 ) ; auch wenn sie vor einem Hause singen oder Löcher graben, hat es diese Bedeutung 178 ). Auch Erwachsene sollen nicht Leiche spielen 179 ). ! " ) Rockenphilos. 156; S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 25; P e t e r österr. Schlesien 2, 212; F o s s e l Volksmedizin 169; D r e c h s l e r Schlesien 1, 217; A n d r e e Braunschweig 314; S c h m i t t Hetlingen 15; ZrwVk. 15, 109; H ö h n Tod 312; B a r t s c h Mecklenb. 2, 126. 178 ) S p i e ß Frank. Henneb. 153; K u h n Westf. 2, 51; J o h n Westb. 165. 179 ) G a s s n e r Mettersdorf 81 ; Urquell 4, 18 f.

8. Von den verschiedenen T r ä u m e n , die als T. ausgelegt werden 180 ), seien folgende besonders genannt: wenn man im Traum einen Zahn verliert, stirbt bald jemand aus der Familie 181 ). Ferner bedeutet einen Todesfall Traum von Wasser, besonders von trübem Wasser 182 ), von Fischen 183), von schwarzen Kirschen 184), von einem Schimmel 185 ), von Schlangen 186 ), von Pfennigen 187 ); wenn einem im Traum die Wäsche fortfließt 188 ), wenn im Traum der Ofen einfällt 186 ), wenn man von Verstorbenen träumt 190 ), wenn man von Rosmarin 191 ), von einer großen Mahlzeit 192 ), von Tanz oder einer Hochzeit träumt 193 ) ; dagegen bedeutet von einer Leiche träumen Hochzeit (s. Leiche E). 18°) Z . B . ZfVk. 8, 246; ZrwVk. 15, 110; W i r t h Beitr. 2/3, 50; S c h u l l e r Progr. von Schässb. 1863, 36Í.) M e n s i n g Wb. 1, 752. 181 ) G a s s n e r Mettersdorf 80 ; K u h n u. S c h w a r t z 463; B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 101 ; L a n d s t e i n e r Niederösterr. 29; K l e e b e r g e r Fischbach 46; W i t z s c h e l Thüringen 2, 252; VeckenstedtsZs. 1, 435; F o g e l Penns. 76t; T e t z n e r Slaven 94; Volksleven 9, 197; FL. 12, 71 (Japan). 182) F o g e l Penns. 75; W i r t h Beitr. 2/3, 50; G a s s n e r Mettersdorf 81; L e B r a z Légende 1, 10. "3) K u h n Westf. 2, 59; W r e d e RheinVk. 184 ) K l e e b e r g e r Fischbach 46; B e c k e r 8j. Pfalz 144; W e t t s t e i n Disentís 172. 185) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 100; L e B r a z Légende 1, 10. 18«) MschlesVk. H. 5, 43. 187 ) BayHfte 188) W i t z s c h e l 6, 210. Thüringen 2, 225. 189 ) Urquell 4, 82; G a s s n e r Mettersdorf 81.

I006

190)

M e n s i n g Wb. 1, 752; W i t z s c h e l Thür. 2, 255; P i t r è Usi 2, 202. 1 9 1 ) Germania 29, 89. m ) F o g e l Penns. 78. 193 ) B e c k e r Pfalz 144; P o l l i n g e r Landshut 295; K e l l e r Grab 1, 48; F o g e l Penns. 78.

9. Eine Reihe der bisher genannten T. grenzt ans Geisterhafte. Oft werden aber auch ausdrücklich G e i s t e r oder g e i s t e r h a f t e E r s c h e i n u n g e n als vordeutend genannt. Sieht ein Kranker seine verstorbenen Vorfahren (vgl. oben Traum), so stirbt er bald 194 ), ebenso wenn man seinen eigenen Geist sieht 195 ) ; oft hört man nur eine Geisterstimme rufen 196 ). Es erscheinen geisterhafte Mönche 197 ), weiße oder dunkle Gestalten 198), ein Berggeist 199 ), ein Reiter 200), oder andere Spukgestalten 201) ; manche Familien haben ihre besonderen Geister 202). Am bekanntesten ist die w e i ß e F r a u , die in zahlreichen Schlössern 203 ) und auch sonst erscheint 204). Eine gespenstige Gestalt ist die „Wehklage", „Winselmutter", „Klagemutter", die sich durch klägliches Geheul bemerkbar macht, und manchmal als Frau, aber auch als Schaf oder anderes Tier oder als unförmlicher Knäuel sichtbar wird 205). An andern Orten erscheint ein Totenwibli !0 f). Seltener sind gespenstische Tiere: Hund 207), Schwan 208) oder der Sargfisch 209). Geisterhafte Erscheinungen sind Rufe, Geschrei, Musik 210 ), unsichtbare kalte Hand 2U ), die unheimliche Totenkugel 212 ), und ähnliches 213), ferner L i c h t e r : Wannerlich terchens 214), Irrlichter 215) oder andere Licht- und Feuererscheinungen 216). Über das Erscheinen geisterhafter Leichenzüge s. d. ; manchmal sieht man bloß einen Toten wagen oder einen Sarg 217 ). 194 ) W i t t s t o c k Siebenb. 61. 195 ) W a i b e l u. F l a m m 1, 211; M ü l l e r Uri 2, 107. 198) SAVk. 19, 44; Graubünden mündl.; ZrwVk. 15, 109; M ü l l e r Uri 2,97. 99. 19? ) M e y e r Abergl. 139; Urquell 1,16; M e i c h e Sagen 165!:.198) S t r a c k e r j a n 1, 275; P f i s t e r Hessen 73; B i r l i n g e r A. Schw. 1, 4 9 o f . ; W a i b e l u. F l a m m 1, 4 7 ; R e u s c h Samland 43. 199 ) K ü h n a u Sagen 2, 426. 20°) V e r n a l e k e n Mythen 106f.; M e i c h e Sagen 93; vgl. J o h n Westb. 165. 201) M e i c h e Sagen 95. 143. 197; A c k e r m a n n Shakespeare 71 f.; L e B r a z Légende 1, 60. 202) K ü h n a u Sagen 2, 333; W o l f Beitr. 2, 399; K u h n u. 2K>) S c h w a r t z 1. S c h w e b e l Tod iooff.; K e l l e r Grab 3, 58; 5, 331. 334; S t r a c k e r j a n

Todesvorzeichen

ioo7

2, 328; P f i s t e r Hessen 97; E i s e l Voigtl. 99; H a u p t Lausitz 1, 150; M e i c h e Sagen 125. 167; K u h n Westf. 1, 229; Mark. S. 125; B a a d e r N.S. 85; K r ü n i t z Encycl. 73, 361; vgl. NddZfVk. 5, 161 f. 2M ) M ü l l e r Uri 2, i i o f . ; M e i c h e Sagen

149, v g l .

192;

Grohmann

Sagen

69;

E i s e l Voigtl. 100; L e B r a z Légende 1, 13; BF. 3, I07f. 205 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 359; B r ü c k n e r Reuß 207; E i s e l Voigtl. 124. 248; H a u p t Lausitz 1, 62; V e r n a l e k e n Mythen 105; M e i c h e Sagen 49. 118. 133; P e t e r Osten. Schles.

2,

22f.;

vgl.

LeBraz

Légende

1,

20.

207 ) K u o n i St. Gallen 106. Kirchhof Wendunmut. (Stutt. Lit. Ver.) 5, Nr. 259; S c h a m b a c h u. M ü l l e r 196. 208 ) K u h n Mark. S. 67. 209 ) M ü l l e n h o f f Sagen 244. 21 °) ZfdMyth. 1, 249; K u o n i St. Gallen 116; K r ü n i t z Encycl. 73. 359.' A c k e r m a n n Shakespeare 80. 2 1 1 ) H ö h n Tod 310; vgl. K ü h n a u Sagen 3, 501 f. 212 ) V e r n a l e k e n Mythen 105. 213 ) K ü h n a u Sagen 3, 500; ZfdMyth. 1, 247; ZfrwVk. 6, 292; M e y e r Abergl. 140; L e B r a z Légende 1, 30. 214 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 255. 215 ) ZrwVk. 15, i n f . ; J e n s e n Nordfries. Ins. 327; G a s s n e r Metters-

206 )

dorf So.

216)

K u h n Westf.

2, 58; M e i c h e

Sagen

254; H e c k s c h e r 105. 357; M e n s i n g Wb. 1, 752; A c k e r m a n n Shakespeare 82; F e i l b e r g

Dansk Westf.

Bondeliv 2 , 9 9 ; F L . 8, 205JÏ. 2, 56; B a u m g a r t e n A.d.

126I; B a a d e r N.S.

217)

Kuhn Heimat 3,

86f.; FL. 10, 119.

10. Die oben genannten T. sind an keine bestimmte Zeit oder Gelegenheit gebunden. Es ist aber ganz natürlich, daß man bei bestimmten Anlässen besonders aufmerksam auf solche Zeichen achtet, so bei Taufe, Hochzeit und Begräbnis, bei bestimmten Festzeiten und bei kirchlichen Handlungen. Vor allem geschieht dies beim B e g r ä b n i s (s. Begräbnis, Grab, Leiche). Hier seien nur einige Beispiele genannt: auf eine „Freudenleiche" folgt bald eine „Trauerleiche" 218). Treten zwei Todesfälle rasch nacheinander ein, so folgt bald ein dritter 219 ), oder die Orte wo die drei Todesfälle stattfinden, bilden ein Dreieck 220). Die erste Leiche im Jahr deutet an, ob mehr Männer oder Frauen sterben werden 221). Alle möglichen Vorgänge beim Begräbnis deuten auf weitere Todesfälle, wenn ein Kranz herunterfällt, wenn die Uhr schlägt u. a. 222 ). Bei Hochzeit und Taufe wird etwa darauf geachtet, welches von den Brautleuten zuerst sterbe, oder ob dem Täufling ein kurzes Leben bevorstehe 223).

I008

Von den Festzeiten findet man Vorzeichen an W e i h n a c h t e n : wer am hl. Abend in den Keller geht und hier gerufen wird, ohne jemand zu sehen, muß binnen Jahresfrist sterben 224), ebenso, wer seinen Schatten ohne Kopf sieht 225), oder wer sich selbst sieht 226); auf Todesfall deutet es, wenn Geschirr zerbrochen wird 227), wenn in der Küche etwas Auffälliges vor sich geht 228), wenn ein Leichentuch in der Feuermauer hängt 229), und anderes 230). Wenn in den Z w ö l f t e n viel Wind geht, sterben im neuen Jahr viel Frauen 2 3 1 ); wenn in dieser Zeit gewaschen wird, stirbt jemand aus der Familie 232). Ähnliche Zeichen sieht man an S i l v e s t e r und N e u j a h r 233). Waschen ist auch für die Karwoche verboten 234). Wenn es am Unschuldigen Kindleintag windstill ist, sterben im nächsten Jahr viel Kinder 23S), Gewitter an Himmelfahrt deutet auf Tod von Wöchnerinnen 236); wenn es an Pauli Bekehrung regnet, wird „der Kirchhof gedüngt" 237), liegt am Allerseelentag auf den Gräbern frischer Schnee, so werden viel Kindbetterinnen sterben 238). Von Vorgängen in der Kirche wird besonders häufig als T. ausgelegt, wenn während des Läutens die Uhr schlägt 239), oder wenn die Glocke ins Vaterunser schlägt 240), wenn die Glocken besonders dumpf tönen 241), wenn Glocken von selbst läuten 242) und anderes 243 ). Als T. gilt Erlöschen eines Altarlichts 244), der Rauch, der zur Kirche hinauszieht 245), und wenn beim Beten die Betenden plötzlich absetzen 246). 21S ) S t o l l Zaubergl. 141 f.; vgl. H ö h n Tod 326; W i r t h Beitr. 2/3, 51. 219 ) B ü h l e r Davos 1, 364; ZfVk. 22, 163; J o h n Erzgeb. 116; ZrwVk. 15, 111; Volksleven 2, 209. 220 ) SVk. 221 ) W i t z s c h e l 7, 76. Thüringen 2, 256; J o h n Erzgeb. 116; vgl. R e i s e r Allgäu 2, 314. 222 ) J o h n Erzgeb. 115; M e n s i n g Wb. 1, 751; F o s s e l Volksmedizin 168 f.; B a u m g a r t e n

A. d. Heimat

3, 104; R o c h h o l z Glaube

1, 2 1 4 ;

SAVk. 16, 149. 223 ) K o h l r u s c h Sagen 340; SAVk. 25, 283; vgl. Urquell 1, 18; SAVk. 19, 189; D r e c h s l e r Schlesien 1, 288. 224 ) J o h n Erzgeb. 113, vgl. ebd. 114. 225 ) W i t z s c h e l Thüringen

2, 173.

226)

Alpenburg

Tirol

383.

M e n s i n g Wb. 1, 752; vgl. Rockenphilos. 2 3 3 - 228 ) G a s s n e r Mettersdorf 80; J o h n Erzgebirge 117 229 ) Rockenphilos. 804. 230 ) B a u m g a r t e n Jahr i o f . ; F o g e l Penns. 119; H e y l

22 ')

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Toledobrief

Tirol 72; F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 98. 23i) W i r t h Beitr. 2/3, 44. 232 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 175; M e n s i n g Wb. 1, 752; MschlesVk. 233) E i s e l Voigtl. 246; H a l t r i c h Siebenb. 7 j 75. 282; B a u m g a r t e n Jahr 12; F o g e l Penns. 116. 234) W i t z s c h e l Thüringen 2, 196; W i r t h Beitr. 236 ) 2/3, 49. 235 ) F o g e l 124. Ebd. 237) S c h m i t t Hettingen 13. 238) Z f V k . 8, 397. 239) P o l l i n g e r Landshut 295; Wettstein Disentis 173; B a u m g a r t e n A.d. Heimat 3, jo3; V e r n a l e k e n Mythen 311; Alpens. 345; K e l l e r Grab 5, 8; F o s s e l Volksmediz. 169; Germania 29, 88; S A V k . 25, 283; Graubünden mündl. ; L e B r a z Légende 1, 10. 240 ) W i r t h Beitr. 2/3, 49; F L . 10, 480; J o h n Erzgeb. 117. K r ü n i t z Encycl. 73, 379; J e n s e n Nordfries. Ins. 350; G a s s n e r Mettersdorf 80; 242 421) Wallis schriftl.; E i s e l Voigtl. 266. ) Kell e r Grab 5, 469; H a u p t Lausitz 1, 271; Z f V k . 8, 33 - 243 ) E i s e l Voigtl. 266; W i t z s c h e l Thüringen 2, 256; Z r w V k . 15, 112; W i r t h Beitr. 2/3, 49; F o g e l Penns. 116. 123; s. bes. S a r t o r i Glocken 114ÎÏ. 244 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 360; H a u p t Lausitz 1, 271; Rockenphilos. 234. 245) K u h n u. S c h w a r t z 436; B a u m g a r t e n A.d. Heimat 3, 103. 246 ) B a u m g a r t e n A.d. Heimat 3, 102; vgl. L a n d s t e i n e r Niederösterr.

SO-

I I . Von all den vielen ungesuchten Todesvorzeichen zu trennen, sind die gesuchten, die O r a k e l 247 ). Wie für alle Zukunftserforschung sind auch für die Todesorakel gewisse Zeiten besonders geeignet, hauptsächlich die Jahresanfänge (Weihnacht, Silvester, Neujahr). In der Christnacht kann man „horchen gehen", dann sieht man, wer im nächsten Jahr stirbt 248), ebenso wenn man während der Weihnachtsmesse neun Sorten Salz bei sich trägt 249) ; auf dem Friedhof sieht man die Toten des künftigen Jahres 25°) ; man vernimmt den Schall fallender Bretter aus der Richtung, in der jemand sterben wird 251 ) ; ferner entnimmt man Orakel aus Lichtern 252 ), aus Nüssen 2S3 ), Schuh werfen 254 ) und Holzscheiten 255 ). ,,Horchen gehen" oder,,Sterbschaun'' kann man auch in den Zwölfnächten 256 ), ebenso in der Silvester- oder Neujahrsnacht, man muß zwischen n und 12 Uhr dreimal ums Haus herum gehen und in den ersten besten dunkeln Raum hineinsehen, dann sieht man, wer aus der Familie im künftigen Jahr sterben wird 257 ) ; es werden Salzhäufchen für jedes Familienglied gemacht, und wessen Häufchen einfällt, der muß sterben 258 ), oder man weissagt

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aus Brötchen 259), Immergrünblättern 260), Schuh werfen u. a . 2 6 1 ) ; man legt Weizenkörner auf eine Platte vor die Feuerstätte und schließt auf den Tod einer Person, wenn sie sich gegen das Feuer bewegen 262 ). Seltener sind Orakel am Dreikönigstag 263 ), an Allerseelen 264 ), am Thomastag 265 ), an Matthias 266) und Lichtmeß 267 ). Orakel werden auch gesucht, um zu erkennen, ob ein Kranker sterben werde: man kann dies aus dem Urin des Kranken ersehen 268 ), man reibt seine Fußsohlen mit Speck, gibt diesen einem Hund, und wenn er ihn nicht frißt, wird der Kranke sterben 269), oder man schließt aus andern Anzeichen auf den Tod 270). Schließlich kann man auch erkennen, ob Abwesende tot sind, indem man ein Stück Brot und eine Kohle auf den Tisch legt und in der Mitte drüber eine Stopfnadel hält; wenn sie sich nach der Kohle bewegt, ist der Abwesende t o t 2 7 1 ) . 247 ) J o h n Erzgeb. 117; S t r a c k e r j a n 2, 214; B o u d r i o t Altgerm. Rel. 43; L e B r a z Légende 1, 81 ff. 306. 248 ) J o h n Westb. 165; B a u m g a r t e n D.Jahr 15; vgl. L i e b r e c h t Z. Volhsk. 326. 249 ) S V k . 6, 95. 2 5 ( ) L a n d s t e i n e r Niederösterr. 46. 2 5 1 ) Mitt. Schönh. 2, 86 . 262 ) L i e b r e c h t Z. Volksk. 326; V e r n a l e k e n Mythen 338; L a n d s t e i n e r Niederösterr. 46; K e l l e r Grab 1, 83. 253 ) P e t e r Österr. Schles. 2, 273. 254 ) T e t z n e r Slaven 161. 255 ) P o l l i n g e r Landshut 197. 256 ) E i s e l Voigtl. 235; A l p e n b u r g 257 Tirol 343. ) MschlesVk. 7, 75; vgl. E i s e l Vogtl. 109; W i t z s c h e l Thüringen 2, 180; M ü l l e n h o f f Sagen 50; J o h n Erzgeb. 118; Z r w V k . 7, 151 ; Z f V k . 1,180; F L . 11, 345. 25S ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 176; T e t z n e r Slaven 161. 259 ) A n h o r n Magiol. (1674)136. 260 ) S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 19; Z f V k . 22,160. 2 6 1 ) T e t z n e r Slaven 161 ; S c h u l l e r Progr. v . Schässb. 1863, I9f.; J o h n Erzgeb. 117; D r e c h s l e r S c W e s . 1, 46; 262 ) S p i e ß Frank. Henneb. 153. Schuller Progr. v . Schässb. 1863, 20. 263 ) B a u m g a r t e n 264 Jahr 13; H e y l Tirol 751Î. 753. ) Schuller Progr. v . Schässb. 1863, 21. 265 ) J o h n Westb. 165; B a u m g a r t e n Jahr 5. 266 ) S c h e l l Berg.S. 293. 267 ) B a u m g a r t e n Jahr 17. 268 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 363!; J a h n Pommern 165. 170; W o l f Beitr. 1, 214. 269 ) K r ü n i t z Encycl. 73, 363. 27°) E b d . 364; Z f V k . 1, 184. 2 7 1 ) K u h n S c h w a r t z 437. Geiger.

Toledobrief nennen wir nach dem Vorgang Grauerts eine eschatologische, astrologische Weissagung.

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Tollkirsche

A m 16. September 1186 fand eine Konjunktion der fünf alten Planeten mit der Sonne im Zeichen der Wage statt. Die Folgerungen, welche die Astrologie daraus zog, zeitigten den Toledobrief. Grauert hat gezeigt, daß er, vom Osten inspiriert, in einer abendländischen Umarbeitung vorliegt. Gewöhnlich wird er einem Magister Johannes Tholetanus zugeschrieben, doch zweifelt Grauert dessen Autorschaft an. Der Brief erfuhr 1129 eine erste Umformung, und ist dann bis ins 15. Jh. in mannigfachen Varianten umgegangen. Siehe Antichrist, jüngster Tag. G r a u e r t in Sitzb. Mii. 1901, 165 ff. Peuckert.

Tollkirsche (Schlafkraut, Tollbeere, Wolfsbeere; Atropa belladonna). 1 . B o t a n i s c h e s . Stark verästelte, zu den Nachtschattengewächsen (s. Bilsenkraut, Stechapfel) gehörende Staude mit eiförmigen Blättern und braunvioletten, glockenförmigen Blüten. Die Früchte sind etwa kirschgroße, glänzende Beeren. Die T. ist eine sehr starke Giftpflanze, sie wächst besonders auf Waldschlägen. Ob die T. im antiken Aberglauben bekannt war, steht nicht fest. Vielleicht ist unter dem [AotvSpa-ppas des T h e o p h r a s t 1 ) die T. zu verstehen, vgl. Alraun (1, 313. 321 f.). Dazu würde stimmen, daß die T. bei den Rumänen 2) als „matraguna" ( = Mandragora) bezeichnet wird 3 ). Hist. plant. 6, 2, 9. 2 ) H o e l z l Bukowina 158. M a r z e l l Heilpflanzen 1 6 2 — 1 6 5 ; T s c h i r c h Hb. d. Pharmak. 3 (1922), 268; Janus 30 (1926), 255—260; K o b e r t Aus d. Gesch. d. T. 1916, 4 1 — 6 2 ; H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 421. 3)

2. Der Genuß derT.nfrüchte verursacht, wie ihr Name andeutet, Geistesverwirrung, Halluzinationen, Tobsucht, in größeren Gaben den Tod. Der Vergiftete macht den Eindruck, ,,als hette jn der teuffei besessen" 4 ). Bei der hl. H i l d e g a r d 5 ) erscheint die T. als ,,dolo";dolo in terra et loco, ubi crescit, diabolica suggestio aliquam partem et communionem artis suae habet". Die T. soll auch ein Bestandteil der Hexensalbe gewesen sein, mit der sich die „ H e x e n " vor ihren Ausfahrten zu den Teufelsorgien zu be-

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streichen pflegten 6 ), s. Stechapfel. Die Subpriorin des Praemonstratenserinnenklosters Unterzell (Unterfranken), Maria Renata Singer von Messau, die als Zauberin am 21. Juni 1749 enthauptet wurde, soll sich der T. bedient haben, die im Klostergarten unter dem Namen „ B ä r e n m u t z " (verschrieben für „Bärenw u r t z " ? ) angepflanzt w u r d e 7 ) . Am 27. Januar 1931 wurde vor dem Schwurgericht in Traunstein (Oberbayern) eine Bäuerin aus der Chiemseegegend abgeurteilt, die ihren Mann mit T.n vergiftet hatte. Nach dem Verhandlungsbericht „eilte sie vor dem Mittagessen in den Wald und pflückte genau d r e i z e h n T.n. Eine ungerade Zahl bringe Glück im Unglück, hat einmal eine Bekannte, die als Wahrsagerin einen Namen im Dorfe hatte, zu ihr gesagt. Unterwegs verlor sie eine T. Sie warf eine weitere T. von sich, um wieder eine u n g e r a d e Zahl auf den Tisch neben dem Bett ihres Mannes legen zu können" 8). 4) M a t t h i o l i Kreulerbuch 1586, 376b. 5 ) Phy6 ) Vgl. sika 1, 52. Gilbert Les Planten magiques et la Sorcellerie 1899, 37—45. ') F r o m a n n D. deutsch. Mundarten 2 (1855), 33; 8 ) Münchener Neueste Bayerland 21 (1910). Nachrichten v. 28. Jan. 1931, S. 9.

3. Im d e u t s c h e n Aberglauben scheint die T. keine größere Rolle zu spielen. Dagegen ist sie ein sehr bekanntes Zaubermittel im südöstlichen Europa, wo sie z. T. der Mandragora (s. Alraun) gleichgesetzt wird, s. unter 1. Bei den Rumänen in der Bukowina muß ein Mädchen, wenn es den Burschen gefallen und beim Tanze die erste sein will, an einem Sonntag im Fasching zu einer T. gehen, die Wurzel ausgraben und dafür an der Stelle Brot, Salz und Branntwein (Opfer an den Pflanzengeist!) zurücklassen. Auf dem Heimweg muß es die T.nwurzel auf dem Haupte tragen und beim Hin- und Zurückgehen jeden Zank und Streit vermeiden. Sollte es befragt werden, was es denn nach Hause trage, so darf es nicht die Wahrheit sagen, denn sonst würde das Mittel nichts helfen 9 ). Ebendort werden aus der T. unter Hersagung von Zaubersprüchen Liebestränke gebraut 1 0 ). In Siebenbürgen kennen Zigeunerinnen die T. als „matreguna".

Tollkirsche

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Die Wurzel macht den Träger bei jung und alt angenehm. Die T. darf nur vor oder nach Sonnenuntergang gegraben werden, wenn sie ihre Zauberkraft behalten soll 11 ). Mädchen tragen in Siebenbürgen die T.nwurzel im Busen, um die Burschen an sich zu ziehen 12 ). Diese vermeintlichen aphrodisischen Wirkungen decken sich mit denen der Mandragora (s. 1,314)- Auffällig ist, daß die pharmakologischen Untersuchungen erwiesen haben, daß die Belladonna-Tinktur die libido sexualis beim männlichen Geschlechte nicht steigert, sondern deutlich herabsetzt. Dagegen kommt es beim weiblichen Geschlechte zu Kongestivzuständen des Uterus und der Ovarien 1 3 ). Als „Glückspflanze" wird die T. in Siebenbürgen auch in den Gärten gezogen; man will sie aber nicht da pflanzen, wo sie die Leute allgemein sehen. Wenn man sie setzt, gräbt man vor Sonnenaufgang ein Loch, legt einen Kreuzer, ein Stückchen Brot und etwas Salz und die Wurzel hinein und sagt: Ech Sätzen dich hier ännen Te silt mer erfällen Menje Wünsch uch Wällen Äser Herrgott wil helfen.

Während man die Wurzel setzt, denkt man an das, was man sich am meisten wünscht. Manche geben davon niemandem einen Ableger, andere wieder sagen, man dürfe schon abstechen, aber nur bei abnehmendem Mond und von der rechten Seite und gleich nach Sonnenuntergang. Während dieser Arbeit darf man sich nicht umwenden und muß nachher nach der linken Seite fortgehen. Man darf nichts reden, außer zur Pflanze folgende Worte: Ech gln vun deser Wurzel e Stäck Awer näst vu menjem Gläck 14 ).

Nach magyarischem Volksglauben gewinnt man beim Kartenspielen (s. Alraun 1 , 319), wenn man die berühmte ,,nagyfugyöker" (soll die T. sein) am nackten Leib trägt. Diese Wurzel kann man nur in der Georgsnacht auf einem Berg graben, auf dem sich die Hexen der Umgegend bisweilen zu versammeln pflegen. Auf die Stelle, wo man die Wurzel ausgegraben hat, muß man ein Stückchen Brot legen,

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in das man ein Pfefferkorn, etwas Gewürz und Salz hineingeknetet hat, sonst wird man vom Teufel getötet 1 5 ). Auch bei den Slowenen soll die T. Zauberkräfte verleihen 16 ). Befindet sich in einem Garten die T., so darf man sie nicht ausgraben, denn sonst würden die Hausmädchen oder die Hausfrau sterben (Rumänen in der Bukowina) 1 7 ). Das Ausgraben der T., wie es nach einem alten böhmischen Aberglauben geschildert wird, ist deutlich an die antike Schilderung vom Ausgraben der Mandragora 18 ) angelehnt. Die T. muß zur bestimmten Zeit (Neujahr, Weihnachten) um Mitternacht gegraben werden, der Grabende muß rings um sich einen Kreis ziehen, daß der Dämon, der die T. bewacht, ihm nichts anhaben kann. Hat nun der Mensch die T. ausgegraben, so muß er, bevor er aus dem Kreise tritt, dem Dämon eine schwarze Henne hinwerfen, damit er denke, er erfasse die Seele des Gräbers. Dann muß der Gräber, so schnell er kann und ohne sich umzuschauen, mit der T. davonlaufen; denn der Dämon erkennt inzwischen, daß der schwarze Vogel keine Seele, sondern bloß eine Henne sei und würde den Menschen zerreißen, wenn er ihn noch einholte 19 ). Glaubt man den Dieb zu kennen, so darf man ihm nur eine T.nabkochung in den Speisen beibringen, hat er wirklich gestohlen, so gesteht er den Diebstahl alsbald 20 ). Ob hier Beziehungen zur isländischen „thjöfarat" (Diebswurzel, s. Alraun 1 , 322) bestehen? Gegen Gicht muß die T. nach Sonnenuntergang für eine Frau von einem Mann, der über 60 Jahre alt ist und von einer ebenso alten Frau für einen Mann gegraben werden. Denn die Gedanken, die man dabei hat, müssen ernst, anständig und vernünftig sein, denn sie gehen mit dem Trank in den Kranken über. E r wird tobsüchtig, nach einigen Stunden vergeht es ihm wieder samt der Krankheit (Schellenberg in Siebenbürgen) 21 ). Auch verwendet man gegen Gicht drei Scheibchen von der „matregune" in Wein gekocht und bei abnehmendem Monde auf dreimal getrunken 22 ).

Toll w u t — T o p f steine ») Z f ö V k . 3, 1 1 7 . 1 0 ) H o e l z l G a l i z i e n 151. 155. " ) K b S b L k d e . 23 (1900), 136 f. 1 2 ) S c h u l l e r u s Pflanzen 413. 1 3 ) S c h u l z Vöries, über Arzneipflanz. Wirkung u. Anwend. d. deutsch. 1919, 174. 1 4 ) H e r m a n n s t a d t u. U m g e b u n g , S c h u l l e r u s Pflanzen 413. 1 5 ) E t h n o l . Mitt. aus U n g a r n 3 (1893/94), 156; Z f V k . 4, 397. 1 6 ) Z f ö V k . 4, 152. 1 7 ) Z f ö V k . 8, 58. 18) T h e o p h r a s t Hist. plant. 9. 8. 8; F l a v i u s J o s e p h u s Bell. -Judaicum V I I , 6, 3 ; s . A l r a u n 1, 314 f. 19) V e r n a l e k e n Mythen 292 = G r o h m a n n 233 = W u t t k e i n § 145. 20 ) F r i s c h b i e r Hexenspruch 119. 2 1 ) S c h u l l e r u s Pflanzen 413. 2 2 ) S c h u l l e r u s Siebenb. Wb. 2, 73. Marzell.

Tollwut s. N a c h t r a g . Tonerde. Unter Argilla berichtet Schwenckfeld von den Heilkräften des Tons: Auf Geschwülste der Brüste gelegt, drängt er diese zurück. Mit Eiweiß vermischt und auf den Nacken gelegt, stillt er das Nasenbluten. 1)

catalogus

1, 366.

f Olbrich.

Tonne s. F a ß . Topas. Griech. Torox'Ctov, lat. topazon, genannt nach der Insel Topasie, worunter man gewöhnlich Ceylon versteht, wo noch heute T.e gefunden werden 1 ). Im Mittelalter glaubte man, ein in kochendes Wasser geworfener T. bringe es aus dem Sieden. Der T. sollte auch Zorn und Unkeuschheit vertreiben und gegen Räuber und Diebe schützen 2 ). Zedier berichtet von dem Aberglauben, der T . könne den Menschen von widerwärtigen Gemütsbewegungen und Traurigkeit befreien und werde für ein herrliches Mittel gehalten, die Galle und gallsüchtige Gemütsbewegungen zu stillen. Nach einigen Autoren sollte der T . auf einen Tisch gelegt, auf dem sich Gift befindet, seinen Schein verlieren und ihn erst wiederbekommen, wenn es weggenommen wurde. Die K r a f t des T.es nimmt angeblich mit dem Monde ab und zu3). Eine Eigentümlichkeit des T.es ist es, daß er unter Einwirkung starker Hitze eine Rotfärbung annimmt und elektrisch wird. Vielleicht gab man wegen dieser Elektrizität ihn gebärenden Frauen zur Linderung ihrer Schmerzen. Der Sachsenkönig Ethelred schenkte der Abtei St. Alban einen großen T., der Wöchnerinnen bei gefahrvollen Geburten

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geliehen wurde und viele junge Leben erhalten haben soll 4 ). Der goldklare T. ist Monatsstein für den November, er sichert den in diesem Monat Geborenen Freundschaft und Liebe und zügelt den Zorn und die glühende Phantasie 5 ). S c h r ä d e r Reallex? 1, 2 1 2 ; B e r g m a n n 2) M e g e n b e r g 536 f. Buch der Natur 398; A g r i p p a v . N . 1, 1 1 4 ; M e y e r Aberglauben 5 7 ; S c h i n d l e r Aberglauben 159; L o n i c e r 58; 3) Z e d i e r 44, 1250; vgl. S c h a d e 1432 ff. S e l i g m a n n 2,31; S t e m p l i n g e r Sympathie 86; S c h a d e 1435 Spalte 1. 4 ) Westermanns Mon a t s h e f t e 1915, 660. 5 ) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 106 u. 2, 884; T h . K ö r n e r Die Monatssteine Nr. 1 1 . f Olbrich.

Topf s. G e f ä ß e . Topfsteine. Unter Fossilien führt Gesner auch Steine an, die von der Natur so geformt sind, daß sie künstlichen Dingen ähneln; er erwähnt dabei den Ostrakites des Agricola „auf deutsch T . " : an einigen Stellen Deutschlands würden irdene Urnen ausgegraben, in denen die Aschenreste verbrannter Toten geborgen wurden, ehe die christliche Religion aufkam; das unwissende Volk sei aber überzeugt, daß diese Töpfe innerhalb der Erde entstanden seien. Ebenso berichtet Kenntmann von den in der Lausitz in der Erde gefundenen urnae fictiles, die „Einwohner nennen sie gewachsene Töpfe". Dieser Aberglaube herrscht noch heute in Schlesien, Sachsen, der Lausitz, und Polen. Eine Bautzener Chronik sagt, die wundersame Erzeugung solcher Töpfe verrate sich dadurch, daß der Erdboden aufschwelle, als sei er schwanger geworden, auch der schlesische Pastor Herrman aus Massel weist auf Stellen aus zahlreichen Autoren, daß solche Töpfe von selbst in der Erde wüchsen und man an dem Hügel, den sie aufwürfen, ein gewisses Merkmal hätte. „ I m Winter, Herbst und Frühjahr liegen sie bis 20 Schuh tief in der Erde, dahingegen sie um Pfingsten kaum eine Elle tief anzutreffen sind". Ebenso schreibt der Joachimsthaler Prediger Matthesius in seiner Bergpostille von den „Becherlein, die unter der Erde w a c h s e n " 1 ) . Wir haben es hier deutlich mit einem alten

1017

T o r m e n t i l l e — t o t gesagt

Volksaberglauben zu tun. Andererseits gelten die Graburnen in der Lausitz, Schlesien und an der deutschen Seeküste als Hausrat der unterirdisch wohnenden Zwerge. „Sie geben sie auch ihren Toten zu beliebigen Diensten mit". Im Saterland glaubt man, in den alten Grabhügeln seien ölkers (Zwerge) begraben und nennt die in ihnen gefundenen Urnen ölkerspött (Zwergentöpfe); in Pommern heißen sie aschpötte. Das Volk meint allgemein, die Zwerge seien sehr empfindlich, wenn man ihre Hügel aufstöbert; die Landleute halten es deshalb für gottlos, die Urnen auszugraben, und weigern sich oft, mit Hand anzulegen. In Zittau und Löbau findet man prähistorische Urnen in alte Kirchenwände eingemauert; dies mag vielleicht davon herrühren, daß Neubekehrte die Seelen ihrer heidnischen Vorfahren auf diese Weise der christlichen Seligkeit teilhaftig zu machen glaubten 2 ). !) G e s n e r d. f. I. 87; K e n n t m a n n i nomenclaturae rer. joss. (1565), 8 Nr. 7 ; L . D . H e r m a n n Maslographie (Breslau 1 7 7 1 ) = S e g e r in MschlesVk. 11 (1904), 8 f . ; Schles. historisches L a b y r i n t h (Breslau 1737), 67 ff.; Z e d i e r s. v. lapis ollarius 16, 747; H a u p t Lausitz 1, 25 Nr. 23; Altschlesische Blätter 1927, 18. 2 ) S e g e r a. O . ; H a u p t a. O . ; G a n d e r Niederlausitz 40 N r . 100; M e y e r Germ. Myth. 133 = K u h n u. S c h w a r t z 424 N r . 225 u. 521 (Anm. zu 225); M ü l l e n h o f f Sagen 283 Nr. 385; J a h n Pommern 76 N r . 92; H a n s e n Fries. Sagen 153; K u h n Studien 2, 21 f. f Olbrich.

Tormentille s. B l u t w ü r z . Torpedo, Fisch (s. R o c h e ) . Nachtrag zum Volksmedizinischen: „ D e r Fisch T. gehört mit unter die vortrefflichsten Artzeneyen, die zu den hitzigen H a u p t S c h m e r t z e n dienen". Zitiert werden Celsius und Scribonius Largus 1) J ü h l i n g Tiere 35, nach K r ä u t e r m a n n Der curieuse . . . Zauberarzt (1725) 41. •f H o f f m a n n - K r a y e r .

Torsus, böser Geist, der die Pflanze „blaue Wegeleucht" in der Gewalt h a t 1 ) . Der Name ist das ahd. duris, thuris, mhd. dürse, türse, an. thurs, „Riese, D ä m o n " 2 ). Als Eigenname Thyrsus-Türsch auch in der Seefelder Riesensage 3 ). Bei Matthioli wird das Türschblut, ein bituminöses ö l , das vom Volk für allerlei Gebrechen gebraucht wurde, in der ersten Hälfte des

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16. Jh.s Trischernblut genannt 4 ); es gab 1880 Anlaß zur Darstellung des Ichthyols 5 ). J o h n Westböhmen 313. 2 ) G r i m m Myth. (1854), 487 f-; M e y e r Religgesch. 120; M e y e r Myth. d. Germ. 228 f . ; W a c k e r n a g e l Altdeutsches Hdwb. (1878), 62. 3 ) P a n z e r Beitrag 2, 61 ff. 441. 4 ) F . A . M a t t h i o l i Commentarii in 6 libros P. Dioscoridis Anaz. de medica materia (Venetiis, zuerst 1533, hier nach ed. 1683), 105. 5 ) S c h e l e n z Gesch. d. Pharmazeutik (1904), 815; P h a r m a z . Zentralhalle 68 (1527) Nr. 1, 5 d. S.-A. Jacoby.

tot geboren. Der Glaube über totgeborene Kinder wird oft nicht unterschieden von dem über ungetaufte (s. d.), weil nach christlicher Lehre die Taufe der entscheidende Punkt ist. Darum kam es früher öfter vor, daß man auch die Totgeborenen noch taufte; man glaubte, manche Heilige hätten die Kraft, das tote Kind wenigstens für einen Augenblick zum Leben zurückzurufen, damit es die Taufe empfangen könne. Sobald man an dem Kind, das vor das Gnadenbild gelegt wurde, ein Lebenszeichen zu erblicken glaubte, wurde rasch die Taufe vorgenommen J ). Totgeborene kamen eben als Ungetaufte nicht in den Himmel. Sie durften auch nicht in geweihter Erde begraben werden 2 ). Nach dem Glauben der Ostjaken u. a. verwandeln sie sich in böse Geister 3 ) oder in Poltergeister 4 ). Wie die ungetauften werden sie zu Irrlichtern 5 ). In der Oberpfalz heißt es, ein totgeborenes Kind fliegt für die tote Mutter durch das Fegfeuer 6 ). Bei den Magyaren kann man mit dem Herzen eines totgeborenen Kindes das zukünftige Schicksal erfahren 7 ). Z f V k . 21, 333; 22, 1 6 4 t ; H ö r m a n n Volksleben 399; B F . 2, 149; vgl. G r o h m a n n Abergl. 106. 2 ) D u r a n d Rationale 23; B r a n d Pop. Antiqu. 2, 294; R T r p . 18, 30; F F C . 41, 9 8 I 3 ) F F C . 41, I92ff.; A R w . 18, 3 i 8 f . ; Z f ö s t V k . 3, 301; G l o b u s g i , 314. 4 ) Z f ö s t V k . 3, 301. 6 ) L e m k e Ostpreußen 3, 50; R T r p . 14, 1 5 ; vgl. Volkskunde 23, 3 5 I : Ungeborene = Bienen. 6 ) S c h ö n w e r t h 1, 206. 7 ) W l i s l o c k i Magyaren 79. Geiger.

tot gesagt. Wird jemand, besonders ein Kranker, totgesagt, so lebt er recht lange 1 ), oder der Kranke wird bald wieder gesund 2 ), oder er wird noch 10 Jahre leben 3 ). Dasselbe wird gesagt, wenn man von jemand träumt, er sei gestorben 4 ).

totbeten—Tote (der)

Bei Lavater wird berichtet, wenn man den Geist eines Menschen sehe und er nicht bald darauf sterbe, werde er alt werden 5 ). Bei den Römern mußte ein Totgesagter bei seiner Heimkehr das Haus nicht durch die Tür, sondern durch das Dach herunter betreten, und nach altindischen Berichten wurden an ihnen Wiedergeburtsriten vollzogen 6 ). *) Unoth 184; H ö h n Tod 312; L a m m e r t i 0 2 ; S p i e ß Frank .-Henneberg 153; D r e c h s l e r Schlesien 2, 200; K ö h l e r Voigtl. 396; G r o h m a n n Abergl. 222; Urquell 4, 95; Alemannia 33, 303; S t r a c k e r j a n 2, 215; A n d r e e Braunschweig 404; F o g e l Pennsylv. 133; Germania 29, 88; 2 ) Urquell 4, 280; P e u c k e r t Schles. 232. H ö h n Tod 312; S c h u l l e r Progr. v. Schäßb. 1863, 29. 3 ) H a l t r i c h Siebenb. 308; W o l f Beitr. 1, 225; ZrwVk. 2, 209; L ü t o l f Sagen 552; vgl. R o s e n Dödsrike 198. 4) SVk. 10, 31; K l e e b e r g e r Fischbach 46; HessBll. 15, 130; B e c k e r Pfalz 144; K e l l e r Grab 1,48; Volksleven 11, 55. 5 ) von Gespänsten (1569) 4o b . 6 ) Journ. Anthr. Inst. 15, 64. 97; Z f V k . 20, 162. Geiger.

totbeten s. Nachtrag. Tote (der). 1. Der T . ist der Verstorbene nach der Bestattung (im Unterschied zur Leiche, s. d.), er ist also Geist, Gespenst oder Wiedergänger, sofern er den Lebenden erscheint. E r ist das, was nach dem Tode als fortlebend gedacht wird. E r kann sofort und dauernd aus dem Diesseits in ein Jenseits entschwinden; er kann aber auch eine Zeit lang noch zurückbleiben oder wieder zurückkommen und sich den Lebenden bemerkbar machen. Die Art, wie dies geschieht, und seine Erscheinungsformen sind sehr verschieden. Meist herrscht eine dualistische Auffassung, wonach sich vom toten Körper, von der Leiche, die im Grab zerfällt, die Seele (s. d.) als weiterlebend trennt. Doch behält im Volksglauben diese Seele eine ganze Reihe von körperlichen Merkmalen, sie ist durchaus nicht ein rein geistiges Gebilde, und darum verwendet man statt dessen den Ausdruck „Totengeist". Darin will man die körperlichen Merkmale und die übernatürlichen, zauberhaften Fähigkeiten vereinigen. Der Glaube an ein F o r t l e b e n n a c h d e m T o d e ist eigentlich selbstverständ-

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lich 1 ), und er wird sich auch gegen verstandesmäßige Überlegungen, die das Gegenteil beweisen wollen, immer halten. Einen Beweis sucht der einfache Mensch gar nicht; denn es ist ihm unfaßlich, daß er aufhören sollte zu existieren. Erst seit der Materialismus als gesunkenes Kulturgut viele Schichten ergriffen hatte, konnte die Vorstellung entstehen, mit der Auflösung des Körpers trete ein absolutes Ende ein. Aber auch diese Auffassung läßt sich oft leicht mit einem Gespensterglauben verbinden; denn Verstand und Gefühl treten oft in Widerspruch, und dieses läßt die Menschen jenem zum Trotz an ein Fortleben glauben. Eine Hauptstütze dieses Glaubens ist eben die „ E r fahrung" von der Wiederkehr der T.n. Die primitivste Auffassung ist die, daß der Tote überhaupt nicht weggeht, daß er (oder die Seele) im Hause, am Grab oder im Friedhof bleibt, also in der Nähe der Lebenden, und daher von diesen wahrgenommen werden kann. Meist aber entfernt sich der T . gleich, oder erst nach einer bestimmten Frist, in ein Jenseits, ein Totenreich (s. d.), das gern möglichst weit entfernt gedacht wird 2 ). Die Hinterbliebenen sorgen dafür, daß diese A b reise ungehindert vonstatten geht, und es gilt im allgemeinen als kein gutes Zeichen, wenn der T. länger als üblich im Diesseits verweilt oder aus dem Jenseits zurückkehrt. Diese Klasse von T.n können wir als Wiedergänger (s. d.) bezeichnen. Im Volksglauben finden wir die verschiedenen Anschauungen über Aufenthalt und Abreise des T.n nebeneinander. V o m W e i t e r l e b e n i m G r a b erzählen viele Berichte (s. a. Grab, Grabbeigabe). Besonders drastisch ist die Angabe, daß Prinz Heinrich von Preußen (f 1802) im Grab mit dem Gesicht nach dem Schloß hin liegen wollte,damit er sehen könne, was nach seinem Tode dort vorgehe 3 ). In Sagen steigen die T.n aus den Gräbern und verprügeln sich 4 ). T. kommen aus dem Grab zu den Angehörigen und kehren ins Grab zurück 5 ). T. bestrafen einen Grabstörer 6 ). Ein T.r wird als Zeuge aus dem Grab geholt 7 ). Ein Bursche fragt

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Tote (der)

die Geliebte im Grab, warum sie gestorben sei8). Eine tote Schwangere holt ein Tuch für ihr Kind ins Grab 9 ). Die Toten zweier Friedhöfe besuchen einander nachts 10 ). Ähnliche Geschichten werden noch manche erzählt 11 ). Ich erinnere auch an die Schlachten, die die T.n wiederholen 12 ). Das Weiterleben der T.n im Grab verrät sich auch durch das Wachsen von Haaren und Fingernägeln 13 ). Ein Zauberer wächst unter der Erde weiter 14 ). Über die T.n als Friedhofswache s. Friedhof. Die T.n kehren auch bei oder nach dem Begräbnis in irgendeiner Gestalt zu ihrem Heim zurück. In Böhmen glaubt man, der verstorbene Hausvater gehe in der Nacht nach dem Begräbnis dreimal um sein Haus, damit die Seinigen kein Unglück treffe 15 ). Der T. kommt nach dem Begräbnis nochmals ins Haus zurück, es wird für ihn ein Stuhl hingestellt 16 ). T. erscheinen mehrere Abende hindurch im Haus 17 ); sie kommen als Geister in die Häuser und gehen auf dem Treppengeländer18). Oft wollen Leute einen bestimmten T.n gesehen haben 19 ). Oft ist die Rückkehr des Toten an b e s t i m m t e F r i s t e n gebunden. Über den Glauben, daß die Seele bis zum Begräbnis in der Nähe des Leichnams bleibe s. Leiche. Nur ganz vereinzelt heißt es einmal: die T.n wollen nicht mehr auf die Erde zurück 20 ). Als Tage, bis zu denen oder an denen der T. oder die Seele im Diesseits bleibe oder zurückkomme, werden besonders der 3., 7., 9., 30. und 40. Tag nach der Bestattung genannt, Fristen, die im T.nkult (s. d.) und in den Trauerbräuchen (s. d.) (s. a. T.nfeier) eine wichtige Rolle spielen 21 ). Manchmal kommt der Tote schon in der ersten Nacht nach dem Begräbnis zurück und klopft ans Fenster 22 ); man läßt Türen und Fenster offen, damit er ins Haus hinein kann 23 ). Der Geist schwebt noch 3 Tage lang über der Erde, oder er kommt am dritten Tag zurück 24 ); der T. meldet am dritten Tag, er sei verdammt 25 ). Bei den Juden dauert die Zeit der Rückkehr 7 Tage 26 ). Seltener ist die Rückkehr am 9. Tag 27 ). Der 3., 7. und 30. Tag wurde auch von der katholischen Kirche aufgenommen und mit Votivmessen gefeiert;

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begründet wurden diese Termine mit Stellen aus dem Alten und Neuen Testament 28 ). Auch die Feier des Dreißigsten beruht auf der Annahme, daß der T. bis dahin noch nicht weggegangen sei. Nach norwegischem Recht fand an diesem Termin Erbbier und Antritt der Erbschaft statt 29 ). Der Dreißigste ist also der Abschiedstermin für den T.n 30 ), wie an andern Orten, besonders im Osten Europas, der 40. Tag. In Ostpreußen sieht man bis zu diesem Tag die T.n noch in nebelartiger Gestalt 31 ). Auch wenn einer den andern vor Gottes Gericht geladen hat, muß der, der zuerst stirbt, so lange zwischen Himmel und Erde schweben, bis der andere stirbt, d. h. 6 Wochen 32 ). Bei den Russen kommt der T. 40 Tage lang ins Haus zurück; dann findet das „Geleit der Seele ins Jenseits" statt 33 ). Sogar ein ganzes Jahr lang kann der T. zurückkehren 34 ). Außerdem sind es noch besondere Festtage oder Freizeiten, an denen die T.n wiedererscheinen, so Ostern und Weihnacht oder Silvester 35 ). Nach einer Überlieferung aus dem 14. Jh. soll die Seele von Samstag nachts bis am Montag das Fegfeuer verlassen dürfen 36 ). Zurückkehrende oder -bleibende T . werden etwa an bestimmten Stellen des Hauses vermutet. Im Jahre 1626 wollte ein Knecht eine Witwe glauben machen, ihr verstorbener Mann sitze hinter dem Ofen 37 ). In Siebenbürgen hatte sich ein Mann ertränkt, und man fand ihn nicht; da rief ihn seine Frau durchs Rauchloch und glaubte, er müsse nun zum Vorschein kommen 38 ). In der Allerseelennacht dürfen die T.n des Hauses unter dem Boden der Stube verweilen 39 ) (s. T.nkult). l) Z. B . P r e u ß Tod und Unsterblichkeit. Tübingen, Mohr, 1930, 4; S ö d e r b l o m Werden d. Gottesgl. 15; A R w . 4, 305 fr. 2) E b d a 30. 3 ) Z r w V k . 14, 1 ff. 4) K u n z e Suhler Sagen 34. 6 ) H a u p t Lausitz 1, 1 6 7 ! s ) W i e n Z f V k . 34, 68. 7 ) H e y l Tirol 17. 8 ) M e i c h e Sagen 15. 9 ) M e i c h e Sagen 14. 1 0 ) T e t t a u u . T e m m e 167. 1 1 ) E b d a 85f.; G r a b e r Kärnten 192; MschlesVk. 11, 89; B a a d e r NSagen 6; K n o o p Pos. Schatzsagen 31; Z f V k . 10, I2gff.; G r o h m a n n Abergl. i g o f . 12 ) Z. B . L a v a t e r Von Gespänsten (1569) 43 b ; M e i c h e Sagen i g f i . 13 ) S c h r e u e r Zvgl.Rwiss. 33, 352; Z f V k . 10, 125; MschlesVk. 8, 78; ZfEthn. 26, 112. 14 ) A l p e n b u r g Tirol 312. 1S ) 1B ) G r o h m a n n Abergl. 193. Toeppen

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Tote (der)

Masuren n o f . ; Lemke Ostpreußen 1, 59; 2, 279. ) SAVk. 2 i , 176; vgl. SVk. 1 1 , 3 f . 18) S A V k . 8, 275. 1 9 ) S c h e l l Berg. Sagen 97; B o h n e n b e r g e r No. 1 , 7; K ü n z i g Schwarzwaldsagen 221. 2 «) B a y H f t e 6, 210. 2 1 ) Z f V k . 1 1 , 2 9 1 ; F r e i s t e d t 22 Altchristliche Totengedächtnistage. ) MschlesVk. 1 1 , 88; B a r t s c h Mecklenburg 2, 100. 23 ) F o n t a i n e Luxemburg 1 5 4 ; vgl. MschlesVk. 24 8, 81. ) S t r a c k e r j a n 1, 195; D r e c h s l e r Schlesien 1, 293; T o e p p e n Masuren 1 1 1 ; vgl. C l e m e n Reste 29; F r e i s t e d t 18. 5 3 0 . 25 ) L a v a t e r Von Gespänsten (1569), 59 a f. 26 ) Globus 9 1 , 362; A n d r e e Z.Volksk. d. Juden 185; 27 ZföVk. 7, 123. ) K ö h l e r Voigtland 443; T o e p p e n Masuren 1 1 1 ; vgl. Jobbe Les morts malfaisants 348 f . : Novemdiale bei den 28 Römern. ) T h a l h o f e r Liturgik 2, 252 f . ; F r e i s t e d t 4. 29 ) M a u r e r Vorlesungen 3, 323. 30 335. ) H o m e y e r D. Dreißigste 1865; vgl. S A V k . 32, I 7 f . 3 1 ) MschlesVk 10, 4. 32 ) B a a d e r 33 NSagen 104. ) E R E . 2, 24; Z e l e n i n Grundriß 3 3 2 ; S A V k . 32, I 7 f . 34 ) Z f V k . 1 1 , 22; vgl. HessBll. 6, 1 1 4 . 3ä ) S t r a c k e r j a n 1 , 220; W u t t k e 4 7 1 ; S A V k . 30, 99; K n o o p Hinter36 fommern I7ji. ) G r i m m Myth 3, 4 1 7 . a7 ) R . M a r t i Mitt. a. d. Chorgerichtsverh. v. 38 Saanen Bern, 1930, 3 1 . ) S c h u l l e r Progr. 3 v. Schäßb. 1863, 65. ») S c h n e l l e r Wälschtirol 238. 17

2. E r s c h e i n u n g s f o r m des T.n. Der T. erscheint in T i e r g e s t a l t . Es läßt sich nicht immer erkennen, ob das Tier eine „Epiphanie der Seele" ist 40 ) (s. Tierverwandlung) — am klarsten, wenn die Seele als Maus aus dem Munde des Schlafenden schlüpft —, oder ob es sich um eine Verwandlung handelt. Meist wird das Erscheinen in dieser Gestalt als Strafe für ein Vergehen ausgelegt. Uber T.n- und Todesdämonen in Pferde- u. a. Tiergestalten s. Malten41). Bei den Römern und im Mittelalter findet sich der Glaube, das Rückenmark des T.n verwandle sich in eine Schlange42). Verwandlungsglaube ist es, wenn zwei Brüder behaupteten, der eine wolle nach dem Tode ein Blüemli und der andere ein Stier werden 43 ), wenn eine Kröte im Haus als die verstorbene Hausfrau betrachtet wird44), oder wenn im Grab eines Zotenreißers eine Kröte sitzt 45 ). In Sagen erscheint der T. oder die Seele in verschiedenen Tiergestalten: als Henne mit Küchlein 46 ), als weiße Maus 47 ), als Fuchs oder Hund 48 ), als Schwein 49 ); in New Orleans glaubt man, die grauen Maulesel seien die Seelen verstorbener Dampfbootschiffer50). Meistens erscheint der T. in m e n s c h -

IO24

lich Gr G e s t a l t . Dabei sind zahlreiche Formen möglich von der unsichtbaren Seele bis zum „lebenden Leichnam". Sobald sich die Seelen den Lebenden bemerkbar machen wollen, müssen sie irgend etwas Materielles annehmen: man hört sie gehen, sie können sprechen, man sieht sie, und sie haben verschiedene Farben 61 ); die Seelen Hingerichteter heißen die „schamroten Seelen" 52 ). Man spürt sie als heftigen Wind 53 ). Im übrigen siehe Seele. Gewöhnlich erscheinen die T.n in ihrer früheren Gestalt 54 ), genau so wie sie im Leben waren 55 ). Als T. erkennt man sie an der Fähigkeit zu verschwinden und durch die Luft zu schweben56), oder daran, daß sie in den Leichenkleidern erscheinen 57). Als „lebenden L e i c h n a m " sollte man nur die Formen des T.n bezeichnen, die irgendein Merkmal der Leiche an sich haben, also die Leichenblässe, geminderte Fähigkeit der Bewegung und des Sprechens, oder Anzeichen von Verwesung, schließlich auch das Auftreten als Gerippe. Wenn aber der T. positiv Fähigkeiten des Lebenden behält, wenn er z.B. gewalttätig auftritt, Leute tötet oder mit Frauen verkehrt, so paßt der Ausdruck lebender Leichnam nicht auf ihn; dann ist er der fortlebende T. Naumann hat auf alle diese leichenhaften Züge besonderes Gewicht gelegt und erklärt „Gespenster sind fast immer nur lebendige Leichen" 58 ); er findet solche Kennzeichen dann bei den Dämonen (schwarze Farbe, Riesengestalt, Steinverwandlung aus Leichenmerkmalen abgeleitet) 59 ). Zweifellos haben die T.n, wenn sie den Überlebenden erscheinen, oft solche Züge an sich, weil sich das Bild der Leiche als das letzte Erinnerungsbild besonders tief einprägt. Bei Naturvölkern und auch bei uns im Mittelalter (vielleicht auch nach Kriegen), wo auch die Verwesung öfters beobachtet werden konnte, mußten solche Züge eher am Bild der T.n haften bleiben 60 ). Daneben aber bleibt das Erinnerungsbild des Lebenden (auch im Traum)61), und der T. erscheint durchaus nicht in der Form des Leichnams. Er ist der in

Tote (der)

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einer andern Welt Fortlebende, und er unterscheidet sich von den Lebenden durch zauberhafte Fähigkeiten. Bis zur Bestattung behält die Leiche (s. d.) noch allerlei Merkmale von Leben an sich, oder man denkt die Seele noch in der Nähe des Leibs. Wenn dieser verschwunden ist, setzt die neue Vorstellung vom Fortleben der Seele oder des T.n ein, und diese Vorstellung kann gar nicht auskommen ohne körperliche Merkmale, wenn sie nicht ganz unklar und verschwommen bleiben will. Lebender Leichnam in doppeltem Sinn ist eigentlich nur der Nachzehrer (s. d.), dessen Leiche schon „Lebenszeichen" gibt und der unverwest, d . h . eben weiterlebend, im Grab liegt, heraussteigt und die Lebenden nachzieht, bis er richtig getötet wird. Hier liegt ein deutlicher ununterbrochener Zusammenhang des Weiterlebens über die Bestattung hinaus vor. In den anderen Fällen aber haben wir ein körperhaftes Fortleben der T.n, ohne daß man sich dabei um das Schicksal des zerfallenden Leibes kümmert. Ein Zusammenhang zwischen diesem und dem „Totengeist" wird zwar noch angenommen, wenn man den T.n im Grabe lebend denkt (ihn dort speist, besucht, fragt), oder wenn man annimmt, die Seele leide mit dem Körper, der T. zeige die Wunden oder Verstümmelungen, die er im Leben erlitt 62 ); aber die Art dieses Zusammenhangs kann durchaus nicht erklärt werden, sie ist zauberhaft, übernatürlich. Und neben den Resten dieser primitiven Auffassung leben die Vorstellungen von einer mehr oder weniger körperhaften „Seele" 63 ). Eine Folge davon, daß der T.ngeist noch Merkmale des Körpers hat, ist die Möglichkeit, daß er noch einmal getötet werden kann 64 ) (s. Wiedergänger). Die individuellen Merkmale des T.n verschwinden, wenn er im T o t e n h e e r auftritt. Im Toten volk des Wallis („Gratzug", „Volkgang") sieht man nur •eine Menge armer Seelen vorbeiziehen; nur im letzten des Zuges erkennt der Beobachter oft zu seinem Schrecken sich selbst 65 ) (vgl. wildes Heer, Geistermesse). 40)

Tobler

Epiphanie

Bächtold-Stäubli,

vgl.

auch

Aberglaube V I I I

Boese-

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b e c k NddZfVk. 5, 94«. «) Jb. arch. Inst. 29, 233Î. 2480.; vgl. H ö f l e r Kult. Geheimbünde 1, 42) E. H. L a n g l o i s Essai.... 67I sur les 43) danses des morts 1, 191. Niderberger Unterwaiden 3, 620. 44) W i t t s t o c k Siebenb. 63. 45) M ü l l e r Uri 2, 93. 48) M a n n h a r d t Germ. Myth. 299. " ) R o c h h o l z Gaugöttinnen 174; vgl. K o h l r u s c h 3 1 4 I 4S) K o h l r u s c h 77. 276. 49) M ü l l e r Uri 2, 69. 50) H. H a u s e r Feldwege 51 ) L a v a t e r von genach Chicago 1931, 63. spänsten (1569) 37. 50 ff. ; A c k e r m a n n Shakespeare 118 f.; S t r a c k e r j a n 2, 234. 62) L ü t o l f Sagen 146. 63) W i t t s t o c k Siebenb. 60. 54) W i t t 55) S t r a c k e r j a n 1, 221. s t o c k Siebenb. 61. 56) S t r a c k e r j a n 1, 222. 57 ) S t r a c k e r j a n 1, 68) Gemeinschaftskultur 221. 33; vgl. D e r s . 59) Gemeinschaftskultur 42 ff. ; Grundzüge 74. vgl. NieddZfVk. 5, 223 f. 60) Z . B . : J . M e i e r Gazelle-Halbinsel 2 3 7 6 . ; K l e i n t i t s c h e n Mythen u. Erz. e. Melanes.stamms 100: Tote haben nur Haut und Knochen, sind mit Exkrementen bedeckt; M a n n h a r d t Germ. Myth. 509; C a s t r é n Vorlesungen 124; P r e u ß Tod u. Unsterb61 ) S c h r e u e r ZfvglRwiss. 33, lichkeit 21 f. 371 fi. 62) J o b b é Les morts malfaisants 573 f.; O t t o Die Manen 36 f.; BayHfte 6, 71 ff. 63) Über das Fortleben der Toten s. : H o o p s Reallex. 4, 3 3 9 ! ; L é v y - B r u h l Mentalité primit. 51 ff.; ZfEthn. 50, 131 f.; S c h r e u e r ZvglRwiss. 33 u. 34; ZfVk. 14, 19; ZfDkde 1927, 472 f. ; N e c k e l Walhall 37 ff. ; M o g k NJbbr-43, 104 f.; P r e u ß Geist. Kultur 17 f.; O t t o Manen 38ff.; E b e r t Reallex. 7, 259; S c h e r k e Primi64) Z. B. M a u r e r tive 210; JbhistVk. 1, 19. Island. Volkss. 69. 65) Walliser Sagen 2, 235 ff. ; Wallis schriftl.; V o n b u n Sagen 13; S o o d e r Rohrbach 65.

3. M a c h t u n d G e s i n n u n g der T.n. Wer im Leben mächtiger war als andere, behielt früher diese Überlegenheit auch im Tode. Es gab Rangunterschiede auch im Jenseits. Vom mächtigen T.n konnte man mehr Gefahr, aber auch mehr Hilfe erwarten 66 ). Heute zeigt sich ein Unterschied noch darin, daß solche T., die im Leben wegen ihrer Bosheit oder wegen Zauberei besonders gefürchtet waren, auch nach dem Tode mehr gefürchtet werden als andere. Die T.n, die den Lebenden erscheinen, haben meist zauberhaft gesteigerte Kräfte ; selten wird das Gegenteil bemerkt, etwa, daß die T.n nicht sprechen können oder (wie bei Homer) nur in leisem Ton 8 7 ). Die Fähigkeit, sich unsichtba • zu machen, das plötzliche Erscheinen und Verschwinden und die Kenntnisse aus dem Jenseits werden hingegen als Kraftsteigerung aufgefaßt. 33

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Tote (der)

Der Gesinnung des T.n traut man nicht, er gilt meist als böse, oder der Verkehr mit ihm ist zum mindesten gefährlich. Diese böse Gesinnung läßt sich erklären aus der alten Auffassung vom Tod (s.d.); weil dieser meist als gewaltsam gedacht wurde, setzte man beim T.n Groll und Rachsucht voraus 6S). Am deutlichsten erkennt man dies beim Ermordeten, der selbst die Blutrache verlangt 69 ). Die Begräbnisriten der Primitiven und früherer Zeiten, die Geschichten von zurückkehrenden T.n (s. Nachzehrer, Wiedergänger) zeigen, daß man ursprünglich den meisten T.n böse Absichten zuschrieb 70). Als dann nur noch bestimmte Todesarten als „schlecht" angesehen wurden, nahm man nur noch bei T.n, die eines „schlechten" Todes gestorben waren, üble Gesinnung an 71) (s. Wiedergänger). Aber auch den andern T.n ist nie ganz zu trauen. Sie sind neidisch auf die Lebenden; man sieht, wie manche ungern und schwer sterben oder infolge von schmerzhaften Krankheiten, und glaubt, daß der T. sein Schicksal schwer erträgt; er sehnt sich nach den Lebenden zurück, oder er sucht, sie nachzuholen (s. Nachzehrer). Die Furcht vor den Strafen im Jenseits wird auch auf die T.n übertragen, die solche zu erdulden haben und etwa zurückkehren. T. gelten als Urheber von Krankheiten; wenn sie die Seelen Lebender entführen, so ist es eine Art Nachholen 72). Sie verursachen Krankheiten und Tod auch auf andere Arten 73). Wenn ein T.r jemand im Schlafe berührt, bekommt er schwarzblaue Flecken 74). „Totenkuß" heißt im Nordischen ein Ausschlag 7S ). 1633 behauptet einer in Saanen, wenn junge Kinder krank seien, so komme das von den verstorbenen Voreltern, die nicht zur Ruhe kommen könnten 76 ). Nach isländischen Sagen, sind die T.n besonders stark 77 ); Ringkämpfe mit ihnen sind gefährlich 78). Der Gedanke vom Fegfeuer Hegt zugrunde, wenn in manchen Sagen erzählt wird, wie die Hand des T.n feurig ist und Zeichen in dargereichtes Holz brennt 79 ); daher soll man einem T.n nie die Hand geben M ). Besonders

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gefährlich ist es, wenn man die T.n, etwa durch Verletzung ihres Grabes, reizt ; sie rächen sich durch Ohrfeigen 81), oder der T. packt den Lebenden 82) (s. Totengewand). Zur unheimlichen Seite des T.n gehört auch, daß er zurückkehren und mit Frauen verkehren, ja sogar Kinder zeugen kann 83), ein Motiv, das oft mit dem Vampirglauben verknüpft ist 84 ). Neben der feindseligen, tritt die h i l f r e i c h e Gesinnung des T.n weniger hervor. Es liegen noch deutliche Anzeichen vor, daß die T.n als Vegetation sfordernde Dämonen galten, deren Hilfe man durch Opfer zu gewinnen suchte 85 ). Wenn der Indiculus rügt, quod sibi Sanctos fingunt quoslibet mortuos 86), so sind wohl damit einzelne T. gemeint, die als besonders hilfskräftig galten. Als Märchen- und Sagenmotiv treffen wir den dankbaren Toten, der einen Dienst durch Hilfe vergilt 87), und die hilfreiche tote Mutter 88). 1474 rief eine alte Frau in Glarus (in Erinnerung an die Legende vom hl. Fridolin) die T.n im Beinhaus auf, weil sie glaubte, das Land sei in Gefahr 89). Die T.n warnen auch die Lebenden vor allerlei Gefahren 90 ), sie können Zukünftiges voraussagen 91 ). Etwas anderes ist es, wenn die T.n durch Zauber oder Beschwörung zur Hilfe sozusagen gezwungen werden (vgl. 2, 216. 214 im Diebszauber; Totenbeschwörung), oder wenn man die „armen Seelen" sogar in Anspruch nimmt, daß sie einen zu einer bestimmten Stunde wecken 92). 6«) N e c k e l Walhall 65; L e v y - B r u h l Mentalite prim. 64 f., 72; P e c h u e l - L o e s c h e 3, 2, 305; W a r n e k Rel. d. Batak 15. 67) FL. 14, 258; vgl. Imago 7, 347; C r o o k e North. India 149; S c h a m b a c h u. M ü l l e r 379 f. ®8) S c h e r k e Primitive 144 f. 69) S e h r e u e r ZvglRechtswiss. 34, 171. 70) W e s t e r m a r c k Urspr. d. Moralbegr. 2, 442 ff.; V o r d e m f e l d e Religion 156 f.; C a s t r e n Vorlesungen 122 f.; C r o o k e North. India 225; N a u m a n n JbhistVk. 1, 26; I r l e Die Herero 131; W e e k s Kongo 191.. 203. 71 ) C r o o k e North. India 147. 168 f. 175. , 2 ) Ostjaken: FFC. 41, 70; U n w e r t h Totenkult 36 f.; F r a z e r 2, 54. 61 ff. , 3 ) T y l o r Cultur 2, 129; U n w e r t h Totenkult 17. 39 ff. 49 f.; K o c h Animismus 36 ff.; ARw. 14, 188. 260; A b e g h i a n 11; C l e m e n Reste 83; S e y f a r t h Sachsen 22; B l a c k Folk-Medicine 25 ff.; S e l i g m a n n 1, 158. 71 ) W u t t k e 75 ) Z i m m e r m a n n 483. Bad. Volksheilk. 78; vgl. G e r i n g Isl. Aevent. 2, 243-

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Tote (der)

78) R. M a r t i Mitt. a. d. Chorgerichtsverh. v. Saanen (1930) 43- " ) M a u r e r Isl. Volkss. 77. 78) Ebda 67; vgl. U n w e r t h Totenkult 47. 79) B a a d e r NSagen 43; G r a b e r Kärnten 187; S c h a m b a c h u. M ü l l e r 227; 8 0 ) S c h a m b a c h u. M ü l l e r 225 f.; F o g e l Penns. 375. 81 ) K ü h 82 n a u Sagen 1, 17 ff. ) Die Sagen von dem Mädchen, das an der Schürze festgehalten wird : z. B. K ü h n a u Sagen 1, 20 f.; ein Fall, der passiert sein soll: B r u c k Totenteil 36 Anm. 4. s3) K ü h n a u Sagen 1, 174 f.; Urquell 3, 6 (isländisch); Thüle 5, 99; 7, 86. 84 ) L i e b r e c h t ZVolksk. 58; S t e m p l i n g e r Ant. Abergl. 62; ZfVk. 10, 1 2 1 ; 14, 225 f. Vgl. Atlantis 1, 103 f.; K l e i n t i t s c h e n Mythen u. Erz. eines Melanes.st. 104 f. M ) R a n t a s a l o : FFC. 30, 45; 31, 95; d e V r i e s : FFC. 94, 19 ff. 24 f.; vgl. L é v y - B r u h l Mentalité 194 t.; F r a z e r 1, 147 f. ; A E w . 26, 152 ff.; 25, 54. 86 ) S a u p e Indiculus 30; M o g k , Verh. sächs. Akad. phil.-hist. Kl. 81, H. 1, 20. ") B o l t e - P o l i v k a 3, 490. 88 ) B o l t e - P o l i v k a 1, 165. 89 ) G. T h ü r e r Kultur des alten Landes Glarus (1936) 426. 9 0 ) SAVk. 3> 97; ZfVk. 10, 128. 91 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 123; A c k e r m a n n Shakespeare 71. 92 ) BayHfte. 6, 2 1 1 .

4. V e r h a l t e n der L e b e n d e n g e g e n die T.n.. Weil den T.n meist diese üble Gesinnung zugeschrieben wird, so wird im allgemeinen der Verkehr mit ihnen gescheut und gemieden. Die Beziehungen zwischen Lebenden und T.n werden beim Begräbnis geregelt (s. Begräbnis, Leichenzug); man tut alles, um ihnen den Abschied zu erleichtern und hofft, daß sie Ruhe finden. Man achtet darauf, ob Totenbrett (s. d.) oder Leichenwaschtuch (s. Leichenwaschung) verfault seien, denn dann ist auch die Leiche verwest, dann hat die Seele Ruhe. Sorge für den T.n und für die Lebenden gehen unentwirrbar durcheinander. Die Pflichten, die der Lebende dem T.n gegenüber hat, werden im Totenkult (s. d.) in feste Formen gefaßt. Im Verkehr mit T.n ist Vorsicht geboten. Ohne Bedenken wagt man etwa dem T.n Botschaft zu schicken, so wenn man einem Sterbenden Grüße an Verwandte im Himmel mitgibt 9 3 ). In Rußland schrieben Frauen Briefe an ihre gefallenen Männer 94 ). Solche Botschaften in den Himmel sind zu einem beliebten Schwankmotiv geworden 95 ). 1926 kam in einem Prozeß in Basel aus, daß eine Betrügerin die Leute glauben machte, sie erhalte Briefe von Toten 96). Gefährlicher ist es,

einen T.n zu Gaste zu laden; man darf mit ihm nicht essen, sonst stirbt man 97 ). Man sucht alles zu vermeiden, was den Toten zur Rückkehr bewegen könnte. Diese Gefahr, daß der T. zurückgerufen werde, liegt besonders vor, wenn man seinen N a m e n nennt 98 ). Man stört die T.n, wenn man von ihnen spricht " ) , man soll nicht oder nicht viel von ihnen reden 100 ), nicht einmal viel an sie denken 1 0 1 ); besonders soll man nicht seinen Namen dreimal nennen, sonst erscheint er 1 0 2 ). Redet man doch von ihm, so fügt man bei „Gott hab ihn selig" oder ähnliches 1 0 3 ); heute wird meist nur das „selig" dem Namen angehängt. Niest wer, wenn er von T.n spricht, so muß er sich mit der rechten Hand am linken Ohr zupfen 104 ). Insbesondere ist verboten über den T.n Böses zu reden, de mortuis nil nisi bene 105 ). Man raubt ihnen sonst die Ruhe 106 ), man reizt sie, und sie können sich rächen 107 ). Der Name des Verstorbenen wird auch im Familienbuch gestrichen 108 ). Einem Kinde soll man nicht den Namen eines vorverstorbenen Kindes geben, sonst folgt es ihm ins Grab 1 0 9 ). Alt und weit verbreitet ist das Verbot, den T.n zu sehr oder zu lange zu beklagen und zu b e w e i n e n ; die Totenklage (s. d.) soll geregelt sein, und ein Zuviel ist schädlich; man könnte den T.n aufschreien, ihn zurückrufen oder festhalten n o ) . Darum wird auch heute noch dem Weinen gewehrt, oft ist es besonders verboten, solange die Leiche noch über der Erde steht, weil der T. es hören könne und es ihn betrübe 1 1 1 ) , er würde aufgeschrien 1 1 2 ). Am offenen Grab soll man nicht zu viel weinen, jede Träne, die zu viel geweint werde, brenne die arme Seele im Fegfeuer 1 1 3 ). Weint man zu viel über den begrabenen T.n, so stört man seine Grabesruhe 1 1 4 ), der T. wacht wieder auf und kommt zurück 1 1 5 ) ; es folgt ein neuer Todesfall 1 1 6 ). Besonders einem toten Kinde sollen die Eltern nicht nachweinen, sonst hat es keine Ruhe 1 1 7 ), es muß im Jenseits die Tränen trinken 1 1 8 ). Darauf beruht das Sagenmotiv vom nassen Totenhemdchen oder Tränenkrüglein 1 1 9 ). 33*

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Gegen zurückkehrende T. ist Vorsicht geboten; nach christlicher Auffassung ist die Rückkehr an sich schon ein schlechtes Zeichen (s. Wiedergänger). Als eine Rückkehr des T.n wird auch sein Erscheinen im T r a u m betrachtet. In christlichem Sinn wird es als eine Mahnung des Verstorbenen ausgelegt, daß man für ihn beten, eine Messe lesen oder eineSpende backen soll 120 ); wenn der T. in lichter Gestalt erscheint, ist er erlöst 121 ). Man soll den Traum binnen 24 Stunden nicht weiter erzählen 122 ), oder man soll sich Datum des Namens- und Sterbetags und die Zahl seiner Lebensjahre merken und in die Lotterie setzen 123). Selten bedeutet der Traum etwas Gutes, wie Einladung zu einer Hochzeit 124 ); meist bedeutet es Todes- oder Unglücksfall 125 ); öfters deutet man es auf Regen 126). 83) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 124 f.; 1752 erschien eine theolog. Abhandlung „ob man den Sterbenden einen Gruß an die Seinigen im Himmel mitgeben könne". Freyberg u. 91 ) MschlesVk. 20, 63. 96) B o l t e Leipzig. 96 P o l i v k a 2, 440 ff. ) Basl. Nachr. 7. Spt. 1926; als Sagenmotiv: FL. 15, 336; G r a b e r Kärnten 189 ff. 87) S c h a m b a c h u. M ü l l e r 378; Urquell i , 72 f.; G e r i n g Isl. Aevent. 2, 97 f.; M e i c h e Sagen 525. 98) S c h e r k e Primitive 92. 175; E R E . 4, 441 f.; ZfEthn. 56, 41; F r a z e r 3, 349 ff. 99) W i t z s c h e l Thüringen 1, 288 f. 10 °) H ö h n Tod 355; J o h n Westböhmen 101) 179; DHmt 4, 153. H ö h n Tod 355. 102 ) W u t t k e 473; G r i m m Myth. 3, 463. 103 ) J o h n Erzgeb. 128; J o h n Westb. 1 7 8 ! ; T e t z n e r Slaven 462. 104 ) WienZfVk. 34, 68. 105 ) R o h d e Psyche 1, 245. 106 ) J o h n Erzgeb. 1 0 ') S A V k . 22, 1 1 1 ; 127J WienZfVk. 34, 68. S c h a m b a c h u. M ü l l e r 364; W u t t k e 472; vgl. H ö h n Tod 355; ZrwVk. 1908, 247. 108 ) J o h n 109 ) W i t t s t o c k Erzgeb. 121. Siebenb. 62; ZfVk. 23, 279; doch vgl. ZfVk. 1, 111. 110 ) E R E . 4, 415; R o h d e Psyche 1, 223; S c h r e u e r ZvglRwiss. 33, 355; ZfdMyth. 2, 151 f.; K o n d z i e l l a Volksepos 135 f.; L a m m e r t 107; B o c k e l m ) Psychologie 2, 185. S t r a c k e r j a n 1, 51; 2, 215. 112 ) MSachsVk. 2, 24; vgl. H ö h n Tod 113 ) B a u m g a r t e n A. d. Heim. 3, 116. 317. l l 1 ) MdBllVk. 1, 186; WienZfVk. 34, 68; K ü n z i g Schwarzwald 49; HessBll. 15, 130; ZföVk. 10, 143; S c h w a r z Volksglaube 8; T o e p p e n Masuren 112; MSchlesVk. 3, 7; D r e c h s l e r Schlesien 1, 293; W i r t h Beitr. 2/3, 67; Graubünden schriftl.; Landsteiner Niederösterr. 30. 115 ) M ü l l e n h o f f Sagen 77; J o h n Erzgeb. 121; G a ß n e r Mettersdorf 95; H ö h n Tod 317; S c h u l e n b u r g Wend. Volkss. 237; R e u s c h Samland 53 f. 116 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 256. 1 1 ? ) HessBll. 6, 107; T o e p p e n Masuren 112;

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D r e c h s l e r Schlesien i, 295. 118 ) ZföVk. 3, 373; vgl. ebda 6, 63. 119 ) Lit. s. B o l t e - P o l i v k a 2, 485 ff.; W a s c h n i t i u s Perht 151 f.; vgl. S e b i l l o t Folk-Lore 4, 174; T e t z n e r Slaven 462; N a u m a n n Gemeinschaftskultur 34. 12 °) F o n t a i n e Luxemb. 156; ZfVk. 20, 384; B i r l i n g e r Volksth. 1, 475; BayHfte 6, 211; ZföVk. 7, 228; J o h n Westböhmen 177. 121 ) M e y e r Baden 355. 122 ) K n o o p Hinterpommern 116. 123 ) V e r n a l e 124 ) B a u m g a r t e n A. d. k e n Mythen 354. Heimat 3, 89. 12ä ) M e y e r Abergl. 145; H ö h n Tod 311; ZfVk. 2, 179; 15, 6; 20, 384; J o h n Erzgeb. 114. 126 ) K u h n West}. 2, 59; ZfVk. 18, 312; Urquell 3, 39; H ö h n Tod 311; G e s e m a n n Regenzauber 61.

5. Im Gegensatz zu dem Bestreben, den T.n möglichst rasch in ein Jenseits wegzuweisen und die unerwünschte Rückkehr unmöglich zu machen, stehen die Versuche, den T.n (oder die Seele) im B i l d oder in einem Gegenstand festzuhalten, oder seine Gegenwart durch einen lebenden Repräsentanten darzustellen. Meist geschieht dies nur für eine bestimmte Frist, bis zu dem Termin, da man annimmt, daß der T. endgültig vom Diesseits Abschied nehme. Im Begräbniszeremoniell der alten Könige Frankreichs scheint diese Vorstellung noch nachgewirkt zu haben. Im heutigen Glauben deutet nur noch weniges auf diese Verbindung des T.n mit seinem Bild 1 2 7 ) (Puppe aus den Kleidern eines Ertrunkenen, s. Totenklage). Über die Darstellung der T.n durch Masken s. Masken 128 ). 127 ) 128 )

G e i g e r : SAVk. 32, 1 ff., bes. 18 ff. Vgl.auch H ö f l e r Kult. Geheimbünde 1, 220.

