Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis: Eine Untersuchung zur Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben im einfachen Recht [1 ed.] 9783428510405, 9783428110407


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Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis: Eine Untersuchung zur Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben im einfachen Recht [1 ed.]
 9783428510405, 9783428110407

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AXEL HOLLENBACH

Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 920

Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis Eine Untersuchung zur Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben im einfachen Recht

Von Axel Hollenbach

Duncker & Humblot • Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11040-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Meinen Großeltern

Vorwort Die vorliegende Untersuchung entstand während meiner Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Allgemeine Rechtslehre von Prof. Dr. Dieter Lorenz an der Universität Konstanz. Sie wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftlichen Sektion der Universität Konstanz im Sommer 2002 als Dissertation angenommen und befindet sich auf dem Stand des Oktobers 2002. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dieter Lorenz, für seine andauernde Bereitschaft, sich mit dieser fachübergreifenden Themenstellung zu beschäftigen, für die inhaltlichen Anregungen und Gespräche sowie für die Gewährung der zur Anfertigung der Arbeit notwendigen Freiräume. Die an seinem Lehrstuhl herrschende akademische Offenheit und menschliche Atmosphäre trugen wesentlich zum Gelingen bei. Herrn Prof. Dr. Martin Ibler, Universität Konstanz, danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, für zahlreiche weiterführende Anmerkungen und seine aufmunternde Unterstützung in der „heißen Phase" der Anfertigung der Arbeit. Weiter möchte ich mich bei Kirsten Lehnig, Christoph Armbruster und Daniel Krausnick für viele aufschlußreiche Diskussionen bedanken. Grundlage der Entstehung des Buches war die großzügige Unterstützung durch meine Eltern, wie sie mir schon während meiner gesamten Studien- und Ausbildungszeit zukam. Neben meinen Eltern danke ich ganz besonders und herzlich Julia Neugart, die mir beim Voranschreiten der Arbeit mit seinen Höhen und Tiefen stets zur Seite stand. Konstanz, im Oktober 2002

Axel Hollenbach

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

Teil

A

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

20

Kapitel 1 Die grundrechtliche Schutzpflicht I. Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG 1. Schutzpflichtkonstellation als Ausgangspunkt der grundrechtlichen Schutzpflicht a) Voraussetzungen der Schutzpflichtkonstellation b) Schutzpflichtkonstellation im Arzt-Patienten-Verhältnis 2. Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts b) Auffassungen in der Rechtswissenschaft aa) Herleitung aus dem Wortlaut bb) Herleitung aus der Menschenwürde cc) Abwehrrechtliche Herleitung dd) Ideengeschichtliche Herleitung ee) Herleitung aus den grundrechtlichen Schranken und dem Sozialstaatsprinzip 3. Ergebnis II. Trennung vom Schutz der Menschenwürde III. Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG 1. Leben 2. Körperliche Unversehrtheit 3. Gesundheit 4. Verfügungsbefugnis und Selbstbestimmungsrecht 5. Ergebnis IV. Subjektives (Grund)Recht auf staatlichen Schutz V. Schutzverstärkung durch Internationale Regelungen 1. Europäische Menschenrechtskonvention 2. „Menschenrechts- und Biomedizin-Übereinkommen" des Europarats 3. Europäische Union a) Grundrechtsschutz auf der Ebene der EU

20 20 21 21 25 26 26 27 28 29 30 32 32 34 37 42 42 46 47 49 52 53 55 57 58 59 59

8

Inhaltsverzeichnis b) Kompetenzen und Grenzen der EG im Gesundheitswesen und beim Schutz der Patienten

61

Kapitel 2 Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht I. Erfüllungsverpflichtete oder Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht 1. Verfassungsrechtliche Grundaussagen zu Struktur und Kreis der Adressaten a) Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG und die grundrechtliche Schutzpflicht b) Bedeutung der Verfassung im modernen freiheitlich-demokratischen Rechtsund Sozialstaat aa) Verfassung und Zivilrecht bb) Verfassung und Strafrecht 2. Ergebnis II. Erfüllungshierarchie und Vorbehalt des Gesetzes 1. Begriffsbestimmungen 2. Schutzpflichterfüllung und Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG 3. Schutzpflichterfüllung und Vorbehalt des Gesetzes a) Herleitung und Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes b) Bestimmung des parlamentarischen Regelungsbereichs und der notwendigen Regelungsstruktur und -dichte aa) Parlamentarischer Regelungsbereich bb) Regelungsstruktur und -dichte der Parlamentsgesetze - Kriterien für die Schutzpflichterfüllung (1) Kriterien des Bundesverfassungsgerichts (a) Grundanforderungen an die staatliche Schutzgewährung (b) Dynamischer Rechtsgüterschutz (c) Präventiver und sanktionierender Rechtsgüterschutz (d) Schutz durch Strafrecht und Bürgerliches Recht (e) Aktive und passive Schutzmaßnahmen (2) Auffassungen im Schrifttum cc) Eigene Auffassung zum Zusammenhang zwischen den Kriterien für die Schutzpflichterfüllung und dem Bereich und Umfang parlamentarischer Regelung 4. Ergebnis III. Delegation der Schutzgewährung - Einbindung von „Facheinheiten" in die Schutzpflichterfüllung am Beispiel der ärztlichen Standesvertretungen 1. Ärztliche Standesvertretungen a) Organisation und Aufgaben b) Außenwirkung des Standesrechts und Steuerung des Arzt-Patienten-Verhältnisses als Schutzpflichterfüllung 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Einbindung der ärztlichen Standesvertretungen in die Schutzpflichterfüllung a) Demokratische Legitimation und Binnenautonomie b) Staatliche Kontrolle und Korrektur versus Zusammenarbeit und Kooperation IV. Schutzpflichterfüllung durch die Fachgerichtsbarkeit

66 67 67 67 70 70 75 76 76 76 78 80 80 84 84 87 88 88 90 91 92 94 94

97 99 101 102 102 104 108 108 112 114

Inhaltsverzeichnis 1. Einbindung und Schutzgewährung durch die Fachgerichte 2. Grenzen der Schutzgewährung durch die Fachgerichte a) Berührung der Bereiche parlamentarischer Regelungspflichten b) Schwierigkeiten der Gewährung präventiven Schutzes

9 114 116 116 121

Kapitel 3 Die „Grenzen" der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht I. Grundrechtliche Schutzpflicht unter dem Primat der Ökonomie II. Normative „Grenzen" der Schutzpflicht und im Arzt-Patienten-Verhältnis 1. Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient 2. Schwierigkeiten der Schutzpflichterfüllung, insbesondere durch parlamentarische Regelungen a) Grundrechtsrelevanz, Regelungsdichte und Bestimmtheitsgebot b) Übergangsfristen c) Weitere Schwierigkeiten , III. Grundrechtliche Schutzpflicht und Rechtspositionen der Ärzte 1. Grundrechtskollision infolge der ärztlichen Berufsfreiheit 2. Rechtliche Freiräume bei der Berufsausübung aufgrund von Besonderheiten des ärztlichen Berufs a) Kurier- oder Therapiefreiheit b) Freier Beruf c) Berufsständische Selbstverwaltung 3. Stärkung der Rechtsposition der Ärzte durch die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit a) Ärztliche Tätigkeit als Wissenschaft und Forschung aa) Begriffsbestimmung - das Problem der Definitionskompetenz bb) Wissenschaft und Forschung im Arzt-Patienten-Verhältnis b) Grundrechtlicher Schutz von Heilversuchen und Experimenten am Menschen aa) Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter bb) Grundrechtlich geschützte Rechtsgutsbeeinträchtigungen c) Folgerungen für die ärztliche Berufsfreiheit d) Konsequenzen für die Schutzpflichterfüllung durch das Parlament und die Fachgerichtsbarkeit IV. Grundrechtliche Schutzpflicht und Selbstbestimmungsrecht 1. Grundrechtliche Konfliktlage 2. Besonderheiten im Arzt-Patienten-Verhältnis V. Probleme der Schutzgewährung durch das Bundesverfassungsgericht

123 124 127 128 131 132 134 134 136 136 140 140 141 143 144 144 145 146 147 149 151 152 153 155 155 157 161

Kapitel 4 Ergebnis

166

10

Inhaltsverzeichnis Teil B Die einfach-rechtliche Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses auf dem Prüfstand der verfassungsrechtlichen Vorgaben

169

Kapitel 1 Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht I. Materielles Zivilrecht 1. Zivilrechtliche Einordnung des Arzt-Patienten-Verhältnisses a) Vertragsverhältnis und andere Konzeptionen sowie besondere Konstellationen b) Behandlungsvertrag 2. Rechtsgüterschutz des Patienten mittels vertraglicher Pflichten des Arztes a) Vertragspartner des Patienten b) Vertragliche Pflichten des Arztes und Rechtsgüterschutz des Patienten c) Konkretisierung der ärztlichen Pflichten durch die Rechtsprechung aa) Behandlungspflicht und Behandlungsfehler bb) Aufklärungspflicht und Aufklärungsfehler cc) Weitere ärztliche Pflichten 3. Grenzen vertraglicher Regelung und Gestaltung a) §134 BGB b) §138 BGB c) Vertragsnichtigkeit bei Strafgesetzen und parlamentarische Verantwortung .. II. Arzthaftungsprozeß 1. Rechtsgüterschutz durch Haftung des Arztes infolge der Heilbehandlung a) Verschuldensgrundsatz b) Vertragliche Haftung c) Deliktische Haftung d) Spezifische Schwierigkeiten der ärztlichen Haftung 2. Zugang zum Zivilgericht und Vorschaltung einer ärztlichen Schlichtungsstelle oder Gutachterkommission 3. Gerichtliche Sachverhaltsermittlung a) Faktische Bindungswirkung von Entscheidungen der Gutachter- und Schlichtungsstellen und Handhabung des Urkundsbeweises b) Sachverständigenbeweis 4. Rechtsgüterschutz des Patienten durch Beweiserleichterungen a) Grundrechtlicher Schutz und Beweisrecht im Arzthaftungsprozeß b) Gesetzliche Ausgestaltung des Beweisrechts und Handhabung durch die Rechtsprechung aa) Beweisrecht und die Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Patient bb) Beweisrecht und Notwendigkeit rechtfertigender Einwilligung des Patienten cc) Von der Rechtsprechung entwickelte Beweiserleichterungen zu Gunsten der Patienten c) Beurteilung des Beweisrechts im Arzthaftungsprozeß durch das Bundesverfassungsgericht

170 170 170 170 174 176 176 178 180 180 182 187 188 188 190 191 192 193 194 197 198 200 202 204 204 205 208 208 209 210 212 213 214

Inhaltsverzeichnis III. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den bestehenden zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis und Perspektiven 1. Richterliche Rechtsfortbildung und Vorbehalt des Gesetzes a) Aufweichung des Verschuldensgrundsatzes b) Dominanz gesetzlicher Generalklauseln 2. Perspektiven der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Zivilrecht a) Parlamentsgesetzliche Regelung des medizinischen Behandlungsvertrags ... b) Einbindung des ärztlichen Standes, insbesondere zur Bestimmung ärztlicher Leistungspflichten und haftungsrelevanter Fehler c) Versicherungslösung d) Fortentwicklung des präventiven Rechtsgüterschutzes

218 218 218 221 224 224 228 230 231

Kapitel 2 Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Strafrecht I. Rechtsgüterschutz durch die strafrechtliche Erfassung ärztlicher Heilbehandlungen II. Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes bei Heilbehandlungen 1. Fehlerhaftes ärztliches Verhalten und Einwilligung des Patienten a) Behandlungsfehler, Aufklärungsfehler und objektive Zurechnung b) Rechtswidrigkeit und Einwilligung des Patienten 2. Schuldprinzip 3. Auffangtatbestand „Unterlassene Hilfeleistung" III. Zusammenfassung der Schwierigkeiten des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes im Arzt-Patienten-Verhältnis und Perspektiven 1. Übertragung der verfassungsrechtlichen Bedenken zum Zivilrecht 2. Rechtsgüterschutz unter den besonderen Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG 3. Perspektiven des Patientenschutzes durch das Strafrecht

233 233 237 237 238 240 244 246 248 248 250 252

Kapitel 3 Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens I. Beginn des Lebens und vorgeburtliches Stadium 1. Schutzpflichtkonstellation 2. Ausgestaltung des Rechtsgüterschutzes im vorgeburtlichen Stadium a) Künstliche Fortpflanzung und Embryonenschutz aa) Rechtsgüterschutz durch das Embryonenschutzgesetz bb) Embryonenschutz durch das Verbot mißbräuchlicher Fortpflanzungstechniken b) Pränatale Untersuchungen aa) Grundrechtsrelevanz im vorgeburtlichen Stadium bb) Rechtsgüterschutz bei pränatalen Untersuchungen cc) Präimplantationsdiagnostik c) Schwangerschaftsabbruch aa) Rechtsgüterschutz und Lebensvernichtung bb) Gesetzliche Ausgestaltung des Schwangerschaftsabbruchs

253 254 254 255 257 258 260 263 264 265 266 268 268 271

12

Inhaltsverzeichnis

cc) Schutzkonzept und besondere Abbruchsmethoden 274 3. Zusammenfassende Kritik am bestehenden Rechtsgüterschutz am Lebensbeginn und Abhilfemöglichkeiten 277 a) Künstliche Fortpflanzung - Pränataldiagnostik - Schwangerschaftsabbruch . 277 b) Strafrechtlicher Schutz der Embryonen und des ungeborenen Lebens - ESchG und §§218ff. StGB 279 c) Embryonenschutz und Embryonenforschung 280 d) Perspektiven des Rechtsgüterschutzes im vorgeburtlichen Stadium 284 II. Ende des Lebens 288 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Sterbehilfe 288 a) Grundrechtliche Schutzpflicht und Selbstbestimmungsrecht 288 b) Schutz und Eingriff 291 2. Einfach-rechtlicher Rahmen der Sterbehilfe de lege lata 292 a) Strafrecht 293 aa) Strafrechtlicher Schutz vor Sterbehilfe und seine Ausnahmen 293 bb) Verfassungsrechtliche Kritik am bestehenden Strafrecht 295 b) Zivilrechtliche Komponenten bei der Sterbehilfe 296 aa) Selbstbestimmung durch Patiententestamente und gewillkürte Vertretung 297 bb) Gerichtlicher Lebensschutz im Rahmen von Betreuungsverhältnissen .. 298 c) Wertungswidersprüche zum Strafrecht 300 3. Parlamentarische Regelung der Sterbehilfe de lege ferenda 300 Kapitel 4 Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen des Arzt-Patienten-Verhältnisses I. Einsatz von „Fremdgütern" bei der ärztlichen Heilbehandlung am Beispiel von Arzneimitteln 1. Schutzwirkung des AMG im Arzt-Patienten-Verhältnis 2. Weitere Einschränkung des Schutzes durch das AMG bei besonderen ärztlichen Maßnahmen im Arzt-Patienten-Verhältnis a) Neue Anwendungsgebiete von Arzneimitteln b) Eigene Arzneimittelherstellung für die Heilbehandlung 3. Ergebnis und Folgerungen II. Rechtsgüterschutz bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten 1. Rechtsgüterschutz bei der klinischen Prüfung a) Humanexperiment aa) Gesetzliche Voraussetzungen bb) Einbindung von Ethik-Kommissionen b) Heilversuch 2. Folgerungen für die Humanforschung und Heilversuche insgesamt III. Transplantations-und Transfusionswesen 1. Transplantationswesen a) Rechtsgüterschutz der Organspender - Gesetzliche Voraussetzungen der Organentnahme

302

303 304 306 306 307 310 311 312 312 312 315 316 317 319 319 321

Inhaltsverzeichnis aa) Tote Spender (1) Grundrechtliche Schutzpflicht und gesetzlicher Todeszeitpunkt (2) Selbstbestimmungsrecht des Spenders bb) Lebende Spender (1) „Äußere" gesetzliche Schutzbestimmungen (2) Schutz des Selbstbestimmungsrechts und Beschränkung des Empfängerkreises b) Rechtsgüterschutz bei der Organübertragung aa) Rechtsgüterschutz der Spender und Empfänger bei der Organübertragung bb) Grundrechtliche Schutzpflicht und gesetzliche Delegation (1) Vertragskonzeption (2) Richtlinien der Bundesärztekammer 2. Transfusionswesen a) Rechtsgüterschutz bei der Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen b) Rechtsgüterschutz bei der Anwendung von Blutprodukten c) Grundrechtliche Schutzpflicht und gesetzliche Delegation - Richtlinien der Bundesärztekammer 3. Ergebnis

321 322 326 327 327 329 331 331 333 333 335 337 339 342 343 345

Kapitel 5 Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung I. Inhaltliche Gestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im Rahmen der GKV 1. Einbindung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in das System der GKV 2. Inhaltlicher Einfluß der GKV auf die ärztliche Heilbehandlung a) Gesetzlicher Rahmen von Leistung und Leistungserbringung b) Insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot c) Normative untergesetzliche Vorgaben am Beispiel der Richtlinien der Bundesausschüsse d) Inhaltlicher Einfluß durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen — II. Verfassungsrechtliche Kritik 1. Inhaltliche Gestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch die GKV a) Grundrechtsschutz der gesetzlich versicherten Patienten b) Grundrechtsschutz der (Vertrags)Ärzte 2. Umfang zulässiger parlamentarischer Delegation und untergesetzliche Normsetzung III. Zusammenfassung und Perspektiven des Systems der GKV

347 349 349 351 351 353 355 359 360 360 361 365 367 371

Teil C Zusammenfassende Schlußbetrachtung

375

Literaturverzeichnis

383

Sachverzeichnis

409

Einleitung Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Das materielle Zentrum des Grundgesetzes und damit der staatlichen Ordnung insgesamt sind die Grundrechte. Nicht zuletzt durch den Einfluß des Bundesverfassungsgerichts kommt den - bislang und überwiegend - vorbildhaft knapp formulierten Rechtssätzen weitreichende Wirkung in der gesamten Rechtsordnung und der Gestaltung der Gesellschaft zu. Auch die traditionell durch eine Betonung des beruflichen Ethos der Ärzte geprägte Behandlung der Patienten kann sich dem nicht entziehen. Recht und Medizin werden oft als Antipoden angesehen und die fachlichen Auseinandersetzungen mit entsprechender Vehemenz geführt. Ähnliche Vehemenz ist allerdings auch bei der Diskussion um die Zuweisung von Grundrechtsfunktionen oder die Annahme verschiedener grundrechtlicher Gehalte zu beobachten. Dies ist damit zu erklären, daß die Grundrechtsauslegung nicht auf juristisch-dogmatische Auseinandersetzung reduziert werden kann, mit ihr vielmehr stets Staatsverständnisse verbunden sind. Die Zielsetzung der Arbeit ist die Hervorhebung und Stärkung der elementaren, auf Verfassungsebene verbindlich gewährleisteten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit, die zugleich Grundbedingungen persönlicher Existenz sind. Auch heutzutage werden diese noch oft und verschiedenartig gefährdet oder verletzt. In der gesicherten rechtsstaatlichen Demokratie geraten allerdings neuartige Bedrohungen in das Blickfeld, die sich aus dem enormen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt bei gleichzeitiger Tendenz des Staates zum bereichsweisen Rückzug ergeben. Die Rechtsgutsbeeinträchtigungen gehen weniger vom Staat als vielmehr von privatwirtschaftlicher Tätigkeit aus, die - zumindest auch - unter der Prämisse der Gewinnerzielung steht. Biomedizin und die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, um einen der schillerndsten Bereiche der modernen Medizin zu nennen, sind in diesem Sinne auch ein Wachstumsmarkt, der von den beteiligten Medizinern, Forschungseinrichtungen und Unternehmen auch als solcher angesehen wird. In die gleiche Richtung geht der von staatlicher oder politischer Seite oft eingebrachte Aspekt des Wirtschaftsstandortes. Infolgedessen drohen Gefährdungspotentiale unterschätzt oder gar heruntergespielt zu werden. Die beschriebene Einordnung stellt allerdings nur einen Aspekt einer übergeordneten Konfliktlage dar, was durch die ausufernde Zahl der Arzthaftungsprozesse bestätigt wird. 1 Auf 1 Ulsenheimer , in: Laufs/Uhlenbruck, § 112 Rn. 1 ff. nennt für 1999 eine Anzahl von 6.000-8.000 Zivilklagen - Haftpflichtversicherer sollen dagegen jährlich 15.000 Arzthaftpflichtfälle zählen - und schätzt dies angesichts der Entwicklung der letzten 15 Jahre als revolutionär ein.

16

Einleitung

der Seite der Kranken und Patienten dominiert die Hoffnung auf Heilung oder Linderung der Beschwerden durch bestehende oder zu entwickelnde Behandlungsmöglichkeiten. Sie vertrauen in die Kompetenz und moralische Verantwortung der Ärzte. In dem so zustande kommenden Spannungsfeld gilt es die Position des Staates und seiner Organe zu bestimmen. Inwieweit ist der Staat zum Handeln verpflichtet, inwieweit darf er auf die Konfliktbewältigung durch gesellschaftliche Selbstregulierung vertrauen? Inwieweit muß der Staat aktiv die körperlichen Rechtsgüter und das Selbstbestimmungsrecht der Patienten schützen, inwieweit können dagegen die ärztliche Berufs- und Therapiefreiheit, 2 die Standesautonomie des freien Arztberufs oder allgemein eine die Probleme nicht lösende „Verrechtlichung" des Gesundheitswesens eingewendet werden? Das Wohl der Patienten und Bürger muß das Anliegen von Staat und Ärzten sein. In diesem Sinne soll vorliegend keine Kluft zwischen staatlichen Organen und ärztlichem Stand beschrieben oder herbeigeführt werden, sondern es gilt ein Konzept zu entwickeln, in dem diese gemeinsam den Rechtsgüterschutz des Patienten verbessern. Dies bedeutet die Einbindung, nicht die Ausgrenzung der Ärzte und ihrer fachlich kompetenten Standesvertretungen in Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Patienten, die sich jedoch im von der Rechts- und insbesondere Verfassungsordnung vorgegebenen Rahmen bewegen muß. In diesem Rahmen ist aus der Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient auch eine Rechtsbeziehung geworden. Der freie Beruf der Ärzte wird rechtlich gestaltet, wobei die momentanen Hauptgestaltungsfaktoren - zivil- und strafrechtliche Arzthaftungsjudikatur, Gesetzliche Krankenversicherung und Standesvorgaben - oftmals weder den Interessen der Ärzte noch der Patienten entsprechen. Grundsätzlich erweist sich das Recht aber als durchaus brauchbares Instrument zur Erfassung medizinisch-wissenschaftlicher und ethischmoralischer Bereiche sowie zur Auflösung bestehender Interessenkonflikte. Eine Präzisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen stößt indes auf begriffliche Schwierigkeiten: Die Summe der objektiven rechtlichen Regelungen, die sich auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient beziehen, hat in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen erfahren. So spricht zum Beispiel Deutsch von Arztrecht und erkennt neben diesem das Arzneimittelrecht oder das Recht der Medizinprodukte als gegenständliche Rechtsgebiete an.3 An anderer Stelle wird vom Gesundheitsrecht gesprochen,4 oder aber das Arztrecht als Kernstück des Gesundheitsrechts bezeichnet.5 Inhaltlich beschreiben diese Begriffe Regelungen, die sowohl die ärztliche Berufsausübung unabhängig von deren Einordnung als freier Beruf prägen, als auch die Position des Patienten betreffen. Eine Schwäche des Begriffs des Arztrechts ist daher seine Akzentuierung - räumt doch auch Deutsch ein, daß der Patient interessen- und wertungsjuristisch gleichberechtigt erscheint.6 Einigkeit besteht darüber, 2 3 4 5 6

Früher „Kurierfreiheit"; vgl. Laufs , Arztrecht, Rn.41 ff., 484ff.; Francke , S. 56 ff. m. w. Nw. Deutsch , Rn. 1. Z. B. E. Jung, S. 110f. Laufs, Arztrecht, Rn. 1. Deutsch , Rn. 1.

Einleitung

daß die rechtlichen Vorschriften, die die Rahmenbedingungen für das Verhältnis zwischen Arzt und Patient darstellen, unübersichtlich oder zersplittert sind.7 Um so wichtiger ist daher die Herausarbeitung der tragenden Grundlagen und Zusammenhänge, die von zwei Seiten ausgehen kann. Die eine, mehr dem ärztlichen Selbstverständnis entsprechend, ist die Einordnung der ärztlichen Standesethik als verbindendes Fundament.8 Die andere, hier verfolgte, ist die Rückführung auf verfassungsrechtliche Vorgaben. Die Besonderheit des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient - dies zeigt schon der Blick auf die bestehende Gesetzeslage9 - ist seine Durchdringung der gesamten Rechtsordnung, die die herkömmliche Unterteilung in Zivilrecht, öffentliches Recht und Strafrecht zurücktreten läßt. 10 Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von zahlreichen Determinanten bestimmt, die im Laufe einer Behandlung und wie das Arzthaftungsrecht zeigt, auch nach deren Abschluß zu berücksichtigen sind.11 Im Rahmen einer medizinisch indizierten Behandlung - Diagnose und Therapie - steht die Wiederherstellung der Gesundheit im Vordergrund, die jedoch vom Arzt nicht garantiert werden kann. In besonderen Bereichen, wie der künstlichen Fortpflanzung, dem Transplantations- oder Transfusionswesen, bestehen heute eigene Regelungen, die den Ablauf der Behandlung steuern, zum Teil aber bestimmte Maßnahmen auch ausschließen. Oftmals ist die Behandlung mit Eingriffen in die körperliche Integrität verbunden; ist sie schwierig und riskant, begibt sich der Patient zu ihrer Durchführung regelmäßig in ein Krankenhaus. Manche Behandlungen sind so riskant beziehungsweise wenig erprobt, daß ihnen experimenteller Charakter zukommt. Die ganz überwiegende Zahl der Behandlungen ist zudem in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung eingebettet. Hier ist der freiberufliche Arzt Vertragsarzt, der Patient zumeist qua gesetzlicher Anordnung pflichtversichert. Die Leistungspflicht der Versicherung ist allerdings auf die Kosten der nicht autonom durchzuführenden Behandlung beschränkt; steht ein ärztlicher Behandlungsfehler im Raum, ist der Patient trotz zunehmend zu beobachtender Unterstützung durch den Krankenversicherungsträger für die Geltendmachung seiner Schäden selbst verantwortlich: Es folgt der zivile Arzthaftungsprozeß, mit dem ein strafrechtliches Verfahren einhergehen kann.12 Die juristische Erfassung der eben beschriebenen Situation steht nicht nur wegen der komplexen Strukturen des Arzt-Patienten-Verhältnisses, sondern auch ange7

Laufs , Arztrecht, Rn. 1; E. Jung , S. 110, spricht von „Wildwuchs". V. a. vertreten von Laufs , Arztrecht, Rn. 1 ff. m. w. Nw.; relativierend aber ders ., in: FS Geiger, S. 235 ff. 9 Dazu ausführlich unten B. 10 Zutreffend Deutsch , Rn. 1. 11 Zum Ganzen auch Francke , S. 33 ff. 12 Wegen der unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze wird oft versucht, dem Zivilprozeß ein Strafverfahren vorzuschalten; vgl. Ulsenheimer , in: Laufs/Uhlenbruck, § 112 Rn.7. Die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit fällt jedoch oft auch auseinander; dazu ebenfalls Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 112 Rn. 8 ff. 8

2 Hollenbach

18

Einleitung

sichts der rasanten Entwicklung und weitreichenden Möglichkeiten der modernen Medizin vor besonderen Herausforderungen. Gerade diese führen zur inzwischen verbreiteten Sichtweise, daß die Ausgestaltung der Beziehung zwischen Arzt und Patient nicht der ärztlichen, teilweise in standesrechtliche Vorschriften eingeflossenen Ethik überlassen werden kann, sondern von der Rechtsordnung zu erfassen sei.13 Dies führt zu einem Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient, in dem gesetzliche und standesrechtliche Vorschriften zu beachten sind und Mißachtungen haftungsrechtlich sanktioniert werden. 14 Während früher in diesem Rahmen vorwiegend die Regelungen des einfachen Rechts angeführt wurden, 15 wird zunehmend die verfassungs- oder grundrechtliche Durchdringung gesehen.16 Neben ihrem Einfluß auf das Arzt-Patienten-Verhältnis ist den Vorschriften nämlich ihre Verfassungsbindung gemeinsam, die zum Gegenstand der Untersuchung führt: Es soll der Frage nachgegangen werden, ob auch verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen im Sinne verbindlich zu beachtender oder umzusetzender Vorgaben bestehen, die ihrerseits die genannten Regelungen determinieren und zu einer konsistenten Ausgestaltung der einfachen Rechtsordnung durch die staatliche Gewalt führen. Denn nur bei verfassungsrechtlicher Legitimation können die staatlichen Organe regelnd in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingreifen, nur das Verfassungsrecht liefert die Maßstäbe für das Verhältnis der staatlichen Gewalten - Parlament, Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit, Exekutive - beim Einsatz des rechtlichen Instrumentariums zum Schutz der Grundrechte. Eine derartige Untersuchung zur Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben im einfachen Recht hat den Charakter eines „Streifzuges", der keinen abschließenden Überblick über die rechtlichen Einzelfragen, aber auch die Literatur und Rechtsprechung enthalten kann. Im ersten Teil der Untersuchung (A) wird der Frage nachgegangen, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine Verpflichtung des Staates zur Schutzgewährung bei Grundrechtsbeeinträchtigungen bestehen. Im Vordergrund steht dabei die einschlägige Judikatur des Bundesverfassungsgerichts. Daneben wird der Aspekt des normativen und rechtlichen Schutzes betont und weniger Gewicht auf tatsächliche staatliche Fördermöglichkeiten und das Sozialstaatsprinzip gelegt. Im zweiten Teil der Untersuchung (B) wird der Frage nachgegangen, ob die das Verhältnis zwischen Arzt und Patient determinierenden Regelungen des einfachen Rechts den bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen und zu einer Schutzkonzeption zusammengeführt werden können. Dabei wird ein weites Verständnis des ArztPatienten-Verhältnisses zu Grunde gelegt, das sich nicht auf ärztliche Heilbehand13

Unklar daher E. Jung , S. 118 f.; wie hier Steiner , S. 8 ff. Ebenfalls nicht Gegenstand der Untersuchung sind berufsrechtliche Sanktionen disziplinarischer Art im Rahmen des Kammerwesens gegen die Ärzte; dazu Kleine-Cosack, S. 169 ff.; Brandstetter, S.25ff. 15 Vgl. E. Jung , S. 118 ff., der nur seine abschließenden Reform Vorschläge einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterwirft (S. 249ff. m.Nw. zur damaligen zurückhaltenden Literatur). 16 Ebenso Francke , S.72ff„ 136ff. und passim; vgl. auch Lorenz , in: HStR VI, § 128 Rn. 64f.; ansatzweise Deutsch , Rn. 6. 14

Einleitung

19

lungen beschränkt, sondern zum Beispiel die Humanforschung, ärztliche Eingriffe bei Ungeborenen, die Sterbehilfe oder Krankenbehandlungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt. Insgesamt stellt die Arbeit damit eine aktuelle rechtliche Standortbestimmung des Arzt-Patienten-Verhältnisses dar, versteht sich aber darüber hinaus exemplarisch in der Hoffnung, das Problembewußtsein und die Problembewältigung nicht nur im Bereich des Gesundheitswesens zu fördern. 17 Auch und gerade bei der Einbettung des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient in die Rechtsordnung gilt unter dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wie schon im Geiste des Hippokrates: Salus aegroti suprema lex oder - zeitgeschichtlich gesprochen - von der Ethik zum Recht.18

17

Zum Gesundheitswesen auch die mit der Feststellung eines Fortentwicklungsbedarfs zu Gunsten der Patienten verbundene Bestandsaufnahme von Francke/Hart , insbesondere S. 212ff., 233 ff. 18 Angesichts der heutigen Betonung der Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten wird auch für eine Ablösung durch den Satz „voluntas aegroti suprema lex" plädiert; so Bockelmann , in: Eser, S. 176. 2*

Teil A

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen Kapitel 1

Die grundrechtliche Schutzpflicht Der Ausgangspunkt der ärztlichen Heilbehandlung ist - mit Ausnahme medizinischer Zwangsbehandlungen - die Entscheidung des Kranken, einen Arzt aufzusuchen. Die durchgeführten ärztlichen Maßnahmen und Eingriffe, insbesondere in Form von Heilbehandlungen berühren dann jedoch die körperliche Integrität der Patienten. Auch die Heilung der Patienten im Sinne der Wiederherstellung ihrer Gesundheit führt oft über Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und kann überdies mit weiteren Risiken für diese, zum Teil sogar für das Leben verbunden sein. Ausgangspunkt der Suche nach einer Verpflichtung des Staates zur Schutzgewährung soll damit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sein. Zunächst ist zu klären, ob der Norm eine Schutzverpflichtung entnommen werden kann, die Bestimmung des Schutzumfangs und der geschützten Rechtsgüter erfolgt danach.1 I. Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 G G Die Ableitung einer staatlichen Schutzpflicht für Grundrechtsgüter außerhalb der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG bedarf angesichts der historischen Entwicklung des Grundgesetzes sowie des Wortlauts der Grundrechtsbestimmungen einer eigenen dogmatischen Begründung. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet für jeden das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dies bedeutet zunächst und unzweifelhaft ein Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen. 2 Eine grundrechtliche Schutzpflicht ergibt sich daraus nicht ohne weiteres.3 Ihre Existenz ist jedoch im Ergebnis, insbesondere für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, sowohl in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts 4 als auch im ganz überwiegenden 1

Unten III., IV. sowie Kap. 2, Kap. 3. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 51. 3 Isensee, Sicherheit, S. 33 spricht von vergessener Seite der rechtsstaatlichen Verfassung. 4 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit BVerfGE 39, 1 - Schwangerschaftsabbruch I; 45, 187 - Lebenslange Freiheitsstrafe; 46, 160 - Schleyer; 46, 214 - Strafvollstreckung; 49, 24 - Kontaktsperre; 49,89 - Schneller Brüter Kalkar I; 49,304 - Sachverständigenhaftung; 52, 131 - Arzthaftungsprozeß; 52, 214 - Zwangsräumung; 53, 30 - Mülheim-Kärlich; 56, 2

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Schrifttum anerkannt: Der Staat ist (auch) verpflichtet, die genannten Rechtsgüter zu schützen, er trägt Verantwortung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung reicht es aus, die wesentlichen Herleitungsansätze nachzuvollziehen. 1. Schutzpflichtkonstellation als Ausgangspunkt der grundrechtlichen Schutzpflicht a) Voraussetzungen der Schutzpflichtkonstellation Im Verhältnis zwischen Bürger und Staat sind die Grundrechte neben den anderen spezifisch relevanten Bestimmungen, zum Beispiel dem Rechtsstaatsprinzip, die obersten rechtlich normierten Maßstäbe. Die Verfassung als normatives Dach der gesamten nationalen Rechtsordnung spiegelt das moderne Staatsverständnis wider, nach dem sich der Staat und die von seinen Organen ausgeübte hoheitliche Gewalt in ihrem Nutzen für den Einzelnen und die Gesellschaft legitimiert. In der Konsequenz muß staatliches Handeln stets die Personalität seiner Adressaten achten und für diese berechenbar sein. Entsprechend der historischen Entwicklung des Grundgesetzes steht die Abwehr staatlicher Eingriffe, das heißt zielgerichteter Beeinträchtigungen rechtlich geschützter Positionen, im Vordergrund der Regelungsintention. Wollen Träger öffentlicher Gewalt in durch die einzelnen Grundrechte speziell unter rechtlichen Schutz gestellte und damit verfaßte Lebensräume rechtsverkürzend einwirken, muß sich dieses Verhalten insbesondere am Maßstab des jeweiligen Grundrechts messen lassen. Die Ausnutzung dieser gegenüber dem Staat geschaffenen Freiheitsräume durch Private, zum Beispiel im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit, führt zusammen mit fortschreitenden technischen Möglichkeiten und wissenschaftlichen Kenntnissen dazu, daß die Freiheitsräume anderer Privater weitreichend berührt werden. Ver54 - Fluglärm; 57, 70 - Krankenversorgung; 57, 250 - Zeugenschutz; 59, 275 - Schutzhelmpflicht; 64, 261 - Hafturlaub; 66, 39 - Atomwaffenstationierung/Nachriistung; 77, 170 C-Waffen; 77, 381 - Zwischenlager Gorleben; 78,290 - Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf; 79, 174-Verkehrslärm; 80, 81 - Aufenthaltsrecht; 81, 310-Schneller Brüter Kalkar II; 85, 191 - Nachtarbeit; 87, 363 - Nachtbackverbot; 88, 203 - Schwangerschaftsabbruch II; 90, 145 - Cannabisprodukte; 92,26 - Seeschiffahrt; 96,56 - Abstammung; 97,169 - Kündigungsschutz (zu Art. 12 Abs. 1 GG); 98, 265 - Bay. Schwangerenhilfeergänzungsgesetz; 102, 26-Frischzellen; BVerfG, NJW 1987, 180-Gurtanlegepflicht; NJW 1987, 2287- Aids-Bekämpfung; NJW 1989, 3269 - Jugendreligionen; NJW 1995, 2343 - Promillegrenze; NJW 1996,651 - Tempolimit; NJW 1996,651 - Ozonkonzentration; MedR 1997,318-Gesetzliche Krankenversicherung!; NJW 1997, 2509 - Elektrosmog; NJW 1997, 3085 - Gesetzliche Krankenversicherung II; NJW 1998, 975 - Weltraumforschung; NJW 1998, 2961 - Nichtraucher; UPR 2000, 111 - Strahlenschutz. 5 Stellvertretend die Monographien von G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, alle m. zahlr. Nw.

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stärkt wird diese Berührung durch die Bündelung von gleichgerichteten Einzelinteressen im Zusammenschluß zu Interessenvertretungen. Auch wenn diese Kollisionen unter Privaten oder im sogenannten gesellschaftlichen Bereich auftreten, ist evident, daß dieser kein rechtsfreier sein kann. Um ein Zusammenleben aller möglich zu machen, unterliegt die Selbstbestimmung des einzelnen notwendig Schranken - entsprechend der Legitimation und Organisation des Staates sind diese rechtlicher Natur. Die regelmäßig zweipoligen Rechtsverhältnisse der Eingriffsabwehrkonstellation reichen nicht aus, um die hier auftretenden Probleme angemessen zu bewältigen. Es stellt sich die Frage, wie der Staat kraft seiner Rechtsordnung die möglichst weitreichende Freiheitsverbürgung zu Gunsten des Einzelnen mit dessen Übergriffen in gleichfalls grundrechtlich verbürgte Freiheitsräume anderer in Einklang bringen kann. Die Antwort liegt in der Schaffung eines grundrechtlichen Gegengewichts - eben der grundrechtlichen Schutzpflicht. Zugleich ist damit die für die grundrechtliche Schutzpflicht notwendige Schutzpflichtkonstellation umschrieben. In dieser werden Rechtsgüter Privater durch andere Private beeinträchtigt und der Staat begibt sich durch seine Organe schützend an die Seite desjenigen, dem die Rechts Verkürzung droht. 6 An dieser Ausgangslage ändert auch die Tatsache nichts, daß der Staat in Sachbereichen, die spezielle Kenntnisse voraussetzen, nicht umhin kommt, die Interessenvertretungen in die staatliche Aufgabenerfüllung einzubinden, um diese sachgerecht durchführen zu können. Zeigt dies die innere Verstrikkung von Staat und privater Tätigkeit, wird sie auch äußerlich durch die Möglichkeit der öffentlich-rechtlichen Organisation der Interessenvertretungen wie bei den Landesärztekammern deutlich. Auszuräumen gilt es indes einige bislang zu beobachtende Ungereimtheiten im Hinblick auf die beschriebene Schutzpflichtkonstellation. Die Schutzpflichtkonstellation resultiert aus dem Anwendungsbereich der Grundrechte. Zur Bestimmung ihrer Voraussetzungen kann daher nicht ohne weiteres auf einfachgesetzliche Kategorien zurückgegriffen werden. Insbesondere betrifft dies die Anknüpfung an eine Gefahr für die Rechtsgüter, um die Schutzpflicht entstehen zu lassen.7 Der aus dem Polizeirecht als Inbegriff des Gefahrenabwehrrechts stammende Gefahrenbegriff führt zur Notwendigkeit einer gewissen Intensität und zeitlichen Aktualität der Rechtsgutsbeeinträchtigung. Diese sind aber für die beschriebene Überschreitung der Grenzen der Selbstbestimmung nicht per se notwendig. Das Bestehen der grundrechtlichen Schutzpflicht setzt keine Gefahrenschwelle oder sogar das Vorliegen 6 Vgl. auch Dietlein, S. 74ff. m. w. Nw.; G. Hermes, S. 6 ff.; sowie die oben angeführten Entscheidungen des BVerfG zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; ganz selbstverständlich ist damit, daß die Entstehung der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht durch entgegenstehende Interessen gehindert wird; Böhm, S. 121. Die Schutzpflicht wird über diese Konstellation hinaus zum Teil auch in zweipoligen Konstellationen, z. B. bei Naturkatastrophen oder Seuchen, für existent gehalten; dazu sogleich. 7 Vgl. Murswiek, S. 149ff.; Hermann, S. 128 ff., beide auch in Auseinandersetzung mit der Judikatur des BVerfG; Dietlein, S. 111 ff. m. w. Nw.

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nicht unerheblicher Gefahren voraus. Genauso wenig kann der heute neben den Gefahrenbegriff getretene Begriff des Risikos, der für das moderne Technikrecht einen eigenständigen Inhalt aufweist und brauchbar ist, unmittelbar als Anknüpfungspunkt verwandt werden, da die grundrechtliche Schutzpflicht über einen übergeordneten Anwendungsbereich verfügt. 9 Diese einfach-rechtlich geprägten Begriffe sind nur in ihrem Sachbereich einschlägig. Auch wenn das Grundgesetz Begriffe des einfachen Rechts aufgreift, 10 bedarf der verfassungsrechtliche Begriff einer eigenständigen Auslegung. Trotz der (terminologischen) Anknüpfung der grundrechtlichen Schutzpflicht an Rechtsgutsgefährdungen können daher vorgelagerte Risiken nicht einfach vom Anwendungsbereich ausgeschlossen werden. 11 Die Schutzgewährung erfolgt nicht auf der Basis eines zu akzeptierenden „Restrisikos". 12 In diesem Sinne ist auch bei einem allgemeinen Lebensrisiko die staatliche Pflicht zur Gefahrenreduzierung zu bejahen.13 Ansätze, die den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch Sozialadäquanz oder ein allgemeines Zivilisationsrisiko beschränken wollen, 1 4 sind damit abzulehnen. Ebenso wenig unterliegen die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einer Sozialpflichtigkeit ähnlich Art. 14 Abs. 2 GG. 15 Im Gegenteil, mit zunehmenden technischen und medizinischen Möglichkeiten und Gefahrenpotentialen steigen auch die Bedeutung und Anwendungsbereiche der grundrechtlichen Schutzpflicht. Die Schwelle für das Bestehen der Schutzpflichtkonstellation ist damit niedrig anzusetzen, von den in einzelnen Rechtsgebieten entwickelten Kategorien geht keine einschränkende Wirkung aus. Eine weitere Unsicherheit ergibt sich aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, nach der Schutz gegen rechtswidrige Eingriffe zu gewähren ist. 16 Eine Bestimmung der Rechtswidrigkeit durch das einfache Recht scheidet aus, da dieses und vor allem der Gesetzgeber nicht über die Reichweite grundrechtlichen Schutzes disponieren können.17 Die Bedeutung der Schutzpflicht liegt gerade in der Erfassung von Grundrechtsgefährdungen und -Verletzungen, die durch das geltende einfache Recht nicht befriedigend oder ausreichend bewältigt werden. Wird danach ein rechtsgutsbeeinträchtigendes Verhalten beispielsweise von Strafgesetzen nicht erfaßt, stellt sich die Frage, ob der grundrechtliche Schutz durch entsprechende Gesetzesänderungen zu gewährleisten ist. Der Schluß, daß in dieser Situation gerade 8 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 30ff.; Böhm, S. 114, auch m. Nw. zu Gegenansichten; vgl. weiter BVerfGE 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57 f.); 56, 54 (78). 9 Vgl. auch Hermann, S. 130ff. 10 Z. B. in den Art. 13 Abs. 2, Abs. 7, 11 GG. 11 Vgl. DiFabio, S.27ff., 50ff. und passim; Murswiek, S. 83 ff.; kritisch zur Verwendung neuer unbestimmter Rechtsbegriffe in Schutzgesetzen Lukes, DVB1. 1990, 274f., 278. 12 Vgl. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 34. 13 Dazu ebenfalls Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 35, 53 f. 14 Z. B. Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 211 ff.; Degenhard S. 146ff. 15 Hermann, S. 148, 185. 16 Vgl. unten 2.a). 17 So auch Dietlein, S. 106; G. Hermes, S. 227.

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keine Schutzpflichtkonstellation gegeben ist, würde im übrigen auch der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts selbst widersprechen. 18 Die Frage, inwieweit Rechtsgutsbeeinträchtigungen als rechtswidrig anzusehen sind, kann daher nur die Antwort des einfachen Rechts auf die grundrechtliche Konfliktlage zwischen Rechtsgütern des Schutzsubjekts und des Beeinträchtigenden sein. Bei der Erfüllung der Schutzpflicht bestehen sowohl Schutzmaßstäbe als auch gegenläufige Rechtspositionen.19 Beide steuern die Ausgestaltung der einfachen Rechtsordnung, die gegebenenfalls zur Einordnung bestimmten Verhaltens als rechtswidrig kommen kann. Grundsätzlich gilt dies auch bei körperlichen Rechtsgütern.20 Die grundrechtliche Schutzpflicht erfaßt grundsätzlich jede Rechtsgutsbeeinträchtigung und setzt daneben nur die Schutzbedürftigkeit des Schutzsubjekts als Adressat voraus. Nach zum Teil vertretener Auffassung werden über die soeben beschriebene Schutzpflichtkonstellation hinaus von der grundrechtlichen Schutzpflicht auch nicht auf unmittelbares menschliches Verhalten zurückzuführende Beeinträchtigungen erfaßt. 21 Genannt werden zum Beispiel Seuchen oder Epidemien, deren Bekämpfung unabhängig von konkreten (Heil)Maßnahmen gegenüber Infizierten als potentiellen Krankheitsüberträgern zu erfolgen hat. Allgemeiner staatlicher Gesundheitsschutz nach Art. 2 Abs. 2 GG ist dem hier untersuchten Arzt-Patienten-Verhältnis vorgelagert und steht zugleich in Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip.22 Sein Grundgedanke kommt indes - heutzutage verfassungsrechtlich untermauert - auch deutlich im System der Gesetzlichen Krankenversicherung zum Ausdruck. 23 Wegen ihrer Anknüpfung an das zu schützende Rechtsgut kommt es für die Anerkennung der Schutzpflicht nicht auf die Art der Rechtsgutsverletzung an. Die verschiedenen denkbaren Beeinträchtigungen durch Dritte haben jedoch Auswirkungen auf die Erfüllung der Schutzpflicht. Während bei aggressiven Angriffen auf fremde Rechtsgüter im Sinne vorsätzlichen Handelns aufgrund krimineller Motive regelmäßig nur strafrechtlicher und deliktsrechtlicher Schutz möglich ist 24 - die Taten und ihr Ablauf sind im Alltag unabsehbar und un18

Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 100 ff. entwickelt daher verfassungsrechtliche Anforderungen an die Rechtswidrigkeit. 19 Dazu unten Kap. 2, Kap. 3. 20 Vgl. aber die engere Auffassung von Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 101 f. Isensee ist darin zu folgen, daß der Schutz des Staates dort gefordert ist, wo ein privater Eingriff unvereinbar mit den allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit von grundrechtlicher Freiheit und Gleichheit ist (Rn. 105). In diesem Sinne sind Beeinträchtigungen der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) stets rechtswidrig. 21 So z.B.Dietlein, S. 102ff.; vgl. auch BVerfG, NJW 1987,2287 - Aids-Bekämpfung; a. A. z. B. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 213. 22 Vgl. unten 2.b)ee) sowie III. 2. 23 Dazu unten B Kap. 5. 24 Hier ist allgemein die im Rahmen staatlicher Legitimation angeführte Staatsaufgabe der Gewährung von Sicherheit angesprochen, die neben der grundrechtlichen Schutzpflicht für die konkreten Rechtsgüter wie die des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG besteht; zum Teil wird sie auch als Gesamtheit der grundrechtlichen Schutzpflichten angesehen; Isensee, Sicherheit, S. 3 ff., 21 ff., 27 ff.

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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beherrschbar, so daß die staatlichen Organe kaum konkreten präventiven Schutz gewähren können - , sind Eingriffe wie die ärztliche Heilbehandlung auf einer anderen Stufe einzuordnen.

b) Schutzpflichtkonstellation

im Arzt-Patienten-Verhältnis

Allein das wohlgemeinte Ziel der Heilung oder zumindest Verbesserung des Gesundheitszustandes des Patienten schließt das Bestehen der Schutzpflichtkonstellation nicht aus. Auch wenn der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit insoweit traditionell der berufsmäßigen Verantwortung der Ärzte unterstellt ist, führen die Möglichkeiten der modernen Medizin und die Entwicklung des Gesundheitsrechts zur Notwendigkeit und Erfassung durch rechtlichen, seil, grundgesetzlichen Schutz.25 Der letztlich angestrebte Heilerfolg kann oftmals nicht ohne dazwischen liegende Rechtsgutsverletzungen erreicht werden, wie er auch mit hohen Risiken verbunden ist, die sogar gravierender sein können als die Fortdauer der Beschwerden. Aus diesem Grund läßt auch die Mitwirkung des Patienten die Schutzpflichtkonstellation nicht entfallen. Selbst eine erhöhte Risikobereitschaft des Patienten bei vollständiger Erfassung der komplexen medizinischen Zusammenhänge fußt auf der Anwendung bereits bewährter Verfahren oder dem Ausschluß vermeidbarer Gefahren. Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird somit grundsätzlich von der grundrechtlichen Schutzpflicht erfaßt, 26 wobei - hiervon ausgehend - in einzelnen Ausprägungen und Teilbereichen auch Reduzierungen der Schutzanforderungen denkbar sind. Im Unterschied zu schlicht kriminellen Handlungen wird hier ein potentiell deliktisches Rechtsverhältnis durch eine vertragliche Beziehung zwischen Arzt und Patient27 überlagert. In diesem spezifischen Bereich erscheint es daher möglich und geboten,28 ein System präventiver Schutzkomponenten zu etablieren. Während bei rein technologischem Risikopotential ein verwaltungsrechtliches Genehmigungsverfahren, gegebenenfalls verbunden mit anschließender behördlicher Überwachung, aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht gefordert werden kann,29 ist dies bei ärztlicher Tätigkeit und im Gesundheitsrecht in dieser Allgemeinheit allerdings nicht möglich. Durch das Erfordernis der Zulassung zur ärztlichen Tätigkeit wird zwar die grundsätzliche subjektiv-fachliche Eignung des Bewerbers sichergestellt, während der langjährigen Berufsausübung ist ein derartiger Kontrollmechanismus dagegen kaum zu etablieren. Erschwerend wirkt die rasante Entwicklung der modernen Medizin, die Ausbildungskenntnisse schnell veralten läßt. 25

In diesem Sinne auch Steiner, S. 8 ff.; Francke, S.72ff., 99ff. und passim. Ebenso Francke, S. 99 f.; Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 65. 27 Zur zivilrechtlichen Arzthaftung ausführlich unten B Kap. 1. 28 Zu diesem Zusammenhang im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben unten Kap. 3 II. 2. sowie im Teil B. 29 Vgl. Hess. VGH, NJW 1990, 336ff. und allgemein Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, m. zahlr. Nw. 26

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Bevor im einzelnen ein grundrechtlich geprägtes Schutzkonzept im Gesundheitsrecht 30 untersucht wird, ist auf die durch die Schutzpflichtkonstellation entstehende grundrechtliche Schutzpflicht einzugehen. Dies bedeutet zunächst die Frage nach ihrer Herleitung und dogmatischen Verankerung, die maßgeblich für die sich daran anschließende Frage nach den aus ihr folgenden Maßstäben, das heißt formellen und materiellen Vorgaben, ist. 2. Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit a) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht leitet die Schutzpflicht für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aus jenem selbst ab. Es bedient sich dafür der von ihm trotz Kritik 3 1 in ständiger Rechtsprechung gefestigten Wertordnungslehre. Danach sei das Grundgesetz nicht wertneutral, sondern habe vielmehr in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung errichtet, in der eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck komme.32 Hierauf basierend hebt das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflicht bei Beeinträchtigungen der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit ausdrücklich hervor. Das Gericht folgert aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Grundrechts die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren.33 In dieser eigenständigen Herleitung stellen die Grundrechte effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltungen nur eine Ausprägung des Schutzes derselben dar. 34 Von der ursprünglichen Verknüpfung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG bei der Herleitung der Schutzpflicht 35 hat sich das Gericht zunehmend gelöst.36 Die Herleitung der 30 Vgl. auch Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, sowie den Ansatz von Di Fabio, S. 166 ff. im Arzneimittelrecht. 31 Stellvertretend Schlink, EuGRZ 1984,457 m. w. Nw. 32 BVerfGE 7, 198 (205 - Lüth) unter Verweis auf F. Klein/v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Vorbem. B I I I 4 vor Art. 1, S.93. 33 Stellvertretend BVerfGE 39,1 (42) - Schwangerschaftsabbruch I; 53,30 (57) - MülheimKärlich; 56, 54 (73) - Fluglärm. Zur Einordnung des „rechtswidrigen Eingriffs" soeben l.a). 34 Zur Entwicklung der grundrechtlichen Schutzpflicht in der Rspr. des BVerfG auch H.H.Klein , DVB1. 1994, 489f.; Steiger, S.255ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363ff.; Dietlein, S. 51 ff. Die Frage der Organisations- und Verfahrenswirkung ist im Rahmen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu behandeln; dazu unten Kap. 2, Kap. 3. 35 Vgl. z.B. BVerfGE 49, 24 (53 - Kontaktsperre) und noch E88, 203 (251) - Schwangerschaftsabbruch II: Grund der Schutzpflicht ist Art. 1 Abs. 1, ihr Gegenstand und Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. In BVerfGE 39,1 (41 - Schwangerschaftsabbruch I) ist dagegen schon eine Trennung bei der Herleitung zu beobachten, die in der Folge durch die Verknüpfung von Leben als Kausalvoraussetzung der Menschenwürde verwischt wird. Auch in

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grundrechtlichen Schutzpflicht aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Grundrechts wird vielmehr inzwischen vom Bundesverfassungsgericht selbst als gefestigte und anerkannte Rechtsprechung bezeichnet37 und auf die Begründung zum Teil ganz verzichtet. 38 Andere Ansätze sind demgegenüber wenig nachvollziehbar. 39 Aus der uneinheitlichen Verwendung der Begriffe „objektive Wertordnung" und „objektiv-rechtlicher Gehalt" bei der Begründung der grundrechtlichen Schutzpflicht ergeben sich keine Konsequenzen.40 Sie bringen die herausragende Bedeutung der Grundrechte für die gesamte Rechtsordnung sowie die Tatsache zum Ausdruck, daß Verfassungsrechtssätzen verschiedene (Rechts)Wirkungen zukommen können. Daneben hat das Bundesverfassungsgericht die für Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG relevante Krankenversorgung als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut bezeichnet, für dessen Schutz der Staat auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG zu sorgen hat,41 was immerhin als Verstärkung der grundrechtlichen Schutzpflicht verstanden werden könnte. b) Auffassungen in der Rechtswissenschaft Die beschriebene Herleitung des Bundesverfassungsgerichts wird im Schrifttum überwiegend befürwortet. 42 Sie ist jedoch auch auf Kritik gestoßen. Zum Teil wird schon die Annahme der objektiven Wertordnung bestritten, aus der die Schutzpflichten abgeleitet werden. 43 Auch seien insbesondere die Aussagen des Gerichts in der Kalkar-Entscheidung 44 im Hinblick auf eine Drittwirkung der Grundrechte BVerfGE 45, 187 (254 f. - Lebenslange Freiheitsstrafe) trennt das Gericht schon zwischen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG; anders aber wiederum BVerfGE 90, 145 (195)-Cannabisprodukte. 36 Zuletzt BVerfG, UPR 2000,111. Anders zuletzt BVerfG, NJW 1996,651 - Ozonkonzentration. Zu den mit dieser Verbindung verbundenen Problemen und Widersprüchen unten II. 37 So z. B. BVerfGE 77,170 (214 - C-Waffen) m. zahlr. Nw. zur Rspr. Schon in BVerfGE 53, 30 (57) wird von anerkannter Rspr. gesprochen. 38 BVerfG, NJW 1987, 180 - Gurtanlegepflicht. 39 BVerfG, NJW 1995, 2343 (Promillegrenze) enthält z.B., folgenden unklaren Ansatz zur Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht: „Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen, d. h. auch, sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren (vgl. BVerfGE 88,203 [251] = ). Wird diese Schutzpflicht verletzt, liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, gegen die sich ein Betroffener mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann." Darüber hinaus zieht die zitierte Entscheidung BVerfGE 88, 203 (251) Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt nicht heran. 40 Vgl. dazu Isensee, HStR V, § 111 Rn. 80 m. entspr. Nw. zur Rspr. 41 BVerfGE 57, 70 (99) - Krankenversorgung. 42 Entspr. Nw. bei Dietlein, S.64ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, §69 IV 1 (S.931). 43 Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 81.; zu mit der Annahme einer objektiven Wertordnung verbundenen Problemen siehe weiter Schlink, EuGRZ 1984, 463 ff. 44 BVerfGE 49,89. Dort führt das Bundesverfassungsgericht aus (S. 142), daß rechtliche Regelungen so auszugestalten seien, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen einge-

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

problematisch. 45 Daneben wird dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen, den Schritt vom objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte hin zu subjektiven Schutzpflichten nicht hinreichend begründet zu haben:46 Das Gericht hat die Möglichkeit eines subjektiven Rechts auf Schutz bislang nicht abgelehnt und entsprechende Verfassungsbeschwerden ohne Begründung für zulässig erachtet.47 Weiter wird die insbesondere in den ersten Entscheidungen auftauchende Verknüpfung mit Art. 1 Abs. 1 GG kritisiert. 48 Diese Verknüpfung führt in der Tat zu Ungereimtheiten, 49 denen das Gericht teilweise durch den ausschließlichen Rekurs auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung getragen hat. 50 In der Folge entwickelten sich verschiedene dogmatische Begründungen der grundrechtlichen Schutzpflicht. 51 Sie sollen nachfolgend kurz dargestellt werden, wobei zu betonen ist, daß sie sich zum Teil auch als Unterstützung oder Ergänzung der Begründung des Bundesverfassungsgerichts einordnen lassen.52 aa) Herleitung aus dem Wortlaut Die Schutzpflicht soll sich aus dem Wortlaut der einzelnen grundrechtlichen Bestimmungen ergeben.53 Insbesondere aus Ausdrücken wie „unantastbar" in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG und „unverletzlich" in den Art. 2 Abs. 2 Satz 2,4 Abs. 1,13 Abs. 1 GG soll ein umfassender Schutz der Grundrechte zugunsten des Grundrechtsträgers folgen, der gegen alle Eingriffe, das heißt unabhängig von wem sie ausgehen, gewährleistet ist. 54 Nach dieser Auffassung kann aus dem Wortlaut der Grundrechtsdämmt bleibt, was die Annahme der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung durch gleichgeordnete Private vorauszusetzen scheint. 45 Vgl. Alexy, S.412f., 480ff. 46 Starck, S.70ff. 47 BVerfGE 53, 30; 56, 54; BVerfG, NJW 1987, 2287 - Aids-Bekämpfung. 48 Dazu Unruh, S. 33 ff. m. w. Nw. 49 Dazu unten II. 50 Problematisch ist es allerdings, wenn das Gericht die anfänglichen Entscheidungen zur Grundlage einer „gefestigten Rechtsprechung" macht und nun auf Begründungen gänzlich verzichtet; kritisch auch Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 80. 51 Neuere Untersuchungen kategorisieren die Herleitungen: Dietlein nennt die staatstheoretische Begründung (S.21 ff.), die Schutzaufgabe nach dem GG (S.26ff.), die grundrechtliche Begründung (S. 34 ff.), jeweils m. zahlr. Nw.; Unruh, S. 37 ff. m. zahlr. Nw. die fünf Gruppen der ideengeschichtlichen Herleitung, der Wortlaut-These, der Ableitung aus der Menschenwürde, den abwehrrechtlichen Ansatz und die Herleitung aus den Grundrechtsschränken sowie dem Sozialstaatsprinzip. Angesichts dieser Herleitungen unverständlich ist die Behauptung von Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1999, 313 ff., alle Begründungen der Schutzpflicht würden ihre Legitimation mit einer dem positiven Recht vorgelagerten Ebene bzw. einer dem positiven Recht unterlegten Moral vornehmen („naturrechtliche Hypermoral"). 52 Vgl. Robbers, S. 142f.; Stern, Staatsrecht III/l, §69 IV (S.931 ff.). 53 So z.B. Bleckmann, DVB1. 1988, 941 f. 54 Unruh, S.42; daneben wird auf ausdrückliche Schutzanordnungen wie die Art. 6 Abs. 1, Abs. 4, 7 Abs. 4 verwiesen; vgl. Stern, Staatsrecht III/l, § 69 IV 3 (S. 934ff.).

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bestimmungen nicht zwingend auf den Abwehrcharakter der Grundrechte geschlossen werden. 55 Die Grundrechte oder Grundrechtsbestimmungen sollen vielmehr primär nicht Abwehrrechte gegen den Staat sein, sondern einen gewissen Freiheitsspielraum schützen. Für die Gewährleistung dieses Freiheitsraumes und dessen effiziente Durchsetzung in der Verfassungswirklichkeit hat der Staat Sorge zu tragen. Zum Teil wird für eine umfassende Schutzbegründung noch Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG angeführt. 56 Die Herleitung aus dem Wortlaut der einzelnen Grundrechtsbestimmungen zeigt vor allem, daß sich die Grundrechte gegenüber einer vom Staat zu erfüllenden Schutzaufgabe nicht verschließen. Sie allein geben jedoch das Bestehen der Schutzpflicht nicht wieder. Die Grundrechte sind zentrale Normvorgaben für die Ausgestaltung der gesamten Rechtsordnung. Bei ihrer Positivierung ist unvermeidlich ein Kompromiß zwischen der notwendig knappen ausdrücklichen Normierung als Rechtssatz und dem bezweckten weitreichenden Regelungsgehalt zu treffen. Den Wortlaut als alleinigen Auslegungsmaßstab heranzuziehen, begegnet daher von vornherein großen Schwierigkeiten und Bedenken. bb) Herleitung aus der Menschenwürde Nach Art. 1 Abs. 1 Satz ist der Menschenwürdeschutz Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Aus dieser ausdrücklichen Schutzverpflichtung 57 wird nun nicht geschlossen, daß für andere Grundrechte keine Schutzpflicht bestehe - eine solche soll sich bei ihnen aber auf den Schutz des jeweiligen Menschenwürdekerns beschränken.58 Durch diese Herleitung wird zwar der besonderen Bedeutung der Menschenwürdebestimmung als oberster Leitnorm des GG Rechnung getragen, umgekehrt droht aber die grundsätzliche Anerkennung einer aus den Einzelgrundrechten folgenden Schutzpflicht überspielt zu werden. Da auch das Bundesverfassungsgericht mitunter auf die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 GG rekurriert hat, bedarf es eines vertieften Eingehens auf das Verhältnis zwischen Art. 1 Abs. 1 und den Einzelgrundrechten, vorliegend Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Wegen der Bedeutung dieser Grundrechte für das Arzt-Patienten-Verhältnis erfolgt dies in einem eigenen Abschnitt. 59

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Vgl. stellvertretend Schlink, EuGRZ 1984,457, mit Verweis auf das von Häberle, S. 3, geprägte „Eingriffs- und Schrankendenken". 56 Unruh, S.42, unter Verweis auf Bleckmann, DVB1. 1988, 941 f. 57 A. A. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1 Rn. 3, nach dem auch die Schutzverpflichtung des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nur Ausdruck abwehrender Staatstätigkeit und keine positive Gestaltung ist. 58 Starck, S. 70 ff.; der ebenfalls in Betracht gezogene Art. 6 GG ist beim Gegenstand der Untersuchung weniger relevant. 59 Unten II.

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

cc) Abwehrrechtliche Herleitung Hiernach entspringt die grundrechtliche Schutzpflicht keinem eigenständigen Grundrechtsgehalt, sondern folgt aus der (klassischen) Abwehrfunktion der Grundrechte. 60 Ansatz ist das Verhältnis von Friedenspflicht und Gewaltmonopol: Mit dem Verbot privater Gewalt ist die Verpflichtung des Einzelnen verbunden, beeinträchtigende Handlungen anderer Privater ohne Gegenwehr hinzunehmen, soweit diese durch die Rechtsordnung gestattet sind. Die Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Güter durch Dritte wird dem Staat so als eigener Eingriff zugerechnet, sei es, weil er das Verhalten des privaten Störers in der Vergangenheit erlaubt hat und dem eine Duldungspflicht des Gestörten entspricht, sei es aufgrund der unmittelbar vom Staat auferlegten Verpflichtung des Gestörten, die Beeinträchtigung durch den privaten Störer zu dulden.61 Die Gestattung der Beeinträchtigung bedeutet zugleich die staatlich angeordnete Duldungspflicht des Einzelnen und damit einen Grundrechtseingriff. 62 In der Literatur wird diese Konstruktion überwiegend angegriffen, 63 die sich jedoch nur als Folge einer staatlichen Schutzverpflichtung ergeben kann. Der Vorwurf, daß die abwehrrechtliche Herleitung die Schutzpflicht voraussetze und nicht begründe,64 ist nämlich nur bedingt richtig. Denn die Pflicht zum Schutz der Individualrechtsgüter soll sich zum Beispiel nach Murswiek aus staatstheoretischen, vom GG als rechtlich geltend vorausgesetzten Gründen folgen: Eingeordnet als Friedensordnung hat der Staat Gewaltanwendung unter Privaten zu verbieten und dieses Verbot mit seinem Gewaltmonopol durchzusetzen.65 Für die Bürger bedeute dies ein Gewaltverbot, dem eine staatliche Pflicht zur Konfliktregelung und auch die Schutzpflicht korrespondiere. 66 Das grundsätzliche Selbstverteidigungsverbot erfordere staatlichen Schutz, weil sonst Rechtsgüter Angriffen Dritter schutzlos preisgegeben wären. 67 Die Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht entspricht danach im Grunde der ideengeschichtlichen Herleitung - dazu unten dd). Daß der Duldungspflicht des Einzelnen die staatliche Schutzpflicht vorausgeht, läßt sich auch anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufzeigen: Die im Mülheim-Kärlich-Beschluß 68 bejahte staatliche Mitverantwortung auf60 Insbesondere vertreten von Schwabe, Grundrechtsdogmatik S. 213 ff., zeitlich vorgehend schon ders, Drittwirkung, S.65f.; AöR 100 (1975), 442ff.; Murswiek, S.88ff., 101 ff.; NVwZ, 1986, 611 ff.; WiVerw 1986, 180ff.; Lübbe-Wolff, S.69ff. 61 So die Zusammenfassung der Argumentationslinie der abwehrrechtlichen Herleitung(en) von Stern, Staatsrecht III/l, § 69 IV 5 (S. 947); vgl. weiter G. Hermes, S. 79ff. 62 Die Argumentation ausführlich darstellend Dietlein, S.35ff.; Unruh, S.44ff. 63 Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 215; G. Hermes, S.71ff., 93 ff.; Dietlein, S.38ff. m. w. Nw. 64 Starck, S. 74; Alexy, S. 417; Unruh, S. 47 m. zahlr. w. Nw. 65 Murswiek, S. 102 ff. 66 Murswiek, S. 102ff. 67 Murswiek, S. 104. 68 BVerfGE 53,30 (58 - Mülheim-Kärlich), im Anschluß an BVerfGE 49,89 (142) - Kalkar I.

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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grund der Genehmigungserteilung hat Auswirkungen auf die Gestaltung des Verwaltungsverfahrens und auch des gerichtlichen Verfahrens sowie der laufenden aktualisierenden Überwachung der Anlage. Wenn die Schutzpflicht aber - und dies entspricht der ständigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts - gerade vor Angriffen Dritter schützt und die öffentliche Gewalt geeignete Schutzmaßnahmen als Reaktion hierauf treffen muß, kann das Verhalten der öffentlichen Gewalt weder ursächlich für die Gefährdung sein, noch eine Zurechnung im Hinblick auf die Herbeiführung erfolgen. 69 Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen ärztlicher Tätigkeit und Gesundheitsschutz als öffentlicher Aufgabe. Die genannten Fälle verdeutlichen vielmehr, daß eine Duldungspflicht sachlogisch die Schutzpflicht voraussetzt. Das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hinsichtlich der Errichtung und Betreibung kerntechnischer Anlagen stellt ein Mittel der Schutzpflichterfüllung dar. Erst am Schluß dieses präventiven Verwaltungsverfahrens steht die Genehmigung, die zu besagter Duldungspflicht führen kann.70 Damit entsteht diese erst, wenn das staatliche Schutzinstrumentarium durchlaufen ist. Noch deutlicher tritt dies zutage, wenn für die Duldungspflicht eine bestandskräftige Genehmigung oder rechtskräftige klagabweisende Entscheidung verlangt wird. Im Gegensatz zu der von Dietlein in diesem Zusammenhang geforderten Entflechtung der sich überlagernden Verantwortungen von privater und staatlicher Seite71 zeigt sich in den entschiedenen Fällen das dreipolige Rechtsverhältnis zwischen „Störer", Staat und Opfer, das gleichsam Tatbestandsvoraussetzung der („klassischen") Schutzpflichtkonstellation ist. Hier ging es nur noch um das „Wie" des zu gewährenden Schutzes und damit die Art und Weise der Schutzpflichterfüllung beziehungsweise deren Maßstab. Insofern erscheint auch die vielfach kritisierte Entscheidung des VGH Kassel zur (fehlenden) Genehmigungsfähigkeit einer gentechnischen Anlage aus dem Jahr 198972 konsequent, die in Anerkennung und Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht gefährdenden Handlungen Dritter Grenzen gesetzt und mit der Annahme der fehlenden Genehmigungsfähigkeit der gentechnischen Anlage den nachfolgenden Schritt zur Bejahung staatlicher Mitverantwortung vermieden hat. Eine weitergehende Einbindung im Sinne einer immer gegebenen Involvierung des Staates in die Aktivitäten Privater 73 kann im Ergebnis aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gefolgert werden. 74

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Siehe aber BVerfGE 66, 39 (60 ff. - Atomwaffenstationierung/Nachrüstung), die wegen der spezifisch gelagerten Bedrohung durch fremde Atommächte nicht zu verallgemeinern ist. 70 Im Zeitpunkt der Entscheidungen BVerfGE 49, 89; 53, 30 bestand bereits die Genehmigungspflicht nach §7 AtG v. 31.10.1976, BGB1.I S.3053. 71 Dietlein, S. 36. 72 VGH Kassel, NJW 1990, 336. 73 Vgl. Schwabe, Drittwirkung, S. 65; Grundrechtsdogmatik, S.213; Murswiek, S. 88ff.; WiVerw 1986, 182. 74 Im Ergebnis ebenso Unruh, S.46.

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

dd) Ideengeschichtliche Herleitung Nach der ideengeschichtlichen Herleitung 75 legitimiert sich der moderne, neuzeitliche Staat auch durch seine Sicherungsfunktion. Der Staatszweck der Sicherheit, der zugleich das staatliche Gewaltmonopol und die Friedenspflicht der Bürger begründe, verpflichte die Staatsgewalt, die Rechte der Unterworfenen gegeneinander aktiv zu schützen.76 Die Einführung der Grundrechtsordnung kann diesen Schutzzweck des Staates nicht ausblenden.77 Vielmehr muß sich die Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht über die Grundrechte vollziehen,78 die zudem den Wandel vom freiheitlichen zum sozialen Rechtsstaat mit zu bewältigen haben. Damit ist der Schritt zur Anerkennung der objektiv-rechtlichen Wertordnung gering. In ihrer objektivrechtlichen Dimension konkretisieren die Grundrechte die Schutzpflicht(en) des Staates unter dem GG. 79 Dem entspricht, daß die Begriffskategorien Staatszweck und Sicherheit sowie staatliches Gewaltmonopol und Friedenspflicht der Bürger konkretisierungsbedürftig sind.80 Weder begrifflich noch tatsächlich kann im Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein Einbruch in den „inneren und äußeren Frieden", 81 den der Staat gewährleisten soll, gesehen werden. Eine Konkretisierung kann jedoch über die materielle Reichweite der einzelnen Grundrechtsbestimmungen - insbesondere Leben und körperliche Unversehrtheit im hier untersuchten Bereich - erfolgen. 82 ee) Herleitung aus den grundrechtlichen Schranken und dem Sozialstaatsprinzip Diese von Seewald geprägte Herleitung wurde spezifisch für ein Verfassungsrecht 83 oder Grundrecht 84 auf Gesundheit entwickelt. Auf sie ist hier einzugehen, weil sie zum einen teilweise als Begründung für grundrechtliche Schutzpflichten insgesamt eingeordnet wird 85 und zum anderen in Bezug zum Arzt-Patienten-Verhältnis als Teil des Gesundheitsrechts mit entsprechendem verfassungsrechtlichen Hintergrund steht. 75

Diese wird insbesondere vertreten von Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit; ders., in: HStRV, § 111 Rn. 83 ff.; E. Klein, NJW 1989, 1635 f.; Bleckmann, DVB1. 1988, 941 f.; H.H.Klein, DVB1. 1994, 492f.; vgl. auch Stern, Staatsrecht III/l, §69 I V 2 (S.932ff.); Robbers, S.21 ff. 76 Unruh, S. 37 m. entspr. Nw. 77 Vgl. Stern, Staatsrecht III/l, § 69 I V 4 (S. 937). 78 Unruh, S. 39f. 79 Unruh, S.40. 80 Dietlein, S. 24 spricht von einem „Blanketbegriff", der unbestimmt und ausfüllungsbedürftig ist. 81 So Unruh, S.39. 82 Ähnlich Dietlein, S. 27 f.; zurückhaltend gegenüber einer grund- oder menschenrechtlichen Schutzfunktion noch Morvay, ZaöRV 21 (1960), 321. 83 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit. 84 Seewald, Gesundheit als Grundrecht. 85 Z. B. von Unruh, S. 37,48.

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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Nach dieser Auffassung folgt ein Recht auf Gesundheit als Recht auf begünstigende staatliche Maßnahmen aus den grundrechtlichen Schranken und dem Sozialstaatsprinzip. 86 Der Möglichkeit der Beschränkung grundrechtlich gewährleisteter Freiheitsräume unmittelbar durch die Verfassung oder aufgrund verfassungsrechtlicher Ermächtigung komme nicht nur rechtsbegrenzende, negative Wirkung zu, sondern auch begünstigende Rechtswirkungen: Die Schrankenregelungen seien zugunsten der Rechtsgüter tatbestandlich auszufüllen. 87 Dazu soll das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) treten, das verfassungsunmittelbare Ansprüche auf staatliche Leistungen enthalte und zudem als Verteilungsmaßstab bei der angemessenen Aufteilung der staatlichen Mittel für einen Gesundheitsschutz fungiere. 88 Seewald geht es damit insgesamt um die Schaffung sozialer Gerechtigkeit und die Sicherung des Gesundheitsschutzes.89 Die Verbesserung der materiellen Lebensumstände durch die Begründung von Leistungsrechten steht im Vordergrund. 90 Derartiger Gesundheitsschutz vollzieht sich im Wesentlichen im zweipoligen Verhältnis zwischen Staat und Bürger, während die hier untersuchte grundrechtliche Schutzpflicht auf der dreipoligen Schutzpflichtkonstellation basiert. Rechtlicher und normativer Schutz im Arzt-Patienten-Verhältnis oder dreipolige Gefährdungslagen werden von Seewald nur am Rande angesprochen.91 Seine Auffassung läßt sich steht jedoch durchaus als Ergänzung des hier verfolgten rechtlichen Schutzkonzeptes verstehen.92 Sie begründet überzeugend, daß die Grundrechtsnormen Aufgabenzuweisungen enthalten.93 Die in den qualifizierten Gesetzes vorbehalten genannten Schutzziele stellen den legitimatorischen Ausgangspunkt für staatliche Eingriffe dar, wenngleich damit allein m. E. nicht begründet ist, warum eine entsprechende Pflicht bestehen soll. 94 Gleiches gilt für die allgemeinen Gesetzesvorbehalte und kollidierendes Verfassungsrecht: Aus der Tauglichkeit eines (Verfassungs)Rechtsgutes zur Beschränkung von Grundrechten kann nicht ohne weiteres auf die Pflicht zu seinem 86

Seewald, Verfassungsrecht, S.78ff., 141 ff. Seewald, Verfassungsrecht S. 80. Dies gilt nicht nur für qualifizierte („spezielle") Grundrechtsschranken wie die Art. 13 Abs. 3 (jetzt Abs. 7), 11 Abs. 2,12a Abs. 4,6 Abs. 3 GG, sondern auch für „allgemeine" und im Rahmen kollidierenden Verfassungsrechts; Seewald, Verfassungsrecht, S. 83 ff., 92 ff. 88 Seewald, Gesundheit, S.32ff.; Verfassungsrecht, S.78f., 247 ff. 89 Vgl. Seewald, Verfassungsrecht, S. 1 ff., 170 ff. und passim. 90 So auch die Einschätzung von Unruh, S.49; zur Abgrenzung Pietrzak, JuS 1994,749; vgl. insoweit auch Seewald, Gesundheit, S. 14ff., 53 ff., 75 ff. 91 Vgl. Seewald, Verfassungsrecht, S. 149ff.; zu tatsächlichen, z.B. finanziellen Maßnahmen bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht z. B. Steiger, S. 263 ff.; 272ff. 92 Dem ähnlich nimmt Stern, Staatsrecht III/l, § 69 IV 5 (S. 949) an, daß aus den Schutzpflichten als sekundäre Pflichten (finanzielle oder tatsächliche) Förderpflichten erwachsen können; vgl. auch G. Hermes, S. 113ff., 129ff. 93 Unklar dagegen Dietlein, S. 31 f., der zwar die konkrete Aufgabenzuweisung und einzeln vorausgesetzte Schutzpflichten bejaht, zugleich aber von obiter dicta des Grundgesetzes im Sinne von „Selbstverständlichkeiten", die eher beiläufig als gezielt in den Schrankenbestimmungen zum Ausdruck kommen, redet. 94 Ablehnend auch Unruh, S.49. 87

3 Hollenbach

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Schutz geschlossen werden. Die Aufgabe oder Pflicht des Staates zu gesundheitsschützenden Leistungen wirkt sich auch zu Gunsten des Individualrechtsgüterschutzes und im konkreten Arzt-Patienten-Verhältnis aus. Insoweit kann in spezifischen Bereichen wie dem Krankenversicherungs-, dem Arzneimittel- und Medizinprodukte-, dem Transplantations- und Transfusionswesen durchaus die Verbindung von allgemeinem Gesundheitsschutz und Individualschutz der Patienten, das heißt deren Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit, im Behandlungsverhältnis aufgezeigt werden. 95 3. Ergebnis Gegenüber der Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechtsbestimmungen vermögen die dargestellten Auffassungen im Schrifttum für sich allein nicht zu überzeugen. Insbesondere der Wortlaut einzelner Grundrechtsbestimmungen und die ideengeschichtliche Entwicklung der Grundrechte ergänzen aber die Herleitung des Bundesverfassungsgerichts und stellen diese auf eine breitere Grundlage. Zutreffend geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte für den Einzelnen gegenüber dem Staat, sondern zugleich Ausruck eines übergeordneten Wertesystems sind, in dessen Mittelpunkt die Menschenwürde und die existentiellen körperlichen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehen. Insoweit sind die Grundrechtsnormen objektiv-rechtliche Verfassungsrechtssätze. Das subjektive Abwehrrecht stellt aus dem objektiven Rechtssatz abgeleitete Rechtsmacht dar. Der objektive Rechtssatz enthält jedoch weiteren normativen Gehalt, insbesondere die Schutzpflicht. 96 In diesem Sinne sind die Rechtsgüter um ihrer selbst willen zu schützen und können vom Rechtsgutsträger nicht mißbraucht werden. Ihre Gewährleistung ist die Grundlage weiterer Grundrechtsbetätigung, zum Beispiel politischdemokratischer oder beruflich-sozialer Art. Der zentralen Position des Individuums im Staat entspricht der Schutz gegen jede Verletzung seiner Grundrechtsgüter. Moderner Rechtsgüterschutz kann daher auch staatlichen Beistand erfordern, wenn die Beeinträchtigungen oder Verletzungen von nichtstaatlichen Personen oder Organisationen ausgehen. Die Lebenswirklichkeit zeigt zudem, daß die dreipoligen Schutzpflichtkonstellationen den grundsätzlich zweipoligen Eingriffsabwehrkonstellationen in Zahl und Bedeutung ebenbürtig sind. 95 Diese Unterscheidung wird in der gesundheitsrechtlichen Literatur oft vernachlässigt; vgl. z. B. Francke/Hart, S. 191, wo die Qualität der Krankenversorgung und Gesundheitsvorsorge als staatliche Aufgabe bezeichnet wird, die aufgrund der in den Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 2 Abs. 1 i.V. m. 1 Abs. 1 GG enthaltenen Pflicht zu schützen ist. Abgrenzungsschwierigkeiten einräumend dagegen Seewald, Verfassungsrecht, S.52ff. Zum Schutz der Gesundheit durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unten III. 3.; zu den genannten spezifischen Bereichen unten B Kap.4, Kap. 5. 96 Zu verschiedenen Begründungen nicht subjektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte ausführlich Stern, Staatsrecht III/l, § 69 (S. 890ff.) m. zahlr. Nw.

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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Die grundrechtliche Schutzpflicht ist eine eigenständige Rechtspflicht. Sie ergibt sich für das Leben und die körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, für die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG. 97 In ihr kann auch keine Relativierung der Freiheitsrechte als Abwehrrechte gesehen werden. 98 Neben das zweipolige, hoheitlich geprägte Rechtsverhältnis ist das dreipolige im Rahmen neuartiger Rechtsgutsgefährdungen getreten. Eine Ausschließlichkeit des abwehrrechtlichen Gehalts ist angesichts der notwendigen gesellschaftlichen Aktualität als Legitimationserfordernis einer Verfassung nicht durchzuhalten. Die Schutzpflicht bezweckt die Achtung der Rechtsgüter des Schutzsubjekts und damit dessen Freiheitssicherung. Wenn in Ausübung vermeintlich grundrechtlicher Freiheit in fremde, ebenfalls grundrechtlich geschützte Freiheitssphären übergegriffen wird, kann im Schutz des Einen keine Entwertung der Grundrechte des Anderen gesehen werden. Die einseitige Betonung der Rechtsposition nur eines Beteiligten stellt im modernen Staat vielmehr ein überkommenes FreiheitsVerständnis dar. 99 Hervorzuheben ist die Durchdringung des gesellschaftlichen, privaten bzw. privatrechtlichen Bereichs als Folge der Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Diese hat zu einem erheblichen Bedeutungswandel der Grundrechte geführt und wird im Bereich des Lebensschutzes bedeutsamer als die Eingriffsabwehrfunktion eingeschätzt.100 Zutreffend hält das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich auch die Durchsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht mittels Individualrechtsschutz für zulässig und erkennt damit zugleich deren subjektiven Charakter an. 101 Sowohl die Fachgerichte als auch das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde oder Art. 100 Abs. 1 GG können mit der Frage unterlassener Schutzgewährung durch die staatliche Gewalt befaßt werden. Demgegenüber ist eine allgemeine Pflicht zum Gesundheitsschutz wegen ihrer sozialstaatlichen Grundlage wie eine Staatszielbestimmung einzuordnen. Dies führt zu geringerer Justitiabilität und anderen Erfüllungsmaßstäben. 1 0 2 Der Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflicht entspricht der staatstheoretische und staatsrechtliche Wandel vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat.103 Im 97

Zu dieser Trennung sogleich nachfolgend. So aber Schilling, KritV 82 (1999), 458 f.; ähnlich Leuheusser-Schnarrenberger, ZRP 1999, 313 ff. 99 Vgl. auch Hesse, Verfassungsrecht, S.7ff., 31 ff.; Isensee, Sicherheit, S.47f. 100 So z. B. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 54; die Eigenständigkeit der Schutzpflicht betonen auch G. Hermes, S. 97 f., 219 ff.; Dietlein, S. 87 ff. In BVerfGE 39,1 (42) heißt es sogar: „Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur - selbstverständlich - unmittelbare staatliche Eingriffe (...), sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren". 101 Dazu unten IV. 102 Justitiabilität meint hier nicht nur die Existenz von Rechtsschutz, sondern auch die gerichtliche Kontrolldichte; zu beidem unten Kap. 3. 103 v g l PierothlSchlink, Rn. 85 ff. Als Indiz gegen ein rein liberales Grundrechtsverständnis ist auch Art. 18 GG einzuordnen; Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 18 Rn.4 m. entspr. Nw. 98

3*

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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19. und frühen 20. Jahrhundert war die Sichtweise einer Freiheit vom Staat dominierend. Bürger und Gesellschaft konnten danach ihre ökonomischen und sozialen Belange selbst ordnen, der Staat hatte ausschließlich die Aufgabe der Abwehr äußerer und innerer Gefahren im Sinne der Bedrohung der körperlichen Sicherheit. Dieses Staatsverständnis wurde allerdings schon der damaligen Lebenswirklichkeit nicht gerecht, da in ihm nur eine relative Gleichheit vorherrscht. Das heißt, daß die gesellschaftliche Selbststeuerung nur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu Gute kommt. Darüber hinaus zeigten die historischen Ereignisse - Weltkriege und Wirtschaftskrisen - die Tatsache auf, daß der Einzelne auf staatliche Vorkehrungen, Einrichtungen, Zuteilungen und Umverteilungen angewiesen ist und daß seine Freiheit Bedingungen unterliegt, die weder er noch die Gesellschaft gewährleisten können. 1 0 4 Dies führte zur Anerkennung des sozialen Rechtsstaats, der die Bedingungen individueller Freiheit erst schafft und sichert. Rechtlich vollzieht sich dies maßgeblich durch die Normen des Grundgesetzes. Während die Weimarer Reichsverfassung noch bloße Programmsätze und nicht justitiable Staatszielbestimmungen enthielt, ist in der heutigen Verfassung der soziale und demokratische Rechtsstaat zwar sparsam, durch die Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG aber verbindlich normiert. Unterstützend treten die objektiv-rechtlichen Grundrechtswirkungen hinzu, die als übergeordnetes Recht die gesamte einfache Rechtsordnung durchdringen. 105 Insgesamt gilt daher heute, daß die Aufgabe der Schaffung und Sicherung privater Freiheitsräume und die Gestaltung des gesellschaftlichen Bereichs in seinen Grundzügen und gegebenenfalls auch Detailbereichen angesichts der Bestimmungen des Grundgesetzes nicht mehr nur weitgehend autonomen Regelungen und Instituten des Privatrechts, gegebenenfalls in strafrechtlichen Grenzen, zukommen kann. 106 Diese werden von verfassungsrechtlichen Vorgaben determiniert und begrenzt, und zugleich von spezifischen einfachen Gesetzen wie den besonderen Regelungen im Gesundheitsrecht beeinflußt. 107 Dies leitet über zur Frage, wie der grundrechtliche Schutz zu gewähren ist, mit anderen Worten wie die Schutzpflicht zu erfüllen ist. Bei dieser zeigt sich im Gegensatz zur Herleitung die Nähe zwischen staatlichem Schutz und staatlichem Eingriff: Im Rahmen der Schutzpflichterfüllung kommen regelmäßig auch Schutzregelungen und -maßnahmen in Betracht, die in Grundrechte des „Störers", Dritter oder gar des Schutzsubjekts selbst eingreifen. Der Schutzpflichtkonstellation folgen hier Eingriffsabwehrkonstellationen nach, die zusätzliche Anforderungen an den beabsichtigten Schutz stellen können.108 104

Pieroth/Schlink, Rn. 85. Zu den damit verbundenen Problemen der Grundrechtstheorie und -interpretation schon Böckenförde, NJW 1974, 1529ff.; Pieroth/Schlink, Rn.73ff. 106 Ausführlich zum Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Privatrecht sowie Strafrecht unter den Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG unten Kap. 3 1.1. b); zur Entwicklung der Grundrechtstheorien auch R. Hermes, S. 82ff. m. zahlr. Nw. 107 Ausführlich zu diesen unten B. 108 Zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihren Grenzen unten Kap. 2, Kap. 3. 105

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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Zunächst soll jedoch auf die Trennung vom Schutz der Menschenwürde (sogleich II.) und den materiellen Gehalt der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter (unten III.) eingegangen werden. I I . Trennung vom Schutz der Menschenwürde In Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG wird die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutz der Menschenwürde ausdrücklich angeordnet. Nach überwiegender und zutreffender Auffassung wird hierdurch eine zwingende staatliche Schutzpflicht statuiert, der eine Berechtigung des einzelnen Menschen korrespondiert, so daß Art 1 Abs. 1 GG eine echte Grundrechtsgewährleistung darstellt. 109 Auffassungen, die demgegenüber der Menschenwürdegarantie den subjektiven Grundrechtsgehalt absprechen,110 vermögen nicht zu überzeugen. Angesichts der Zielsetzung des Verfassungsgebers, eine Grundrechtsordnung mit subjektiven justitiablen Grundrechten aufzustellen, erschiene es sinnwidrig, gerade die „strukturgebende Fundamentalnorm" 111 der Menschenwürde allein als objektiven Rechtssatz zu deuten. Auch wenn Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG nicht unbedingt als „metaphysische Letztdeutung des Menschen"112 verstanden werden muß, stellt er doch den Anfang und das materielle Zentrum der Verfassung dar; unterstützt durch seinen Satz 2 sowie die Abs. 2 und 3. In Art. 1 GG fließen damit Menschenrechtsidee und Verfassungsidee ineinander - der Staat wird um des Menschen willen konstituiert. 113 Wenn dem entgegengesetzt wird, daß Art. 1 Abs. 1 GG nicht ausdrücklich ein subjektives Recht benenne und daß Art. 1 Abs. 3 GG auf die nachfolgenden Grundrechte verweise, erscheint dies in der Tat als „spitzfindiger Formalismus", 114 dem als Argument mit gleicher Schwäche genauso entgegengesetzt werden könnte, daß im Grundgesetz nach der Präambel im Titel I. „Die Grundrechte" festgelegt sind. Trotz dieser Einordnung fügt sich Art. 1 Abs. 1 GG jedoch nicht in das System der anderen Grundrechte ein, und eine Verbindung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bei der Herleitung der Schutzpflicht führt zu unauflösbaren Problemen. Diese resultieren aus der ganz herrschenden Auffassung, nach der aus Art. 1 Abs. 1 109

Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 3 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, § 63 III2 (S. 351 f.), beide m. w. Nw. 110 So z.B. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1 Rn.4; Dreier, in: Dreier, Art. 11 Rn.67ff.; zurückhaltend Bleckmann, § 21 Rn. 27 m. w. Nw.; unklar Stein/Frank, §§ 29 III (S. 230), 26 V (S.214). 111 Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn.5. 112 Stern, in: HStR V, § 108 Rn. 6; nach Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 41 wird in der „Bekenntnisformel des Art. 1 Abs. 2 GG etwas von der Ästhetik des Rechts deutlich". 113 Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 1 f., 5. 114 Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn.5 unter Verweis auf Nipperdey, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner, Die Grundrechte Band II, 1968, S. 1 (13); ablehnend auch Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §63 III2 (S.351 f.); BVerfGE 61, 126 (137).