6. Das E i g e n t u m des T.n. Schon bei Grabbeigabe, Leiche und Leichenzug ist gesagt worden, daß der T. in Verbindung mit seinem Eigentum, besonders mit dem persönlichsten Eigentum (Kleider, Waffen u. a.) bleibe, daß er einen Anspruch darauf behält, und daß man ihm daher Einzelnes mitgibt, anderes zerstört oder nur unter gewissen Vorsichtsmaßregeln wieder in Gebrauch nimmt. Bei Primitiven geht die Zerstörung oder Tabuierung oft sehr weit 129 ). Erklärt wird dieses Vorgehen damit, daß man entweder die Gegenstände dem T.n überlassen, mitgeben will oder sie als verunreinigt ansieht und die Überlebenden von dem anhaftenden Todeszauber bewahren will 130 ). Bei den Zigeunern werden

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auch der Wagen sowie die Gegenstände eines Verstorbenen nicht mehr gebraucht, sondern an Nichtzigeuner verkauft oder vernichtet 131 ). Weil die Dinge und der T. eng verbunden sind, ist die Gefahr vorhanden, daß man durch Zurückbehalten der Gegenstände den T.n zur Rückkehr zwingt, und daß er allerlei Unheil stiftet, wie in der isländischen Sage Thorgunna, deren Bett nicht, wie sie es gewünscht hat, nach dem Tode verbrannt wird 132 ). Bei den Balten ging dieses Weggeben des Eigentums in Gestalt eines Wettlaufs um die Habe des Toten vor sich 133 ). In Masuren und Samland wird noch die Habe des Verstorbenen am Begräbnistag an die besten Freunde verteilt 134 ). An Fürstenhöfen bestand im Mittelalter der eigenartige Brauch, daß beim Tode eines Fürsten vom Gesinde alles Gerät geraubt wurde 135 ). Heute ist noch etwa Brauch, daß Leute, die Ankleiden oder Wache besorgen, Anspruch auf größere Stücke (meist Kleidung) aus dem Nachlaß haben 136 ). Gewöhnlich ist vorgeschrieben, daß das Eigentum des Toten 4 Wochen lang, d. h. bis zum Dreißigsten, unberührt liegen bleibe 137 ); so lange schwebe der Geist umher 138 ) (vgl. Trauer). Eigentum des T.n hat zauberische Eigenschaften: Spinnräder bewegen sich von selbst 139 ); solche Erbdinge werden zu Zauber benützt 140). Unfertig hinterlassene Arbeiten macht man nicht fertig 141 ). Wenn jemand stirbt, geht alles, was er gepflanzt hat, nach und nach zugrunde 142 ). Besonders eng verbunden mit dem T.n bleiben seine K l e i d e r , sowie auch die Bettwäsche, worauf er gestorben ist. Wie oben bemerkt, werden diese Stücke an Wächter, Leichenfrau oder Arme verschenkt 143 ). Man muß sie aber erst nach 4 oder 6 Wochen in Gebrauch nehmen, sonst stört man die Ruhe des T.n 144 ). Wer die hinterlassenen Kleider anzieht, wird vom T.n geplagt 145 ); die Pantoffeln werden vor eine fremde Tür gestellt; wer sie nimmt, stirbt 148 ). Man muß die Kleider genau nach Geld durchsuchen; bliebe solches darin, so könnte derT. nicht selig werden147). Aus Wäsche und Kleidern,

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die man wieder benutzen will, muß man die Namen entfernen, solange noch der T. im Haus liegt, sonst verfaule er nicht oder habe keine Ruhe 148 ). Meist heißt es, die hinterlassenen Kleider halten nicht lange, sie fallen in Stücke, wenn die Leiche vermodert 149 ). Die Wäsche des T.n soll bald gewaschen werden, sonst hat er keine Ruhe 15°) ; doch heißt es auch, man müsse mehrere Tage damit warten, sonst rumort es 1 5 1 ). 129 ) S c h e r k e Primitive 85 ff. 171. 1 3 0 ) S c h e r ke 1 7 1 ; E R E . 4, 441; vgl. Acta Abo Hum. IV, 4, 93 f.; ZfEthn. 56, 49; Crooke North. India 227 f. m ) SAVk. 15, 147 f. 1 3 2 ) Thüle 7, 126 ff. 133 ) ARw. 17, 485; vgl. 506. 1 3 4 ) Engl. Stud 60, 57. 1 3 5 ) S c h u l t z Höf. Leben 2, 463 f. 1 3 6 ) S t e h ler Goms 104 f.; vgl. B u x t o r f - F a l k e i s e n Basl. Stadt- u. Landgesch. 3, 3. 1 3 ' ) J o h n Erzgeb. 1 2 5 ; MSächsVk. 2, 24; H o m e y e r D. 138 Dreißigste 199 ff. ; E R E . 4, 441. ) Gander Niederlausitz 82; vgl. S c h u l e n b u r g Wend. 139 Volkss. 234. ) S c h n e l l e r Wälschtirol 247. 140 141 ) Urquell 3, 149. 200. ) T e t z n e r Slaven 461. 1 4 2 ) F o g e l Perms. 129. 1 4 3 ) Urquell 1, 11 ; Egerl. 9, 29; ZrwVk. 1907, 274; ZföVk. 4, 268; Germania 29, 89; P o l l i n g e r Landshut 297; F o n t a i n e Luxemb. 154; B i r l i n g e r A. Schw. 2, 320; DHmt 4, 2; L e m k e Ostpreußen 1, 57; HessBll. 10, 110; SVk. 17, 1 3 ; L e B r a z Légende 1, 394; Béaloideas 1928, 2 1 7 ; vgl. C a l a n d Altind. Toten- u. Bestattungsgebr. 16 f. : Kleider v. Verwandten getragen. 144 ) H ö h n Tod 360; W i t z s c h e l Thüringen 2, 254. 257; W u t t k e Sachs. Vk. 368; Zelenin Russ. Vk. 324. 145 ) L a m m e r t 106; S c h a m b a c h u. M ü l l e r 146 219; vgl. G a n d e r Niederlaus. 82. ) MsächsVk. 5, 88. 147 ) Z i n g e r l e Tirol 49. 148 ) Höhn Tod 149 320; W i r t h Beitr. 2/3, 57. ) L a m m e r t 105; R o c h h o l z Glaube 1, 186; SAVk. 12, 154; SVk. 19, 64; D r e c h s l e r Schlesien 1, 306; Urquell 2, 258; Germania 29, 89; Rockenphilos. 974; B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 122; E R E . 4, 15 441. °) G r i m m Myth. 3, 458; Z i n g e r l e Tirol 50; L a m m e r t 107; Baselland mündl. 151 ) MittSchönh. 8, 102. Geiger.

Totemismus. Es ist von vornherein wahrscheinlich, daß der T., wenn er nach weitestgehender Übereinstimmung religionsgeschichtlicher Forschung im Untergrunde der meisten entwickelten Religionsformen anzutreffen ist, auch in jener psychischen Schicht heimisch ist, aus welcher der Aberglaube gespeist wird. Deshalb verdient der T. hier besondere Beachtung. Das indianische Wort Totem enthält als wesentlichen Bestandteil „verwandtschaftliche Be-

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ziehung", die indeß, was gleich dazu bemerkt sei, nicht im Sinne von Abstammung und Blut gemeint sein muß. Die neuere Forschung faßt T. demgemäß als eine Glaubens- und Lebenshaltung, die auf einer verwandtschaftsähnlichen, d. h. innerlichen, irgend einen wichtig empfundenen Punkt berührenden Beziehung einer menschlichen Gruppe, des Klans, oder eines Individuums zu einer bestimmten Seinsgruppe, eben dem Totem, in der tierischen, pflanzlichen, seltener leblosen Naturumgebung beruht 1 ). Diese verwandtschaftliche Beziehung, die man besser als eine symbiotische und auch sympathetische versteht, in der gewisse Gleichgerichtetheiten in Empfinden und Streben, im Triebleben und in Hinnahme der Welt Totem und Menschen miteinander psychisch zusammenschließen, wird bei einzelnen Völkern auf verschiedene Weise teils ausgedeutet, teils in die Lebenspraxis eingefügt. Manchmal geschieht das durch den Gedanken der Abstammung des Klans von jenem Totem, häufiger weniger direkt durch den Gedanken, daß eine gemeinsame und kaum irgendwie definierbare Unterschicht des Seins existiere, aus der einst in Urtagen der Urtyp des Totems hervorgegangen ist, der seinerseits sowohl das totemische Tier oder die totemische Pflanze, als auch den menschlichen Klan ins Dasein gesetzt habe, also eine Art demiurgischer, schöpferisch-bildnerischer Rolle spielte, nach deren Erledigung er von dem Schauplatz abtrat, um in Gestalt eines alten Felsens oder Baumstumpfs noch in fernste Zeiten hinein zu wirken, etwa durch Aussendung von lebensfähigen Keimen aus dieser seiner Restmasse (so häufig in Australien) 2). Bisweilen wird die intime Verbundenheit durch das Verbot, vom Repräsentanten des Totems zu essen, angezeigt, manchmal gerade umgekehrt durch das Gebot, bestimmte Teile von ihm zu verzehren 3 ). Dazu gesellt sich oft die Vorschrift der Exogamie, d. h. das Verbot des Heiratens innerhalb der Gruppe; doch sind über den Grund dieses Verbots die Meinungen recht geteilt, da viel dafür spricht, daß es nicht in tote-

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mistischer Gesinnung seinen Ursprung habe, sondern in rein sozialbiologischen Erwägungen, zum Teil auch in ökonomischen 4 ). Was bei allem Fraglichen aber unveräußerliches Charakteristikum des T. ist, das ist die vital-seelische Verbundenheit an sich, die vermittelt ist durch die gleiche beiden Teilen eignende unsinnliche Kraft nach der Art des Mana5). Durch den gemeinsamen Besitz derselben bilden Mensch und Totem zusammen einen bestimmten Ausschnitt aus der Weltgesamtheit, so daß die Machtbereiche der bekannten Naturwelt durch die Totemverbände oder Klans gleichsam aufgeteilt sind. Daher läßt sich der T. am besten bestimmen als eine Sonderform der symbiotisch-sympathetischen Lebensempfindung, vermöge deren sich der Mensch mit den übrigen Teilen des Weltseins mittels der verschiedenen Klans des Volkes gewissermaßen auf Gedeih und Verderb zusammengekettet weiß 6 ). Die .Symbiose mit der umgebenden Wirklichkeit wird vom einzelnen wie von der sozialen Gruppe irgendwie mystisch gefühlt; nicht als eine gesetzlich geregelte Angelegenheit, sondern als eine außerhalb der von uns real genannten Verhältnisse gelegene, dennoch unentrinnbare Ordnung. Sie hängt also vom Willen des Primitiven im allgemeinen nicht mehr ab, als die objektive Naturordnung vom Individuum abhängt. Es existiert zugleich eine rein objektive Nebeneinander-Stellung der beiden Teile und eine vom Menschen empfundene, ihm bewußt werdende Sonderbeziehung zwischen ihm und jenem von ihm als Totem bewerteten Umweltteile (Tiergattung, Pflanzengattung, Stein von auffallender Größe, Wolken, Sternbilder, auch einzelne Sterne, wie Sonne und Mond). Der hinter dieser symbiotischen mystischen Bezogenheit waltende unsinnliche Seinsgrund ist gewissermaßen der herauszudestillierende Begriff des Totems, für den es eben in unserer Sprache und Begriffswelt kein Analogon gibt 7 ). Eine gute Übersicht über die zahlreichen Versuche zur Ermittelung der Grundidee des T. bei A. van G e n n e p L'état actuel du problème totêmique 1920; dazu J. G. F r a z e r Totemism and Exogamy 4 Bände 1910 und sämtliche Bände

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von F r a z e r Golden Bough; auch Andrew L a n g The secret of the Totem 1905. 2) B e t h Religion 3 ) Vg 1 - E. R e u t e r s k i ö l d und Magie 2 144) K . Th. P r e u ß Speisesakramente 1912. Die geistige Kultur der Naturvölker 1923. 5 ) S. Art. 6 Präanimismus, hier Bd. 7, 300 ff. ) R. T h u r n w a l d Die Psychologie des T. Anthropos 14 u. 15; E . V a t t e r Der australische T. 1925. 7 ) W . H. R. R i v e r s Totemism in Polynesia and Melanesia (Journal of the R o y a l Anthropol. Instit. 1909); Ders. History of Melanesian Society 1914.

2. Nicht auszumachen war bis heute, ob Gruppen- oder Individual-T. ursprünglicher war. Die französische Soziologenschule (Hubert, Mauss, Dürkheim) vertritt die Ansicht, daß dem ersteren die Priorität zukomme 8 ). Jedoch da der T. gerade im Bewußtsein der einzelnen stark betont und namentlich mit der Seelenvorstellung eng verbunden ist, so überwiegt die Wahrscheinlichkeit für Ursprünglichkeit des individuellen T. und allmähliche Entwicklung des kollektivistischen. Geklärt ist indes diese Frage noch nicht. Das ethnische Bild zeigt uns beide Formen gewöhnlich nebeneinander. Ein Australier sagt zumeist: Das Kängeruh, die Beutelratte, die Schwärmerraupe ist mein Totem — auch wenn vorwiegend Gruppen-T. vorhanden ist; und die steinernen und hölzernen Tjurungas (oval, 1 bis 3 Fuß lang, Name vom zentralaustralischen Stamm der Aranda, heiligstes Gerät) sind bei sehr vielen Völkern das s;nnl;ch-kultische Verbindungsmittel und gelten vorwiegend als Träger der Totem-Energie des Individuums 9 ). So scharf man auch die Grenze zwischen individuellem und sozialem T. bisweilen ziehen zu sollen vermeinen mag, immer wieder wird die Grenze im konkreten Falle verwischt und scheint dann selber erst spät entstanden. Stimmen doch zahlreiche Forscher darin überein, daß der N a g u a l i s m u s so häufig der Anhub totemistischer Vorstellungsbildung zu sein scheine, daß die aus ihm entstehende Gestalt als die älteste angesehen werden müsse. Unter Nagualismus versteht man (nach dem Lehnwort aus der Sprache der Indianer von Guatemala) die Wahl eines dem Individuum zugehörigen Schutzgeistes, nagual, der gewöhnlich ein Tier ist und mit dem das Leben des Indivi-

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duums verkoppelt ist 10 ). Die Australier nennen das betreffende Tier den Bruder bzw. die Schwester des Mannes oder der Frau. Bei Indianern und afrikanischen Völkern herrscht die Sitte, daß der junge Mann in die Bergwaldeinsamkeit sich für Wochen zurückzieht, um dort unter Fasten, Beten und Meditation seinen, ihm längst bestimmten oder gehörigen Schutzgeist im Traum oder in einer Vision ansichtig zu werden und von da an sein Leben in der Gewißheit von dessen ständiger Nähe und innerer Leitung zu verbringen n ) . Natürlich wird das Wort Schutzgeist dem Sachverhalt nicht gerecht, da das Individuum mit diesem Geistwesen, das in einem Exemplar einer Tiergattung nur äußerlich schaubar wird, an sich jedoch eher unsichtbar bleibt, verbunden ist ähnlich wie der Ägypter mit seinem Ka. Bei den mancherlei Abschattierungen und Wandlungen, die diese Idee unter primitiven Stämmen erhalten hat, darf man nach immer besseren Entsprechungen suchen, um zu genauerer begrifflicher Form der Verdeutlichung zu gelangen. So geben die afrikanischen Kpelle ein weiteres schätzenswertes Analogon. Das Käsen (ihr Wort für Totem) ist geradezu mit „Geburtsding" übersetzt worden 12 ), und die Leute selber erläutern es: „was im Rücken eines Menschen ist", womit es fast mit äg. Ka, ev. auch mit nord. Fylgji zusammenfällt, daher Begleitseele, in der das persönliche Schicksal zuhanden ist. Erst in zweiter Linie erfolgt dann der Zusammenschluß derjenigen Volksgenossen, denen das gleiche Totem erschienen ist, zum Klan. Das religiöse Moment ist hier augenscheinlich viel stärker, zumal das individuelle Erlebnis immer aufs neue Ausgangspunkt totemischen Zusammenschlusses wird. Wer angesichts dieser klaren Umstände den T. als eine ursprünglich kollektivistische Erscheinung erfassen will, der muß von allen wahrhaft religiösen Gefühlsmomenten in ihm absehen, die durchweg auf individuelles Erleben hinweisen. Der T. entwickelt sich am lebhaftesten dort, wo das Tier oder die Pflanze oder ein Gestirn in das Einzelleben eingreift, wie

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Totemismus

denn ja bei den auf dem nomadischen Standpunkt des Raubbaues, Jagd- und Fischfanglebens stehen gebliebenen Volksstämmen (Australien und ozeanische Archipele, Südamerika) die nachhaltigste Kräftigkeit des T. anzutreffen ist. In den unwirtlichen und ertragsarmen Steppen, wo sich der Mensch vereinsamt vorkommt, findet er die ihm angemessene Vergesellschaftung nur mit dem dort Lebenden, schließt er sich in geheimnisvollem Schweigen mit ihm als einzigem Verwandtem zusammen ; und merkwürdig ist, daß hierbei die sozialen Instinkte fast zurücktreten können. Ohne letztere ist der T. denkbar. 8 ) H . H u b e r t e t M . M a u s s Mélanges de l'histoire des religions 1909; E . D ü r k h e i m Les formes élémentaires de la vie religieuse ; le systerne totémique en Australie, 1 9 1 2 . 9 )C. S t r e h l o w Die Arandaund Loritjastämme in Zentralaustralien. Frankfurter Museum f. Völkerkunde 1908. 909. 10 ) O. S t o l l Die Ethnologie der Indianerstämme von Guatemala, 1889; Ders. Suggestion und Hypnotismus in der Völkerpsychologie 1904, 169ff. ; D. G. B r i n t o n Nagualism, in Proceed. of the Americ. Philos. Soc. vol. 33, n f î . 1 1 ) B e t h aaO. 257. 1 ! ) D. W e s t e r m a n n Die Kpelle, ein Negerstamm in Liberia 2 1 7 f.

3. Sonach ist T. getragen von der Idee der Ergänzung, Abrundung, Auffüllung der menschlichen Existenz nach der Seite der durch kongeniale Naturseite zu gewährenden Eigenheit. Deshalb wird man in den Bemühungen um die Vermehrung der Totemexemplare etwas Wesenswichtiges zu erblicken haben; etwas, aus dem der Ursprung der Totemvorstellung selber abgeleitet werden kann 13 ). Da indes bei den diesem Zwecke dienenden Zeremonien die Nachahmung des Totemtieres in Bewegung, Nahrungsaufnahme, Gewohnheiten im Vordergrunde stehen, so könnte die Vermutung nahe zu liegen scheinen, daß der T. einfach aus dem Spieltrieb heraus zu verstehen sei (Ankermann) 14 ), wie ja kindliches Spiel vielfach solche Nachahmung und symbiotische Tendenz verrät. Jedoch ist auch bei solcher Annahme nicht zu übersehen, daß der totemische Ritus den ganz bestimmten Zweck verfolgt, eine nicht spielerische, sondern sehr ernste Stärkung des symbiotischen Verhältnisses und wechselseitigen Aus-

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tausches der auf menschlicher und totemischer Seite vorhandenen gleichen Energien zu bewirken. Nicht darf in dieser auf Vermehrung gerichteten Feier eine spätere Erweiterung gesehen werden, sondern sie zeigt den Nerv des T. an; und nur die sakramentale Verspeisung des Totemtieres, die recht selten ist, liegt auf der Linie der Fortbildung über die Grundform hinaus. Jene erwähnten Nachahmungen setzen schon in den Vorbereitungen der Zeremonien ein, mit Bemalungen und Schmückungen der Klangenossen. Eine große Gras- und Daunenkugel z. B. muß die Sonne darstellen bei einer Feier des Sonnentotemklans. Diese Mbatjalkatiuma-Zeremonien, wie wir sie nennen nach den Aranda, bei denen sie am besten beobachtet sind, — Frazer hat dafür das Wort Intichiuma übernommen, aber Strehlow hat nachgewiesen, daß dieser Name nicht für die Vermehrungs- und Fruchtbarkeits-Zeremonien gebraucht wird 15 ) — vereinigen natürlich die religiöse und soziale Bedeutung des T. fürs Volk. Praktisch sind die beiden Gesichtspunkte nicht von einander zu trennen, ergänzen sich vielmehr zur Einheit des totemischen Systems. Denn die Riten für Vermehrung und Kräftigung der Totemgattung in der Natur sind immer zugleich auf Hebung der sozialökonomischen Verhältnisse gerichtet; und die Kräftigung der Totemenergie im Menschen, sei es im Klan oder in der einzelnen Person, durch jene selbigen Zeremonien geht infolge der völligen Korrespondenz zwischen Totem und Mensch zusammen mit der Kräftigung der Totemgattung und ihrer einzelnen Vertreter und greift somit auch auf die Hebung der sozialökonomischen Verhältnisse über. Dennoch ist es verkehrt, die sozialen Gesichtspunkte derart in den Vordergrund zu schieben, daß dasindividuell-religiöse Erleben zu einem ganz sekundären Moment abgestempelt wird. Das kann nur dort geschehen, wo dem religiösen Faktor des T. nicht genügend Rechnung getragen wird. ls ) W. R o b e r t s o n - S m i t h Die Religion der Semiten-, C o h n Tiernamen 3, 1 3 ; K r a u s s Slaw. Volksbräuche 332. I 4 ) B . A n k e r m a n n

Totemismus Verbreitung und Formen des (Zeitschr. f. Ethnologie 47. gion u. Magie 318, 321 fi.

T. 15 )

in Afrika B e t h Reli-

4. Das religiöse Moment im T. dreht sich um des Menschen Zentrum (Seele) und dessen Korrelat in der unsinnlichen Welt, das Totem. Aufs mannigfaltigste wird die wesenhafte, nicht eigentlich erst herzustellende, sondern ursprunghaft vorhandene intime Bezogenheit beider aufeinander ausgedrückt. Dabei liegt kein Animismus vor. Hauptsache ist die Parallelität zwischen Mensch (und zwar allererst Individuum) und Naturgegenstand (Totem) in bezug auf Zugehörigkeit zum allgemeinen Lebensfond, Verknüpf theit in Sein und Nichtsein, in Leben und Sterben miteinander. Die einzelnen individualen und volksgeschichtlichen Lebensphasen der betreffenden Tiergattung werden in den australischen Totemliedern besungen als Lebeformen und Phasen des Totem-Urfahren 16 ). Daher ist T. nicht mit T i e r v e r e h r u n g verbunden oder gar gleichzusetzen und sind Reste von Tierkult nicht Reste von T., sondern nur wenn wirkliche symbiotische Lebensbeziehungen geglaubt werden, darf man von totemistischen Resten sprechen. Die zwölf Brüder des Märchens sind mit Lilien „identisch", d. i. lebens-parallel, in völliger wesenhafter Korrespondenz, und beim Brechen der Lilien werden sie, da ihre eigene Energie entwichen, Raben (vgl. Art. Märchen)17). Die Parallelität geht soweit, daß sich die beiden Parteien in den wichtigsten Dingen vertreten können, was vor allem dem Klan zugute kommt 18 ). Da der Mensch, wie schon der Primitive weiß, gar zu oft säumig in seinen Pflichten ist, so müßte er nur zu häufig auf Fruchtbarkeit verzichten, wäre er lediglich auf seine zeremoniellen Handlungen angewiesen. Tritt trotz seiner Nachlässigkeit Gedeihen ein, regnet es, obgleich er die Mbatjalkatiumas nicht ausführte, so haben die abgeschiedenen Seelen als der im Jenseits wirkende Totembund sie vollbracht, die Iruntarinia. Ja, diese Seelen wachen überhaupt ständig über dem Wohl desKlanes: Sie benachrichtigen

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im Traum das greise Oberhaupt der religiösen Feiern in dem Augenblick, da die Zeremonie notwendig ist. Sie halten auch selber ähnliche Feiern ab. Zeigt sich z.B. großer Überfluß von Raupen oder Emus, ohne daß die Leute des zugehörigen Totems die Zeremonie begangen haben, so beruht der Überfluß auf den Zeremonien der betreffenden Iruntarinia 19 ). Es ist im Grunde dasselbe, wenn in Mexico die Tiere eben diese Zeremonien begehen, ja die Omaha wissen, daß sie ihre Kenntnis der heiligen Zeremonien nur dadurch besitzen, daß die befreundeten Tiere aus ihrem himmlischen Reiche ihre lehrenden Boten zu ihnen sandten. Man muß sich zum vollen Verständnis dieser Gedankengänge dessen erinnern, daß die ganze lebende Natur für diese Menschen zu einem gewaltigen unsichtbaren Reiche zusammenwirkt. Im Frühling sind für den Indianer der Vogelsang, das Girren der Tauben, das Quaken der Frösche, das Zirpen der Grillen, mit einem Wort alle durch die Wiesenbewohner hervorgebrachten Geräusche ebensoviele Anrufungn der oberen Gewalten. Tiere wie Totemisten entbinden durch Tanzen und Singen die in der Natur verborgenen spezifischen Totemenergien für das Gedeihen derTotemexemplareu.Totemklangenossen. Der Glaube, daß Menschen in Tieren fortleben, z. B. die Bujäten in Bienen, die Bororo in Araras, die Madagassen und Maori in Eidechsen, ist möglicherweise Überbleibsel von T., sofern in gegenwärtigem T. die Meinung vertreten ist, daß die Seele in Gestalt eines Tieres, eben des Totems, in die empfangende Mutter eingeht, nachdem der Vater es gefangen heimgebracht hat (Australien)20). Analog wird angenommen, daß nach dem Tode ein Teil der Seele in die ursprüngliche Form zurückgeht, bis eine neue Empfängnis ihm wieder Unterschlupf bietet. Hierher gehört vielleicht die Anschauung, daß die sich auf Wanderung begebende Seele des Schlafenden in Tiergestalt aus- und eingeht (Maus, Hummel) 21 ). Die Zärtlichkeit gegenüber im Hause angesiedelten Kröten, Schlangen, Unken, Igeln dürfte nicht selten ähnlich bedingt sein22). Vor-

1043

Totemismus

zug genießen in dieser Hinsicht die schwarzen oder chthonischen Tiere: da allerdings wird es bedenklich, auf T. zurückzugreifen, der sich nicht mit Vorliebe dieser Klasse zuwendet. Im deutschen Volksglauben begegnet man den W a n a , die höchst wahrscheinlich dem symbiotischen Anschauungsboden des T. entwachsen sind. Denn wenn die Wana auch später unter Einfluß des Hexenglaubens und der Hexentheorie als Organe oder Verwandlungen der Hexen erscheinen, so sind sie doch ursprünglich Genossen der menschlichen Gesellschaft. In der ganzen Oberpfalz nennt man so Katzen, die sich zuzeiten in Menschen wandeln, um dann ein ganz menschliches Leben zu führen 23 ). Wie bei den Indianern und anderen Stämmen, welche solche Vorstellungen noch im deutlichen Zusammenhange mit T. haben, die Büffel oder Biber oder andere Tiere, zunächst unerkannt, in Menschengestalt in die menschliche Gesellschaft eintreten und mit einem menschlichen Partner eine Familie begründen, so wollen die Wana als Menschen behandelt werden. Und wenn dann erst von einer möglichen und drohenden Rückwandlung die Rede ist (man denke an das Melusine-UndineMotiv!), blickt der totemistische Untergrund noch klarer hervor, dem die verschiedenen Ideen vom Übergang zwischen tierischem und menschlichem Sein entsprießen. Wir befinden uns dann auf dem Boden einer Lebensanschauung, welche die Grenzen zwischen Mensch und Tier nicht zieht, gerade auch sozial nicht zieht, sondern Einheit, Parallelität, Identität, Wechselwirkung betont. Die Wana „verlieben sich öfter in Erdenkinder, denn sie können zu Menschen werden; ihre Weiber und Kinder werden alle wieder Wana" 24 ). Zwei Beispiele: ein Graf hatte sich in ein schönes Weib verliebt, das ihn aber nur unter der Bedingung zum Mann nahm, daß er am Mittwoch, dem Wodanstag, nicht nach ihr frage. Er sagte zu, hielt jedoch nicht sein Wort, sondern belauschte sie, wie sie nachts mit den Katzen spielte und von ihnen „Frau Wana" angeredet wurde. Als er sie andern Tags wegstieß,

IO44

ward sie zur Katze; aber auch er. — Ein Fräulein erwachte durch großes Katzengeschrei. Plötzlich stand ein schöner Mann vor ihr und erklärte: Du mußt mein Weib werden! Sie wars zufrieden, erfuhr aber später, daß ihr Mann zum Katzengeschlechte gehöre. Er konnte infolgedessen bei Tische nicht vorbeten, und sie neckte ihn: „Geh zu, du Teufelswana". Da wurde er zum Kater und sie zur Katze. Man sieht,das Band kann anscheinend nicht wieder ganz gelöst werden, denn auch der andere Teil ist mit dem Wana-Wesen begabt — wechselseitig wie im primitiven T. ls)

Vgl. solche Lieder bei S t r e h l o w aaO. G r i m m KuHM. Nr. 9. 18 ) L e v y - B r u h l Das Denken der Naturvölker (deutsch) 217!!. 19 ) Ebd. 22of. 20) B e t h aaO. 47f. 21 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 1, 179 — Z f V k . 13, 372, 4 5 6 ! 22) C r o o k e North. India 262Ü. 278ff. 23) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 185. 21 ) ebd. 3, 187. 17 )

5. Hier muß der p s y c h o a n a l y t i s c h e n Deutung des T. gedacht werden, da sie zu manchem Mißverständnis Anlaß gegeben hat. Sigm. Freud macht eine Verwertung des T. durch Bevorzugung jener Auffassung des T., nach der das Totem der Ahnherr des Stammes oder Klans ist. Dies ist nun ganz sicher eine der jüngsten Umbildungen im T.systems, sofern die sog. totemische „Abstammungsidee" eigentlich nicht auf einen Ahnherrn führt, sondern höchstens auf ein mythisches Wesen, dem als „Urheber"persönlichkeit das Dasein alles Lebenswichtigen verdankt wird 25 ). Freud fügt also in eigener Umdeutung hinzu, daß das Totem in die Vaterrolle gerückt werde. — N B . als Vater wird bisweilen der bei Totemisten verehrte Hochgott angesehen, der aber auch dann, wenn er den Begriff des Zusammenschlusses sämtlicher Totems des Volkes darstellt und diesem Gedanken sogar seinen Ursprung verdankt, nicht genau genommen Bestandteil des T. ist28). Freud konstruiert diese Vaterrolle des Totems, um nun seine Hypothese vom Ödipuskomplex daranzuknüpfen, die Vorstellung der bis zum Mord führenden Feindschaft des Sohnes gegen den Vater, und er konstruiert weiter, daß die „Urhorde" dadurch entstanden sei, daß die Söhne, um die Mutter zu besitzen, den

1045

töten

V a t e r umbringen u n d danach sich gegenseitig 2 7 ). „ E i n V o r g a n g wie die B e seitigung des U r v a t e r s durch die Brüderschar m u ß t e unvertilgbare Spuren in der Geschichte der Menschheit hinterlassen" 2 8 ). Z u solchen Spuren gehört nicht bloß der seitdem unausrottbare H a ß des Sohnes gegen den V a t e r u n d die B i n d u n g a n die Mutter, sondern auch als seelische Folge davon das Schuldbewußtsein. Dies trieb den überlebenden Sohn zur Religion, in welcher er den Geist des toten V a t e r s mittels Opfer zu versöhnen trachtete. D a ß diese K o n s t r u k t i o n auch mit allem, was man über früheste Formen v o n Religion weiß, nicht übereinstimmt, möge nur beiläufig erwähnt sein (s. d. A r t . Psychoanalyse). D a ß sich aber aus der hier angenommenen psychischen L a g e mancher A b e r g l a u b e entwickeln konnte, ist sicher; u n d so k a n n leicht mit Hilfe dieser psychoanalytischen Theorie eine besondere Ansicht über Wurzeln des Aberglaubens im T . hergestellt werden. 2S) N. S ö d e r b l o m Das Werden des Gottesglaubens n6ff. 26) ebd. Ii8f. 27 ) S. F r e u d Totem u. Tabu 1 3 8 s . 28) ebd. 143.

6. Zur V e r v o l l s t ä n d i g u n g der Charakteristik des T . scheint erforderlich, klarzustellen, d a ß der T . eine Sonderstellung unter den Religionsformen insofern einnimmt, als er sich fast nie mit D ä m o n e n glauben oder -kult verbindet. E r füllt die Seele so sehr aus, d a ß er gegen dämonistische A u f f a s s u n g e n sich ausschließend verhält. E r füllt so aus wie etwa das kindliche Identitätsspiel, wo das K i n d sich als Tier gebärdet, u. Ähnliches ereignet sich im hypnotischen Z u s t a n d . D a s I c h b e w u ß t sein des Totemisten ist eigenartig. Die mystische Identifikation m i t dem T o t e m und gegebenenfalls mit einem einzelnen E x e m p l a r desselben ist nur möglich in einer geistigen L a g e , die ein voll entfaltetes Menschbewußtsein als gegen anderes Sein abgetrennt nicht herrschen l ä ß t . Die Psychiatrie m a c h t auf Fälle aufmerksam, wo der heutige K u l t u r m e n s c h infolge seelischer E r k r a n k u n g an die Stelle des normalen Selbstbewußtseins für einige Zeit ein abgeändertes Selbstbewußtsein treten l ä ß t , dies oder jenes Tier z u sein, und wo der Betreffende sich als das Tier

1046

b e n i m m t ; g a n z so wie derjenige, d e m im hypnotischen Z u s t a n d solches Bewußtsein suggeriert worden ist 2 9 ). W o h l aber findet sich häufig innerhalb totemischer K u l t u r die Idee eines persönlich gearteten Gottes, des sog. Hochgottes, der in Himmelsregionen mit Familie w o h n h a f t gedacht ist oder auch (bei einigen Indianern) in völliger E i n z i g - E i n s a m k e i t . N u r angedeutet sei, d a ß dieser G o t t m a n c h m a l als Fülle aller T o t e m s beschrieben wird u n d dann direkt aus der T.grundidee hervorgegangen z u sein scheint; m a n c h m a l mehr ein personifizierter Manaträger ist u n d dann abwechselnd persönlich u n d unpersönlich vorgestellt w i r d ; letzteres bei nordamerikanischen Indianern 3 0 ). 29 ) A . S t o r c h Das archaisch-primitive Erleben und Denken der Schizophrenen 1922. 30) B e t h aaO. 333ff. K . Beth.

töten. 1. Z a u b e r . T . begegnet im V o l k s b r a u c h als eine m a g i s c h e H a n d l u n g , die das Getötete nicht vernichtet, sondern v e r w a n d e l t , u m b e w u ß t oder u n b e w u ß t eine S t ä r k u n g des „ G e t ö t e t e n " zu erzwingen. Eine derartige V e r w a n d lung ist in der „ T ö t u n g " des K o r n g e i s t e s im E r n t e b r a u c h zu erblicken 1 ) , auch genannt „ d e n B a u e r t o t s c h l a g e n " 2 ). In solcher T ö t u n g des „ A l t e n " , des „ P f i n g s t l " , des Vegetationsdämons, sei es, daß man ihn austrägt, k ö p f t , ertränkt, verbrennt oder v e r g r ä b t , u m ihn zu v e r j ü n g e n , ist also deutlich der Sinn der V e r w a n d l u n g u n d nicht der V e r n i c h t u n g zu erkennen, man vergleiche die (Schein-) T ö t u n g u n d Wiedergeburt primitiver K n a b e n w e i h e n 3 ) . W e n n ein in ein Tier verwandelter Mensch, ein verfluchter Geist, eine umgehende J u n g f r a u durch K ö p f e n entzaubert werden kann, zeigt sich auch in diesem Märchen- u n d Sagenm o t i v das e r l ö s e n d e T . als (Gegen-) Zauberhandlung4). D a ß das T . eines Menschen in Märchen u n d Sage nicht immer sein unwiderrufliches E n d e bedeutet, d ü r f t e das alte Motiv der zauberischen Wiederbelebung getöteter, j a , zerstückelter Menschen b e w e i s e n 5 ) . Dem W u n s c h der endgültigen Vernichtung dagegen nähert sich das T . als Halsabstoßen einer Pestleiche 6 ) oder als Ver-

1047

töten

brennen der Leiche eines Poltergeistes '). Solchen s c h e i n b a r e n treten w i r k l i c h e O p f e r h a n d l u n g e n an die Seite, einmal in sühnender Absicht als Menschenopfer 8) oder Tieropfer (s. d.). E r l ö s u n g kann auch durch T. eines Dritten bewirkt werden, es müssen z.B., um drei Jungfrauen zu erlösen, ein Kalb, ein anderes Tier und gar die Eltern des Erlösers getötet werden 9). Es kann aber auch ein Wächter des zu Erlösenden sein, der getötet werden muß, etwa ein Höllenhund, der geköpft werden soll 10 ). Um einen Schatz heben zu können, muß man ein Zicklein t., eine schwarze Katze oder einen schwarzen Ziegenbock, denn unschuldig vergossenes Blut erlöse u ) . Zuweilen muß wie oben der Schatzhüter geköpft werden 12 ). Das Tieropfer dient oft dem A b w e h r z a u b e r , wenn z. B. ein T. und Verscharren von Katzen den Wuchs des Flachses, auch des Obstes fördern soll 1 3 ), oder wenn die erste Otter, die man im Jahre findet, zu t. und (vor Walpurgis!) unter der Stalltüre zu vergraben ist, damit die Kühe nicht krank werden 14 ). Den gleichen Zweck erfüllt es, eine Kröte an einem Tage des Frauendreißigst aufzuspießen und am Spieße sterben zu lassen, das tote Tier dann nachts in den Stall zu legen oder an der Stalldecke zu befestigen 15 ). Die Gebeine getöteter Tiere aufzuhängen, um damit eine Seuche unter dem Vieh abzuwehren, hat schon das Konzil von London 1075 verboten 16 ). Vergleiche weiter die Bauopfer 17 ) und besonders die Hahnenopfer 1 8 ). Auch die V o l k s h e i l k u n d e gibt gerne den Rat, Krankheiten auf Tiere zu übertragen und diese dann einem langsamen Tode zu überantworten, also z. B. Warzen mit einer Schnecke zu bereiben, damit hernach das schwindende Leben der aufgespießten, vergrabenen oder verklopften Schnecke und der verdorrende Körper die Warze mitnehme 19 ). Ebenso hilft der angetragenen Krankheit das T. eines Schlehen- oder Wachholderzweiges 20 ). So werden oft Tiere getötet, die sonst besonders geschützt sind, wie Hirsch oder Kröte 21 ), um Heil- oder Zaubermittel zu gewinnen. Vom T. von Tieren

IO48

ist kein weiter Schritt zum T. von Menschen, wenigstens im Aberglauben; noch 1 9 1 1 enthüllte in Oststeiermark ein Prozeß, die Ansicht, daß die Apotheker jährlich mindestens ein Weib und einen Mann t., um aus ihnen Medikamente zu bereiten22). Boshaft s c h ä d i g e n d e m a g i s c h e T ö tung findet sich unter verschiedenen Formen des F e r n z a u b e r s oder B i l d z a u b e r s 23). Daraus erklärt sich die Redensart, daß man einen Juden töte, wenn zwei übers Kreuz das Wasser abschlagen 24). Auch als Berührungszauber erfolgen solche Tötungen 25 ). Hierher gehört ferner das Verbot, mit den Fingern nach dem Himmel zu weisen, sonst steche man einem Engel die Augen aus oder töte ihn 26). Auf der andern Seite gibt es m a g i s c h e K r ä f t e , die b e w i r k e n , daß ihr T r ä g e r nicht g e t ö t e t w e r den k a n n , die ihn „festmachen"; nur wenn man sie beseitigt hat, wird der Tod möglich, also erst wenn z. B. drei geweihte Hostien, die in die linke Hand am Daumen in der Maus eingelegt und verwachsen sind, herausgeschnitten werden, kann der stich- und kugelfeste Zauberer sterben 27 ). Ebensowenig ist ein Werwolf zu t. 28). Besondere Hemmungen walten, wenn aus Kirchenglocken hergestellte Kanonen niemand t. können sollen 29) oder der erste Schuß aus einem neuen Gewehr nichts zut.vermag 3 0 ). H e x e n u n d G e s p e n s t e r können nur mit geweihten Kugeln getötet werden 31 ). Umgekehrt droht den Menschen mannigfache Gefahr, von solchen bösen Mächten getötet zu werden. Geister, denen man aus Ubermut, infolge einer Wette, entgegentritt oder ungehorsam ist, t. den Frevler durch Schreck, gleich, oder nach drei, acht Tagen 3 2 ); ebenso strafen sie ihre Verbannung mitunter an dem Bannenden mit raschem Tod 3 3 ). Alpgeister können diejenigen, welche sich durch Fluchen in ihre Gewalt begeben haben, t. 34). Auch Hausgeister, Kobolde, sind gefährlich, sie t. besonders solche, die ihrer spotten 35 ). Die Nachzehrer t. ihre Angehörigen 36), die Hexen t. und essen Kinder 37 ). 1 ) M a n n h a r d t 1, 3 3 5 . 358. 3 6 3 f . ; D e r s . Forschungen 12. 2gS. u. a. m. 33off.; S a r t o r i

töten

1049

Sitte 3, 2 5 4 t . I 3 i f f . ; N a u m a n n GemeinschaftsMultur i 2 o f . ; F e h r l e Volksfeste 7 7 ; F r a z e r 4,

207. 12, 332. 2 ) M a n n h a r d t Forschungen 31. 3) S c h u r t z Altersklassen 1 1 5 I ; Gesemann Itegenzauber

7 0 f . ; W e i s e r Jünglingsweihen-

21.

S4; vgl. oben enthaupten 2, 856s.; s. a. 3, 1821; 4 688f.; 5, 295. 1524; Sommer u. Winter. -») B o l t e - P o l i v k a 1, 9. 515. 3, 60. 86; L a i s t n e r Sphinx

1,

I27ff.;

2640.;

HessBl.

28

(1929),

113fr.

S c h a m b a c h u. M ü l l e r 77s.; K ü h n a u

Sagen 1, 2 3 7 . 2 5 5 . 283t. 2 8 6 f . 5 1 2 ; S e b i l l o t 5 ) M ü l l e n h o f f Sagen Folk-Lore 3, 1 4 0 . ¡ü.; B o l t e - P o l i v k a 1, 4 2 2 t . ; 2, 1 6 2 . 6 ) Z. B .

Sangershausen 1565, B e c h s t e i n Thüringen ^ 86 = Grässe Preußen 1, 472; S i e b e r Sachsen 96; N a u m a n n aaO. 56; vgl. enthaupten 2, 858; Nachzehrer 6, 819; pfählen 6, I55°f- ' ) Grässe aaO. 2, 214fr. 8 ) N i l s s o n Griech. Feste 109; s. o. 5, 568; 6, I56ff. 9 ) Müllenh o f f Sagen 3 5 0 = M a n n h a r d t Germ. 6 6 6 f . 10) M ü l l e n h o f f a a O . n ) S i e b e r

i53f.; M a c k e n s e n Nds. 1007I

12)

Mythen Sachsen

Sagen 138; s. o. 7, TJnterwalden

Niderberger

1,

57.

R a n t a s a l o Ackerbau i2of. (finn., estn., auch germ.); vgl. Jahn Opfergebräuche 17; s. w. oben 4, 1115. 14 ) DG. 12, 148t. (Wunsiedel). l ä ) Z i m m e r m a n n Volksheilkunde 97; vgl. oben 13 )

5, 6 i 2 f .

16)

F e h r Aberglaube

4, 4 7 9 . 1 1 1 4 ; 7, 4 5 2 .

499.

19 )

")

127.

S . o . 3, 1 3 2 8 0 . ; 4, 453ff.

Z i m m e r m a n n aaO. 73t.

21) S. o. 4,

104;

S . o . 1, 9 6 3 ;

17)

5, 6 1 3 t

20)

Ebd. 74.

6i7ff.; 3,132.

193.

AKrim. 47, 158; aus Gabun wird erzählt, daß dort ein Mensch, um einen Fetisch aus seiner Hirnschale zu gewinnen, eigens zu diesem Zweck getötet worden sein müsse, A. S c h w e i t 22 )

z e r Zwischen Wasser u. Urwald S. 50. 2 3 ) S. o. 1, 1 2 9 3 t . ; 2, 217Ö.; 3, 31 f. 39. 2 4 1 . 1 4 1 1 . 1 7 3 8 . 1 8 0 1 . 1808. 1 8 7 1 . 1 8 9 6 . 1 9 1 2 t . ; 6, 7 6 3 ; 7, 4 5 9 f f . 1 3 0 0 ; v g l . B y l o f f Volkskundl. aus Strafprozessen d. österr. Alpenländer 9. 1 4 . 4 5 . 2 1 ) V g l . H a r n 2 5 3, 1 4 7 6 t . ) P o r t a Natürl. Magia (1617)

5. 329ff. (mit Blut u. K o t ) ; s. o. 1, 1105. G r i m m Myth. 3, 469 Nr. 937. 947; SAVk.

26 )

23 ( 1 9 2 1 ) , 2 2 0 ; W . § 11.

")

Schwarz-

Künzig

wald 31; s. o. 2, I353ff. 2S) A b e g h i a n Armenien 117. 29) S a r t o r i Buch v. dt. Glocken 134 (Westpreußen). 30 ) F o g e l Pennsylvania 365; vgl. den nordschwed. Glauben, daß die Jagdflinte magisch verdorben werden kann, so daß sie nicht mehr tötet, A R w . 2 8 , 1 6 7 .

31)

S. o. 7 , 1 0 6 9 ; 8, 3 ; auch ein

Kobold kann nicht durch Prügeln getötet werden, VeckenstedtsZs. 1, 77 (Sachsen). 32 ) Z. B. R e i s e r Allgäu 1, 344; K ü n z i g Schwarzwald

3. 12. i4FI. 517. 35 )

31)

76. 33)

86; M a c k e n s e n

Z

Müller

Nds.

Urner

Sagen

2,

Z. B. Grässe Preußen 2, 496. 593.

k e r t Schlesien 3. 1 8 7 2 .

Sagen

B. K ü n z i g aaO. 65; s. o. 3,

3 g f . ; s. o. 6, 8 1 2 f r .

200. 36 ) 37)

327.

PeukS. o.

2. V e r b o t . Dem T. als Gebot, um stärkend oder befreiend zu verwandeln, zu erlösen, zu entzaubern oder durch die Kraft des Getöteten Unheil abzuwehren, Segen oder Erlösung zu erzwingen, stehen

1050

V e r b o t e , g e w i s s e T i e r e zu t., gegenüber, um Schaden von dem Täter abzuwenden. Offenbar fürchtet man in diesen Tieren gefährliche Dämonen, beseelte Wesen, ja, die Träger von Menschenseelen 38 ). Arndt erzählt aus Schweden, man solle Kuckuck, Eule und Elster, die Zaubervögel seien, nicht ohne Ursache t., ihr Anhang könnte es sonst rächen 39 ). Besonders geschützt sind bei uns die S c h w a l b e n , solche zu t. bringt Unheil 40), verursacht vier Wochen langen Regen 4 1 ). Regen führt auch das T. von Regenwürmern 42) oder von Fröschen 43) herbei. Wer einen Storch totschlägt, hat zeitlebens Unglück zu befürchten 44). Wenn man eine K a t z e tötet, steht ein großes Unglück bevor 4 5 ). Ebenso muß man sich im allgemeinen hüten, S c h l a n g e n zu t. 4e) oder einen Hirsch 47), desgleichen Frösche 48). Wieder in Schweden ist einst gewarnt worden, K r ö t e n tot zu treten, weil es bezauberte Prinzessinnen sein könnten 49 ); am Bodensee bekommt man noch heute „'s Grimmen", falls man eine Kröte tötet so), oder es stellt sich ein Nervenfieber ein 51 ). Auch das T. von S p i n n e n ruft Unglück hervor 52 ), mindestens abends 53). Oder es heißt genauer, man solle Kreuzspinnen nicht t., weil sie Glück bringen 54). Das gleiche gilt für die H e i m c h e n 5 5 ) und die Herrgottskäferle 56 ); tötet man ein solches M a r i e n k ä f e r c h e n , wird es schlechtes Wetter 5T). Da das Überwintern einer Stubenfliege Glück verschafft, dürfen die letzten Fliegen nicht getötet werden 58 ). Wer eine B i e n e tötet, begeht eine Sünde 59 ), er verfällt dem Teufel 60). Zuweilen ist das Verbot zu t. z e i t l i c h beschränkt. So darf in Oberösterreich das Mädchen in der Fastnachtszeit keine Maus t., damit sie beim Backen kein Unglück habe 61 ). Am Karfreitag soll man kein Tier t., nicht einmal eine Fliege, sonst wird man das ganze Jahr von solchen Tieren belästigt 62). Allgemein am Freitag ist es nicht ratsam, eine Laus zu t., weil man dann neue dafür bekommt 63). Um sonst aber Ungeziefer zu t., als wie Läuse, Fliegen, Wanzen, Ratten und Mäuse, wissen volkstümliche Ratgeber allerlei

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Totenbahre—Totenbahrziehen

vernünftige und unvernünftige Mittel und Segen M ). Einzelne Tiere soll man sogar als schädlich immer t., so den Maulwurf 65) und, berechtigter, die Maulwurfsgrille 66 ). 38) Vgl. S e b i l l o t Folk-Lore 2, 79; s. o. Eidechse 2, 68off., Hase 3, 1511, Kröte 5, 6 1 2 ! , Marienkäfer 5, 1696, Maus 6, 4off., Molch 6, 457, Schlange 6, 324; 7, 1136. 11400. 1181. 39 ) A r n d t Reise durch Schweden (1806) 3, 18. 40) G r i m m Myth. 2, 560; K ö h l e r Voigtland 423; H a a s Rügen 148; VeckenstedtsZs. 1, 485 (Posen); s. o. 6, 318; 7, 1392. 1396; vgl. Fledermaus 2, 1596, Meise 6, 124, Rabe 7, 452, Rotkehlchen 7, 835. 838; 8, 5. 4 1 ) G r i m m Myth. 2, 560; 3, 446 Nr. 378. 42) Lörracher Kinderglaube; s. o. 7, 613. 1270 (Schnecke). 43) S. o. 3, 129. 44) ZfKulturgesch. 3, 222 (Idstein, Nassau); s.o. 8, 499. 45) Rockenphilosophie 90 Nr. 70; W i t z s c h e l Thüringen 2, 281 Nr. 54; VeckenstedtsZs. 2, 358; P e u c k e r t Schlesien 237; S e b i l l o t 3, 1 1 2 I ; s. o. 4, i m ; zum Tötungsverbot und Speisetabu von Katze, Hund und Pferd (ursprünglich dämonischen Tieren) vgl. E . K l e i n D. Ritus d. T.s bei d. nord. Völkern, 46) G r i m m A R w . 28, iögif. Myth. 2, 5 7 1 ; M e y e r Schleswig-Holstein 6 1 ; S e b i l l o t 3, 279. 298; s. o. 6, 324. 7, H3Öf. i i 4 o f f . 1 1 5 6 I 1176. 1179. " ) S. o. 4, 91. 48) S. o. 3, 128f. 49) A r n d t aaO. 3, 19. 50) Z i m m e r m a n n Volksheilkunde 45. 51 ) M ü l l e r Urner Sagen 1, 255. 52 ) Rockenphilosophie 100; K ö h l e r a a O . ; N o r l i n d S w K S Ä a Allm.Lif 583; s.o. 8, 276. 63) W Z f V k . 3 4 , 30 (Wiener Kinderglaube). 64) D G . 5, 198 (Memmingen). 55 ) W o e s t e Mark 55 Nr. 16; W . § 150; s. o. 3, 1163. 1166. 1169. 66) M e y e r Baden 56; s. o.

5, 1700. 87 ) S. o. 5, i697f. 58) B a r t s c h Mecklenburg 2, 186. 59 ) L e h m a n n Sudetendeutsche 157; S e b i l l o t 3, 307L 60) D r e c h s l e r Haustiere 10; vgl. R o c h h o l z Kinderlied 319; G r o h m a n n 84; W o l f Beiträge 2, 450. 61 ) B a u m g a r t e n Jahr 7; wer Ostern einen Vogel tötet, zieht sich den Zorn Gottes zu, S e b i l l o t 3, i88f. 62) R e i s e r Allgäu 2, 117. 63) P r ä t o r i u s Phil. 154; vgl. K e l l e r Grab d. Abergl. 5, 418. 64) Z. B. A l b e r t u s M a g n u s (Enßlin) 1, 43fi. 5 1 ; 2 , 6 1 ; 4, 38; vgl. A R w . 28, 169. «5) S. o. 6, i o f f . 66) S. o. 6, 2 7 L ; s. a. 7, 1251. Müller-Bergström.

Totenbahre. Die T. bekommt durch die Berührung mit dem Toten etwas Zauberisches. Niemand soll sich drauf setzen, sonst holt einen der Tote nach 1 ). Sieht man eine neue T., so frage man nicht, wen sie zuerst drauf tragen werden, sonst ist man selbst der erste 2 ). Die Bahre wird einige Zeit (3, 9 Tage oder 6 Wochen) verkehrt an einen Baum gelehnt, daß der Tote, wenn er zurückkomme, drauf ausruhen könne 3 ). Im Nordischen wurde die Bahre nach Ge-

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brauch zerbrochen 4 ). Wer auf einer T., auf der lauter ehrbare Jungfrauen zu Grabe getragen wurden, sechsmal hintereinander ohne Furcht ausschlafen kann, findet auf dem Friedhof einen goldenen Schlüssel zur Hölle 5 ). Holz von einer T. dient zur Wahrsagung 6 ); vor den Taubenschlag gesteckt, bewirkt es, daß die Tauben nicht wegfliegen 7 ). Asche von Totenbahrholz soll gegen Kropf eingenommen werden 8 ). *) B a r t s c h Mecklenb. 2, 93. 2) G r o h m a n n 220. 3 ) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 119. 4) T r o e l s - L u n d 14, 1 1 1 ; R o s e n Död 10. 5 ) G r o h m a n n 129; vgl. Nord. Märchen 2, 86. 6 ) S c h ö n b a c h Berth. v. R. 25. 7) Schulenb u r g Wend. Volkss. 236; J a h n Pommern 164. 8) B e c k e r Pfalz 136. Geiger.

Totenbahrziehen. Das T. ist eine Art Totenbeschwörung, die aus dem bayrischösterreichischen Gebiet gemeldet wird. Man soll in der Nacht (Christnacht) zwischen 11 und 12 Uhr eine Leiche (die einer Kindbetterin) ausgraben und auf der Bahre dreimal um die Kirche tragen oder ziehen x ). Oder man zieht nur die Totenbahre herum, dabei setzen sich Tote oder Geister darauf (man schlägt vorher mit dem Eisenring an die Kirchentür und ruft die Toten herauf), man muß sie mit einem Stäbchen oder einer Stola heruntertreiben 2 ). Wenn es vor dem 12 Uhrschlag gelingt, so erhält man vom Teufel viel G e l d 3 ) , man wird reich, findet einen Schatz4). Soviel Tote einer nur die Kirche zieht, mit sovielen gewinnt er beim Raufen 5 ), man kann sich unsichtbar machen oder das Wild stellen, oder erfährt eine günstige Losnummer 6 ). Wird man bis um 12 Uhr nicht fertig, so verfällt man dem Teufel oder der Macht der Toten7). Der Zauber wurde dadurch erhöht, daß der Umgang nackt ausgeführt wurde 8 ). Verwandt ist der Brauch, einer toten Wöchnerin das Hemd auszuziehen und mit diesem am Leib nackt 12 Uhr dreimal um den Friedhof zu laufen; wer dieses Totenhemd an hat, siegt überall im R a u f e n 9 ) . Knuchel denkt bei der Erklärung an eine Weihung der Toten an den Teufel 1 0 ); ursprünglich wollte man wohl einfach die Macht des Toten in seinen Dienst zwingen. Bei den Finnen kommt

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Totenbäumchen—Totenbeschwörung

ein Umlauf um die Kirche mit einem Kummet ohne Totenbeschwörung vor, m i t dem Zweck, einen Hausgeist zu gewinnen 1 1 ). i) K n u c h e l Umwandlung 48; Graber Kärnten 2 1 1 ; H e y l Tirol 782f.; ZfVk. 8, 521. 2) K n u c h e l aaO.; G r a b e r Kärnten 211; ZfVk. 23, 127; B a u m g a r t e n Jahr i6f.; H e y l Tirol 66f. 594f. ; R e i t e r e r Ennstalerisch 49. 3) R e i t e r e r Ennstalerisch 49. 4) H e y l Tirol 60. 66f.; B a u m g a r t e n Jahr i6f.; G r a b e r Kärnten 2 1 1 . 5 ) H e y l Tirol 7 8 2 I •) K n u c h e l aaO.; W e i n h o l d Ritus 8. ') H e y l Tirol 66f.; 8 R e i t e r e r Ennstalerisch 50. ) Weinhold Ritus 8. 9) A l p e n b u r g Tirol 354. 10 ) aaO. 49. H) C a s t r é n Vorlesungen 165. Geiger.

Totenbäumchen. Totenbäumli nennt man in der Schweiz die Erscheinung, wenn kleine Kinder über der Nase eine stark hervortretende blaue Ader haben, die sich auf der Stirn wie ein Bäumchen verzweigt 1 ). Sie ist ein Zeichen, daß das Kind früh, noch im Stande der Unschuld sterben wird. Das Wort bedeutet eigentlich kleiner Sarg, ähnlich wie im Bergischen dieses Mal „Duadenläddschen" und in Frankreich „bierre" genannt w i r d 2 ) . Die blaue Ader über der Nasenwurzel wird auch in anderen Gegenden als Todesvorzeichen genannt 3 ). In Frankreich erklärte man die Entstehung damit, daß eine Schwangere beim Bett eines Sterbenden gesessen habe 4 ). l ) Schweiz. Id. 4, 1248; SVk. 3, 39; 19, 63. ) S. o. Bd. 1, 705; T h i e r s Traité (1679) 244. 3 ) Bd. 1, 705; MschlesVk. 7, 74; G r o h m a n n Abergl. 151. 4) T h i e r s aaO. Geiger. 2

Totenbefragung. T . ist meist mit Totenbeschwörung (s. d.) verbunden. Die früheren Formen und die Entwicklung dieses Zaubers sind schon unter Nekromantie dargestellt (s. o. 6, 997ff.). Auch in neuerer Zeit ist der Glaube nicht ausgestorben, daß man sich mit den Toten unterhalten könne; bezeichnend ist, daß dies am Grab geschehen muß, an der Wohnung des Toten (s. Grab, Tote). In der Bretagne wird eine alte Frau beauftragt, sich mit dem Toten am Grab zu besprechen 1 ). Der Tote kann über verschiedene Dinge befragt werden : man muß das Grab des zuletzt Verstorbenen öffnen und kann ihn über Lotterienummern befragen 2 ). Oder man gräbt ein Loch bis auf den Sarg, ruft den Toten

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mit Namen an, und wenn er antwortet, kann man ihn bitten, gestohlenes Gut wieder herzuschaffen, indem man ein Stück davon (z. B . das Gebiß eines gestohlenen Pferdes) ins Grab legt; der Dieb muß das Gestohlene zurückbringen, oder er wird sterben 3 ). Wenn bei einem Toten, die Einsegnung unterblieben ist, so kann er durch böse Nachbarn geweckt und gefragt werden, wo er sein Geld hat 4 ). Ein totes Patenkind wird am Grab u m Fürbitte angerufen 5 ). Nordischer Glaube ist, daß Tote antworten müssen, wenn man sie durch reines Linnen (das man v o r den Mund hält) f r a g t 6 ) . !) ZfVk. 19, 202 (mit Bild). 2) Höhn Tod 3 5 6 ; K e l l e r Grab 5, 10: am Grab eines Wiegenkinds. 3 ) B a r t s c h Mecklenb. 2, 2290.; W u t t k e 484. 4 ) H ö h n Tod 366. 6) K u o n i St. Gallen 1 4 5 ; vgl. H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 189. «) Z f V k . 10, 201. Geiger.

Totenbeschwörung. T. ist das Herholen der Toten durch Zauber, damit sie die Zukunft verraten oder ihre H i l f e gewähren. Uber die älteren Formen s. „Nekromantie" und „Dadsisas" 1 ). Vintler beschreibt die Beschwörung folgendermaßen : So send denn ettlich frawen, die erschlingen vmb die kirchen gen vnd haissent die totten auf sten, vnd niement den ring von der kirchen tür jn die hand, vnd ruffend ,her für' vnd sprechend ,ich rür disen rink, stett auf, ir alten pärttling 2 ).

In der Oberpfalz betet der Beschwörer durchs Schlüsselloch der Kirchhoftüre,, bis die Toten aufstehen und sich wie rasend auf den Menschen stürzen, den der B e schwörer totbeten will 3 ). In einer mittelalterlichen Legende bestreicht die Frau eines Ermordeten mit einem besonders, zubereiteten Teig den Mund der Leiche und beschwört sie, den Mörder zu nennen 4 )Eine grausige Art der T. wird aus Island berichtet 5 ). Oft sind es nur besondere Leute, die die Kunst verstehen 6 ). E i n Mann zitierte Tote, indem er nachts, zwischen 1 1 und 1 2 mit des Totengräbers. Hacke 3 Kreuze in die Kirchentür hackte, sich auf die Gräber stellte und die Namen der Toten rief; er suchte von ihnen Diebstähle und anderes zu erforschen. Die Toten rächen sich aber durch Stein-

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Totenbett—Totenbrett

würfe '). Eine andere Anweisung lautet, man solle sich nachts um 12 Uhr in jeder Hand ein Licht vor einen Spiegel stellen und den Namen des Toten rufen; doch darf man es nicht ohne triftigen Grund tun 8 ). Die Toten werden eben ungern aus ihrer Ruhe gestört; darum erscheinen sie mit bösen Gesichtern 9 ). Den herbeschworenen Toten darf man sehen, aber nicht sprechen10). In einem Prozeß (Basel 1926) behauptete eine Betrügerin, sie könne Tote erscheinen lassen und von ihnen erfahren, ob sie jetzt an einem guten Ort aufgehoben seien; der Tote gab in der Weise Antwort, daß die Frau auf ein Blatt schreiben mußte, was er wollte. Nach einer andern Zeugenaussage, wollte sie einer Frau in einem Glas Wasser ihren verstorbenen Mann zeigen (n. d. Akten). Solche Betrügereien kamen schon früher vor 11 ). Außer der dort angegebenen Lit. s. M u u s Altgerm. Rel. 43; A b t Apuleius I26ff.; W y s s Milch 25S.; S c h ö n b a c h Berthold v. R. 135; ZfVk. 12, 11; G r o h m a n n Abergl. 191. 2 ) G r i m m Myth. 3, 424I 3 ) S c h ö n w e r t h 3, 200. 4 ) Argovia 17, 75. 5 ) Urquell 3, 6, vgl. 119. 6 ) K ü h n a u Sagen 3, 202; B a r t s c h Mecklenburg 2, 477; W u t t k e 484. ' ) E i s e l Voigtl. 234t. *) MschlesVk. 8, 83. ») B a r t s c h Mecklenb. 2, 477I 1 0 ) H e y l Tirol 699. u ) K e l l e r Grab 2, 172 ff., vgl. 154.Geiger.

Totenbett. Am T. darf nichts geändert oder abgerüstet werden, bis die Leute vom Gottesdienst nach Hause zurückgekehrt sind 1 ). Das Bett wird eine Zeitlang aufgehoben und unbenutzt gelassen 2 ); diese Frist dauert 4 Wochen 3 ) (s. Tote). Man soll die Betten des Toten an die frische Luft bringen, damit die Vögel über sie wegfliegen4). Bei den Rumänen in der Bukowina glaubt man, wenn man auf einem Polster schlafe, auf dem ein Toter gelegen habe, werde man vom Toten träumen 5 ). Bettstroh und Laub aus Laubsäcken wurde früher verbrannt, wenn jemand drauf gestorben war 8 ); in Belgien werden die Leintücher verbrannt 7 ) (vgl. (Leichenstroh). 3 ) Egerl 9, *) SVk. 8, 38. 2 ) H ö h n Tod 232. 29. 4 ) S c h u l e n b u r g Wend. Volkss. 235. ZföVk. 8, 58. «) Bern, Luzern, Thurgau schriftl.; vgl. L i e b r e c h t ZVolksk. 374. ' ) B F . 3. 17Geiger.

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Totenblume. Als T. gilt meist die Ringelblume (Calendula officinalis) (s. d.). Sie wird zum Grabschmuck g e b r a u c h t ; darum soll man sie nicht zum Blumenorakel verwenden 2 ). Auch der Frühlingsenzian gilt als T.; wenn man ihn abreißt, so stirbt jemand 3 ). Wer eine ,,T." an jemand verschenkt, veranlaßt dessen baldigen Tod 4 ) (s. a. Grabblume). R e i s e r Allgäu gof.: auch Singrün, 2) W u t t k e 237. 3 ) S t r a c k e r j a n 2, 131.

2, 171; Schweiz. Id. 5, Enzian, Hauswurz u. a . M e y e r Baden 577; vgl. 4 ) L a m m e r t 106. Geiger.

Totenbrett. Als T., Re(ch)brett, Leichenbrett wird das Brett bezeichnet, worauf der Tote aufgebahrt wird (s. Leiche D 2). Dieser Brauch war früher weit verbreitet 1 ). Es kam auch vor, daß die Leiche auf dem Brett zu Grabe getragen und mit oder ohne Brett begraben wurde 2 ). Diese Bretter, die zur Aufbahrung dienten, werden nachher weggelegt oder wieder für andere Zwecke benutzt; im bayrischen, österreichischen und alemannischen Gebiet dagegen war früher weit herum Brauch, das Brett nachher zu schmücken, zu bemalen mit Namen, Zeichen und Inschriften zu versehen und zum Andenken an den Toten aufzustellen, und zwar an verschiedenen Stellen: das Brett wurde am Haus befestigt oder in der Nähe des Hauses aufgestellt 3 ), es wurde am Weg, bei Kreuzen oder Kapellen niedergelegt oder aufgestellt 4 ), es wurde an Bäume gelehnt 5 ), oder es wurde als Steg über Bäche und sumpfige Stellen gelegt 6 ), auch auf den Kirchhof gebracht 7 ) oder auch verbrannt 8 ). Das Brett hatte in einzelnen Fällen die rohen Umrisse eines menschlichen Körpers 9 ). Diese Bretter sind manchmal nicht zur Aufbahrung benutzt worden 10), und es werden auch für auswärts Begrabene Bretter aufgestellt 11 ). Die Sitte des Bretteraufsteilens scheint früher weiter verbreitet gewesen zu sein 12 ). Meyer vermutet, daß ursprünglich das Brett auf den Toten ins Grab gelegt, später auf dem Grab aufgestellt worden und zuletzt nur noch als Erinnerungszeichen gebraucht worden sei 13 ). Verwandte Bräuche finden sich auch anderswo: in Schweden wird die

Totenbrett

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Stange, an der der Sarg getragen wird, mit Namen, Geburts- und Todesdatum versehen, am Kirchweg aufgestellt 1 4 ), und bei den Weißrussen erhalten die Frauen kein Kreuz aufs Grab, sondern man macht aus einem Brett oder Balken leichte Brücken über Bäche und sumpfige Stellen; in das Holz werden ein Kreuz, Schuhe, eine Sichel und zuweilen das Todesj ahr eingekerbt 1 5 ). Wenn das T. im Aberglauben eine Rolle spielt, so kommt das offenbar daher, daß es durch die Berührung der Leiche, die darauf gelegen hat, Zauberkraft erhält ; es ist also ein Totenfetisch und wird teils mit Vorsicht behandelt, teils zu allerlei Zauber benutzt. A m deutlichsten zeigt sich, daß das Brett in Verbindung mit dem Toten bleibt, in der Geschichte von dem Tischler, der ein gestohlenes T. für eine Bettstatt benutzte, worauf der Tote jedem erschien, der sich in dieses Bett legte 16 ). Im Appenzell glaubte man dagegen, das Brett am Haus halte den Toten ab; er sehe dann eigentlich selbst, daß er tot sei und nicht mehr zurückzukehren habe 17 ). Das Brett wird zuerst einige Zeit an einen Baum gestellt, bevor man es wieder gebraucht 1 8 ). Der Baum ist dann für lange Zeit vor dem Fällen geschützt 1 9 ). Niemand nimmt ein solches Brett weg 2 0 ). Das Brett soll die Vorübergehenden mahnen, für den Toten zu beten 21 ), unterläßt man es, so bekommt man schwere Beine 22). Oft erklären die Leute, wenn das Brett verfault sei, sei auch die Leiche verfault und die Seele erlöst 2 3 ); oder die Seele habe Ruhe, sobald das Brett durchgelaufen oder entzweigetreten sei 2 4 ). Manchmal aber wird vor dem Betreten des Brettes gewarnt, weil man sonst Fußschmerzen, Abzehrung, schwere Beine bekomme 25 ); man darf nicht auf die eingeschnittenen Kreuzlein treten, da es der armen Seele weh tun würde 26). Umgekehrt heißt es im Böhmerwald, der Gang über das T. mache die Füße gegen Schmerzen fest 2 7 ). Um die Furcht zu benehmen, soll man sich mit bloßem Hintern auf das Brett setzen, wenn die Leiche davon weggenommen worden ist 2 8 ). Wenn sich eine Bächtold-Stäubli,

Aberglaube V I I I .

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Person getraut, sich sofort, wenn der Tote weggenommen ist, auf das Brett zu setzen, so heiratet sie den verwitwet gewordenen Teil 2 9 ). Wie Sargholz (s. d.) kann das T.holz zu verschiedenem Zauber benutzt werden: wer durch ein T. schaut, kann Hexen sehen 30 ); Holz von einem T. am Taubenschlag befestigt, verhindert das Wegfliegen der Tauben 31 ), ins Krautbeet gesteckt, bannt es die Raupen 32 ). „Wiltu ein laug machen davon ein haur abgaut, so nem die totten bretter und brenn die aschen" 33 ). Sogar das Wasser, das man unter einem Totenbett schöpft, ist heilkräftig (gegen Herzleiden) 34 ). A l s Todesvorzeichen (s. d.) gilt das Fallen des Leichenbretts, besonders in der Christnacht, d. h. ein unerklärliches Poltern im Hause 3 5 ). 1) K o n d z i e l l a Volksepos 31; NArchf.sächs. Gesch. 28, 4; MschlesVk 12, 1550.; ZfVk. 4, 4 6 3 ; M e y e r Baden 5 9 8 s . ; K ö h l e r Voigtl. 2 5 1 ; H ö h n Tod 322; S c h r a m e k Böhmerwald 2J5Ü.; ZfVk. 8, 207; L a m m e r t 104; ZrwVk. 1908, 249; J o h n Westböhmen 162; DG. 11, 268; D r e c h s l e r Schlesien 1, 307; Bavaria 1, 995; G e r i n g Isl. Aevent. 2, 173. 2) Urquell 2, 101; M e y e r Baden 598; ZfVk. 8, 208. 3) S a r t o r i 1, 134; MschlesVk. 12, 155 ff.; ZfVk. 8, 207; M e y e r Baden 597f.; ZföVk. 10, 40; 9, i f f . ; Appenzell, Thurgau schriftl.; R o c h h o l z Glaube 1, 138; Schweiz Id. 5, 903. 906. 4) Z f V k . 8. 205s.; Leoprechting Lechrain 2 3 0 ! ; Bavaria 1, 995; L a m m e r t 104; ZföVk. 10, 18; D r e c h s l e r Schlesien 1, 307; J o h n Westböhmen 168; M e y e r Baden 597 (Richtung gegen Osten); S c h r a m e k Böhmerwald 230; Thurgau mündl. 5 ) ZfVk. 8, 205; R e i s e r Allgäu 2, 293t 6 ) ZföVk. 18, 2711.; 9, 238; DHmt. 4, 4; Bavaria i, 413; ZföVk. 11,46; J o h n Westböhmen 175 ¡ S c h r a m e k Böhmerwald 230; M e y e r Baden 597; D r e c h s l e r Schlesien 1. 307. ') HessBll. 24, 52; vgl. DG. 22, 96. 8) M e y e r Baden 597; S c h ö n w e r t h 1, 252f. 9) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 109; ZfVk. 8, 206; B r o c k m a n n - J e r o s c h Schweiz. Volksleben 2, Bild 116. 10) ZfVk. 8, 346. n ) DG. 22, 96. 12 ) SVk. 19, 12f. 13 ) M e y e r Baden 598ff.; L ü e r s Sitte u. Br. i s o f . 14 ) ZföVk. 20, 170. 16 ) Z e l e n i n Russ. Vkde 327. 16 ) ZföVk. 10, 19. " ) Schriftl. 18) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 119. 121. 19 ) ZfVk. 8, 207. 2°) M e y e r Baden 598. 21 ) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 119; M e y e r Baden 597. 22) J o h n Westböhmen 169. 23) J o h n Westböhmen 169; M e y e r Baden 598; DHmt. 4, 152; MschlesVk. 12, 158. 24) D r e c h s l e r Schlesien 1, 307. 25) S c h r a m e k Böhmerwald 257; ZföVk. 10, 18; 6, 109; S c h ö n w e r t h 1, 252f. 26) ZfVk. 8, 206. 27) S c h r a m e k Böhmerwald 230. 28) S c h ö n w e r t h 1, 252; K ö h l e r

34

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Totenerweckung—Totenfeier

Voigtl. 442; L e m k e Ostpreußen 1, 5 7 ; S a r t o r i 1, 138. 29) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 122. G r i m m Myth. 3, 462; S c h r a m e k Böhmer31) wald 258. D r e c h s l e r Schlesien 2, 94; 32 ) S c h r a m e k Böhmerwald 242. Egerl. 10, 183; Urquell 2, 101; F l ü g e l Volksmedizin 17. 33 ) B i r l i n g e r y i . Schw. 1, 457f. 34 ) S c h r a m e k Böhmerwald 230. 35 ) D r e c h s l e r Schlesien 1, 286; G r i m m Myth. 3, 473; Grohmann Abergl. 187; P e t e r österr. Schles. 2, 246. Geiger. 30 )

Totenerweckung. Die T. ist eigentlich nichts anderes als die Totenbeschwörung (s. d. u. Totenbefragung), nur geht sie vor der Vorstellung aus, daß der Tote schlafe. Im isländischen Glauben wird angenommen, daß man einen Toten durch Beschwörungen aufwecken könne, obschon der Tote ungern aufwacht. Man benutzt dann den Toten zu irgend einem Schadenzauber *). In einer Walliser Sage wird eine unschuldig getötete Frau durch das Gebet des Priesters und der Gemeinde wieder auferweckt 2 ). Als Märchenschwank verbreitet ist die Geschichte von der mißglückten T., sozusagen eine Parodie zu den T.en durch Christus in den biblischen Erzählungen 3 ). In einer Kärntner Sage weckt der Türmer die Toten auf, weil er nachts unvorsichtigerweise den Stundenruf auch über den Kirchhof bläst 4 ). M a u r e r Island. Volkss. jöfi.; vgl. M e y e r Germ. Myth. 7 4 f . ; A c k e r m a n n Shakespeare 7 1 . 2 ) J e g e r l e h n e r 2, 275. 3) B o l t e - P o l i v k a 2, 162; Z f V k . Ii, 150. 4) G r a b e r Kärnten i g 8 f . Geiger.

Totenfährmann s. 7, 1568 ff. Totenfeier. T.n sind die besonders hervorgehobenen Tage im Totenkult. Den Toten werden Opfer gebracht, die Gräber werden besucht und geschmückt, man glaubt auch, daß die Toten an diesen Tagen ins Diesseits, in ihr altes Heim zurückkehren dürfen. Solche T.n, die eine bestimmte Zeit nach der Bestattung stattfinden, treffen wir überall, bei Primitiven und Kulturvölkern r ) ; auch die christliche Kirche hat sie in ihr Ritual aufgenommen. Wir können zwei Klassen von T.n unterscheiden: die Feier für den einzelnen Toten, deren Datum vom Todestag abhängt, und die Feiern für Gruppen von Toten (Verwandte, die armen Seelen überhaupt), die an bestimmten Daten des Jahres festgelegt sind.

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Beide Arten sind schon den Griechen und Römern bekannt 2 ). Die Kirche hat verschiedenes von antiken T.n übernommen, so ging eine römische T. in das Fest von Petri Stuhlfeier über 3 ). 1) S c h e r k e Primitive 203; E R E . 2, 25; C a l a n d Über Totenverehrung-, E . F r e i s t e d t Altchristliche Totsngedächtnistage, Münster 1928 2) C a l a n d über Totenverehrung 6 9 f f . ; R o h d e Psyche 1, 235!!.; S c h m i d t Geburtstag 37ff.; W ä c h t e r Reinheit 54; W i s s o w a Religion 23211. 3) D u r a n d Rationale 434; Z f V k . 15, 3 1 2 ; S a u p e Indiculus 9.

A. F e i e r f ü r d e n e i n z e l n e n T o t e n . Bezeichnend ist, daß bestimmte Tage gewählt werden, besonders häufig der 3-, 7-, 9-, 30. und 40. Tag 4 ); in der christlichen Kirche legte man die Zahlen sinnbildlich aus 5 ). Vermutlich ging heidnischer Brauch in die kirchliche Feier über; denn die Kirche mußte gegen Mißbräuche (Essen, Trinken, Tänzerinnen, Masken) einschreiten 6 ). Die einfachste Form des Totengedächtnisses ist der G r a b b e s u c h . Meist ist damit Pflege und Schmuck des Grabes verbunden 7 ). Solche regelmäßigen Besuche finden nach jedem Kirchenbesuch statt; man geht an die Gräber der Angehörigen, betet und gibt ihnen Weihwasser 8 ). Ausnahmsweise heißt es, man besuche die Friedhöfe nicht, um die Toten nicht in der Grabesruhe zu stören 9 ). Den Priestern war etwa vorgeschrieben, regelmäßig an bestimmten Tagen „über die Gräber zu gehen" 10 ). Die katholische Kirche hat durch Seelmessen folgende Tage als T.n herausgehoben: Begräbnistag, Siebenten, Dreissigsten und Jahrzeit. Der 7. und 30. werden vom Todes- oder vom Begräbnistag an gerechnet u ) . Über die Feier am Begräbnistag s. Leichenfeier. Die Feier des Siebenten wird oft auf einen andern Tag, z. B. den nächstfolgenden Sonntag verschoben 12 ). Der Tod wird dann in der Kirche „verkündet" 13 ). Es findet ein Spendgebet statt, d. h. ein Gebet der Gemeinde, wofür die Angehörigen eine Geldspende an die Kirche entrichten 14 ). Der Pfarrer darf die Verkündigung nicht vergessen, sonst kann der Tote nicht recht schlafen 15 ). Die Hinterbliebenen müssen

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Totenfeier

in der Kirche erscheinen, sie sitzen in den vordersten Bänken, den sog. Leidbänken und bleiben während des ganzen Gottesdienstes sitzen 1 6 ). An andern Orten erscheinen die Angehörigen nicht bei diesem Gottesdienst 1 7 ). In Wurmlingen wurde vom Todestag an 8 Tage lang von Verwandten und Nachbarn jeden Abend gebetet. A m 8. Tag erhalten die Anwesenden einen Trunk und Brot, die Armen auch noch Geld 18 ). Stärker als der erste tritt der zweite Termin hervor, der D r e i ß i g s t e . An diesem Termin fanden schon in heidnischer Zeit meist Erbmahl und Erbantritt statt; die Kirche fügte dann eine kirchliche Feier daran 19 ). Die Feier des Dreißigsten wird heute manchmal schon wenige Tage nach dem Begräbnis gehalten 20 ). Oft wird bis zum Dreißigsten täglich gebetet; die Angehörigen, auch die Nachbarn kommen dazu ins Trauerhaus 2 1 ); oft muß eine besondere Person, die „Dreißigstbeterin", am Grab oder in Auch die Geistder Kirche beten 2 2 ). lichen besuchten die Gräber 23). Am Dreißigsten wird noch etwa ein Leichenmahl abgehalten 2 4 ); in Westböhmen wurde ein Spendbrot an die Armen verteilt 25 ), und in Bayern wurde ein Seelnapf, eine Schüssel mit Mehl und Eiern, nebst einem Brot auf die Bahre gelegt 2 6 ). In Wales gingen die Angehörigen bis zum Ende des Monats nicht zur Kirche 2 7 ). Uber die rechtliche Bedeutung des Dreissigsten s. Homeyer; über das Fortleben des Toten bis zu diesem Termin s. d. Tote. Eine Leichenfeier am 40. Tag findet sich bei den Slaven (s. o. der Tote) 28). Bei den Rumänen in Südungarn wird 6 Wochen lang das Grab mit Weihraiich beräuchert, und ebensolang muß ein Mädchen Wasser aus dem Brunnen des Sterbehauses in ein fremdes Haus tragen, angeblich zur Erquickung der Seele 2 9 ). Eine Einladung des Toten am 40. Tag mit nachfolgendem Opferschmaus ist bei den Tscheremissen üblich 3 0 ). Der nächste Termin einer T. ist der Jahrestag, die J a h r z e i t ; auf Grund von Stiftungen werden solche Jahrzeiten wiederholt gefeiert 3 1 ). D a s Grab wurde

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„gezeichnet", d. h. geschmückt 32) und besucht 33 ). Spenden an Geistliche und Arme wurden verteilt 34 ). Im Hause wird ein Öllämpchen angezündet 35 ). In Siebenbürgen kommt es vor, daß die Mutter am Todestag eines Kindes alljährlich fastet, oder daß die Hinterbliebenen an diesem Tag gewisse Speisen, die der Verstorbene sehr liebte, zu seinem Andenken bereiten und essen 36 ). In Oberbayern wird bei den letzten Seelgottesdiensten ein lebender Hahn um den Altar getragen 3 7 ). In Frankreich glaubt man, der Tote komme zurück, wenn man nicht die kirchliche Jahrzeit halte 38). Statt des Todestages wird auch der Geburtstag eines Verstorbenen gefeiert, indem man sein Bild umkränzt 39 ). Aus den T.n anderer Völker erkennt man, daß man annimmt, der Tote scheide nach einem Jahr nun endgültig ab *>). 4 ) E R E . 2, 25; F F C . 61, 26; A R w . 25, 7 o f f . ; Z f V k . 14, 29; D i e l s Sibyllin. Bl. 41 f. 5 ) L u c i u s Heiligenkult 26; F r i e d b e r g 77; F r e i s t e d t 4. 6) S a u p e Indiculus 6f. = F r i e d b e r g 7 7 f . ') B e i Primitiven s. S c h e r k e 68f. 8) R e i s e r Allgäu 2, 3 0 4 ! ; Z f V k . 6, 4 1 1 ; 8, 396; S A V k . 7, 144; L e o p r e c h t i n g 255; M e y e r Baden 6 0 1 ; Z r w V k . 1913, 9; N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 174. 9 ) S a r t o r i 2, 194. 10 ) Schweiz. Id. 2, 6ji.; n) N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 172t. Hom e y e r D. Dreissigste 146 fl.; Schweiz Id. 2, 12) 698; F r e i s t e d t i f . Schweiz. Id. 7, 58. 1 3 ) Schweiz. Id. 3, 358; D r e c h s l e r Schlesien 1, 1 4 1 5 324. ) Wallis schriftl. ) E g l i Gemeindechron. 1 6 2, 15. ) Schweiz. Id. 3, 258; Z r w V k . 1905, 128; Zürich mündl.; J o h n Erzgeb. 129; R T r p . 12, 560. 1 7 ) Schweiz. Id. 3, 1082. 18 ) B i r l i n g e r A. Schw. 2, 405. 1 9 ) H o m e y e r D. Dreissigste-, H o o p s Reallex. 1, 4 8 6 ! ; F r e i s t e d t 161 ff. 20)

R e i s e r Allgäu 2, 303; Luzern, Wallis schriftl. B a v a r i a 1 , 4 1 1 ; M e y e r Baden 600; S A V k . 6, 41. 22) M e y e r Baden 600; Schweiz. Id. 4, 1833; R o c h h o l z Glaube 1, 2 0 3 I ; Niderberger Unterwaiden 3, 172. 23 ) N i d e r b e r g e r Unter24 waiden 3, 172. ) Wallis schriftl.; R o c h h o l z Glaube i , 139. 302; L e o p r e c h t i n g Lechrain 251 fi.; H ö h n Tod 351. 26) J o h n Westb. 277. 26 ) S c h m e l i e r Wb.2, 265. 2 7 ) B r a n d Pop. Antiqu. 2, 310. 28) Z e l e n i n RussVk. 332; F r e i s t e d t 49, 192f. 29 ) Globus 69, 197!. 30) F F C . 61, 36. 3 1 ) H ö h n Tod 351; S A V k . 17, 238L; S c h r a m e k 32 ) Böhmerwald 230. Schweiz. Id. 2, 677. 33 ) C a m i n a d a 34 ) Frieclhöfe 209. Niderb e r g e r Unterwaiden 3, 174. 35 ) J o h n West36 böhmen 179. ) W i t t s t o c k Siebenb. 104. 3 ') S a r t o r i 1, 140. 38 ) R T r p . 15, 155. 39 ) J o h n 40 Erzgeb. 128. ) Z. B . A R w . 12, 142. 153; 2, 29321)

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Totenfetisch

B. A l l g e m e i n e T.n. Außer den Feiern, die dem einzelnen Toten gelten, wird auch zu bestimmten Zeiten des Jahres der Toten insgesamt, der armen Seelen, gedacht. Man glaubt vielfach, daß die Toten (Seelen s. d.) an diesen Tagen im Diesseits erscheinen, sogar in ihrem Heim, und man setzt ihnen Speisen hin. In vorchristlicher Zeit fällt die Rückkehr der Toten hauptsächlich auf den Winter, und wir finden darum Formen von Totenkult an verschiedene Festtage dieser Zeit angeheftet. Die Kirche verlegte ihr Totengedächtnisfest auf Allerseelen (s. d.), so daß die anderen Tage daneben zurücktraten 4 1 ). Was die einzelnen Festtage (Michaeli, Weihnacht, Zwölften u. a.) an Resten von Totenfeiern enthalten, ist in den betreffenden Artikeln zu finden. Hier seien nur wenige Beispiele genannt. An manchen Orten glaubt man an Rückkehr der Toten an allen Festtagen 4 2 ); in Gottschee wird auch bei den Hochzeiten der Toten gedacht 4 3 ). Besonders in W e i h n a c h t s und Neujahrsb r ä u c h e n findet man Spuren eines alten Totenfestes 4 4 ); über die Deutung der M a s k e n als Totengeister s. d. Christbäume werden auf Gräber gestellt 45 ), der Ofen wird für die zurückkehrenden Toten geheizt 46 ), auch kirchliche Feiern finden statt 4 7 ). In Belgien werden Speisen auf die Gräber oder in die Fenster gelegt, und man trinkt zum Gedächtnis der Toten 4 8 ). Im H e r b s t haben sich Reste von alten Totenfeiern an Martins- und Michaelstag erhalten. Der Herbst, die Erntezeit, galt wohl als besonders geeignet, um durch Opfer sich die Hilfe der Toten für das kommende Jahr zu sichern 49 ). Fraglich ist es, ob im Frühling in vorchristlicher Zeit ein Totenfest gefeiert wurde 50 ). An den großen kirchlichen Feiertagen wird der Toten gedacht: am Palmsonntag steckt man Palmzweige auf die Gräber 5 1 ); an Karfreitag und Ostern werden die Gräber besucht 52 ), bei den Russen wird Essen auf die Gräber gebracht, und man heizt die Badestube für die Toten 5 3 ). An Pfingsten werden die Gräber geschmückt 54 ). Man glaubte auch wohl,

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die Toten erschienen an diesem Tag; darum erlaubte sich ein Pfarrer den Scherz, Krebse mit Lichtlein auf dem Kirchhof herumkriechen zu lassen, um nachher zu predigen, die Seelen verlangten nach Messen 55 ). Seltener ist Totenfeier an J o h a n n i mit Schmuck der Gräber und Anzünden von Lichtern 5 6 ). Über A l l e r s e e l e n s. d.; nach dem Volksglauben kehren auch an diesem Tage die Seelen auf die Erde zurück. Eigenartig ist der bretonische Glaube, ertrunkene Fischer kämen an diesem Tag, um in dem (sonst leeren) Grab ihrer Heimat zu wohnen 5 7 ), ferner der spanische Brauch, an diesem Tage auf den Theatern eine Bearbeitung der Don Juan-Sage aufzuführen, weil sie das Eingreifen eines Toten in das Schicksal des Lebenden enthält 5 8 ). Von der alten Totenfeier im Herbst ist vielleicht einiges auch auf die K i r c h w e i h übergegangen. An diesem T a g werden die Gräber besucht, und es finden Totenfeiern auf dem Kirchhof oder in der Kirche statt 5 9 ). In Westböhmen dachte man sich beim Morgentanz die Seelen der Toten anwesend 60 ). 4 1 ) L i p p e r t Christentum 413fr.; E. H. M e y e r Germ. Myth. 73f.; S A V k . 30, 99. 42) Z f V k . 22, 160; vgl. A b e g h i a n Armen. 23; Z i n g e r l e Tirol 54; Z e l e n i n RussVk. 332f. 48) M e y e r DVk. 181. " ) H e l m Rel. Gesch. 1, 295; S a r t o r i 3, 45 ) HessBll. 6, 114. 46) Z f V k . 20, 398. 49. " ) Z f ö V k . 9, 17. 48) B F . 3, 97. 100f. 49) F F C . 94,24; P f a n n e n s c h m i d E r n t e f e s t e n 6 f f . 428f.; Z f V k . 11, 193ff.; S a u p e Indiculus 9; B r o n n e r Sitt' u. Art 257; Z e l e n i n RussVk. 320; v g l . A R w . 12, 458. 50) S a u p e Indiculus 8f.; vgl. 51 ) B F . 3, 101. J o h n Westböhmen 58; vgl. R T r p . 15, 153; B F . 3, 101. 52) H ö h n Tod 357; S a r t o r i 3, 163; B i r l i n g e r ASchw. 2, 81; S c h m e l l e r Wb. 1, 982; Z f V k . 17, 383. 53 ) Z e l e n i n RussVk. 332; vgl. F F C . 61, 37ff. 54) F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2, 125; J o h n Erzgeb. 202. 204. 55 ) L a v a t e r Von Gespänsten (1569) 22. 5e ) B r o n n e r Sitt' u. Art 257; J o h n Erzgeb. 207; S a r t o r i 3, 236; MsächsVk. 1, 8; B F . 3, 102. 57 ) R T r p . 14, 3 4 6 I 68 ) G. D i e r c k s Das moderne Spanien (1908) 171. 59 ) M e y e r Baden 228. 234. 509; D r e c h s l e r Schlesien 1, 60; K a p f f Festgebr. 20; B F . 3, io2f. «") Z f V k . 17, 384^

Geiger.

Totenfetisch. T.e sind Teile des Toten oder Dinge, die mit ihm in Berührung gestanden haben, und darum Zauberkraft besitzen, gerade so wie Leichenfetische

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Totengericht—Totengewand

(s. d.) und Leichenteile (s. d.). Ich behandle die beiden Arten getrennt, obschon sie oft schwer zu scheiden sind, indem ich mich an die Unterscheidung von 'Leiche' und 'Toter' halte (s. d.d.). T.e sind also besonders Totenknochen, Totenschädel und Totenzahn (s. d. bes. Art.), d. h. Teile der Toten selbst, ferner Dinge, die aus dem Grab stammen wie Sargholz und Sargnägel (s. d.d.). Will man sich etwas von Toten aneignen, so spricht man: „alle guten Geister loben Gott den Herrn", oder man schlägt in das Grab ein mit einem Kreuz bezeichnetes Hölzchen, oder man steckt einen eisernen Nagel ins Grab 1 ). Wenn Hände von Toten zu Zauber benutzt werden, sind wohl solche gemeint, die man aus einem Grabe holt 2 ); besonders Händchen und Füßchen von ungetauften oder neugeborenen Kindern werden benützt 3 ). Alle Dinge, die aus einem Grab stammen, haben besondere K r a f t 4 ) ; ein Rosenkranz aus einem Grab ist gut gegen Kopfweh 5 ), ein Bruchband ist wundertätig 6 ), ein Halstuch ist gut gegen den Kropf 7 ), ein Seidenband bringt Glück 8 ), Holzstücke wurden schon im 13. Jh. zu Liebeszauber benutzt 9 ); ein altes Rezept gegen geronnenes Blut schreibt vor, Regenwürmer aus einem frischen Grab in ein Getränk einzulegen 10 ). Sogar ein Trauerflor kann als Heilmittel benützt werden 1 1 ). Urquell 4, 69. 2) K n o o p Pos. Schatzs. 31; vgl. S t r a c k Blut 73. 3) M e i c h e Sagen 15.689; K r a u ß Rel. Brauch 146. 4) S t r a c k e r j a n 2, 219; W u t t k e 136. 5 ) S c h ö n w e r t h 3, 238. 6) H ö h n Tod 333. ') W i t z s c h e l Thür. 2, 254. 8) G a s s n e r Mettersdorf 84. 9) MschlesVk. 17, 34. 10) Msächs.Vk. 8, 92. n ) J o h n Erzgeb. 54. Geiger.

Totengericht. Die Vorstellung von einem T. und einem Totenrichter sind unter christlichem Einfluß meist im Glauben an ein jüngstes Gericht (s. d.) enthalten. Daneben aber wird jeder unmittelbar nach dem Tode gerichtet 1 ). Nach altchristlichen Lehren ist dieses erste Urteil am 3. oder 40. Tage 2 ). Damit scheint auch die Vorstellung von der Ladung vor Gottes Gericht oder ins Tal Josaphat (s. d.) zusammenzuhängen 3 ).

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In St. Michael (s. d.) scheinen Züge von einem Seelenrichter zu stecken 4 ). *) L i p p e r t Christent. 3 i 6 f . ; T h a l h o f e r Liturgik 2, 464; S A V k 30, 9 4 ! 2) F r e i s t e d t Altchristliche Totengedächtnistage 19. 84. 3) Z. B. S c h w e b e l Tod 294 f. 4) Ebda 294. Geiger.

Totengewand. Das T. gehört zu den Totenfetischen (s. d.). Wenn ein Mähder will, daß seine Sense immer gut schneidet, muß er an einem bestimmten Tag zur Geisterstunde einen neubegrabenen Toten ausscharren, ihm das Hemd abziehen, es anziehen und dem Toten das seinige geben 1 ). Mit einem solchen Totenhemd gewinnt man übermenschliche Kraft, oder man kann sich unsichtbar machen 2 ) (vgl. Totenbahrziehen ). Als Sagenmotiv weit verbreitet ist die Geschichte vom geraubten Totenhemd, die Goethe im „Totentanz" benützt hat 3 ). Der Türmer oder sonst jemand sieht einen Toten aus dem Grab steigen und sein Hemd oder Leichentuch aufs Grab legen; er holt es und flüchtet sich in die Kirche oder auf den Turm. Der zurückkehrende Tote verfolgt ihn, erreicht ihn aber meist nicht 4 ). Oder der Lebende muß das Gestohlene zurückgeben, stirbt dann aber bald 5 ). Ein Bursche stellt sich mit gespreizten Beinen über das Grab, damit der Tote nicht zurück kann, und muß bis am Morgen stehen bleiben 6 ). In anderen Sagen ist es ein Mädchen, das einer Gestalt auf dem Friedhof das Tuch abzieht. Der Tote kommt und verlangt es zurück; das Mädchen muß es ihm anziehen und wird vom Toten ins Grab gezogen, oder es erhält eine Ohrfeige und stirbt, wenn es nicht das Gewand unter besonderen Vorsichtsmaßregeln zurückgibt 7 ). Die Geschichten zeigen den Toten von seiner unheimlichen Seite und betonen die Gefahr, die der Lebende läuft, wenn er sich mit ihm einlassen will. 1 ) G r a b e r Kärnten 205. 2) MschlesVk. 15, 199 ( = Z i n g e r l e 438); Hmtgaue 4, 3 7 5 I 3) B o l t e - P o l i v k a 1, 34; 3, 482; T i l l e in Nârodop. Vëstnik 23, 24ÎÏ.; L e B r a z Légende 1, 32off. 329ff. 347. 4) K ü h n a u Sagen 1, 27ff. 3off.; W i t z s c h e l Thüringen 1, 3i8f. ; H a u p t Lausitz 1, 1 4 2 ! 5 ) B a r t s c h Mecklenburg 1, 221 f. vgl. 223; K u n z e Suhler Sagen 3of. 6 ) P o l l i n g e r Landshut 135. 7 ) M ü l l e r Siebenb. 5 8 ! ; G a n d e r Niederlaus. 77f.; Germania 29,

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Totengottesdienst—Totenhochzeit

90; MschlesVk. 8, 84L; Pf i s t e r Hessen 105t.; RTrp. 28, 139; vgl. ZfVk. 10, 133. Geiger.

Totengottesdienst. Der mitternächtliche Gottesdienst der Toten ist unter Geistermesse (s. d.) behandelt. Die Toten zeigen sich hier wieder von der gefährlichen Seite. Sie erklären: „wir lassen Euch den Tag, so laßt uns die Nacht" ( B a r t s c h Mecklenburg 1, 364). Sie wollen den Lebenden nachholen. Man kann in dieser Messe aber auch erfahren, wer im nächsten Jahre sterben wird ( S c h u l l e r Progr. v. Schässb. 1863, 23; ZfVk. 10, 124). Geiger.

Totengräber. Wie alle Personen, die mit der Leiche zu tun haben, ist der Totengräber mit Zauber behaftet 1 ). Das Amt galt darum als wenig ehrenvoll 2 ). Wenn bei den Masuren der T. das Grab verläßt, wandelt der Tote neben ihm her. Der Totengräber fragt: „Habe ich dein Bett gut gemacht ? Wenn ich es dir nicht gut gemacht habe, so werde ich es besser machen". Dann geht der Tote beruhigt in sein Grab 3 ). Wenn er die Bahre ins Haus bringt, soll man nicht zu ihm sagen „Kommt wieder" 4 ). Man wünschte überhaupt nicht, daß er ins Haus komme; er sollte das Maß beim Schreiner holen 5 ). Darum sieht man es auch nicht gern, wenn er als erster am Neujahrstag kommt, um ein Trinkgeld zu bitten 6 ), und er ist als Angang unheilverkündend 7 ). Begreiflicherweise vermutet man den T. im Besitz von zauberischen Mitteln 8 ). Er kann sehen, ob der Tote ein böser oder guter Mensch gewesen ist, wenn er mit dem Daumen und Zeigefinger einen Ring bildet und durch ihn über den Sarg sieht 9 ). Er erkennt auch, ob der nächste Tote ein Mann oder eine Frau sein wird 10 ). Die Werkzeuge des T.s zeigen durch Klappern einen bevorstehenden Todesfall an (s. a. Todesvorzeichen) 11 ). Vereinzelt wird gemeldet, der T. breche den Toten Hände und Füße 12 ). x ) Bei Naturvölkern Reinigung: z.B. ZfEthn.io, 404f.; ARw. 10, 518; ZfVk. 18, 368. 2) S a r t o r i 3) ZfVk. 10, 120 (nach Toeppen). j, 149. 4) G r o h m a n n Abergl. 188. 6) C a m i n a d a Friedhöfe 179. 6) D r e c h s l e r Schlesien 1, 48. ') Ebda. 1, 288. 8) S t r a c k e r j a n 1, 10; vgl. M e i c h e Sagen 499ff. 511. 9) D r e c h s l e r Schlesien 1,

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303t. 10) H ö h n Tod 332. " ) A n d r e e Braunschweig 376; M e i e r Schwaben 2, 491; ZfVk. 5, 97; 6, 407; SAVk. 21, 32; D r e c h s l e r Schlesien 1, 286; J o h n Erzgeb. 117; ZföVk. 4, 212; vgl. M e y e r Baden 578. 12) H ö h n Tod 325. Geiger.

Totenhochzeit. 0. Schräder geht zur Erklärung der T. von dem griechischen Brauche aus, den unverheiratet Gestorbenen ein Wassergefäß, Luthrophoros, aufs Grab zu stellen, einen Krug, wie er auch fürs Brautbad diente. Er sieht darin den letzten abgeblaßten Rest von Riten, die besonders bei den Slaven noch ausführlicher und deutlicher erhalten sind, nämlich einer Scheinhochzeit am Grabe Lediger. Die älteste Stufe des Brauchs findet er in Rußland, wo nach dem Bericht eines Arabers (92 1/2) einem toten russischen Häuptling ein Mädchen angetraut wird; dabei werden als Hochzeitsriten erkannt: Fußwaschung der Braut, Heben der Braut, Beiwohnen der Brautführer und das Sträuben der Braut, die mit Gewalt neben den Bräutigam gelegt wird. Als Grundgedanken erkennt er Fürsorge für den Toten im Jenseits; die Ehe ist notwendig und muß, wenn sie im Leben versäumt wurde, noch im Tode vollzogen werden. Schon Schräder hat auf den von Marco Polo erwähnten Brauch der Tataren - hingewiesen, verstorbene Kinder nach dem Tode zu verheiraten. Bei verschiedenen Naturvölkern finden wir die Sitte, ledig Verstorbene ohne Zeremonien zu begraben; weil sie keine Nachkommen haben, erhalten sie keine Opfer; man fürchtet sie drum auch als böse opfererpressende Geister. Und darum sucht man sie zufriedenzustellen, indem man sie zum Schein verheiratet. Manchmal werden zwei tote Ledige so im Jenseits verbunden, manchmal erhält das Tote einen lebenden Gatten oder eine Gattin 2). Sie gehören also in die Klasse der vorzeitig Gestorbenen, sie haben das ,Ziel des Lebens' nicht erreicht (s. ledig, alte Jungfer, Tote) 3). Schräder war geneigt, unter den Russen, die den alten Brauch ausübten, Normannen zu verstehen; dies wird aber abgelehnt, weil wir wohl bei den Slaven, aber nicht bei den Germanen Parallelen finden 4). Bei den Slaven hingegen finden sich die Scheinhoch-

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Totenhochzeit

Zeiten beim Tode Lediger recht häufig 5 ): statt der Totenklage werden Hochzeitslieder gesungen. Der oder die Tote erhalten Hochzeitsschmuck, auch einen Ring, es wird geschossen wie bei einer Hochzeit, einem verstorbenen Burschen folgt im Leichenzug eine „Braut" mit Kränzen, und im Gefolge gehen Brautjungfern und Brautführer, ein geschmückter Baum wird im Zuge mitgeführt 6). Bei den Russen werden Geschenke wie bei der Hochzeit ausgeteilt, auf den Sarg legt man ein Hochzeitsbrot 7 ). Der ursprüngliche Grund, daß der Tote, der ohne Erben stirbt, die Totenopfer missen muß, ist vergessen, und der ledige Tod wird als vorzeitig empfunden; der Tote hat nicht die normale Lebensdauer erlebt; er wird also unzufrieden sein. Dazu tritt das Mitleid der Hinterbliebenen mit den jugendlichen Toten, und schließlich hat wohl die Kirche zur Erhaltung von Resten des Brauchs beigetragen, indem sie sie als Ehrung des jungfräulichen Standes umdeutete. Solche Reste sind auch im deutschen Brauche erhalten, allerdings viel abgeblaßter als im sla vischen. Daß in früheren Zeiten Verlobte sich mit der Leiche des Partners vom Priester einsegnen ließen, und daß bei den Franken Beilager der Braut mit dem toten Bräutigam vorkam, ist nicht T. in unserem Sinn, sondern ein Rechtsbrauch, der das Erbe sichern sollte; allerdings ein Beleg für den lebenden Leichnam 8 ). Nicht hierher gehört auch das Lenorenmotiv (s. d.); denn hier handelt es sich doch um das Nachziehen der Lebenden durch den Toten, und dieser hat Gewalt über jenen, weil schon eine Verbindung, die Verlobung da ist 9 ); drum heißt es auch, daß als Bräute verstorbene Mädchen auf Kreuzwegen tanzen, bis ihr Bräutigam ihnen nachstirbt 10). Dies ist ein Nachziehen, wie wir es beim Nachzehrer haben. In der T., wie wir sie eigentlich verstehen müssen, wird aber eine Verbindung neu geschlossen. Wir müssen annehmen, daß auch im deutschen Brauch solche Scheinhochzeiten einmal durchgeführt worden sind; die Kirche hat Einzelnes als Auszeichnung

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des jungfräulichen Standes erhalten und auch auf tote Kinder ausgedehnt. Die Bezeichnung .Hochzeit' findet sich häufig für den Leichenschmaus bei Ledigen n ) ; das Haus wird geschmückt; es wird jedenfalls ein großes Essen für die Jugend gegeben 12), und hie und da auch getanzt 13 ) ; bei der Leichen wache (s. d.) werden Spiele gemacht und Scherze getrieben 14). Schmuck (Blumen) erhielten früher nur Ledige (s. Sargschmuck), besonders bezeichnend ist die Totenkrone (s. d.), in einzelnen Fällen war im Kranz eine Puppe befestigt 1S ). Man setzt dem toten Mädchen einen Kranz auf und erklärt, es feiere jetzt Hochzeit 16 ). Bei der Leichenfeier eines Kindes ist alles „rot wie bei einer Hochzeit" 17) ; man feiert das „Hochzeitamt" des Kindes 18). Aus dem Nachlaß der Ledigen wird der Kirche ein Brautgeschenk gemacht 19 ). In Bosnien wird eine verstorbene Jungfrau in Hochzeitskleidern begraben 20) ; die Mädchen werden als Braut geschmückt (s. Leichenkleidung). Bezeichnend ist besonders, daß beim Leichenzug (s. d.) Kranzeljungfrauen mitgehen, daß bei einer Jünglingsleiche eine „Braut" mitgeht, und daß ein rotes Kreuz mitgetragen wird. Der Gedanke an eine Hochzeit wird also auch heute noch mit dem Begräbnis Lediger verbunden; aber die Ausnahmezeremonien, die die Ledigen genießen, werden mehr als Tröstung der Hinterbliebenen oder als Ehrung der Verstorbenen betrachtet. Die Auffassung, daß die Ehelosigkeit dem Toten im Jenseits als Schaden oder Mangel angerechnet werde, scheint im Verblassen zu sein 21). O. S c h r ä d e r Totenhochzeit Jena 1904. A R w . 14, 179; 12, 86. 98; Globus 72, 44; 92, 49; L é v y - B r u h l Ment. prim. 79; ZfEthn. 6, 243; P l o ß - B a r t e l s Weib 2, 819; FFC. 61, i8f.; T h u r s t o n South. India 179 f.; E R E . 2, 22 f.; 4, 429. Auch prähistor. : Berner Taschenb. 1919, I3f. 20. Ägypten: ZrwVk. 9, 166 f. 3) A R w . 19, 551; SAVk. 2, 55ff. 4) ZfRgesch. 45 (1911), 5 ) ZfVk. 15, 232; 17, 320; germ. Abt. 303I bes. I. M u s l e a La mort-mariage: Mèi. Ecole Roum. 1925, i f i . •) M u ^ l e a a . a . O . ; vgl. F l a c h s Rumän 56; P l o ß - B a r t e l s Weib 2, 819; ZfVk. N. F. 3, 188. 7) Z e l e n i n Russ. Vk. 322. 8) L a m m e r t 153; B r u n n e r DRgesch. 1, 39. 9 ) N a u m a n n Gemeinschaftskultur 95. 10 ) R o c h h o l z Sagen 1, 291; W a i b e l u. F l a m m 1, 30if. u ) MschlesVk. 1, 14; D r e c h s l e r 1, 305f.; F o n 2)

Totenkäfer—Totenklage t a i n e Luxemb. 154: Totenhochzeit; S a r t o r i Speisung 22; vgl. G a ß n e r Mettersdorf 85; W r e d e Rhein. Vk. 1 4 1 ; Wallis schriftl. (f. K i n der); W i e n Z f V k . 35, 47. 12 ) D r e c h s l e r 1, 306; Graubünden mündl.; T e t z n e r Slaven 193. 13 ) MschlesVk. 1. 14; B F . 3, 16 (Belgien); H i r s c h u) Doodenrituell 49. Becker Pfalz 237. 1 5 ) L a u f f e r Niedd. Vh. 130; s. bes. S c h w V k . 11, 12ff. 16 ) Graubünden mündl.; vgl. K l a p p e r Erzählungen 88. " ) Z f V k . 6, 411. 18 ) B a v a r i a I, 994. 1 9 ) D r e c h s l e r 1, 306. 20 ) Z f E t h n . 28, 2 1 ) Vgl. noch N d d Z f V k . 5, i 5 3 f f . 282. Geiger.

Totenkäfer (blaps martisaga). Über den zur Familie der Schwarzkäfer gehörigen Totenkäfer (auch Trauerkäfer), der durch zwei weiße Punkte an den Flügeldecken kenntlich ist, ist nicht viel zu sagen. Sein Erscheinen in einem Hause bedeutet den Tod eines der Hausbewohner 1 ). Da er auf Mistgruben vorkommt, glaubte man früher, er entstünde aus Schmutz, ein Aberglauben, der auch andere Insekten betrifft 2 ). U n o t h 1, 181 Nr. 33; H o p f Tierorakel 201; S c h w e b e l Tod u. ewiges Leben 125. 2) B r e h m Tierleben g3, S. 126. Riegler.

Totenkerze. Über den Brauch, Lichter beim Toten anzuzünden s. Leiche, Leichenwache, Leichenzug und Totenlicht. Kerzen, die auf einem Sarg gebrannt haben, dürfen nicht zu einem gewöhnlichen Zweck wieder gebraucht werden 1 ). Solche Kerzen werden zu Zauber benutzt; man heilt damit Geschwüre 2 ). Sie gehören also zu den Leichenfetischen (s. d.). x ) S t r a c k e r j a n 1, 55. S t r a c k e r j a n 1, 90.

2)

Z f ö s t V k . 3, 237; Geiger.

Totenklage. Die T. ist dem natürlichen Gefühl des Schmerzes und der Trauer um den Verlust eines Angehörigen entsprungen. Zum Brauch wurde sie dadurch, daß sie in bestimmten Formen und an bestimmten Stellen des Begräbnisrituals ausgeübt werden mußte. Sie wird ein Teil der Trauerpflichten der Angehörigen; diese können sie schließlich aber (ähnlich wie das Gebet für den Toten) auch an fremde Personen übertragen. Bezeichnend ist vor allem, daß sich die Klage meist an den Toten wendet, und zwar in verschiedenener Absicht: man will den Verdacht einer Schuld an seinem Tode ab-

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lenken, den Toten versöhnen; er soll hören, daß man um ihn trauert, und es soll Eindruck auf ihn machen (daher oft mit Haareraufen, Selbstverwundung verbunden). Zugrunde liegt also der Glaube an das Fortleben des Toten, an seinen Unwillen darüber, daß er aus dem Diesseits scheiden muß. Der Inhalt besteht aus Vorwürfen an den Toten, daß er weggehen will, und aus Lobsprüchen über ihn. Je nach Umständen kommt dazu das Versprechen, seinen Tod zu rächen. Als gesprochenes Wort ist die Totenklage sicher auch als Wortzauber aufgefaßt worden, der geeignet ist, den Toten zu beruhigen. Und weil neben der Furcht vor dem Toten, in den Trauerbräuchen immer auch die Liebe zu ihm mitschwingt, so faßte man die Klage vielleicht auch als einen Versuch auf, ihn festzuhalten oder zurückzurufen. Die laute Klage steht im Gegensatz zu der Vorschrift, daß man Tote nicht beweinen und beklagen solle, man könne sie sonst „aufschreien". Die in feste Form gefaßte und damit gemäßigte Klage war vielleicht ein Ausweg, u m hemmungsloses, allzulange dauerndes und darum gefährliches Klagen zu vermeiden. Bezeichnend ist auch, daß die Klage manchmal auf die hinterbliebenen Frauen beschränkt ist oder besonderen Klageweibern übertragen wird. Meist wird die Klage in den entscheidenden Augenblicken angestimmt, wenn der Abschied des Toten besonders deutlich vor Augen tritt (Weggang vom Heim, Versenken ins Grab), manchmal wird sie während einer bestimmten Trauerzeit w i e d e r h o l t I n der Antike haben wir ausgebildete zeremonielle T., auch die Klageweiber; schon Solon mußte mit Verboten gegen Übertreibungen eingreifen 2 ). Bei Bockel haben wir eine ausführliche Schilderung der T. bei den verschiedenen Völkern 3 ). Die Sitte muß auch bei den germanischen Stämmen vor der Christianisierung bestanden haben. Die ältesten Nachrichten betreffen zwar fürstliche Leichenfeiern, bei denen Krieger Klage- und Preislieder anstimmen 4 ); dagegen verraten die kirchlichen Quellen, daß bei Leichen wache und Erinnerungsfeier Gesänge üblich waren,

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Totenklage

die vielleicht eine Art Totenbeschwörung beabsichtigten, wenn die Dadsisas (s. d.) so zu verstehen sind. Man muß annehmen, daß die alte rituelle T. schon früh abstarb, und daß an Stelle der chorischen Klagen die individuelle Einzelklage trat. Wie weit wir aus den in den Dichtungen enthaltenen T.n auf volkstümliche Züge schließen können, ist nicht klar 5 ). Im Spätmittelalter gehört die Klage durch angestellte Frauen zu einer standesgemäßen Totenfeier 6). Man könnte sich drum fragen, ob die Reste einer brauchmäßigen T., die sich im Volke erhalten haben, auf vorchristliche Übung zurückgehen, oder ob die Sitte der höheren Stände vom Volke übernommen worden sei. Es wird an verschiedenen Orten verlangt oder als richtig angesehen, daß die Angehörigen an bestimmten Stellen der Leichenfeier ihrem Schmerz laut Ausdruck geben. Die erste Gelegenheit ist im Augenblick des Todes, wo sonst das Klagen oft ausdrücklich verboten ist. Da wird laut geschrien und geklagt 7 ). Seltener ist der Brauch bei der Totenwache, hier klagen die Frauen, indem sie Gesangbuchlieder oder selbstgemachte Verse sagen 8). Ein wichtiger Augenblick ist ferner das Hinausschaffen des Toten aus seinem Heim. Dann muß geweint werden, und die Leute paßten auf, ob die Angehörigen dies auch ausgiebig taten 9). Beim Schließen des Sargs und beim Gang zum Grabe ist lautes Klagen vorgeschrieben 1 0 ); die Frauen beginnen mit „Kreischen" 1 1 ). Und schließlich muß am Grab geklagt werden. Bei den Friesen wurde 1573 als Mißbrauch getadelt, daß sich die Frauen auf den Sarg legten 12 ). Besonders die Frauen (die Witwe, auch der Witwer) weinen und klagen l a u t 1 3 ) ; ja die Frauen schlagen mit den Fäusten auf den Sarg M ). In Schlesien glaubt man, durch die Klage finde die Seele des Verstorbenen Erleichterung 1S ). In Rheinhessen ist Brauch, daß man bei nachfolgenden Begräbnissen auf den Gräbern von Angehörigen laut klagt 1 6 ). Besonders ausgebildet war das Klagen im romanischen Graubünden 1 7 ) bis in neuere Zeit; ebenso bei Italienern, Slaven u. a . 1 8 ) . Wie die Klage ein fester

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Bestandteil des Totenrituals ist, erkennt man daran, daß bei den Griechen auch für einen Ertrunkenen, dessen Leiche nicht gefunden wurde, T. gehalten wird, indem man aus den Kleidern des Toten eine Puppe formt 1 9 ). Auch der Brauch der K l a g e w e i b e r ist nicht ganz verschwunden. Früher brauchte man dazu Beginen oder andere Frauen M ). Im Geraischen gab es noch anfangs des 19. J h . Leichenweiber, die klagten und heulten, sich das geschminkte Gesicht zerkratzten, die falschen Haare ausrauften und sich auf dem Boden wälzten 2 1 ). Über ,.Heuler" u. a. im Leichenzug, ferner die Hoikefrauen, die auf dem Sarg sitzen s. Leichenzug (C i , b.c.). In Baden dringen alte Weiber ins Haus, um den Toten zu beklagen 2 2 ). Auch in Norwegen 23 ), in der welschen Schweiz 24), Graubünden 25) und anderswo 26) finden sich letzte Reste des Brauches der Klageweiber. S c h e r k e Primitive 127. 182; E R E . 4, 416t.; ZvglRwiss. 34, 44; S o n n t a g Totenbestattung 57; ARw. 19, 2 2 1 ; G r i m m Myth. 3, 415 (Juden); 2 Urquell 2, 1 1 2 ; ZfEthn. 34, 346. ) Rohde Psyche 1, 221 f.; SittlGebärden 650. 3 ) B o c k e l 2 4 Psychologie 97ff. ) R. L e i c h e r Die Totenklage in der deutschen Epik (Germ. Abh. 58); Germ. 10, 1 3 7 ! ; K o n d z i e l l a Volksepos 31 ff.; H e u s l e r Altgerm. Dichtung 5 3 f . ; ArchfAnthr. 5 NF. 5, 15711.; B o u d r i o t 50. ) Von Leicher leider nicht untersucht; vgl. E h r i s m a n n Gesch. d. d. Lit. 4 1 : weist auch auf die Marienklagen hin. 6 ) D ö r i n g - H i r s c h Tod und Jenseits 24. 7 ) S c h ö n w e r t h 1, 2 4 1 I ; H ö h n Tod 316. 8 ) G a ß n e r Mettersdorf 88ff. (Texte); vgl. T e t z n e r Slaven 193; Bealoideas 3, 416. •) P e u k 10 k e r t Schles. 2 3 2 I ) W i t t s t o c k Siebenb. 1 0 3 ; S c h ö n w e r t h 1, 2 5 1 ; B i r l i n g e r Volksth. 1, 2 8 1 ; n H ö h n Tod 338. ) D i e n e r Hunsrück 184. i 2 ) NieddZfVk. 4, 177. 1 3 ) S c h r a m e k Böhmerwald 229; ZfVk. 6, 4 1 1 ; S c h ö n w e r t h 1, 254; Bavaria 2, 3 2 1 ; M e y e r Baden 594; vgl. RTrp. 11, 589. " ) H ö h n Tod 346 vgl. 338. 1 5 ) D r e c h s 16 ler Schlesien 1, 293. ) HessBll. 10, 1 1 1 . " ) SAVk. 18, 165; F l u g i Volkslieder 38f.; 1S mündl. Mitt. ) B o c k e l Psychologie 97Ü.; Z e l e n i n RussVk. 33of.; Globus 69, 375; T e t z ner Slaven 85. 160; ARw. 24, 2 9 4 0 . ; P i t r e Usi 2, 212. 216. 2 3 2 0 . ; E. M a h l e r Die russische Totenklage Lpz. 1936. 19 ) ARw. 24, 304. 20 ) B i r l i n g e r ASchw. 2, 164; Schwld. 1, 1250. 21 ) K ö h l e r Voigtl. 255 (fraglich, ob slavisch). 22 ) M e y e r Baden 585. 23 ) B o c k e l Psychologie 100. 24) Bull, du Glossaire 13, 80. 26) SAVk. i8„ 166. 26) B o c k e l a. a. O.; P i t r e Usi 2, 2 1 3 6 . ; ARw. 17, 4 8 2 ! ; ZföVk. 23, 77. Geiger.

I0

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Totenknochen

Totenknochen. Der T. ist einer der "wichtigsten Totenfetische (s. d.). Als Teil des Toten besitzt er Zauberkraft. Die Gebeine, als das einzige, was vom Toten sichtbar übrig bleibt, werden zu Reliquien, bei Naturvölkern 1 ) und im katholischen Kult. Auch die Gebeine der gewöhnlichen Toten wurden früher sorgfältig in den Beinhäusern gesammelt 2 ). Gebäck in Form von T. (.Totenbeinli') kommt als Spende an Allerseelen v o r 3 ) . Der T. kann den ganzen Toten vertreten, so vor allem in dem Märchenmotiv vom blutenden Knochen 4 ). Wo die Knochen eines Verunglückten begraben sind, da spukt es 5 ). Aus Totengerippen entstehen Gespenster; das Gerippe straft den, der es frevelhaft stört 6 ). Nimmt man einzelne Knochen vom Friedhof weg, so kommt der Tote und will sie holen 7 ), oder der Knochen beginnt zu bluten 8 ). Ein Wanderer ruft einem Knochen zu: „sei mein G a s t " ; darauf kommt der Tote zu seiner Hochzeit 9 ). T. werden zu verschiedenem Zauber benutzt; manchmal ist damit die Vorstellung verbunden, daß der Knochen schwinden mache, zum Absterben oder Verderben bringe; es haftet an ihm die Todeskraft. Manchmal aber ist es eine fördernde Zauberkraft, die in ihmsteckt 1 0 ). Ein Totenbein, das man in der Thomasnacht Schlag zwölf Uhr vom Gottesacker holt, wird zu G o l d 1 1 ) . Um immer Geld zu haben, trägt man ein Knöchelchen von Hingerichteten im Geldbeutel 1 2 ). T. braucht man zum Schatzgraben 13 ). Wenn ein Händler Asche von T. auf die Ware streut, verkauft er sie rasch 14 ). Legt man ein Knochensplitterchen unter die Bruthenne, so wächst die Brut groß heran 15 ). Der kleine Finger eines Toten bringt Glück 1 6 ). Menschenknochen werden in Südungarn im Baugrund vergraben, um die Gebäude vor Überschwemmung zu sichern 17 ). Knochen des eigenen Kindes schützen bei beabsichtigtem Meineid 18 ). Durch einen T. erkennt man die Hexen 19 ). T. werden zu verschiedenem Liebeszauber benutzt 2°). Der Dieb benutzt sie, um die Leute einzuschläfern 21 ). Wer im Schlaf redet, soll T. unter das Kissen

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legen, damit er still wird 22). Eine Sense, mit einer Menschenrippe gewetzt, wird scharf 2 3 ). In einem alten Diebssegen wird vorgeschrieben, einen T. zu gebrauchen 24). T. im Taubenschlag halten die Tauben zurück 25 ). T. dienen zu allerlei S c h a d e n z a u b e r 2 6 ) ; über der Torschwelle gekreuzt oder heimlich eingegraben bewirken sie unabwendbares Verderben 2 7 ); im Stall vergraben schädigen sie das Vieh 28 ); eine Frau wird unfruchtbar, wenn sie darauf tritt 29). Sie dienen zur A b w e h r : unter der Schwelle vergraben halten sie Feinde und alles Übel ab 3 0 ). Man gebraucht ein Totenbein, um eine Hexe, die die Milch verderbt, unschädlich zu machen 31 ). Man kann damit Ratten, Mäuse, Läuse und anderes Ungeziefer vertreiben 3 2 ). A m meisten werden T . z u m H e i l z a u b e r verwendet 33 ). Nach norwegischem Glauben ist der T. ein Heilmittel gegen den „Totengriff", eine Art Lähmung 34 ). Besonders oft wird er als Heilmittel gegen Epilepsie genannt. Man soll T. zu Pulver zerstoßen und im Getränk einnehmen 35 ). Man braucht sie gegen böse Brust 3 6 ), als Pulver gegen Ausschlag und Geschwüre 37 ), im Badwasser gekocht gegen K r ä t z e 3 8 ) ; ferner gegen Fieber 3 9 ), gegen Zahnweh 4 0 ); man reibt Uberbeine und Warzen damit 4 1 ), ebenso Buckel und Auswüchse 42) und Kröpfe i 3 ). Gegen Bleichsucht und Gelbsucht soll man einen T. bei sich tragen 44). Bettnässern wird geschabter T. eingegeben, oder sie sollen einen T. mit den Zähnen aufheben 4 5 ). Gepulverter T. schützt gegen Krämpfe 4 6 ); Moos von T. stillt das Blut 47 ). T. hilft gegen Knochenfraß 4 8 ), Krebs 4 9 ), Gicht 5 0 ); er wird gegen Trunksucht verwendet 5 1 ), erhöht die Potenz des Mannes 5 2 ) und wird zu einem Mittel verwendet, um ein verzaubertes Pferd zu heilen 53 ).

x ) S c h e r k e Primitive 81.. i g o f . 2) R o c h h o l z Glaube 1, 2170. 28gf. 3 ) Z f V k . 12,435; C a m i n a d a Friedhöfe 1 1 9 ; H ö f l e r Ostergebäche 42. 4) B o l t e - P o l i v k a 1, 4120. 5 ) K ü h n a u Sagen 1, 54f. «) Urquell 3, 88f.; G e r i n g Isl. Aev. 2, 16; M e i c h e Sagen 181 f.; S e b i l l o t Folk-Lore 4, 131 f. ') W u t t k e 468; G r o h m a n n Abergl. 192; 8) H a u p t Lausitz I W l i s l o c k i Magyaren 76.

Totenkrone

10 77

1, 2 5 5 ' vgl. R o s e n Död och begravning 1 2 . 10) «) G r a b e r Kärnten 88f. Schönbach Berthold v. R. 25 ff. ; Berner Taschenb. 1 9 1 9 , 9; HessBll. 24, 89; M e i c h e Sagen 5 8 3 ; SchwVk. 93; P a n z e r ¿¿«¿¿r. 2, 2 7 2 ; Mschles. Ges. 1 7 , 4 1 ; S e y f a r t h Sachsen 290; B o u d r i o t 47; M a u r e r Ist. Sagen 7 7 ; F F C . 30, 46; 3 1 , 70. 88; 32, 9; B F . 3, logi. ; ZfEthn. 56, 50; ARw. 18, 317. n ) B a u m g a r t e n Jahr 6. 1 2 ) D r e c h s l e r 1 3 ) S c h e l l Berg. S. 3 5 7 ; Schlesien 2, 43. 240. W u t t k e 4 1 2 . 1 4 ) MschlesVk. 8, 80; vgl. H a u p t 1 5 ) W l i s l o c k i Magyaren Lausitz 1, 195. 77. i«) K u h n Westfalen 2, 53. 1 7 ) W l i s l o c k i Magyaren 77; vgl. Urquell 4, 98. 1 8 ) W u t t k e 1 3 5 . 19) M a n z Sargans 1 1 0 ; vgl. W l i s l o c k i Magyaren 77. 2 0 ) W u t t k e 3 6 7 ; MschlesVk. 1 7 , 34. 2 1 ) K u h n u. S c h w a r t z 460; F r a z e r 1, 1 4 8 ; K r a u ß Rel. Br. 1 4 6 ; W l i s l o c k i Magyaren 77. 2 2 ) C a m i n a d a Friedhöfe 97; W e t t s t e i n Disentis 1 7 4 ; Vgl. F r a z e r 1, 150. 2 3 ) Urquell 3, 87. 2«) S c h ö n b a c h Berthold v. R. 149. 2 5 ) SAVk. 26) 19. 5 ° ; J o h n Westböhmen 2 1 8 . Thiers Traité (1679) 1 3 8 ; C a s t r é n Vorlesungen 1 2 4 ; A b t Apuleius 1 4 1 ® . ; Urquell 3, 5 3 ; ZfVk. 7, 188. 27) G r a b e r Kärnten 2 2 1 ; vgl. Urquell 4, 69. 2 8) M ü l l e n h o f f Sagen 566; ZfVk. 5, 4 1 1 . 2 9 ) HessBll. 24, 82; vgl. W l i s l o c k i Magyaren 77. 3 0 ) W l i s l o c k i Magyaren 77; B F . 3, 1 1 0 . 3 1 ) J o h n Westböhmen 3 2 1 . 3 2 ) Urquell 3, 87. 4, 98; A l p e n b u r g Tirol 390; K u h n und S c h w a r t z 460; G r o h m a n n Abergl. 7 3 ; S t o l l Zaubergl. 1 2 4 ; M a n z Sargans 65. 95; B i r l i n g e r A.Schw. 1, 404; SAVk. 19, 50; 8, 1 5 3 ; W l i s l o c k i Magyaren 7 7 ; B F . 3, 1 1 0 . 3 3 ) H o v o r k a K r o n f e l d 2, I 5 f . ; B F . 3, 1 0 9 ; RTrp. 11, 1 0 6 ; 18, 553 ff. ; SchwVk. 6, 9 3 ; Urquell 2, 1 7 9 ; Volksleven 1 2 , 2 1 1 ; G r o h m a n n Abergl. 1 5 0 ; S e y f a r t h Sachsen 29of. ; ZfVk. 7, 291 ; D r e c h s l e r Schlesien 2, 2 4 1 ; W l i s l o c k i Magyaren 68; MschlesVk. 25, 81 ; vgl. B r o w n Andaman. Isl. 184. 3 4 ) L i e b r e c h t ZVolksk. 3 1 3 . 3 5 ) F o s s e l Volksmedizin 9 1 ; Mélusine 3, 2 7 8 ; H ö h n Volksheilhunde 1, 1 3 1 f.; ZrwVk. 1905, 2 8 3 ; BayHfte 6, 205; MsächsVk. 6, 1 3 3 . 3 6 ) MschlesVk. 7, 93f. 3 7 ) S t r a c k e r j a n 1, 90. 38) W l i s l o c k i Magyaren 1 3 4 . 3 9 ) K u h n u. S c h w a r z 4 3 8 ! ; Mélusine 3, 278. 4 0 ) HessBll. 24, 9 6 f . ; A n d r e e - E y s n 1 5 4 ; B i r l i n g e r Volksth. 1, 482; ZfVk. 2 1 , 259; 41) Z i m m e r Völksleven 1 2 , 1 0 2 ; B F . 3, 1 1 0 . m a n n Volksheilk. 64; T e t z n e r Slaven 9 3 ; ZfVk. 1, 202; W u t t k e 348; H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 399; S e y f a r t h Sachsen 290; W l i s l o c k i Magyaren 1 4 5 ; B F . 3, 109. 4 2 ) MsächsVk. 6, 1 3 3 ; Urquell 1, 205. 4 3 ) D r e c h s l e r Schlesien 2, 292. 44) 295; F o g e l Penns. Germ. 296. Pollinger Landshut 284; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 1 1 9 . AS ) B o h n e n b e r g e r 20; D r e c h s l e r Schlesien 2, 3 1 9 ; H ö h n Volksheilkunde 1, 1 1 7 . 4 6 ) W u t t k e 135- 4 7 ) L a m m e r t 1 9 5 . 4 8 ) F o s s e l Volksmedizin 163. 4 9 ) Ebda. 1 5 5 ; H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 4 0 1 . 5°) Z i m m e r m a n n Volksheilkunde 55• 5 1 ) T s c h u m p e r t Vers. e. bündn. Idiot. 57. W l i s l o c k i Magyaren 70. 77. Schlesien 2, 1 1 3 f.

63

) Drechsler Geiger.

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Totenkrone. Bis in die neuere Zeit erhielten nur die Kinder und ledig Verstorbenen Sargschmuck (s. d.), darunter häufig die sogen. T.n. Diese sind Gebilde aus Grün und Blumen oder aus Draht mit Perlen, Flittergold und anderem Zierat versehen. Sie werden (oder wurden) auf den Sarg gestellt, selten dem Toten aufgesetzt, dann in der Kirche oder zu Hause aufbewahrt. Manchmal erhielt der einzelne Tote eine ganze Anzahl solcher Kronen geschenkt, manchmal nur eine; oder die Krone war Eigentum der Kirche und wurde ausgeliehen 1 ). Da oft Luxus damit getrieben wurde, hören wir aus Verboten der Obrigkeit öfter von dem Brauch 2 ). Oft erhielten es nur verstorbene Kinder 3 ). Manchmal nur diese und Jungfrauen 4 ) ; sie wird darum Jungfernkranz oder Brautkrone genannt 5 ) und als ein Zeichen der Unschuld oder der Jungfräulichkeit ausgelegt. Der Gebrauch der Kränze und Kronen ist wohl aus der Antike übernommen worden. Die christliche Kirche hat sich allerdings dagegen gewehrt, und ihrem Einfluß wird man es zuschreiben müssen, daß dieser Schmuck als Auszeichnung des jungfräulichen und unschuldigen Standes auf Kinder und Ledige, besonders Mädchen, umgedeutet und eingeschränkt worden i s t 6 ) . Die Sonderbehandlung der Ledigen ist aber nicht von der Kirche eingeführt worden, sondern es leben darin Reste der Totenhochzeit (s. d.) fort; darum wird auch der Schmuck etwa als Hochzeitsschmuck bezeichnet; in den Vierlanden war in der Krone eine Puppe eingebunden, wohl als Ersatz für den Kindersegen 7 ) ; wie im Hochzeitsbrauch wird auch die rote Farbe im Schmuck verwendet 8 ), auch das E i kommt vor 9 ). Aberglauben ist wenig mit der T. verbunden : der Leiche eines Kindes muß der Kranz in den Sarg gegeben werden; ohne diesen müßte das Kind das Fegfeuer aushalten 1 0 ) ; wenn die Krone auf einem Kindersarg nicht zur rechten Zeit am Platze war, so glaubte man, die Seele wäre noch nicht zur Anschauung Gottes gelangt n ) . Das Messer, womit man die Schnur durchschnitt, die die Krone am

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Totenkult

Sarg festhielt, wurde ins Grab geworfen 12 ). In Belgien bewahrte man die Stecknadeln, womit die Krone am Bahrtuch befestigt war, als glückbringend auf 13). S. Sargschmuck; ferner S c h w V k . 10, 14; 11, I 2 f i . ; Z f V k . 19, 245; 26, 225ff.; N F . 2, 25R.; MschlesVk. 27, 243; A n d r e e Braunschweig 316; H ö h n Tod 3 3 8 I ; B e c k e r Pfalz 238; D i e n e r Hunsrück 183; L a u b e Teplitz 33; J e n s e n Nordfries. Inseln 338; Schw. Id. 1, 15; 2, 351; 8, 996; P i t r e Usi 2, 223. 2 ) Z. B. C a m i n a d a Friedhöfe 176. 183; B o d e m e y e r Rechtsaltert. Unoth 140fr.; B i r l i n g e r / i . Schw. 2, 327. 3) C a m i n a d a Friedhöfe 182; S t r a c k e r j a n 2, 218; G r i m m DWb. 5, 2054; Z f V k . 19, 277; X r o e l s - L u n d 14, 109; B r a n d Popul. Ant. 2, 307; B F . 2, 353; R T r p . 18, 451. 4) Alemannia 27, 240; W i r t h Beitr. 2/3, 54ff.; HessBll. 20, 36f.; S c h u l t z Alltagsleben 232. 5 ) W r e d e 126; G a ß n e r Meltersdorf 85; R o c h h o l z Glaube 1, 139- 8 ) S c h w V k . 11, I2ff.; M e n z e l Symbolik 1, i 4 o f . 510; K l e i n Kranz 5 6 I ; R ö c h l i n g R V V . 14, 94f.; L a u f f e r : Z f V k . 26, 2250.; W r e d e Eifel 126 (Bronzekranz in einem alten Grab). ') L a u f f e r Niederd. Vk. 130. 8 ) Bavaria 1, 4 1 1 : rote Schleifen an der Krone; W r e d e Rhein. Vk. 137: früher rotes B a n d ; vgl. J o h n Erzgeb. 174 f.: rote Seitentücher der 9) Träger. S c h w l d . 1, 15; B r a n d Popul. Antiqu. 2, 305; vergoldete Birne: S c h u l l e r Progr. v. Schäßb. 1863, 55. 1 0 ) B d b ö V k . 4, 61. n ) S t r a c k e r j a n 1, 32. 12 ) HessBll. 6, 103f. 13 ) B F . 2, 353. Geiger. Totenkult.

1. Zum T. gehören alle die Handlungen, mit denen sich die Lebenden an die Toten wenden. Die Absicht kann sein, das Schicksal des Toten zu erleichtern, ihm im Jenseits zu helfen. Es ist also Fürsorge für den Toten. Sie ist aber oft verbunden mit der Angst vor der Rückkehr des Toten, und diese Angst scheint in älteren Zeiten stärker gewesen zu sein als die liebevolle Sorge. Darum werden manche Riten ursprünglich Abwehrcharakter gehabt haben: man gab dem Toten, was ihm gebührte, um vor ihm Ruhe zu haben. Diesen apotropäischen Sinn bewahren die Bräuche längere Zeit, wenn es sich um besonders gefährliche Tote handelt (s. Tote). Bei den gewöhnlichen Toten dagegen tritt mehr und mehr (besonders seit Einführung des Christentums) der Gedanke der Fürsorge in den Vordergrund. Die Absicht des T.s kann auch darin liegen, daß man vom Toten Hilfe erwartet. Voraussetzung ist, daß man annimmt, der Tote sei im Besitz besonderer Kräfte,

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die der Lebende zu seinem Nutzen oder andern zum Schaden gebrauchen kann (s. Tote, Totenbeschwörung). Totenkult dürfen wir es eigentlich nur nennen, solange an ein körperliches Fortleben des Toten geglaubt wird, und solange man bei ihm materielle Bedürfnisse voraussetzt. Im christlichen Sinn gibt es nur Seelenkult (s. Tote). Schon die Behandlung der Leiche bis zur Bestattung weist eine Menge von Zügen auf, die diese Fürsorge für den Toten im Jenseits verraten (s. Leiche); ich will aber die Bezeichnung „Totenkult" nur für die Handlungen verwenden, die nach der Bestattung vorgenommen werden, die also dem Toten im oben (s. Tote) angegebenen Sinne gelten. Sofern der Kult von den Angehörigen, der Sippe, ausgeübt wird, ist es A h n e n k u l t (s. Ahnenglaube). Aber auch andere Gemeinschaften üben diesen Kult aus (Bruderschaften, Gilde, Zunft), manchmal ist die ganze Gemeinde, bei Fürsten der ganze Herrschaftsbereich beteiligt ; der Kreis, der dem Toten Hilfe gewährt oder solche von ihm erwartet, kann also weiter oder enger sein. Der Ort des Kultes ist der Aufenthaltsort des Toten, also das Grab oder die Stelle, wo er gestorben, wo man die Seele vermutet (Mordstellen, Steinkreuz, Kreuzweg). Über die Zeiten s. Totenfest. Hauptbestandteil des T.s ist das Opfer. Da man annahm, die Bedürfnisse der Toten seien denen der Lebenden gleich, so ist das Speiseopfer das wichtigste; daneben aber sucht man ihnen auch Feuer, Wärme und Licht zu verschaffen (vgl. Grabbeigabe). Dazu treten die kirchlichen Mittel, die dem Seelenheil der Toten gelten, ferner Pflege und Schmuck der Grabstätten (s. Grab), Sorge für die Friedhofruhe und für Aufbewahrung der Gebeine (Beinhaus) 1 ). Verschiedene Zeugnisse liegen vor über T. in vorchristlicher Zeit: Verehrung toter Fürsten, Feier des Erbbiers, Verehrung von besonderen Totenbergen auf Island 2 ). Erinnerungen an alten Ahnenkult werden auch im Opfer an Hausgeister gefunden 3 ). In der Bekehrungszeit hatte die Kirche gegen T. in heidnischer Form zu kämpfen,

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Totenkult

so im 1. Artikel des Indiculus (de sacrilegio ad sepulchra mortuorum) 4 ); der 25. Artikel (de eo, quod sibi sanctos fingunt quos libet mortuos) deutet an, daß man die Ahnen der eigenen Familie in den Kult der Heiligen einreihte 5 ). Überall hat die Kirche den heidnischen T. bekämpft, dabei aber manches (wie die Termine der Totenfeste, s. d.) übernehmen und umdeuten müssen. Sie suchte hauptsächlich den T. in einen Seelenkult umzuwandeln, eine unkörperliche Auffassung der Seele durchzusetzen und die Gaben a n die Toten in solche f ü r die Toten zu wandeln. Das Totenmahl am Grab und die Totenopfer sollten durch die Totenmesse als Erinnerungsfeier ersetzt werden. Allerdings nahm der Tote selbst daran teil, indem der Sarg in die Kirche getragen und dem Toten die Hostie gegeben wurde 6 ). Durch die Lehre von der Auferstehung des Fleisches wiederum tat die Kirche selbst einer materiellen Totenpflege Vorschub, und die Vorstellung von den Seelen als höheren Wesen, die mit den Lebenden in Verbindung bleiben, half mit, die antike Sitte der Anrufung der Toten in Grabschriften zu erhalten 7 ). Bruck 8 ) findet schon in der Antike eine Entwicklung, die zum sogen. Seelgerät führt; er faßt es auf als Weiterbildung des T.s; der Lebende sorgt selbst noch durch Stiftungen für die periodische Abhaltung von Totenfeiern nach seinem Tode. Er nötigt dadurch die Hinterbliebenen, ihm den gebührenden Kult zu erweisen, weil sie es freiwillig nicht mehr getan hätten. Die christliche Kirche übernahm diesen Brauch und deutete ihn um. In der Auffassung des Volkes blieb aber, wie man aus den immer wiederholten Verboten (Indiculus, Burchard v. Worms u. a.) ersieht, die Vorstellung von den materiellen Bedürfnissen der Seele erhalten. Die „armen Seelen" verkehren mit den Lebenden, und diese erweisen ihnen Liebesdienste durch Gebet und •Opfer. Sie bringen ihnen Licht, Wärme und Speisen; auch das Weihwasser wird -zum Linderungsmittel der Fegfeuerschmerzen 9 ). Dafür zeigen sich die Toten •dankbar in den zahlreichen Berichten von

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helfenden, besonders vom „dankbaren Toten" 1 0 ). Mogk n ) nimmt an, daß die Steinkreuze ursprünglich als alte Rastorte der Toten, besonders an Kreuzwegen, aufzufassen seien. Burchard von Worms erwähnt im selben Abschnitt die Opfer an die Toten und Binden, die als Weihegaben an Kreuzwegen niedergelegt wurden. Diese Binden faßt Mogk als Mittel zum Heilzauber auf. Durch das Christentum seien die alten (Grab-) Steine in Steinkreuze umgewandelt worden, galten aber noch immer als Sitz des Toten. Abgesehen von den Totenfesten (s. d.) haben sich Spuren von T. auch bei anderen Gelegenheiten erhalten. Im Egerland kommt der Brauch vor, daß der Hochzeitslader vor dem Ehrentanz die Liste der verstorbenen Anverwandten liest und diese zum Brauttanz auffordert 1 2 ); und in der Fastnachtszeit (auch bei der Kirchweih) wird die „schöne Stunde" gefeiert: während des Tanzes brennt eine Kerze, und solange sie brennt, seien die Seelen der verstorbenen Ortsleute anwesend 13 ). Eine Hilfe für den Toten bedeutet das Gebet; es wird gegen Entgelt von armen Leuten während eines ganzen Jahres an bestimmten Tagen, oder von der ganzen Gemeinde beim Sonntagsgottesdienst für die Verstorbenen gebetet 1 4 ). Über die Spenden siehe Totenspende, Seelenbad. 1 ) S. Art. ' K u l t ' ; E R E . 2, 29; R o h d e Psyche 1, 2 i 6 f f . ; H e l m Relgesch. 1, 1 3 2 0 . 147!!. 2 4 6 6 . ; Caland Totenverehrung\ A m i r a Grdr. 186; P f i s t e r : P a u l y - W i s s . 1 1 , 2, 2 1 1 2 t . ; B r u c k Totenteil 1 7 4 f f . ; A R w . 31, 2 3 0 ! (Felszeich2) nungen). Schreuer: ZvglRwiss. 34, 1 4 t . ; S c h r ä d e r Reallex. 1, i 8 f f . ; E R E . 1, 466. 3 ) N d d Z f V k . 4, iff. ") S a u p e Indiculus 5 f . ; 6) H a u c k B o u d r i o t 5of. 75. Kirchengesch.

2, 408. 6 ) L i p p e r t Christentum. 268f.; B r u c k Totenteil 2 7 9 0 . ; T h a l h o f er Liturgik 2, 339. 7 ) L u c i u s Heiligenkult 8) 25S. 3 2 I Bruck Totenteil iSjfi. ») R u m p f Relig. Vollesk. 1J9Ü. 10) S c h w e b e l Tod 3 2 8 g . E . M o g k Der Urspr. d. mittelalt. Sühnekreuze (Verh. sächs. A k . Wiss. 81, H. 1). 12 ) Z f ö s t V k . 14, 105. 13 ) E b d a . 14 ) N i d e r b e r g e r I03f. Unterwaiden 3, 1 7 2 ; Unterwaiden schriftl.

2. Die T o t e n o p f e r sind der wichtigste Teil des T.s. Sie sind ursprünglich Gaben an den Toten, er hat Anspruch darauf und zürnt oder leidet, wenn er sie nicht erhält. Die Hinterbliebenen sichern sich

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Totenlicht

also dadurch das Wohlwollen des Toten, was um so wichtiger ist, je mehr Macht man ihm zuschreibt 1 5 ). Als eine Art Totenopfer kann man die Grabbeigaben (s. d.) betrachten. Auch im Bauopfer und Opfer an die Hausgeister will man Spuren von Totenopfer finden 16 ). Die christliche Kirche hat die sacrificia mortuorum immer wieder verbieten müssen 17 ). Sie übernahm sie, deutete sie aber in Opfer zugunsten der Toten um und verwandelte sie in Almosen und Spenden. Die heidnischen Totenopfer, die am 3. Tag gebracht wurden, wurden übernommen; aber an die Stelle des Opfers trat die Feier der Eucharistie 18 ). Burchard von Worms erwähnt als Aberglauben: incendisti grana, ubi mortuus homo erat. Dies scheint eher ein Orakelbrauch als ein Opfer gewesen zu sein 19 ). Dagegen muß man es als Totenopfer betrachten, wenn den armen Seelen Licht oder Wärme gespendet wird: an Allerseelen heizt man in der Nacht den Ofen, damit sie sich wärmen können; die Bank vor dem Ofen wird mit Asche bestreut, dann findet man am andern Morgen die Spuren der Toten 20 ). Im Wallis gelten die Lichtmotten als arme Seelen; offenbar glaubt man, daß diese nach dem Licht streben 2 1 ). In Rußland zünden die Bauern am Weihnachtsabend auf ihren Höfen Stroh an, damit die Verstorbenen sich erwärmen können 22). Ein Opfer, als dessen Empfänger nicht der Tote gedacht war, sind wohl die Geldstücke, die man in den Balken einer alten Kirche fand, und die beim Tode eines Kindes geopfert worden seien, damit die übrigen verschont blieben 2 3 ). Auch die Huhnopfer bei einem Todesfall scheinen weniger dem Toten als irgendeinem Dämon zu gelten 24). 15 ) S c h e r k e Primitive 95. 1 9 2 ! ; P a u l y W i s s . 11, 2, 2182; E i t r e m Opferritus 28of. 16 ) NddZVk. 8, 18; K u h n Myth. Stud. 2, 44s. 17 ) H o o p s Reallex. 4, 3 3 8 I ; M a n n h a r d t Germ. Myth. 722f.; F r i e d b e r g Bußb. 28. 76; B o u 18 ) L u c i u s d r i o t 5of.; S a u p e Indiculus 5. Heiligenkult 27; F r e i s t e d t Altchristi. Totengedächtnistage (1928) 104I 1 1 4 ! 117. 1 9 ) Grimm 20) M a n n h a r d t Germ. Myth. Myth. 3, 408. 723; vgl. S c h n e l l e r Wälschtirol 238: Wasser

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21 ) SAVk. 30, 102; vgl. ZföstVk. aufgestellt. 6, 68. 22) Globus 59, 236; vgl. ZfVk. 17, 374. 3 8 5 ! 23) ZfVk. 1911, 121. 24) R V V . 14, 3, i 6 f f . ; K r a u ß Relig. Brauch 154t.

3. A m verbreitetsten als Totenopfer ist die T o t e n s p e i s u n g . Schon beim Leichenmahl (s. d.) wurde der Tote als anwesend gedacht, und unter den Grabbeigaben (s. d.) kommen bis in die jüngste Zeit Speisen und Getränke vor. Das Bedürfnis der Toten nach irdischer Nahrung dauert aber noch weiter und muß eben durch die Totenspeisung befriedigt werden. Sartori hat reiches Material darüber gesammelt 25 ), so daß ich hier nur weniges daraus hervorheben will. Die einfachste Form ist es, wenn die Speisen aufs Grab gebracht oder ins Grab geschüttet werden. Dies geschieht an besonderen Totenfeiertagen (Weihnacht, Allerseelen). In Bettelumzügen findet man Reste solcher Feiern; die gebettelten Gaben waren ursprünglich Totenopfer 2 6 ). Solche Speiseopfer für die Toten mußten von der Kirche verboten werden 27 ); aber sie haben sich in verschiedenen Formen lange erhalten. A m Allerseelentag werden Speisen für die Toten aufgestellt 28 ); früher stellte man ein Schüsselchen Mehl auf die Gräber, und der Messner durfte es wegnehmen 29). Auch in der Weihnachts- und Neujahrsnacht werden den Toten Speisen hingestellt 30 ). Meistens ist dieses Opfer an den Toten in ein Opfer für ihn umgewandelt worden; es wird zur Totenspende (s. d.) an Kinder oder Arme oder zu einem Opfer an die Kirche. Statt der Speisen wird schließlich Geld gegeben 3 1 ). Wie weit die Gebildbrote von dem T. abzuleiten seien s. d. 25) Die Speisung der Toten. Progr. Dortmund 1903, bes. S. 37ff.; vgl. S c h e r k e Primitive 204f. 26) S A V k . 29, i f f . ; H ö f l e r Kult. Geheimbünde i2ofi. 27) S a u p e Indiculus 9; G r i m m Myth. 3, 407; vgl. L u c i u s Heiligenkult 29. 28) Z. B. H e y l Tirol 701; S a r t o r i 48a. 54ff. 29) H ö h n 30 ) Z. B. G a ß n e r Mettersdorf 96. Tod 357. 31 ) S a r t o r i 63s. Geiger.

Totenlicht. Über den Gebrauch von Lichtern bei Aufbahrung, Leichenwache und Leichenzug s. Leiche, Leichenwache, Leichenzug, Sarg, Sterbender. Vielfach ist Brauch, eine bestimmte Zeitlang nach dem Tode in der Kirche oder zu Hause

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Totenlied—Totenreich

ein Licht brennen zu lassen. Bis zum Dreißigsten läßt man die ganze Nacht ein Armenseelenlicht im Haus brennen ; in Belgien wird das Haus 2 oder 3 Tage lang nach dem Begräbnis erleuchtet 2 ); bei den Juden läßt man 7 Tage lang ein Licht brennen 3 ); bei den Rumänen brennt es da, wo des Sterbenden K o p f war 4 ); in Westböhmen wird am Jahrestag ein ö l lämpchen angezündet 5 ). Die weiblichen Verwandten brennen längere Zeit in der Kirche einen Wachsstock, damit die armen Seelen „besser sehen" 6 ). I m Wallis spendete man bei einem Todesfall Butter zur Speisung einer Totenlampe in der Kirche 7 ). In Bayern trägt man a m 7. und 30. Lichter auf das Grab 8 ). In dem Testament verlangte eine Verstorbene (1616), daß auf ihrem Grab 6 Wochen lang ein Licht gebrannt werde 9 ); und im 14. Jh. wurde den Mördern als B u ß e auferlegt, 2 Jahre lang auf dem Grab des Erschlagenen eine brennende Ampel zu unterhalten 1 0 ). A n Allerseelen werden Lichter auf die Gräber gestellt 1 1 ). Totenleuchten wurden früher auf den Friedhöfen bei den Beinhäusern unterhalten 1 2 ); das Licht soll die bösen Geister verscheuchen 13 ). Wenn im Heilzauber Verwendung von T.ern empfohlen wird, so handelt es sich meist u m Kerzen oder Lampen, die bei der Leiche gebrannt haben. Wachs von einer Totenkerze braucht man, u m einen Federkiel zu verstopfen, in den man Farnsamen gesteckt h a t 1 4 ) . Mit einem T . soll man den ausgetretenen Mastdarm eines Kindes z u r ü c k d r ä n g e n l s ) ; W a c h s von einer Totenkerze wird z u m Schießzauber benützt 1 6 ). ö l aus einem T . hilft gegen Warzen 17 ), gegen Wunden, Flechten und Geschwüre 1 8 ). Mit dem Docht einer Totenlampe soll man Kröpfe bestreichen 19 ). 2 ) ZfVk. 17, 380; ') Unterwaiden schriftl. BF. 2, 346. 3) B u x t o r f Juden schul 612; vgl. ZfVk. 23, 249. *) ZfVk. 17, 380. 5) J o h n Westböhmen 179. «) H ö h n Tod 351. ') SchwVk. 12, 36. «) ZfVk. 17, 378; vgl. Schw. Id. 3, 1054. 10 ) K o l b e Hessen 78; •) Volkskunde 23, 8. vgl. ZfVk. Ii, 21; 17, 378. n ) M e y e r Baden 601; ZfVk. 6, 411; MschlesVk. H. 4, 54; ZfVk. 17, 12 ) R o c h h o l z Glaube 384; S a r t o r i 3, 261. 292; Schw. Id. 3, 1054; N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 180. 13 ) K o l b e Hessen 77; H e r z o g H a u c k 10, 495. " ) H e y l Tirol 792. 15 ) K ü c k

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16 ) K r o n f e l d Krieg 110; vgl. Lüneburg 8. ZfVk. 17, 373; W u t t k e 347. 17 ) HessBll. 24, 59. 18 ) Z i m m e r m a n n Volksheilk. 79. 85; M e y e r Baden 575; R o c h h o l z Glaube 1, 195; vgl. 19 ) G r i m m L u c i u s Heiligenkult 299. Myth. 3, 454; K o l b e Hessen 77. Geiger.

Totenlied. Über T.er in älterer Zeit s. Totenklage und H e u s l e r , Altgerman. Dichtung 52 f. Eine Reihe sudetendeutsche T.er hat H a d w i c h zusammengestellt (Bd. sudd. V k . 16). Bezeichnend ist, daß die älteren Lieder dem Toten in den Mund gelegt werden; er stellt B e trachtungen an und nimmt Abschied. In den jüngern sind mehr die Empfindungen der Überlebenden ausgedrückt. Geiger.

Totenmal. T.e, Geisterkniffe, Totenflecken u. ä. werden Flecken a m Körper bezeichnet, von denen man glaubt, sie rührten von Toten oder v o m A l p her. A u c h gelbe Flecken auf den Fingern werden so genannt. Sie gelten meist als Todesvorzeichen (s. d.). K r ü n i t z Encycl. 74, 255f.; B a u m g a r t e n . A. d. Heimat 3, 102; H ö r m a n n Volksleben 422; B l a c k Folk-Medicine 27; L i e b r e c h t Z.Volksk. 313. Geiger.

Totenmünze s. G r a b b e i g a b e . Totenopfer s. T o t e n k u l t . Totenrecht. Unter dieser Bezeichnung' h a t Schreuer alle die Züge zusammengestellt, die auf der Auffassung v o m fortlebenden Toten (lebenden Leichnam) beruhen. Der Verstorbene h a t über den Tod hinaus Rechte (Testament, Stiftungen; die Rechtspersönlichkeit der Heiligen wurde auch von der Kirche angenommen). Die Ehe, die Gefolgschaft sind mit dem Tode nicht einfach aufgelöst. I m alten Recht trat der Tote auch bei Blutrache und in Prozessen auf. Die Rechtsansprüche der Toten müssen abgelöst werden, Bestattung, Grabbeigabe, Leichenmahl (s. d. d.), Totenfeiern (Dreissigste) dienen der Befriedigung des Toten und der Auseinandersetzung mit den Hinterlassenen J ). *) S c h r e u e r : ZvglRwiss. 33, 333ff.; 34, i f f . ; H o o p s Reallex. 4, 339ff.; R. H i s Der Totenglaube in der Geschichte des german. Strafrechts. Münster 1929. Geiger.

Totenreich. D a in den Artikeln Himmel, Hölle, Jenseits schon verschiedenes über diese Orte als Wohnung der Toten gesagt

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Totenreich

ist, kann ich hier kurz zusammenfassend berichten. Bei den volkstümlichen Auffassungen von einem Aufenthaltsort der Toten muß man vor allem keine Konsequenz oder Systematik erwarten; sondern man wird überall finden, daß ganz widersprechende Vorstellungen nebeneinander vorkommen. Der ursprüngliche Glaube ist wohl der an das Weiterleben der Toten im Haus oder Grab, d. h. in der Nähe der Lebenden; in den zahlreichen Gespensterund Wiedergängersagen hat er sich bis heute erhalten. Die Grabstätten sind also das T. Weil aber nicht alle Toten beieinander begraben wurden, mußte auch das T. in verschiedene Abteilungen zerfallen. E s konnte ein T. der Sippe sein, oder aber es zerfiel in verschiedene Teile, weil bestimmte Stände (Häuptlinge, Krieger, Priester) oder auch Leute die an einer bestimmten Todesart gestorben waren {Ermordete, Wöchnerinnen, Selbstmörder), ihre abgesonderten Begräbnisplätze •erhielten (s. Tod). So hat sich wohl Walhall als Jenseits der Schlachttoten entwickelt; allerdings ist es dann dichterisch ausgestaltet worden Was dann den Anstoß dazu gab, daß man das T. möglichst entfernt, oft weit im Westen, jenseits des Meeres, auf einer Insel, hinter den Bergen und ähnlich dachte, ist schwer zu sagen. Es ist wohl kaum die Vorstellung von einer Seele, die diese Wirkung hat. Wohl eher hat die Furcht vor den Toten ganz allgemein dazu geführt, daß man sie auf diese Art von den Lebenden trennte. Man wünschte die Toten dauernd los zu werden und wies ihnen die weit entfernten T.e an, zu denen lange, schwierige Wege führten, auf denen eine Rückkehr fast unmöglich war. Meist ist es nicht bloß ein T., das alle Toten aufnimmt, sondern, wie oben bemerkt, haben einzelne Klassen besondere Aufenthaltsorte. Ursprünglich entscheiden Standesunterschiede oder Todesart über die Zuweisung zu den verschiedenen T.en; erst spät werden ethische Gründe geltend gemacht, und es entwickeln sich besondere Straforte, wobei allerdings schon früher auch eine besondere Todesart als „schlecht" betrachtet werden konnte (s. Tod). Das

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Leben in den primitiven T.en ist meist dem auf Erden ähnlich; oft zeigt sich die Neigung, das T. oder einzelne Teile sogar besser auszustatten als das Diesseits. Die Grabbeigaben (s. d.) werden oft als Ausstattung für das Jenseits oder für die Reise dorthin ausgelegt; ursprünglich waren sie nicht so gemeint 2 ). Die heidnisch-germanischen Vorstellungen über das T. sind nicht ganz klar; vor allem ist keine scharfe Scheidung zwischen Toten, die nach Walhall und solchen, die zur Hei kommen; und daneben wird von andern erzählt, die zur Meeresgöttin Ran kommen, oder einzelne Sippen haben ihre besonderen Totenberge; einzelne Tote aber leben noch auf urtümliche Weise in ihrem Grabe weiter 3 ). T o t e n b e r g e werden auch noch in neueren Sagen als Aufenthaltsort von Toten gemeldet 4 ), vor allem von Königen, Helden oder ganzen Heeren 5 ). Aus dem Altnordischen ist der Glaube an die Totenberge auch zu den Lappen gekommen 6 ). Steller nimmt an, daß „Toter Mann" solche Totenberge bezeichne und auf Wodankult zurückgehe 7 ). Vereinzelt werden in Sagen auch andere Orte als Aufenthaltsorte von Toten angegeben : alte Jungfern müssen auf einer Rheininsel Körbe flechten (vgl. die andern Aufenthaltsorte Lediger) 8 ); Soldaten und andere kommen auf die „grüne Wiese" 9). Der Glasberg und andere Märchenorte werden als T. gedeutet 1 0 ). Als Ort der Buße werden in der Schweiz Gletscher genannt 1 1 ). Ist das T. weiter entfernt, so erfordert es eine T o t e n r e i s e . Diese wird nach Analogie irdischer Reisen vorgestellt. Für den weiten Weg sollen gute Schuhe dienen (s. Leichenkleidung, Schuh); oder die Reise wird als Ritt gedacht (s. Totenritt), auch als Wagenfahrt 1 2 ) oder als Flug 13 ). Der Tote kommt noch am selben Tag an den Ort seiner Bestimmung; denn er kann unterwegs nirgends übernachten 14 ). Manchmal braucht er länger, 3 Tage 1 5 ); die Seele wird in der ersten Nacht von St. Gertrud (s. d.), in der zweiten von St. Michael beherbergt 16 ), oder sie kehrt unterwegs im Nobiskrug ein 1 7 ). Der

Totenreich

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Name Hellweg wird als Totenweg gedeutet 18 ). Über die Unterweltsreisen Lebender (Schamanen) und die Spuren solcher Reiseberichte s. Meuli (Hermes 70, 121 ff.). Häufig wird berichtet, d a ß das T . v o m Reich der Lebenden durch ein W a s s e r getrennt ist. Entweder wird das T . als Insel im Meere gedacht, oder die Toten müssen auf dem Wege zum T . einen F l u ß überschreiten, entweder in einem K a h n oder auf einer B r ü c k e 1 9 ) (s. a. Seelenüberfahrt). Über die Vorstellung von England als Toteninsel s. „ E n g l a n d " . Prokop erwähnt es als keltische Sage. Später taucht „ E n g e l l a n d " auch als Heimat der Mahren auf. I m Altnordischen haben wir keinen Beweis für ein T. jenseits des Meeres; denn zur Hei und nach Walhall wird geritten oder gefahren 20 ). Die Vorstellung von einem T o t e n s t r o m , den die Toten passieren müssen, ist weit v e r b r e i t e t 2 1 ) ; er ist eines der Hindernisse auf dem langen Wege. In deutschen Sagen wird der Rhein als Totenstrom genannt (s. Seelenüberfahrt) 22 ). Die Reise übers Meer oder über den Fluß findet in einem T o t e n s c h i f f statt (s. Seelenüberfahrt). Die Vorstellung vom Totenschiff wird oft mit der Schiffbestattung, wie sie im Nordischen überliefert ist, in Zusammenhang gebracht 23 ). Rosen dagegen nimmt an, daß die Schiffbestattungen vereinzelt gewesen seien und nicht auf dem Glauben an eine Totenüberfahrt beruhen. A u c h die Geschichte vom Schiffe N a g l f a r geht nicht auf den Glauben an ein Totenschiff zurück; Olrik betrachtet sie als episch-phantastische Ausdeutung des alten Aberglaubens, wonach abgeschnittene Nägel vernichtet werden müssen, damit sie nicht zu Schadenzauber verwendet werden können 24 ). Vereinzelt steht auch die Sage v o m •Campus Elisius bei Arles, wohin man die Toten in Schiffen und Fässern die Rhone hinunter schwimmen ließ 25 ). Als T o t e n f ä h r m a n n dient in den Überfahrtssagen gewöhnlich irgendein Schiffer, der nachts auf geheimnisvolle Weise aufgeboten wird (s. Seelenüberfahrt). Fraglich ist, ob Wodan diese Rolle Bächtold-Stäubli,

Aberglaube VIII.

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spielte, und ob ein Zusammenhang dieser Überfahrtssagen mit der Christophoruslegende besteht 2 6 ). Die Vorstellung von einer T o t e n b r ü c k e , die über den Strom führt, ist ebenfalls weit verbreitet und kommt im altnordischen (heidnischen) und mittelalterlichen Glauben vor (s. Seelenüberfahrt) 2 7 ); sie wird auch in Sagen erwähnt 28), und der Glaube scheint durch Andachtsbücher lebendig erhalten zu sein 2 9 ). Übergang über Fluß oder Brücke kommt auch in den Sagen von den ausziehenden Zwergen vor (s. Zwerg). Alle diese Nachrichten v o m Weggang der Toten, dem W e g und den Hindernissen, scheinen in den Erzählungen (auch schon im Altnordischen) ausgeschmückt, so d a ß es schwierig ist, den zugrundeliegenden Glauben herauszuschälen. Dieser ist vielleicht noch a m deutlichsten sichtbar in dem bretonischen Brauch, der noch am Anfang des 19. Jh.s bestand: die Leute von Plouguiel führten die Leichen über einen Meeresarm, trotzdem der W e g zu Lande näher gewesen wäre. E s schiint also, daß es ihnen hauptsächlich darum zu tun war, Wasser zwischen sich und den Toten zu bringen 30 ). Wasser wird ja auch hinter dem Leichenzug (s. d.) ausgegossen, um den Toten an der Rückkehr zu hindern. In dieser Vorstellung scheint mir der Kern des ganzen Glaubenskomplexes von Toteninsel, Totenstrom und -brücke zu liegen. Neckel

ZfEthn. Reallex.

50,

2,

Walhall; R o s é n Dödsrike 141t.;

561 f . ;

ERE.

2,

Scherke

29;

uff.;

Schräder

Primitive

136f.

ERE. 2, 29; Rosén a . a . O . ; S c h r e u e r ZvglRwiss. 33, 386f. 3) Rosén a . a . O . ; Un2)

w e r t h Totenkult iogff. ; H ö f l e r Kult. Geheim-

bünde 1, 221 ff. glaubt, Walhall sei das Jenseits kriegerischer Kultbünde; S c h r e u e r ZvglRwiss. 4 ) M a u r e r Island. 33. 387Ì. Volkssagen 6 8 ; S o o d e r Rohrbach 63f. 6 ) G r a b e r Kärnten 100.

1 0 5 ; M ü l l e n h o f f Sagen 3 7 4 t . ; Vernaleken Mythen 1 0 9 f f . ; W l i s l o c k i Magyaren 13. 6 ) U n -

w e r t h Totenkult 7 ff. 7 ) MschlesVk. 26, 93ff.; vgl. Helm Relgesch. 1, 35gf. ; M a n n h a r d t

Germ. Myth. 264f.

naleken

Mythen

8)

S t ö b e r Elsaß 33.

119;

Mannhardt

9)

Ver-

Germ.

Myth. 4 4 4 ® . ; MschlesVk. 2 7 , 2 4 3 ; P e u c k e r t 1 0 ) M a n n h a r d t Germ. Schlesien 234. Myth. 335f. ; Kuhn Westf. 1, 1 2 3 Ì Ì . ; L i e b r e c h t

Z. Volksk. 55f. ") M ü l l e r Uri 2, 208; Walliser Sagen 2, 171 ; SAVk. 30, g6f. 12 ) R o s é n Dödsrike u f f . ; Z e m m e r i c h Toteninseln 170.; G r i m m Myth. 3, 250; ZfVk. 11, i6ff.; Negelein Die 35

1091

Totenritt—Totenschädel

13 ) W a i b e l Reise der Seele ins Jenseits. u. 14 ) M e i e r Schwaben 2, 491. F l a m m 1, 312. 16) L. T o b l e r Schweiz. Volkslieder 1, 116. 16 ) G r i m m Myth. 2. 699. 17 ) L a u f f e r Niedd. 18 Vk. 129. ) G r i m m Myth. 2 669; W o e s t e 18 ) Mark 49; Z f V k . 11, 1 5 2 ! Zemmerich 20 ) R o s e n Toteninseln; R o s e n Dödsrike u f f . a. a . O . 21 ) S c h u r t z Urgeschichte 574; A R w . 14, 366; R o s e n 79ff. 22) G r i m m Myth. 2, 6 9 4 ! ; 3, 245; M a n n h a r d t Germ. Myth. 361 ff. 23 ) G r i m m Myth. 2, 6g2f.; A R w . 31, 232; W e i n h o l d Altnord. Leben 4 7 8 I ; Z f V k . N F . 3, 18 (vgl. Prähist. Zschr. 11/12, 187). 24) O l r i k 26) M a n n Ragnarök 72ff.; vgl. R o s 6 n 98ff. h a r d t Germ. Myth. 360. 2«) Z f V k . N F . 3, I4ff. 27 ) R o s e n 79ff.; A R w . 14, 322t.; G r i m m Myth. 28) V e r n a l e k e n 2, 696. Alpensagen 401; K ü h n a u Sagen 2, 527; vgl. L a n d s t e i n e r 28) Niederösterr. 3 1 ! J. S t u t z Sieben mal sieben Jahre. Pfäffikon 1927. S. 127. 30 ) S e b i l l o t Folk-Lore 2, 152. Geiger.

Totenritt. Das Roß als alte Grabbeigabe (s. d.) mußte die Vorstellung hervorrufen, daß der Tote ins Jenseits reitet. Geisterhafte Rosse können den Lebenden ins Jenseits entrücken (Dietrich v. Bern). Auch der Tod selbst wird reitend vorgestellt 1 ). In Sagen finden wir etwa reitende Tote. So sieht ein Knabe eine ganze Anzahl gespenstische Reiter und erkennt unter ihnen seinen (vermutlich verstorbenen) Paten 2 ). In einer alten Legende trifft ein Ritter einen Zug Reiter, die ein leeres Roß mit sich führen; er erfährt, dieses werde ihn noch in derselben Nacht zur Hölle führen 3 ). Ein Bauer will einen Schatz, den sein toter Nachbar vergraben hat, holen. Der Tote führt ihn zu Pferd zu seinem Grab und nimmt ihn mit 4). A m weitesten verbreitet ist der reitende Tote in der Lenorensage (s. d.). Die Grundlage ist die Sehnsucht der Toten nach den Lebenden; sie wollen sie nachziehen. Die Lebenden machen den Fehler, daß sie durch zu große Trauer den Toten herziehen. Meist ist es der Geliebte oder Bräutigam, der seine Eraut holt, seltener der Mann, der die Frau mit sich nimmt. In einzelnen Fällen erweist sich der Tote als richtiger Nachzehrer s ). Zur Totenhochzeit (s. d.) finde ich keine Beziehung.

IO92

I78f. 5) Z. B. Urquell 3, 331 ff.; L e B r a z Legende 2, 212 ff. Geiger.

Totenschädel. Von den Totenknochen (s. d.) wird besonders der T. zu verschiedenem Zauber benutzt. Er tritt auch häufig in Spukgeschichten auf. Wie der weit verbreitete Schädelkult und -zauber beweist 1 ), gilt der Kopf als der Repräsentant des Toten; weil er die Sinnesorgane enthält, so kann auch der T. noch denken und sprechen. Auch in prähistorischer Zeit scheint man Schädelknochen als Amulette benutzt zu haben 2 ). An Schädelkult erinnert auch die Sitte, Trinkschalen aus der Hirnschale zu verfertigen 3 ). In den Beinhäusern werden gewöhnlich die Schädel sorgfältig aufbewahrt. An einzelen Orten zeichnet man den Namen des Toten, die Hausmarke oder Verzierungen darauf; denen der Geistlichen wird ein schwarzes Käppiein aufgemalt 4 ). In Frankreich bestimmte noch in jüngster Zeit jemand, daß sein Schädel im Beinhaus neben dem seiner Vorfahren aufgestellt werden müsse 5 ). Der T. behält noch Leben. Der Schädel eines Zauberers bleibt unvermodert im Grab, und sein Gehirn arbeitet noch 6 ), wie das abgeschlagene Haupt eines Normannen noch Beichte ablegen konnte 7)_ T., besonders wenn sie ausgegraben oder von ihrem Ort weggenommen werden, verursachen allerlei Spuk 8 ). Ein Mann fängt einen Irrwisch; als er ihn zu Hause aus dem Sack nimmt, ist es ein T . 9 ) . Die Schädel enthaupteter Christen sollen in der Weihnachtsnacht Weihnachtslieder gesungen haben 10 ). T. kehren immer wieder zurück, wenn man sie w e g t r ä g t u ) . Blutende T. verraten einen Mord 12 ). Häufig ist das Sagenmotiv, daß einer wettet, einen Schädel zu holen; dieser ruft ihm, er solle ihn in Ruhe lassen 1 3 ); oder der Tote kommt, weil einer im Ubermut den Schädel zu Gaste geladen h a t 1 4 ) . Ein T. lädt seinen Beleidiger ins Tal Josaphat 1 5 ). Der Schädel behält die Gabe der Weissagung 1 6 ); man braucht ihn, um Lotterienummern zu erfahren 17 ).