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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Satz 1 GG zu schließen ist, daß die Menschenwürde absolut, das heißt ohne Abwägung mit entgegenstehenden Interessen oder Gütern gewährleistet ist. 115 Auch das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht von der zum Teil vorgenommenen 116 - und auf den ersten Blick naheliegenden - Verknüpfung Abstand genommen.117 Das Bundesverfassungsgericht hat keine Aussage dazu getroffen, wie der absolute Geltungsanspruch des Art. 1 Abs. 1 GG mit der Schutzpflicht in Einklang zu bringen ist. Den Schluß, daß die Schutzpflicht nur gegeben ist, wenn auch die Menschenwürde verletzt ist, hat das Gericht nicht gezogen.118 Daneben birgt die Verknüpfung Probleme hinsichtlich der Abgrenzung der geschützten Rechtsgüter und damit der grundrechtlichen Schutzbereiche in sich. Aus der Anerkennung der Menschenwürdegarantie als Grundrecht folgen notwendigerweise Fragen nach der Grundrechtskonkurrenz, die das Gericht jedoch nicht aufwirft. Die Aussage, das Leben sei die vitale Basis der Menschenwürde, 119 ist in dieser Hinsicht wenig hilfreich. Denn konsequenterweise wäre dann zu fragen - und zu bejahen - , ob schon jegliche Lebensgefährdung zugleich zwingend eine Verletzung der Menschenwürde ist. Einer umfassenden, absoluten Schutzpflicht steht schon die Systematik der Grundrechtsordnung entgegen, die gerade Freiheitsräume für den Einzelnen schaffen will. Unter Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG könnte die Schutzpflicht demgegenüber zum einen sogar gegen das Schutzsubjekt gewendet werden. 120 Zum anderen können staatliche Schutzmaßnahmen in Grundrechte der Ärzte - die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, möglicherweise auch die dem Wortlaut nach sogar vorbehaltlos gewährleistete Wissenschafts- und Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG 1 2 1 - eingreifen. Die 115

So insbesondere die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 75, 369 (380), zur älteren Rechtsprechung dagegen Kloepfer, FG BVerfG, S.411 ff.; für die Lit. z. B. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 10; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 1 Rn. 26; Sachs, in Stern, Staatsrecht III/l, § 63 III 2 (S. 351 ff.). 116 BVerfGE 49,89 (132-Kalkar I); später allerdings auchBVerfGE 88,203 (251 -Schwangerschaftsabbruch II), wo ausgeführt wird, daß Art. 1 Abs. 1 GG die Schutzpflicht für das Leben enthalte. Der Gegenstand und von ihm her das Maß dieser Schutzpflicht werde (dann aber) durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. In BVerfGE 39,1 (41 - Schwangerschaftsabbruch I) wurde die Menschenwürde dagegen schon nur als Zusatzbegründung bzw. Abwägungskriterium (S.43) herangezogen. 117 Vgl. BVerfG, UPR 2000, 111 und die Ansätze schon in BVerfGE 39, 1 (41); 45, 187 (254 f.). 118 Dieser hätte die Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verkannt. Der Menschenwürdekern taucht in der Judikatur des BVerfG dagegen bezüglich Art. 79 Abs. 3 GG auf, wodurch das Gericht hinsichtlich der Garantie der Menschenwürde einen Kernbereich präzisiert, der nachfolgende Grundrechte erfassen soll; BVerfG, NJW 2001, 429 (431 f.); BVerfGE 94, 12 (34) nennt Art. 1 GG insgesamt; die auch angeführte E84, 90 (120 f.) rekurriert ausdrücklich auch auf die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte nach Art. 1 Abs. 2 GG. 119 BVerfGE 39, 1 (42); vgl. auch BVerfGE 46, 160 (164) - Schleyer. 120 So insbesondere die Rspr., vgl. z. B. BVerwGE 64, 274 (279f.); BVerwG, JZ 1990, 382ff.; BVerfG, NJW 1987, 411; dagegen z.B. Gusy, DVB1 1982, 984ff.; Stober, NJW 1989, 562f.; Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn.90f. 121 Ob der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG die Forschung am Menschen und allgemein die Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter umfaßt, ist umstritten. Die weitaus h. A. problema-

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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Kollisionen könnten in der Praxis nur zu Lasten der Menschenwürde gelöst werden, was deren anerkannter rechtlicher Bedeutung entgegenstehen und umgekehrt gerade den Befürwortern einer nur programmsatzartigen Regel zusätzliche Argumente liefern würde. Einer Grundrechtsinterpretation, die Grundrechtskollisionen aufwirft, bei denen zwangsläufig ein Grundrecht vollständig entwertet wird, steht letztlich auch die Sperrwirkung der Art. 19 Abs. 2, 79 Abs. 3 GG entgegen, die insoweit auch auf die Grundrechtsauslegung erstreckt werden muß. Ebenso abzulehnen ist die Verknüpfung von Art. 1 Abs. 1 GG mit den einzelnen Freiheitsgrundrechten dergestalt, daß inhaltlich jedem Grundrecht ein Menschenwürdekern zuzumessen wäre. 122 Unabhängig davon, ob tatsächlich jedem Schutzoder Rechtsgut ein Menschenwürdekern immanent ist und welchen Teil des Schutzbereichs er einnimmt, stellt sich die Frage, ob der Schutz einzelner Rechtsgüter auf einen Menschenwürdekern zu beschränken ist. Angesichts der heute auftretenden Gefährdungslagen ist dies zu verneinen. Die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht liegt gerade in ihrer Vielseitigkeit, die nicht auf die notwendige Verbindung mit der Menschenwürde beschränkt werden kann. In diesem Sinne führt Isensee zutreffend an, daß zum Beispiel der Zusammenhang zwischen dem Schutz vor den Risiken eines Flughafenbetriebs und der Wahrung der Menschenwürde nur schwer vermittelbar ist. 123 Mit zunehmendem Erkennen der Bedeutung der Schutzfunktion der Grundrechte erscheint die Verbindung mit der Menschenwürde immer weniger sachlich plausibel. Dies bestätigt der Blick auf andere Grundrechte, für die eine staatliche Schutzpflicht bejaht wurde. 124 Die Theorie vom Menschenwürdekern vermag auch die Bedeutung des Art. 19 Abs. 2 GG nicht zu erklären. Aufgrund des tisiert dies nicht und diskutiert nur die Grenzen der Forschungsfreiheit durch kollidierendes Verfassungsrecht; kritisch und a. A. z.B. Lerche, in: Lukes/Scholz, S.89ff.; Lorenz, in: FS Lerche, S. 267ff.; dazu unten Kap. 3 III. 3. 122 So aber insbesondere Starck, S. 70ff.; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 175; dazu schon oben I.2.b)bb). 123 Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 80; kritisch gegen eine Reduzierung der Schutzpflicht auf den Würdekern der Grundrechte auch Robbers, S. 187 f. 124 Vgl. nur BVerfG, NJW 1990,1469, das aus der in Art. 12 Abs. 1 GG enthaltenen Schutzpflicht Folgen für die Vereinbarung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten ableitet. Unabhängig von der in dieser Entscheidung zugleich aufgeworfenen Frage nach einer unmittelbaren Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Zivilrecht, verbunden mit der Schutzpflichterfüllung durch die Zivilgerichte - hierzu G. Hermes, NJW 1990, 1764 ff. und ausführlich unten Kap. 3 IV., B Kap. 1 II. - , führt das vom Bundesverfassungsgericht gleichsam als (weiteres) schutzpflichtauslösendes Erfordernis postulierte Fehlen eines annähernden Kräftegleichgewichts zwischen den Beteiligten nicht zur Verletzung der Menschenwürde. Im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind Kräfteungleichgewichte alltäglich, ohne daß dabei die Menschenwürde des Arbeitnehmers verletzt wäre. Ausnahmen, bei denen eine Berührung des Art. 1 Abs. 1 GG durchaus zu diskutieren ist, wie z.B. die Durchführung einer Genomanalyse als Einstellungsvoraussetzung, bestätigen hier nur mehr die Regel. Darüber hinaus sind auch Schutzpflichten gegenüber juristischen Personen - vgl. Art. 19 Abs. 3 GG - denkbar, denen die Menschenwüfde wohl kaum zukommen kann, so daß jene aus dem jeweiligen - dem Wesen nach anwendbaren - Grundrecht abzuleiten sind.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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absoluten Geltungsanspruchs der Menschenwürde wäre der entsprechende Kernbereich der Grundrechte jeder Beschränkungsmöglichkeit entzogen. Art. 19 Abs. 2 GG wäre nur eine überflüssige Wiederholung des schon durch das Verhältnis von Art. 1 Abs. 1 GG zu den übrigen Grundrechten vorgegebenen Schutzes des Kern- oder Wesensgehalts jedes Grundrechts. Umgekehrt kann aber auch keine materielle Beschränkung der Schutzpflicht auf den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG erfolgen. 125 Wie bei der Eingriffsabwehrfunktion ist der Wesensgehalt des Grundrechts nur der Bereich, in dem - bei der Schutzpflichtkonstellation private - Eingriffe unzulässig sind. Der Anwendungsbereich beider Grundrechtsgehalte - Eingriffsabwehr und Schutzpflicht - geht aber darüber hinaus. Mit der Trennung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG von der Menschenwürde wird zugleich der definitorische Konflikt ausgeschlossen, der aus der unterschiedlichen Bestimmung der Schutzgüter folgen würde. Während die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit positiv bestimmt werden, haben sich entsprechende Bestimmungsversuche beim Begriff der Menschenwürde bislang nicht durchgesetzt. 126 Vorzuziehen ist hier eine negative Bestimmung, ausgehend von der in Frage stehenden Verletzungshandlung.127 Folglich ist auch der Umfang der aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Schutzpflicht für die Menschenwürde negativ zu bestimmen. Anknüpfend an den Verletzungstatbestand besteht die Schutzpflicht nicht für die Menschenwürde, sondern gegenüber der Verletzungshandlung, die vorrangig in aggressiver Gewalt und menschenverachtender Rücksichtslosigkeit, das heißt Angriffen auf die Autonomie des Einzelnen, bestehen soll. 128 Einer von der Menschenwürde bestimmten Schutzpflicht bereitet damit die Erfassung bloßer Risiken oder die oft nicht ohne weiteres mögliche Rückführung von Rechtsgutsgefährdungen oder -Verletzungen unmittelbar auf eine konkrete, zurechenbare Handlung Probleme. Bei der vom Rechtsgut und dessen Beeinträchtigung ausgehenden Schutzpflicht für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bestehen diese nicht: Unmittelbarkeit, Intensität und Verursachungsbeiträge der Beeinträchtigung sind weniger beim Bestehen der Schutzpflicht, als bei der Art und Weise ihrer Erfüllung zu berücksichtigen. Auch die Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Privatrecht gestaltet sich bei dieser Trennung reibungsloser. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, daß die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 neben die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu treten vermag. So zum Beispiel bei einer Instrumentalisierung eines sterbenden oder toten Menschen als Organbank nach Maßgabe einer Widerspruchslösung, 129 oder bei einer Nutzung von Embryonen als For125

So aber Schilling, KritV 82 (1999), 459. Ansätze z. B. bei Hilgendorf,, in: FS Maurer, S. 1154f. 127 Dazu ausführlich Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 12 m. zahlr. Nw.; zur Problematik im Hinblick auf die Schutzpflicht auch Dreier, DÖV 1995, 1036 ff. 128 Zu diesem Ansatz auch Schilling, KritV 82 (1999), 470. 129 Beispiel nach Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 60; zur Auseinandersetzung um den rechtlichen Todeszeitpunkt vgl. ebenfalls Höfling., JZ 1995, 26ff. sowie unten B Kap. 4 III. l.a)aa). 126

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schungsobjekte. Dadurch relativiert sich auch die Kritik von Picker gegenüber einer Trennung von Leben und Menschenwürde. 130 Zugleich zeigen die Beispiele, daß trotz einer Trennung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG die Menschenwürde vitalisiert ist und ihr Schutz nicht ausgehöhlt wird. 131 Im Falle von Überschneidungen kann das Verhältnis zwischen beiden Schutzpflichten mit den Maßstäben der Grundrechtskonkurrenz zufriedenstellend gelöst werden. 132 Auch R. Keller vertritt für die mit der medizinischen Forschung kollidierenden Rechtsgüter die Auffassung, daß der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als spezielleres Grundrecht den Vorrang vor der „allgemeinen" Garantie der Menschenwürde hat und der Forschungsfreiheit gegenüberzustellen ist. 133 Im Ergebnis Vorzugs würdig ist daher die Trennung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: Art. 1 Abs. 1 enthält die staatliche Schutzpflicht für die Menschenwürde, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 die staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit. 134 Auch aus einer Einordnung des Lebens als Basis oder Voraussetzung der Menschenwürde kann nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, daß das Leben sowie die Schutzpflicht für das Leben aus der Garantie der Menschenwürde folgen. Ein Gleichlauf von Beeinträchtigung oder Verletzung ist bei den Rechtsgütern Leben und Menschenwürde zu verneinen. Zur Erfüllung der Schutzpflicht ist jeder Träger staatlicher Gewalt verpflichtet: Für die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2, für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Erfüllungskriterien und Erfüllungsgrenzen sind aus der jeweiligen Grundrechtsnorm zu bestimmen. Nur über diese Trennung zwischen Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 Satz 1 GG bei der Herleitung der Schutzpflicht können m. E. die Folgefragen der Art und Weise der Schutzpflichterfüllung und des Umgangs mit entgegenstehenden Rechtspositionen konsequent und sachgerecht gelöst werden. 135 Als Entwertung oder Relativierung des grundrechtlichen Schutzes kann diese Trennung nicht eingeordnet werden. 136 130 v g l Picker, in: FG Flume, S. 159ff., der im übrigen die Gefahren der „Moralphilosophie" treffend beschreibt (S. 163 ff., 167 ff.). 131 So aber Picker, in: FG Flume, S. 158 ff. 132 Ähnlich Lerche, in: Lukes/Scholz, S. 104. 133 R. Keller, MedR 1991, 12. Nach hier vertretener Auffassung ist Art. 5 Abs. 3 GG jedoch nicht ohne weiteres anwendbar; dazu unten Kap. 3 III. 3. 134 Ebenso Dreier, DÖV 1995,1036ff.; Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 80; Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 57,60; Lerche, in: Lukes/Scholz, S. 100 ff., mit Hinweis auf die Inkonsistenz der Entscheidungen BVerfGE 49, 89 (132 - Kalkar I) gegenüber BVerfGE 18, 112 (116ff.); 60, 348 (354) - beide zur (zulässigen) Auslieferung von Asylsuchenden trotz erfolgter Verurteilung zum Tode im Zielstaat. Zum Verhältnis auch Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn.40ff. Anders zuletzt Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 175, der die Pflicht zum Lebensschutz unmittelbar auf die Menschenwürde gründet. 135 Zur Erfüllung der Schutzpflicht und ihren Grenzen unten Kap. 2, Kap. 3. 136 Vgl. aber Picker, in: FG Flume, S. 158 ff., 184ff.; zu Ansätzen der Relativierung der grundrechtlichen Schutzpflicht dagegen sogleich III. und unten Kap. 3 II., III.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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I I I . Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 G G 1. Leben Leben bedeutet die biologisch-physische Existenz, das körperliche Dasein.137 Insbesondere aus historischer Sicht ergibt sich der Schutzzweck der externen Unverfügbarkeit, so daß grundrechtlich geschütztes Leben gegeben ist, sobald und solange nach medizinisch-biologischer Erkenntnis menschliche Individualexistenz vorhanden ist. 138 In diesem Sinne ist das naturwissenschaftlich zu bestimmende menschliche Leben einheitlich und unteilbar sowie der Rechtsordnung vorgreiflich, so daß es nicht normativ durch die Aufnahme sozialer oder anderer Wertungskriterien entwertet werden kann. 139 Angesichts der natürlichen Vorprägung des Lebens gilt dies insbesondere gegenüber der bereits genannten Sozialadäquanz oder einem allgemeinen Zivilisationsrisiko. 140 Diese beschreibende Bestimmung des verfassungsrechtlichen Begriffs des Lebens steht im Einklang mit Stimmen, die hier ein Definitionsverbot annehmen, da eine „dezisionäre" Festlegung des Schutzgutes eine Verfügung über dasselbe darstelle. 141 Ausgeschlossen sind insoweit aber nur materiell-qualitative Inhaltsbestimmungen, die einem Differenzierungsverbot zuwiderlaufen. 1 4 2 Dieses beachtet gerade der naturwissenschaftliche Ansatz, nach dem das menschliche Leben ein kontinuierlicher Entwicklungsprozeß ohne Einschnitte darstellt, verschiedene Entwicklungsstufen nicht voneinander abgrenzbar sind 143 und es so umfassend geschützt ist. 144 Eine Differenzierung zwischen schutzwürdig und schutzunwürdig findet nicht statt. Das Grundgesetz gibt gerade aufgrund seiner Entstehungsgeschichte vor, daß der Mensch unabhängig von seiner Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit geschützt ist, so daß schwache und kranke Personen ohne weiteres durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dann geschützt sind, wenn sie ärztliche Hilfe zum Über- und Weiterleben benötigen.145 Der naturwissenschaftliche Ansatz ist insbesondere deshalb rechtserheblich, weil sich in ihm die Intention umfassen137

Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 52. . Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 8; zur historischen Entwicklung der körperlichen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch Steiger, S. 257 f. 139 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 8 m. Nw. 140 Böhm, S. 120; G. Hermes, S. 241 ff.; a. A. Schmidt-Aßmann, AöR 106 (1981), 211 ff.; Degenhart, S. 146ff. 141 Böckenförde, Stimmen der Zeit 188 (1971), S. 150 (mit Fn.9); siehe auch Reis, S.XIf., 133 f. (mit Fn.640); zur Problematik weiter Isensee, Freiheitsrechte, S. 17 ff.; Höfling, Grundrechtsinterpretation, S.28ff. 142 Zu den Begriffen - thematisiert insbesondere im Rahmen der Kunstfreiheit - Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 28 ff.; Isensee, Freiheitsrechte, S. 17. Auch der Wissenschafts-/Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG kann mit derartiger Argumentation kein von vornherein (staats)resistenter Freiraum zugestanden werden; vgl. unten Kap. 3 III.3.a)aa). 143 BVerfGE 39, 1 (37). 144 W. Nw. zur h. M. im nachfolgenden Text. 145 Vgl. Böhm, S. 103 f.; ähnlich G. Hernes, S. 224. 138

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den verfassungsrechtlichen Schutzes verwirklicht. Andere Kriterien wie zum Beispiel die Personalität 147 sind nicht notwendig und wegen ihres wertenden Inhaltes abzulehnen. Der verfassungsrechtliche Schutz des Lebens besteht daher auch unabhängig von der Anknüpfung des einfachen Rechts an derartige Kriterien. 148 Von besonderer Schwierigkeit ist nach dem Gesagten die Bestimmung des Lebens in zeitlicher Sicht: Wo liegen sein Beginn und Ende? Aussagen hierzu finden sich in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts erst in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch. 149 Im Einklang mit der überwiegenden Literatur ist auch das Gericht der Auffassung, daß der Anknüpfungspunkt für den Schutz des Lebens schon das pränatale Stadium sein muß, da nur so ein wirksamer Schutz für die Existenz des späteren Menschen gewährleistet ist. 150 Durch die Befruchtung mit der Eizelle wird zugleich ein Prozeß kontinuierlicher Entwicklung in Gang gesetzt, in dem das von Anfang an vorhandene, nicht mehr teilbare menschliche Leben durch ständige Modifikation allmählich menschliche Gestalt gewinnt. 151 Damit findet schon hier eine Entwicklung als Mensch statt. Die Frage der subjektiven Grundrechtsträgerschaft 152 des Nasciturus wurde vom Bundesverfassungsgericht indes offengelassen. 153 Die dahinterstehende Frage der Subjektivierung der aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleiteten Schutzpflicht ist jedoch zu bejahen, wie auch die Grundrechtsausübungsfähigkeit oder Grundrechtsmündigkeit beim Leben eo ipso gegeben ist und begrifflich nur für gerichtliche Verfahren mit den entsprechenden Prozeßinstituten geschaffen werden muß. 154 146

Entsprechend Höfling/Rixen, S.66ff.; Alexy, S.57; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 144. Vertreten v.a. vonHoerster, S.69ff.; JuS 1989,172ff.;NJW 1991,2540ff.; gegen ihn zutreffend schon Tröndle, GA 1995, 249ff.; NJW 1991, 2542f.; Weiß, JR 1992, 182ff.; Stürner, JZ 1990, 718 f.; JZ 1991, 505 ff. 148 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn.9. Insbesondere zu § 1 BGB - § 17 StGB ist weggefallen-, wonach die Rechtsfähigkeit des Menschen mit Vollendung der Geburt beginnt, ist zu sagen, daß im Privatrecht letztlich Interessenkonflikte normativ geordnet werden sollen, die die Rechtsträgerschaft des Einzelnen notwendig machen. Hieraus kann jedoch kein Rückschluß auf den Beginn des Lebens nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gezogen werden; a. A. z. B. Wernicke, in: BK, Art. 2 S. 3 f. 149 BVerfGE 39,1 (36 ff.). In zuvor ergangenen Entscheidungen bedurfte es, soweit ersichtlich, keiner Bestimmung des Umfangs des Rechtsguts Leben. 150 BVerfGE 39,1; 88, 203. 151 Lorenz, in: HStR VI, §128 Rn. lOm.w.Nw.; a. A. v.a.//erster, S.69ff., 144f.; JuS 1989, 172 ff. 152 Auch Grundrechtsfähigkeit oder -berechtigung; zu den Begriffen Pieroth/Schlink, Rn. 105 ff. 153 BVerfGE 39, 1 (41). 154 Zutreffend gegen das BVerfG schon Steiger, S. 262; auch die h. Lit. vertritt mit dem Argument des vom GG gleichfalls vorgegebenen effektiven Rechtsschutzes den Gleichlauf von Grundrechtssubjektivität und objektivem Schutz im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 GG; vgl. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 146 m. entspr. Nw.; allgemein zum subjektiven Recht auf Schutz unten V. 147

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Danach ist auch das ungeborene menschliche Leben von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und insbesondere von der Schutzpflicht erfaßt. Allerdings bestehen im pränatalen Stadium mehrere Anknüpfungsmöglichkeiten für den Beginn des menschlichen Lebens:155 Bei der Orientierung an den biologisch-medizinischen Vorgaben sind die Befruchtung der Eizelle, die Nidation, die Möglichkeit der Schmerzempfindung/ Entwicklung der Großhirnrinde oder der Zeitpunkt der Lebensfähigkeit der Leibesfrucht zu nennen. Zu weit im Hinblick auf den Schutz des individuellen Menschen geht dagegen die Auffassung, schon die Keimzellen von Mann und Frau seien als menschliches Leben geschützt; hier knüpfen die im Rahmen der Fortpflanzungsmedizin aufzuwerfenden Probleme an, die im Rahmen des Rechtsgüterschutzes am Beginn des Lebens untersucht werden. 156 Nach der zutreffenden überwiegenden Auffassung ist die Befruchtung der entscheidende Zeitpunkt, ab dem der verfassungsrechtliche Schutz einsetzt. Mit der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle entsteht ein neuer diploider Chromosomensatz, der alle Voraussetzungen für die Entwicklung eines neuen Menschen in sich trägt. 157 Dies ist der Beginn der Entwicklung eines konkreten Individuums, die zwar Modifikationen, bis zu ihrem Abschluß durch den Eintritt des Todes jedoch keiner Zäsur unterworfen ist. Damit kann ohne Willkür der zeitliche Lebensschutz nicht enger gefaßt werden. 158 Die Auffassung, die erst die spätere Nidation, das heißt die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter als maßgeblichen Zeitpunkt ansehen will und zur Begründung das hohe Verlustrisiko der Zygoten sowie das (vermeintlich) erst hier beginnende individualisierte Leben anführt, 159 ist schon wegen der Tatsache, daß hier nur ein Teilverlustrisiko besteht, verfehlt. Gerade dieses zeigt, daß die aufbauende Entwicklung hin zum fertigen Mensch schon vorher begonnen hat und folglich der Lebensschutz ebenfalls vorher einzusetzen hat. Der Unterschied zwischen diesen Zeitpunkten ist insbesondere im Zusammenhang mit der schon angesprochenen Fortpflanzungsmedizin erheblich. Stellt man nämlich auf die Nidation ab, genießt das extrakorporal erzeugte und sich entwickelte Leben keinen Schutz.160 Die übereinstimmende Gemeinsamkeit stellt jedoch - abgesehen von späteren Zeitpunkten, die aus den genannten Gründen abzulehnen sind - die Befruchtung dar, un155

Nachfolgende Aufzählung nach Ulmer, S. 18 ff. m. w.Nw. Im Hinblick auf die Reproduktionsmedizin und Forschung ist auch Art. 1 Abs. 1 GG zu beachten; vgl. Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn. 56ff.; zum Ganzen unten B Kap. 3 I. 157 Eser, ZRP 1991, 293; BVerfGE 88, 203 (251); 39, 1 (37 ff.) weisen auch auf den Grundsatz hin, daß in Zweifelsfällen die Auslegung zu wählen ist, die die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnormen am stärksten entfaltet. 158 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 10 m. w.Nw.; Beckmann, ZRP 1987, 80ff.; Keller/Günther/Kaiser, § 8 Rn. 7. 159 Z.B. Hofmann, JZ 1986, 258f.; w.Nw. bei Ulmer, S.22f. 160 So z. B. Fechner, JZ 1986,658; dagegen zutreffend Kellerl Günther! Kaiser, § 8 Rn. 7; vgl. dazu auch Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 145; Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 21, beide m. w. Nw. 156

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abhängig davon, ob sie in vivo oder in vitro erfolgt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch die Auffassung vertreten, daß sich das grundrechtlich geschützte Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG weder auf den fertigen Menschen nach der Geburt, noch auf den selbständig lebensfähigen Nasciturus beschränkt. Zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben könne kein Unterschied gemacht werden. 161 Wegen des strafrechtlichen Streitgegenstandes kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, daß das Gericht auch außerhalb von strafrechtlich zu verfolgenden Schwangerschaftsabbrüchen an die Nidation anknüpft; erst recht gilt dies angesichts der in seiner Rechtsprechung auch zu findenden Verknüpfung von Leben und Menschenwürde. 162 In gleicher Weise problematisch ist die Bestimmung des Endes des menschlichen Lebens - ein Bereich, den sich auch das verfassungsrechtliche Schrifttum erst zunehmend erschließt. 163 Hier konzentriert sich die Problematik auf die Bestimmung des Zeitpunktes, da die Grundrechtsträgerschaft zweifellos gegeben ist. Auch hier entscheiden medizinisch-biologische Gesichtspunkte, soziale oder andere Wertungen sind nicht zu berücksichtigen. 164 Von besonderer Bedeutung ist der Schutz des Lebens an dessen Ende in den Bereichen der Organentnahme und Sterbehilfe - zwei Bereiche, in denen die medizinische Entwicklung zu normativen Schwierigkeiten führt. Die klassische Bestimmung des Todeszeitpunkts anhand des Herz-KreislaufStillstandes (Erlöschen aller Vitalfunktionen) wurde vom sog. Hirntod, das heißt dem irreversiblen Ausfall des Gesamthirns abgelöst, an den auch im TPG angeknüpft wird. 165 Gegenüber diesem punktuellen Todeskriterium wird jedoch angeführt, daß es die spezifischen Probleme nicht zu bewältigen vermöge und vielmehr ein Sterbeprozeß anzunehmen sei. 166 Ohne Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Rechtsgutsträgers lassen sich am Ende des Lebens jedoch keine widerspruchsfreien Lösungen finden. Die verfassungsrechtlichen Probleme am Ende des Lebens werden daher erst später ausführlich beleuchtet.167

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BVerfGE 39, 1 (36 f.); 88, 203 (251 f.). Ebenso Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 145; Ulmer, S. 23; in diesem Sinne (Leben als vitale Basis der Menschenwürde) BVerfGE 39, 1 (41 f.). 163 Vgl. Rixen, S. 108 ff. m.zahlr.Nw.; dazu auch Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 15. Gegen umfassenden Schutz auch hier Hoerster, ZRP 1988, 1 ff.; dagegen kritisch schon Wilms!Jäger, ZRP 1988,41 ff. 164 Vgl. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 142 m.Nw. 165 Zu den Kriterien des Lebensendes Höfling/Rixen, S.48ff.; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 142 m. w. Nw.; zum Transplantationswesen unten B Kap. 4 III. 1. 166 Vgl. z.B. Höfling, JZ 1995, 26ff.; Höfling!Rixen, S.70ff., 75. 167 Unten Kap. 3 IV., B Kap. 3 II. 162

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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2. Körperliche Unversehrtheit 168 Schutzgut ist die konkrete Körperlichkeit des Individuums. In diesem Sinne wird die Integrität des Körpers als vorgegebene Daseinsform des Menschen geschützt.169 Danach erstreckt sich der Schutz der körperlichen Unversehrtheit in gleicher Weise wie der des Lebens auf den Menschen im vorgeburtlichen Stadium.170 Körpersphäre oder körperliche Integrität sind nach objektivem biologisch-physiologischem Verständnis zu bestimmen, so daß subjektive Wertungen wie zum Beispiel die Erheblichkeit oder die Zielsetzung einer Beeinträchtigung nicht zu berücksichtigen sind. 171 Folglich werden auch Heileingriffe, das heißt Einwirkungen auf die körperliche Integrität im Rahmen des ärztlichen Behandlungsverhältnisses von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßt. 172 Diese können auch darin liegen, daß die Wiederherstellung der körperlichen Integrität im Sinne des körperlichen Zustandes vor Krankheitseintritt verzögert wird. Insgesamt wird damit vom Schutz der körperlichen Unversehrtheit auch das staatliche Entgegenwirken gegen Krankheiten umfaßt, das sich im Einzelfall zur Gewährung einer Heilbehandlung verdichten kann; insoweit ist der grundrechtlichen Schutzpflicht eine leistungsrechtliche Komponente immanent. 1 7 3 Oftmals ist der Rückgriff auf medizinische Erkenntnisse unerläßlich, da ein fachgebundener Zusammenhang zwischen körperlicher Unversehrtheit und Krankheit oder Gesundheit besteht. Dies darf jedoch nicht zur Aushöhlung des Grundrechtsschutzes führen. 174 Wertungen wie das Abstellen auf einen „gesunden Durchschnittsbürger" sind ebenfalls unzulässig - die Bedeutung der Schutzpflicht liegt gerade im individuellen Schutz der Schutzbedürftigen, beispielsweise Kranken oder Ungeborenen. 175 Die Ungestörtheit der Körpersphäre ist in diesem Bereich maßgeblich vom Willen des Rechtsgutsträgers abhängig176 - es besteht grundsätzlich eine Dispositionsbefugnis hinsichtlich Grundrechtsbeeinträchtigungen, zum Beispiel kraft des Rechtsinstituts der Einwilligung. Auf verfassungsrechtlicher Ebene umstritten ist die Wirkung der Einwilligung im Rahmen des Behandlungsverhältnisses: Zum Teil wird ihr wie auch auf der Ebene des einfachen Rechts rechtfertigende Wirkung zugespro-

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Ausführlich dazu Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 16 ff. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 16; Hermann, S. 118 ff., beide m. w. Nw. 170 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 21. 171 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 16. 172 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art.2 Rn. 53 m. w. Nw.; BVerfGE 52,131 und v. a. das Sondervotum (S. 171, 174f.) - Arzthaftungsprozeß. 173 Dazu ausführlich Francke, S. 79 ff. m. zahlr. Nw.; für Verbindung des Art. 2 Abs. 2 GG mit dem Sozialstaatsprinzip nach Art.20 Abs. 1 GG in diesen Fällen z.B. Murswielc, in: Sachs, Art. 2 Rn. 214, einschränkend aber Rn. 225; siehe weiter Seewald, Grundrecht, S. 86. 174 G.Hermes, S.225. 175 Vgl. G. Hermes, S.224; Böhm, S. 103 f. 176 Vgl. Lorenz, HStR VI, § 128 Rn. 64f. m. w. Nw.; G. Hermes, S. 224. 169

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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chen, zum Teil soll ihr Vorliegen die Grundrechtsbeeinträchtigung bzw. einen Eingriff ausschließen.178 Von vorgreifender und entscheidender Bedeutung sind die Voraussetzungen für das Zustandekommen einer wirksamen Einwilligung. Wegen ihrer Tragweite ist das ihr zugrunde liegende Selbstbestimmungsrecht als eigenständiges, wenn auch auf die körperliche Integrität bezogenes Rechtsgut anzuerkennen.179 Auch die bloße Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit stellt eine Beeinträchtigung des Grundrechts dar und ist von der Schutzpflicht erfaßt. Zu präzisieren ist diese aber im Hinblick auf Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren sowie die Irreversibilität von Verletzungen. Hierzu kann auf die Ausführungen zur Entstehung bzw. zum Bestehen der grundrechtlichen Schutzpflicht verwiesen werden. 180 3. Gesundheit In der Literatur wird die Gesundheit zum Teil als eigenes Rechtsgut schlicht dem Art. 2 Abs. 2 GG unterstellt. 181 Zum Teil findet sich auch eine Vermischung mit der körperlichen Unversehrtheit: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit soll die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne umfassen. 182 Ebenso nimmt das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich an, daß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Schutzpflicht für die Gesundheit enthält.183 Eine Begründung oder inhaltliche Abgrenzung insbesondere zur körperlichen Unversehrtheit steht allerdings, soweit ersichtlich, bislang aus. Umgekehrt geht das Bundesverfassungsgericht von einem weiten Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit aus und erwägt eine Herleitung anhand des Begriffs der „Gesundheit" nach der Satzung der Weltgesundheitsorganisation WHO. 1 8 4 Zumindest soll Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch nichtkörperliche Einwirkungen erfassen, die in ihrer Wirkung körperlichen Eingriffen gleichzusetzen sind. 185 Erfaßt werden damit auch psychische Erkrankungen, 186 geht das Bundesverfassungsgericht doch zutreffend davon aus, daß andauernde Beeinträchtigungen des psychischen und sozialen Wohlbefindens somatische Folgen im Sinne einer Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit haben können.187 177

Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 Abs. II Rn. 32, 36. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 58; PierothlSchlink, Rn. 395. 179 Vgl. das Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171 ff.) und ausführlich nachfolgend 4. 180 Oben I.; vgl. auch G. Hermes, S. 222ff. 181 So Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art 14 Rn.484; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. I I Rn. 34; BGHZ 65, 196 (206). 182 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 177, mit unzutreffendem Verweis auf Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 16 f. 183 Z. B. BVerfG, NJW 1987, 2287 - Aids-Bekämpfung. 184 BVerfGE 56, 54 (74) - Fluglärm. 185 BVerfGE 56, 54 (75). 186 BVerfGE 52, 214 (221 f.) - Zwangsräumung. 187 BVerfGE 56, 54 (76); am Beispiel des Fluglärms ausführlich Hermann, S. 119f., 126f., 52 ff. 178

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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Darüber hinaus vertretene Verortungen eines Rechtsbegriffs und -guts der Gesundheit, zum Beispiel in den Art. 1 Abs. 1 oder 104 Abs. 1 Satz 2 GG, sind hier nicht zu vertiefen. 188 Selbstverständlich können nach hier vertretener Auffassung Verletzungen der Menschenwürde auch mittels Gesundheitsschädigungen erfolgen, wenn sie in ihrer Art und Weise den spezifischen Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigen. Die häufig zu beobachtende Verbindung des Begriffs der Gesundheit mit dem Sozialstaatsprinzip führt dazu, der Gesundheit eine gewisse Breitenwirkung zuzurechnen, die auf konkreten Schutzerfordernissen und -maßnahmen aufbaut. 189 Insgesamt besteht angesichts des dargestellten Schutzumfangs des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zumindest für die vorliegende Untersuchung keine Notwendigkeit, ein eigenständiges Rechtsgut der Gesundheit zu etablieren. 190 Wenngleich der Begriff der Gesundheit in zahlreichen einfachen Gesetzen und auch dem Grundgesetz selbst auftaucht, ist sie doch nur Bestandteil der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit und überwiegend auf diese zurückzuführen. 191 Daher kann aus der Verwendung von Gesetzesbegriffen wie „Gesundheit" oder „Gesundheitsschutz"192 nicht darauf geschlossen werden, daß entsprechender Schutz nur einfach-gesetzlich und nicht in Erfüllung verfassungsrechtlicher Vorgaben gewährt wird. Die Gesundheit als eigenständiges Rechtsgut kann in Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip gebracht werden und mit diesem im Hinblick auf die Verpflichtung zur Schaffung einer allgemeinen Gesundheitsvorsorge herangezogen werden. Überlagert wird diese allgemeine Verpflichtung jedoch durch das Auftreten einer Schutzpflichtkonstellation und der entsprechenden konkreten Schutzpflicht für die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG. 193 Untrennbar mit den körperlichen Rechtsgütern verbunden ist die materielle Disposition über sie. Die Begründung eines entsprechenden Selbstbestimmungsrechts des Rechtsgutsträgers als autonome Dispositionsbefugnis ist allerdings umstritten und wirft im Rahmen der Schutzpflicht spezifische Probleme auf.

188 Dazu v.a. Seewald, Verfassungsrecht, S.37ff., 50ff„ 132ff. 189 Wegen der Erfassung schon von Risiken durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist im Rahmen der körperlichen Unversehrtheit kein konkretes Krankheitsbild erforderlich; a. A. zu körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit z.B. G. Hermes, S.226. 190

Ähnlich Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 62; a. A. Francke, S. 77ff., 132f. Siehe aber Seewald, Verfassungsrecht, S.54ff. 192 Vgl. z. B §§ 823 Abs. 1 BGB, 3 Abs. 3 TFG, 1 SGB V. 193 Hier bestehen gewisse Unschärfen in der Rspr. des BVerfG, das die Schutzpflicht zum Teil auf konkrete Menschenleben bezieht - BVerfGE 39, 1 (59 - Schwangerschaftsabbruch I), zum Teil aber auch gegenüber der Gesamtheit der Bürger als bestehend ansieht - BVerfGE 46, 160 (165) - Schleyer. M. E. entscheidet die Art und Weise der Grundrechtsbeeinträchtigung über das Entstehen der Schutzpflicht und ihre Erfüllung. Der Schutz kann sich daher auf den Einzelfall beschränken, er kann aber auch der Allgemeinheit zu Gute kommen. 191

Kap. 1 : Die grundrechtliche Schutzpflicht

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4. Verfügungsbefugnis und Selbstbestimmungsrecht Der Schutz der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit umfaßt auch die Befugnis des Rechtsgutsträgers, in gegebenenfalls zu bestimmenden Grenzen, über diese Rechtsgüter zu verfügen. Die bei den Freiheitsrechten zum Teil anerkannte Konstruktion des positiven und negativen Freiheitsgebrauchs ist bei Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG jedoch problematisch. Negativ wird in diesem Sinne als vom grundrechtlichen Schutzbereich erfaßte Nichtausübung der tatbestandlich umschriebenen Handlung verstanden. 194 Keine negative Freiheit ist damit der Grundrechtsverzicht, der nicht nur die Ausübung grundrechtlich geschützten Verhaltens, sondern zugleich die Nichtinanspruchnahme des Grundrechts bedeutet.195 Die früher zum Teil vertretene Unterscheidung zwischen Grundrechtsverzicht und Grundrechtsausübungsverzicht wird heute, soweit ersichtlich, nicht mehr vertreten. 196 Im Bereich des Privatrechts und damit auch im Arzt-Patienten-Verhältnis stellt sich darüber hinaus grundsätzlich die Frage, ob überhaupt von einem Grundrechtsverzicht gesprochen werden kann. Ist ein freiwilliges, Rechtsgutsbeeinträchtigungen akzeptierendes Verhalten gegenüber dem Staat ein Grundrechtsverzicht, so ist es dies aufgrund der in Art. 1 Abs. 3 GG angeordneten beschränkten Bindungswirkung nicht unbedingt auch gegenüber Privaten. 197 Im Rahmen der Schutzpflichtkonstellation ist daher entscheidend, daß materiell-rechtlich zulässige Dispositionen des Schutzsubjekts gegenüber Privaten auch von den Schutzpflichtadressaten - den staatlichen Organen 198 - , insbesondere in gerichtlichen Verfahren, zu beachten sind. Insoweit kommt der Verfügungsbefugnis unter Privaten auch eine Verzichtskomponente gegenüber dem Staat zu. Umgekehrt stellt sich die Frage, ob das Schutzsubjekt aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht auch gegen seinen Willen geschützt werden darf oder muß. Dies betrifft das Problem des aufgedrängten Grundrechtsschutzes oder des Schutzes vor bzw. gegen sich selbst.199 Der Konflikt zwischen Selbstbestimmungsrecht des Schutzsubjekts und grundrechtlicher Schutzpflicht wird eigenständig im Zusammenhang mit anderen der Schutzpflicht gegenläufigen Positionen, zum Beispiel der Ärzte, behandelt.200 An dieser Stelle soll nur untersucht werden, ob Art. 2 Abs. 2 194 Stellvertretend Hellermann, S. 16f., auch zur zum Teil mißverständlichen Terminologie und fehlender Trennung zwischen grundrechtlich geschütztem Verhalten und Inanspruchnahme des grundrechtlich gewährleisteten Rechts. Zur Abgrenzung auch Spieß, S.47ff. 195 Ebenso v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Vorb. Art. 1-19 Rn.62. 196 Spieß, S.48f. m.Nw. Zur parallelen Problematik bei der Menschenwürde weiter unten. 197 Dafür z. B. das BVerwG in den „Peep-Show"-Entscheidungen; BVerwGE 64, 274 (276 ff.); BVerwG, JZ 1990,382 ff.; NVwZ 1987,411. Unklar Spieß, S. 50 im Gegensatz zu den Beispielen auf S. 37, 69, 73. 198 Dazu unten Kap. 2. 199 Dies entspricht der Terminologie im Schrifttum; vgl. Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstbeschädigung; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst; Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst. 200 Unten Kap. 3 IV.

4 Hollenbach

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Satz 1 GG auch eine staatliche Schutzpflicht für die Verfügungsbefugnis und das Selbstbestimmungsrecht über das Leben und die körperliche Unversehrtheit enthält. Eine negative Seite des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, die ein Recht zur Selbsttötung und Zerstörung der körperlichen Unversehrtheit oder Gesundheit enthält, wird überwiegend verneint. 201 Gegenüber Freiheitsrechten, bei denen die punktuelle oder zeitweilige Nichtausübung nicht die Substanz des Rechtsguts betrifft, ist bei Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und insbesondere beim Leben der unwiederbringliche Verlust der Rechtsgüter gegeben, die Basis und Ausdruck menschlicher Existenz sind. Auf einer anderen Stufe stehen dagegen nicht auf den irreparablen Verlust des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit abzielende Selbstgefährdungen und -Verletzungen. Diese sind Ausdruck persönlicher Autonomie und als nur „relative Verfügungen" über die körperlichen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützt. Für das Arzt-Patienten-Verhältnis ist insoweit festzustellen, daß medizinisch indizierte Rechtsgutsbeeinträchtigungen bei therapeutischen und diagnostischen Methoden in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen haben, was im Hinblick auf früher undenkbare Heilungschancen zwar grundsätzlich positiv zu bewerten ist, zugleich wegen der damit verbundenen, früher ungekannten Risiken aber zu relativieren ist. 202 Im Rahmen ärztlicher Heilbehandlungen sind daher körperliche Eingriffe regelmäßig unerläßlich und auch hochgradige Lebensgefahren werden in Kauf genommen.203 Ebenso können schwere irreparable Körperverletzungen zur Lebensrettung notwendig sein. In dem Maß, in dem die Bedeutung und Geltung der alten medizinisch-ethischen Grundregel des „nil nocere" abnimmt, 204 nimmt die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten zu. M. E. ist auch die Einwilligung in medizinisch notwendige Körperverletzungen und Rechtsgutsgefährdungen als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts über die körperliche Integrität von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt. Die Selbstbestimmung des Patienten unterfällt nicht der Verfügungsbefugnis, die als Teil der freiheitlich individuellen Entfaltung angesehen wird, bei der (körperliche) Selbstgefährdungen dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zugeordnet werden. 205 Ebenso wird die allgemein dem Art. 2 Abs. 1 GG zugeordnete Vertragsfreiheit und Privatautonomie 206 im Bereich ärztlicher Heilbehandlungen von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überlagert. Die 201

Stellvertretend Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62 m. w. Nw., auch zur Gegenansicht; zur Sterbehilfe unten B Kap. 3 II. 202 v g l Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A18 f. 203 Da ärztliche Maßnahmen oft zugleich Verletzung und Gefährdung sind, ist eine Trennung nur schwer möglich und es gilt eine einheitliche verfassungsrechtliche Lösung anzustreben. 204 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A18; vgl. auch den Hippokratischen Eid, abgedruckt bei Deutsch, Rn. 1029. 205 Dazu Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 63 m. w. Nw., der bei Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität bei ärztlichen Heilbehandlungen ebenfalls auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abstellt; Rn.64f.; ebenso Francke, S. 101 ff. Z.B. Fischer, S.75ff., 23 sieht dagegen Selbstgefährdungen und Selbstverletzungen als „Selbstschädigungen" von Art. 2 Abs. 1 GG erfaßt. 206 Vgl. die Nw. bei Höfling, Vertragsfreiheit, S.6ff.

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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Heilbehandlungen finden regelmäßig im Rahmen eines Vertragsverhältnisses statt, in dem die Einwirkung auf den Körper des Patienten bei der Diagnose und der Therapie sowie weitergehende Gefährdungen notwendiger Bestandteil sind und bewußt akzeptiert werden. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist insoweit eine speziellere Grundrechtsverbürgung als Art. 2 Abs. 1 GG. 207 Sind bei einer ärztlichen Heilbehandlung körperliche Eingriffe unumgänglich und weitergehende oder anders gelagerte Körperschäden oder Lebensgefährdungen unvermeidbar, ist das Eingehen bzw. der Abschluß des BehandlungsVertrags, verbunden mit der entsprechenden Einwilligung, und die Duldung der konkreten Behandlung als zulässige Ausübung der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu betrachten. In diesem Sinne stellt sich Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in der Tat als besondere Verbürgung der in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten freien Entfaltung der Persönlichkeit dar und enthält das auf die Rechtsgüter bezogene spezifische Selbstbestimmungsrecht des Patienten.208 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen, er beschränkt sich nicht auf speziellen Gesundheitsschutz.209 Demgegenüber vermag auch eine Herleitung des Selbstbestimmungsrechts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht 210 nicht zu überzeugen. Das erst spät und auch nur in Fallgruppen vom Bundesverfassungsgericht anerkannte allgemeine Persönlichkeitsrecht aus den Art. 1 Abs. 1,2 Abs. 1 GG 2 1 1 ist keine tragfähige Grundlage für ein Selbstbestimmungsrecht, das in allen grundrechtlich geschützten Bereichen Bedeutung erlangt. Dem steht das (Konkurrenz)Verhältnis der einzelnen Grundrechtsbestimmungen entgegen. In diesem Sinne sind banale Tätigkeiten, zum Beispiel das Taubenfüttern 212 oder das Reiten im Wald, 213 die exemplarisch als Ausdruck autonomer Selbstbestimmung gelten, - wenn überhaupt 214 - nur von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG 2 1 5 erfaßt. Ebenso ist auch im Schutzbereich der körperlichen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kein Raum für ein Selbstbestimmungsrecht aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies gilt gerade für das Arzt-Patienten-Verhältnis, in dem die Heilungserwartung bzw. der Heilerfolg der Anlaß für die Dispositionen des Patienten sind. Diese Intention und der unmittelbare Bezug zu den körperlichen Rechtsgütern Leben und kör207 Auch Höfling, Vertragsfreiheit, S.9ff. ordnet die Vertragsfreiheit als Element verschiedener grundrechtlicher Betätigungskomplexe ein; vgl. auch Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 63 ff. 208 So schon das Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171, 175)-Arzthaftungsprozeß. 209 Wiederum das Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171, 174). 210 Stellvertretend Spieß, S. 85 ff. m. w.Nw.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §66 112 (S. 641) sieht das Selbstbestimmungsrecht sogar als „Herzstück der Menschenwürde" an. 211 Ausdrücklich BVerfGE 54, 148 (153 f.). Zu Herleitung und Fallgruppen ausführlich Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §66 113 (S.646ff.) m.zahlr.Nw. 212 BVerfGE 54, 143. 213 BVerfGE 80, 137. 214 Kritisch v. a. Richter Grimm im Sondervotum zu BVerfGE 80, 137 (164 ff.); Hesse, Grundzüge, Rn. 426 ff. m. w. Nw. 215 St. Rspr. seit BVerfGE 6, 32 (36 ff.) - Elfes.

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perliche Unversehrtheit, auch bezüglich des Umfangs ihrer Beeinträchtigung, spricht gegen die Herleitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Gegen diese Herleitung des Selbstbestimmungsrechts spricht weiter die Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Fraglich ist, wie die bei ärztlichen Heilbehandlungen häufig gegebene Einwilligung in Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit oder schwerwiegende Gefährdungen derselben oder des Lebens in Einklang mit der absolut geltenden Menschenwürdegarantie gebracht werden soll. Genannte Rechtsgutsbeeinträchtigungen wären auch im Kernbereich und nicht nur im Randbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusiedeln. Die Bedenken gegen die Zuhilfenahme des Art. 1 Abs. 1 zur Begründung der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit 216 erstrecken sich damit auch auf den Schutz des Selbstbestimmungsrechts. Auch hier gilt jedoch, daß der spezifische Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstärken kann, zum Beispiel bei einer denkbaren Behandlung der Keimbahnzellen in Form ihrer Entschlüsselung zu diagnostischen und Veränderung zu therapeutischen Zwecken, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Persönlichkeit an sich berühren. 5. Ergebnis Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält eine einheitliche Schutzpflicht für die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit sowie für die auf diese bezogene Verfügungsbefugnis bzw. das spezifische Selbstbestimmungsrecht.217 Diese Lösung entspricht der Tatsache, daß eine ärztliche Maßnahme zugleich Verletzung und Gefährdung von Rechtsgütern des Patienten sein kann - eine Aufspaltung des Patientenschutzes durch verschiedene Grundrechte ist zu vermeiden. Bei den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrheit gilt ein weites materielles Begriffsverständnis im Hinblick auf den zeitlichen und sachlichen Schutzumfang. Die innere Verbindung zwischen Selbstbestimmungsrecht und körperlichem Rechtsgut tritt gerade in der Schutzpflichtkonstellation des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu Tage. Aufgrund der Unwägbarkeit der ärztlichen Behandlung, das heißt von in der Person des Patienten oder/und des Arztes begründeten Umständen, die Rechtsgutsgefährdungen mit sich bringen, oder der Unvermeidbarkeit von Rechtsgutsbeeinträchtigungen bei der Behandlung auf dem Weg zur Genesung, kommt der Verfügungsbefugnis besondere Bedeutung zu. Während die Problematik staatlicher Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in ihrer zwangsweisen Anwendung liegt, läßt die Schutzpflicht die staatlichen Organe an die Seite des Patienten treten: Die Rechtsgutsbeeinträchtigung erfolgt hier seitens des Arztes. 218 Wenn nun Selbstgefährdungen oder gar Eingriffe in die 216

Vgl. oben II. Vgl. auch Fischer, S. 67 ff. m. w. Nw. 218 Das BVerfG führt in ständiger Diktion aus, daß bei privaten Rechtsgutsbeeinträchtigungen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Pflicht des Staates folge, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen und sie ggf. auch vor rechts2,7

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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körperliche Unversehrtheit des Patienten unvermeidbar sind, liegt die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Schutz des Selbstbestimmungsrechts. Die Zustimmung oder Einwilligung des Patienten verhindert eine eigenmächtige, ausschließlich fremdbestimmte Beeinträchtigung der körperlichen Integrität und führt zu einer zulässigen (Heil)Behandlung. Dies zeigt, daß die Schutzpflicht für das Selbstbestimmungsrecht und das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit die gegenseitige Wirkung der Rechtsgüter zu beachten hat. Zeitlich an erster Stelle steht der Schutz des Selbstbestimmungsrechts gegenüber dem Dritten. Rechtsgutsverletzungen durch Private können grundsätzlich nur über den Rechtsgutsträger legitimiert werden, die Grundrechtswidrigkeit von Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität hängt in der Schutzpflichtkonstellation vom Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers ab. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, daß ein Patient jederzeit den Behandlungsabbruch verlangen kann. Weil dieses Selbstbestimmungsrecht auch zu Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität führen kann, ist seine Institutionalisierung von besonderer Bedeutung. Grundlegend für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts und den entsprechenden Schutz ist die autonome Willensbildung und -betätigung in Kenntnis aller relevanten Tatsachen.

I V . Subjektives (Grund)Recht auf staatlichen Schutz Aus der Anerkennung der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Grundrechtsgüter und der durch sie gewährleisteten Freiheitsräume folgt nicht ohne weiteres die Bejahung entsprechender subjektiver Rechte der Schutzsubjekte. So nimmt beispielsweise Stern an, daß ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch der durch die Schutzpflicht Begünstigten nicht schon daraus folge, daß der objektivrechtliche Gehalt aus der (objektiven) Grundrechtsnorm selbst abgeleitet wird. 219 Ebenso sollen Vermutungen zu Gunsten subjektiver Rechtspositionen nur für die klassischen Grundrechtsgehalte, das heißt insbesondere die Eingriffsabwehrfunktion, angenommen werden können.220 Infolgedessen wird die Frage der allgemeinen Subjektivierung objektiv-rechtlicher Grundrechtsgehalte im verfassungsrechtlichen Schrifttum äußerst kontrovers diskutiert. 221 Für die hier untersuchte grundrechtliche Schutzpflicht wird allerdings überwiegend die Subjektivierung bejaht.222 Dieser widrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren; vgl. nur BVerfG, NJW 1998, 2961 (2962) unter Verweis auf BVerfGE 88, 203 (251 m. w. Nw.). 219 Stern, Staatsrecht III/l, §69 V I 1 (S.978); a. A. z.B. Unruh, S.64f.; großzügiger insoweit auch Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §67 113 (S.709f.). 220 Stern, Staatsrecht III/l, § 69 V I 2 (S. 978 f.) m. w. Nw.; a. A. auch für die grundrechtliche Schutzpflicht z. B. Robbers, S. 148 ff. 221 Stellvertretend und ausführlich Stern, Staatsrecht III/l, § 69 V I (S.978 ff.); Dietlein, S. 133 ff., beide m. zahlr. Nw. 222 Befürwortend z.B. G.Hermes, S. 208 ff.; Dietlein, S. 133 ff., 173 f.; Alexy, S. 411 ff.; Stern, Staatsrecht III/l, §69 VI4 (S. 987 ff.); Unruh, S.62ff.; weitergehend Robbers, S. 148 ff., der von einem „Primat des subjektiven Rechts" ausgeht; ganz selbstverständlich auch Bleck-

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Auffassung ist zuzustimmen. Sie geht zutreffend davon aus, daß im modernen Verfassungsstaat eine Synthese zwischen objektiver Bindung der staatlichen Gewalt und subjektiver Durchsetzbarkeit mittels individueller Ansprüche besteht.223 Ebenso spricht die Herleitung aus der Grundrechtsnorm für die Subjektivierung. Die Grundrechte gewähren individuelle Rechte und allein mit den unterschiedlichen Zielsetzungen der Gewährleistungen, staatliche Tätigkeit bei der Schutzpflicht gegenüber der bloßen Abwehr bei staatlichen Eingriffen, kann eine verschiedene Einordnung nicht begründet werden. 224 Umgekehrt beziehen sich die Argumente, die gegen eine Subjektivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht vorgebracht werden, insbesondere die fehlende Bestimmtheit und die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, mehr auf die inhaltliche Reichweite des Rechts und des Anspruchs auf Schutz, als auf dessen Existenz.225 Der eigentliche Grund für die Zurückhaltung gegenüber der Subjektivierung der Schutzpflicht ist daher wohl eine befürchtete Machtverschiebung im Gewaltengefüge zu Gunsten des Bundesverfassungsgerichts. 226 Von der grundsätzlichen Anerkennung eines subjektiven Rechts auf Schutz ist dessen Durchsetzung gegenüber der staatlichen Gewalt jedoch zu trennen. Die Frage, wie, das heißt anhand welcher Maßstäbe und in welchem Umfang, die Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht tatsächlichen und vor allem rechtlichen Schutz gewähren können und müssen, wird dementsprechend erst später untersucht. 227 Ebenso wie die herrschende Auffassung im Schrifttum geht auch das Bundesverfassungsgericht von einer Subjektivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus. Die Ableitung der Schutzpflicht aus der objektiven Wertordnung oder dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte steht einer Subjektivierung nicht entgegen: Verfassungsbeschwerden auf staatliche Schutzgewährung oder wegen unzureichender Schutzgewährung wurden für zulässig erachtet und mithin die Anforderungen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG als erfüllt angesehen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die grundrechtliche Schutzpflicht, soweit ersichtlich, bislang nicht ausdrücklich als subjektives öffentliches Recht bezeichnet hat. 228 Insoweit setzt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit fort, die ihre Anfänge bei der Frage hat, ob der objektiv-rechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens die Grundrechtsträgerschaft des mann, § 11 Rn.219. Geringe Schwierigkeiten bereitet die Subjektivierung auch bei einer Ableitung der Schutzpflicht aus der Abwehrfunktion der Grundrechte; vgl. Murswiek, S. 106ff. Ablehnend aber z. B. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rn. 159 f.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 1 Rn. 30; H. H. Klein, S. 64f. 223 G. Hermes, S.210. 224 Unruh, S.64f.; Alexy, S.414f. 225 Insbesondere werden die fehlende Bestimmtheit und die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers angeführt; vgl. nur Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rn. 159 f.; zutreffend dagegen schon G. Hermes, S. 210 f. 226 Ebenso G. Hermes, S.210f.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S.204ff. 227 Dazu die nachfolgenden Kap. 2 und 3. 228 Aus jüngster Zeit BVerfG, UPR2000,111 unter Verweis auf BVerfGE77,170 (214); 77, 381 (402 f.): „Die Vernachlässigung der Schutzpflicht kann von dem Betroffenen grundsätzlich mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden."; kritisch zur Rspr. Starck, S. 72 f.

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Schutzsubjekts korrespondiert. Die Widersprüchlichkeit zeigt sich auch schon in der genannten Entscheidung selbst, in der das Gericht an anderer Stelle vom „Lebensrecht des Ungeborenen" spricht. 230 In der Tat ist nicht nachvollziehbar, warum der Nasciturus nicht selbst Träger des Rechts auf Leben sein soll oder kann, wenn „jeder" im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch den Nasciturus umfaßt. 231 Zutreffend wirft Steiger die Frage auf, wie „jeder" ein Recht haben kann, ohne Träger des Rechts zu sein. 232 Angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung zur grundrechtlichen Schutzpflicht ist aber heute davon auszugehen, daß dem einzelnen ein subjektives Recht im Rahmen der Schutzpflichtkonstellation aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zukommt. Es besteht ein einheitlicher Schutzanspruch gegenüber allen Trägern staatlicher Gewalt. 233 Je nach Adressat der Schutzverpflichtung kann dieser aber durchaus unterschiedlichen Inhalts sein. 234 Da die Schutzpflicht zudem die Abwehr von Angriffen oder Grundrechtsgefährdungen - allgemein: Grundrechtsbeeinträchtigungen - erfaßt, kommen zu ihrer Erfüllung vielzahlige verschiedene Maßnahmen, vorbehaltlich ihrer Eignung, in Betracht. Im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung stehen rechtliche Maßnahmen. Nach dem Bundesverfassungsgericht selbst kommen aber auch tatsächliche Maßnahmen in Betracht, 235 was die Gewährung finanzieller Mittel einschließt - Leistungen, mit deren Rückführung auf die Grundrechte sich das Bundesverfassungsgericht beispielsweise beim Anspruch auf das Existenzminimum im Gegensatz zu den Verwaltungsgerichten wiederum schwertut. 236 V . Schutzverstärkung durch Internationale Regelungen Außer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt ein Schutz der Patienten auch durch internationale Regelungen in Betracht. Nachfolgend soll untersucht werden, ob diese weitergehende normative Schutzvorgaben für die Träger staatlicher Gewalt als die grundrechtliche Schutzpflicht enthalten und so zu einer echten materiellen Schutzverstärkung führen. 237 229

Offengelassen in BVerfGE 39, 1 (41). BVerfGE 39, 1 (48). 231 Ebenso Steiger, S. 262. 232 Steiger, S. 262. 233 G. Hermes, S. 209. 234 Dies ist in formaler Hinsicht schon aufgrund der unterschiedlichen Handlungsformen der staatlichen Gewalten vorgegeben; vgl. auch G. Hermes, S. 209. 235 Vgl. BVerfGE 88, 203 (252ff., 261); BVerfG, NJW 1996, 651. 236 Dazu Steiger, S. 276 m. entspr. Nw. 237 Demgegenüber wird in dieser Untersuchung nicht auf die Landesverfassungen der Bundesländer eingegangen. Zu diesen jedoch zu bemerken, daß sich bei Bundesländern, deren LV keinen eigenen Grundrechtskatalog (vgl. z.B. LV BW: Art. 2 Abs. 1 LV BW verweist auf die Grundrechte des GG) und im übrigen nur programmatische Formulierungen rechts- und staatsphilosophischer Grundsätze (vgl. z. B. Art. 1 LV BW) enthalten, keine weitreichenderen 230

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Im Bereich des Gesundheitswesens bestehen zahlreiche internationale Abkommen, aber auch bloße Verlautbarungen. 238 Soweit es sich nur um Absichtserklärungen handelt, begründen sie weder eine Verbindlichkeit der Signatarstaaten im Hinblick auf die Durchführung der deklarierten Ziele, noch ermöglichen sie die individuelle Durchsetzung der anvisierten Schutzposition.239 In verstärkter Weise gilt dies für Erklärungen der internationalen Ärztegemeinschaft, 240 die höchstens ethische Maßstäbe für die ärztliche Tätigkeit festlegen, aber keine unmittelbare Rechtsgeltung zu Gunsten der Patienten beanspruchen können.241 Verstöße können daher grundsätzlich auch nicht unmittelbar durch straf-, zivil- oder standesrechtliche Sanktionen geahndet werden. Hierzu ist die Adaption der ethischen Vorgaben in die nationale Rechtsordnung notwendig: Sie werden zum Beispiel als Kriterien bei der Rechtsauslegung herangezogen242 oder erlangen Bedeutung bei der Auslegung der Generalklauseln ärztlicher Berufsausübung sowie bei Entscheidungen der Ethikkommissionen.243 Staatlichen Absichtserklärungen oder privaten internationalen Erklärungen kommt damit nicht die normative Verbindlichkeit der Grundrechte des Grundgesetzes zu, insbesondere begründen sie keine justitiablen staatlichen Schutzpflichten. Desweiteren bestehen aber auch internationale Abkommen mit höherer normativer Verbindlichkeit, die sowohl staatliche Pflichten zum Rechtsgüterschutz enthalten, als sich auch auf den Bereich des Gesundheitswesens und Arzt-Patienten-Verhältnisses erstrecken können. Hervorzuheben sind die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates und vor allem die Rechtsordnung der Rechtsfolgen als aus der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergeben; vgl. für BW Hollerbach, in: Feuchte, Art. 1 Rn. 1 ff., Art. 2 Rn. 16ff.; Braun, Art. 1 Rn. 7, Art. 2 Rn. 9ff. Bei Bundesländern, deren Landesverfassungen detailliertere Grundrechtsregelungen als das GG enthalten (vgl. z. B. die Art. 8,31 Abs. 2,45 LV Bbg), ist dagegen prima facie ein stärkerer oder umfassenderer Grundrechtsschutz gegeben. Zum einen verringern sich die vermeintlichen Unterschiede angesichts der hier vertretenen Reichweite der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG jedoch deutlich. Zum anderen gehen die Gewährleistungen dieser Länder im Arzt-Patienten-Verhältnis i. d. R. ins Leere, da dieser Bereich in hohem Maß durch Bundesrecht erfaßt und ausgestaltet ist, was zur zentralen Bedeutung des Art. 2 GG führt. Und der Fall, daß einzelne Bundesländer infolge ihrer LV über das vom GG hinaus gebotene Maß Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Patienten treffen müssen, ist nach Ansicht des Verfassers nicht nur wenig problematisch, sondern sogar zu begrüßen - enthält er doch zugleich die Herausforderung, bundesweiten Schutz aufgrund des GG voranzubringen. 238 Vgl. den Überblick bei E. Jung, S. 57 ff. 239 Dies gilt z. B. für die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" der UN oder die Europäische Sozialcharta des Europarates; zu beiden E. Jung, S. 61 ff., 72ff. 240 Z. B. des Weltärztebundes oder des Ständigen Ausschusses der Europäischen Ärzte; vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 13 Rn.32; Deutsch, Rn.7, 1030ff. 241 E.Jung, S.82. 242 Dazu unten Kap. 2 III., IV. sowie B Kap. 1, Kap. 2. 243 Taupitz, in: Honnefelder/Taupitz/Winter, S. 19; vgl. z.B. §§5, 31 HeilbKG BW; B. §§2 Abs. 1, 15 Berufsordnung der Landesärztekammer BW v. 14.1.1998; § 1 Abs. 1 Statut Ethikkommission Landesärztekammer BW v. 2.8.1995.

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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Europäischen Union, insbesondere der Vertrag über die Europäische Union (EUV) und der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (EGV bzw. EG in der Fassung des Amsterdamer Vertrags 244 ). 245 1. Europäische Menschenrechtskonvention Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK bestimmt im Gegensatz zu den Bestimmungen des Grundgesetzes zwar ausdrücklich, daß das Recht auf Leben gesetzlich zu schützen ist. 246 Eine Wirkung der Bestimmung dahingehend, daß der Staat verpflichtet wäre, den Einzelnen vor Angriffen von Privatpersonen zu schützen, ist für die Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK dennoch umstritten. 247 Vor allem aber steht die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes, wie ihr auch als internationaler Rechtsquelle kein Vorrang gegenüber dem innerstaatlichen Recht zukommt. Nach ganz herrschender Meinung sind die Regelungen der EMRK weder Menschenrechte im Sinne von Art. 1 Abs. 2 GG noch allgemeine Regeln des Völkerrechts gemäß Art. 25 GG. 248 In materiell-inhaltlicher Sicht ist daraufhinzuweisen, daß die körperliche Unversehrtheit nicht ausdrücklich durch die EMRK geschützt wird. Im Gegensatz dazu erfaßt der insoweit weitere Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch nur geringe physische oder psychische Beeinträchtigungen. Verschärft gilt dies für den zeitlichen Rechtsgüterschutz: Art. 2 Abs. 2 EMRK nennt die Abtreibung nicht, woraus überwiegend geschlossen wird, daß das vorgeburtliche Leben nicht geschützt sei. 249 Berücksichtigt man weiter die Eigenständigkeit des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit auch in diesem Stadium,250 wird die spezifische Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG deutlich. Dasselbe gilt für den Schutz am Ende des Lebens.251 Zudem bringt die in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK vorgenommene Beschränkung auf gesetzlichen Schutz zwar die beabsichtigte Verbindlichkeit des Schutzes im Normengefüge zum Ausdruck, macht aber zugleich den Rückgriff auf die Art. 20 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 GG notwendig, die die Beziehung des Gesetzgebers zu den anderen Gewalten festlegen. 244

Vgl. die Empfehlung des EuGH in seiner Pressemitteilung Nr. 74/98 v. 2.12.1998. Zu diesen nachfolgend 1.-3. 246 Andere Bestimmungen wie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK („Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.4') sind dagegen wie die Grundrechte des GG formuliert. 247 Ablehnend z.B. Kleinknecht/Meyer-Goßner, A 4 MRK Art. 1 Rn.4 m.Nw. zum Streitstand; dazu auch Oppermann, Rn. 110, zugleich m.Nw. zur Rspr. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bzgl. eines mittelbaren Einflußes wegen der Verantwortung des Staates für seine Gesetzgebung. 248 Stellvertretend Kleinknecht/Meyer-Goßner, A 4 MRK Vor Art. 1 Rn. 3 m. entspr. Nw. 249 Oppermann, Rn. 97 m. Nw. 250 Dazu Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn.20ff. 251 Rixen, S.312f. 245

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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Hinsichtlich der gerichtlichen Durchsetzung der materiellen Rechtspositionen ist zu beachten, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nach Art. 35 Abs. 1 EMRK erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe - und damit auch erst nach dem Bundesverfassungsgericht - zuständig ist und seine Entscheidungen nicht vollstreckbar sind. 252 Zudem scheint im Gegensatz zur bundesdeutschen Grundrechtssystematik keine klare Trennung zwischen Eingriffsabwehr- und Schutzpflichtkonstellation vorgenommen zu werden. 253 Daher kommt hier auch eine den Besonderheiten der zu entscheidenden Sachverhalte Rechnung tragende Tenorierungsvielfalt wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in Betracht, durch die auf verfassungsgerichtlicher Ebene einer unmittelbaren Justitiabilität der grundrechtlichen Schutzpflicht Rechnung getragen werden kann. 254 M. E. enthält die EMRK damit keine weitreichendere oder umfangreichere staatliche Schutzpflicht für die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung als Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. 2. „Menschenrechts- und Biomedizin-Übereinkommen" des Europarats Auch dem - momentan von der Bundesrepublik weder unterzeichneten noch ratifizierten - Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarats 255 kommt im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz keine das Grundgesetz übersteigende Bedeutung zu. 256 Im Hinblick auf die Eigenständigkeit der nationalen Rechtsordnungen und Verfassungen ist auch hier auf Art. 27 des Übereinkommens hinzuweisen, nach dem die Vertragsstaaten einen über das Abkommen hinausgehenden Schutz gewähren dürfen. Nach der Konzeption des Übereinkommens bedeutet dies verstärkte Schutzmaßnahmen für Patienten und Probanden und nicht für die Wissenschaft oder Forschung. 257 Da das Übereinkommen umgekehrt zum Teil einen vergleichsweise niedrigeren Schutz statuiert als schon bestehende nationale 252

Vgl. Art. 46 EMRK gegenüber §§31, 35 BVerfGG. In der Sache scheint der EGMR vielmehr die Schutzpflichtkonstellation der Eingriffsabwehrkonstellation gleichzustellen und auch unterlassenen Schutz den entsprechenden (Eingriffs)Schrankenregelungen zu unterwerfen; vgl. EGMR, EuGRZ 1995, 530 (533) zu Art. 8 EMRK; kritisch dazu und für eine Trennung z. B. Weber-Dürler, in: Zimmerli, S. 152ff.; vgl. weiter oben I., II. 254 Dazu unten Kap. 3 V. 255 V. 4.4.1997, abgedruckt z.B. bei Deutsch, Rn. 1033. 256 Die Bundesrepublik hat sich schon bei der Abstimmung im Ministerkomitee der Stimme enthalten; zur Entstehung auf dieser Ebene Taupitz, in: Honnefelder/Taupitz/Winter, S. 17. Genaue Bezeichnung: Convention for the Protection of Human Rights and Dignity of the Human Being with Regard to the Application of Biology and Medicine: Convention on Human Rights and Biomedicine; nach Art. 38 sind nur die englische und französische Fassung verbindlich. Für einen Beitritt unter Vorbehalt z. B. Köhler, ZRP 2000, 8ff. 257 Taupitz, in: Honnefelder/Taupitz/Winter, S. 20. 253

Kap. 1: Die grundrechtliche Schutzpflicht

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258

Vorschriften, ist zu befürchten, daß mit dem oft verwandten Standortargument eine Absenkung des nationalen Schutzniveaus unter Berufung auf das Übereinkommen gefordert wird. Verbindliche verfassungsrechtliche Vorgaben stellen demgegenüber eine Begrenzung der Schutzreduzierung dar, deren spezifische Resistenz gegen momentane Strömungen ihre hervorragende Bedeutung ausmacht und deren Bestimmung damit vorgreiflich zu erfolgen hat. Weiter muß nach Art. 4 des Übereinkommens jede Intervention im Gesundheitsbereich, einschließlich der Forschung, nach den einschlägigen Rechtsvorschriften, Berufspflichten und Verhaltensregeln erfolgen. Dies stellt einen Verweis auf das nationale (und internationale) Berufs- und Standesrecht einschließlich berufsethischer Regeln dar, denen damit ein Vorrang vor dem Übereinkommen eingeräumt wird, wenn sie einen weitergehenden Rechtsgüterschutz enthalten.259 Auch insoweit hat folglich zunächst eine Bestimmung des verfassungsrechtlich geforderten Schutzumfangs und dessen einfach-rechtliche Ausgestaltung zu erfolgen, der auch einer Schutzpflichterfüllung durch das Standesrecht Grenzen setzt. Nur im Hinblick auf denkbaren weitergehenden Schutz würde dann der Inhalt des Übereinkommens vorbehaltlich seiner Verbindlichkeit relevant werden.

3. Europäische Union a) Grundrechtsschutz

auf der Ebene der EU

Auf der Ebene der EU sind „Gemeinschaftsgrundrechte" anerkannt. 260 Dies gilt nicht erst seit der Einbeziehung der EMRK in die Rechtsordnung der Europäischen Union durch den Vertrag von Amsterdam. 261 Diese positiv-rechtliche Normierung knüpft vielmehr an die Rechtsprechung des EuGH an, der schon vorher auf die EMRK zur Gewinnung eines grundrechtlichen Standards zurückgriff und dessen Einzeljudikate in der Summe bereits einen Grundrechtsschutz auf Gemeinschafts258

So z. B. hinsichtlich des Schutzes des menschlichen Lebens an seinem Beginn und an seinem Ende, so daß zahlreiche rechtliche Probleme beim Schwangerschaftsabbruch, der Pränataldiagnostik und der Fortpflanzungsmedizin offenbleiben, wie auch kein ausdrückliches und generelles Verbot der Embryonenforschung verankert wurde. Gleiches gilt hinsichtlich der aktiven und passiven Sterbehilfe sowie der postmortalen Organentnahme. Darüber hinaus läßt das Übereinkommen in den Art. 6,17 die Forschung, in Art. 20 die Entnahme von Organen an nicht-einwilligungsfähigen Personen zu; vgl. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, Einführung Rn. 12; zur Lückenhaftigkeit des Übereinkommens auch Taupitz, in: Honnefelder/Taupitz/ Winter, S. 22ff.; zu genanntem problematischen Art. 17 weiter Köhler, ZRP 2000, 8 ff.; siehe aber auch Deutsch, Rn.478. 259 Taupitz, in: Honnefelder/Taupitz/Winter, S.21 f. 260 Stellvertretend Lecheler, S. 119 ff.; Streinz, Rn. 355 ff. 261 Art. F Abs. 2 EUV Maastricht (nach Amsterdam Art. 6 Abs. 2 EUV). Ebenso sind die (bestehenden) Europäischen Gemeinschaften Bestandteil der EU; vgl. nur Art. A EUV Maastricht (nach Amsterdam Art. 1 EUV).

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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ebene etabliert haben.262 Der Anwendungsbereich der Gemeinschaftsgrundrechte verlangt jedoch einen grenzüberschreitenden Anknüpfungspunkt, der im Gesundheitswesen und insbesondere im Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient in der Regel nicht gegeben ist. Zudem ist eine Trennung zwischen der Eingriffsabwehrund der Schutzpflichtkonstellation, wie sie sich für die bundesdeutsche Grundrechtssystematik durchgesetzt hat, 263 bei den Gemeinschaftsgrundrechten erheblich undeutlicher ausgeprägt, wenn überhaupt existent. Zu Recht werden in der Literatur ganz allgemein die geringe Methodentransparenz und Begründungsdefizite in der Grundrechtsrechtsprechung des EuGH bemängelt.264 In ihren inhaltlichen Folgerungen geht die Rechtsprechung des EuGH zum Schutz der Grundrechte außerdem nicht so weit wie die des Bundesverfassungsgerichts und billigt dem Gemeinschaftsgesetzgeber pauschal einen weiten Spielraum zu. 265 Die Bedenken bezüglich des Bestehens und des Eingreifens einer gemeinschaftsrechtlichen grundrechtlichen Schutzpflicht werden auch nicht durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union beseitigt.266 Nach Abs. 5 Präambel i.V. m. Art. 51 bekräftigt die Grundrechts-Charta nur ausdrücklich die schon anerkannten Grundrechte unter Beachtung der beschränkten Kompetenz der EU und des Subsidiaritätsprinzips. Im Hinblick auf die Schutzpflichtkonstellation ist hervorzuheben, daß nach Abs. 6 Präambel Grundrechts-Charta die Ausübung der Rechte mit Verantwortlichkeiten und Pflichten gegenüber den Mitmenschen verbunden ist. Der in Abs. 4 Präambel betonten Notwendigkeit der Stärkung grundrechtlichen Schutzes angesichts der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen trägt Art. 3 Abs. 2 Grundrechts-Charta Rechnung, nach dem in der Medizin und Biologie folgende Vorgaben zu beachten sind: (1) freie Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung entsprechend den gesetzlich festgelegten Modalitäten, (2) Verbot eugenischer Praktiken, (3) Verbot den menschlichen Körper zur Erzielung von Gewinnen zu benutzen und (4) Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen.267 Art. 3 Abs. 1 Grundrechts-Charta schützt die körperliche und geistige Unversehrt262

Zur Anknüpfung an die EMRK durch den EuGH bei der Entwicklung der Gemeinschaftsgrundrechte Kneihs, S. 61; Streinz, Rn. 359 ff., bei dessen Auflistung Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmungsrecht jedoch nicht auftauchen (Rn. 372), beide m. w. Nw. 263 Siehe oben I., II. 264 Vgl. nur Streinz, Rn. 359 ff. 265 Everling, JZ 2000, 219 m. entspr. Nw.; kritisch gegenüber einer „Schutzpflichtrechtsprechung" für Leben und körperliche Unversehrtheit durch EuGH und EGMR, auch bei einer existenten Grundrechts-Charta, Steiner, in: FS Maurer, S. 1013 ff. 266 Die Grundrechts-Charta wurde am 18.12.2000 proklamiert; ABl. C364/5; aus der schon jetzt zahlr.Lit. dazu z.B. Weber, NJW 2000, 537ff.; Knöll, NJW 2000, 1845f. 267 Darstellung hier etwas verkürzt; die Fassung der Charta findet sich z. B. unter http// www.europarl.eu.int/charter/activities/docs/pdf/de/convent50DE.pdf . Sie erscheint im Hinblick auf die Gewährung individuellen Rechtsschutzes - eine Grundrechtsbeschwerde ist wie auch im EGV nicht vorgesehen - durch den EuGH aber defizitär; kritisch auch Reich, ZRP 2000, 375 ff.

Kap. 1 : Die grundrechtliche Schutzpflicht

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heit; die genannten weiteren Vorgaben des Abs. 2 sind jedoch auch auf das Recht auf Leben nach Art. 2 Grundrechts-Charta zu übertragen. Art. 1 Grundrechts-Charta schützt die Menschenwürde im Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 GG. Nach Art. 35 Satz 1 Grundrechts-Charta hat jede Person zwar Zugang zur Gesundheitsvorsorge und ärztlichen Versorgung, allerdings nur nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Der Gesundheitsschutz wird in Art. 35 Satz 2 Grundrechts-Charta zur Querschnittsklausel erhoben. 268 Der entworfenen Charta kommen damit Rechtswirkungen nur in den Zuständigkeitsbereichen der EU und EG zu; sie ist primärrechtsergänzend ohne neue Zuständigkeiten oder Aufgaben für die Gemeinschaft und Union zu begründen - Art 51 Abs. 2 GrundrechtsCharta. Unter dem Aspekt verfassungsrechtlicher Verpflichtungen staatlicher Organe zum Rechtsgüterschutz im Gesundheitsrecht und im regelmäßig auf den nationalen Bereich beschränkten Arzt-Patienten-Verhältnis ist damit die Grundrechtsordnung des Grundgesetzes auch unter der Ägide des dieses grundsätzlich verdrängenden primären Gemeinschaftsrechts 269 - einschließlich der Grundrechts-Charta - von maßgeblicher Bedeutung. Auch wenn die Gemeinschaftsgrundrechte im Anwendungsbereich des EU-Rechts eigene Rechtspositionen für die Patienten begründen können, sind die Vorgaben der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes im hier untersuchten Bereich gegenüber nur ergänzenden Handlungsmöglichkeiten und Rechtspositionen des Europarechts im Ergebnis von so zentraler Dominanz, daß sich die Untersuchung auf sie beschränken kann. Dies wird durch einen Blick auf den EGV (nachfolgend EG) und die durch ihn eröffneten Handlungskompetenzen der EG zum Patientenschutz durch sekundäres Gemeinschaftsrecht 270 bestätigt.

b) Kompetenzen und Grenzen der EG im Gesundheitswesen und beim Schutz der Patienten Das Gesundheitswesen ist ein junger Politikbereich der EG. 271 Die Tätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers, der EG insgesamt und folglich auch die Handlungs268

Entsprechend dem Umweltschutz nach Art. 6 EG(V). Der EuGH geht in st. Rspr. (grundlegend Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 [1269ff.] - Costa/ ENEL und im Hinblick auf den Vorrang vor nationalem Verfassungsrecht Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 [643 ff.] - Simmenthai II) vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts aus; ausführlich dazu z.B. Streinz, Rn. 168ff. Zurückhaltender das Bundesverfassungsgericht; BVerfGE 37, 271 - Solange I; 52, 187 - „Vielleicht"; 73, 339 - Solange II; 89, 155 - Maastricht); zum Ganzen Streinz, Rn. 168 ff.; M. Schweitzer, Rn. 42ff., beide m. w. Nw. (auch zur Rspr. des EuGH und BVerfG); zu Konstellationen und Prüfungskompetenzen des BVerfG bzgl. des Gemeinschaftsrechts weiter Ost, NVwZ 2001, 399 ff. m. zahlr. Nw. zur Rspr. Zu Ausnahmen sogleich b). 270 Zur Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht vgl. nur Lecheler, S. 115ff., 129ff.; Streinz, Rn.2ff.; Oppermann, Rn.473f. 271 Vgl. Oppermann, Rn. 2050 ff. m. zahlr. Nw. 269

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

kompetenzen im Bereich des Gesundheitswesens nach Art. 152 EG sind durch die Prinzipen der begrenzten Einzelzuständigkeit272 und Subsidiarität 273 gegenüber dem nationalen Gesetzgeber beschränkt. Zudem stellt Art. 152 EG keine Grundfreiheit oder Leistungsnorm mit unmittelbarer Wirkung zu Gunsten der EU-Bürger dar und ist als reine Ermächtigungsgrundlage von den Trägern öffentlicher Gewalt bei der Rechtsanwendung nicht wie die Normen des Grundgesetzes und insbesondere die Grundrechte zu beachten. Im Vordergrund stehen nach den Art. 152 Abs. 1-3 EG präventive politische Aktionen zur Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten oder Beseitigung der Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit. Der Erlaß von rechtsverbindlichen Rechtsakten kommt dagegen nur in den Einzelfällen des Art. 152 Abs. 4 EG in Betracht. 274 Damit verbleibt der große Bereich der gesundheitlichen Behandlung voll in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit.275 Selbst in den ausdrücklich bestimmten Bereichen des Transplantations- und Transfusionswesens nach Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. a) EG können strengere Schutzmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten beibehalten oder eingeführt werden, wie auch gemäß Art. 152 Abs. 5 Satz 2 EG einzelstaatliche Regelungen über die Spende und Verwendung von Organen und Blut unberührt bleiben. 276 Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. c) EG schließt ergänzend die Harmonisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten aus. Der Politikbereich des Gesundheitswesens ergänzt somit nur die mitgliedstaatlichen Politiken, 277 muß doch bei einem Tätig werden in diesem Bereich nach Art. 152 Abs. 5 Satz 1 EG die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt bleiben. Der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke der Achtung der staatlichen Souveränität im Bereich der gesundheitlichen Behandlung ist auch anzuwenden, 272

Vgl. Art. 5 Abs. 1 EG. Vgl. Art. 5 Abs. 2 EG; ausführlich zu beiden Prinzipien Oppermann, Rn. 513 ff.; Streinz, Rn. 145 f. 274 Ähnlich Oppermann, Rn. 2053 ff. 275 Oppermann, Rn.2053. 276 Im Ergebnis ähnlich v. Schwanenflügel, JZ 1993,551 ff. unter Berücksichtigung weiterer Politikbereiche des EGV. Allerdings wurde z.B. die Richtlinie 89/381/EWG v. 14.6.1989, Abi. L181/44 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinien 65/65/EWG v. 26.1.1965, Abi. Nr. 22 S.369 und 75/319/EWG, v. 20.5.1975, Abi. L147/13 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und zur Festlegung besonderer Vorschriften für Arzneimittel aus menschlichem Blut oder Blutplasma auf Art. 100 a EWG V (jetzt 95 EG) gestützt (die genannten Richtlinien dagegen auf Art. 100 EWGV [jetzt Art. 94 EG]. Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. a EG nimmt diesen Bereich auf und läßt zugleich ausdrücklich strengere Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaaten zu - problematisch ist jedoch die Rechtsangleichung; dazu sogleich. 277 Art. 152 Abs. 1 Satz 2 EG; unter dem Vorbehalt des Art. 152 Abs. 5 EG zu Gunsten der Mitgliedstaaten besteht eine parallele Zuständigkeit; zum Ganzen auch Lecheler, S. 321 f. - die Annahme der Integrationsoffenheit des Art. 152 EG läßt sich aber wohl nur wegen seiner inneren Verbindung zum Politikbereich Verbraucherschutz (Art. 153 EG) vertreten (vgl. S.319, 322). Dieser (insbesondere das Lebensmittelrecht) ist hier jedoch nicht zu untersuchen. 273

Kap.