N e g e l e i n : Z f V k . 11, 406ff.; 12, I4ff. 3770.; M a l t e n Jb. arch. Instit. 29, 234t.; A R w . 8, Wegen dieser magischen Eigenschaften, 2030.; H ö f l e r Kult. Geheimbünde 1, 37 f. wird der T. zu allerlei Z a u b e r benutzt. 2 ) M ü l l e r Uri 2, 234. 8) Argovia 17, 108f.; vgl. R o c h h o l z Sagen 2, 21. 4) G r a b e r Kärnten I Nachbildungen dienen als Talisman 18)~

1093

Totenschädel

Das Schloß Werdenberg sollte solange bestehen, als 3 Schädel, die dort aufbewahrt wurden, bestünden 19 ). Ein Totenkopf, in einen Taubenschlag gelegt (als Trinkgefäß), hält die Tauben beim Schlag und zieht fremde herein Ein Totenkopf, im Stall vergraben, verschafft den Pferden Gedeihen 2 1 ); man rafft dem Vieh das Futter mit der Hirnschale, dann gedeiht es gut 2 2 ). Ein Wirt wird verdächtigt, er ziehe Gäste an, indem er sich einen T. verschafft habe 23). Häufiger ist Schadenzauber. Aufhängen eines T.s im Rauchfang soll Trockenheit der Luft veranlassen 24). Ein Totenkopf, im Stall oder Haus vergraben, verursacht Krankheit und Tod 2 5 ). Mit Schädeln von Pestleichen soll die Pest verbreitet worden sein 26). Die Hirnschale eines Übeltäters dient zum Diebeszauber 27 ). Freikugeln erhält man, wenn man Blei durch die Augenhöhle eines T.s gießt 28). Das Loch in einer Mauer, durch das der Teufel geflogen ist, kann nur mit einem Schädelknochen zugestopft werden 29). Mit Erbsen, die in einem Totenkopf gewachsen sind, kann man sich unsichtbar machen Steckt man um Mitternacht eine Kerze in einen Schädel, so brennt sie nie zu Ende, besonders wenn sie aus Menschenfett gemacht ist 31 ). H e i l z a u b e r : Asche, aus einem T. gebrannt, wurde im Getränk gegeben als Heilmittel 32 ). Einer vergrub an drei Orten Totenköpfe, legte vier Steine darauf und vier Ruten darüber; damit könne er gesund machen und töten 3 3 ). Trinken aus einem Heiligenschädel galt als heilend 34). Trinken aus einem Mannschädel macht fest wie Stahl 3 5 ). Wein, durch einen T. gegossen, dient als Mittel gegen Trunksucht 36). Gepulverte Hirnschale wird gegen Fallsucht eingegeben 37 ), ebenso gegen Fieber 38) und andere Leiden 39). Irrsinnige läßt man aus einem T. trinken 40). Gegen Kopfschmerzen drückt man einen T. an den Kopf 41 ). Bettpisser sollen einen T. in ihren Strohsack stecken 42 ). T. kann man zum Schatzheben brauchen, oder um damit vom Teufel Geld zu erhalten; es muß aber der Kopf eines

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Toten sein, der in der Hölle ist 43). Hüllt man den Kopf eines Toten in Spinnhäute und gräbt ihn nach drei Jahren aus, so findet man Gold 44). Als Heil- und Zaubermittel wird auch das M o o s von einem T. gebraucht 4 5 ). Man kann damit Blut stillen 46), es hilft gegen Zahnweh 4 7 ), hält Läuse ab 48), und es wird in ein Gewehr geladen, wenn dieses verhext ist 49). Um sich fest zu machen, soll man sich Moos von der Hirnschale eines Gehängten oder Geräderten in die Kopfhaut nähen 50). *) S c h e r k e Primitive 75ff.; ZfVk. 22, 22f.; Mitt. geogr. Ges. Zur. 20, 2öff. 2) S c h e r k e 79. 3) P a u l u s D i a c o n u s 1, 27; 2, 28; B i r g e r M ö r n e r 137. 4) A n d r e e - E y s n Volhsk. I47ff.; R o c h h o l z Glaube 1, 2 g i f . ; Graubünden mündl. 5) B i r g e r M ö r n e r 186. 6 ) Urquell 3, 5gi. (Island) ; vgl. ZfVk. 23, 109. ') ZvglRwiss. 33, 368f. 8) M a u r e r (aus Thomas Cantimpr.). Island. Volkssagen 64; K o r t h Jülich 92; B i r l i n g e r ASchw. 1, 486; B a r t s c h Mecklenburg i , 462; SAVk. 21, 196t.; R e i s e r Allgäu 1, 284. 9) K u h n u. S c h w a r t z 233. 10 ) T e m m e Volkss. Pommerns 54. u ) K ü h n a u Sagen 3, 178; M ü l l e n h o f f Sagen 42 t.; M e i c h e Sagen 251t. 12 ) R o c h h o l z Sagen 2,126; K u o n i St.Gallen Sagen 178?.; Urquell 3, 87; M ü l l e r Uri 1, ögff.; SAVk. 2, 8; 13 ) vgl. K ü n z i g Schwarzwald 232. Reiser Allgäu 1, 413; B i r l i n g e r A.Schw. 1, 217 (Zimm. Chron.); H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 275; S t r a c k e r j a n 1, 199. 14 ) K l a p p e r Erzählungen 157; R e i s e r Allgäu 1, 411 ff. 16 ) M ü l l e r Uri 1, 65; vgl. 2, 178t. 16 ) Urquell 3, 87. 232; vgl. H ö f l e r Organoth. 5of.; A c k e r m a n n Shakesp. 71. 17 ) Urquell 5, 93; A n d r e e - E y s n Volksk. i5of. i e ) A n d r e e - E y s n Volksk. 138. 19) K u o n i 20) W o l f Beitr. 1, 250; St. Galler Sagen 47 f. W u t t k e 433; M e y e r Baden 413; B o h n e n b e r g e r 21; D r e c h s l e r Schlesien 2, 94; V e r n a l e k e n Alpensagen 419; S t r a c k Blut 51; W i r t h Beitr. 2/3, 59. 21 ) G r i m m Myth. 3, 463. 22) D r e c h s l e r Schlesien 2, 239. 23) D r e c h s l e r Schlesien 2, 239. 24) ZfdMyth. 1, 253 = A l p e n b u r g Tirol 265. 26) Urquell 3, 53; S c h u l e n b u r g Wend. Volkssagen 235. 2S) M e i c h e Sagen 500t ") S t r a c k Blut 51. 2S) SAVk. 2, 269; vgl. K ü h n a u Sagen 3, 421. 29) K n o o p Schatzsagen 34; vgl. K ü h n a u Sagen 3, 289. 30) W u t t k e 318. 31 ) W l i s l o c k i Magyaren 76. 32) F r i e d b e r g Bußb. 98. 33) SAVk. 2, 270. 34) S t r a c k Blut 5of.; A n d r e e - E y s n Volksk. 147; A n d r e e Parallelen 133fr. 35) D r e c h s l e r Schlesien 2, 241. 36) S t o l l Zaubergl. 8 i f . ; Urquell 3, 59; W l i s l o c k i Magyaren 76. 37) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, 212; J ü h l i n g Tiere 274; L a m m e r t 272; ZrwVk. 1,204; B l a c k Folk-Medicine 96; vgl. Urquell 3, 59. 38) H a r t m a n n Dachau u. Bruck 234. 39) M a n z Sargans 77; L a m m e r t 196; BayHfte 6, 205; L ü t o l f 554; B i r l i n g e r A. Schw. 2, 502; J a h n Pommern 163. 40) W l i s 35*

1095

Totenscheibe—Totenspende

41) l o c k i Magyaren 70; vgl. 76. Hovorka42) L a m m e r t K r o n f e l d 2, 189. 193. 136. 43) W u t t k e 134; P o l l i n g e r Landshut 198; G r a b e r Kärnten 96; B i r l i n g e r A. Schw. 1, 115. " ) W i e n Z f V k . 34, 69. «) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 298; H ö f l e r Organother. 56; D r e c h s l e r 46) H o v o r k a - K r o n f e l d 2, Schlesien 2, 240. 372; B l a c k Folk-Medicine g6i. *7) B i r l i n g e r 48) B a r t s c h Volksk. 1, 482; L a m m e r t 237. Mecklenb. 2, 459; S e y f a r t h Sachsen 291. 49 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 348; D r e c h s l e r Schlesien 2, 255; J a h n Pommern 163. 50 ) H a u p t Lausitz 1, 203. Geiger.

Totenscheibe. Haben kleine Kinder die sogenannte T., d. h. bleibt beim Runzeln der Stirn oben eine glatte Fläche, so sterben sie bald. Auch ein bleiches Gesicht scheint so genannt worden zu sein. K ö h l e r Voigtland 397; F i s c h e r Schwab. Wb. 6, 1762. Geiger.

Totennagel s. S a r g n a g e l . Totensonntag oder Todsonntag heißt in Schlesien der Sonntag Lätare (in Brieg auch „Todaus"), weil an ihm das Toda u s t r a g e n (s. d.) s t a t t f a n d 1 ) . Auch der ihm folgende fünfte Sonntag in den Fasten (Judica) wird so genannt 2 ). D r e c h s l e r 1, 65. 2 ) H ö f l e r Fastnacht 96; L e h m a n n Sudetendeutsche 141; R e i n s b e r g Böhmen 86 f. j- Sartori.

Totenspeisung s. Totenkult. Totenspende. Das Totenopfer (s. Totenkult ) ,die Gabe an den Toten .verwandelt sich in eine Gabe f ü r den Toten an die Kirche, die Armen oder die Kinder. Diese Entwicklung ist nicht spezifisch christlich; die Spende kommt auch in Persien, Palästina, Rom und anderswo vor. Der alte Sinn spricht noch deutlich aus der Sitte der Beduinen: wenn jemandem ein Toter im Traum erscheint und über Hunger oder Durst klagt, gibt man alsbald einigen Armen zu trinken und zu essen Weil die T. ursprünglich ein Opfer für den Toten war, wird sie am Begräbnistag oder den Totenfeiertagen verteilt; sie besteht meist aus Brot oder andern Nahrungsmitteln. Die Verteilung findet meist in der Kirche und durch Vermittlung der Kirche statt. Doch kam es früher auch vor, daß die Spenden an bestimmten Tagen am Grabe des Spenders ausgeteilt werden mußten 2 ). In Schwaben wurden den Kindern Lebkuchen aufs Grab der Eltern gelegt, angeblich als Gabe der

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Eltern 3 ); doch ist fraglich, ob wir hierin eine umgewandelte Spende sehen dürfen. Die Spende bestand oder besteht aus Korn 4) oder aus Brot, das vor oder beim Begräbnis oder an den Totenfeiertagen den Kindern und Armen ausgeteilt wird 5 ). Die Empfänger müssen dafür für den Toten beten 6 ), für jedes Laibchen so viel, als man Gras braucht, um es zu bedecken 7 ). Weitere Gaben sind Mehl 8 ), Salz 9 ), Käse 10). Es heißt, drei weiße Almosen (Salz, Mehl, Eier) seien am verdienstlichsten, um eine Seele aus dem Fegfeuer zu erlösen u ) . Ferner wurde der Kirche Butter gespendet, das zum Licht verwendet wurde 1 2 ); der Butterballen wurde im Leichenzug mitgetragen und in der Kirche aufgestellt. Heute wird nur eine Kerze aufgestellt, manchmal auch ein Butterballen aus Holz; dafür wird eine bestimmte Ablösungssumme bezahlt 1 3 ). Auch das Brot wird manchmal im Leichenzug mitgetragen 14 ), ebenso ein Sack Korn für den Meßmer 1 5 ), oder der sogen. „Voraus" (Kübel mit Butterwecken, Eiern, Brot, Korn u. a.), der für Pfarrer und Meßmer bestimmt ist 1 6 ). In Bayern trug dasSeelweib eine zinnerne Kanne, eine rote Wachskerze und drei weiße Spitzweckel zum A l t a r 1 7 ) . Im Stift Kremsmünster erhielten nach dem Tod eines Priesters die Armen 30 Tage lang das „Kreuzessen"; während dieser Zeit war im Speisesaal auf einem abgesonderten Tischchen ein Bahrtuch ausgebreitet, worauf ein Kruzifix stand 18 ). Häufig erscheint die Spende auch als Gabe an Lehrer und Kinder für Gesang bei der Leichenfeier 19) (S. Leichenzug). Auch an Allerseelen (s. d.) sind T.n üblich. Im Wertachgebiet werden die ,Seelenbrezgen' an den Grabsteinen und Kreuzen herumgehängt und dort in der Nacht (jedenfalls von den Armen) weggenommen 20). Spende von Seelen wecken ist an manchen Orten üblich 2 1 ). Es wurde auch „Sealameahl" gespendet 22), oder Schmalz an die Kirche geopfert 2 3 ). Im Luzernischen gehörte der Rest des Teigs beim Brotbacken den Armen, und der daraus gebackene Brotlaib hieß LiebSeelen-Mutscheli 24 ).

1097

Totenspuren—Totentanz

Andere Opfer wie Flachs, Werg, Wachs gehen an den Pfarrer oder die Kirche 25 ). Spuren eines Tieropfers kann man in andern Spenden sehen: 1784 ließ eine Erbin 2 Kühe schlachten und das Fleisch unter die Armen verteilen 26). Im Norden wurde die ,Seelgabe-Kuh' im Leichenzug mitgeführt und der Kirche geschenkt 27 ). Im Allgäu und anderswo wurde der Kirche ein schwarzes Huhn geopfert 28 ). Die Spenden gehen oft einfach an die Kirche, ohne daß über die Verwendung weiter etwas gesagt ist. So findet bei der Beerdigung und den Gedächtnisfeiern oft ein Opfergang statt, wobei die Teilnehmer um den Altar gehen und ein Geldstück opfern 29). !) W e s t e r m a r c k M o r a l b e g r . 2, 4 3 8 I ; L u c i u s Heiligenkult 2 7 ; vgl. S c h m i d t Geburtstag 5 o f . 2 ) S c h w e b e l Tod 2 5 1 ; N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 1 7 0 ; K u h n Thurgovia sacra 1, 1 8 2 ; 3 vgl. ZfVk. 16, 4 7 1 . ) B i r l i n g e r A. Schw. 2, 3 2 1 . 5 *) C a m i n a d a Friedhöfe 94. i i 4 f . ) John Westböhmen 1 7 6 ; Unterwaiden schriftl.; H e y l Tirol 7 8 1 ; S a r t o r i 1, 1 6 0 ; Bavaria i , 994; ZrwVk. 1907, 285; S c h m i t z Eifel 66; D H m t . 4, 1 5 3 ; R e i s e r Allgäu 2, 3 0 7 ; ZfVk. 11, 1 8 ; W i t z s c h e l Thüringen 2, 260; HessBll. 4, 1 0 ; 10, i n f . ; Volkskunde 23, 1 0 ; M e y e r Baden 1 1 3 . •) M e y e r Baden 600; Unterwaiden schriftl. 7 ) S c h ö n w e r t h 1, 2 5 8 ! ; vgl. H e y l Tirol 780. 8 ) H e y l Tirol 7 8 1 . 9 ) H e y l Tirol 7 8 1 ; C a m i n a d a Friedhöfe 1 2 0 ; Wallis schriftl. 1 0 ) N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 1 7 0 ; C a m i n a d a Friedhöfe 1 2 0 ; T. H a g e n b u c h Sigriswil (1882) 39; Graubünden schriftl. 11 ) H o m e y e r Dreißigste 12 156. ) Wallis schriftl.; J ö r g e r Vals 5 6 ; C a m i n a d a Friedhöfe 1 2 1 ; SchwVk. 1 2 , 36; vgl. ZfVk. 9, 57. 13 ) SAVk. 14, 79ff.; C a m i n a d a 14 Friedhöfe 99. ) Bulletin du Glossaire 14, 34. 15 18 ) H ö r m a n n Volksleben 427. ) Ebd. 427. 1? ) P o l l i n g e r Landshut 299; Bavaria 1, 9 9 3 f . 18 ) B a u m g a r t e n Jahr 30. 19 ) ZrwVk. 4, 284; H ö h n Tod 337. 20 ) B i r l i n g e r A. Schw. 2, 1 3 6 ; vgl. S a r t o r i 3, 262 A n m . 1 8 ; SchwVk. 8, 16. 21 ) B a u m g a r t e n A. d. Heimat 3, 1 3 3 ; S c h n e l l e r Wälschtirol 2 3 8 ; G r ä b e r Kärnten 140; S c h r ä m e k Böhmerwald 133t.; Caminada 22 Friedhöfe 1 1 9 ; M e y e r Baden 6 0 1 . ) B i r l i n g e r A. Schw. 2, 1 3 5 . 2S ) C a m i n a d a Friedhöfe 223. 24 ) L ü t o l f Sagen 555. 26 ) SchwVk. 1 2 , 3 6 ! ; ZrwVk. 7, 34; Argovia 5, 3 2 ; G a ß n e r Mettersdorf 96. 2B) N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 1 7 5 . '") T r o e l s - L u n d 14, 1 3 . 1 8 3 , 2 i o f . 28 ) R e i s e r Allgäu 2, 3 0 7 ! ; K r ü n i t z Encyclop. 73, 762. 29 ) P o l l i n g e r Landshut 300; F o n t a i n e Luxemburg 155; Egerl. 9, 3 2 ; N i d e r b e r g e r Unterwaiden 3, 1 6 9 t . ; B a u m g a r t e n A. d. Heim. 3. 117; K n u c h e l Umwandlung 39. Geiger.

Totenspuren. Das Erscheinen zurück-

IO98

kehrender Toten wird aus ihren Fußspuren erkannt; und zu diesem Zweck streut man Asche an dem Ort, wo man den Toten erwartet. So war in Ostpreußen Brauch, am Silvesterabend ein gebackenes Neujahrsbäumchen und gefüllte Salzfässer für die Toten hinzusetzen und vor dem für die Toten geheizten Ofen Asche zu streuen, um Fußspuren sehen zu können 1 ), oder es wird Sand vom Ofen bis zur Türe gestreut zum selben Zweck 2 ). In Dänemark wird das Leichenstroh auf dem Feld verbrannt; aus den Spuren in der Asche zieht man Orakel 3 ) ; in Frankreich wird bei der Beschwörung eines Wiedergängers Sand oder Asche gestreut, um zu erkennen, wo er sich im Hause aufhält 4). Auch bei außereuropäischen Völkern findet sich dieses Aschestreuen, um die Rückkehr von Toten festzustellen5). Auch die Anwesenheit anderer geisterhafter Wesen wird aus den Fußspuren festgestellt 6 ). !) ZfVk. 24, 109. 2 ) ZfVk. 11, 1 5 7 . 3 ) F e i l b e r g Dansk Bondeliv 2 , 1 1 7 . 4 ) L e B r a z Légende 2, 252. 6 ) K o c h Animismus 1 5 ; C r o o k e North. India 230; T h u r s t o n South. India 204. 6 ) S a r t o r i 3, 85; G ü n t e r t Kalypso 75. Geiger.

Totentanz. Die Vorstellung vom T., d. h. vom Reigen des Todes mit den Menschen, wie er im späten Mittelalter in bildlicher und dichterischer Darstellung auftritt, wird aus verschiedenen Wurzeln abgeleitet. Die wichtigste ist der alte Volksglaube vom Reigen der Toten, die als gefährliche Wiedergänger die Lebenden in ihren Kreis ziehen wollen. Dieses Bild wird von der französischen Geistlichkeit im 13. J h . aufgenommen und zu warnenden Bußpredigten benützt, wie das der asketischen Stimmung der Zeit entsprach. Mit diesem Motiv, dem Tanz der Toten, verbinden sich weitere: die alte Legende von den drei Toten und den drei Lebenden bringt warnende Sprüche der Toten dazu, während ursprünglich die Lebenden in Versen ihr Schicksal beklagten. Daraus entsteht ein dialogischer T.text. Dazu tritt eine andere Dichtung, worin der Tod mit dem Menschen ein Streitgespräch führt (Vadomori-Gedicht). Die Gestalt des Todes (als Reiter, Sensenmann u. a.) stammt aus antiken und

1099

Totenuhr—-Totenvogel

biblischen Vorstellungen her. Der Tod tritt auch als Reigenführer auf und fordert die Menschen zum Tanze auf; das Tanzmotiv spielt im späten M.A. eine wichtige Rolle, es wird allegorisch ausgedeutet und ist auch auf den Tod übertragen worden. Die älteste bildliche Darstellung wird in Paris 1425 erwähnt, eine weitere 1463 in Lübeck. Die Bilder sind wahrscheinlich erst aus Predigt und Dichtung geschaffen worden Diese Vorstellung vom Tanze des personifizierten Todes mit den Menschen erscheint kaum in der volkstümlichen Überlieferung; höchstens finden wir die Nachwirkung der T.bilder in den Redensarten vom ,Tod zu Basel' u. ä. (s. Tod). Dagegen wird öfter berichtet von Tänzen der Toten. In einer Legende des 14. Jh. tanzen und singen die Toten auf dem Landgerichtsplatz 2 ). Der Koch des Grafen von Eberstein sieht sich (1518) inmitten einer Schar tanzender Toter und stirbt bald darauf 3 ). Auch L. Lavater wußte von solchen Totentänzen 4 ). In verschiedenen Sagen tanzen die Toten um Mitternacht auf dem Friedhof oder in der Kirche 5 ), oder auf Kreuzwegen 6 ); in Walliser Sagen sind die Tanzenden mit Eiszapfen behangen 7 ). Ein Fiedler lockt durch sein Spiel um Mitternacht die Toten aus den Gräbern 8). In einem verzauberten Schloß fallen Glieder aus dem Schornstein herab, setzen sich zusammen und tanzen 9 ). Oft ist die Sage von den auf dem Friedhof tanzenden Toten mit dem Motiv vom Raub des Totenhemds verknüpft (s. Totengewand). Vom Mittanzen der Toten bei der Kirchweih s. Totenfeier. In Frankreich sah ein junger Mann an seiner Hochzeit seinen toten Vater mittanzen 10). Etwas anderes sind die .Totentänze' der Lebenden. Bei Naturvölkern bilden sie einen Teil des Totenkults u ) ; Sinn und Absicht können verschieden sein 12 ). Was die im Mittelalter oft verbotenen Tänze auf den Kirchhöfen bedeuteten, ist noch nicht klar 13 ). Über Tänze beim Leichenmahl und der Leichenwache s. d. d. Besonders eigenartig sind die Totentänze bei der Leichenwache, wobei ein Lebender den

IIOO

Toten spielen mußte (Leichenwache 4) M ). Daß solche Totentänze Lebender vorkamen, berichtet auch L. L a vater l s ) : „ E s ist auch beschähe, dz jung frölich mutwillig gselle sich verkleidet, vff dem Kilchhof getantzt / vnd einer mit einem todtenbein vff einem todtenbaum zu tantz gmacht. Welches durch etliche die es gesähen / in die gantz statt erschollen ist / dass man allenthalben für war gesagt vnd glaubt hatt / man habe ein todtentantz gesehen / vnd seye übel zu besorgen / es werde ein grosse pestilentz daruf volgen". Die Grundlage aller dieser Vorstellungen ist der Glaube, daß die Toten tanzen. Dies müßte zuerst erklärt werden. Wir finden diese Annahme bei den Naturvölkern, und in ihren Maskentänzen ahmen die Lebenden die Toten nach 16 ). Der Tanz soll das Wesen der Geister hervorheben; er findet sich als ein besonderes Schreiten und Springen auch bei den deutschen Masken (s. d.). Im Mittelalter ist dieses Tanzen der Toten wohl gerne dargestellt worden, weil es besonders drastisch und schreckhaft wirkte. Das Tanzen der Toten auf dem Friedhof ist wie der Gottesdienst der Toten um Mitternacht als eine A r t Nachahmung des diesseitigen Lebens aufzufassen, ein Fest der Gemeinschaft der Toten. Manchmal wird es auch anders gedeutet, nämlich als Strafe für verbotenes Tanzen während des Lebens 17 ). x ) W . S t a m m l e r Die Totentänze des Mittelalters. München 1922; G. B u c h h e i t Der Totentanz. Seine Entstehung und Entwicklung. Leipzig 1926; B u r d a c h Ackerm. v. Böhmen 1, 244t; Döring-Hirsch Tod und Jenseits 63 fE.; W a s e r Charon 55. 2 ) A r g o v i a 17, n g f f . 3 ) M e y e r Abergl. 138. 4) Von Gespänsten 1569. Bl. 48t>f. 6 ) B a r t s c h Mecklenb. 1, 222f.; K ü h n a u Sagen 1, 23; Z a u n e r t Rheinland 2, 207; H e y l Tirol 782; R T r p . 13, 584; S e b i l l o t Folk-Lore 4, 134. 6 ) S c h ö n w e r t h 2, 1 6 5 I 7 ) J e g e r l e h n e r 2, 8) 200. 238. 255. S c h e l l Berg. Sagen 310. 9 ) S t r a c k e r j a n 2, 47oif. 10 ) L a n g l o i s Essai... sur les danses des morts 1 (1852), 183. n ) S c h e r k e Primitive 127 f. 12 ) S A V k . 26, 307 f. 1 3 ) S c h w V k . 13, 25; N d d Z f V k . 6, 1 ff., 112S.; S A V k . 26, 307f. 14 ) s. a. H i r s c h Doodenritueel 49. 1 5 ) Von Gespänsten (1569) 9 b ; vgl. S A V k . 35, 199 ff. 16 ) S c h e r k e Primitive 1 2 7 f . ; S A V k . 26, 3 0 7 ! 1 7 ) J e g e r l e h n e r 2, 255. Geiger.

Totenuhr s. T o d e s v o r z e i c h e n . Totenvogel s. T o d e s v o r z e i c h e n .

Totenvolk—Tracht

1101 Totenvolk s. Nachtrag. Totenweg s. L e i c h e n w e g ,

Disentis 15

Toten-

reich. Totenzahn. Der T. gehört wie Totenknochen, -schädel u. a. zu den Totenfetischen und hat Zauberkraft. Otto I I I . soll, als er Karls d. Gr. Grab besuchte, einen Zahn, jedenfalls als Reliquie mitgenommen haben 1 ). Man trägt einen T . bei sich, u m Mut zu bekommen 2) oder um Glück zu haben 3 ). Ein Leichenzahn hält Ungeziefer fern 4) ; man beräuchert sich damit, u m Liebe loszuwerden 5) oder gegen Nestelknüpfen und anderen Bosheitszauber 6 ). Man kann damit den Dieb zwingen, Gestohlenes zurückzubringen 7 ), und man kann sich vom Kriegsdienst frei halten 8 ). Besonders häufig dient er zum Heilzauber 9 ). Der Z a h n von einem Toten schützt vor Zahnschmerzen und Zahnausfall 10), er fördert auch das Zahnen bei kleinen Kindern 1 1 ). E s muß der Zahn von einem Toten sein, der eines gewaltsamen Todes verstorben i s t 1 2 ) . Man m u ß ihn mit den eigenen Zähnen herausbeißen 13 ) ; man muß ihn zwischen 12 und 1 aus dem Beinhaus holen 14 ), und man soll ihn nachher wieder an die frühere Stelle stecken 15 ). Denn es ist nicht ungefährlich, ein solches Mittel bei sich zu tragen : man bekommt Totenfarbe im Gesicht 1 6 ), oder der Tote kommt und fordert den Zahn zurück 17 ). 3

G r i m m Sagen Nr. 481.

2

) Urquell 3, 150.

) H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 430; vgl. Schulen-

b u r g Wend.

4

Volkst.

234; S e y f a r t h Sachsen

) J o h n Erzgeb. 111; B i r l i n g e r A. 404. 5 ) L a m m e r t 152; D r e c h s l e r 2

289.

Schw. 1, Schlesien

33- 6) K e l l e r Graft 4, 86; Zahler Simmental

115; H ö h n Volksheilkunde i , 119; Jahn Pommern 171. 7) SAVk. 7, 51 f. 8 ) W u t t k e 135. 454. ») S e y f a r t h Sachsen

289f.

10

)

Pol-

l i n g e r Landshut 277; S t r a c k Blut 99; MschlesVk. 28, 210; J a h n Pommern 171; S t a u b e r Aberglaube 25; MsächsVk. 7, 111; S t r a c k e r j a n 2, 219; SAVk. 8, 150; C a m i n a d a Friedhöfe 97; Unoth 179; M a n z Sargans 58; D r e c h s l e r Schlesien 2, 238. 299; B o h n e n b e r g e r Nr.

1, 21; L a m m e r t 235; ZfVk. 8, 287; 22, 122;

Seyfarth

Sachsen

290;

Erzgeb.

John

SchwVk. 11, 47; Volksleven 9, 154.

u

111;

) Sey-

f a r t h Sachsen 290; J o h n Erzgeb. 54; S t o l l Zauberglauben 74. 12 ) ZfVk. 18, 443; T h i e r s Traité

(1679) 332t.

13

) Seyfarth

290; B l a c k Folk-Medicine

98.

14

Sachsen

212.

) Wettstein

17

1102 174; v g l . Z i m m e r m a n n Volhsheilk.

) Lammert

235.

18

) Manz

41.

Sargans 58.

) MsächsVk. 6, 253; s. a. Baldinger: SAVk. 35, 23 ff. Geiger. Tracht. 1. Unter Tr. versteht man neben Berufs- und Amtstr. vor allem die V o l k s t r . 1 ) , welche als eine „räumlich begrenzte, innerhalb dieser Grenzen einheitliche, altmodische Kleidungsweise" bezeichnet w i r d 2 ) , was den Begriff nicht ganz erschöpft. Ganz unrichtig ist es, wenn man sie als eine veraltete Modetr. 3 ) oder gar als „gesunkenes K u l t u r g u t " hins t e l l t 4 ) . Zuweilen nennt man Kleidung und Schmuck zusammenfassend mit dem W o r t Tr. 5 ). Die Volkstr. kann g a n z e n V ö l k e r n eigentümlich sein, so z. B . in Mittelasien den Kirgisen, Sarten, Turkmenen u. a., die auf den ersten Blick durch die Kleidung und besonders durch die K o p f b e d e c k u n g (s. Hut) erkenntlich sind, oder nur einzelnen V o l k s s t ä m m e n oder der B e völkerung einzelner Gaue, Landschaften oder Täler, deren Tr. mitunter von den Nachbarn in Liedern und Reimen verspottet wird, wie z. B . in dem Freiämter Tr.enlied 6 ). Bei der Tr. ist die Arbeitsoder Werktagstr. von der F e s t t a g s t r . zu unterscheiden. Die zweite bildet hauptsächlich die Volkstr. In diesen Begriff sind ferner einzuschließen die Konfirmations-, Abendmahls-, Paten-, Kindtaufs-, Hochzeits- und die gewöhnlich schwarze Begräbnis- und T r a u e r t r . ' ) , dann auch die verschiedene Tr. der ledigen und verheirateten, verwitweten Personen 8 ), wobei auch kirchliche A n schauungen m i t w i r k e n 9 ) . In der nordischen Sagazeit unterschieden sich die Freien durch ihre Tr. von den weißgekleideten S k l a v e n 1 0 ) . Die Tr. ist mit dem W e s e n eines V o l k e s und mit seinem n a t i o n a l e n und r e l i g i ö s e n E m p f i n d e n oft so eng v e r w a c h s e n , daß man nicht selten in der Einführung einer ausländischen Tr. etwas Sündhaftes, ja Teuflisches sieht. A l s im 17. Jh. Nikita Iwanowitsch Romanow, der Oheim des Zaren Michael, als erster Russe ausländische Kleidung zu tragen

ii03

Tracht

wagte, verbrannte der Patriarch eigenhändig das heidnische Gewand und zwang den Bojaren, sich durch Weihwasser reinigen zu lassen 1 1 ). Als Kemal Pascha nach dem Weltkrieg das Tragen des Fez (s. Hut) und Schleiers (s. d.) in der Türkei verbot, stieß er zu allem Anfang auf den hartnäckigsten Widerstand der Bevölkerung. Auch das deutsche Volk sah seit je in dem Aufgeben der heimischen Tracht und Übernahme der städtischen Kleidung ein schlechtes Zeichen. In Prophezeiungen vom Weltuntergang (s. d.) heißt es z. B., daß er nahe ist, wenn die Bauern sich wie die Herrenleute kleiden, wenn sie hohe Hüte aufsetzen und die Dirnen Seidenkleider tragen werden 1 2 ), womit man allerdings vor allem die Hoffart und den sittlichen Niedergang betonen will 1 3 ). Zwischen der Tr. und Sittlichkeit besteht auch sonst ein wichtiger Zusammenhang 14 ). Die einheitliche Tr. eines Volkes ist ein w e r t v o l l e s K u l t u r g u t , das gerade jenen Kulturvölkern fehlt, bei welchen die unselige Scheidung zwischen einer Oberschicht, die man oft irrtümlich als den alleinigen Kulturträger ansieht, und der großen Volksmasse besteht. Doch haben auch hier und so auch beim deutschen Volke einzelne Teile ihre eigentümliche Tr., die nicht in allen Fällen aus der früheren Mode der höheren Gesellschaftskreise stammt, sondern, wie etwa die Volkstr. in vielen Alpentälern, alt und bodenständig ist. Freilich ist auch diese hie und da der Mode unterworfen, indem sich etwa das einemal die Haube nach der Haartr., das anderemal diese nach der Haube richtet 1 5 ). Die hohe nationale Bedeutung einer gemeinsamen Tr. hat man schon seit langem erkannt, und wiederholt ist auf deutschem Boden der Versuch gemacht worden, eine e i n h e i t l i c h e Tr. für das ganze Volk zu schaffen, womit der Kampf gegen die Nachahmung fremder Tr.en Hand in Hand ging. Schon im 17. Jh. wandte man sich gegen die französischen Modenarrheiten, und im 18. Jh. klagte Justus Moser über die Verwelschung der Tr., und sogar Friedrich der Große suchte

1104

die französische Mode dadurch unmöglich zu machen, daß er die Scharfrichter sich französisch kleiden ließ. Im Jahre 1786 erschien der Aufruf eines Ungenannten zur S c h a f f u n g einer d e u t s c h e n N a t i o n a l t r a c h t , der sich besonders an das gebildete Publikum richtete, während um 1790 der Arzt Dr. Faust in Bückeburg mit seinen Vorschlägen mitten in das Volk trat. Zur Zeit der Befreiungskriege machten sich dieselben Bestrebungen geltend. E. M. Arndt und andere geißelten die damalige Männertr. W . Grimm befaßte sich 1814 in einem Brief mit dem von Becker gemachten Vorschlag zu einer deutschen Nationaltr., die eine teilweise Erfüllung in der zu jener Zeit von Studenten und Turnern getragenen altdeutschen Tr. und besonders der von Fr. L. Jahn eingeführten Turnertr. 1 6 ) fand. Im Jahre 1843 brachte Laube seine Pläne für eine deutsche Nationaltr. Ferner versuchte man 1871 eine deutsche Tr. einzuführen, deren Ergebnis die sogenannte Gretchentr. war 17 ). Und wie in diesen Zeiten tiefster Erniedrigung oder glorreicher Siege, meist im Zusammenhang mit großen Bewegungen (Sturm und Drang, Romantik, Freiheitsbewegung), so hat auch nach dem Weltkrieg die Frage der Volkstr. die Öffentlichkeit wiederholt bewegt. Zumindest suchte man im kleinen die landschaftlichen Reste alter Volkstr.en zu bewahren oder, wo sie vergessen waren, wieder zu beleben. Alle diese idealen Bestrebungen übersehen meist die Macht der Mode, die Folgen des ausgedehnten Verkehrs, die wirtschaftlichen Tatsachen, besonders den Ersatz der früheren Heimerzeugnisse durch die Fabrikware, dann den Einfluß der immer mehr wachsenden Städte und das Schwinden des bäuerlichen Selbstgefühles, ferner die Geldfrage und den Umstand, daß der heutige Mensch seine Kleidung hauptsächlich nach dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit und Billigkeit wählt18). 1 ) V g l . S c h u r t z Tracht u. bes. die L i t . bei K . S p i e ß Die deutschen Volkstrachten (ANuG. Nr. 342, Leipzig 1 9 1 1 ) 124 s . u. M a u t n e r -

tragen—Tränen Geramb

Steirisches

Trachtenbuch,

zu

Beginn

des

1912), dazu l i n g e r Aus

Voigtland 263 f f . ; J o h n ner Egerland 107 ff.;

101 ff " Hoops

Reallex.

257 ff. 491 S - ;

scher

Volkstrachten

20. Jahrhunderts

Z f V k . 23 Schwaben

I932ff.

Graz

Ferner R. J u l i e n Die deutschen

(München

(1913), 4 3 4 ; Su2, 399 ff-.' K ö h l e r Erzgebirge 39; G r ü Pollinger Landshut

4, 3 4 3 0 . ;

ZfVk. 1 (1891),

Heck77 ff.

(Jamund b. Cöslin); ZföVk. 9 (1903), 230 (Kuhländchen in Mähren). 2 ) S p i e ß a. a. O. 3.

3)

Ebd. 2.

14 f.

5)

4)

Naumann

K. W e u l e

Leitfaden

Gemeinschaftskultur der

Völkerkunde

(Leipzig u. Wien 1912) 120. 6 ) SchwVk. 1, 9. 39. ' ) V g l . S a r t o r i Sitte u. Brauch

2, 34 f . u .

West-

falen 32 ff.; Z f V k . 1 (1891), 230. Zur schwarzen

Begräbnistracht bes. SAVk. 19, 43; SchwVk. 5, 25 f. 8 ) Vgl- H e c k s c h e r 258. 272. 491. 500 ff. 9 ) Vgl. S p i e ß a. a. O. 34. 1 0 ) H e c k s c h e r 495. 11) S t e r n

Rußland

1, 400.

12)

Pollinger

Landshut 169 f . 1 3 ) V g l . J u n g b a u e r wald 173 f. 260 f . ; J . I l l i n g Historische

zeiungen (Pfullingen 1922) 37.

14)

BöhmerProphe-

Vgl. S c h u r t z

Tracht 130 ff. 1 5 ) V g l . S A V k . 1 1 ( 1 9 0 7 ) , 2 9 1 . 1«) V g l . Z f V k . 35/36 (1925/26), 298. « ) Zum

ganzen Abschnitt vgl. ZfVk. 23 (1913), 223 ff. 18) Vgl. S p i e ß a. a. O. 51 ff. 2. In der S a g e erscheinen oft Geister und ruhelose T o t e in einer altertümlichen, heute nicht mehr bestehenden Tr. Es äußert sich so ein Streben nach geschichtlicher Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Doch darf nicht übersehen werden, d a ß manche Sagen zu einer Zeit aufgezeichnet wurden, in welcher tatsächlich solche Tr.en noch lebten, und von einer Sammlung in die andere übernommen wurden, ohne daß festgestellt worden wäre, ob sie in dieser Gestalt noch im Volke leben. Bei geisternden Burgfrauen wird gewöhnlich ihre mittelalterliche Tr. hervorgehoben 1 9 ), es wird z. B . mitunter der Hut mit den wallenden Federn erwähnt 2 0 ). Die alte weiße Witwentracht trägt noch die weiße F r a u der Rosenberge 2 1 ), in glänzender Rittertr. reitet der Herr von ö x t e r bei Wietersheim (Kr. Minden) daher 22 ). In einer thüringischen Sage dagegen zeigt sich bereits eine Verschiebung, indem der R i t t e r Asmus von Stein nicht in ritterlichem Gewände, sondern mit einem dreieckigen H u t , einem langen, großknöpfigen R o c k und mit hirschledernen Hosen u m g e h t 2 3 ) . Diesen dreieckigen Hut tragen häufig Sagengestalten, so etwa auch geisterhafte J ä g e r 2 4 ) . Sonst werden auch Schnallenschuhe oder eine Perücke

1106

bei Geistern erwähnt, z. B . bei dem in der Frauenkirche ^u Unterriexingen umgehenden P f a r r e r 2 5 ) , oder es wird die ganze altmodische T r . genau beschrieben. Der Mergentheimer Spitalküfer wurde 1841 gesehen mit einem braunen F r a c k , roter Weste, kurzen, schwarzen Hosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen 26 ). Altertümliche Tr. haben die B e wohner des versunkenen Dorfes, das zu gewissen Zeiten a u f t a u c h t 2 7 ) . Diese altväterische oder ungewöhnliche Kleidung, welche man bei einzelnen Geistern hervorhebt 2 8 ), kommt dort dem K o bold zu, wo noch die Vorstellung des Ahnengeistes überwiegt und man sich den Hausgeist ähnlich gekleidet denkt wie etwa den Großvater 29 ). Sonst haben die Hauskobolde als Feuergeister rote T r . 3 0 ) , wie zuweilen auch die Zwerge, denen das Volk aber meist die näher liegende Bergmannstr. zuschreibt 3 1 ), die auch der Bergwerksgeist t r ä g t 3 2 ) . Dieser erscheint jedoch, da das ältere Bergmannskleid einem Mönchsgewand ähnlich war, a u c l u als Mönch, wie in einzelnen Fällen auch R ü b e z a h l 3 3 ) . In einer schlesischen Sage wird ein schwarzer Talar mit einem Stern darauf als Freimaurertracht e r w ä h n t 3 4 ) . Vgl. Kleid. Vgl. J u n g b a u e r Böhmerwald 82. 113. Ebd. 114. 2 1 ) Ebd. 141. 2 2 ) Z a u n e r t West-

19) 20)

falen

332.

23)

Q u e n s e l Thüringen

32.

24)

Ebd.

25) K a p f f 290; Z a u n e r t Rheinland 2, 235. Schwaben 35. 2 e ) Ebd. 53. 2 7 ) Q u e n s e l Thü-

ringen

262.

Nr. 529. 30 )

28)

29)

Ebd. 175; W u c k e

Lit. bei H e c k s c h e r 331.

Böhmerwald u . Rheinland

Werra

V g l . Z a u n e r t Natursagen 31)

305

1, 57.

Jungbauer

43. 3 2 ) Z a u n e r t Natursagen 1, 1 2 1 ; Q u e n s e l Thüringen

1, 64 205;

S i e b e r Sachsen 161. Vgl. G. J u n g b a u e r Die Rübezahlsage (Reichenberg 1923) 12. 3 4 ) P e u c k e r t Schlesien 95. 33)

Jungbau« tragen s. h e b e n . Tränen. I m mittelalterlichen Strafprozeß galt es als ein höchst charakteristisches Zeichen, eine Hexe zu erkennen, wenn diese v o r dem Richter oder während der Folter nicht weinen konnte. D a s Ausbleiben der Tränen — ein g a n z natürliches Ereignis bei der hochgradigen seelischen Erregung der armen Gefolterten — wurde dem Einfluß des Teufels zu-

ii07

Tränenkrüglein

geschrieben, der sich die größte Mühe gab, die Tränen zu verhindern, weil diese als Zeichen der Bußfertigkeit die himmlische Barmherzigkeit anflehten, während er alles versuchen mußte, um die Unbußfertigen in seine Gewalt zu bekommen. Nach B o d i n u s gestand eine Hexe, daß sie nur drei Tränen aus dem rechten Auge vergießen könne. Dieser Glaube ist noch in ganz Deutschland verbreitet. In England findet man ihn im 16. und 18. Jahrhundert erwähnt. Ist in Afrika jemand eines Mordes wegen angeklagt, so genügt die Trockenheit seiner Augen, um ihn der Giftprobe zu unterziehen 1 ). Ein Gottesgericht bei den Zigeunern besteht darin, daß man die Augenlider des Angeklagten mit einer starken Salzlösung einreibt, wobei im Falle der Unschuld die Augen nicht tränen dürfen 2 ). In Syrien glaubt man, daß diejenigen Personen, denen beim Lachen die Tränen in die Augen treten, bestimmt sind, fern von ihrem Vaterlande zu sterben 3). Allgemein glaubt man hier auch, daß die kleinen Kinder schwarze Augen bekommen, wenn man sie viel weinen lasse. S e l i g m a n n Zauberkraft 249f. 2) W l i s l o c k i Volksglaube 101. 3) Z. d. D.Palästina-Vereins 7, I I 4-—5. j- Seligmann.

Tränenkrüglein. Als T. bezeichnet man Fläschchen, die in alten Gräbern gefunden wurden, und von denen man annahm, daß darin die Tränen der Hinterbliebenen dem Toten mitgegeben wurden J). Von den Balten wird erzählt, daß die Klageweiber wirklich ihre Tränen in Fläschchen gegossen und diese in den Grabhügel gelegt hätten 2). Ein ähnlicher Brauch wird von den Russen erzählt: sie geben dem Toten die von ihren Tränen durchnäßten Tücher mit ins Grab, um die Trennung zu erleichtern 3 ). In anderer Bedeutung taucht das T. in Sagen und Märchen auf, worin ein verstorbenes Kind seiner Mutter erscheint und sich beklagt, daß es alle ihre Tränen in einem Kruge nachschleppen müsse. Dieses Motiv muß auf den Glauben zurückgehen, daß Klagen und Weinen dem Toten die Ruhe raube (s. Tote, Totenklage), und daß Rufe den Toten wecken (s. Totenerweckung). Dieser

II08

Glaube ist weit verbreitet 4 ); in einer dänischen Sage werden Weinen und Klagen geradezu als Zauber mittel gebraucht, um ein verstorbenes Kind wieder ins Leben zurückzurufen 5 ). Nach persischem Glauben bildeten die Tränen einen Fluß, der für die Seele ein Hindernis bildet 6). Sogar bei den Papuas wird erzählt, daß Tote zurückkommen und die Hinterbliebenen bitten, nicht mehr um sie zu weinen, sie könnten sonst den Weg zu den Toten nicht finden 7 ). In der Edda wird Helgi durch die Tränen seiner Gattin gequält 8). Das Verbot der Tränen wird in Sage und Märchen hauptsächlich durch zwei Motive dargestellt: das nasse Hemd und das Krüglein 9). Die ältesten Belege für das nasse Hemd stehen in Helmolts Slavenchronik und bei Thomas Cantimpratensis; bei jenem ist der Tote ein Erwachsener, bei diesem ein Kind, das der Mutter mit nassem Kleid erscheint. In den neueren Sagen ist es fast immer ein Kind, das sich im nassen Kleid seiner Mutter zeigt und sie bittet, die allzuheftige Trauer zu unterlassen 10 ). Das Motiv vom T. scheint in Deutschland auf einige mitteldeutsche Gegenden beschränkt zu sein u ) . Das Kind erscheint der Mutter mit dem Tränenkrug und klagt, es könne nicht selig werden 12 ), oder die Mutter sieht einen Zug fröhlicher Kinder, ihr eigenes Kind schleppt mühsam und traurig den Krug hinterher 13 ); oder das Kind erscheint im Zuge der Perchta, kommt aber des Kruges wegen fast nicht nach 14). Während es sich bei den deutschen Sagen immer um Mutter und Kind handelt, ist in ausländischen Varianten der Tote auch ein Erwachsener 16 ). Vereinzelt kommen auch andere Motive vor: das Kind klagt, es stehe tief im Wasser oder in einem Sumpf l e ), oder das Kind küßt die Tränen der Mutter auf 17). *) NddZfVk. 7, 47; S t ä h e l i n Die Schweiz in römischer Zeit1 361; K ö h l e r Voigtl. 492; S c h u l e n b u r g Wend. Volkss, 280. 2) ARw. 3 17, 483. ) NddZfVk. 7, 47. 4) HdWbddMä. 1, 84; Germania 11, 451t.; W a c k e r n a g e l Kl. Sehr. 2, 400fl.; G r o h m a n n Abergl. 190; R e u s c h Samland 53; S c h a m b a c h - M ü l l e r 220; W u c k e Werra 432; B a a d e r N.S. 85; M ü l l e n h o f f Sagen 143; W i r t h Beitr. 2/3, 67; L ü t o l f Sagen Nr. 471. 5 ) B o l t e - P o l i v k a 2, 490. 6) ZfdMyth.

ii09

Trank

1, 62Î. ; vgl. Zdd.morgenl.Ges. 58, 707. 7 ) L a n d t 8) j n a n Kawai Papuas 1 7 5 ! 191. Neckel 9) B o l t e - P o l i v k a Walhall 21. 2, 4850. zu G r i m m KHM. Nr. 109. 1 0 ) Z. B . S c h a m b a c h u. M ü l l e r 220; S c h m i t t Hetlingen 8; P a n z e r Beitr. 2, 5 3 f . ; R o c h h o l z Glaube 1, 207; Z f V k . 4, 456t.; K ü h n a u Sagen 1, 534t. 537; vgl. MschlesVk. 8, 80; K r a u ß Volkforsch. 113. H) Thüringen, Voigtland, Niederlausitz, Schlesien, Wenden. — Vereinzelt in K ä r n t e n und Siebenbürgen. A u s l a n d : Tschechen, Polen, Kleinrussen; Frankreich. S. B o l t e - P o l i v k a 2, 485ff. 12 ) M ü l l e r Siebenb. S. 64; S c h u l e n b u r g Wend. Volkss. 238; K ü h n a u Sagen 1, 537; W u c k e Werra I 3 3 f . ; vgl. G a n d e r Niederls) lausitz Nr. 208. G r a b e r Kärnten 184; G a n d e r Niederlausitz 8if.; K ü h n a u Sagen 14 1. 5 3 5 ^ W u c k e Werra 213Î. ) E i s e l Voigtl. 2if.; K ö h l e r Voigtl. 4 9 i f . ; Waschnitius Perht 151 f. 15 ) Z. B . L e B r a z Légende 2, 99f. ; L ö w i s of M e n a r Russ. Mär. 1. 16 ) G a n d e r Niederlaus. N r . 208; K ü h n a u Sagen 1, Nr. 585; MschlesVk. 3. H e f t , i g f . ; H a l t r i c h Siebenb. 308. 1 7 ) M ü l l e n h o f f Sagen 144. Geiger.

Trank (für die Grundvorstellungen vgl. G e t r ä n k und t r i n k e n ; auch der Artikel S p e i s e bringt viele Analoga). 1. Die Vorstellung von d e r S t ä r k u n g des O r e n d a (hier ist die Art des T.es natürlich ausschlaggebend, z. B . Blut eines starken und mächtigen Menschen, Milch starker Tiere usw.) durch den T. ist dem Germanen geläufig 1 ). Im Havamal in einer allerdings wohl interpolierten Strophe erfahren wir von einem Zaubert., den der junge Held bekommt, und der ihn besonders stark m a c h t 2 ) . Frazer erinnert an den Zaubert, bei der Jünglingsweihe 3 ). In Sage und Märchen hat diese Ansicht ihren Niederschlag gefunden. Im litauischen Märchen 4 ) vom starken Hans und starken Peter bekommen die Helden Riesenkräfte, weil sie von einer Löwin und Bärin gesäugt werden. Zauberhafte Uberkräfte gibt natürlich der von Geistern gebotene Zaubert. In den K H . Märchen findet der Jäger vor dem Kampf mit dem Drachen, der eine Jungfrau entführen will, auf einem Berge in einer Kapelle drei gefüllte Becher und darauf die Worte: Wer die Becher trinkt, wird der stärkste Mann der Erde und wird das Schwert führen, das unter der Schwelle vergraben ist; ähnlich ein norwegisches und ein schwedisches Märchen 5 ). Der T., der Riesenstärke gibt, ist auch in der

1110

Sage vom Glasberg der Mittelpunkt: Als für den kleinen Jan das Schwert, mit dem er dem Riesen den Kopf abschlagen will, zu schwer ist, sieht er eine Flasche mit der Aufschrift: Wer aus dieser Flasche trinkt, der kann das Schwert regieren 6 ). Die Buschrülpe auf dem Heidelberg bei Habelschwerdt verleiht einem verirrten Mann durch Speise und T. Riesenkräfte; sie rettet auch den vom Wildschützen verwundeten Jäger durch einen T., der die Wunde sofort heilt 7 ). H . D e h m e r Primitives Erzählungsgut 55; P a u l y - W i s s o w a 11, 2173. 2 ) Edda ed. G e r i n g 106; Si j m o n s - G e r i n g Edda 3, 1, 151. 3) F r a z e r 4) 3, 4 2 5 s . 43off. Veckenstedts Zschr. 1, 231. 5 ) M a n n h a r d t German. Mythen 1 7 4 s . 6 ) S t r a c k e r j a n Oldenburg 2, 304, 621. 7 ) K ü h n a u Sagen 2, 189, 824.

2. Sogar die G ö t t e r s e l b s t müssen nach der Vorstellung der Indogermanen ihr Orenda durch einen Zaubert, immer wieder stärken; so Nektar und Ambrosia der Griechen 8 ), der T. amrita der Inder 9 ). 8) G ü n t e r t Von der Sprache der Götter und Geister 1921, 98ff.; P a u l y - W i s s o w a 1, 809; Roscher Nektar u. Ambrosia L . 1883. 9 ) G r i m m Mythol. 1, 264. 261 ff.; E . H . M e y e r Religionsgeschichte 40.

3. Daß man die K r a f t u n d d e n V e r s t a n d eines Menschen durch den T. aus seinem S c h ä d e l in sich aufnehmen kann, ist wohl ein allen Primitiven gemeinsamer Glaube: Der Germane trank aus dem Schädel des Erschlagenen, um dessen Lebenskraft auf sich zu übertragen 1 0 ); und in Afrika trinkt man aus der Hirnschale des Königs, um von dessen Geist inspiriert zu w e r d e n u ) (vgl. t r i n k e n § 5). 1 0 ) B e r t h o l e t 2, 620.

Der

u

) F r a z e r 6, 171.

Zaubertrank:

4. Man kann sich die Vorstellung des Primitiven aus der Empirie der berauschenden Getränke folgerichtig entwickelt denken, daß der Rauscht, eine besondere Zauberkraft hat, der den Menschen in eine magische Ekstase versetzt und den Genießenden gotterfüllt m a c h t 1 2 ) . Am mächtigsten fließt natürlich die orendastärkende K r a f t von dem T. in den Trinkenden über, den der Gott selbst braut, der also wirklich von der göttlichen,

iiii

Trank

heiligen Materie erfüllt ist. Das beste Beispiel ist der Zaubermeth Odins 13 ), der Meth der Dichtkunst und Weisheit, welcher den Göttern und begnadeten Menschen gespendet wird. Dieser T. ist im Lied vom Sigrsdrifa beschrieben. Um die Kraft der Zauberzeichen durch den T. dem Trinkenden zuzuführen, schabte Odin noch Runen von den Gegenständen ab, in die sie eingeritzt waren: Abgeschabt waren alle die eingeschnittenen und vermischt mit dem Meth des Heiles . . . . Das sind Buchenrunen und Bergerunen, brauchbare Bierrunen auch, Runen an Zauberkraft reich 14 ).

Ähnlich gilt noch heute in der Volksmedizin das von heiligen Gegenständen abgeschabte Pulver als Heilmittel; man nimmt eben durch die Arznei die in ihr wirkenden Zauberkräfte in sich auf: Der von den geweihten Glocken abgeschabte Metallstaub wird gegen Fieber eingenommen 1S ). 12 ) 13 ) P a u l y - W i s s o w a 1. c. Edda von Si j m o n s - G e r i n g 3, 2, 216; M e y e r Religionsgeschichte 261 ff. 14 ) Übersetzung von G e r i n g L. W i e n p . 215 Str. 16/19. 15 ) W o l f Beitr. 2, 299; H o v o r k a - K r o n f e l d 1, 187; Z i n g e r l e Tirol 220; ZfVk. 8, 37.

5. Die Fähigkeit, einen Zaubert, herzustellen, ist natürlich nach den Göttern zunächst den G e i s t e r n u n d D ä m o n e n eigen; wenn man aber von dem T. genießt, ist man i h n e n v e r f a l l e n : Nach einer Pfälzer Sage wird ein Ritterfräulein durch einen Trunk, welchen ihm die Wasserelben reichen, an die Wasserwelt gebannt; auch der Vater trinkt trotz der Warnung der Tochter und verfällt den Wasserdämonen 16 ). Dieses Motiv, daß man den Elfen durch einenT. anheimfällt, ist in der nordischen Sage verbreitet 17 ). Graf Otto von Oldenburg machte einst müde vom Ritt am Osenberg halt und rief: Ach Gott, wer nur einen kühlen Trunk hätte; da tat sich der Berg auf und eine Jungfrau bot ihm in silbernem Trinkhorn einen T. an: er aber verschmähte den T. aus Mißtrauen und wurde so gerettet 18 ). l e ) G r i m m Sagen 216, 305. 17 ) H e r m a n n zu Saxo Grammaticus 2, 590; ZfVergl. Literaturgeschichte NF. 7, 49—59. 18) M e y e r Mythologie der Germanen 187; Festgabe für John Meier B. 1934, i 7 o f f -

1112

6. Manche Quellen, besonders in Frankreich, spenden ein W a s s e r , das wie ein Zaubert, wirkt, vor allem hat es die Kraft, die Wünsche der liebenden Mädchen zu erfüllen: Ein Bursche, der das Wasser trank, das das Mädchen mit der Hand aus der Bonne-Fontaine d'Ollioules geschöpft hatte, ist diesem verfallen 19). 19 )

S e b i l l o t 2, 23off. 233; 3, 284.

7. D e r Vergessenheitstrank20): Hier müssen wir unterscheiden, ob die Quelle von einem T. berichten, den Geister und Dämonen bereiten und bieten, oder ob es sich um einen von Menschen bereiteten T. handelt. Diese T.e gehören in jene Gruppe von Sagen und Märchen, in denen das Hauptmotiv darin besteht, daß der Mensch durch Trink- oder Speisegemeinschaft mit den Dämonen, Elfen und bösen Geistern diesen verfällt (vgl. oben A. 16/17). Die Färöernsage erzählt: Geht ein Bursche durstig und müde in die Öde, so kommt ein Huldremädchen aus dem Elfenhügel und bietet ihm einen T. Bier und Milch; bläst er den Schaum nicht ab, so trinkt er Vergessenheit und sie nimmt ihn mit sich in den Berg 21). In der Sage vom Grafen von Oldenburg ist das HexenhaftDämonische noch dadurch betont, daß, als er den T. über den Kopf zurückgießt, die auf das Pferd fallenden Tropfen diesem die Haare abbrennen. Sagen dieser Art sind nicht selten; manche Märchenhelden verfallen dem Zaubert. 22 ), einige aber verweigern den Trunk 2 3 ). In Griechenland haben wir die Überlieferung in einem andern Sinn verbogen: Wer das Orakel des Trophonios in Lebadeia befragen will (also auch hier Verkehr mit den Geistern), muß erst aus dem Wasser der Lethe, Vergessenheit des bisher Erlebten trinken; dann aber muß er aus dem Quell der Mnemosyne trinken (Erinnerung), um sich an das zu erinnern, was ihm das Orakel gesagt hat 24). Ganz parallel haben in der deutschen Sage die Zwerge als Gegenmittel gegen den Vergessenheitst. einen Erinnerungst. parat: Der Zwerg reicht einer Frau, die durch einen Zaubert, alles vergessen hatte, einen Erinnerungst., so daß sie ihr Gedächtnis wieder erhält 25 ).

Trank 20) G r i m m Mythologie 2, 922ff.; 3, 3 1 8 ; R o h d e Psyche 2, 4 3 7 ; G ü n t e r t Kalypso i56- S a r t o r i in der Festgabe für John 21 R M Meier 1934. I7°S) Meyer 22 Mythologie der Germanen 187. ) Schambach23 M ü l l e r 378ff. 381. ) Kuhn-Schwartz 25fi. 471 ff-; G r i m m Sagen 1 7 6 ; M ü l l e n h o f f 295; G r i m m 1. c. 3, 119. 34 8 - 24 ) R o s c h e r Mythol. Lex. 2, 3078. 25 ) H e r r m a n n zu SaxoGrammaticus 2, 590; ZfVgl. Lit. Gesch. I . e .

8. Das andere Motiv ist ebenfalls schon antik: Kirke, die Hexe, reicht den Gefährten des Odysseus einen Mischt., dem sie verderbliche Zauberkräuter beigemischt hatte ( 759 (Purpur); B e r t h e v i n Recherches histo- 87) K ö h l e r Voigtland 255; vgl. T e t z n e r Slaven riques ( 1 8 2 5 ) 3 3 6 J E . ; vgl. D u r a n d Rationale 325. 98) Wallis schriftl. (4 Jahre); H ö h n Tod 81 b. 88) Basl. Nachr. 15. 7. 1916. 89) Für 352; Graubünden schriftl.; S t r a c k e r j a n 2, Fürstinnen: B e r t h e v i n Recherches historiques 219; ZfVk. 6, 182; Meyer Baden 600; BF. 3, 21. (1825) 33öf.; L ü n i g Theatr. 2 , 7 5 9 . S. bes. ") H ö h n Tod 353; im Wallis: Frau für den Borinski: Sitzb. bayer. Ak. 1918, 10; 1920, Mann: 2—3 Jahre, Mann für die Frau: 1 Jahr. 90 10 1; ARw. 2 0 , 4 7 5 . ) H ö h n Tod 3 5 3 I ; Schw. Id. °) H ö h n Tod 3 5 2 f . ; J e n s e n Nordfries. Inseln 1, 429 (,erb'); L a u b e Teplitz 34; ZrwVk. 5, 345; R e i s e r Allgäu 2, 308; HessBll. 6, 109; 2 6 8 t ZföVk. 4, 268; ZfVk. 6, 411; B r a n d Pop. Ant. 2, 283; S t r a u ß Bulgaren 100; ARw. 25, 69; 7. Die Dauer der T . z e i t wird ursprüngP i t r e Usi 2 , 2 3 2 f . 101) Geschichtsfreund 1 0 , lich bestimmt gewesen sein von den Vor244; S c h m i t z Eifel 66f.; H ö h n Tod 352; stellungen über Anwesenheit und R ü c k BF. 3, 20; Volksleven 8, 52. l o a ) R e i s e r Allgäu 2, 308; Bavaria 1, 414; L e o p r e c h t i n g 255; kehr des Toten ; sie mußte also mit dessen H ö h n Tod 352; J o h n Westböhmen 178. endgültiger Verabschiedung enden. Da 103 ) H ö h n Tod 352; HmtK. 40, 87. Geiger. die T.bräuche ein Ausdruck des Schmerzes über den Verlust darstellen, so sind die Trauerweide s. W e i d e . T.zeiten je nach dem VerwandtschaftsTraum s. N a c h t r a g . g r a d abgestuft. Dies wird auch so aufTrauring s. R i n g . gefaßt, d a ß die nächsten Angehörigen Trauung s. H o c h z e i t . durch den T o d a m stärksten gefährdet und unrein geworden s i n d 9 1 ) . D a s Ende Trennungsriten im engeren Sinne, der T.zeit wird daher durch eine feierliche die nur B e z u g auf eine „separatio" haben, Reinigung bezeichnet 92 ). sind selten. B e i den meisten T . , wie sie z. B . Teil der Jünglingsweihen, der HochDie große T . dauert manchmal nur zeitsrituale, der Begräbniszeremonien sind, wenige T a g e 9 3 ) . I m deutschen Brauch soll die Trennung nur der Übergang zu sind selten kurze T.zeiten erwähnt: 6 — 8 einem neuen Leben oder einer neuen Wochen 94 ), 4 — 8 Wochen 95 ), 6 Wochen 96 ). Lebensform sein. V a n G e n n e p l ) hat Sämtliche zur T.feier Eingeladenen müsfolgerichtig solche T . nur als einen e r s t e n sen 4 Wochen t.n 97 ). Selten werden auch i n t e g r i e r e n d e n T e i l der regelmäßig besonders lange T.zeiten erwähnt, für dreiteiligen Ü b e r g a n g s r i t e n aufgefaßt nächste Angehörige 2 — 4 Jahre 98 ). F ü r (s. d.). Dies gilt insbesondere für solche Frauen, besonders Witwen, sind die VorFälle, wo der Übergang von einer Lebensschriften wieder strenger als für Mänstufe zur andern, v o n einer Standesgener " ) . Gewöhnlich beträgt die T.zeit meinschaft in die andere stattfindet. Der für die nächsten Angehörigen ein Jahr, K n a b e , der z u m Jüngling geweiht wird, für weitere entsprechend w e n i g e r 1 0 0 ) . muß sich zunächst von seiner bisherigen Sehr oft wird dieses T.jahr u m eine bestimmte Frist verlängert : u m 6 Wochen 1 0 1 ), Altersklasse „ t r e n n e n " , er muß sein Verhältnis zu Mutter und Geschwistern än4 Wochen 1 0 2 ). Wie bei der T.farbe schon dern, sich von ihnen „ t r e n n e n " , soll er in bemerkt worden ist, wird die Tieft, nicht sein neues Verhältnis eintreten; aber wenn plötzlich abgebrochen, sondern es folgt die Zwischenzeit überstanden, der Ubereine bestimmte Zeit Halbt. Manchmal gang vollzogen ist, kehrt er doch wieder ist auch Vorschrift, d a ß man nicht das zu ihnen zurück und steht wieder in einem ganze T.jahr einhalten soll, sondern man (wenn auch nun geänderten) Verhältnis zu müsse 4 Wochen oder einige Tage vor ihnen. Auf dieses neue Verhältnis hin Ablauf des Jahres die T.kleider ablegen, ist aber der ganze B r a u c h ausgerichtet; sonst folge ein neuer Todesfall, oder der und wenn auch T . als ein integrierender T o t e habe keine Ruhe 103 ). 91 Teil erscheinen, müssen sie in Zusammen) E R E . 4, 439f.; F L . 18, 4 0 3 ! ; C a l a n d Altind. Toten-u. Best.gebr. 172. 92) Z. B. ZfEthn. hang mit den Ubergangsriten Behandlung 1 7 , 8 4 ; R e i n f r i e d Buchari i 8 f f . ; ZfVk. 1 8 , 3 7 1 . finden. In diesem Zusammenhange sollen 93 ) P i t r è Usi 2, 231; ERE. 4, 439; A n d r e e nur die T . im engeren Sinn behandelt 94 Juden 166; FL. 14, 83. ) B a u m g a r t e n A. d. 87

Trennungsriten

werden. Solche Riten sind vor allem die Riten der Ausstoßung aus der Gemeinschaft, die überall von größter Bedeutung sind, sehr oft einer effektiven Tötung des Ausgestoßenen vorangehen müssen, soll durch diese Verletzung ihres Gliedes nicht die Gesamtheit leiden. Die Dschagga, ein Negervolk am Kilimandscharo, haben besonders feste Sippen verbände, die sich meist auch einen Rechtsvormund wählen, damit dieser die Sippe vertrete. Wenn man ein schädliches Mitglied ausstoßen will, versammeln sich alle Angehörigen der Sippe: In Gegenwart des Häuptlings und des Auszustoßenden nehmen sie die gelbe pflaumengroße Frucht der Solanumstaude und lassen sie Hand zu Hand Jeder bespeichelt sie. Zuletzt gehen. bleibt sie in der Hand des Rechtsvormunds. Der hebt sie hoch und spricht aus, daß die Sippe sich von ihrem Gliede löse und ihm Freiheit gebe, sich zu bergen, wo er will. Während er noch die Hand zum Wurf erhoben hält, verbietet der Häuptling das Werfen und fordert Raum zur Zwischenfrage, ob die Verwerfung ernstlich sei und keine Möglichkeit offen gelassen sein solle, ihn wieder zurückzunehmen. Wenn letzteres nachdrücklich verneint wird, verhandelt man noch über die Heimstätte des Ausgestoßenen. Dann hat der Rechtsvormund Freiheit, den Wurf zu tun, den keine Menschenmacht mehr ungeschehen machen kann. Auch Icein Nachkomme des so Ausgestoßenen darf je wieder in die Sippe aufgenommen werden 2 ). Dennoch geht die Trennung nicht so weit, daß er mit vollen Rechten und Pflichten in eine andere Sippe hätte übernommen werden können. Alle religiösen Riten konnten auch nach der Ausstoßung an ihm nur von einem Mitglied der alten Sippe und nach den Regeln der alten Sippe vollzogen werden; wenn er stirbt, darf kein Mitglied der Schutzsippe ihn bestatten. Vielmehr holt, unter Vermittlung des Häuptlings die alte Sippe ihn ab und bestattet ihn bei der alten Heimstatt 3 ). In ähnlicher Weise ist das Friedloslegen des Missetäters im deutschen Recht ein Trennungsritus, der auch das Sippenband 4 )

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trennt. In diesem Falle verliert der Abgetrennte allen Zusammenhang mit der Gemeinschaft, auch das Vermögen; und er kann nicht nur straflos getötet werden, sondern er soll es sogar (s. F r i e d e ) . Die römische Acht ist gleicherweise ein T.ritus schroffster Art; indem sie interdictio aqua et igni ausspricht und den Täter von aller geistigen Gemeinschaft wie aller staatlichen scheidet, trennt sie ihn von den Grundlagen des Seins; und der Sinn dieser Trennung ist eben, daß der Verstoßene damit auch aufhört zu existieren. Daß er auch nur den Unterirdischen preisgegeben gedacht wird, ist schon eine Milderung seines Geschicks, die außerhalb des ursprünglichen Rituales liegt. Ein T.ritual solcher engerer Art gibt es auch in Japan. Wenn ein Japaner in den Krieg zieht, trinkt er beim Scheiden aus der Weinschale Wasser. Damit zerschneidet er alle Bande, die ihn an die Familie und an andere Personen binden. Denn er geht in den Krieg, „um zu sterben",und es wäre unsittlich für ihn,an-eine Heimkehr zu denken wie es für seine Eltern unsittlich wäre, darauf zu rechnen, daß er verschont bleibt 5 ). Die Trennung einer Sippe, die zu groß geworden ist, als daß nicht aus der allzu weitläufigen Verwandtschaft Unzukömmlichkeiten entständen, erfordert ein sehr verwickeltes Ritual; man will ja den entgegengesetzten Zweck erreichen wie mit der Zusammenschließung unverwandter Sippen. Man reißt also zwischen Vertretern der beiden Hälften einen Graben auf; es kommt zu einem Scheinkampf, einem „Einandertöten mit Bananenblattrippen", und zuletzt zu einer feierlichen Aufhebung des Schwesterntabus. Vor den Sippenschwestern muß man sich nämlich in besonderer Weise in acht nehmen, weder Wort noch Tat darf die Schamhaftigkeit verletzen. Nun aber richtet einer der Alten, die diesen T.ritus leiten, an den Führer der anderen Partei die Aufforderung: „Laßt uns die Scham beseitigen, sage etwas zum Schämen. Es gibt hier keine Schwestern mehr, um derentwillen wir die Augen niederschlagen müßten". Daraufhin antwortet

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Trennungsriten

der andere mit einer Zote 6 ). Ebenso müssen bei Verkauf eines Grundstückes in feierlicher Weise T. beachtet werden. Hierbei gilt es, sich der Zustimmung der Sippenmitglieder zu versichern wie auch der Nachkommenschaft — deshalb überreicht der Sohn des Verkäufers als Zeichen seiner Zustimmung einen Bananenschößling •— man vergleiche in germanischen Rechten die Übergabe einer Scholle oder eines Halmes als Symbol der Übergabe des Haines. Die eigentlichen T. bestehen aber in einem Opfer von Milch und Bier, das an die Bananen ausgegossen wird. Dabei erklärt der Verkäufer, daß er dem Käufer Gedeihen auf dem neuen Grunde wünsche, und der Käufer erklärt seine feierliche Besitznahme und erwidert die Wünsche 7 ). Dienen doch T. sehr häufig dazu, die mit einer Trennung verbundenen Gefahren zu vermindern. Bei einem Verkaufe bestehen diese darin, daß der Verkäufer die Sache nur ungern hergibt. Wenn der Verkäufer eines Stückes Vieh dem Käufer mit geballter Faust nachgrüßt, so gedeiht das Vieh nicht 8 ). Der Verkäufer seinerseits läuft Gefahr, daß er mit dem verkauften Gegenstand ein Stück seines Ichs.seines „Glücks",hergibt und damit in die magische Gewalt des Käufers gerät 8 ). Gewisse Sachen darf man daher überhaupt nicht fortgeben, andere nur im Austausch, sei es auch nur eine Kleinigkeit, oder nachdem man einen Teil davon zurückbehalten hat. Auch gibt es Zeiten, wo man sich von nichts trennen darf, so vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang und zu den heiligen Zeiten. Verkauft man Saatkartoffeln, bevor man selbst welche gesteckt, so muß man drei davon zurückbehalten, sonst würden sie nicht keimen 10 ). Wenn man etwas zum Verkauf aus dem Hause führt, wirft man eine Handvoll Kehricht hintennach 11 ). Das Umgekehrte gilt von einer Abreise. Da darf man nicht fegen, ehe der Abreisende nicht aus den Grenzen hinausgekommen ist, solange man ihn noch sehen kann. Denn das Fegen als solches ist eben ein T.ritual. Wenn ein Besucher Abschied nimmt, darf man nicht vor ihm

aus der Türe gehen; sonst kommt er nicht wieder 12 ). Man darf auch nicht Salz hinter ihm drein streuen 13 ). Wichtig ist es auch, ehe man sich auf die Reise macht, alles im Hause in Ordnung zu bringen und den Tisch abzuräumen 13), sonst wird sie einem sauer — ein Gedanke, der in vielen abergläubischen Bräuchen auftritt : ehe man nicht eine Arbeit oder eine Sache ganz abgeschlossen hat, soll man sich nicht an eine zweite machen. Viele Totenbräuche sind ebenfalls T. im strengsten Sinne, die nur den Zweck haben, das Band zwischen dem Toten und den Lebenden zu durchschneiden — ohne der Absicht zu dienen, dem Toten den Weg in das Land der Seele, zur Ruhe und E r lösung zu erleichtern. Deshalb fesselte man den Toten und begrub ihn in einer Stellung, die es ihm unmöglich machen sollte, sich aus dem Grabe zu befreien. Man trägt mit den Füßen voran den Sarg aus dem Hause w ), man gießt der Leiche dreimal Wasser nach, verlöscht das Ofenfeuer, kehrt Bänke und Stühle um, auf denen der Sarg gestanden hat, schöpft das Wasser im Ofentopf rein aus, macht in dem Sterbezimmer drei Häufchen aus Salz, kehrt sie aus und wirft Kehricht und Besen hinaus, das Stroh, auf welchem die Leiche gelegen, wird verbrannt, oder sonst vernichtet und die Haustüre fest verschlossen, damit der Tote nicht wiederkehren kann 15 ). Nach Beendigung des Roggenschnittes werfen bei den Esten die Schnitterinnen ihre Sicheln über die Schulter nach rückwärts 16 ). Im Radbusatal werden bei Ankunft des letzten Erntewagens am Haustor Töpfe zerschlagen 17 ). Inwiefern Polterabendbräuche T. und wieweit Anfangsriten sind, s. Art. Polterabend. Wie obige Beispiele zeigen, gehen T. leicht in Abwehrriten, Trennungszauber leicht in Abwehrzauber über. Äußerlich zumindest werden oft ähnliche Formen beiden Zwecken dienen können. Sachlich aber handelt es sich um ein prinzipiell anderes. Beim Abwehrritus besteht von vornherein Antagonismus. Nicht so beim T.ritus, wo eben der Zweck des Brauches darin besteht, engst Verbundenes so zu

Treppe—Tribian

trennen, daß beide Teile dadurch keinen Schaden erleiden.

i) Arnold van G e n n e p Rites denn passage 2) (1909) 14. Bruno G u t m a n n Recht der 3 Dschagga 79. ) E b d . 236s. ") H. B r u n n e r 5 H e y m a n n (1925) 10, 18. ) Erwin B a l z Über 4ie Todesverachtung der Japaner 32. 6) Br. G u t m a n n Recht d. Dschagga 163. ') E b d . 305. 9) *) W u t t k e §292, S. 196. E b d . §625. 10) E b d . § 670. n ) E b d . § 710. 12 ) E b d . 624. E b d . § 629. 14 ) E b d . § 736. 15 ) E b d . § 731 ff.; S a r t o r i Tod 143. 16 ) S a r t o r i Sitte u. Brauch 1, 92. 17 ) E b d . K . Beth.

Treppe. 1. A l l g e m e i n . Die T. hat in den spärlichen Überlieferungen, in denen sie im Volksglauben eine Rolle spielt, teilweise eine ähnliche Bedeutung wie die Schwelle und die Tür als wichtige Stelle des Hauses. Paulus Diakonus berichtet, daß der ermordete Langobardenkönig Alboin unter der T. seines Palastes begraben wurde 1 ) (vgl. Schwelle II, a). Auf der T. der Pfalz, regis staplus, wurde im Mittelalter Gericht gehalten 2). Auf Helgoland glaubte man, daß die Hausgeister unter der T. wohnten 3 ). 3)

Hist. Lang. 2, 28. Z f V k . 2, 408.

2)

G r i m m RA.

2, 426.

2. G e g e n z a u b e r . Die Erkrankung einer Ziege wurde damit in Zusammenhang gebracht, daß ein fremder Mann ins Haus gekommen war. Die Hausfrau schlich sich zur T. und strich mit der rechten Hand über den T.nstein. Dann strich sie mit derselben Hand über den Rücken der Ziege (Norwegen) 4 ). 4)

Norsk Folkeminnelag 23, 76.

3. O r a k e l . In Hessen kehrt das Mädchen zu Pauli Bekehrung mit aufgelöstem Haar im Hemd rückwärts von der obersten Stufe auf dem Boden bis zur untersten im Keller. Was sie sieht, wird alles wahr. Dann muß sie sich ins Bett mit dem Kopf ans Fußende legen 5 ). Wer die T. hinauf fällt heiratet nicht in dem Jahr 6 ), oder es bedeutet Hochzeit 7 ), oder man bekommt 7 Jahre keinen Mann 8 ). Wenn ein Mädchen die T. hinauffällt, bekommt es einen neuen Schatz 9 ), soviel T.n noch vor ihr sind, so viele Jahre muß sie warten bis sie einen Mann bekommt 1 0 ). Ebenso schließen die Schweden Finnlands daraus ob man die T. hinauf- oder hinunterfällt, ob man heiraten oder nicht heiraten

II46

wird u ) . Fällt man die T. hinauf, so hat man gutes Glück 1 2 ). 6)

8) HessBl. 27, 202. O b d Z f V k . 2, 54. Freiburg, F o g e l Pennsylvania 87 Nr. 333. 8) Heidelberg ebd. 61 Nr. 187; 87 Nr. 334. 9 ) Ebd. 61 Nr. 188. 10 ) Ebd. 61 Nr. 188. " ) Folkloristiske og etnografiska studier 3, 217. 12 ) F o g e l Pennsylvania 108 Nr. 458. 7)

4. A n a l o g i e z a u b e r . Bei den Deutschen in Pennsylvania: Mit einem neugeborenen Kind muß man schnell die T. hinauf- und hinunterspringen, dann wird es schnell 1 3 ). Ein Kind, das nicht zuerst hinaufgetragen, bevor es hinuntergetragen wurde, kommt nicht in den Himmel 1 4 ), wird zu nichts emporsteigen 15 ), wird nicht alt 1 6 ). Man muß es zuerst hinauftragen, damit es in der Welt in die Höhe kommt 1 7 ), hoch singt 1 8 ), gescheit 1 9 ), eingebildet 20 ), stolz 2 1 ) wird. 13 )

Ebd. 38 Nr. 54; ähnlich: W. 390 § 596. F o g e 1 38Nr. 55. 16 ) E b d . N r . 56. 16 ) Es stirbt Heidelberg, ebd. 57 Nr. 63. " ) Ebd. 38 Nr. 58. 18 ) Ebd. Nr. 59. 19 ) Ebd. Nr. 60. 20 ) Ebd. Nr. 61. 21 ) Ebd. Nr. 62. 14 )

5. S i n n b i l d . Derselbe Grundgedanke wie in den Überlieferungen unter 3., 4., ist in den bildlichen Darstellungen des Menschenlebens als auf- und absteigende T. ausgedrückt. Die Benennung „Altersstufe" (gradus aetatis, klimaktis) war den alten Griechen und Römern geläufig 2 2 ). Der weise Pittacus soll, wie Aelian 2 3 ) berichtet, in den Tempeln von Mytilene T.n haben aufstellen lassen als Gleichnis für das Hinauf- und Hinabsteigen zu Glück und Unglück 2 4 ). 22 ) W a c k e r n a g e l Lebensalter 35; s. o. 4, 601. ) Hist. var. 2, 29. 24) W a c k e r n a g e l Lebensalter 35. 23

6. T. a u s K ä s e . Verschiedene Sagen erzählen von übermütigen Sennen, die eine T. aus Käse bauten und für diesen Frevel bestraft wurden 25). 25 ) V e r n a l e k e n Alpensagen K u o n i Sagen 123 Nr. 245. 246.

25

Nr.

15;

7. T. a u f K n i e e n h i n a u f r u t s c h e n s. knieen o. 4, 1575 2S). 26 )

Z f V k . 35/36 280.

Weiser-Aall.

Tribian, ein „Fisch". Konrad v. M e g e n b e r g (259) berichtet über diesen vermeintlichen Fisch (lat. „trebius"), daß ein eingesalzenes Stück von ihm, nach Plinius, die Kraft habe, ein Stück Gold, das in einen Brunnen ge-

1147

Trierer Segen

fallen sei, herauszuziehen. Noch konfuser ist A l b e r t u s M a g n u s (De anim. 24, 58), der noch beifügt: ,,Hic piscis (trebius) ex alga nidum construit et in nido ova parit". Das Ganze ist ein komisches Mißverständnis der Stelle 9, 80 von Plinius' Naturgeschichte, der über den S c h i f f s h a l t e r (s. d.) berichtet: T r e b i u s N i g e r (Begleiter des Prokonsuls L . Lucullus) [dicit, echeneidem] pedalem esse (1 F u ß lang) et crassitudine quinque digitorum (5 Finger dick) naves morari, praeterea hanc esse vim eius asservati in sale, ut a u r u m q u o d d e c i d e r i t in altissimos puteos admotus extrah a t " . Der Zusatz von Albertus bezieht sich auf die schwarze Meergrundel (Gobius niger), bei Plinius (9, 81): phycis. Der Irrtum findet sich wohl schon bei Vinzenz von Beauvais. j- Hoffmann-Krayer. Trierer Segen 1 ). Eine Reihe von Eintragungen des 10. Jh. in Trierer Handschrift (Nr. 40) wurde 1910 veröffentlicht; sie enthält u. a. 2 deutsche, mehrere lateinische Segen u. Geheimworte. Von den l a t e i n i s c h e n heben wir hervor: „Beronice" s. Blutsegen § 2 b, „ V n d e venis tu iordane" s. Jordansegen § 4, ,,Vos estis ancille" s. Bienensegen mit Anm. 6, „Elisabet peperit" s. Gebärsegen § 1 mit Anm. 11, „Herba bettonica" s. Kräutersegen § 1. — Die anzunehmende sächsische Vorlage der beiden deutschen (rheinfränkischen) Segen führt kaum weiter zurück als ungefähr 900 2 ). Der eine ist ein Blutsegen (s. d. § 2 b und Wundsegen): ,,Ad catarrum die. Crist uuarth giuund, tho uuarth he helgi (1. hei gi) ok gisund: that bluod forstuond, so duo thu bluod. amen". Der andere, von einigen für christlichen Ursprung des zweiten Merseburger Spruches (s. d. und Segen § 16) verwertet, ist ein Pferdesegen: „Incantatio contra eqvorum egritvdinem, qvam nos dieimus spvrihalz. Quam Krist endi sce Stpehan (1. Stephan) zi ther bürg zi Saloniun. thar uuarth sce Stephanes hross entphangan. So so Krist gibuozta themo sce Stephan (es) hrosse thaz ent-

1148

phangana, so gibuozi ihc it mid Kristes fullesti thessemo hro. Paternr.". E s folgt ein Gebet an Christus, das Roß zu heilen „sose thu themo sce Stephanes hrosse gibuoztos zithero bürg Saloniun. amen". E s ist dies eine Variante des später so beliebten Verrenkungssegens (s. d.) über das Pferd des Heiligen, obgleich im T.Segen das Leiden eher Verfangen (s. d.) oder Lähmung ist 3 ); der Art des Leidens entspricht, daß hier der Unfall nicht während sondern nach der Fahrt eintrifft. Zu vergleichen sind auch, reell der Segen „Petrus, Michahel et Stephanus" (s. Verfangen), formell der Segen ,,Visc flot"4) mit gebetartigem Schluß (beide Texte etwa 10. Jh.). — R. M. Meyer hielt den Segen für eine durch und durch verderbte Ableitung aus dem (heidn.) Merseburgerspruche. An Verderbnis ist nur so viel vorhanden, daß der epische Teil einen Abschluß vermißt: die Heilung wird nicht direkt erzählt, bloß in einem Nebensatz erwähnt. Vielleicht spürt man hier die Hand eines seine volkstümlichere Grundlage vorsichtig glättenden Bearbeiters, der dann wohl auch das inhaltarme Gebet an Stelle einer Beschwörung im Stile des Merseb. spruches setzte (vgl. Segen § 10 Schluß). Eine volkstümliche Grundlage braucht aber nicht notwendig ein germanisch-heidnischer Spruch gewesen zu sein. — v . Unwerth faßt den Segen als eine Anpassung ritueller Stephansgebete für die Pferde an das Schema volkstümlich-christlicher Verrenkungssegen, während der Merseb.spruch von diesen unabhängig sei. Aber solche Gebete galten schwerlich einzelnen erkrankten Tieren; und das Gebet im T.Segen bietet inhaltlich gar nichts als Wiederholung der Legende. — Von den Namen ist Saloniun sicher Jerusalem, formell wohl deutsche Dativform eines Nom. Salonia (Hierosolyma). Stephan ist dem Volke bis in die Gegenwart Pferdeheiliger gewesen; das Angrenzen seines Tages, 26. Dez. (wohl seit heidnischer Zeit Tag der Pferde-Riten) an Jesu Geburtstag brachte ihn auch im englischen und nordischen Volksliede mit dem Heiland zusammen 5 ) (Losch 6) wollte hinter

Trifels—trinken

ihm Balder erblicken: Balder war beritten).

beide

getötet,

i) Literatur: R o t h u. S c h r o e t t e r ZfdA. 52, 169 ff. (396); R. M. M e y e r ebd. 390 ff.; F e r c k e l Archiv f. Gesch. d. Medizin 7, 12gB.; B r a u n e P B B . 36, 551 ff.; K. K r o h n Gotting, gelehrte Anzeigen 174, 213 t.; v . U n w e r t h ZfdA. 54, 195 ff.; S t e i n m e y e r 3 6 7 0 . ; Groenewald ZfdPh. 47, 3 7 2 f f - : v ° g t z f d A - 65. 125. 2) 3 B r a u n e 1. c. ) G r o e n e w a l d 1. c.; vgl. 4 H ö f l e r Krankheitsnamen 216 (spurihalz). ) MSD. 1, 17 Nr. 4 (2, 49 f.). 6 ) G r u n d t v i g Danmarks

tung.

e

gl. Folkeviser

2, 518 ff. N r . 96 E i n l e i -

) L o s c h Balder 8.

Ohrt.

Trifels. 1. Berg (494 m) und B u r g südöstlich von A n n w e i l e r (Rheinpfalz), die „stolzeste und erinnerungsreichste" der deutschen R e i c h s f e s t e n , 1081 urkundlich erwähnt, seit Kaiser Heinrich V . (1126) Reichsburg, bis 1273 Reichsschatzkammer und als Aufbewahrungsort der R e i c h s i n s i g n i e n (dann auf der schweizerischen K i b u r g ) vornehmste Stätte des Reichs. Von dem T. aus brach Heinrich V I . am 12. Mai 1194 nach Sizilien auf. Bis um 1235 war der T . S t a a t s g e f ä n g n i s , in dem neben vielen sizilischen Staatsgefangenen, Opfern der staufischen Kaiserpolitik, auch der englische König Richard Löwenherz saß. 2. An die so besonders bedeutungsvolle Reichsfeste, von der aus Heinrich IV. seine K a n o s s a f a h r t angetreten und auf der Friedrich I. besonders gern geweilt haben soll, knüpften sich in der Zeit ihres Verfalls (nach 1410) die S a g e n , die den T. wie die wiederaufgedeckte B a r b a r o s s a p f a l z zu K a i s e r s l a u t e r n oder den K y f f h ä u s e r (s. d.) zum Ort der deutschen K a i s e r s a g e (s. d.) machen J ). Für Barbarossa (s. d.) bereitet man allnächtlich ein Bett auf dem T. (wie zu Kaiserslautern und Hagenau); denn er ist nicht gestorben, sondern „lebendig zu Hagenau in der Burg verzuckt". In Kaiserslautern hängt das Bett „ a n vier eisirn ketten" und ist doch morgens wiederum „zerbrochen". Als N a p o l e o n I. (s. Nachtrag) einmal in dem Bett schlief, stand er bleich und verstört am Morgen a u f 2 ) . Der Aufenthalt des R i c h a r d Löwenherz (1193/94) bot und bietet unerschöpflichen Stoff zu

1150

weiterer Sagenbildung und zur Dichtung (Sänger B l o n d e l ) 3 ). 1

) A. B e c k e r Rhein- und Kaisersage

4, (1926), 1 2 9 — 1 4 0 ) . 2 ) F . W . H e b e l Sagenbuch. K a i s e r s l a u t e r n (1912). s

Johannes B ü h l e r Des

)

Gefangenschaft

auf dem

1931; J. H a g e n 1937, 13—18.

Richard

Trifels.

in Der

NdZVk. Pfälzisch. S. 2 5 9 0 .

Löwenherz

N e u s t a d t a.

Pfälzer in

H.

Berlin

3. Mit der Überlieferung von den ungeheuern Kostbarkeiten, die der T. barg, von dem aus den Krönungsgewändern, den Kroninsignien und aus Heiltümern (Reliquien s. d.) bestehenden „ H o r t " , den wir aus dem auf dem T. gefertigten ältesten Reichsschatzinventar (1246) kennen, hängt wohl auch der Glaube an dort verborgene S c h ä t z e (s. d.) zusammen, die man schon vor Jahrhunderten (1723) fast von Amts wegen zu heben suchte 4 ). 4

) B e c k e r Pfalz

138. 368.

4. Eine beachtenswerte P l a s t i k am Kapellenerker des T. stellt wohl den aus dem Physiologus (s. d.) bekannten Waldesel ( O n a g e r ) dar, der dem sieghaften L ö w e n erliegt — anscheinend eine Versinnbildlichung und Verkörperung mittelalterlich-chiliastischer (s. Chiliasmus) E n d h o f f n u n g e n 6 ). 5 ) Ottfried N e u b e c k e r Der Trifelslöwe (Pfälzerwald-Verein, Wanderbuch, N e u s t a d t a.

H.

1936).

Anders A. B e c k e r

Der

Trifelslöwe

(Der Trifels [Ludwigshafen a. R h . ] 1932 Nr. 8); J. H a g e n a . a . O . Becker.

Trinitatis s. D r e i e i n i g k e i t . trinken, vgl. Getränke, Trank, Trankopfer; für die magisch-sympathetischen und kultlichen Grundlagen und Rudimente ist der Artikel essen heranzuziehen, für das Trinken einzelner Getränke die Artikel Bier, Branntwein, Milch, Wein, Wasser. A . T r i n k s i t t e n : Man kann zwar nicht behaupten, daß t. für die heidnischen Germanen eine heilige Handlung war 1 ) ; auch aus dem Umstand, daß „Biertrinker" wie Brotesser den Mann bezeichnet 2 ), darf man keine zu großen Schlüsse ziehen; aber immerhin ist die Fülle der Trinkliteratur 3 ), welche die festgewordenen Formen des Gemeinschaftstrinkens in den einzelnen Schichtungen und Berufs- und Ständegruppen des deutschen

trinken

ii5i

Volkes zum Gegenstand hat, kein geringes Dokument für die Wichtigkeit, die man diesem Geschäft beimaß 4 ). Inwieweit altgermanische Trinkriten, und das Minnetrinken neben den römischen Trinkzeremonien sich verschlungen und beeinflußt haben, wäre die Aufgabe einer Monographie und steht hier nur zur Diskussion; auf alle Fälle ist es falsch, hinter harmlosen Trinkzeremonien Rudimente von Opfern und des Minnetrunkes zu wittern 5 ). Wie unsere Sitte des Zutrinkens von der griechischen Sitte der rpiXoTTjaia itout? (irporoai? Tis ¡xsxi Seiirvov uTrsp ®iXia?) 6) und vom römischen propinare beeinflußt ist, zeigen L ö f f l e r 7 ) und Kirchner 8 ). Im alten Trinkkomment spielt die Dreizahl und deren Vielfaches eine große Rolle wie in den Versen des Ausonius: T e r bibe, vel totiens ternos, sie m y s t i e a est,

lex

V e l t r i a p o t a n t i vel ter tria multiplicanti

9 ).

Wir haben die Schilderung eines Gelages a m Rhein (6. Jh.) durch Venatius Fortunatas: „Umher lagerten die Zecher bei ehernen Bechern und tranken sich Gesundheit zu um die Wette wie Rasende" 1 0 ). Sogar im Volkslied hat die Sitte des Zutrinkens einen Niederschlag gefunden n ) . Verordnungen gegen das Zutrinken sind häufig12). Man stößt mit den Fingerspitzen an 13 ) oder mit den Gläsern 1 4 ); über das Prosit-Trinken Kircher 1 5 ); bebestimmte zeremonielle Redensarten haben sich je nach der Stammesgegend eingebürgert l s ); in Schweidnitz spricht der Bursche zum Mädchen beim Anstoßen: ,,Prost, ob du noch eine Jungfer b i s t " ; das Mädchen antwortet: W e n n sich der grüne W a l d wird neigen, W e n n K o r n und W e i z e n sich wird selber schneiden. W e n n Disteln und Dornen wer'n Rosen tragen, D a n n werd ich dir die A n t w o r t

sagen17).

Überall verbreitet ist das Anbieten des Begrüßungstrankes durch einen Bekannten, wenn ein Gast die Wirtschaft betritt; das Ablehnen des dargebotenen Glases gilt als Beleidigung 1 8 ). B e i m Gemeinschaftstrinken sind stereotype oder improvisierte Trinksprüche verbrei-

1152

t e t 1 9 ) ; an vielen Orten in der Mark herrscht der Brauch, daß der, welcher beim T. in einer Gesellschaft die Neige bekommt, den Anspruch auf das erste Glas aus der neuen Flasche hat; man heißt das das Lippehner Recht, weil die Lippehner früher einen ihrer Mitbürger stehend gezwungen haben sollen, die Neige auszutrinken 20). Den Becher in einem Zuge zu leeren, war auch Komment der Römer 2 1 ), während in jüdischen Kreisen die Vorschrift bestand, den Becher in zwei Zügen auszutrinken 2 2 ). Mit Wasser darf man auf niemanden Gesundheit t., sonst bekommt dieser Läuse (Thüringen) 23). Wenn man Branntwein trinkt, gehört es in Schlesien zum Bauernkomment, daß man das Gesicht verzieht, als ob man Gift getrunken hätte 24). ') B r u n n e r Rechtsgeschichte 1 2 , 436 A . 4 1 ; B u d d e Die Bedeutung der Trinksitten bei den Angelsachsen, Diss. Jena 1906, 87. 2 ) B u d d e 1. c. 87. 3) Fr. S c h u l t z e Geschichte des Weins und der Trinkgelage B. 1877; L ö f f l e r im Archiv f. Kulturgeschichte 7 (1909), 5 f f . ; v g l . 6, 71 jff. ; Z f V k . 18, 468; H a u f f e n in der Vierteljahrsschrift f. Literaturgesch. 2, 481 ff.; 6, 7 4 f f . ; K l u g e Bunte Blätter 94ff. i o i f f . 4) Ü b e r Trinkgelage: S c h r ä d e r Reallex. 2, 2 g f f . ; H e n n e a m R h y n 2, 61 f f . ; S c h u r t z Altersklassen 332. h) E . H . M e y e r German. Mythol. 213; J a h n Opfergebräuche 119. 1 6 7 ; W o l f Beitr. 1, 190. 6) H e s y c h . s. v . 'ft/.OTr^ia. 7 ) A r c h i v f. K u l t u r gesch. 6, 71 ff.; S a r t o r i Sitte u. Brauch 2, 186 8) A . 5. Wein 1 ff. 54. 5 9 f f . 6 i f f . 9 i f f . ; vgl. W r e d e Rhein. Vk. 1 6 1 ; K o l b e Hessen 145; Kloster 6, 701. 9) Arch. f. lat. Lexikographie 9, 1 0 336. ) A r c h i v f. K u l t u r g e s c h i c h t e 6, 7 2 f f . ; vgl. G r i m m WB. 16, 8 7 3 0 . n ) E r k - B ö h m e 1721/30; v g l . B o c k e l Handbuch d. d. Volksliedes 310. 1 2 ) A l e m a n n i a 9, 43. 1 3 ) MschlesVk. 14 ) 1909, 2o8ff. D r e c h s l e r Schlesien 2, 23. 1 5 ) I . e . 97. 16 ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 23; Sartori I . e . 2, 186; B l p o m m V k . 3, 155. 1 7 ) D r e c h s l e r 1. c. 23ff. 1 9 ) Z r h e i n V k . 1905, 278, 6; vgl. S A V k . 21, 180; S c h w V k . 10, 10; D r e c h s l e r 1. c. 24; Sitten, Gebräuche und Narrheiten 257. 19 ) S a r t o r i 1. c. 2, 186; Z f V k . 15, 3 5 f f . ; Urdsbrunnen 6, 61. 2») K u h n Mark 470; vgl. 370. 2 1 ) P l i n i u s Historia naturalis 14, 22 § 1 4 5 ; Z f V k . 3, 134. 22 ) Z f V k . 3 , 1 3 3 ® . 23 ) W . 461. 2 1 ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 24.

B . Wenn irgendwo, so müssen wir hier die sich um die Trinktätigkeit rankenden abergläubischen Vorstellungen und Bräuche im Sinne der römischen supefstitio, d. h. a l s Ü b e r b l e i b s e l e h e m a l i g e r magisch-kultischer Handlungen

DEUTSCHES VOLKSTUM Im Auftrage des Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde herausgegeben von J o h n

Meier

Bisher sind erschienen: B A N D 4:

DEUTSCHES VOLKSTUM IN GLAUBEN UND ABERGLAUBEN Von

Professor Dr. F R I E D R I C H P F I S T E R .

161 Seiten.

1936.

Oktav.

IX,

Geb. R M 3.80

Hier ist zum erstenmal der Versuch gemacht, eine Geschichte des germanisch-deutschen Volksglaubens von den vorgeschichtlichen Anfängen bis zur Gegenwart zu geben. Dazu wird in einem systematischen Teil der deutsche Volksglaube und sogenannte Aberglaube dargestellt, wie er sich in Gottesvorstellungen, im Brauchtum, in Erzählungen und in der bildlichen Darstellung äußert, wobei stets auch auf die altgermanischen Glaubensformen Rücksicht genommen wird. In einem einleitenden Abschnitt werden grundsätzliche Fragen der religiösen Volkskunde erörtert. BAND

5:

DEUTSCHES VOLKSTUM IN SITTE UND BRAUCH V o n Dr. P A U L G E I G E R .

Oktav. V I I I , 226 Seiten. 1936.

Geb. R M 4.80 Das Buch will darstellen, welches die Hauptmerkmale von Volkssitte und Volksbrauch sind, wie der Brauch entstanden ist, wie er lebt, sich entfaltet und sich wandelt. Die Bedeutung des Brauchs für das Gemeinschaftsleben wird besonders betont. Im ersten Teil des Buches werden die einzelnen Elemente des Brauchs untersucht, das heißt Handlungen und Gestalten wie z. B. Feuer und Masken, die dem Volk bei seinen Festen als überlieferte Darstellungsmittel dienen, um seinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu geben. Im zweiten Teil werden die einzelnen Bräuche geschildert, die Marksteine des Menschenlebens, die Bräuche des Jahreslaufs und des Arbeitslebens. Die Beispiele sind aus der Gegenwart oder aus der jüngsten Vergangenheit genommen worden; ältere Formen sind nur herausgezogen worden, um den Ursprung eines Brauchs oder die Wandlungen seiner Form und seines Sinnes darzulegen. Weitere Bände in Vorbereitung.

WALTER DE GRUYTER ZT CO., BERLIN W35

HANDWÖRTERBUCH DES DEUTSCHEN ABERGLAUBENS HERAUSGEGEBEN UNTER B E S O N D E R E R

MITWIRKUNG

VON

E. H O F F M A N N - K R A Y E R f UND M I T A R B E I T Z A H L R E I C H E R

FACHGENOSSEN

VON

HANNS BÄCHTOLD-STÄUBLI

BAND VIII 9./10. L I E F E R U N G TRITHEMIUS - UNHEIL

BERLIN

WALTER

UND

LElPZlGig37

DE G R U Y T E R

Sc C O .

VORMALS G . J . G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G - J . G U T T E N T A G , V E R L A G S BUCHHANDLUNG - GEORG

REIMER

- KARL J. T R Ü B N E R - VEIT & C O M P .

trinken

und G l a u b e n s ä u ß e r u n g e n ansprec h e n ; das bei den Primitiven zum Vergleich ausgewählte Material wird hier manchen scheinbar abstrusen Aberglauben als Rest eines ernst gemeinten sinnvollen Kultes erkennen lassen. 1. Bei Handlung des T.s, die ja z u r S t ä r k u n g des e i g e n e n O r e n d a sehr wichtig ist (vgl. § 5), sucht der magische Mensch alle Möglichkeiten eines S c h a d e n z a u b e r s auszuschalten. x. Viele T a b u s der Primitiven sollen verhüten, daß die Seele beim öffnen des Mundes aus dem Körper entflieht oder daß durch zauberische Einwirkung die Seele oder ein Teil des Orenda durch den offenen Mund herausgezogen werden kann 25). 2. Beherrschend ist die Angst vor dem bösen Blick. Die Tuaregs t. nie in Gegenwart eines Fremden 26 ); in der Kongogegend beobachtet man strenge Zeremonien, um den schädlichen Einfluß des bösen Blickes auszuschalten 27 ); dem vornehmen Abessinier hält der Diener beim T. ein Tuch vor 28); manche nehmen nicht einmal einen Trunk Wasser zu sich, aus Angst vor dem bösen Blick 29). Besonders fürchtet man die Anwesenheit des andern Geschlechtes 30); der Einfluß menstruierender Frauen ist besonders gefährlich 31 ). Einen Rest dieser Angstprophylaxe kann man hinter der Vorschrift vermuten: Wenn man trinkt, darf man nicht in die Kanne sehen 32). 3. Wie man sich „ d e n T e u f e l h i n e i n e s s e n k a n n " 33), so ist auch beim T. die Gefahr sehr groß, daß die bösen Dämonen in den Mund eindringen 34 ): In Hinterpommern heißt es: „Gibt dir eine alte Frau zu t., so darfst du nicht den letzten Tropfen austrinken, weil da leicht der Teufel drin sitzen könnte" 3 5 ). In Niederösterreich trinkt man am Abend nicht aus dem Brunnen, weil man sich leicht den Teufel hinein trinken könnte 36 ). Wenn man des^ Nachts trinkt, muß man dreimal hineinblasen, sonst bekommt der Teufel, der darin sitzt, Macht über einen 37) (Böhmen). Wasser aus einem Bache oder Brunnen, in welchen der Mond scheint, darf man nicht t. (SchleB ä c h t o l d - S t ä u b l i , Aberglaube V I I I

"54

sien, Oberpfalz) 39). Eine fürstbischöfliche Anordnung vom Jahre 1654 verbot, während der Sonnenfinsternis zu essen oder zu t. (vgl. essen § 11) 39). 4. Nach böhmischem Glauben kommt das Fieber durch Tr. in den Körper 40 ). In Schwaben glaubt man, daß nach dem Gebetläuten das Trinkwasser besegnet werden müsse, sonst trinke man sich an demselben eine Krankheit oder den Tod 41 ). 5. Allgemein ist man beim Tr. j e d e m Schadenzauber ausgesetzt. Die Babylonier fürchteten den Bann, dem man durch Wassertrinken aus einem unreinen Gefäß ausgesetzt ist 42). Im Altertum versah man Trinkgefäße mit apotropäischen Bildern, um das Getränk vor dem Schadenzauber jeder Art zu sichern; im Orient glaubt man heute noch, daß besonders die irdenen Gefäße der Behexung ausgesetzt sind 43 ). In Pommern warnt man: Gibt dir jemand einen Trunk, so mach mit der Zunge heimlich ein Kreuz darüber; dann kann dir niemand etwas antun 44). In Föhrental bei Freiburg soll ein Mädchen das Glas, das ihr der Liebste anbietet, nicht ganz austrinken: „Er tuat eim ebbis a, das ma nimme los wurd" 45). Wenn Ihering annimmt, daß das Zutrinken daher komme, daß man dem Gast die Vorstellung nehmen wollte, daß man damit ihm etwas antun wolle oder daß der Trank vergiftet sei, so kann das wohl nur für vereinzelte Fälle gelten 46). Besonders stark ist natürlich das an der Mutterbrust trinkende Kind dem Schadenzauber ausgesetzt: Bevor die Mutter dem Kind zu tr. gibt, muß sie die Brust dreimal abwischen 47). 6. Folgende V o r s c h r i f t e n beruhen wohl zum größten Teil auf der Furcht vor schädlicher Beeinflussung. Wenn dir ein Mensch einen Becher Getränk überreicht, laß ihn es zuerst kosten; dann den Tisch berührend (dieser ist als heilig verehrt), trinke 48 ). Wer aus demselben Glase trinkt, aus dem ein anderer getrunken hat, wird ihm gram (bekommt Ausschlag an dem Mund 49 ); ebenso, wenn zwei aus demselben Teller essen, werden sie einander gram 50 ) (Vgl. aber § 6). Wenn zwei kinderstillende Weiber 37

trinken

zugleich miteinander tr., so trinkt eine der andern die Milch ab; wenn ihrer zwei miteinander oder zugleich tr., so trinket der eine dem andern die Röte a b 5 1 ) ; überhaupt ist es nicht gut, wenn zwei zusammen tr. 5 2 ). Unter dem gleichen Gesichtspunkt verbietet das Bußbuch die Trinkgemeinschaft mit den Heiden: Qui christianus est, cum pagano non debet nec edere nec bibere neque cum illorum vasculo 53). Wenn man einem zutrinkt, reiche man den Krug nicht offen M ); sonst trinkt der daraus Trinkende dem andern die Kraft weg 55 ). Wer nach einem trinkt, erfährt seine Gedanken 56 ). Wer das Bier bis auf den letzten Tropfen austrinkt, trinkt seine und des andern Kraft 5 7 ). Nach Ch. Weises drei Erznarren ist es nicht gut, den Krug, woraus man trinkt, mit der Hand über den Deckel anzufassen, so daß er überspannt wird; sonst bekommt, wer daraus trinkt, Herzgespann 58). Man soll kein Getränk über die Hand (auswärts nach der Richtung des Daumens hin) eingießen, sonst bringt das Unsegen 59) oder Feindschaft Wenn man Wasser aus dem Krug über den Arm trinkt, bekommt man das Fieber 61 ). 7. Ein h a l b a u s g e t r u n k e n e s G l a s darf man nicht wieder voll einschenken, sonst bekommt der daraus Trinkende die Gicht oder eine böse Schwiegermutter 62). Gießt man einem jungen Mädchen beim Tr. Bier oder Wein ins Glas, wenn dasselbe noch nicht ausgetrunken ist, so muß es 7 Jahre warten, bis es einen Mann bekommt; passiert das einem jungen Mann, so bekommt er erst nach 7 Jahren eine Frau 6S). Trinkt man aus einem zerbrochenen Glas, so hat der böse Feind Gewalt über einen 64 ); wenn ein Mann aus einem solchen Glas trinkt, bekommt seine Frau lauter Mädchen 65). II. 1. Das Tr. kann unter bestimmten Voraussetzungen wie das Essen zu einer sakramentalen Handlung werden, so das Tr. des Milch-Honigtrankes (vgl. Milch § 4/5); dadurch wird der Genießende gotterfüllt, und seine eigene Lebenskraft wird erhöht 66 ), in verstärktem Maße nimmt man durch den Rauschtrank (der Rausch trank der Urzeit ist Met) 67 ) die

II56

Gottheit in sich auf 6 8 ). Ganz parallel zu den Vorstellungen beim Essen, glaubt der in magisch-sympathetischen Vorstellungen sich bewegende Mensch, daß man die Kraft und das Wesen des Getrunkenen in sich aufnimmt: Deswegen trinkt man das Blut tapferer Feinde (vgl. Blut). Nach Saxo Grammaticus läßt Biarco seinen Begleiter Hialto das Blut eines Bären tr.; „denn man glaubte, durch dieses Getränk würden die Kräfte ungeheuer vermehrt" 69), 2. Dieselben magisch-sympathetischen Vorstellungen liegen dem Tr. der A r z n e i zugrunde, deren Kraft man in sich aufnimmt 70). 3. Um die in einem Z a u b e r s p r u c h w o h n e n d e K r a f t auf sich zu übertragen, löst man die Buchstaben in eine Flüssigkeit auf und trinkt diese genau so, wie man die Zaubermacht von Formeln und Sprüchen durch Essen in sich aufnimmt (Vgl. essen § 32) 71 ). Von den vielen Beispielen seien nur wenige markante angeführt: Um einen Kranken zu heilen, schreibt man einen Spruch aus dem Koran mit heiligen Zeichen und Namen mit Safran oder Tinte auf einen Teller, gießt Wasser darauf und gibt dies so geheiligte Wasser dem Kranken zu tr.; geheiligt heißt hier: mit Heilkraft erfüllt 72 ). Gegen den Gluckser wird in einem spätantiken Rezeptbuch empfohlen: Man soll den Namen des Betreffenden auf die Hand schreiben und ihn lesen lassen; wenn er nicht lesen kann, soll man den Namen mit Wasser abwaschen und ihm zu tr. geben 73). In einem schwäbischen Brauchbuch lesen wir ein Mittel zur Erleichterung der Geburt: Man schreibt mit Honig in eine Schale folgenden Spruch: Adonai, wann die Trübsal vorhanden, so sucht man dich gleich wie eine schwangere Frau; wenn sie soll gebären, so ist sie in Ängsten und schreit in ihren Schmerzen; also geht es, Adonai, auch bei mir Dann schüttet man ein Getränk über den Honig und gibt es der Kreisenden zu tr. 74 ). Früher ließ man die Fieberkranken Zettel mit der Aufschrift „conceptio immaculata beatae Mariae virginis (Konzeptionszettel) essen, oder man gab einen Absud

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trinken

davon als Heiltrank 75 ); zu Heilzwecken wurden auch Madonnenbilder in Wasser aufgelöst und das Wasser getrunken 76 ). 4. Reste der Vorstellung von einer sympathetischen Einwirkung der Trinkhandlung oder des Getränkes auf Grund seiner Behandlung auf den Trinkenden: Während des Stillen darf die Mutter nicht tr., sonst wird das Kind ein Säufer " ) , hat das Gefäß, aus dem die werdende Mutter trinkt, eine „Schnauze" oder eine Lücke, so bekommt das Kind eine Hasenscharte 78 ). Trinkt ein Kind gern Wasser aus dem Badeschwamm, so gibt es einen guten Sänger 7 9 ). Wenn die Bäuerin beim Pfannkuchenbacken Wasser trinkt, geht auch ihr Schmalz im Hafen aus 8 0 ). Wer Getränke trinkt, die man mit dem Messer umgerührt hat, bekommt Leibschneiden 81) (vgl. Milch § 13). 5. Tr. aus b e s t i m m t e n G e f ä ß e n zur magischen Aneignung der diesen zugeschriebenen K r a f t : Geweihte und zu heiligen Zwecken dienende Gegenstände als Gefäße haben natürlich im Volksglauben eine gehobene K r a f t : Wenn in Helgoland eine Glocke angeschwemmt wird, wird sie für besonders krafterfüllt gehalten. Die Schiffer tr. sich aus dieser Glocke zu, um Ostwind zu bekommen; auch im Heilzauber wird die Glocke als Gefäß verwendet 8 2 ). Wenn man daraus trinkt, wird das Irrsein geheilt 83). Das Tr. aus dem Horn verschafft überirdische Kräfte und Gesundheit 8 4 ), weil man glaubt, daß die K r a f t der Tiere auch in dem vom Kadaver abgetrennten Horn weiterlebe 85 ). Zaubersprüche und Runen auf dem Horn erhöhen natürlich die Kraft. Der V e r g e s s e n h e i t s z a u b e r t r a n k , den Gudrun von ihrer Mutter Grimhild nach der Ermordung Sigurds bekommt, wird in einem Horn gereicht, auf das zur Verstärkung des Zaubers Runen geritzt sind 8 6 ). So verbietet die Synode von Elusa c. 3: de incantatoribus, qui instinctu diaboli cornua praecantare dicuntur, si superiores forte personae sunt, a liminibus ex communicatione pellantur ecclesiae, humiliores vero personae fustigentur 87 ). Die gleiche Vorstellung haben wir beim Tr. aus Menschen-

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schädeln 88). Die Ugandastämme glauben, daß sie mit dem Trank aus dem Schädel des verstorbenen Häuptlings zugleich dessen K r a f t und Verstand tr. 89). Abgeschwächt ist diese Vorstellung, wenn man in Schlesien glaubt, daß das Tr. aus einem Menschenschädel fest mache 90). In der Oberpfalz und in Baden stellt man einen Totenschädel als Trinkgefäß in den Taubenschlag, damit die Tauben nicht fortfliegen 9 1 ); oder man tut das, um fremde Tauben anzulocken 92 ). 6. Wie das G e m e i n s c h a f t s m a h l (vgl. Mahl A . 2 und essen § 4) ist auch das gemeinsame feierliche T r . für den primitiven Menschen eine heilige Handlung, welche die gemeinsam Trinkenden bindet und verpflichtet 9 3 ). Für die Germanen bezeugt uns Tacitus, daß sie bei Gemeinschaftsgastmählern die wichtigsten Dinge beraten und verabredet haben 94 ). Hierher gehört t r i n k e n 9S ).

das

Brüderschaft-

Bindendes Gemeinschaftstrinken bei der V e r l o b u n g : und bei der H o c h z e i t : Hier steht die Trinkzeremonie ganz in Einklang zu der Confarreatio: Paulus Diakonus erzählt uns, wie die Langobardenkönigin sich mit Agilulf verlobte: Sie trinkt mit ihm gemeinsam ein Glas Wein; gegen die Sitte, solche Zeremonien als Grundlage einer rechtmäßigen Ehe anzusehen, wettert die Synode von Angers: Intelleximus nonnullos volentes et intendentes matrimonium ad invicem contrahere, nomine matrimonii potare et per haec credentes se ad invicem matrimonium contraxisse carnaliter se commiscent 96 ). Auch das Volkslied zeigt Spuren dieser Sitte Verlobung durch gemeinsames T r . 9 7 ) . Warum gibst du mir zu trinken roten Wein aus deinem Glas ? Das geschieht aus lauter Liebe, Weil du sollst sein mein Schatz.

In Hessen tr. Braut und Bräutigam bei der Verlobung aus einem Glas 9 8 ). Der Trank in Ditmarsen vor dem Beilager scheint mehr ein Stärkungstrunk zu sein 99 ). Fehrle erwähnt in seinem Artikel Confarreatio zwei schlagende Beispiele 37*

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trinken

davon als Heiltrank 75 ); zu Heilzwecken wurden auch Madonnenbilder in Wasser aufgelöst und das Wasser getrunken 76 ). 4. Reste der Vorstellung von einer sympathetischen Einwirkung der Trinkhandlung oder des Getränkes auf Grund seiner Behandlung auf den Trinkenden: Während des Stillen darf die Mutter nicht tr., sonst wird das Kind ein Säufer " ) , hat das Gefäß, aus dem die werdende Mutter trinkt, eine „Schnauze" oder eine Lücke, so bekommt das Kind eine Hasenscharte 78 ). Trinkt ein Kind gern Wasser aus dem Badeschwamm, so gibt es einen guten Sänger 7 9 ). Wenn die Bäuerin beim Pfannkuchenbacken Wasser trinkt, geht auch ihr Schmalz im Hafen aus 8 0 ). Wer Getränke trinkt, die man mit dem Messer umgerührt hat, bekommt Leibschneiden 81) (vgl. Milch § 13). 5. Tr. aus b e s t i m m t e n G e f ä ß e n zur magischen Aneignung der diesen zugeschriebenen K r a f t : Geweihte und zu heiligen Zwecken dienende Gegenstände als Gefäße haben natürlich im Volksglauben eine gehobene K r a f t : Wenn in Helgoland eine Glocke angeschwemmt wird, wird sie für besonders krafterfüllt gehalten. Die Schiffer tr. sich aus dieser Glocke zu, um Ostwind zu bekommen; auch im Heilzauber wird die Glocke als Gefäß verwendet 8 2 ). Wenn man daraus trinkt, wird das Irrsein geheilt 83). Das Tr. aus dem Horn verschafft überirdische Kräfte und Gesundheit 8 4 ), weil man glaubt, daß die K r a f t der Tiere auch in dem vom Kadaver abgetrennten Horn weiterlebe 85 ). Zaubersprüche und Runen auf dem Horn erhöhen natürlich die Kraft. Der V e r g e s s e n h e i t s z a u b e r t r a n k , den Gudrun von ihrer Mutter Grimhild nach der Ermordung Sigurds bekommt, wird in einem Horn gereicht, auf das zur Verstärkung des Zaubers Runen geritzt sind 8 6 ). So verbietet die Synode von Elusa c. 3: de incantatoribus, qui instinctu diaboli cornua praecantare dicuntur, si superiores forte personae sunt, a liminibus ex communicatione pellantur ecclesiae, humiliores vero personae fustigentur 87 ). Die gleiche Vorstellung haben wir beim Tr. aus Menschen-

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schädeln 88). Die Ugandastämme glauben, daß sie mit dem Trank aus dem Schädel des verstorbenen Häuptlings zugleich dessen K r a f t und Verstand tr. 89). Abgeschwächt ist diese Vorstellung, wenn man in Schlesien glaubt, daß das Tr. aus einem Menschenschädel fest mache 90). In der Oberpfalz und in Baden stellt man einen Totenschädel als Trinkgefäß in den Taubenschlag, damit die Tauben nicht fortfliegen 9 1 ); oder man tut das, um fremde Tauben anzulocken 92 ). 6. Wie das G e m e i n s c h a f t s m a h l (vgl. Mahl A . 2 und essen § 4) ist auch das gemeinsame feierliche T r . für den primitiven Menschen eine heilige Handlung, welche die gemeinsam Trinkenden bindet und verpflichtet 9 3 ). Für die Germanen bezeugt uns Tacitus, daß sie bei Gemeinschaftsgastmählern die wichtigsten Dinge beraten und verabredet haben 94 ). Hierher gehört t r i n k e n 9S ).

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Brüderschaft-

Bindendes Gemeinschaftstrinken bei der V e r l o b u n g : und bei der H o c h z e i t : Hier steht die Trinkzeremonie ganz in Einklang zu der Confarreatio: Paulus Diakonus erzählt uns, wie die Langobardenkönigin sich mit Agilulf verlobte: Sie trinkt mit ihm gemeinsam ein Glas Wein; gegen die Sitte, solche Zeremonien als Grundlage einer rechtmäßigen Ehe anzusehen, wettert die Synode von Angers: Intelleximus nonnullos volentes et intendentes matrimonium ad invicem contrahere, nomine matrimonii potare et per haec credentes se ad invicem matrimonium contraxisse carnaliter se commiscent 96 ). Auch das Volkslied zeigt Spuren dieser Sitte Verlobung durch gemeinsames T r . 9 7 ) . Warum gibst du mir zu trinken roten Wein aus deinem Glas ? Das geschieht aus lauter Liebe, Weil du sollst sein mein Schatz.

In Hessen tr. Braut und Bräutigam bei der Verlobung aus einem Glas 9 8 ). Der Trank in Ditmarsen vor dem Beilager scheint mehr ein Stärkungstrunk zu sein 99 ). Fehrle erwähnt in seinem Artikel Confarreatio zwei schlagende Beispiele 37*

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trinken

für die kirchliche Hochzeitszeremonie aus Tauberbischofsheim und aus der Gegend von Heidelberg. Zu vergleichen ist der Ritus der griechischen Kirche bei der Hochzeit: Auf die Bekränzung folgt das Tr. aus dem gemeinsamen Becher, der bisweilen zerbrochen wird 10 °). In Ostpreußen müssen Braut und Bräutigam nach der Rückkehr aus der Kirche ein Glas miteinander austr., damit Eintracht unter ihnen bleibt; natürlich bleiben die üblichen Auguria nicht aus: „Es werden ihnen (dem Brautpaar) zwei Gläser Wein gereicht; wer von beiden zuerst das Glas nimmt und austrinkt, der erlangt die Herrschaft (Thür. Oberpf.). Das Glas geht dann von Hand zu Hand; der letzte wirft es von sich; dann wird die Ehe glücklich (Obpf.); oder die Braut wirft es rückwärts über den Kopf; wenn es zerbricht, dann wird die Ehe glücklich" 1 0 1 ). Beim Verlobungsmahl im alten Ellikon (Zürich) mußten die Verlobten die Speise mit demselben Messer schneiden und aus demselben Glas tr. zum Zeichen der Gemeinschaft 102 ). In Thüringen trinkt das Paar bei der Hochzeit aus einer Flasche 103 ). Die bindende und verpflichtende Kraft des Gemeinschaftstrankes scheint auch bei V e r k ä u f e n und K ä u f e n neben anderen Momenten hereinzuspielen: So werden bei den Warau bei einem Handel als Hauptzeremonie eine Menge Getränke gemeinsam getrunken 1 0 4 ); über die deutsche Sitte des Weinkaufes siehe Grimm 105 ), Brunner 106 ), Schröder 107 ). Der Weinkauf, Leihkauf (auch Gleichkauf) ist ein gemeinsamer Trunk zur Feier eines Vertrages, eines Kauf- oder Tauschgeschäftes, belegt seit dem 13. J h . : itaque in hoc emptionis venditionis contractu reliquum est poculo confirmare eum, quod vocamus weinkauff vel leukauff. 108 ). Beim Viehverkauf bezahlt den Gemeinschaftstrunk nach Verabredung bald der Käufer, bald der Verkäufer 109 ). Wenn in Westböhmen der Trunk damit begründet wird, daß sonst die Schweine die Tränke nicht saufen, so ist die Analogieumdeutung klar 1 1 0 ). 7. Tr. zu b e s t i m m t e n J a h r e s z e i t e n oder an b e s t i m m t e n F e s t e n : Hier

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muß man genau unterscheiden, ob wir einen Nachklang des Minnetr.s an bestimmten Tagen nachweisen können, oder ob z. B. die Vorschrift des reichlichen Tr.s parallel geht zu der für bestimmte Feste und Jahrestage bezeugten Fülle und Reichtum bringenden Vorschrift des Vielessens (vgl. essen § 25ff. und Mahl § 3ff.); auch andere Gründe können maßgebend sein: Wenn man im Erzgebirge an Gründonnerstag bei Sonnenaufgang einem Trunk fließenden Wassers die Wirkung zuschreibt, daß das Gesundheit und jugendliches Aussehen verbürgt, so steht hier die Wirkung des Osterwassers im Vordergrund 111 ). Andererseits hat das Fasten am Karfreitag wohl zu dem analogen Glauben Anlaß gegeben, daß man an diesem Tage nichts tr. dürfe, weil man sonst das ganze Jahr Durst hat 1 1 2 ). Dagegen entspricht das vorbedeutende Vieltr. an Fastnacht der bekannten Ansicht, daß man da viel essen müsse, um Fülle und Glück zu haben (vgl. essen § *). Man muß viel tr., vor allem Warmbier, damit die Kräfte nicht schwinden 113 ); oder damit man nicht in demselben Jahre stirbt; die Drescher nehmen Branntwein mit in die Scheune und betrinken sich l u ); wer morgens nüchtern Schnaps trinkt, den stechen beim Mähen die Schnaken nicht 1 1 5 ); wenn man Wasser trinkt, beißen einen im Sommer die Mücken 116 ). Auch am Aschermittwoch tr. die Männer im Wirtshaus fleißig Bier, damit die Gerste gerate 1 1 7 ); in Karlsbad-Duppau trinkt man viel Schnaps, damit man nicht im Sommer von den Mücken gebissen wird 118 ). Eine Analogie zu dem vorbedeutenden reichlichen Essen an Weihnachten (vgl. essen § 24ff. und Mahl § 3ff.) ist wohl der Brauch, auch viel zu tr. 119 ). Im Erzgebirge glaubt man, große Stärke zu erlangen, wenn man am Weihnachtsabend viel Bier trinkt 120 ). Auch hier finden sich die üblichen Auguria: In der heiligen Nacht stellt man in Schwaben, Baden und der Rheinpfalz einen Schoppen Wein atff; läuft er um Mitternacht über, so gibt es ein gutes Weinjahr 1 2 1 ). Für das Tr. an Neujahr können wir sehr oft die Analogieübertragung der vorbedeutenden

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trinken

Weihnachtsfülle von der Einwirkung der Stephansminne kaum trennen: Klar ist der Fall für den Stephanstag; das zeigt schon der Ausdruck „Sup-Steffensdach" in Westfalen für das Vieltr. an diesem Tage 122); und in Schweden wird nach dem lexikon mythologicum von Magnusen die Stephanskanne getrunken 123 ). Überall, wo man an Neujahr auf die „Stärke" trinkt, ist ein Einfluß der Stephansminne anzunehmen 124 ); wenn es aber in Karlsbad-Duppau vorgeschrieben ist, daß man Schweinefleisch ißt auf „Sauglück" und Reis, um reich zu werden, daß man morgens auf die Gesundheit, mittags auf die Stärke und abends auf die Schönheit trinkt, dann ist das Musterbeispiel einer Brauchtumsüberlagerung gegeben 12S ); man muß auch am Neujahrvormittag „aufs neue Blut gehen", d. h. Bier tr., damit man frisches Blut bekommt 1 2 6 ); nach einem alten Aberglauben aus dem Saalfeldischen bei Grimm wird der rot und verjüngt, der an Neujahr Bier trinkt 127 ). Auch der römische Brauch, nach 12 Uhr in der Silvesternacht sich in mächtigen Mengen zuzutrinken, mag auf manche Trinkbräuche an Neujahr eingewirkt haben 128). Ganz evident ist die Analogie zu den Fülleauguria beim Essen in Biel, wo man in der Silvesternacht, wenn es 12 Uhr schlägt, 12 große Glas Bier tr. muß, um glücklich und reich das ganze Jahr zu sein 129). Eine bindende Gemeinschaftszeremonie ist der Brauch im Erzgebirge: An Sylvester tr. die Glieder einer Familie aus einem Glase und werfen dies mit dem darin gelassenen Rest zum Fenster hinaus; dadurch will man Unglück vom Hause fern halten 13°). In Oberlohma trinkt man an Neujahr die „Stärke" und an Dreikönig die „Schöne" 131 ); im Egerland und im Ascher Bezirk am Dreikönigabend die „Stärke" 1 3 2 ); dieses Tr. der „Stärke" (Männer) oder der „Schöne" (Frauen) wird vor allem geübt am „Freudensunnta" 133 ), am Pfingstmontag 134) und am Martinstag 135 ), ebenso am Johannistag 136), wo neben dem Zweck, schön zu werden, noch die Absicht erwähnt wird, die Zwietracht zwischen den Eheleuten zu vermeiden 137 ); bei dem

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Trunk am Martins- und Johannistag ist der Einfluß des „Minnetrunkes" ganz klar. Auch beim Martinsbrauch haben wir den üblichen vorbedeutenden Anzauber: In Weinsberg tr. die Winzer den Wein, um eine gute Ernte zu gewährleisten 138). Der Ungar erhofft sich von einem Rausch an diesem Tage Stärke und Schönheit, er bleibt von Magen- und Kopfschmerzen verschont 139 ). Die Bauern im Zürcher Oberland geben den Armen einen Milch trank, die „Pfingstmilch", damit die Kühe das Jahr über reichlich Milch geben 14°). Beim Tr. der „Schöne" am Pfingstmontag im Welzheimer Wald dürfen nur unbescholtene Mädchen mitmachen (vgl. A. 119). Vgl. Johannis-, Michaels-,Martins-, Stephansminne. 8. Die vielen Spielarten des Tr.s bei F a m i l i e n f e s t e n aufzuzählen, erübrigt sich; man darf nicht immer mit schwerem folkloristischem Geschütz auffahren; es wäre z. B. verkehrt bei folgender Sitte den Gedanken des Kraftzuwachses zu erörtern: In der Altmark wird bei der Taufe ein kleines Bierglas mit Branntwein gefüllt herumgegeben; sämtliche Gevattern werfen Geld hinein, das der Vater bekommt, wenn er das Glas ausgetrunken hat und zwar mit einem Zug; das heißt Stärkungstrank 141 ). 9. Der Glaube, d a ß es g u t e s W e t t e r g e b e n w i r d , w e n n man a l l e s a u f i ß t , gilt auch vom Tr., so ausdrücklich in den Symbola aus der Humanistenzeit 142). In einem alten Popemptikon wird der Volksglaube gedeutet 143 ): Omen inest facto, nam pocula sicca notabunt Imbre carens caelum temperiemque bonam: Utque gravem pluviam spumantia pocula signant, Sic sequitur puros purior aura cados Fercula nec tantum cupido consumpta palato.

10. T r ä u m e n v o n Tr.: Als Quellen dienen die im Artikel essen § 34 zitierten Werke. Im Traumbuch Artemidori heißt es: Wenn man kaltes Wasser trinkt, bedeutet das etwas Gutes, warmes Wasser bedeutet Krankheit, Verhinderung der Geschäfte; träumt man, daß man trunken ist, dann hat man Übel, Schande und

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trinken

L a s t e r zu augurieren 1 4 4 ) . N a c h A p o m a saris heißt T r ä u m e n v o n T r u n k e n h e i t R e i c h t u m , wenn m a n im T r a u m e trunken ist ohne W e i n , h a t m a n U n g l ü c k zu g e w ä r t i g e n , t r u n k e n sein v o n s ü ß e m W e i n b e d e u t e t G l ü c k 1 4 5 ) . D e r Ostpreuße a b e r s a g t : T r i n k t m a n i m T r a u m e W e i n , so w i r d m a n b a l d weinen müssen ( A n a l o g i e spielerei) 1 4 6 ) . V g l . die E i n z e l a r t i k e l ü b e r die einzelnen G e t r ä n k e . 1 1 . A l l t a g s o m i n a : Versucht jemand a u s einer leeren T a s s e in seiner Z e r s t r e u t heit zu t r . , so ist die A n k u n f t eines d u r stigen G a s t e s zu e r w a r t e n 1 4 7 ). W e r b e i m K a f f e e t r . zuerst s c h ü t t e t , heiratet z u erst 1 4 8 ) . Schaum a m Rande verkündet d e m Tr.den frühen T o d 149). 1 2 . W i e m a n eine K r a n k h e i t a b e s s e n k a n n , w o b e i eine höhere M a c h t d u r c h die E s s e n s g e l ü s t e des K r a n k e n d a s H e i l m i t t e l o f f e n b a r t , so k a n n m a n n a c h b a i r i s c h e m A b e r g l a u b e n d u r c h B e f r i e d i g u n g eines G e l ü s t e s d u r c h T r . ( a b t r . ) eines besonders ersehnten T r a n k e s geheilt werden1S0). 1 3 . Allgemein im Heilzauber und Gegenz a u b e r w i r d d a s T r . besonders w i r k s a m , w e n n d a m i t besondere Z e r e m o n i e n v e r b u n d e n s i n d : G e g e n den S c h l u c k e n m u ß man 9 Schluck tr.151). Gegen das B e schreien w e r f e m a n in ein G l a s W a s s e r 9 Stücklein B r o t und 9 Kohlen und trinke s o d a n n ü b e r s K r e u z , d . h . a n v i e r Stellen des G l a s r a n d e s a u s d e m G l a s e , u n d s c h ü t t e den R e s t des W a s s e r s auf die Türangeln 1 5 2 ) . 25 ) F r a z e r 3, 1 1 6 f f . , vgl. 2, 1 1 6 f f . ; C h a n t e p i e d e l a S a u s s a y e 1 , 48; ZfVölkerpsychologie 18, 20. 26 ) F r a z e r 3, 1 1 7 ; Bulletin de la société de Geographie 1 8 3 4 , 1, 230. 27 ) F r a z e r 1. c. 1 2 0 . 28 ) F r a z e r 1. c. 1 1 6 ; S e l i g m a n n Blick 1 , 2 3 8 ; d e r s . Zauberkraft 38415. 29 ) S e l i g m a n n Zauberkraft 383. 3 0 ) F r a z e r I . e . 1 1 7 . 3 1 ) I . e . I 4 6 f f . 148. 160. 3 2 ) P r a e t o r . Phil. 1 8 6 ; Rockenphilosophie 752. 3 3 ) S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 7off. 34 ) H a s t i n g s 8, 868ff.; W u n d t Mythus 1 , I 3 3 f f . ; F r a z e r 3, 3 3 ; vgl. Peter Squenz: Hallische Neudrucke 27, 40. 3 5 ) K n o o p Hinterpommern 167, 124. 36 ) P f a l z Marchfeld 33. 3 ' ) W. 4 6 1 . 38 ) S c h ö n w e r t h I . e . 2, 6 3 ; W . 441. 461. 39 ) G r o h m a n n Aberglaube 28; B a v a r i a 3, 943; W . 442. 447. 40 ) G r o h m a n n 1. c. 1 6 3 , 1 1 4 9 . 41

) L a m m e r t 46; M e y e r Aberglaube 227. ) H . Z i m m e r m a n n Beiträge zur Kenntnis der babyl. Religion 1 9 0 1 ; Die Religion in Geschichte und Gegenwart 5, 676. 43 ) S e l i g m a n n Zauberkraft 372 ff. 44 ) P o m m B l . V k . 3, 107. 42

II64

45

) M e y e r Bad. Vk. 170. 46 ) Archiv f ü r K u l t u r geschichte 6, 7 1 ff. 47 ) G r i m m Mythologie 3, 460, 749. 48 ) Urquell 4, 159, 1 5 1 . 49 ) D r e c h s l e r 50 Schlesien 2, 1 9 5 ; Z f V k . 4, 85. ) Grimm Mythol. 3, 449, 448. 5 1 ) P r a e t o r . Phil. 97; 52 G r i m m 1. c. 3, 439; 1 4 5 . ) G r i m m 1. c. 3, 477, 53 II33) S c h m i t z Bußbücher 1, 3 1 9 , 96. 54 ) G r i m m 1. c. 3, 444, 305. 5 5 ) S c h ö n w e r t h 1 . e . 3, 242. 68 ) G r o h m a n n I . e . 225, 1 5 9 1 . 87 ) 1. c. 226, 1604. 68 ) 435, 1 1 (aus der Rockenphilosophie 2 1 Nr. 1 1 ) ; G r i m m 1. c. 3, 469, 949; F i s c h e r Aberglaube 1 3 6 ; W o l f Beitr. 1, 223, 2 5 8 ; P a n z e r Beitr. 1, 263, 1 1 2 . 59 ) Unoth 1 8 4 ; D r e c h s l e r Schlesien 2, 1 2 . 60 ) R e i s e r Allgäu 61 2, 448, 248. ) W o l f Beitr. 1 , 223, 258. 62 ) D r e c h s l e r I . e . 2, 1 1 ; W o l f I . e . 1 , 2 2 3 f f . Nr. 2 6 3 ; M e y e r Baden 3 4 7 ; Z f V k . 7, 1 6 5 ; W. 4 6 1 . 83 ) Z r w V k . 1905, 144. 64 ) M e y e r Bad. Vk. 5 8 1 . 65 ) G r i m m 1. c. 3, 458, 678. ««) D i e t e r i c h 67 Mithrasliturgie 1 7 0 f f . ) S c h r ä d e r Sprachvergleichung und Urgeschichte 2, 1 0 1 ; Ass. Real6S lex. 2, i o i f f . ) P a u l y - W i s s o w a 1 1 , 2173. 89 ) S a x o - G r a m m a t i c u s 2, 87 (56, 3 5 f f . H o l d e r ) ; vgl. Erläuterungen von P . H e r r m a n n 2, 1 7 6 . 7 0 ) A R w . 3 3 8 « . ; vgl. D i e t e r i c h I . e . 46ff. 7 1 ) P a u l y - W i s s o w a 1. c. 2 1 5 6 ; A R w . 19. 5 2 9 ; S t e m p l i n g e r Volksmedizin 52ff. 72 ) V e l t e n Sitten und Bräuche der Suaheli 4; 73 P f i s t e r Schwaben 34. ) Pseuso-Theodorus ed. Rose 284; P f i s t e r Schwaben 34. 74 ) P f i s t e r 75 I.e. 3 3 f f . ) S c h i n d l e r Aberglaube 1 2 9 ; T h i e r s traite i , 365. 379. 76 ) K e m m e r i c h Kulturkuriosa 1 , 264. 7 7 ) H ö h n Geburt N r . 4, 2 6 3 ; D r e c h s l e r Schlesien 1 , 207; W . 597. 78 ) D r e c h s 79 l e r 1. c. 1 , 178. ) H ö h n Geburt 1. c. 277. 80 ) B o h n e n b e r g e r Nr. 1, 18. 8 1 ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 3 1 8 ; W. 4 6 1 ; S c h ö n w e r t h 1. c. 3, 26g. 82 ) M ü l l e n h o f f Sagen 128. 83 ) Z f V k . 8, 36. 84 ) A R w . 1 5 , 483 mit L i t . 85 ) 1. c. 485; G r i m m 1. c. 2, 72Öff. 86 ) Thüle 1 , 96; Edda v . G e r i n g 245 Str. 2 2 — 2 5 . 8 7 ) H e f e l e Conc. 3, 9. 88 ) A R w . 1. c. 89 ) F r a z e r 6, 1 7 1 . 9 0 ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 91 241. ) W. 4 3 3 ; R o c h h o l z Sagen 2, 160. ,2 ) G r i m m I . e . 3, 474, 1054. 93 ) C h a n t e p i e d e l a S a u s s a y e 2, 2 9 3 s . ; K i r c h e r Wein 4 8 ® . ; ZfVölkerpsychologie 18, 3 8 3 0 . 3 7 6 ; K . v. S p i e ß Deutsche Volkskunde 1934, ff. 94 ) Ger95 9e mania c. 22. ) G r i m m WB. 1 1 , 5 7 7 f f . ) B ö k k e l Volkslieder L V . 97 ) B o c k e l 1. c. 104 Nr. 1 2 0 . 98 ) K o l b e Hessen 148. " ) B o c k e l 1. c. L V I . 10 101 ° ) Z f V k . 18, 1 2 2 . ) W . 565; v g l . 338. 102 ) B ä c h t o l d Hochzeit 1 0 4 0 . ; v g l . K l o s t e r 1 2 , 1 6 1 ff. 202; P r o g r a m m v o n Torgau 1905, 2 1 ; S A V k . 24, 62, 2. 1 0 3 ) W i t z s c h e l Thüringen 2, 228, 18. 1 0 4 ) E b e r t Reallex. 8, 37. 1 0 5 ) DW. 6, 693. 727. 7 3 7 ; RA. 1 , 2 6 4 0 . ; vgl. Z f R G . 1 3 , 231 ff. Rechtsgeschichte 2 2 , 530. 1 0 7 ) Rechtsgeschichte 6 92. 326. 396. 1 0 8 ) G r i m m WB. 1 1 , 580; 14, 344ff. 1 0 9 ) J o h n Westböhmen 209; L e m k e Ostpreußen 1 , 82; S a r t o r i Sitte und 110 Brauch 2, 140. ) J o h n Westböhmen 209. ul ) J o h n Erzgebirge 192. n 2 ) G r i m m I . e . 3, 446, 3 5 6 ; 468, 9 1 3 ; B i r l i n g e r Schwaben 1 , 386; M e y e r Bad. Vk. 5 0 3 ; R e i s e r Allgäu 2, 1 1 4 , 6 ; 113 W. 87. ) J o h n Erzgebirge 1 9 0 ; W. 97.

Trithemius—Trommel

II65 111) B a r t s c h Mecklenburg

2, 255, 1328; S a r -

t o r i I.e. 3, 112. 115 ) J o h n Westböhmen 41; F e h r l e Feste 48. 116 ) W. 97- 8 7 ; v g'- S a r t o r i I.e. 114- U 7 ) J o h n Westböhmen 47. 118) I.e. Ii«) S a r t o r i I.e. 3, 27. 12 °) W. 455; J a h n Opfer gebrauche

274.

)

m

Birlinger

I . e . 1, 382;

G r i m m 1. c. Nr. 590; Bavaria 4, 2, 378; J a h n

1. c. 275.

122

) Kuhn

Westfalen

2, 102, 314.

123) Wolf Beitr. 1, 125; J a h n 1. c. 274. 124 ) J o h n Westböhmen 28. 125 ) I.e. 27ff. 126 ) J o h n Westböhmen 28. 397.

127

) G r i m m 1. c. 3, 452, 527.

128) ARw. 19, 83. * 29 ) SchwVk. 10, 30. Erzgebirge

183.

131

)

John

130

) John

Oberlohma

125.

132) J o h n Westböhmen 32.

133

Baiwaren

Schwaben

132.

134

)

Meier

135) I.e.; S a r t o r i I.e. 3, 266. Wandel

) Quitzmann 136

2,

402.

) H. P r e u ß

Johannes

im

der Jahrhunderte

(1922), 7.

Schlesien

1, 10 a u s d e m Propemptikon 144 ) (1537). Straßburg

Georgii 1624, 179.

137) B i r l i n g e r Schwaben 1, 426. 138 ) K ü c k und S o h n r e y 190. 139 ) ZfVk. 4, 406. 14 °) H o f f m a n n - K r a y e r i6ofl. 141 ) K u h n Mark 367. 142) ZfVk. 25, 24 mit Lit. 143 ) D r e c h s l e r Aemylii

145) T r a u m b u c h Apomasaris, das ist kurze Andeutung und Bedeutung der Träume . . . . durch

J . L e w e n k l a w Frankfurt 1646, c. 102 ff. 146) Urquell 1, 204, 21. 147 ) D r e c h s l e r 1. c. 2, 11; W. 293. 148 ) Z i n g e r l e Tirol 11, 96. 149 ) J o h n Erzgebirge 114. 15 °) L a m m e r t 260; ZfVk. 1, 192, 2; W. 509. 529; vgl. Schweizld. 1, 524; ZfVk. 21, 316. 151 ) W e i n h o l d Neunzahl 28. 152 ) G r o h m a n n Aberglaube 156, 1129. Trithemius s. Nachtrag.

Eckstein.

Tritt, Segen wider*). Tritt (Intertrigo), Wunde, die sich ein Pferd mit den Hinterhufen an die Vorderbeine beibringt, indem das Eisen die H a u t verwundet. Ähnliche W u n d e beim Treten des Pferdes in einen Nagel (oder durch ungeschicktes „ V e r n a g e l n " beim Beschlagen) 2 ). Die Segen für T . gehören zu den Wundsegen (s. d.). Sie bilden hauptsächlich zwei kleine Gruppen, welche beide etwas „entsprechendes" aus dem Leiden Jesu heranziehen. J e s u T r i t t (Schritt), deutsch 15. bis 16. Jh. Beispiel: „ D e r tritt, den got tratt, do er an den galgen des hailigen criitzes tratt, der gesegen hüt disen t r i t t " 3 ), 15. Jh. „ I c h gesegen diesen dritt mit dem selben dritt, den gott Jhesus Kristus dritt; der enschwolle noch enschware; also" u s w . 4 ) , 16. Jh. Der Tritt „ a n das K r e u z " — welcher Ausdruck auch fehlen kann — heißt sicher: auf das K r . , indem Jesus nach der älteren A u f fassung bei der Kreuzigung eine Leiter hinansteigt. — Skandinavische Parallelen

1166

(hier ,,vppa . . . korss" d. i. auf das Kr.) Anf. 16. J h . 5 ) . J e s u N ä g e l , deutsch 1 4 . — 1 9 . Jh. Ältester Beleg wohl dieser: „ E z wurden unserem herren drei nagel durch hend und durch fuesz geslagen; daz enhar noch enswar" u s w . 6 ) , 14. Jh. Vgl.: „ V n s e r m herren Jh. Cristo wurden geschlagen I I I nagell, dovon wurden I U I wunden. Die hl. I U I wunden heilent die f ü n f f t " 7 ), 16. Jh. (drei Nägel nach der jüngeren Anschauung, nach der Chr. hängt, nicht mehr, mit zwei Fußnägeln durchbohrt, „ s t e h t " vgl. Blutsegen § 1 b). — W i e bei Jesu „ T r i t t " kann auch hier die von älteren Wundsegen (s. d.) herrührende Aussage v o m Nicht-Schwellen stehen oder fehlen. x) Literatur: H ä l s i g Zauberspruch 59 f.; O h r t Vrid og Blod 199 ff. 2 ) H ä l s i g 59; vgl.

H ö f l e r Krankheitsnamen 745 f. 3 ) S c h ö n b a c h HSG. Nr. 678 (Hschr. Donaueschingen Nr. 792). 15. Jh. weiter: ebd. Nr. 964 (Dresden C 311); ZfVk. 26, 200 Nr. 9; Archiv f. Gesch. d. Medizin 7. 336 (>iZu"). *) Alemannia 27, 101. 16. Jh. weiter: ebd. 100; Mone Anzeiger 3, 282 Nr. 15; Danmarks

Tryllefml.

N r . 51;

Norske

Hexe/ml.

Nr. 1291. 6 ) S c h ö n b a c h HSG., Nr. 593 (Cod. lat. Mon. Nr. 4350). 15. Jh.: ZfVk. 26, 200 Nr. 12. ') Alemannia 102. 16. Jh. weiter: ebd. 100; Mone Anzeiger 6, 476 Nr. 40 (?). Später: B i r l i n g e r Volksth. 1, 206 Nr. 13; WürttVjh. 13, 170 Nr. 55 (Albertus Magnus). Ohrt. Trilpetritsch s. 2, 761. Trommel. 1. Gewisse abergläubische Vorstellungen, die sich im deutschen Kulturgebiet an die T . knüpfen, erhalten willkommene Aufklärung durch Parallelerscheinungen in primitiven und anderen außereuropäischen Kulturen. Denn weit mehr, ja oft in geradezu hervorragendem Maße, ist in diesen die T . in Aber- und Zauberglauben verstrickt. Das zeigt sich gelegentlich bereits bei ihrer Herstellung. So müssen die T.macher der Mekeo in Britisch Neu-Guinea ihre Arbeit allein im W a l d verrichten und dürfen bis zur Fertigstellung des Instrumentes keines Weibes ansichtig werden, müssen gewisse Speisen meiden und sich des Wassertrinkens enthalten 1 ). Der ostafrikanische T.verfertiger muß in der Nacht, bevor er den B a u m aussucht,

ii67

Trommel

der das Holz für die T. liefern soll, enthaltsam sein 2). Durch allerhand Zutaten und Einschluß von Fetischen wird die Zauberkraft der T. gesteigert 3 ). Bei verschiedenen Völkern werden ihr Blutopfer dargebracht 4 ). Die Buschneger von Niederländisch-Guinea glauben, die T. habe eine Seele und spenden ihr von Zeit zu Zeit einen Trunk 5). Bei den Bayankole besitzen die beiden Hauptt.n Kühe, die ihnen Milch liefern 6). Bei den Batume besitzt eine ihrer T.n eine kleinere als Frau, eine noch kleinere als Ministerpräsident 7 ). Bei verschiedenen Völkern ist die T. nur in Frauenhand 8 ), bei andern wieder ist sie tabu für das weibliche Geschlecht 9 ). In Polynesien gilt sie als Verkörperung des Gottes Tane, ihr Klang gilt als dessen Stimme 10 ). Bei indischen Stämmen wird sie als Mandar dévi angebetet 11 ). Sie spielt ferner in vielen Kulten eine bevorzugte Rolle 12 ). Vielfach findet die T. Verwendung im Lebens- und Wiedergeburtszauber, wobei man das Schlagen mit dem Schlegel als Zeugungsakt auffaßt 1 3 ). Wenn in Uganda eine gewisse T. ein neues Fell bekommen hatte, ließ man Kuh- und Menschenblut in sie rinnen, damit neues Leben und neue Kraft dem König zuflössen, wenn sie geschlagen wird 14 ). Bei manchen Stämmen wirkt die T. als lebensförderndes Instrument bei Mannbarkeitsfeiern mit und übt ihren Wiedergeburtszauber im Totenritual aus 1 5 ). Als Lärminstrument wird sie auch zu exorzistischen Zwecken verwendet 16 ). So in China bei der jährlichen Dämonenvertreibung am Jahresende 17 ), aus gleichem Anlaß im Verein mit andern Instrumenten alle zwei Jahre an der Küste von Guinea 18). Im südindischen BhütaDienst ist sie Requisit der Teufelsaustreibung 19 ). Weit verbreitet ist sie ferner im Heilzauber, indem ihr Klang die bösen Geister vertreiben soll 20 ). Die T. der patagonischen Ärzte ist überdies mit Teufelsfiguren bemalt 2 1 ), und mehrfach tritt zum T.klang noch wilder Tanz 22). Der Vertreibung böser Geister dient auch das T.n, welches in Bombay die Dienerinnen in der fünften Nacht nach der

1168

Niederkunft ihrer Herrin ausführen müssen 23), und zu gleichem Zwecke mögen bei den Niam-Niam während der Entbindung einer Frau deren Freundinnen t.n und musizieren 24). Auch bei Sturm 25 ), bei Sonnen- 26 ) und Mondfinsternissen 27) wird die T. geschlagen, weil man diese Naturereignisse auf das Wirken schädlicher Geister zurückführt. Mit T.schlägen und Beschwörungsformeln ruft der Schamane hilfreiche Stimmen und die Geister der Vorfahren herbei 28), mit T.n und Klappern setzt sich der patagonische Zauberer in Trance 29), und der Medizinmann bedient sich des Instrumentes, um unter Vornahme gewisser vorgeschriebener Zeremonien zu erreichen, was er wünscht 30 ). Kosmische Vorstellungen spielen bei der Bemalung des Fells von Zeremonialt.n mit Natursymbolen eine Rolle 3 1 ). Sie tritt auch bei den Lappent.n 32), die als Losgerät zur Erforschung der Zukunft dienen 33), auf. Auch die Zigeuner kennen die Verwendung der T. zur Weissagung 34 ). 1 ) F r a z e r i , 134. 2 ) Curt S a c h s in Gartenlaube Jg. 1926, S. 808. 3) C. S a c h s Geist und Werden der Musikinstrumente (Berlin 1929) 53. 4) C. S a c h s Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens (Berlin 1915) 5 5 I ; d e r s . Geist und Werden 55; H a s t i n g s 9, 6b. 6) H a s t i n g s 9, 6af. 6) SachsGeistund Werden54. 7 ) H a s t i n g s 9 , 6 b . 8) S a c h s Geist und Werden 54f.; d e r s . 9) Die Musikinstrumente Indiens 55. Rieh. W a l l a s c h e k Primitive Music (London 1893) 74. 10) H a s t i n g s 9, 6a. 1 1 ) S a c h s Die Musik12 ) S e e w a l d instrumente Indiens 55. Beitr. z. Kenntnis der steinzeitl. Musikinstrumente 13 (1934), 123f. ) S a c h s Geist und Werden 3. 56. 14 ) H a s t i n g s 9, 6b; s. auch S a c h s Geist und Werden 57. 15 ) S a c h s Geist und Werden 56. 16 ) Vgl. G r o s s e t in Encycl. de la Musique 1, 1 (1914), 276. 17 ) F r a z e r Golden Bough, Scapegoat 146. 18 ) ebd. 204. 19 ) C. S a c h s Die Musikinstrumente Indiens 55 = ZfEthnologie 26, 61. 20)

Signale für die musik. Welt 85 (1927), 74 (Indien); E n g e l Musical Myths and Facts 2, 90 und Rieh. W a l l a s c h e c k Primitive Music 169 (Indianer); F r a z e r Scapegoat i n (Südafrika). 103 (Insel Nias). 116 (Burma). 118 (Japan); S a c h s Musikinstrumente Indiens 56. 21 ) S a m t e r Geburt 60; 22) F r a z e r Scapegoat 120; E n g e l Musical Myths and Facts 2, 96; s. auch noch B a r t e l s Medizin der Naturvölker 174ff. 23) S a m t e r Geburt 64. 24) ebd. 64. 25 ) F r a z e r 1, 328. 26) Encycl. de la Musique 1, 1, 185 (China). 27) A R w . 3 (1900), 128; S a c h s Geist und Werden 46. 28) E b e r t Reallex. 14, 491 f. 29) T y l o r Cultur 2, 132. 30) L e h m a n n

II69

Trommel

Abergl.2 39. 3 1 ) Erich M. von H o r n b o s t e l in Festschrift P. W . Schmidt (Wien 1928), 3 2 1 ; S a c h s Geist und Werden 173. 32 ) Ebd. 174. 33) F F C . 18, 78; 30, 49; 63, 256ff.; T h a r s a n der Schauplatz 2, 526 ff.; E n g e l Musical Myths 2, 96; D. C o m p a r e t t i The traditionnel Poetry of the Finns (London 1898) 2 7 7 ; Fataburen 1 9 1 0 S. 15—48. 8 1 — 1 0 4 ; F. R e u t e r s k i ö l d De nordiske Lapparnas religion (Stockholm 1912) 148; O h r t Trylleord 10; Ivar A a sen Norske Minnestykke (Kristiania 1923) 1 0 3 ; A. O l r i k og H. E l l e k i l d e Nordens Gudeverden 34 S. 105ff. ) W l i s l o c k i Volksglaube 86; ders. Z i g e u n e r 342. Über Zaubert.n in der Erzählliteratur s. F F C . 107, 1 3 2 und 60, 50 Nr. 90. — S. auch: W i e s c h h o f f , D i e a f r i k . T.n, [ 1 9 3 3 ] 93. 96. 1 1 9 ff.

2. Die eben berührte Anschauung, durch T.lärm böse Geister vertreiben zu können, lebt gelegentlich auch noch im deutschen Brauchtum. So zog man in Thüringen und anderwärts in der Walpurgisnacht t.nd, lärmend und schießend herum, damit die auf der Ausfahrt sich befindenden Hexen nicht irgendwo sich niederließen und Schaden stifteten 35 ). Auch das mit anderem Lärm sich mischende T.n bei Flurumgängen hat apotropäischen Zweck 36 ). Um die Mäuse im Hause los zu sein, t.t man an Weihnachten durchs Haus 3 7 ). T.musik begleitet auch noch anderes Brauchtum, wobei es freilich vielfach fraglich ist, wie weit den Anlaß dazu einst abergläubische Vorstellungen gegeben hatten. Es sei etwa an das Neujahrst.n in Meersburg 38) und vor allem an die Basier Fastnacht 39 ) erinnert. Betreffs letzterer läßt sich nachweisen, daß die hiebei ausgiebig geübte Sitte des T.ns durch die Umzüge bei den alljährlichen Waffenmusterungen an sie herangebracht wurde 40 ); die hervorragende Stellung, welche die T. im Kreise bewaffneter Mannschaft von jeher einnimmt, beruht allerdings ihrerseits letzten Endes auf ihrer alten sakralen und dem Totendienst geweihten Rolle, wie wir sie oben aus primitiven Kulturen kennenlernten 41 ). 35 ) K r u s p e Erfurt 1 , 1 7 ; Kalender des bad. Bauernvereins 1928 S. 41. 36 ) v. K ü n s s b e r g Rechtsbrauch und Kinderspiel 19 Anm. 3. Vgl. auch oben 6, 1462 unter „ P a u k e " . 3 7 ) F e h r l e Volksfeste3 1 7 ; G r o h m a n n 61. 38 ) L a c h m a n n Überlingen 4 0 4 ! ; W a i b e l und F l a m m 1, 88. 39 ) R e i n s b e r g Das festliche Jahr 74; R o c h h o l z Teil 1 3 ; H o f f m a n n - K r a y e r 128; Vom Jura

1170

zum Schwarzwald 8, 2 ; H e r z o g Volksfeste 2 1 9 I ; B r o c k m a n n - J e r o s c h Schweizer Volks40 leben 2 (1931) Abb. 261. 262. 266. 268. ) B r o c k 41 m a n n - J e r o s c h i3off. ) S a c h s Geist und Werden 57. — T.n beim Brautzug zur Abwendung böser Geister in Skandinavien s. A R w . 4, 287 (Feilberg); vgl. auch S a m t e r Geburt 61.

3. Unter den mannigfachen Ausdeutungen des Donnergeräusches spielt auch die auf T.spiel eine Rolle 42 ); in Skandinavien wird daher Thor als Gewittergott auch „Trommler" genannt 43). Trolle und ähnliches Gelichter, die in Thor ihren ärgsten Feind zu sehen haben, fürchten daher auch das T.n 44), und es ist in Skandinavien 45) wie in Deutschland46) eine Erzählung verbreitet, daß ein Bergtroll bzw. Zwerg ablehnt, zu einer Hochzeit oder Taufe zu kommen, als er hört, daß es dabei auch T.musik gebe. Trotzdem nimmt man an, daß das Bergvolk bei Gelegenheit selbst T.musik ausübt. So sollen im kleinen Walsertal an Fastnacht die Bergmännlein morgens mit T.n und Pfeifen wieder heimziehen 47). Auch das wilde Heer braust unter T.- und Pfeifenlärm einher 48), und noch andere Geister und Gespenster lassen T.musik verlauten. So spukt in dem elsässischen Masmünstertal das „Dambürli": es t.t nach Sonnenuntergang seinen Marsch auf und zwingt damit jeden Wanderer, ihm zu folgen, wohin es sich begibt 49). Unter gedämpftem T.schall marschieren die Untersberger nachts zum Gottesdienst 50 ); in Krappfeld, wo Barbarossa mit seinen Reisigen haust, hört man oft T.schlag 51 ). An manchen Stellen glaubt man ferner, das T.n dort umgekommener oder begrabener Tamboure zu vernehmen 52). 42 ) S. oben 2, 3 1 2 ; S c h w a r t z Studien 459; F e i l b e r g Ordbog 3, 825. 43 ) F e i l b e r g Ordbog 3, 857 unter „trommespil"; Ivar A a s e n Norske Minnestykke (1923), 44: Thor heißt bei den Elben „Tore Trumbeslager"; vgl. auch N e r g a a r d Hulder og trollskap (1925) 138 (stordundere). 44 ) W . M a r w e d e Die Zwergensagen in Deutschland (1933) 98f. 45 ) F e i l b e r g Ordbog 3, 857; L a n d s t a d Mytiske Sagen fra Telemarken (1926) 52. 46) M ü l l e n h o f f Sagen Nr. 395 und 396 ( = Müllenhoff-Mensing Nr. 460 und 4 6 1 ) ; V e r n a l e k e n Mythen 227 (vgl. dazu M e y e r Germ. Myth. 1 1 6 ; M a n n h a r d t Germ. Mythen 120. 208; W o l f Beitr. 3 2 8 ! ) . S. auch oben 6, 1462 unter „Pauke". " ) Tiroler Heimatbll. 4 (1926), 277 = V o n b u n Sagen2 S. 56 Nr. 10 = L. S t e u b Drei Sommer S. 81 ff. — Däne-

Trommel mark. T . - und Pfeifenmarsch vor Sonnenaufgang vom Bergvolk gehört: E . T. K r i s t e n s e n Danske Sagn i, 30 Nr. 1 3 6 ; die Underjordiske üben sich im Waffenhandwerk, so daß man, besonders bei nebligem Wetter, den Klang ihrer T.n hört: T h i e l e Folkesagn 2, 194t. — Frankreich: vgl. S é b i l l o t Folk-Lore 1, 427. 48 ) B r ä u n e r s Curiositaeten (1737) 3 7 3 ; H e r t z Elsaß 3 3 ; M e i e r Schwaben 1, 1 3 2 Nr. 1 4 6 ; Künzig Schwarzwald 99; Paul W e i s e Aus dem heimatlichen Sagenschatze (Großenhain 1934) 29 49 Nr. 3 3 und 34. ) S t ö b e r Elsaß 1, 4 1 t . M Nr. 62; H e r t z Sage 76. ) Bayerland 34, 77. 61 ) G r ä b e r Kärnten 104 Nr. 1 2 2 ; vgl. auch 62 Nr. 1 2 3 . ) K ü h n a u Sagen 1, 40fr. Nr. 34 und 3 5 ; B a r t s c h Mecklenburg 1, 3 3 3 Nr. 449 und 450; E i s e l Vogtland 247 Nr. 6 1 4 ; Joh. Micko Volkskunde des Marktes Muttersdorf (1926) 24. — Vgl. auch B r ä u n e r Curiositaeten S. 3 5 5 — 6 0 und H a u b e r Bibl. mag. 22. Stück (1740) S. 684 (England: Tambour als Hausgespenst).

4. Die T. tritt auch unter den Instrumenten auf, die angeblich bei den Hexensabbaten gespielt wurden. Entweder wird sie von einem Teufel selbst geschlagen 63 ), evtl. als Begleitinstrument zur Pfeife 5 4 ), oder es müssen an dem Gelage teilnehmende Menschen sie spielen65); es geschieht dies mit einem Fuchsschwanz 56).

b3 ) S. den Kupferstich nach Michael H e e r Hexensabbath auf dem Blocksberg wiedergegeben bei S o l d a n - H e p p e Bd. 1 nach S. 284. 5 4 ) P r a e t o r i u s Blockes-Berges Verrichtung (Fft. 1668) 5ä 66 333. ) BlpommVk. 7, 124. ) SoldanH e p p e 2, 35 (Hexenprozeß 1 6 1 5 ) . — Dänemark. E . T . K r i s t e n s e n Danske Sagn 6/2, i n Nr. 401. — Norwegen. Storaker Tiden (Kristiania 1 9 2 1 ) 226 (Hexenprozeß 1680). — In einem Zigeunerlied ruft eine Hexe den Teufel zu sich durch T.n, daß er sie küsse: W l i s l o c k i Zigeuner XVI.

5. Glaubt man T.lärm zu vernehmen, so soll das bevorstehenden Krieg bedeuten. Dieser Aberglaube knüpft sich z. B. an die Sitte, in der Christnacht um 12 Uhr auf einem Kreuzweg nach einem Gebet das Ohr an die Erde zu legen, um aus den dabei vernommenen Geräuschen die Zukunft zu erfahren 57 ); ferner an die Sage von gespenstigen T.ern (s.o.); so soll das Land von feindlichen Truppen überschwemmt werden, wenn man aus den Höhlen des Untersberges T.schall vernimmt 58), ein Krieg bevorstehen, wenn man aus dem Königsberg T.n und Pfeifentöne hört 59 ). Im siebenjährigen Krieg kündete ein im dreißigjährigen gestorbener und in Rothenburg begrabener Schweden-

tambour anreitende Feinde oder bevorstehende Einquartierung an 60). T. im Traum gesehen bedeutet Streit oder Prozeß; T.n gehört, Zwist und Verdruß; ein T.er: Feuer 61 ). 57 ) C a l l i a n o Niederösterr. Sagenschatz 3, 8 2 ; Misanthropus Audax S. 104 (Losen in Thomas-, Weihnachts- oder Dreikönigs-Nacht); vgl. auch Hugo S c h o l z Die Dörfler (1926) 1 3 8 ! 58 ) F r e i s a u f f Salzburg 60. 59 ) L y n c k e r Sagen 60 ) H a u p t Lausitz 1, 273 = 1 2 f . Nr. 14. K ü h n a u Sagen 3, 486. — Norwegen. Lands t a d Mytiske Sagn fra Telemarken (1926) 1 2 8 ; A s b j ö r n s e n Die wilde Jagd (,,Asgaardsreien") in Norwegen = G r ä s s e Jägerbrevier2 247. — Kampf in der L u f t mit T. schlag über dem Hause einer Sterbenden s. L a d y Gregory Visions and Beliefs in the West of Ireland, sec. Series (New Y o r k and London 1920) 83. 61 ) H y n e k s Großes Traumbuch, Große Ausgabe (Wien [1932]) S. 1 5 2 .

6. Nach älterer Anschauung konnte der Schall der T. Wirkungen hervorrufen, wie sie der Träger des Fells, mit dem sie bespannt ist, auszulösen pflegte. So glaubte man, eine mit einem Lammfell bespannte T. gebe nur einen schwachen Laut von sich 62 ), bzw. verstumme 63 ) oder zerspringe64), wenn eine mit einer Wolfshaut überzogene geschlagen werde. Da man annahm, daß die Pferde Elefanten, Kamele und Wölfe haßten, wurde auch behauptet, die Pferde flöhen, wenn T.n geschlagen würden, die mit dem Fell dieser Tiere bespannt sind. Aus Feindschaft zwischen Bär und Pferd schloß man, Bären vertreiben zu können durch Schlagen von mit einem Pferdefell überzogenen T.n 6 5 ). Eine T. aus Seeigelsfell sollte alles Gewürm vertreiben, soweit ihr Schall gehört wird 66 ). Ziska, der Führer des Hussitenheeres, soll geraten haben, nach seinem Tode seine Haut über eine T. zu ziehen und diese tapfer zu schlagen, dann würde ihr Ton den Feinden seines Volkes solchen Schrecken einjagen, „als wenn er selbsten in Leibes Leben jnen beywohnete" 67). 62 ) T h a r s a n d e r Schauplatz 3, 528. 63 ) A g r i p 64 p a von Nettesheim 1, 1 2 7 . ) Staricius Heldenschatz (1623) 6 3 ; J . L . R o g e r Tentamen de vi soKi'(Avione 1758) § i 4 8 ; B r a n d 3 , 379. Vgl. auch noch A n h o r n Magiologia 2 3 7 f . 65) J . B . P o r t a e Magiae Naturalis Libri Viginti. Liber X X cp. V I I S. 659f. 66 ) A g r i p p a von Nettesheim 1, 1 2 7 . " ) S t a r i c i u s Heldenschatz (1623) 44; M ä n n l i n g 273.

j I

Trompete—-Trudenstein

7. Als bemerkenswerte Berichte angeblicher Krankenheilung durch T.n seien genannt: Ein Melancholiker wollte sein Wasser nicht abschlagen. Man t.te dem Kranken vor, es sei eine große Feuersbrunst, die nur er durch sein Wasser löschen könne. Flugs ließ der Patient seinen Urin 6 8 ). Ein taubes Weib soll gehört haben, während man die T.schlug 6 9 ), und ein anderes Weib soll sich die Gicht durch den Gebrauch der T . vertrieben haben *>). 68)

P. J. S c h n e i d e r System schen Musik 2 (1835), 23öf. 70) ebd. 2, 112.

einer medizini69) ebd. 2, 186.

8. Nach christlicher Symbolik bedeutet das Tierfell der T. den vergänglichen, dem Tode verfallenen Menschen, und die Kirchenväter sahen in der T. die Tugend der Enthaltsamkeit und Abtötung des Fleisches dargestellt 7 1 ). 7 1 ) H. A b e r t Die Musikauffassung alters 220.

des MittelSeemann.

Trompete s. H o r n II. Trude (Trute). Im S. O. des Sprachgebietes, soweit die bayr.-österreichische Mundart reicht, aber auch darüber hinaus, wird der Alpdruck der T. zugeschrieben (Namensformen und Verbreitung s. unter A l p § 3). Das Wort ist mhd. als trute bezeugt (ephialtes, incubus: trutt oder der alp der die frauen reitt)1). D a die heutigen mundartlichen Formen sich sämtlich auf dies mhd. trute zurückführen lassen 2 ), ist etymologischer Zusammenhang mit altnord. prüir (walküre) 3 ) unmöglich 4 ), mit mhd. trüt nhd. traut 5 ) unwahrscheinlich; eher zu got trudan, anord. troda „treten, stoßen" 6 ). Der weiblichen T. gesellt sich ein männlicher Truder, Trudner, Truderer 7 ); die westfäl. Trudemännekes 8 ) scheinen mehr von der Art der Heinzelmännchen (s. d.), zur gleichen Wortsippe gehören wohl auch bayr. trutsch und trottet „Blödsinniger, Cretin 9 ) (vgl. Butz, Cretin, Elbentrötsch), vielleicht auch trutschel = Kosewort für kleine Kinder 1 0 ). Die Vorstellungen vom Wesen und Treiben der T. s. unter A l p . T.ennacht ist Walpurgis 1 1 ). Bayr.

L e x e r Mhd. Hdwb. 2, 1 5 5 1 ; S c h m e l l e r Wb. 1, 648 f.; S c h ö n b a c h Berthold

1174

18 u. 22. 2) Schriftliche Mitteilung des Herrn Dr. P f a l z v o m bayr.-österr. Wb. in Wien. 3) G r i m m Myth. 1, 351; 2, 869; S c h a d e Altd. Wb. 2, 933 (s. v. thrüdhr); M e y e r Germ. Myth. 4) 118; W e i g a n d - H i r t 1, 384. vgl. auch M o g k Myth. 268. «) D W b . 2, 1453; K l u g e Et. WbP s. v. drude. 8) M e y e r Myth. d. Germ. 1 3 1 ; G ü n t e r t Kalypso 70. ') S c h m e l l e r Bayr. Wb. 1,650; S c h ö n w e r t h O b e r p f a l z 1, 209; Bavaria 2, 241; H a l t r i c h Siebenbürgen 311 f. 8 ) Z f V k . 8 , 116. 9) S c h m e l l e r Bayr. Wb. 1, 681. 10) Ebd. n ) M e y e r Germ. Myth. 141. Ranke.