Die grundrechtliche Schutzpflicht

wenn die EG von vornherein auf Ermächtigungsvorschriften zur Rechtsangleichung 278 oder aus anderen Politikbereichen 279 oder gar auf nur ergänzende Kompetenzen280 zurückgreifen will. 2 8 1 In besonderer Weise ist er (auch) bei der Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient zu beachten, in dem die Grundordnung der Rechtspositionen durch das Vertragsrecht vorgenommen wird und sich gegebenenfalls das ärztliche Haftungsrecht anschließt. Zu Recht hat daher die Europäische Kommission ihren Richtlinienvorschlag hinsichtlich einer Richtlinie über die Haftung bei Dienstleistungen, die auch den Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient erfaßt hätte, zurückgezogen. 282 Der von der Kommission herangezogene Art. 100 a EWGV (jetzt 95 EG) enthält keine Ermächtigungsgrundlage zur Gleichschaltung des Privatrechts der Mitgliedstaaten. Dieser Befund wird noch augenfälliger, wenn die gleichzeitige strafrechtliche Durchdringung der Arzthaftung in das Bewußtsein gerückt wird. 283 In derartigen Fällen erscheint dagegen sogar eine Kollision der sekundären Rechtsakte mit nationalem Verfassungsrecht denkbar: Unabhängig von Einbrüchen in die Struktur und wesentlichen Grundsätze des deutschen Arzthaftungsrechts durch den eben genannten Richtlinienvorschlag 284 sollte nach ihm dem Patienten die Beweislast für die Kausalität zwischen Dienstleistung und Schaden obliegen, die gerade bei ärztlichen Heilbehandlungen seitens des Patienten besonders schwer zu erbringen ist. Eine derart gravierende Verschlechterung der Rechtsposition des Patienten 285 stößt angesichts der Art. 1 und 2 GG auf erhebliche Bedenken. Gleiches gilt für die im Richtlinienvorschlag vorgesehene dreijährige Verjährungsfrist für vertragliche Haftungsansprüche 286 sowie die Verneinung des Verschuldens, wenn die Möglichkeit einer besseren Dienstleistung außer Betracht gelassen wurde. Gerade bei alternativen Behandlungsmöglichkeiten kommt die besondere Sachkunde 278

Insbesondere Art. 95 (100a alt) EG, über den sich die EG z. B. den Bereich der Gentechnik erschlossen hat, was Auswirkungen im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht hat; vgl. Deutsch, Rn. 691 ff, 990 f. Auch der aktuell viel diskutierte rechtliche Rahmen der Gentherapie wird dadurch z.T. europarechtlich determiniert; vgl. Vesting, S. 115 ff.; zum Ganzen auch unten B Kap. 4. 279 Vgl. die Bsp. bei Oppermann, Rn.2057. 280 Insbesondere Art. 308 EG (nach Oppermann, Rn. 527 eine „Abrundungsklausel") oder ungeschriebene Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs; dazu auch Oppermann, Rn. 527ff.: Gedanke der inhärenten Zuständigkeit oder implied powers der EG. 281 Ähnlich jetzt auch EuGH, EuZW 2000, 694 (698) - Tabakwerberichtlinie; Nickel! Schmidt-Preisigke/Sengler, Einführung Rn. 16 für den Bereich des Transplantationswesens. 282 Vgl. Hirsch, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 149 f. 283 Vgl. auch Rixen, S.314f. 284 Dazu ausführlich Hirsch, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 154 ff. 285 Zu den gegenteiligen Beweiserleichterungen, die die deutschen Fachgerichte in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu Gunsten des Patienten im Arzthaftungsrecht etabliert haben unten B Kap. 1 II. 4.; allgemein zur Schutzgewährung durch die Fachgerichtsbarkeit unten Kap. 2 I., IV. 286 Nach § 195 BGB beträgt diese dagegen dreißig Jahre; durch den neuen § 199 Abs. 2 BGB wird der Patientenschutz sogar weiter verbessert; dazu unten B Kap. 1 II. 1.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

des Arztes zum Tragen, deren Einhaltung gegenüber dem Patienten haftungsrechtlich zu sanktionieren ist. 287 Wenn derartige Vorschriften nicht durch übergeordnetes Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen werden, kommt die Resistenz nationalen Verfassungsrechts gegenüber dem Gemeinschaftsrecht in Betracht. Diese Möglichkeit wurde bislang vom Bundesverfassungsgericht allerdings nur angedacht.288 In der Gesamtheit zeigen die Beispiele jedoch, daß die nationale Konzeption der grundrechtlichen Schutzpflicht eine Verbesserung der Rechtsstellung des Patienten bezweckt und sie kein Instrument zur Schaffung eines grenzüberschreitenden Wettbewerbs für ärztliche Dienstleistungen in dem Sinne darstellt, daß sich unterschiedliche Haftungsbestimmungen als Wettbewerbshindernis auswirken. Infolgedessen darf eine Harmonisierung mit dem Ziel eines freien Marktes nicht zu Lasten der Patienten mittels Beseitigung der grundrechtlichen Schutzvorgaben erfolgen. 289 Die als Beitrag zur Schaffung des Binnenmarkts und damit für einen begrenzten Bereich vorgeschlagene Richtlinie hätte auch keine Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Ärzte bewirken können. Im Kontext ist auf das Krankenversicherungsrecht hinzuweisen, in dem de lege lata durch § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der Anspruch des krankenversicherten Patienten auf ärztliche Leistung grundsätzlich auf das Bundesgebiet beschränkt ist. 290 Demgegenüber hat der EuGH unter Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 59 EGV (jetzt 50 EG) entschieden, daß ein gesetzlich krankenversicherter Patient bei einer Heilbehandlung in einem anderen Mitgliedstaat einen Kostenerstattungsanspruch gegen seine Krankenversicherung in Höhe des inländisch zu erstattenden Betrages hat. 291 Offen ist nach dieser Entscheidung des EuGH allerdings zum einen die Übertragung auf eine vom Sachleistungsprinzip beherrschte gesetzliche Krankenversicherung 292 und zum anderen die Handhabung des besonders problematischen Falls der Unzulässigkeit einer Heilbehandlung in Deutschland bei gleichzeitiger Zulässigkeit derselben in einem anderen 287 Zutreffend daher die „systemimmanenten Einwendungen" gegen den Richtlinienvorschlag von Hirsch, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 154ff. 288 Im Hinblick auf Beschränkungen der Vertragsfreiheit durch Verbraucherschutzrichtlinien der EG für Vorrang des GG z.B. Canaris, in: FS Lerche, S. 889f.; zum Verhältnis der Rechtsordnungen schon oben a). 289 Im Ergebnis ähnlich Hirsch, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 151 ff. 290 Für Behandlungen im Ausland gilt § 18 SGB V; dazu auch Hirsch, in: Laufs/Dierks/ Wienke, Graf-Baumann/Hirsch, S. 151 f. 291 EuGH, NJW 1998, 1771; nach EuGH, NJW 1998, 1769 entsprechend für die Warenverkehrsfreiheit (Brillenkauf) nach Art. 30 EGV (jetzt 28 EG). 292 Zurückhaltend gegenüber weitreichenden Übertragungen auch Berg, EuZW 1999, 587 ff. Zur Struktur der GKV in Deutschland insoweit § 2 Abs. 2 SGB V (Sachleistungsprinzip), aber auch die §§13 (Kostenerstattung) und 18 (Kostenübernahme bei Behandlung im Ausland) SGB V. Die durch das 2. GKV-Neuordnungsgesetz v. 23.6.1997, BGB1.I, S. 1520 auf alle Versicherten erstreckte Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V wurde durch das GKVSolidaritätsstärkungsgesetz v. 19.12.1998 (BGBl. I, S. 3853) wieder revidiert; vgl. dazu Marburger, BB 1999, 789. Zum System der GKV insgesamt unten B Kap. 5.

Kap. : Die grundrechtliche Schutzpflicht 293

Mitgliedsstaat. Gegen eine Verallgemeinerung der genannten Entscheidung spricht, daß auch nach dem EuGH das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt läßt. 294 Zudem soll eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit ein zwingender Grund des Allgemeininteresses sein, der Beschränkungen der Grundfreiheiten rechtfertigen könne.295 Für die Gesundheit gilt dies explizit nach den Art. 55, 46 EG. Die Gesundheit kann allerdings nicht in dem Sinne zur Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit herangezogen werden, daß die Behandlung im Ausland wegen geringerer Qualität nicht zu erstatten ist. 296 Dies ähnelt dem verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässigen aufgedrängten staatlichen Schutz297 - der Patient kann zulässigerweise eine schlechtere Versorgung in Anspruch nehmen. Umgekehrt könnte sich im Fall einer grundrechtswidrigen und daher nach dem SGB V nicht erstattungsfähigen (Heilbehandlung, die dagegen in einem anderen Mitgliedstaat zulässig ist, das nationale Verfassungsrecht wiederum gegen die Annahme eines europarechtlich (möglicherweise sogar primärrechtlich) vorgegebenen Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen.298 All dies zeigt m. E. auf, daß insbesondere die nur ausschnittsartigen Harmonisierungen im Rahmen der Aufgabe der Schaffung und des Funktionierens des Binnenmarkts oder Gemeinsamen Markts nach Art. 100,100 a EWGV (jetzt 94,95 EG) den Rechtsgüterschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis weder umfassend noch unmittelbar gewährleisten. 299 Unter Berücksichtigung der Komplexität und Eigenarten des ArztPatienten-Verhältnisses, zum Beispiel seine (auch) strafrechtliche Erfassung, die Einbindung der Standesvertretungen oder die Überlagerung durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung, ist angesichts des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 EG eine umfassende Zuständigkeit der Mitgliedstaaten anzunehmen,300 die auch gegenüber der EG durchzusetzen ist. Im Ergebnis ist damit die spezifische Bedeutung des nationalen Verfassungsrechts gegenüber dem EU-Recht zu konstatieren, die durch die nationale Struktur des einfachen Gesundheitsrechts und Arzt293

Dazu sogleich nachfolgend. EuGH, NJW 1998, 1771 (1772) m. w.Nw. zur Rspr. 295 EuGH, NJW 1998, 1771 (1773). 296 EuGH, NJW 1998, 1771 (1773 f.). 297 Vgl. unten Kap. 3 IV. 298 Denkbar z. B. in den Bereichen der Organtransplantation, Fortpflanzungsmedizin (v. a. künstliche Befruchtung, aber auch Schwangerschaftsabbruch) und Experimental- und Biomedizin (z. B. Gen- oder Keimbahntherapie). 299 Dasselbe gilt für die genannten ergänzenden Kompetenzen und auch im angesprochenen Arzneimittelwesen trotz reger Tätigkeit der EG; vgl. Anker, in: Deutsch/Lippert, Vor §§ 21 ff. Rn.2ff.; dazu unten B Kap. 4 I. 300 Im Ergebnis ebenso Hirsch, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 151 f f ; Oppermann, Rn. 2053 unter Verweis auf Art. 152 Abs. 5 EG. Der hier untersuchte Bereich könnte durch die EG auch nicht unter Inanspruchnahme einer „Mosaikkompetenz", d. h. mittels Rückgriff auf eine Vielzahl verschiedener Ermächtigungsgrundlagen, an sich gezogen und normiert werden. 294

5 Hollenbach

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Patienten-Verhältnisses verstärkt wird und sich so auch gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht behaupten kann. Unabhängig vom umstrittenen grundsätzlichen Verhältnis zwischen nationalem Verfassungsrecht und Europäischem Gemeinschaftsrecht 301 ist zu betonen, daß zum Teil schon in den Gemeinschaftsverträgen verankert ist, daß die nationale Rechtsordnung sogar ein Gegengewicht zu den Grundfreiheiten mit Gemeinschaftsgrundrechtscharakter 302 darstellt: Den Grundfreiheiten kann ein eigener nationaler Rechtsgüterschutz für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit entgegengestellt werden, 303 der angesichts der nationalen Normenhierarchie verfassungsrechtlich vorgezeichnet ist. Da durch die internationalen Regelungen im Ergebnis keine grundrechtliche Schutzverstärkung im hier untersuchten Bereich erfolgt, hat sich ein normatives Schutzkonzept für das Arzt-Patienten-Verhältnis in der Bundesrepublik Deutschland zuvörderst an den Vorgaben des Grundgesetzes zu orientieren, auf die sich die Untersuchung in der Folge beschränkt. Kapitel 2

Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht Nach der Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der auf diese bezogenen Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stellt sich die Frage, wie der grundrechtliche Schutz zu gewähren ist. 304 Nach hier verwandter Terminologie bedeutet dies die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Während zur Herleitung der Schutzpflicht die beschriebenen verschiedenen rechtstheoretischen Begründungen vorliegen, wird die Rechtsfolge der Erfüllung in der Literatur trotz erheblicher Problemfelder, soweit ersichtlich, bislang nur vergleichsweise wenig untersucht. Hierin liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit: Anerkanntermaßen liegt die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht in ihrer Wirkung im und auf das einfache(n) Recht. Sie ordnet die in der Schutzpflichtkonstellation entstandenen Konflikte durch die Zuweisung der Gewährung von Rechtsgüterschutz als staatliche Pflichtaufgabe. Nach der Feststellung des Bestehens der grundrechtlichen Schutzpflicht kommt daher der Frage ihrer Erfüllung entscheidende Bedeutung zu. Vor den konkreten Wir301

Geprägt v. a. durch die Rspr. des BVerfG; entspr. Nw. schon oben a). Die Grundfreiheiten wegen ihrer unmittelbaren Wirkung zugunsten der EU-Bürger als Grundrechtspositionen einordnend z.B. Oppermann, Rn.489ff. m. w.Nw. Sowohl die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften als auch die vom EuGH in seiner Rspr. entwickelten Gemeinschaftsgrundrechte sind sog. primäres Gemeinschaftsrecht; dazu Streinz, Rn. 347 ff. 303 Vgl. z. B. Art. 55,46 EG zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 50 EG. 304 Nachfolgende Ausführungen können grundsätzlich auch auf die Schutzpflicht für die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG übertragen werden. 302

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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kungen im Gesundheitsrecht oder Arzt-Patienten-Verhältnis ist abstrakt zu untersuchen, ob der Verfassung Erfüllungsvorgaben entnommen werden können. Im Rahmen der Erfüllung von Rechtspflichten sind die Grundfragen zum einen, wer die Pflicht zu erfüllen hat und zum anderen, wie die Pflicht zu erfüllen ist. Zu trennen ist daher zwischen den Adressaten der Schutzpflicht 306 und der Art und Weise der Erfüllung durch diese.307

I. Erfüllungsverpflichtete oder Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht 1. Verfassungsrechtliche Grundaussagen zu Struktur und Kreis der Adressaten a) Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG und die grundrechtliche Schutzpflicht Die Schutzpflicht als Rechts- und damit Handlungspflicht setzt notwendig Adressaten voraus. In der nachfolgend verwandten Terminologie bedeutet dies die Frage nach den Erfüllungsverpflichteten. Das Grundgesetz gibt mit Art. 1 Abs. 3 eine erste Antwort: Nach Art. 1 Abs. 3 GG sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die (nachfolgenden) Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. Die hier formulierte Grundrechtsbindung der Staatsfunktionen ist im Sinne einer lückenlosen Bindung aller Staatsgewalt zu verstehen. 308 Art. 1 Abs. 3 GG findet auch auf die grundrechtliche Schutzpflicht Anwendung. 309 Dies gilt gerade bei ihrer Ableitung aus den Grundrechtsnormen, wie auch der Vorschrift eine Beschränkung der Bindung auf die Eingriffsabwehrfunktion weder aus ihrem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck entnommen werden kann. In diesem Sinne ist heute die Deutung des Art. 1 Abs. 3 GG als Gebotsklausel anerkannt, die eine Beachtung der Grundrechte dahingehend erfordert, grundrechtsgemäße Zustände herzustellen. 310 Wie grundrechtsgemäße Zustände bei der Erfüllung der Schutzpflicht herzustellen sind, ist regelmäßig ungleich schwerer zu beantworten als bei der nachträglichen Überprüfung hoheitlicher Eingriffe. Fraglich ist dabei bereits, ob die drei Gewalten entsprechend dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG gleichrangig zur Schutzpflichterfüllung aufgerufen bzw. verpflichtet sind oder ob von Verfassungs wegen eine Er305

Dazu unten Teil B. Sogleich unten I. 307 Unten II. 308 Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn.77; Stern, Staatsrecht III/l, §72 III (S. 1201 ff.); Rüfner, in: HStR V, § 117 Rn. 1. 309 Vgl. nur Dietlein, S. 70 m. zahlr. Nw. 310 Vgl. Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn.89; Stern, Staatsrecht III/l, §73 13 (S. 1257); Rüfner, in: HStR V, § 117 Rn. 15. 306

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

füllungshierarchie vorgegeben ist. Des weiteren verlangt die Erfüllung der Schutzpflicht zukünftige Tätigkeit, die noch dazu gewaltenüberschreitend sein kann. Die Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht verfügen insoweit über Handlungsalternativen, wobei zur Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG weitere Bindungen hinzutreten. Diese steuern die Schutzpflichterfüllung: Die Schutzpflicht ist nicht willkürlich, sondern im Rahmen des organisatorischen Gefüges zu erfüllen. Gerade die Verpflichtung aller Staatsgewalt zur Erfüllung bedeutet zugleich deren Bindung an die allgemeine Zuständigkeitsordnung. 311 Für den Gesetzgeber besteht in diesem Rahmen ein Gesetzgebungsauftrag, während der Exekutive und Judikative ein entsprechender Vollzugsauftrag zukommt. Um Schutzkollisionen oder Widersprüche bei der Schutzpflichterfüllung zu vermeiden ist daher das Verhältnis der drei Gewalten untereinander näher zu betrachten. 312 Legislativakte sind weiter in das Bund-Länder-Gefüge einzubauen.313 Im Zusammenhang ist daher Art. 20 Abs. 3 GG zu nennen,314 der eine Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung statuiert, während die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Jedenfalls die rechtmäßigen Entscheidungen des Gesetzgebers sind damit für die anderen Gewalten verbindlich. 315 Dieser sogenannte Vorrang des Gesetzes bedeutet ein Anwendungsgebot und Abweichungsverbot für die Exekutive und Judikative.316 Die Gesetzesbindung zwingt grundsätzlich zur Akzeptanz und Übernahme der gesetzgeberischen Ermessensentscheidung. Der Legislative kommt bei der Schutzpflichterfüllung, wie bei anderen Aufgabenerfüllungen auch, ein Gestaltungsermessen zu. 317 Hieraus kann jedoch kein Erfüllungsvorrang des Gesetzgebers abgeleitet werden, da der Vorrang des Gesetzes gerade keinen Aufschluß darüber gibt, wie das Verhältnis der Gewalten bei fehlender oder unzureichender gesetzlicher Regelung ist. Angesichts der von den Art. 1 Abs. 3,20 Abs. 3 GG angeordneten gleichrangigen Grundrechtsbindung rückt der sog. Vorbehalt des Gesetzes318 in das Zentrum der Untersuchung, der mit zahlreichen Folgeproblemen verbunden ist. Zur Verdeutlichung des Gangs der Untersuchung sind diese kurz anzusprechen: 311 Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 90. Die Zuständigkeitsordnung stellt allerdings keine Sperre gegenüber dem gebotenen Grundrechtsschutz dar; großzügig z.B. BVerfGE 98, 265 (301 ff.); vgl. auch unten II.3.b)bb)(l), B Kap.4 1.2.b). 312 Im Hinblick auf das Arzt-Patienten-Verhältnis nimmt die Untersuchung der Verwaltungsbehörden eine untergeordnete Position ein - vgl. aber BVerfGE 76, 248, in der über die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine ärztliche Sterbehilfe untersagende Polizeiverfügung zu entscheiden war. Im Zentrum stehen Gesetzgeber sowie Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. 313 Vgl. die (problematischen) Entscheidungen BVerfGE 98, 265 (mit zwei Sondervoten; S. 329 ff., 359 ff.) - Bay. Schwangerenhilfeergänzungsgesetz; 102,26 - Frischzellenherstellung. 3,4 Vgl.D/^m,S.70. 315 Für die Verbindlichkeit auch nichtiger Gesetze bis zur (deklaratorischen) Entscheidung des Bundesverfassungsgericht Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 4. 316 Im Einzelnen Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.4ff.; Gusy, JuS 1983, 191 ff. 3,7 Isensee, in: HStR V, § 111 Rn.90, der weiter strikt die Ableitung von Kompetenzen oder Eingriffsbefugnissen aus der Schutzpflicht ablehnt.

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Eine auf den Vorbehalt des Gesetzes zurückzuführende Erfüllungshierarchie 319 hat Auswirkungen auf das Gewaltenteilungsprinzip und die Reichweite der Zulässigkeit von Delegationen im Bereich staatlicher Verpflichtungen. In diesem Rahmen rückt zum einen der ärztliche Stand in das Blickfeld der Untersuchung 320 und ist zum anderen die Tätigkeit der Fachgerichtsbarkeit näher zu beleuchten.321 Die Einbindung der von Art. 1 Abs. 3 GG erfaßten Landesärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts in ein Schutzinstrumentarium gestaltet sich hierbei weniger problematisch, als die der zahlreichen privatrechtlichen Standesvereinigungen.322 Das Verständnis vom Gesetz als rechtlich stärkstem Akt des Staatswillens findet zwar in Art. 20 Abs. 3 GG seine verfassungsrechtliche Stütze, führt jedoch bei einer Entscheidungsangst des Gesetzgebers im Sinne einer Flucht aus der Verantwortung zu normativen Lücken, die die Frage nach der Stellung des Bundesverfassungsgerichts in das Blickfeld rücken. 323 Legislatives Unterlassen führt rechtlich zu einem Vorrang der Verfassung, in dessen Rahmen das gleichfalls mit verfassungsrechtlich abgesicherter Auslegungskompetenz versehene Bundesverfassungsgericht in die Rolle eines Ersatzgesetzgebers rückt oder gedrängt wird. 324 Die Position des Bundesverfassungsgerichts bei der Schutzpflichterfüllung wird in der vorliegenden Arbeit eigenständig und von der Fachgerichtsbarkeit getrennt betrachtet, 325 da die Fachgerichte zwar mit demselben Problem konfrontiert werden können, zugleich jedoch ebenfalls der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen. Untrennbar mit dem Vorbehalt des Gesetzes verbunden ist die Bedeutung der Grundrechtsordnung für die einfache Rechtsordnung, aus der auch Schlüsse für das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Fachgerichtsbarkeit gezogen werden können. Das Bedeutung der Verfassung prägt die Struktur der Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht. Daher und zur Vorbereitung der Untersuchung der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben im einfachen Recht 326 ist zunächst auf die Be318

Zum Begriff und der Abgrenzung zum sog. Gesetzesvorbehalt, der hier als ausdrücklich normierter Unterfall des (allgemeinen) Vorbehalts des Gesetzes in der Eingriffsabwehrkonstellation verstanden wird, unten II. 1. 319 Dazu unten II. 320 Dazu unten III. 321 Dazu unten IV. 322 Dazu unten III.; im Sozialversicherungsrecht und speziell geregelten Bereichen wurden per Gesetz noch andere „Selbstverwaltungseinheiten'4 geschaffen, deren Einbindung in die Erfüllung der Schutzpflicht ähnlich problematisch ist; vgl. unten B Kap. 4, Kap. 5. 323 Für den Bereich des Zivilrechts allgemein Diederichsen, Die Flucht des Gesetzgebers aus der politischen Verantwortung; ders., AcP 198 (1998), 171 ff.; vgl. auch H .-P. Schneider, NJW 1999, 1303 ff. 324 DazuH.-P. Schneider, NJW 1999, 1303ff.; Brohm, NJW 2001, lff. 325 Unten Kap. 3 V. Hierzu weiter Böckenförde, Der Staat 29 (1990), lff. (insbesondere S. 24ff.), der nicht nur die Entwicklung vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat beschreibt, sondern unmittelbar mit der Anerkennung der objektiv-rechtlichen Grundsatzwirkung der Grundrechte verknüpft. 326 Unten Teil B.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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deutung des Grundgesetzes für die das Arzt-Patienten-Verhältnis erfassende Zivilund Strafrechtsordnung einzugehen. b) Bedeutung der Verfassung im modernen freiheitlich-demokratischen Rechts- und Sozialstaat aa) Verfassung und Zivilrecht Der Einfluß der Verfassung als kraft der Normenhierarchie gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht und damit auch dem Zivilrecht 327 übergeordnetes Recht ist heute anerkannt. In besonderer Weise gilt dies für die Grundrechte wegen ihrer Intention der Sicherung privater Freiheitsräume. Ihr Einfluß besteht nicht nur in der Sicherung privatrechtlicher Institute wie Ehe und Familie, Erbrecht oder Eigentum, sondern auch individueller subjektiver Grundrechte. Wegen der in Art. 1 Abs. 3 GG angeordneten unmittelbaren Bindung nur der staatlichen Gewalt an die Grundrechte war lange Zeit die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte vorherrschend. Regelmäßig und floskelhaft wird hierzu ausgeführt, die objektive Weitordnung des Grundgesetzes finde über Generalklauseln wie §§ 242, 138 BGB und andere unbestimmte Rechtsbegriffe Eingang in das bürgerliche Recht. 328 Unterstützend wird zudem auf Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG als Ausnahmevorschrift mit unmittelbarer Drittwirkung verwiesen. 329 Diese Begründung stellt jedoch die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht mehr fest, als daß sie deren Grund - Grundrechtsschutz zu Gunsten der Partei(en) - herausstellt. Unter dem Aspekt der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht wird zudem die Verknüpfung des materiellen bürgerlichen Rechts mit dem Zivilprozeßrecht deutlicher. 330 Die grundrechtliche Schutzpflicht als aus der objektiven Wertordnung abzuleitende Rechts- und Handlungspflicht führt zu einer Durchdringung des bürgerlichen Rechts insgesamt. Das Zivilgericht als Adressat der eine Partei begünstigenden grundrechtlichen Schutzpflicht ist nicht mehr neutral im Sinne einer vorbehaltlosen Anerkennung und Achtung der beiden Parteien grundrechtlich zukommenden Privatautonomie und Vertragsfreiheit, sondern setzt den Geltungsanspruch der Grundrechte auch gegen die private gegnerische Partei durch. Diese Schutzgewährung im Prozeß setzt die materiell-rechtliche Überformung der Zivil327

Die Begriffe Privat-, Zivil- oder bürgerliches Recht werden hier synonym verwandt. So insbesondere die zivilrechtliche Lit. und Rspr., stellvertretend Vollkommer, in: Jauernig, § 242 Rn. 3 m. entspr. Nw. und das BVerfG, ausgehend von BVerfGE 7,198 (205 ff.) - Lüth, in st. Rspr. 329 Zum Ganzen auch v.Münch, in: v. Münch/Kunig, Vorb. Art. 1-19, Rn. 28 ff.; Alexy, S. 475 ff.; Schwabe, Drittwirkung; Bleckmann, § 10 Rn. 68 ff. m. zahlr. Nw. zu Rspr. u. Lit. Sehr zurückhaltend gegenüber der Grundrechtswirkung im Zivilrecht aber z.B. Diederichsen, AcP 198 (1998), 199ff., 242ff.; dagegen überzeugend Canaris, Grundrechte und Privatrecht, sowie schon ders., AcP 184 (1984), 201 ff. 330 Allgemein dazu schon Lorenz, NJW 1977, 865 ff. 328

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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rechtsordnung durch die Grundrechtsordnung voraus. Durch die Rückführung zivilrechtlicher, mit haftungsrechtlicher Sanktion verbundener Verhaltenspflichten auf grundrechtliche Vorgaben ist die Wirkung der Grundrechte materiell-rechtlich unmittelbar: Die haftungsbegründende Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der grundrechtlichen Güter kann vom Gericht nur festgestellt werden, wenn sie materiell-rechtlich zu Lasten des Anspruchsgegners schon im Zeitpunkt der Rechtsgutsbeeinträchtigung bestand. Mit anderen Worten kann das Zivilgericht dem Schädiger kein haftungsrelevantes Verhalten oder eine Pflichtverletzung ex post vorwerfen, wenn diese nicht schon bei Vertragsschluß und -erfüllung durch die Rechtsordnung als unzulässig eingestuft wurden. In diesem Sinne ist auch das Vertragsrecht eine „Binnenrechtsquelle", 331 die übergeordnetes Recht wie die Grundrechtsordnung zu achten hat. Mit dem Vorwurf des Gesetzes- und Vertragsverstoßes ist der Vorwurf der Nichtachtung der Grundrechte verbunden, der zunächst den Prozeßgegner und nicht das Gericht trifft. Springt dieses als ausdrücklich genannter Adressat der Schutzpflicht dem Schutzsubjekt jedoch verfassungswidrig nicht zur Seite, so liegt darin ein erneuter, weiterer Grundrechtsverstoß. Dieser Befund führt unmittelbar zu Fragen der rechtsstaatlichen Bestimmtheit normativer Verhaltensgebote wie den §§242,276 BGB, der parlamentarischen Verantwortlichkeit und der Gewaltenteilung, die die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte nicht beantwortet. Auch wenn die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung in einem formalen Sinne zutreffend sein mag, wird vor allem im verfassungsrechtlichen Schrifttum zunehmend zu Recht die Auffassung vertreten, daß die grundrechtliche Schutzpflicht der richtige Begründungsansatz für die Durchdringung des bürgerlichen Rechts seitens der Grundrechtsordnung ist. 332 Die übergeordnete Geltungskraft der grundrechtlichen Schutzpflicht wird im Arzthaftungsrecht auch dadurch deutlich, daß oft eine parallele strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arztes besteht. Auch die nur auf bereits eingetretene Rechtsgutsverletzungen reagierende, sanktionierende Rechtsprechung unterfällt der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht. 333 Ebenso geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß die Sanktion von Rechtsgutsverletzungen der grundrechtlichen Schutzpflicht unterfällt. 334 Gerade in Bereichen wie 331

D. h. grundsätzlich mit Wirkung nur zwischen den Parteien; Rechtsnormcharakter kommt Verträgen nur ausnahmsweise zu; vgl. F. Kirchhof \ S.471 ff., 331 f. 332 Vgl. Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 104; ders., Vertragsfreiheit, S.48ff.; Bleckmann, § 11 Rn. 220f.; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn.37; Stern, Staatsrecht III/1, §76 III 4 (S. 1560); Sachs, in: Sachs, Vor Art. 1 Rn. 32; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 10 ff. nennt die mittelbare Drittwirkung einen Sonderbereich der Schutzpflicht. Gleiches gilt auch hinsichtlich des im Arbeitsrecht bedeutsamen Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. Papier, RdA 2000,4f.; BVerfGE 81, 242 (254f.); 89, 214 (230ff); 97, 169 (176ff.); 98, 365 (395). 333 Ähnlich Murswiek, S. 111 ff.; a. A. Robbers, S. 125, der jedoch demgegenüber auf S. 202 den Richterspruch allgemein von der staatlichen Schutzpflicht miterfaßt sieht und von einer weiten Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG ausgeht (S. 120ff.). Differenzierend z. B. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §67 V 2 (S.737). 334 Vgl. nur BVerfGE 49,304 (319) - Sachverständigenhaftung; für strafrechtliche Sanktionen BVerfGE 39,1; 88, 203.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

dem Arzt-Patienten-Verhältnis, in denen der präventive Schutz bislang vernachlässigt wird, liegt das momentane Schwergewicht auf dem Sanktionsschutz. Die Negierung seiner verfassungsrechtlichen Grundlage stellt eine unzulässige Verkürzung grundrechtlicher Rechtspositionen dar und läßt umgekehrt den Zivilgerichten zu weitgehende Regelungsbefugnisse zukommen. Das allgemeine verfassungsrechtliche Verbot der Rechtsschutzverweigerung durch die Fachgerichte 335 wird insoweit durch die grundrechtliche Schutzpflicht in der Schutzpflichtkonstellation überlagert. Der grundrechtliche Schutzauftrag der Zivilgerichtsbarkeit und die verfassungsrechtliche Überformung des Zivilrechts führen dazu, daß die Fachgerichte zunehmend mit grundrechtlicher Auslegung und der Auflösung von Grundrechtskollisionen befaßt werden. Im Wesentlichen erfolgt dies über die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln, bei denen die konkrete Ausgestaltung durch den Zivilrechtsgesetzgeber unterblieben ist. Ihre Offenheit bezweckt die kontinuierliche Fortentwicklung des Rechts durch die Fachgerichtsbarkeit und ist wegen des komplexen Anwendungsbereichs insbesondere des BGB unerläßlich. Die Verflechtung des Verfassungsrechts mit dem Zivilrecht durch die grundrechtliche Schutzpflicht wird durch weitere Aspekte bestätigt, die zu einer Neueinordnung des Zivilrechts insgesamt führen. Während die Bedeutung des Zivilrechts im ausgehenden 19. Jahrhundert vor allem in der Sicherung der gesellschaftlichen Freiheit lag, ist diese Funktion in der heutigen Verfassung verankert. Die damalige Privatautonomie als nur formale Freiheitlichkeit ist einer von Art. 1 Abs. 3 GG vorgezeichneten umfassenden Freiheit gewichen.336 Gewährte in der damaligen Zeit allein die Privatrechtsordnung persönliche Autonomie in ihrem Bereich, so betont heute die Verfassung die Persönlichkeit des Einzelnen in allen Bereichen und seine freie Entfaltung gerade gegenüber dem Staat.337 Zusammen mit diesem Bedeutungswechsel ist die in der damaligen Privatautonomie zum Ausdruck kommende individuelle Willens- und Freiheitsethik einer sozialen Verantwortungsethik im Sinne von gegenseitiger Solidarität innerhalb der Gesellschaft gewichen.338 Unter der Ägide des alle Lebensbereiche verbindlich erfassenden Grundgesetzes hat auch im Zivilrecht die Gewährleistung der Existenz der Rechtsgenossen und der Schutz des Schwächeren gleichen Rang wie die Verfolgung eigener Interessen. Die soziale Gerechtigkeit ist als weitere Dimension in das Zivilrecht hineingewachsen und hat seine Fortentwicklung maßgeblich beeinflußt. 339 Zudem wurde es von öffentlichund sozialrechtlichen Neubildungen partiell verdrängt, überlagert oder verbindet sich mit ihnen. 340 Der in dieser Hinsicht problematischen Interessenbündelung 335

Vgl. Stern, Staatsrecht II, § 37 112 (S. 585) und passim. A.A. Diederichsen, AcP 198 (1998), 225 ff., nach dem die historische Auslegung des Art. 1 Abs. 3 GG gegen eine Anwendung der Grundrechte im Zivilrecht spricht; kritisch gegen Diederichsen und wie hier Canaris, Grundrechte, S. 11 ff. m. w. Nw. 337 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, S.20ff. 338 Vgl. Wieacker, S. 620 ff. 339 Hesse, Verfassungsrecht, S.33. 340 Hesse, Verfassungsrecht, S.34; Wieacker, S.620. 336

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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durch kollektive oder soziale Macht wirkt gerade die grundrechtliche Schutzpflicht entgegen, durch die der Staat auf die Seite des schutzbedürftigen Einzelnen tritt. Durch diese Zwecksetzung ist die Zivilrechtsordnung in das gesamte Rechtsgefüge integriert. 341 Die grundrechtliche Schutzpflicht soll nach diesem Verständnis nicht zu einer staatlichen Bevormundung im Sinne einer weitreichenden Beschränkung oder Aushöhlung der Privatautonomie führen. Es ist jedoch zu konstatieren, daß gegenwärtig von privatem Handeln zunehmend Gefahren für Rechtsgüter Dritter ausgehen.342 Diese können in der Ausübung privater wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Macht, aber auch in Sachkunde und Kompetenz, verbunden mit wirtschaftlichen Eigeninteressen, wie zum Beispiel bei der Anwendung neuer biomedizinischer Verfahren an dem in der Hoffnung auf Heilerfolg bereitwilligen Patienten, liegen. Gerade die Feststellung, daß die Bedrohung der Freiheit in der modernen Gesellschaft nicht vom Staat, sondern von der Gesellschaft und in ihr organisierten Interessenbündelungen ausgeht,343 führt zur zentralen Stellung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Ihre Bedeutung liegt in der Schaffung der Grundlagen für die Ausübung zeitgemäßer Autonomie im privaten oder gesellschaftlichen Bereich. Für eine reale Freiheitlichkeit ist eine annähernd gleiche rechtliche und tatsächliche Lage der Beteiligten notwendig.344 Neben der verfassungsrechtlichen Gewährleistung privater Rechtsinstitute kommt der Verfassung gerade die Gewährleistung individueller Freiheit zu, was den Ausbau und die Stärkung der privatrechtlichen Freiheit im Sinne individueller Selbstbestimmung bedeutet. Dies kann im sozialen Rechtsstaat auch zu Begrenzungen der Privatautonomie und Vertragsfreiheit führen. Der Typus des Menschen als freie, selbstbestimmte und selbstverantwortliche Person, die zugleich gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden handelt, entspricht nicht nur dem Menschenbild des Grundgesetzes, sondern auch dem des modernen Privatrechts. 345 Die Schaffung dieser Grundlagen ist zentraler Bestandteil der grundrechtlichen Schutzpflicht und von ihren Adressaten umzusetzen. Offenkundig ist, daß derartige Grundfragen und -regelungen nicht allein durch die Zivilgerichtsbarkeit bewerkstelligt werden können. Es bedarf der vorregelnden Tätigkeit des (Zivil)Gesetzgebers. Dessen vorrangige Stellung ist im Grundgesetz verankert - durch Art. 20 Abs. 3 hat die Verfassung der Zivilgerichtsbarkeit auch für die Auflösung grundrechtlicher Konfliktlagen eine Kompetenzgrenze zu Gunsten des Gesetzgebers errichtet. Diese ist überschritten, wenn prinzipale Veränderungen 341

Zum Ganzen auch Hesse, Verfassungsrecht, S.20ff. Ebenso Hesse, Verfassungsrecht, S. 37; Steiner, S. 5 ff. 343 Im soziologischen Kontext schon Arendt, S. 331; ihr zustimmend Schmitt Glaeser, ZRP 2000, 396 f. 344 Hesse, Verfassungsrecht, S. 38; kritisch z. B. Medicus, Privatautonomie, S. 19 ff., der die fehlende Bestimmbarkeit des Kräfteungleichgewichts annimmt und weiter, daß Unterschiede zwischen den Vertragspartnern zwingend sind. 345 Vgl. demgegenüber z.B. Radbruch, S. 12ff. 342

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

durch die Rechtsprechung vorgenommen werden. 346 Auch das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Sinne aus, daß Exekutive und Judikative bei der Rechts- und Gesetzesanwendung zu berücksichtigen haben, welche Vorschriften der Gesetzgeber in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter erlassen hat. 347 Zugleich wird hierdurch deutlich, daß die verfassungsgerichtliche Kontrolle eine weitere Begrenzung der Zivilgerichtsbarkeit bedeutet. Das Bundesverfassungsgericht erkennt insbesondere bei der Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln, die regelmäßig verfassungsrechtlich überformt und mittels Abwägung kollidierender Rechtsgüter und Interessen auszulegen sind, die Notwendigkeit auch weitreichender Rechtsfortbildung an. Es behält sich aber eine Überprüfung im Rahmen von Verfassungsbeschwerden vor: Die richterlichen Erwägungen müssen nachvollziehbar sein und dürfen nicht den Schluß zulassen, daß das Gericht objektiv nicht bereit war, sich Recht und Gesetz zu unterwerfen, sondern sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben hat. 348 Die grundsätzliche Auflösung und Ordnung von Grundrechtskollisionen kommt damit dem (Zivilrechts)Gesetzgeber zu. Er muß den Gehalt der Grundrechte differenzierend und konkretisierend in für die Beteiligten eines privaten Rechtsverhältnisses unmittelbar verbindliches Recht umsetzen.349 Die Beachtung grundrechtlicher Vorgaben und Kollisionen darf nicht zur primären Pflicht der Zivilgerichte werden - die Zivilgerichte sind hiervon durch den Gesetzgeber zu entlasten.350 In der Schutzpflichtkonstellation ist damit auch der Zivilrechtsgesetzgeber unmittelbar zur Schutzgewährung verpflichtet. 351 Zugleich zeigt sich schon hier, daß zwischen unzureichenden legislativen Schutzregelungen und unzulässiger richterlicher Rechts346 Zum Ganzen sowie zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Diederichsen, S. 10f., 19ff. undpassim; Ipsen, S.80ff., 91 ff., 104ff.; Stern, Staatsrecht II, §37112 (S.583ff.); Ossenbühl, in: HStR III, § 61 Rn. 36ff. Dies gilt z. B. für die Annahme selbständiger vertraglicher Hauptpflichten beim Behandlungsvertrag oder die Aufweichung des Verschuldensgrundsatzes im Arzthaftungsrecht; dazu unten B Kap. 1. Allgemein, d.h. nicht auf das Zivilrecht beschränkt, gilt dies z. B. für die Bereiche der Sterbehilfe und Humanforschung; dazu v. a. unten B Kap. 3 II., Kap. 4 II. 347 BVerfGE 53, 30 (65 f.). 348 BVerfGE 96, 56 (62 ff.) - Abstammung; BVerfGE 96, 56 (62ff.) bzgl. der Schutzpflicht für das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach den Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG: Die zivilgerichtlichen Instanzen leiteten einen Anspruch des Kindes gegen die leibliche Mutter auf Nennung des leiblichen (potentiellen) Vaters aus § 1618a BGB ab, hatten sich nach dem BVerfG aber auch mit der bestehenden (höchstrichterlichen) Rechtsprechung und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift auseinandergesetzt. Zu dieser Entscheidung ist zu bemerken, daß eine vorrangige Kompetenz des Zivilgesetzgebers aber gerade dann anzunehmen ist, wenn dieser einen geltend gemachten Anspruch nicht geregelt hat und dessen Bestehen auch nach grundrechtlichen Vorgaben offen ist. 349 Hesse, Verfassungsrecht, S. 27 m. w. Nw. 350 Ebenso Hesse, Verfassungsrecht, S.24ff. 351 Im Ergebnis ebenso Canaris, Grundrechte, S. 16ff.; in Bezug auf eine „mittelbare" Drittwirkung daher kritisch schon ders., AcP 184 (1984), 212. A.A. bzgl. der Bindung des Privatrechtsgesetzgebers z.B. Diederichsen, AcP 198 (1998), 234ff., auch aufgrund des frühen LüthUrteils BVerfGE 7, 198 (LS 2, 205).

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fortbildung ein untrennbarer Zusammenhang bestehen kann. Diese verfassungsrechtliche Ausgangslage ist für die Schutzgewährung im Arzt-Patienten-Verhältnis zu präzisieren. 352 bb) Verfassung und Strafrecht Kein entsprechendes Verhältnis besteht dagegen zwischen der Verfassung und dem Strafrecht. Das Strafrecht enthält keinen Ordnungsrahmen für einen autonomen Bereich, in dem widerstreitende gesellschaftliche Kräfte wirken und für den variables rechtsgeschäftliches, selbstbestimmtes Handeln kennzeichnend ist. Es umreißt vielmehr die Grenzen dieses Bereichs und sanktioniert die Übertritte. Das Strafrecht ist nach hier vertretener Auffassung ein Instrument zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht durch den Staat,353 wobei es anders als das Zivilrecht keinen ehedem autonomen Rahmen darstellt, der einem rechtlichen Bedeutungswandel unterlag und über eine grundrechtskonforme Auslegung hinaus durch die übergeordnete Grundrechtsordnung erst durchdrungen werden mußte. Die Strafvorschriften sind vielmehr unmittelbarer Ausdruck der grundrechtlichen Wertordnung selbst.354 Im Verhältnis zwischen Verfassung und Strafrecht stellt sich infolgedessen mehr die Frage, inwieweit das Strafrecht einen wirksamen Schutz der grundrechtlichen Werte gewährleisten kann. So erscheint es zur Abwendung von Grundrechtsgefährdungen und -Verletzungen nur bedingt geeignet. Zwar kann präventiver Rechtsgüterschutz sowohl über den Abschreckungseffekt der Strafgesetze als auch die Einzeljudikate der im Nachhinein sanktionierend tätig werdenden Strafgerichte bewirkt werden. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Prinzipien des Bestimmtheitsgebots und des Analogieverbots lassen jedoch eine weite Auslegung der Strafrechtsnormen auch nicht zu, wenn diese grundrechtsschützend orientiert ist. Zusammen mit der Strafe als individueller Sanktion ergibt sich daraus, daß das Strafrecht in einem neuen Entwicklungen wenig anpassungsfähigen Rahmen nur die äußeren Grenzen unzulässigen Verhaltens beschreibt, die nicht mit der Schwelle identisch sind, ab der im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflicht staatlicher Rechtsgüterschutz zu gewähren ist. Wenn auch nicht unbedingt ultima ratio der Erfüllungsmöglichkeiten, 355 so verhindern die starren Vorschriften des Strafrechts, die im Gegensatz zu den zivilrechtlichen Generalklausel stehen, eine ausufernde richterliche Rechtsfortbildung und vergrößern damit zugleich die Kompetenz, aber auch Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers. Die Bestimmung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale, zum Beispiel einer Körperverletzung oder der Tötungshandlung, ist allerdings mit der Auseinandersetzung über die Reichweite der Rechtsgüter der körperlichen Unversehrheit und des Lebens verbunden, so daß die Rolle der Strafgerichte als Schutzpflichtadressaten und damit eine schutzpflichtori352 353 354 355

Unten IV. sowie B Kap. 1, Kap. 2. Ebenso BVerfGE 39, 1 (44 ff.); 88, 203 (257 f.). Vgl. Tiedemann, S.50ff. So aber BVerfGE 39, 1 (47); 88, 203 (258).

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entierte Gesetzesauslegung und -anwendung zu betonen ist. 356 Der Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht ist damit Teil der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, spielt er doch auch im Arzt-Patienten-Verhältnis eine wesentliche Rolle, die durch zahlreiche Vorschriften des Nebenstrafrechts im Gesundheitsrecht noch verstärkt wird. 357 2. Ergebnis Den Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG lassen sich nur Grundaussagen zum Adressatenkreis der grundrechtlichen Schutzpflicht entnehmen. Eine Erfüllungshierarchie zwischen den Trägern staatlicher Gewalt kann ihnen nicht entnommen werden. Aus dem Verhältnis der Verfassung zum einfachen Recht folgt dagegen eine Verlagerung der Verantwortlichkeit bei der Erfüllung der Schutzpflicht in Richtung der Legislative. Dem entsprechen Auffassungen im Schrifttum, die für die Schutzpflicht eine Gesetzesmediatisierung358 oder die Notwendigkeit der Konkretisierung durch den Gesetzgeber359 annehmen. Wie weit die Regelungspflichten des Gesetzgebers reichen, ist nun zu untersuchen.

II. Erfüllungshierarchie und Vorbehalt des Gesetzes 1. Begriffsbestimmungen Die Grundrechtsgewährleistungen stehen unter dem Vorbehalt gesetzlicher Beschränkung und Ausformung. Hiervon ausgehend lassen sich im verfassungsrechtlichen Schrifttum die Begriffe des „Vorbehalts des Gesetzes" und des „Gesetzesvorbehalts" finden. Zum Teil werden diese synonym verwandt. 360 Zum Teil wird unter dem Vorbehalt des Gesetzes ein allgemeiner Grundsatz verstanden, während der Gesetzesvorbehalt eine vom Grundgesetz im Einzelfall niedergelegte Verweisung auf das Gesetz darstellt. 361 Dieser Unterscheidung wird hier gefolgt. Nach ihr stellt zum Beispiel Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG einen Gesetzesvorbehalt dar. Der (allgemeine) 356 Dies betont z. B. Rixen, S. 322 ff., 353 ff. m. zahlr. Nw. für den Zusammenhang zwischen rechtlichem Todeszeitpunkt und Strafbarkeiten wegen Organentnahmen; zur richterlichen Freiheit vor Art. 103 Abs. 2 GG auch Tiedemann, S. 36ff., 44ff. 357 Dazu unten B Kap. 2-4. 358 Isensee, Sicherheit, S.44. 359 Stern, Staatsrecht III/l, §69 IV 6 (S.951). 360 So Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn. 12ff.; Kisker, NJW 1977, 1313; nur den Gesetzesvorbehalt nennen z.B. Schnapp, in: v.Münch/Kunig, Art.20 Rn.43ff.; Badura, in: HStR VII, § 163 Rn. 36f. Demgegenüber weist z.B. R. Hermes, S. 15 auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen allgemeinem Prinzip und konkreten Ausprägungen hin und unterscheidet zwischen allgemeinem und speziellen Gesetzesvorbehalten. 361 So Krebs, S. 11; Staupe, S. 32; Jesch, S. 31; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, §§ 80 11 (S. 372f.), 8012 (S. 388 f.); für ergänzende Bedeutung Maurer, in: FS Vogel, S. 342; zur Unterscheidung auch R. Hermes, S. 14 f.

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Vorbehalt des Gesetzes umfaßt diese speziellen Ausprägungen in Form der Gesetzesvorbehalte, ist aber nicht auf sie beschränkt. Infolgedessen wird zur Bestimmung der Bedeutung des Gesetzes bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht vorliegend vom Vorbehalt des Gesetzes ausgegangen. Die Unterscheidung ermöglicht zudem eine stärkere Akzentuierung der Schutzpflichtkonstellation gegenüber der Eingriffsabwehrkonstellation - dazu sogleich unten 2. Gesetz kann nun „Gesetz im formellen Sinne", das heißt Parlamentsgesetz, oder „Gesetz im materiellen Sinne", das heißt Rechtsnorm, bedeuten. Der materielle Gesetzesbegriff ist für die Frage bedeutsam, wann anstelle einer parlamentarischen Regelung eine im Rang darunter stehende Norm erlassen werden darf. 362 Besteht die Notwendigkeit einer unmittelbaren parlamentarischen Regelung, kann von einem „Parlamentsvorbehält" gesprochen werden. 363 Dieser führt auf der Ebene des Parlaments zu einer Regelungspflicht, der ein Delegationsverbot korrespondiert. 364 Zugleich folgt daraus die Notwendigkeit einer bestimmten Regelungsdichte.365 Das Bundesverfassungsgericht hat dafür das Kriterium der Wesentlichkeit entwickelt, das in der vorliegenden Untersuchung als Erfüllungskriterium fungiert. 366 Dem Parlaments vorbehält werden im Schrifttum der „Rechtssatzvorbehalt" oder der „Vorbehalt des materiellen Gesetzes" gegenübergestellt.367 Während der Parlamentsvorbehalt Regelungen durch Gesetz verlangt, sind hier Regelungen aufgrund eines Gesetzes zulässig - es genügt ein Akt delegierter Rechtsetzung.368 Problematisch an dieser Gegenüberstellung ist, daß im Rahmen des Rechtssatzvorbehalts oder Vorbehalts des materiellen Gesetzes parlamentarische Regelungen nicht nur möglich, sondern als Grundlage untergesetzlicher Normierung in der Regel auch unerläßlich sind. 369 Dem Parlament kommt hier eben eine größere Gestaltungs- und 362 Vgl. nur Böckenförde, S. 377 ff.; Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 9, beide m. w. Nw.; umfassend Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis. 363 Auch bezeichnet als „Vorbehalt des Parlaments", „Vorbehalt der Legislative", „Vorbehalt des Gesetzgebers", „Vorbehalt des formellen Gesetzes", „Vorbehalt des Parlamentsgesetzes", „gesteigerter Parlaments vorbehält", „Parlamentsvorbehalt im engeren Sinne" oder „Wesentlichkeitsvorbehalt"; vgl. Staupe, S.29 m. entspr. Nw. PierothlSchlink, Rn.261 ff. sprechen daher von der Entwicklung vom Gesetzesvorbehalt zum Parlamentsvorbehalt. 364 Staupe, S. 29f., 236ff.; vgl. auch R. Hermes, S. 77 m. w. Nw. 365 Staupe, S.30f. 366 Dazu unten 3.; vgl. zum Ganzen auch BVerfGE 58, 257 (268, 275); Papier, VSSR 1990, 123ff.; WahllMasing, JZ 1990, 557; Stern, Staatsrecht I, §20 I V 4 (S.812); Staupe, S. 158ff. 367 Vgl. Staupe, S.29 ff.; Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.9ff.; R. Hermes, S.76ff. Rechtssatz meint hierbei Rechtsnormen - (Parlaments)Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen - und ist in Abgrenzung zu Verwaltungsvorschriften zu verstehen; Staupe, S. 31. R. Hermes, S. 76 f. führt auch (bloße) parlamentarische Entschließungen an, die nicht in Gesetzesform ergehen und dennoch den Gestaltungsanspruch des Parlaments sichern. 368 Staupe, S. 31; eine Regelungspflicht des Gesetzgebers ablehnend z.B. Badura, in: Badura/Kaiser, S. 14. 369 So bedeutet Gesetz im Sinne des GG Parlamentsgesetz; stellvertretend PierothlSchlink, Rn. 263. Vgl. weiter Art. 80 Abs. 1 GG bzgl. Rechts Verordnungen; zum Erfordernis parlamen-

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Entscheidungsfreiheit bezüglich der Regelungsdichte zu als im Bereich des Parlamentsvorbehalts. 370 Auf diese unterschiedlichen Begriffe wird daher in der vorliegenden Untersuchung nicht zurückgegriffen. Es reicht aus, im Sinne des Parlamentsvorbehalts die Bereiche und Punkte des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu bestimmen, in denen detaillierte parlamentarische Regelungen notwendig, und die, in denen Delegationen auf andere Normgeber oder Freiräume für die Rechtsprechung zulässig sind. Hervorzuheben ist damit, daß es heutzutage entgegen dem traditionellen Vorbehaltsverständnis, dem das Vorhandensein eines formellen Gesetzes oder einer formell-gesetzlichen Ermächtigung genügte, auch auf die inhaltliche Beschaffenheit - Regelungsdichte oder Regelungsintensität - der formellen Gesetze ankommt. 371 Zu untersuchen ist daher, aus welchen Verfassungsbestimmungen oder -grundsätzen Regelungspflichten des Parlaments folgen. 2. Schutzpflichterfüllung und Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG darf in die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. 372 Die Vorschrift ist damit auf die Eingriffsabwehr zugeschnitten und in der Schutzpflichtkonstellation nicht ohne weiteres anwendbar. Insbesondere kann infolge Art. 1 Abs. 3 GG nicht angenommen werden, daß Rechtsgutsgefährdungen oder -Verletzungen durch Private denselben Anforderungen bezüglich der gesetzlichen Ermächtigung unterliegen, wie entsprechende staatliche Eingriffe. 373 Staatliche Eingriffe können zwar auch im Zusammenhang mit der grundrechtlichen Schutzpflicht gegeben sein, es handelt sich dabei jedoch um verschiedene Konstellationen, die der Präzisierung bedürfen. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG ist anwendbar, wenn im Arzt-Patienten-Verhältnis staatlicher Zwang gegenüber den Patienten ausgeübt wird. In den Fällen der sog. medizinischen Zwangsbehandlung können ärztliche Eingriffe auch gegen den Willen der Patienten erfolgen. Es handelt sich um staatlich angeordnete Maßnahmen,374 zu detarischer Grundlage für Satzungen stellvertretend BVerfGE 33, 125 - Facharzt; zur Konkretisierung gesetzlicher Generalklauseln auch BVerfGE 76,171; 82,18 - Rechtsanwälte. Ibler, in: FS Maurer, S. 155 weist daher zu Recht auf den Wandel vom Rechtssatzvorbehalt zum Parlamentsvorbehalt hin. 370 Kritisch gegen diese Begrifflichkeiten auch R. Hermes, S. 12. 371 Staupe, S. 158f.; Pieroth/Schlink, Rn.262ff. 372 Der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG stellt nach h. A. einen Parlamentsvorbehalt dar; vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 80ff.; Grabitz, in: HStR VI, § 130 Rn. 17; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 182 ff. 373 Ebenso G. Hermes, S. 258 in Auseinandersetzung mit BVerfGE 53, 30 (51) - MülheimKärlich. 374 Z.B. Schutzmaßnahmen, insbesondere -impfungen nach den §§ 18ff., 1 IfSG (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen - Infektionsschutzgesetz v. 20.7.2000, BGB1.I S. 1046, Nachfolgegesetz des BSeuchenG), medizinische Untersu-

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ren Erfüllung ein Arzt eingeschaltet wird. Daher bedürfen die Eingriffe in die körperliche Integrität neben der inhaltlichen Legitimation - Zielsetzung ist die Heilung und der Gesundheitsschutz - der parlamentarischen Grundlage nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG. Die gesetzliche Ermächtigung tritt an Stelle der Einwilligung des Patienten. Bei der Durchführung der Eingriffe sind indes die Schutzvorgaben zu Gunsten der Patienten, zum Beispiel die Vornahme durch einen fachlich kompetenten Arzt, zu beachten. Rechtlich ist der Arzt in die staatliche Aufgabenerfüllung eingebunden, so daß in den Fällen medizinischer Zwangsbehandlung zweipolige Rechtsverhältnisse (Staat - Patient) bestehen. Davon zu unterscheiden ist die hier untersuchte Schutzpflichtkonstellation. Im typischen Arzt-Patienten-Verhältnis begründen der Arzt und der Patient eigenverantwortlich ein Vertrags Verhältnis, das von der Schutzpflichtkonstellation erfaßt wird, die zur Einbindung des Staates zu Gunsten der Patienten und damit einem dreipoligen Rechtsverhältnis führt. 375 In diesem sind Schutzmaßnahmen, die eine Gefährdung oder Verletzung der Rechtsgüter des Patienten ausschließen oder reduzieren sollen, nicht an Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG zu messen. Hat der Staat in der Schutzpflichtkonstellation entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nur unzureichende oder überhaupt keine Schutzmaßnahmen gegenüber ärztlichen Eingriffen getroffen, ist zwar ein Eingriff des Staates in die Rechtsgüter der Patienten durch Unterlassen gegeben. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG geht in dieser Konstellation aber ins Leere. Beim Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Schutzpflicht und Eingriffen in die Rechte des Schutzsubjekts ist der Vorwurf nicht, daß staatliche Maßnahmen in das Leben oder die körperliche Unversehrtheit unter Mißachtung des Gesetzesvorbehalts eingreifen, sondern daß die getroffenen Maßnahmen zu wenig Schutz bieten. Verfassungswidrig sind damit nicht die bestehenden Maßnahmen, sondern die Differenz zwischen ihnen und dem gebotenen Schutz. Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht bedeutet den Abbau der Schutzdefizite durch Schließen der rechtlichen Schutzlücken. Staatliche Untätigkeit muß durch staatliche Schutztätigkeit zu Gunsten der Patienten ersetzt werden, die den Umfang des Eingriffs durch Unterlassen stetig verringert und diesen beim vollständigen Abbau des verfassungswidrigen Schutzdefizits entfallen läßt. Damit kann staatliche Schutztätigkeit in der Schutzpflichtkonstellation nicht als dem Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unterliegender Eingriff eingeordnet werden. 376 chung und Behandlung von Strafgefangenen nach § 101 StVollzG oder Heilbehandlungen an Untergebrachten nach dem jeweiligen Landesrecht; z. B. § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW (Unterbringungsgesetz i.d.F. v. 2.12.1991, GBl. S.794), soweit es sich nicht um operative Eingriffe oder Behandlungen handelt, die mit einer erheblichen Gefahr für das Leben und die Gesundheit verbunden sind (§ 8 Abs. 3 UBG BW); zum Ganzen auch Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §79 Rn. 2 ff. 375 Dazu oben Kap. 1 1.1. 376 Im Ergebnis ebenso R. Hermes, S. 92 ff., 105 ff.; a. A. G. Hermes, S. 258 ff. m. w. Nw., der jedoch zum einen eine unklare Verbindung zum „allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes", der über das Merkmal des staatlichen Eingriffs hinausgehe und den für die Ausübung der Grund-

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Außerhalb des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG stehen weiter die Fälle, in denen in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht getroffene Maßnahmen in Grundrechte der Ärzte eingreifen. Der Schutz der Patienten durch Eingriffe in Rechte der Ärzte ist an den Vorgaben der Schutzpflicht - dazu sogleich nachfolgend - und deren Grundrechten der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, gegebenenfalls auch der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG, zu messen.377 Von vornherein außerhalb des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG liegen damit auch die Fälle, in denen die Schutzpflicht ohne Grundrechtseingriffe erfüllt wird. 3. Schutzpflichterfüllung und Vorbehalt des Gesetzes a) Herleitung und Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes Der ungeschriebene Vorbehalt des Gesetzes wird vom Bundesverfassungsgericht 378 und der herrschenden Auffassung in der Literatur 379 aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip hergeleitet. Aufgegeben ist damit die frühere Begründung des Vorbehalts des Gesetzes, die an Formeln wie „Eingriffe in Freiheit und Eigentum" geknüpft war. 380 Das Bundesverfassungsgericht stützt sich zum Teil auch auf Art. 20 Abs. 3 GG, 381 was aber nicht zu überzeugen vermag. Art. 20 Abs. 3 GG ordnet nur den Vorrang des Gesetzes an, der Grund für diesen Vorrang gesetzgeberischer Entscheidung gegenüber Rechtsakten anderer Gewalten bleibt jedoch verborgen. 382 Aufgrund der Herleitung aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ist der Vorbehalt des Gesetzes auf eine breitere und allgemeine Grundlage gehoben. Er beansprucht auch in Bereichen Geltung, in denen es nicht um den Schutz vor dem Staat, sondern um den Schutz durch den Staat geht. Durch den Vorbehalt des Gesetzes wird damit das Bestimmungsrecht des Gesetzgebers gewahrt und gestärkt. 383 Insoweit wird in der Literatur auch ein Unterschied zu den grundrechtlichen Gesetzesrechte wesentlichen Bereich erfasse, herstellt (S. 259) und zum anderen innerhalb des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG entgegen der h. A. (s. o.) eine Delegation an die Exekutive ohne weiteres für zulässig hält (S.260). 377 Dazu unten Kap. 3. 378 Vgl. nur BVerfGE 33, 125 (158); 47,46 (78 f.); 83, 130(142). 379 Stellvertretend Böckenförde, S. 382ff.; Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn. 32ff.; zahlr. w.Nw. bei Staupe, S. 162ff.; Busch, S.26ff. undR. Hermes, S.44ff. 380 Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); 49, 89 (126f. m. w. Nw. zur Rspr.) gegenüber BVerfGE 8, 155 (166f.); Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn. 13ff., 16 m.w.Nw.; Maurer, in: FS Vogel, S. 340 ff. 381 Z.B. BVerfGE 40, 237 (248 f.); 49, 89 (126); in E77, 170 (230f.) wird auf Art. 20 GG (insgesamt) Bezug genommen. 382 Ähnlich Burmeister, S.49f.; Maurer, in: FS Vogel, S. 341 f., der dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip allerdings nur ergänzende Funktion beimißt, da die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte spezieller seien. 383 Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn. 16.

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vorbehalten ausgemacht, die sich gegen den Gesetzgeber wenden und die legislative Gestaltungsfreiheit einengen sollen. 384 Gegen eine derartig diametrale Bedeutung spricht aber, daß auch in den Gesetzesvorbehalten das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verwirklicht ist. 385 Der Gesetzesvorbehalt bei grundrechtlichen Eingriffen führt daher nicht nur zu einer Befassungspflicht des Parlaments, diesem kommt vielmehr bei der Beschränkung und vor allem der inhaltlich regelnden Ausgestaltung freiheitlicher Lebensbereiche auch in großem Umfang Gestaltungsspielraum zu. Unterschiede zwischen Vorbehalt des Gesetzes und Gesetzesvorbehalt können sich jedoch in der Tat in Bezug auf den notwendigen Umfang und die Dichte parlamentarischer Regelung sowie - komplementär - hinsichtlich der jeweiligen Reichweite der Delegationsbefugnis ergeben. 386 Beim Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gelten auch für den Gesetzgeber andere Maßstäbe und Vorgaben als bei Eingriffen. In diesem Sinne spiegelt sich in der Herleitung aus dem Demokratieund Rechtsstaatsprinzip vor allem wider, daß der Gesetzgeber unabhängig vom Vorliegen einer Eingriffsabwehrkonstellation verpflichtet ist, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. 387 Zu diesen zählt auch, in welchem Maße das Schutzsubjekt geschützt werden soll, 388 und ob der Schutz durch Eingriffe in Grundrechte Dritter zu gewährleisten ist. Dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip kommen ungeachtet der gegenseitigen Verflechtung 389 eine jeweils eigenständige Stellung mit eigenen Rechtsfolgen zu. 390 Das Rechtsstaatsprinzip steht nach wie vor unter dem Aspekt des Erfordernisses einer Ermächtigungsgrundlage der Verwaltung für Eingriffe in den Rechtskreis des Bürgers im Vordergrund. Es führt daher in Bereichen zu Begründungsdefiziten, in denen nicht ausschließlich Eingriffe vorliegen, sondern Regelungen in Frage stehen, die nichts desto Trotz weitreichende Auswirkungen für das Gemeinwesen und den Einzelnen haben.391 In diesen tritt das Demokratieprinzip auf den Plan. Frühe Hinweise auf derartige Defizite des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts im organisatorischen Bereich wurden erst später, eben mit der Herleitung auch aus dem Demokratieprinzip, aufgenommen. Daraus folgt, daß bedeutsame 384

Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 16; Kloepfer, JZ 1984, 687. Im Ergebnis ebenso Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, §§ 80 I 3 (S. 383ff.), 8014 (S.388f.). 386 Vgl. schon oben 1. Auch Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 8014 (S. 388) bemängelt die oft fehlende Trennung zwischen Regelungskompetenz und inhaltlicher Reichweite der Regelungsbefugnis. 387 BVerfGE 47, 46 (78 f.); 58, 257 (268, 274ff.); Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 38. 388 Insoweit enthält jede Entscheidung für bestimmte Schutzmaßnahmen zugleich die Entscheidung gegen andere, evtl. weitergehende Schutzmaßnahmen; vgl. oben 2. 389 Dazu Hesse, Grundzüge, Rn.271 ff. 390 Vgl. auch Ibler, in: FS Maurer, S. 155. Nicht untersucht wird hier, ob eine Einengung des Anwendungsbereichs des Vorbehalts des Gesetzes oder eine Abschwächung seiner Wirkung durch die Trennung oder das gegenseitige Ausspielen der Herleitungskomponenten Rechtsstaats- und Demokratieprinzip erfolgen kann; vgl. dazu/?. Hermes, S.76ff., v.a. gegen Kloepfer, JZ 1984, 693 ff. 391 Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 33 m. Nw. 385

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Entscheidungen ohne Rücksicht auf ihren Regelungsgegenstand vom Parlament getroffen werden müssen.392 Insbesondere seitens des Bundesverfassungsgerichts wurde das Eingriffs-Erfordernis durch das Kriterium der Grundrechtsrelevanz ersetzt.393 Nach Ossenbühl ist für den Unterschied kennzeichnend, daß sich die rechtsstaatliche Komponente des Vorbehalts des Gesetzes gegen die Exekutive richtet, während sich die demokratische fordernd an das Parlament richtet, seine Gesetzgebungsaufgabe nicht zu vernachlässigen.394 Das Demokratieprinzip bedeutet somit eine Delegationsbegrenzung für den Gesetzgeber. Im dem Parlament vorbehaltenen Regelungsbereich besteht die positiv zu bestimmende Pflicht zum Erlaß parlamentsgesetzlicher Regelungen. Hier sind der Rechtsetzung und Rechtsschöpfung durch andere Gewalten inhaltliche Grenzen gesetzt - der Gesetzgeber darf die wesentlichen Entscheidungen nicht auf diese übertragen oder einfach durch diese treffen lassen. Im Rahmen des Vorbehalts des Gesetzes kommt dem Demokratieprinzip damit eine positive Funktion zu, die auch gegenüber der rechtsprechenden Gewalt von Bedeutung ist. 395 Entscheidend ist die Rückführung der wesentlichen Entscheidungen auf ihre unmittelbare demokratische Legitimation. Zugleich bedeutet dies die Verneinung eines „Totalvorbehalts" für das Parlament. 396 Eine Einbindung anderer bei der Ausgestaltung des (gesamten) Bereichs ist aber zulässig. Es besteht nur ein komplementäres, kein absolutes Delegationsverbot. 397 In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vorbehalt des Gesetzes steht der Gewaltenteilungsgrundsatz.398 Nach dem Bundesverfassungsgericht verhindert dieser eine einseitige Gewaltendominanz.399 Dem Gewaltenteilungsgrundsatz kommt insoweit aber nur eine begrenzende oder negative Funktion hinsichtlich der Tätigkeit der Gewalten zu. Aus ihm können die Befugnisse und Pflichten des Gesetzgebers sowie ihr Umfang nicht positiv bestimmt werden. 400 Für die Frage der Bedeutung 392

Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 34 m. Nw. Papier, VSSR 1990, 126 m. entspr. Nw. 394 Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 38. Dies negiert nicht die Tatsache, daß das Rechtsstaatsprinzip bei Parlamentsgesetzen zu beachten ist. Aber hier entfaltet es ebenfalls begrenzende und damit negative Wirkung; dazu auch sogleich. 395 Vgl. Pieroth/Schlink, Rn.267; Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.48. 396 Ebenso Staupe, S. 119f.; Busch, S.40f.; BVerfGE 49, 89 (124ff.); 68, 1 (87); SchmidtAßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 63 ff.; a. A. Jesch, S. 171 ff. und passim. Ein Totalvorbehalt wurde auch von Rupp, S. 113 ff. gefordert, der zur Begründung jedoch eine Veränderung des Freiheitsbegriffs vornimmt. Insoweit ähneln dem die sozial orientierten Grundrechtstheorien, nach denen Freiheit als Teilhabe und Teilhabe als Freiheit verstanden wird; so z.B. Suhr, S. 165ff.; EuGRZ 1984,534ff. Zum Ganzen auch Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn. 18 ff.; Stern, Staatsrecht I, § 20IV 4 (S. 808), beide m. w. Nw. 397 Vgl. auch Staupe, S. 136ff., 236ff., 261 ff. 398 Vgl. auch Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rn. 86 m. w. Nw. 399 BVerfGE 9, 268 (279f.); 22, 106 (111); 34, 52 (58ff.); 49, 89 (125f.); 68,1 (86f.). 400 Ebenso Staupe, S. 187 ff.; den Gewaltenteilungsgrundsatz gegenüber dem Parlamentsvorbehalt sogar in das Zentrum rückend aber Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rn. 86 ff., 118 m. w. Nw. 393

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

des Vorbehalts des Gesetzes im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihrer Erfüllung enthält der Gewaltenteilungsgrundsatz damit keine Aussagen. Er stellt allerdings ebenso wie das Rechtsstaatsprinzip einen Kontrollmaßstab für bestehende oder intendierte Schutzgesetze dar. Dementsprechend werden zur Relativierung der Wesentlichkeitslehre auch funktionale Grenzen der Gesetzgebung angeführt. 401 Der Gewaltenteilungsgrundsatz ist aber umgekehrt auch einschlägig, wenn zum Beispiel die richterliche Rechtsfortbildung legislativen Charakter annimmt. 402 Außer dem Gewaltenteilungsgrundsatz bzw. der Funktionentrennung nach Art. 20 Abs. 2 GG 4 0 3 werden im Schrifttum noch andere Herleitungen des Vorbehalts des Gesetzes vertreten. Sowohl die Heranziehung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG 4 0 4 als auch die Anführung der Zuständigkeitsvorschriften der Art. 71 ff. GG 4 0 5 oder die Berufung auf die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte 406 sind jedoch mehr Beispiele zur Verdeutlichung der herausragenden Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes, als Begründungen für seine umspannende Geltung. Insoweit sind sie allesamt Spezialausprägungen des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes.407 Art. 80 Abs. 1 GG bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive auf Bundesebene.408 Ebenso erfassen die Art. 71 ff. GG nur die Bereiche der Bundesgesetzgebung. Auf Regelungspflichten der im horizontalen Verhältnis 409 stehenden 401

Vgl. R. Hermes, S. 121 ff.; dazu unten Kap. 3 II. 2. Vgl. Neuner, S. 54 ff. m. w. Nw. Zu den Kategorien des gesetzesvertretenden, gesetzeskorrigierenden und gesetzeskonkurrierenden Richterrechts und seinen verfassungsrechtlichen GrenzenIpsen, S.79ff., 90ff., 104ff., 233ff.; Stern, Staatsrecht II, §37112 (S.583ff.); Ossenbühl, in: HStR III, § 61 Rn. 36ff., alle m. w. Nw. Zu Möglichkeiten und Grenzen richterlicher Gesetzesderogation aber wiederum Neuner, S. 139 ff. und passim. 403 Vgl. soeben und weiter Staupe, S. 187 ff. m.w.Nw. 404 Diskutiert z. B. von Staupe, S. 189 f., der sich zur Unterstützung auf frühe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - z. B. BVerfGE 1, 14 (59f.); 7,282 (302f.); 20,257 (268 ff.); 34,52 (60) - beruft, deren Modifizierung durch die Zuhilfenahme verfassungsrechtlicher Prinzipien, insbesondere des Rechtsstaats-, Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips etwa durch BVerfGE 58, 257 (277 f.); 62, 203 (219), jedoch selbst einräumt. Vgl. auch Burmeister, S. 32. 405 Diskutiert z.B. von Bleckmann,DÖV 1983,129 ff. der den Zuständigkeitsvorschriften im Ergebnis immerhin Kriterien für die nähere Abgrenzung des anderweitig verankerten Gesetzgebungsvorbehalts entnehmen will. 406 Diskutiert z.B. von Staupe, S. 193ff. 407 Gegen die Herleitung aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auch Staupe, S. 189 f.; gegen die Herleitung aus den Art.71 ff. GG auch Menzel, DÖV 1983, 805; Staupe, S. 191 f.; gegen die Herleitung aus den grundrechtlichen Gesetzes vorbehalten auch R. Hermes, S. 81 ff.; Staupe, S. 193 ff.; Wülfling, S.43; v.Münch, in: v. Münch/Kunig, Vorb. Art. 1-19, Rn.54. 408 Aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG könnten sich allerdings allgemeine, das heißt über den Bereich der Rechtsverordnungen hinausreichende Anforderungen an die Regelungsdichte der Parlamentsgesetze ergeben; gegen eine Anwendung z. B. auf die Ermächtigung beim Erlaß von Satzungen aber die h. M.; stellvertretend Kleine-Cosack, S. 217 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 80 Rn. 10, beide m. entspr. Nw. 409 Die Stellung des Parlaments ist dagegen im vertikalen Verhältnis, d. h. gegenüber normenhierarchisch untergeordneten, nicht parlamentarischen Normgebern bedeutsam. 402

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Länderparlamente kann aus ihnen nicht geschlossen werden. 410 Die Grundrechtsvorbehalte sind der Eingriffsabwehrfunktion des jeweiligen Grundrechts zuzuordnen und auf diese beschränkt. 411 b) Bestimmung des parlamentarischen Regelungsbereichs und der notwendigen Regelungsstruktur und -dichte Die Bestimmung des parlamentarischen Regelungsbereichs, das heißt die Entwicklung von Maßstäben, wann das Parlament tätig werden muß, wird in der Literatur auch als Tatbestandsseite des Parlamentsvorbehalts bezeichnet412 und in Verbindung mit sachspezifischen Kriterien gebracht. 413 Der Inhalt parlamentarischer Regelungen - Regelungsstruktur, -gehalt und -dichte - wird dagegen als Rechtsfolgenseite des Parlamentsvorbehalts angesehen414 und durch normspezifische Kriterien präzisiert. 415 aa) Parlamentarischer Regelungsbereich Aus der dogmatischen Begründung des Vorbehalts des Gesetzes folgt die Verpflichtung des Parlaments, die wesentlichen Entscheidungen in einem Sachbereich selbst zu treffen. 416 Nach Böckenförde fallen insoweit der Gesetzesvorbehalt - entsprechend der hier verwandten Terminologie auch der Vorbehalt des Gesetzes - und der Parlamentsvorbehalt inhaltlich zusammen.417 Das Kriterium der Wesentlichkeit wurde vom Schrifttum auch für den Bereich der grundrechtlichen Schutzpflicht aufgenommen.418 Demgegenüber wird auch vertreten, daß Wesentlichkeit im Sinne des Erfordernisses einer parlamentsgesetzlichen Regelung nur bei Grundrechtsbeein410

Diese sind auch in der vorliegenden Untersuchung relevant: Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG kommt dem Bund die Zuständigkeit für die ärztliche Berufsausbildung zu, die Regelung der ärztlichen Berufsausübung fällt dagegen in den Zuständigkeitsbereich der Länder; diese grundsätzliche Unterscheidung wird allerdings durch die Inanspruchnahme der Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 12, 19 a, 26 GG durch den Bund deutlich aufgeweicht. 411 Beispielhaft für Art. 2 Abs. 2 GG oben 2. 412 Vgl. Staupe, S. 103, 104ff.; zu den Begriffsbestimmungen oben 1. 413 Vgl. R. Hermes, S. 103, 104 ff. 414 Staupe, SA03, 128ff. 415 R. Hermes, S. 103, 121 ff. 416 Vgl. nur BVerfGE 49, 89 (126f. - Kalkar I) m. zahlr. Nw. zur Entwicklung dieser Rspr.; daneben BVerfGE 47,46 (78 f.); 58, 257 (268, 274ff.) aus dem Bereich des Schulrechts. 417 Böckenförde, S. 391 ff., 360; dagegen Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.40; differenzierend auch Maurer, in: FS Vogel, S. 341 f. 418 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 8014 (S. 388); G. Hermes, S. 259.; die Bedeutung des Wesentlichkeitskriteriums außerhalb des Eingriffsbereichs betonend Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 152. Ausführliche Nw. zur terminologischen Verfestigung der „Wesentlichkeitstheorie" in der verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Lit. bei Staupe, S. 24 (Fn. 7); zur Kritik sowohl am Begriff „Theorie" als auch bzgl. der inhaltlichen Kemaussage Staupe, S. 24,104 ff.; Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.41.

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

trächtigungen gegeben sei. 419 Dies ist aufgrund der dargestellten übergreifenden Geltung und Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes abzulehnen.420 Kritischen Stimmen421 ist zuzugeben, daß das Kriterium der Wesentlichkeit ohne Präzisierung untauglich ist. Bliebe es bei der schlichten Aussage, daß die wesentlichen Entscheidungen im Staat dem Parlament vorbehalten sind, wäre es ebenso rhetorisch einprägsam wie rechtlich unklar. 422 Ebenso ist es keine Errungenschaft des Grundgesetzes, daß die wirklich wichtigen Dinge im System einer parlamentarischen Demokratie durch das Parlament entschieden werden müssen.423 Zutreffend beschränkt das Bundesverfassungsgericht das Kriterium der Wesentlichkeit auf den jeweiligen Sachbereich. 424 Auch für das Arzt-Patienten-Verhältnis und Gesundheitsrecht muß eine spezifische Bestimmung des Begriffs der Wesentlichkeit erfolgen. Die Notwendigkeit der speziellen Applikation ist dem unbestimmten Begriff „wesentlich" gleichsam immanent. In diesen Sinne hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff „wesentlich" weiter dahin präzisiert, daß er in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" bedeute.425 Und diese erfuhren ihre inhaltliche Bedeutung schon immer durch die Lebenssachverhalte und damit in gegenständlichen Sachbereichen. Durch die Vorgabe der Verwirklichung der Grundrechte ist auch die Unterscheidung zwischen staatlicher Eingriffs- und Leistungstätigkeit hinfällig geworden. 426 Wesentlichkeit im Sinne der Verwirklichung der Grundrechte ist dann gegeben, wenn mehrdimensionale oder komplexe Grundrechtsregelungen zu treffen sind, das heißt die Abgrenzung von Sphären mehrerer Grundrechtsträger vorzunehmen ist. 427 Noch mehr gilt dies für die Ordnung und Strukturierung eines gesellschaftlichen Rechts- und Lebensbereichs.428 Die dadurch geforderte Grundrechtsrelevanz eines Sachbereichs setzt sich innerhalb der Grundrechtsordnung fort. Auch wenn die einzelnen Grundrechte grundsätzlich 419

Vogel, in: HStR I, § 27 Rn. 49, allerdings hinsichtlich Finanzierungsmaßnahmen. Dazu kommt, daß auch bei der Erfüllung der Schutzpflicht Grundrechtsbeeinträchtigungen auftreten können, sei es durch geringe Schutzmaßnahmen, sei es durch Schutzregelungen zu Lasten der Angreifer oder Dritter. 421 Stellvertretend Pieske, DVB1. 1977, 675 ff. für das Schulrecht; allgemein Kloepfer, JZ 1984, 692f. m. w.Nw.; Kisker, NJW 1977, 1313 ff., insbesondere mit Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG (S. 1317 f.), dessen neuer Herleitung des Vorbehalts des Gesetzes aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip und seiner Bedeutung für die Verwirklichung der Grundrechte im Sinne von „wesentlich" aber zustimmend (S. 1318). 422 Kloepfer, JZ 1984, 689. 423 Staupe, S. 105ff.; Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.41, beide m. w.Nw. auch zur Kritik am BVerfG. 424 So z. B. BVerfGE 47, 46 (78) für den Bereich des Schulwesens oder Schulrechts. 425 BVerfGE 47,46 (79f.) m. w. Nw. zur Rspr.; Rspr.-Nw. auch bei Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn. 45. 426 Im Ergebnis ebenso Kisker, NJW 1977, 1318; Böckenförde, S. 391 f. 427 Vgl. Staupe, S. 241 f.; G. Müller, S. 110ff.; R. Hermes, S. 104ff. 428 Staupe, S. 247 mit dem Beispiel des Sozialsystems. Dementsprechend führt G. Müller, S. 111 ff. auch die Größe des Adressatenkreises, die politischen und finanziellen Auswirkungen sowie die öffentliche Akzeptanz als Kriterien an. 420

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

gleichrangig sind, ist nicht zu leugnen, daß den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit als „Höchstwerten" 429 herausragende Bedeutung zukommt. Für die Menschenwürde ist dies durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ausdrücklich bestimmt. Durch das Abstellen auf die Grundrechtsrelevanz und -intensität bestimmter Bereiche sowie die Herausarbeitung spezifischer Rechtsgutsbeeinträchtigungen in Form von Schutzdefiziten und entsprechender Abhilfe durch Schutzmaßnahmen wird auch eine doppelte Verwendung des Wesentlichkeitskriteriums vermieden. Der insbesondere dem Bundesverfassungsgericht gemachte Vorwurf der doppelten Verwendung des Wesentlichkeitskriteriums - auf der Tatbestandsseite zur Begründung der Notwendigkeit parlamentarischer Regelung und auf der Rechtsfolgenseite zur Bestimmung der Regelungspunkte430 - stellt die unumgängliche Konkretisierung des Begriffs „wesentlich" damit mehr klar, als daß er eine Alternative aufzeigt. In der Rechtswirklichkeit hat der zum Parlamentsvorbehalt verdichtete Vorbehalt des Gesetzes seine Bedeutung durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor allem Anfang der 70er-Jahre gewonnen. Diese hat der offenen und verdeckten Delegation von Normsetzungsbefugnissen auf nicht unmittelbar demokratisch legitimierte Normgeber Grenzen gezogen und damit sowohl die Handlungsbefugnis als auch die Handlungspflicht des Gesetzgebers gestärkt, der weniger Verantwortung auf andere Schultern abwälzen kann. 431 Die Anwendung des Vorbehalts des Gesetzes gegenüber der Rechtsprechung432 vervollständigt die Pflicht des Parlaments, sich dem Schutz grundrechtlicher Güter gegen staatliche Eingriffe und gesellschaftliche Bedrohungen anzunehmen. Die Schutzgewährung wird durch die selbständige Grundrechtsbindung der anderen Gewalten ergänzt. Der Grundrechtsschutz rückt so in das Zentrum staatlicher Tätigkeit und kann vom Bundesverfassungsgericht überwacht werden. Dem Bundesverfassungsgericht wird diesbezüglich zwar vorgeworfen, es habe mit dem Wesentlichkeitskriterium nur eine theoretisierende Bemäntelung freier richterlicher Dezision vorgenommen - wesentlich sei, was das Gericht dafür hält. 433 Diese Kritik ist aber schon deswegen zu relativieren, weil sowohl das Problem als auch die (verfassungs)gerichtliche Problembefassung verfassungsrechtlich vorgezeichnet und unumgänglich sind. Nach den bislang gewonnenen Erkenntnissen 434 erscheinen damit alte und grundlegende Probleme im Arzt-Patienten-Verhältnis gleichsam in neuem Gewand. 429 Begriff nach BVerfGE 39,1 (36,42); 46,160 (164); 49,24 (53); ebenso Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn.5; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 I I Rn. 10f. 430 Dazu Staupe, S. 138; Kloepfer, JZ 1984, 691 f., beide m. entspr. Nw. zur Rspr. 431 Im Ergebnis ebenso Ossenbühl, in HStR III, § 62 Rn.42; Kleine-Cosack, S. 28. Allgemein zu offener und verdeckter Delegation, sowie zu Parlamentsvorbehalt und „Wesentlichkeitstheorie" Staupe, S. 34ff., 103 ff. und passim. 432 Vgl. BVerfGE 88, 103 (115ff.); Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.48; Pieroth/Schlink, Rn. 267; dazu weiter unten IV. 2. a). 433 So Kloepfer, JZ 1984, 692. 434 Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die Entwicklung und Möglichkeiten der modernen Medizin, Verhältnis der Verfassung insbesondere zum Zivilrecht; vgl. oben I. sowie Kap. 1 I., Einleitung.

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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Die im Bereich der modernen Medizin auftretenden Fragen sind noch dazu nicht nur rechtlicher Natur. Oftmals handelt es sich vielmehr um Wertungskonflikte mit ethischem oder moralischem Hintergrund. Angesichts der grundlegenden Bedeutung dieser Fragen für die Rechtsgemeinschaft und das Individuum kann sich der parlamentarische Gesetzgeber seiner Verantwortung nicht entziehen - ihre Beantwortung darf weder in einen rechtsfreien Raum privater Beliebigkeit verwiesen, noch der Selbstregulierung durch Standesorganisationen und Interessenverbände überlassen werden. 435 Dies gilt auch gegenüber weitgreifenden „Regelungen" durch die Fachgerichtsbarkeit. 436 Der beschriebene grundrechtliche Bezug ist m.E. geeignet, auch im Rahmen der Schutzpflicht zur Bestimmung der vom Parlament zu regelnden Bereiche im Arzt-Patienten-Verhältnis beizutragen. 437 Allerdings ist das ArztPatienten-Verhältnis ebenso wenig wie das Gesundheitsrecht insgesamt ein in diesem Sinne wesentlicher Bereich. Vielmehr treten in ihm besondere grundrechtliche Konfliktlagen auf, deren verfassungsrechtliche Beurteilung im Hinblick auf die Anforderungen der Schutzpflicht auch vom bislang bestehenden Regelungsgefüge abhängt. Die hier entwickelten verfassungsrechtlichen Vorgaben sind damit stets in Bezug zu den Ausführungen zur einfach-rechtlichen Erfassung und Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im zweiten Teil der Untersuchung (B) zu setzen. Erst dort können abschließende Aussagen über grundrechtliche Schutzdefizite und die entsprechende Position des Gesetzgebers bei der Schutzpflichterfüllung gemacht werden. Dasselbe gilt für die nun zu beleuchtenden Anforderungen an die legislative Regelungsstruktur und -dichte. bb) Regelungsstruktur und -dichte der Parlamentsgesetze Kriterien für die Schutzpflichterfüllung Entsprechend der Thematik der Untersuchung ist die nachfolgende Auswertung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Bedeutung parlamentarischer Regelungen bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG konzentriert. In der Literatur wurden dagegen bislang überwiegend allgemeine Anforderungen an parlamentarische Regelungen entwickelt, die sich m. E. aber durchaus ergänzend in ein normatives Schutzpflichtkonzept einfügen lassen. Da der Umfang und die Reichweite der Schutzpflichterfüllung durch das Parlament zum einen untrennbar mit der Frage der zulässigen Delegation auf andere Adressaten der Schutzpflicht verbunden und zum anderen manche Kriterien ohne weiteres von allen Adressaten zu beachten sind, werden diese Aspekte nachfolgend 435 Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn.48 m. w. Nw., der zutreffend auch die Verantwortung des Gesetzgebers für rechtsstaatliche berechenbare Regelungen hervorhebt. Dazu unten III. 436 Dazu allgemein unten IV. sowie B Kap. 1 (Zivilrecht), Kap. 2 (Strafrecht), Kap. 3 II. (Sterbehilfe). 437 Allgemein zu den damit verbunden Schwierigkeiten, aber auch mit Lösungsansätzen z.B. Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 44ff.; Staupe, S. 236ff.; R. Hermes, S. 121 ff.; G. Müller, S.llOff.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

mit einbezogen. Die dadurch auftretende Problembündelung ist einer die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und Literaturauffassungen aufspaltenden Darstellung vorzuziehen. Die insbesondere in der Rechtsprechung zu beobachtenden Widersprüche treten so ebenfalls besser zu Tage. (1) Kriterien

des Bundesverfassungsgerichts

(a) Grundanforderungen an die staatliche Schutzgewährung Der Staat muß Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art treffen, die dazu führen, daß ein unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter angemessener und wirksamer Schutz erreicht wird. 438 Bezüglich der Qualität oder Intensität des Rechtsgüterschutzes wird auch gesagt, daß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bestmöglichen 439 oder umfassenden 440 oder ausreichenden441 Rechtsgüterschutz gebietet.442 Allgemein hängen Umfang und Intensität des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes von der Bedeutung des betroffenen Rechtsgutes ab. 443 Auch das Bundesverfassungsgericht scheint damit einer Rangordnung der Grundrechtsgüter innerhalb der Wertordnung gegenüber aufgeschlossen. Die Beschränkung auf „normative Bereiche" 444 ist allerdings zirkelschlüssig und abzulehnen: Gerade im Bereich der Gesetzgebung steht ein inhaltliches Tätigkeitsfeld nicht fest und ist erst zu bestimmen; von vornherein festgelegte normative Bereiche bestehen nicht. 445 Hinsichtlich der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen die Schutzmaßnahmen einem Untermaß verbot. 446 Das Bundesverfassungsgericht erkennt einen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich Art und Umfang der Schutzgewährung an. 447 Der Verfassung seien insoweit keine Vorgaben über die 438 BVerfGE 88, 203 (252ff., 261) - Schwangerschaftsabbruch II; BVerfG, NJW 1996, 651 - Ozonkonzentration, für Leben und körperliche Unversehrtheit. Zur Zulässigkeit lebenslanger Freiheitsstrafe zum wirksamen Schutz des Lebens jedes Menschen mit den Mitteln des Strafrechts schon BVerfGE 45, 187. 439 BVerfGE 57, 70 (LS 1 , 2 b - Krankenversorgung) für die körperliche Unversehrtheit. 440 BVerfGE 39, 1 (42) - Schwangerschaftsabruch I; 57, 250 (285 - Zeugenschutz) für das Leben. 441 BVerfGE 77, 381 (403) - Gorleben. 442 Dies bedeutet keinen absoluten Schutz; BVerfGE 49, 89 (143) - Kalkar I; 56, 54 (80). 443 BVerfGE 39, 1 (42); ähnlich BVerfGE 46, 160 (164) - Schleyer; 49, 24 (53) - Kontaktsperre. 444 BVerfGE 49, 89 (126 f.) - Kalkar I. 445 Ablehnend ebenfalls Staupe, S. 154 m.Nw.; vgl. auch Lauer, S. 16ff. 446 BVerfG, NJW 1996,651 unter Verweis auf BVerfGE 88,203 (254) - Schwangerschaftsabbruch II, in der dezidierte Aussagen zu den Anforderungen des Untermaßverbotes, insbesondere zu mit dem Leben kollidierenden Grundrechten und der Bedeutung von Strafvorschriften, erfolgen. Ausführlich zu Grenzen der Schutzpflichterfüllung durch den Gesetzgeber auch BVerfGE 56, 54 (80ff.) m.w.Rspr.-Nw. - Fluglärm. Vgl. auch Unruh, S.79ff. m. w.Nw.; zum Begriff „Untermaßverbot" schon Jarass, AöR 110 (1985), 395. 447 BVerfGE 39, 1 (44); 77, 170 (214f.); 88, 203 (254).