Trudenfuß s. Nachtrag. Trudenstein. Trud, Trut, Drud, mhd. trute bedeutet ein gespenstisches Wesen aus der Sippe der Maren und Alpdrücker. Die Lautform des Wortes ist dunkel; stellt man mhd. trute zu dem Adjektiv traut, so wäre drude ein Euphemismus, wie etwa griech. Eumeniden x ). T. nennt das Volk in Oberdeutschland Steine auf Höhen, wo diese Unholdinnen sich zu versammeln pflegten, u m zu beraten, welche Menschen von ihnen gequält, getreten (gedrückt) werden sollten 2 ). Ein durch Lage, Gestalt und reichen Sagenkranz besonders ausgezeichneterer, befindet sich auf dem Dillenberge bei Langenzenn in Mittelfranken; er war vielleicht ein germanischer Opferstein 3 ). Den Namen T. führen aber auch Steine, die als Schutz gegen böse Geister verwendet werden. Ihre mineralogische Beschaffenheit und Größe ist gleichgültig; meistens sind es abgeschliffene Flußgeschiebe. Die Hauptsache ist, daß sie von Natur, nicht künstlich, durchlocht sind, gleichviel ob in der Mitte oder am Rande; auf dieser Durchlochung beruht allein die schützende und abwehrende Kraft, die man den T.en zuschreibt 4 ). Ihr Vorkommen ist bisher nachgewiesen in der Mark, Mecklenburg-Schwerin, auf Rügen, in Hessen, Schwaben, der Schweiz, in Salzburg (Schweden, Holland); es ist aber anzunehmen, daß sie auch in den Zwischengebieten vorkommen 5 ). In Schwaben führen die T.e auch den Namen Schrattensteine, Truttelsteine, daneben kommt Krottenstein und Alpfuß vor; im Schweizer Jura heißt es, mit diesen Steinen müßten die Härdmandli (Zwerge) ihre Kornähren ausmahlen; in Schweden heißt der Drudenstein Alfquarner (Elfen-

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75

Trüsche—Tuch

mühle) 6 ). Nach dem Volksglauben schützen die T.e gegen die Trade, Nachtmare, Hexen, Schrätteln und den Alb, besonders gegen das von ihnen veranlaßte scheußliche, quälende Alpdrücken 7 ). Vor allem leiden darunter die kleinen Kinder in der Wiege, die oft nachts große Beulen davon bekommen, so daß sie nicht schlafen und gedeihen können 8 ). Auch die Pferde im Stalle werden nachts von den Druden schwer geplagt; oft findet man morgens ihre Mähnen und Schweife so in Zöpfe verflochten, daß man sie kaum auseinanderbringen kann 9). Das einzige Gegenmittel ist der T.n; man zieht durch das Loch ein Bändchen oder einen Riemen und hängt ihn in der Stube, an der Wiege, an den Fenstergittern des Pferdestalles auf. Alte Hebammen besitzen solche Steine und leihen sie Weibern zum Schutz ihrer Kinder 1 0 ). Im Aargau und in Schwaben nimmt das Landvolk T.e mit ins Bett, um sich vor dem Alp zu schützen u ) . In Schwaben bindet man den Truttelstein (Schrattenstein) in ein Säckchen und trägt dies als Schutz gegen Behexung am Halse 1 2 ). Besonders gefährdet ist die Wöchnerin; in Bayern werden deshalb T.e an ihr Bett gehängt; dann kann die Trud nicht an sie und das Kind herankommen ; Hebammen führen solche Steine stets bei sich 1 3 ). Gibt eine Kuh keine Milch oder fließt gar Blut aus dem Euter, so ist sie verhext; man melkt dann eine Zitze durch das Loch des Trudensteins (vgl. Donnerkeil, Kuhstein). Gesner (1554) erwähnt diesen abergläubischen Brauch zuerst 1 4 ). 1678 kommt er in dem Prozeß gegen den Zauberer Jaggel im Salzburgischen zur Sprache 1 5 ). In der Volksheilkunde fand der T. Verwendung gegen den „Alpstich", eine Art Pneumonie, die durch Behinderung der Atmung zum Tode führen kann; der stechende Schmerz galt als vom Alp verursacht 1 6 ) (vgl. Alpschoß s. v. Belemnit). !) K l u g e Et. Wb. s. v.; S c h m e l l e r 1, 648; G r i m m DWb. 2, 1453; H ö f l e r Krankheits2 namen 755. ) V e r n a l e k e n Mythen 270; P a n z e r Beitrag 1, 106 u. 1 5 1 ; vgl. H a u p t Lausitz 1, 14 ff. 3 ) P a n z e r Beitrag 2, 1 5 1 f.; A l p e n b u r g Tirol 268 f.; S e p p Sagen 527.

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4

) P a n z e r a. O. 1, 428; A n d r e e - E y s n 1 1 3 ; R a n k e Volkssagen 12, 270; G r i m m DWb. 2, 1 4 5 5 ; ZdVfVk. 13 (1903), 295. S) ZföVk. 1 3 (1907), 1 1 0 ; ZdVfVk. 15 (1905), 91 f.; vgl. ebd. 1 3 (1903), 298 (Süditalien). 6) P a n z e r a . a . O . 2, 569; Meier Schwaben 1 7 2 ; B i r linger Schwaben i, 120; G r i m m Altdänische Heldenlieder 509. 7 ) M e y e r Germ. Myth. 1 1 9 § 162 u. 1 2 1 ; S i m r o c k Myth. (1864), 453; vgl. S é b i l l o t Folk-Lore 1 , 1 4 2 (Lüttich). 8 ) P a n zer Beitrag 2, 164. 9) P a n z e r a. a. O.; ZdVfVk. 11 (1901), 351 u. 13 (1903), 296 f.; S c h ö n w e r t h Oberpfalz 1, 328 ff.; B i r l i n g e r Volksth. 1, 306 Nr. 492; vgl. K l e e Zopfflechten u. Stallspuk in Z. für Parapsychologie, Mai 1896. 10 ) P a n z e r a . a . O . 164 f.; R e i s e r Allgäu 2, 427; B i r l i n g e r Schwaben 1, 130; P a n z e r Beitrag 2, Nr. 268; E b e r h a r d t Landw. 1 3 ; Abbild, bei A n d r e e - E y s n 1 1 2 u. ZdVfVk. 1 3 n (1903), 296. ) R o c h h o l z Sagen 1, 344; Meier Schwaben 1, 1 7 2 Nr. 4. 1 2 ) B i r l i n g e r Schwaben 1, 120. 1 3 ) DG. 3, 70, 128; R e u s c h e l Volksk. 2, 25 f.; L e o p r e c h t i n g Lechrain 92 f.; vgl. W u t t k e 92 § i n . " ) Gesner d. f . I. 30 f. (mit Abbild.). " ) ZdVfVk. 1 3 (1903), 296 f. u. 15 (1905), 21 f. 16 ) ZdVfVk. 13, 297. t Olbrich.

Trüsche s. A a l r a u p e . Truthahn, P u t e r (Meleagris gallopavo). Nach der Sage bewachen Truthühner einen S c h a t z 1 ) , oder eine g o l dene W i e g e 2 ). Als Hexentier erscheint der Tr. nur bei den Slaven 3 ). Das in England häufige E s s e n eines Tr.s zu Weihnachten hat sich auch in deutschen Gegenden vielfach eingelebt 4 ).

2 Müller Siebenbürgen 86. ) Bartsch Mecklenburg 1, 266. 3 ) K r a u ß Slav. Vforschun4 gen 57; Rel. Brauch 112. ) A l b e r s Das Jahr 329. •)• Hoffmann-Krayer.

Trutina Hermetis s. H e r m e s m e g i s t o s Sp. 1789 §4.

Tris-

Tuch.

1. Ehepfand u. andere Geschenke. 2. Hungertuch, Wundertücher. 3. Tod u. Begräbnis. 4. Volksmedizin. 5. Weißes (rotes) T. u. Schlangenkrone u. a. 6. Sonstiges.

In den Uberlieferungen wird oft statt eines sonst näher bestimmten T.es, eines Halstuches (s. d.), Handtuches (s. d.), Kopftuches (s. d.), Taschentuches (s. d.) oder auch eines Stückes Leinwand (s. d.) oder Lappens (s. d.) ganz allgemein von einem T. gesprochen, für das im Aberglauben die gleichen Umstände wie bei jenen in Betracht kommen: die Farbe, Form, Herkunft, Art der Verwendung, der Stoff (Leinwand, Seide u. a., aber

1177

Tuch

nie der selbst ,,Tuch" genannte Stoff 1 )), Stickereien und Verzierungen u. a. i. Wie früher vereinzelt bei der Investitur (Investitura per linteum) 2 ), kqmmt dem T. eine rechtliche Bedeutung zu, wenn es als Pfand bei der Annahme der W e r b u n g , bei der V e r l o b u n g und H o c h z e i t verwendet wird. Meist wird in diesen Fällen ein Taschentuch (s. d.) geschenkt. Um Lusern (Südtirol) schenkt das Mädchen dem Geliebten ein weißes T. 3), in Österreich schenkt die Braut dem Bräutigam ein weißes T., das er am Hochzeitstag an der Brust trägt 4). Bei den Rumänen tauschen die Brautleute ein gesticktes T. aus 5 ), in Dalmatien wird der Braut ein Seidentuch als Verlobungspfand gegeben, während sie den Ring erst kurz vor der kirchlichen Trauung erhält. Daher wird die Verlobung svila (Seide) genannt 6 ). Bei den Bulgaren gibt das Mädchen den Werbern ein T. für den Freier 7 ), und dieser schickt seinerseits am nächsten Tag der Braut Geschenke 8). Bei den Magyaren (Csepel-Insel) gibt der Bursche, wenn seine vom „Beistand" vorgebrachte Werbung Erfolg hatte, diesem das Verlobungszeichen, zwei bis drei Seidentücher, mit Blumen, besonders Rosen verziert und in ein buntes, dreieckiges Papier gewickelt, alles mit Bändern und Kunstblumen umwunden 9 ). Auch sonst wird ein T. als G e s c h e n k gegeben. Seinerzeit beschenkte Kaiser Aurelian das Volk mit T.ern, damit es bequemer als früher, wo ein Zipfel der Oberkleider dazu diente, seinen Beifall bei den Spielen ausdrücken konnte 1 0 ). Bei der Heimführung der Gebeine des Landgrafen Ludwig aus Otranto schenkten seine Begleiter jedem Kloster oder Stifte, wo der Leichnam des Nachts blieb, um seiner Seele willen ein gutes, seidenes T. u ) . Ein seidenes T. mit einem Geldgeschenk erhält der Altgeselle beim R i c h t f e s t im Delbrücker Lande 1 2 ), mit T.ern und Bändern schmückt man in der Umgegend von Ellwangen den M a i b a u m 1 3 ) und im Neckarkreis den auf dem l e t z t e n E r n t e w a g e n stehenden Baum 1 4 ). *) Dazu u. zu den verschiedenen Arten der T . e r vgl. H e c k s c h e r 262 ff. 494 fr. 2) B ä c h -

II78

t o l d Hochzeit 1, 134. 3 ) Z f V k . 11 (1901), 448. 5 ) A. G e r a m b Brauchtum 127. Flachs Rumänische Hochzeits- und Totengebräuche (Berlin 1899) 28, vgl. 31. 6 ) K r a u ß Sitte u. Brauch 375. 7 ) ZfvglRechtswiss. 27 (1912), 463. 8 ) 9) K r a u ß Sitte u. Brauch 379. Ethnolog. Mitteil, aus Ungarn i , 423 = B ä c h t o l d Hochzeit 1 , 1 3 1 . 1 0 ) S i t t l Gebärden 62 f. u ) Q u e n s e l Thüringen 59. 1 2 ) Z f r w V k . 1908, 176. 13 ) M a n n h a r d t 1, 171. 14 ) E b d . 1, 193. 4)

2. Fromme Opfergeschenke waren und sind gewöhnlich die nicht selten sehr kostbaren A l t a r t ü c h e r in den Kirchen, zu deren Herstellung früher mitunter Hanfgarn benützt wurde, weil der Teufel den Hanf (s. d.) flieht15). Besonders wertvoll ist zuweilen das F a s t e n t u c h oder H u n g e r t u c h , das in den katholichen Kirchen während der Fastenzeit aufgehängt wird und den Anlaß zu der Redensart „am Hungertuche nagen" gab 1 6 ). Prachtstücke besitzen unter andern das Museum für Volkskunde in Berlin 17 ), das Altertumsmuseum zu Dresden und das Schweizerische Landesmuseum zu Zürich. Die zwei letzten stammen aus dem 15. Jahrhundert M ). Im christlichen Glauben erscheint als W u n d e r t u c h das in manchen Fällen zur weit verbreiteten Gattung der E r i n n e r u n g s t ü c h e r 1 9 ) gehörende T. der hl. V e r o n i k a (s. d.) mit dem Gesichtsabdruck Christi, das der Sage nach vom Papst der Naumburger Domkirche geschenkt wurde, wo es in der Marienkapelle aufbewahrt wurde und bei dem großen Brande von 1532 zugrunde ging 20 ). Ein ähnliches Motiv findet sich in einzelnen Sagen, nach welchen ein Geist seine zwei Hände in ein T. einbrennt 21 ). Das S c h w e i ß t u c h , das der Engel nach der Auferstehung Christi den drei Marien wies, das Hemd der Jungfrau Maria u. a. hat der Sage nach Karl der Große von einer Kreuzfahrt nach Aachen heimgebracht 22). Das Märchen kennt ein W u n s c h t u c h , auf dem alle möglichen Speisen erscheinen, wenn man es ausbreitet. Ein solches muß aus besonderem Stoff und stillschweigend gesponnen sein oder der Hanf dazu muß in einer Tagesfrist gerupft, geröstet, gebrecht, gehechelt, gesponnen und gewoben werden 23 ) (s. Nothemd). Im Othello

ii79

Tuch

Il8o

In Braunschweig erhalten t o t g e b o r e n e oder u n g e t a u f t e K i n d e r in manchen Dörfern keine Blumen auf das Grab, sondern man befestigt ein viereckiges, weißleinenes T. über dem Grabhügel 3 0 ). Wenn einem viele Kinder hintereinander sterben, so muß man nach norddeutschem Glauben ein T. kaufen und an die Kanzel hängen; dann bleiben die folgenden Kinder am Leben 3 1 ).

die in der Sage neben Lappen (s. d.) auch als P e s t t r ä g e r erscheinen 32 ), verschiedenartige Verwendung. Mit einem T. kann man K r a n k h e i t e n ü b e r t r a g e n , so im Erzgebirge Flechten, die man mit einem T. berührt, das dann in ein Grab geworfen wird 33 ). Solche T.er werden auch auf Bäume aufgehängt (s. Lappenbäume). In Tirol bindet man um ein Aiß (Eiterbeule) ein leinenes T. und legt dies dann neben einem Bach auf einen großen Stein. Wer das T. nimmt, bekommt das Aiß an der Stelle, wo es der Kranke hatte 3 4 ). Im Erzgebirge wirft man ein T. des Kranken vor die Tür, wenn vor dem Hause die K l a g e m u t t e r heult. Nimmt sie das T. mit, so stirbt der Kranke, läßt sie es liegen, so wird er genesen 35 ). Um ein Kind von Krämpfen zu heilen, bedeckt man im Erzgebirge sein Gesicht mit dem schwarzseidenen T. einer verstorbenen Patin oder bindet ein solches schwarzes E r b t u c h , das während des Abendmahles in der Kirche getragen wurde, dem Kind um den Hals 3 6 ). G e w e i h t e und h e i l i g e T.er, die in der Kirche oder bei gottesdienstlichen Handlungen gebraucht werden und deren Raub nach der Sage schwer bestraft wird 3 7 ), haben überhaupt eine erhöhte Heilkraft. Vom Wallfahrtsort Maria Kulm im Egerland wird aus dem 17. Jahrhundert überliefert, daß sich Leute mit einem geopferten A l t a r t u c h umwickelten und so um den Altar herumkrochen 38 ). Stücke vom M e ß t u c h oder K e l c h t u c h , in Papier eingewickelt, steckt man in die Kleider der Beschrieenen 39 ). Bei den Ruthenen wird der Fallsüchtige mit einem kostbaren T., auf welchem die Grablegung Christi dargestellt ist, während des Anfalles bedeckt. Dieses T. wird am Karfreitag auf das heilige Grab gelegt und am Ostersonntag auf den Hauptaltar, wo es bis Christi Himmelfahrt bleibt. Am meisten hilft es, wenn man dieses T. in der Kirche stiehlt 40 ).

4. In der V o l k s m e d i z i n finden T.er,

Das Z a h n w e h t ü c h l , das noch vor 50 Jahren im Bezirk Neunkirchen in Niederösterreich üblich war, auf den Grabsteinen der Ritterfrauen in Laufen a. d. Salzach sichtbar ist und in der

(3. 3) wird e i n Z a u b e r t u c h erwähnt, das eine Sibylle wirkte und wozu geweihte Würmer die Seide spannen 24 ).

15 ) R e i t e r e r Steiermark gg. 1 6 ) Vgl. G e r a m b Brauchtum 24; Rudolf U e b e Westfälische Hungertücher, Die Heimat (Dortmund 1926) 8, 17 106ff. ) Z f V k . 24 (1914), 354. Vgl. ebd. 2 1 ( 1 9 1 1 ) , 321 ff. (Hungertuch von Telgte in Westfalen). 1 8 ) M e y e r Konv.-Lex. 6 (1904), 348. 19 ) Z f V k . 8 (1898), 467 f. 20) Q u e n s e l Thü21 ringen 88. ) Z a u n e r t Rheinland 1 , 44 i. 22 23 ) E b d . 1 , 74 f. ) G r i m m Myth. 2, 726. 24 ) E b d . 3, 3 1 7 f.

3. Ein herabfallendes T. zeigt um Elberfeld einen nahen T o d e s f a l l an 2 5 ). In Hochdorf (Freudenstadt) und Beuren (Nagold) wurde früher die mit einem neuen Hemd und Strümpfen bekleidete Leiche in ein neues L e i n t u c h gehüllt, wie es heißt, zur Erinnerung an das Begräbnis Christi. Das Leintuch wurde dann so weit zugenäht, daß nur noch das Gesicht des Toten frei war. Von diesem Brauch hat die Leichenfrau zum Teil noch heute den Namen „Einnäherin" 26 ). In Oberösterreich legte man seidene Tücher, auf welchen in Gold Marienbilder aufgedruckt waren, dem Sterbenden auf die Brust. Solche bewahrt das städtische Museum in Steyr a u f 2 7 ) . Sonst hütet man sich, einem Toten ein T . oder Band mitzugeben. Denn wenn es ihm in den Mund kommt, wird er zum Nachzehrer (s. d.) 2 S ). Im Mittelalter war es bei Adeligen und reichen Bürgern vielfach üblich, daß bei den Leichenbegängnissen ein kostbares B a h r t u c h aufgelegt wurde, das oft zugleich mit anderen Tüchern dem Pfarrer oder der Kirche geopfert wurde 29 ).

2ä ) Z f r w V k . 1908, 245. 26 ) H ö h n Tod Nr. 7, 3 1 8 . 2 ' ) Z f ö V k . 1 3 (1907), 1 1 4 . 28) Vgl. S i e b e r Sachsen 281 f. 29 ) D G . 1 2 ( 1 9 1 1 ) , 287. 3 °) A n d r e e Braunschweig 3 1 8 . 3 1 ) K u h n u. S c h w a r t z 436 Nr. 304.

II8I

Tuch

Kleidung mancher Nonnenorden in ähnlicher Form erscheint 41 ), wird heute noch im Böhmerwald, wo früher die Weiber auch ein K r o p f t ü c h l trugen 4 2 ), bei Zahnweh umgebunden und gewöhnlich Maultüchl genannt 43 ). 32) K ü h n a u Sagen 2, 539 Nr. 1 1 7 7 = P e u c k e r t Schlesien 247; S i e b e r Sachsen 96. 33) J o h n Erzgebirge 110 = S e y f a r t h Sachsen 211. 34) H e y l Tirol 802 Nr. 255. 35 ) S i e b e r Sachsen 275. 36 ) J o h n Erzgebirge 53 f.; S e y f a r t h Sachsen 272. 274. Vgl. K ü c k Lüneburger Heide 9. 3 ') Vgl. S i e b e r Sachsen 91. 38) Egerl. 18 (1914), 40. 39) S e l i g m a n n Blick 1, 342. 40 ) H o v o r k a u. K r o n f e l d 2, 223. 4 1 ) W Z f V k . 31 (1926), 102. 42 ) B d b ö V k . 17, 31. 13) Verf.

5. Besonders zauberkräftig und segensreich ist ein w e i ß e s T. (s. rein, Reinheit), zuweilen auch ein rotes oder unter besonderen Umständen verfertigtes T. Gegen die w i l d e J a g d schützt man sich, wenn man sich auf ein weißes T. setzt 4 4 ) (s. Taschentuch). Ein weißes T. muß man ausbreiten, damit der S c h l a n g e n k ö n i g oder die Schlangenkönigin ihre kostbaren Kronen darauf legen 4 5 ). Es soll nach einer Uberlieferung in einer der hl. Nächte gebleicht sein 46 ). An seiner Stelle kann auch ein Mantel 4 7 ) (s. d.) oder der weiße Kittel eines Mühlburschen hingelegt werden 4 8 ), aber auch ein Purpurtüchel 49 ) oder ein rotes T., an dessen Zipfel Faden angebunden sind, mit welchen man es, wenn die Krone darauf liegt, aufhebt 5 0 ). Das T., mit dem man die Schlangenkrone gewinnt, soll ferner ungebraucht und an einem Vollmondstage hergestellt sein 51 ). Oder es soll ein Kelchtüchlein sein 52 ), mit dem der Geistliche bei der Messe den Kelch auswischt 53 ), an dem daher noch Teile der hl. Hostie haften können, oder es soll ein Brauttuch oder ein bei der Trauung verwendetes T. oder aus einem Garn sein, das ein siebenjähriges Mädchen gesponnen hat. Doch muß man dieses T. vorher dem Priester in das Meßbuch legen 54 ) (s. Nothemd). Auf dieselbe Weise gewinnt man durch Hinlegen eines roten T.es den wertvollen K r ö t e n s t e i n (s. d.), den die Kröte auf das T. speit 5 5 ), ferner die S p r i n g w u r z e l (s. d.), welche der Specht (oder Wiedehopf) auf das rote T. vor seinem

IL82

Nest, das er für Feuer hält, vor Schreck fallen läßt 5 6 ) oder dies tut, weil er sie niemand gönnt und daher lieber verbrennen will 57 ), dann den zauberkräftigen F a r n s a m e n (s. d.), den man aber auch durch Anmachen eines Feuers, an dessen Stelle später erst das rote T. getreten sein dürfte 5 8 ), oder nur mittels neun Patentüchern erlangt, die man in der Sonnwendnacht zwischen 11 und 12 Uhr unterlegt, wobei der Same durch acht T.er hindurch fällt und erst vom neunten aufgehalten wird 5 9 ). Auf ein ausgebreitetes, meist weißes T. fallen endlich die d r e i B l u t s t r o p f e n , wenn der, welcher hieb- und schußfest oder Freischütz (s. d.) werden will, zur Sonnwendzeit in der Mittagsstunde in die liebe Sonne oder auf die Hostie schießt 60 ). **) W u t t k e 20 § 18. 4S ) W u c k e Werra 39 Nr. 75; S i e b e r Sachsen 193 f.; Kühnau Sagen 2, 39 Nr. 694; 364 s . Nr. 969 ff.; G l o n i n g Oberösterreich 5 1 ; J u n g b a u e r Böhmer46 ) W u c k e wald 109. Werra 340 Nr. 582. 47 ) Ebd. 279 f. Nr. 482. 48 ) Q u e n s e l Thüringen 49 230 f. ) K ü h n a u Sagen 2, 372 Nr. 979. 60 ) P e u c k e r t 51 ) Schlesien 238 f. Kühnau Sagen 2, 370 Nr. 975. 52 ) Ebd. 2, 380 Nr. 989. 53 ) 54 ) S i e b e r Sachsen 193 (Nordböhmen). 55 ) J u n g b a u e r Böhmerwald 110. Sieber Sachsen 195. 66) G r i m m Myth. 2, 813; 3, 289 u. Sagen 6 Nr. 9; 78 f. Nr. 85; K u h n u. S c h w a r t z 459 Nr. 444; K u h n Herabkunft d. Feuers 214; Z a u n e r t Westfalen 286; K a p f f Schwaben 99 (Wiedehopf). *') W o e s t e Mark 44. 58 ) 59 K u h n Herabkunft d. Feuers 222. ) Heyl Tirol 793 Nr. 198. 60 ) R a n k e Sagen2 44 f . ; Q u e n s e l Thüringen 290.

6. Das T. wird auch sonst bei allerlei Zauber verwendet. Man bannt am Johannistag zur Mittagsstunde die sich sonnende v e r s u n k e n e G l o c k e , wenn man ein T. (s. Kleid) darauf wirft 6 1 ). Mit dem T., das den Abendmahlskelch bedeckt, kann man die M a h r fangen. Wenn sie in Tiergestalt kommt, so muß man schnell die vier Zipfel des T.es zusammenfassen 62). Nach südslawischem Glauben sieht man den gehörnten Mittag (s. d.), wenn man am Eliasfeste zu Mittag durch ein Seidentuch in die Sonne sieht 63 ). Zu W e t t e r z a u b e r wird ein T. mit drei Knoten (s.d.) gebraucht. Beim Lösen eines Knotens entsteht leichter Wind, des zweiten heftiger Wind und des

Tulpe- •Tumbo

II 83

dritten ein gefährlicher Sturm 64). Ein F e r n z a u b e r liegt vor, wenn nach einer Uberlieferung ein mit einem Arbeiter durchgegangenes Weib mit Hilfe eines besprochenen T.es zur Rückkehr gezwungen wurde 65). Ein weißes T. mit Fransen benutzt man beim M e l k z a u b e r 6 6 ) . Mit einem Leintuch sammeln die Tauhexen den T a u 67) (s. d.). Mit dem T. oder der Weste einer Leiche vertreiben die Schweden in Finnland R a u p e n und Ungeziefer vom Feld, indem sie, um das Feld gehend, jene hinter sich herziehen 68 ). Ein als Verlobungsgeschenk erhaltenes Seidentuch gibt der finnische Bauer vor der L e i n s a a t in den Korb, in welchem der Same liegt, damit die Fasern des Flachses fein werden 69 ). In Westböhmen verwendet man bei der Leinsaat ein B e t t t u c h als Säetuch 70 ). In Dänemark benützt man zum Säen ein T i s c h t u c h oder ein r e i n e s T., das man zu keinem anderen Zweck gebraucht und von einer Saatzeit auf die andere aufbewahrt 7 1 ). 61 ) K u h n u. S c h w a r t z 4 Nr. 3. 82) Z a u n e r t Rheinland 2, 150. 63) Urquell 3 (1892), 203. 6 i ) Z a u n e r t Rheinland 2, 142. 65) G r i m m M y t h ? (1854) 1232 = ZfVk. 7 (1897), 188. 66) Z a u n e r t Westfalen 55, 23; W u t t k e 76 § 88. «») 267.. « )_ FFC. _ _Nr.69)

70 )

FFC

Nr

55

6y

Ebd

Nr

3I> ? 5 {

J o h n Westböhmen 196. 71 ) C. F. K r i s t e n s e n Danske sagn (1902) 6, 424 = FFC. Nr. 31, 76. Jungbauer.

Tulpe (Tulipa Gesneriana). Die GartenT.n haben ihre Heimat vorzüglich in Mittelasien und kamen um die Mitte des 16. Jh.s in die europäischen Gärten 1 ). Die T. erscheint ab und zu in Sagen als „Glücksblume" („Vergiß das beste nicht") 2 ). Wenn eine Kuh nicht trägt, soll man sie mit T.nblättern füttern 3 ). Wenn man eine T. aufs „Nachtkastl" stellt, so stirbt man in dieser Nacht 4 ). Im Volke ist der Glauben weit verbreitet, daß der Duft stark riechender Blumen dem Schläfer den Tod bringe. *) Vgl. S o l m s - L a u b a c h Weizen u. T. 1899; S t r a n t z Blumen in Sage u. Gesch. 1875, 270 bis 290. 2) B e c h s t e i n Thüringen 1, 93; K ü n z i g Schwarzwald-Sagen 1930, 131. 3) F o g e l Pennsylvania 167. 4) ZföVk. 34, 71. Marzell.

Tumbo (Segen) 1 ). Der Schlußteil des „Straßburger Blutsegens", 11. Jh., lautet: „Tumbo saz in berke mit tumbemo kinde

1x84

enarme; tumb hiez ter berch, tumb hiez taz kint; ter heilego Tumbo uersegene tiusa uunda (Ad stringendum sanguinem)" 2 ). Eine lateinische Variante, 10. Jh. (Bern): ,,Stulta femina super fontem sedebat et stultum infantem in sinu tenebat. Siccant montes, siccant valles, siccant venae, vel quae de sanguine sunt plenae" 3). Kaum von diesen zu trennen ist ein Text bei Marcellus, um 400 (profluvium muliebre): „Stupidus in monte ibat, stupidus stupuit. Adiuro te, matrix, ne hoc iracunda suscipias" 4) (der Schluß ist ein Stück Koliksegen, s. d. § 1 mit Anm. 2). Der N a m e tumbo wird gewöhnlich nach Grimm als Bergriese, versteinerter Riese verstanden (dumb = hebes, Dumbo ein isl. Riesenkönig); die stulta femina ist nach Heim der Nebel. Geographisch deutet Laistner: Tumba heißt ein Berg in Nordfrankreich; vgl. Kögel: ein merkwürdig geformter Felsen war dem Volke ein Riese mit einem Kinde. Physiologisch deutet R. M. Meyer: Tumbo ist der Daumen, der in die Hand gesteckt schläft wie ein Kind im Vatersarm. Christlich Mansikka: Der hl. Tumbo ist Christus auf Marias Schoß (prinzipiell ähnlich Grimm: Statt des Riesen stand urspr. ein Gottesname). Die L o g i k des Spruches. Gegen die gewöhnliche Auffassung, der gefühllose (dumme) Riese solle die Wunde gefühllos machen, wendet Helm mit Recht ein, daß die Texte nicht Schmerz, sondern Blut stillen wollen. Nach ihm und nach v. Steinmeyer ist die urspr. Pointe bei Marcellus zu suchen: „stupidus stupuit", indem das Adjektiv den (Neben-)Sinn „starr" habe (eher ein bloßes Wortspiel?); diese Pointe sei durch den deutschen Ubersetzer — der an einen „dummen" Riesen dachte — verloren gegangen (wie eigl. auch in der spätlat. Form). Merkwürdig ist die z. T. sogar vokabuläre Ubereinstimmung mit einem finnischen Zauberüede 5), nach welchem Maria (oder ein anderes heiliges Wesen) das himmlische Feuer in einer Wiege wartet; es entfällt aber (zum Schaden der Menschheit) „der Hand des Dummkopfes, des

Tümmler—Tür

(der) Unbesonnenen", in einer Variante ist erstere Bezeichnung tumfo-n (aus schwedisch dumb)\ vgl. „stulta femina, (st.) infans in sinu" und die Bedeutung des ahd. tumb „jugendlich, unerfahren, töricht". Ist die Ähnlichkeit keine zufällige, muß man wohl in dem Stultusund dem Tumbosegen sekundäre Einwirkung einer entsprechenden Legende (vgl. „der hl. Tumbo") annehmen und könnte übrigens die Ausführung Helms festhalten. !)

Literatur:

Myth.

1,

Kl.

Grimm

438;

Sehr.

2,

Über

Mansikka

147;

russische

Zauberformeln 70; H e l m HessBl. 8, 131 ff.; O h r t ebd. 26, i f f . ; S t e i n m e y e r 376. Bemerkungen auch K ö g e l Gesch. d. Lit. X 1, 265; L a i s t n e r Germania 26, 184; M e y e r Germ.

Myth.

23;

Meyer

2) MSD. 1, 18 N r . 6 (2, 52 f.). 4

menta

498.

runen

der Finnen

) Marcellus

3

Religgesch.

125.

) H e i m Incanta-

Medicamenta

X

35

( H e i m 498). 6 ) K. K r o h n Magische Ursprungs( F F C . N r . 52) 1 1 5 f f .

Ohrt.

Tümmler kann zwei Fische bezeichnen: 1. Delphinus tursio, 2. Phocaena communis, auch Braunfisch, Meerschwein 1 ). In PBB. 53 (1929), 302 wird der T. als G e w i t t e r t i e r bezeichnet und auf die Parallelen anord. leiptr, prov. dalje ,,T." und „Blitz" hingewiesen. Auf einer syrakusanischen Münze wird das Hakenkreuz („Zeichen der Gewittergottheit") aus 4 T.n gebildet. Vgl. R o h l f s Sprache und Kultur (1928) und D e l p h i n (Bd. 2, 186), S c h w e i n s f i s c h . *)

Leunis

2. 5.

Synopsis

d. Tierkunde3

1,

§ 175;

•)• Hoffmann-Krayer.

Tür. I. Allgemeines. II. Die T. im Recht. III. T. Aufenthaltsort von Geistern. IV. Opfer. V. Die T. muß vermieden werden. VI. Übergangsriten. T. als Grenze, a) Geburt, b) Taufe, c) Hochzeit, d) Tod, e) Austrieb des Viehes. VII. Ort zauberischer Handlungen, a) SchadenZauber, b) Heilzauber, c) Gegenzauber, d) Diebszauber, e) Verschiedene Zauber. VIII. Abwehr und Schutz, a) Sicherung des Segens, b) Bleibende Schutzmittel, c) Schutzmittel, die zu bestimmten Zeiten angebracht werden, d) Hexenwetter, e) Bei Seuchen, f) Verschiedene Abwehrmaßnahmen, g) Schließen der T., h) Zu bestimmten Zeiten. I X . Orakel. X. Vorbedeutung, a) Verschiedenes, b) Klopfen, c) Die T. geht von selbst auf, d) Andere Todesvorzeichen. X I . Verschiedene Verbote und Gebote. X I I . Verschiedenes. X I I I . T. muß offen stehen. X I V . T. geht von selbst auf. XV. T. in Märchen und Schwank. B ä c h t o l d - S t ä u b l i , Aberglaube VIII

Il86

I. A l l g e m e i n e s . Für die T. gilt im wesentlichen dasselbe, das von der Schwelle gesagt wurde (s. d. I). Doch kommt hinzu, daß die T. als sichtbare und wirkliche Grenze gerade in dieser Eigenschaft als Trennung und Eingang etwas mehr hervortritt als die Schwelle. Auf ihre Festigkeit kam es dabei weniger an, da sie durch einfache, aber zauberkräftige Mittel gesichert wurde 1 ). Auch in der Rechtsüberlieferung spielt die T. eine größere Rolle als die Schwelle (s. II). Der großen Bedeutsamkeit der T. im deutschen Volksglauben steht wie bei der Schwelle Heiligkeit und Kult bei den alten Römern 2) und anderen Völkern 3) gegenüber. Alte T.n sind oft quergeteilt, in eine Ober- und Untert. 4). S a r t o r i Sitte 2, 24, s. u. Abwehr und Schutz. 2 ) O g l e The housedoor in Greek and Roman

Religion

and

Folklore

Am.

Journ.

of

Philol. 1911, 2 5 i f f . (Dagegen D e u b n e r AfRw. 20, 419); T.gott, Janus W i s s o w a Religion 108, ebenso Portunus ebd. 112; E i t r e m Hermes

und

die

Toten

33;

Frazer

2,

384;

R a d e r m a c h e r Beiträge 65 .Cardea und Carna Eit r e m Hermes und die Toten 33. 3 ) F r a z e r 2, 384. Heiligtum in Ägypten (106), Babylonien, Phönizien, Cypern, Sardinien, Sizilien, Abessinien. Neu-Seeland (107), im alten Mexiko, in

China

(108);

Trumbull

The

Threshold

Covenant. Die Pythagoräer und Ägypter schwiegen beim Durchschreiten von T.n und Toren. Syrische Juden berühren beim Verlassen des Hauses einen am T.pfosten angebrachten Zettel mit dem Namen Gottes oder ähnlichen und küssen die Finger und sagen: Der Herr segne Deinen Ausgang usw. G e n n e p Rites de passage 32; ZfVk. 25, 22, 27. S. unter Opfer 4 (IV). ) Z. B. J o h n Erzgebirge 7.

II. D i e T. in der R e c h t s ü b e r l i e f e rung. Die Besitzergreifung 5), Übergabe 6 ) eines Hauses geschah durch Erfassen oder Berühren der T. Dem Missetäter wurde die T. verpfählt, er mußte einen anderen Weg aus dem Haus nehmen (interdictio portae 7)). Mit auf die T. gelegter Hand wurde nach dem norwegischen Frostatingsgesetz ein Schwur geleistet 8 ). Dem nordischen T.gericht 9) entspricht auch eine deutsche Rechtshandlung 10 ). Vornahme von prozessualen Handlungen an der T. sind in der Lex Ribuaria erwähnt. Für das Asylrecht ist die Kirchent. von bes. Bedeutung 11 ). Die meisten gotischen Kirchen haben eine sog. B r a u t t . oder 38

Tür

Ehet., durch die das Brautpaar eintritt. An der E h e t . harrte der Priester und stellte die Vorfragen an die Brautleute 12 ). 6) Oder E i n g e h e n durch die T . Grimm 6) RA. 1, 240; N d Z f V k . 13, H 9 f . Rochholz Glaube 2, 144. Gerichtliche Übergabe eines Hauses wurde dadurch bewerkstelligt, d a ß der F r o n b o t e einen S p a n aus d e m T . p f o s t e n hieb und d e m neuen Besitzer einhändigte. G r i m m RA. 1, 239. ' ) G o l d m a n n Chrenecruda 1 5 7 ff. N a c h altrussischem R e c h t m u ß t e der Beschuldigte, falls er den geweihten Bissen des Gottesurteiles nicht schlucken konnte, unter der Schwelle entfernt werden. Der in V e r z u g geratene Schuldner m u ß t e sein H a u s durch das D a c h verlassen (alemannisches R e c h t s g e b i e t ebd. 161 ff.). N a c h einer altnord. S a t z u n g soll, wenn der Herr die M o r d b u ß e f ü r seinen K n e c h t n i c h t entrichten will, der T o t e über die T . des Herrn g e h ä n g t werden, bis die verfaulende Leiche herunterfällt. N i m m t er die Leiche herunter, m u ß er die B u ß e v o l l nachzahlen. R o c h h o l z Glaube 2, 1 5 5 . Ä h n l i c h i m alemannischen R e c h t : D e r H u n d , der a m T o d e eines Menschen schuld ist, wird über die T . gehängt, die andern T . n werden verschlossen. W e n n ein M a n n sich v o n seiner F r a u schlagen läßt, wird i h m nach d e m B e n k e r Heidenrecht die T . v e r p f ä h l t . G o l d m a n n Chrenecruda 161. 8) G r i m m RA. 1 , 242. A u c h in der A n t i k e , doch nur spärliche Überlieferungen. Raderm a c h e r Beiträge 65. 9 ) D u r a d ö m r , ein Gericht, das v o r der T . des A n g e s c h l u l d i g t e n konstituiert wird und sofort sein Urteil a b g i e b t . Eyrbyggj a s a g a 18, 19, 5 5 ; L a n d n ä m a , A m i r a Voll10) 275 f. G r i m m RA. 1, streckungsverfahren 459. n ) Z f v g l R w . 34, 103 A n m . 3. B e i der V e r k n e c h t u n g : E x o d u s 2, 21, 6. W e n n der K n e c h t seine Freilassung ausschlägt, so bringe ihn sein Herr v o r die G ö t t e r und h a l t e ihn a n die T . oder P f o s t e n und bohre ihn m i t einem P f l o c k d u r c h sein O h r und sei sein K n e c h t ewig. 1 2 ) Kirchl. H a n d l e x i k o n 1, 728.

III. T. A u f e n t h a l t s o r t v o n G e i s t e r n 1 3 ) . Nach der Saga Erich des Roten k. 6 stehen die Toten vor der T. Die armen Seelen sitzen in der T. 1 4 ), bes. an Samstagen sitzen die letzt Verstorbenen unter den T.angeln 15 ). Hier hielt sich auch ein verwünschter Mönch auf 1 6 ). Ein hessisches Lied beginnt: Ei orm Seelche sass henger de Dehr on guckte ganz trurig hervor 17 ). Die Seelen werden zur Strafe zwischen die T.n gesetzt 18 ). Wenn das Scheunentor knarrt, muß man es schmieren, denn eine Seele büßt dort 19 ). Spukgeister klappern in der Nacht mit T.n 20). 13) S. Schwelle I I . N a c h römischem G l a u b e n h a l t e n sich die Manen gerne in den T . n auf.

1188 E i t r e m Hermes und die Toten 33. N a c h indischen B e r i c h t e n stehen die Seelen an den T . 1 4 p f o s t e n . E b d . 13. ) J o h n Westböhmen 181; lä) D r e c h s l e r 1, 310. Schönwerth Oberpfalz J, 287 Nr. 1 4 ; 3, 279 N r . 2. 1 6 ) K ü h n a u Sagen 1 , 1 4 8 . " ) W . 741 § 7 5 0 . 1 8 ) Z f d M y t h . 1 , 19) 240; R o c h h o l z Glaube 2, 1 5 3 . W . 471 20 ) §750. S t r a c k e r j a n 1,222.

IV. O p f e r (s. Schwelle III). Wie bei der Schwelle muß man auch bei den Uberlieferungen über die T. die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß alte Opferhandlungen als Abwehr- und Zauberhandlungen umgedeutet wurden. a) In der A n t i k e . Die Athener hingen bei einer Geburt Wollbinden oder Wollkränze an dieT. Beim Ausscheiden aus dem Kult hingen die Kybeleverehrer ihre Haare an der Tempelt. auf. Etwas Ähnliches war wohl früher auch den Römern bekannt 21). An der T. wird der Ährenkranz zu Ehren der Ceres aufgehängt. Der eitle Opferer hängt den Kopf des Opfertieres mit Kränzen und Bändern geschmückt an die Haust., sicherlich altem Opferbrauch folgend 22). Das B e k r ä n z e n der T. stammt wahrscheinlich aus dem Totenkult 23 ). Lorbeerkränze für Hermes werden an die T. gehängt 24 ). Die T. wurde an den Januarkaienden bekränzt — das kirchliche Verbot dieser Sitte spielt in der Weihnachtsbaumforschung eine bedeutende Rolle 2S). b) B a u o p f e r 2 6 ) . Um Tore fester zu machen, vergrub man ein Opfer darunter 27 ). Über der T. des Elbturmtores in Aken fand man eine Katze eingemauert 28 ). Unter der Kirchent. in Thyholm soll ein lebender Knabe vergraben worden sein; sein Bild wurde an der Kirchenwand eingehauen 29). Nach einer Vermutung Liebrechts dürften die häufig über T.n und Toren angebrachten Köpfe das Opfer ersetzt haben 30 ). c) B e i V i e h s t e r b e n . Damit die Schafe die Drehkrankheit nicht bekommen, wird das schönste junge Lamm unter der Stallt, vergraben 31 ). Wenn ein Haustier (Kuh) 32) stirbt, muß man es so an der großen Haust, (stehend)32) vergraben, daß es in die T. hineinsieht, dann stirbt keines wieder (Bisweilen wird auch das Entgegengesetzte angegeben 33 )). Ver-

II89

ligo

Tür

(ligport). w i r f t eine K u h , so g r ä b t m a n eine l e b e n d e I w a n d d e s H a u s e s L e i c h e n t . Die Steine werden herausgenommen, d a ß K r e u z o t t e r in e i n e m n e u e n T o p f o d e r der Sarg durchgeschoben werden kann, einer F l a s c h e u n t e r die S t a l l t . , e b e n s o b e i und wenn das Leichengefolge v o n der Krankheit34). Die Schweden auf der K i r c h e z u r ü c k k a m , w a r die L e i c h e n t . w i e Insel W o r m s schnitten gegen Viehseuchen der z u g e m a u e r t 3 8 ) . I n I t a l i e n d a r f die einem Schaf den K o p f a b und nagelten L e i c h e n i c h t d u r c h die H a u p t t . h i n a u s ihn ü b e r die S t a l l t . 3 5 ) ( s . u . V H I b ) . 2 1 ) P l i n i u s nat. hist. 26, 2 8 : Das H a a r sowie gebracht werden, sondern durch eine die Nägelschnitzel eines Fieberkranken klebt k l e i n e r e S e i t e n t . , p o r t a di m o r t i , die s o n s t man an eine fremde T . und überträgt damit die verschlossen gehalten w i r d 3 9 ) . Nach Krankheit (S. u. Anm. 168). E i t r e m Opferrömischer Überlieferung durfte der T o t ritus 380. 2 2 ) E b d . 2 3 ) E i t r e m Hermes und die g e g l a u b t e n i c h t d u r c h die T . in sein H a u s Toten 22ff. 2 4 ) E b d . 28. Die Griechen befestigten Zypressenzweige an die Haust., um einen zurückkehren40). Dieselbe Vorstellung Todesfall anzuzeigen. S a r t o r i Sitte und Brauch findet sich bei v i e l e n a n d e r e n V ö l k e r n u ) . 1, 1 3 1 . In Norwegen und Schweden werden bei L e u t e , welche schon viel K i n d e r verloren einem Todesfall Tannenzweige vor die T . geh a t t e n , t r u g e n die s p ä t e r e n n i c h t m e h r legt. " ) AfRw. 20, 1 1 8 . 2 6 ) S. Schwelle l i l a . T.opfer bei anderen Völkern: Trumbull d u r c h die T . z u r T a u f e , s o n d e r n s t e c k t e n Threshold Covenant c. 1; E x o d u s 1 2 , 7 : W o sie z u m F e n s t e r h i n a u s 4 2 ) . G i b t m a n d e n das Osterlamm gegessen wird, sollen die beiden Täufling z u m F e n s t e r hinaus, so wird er Pfosten und die Oberschwelle mit B l u t bedesto länger u n d gesund leben 4 3 ) . Sind strichen werden. Ebenso bestreichen die Araber mit dem B l u t der geopferten Tiere die T.n einem Manne schon mehrere F r a u e n geE i t r e m Voropfer 429 Anm. 4. Ebenso bei storben, darf die neue B r a u t nicht durch einer Sühnzeremonie im alten Babylon. E b d . die T . ins H a u s g e h e n , s o n d e r n m u ß d u r c h s 433. Dasselbe geschah in Stambul nach dem Fenster einsteigen44) (s. u . X V ) . Vergroßen Feuer 1865 an den T.en der unversehrten Häuser. T r u m b u l l The Threshold Covenant meidung der T . bei b e d e u t s a m e n Anlässen 66f. B e i dem Amtsantritt des Hauptrabbiners ist a u c h bei a n d e r e n V ö l k e r n g e b o t e n 4 8 ) . in Jerusalem wird unter anderen Zeremonien 36) R o c h h o l z Glaube 2, 1 7 1 . « ) Egill mit der vom Opfertier blutigen Hand eine Hand Skallagrimssaga 5 8 ; Eyrbyggj asaga 33, 60. über die T . gemacht. E b d . 67 (S. Hand über Vor 1 0 0 J a h r e n war der B r a u c h noch in der T . Anm. 168). H a t ein Eingeborener auf Schottland, in früher norwegischen Gebieten, Borneo eine Sünde begangen, so opfert er ein bekannt. 3 8 ) Abbildung, F e i l b e r g Dansk BonSchwein und besprengt m i t dem B l u t die T.en deliv 4 1 ; Ders. Ordbog s. v. ligport, auch i m seines Hauses, wodurch die Sünde beseitigt ist. 3 9 2 7 Nachtragsband. ) T r u m b u l l Threshold CoAfRw. 1 7 , 380. ) Wird von den Phöniziern venant 24. 4 0 ) P l u t a r c h Queest. Rom. 5. " ( E s berichtet L i e b r e c h t Zur Volksk. 2 8 7 f . Bes. kimo, F r . N a n s e n Eskimoliv 214; R o c h h o l z in Siam unter Stadttoren ZfEthn. 1898, 5 ; Glaube 1, 1 9 7 . I n China bei Verbrechern nach in Afrika A n d r e e Parallelen 1, 20. 2 8 ) A n d r e e M a r c o P o l o , auch bei anderen Mongolen, Parallelen 1, 23. 2 9 ) Aarbog for dansk KulF e i l b e r g Ordbog s. v. ligport; China, Alaska turhistorie 1892, 2 7 ; vgl. S t r a c k e r j a n 1, T r u m b u l l Threshold Covenant 24. I n Indien 108, b, c, e. 3 0 ) Zur Volksk. 2 9 1 . 3 1 ) S c h ö n darf unter gewissen Konstellationen die Leiche w e r t h Oberpfalz 1 , 3 4 1 . 3 2 ) R u s s w u r m Eiboweder durch die T . noch durch das Fenster gefolke 2, 2 8 1 f. 3 3 ) S t r a c k e r j a n 1, 66 = W . bracht werden, sondern durch eine zu diesem 434 § 6 8 0 = S a r t o r i Sitte und Brauch 2, 1 2 8 . 34) Zweck gemachte Öffnung in der Mauer. Bei K u h n Mark. Sagen 3 7 9 Nr. 2 7 ; W . 299 den Wakikuyu darf derjenige, der den Leichen§ 439; F e i l b e r g , Aarborg f. dansk Kultur35) weg bahnt, beim Rückweg nach Hause nicht historie 1892, 18. Russwurm Eibofolke durch das Dorftor schreiten, sondern muß sich 2, 2 8 1 f. einen Weg durch den Dorfzaun brechen. ZfVk. 11, 269. 4 2 ) G r i m m Myth. 3, 464 Nr. V. D i e T. m u ß v e r m i e d e n w e r d e n . 834; K ö h l e r Voigtland 2 4 7 ; Ostpr. W . 465 43) N a c h friesischer u n d o b e r d e u t s c h e r R e c h t s § 737G r i m m Myth. 3, 443 Nr. 265. 4 4 ) Ostpr. W . 3 7 3 § 565. 4 S ) B e i den Ainu dürü b e r l i e f e r u n g soll m a n die L e i c h e e i n e s fen die Reste des geopferten Bären und die erste M i s s e t ä t e r s d u r c h ein L o c h in d e r W a n d , B e u t e von einem sehr geschätzten Fisch nicht n i c h t d u r c h die T . h i n a u s b r i n g e n 3 6 ) . durch die T . gebracht werden. F r a z e r 8, 189. D a s s e l b e gilt in a n o r d . U b e r l i e f e r u n g v o n 2 5 6 ; bei den Giljaken ebd. 8, 1 9 3 . 196. Bei den Thomson-Indianern in Britisch-Columbia Toten, deren Wiederkehr und U n t a t e n wird das Wild nicht durch die gemeinsame T . , m a n f ü r c h t e t 3 7 ) . I n D ä n e m a r k h e i ß t ein die auch von Frauen benützt wird, gebracht, z u g e m a u e r t e r R u n d b o g e n a u f d e r Giebel38»

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ir

sondern durch ein bes. Loch. F r a z e r 8, 2 4 2 f . Bei verschiedenen Indianerstämmen muß ein Mädchen, das zum erstenmal seine Menses hat, u. a. das Haus durch eine bes. T . verlassen. E b d . 1, 43. 44. In Indien hat bei einem Stamm jedes Haus zwei T.n, wovon die eine nur von menstruierenden Frauen benützt wird. Ebd. 1 1 , 84.

zwei Gabeln oder Messer, auf welche man ein Gebetbuch legt, gesteckt 59 ). Der Taufzug schreitet über eine vor die Haust, gelegte Axt oder Sichel und ein Gesangbuch, damit das Kind arbeitsam und fromm wird 60 ). An manchen Orten schlössen die Kinder die Haust, vor dem von der Kirche heimgetragenen Täufling, um einen Zoll zu erheben 61 ). Bevor das Kind getauft ist, spuckt die Mutter an jeder T., die sie durchschreitet oder macht ein Kreidekreuz über der T. 6 2 ). Das Waschwasser, womit die Kinderwäsche gewaschen wurde, mußte gleich bei der T. außerhalb des Hauses ausgeschüttet werden 63). c) Hochzeit. Die römische Braut bestrich, bei ihrem neuen Haus angelangt, die Türpfosten mit Öl und Fett und hängte Wollbinden an ihnen auf 6 4 ). Bei den Südslaven 6S) und auf Kreta 66) bestreicht die Braut die T. mit Honig. Wenn die jungen Eheleute von der Kirche heimkommen, müssen sie an der Haust, eine Axt und einen Besen überschreiten 67). Die junge Frau macht mit der rechten Schuhspitze, in der ein Rosmarinsträußehen steckt, drei Kreuze vor der Haust. 6S ). Auf Sylt, Föhr und einigen Halligen stieß der Bräutigam seinen Degen über der T. ein, daß die Braut darunter hineingehen mußte 69 ). Bei der Hochzeit ist die T. des Bräutigams verschlossen 70 ); anderwärts findet er die T. der Braut verschlossen 71 ). In Rußland verschloß man alle T.n vor der Hochzeit, damit die bösen Geister nicht hinein könnten ?2). d) Tod. Die Leiche wird bei jeder T., durch die man kommt, niedergestellt und ein Vaterunser gebetet mit folgendem, .Herr gib ihm die ewige Ruhe" 73). Ist die Leiche aus dem Hause, k l o p f t man dreimal an die geschlossene T., damit der Tote nicht wiederkommt74). Die Leiche muß so im Sarg liegen, daß sie aus der T. sieht, sonst kommt der Tote wieder 75) (s. u. Anm. 229). Ist jemand gestorben im Haus, so darf die Saatfrucht nicht durch die Haust, getragen werden, sondern durch die Stallt. 76 ). Die T.schlösser werden verändert oder Türen versetzt, bes. wenn der Tote ein Selbstmörder ist 77 ) (s. u. Anm.

VI. U b e r g a n g s r i t e n : Die T. als Grenze. Die Eigenschaften der T. als Grenze treten vor allem bei den bes. aufgerichteten T.n und Pforten als Eingang in eine neue, reine Welt hervor. Für deutsches Gebiet kommen hier die Ehrenpforten bes. bei Hochzeiten in Betracht 46). Bei anderen Völkern sind derartige T.n gebräuchlicher47). — Die Mahr kann nur durch ein Loch in der T., das mit einem Harkenbohrer gemacht ist 48 ), hineinkommen. Wer unter der eigenen T. steht, kann nicht beschrieen werden 49). Ü b e r g a n g s r i t e n , bes. S c h u t z m a ß nahmen bei den w i c h t i g e n A b s c h n i t t e n des L e b e n s : a) Geburt. Während der Geburt müssen alle T.n fest verschlossen sein 50 ). In die T. steckt man ein Messer (fast allg.), stellt einen Besen verkehrt davor. Das T.schloß muß Tag und Nacht mit einem blauen Schürzenband zugewickelt sein 51 ), gegen den kinderraubenden Wassermenschen52). Man hält das neugeborene Kind, nachdem es eingebunden ist, an die Stubent. und macht mit seinem Kopf drei Kreuze an die T. Sobald es diese überwachsen hat, kann es nicht mehr beschrieen werden 53 ). Wenn ein Neugeborenes in der Wiege liegt, wird ein Messer in den T.pfosten gesteckt 54 ). Man legt einen Strohhalm vom Wochenbett an die T., so kann das Jüdel und kein Gespenst in die Stube 65 ). Wenn eine Wöchnerin den ersten Kirchgang unternimmt, wird hinter ihr die Haust, geschlossen, und darf nicht geöffnet werden, als bis die Heimkehrende, die unterwegs mit niemandem reden soll, wieder anklopft 56). In Ungarn nagelt man zum Schutz gegen böse Geister ein rotes Tuch an die T. 5 7 ). Die Griechen bestrichen bei der Geburt die T. mit Pech 58). b) T a u f e . Vor demFortgehen der Paten nach der Kirche werden über die Stubent.

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H93

Tür

1 9 1 . 192). D i e T . m u ß h i n t e r d e m T o t e n g e s c h l o s s e n w e r d e n 7 8 ) , aber nicht verschlossen 79 ), einer muß als Hauswirt zurückbleiben 80 ), sonst stirbt bald jemand nach 8 1 ). Die T . darf nicht eher geöffnet werden, als bis die Leidtragenden zurückkehren, nur ein Grabträger darf die T. öffnen 82 ). Man muß entweder Wasser nachgießen, T.n und Fenster geschlossen halten oder auf alle geschlossenen T.n drei Kreuze machen, sonst würde es im Hause spuken 83 ). T.n und Fenster der Ställe müssen beim Tode des Hausherrn geschlossen sein, damit die Hexen keinen Schaden anrichten können 8 4 ). Die Haust .n, an denen der Leichenzug vorbeikommt, werden geschlossen, damit der Tod nicht hineinflüchten kann 8 5 ). Wäre die T . nicht verschlossen, so müßte der erste, der hineingeht sterben 86 ). In Südhannover darf man bei der Rückkehr vom Grabe nur durch die Haust., nie durch eine Hintert. das Haus betreten 87 ). Nach Eintritt des Todes muß man sofort Fenster und T . n ö f f n e n , damit die Engel die Seele des Verstorbenen holen können 88 ), damit die Seele hinaus könne 89 ). Die erste Nacht nach dem Begräbnis und während des Begräbnisses bleibt die T . offen 90 ). Sobald der Sarg über die Hausschwelle hinaus ist, wird die Haust, mit lautem Krach zugeschlagen 9 1 ). e) A u s t r i e b des V i e h e s . Man macht vor die Stallt, ein Loch, gießt etwas Milch hinein: dann macht man einen Nagel glühend und steckt ihn in das Loch. Dies schützt vor Behexung der Milch 92 ). Man treibt das Vieh über eine Mistgabel, Schaufel, Stallbesen und E i vor der Stallt., bedeckt alles mit R a s e n 9 3 ) ; oder über eine A x t und kreuzweise gelegte Besen 94 ) (s. auch unter Schutz und A b wehr). 46 ) W i k m a n Bröllopsträdet, R i g 1924. 47 ) Eintritt in eine andere Welt, magische Pforte, G e n n e p Riies de passage 27f. Bes. deutlich bei chinesischen Zeremonien: Um den Austritt aus der Kindheit zu bezeichnen und bei Krankheitsfällen werden unter verschiedenen Zeremonien, bei denen die Durchschreitung aus Stäben errichteter T.n den Mittelpunkt bilden, die Kinder in eine neue reine Umwelt gebracht. Die Pforten werden später verbrannt. E b d . 82f.

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Tore als Zeichen, daß ein geweihter Bezirk beginnt: China, Japan, Korea, Siam, Indien, T r u m b u l l Threshold Covenant 104. Eingang zur anderen Welt: Ägypten G e n n e p Rites de passage 225 ff. Bei den Ishogo (Kongo) ist vor der Hütte, in der Zwillinge isoliert leben müssen, eine Pforte errichtet. Ebd. 66. 48) M ü l l e n h o f f Sagen 243 Nr. 2. 49) S c h ö n w e r t h 3, 261. 50 ) Vgl. Wenn eine Kuh kalbt, müssen die T.n gut verschlossen gehalten werden. H e u r g r e e n Husdjuren i Nordisk Folktro 15. Doch auch offen, so in Java und Indien: F r a z e r 3, 296. 51 ) W. 382 § 581, letzteres auch bei W i t t s t o c k Siebenbürgen 60. 62) W i t z s c h e l Thüringen 1, 153 Nr. 149. 63) W. 382 § 580 = K ö h l e r Voigtland 430. 54) Fast allg. W. 282 § 581. 5ä ) G r i m m Myth. 3, 447 Nr. 389. 56) M e i e r Schwaben 2, 75 Nr. 246. Sie muß sich den Einlaß durch eine Gabe erkaufen. H ö h n Geburt Nr. 4, 267; S c h ö n w e r t h 1 , 1 7 7 . " ) S a m t e r Geburt 189. 58) E b d . 156. Bei den Ngumba in Südkamerun wird das Neugeborene vor der Tür und die T. selbst mit roten Strichen versehen. E b d . 188. 69) K ö h l e r Voigtland 246. so ) D r e c h s l e r 1, 194. 61) M e y e r Baden 113. »2) Norwegen. R e i c h b o r n - K j e n n e r u d Vär gamle trolldomsmedisin 2, 90. 63) E b d . 2, 94. 64 ) E i t r e m Hermes und die Toten 19. 65) K r a u ß Sitte und Brauch 430. •«) S a m t e r Familienfeste 81. Die akarnanischen Wlachinnen beschmieren bei der Hochzeit die T. mit Butter, e b d . «') W. 373 § 565. 68) M e y e r Baden 315. Be 69 ) S a r t o r i Sitte und Brauch 1, 114j Abchasen stehen in der T. des Hauses zwei 70 Männer mit gekreuzten Säbeln. Ebd. ) Ebd. 1, 70. 90. 144. 71) Ebd. 1, 74. ' 2 ) S a m t e r Geburt 28. Vgl. ZföVk. 20, Erg. Bd. S. 136. 73 74 ) R e i s e r Allgäu 2, 300. ) Drechsl e r 1, 302; S c h ö n w e r t h 1, 252 Nr. 4. 75 ) 78 B a r t s c h Mecklenburg 2, 95. ) Eberhardt Landwirtschaft Nr. 3, 3. " ) H ö h n Tod Nr. 7, 356. 78) S a r t o r i Sitte und Brauch 1, 144.' J o h n Erzgebirge 126; K ö h l e r Voigtland 254; H ö h n Tod Nr. 7, 341. 79) Weil man sonst den Tod miteinschließen würde. Sartori Sitte und Brauch 1, 144 Anm. 25. 80 ) D r e c h s l e r 81 1,302 Nr. 327. ) Allg. A n d r e e Braunschweig 320; S t r a c k e r j a n 1, 56. 68; J o h n Westböhmen 174; K ö h l e r Voigtland 442. Auch bei den Wenden der Oberlausitz ebd. 254; B a r t s c h Mecklenburg 2, 96 f.; S e y f a r t h Sachsen 26. ZfVk. 1, 157 = 11, 267; Urquell 1, 9; 2, 52 (Przemysl); 4, 19- 82) J o h n Erzgebirge 126; S e y f a r t h Sachsen 26. An einigen Orten Armagnacs finden die vom Begräbnis Heimkehrenden an der T. des Trauerhauses eine Person mit einem gefüllten Wasserkrug und einem weißen Leinentuch, damit sich die Geladenen die Hände waschen können. ZfVk. 18, 370. Bei den niederen Hindukasten in Indien baden die Leidtragenden, wenn sie von der Bestattung heimkehren und berühren an der Haust, einen Stein, Kuhmist, Feuer und Wasser, ebd. 83) V e r n a l e k e n Alpensagen 400 Nr. 78.

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Tür

84)

85) H a r t m a n n Dachau und Bruck 228. ZföVk. 4, 268. »») Erzgeb., W. 465 § 737. 87 ) S a r t o r i Sitte und Brauch 1, 155. 8S) H ö h n 7"o3Yj IlaTioTTj? usw. Das Buch der Bilder des Toz (s. Thot) bei Albertus Magnus würde als ein Buch Thot zu deuten sein. J ) Über ihn vgl. H. S c h e l e n z Geschichte der Pharmazie (1904) 207—329; Kiesewetter Die Geheimwissenschaften 314. 2 ) A g r i p p a v o n N e t t e s h e i m 4, 131. 132. 3 ) Vocabulaire 247. 4 ) M. L i d z b a r s k i Das Johannesbuch der Mandäer (1915), 81. 5 ) A. U n g n a d Aramäischer Papyrus aus Elephantine (1911), 46; W. S t a e r k Jüdisch-aramäischer Papyrus aus Elephantine (1912), 32. Jacoby.

Tympanomantie, Wahrsagung vermittelst einer Trommel (lUfAiravov), vereinzelt auftretende, nach antikem Muster geprägte Bezeichnung der besonders von den Lappen geübten schamanistischen Wahrsagemethode Die alten Berichte über die Ausführung lauten verschieden; teils handelt es sich um die Erregung eines typisch ekstatischen, die mantische Schau ermöglichenden Zustands 2 ), teils um eine mehr veräußerlichte Form, in der durch das Schlagen der Trommel ein auf dem Fell liegender Gegenstand auf eine der aufgemalten Figuren zu liegen kommt und dadurch die Grundlage für die Wahrsagung bietet 3 ). F a b r i c i u s Bibliographia antiquaria3 (Hamburg 1760) 613. 2 ) M o m a n De superstitionibus hodiernis (Upsala 1750) 46. 3) P e u c e r Commentarius de praecipuis generibus divinationum (Wittenberg 1560) 142; W o r m i u s Museum Wormianum (Leiden 1655) 385, m. Abb. Über Zaubertrommeln vgl. ferner B u s c h a n Völkerkde. 2 (1926), 1021; W i k l u n d Uppl. Tidskrift 44, Beil. 87—115. S. a. T r o m m e l . Boehm.

Tyromantie, Wahrsagung vermittelst Käse (uvpos), antike Bezeichnung einer nicht näher beschriebenen Wahrsagungsmethode. Im Traumbuch des A r t e m i d o r (2. Jh. n. Chr.) werden nur neben anderen betrügerischen Propheten auch die Käsewahrsager (tupojxävtei?) genannt 1 ), und bei A e l i a n 2) (3. Jh. n. Chr.) heißt es, daß manche Leute mit Mehl, Sieben und kleinen Käsen (lupiaxoi?) wahrsagen.

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Tyromantie

Auf diese beiden Stellen dürften die Erwähnungen der T. in der späteren Divinationsliteratur zurückgehen, die sich fast ausschließlich mit der bloßen Nennung und Übersetzung des Namens oder einer belanglosen Bemerkung begnügen 3 ). Das ist sehr auffallend, da nichts näher lag, als die T. mit dem bekannten Brot- und Käseordal gleichzusetzen, das, wie so viele Wahrsagemethoden, in erster Linie zur Aufklärung von Diebstählen angewendet wurde i ). Es handelte sich in diesem „Schlingordal" darum, daß man dem Verdächtigten ein geweihtes oder mit Zauberwörtern versehenes Stück Brot oder Käse zu verschlucken gab. War er schuldig, so gelang ihm dies nicht, das Stück „quoll ihm im Halse". Daß dies Orakel durch den Londoner Zauberpapyrus 46 bereits für die griechisch-ägyptische Magie des 5. Jh. n. Chr. belegt ist, konnte man vor dem Jahre 1852 natürlich nicht wissen 5 ), doch war es als anfänglich kirchlich sanktioniertes Gottesurteil, dann als abergläubischer Volksbrauch bis in die Neuzeit in Übung und sicherlich manchem der Gewährsmänner für T. nicht unbekannt 6 ). l) Oneirokritika 2, 69. 2 ) De natura nimalium 8, 5. 3) D e l r i o Disquisitiones magicae lib. 4, cap. 2, qu. 7, s. 1, Ausg. Mainz 1603, 176; D e l ' A n c r e L'incrédulité (Paris 1622) 289; ( B o u h o u r s ) Remarques ou Reflexions (Amsterdam 1692) 117; J. P r a e t o r i u s De pollice (1677) 199; F a b r i c i u s Bibliographia antiquaria3 (Hamburg 1760) 613. Auch R a b e l a i s Gargantua

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3, 25, dt. Ausg. v. Gelbcke 1, 399, vgl. G e r h a r d t Franz. Nov. 109, weiß mit der T. nicht viel anzufangen. G a u l e Magastronomancer (London 1652) bei B r a n d Populär Antiquities 3 (London 1849), 330 bringt als Erklärung: by the coagulation of cheese. 4) S. o. 1, 606. 1346. 1640; 2, 213. 247; 3, 1034; 4, 1034 und die dort angeführte Literatur, bes. J a c o b y A R w . 13 (1910), 525ff. 5 ) P r e i s e n d a n z Papyri Graecae Magicae 1 (Leipzig-Berlin 1928), 189. 6) Besonders auffallend ist, daß P r a e t o r i u s De pollice 159 das „Käse-Essen" zur Diebsfindung kennt, ohne bei der späteren Nennung der T. darauf hinzuweisen. Auch Coscinomantie (Stadtamhof 1677) D 4 kommt P. auf die Käseprobe zu sprechen; die Stelle ist ausgeschrieben aus v. d. B o r n e Kümmerlicher Zustand der Chur und Mark Brandenburg (1641), vgl. F r e n t z Ruppiner Bauerntum (Neuruppin 1929) 32: „ U m den Diebstahl zu erforschen, seien gewöhnliche Divination durch Sieb, den Psalter und Erbschlüssel oder durch beschriebene Käse (dazu sich auch die Pfarrer und Küster auff den Dörfern gebrauchen lassen) vor die Hand zu nehmen". D e l r i o a. a. O. zitiert kurz vor der T. das im Zusammenhang mit dem Brot-Käseordal öfters angeführte pseudoakronische Scholion zu H o r a z Epist. 1. 10. 9, vgl. o. 4, 1034, in dem freilich nur vom Brot die Rede ist. Als Ergänzung zu den Anm. 4 angeführten früheren Artikeln sei hingewiesen auf Des Coninx Summe cap. 94, hrsg. von T i n b e r g e n 269, auch in Tijdschr. v. Nederl. Taal- en Letterkde. 47 (1928), 102 (einziger Beleg für die Niederlande). Dort auch eine Sonderform zur Auffindung verlorener Gegenstände durch ein Kind, dem man ein Stück Käse mit Ps. 147, 13 zu essen gegeben hat); D e V r i e s Tijdschr. 47 (1928) 109 verweist auf W a r n e c k Die Religion der Batak 43: Klöße aus trockenem Reismehl; wer sie nicht hinunterschlucken kann, ist der Schuld überführt. Ähnliches durch Trinken: F r o b e n i u s Atlantis 8, 223. Boehm.

Übergangsriten

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u. Übergangsriten begleiten den Ablauf naturnahen Lebens. Denn der mythisch denkende Mensch steht weniger unter dem Eindruck einer Kontinuität in Zeit und Raum als umgekehrt unter dem der „Grenzen", die mit Ehrfurcht beachtet und nur mit Vorsicht überschritten werden dürfen. Dies gilt zunächst von den Grenzen im räumlichen Sinn. Bei allen Völkern umgibt heilige Scheu die „Schwelle", und nur unter strengen Bräuchen wagt man es, sie zu überschreiten 1 ). Die Römer verehrten den Gott Terminus, und am Feste der Terminalien war es der Grenzstein selbst, den man bekränzte und mit dem Blut des Opferstiers besprengte. Bei den Primitiven in Australien kennt jeder Stamm die Grenzen seiner Gemarkung aufs genaueste, und ein Überschreiten dieser Begrenzung bedeutet zugleich einen tiefen Einschnitt in sein ganzes Verhältnis zur Natur. Während er in seinem Gebiete heimatberechtigt, mit allen Mächten in tiefster innerster sympathischer Verbindung ist, so daß er sicher sein kann, daß sie ihn tragen und schützen, ist gerade dies in der Fremde nicht der Fall. Nicht nur die Menschen sind dort feindlich, sondern auch der Himmel und die Natur. Will man sich mit ihnen in Einklang setzen, gilt es denn auch, dich aus der alten Verstrickung zu lösen und in die neue hineinzuwachsen — soweit dies möglich sein mag 2 ). Dasselbe zeigt sich psychologisch selbst im Kinderspiel. „Die Linie", die das Heimische, Vertraute, das Eigene scheidet von unbekannten Grenzen, wird mit gewisser abergläubischer Spannung betreten und mit Abenteuerlust überschritten 3 ). Noch stärker aber macht sich dieses primitive oder magische Weltgefühl geltend, wo es sich um Einschnitte in der -Zeit handelt. Jedes Lebensverhältnis bildet gleichsam einen „ R i n g " des Daseins, einen umhegten Bezirk, zu dem man nur nach geeigneter Vorbereitung Zutritt findet. Und so werden auch die verschiedenen Standesverhältnisse als geschlossener Kreis aufgefaßt, aus dem man Bächtold.Stäubli,

Aberglaube V I I I

nicht allmählich herauswächst, in den man nicht allmählich und noch weniger von selbst Eingang findet. Durch feierlichen Ritus muß zuerst die eine Periode geendet werden, und durch feierlichen Ritus wird die Kraft, der eigentümliche psychophysische Zustand der Wesen geschaffen, der ihnen ermöglicht ohne Schaden für sich selbst oder andere den Bedingnissen des neuen Zustandes Genüge zu schaffen 4 ). Die Zeit hat nicht einen bloßen Verlauf; sondern sie ist phasenmäßig abgeteilt. Jede solche Teilung hat ihren eigenen Charakter. Deshalb ist die Zeit des Neumondes allgemein kritisch; noch kritischer die Zeit des Neujahrsneumondes 5 ). Kritische Zeiten sind für den Einzelmenschen Geburt und Tod, Schwangerschaft und Mutterschaft, Heirat und Geschlechtsreife. Kritisch ist der Umzug in ein neues Heim, der Abschluß und das Ende einer Vegetationsperiode 6 ), Tod und Auferstehung. __ Die Ü., mit denen solche Übergangszeit begleitet und unterstützt wird, zerfallen nach van Genneps Untersuchungen sinngemäß in drei Abschnitte: 1. T r e n n u n g s r i t e n (s. d.) behufs Trennung (séparation) von der früheren Umgebung; 2. Riten der Zwischenzeit (marge); 3. Weihe- oder Anschlußriten (aggrégation) an die neue Umgebung 7 ). Diese Ü. erstrecken sich demgemäß oft über sehr lange Zeiträume, die Monate, manchmal auch Jahre umfassen. Von großer psychologischer Wichtigkeit sind dabei die Methoden, wie die „Zwischenzeit" ausgefüllt wird, jene Zeit, in der man sich „nicht Fisch und nicht Fleisch" fühlt und wo man der Überzeugung ist, daß die gewohnte Ordnung aufgehoben wäre. Diese Zwischenzeit ihrerseits, mag sie nun durch Feste und Gelage ausgefüllt werden (wie in den Zwölften) oder einer strengen Vorbereitung dienen wie bei den Jünglingsweihen oder der Verlobung oder einer Läuterung (Fegefeuer), erscheint stets von besonderen Gefahren umwittert. Hier finden wir auch eine große Reihe von apotropäischen Bräuchen und 39

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ebenso von Riten, die dem Kreise der | aller Art Tür und Tor geöffnet. Aber nicht weniger gefährlich ist der Übersympathetischen Magie angehören und die gang vom Mannes- zum Greisenalter, von den Anschluß an die Neuaufnahme vorder Vollblüte des Frauenlebens zur Zeit bereiten sollen. Vor allem aber dienen nach Aufhören der Periode, eine Zeit, die diese Riten und Bräuche dazu, eine erheute noch vom Volksmunde Wechsel gehöhte seelische Aufnahmefähigkeit zu nannt wird. An sich ist dieser Übergang schaffen und die psychische Auflockerung keineswegs so schwierig, und die körperzu vermitteln, die Voraussetzung für die lichen Beschwerden würden keineswegs Steigerung an „Macht" ist, auf die alles so groß werden, wenn nicht durch den Ritual letztlich hinausläuft. Mangel an seelischer Anpassung Mann T r u m b u l l The Threshold Covenant or the und Frau Anforderungen an Körper und beginning of religious rites (1896). 2 ) L. L é v y B r u h l La Mythologie primitive 13ff.; Dr. W. E. Seele stellen würden, denen die gealterte R o t h Superstition, magic and medicine. North Physis nicht mehr gewachsen ist oder Queensland Ethnography. Bulletin Nr. 5, 26. wenn sie nicht überhaupt über Rechte 3 ) K ü n s s b e r g Rechtsbrauch und Kinderspiel 12. 4) H u b e r t und Pflichten der neuen Altersstufe im e t M a u s s Etude sommaire de la représentation du temps dans la magie et la Unklaren wären oder wenn sie sie nicht religion (Mélanges d'histoire des religions, 1909) als „Schande" betrachten würden, die i89ff. 6 ) E. S c h n e e w e i s Weihnachtsbräuche d. man verbergen muß, oder der man aus6 Serbokroaten i g g ß . ) S a r t o r i Sitte i8£E. ; weichen kann. Immer wieder steht der Ernst C a s s i r e r Philosophie d. symbolischen Formen II 1 3 7 I ' ) v. G e n n e p Rites de passage Psychologe in solchen Fällen vor der Tat(1909) cap. I ; P r e u ß Naturvölker 67. sache, daß der moderne Mensch, dessen Leben ohne einschneidende Ubergänge 2. Die Notwendigkeit solcher U. erdahinfließt, sich nicht klar bewußt ist, gibt sich aus sozialen wie aus psychischen in welcher Stufe er sich befindet, sich Gründen. Die moderne Psychologie hat nicht klar bewußt ist, daß jede Stufe uns gelehrt, wie wichtig es ist, daß der eine grundsätzlich andere Einstellung von Mensch sich genau und vollständig an ihm verlangt, und sich auch nicht klar die seelischen und körperlichen Erforbewußt wird, welche Einstellung man jedernisse seines jeweiligen Standes und weils von ihm verlangt. Beim modernen seiner Umgebung anpasse. Eine große Menschen überwiegt so stark das BewußtFülle von Schwierigkeiten ergibt sich sein der Kontinuität des Ichs über das daraus, daß Rudimente der seelischen (oft überhaupt nicht ausgeprägte) BeEinstellung mitgeschleppt werden, willwußtsein für die starken Veränderungen, kürlich oder unwillkürlich, die nicht mehr denen dieses Ich im Laufe des Lebens den neuen Lebenslagen entsprechen. Beunterworfen ist, daß er alles vermeidet, sonders häufig erscheinen infantile Ruwas ihm den Ablauf der Zeit und seine dimente, Bindungen an Mutter oder Vaeigene Veränderung bemerklich machen ter, Bedürfnisse nach Schutz oder Unkönnte. Der moderne Mensch ist auch verantwortlichkeit, oder Gefühle des im sozialen Leben nicht so stark an den Schwach-, Unzulänglich-, SchutzbedürfAblauf der Zeit oder an die Durchschnittstig-Seins, die den seelischen Aufschwung entwicklung einer Altersklasse oder einer hemmen und es unmöglich machen, die sozialen Gruppe gebunden, als vielmehr körperlich schon entwickelte K r a f t so an die freie und nicht generell bestimmeinzusetzen, daß sie sich ganz in das Gebare Entwicklung seines individuellen biet ergießt, dem der Mensch sich eben Ichs — und hier wieder ist diese Entwickzuwenden soll. Tut sie das nicht, besteht lung eine stärker lineare als beim Priein Widerstreit zwischen Wünschen und mitiven, und noch viel mehr eine konSollen, zwischen innerer Einstellung, die tinuierliche, bei welcher die äußerlichen sich etwa noch nicht von den Problemen Abschnitte datummäßig — mit Hier und der Kindheit losgelöst hat und den ErJetzt — zu bezeichnen, nicht gut anfordernissen von Berufs- und Eheleben, ginge. Solche einschneidende Ubergänge so ist seelischer Zerrüttung und Leiden

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sind etwa noch der erste Schulgang, der das Kind aus dem Frieden des elterlichen Hauses herausnimmt und in eine soziale Gemeinschaft eingliedert, der Abschied von der Schule und der Eintritt ins Berufsleben, die Hochzeit, die eine neue soziale und wirtschaftliche Einheit besiegelt, das Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben und damit aus der sozialen Gemeinschaft, die Ausmusterung als Rekrut oder die Ausmusterung als Offizier aus einer Offiziersschule als Hineinstellung in einen besonderen Stand; diese Übergänge werden auch heute noch in der Regel geziemend gefeiert. Manchmal überwiegen einseitig die Trennungsriten, so bei den Maturafeiern, beim Doktorschmaus; manchmal die Anschlußriten, so bei der Hochzeit oder bei der Konfirmation oder beim Eintritt ins Berufsleben; selten sind heute klar die Dreiteilungen zu erkennen, und fast ganz verschwunden sind jene Rituale, die darauf hindeuteten, daß zwischen dem einen Leben und dem anderen eine Art Tod liegt, ein Absterben des Menschen für die frühere Art des Seins, die notwendig ist, bis er sich mit ganzer Seele und wirklich als ein verwandelter in das neue Sein begeben kann. Gerade dieser letztere Zug zeichnet aber die primitiven Vorstellungen und volkstümlichen Bräuche aus. Die Eigenart primitiven Denkens liegt in einer starken Bewußtheit der Partizipation, einer sympathetisch-symbiotischen Einheit mit den Menschen und mit der Gruppe, mit denen man lebt. Man kann nun nicht mit ihnen in der rechten Weise leben, ohne diese Einheit zu haben; und man kann dieser Einheit nicht ohne weiteres teilhaftig werden, selbst wenn man mit ihnen lebt. Man kann auch aus einer Einheit, der man angehörte, z. B. der Einheit der Kinder oder der Gemeinschaft mit den Frauen, insbesondere mit der Mutter, nicht ohne weiteres scheiden, als ob das Band, das einen mit der einen Gruppe verband, nun ohne weiteres zu bestehen aufhören würde, wenn man sich einer andern zuwendet. Vielmehr muß dieses Band vorsichtig gelöst werden, die Mutter

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und die Altersgruppe muß einen freigeben, sei es freiwillig, sei es durch physische oder magische Gewalt (Entführung in den Wald), der sich die Mutter beugt, auch indem sie das scheidende Kind als ein „gestorbenes" betrauert) oder indem die ganze Altersgruppe womöglich gleichzeitig durch dasselbe Ritual durchgeführt wird, so daß also in dieser Hinsicht eine Trennung nicht stattfinden muß, die ja aus vielen Gründen ebenso schwierig wie schließlich nutzlos wäre, weil nach längerer oder kürzerer Zeit die ganze Altersklasse doch wieder in magischer Partizipation vereinigt sein müßte. Man findet in den Beschreibungen primitiver Wiedergeburtsriten, in denen sich die Vorstellung ausdrückt, daß der Übergang von einer sozialen Stufe oder einer religiösen Stufe in die andere eine Art Tod sei, der die Auferstehung folge, immer wieder den Gedanken, daß dies mehr oder weniger ein Märchen sei, das man den Außenstehenden, den Frauen, erzähle, um sie in Angst zu versetzen oder ihnen den wahren Gehalt der Mythen zu verdecken. Nichts aber wäre unrichtiger. Teils Scheu, teils Verachtung des fremden Besuchers, teils Unwille und Unkenntnis der eigenen Seele verhindern, daß der Primitive das wahre Motiv solcher Ü. angibt oder jenen tatsächlichen Grund derselben nicht zugeben will. In Wirklichkeit enthält jenes „Märchen" doch das Wesentliche des Motives: Was man da rituell sagt: „Dieser unser Sohn starb, war tot und wurde aus Gott wiedergeboren", ist nichts anderes als was der Ritus genau bezweckt, und was er ganz genau darstellen will, und was er mit vielen Mitteln, die oft hart an den Rand des physischen Todes und darüber hinaus führen, erstrebt. Man muß das Risiko laufen, daß der junge Mensch an den Einweihungsriten stirbt, wenn man den Zweck erreichen will, daß er sich tatsächlich psychisch abstirbt und ein ganz anderer, der Wiedergeburt fähiger Mensch wird. Wenn Briffault die Martern und Peinigungen, mit denen die meisten Ü. verbunden sind, als Prüfungen der Leistungsfähigkeit ansieht, denen Männer und Frauen einander aus ganz rationellen

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Gründen unterworfen haben, als eine Art sehr zweckentsprechenden Ausleseprinzips im primitiven Kampf ums Dasein, übersieht er, daß dieses Prinzip kein sehr zweckmäßiges gewesen wäre; hat es doch in vielen Fällen junge Menschen auf Jahre hinaus und im Grunde vielleicht fürs Leben untüchtig gemacht, und es wäre zu untersuchen, ob nicht alle durch die übergroße Härte der Disziplin, denen man sie unterwirft, einen Schock erleiden, der ihre Entwicklungsfähigkeit fürs Leben hemmt. Die Beschneidung der Mädchen zum Beispiel, die bei vielen Stämmen geübt wird, ist ein ausgesprochenes Hindernis beim Geburtsakt; es macht ihn besonders peinvoll und für Mutter und Kind gefährlich. Ebensowenig, wie man aber die Ü. ausschließlich unter utilitaristischen und rationellen Gesichtspunkten betrachten darf, darf man andererseits ihre große praktische Bedeutung vergessen. Sie gewinnen diese nicht nur dadurch, daß sie den Initianden in den rechten Bewußtseinszustand versetzen, indem sie ihm ganz klar machen, welcher sozialen Gruppe er jeweils angehört, sondern sie versehen ihn auch mit den Fähigkeiten, die Anforderungen dieser sozialen Gruppe zu erfüllen. Dies wird durch magische und (nach unseren Begriffen) rationelle Mittel erreicht. Der junge Mensch in seiner Abgeschiedenheit ist nach primitiven Begriffen nicht „irgendwo", nicht in einem profanen Gebiet, sondern im heiligen Hain, im sakralen Bezirk, in der Hütte, die der Leib des großen Gottes ist, also in Gott. Die ganze Zeit ist er nicht nur Mühen und Beschwernissen unterworfen, sondern er wird auch mit machthältigen Zeremonien umgeben, er wird die heiligen Riten gelehrt, was an sich ein Zuwachs an „Macht" ist, er wird mit den mana-hältigen Sacra des Stammes in Berührung gebracht, mit ihnen gestreichelt, geschlagen, in ihrem Gebrauch unterwiesen, er wird in eine magische Partizipation mit jenen Prinzipien gebracht, mit denen er es von nun an zu tun haben wird. Diese Sympathetik wird konsequenterweise nur allmählich herbeigeführt; allzu schnelle, ruck-

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weise Berührung würde den größten Schaden bringen. Gleichzeitig aber ist natürlich diese Einweihungszeit eine solche, wo der junge Mensch oder jeder Mensch im Übergang aktiv (oder passiv, wie z. B. der Täufling) eine Vorbereitung auf die neue Stellung im Leben erfährt. Im Gegensatz zu v a n G e n n e p s Theorie des dreiheitlichen Charakters der Ü. gilt es auch festzuhalten, daß zwischen den Ü. verschiedener Art sehr große Verschiedenheiten bestehen, die man nicht übersehen darf, denn es gibt Ü. im engeren Sinn, Riten, die in erster Linie einer inneren Verwandlung des Menschen dienen, und es gibt U. im weiteren Sinn, die nur dazu dienen, bei äußeren Veränderungen, sei es zeitlichen oder räumlichen, die notwendigen Partizipationen herzustellen; und es gibt schließlich Riten, die, ohne überhaupt den Charakter von Ü. zu besitzen, nur aus Analogiegründen eine Dreiteilung aufweisen und daher eine äußerliche Ähnlichkeit mit Ü. zeigen. Noch wichtiger aber ist es, ein weiteres Unterscheidungsmoment einzuführen, um solchen Riten gerecht zu werden, die zwar Übergänge bezwecken oder begleiten, aber als Ü. nur sehr uneigentlich angesprochen werden können. Es ist nämlich darauf zu achten, ob es der Mensch ist, an dem der Übergang stattfindet, oder ein Naturwesen, dessen Übergangsphasen die Riten herbeiführen oder befördern sollen, während der Mensch hierbei allenfalls sympathetisch teilnimmt. Ein Beispiel für Ü. am Menschen direkt sind die Initiationsriten, Taufe und ihre primitiven Analogien, Erwachsenenweihe (Confirmatio, Corroboratio), Eheschließung, Totenbeförderung, d. h. die Riten, durch welche der Eintritt in ein durch die Lebensphasen bedingtes neues Lebensstadium begleitet wird. In Vergleich mit diesen sind als Ü. zweiter Ordnung jene zu nennen, wo eine „Schwelle" überschritten wird, also beim Eintritt in eine neue soziale Gemeinschaftsform, der eine gewisse Anpassung erfordert, beim Betreten eines heiligen Bezirks, Haines, Hauses. Solche Handlungen werden mit Ü. ausgestattet, wenn der Eintritt an eine Bedingung geknüpft

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scheint, die in einer Änderung der persönlichen Fähigkeit oder Haltung besteht und nicht als selbstverständlich und sich von selbst vollziehend angesehen wird. Die Riten mögen dann in Äußerlichkeiten mit symbolischer Bedeutung bestehen wie Ablegen der Schuhe, Anklopfen, Gruß, Versöhnung des Geistes der Schwelle. Fraglich bleibt die Zugehörigkeit zu den Ü. bei solchen Riten, die, wenn sie auch deren Form angenommen haben, doch andersartige sind infolge dessen, daß die wirkliche innere personale Umwandlung schon abgesehen von den nur akzidentiell erscheinenden Riten vollzogen ist wie bei den Schamanenweihen und Prophetenweihen (die van Gennep zu den Ü. rechnet). Ein prinzipiell anderes aber ist es, wie schon gesagt, wenn ein Übergang in der außermenschlichen N a t u r stattfindet — der Übergang von Nacht zum Morgen, von Frühling zu Herbst, von Winter zu Frühling, von einem Jahr zum andern, von einem Mond zum andern, von einem König zum andern -— wobei der neue Frühling eben nicht derselbe ist (wie für den Menschen von heute, sondern ein ganz anderer), wobei der Winter sich zum Sterben bereitet, ja man ihn töten muß, um dem neuen Frühling Raum zu machen, der ein ganz anderer, ein neugeborener ist, wo die alten Monde irgendwo sich aufhalten, weil jeden Neumond ein neuer geboren wird, wo die Sonne jeden Abend „stirbt"; hier bleibt der Mensch der gleiche und unverändert, aber er hat innerhalb des im kosmischen Geschehen sich abspielenden Wechsels eine doppelte Aufgabe: die magische Aufgabe, den Übergang der Natur zu befördern und für seinen glatten Ablauf zu sorgen, gewissermaßen Hebammen-Dienste zu versehen, und zugleich die vital-mystische Aufgabe, dafür zu sorgen, daß er als Mensch mit den wechselnden Naturerscheinungen stets in richtigem sympathetisch-symbiotischen Wechselverhältnis steht, daß er mit der sterbenden Natur trauert und mit der auferstehenden jubelt, (Adonis-Mythen), daß er sich an den großen Lustren reinigt, um die Reinheits-

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kräfte aufzunehmen, die sein eigener Zauber mit geschaffen hat, daß er die Mächte der Dunkelheit und Tiefe geleitet und sich vor ihnen bewahrt, wenn sie zu ihrer Stunde in sein Leben einbrechen. Jene Riten, die solche außermenschlichen oder außerpersönlichen Übergänge begleiten, kann man, wenn man will, natürlich auch Ü. nennen; man muß sich aber stets bewußt bleiben, daß sie ganz anderer Natur sind als die menschlichen Ü. Rein äußerlich zeigt sich dies meist daran, daß bei den Ü. im eigentlichen Sinne der Mensch sowohl Subjekt wie Objekt des Ritus ist, den er im wesentlichen an sich selbst vollzieht, um sich zu verwandeln. Man kann also in diesem Sinne die Ü. im engeren Sinne mit der Mystik vergleichen, die auch eine beständige Läuterung und Vergöttlichung, eine Vervollkommnung des Menschen auf ein vorgesetztes Ziel hin in stufenweiser Entwicklung bezweckt, während die U. zweiter Art im wesentlichen magischer Natur sind und nur nebenbei eine Partizipation oder einen Übergang des menschlichen Offizianten herbeiführen sollen. Die Riten des Anfangs dienen z. B. vorwiegend dem Interesse kosmischen Zusammenhanges. Wenn der Mensch etwa den Eintritt in das Neue Jahr mit einem Sprung, mit einem Tanz, mit Bräuchen aller Art feiert, so liegt diesen primär der Wunsch magischer Hilfeleistung an den Kosmos und nur sekundär der Gedanke zugrunde, daß der Mensch selbst in das Neue eintreten und den Übergang mitmachen will. 3. Wenn e i n K i n d g e b o r e n w i r d , s o gilt es zunächst, die Nabelschnur zu durchtrennen und die Nachgeburt zu versorgen. Die Nachgeburt muß unbeschrien weggebracht werden; man vergräbt sie dorthin, wo weder Mond noch Sonne scheint, oder man wirft sie in fließendes Wasser oder verbrennt sie im Ofen 8 ). Die Nabelschnur gehört dem Kind. Sie wird sorgfältig aufgehoben und dem Kinde später in das Kleid genäht oder in einer Speise zu essen gegeben. Die „Glückshaube", die ein Kind auf die Welt mitgebracht hat, wird sorgfältig aufbewahrt, auch zur

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Taufe mitgenommen, und bringt späterhin jedem Glück, der sie besitzt, sie darf nicht ins Feuer geworfen werden9). Gleich nach der Geburt wird das Kind auf die Erde gelegt (s. K i n d ) und von dort von dem Vater (s. V a t e r ) aufgenommen. Es wird dann mit Wasser begossen, manchesmal auch mit Salzwasser gewaschen und bekommt zuletzt Speise. Das Aufheben vom Boden, das Taufen und Speisegeniessen-Lassen waren einst Bräuche der Aufnahme in die Gemeinschaft, gehörten also jener dritten Ordnung an, mit welchen die Ü. beendigt erscheinen. Heute ist das Übergießen mit Wasser — meist durch Mutter oder Hebamme ausgeübt — nur eine Art Vortaufe, die auf die richtige Taufe vorbereitet. An den alten Brauch, daß die Mutter dem Kinde erst dann Speise geben darf, wenn die Aufnahme schon erfolgt ist, erinnert heute noch der mancherorts befolgte Aberglaube, daß man ein Kind erst an die Mutterbrust legen soll, wenn es getauft ist, und ihm bis dahin nur Zuckerwasser reicht 10 ). Die Zeit von der Beendigung des Geburtsvorganges (Abnabelung als Trennungsritus) bis zur Taufe erscheint nun besonders bedroht, so sehr man auch versucht, sie abzukürzen. Man darf das Kind während dieses Zeitraumes nicht aus den Augen lassen und muß es vor allen schlechten Einflüssen, besonders aber vor den Unterirdischen, hüten, die versuchen, es zu vertauschen. Mit der Taufe und Namensgebung ist der Übergang beendet. Vor der Taufe darf das Kind nicht mit dem Namen genannt werden, den man ihm geben will, sonst stirbt es; auch dem Geistlichen darf man ihn erst in der Kirche sagen, damit es nicht geschwätzig werde 11 ). Bei primitiven Völkern erfolgt die N a m e n g e b u n g meist noch viel später, die Zwischenzeit ist also eine viel längere. Bei den Dschagga folgt auf die Geburt, der in ähnlicher Weise wie oben die Versorgung der Nachgeburt und des Nabels auf der einen Seite, die Sippenprobe auf der andern Seite und die Entscheidung darüber, ob das Kind aufgezogen werden soll, folgt — wenn es unter unheilverkündenden Zeichen zur Welt kommt, wird

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es getötet — auch die Darstellung an den Schwiegervater und die Sippengenossen, die in feierlicher Weise von ihm Besitz ergreifen und ihm ihren Schutz zusagen. Diese Feierlichkeit findet etwa 8 Tage nach der Geburt statt. An diesem Tage wird auch die eigentliche Kinderwärterin in ihr Amt eingewiesen12). Die Namensgebung erfolgt aber erst einige Monate später, wenn die Mutter den ersten Zahn findet. Diese Entdeckung darf aber keineswegs von der Mutter selbst verkündet werden. Sie kann nur dem Kindermädchen einen Wink geben; dieses allein ist berechtigt die Freudenbotschaft zu verkünden, und nur unter dem Hirsespeicher stehend. Und auch nur das Kindermädchen darf den Namen als erstes aussprechen. Arme Frauen, die kein Kindermädchen haben, müssen sich doch für diesen Tag der Dienste eines solchen versichern. Damit ist aber bei den Dschagga der eigentümliche Ehrenstand des Unmündigen noch nicht vollständig abgeschlossen. Seine Heiligkeit wird so geehrt, daß niemand zurückfordern darf, was ein unmündiges Kind verschenkt hat, und wäre es des Vaters Ackerhacke 13 ). Der eigentliche Abschluß der Unmündigkeit findet mit einem besonderen Ritus statt, der den Namen führte: dem Kinde Bedachtsamkeit beibringen. Zu diesem Behufe werden Speisen aller Art gekocht und ein Sippenalter — bei Mädchen eine Sippenalte — läßt sie davon kosten und gibt ihnen dabei in feierlicher Weise Lehren, die zeigen, daß es sich dabei nicht nur darum handelte, die Kinder in ihre künftige Arbeit einzuführen, sondern auch um ein „Zusammengewöhnen des Nachwuchses mit den Nahrung spendenden Pflanzen". Nach Vollziehung dieses Brauches dürfen die Kinder dann an Herd und auf dem Acker Dienste leisten, durften sie auch erst zusammengekochte Nahrung genießen. Auch der erstmalige Genuß von Wildfleisch durch das Kind wurde feierlich begangen: ein Fleischstückchen wurde mit dem Blute des Kindes bestrichen und ins Gebüsch hinausgeworfen14). Bei den Osaga-Indianern (Nordamerika) wird das Kind zur Aufnahme von Nahrung dadurch

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berechtigt, daß der „Mann, der mit den Göttern gesprochen hat", die Erzählung von der Entstehung der Erde und der Tiere feierlich vorträgt und danach das Kind aus dem universalen Verband des Kosmos löst und der Mutter zur Aufzucht überweist 15 ). In Amerika gibt man dem Kinde, damit es wächst, an seinem Geburtstage für jedes von ihm erreichte Lebensjahr einen Klaps und einen tüchtigen für das nächste 16 ). Wenn bei den Kakadu-Australiern ein Kind gehen gelernt hat, versammeln sich die Klangenossen in ihrem Lager. Man hat zuvor ein Bündel Speere herbei gebracht und auf den Boden gelegt. Zur einen Seite der Speere sitzen die Eltern des Kindes, zur andern die Stammesgenossen in einem Halbkreis. Ein älterer Bruder des Kindes oder sein Onkel mütterlicherseits nimmt es bei der Hand und führt es mitten durch die Menschen zu seinen Eltern hin. Der Vater sagt dann angesichts der ganzen Gemeinde: Dein Name ist so-und-so. Die Speere werden dem Vater geschenkt 17 ). 8) W u t t k e §574. 9) Ebd. §579. 1 0 ) Ebd. §582. u ) Ebd. §590. 1 2 ) Bruno G u t m a n n Recht der Dschagga 22f. 1 3 ) Ebd. 225. 1 4 ) Ebd. 227. 15 ) B e t h Religion u. Magie2, 247. 1 6 ) H. M. H y a t t Folk-Lore from Adams County Illinois, No. 2870. 1 7 ) Baldwin S p e n c e r Native tribes of the Northern territory of Australia 339.