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

Ausgestaltung des Schutzes im einzelnen zu entnehmen, es bestehen jedoch Mindestanforderungen dergestalt, daß die Schutzvorkehrungen angemessenen und wirksamen Schutz gewährleisten müssen.448 Das Untermaß verbot wird zum Teil als inhaltlicher und begrifflicher Gegenpol zum Übermaßverbot in der Eingriffsabwehrkonstellation eingeordnet. 449 Zutreffend ist, daß es bei der Abwehr staatlicher Eingriffe stets um ein konkretisierbares Unterlassen geht, bei der Schutzgewährung dagegen nicht notwendig um nur eine bestimmte Handlung.450 Zwingend folgen hieraus jedoch weder geringere verfassungsrechtliche Anforderungen, noch eine erheblich eingeschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. 451 Auch das Bundesverfassungsgericht betont, daß die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers von der Eigenart des einschlägigen Sachbereichs und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter abhängt.452 Ebenso spricht die vom Gericht ausgesprochene Notwendigkeit eines wirksamen, umfassenden oder gar bestmöglichen Rechtsgüterschutzes für beachtliche verfassungsrechtliche Bindungen und verfassungsgerichtliche Kontrolle. Die genannten Entscheidungen relativieren auch die andernorts geäußerte Auffassung, daß nur überprüft werden könne, ob die getroffenen Schutzmaßnahmen nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien.453 Dementsprechend sind auch Fälle denkbar, in denen Schutzgesetze nicht weniger strengen Maßstäben als Eingriffsgesetze unterliegen. So zum Beispiel, wenn staatliche Genehmigungen für Vorhaben erteilt werden, die die körperliche Integrität Dritter Gefährdungen aussetzen, die diese nicht beeinflussen und denen sie kaum ausweichen können.454 Durch die Genehmigungsentscheidung übernimmt der Staat eine Mitverantwortung für die (gegebenenfalls nur potentielle) Gefährdung, die es als geboten erscheinen läßt, diese Maßstäbe bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Genehmigung anzulegen.455 Ist mit der Erfüllung der Schutzpflicht ein Eingriff in Grundrechte des Dritten oder anderer verbunden, so sind deren formelle und materielle Anforderungen zu beachten, wobei der Abwägung der kollidierenden Güter unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit maßgebliche Bedeutung zukommt. 456 448

BVerfGE 88, 203 (254 f.). Vgl. z.B. Canaris, Grundrechte, S.83ff., 98. 450 Alexy, S.420. 451 Die Bedeutung des Untermaßverbotes deutlich zurückstufend auch Hain, DVB1. 1993, 982ff.; Unruh, S. 83 ff. 452 BVerfGE 50, 290 (332 f.). 453 BVerfGE, NJW 1997, 2509; NJW 1998, 2961 (2962), beide m.w.Nw. zur Rspr. 454 BVerfGE 53, 30 (58) - Mülheim-Kärlich. 455 BVerfGE 53, 30 (58). Hier kann die Verbindung zum ärztlichen Kammerwesen hergestellt werden, da die Landesärztekammern Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und ihre Satzungen der Genehmigung der (Rechts)Aufsichtsbehörde bedürfen. Die Mitverantwortung besteht auch bei mittelbaren rechtlichen oder tatsächlichen Wirkungen der Standesrechtssätze auf die Patienten als externe Dritte; dazu ausführlich unten III. 456 Vgl. BVerfGE 49, 24 (53 ff.). 449

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

(b) Dynamischer Rechtsgüterschutz Alle Schutzvorkehrungen müssen auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen. 457 Dies betrifft nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch die verwaltungsbehördlichen oder fachgerichtlichen Entscheidungen. In diesem Zusammenhang besteht die Pflicht zu dynamischem Rechtsgüterschutz.458 Insbesondere der Gesetzgeber ist daher zu neuerlichem Tätigwerden oder „Nachfassen" gegenüber bestehenden Regelungen verpflichtet, wenn neue Entwicklungen zu neuen Gefahren führen. 459 Diesbezüglich betont das Gericht sowohl die Zulässigkeit als auch die Bedeutung der im Umweltrecht vom Gesetzgeber angewandten Verweisungstechnik durch Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „Standes der Wissenschaft und Technik". 460 Während sich Verwaltungsbehörden und Gerichte bei der Verweisung auf „allgemein anerkannte Regeln der Technik" auf die Ermittlung der herrschenden Auffassung beschränken können, wird beim „Stand der Technik" der Maßstab für das Erlaubte und Gebotene an die Front der technischen Entwicklung verlagert - hier sind allgemeine Anerkennung und praktische Bewährung allein nicht ausschlaggebend.461 Durch die genannte Verbindung von Wissenschaft und Technik übt der Gesetzgeber noch stärkeren Zwang dahin aus, daß die rechtliche Regelung mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt hält: Es muß die Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Läßt sich diese technisch noch nicht verwirklichen, darf eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt werden - die erforderliche Vorsorge wird nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt. 462 Dieses Vorgehen dient dem jeweils best457

BVerfGE 88, 203 (254, 261 ff.). BVerfGE 49, 89 (LS 5,131 ff.), allerdings unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher Bestimmtheit. Problematisch am Verweis auf den „(aktuellen) Stand der Wissenschaft und Technik" ist das Verhältnis von Gesetzgeber zu bestimmender/ausfüllender Exekutive und verwaltungsgerichtlicher Nachprüfbarkeit. 459 In BVerfGE 49, 89 (132) nimmt das Gericht an, daß die „staatlichen Organe, mithin auch der Gesetzgebers, aus ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht, dem gemeinen Wohl zu dienen, insbesondere wegen der aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden objektiv-rechtlichen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen zu schützen, gehalten (sind), alle Anstrengungen zu unternehmen, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und ihnen mit den erforderlichen, verfassunsgmäßigen Mitteln zu begegnen." Nach zutreffender Einschätzung von Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 80 ist der Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Reaktorrisiken nur schwer vermittelbar, so daß das Gericht heute folgerichtig von der Rückkopplung an Art. 1 Abs. 1 GG absieht; nach Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 80 seit BVerfGE 53, 30 (57)-Mülheim-Kärlich. Bei Anzeichen des Auftretens von mit einiger Wahrscheinlichkeit ausgehenden Gefahren ist der Gesetzgeber zu neuerlichem Tätigwerden verpflichtet; BVerfGE 49, 89 (132). 460 Der zugleich dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht; BVerfGE 49, 89 (134 ff.). Die Verbindung zu dem bei der Schutzpflichterfüllung zu beachtenden Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes stellt das Gericht allerdings nicht her. 461 BVerfGE 49, 89(135). 462 BVerfGE 49, 89(136). 458

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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möglichen Grundrechtsschutz, das heißt der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. 463 Im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot wäre die Normierung eines bestimmten Sicherheitsstandards ein Rückschritt auf Kosten der Sicherheit, so daß eine entsprechende Verpflichtung das Mißverstehen des Bestimmtheitsgebots bedeuten würde. Das Gericht erkennt damit das Übergewicht des materiellen Rechtsgüterschutzes vor dem Bestimmtheitsgebot an; eine Sichtweise, die möglicherweise auch auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und die föderalen Zuständigkeitsregelungen übertragen werden kann. 464 (c) Präventiver und sanktionierender Rechtsgüterschutz Es gilt der Grundsatz des Vorrangs der Prävention vor der Sanktion.465 Wenn nicht schon den Begriffen Rechtsgüterschutz oder Schutzpflicht der Aspekt der Prävention oder der Verhinderung der Rechtsgutsverletzung und des Schadenseintritts immanent ist, ergibt sich dieser aus der Anknüpfung der Schutzpflicht an Gefahren oder Gefährdungen der Rechtsgüter, die bis zur Risikovorsorge gehen kann. Bei vorhersehbaren, das heißt im Rahmen der praktischen Vernunft liegenden Geschehensabläufen von der Ersthandlung bis zum Schadenseintritt gibt die grundrechtliche Schutzpflicht damit ein möglichst frühzeitiges Handeln vor, um weitergehende Beeinträchtigungen zu verhindern. 466 Die Notwendigkeit der Prävention könnte auch aus dem vom Gericht geforderten „bestmöglichen" Rechtsgüterschutz abgeleitet werden. 467 Das vom Gesetzgeber zu entwickelnde Schutzkonzept bedarf zudem miteinander zu verbindender Elemente des präventiven wie des repressiven Schutzes.468 Inner463

BVerfGE 49, 81 (137 ff.). Im Gesundheitsrecht besteht eine vergleichbare Problematik durch die Verweise auf den Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik in verschiedenen Gesetzen oder durch die schlichte Forderung nach kunstgerechter Behandlung im Rahmen der Arzthaftungsprozesse; dazu ausführlich unten III. sowie im Teil B. 464 Sehr großzügig bei der Auslegung des Art.74 GG zu Gunsten des Bundes z.B. BVerfGE 98, 265 - Bay. Schwangerenhilfeergänzungsgesetz. Fehlende Bestimmtheit führt auch zu Rechtsunsicherheit, die aber dort in Kauf genommen werden muß, wo der Gesetzgeber ansonsten gezwungen wäre, unpraktikable Regelungen zu treffen oder von einer Regelung gänzlich Abstand zu nehmen, was letztlich beides zu Lasten des Grundrechtsschutzes ginge; BVerfGE 49, 89(137). 465 BVerfGE 39, 1 (44, 52 f. - Schwangerschaftsabbruch I) unter Verweis auf BVerfGE 30, 336 (350). 466 Im Hinblick auf Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG sind auch von der konkreten Verletzung entfernte Gefährdungen und dort unterlassener Schutz als Grundrechtsverletzung anzusehen. Nach BVerfGE 49, 89 (141 f.) kann die Schutzpflicht auch den Ausschluß von Rest- oder Mindestschäden sowie die Eindämmung von Gefahren vorgeben; zur Schutzpflicht bei Gesundheitsgefahren auch BVerfGE 87, 363 (386); zur vorgreiflichen Gefahrenabwehr BVerfGE 53, 30 (94 f.). 467 Nachzugehen ist daher der Frage, inwieweit im Arzt-Patienten-Verhältnis präventive Elemente rechtsverbindlich etabliert sind - eindeutig dominant ist de lege lata das sanktionierende Element der Arzthaftung; dazu ausführlich unten B. 468 BVerfGE 88, 203 (261).

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

halb dieses Rahmens sind grundsätzlich alle tatsächlichen Schutz gewährenden Maßnahmen rechtlicher Art als tauglich einzuordnen: Bürgerlich-rechtliche und öffentlich-rechtliche, insbesondere sozial- oder strafrechtliche. 469 Zielvorgabe bei der legislativen Schutzpflichterfüllung ist der Ausschluß (auch) von Rest- oder Mindestschäden, die eine Grundrechtsverletzung bedeuten würden. 470 Verfassungsrechtliche Schutzpflichten können zudem gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab. 471 Entscheidend an dieser Judikatur ist die grundsätzliche Einräumung der Möglichkeit von Detailvorgaben. (d) Schutz durch Strafrecht und Bürgerliches Recht Strafrechtliche Vorschriften kommen nur als ultima ratio in Betracht. 472 In einem Sondervotum wird verfeinernd ausgeführt, daß strafrechtliche Schutzgesetze am stärksten in Rechte des Angreifers eingreifen, da in der Androhung von Strafen auch eine sittliche Mißbilligung zu sehen ist, die eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts und der Handlungsfreiheit des Betroffenen bedeutet. Sie kommen nur in Betracht, wenn zu schützende gewichtige elementare Gemeinschaftsgüter auf dem Spiel stehen und sind daher nicht das primäre Mittel rechtlichen Schutzes.473 Strafrecht als ultima ratio ist nur dann erforderlich, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist. 474 Die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege als verfassungsrechtliche Pflicht des Staates verhindert abgesehen von 469 BVerfGE 39, 1 (46 f.) mit der Verengung auf strafrechtliche, wenn der gebotene Schutz auf keine andere Art und Weise erreicht werden kann („ultima ratio"). 470 BVerfGE 49, 89 (140 f.) für anlagenspezifische Schäden. 471 BVerfGE 49, 89(142). 472 BVerfGE 39, 1 (46 f.). 473 Sondervotum 1 zu BVerfGE 90, 145 (201 - Cannabisprodukte) m. Nw. zu nicht den Schutzpflichtaspekt thematisierenden Entscheidungen. Dort wird hinsichtlich der Einordnung eines Verhaltens als strafwürdig zugleich ein beschränkter Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers angenommen (S.202 unter Verweis auf BVerfGE 37, 201 [212]). Feststehend sind danach ein Kernbereich und aus diesem herausfallende mindergewichtige Tatbestände, während der dazwischen liegende Grenzbereich stark den wechselnden Anschauungen der Rechtsgemeinschaft und damit die Bewertung der Verhaltensweisen dem Wandel unterworfen ist, so daß dessen Bestimmung dem Gesetzgeber zukommen soll (S.202, 209ff. unter Verweis auf BVerfGE 27, 18 [29f.]; 37, 201 [212]). Zu Wirkung und Grenzen strafrechtlicher Regelungen (Übermaßverbot, Bestimmtheitsgebot) und einer allgemeinen Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers bei neuen Erkenntnissen/ Gefahreneinschätzungen auch das Sondervotum 2 zu BVerfGE 90, 145 (212ff.). 474 BVerfGE 88, 203 (258); Sondervotum 1 zu BVerfGE 90, 145 (201 f.).

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

einer Amnestie und gesetzlichen Ausnahmen allerdings auch, daß der Staat nach seinem Belieben generell oder im Einzelfall auf die Durchsetzung des Strafanspruchs verzichten darf. 475 Anzumerken ist, daß die Richterin Graßhof eine bedenkenswerte Verbindung zwischen der Art und Intensität der Gefährdung und dem Schutz durch Strafgesetze in Form abstrakter Gefährdungsdelikte herstellt, 476 die spezifische Fragen der Schutzpflichterfüllung durch die Legislative aufwirft. Im bürgerlichen Recht kommt gesetzlichen Schutzregelungen ergänzende Funktion zu, die eine Gewährung zusätzlichen Schutzes schon im Hinblick auf die Vertragsgestaltung ermöglichen. 477 Diesbezüglich führt das Gericht aus, daß ein besonderer gesetzlicher Schutz nicht deswegen entbehrlich ist, weil eine Tätigkeit durchweg aufgrund freiwillig getroffener Vereinbarungen verrichtet wird. Das dem Vertragsrecht zugrunde liegende Prinzip der Privatautonomie kann hinreichenden Schutz nur gewährleisten, soweit die Bedingungen freier Selbstbestimmung gegeben sind. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. 478 Den objektiven Grundentscheidungen der Verfassung, die das Entgegenwirken sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichts verlangen, ist durch flankierende Maßnahmen des Gesetzgebers Rechnung zu tragen. 479 In der genannten Entscheidung wurden aber dem Gesetzgeber unter Verweis auf dessen weiten Wertungs- und Gestaltungsspielraum keine inhaltlichen Vorgaben gemacht. Im Hinblick auf die Einordnung des Strafrechts als ultima ratio kann dem zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz vorgreifliche und entlastende Bedeutung zukommen. In zivil- und strafrechtlich relevanten Rechtsverhältnissen wie zwischen Arzt und Patient ist daher gegenüber einer nur ergänzenden Funktion zivilrechtlicher Schutzregelungen Zurückhaltung angebracht. 480

475

BVerfGE 46, 214 (222 ff.) - Strafvollstreckung; das Erfordernis der Fortsetzung eingeleiteter Verfahren und der Vollstreckung rechtskräftig verhängter Strafen ergibt sich zudem aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG (im Hinblick auf andere Beschuldigte); BVerfGE 46,214(223). 476 Sondervotum zu BVerfGE 90, 145 (203 ff.). Insgesamt sollte die präventive Schutzwirkung von Strafgesetzen aber nicht überschätzt werden; vgl. unten B Kap. 2. 477 BVerfGE 85, 191 (213)-Nachtarbeit. 478 BVerfGE 85, 191 (213) mit der weiteren Bemerkung, daß die geschilderte Situation typisch beim Abschluß von Arbeitsverträgen sei. Zum Aspekt des Schutzes des sozial Schwachen im Zivil(prozeß)recht auch BVerfGE 49, 220 (226) - Zwangsvollstreckung; im Kontext auch das Sondervotum, S. 228 ff. 479 BVerfGE 85, 191 (213). 480 Dazu unten B Kap. 1, Kap. 2.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

(e) Aktive und passive Schutzmaßnahmen Zu unterscheiden ist zwischen aktiven und passiven Schutzmaßnahmen:481 Bei der Schutzpflichtkonstellation, die die staatlichen Organe gleichsam dem Schutzsubjekt gegenüber dem eingreifenden Dritten zur Seite treten läßt, stellt sich allgemein die Frage, ob die Schutzmaßnahmen aktiv an der Gefahrenquelle, das heißt gegenüber dem Verursacher oder passiv beim Schutzsubjekt anzuknüpfen haben.482 Nach dem Bundesverfassungsgericht reichen passive Schutzmaßnahmen unter dem Blickpunkt eines wirksamen Grundrechtsschutzes nicht aus.483 Im Arzt-Patienten-Verhältnis ist diese Unterscheidung schon deshalb nicht von weitreichender Bedeutung, da die Vermeidung von Rechtsgutsbeeinträchtigungen im Interesse des Patienten und des Arztes liegt. An der Betonung aktiver Schutzmaßnahmen zeigt sich jedoch, daß sich in der dreipoligen Schutzpflichtkonstellation die staatlichen Schutzmaßnahmen regelmäßig über Einriffe in Grundrechte des Angreifers vollziehen. (2) Auffassungen im Schrifttum Sehr zurückhaltend ist die Auffassung von Isensee, nach dem der grundrechtlichen Schutzpflicht keine unmittelbaren Rechtswirkungen zukomme, da sie abstrakt und konkretisierungsbedürftig sei und deswegen nur nach Maßgabe der Gesetze gelte. 484 Dem ähnlich wird die Schutzpflicht wegen eines Gestaltungsspielraumes aller staatlichen Organe bei ihrer Erfüllung auch in die Nähe nur programmatischer Direktiven gerückt. 485 Dies vermag ebenso wenig zu überzeugen, wie der Ansatz von DiFabio, der eine Schutzpflicht für den parlamentarischen Gesetzgeber ablehnt,486 nach dessen Entscheidung, einen bestimmten Bereich gesetzlicher Regelung zu unterwerfen, aber eine Garantenstellung des Staates annimmt, aus der die Schutzpflicht folgen soll. 487 Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet alle staatliche Gewalt und damit auch den Gesetzgeber, so daß die grundrechtliche Schutzpflicht nicht erst nach Erlaß einer einfach-gesetzlichen Schutzregelung entstehen kann. Schutzgesetze wie die §§40 f. 481 BVerfGE 56, 54 (83 f.) - Fluglärm: aktive und passive Lärmschutzmaßnahmen gegen Verursacher und Betroffene. 482 BVerfGE 56, 54 (83) nennt als Beispiele des passiven Lärmschutzes Schallisolierungen an Gebäuden oder Bebauungsverbote, die die Lärmeinwirkung allein beim Betroffenen reduzieren. Aktiver Lärmschutz wird nach dem Gericht (S. 84 ff., 58 ff.) durch den 2. Abschnitt des Gesetzes zum Schutz gegen den Fluglärm (v. 30.3.1971, BGBl. I S. 282 i.d.F. v. 14.1.1981, BGBl. IS. 61) (und auch § 38 BImSchG) vorgenommen, die zu einer Verminderung der Lärmwirkungen durch den Verursacher führen. 483 BVerfGE 56, 54 (83 f.) für den Bereich des Fluglärms. 484 Isensee, Sicherheit, S.42ff. 485 Z.B. Scholz, DB Beilage 10/1979, 16. 486 DiFabio, S. 225ff. unter Berufung auf eine Konturlosigkeit des allgemeinen Schutzpflichttatbestandes. 487 DiFabio, S.229f.

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

AMG hinsichtlich der klinischen Arzneimittelerprobung am Menschen, das ESchG, das GenTG oder das AtG sind bereits Ausprägungen der Erfüllung der Schutzpflicht. Ebenso wenig wie die grundrechtlichen Schutzbereiche im Rahmen der Eingriffsabwehrfunktion durch den Gesetzgeber bestimmt werden dürfen, kommt diesem eine Dispositionsbefugnis über die Entstehung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu. Über Art. 20 Abs. 3 GG binden Schutzgesetze die zu ihrer Anwendung berufenen Organe unmittelbar, so daß die Annahme einer Garantenstellung insoweit überflüssig ist. Auch die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers ergibt sich aus der davor bestehenden Handlungspflicht: Eine justitiable Mitverantwortung des Gesetzgebers für Rechtsgutsgefährdungen 488 setzt notwendigerweise die Existenz der Verpflichtung und ihres Umfangs schon vor Erlaß des Gesetzes voraus und kann nicht durch dieses selbst begründet werden. Auch das angesprochene Untermaßverbot würde bei dieser Sichtweise leerlaufen. Nach der herrschenden Auffassung ist die grundrechtliche Schutzpflicht eine verbindliche Rechtspflicht, die auch die Bindung des Gesetzgebers umfaßt. Allerdings seien der Schutzpflicht keine konkreten Kontrollmaßstäbe zu entnehmen. Dies ergebe sich aus der Gestaltungsfreiheit der Gesetzgebung und der bei der Schutzpflichterfüllung notwendigen Abwägung und Zuordnung von Rechtsgüterschutz und anderen Rechten und Interessen.489 Abzulehnen ist aber, daß die Frage der Konkretisierung, die sich angesichts der regelmäßig mehreren Möglichkeiten der Pflichterfüllung mit unterschiedlichen Folgewirkungen notwendig stellt, 490 oftmals von vornherein mit dem Problem des Verhältnisses zwischen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht in Verbindung gebracht wird. 491 Dieses ist jedoch nur die Folge verfassungsgerichtlicher Justitiabilität und kann einer Ableitung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht entgegenstehen.492 Allerdings geht die herrschende Auffassung zutreffend davon aus, daß das Bestehen der Schutzpflicht nicht zu absolutem oder lückenlosem Schutz führt. 493 Dies wird von ihrer Struktur vorgegeben und findet seine Bestätigung im Arzt-PatientenVerhältnis: im Einzelfall kann der Erfolg oder Mißerfolg einer Heilbehandlung schon tatsächlich nicht, und damit noch weniger rechtlich, beherrschbar sein. Eine Lähmung des gesellschaftlichen Lebens durch Schutzinterventionismus darf nicht stattfinden; die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht muß gegenläufige Rechtspositionen angemessen berücksichtigen. 494 488

Vgl. nur BVerfGE 53, 30 (58) - Mülheim-Kärlich. Vgl. G. Hermes, S.69f. m. entspr. Nw. 490 Dazu schon Alexy, S. 420ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 558ff. 491 Vgl. z.B. Unruh, S.79f. 492 Ähnlich G. Hermes, S. 211 f.; a. A. z. B. Wahl/Masing, JZ 1990, 558ff. 493 Infolgedessen werden die grundrechtlichen Schutzpflichten auch als „Prinzipien" angesehen; vgl. Alexy, S. 422; Unruh, S. 74 m. w. Nw.; zur kontroversen Literatur weiter G. Hermes, S. 68 ff. 494 Zu diesen ausführlich unten Kap. 3. 489

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

In den Mittelpunkt der Erörterungen wird infolgedessen vor allem das Untermaßverbot gestellt.495 Die teilweise vorzufindenden Kriterien orientieren sich ebenfalls an der - soeben dargestellten - Judikatur des Bundesverfassungsgerichts. 496 Insoweit wird in allgemeiner Form angenommen, daß der Schutz der Rechtsgüter effektiv zu bewirken sei. 497 Es gelte ein Optimierungsgebot, aus dem die Forderung nach größtmöglichem Schutz folge. 498 Die Gesamtheit der staatlich getroffenen Vorkehrungen müsse geeignet sein, das erforderliche Maß an Schutz zu gewährleisten, wobei im Hinblick auf Unsicherheiten über die zukünftige Wirkung der Schutzmaßnahmen ein Prognosespielraum eröffnet sei, wie er auch bei staatlichen Eingriffen bezüglich der Verwirklichung des beabsichtigten Zwecks besteht.499 Hierbei wird auch die Nachbesserungspflicht bejaht, wenn sich Schutzmaßnahmen als ungeeignet erweisen, den gebotenen Schutz im erforderlichen Umfang zu realisieren. 500 Effektive Schutzgewährung könne entsprechend der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers negativ durch Verbote oder positiv durch staatliche Hilfe bewirkt werden. 501 Insgesamt dominieren in der Literatur die Ausführungen zum Sanktionsschutz. Dies gilt auch für das Arzt-Patienten-Verhältnis, wo überwiegend die zivil- und strafrechtliche Arzthaftung in den Vordergrund gestellt wird. 502 Auch im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht oft mit derartigen Sanktionsinstrumenten in Verbindung gebracht. So führt zum Beispiel Murswiek aus, daß Mittel des Schutzes primär der Erlaß von Rechtsnormen sei, die die Verletzung und Gefährdung von Leben und körperlicher Integrität verbieten und entsprechende, gerichtlich durchsetzbare Unterlassungsansprüche begründen. 503 Dies bedeute grundsätzlich auch die Verpflichtung, Verletzungen von Leben und körperlicher Unversehrtheit mit Strafsanktionen zu bedrohen, da nur so effektiver Schutz gegen Dritte möglich sei. 504 Dazu hätten Schadensersatzregelungen für nicht gerechtfertigte Schutzguts Verletzungen zu treten. 505 Daneben wird aber auch die Bedeutung des präventiven Rechtsgüterschutzes betont. Nach G. Hermes folgt aus dem Charakter der Schutzpflicht die generelle Regel, daß bei der Wahl der Mittel dem vorbeugenden Schutz grundsätzlich Vorrang vor heilenden Maßnahmen zu495 Vgl. Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 165; Unruh, S. 83 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), 202ff.; JuS 1989, 163; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn.53 m. w.Nw.; kritisch zur Annahme einer eigenen Kategorie z. B. Hain, DVB1. 1993, 982ff. 496 Vgl. z. B. G. Hermes, S. 261 ff. 497 G. Hermes, S. 261 m. w. Nw. 498 Unruh, S. 78 m. w. Nw; grundlegend Alexy, S. 71 ff., 420ff. 499 G. Hermes, S. 261; Alexy, S.426f. 500 G. Hermes, S. 261, 268 f. m. w. Nw. 501 G. Hermes, S.262f., der auch die Unterscheidung des Bundesverfassungsgerichts zwischen aktivem und passivem Schutz aufnimmt, einen generellen Vorrang des aktiven aber ablehnt. 502 Lit.-Nw. unten B Kap. 1, Kap. 2. 503 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 191. 504 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 191; zum Zusammenhang zwischen Schutzpflicht und Strafrechtsnormen unter dem Aspekt der GeeignetheitDriendl, S. 12ff., 39ff. m. w.Nw. 505 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 191.

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komme. Die Schutzpflicht soll primär zukünftige Schäden verhindern. Eine auch den spezifischen Grundrechtsschutz des Patienten in den Mittelpunkt rückende Untersuchung stammt von Francke, 508 der aber ebenfalls von einer offenen Struktur der Schutzpflicht ausgeht. Verfassungsrechtlich soll nur bestimmt sein, daß geeignete und ausreichende Mittel zu ergreifen sind. 509 cc) Eigene Auffassung zum Zusammenhang zwischen den Kriterien für die Schutzpflichterfüllung und dem Bereich und Umfang parlamentarischer Regelung Aufgrund der Herleitung aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und der Anknüpfung an die Gefährdung oder Verletzung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit reicht der potentielle und tatsächliche Anwendungsbereich der grundrechtlichen Schutzpflicht weit. Er entspricht dem des (Eingriffs) Abwehrrechts - aus staatlicher Sicht besteht ein Komplement.510 Dies kennzeichnet den Unterschied der Schutzpflicht zu anderen Leistungsrechten. 511 In diesem Rahmen besteht nicht nur die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Gewährung von Rechtsgüterschutz neben oder mit anderen Staatsgewalten entsprechend Art. 1 Abs. 3 GG. Die Regelungspflicht des Gesetzgebers wird vielmehr durch den zum Parlamentsvorbehalt verdichteten Vorbehalt des Gesetzes konkretisiert. Mit ihr verbunden ist ein komplementäres Delegationsverbot, das die Frage nach der Regelungsdichte der parlamentarischen Bestimmungen in den Vordergrund rückt. Es besteht das Gebot verstärkter Regelungsdichte, während umgekehrt bei abnehmender Relevanz oder Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung auch der Umfang der inhaltlichen Regelungspflicht abnimmt. 512 Für die Bestimmung der wesentlichen, das heißt parlamentarisch zu regelnden Punkte können die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien herangezogen werden. Sie stellen eine Konkretisierung des Parlamentsvorbehalts für die Schutzpflicht zu Gunsten der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Gegen die beschriebenen Auffassungen im Schrifttum ist insoweit einzuwenden, daß die Verneinung verfassungsrechtlicher Vorgaben für die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Widerspruch zur Anerkennung eines ausschließlich parlamentarischen Bereichs steht. So wurde doch gerade das 506

G.Hermes, S.263. G. Hermes, S. 263 ff. m. w. Nw. 508 Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, spezifisch zum grundrechtlichen Patientenschutz S. 72ff., 136ff., 172ff. 509 Francke, S. 138 f., der aber dennoch eine umfassende Untersuchung an die staatliche Regelung des ärztlichen Berufs unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt des Patientenschutzes anschließt (S. 145 ff., 160ff. [F.], 231 ff. [G.]). 510 Dazu auch Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §67 V 2 (S. 728 ff.). 511 Nach Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/l, § 67 V2 (S.732) müssen die Schutzpflichten ihre Existenzberechtigung im Gegensatz zu anderen möglichen Leistungsrechten nicht erst unter Beweis stellen; unterschiedslos dagegen wohl Pieroth/Schlink, Rn.60ff., 88 ff. 512 Staupe, S.30f.; 136ff.; Ossenbühl, in: HStR III, §62 Rn.42. 507

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Kriterium der Wesentlichkeit vom Schrifttum überwiegend aufgenommen und inhaltlich angereichert. 513 Auch im Rahmen der hier untersuchten Pflicht zum Erlaß von Schutzregelungen, ist die positive Bestimmung der grundlegenden (wesentlichen) Schutzanforderungen notwendig. Es entspricht der materiellen Bedeutung des Grundgesetzes, auch bei der grundrechtlichen Schutzpflicht die „tragenden Teile" eines Schutzinstrumentariums vorzugeben, gerade weil der Gesetzgeber zu seiner Schaffung und die anderen Gewalten zu seiner Anwendung verpflichtet sind. In diesem Sinne wird auch die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht für den Prozeß hoheitlicher Entscheidungsfindung, vor allem für die Gesetzesauslegung und Ermessensausübung, betont. 514 Dieser setzt im Grunde den Umgang mit konkreten Maßstäben voraus, da ansonsten der Rechtsunsicherheit Vorschub geleistet wird. Die demokratische und regelmäßig auch die rechtsstaaatliche Komponente des Vorbehalts des Gesetzes erfordern insoweit die Konkretisierung des Wesentlichkeitskriteriums. 515 Die Bestimmung kann nicht mit dem Hinweis auf die begriffliche oder verfassungsrechtliche Unbestimmtheit abgelehnt werden. Infolgedessen ist auch die in den Fällen staatlicher Warnung entwickelte Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kritisch zu bewerten. In den Entscheidungen geht es um die Anforderungen an Warnungen durch Bundesminister ohne gesetzliche (Ermächtigungs)Grundlage zum Schutz der Gesundheit bzw. persönlicher Rechtsgüter. 516 Nach dem Bundesverwaltungsgericht ist für die Frage der Geltung des Vorbehalts des Gesetzes die Wirkung der Schutzmaßnahmen entscheidend.517 Greifen diese in Grundrechte des „Störers" ein, sind die Anforderungen der diesen schützenden Grundrechte entscheidend.518 Wird der verfassungsrechtlich gebotene Schutz ohne Grundrechtseingriffe gewährt, sollen die entsprechenden Schutzmaßnahmen nicht dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen. 519 Diese Auffassung läßt zum einen die oben (3. a)) beschriebene Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes außer Acht, die schon in der Schutzpflichtkonstellation und Schutzgewährung an sich ansetzt. Stellen einzelne Schutzmaßnahmen in der Folge Eingriffe in Grundrechte Dritter dar, treten die Anforderungen spezieller Gesetzes vorbehalte hinzu. Zum an513

Vgl. nur R. Hermes, S. 103 ff.; Staupe, S. 236ff.; zur übergreifenden Bedeutung Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 48 ff.; Böckenförde, S. 391 ff. 514 Siehe Dietlein, S. 181 ff.; G. Hermes, S.265 ff.; beispielhaft für den Einfluß des Art. 2 GG auf die Auslegung strafrechtlicher Vorschriften Rixen, S. 322ff., 353 ff. 515 Vgl. BVerfGE 58, 257 (277ff.); 49, 89 (128f.); 56, 1 (12ff.); in kritischer Auseinandersetzung mit der Rspr. angesichts verschiedener verfassungsrechtlicher Bestimmtheitsgebote Kloepfer, JZ 1984, 691; Staupe, S. 139ff. m.w.Nw. 516 BVerwGE 82,76 (7. Senat) - Jugendreligionen; BVerwGE 87,37 (3. Senat) - Diethylenglykolwein; aufgrund der sachlichen Nähe zur Untersuchung ist auch BVerwGE 71, 183 zu nennen, in der das Gericht allerdings davon ausgeht, daß die Arzneimittel-Transparenzlisten nicht der Aufklärung und Beratung der Verbraucher und damit deren Rechtsgüterschutz, sondern der Wirtschaftslenkung dienen (S. 196). Terminologisch unterscheidet das BVerwG, soweit ersichtlich, nicht zwischen Gesetzesvorbehalt und Vorbehalt des Gesetzes. 517 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 65; PierothlSchlink, Rn. 60, 88 ff. 518 Vgl. auch Wahl/Masing, JZ 1990, 553 ff. 519 BVerwGE 87, 37 (50); vgl. auch BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270).

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deren kann mit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Bedeutung gesetzlicher Regelung nicht befriedigend erklärt werden, in denen nur unzureichende Schutzmaßnahmen zu Lasten des Schutzsubjekts getroffen werden. Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG ist hier, wie oben (2.) dargestellt, nicht anzuwenden, so daß es des Vorbehalts des Gesetzes bedarf, um eine das Bund-Länder-Gefüge und die Gewaltenteilung nivellierende, strukturlose Schutzpflichterfüllung zu vermeiden. 520 Grundfragen der Schutzgewährung und damit auch reduzierter Schutz bedürfen parlamentarischer Entscheidung aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes und sind innerhalb des Zuständigkeits- und Organisationsgefüges zu vollziehen. Die parlamentarischen Regelungen sind inhaltlich aufeinander abzustimmen, so daß im zu regelnden Bereich eine einheitliche Schutzkonzeption und keine Gemengelage verschiedener, isoliert eingreifender Vorschriften besteht.521 4. Ergebnis Bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht gilt der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Dieser schließt eine vollständige Delegation der Schutzpflichterfüllung im Sinne eines Sich-Begebens aus.522 Beim Schutz der Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmungsrecht besteht im Gegensatz zur Eingriffsabwehrkonstellation nicht stets ein Parlamentsvorbehalt. Der Vorbehalt des Gesetzes kann sich jedoch bereichsweise zu einem Parlamentsvorbehalt verdichten, der mit einem komplementären, nicht aber absoluten Delegationsverbot verbunden ist. In diesen Fällen ist der parlamentarische Gesetzgeber dazu verpflichtet, ein wirksames Schutzinstrumentarium für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu schaffen. 523 Innerhalb der Vorgaben des Gesetzgebers vollziehen die anderen staatlichen Gewalten - Exekutive und Judikative - den Schutz im Einzelfall. 524 Damit besteht eine Erfüllungshierarchie zu Gunsten der parlamentarischen Gesetzgeber - im Arzt-Patienten-Verhältnis ist sowohl Bundes- als auch Landesrecht zu beachten - und keine Gleichrangigkeit der Staatsgewalten bei der Gewährung grundrechtlichen Schutzes. Die hervorgehobene Stellung der Gesetzgeber gegenüber den anderen Gewalten wird durch Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls verfassungsrechtlich abgesichert. Das Schutzinstrumentarium und die Schutzpflichterfüllung im Einzelfall haben die oben (3.b)) genannten Kriterien zu beachten. Damit erfolgt über das Wesentlichkeitskriterium nicht nur eine inhaltliche Konkretisierung der Erfüllung der 520

Sehr kritisch gegen das BVerwG mit weiteren Argumenten z. B. Wahl/Masing, JZ 1990, 553 ff.; Schock, DVB1. 1991, 667 ff. 521 Vgl. auch BVerfGE 98, 265 (299 ff.). 522 Insoweit kann er auch als Rechtssatzvorbehalt bezeichnet werden; vgl. oben 1. Zur Einbindung Privater in die Schutzpflichterfüllung sowie zu „Generaldelegationen" unten III. sowie B. 523 Ebenso z. B. R. Hermes, S. 105 ff.; Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 152. 524 Höchst problematisch sind allerdings die Fälle, in denen (noch) keine gesetzlichen Schutzregelungen bestehen; hierzu unten IV. 7*

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grundrechtlichen Schutzpflicht, sondern auch eine Zuordnung der Erfüllungsaufgaben und -befugnisse an die Adressaten im Sinne der Gewaltenteilung und -verschränkung. Insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht ein Arsenal verschiedener Kriterien für die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, angesichts derer die an anderer Stelle zufindende pauschale Aussage des Gerichts, der Verfassung seien keine konkreten Vorgaben zu entnehmen,525 fragwürdig erscheint. 526 Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes ist damit eine Schutzpflichterfüllung durch die Exekutive und Judikative527 unter unmittelbarem Rückgriff auf die Verfassung grundsätzlich nicht möglich. Die gegenteilige Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts verkennt in ihrer Allgemeinheit die im Verhältnis zwischen Staat und Bürger entwickelten und bestehenden formalrechtlichen Anforderungen an das staatliche Handeln. Wahl/Masing sprechen diesbezüglich von einer rechtsstaatlichen „Verlustliste", die eine derartige Verbindung von Aufgaben und Eingriffsbefugnissen ausschließlich auf Verfassungsebene mit sich bringe. 528 Im Einzelnen ist jedoch bei dieser dem Grunde nach zutreffenden Verlustliste Vorsicht geboten. Dies betrifft primär die Kritik an der Aufgabe des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips. 529 Der früher zutreffende Grundsatz, nach dem für den Einzelnen alles erlaubt ist, was nicht aufgrund genauer gesetzlicher Regelung ausdrücklich verboten ist, 530 bedarf der zeitgemäßen Modifizierung. Die Entwicklung der Technik und die damit verbundene Unbeherrschbarkeit von Risiken sprechen gegen die genannte Sichtweise. Eine Überbetonung der formalen Anforderungen erscheint auch insoweit nicht interessengerecht, als durch sie ein Nachhinken des Rechts hinter der dynamischen Entwicklung der Wissenschaft und Technik droht, 531 das die ohnehin schon schwierige rechtliche Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen noch steigert. Trotz der umfassenden Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern, die auch für die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht gilt, können andere Gewalten mit dem Problem der Pflicht zur Schutzgewährung ohne gesetzliche Vorgabe konfrontiert werden. 532 525

BVerfG, NJW 1998, 2961 (2962) - Nichtraucherschutz. Sie knüpft an die verfassungsgerichtliche Justitiabilität der grundrechtlichen Schutzpflicht an; dazu unten Kap. 3 V. 527 Innerhalb der gerichtlichen Zuständigkeitsordnung sind die Fachgerichte zur Schutzgewährung aufgerufen, die jedoch nicht gesetzesvertretend oder -korrigierend sein darf; dazu unten IV. 528 Wahl/Masing, JZ 1990, 555 f.; gegen die Rspr. des BVerwG auch Schoch, DVB1. 1991, 667 ff.; Ibler, in: FS Maurer, S. 145 ff., nach dem Grundrechtseingriffe nicht schon aufgrund der objektiven Schutzpflichtgehalte der Grundrechte erfolgen dürfen, sondern der gesetzlichen Ermächtigung bedürfen (S. 161). 529 Auch dieses steht auf der genannten Verlustliste von Wahl/Masing, JZ 1990, 556. 530 Wahl/Masing, JZ 1990, 556. 531 Zu den Problemen der rechtlichen Erfassung und Schritthaltung allgemein Kloepfer, § 3; Wahl/Masing, JZ 1990, 560ff., beide m. w. Nw. 532 Hervorstechend VGH Kassel, NJW 1990, 336ff.; dazu und allgemein zum Problem der Durchbrechung der Erfüllungshierarchie unten IV. 526

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In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob die Kriterien zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht in das Arzt-Patienten-Verhältnis übertragen bzw. in diesem konkretisiert werden können. Hierzu ist der Blick auf die Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses und auf Eigenarten des Gesundheitsrechts zu richten. Dies erfolgt im 2. Teil der Untersuchung (B). Aus Gründen der Übersichtlichkeit und zur Entzerrung der komplexen Problematik ist es zuvor jedoch angezeigt, die Einbindung der ärztlichen Standesorganisationen sowie die Rolle der Fachgerichtsbarkeit bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht darzustellen.

III. Delegation der Schutzgewährung - Einbindung von „Facheinheiten" in die Schutzpflichterfüllung am Beispiel der ärztlichen Standesvertretungen Wie vorgehend aufgezeigt, ist die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht ausschließlich dem Parlament vorbehalten. Insoweit besteht nicht nur die unmittelbare Bindung der gesamten öffentlichen Gewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG, sondern es kann auch eine gezielte Einbindung öffentlich-rechtlicher Verwaltungseinheiten,533 unter Umständen auch von Privatrechtssubjekten erfolgen. Im Gesundheitsrecht und auch mit Wirkung für das Arzt-Patienten-Verhältnis wurden im Rahmen der staatlichen Aufgaben- und Schutzpflichterfüllung vielfältige und äußerst unterschiedlich gestaltete Beteiligungen verschiedener „Facheinheiten" oder externen Sachverstandes geschaffen. „Facheinheiten" wird hier als untechnischer Oberbegriff für alle Gruppierungen verstanden, die sich durch spezifischen medizinischwissenschaftlichen Sachverstand auszeichnen, unabhängig von ihrer rechtlichen Organisation. Ihnen unterfallen vor allem die ärztlichen Standesorganisationen repräsentiert, deren Tätigkeit die ärztliche Berufsausübung steuert. 534 Die grundlegenden verfassungsrechtlichen Vorgaben an die normative Einbindung der Facheinheiten in die Schutzpflichterfüllung sollen daher am Beispiel der ärztlichen Standesorganisationen untersucht werden. Ob das geltende einfache Recht in den einzelnen Bereichen diesen Anforderungen genügt, ist im zweiten Teil der Untersuchung (B) zu prüfen.

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Allgemein zu den verschiedenen Verwaltungsträgern Maurer, §21 Rn.7ff. Zu anderen gesetzlich errichteten oder eingebundenen Gremien im Gesundheitswesen, die das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinflussen, unten B Kap. 4, Kap. 5; zu den mit der Einbindung von sachverständigen Gremien im Umwelt- und Technikrecht verbundenen verfassungsrechtlichen Problemen Vomhof, S. 157 ff. m. zahlr. w. Nw. 534

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1. Ärztliche Standes Vertretungen a) Organisation und Auf gaben Im Zuge der Zuständigkeit der Länder für die Regelung der Berufsausübung der Ärzte - arg. ex Art. 74 Abs. 1 Nr. 19; 70 Abs. 1 GG - wurden durch staatlichen Hoheitsakt die Landesärztekammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften errichtet. 535 Sie sind der mittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen 536 und verfügen über die einfach-gesetzlich eingeräumte Befugnis zum Erlaß von Satzungen,537 zum Teil auch als Satzungsautonomie bezeichnet.538 Die Ärzte sind Pflichtmitglieder der Landesärztekammern. 539 Den Landesärztekammern kommt eine Vielzahl von Aufgaben zu, unter denen die Förderung der Aus-, Fort-, und Weiterbildung der Ärzte, die Überwachung der ärztlichen Berufspflichten und die Wahrnehmung von Belangen der Qualitätssicherung, auch bei der Erbringung der beruflichen Leistungen, hervorzuheben sind. 540 Daneben haben sie die Behörden in Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung zu beraten und allgemein bei der Förderung und dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung mitzuwirken. 541 Daneben wurden bei den Landesärztekammern Ethikkommissionen und „Transplantationskommissionen" errichtet, 542 deren Notwendigkeit sich schon durch bundesgesetzliche Regelungen, zum Beispiel aufgrund der §§ 40 Abs. 2 AMG, 8 Abs. 3 TPG, ergibt. In den Heilberufsund Kammergesetzen finden sich weiter die Vorschriften über die Berufsgerichtsbarkeit, deren Verfahren an berufsunwürdiges Verhalten anknüpfen und sich damit auch in den Bereich des Sanktionsschutzes durch Arzthaftung erstrecken. 543 Die standesrechtliche Organisation der Ärzte wird daneben durch zahlreiche privatrechtliche (Interessen)Vereinigungen geprägt. An erster Stelle ist die Bundesärztekammer zu nennen. Sie ist ein organisatorischer Zusammenschluß der öffentlichrechtlichen Landesärztekammern, selbst aber keine Körperschaft, sondern nicht eingetragener Verein. 544 Oberstes Beschlußorgan ist der Deutsche Ärztetag als 535 Vgl. §7 HeilbKG BW i.d.F. v. 16.3.1995, GBl. S.314, geänd. durch ÄndG v. 25.11.1999, GBl. S.453 und ÄndG v. 14.11.2000, GBl. S.701. 536 Dazu Maurer, § 23 Rn. 30, 32, 37 ff. 537 Vgl. § 9 Abs. 1 HeilbKG BW. 538 Siehe z.B. BVerfGE 36, 212 (217); 76, 171 (185f.); Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz; zu der mit dem Begriff der Autonomie verbundenen Problematik vgl. nur Häberle, DVB1. 1972, 909ff. 539 §2 HeilbKG BW. 540 §§4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3, 4, 5 HeilbKG; zu ärztlichen Berufspflichten und der Berufsordnung weiter die §§ 29ff., zur Weiterbildung die §§ 32ff. HeilbKG BW. 541 §§4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, 10 HeilbKG BW. 542 §§5, 5 a HeilbKG BW. 543 §§ 55 ff. HeilbKG BW; das Verhältnis zu Strafverfahren ist in § 56 HeilbKG BW ausdrücklich geregelt. 544 Arnold/Brauer/Deneke/Fiedler, S. 190; zur (privat)rechtlichen Stellung der Bundesärztekammer ausführlich Bergemann, Die rechtliche Stellung der Bundesärztekammer, insbesondere S. 34 ff.

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Hauptversammlung der Bundesärztekammer, der aus Delegierten der Landesärztekammern besteht.545 Nach ihrer Satzung wirkt die Bundesärztekammer unter anderem auf eine möglichst einheitliche Regelung der ärztlichen Berufspflichten und der Grundsätze für die ärztliche Tätigkeit auf allen Gebieten hin, 546 fördert die ärztliche Fortbildung und berät und unterrichtet die Landesärztekammern. 547 Zur Erreichung dieser Ziele werden ständige Konferenzen und Fachausschüsse, sowie gesonderte Institutionen mit eigenen Statuten bzw. Geschäftsordnungen zur Bearbeitung wichtiger Sachgegenstände gebildet.548 Außer der Bundesärztekammer und ihren „Unterorganisationen" bestehen noch zahlreiche Interessenvertretungen mit freiwilliger Mitgliedschaft. 549 Insgesamt existiert eine Vielzahl von Vereinigungen, die sowohl berufspolitischen als auch medizinisch-wissenschaftlichen Zielen nachgehen. Die inhaltliche Konkretisierung der ärztlichen Berufspflichten und die Art und Weise der Durchführung von Heilbehandlungen ist infolgedessen nicht nur auf die Satzungsregelungen der Landesärztekammern zurückzuführen. Zu diesen treten zahlreiche Beschlüsse der privatrechtlichen Standes Vereinigungen.550 Darüber hinaus besteht eine Vermischung privatrechtlicher Entscheidungen und öffentlich-rechtlicher Satzungsregelung in zweifacher Hinsicht. Einerseits werden - beispielhaft gilt dies für die jeweils von der Bundesärztekammer beschlossene Musterberufsordnung - privatrechtliche Beschlüsse durch Beschluß der Landesärztekammern inhaltlich unverändert in Satzungsform gegossen. Andererseits enthalten die Kammersatzungen zum Teil statische oder gar dynamische Verweisungen auf Richtlinien oder andere private Regelwerke - hier hat die Vertreterversammlung als Beschlußorgan der Landesärztekammer das entsprechende Regelwerk weder inhaltlich beraten noch beschlossen und vielleicht nicht einmal gekannt.551 Eine, wenn auch weniger durch545 Der Dt. Ärztetag als Hauptversammlung der Bundesärztekammer besteht aus Abgeordneten der Landesärztekammern gem. §§ 3 a, 4, 5 Abs. 2,10 Satzung Bundesärztekammer; vgl. Bergemann, S. 5 f.; zu Problemen der Delegiertenversammlung und Entscheidungen eines Dach Vereins, in dem Mitglieder der Einzel vereine nicht Mitglied sein können Reichert, Rn.2783ff.; Taupitz, S.559ff., 780ff., beide m. w.Nw. 546 § 2 Abs. 2 Nr. 4 Satzung Bundesärztekammer. 547 §§2 Abs. 2 Nr. 2, 3, 5 Satzung Bundesärztekammer. 548 Z. B. der Deutsche Senat für ärztliche Fortbildung, die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer, die Deutsche Akademie für Allgemeinmedizin oder die Deutsche Akademie der Fachärzte; Arnold!Brauerl Deneke!Fiedler, S. 192 f. 549 Z. B. Hartmannbund e.V., Verband der niedergelassenen Ärzte (NAV) oder Marburger Bund e.V. sowie eigenständige oder verbundene Stiftungen; Zusammenstellung bei Arnold! BrauerlDenekelFiedler, S. 201 ff. 550 Z. B. in Form von Richtlinien, Empfehlungen oder Leitlinien; vgl. z.B. Vosten, in: Hart, S.23ff.; zur standesrechtlichen Verbindlichkeit der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Bestimmung der Regeln der ärztlichen Kunst z. B. Nickel!Schmidt-Preisigke!Sengler, § 16 Rn. 4; allgemein zum Rechtsnorm- und Rechtsquellencharakter privat gesetzten Rechts F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, insbesondere S.21 ff., 78 ff., 98 ff., 265 ff.; Taupitz, S.550ff., 953 ff. 551 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §5 Rn. 11; kritisch auch Vesting, MedR 1998, 168ff.

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schaubare Vermischung privater Entscheidung und öffentlich-rechtlicher Satzungsregelung liegt letztlich darin, daß private Entscheidungen und Empfehlungen den Normsetzungsprozeß der Landesärztekammern inhaltlich beeinflussen und angesichts der großen spezifischen Fachkompetenz steuern. Aufgrund der inhaltlichen Verzahnung privater und öffentlich-rechtlicher Entscheidung wird der Begriff des „Standesrechts" vorliegend nicht auf die von den Körperschaften des öffentlichen Rechts erlassenen Regelungen beschränkt, sondern auf den Bereich der privaten Rechtsetzung erstreckt. 552 Adressaten der Satzungsregelungen der Landesärztekammern sind nur deren Mitglieder. 553 Die Regelungen binden nur die Ärzte und verschaffen Dritten keine eigenen Rechtspositionen.554 Ebenso richten sich die Beschlüsse der privatrechtlichen Ärztevereinigungen grundsätzlich an die Vereinsmitglieder. 555 Auch den Beschlüssen eines Dachverbandes ohne Mitgliedschaft natürlicher Personen und Vereinsentscheidungen durch eine Delegiertenversammlung kommen Rechtswirkungen gegenüber den Ärzten zu. 556 Im Hinblick auf die formale Bindung ist das Standesrecht damit Binnenrecht. Seine Rechtswirkungen beschränken sich jedoch nicht auf reine Binnenwirkungen. Die eigentlich problematische und im Arzt-Patienten-Verhältnis auftretende Ausprägung des Standesrechts ist seine Wirkung nach außen, das heißt über den Kammerbereich und das vereinsrechtliche Gefüge hinaus. b) Außenwirkung des Standesrechts und Steuerung des Arzt-Patienten-Verhältnisses als Schutzpflichterfüllung Durch die Beachtung der standesrechtlichen Vorgaben seitens der Ärzte bei der Behandlung der Patienten erlangen diese tatsächliche Außenwirkung, die sich parallel rechtlich im Vertragsschluß und bei der Vertragserfüllung niederschlägt. Daneben erlangt das Standesrecht Außenwirkung durch seine Überführung in die allgemeine Rechtsordnung. Standesrechtliche Regelungen werden teilweise durch ausdrücklichen Verweis seitens des Gesetzgebers in die Rechtsordnung inkorporiert. 557 Vor allem aber erlangen sie durch die Rechtsprechung der Fachgerichtsbarkeit bei 552 Ebenso Taupitz, S. 160ff.; vgl. auch Creifelds, S. 1155 („Standesrecht"); Eneccerus/Nipperdey, §48 3. II. (S.298); zu begrifflichen Schwierigkeiten und Bedeutung weiter Zimmermann, S.4; Taupitz, S. 151 ff. 553 Vgl. Kleine-Cosack, S. 266ff.; kritisch gegenüber dieser formalen Anknüpfung an die Mitgliedschaft aber Papenfuß, S. 24 ff. 554 Für die Berufsordnungen ebenso BGHZ 72, 132 (137f.); Papenfuß, S. 176 m. w. Nw., auch zur Gegenansicht. Die in BVerfGE 33, 125 (160 - Facharzt) bejahte Möglichkeit der Regelung von Einzelheiten fachlich-technischen Charakters durch Satzung auch gegenüber Nichtmitgliedern steht im Zusammenhang mit der (mittelbaren) Außenwirkung des Standesrecht; vgl. Papenfuß, S. 176 und sogleich b). 555 Vgl. F. Kirchhof S. 282f. 556 Vgl. Reichert, Rn. 2783 ff.; Taupitz, S. 559ff., beide m. w. Nw. 557 Z. B. die Richtlinien der Bundesärztekammer nach den § § 16 TPG, 12,18 TFG; dazu ausführlich unten B Kap. 4 III.

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der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln auch Geltung für und gegen die Patienten.558 Denkbar ist hierbei ein unmittelbarer Rekurs oder die inhaltliche Übernahme mittels ärztlicher Sachverständigengutachten, die auf den standesrechtlichen Vorgaben basieren. Daneben drohen dem Arzt bei Nichteinhaltung standesrechtlicher Vorgaben berufsgerichtliche Maßnahmen, durch die das zukünftige Verhalten gegenüber den Patienten beeinflußt wird. Besonderes bedeutsam im Hinblick auf die Außenwirkung sind die Berufsordnungen der Landesärztekammern, 559 sowie die Beschlüsse in Form von Richtlinien und Empfehlungen des Deutschen Ärztetags und der Fachgremien der Bundesärztekammer. Aufgrund der Transformation durch staatlichen Hoheitsakt in Form gesetzlicher oder gerichtlicher Entscheidung wird die beschriebene Außenwirkung im Schrifttum auch als mittelbare Außenwirkung bezeichnet.560 Gerade die Bedeutung der ärztlichen Berufsordnungen für das Arzt-Patienten-Verhältnis wird hier hervorgehoben.561 Zum einen konkretisieren sie das Verhalten des Arztes bei der Behandlung der Patienten, zum anderen sind sie als öffentlich-rechtliche Satzungen Rechtsnormen bzw. Gesetze im materiellen Sinne. Während das Schrifttum früher gegenüber einer zulässigen Bindung Außenstehender durch Kammersatzungen aufgeschlossen war, 562 herrscht heute zu Recht Zurückhaltung. 563 Insbesondere kann aus der rechtlichen Unterscheidung zwischen Berufswahl und Berufsausübung 564 nicht geschlossen werden, daß nur Berufswahlregelungen den Kreis der eigenen Angelegenheiten der Kammer überschreiten, während Berufsausübungsregelungen vornehmlich die jeweiligen Kammermitglieder betreffen und somit von den Standesorganisationen selbst beschlossen werden dürfen. 565 Die Schaffung der Ärztekammern, deren Berufsordnungen und noch mehr die vereinsrechtlichen Beschlüsse und Empfehlungen können infolgedessen nicht ohne weiteres als normative Instrumente zum Schutz der Rechtsgüter der Patienten eingeordnet werden. Dafür spricht zwar, daß es ein Anliegen des ärztlichen Standes ist, die ärztliche Heiltätigkeit auf dem aktuellen Stand der medizinischen Wissen558

Dazu Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §5 Rn. Taupitz, S. 1099 ff.; Steindorff, S. 15; Velten, S.41 ff.; vgl. z.B. BGHSt 40, 257 (260). Die ebenfalls denkbare Adaption von Standesregelungen durch Verwaltungsbehörden ist im Arzt-Patienten-Verhältnis nicht unmittelbar relevant. 559 §§ 10 Nr. 15, 31 HeilbKG BW. 560 Vgl. Papenfuß, S. 174; Ossenbühl, in: HStR III, § 66 Rn. 33 betont ausdrücklich die Bedeutung der Unterscheidung. A.A. z. B. Dölker, S. 206, der die Unterscheidung wegen fehlender Abgrenzungsmöglichkeit ablehnt und auf die Intensität der Außenwirkung abstellt. 561 Ausführlich z.B. Papenfuß, S.41 ff. 562 So z. B. Herbert Krüger, Staatslehre, S. 398. Dagegen zutreffend und wie hier Kleine-Cosack, S. 263; Papenfuß, S. 174, beide auch m. Nw. zur genannten Gegenansicht (Kleine-Cosack, S. 263 Fn. 14; Papenfuß, S. 174 Fn. 2). 563 Vgl. Kleine-Cosack, S.263; Papenfuß, S. 174. 564 Vgl. z. B. die Art. 74 Abs. 1 Nr. 19, 12 Abs. 1 GG. 565 So aber Meyn, DVB1. 1977, 597 f.; auch BVerfGE 33, 125 (160) erkennt die Außenwirkung von standesrechtlichen Berufswahlregelungen an, unterschätzt aber zugleich die Außenwirkung der standesrechtlichen Berufsausübungsregelungen.

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schaft zu erbringen. Die Fortschritte und Möglichkeiten der modernen Medizin sollen den Patienten zugänglich sein, und die Standesregelungen zeichnen sich hierbei aufgrund der personellen Zusammensetzung der Entscheidungsgremien durch ein hohes Maß an Sachkunde aus. Das hier untersuchte grundrechtliche Schutzkonzept erfordert allerdings demgegenüber die Abkehr von der historisch abwehrrechtlich geprägten Entwicklung des Ärztewesens. 566 Unter dem Aspekt der Schutzgewährung für die Patienten wird der Bereich traditioneller Standesautonomie, das heißt das Binnenverhältnis Ärztekammer-Arzt, verlassen. In diesem Sinne sind auch die Heilberufs- und Kammergesetze der Länder nicht ohne weiteres als parlamentarische Regelungen zur Schutzgewährung zu betrachten. Die in ihnen statuierte Aufgabe der Mitwirkung bei der Förderung und dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sowie der Beobachtung und Bewertung der gesundheitlichen Verhältnisse 567 enthält nur eine allgemeine Schutzintention, die im einzelnen Arzt-Patienten-Verhältnis zu präzisieren und vor allem in Einklang mit den anderen, das Arzt-Patienten-Verhältnis erfassenden bundesgesetzlichen Vorschriften zu bringen ist. 568 Die Übertragung eines Aufgabenkreises zur autonomen Erledigung an die Landesärztekammern durch die Landesgesetzgeber ist insoweit ohne Berücksichtigung der Position des Staates im Arzt-Patienten-Verhältnis erfolgt. Mit anderen Worten laufen die Regelungen der Heilberufs- und Kammergesetze und das auf ihnen basierende Kammerrecht neben der zivil-, straf- und krankenversicherungsrechtlichen Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses her. Darüber hinaus sind die gesetzlichen Regelungen der Heilberufs- und Kammergesetze in hohem Maß konkretisierungsbedürftig. So eröffnet zum Beispiel die gesetzliche festgelegte allgemeine Berufspflicht, nach der Ärzte ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen in Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen haben, 569 nicht nur einen sehr weiten Konkretisierungsfreiraum zu Gunsten des ärztlichen Standes, sondern ist zugleich Ausdruck der ethischen Durchdringung des Standesrechts und der ärztlichen Berufspflichten. Dem ähnlich bleibt, abgesehen von den bereits genannten bundesrechtlichen Ausnahmen, die Aufgabenzuweisung an die Ethikkommissionen den Landesärztekammern vorbehalten. 570 Die standesrechtliche Konkretisierung der gesetzlichen Generalklauseln hat nicht nur anhand medizinischer Kriterien zu erfolgen, sondern auch den Rechtsgüterschutz der Beteiligten, insbesondere der Patienten zu berücksichtigen. Die Grundrechte prägen insoweit auch die ärztliche Ethik. Ob die Landesärztekammern in ih566 Dazu ausführlich Huerkamp, Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert; Taupitz, S. 211 ff. m.zahlr.Nw. 567 §4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 HeilbKG BW. 568 Weder die Regelungen der Heilberufs- und Kammergesetze der Länder noch die Berufsordnungen der Landesärztekammer oder privatrechtliche Beschlüsse können als Konkretisierung zivilrechtlicher Vorschriften bzw. Regelungen der privatrechtlichen Beziehungen der Kammerangehörigen zu Außenstehenden eingeordnet werden; vgl. Taupitz, JZ 1994, 224ff.; BGH, NJW 1981, 2007 f. 569 §29 HeilbKG BW. 570 Im Einzelnen §5 Abs. 2 Satz 1 HeilbKG BW.

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rem Tätigkeitsbereich die Bindungen der Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 1 Abs. 1 GG stets beachten, wozu sie als öffentlich-rechtliche Körperschaften aufgrund Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet sind, erscheint indes zweifelhaft. Dagegen spricht, daß der Inhalt ärztlicher Berufsordnungen in der Vergangenheit oft zu weitreichende Handlungsspielräume für die Ärzte zuließ, die infolge des Erlasses von Schutzgesetzen und fachgerichtlichen Entscheidungen, die Rechtspositionen der Patienten stärkten, durch Änderung und Anpassung der Satzungen reduziert werden mußten.571 Hieran wird deutlich, daß die Standesorgansationen Interessenvertretungen der Ärzte sind, 572 die dem Fortschritt und der Fortentwicklung der Medizin einen enorm hohen Stellenwert einräumen. 573 Die Legitimation ihrer Entscheidungen erstreckt sich allerdings - zumindest zunächst - nur auf den Binnenbereich der Kammer- und Vereinsangehörigen. Auch die den öffentlich-rechtlichen Körperschaften zugesprochene Autonomie ist sachlich und personell auf den gesetzlichen Aufgaben- und Mitgliederkreis beschränkt. 574 Die mit dem Autonomiegedanken verbundene staatliche Zurückhaltung zeigt sich darin, daß die Landesärztekammern nur der Rechtsaufsicht unterliegen. 575 M. E. können aufgrund dieser Besonderheiten des Standesrechts die Entscheidungen auch der Landesärztekammern nicht einfach von anderen Trägern staatlicher Gewalt adaptiert werden. Gestärkt wird diese Sichtweise durch die - oben beschriebene - Vermischung des Kammerrechts mit privatrechtlich entwickelten Standesvorgaben. Die Rechtsetzung der Standesvereinigungen ist damit nicht ohne weiteres als verbindlicher Bestandteil der allgemeinen Rechtsordnung bzw. eines staatlichen Schutzinstrumentariums im Arzt-Patienten-Verhältnis anzusehen. Es gilt vielmehr, die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Einbindung der ärztlichen Standesvereinigungen bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu 571 Dazu auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 14 Rn. 1 ff. sowie §§4, 5 Rn.5ff.; Steindorff\ S. 10 ff.; siehe aber auch Deutsch, Rn. 8; die Entwicklung mehr unbewußt beschreibend Michael Schröder, VersR 1990, 243 ff., der den Aspekt der Außenwirkung gegenüber den Patienten nicht berücksichtigt. Zu nennen sind beispielsweise die Aufklärung der Patienten, die Dokumentation der Heilbehandlung und der Umgang mit den Patientenunterlagen, die künstliche Fortpflanzung, der Embryonenschutz, die Präimplantationsdiagnostik oder die Sterbehilfe; im Einzelnen dazu jeweils im Kontext unten B. 572 Entsprechend die §§4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 HeilbKG BW, 2 Abs. 2 Nr. 1 Satzung Bundesärztekammer. 573 Nach Kleine-Cosack, S. 24 trat im Rahmen der Rechtsentwicklung durch die Kammern an Stelle des Gemeinwohls häufig die Berufung auf ein angeblich vorgegebenes Standesethos; ähnlich Steindorff,; S. 10f. 574 EbensoBrohm, in: FG v. Unruh, S. 806f.; Ossenbühl, in: HStR III, §66 Rn. 32f.; nach Papenfuß, S. 175 f. ist dies schon funktionsbedingt; kritisch gegenüber dem funktionellen Argument jedoch Kleine-Cosack, S. 267, der in diesem Zusammenhang auch von unvermeidbaren (System)Interdependenzen sozialer Subsysteme spricht. 575 § 8 Abs. 1 HeilbKG BW ordnet zwar nur die staatliche Aufsicht an; allgemein wird jedoch angenommen, daß dies nicht Fach-, sondern Rechtsaufsicht bedeutet. Dies wird durch den Verweis auf §§ 118 ff. GemO in § 8 Abs.4 HeilbKG BW bestätigt wird; vgl. Kleine-Cosack, S. 212. Zur staatlichen Kontrolle sogleich b).

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bestimmen, da eine Einbindung ärztlichen Sachverstandes im Hinblick auf die Gebote des wirksamen und präventiven Rechtsgüterschutzes der Patienten vielversprechend erscheint. Zudem hätte würden dadurch die Verquickung des Standesrechts mit der allgemeinen Rechtsordnung und die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte transparenter. Der Aussage von Kleine-Cosack, das Standesrecht sei von Ineffektivität und geringer Bedeutung gekennzeichnet,576 ist zu widersprechen. Die standesrechtlichen Vorgaben steuern vielmehr die ärztliche Tätigkeit in erheblicher Weise und es gilt, diese in ein verfassungskonformes Konzept der Schutzpflichterfüllung einzugliedern. 577 In diesem Sinne geht auch Ossenbühl davon aus, daß die Notwendigkeit einer allgemeinen oder übergreifenden Wirkung der Autonomieregelungen ein Indiz dafür ist, daß die Materie nicht mehr dem autonomen Bereich zugehört, sondern einem vom parlamentarisch legitimierten Gesetzgeber zu regelnden Sachbereich.578

2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Einbindung der ärztlichen Standesvertretungen in die Schutzpflichterfüllung a) Demokratische Legitimation und Binnenautonomie Die standesrechtliche Selbstverwaltung und die Satzungsautonomie sind nicht verfassungsrechtlich gewährleistet. 579 Sie wurden den Landesärztekammern zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen Status durch einfach-gesetzlichen Hoheitsakt eingeräumt bzw. verliehen. 580 Infolgedessen liegt die bislang vorwiegend thematisierte verfassungsrechtliche Problematik in der zulässigen Reichweite der Delegation von Regelungsbefugnissen an die Kammern gegenüber ihren Pflichtmitgliedern. Anders als im Verhältnis zwischen Staat und Gemeinden geht es nicht um die Verletzung eines garantierten Selbstverwaltungsbereichs, sondern um die Einräumung von zuviel Autonomie, die den Vorgaben des Vorbehalts des Gesetzes widerspricht. 581 Den nur privatrechtlich organisierten standesrechtlichen Interessenvertre57 6

Kleine-Cosack, S.22f. So auch Francke, S. 229f. 57 8 Ossenbühl, in: HStR III, § 66 Rn. 33. 579 Vgl. nur Kleine-Cosack, S. 77 ff. Anders dagegen für Gebietskörperschaften nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. 580 §§7, 9 HeilbKG BW. 577

581 Vgl. BVerfGE 33, 125 - Facharzt; Brandstetter, Der Erlaß von Berufsordnungen durch die Kammern der freien Berufe; Fleischmann, Die freien Berufe im Rechtsstaat; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz; Papenfuß, Grenzen der personellen Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften; umfassend dagegen Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe; zum Unterschied auch Maurer, § 23 Rn. 6,42. Im Kontext zu nennen sind BVerfGE 82,18; 76, 171 - Rechtsanwälte, wenngleich es dort nicht um die standesrechtliche Konkretisierung gesetzlicher Generalklauseln durch Satzungen geht: Die Bundesrechtsanwaltskammer ist zwar Körperschaft des öffentlichen Rechts, jedoch nicht zum Erlaß von Sat-

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tungen kommt Grundrechtsschutz im Hinblick auf ihre eigeninitiativ erfolgende Gründung und nachfolgende Tätigkeit zu. Dieser enthält jedoch keine Autonomie in dem Sinne, daß die Vereinstätigkeit mit der staatlichen Aufgabenerfüllung verknüpft ist. Die den Standesvertretungen zukommende Autonomie stellt damit keine originäre eigene Rechtsetzungsgewalt dar, sondern ist nur vom staatlichen Rechtsetzungsmonopol abgeleitet.582 Infolgedessen sind die hoheitlichen Regelungsbefugnisse der berufsständischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften auf die Pflichtmitglieder beschränkt. 583 Die demokratisch legitimierten Entscheidungsgremien - bei den Landesärztekammern die Vertreterversammlungen 584 - setzen sich nur aus Pflichtmitgliedern zusammen und können auch nur von diesen gewählt werden. 585 Die demokratische Legitimation beschränkt sich damit auf den Binnenbereich des Kammerwesens, die demokratisch gewählten Organe weisen keine pluralistische Struktur auf. 586 Gegenüber den externen Patienten kann kein unmittelbar verbindliches Satzungsrecht geschaffen werden. 587 Die oben (1. b)) beschriebene Außenwirkung und die mit ihr verbundene Regelungskraft des Standesrechts übersteigt damit die den Entscheidungen zu Grunde liegende demokratische Legitimation. Auch die pauschale gesetzliche Ermächtigung in den Heilberufs- und Kammergesetzen verhilft nicht zu der demokratischen Legitimation, die für eine normative Steuerung des Arzt-Patienten-Verhältnisses notwendig ist. Dies ergibt sich zum einen aus deren nur generalklauselartigem Charakter und zum anderen angesichts der Tatsache, daß keine Konfliktregelung zwischen Kammermitgliedern und externen Patienten bezweckt ist. Die verschiedenen Kollisionen von ärztlichen Interessen und Schutzbedürfnissen der Patienten bedürfen grundsätzlich der parlamentarischen Regelung, die mit spezifischen, ausreichend bestimmten Delegationen verbunden sein kann. 588 Der im Rahmen der Erfüllung der Schutzpflicht problematische Bereich des unterlassenen oder unzureichenden Schutzes wird von der beschriebenen gesetzlichen Aufgabenzuweisung der Heilberufs- und Kammergesetze nicht befriedigend erfaßt. zungen ermächtigt; vgl. §§ 176f. BRAO; zum Unterschied zu den Landesärztekammern auch BVerfGE 76, 171 (185 f.). 582 Ebenso Busch, S. 57 f.; Kleine-Cosack, S. 80 ff. Im Kontext beachtenswert auch die Erörterungen der Voraussetzungen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts von Bergemarin, S. 19 ff. im Hinblick auf die (privatrechtliche) Bundesärztekammer. 583 Die hoheitlichen Regelungsbefugnisse der Gebietskörperschaften nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erstrecken sich dagegen auf das jeweilige Körperschaftsgebiet. 584 § 9 Abs. 2 HeilbKG BW. 585 §§ 11-13 HeilbKG BW. 586 Anders bei den Gebietskörperschaften nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, insbesondere beim Gemeinderat; vgl. z.B. §§26ff., 14ff. GemO BW. 587 Brohm, in. FG v.Unruh, S.806f.; Papenfuß, S. 175 f.; Kleine-Cosack, S. 262ff.; BGHZ 72, 132 (137 f.). 588 Im Ergebnis ebenso Kleine-Cosack, S. 267 ff.; Steindorff, S. 15 f.

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Hinsichtlich des Aspektes der Außenwirkung von Satzungen der Landesärztekammern ist auch der Facharztbeschluß des Bundesverfassungsgerichts 589 aufschlußreich. 590 Das Bundesverfassungsgericht hatte Satzungsregelungen über die ärztliche Berufszulassung zu überprüfen, die als die Ärzte als Pflichtmitglieder der Kammern belastende Vorschriften am Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu messen waren. Zur Abgrenzung der Satzungsgewalt der Landesärztekammern gegenüber den Regelungspflichten des Parlaments führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß sich der Gesetzgeber seiner Rechtsetzungsbefugnis auch bei einer an sich zulässigen Autonomiegewährung nicht völlig entäußern und seinen Einfluß auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden Normen nicht gänzlich preisgeben dürfe. 591 Die Wirkung von Berufszulassungsregelungen ist im konkreten Arzt-Patienten-Verhältnis zwar geringer als die vieler Berufsausübungsregelungen, den Regelungen über die Zulassung und besondere Qualifikationen - hier die Einführung und Ausgestaltung des Facharztwesens - kommt aber dennoch (auch) Schutzfunktion gegenüber den Patienten zu. 592 Gerade infolge der hier vertretenen Einordnung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte als besondere Ausprägungen des Vorbehalts des Gesetzes ist die Entscheidung auch für die Erfüllung der Schutzpflicht aussagekräftig. Sie ist nämlich ein Beispiel dafür, wie einer schleichenden Kompetenzübertragung vom Parlament auf demokratisch geringer legitimierte Stellen und damit einer parlamentarischen Verantwortungsentledigung seitens des Bundesverfassungsgerichts entgegengetreten wurde. 593 Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts gelten damit erst recht bei Regelungen, denen noch stärkere Wirkungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis und damit auch den grundrechtlich geschützten Rechtsgütern des Patienten zukommen.594 589

BVerfGE 33, 125. Francke, S.61 ist sogar der Auffassung, daß durch die Entscheidung weitestgehende Klarheit hinsichtlich der Fragen der Satzungsgewalt im Ärztewesen geschaffen wurde. 591 BVerfGE 33, 125 (158); dazu auch Ossenbühl, in: HStR III, §66 Rn.26ff. 592 Die Grundrechtsrelevanz für die Patienten zeigt sich z.B. auch an den Fragen, inwieweit im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes eine fachärztliche Behandlung geschuldet ist oder Ärzte zur fachlichen Weiterbildung verpflichtet sind. 593 Kleine-Cosack, S. 28; zur Stärkung des Aspekts der demokratischen Legitimation durch den Facharztbeschluß gegenüber vorangegangenen Entscheidungen Meyn, DVB1. 1977, 593. 594 Dem ist auch das Bundesverfassungsgericht zugeneigt, wird doch in BVerfGE 33, 125 (157 f.) auch die Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG auf körperschaftliche Satzungen diskutiert, im Ergebnis jedoch verneint, da die Ermächtigung eines bestimmten Kreises von Bürgern, ihre eigenen Angelegenheiten durch demokratisch gebildete Organe zu regeln, weiter sein könne, als bei der prinzipiell unbeschränkten und allen Bürgern gegenüber wirksamen Normsetzungsbefugnis der bürokratisch-hierarchisch organisierten staatlichen Exekutive; bei letzter bestehe ein größeres Bedürfnis nach Zügelung der Macht, da eine ungleich fühlbarere Durchsetzung praktisch-effizienter Regelungen auf Kosten der Freiheit der Bürger drohe. In Bereichen, die schutzwürdige Interessen von Nichtmitgliedern (Berufsanwärter) berühren, müßten die Regelungen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden, durch Satzungsrecht könnten in dem vom Gesetzgeber gezogenen Rahmen allenfalls Einzelfragen fachlich-technischen Charakters geregelt werden (S. 160). Auch die h.Lit. lehnt die Anwendung des Art. 80 Abs. 1 590

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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Auch die staatliche Übernahme oder Genehmigung der Entscheidungen der Landesärztekammern bewirkt keine einer parlamentarischen Entscheidung entsprechende demokratische Legitimation. Dies gilt zum einen bezüglich der behördlichen Rechtsaufsicht, bei Kammersatzungen in Form der Genehmigung.595 Die rechtsaufsichtlichen Kontrollmöglichkeiten de lege lata zielen auf die Binnenwirkung der Kammertätigkeit ab. Soll eine gezielte Schutzpflichterfüllung im ArztPatienten-Verhältnis durch die Landesärztekammern erfolgen, bedarf es einer Stärkung der Kontroll- und Korrekturbefugnisse der (Aufsichts)Behörden. Der Gesetzgeber hat den Behörden insbesondere Prüfungsmaßstäbe vorzugeben, mit denen im Hinblick auf den Patientenschutz die wesentlichen Bereiche des Arzt-PatientenVerhältnisses zu bewältigen sind. Prüfungsmaßstäbe ergeben sich insoweit bei einer detaillierten Aufgabenzuweisung und spezifischen gesetzlichen Einbindung der Landesärztekammern in die Erfüllung der Schutzpflicht im Arzt-Patienten-Verhältnis schon aus den gesetzlichen Vorgaben, die durch die verfassungsrechtlichen ergänzt werden. Zum anderen gilt dies bezüglich der Fachgerichtsbarkeit. Die Verwendung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen in Zivil- und Strafgesetzen führt dazu, daß die Fachgerichte das Standesrecht in die allgemeine Rechtsordnung überführen und seine verbindliche Geltung im Arzt-Patienten-Verhältnis im Nachhinein bewirken. Auch hier besteht nur eine allgemeine, wenig bestimmte Entscheidung des Gesetzgebers, die von den Fachgerichten inhaltlich konkretisiert wird. Hierbei können die Fachgerichte im Einzelfall eine über die rechtsaufsichtsbehördliche Kontrolle hinausgehende Inhaltskontrolle des Standesrechts durchführen. 596 Den fachgerichtlichen Entscheidungen kommt zwar insoweit auch eine demokratische Legitimation zu 597 - problematisch ist jedoch die Rechtsfortbildung eines gesamten grundrechtsrelevanten Sachbereichs.598 Nur das umfassend demokratisch legitimierte Parlament kann in Sachbereichen wie dem Arzt-Patienten-Verhältnis, das durch verschiedene Gesetze erfaßt wird, die noch dazu einen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Hintergrund aufweisen, der besonderen Aufgabe und Verantwortung der Schaffung normativer Harmonie nachkommen und gerecht werden.

Satz 2 GG auf Satzungen ab; stellvertretend Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 80 Rn. 10; Kleine-Cosack, S. 217 ff., beide m. w. Nw. 595 §§ 8, 9 Abs. 3 HeilbKG; sehr weitgehend nimmt z. B. D. Keller, S. 53 ff., 66ff., 158 an, daß dieser Genehmigungsvorbehalt ein sachliches Mitwirkungsrecht umschließe. 596 Zur Bedeutung des Standesrechts für die richterliche Rechtsfindung ausführlich Taupitz, S. 1099ff. m.zahlr.Nw., wie schon S. 986ff. 597 Vgl. nur BVerfGE 49, 89 (124 ff.). 598 Dazu schon oben I.; vgl. weiter unten IV. sowie B Kap. 1, Kap. 2.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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b) Staatliche Kontrolle und Korrektur versus Zusammenarbeit und Kooperation Die parlamentarische Einbindung des ärztlichen Standes, insbesondere der Landesärztekammern, in die Schutzpflichterfüllung gegenüber den Patienten bedarf nicht nur der Bestimmung der Bereiche, in denen die Standesvereinigungen tätig werden sollen. Die Aufgabenerfüllung durch Facheinheiten ist zudem durch den Staat zu kontrollieren. Dies gilt nicht nur bei der denkbaren Einbindung privater Standesvereinigungen, sondern auch gegenüber den Landesärztekammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts. In diesem Sinne können zwar Aufgaben an spezifische und selbständige Einheiten delegiert werden, nicht aber die (Grund)Verantwortung für ihre Erfüllung. Der wirksame Rechtsgüterschutz und die beschriebene Charakteristik der Tätigkeit der Standesvereinigungen verlangt die Möglichkeit staatlicher Einflußnahme auf die Rechtsetzung. Sinnvollerweise ist diese schon im Prozeß der Entscheidungsfindung anzustreben und nicht erst im Wege nachträglicher inhaltlicher Korrektur oder gar nur schlichter Genehmigungsverweigerung zu vollziehen. De lege ferenda bietet sich bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht damit eine stärkere, das heißt jeweils punktuell bestimmte Einbindung der Landesärztekammern an. Deren Tätig werden ist durch gezielte gesetzliche Aufgabenzuweisungen in spezifischen medizinischen Sachbereichen sicherzustellen. Dies ist mit einer Modifizierung der staatlichen Aufsicht zu verbinden. Bloße Genehmigungsvorbehalte und Verweise auf die Vorschriften der kommunalen Rechtsaufsicht 599 können selbst die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Schutz der Rechtsgüter der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kaum sicherstellen, geschweige denn Einfluß auf die inhaltliche Qualität der Entscheidungen nehmen.600 Angesichts der schnellen Entwicklung der modernen Medizin sind bestehende Regelungen rasch veraltet und die rechtsaufsichtliche Genehmigung überholt. Zudem können mit rechtsaufsichtlichen Mitteln in erster Linie erlassene Rechtsakte und damit positives Tun überprüft werden. Immerhin läßt dies eine Kontrolle hinsichtlich unvollständigen und unzureichenden Schutzes, das heißt des Auseinanderfallens von Schutzgebot und Schutzmaßnahme, zu. Mit den Instrumenten der kommunalen Rechtsaufsicht - Beanstandung, Anordnung und Ersatzvornahme 601 - ist dagegen der Bereich des gänzlich unterbliebenen Schutzes nur schwer zu fassen. Insgesamt dürfte auch der bei der Rechtsaufsicht im Vordergrund stehende Gedanke der Repression 602 dem Zusammenspiel von Landesärztekammer und Aufsichtsbehörde, die beide Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht sind, zu Gunsten einer ef599

§§9 Abs.3, 8 Abs.4 HeilbKG; 118ff. GemO BW. Kritisch auch Francke, S. 61, 228 ff.; a. A. Fleischmann, S. 169ff., der aufgrund der Grundrechtsrelevanz für Arzt und Patienten gerade einen besonderen Freiraum für das Kammerwesen fordert. 601 Vgl. §§ 121-123 GemO BW. 602 Vgl. Hollenbach, VB1BW 2000, 464ff., auch zu Möglichkeiten der Prävention im Rahmen der Rechtsaufsicht. 600

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fektiven Schutzgewährung nicht förderlich sein. Eine fachliche Beteiligung der Aufsichtsbehörden in Form eines sachlichen Mitwirkungsrechts 603 oder eine Zusammenarbeit bzw. Kooperation zwischen Landesärztekammern und Behörden würde dem Gedanken der Prävention, das heißt sowohl die Verhinderung von Rechtsgutsverletzungen beim Schutzsubjekt, als auch die Verhinderung von Verletzungen verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Vorgaben, 604 mehr gerecht. Diese Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Landesärztekammern in dem Bereich, in dem die Kammerregelungen als den Binnenbereich überschreitende Schutzpflichterfüllung im Arzt-Patienten-Verhältnis einzuordnen sind, wäre angesichts der nur gesetzlich gewährleisteten Selbstverwaltung verfassungsrechtlich zulässig. Die gezielte Einbindung der Landesärztekammern und die Nutzbarmachung ihres ärztlichen Sachverstandes sollte vom ärztlichen Stand unter der Geltung der grundrechtlichen Schutzpflicht weniger als staatliche Bevormundung, sondern als fachliche Herausforderung und Möglichkeit der Einflußnahme betrachtet werden. Gegenüber der Tätigkeit oder Untätigkeit privatrechtlicher Standesvereinigungen besteht keine staatliche Vorfeldkontrolle. Hier kann de lege lata nur eine nachträgliche Inhaltskontrolle der getroffenen Entscheidungen durch die Fachgerichtsbarkeit erfolgen, die unter dem Aspekt des präventiven Schutzes wenig geeignet ist. 605 Zudem gilt es der Unsicherheit zu begegnen, in welchen Fällen und Bereichen überhaupt privatrechtliche Entscheidungen bestehen. Den richtigen Weg weisen hier m. E. die neuen gesetzlichen Regelungen der §§ 12, 18 TFG, wonach die Bundesärztekammer im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde und nach Anhörung von Sachverständigen den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik in Richtlinien feststellt. In einem sachlich begrenzten und bestimmten Bereich sollen durch Kooperation zwischen privater Standesvertretung und dem Staat unter Einbeziehung weiteren Sachverstandes detaillierte Standards zu Gunsten der an Transfusionen Beteiligten sichergestellt werden. In Ergänzung sollte sich der Staat aber auch bei der begrenzten gesetzlichen Aufgabenübertragung auf Private die Möglichkeit laufender behördlicher Kontrolle vorbehalten. Ob die gesetzliche Konzeption der Zusammenarbeit oder Kooperation auf höchstem fachlichen Niveau, die m. E. eine anzustrebende Erfüllung der Schutzpflicht darstellt, auch in anderen Bereichen des Arzt-Patienten-Verhältnisses etabliert werden kann, ist im Rahmen der einfach-rechtlichen Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu untersuchen. 606 603

D. Keller, S. 53 ff., 66ff., 158. nimmt dies schon für die bestehenden Genehmigungsvorbehalte an. 604 Zu diesem Aspekt Hollenbach, VB1BW 2000, 467. 605 Zur Rolle der Fachgerichtsbarkeit bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht unten IV. 606 Zur gesetzlichen Regelung und Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch das einfache Recht sowie den Möglichkeiten der Beteiligung von Standesvertretungen und anderen 8 Hollenbach

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

IV. Schutzpflichterfüllung durch die Fachgerichtsbarkeit 1. Einbindung und Schutzgewährung durch die Fachgerichte Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet die Fachgerichte unmittelbar zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Infolge des Vorbehalts des Gesetzes besteht in der Regel ein legislatives Schutzinstrumentarium, das von den Fachgerichten zur Gewährung konkreten Rechtsgüterschutzes angewendet wird und gemäß Art. 20 Abs. 3 GG auch angewendet werden muß. Damit wird die Anwendung der Vorschriften auf den zu entscheidenden Einzelfall von der grundrechtlichen Schutzpflicht mitgeprägt, es besteht die Pflicht schutzpflichtkonformer Auslegung.607 Beispielhaft gilt dies für die im Arzt-Patienten-Verhältnis relevanten Vorschriften des materiellen Zivil- und Strafrechts sowie des jeweiligen Prozeßrechts. Anhand der Schutzgewährung durch die Fachgerichte zeigt sich nicht nur der Bezug zwischen materiellem und Prozeßrecht, beide werden vielmehr von der übergeordneten einheitlichen grundrechtlichen Schutzpflicht umspannt.608 Die materiellen und prozessualen Eigenheiten der zivil- und strafrechtlichen Arzthaftung bzw. der zivil- und strafgerichtlichen Schutzgewährung für den Patienten sollen an dieser Stelle nicht erörtert werden. 609 Hervorzuheben sind hier nur die kennzeichnenden Gemeinsamkeiten, die aus der staatlichen richterlichen Tätigkeit, der rechtsprechenden Gewalt nach Art. 92 GG folgen. 610 Die Rechtsprechung dient der Durchsetzung individueller Rechte. Sie ist die Konsequenz und Kompensation des grundsätzlichen Verbots der Selbsthilfe. Der Justizgewährleistungsanspruch steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Friedenspflicht der Bürger und dem staatlichen Gewaltmonopol.611 Zur Sicherung und Durchsetzung individueller Rechte gegen private Angreifer ist effektiver Rechtsschutz in der Schutzpflichtkonstellation ebenso geboten, wie gegenüber staatlichen Eingriffen im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG. 612 Im Rahmen dieser konkreten Schutzgewährung liegt die Bedeutung der Tätigkeit der Fachgerichte in der Ausgestaltung und Präzisierung der gesetzlichen Schutzvorgaben. Überdies zeigt sich bei Facheinheiten in den verschiedenen Bereichen ausführlich unten B; zum Problem der Transformation und Rechtsverbindlichkeit medizinischer Normsetzung auch Pitschas, in: Hart, S. 239ff. m. w. Nw. 607 Vgl. auch G. Hermes, S. 273ff.; Goerlich, S. 161 ff., 287ff.; Dietlein, S. 181 f., 214f.; Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 139; Stern, Staatsrecht III/l, § 69 I V 6 (S. 951); BVerfG, DtZ 1994,313 (314). 608 Lorenz, NJW 1977, 866 f. 609 Dazu ausführlich unten B Kap. 1, Kap. 2; zum gesetzlichen Rahmen und der Bedeutung sowie den Grenzen der fachgerichtlichen Rechtsprechung aber nachfolgend 2. 610 Ausgeblendet bleibt die Berufsgerichtsbarkeit nach den HeilbKG, die ebenfalls Art. 92 GG unterfällt; vgl. Sturm, in: Sachs, Art. 93 Rn. 30 m. w. Nw. 611 Isensee, Sicherheit, S.36f.; Dietlein, S.214; zum Zusammenhang zwischen Rechtsverweigerungsverbot und Rechts(fort)bildung Ipsen, S. 53 ff. 612 Ähnlich Dietlein, S.214f.