4. Am klarsten und typischsten lassen sich die Initiationsriten als Ü. erkennen. Auf einen ersten feierlichen Akt, der sich als Trennungsritus kennzeichnet und irgendwie dazu dient, den Knaben oder das Mädchen aus seiner bisherigen Sphäre herauszuheben, folgt eine Zeit der Abgeschiedenheit, die gleichzeitig dem Unterricht dient, und zuletzt die feierliche Aufnahme in den Stand der wehrhaften oder heiratsfähigen Stammesgenossen. Bei den melanesischen Yabin werden die jungen Männer inmitten des Wehklagens der Frauen in den Wald geführt, wo eine Hütte für sie errichtet ist. Den Frauen ist mitgeteilt worden, daß sie von einem Ungeheuer verschluckt werden, das sie nur wieder ausspeit, wenn man es durch eine genügende Anzahl von gerösteten Schweinen versöhnt. Viele Knaben er-

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liegen den Zeremonien. Die Angst der Frauen ist daher mehr als gerechtfertigt. Die Hütte stellt den Leib des Ungeheuers vor. Unter der Türe sind zwei große Augen gezeichnet; darüber hängen die Wurzeln einer Betel-Palme als Haar, und ihr Stamm ist das Rückgrat. In der Hütte wird das Schwirrholz geschwungen und die alten Männer deuten diesen dumpfen Ton: Balum kommt. Sie bringen dann Opfer dar und führen die Beschneidung durch. Nach der Operation müssen die Initianden noch einige Monate in strengster Abgeschlossenheit in der Hütte, d. h. in Balums Leib leben. Während dieser Zeit weben sie Körbe, spielen die heiligen Flöten und lernen verschiedene Zeremonien. Das Ende der Feierlichkeiten begann mit einer Entfesselung des Ungeheuers, das bis dahin mit Fesseln gebunden gedacht wurde, damit es die Jünglinge nicht entführt. Nun gelten sie als erwachsene Männer. Sie baden in der See, dann berührt ein alter Mann mit einem Schwirrholz ihnen Kinn und Stirn. Wenn sie ins Dorf einziehen, müssen sie die Augen fest geschlossen halten und sich von einer Art Paten an der Hand führen lassen. Sie stellen sich an, als seien sie starr und stumm; erst auf wiederholte Aufforderungen hin öffnen sie die Augen und setzen sich nieder. Am darauffolgenden Tage baden sie nochmals, werden dann mit roter Farbe bestrichen und können jetzt wieder mit Frauen sprechen18). Diese Zeremonie zeigt die typischen Formen der Wiedergeburtsriten, jener Riten, die am schroffsten auf die Bedeutung des Überganges hinweisen. Der Mensch, der durch solche Riten durchgeht, stirbt seinem alten Selbst ab und wird als ein neuer und anderer geboren, der allem, was ihm vorher begegnet war, fremd ist. Und in den meisten Fällen ist die Vorstellung dabei auch die, daß er nicht von der sterblichen Mutter, sondern von einem höheren Wesen geboren wird. Die Initiationszeremonien haben ja den Zweck, ihn mit „Macht" zu erfüllen, ihn in Verbindung mit den Ahnengeistern oder anderen Trägern der Macht zu bringen, ihm die Geheimnisse des Stammes bekannt zu machen;

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daher lebt er gewissermaßen bei ihnen, mit ihnen, in ihnen, ohne daß man eine rationalistische Erklärung hierfür vorbringen dürfte. Bei den Dschagga blieben die Jünglinge nach der Beschneidung in der Hut ihrer Verwandten, bis die Wunden geheilt waren. Dann erst erfolgte der „Haingang". Fünf bis sechs Monate mußten sie im heiligen Hain zubringen Tag und Nacht, ohne Kleider und ohne Regendach, ein Schrecken für die Frauen. Beim feierlichen Auszug mußten sie dann zwischen dem Alten, dessen Aufsicht sie unterstanden, und seinem Gehilfen durchziehen, die sie mit Ruten auf die Beine schlugen19) — der Schlag ist ein sehr häufiges Ritual bei den Ü. und hat wahrscheinlich sehr verschiedene Bedeutung. Manchesmal, wie hier, zunächst als Fruchtbarkeitszauber gedacht, ist er in anderen Fällen ein Überbleibsel schwerster Peinigungen, an denen einst die Initiationsriten sehr reich waren. Besonders die amerikanischen Stämme Nordamerikas konnten sich nicht genug daran tun, diesen Teil der Ü. als Mannhaftigkeitsprobe zu gestalten und hierbei den Initianden geradezu übermenschliche Folterungen aufzuerlegen. Die Jünglingsweihen hingen ja mit der Zulassung zur Ehe aufs engste zusammen. Wer sich aber eine Frau erwerben wollte, mußte in jeder Weise zeigen, daß er ihrer würdig war. Und das war der Stärkste, der Ausdauerndste, der Schmerz-Unempfindlichste20). Bei den Dschagga war ein sehr wichtiger Teil der Belehrung, welche man den Jungen während des Hainganges zu Teil werden ließ, auf die künftige Ehe und ihr Verhältnis zu den Frauen gerichtet, also auch auf die Ehe, aber mindestens ebenso sehr auf ihre nächste künftige Aufgabe, den Krieg. Bei den Spartanern waren die Epheben unter strengster Disziplin. Sie mußten die Heloten schlagen, sich ihre Nahrung durch Diebstahl verschaffen und wurden gegeißelt, bis sie zusammenfielen. Ob auch mystische Verstellungen mit dieser Praxis verbunden waren, ist nicht überliefert 21 ). Bei den Indern muß der junge Brahmane durch die Upanaya-Feierlichkeit

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durchgehen. Er kommt in neuem Gewände, geschoren und geschmückt zum Lehrer, wo ihm nach Darbringung eines Opfers das Schülergewand (Kleid, Gürtel und Antilopenfell) angelegt wird. Dann bittet er um Einweihung, die ihm gewährt wird, indem der Lehrer gewissermaßen von ihm Besitz ergreift. Fasten, Keuschheit, Betteln, Gehorsam und Studium wird von den Knaben verlangt. Der Lehrgang dauert, bis der Schüler den Veda gelernt hat. Ist das Studium beendet, so wird eine große Schlußfeier gehalten, es wird gebadet, den Toten geopfert, Duwagräser geflanzt, ein Wettlauf veranstaltet, die Schülerkleidung ins Wasser geworfen22). Ähnlich sind noch die heutigen Umgürtungsbräuche. Sie enthalten einen bezeichnenden Zug. Vor der Weihe speist der Knabe zum letzten Mal vom Teller der Mutter. Von besonderen Ü. bei den Germanen ist direkt nichts überliefert. Eine Untersuchung von L . W e i s e r 2 3 ) verweist aber darauf, daß die Nachrichten und Bräuche von heute darauf hindeuten. Von der Waffenleite als Mannbarmachung berichtet schon Tacitus. Doch ist damit noch nicht die volle Rechtstellung erreicht, sondern zunächst nur der Stand des Junggesellen, dem vor allem kriegerische Tätigkeit zukommt. Bei den Chatten lassen sich die Krieger Haar und Bart wachsen — bei den Initiationen ist körperliche Vernachlässigung, besonders des Haars, sehr häufig— und schneiden dieses erst ab, wenn sie ihren ersten Feind erlegt haben. Die Tapfersten aber legen sich einen Bleiring an, der sie gleichsam bindet, bis sie sich durch Erschlagung eines Feindes lösen. Sie sind von erschreckender Wildheit, haben weder Haus noch Feld, kommen ungeladen allenthalben zu Gaste; wo sie eintreten, lassen sie sich verschwenderisch bewirten bis sie durch das Alter zum Kriegsdienst unfähig gemacht werden 24 ). Diesen Bericht deutet Weiser so, daß die Chatten einen kriegerischen Männerbund mit religiöser Grundlage hatten, der die Jünglings- und Mannesweihen und damit die Ausbildung der Jünglinge zu volltauglichen Staatsbürgern übernahm 25 ).

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Etwas ähnliches will sie in den Berserkern erblicken: Junggesellenbünde ekstatischen Charakters, deren Angehörige ohne Brünne kämpfen, rasend wie wilde Tiere, stark wie Bären und Stiere. Sie mordeten die Männer, aber weder Feuer noch Eisen konnte ihnen etwas anhaben 26 ), sie schritten mit bloßen Füßen durchs Feuer und konnten nur mit Keulen getötet werden27). Saxo Grammaticus berichtet auch, daß sie Feuer schluckten 28 ), rohes Fleisch aßen und Blut tranken 29 ). Das alles sind wohlbekannte Proben aus den Initiationsriten; doch muß hier eine besondere Begabung die Grundlage für ein spezifisches kriegerisches Schamanentum gebildet haben, von dessen Initiationsriten und Regeln man noch keineswegs auf die Formen der allgemeinen Weihe zurückschließen darf. Den allgemeinen Formen wird wohl die Vorschrift angehören, ein wildes Tier zu erlegen, sich durch eine bestimmte Tat oder eine bestimmte Probe als tüchtig auszuweisen. Die beiden Kinder Signys, die die Mutprobe nicht bestehen, werden getötet; wie bei primitiven Völkern vielfach jene Männer oder Mädchen, die bei den Proben weinen oder stöhnen, ihr Leben nicht länger fristen können. Als der fünfjährige Thorgils am Spiel der größeren Knaben teilnehmen wollte, sagten sie ihm, man habe ausgemacht, nur derjenige dürfe mitspielen, der schon ein lebendiges Wesen getötet hätte 30 ). Riten, bei denen neu Aufzunehmenden hart mitgespielt wird, kommen heute noch vor, z. B. das Prellen als Aufnahmeritus bei den Metzgern31). Bei der Faktorei der deutschen Hansa in Bergen wird der Neuling an einen Strick gebunden, in die Höhe gezogen32), beräuchert, bis aufs Blut gepeitscht und zuletzt auf einer Haut geprellt. Heute vertritt die Konfirmation 33 ) vielfach die Ü. Aber damit ist der Knabe auch doch erst ein halber Mann (halvkar) und darf erst nach einigen Jahren und verschiedenen Proben als „helkarl", ganzer Mann, an der Nachtfreierei u. a. teilnehmen 34 ).

wesentlichen denen der Männer analog waren. Auch diese Riten pflegen eine längere oder kürzere Abschließung der jungen Mädchen von der Öffentlichkeit, und ihrer Familie zu umfassen, eine Zeit, die sie sehr oft in dunklen Hütten oder auf einer Plattform verbringen müssen, ohne durch Monate oder selbst Jahre die Erde berühren zu dürfen. In anderen Fällen wird die Abgeschlossenheit dadurch herbeigeführt, daß das Mädchen in ein Paket so verschnürt wird, daß es sich kaum regen kann, in den Rauch des Herdfeuers aufgehängt wird, bei spärlichster Nahrung, um so die Zeit der ersten Menstruation und die darauf folgenden Menstruationen zu verbringen. Diese Riten dienen sowohl der Trennung von ihrer Familie wie von ihren früheren Altersgenossen wie auch der Probe auf ihre Standhaftigkeit. Sie werden oft mit B e schneidungsriten verbunden, die mit mehr oder weniger großer Rohheit ausgeführt, ein Zeichen für den Charakter des Mädchens bilden. Ein Mädchen, das den Schmerz der Beschneidung nicht ohne Zucken ertragen konnte, wird später gar nicht oder nur an einen alten Mann verheiratet, bei dem sie keine Kinder zu erwarten hat. Die Zeit der Reife dient auch der Durchführung von Tätowierungen, der Vermittlung von Unterricht über die verschiedenen Pflichten der Frau, ein Unterricht, der bei weiblichen Kindern viel rationeller und frühzeitiger erteilt wird als bei Knaben, sie ist auch eine Periode der Zwischenzeit im Sinne der van Gennepschen Theorie. Sehr häufig ist mit der Beschneidungsfeier der Mädchen, mit der diese Zwischenzeit entweder begonnen oder abgeschlossen wird, eine Orgie verbunden, die alle Zucht und Sitte innerhalb des Stammes aufhebt und zu voller Promiskuität führt. In manchen Fällen, wo die Beschneidung an einem schon verlobten Mädchen ausgeführt wird, dient sie dazu, die Abstimmung der Geschlechtsorgane beider Partner in ihrer Größe aufeinander herbeizuführen35).

Die Pubertät bedeutet auch für die Mädchen einen Übergangszustand, der zu zahlreichen Riten Anlaß gab, die im

Von beim weiblichen Geschlecht vorgenommenen Wiedergeburtsriten im eigentlichen Sinne wird nicht berichtet.

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Möglicherweise entgingen sie den (meist männlichen) Forschern; vielleicht werden sie von den Frauen vor den Männern überhaupt geheimgehalten. Vielleicht liegt der weiblichen Initiation dieser Gedanke der Macht-Steigerung, wie sie mit ritueller Wiedergeburt eintritt, ferne. Dies erschiene indessen um so verwunderlicher, als primitive Frauen im Besitz großer Macht geglaubt werden, Zauberinnen und Hexen sind und ihrer Zauberkraft wegen oft sehr gefürchtet werden. Briffault, der dieser Tatsache Bedeutung beilegt, meint, daß bei Frauen Machtbesitz und Fruchtbarkeit geradezu etwas Selbstverständliches war, gleichsam als sekundäres Geschlechtsmerkmal, so daß bei Initiationen darauf Bezug genommen werden mußte und die Riten als solche im Sinne der Machtsteigerung verstanden wurden. D a ß Menstruations- und Puerperalblut an sich schon Macht enthält, darüber ist kein Zweifel möglich; daß der Mann diese natürliche Macht fürchtet und sich vor ihr hütete, oder die Absonderung der Frau zu Zeiten, wo diese Macht besonders augenscheinlich wurde, durchsetzte, darüber kann auch kein Zweifel bestehen. Man könnte daher sogar versuchen, die Eigenart der weiblichen Initiationsbräuche bei manchen Völkern, wo sie ganz offensichtlich darin bestehen, die Bewegungsfreiheit der Mädchen zu hemmen und ihre Bewegungstüchtigkeit für das ganze Leben zu beeinträchtigen, als ein Mittel zu betrachten, sie weniger gefährlich zu gestalten und den Übergang ungefährlich zu machen, wenn nicht immer das Bedenken bestände, daß die Glaubensvorstellungen der Frauen bei primitiven Völkern noch viel weniger bekannt sind als die der Männer. Selbst wo wir von dem Bestehen weiblicher Mysterien wissen, wie bei den Römern, blieben die Einzelheiten doch stets in tiefstes Dunkel gehüllt. Die eigentlichen Primitiven aber sind noch viel zurückhaltender, und die Kluft zwischen den Geschlechtern ist dort noch viel tiefer, so daß man bei ihnen noch viel weniger Schlüsse aus einem Schweigen der Quellen ziehen darf. Viele Legenden drücken freilich ganz unmißverständlich die Furcht des Mannes vor

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dem menstruierenden Weib aus und vor dem zu deflorierenden Weib, dessen körperliche und psychische Widerstandskraft gebrochen werden muß, um eine normale Beziehung zwischen den Geschlechtern zu ermöglichen. Auch noch in dem christlichen Teufelsglauben spielt dieses Blut eine große Rolle und ruft gewissermaßen als solches zauberische Wirkungen hervor 36 ). Es ist deshalb unzulässig, bei dem heutigen Stande unseres Wissens Abschließendes zu diesem Problem zu äußern. Jedenfalls aberzeigt der ethnologische Befund zweifelsfrei, daß man nur bei einer beschränkten Anzahl von Ü. die Verbindung mit dem Gedanken der Wiedergeburt deutlich erkennt, während in anderen Fällen der Gedanke der Reinigung oder Vorbereitung oder Übung oder Stärkung den Ablauf des Rituals vorwiegend bestimmt. 18 ) F r a z e r Immortality 1, 35off. 1 9 ) G u t m a n n Recht d. Dschagga 325S. 2 0 ) B r i f f a u l t Mothers 2, i87ff. 2 1 ) N i l s s o n Grundlagen d. 22 spartanischen Lebens 3 i 8 f f . ) Oldenberg Religion d. Veda 466 f. ; L i p p e r t Kulturgeschichte 2, 3 6 5 s . ; A . H i l l e b r a n d t Ritual23 literatur (1907) 61. ) Lily W e i s e r Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde pass. 24 ) T a c i t u s c. 3 1 . 2 5 ) W e i s e r a. a. O. 38. 2e 27 ) Y n g l i n g a s a g a 6. ) V a t edaelassaga 4 5 ; K r i s t n i s . 2. 2 8 ) hsg. v. P. E . M ü l l e r (1839) 2 326, 328. ») H r o l f s G. S. 16. 3 0 ) Floamannasaga 10. 3 1 ) B e r l e p s c h Chronik d. Gewerbe V I 1 2 1 . 3 2 ) L . H o l b e r g Beschreibung d. Handelsstadt Bergen in Norwegen ( 1 7 5 3 ) I I 59- 3 3 ) F e h r l e Volksfeste3 91. 3 4 ) E r i x o n 106; 109. S 5 ) B r i f f a u l t Mothers I I pass.; W e s t e r m a r c k History of Human Marriage pass.; van G e n n e p 36 Rites de passage 122S. ) G ö r r e s Geschichte d. Christlichen Mystik Bd. V.

5. Die H o c h z e i t gibt bei allen Völkern Anlaß zu den verschiedensten und verwickeltesten Zeremonien. Man muß sich dabei bedacht bleiben, daß diese Zeremonien die verschiedensten Aufgaben zu erfüllen haben und daß daher Bräuche verschiedensten Ursprungs und verschiedenster Abzweckung sinngemäß und notwendig nebeneinander bestehen. Die Hochzeit muß ja magisch rituell einmal rein personal Mann und Frau so verbinden, daß diese in eine enge und unauflösliche Gemeinschaft geraten, die ihnen nicht nur gestattet, den sexuellen Verkehr aufzunehmen, sondern auch in eine fruchtbare Verbindung zu treten. Sie muß sie also

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in eine symbiotisch-sympathetische Einheit versetzen. Diesem Zwecke dienen Zeremonien der Verbindung, der Tausch von Blut und Speichel, der gemeinsame feierliche Genuß von Speise, die äußerliche "Verbindung durch Gewand oder Ring, der Tausch von Besitztümern. Zu diesen Riten kann man auch solche der Besitzergreifung rechnen. Wenn das junge Mädchen in den Wald entflieht und der junge Mann sie fängt und heimbringt, so hat er sie damit erworben, und mit diesem Akt der Ergreifung hat sich zwischen ihnen ein Band gebildet, das bei primitiven Völkern -enger ist als bei uns 37 ). Zum zweiten sind •diese Menschen auf die verschiedenste Weise bedroht. Die Hochzeitsriten müssen dafür Sorge tragen, daß diese Bedrohung unschädlich gemacht wird, was sie meist durch apotropäischen od. sympathetischen Zauber erreichen. Zum dritten gilt es dafür zu sorgen, daß die Verbindung fruchtbar sei. Es gilt also Fruchtbarkeitszauber aller Art zu üben. Alle d i e s e Riten sind selbstverständlich nicht als Ü. anzusprechen. Will man die hochzeitlichen Ü. erkennen, so muß man von diesen Bestandteilen der Hochzeitsbräuche absehen. Die Ü., die mit Hochzeiten verbunden sind, bezwecken ein anderes. Sie sollen einmal den psychischen Übergang des jungen Menschen von dem Stand des Unverheirateten in den Stand des Verheirateten herbeiführen, und sie sollen zum zweiten den Ubergang eines der beiden Teile (bei Exogamie) in eine neue soziale Organisation bewirken, einen Übergang, der sich oft augenfällig in dem Einzug in •ein neues Haus und in eine neue Gemeinschaft ausdrückt. Bei voll entwickeltem Ritual findet man, daß für jede dieser Abzweckungen gesonderte Vorschriften bestehen 38 ). Manchmal beginnt das eheliche Zusammenleben, noch bevor alle Ü. beendet sind, manchmal ist es erst ihr Abschluß, manchmal geht es allen Hochzeitsbräuchen voran, wenn das junge Paar mitsammen durchgeht, um auf diese in jenen Kulturen nicht anstößige Art die Aufmerksamkeit der Eltern auf ihre Heiratsabsicht zu lenken. Ein sehr reiches und sehr wohlbekanntes

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Heiratszeremoniell ist das der Dschagga. Die persönliche Bindung zwischen den Brautleuten in spe pflegt sich anzubahnen und ziemlich weit zu entwickeln, ehe die Eltern offiziell verständigt werden 39 ). Manchmal ist das Mädchen der bekennende Teil. Dann beantwortet sie sein Flehen mit der Versicherung: „Soll ich noch suchen nach einem, der so zusammengeschlossen (vollkommen) ist wie du?". Haben sie sich einander versprochen, so beginnen mehrfache und unverbindliche Sippenbesuche, die dem gegenseitigen Kennenlernen dienen sollen, vor allem aber auch dem Zweck, etwaige Unvereinbarkeiten zu erfahren. Die eigentlichen Ü. beginnen dann mit den feierlichen Biergaben, die ngosa heißen, ein Wort, das wahrscheinlich mit dem ikosa: in den Bereich eines Wesens einführen, eingliedern, darin heimisch machen, zusammenhängt. „Ikosa mana" heißt: ein Mädchen an sich gewöhnen, in die Sippengemeinschaft einführen; und zwar geschah dies durch Gaben und Genüsse, die ngosa, den Brautpreis. Diese Gaben wendeten sich aber nur zum kleinen Teil an das Mädchen selbst; es galt auch nicht allein und nicht vorwiegend die Bindung des Mädchens an die neue Sippe herzustellen, sondern es geschah weit mehr: die beiden Sippen wurden zunächst aneinander gebunden und sollten magisch sympathetisch vereint werden, damit sie segnend zusammenwirken, um diesem Bund Fruchtbarkeit und Gedeihen zu verleihen. Die erste Gabe ist das Beratungsbier 40 ). Die Brautmutter muß dem Brautvater Urlaub geben, damit er sich auf den Bräutigamshof begebe, wo man alle etwaigen Sippenhindernisse bespricht, die sich dem guten Willen beider Parteien in diesem Augenblick entgegenstellen können. Hat etwa in Vorzeiten ein Rechtshandel die beiden Sippen entzweit, so gibt jetzt die gewinnende Partei von einst einen Teil des Ersiegten zurück. Der Vater aber hat sich zuerst der Zustimmung der Tochter versichert, ehe er die Einladung annahm, die ihm gegenüber ausdrücklich erklärt werden muß. Die zweite Gabe ist das Bruderbier 41 ), bei welcher Gelegenheit

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die Brüder der Braut Gelegenheit gegeben finden, sich von der Zustimmung ihrer Schwester zu überzeugen und ihre Bedenken geltend zu machen. Die nächste Gabe ist eine Fleischgabe, und zugleich bringt die Schwester des Bräutigams Schmuck, den sie der Braut, die sich heftig sträubt, zwangsmäßig anlegt. Damit ist die Braut „gebunden" 42 ). Es ist also der Übergang in die Bräutigamssippe faktisch schon in diesem Augenblick vollzogen, insofern es sich um die soziale Aufnahme handelt. Diese Aufnahme wird auch ausdrücklich rituell bestätigt. Von der übersandten Ziege schneidet der Brautvater ein Stückchen herunter und übergibt es dem Beistand des Bräutigams, der dessen nächster Verwandter und Mittler bei dieser Werbung ist. Er überreicht das Fleisch der Braut mit den Worten: „Nimm die Orom-Gabe, werde meine Gesippin". Die Braut nimmt die Gabe an und ißt sie (Motiv der Speisegemeinschaft) und sagt dazu: „Dank, mein Großvater", ein ehrendes Prädikat der nächsten Verwandtschaft, womit sie die Bindung für sich anerkennt. Nachdem so die Aufnahme der Braut in die Sippe des Bräutigams vollzogen ist, beginnt erst die Reihe der Trennungsriten von ihrer Familie. Anläßlich der Ubersendung des Dracänenbieres befragt der Vater die Tochter, ob sie unversehrt ist. Sollte sie versehrt sein, so gibt er dem Schwiegersohn einen Wink, sie auf dem Felde „aufzuheben" (Scheinraub). Ist sie aber Jungfrau, so folgt die Ubersendung eines Schlachtrindes, das den Ahnen geopfert wird, damit sie nun auch ihrerseits der Verbindung zustimmen und sie mit ihrem Segen fördern. Dieses Rind gilt als Äquivalent gegen das „Mutterlamm", die Frau, „daß es in Frieden auf den Hof der Bräutigamssippe komme und in Frieden darauf bleibe". Und über diesem Bündelrind spricht nun der Vater der Braut zu seinem nächsten Bruder die Lostrennungsworte: „Wir haben das Kind reichlich abgeschleckt, die Eingewöhnung ist vorangegangen, es soll nun zu seinem Sitze kommen". Der Mundwalt-Onkel wendet sich dann an die Braut und beschwört sie, sich ihrem Manne zu gewöh-

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nen und ihn zu lieben. Und zuletzt wendet die Braut sich förmlich an den Beistand,, aber mit einer ziemlich verklausulierten Erklärung, daß sie als Gesippin auf dem Hofe seiner Sippe leben wolle, wenn man sie als Gesippin hält 4 3 ). Es folgen dann noch weitere Gaben an die Sippe der Braut und weitere Trennungsriten, mit denen diese die Zuwendung des Brautschatzes bezahlt, wie das Zuschneiden der Schuhe, mit denen die Braut zum Bräutigam gehen soll, das Walken des Leders für das Brautgewand — wozu ein Fell vom Brautvater, ein zweites vom Vater des. Bräutigams gestiftet wird — der feierliche Abschied von den Eltern, und zuletzt — nach Überreichung von Friedensgaben, schickt sich der Beistand des Bräutigams an, die Braut auf seinem Rücken heimzutragen, während die Braut den ganzen Weg entlang Klagelieder singt 44 ). Damit ist nun ein Teil der U. beendet, nämlich jener, der die Einführung der Braut in die Sippe des künftigen Gatten betraf. Nun beginnt der zweite Teil der Ü., der die persönliche Entwicklung der Brautleute zum Ziele hat: die Ehehaltenlehre, die in einer mehrmonatigen Pflege in Zurückgezogenheit in der Hütte und Unterricht der beiden besteht. Der letzte Teil des Unterrichtes kann der Braut nur von ihrer eigenen Mutter auf deren eigenem Hof erteilt werden. Sie kehrt also zu deren Hof zurück, geleitet von zwei Kindern vom Hofe der Schwiegermutter, die sich an ihre Beine halten. Sie geht dabei schwer und langsam auf einen Stock gestützt. Auf dem Heimweg wird sie von einer Schar jugendlicher Verwandter geleitet. Sobald der Bräutigam ihnen entgegenkommt, wird er von der Geleitschar überfallen und mit Stecken und Gerten verprügelt 45 ). Nach einer Reihe von weiteren Zeremonien, die sinnbildlich die gegenseitige Hilfeleistung von Mann und Frau in der Ehe darstellen, umfaßt der Bräutigam den Oberarm der Braut und spricht: „Laß uns miteinander ackern, für deinen Vater und den meinen". Dann umfaßt so auch die Braut ihres Bräutigams Oberarm. Zwei Tage später erfolgt erst die Zusammengabe.

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Damit enden aber noch nicht immer die Beziehungen zwischen der Braut und ihrer Sippe. Erst wenn die Ehe fruchtbar ist, und die Kinder etwa 7 Jahre alt geworden sind, werden die letzten Brautgaben gezahlt und die letzten Trennungsriten vollzogen. Diese Umkehrung ist durchaus logisch und zweckentsprechend. Die Braut muß der Sippe des Bräutigams eingegliedert werden, noch bevor die eigene Sippe e n d g i l t i g die Ausgliederung vollzieht, soll dieser die Möglichkeit geboten werden, ihr ihren Schutz solange zuteil werden zu lassen, bis sie vermutlich (nach etwa zehnjähriger glücklicher Ehe) keines Schutzes mehr bedarf, weil sie wirklich heimisch wurde auf dem fremden Grunde. Denn niemals kann der Brautvater gezwungen werden, das Schlußstück zu nehmen, er muß es verlangen durch eine sehr wertvolle Aufforderungsgabe. So vielverbreitet solche Reihenfolge der Riten in jenen Ländern ist, wo man den Brautkauf übt und so sehr sie die Stellung der Frau in des Mannes Sippe verbessert, gibt es doch Länder, wo die Trennung der Braut von ihrer Sippe sogleich endgiltig ist und der Einheimung vorangeht. In Japan wird z. B. der Braut von ihrer Mutter bei dem Abschied aus dem väterlichen Hause ein Dolch mit der Warnung überreicht, daß er ihre einzige Zuflucht sei, wenn sie sich aus dem Hause des Gatten entferne. In Rom ging die Loslösung aus dem väterlichen Haus der Aufnahme in die Sippschaft des Gatten voran. Nach germanischem Brauch trat bei der Verlobung die Übertragung der Mundschaft in den Vordergrund. Das war sowohl Trennungs- als Aufnahmeritus; die junge Frau war nun Mitglied der Sippe ihres Gatten. Die wirkliche Übergabe erfolgte aber erst zu einem entsprechend späteren Zeitpunkte. An diesen zweiten Zeitpunkt knüpften sich dann der Brautlauf und die Vollziehung der Ehe. Mit der Verlobung, die ursprünglich mit der Eheschließung zusammengefallen sein dürfte, ging später eine symbolische Handlung verbunden, die auf die Übergabe hindeutete46).

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Noch heute deuten einige Bräuche auf alte Ü. hin. So soll die Braut mit dem Bräutigam einmal aus einer Schüssel essen oder suppen (ein Brauch der Anbahnung persönlicher Partizipation); der Bräutigam muß der Braut das Brautkleid schenken, sie ihm das Brauthemd (Austausch von Geschenken); die Braut darf acht Tage vor der Hochzeit das Haus nicht verlassen, sonst wird sie verhext (Zurückgezogenheitsperiode); sie muß bei der Hausschau ernst sein, bei der Trauung und auch beim Hochzeitsschmauß viel weinen47) (s. H o c h z e i t ) . Ein Trennungsritus ist auch das Haarschneiden, dem Bräute oft unterworfen sind48). 37) van Gennep a. a. O. 1650. 38 )Gutmann a. a. O. 82. 3») Ebd. 40) Ebd. Syi. 41) Ebd. 8gfi. 42) 84. «) Ebd. 100. 44) Ebd. iioff. 45) Ebd. 119. 46) Brunner-Heymann Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte 221. 47) Wuttke § 5660. 48)

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6. Bei den B e g r ä b n i s - und T r a u e r r i t e n unterscheidet man oft sehr klar jene Gruppen von Riten, die der Abtrennung des Toten von der Welt der Lebenden dient, und jene andere, oft viel kompliziertere und länger dauernde, die ihn begleitet während seines Übergangszüstandes zu der endlichen Ruhe und die schließlich in dem zweiten Begräbnis gipfelt. Bei den meisten Völkern besteht die Vorstellung, daß die Seele des Verstorbenen nicht zugleich mit dem Augenblicke des Todes verschwunden ist; vielmehr hält sie sich noch eine längere oder kürzere Zeit im Hause und in der Nähe des Leichnams auf. Man zündet deshalb ein Licht an, das ihr in der Dunkelheit leuchte, man stellt ihr einen Stuhl hin, der ihr zum Sitzen diene, man öffnet die Fenster, damit sie sich entfernen könne, man nimmt im Handeln und Sprechen auf ihre Gegenwart Rücksicht. Die eigentlichen Trennungsriten setzen dann mit dem Augenblick ein, wo der Sarg mit der Leiche aus dem Hause gebracht wird. Man trägt ihn mit den Füßen voran aus dem Hause, damit der Tote nicht etwa zurücksehe und dadurch den Rückweg wieder nehme. Man gießt hinter dem Sarg Wasser aus und verschließt eiligst die Türe, man fegt die Stube und wirft Kehricht und Besen auf den Kirchhof, man streut

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Salz und fegt es aus: kurz, man übt alle die bewährten Trennungsriten und geht sogar so weit, daß man den Sarg sehr häufig auf ungewöhnlichen Wegen zur Kirche befördert (s. Trennungsriten; Unsterblichkeit). Auch nach deutschem Aberglauben ist damit aber keineswegs endgültig das Band zwischen Lebenden und Toten abgeschnitten; vielmehr besteht die Vorstellung, daß der Tote, bevor er sich entfernt, noch am Leichenschmaus teilnehme, den man daher möglichst lange ausdehnt. Er kommt wieder an bestimmten Tagen, zu bestimmten heiligen Zeiten, wo die armen Seelen dann unter der Hausschwelle sitzen oder zwischen den Türen, die man nicht zuschlagen darf, um sie nicht zu verletzen 49 ). Bei sehr vielen primitiven Völkern ist die Vorstellung die, daß die Seele des Toten noch so lange auf Erden weilt, als sein Leib nicht verfault ist60). Man bemüht sich daher angelegentlich, die Verwesung zu beschleunigen. Ist diese beendet, so begibt sich die Seele nach dem Lande der Toten, das manchesmal unter der Erde gedacht wird (in solchen Fällen legt man den Leichnam auf die Erde, um ihn in direktere Verbindung mit der All-Mutter zu bringen), oder sie geht an einen bestimmten Punkt des Landes, wo sie in den See springt, oder sie begibt sich auf die oft monatelang dauernde Wanderung in das Reich der Toten. Die Ü. bestehen dann darin, während dieser Zeit dem Toten die Treue zu bewahren. Man rüstet ihn mit Geld, Nahrungsmitteln, Wärme, Schuhzeug aus; man sorgt durch Rezitationen für seine Belehrung über die Gefahren des Weges und die Art und Weise, wie man ihnen begegnen kann; man unterstützt ihn magisch, sein Ziel zu erreichen. Und erst zu der Zeit, wo man annimmt, daß er des zweiten Todes gestorben sei, erfolgt das zweite Begräbnis, mit dem man die U. beschließt 51 ). Eine Methode, sich zu vergewissern, ob der Tote noch den Lebenden nahe weile, besteht darin, festzustellen, ob er die Seinen noch unterstütze. Das erkennt man am Jagdglück. Ist dieses günstig,werden die Ü.lange Zeit fortgesetzt. Merkt man nicht viel Erfolg, bricht man sie bald ab 52 ).

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Wenn bei den Ostiak von Obdorsk ein Mann stirbt, so legt man ihn (nach den gewöhnlichen Trennungszeremonien im Hause) in ein Kanoe und bringt dieses auf den Begräbnisplatz des Toten, wo man es auf der gefrorenen Erde niedersetzt, die Füße nach Norden. Man gruppiert um die Leiche herum alles, was man glaubt, daß er braucht, hält am Grabe selbst einen Leichenschmaus, an dem der Tote selbst teilnimmt, und begibt sich dann nach Hause. Nun bricht der Tote auf zur Reise nach dem dunklen, kalten Totenland im Norden, die sehr lange dauert, bei anderen Stämmen erklettert er eine Kette, die in den Himmel führt. Die eigentliche Trauerzeit dauert 5 Monate für einen Mann, 4 Monate für eine Frau; doch pflegen die Frauen Puppen, die die Züge des Toten tragen, noch viel länger durch Waschen, Kleiden, Füttern 51 ). Bei den Marquesas gibt es einen Himmel für die Aristokratie der Geburt oder der Tat (Krieger, die auf dem Schlachtfeld, Frauen, die im Kindbett starben) und einen unterirdischen Platz für die Toten, wo das gemeine Volk sich befindet. Zu beiden Plätzen kommt man nur mittels eines Kanoes, das die Lebenden entsprechend beizustellen haben. Vornehme, denen man nicht zumuten kann, selbst eine Arbeit zu leisten, müssen noch mit Rudermannschaft, Vorräten und Bedienung versehen werden. Wenn ein großer Häuptling starb, wurden zwei Personen aus dem gewöhnlichen Volk getötet, von denen einer für den Häuptling auf seiner Reise in die Totenwelt den Gürtel tragen sollte, während der andere den Schädel des beim Leichenschmaus geschlachteten Schweines trug, der als Opfer für den Wächter des Jenseits bestimmt war, der den neu ankommenden Geist beschimpfen und mit Steinen werfen, ihm zuletzt die Türe vor der Nase zuschlagen würde, wenn er nicht dieses Geschenk erhielte54). Stirbt ein Priester, so kommt es zu einem sakralen Krieg mit den Nachbarn, dessen Veranlassung zunächst die rituelle Notwendigkeit ist, einige Menschen (meist 3) als Totenopfer zu erschlagen; seinen rituellen Charakter aber zeigt dieser Akt

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klar dadurch, daß der sich anschließende Krieg solange dauert, als der nächste Verwandte des verstorbenen Priesters sich in voller Abgeschiedenheit an einem geweihten Platze aufhält. Während dieser Zwischenzeit bringt man dem Verwandten alles, was er braucht, auch Menschenfleisch. Die Überlebenden haben auch dafür Sorge zu tragen, daß der Tote sich in bester Gestalt vor den richtenden Göttern präsentiert. Dies mag auch so geschehen, daß die Einwohner der Insel Tahatua dafür sorgen, daß die Haut des Toten von dessen Gattin in dreißigtägiger Arbeit mit den Fingernägeln abgezogen wird, weil die große Göttin Upu nur Menschen ohne Tätowierungen annimmt. Dieser Ritus ist sehr bedeutsam: die Tätowierung ist Stammesmerkmal des Lebenden; sie wird ihm in peinvoller Zeremonie anläßlich der großen Übergänge in seinem sterblichen Leben eingeritzt; nun, da er in eine andere Gemeinschaft eingeht, muß er sich ihrer entledigen. In gleicher Weise versucht man, den Toten von moralischer oder ritueller Schuld zu befreien. E r wird bei allen Völkern in zeremonieller Weise gewaschen, gekämmt, die Nägel werden ihm geschnitten. Tote, an denen die Totenbräuche nicht vollzogen werden, können nicht in das Jenseits eingehen und kommen nicht zur Ruhe. Die germanische Auffassung unterstreicht ihre besondere Gefährlichkeit auch durch die Mythe, daß das Schiff, das die Riesen zum Weltbrand heranführt, aus den unbeschnitten gebliebenen Nägeln der Toten angefertigt ist. Bei den Ägyptern bleiben die „unreinen" Toten der Aufnahme in die Sonnenbarke unfähig. Wenn die Sonne sich anschickt, in der ersten Nachtstunde ihre Wiedergeburt zu feiern und die richtig begrabenen Toten sie begleiten und an ihrer Wiedergeburt Anteil gewinnen, bleiben sie in einem Vorraum zurück 56 ). Einen etwas anderen Hintergrund hat die Vorstellung, daß Menschen, die in dieser Welt nicht ein Minimum an Macht erreicht haben, nicht in der jenseitigen Welt Zutritt finden, oder in einer Art Fegefeuer oder Hölle verbleiben müssen. Dies gilt

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vor allem für Personen, die in dieser Welt nicht durch die Hochzeitszeremonien durchgegangen sind. Nach deutschem Aberglauben ist diese Zeit begrenzt : Mädchen, die als Bräute sterben, tanzen auf Kreuzwegen solange fort, bis der Bräutigam stirbt 56 ) (Danaiden). In dieselbe Kategorie von Hindernissen gehört auch die Vorstellung, daß ungetaufte Kinder ewig im Fegefeuer bleiben müssen — alsokeine Ruhe finden — wie auch die ganze Reihe von Vorstellungen, daß Menschen, keine Ruhe finden, also nicht in das von der Menschenwelt abgeschiedene und selbständige Reich der Toten eingehen können, solange nicht ihre Leistung auf Erden vollbracht ist. So findet der Ermordete keine Ruhe, solange sein Leben noch hätte dauern sollen, ebensowenig der Selbstmörder; keine Ruhe findet, wer eine Leistung nicht vollbracht hat : so die Wöchnerin, die zurückkommt, um in ihrem Bett zu sclilafen, um ihr Kind zu stillen, der man Nähzeug ins Grab mitgibt, damit sie dort ihre Aufgaben zu erfüllen vermag; so nicht, wer ein Gelübde zu erfüllen unterließ, nicht wer einen Schatz vergrub, sei er auch nur gering 57 ) ; der verstorbene Hausvater geht in der Nacht nach seinem Begräbnis dreimal u m sein Haus herum, damit die Seinigen kein Unheil treffe, und hat damit seiner Pflicht nach dem Tode genügt 58 ). Wer schwere Schuld auf sich geladen, ist gleichfalls i n diese Zwischenperiode gebannt und kann nicht des zweiten Todes sterben, wie die Tiefkulturvölker solchen zweiten Ubergang bezeichnen. Allerdings bedeutet auch dieser zweite Tod noch nicht immer eine volle und ausschließliche Einbürgerung in dem Jenseits : vielmehr bleiben immer noch gewisse Beziehungen bestehen. Kein Übergang ist ein ganz endgültiger. 49 ) W u t t k e §752 S. 442. 60) v a n G e n n e p 51 a . a . O . 215S. ) F r a z e r Immortality 2, 165. 52 ) Ebd. II 274. 25. 63 ) v a n Gennep 214ÎÏ. 54 ) F r a z e r a. a. O. 2, 366. 65 ) Maspéro Etudes de mythologie et d'archéologie égyptiennes 2» iö3ff.; J é q u i e r i e livre de ce qu'il y a dans 56 le Hades 19. ) W u t t k e § 749 S. 441. " ) Ebd. 754. 68 ) Ebd. § 747.

7. Die U b e r g ä n g e im s o z i a l e n L e b e n , das Antreten eines B e r u f e s , das.

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Übergangsriten

Wechseln eines D i e n s t p o s t e n s , werden selbstverständlich mit entsprechenden Riten begleitet. Von großem Umfang und großer Wichtigkeit sind alle jene Riten, die zugleich Initiationen sind, also das Antreten des Priesterberufes oder generell die Zulassung zu einer geistlichen Gemeinschaft. Auch diese Riten werden, ebenso wie manche Begräbnisriten mit Zügen aus dem Hochzeitsritual versehen. Man kann .sich diese Ähnlichkeit vielleicht aus der sachlichen Gleichheit erklären. Dort, wo es sich um engste Verbindung handelt, um eine restlose Einheit, die über die Einheit des Blutbundes und der Sippe hinaus noch eine fleischlich-sinnliche Einheit ganz besonderer Art symbolisieren soll, ist eben das Bild der Ehe das gegebene und daher auch die Rituale der Hochzeit. So feiert der junge Geistliche seine Hochzeit mit der Kirche nach vorausgegangener Trennung von dem profanen Stande 59 ), so feiert die Nonne ihre Hochzeit mit dem himmlischen Bräutigam 60 ). Bei diesen Riten ist die Bedeutung der Zwischenperiode, des Noviziates besonders klar zu erkennen und von dem Vorstadium und •dem Schlußstadium am klarsten abgehoben. Dieses Noviziat dauert manchmal jahrelang, manchmal nur einige Tage, so bei der Chamär-Sekte von Sinnäräyani. Wo es sich um soziale Ü. handelt, ist die gemeinsame Mahlzeit, die auch bei den Hochzeitsfeierlichkeiten eine so große Rolle spielt, nicht nur für die Eheleute, sondern noch mehr für die beiden Sippen belangreich. Sie hat bis heute als Verlobungsund Hochzeitsmahl noch ihre Bedeutung erhalten, die aber auch als Totenmahl einen doppelten Sinn behielt, nämlich den, die letzte Mahlzeit zu sein, die man mit dem Toten in Gemeinschaft einnimmt, und das erste Mahl, bei dem sich die Überlebenden ohne den Toten zu einer lückenlosen Gemeinschaft zusammenschließen, eines der sichtbarsten Merkmale für die Aufnahmeriten, von denen sie oft allein zurückblieb 61 ). Man darf nicht vergessen, daß auch heute noch die einzelnen Stände sehr streng voneinander abgeschlossen sind, und daß das „Berechtigungswesen" der höheren Berufe und die Eifersucht der

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Gewerkschaften auf alte Riten und Traditionen zurückgehen. Ein anderes häufig vorkommendes Ritual bei Ü. ist der S c h l a g , sei es als Backenstreich des freigesprochenen Lehrlings, sei es als „Ritterschlag" des Kriegers, sei es als Schlag bei Pfingstspielen und Grenzsetzungen62), sei es als Hammerschlag, mit dem Thor die Ehe weiht und in Melanesien die Toten einen neuen Ankömmling aufnehmen. Als eine Abschwächung des Schlages kann man auch den Brauch betrachten, daß jeder seinen Nachbar am Ohr zupfen muß, wenn eine neue Speise auf den Tisch kommt 63 ). Eine ganze Reihe von Ü. knüpft sich an das Beziehen eines neuen Hauses und einer neuen Wohnung. Zunächst gilt es natürlich, das neue Haus zu weihen, d. h. einerseits von bösen Geistern zu reinigen und mit guten zu erfüllen; aber davon abgesehen ist der ganze Hausbau von der Grundsteinlegung bis zur endgültigen Beziehung mit einer Reihe von Riten verbunden, die unzweifelhaft Ü. sind. Ein alter Mann soll demgemäß auch kein Haus zu bauen beginnen, er müßte sonst sterben. Ein anderer Aberglauben besagt, daß der Hausherr stirbt, wenn das Haus fertig wird. Diese Weihe des Hauses bedingt es denn auch, daß durch ein unziemliches Benehmen das Haus verletzt wird, nicht nur die Bewohner, und daß das Haus entsühnt werden muß, wenn etwa bei den Dschagga ein Fremder ohne Erlaubnis in Abwesenheit der Eigentümer es betreten hat, oder wenn die Rituale der Türe und der Schwelle nicht eingehalten werden. Übersiedelt man in ein neues Haus oder eine neue Wohnung, so gilt es zunächst die Trennung von der alten Heimstätte durchzuführen. Zu diesem Behufe darf man nicht vergessen, etwas in dem alten Hause zurückzulassen; weder Katze noch Besen sollen mitgenommen werden64), will man es doch tun, muß man besondere Vorsichtsmaßregeln anwenden. Den Besen muß man den Stiel voran hinaustragen, darf ihn nicht auf den Wagen laden, muß ihn vor allem von Fremden tragen lassen; die Katze muß man über den rechten Arm durchziehen. In die neue Wohnung muß

man vor allem Salz bringen lassen, Brot, damit man stets etwas zum Essen habe, einen neuen oder alten Besen, insbesondere muß man auch Weihwasser oder Gesangbuch, bald Gäste dort sehen, eine „Housewarming-party" geben, wie der Amerikaner sagt 65 ). Ein Ü. ist auch das „ S p r i n g e n " . In Cremlingen mußten die Hirten, wenn sie wieder gemietet wurden, über einen Stock springen. Man springt in das Neue Jahr; man benutzt das Springen über eine auf die Tenne gelegte Gaffel in Merklinghausen zur Verabschiedung der Fastnacht66). Ein typischer Neujahrsbrauch ist es auch, daß man vor dem Neuen Jahr alle seine Schulden bezahlt haben muß — man muß „reinen Tisch gemacht haben", ehe man in den neuen Lebensabschnitt eingehen kann. Das neu eintretende Gesinde muß selbstverständlich noch umständlichere Aufnahmeriten durchmachen; natürlich ergibt sich eine Speisegemeinschaft aus Aufnahmeritus, während aber auch das abziehende zum letzten Male noch ein feierliches Mahl einnimmt. Das Gesinde muß den Herd umwandeln, in den Rauchfang blicken, Wasser holen, das alte Gesinde muß fort sein, ehe das neue antritt, die alte Magd darf nicht ihren Scheuerlappen dalassen (Trennungsritus)67). Der neu eintretende Knecht darf sich nicht nahe zur Tür setzen, sonst bleibe er nicht lange: auch muß er dreimal mit der Mütze die Schwelle schlagen und im Hof zuerst um den Wagen herumgehen68). Hier muß auch des Ubergangs aus alter in neue Wohnung gedacht werden. Dafür haben sich zahlreiche Vorschriften herausgebildet. Beim Einzug ins neue Haus muß man den Besen mitnehmen69), ebenso einen Sack Salz70) und diesen hinter dem Küchenofen aufhängen 71 ). Salz und Brot mitnehmen72) bedeutet, immer etwas zu essen haben (jüdisch) 73 ); überhaupt etwas Eßbares mitnehmen, bedeutet allgemein dasselbe74). Während das Mitnehmen von Salz, Pfeffer und Zucker glückbringend ist 75 ), so dasjenige von Eiern unglückbringend76). Dagegen wenn empfohlen wird, in die neue Wohnung Bäcbtold-Stäubli,

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Übergangsriten

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Aberglaube VIII

Schwefel 77 ) und Rauchwerk 78 ) mitzunehmen, so fällt das unter die Bräuche des Abwehrzaubers (s. d.)79). Eine lustige Gesellschaft bald im neuen Hause versammeln, bringt sicherlich Glück80). 59 ) v a n 60 ) Census G e n n e p a . a . O . 135a. of India 1901, in Ethnograph, appendices 61) v a n (1903) 1 7 3 s . G e n n e p a . a . O . 146. 62) R o c h h o l z 63) Kinderlied 534t. Wuttke § 3 79 - 6 4 ) H y a t t a . a . O . Nr. 8168 u. 8173. 6 5 ) E b d . pass. 66 ) S a r t o r i a. a. O. 3, 123. •') W u t t k e §623. ®8) E b d . § 2 9 5 u. 623. 69) H y a t t a . a . O . N r . 8178. '») E b d . 8201. " ) E b d . 8202. " ) E b d . 8203. *») E b d . 8109. 7 4 ) E b d . 8204. 7 5 ) E b d . 8188. '•) E b d . 8206. " ) E b d . 8207. E b d . 8209. »») E b d . 7 4 i 3 f . 80 ) E b d . 7418.

8. Nur anhangsweise soll hier auch kurz das Gebiet der Natur und der k o s m i sche V o r g ä n g e betreffenden Ü. gedacht sein, denn diese an die Jahreszeiten gehefteten Bräuche sind an anderer Stelle ausführlich besprochen, vgl. die Art. A b wehrzauber, Wintersonnenwende, N e u j a h r , ' T o d a u s t r e i b e n . Hier muß der Übergangscharakter solcher Bräuche grundsätzlich, daher mittels geschichtlicher Analogien beleuchtet werden. Im alten Mexiko wurde beim Wechsel des Jahres (vor allem Übergang von der Ernte zur Saat) nicht etwa an eine Gottheit ein Opfer dargebracht, sondern dafür gesorgt, daß die Götter selber sich verjüngen 81 ). Um ihnen dabei behilflich zu sein, wurde ein den abtretenden Gott verkörpernder Mensch getötet, gewöhnlich mittels Köpfung. Daher eine Gottheit ohne Kopf die spezifische Darstellung der Erdgöttin als sich stetig verjüngernder Macht82). Anfang Februar hob in Mexiko das furchtbare Menschenschinden an zur Einleitung des großen Jahresfestes, in dessen Mittelpunkt der Frühlingsgott Xipe, d. i. der Geschundene, stand, so genannt wegen der wichtigsten Prozedur der Verjüngung, die durch seine Tötung und Häutung ausgeführt wurde. Wie der Mensch, welcher symbolisch den verjüngten Gott darstellte, sich in des alten Haut kleidete, ähnlich gürteten sich zwei Jünglinge bei den römischen Luperkalien mit den Fellen der bei jenem Feste geschlachteten Ziegen und des Hundes, während sie mit Riemen aus selbigen Häuten umherliefen, die 40

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ihnen begegnenden Frauen schlagend 83 ). Man braucht hierbei nicht zu rechten, ob der Zweck des Schlagens das Austreiben von Schlechtem oder die Anregung des Nützlichen (Fruchtbarkeit) bedeute, denn beides läßt sich nicht reinlich scheiden, geht vielmehr in solchen Riten durcheinander, sowohl in antiker wie primitiver Vorstellung. Jedenfalls hat die Reinigung vom Alten immer eine wichtige Rolle, und selbst am Neuen haftet zuerst noch das Gift des Alten. Drum darf man ja vom ersten Schnee nicht essen, er könnte zu giftig s e i n 8 4 ) . — D i e Ü. zu Neujahr haben sich durch die Aufnahme des Augenblickopportunismus gewandelt und diesen Zug in den Vordergrund treten lassen: man soll am Neujahrstag in jedem Schuh ein Nickelstück tragen 85 ), einen Laib Brot, einen Silberdollar und Salz auf den Tisch legen 86 ), gerade um Mitternacht einen Bottich mit Wasser auf den Hof stellen und einen Pfennig hineinwerfen 87 ), ja diese Magie wird sogar mit religiösem Gebet verquickt: um Mitternacht ein Stück Geld in der Hand halten und dann mit ihm in die Knie sinken und beten, so wird mans ganze Jahr Geld haben 88 ). 8 1 ) K . Th. P r e u ß Phallische Fruchtbarkeitsdämonen, in Arch. Anthrop. N. F. 1, I40f. 82 ) Ebd. 142. 83 ) Beatr. H a r r i s o n Prolegomena to the Greek Religion 52. 84) H y a t t a. a. O. 85 ) Ebd. 8621. 8«) Ebd. Nr. 10687. 8622. 8 ' ) Ebd. 8623. 88 ) Ebd. 8624. K. Beth.

übernatürlich ist ein polarer Begriff zu natürlich. N a t u r (s. d.) ist der Kosmos, wie er als in der Zeit Werdendes oder Gewordenes (im Gegensatz zum unwandelbar von sich aus Seienden, als Geschaffenes) im Gegensatz zum Ewigen (Ungeschaffenen, Ur-Wesenden), als Sinnliches (im Gegensatz zum Unsinnlichen oder Übersinnlichen), als Materielles (im Gegensatz zum Spirituellen), als Geformtes (im Gegensatz zum Chaos wie zum Formprinzip), als Physisches (im Gegensatz zum Metaphysischen), als nach Naturgesetzen mechanistischer oder organischer Art Ablaufendes, den Menschen umgibt und einschließt. Dies ist ein sehr komplexer und uneinheitlicher Begriff; man merkt bei näherer Prüfung, wie Menschen ganz ver-

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schiedener Geistesrichtung dieses Wortes sich in ihrem Sinne bedienten, d. h. in immer anderem Sinne, und doch blieb von jeder dieser Verwendungen ein Sediment zurück und beeinflußt nun das Resultat dieser. Das Wort U. bedeutet nun zunächst nichts anderes als nicht-natürlich, ein Begriff, der zunächst ohne konkreten Inhalt ist. Jede Geistesrichtung wird ihn darnach mit ihrem eigenen Inhalt erfüllen. Stets aber liegt darin, daß die Natur nur ein Bereich der Realität ist, neben dem ein anderes Bereich existiert, das ebenso reell ist, wie die Welt, ja, dem Realität in ganz besonderer Weise zukommt. Dieses Bereich manifestiert sich durch Vorfälle außergewöhnlicher A r t ; man spricht daher bei solchen Vorfällen, die sich nicht auf Mächte und Kräfte zurückführen zu lassen scheinen, wie sie bei den alltäglichen Vorfällen zugrundeliegen, von ü. 1 ). In diesem Sinne ist dann ü. analog den Begriffen „unerklärlich", rätselhaft, wunderbar, nicht normal kausiert, übersinnlich. Der moderne Mensch verwendet diesen Begriff auch manchmal in dem Sinne, daß er damit das GanzAndere, das Transzendente bezeichnet, dem seine Seele sich nur in dunkler Ahnung nähert. So erlebt der Mensch das Ü. manchmal auch im Bereiche des Moralischen ; in einem Augenblick der Einsichtnahme in die ü.e Welt erkennt er zugleich seine eigene Natur aufs schmerzlichste als in Sünden verstrickt und so ganz verschieden von dem Wesen der ü.n Welt, wie er es sich nie gedacht hätte, ehe sich ihm dieser Einblick eröffnete 2 ). So ist die ü.e Welt heute auch ein Bereich, an dem der natürliche Mensch keinen Anteil hat, einen Anteil nicht haben kann, bzw. auch nur in bestimmter Weise erstreben soll. l ) Fr. K i r c h n e r Wörterbuch d. philos. Grund2 ) E. M a t t i e s e n begriffe 467. D. jenseitige Mensch 15.

2. Der primitive Mensch lebt in der nie bezweifelten Überzeugung, daß neben „dieser" Welt der normalen Erfahrung, sie durchdringend und durchwirkend, es noch eine andere Welt gibt, die Welt der

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„Übernatur" oder der „Vornatur", die mythische Welt 3 ). Das ist eine Welt, in der es nicht unsere Zeitordnungen gibt, die große mythische Zeit der Primitiven ist „die Zeit einer Periode, wo es noch keine Zeit gab" 4 ). Es ist eine Welt, wo „jederzeit alles geschehen kann", eine Welt, der nicht die Attribute von Ordnung und Überordnung zukommen wie der natürlichen. Die Kräfte, die in der ü.en Welt der Primitiven herrschen, handeln jede für sich, unverbunden. Sie koexistieren einfach. Die niederen Mächte sind nicht den höheren untergeordnet, und alle zusammen nicht einer höchsten Macht. Es fehlt jedes organische Prinzip 5 ). Alles geschieht dort nach anderen Ablaufprinzipien. Ein wenige Tage altes Kind kann gehen, sprechen, seine Waffen verfertigen. Wo ein paar Blutstropfen des Kasuar in die Erde gedrungen sind, entspringt ein Fruchtbaum, der andern Tags schon Früchte trägt 6 ). Alle Gestalt ist wandelbar 7 ). Wer einen Dema-Stein (einen mit ü.er Kraft ausgestatteten Stein) besitzt, trägt ihn beständig in einem Beutelchen um den Hals, denn ließe man ihn unbedeckt, wüchsen ihm augenblicklich Füßchen und er würde entfliehen 8 ). In dieser Welt besitzt alles eine höhere Art von „Kraft" als der Durchschnittsmensch — und kraft dieser Macht werden hier die größeren Wirkungen erreicht. Diese ü.e Welt erscheint zugleich als eine Welt, in der sich eine ü.e Kraft oder mehrere solche Kräfte, gute und böse, wie auch eine Mehrzahl von Wesenheiten manifestiert. Diese alle zeigen sich in der natürlichen Welt. Sie wirken in sie hinein, sei es spontan, sei es auf Andringen eines Zauberers. Keineswegs wird je ein mythischer Mensch zugeben, daß diese Welt von geringerer Realität sei als die natürliche. Im Gegenteil: die natürliche Welt ist aus der ü.en heraus entstanden. Auf Ereignisse, die sich in dieser ü.en Welt abspielten, geht die Einrichtung der natürlichen Welt erst zurück. Wir grämen uns über die Abwesenheit unserer Lieben nur deshalb, weil in der mythischen Urzeit eine Schwester wegen des Ausbleibens ihres Bruders fast gestorben wäre 9 ). Menschen leben

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heute aaf Erden, weil in der Urzeit die altjirangamitjina sie erschufen und weil diese noch heute lebendigen großen Geister ihnen noch heute ihre Kraft schenken 10 ). Für den Primitiven besteht zwischen der Welt des Natürlichen und des Ü.en keineswegs ein prinzipieller Gegensatz. Für uns ist die Naturwelt ein Kosmos von fester und dauerhafter Struktur. Nicht so für den Primitiven. Wenn die ÜberNatur für ihn instabil ist, so ist das nur eine intensivere Instabilität als er sie auch der Natur zuerkennt. Ihm ist das Prinzip der Determination für natürliche Phänomene zwar bekannt. Doch hält er daran keineswegs mit solcher Entschlossenheit und Konsequenz fest wie der homo faber und der homo intellectualis 11 ). Wenn er auch das Ü.e vom Natürlichen scheidet, ist ihm dies mehr ein Gradunterschied als ein Wesensunterschied. Ihm ist das Ü.e räumlich, zeitlich und psychisch nah; fast alle Naturerscheinungen können Träger des Ü.en werden. Wenn ein Tier in die Hütte eindringt, wird man sich hüten, es zu töten. Ist die Schlange nicht der Geist des jüngst verstorbenen Verwandten, ist der Leopard nicht die Hülle für einen Geist oder Zauberer ? Eine der wichtigsten Aufgaben für den Menschen ist es, in konkreten Fällen ausfindig zu machen, ob es sich um ein wirkliches Tier oder die Verkörperung eines Geistes handelt. Letzteres ist so wahrscheinlich, daß beim Anblick jedes Tieres der Primitive zunächst letzteres vermuten wird. Denn von vornherein hat das Tier wahrscheinlich mehr Anteil am Ü.en als der Mensch, wenigstens in mancher Beziehung (s. T o t e m i s m u s ) ; freilich kommt dieser nicht allen Tieren in gleicher Weise zu. In Polynesien, wo die meisten Tiergattungen in irgendwelcher ü.er Beziehung stehen, unterscheidet man noch immer sehr wohl zwischen einzelnen Individuen dieser Gattungen, die nur ganz einfach natürliche Tiere sind, und anderen, die Medien oder Materialisationen des Ü.en sind. Daß man es mit einem Geist zu tun hat, merkt man daran, daß sich ein Tier nicht seiner Art entsprechend benimmt 12 ). Wenn also ein 40*

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Vogel, statt vor dem Menschen zu fliehen, wie es natürlich wäre, sich ihm furchtlos nähert, oder ohne offenbare Ursache mit einem Schrei über sein Haupt hinweg fliegt, so wird man glauben, daß er die Hülle eines Geistes ist. Wenn eine Eidechse glänzt, als hätte man ö l über sie ausgegossen, manifestiert sich in ihr das Ü. 13 ). Oft merkt man erst zu spät, daß man nicht eine gewöhnliche Frucht gegessen hat, sondern ein ü.es Wesen 14 ). So durchdringt sich für den Primitiven das Bereich beider Welten. Aber nicht nur im Ausnahmefall, nicht nur im Außergewöhnlichen, sondern beständig und gewissermaßen natürlicherweise. Der Mensch partizipiert an und für sich (ebenso wie das Tier) an beiden Welten, weil er (wie es) an der großen Lebenskraft an und für sich partizipiert. Daneben kann er dann noch im besonderen Träger von Ü.em sein, wie es etwa bei den Ewe unter den Tieren die Krokodile sind 15 ) oder bei den südafrikanischen Bergdama die Löwen16), im deutschen Aberglauben die Katzen und Spinnen; unter den Menschen gibt es besondere Völkerschaften oder Kasten (Geschlechter), denen man vorzugsweise magische Fähigkeiten zutraut; insbesondere die hervorragend begabten Individuen, Medizinmänner, Schamanen, Zauberer, Magier glaubt man im Besitz von Gaben, die der Durchschnittsmensch entbehrt 17 ), sei es weil die Geister ein für alle Mal in sie eingegangen sind 18 ), sei es weil sie die Gabe erwarben, sich nach Lust mit ihnen in Beziehung zu setzen. Aber auch die ganz natürlichen Tiere 19 ) ebenso wie der Durchschnittsmensch sind mit dem U.en in beständiger Beziehung, von ihm getragen. So ist die ü.e Welt eigentlich nur eine Erweiterung der natürlichen, gewissermaßen ihre andere Seite. Görres 2 0 ) spricht deshalb auch nicht von Natur und ÜberNatur, sondern von niederer und höherer Natur, D a c q u e 2 1 ) von äußerer und innerer. Der Magier, als der Mensch, der das Wirken der Natur von innen her zu beeinflussen versteht, so daß sie ohne Werkzeug und in der Art, als handelte sie von selbst, seinen Willen befolgt, das

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ist der Mensch, der von den Gesetzen und Beziehungen dieser inneren Natur Kenntnis hat, der an ihr Anteil hat, weil er sich ihr zum Opfer hingegeben hat. Denn nie kann man die Übernatur bezwingen oder mit ihr in Beziehung treten, es sei denn, man zahlte den Kaufpreis und gebe sich an sie hin. Diese Anschauung von der Welt des Ü.en und jenem nah-fernen Bereich, das in unserer Zeitlichkeit und in unserer Räumlichkeit drinn steht, ohne doch mit ihr identisch zu sein, beherrscht auch das deutsche Märchen und den deutschen Aberglauben. Die Welt des Märchens ist eine solche, wo alles möglich ist, wo die Verwandlung der Gestalten (s. Verwandlung) zum Alltäglichsten gehört, wo der Mensch seine Gestalt wie ein Kleid ablegt und wieder anlegt, wo jedes Begebnis mit ü.er Bedeutung geschwängert ist, wo die Macht der Feen und Geister keine Beschränkung kennt, wo andererseits aber auch der Mensch an allem Wunderbaren partizipiert, zumal, wenn er durch irgendeine Aktion (Bund mit dem Teufel, mit den Heiligen, Leisten oder Entgegennehmen von Diensten, durch bloße innere Bereitschaft) dazu prädisponiert erscheint. Auch hier ist nicht jeder in gleicher Weise begabt; die Art, wie einer in diese Welt so intensiv eintritt, daß er dort gewissermaßen aktiv werden kann, bedingt meist eine Vorbereitung längerer oder kürzerer Dauer oder eine solche Vorbereitung ersetzende einmalige große Tat, wenn nicht durch Vererbung oder Einweihung ihm schon die Gabe verliehen ist. Sonst bleibt er nur passiv Spielball und Gegenstand dieser Mächte. Auch hier im deutschen Aberglauben unterscheidet man den Glauben an die „Macht" und an die Träger und Handhaber der Macht, an die Geister und Feen (vgl. den Art. Präanimismus). Am auffälligsten ist, daß man sich der N ä h e dieses Ü.en stets so intensiv bewußt bleibt, bis in unsere Tage hinein. Jeder Vogel kann ein Omen sein, jede unbedachtsame Handlung (Hinwegschreiten über ein spielendes Kleinkind) die Mächte entfesseln. Diese Geisteshaltung unterscheidet sich damit fundamental von allem

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Determinismus und bis zu einem gewissen Grade von allem Mechanismus in der Weltanschauung; aber sie unterscheidet sich noch grundsätzlicher von der spirituellen Geisteshaltung der transzendenten Erlösungsreligionen, so weit sich diese auf den Urgrund der W e l t beziehen, auf die Esoterik der Religion. Deshalb versteht man auch, d a ß sich im Ä g y p t e r t u m , im Griechentum, im Hellenismus die m y thische Weltanschauung neben der monotheistischen Richtung erhalten konnten; die Welt des U.en ist nicht die höchste, erst hinter ihr, dem profanen Geiste unerreichbar, erhebt sich die Welt des Göttlichen. Dies war ein Problem, mit dem besonders die Gnosis rang; die W e l t der Geister, Dämonen und populären Götter, zu denen viele ihrer Richtungen auch den Judengott Jahweh zählten, war nur die Welt des Ü . e n ; wer die Erlösung finden wollte, mußte durch sie durchstoßen und dann konnte er erst in die Welt des wahren Guten gelangen. Diese W e l t des Ü.en schloß wie ein Dach den erlösungsbedürftigen Menschen von dem Schatz des wahren Heiles ab. U n d nur in Verkleidung konnte der Erlöser diesen Ringwall um die Erde durchstoßen. Diese W e l t des Ü.en ist Urheber der Psyche des Menschen: aus dem Schweiße der „ A r c h o n t e n " ist seine Seele gemacht. Deshalb ist der Durchschnittsmensch hylisch (er hat an der Materie Anteil), psychisch (er hat Anteil an der dämonischen Über-Natur), pneumatisch aber kann er nur durch ein Wunder (etwa in mysterischer Weihe) und durch die Uberwindung dieser ÜberNatur werden. Die Geburt und die darauffolgenden Riten der A u f n a h m e in die menschliche Gemeinschaft lösen das K i n d (s. d.) teilweise aus der ü.en Gemeinschaft, dem es als ungeborener Geist angehörte. Dann folgt im Laufe seines Lebens bei den Primitiven eine immer intensivere Rückeroberung jener Welt •— der Mensch wird sich bewußt, daß er Bürger zweier Welten ist und in beiden Machtbefugnis hat. Der dritte Schritt, den die Religionsgeschichte kennt, führt den Menschen dann erst in das Reich des Ganz-Anderen, in das Reich des Geistes.

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3) primitive L . L é v y - B r u h l La Mentalité 4 o f . 74. 80. 223 et pass. 4 ) a. a. O. 5 ; A . P . E l k i n The secret life of the Australian aborigines, 6) L é v y - B r u h l Oceania I I I 1 3 5 ! a. a. O. 3. 6) P . W i r z Die Marind-anim von holländisch Süd-Neu-Guinea I I 70. ' ) L é v y - B r u h l a. a. O. 37. 301. 8 ) P . W i r z a. a. O. I I 178. ») L é v y B r u h l a. a. O. 174. 1 0 ) E b d . 29. " ) E b d . 223. 12) R . F i r t h Totemism in Polynesia, Oceania I 305f. ; Th. Koch-Grünberg Vom Ro13) roima zum Oriniko III 1870. R. F i r t h 14) V . L e b z e l t e r a. a. O. 318. Eingeborenenkulturen in Süd-Westund Süd-Afrika (1934) 16) A. B. E l l i s 167. The ewe-speaking peoples 7 3 f . " ) E b d . 6. « ) L . L é v y - B r u h l Le Surnaturel et la nature dans la mentalité primitive, ch. V I , 1 6 5 — 2 1 8 . l e ) P . W i r z a . a . O . I V 41. 1 9 ) R . S. R a t t r a y The african child in proverb, folklore and fact, A f r i c a I V 469 (1933). 2 0 ) G ö r r e s Die christliche Mystik I I . pass. 2 1 ) E d g a r D a c q u é Natur und Seele.

3. E s liegt dem Primitiven ferne, die Geisterwelt nach moralischen Grundsätzen z u beurteilen. Selbstverständlich unterscheidet er schon zwischen legitimem und illegitimem Zauber, zwischen Zauber zu erlaubten Zwecken (Fruchtbarkeits-, Heilungs-Zauber u. ä.) und Zauber zu verbotenen Zwecken (Tötungszauber). Andererseits ist der Tötungszauber von Seiten der berechtigten Medizinmänner und im Stammesauftrag erlaubt 2 2 ). Jedenfalls aber liegt der Unterschied in der Zwecksetzung und dem freien Willen des Magiers, nicht in der A r t der Mächte und K r ä f t e , mit denen er es z u tun hat. Erst eine viele höhere Entwicklungsstufe scheidet innerhalb des Bezirkes des Ü.en zwischen Rein und Unrein, Heilig und Besessen, Göttlich und Teuflich. Diese Scheidung ist eine so späte und oberflächliche, daß noch das A l t e Testament dasselbe W o r t für die beiden, sachlich freilich schon streng unterschiedenen Gebiete, verwendet; der Obergedanke ist dabei, daß es den Gedanken der gemeinsamen Zugehörigkeit beider zum Ü.en und damit den Gegensatz beider zu dem Profanen oder Säkularisierten hervorhebt. Dies enge Ineinander von Göttlich und Teuflisch erklärt viele Wendungen in der Religionsgeschichte 2 3 ). Bestände dieser Zweifel nicht stets in der Volksseele, daß sie sich zwar klar ist, es mit ü.en Mächten zu tun z u haben, niemals aber ganz sicher ist, ob mit guten oder bösen, mit wohlwollenden oder feindlichen, mit Gott oder

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dem Teufel, daß keine Gestalt dauernd ist und keine Eigenschaft mit Sicherheit als echt angesprochen werden kann, so wäre weder den Kirchenvätern möglich gewesen, die alten Götter des Heidentums einfach in Dämonen umzudeuten, noch die unzähligen Berichte des Hexenglaubens, daß man den Teufel für einen Engel des Lichts gehalten habe und nur zu spät aufgeklärt worden sei, daß man es mit dem Teufel der Lüge zu tun habe. Wieder ist es eine Wendung ins GanzAndere, wenn den Hochgöttern und den Göttern des Monotheismus nachgerühmt wird, daß sie beständig, treu, zuverlässig, unwandelbar, festen Gesetzen nachwirkend, feste Gesetze fordernd, ihren Bund ohne List oder Betrug einhaltend sind. Freilich „hat auch die Hölle ihre Gesetze". Moralische Gesetze aber nur insofern und (religionsgeschichtlich betrachtet) nur insoweit, als das Ü.e einem größeren Kosmos unter- und eingeordnet erscheint, als die oben geschilderte primitive Anschauung nicht mehr allein herrscht. Jene Gesetzlichkeit, welche auch der Primitive kennt, ist die Gesetzlichkeit der Macht oder der Kontingenz, der Partizipation, keine psychologische oder moralische Gesetzlichkeit. 2 3 ) B e t h Religion 301 fi.

und Magie2

373f.

23 )

Ebd.

4. Schon auf primitiver Stufe war man sich bewußt, daß man der ü.en Welt nur dann recht bewußt wird, wenn man sich in einen abnormalen Bewußtseinszustand versetzt. Dieser Bewußtseinszustand wurde als menschlich, d. h. als innerhalb der Reichbreite eines besonders begabten menschlichen Bewußtseins gelegen betrachtet. Aber doch galt es durch besondere Mittel eine besondere Reaktionsart hervorzurufen, um die richtige Partizipation zu erreichen. Besonders galt die E k s t a s e , durch welche Mittel auch herbeigeführt, als ein Weg, mit den Mächten in Verbindung zu treten und den Enthusiasmus, die Vergottung, herbeizuführen. Auf der andern Seite freilich kam diese Vergottung ganz zufällig. Ein Primitiver erzählt, wie er in der Wildnis

1260

eine Kokosnuß geöffnet und ihren Saft getrunken hatte, und bei dieser Gelegenheit sei er inne geworden, wie der Geist der Kokosnüsse in ihn eingegangen sei und in ihm Quartier genommen habe 24 ). Deshalb ist der Unterschied zwischen Begeisterung und Besessenheit, zwischen dem Wissen um die Methode, den Weg zu den Ü.en zu finden, und dem beständigen Kontakt mit den Ü.en, bzw. dem Ü.-Sein nur ein gradueller. Und daher rechnet das Volk auch den im dauernden Ausnahmezustand seienden Wahnsinnigen unter die Heiligen, während der Prophet sich in den Ausnahms-Zustand versetzt. Alle diese Grenzen sind fließend. Man kann nur mit dem deutschen Märchen nicht genug stark betonen, daß, wenn man auch nur mit Fingerspitze an diesen Bereich tippt, der Finger dauernd golden wird. Das Ü.e steckt an. „Die wahre Magie liegt in den geheimsten innersten Kräften des Geistes; unsere Geistesnatur ist uns aber noch nicht enthüllt; alle Wunder der Geister lösen sich am Ende nur im Wunder nnseres eigenen Geistes" 2 5 ) schreibt ein moderner Magier. 24 ) L e v y - B r u h l a . a . O . pass. 2 5 ) J. E n n e m o s e r Geschichte d. Magie (1844) X X V I I .

3. Es gibt d r e i W e g e , sich dem Reich des Ü.en zu nahen, den Weg der M y s t i k , den Weg der M a g i e und den W e g des Ritus. Alle drei berühren sich aufs engste. Es wird auch kaum je ein Mensch den Weg der Magie beschritten haben, ohne sich mit Mystik und Ritus zu beschäftigen. Der Weg der Mystik ist das Innewerden und Ausgestalten der Partizipation durch eine Vertiefung in das Wesen des Ü.en in Selbsthingabe und Preisgabe des Ich, dessen enger Bereich durch die angewendeten Mittel zersprengt werden soll. Ritus ist der hingebende Dienst an ein Ü.es, ohne Rücksicht darauf, ob eine Partizipation erreicht werden soll. Ritus erfolgt oft ohne Rücksicht auf die erwartete Unio ja dort, wo man Partizipation für unmöglich hält. Ritus hat oft magischen Charakter. Wenn die ägyptischen Priester die Sonne auf ihrem Nachtlauf begleiten und durch ihre Riten gegen die Mächte der Finsternis stärken,

I2ÖI

überschreiten—Überschwemmung

SO ist dies offenbare Magie — und nicht einmal ganz selbstlose — aber als kosmische Magie von dem unterschieden, was man im allgemeinen unter dem Wort Magie versteht. Fast nie aber kommt eine magische oder zauberische Handlung ohne irgendeine Art von Ritus oder Mystik zustande. Denn sie setzt immer eine Partizipation des Zaubernden voraus. Dacque will allerdings zwischen Magie und Zaubereien, die er die (entseelte und mechanisierte) Physik der Magie nennt, einen Unterschied machen. Aber es ist immer nur ein Gradunterschied. Im Grunde hängen die drei Wege aufs engste zusammen. Der Ritus gibt sich hin und befolgt die Regel, den Auftrag des Ü.en, in der Hoffnung, daß einmal, aus freien Gnaden, er vor dem Wesen, dem der Ritus gilt, wohlgefällig erscheinen wird, daß es, wenn man ihm tut, was es liebt, sich auch dem Opfernden neigen wird. Der Mystiker sucht der Nähe des Ü.en inne zu werden, sucht sich ihm so anzupassen, daß die Partizipation enger und bewußter werden kann, indem die Wesensunterschiede geringer werden. Der Magier sucht, da er sich der Partizipation bewußt ist, diese zur Erreichung seiner Zwecke zu verwenden. Als „ H e x e " oder „Zauberer" im engeren Sinn ist der Magier dann anzusprechen, wenn er seine Partizipation mit dem Ü.en zu niedrigen Zwekken verwendet (vom menschlich moralischen Standpunkt aus betrachtet) oder wenn er die Partizipation mit dem Ü.en überhaupt nur um des Machtgewinnes willen gesucht und aufrecht erhalten hat. Deshalb droht jedem Bund mit dem Ü.en Gefahr, wenn der Mensch ihn damit beginnt, daß er sich von dem Ü.en etwas schenken oder versprechen läßt (Rumpelstilzchen), während er gefahrlos sich von ihnen dienen lassen kann, wenn sie sich ihm freiwillig nahen, oder Geschenke annehmen darf, mit denen sie seine ohne Absicht auf Lohn geschehene Leistung vergelten. K. Beth. überschreiten s . s c h r e i t e n ü b e r (Nachtrag). Überschwemmung ist oft die S t r a f e für Gottlosigkeit *) wie die Sintflut (s. d.).

I2Ö2

Christus wurde von einem hartherzigen Bauer, als er um Speise und Trank bat, abgewiesen; er ging fort und weinte, die Tränen bildeten einen Strom, der die Felder des Gotteslästerers überschwemmte; so ist der Kälterer See inTirol entstanden 2 ). Ebenso wird Windischmatrei in Tirol oft überschwemmt, weil der ewige Schuster dort keine Herberge f a n d 3 ) . Die Nisselburger 4 ) verspotteten den wilden Mann, der grub einen See aus, dessen Fluten die Stadt vernichteten (s. a. See). Die angeschwollene Flut ist e i n r e i ß e n d e s T i e r , was in einigen Sagen deutlich durchblickt: im Beichental im Elsaß kam bei einer durch Wolkenbruch veranlaßten Ü. ein großer Drache auf dem Wasser angeschwommen, der nur mit Mühe getötet werden k o n n t e 5 ) ; in Oberdeutschland weilen in manchen Bergen Drachen, deren Hervorbrechen den Beginn einer großen Wasserflut bezeichnet 6 ). Auf dem heranbrausenden Wasser sitzen, wie auf der Lawine (s. d.), D ä m o n e n , die die Ü. verursachen; in der Schweiz reiten Hexen auf einem B a u m s t a m m 7 ) oder auf den Wellen sitzend 8 ) bachab; wenn die Emme anschwillt, kommt ein grünes Männlein auf einer riesenhaften Schlange den Bach herabgeritten; es schwingt einen Stab in der Luft, aus dessen Schwingungen man ersehen kann, ob die Emme Schaden anrichtet oder n i c h t 9 ) ; im Schwyzer Wäggitale reitet das Muothiseel, ein wilder Sturmgeist, auf einem Drachen den plötzlich hervorbrechenden Waldwassern vom Gebirge herab voran 10 ); anderswo läuft vor der Ü. ein Männlein im Flußbett daher, das mit seinem Stock rechts und links ans Ufer schlägt u ) , oder es sitzt, seinen Hut rechts und links schwenkend, auf einem großen Block, der dem Geschiebe vorauseilt 1 2 ); in Böhmen reitet der Wassermann auf einem halben Bock den Bach hinunter 1 3 ). Der „Haalgeist" in Schwäbisch-Hall warnt vor der Ü., indem er drei bis vier Tage vorher mit seiner Laterne vom Kocher her auf die Stadt zuschreitet und beständig laut ruft: „ R ä u m t aus, räumt aus" w ) . Megenberg berichtet in seinem Buch der Natur (416) von einem großen Meer, in dem sich eine

übertragen—Uhi, upuli

1263

stille Quelle befindet; bläst man in der Nähe auf Schalmeien oder Posaunen, so überströmt das Wasser die Ufer. Das Gleiche tut ein See in der Schweiz, wenn ihm dreimal zugerufen w i r d 1 5 ) . Wenn im März Nebel fällt, folgt hundert Tage nachher eine große Wasserflut 1 6 ). Gargantua veranlaßt eine Ü. durch P i s s e n 1 7 ) , ebenso die Tochter des Riesen Geirröd in der Jüngeren E d d a 1 8 ) , als Thor den Wimurfluß durchwatet. Von vielen Seen ist prophezeit, daß sie dereinst ausbrechen und die Ortschaften in der Nähe vernichten werden (s. See). Um Ü.en zu v e r h ü t e n , finden Prozessionen s t a t t 1 9 ) , den Flüssen werden Opfer 2 0 ) gebracht (s. a. Fluß). In Ordelbach bei Eichstädt gießen die Nonnen Walburgisöl ins Wasser, um das Land vor Ü. zu schützen 2 1 ). T r ä u m e von Hochwasser deuten auf Krankheit 2 2 ) oder Todesfall 2 3 ). J ) Grimm Myth. 1, 481; Graber Kärnten 262 ff.; Usener Sintflut 246 f. 2 ) Zingerle

Sagen,

Märchen

u. Gebräuche aus Tirol

(1859)

Nr. 457 B. 3 ) Heyl Tirol 680 Nr. 158. *) Ebd. s ) S t ö b e r Elsaß 1, 50 Nr. 71. 343 Nr. 15.

M a n n h a r d t Germ. Mythen 82 Nr. 2. ' ) L ü t o l f Sagen 40 f . ; M ü l l e r Urner Sagen 1, 1 2 7 6)

Nr. 177. 8 ) L ü t o l f a. a. O. 2 8 0 ! ; Müller a. a. O. 128. •) V e r n a l e k e n Alpensagen 780. Nr. 62. 63. 10 ) Rochholz Sagen 2,13. l l ) V e r n a l e k e n a. a. O. 37. 12 ) J e g e r l e h n e r Sagen 13 ) K ü h n a u Sagen 2, 354. 2, 220 Nr. 139. 14 ) Meier Schwaben 1, 95 f. 15 ) L ü t o l f a. a. O. 1B) Grimm a. a. O. 3, 444 Nr. 318. 277. 17 ) S e b i l l o t Folk-Lore 4, 459. 1S ) Thüle 20, 152. 19 ) Grohmann 74 Nr. 531. 2°) S 6 b i l l o t a. a. O. 2, 336 ff. 21 ) Quitzmann Baiwaren 168. 22 ) ZfVk. 4 (1894), 85. 23 ) ZfrwVk. 4 (1907), 272. Hünnerkopf. übertragen s. Nachtrag. Übertragungstheorie g e d a n k e 2, 766ff.

s. E l e m e n t a r -

überzählig s. Zahlen A. Uckelei m., W e i ß f i s c h , A l b e l e u. v . a. 1 ) (Alburnus lucidus). In einem Neustettiner Zauberbuch steht der Segen: Die Okelei und die Schule (Scholle?) Gehn beide zur Misbule; Die Okelei stand, Die Misbule verschwand, f t t 2)A . Treichel sieht in der „Okelei" nicht einen Fisch, sondern die Krankheit „ U k lei" (Reißen oder Blattern am F u ß ) 3 ) ,

1264

was um so zweifelhafter, als im Mnd. die Form Schulle für Scholle belegt ist. !) Brehm 3, 190. 2 ) BIPommVk. 5, 128. 3 ) Ebd. 155. f Hoffmann-Krayer. Uhi upuli, Zauberworte, die mit dem fließenden Blut zur Stillung des Nasenblutens dem Patienten auf die Stirn geschrieben werden 1 ), auch in der Form: u P u L u 2 ) O I P U L K 3 ) und O I P U L U 4 ) . Der Straßburger Arzt von Linderen s ) berichtet: „Sonsten eine lächerliche Cur das Bluten zu stillen, habe offtermahlen von einem Landfahrer gesehen, so cum exoptato successu das Bluten gestillet, blos mit des Patienten eigenem ausfließenden Blut, dieses Wort mit großen Buchstaben an die Stirn O P V L V S , schreibende, woher aber diese Würkung entstanden, lasse ich curiose Gemüther darüber ihre Gedanken fassen". J ü d i s c h 6 ) : „Schreib einem Mann k'tek, einer F r a u n^nax auf die Stirn", „Oder schreibe auf seine (des Blutenden) Stirn nb^lK oder nach andern l^ 1 ?''? (vgl. Ps. 77) oder nach einer dritten Ansicht n s ^ x " 7). Der kurpfälz. Arzt Bäumler gibt folgende Mitteilung über den Gebrauch des Wortes bei Nasenbluten 8 ): „ E s pflegen auch etliche folgende Buchstaben: O. I. P. U. L . U. mit einem Stroh-Halm ins Patienten Blut eingetunckt auf die Stirn zu schmieren, das Bluten dadurch zu stillen, worauf sonderlich Agricola und Cardilucius viel halten, hat auch würcklich bey vielen die Prob erwiesen: Ich halte aber davor, und ist auch der Vernunfftgemäß, daß der Effect nicht von den Buchstaben, sondern des Patienten starker Imagination herrühre, als wodurch die Natur von ihrem Irrweg abgerissen und auf diese curieuse Stirnschrifft zu gedencken veranlast wird". 1 )Musäus Mecklenburg 103 Nr. 6; Bartsch Mecklenburg

2, 3 7 2 ; Z d V f V k . 7 (1897), 2 9 1 .

3 ) Hovorka u. Urquell 2 (1891), 177. K r o n f e l d 2, 370. *) Urquell 3 (1892), 199 nach Thurneisser; H. Schelenz Geschichte d. Pharmazie (1904), 260 nach J. N. Martius 2)

Magia naturalis

(1751).

6)

Fr. Balthasar v o n

Linderen Medic. Passe-Par-tout (Straßburg *739) 61; S e y f a r t h Sachsen 173; Ohrt Trylleforsch. 2, 118. 6 ) MjdVk. N. R. 1906, 1 1 6 Nr. 74. ') a. a. O. 1 1 6 Nr. 7 1 . e ) G. S. B ä u m l e r s Mitleidiger

Arzt (Straßburg 1736)»

140; Joh. Agricola schrieb eine Wundarznei

I2Ö5

Uhr

CNürnberg 1643), Cardiiucius die neu aufgerichtete Stadt- und Landapotheke (Nürnberg 1677 u 1684), ferner Magnalia medico-chemica (ebda. 1676), Königl. chym. u. arzn. Palast (ebda. 1684). Jacoby.

Uhr. 1. Die Uhr (aus hora, ö > ü) erscheint heut durchgängig als der normale Zeitmesser. Das ist ein Fortschritt aus einem Stadium, das heut nur noch in einigen verblassenden Resten nachklingt. Der Bauer hatte ehemals andere Merkzeichen, an denen er die Zeit und ihr Fortrücken bestimmte. So ward der Anbruch des Morgens durch den Hahnenschrei bezeichnet1); wenn der Hahn kräht, ist die Zeit der nächtlichen Wesen, des Teufels 2 ) wie der Wiedergänger3) aus. Der erste Strahl der Morgensonne setzt dem Treiben der Trolle ein Ende 4 ). Wenn heut in vielen Sagen die „Geisterstunde" als „Stunde" definiert wird, wenn sie auf die Zeit von 12 bis i 5 ) oder auf die zwölfte Stunde6) begrenzt wird, so setzt das die Kenntnis der üblichen Zeitmessung durch irgendeine U. voraus, ist also als verhältnismäßig jung anzusprechen. Dasselbe wird für die Zeitbestimmung in ostdeutsch-slavischen Sagen zu gelten haben, wenn in ihnen die Zeit des Umwandeins der Mittagsfrau, der Przepolnica auf die Stunde von 12 bis 1 U. mittags begrenzt wird 7 ). Ursprünglich war die Zeit der daemones meridiani wohl nur ein ungefähr bestimmter Zeitabschnitt: die Zeit der dem ländlichen Arbeiter gegönnten Ruhe 8 ). Dasselbe scheint mir für den Schluß der Arbeit am Abend zu gelten; es ist Feierabend, wenn die Sonne untergeht, und wer diese Zeit überschreitet, fällt den Wesen des Dunkels in die Hände9). Daneben treten festere Bestimmungen hervor. Es ist für die Mäher im Hirschberger Tal des Riesengebirges Mittag, wenn die Sonne über dem Mittagstein steht, Abend, wenn sie (freilich nur in den Tagen um Johanni) über der Abendburg untergeht10). Ob der deutsche Bauer die Methode der Schattenmessung kannte, um nach ihr die Mittagsstunde zu bestimmen, weiß ich nicht, scheint mir aber sehr zweifel-

1266

haft, — wie ich auch der Meinung bin, daß die häufig vorgetragene Hypothese, man habe in priesterlichen Kreisen des alten Germaniens raffiniert ausgeklügelte Methoden der Jahresmessung über Erdmarken (Teudt), Steinsetzungen (vgl. Stonehenge), gekannt, bislang wirklicher Beweise entbehrt. Eine Messung nach Sternorten mag früher unter den Bauern in einfachster Art geläufig gewesen sein; noch meine Großmutter konnte aus dem Stand des Sternbildes „Großer Wagen" die ungefähre Nachtzeit schätzen; — heut ist das Wissen darum wohl verschwunden. Im Kinderspiel, sei anhangsweise noch erwähnt, blasen die Kinder einmal über den Fruchtstand eines abgeblühten Leontodon taraxacum, und soviel Löcher sich auf dem Fruchtboden danach zeigen, soviel ist die U. 1 1 ). L a u f f e r Der Uchtvogel, in FestschriftBorchling 1 9 3 3 ; T r e i c h e l in: Urquell N. F . 2, 183. 2 ) Vgl. etwa P e u c k e r t Schlesien 2 5 g f . 3 ) Vgl. P e u c k e r t Schlesien 138. 4 ) H a r t m a n n . 6 Trollvor Stellungen 1936, 68. ) Peuckert Schlesien 124 i 2 4 f . I 3 8 f . 152. 6 ) Ebd. 136. e 9 ' ) Ebd. 2oof. ) Ebd. 200. ) Ebd. 1 2 3 I I99f. 10 201. ) Vgl. die „Felsuhren" im Berninatal: H. B o c k Die Uhr 1 9 1 7 2 (ANuG 216), 9. " ) Urquell N. F . 2, 183.

2. Die Fixierung bestimmter Zeitpunkte im Tageslauf ist dem Bauern wohl zunächst durch die Kirche gewiesen worden. Noch heut gilt das Mittag-, Feierabend-Angelus-12) Läuten als Zeitmarke, und das klingt auch in den Sagen noch nach: Einem Bauern, der unter der Burg Schnallenstein nach dem Abendgeläute sein Kleeheu weiter zusammenrechte, rief eine jenseitige Stimme „Feierabend"' so laut zu, daß man es bis im Ort hörte 13 ). — Für Priester und Ordensleute war ja das Festlegen der Stunden um ihrer geistlichen Pflichten willen eine viel stärkere Notwendigkeit als für den Bauern, und aus der Kirche, dem Kloster werden auch die ersten genauen Zeitmesser, Sonnen-14), Wasser- und Sand-U.n gekommen sein, die man aus der antiken Welt übernahm 15 ). Schon die übliche lateinische Umschrift vieler Sonnen-U.n weist darauf hin (s. u.). Die Räderuhren hat angeblich Papst Sylvester II. 996 erfunden; Schlaguhren mit Räderwerk treten in

1267 Klöstern seit dem 12. Jh. auf 16 ), im bürgerlichen Leben seit 1363 17 ); die Taschenu.en seit etwa 1500/151018). Die Ausbreitung der Wand- und Hausuhren scheint erst im 18. Jh. vor sich zu gehen, "wie Braunschweiger Beobachtungen lehren 18 ). 1 2 ) Durch obrigkeitliche Verordnung Anfang •d. 14. Jh.s in Deutschland eingeführt: R ü h l 13) bei H o o p s Reallex. 4, 305. Peuckert Schlesien 201. 1 4 ) II. Reg. 20, 9 — 1 1 ; B o c k Uhr 9. 1 5 ) B o c k Uhr 9; R ü h l bei H o o p s Reallex. 4, 372. 1 6 ) R ü h l in H o o p s Reallex. 4, 372; B o c k Uhr 22. " ) R ü h l 4, 305; F. F u h s e Handwerksaltertümer 1935, 234 nennt 1352. 1 8 ) F u h s e Handwerksaltertümer 234.

3. U. und L e b e n s z e i t . Aus den soeben •erwähnten Inschriften klingt ein Gedanke in immer neuen Wendungen wieder auf: una ex hiesce morieris19), Ultima Jiecat, oder: vulnerant omnes, ultima ne•cat20), Ultima latet 21 ) usw. Solche Gedankengänge mögen der asketischen Atmosphäre eines Klosters nicht fern liegen, — ich möchte aber glauben, daß die ursprüngliche Gleichung ,,U." und Lebensdauer" nicht mit der Sonnenu. .zusammenhängt; die Symbolkraft des den Schattenstab umgebenden Halbrunds oder Dreiviertelrunds erscheint mir zu wenig zwingend; auch entbehrte das Altertum, so weit ich sehe, dieses Bild. Hingegen bietet die Tatsache des Ablaufs des ungehemmt rinnenden Sandes in der Sandu. eine viel stärkere Möglichkeit zum Vergleich mit dem Verrinnen des Lebens, — ein Vergleich, der sich ähnlich in dem sich ständig verzehrenden Holzbrand des Meleager, dem LebensLicht bietet. Ich glaube, daß wir deshalb die Bezüge auf Tod, Sterben, Ablauf des Lebens, die an der U. haften, zuerst bei der Sandu. finden werden, mit welcher ja auch seit dem MA. der Tod ausgerüstet erscheint, und die noch in Schillers „Teil" bedeutend nachklingt 22 ). Erst nach solcher Zusammenordnung der Bilder „Lebenslauf" und „ U . " mag die Beziehung weiter gegriffen haben; sie läßt bei der Wandu., die durch Gewichte betrieben wird, das Bild vom „Ablaufen", noch Verwendung finden223), ist aber sonst gezwungen, das Motiv neu zu formen; so

Uhr

1268

führt die Anordnung der Ziffern im Dreiviertelkreis bei der Sonnenu. wie die im Kreis bei der späteren Wandu. dazu, das Bild von der einen, ungewußten, die die Sterbestunde sein wird, zu prägen23). Das Ticken der Wand- oder Taschenu. führt zum Vergleich mit dem Herzen und seinem uhrwerkähnlichem Schlagen, ein Bild, das durch die von Löwe vertonte Ballade in weiten Kreisen der bürgerlichen Welt Eingang fand. An den Stundenschlag der Haus- und Turmuhren endlich knüpft eine reiche, auf den Tod bezügliche, Geräusch-Wahrsagung (s. auch d.). 1 9 ) Detlev v. L i l i e n c r o n Ges. Werke 2 (1911), 265. 20 ) Rieh. Z o o z m a n n Zitaten- und Sentenzenschatz d. Weltliteratur 1911, 1470. 2 1 ) C. F . M e y e r Huttens letzte Tage V I I . 22 ) Wilh. Teil I V 3. 2 2 a ) ZfdMyth. 3, 174: (Böhmen) In dem Augenblick, da die Seele sich vom Leibe löst, 23 ) Vgl. hört man eine U. schlagen. Zoozm a n n 1470: Umschrift einer Standuhr: Sieh an die U. und sag mir an, zu welcher Stund man nicht sterben kann.

4. U. symbolisiert des M e n s c h e n L e ben. I. Der Gedanke tritt am deutlichsten in dem Glaubenssatz hervor, daß die U. beim Tode ihres Besitzers stehen bleibe 24 ); das Leben des Menschen und das der U. läuft parallel. Gewöhnlicher ist die Annahme, daß die Hausuhr in der Sterbestunde oder -Sekunde stehen bleibe26), bei deren Nahen langsamer gehe 25a ). Hier ist nicht klar ausgesprochen, daß es sich um den Tod des Hausherrn, also des Besitzers handelt, doch läßt sich das aus mehreren Umständen erschließen, — so wenn der U. wie dem Vieh der Tod angesagt wird 26 ), was gemeinhin nur beim Tode des Hausherrn geschieht. Von der U. fürchtet man in Lothringen, sie bleibe sonst, wenn der Tote der Hausherr war, stehen 27 ), in Schlesien28) und Frankreich29) allgemeiner, sie gehe sonst nicht mehr richtig. Die alte Schmidten in Haasel (Vorgebirge des schles. Riesengebirges) bemerkt: man hat eigentlich nie gehört, daß die U. stehen bleibe, wenn's Weib stirbt; aber wenn Er stirbt, steht sie immer (mündl.). Ich sehe in diesem Gedanken auch den ersten Anlaß, die U. bei Eintritt eines Todesfalles anzuhalten30). Man sagt dafür als Grund,

12Ö9

Uhr

die Lebensu. sei abgelaufen 3 1 ), im fränkischen Niederhessen: das Herz der Familie habe aufgehört zu schlagen 32 ), ö f t e r ist es eine Vorschrift, sie anzuhalten, wenn ein Mensch im Sterben liegt 33 ), er könne sonst nicht sterben 34 ); man glaubt im Braunschweigischen, daß er so leichter sterbe 35 ); ganz offensichtlich gehört das auch in den soeben aufgewiesenen Gedankengang. Ebenso meint man, daß jemand erst sterben könne, wenn der Perpendickel angehalten würde 36 ). An eine ähnliche Beziehung wird man glauben dürfen, wenn es heißt, daß die Fabriku. beim Tode des Mannes, der sie zu stellen hatte, stehen blieb; es war eben ,.seine" Uhr 3 7 ). Fragen Todkranke nach der U. und nennen eine Stunde, so sterben sie in dieser 38 ); es hat eine Fixierung der Stunde stattgehabt. Die Zahl der Schläge symbolisiert die Zahl der noch ausstehenden Lebensjahre. "Wenn die U. in Pr. Holland (Ostpreußen) während der Trauung schlägt, lebt das junge Paar so viel Jahre zusammen, als die U. Schläge tat 3 9 ), dagegen muß in Thüringen das Paar nach der Trauung vor Schlag 12 U. in der Wohnung sein, sonst bedeutet es nichts Gutes 40 ). II. Der Gedanke, daß die Hausu. das Leben des Hausherrn symbolisiere, hat «ine Erweiterung erfahren; ihr Gehen oder Stillestehen betrifft dann a l l e Mitglieder des Hauses. Das geht recht deutlich aus piemont. seber „Haushund", enggd. zepra, zepla „ A a s " 3 ). W ä h r e n d heute unter dem W o r t e , , U n geziefer" wohl nur parasitische Insekten verstanden werden, u m f a ß t e es in früherer Zeit auch R a t t e n , Mäuse, N a t t e r n , K r ö t e n , Würmer. I m F r a n z . u n d E n g l , entsprechen dem W o r t e vermine, b z w . vermin eigentlich „ G e w ü r m " . U b e r zahlreiche indogerm. Gleichungen für U . aller A r t vgl. S c h r ä d e r 4 ) . x) W e i g a n d - H i r t DWb. 2, 1 1 1 7 ; S i m r o c k Myth. 510. 2 ) G r i m m M y r t . i , 33. 3 ) M e y e r L ü b k e REWb. No. 8726. 4 ) Sprachvergleichung 2, i s o f .

2. E n t s t e h u n g . U . wird v o n H e x e n erzeugt u n d a u s g e s a n d t 5 ) . B e i den Tscheroki-Indianern k a m das U . aus einem T o p f , der v o n einem Manne im Zorne umgestoßen wurde, so daß der Deckel herabfiel 6 ). N a c h einer sizialianischen Sage w a r die L a u s schon in der Arche Noahs v o r h a n d e n ' ) . U . gedeiht, wenn F r a u e n sich Freitags k ä m m e n 8 ) oder Wöchnerinnen an einem Brunnen Wasser holen 9 ). 5) S t r a c k e r j a n 2, 176; W u t t k e S. 267 § 393. Z f V k . 3, 388. 6 ) Urquell 4, 131. ' ) Z f V k . 8) G r i m m 16, 386. Myth. 3. 442 Nr. 241. 9 ) H ö h n Geburl 266.

3. G u t e s u n d b ö s e s O m e n . G l a u b t man einerseits im K a n t o n St. Gallen (auch anderwärts), U . an einem Menschen lasse auf gutes B l u t schließen 10 ), so zeigt es andererseits in Ostpreußen baldigen eigenen T o d an u ) . Tyrannen wurden im Mittelalter zur Strafe für ihre Ruchlosigkeit von U . v e r z e h r t 1 2 ) . 10) 12)

S A V k . 3, 145. « ) Urquell i , 203 Nr. 17. L i e b r e c h t Zur Volksk. 6.

4. V o l k s m e d i z i n . W e n n das K i n d U . ißt, zahnt es l e i c h t 1 3 ) (s. a. Maus). 13)

M e y e r Baden

50.

5. V e r t r e i b u n g , a) B a n n u n g . Man suchte das U . (Mäuse, R a t t e n , R a u p e n , Insekten aller A r t ) , wenn es zur förmlichen Landplage geworden war, durch Exorzismen (kirchliche Bannung) zu ver-

1421

Ungeziefer

treiben. Vgl. die feierliche Verfluchung der Würmer in Lausanne 1 5 1 7 1 4 ) ; in Luzern fanden noch im Jahre 1732 Exorzismen statt 1 5 ). Es war nicht der angerichtete, sondern der befürchtete Schaden, gegen den man die kirchliche Malediktion und Exkommunikation als zweckmäßig erachtete 1 6 ). Wagte es ein Laie, solche conjurationes vorzunehmen, wurde er der Zauberei und einer heimlichen Gemeinschaft mit dem bösen Geist verdächtig 17 ). Die Fassung einiger Bannsprüche (z. B. Rupen, packt ju, de Man geit weg, de Sun kümmt) zeigt deutlich, wie das U. als etwas Geisterhaftes aufgefaßt wurde 18 ). b) Zusendung. Durch magische Mittel wird dem Nachbar das U. zugesandt 1 9 ). Besonders Bettler und Zigeuner verstehen es, Wanzen, Filzläuse und anderes U. an den Körper oder ins Haus zu bannen 20). In Oldenburg befreit man sich von dem U., indem man mit den Worten: „ j i kriegt Volk in't H u s " es unbemerkt einem Kinde zusteckt. Bald zieht sämtliches U. aus und nimmt das neue Haus in Besitz 21 ). c) Wegwerfen. Es gibt auch eine harmlose Art der U.vertreibung. Man steckt vom U. drei Stück in eine Schachtel und wirft sie weg (Schwaben) 22) oder man gibt einige Kreuzer samt etwas U. in ein Päckchen und legt es auf die Straße. Das übrige U. zieht nach 23). d) Kehren. Ein beliebtes Mittel gegen U. ist das Fegen des Fußbodens und der Wände zu gewissen Zeiten, wobei der Aberglaube sich in den Dienst der Reinlichkeit stellt. Vielerorts wird ein Frühlingstag, die Fastnacht, der 1. Oster- oder der 1. Maitag dazu benützt, durch Kehren das U., das zu den bösen Geistern des Winters gehört, zu verjagen 2 4 ). Am Aschermittwoch wird das Haus gekehrt und die Asche auf fremdes Land geworfen 25 ). In Schlesien kehrt man am Karfreitag vor Sonnenaufgang Zimmer und Ställe und streut den Kehricht auf einen Kreuzweg 26 ). Zu Ostern, wenn die Glokken von Rom heimkehren, wird in Ungarn die ganze Wohnung gefegt 2 7 ). In Mecklenburg fegt man am 1. Mai vor Sonnenaufgang mit stumpfem Besen drei-

1422

mal die Stube und wirft ihn dann unter Hersagen einer Formel auf Nachbarsgebiet 28). e) Geeignete Zeiten. Die Wahl des Tages zur Vertreibung des U.s ist, wie gelegentlich gezeigt wurde, nicht gleichgiltig. A m besten vertreibt man es am Karfreitag 2 9 ), wohl auch am Gründonnerstag 3 0 ). Weihnachten 3 1 ), 1. Mai 3 2 ), Johannestag 3 3 ) sind gleichfalls beliebte Bannungszeiten. Gewisse Heilige sind bei der Vertreibung des U.s behilflich. In diesem Rufe stand von jeher St. Magnus. Sein Stab wurde in Schwaben, Oberbayern, Tirol gebraucht, um die Engerlinge von den Feldern zu bannen 34). Gegen Krautwürmer (Raupen) wurde am Wurmtag (Magnustag) der Buchstabe M in drei Haselruten eingeschnitten, die dann an drei Feldecken eingesteckt wurden 35 ). Ähnlich verfährt man am Tage des h. Abdon 36 ). Am Nicasiustage wurden gewisse Buchstaben an die Tür geschrieben, worauf Mäuse und Ratten wegliefen 36 ). Auch bei den Deutschen in Pennsylvanien gilt der St. Abdonstag als günstig für die U.Vertilgung 37 ). f) Lärm. Geister werden durch Lärm vertrieben, so auch das dämonische U. Beliebt ist das Klopfen mit einem Hammer. Ist jemand mit U. behext, so wickelt er drei Stücke davon in ein Papier und schlägt mit dem Hammer drauf 3 8 ). Am Tage Petri Stuhlfeier, am Gründonnerstag und Karsamstag ziehen Kinder von Haus zu Haus und klopfen unter Hersagen eines Bannspruches mit dem Hammer an die Türpfosten 3 9 ). Mit einem Holzhämmerchen klopfte man am selben Tage an die Obstbäume, um die Raupen zu vertreiben 40 ). A m Karfreitag schlägt man mit einer A x t an die Bettstelle 4 1 ). A m ersten Frühlingstag wird in Ortenau (Baden) und in Westfalen mit möglichst großem Lärm und dreimaligem Umgang ums Haus die U.jagd begonnen 42 ). Um Lärm zu erzeugen, nahm man Schellen oder Ketten. Mitunter drehte man ein Wagenrad und schliff ein altes Messer daran 4 3 ). In der Oberpfalz, in Böhmen und Baden war auch das Blasen auf Wetterhörnern oder

1423

Ungeziefer

großen Wettermuscheln üblich 44). Beseitigung des U.s während des Läutens ist in Westböhmen, im Isartal und in Ungarn gebräuchlich 45 ). g) Leiche, Sarg. Bestandteile einer Leiche oder Gegenstände, die mit einer solchen in Berührung waren, schützen vor U., so Armesünderknochen in derTasche46) oder ein am Halse getragener Leichenzahn 47) . Ferner vertreibt man U. mit der Asche von dem verbrannten Strohsack einer Leiche 48 ). Um U. los zu werden, gibt man einiges davon mit in den Sarg (allgemein 49 )) oder wenigstens ins Grab 50 ). h) Asche. Asche wird zur Vertreibung des U.s allenthalben verwendet. So brennt man in den Zwölften Asche, die zur Vertilgung des U.s beim Vieh, auf dem Felde und auf Bäumen dient (Ostpr., Vogtl.) S1 ). In Brambach (Kreis Zerbst) werden am Aschermittwoch Hühnerstall und Taubenboden gereinigt und mit Asche bestreut 62 ). Asche verwenden auch die Deutschen Pennsylvaniens am Faschingsdienstag gegen U. bei Vieh und Hühnern53). In Schwaben und im Appenzeller Land wird die Asche des Notfeuers auf die Äcker gestreut 54 ). i) Pflanzen. Haselwurz wird in Tirol gegen U. verwendet 55). Am Palmsonntag steckt man geweihte Palmen in die Getreidehaufen zum Schutz gegen U. 5 6 ). In Schlesien legt man zweierlei Zweige von Waldblumen, die am Karfreitag gebrochen wurden, in Scheune und Keller 57 ). j) Einzelheiten. U., besonders Läuse, vertreibt man in Hessen, wenn man etliches davon aus einer Flinte zum Schornstein hinausschießt (Abwehr gegen die Hexe, die Senderin des U.s) 58 ). In Mecklenburg wälzt man sich an einem Maitag vor Sonnenaufgang nackt im Tau 5 9 ). Staricius 60) bringt einige Rezepte gegen U., bei denen namentlich ö l eine Rolle spielt. Wer U. an sich hat, legt am Karfreitagmorgen vor Sonnenaufgang einen Knopf von seinem Kleide unbeschrien auf den Weg. Wer ihn aufhebt, bekommt das U . 6 1 ) . Wer etwas an sich trägt, das mit Christnachts gesponnenem Zwirn genäht ist, an dem haftet kein

1424

U. 6 2 ). Gegen U. am Vieh vergräbt man einen alten Kamm unter der Stalltürschwelle (Oberschlesien) 63 ). Eine Elster, Epiphanie der Hexe, in den zwölf Nächten in den Viehstall gehängt, schützt Vieh vor U. 6 4 ). Der Schädel eines Pferdes, seit alters dämonenabwehrend, im Garten an die Stange gesteckt, vertreibt Ratten und Raupen 65). Eisen wehrt Dämonen ab, daher zieht der altindische Priester während der Beschwörung schädlichen Feldu.s mit einem Pflugeisen eine Furche in die Erde 6 6 ). Nach altrömischem Glauben tötet eine menstruierende Jungfrau durch Umschreiten des Haines der Anna Perenna alles U. 6 7 ). Um die Obstbäume vor U. (Raupen) zu schützen, soll man sie am Karfreitag vor Sonnenaufgang schütteln (Osternienburg) 68 ). Pflanzen begießt man mit Karfreitagswasser 69 ). Um vom Flachs das U. abzuhalten, muß man nach der Saat an derselben Ecke wieder herausfahren, an der man hineingekommen ist. Da soll dann auch das U. nachfolgen (Nagold) 70 ). Vgl. auch Floh, Laus, Wanze, Raupe, Maus, Ratte. 1 4 ) M e y e r Aberglaube 1 6 ) op. cit. 82. 298. « ) ZfrwVk. 1904, S. 73; K e l l e r Grab 5, 266f. 17) P a n z e r 18) Beitrag 2, 272. Knuchel 19) Umwandlung 80. S a r t o r i Sitte 2, 20. 2 0 ) A m e r s b a c h Grimmelshausen 2, 37; K ü h nau Sagen 3, 83; D r e c h s l e r 2, 257. 2 1 ) S t r a k 22) B o h n e n b e r g e r k e r j a n 1, 126. S. 15. 2 3 ) F i s c h e r Oststeierisches 2 4 ) ZfVk. 14, 115. 2 6 143. ) F o g e l Pennsylvania 254 Nr. I 3 i 9 f . 2 6 ) MschlesVk. 1, 52. 2') Wlislocki Magyaren 51. 2 8 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 266f. 2 9 ) W u t t 3 «) S a r t o r i ke S. 398 § 6 1 1 . Sitte 3. 1453 1 ) op. cit. 3, 40. 3 2 ) op. cit. 3, 170. 3 3 ) Mitt. 31) S e p p Anhalt. Gesch. 14, 21. Religion 35) 324ff. S c h ö n w e r t h Oberpfalz 3, 283t. 3 6 ) Ebd. 3 7 ) F o g e l Pennsylvania 258 Nr. I39 2 3S ) G r i m m Myth. 3, 458 Nr. 692; ZfdMyth. 3, 3 9 ) S a r t o r i Sitte 3, 89; 274. D r e c h s l e r 2, 40) з. Bronner Sitt' u. Art 24! 114. 4 1 ) MschlesVk. 1, 52. 42) K n u c h e l Umwand43) lung 83. B r o n n e r op. cit. 24f. 114. " ) Ebd. 45 ) S a r t o r i op. cit. 3, 147. 4 6 ) K u h n 4?) и. S c h w a r t z 460 Nr. 451. Seyfarth 48) W u t t k e Sachsen 290. S. 398 § 6 1 1 . 49 ) D r e c h s l e r 2, 3; W u t t k e S. 398 § 6 1 1 . 60) K ö h l e r Voigtland 443. 5 1 ) W u t t k e S. 64 § 74. 5 2 ) Z f V k 7, 74. 63 ) F o g e l op. cit. 2 5 4 ! Nr. 1322. 5 4 ) M a n n h a r d t 1, 502. 521. 6 5 ) H e y l Tirol 794 Nr. 199. 5 6 ) W u t t k e S. 143 § 196. " ) MschlesVk. 1, 52. 6 8 ) W u t t k e S. 397 § 6 1 1 . 59 ) B a r t s c h Mecklenburg 2, 266f.; vgl. auch H e c k e n b a c h De nuditate sacra 51. 60 ) Helden-

1425

Unglück

61) schätz 482t. M e i e r Schwaben 2, 390. 6 2 ) G r i m m Myth. 3, 445 N r . 333. 6 3 ) D r e c h s 6 4 l e r 2, 104; d e r s . Haustiere 12. ) Ebd. 6 5 ) Z f V k . 12, 385. 6 6 ) Z f V k . 14, 7. 6 7 ) A f R w . 14, 6 S 593. ) M i t t e i l . A n h a l t . Gesch. 14, 23. 6 9 ) M s c h l e s V k . i , 52. 7 «) E b e r h a r d t Landwirtschaft N r . 3, S. 3. Riegler.

Unglück. „Ein U. kommt nie allein" „Holz und U. wächst alle T a g e " 2 ). A u s diesen und ähnlichen Sprichwörtern 3 ) redet die Lebenserfahrung des Volkes. Es weiß, daß das U. dem Menschen viel getreuer folgt als das Glück. Aus Sorge um kommende Widerwärtigkeiten achtet man auf Vorzeichen: Niesen beim Schuhanziehen bedeutet U . 4 ) , ebenso das Finden von Nadeln und Knöpfen 5 ). Unter den Eiern gibt es U.s-Eier, das sind ganz kleine Eilein 6 ). Man wirft sie über das Haus weg. Selbst die Gestalt des Menschen kann sein U. verschulden'). Bestimmte Zeiten bringen U . : 1. April, 1. August, 1. Dezember s ) andere Tage wie Neujahr nach dem ersten Begegnis 9 ). Die Karwoche ist unglücklich: Man darf in ihr weder Wohnung noch Dienst wechseln 10 ). Die Begegnung von Hasen, schwarzen Katzen und alten Weibem 1 1 ), aber auch die von Geistlichen, besonders von Mönchen 12 ), bringt U. (vgl. Angang u. alte Weiber). Nicht bloß die Zeiten, sondern auch bestimmte Orte sind U.sOrte: Überall darf ein Dieb von Beruf stehlen, nur an seinem U.s-Orte nicht 1 3 ). Mit dem U.svogel ist nicht nur der Mensch von widrigem Geschick gemeint — er fällt auf den Rücken und zerbricht die Nase — sondern es gibt auch bestimmte U.svögel, manchmal von sagenhaftem Charakter 14 ), andere bekannte, wie die Eule, der Rabe und die Elster, deren Geschrei dem Menschen unheimlich i s t 1 5 ) , die dazu Tod und U. bringen 16 ). Mit diesem Glauben kommen wir aus dem Gebiete des Zaubers, wo man z. B. aus den Schulterknochen des Schweines künftiges Glück oder U. erkennen will 1 7 ), in das Gebiet, da sich der Mensch mit seinem Geschick übermächtigen Personen und Geistern gegenüber sieht und von ihnen abhängig ist. Die Hexen werden Eulen oder bewegen sich in Katzen. Ein armes „Frauli" in Wädenswil, das mit allerhand Waren

1426

hausierte, fluchte Einem U. an, wenn man ihr nichts abkaufte 18 ). Der Berggeist in Gestalt des Häuers zeigt den Bergleuten U. an; manchmal nimmt er die Gestalt dessen an, der verunglücken soll 1 9 ). In Tieren, die für den Menschen etwas Unheimliches haben 20), steckt ein Geist: Wer eine Katze umbringt, dem steht großes U. bevor 21 ). Der erscheinende Geist eines Menschen, eines Mönches 22) zeigt U. an, manchmal ein ganz bestimmtes 23 ). Frau Slaczona ist unter den Wenden sehr gefürchtet 2 4 ). Wer Blauhütel oder den Nachtjäger ziehen sieht, dem bedeutet es U . 2 5 ) . Die Sage wendet sich damit zur Unheil bringenden Erscheinung des wilden Jägers und seines Heeres. Wie es möglich ist, einem Anderen U. zu erregen, so kann man sich ein U. zuziehen durch Erzählen des Falles: Das U. wandert. Bestimmte Zusätze: Steen un Been totslagen 26 ), in anderer Gegend auch: Unberufen, unbeschlaggert, schützen gegen das Übergehen. Der unter den Wilden weit verbreitete Brauch, die Köpfe der Feinde gegen heraufziehendes U. auf Pfählen vor dem Dorfe aufzustecken, hat sich gemildert zum Aufstecken von Tierschädeln 27 ). Selbst ein durch Zeichen bekundetes U. kann abgewendet werden 28), ein eingedrungenes herausgefegt, verbrennt im Sonnenwendfeuer 29 ). So kann man auch die „U.sgeister" im Hause beschwören 30 ). Geht einem Menschen alles nach Wunsch und Willen, so wartet seiner irgend ein U . 3 1 ) . Das Widerstreben stiller, furchtbarer Mächte regt sich. Der Gedanke entwickelt sich zu dem fatalistischen, daß Menschen, die in einem unglücklichen Zeichen geboren sind, auf keine Weise den sündlichsten Handlungen ausweichen können, sie müssen dieselben verrichten 3 2 ). Sie tun das unter dem Einfluß des U.s, das zur Person geworden ist. Das rätselhafte verschiedene Geschick der Menschen, wo der Leichtsinnige Glück h a t 3 3 ) , den Redlichen aber das U. verfolgt 3 4 ), läßt die Vorstellung von dem persönlichen U. entstehen, obgleich die Schicksalsgöttin an sich Gutes

Unglückseier—-Unglücks tage

1427

und Böses in ihrer Hand hat 3 5 ). Eine eigentümliche, vielfach verirrende Erscheinung, die die individuellsten Züge trägt, ist die vom petit homme rouge der französischen Könige, der auch Napoleon I. Glück und U. anzeigt 3 6 ). Die Bida in Galizien, ein schrecklicher Geist des U.s, der die Menschen aus ihren Häusern vertreibt, scheint doch ein auf Zeit verwünschtes Wesen zu sein 37 ). ! ) Unoth 1, 188. 2 ) ZdVfV. 6 (1896), 183. J o h n Westböhmen S. 61. 4 ) G r i m m Myth. 3, 6) S c h m i t t 440 Nr. 186. Hettingen 17. 6) B o h n e n b e r g e r 22; M e y e r Baden S . 4 1 1 ; E b e r h a r d t Landwirtschaft 21; F o g e l Penn-

3)

sylvania

182 N r .

876.

')

ZdVfV.

13

(1903),

8) L a m m e r t 269. 96; F r a z e r 12, 508. 9) 10) J o h n Erzgebirge S. 184. Wuttke §84. " ) ZfrwVk. 1912, 67. 1 2 ) S A V k . 25,

283; G e r h a r d t Franz. Novelle 64. 65. 96. " ) U r q u e l l 3 (1892), 136. ") Hopf Tier15) K n o r t z orakel 19. Vögel 1 2 4 3 . ; d e C o c k 16) Volksgeloof 1 (1920), 109. Pollinger Landshut 164; M e i c h e Sagen 617 N r . 760.

18) ARw. W l i s l o c k i Magyaren S. 182. 1B ) K ü h n a u 1917» 37." 2, 269. Sagen 2, 417. 2 0 ) G r i m m Myth. 3, 440 Nr. 189. 2 1 ) Ebd. 3, 436 Nr. 68. 2 2 ) M e i c h e Sagen 533 Nr. 676. 2 3 ) Ebd. 121 Nr. 155. 2 4 ) Ebd. 356 Nr. 465. " ) Ebd. 426 Nr. 561. 2 6 j B a r t s c h Mecklenburg 2, 312; J o h n Erzgebirge 38. " ) S e l i g m a n n Blick 2, 141. 2 e ) W u t t k e S. 287 § 422. M) 30) S A V k . F r a z e r 12, 373. 1907, 239. 3 1 ) Ebd. 2, 220. a 2 ) Ebd. 1917, 35. 3 3 ) M ü l 31) h a u s e 73. K r a u s s ReligBrauch 27. 3 6 ) G r i m m Myth. 2, 731t. 978; 3, 267. 38) S e 17)

b i l l o t Folk-Lore

4, 436.

207.

37)

U r q u e l l 2 (1891),

•f Boette.

Unglückseier s. E i (und Sp. 1425). Unglücksnächte. Gewöhnlich wird übersehen, daß das einfache Volk den 24 stündigen Volltag nicht kennt und den Tag und die Nächte getrennt betrachtet 1 ). Daher ist bezüglich der Unglückstage darauf aufmerksam zu machen, daß hier zuweilen auch die Nacht dieses Tages in Betracht kommt, besonders für das Schatzgraben. Wahrscheinlich gab es in vorchristlicher Zeit und vor Einführung der Zeitrechung nach Tagen auch in Beziehung auf Unglück eine stärkere Berücksichtigung der Nächte. ! ) Vgl. Martin P. N i l s s o n Primitive Reckoning

(Lund

1920), 1 1 .

Time-

Jungbauer.

Unglückstage. 1. Der Glaube an U. tritt uns seit ältester Zeit in zwei Formen entgegen, in der

1428

A s t r o l o g i e der Priester und Gelehrten und in dem davon stark abhängigen V o l k s g l a u b e n , wobei sich „gesunkenes Kulturgut" von vielleicht schon seit Urzeiten vorhandenem primitiven Gemeinschaftsgut schwer sondern läßt. Schon in B a b y l o n i e n , der Urheimat der Sterndeutung (s.d.), war der angenommene Einfluß der Gestirne auf das Geschick der Menschen x ) an bestimmte Zeiten und Tage geknüpft und die Stellung der Gestirne maßgebend, ob die Dämonen, allerdings mit Einwilligung der hohen Götter, den Menschen schaden konnten. Im alten Ä g y p t e n gab es frühzeitig Verzeichnisse von günstigen und ungünstigen Tagen, mehr in Verbindung mit der Mythologie 2 ), da der babylonische Sternglaube erst in der Zeit der griechischen Herrschaft eingedrungen zu sein scheint. Auch bei den G r i e c h e n war die Mythologie die Vorstufe der Astrologie. Hesiod beruft sich zur Begründung seiner Angaben über gute und böse Tage im Monatslauf lieber auf die Geburtstage der Götter als auf den Mondlauf selbst 3 ). An den griechischen U.n (•/¡¡lepai äitocppoiSec, [itapai, 00 xaöapai) durften weder Volks- noch Ratsversammlungen noch Gerichtssitzungen stattfinden. In Athen gehörten zu diesen U.n, auf denen ein böses Tabu ruhte, auch die Tage der yösi, wo die Geister der Verstorbenen umgingen, und die Tage der Plynterien, wo die Stadtgöttin zu Athen abwesend war. Bei den R ö m e r n lieferten die zwei großen Mächte, Religion und Staat, geradezu offizielle U. Dies waren weniger die dies nefasti, welche Ruhe- und Festtage waren, den Göttern gehörten und daher nicht durch Arbeit entweiht werden durften, als vielmehr die mit einer religio behafteten, d. h. tabuierten dies religiosi, vereinzelt noch treffender dies vitiosi genannt. Diese Tage galten als ungeeignet für gewisse A k t e sakraler wie profaner Natur; Eheschließung oder überhaupt der Beginn irgend einer bedeutsamen Handlung, staatliche A k t e comitialer oder militärischer Art, Darbringung von Opfern u. a. war entweder ausgeschlossen oder wenigstens bedenk-

1429

Unglückstage

lieh 4 ). Bei der Eheschließung vermied man besonders die den Toten geweihten dies parentales vom 13. bis 21. Februar, den März, in den die Umzüge der Salier fielen, den Mai wegen der Feier der Lemuria und der Argeerprozession, die erste Hälfte des Juni, in welcher der Vestatempel geöffnet war, die drei Tage, an welchen der Eingang zur Unterwelt offen stand (24. August, 5. Oktober, 8. November), die Tage nach den Kaienden, Nonen und Iden (dies postridiani oder atri) und diese selbst, weil sonst der erste Tag im Haushalt auf einen U. gefallen wäre 5 ). N a c h t a g e 6 ) galten überhaupt, wie ähnlich unser Montag (s. d.), neben den geraden Tagen als U. Von den dies nefasti stimmen äußerlich der Zahl nach die 45 feriae publicae mit den meisten 42 deutschen U.n (s. u.) überein. In der späteren Kaiserzeit kamen zu den offiziellen U.n noch die dies aegyptiaci des Volksglaubens (s. ägyptische Tage). Den antiken Glauben an U. pflanzte das C h r i s t e n t u m weiter und bereicherte ihn wesentlich. Die Kunst der Sterndeutung hatte Claudius Ptolemäus um 150 n. Chr. in Alexandria als eine Art nüchterner Physik des Weltalls neu zu begründen versucht und damit auf Jahrhunderte hinaus, namentlich auf die Wissenschaft, bestimmenden Einfluß ausgeübt 7 ). Für den Volksglauben selbst bot die Religion den Nährboden, auf dem sich der überlieferte Glaube weiter entwickeln konnte. Dabei kommen die J u den, die sich im allgemeinen vom Aberglauben frei zu halten verstanden, weniger in Betracht, obwohl auch bei ihnen die Tagewählerei (s. d.) bekannt war8). Zu dem altheimischen Aberglauben der einzelnen christlichen Völker haben sicher die Römer am meisten beigesteuert, deren abergläubische Beobachtung der Zeiten, Jahre und Tage fortwucherte, was zuerst von dem Apostel Paulus und später vom hl. Augustinus bekämpft wurde 9 ). Der K a m p f d e r K i r c h e gegen diesen Aberglauben konnte "wenig Erfolg haben, da die neue Lehre selbst neuen Stoff bot, indem das Leben

1430

Christi und der Heiligen, wie überhaupt der christliche Jahreskalender, neue U. lieferte, die vielfach auch an Stelle altheidnischer U. getreten sein mögen. Den Anstoß zur Bekämpfung dieses Aberglaubens auf deutschem Boden gaben die Schriften des Bischofs W i l h e l m v o n P a r i s aus der 1. Hälfte des 13. J a h r hunderts, die in Deutschland viel gelesen und benutzt wurden 10). Gleich diesem verwirft der Magister Nikolaus J a u e r , der an der Prager und Heidelberger Universität wirkte, in seiner Schrift ,,De superstitionibus" (1405) die Beobachtung der dies aegyptiaci (s. ägyptische Tage) und erinnert dabei auch an den damals von vielen geteilten Aberglauben, daß der Tag der unschuldigen Kinder (28. Dezember) ein U. sei, und nicht nur dieser, sondern jeder gleiche Wochentag im ganzen J a h r e 1 1 ) . Im 13. Jahrhundert hat übrigens auch schon B e r t h o l d v o n R e g e n s b u r g in seinen Predigten sich gegen den Glauben an U. gewendet 1 2 ). Es trat aber eine gegenteilige Wirkung ein. Gerade vom 13. Jahrhundert an liebt man es, Verzeichnisse der Glücksund Unglückstage auch außerhalb des Kalenders (s. u.) zusammenzustellen, die handschriftlich weiter verbreitet werden 13 ). Vieles davon geht auf die Schriften des 735 gestorbenen Theologen B e d a zurück 14 ). Diese Verzeichnisse wurden später auch gedruckt und sind entweder als besondere Jahrmarktsdrucke oder eingefügt in Arznei- und Zauberbücher oder Planetenbücher bis in die neuere Zeit herauf immer wieder aufgelegt worden. Zumeist knüpfen sie an den Namen des in der Volkssage zum Zauberer gewordenen Naturforschers A l b e r t u s M a g n u s (s. d.) an 15 ). Allzu viel Bedeutung darf man diesen Zusammenstellungen von U.n nicht beimessen. Sie wurden nur in den bürgerlichen und höheren Kreisen beachtet, im Volke selbst bestimmt nur von einzelnen Personen, die im Besitze solcher Handschriften oder Drucke waren. Bezeichnend ist, daß man schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts dem Forscher, der in Tirol bei Bauern und alten Mütterchen

Unglückstage

nach einem Verzeichnis der Schwendtage fragte, gewöhnlich die Antwort gab: „ J a , ich habe wohl auch davon gehört, weiß aber nicht bestimmt die Tage" 16 ). Meist sind es 42 U. (s. u.), die sich schwerlich ein einfacher Landmann merken wird. Etwas anderes ist es mit bestimmten Tagen der Woche, des Monats und Jahres, die auch noch im heutigen Volksglauben als U. gelten und daher auch in der folgenden Übersicht vorangestellt werden. Einen festen Platz nimmt im Volksglauben ferner ein, daß Tage, an welchen der Mond abnimmt, zumeist U. sind 1 7 ). Schwer läßt sich feststellen, inwieweit einzelne U. schon in g e r m a n i s c h e r Z e i t vorhanden waren, zumal die ursprünglichen germanischen Jahresfeste, die jedenfalls auch hier in Betracht kommen, sich nicht mit voller Genauigkeit erschließen lassen. Das Eindringen des römischen Kalenders war von Verschiebungen aller Art begleitet, und die christliche Festfolge hat die Verwirrung noch beträchtlich vermehrt 18 ). Man kann aber als sicher annehmen, daß schon die alten Germanen bestimmte U. kannten, so im Herbst und im Winter, namentlich in den Zwölften, wo vor allem der G ö t t e r und T o t e n k u l t hereinspielt, dann aber auch Tage im Frühling und Sommer, die in der F e l d - und V i e h w i r t s c h a f t (s. Sonnwendfeuer) sich in ungünstiger Weise bemerkbar machten. Zur E r k l ä r u n g der U. kommt für alle Völker in erster Reihe der G l a u b e an das unbestimmbare, unfaßbare, über allem schwebende S c h i c k s a l in Betracht, womit sich die F u r c h t vor der ungewissen Z u k u n f t von selbst verbindet. Aus diesem Glauben und dieser Furcht erwuchs erst das Streben des Menschen, diese Zukunft zu erforschen, die Tage, welche besonders verhängnisvoll sein können, festzustellen. Dies glaubte der Gelehrte vor allem aus den G e s t i r n e n lesen zu können, während sich das Volk mehr an den G ö t t e r g l a u b e n hielt. Dazu kommt in beiden Fällen, in der A s t r o l o g i e und R e l i g i o n , der Glaube

an die geheimnisvolle Bedeutung Z a h l (s.d.).

143^ der

B o l l Sternglaube 14. N a c h B . L a n d s b e r g e r Der kuliische Kalender der Babylonier und Assyrer ( 1 9 1 5 ) 92. 99 waren die Mondphasentage (1., 7., 1 5 . , 28.) mit Ausnahme des 2 1 . Unglückstage (s. kritische Tage). 2 ) L e h mann Aberglaube2 49. 157; Seligmann 3 Blick 1, 166. ) B o l l Sternglaube 2 2 . 28. 4 ) P a u l y - W i s s o w a 1 1 , 2, 2 1 5 0 ; W i s s o w a 5 Religion 4 4 3 f f . ) E . A u s t Die Religion der Römer ( 1 8 9 9 ) 56. 2 1 7 . Auch bei den Griechen waren die den Eumeniden heiligen T a g e U . , 6 vgl. R o h d e Psyche 1, 269 2 . ) Wissowa Religion 444. ' ) B o l l Sternglaube 3 5 . 8 ) L e h m a n n Aberglaube 2 6 9 f . ; St. S t e i n l e i n Astrologie, Sexualkrankheiten u. Aberglaube ( 1 9 1 5 ) i , 5 0 : 2 , 1 0 3 . 9 ) F r a n z Nik. de Jawer 188. 1 0 ) E b d . 160. n ) E b d . 189. 1 2 ) S c h ö n b a c h Berthold v. 13 R. 5 1 , 1 4 9 0 . ) E b d . 1 4 9 6 . ; Alemannia 2 2 (1894), i 2 o f f . ; 24 (1897), 2 6 5 s . ; S A V k . 2, i6j{. V g l . G e r h a r d t Franz. Novelle 113. Ii8f. 15 " ) S c h ö n b a c h Berthold v. R. 149fr. ) Z f ö V k . 9 ( 1 9 0 3 ) , I 3 7 f f . N a c h D i e t e r i c h Kl. Sehr. 1 9 9 enthält „ D e r wahrhaftige feurige D r a c h e " , in allerletzter Zeit im Verlag E . Bartels, N e u Weißensee bei Berlin, erschienen, noch ein Verzeichnis der U . 1 373S- 37 ) W a c k e r n a g e l Epea 3 4 . 81 ) K ü h n a u Sagen 7 4 3 . 8 2 ) D ä h l e r Volkssagen aus Appenzell II. 8 3 ) J e c k l i n 2 , 8 ; G e l p k e 84 103. ) H . M . H y a t t Folklore from Adams 85 County Illinois (1935) Nr. 9 6 6 5 . ) Ebd. Nr. 1 0 4 6 2 . 8 «) ZdVfVk. 1 9 ( 1 9 0 9 ) , 8 8 .

6. Sehr häufig vollzieht sich die V. durch bloßen Willensakt, besonders in jenen Fällen, wo es sich nur um das Hervorkehren von einer der mehreren Naturen des sich V.nden handelt. Scheinbar ist diese V. ohne Anwendung von Hilfsmitteln vor allem ein Vorrecht der höchsten Wesen in der Hierarchie der Geister. Sehr häufig wird aber auch erwähnt, daß besondere Anstalten dazu nötig sind, um eine andere Gestalt zu erlangen. Besonders belehrend ist hierbei eine papuanische Mythe. In einer Hütte lebte ganz allein

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mit einigen Mädchen ein Jüngling namens Jasa. Niemand wollte mit ihm etwas zu tun haben, weil sein Körper mit Geschwüren bedeckt war. Nur eines der Mädchen hatte Mitleid mit ihm und warf ihm manchmal etwas Speise zu. Eines Tages sieht der Jüngling einen weißen Reiher. Es gelingt ihm, den schönen Vogel zu fangen und zu töten. Er reißt ihm die langen Federn aus und befestigt sie sich am Rücken und an den Armen. „Er ersetzt seine Augen durch die des Vogels und er nimmt ihm den Schnabel. Dadurch, daß er sich den Körper reibt, bewirkt er es, daß dieser sich mit Federn bedeckt; er borgt sich auch die Füße des Vogels aus. Nun war er nicht mehr ein Mensch; nun war er ein Vogel geworden. Versuchsweise schlägt er mit den Flügeln und sagt: Oh, ich bin wahrhaftig eine weiße Taube (sie)! . . Nach einiger Zeit zieht er dann die Vogelhaut aus und verbirgt sie". Jetzt erscheint er wieder als Aussätziger. Aber von Zeit zu Zeit legt er die Vogelhaut an und neckt in dieser Gestalt das junge Mädchen, das ihm Speise gibt. Sie bemerkt an den Augen des Vogels, daß er kein richtiger Vogel ist; und ebenso bemerkt sie, daß die Augen des jungen Mannes nicht so aussehen, als ob er wirklich krank wäre. Sie lauert ihm endlich auf und überrascht ihn, wie er die mit Geschwüren bedeckte Haut auszieht, die auch nur angenommen war, und dann die Vogelhaut überzieht, und fortfliegt. Diese Gelegenheit benützt sie, um seine kranke Haut zu verbrennen. Der Vogel kommt nichtsahnend von seinem Ausflug zurück, legt die Haut noch vor der Türe ab und betritt die Hütte mit der Haut in der Hand. Das junge Mädchen entreißt sie ihm unversehens, rollt sie zusammen und verbirgt sie in ihrem Grasschurz. Unterdessen kommen dann die anderen Mädchen zurück, bemerken den schönen jungen Mann, wollen ihn der ersten nicht lassen; diese gibt ihm zuletzt seine Vogelhaut zurück und er fliegt davon . . 8 : ) . Diese Erzählung zeigt zunächst die Vorstellung, daß man den V.ten ihre V. anmerkt. Auch nach deutschem Aberglauben kann man den V.ten daran er-

kennen, daß er irgend etwas an sich hat, was ihn von einem natürlichen (s. ü b e r n a t ü r l i c h ) Tier unterscheidet, Größe, Ausdruck, die Gabe der Sprache usw.88). Zum andern zeigt sich besonders deutlich der Gedanke, daß die Haut ein Kleid ist und das Kleid eine „Haut". Für den Primitiven ist die Haut identisch mit dem Körper. Da der Weiße keine schwarze Haut hat, ist er kein „Mensch". Zuerst wurden die Weißen folgerichtig für Wiedergänger gehalten; heute ist man davon abgekommen; aber deshalb wird der Primitive noch nicht zugeben, daß sie zu derselben Spezies gehören wie der Schwarze. Man kann sich eine solche Haut „machen" — von dem jungen Mann wird allerdings nur erzählt, wie er sich die Vogelhaut machte, und nicht berichtet, wie er zu der ersten Haut kam. Hat man aber die Vogelfedern am Leibe, so „ i s t " man ein Vogel und kann also auch fliegen. Kleider heißen bei den Eingeborenen der Insel Kiwai: oboro-tama (Haut [tama] des Geistes) 89 ). Noch ein anderes Problem ergibt sich dabei: um die magische „Haut" anlegen zu können, muß man nackt sein, zuerst alle anderen Häute ablegen. Deshalb sind die Schwanenjungfrauen und auch die entzauberten Mädchen primitiver Sagen nackt, wenn sie nach Ablegen des Federkleides überrascht werden. Ein junger Jäger überrascht mehrere Mädchen, die nackt Verstecken spielen; es sind Enten ohne Federkleid 9 0 ). Und sie müssen sich nackt ausziehen, um umgekehrt die V. zu bewerkstelligen 90 ); als Nakasunaluk von den Rentieren v.t werden soll, lassen diese ihn zuerst seine Kleider ablegen 91 ). Es ist deshalb ein fundamentaler V.sritus und nicht nur ein Anlegen von Kostümen, wenn bei primitiven Riten die Männer sich in ein sorgfältig vorgeschriebenes und traditionelles Kostüm hüllen. Die Masken geben nicht nur Anteil an dem, den sie nachahmen oder darstellen, sondern sie v.n. Allerdings wird dabei als selbstverständlich vorausgesetzt, daß solche „Haut" vom Berechtigten und Eingeweihten getragen wird; sie muß unter den richtigen Zeremonien

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angelegt werden. Gelegentlich wird von der Zauberkraft der Maske auch ein Mensch ergriffen, der nicht für sie bestimmt ist, aber dann meist zu seinem Unheil. In der Regel bedienen sich ihrer v.nden K r a f t Medizinmänner, Schamanen, Geistwesen. Die V. durch „ H a u t " oder Fell kann natürlich in die verschiedensten Tiere erfolgen (s. oben), meist natürlich in mächtige und gefürchtete Tiere oder die Totemtiere des Klans. So v.t sich die dem EmuK l a n angehörige Erlia (die von vornherein an beiden Wesenheiten, Mensch und Emu, partizipiert) durch Überziehen einer Emuhaut in ein Emu 9 2 ). Nach einer Eskimosage kommt die wandernde Frau in eine Hütte und findet dort nur eine Frau, die eine Wolfshaut über den Rücken gehängt trägt. Die Männer sind auf der Jagd. Als sie ihr Nahen hört, nimmt sie die Wolfshaut fester um und eilt ihnen entgegen, und die Besucherin kann sehen, wie sie sich in eine Wölfin v.t und mit dem Schweif wedelt. Auch die Männer sind Wölfe. Bevor sie die Hütte betreten, v.n sie sich in Menschen 93 ). Bei den Nez-PercesIndianern lebte eine alte Frau. Sie fühlte sich beleidigt. Da nahm sie das Fell eines grauen Bären um, v.te sich in dieses Tier und verließ die Gemeinschaft 94). Es gibt ein ganzes Dorf von Adlermenschen. Dort hängen überall die Adlerhäute herum; für die jungen Menschen Häute, die den jungen Adlern ähneln, für die älteren Häute nach Art älterer Adler 9 4 ). Die Tiere bewegen sich bei sich zu Hause oft in Menschengestalt. Ein Jäger folgt einer Hindin in das unterirdische Reich der Damhirsche. „Dort befinden sie sich in einem großen Haus und schauen ganz so aus wie die Indianer selbst. Sie sind gut angezogen und tragen Gewänder aus gut gegerbten Hirschhäuten". Als Tiere treten sie nur auf, wenn sie ihr Reich verlassen 9S). Ganz analog heißt im abendländischen Folklore „sich v.n: sich häuten, seine Haut wechseln" 96). Der V. dient Freyjas Federgewand, die Schwanen- und Krähenhemden der Walkyren, Odins Adlergewand. Besonders ausgeführt erscheint

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diese Vorstellung im Werwolf-Glauben: Wer durch Geburt, Veranlagung, Übertragung, Teufelsbündnis ein Werwolf i s t , der erreicht durch Anlegen eines Gewandes oder auch nur eines Gürtels 9 7 ) Wolfsgestalt. Diese besondere Fähigkeit blieb immer klar vor Augen und eignete namentlich den altnord. B e r s e r k e r n (s. d.), die teils als in Bären- oder auch Wolfsfell gekleidete Krieger (von Lily Weiser 98)) teils als ekstatische Persönlichkeiten aufgefaßt werden 9 9 ), die durch ihre zeremonielle Aneignung gewaltiger Kräfte mit Bären Ähnlichkeit gewinnen (in Bären v.t werden). In späteren Zeiten wurde sie als krankhaft angesehen; die Krankheit bekam den Namen „Lykanthropie" 10 °). Durch Umschnallen eines „Verwünschungsriemens" v.t man sich in einen „Löwenbären"; wird der Riemen nicht wieder aufgeschnallt, ist man ein Löwenbär 101 ). Zahlreich sind die der V . dienenden Mittel; meistens dienen sie der Herstellung einer engeren Partizipation. Auf der Insel Kiwai erzählt man von einem wunderbaren Mädchen, das eigentlich ein Kasuar war; sie „ s a u g t e " an der Feder eines Paradiesvogels und verwandelte sich dadurch in einen solchen 102 ). Gurume v.t sich, indem er eine Vogelfeder roh v e r s c h l u c k t 1 0 3 ) . In der Geschichte von der Tochter des Königsgeiers, die e i n e n Sterblichen heiratet und ihn dann in das Reich der Geier mitnimmt, heißt es, daß sie behufs V. nicht nur ein Federkleid für ihren Gatten mitbringt, sondern auch die Wurzel kumi k a u t und dann über ihn hinbläst 1 0 4 ). Zaubertrank und Zauberspeise spielt bekanntlich eine ganz große Rolle bei allen V.en. Diese Mittel brauchen auch manchmal gar nicht genossen zu werden; sie tun auch ihre Wirkung, wenn man sie in den Weg streut oder schüttet 1 0 5 ). Die von ihrem Ehemann betrogene junge Frau v.t sich durch beständiges (magisches) W e i n e n in eine Schlange (eines der vielen Beispiele, wo die V . stufenweise vor sich geht; als die Schwiegermutter zum ersten Male in die Stube schaut, ist erst der Schwanz fertig) 106 ). Die Krokodilfrau wird von ihrem Manne beleidigt. In magischem „Schamgefühl"

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muß sie ihn "Verlassen und nimmt auch ihr Söhnchen mit. Um dieses in ein Krokodil zu v.n, spricht sie magische Formeln darüber aus ( Z a u b e r s p r u c h ) 107 ). Die 7 Raben werden durch den „ Z a u b e r f l u c h " v.t. Ebenso der gestiefelte Kater. Im Hexenglauben spielt die Hexensalbe eine besondere Rolle; manchmal dient eine solche Salbe auch zur Entzauberung 1 0 8 ). Im Märchen von Brüderlein und Schwesterlein sind die Quellen behext; wer daraus trinkt wird ein Tier. Der W a s s e r t r u n k 109 ) verwandelt und auch der S o n n e n s c h e i n 1 1 0 ) (s. oben). Bei den Kpelle in Liberia herrscht der Glaube, daß ein Leopardenbesitzer sich nach Belieben in einen Leoparden v.n kann; aber es kann auch vielfach ohne und gegen seinen Willen geschehen, aus verschiednen anderen Ursachen. Vor allem, wenn er in den N e u m o n d blickt, werden an ihm sofort leopardenähnliche Gebärden sichtbar, seine Haare wachsen ihm lang auf dem Körper, seine Haut wird scheckig, er springt knurrend umher, springt Menschen an und ist in einigen Minuten ein wirklicher Leopard. Oder er fällt in Raserei, stürzt zu Boden, wälzt sich in Zuckungen, Schaum tritt ihm vor den Mund, so daß nur mit Mühe mehrere Männer ihn bändigen können. Wirklich beruhigen kann ihn nur eine Frau, die ebenfalls das Leopardentotem hat; diese bereitet eine Medizin, die sie in ihrem Munde zerkaut und spritzt sie dem Rasenden in Nase und Ohren ein, worauf er in einen Mann zurückv.t wird m ) . Um sich zu v.n, tanzt eine Hexe im Mondlicht U 2 ) ; denn der Mond gibt magische Kraft. V. wirkt Teufelsbrot 1 1 3 ); die Götterspeise, Nektar, Ambrosia, Sorna, das Kraut des Lebens, der Apfel vom Baum der Erkenntnis oder des Lebens gibt göttliche Wesenheit. Die Hexe reicht den giftigen Trank, derV. bringt oder auch den T o d 1 1 4 ) . Die K r a f t der Erde 115 ), besonders der feuchten E r d e 1 1 6 ) ist bekannt. Sieben Brüder essen eine zauberische Pflanze und werden dadurch Hirsche 1 1 7 ). Frau Wolle v.t den hartherzigen Schäfer, indem sie ihn mit einer Rute berührt 1 1 8 ), dem „Zauberstab", der auch in der Geschichte der Circe er-

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wähnt wird, und so vielfach zur V.skunst der Hexen gehört 1 1 9 ). Zum Nibelungenhort gehört die T a r n k a p p e , die nicht nur unsichtbar macht, sondern die K r a f t gibt, jede gewünschte Gestalt anzunehmen. Bis zu einem gewissen Grade kann man unter die V.smittel auch die Schönheitsgürtel der Göttinnen rechnen, denn ihre Gestalt wird dadurch insofern v.t, daß sie dadurch verschönert wird. Durch Baden in der Quelle des heiligen Berges wird Heras Jungfräulichkeit alljährlich wiederhergestellt 120 ). Je mehr im Volksglauben die V. nicht mehr freier Entschluß des Wissenden war, dem als solchem selbstverständlich auch die entsprechenden Mittel zur Rückv. zur Verfügung standen, sondern Zwang oder Strafe, um so mehr trat die Wichtigkeit der Entwandlung oder der Erlösung (s. d.) in den Vordergrund der Erwägungen. Keineswegs ist Entwandlung und Erlösung als identisch zu betrachten. Erlösung ist immer tiefer psychologisch gefaßt; forscht man den Erlösungsriten nach, so haben sie meist auf eine seelische oder äußerliche Läuterung, auf die Befreiung von einem Bann Bezug. Denn nur sehr selten vergißt der Aberglaube die grundlegende magische (und psychologische) Wahrheit, daß die V. wie jeglicher Zauber nur an dem dafür prädisponierten Menschen oder Ding geübt werden kann. Diese Disposition war einst Auszeichnung und Zeichen des Anteils an der göttlichen Natur; später erschien sie als Ausfluß angeborener Schlechtigkeit oder des Bundes mit satanischen Mächten; endlich als schuldig-unschuldige Verquickung mit magischen Apparaten. Aber dort, wo sie fehlt, bei der reinen Jungfrau z. B. verlassen alle Künste und die V. unterbleibt. Praktisch ist Entwandlung ziemlich regelmäßig das Widerspiel des V.sritus. Wenn der Prinz durch das Einstecken einer eisernen Nadel in einen Vogel v.t wird, so tritt Rückv. ein, sobald diese Nadel wieder entfernt wird. Die Entwandlung des Mädchens, das durch Saugen an einer Vogelfeder zum Vogel wird, geschieht durch Ausspucken der Feder. Der

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Werwolf muß das Fell ablegen; dem Löwenbären muß der Verwünschungsriemen, durch den er v.t wurde, aufgeschnitten werden; der Rentierfrau muß der Ehemann die Haut abziehen und einen Einschnitt in den Bauch machen; die Federhemden oder die kranke Haut wird weggenommen, versteckt, verbrannt . . . m ) ; all dies ist nur Variation desselben Gedankens in seiner einfachsten Form. Allerdings liebt der Aberglaube sie noch mit anderen Motiven zu verbinden. Die weiße Stute wird wieder eine Dame, wenn sie getötet und ihr Herz entzwei geschnitten wird, während bei der Rentierfrau der Mann korrekterweise darauf bedacht sein muß, sie nicht zu töten und nur einen „kleinen" Einschnitt zu machen 122 ). Andererseits meint man, daß jede Wunde den Zauber löst, und auch jeder Tod m ) . Wenn der Prikulitsch, der Werwolf, sich einmal in Tiergestalt v.t hat, kann er sich nicht wieder in einen Menschen v.n, wenn er nicht in dieser Tiergestalt zuvor ein Tier zerrissen und sein Fleisch gefressen hat, er kann also nicht so ohne weiteres sein Fell ablegen. Will er aber seine Disposition, unter der er ja leidend gedacht wird wie unter einer Krankheit, ein für allemal ablegen, soll er sich am heiligen Eliastag mit einem Eisen, das in einem Weihrauchbecken erhitzt worden ist, ein Kreuz in den Nacken brennen lassen. Dann verliert er sein Schwänzchen, das Zeichen wölfischer Natur, und ist befreit. Eine Rumänin zu Mühlbach lebte sehr unglücklich mit ihrem Mann, weil dieser tagelang sich herumtrieb und niemand wußte, was er da machte. Einmal, es war im Jahre 1888, kratzte es des Nachts vor ihrer Haustür; als sie aus dem Fenster sah, bemerkte sie vor der Tür einen großen Hund. Die Frau glaubte, es sei der Teufel. Deshalb nahm sie ein Stück Brot, machte das Zeichen des Kreuzes darüber und warf es dem Hunde vor. Da stand ihr Mann weinend vor dem Hause und begehrte Einlaß. Seit jenem Ereignis war er geheilt 124 ). Eine Vermischung der verschiedensten Erlösungsmotive zeigt eine bretonische Sage. Ein Soldat über-

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nachtet in einem behexten Haus. Vorsichtshalber legt er sich unter das Bett. Von da beobachtet er, wie eine große Sau hereinkommt, die ihr Fell ablegt, nachdem sie die Bettücher durchgewühlt, und als altes Weib dasteht. E r erschlägt sie mit dem Säbel und wacht dann die ganze Nacht über dem Fell, das er für teuflisch hält. Am Morgen sieht er, wie das Fell durch den Kamin davonfliegt — die Wolfshemden von Siegmund und Sinfjiötli werden sinngemäß verbrannt und fliegen so durch den Kamin davon 12S ) — und damit ist der Zauber gebrochen 126 ). Prinz Marcassin legt jeden Abend sein Fell ab; als seine Frau es versteckt, ist der Zauber gebrochen 127 ). Ein Mittel, den Zauber zu brechen, ist auch die E h e 1 2 8 ) . Das Fell des grauen Wolfs, der eine Bäuerin geheiratet hat, spaltet sich bei Beginn der Messe und er entpuppt sich als ein Prinz 1 2 9 ) — hier spielt vielleicht das Motiv der Übertragung der Reinheit mit. Oft wird dieses Heiratsmotiv dann mit dem Todesmotiv verbunden. Im Märchen vom Froschkönig muß die Königstochter den verzauberten Prinzen nicht nur in ihr Bett nehmen, sondern auch (tötend) an die Wand werfen, damit Entwandlung eintritt. Ein Wolf, der eine Frau geheiratet hat, befiehlt ihr, ihm nach der Hochzeit den Kopf abzuhacken 130 ). Bisweilen ist die D a u e r der V. von vornherein begrenzt, auf neun Tage, auf sieben Jahre, auf ein Jahr. Manchesmal wird dies so dargestellt, als sei nur innerhalb einer bestimmten Zeit die Erlösung (s. d.) oder Entwandlung möglich. Eine Königin wird verzaubert; sie muß ihr ganzes Leben lang verzaubert bleiben, wenn ihr die Erlösung nicht binnen 3 Tagen gebracht wird 1 3 1 ). Manchmal wird der Zauber auch gebrochen, wenn der Zauberer stirbt. Darauf haben die zahlreichen Riten Bezug, wo durch Gegenzauber der Zauberer in Gefahr gebracht wird. Gedacht ist dabei freilich zunächst nur, daß der Zauberer, um sein eigenes gefährdetes Leben zu retten, den Zauber löst. Aber im Hintergrunde vieler E r zählungen, besonders jener, wo es darauf

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ankommt, den Zauberer zu fangen und zu vernichten, steckt die Überzeugung, daß damit auch all seinen Übeltaten ein Ziel gesetzt i s t 1 3 2 ) . Bisweilen ist der Gegenzauber freundlicher. Die Märchen sind voll von Erzählungen, daß die Prinzessin erlöst ist, wenn sie l a c h e n kann; manchesmal muß auch eine andere Person zu einer schwierigen Handlung gebracht werden 1 3 3 ). Als dem heiligen Macarius eine Frau vorgeführt wird, die angeblich in ein Pferd v.t war, erklärte er: „Dieses Weib ist nicht v.t, sondern eure Augen sind verblendet". E r übergoß die Stute mit Weihwasser und machte die Zauberin wieder zur Frau Eine wichtige Rolle spielt die magische „ S c h a m " . Die freiwillig v.te Person kann in der Menschengestalt nicht bleiben, wenn die Gesetze des Zusammenlebens gebrochen werden. Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß bereits bei den Primitiven die Vorstellung herrschte, daß die mythischen oder halbmythischen Wesen nicht beständig die angenommene Gestalt behalten oder behalten können. Die Tiere tragen bei sich zu Hause Menschengestalt. Manche Zwei-NaturenWesen sind bei Tage Menschen, bei Nacht Tiere (z. B . die Hyänenmenschen, da die Hyänen Nachttiere sind); andere Tiere nehmen ungekehrt nur nachts Menschengestalt an. Andere müssen nur zu gewissen Zeiten, Festen, Zeremonien in ihre andere Gestalt zurückkommen. Dies ist aber nur die eine Seite. Die andere ist die, daß der Bruch des Vertrauens von Seiten des Menschen, der sich in einem Vorwurf, einer Beschimpfung, der Nennung des Namens äußert, eine Unmöglichkeit des Zusammenlebens mit sich bringt 1 3 S ). So bricht auch den Zauber, wer den V.ten mit seinem Taufnamen a n r u f t 1 3 6 ) . 87 ) C. L a n d t m a n n Folklore of the Kiwai Papua 493 ff. Acta societatis scientiarum fennicae X L V I I (1917). 88 ) W u n d t Mythus 89 2, 1 7 7 s . ) H e c k e n b a c h de nuditate 3 5 f . ; G. L a n d t m a n n Kiwai quos 461. 9 0 )D. J e n n e s a. a. O. X I I I Eskimo Folklore 57 A. 9 1 ) B i n d e 92 w a l d Sagenbuch (1873) 133. ) Spencer & Gillen The Arunte I 325t. 93 ) D. J e n n e s s 94 a. a. O. X I I I Eskimo folklore 76 A. ) S. T h o m p s o n Tales of the North American

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Indians 91. 9S ) Ebd. 1 6 7 s . 9e ) W. G o l t h e r 97 Mythologie (1895) 100. ) Andree Braunschweig 380. 98 ) W e i s e r Altgerm. Jünglings99 weihen 44. ) Vgl. Art. Berserker Bd. 1, 1094 Anm. 1. 1 0 °) ZdVfVk. 19 (1909), 40. 1 0 1 ) ZdVfVk. 24 (1914), 416. 1 0 2 ) C. L a n d t m a n n a. a. O. 213. 103) Ebd. 281, 506. 104 ) Th. K o c h - G r ü n berg Vom Roroima zum Orinoko II 82ff. 105 ) B a r t e l s Medizin 31 f. 1 M ) Ruth B e n e d i c t Tales of the Cochiti Indians Bureau of American Ethnology Bulletin 98, 95. 1 0 7 ) R. N e u h a u s Deutsch Neu-Guinea III 185. 106 ) M e y e r Aberglaube 270. 1 0 9 ) B o l t e - P o l i v k a 1,80. n») Ebd. 3, 89. m ) W e s t e r m a n n Kpelle 220. 1 1 2 ) B r i f f a u l t The Mothers 2, 599. 1 1 3 ) Meiche Sagen 114 5igi. Nr. 665. ) K ü h n a u Sagen 1, 278. 115 118 ) H e y l Tirol 694 Nr. 18. ) Ebd. 537 Nr. 107. 1 1 7 ) S