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und vor allem gesetzlicher Generalklauseln die originäre Bindung auch der Rechtsprechung an die grundrechtliche Schutzpflicht. Gerade hier ist aber regelmäßig nicht nur ein Interessenausgleich herzustellen,613 sondern die Interessen sind grundrechtlich untermauert und der Richter wird zur Auflösung grundrechtlicher Kollisionen gedrängt. 614 Zudem ist die moderne Medizin ein Beispiel für einen Bereich, der sich rasant fortentwickelt und starken Veränderungen unterliegt, und in dem daher regelmäßig gesetzliche Regelungs- und Schutzlücken zu beobachten sind. Auch diese versucht die Fachgerichtsbarkeit zu schließen.615 In diesen Fällen liegt die Bedeutung der Rechtsprechungstätigkeit der Fachgerichte nicht nur in der rechtsfriedenstiftenden Einzelfallentscheidung, sondern in der Fortbildung des Rechts. Daß die Rechtsfortbildung oder schöpferische Rechtsfindung Bestandteil richterlicher Tätigkeit ist, entspricht nicht nur dem herkömmlichen richterlichen Selbstverständnis, sondern auch dem Staats- und Gewaltenverständnis nach dem Grundgesetz. 616 Ganz selbstverständlich gilt dies, wenn die Lückenfüllung und Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe oder Generalklauseln als bloßer Akt richterlicher Erkenntnis und Rechtsanwendung eingeordnet wird, was aufgrund der vorstehenden Ausführungen jedoch nicht ohne weiteres angenommen werden kann. 617 Beim Schließen legislativer Schutzlücken unter unmittelbarem Rückgriff auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Rechtsprechung und bei der richterlichen Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und vor allem gesetzlicher Generalklauseln, die grundlegende, grundrechtsrelevante Wertungen enthalten, kollidiert die Tätigkeit der rechtsprechenden Gewalt mit der des Parlaments. 618 Dies gilt zumindest dann, wenn es sich nicht um überraschend auftretende Ausnahmekonstellationen,619 sondern um eine Vielzahl ähnlicher Fälle handelt, deren fachgerichtliche Entscheidung in der Summe einen ganzen Bereich strukturiert und steuert. Unter der oben (I., II.) entwickelten Erfüllungshierarchie gilt es daher, die Grenzen der zulässigen Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte gegenüber den not613

Etwas verkürzt daher Werner, S. 20. Vgl. Ossenbühl, in: HStR III, §61 Rn. 37; ausführlich dazu oben I. l.b). 615 Beispielhaft für den Bereich der Organentnahme Rixen, S. 327ff., 353ff.; allgemein Stern, Staatsrecht III/l, §69 I V 6 (S.951). 616 Vgl. nur BVerfGE 3, 225 (243); auch der Gesetzgeber hat dies „verinnerlicht": §§ 132 Abs. 4 GVG, 11 Abs. 4 VwGO; Ossenbühl, in: HStR III, §61 Rn.40; ausführlich zum Ganzen Larenz/Canaris, Kap. 5 (S. 187ff.); Ipsen, S.24ff., 50ff. und passim; Wank, S.59ff., 119ff. 617 Ablehnend ebenfalls Ossenbühl, in: HStR III, §61 Rn.37; den schöpferischen Charakter hervorhebend auch BVerfGE 3, 225 (243 f.); Werner, Zum Verhältnis von gesetzlichen Generalklauseln und Richterrecht, verknüpft die gesetzlichen Generalklauseln sogar ohne weiteres direkt mit Richterrecht (vgl. nur S.23ff.). 618 Ebenso G. Hermes, S. 272; Ossenbühl, in: HStR III, § 61 Rn. 37; großzügiger Ipsen, S. 63 ff., der grundsätzlich auch hier Gesetzeskonkretisierung annimmt und zugleich die Komplexität der Auslegung von Rechtssätzen gegenüber dem „Subsumtionsideal" positivistischer Methodenvorstellungen betont (S.24ff.); dazu auch Stern, Staatsrecht II, §37 112 (S.582). 619 Im Sinne von Notfällen, wie z.B. die Schleyer-Entführung - BVerfGE 64,160 (164f.); zu gesetzesfreien Notbefugnissen und dem unmittelbaren Rückgriff auf die grundrechtliche Schutzpflicht als ultima ratio z.B. Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 161. 614

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

wendig parlamentarisch zu regelnden Punkten zu bestimmen. Nicht zu vertiefen ist die Frage, ob und inwieweit die Entscheidungen der rechtsprechenden Gewalt Rechtsetzungsqualität besitzen. Denn vorliegend geht es nicht um das Problem des „Richterrechts" als Rechtsquelle gleicher oder ähnlicher Wirkung wie Gesetzesrecht, 620 sondern darum, die Anforderungen an die Erfüllung der Schutzpflicht für die verschiedenen Staatsgewalten zu bestimmen. Nach dem hier vertretenen Verständnis des Vorbehalts des Gesetzes bestehen positive Regelungspflichten des Parlaments bei der Erfüllung der Schutzpflicht, die auch nicht beim Bestehen einer im Ergebnis regelungsersetzenden oder legislative Schutzdefizite kompensierenden fachgerichtlichen Judikatur entfallen. Der Ansatz verfassungsrechtlicher Kritik ist folglich die Untätigkeit des Gesetzgebers, durch die weitreichende richterliche Rechtsfortbildung erst ausgelöst wird. 621 2. Grenzen der Schutzgewährung durch die Fachgerichte a) Berührung der Bereiche parlamentarischer

Regelungspflichten

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes hat das unmittelbar demokratisch legitimierte und pluralistisch strukturierte Parlament die für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Dies gilt nicht nur gegenüber der Tätigkeit der Exekutive, sondern auch der Judikative. Die unmittelbare verfassungsrechtliche Legitimation beider Gewalten ändert nichts an der übergeordneten Stellung und Bedeutung des Parlaments: 622 Die Schutzpflichterfüllung ist vom Gesetzgeber bereichsweise auszugestalten und durch die Exekutive und Judikative zu vollziehen.623 Infolgedessen ist es dem Gesetzgeber verwehrt, die wesentlichen Entscheidungen im Bereich der Grundrechtsausübung der Rechtsprechung zu überlassen.624 Für den Bereich der Strafgerichtsbarkeit wird dies durch Art. 103 Abs. 2 GG bestätigt,625 es gilt aber auch für die Zivilgerichtsbarkeit. Der gegenteiligen, allgemeinen Einschränkung, daß dies bei zivilrechtlichen Konflikten zwischen gleichgeordneten Grundrechtsträgern nicht gelte, 626 ist schon der Bedeutungswandel der Zivilrechts620 Vgl. nur Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 (S. 582 ff.); Larenz/Canaris, S. 252 ff.; Ossenbühl, in: HStR III, § 61 Rn. 35 ff.; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, alle m. zahlr. w. Nw. Z. B. Laufs, Arztrecht, Rn.49 (S. 30) ordnet die typisierte Kasuistik der Justiz aber dem Richterrecht zu. 621 Ähnlich Ossenbühl, in: HStR III, §61 Rn.41. 622 Zur geringeren oder anderen demokratischen Legitimation der Gerichte z. B. Wank, S. 207 ff.; zurückhaltend auch Ipsen, S. 196ff. 623 Nach Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 90 besteht für die Legislative ein Gesetzgebungsauftrag, für die Exekutive und Judikative ein Völlzugsauftrag. Zur Bedeutung des Gesetzes bei der Schutzpflicht weiter Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 151 ff.; Badura, in: HStR VII, § 159 Rn. 29 ff. 624 Pieroth/Schlink, Rn. 267 unter Verweis auf BVerfGE 88, 103 (115 ff.); ähnlich Ossenbühl, in: HStR III, § 62 Rn. 48 m. w. Nw. 625 Dazu unten B Kap. 2 III. 2. 626 Pieroth/Schlink, Rn. 267 unter Verweis auf BVerfGE 88, 103 (115 ff.).

Kap. 2: Die Erfüllung der. grundrechtlichen Schutzpflicht

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Ordnung unter der Geltung der übergeordneten Grundrechtsordnung entgegenzuhalten. 627 Im vorliegend untersuchten Arzt-Patienten-Verhältnis ist überdies die Gleichordnung zwischen Arzt und Patient zu bezweifeln - dazu sogleich. Von besonderer Schwierigkeit ist die fachgerichtliche Tätigkeit danach in den Fällen, in denen das Parlament die Wahrnehmung seiner Regelungskompetenz in Kenntnis eines regelungsbedürftigen Tatbestandes bewußt unterlassen hat. Dasselbe gilt, wenn die Fachgerichte nicht nur unbekannte oder unbewußte punktuelle oder partielle Gesetzes- und Regelungslücken schließen, sondern Regelungen für einen mehr oder minder großen Sozialbereich entwerfen. 628 Auch gegenüber einer Anpassung gesetzlicher Vorgaben, die durch gesellschaftliche oder technische Entwicklungen überholt sind, 629 ist angesichts der mit dem Gebot dynamischen Rechtsgüterschutzes verbundenen Pflicht zur Nachbesserung von (Schutz)Gesetzen Zurückhaltung geboten. Die zulässige Rechtsfortbildung ist wegen des Vorrangs des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG überschritten, wenn von bewußter gesetzgeberischer Entscheidung abgewichen wird. 630 Auch bei verfassungswidrigen Gesetzen, sei es wegen übermäßiger gesetzlicher Schutzgewährung, sei es wegen ausdrücklicher gesetzlicher Schutzversagung, bleibt in der Regel wegen Art. 100 Abs. 1 GG nur die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. 631 Die Bereiche des Arzt-Patienten-Verhältnisses, in denen parlamentarische Regelungspflichten bestehen, denen nachgekommen wurde oder in Zukunft nachzukommen ist, werden im zweiten Teil der Untersuchung (B) herausgearbeitet. An dieser Stelle genügt es zu betonen, daß durch parlamentarische Regelungen eine Beschränkung der richterlichen Gestaltungsfreiheit bewirkt wird. Insoweit ist - gleichsam vorbereitend - festzuhalten, daß die zivil- und strafrechtliche Erfassung des ArztPatienten-Verhältnisses demgegenüber bislang maßgeblich und ausgreifend von der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit geprägt wird. Spezifische gesetzliche Regelungen bestehen insoweit nicht. 632 Ob Vereinbarungen zwischen Ärzten und Patienten zu627

Siehe oben 1.1. b). Vgl. Stern, Staatsrecht II, §37112 (S.584ff.); Ossenbühl, in: HStR III, §61 Rn.38ff.; für den Bereich des Zivilrechts zurückhaltend aber BVerfGE 88, 103 (115 f.). 629 Vgl. Ossenbühl, in: HStR III, §61 Rn.39. 630 Vgl. Stern, Staatsrecht II, § 37112 (S. 584); Diederichsen, S.41 ff., der zugleich eine Vielzahl von Entscheidungen „contra-legem" konstatiert. Zu Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Gesetzesderogation ausführlich Neuner, S. 139 ff. und passim. 631 Stern, Staatsrecht II, § 37 II 2 (S. 584) m. w. Nw. Im Gesundheitsrecht sind von Art. 100 Abs. 1 GG nicht erfaßte vorkonstitutionelle Gesetze kaum denkbar; BGB, StGB und die Prozeßordnungen sind jedenfalls aufgrund des Bestätigungswillens des Gesetzgebers erfaßt; vgl. Sturm, in: Sachs, Art. 100 Rn. 11. 632 Nur im Sonderbereich Embryonenschutz/künstliche Fortpflanzung/Schwangerschaftsabbruch bestehen schon länger besondere/spezifische Regelungen, die zusätzliche Bindungen der Fachgerichte bewirken. In jüngster Zeit ist die Normierung des Transplantations- und Transfusionswesens hinzugetreten, deren Auswirkung auf die forensische Praxis noch nicht bewertet werden kann; zu diesen besonderen Regelungen, deren Regelungsbereich das eigentliche Arzt-Patienten-Verhältnis übersteigt, unten B Kap. 3 I., Kap. 4. 628

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

lässig und wirksam sind, ergibt sich vor allem aus der Generalklausel des § 138 BGB. 633 Im Bereich der Bestimmung der vertraglichen Leistungen dominiert die Generalklausel des § 242 BGB, der Bereich der vertraglichen Arzthaftung wird praktisch ausschließlich durch die ungeschriebene Anspruchsgrundlage der positiven Vertragsverletzung (pVV) 6 3 4 erfaßt. Dazu treten die deliktischen Anspruchsgrundlagen der §§ 823,847 BGB, 635 die eine Bewertung der ärztlichen Tätigkeit notwendig machen: Inwieweit können die Wiederherstellung der Gesundheit bezwekkende Heilbehandlungen als Körperverletzungen eingeordnet werden? Vor derselben Fragestellung stehen die Strafgerichte bei der Einordnung ärztlicher Tätigkeit als Körperverletzungen nach § 223 StGB, wobei die Rechtsprechung nach wie vor auf einer dies bejahenden Entscheidung des Reichsgerichts fußt. 636 Schon nach diesem kurzen Abriß stellt sich die Frage, ob das herkömmliche Zivilund Strafrecht in seiner inhaltlichen Prägung durch die im Rahmen des nachträglichen Haftungsrechts sanktionierend entscheidende Fachgerichtsbarkeit die Entwicklungen und Möglichkeiten moderner Medizin in ihrer Anwendung im Arzt-Patienten-Verhältnis bewältigen kann. Infolge der tatsächlichen medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritte in den letzten 100 Jahren sowie der zunehmenden Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflicht, die dem Staat seine Position im dreipoligen Rechtsverhältnis zuweist, ist zu bezweifeln, ob die Aufgaben der legislativen Steuerung und der Interessen- und Konfliktlösung durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen bewältigt werden. Die Zweifel werden durch den bemerkenswerten Umstand bestätigt, daß mit der richterlichen Gestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses eine Umkehrung der tatsächlichen Situation der Beteiligten einherging, die bislang noch gar nicht angesprochen wurde. In der zutreffenden privatund vertragsrechtlichen Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses spiegelt sich die auch in diesem vorgenommene selbstbestimmte Lebensgestaltung wider. Durch die auf der Vorstellung im wesentlichen gleichrangig agierender Rechtssubjekte beruhende Privatautonomie wird jedoch der historische Wandel der Beziehung von Arzt zu Patient verdeckt. Vor und noch während der Schaffung des BGB war das vordringlichste Anliegen der Ärzteschaft die Eigenständigkeit: In das 19. Jahrhundert fällt die Gründung zahlreicher Standesorganisationen mit dem Ziel, den Ärzten Frei633 Nach Palandt!Heinrichs, § 138 Rn. 1 stellt sie das notwendige Korrektiv zur Privatautonomie dar, die die Gefahr des Mißbrauchs mit sich bringt, ohne daß die zahlreichen Mißbrauchsmöglichkeiten durch bestimmte umschriebene Verbote abschließend erfaßt werden können. 634 Die pVV erfaßt die Einstandspflicht des Schuldners für Vertragsverletzungen als dritte Art der Leistungsstörung neben den ausdrücklich geregelten Vorschriften über die Unmöglichkeit und den Verzug; sie gilt als gesicherter Bestandteil des Schuldrechts und wird z.T. auch in den Rang des Gewohnheitsrechts gehoben; vgl. PalandtlHeinrichs, §276 Rn. 104 f. m. w.Nw.; zu den Änderungen durch das „Schuldrechtsmodernisierungsgesetz" seit dem 1.1.2002 sowie dem Zivilrecht insgesamt unten B Kap. 1. 635 Zur seit dem 1.8.2002 geltenden Rechtslage bzgl. des Schmerzensgeldes unten B Kap. 1 II. 1. 636 RGSt 25, 375; dazu unten B Kap. 2.

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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räume gegenüber dem Staat zu verschaffen. Im Verhältnis zu den Patienten bestand dagegen eine strukturelle Asymmetrie: Der Patient spielte hier den dominierenden Part, die Ärzte waren sowohl in ihren Behandlungsmethoden als auch in ihren Einkommensverhältnissen von Launen und Gunst ihrer Klienten abhängig.638 Dies lag am niedrigen Stand der medizinischen Wissenschaft, dem Mangel an Kenntnissen und Fähigkeiten der behandelnden Ärzte sowie der geringen Nachfrage. 639 Heutzutage hat sich diese Asymmetrie diametral gewendet: Der Patient bleibt aus den Entscheidungen, mit welchen Mitteln und auf welche Weise seine Gesundheit wiederhergestellt werden soll, weitgehend ausgeschlossen, mit anderen Worten: der Arzt entscheidet souverän über Länge und Art der Behandlung.640 Da sich diese Kehrtwende vom Zivilgesetzgeber scheinbar unbemerkt vollziehen konnte oder diesen zumindest unbeeindruckt gelassen hat, stellt sich die Frage, ob die viel beschworene Privatautonomie und Vertragsfreiheit nicht nur Spielball der gesellschaftlichen und medizinisch-technischen Entwicklung ist. Auch wenn heute, nach gut 50 Jahren Geltung des Grundgesetzes und einer dessen Wertungen beachtenden Rechtsprechung, die vom Schrifttum insgesamt unterstützt wird, die Frage nach dem Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht aufgeworfen wird, 641 führt die Bindung gerade des Gesetzgebers an die grundrechtliche Schutzpflicht dazu, daß dieser agieren muß und rechtsgutsgefährdende Zustände oder Entwicklungen nicht mehr unbeachtet lassen oder sich mit schlichter Reaktion begnügen darf. Mit dieser Sichtweise im Einklang steht die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, durch die in die prinzipielle Gleichordnung der Rechtssubjekte im Privatrecht das Erfordernis einer (Kräfte)Gleichgewichtslage im Vertragsrecht implementiert wurde. 642 Mag das Kriterium des Kräftegleichgewichts auch unbestimmt643 oder für den Fall des rein wirtschaftlichen Ungleichgewichts sogar unzutreffend sein, 644 sind doch Fälle der strukturellen und intellektuellen Unterlegenheit einer Vertragspartei denkbar, die eine Einordnung des Vertrags insgesamt als für diese fremdbestimmten Vertrag zulassen.645 Dies trifft m. E. für das Arzt-Patienten-Verhältnis zu, indem der zentrale Vertragsgegenstand der Art und Weise der Durchführung der ärztlichen Behandlung einseitig vom Arzt 637

Dazu ausführlich Huerkamp, S. 241 ff. m. w. Nw. Huerkamp, S. 131. 639 Huerkamp, S. 131. 640 So die zutreffende Einschätzung von Huerkamp, S. 131. Behandlungsabbrüche durch die Patienten sind dagegen äußerst selten. Auf das ärztliche Übergewicht weist auch die EnqueteKommission Moderne Medizin, S.439f. hin. 641 So Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht?; zur Bedeutung der Verfassung für das Zivil- und Strafrecht schon oben I. l.b). 642 Vgl. nur BVerfGE 81,242 - Handelsvertreter; 89,214; BVerfG, NJW 1994,2749-beide zu Bürgschaften; E79, 292 (302 ff.); (zurückhaltender) 89, 1 (8 ff.) - beide zum Mieterschutz. 643 Kritisch Medicus, Privatautonomie, S. 13 f., 17 ff. 644 So Grunsky, S. 12f. 645 Dies räumt auch Grunsky, S. 13 f., 18 f. ein; das Wissensgefälle betonend auch Taupitz, S. 54 f. Kritisch gegenüber einem intellektuellen Ungleichgewicht Medicus, Privatautonomie, S.21 f. 638

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

kraft überlegenem Sachwissen dominiert wird. Dazu treten die weitreichenden Möglichkeiten, aber auch Gefahren der modernen Hochleistungsmedizin. Die Rechtsprechung hat zwar versucht, dieser Entwicklung des Arzt-Patienten-Verhältnisses Rechnung zu tragen, 646 den verfassungsrechtlichen Anforderungen kann sie allein jedoch nicht genügen.647 Die Anwendung und Auslegung der beschriebenen Vorschriften hat zur Gestaltung eines weiten und komplexen, grundrechtsrelevanten Sozialbereichs geführt. In diesem ist die Gefährdung und Verletzung hochrangiger Rechtsgüter des Patienten durch den Arzt von vornherein gegeben, zum Teil als notwendige Bedingung der Heilung, zum Teil aber auch unerwünscht und vermeidbar. Die Sicherungsmechanismen zum Schutz der körperlichen Rechtsgüter und vor allem des Selbstbestimmungsrechts wurden dagegen erst nach und nach von der Fachgerichtsbarkeit fortentwickelt und in den konkreten Fällen auch erst nach Beendigung der (fehlgeschlagenen) Behandlung verbindlich festgelegt. In einzelnen Ausprägungen des Arzt-Patienten-Verhältnisses, zum Beispiel im Bereich der Sterbehilfe, 648 ergeben sich zudem schwierige Grundrechtsfragen und -kollisionen, die m. E. nicht von der Fachgerichtsbarkeit bewältigt werden können und die die einzelnen Fachgerichte auch überfordern. Deren Auflösung ist keine Aufgabe der Rechtsprechung, sondern eine des parlamentarischen Gesetzgebers.649 Seiner Verantwortung und den entsprechenden Regelungspflichten kann sich der Gesetzgeber auch nicht durch Delegation an die Fachgerichte mittels der Verwendung gesetzlicher Generalklauseln entziehen.650 Insoweit besteht allerdings nicht nur eine Parallele zur oben (III.) untersuchten gesetzlichen Einbindung der Landesärztekammern in die staatliche Schutzpflichterfüllung, vielmehr wird das Problem dadurch potenziert, daß die Fachgerichte bei der Auslegung der Generalklauseln standesrechtliche Vorgaben heranziehen. Eine derartige, mehr tatsächlich stattfindende, als vom Gesetzgeber bewußt vorgesehene und überschaubare „doppelte Delegation" ist vor allem mit der demokratischen Komponente des Vorbehalts des Gesetzes unvereinbar. Wie diesem Defizit seitens des Parlaments unter der Prämisse konsistenter und einheitlicher Schutzpflichterfüllung abgeholfen werden kann, wird ebenfalls im zweiten Teil der Arbeit (B) untersucht, da es untrennbar mit der Ausgestaltung des einfachen Rechts zusammenhängt. Festzuhalten bleibt jedoch, daß auch im Bereich legislativer Untätigkeit die Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts über Art. 100 Abs. 1 GG möglich ist, um die verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zum Erlaß von Schutzregelungen durchzusetzen.651 646

Dazu ausführlich unten B Kap. 1, Kap. 2. Kritisch auch Francke, S. 139 f. m. w. Nw. 648 Dazu unten B Kap. 3 II. 649 Vgl. oben 1.1.; im Hinblick auf die Gestaltung der ärztlichen Berufstätigkeit auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn.21 m.w.Nw. Wank, S.256f. führt zu Gunsten des Gesetzgebers das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip an, was der oben II. 3. a) dargestellten Herleitung des Vorbehalts des Gesetzes durch die h. M. entspricht. 650 Vgl. aber Ipsen, S. 63 ff. 651 Dazu auch G. Hermes, S. 272 f. sowie unten Kap. 3 V. 647

Kap. 2: Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

b) Schwierigkeiten

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der Gewährung präventiven Schutzes

Die Unterscheidung zwischen präventivem und sanktionierendem Rechtsgüterschutz tritt vor allem bei der Tätigkeit der Fachgerichtsbarkeit zu Tage. Grundsätzlich gewähren die Zivil- und Strafgerichte nur nachträglichen, das heißt vorwerfbar verursachte Rechtsgutsverletzungen und Schädigungen sanktionierenden Rechtsgüterschutz. Der gerichtlichen Verpflichtung des Arztes zur Zahlung von Schadensersatz, gegebenenfalls auch Schmerzensgeld, oder der Verhängung von Strafen kommt zwar ein gewisser Steuerungseffekt im Hinblick auf das zukünftige Verhalten des verurteilten Arztes, durch Veröffentlichung und Verbreitung der Entscheidung auch anderer Ärzte, zu. 652 Im Vordergrund der nachträglichen Kontrolle durch die Rechtsprechung steht jedoch die Streitschlichtung und Befriedung, für den konkret betroffenen Patienten kommt der Schutz zu spät. Die Fachgerichte können damit nur einen Teil des grundrechtlich gebotenen Schutzes gewährleisten. De lege lata ist die Verpflichtung zur Gewährung präventiven Schutzes im Arzt-PatientenVerhältnis legislativ nur in wenigen spezifischen Bereichen verwirklicht, so daß insoweit eine beträchtliche Schutzlücke zu konstatieren ist, die seitens der Fachgerichte nicht geschlossen werden kann. 653 Ein Beispiel für eine strikte präventive Schutzgewährung durch die Fachgerichtsbarkeit läßt sich dagegen aus dem Gentechnikrecht anführen, das dem Gesundheitsrecht unter dem Aspekt der grundrechtlichen Schutzpflicht verwandt ist. 654 Der VGH Kassel lehnte mangels spezieller gesetzlicher Regelung unter Berufung auf die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Genehmigungsfähigkeit einer gentechnischen Anlage ab. 655 Inhaltlich sind zwar gegenüber der Annahme des VGH Kassel, die beantragte Anlage unterfalle nicht dem Anwendungsbereich des BImSchG, Zweifel angebracht, die maßgebliche Bedeutung der Entscheidung liegt jedoch in der Verknüpfung von gerichtlicher Genehmigungsversagung mit legislativer Untätigkeit. Dementsprechend hat die überwiegende Literatur dem VGH Kassel auch die Verkennung der Systematik liberaler Freiheitsrechte vorgeworfen. 656 Dieser Vorwurf kann in der dreipoligen Schutzpflichtkonstellation allerdings nicht ohne weiteres erhoben werden. Neue Gefährdungslagen lösen die Schutzpflicht aus und können auch neue Schutzregelungen notwendig machen. Die in der Schutzpflichtkonstellation regelmäßig auftretenden Grundrechtskollisionen sind von staatlicher Seite erst aufzulösen, so daß keine dem vorgehende Freiheits652

Zur präventiven Wirkung des § 847 BGB z. B. BGHZ 35,363 (368); zum entsprechenden Bedeutungswandel des Deliktsrechts insgesamt z.B. Brüggemeier, JZ 1986, 969ff.; dagegen mißt z. B. Heinz, uni'kon 03/2001,10f. dem Strafrecht nur geringe präventive Wirkungen bei. 653 Vgl. dazu v. a. die Ergebnisse und Vorschläge der Untersuchung zum Zivil- und Strafrecht; unten B Kap. 1 III., Kap. 2 III. 3. - zu verweisen; zur legislativen Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen des Arzt-Patienten-Verhältnisses unten B Kap. 4. 654 Vgl. nur § 1 GenTG. 655 VGH Kassel, NJW 1990, 336 ff. 656 Vgl. stellvertretend Kloepfer, in: FS Lerche, S. 755 ff. m. w. Nw., auch zu befürwortender Lit (Fn. 1).

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

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Vermutung zu Gunsten des „Angreifers" besteht.657 Aus nicht vorhandenen Schutzgesetzen kann daher nicht auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit rechtsgutsgefährdender Tätigkeit geschlossen werden. Die verfassungsrechtlichen Zweifel an der Entscheidung hinsichtlich des Umgangs mit dem Wesentlichkeitskriterium 658 hätten durch den VGH Kassel allerdings über Art. 100 Abs. 1 GG ausgeräumt werden können.659 Ähnlich wie der VGH Kassel hat auch das Bundesverfassungsgericht zum Atomrecht - wenn auch nur als Möglichkeit und nicht entscheidungsrelevant - ausgeführt, daß eine Anlage, die nicht unter die Schutzregelung des § 7 AtG fällt, von Verfassungs wegen einer (atomrechtlichen) Genehmigung bedürfen kann, so daß die Atomaufsichtsbehörde ebenfalls von Verfassungs wegen verpflichtet sein kann, mit den aufsichtsbehördlichen Mitteln die Errichtung der Anlage solange zu verhindern, bis der Gesetzgeber die erforderliche Regelung nachgeholt hat. 660 Damit wird ein Handlungsdruck auf den Gesetzgeber erzeugt, der sich in rechtspolitischer Art auch infolge der fachgerichtlichen Entscheidung des VGH Kassel entwickelt hat, da diese als Mitauslöser für den Erlaß des GenTG angesehen werden kann. 661 Im Ergebnis gilt es m. E. die Elemente präventiver Schutzgewährung durch die Fachgerichtsbarkeit in Zukunft verstärkt nutzbar zu machen. Da sich diese aber zugleich als Beispiel der - oben (2. a)) skizzierten - Berührung des parlamentarischen Regelungsbereichs durch die Rechtsprechung darstellen, sind die entsprechenden Tendenzen und Möglichkeiten im Arzt-Patienten-Verhältnis, zum Beispiel bei der Anwendung deliktischer Haftungsregeln der §§ 823 ff. BGB oder der Einbindung von Facheinheiten, unter diesem verfassungsrechtlichen Blickwinkel zu betrachten. 662

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Zur „Wertlosigkeit der Formel ,in dubio pro libertate'" im dreipoligen Rechtsverhältnis sehr deutlich Isensee, Sicherheit, S.47f. 658 Vgl. Kloepfer, in: FS Lerche, S.766. 659 Zur Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht unten Kap. 3 V. 660 BVerfGE 78, 290 (300ff.) - Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Der VGH Kassel nahm dies jedoch nicht auf. Auch in BVerfGE - 46,160 (164 f. - Schleyer) wird unmittelbarer Rückgriff auf die Verfassung für zulässig gehalten; zu gesetzesfreien Notbefugnissen Isensee, in: HStRV, §111 Rn.161. 661 Beschluß des VGH Kassel v. 6.11.1989, Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz) v. 20.6.1990, BGB1.I S. 1080. In diesem hat sich der Gesetzgeber zwar grundsätzlich zu Gunsten der Wirtschaft und Wissenschaft für die Zulässigkeit der Gentechnik entschieden, den Umgang durch verschiedene Schutzregelungen zugunsten der Gefährdeten aber strengen Anforderungen unterstellt. Hervorzuheben sind präventive Verwaltungsverfahren zur Kontrolle der beabsichtigten Tätigkeit und die laufende behördliche Überwachung, die durch zivil- und strafrechtliche Haftungsregelungen ergänzt werden - § 32 GenTG ordnet sogar eine zivilrechtliche Gefährdungshaftung an. 662 Dazu unten B Kap. 1.

Kap. 3: Die „Grenzen" der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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Kapitel 3

Die „Grenzen" der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht Die Anerkennung sowohl der Pflicht des Staates zum Schutz der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Rechtsgüter als auch der beschriebenen Erfüllungskriterien ist nur die eine Seite der verfassungsrechtlichen Ausgangssituation. Auf der anderen Seite ergeben sich verschiedene Schwierigkeiten bei der Etablierung eines normativen Schutzkonzepts und bestehen gegenläufigen Interessen- und Rechtspositionen, die mit der Schutzpflicht und ihrer Erfüllung kollidieren können. Vorliegend werden sie unter dem untechnisch verstandenen Begriff „Grenzen" zusammengefaßt: Neben der bereits oben 663 erörterten, m. E. abzulehnenden Kritik schon an der Existenz und eigenständigen Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht, ihrer Reichweite und Wirkungskraft oder aber der Ableitung von Erfüllungskriterien, bestehen weitere Ansätze zu ihrer Relativierung. 664 Zudem kommen den Ärzten Rechtspositionen zu, die den Interessen und dem Schutz der Patienten auch entgegenstehen können. Bei ihrer Heiltätigkeit im Arzt-Patienten-Verhältnis kommt für die Ärzte der Schutz durch die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, gegebenenfalls auch durch die Wissenschafts- oder Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG in Betracht. Insbesondere aus der Sicht der Ärzte werden diese Freiheiten durch die standesrechtliche Organisation als freier Beruf verstärkt. 665 Daneben ist auch denkbar, daß Rechte der Patienten zu einer Begrenzung der Schutzgewährung führen. Die inhaltliche Steuerung oder gar der Ausschluß bestimmter Heilbehandlungen, sei es wegen ihres hohen Risikos, 666 sei es wegen ihrer UnWirtschaftlichkeit 667 betreffen die Rechtsgüter des Patienten, die der Staat zu schützen antritt. Im Hinblick auf die Zulassung medizinischer Verfahren und Techniken stellt sich die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht des Patienten das Eingehen jedes Risikos umschließt oder ob der Staat auch Schutzmaßnahmen gegen den Willen der Schutzsubjekte treffen kann. 668 Die genannte Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Versorgung wird vorwiegend im Bereich des (gesetzlichen) Krankenversicherungsrechts diskutiert, das angesichts der bestehenden und zukünftigen Korrelation von Beitragssummen, Zahl und Alter der Versicherten sowie den medizinischen Möglichkeiten und Versicherungsleistungen in seiner Grundstruktur betroffen ist. 669 663

Passim in Kap. 1 und Kap. 2. Dazu unten II. 665 Dazu unten III. 666 Vgl. z. B. das Verbot der Frischzellentherapie durch RVO nach dem § 6 AMG, das vom BVerfG allerdings wegen Verstoßes gegen die Zuständigkeitsordnung aufgehoben wurde; BVerfGE 102, 26. 667 Vgl. nur §§ 12, 92, 135 SGB V und BSG, NJW 1999, 1805. 668 Dazu unten IV. 669 Dazu unten B Kap. 5. 664

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Das Wirtschaftlichkeitskriterium an sich steht jedoch in einem übergeordneten verfassungsrechtlichen Zusammenhang, der an erster Stelle darzulegen ist - dazu sogleich (I.). Letztlich kann auch eine eingeschränkte oder reduzierte verfassungsgerichtliche Kontrolle der staatlichen Schutztätigkeit als Grenze der Erfüllung der Schutzpflicht eingeordnet werden, da dadurch die Möglichkeit der verbindlichen Durchsetzung des Schutzanspruchs gegenüber den Adressaten beschränkt wird. 670

I. Grundrechtliche Schutzpflicht unter dem Primat der Ökonomie Sowohl in der vorliegenden Untersuchung als auch im gesundheitsrechtlichen Schrifttum war bislang der Konflikt zwischen dem Recht und der Medizin, das Aufeinandertreffen von rechtlichen Anforderungen und ethischen Handlungsmaßstäben dominant. Heutzutage tritt im zugleich untrennbar mit der gesetzlichen Krankenoder Sozialversicherung verbundenen Gesundheitssystem eine ökonomische Komponente hinzu. Unter den Stichworten der Rationierung 671 oder Ressourcenknappheit 672 beschäftigen sich zahlreiche Abhandlungen mit der Tatsache, daß sich die allgemeine Finanznot der öffentlichen Haushalte auch bei der Gesundheitsversorgung niederschlägt. Die moderne Hochleistungs- und Apparatemedizin hat nicht nur zu zunehmenden Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten, sondern auch zu einer enormen Kostensteigerung geführt. Allgemein stellt sich damit die Frage, ob Medizin und Recht unter dem Primat der Ökonomie stehen.673 Umgekehrt könnte jedoch gerade die oft gescholtene „Verrechtlichung der Medizin" einer rein ökonomisch ausgerichteten Gesundheitsversorgung entgegenstehen, da sich die Beschränkung der medizinischen Versorgung ebenfalls über das Instrument des Rechts vollziehen muß, das insoweit auch Sperren entgegensetzen kann. Zweifellos bestimmen auch ökonomische und finanzielle Kriterien die Schaffung des Rechts und können folglich auch seine Anwendung und Auslegung beeinflussen. Mit den aktuellen Problemen könnte daher die sog. „ökonomische Analyse des Rechts" neuen Auftrieb erhalten. Nach dieser sind Rechtspolitik und Rechtsanwendungsorgane gehalten, sämtliche Rechtsnormen so auszugestalten und auszulegen, daß sie den Anreiz zu einem optimalen Einsatz der Ressourcen geben.674 Unter diesem Ansatz wären die Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit nicht nur Abwägungsfaktoren im Rahmen der Entscheidung über konkrete Schutzmaßnahmen. Sie würden vielmehr die Erfüllung der Schutzpflicht maßgeblich bestimmen und die Schutz670

Dazu unten V. Vgl. Krämer, MedR 1996, 1 ff.; Bossmann, MedR 1996, 456ff. 67 2 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 113 ff. 673 Fragestellung nach Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 114 ff. 674 Ausführlich H.-B. Schäfer ¡Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip; weiter H.-B. Schäfer, in: Ott/H.-B. Schäfer, S. 1, 2, 17. Zum Ganzen auch Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 114f. m. Nw. 671

Kap. 3: Die „Grenzen" der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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gewährung aller staatlichen Gewalt prägen. Wegen der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung ist damit die Frage bedeutsam, ob schon die Grundrechtsnormen einer ökonomischen Auslegung zugänglich sind. Ein Gebot zu steten Beachtung ökonomischer Effizienz findet im Grundgesetz keine Stütze. Die öffentlichen Haushalte haben zwar allgemein den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten,675 wie auch Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG die Wirtschaftlichkeit als Prüfungsmaßstab für den Bundesrechnungshof nennt. Als Orientierungsgrundsätze 676 für budgetäres undfinanzpolitisches Handeln sind diese Vorgaben jedoch nicht geeignet, von vornherein auch als verbindliche Maßstäbe bei der Verfassungsauslegung und der darauf beruhenden Rechtserzeugung und -anwendung im Außenverhältnis zwischen Bürger und Staat herangezogen zu werden. Die Verpflichtung des Parlaments zur Schaffung von Schutzgesetzen, die einen effektiven Rechtsgüterschutz bewirken, hat sich zunächst an diesem Kriterium zu orientieren. Die Frage der Nutzenmaximierung oder Kostenminimierung als klassische Handlungsalternativen wirtschaftlichen Handelns677 ist damit nicht notwendig zu verbinden. Dafür spricht auch, daß entsprechende Konkretisierungen des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes erst auf der Ebene des einfachen Rechts erfolgt sind. 678 Insbesondere muß infolgedessen keine ökonomisch gesteuerte Grundrechtsinterpretation vorgenommen werden. Im Gegenteil, die Grundrechte sollen gerade externe Präferenzen wie die Ökonomischen in ihre Schranken verweisen. 679 In besonderer Weise gilt dies für die höchstpersönlichen Grundrechte wie die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Die Verfassung ist hier rein rechtsgutsorientiert, so daß eine Ökonomisierung der Schutzbereiche ausscheidet.680 Wenn nicht gar der Verfassung vorgreiflich, 681 sind diese Rechtsgüter nur um ihrer selbst-Willen geschützt. Ökonomische Aspekte sind daher erst nach autonomer Entscheidung des einfachen Rechts - insbesondere wegen des Rechtsbefehls qua parlamentsgesetzlicher Entscheidung - zu berücksichtigen; sie stehen weder über dem Recht noch vermögen sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu verdrängen oder zu modifizieren. Vordringlichstes Anliegen des Grundgesetzes ist die individuelle Freiheitssicherung. Auch wenn die grundrechtliche Schutzpflicht zu Eingriffen in Freiheitssphären führen kann, dient sie doch vor allem der Freiheitssicherung des Schutzsubjekts. Gegenüber dieser umfassenden Freiheitsgewährleistung, die exemplarisch am Selbst675

Vgl. nur Stern, Staatsrecht II, §§50 III 1 (S. 1239), 50 III 11 (S. 1251 f.); Kisker, in: HStR IV, §89 Rn.58. 676 Zur beschränkten Rechtswirkung und juristischen Bedeutung der Haushaltsgrundsätze z. B. Stern, Staatsrecht II, § 50114 (S. 1238); Kisker, in: HStR IV, § 89 Rn. 60f., beide m. w. Nw. 677 Vgl. z.B. Fischer-Menshausen, in: v.Münch/Kunig, Art. 114 Rn. 18; gleichbedeutend sind die Begriffe Maximalprinzip (Erreichung des größtmöglichen Erfolges mit gegebenen Mitteln) und Minimalprinzip (Erreichung eines bestimmten Erfolges mit geringstmöglichen Mitteln); vgl. Kisker, in: HStR IV, § 89 Rn. 111. 678 Vgl. Stern, Staatsrecht II, § 50 III 2 (S. 1251 f.). 67 9 Eidenmüller, S. 356. 680 Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 115 f. 681 Vgl. nur Art. 1 Abs. 2 GG.

Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

bestimmungsrecht des Einzelnen, das auch suboptimale Entscheidungen umfaßt, oder an anderen höchstpersönlichen Freiheitsverbürgungen, die weithin der Marktrationalität entzogen sind, verdeutlicht werden kann, ist die ökonomische Analyse des Rechts defizitär. 682 Fezer leitet daraus weitreichend ab, daß ökonomische Rechtsanalyse und freiheitliches Rechtsdenken unvereinbar seien. Dies gelte in allen Bereichen des Rechts - parlamentarische Gesetzgebungsarbeit, richterliche Urteilsfindung, Gesetzesvollzug der Verwaltung, privatautonome Vertragsgestaltung und wissenschaftliche Rechtsarbeit der Jurisprudenz, da der monokausale Theorienansatz der eine Ideologie darstellenden ökonomischen Analyse des Rechts die Multifunktionalität des Rechtswesens verkürze und das Recht als Handelnsordnung, die sich auf Tatbestände der sozialen Steuerung bezieht, um seine wesentliche Aufgabe beschneide.683 Zumindest aber sind die Begründung der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihre verfassungsrechtliche Struktur frei von einer Ökonomisierung. Finanzielle Gesichtspunkte können dagegen bei ihrer einfach-rechtlichen Erfüllung Beachtung finden. Allerdings wird beim Aufeinandertreffen von grundrechtlich geschützten Rechtspositionen und finanziellen oder ökonomischen Interessen eine Lösung regelmäßig zu Gunsten der übergeordneten verfassungsrechtlichen Werte und geschützten Rechtsgüter erfolgen. 684 Insoweit enthält die grundrechtliche Schutzpflicht auch eine Steuerungskomponente im Hinblick auf eine finanzielle Ressourcenknappheit. Die grundrechtliche Schutzpflicht setzt einer Rationierung im Gesundheitssystem Grenzen, so daß vorrangig der Gesetzgeber sein Augenmerk auf die Ressourcengewinnung und nicht deren Verteilung zu richten hat. 685 Insgesamt erteilt die Grundrechtsordnung der ökonomischen Analyse des Rechts damit eine Absage, da die Auslegung und Anwendung des Rechts nicht ökonomisch erfolgt, sondern derartige Aspekte höchstens in einen Abwägungsprozeß eingebracht werden können, der aber von der personalen, rechtsgutsorientierten Wertordnung des Grundgesetzes dominiert wird. 686 Während die verfassungs- und grundrechtlichen Vorgaben eo ipso von den staatlichen Gewalten zu beachten sind, bedürfen ökonomische Vorgaben oder eine ökonomische Auslegung der parlamentarischen Anordnung. 687 Nur in ihrem Rahmen kann die ökonomische Effizienz als Maßstab angewendet werden, der dennoch im Einzelfall durch übergeordnetes Verfassungsrecht verdrängt werden kann. Da auch innerhalb der gesellschaftlichen Selbstregulierung zweifelhaft ist, ob die Privaten stets dem Prinzip der ökonomi682

Ebenso Fezer, JZ 1986, 824; N. Horn, AcP 176 (1976), 332f. Fezer, JZ 1986, 823. 684 Ablehnend gegenüber einem Grundrechts„vorbehalt des Möglichen" auch Pieroth! Schlink, Rn. 100; nach Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 144 f. besteht zwar eine Grenze des „faktisch Möglichen", die jedoch die Schutzpflicht nicht in der Weise relativiere wie die sozialen Rechte. 685 vgi ? T aU pitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 116f. und S. 118 ff. zu den verfassungsrechtlichen Grenzen. 683

686 Zutreffend kritisch gegenüber der ökonomischen Analyse des Rechts v. a. Fezer, JZ 1986, 817ff.; JZ 1988, 223ff.; Bossmann, Nds. Ärzteblatt 1998, 3ff. 687 Vgl. Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 115.

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sehen Effizienz folgen, ist im Bereich der Vertragsgestaltung und der Bestimmung von Leistungspflichten, die letztverbindlich durch die ordentliche Gerichtsbarkeit über die Auslegung der Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe erfolgen, Zurückhaltung gegenüber einer derartigen ökonomischen Auslegung angezeigt. Dies insbesondere, weil auch der Gesetzgeber keinen allgemeinen Primat der Ökonomie im Bürgerlichen Recht verankert hat. Umgekehrt enthält die Verfassung Grundentscheidungen zugunsten des Rechtsgüterschutzes, die gerichtliche Rechtsfindung determinieren. In diesen grundrechtlichen Werten finden auch ökonomisch geleitete privatautonome Entscheidungen ihre Grenzen. Beispielhaft sei auf den Umgang mit Entgeltabsprachen im Rahmen der Leih- oder Ersatzmutterschaft 688 oder die - jetzt durch das Transplantationsgesetz spezialgesetzlich contra-ökonomisch geregelte - Gefahr der Einordnung von Organen als Handelsware verwiesen.689 Dies bestätigt, daß das Menschenbild eines schieren Nutzenmaximierers 690 nicht mit dem des Grundgesetzes zu vereinbaren ist. 691

II. Normative „Grenzen" der Schutzpflicht und im Arzt-Patienten-Verhältnis Die bereits beschriebenen Ansätze zur Relativierung der Reichweite und Wirkungskraft der grundrechtlichen Schutzpflicht sind nicht die einzigen, die gegen die Anwendung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Arzt-Patienten-Verhältnis vorgebracht werden. Unter dem Stichwort „normative Grenzen" wird vorliegend untersucht, inwieweit Vorbehalte gegen eine rechtliche Erfassung und Durchdringung des Arzt-Patienten-Verhältnisses begründet sind. Für derartige Vorbehalte lassen sich Ansätze auf zwei Ebenenfinden. Zum einen besteht vor allem in der älteren Literatur schon eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Anerkennung einer Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient - dazu sogleich 1. Diese erstreckt sich zugleich auf die m. E. bestehenden und beschriebenen Verfassungswirkungen im Arzt-Patienten-Verhältnis im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflicht. Insoweit wird bezweifelt, daß die Beziehung zwischen Arzt und Patient derart rechtlich durchdrungen sei, daß der ärztliche Heileingriff sogar an Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu messen sei, da dieses Grundrecht im Hinblick auf die zwangsweisen Behandlungen im Nationalsozialismus und deren zukünftige Verhinderung entworfen worden sei. 692 Im übergeordneten Zusammenhang stehen allgemeine Schwierigkeiten bei 688

Vgl. PalandtlDiederichsen, Einfv § 1591 Rn. 18 ff. m. w.Nw. Dazu unten B Kap. 4 III. 1. 690 REMM (resourceful, evaluative, maximizing man) nach den Theoretikern der ökonomischen Effizienz; vgl. dazu Tietzel, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 30 (1981), 207 ff. 691 Fezer, JZ 1986, 822 sieht in einer derartigen Zentralisierung die Erfüllung der Kardinalaufgabe des Rechts, eine Ordnung ausgleichender Gerechtigkeit zu sein, in Frage gestellt. 692 Vgl. z.B. Schmidt, S.44, 118. Gegen dieses Verständnis schon das Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171, 174f.). 689

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der staatlichen Schutzpflichterfüllung, insbesondere durch den Gesetzgeber - dazu unten 2. 1. Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient Zwischen Arzt und Patient wird regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag im Hinblick auf die ärztliche Tätigkeit geschlossen.693 Nur in Ausnahmefällen wie bei einer Behandlung oder Hilfeleistung an einem Bewußtlosen sind die wesentlichen Voraussetzungen des Vertragsschlusses - Angebot und Annahme - nicht gegeben. Allerdings findet auch hier eine rechtliche Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch das gesetzliche Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag statt. 694 Diese heute ganz überwiegend vorgenommene Einordnung stellt eine Absage an vorwiegend früher vertretene Auffassungen dar, die im Verhältnis zwischen Arzt und Patient Besonderheiten erblickten, die einer rechtlichen Durchdringung entgegenstehen sollten.695 Darunter finden sich sogar romantische Beschreibungen dieses besonderen Verhältnisses zwischen Arzt und Patient: So sprach Kiichenhoff von der „Liebespflicht des Arztes" und davon, „daß das Arztrecht von der Liebe her gestaltetes Recht" sei. 696 Nüchterner und angesichts der jährlichen Zahl von Arzthaftungsprozessen 697 realistischer führt dagegen das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1979 (obgleich im Anschluß an Schmidt) aus, „daß das Verhältnis zwischen Arzt und Patient weit mehr als eine juristische Vertragsbeziehung ist. Die Standesethik steht nicht isoliert neben dem Recht. Sie wirkt allenthalben und ständig in die rechtlichen Beziehungen des Arztes zum Patienten hinein. Was die Standesethik vom Arzt fordert, übernimmt das Recht weithin zugleich als rechtliche Pflicht. Weit mehr als sonst in den sozialen Beziehungen des Menschen fließt im ärztlichen Berufsbereich das Ethische mit dem Rechtlichen zusammen."698 Auch der Bundesgerichtshof hat das Arzt-PatientenVerhältnis in ähnlicher Weise beschrieben. 699 693

Dazu ausführlich unten B Kap. 11. 694 §§677ff. BGB; vgl. stellvertretend Laufs, Arztrecht, Rn. 125 m. entspr. Nw. Zudem kommt ein nachträglicher Vertragsschluß in Betracht, so daß das Institut des faktischen Vertragsschlusses nicht bemüht zu werden braucht; dazu ebenfalls Laufs, Arztrecht, Rn. 126. 695 Zurückhaltend z.B. Schmidt, in: Verhandlungen 44. DJT, S.43ff., 117ff.; ders., in: Ponsold, S. 1 ff. 696 ErmanlKiichenhoff, Vor § 611 1 d; ders., in: Staatslexikon, Sp. 601 ff. 697 Nach Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 112 Rn. 1 f. hat sich eine fast revolutionäre Entwicklung vollzogen: Seit 1980 hat sich Zahl der Prozesse mehr als verdoppelt, bei steigender Tendenz zählen die Haftpflichtversicherer ca. 15.000 neue Arzthaftpflichtfälle pro Jahr, die Gerichte haben sich mit 6000-8000 Klagen pro Jahr zu befassen, bei den Staatsanwaltschaften werden jährlich ca. 2500 Ermittlungsverfahren geführt. 698 BVerfGE 52, 131 (169 f.). 699 Vgl. BGHZ 29, 46 (52 f.); BGHSt 32, 367 (378 f.).

Kap. 3: Die „Grenzen" der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht

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In der Literatur wird eine rechtliche Kontrolle der Medizin und damit auch eine rechtliche Durchdringung des Arzt-Patienten-Verhältnisses heutzutage akzeptiert, wobei nach wie vor oft die Bedeutung des Berufsethos betont wird. 700 Auf der Hand liegt, daß eine ärztliche Behandlung eine andere Qualität aufweist, als eine handwerkliche Tätigkeit am Eigentum des Bestellers oder eine Dienstleistung, die nicht auf die Berührung und den Umgang mit existentiellen Rechtsgütern des Empfängers gerichtet ist. Bei ärztlichen Behandlungen liefert sich der Patient dem behandelnden Arzt gleichsam aus, was ein hohes Maß an Vertrauen in die Persönlichkeit und Sachkunde, aber auch das Organisationsgeschick des Arztes voraussetzt. Unabhängig von einer Durchdringung dieser sozialen Beziehung durch das Recht ist zu bemerken, daß eine Vertrauensbildung auch ein gewisses Maß an Transparenz zwischen den Beteiligten voraussetzt. Diese Transparenz ist beim Patienten angesichts moderner Diagnosemöglichkeiten und im Hinblick auf Therapiefortschritte regelmäßig ohne weiteres gegeben. Anders dagegen beim Arzt, dessen Entscheidungsfindung sich überwiegend intern vollzieht. Dabei verfügt er über die spezifische Sachkunde, deren Einsatz das vordringlichste Interesse des Behandlungsbedürftigen ist. Die Beschreibung der besonderen Situation im Verhältnis zwischen Arzt und Patient führt aber keineswegs dazu, dieses als rechtsfrei anzusehen. Die Beteiligten sind vielmehr eo ipso durch ihr Verhalten oder ihre Tätigkeit von der (Privat- und Straf)Rechtsordnung und damit auch der dieser übergeordneten Verfassung erfaßt. In diesem Sinne ergibt sich die rechtliche Relevanz auch wegen der Vertrauensbeziehung und wird durch diese gerade nicht vermindert. Zutreffend als verfehlt ist es daher bezeichnet worden, wenn Schmidt (unter anderem) Zweifel daran gehegt hat, daß bei ärztlichen Heileingriffen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beachtet werden müsse.701 Das Gesagte gilt grundsätzlich nicht nur bei herkömmlichen Heilbehandlungen, sondern auch im Bereich der Neulandmedizin und insbesondere der Biomedizin, wenngleich hier einzuräumen ist, daß etwaige gesetzliche Regelungen den medizinischen Entwicklungen und Möglichkeiten hinterherzuhinken oder rasch überholt zu werden drohen. 702 Uhlenbruch führt aus, daß „das Handeln des Arztes vielfach im rechtsfreien Raum steht, vor allem, soweit es sich um Neulandmedizin handelt. In solchen Bereichen bestimmt das Berufsethos weitgehend den Inhalt der Vertragspflichten". 703 Allerdings erscheint es paradox, bei Sachverhalten, die hochgradige Risiken für die Rechtsgüter der Patienten - oft Probanden in Personalunion - enthalten, die Verhaltensmaßstäbe nur einer Standesethik entnehmen zu wollen, deren Herkunft und Entwicklung unklar ist. Zudem kommt darin eine Trennung zwischen Standesethik und Standesrecht zum Ausdruck, die weder den Standesregelungen 700 Vgl Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 6 m. zahlr. Nw. 701 Schmidt, in: Verhandlungen 44. DJT, S. 43 ff., 118 ff. ablehnend z. B. das Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171, 174f.). 702 Zu diesem Problem auch bei den „besonderen Regelungen" unten B Kap. 4. 703 Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 6. 9 Hollenbach

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mit Rechtssatzcharakter selbst,704 noch dem Einfluß von Standesethik und -recht auf die Konkretisierung vertraglicher Leistungspflichten gerecht wird. 705 Aufgrund des Bestehens der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihrer Erfüllung durch die unmittelbar verpflichtete staatliche Gewalt mittels der einfachen Rechtsordnung bestehen oder entstehen bei konkreten Gefährdungen der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit, gegebenenfalls auch der Menschenwürde, keine rechtsfreien Räume, in denen Private - und dies sind die Ärzte ganz überwiegend bei ihrer Berufsausübung - nach eigener Ethik die Zulässigkeit ihres Tuns bestimmen. Aus der Anerkennung der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte und ihrer Ausstrahlungswirkung in der gesamten Rechtsordnung folgt zwangsläufig, daß der historische Anlaß den normativen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ohne weiteres begrenzen kann. 706 Gerade die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur staatlichen Schutzpflicht für die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter sind Spiegelbild des Bedeutungswandels der Grundrechte in den vergangenen Jahrzehnten. Sinngemäß kann dies auf ärztliche Tätigkeiten übertragen werden: Der soziale Sinn von ärztlichen Heileingriffen ist heutzutage schlechterdings wesensverschieden von dem verbrecherischen Gebaren der damaligen Geschehnisse,707 was aber die rechtliche Durchdringung der Beziehung zwischen Arzt und Patient nicht hindert. In dieser besteht ein Vertragsverhältnis, das von gesetzlichen Vorschriften erfaßt und vom Verfassungsrecht entsprechend dessen normativem Rang überlagert wird. Aufgrund der heutigen Einordnung und Funktion des Verfassungs- und Privatrechts sowie angesichts der Entwicklungen in der modernen Medizin und der ständig ansteigenden Zahl der gerichtlich zu entscheidenden Arzthaftungsfälle können die genannten, vorwiegend früher vertretenen Auffassungen, die das ärztliche Berufsethos im Verhältnis zwischen Arzt und Patient in den Vordergrund stellen, m. E. nicht mehr aufrechterhalten werden. 708 Infolgedessen lassen sich die oben beschriebenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts als vermittelnd einordnen. Bei ihnen bleibt jedoch unklar, wie sich die postulierte Übernahme der Standesethik durch das Recht in Form von Rechtspflichten rechtstechnisch vollziehen soll und welche rechtlichen Auswirkungen damit verbunden sind. Bezüglich rein ethischer Maßstäbe kann die Auffassung des 704 Vgl. z.B. die Berufsordnung der Landesärztekammer BW v. 14.01.1998 oder das Statut einer Ethikkommission bei der Landesärztekammer BW i.d.F. v. 02.08.1995, die auf ethische Anforderungen und Maßstäbe ausdrücklich Bezug nehmen. 705 Vgl. BVerfGE 52, 131 (169f.); Laufs, Arztrecht, Rn. 110; dazu unten B Kap. 11.2., II. 1. 706 Vgl. auch das Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171, 178). 707 Sondervotum zu BVerfGE 52, 131 (171, 175 f.). 708 Vgl. auch Laufs, Arztrecht, Rn.21ff.; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §39 Rn.6ff. Entsprechend die Rspr. des BGH zur Arzthaftung, die Uhlenbruch, in Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 5 als „Säkularisierung" des Arztrechts bezeichnet. Zur Entwicklung der Rspr. des BGH im Arzthaftungsrecht allgemein Steffen, Entwicklungslinien. Die Notgemeinschaft Medizingeschädigter Baden-Württemberg geht von ca. 100000 Behandlungsfehlern p.a. aus, wobei nur ca. 30 % der Patienten Schadenersatz verlangen und davon die Hälfte diesen zugesprochen bekommt; vgl. http://www.ngm.de/indexl.htm.

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Bundesverfassungsgerichts zwar dahin relativiert werden, daß die zunehmende „Verrechtlichung der Medizin" nicht nur zur Transparenz der ärztlichen Leistungen geführt, sondern zugleich deren Objektivierung bewirkt hat, was eine Überprüfung der ärztlichen Tätigkeit im Einzelfall an bestimmten Standards ermöglicht. Bei der Anlegung objektiver oder objektivierter Standards bleibt für die Anwendung standesethischer Grundsätze jedoch kaum mehr Raum. 709 Daneben wandelt sich die Standesethik über das Standesrecht und dessen Übernahme in die allgemeine Rechtsordnung zu rechtlichen Vorgaben. Die oben 710 beschriebenen verfassungsrechtlichen Grenzen und Bedenken gegenüber einer Einordnung der normenhierarchisch maximal als körperschaftliche Satzung verfaßten und de iure (zunächst) mit begrenzter Binnenwirkung versehenen Standesregelungen als Grundlage für die inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient gelten auch gegenüber den standesethischen Bindungen. Die inhaltliche Steuerung des Zivil- und Strafrechts sowie der Entscheidungen der entsprechenden Fachgerichte ist ohne verstärkte, das heißt detaillierte und parlamentarisch geregelte, Einbindung der Standesorganisationen unzulässig. Sie greifen in dem Parlament vorbehaltene Regelungsbereiche ein und verletzen dadurch auch den Gewaltenteilungsgrundsatz.711 Auch die von Art. 20 Abs. 3 GG angeordnete Bindung an Gesetz und Recht läßt es nicht zu, daß überpositive, moralisch-ethische Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle des positiven Rechts treten. 712 Im Ergebnis besteht damit eine Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient. Bestandteile dieser Rechtsbeziehung sind nicht nur die normative Ausgestaltung, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten sowie der Einfluß standesethischer Elemente.

2. Schwierigkeiten der Schutzpflichterfüllung, insbesondere durch parlamentarische Regelungen Während bei der Schutzpflichterfüllung durch die Exekutive und Judikative weniger die Art und Weise der konkreten Schutzgewährung, sondern ihr Verhältnis zum Gesetzgeber und ihre Einbindung in ein legislatives Schutzkonzept problematisch ist, 713 bestehen bei der Tätigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers andere Schwierigkeiten. Diese werden in das Zentrum der nachfolgenden Ausführungen 709

Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, §39 Rn.6ff. m.w.Nw. Kap. 2 III. 711 Vgl. oben Kap. 2 IV. 712 Vgl. z. B. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 38 m. w. Nw.; dazu und im Hinblick auf die Einordnung legislativer und richterlicher Tätigkeit auch Sachs, in: Sachs, Art. 20 Rn. 103 ff., 113 ff. 713 Dazu schon ausführlich oben Kap. 2, insbesondere III., IV. 710

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gestellt, nicht zuletzt weil sie, soweit ersichtlich, auch im Vordergrund der Erörterungen in der Literatur stehen.714 a) Grundrechtsrelevanz,

Regelungsdichte und Bestimmtheitsgebot

Das Bundesverfassungsgericht bringt das Wesentlichkeitskriterium mit dem Bestimmtheitsgebot in Verbindung. 715 Dies ist zutreffend, da mit steigender Regelungsdichte regelmäßig auch die Bestimmtheit der Regelungen im Hinblick auf den zu regelnden Bereich zunimmt. Dogmatisch hat diese Aussage des Gerichts jedoch die Frage provoziert, wie sich dieses Bestimmtheitserfordernis zum rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot einerseits und den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits verhält. Sie wird überwiegend dahin beantwortet, daß dieses vorbehaltsrechtliche Bestimmtheitsgebot nach Sinn und Zweck sowie Anwendungsbereich unterschiedlich und damit rechtlich unabhängig vom rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist. 716 Dem entspricht, daß bei der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihrer Erfüllung zunächst vor allem das Demokratieprinzip betroffen ist, während das Rechtsstaatsprinzip zusätzliche, das heißt ergänzende, im Fall der Schutzgewährung durch Eingriffe in Grundrechte Dritter aber auch kumulativ-anschließende eigenständige Bedeutung erfährt. Infolgedessen ist der Gesetzgeber zur limitierten Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, Generalklauseln oder Ermessensvorschriften gezwungen.717 Mit dieser zutreffenden Folgerung steht die gesetzgeberische Praxis zum Teil aber nicht im Einklang. Dies gilt nicht nur bei den Gesundheitsschutz bezweckenden Grenzwerten oder technischen Regelwerken im Umweltrecht, 718 sondern auch im Gesundheitsrecht für den ausdrücklichen Verweis auf von Vertretern der ärztlichen Standesorganisationen zu erlassenden Richtlinien, die den Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik bestimmen,719 sowie den schlichten Verweis auf die Verkehrssitte. 720 Zuzugeben ist, daß diese im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz bedeutsamen, sprich grundrechtsrelevanten und wesentlichen Punkte einer förmlichen parlamentsgesetzlichen Regelung nur schwer zugänglich sind. Angesichts der Bedeutung der berührten Grundrechte und der entsprechenden staatlichen Schutzpflicht ist gegenüber der grundsätzlichen Annahme einer Regelungsfeindlichkeit des technischen Sicherheitsrechts oder medizinischer Verfahren, bzw. in deren Rahmen zu be714 Vgl. nur den Überblick bei Staupe, S. 148 ff. m. entspr. Nw.; dazu auch G. Hermes, S. 266ff.; Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 151 ff.; Busch, S. 74ff. 715 BVerfGE 58, 257 (277 ff.); 49, 89 (128 f.); 56, 1 (12 ff.). 716 Staupe, S. 140ff., 148; Kloepfer, JZ 1984, 691. 717 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, 691 m.Rspr.-Nw. 718 Zu diesem „klassischen" Problemkreis z.B. Kloepfer, §§ 1 Rn.30, 3 Rn.9ff., 68ff. 719 So die Regelungen in neueren Gesetzen, z.B. §§ 16 TPG, 12, 18 TFG, nach denen die Richtlinien von der privatrechtlichen Bundesärztekammer erlassen werden. 720 § 242 BGB, ähnlich § 276 BGB.

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achtenden Erkenntnissen und Schutzvorkehrungen, aber Zurückhaltung geboten.721 Ebenso kann auch etwaige mangelnde Sachkunde des Parlaments nicht per se zur Verneinung seiner Regelungspflicht führen. 722 Allgemein steht das inhaltliche Tätigkeitsfeld des Gesetzgebers nicht positiv fest, so daß auch keine von vornherein festgelegten normativen Bereiche bestehen.723 Im Rahmen der bestehenden Regelungspflicht ist eine Reduzierung der Bestimmtheitsanforderungen daher nur zulässig, wenn sie zu Gunsten eines dynamischen und effektiven Rechtsgüterschutzes für die Gefährdeten vorgenommen wird. 724 Ebensowenig wie Unmögliches vom Gesetzgeber verlangt werden kann, kann über den Parlamentsvorbehalt eine Pflicht des Gesetzgebers entstehen, unpraktikable oder im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz defizitäre Regelungen zu erlassen.725 Das parlamentarische Regelungsdefizit muß aber so gering wie möglich bleiben. Ein gewisser Ausgleich kann insoweit durch die Einbindung anderer Hoheitsträger erreicht werden. Durch deren Gesetzesanwendung, das heißt die Konkretisierung der parlamentarischen Vorgaben durch Rechtsverordnungen und Satzungen sowie durch verwaltungsbehördliche und rechtsprechende Tätigkeit, wird das demokratische Regelungsdefizit reduziert. 726 Die Bestimmtheitsanforderungen an die parlamentarischen Regelungen entfallen dadurch nicht, sie richten sich nun an die Art und Weise der Einbindung der anderen Adressaten der Schutzpflicht. Auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen hier vor allem pauschale Einbindungen in Form der Verwendung von General- oder Blankettermächtigungen. Gerade in den Fällen unumgänglicher Delegation ist die eigenständige Verpflichtung der Exekutive und Judikative zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu betonen. Tatsächlich wirksamer Grundrechtsschutz kann in der Tat oftmals nur und am besten durch ein Zusammenspiel der staatlichen Gewalten gewährleistet werden. Dies zeigt sich auch an der präventiven und der sanktionierenden Komponente der grundrechtlichen Schutzpflicht, die sich ergänzen und verschiedene staatliche Funktionsträger ansprechen. Auch und gerade unter dem Aspekt begrenzter parlamentarischer Regelung(smöglichkeit) sind die Maßstäbe des Art. 80 Abs. 1 GG für das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Regierung sowie die oben 727 erarbeiteten Maßstäbe für das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und 721

Ebenso R. Hermes, S. 134f.; Ossenbühl, NZS 1997, 503; für Verfassungswidrigkeit derartiger Verweisungen Stern, Staatsrecht I, § 20IV4 (S. 823 f.), nach dem sie jedoch antezipiertes Sachverständigengutachten oder auch nur Erfahrungswert/Standard mit Beweisfunktion sein können; Stern, Staatsrecht II, § 37 III 10 (S. 635 f.). 722 In diesem Sinne aber G. Müller, S. 148 f. Hinzuweisen ist auf das in der verfassungs- wie fachgerichtlichen Praxis ebenfalls bestehende Problem der Sachkunde, z.B. bei medizinischen Fragen, das selbstverständlich nicht von der Entscheidungspflicht entbinden kann; vgl. v. a. unten B Kap. 1 II. 723 Daher ist die Beschränkung der Schutzpflicht auf normative Bereiche durch BVerfGE 49, 89 (126f.) zirkelschlüssig; ablehnend auch Staupe, S. 154 m. w.Nw.; vgl. auch Lauer, S. 16ff. 724 BVerfGE 49, 89 (137ff.); kritisch dazu Staupe, S. 148 ff. 725 BVerfGE 49, 89(137). 726 Vgl. auch BVerfGE 49, 89 (137). 727 Kap. 2 III., IV.

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Standesorganisationen bzw. „Facheinheiten" zum einen, und Gesetzgeber und Fachgerichtsbarkeit zum anderen, bedeutsam. An diesen sind offene oder versteckte, ausdrückliche oder tatsächliche Delegationen zu messen. b) Übergangsfristen Als weitere problematische Relativierung des Parlamentsvorbehalts - wenn auch, soweit ersichtlich, bislang nicht im Gesundheitsrecht aufgetreten - wird die Gewährung von Übergangsfristen durch die Rechtsprechung genannt.728 Auf die Feststellung einer Verletzung des Parlamentsvorbehalts folgt die Aussage, der förmliche Mangel sei für eine Übergangszeit hinzunehmen, um dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer rechtsförmigen Regelung zu geben.729 Damit soll die Funktionsunfähigkeit staatlicher Einrichtungen oder ein Systemversagen vermieden werden. De facto ermöglichen die Gerichte auf diesem Weg die Weitergeltung untergesetzlicher Normen oder anderer Entscheidungsquellen, so daß verfassungsrechtlich gebotene parlamentarische Regelungen weiterhin ersetzt werden. Diese gerichtliche Praxis ist angesichts der heute gefestigten Wesentlichkeits-Rechtsprechung kritisch zu beurteilen ist, da sie parlamentarischen Tätigkeitsversäumnissen Vorschub leistet. 730 Aufgrund der bereits beschriebenen Probleme, nicht nur bei der Rezeption oder Adaption derartiger Standards und Erfahrungswerte durch die Gerichte, sondern schon beim Zustandekommen der standesrechtlichen Vorgaben, wird die Problematik noch verschärft. Da die Fachgerichte jedoch Grundrechtsschutz zu Gunsten der Patienten gewährleisten und gewährleisten müssen, sind sie zur Anwendung verfassungsrechtlich unzureichender Generalklauseln oder unspezifischer Regelungen verpflichtet, bis der Gesetzgeber ein verfassungskonformes Schutzkonzept etabliert. Dazu und vor allem zum zügigen Erlaß von (Schutz)Regelungen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, kann der Gesetzgeber letztlich nur durch das Bundesverfassungsgericht „gezwungen" werden. 731 c) Weitere Schwierigkeiten Nur am Rande wird die vorliegende Untersuchung von der Kritik berührt, die der Wesentlichkeits-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorwirft, die Unterschiede bei der materiellen Rechtsetzung durch die Exekutive auszublenden.732 728

Z.B. Staupe, S. 155ff. Staupe, S. 155 f. m. zahlr. Nw. zur verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rspr.; einschränkend BVerfGE 41, 251 (266ff.). 730 So schon Staupe, S. 156 f. m. w. Nw. 731 Dazu unten V. 732 Vgl. Papier, VSSR 1990, 127; Böckenförde, S. 395 ff. Diese Kritik sieht einen Widerspruch zwischen dem Wesentlichkeitskriterium und Art. 80 Abs. 1 GG. Während Art. 80 Abs. 1 GG die Rechtsetzung durch Rechtsverordnung in wesentlichen und nicht-wesentlichen Berei729

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Das Wesentlichkeitskriterium ermöglicht in der Tat vor allem die Abgrenzung der Tätigkeit des Parlaments von der anderer Staatsgewalten. Speziell bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht steht es jedoch nicht isoliert, sondern wird durch andere Erfüllungskriterien ergänzt und inhaltlich angereichert. Infolgedessen lassen sich hier auch Aussagen für die Art und Weise der Aufgabenerfüllung innerhalb der Gewalten treffen. Dies zeigt sich zum einen im Bereich der Exekutive am Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und staatlichen Aufsichtsbehörden, 733 und zum anderen im Bereich der Fachgerichtsbarkeit, in dem die Zivilgerichte einen größeren Spielraum bei der Rechtsfortbildung als die Strafgerichte besitzen.734 In dieser Kritik kommt jedoch auch zum Ausdruck, daß das Wesentlichkeitskriterium nicht alle Fragen im Zusammenhang mit dem Vorbehalt des Gesetzes beantworten kann. Über das Wesentlichkeitskriterium wird dem Parlament ein bestimmter Regelungsbereich zugeordnet. Die folgende parlamentarische Aufgabenerfüllung hat sich jedoch innerhalb des verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsgefüges der Art. 70 ff. GG zu vollziehen und den Gewaltenteilungsgrundsatzes nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG zu beachten.735 Im Übrigen wird die Anerkennung von Erfüllungskriterien im verfassungsrechtlichen Schrifttum teilweise zurückhaltend oder ablehnend beurteilt. Die entsprechenden Auffassungen wurden bereits im Zusammenhang mit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht dargestellt. 736 Bei der Durchsicht des Schrifttums fällt diesbezüglich allgemein auf, daß weniger Mühe auf die positive Bestimmung der wesentlichen Inhalte parlamentarischer Regelung verwandt wird als auf die Auflistung gesetzesfreier Materien. 737 chen betrifft, unterliegt in nicht-wesentlichen Bereichen die materielle Rechtsetzung im übrigen, das heißt der Erlaß von Satzungen, Richtlinien oder Verwaltungsvorschriften, keinen Bindungen. Infolgedessen soll durch die Wesentlichkeits-Rechtsprechung die Gefahr drohen, daß die freiheits- und gleichheitssichernde Funktion der materiellen Rechtssatzgebung ignoriert wird; Papier, VSSR 1990, 127 m.w.Nw. 733 Landesärztekammer und Sozialministerium nach § 8 HeilbKG BW, ggf. im Benehmen mit dem Justizministerium gem. § 8 Abs. 2 HeilbKG BW; dazu oben Kap. 2 III. Zur staatlichen Aufsicht über die Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung unten B Kap. 5. 734 Vgl. schon oben Kap. 21., IV. sowie unten B Kap. 1, Kap. 2. Dies ist vor allem deswegen näher zu beleuchten, da in der Regel eine Parallelität von zivil- und strafrechtlicher Arzthaftung festzustellen ist. 735 Dazu oben Kap. 2; zur Zuständigkeit auch BVerfGE 98,265. Aufgrund dessen sind auch Versuche nachvollziehbar, die in Kompetenzabgrenzung von Gesetzgebung und Verwaltung einen sog. „Verwaltungsvorbehält" aus dem vom Gewaltenteilungsgrundsatz garantierten Kernbereich oder gesetzesresistenten Kern der Verwaltungsfunktion ableiten wollen; dazu z. B. Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 56 f.; Meinhard Schröder, in: HStR III, § 67 Rn. 24, beide m. w. Nw. Ebenso problematisch sind parlamentarische Übergriffe in den Bereich der Rechtsprechung, z.B. im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG; dazu z.B. Hartmut Krüger, in: Sachs, Art. 10 Rn.46ff. m.w.Nw. 736 Oben Kap. 2 II. 3. b) bb) (2)-4. 737 Vgl. nur Ossenbühl, HStR III, §62 Rn.46 sowie die Nw. bei Staupe, S. 148ff.

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Trotz der Anerkennung des Parlaments Vorbehalts, die mit der Notwendigkeit der Bestimmung der parlamentarischen Regelungsbereiche und -dichte verbunden ist, scheint angesichts der - zum Teil sogar auf der Grundlage der Rechtsprechung - Aufstellung von „Negativlisten" genau die Zurückhaltung gegenüber parlamentarischen Regelungen zu bestehen, die zugleich dem Parlament vorgeworfen wird. 738

I I I . Grundrechtliche Schutzpflicht und Rechtspositionen der Ärzte Bei der Erfüllung der Schutzpflicht als Gewährleistung des grundrechtlich gebotenen Schutzes werden regelmäßig auch widerstreitende Rechtspositionen und Interessen berührt. Im Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses sind dies die der standesrechtlich organisierten und zugleich gebundenen Ärzte, aber auch anderer Beteiligter, beispielsweise aus dem System der Gesetzlichen Krankenversicherung, in das die ganz überwiegende Anzahl der ärztlichen Heilbehandlungen eingebunden ist. Nachfolgend ist zu untersuchen, ob die mit dem beschriebenen grundrechtlichen Schutzanspruch des Patienten kollidierenden Rechtspositionen ebenfalls grundrechtliche oder nur einfach-rechtliche, das heißt gesetzlich eingeräumte sind und wie ihr Verhältnis zur grundrechtlichen Schutzpflicht ist. 1. Grundrechtskollision infolge der ärztlichen Berufsfreiheit Ärztliche Tätigkeit im Arzt-Patienten-Verhältnis ist Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG. 739 Auch wenn die Ärzte regelmäßig versuchen, bei ihrer Heiltätigkeit den Schutzinteressen ihrer Patienten zu genügen,740 sind Kollisionen mit den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht ausgeschlossen. Wirksamer Patientenschutz kann sich weitestgehend nur über die Ärzte vollziehen, die insoweit das dem ihrigen parallele Grundanliegen des Staates der Heilung und Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten umsetzen.741 Die grundrechtliche Schutzpflicht erfaßt den Weg zur Verwirklichung dieses Grundanliegens. Normative Schutzmaßnahmen richten sich demzufolge zuvörderst an die Ärzte, ihre Einhaltung dient den Patienten. Aufgrund der zunehmenden staatlichen Schutztätigkeit 738

Kritisch auch R. Hermes, S. 131 ff. m. w. Nw. Stellvertretend zu den Begriffsmerkmalen und dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 sowie zum Unterschied zwischen Berufswahl und -ausübung in Anbetracht der Rspr. des BVerfG Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 1 ff., 23 ff., 37; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rn.27ff., 100ff., beide m. zahlr. w. Nw. 740 „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes" - § 1 Abs. 1 Bundesärzteordnung v. 4.2.1970, BGB1.I S.237. Ähnlich auch die ethischen Vorgaben des Hippokratischen Eides, abgedruckt bei Deutsch, Rn. 1029. 741 Dies kommt z. B. im ärztlichen Kammerwesen zum Ausdruck; dazu oben Kap. 2 III. 739

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unterliegen die Ärzte verstärkt Bindungen, deren Nichtbeachtung in der Regel sanktioniert wird. Auch der Sanktionsschutz durch die Zivil- oder Strafgerichte ist Ausdruck eben dieser Kollision zwischen Grundrechtspositionen von Ärzten und Patienten. Dort wird an den Zeitpunkt der Behandlung und die Art und Weise ihrer Durchführung angeknüpft und eine nachträgliche Bewertung der Verletzung vorgenommen; im Fall der Verurteilung wird das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte ärztliche Verhalten regelmäßig auch zukünftig gesteuert. Demgegenüber sieht das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich der Berufsfreiheit durch die Verpflichtung zum Schadensersatz als nicht berührt an. 742 Die der Haftung zu Grunde liegenden Normen des Vertrags- und Deliktsrechts und die gerichtlich ausgesprochene Verpflichtung zum Schadensersatz können nach dieser Auffassung allenfalls mittelbar Auswirkungen auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit haben, in dem sie die Erwartung sorgfältiger Vertragserfüllung nachdrücklich unterstreichen und sich auf den Umfang der gebotenen Haftpflichtversicherung auswirken - eine objektiv berufsregelnde Tendenz kommt ihnen nicht zu. 743 Nach dem Bundesverfassungsgericht kommt daher im Rahmen des Arzthaftungsrechts nur Art. 2 Abs. 1 GG zu Gunsten der Ärzte als Prüfungsmaßstab in Betracht. 744 M. E. ist de lege lata schon dadurch der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt, daß die Rechtsprechung die als Berufspflichten ausgestalteten medizinischen Standards im Rahmen der Haftungsbegründung adaptiert und mit einer vom Standesrecht verschiedenen Rechtsfolge verbindet. Durch die Schaffung vertraglicher Verhaltenspflichten im Wege der Rechtsfortbildung - beispielhaft sei die Aufklärungspflicht des Arztes genannt - wird entgegen dem Bundesverfassungsgericht regelnd in die Heiltätigkeit und damit Berufsausübung eingegriffen. Ebenso bedeutet die festzustellende zivilgerichtliche Aufweichung der Verschuldenshaftung eine Steuerung der ärztlichen Tätigkeit. 745 Die Schutzpflichterfüllung durch die Rechtsprechung greift final in die Berufsfreiheit der Ärzte ein. Zu kurz gegriffen wäre der Einwand, im konkreten Behandlungsverhältnis würde die Annahme einer berufsregelnden Tendenz durch das zeitliche Aufeinanderfolgen von Behandlung und Haftung ausgeschlossen, da bei der Entscheidung über den Schadensersatzanspruch der Ablauf der Behandlung von zentraler rechtlicher Bedeutung ist und zur Beurteilung an deren Anforderungen stets bereits entschiedene Fälle herangezogen werden. Zum Ganzen tritt die Bedeutung der Entscheidungen für die Ausgestaltung der Behandlungen in der Zukunft. 746 742

Vgl. BVerfGE 96, 375 (397); 95, 267 (302). Vgl. BVerfGE 96, 375 (397) m. w.Rspr.-Nw.; 95, 267 (302). 744 BVerfGE 96, 375 (397 ff.). 745 Dazu v. a. unten B Kap. 1 III. 1. 746 Vgl. in diesem Zusammenhang auch H. Franzki, MedR 1994,178 f.; Stürner, NJW 1979, 1336 sieht durch die Verpflichtung zu Schadensersatz immerhin von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Vermögensinteressen betroffen. 743

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Ebenso führt die rechtliche Verbindung der Ärzte mit den öffentlich-rechtlichen Trägern der Krankenversicherung nicht zur Verneinung ihrer Grundrechtsträgerschaft bei der Berufsausübung. Die Regelung der kassen-, besser vertragsärztlichen Tätigkeit durch das SGB V sowie durch die aufgrund des SGB V zustande gekommenen untergesetzlichen Normen lassen zwar Zweifel an der Einordnung der Tätigkeit als freiberuflich aufkommen, nicht aber am Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG. 747 Auch die weitergehende Annahme einer staatlichen Gebundenheit im Sinne einer Annäherung der ärztlichen Tätigkeit an den öffentlichen Dienst kann nicht zur Eliminierung des Grundrechtsschutzes verwendet werden. 748 Die Kollision zwischen Patientenschutz und ärztlicher Berufsausübungsfreiheit könnte jedoch prima facie leicht aufzulösen sein. In formaler Hinsicht enthält Art. 12 Abs. 1 GG einen Gesetzes vorbehält für die Beschränkung der Berufsfreiheit. 749 Die Notwendigkeit von Eingriffen wurde damit vom Verfassungsgeber von vornherein gesehen. Und hinsichtlich der materiellen Anforderungen und Grenzen für Eingriffe in die Berufsfreiheit ist zu beachten, daß die in der vorliegenden Untersuchung besprochenen Eingriffe nicht nur zur Realisierung eines legitimen Zwecks oder Ziels erfolgen, sondern in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, so daß eine unmittelbare Grundrechtskollision gegeben ist. Aufgrund des Gebots der wirksamen Schutzpflichterfüllung und der bedeutenden Rechtsgüter der Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG könnte vermutet werden, daß die bei derartigen Kollisionen vorzunehmende Abwägung regelmäßig zu Lasten der Berufsfreiheit ausgeht, auch wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, die Eingriffe in jene möglichst gering zu halten. Oberstes Gebot könnte aber der Rechtsgüterschutz sein; erkennt doch auch das Bundesverfassungsgericht die Volksgesundheit im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut an, 750 wie auch beim Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG die Berufsfreiheit schlicht zurücktreten müßte. Eine derart weitreichende Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht stößt indes auf zahlreichen Widerspruch. Bedenken werden schon gegenüber dem hier vertretenen Ansatz der Stärkung des Rechtsgüterschutzes der Patienten vorgebracht. 751 Letztlich sind sie dem Kanon der Stimmen zuzuordnen, die eine Abschwächung der grundrechtlichen Schutzpflicht anstreben, die m. E. abzulehnen ist. Daneben bestehen Auffassungen, die durch eine Stärkung der Rechtsposition der Ärzte ein deutliches Gegengewicht zu den Rechten der Patienten schaffen. Wie oben (II. 1.) darge747

Vgl. dazu Boecken, in: FS Maurer, S. 1091 ff. sowie unten B Kap. 5 II. 1. b). Dazu Schmidtke, S. 73 ff. m. zahlr. Nw. 749 Die Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, das Art. 121 GG als einheitliches Grundrecht hinsichtlich Schutzbereich (Berufsfreiheit) und Regelungsvorbehalt für diesen (darüber hinaus wird Art. 12 12 GG als Gesetzesvorbehalt verstanden; BVerfGE 54, 224 [234]) versteht, hat sich überwiegend durchgesetzt; vgl. zur Entwicklung Pieroth/Schlink, Rn.872ff., 236ff.; Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rn. 8, 81 ff.; kritisch in neuerer Zeit Lücke, S. 1 ff., 57 ff. und passim. 750 Vgl. BVerfGE 7, 377 - Apotheken; 57, 70 - Krankenversorgung. 751 Zur Problematik m. entspr. Nw. z. B. Laufs, in: FS Geiger, S. 228. 748

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legt, besteht allerdings zwischen Arzt und Patient keine von einer Liebespflicht des Arztes durchdrungene Sonderbeziehung,752 in der rechtsfreie Räume anzuerkennen sind, in denen das Berufsethos die Vertragspflichten bestimmt.753 Infolge der Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch die Rechtsordnung ist auch die Kritik an einer zunehmenden Verrechtlichung im Gesundheitsrecht754 zu relativieren. Das Augenmerk ist daher auf die Grundrechtsposition der Ärzte zu richten: 755 Hier sollen zum einen aufgrund von Besonderheiten des ärztlichen Berufs rechtliche Freiräume innerhalb der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübung bestehen. 756 Zum anderen kommt zu Gunsten der Ärzte auch der Schutz durch die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG in Betracht. 757 Von vornherein abzulehnen ist allerdings eine Verknüpfung der Grundrechtspositionen von Ärzten und Patienten dergestalt, daß die Berücksichtigung der Grundrechte Dritter (hier: der Ärzte) schon bei der Bestimmung der Schutzpflicht zu erfolgen hat. 758 Dies würde bei konsequenter Fortführung bedeuten, daß die Schutzpflicht gar nicht entsteht, wenn entgegengerichtete Interessen Dritter bestehen.759 Da die grundrechtliche Schutzpflicht im dreipoligen Rechtsverhältnis besteht und durch Eingriffe Dritter ausgelöst wird, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert und es bleibt unklar, worin deren Inhalt bei derartiger Verknüpfung noch bestehen könnte. Die Eigenständigkeit der Schutzpflicht für die Grundrechtsgüter kann verfassungsrechtlich nicht entkräftet werden, so daß weder ihre Entstehung noch der Umfang der Erfüllungspflicht auf Null reduziert werden darf. Folglich können im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Abwägung Rechte Dritter zwar die Erfüllung der Schutzpflicht beeinflussen, nicht aber ihre Entstehung oder ihr Bestehen ausschließen. Umgekehrt vermag die grundrechtliche Schutzpflicht Beschränkungen anderer Grundrechte zu rechtfertigen. 760

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So aber Küchenhojf, ArztR 1967, 179, 184f., 187; vgl. auch Erman/Küchenhojf, Vor §611 l d ; ähnlich Schmidt, in: Ponsold, S.2; an ihn anknüpfend Laufs, Arztrecht, Rn. 12ff. (deutlich zurückhaltender jedoch in Rn.21 ff.) sowie BVerfGE 52, 131 (169 f.). 753 Dazu oben II. 1. m. w. Nw. 754 Allgemein Laufs, in: FS Geiger, S. 228 ff.; nüchterner, auf das Bedürfnis nach normativer Regelung in verschiedenen Bereichen hinweisend Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 6 ff. Zur Wechselseitigkeit von medizinischer Ethik und Medizinrecht Koch, EthikMed 6 (1994), 3 ff. 755 Zu den nachfolgend erörterten Ansätzen auch Francke, S. 56 m. w. Nw. 756 Dazu sogleich 2. 757 Dazu unten 3. 75 8 Böhm, S. 121 führt für diese Auffassung Di Fabio, S. 227 an; dieser relativiert sich in Fn. 171 (S.227) jedoch deutlich und behandelt dies auch im Rahmen des Verhältnisses zwischen Legislative und Verfassungsgerichtsbarkeit. 759 Zutreffend Böhm, S. 121. Es erscheint aber bei dieser Argumentation eine Beschränkung auf grundrechtlich geschützte Interessen angezeigt. 760 Vgl. nur BVerfGE 40,196 (221 f.); ebenso Böhm, S. 121; zur Herleitung und Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht ausführlich oben Kap. 1.

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2. Rechtliche Freiräume bei der Berufsausübung aufgrund von Besonderheiten des ärztlichen Berufs a) Kurier- oder Therapiefreiheit Ganz selbstverständlich wird in der Rechtswissenschaft davon ausgegangen, daß bei ärztlichen Heilbehandlungen dem Arzt Kurier- oder Therapiefreiheit zukommt. 761 Dies trägt der Tatsache Rechnung, daß in der Regel verschiedene Methoden zur Diagnose und Behandlung zur Verfügung stehen. Voraussetzung der Therapiefreiheit ist allerdings grundsätzlich, daß die zur Auswahl stehenden Methoden gleich wirksam und auf ähnlichem Risikoniveau angesiedelt sind. 762 Auch die Orientierung der Fachgerichtsbarkeit an der „Schulmedizin" oder „Regeln der ärztlichen Kunst" bewirkt in der Regel nicht, daß der Arzt von vorn herein zu einer bestimmten Art und Weise der Heilbehandlung verpflichtet ist. 763 Möglich ist allerdings ein Verbot bestimmter Behandlungen zum Schutz der Patienten,764 wie auch die vom Arzt ausgewählte Behandlung verschiedenen rechtlichen Bindungen unterliegt, zu deren Erfassung die Oberbegriffe des Aufklärungsfehlers und des Behandlungsfehlers entwickelt wurden. Ausgehend von der Fremdnützigkeit der Therapiefreiheit 765 wird durch diese Bindungen der Ablauf jeder Heilbehandlung gesteuert und insbesondere bei bestehenden und anerkannten Behandlungsmethoden ergeben sich inhaltliche Anforderungen an die Durchführung - es bildet sich ein objektiver Standard. 766 Aus der Anerkennung der Kurier- oder Therapiefreiheit kann daher nicht auf einen unbeschänkbaren Freiheitsbereich im Rahmen der Berufsfreiheit geschlossen werden. 767 Dem entspricht, daß auch den Grundrechten eine derartige Aufspaltung des Schutzbereichs fremd ist: Nach ganz herrschender Auffassung beziehen sich die Eingriffsmöglichkeiten nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Berufsfreiheit insgesamt.768 Eingriffe in die ärztliche Berufs(ausübungs)freiheit sind im Einzelfall gegenüber dem zu schützenden Belang abzuwägen, wobei im Rahmen 761 Vgl. nur Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, §44 Rn. 6,8 f.; D. Krauß, in: Jung/Schreiber, S. 148; Laufs, Arztrecht, Rn.41,484; Farthmann, in: Jung/Schreiber, S. 132 unter Hinweis auf die Rspr. des RG und BGH. 76 2 Ulsenheimer, Rn. 19c m. w. Nw., aber auch mit Bsp. für Ausnahmen. 763 Dazu D. Krauß, in: Jung/Schreiber, S. 147 ff., der weiter zutreffend daraufhinweist, daß fehlende Regeln nicht nur zu größerer Freiheit der Ärzte, sondern auch zu größerer Freiheit der Richter führen (S. 149); zur Entwicklung vom Kunstfehler zum Behandlungsfehler und deren rechtlicher Bedeutung Fahrtmann, in: Jung/Schreiber, S. 129ff., zum Ganzen auch unten B Kap. 1, Kap. 2. 764 Vgl. BVerfGE 102,26 - Frischzellen (dazu unten B Kap. 41.) oder den Ausschluß durch Richtlinien nach §§ 92, 135 SGB V, der in der Praxis jedoch primär aus ökonomischen Gründen erfolgt (dazu unten B Kap. 5). 765 Dazu z.B. Tag, S.218, 221 ff. 766 Zum Ganzen ausführlich unten B Kap. 1 I., Kap. 2 II. 76 7 Francke, S.63f.; a. A. z.B. Denninger, Pharm.Ind. 49 (1987), 792; Hohm, Arzneimittelsicherheit, 1990, S. 100, beide zitiert nach Francke, S.63 Fn.79. 768 Vgl. nur Pieroth/Schlink, Rn. 806 ff.

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der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten 3-Stufen-Lehre, die in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden hat, 770 eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt. 771 Für eingriffsintensive Regelungen hat das Bundesverfassungsgericht den Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter gefordert und die Volksgesundheit als solches anerkannt. 772 Folglich kommt auch den ausdrücklich grundrechtlich geschützten Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit derartige Bedeutung zu. Es gibt damit keinen Schutzbereichsteil innerhalb des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, der Eingriffen von vornherein entzogen wäre. Die genannte Auffassung wäre nur haltbar, wenn die von der sog. Kurier- oder Therapiefreiheit umfaßten Tätigkeiten den Wesensgehalt der ärztlichen Berufsausübung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 GG darstellen würden. Dies wird jedoch, soweit ersichtlich, nur vereinzelt vertreten 773 und ist kaum zu begründen. 774 Da die ärztlichen Leistungen gegenüber dem Patienten praktisch nur aus der Therapie, das heißt der Diagnose und der Heilbehandlung bestehen, würde der gesamte Bereich der ärztlichen Berufsausübung im Verhältnis zum Patienten mit dem Wesensgehalt oder Kernbereich des Grundrechts zusammenfallen. Ebenso wenig weiterführend im Hinblick auf den grundrechtlich geschützten Freiraum ärztlicher Tätigkeit ist die unklare Aussage des Bundessozialgerichts, nach dem die ärztliche Therapiefreiheit durch „die Berufs- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 12 und 5 GG)" gewährleistet sei. 775 b) Freier Beruf Auch die Feststellung, daß der ärztliche Beruf nicht nur ein selbständiger, sondern auch ein freier sei, führt nicht zu einem gesteigerten verfassungsrechtlichen Schutz im Sinne eines besonderen Maßes an beruflicher Freiheit. 776 Die bloße Begriffsbildung, auch unter Beachtung der historischen Veränderung der Vorausset769

Ausgehend von BVerfGE 7, 377 (405 ff.) - Apotheken. Tettinger, in: Sachs, Art. 12 Rn. 123, auch m.Nw. zu kritischer Lit. (Fn.446, 447). 771 Zum Unterschied zwischen der Prüfung des Bundesverfassungsgericht im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG und einer schulmäßigen Verhältnismäßigkeitsprüfung Pieroth/Schlink, Rn. 846ff., 861. 772 BVerfGE 7, 377 (414). 77 3 B. Tiemann/S. Tiemann, S. 175 f. bejahen eine Verletzung der ärztlichen Therapiefreiheit und des Wesensgehalts des Art. 12 Abs. 1 GG durch die finanziell und ökonomisch geprägten untergesetzlichen Vorgaben im System der Gesetzlichen Krankenversicherung. 774 Aus der eben genannten Auffassung kann v. a. nicht darauf geschlossen werden, daß die beschriebenen Eingriffe in die Therapiefreiheit zum Schutz der Rechtsgüter der Patienten gegen Art. 19 Abs. 2 GG verstoßen; für die Zulässigkeit der Antastung des Kernbereichs eines Grundrechts zum Schutz überragend wichtiger Gründe des Allgemeinwohls sogar Hartmut Krüger, in: Sachs, Art. 19 Rn.32; Stern, Staatsrecht III/2, §85 III2 (S.867f.); vgl. auch Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rn.22ff.; Häberle, S.58ff., 234ff.; spezifisch für das Arzt-Patienten-Verhältnis Francke, S.63. 775 BSGE 73, 66 (71), ohne Begründung. 77 6 Francke, S.56ff., differenzierend aber z.B. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 256; Schmidtke, S.41ff. 77 0

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zungen der ärztlichen Berufsausübung, kann keine derartige Rechtswirkung entfalten. Dem Begriff des freien Berufs liegt die gesellschaftliche Situation des frühen Liberalismus zugrunde. 777 Die damit damals verbundenen Freiräume sind angesichts der heutigen Rechtsordnung zu modifizieren - es sind dieselben Überlegungen wie zum Verhältnis zwischen Privatrecht und Verfassungsrecht anzubringen. 778 Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht schon früh entschieden, daß der Begriff des freien Berufs kein eindeutiger Rechtsbegriff, sondern ein soziologischer Begriff sei, aus dem keine präzisen normativen Wirkungen ableitbar seien.779 Mangels normativen Gehalts können dem Begriff des freien Berufs damit auch keine verfassungsrechtlichen Wirkungen entnommen werden. Dies gilt insbesondere im Verhältnis zum Patienten.780 Die zum Teil herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nach dem der Arzt eine unabhängige und eigenverantwortliche Stellung innehat, beziehen sich nur auf die organisatorische Fragen selbständiger Ärzte, nämlich die Arbeitszeit und das wirtschaftliche Risiko. 781 Auch eine besitzstandsschützende Garantie kann Art. 12 Abs. 1 GG für die freien Berufe nicht entnommen werden. 782 Genauso wenig kann aus der einfachgesetzlichen Verwendung des Begriffs des freien Berufs, zum Beispiel in § 1 Abs. 2 BÄO, 783 auf eine verfassungsrechtliche Wirkung geschlossen werden. Im Rahmen der Konkretisierung der Verfassung ist eine Differenzierung oder Kategorisierung der unterschiedlichen Berufe auch unter Verwendung dieses Begriffs möglich, ein Umkehrschluß auf Art. 12 Abs. 1 GG jedoch nicht. Bei § 1 Abs. 2 BÄO ist zudem der systematische Zusammenhang zu beachten: die BÄO ist eine Regelung des Berufszulassungsrechts, so daß etwaige Freiheitsräume nicht ohne weiteres auf die Berufsausübung übertragen werden können, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt. 784

77 7

Schmidtke, S. 42 m. w. Nw. Dazu oben Kap.2 I. l.b)aa); vgl. auch Taupitz, S. 151 ff. 779 BVerfGE 10, 354 (364); 11,105 (117); kritisch Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn. 256. Auch die von Taupitz, S. 38 ff. herausgearbeiteten Merkmale der „freien Berufe" gründen auf die Beschreibung der Charakteristika. 780 A.A. Fleischmann, S. 169 ff., nach dem die freiberuflichen Ärzte ohne weiteres zum Grundrechtsschutz der Patienten (Art. 1, 2 GG) verpflichtet sind, was gerade gegen eine staatliche Einbindung spreche. Nach hier vertretener Auffassung ist der Grundrechtsschutz dagegen staatliche (Pflicht)Aufgabe und zugleich gesetzliche und vertragliche Pflicht der Ärzte, die nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zum Wohl der Patienten zusammenzuführen sind, was angesichts des Art. 12 Abs. 1 GG selbstverständlich nicht zu einer Verstaatlichung des Arztberufs führen kann. 781 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn.256 führt z.B. BVerfGE 33,367 (380); 16,286 (294) an. 782 BVerfGE 10, 354 (364); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12 Rn.257; a. A. Brandstetter, S. 87 ff. 783 Bundesärzteordnung v. 4.2.1970, BGBl. I S. 237. 784 Vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19; Laufs, Arztrecht, Rn.54. 778

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c) Berufsständische

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Selbstverwaltung

Letztlich kann auch nicht aus der im Bereich des Ärztewesens geschaffenen berufsständischen Selbstverwaltung auf einen gesteigerten Schutz im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG geschlossen werden. 785 Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck des Selbstverwaltungsrechts. Wie oben (Kap. 2 III.) beschrieben, kann die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zwar delegiert werden, was im Bereich des Ärztewesens zur Bildung von öffentlich-rechtlichen Standes Vertretungen (Landesärztekammern) mit entsprechender Satzungshoheit in den Bundesländern geführt hat. In diesem Sinne führt auch das Bundesverfassungsgericht aus, daß es dem Gesetzgeber grundsätzlich freisteht, öffentliche Aufgaben mittelbar durch Körperschaften des öffentlichen Rechts erfüllen zu lassen, also staatliche Aufgaben an Selbstverwaltungskörper zu delegieren. 786 Aus dem dadurch für diese gesetzlich geschaffenen Freiheitsbereich kann jedoch nicht auf besonderen verfassungsrechtlichen Schutz geschlossen werden. Insbesondere besteht keine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung von Selbstverwaltungseinheiten. Dies erklärt sich schon aus dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der staatlichen Aufgabenerfüllung. Weiter ist Art. 20 Abs. 3 GG zu beachten. Die dort statuierte Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung führt (nur) zu einer Beachtung der verfassungsrechtlich vorgegeben Selbstverwaltungsgarantien. Mit den Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 3 und 28 Abs. 2 GG enthält das Grundgesetz damit gleichsam einen numerus clausus verfassungskräftiger Selbstverwaltungsgarantien. 787 Die weitergehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Länder durch das Grundgesetz in der Verleihung der Selbstverwaltung nicht beschränkt seien,788 läßt sich in Einklang mit der beschriebenen Schutzpflichterfüllung durch das Standesrecht bringen, die grundsätzlich zulässig, nicht aber zwingend oder unumkehrbar ist. 789 Durch die standesrechtliche Ausformung erfährt die ärztliche Berufsausübung damit keinen verstärkten grundrechtlichen Schutz. Im Gegenteil: de lege ferenda ist der ärztliche Stand stärker in die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht einzubinden, was auch Auswirkungen auf die Berufsfreiheit der Ärzte im Arzt-Patienten-Verhältnis hat. 790 Aufgrund der sachlichen Nähe ist schon hier zu sagen, daß dasselbe für die Selbstverwaltung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung gilt. Auch diese ist nur einfach-gesetzlich geschaffen und nicht verfassungsrechtlich gewährleistet.791 Daher können auch das SGB V oder die aufgrund des SGB V erlassenen un785

Ebenso Francke, S.60ff. BVerfGE 15, 235 (242). 787 Hendler, in: HStR IV, § 106 Rn. 55. 788 BVerfGE 12, 319 (325). 789 Vgl. oben Kap. 2 III. 790 Dazu schon oben Kap. 2 III. und weiter unten B Kap. 1 III., Kap. 2 II. 2. 791 Vgl. F. Kirchhof in: HStR IV, § 93 Rn. 8; Hendler, in: HStR IV, § 106 Rn. 55, 57; Bogs, S. 155 ff., beide m. w. Nw., auch zu abw. M. 786

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tergesetzlichen Normen keine Stärkung der Grundrechtsposition der Ärzte bewirken. 792 3. Stärkung der Rechtsposition der Ärzte durch die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit In der Literatur wird überwiegend ohne weiteres angenommen, daß die ärztliche Tätigkeit - bereichsweise - auch der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfallen kann. 793 Da Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht ist, unterliegen Eingriffe hohen Anforderungen. 794 Auch die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht in der Konstellation der Schutzgewährung durch Eingriff ist daher hier problematischer als durch Beschränkungen der Berufsfreiheit. Besonderheiten der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit lassen indes Zweifel daran aufkommen, daß Art. 5 Abs. 3 GG ohne weiteres im Arzt-Patienten-Verhältnis zu Gunsten der Ärzte anzuwenden ist. a) Ärztliche Tätigkeit als Wissenschaft und Forschung Die Begriffe Wissenschaft und Forschung sind inhaltlich zu bestimmen. Dies gilt gerade im Arzt-Patienten-Verhältnis, in dem von den Ärzten verschiedenste Behandlungen durchgeführt werden. Außer der klassischen Heilbehandlung sind weitere Kategorien anerkannt, wie zum Beispiel der Heilversuch oder das Humanexperiment. 795 Vor der Einordnung ärztlicher Tätigkeit als Wissenschaft und Forschung (dazu unten bb)) ist eine grundrechtsdogmatische Frage anzusprechen, die gerade im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gestellt wird: Folgt aus der Freiheit der Wissenschaft und Forschung auch eine Staatsfreiheit dahingehend, daß dem Staat sogar die Definition von Wissenschaft und Forschung verwehrt ist? Die Bejahung dieser Frage würde nicht nur die staatliche Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht erheblich erschweren, sondern zugleich die Rechtsposition der forschenden und (selbstverständlich?) wissenschaftlich tätigen Ärzte stärken.

792 In der Regel wird gerade das Gegenteil diskutiert, d.h. ob die Vorgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht die ärztliche Berufsfreiheit verletzen; dazu und allgemein zur Bedeutung der Gesetzlichen Krankenversicherung für das Arzt-Patienten-Verhältnis unten B Kap. 5. 793 Vgl. z.B. Deutsch, Rn.525; Laufs, Arztrecht, Rn.230,686; Eberbach, S.29f.; R. Keller, MedR 1991,11 f.; Iliadou, S.62ff. m. w.Nw.; umfassend Losch, Wissenschaftsfreiheit, S. 14ff., 58 f. und passim. 794 Vgl. nur Pieroth/Schlink, Rn.314ff., 630; Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 195ff., beide m. zahlr. w. Nw. Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG ist vorliegend nicht einschlägig. 795 Der Heilversuch ist ein Unterfall der Heilbehandlung, bei dem eine neuartige Methode am und zu Gunsten des Patienten angewendet wird; das Humanexperiment ist fremdnützig und dient zugleich dem Fortschritt der Wissenschaft; vgl. Laufs, Rn. 230 und ausführlich Rn. 671 ff.

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aa) Begriffsbestimmung - das Problem der Definitionskompetenz Ganz im Sinne des liberalen Freiheitsverständnisses wird vertreten, daß die Bestimmung der Inhalte des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG dem Staat verwehrt sei. Folge dieses sogenannten Définitions Verbotes ist, daß die Wissenschaftler selbst und ausschließlich für die Bestimmung des Wissenschafts- und Forschungsbegriffs zuständig, die Festlegung der Inhalte von Wissenschaft und Forschung der privaten Selbstbestimmung überlassen sind. 796 Allgemein gesprochen soll sich rechtliche Freiheit dadurch kennzeichnen, daß der Staat den Inhalt der Freiheit nicht definiert. 797 Gegen diese Auffassung sind zahlreiche Argumente vorgebracht worden, die durch die Berufung auf das traditionelle liberale Freiheitskonzept oder das liberale Verteilungsprinzip nicht entkräftet werden können. Die genannte Auffassung widerspricht nicht nur dem modernen Staats Verständnis, nach dem notwendigerweise zu bestimmender staatlicher Schutz Teil einer umfassenden Freiheitsgewährleistung - die Freiheit vom Staat wird durch die Freiheit durch den Staat ergänzt - ist, sondern ist auch angesichts der Grundrechtsordnung nicht haltbar. Sie negiert die Ausgestaltung der grundrechtlichen geschützten Freiheit durch die Einräumung verschiedener Freiheitsräume. Die Erfassung einzelner Lebens- und Sachbereiche in den einzelnen Grundrechtsnormen macht deren inhaltliche Bestimmung ebenso notwendig wie die Tatsache, daß der Staat seiner Verfassungspflicht der Freiheitsgewährleistung nur bei Bestimmung derselben nachkommen kann. Wird der durch Art. 1 Abs. 3 GG gebundenen staatlichen Gewalt die Kompetenz zur Bestimmung der grundrechtlichen Schutzbereiche abgesprochen, geht die Geltungsanordnung des Grundgesetz ins Leere und die auch für das liberale Freiheitsverständnis entscheidende Durchsetzbarkeit der Grundrechte ist nicht gegeben.798 Darüber hinaus entstünden unauflösbare Grundrechtskollisionen und -konkurrenzen, die die vom Verfassungsgeber durch die positiv-rechtliche Zuweisung von Lebens- oder Sachbereichen zu den einzelnen Grundrechtsnormen vorgenommene differenzierte Justierung persönlichen, gesellschaftlichen und sozialen Verhaltens obsolet machen würden. 799 Dies um so mehr, als heute anerkannt ist, daß auch die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte zumindest aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts beschränkbar sind. 800 Die widerstreitenden Rechtspositionen sind nach herrschen796

Zahlr.Nw. bei Iliadou, S.71 ff.; zum verfassungsrechtlichen Hintergrund auch Höfling, Grundrechtsinterpretation, S.28ff., 47 ff., 88 ff., 186ff. 797 Nw. bei Iliadou, S. 72 Fn. 234; dagegen zutreffend Isensee, Freiheitsrechte, S. 17 ff., 35 ff., 59 und passim. 798 Ebenso Iliadou, S. 72 m. w. Nw.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rn. 85; Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 183, 190, der zutreffend auf ein vom Definitionsverbot zu unterscheidendes Diskriminierungs- oder Differenzierungsverbot hinweist; zur Problematik auch BVerfGE 90,1 (12f.); Höfling, Grundrechtsinterpretation, S.28ff., 43ff. 799 Streng davon zu trennen ist die Frage, wie das Verhältnis der staatlichen Organe im Sinne gegenseitiger Kontrolle bei der Begriffsbestimmung ausgestaltet ist; dazu auch Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 190 f. 800 Stellvertretend Pieroth/Schlink, Rn.314ff., 630. Auffassungen, die auf die vorbehaltlos gewährte Wissenschafts- und Forschungsfreiheit die Grundrechtsschranken der Art. 5 Abs. 2 10 Hollenbach

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der Auffassung gegeneinander abzuwägen und einem sachgerechten Ausgleich zuzuführen. 801 Unerläßlich wird die Bestimmung, wenn die Humanforschung grundsätzlich außerhalb des Schutzbereichs angesiedelt wird. 802 Wenn diesbezüglich ohne ausdrücklichen Rückgriff auf die grundrechtliche Schutzpflicht die Gefahr der Mißachtung von Rechten und Gütern Dritter bei einer rein subjektiven Bestimmung des Wissenschafts- und Forschungsbegriffs durch die Wissenschaftler selbst gesehen wird, 803 beschreibt dies dennoch genau die Schutzpflichtkonstellation, die zur Aktualisierung der Schutzpflicht auch im Bereich der Humanforschung führt und deren Erfüllung nicht über ein Definitionsverbot ausgeschlossen werden kann. Bei der Schutzpflichterfüllung durch die staatlichen Organe sind Abwägungen vorzunehmen, für die eine inhaltliche Bestimmung der zu berücksichtigenden Faktoren unerläßlich ist. bb) Wissenschaft und Forschung im Arzt-Patienten-Verhältnis Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist nicht schon deshalb einschlägig, weil die ärztliche Heilbehandlung auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht und in Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt. 804 Auch der mit der Beobachtung und Dokumentation des Krankheitsverlaufs und Gesundungsprozesses im Rahmen der Heilbehandlung verbundene und bezweckte Erkenntnisgewinn ist eher ein Nebenprodukt des Heilungsauftrages im Einzelfall, der ohne diesen wissenschaftlichen „Forschungsbestandteil" nur unzureichend erfüllt werden könnte.805 Der Bereich der Forschung als methodenkritisches Streben nach neuen Erkenntnissen oder selbständige Erarbeitung objektiv neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, 806 der auch die Auftragsforschung und die nicht auf nachfolgende Verkündung gerichtete Forschung umfaßt, 807 ist auch bei bestimmten Behandlungen im Arzt-PatientenVerhältnis berührt. Traditionell wird bei Heilbehandlungen nach einem Vorgehen gemäß den Regeln der ärztlichen Heilkunst - Heileingriffen lege artis - , der Anwendung von Außenseitermethoden und dem Heilversuch unterschieden. 808 Bei Außenoder 2 Abs. 1 GG anwenden wollen, haben sich nicht durchgesetzt, da sie die Systematik des auf die jeweilige Grundrechtsnorm bezogenen Zusammenhangs von Schutzbereich und Schrankenregelung durchbrechen; ganz h. M., BVerfGE 90,1 (12) m. w. Nw. zur Rspr.; Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 223 m. w. Nw., auch zu den genannten a. A. 801 Ausführlich dazu Stern, Staatsrecht III/2, § 82 (S. 603 ff.) m. zahlr. Nw.; Hesse prägte für diesen Ausgleich den inzwischen verbreiteten Begriff der „praktischen Konkordanz"; Hesse, Grundzüge, Rn. 317 ff. 802 Dazu unten b). 803 So z.B. Iliadou,S.13. 804 Francke, S. 152 f.; anders und zugleich unklar aber BSGE 73,66 (71), nach dem die Therapiefreiheit durch die Berufs- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 12 und 5 GG) gewährleistet sei. 805 Im Ergebnis die Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 GG ebenfalls verneinend Francke, S. 152ff.; teilweise a.A z.B. v.Kirchbach, S. 11 ff., 84f., 203ff. 806 Vgl. z.B. BVerwG, NVwZ 1987, 681 (682). 807 Ebenso Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 100 f.

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seitermethoden existieren in der Regel keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse, beim Heilversuch wird regelmäßig medizinisches Neuland betreten. Entsprechend dem Forschungsbegriff wird hieraus in der Tat der Schluß gezogen, daß derartige Heilbehandlungen untrennbar mit der wissenschaftlichen Forschung verbunden sind, wie generell der zukunftsträchtigen Innovativmedizin gern ein besonderes Bedürfnis und adäquater Schutz zugesprochen wird. 809 Dementsprechend wird auch eine besondere verfassungsrechtliche Rechtsstellung alternativer Therapieansätze vertreten. 810 Erst recht wird dies für rein fremdnützige Humanexperimente angenommen, die auch im Rahmen von Arzt-Patienten-Verhältnissen durchgeführt werden. 811 Im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz des Patienten oder Probanden erscheint es allerdings merkwürdig, daß sich derjenige, der eine wenig bekannte und potentiell risikoreiche Behandlungsmethode anwenden will, auf verstärkten grundrechtlichen Schutz berufen können soll. 812 Noch seltsamer ist aber, daß die ordentlichen Gerichte erhöhte Pflichten des Arztes bei von der Schulmedizin abweichenden Behandlungen sowie bei Heilversuchen und Humanexperimenten im Rahmen der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe bejahen813 und damit - regelmäßig ohne auf die ärztliche Rechtsstellung einzugehen - zum Ergebnis gelangen, daß die grundgesetzlich vorbehaltlos gewährte Forschungsfreiheit stärker beschränkt werden kann, als die einem Gesetzes- oder Regelungsvorbehalt unterliegende Berufsfreiheit. M. E. kann dies nicht nur mit der Bindung der staatlichen Gewalt an die grundrechtliche Schutzpflicht erklärt werden, sondern es ist zu hinterfragen, wie sich die Grundrechtsordnung zu Versuchen und Experimenten unmittelbar am Menschen stellt. Mit anderen Worten, ob die medizinische Forschung am Menschen überhaupt grundrechtlich durch Art. 5 Abs. 3 Satz 3 GG geschützt ist.

b) Grundrechtlicher Schutz von Heilversuchen und Experimenten am Menschen In der Literatur wird überwiegend angenommen, daß Versuche und Experimente am Menschen dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfallen, wobei die 808

Zu den Begrifflichkeiten Deutsch, Rn.527ff.; Laufs, Arztrecht, Rn.485 stellt den Außenseitermethoden Neulandbehandlungen und auch die Naturheilkunde (S.410) gleich. 809 Zum Ganzen auch Deutsch, Rn. 525 ff.; aus zivilrechtlicher Sicht Eberbach, S. 2 ff., 27 ff. und passim; bezugnehmend auf das französische Recht A. Jung, S. 25 ff. und passim. 810 Kriele, NJW 1976, 355 ff., mit Bsp. zum Problem des behördlichen Umgangs mit wissenschaftlicher Anerkennung im Rahmen des Standes der medizinischen Wissenschaft. 811 Stellvertretend Deutsch, Rn. 525; Eberbach, S. 29 f., beide m. w. Nw.; zum klinischen Experiment auch Laufs, Arztrecht, Rn.680ff. 812 Ablehnend auch Francke, S. 153 f. 813 Vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 130 Rn. 23 ff.; Steffen, S. 74ff.; Ulsenheimer, Rn. 82 ff. 10*

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dadurch begründete Legitimität keine Schrankenlosigkeit bedeuten soll. 814 Auch das Bundesverfassungsgericht geht von einem weiten Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG aus, dessen Schranken nur unmittelbar der Verfassung zu entnehmen seien.815 Demgegenüber werden auch zurückhaltendere Auffassungen vertreten, 816 die im Ergebnis überzeugender sind. Danach unterfällf es dem privilegierten Tatbestand der Forschungsfreiheit nicht, andere Rechtsgüter zu Forschungszwecken zu beanspruchen; die Forschungsfreiheit soll sich auf die Abwehr staatlicher Einwirkungen und die staatliche Pflicht der Forschungsförderung beschränken.817 Die Beeinträchtigung fremder Rechtsgüter durch die Forschung ist nur zulässig, wenn sie von der allgemeinen Rechtsordnung gedeckt ist. Der Sinn der Forschungsfreiheit ist aber nicht deren Bevorzugung gegenüber kollidierenden Rechtsgütern, deren Rechtssubstanz durch die Forschung instrumental beansprucht werden soll. 818 Damit eröffnet die Forschungsfreiheit keine Rechtsräume zum Übergriff in fremde Rechtssphären und -güter. Gerade die von der herrschenden Meinung anerkannte Begrenzung der wissenschaftlichen Forschung am Menschen durch Menschenwürde, Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit führt zu einer Abwägungsproblematik, die den unterschiedlichen Rechtsgütern unterschiedlichen Wert zuweist. 819 Dies gilt beispielhaft und in besonderer Weise für das Rechtsgut Leben, bei dem teilweise eine unterschiedliche Wertigkeit im Hinblick auf die verschiedenen Entwicklungsstufen vertreten wird: Geborenes oder ungeborenes, Embryonen in utero oder extrakorporal und Entwicklungsprognosen oder Gefahrengrade. 820 Gegenüber qualifizierten, vermeintlich wichtigen wissenschaftlichen Experimenten könnte das Rechtsgut Leben so durchaus im Abwägungsprozeß zurücktreten - die zugrunde gelegten Wertmaßstäbe entscheiden.821 Die genannten Höchstwerte des Grundgesetzes werden von diesem in einer Intensität gewährleistet, die einer derartigen Relativierung widerspricht. Nicht nur die Widerspruchsfreiheit der Grundrechtsordnung verlangt, daß die Inanspruchnahme fremder, verfassungsrechtlich bestimmter Rechtsgüter nicht ebenfalls grundrechtlich geschützt ist. Auch der Schutz der Grundrechtsgüter gegen staatliche und private Eingriffe verhindert, daß der Übergriff seinerseits 814

Deutsch, Rn. 525; R. Keller, MedR 1991,11 f.; w. Nw. auch bei Lerche, in: Lukes/Scholz, S. 89 Fn.1,2. 815 Z. B. BVerfGE 47,327 (367 ff.). Pieroth/Schlink, Rn. 328 ff. weisen allerdings darauf hin, daß die Auffassung des BVerfG zwischen der Einordnung kollidierenden Verfassungsrechts als Schutzbereichsbegrenzung und als Eingriffsrechtfertigung schwankt. 816 Vor allem Lerche, in: Lukes/Scholz, S. 90ff.; Lorenz, in: FS Lerche, S. 267 ff. 817 Lerche, in: Lukes/Scholz, S.91 m.Nw. 818 Lerche, in: Lukes/Scholz, S.91 f. 819 Lorenz, in: FS Lerche, S.269. 820 Dazu ablehnend schon oben Kap. 1 III. 1. m.Nw. zu a. A. 821 Lorenz, in: FS Lerche, S.269; eindrucksvoll bestätigt durch die im Sommer 2002 erfolgte Abstimmung im Dt. Bundestag über den Umgang mit menschlichen Embryonen und embryonalen Stammzellen.

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grundrechtlich geschützt ist. 822 In diesem Sinn gibt schon Art. 2 Abs. 1 GG vor, daß der grundrechtlich geschützte Rahmen verlassen wird, wenn Rechte anderer nicht beeinträchtigt, sondern verletzt werden. 823 Die Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflicht bedeutet eine potentielle Beschränkung der Freiheitsausübung unter Privaten, die Art. 2 Abs. 1 GG insoweit widerspruchsfrei nachzieht.824 aa) Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter Zu präzisieren ist, wann von einem Übergriff im Sinne der Inanspruchnahme eines fremden Rechts gesprochen werden kann. Unter Inanspruchnahme eines fremden Rechts ist dessen unmittelbare Verletzung in einer Art und Weise zu verstehen, in der das fremde Rechtsgut zum Objekt eigener Bestimmung gemacht wird, der Handelnde sich also so geriert, als sei er selbst Inhaber des betreffenden Rechts.825 Damit sind die eigenmächtige Forschung am Menschen und der eigenmächtige Heil versuch nicht von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützt. Eigenmächtigkeit im Sinne der Instrumentalisierung fremder Rechtstellungen für die eigene Interessenverfolgung ist anzunehmen, wenn keine Zustimmung des Patienten oder Probanden zur Behandlung vorliegt oder die Voraussetzungen einer wirksamen Zustimmung nicht gegeben sind, für die auch der Arzt Sorge zu tragen hat. Daran ändert auch die mögliche, in der Regel auch vorliegende Intention der Handlung zu Gunsten der Patienten oder im Interesse der Allgemeinheit nichts. 826 Ebenso ist eine erfolgreiche Behandlung ohne oder gegen den Willen des Rechtsgutsträgers außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs, wenngleich regelmäßig ohne zivil- oder strafrechtliche Sanktion. Eigenmächtige Verfügungen über körperliche Rechtsgüter anderer mögen wissenschaftlich sein, von der Wissenschaftsfreiheit sind sie nicht gedeckt.827 Eine Inanspruchnahme und externe Verfügung kann durch das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers ausgeschlossen werden. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG läßt grundsätzlich Dispositionen des Patienten über Beeinträchtigungen seiner körperlichen Unversehrtheit und Gefährdungen seines Lebens zu. Voraussetzung ist jedoch, daß diese freiverantwortlich und in Kenntnis der spezifischen Beeinträchtigungsumstände erfolgen. Für die grundrechtliche Schutzpflicht ergibt sich daraus 822

Auch das BVerfG geht von einer grundrechtlichen Schutzpflicht gegenüber staatlichen und privaten Eingriffen aus; vgl. auch Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 29. 823 Vgl. Lorenz, in: FS Lerche, S.270. 824 Vgl. auch Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 20; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 91. 825 Lorenz, in: FS Lerche, S.273. 826 Selbst wenn für potentielle Nutznießer der Forschung ebenfalls eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bestünde, würde dies am Vorrang des Grundrechtsschutzes des konkret Betroffenen nichts ändern; zu derartigen Situationen bei der Embryonenforschung und im Transplantationswesen unten B Kap. 3 I.3., Kap. 4 III. 1. 827 Lorenz, in: FS Lerche, S.274.

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eine rechtsbewahrende Funktion in zweifacher Hinsicht. Erstens sind grundrechtlich nicht geschützte eigenmächtige Inanspruchnahmen der körperlichen Rechtsgüter des Schutzsubjekts durch den Staat zu unterbinden. Nur der parlamentarische Gesetzgeber kann hier Ausnahmen zu Gunsten der Forschung in Form der Zulassung bestimmter Handlungen einführen, die eine Erweiterung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bedeutet, die von der Exekutive und Judikative zu beachten ist. 828 Werden keine derartigen Ausnahmen gesetzlich gestattet, gibt die grundrechtliche Schutzpflicht einen umfassenden Schutz vor, wie er zum Beispiel in den Verboten der fremdnützigen Forschung an Embryonen 829 oder an Nicht-Einwilligungsfähigen sowie im Rahmen medizinischer Zwangsbehandlungen830 zum Ausdruck kommt. Zweitens hat der Staat im Bereich nicht eigenmächtiger Behandlungen, die wegen der Zustimmung des Patienten oder Probanden grundrechtlich geschützt sind, den Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sicherzustellen. Hier geht es nicht darum, grundrechtlich nicht geschützte Übergriffe zu verhindern oder gegebenenfalls gesetzlich zuzulassen, sondern die infolge der Selbstbestimmung des Rechtsgutsträgers nicht eigenmächtige Behandlungen auszugestalten. Die grundrechtliche Schutzpflicht erfordert hier Schutzvorkehrungen zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts, um die Eigenmächtigkeit gerade auszuschließen. Der Gesetzgeber zieht insoweit die verfassungsrechtlichen Konturen des Selbstbestimmungsrechts nach und nimmt sachspezifische Konkretisierungen vor. Dabei kann er auch Grenzen des Selbstbestimmungsrechts bestimmen.831 Auch wenn in diesem Rahmen die Forschungstätigkeit zu Eingriffen in die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG führen kann, dominiert wie bei der Abwehr oder Zulassung grundrechtlich nicht geschützter Tätigkeit der Aspekt der Schutzpflichterfüllung. Dieser überlagert den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG, so daß der gesamte Bereich der medizinischen Forschung am Menschen dem Vorbehalt des Gesetzes unterfällt. 832 Neben der Gewährleistung der Voraussetzungen für eine wirksame Ausübung des Selbstbestimmungsrechts bedeutet dies Verfahrenssicherungen und Vorgaben für den Ablauf der Versuche, die als Schutzmaßnahmen vermeidbare und übermäßige Beeinträchtigungen des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit ausschließen sollen. Dem unterfallen auch Beeinträchtigungen der Rechtsgüter der Patienten und Probanden außerhalb der beschriebenen Inanspruchnahme, die von vornherein grundrechtlich geschützt sind. 828 Vgl. Lorenz, in: FS Lerche, S.272f., der konsequenterweise daraufhinweist, daß das Interesse an der Zulassung nicht am Maßstab des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu messen, sondern nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen ist. 829 §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 2 ESchG; dazu unten B Kap. 3 I. 830 §§40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2 AMG, anders bei Heilversuchen gemäß den §§40 Abs. 4, 41 AMG; dazu unten B Kap. 4 II.; in diesem sensiblen Bereich ist auch der absolute Schutz durch Art. 1 Abs. 1 GG mit zu berücksichtigen. 831 Dazu unten IV. 832 Zum Unterschied zwischen Gesetzesvorbehalt und Vorbehalt des Gesetzes sowie dem Zusammenhang zwischen Schutzpflicht und Eingriff oben Kap. 2 II. 1., 2.

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bb) Grundrechtlich geschützte Rechtsgutsbeeinträchtigungen Im Bereich grundrechtlich geschützter Forschungstätigkeit führen Rechtsgutsbeeinträchtigungen bei den Patienten oder Probanden zu einer Abwägung der insoweit kollidierenden Grundrechtsgüter. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine Güterabwägung vornimmt, sondern die Intention des Angreifers berücksichtigt und regelmäßig das Zurücktreten dessen Rechtsgüter annimmt, wenn sich sein Verhalten unmittelbar gegen das geschützte Rechtsgut des anderen richtet.833 Im Arzt-Patienten-Verhältnis wird der Arzt allerdings regelmäßig und schwerlich zu widerlegen den beabsichtigten Heilerfolg oder allgemeinen Nutzen seiner Behandlung vorgeben, so daß sich das Selbstbestimmungsrecht und die daran anknüpfenden Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in einem Maß durchsetzen, wie bei per se zu mißbilligender Intention des Angreifers in Form der Eigenmächtigkeit. Der anders gelagerte Fall, in dem die Rechtsgutsbeeinträchtigung nur unvermeidliche Nebenwirkung bei an sich zu billigenden Zielen und Zwecken ist, 834 ist vorliegend nicht relevant, da medizinische Eingriffe auch bei Unterstellung dieser Intention regelmäßig die Schwelle der bloßen Nebenwirkung überschreiten. In den so gezogenen Rahmen fügt sich auch die Entscheidung zur universitären Krankenversorgung ein. 835 Dort führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß die den Hochschulen übertragene Krankenversorgung in erster Linie an den Erfordernissen einer bestmöglichen Patientenversorgung ausgerichtet sein muß. Daraus folgt, daß die Organisation der Krankenversorgung an Universitäten nicht in gleichem Umfang denselben verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 5 Abs. 3 GG unterliegt, wie sie für die Selbstverwaltung in wissenschaftlichen Angelegenheiten gelten. 836 Was für die Organisation des Klinikbetriebs gilt, muß erst recht für den unmittelbaren Umgang, das heißt die konkrete Behandlung des Patienten gelten. Zudem läßt sich aus der Grundrechtsordnung ein Wertvorrang mancher Grundrechte ableiten, der in einer Güterabwägung regelmäßig ausschlaggebend ist: So ist es zum Beispiel nach Larenz/ Canaris unbedenklich zu sagen, daß Menschenwürde und Leben des Menschen ein höherer Rang zukommt als anderen, insbesondere materiellen Gütern. 837 Das Gesagte gilt nicht nur für die Forschungstätigkeit, sondern auch für die Berufs- und gegebenenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit. 838

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So die zutreffende Interpretation der grundlegenden Entscheidung BVerfGE 7,198- Lüth durch Larenz!Canaris, S. 226 f. 834 In BVerfGE 7, 198 (211 f.) die Bildung der öffentlichen Meinung im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. 835 BVerfGE 57, 70. 836 BVerfGE 57, 70 (LS 1). 837 Larenz!Canaris, S. 231. 838 Lorenz, in: FS Lerche, S. 274.

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c) Folgerungen für die ärztliche Berufsfreiheit Forschungstätigkeit, die wegen der Inanspruchnahme von Rechtsgütern des Patienten nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG erfaßt ist, stellt auch keine von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübung dar. Die oben entwickelte Sichtweise ist weiter auch auf nicht als Forschung einzuordnende ärztliche Behandlungen zu übertragen. Daher sind eigenmächtige Heilbehandlungen nicht von der ärztlichen Berufsfreiheit geschützt. Die Verneinung grundrechtlichen Schutzes bei der Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter gilt auch in Sonderkonstellationen des Arzt-Patienten-Verhältnisses, zum Beispiel beim Schwangerschaftsabbruch. 839 Die hier vertretene Sichtweise ist Auffassungen vorzuziehen, die mit anderer Begründung bestimmtem Verhalten den Grundrechtsschutz durch Art. 12 Abs. 1 GG verwehren wollen. Abzulehnen ist zum einen die Auffassung, die sanktionierbares schädigendes, das heißt einfach-gesetzlich verbotenes Verhalten aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG herausnehmen will, 8 4 0 da der Umfang des Schutzbereichs des Grundrechts nicht durch die einfache Rechtsordnung in derart beschränkender Weise bestimmt werden kann. Hier entstünde ein WertungsWiderspruch, wenn dem Angreifer Schutzlücken im einfachen Recht zu Grundrechtsschutz verhelfen könnten. Bei fahrlässiger Schadenszufügung ist diese Auffassung zudem nicht praktikabel. Im Bereich der ärztlichen Berufsausübung stößt sie insgesamt auf Bedenken, zeigt sich doch gerade bei der Arzthaftung, daß aus den einfach-gesetzlichen Regelungen keine Unterscheidung zwischen beruflicher Tätigkeit und Handlungsverbot möglich ist. Um so mehr gilt dies, weil die Bestimmung rechtswidrigen ärztlichen Verhaltens praktisch ausschließlich durch die Rechtsprechung unter Rückgriff auf standesrechtliche Vorgaben erfolgt. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, bei Grundrechtsbeschränkungen in Form der Gesetzesvorbehalte normiert, muß bei einer derartigen vorgreiflichen Schutzbereichsbegrenzung aber erst recht Anwendung finden. 841 Ebenfalls abzulehnen ist zum anderen die Auffassung, die eine Schwelle der Gemeinschaftsschädlichkeit oder sozialen Unwertigkeit als Kriterium für den Ausschluß aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG etablieren will. 8 4 2 Diese wird durch die einzelne (Heilbehandlung regelmäßig nicht berührt. Angesichts der verfassungs- und einfach-rechtlichen Einordnung wird diese Schwelle auch nicht im Bereich des Transplantationswesens oder bei Schwangerschaftsabbrüchen, die von darauf spezialisierten Ärzten oder Kliniken vorgenommen werden, erreicht. 843 839

Dazu unten B Kap. 3 1.2. c); bei der Sterbehilfe und im Transplantationswesen wird umgekehrt die Fremdbestimmung ausgeschlossen und das Selbstbestimmungsrecht betont; dazu unten B Kap. 3 II., Kap. 4 III. 1. 840 Pieroth/Schlink, Rn. 810 m. w. Nw. 841 Insoweit bestehen nicht nur Regelungsgrenzen des Standesrechts gegenüber Externen, sondern auch den Kammermitgliedern; vgl. Kleine-Cosack, S. 95 ff., 135 ff.; Papenfuß, S. 140ff.; DiFabio, S. 221 f. 842 Vgl. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12 Rn. 9 m. w. Nw.; zu ähnlichen Ansätzen im Rahmen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG R. Keller, MedR 1991, 12 m. w. Nw.

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Im Ergebnis ist der entscheidende Anknüpfungspunkt die Unterscheidung auf verfassungsrechtlicher Ebene zwischen Inanspruchnahme des fremden Rechtsguts und anderen Beeinträchtigungen, die in gleicher Weise für die Art. 12 Abs. 1, 5 Abs. 3 und 2 Abs. 1 GG gilt. Nur die zweitgenannten sind grundrechtlich geschützt, da sie im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers stehen und keine eigenmächtig-verfügende Intention aufweisen. Unterfällt die ärztliche Tätigkeit in diesem Rahmen der grundrechtlich geschützten Forschung und Wissenschaft, kann sie den Grundrechtsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG verstärken. Die Anforderungen an Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit werden vom Bundesverfassungsgericht relativ niedrig angesetzt,844 so daß der zusätzliche Schutz durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG im Hinblick auf den notwendigen Regelungszweck und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedeutsam werden kann.

d) Konsequenzen für die Schutzpflichterfüllung durch das Parlament und die Fachgerichtsbarkeit Schon die Erfassung der ärztlichen Heilbehandlungen durch die bestehenden gesetzlichen Regelungen bereitet Schwierigkeiten und ist angesichts des Vorbehalts des Gesetzes bedenklich.845 Aufgrund der insgesamt weitreichenderen Gefährdungslagen, der Notwendigkeit der Bewältigung ausschließlich fremdnütziger Experimente, schwieriger ethischer Fragen und der hier vertretenen grundrechtlichen Einordnung der Versuche und Experimente am Menschen nimmt der Umfang und die Dichte der parlamentarischen Regelungspflicht bei diesen noch zu. Bislang muß jedoch auch die medizinische Forschung am Menschen überwiegend von der Fachgerichtsbarkeit mit den allgemeinen Vorschriften der §§611, 305 i.V. m. §§ 133, 157, 242 BGB bewältigt werden. Die Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts und Grundrechtsschutzes ist hier jedoch so vielschichtig, daß die allgemeine Vertragsfreiheit als parlamentarische Grundlage nicht ausreicht. 846 Die zivilrechtliche Privatautonomie und Vertragsfreiheit fußt darauf, daß sich beide Vertragspartner im Bereich grundrechtlich geschützter Tätigkeit bewegen. Für die Position des Arztes bestätigt dies Art. 2 Abs. 1 GG, in dem die Privatautonomie nur unter Einbeziehung der dort ausdrücklich als Grenze angeordneten Verletzung von Rechten anderer bestätigt wird. Jenseits dieser regelmäßig durch gesetzliche Verbote - vgl. § 134 843

Zum Transplantationswesen unten B Kap. 4 III. 1.; zum Schwangerschaftsabbruch unten B Kap. 31. 844 In der seit BVerfGE 7, 377 - Apotheken geltenden „Drei-Stufen-Lehre" sind Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit den vergleichsweise geringsten Anforderungen der ersten Stufe zuzuordnen. 845 Vgl. oben Kap. 2 IV. und ausführlich unten B Kap. 1, Kap. 2. 846 A.A. Eberbach, S.44ff., 183, nach dem die Schwierigkeiten der Humanforschung weitestgehend unproblematisch mit diesen bestehenden zivilrechtlichen Regelungen als „Experimentvertrag" bewältigt werden können.

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

BGB - gezogenen Grenze greift nur § 138 BGB. 8 4 7 Dies ist der Rahmen für vertraglich wirksam vereinbarte Rechtsgutsbeeinträchtigungen. Eine rechtssichere Abgrenzung zwischen grundrechtlich nicht geschützten eigenmächtigen Behandlungen und zulässigen Behandlungen, die eine Ausgestaltung des Schutzes des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfordert, ist durch diesen allgemeinen zivilgesetzlichen Rahmen jedoch nicht möglich. Dementsprechend zeigen spezialgesetzliche Regelungen im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht zum einen, daß Differenzierungen bei den Anforderungen an den Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG möglich und notwendig sind, und zum anderen, daß durch sie die Fachgerichte bei der Grundrechtsauslegung entlastet werden. 848 Ebenso wenig kommt eine extensive Anwendung bestehender allgemeiner Strafgesetze, insbesondere der §§223 ff., 212,222 StGB, zur Steuerung und Bewältigung des Bereichs der medizinischen Forschung am Menschen in Betracht. Aus der Verneinung strafbaren Handelns oder fehlender Strafbewehrung müßte im Umkehrschluß die Reichweite zulässiger Tätigkeit „herausgekratzt" werden. 849 Dem steht entgegen, daß das Strafrecht als ultima ratio bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht fungiert, 850 so daß der anzustrebende wirksame Schutz der Patienten und Probanden gerade in komplexen Schutzpflichtkonstellationen in der Regel nicht auf das Strafrecht beschränkt werden kann. Aus den allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften kann die Zulässigkeit von Forschungstätigkeit in den einschlägigen oder neu auftretenden Sachbereichen nicht bestimmt werden. De lege ferenda sind daher die allgemeinen Vorschriften überlagernde Sonderregelungen notwendig, um den Bereich der Versuche und Experimente verfassungskonform zu erfassen, das heißt zuzulassen und sachgerecht zu bewältigen.851 Inhaltlich können sich diese durchaus an bestehenden Regelungen orientieren. Von besonderer Bedeutung ist auch hier die Gewährung präventiven Schutzes sowie die Erkenntnis, daß die Schutzpflicht durch aufeinander abgestimmte Regelungen und entsprechend konzipierte Gesetze zu erfüllen ist, und nicht durch eine Gemengelage verschiedener Vorschriften. 852 847 Das „Sittengesetz" nach Art. 2 Abs. 1 GG kann heute durchaus der verfassungsmäßigen Ordnung zugerechnet werden; vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 19, so daß bei § 138 BGB keine Zuordnungsprobleme entstehen. 848 Zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten unten B Kap. 4 II. 849 Zum Regelungsgeflecht bei der Humanforschung in Deutschland, das derartige Ansätze fördert, auch A. Jung, S. 2. 850 Vgl. nur BVerfGE 39,1; 88,203 sowie die Sondervoten zu BVerfGE 90, 145 (199,212). 851 Zu den zivilrechtlichen Problemen und Vorschlägen de lege ferenda ausführlich unten B Kap. 1 III., Kap. 4 II. 852 Grundsätzlich kommen auch hier Konkretisierungen durch das ärztliche Standesrecht in Betracht, wenn dessen Verzahnung mit der (allgemeinen) Rechtsordnung verfassungsgemäß ausgestaltet ist; a. A. Michael Schröder, VersR 1990, 248 ff., 253, nach dem der Bereich ärztlicher Forschung nicht von den geltenden Heilb-/KG und damit auch nicht von der Satzungsautonomie der LÄK erfaßt wird.

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IV. Grundrechtliche Schutzpflicht und Selbstbestimmungsrecht 1. Grundrechtliche Konfliktlage Auch die Rechtsgüter des Patienten selbst kommen als der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht gegenläufige Rechtsposition in Betracht. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt nicht nur das Leben und die körperliche Unversehrtheit, sondern auch das auf diese bezogene Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers. Damit ist grundsätzlich auch die Befugnis geschützt, über diese Rechtsgüter zu disponieren. Von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wird mit anderen Worten die Entscheidung des Rechtsgutsträgers geschützt, eine Gefährdung oder gar die Verletzung der körperlichen Rechtsgüter in Kauf zu nehmen. Folglich ist denkbar, daß staatliche Maßnahmen in Erfüllung der Schutzpflicht die Autonomie des Patienten und ihre Ausübung beeinträchtigen können.853 Auch die Fälle unerwünschter oder übermäßiger Schutzmaßnahmen sind der grundrechtlichen Schutzpflicht und der Schutzpflichtkonstellation zuzuordnen. 854 Genau wie im Falle unvollständiger oder unterlassener Schutzgewährung kann in unzulässig aufgedrängtem Schutz ein Eingriff in die Rechte des Schutzsubjekts erblickt werden, der nur die Folge des Bestehens der Schutzpflicht ist, die eben in unzulässiger Art und Weise erfüllt wurde. 855 Schutzdefizite bedeuten ein Zuwenig an Schutz, aufgedrängter Schutz ein Zuviel an Schutz. Damit geht es nicht um die vollständige Beseitigung des staatlichen Eingriffs, sondern um den Abbau des Zuviel an staatlichem Schutz. Auslöser der staatlichen Schutzmaßnahmen sind stets die Gefährdungslagen im privaten Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Die Schutzgewährung betrifft daher nicht nur das zweipolige Verhältnis Staat-Patient, 856 sondern Schutzmaßnahmen kommt regelmäßig Doppel Wirkung im dreipoligen Rechtsverhältnis zu. Allerdings richten sie sich in der Regel an den Arzt und beschränken den Patienten indirekt oder mittelbar. Indes liegt die Besonderheit der vorliegenden Konstellation im Zusammentreffen des grundrechtlichen Konflikts beim selben Rechtsträger und im Fall des Patienten sogar innerhalb des Art. 2 Abs. 2 GG. 857 In der Literatur wird dieser Problemkreis allgemein unter den Stichworten des aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung858 oder des Grundrechtsschutzes gegen bzw. vor sich selbst859 diskutiert. 853

Zum Ganzen schon oben Kap. 1 III. 4. m. entspr. Nw. Zurückhaltend aber z.B. G. Hermes, S.228. 855 Zur Konstellation des unterlassenen oder unzureichenden Schutzes oben Kap. 2 II. 2. 856 Sachs, in Stem, Staatsrecht III/l, §67 V 2 (S.736); Robbers, S. 220ff. ordnen auch den Rechtsgutsträger selbst den Gefahrenquellen zu, so daß staatlicher Schutz auch gegen Selbstgefährdung und -Schädigung in Betracht kommt; kritisch Hillgruber, S. 147 f.; G. Hermes, S. 199, 228ff.; zu den verschiedenen Konstellationen auch Dietlein, S.220f. 857 Zum diesem Konflikt schon Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 61 ff. m. zahlr. Nw. 858 Fischer, Die Zulässigkeit aufgedrängten staatlichen Schutzes vor Selbstschädigung. 854

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Die herrschende Meinung nimmt im Ergebnis die Unzulässigkeit eines derartigen Schutzes an, da durch ihn der freiheitliche Staat in sein Gegenteil verkehrt würde. Folglich soll auch die grundrechtliche Schutzpflicht nicht gegen den Grundrechtsträger bzw. das Schutzsubjekt selbst gerichtet werden können.860 Von der Verfügungsbefugnis des Rechtsgutsträgers soll nach herrschender Auffassung allerdings nicht die Selbsttötung oder Zerstörung der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit gedeckt sein. 861 Obwohl umgekehrt keine (Grund)Pflicht zum Leben oder der Erhaltung der körperlichen Unversehrtheit besteht,862 wird vertreten, daß immerhin die Pflicht des Staates bestehe, das Leben gegen Selbstaufgabe zu schützen.863 Darüber hinaus werden vereinzelt auch Gesundheitspflichten oder die Pflicht des Rechtsgutsträgers zur gesundheitsgemäßen Lebensführung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitet. 864 Hiergegen ist jedoch Zurückhaltung geboten. Insbesondere darf die Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus der objektiven Wertordnung nicht dazu führen, dem Einzelnen die Disposition über die ihm zukommenden Rechtsgüter zu versagen.865 Denn die Entscheidung über die Gestaltung eines würdigen und gesunden Lebens könnte dann nur dem Staat zukommen - eine Konsequenz, die von G. Hermes zu Recht als fatal bezeichnet wird. 866 Wegen des freiheitsrechtlichen Charakters der Grundrechte scheidet somit der Schluß von der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht als Bestandteil der grundrechtlichen Wertordnung auf die fehlende Dispositionsbefugnis des Schutzsubjekts aus. Die Subjektivierung der Schutzpflicht und ihre Erstreckung auf das Selbstbestimmungsrecht zeigen vielmehr, daß auch die grundrechtliche Schutzpflicht die Verwirklichung von Freiheit bezweckt und eine Verstärkung grundrechtlicher Freiheitsräume, wenn auch nicht vom Staat, so doch durch den Staat gegenüber einer übermächtigen Stellung der Ärzteschaft und ihren 859 Littwin, Grundrechtsschutz gegen sich selbst; Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst; auf die Unterschiede der schlagwortartig verkürzt beschriebenen Konstellationen weist z. B. Dietlein, S. 220 f. hin. 860 Fischer, S. 281; Hillgruber, S. 175 ff.; G. Hermes, S. 228 ff.; Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn. 90 ff. Aus der h. M. kann damit in jedem Fall darauf geschlossen werden, daß die Schutzpflicht im übrigen anerkannt und durch sie keine Verkürzung freiheitlicher Selbstentfaltung oder gesellschaftlicher Autonomie (mehr?) befürchtet wird. 861 Stellvertretend Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62 m. w. Nw., auch zur Gegenansicht. In BVerfGE 39, 1 (44) wird ausgeführt, daß der Staat sich seiner Verantwortung auch nicht durch Anerkennung eines rechtsfreien Raumes entziehen darf, indem er sich der Wertung enthält und diese der eigenverantwortlichen Entscheidung des Einzelnen überläßt. 862 Vgl. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62. 863 Z. B. Zippelius, JuS 1983, 661 m. w. Nw.; nach Hillgruber, S. 137 wird der Einzelne dadurch aber gerade in die (grundrechtliche) Pflicht genommen; zum Problem auch Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn. 93 m. w. Nw. 864 Doehring, in: FS Zeidler, S. 1553 ff.; w. Nw. bei E. Jung, S. 252 Fn. 20; allgemein zum Problem der Grundpflichten z. B. Bleckmann, § 11 Rn. 324 ff. 865 Infolgedessen ist in besonderen Konstellationen, z.B. der Sterbehilfe, auch eine differenzierte Sichtweise geboten; dazu unten B Kap. 3 II. 866 G. Hermes, S.229; vgl. dazu auch Hillgruber, S. 130ff.; vgl. demgegenüber die Art. 119 Abs. 2,120 WRV, auf deren Übernahme in das GG aufgrund der vorangegangenen Erfahrungen bewußt verzichtet wurde.

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organisierten Interessenvertretungen, bewirkt. Abgesehen davon sind die genannten Pflichten nicht widerspruchsfrei: Dürig bemerkt treffend, daß der Staat nach Art. 2 Abs. 2 GG dem Rechtsgutsträger die Verfügungsgewalt über das eigene Leben „prinzipiell" absprechen kann - das Recht auf körperliche Unversehrtheit soll dagegen dazu führen, daß Heileingriffe gegen den Willen des Patienten (im allgemeinen) verboten sind. 867 Bei der Verweigerung von Operationen muß das staatliche Recht also dem Willen des Patienten, nicht mehr weiter leben zu wollen, untätig zuschauen.868 Dies zeigt, daß zu dieser, im Grundsatz zutreffenden herrschenden Auffassung, einige Anmerkungen aufgrund der Besonderheiten im Arzt-Patienten-Verhältnisses notwendig sind. 2. Besonderheiten im Arzt-Patienten-Verhältnis Im Arzt-Patienten-Verhältnis wird das Bestehen der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihre Erfüllung nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Patient die ärztliche Behandlung duldet oder an ihr mitwirkt. Die ärztlichen Heileingriffe und Risiken, denen der Patient ausgesetzt ist, können nicht als von diesem selbst verursachte Rechtsgutsbeeinträchtigung angesehen werden, die den grundrechtlichen Schutz entfallen lassen, weil der Patient sich bewußt und freiwillig der ärztlichen Behandlung ausgesetzt hat. 869 Die zentrale Wirkung der staatlichen Schutzpflicht beginnt vielmehr gerade, wenn sich der Patient in die Hände des Arztes begibt. 870 Das Erfordernis der Aufklärung durch den Arzt und der Einwilligung durch den Patienten ist in formaler Hinsicht gerade Ausdruck der grundrechtlichen Schutzpflicht und keine Gängelung des Patienten. Dementsprechend werden Einwilligungen im Strafrecht und im Recht der unerlaubten Handlungen auch als Verzicht gegenüber dem Staat auf Rechtsschutz, den dieser unter normalen Umständen zu gewähren verpflichtet ist, eingeordnet. 871 In ihrem Erfordernis kommt indes der Vorrang des prä867

Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 12 mit Fn. 3. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 12 Fn. 3. Medizinische Zwangseingriffe sind nur ausnahmsweise zulässig - hier ist Art. 2 Abs. 2 GG in seiner Eingriffsabwehrfunktion einschlägig, wobei die Ausgestaltung der Zwangseingriffe den Schutzaspekt zu berücksichtigen hat; dazu oben Kap. 2 II. 2. 869 Für die besondere Konstellation des Arzt-Patienten-Verhältnisses passen daher die z.B. von G. Hermes, S. 228 ff. angeführten, allgemeinen Kriterien zur Bestimmung der Voraussetzungen der grundrechtlichen Schutzpflicht nicht ohne weiteres. 870 Neben dieser zentralen Komponente weist die grundrechtliche Schutzpflicht Nebenkomponenten auf, die hier nur genannt werden sollen: zum einen ist unabhängig von der Tätigkeit der Ärzte schon die Krankheitsbekämpfung und -Verhinderung an sich von der Schutzpflicht erfaßt und staatliche Aufgabe, zum anderen kann die von konkreten Arzt-Patienten-Verhältnissen unabhängige und diesen vorangehende staatliche Zulassung zu Heilberufen, wie auch die Verpflichtung zur Weiter- und Fortbildung, ebenfalls als Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht eingeordnet werden. 871 Spieß, S. 10; allgemein auch Robbers, S. 222. Strafrecht und Recht der unerlaubten Handlungen sind um die positive Vertrags- oder Forderungsverletzung zu ergänzen; dazu unten B Kap. 1. 868

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ventiven Schutzes vor der Sanktion zum Ausdruck. Die Aufklärung führt zum Wissen des Patienten um Sinn und Zweck sowie Umfang und Folgen des sich anschließenden Heileingriffs. Dessen Rechtmäßigkeit wird durch die der Aufklärung nachfolgende Einwilligung bewirkt, die vor der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu erteilen ist und - im Rahmen ihrer Wirksamkeit und Reichweite - die vertragliche, deliktische und strafrechtliche Haftung ausschließt. Diese Vorschaltung einer autonomen Entscheidung des Rechtsgutsträgers vor der Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität bedeutet vorbeugenden Rechtsgüterschutz. Geht dieser ins Leere wie bei eigenmächtigen Heilbehandlungen oder Eingriffen, die von der Einwilligung nicht gedeckt sind, schließt sich die Möglichkeit des Sanktionsschutzes im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses an. Aber auch diese wird von der Autonomie des Patienten beherrscht: Zivilrechtlicher Sanktionsschutz kann nur auf Betreiben des geschädigten Patienten gewährt werden 872 und auch die allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit sind grundsätzlich als Antragsdelikte ausgestaltet.873 Der staatliche Schutz des Patienten vor ärztlichen Behandlungen erfaßt damit zunächst den außerhalb der Disposition des Patienten liegenden Bereich des eigenmächtigen Handelns des Arztes. Hier kann ersichtlich nicht von aufgedrängtem Schutz oder Schutz gegen den Willen des Patienten gesprochen werden. Vielmehr wird der Arzt gegen oder ohne den Willen des Patienten tätig, so daß die Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht ausschließlich für die Rechtsgüter des Patienten einsetzt.874 Schwieriger ist die Situation dagegen bei Schutzmaßnahmen innerhalb des Bereichs der Disposition des Patienten. Dies betrifft die Steuerung und Gestaltung der vertraglich vereinbarten, konkreten ärztlichen Behandlung. M. E. ist aber auch hier nicht die Situation des aufgedrängten Grundrechtsschutzes gegeben, da davon auszugehen ist, daß das Arzt-Patienten-Verhältnis darauf basiert, daß die gewählten ärztlichen Verfahren zur Diagnose und Therapie so wenig belastend wie möglich sind. Die Heilung des Patienten ist in der Regel nur über ärztliche Eingriffe zu erreichen. Zugleich sind diese Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und die Gefährdungen des Lebens seitens des Patienten nur in unumgänglichen Maßen gewollt. Mit anderen Worten sind Risiken und Nebenwirkungen so weit wie möglich zu reduzieren und auszuschließen. Das Potential von Behandlungsfehlern ist auch bei klinisch oder experimentell noch nicht abgesicherten Methoden zu minimieren. 875 Folglich kann in staatlichen Schutzmaßnahmen, die eine qualitativ hochwertige Behandlung bezwecken, nach hier vertretenem Verständnis kein aufgedrängter Schutz gesehen werden, da sie nicht nur das ureigenste Interesse des Patienten widerspiegeln, 876 sondern auch dessen Selbstbestimmungsrecht nicht überspielen. Während 872

Ein Grundrechtsverzicht ist beim Nichtgebrauchmachen von Rechtsmitteln als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts nicht zu erblicken; PierothlSchlink, Rn. 144. 873 Vgl. §230 StGB. 874 Unklar Littwin, S.20ff., 182ff.; ähnlich wie hier Dietlein, S.221. 875 Dies gilt unabhängig vom Umfang oder Inhalt des zivilrechtlichen Anspruchs des Patienten; vgl. Ulsenheimer, Rn. 19 c.

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ein Verzicht des Patienten auf alle Schutzvorkehrungen bei der Heilbehandlung unrealistisch ist, bleibt ihm grundsätzlich ein Aufklärungsverzicht oder der gesamte Behandlungsabbruch unbenommen. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts führt zur Reduzierung des fachlichen Ungleichgewichts zwischen Arzt und Patient. Die entsprechende anschließende Durchführung der qualitativ hochwertigen Behandlung dient dem Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG insgesamt. Infolge des Vertrauens in die ärztliche Kompetenz, das regelmäßig dazu führt, daß der Patient wenig Einfluß auf die Bestimmung und Wahl der ärztlichen Leistungen nimmt, kann in derartigen Schutzmaßnahmen gleichsam eine Interessenstellvertretung des Staates für den Patienten im Hinblick auf die Aushandlung der fachlichen Grundlagen des Vertrages und seiner Durchführung gesehen werden, die eine Einordnung als aufgedrängte Schutzmaßnahmen ausschließt.877 Der Umfang potentieller Schädigungen und damit auch bewußter Selbstschädigungen durch Einwilligung in Risiken und Verletzungen wird bei mindestens gleichbleibenden Heilungschancen reduziert, so daß auch kein unzulässiger staatlicher Schutz der Patienten vor oder gegen sich selbst vorgenommen oder gar bezweckt wird. Durch die Statuierung ärztlicher Pflichten richtet sich das staatliche Schutzinstrumentarium gegen die ärztliche Fremdbestimmung und gestaltet die Selbstbestimmung und das Vertragsgefüge nur mittelbar aus. Die grundrechtliche Schutzpflicht fordert die Schaffung allgemeiner Schutzvorkehrungen, während deren Durchlaufen der Patient stets frei über die Fortsetzung oder den Abbruch der ärztlichen Behandlung entscheiden kann. Die Diskussion um die Zulässigkeit des aufgedrängten Grundrechtsschutzes im Arzt-Patienten-Verhältnis ist mit einem weiteren Aspekt abzuschließen. Ganz überwiegend ist der Patient - sei es gesetzlich, sei es privat - krankenversichert. Bei Heilbehandlungen besteht danach eine Versicherungsgemeinschaft, die ein Interesse daran hat, daß kein Mehr an Behandlungs- und Folgekosten durch unabschätzbare Risiken einer neuen oder besonders gefährlichen Maßnahme ausgelöst werden. Eben dieses Interesse der Versicherungsgemeinschaft hat auch das Bundesverfassungsgericht herangezogen, um Schutzmaßnahmen wie die Anschnall- oder Helmpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu rechtfertigen, in denen manche Grundrechtsträger einen unzulässigen Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht gesehen haben.878 Zur hier vertretenen Ablehnung eines Primats der Ökono876 Genau genommen liegen sie sogar im Interesse beider Vertragsparteien: derartige präventive Schutzvorgaben kommen nicht nur dem Patienten als potentiell Geschädigtem, sondern auch dem Arzt als potentiellem Anspruchsgegner zugute, da mit zunehmender Qualität der Behandlungen auch die Heilerfolge zunehmen und die Fehler oder Mißerfolge abnehmen, so daß das Haftungsrisiko insgesamt sinkt. Im Ergebnis stellen sie auch keine unzulässigen Eingriffe in die ärztliche Therapiefreiheit dar; vgl. Ulsenheimer, Rn. 19 c. 877 Vgl. auch BVerfG, NJW 1982, 375; Dietlein, S.220. 878 BVerfGE 59,275 - Schutzhelmpflicht; BVerfG, NJW 1987,180-Gurtanlegepflicht. Der Aspekt des Schutzes weiterer Interessen taucht auch in Konstellationen auf, in denen dem Grundrechtsträger keine Grundrechtsausübungsfähigkeit hinsichtlich einer eigenen Rechtsverkürzung zukommen soll; BVerfGE 22, 180 (Unterbringung von sich selbst gefährdenden psychisch Kranken); 60,123 (Mindestalter von 25 Jahren für die sog. „große Lösung" bei der Ge-

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mie stellt dies keinen Widerspruch dar, da das Kostenargument erst im Anschluß an die Risikobewertung, das heißt die Abwägung zwischen Heilungschancen und Rechtsgütergefährdung, auftaucht und nicht ex ante zu berücksichtigen ist. Selbst die Bejahung eines Anspruchs des Einzelnen auf optimale Gesundheitsversorgung könnte mit einem Wirtschaftlichkeitsgebot im Sinne eines Auftrags zur Minimierung der Kosten und finanziellen Lasten verbunden werden. An anderer Stelle hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß der Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegen rechtswidrige Angriffe Dritter grundsätzlich auch im Interesse der Allgemeinheit liege. 880 Die Heranziehung derartiger Interessen ist indes durch die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" in Art. 2 Abs. 1 GG vorgezeichnet, die zugleich aufzeigt, daß Grundrechte und damit auch das Selbstbestimmungsrecht nicht nur durch „Rechte anderer" begrenzt werden können.881 Durch das Abstellen beispielsweise auf Interessen der Versicherungsgemeinschaft oder der Allgemeinheit wird die Zuspitzung auf die Konstellation des isolierten Schutzes vor und gegen sich selbst vermieden. Mag dies im Hinblick auf eigenmächtige Heilbehandlungen und Behandlungsfehler ein zusätzliches Argument für die Zulässigkeit von Schutzregelungen sein, ist es problematisch, wenn allein vom Patienten bewußt in Kauf genommene Rechtsgutsgefährdungen oder -Verletzungen ausgeschlossen werden sollen. Hier ist Zurückhaltung geboten, ist doch zu beachten, daß der Gedanke des staatlichen Schutzes und die Intention der Schutzpflicht nicht dazu dienen, im Verhältnis zwischen Staat und Schutzsubjekt in breitem Umfang Pflichten für die zu schützenden Rechtsgüter aufzuerlegen und individuelle Dispositionen zu beschneiden.882 Auch die grundrechtliche Schutzpflicht bezweckt Freiheitssicherung und nicht Freiheitsverkürzung. Dem entspricht, daß auch im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung - zumindest bislang - die durch § 1 SGB V betonte Eigenverantwortung der Versicherten für ihre Gesundheit nicht mit entsprechenden Pflichten, zum Beispiel zur Inanspruchnahme der Vorsorgemaßnahmen der Krankenkassen,883 und nur zurückhaltend mit Sanktionen 884 verbunden wurde. 885 schlechtsumwandlung nach § 81 Nr. 1 LV.m. § 11 Nr. 3 TSG). Die gleiche Altersgrenze für die „kleine Lösung" nach § 1 I Nr. 3 TSG a. F. hat das Gericht in BVerfGE 88, 87 aber für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG gehalten. 879 Vgl. oben Kap. 21. 880 BVerfGE 49, 24 (53) - Kontaktsperre. 881 Im Gegensatz dazu hieß es z. B. in Art. 4 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was anderen nicht schadet."; anders dagegen auch die Entwürfe des Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 1 ff. m. w. Nw. 882 Vgl. auch die Bsp. bei Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 12 d); der genannte Verzicht bedeutet Verzicht auf staatlichen Schutz und zugleich Anspruch auf Achtung der persönlichen Autonomie. Auch das Sittengesetz nach Art. 2 Abs. 1 GG ist zur Legitimation von Grundrechtsschutz gegen den Willen des Grundrechtsträgers nicht hilfreich; dazu Dietlein, S. 228 m. w. Nw.; zu äußersten Tabuverletzungen und Würdeschutz gegen sich selbst Dreier, in: Dreier, Art. 11 Rn. 90 f. m. w. Nw. 883 Befürwortend auch Schulin, in: Schulin, § 6 Rn. 158; E. Jung, S. 116f., 203 ff.

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Insgesamt kommen damit im Arzt-Patienten-Verhältnis nur ausnahmsweise Konstellationen in Betracht, in denen sich das Problem des aufgedrängten staatlichen Schutzes bzw. des staatlichen Schutzes vor/gegen sich selbst stellt. Zu nennen sind beispielsweise vollständige Verbote bestimmter alternativloser Heilbehandlungen, 886 die Beschränkung des Empfängerkreises von Organen bei lebenden Spendern durch § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG und vor allem der Bereich der Sterbehilfe. In all diesen Fällen ist die grundrechtliche Konfliktlage zwischen Interessen des Patienten und staatlicher Intention aber nur ein Teil einer umfassenden Problematik, in der weitere Faktoren zu beachten sind. 887 Die Frage der Zulässigkeit des staatlichen Schutzes kann daher nicht pauschal mit ja oder nein beantwortet werden, sondern die einzelnen Konstellationen sind unter Berücksichtigung ihrer einfach-gesetzlichen Ausgestaltung und Einbindung näher zu untersuchen.888

V. Probleme der Schutzgewährung durch das Bundesverfassungsgericht Im Rahmen seiner Zuständigkeit nach den Art. 93, 100 GG kann das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob die Träger staatlicher Gewalt - die Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht - bei der Schutzgewährung die verfassungsrechtlichen Vorgaben beachten. Bei erlassenen Schutzmaßnahmen ist zu beurteilen, ob sie Grundrechtsverletzungen zu Lasten der Ärzte oder/und der Patienten darstellen. Hinsichtlich der Patienten kommt ein zuviel oder ein zuwenig an Schutz in Betracht. Infolgedessen kann auch die Versagung grundrechtlichen Schutzes oder die gänzliche Untätigkeit der Schutzpflichtadressaten Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, aufgrund der Subjektivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht auch im Rahmen von Verfassungsbeschwerden, 889 sein.89? Auch und gerade hier hängt die effektive Schutzgewährung jedoch vom Umfang und der Reichweite der verfassungsgerichtlichen Kontrolle ab. Bei der Beurteilung der Justitiabilität der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht ist ein Wandel in 884

Vgl. §§20 ff. SGB V. Leistungsbeschränkungen sehen nur die §§52, 30 Abs. 2 SGB V vor. 886 Aus verfassungsrechtlicher Sicht zum Problem des Zugangs und der Teilhabe an der medizinischen Versorgung Vollmer, S. 153 ff.; Francke, S.79ff. 887 So muß z. B. nur der Arzt und nicht der Patient mit einer Bestrafung bei Mißachtung der Verbote rechnen. 888 Zum Transplantationswesen unten B Kap. 4 III.; zur Sterbehilfe unten B Kap. 3 II. 889 Dazu schon oben Kap. 1 IV. 890 Auch hier zeigt sich der Unterschied zwischen Schutz und Eingriff: Aufhänger der Verfassungsbeschwerden ist eine Grundrechtsverletzung. Diese können aus der Sicht des Schutzsubjekts Patient darin bestehen, daß staatliche Schutzmaßnahmen nicht den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz gewähren oder zu Lasten des Schutzsubjekts zu weitgehenden Schutz bezwecken. Aus der Sicht der Ärzte können Schutzmaßnahmen Eingriffe in ihre Grundrechte darstellen. 885

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der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beobachten. Den durchaus konkreten Kriterien mancher Entscheidungen891 stellt das Gericht vor allem in seinen jüngeren Entscheidungen einen auf die Kontrolle evidenter Verletzungen beschränkten Prüfungsumfang gegenüber. So führt es in inzwischen festgefügter Terminologie aus, daß eine Verletzung der Schutzpflicht nur festgestellt werden könne, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig geblieben oder die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend seien.892 Zur Begründung wird der weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich des Gesetzgebers angeführt. 893 Damit ist zum einen ein Widerspruch in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu konstatieren: Für die Annahme eines begrenzten Prüfungsumfangs gegenüber allen staatlichen Organen geht die Begründung des Gerichts ins Leere. Der Exekutive und auch der vorliegend intensiv untersuchten Fachgerichtsbarkeit kommt keine Gestaltungsfreiheit wie dem Gesetzgeber zu. 894 Gesetzesanwendung, Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung sind wesensverschieden von legislativer Normsetzung und müssen dies angesichts des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG auch sein. Zum anderen ist an den Entscheidungen problematisch, daß ein nur beschränkter Prüfungsumfang gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber, der wegen des Vorbehalts des Gesetzes vorrangig zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht verpflichtet ist, angenommen wird. Hierdurch ist die tatsächliche Gewährleistung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes gefährdet. Verfassungsgerichtliche Kontrolle verhindert eine Flucht des Gesetzgebers aus der Verantwortung, die angesichts der heute teilweise zu beobachtenden Verhältnisse im Parlament mitunter bedrohliche Züge anzunehmen droht. Das soll keineswegs bedeuten, daß das Parlament nur noch politische Tagesentscheidungen trifft oder treffen soll, während dem Bundesverfassungsgericht richtungsweisende Langzeitentscheidungen zukommen. 895 Das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und parlamentarischen Gesetzgebern ist vielmehr - hier für den Bereich der gruiidrechtlichen Schutzpflicht und ihrer Erfüllung - sachgerecht zu ordnen. Einerseits ist zwar richtig, daß das Verhältnis zwischen beiden Institutionen schon immer spannungsbehaftet war und sich beim Vorwurf legislativer Untätigkeit, um den es bei der streitgegenständlichen Fra891 Siehe oben Kap. 2 II. 3. b)bb)(1) und z. B. BVerfGE 88, 203 - Schwangerschaftsabbruch II, in der das Gericht zum einen in 17 Leitsätzen dezidierte Vorgaben macht, wie der Gesetzgeber dem Schutzauftrag nachzukommen hat und zum anderen Anordnungen nach § 35 BVerfGG trifft, die ausführlich die Beratung, Anforderungen an die Beratungsstellen sowie versicherungsrechtliche Punkte regeln; stellvertretend für die Kritik Lamprecht, NJW 1994, 3272 ff., nach dem die 17 Leitsätze und 21 Ausführungsbestimmungen des Urteils - ohne den Versuch dies zu vertuschen - vom Duktus und der Intention her Normen darstellen. 892 Z.B. BVerfG, NJW 1996,651 unter Verweis auf BVerfGE 56,54 (80f.); 77,170 (214f.); 79, 174 (201 f.). 893 Stellvertretend BVerfG, NJW 1996, 651. 894 Vgl. nur BVerfGE 49, 304 (314, 318f.) - Sachverständigenhaftung. 895 Bedenklich insoweit in der Tat das von Brohm, NJW 2001, 2 geschilderte verfassungsrichterliche Selbstverständnis.

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ge normativer gesetzlicher Defizite geht, eine verschärfte Konfliktsituation auftut. 896 Andererseits sind aufgrund der Bindung auch des Gesetzgebers an die Grundrechte und die Etablierung einer diesen verbindlich kontrollierenden Verfassungsgerichtsbarkeit jedoch Einbrüche in den Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich des Gesetzgebers angelegt. Zu betonen ist, daß der Gesetzgeber schon durch die Grundrechtsordnung und ihre (auch ohne extensive Auslegung durch das Gericht) verbindlichen Inhalte gebunden ist, so daß auch politische Entscheidungen konstitutionell determiniert und daher nur innerhalb dieses Rahmens zulässig sind. 897 Zudem ist das Bundesverfassungsgericht als Träger öffentlicher Gewalt selbst Adressat der grundrechtlichen Schutzpflicht und zu ihrer Erfüllung verpflichtet. Angesichts der materiell-rechtlichen Pflicht des Gesetzgebers zur Schutzgewährung bzw. zur Schaffung eines legislativen Schutzkonzepts aufgrund der oben (Kap. 2) entwickelten Erfüllungshierarchie, das durch Judikative und Exekutive ausgefüllt wird, stellen entsprechende Unterlassungen Grundrechtsverstöße dar, die grundsätzlich verfassungsgerichtlich überprüft werden können. Daher ist es zu begrüßen, daß das Bundesverfassungsgericht den anfangs gemachten Unterschied zwischen fehlerhaftem Handeln beim Erlaß eines Gesetzes und Unterlassen des Gesetzgebers nicht mehr mit entsprechenden Rechtsfolgen versieht. 898 Der beschriebene Wandel bei der Überprüfung der Anforderungen der grundrechtlichen Schutzpflicht läuft dem wiederum entgegen. Gerade in der Untätigkeit des Gesetzgebers liegt der weitgehendste Verstoß gegen die Erfüllungspflicht. Ob der Gesetzgeber zum Erlaß einer Schutzregelung verpflichtet ist, kann durchaus vom Bundesverfassungsgericht festgestellt werden. Wie die gesetzliche Schutzregelung inhaltlich auszusehen hat, liegt grundsätzlich zunächst im Ermessen des Gesetzgebers, der hierbei aber die oben genannten materiellen Schutzkriterien zu beachten hat und dem weiter eine laufende Kontrollpflicht zukommt, ob sich die gewählten Schutzmaßnahmen bewähren. Dies entspricht der vom Bundesverfassungsgericht angenommenen Pflicht zu dynamischem Rechtsgüterschutz, die die Legislative zu neuerlichem Tätigwerden oder „Nachfassen" gegenüber bestehenden Regelungen verpflichtet. 899 Diese Pflicht ist nicht nur bei neuartigen Gefahren anzuerkennen, sondern auch, wenn bestehende Gefahren nicht ausreichend bewältigt werden. Ebenso binden die anderen, oben aus der Verfassung entwickelten Erfüllungskriterien den Gesetzgeber und lassen eine verfassungsgerichtliche Überprüfung seiner Tätigkeit oder Untätigkeit zu. Sie konkretisieren das Wesentlichkeitskriterium, bei dem das Bundesverfassungsgericht, soweit ersichtlich, noch nie Zweifel an der Möglichkeit oder Zulässig896 Zum problematischen Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber aus jüngster Zeit z. B. Brohm, NJW 2001, 1 ff. m. w. Nw. 897 Ebenso Steiger, S.272. Einen sachlichen Einschätzungsvorrang des Gesetzgebers ablehnend Heun, S. 35 ff., nach dem die Kontrollintensität des BVerfG mit steigender Grundrechtsrelevanz zunimmt, da zugleich die verfassungsrechtlichen Anforderungen steigen (S.39f.). 898 Gegen das Unterlassen gerichtete Verfassungsbeschwerde sollten schon unzulässig sein; vgl. Steiger, S. 258 in Auseinandersetzung mit BVerfGE 1, 97 (100ff.). 899 BVerfGE 49, 89 (131 ff.).

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keit inhaltlicher Bestimmung und damit der Kontrolle des Gesetzgebers gehabt hat. Wie oben beschrieben wurde das Wesentlichkeitskriterium vom Bundesverfassungsgericht auch mit materiellen Kriterien angereichert, so daß sich dieses nicht damit begnügt hat, nur eine Handlungspflicht des Gesetzgebers zu bejahen. Vielmehr wurden der parlamentarische Regelungsbereich und der delegationsfähige Bereich bestimmt.900 Aufgrund dessen ist nicht nur die Feststellung einer verfassungswidrigen Unterlassung zulässig,901 sondern kommt weitergehend auch die Verurteilung zum Erlaß von Schutzregelungen in Betracht. In deren Rahmen könnten auch inhaltliche Eckpunkte vorgegeben werden. In diesem Zusammenhang ist auf die vom Bundesverfassungsgericht unter Berufung gerade auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers entwickelte „Unvereinbarerklärung" hinzuweisen, in deren Rahmen ein verfassungswidriger Zustand festgestellt und dem Gesetzgeber eine Abhilfefrist gesetzt wird. 902 Eine Begrenzung auf bestehende Gesetze erscheint inkonsequent, da es im Hinblick auf eine erforderliche legislative Tätigkeit keinen Unterschied macht, ob eine bestehende Regelung unzureichend und damit zu ergänzen bzw. den Schutzvorgaben anzupassen ist, oder ob sich der Gesetzgeber erstmalig mit einem Schutzdefizit zu befassen hat. Führt man sich weiter die das Arzt-Patienten-Verhältnis maßgeblich bestimmenden Normen des BGB und StGB vor Augen, zeigt sich, daß eine Abgrenzung zwischen notwendiger spezifischer Gesetzesergänzung und (erstmaliger) spezifischer Schutzregelung ohnehin kaum möglich ist. 903 Zudem hat das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarerklärung mit Anordnungen nach § 35 BVerfGG verbunden 904 - rückt es damit schon bei Abhilfe- oder Übergangsfristen in die Rolle eines Ersatzgesetzgebers, so gilt dies erst recht bei gesetzgeberischem Unterlassen. 905 Bei den im Hinblick auf die subjektiven Rechtspositionen der Patienten im Vordergrund stehenden Verfassungsbeschwerden und konkreten Normenkontrollen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überdies Gesetzeskraft. 906 M. E. kann das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis den Gesetzgeber zum Erlaß von Schutzregelungen verpflichten. 907 Die Entscheidungen sollten allerdings im Bewußtsein der Stellung des parlamentarischen Gesetzgebers getroffen und von richterlicher Zurückhaltung geprägt sein. Gegenüber grundlegender Kritik an der 900

Dazu oben Kap. 2 II. und z. B. BVerfGE 33, 125 (157 ff.) - Facharzt. Dietlein, S. 180. 902 Die ursprünglich zum Gleichheitsverstoß ergangene Unvereinbarkeitserklärung wurde auf Verstöße gegen Freiheitsrechte ausgedehnt und auch die §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG nennen das gesamte GG als Prüfungsmaßstab; in kritischer Auseinandersetzung mit der Rspr. des BVerfG Schiaich/Korioth, Rn. 389 ff. m. entspr. Nw. 903 Zur Einbettung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in der einfachen Rechtsordnung siehe unten B. 904 Z. B. BVerfGE 73, 40 (41 f.); 93, 37 (41, 84f.). 905 Dazu auch Schiaich/Korioth, Rn. 395 ff. m. w. Nw. 906 Art.93 Abs. 1 Nr.4a, 100 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, Nr.8a, 31 Abs.2 BVerfGG. 907 Ähnlich Dietlein, S. 181; vgl. zum Ganzen auch Alexy, S.410ff., 424ff. 901

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verfassungsgerichtlichen Praxis ist zu bemerken, daß der Gesetzgeber der Auslöser der Entscheidungen des Gerichts ist und sowohl vor als auch nach ihnen über umfassende Regelungskompetenzen verfügt. In diesem Sinne nicht verwunderlich ist die Feststellung, daß der funktionelle Zweck der Gewaltenteilung dadurch am effektivsten erreicht wird, daß sie organisatorisch durchbrochen ist. 908 Im Übrigen sollten die materiell-rechtlichen Bindungen der Grundrechtsordnung als Chance aufgefaßt werden, über- und innerparteiliche Zerwürfnisse zu bereinigen und der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht werdende Entscheidungen auch ohne verfassungsgerichtliche Instruktion zu treffen. Vom Bundesverfassungsgericht bestätigten parlamentarischen Entscheidungen kommt umgekehrt eine legitimatorische Stärkung zu. Die genannten Bindungen sind erst recht von den Fachgerichten bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu beachten. Die Nichtgewährung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes kann so im fachgerichtlichen Instanzenzug korrigiert, letztlich aber vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen von „Urteilsverfassungsbeschwerden" sichergestellt werden. 909 Dazu treten die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, die ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden können und im Rahmen des Art. 100 Abs. 1 GG müssen.910 Dementsprechend wurde das Bundesverfassungsgericht auch nie mit dem Vorwurf konfrontiert, es habe einen von verfassungsrechtlichen Bindungen freien Gestaltungsspielraum der Fachgerichte mißachtet. Die Kritik richtet sich vielmehr gegen Einbrüche in das vom Gesetzgeber und den Fachgerichten gestaltete einfache Recht durch die Annahme weitgehender Verfassungsdurchdringung seitens des Bundesverfassungsgerichts.

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Chryssogonos, S.44 am Bsp. der Normenkontrolle; zum Ganzen auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 21 ff., 26ff.; für umfassende verfassungsgerichtliche Prüfungskompetenz schon BVerfGE 7, 377 (409 f.). 909 Vgl. nur F. Krauß, S. 29 ff., 74 ff. und passim m. zahlr. w. Nw. Inwieweit die zunehmend in die Prozeßordnungen eingefügten Rechtsmittelverkürzungen zu einer zunehmenden Belastung des Bundesverfassungsgerichts führen, kann vorliegend nicht weiterverfolgt werden. Aufgrund der so ausgeschlossenen Abhilfemöglichkeit durch die Rechtsmittelgerichte steigt jedoch die Bedeutung des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes, dessen Inanspruchnahme als außerordentlicher Rechtsbehelf aber ebenfalls beschnitten wurde; vgl. nur die §§93a-d BVerfGG. 910 Vgl. oben Kap. 2 IV.; dazu auch F. Krauß, S. 163 ff. m. w. Nw. Eine problematische Aufweichung liegt allerdings darin, daß nach BVerfGE 82,126 (154 f.) legislatives Unterlassen zur Vörenthaltung des fachgerichtlichen Rechtsschutzes führen könne, der durch verfassungskonforme Entscheidung der Fachgerichte zu verhindern sei. Nach der Gewaltenverteilung des GG kommt jedoch nur dem BVerfG die Kontrolle des Gesetzgebers zu, so daß es nicht die Fachgerichte in die Rolle des Ersatzgesetzgeber drängen darf; kritisch dazu auch Schiaich/Korioth, Rn.414. Auch das BVerfG selbst darf nicht zum Ersatzgesetzgeber mutieren, wenngleich es die Vollziehung legislativer Handlungspflichten bewirken können muß. Zudem ist auch das BVerfG nach Art. 1 Abs. 3 GG Adressat der grundrechtlichen Schutzpflicht.

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

Kapitel 4

Ergebnis Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt die Pflicht des Staates, die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das auf diese bezogene und mit diesen verbundene Selbstbestimmungsrecht gegen Beeinträchtigungen durch Dritte zu schützen. Mit ihrer Anerkennung sind rein liberale Freiheitskonzeptionen überholt. 911 Die gegen die Herleitung und Wirkungskraft der grundrechtlichen Schutzpflicht vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Die staatliche Pflicht zum Rechtsgüterschutz stellt einen eigenen Grundrechtsgehalt dar, der von der Eingriffsabwehrfunktion zu trennen ist. Insbesondere können private Eingriffe nicht automatisch dem Staat zugerechnet werden. Die staatliche Verantwortung resultiert vielmehr aus der vorgreiflichen Pflicht zum Schutz und gegebenenfalls zur Unterbindung von derartigen Grundrechtsbeeinträchtigungen. Erst die Versagung des Schutzes führt zu Eingriffen in Grundrechte des Schutzsubjekts.912 Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient unterfällt der Schutzpflichtkonstellation, in deren Folge der Staat verpflichtet ist, effektiven Rechtsgüterschutz bei Heilbehandlungen, Heilversuchen und Humanexperimenten sicherzustellen. Der vormals durch gesellschaftliche, zivilrechtliche oder standesrechtliche Selbstregulierung geprägte Bereich des Gesundheitsrechts ist unter der Ägide des Grundgesetzes von verfassungsrechtlichen Vorgaben durchdrungen, die zur Einschaltung des Staates und seiner Organe führen. Deren Schutztätigkeit kann sich in und mittels der gesamten Rechtsordnung entfalten, ist jedoch unter dem Gesichtspunkt eines bereichsspezifischen einheitlichen normativen Schutzkonzepts aufeinander abzustimmen. Zwischen den staatlichen Organen besteht mithin eine Erfüllungshierarchie, nach der vorrangig der parlamentarische Gesetzgeber zum Erlaß von Schutzregelungen verpflichtet ist. Bei diesen besteht weiter eine laufende Nachprüfungspflicht im Hinblick auf die Wirksamkeit des Schutzes und neu eintretende Gefährdungslagen. Im Arzt-Patienten-Verhältnis sind die Fachgerichtsbarkeit, aber auch das Bundesverfassungsgericht als Adressaten der Schutzpflicht hervorzuheben, die in die Erfüllung eingebunden sind. Ihre Position bestimmt sich angesichts der Erfüllungshierarchie aus dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Gewaltenteilungsgrundsatz. Das Bundesverfassungsgericht kann in diesem Rahmen allerdings auch die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber sicherstellen. 913 911

Vgl. auch Isensee, Sicherheit, S. 47 f. Z. B. in Form einer Duldungspflicht; zum Ganzen oben Kap. 1, Kap. 2 sowie Alexy, S.415ff.; G. Hermes, S.93ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/l, §67 V 2 (S.729ff.); E. Klein, NJW 1989, 1639; Dietlein, S.35ff.; Starck, S.73f.; Unruh, S.44ff., alle m.w.Nw. 9.3 Zur Entwicklung weitreichender Grundrechtsgehalte und ihren Folgeproblemen schon Böckenförde, Der Staat 29 (1990), lff. m. w. Nw.; zur „offenen Grundrechtsinterpretation" Höfling, Grundrechtsinterpretation, S.47ff. (TeilB). 9.2

Kap. 4: Ergebnis

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Der Vorbehalt des Gesetzes folgt aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip. Das Demokratieprinzip enthält positive Vorgaben für die Zusammensetzung und Organisation der Normgeber. Entscheidend ist die Korrelation von Normgeber zu Normadressaten, wobei die tatsächliche Normwirkung maßgeblich ist. Parlamentarische Entscheidungen können nicht durch standesrechtliche Vorschriften ersetzt werden, die de lege lata und de facto auch gegenüber den Patienten wirken. Der Vorbehalt des Gesetzes ist weder inhaltsleer noch steht er zur Disposition des Gesetzgebers. Es besteht vielmehr ein notwendig parlamentarisch zu regelnder Bereich, der auch im Verhältnis zwischen Fachgerichten und Gesetzgeber zu beachten ist. Infolgedessen ist die praktizierte fachgerichtliche Adaption der Standesvorgaben defizitär und durch eine verfassungskonforme Einbindung der ärztlichen Standesvertretungen in ein zu etablierendes legislatives Schutzkonzept zu ersetzen. Das Rechtsstaatsprinzip fungiert vor allem als Maßstab für eine inhaltliche Kontrolle der Rechtsakte der Normgeber in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, die regelmäßig Rechtspositionen der Ärzte berühren: Ihnen kommt die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG zu. Allerdings führen weder die ärztliche Therapiefreiheit noch die Einordnung der ärztlichen Tätigkeit als freier Beruf mit berufsständischer Selbstverwaltung zu erhöhtem oder stärkerem Schutz der Heiltätigkeit innerhalb des Art. 12 Abs. 1 GG. 914 Zusätzlich kommt der Schutz der Ärzte durch die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in Betracht. Die Forschung und ärztliche Behandlungen am Menschen sind dagegen grundrechtlich nicht geschützt, soweit die Rechtsgüter der Patienten oder Probanden eigenmächtig in Anspruch genommen werden. Dadurch wird die Regelungspflicht des parlamentarischen Gesetzgebers zur Schaffung von Schutzvorkehrungen für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstärkt. Die mögliche Gegenläufigkeit von Interessen der Ärzte können das Bestehen der Schutzpflicht nicht in Frage stellen. Die grundrechtliche Schutzpflicht ist ihrerseits nicht absolut und wird nur in Ausnahmefällen durch den (absoluten) Menschenwürdeschutz verstärkt. Ein Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter und Interessen wird regelmäßig über den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hergestellt. Zu beachten ist aber, daß im Arzt-PatientenVerhältnis ein Umgang mit existentiellen, höchtspersönlichen Grundrechtsgütern des Patienten erfolgt. An die Ärzte gerichtete Schutzmaßnahmen sind danach in wesentlich größerem Umfang möglich, als Verpflichtungen der Patienten zum Selbstschutz gegen ihren Willen. Die Konstellation des aufgedrängten staatlichen Schutzes gegen den Willen des Patienten ist bei Heilbehandlungen im Arzt-Patienten-Verhältnis ohnehin nur ausnahmsweise gegeben. Die maßgeblich vom Bundesverfassungsgericht entwickelten inhaltlichen Erfüllungskriterien bedeuten eine Konkretisierung des Wesentlichkeitskriteriums und 914

Bei der Bestimmung der Grenzen zulässiger Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 GG durch Einwirkung auf das Behandlungsverhältnis ist zu beachten, daß nach BVerfG, NJW 2001, 1779 selbst die Ablehnung der Neuzulassung als Vertragsarzt ab einer bestimmten Altersgrenze - und damit eine (nach dem BVerfG nur, aber immerhin) subjektive Berufswahlregelung (vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 825 m. w. Rspr.-Nw.) - als verfassungsgemäß angesehen wurde.

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Teil A: Die verfassungsrechtlichen Grundlagen

sind zugleich verfassungsrechtliche Vorgaben für die Art und Weise der Schutzpflichterfüllung. Hervorzuheben ist die vorrangige Verpflichtung zur Gewährung präventiven Rechtsgüterschutzes. Der grundrechtlich gebotene Schutz ist zudem nicht starr, sondern entsprechend dem bedrohten Rechtsgut und der Intensität der Bedrohung variabel. Folglich nimmt die Intensität und Dichte des zu gewährenden Schutzes mit der Bedeutung des Rechtsgutes und steigendem Gefährdungsgrad zu. Die Erfüllungskriterien richten sich an alle staatlichen Organe. In die Erfüllung der Schutzpflicht können die ärztlichen Standesvertretungen grundsätzlich durch den Gesetzgeber eingebunden werden. Insoweit ist zu beachten, daß schon die ärztliche Tätigkeit die Basis für die Genesung oder Wiederherstellung der Patienten ist. Der Staat darf sich jedoch nicht mit Vertrauen auf die Kompetenz des ärztlichen Standes begnügen, sondern hat den Patientenschutz aktiv zu steuern und gestalten.915 Auch ethische Maßstäbe, deren positive Wirkung durchaus anzuerkennen ist, tragen nicht zu konkreten, einheitlichen und rechtsverbindlichen Standards bei ärztlichen Heilbehandlungen bei. De lege ferenda ist eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügende Nutzbarmachung des ärztlichen S ach Verstandes anzustreben, indem den demokratischen und rechtsstaatlichen Defiziten der Außenwirkung des binnenautonom zustandekommenden Standesrechts begegnet wird. In der dreipoligen Schutzpflichtkonstellation ist ein funktionierendes Vertrauens- und Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht ausreichend. Es gilt vielmehr aus dem traditionell von Skepsis geprägten, bisweilen unterkühlten Verhältnis zwischen Ärzten, ärztlichem Stand und Staat eine produktive Kooperation zu entwickeln, die letztlich wiederum den Patienten zu Gute kommt. Indiziert wird dies schon durch die Tatsache, daß ärztliche Standards oder ethische Maßstäbe dem rechtlich Verbindlichen vorauseilen oder das rechtlich Gebotene gar übersteigen können.916 In diesen Fällen gilt es einen Gleichlauf zu Gunsten der Patienten zu bewirken. Deren Rechtsgüterschutz liegt nämlich in der Verantwortung des Arztes und des Staates. Nach der bisherigen Untersuchung ist eine unmittelbare Verpflichtung des Staates zur Schutzgewährung vorgegeben, die zu konkreten Bindungen der Ärzte und ihres Standes führt. Ob die Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in der einfachen Rechtsordnung diesen Anforderungen genügt, ist nachfolgend zu untersuchen.

915 Anzumerken ist, daß der Staat vorwiegend aufgrund der beschriebenen Vorgaben bzw. Kriterien eigeninitiativ tätig werden muß, da eine antreibende, nennenswert organisierte Interessenvertretung auf Patientenseite, im Gegensatz zu den ärztlichen Standesvertretungen, nicht besteht; vgl. Hart/Francke, Bundesgesundheitsbl. 2002, 16 ff. m. w.Nw. 9,6 Nach Deutsch, Rn. 8 ist dies sogar der Regelfall.

Teil

B

Die einfach-rechtliche Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses auf dem Prüfstand der verfassungsrechtlichen Vorgaben Das Arzt-Patienten-Verhältnis wird von Normen erfaßt und geprägt, die nicht nur allen Gebieten des Rechts angehören, sondern auch erhebliche Unterschiede in der Struktur aufweisen. Der Aufbau und Inhalt des zweiten Teils der Untersuchung ist dadurch insoweit gebunden, als im allgemeinen Zivil- 1 und Strafrecht 2 sowie im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung 3 nur wenige gesetzliche Vorschriften zum Schutz der Patienten bestehen, in deren Rahmen sich eine ausgeprägte und facettenreiche fachgerichtliche Rechtsprechung entwickelt hat. Vor dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Hintergrund ist daher aufzuzeigen, wie vor allem die Zivilund Strafgerichte den gegenständlich weit gespannten, sachlich hoch komplexen Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses unter Rückgriff auf wenige, weit gefaßte gesetzliche Normen durch richterliche Rechtsfortbildung durchdrungen haben. Im Zentrum der Untersuchung steht daher, ob die vom Vorbehalt des Gesetzes statuierte Erfüllungshierarchie beim Grundrechtsschutz durch das geltende einfache Recht und seine Anwendung beachtet wird. Ausführungen zur Zivil- und Strafrechtsdogmatik sind hierbei unerläßlich und treten zur Frage nach einzelnen legislativen Schutzlücken hinzu. Anders stellt sich die Situation in parlamentarisch konkretisierten Bereichen dar.4 Hier existieren spezifische und detaillierte gesetzliche Regelungen, über deren Anwendung im Verhältnis zwischen Arzt und Patienten von der Fachgerichtsbarkeit bislang nur wenig zu judizieren war. Folglich steht hier im Zentrum der Untersuchung, ob die spezifischen gesetzlichen Regelungen Schutzlücken aufweisen. Insoweit ist auch die Darstellung des jeweiligen Regelungsgefüges notwendig.

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Dazu unten Kap. 1. Dazu unten Kap. 2; die vorwiegend strafrechtlichen Probleme am Beginn und Ende des menschlichen Lebens werden in Kap. 3 eigenständig untersucht. 3 Dazu unten Kap. 5. 4 Arzneimittel- und Medizinproduktewesen sowie Transplantations- und Transfusionswesen; dazu unten Kap. 4. 2

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Kapitel 1

Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht Die nachfolgende Unterscheidung zwischen materiellem Zivilrecht (I.) und zivilrechtlichem Arzthaftungsprozeß (II.) trägt der rechtlichen Wirkung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung. Diese tritt schon bei Abschluß und Durchführung des Rechtsgeschäfts zwischen Arzt und Patient ein und beeinflußt dieses ohne gerichtliche Beteiligung. Im Fall eines Arzthaftungsprozesses setzt sich die Wirkung in diesem fort: das Zivilgericht ist in die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht eingebunden.5

I. Materielles Zivilrecht 1. Zivilrechtliche6 Einordnung des Arzt-Patienten-Verhältnisses a) Vertragsverhältnis und andere Konzeptionen sowie besondere Konstellationen Wie schon oben7 ausgeführt, wird zwischen Arzt und Patient in der Regel ein zivil-, genauer schuldrechtlicher Vertrag im Hinblick auf die ärztliche Tätigkeit geschlossen.8 Die Freiheit zur privatautonomen Lebensgestaltung läßt grundsätzlich zu, vertragliche Dispositionen vorzunehmen, die auch im Bereich der körperlichen Rechtsgüter erfolgen können. Dies gilt vor allem angesichts des leitenden Zwecks der Heilung oder Verbesserung des Gesundheitszustandes des Patienten durch den ausgewiesenen Fachmann Arzt. Auf der anderen Seite kann der Patient aufgrund des ihm zukommenden Selbstbestimmungsrechts die Rechtsbeziehung zum Arzt grundsätzlich jederzeit beenden.9 Das Zustandekommen eines schuldrechtlichen Vertrages wird nicht durch die parallele Erfassung des Behandlungsverhältnisses durch das System der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen.10 5 Dazu ausführlich oben A Kap. 2 I., IV. Wegen dieses Aufbaus sind gewisse inhaltliche Wiederholungen unvermeidlich. 6 Die Begriffe zivilrechtlich, privatrechtlich und bürgerlich-rechtlich werden synonym verwandt. 7 AKap.2II.l. 8 Dazu ausführlich unten b), 2. 9 Dies umfaßt den sog. Behandlungsabbruch; vgl. Hufen, NJW 2001, 851; Höfling, JuS 2000,114 f.; zur Kündigung des Arztvertrags nach § 627 Abs. 1 BGB durch den Patienten auch Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §§58 Rn. 1, 46 Rn.3ff. 10 Dies ist immerhin in ca. 90 % der ärztlichen Behandlungen der Fall; zum System der GKV ausführlich unten Kap. 5. Dasselbe gilt für die Kündigung durch den gesetzlich versicherten Patienten; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §46 Rn.5f.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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Im Schrifttum wird demgegenüber zum Teil die Auffassung vertreten, daß kassenärztliche Behandlungen dem öffentlichen Recht zugehören, da die Rechtsbeziehungen zwischen Kassenarzt, Kassenpatient und Sozialversicherungsträger im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Versorgungskonzeption bestünden.11 Diese Auffassung ist m. E. abzulehnen. Sie vermag nicht überzeugend zu begründen, warum auch das zwischen dem behandelnden Arzt und seinem Patienten bestehende Rechtsverhältnis - vgl. § 76 Abs. 4 SGB V - öffentlich-rechtlich sein soll. Die vertragsärztliche Zulassung führt nicht zu einer Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch den Arzt in einem Maß oder in einer Form, die ihn in die Nähe etwa eines Beliehenen rücken würde. 12 Art und Umfang der ärztlichen Leistung werden hier ebenso wie bei privatärztlichen Behandlungen zwischen Arzt und Patient im Einzelnen vereinbart. In diesem Rahmen kann und wird in der Praxis durchaus eine über die gesetzliche Versicherungsleistung hinausgehende Behandlung oder Versorgungsqualität durch den eine Kassenzulassung besitzenden Arzt angeboten, die der Patient im Fall ihrer Inanspruchnahme selbst vergüten muß. Diese Möglichkeit wurde durch das Prinzip der Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V auf eine allgemeine Ebene gehoben.13 Insgesamt ist es daher widersprüchlich, bei Privatpatienten einen die Rechte und Pflichten der Parteien begründenden privatrechtlichen Vertrag anzunehmen, bei gesetzlich versicherten Patienten dagegen nur im Schadensfall vertragliche Rechtspositionen anzuerkennen.14 Zudem erscheint die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Leistung der Krankenkassen, die mit davon nicht umfaßten zivilrechtlichen Vertragsleistungen des Arztes durchsetzt sein kann, rechtlich kaum beherrschbar. Infolgedessen ist auch im Rechtsverhältnis zwischen Vertragsarzt und gesetzlich versichertem Patient ein privatrechtlicher „Behandlungsvertrag" anzunehmen,15 der in ein mehrgliedriges öffentlich-rechtliches Mitgliedschafts- und Vertragsgefüge eingebettet ist 16 und durch Regelungen nach dem SGB V inhaltlich beeinflußt wird. 17 11 Z.B. Krauskopf\ in: Laufs/Uhlenbruck, §25 Rn.6ff. m. w. Nw.; zum Streitstand auch E. Jung, S. 129 ff. m. Nw. In moderner Terminologie, der hier gefolgt werden soll, sind die Beteiligten Vertragsärzte und Versicherte, Kassenleistungen sind insbesondere die vertragsärztliche Versorgung und die Krankenhaus Versorgung. 12 Auch die Rechtsstellung der Ärzte hat sich gewandelt: Unterlagen die Ärzte bis Mitte des 19. Jh. noch umfassender staatlicher Kontrolle (Überwachung der Ausbildung und des beruflichen Verhaltens, Gestaltung desselben durch Medizinalordnungen, Festlegung der Taxen, überwiegend auch ein Sonderstatus aufgrund Beschäftigung in öffentlichen Krankenhäusern, etc.), so emanzipierten sie sich durch die Gründung von Standes Vertretungen und Niederlassungen zunehmend vom Staat und sind heute auch als Vertragsärzte Freiberufler, die durch Art. 12 Abs. 1 GG gegen Eingriffe des Staates geschützt sind; vgl. nur Huerkamp, S. 305 ff., 119ff., 241 ff.; Boecken, in: FS Maurer, S. 1091 ff. 13 Kritisch dazu z.B. OstlMohllEstelmann, S.93. 14 Ebenso E.Jung, S. 131. 15 Wie hier Deutsch, Rn. 15,52, nach dem dies „unmißverständlich" aus §76 Abs. 4 SGB V folgt; E. Jung, S. 131 ff.; Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck, §40 Rn. 31. Zum Inhalt des „Behandlungsvertrag" nachfolgend 2. 16 Nüßgens, in: RGRK, §823 Anh.II Rn.21; Steffen, S. 18ff.; Deutsch, Rn.52f. Das bei einem beamteten Arzt denkbare Haftungsprivileg aus § 839 BGB wurde durch die Rechtspre-

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Eine andere, vorwiegend früher vertretene Auffassung besagt, daß zwischen Vertragsarzt (Kassenarzt) und Sozialversicherungsträger (Krankenkasse) ein echter Vertrag zugunsten Dritter nach § 328 BGB geschlossen werde. 18 Diese Auffassung ähnelt der soeben dargestellten, die eine öffentlich-rechtliche Versorgungskonzeption vertritt, und ist m. E. ebenfalls abzulehnen. Unabhängig von der Verlagerung auf die Ebene des Zivilrechts ist hier vor allem unklar, wie dieser Vertrag zugunsten der zukünftigen, unbestimmten Vielzahl der Patienten die jeweils bestehenden Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen vermag, und wie der Mitwirkung des Patienten Rechnung getragen wird. Zudem führt die Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung und der Landes- oder Bundesverbände der Krankenkassen zu Rechtsverhältnissen, die über das Dreiecksverhältnis des Vertrags zugunsten Dritter hinausreichen und von den §§ 328 ff. BGB nicht befriedigend erfaßt werden können.19 Beide Auffassungen erkennen zudem die Haftung des Arztes nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts unmittelbar gegenüber dem versicherten Patienten an - im Falle der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Versorgungskonzeption aufgrund des § 76 Abs. 4 SGB V 2 0 und im Rahmen des Vertrags zugunsten des Versicherten aus positiver Vertragsverletzung 21. Die Möglichkeit vertraglicher Haftung ist dagegen im Rahmen der hier vertretenen privatrechtlichen Vertragskonzeption ganz selbstverständlich und schon durch die grundrechtliche Schutzpflicht vorgezeichnet.22 chung des BGH - BGHZ 120, 376 - eingeschränkt. Zum Ganzen auch Giesen, Rn. 3 ff. m. w. Nw. 17 Dazu unten Kap. 5. Vordergründig betrifft dies die vom Patienten zu entrichtende Vergütung (Honorar): § 611 Abs. 1 BGB wurde dahingehend modifiziert, daß kraft gesetzlicher Anordnung Dritte - Krankenkasse und Kassenärztliche Vereinigung - in die Pflichtenstellung des Patienten hinsichtlich der erstattungsfähigen Behandlungskosten eintreten; M. Stern, Die Sozialversicherung 1976, 206ff.; a. A. z.B. Eberhardt, AcP 1971, 294ff., der unter dem Regime der RVO ein gesetzliches Schuldverhältnis annimmt (zu dessen Folgen S. 302 ff.). Ergänzend ist auf die §§364,267 BGB hinzuweisen, die ein Bewirken der Leistung durch Dritte vorsehen, was beim ärztlichen Honorar durchaus in Betracht kommt; ebenso E. Jung, S. 130 ff. mit dem zutreffenden Hinweis, daß die gegen einen Behandlungsvertrag auch im Krankenversicherungsrecht vorgetragenen Konstruktionen die Frage der Kostentragung im Arzt-PatientenVerhältnis gegenüber der medizinischen Behandlung und des damit verbundenen Vertrauensverhältnisses zu hoch bewerten (S. 131). 18 So z. B. RGZ 165, 91 (105 f.) für das frühere Recht; vgl. auch Laufs, Arztrecht, Rn. 87. 19 Ebenso E. Jung, S. 128 m. w. Nw. 20 Dieser verweist ausdrücklich auf die „Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts" hinsichtlich der Sorgfaltspflicht gegenüber dem Versicherten; Anspruchsgrundlage wäre dann Art. 34 GG, eine Geltendmachung erfolgt auch auf dem ordentlichen Rechtsweg (vgl. Art. 34 Satz 3 GG, § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO). 21 Der Versicherte als Begünstigter oder Drittberechtigter des Vertrags zugunsten Dritter ist zwar nicht Vertragspartei; im Fall der mit einer Schädigung seiner Rechtsgüter verbundenen Leistungsstörung erwachsen ihm jedoch Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung gegen den Schuldner und Versprechenden; vgl. Esserl Schmidt, § 36 III. Wegen dieses vertraglichen Anspruchs erübrigt sich der Rückgriff auf § 76 Abs. 4 SGB V. 22 Vgl. oben A Kap. 2 1.1. und nachfolgend passim.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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Daneben bestehen allerdings Konstellationen, in denen keine privatrechtliche Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient gegeben ist. Öffentlich-rechtlich sind alle im öffentlichen Interesse angeordneten (Zwangs)Behandlungen, zum Beispiel nach den Unterbringungsgesetzen der Länder, 23 im Sinne der Arbeitsplatzsicherheit 24 oder Schutzimpfungen nach dem IfSG. 25 Aber auch in diese öffentlich-rechtlichen Zwangsbehandlungen werden die Pflichten des privaten Arztbehandlungsverhältnisses transponiert. 26 Die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Natur liegt daher in der Geltung des Gesetzesvorbehalts zur Begründung des Rechtsverhältnisses und zur Rechtfertigung der körperlichen Eingriffe sowie in der Haftung nach den Art. 34 GG, § 839 BGB. 27 Wegen der gesetzlichen Behandlungs- und damit Eingriffsermächtigung sind auch Behandlungen ohne die Einwilligung des Patienten zulässig, da jener gleichfalls rechtfertigende Wirkung zukommt. Die rechtliche Bedeutung der Aufklärung des Patienten als Grundlage dessen freier Entscheidung geht hier ins Leere, so daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgebliche Bedeutung bei der Ermittlung der Eingriffsintensität erlangt. 28 Gerade hier zeigt sich die Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht, die auch bei Zwangsbehandlungen Schutzvorkehrungen für den Patienten fordert. Die Anforderungen an die Durchführung der (Zwangs)Behandlung entsprechen daher den Maßstäben, die an die vertragliche ärztliche Leistungserbringung gelegt werden. Im Hinblick auf die Staatshaftung ergeben sich auch hier zwei Anknüpfungspunkte: die fehlerhafte Anwendung der Ermächtigungsvorschrift 29 und die fehlerhafte Behandlung im Rahmen des an sich zulässigen Eingriffs. 30 Das Arzt-Patienten-Verhältnis stellt im Ergebnis ganz überwiegend eine vertragsrechtliche Beziehung dar. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei einer Behandlung oder Hilfeleistung an einem Bewußtlosen, sind die wesentlichen Voraussetzungen des Vertragsschlusses - Angebot und Annahme - nicht gegeben. Allerdings findet auch hier eine zivilrechtliche Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch 23 Vgl. dazu auch Laufs, Arztrecht, Rn. 87 Fn. 5 m. w. Nw., nach dem alle Behandlungen, d.h. auch freiwillige ohne behördliche Einweisung, in Psychiatrischen Landeskrankenhäusern dem öffentlichen Recht unterfallen. 24 Vgl. z.B. die Ermächtigungsvorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr.4 AtG. 25 Früher BSeuchenG; dazu Giesen, Rn. 6 m. Nw. zur Rspr.; Steffen, S. 2. 26 Deutsch, Rn.79. 27 Vgl. oben A Kap. 2 II. 2.; siehe weiter Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A28 m. Nw. zur Rspr. 28 Ob in der Eingriffsabwehrkonstellation auch Schutzmaßnahmen wie die - dann rein informativ, aber auch eine Selbstüberprüfung bewirkende - Aufklärung durchzuführen sind, ist hier nicht zu vertiefen; dogmatisch betrifft dies den Grundrechtsschutz durch Verfahren. 29 Dies entspricht der fehlerhaften Aufklärung, die ebenfalls an den Willen bzw. die Einwilligung des Patienten anknüpft, die hier infolge gesetzlicher Ermächtigung gleichsam „ersetzt" wird. 30 Damit entspricht auch das zeitliche Verhältnis dem beim privaten Arztvertrag, wo die Aufklärung und Einwilligung der Behandlung vorzugehen haben.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

das gesetzliche Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag statt.31 Desweiteren ist das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient potentiell auch ein deliktisches Rechtsverhältnis und damit ebenfalls gesetzliches Schuldverhältnis. Dieses realisiert sich im Fall der Arzthaftung. 32 Der Schutz der Patienten hat damit auf der Ebene des Vertragsrechts zu erfolgen, während die ärztliche Haftung sich nur als Folge unzureichenden oder fehlgeschlagenen Schutzes darstellt. Die Bestimmung der vertraglichen Schutzinhalte des Vertrags zwischen Arzt und Patient erfordert die Einordnung des Vertrags im Schuldrecht des BGB. b) Behandlungsvertrag Der zwischen Arzt und Patient abgeschlossene privatrechtliche Vertrag wird überwiegend als Dienstvertrag in Form eines „Behandlungsvertrags" nach §611 BGB angesehen. Der Arzt ist damit zur Leistung der versprochenen Dienste verpflichtet, in Abgrenzung zum Werkvertrag nach § 631 BGB schuldet er aber keinen Heil- oder Behandlungserfolg. 33 Die komplikationslose Genesung des Patienten ist von verschiedenen, nicht vollständig vom Arzt beherrschbaren Faktoren abhängig - gerade in der Individualität des Patienten sind erhebliche Unsicherheitsfaktoren angelegt - , so daß konsequenterweise ein auf den Erfolg gerichteter Rechtsbindungswille des Arztes zu verneinen ist. Der Arzt übernimmt keine Gesundheitsgarantie. Nur in Ausnahmefällen, in denen das Erfolgsrisiko vom Arzt umfassend eingeschätzt werden kann, wird ein Werkvertrag angenommen.34 Beispiele hierfür sind technische Anfertigungen wie Prothesen oder Laboruntersuchungen und - wohl als Grenzfall - die ausschließliche Erstellung einer Diagnose.35 Neben der Einordnung als Dienstvertrag erfolgt zum Teil auch eine Qualifizierung des ärztlichen Behandlungsvertrags als Vertrag sui generis. 36 Begründet wird diese damit, daß sich in die ärztliche Dienstleistung Tätigkeits- und Erfolgselemente mischten, und auch die kennzeichnende Mitwirkung des Patienten den §§611 ff. BGB nicht gerecht werde. 37 In der Annahme eines eigenen Vertragstyps spiegeln 31 §§ 677ff. BGB; vgl. Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 15; Laufs, Arztrecht, Rn. 125 m. w. Nw. Zudem kommt ein nachträglicher Vertragsschluß in Betracht, so daß das Institut des faktischen Vertragsschlusses nicht bemüht zu werden braucht; dazu ebenfalls Laufs, Arztrecht, Rn. 126. Angesichts der hier aufgeworfenen grundlegenden Fragestellungen sollen derartige Besonderheiten aber zumindest solange außer Betracht bleiben, als sie ohne Auswirkung auf diese sind. 32 Zum Bedeutungs- und Aufgabenwandel des Deliktsrechts allerdings Brüggemeier, JZ 1986, 969 ff. m. w.Nw. Dies zeitigt auch Rückwirkungen auf das Vertragsrecht; zum Ganzen ausführlich unten II., III. 33 Stellvertretend Larenz, § 52 I; Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A13 ff. 34 Großzügiger z.B. Jakobs, NJW 1975, 1437f. 35 Deutsch, Rn.65. 36 So z. B. Deutsch, Rn. 67; Deutsch/Matthies, S. 15 f., jeweils m. w. Nw. 37 Deutsch, Rn. 67.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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sich die zu Recht geäußerten Zweifel wider, ob das moderne Arzt-Patienten-Verhältnis dem Dienstvertragsrecht unterstellt werden kann. Angesichts der schuldrechtlichen Typenfreiheit ist ein derartiger Vorschlag auch durchaus zulässig. Allerdings ist er de lege lata wenig praktikabel, da die Praxis und Methodik der Rechtsauslegung durch die Fachgerichte regelmäßig zu einer Anlehnung an die gesetzlich geregelten Vertragstypen führt. 38 Insofern kommt man auch hier nicht umhin, im wesentlichen Dienstvertragsrecht anzuwenden.39 Auch bei der Annahme eines sog. „gemischten Vertrags" 40 würde die hier interessierende Bestimmung der ärztlichen Tätigkeit und der Art und Weise ihrer Erbringung § 611 BGB unterfallen. Folglich ist es m. E. überzeugender, in Orientierung an die positiv geregelten Vertragstypen den zwischen Arzt und Patient zu Stande kommenden Vertrag als Dienstvertrag im Sinne des §611 BGB einzuordnen. Die Bezeichnung dieses Dienstvertrags als „Behandlungsvertrag" ist allerdings mehr als bloße Förmelei. Mit ihr verbunden ist eine vom Schrifttum begleitete Rechtsprechung, die versucht, bei der Anwendung und Auslegung des Dienstvertragsrechts den tatsächlichen medizinischen Entwicklungen der letzten 100 Jahre sowie den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere zu Gunsten der Patienten, Rechnung zu tragen. In Anbetracht der im Teil A der Untersuchung gefundenen Ergebnisse ist die zu untersuchende Frage daher, ob die Rechtsprechung dies ohne Tätigwerden des parlamentarischen Gesetzgebers unter der Maßgabe des wirksamen Rechtsgüterschutzes des Patienten sowie der anderen Erfüllungskriterien zu leisten vermag. Von der Beantwortung dieser Kernfrage enthebt die Einordnung des Behandlungsvertrags als Vertrag sui generis genau so wenig, wie die in neuerer Zeit verwendeten wohlklingenden Begriffe, zum Beispiel die Beschreibung oder Charakterisierung der Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient als „partnerschaftliche Zusammenarbeit" oder „therapeutisches Arbeitsbündnis". 41

38 Dies ergibt schon die Unvollständigkeit der Regelungswerke der atypischen Schuldverträge, deren Regelungslücken durch die Rechtsprechung in entsprechender Anwendung ausdrücklich normierter Vorschriften geschlossen werden muß. Da diese atypischen Verträge oft auch nur eine Zusammensetzung aus geregelten Schuldverträgen darstellen wie z.B. der Leasingvertrag, oder mit solchen eng in Verbindung stehen - Factoring, Franchising - , ergibt sich dies zugleich schon aus der allgemeinen Gesetzesbindung der Gerichte. 39 Ebenso Larenz, § 52 I; Tress, S. 49 m. w. Nw. 40 Dazu z.B. Medicus, Schuldrecht II, § 121 (Rn.587ff.). 41 Schon innerhalb des Zivilrechts vermögen solch euphemistische Beschreibungen nur wenig zur Bestimmung der ärztlichen Leistungspflichten und das über die vertragliche Haftung hinausreichende Arzthaftungsrecht beizutragen; ebenso Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 14 m. entspr. Nw.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand 2. Rechtsgüterschutz des Patienten mittels vertraglicher Pflichten des Arztes a) Vertragspartner

des Patienten

Vertragliche Pflichten des Arztes bestehen, wenn dieser selbst Vertragspartner des Patienten ist. Dies ist ohne weiteres bei Behandlungen durch einen niedergelassenen Arzt der Fall, hier kommt ein Behandlungsvertrag zwischen dem behandelnden Arzt und dem Patienten zustande. In ärztlichen Gemeinschaftspraxen, die zumeist in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach § 705 B G B zusammengeschlossen sind, wird der Vertrag in der Regel mit allen Partnern der Gemeinschaftspraxis abgeschlossen. 42 Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmung des Vertragspartners des Patienten ergeben sich jedoch bei den praktisch bedeutsamen Behandlungen in Krankenhäusern. 43 Bei einer ambulanten Behandlung soll der Patient nur vertragliche Beziehungen zum zuständigen Chefarzt und nicht auch zum Krankenhausträger haben, 44 während bei stationärem Aufenthalt zu unterscheiden ist. 4 5 I m Fall des Belegkrankenhauses schuldet der Belegarzt die ärztliche Behandlung und der Krankenhausträger die stationäre Versorgung, so daß zwei privatrechtliche Verträge bestehen, die sich jedoch gegenseitig bedingen. 46 Bestehen Abgren42 Vgl. Schlund, in: Laufs/Uhlenbruck, § 115 Rn.7ff., auch zu haftungsrechtlichen Konsequenzen. Auch wenn mit BGH der GbR eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen wird, kommt eine Behandlungsvertrag zustande. Davon zu unterscheiden sind bloße Praxisgemeinschaften, in denen Praxisräume, diagnostische und therapeutische Einrichtungen nur gemeinschaftlich genutzt werden; hier handelt jeder Arzt für sich und nur er wird Vertragspartner des Patienten; dazu ebenfalls Schlund, in: Laufs/Uhlenbruck, § 115 Rn. 11 f. 43 Nach der Ärztestatistik (1995) waren mehr Ärzte in Krankenhäusern als freiberuflich tätig; Nw. bei Deutsch, Rn. 54; zudem werden die schweren und damit im Hinblick auf die Behandlung auch regelmäßig rechtlich problematischeren Krankheiten überwiegend dort behandelt; erst recht gilt dies für Heilversuche. 44 BGHZ 100, 363; 105,189 (194f.); vgl. aber Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §95, der darauf hinweist, daß seit 1993 bei gesetzlich Krankenversicherten der Behandlungsvertrag in der Regel mit dem Krankenhausträger zustande kommt, wenn ambulante Behandlungen nach den §§ 115 a, 115 b SGB V durchgeführt werden. 45 Vorliegend wird nicht vertieft auf die bei einer stationären Behandlung im Krankenhaus zu beachtenden Regelungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze [KHG] i.d.F. d. Bek. v. 10.4.1991, BGBl I S.886) und der Bundespflegesatzverordnung (Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze [BPflV] v. 26.9.1994, BGBl. IS. 2750) eingegangen, da diese nicht das notwendige medizinische Vorgehen steuern, sondern den Leistungsbereich der Beteiligten abgrenzen. Die Vorschriften dienen weiter der Zurechnung der einzelnen Leistungen im Hinblick auf ihre Liquidation: So z.B. wenn ein Belegarzt ärztliche Krankenhausleistungen veranlaßt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BPflV) oder Leistungen außerhalb des Krankenhauses in Anspruch nimmt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 BPflV). Die Notwendigkeit der Leistung und die Erfüllungskriterien ergeben sich aber schon aus dem Behandlungsvertrag; vgl. Dolinski, S. 12 ff., 44 ff. 46 Dolinski, S. 32. Der Belegarzt berechnet seine Leistungen gesondert nach §23 BPflV, das Belegkrankenhaus darf nur den „Kleinen Pflegesatz" berechnen; zum Ganzen Deutsch, Rn. 56 f.; umfassend Dolinski, Der Belegarzt. Bei derartigen „gespaltenen Krankenhausauf-

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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Zungsschwierigkeiten hinsichtlich des Umfangs der jeweiligen Leistungspflicht, so dürfen diese nicht zu Lasten des Patienten gehen, vielmehr ist von einer gemeinsamen Sorge für diesen auszugehen. 47 In den übrigen Fällen kommt ein sog. totaler Krankenhaus(aufnahme)vertrag zwischen Patient und Krankenhausträger zustande. 4 8 In diesem Fall wird der Arzt als Bediensteter in die Vertragserfüllung durch den Krankenhausträger eingebunden. 49 Auch in allen Formen von Behandlungen i m Krankenhaus besteht damit ein Behandlungsvertrag, wenn er auch nicht notwendig ausdrücklicher Bestandteil eines umfassenden Vertrags sein muß. 5 0 Somit kann eine einheitliche Bestimmung der vertraglichen ärztlichen Leistungspflichten bei der eigentlichen (Heil)Behandlung des Patienten erfolgen - dazu sogleich (b), c)). In einem Punkt ist an dieser Stelle dem insgesamt erst unten (II.) untersuchten Bereich der Arzthaftung vorzugreifen. Schwierigkeiten und Unklarheiten bei der Bestimmung des Vertragspartners und des Umfangs seiner vertraglichen Verpflichtung schlagen regelmäßig auch auf die Haftung durch und drohen sich zu Lasten des Patienten auszuwirken. Auch in der Literatur wird die Frage nach dem Vertragspartner stets mit der nach dem vertraglichen Haftungsgegner verbunden: 51 Beim totalen Krankenhausaufnahmevertrag haftet der Krankenhausträger bei Pflichtverletzungen des Arztes. 5 2 I m Fall des Belegkrankenhauses haftet der behandelnde Belegarzt alnahmeverträgen" wird wegen des Überraschungseffekts eine Hinweispflicht gegenüber dem Patienten angenommen; BGH, NJW 1990, 2317; NJW 1993, 779. 47 Dolinski, S. 32. Bei einem Verstoß gegen die eben genannte Hinweispflicht haftet der Krankenhausträger auch für den Belegarzt nach § 278 BGB und § 831 BGB, zumindest hinsichtlich Leistungen, die der Patient (entsprechend dem totalen Krankenhausvertrag) vom Krankenhaus erwarten durfte; BGH, NJW 1993, 779; NJW 1995, 1611 (1613). 48 Dies gilt auch bei gesetzlich krankenversicherten Patienten; Geniel, in: Laufs/Uhlenbruck, § 92 Rn. 5. Der Krankenhausträger verspricht die Leistungen nach den Pflegesätzen (z. B. dem „Großen Pflegesatz", der ärztliche Leistungen umfaßt); die Ärzte sind Organe (§31 BGB) oder Erfüllungsgehilfen des Krankenhausträgers (§ 278 BGB); zum Ganzen Deutsch, Rn. 55 ff.; Geniel, in: Laufs/Uhlenbruck, §§ 92 Rn. 5, 93 Rn. 3. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Ansatzes der Untersuchung erfolgt hier nur eine verkürzte Darstellung der verschiedenen Beteiligten (in der Praxis zentral ist auch die Stellung [und Haftung] von [und für] Hilfspersonen; dazu Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A27ff.), die im Privat- und Vertragsarztrecht bedeutsam ist. Beim Krankenhausaufnahmevertrag wird auch vertreten, daß dieser nicht zwischen Patient und Krankenhausträger zustande kommt, sondern zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger, so daß ein echter Vertrag zugunsten des Patienten gem. § 328 BGB gegeben ist; ablehnend Genzel, in: Laufs/Uhlenbruck, §92 Rn.6 m. entspr. Nw. Allgemein zur Krankenhausbehandlung E. Jung, S. 169ff.; Genzel, in: Laufs/ Uhlenbruch §§92, 93; Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck, §§94, 95. 49 Zu den verschiedenen Konstellationen der Behandlungsverträge und möglichen Vertragspartnern des Patienten auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 98 Rn. 1 ff. m. w. Nw. 50 Beim Auseinanderfallen der Haftungssubjekte Belegarzt und Krankenhausträger wird aber eine Hinweispflicht bei Vertragsschluß angenommen; BGH, NJW 1990,2317; NJW 1993, 779. Auch diese ist jedoch ohne Bedeutung für die Bestimmung der Leistungspflichten. 51 Vgl. nur Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §98. 52 Der Krankenhausträger verspricht auch die ärztlichen Leistungen, die Ärzte sind Oigane (§31 BGB) oder Erfüllungsgehilfen des Krankenhausträgers (§ 278 BGB); vgl. Deutsch, Rn. 55 ff. Eine deliktische Haftung der Ärzte kann dennoch bestehen, dazu unten II. 12 Hollenbach

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

lein für die Tätigkeit in seinem Bereich, während der Krankenhausträger wiederum allein nur für Schäden einzutreten hat, die außerhalb des Bereichs der Belegarzthaftung zugefügt wurden. 53 Wirksamer Rechtsgüterschutz im Sinne der grundrechtlichen Schutzpflicht verlangt in jedem Fall einen solventen und damit regelmäßig durch eine Haftpflichtversicherung abgesicherten Schuldner. Dies ergibt sich aus der Anerkennung des sanktionierenden Rechtsgüterschutzes als geeignetes Mittel der Schutzpflichterfüllung, bei dem ein materieller Ausgleich für erlittene, nicht zu verhindernde Rechtsgutsverletzungen erfolgt. 54 Dieser muß auch bei komplizierten mehrschichtigen Vertragskonstellationen bestehen. Zu begrüßen ist es daher, daß für Behandlungen im Krankenhaus in den beschriebenen Konstellationen seitens der Literatur zum Teil zugunsten des Patienten eine gesamtschuldnerische Haftung angenommen wird. 55 Die organisatorische Aufgabenverteilung darf jedenfalls nicht zu Lasten des Patienten dahin führen, daß vertragliche Lücken bei dessen Behandlung im Krankenhaus oder einem stationären Aufenthalt bestehen. Auch ohne die grundsätzliche Annahme einer gesamtschuldnerischen Haftung können Mängel in der betrieblichen Organisation zu Haftungsmehrheiten führen, im Deliktsrecht ist dies ohnehin schon durch § 840 Abs. 1 BGB vorgezeichnet.56 So wie die Behandlungen vollständig vertraglich zu erfassen sind, darf auch keine Haftungslücke zu Lasten des Patienten durch den Versuch der gegenseitigen Abwälzung der Verantwortung entstehen. Der grundrechtliche Schutz des Patienten setzt sich ebenso gegen den Versuch vertraglicher Haftungsreduzierung durch. 57

b) Vertragliche Pflichten des Arztes und Rechtsgüterschutz des Patienten Der Rechtsgüterschutz des Patienten wird maßgeblich durch die vertraglichen Pflichten des Arztes realisiert. Der Umfang von Rechtsgutsverletzungen und -gefährdungen ist von der Art und Weise abhängig, wie die ärztliche Dienstleistung erbracht wird. Ihre Einhaltung ist nicht nur die Grundlage der ordnungsgemäßen Ver53 Dies entspricht dem „gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag" oder dem „Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag"; vgl. Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A29f.; Geniel, in: Laufs/Uhlenbruck, §93 Rn.4f. 54 § 249 Satz 2 BGB ist bei der Arzthaftung der Regelfall. 55 Entspr. Nw. bei Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 30 (allerdings ohne verfassungsrechtliche Untermauerung). 56 Z. B. wenn dem Arzt ein Behandlungsfehler unterläuft, der auf seine Übermüdung bei gleichzeitigem Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz (ArbZG v. 6.6.1994, BGB1.I S. 1170, vgl. §§ 2, Abs. 1, Abs. 1, 3-6, aber auch § 7 Abs. 2 Nr. 3 ArbZG; neben den in § 1 ArbZG genannten Zwecken kommt m. E. auch der Patientenschutz in Betracht) zurückzuführen ist. Hier kommt neben der Haftung des Arztes auch die des für Einsatz und Organisation des medizinischen Personals Verantwortlichen bzw. des Arbeitgebers in Betracht; zur deliktischen Haftung unten II. 57 Geiger, S. 109ff.; Deutsch, NJW 1983, 1352; für Unzulässigkeit im Rahmen von Krankenhausaufnahmebedingungen OLG Köln, VersR 1989, 372; vgl. auch unten II. 1. a).

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tragserfüllung, sondern dient dem vertragsleitenden Zweck der Heilung und Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten. Der angestrebte Heilerfolg ohne unerwünschte Rechtsgutsbeeinträchtigungen wird am ehesten erreicht, wenn die Heilbehandlung auf einem hohen Qualitätsniveau, das heißt unter Beachtung neuester medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und Einsatz modernster Techniken sowie unter maximaler Reduzierung von Fehlerquellen, erfolgt. Infolge der Verknüpfung mit ärztlichen Leistungspflichten ist das Vertragsrecht damit Ausdruck des präventiven Rechtsgüterschutzes zu Gunsten des Patienten. Die Beachtung und Einhaltung der ärztlichen Leistungspflichten bei der Vertragserfüllung trägt dazu bei, daß nicht notwendige Rechtsgutsbeeinträchtigungen verhindert, zumindest aber in Zahl und Ausmaß verringert werden. Dieser Schutzzweck des Vertragsrechts kann allerdings nicht durch autonome Vertragsgestaltung der Beteiligten erreicht werden. Das Verhältnis zwischen Verfassung und Privatrecht zeigt, daß Vertragsgestaltungen nicht staatsfrei sind.58 Bei einem Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern sind die staatlichen Organe vielmehr zum Schutz der unterlegenen Partei verpflichtet, was auch zur Einwirkung auf die Vertragsgestaltung führen kann.59 Beim Behandlungsvertrag wird das Ungleichgewicht zwischen Arzt und Patient60 durch staatliche Vorgaben an die ärztliche Leistungserbringung ausgeglichen, die nicht allein vom insbesondere fachlich überlegenen Arzt bestimmt werden darf. 61 Die entsprechenden parlamentarischen Vorgaben sind jedoch dünn. § 611 Abs. 1 BGB verpflichtet den Arzt zur Leistung der versprochenen Dienste; nach §611 Abs. 2 BGB können dies Dienste jeder Art sein. Für die Bestimmung der vom Arzt zu erbringenden Dienstleistung sagt das Gesetz damit nichts aus. Mangels Verpflichtung zum Heilerfolg oder gar einer Gesundheitsgewähr kann nicht an den im Sinne des Patienten liegenden Wunsch nach Heilung oder Linderung der Beschwerden angeknüpft werden. Die „abstrakte Grundpflicht" des § 611 Abs. 1 BGB ist entsprechend der Typik des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient inhaltlich auszuformen. Dies erfordert eine bereichsspezifische Bestimmung des an sich „offenen" § 611 Abs. 2 BGB. Diese erfolgt über § 242 BGB: Der verpflichtete Arzt hat die übernommenen Dienste so zu verrichten, wie dies Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte entspricht. Damit wird seitens des Arztes gewissenhafte Arbeit unter Beachtung der berufsüblichen Sorgfalt geschuldet.62 Innerhalb von § 242 BGB spiegelt die „Verkehrssitte" die Anforderungen an die ärztliche Leistungserbringung wider; in der Bindung an „Treu und Glauben", dem weniger rechtstechnisch geprägten Teil der Generalklausel, kommt insbesondere die Verpflichtung zur Be58

Vgl. oben A Kap. 21.1. b) aa). Ähnlich Francke, S. 93 ff.; zum Ganzen auch Höfling, Vertragsfreiheit, S. 1 f., 32 ff., 44 ff. m. w. Nw. 60 Nach Tress, S.49 m. Nw. fehlt zwischen Arzt und Patient die, auch vom Dienstvertrag vorausgesetzte, „Waffengleichheit": der Arzt habe ex professione Sachverstand und damit Macht und Autorität, während der Patient nur mit Unwissenheit und Vertrauen ausgestattet sei. 61 Auch im Rahmen des § 315 BGB ist eine staatliche Inhaltskontrolle eröffnet und bestehen damit staatliche Gestaltungsmöglichkeiten bei typisierten Verträgen. 62 Vgl. nur Larenz, §52 IIa (S.315). 59

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

achtung der Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht zum Ausdruck. 63 Das Wertgefüge der Grundrechte ist somit schon bei der Erfüllung des Vertrags zu beachten. Das materielle Zivilrecht verwirklicht mit anderen Worten den Schutz der Grundrechtsgüter durch die Etablierung von vertraglichen Leistungspflichten. § 242 BGB ist als „Grundgebot der Redlichkeit" unabdingbar.64 Davon ausgehend wurden von der Rechtsprechung verschiedene ärztliche Pflichten entwickelt und konkretisiert. In ihrer Gesamtheit zeigen sie, daß die Rechtsprechung die Verpflichtung zum Rechtsgüterschutz des Patienten verinnerlicht und im Arzt-Patienten-Verhältnis etabliert hat, auch wenn dieser Aspekt in den Entscheidungen oft nicht ausdrücklich angesprochen wird. 65 c) Konkretisierung

der ärztlichen Pflichten durch die Rechtsprechung

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aa) Behandlungspflicht und Behandlungsfehler Die geschuldete ärztliche Tätigkeit besteht gemäß dem Ablauf ärztlicher Heilbehandlungen aus der Diagnose und der Therapie. Vorliegend wird sie in Abgrenzung zur Aufklärungspflicht - dazu unten (bb)) - als Behandlungspflicht bezeichnet. Die geschuldete Behandlung des Patienten muß unter Einhaltung des medizinischen Standards erfolgen. 67 Der Standard wiederum ergibt sich aus dem „aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik".68 Durch die Anknüpfung an den aktuellen Stand wird der Verpflichtung zu dynamischem Rechtsgüterschutz des Patienten Rechnung getragen.69 Der Patient soll vom Erkenntnis- und Entwicklungs63 Die z.B. von Werner, S.6f. postulierte Trennung zwischen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen ist daher bei § 242 BGB nicht möglich. Werner, S. 8 f. räumt auch selbst ein, daß durch die Verweisung auf die Verkehrssitte der Rechtsanwender trotz der weiten Fassung des § 242 BGB nicht in vollem Umfang frei sei, die gesetzliche Generalklausel auszufüllen. 64 Palandt!Heinrichs, §242 Rn. 15. 65 Vgl. nur die Überblicke bei Schramm, S. 62 ff. und Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, inzwischen in der 6. Aufl. (1995). 66 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird nachfolgend auch auf Literatur verwiesen, die die Rechtsprechung gesammelt und systematisiert hat. 67 Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, §39 Rn.9f.; Geiger, S. 23, 100; Laufs, in: Laufs/ Uhlenbruch §§ 3 Rn. 16, 6 Rn. 1 f., 99 Rn. 3; Geiß, S. 65 ff.; Giesen, Rn. 73 Fn., alle m. zahlr. Rspr.-Nw.; unklar Francke, der in Bezug auf den Patientenschutz nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einerseits einen „angemessenen Behandlungsstandard" (S. 188), andererseits einen „optimalen Qualitätsstandard" (S. 190) fordert. 68 Die Anlehnung an die Gesetzesterminologie (vgl. z.B. §§25 Abs.2 Nr.4,40 Abs. 1 Nr.5 AMG, 16 Abs. 1 TPG, 12 Abs. 1 TFG und die Verwendung im Umweltrecht; dazu Kloepfer, § 3 Rn.74ff.; BVerfGE 49, 89 [134 ff.] - Kalkar I) ist beabsichtigt. Ähnlich wie hier Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 9, nach dem der Standard „den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat", repräsentiert. 69 Nach Laufs, Rn.470 ist diese Dynamik dagegen nur im Begriff des „Standards" enthalten.

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stand der medizinischen Wissenschaft und Technik profitieren, da bei seiner Anwendung regelmäßig die besten Heilungschancen und geringsten Risiken gegeben sind. Die ärztliche Tätigkeit unterliegt somit in allen Bereichen - Diagnose, Einsatz technischer Mittel, Heil- und Nachbehandlung - fachlichen Anforderungen. 70 Schwierig ist nun die Bestimmung des jeweiligen aktuellen medizinischen Standards. Dem legislativen Schweigen entspricht eine große Unsicherheit hinsichtlich der Grundlagen und Herkunft der medizinischen Vorgaben für Heilbehandlungen. Hervorgehoben wird stets, daß die Medizin eine (Natur)Wissenschaft sei, die auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, daneben aber auch auf ärztlicher Erfahrung beruhe. 71 Mit dieser Beschreibung kann jedoch die Objektivierbarkeit von Behandlungsmethoden nicht verneint werden. 72 Die Pflicht zur Einhaltung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik bewirkt gerade eine objektive Leistungserbringung, so daß die Standardvorgaben in das Blickfeld rücken. Deren Zustandekommen ist de lege lata jedoch kaum durchschaubar und vollzieht sich oft ohne staatliche Einflußnahme. 73 Dennoch kommt in der Praxis nicht nur den Satzungsregelungen der Landesärztekammern, sondern auch anderen Standesvorgaben Regelcharakter zu. 74 Die Art und Weise der Durchführung der Behandlung ist damit oftmals inhaltlich im wesentlichen vorbestimmt. In den ganz überwiegenden Fällen der „gewöhnlichen" und alltäglichen Heilbehandlungen lassen sich objektive Anforderungen an die Behandlung bilden, deren Beachtung zur Vermeidung und Reduzierung von Fehlern führt. Hier ist vor Augen zu halten, daß eine abschließende Ablaufsbeschreibung von Behandlungen nicht möglich ist, was jedoch von der grundrechtlichen Schutzpflicht schon nicht gefordert wird. Genauso wie der Arzt die Freiheit haben muß, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen, ist dem Rechtsgüterschutz des Patienten schon dann gedient, wenn typische Fehler vermieden und Risiken verringert werden. Erst in der Folge besteht angesichts der Pflicht zu dynamischem Rechtsgüterschutz dann das Gebot, die Standards weiterzuentwickeln und zu konkretisieren. Auch bei neuartigen und komplizierten Verfahren, zum Beispiel in der Biomedizin, sind eine entsprechende Standardisierung und die Entwicklung von Standardvorgaben anzustreben. Der vom Arzt zu beachtende Standard bestimmt damit nicht nur den Inhalt des ärztlichen aktiven Tuns, sondern macht schon positive Handlungen an sich erforderlich. Durch ihn wird daher zugleich auch der Bereich des ärztlichen Unterlassens erfaßt. 75 Die Nichtbeachtung des Standards oder Verstöße gegen den Standard stellen ärztliche Pflichtverletzungen und damit Behandlungsfehler dar. 76 Der in diesem Zu70

Dazu ausführlich Giesen, Rn. 110 ff. m. w. Nw. Vgl. Velten, S.41 ff., 44ff. m. w.Nw. 72 Velten, S. 40f. m. w. Nw., auch zur Gegenauffassung. 73 Dazu ausführlich oben A Kap. 2 III.; vgl. auch die Bspe. bei Velten, S. 51 ff. 74 Velten, S.59ff.; Hart, in: Hart, S.9ff., 137 ff. 75 Vgl. Giesen, Rn. 131 ff. m. w. Nw. 76 Zu Begriff und Bedeutung stellvertretend Giesen, Rn.68ff.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §99 Rn. 5 ff. 71

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sammenhang ebenfalls oft verwandte Begriff des „Kunstfehlers" knüpft auch an die ärztliche Behandlung an, gibt jedoch keinen Aufschluß über die vertragliche Behandlungspflicht als solche, sondern ist ein Kriterium bei der Frage, ob eine Pflichtverletzung bei der Behandlung unterlaufen ist. 7 7 In diesem Sinne sind die „Regeln der ärztlichen Kunst" ein objektiv zu bestimmender 78 und zu beachtender Behandlungsmaßstab im Rahmen der ärztlichen Leistungspflicht. 79 Die übergeordnete Bedeutung des Begriffs des Behandlungsfehlers zeigt sich zum Beispiel auch daran, daß eine kunstgerechte Behandlung fehlerhaft sein kann, weil i m Einzelfall die falsche Methode angewendet wurde, oder dann, wenn sich bei neuartigen Behandlungen noch keine Kunstregel gebildet hat. 8 0 Das Vorliegen eines Behandlungsfehlers ist die Grundlage ärztlicher Haftung, wenngleich nicht deren alleinige Voraussetzung. Insbesondere kann vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht auf das bei der vertraglichen, deliktischen und strafrechtlichen Haftung notwendige Verschulden geschlossen werden. 81 bb) Aufklärungspflicht und Aufklärungsfehler Die zweite Hauptpflicht des Arztes ist die Aufklärung des Patienten. Sie dient dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die leiblich-seelische Integrität 8 2 und ist damit auf die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurückzuführen. 83 77

Zu den Begrifflichkeiten und damit verbundenen Schwierigkeiten ausführlich D. Krauß, in: Jung/Schreiber, S. 141 ff.; Farthmann, in: Jung/Schreiber, S. 129 ff. 78 Dazu ausführlich Kröning, S.5ff., 125. 79 Als Rechtsbegriff verwendet in § 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO, im BGB dagegen nicht. Standesethisch läßt sich die Bezeichnung ärztliche „Kunst" auf den Hippokratischen Eid zurückführen, abgedruckt bei Deutsch, Rn. 1029. 80 Nach der Rspr. ist die Anwendung einer allgemein akzeptierten und damit kunstgerechten Behandlungsmethode fahrlässig, wenn im Einzelfall die Anwendung einer konkurrierenden Methode zwingend angezeigt war; BGH, VersR 1956,224. Wenn beim Stand der Wissenschaft kein Einvernehmen besteht, setzt die Behandlungsfehlerhaftung des Arztes nicht erst ein, wo er gegen wissenschaftlich gesichertes, allgemein anerkanntes Wissen verstößt, sondern bereits dann, wenn er unter Einsatz der von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnisse und Erfahrungen eine nicht mehr vertretbare Behandlungsmaßnahme getroffen hat; Velten, S. 43; vgl. auch Francke, S. 190ff. Für einen weiten Behandlungsfehlerbegriff auch Giesen, Rn. 103 ff. m. w. Nw. Kritisch zum Kunstfehlerbegriff m. Bsp. auch Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A16 ff. m. w.Nw. 81 Zum Ganzen Kröning, S.42ff., 125 ff.; bei schuldhafter Pflichtverletzung („Schlechterfüllung") besteht eine Haftung aus „positiver Vertragsverletzung" (pVV); Larenz, §52 IIa (S. 315). Demzufolge erscheint es sachgerecht, die von Laufs, Rn.43,470 postulierte Freiheit des Arztes gegenüber der Anwendung des Standes der Wissenschaft nur in Einzelfällen anzuerkennen und dem Bereich der nach § 276 BGB gebotenen Sorgfalt zuzuordnen; zur „Kurier/ Therapiefreiheit" ausführlich Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 3 Rn. 13 ff. sowie oben A Kap. 3 III. 2.; zur vertraglichen und deliktischen Arzthaftung ausführlich unten II. 82 Stellvertretend das SV zu BVerfGE 52,131 (171 ff.); vgl. im Übrigen oben A Kap. 1 III. 4., Kap. 3 IV. 83 Francke, S. 101 ff., 1 lOff.; ungenauer nennt z.B. Hempfing, S. 17 das „Grundgesetz"; nach Deutsch, Rn. 103 ist „Art. 2 GG" die juristische Grundlage der Einwilligung nach Aufklärung.

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Daneben wird angeführt, daß die Aufklärung ihre Grundlage auch in der Ethik habe, die Information und Zustimmung des Patienten gar in erster Linie ethische Gebote seien.84 Dies erscheint zweifelhaft, da die weitreichenden Aufklärungserfordernisse erst durch die Fachgerichtsbarkeit etabliert wurden. So vertritt insbesondere die Rechtsprechung die zutreffende Auffassung, daß die bei ärztlichen Behandlungen regelmäßig (mit)erfolgende Verletzung von Rechtsgütern des Patienten nur zulässig sein kann, wenn dieser in sie eingewilligt hat. 85 Der Patient soll den Sinn und Zweck der Behandlung nachvollziehen und die Notwendigkeit, den Umfang und die Risiken oder sonstigen Folgen der geplanten Behandlung zutreffend beurteilen können - Erfordernisse, die allesamt nur durch den sachkundigen behandelnden Arzt vor Eingriffsbeginn in Form der Aufklärung erbracht werden können. Die ordnungsgemäße Aufklärung ist damit Grundlage einer wirksamen Einwilligung, die auch im Zivilrecht ein anerkannter, wenngleich ungeschriebener Rechtfertigungsgrund ist. 86 Die wirksame Einwilligung in Körperverletzungen schließt deren Rechtswidrigkeit aus. Dies gilt nicht nur im Delikts- und Strafrecht, sondern auch bei vertraglich vereinbarten Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit. In persönlicher Hinsicht ist für eine wirksame Einwilligung nicht die Geschäftsfähigkeit des Patienten notwendig, da diese keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung darstellt. 87 Es genügt die Reife zur Beurteilung der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs. 88 Von hervorragender Bedeutung ist daneben die Freiwilligkeit der Einwilligung. 89 Die Einwilligung ist an keine bestimmte Form gebunden.90 Als sachliche Grenze ist anerkannt, daß eine sittenwidrige Einwilligung unwirksam ist - dies 84

So z. B. Deutsch, Rn. 102 m. w. Nw. Nachdrücklich das SV zu BVerfGE 52, 131 (171, 173); vgl. auch Hempfing, S. 17, 19f.; zur Bedeutung der Einwilligung für die Beweislast siehe unten II.4.b)aa). Diese Aufklärungspflicht ist damit nicht zu verwechseln mit der von der Rpsr. entwickelten Aufklärungspflicht, die aus dem Ungleichgewicht der Vertragspartner folgen soll und deren Verletzung zur Aufhebung des Vertrags nach §249 Satz 1 BGB führt; dazu Medicus, Privatautonomie, S.28f. m. w. Nw. Angesichts der fachlichen Überlegenheit des Arztes kann dieser Aspekt zur Begründung der Aufklärungspflicht gegenüber dem Patient m. E. allerdings mit herangezogen werden, nicht dagegen die Rechtsfolge. 86 Zur Bedeutung im Deliktsrecht unten II., im Strafrecht unten Kap.2. 87 BGHZ 29, 33; BGH, NJW 1972, 335 (337). 88 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A23.; ansonsten muß die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegen. 89 Stellvertretend Palandt/Thomas, § 823 Rn.42. 90 Durch die Schriftform wird nicht nur kein „mehr" an Wirksamkeit erzielt, sondern die oft in Krankenhäusern anzutreffende formularmäßige Einholung der Einwilligung der Patienten ist besonders problematisch: Auch wenn diese bestätigen, ausreichend aufgeklärt zu sein und zumeist auch, Gelegenheit zu Fragen erhalten zu haben, dienen entsprechende Dokumente hauptsächlich der Absicherung gegenüber Schadensersatzklagen und damit gerade der Verbesserung der Beweisstellung der beklagten Ärzte (oder Krankenhäuser bzw. -hausträger); zutreffende Einschätzung von Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 25. Im Hinblick auf die Vorgabe des effektiven Rechtsgüterschutzes dürfte ihnen daher eigentlich nur eingeschränkte rechtliche Relevanz zukommen, die im Prozeß jedoch durch ihren tatsächlichen Beweiswert überhöht wird; vgl. unten II. 85

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entspricht § 228 StGB. 91 Für den Inhalt der Aufklärung ist der Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung im Zeitpunkt der Behandlung maßgeblich, so daß de lege lata der Arzt das volle (Haftungs)Risiko trägt, nicht ausreichend aufgeklärt zu haben.92 Verstöße gegen die Aufklärungspflicht sind ärztliche Pflichtverletzungen, die als Aufklärungsfehler ebenfalls zu vertraglicher, deliktischer und strafrechtlicher Arzthaftung führen können.93 Die Anforderungen an Aufklärung und Einwilligung im Arzt-Patienten-Verhältnis werden regelmäßig dahingehend zusammengefaßt, daß der Patient über Anlaß, Dringlichkeit, Umfang, Schwere, Risiken, Art und Folgen, mögliche Nebenwirkungen des geplanten Eingriffs, dessen Erfolgsaussichten, Folgen der Nichtbehandlung, etwaige Behandlungs- und Kostenalternativen, unter Umständen auch über die Person des Operateurs und die Ausstattung der Klinik aufgeklärt werden müsse.94 Anknüpfend an den sachlichen und zeitlichen Verlauf der Behandlung werden Fallgruppen gebildet, die vier Formen der Aufklärung unterscheiden, denen sukzessiv bzw. kumulativ nachzukommen ist: die therapeutische Aufklärung, die Diagnoseaufklärung, 95 die Verlaufsaufklärung und die Risikoaufklärung. Die letzten drei werden unter dem (Ober)Begriff der Selbstbestimmungsaufklärung zusammengefaßt, da sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einwilligung stehen.96 Die therapeutische Aufklärung wird dagegen der eigentlichen Heilbehandlung zugerechnet: Sie soll den Heilerfolg gewährleisten, so daß die Schadensabwehr im Vordergrund steht.97 Verstöße gegen die therapeutische Aufklärungspflicht werden daher als Behandlungs- und nicht als Aufklärungsfehler angesehen.98 Dieser Unterscheidung hat vor allem beweisrechtliche Bedeutung im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung. 99 Bei der problematischen Bestimmung des Umfangs der Risikoaufklärung hat die Rechtsprechung generalklauselartige Maßstäbe geschaffen. Danach besteht keine Verpflichtung des Arztes, den Patienten auf alle nachteiligen Folgen aufmerksam zu machen, die möglicherweise bei einer Operation entstehen können,100 der Arzt hat 91

Dazu weiter Kap. 2 II. 1. Vgl. z.B. BGH, MedR 1996, 195 (197); Ulsenheimer, Rn.60ff. m.zahlr.Nw. zur Rspr. 93 Dazu unten II., Kap. 2. 94 Aufzählung nach Ulsenheimer, Rn. 60, der beispielhaft die Entscheidungen OLG Braunschweig, VersR 1980, 853; OLG Köln, NJW 1987, 2302; BGH, NJW 1983, 2630 anführt. 95 Dies ist die Information des Patienten über den ärztlichen Befund, nicht die Aufklärung vor einem Eingriff zu diagnostischen Zwecken; Ulsenheimer, Rn.63. 96 Ulsenheimer, Rn. 61; vgl. auch Francke, S. 1 lOff. 97 Vgl. BGH, MedR 1995,25 (26f.) m.w.Nw.; zu den Unterschieden mchSteffen, S. 125ff. m. zahlr. Nw. zur Rspr. 98 BGHZ 107, 222; BGH, VersR 1986, 1121 (122); NJW 1987, 705; MedR 1988, 26; JZ 1991, 782 m. Anm. v. GiesenlKloth (S.784f.). 99 Vgl. dazu unten II. 1., 4. Im strafgerichtlichen Verfahren gilt dagegen der Untersuchungsgrundsatz gem. § 155 StPO sowie die Unschuldsvermutung gem. Art. 6 Abs. 2 EMRK; zur Verankerung im GG Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn. 93 m. Nw. 100 Siehe schon RGZ 78, 432 (433 f.). 92

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aber über die Bedeutung des Eingriffs im großen und ganzen und die damit verbundenen Risiken in verständlicher Form zu informieren. 101 Eine Konkretisierung wird dahingehend vorgenommen, daß der Arzt nur über eingriffsspezifische Risiken, das heißt typischerweise mit der konkreten ärztlichen Maßnahme verbundene Komplikationsmöglichkeiten aufklären muß. Nicht dagegen über allgemeine, zum Beispiel mit jeder Operation unter Narkose verbundene Risiken. 102 Würde sich der Risikoeintritt besonders belastend auf die privaten und beruflichen Lebensumstände des Patienten auswirken, so sind auch extrem seltene Risiken zu nennen.103 Der Umfang der gesamten Aufklärung wird daneben durch die Eilbedürftigkeit und Schwere des ärztlichen Eingriffs beeinflußt, 104 so daß er bei vital unabweislich indizierten Eingriffen gering ist. 105 Auch in den Fällen der unvorhersehbaren Erweiterungsoperation 106 wird eine Pflicht des Arztes zum Operationsabbruch, um die nötige Einwilligung des Patienten einzuholen, verneint, wenn dieser medizinisch kontraindiziert ist. 107 Zum Schutz der körperlichen Existenz wird damit im Bereich der Heilbehandlung eine mutmaßliche Einwilligung in engen Grenzen für zulässig erachtet, die allerdings nicht auf der Ermittlung des Willens des Patienten basiert, sondern auf einer ärztlichen Risikoabwägung. Die Risiken des Behandlungsabbruchs und Wiederholungseingriffs müssen die der Fortsetzung des Eingriffs übersteigen, ein Zuwarten mit der Behandlung gravierende Folgen haben. Dem ähnelt die sog. Aufklärungsbefreiung: Die Selbstbestimmungsaufklärung darf eingeschränkt werden oder gar unterbleiben, wenn das Leben oder die Gesundheit des Patienten durch die Mitteilung eines schwerwiegenden Befundes ernstlich gefährdet sind. 108 Daneben soll auch eine „hypothetische Einwilligung" in Betracht kommen, um dem Vorwurf schlicht unterbliebener Aufklärung zu begegnen: Der notwendige Kausalzu101

OLG Oldenburg, NJW 1997, 1642. Neben Wundinfektionen, Narbenbrüchen auch Embolien (BGH, NJW 1992, 743; NJW 1990,633); vgl. auch BGH, NJW 1980,635; VersR 1981,456, wo eine Wahrscheinlichkeit von 1:2000 als geringe Wahrscheinlichkeitsdichte bezeichnet wird. BGH, NJW 1976, 363 (364) geht bei 1:1000 von einem extrem seltenen Zwischenfallrisiko aus; w. Bsp. bei Ulsenheimer, Rn. 68 f. 103 So z. B. das Aids-Infektionsrisiko bei intra- oder postoperativ notwendigen Fremdbluttransfusionen; BGH, NJW 1992, 743. 104 Je eilbedürftiger die ärztliche Maßnahme, desto geringer, je weniger dringlich und notwendig der Eingriff, desto höher und strenger sind die Anforderungen an die Aufklärung; Tempel, NJW 1980, 611 ff. m. w. Nw.; ausführlich auch Ulsenheimer, Rn. 71 ff. 105 Nach der Rspr. geht die Lebensrettung im Ergebnis vor der Achtung des Selbstbestimmungsrechts; plastisch BGHSt 12,379 (382): Hier sind „mit der Einwilligung nicht viele Umstände zu machen". 106 Hier wird eine medizinisch indizierte Abweichung vom ursprünglichen Operationsplan erst während der Operation erkennbar. 107 BGH, NJW 1977, 336 (338); BGHSt 11, 111 (114). 108 Dies betrifft v. a. die Diagnoseaufklärung; zurückhaltend aber z. B. BGHZ 29, 176 (183ff.); OLG Köln, NJW 1987, 2936. Kritisch, d.h. z.B. auch für die Berücksichtigung psychischer Folgen und damit für die Stärkung der ärztlichen Fürsorgepflicht Ulsenheimer, Rn. 63 m. w. Nw. 102

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

sammenhang zwischen Aufklärungsmangel und Körperverletzung soll zu verneinen sein, wenn davon auszugehen ist, daß bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung erfolgt wäre. 109 Letztlich soll die Aufklärungspflicht auch bei einem ausdrücklichen oder konkludenten Verzicht des Patienten entfallen. 110 Ein wirksamer Verzicht setzt jedoch wie die Einwilligung die Kenntnis der im wesentlichen relevanten Umstände voraus, so daß auch hier eine Basisaufklärung unumgänglich ist. 111 Die Reduzierung der Aufklärungserfordernisse zu Gunsten der körperlichen Integrität, insbesondere des Lebens, lassen sich mit dem Wohl und Willen des Patienten begründen, der sich gerade zur Heilung in die ärztliche Behandlung begeben hat. 112 Angesichts des großen ärztlichen Entscheidungsspielraums und den Ansätzen zur Relativierung der Selbstbestimmung des Patienten gerade durch die Annahme einer hypothetischen Einwilligung, aber auch durch die Verneinung einer Aufklärungspflicht bei leichten Krankheitsbildern und (vermeintlich) geringfügigen ärztlichen Eingriffen, 113 ist dabei jedoch Zurückhaltung geboten.114 Die ärztlichen Heilbehandlungen werden von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßt, der auch dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine zentrale Position zuweist, die extern nicht unter Berufung auf den körperlichen oder gesundheitlichen Nutzen überspielt werden darf. Der Rechtsprechung kommt damit de lege lata besondere Verantwortung bei der Schaffung von Ausnahmekonstellationen zu, wobei sie einer Aushöhlung der Aufklärung und damit Zulassung eigenmächtiger Behandlung entgegenwirken muß. De lege ferenda scheinen insoweit die Normierung gesetzlicher Voraussetzungen für einen wirksamen Aufklärungsverzicht und eine zulässigerweise unterbleibende Aufklärung aus therapeutischen Gründen vorzugswürdig. 115 Besondere Bedeutung erlangt der Aufklärungsumfang bei alternativen Behandlungs- oder Außenseitermethoden und neuen Therapieverfahren. 116 Da diese vom bestehenden objektiven Standard abweichen, sind sie regelmäßig mit höheren Begleit- und Erfolgsrisiken verbunden, wenn nicht ihre Auswahl schon als Behandlungsfehler eingeordnet wird, da vom gebotenen Standard abgewichen werden soll. 109 Das Reichsgericht lehnte diesen Gesichtspunkt des „rechtmäßigen Alternativverhaltens" noch ab; vgl. RGZ 163,129 (136ff.), während der BGH diese Argumentation unter „strengsten Voraussetzungen" für zulässig hält; BGH, NJW 1976, 365; VersR 1965, 718 (719); MedR 1996, 22 unter Verweis auf zivilrechtliche Judikatur (S.24f.); vgl. auch Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A26; Ulsenheimer, Rn. 132 ff. weist auf die verschiedenen Begrifflichkeiten und Unterschiede zwischen zivilrechtlichem Arzthaftungsprozeß und Strafprozeß hinsichtlich hypothetischer Einwände hin. 110 Vgl. BGH NJW 1959, 811 (813 f.); 1973, 556; 1976, 363 (364). 111 Vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 64 Rn. 17 f.; ein „Blankoverzicht" ist jedoch unwirksam. 112 Ähnlich Francke, S. 164f.; Giesen, Rn.238ff. 113 In diese Richtung z.B. Ulsenheimer, Rn.77; zurückhaltend dagegen Francke, S. 161 f. 114 Ablehnend gegen hypothetische Erwägungen auch das SV zu BVerfGE 52,131 (176 ff.). 115 Vgl. Geiger, S.27f., 161 f. zum Behandlungsverzicht und S.26f., 163 f. zur zulässigen Unterlassung der Aufklärung als „therapeutisches Privileg". 116 Ausführlich zum Ganzen Ulsenheimer, Rn. 82 ff. m. entspr. Nw.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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Da die Einwilligung in diesen gegebenenfalls „vorsätzlichen Behandlungsfehler" des Arztes ebenfalls zur Rechtmäßigkeit der Körperverletzung führt, stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen an die vorgehende Aufklärung, die nicht nur den bislang dargestellten Umfang haben muß, sondern sich auch auf die Abweichung vom Standard und ernsthafte wissenschaftliche Kontroversen bezüglich der in Betracht kommenden Behandlungsalternativen einschließlich deren Risiken und Erfolgsaussichten erstrecken muß. Bei neuen Verfahren gilt dasselbe hinsichtlich des Erprobungscharakters. cc) Weitere ärztliche Pflichten Neben den genannten Hauptpflichten bestehen Nebenpflichten des Arztes, die ebenfalls aus § 242 BGB abgeleitet werden. Hervorzuheben sind die ärztliche Schweigepflicht 117 sowie Dokumentationspflichten, aus denen wiederum Einsichtsrechte des Patienten folgen sollen. 118 Diesen kommt eine große Bedeutung bei der Sachverhaltsaufklärung im Arzthaftungsprozeß zu. 119 Aufgrund der zunehmenden Normierung des Gesundheitsrechts sind auch die bestehenden und zukünftig zu erwartenden spezifischen Regelungen120 geeignet, die Art und Weise der ärztlichen Tätigkeit zu konkretisieren und bereichsspezifische Leistungspflichten zu begründen. In Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht erlassene Schutzgesetze zum präventiven Rechtsgüterschutz stellen spezialgesetzliche Regelungen dar, die auch das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinflussen. In den Fällen, in denen sie keine unmittelbaren Leistungspflichten begründen, können sie zumindest über § 242 BGB die Vertragserfüllung determinieren. Auch innerhalb des § 242 BGB gehen sie aufgrund der Normenhierarchie und ihrer Spezialität widersprechenden standesrechtlichen Regelungen vor. Insoweit ist die pauschale parlamentarische Ermächtigung zur Heranziehung von Standesrecht in § 242 BGB von vornherein nachfolgenden parlamentarischen Konkretisierungen und Rückführungen zugänglich, die seitens der Fachgerichte zu achten sind. Indes zeigt sich auch hier die Notwendigkeit der Kooperation zwischen staatlichen Organen und ärztlichem Stand, durch die Friktionen bei der Schutzgewährung vermieden 117 Vgl. Deutsch, Rn. 371 ff. m. w. Nw. Unter Rückgriff auf die Strafbewehrung der Schweigepflicht durch § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB knüpft der BGH - grundlegend NJW 1991,2955 - die Wirksamkeit der Abtretung der ärztlichen Honorarforderung an die Zustimmung des Patienten; kritisch z.B. Berger, NJW 1995, 1584ff. m. w.Nw. (auch zur Rspr. des BGH); vgl. auch Deutsch, Rn. 73 f. 118 Heutzutage ist dies anerkannt; vgl. Deutsch, Rn.354ff.; dagegen noch die Nw. zur Rspr. bei Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A33. Zu den Nebenpflichten, wie auch zu bloßen Obliegenheiten, deren Verletzung nicht zu einer Schadensersatzpflicht, sondern nur zum Verlust einer Rechtsposition führt, weiter Deutsch, Rn. 69 f. 119 Ablehnend gegenüber einer vertraglichen Anlage- und Vorlagepflicht bzgl. der Dokumente die früher h. A.; vgl. Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 34. Zum Arzthaftungsprozeß unten II. 120 Dazu unten Kap. 3 I., Kap. 4.

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

werden und die Rechtsprechung von der Auflösung fachlicher, medizinisch-wissenschaftlicher Fragen bei der Anwendung von Generalklauseln entbunden wird. 121 3. Grenzen vertraglicher Regelung und Gestaltung Die §§ 134, 138 BGB setzen der zwischen Arzt und Patient gegebenen Vertragsfreiheit materielle Grenzen. Sie beschränken die ärztliche Berufsausübung und die Selbstbestimmung des Patienten. Die Durchführung nichtiger Verträge wird durch die §§ 134, 138 BGB indes aufgrund des Fehlens des Anspruchs auf Gegenleistung nur faktisch verhindert. Ebenso bewirkt die Rechtsfolge der Vertragsnichtigkeit noch keinen sanktionierenden Rechtsgüterschutz für den Patienten: Verbotenes oder sittenwidriges Verhalten löst für sich allein keine Haftung aus, hinzukommen müssen eine Rechtsgutsverletzung, das Verschulden sowie ein zurechenbarer Schaden. Dies sind jedoch zugleich die Voraussetzungen der deliktischen Haftung, so daß eine Verpflichtung des Arztes zum Schadensersatz unabhängig von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Vertrags ist und sogar bei Fehlen eines Vertrags bestehen kann. 122 Die Vertragsnichtigkeit führt damit nicht zum Wegfall des zivilrechtlichen Schutzes. Die Bedeutung der Vertragsnichtigkeit nach den §§ 134, 138 BGB liegt folglich vielmehr in der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung und der Begrenzung autonomer Rechtsgestaltung durch Private. Insoweit ist die gesetzlich angeordnete Vertragsnichtigkeit Ausdruck eines allgemeinen präventiven Rechtsgüterschutzes, durch den verhindert werden soll, daß sich rechtlich mißbilligte Tätigkeiten auf vertraglicher Ebene verselbständigen und verfestigen. a) §134 BGB Regelmäßig wird angenommen, daß bei Strafgesetzen für ein Eingreifen des § 134 BGB die Verwirklichung des objektiven (und subjektiven) Tatbestandes genügen soll. 123 Diese Sichtweise ist aufgrund der Einordnung der mit ärztlichen Heilbehandlungen verbundenen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit als tatbestandliche Körperverletzungen jedoch zu eng. Bei diesen muß für § 134 BGB auch die Rechtswidrigkeit der Heilbehandlung Voraussetzung sein. 124 Auch im Hinblick auf die Zulässigkeit des Vertragsinhalts kommt danach der Einwilligung des Patienten 121 Zur Bedeutung des ärztlichen Standes und der Fachgerichtsbarkeit bei der Erfüllung der Schutzpflicht schon oben A Kap. 2 III., IV. Zu Recht werden daher im Rahmen der (unten Kap.4 beschriebenen) „besonderen Regelungen" vom Gesetzgeber in transparenter Weise von vornherein „Facheinheiten" in die Schutzpflichterfüllung eingebunden und dies nicht der Rechtsprechung im Rahmen von Einzelfallentscheidungen überlassen; vgl. auch nachfolgend d). 122 Zur Arzthaftung insgesamt sogleich unten II. 123 Stellvertretend Palandt/Heinrichs, § 134 Rn.23 m. entspr. Nw. 124 Vergleichbar das BVerfG im Hinblick auf das Abtreibungsverbot nach §218 StGB gegenüber dem Vorliegen der Voraussetzungen für einen nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch; BVerfGE 88, 203 (295 f.).

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als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts einschließlich den Voraussetzungen für dessen wirksame Ausübung maßgebliche Bedeutung zu. 125 Zugleich können in diesem Rahmen zulässige Körperverletzungen nicht sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB sein. Umgekehrt wird dies durch § 228 StGB bestätigt, der die Rechtswidrigkeit der Körperverletzung mit den guten Sitten dergestalt verknüpft, daß der Unwertgehalt der Tat auch bei einer Einwilligung des Opfers gegeben ist. 126 § 134 BGB greift ein, wenn das Rechtsgeschäft selbst gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Das gesetzliche Verbot muß sich auf den Regelungsgehalt des Rechtsgeschäfts beziehen; betrifft es nur seine äußeren Umstände, ist das Rechtsgeschäft gültig. Fehlt ein ausdrücklicher Bezug auf die Wirksamkeit privatrechtlicher Rechtsgeschäfte, so ist der Verbotszweck maßgeblich.127 Nach überwiegender Auffassung kann die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts aus dem Verbot nur abgeleitet werden, wenn sich das Verbot an beide Parteien richtet.128 Richtet sich das Verbot dagegen nur gegen einen Beteiligten, so ist das Rechtsgeschäft regelmäßig gültig. 129 Der Gesetzesbegriff nach § 134 BGB bestimmt sich nach Art. 2 EGBGB, wonach Gesetze im Sinne des BGB Rechtsnormen sind. 130 Als Gesetze im Sinne von § 134 BGB scheiden von den Standesregelungen damit die Beschlüsse privatrechtlich organisierter Standesorganisationen von vornherein aus.131 Problematisch ist die Erfassung der in öffentlich-rechtlicher Satzungsform erlassenen Regelungen der Landesärztekammern. Auch wenn diese Rechtsnormen im formalen Sinn sind, spricht ihre begrenzte Binnenwirkung gegen die Unterstellung unter § 134 BGB. 1 3 2 Ihnen kommt keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Außenstehenden zu, 133 wie auch den die Satzungskompetenz enthaltenden HeilbKGen keine Anhaltspunkte für die unmittelbare Herbeiführung zivilrechtlicher Folgen entnommen werden kön125

In der Praxis gehen demgegenüber z. B. Teile der Aufklärung (z. B. bzgl. der Anästhesie) dem Abschluß des Krankenhausaufnahmevertrags nach. 126 Zur ratio der Vorschrift z. B. Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 5 ff. m. w. Nw. 127 Larenz/Wolf,, § 40 Rn. 13 ff. m. w. Nw.; aus der Rspr. z. B. BGH, NJW 1986,1104. Dies ist bei den Vorschriften des Gesundheitsrechts regelmäßig der Fall, vgl. nur das ESchG. 128 Staudingerl Sack, § 134 Rn. 71 ff. m. Nw. zu den Motiven zum BGB und der Rspr. des RG und BGH; ablehnend z.B. Canaris, Rechtsgeschäft, S.9ff., 45f. 129 BGHZ 89,369 (373); 111,308 (311). Auch dies entspricht den Motiven zum Entwurf des BGB und der Rspr. des RG; vgl. die Nw. bei Staudingerl Sack, § 134 Rn. 73. Eine Ausnahme besteht nach der Rspr., wenn der Erfüllungsanspruch auf eine unerlaubte Handlung gerichtet ist; vgl. BGHZ 37, 258 (262); 53, 152 (159); 89, 369 (373). Eine weitere Ausnahme soll nach BGHZ 89, 369 (373) bestehen, wenn der angestrebte Schutz des Vertragsgegners die Nichtigkeit erfordert - dies ist im Arzt-Patienten-Verhältnis jedoch regelmäßig nicht gegeben; dazu auch BVerfGE 88, 203 (295 f.). 130 Vgl. PalandtlHeinrichs, § 134 Rn.2; Einl. Rn. 19 ff. 131 Stellvertretend Palandtl Heldrich, Art. 2 EGBGB Rn. 1; Palandtl Heinrichs, Einl. Rn. 25 f. 132 Staudinger ¡Schäfer, § 823 Rn. 577 m. w. Nw.; ausführlich zur Problematik Taupitz, JZ 1994, 224 ff. in kritischer Auseinandersetzung mit der nachfolgend genannten Rspr.; a. A. BGH, NJW 1992, 1159f.; NJW 1986, 2360f. (unter Verweis auf BVerfGE 33, 125). 133 Siehe oben A Kap. 3 III.

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nen. Taupitz bezweifelt zwar die Tauglichkeit des Abgrenzungskriteriums der Außenwirkung, lehnt aber ebenfalls den Verbotsgesetzcharakter dieser Regelungen ab. 135 Dies ergibt sich daraus, daß sich im Rahmen von § 134 BGB die Nichtigkeit aus dem Verbotsgesetz selbst, das heißt seinem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn und Zweck ergeben muß. 136 Den Landesärztekammern kommt wegen ihrer auf den Binnenbereich beschränkten Legitimation jedoch keine Regelungsbefugnis der zivilrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient zu, die vom Zivilgericht schlicht übernommen werden dürfte. Schon in den 1930er Jahren wurde eine derartige Gesetzesautonomie zugunsten ärztlicher Kammern abgelehnt, die den Schutz des § 134 BGB genießen würde. 137 Unter der Geltung der heutigen staatlichen Schutzpflicht ergibt sich dies aus dem Vorbehalt des Gesetzes, der die Regelungspflicht für den weitreichendsten Eingriff in die Vertragsfreiheit - die strikte Nichtigkeit ohne richterlichen Gestaltungsspielraum - dem parlamentarischen Gesetzgeber zuweist. Ohne ausdrückliche Delegation kann die Nichtigkeit nicht von Körperschaften des öffentlichen Rechts ausgesprochen werden. Die geltenden Heilberufs- und Kammergesetze enthalten keine Befugnis zugunsten der Landesärztekammern, nicht nur den Abschluß eines Rechtsgeschäfts, sondern auch dessen privatrechtliche Wirksamkeit zu verhindern. 138 b) §138 BGB Diese restriktive Sichtweise wird durch § 138 BGB relativiert, dem eine Auffangfunktion zukommt: Zum einen werden nur von § 138 BGB bei Vornahme des Rechtsgeschäfts begangene Rechtsverletzungen erfaßt, 139 zum anderen enthält er die Möglichkeit der spezifischen Schutzgewährung, wenn keine parlamentarische Regelung besteht. Insoweit trägt § 138 BGB der Tatsache Rechnung, daß die vielfältigen Mißbrauchsmöglichkeiten nur schwer abschließend durch bestimmt umschriebene gesetzliche Verbote erfaßt werden können.140 Wegen der parallelen Anknüpfung an die guten Sitten durch § 228 StGB sind allerdings Abgrenzungsschwierigkeiten zu § 134 BGB denkbar. Im Rahmen des § 138 BGB entfalten sich nicht nur grundrechtliche Vorgaben, sondern können auch diesen nicht widersprechende standesrechtliche Regelungen berücksichtigt werden. 141 Zwar steht in § 138 134

Taupitz, JZ 1994, 225. Taupitz, JZ 1994, 224 ff. m. w.Nw. 136 Palandt/Heinrichs, § 134 Rn.7; Taupitz, JZ 1994, 224ff. m. w.Nw. 137 Nw. bei Taupitz, JZ 1994, 226 (Fn.91). Allerdings waren unter der WRV „Gesetze" nur die in öffentlicher parlamentarischer Diskussion zustandegekommenen Regelungen; Brohm, NJW 2001,3. 138 Taupitz, JZ 1994 m. w. Nw. 139 Palandt!Heinrichs, § 138 Rn. 13. 140 Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 1. 141 Ebenso Taupitz, JZ 1994, 225; ders., S. 1086ff., 1099ff., wobei der Schwerpunkt seiner Erörterungen auf der richterlichen Inhaltskontrolle zu Gunsten der Kammermitglieder liegt. 135

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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BGB die Konkretisierung von in der Rechtsordnung angelegten Wertmaßstäben gegenüber einer Rezeption von außerrechtlichen Wertungen im Vordergrund, 142 zugleich soll aber die herrschende Rechts- und Sozialmoral der beteiligten Gruppe(n) inhaltlich begriffsbestimmend sein. 143 Die Zulässigkeit der Berücksichtigung auch standesrechtlicher Vorgaben ergibt sich hier aus der inhaltlichen Bewertung und Prüfung durch das Zivilgericht als Schutzpflichtadressat, das über Art. 1 Abs. 3 GG in die Erfüllung der Schutzpflicht eingebunden ist: Die gesetzlichen Verbote werden durch Legislativentscheidungen statuiert, die inhaltliche Bestimmung des wandlungsunterworfenen Begriffs der guten Sitten erfolgt durch die Fachgerichtsbarkeit. Allerdings sind dieser durch den Vorbehalt des Gesetzes und den Gewaltenteilungsgrundsatz Grenzen gesetzt.144 Vor der Nichtigkeitsentscheidung haben die Fachgerichte weiter den bereits genannten § 242 und auch § 157 BGB heranzuziehen. 145 c) Vertragsnichtigkeit und parlamentarische

bei Strafgesetzen Verantwortung

Schwierige Fragen über die Zulässigkeit verschiedener Vertragsinhalte und die Problematik des Zusammenspiels von §§ 134 und 138 BGB treten bei den spezifischen Regelungen des Gesundheitsrechts auf. Sie werden vor allem relevant, wenn ein Rechtsgeschäft selbst nicht verboten ist, die Vertragspartner aber im Zusammenhang mit Abschluß oder Durchführung gegen Gesetz und Recht verstoßen. 146 Dies zeigt sich bei strafrechtlichen Verbotstatbeständen, zum Beispiel nach dem Embryonenschutzgesetz (ESchG). In seinem Regelungsbereich sind nicht nur Kaufverträge oder unentgeltliche Überlassungen der Embryonen, sondern wegen der Vielzahl verschiedener Interessen auch andere Verträge denkbar, die vom ESchG als mißbräuchlich bewertete Verhaltensweisen nur als Nebenaspekt betroffen sind. 147 Hier stellt sich die Frage, ob stets § 134 BGB eingreift, 148 oder ob daneben § 138 BGB zur Anwendung kommen kann. 149 Diese Fragestellung ist damit typisch, wenn die Grenze zulässiger ärztlicher Tätigkeit durch das Strafrecht bestimmt wird. Auch bei 142

Palandt/Heinrichs, § 138 Rn.3. Palandt/Heinrichs, § 138 Rn.2. 144 Dazu bereits oben A Kap. 2 IV. und weiter unten III., IV. 145 Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 14. 146 Palandt/Heinrichs, § 138 Rn. 13, 43 ff. m.zahlr. Bsp., allerdings nicht aus dem Bereich des Gesundheitsrechts. 147 Die verschiedenartigen Interessen führen zu verschiedenen Vertragspartnern wie Krankenhäuser, Forscher, Forschungseinrichtungen, Pharmaunternehmen, Ei- und Embryonenspenderinnen, Samenspendern, biologische Mütter, Ersatzmütter, Wunscheltern oder Vermittlungsagenturen; Auflistung nach Vieweg, in: FS Stree u. Wessels, S. 982ff. 148 Vgl. Deutsch, NJW 1991,723; Coester-Waltjen, FamRZ 1992, 371, die beide den tatbestandlichen Zuschnitt Verbotsnorm betonen und außerhalb durchaus Bereiche für zulässige Verträge oder § 138 BGB sehen. 149 Ausführlich und differenzierend Vieweg, in: FS Stree u. Wessels, S. 985 ff. 143

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Schwangerschaftsabbrüchen und bei der Sterbehilfe 150 sowie im Zusammenhang mit den strafbewehrten Verbotstatbeständen im Arzneimittel-, Transplantationsund Transfusionsgesetz 151 ist fraglich, ob allein mit § 134 BGB der außerhalb zulässiger Vertragsgestaltung liegende Bereich erfaßt werden kann. M. E. findet hier § 138 BGB ergänzende Anwendung, der eine Schutzgewährung im Einzelfall durch die Fachgerichtsbarkeit in den nicht gesetzlich erfaßten Fällen zuläßt. Allerdings wird die Fachgerichtsbarkeit vor die Aufgabe gestellt, ergänzenden Rechtsgüterschutz außerhalb des durch die Strafvorschriften entstehenden Haftungsrechts zu leisten.152 Daneben fließen über § 138 BGB regelmäßig standesrechtliche Vorgaben in die gerichtliche Entscheidung ein, was in diesen Fällen besonders problematisch ist, da der Gesetzgeber durch seine Verbotsbestimmungen gerade eine eigene Regelung des Sachbereichs vornehmen wollte. Infolgedessen kommt bei paralleler Anwendung der §§ 134, 138 BGB zum Ausdruck, daß die bestehenden parlamentarischen Regelungen die Probleme des jeweiligen Bereichs nicht (mehr) befriedigend lösen. Der Feststellung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags kommt infolgedessen vor allem Signalwirkung für den Gesetzgeber zu. Er hat die Pflicht, die Zivilgerichtsbarkeit von der Auflösung grundrechtlicher Konflikte zu entlasten, die im Rahmen des § 138 BGB regelmäßig zugespitzt und unbewältigt auftreten, während im Rahmen des § 134 BGB bereits parlamentarische Abwägungsentscheidungen erfolgt sind, denen die Gerichte im Einzelfall Rechnung tragen. Daneben ist aber auch die Möglichkeit des Gesetzgebers hervorzuheben, durch parlamentarische Entscheidung ein bislang von der Rechtsordnung mißbilligtes Verhalten zu legitimieren.

II. Arzthaftungsprozeß In der hier entwickelten Schutzpflichtkonzeption ist der zivilrechtliche Arzthaftungsprozeß Ausdruck des Rechtsgüterschutzes durch die staatlichen Zivilgerichte im Einzelfall. Der von ihnen gewährte Sanktionsschutz in Form des Schadensersatzes unterfällt der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, die zwar vorrangig präventiven Rechtsgüterschutz verlangt, sich jedoch nicht auf diesen beschränkt. Zwar kommt auch den zivilrechtlichen Haftungsvorschriften, ähnlich den strafrechtlichen, eine präventive Funktion zu, 153 im Vordergrund steht jedoch die Sanktion vorausgegangen rechtlich mißbilligten Verhaltens. Die tatsächliche Haftung des Angreifers ist Teil der Schutzpflichterfüllung. 150

Dazu unten Kap. 3. Dazu unten Kap. 4. 152 Zu Recht kritisch gegenüber der Gewährung von Grundrechtsschutz über § 138 BGB z. B. Canaris, JuS 1989, 164 ff. 153 Ausführlich dazu Brüggemeier, JZ 1986,969 ff. Die von ihm in Anknüpfung an den Law and Economics-Ansatz bejahte rechtspositivistische Aufgabe der Zivilgerichte, indirekte staatliche Regulierung zur Schadens Vermeidung vorzunehmen (S.971 f.), findet ihre Grenze aber ebenfalls im Vorbehalt des Gesetzes und dem Gewaltenteilungsgrundsatz; vgl. auch oben A Kap. 2 IV. 151

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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Die Wirkung der Grundrechte im materiellen Recht setzt sich im Zivilprozeß dahingehend fort, daß die Fachgerichte der subjektiven Rechtsposition Beachtung und Durchsetzung verschaffen. 154 Über die Grundrechtsbindung des Richters - er ist Adressat der grundrechtlichen Schutzpflicht - verwirklicht sich das materielle Recht zum Teil erst im Prozeß, so daß ein unmittelbarer Bezug des Prozeßrechts zum materiellen Recht besteht. In besonderer Weise wird dieser Bezug durch die grundrechtliche Schutzpflicht vermittelt, die als verfassungsrechtliche Pflicht und damit übergeordnetes einheitliches Wertungsprinzip das materielle und Prozeßrecht umspannt.155 Lorenz bezeichnet dies einleuchtend und treffend als „mittelbare Verfahrensdetermination". 156 Verstärkt in das Bewußtsein zu rücken ist aber, daß sich diese Wirkung der Grundrechte nicht auf den Strafprozeß, in dem ohnehin die Eingriffsabwehrkonstellation dominiert, und das Verwaltungsrecht beschränkt. 157 Vorliegend gilt es vielmehr, die mittelbare Verfahrensdetermination des zivilrechtlichen Arzthaftungsprozesses durch die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu untersuchen. 1. Rechtsgüterschutz durch Haftung des Arztes infolge der Heilbehandlung Bei der Vertragserfüllung können dem Arzt Fehler unterlaufen. In diesen Fällen kommt ein Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Haftungsrecht in Betracht. De lege lata wird dieser nicht nur durch die vertragliche Haftung gewährleistet, sondern auch durch die deliktische Haftung des Arztes. Nach dem Gesetz bestanden und bestehen zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung bedeutsame Unterschiede. 1 5 8 Seit dem 1.8.2002 können immaterielle Schäden nicht mehr nur über den deliktischen Schmerzensgeldanspruch gemäß § 847 BGB a.F., sondern infolge des § 253 Abs. 2 BGB n. F. auch bei der vertraglichen Haftung geltend gemacht werden. 159 Durch die bereits am 1.1.2002 in Kraft getretenen Vorschriften wurden die 154 Vgl. Baur/Grunsky, Rn. 1 ff.; Lorenz, § 3 Rn. 1 ff. unter Hinweis auf den restriktiven Umgang der Rechtsordnung mit der Selbsthilfe und dem korrespondierenden Justizgewährungsanspruchs; dazu schon ausführlich oben Kap. 2 I., IV. 155 Ähnlich Lorenz, § 1 Rn.2ff. m.w.Nw.; ders., NJW 1977, 866f. 156 Die unmittelbare Verfahrensdetermination erfolgt dagegen durch die Prozeßgrundrechte und die verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien; Lorenz, §3 Rn. 4ff.; NJW 1977, 869 ff. 157 Diese Aspekte bzgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG betonend z. B. Goerlich, S. 61 ff.; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 192 f. Anzufügen ist, daß die Grundrechte als Verfahrensgarantien gegen Machtmißbrauch nicht nur die staatliche Rechtsprechung (vgl. Art. 92 GG), sondern auch die institutionalisierte private Konfliktlösung oder Streitschlichtung beeinflussen; dazu ebenfalls Goerlich, S. 329ff. und unten 2. 158 Dazu auch Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 13 ff. 159 Art. 2 Nr. 2 des 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19.7.2002, BGBl. I S. 2671; dazu Däubler, JuS 2002, 625 ff.; vgl. weiter Deutsch, ZRP 2001, 352 ff. m. w. Nw. zur Problematik.

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bislang bestehenden gravierenden Unterschiede bei der Verjährung beseitigt.160 Unterschiedliche Vorschriften bestehen nach wie vor bei der Haftung von Hilfskräften. 1 6 1 Vor allem aber wird die bislang von § 282 BGB a. F. angeordnete Beweislastumkehr zu Gunsten des Gläubigers bezüglich des Vertretenmüssens bei der Unmöglichkeit durch den neuen § 280 Abs. 1 BGB auf den einheitlichen Pflichtverletzungstatbestand erweitert, so daß die im Prozeß bedeutsamen beweisrechtlichen Unterschiede zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung zunehmen.162 Insgesamt ist in der Rechtsprechung im Umgang mit den verschiedenen Anspruchsgrundlagen und Haftungssystemen eine gewisse Beliebigkeit zu konstatieren, die zu einer inhaltlich im wesentlichen parallelen Ausgestaltung der Haftungsvoraussetzungen geführt hat. Hierzu hat nicht zuletzt die bis vor kurzem bestehende und oft als unbillig empfundene Tatsache beigetragen, daß dem Patienten Schmerzensgeld nicht im Rahmen von Vertragsverletzungen in der Sonderbeziehung, sondern nur über das deliktische gesetzliche Schuldverhältnis gewährt werden konnte. Bevor auf die bestehenden Unterschiede zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung eingegangen wird, ist auf den beherrschenden Grundsatz des (ärztlichen) Haftungsrechts - den Verschuldensgrundsatz - einzugehen. a) Verschuldensgrundsatz Grundlegende Voraussetzung für die Haftung des Arztes ist dessen Verschulden. Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet dies Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Die in der Vorschrift vorgesehene Möglichkeit der Bestimmung eines milderen oder strengeren Haftungsmaßstabes ist im Gesundheitsrecht nur vereinzelt zu beobachten.163 Auch die Abmilderung des Sorgfaltsmaßstabes durch vertragliche Abreden ist im Arzt-Patienten-Verhältnis skeptisch zu beurteilen. § 276 Abs. 3 (früher Abs. 2) BGB schließt die Freizeichnung wegen Vorsatzes aus und auch zu Gunsten des behandelnden Arztes in Betracht kommende Haftungsbeschränkungen bei fahrlässigem Handeln oder Unterlassen sind nur bedingt möglich: Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellende Formularverträge unterfallen § 11 Nr. 7 (grobe Fahrlässigkeit) oder § 3 (leichte Fahrlässigkeit) und gegebenenfalls § 9 AGBGB (jetzt §§ 309 Nr. 7, 305 c, 307 BGB), und auch ein individuell vereinbarter Haftungsausschluß wird 160

§ 195 BGB a. F. gegenüber § 852 BGB a. F.; seit dem 1.1.2000 - Art. 1 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I S. 3138 - verjähren gemäß § 199 Abs. 2 BGB Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers und der Gesundheit beruhen, ohne Rücksicht auf ihre Entstehung oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an; vgl. Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2284; w.Nw. zum „Schuldrechtsmodernisierungsgesetz" unten b). 161 § 278 BGB gegenüber § 831 BGB; bei Krankenhausbehandlungen können auch die Ärzte selbst Hilfskräfte im haftungsrechtlichen Sinne sein. 162 Vgl. Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2284f.; dazu ausführlich unten 4. 163 Milder z.B. §680 BGB; zur GoA im Arzt-Patienten-Verhältnis oben I. l.a); zur strengeren Gefährdungshaftung, z. B. nach § 84 AMG, sogleich nachfolgend und unten IV., Kap.4L

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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überwiegend und angesichts der beim Patienten betroffenen Rechtsgüter zu Recht kritisch beurteilt. 164 Sowohl für die vertragliche als auch die deliktische Haftung definiert § 276 Abs. 2 (früher Abs. 1 Satz 2) BGB die Fahrlässigkeit als Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Nicht nur bei der Bestimmung der ärztlichen Vertrags- und Leistungspflichten, sondern auch im Rahmen des Verschuldens sind damit berufsspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen - die Sorgfaltsanforderungen bestimmen sich nach dem jeweiligen Verkehrskreis. 165 Bei der zivilrechtlichen Haftung herrscht allerdings im Gegensatz zum Strafrecht ein objektiver Sorgfaltsmaßstab, der durch den Gedanken des Vertrauensschutzes vorgegeben ist und auch gilt, wenn Strafgesetze Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB sind. 166 Der Schuldner kann sich dementsprechend nicht auf fehlende persönliche Kenntnisse oder Fähigkeiten berufen. 167 Verfügt der Arzt umgekehrt über Spezialkenntnisse, so hat er diese zu Gunsten des Patienten einzusetzen, wie sich der ärztliche Verkehrskreis insgesamt von anderen dadurch abhebt, daß der Arzt nicht nur die übliche, sondern die nach den Umständen gebotene Behandlung vorzunehmen hat. 168 Bei der Einschaltung von medizinischem (Hilfs)Personal zur Erfüllung des Behandlungsvertrags erfolgt nach § 278 BGB eine Zurechnung des Verschuldens für den Vertragspartner des Patienten. 1 6 9 Die dadurch zustande kommende vertragliche Haftung ist strenger als die deliktische - nach § 831 BGB ist ein Entlastungsbeweis des Geschäftsherrn möglich. 170 Die zur Konkretisierung des § 276 Abs. 2 (früher Abs. 1 Satz 2) BGB für zulässig erachtete Heranziehung nicht nur untergesetzlicher Rechtsnormen, sondern auch privatrechtlicher Regelwerke durch die Gerichte 171 ist hier ebenso problematisch wie im Rahmen der anderen unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln als „offene Tatbestände".172 Für die Feststellung im einzelnen werden den Zivilgerich164 Geiger, S. 109ff.; Deutsch, NJW 1983, 1352; für Unzulässigkeit im Rahmen von Krankenhausaufnahmebedingungen OLG Köln, VersR 1989, 372. 165 BGHZ 39, 281 (283) m. w. Nw. 166 Palandt/Heinrichs, § 276 Rn. 15 m. entspr. Nw. 167 Palandt/Heinrichs, § 276 Rn. 15 m. zahlr. Bsp. 168 Geiger, S. 106f. m.Nw. 169 Probleme können sich hier vor allem aus den verschiedenen Vertragssituationen bei Krankenhausbehandlungen ergeben: Beim totalen Krankenhausvertrag ist auch der Arzt Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers, beim gespaltenen Krankenhausvertrag oder Belegarztvertrag ist auch der Arzt Vertragspartner des Patienten, so daß Hilfspersonen zu verorten sind; vgl. schon oben 1.1.; Palandt/Heinrichs, § 276 Rn. 26; zum Belegarzt ausführlich Dolinski, S. 49ff., beide m. zahlr. Nw. 170 Dieser wirkt sich auch auf den Schmerzensgeldanspruch aus; zum Ganzen Palandt/Thomas, § 831 Rn. 3,7; Palandt/Heinrichs, § 278 Rn. 2, 7. 171 Palandt/Heinrichs, §276 Rn. 18 m. w. Nw.; dazu ausführlich Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß. 172 Zu den vorliegend relevanten §§ 242, 134, 138, 823 Abs. 2 BGB jeweils im Text; zu den verfassungsrechtlichen Bedenken und Abhilfemöglichkeiten oben A Kap. 2 III., IV. sowie unten III.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

ten vom Gesetzgeber keine Vorgaben gemacht. Infolgedessen wird die Einordnung des § 276 Abs. 2 (früher Abs. 1 Satz 2) BGB als Einfallstor für Standesrecht und Standesethik nur zum Teil durch die Verpflichtung des Richters zur eigenen Prüfung und Bewertung dieser Normen 173 oder der Möglichkeit der Annahme eines Verschuldens bei bzw. trotz Einhaltung der maßgeblichen Regeln174 relativiert. 175 Notwendige Voraussetzung des Verschuldens ist die Rechtswidrigkeit. Bei der vertraglichen Haftung bedeutet dies die objektive Pflichtwidrigkeit des Verstoßes gegen die Leistungspflichten. 176 Im Deliktsrecht enthält der Grundtatbestand des § 823 Abs. 1 BGB 1 7 7 das Erfordernis der widerrechtlichen Rechtsgutsverletzung. Die damit vom Gesetz vorgegebene Trennung von Rechtswidrigkeit und Verschulden (Vorsatz/Fahrlässigkeit) führt zur überwiegenden Ablehnung der Lehre vom Handlungsunrecht. 178 Die herrschende Meinung folgt der Lehre vom Erfolgsunrecht, deren Trennung zwischen objektiver Pflichtwidrigkeit und (wenn auch gleichfalls objektivierter) Sorgfaltswidrigkeit bewirkt, daß auch im Zivilrecht dem Verschulden zentrale Bedeutung zukommt und die Haftung nicht nur auf Sorgfaltspflichten gründet. 179 Hierauf gründet auch die Einschätzung von Laufs, nach dem das schuldabhängige Haftpflichtrecht der Berufsfreiheit des Arztes dient. 180 Eine Gefährdungshaftung des Arztes ist im geltenden Gesundheitsrecht nicht normiert. 181

173

Vgl. z.B. BGH, VersR 1984, 164 (165). Vgl. z.B. BGH, NJW 1985, 620 (621) für technische Regeln. 175 Durch die Bindung an Treu und Glauben errichtet § 242 BGB dagegen eine, wenn äußerst unbestimmte, norminterne Grenze für die Übernahme von Verkehrssitten in das Vertragsverhältnis und in die Rechtsordnung seitens der Rspr. 176 Palandtl Heinrichs, § 276 Rn. 8; kritisch z. B. Esserl Schmidt, § 25 IV (S. 60 ff.). 177 Vgl. § 823 Abs. 1 BGB gegenüber §§ 823 Abs. 2, 847 BGB; dazu schon soeben. 178 Vgl. PalandtlHeinrichs, § 276 Rn. 9 m. w. Nw.; anders z. B. Esserl Schmidt, § 25 IV. 179 Ähnlich Palandtl Heinrichs, § 276 Rn. 8 f. m. w. Nw.; vgl. weiter Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 3 Rn. 22. 180 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §3 Rn.21. 181 § 84 AMG unterwirft dieser nur den pharmazeutischen Unternehmer als Letztverantwortlichen für die Verwendung des Arzneimittels und knüpft in Satz 2 Nr. 1,2 an in dessen Verantwortungsbereich liegende Umstände an. Ist der pharmazeutische Unternehmer zugleich Arzt, so liegt dennoch keine Arzthaftung im hier verstandenen Sinne des Schutzes durch bzw. aufgrund des Behandlungsvertrages vor; die Gefährdungshaftung des § 84 AMG ist dem Bereich des Produkthaftungsrechts zuzuordnen; vgl. § 15 ProdHaftG, der für die Arzneimittelhaftung die Anwendbarkeit des ProdHaftG (v. 15.12.1989, BGB1.I S.2198) ausschließt, da das AMG insoweit Sonderregeln enthält. Beide Gesetze lassen eine Haftung nach anderen Vorschriften zu; §§ 15 Abs. 2 ProdHaftG, 91 AMG. Allerdings kann eine Haftungsmehrheit entstehen, wenn der behandelnde Arzt ein fehlerhaftes Arzneimittel einsetzt und ihm hierbei ein eigener schuldhafter Pflichtverstoß vorgeworfen werden kann; dazu ausführlich Vogeler, Das Verhältnis von Arzthaftung und Arzneimittelhaftung; Hart, Arzneimitteltherapie und ärztliche Verantwortung; zum Arzneimittelwesen unten Kap. 4 I. 174

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

b) Vertragliche

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Haftung

Aus dem Behandlungsvertrag kann bei Pflichtverletzungen eine Haftung des Arztes für die beim Patienten eingetretenen Schäden entstehen. Das Dienstvertragsrecht enthält hierfür keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage - bei schuldhafter Schlechterfüllung der Dienstverpflichtung haftet der Arzt aber aus sog. „positiver Vertragsverletzung" (pVV). 182 Schon früh wurde von der Rechtsprechung und Literatur erkannt, daß dieser Haftungsgrund neben den ausdrücklich geregelten Störungsformen des Verzugs und der Unmöglichkeit notwendig ist. Durch ihn wird der auf der Leistungsebene konstatierte Mangel der Nichterfassung von durch Qualitätsdefiziten ausgelösten Schadenserweiterungen behoben. Hierdurch wird auf vertraglicher Ebene ein breiterer Schutz von Vermögensinteressen, aber auch der Integritätssphäre über das deliktsrechtliche Maß hinaus gewährleistet. 183 Angesichts der seit dem 1.1.2002 geltenden Reform des Schuldrechts 184 erlangt auch die Herleitung der pVV wieder neue Bedeutung. Während die ältere Rechtsprechung die Haftung aus pVV aus § 276 BGB ableitete,185 soll diese nach neuerer Auffassung aus den (alten) §§280, 286, 325, 326 BGB folgen. 186 Die zweite Auffassung ist zutreffend, da sie der Einordnung der „sorgfaltswidrigen Schlechtleistung"187 als Leistungsstörung Rechnung trägt, wie auch § 276 BGB keine Anspruchsgrundlage darstellt. Auch die neuen Regelungen verankern die Pflichtverletzung in §§ 280, 323-325 BGB, zugleich wird durch die neu gefaßten §§311, 241 Abs. 2 BGB die Pflicht zum Rechtsgüterschutz der (anderen) Vertragspartei betont, die über allgemeine deliktische Verhaltenspflichten hinausreichen soll. 188 Dies entspricht schon der bisher vertretenen Abgrenzung der pVV zur deliktischen Haftung. Im Deliktsrecht als gesetzlichem Schuldverhältnis erfolgt ausschließlich die Sanktionierung von Rechtsgutsverletzungen im Sinne des neminem laedere, während die pVV an die zusätzliche Anstrengungen erfordernde Kontaktsphäre vertraglicher Rechtsbeziehungen anknüpft. 189 Durch diese können eigene und bereichsspezifische Pflichten begründet werden, so daß das Verhältnis der Beteiligten von vornherein auch im Hinblick auf die Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen auf einer anderen Ebene angesiedelt ist. Die typische Leistungsstörung beim Dienstvertrag über ärztliche Behandlungen hat damit keine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren. Auch die neuen Re182

Vgl. Lorenz, § 52 II. Ausführlich Esserl Schmidt, § 29 III m. w. Nw. 184 Vgl. dazu stellvertretend Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2281 ff.; zur Reform des (allgemeinen) Leistungsstörungsrechts Canaris, ZRP 2001, 329 ff. 185 So z. B. RGZ 52, 18 (19); 106, 22 (25). 186 Stellvertretend BGHZ 11, 80 (83). 187 Esser ¡Schmidt, § 29 III. 188 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, abrufbar etwa unter http://www.lrzmuenchen.de/%7ELorenz/schumod/rege/par241.htm; zur Auseinandersetzung mit der Neukonzeption der Pflichtverletzung als zentralem Haftungsgrund im Leistungsstörungsrecht z.B. Holm, ZIP 2001, 184 ff. m. w. Nw. 189 Esser/Schmidt, § 29 III. 183

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

gelungen des BGB enthalten keine spezifischen Normierungen für das Arzt-Patienten-Verhältnis. 190 Die Bestimmung von Tatbestand und Rechtsfolgen insbesondere der Behandlungsfehler und Aufklärungsfehler wird weiterhin der Fachgerichtsbarkeit überlassen.191 Da der materielle Patientenschutz über § 242 BGB gewährleistet wird, ist dieser aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht im Prozeß von Amts wegen zu beachten.192 c) Deliktische Haftung Zusätzlich zu bzw. neben der vertraglichen Haftung wird allgemein eine deliktische Haftung des Arztes nach den §§ 823 ff. BGB angenommen.193 Insbesondere die Rechtsprechung sieht ärztliche Eingriffe als tatbestandliche Rechtsgutsverletzungen an. Die herrschende Literatur lehnt dies wegen mangelnder Finalität ab: Im Hinblick auf den Heilerfolg notwendigen Rechtsgutsbeeinträchtigungen soll kein Unwertgehalt zukommen.194 Nach der m. E. zutreffenden Auffassung der Rechtsprechung sind damit nicht nur Behandlungsfehler rechtswidrig, sondern allgemein ärztliches Handeln ohne oder außerhalb der Einwilligung des Patienten. Auch medizinisch indizierte, fehlerfrei durchgeführte Heilbehandlungen sind danach rechtswidrig, wenn der Patient nicht ordnungsgemäß aufgeklärt wurde und eingewilligt hat. Dies entspricht dem verfassungsrechtlichen Schutz des Selbstbestimmungsrechts gegen Eingriffe Dritter, dessen Mißachtung bei körperlichen Eingriffen zu einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit führt. 195 Probleme ergeben sich allerdings daraus, daß die bestehenden Schutzgesetze ausdrücklich nur die körperliche Unversehrtheit und nicht das Selbstbestimmungsrecht als solches nennen. Da der Streit mit besonderer Vehemenz im Strafrecht geführt wird, soll er bei den dortigen Ausführungen vertieft werden. 196 Hier genügt es festzustellen, daß zu dem vertraglichen Schuldverhältnis zwischen Arzt und Patient ein gesetzliches Schuldverhältnis treten kann. 190

Die am 1.1.2002 in Kraft getretenen Änderungen des BGB tragen den spezifischen Besonderheiten der Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient keine Rechnung; vgl. den Überblick bei Wieser, NJW 2001, 123 f. Dies zeigt auch die Begründung zum Gesetzentwurf, insbesondere zum neuen § 241 BGB, deren Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten gerade für den Behandlungsvertrag zweifelhaft ist; vgl. z. B. unter http://www.lrz-muenchen.de/%7ELorenz/schumod/rege/par241.htm ; dazu weiter unten III. 191 Zu den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Problemen ausführlich oben A Kap. 2 sowie unten III. 192 Ebenso - allerdings ohne Begründung - PalandtlHeinrichs, § 242 Rn. 15 m. Nw. zur Rspr. 193 Nach der Rspr. herrscht regelmäßig Identität zwischen vertraglichem und deliktischem Schutz; Steffen, S. 1 f. m. entspr. Nw. 194 Zum Meinungsstreit stellvertretend Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 20 ff. m. entspr. Nw. und ausführlich unten Kap. 2. Der Meinungsstreit hat auch Auswirkungen auf die Beweislast im Zivilprozeß; dazu unten 4.b). 195 Vgl. auch das SV zu BVerfGE 52, 131 (171 ff.). 196 Unten Kap. 21.

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Während die vertragliche Haftung an die Verletzung der Leistungspflichten anknüpft, ist im Rahmen der deliktischen Anspruchsgrundlagen 197 die Rechtgutsverletzung maßgeblich. In diesem Sinne sind die Haftungsnormen des Deliktsrechts unmittelbare Ausprägung der grundrechtlichen Schutzpflicht, durch die der Staat dem Geschädigten ein System von allerdings nur sanktionierenden Schutznormen bereitstellt, das unabhängig von einer vertraglichen Rechtsbeziehung einen Ausgleich nach §§ 249 ff. BGB zwischen Arzt und Patient für vorwerfbar verursachte Rechtsgutsverletzungen vorsieht. Problematisch ist, inwieweit der Vertragsinhalt auch die deliktische Haftung zu beeinflussen vermag. Dies gilt nicht nur für Haftungsbeschränkungen des Arztes, 198 sondern auch hinsichtlich der deliktsrechtlich relevanten Handlung, die - obwohl schadensbegründend - vertraglich gewollt sein kann. Ein haftungsrechtlicher Gleichlauf wird hier regelmäßig über das oben (1.2. c) bb)) beschriebene Institut der Einwilligung des Patienten erlangt, die die vertraglich und deliktisch haftungsrelevante Rechtswidrigkeit der ärztlichen Handlung ausschließt. Im Fall des rechtswidrigen ärztlichen Verhaltens setzt sich der Gleichlauf bei den übrigen Haftungsvoraussetzungen fort: Neben dem Verschulden setzen § 823 BGB und die pVV voraus, daß der ärztliche Fehler (insbesondere Behandlungs- oder Aufklärungsfehler) zurechenbar zu Rechtsgutsverletzung und Schaden beim Patienten geführt hat. 199 Der die Schutzpflichtkonstellation prägende Aspekt des Rechtsgüterschutzes gegen Angriffe Dritter kommt vor allem in § 823 Abs. 1 BGB zum Ausdruck, der Grundrechtsgüter unmittelbar auch zu deliktischen Schutzgütern macht.200 Bei der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB ist dagegen weitergehend eine Anknüpfung an konkrete ärztliche Tätigkeiten möglich. Der Begriff des Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB reicht über den Bereich der Erfolgsdelikte 201 hinaus und erfaßt auch Verstöße gegen bestimmte Handlungsge- oder verböte. Hierdurch erfolgt ebenso wie bei der Bestimmung der vertraglichen Leistungspflichten eine Verknüpfung der besonderen Regelungen des Gesundheitsrechts mit dem allgemeinen Zivilrecht. 202 Privatrechtliche, aber auch körperschaftliche Satzungsregelungen kommen als Schutzgesetze nicht in Betracht. 203 Anderer Ansicht ist Taupitz, der Regelungen 197

Vorliegend relevant: §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 847; zur Organisationshaftung sogleich nachfolgend. 198 Dazu oben a). 199 Zur deliktischen Haftung, ausgehend vom Begriff des Kunstfehlers, ausführlich Kröning, S. 33 ff. 200 Daneben wird auch die Gesundheit als Schutzgut genannt; zu deren verfassungsrechtlichen Schutz oben Kap. 1 III. 3. 201 Z. B. §§ 211 ff., 223 ff. StGB; zum Begriff Wessels!Beulke, Rn. 21 ff. 202 Die Art und Weise der Behandlung richtet sich z. B. im Transplantations- und Transfusionswesen maßgeblich nach den dort aufzustellenden Richtlinien bzgl. des Standes der medizinischen Wissenschaft, deren Bedeutung durch gesetzliche Vermutungen wie nach §§16 Abs. 1 TPG, 18 Abs. 2 TFG noch verstärkt wird. 203 Ebenso Staudinger!Schäfer, § 823 Rn. 577 m. w. Nw.

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

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der Kammerordnungen als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, Art. 2 EGBGB qualifiziert, nicht aber als Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB. 2 0 4 Zur Begründung führt er an, daß § 823 Abs. 2 BGB die Rechtsfolge Schadensersatz bereits ausschließlich und unabhängig von der Auslegung des Schutzgesetzes anordne, während die Verbotsgesetze stets noch der Auslegung bedürften. 205 Zutreffend an dieser Argumentation ist zwar, daß die Rechtsfolge des Schadensersatzes von § 823 Abs. 2 BGB vorgegeben ist, während die Rechtsfolge der Nichtigkeit des §134 BGB der Auslegung des (Verbotsgesetzes bedarf. Taupitz läßt jedoch außer Acht, daß § 823 Abs. 2 BGB nur die Gesetze erfaßt, die den Schutz eines anderen bezwecken. Damit ist bei diesen eine Gesetzesauslegung erforderlich: Es kommt nicht auf die Wirkung, sondern den Inhalt und Zweck des Gesetzes nach der Intention des Gesetzgebers bei seinem Erlaß an. 206 Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs muß erkennbar vom Gesetz erstrebt oder zumindest im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar sein.207 Die Regelungen der Landesärztekammern werden ersichtlich nicht mit dem Ziel der Schaffung von zivilrechtlichen Haftungsgründen zu Lasten der Ärzte erlassen. Und im Hinblick auf das haftungsrechtliche Gesamtsystem gilt, daß eben dieser Konflikt - Schutzpflichterfüllung durch deliktsrechtlichen Schutz, der auf Standesregelungen fußt - der parlamentarischen Entscheidung bedarf. Mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen im BGB und den Heilberufs- und Kammergesetzen ließe sich in der Tat ein wirksamer Patientenschutz etablieren. 208 d) Spezifische Schwierigkeiten

der ärztlichen Haftung

Zurückhaltung ist gegenüber dem Vorbringen einer sog. „Reserveursache" durch den Arzt angezeigt. Dabei wird vorgebracht, der Schaden - zum Beispiel die Erblindung eines Auges - wäre auch ohne Operation durch bloßes Fortschreiten der Krankheit eingetreten. 209 An diesem Argument ist schon fraglich, ob haftungsrecht204

Taupitz, JZ 1994, 225; zu § 134 soeben 1.3. a). Taupitz, JZ 1994, 225. 206 Palandt/Thomas, § 823 Rn. 141 m.Nw. 207 Palandt/Thomas, §823 Rn. 141 m.Nw. 208 Vgl. schon oben A Kap. 2 III., dazu auch ausführlich unten III. In der hier entwickelten Konzeption sind die standesrechtlichen Regelungen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zuzuordnen. Sie setzen die Schutzvorgaben um und konkretisieren sie zugleich. Ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB - für die Einordnung der Vorschriften des GG als Schutzgesetze z. B. Staudingerl Schäfer, § 823 Rn. 576 - ist daher nicht notwendig, wenngleich er das Schutzpflichtkonzept als gegenüber den Drittwirkungslehren vorzuziehende Erklärung des Verhältnisses zwischen Grundrechten und Zivilrecht bestätigen würde; dazu ebenfalls oben A Kap. 21.1. 209 Zurückhaltend auch die Rspr. im Hinblick auf die Schädigung der körperlichen Unversehrtheit gegenüber reinen Vermögensschäden; vgl. BGH, NJW 1959,2299; VersR 1967,495. Dem entspricht der oben 1.2. c) bb) beschriebene Ansatz zum Ausschluß der ärztlichen Haftung, nach dem gegen den Vorwurf unterbliebener oder unzureichender Aufklärung angeführt 205

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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lieh nicht an die tatsächliche oder konkrete Schädigung angeknüpft werden müßte. Im Hinblick auf die grundrechtliche Schutzpflicht ist aber jedenfalls die Gleichsetzung von schicksalsmäßigem Ablauf mit vorwerfbarem ärztlichen Eingreifen nicht haltbar. Dies gilt grundsätzlich auch bei Heilversuchen an Schwerstkranken. 210 Einzuräumen ist aber, daß sich der hier erreichte Grenzbereich von Medizin und Recht nur schwer mit den beschriebenen herkömmlichen zivilrechtlichen Regelungen und Maßstäben befriedigend lösen läßt: Zur geringen Lebenserwartung des Patienten kommt die hohe Lebensgefahr der neuen Behandlung, die aber immerhin Aussicht auf eine Lebensverlängerung bietet - auch ohne die hier vertretene grundrechtliche Einordnung der Heilversuche ist es zweifelhaft, ob diese Fälle wirklich über die Schlechterfüllung eines Dienstvertrags mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen gelöst werden können. Großzügiger ist die Rechtsprechung dagegen, wenn streitig ist, ob der Schaden durch einen Behandlungsfehler verursacht wurde oder auch bei sachgerechtem Vorgehen eingetreten wäre, beispielsweise wenn die Schädigung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft unvermeidbar war. 211 Bei Anerkennung derartiger Konstruktionen hat der Arzt allerdings die Beweislast zu tragen. 212 Insgesamt zeigt dies ein Grundproblem des Arzt-Patienten-Verhältnisses auf: Regelmäßig ist nicht der Arzt der Verursacher des mit der Behandlung verbundenen Risikos, sondern die Krankheitsursache als solche, welcher der Arzt nach Laufs altruistisch entgegen wirkt. 213 Zutreffend an dieser sehr euphemistischen Einschätzung ist, daß eine Krankheit oder Gesundheitsbeschwerden regelmäßig der Anlaß für den Arztbesuch sind. Mit der Übernahme der Behandlung stellt der Arzt aber die Heilung oder Linderung der Beschwerden in Aussicht, ist kraft seines Fachwissens und seiner Position dem Patienten gegenüber dominant und hat daher im Rahmen der Behandlung die Risiken für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder anderweitige Gefahren möglichst auszuschließen oder zu minimieren sowie nicht notwendig medizinisch indizierte Eingriffe zu unterlassen. Insoweit kann der Arzt m. E. durchaus als eigenständige Gefahrenquelle angesehen werden. Zudem dürfte auch das In-Abrede-Stellen materieller Interessen seitens der Ärzte unrealistisch sein. 214 Nochmals zu betonen ist: Schicksalsmäßiger oder natürlicher Geschewird, daß der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte; vgl. Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A26 m.Nw. zur Rspr. 210 Beim Versuch der Implantation eines künstlichen Herzens (Typ „Lion Heart") starben von 5 Empfängern 2 innerhalb kurzer Zeit an Begleiterkrankungen; Südkurier v. 22.1.2001, S. 13. Noch gravierender fiel die Zahl der Sterbefälle bei Gentherapien in den U.S. A. aus; vgl. Nature Biology v. 17.12.1999, S. 1153 (Fox); dazu auch Benderl Sparwasser ¡Engel, Kap. 10 Rn. 11. 211 Vgl. die Sachverhaltsdarstellung in BVerfGE 52, 131 (139)-Arzthaftungsprozeß. 212 vgl. Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A26f. 213

Laufs, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 11. Bei der Diskussion um weitergehende Behandlungs- und Forschungsmöglichkeiten für die Ärzte findet sich auch stets das Argument des Wirtschaftswachstums und Wirtschaftsstandorts sowie Finanzkalkulationen; vgl. nur die Tagespresse, z.B. Südkurier v. 13.2.2001, S.3. 214

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

hensablauf und ärztlicher Eingriff sind trotz möglicher Folgengleichheit wesensverschieden, was sich auch in der rechtlichen Einordnung niederschlägt. 2. Zugang zum Zivilgericht und Vorschaltung einer ärztlichen Schlichtungsstelle oder Gutachterkommission Die zwischen 1975 und 1978 aufgrund des schon damals aufgetretenen Anstiegs der Arzthaftpflichtfälle von allen Ärztekammern geschaffenen fünf ärztlichen Schlichtungsstellen und drei ärztlichen Gutachterkommissionen sind als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit konzipiert und sollen eine außergerichtliche Einigung der Parteien bewirken. 215 Ihre Einschaltung ist freiwillig, wie auch ihren Bescheiden keine Bindungswirkung zukommt, sie also lediglich unverbindliche Feststellungen oder Empfehlungen darstellen. 216 Ihre Einschaltung vor Anrufung des Gerichts ist daher keine Prozeßvoraussetzung, so daß die unterbliebene Anrufung keine Auswirkung auf die Zulässigkeit der Klage des Patienten hat. Dies gilt auch im Fall einer vertraglichen Vereinbarung bezüglich der Anrufung einer dieser Stellen, da diese keine Schiedsgerichte im Sinne von §§ 1025 ff. ZPO darstellen. 217 Allerdings wird von den Gerichten zum Teil eine verbindliche Anrufung über das Institut der Prozeßkostenhilfe bewirkt und die direkte Rechtsverfolgung als mutwillig im Sinne von § 114 ZPO angesehen.218 Diesen Entscheidungen sind jedoch sowohl die aufhebenden Beschwerdeinstanzen219 als auch die Literatur 220 entgegengetreten. Während zum Beispiel das OLG Düsseldorf auf die Auslegung des Begriffs der „mutwilligen Rechtsverfolgung" in § 114 ZPO abhebt und die Verschiedenheit und Eigenständigkeit der Verfahren sowie den möglichen Zeitverlust für den Kläger betont, werden in der Literatur zutreffend auch verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, namentlich wegen des Gleichheitssatzes i.V. m. dem Sozialstaatsprinzip 221 und des Rechtsstaatsprinzips.222 Entscheidend ist aber auch hier die unmittelbare Bindung der Fachgerichte an die grundrechtliche Schutzpflicht. Das Gebot der effektiven Schutzpflichterfüllung verlangt, den Patienten nicht zuerst auf den Weg zu 215 Zu Entwicklung und Unterschieden zwischen Schlichtungsstelle und Gutachterkommission siehe Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 113 Rn. 1 ff.; zum Ganzen auch Deutsch, Rn. 330ff. und die kritische Auseinandersetzung von DeutschiMatthies, S. 100ff. (107 ff., 125 ff.). 216 Zu den gemeinsamen charakteristischen Verfahrensprinzipien der Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 113 Rn.5ff. 217 Dort hat das Gericht nach § 1032 Abs. 1 ZPO die Klage als unzulässig abzuweisen, wenn sich der Beklagte auf den (wirksamen) Schiedsvertrag beruft; der Schiedsspruch hat nach § 1040 ZPO die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils unter den Parteien. 218 So z.B. LG Aurich, NJW 1986, 792; LG Dortmund, JZ 1988, 255. 219 OLG Oldenburg, MedR 1988, 274; OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2955. 220 Vgl. z. B. Giesen, Rn. 38 f., 42; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 144 Rn. 9 m. w. Nw. 221 Giesen, Rn.38. 222 In der Ausprägung der Waffengleichheit der Parteien und dem Gebot des „fair trial"; Giesen, Rn. 39.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

den Gutachter- und Schlichtungsstellen zu verweisen, da diese aufgrund ihrer Zusammensetzung und unzulänglichen Verfahrensgestaltung 223 keinen wirksamen Rechtsgüterschutz im Sinne eines adäquaten Ersatzes des gerichtlichen Verfahrens gewährleisten. Angesichts des darüber hinaus - schon in zeitlicher Hinsicht - gegebenen Verlusts von Verfahrensvorteilen und der häufigen Verweigerung der Schadensübernahme durch die (Haftpflicht) Versicherer gebietet die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht, dem Kläger sofort das gerichtliche Verfahren auch durch die Gewährung von Prozeßkostenhilfe zu ermöglichen. Ein verbindliches Vorverfahren mit den Zielen der Entlastung der Fachgerichte und der fachkundigen Streitschlichtung könnte aufgrund der Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur durch parlamentsgesetzliche Regelung geschaffen werden. Im Vordergrund müßte hierbei die objektive und neutrale Sachverhaltsaufklärung stehen. Der durch § 15 a EGZPO gewiesene Weg über eine Gütestelle kommt de lege lata in Arzthaftungsfällen dagegen kaum in Betracht. Nachbar- und Ehrstreitigkeiten 224 scheinen angesichts der betroffenen Rechtsgüter, der materiellen Schäden und der Beziehung der Beteiligten zueinander einer Schlichtung eher zugänglich als ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Sollten sich die Gütestellen allerdings bewähren, könnte auch an eine Erhöhung des Streitwerts in § 15 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EGZPO gedacht werden. In jedem Falle sollten die Landesgesetzgeber das Verfahren der fakultativen Streitschlichtung vor den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen durch Vorgaben an die Landesärztekammern verbessern und stärken. Hier bedarf es der Einführung rechtsstaatlicher Garantien, durch die die regelmäßig geschürte und teilweise auch durch die Statuten und Verfahrensordnungen vermittelte Erwartung der Objektivität und Neutralität auch tatsächlich verwirklicht wird. 225 Zugleich würde dadurch das Problem der faktischen BindungsWirkung der dem Patienten ungünstigen, negativen Entscheidung einer Gutachterkommission oder Schlichtungsstelle verringert. 226 Eine Ausprägung dieser faktischen Bindungs Wirkung ist die Beeinflussung des Patienten in der Weise, daß aufgrund des erweckten Vertrauens in die Richtigkeit des für ihn nachteiligen Gutachtens schon seine Klageerhebung und damit die Einschaltung staatlicher Stellen unterbleibt. 227 Vor allem aber kann die fak223 Giesen, Rn.40 spricht von „systemimmanenten Unzulänglichkeiten"; kritisch auch Nicklisch, in: FS Bülow, S. 176f.; im einzelnen weiter Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 113 Rn. 5 ff., 14ff.; Deutsch, Rn. 334ff., die insgesamt aber zu einer positiven Einschätzung gelangen. 224 §§ 15 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Nr. 3 EGZPO. 225 Ähnlich Nicklisch, in: FS Bülow, S. 176 f.; zu entsprechenden Defiziten schon vorgehend. 226 Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 113 Rn. 8, der dieser gegenüber aber positiv eingestellt ist, da es sich nicht um ein „Parteigutachten" sondern eine von großer Fachkompetenz geprägte Stellungnahme handle. 227 So Nicklisch, in: FS Bülow, S. 176 f.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

tische BindungsWirkung zu einer unzulässigen Voreingenommenheit des Gerichts führen 228 - dazu sogleich. 3. Gerichtliche Sachverhaltsermittlung Von besonderer Brisanz im Arzthaftungsprozeß ist die Ermittlung des Sachverhalts als Grundlage der Entscheidung des Gerichts. Im Zivilprozeß gilt der Verhandlungsgrundsatz, so daß der Sachverhalt grundsätzlich aus dem Vorbringen der Parteien ermittelt wird. 229 Das antagonistische Verhältnis der Parteien führt zu besonderen Schwierigkeiten beim gerichtlichen Umgang mit Beweismitteln und -regeln, der nicht frei von Einflüssen der grundrechtlichen Schutzpflicht ist. Nachfolgend werden wegen ihrer besonderen Bedeutung im Arzthaftungsprozeß die Beweismittel Urkunde im Zusammenhang mit der soeben genannten faktischen Bindungswirkung (a)) sowie der Sachverständige (b)) näher untersucht. Nicht weiter eingegangen wird auf die ebenfalls relevanten Beweismittel230 des sachverständigen Zeugen,231 nichtgutachterliche Urkunden, 232 Augenschein233 und Parteivernehmung. 234 Danach (4.) sind die durch das materielle Zivilrecht bedingten beweisrechtlichen Besonderheiten zu untersuchen. a) Faktische Bindungswirkung von Entscheidungen der Gutachter- und Schlichtungsstellen und Handhabung des Urkundsbeweises Die faktische Bindungswirkung einer Entscheidung einer Gutachterkommission oder Schlichtungsstelle und Gutachterkommissionen entfaltet sich im gerichtlichen Verfahren über den Urkundsbeweis. Das verfaßte Gutachten kann im Wege des Urkundsbeweises vom Gericht gewürdigt werden und führt so zu substantiiertem urkundlich belegtem Parteivortrag. 235 Wegen der freien Beweiswürdigung nach § 286 228 So sieht es z. B. Giesen, Rn. 39 als nahezu ausgeschlossen an, daß eine im Rahmen des Prozeßkostenhilfeverfahrens ergangene negative Gutachter- oder Schlichterentscheidung nicht zu einer Beeinflussung oder Voreingenommenheit des Gerichts bei der Würdigung von Vorbringen und Beweisen im späteren Haftpflichtprozeß führt, und nimmt daher eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips an. 229 Vgl. nur BaurlGrunsky, Rn.40ff.; a. A. für die Ermittlung des medizinischen Standards im Behandlungsfehlerprozeß Velten, S.20ff., 79ff., 109ff. 230 Nachfolgende Auflistung nach Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 34. 231 Bei Zeugenaussagen von medizinischem Fach- oder Hilfspersonal ist allerdings eine enorme Zurückhaltung gegenüber den Arzt belastenden Aussagen zu beobachten; von besonderer Bedeutung ist hier auch der (einer mißlungenen Operation) nachoperierende Arzt; vgl. Stürner, NJW 1979, 2335. 232 V. a. Krankenblätter; vgl. §416 ZPO; zu den Parteigutachten sogleich a). 233 Z.B. Röntgenaufnahmen oder Elektrokardiogramme; vgl. §371 ZPO. 234 Insbesondere des Arztes; vgl. §§445, 448 ZPO mit §§446, 453 ZPO. 235 BGH, VersR 1987, 1091; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 113 Rn.7. Die formelle Beweiskraft des §416 ZPO erstreckt sich nicht auf die inhaltliche Richtigkeit.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

ZPO können sich daraus weitreichende Folgen zu Lasten des nicht in diesem Maß substantiiert bestreitenden Patienten ergeben. Im Rahmen des § 286 ZPO gelten für das Gericht Behauptungen als bewiesen, wenn es von deren Wahrheit überzeugt ist. 236 Die Beweislast setzt erst ein, wenn trotz oder nach dieser freien Beweiswürdigung Zweifel (fort)bestehen. 237 Somit ist es möglich, daß das Gericht den Sachverhalt aufgrund des bloßen Parteivortrags als erwiesen ansieht. Anderes gilt nur, wenn die andere Partei - nach obigem der Patient - ein widersprechendes Parteigutachten vorlegt und das Gericht - wie regelmäßig in Arzthaftungsprozssen - keine eigene Sachkunde besitzt.238 Daneben hat das Gericht auch der Rüge der mangelnden Sachkunde der Kommissionsmitglieder sorgfältig nachzugehen und gegebenenfalls eine neue Begutachtung zu veranlassen.239 Im Hinblick auf die Sachverhaltsaufklärung verlangt die grundrechtliche Schutzpflicht danach zumindest, daß der Bedeutung des „unverbindlichen" Gutachtens im Rahmen der richterlichen Hinweispflicht nach § 139 ZPO Rechnung getragen wird, 240 wie die Hinweispflicht allgemein zu Einschränkungen des Beibringungsgrundsatzes führen kann. 241 Auch hier äußert sich die Schutzwirkung der Grundrechte als mittelbare Verfahrensdetermination. 242 Indes ist nicht zuletzt wegen der in der Praxis unsicheren Handhabung des Beweisrechts eine vorgerichtliche Sreiterledigung durch vorstehend (2.) beschriebene Verfahren, vorbehaltlich ihrer verfassungskonformen Ausgestaltung, anzustreben. b) Sachverständigenbeweis Große Probleme im gerichtlichen Verfahren bereitet der Sachverständigenbeweis nach den §§402 ff. ZPO. Die Benennung des/der Sachverständigen erfolgt nach § 404 Abs. 1 ZPO durch das Prozeßgericht, wobei dieses zur Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen fehlender eigener Sachkunde verpflichtet sein 236

Thomas/Putzo, § 286 Rn. 2. Zöller/Greger, § 286 Rn. 7. 238 Thomas/Putzo, Vorbem §402 Rn.5 unter Verweis auf BGH, NJW 1993,2382. In kostenrechtlicher Sicht ist zu bemerken, daß sich hier die vormals kostengünstige Alternative der Einschaltung der Stellen zur Streitschlichtung in ihr Gegenteil verkehrt: Der klagende Patient muß wegen ihr de facto ein widersprechendes Parteigutachten vorlegen und danach noch den Vorschuß für den vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen leisten. 239 BGH, VersR 1987, 1091 (1092), wo drei der vier Kommissionsmitglieder schon im Ruhestand und das vierte auf einem anderen ärztlichen Fachgebiet tätig waren. 240 Vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1990, 192; Zöllerl Greger, §402 Rn.2. 241 Vgl. zur Einwirkung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf § 139 ZPO auch OLG Schleswig, NJW 1983, 347. Grundsätzlich stehen Schrifttum und Literatur Beweisanregungen über § 139 ZPO zurückhaltend gegenüber; vgl. Peters, S. 140 m. w. Nw., allerdings ohne Beachtung der mittelbaren Verfahrensdetermination; dens., S. 145 ff. auch zu Beweisinitiativen nach §§ 142-144 ZPO gegenüber § 139 ZPO. 242 Vgl. Lorenz, NJW 1977, 866f.; vgl. auch dens., §§ 3 Rn. 6f., 30 Rn. 35 für den Verwaltungsprozeß (vgl. § 86 Abs. 3 VwGO gegenüber § 139 Abs. 1 ZPO). 237

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

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kann Dies ist in Arzthaftungsprozessen die Regel, so daß der Antritt des Sachverständigenbeweises dort nur eine Anregung an das Gericht darstellt - § 403 ZPO entspricht damit nur scheinbar dem § 373 ZPO. 244 Das Gericht muß nach § 404 ZPO eine eigene Entscheidung hinsichtlich der Person des Sachverständigen treffen und darf dessen Individualisierung nicht dem Arbeitgeber oder Weisungsbefugten überlassen.245 Zu Recht wird daher in der Literatur die gerichtliche Praxis der Bezeichnung bzw. Bestellung eines Instituts oder einer Klinik kritisiert. 246 Der individualisierte Sachverständige vermittelt dem Gericht Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen und kann weiter aus notwendigerweise sachkundig festgestellten Tatsachen im Wege der Wertung unter Anwendung seines Fachwissens Schlußfolgerungen ziehen.247 Insbesondere bei der Bestimmung der haftungsrelevanten berufsspezifischen Sorgfalt des Arztes sind in erster Linie medizinische Maßstäbe anzulegen, die das Gericht mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen zu ermitteln hat. 248 Der Sachverständige liefert damit die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidung, die insbesondere von den unteren Gerichten regelmäßig ohne weiteres übernommen wird. 249 Insgesamt dürfte die von Ulsenheimer für den Strafprozeß getroffene Einschätzung, nach der sich die Sachverständigen wegen der mangelnden Sachkunde des Gerichts, des Staatsanwalts, des Verteidigers und des Patienten de facto weitgehend als eine den Tathergang ermittelnde und die Entscheidung vorprogrammierende Institution etabliert haben,250 auch für den Bereich des Zivilprozesses zutreffen. In diesem Sinne hat sich auch die richterliche Einstellung gegenüber den ärztlichen Sachverständigen gewandelt. Während früher eine wegen der Möglichkeit bewußter oder unbewußter kollegialer Rücksichtnahme durchaus plausible Reserviertheit gegenüber medizinischen Gutachtern vorherrschte, 251 die allerdings nur gelegentlich ausdrücklich geäußert wurde, 252 läßt 243

Vgl. §§ 3,144,287,372,442,358 a ZPO. Zumindest ist auch hier § 139 ZPO zu beachten; vgl. Stürner, NJW 1979, 2335; zu Problemen bei der Zuziehung und Auswahl medizinischer Sachverständiger auch Kulimann, in: FS Saiger, S. 651 ff. 244 Zöller/Greger, §403 Rn. 1; Thomas/Putzo, §403 Rn. 1. 245 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A37 m. w.Nw.; Thomas/Putzo, §404 Rn.7f. 246 Ygi Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A37. Problematisch ist es daher, daß auch Behörden oder sonstige öffentliche stellen als Sachverständige gelten - vgl. § 1 Abs. 2 ZSEG (Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen i. d. F. d. Bek. v. 1.10.1969, BGBl. IS. 1756) - , wenngleich bei ihnen die Abgrenzung zur behördlichen Auskunft unscharf ist und die Vorschriften der § § 402 ff. ZPO nicht oder nur angepaßt - siehe z. B. die § § 406,410, 411 Abs. 3 ZPO - gelten können; zum Ganzen auch Thomas/Putzo, § 404 Rn. 5 m. Nw. zur Rspr. 247 248

Thomas/Putzo, Vorbem §402 Rn. 1; vgl. auch Velten, S.55ff., 69ff. BGH, NJW 1995, 777; vgl. auch BGH, NJW 2001,2791; NJW 2001, 2792; NJW 2001,

2795. 249

So die Feststellung von Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 36. Ulsenheimer, Rn. 26 unter Berufung auf Krauß, ZStW 1973 (85), 320; die Bedeutung des ärztlichen Sachverständigen heraushebend auch Laufs, Rn. 636; allgemein Dippel, S.26ff., 58 ff. 251 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A36. 250

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

sich heute zum Teil sogar die umgekehrte Einschätzung finden, nach der die Gutachter wegen ihrer regelmäßig hohen Professionalisierung und Spezialisierung selbst die Anforderungen an die Kunstgerechtigkeit oder die im Verkehr erforderliche Sorgfalt steigern. 253 Allerdings darf wegen der notwendigerweise eigenen Entscheidung des Gerichts die sachverständige Beurteilung nicht unkritisch übernommen werden: Das Gericht ist zur eigenverantwortlichen Prüfung der getroffenen Beurteilung verpflichtet und muß Zweifeln in dieser Hinsicht nachgehen.254 Fraglich ist, ob mit dieser Forderung dem Gericht nicht eine Sachkunde unterstellt oder der Zwang zu ihrer Verschaffung auferlegt wird, der um so problematischer ist, als der Bundesgerichtshof in derselben Entscheidung ausführt, daß das Gericht den medizinischen Standard nicht ohne Sacherständigengrundlage allein aus eigener rechtlicher Beurteilung festlegen darf. 255 M. E. ist die zentrale Frage nach der Bildung und der Grundlage einer eigenen richterlichen Entscheidung kein Problem der Abgrenzung von Kompetenzen des Gerichts und des Sachverständigen,256 sondern des Umfangs der Zulässigkeit der Einbindung externen Sachverstandes in Einzelentscheidungen der öffentlichen Gewalt. Die Problematik ähnelt insoweit der insbesondere im Umweltrecht, aber auch im Gesundheitsrecht zu beobachtenden Praxis der Schaffung von sachverständigen Expertengremien, die - ausgestattet mit unterschiedlichen Kompetenzen - die (dort verwaltungs-)behördliche Entscheidung maßgeblich vor- und mitprägen. Zu Gunsten des Rechtsgüterschutzes der Patienten ist daher für den Bereich des Sachverständigengutachtens und -beweises de lege ferenda an die Einbindung einer gegenüber den Parteien unabhängigen staatlichen oder mit einer staatlichen kooperierenden Stelle zu denken. Dies gilt sowohl zur Behandlungen vorgehenden Bestimmung des medizinischen Standards in einzelnen Bereichen als auch zur Beurteilung des konkreten Sachverhalts im Hinblick auf Behandlungsfehler. 257 In diesem Sinne ist zum einen im Gentechnikrecht die zuständige Behörde - die naturgemäß im Vergleich zu Gerichten sogar über eine größere Eigensachkompetenz verfügt - nach dem GenTG zur Berücksichtigung der Stellungnahme einer in das staatliche Gefüge eingebauten Sachverständigenkommission verpflichtet. 258 Zum anderen kennen an252

Aus der Rspr. z.B. BGH, NJW 1971, 241 (243f.); 1975, 1463 (1464f.); VersR 1978, 83

(84 f.). 253 Ulsenheimer, Rn.26. Auch im Standesrecht gilt inzwischen ein den beklagten Arzt belastendes Gutachten nicht mehr als standeswidrige Handlung. 254 BGH, NJW 1995,777; NJW 2001, 2791. Hieraus kann sich auch die Notwendigkeit der Zuziehung eines weiteren Sachverständigen ergeben - vgl. §412 Abs. 1 ZPO; dazu Kulimann, in: FS Saiger, S. 655 ff., wie auch zur Handhabung im Strafprozeß nach § 244 StPO und dessen Einfluß bzw. Anwendung im zivilgerichtlichen Verfahren. 255 BGH, NJW 1995, 777. 256 So aber Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 36. 257 Im Kontext stehen medizinisch-wissenschaftliche Vorgaben an den Umfang der Aufklärung; zum Problem insgesamt auch unten III. 258 Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit beim Robert-Koch-Institut nach §§4, 5 GenTG i.d.F. v. 16.12.1993, BGB1.I S.2066 (geändert durch Art.5 § 1 Gesundheits-

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

dere Rechtsgebiete oder Sachbereiche die Figur eines „amtlichen Sachverständigen". 259 Der Rückgriff auf derartigen Sachverstand wäre der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung und Entscheidungsfindung zuträglich. Angesichts der beschriebenen momentanen forensischen Praxis kann gegen ein derartiges System auch nicht die Aushöhlung der richterlichen Unabhängigkeit eingewendet werden, vielmehr stoßen die Praxis und ihre Tolerierung durch den Gesetzgeber ihrerseits auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, die unten (III.) ausführlich zusammenzufassen sind. 4. Rechtsgüterschutz des Patienten durch Beweiserleichterungen a) Grundrechtlicher Schutz und Beweisrecht im Arzthaftungsprozeß Im Prozeß ist mit der Sachverhaltsaufklärung untrennbar das Beweisrecht verbunden. Durch die Beweislastverteilung wird den Parteien die oft prozeßentscheidende Pflicht auferlegt, das tatsächliche Vorbringen beweisrechtlich zu belegen. Aufgrund der zivilprozessualen Grundregel, nach der jede Partei die Behauptungs-/ Darlegungs- und Beweislast für alle tatsächlichen Voraussetzungen einer von ihr in Anspruch genommenen Norm trägt, 260 ergeben sich im Arzthaftungsprozeß wegen der fachlichen Überlegenheit des Arztes im Rahmen der Behandlung enorme Schwierigkeiten für den Patienten.261 Vom Beginn der Behandlung an hat der Arzt einen beträchtlichen Informationsvorsprung hinsichtlich der gewählten Diagnoseform und der gestellten Diagnose sowie der gewählten und durchgefühlten Heilbehandlung. Zur seiner fachlichen Überlegenheit kommt hinzu, daß der Patient nur sehr eingeschränkten Zugang zu Beweisstücken und sonstigen Unterlagen hat. Die damit von Anfang bestehende Beweisnot des Patienten wird jedoch durch verfassungsrechtliche Vorgaben gemildert. Nach Giesen verbietet es der aus dem Prinzip einrichtungs-NeuordnungsG v. 24.6.1994, BGB1.I S. 1416 und Art. 4 6. Zuständigkeitsanpassumngs-VO v. 21.9.1997, BGBl. I S. 2390, ber. S. 2756) i.V. m. der ZKBS-Verordnung v. 5.8.1996, BGB1.I S. 1233 aufgrund von §4 Abs.2 GenTG. Allgemein zur Einbindung von sachverständigen Gremien im Umwelt- und Technikrecht Vomhof S. 29 ff., 87 ff., 157 ff., der zutreffend darauf hinweist, daß die herkömmliche Trennung zwischen „entscheidenden" und „beratenden" Gremien bzw. Sachverständigen zur Bestimmung der demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen an ihre Einbindung nicht durchzuhalten ist (S. 161 ff. m. entspr. Nw.). 259 Z. B. die öffentlich bestellten Sachverständigen nach § 36 GewO. Im Rahmen der Reglementierung des ärztlichen Berufs wurde die ärztliche Tätigkeit 1869 der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes unterstellt, ein Zustand, der von den Ärzten erst später heftig und mit Erfolg bekämpft wurde; Huerkamp, S. 254ff. 260 Stellvertretend Baur/Grunsky, Rn. 50,180; Giesen, Rn. 354; BGHZ 53,245 (250f.), mit der (allgemeinen) Bemerkung, daß diese Grundregel nicht durch das Argument (einseitigen) Grundrechtsschutzes aufgeweicht werden dürfe - die nachfolgenden Ausführungen zeigen die gegenteilige Praxis im Arzthaftungsrecht auf; weitergehend z.B. Velten, S. 107ff. 261 Vgl. nur Giesen, Rn. 353; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rn. 286; D. Franzki, S. 31 ff.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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des effektiven Rechtsschutzes im Zivilprozeß entwickelte Grundsatz des fairen Verfahrens, an die Darlegungs- und Beweislast einer Partei Anforderungen zu stellen, die angesichts der Informationsmöglichkeiten der rechtssuchenden Partei unzumutbar oder unerfüllbar sind. 262 M. E. erzeugt auch hier die grundrechtliche Schutzpflicht das entscheidende Gegengewicht. Die Pflicht zur Gewährung wirksamen Rechtsgüterschutzes wird nicht schon durch die Bereitstellung haftungsrechtlicher Institute erfüllt, sondern verlangt deren wirksame Ausgestaltung und Anwendung zur Durchsetzung der sekundären Ansprüche. Die Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist somit auch bei der Regelung und Handhabung des Beweisrechts in allen Bereichen ärztlicher Pflichtverletzungen, insbesondere den Behandlungsfehlern und Aufklärungsfehlern zu beachten. Die Adressaten der grundrechtlichen Schutzpflicht - hier Gesetzgeber und Zivilgericht - müssen ein Instrumentarium zur Verfügung stellen, das gewährleistet, daß sich der Patient gegen ärztliche Fehler wirksam zur Wehr setzen kann und nicht an einer nahezu aussichtslosen Beweissituation scheitert. 263 b) Gesetzliche Ausgestaltung des Beweisrechts und Handhabung durch die Rechtsprechung Abweichend von der zivilprozessualen Grundregel, daß jede Partei die Behauptungs-/Darlegungs- und Beweislast für alle tatsächlichen Voraussetzungen einer von ihr in Anspruch genommenen Norm trägt, 264 sind bei der Arzthaftung zahlreiche beweisrechtliche Besonderheiten zu konstatieren, die im Ergebnis die Position des Patienten verbessern. 265 Aufgrund der vertraglichen und deliktischen Haftungsvoraussetzungen ergeben sich diese zum Teil aus dem materiellen Recht (dazu aa), bb)). Zum Teil hat die Rechtsprechung angesichts der tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung im vom Arzt beherrschten Gefahrenbereich, 266 die sich aufgrund der eben genannten Regel im Prozeß überwiegend zu Lasten des beweispflichtigen Patienten auswirken, auch durch Rechtsfortbildung Beweiserleichterungen zu Gunsten der Patienten etabliert (dazu unten cc)). Abschließend (unten c)) wird auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Beweisrecht im Arzthaftungsprozeß eingegangen.

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Giesen, Rn.368 m.zahlr.Nw.; zu BVerfGE 52, 131 (Arzthaftungsprozeß) unten d). Vgl. Giesen, Rn.353. 264 Stellvertretend BaurlGrunsky, Rn.50, 180; Giesen, Rn.354. 265 Ausführlich zum Ganzen unter Einbeziehung des verfassungsrechtlichen Hintergrundes Giesen, Rn.353 ff. (Dritter Teil); eine weitgehende Ermittlungsverantwortung des Streitgerichts bezüglich des medizinischen Standards nimmt Velten, S. 105 ff. an. 266 Regelmäßig ist der Patient medizinischer Laie und das medizinische Personal tritt ihm gegenüber als nicht durchschaubare organisatorische Einheit auf. Offenkundig ist dies bei Schädigungen während einer Operation unter Vollnarkose; zu den Beweisschwierigkeiten des Patienten auch D. Franzki, S. 31 ff. 263

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

aa) Beweisrecht und die Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Patient Mit dem Behandlungsvertrag sind besondere Beweisregeln zu Gunsten des Gläubigers (hier: Patienten) verbunden, die bei der vertraglichen Haftung relevant werden. In der Literatur wurde teilweise bei der vertraglichen Haftung aus pVV eine entsprechende Anwendung der §§282, 285 (alt) BGB vertreten. 267 Diese sollte sich auch auf die Arzthaftung erstrecken, da kein Anlaß zur Aufstellung von Sonderregeln zu Gunsten der Ärzte gegenüber anderen Berufsgruppen bestehe.268 Danach erfolgte eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens des Arztes, die auch auf das Verschulden von Erfüllungsgehilfen erstreckt wurde. 269 In diesem Sinne ordnet der am 1.1.2002 in Kraft getretene neue § 280 Abs. 1 BGB allgemein eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens bei vertraglichen Pflichtverletzungen zu Lasten des Schuldner an. 270 Bei der deliktischen Arzthaftung finden sich dagegen keine entsprechenden gesetzlichen Beweisregeln. 271 Insbesondere die Rechtsprechung hat dagegen unter dem alten Recht eine entsprechende Anwendung der §§282,285 BGB und damit eine prinzipielle Beweislastumkehr bei der vertraglichen Arzthaftung abgelehnt.272 Anerkannt wurden jedoch zahlreiche Beweiserleichterungen bis hin zu Beweislastumkehr (dazu unten c)), die aus der neueren Rechtsprechung resultieren, die eine Beweislastverteilung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen oder Sphären vornimmt. 273 Inwieweit dies nach der Schuldrechtsreform, das heißt vor dem neuen § 280 Abs. 1 BGB aufrechterhalten wird, ist momentan nicht abzusehen. M. E. wäre dies ebenso zweifelhaft, wie unter der alten Rechtslage. Denn die generelle Nichtanwendung der §§282,285 BGB wurde vor allem mit der Befürchtung zunehmender defensiver Medizin und der komplexen Wirkung der Heilmaßnahmen im menschlichen Körper begründet. 274 M. E. konnte durch diese Argumentation die Anwendung der §§282,285 BGB jedoch nicht 267 § 282 BGB legte bei Streit über das Verschulden bei Unmöglichkeit die Beweislast dem Schuldner (hier: Arzt) auf; § 285 BGB ordnete das Verschulden beim Schuldnerverzug als Befreiungsgrund ein, für den der Schuldner die Beweislast trägt; vgl. Palandt/Heinrichs, §§ 282 Rn. 1,285 Rn. 1 m.w.Nw. 268 Vgl. Palandt!Heinrichs, §282 Rn.6ff., 18 ff.; Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A19f. m.Nw.; D. Franzki, S.41f.; Giesen, Rn.375. 269 Palandt!Heinrichs, § 282 Rn. 4 m. Nw. 270 Vgl. Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2284f.; dazu bereits oben 1. 271 D. Franzki, S. 36 ff., 45,88; vgl. aber Palandt/Thomas, § 823 Rn. 169 ff. zu auch in diesem Bereich geschaffenen Ausnahmen durch die Rspr.; zum Beweis im Bereich der deliktischen Arzthaftung weiter Kröning, S. 92 ff. 272 Entspr. Nw. bei Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 32; Palandt!Heinrichs, § 282 Rn. 18; ausführliche Darstellung der Rspr. bei Giesen, Rn. 375 ff. und D. Franzki, S. 38 ff.; zu Ausnahmen unten c). 273 Zur Rspr. m. Nw. Palandt!Heinrichs, § 282 Rn. 8; D. Franzki, S. 43; Giesen, Rn. 380ff. 274 D. Franzki, S. 38 f.; Geiger, S. 118; Giesen, Rn. 376, alle m. entspr. Nw. Ebenso ließe sich die Begrenztheit der Diagnostik anführen.

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ausgeschlossen werden. Dagegen sprachen schon das Gesetz und seine Intention: Die Einordnung der pVV als Leistungsstörung zwischen den gesetzlich geregelten Unmöglichkeit und Verzug führten grundsätzlich auch zum Eingreifen der §§ 282, 285, 276 woraufhin die Rechtsprechung folgerichtig §282 BGB bei Ansprüchen aus pVV anderer Dienstverträge angewendet hat. Vor allem aber stand die Nichtanwendung beim Behandlungsvertrag aus den genannten, vorwiegend medizinischen Gründen im Widerspruch zur gleichzeitig anerkannten Notwendigkeit von Sonderregeln zu Gunsten der Patienten, die durch eine „Billigkeitsrechtsprechung" im Beweisrecht etabliert wurden. 277 Dabei bestand für die Lösung von den gesetzlichen Vorgaben weniger Grund als seitens der Rechtsprechung angenommen. Die §§282,285 BGB trugen gerade dem fachlichen Überblick des Arztes über Leistungsstörungen und seiner Verantwortung und Pflicht zur ordnungsgemäßen Behandlung Rechnung. Diese bestehen unabhängig vom nicht garantierten Heilerfolg im Rahmen des § 611 BGB. 2 7 8 Hat der durch die vertraglichen Pflichten bezweckte präventive Rechtsgüterschutz des Patienten wegen eines ärztlichen Fehlers versagt, so darf ihm auf der Sanktionsebene die Durchsetzung seiner Ansprüche nicht dadurch unmöglich gemacht werden, daß die fachliche Überlegenheit des Arztes zur Nichtaufklärung des zu beweisenden Sachverhalts verwendet werden kann. In diesem Rahmen ist der neue § 280 Abs. 1 BGB zu begrüßen, der den Streit um die Anwendung der alten §§282,285 BGB hinsichtlich des ärztlichen Verschuldens bei der pVV (wohl) beendet hat. Allerdings bestehen die Beweisprobleme des Patienten bei der ärztlichen Haftung nicht erst bei der Feststellung des Verschuldens, sondern mindestens in gleichem Maße schon bei der Feststellung eines Behandlungsfehlers sowie der haftungsbegründenden Kausalität.279 Die insoweit bestehenden Bedenken gegen das (alte) gesetzliche Beweisrecht wurden durch die Schuldrechtsreform nicht ausgeräumt. Dies gilt auch für die Bedenken gegen die praktisch gleichgeschaltete Haftung aus vertraglicher Sonderbeziehung und Delikt durch die Zivilgerichtsbarkeit. 280 Die Recht275

Im Ergebnis ebenso Giesen, Rn. 375 ff.; D. Franzki, S. 41 ff. Vgl. für den Behandlungsvertrag Geiger, S. 117 m. w. Nw. 277 Während das RG eine Beweislastumkehr (auch) bei Dienstverträgen bejaht hat, wenn die Schadensursache aus dem Gefahrenkreis des Schuldners hervorgegangen ist und die Sachlage zunächst den Schluß rechtfertigt, daß der Schuldner die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat, hat der BGH die Beweislastverteilung nach Gefahren und Verantwortungsbereichen in dem Sinne weiterentwickelt, daß der Schuldner sein fehlendes Nichtvertretenmüssen (mangelndes Verschulden) beweisen muß, wenn ihm objektiv eine Pflichtverletzung zur Last fällt oder die Schadensursache in sonstiger Weise aus seinem Verantwortungsbereich hervorgegangen ist; Palandt!Heinrichs, § 282 Rn. 8 m. entspr. Nw. zur Rspr.; vgl. auch D. Franzki, S. 61 ff., 87ff., dies als richterliche Rechtsfortbildung extra legem einordnet; zur Ausprägung im Einzelnen dazu unten c). 278 Vgl. auch Giesen, Rn. 376ff.; D. Franzki, S.41 f. 279 So auch die Einschätzung von PalandtlHeinrichs, § 282 Rn. 18; Nüßgens, in: RGRK, §823 Anh. I I Rn.313. 280 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken und Vorschlägen de lege ferenda unten III. Eine gesetzliche Gleichschaltung hat indes die Verjährung durch den neuen § 199 Abs. 2 BGB erfahren; dazu schon oben 1. 276

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sprechung relativiert die gesetzlich bestimmten Unterschiede - bei der vertraglichen Haftung insgesamt zu Lasten, bei der deliktischen Haftung zu Gunsten des Patienten.

bb) Beweisrecht und Notwendigkeit rechtfertigender Einwilligung des Patienten Auch die Etablierung der Aufklärungspflicht und die ärztliche Haftung bei Aufklärungsfehlern 281 hat Auswirkungen auf die Beweislastverteilung im Zivilprozeß. Infolge der oben genannten Ausgangsregel muß der Arzt das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung zur Rechtfertigung des Eingriffs beweisen.282 Kann er diesen Nachweis nicht erbringen, so ist von der Rechtswidrigkeit 283 unabhängig von einem objektiven Sorgfaltsverstoß auszugehen; der Patient muß nur noch die Kette adäquat ursächlicher Ereignisse bis zum Schaden darlegen, wobei der gegenüber § 286 ZPO weniger strenge § 287 ZPO anwendbar sein soll. 284 Zu ungünstigeren Ergebnissen für den Patienten kommt hier die beschriebene Auffassung der Literatur, nach der ärztliche Heileingriffe rechtmäßig sind und von vornherein keiner rechtfertigenden Einwilligung bedürfen. 285 Zum Teil wird der Rechtsprechung unterstellt, daß mit der Anerkennung der Aufklärungspflicht wegen der großen medizinischen und gutachterlichen Schwierigkeiten bei Arzthaftungsprozessen ein Haftungstatbestand geschaffen werden sollte, der (überwiegend) juristisch handhabbar ist und so zu einem Gleichgewicht in medizinischen Prozessen führt. 286 Die Anerkennung der Aufklärungspflicht diene der Funktionalisierung des Tatbestandes zu Zwecken des Schadensersatzes.287 Gegen diese Kritik ist m. E. einzuwenden, daß die Aufklärungspflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unumgänglich ist. 288 Durch die Aufklärung und Einwilligung wird der Patient vor eigenmächtigen (Heil)Behandlungen geschützt. Angesichts der Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Zivilrecht und im Zivilprozeß ist die Verbindung zwischen materieller vertraglicher Pflicht zum präventiven Rechtsgüterschutz und prozessualer Beweislast für den Arzt im Rahmen des Sanktionsschutzes einleuchtend.289 Ihre Anerkennung und Handhabung im Prozeß seitens der Rechtsprechung entspricht daher 281

Vgl. oben I.2.c)bb). 282 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A22 m.Nw. 283

Und regelmäßig auch dem Verschulden; dazu sogleich. BGH, NJW 1976,363; zum Unterschied zwischen den Vorschriften ThomasIPutzo, § 287 Rn. 9ff.; zu ihrer Bedeutung im Arzthaftungsprozeß Giesen, Rn. 399ff. m. w. Nw. 285 Danach müssen allein die Patienten die Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere Behandlungsfehler oder Eigenmächtigkeit beweisen; vgl. Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A21. 286 So die Einschätzung von Hempfing, S. 17. 287 Eisner, S. 220 ff. 288 Ebenso das SV zu BVerfGE 52, 131 (171 ff.). 289 Dazu auch Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.342. 284

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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im Ergebnis den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wenn auch die Etablierung einer vertraglichen Hauptpflicht allein durch die Fachgerichtsbarkeit im Rahmen des § 242 BGB auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Konsequenterweise müßte sich die Kritik gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers richten, der materiellen und prozessualen Friktionen zwischen Vertragsrecht und Haftungsrecht abhelfen kann dazu unten (III.).

cc) Von der Rechtsprechung entwickelte Beweiserleichterungen zu Gunsten der Patienten Die von der Rechtsprechung durch richterliche Rechtsfortbildung etablierten Beweiserleichterungen im Arzthaftungsprozeß, die bis zur Beweislastumkehr reichen, werden bei der vertraglichen und deliktischen Haftung angewandt. Hierdurch wird eine parallele beweisrechtliche Handhabung der ärztlichen Haftung ermöglicht, die nicht nur allgemein dem Rechtsgüterschutz durch erleichterte Durchsetzung der Ansprüche des Patienten dient, sondern vor allem dem tatsächlichen Hintergrund Rechnung trägt, daß der beklagte Arzt dem notwendigen Beweismaterial wesentlich näher ist, als der eigentlich beweispflichtige klagende Patient. Wie oben (a)) dargelegt entspricht dies dem Hintergrund gesetzlicher Beweiserleichterungen, 290 so daß eine davon gelöste Abgrenzung nach Gefahren- und Verantwortungsbereichen oder Sphären problematisch ist, auch wenn sie den tatsächlichen Verhältnissen im ArztPatienten-Verhältnisses Rechnung trägt. Eine Beweislastumkehr wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn fehlende technische Voraussetzungen, das heißt vor allem die Funktionsfähigkeit der eingesetzten medizinischen Geräte, oder organisatorische Mängel zur Schädigung des Patienten geführt haben.291 Weiter wird eine Beweislastumkehr bezüglich der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Rechtsgutsverletzung bei groben Behandlungsfehlern des Arztes angenommen.292 Ein grober Behandlungsfehler ist damit kein Verschuldensmaßstab im Sinne grober Fahrlässigkeit, sondern ein schwerwiegender Verstoß gegen die ärztliche Leistungspflicht. 293 Eine entsprechende Beweislastumkehr wird angenommen, wenn der Arzt vorsätzlich oder leichtfertig bei der Behandlung eine Gefahr geschaffen hat, die erfahrungsgemäß zum festgestellten Schaden führen kann. 294 Bei besonders risikoreichen Behandlungen kann auch das Unterlassen von Aufzeichnungen und die Unvollständig290

Vgl. auch Baur/Grunsky, Rn. 50. Geiger, S. 118 f.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 109, beide m. entspr. Nw. 292 Palandt/Thomas, § 823 Rn. 170 m. Nw. 293 Nach BGH, NJW 2001, 2794 ist ein grober Behandlungsfehler nicht nur ein Verstoß gegen den ärztlichen Standard, sondern ein schlechterdings unverständliches Fehlverhalten. Das Verschulden liegt hier regelmäßig vor, so daß kein Rückgriff auf § 282 BGB erfolgen müßte; Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. I I Rn. 299. 294 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A33 m. entspr. Nw. 291

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

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keit der Unterlagen zu einer Beweislastumkehr führen. 295 Dasselbe gilt, wenn dem Patienten für seine Beweisführung notwendige Unterlagen vorenthalten, entzogen oder verfälscht werden. 296 Zwar ergeben sich aus einer unterlassenen Dokumentation noch keine eigenen Ansprüche, 297 die Dokumentation ermöglicht jedoch eine Nachvollziehung des Geschehensablaufs und ist - ihre Vollständigkeit vorausgesetzt - für den grundsätzlich beweispflichtigen Patienten von großer Bedeutung. Dies ist gegenüber der wohl nach wie vor dominierenden Sichtweise, daß die Dokumentationspflicht (nur) der Fortbehandlung des Patienten diene,298 in das Bewußtsein zu rücken. Beweiserleichterungen sollen dem Patienten durch die Anwendung der Grundsätze zum Anscheinsbeweis zukommen: Steht ein Schaden fest, der typischerweise nur durch einen schuldhaften Behandlungsfehler verursacht werden kann, spricht der Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen dieses Fehlers. Gleiches gilt hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs, wenn feststeht, daß der Arzt schuldhaft einen Behandlungsfehler begangen hat, der zu einem für diesen (nach medizinischer Erfahrung) typischen Schaden geführt hat. 299 Beide Beweisführungen kann der Beklagte durch den gegenläufigen Nachweis der ernsthaften Möglichkeit eines untypischen Geschehensablaufs erschüttern. 300 Allein aus dem Mißlingen eines Eingriffs oder dem Eintritt einer Gesundheitsverschlechterung kann jedoch wegen der nicht vollständig beherrschbaren bio- und physiologischen Abläufe beim Patienten nicht auf einen Behandlungsfehler oder gar das Verschulden des Arztes geschlossen werden. 301 c) Beurteilung des Beweisrechts im Arzthaftungsprozeß durch das Bundesverfassungsgericht Der oben (a)) vertretene Verfassungsbezug des Beweisrechts im Arzthaftungsprozeß wird auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. 302 In der stark um295

Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A34. Vgl. die Auswertung der Rspr. von Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 33 m. w. Nw. 297 Der Dokumentationspflicht als vertragliche Nebenpflicht korrespondiert aber ein (seitens der Rspr. begrenztes) Einsichtsrecht des Patienten; zur Dokumentationspflicht und deren (auch beweisrechtlichen) Rechtsfolgen ausführlich Nüßgens, in: RGRK, §823 Anh. I I Rn.259ff., 318 ff. 298 Geiger, S. 125 m. entspr. Nw. 299 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 35 f.; ausführlich auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 108 m.zahlr.Nw. 300 Weyers, in: Verhandlungen 52. DJT, A 35 m. zahlr. Nw. zur Rspr. 296

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Geiger, S. 121, 113m.Nw. BVerfGE52,131 - Arzthaftungsprozeß; Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war die fachgerichtliche (letztinstanzliche) Handhabung des Beweisrechts bei Behandlungsfehlern, insbesondere die Ablehnung einer Beweislastumkehr, die Nichtberücksichtigung von Beweisanträgen sowie die Verwertung von Tatsachen und Beweisergebnissen ohne diesbezügliche 302

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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strittenen Entscheidung wird die Bedeutung verfassungsrechtlicher Vorgaben im Arzthaftungsrecht und für die Anwendung des Beweisrechts betont, wodurch der Richter für ein faires Verfahren und Waffengleichheit im Prozeß zu sorgen habe.304 Die unterlegenen Richter führen dafür auch den Grundrechtsschutz an: Aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip folgten die Erfordernisse der grundsätzlichen Waffengleichheit im Prozeß und der gleichmäßigen Verteilung des Risikos am Verfahrensausgang. 305 Auch im Zivilverfahren habe der Richter durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung den materiellen Inhalten der Verfassung, insbesondere den Grundrechten und der materiellen Komponente des Rechtsstaatsprinzips, Geltung zu verschaffen. 306 Die die Entscheidung tragenden Richter beschränken sich insoweit auf die verfassungsrechtlichen Prozeßgarantien (Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG) und entnehmen Art. 3 Abs. 1 nur ein Willkürverbot. 307 Nach ihnen kann offenbleiben, ob und inwieweit besondere Anforderungen an die Handhabung des einschlägigen prozeßrechtlichen Instrumentariums durch das Gericht im Blick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Grundrechts zu stellen seien. 308 Die beiden Auffassungen gehen entscheidend auseinander, wenn es um die Wirkung der verfassungsrechtlichen Vorgaben im Arzthaftungsprozeß geht. Die vier unterlegenen Richter beschreiben zutreffend die besonderen Schwierigkeiten im Arzt-Patienten-Verhältnis und fordern m. E. zu Recht, daß das von der Rechtsprechung bereits entwickelte Instrumentarium im Beweisrecht, das im Arzthaftungsprozeß gerechte Interessenabwägungen ermögliche, auch von Verfassungs wegen anzuwenden sei. 309 Dadurch werde den verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, die angesichts der generellen Aufbürdung der Beweislast für den Patienten, obwohl dieser in der typischen Fallkonstellation nicht in Lage sei, den erforderlichen Beweis zu erbringen, bestehen.310 Folglich müsse sich der Richter im jeweiligen Einzelfall die typische beweisrechtliche Stellung der Parteien und die im Arzt-Patienten-Verhältnis bestehende Grundproblematik bewußt machen und für eine faire, zumutbare Handhabung des Beweisrechts Sorge tragen; es müsse von Mal zu Mal geprüft werden, ob dem Patienten nach allem die regelmäßige Beweislastverteilung Äußerung des klagenden Patienten und Beschwerdeführers; zusammengefaßt auch von Stürner, NJW 1979, 2334; zur Entscheidung weiter Giesen, Rn. 362 ff. 303 Vier Richter tragen die Entscheidung nicht (BVerfGE 52,131 [143 ff.]), daneben besteht ein beachtliches Sondervotum hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Aufklärung (BVerfGE 52,131 [171 ff.]; vgl. dazu oben A Kap. 1 III.4., 5., Kap.3IV.2. sowieFrancke, S. 101 ff. 304 BVerfGE 52, 131 (145ff., 153ff.). 305 BVerfGE 52, 131 (144). 306 BVerfGE 52, 131 (145). 307 BVerfGE 52, 131 (154, 158). 308 BVerfGE 52, 131 (154 f.). 309 BVerfGE 52, 131 (145 ff.); hiergegen sei vom Fachgericht verstoßen worden. 3,0 BVerfGE 52, 131 (146).

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

noch zugemutet werden darf. 311 Eine Überschreitung verfassungsgerichtlicher Kontrollbefugnisse ist darin m. E. nicht zu erblicken. 312 Demgegenüber stellen die vier die fachgerichtliche Entscheidung stützenden Richter maßgeblich auf die Aufgabe des Zivilrechts ab, in erster Linie Interessenkonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten zu lösen. Dies soll durch das Verfahrensrecht ermöglicht werden, wobei wegen der Verfügungsmacht des Einzelnen über privatrechtliche Ansprüche auch im Zivilprozeß den Parteien in großem Umfang die Verfügung über das Verfahren eingeräumt sei, solange öffentliche Belange nicht berührt werden. 313 Dies komme im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren augenscheinlich im Beibringungsgrundsatz zum Ausdruck, dem zufolge der entscheidungserhebliche Sacherhalt entsprechend der Natur des Privatrechts von den Parteien nach ihrem Interesse am Ausgang des Rechtsstreits beigebracht und unter Beweis gestellt werde. 314 Die aus dem Gesetz folgenden und von der Rechtsprechung fortentwickelten, in sich abgestuften und den besonderen Interessen- und Verfahrenslagen angepaßten Regeln über die Beweisführung, Beweiserleichterungen und die Verteilung der Beweislast seien wesentliche Bestandteile des zivilprozessualen Verfahrens, die die Möglichkeit differenzierter und ausgewogener Anwendung auch nach Gesichtspunkten der Billigkeit und Zumutbarkeit gewährleisteten.315 Die Regelungen fänden ihre Ergänzung in den verfahrensrechtlichen Vorschriften, die Stellung und Aufgabe des Richters im Parteienstreit umrissen und insoweit eine weitere einfach-rechtliche Konkretisierung und Präzisierung der genannten verfassungsrechtlichen Prozeßgarantien enthielten.316 Die Entscheidung der Richter ist insoweit konsistent, als aus den Art. 20 Abs. 3,101 Abs. 1 GG in der Tat nur schwerlich eine Verfahrensdetermination für besondere materiell-rechtliche und prozessuale Rechtsbeziehungen abgeleitet werden kann. Gleiches gilt für die Überprüfung der Handhabung des Beweisrechts durch das Fachgericht an Art. 3 Abs. 1 GG, in dessen Rahmen die Richter zum nicht überraschenden Ergebnis kommen, daß die Entscheidung weder erwiesen sachfremd noch in keiner Weise nachvollziehbar sei. 317 Die im Parteienstreit geltende „Waffengleicheit" soll danach eine mittelbare Verfahrensdetermination des zivilrechtlichen Erkenntnisverfahrens weitestgehend verhindern. 318 M. E. bleibt in dieser Begründung zum einen offen, nach welchen Kriterien wenn nicht nach denen der grundrechtlichen Schutzpflicht - die von den Richtern bejahten Gesichtspunkte der Billigkeit und Zumutbarkeit zu bestimmen sind. Zum 311

BVerfGE 52, 131 (147) unter Verweis auf BGH, NJW 1971, 241. Ebenso Giesen, Rn. 365; a. A. D. Franzki, S. 116ff. 313 BVerfGE 52, 131 (153). 314 BVerfGE 52, 131 (153f.). 315 BVerfGE 52, 131 (154). 316 BVerfGE 52, 131 (154). 317 BVerfGE 52, 131 (158). Allerdings stellt das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Willkürverbot nur eine „Notbremse" für das Bundesverfassungsgericht dar, um nicht haltbare zivilrechtliche Entscheidungen aufzuheben; dazu Schiaich/Kor ioth, Rn.290f. m.w.Nw. 318 BVerfGE 52, 131 (156 f.). 312

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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anderen ist fraglich, ob das Postulat der prozessualen Waffengleichheit aufrechterhalten werden kann, wenn in der materiell-rechtlichen Rechtsbeziehung ein Kräfteungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern besteht. In diesem Zusammenhang ist nochmals auf die Wechselwirkung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht hinzuweisen.319 Entgegen der Meinung der Richter dient der von den Zivilgerichten zu gewährleistende Sanktionsschutz der unmittelbaren Durchsetzung der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. 320 Wegen der grundrechtlichen Schutzpflicht kann es auch im zivilgerichtlichen Verfahren nicht nur um die Feststellung privatrechtlicher Rechtswidrigkeit und deren Folgen gehen,321 sondern zugleich um die Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Rechtsgüterschutz, die sich im dreipoligen Rechtsverhältnis zwischen Gericht und Parteien vollzieht. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht selbst den Geltungsanspruch der einzelnen Grundrechte im jeweiligen Verfahrensrecht anerkannt, 322 so daß die allgemeine Formulierung eines Anspruchs auf ein faires Verfahren auch im Zivilprozeß zu kurz greift. 323 Die Verfahrensgarantien bestehen unabhängig von einer Beeinträchtigung der Einzelgrundrechte. Nach Maßgabe der Nachhaltigkeit und Intensität einer Rechtsverletzung werden sie als Prüfungsmaßstab vom einzelnen betroffenen materiellen Grundrecht aber überlagert. 324 Diese normative Beeinflussung des Verfahrensrechts ergibt sich aus der grundrechtlichen Schutzpflicht, die damit nicht per se oder zwangsläufig mit dem Gebot der Wahrung richterlicher Unabhängigkeit kollidiert. 325 Im Ergebnis wird die Sichtweise der die Entscheidung tragenden Richter den tatsächlichen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen nicht gerecht. Der Ausgangspunkt der rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekte ist zwar zutreffend - es wird aber verkannt, daß im Verhältnis zwischen Arzt und Patient eine derartige Gleichrangigkeit oder ein Kräftegleichgewicht nicht besteht und der Staat zum Schutz der Rechtsgüter - nicht bloßer Interessen - der fachlich unterlegenen Partei aufgerufen ist. Dies ist die Funktion der grundrechtlichen Schutzpflicht, bei deren Erfüllung das Gericht nach dieser Terminologie in der Tat einer Partei zur Seite tritt - eine Verpflichtung, die auch verfassungsgerichtlich überprüfbar ist. 326 3,9 Vgl. Lorenz, §§ 1 Rn.2f., 3 Rn.4ff.; dersNJW 1977, 866f.; Nüßgens, in: RGRK, §823 Anh. II Rn. 295 m.w. Nw. 320 A. A. BVerfGE 52, 131 (156), in der trotz Bejahung des Zusammenhangs zwischen Streitgegenstand (haftungsrechtlicher Anspruch auf Ausgleich eines erlittenen Schadens) und Schutzgehalt eines Grundrechts die Funktion der Zivilgerichte zur unmittelbaren Durchsetzung des Grundrechts verneint wird. Vgl. aber auch BVerfGE 49, 220 (225 f., Sondervotum S.228ff.); BVerfGE 30, 173 (Sondervotum 2 S.218 [219]). 321 So BVerfGE 52, 131 (156). 322 Nach BVerfGE 52, 380 (389f.) sogar „inzwischen gefestigte Rechtsprechung". 323 Ebenso Goerlich, S. 164. 324 Nach Goerlich, S. 164 treten sie als Prüfungsmaßstab sogar gegenüber den Grundrechten zurück. 325 Auf dieses als Grenze stellt auch BVerfGE 52, 131 (154) unter Verweis auf BVerfGE 21, 139 (145 f.) ab. 326 Kritisch D. Franzki, S. 117ff.; Stürner, NJW 1979, 2337f.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Erörterung ist die Frage, ob die Anwendung und Fortentwicklung des Beweisrechts durch die Rechtsprechung im Einklang mit den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes bei der Schutzpflichterfüllung steht. Immerhin werden im Arzthaftungsprozeß immer weitere Ausnahmen zur obengenannten zivilprozessualen Ausgangsregel und unabhängig von gesetzlichen Vorgaben entwickelt, deren Anwendung prozeßentscheidend ist. Sie bewirken zwar im Einzelfall Rechtsgüterschutz für den Patienten, berühren jedoch in der Gesamtheit parlamentarisch zu regelnde Bereiche. Dies leitet über zur Schlußbetrachtung der Schutzgewährung durch das Zivilrecht, die de lege lata verschiedenen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

I I I . Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den bestehenden zivilrechtlichen Rechtsgüterschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis und Perspektiven 1. Richterliche Rechtsfortbildung und Vorbehalt des Gesetzes a) Aufweichung des Verschuldensgrundsatzes Das Erfordernis einer schuldhaften Rechtsgutsverletzung und kausalen Schadensverursachung bei der vertraglichen und deliktischen Haftung wurde durch die obergerichtliche Rechtsprechung bei der Arzthaftung wiederholt zumindest im Ergebnis abgeschwächt. In der Literatur wird diesbezüglich gar von einer Erosion des Verschuldensprinzips gesprochen,327 wie allgemein die Gefahr eines fast unmerklichen Übergangs von der deliktischen Haftung zur Gefährdungshaftung befürchtet wird, wenn praktisch unerfüllbare Verkehrs(sicherungs)pflichten formuliert werden. 328 Wie dargestellt hat die Rechtsprechung im Bereich der ärztlichen Berufsund Deliktshaftung eine Ausweitung sogenannter Verkehrspflichten bewirkt, an deren erster Stelle die ärztliche Aufklärungspflicht zu nennen ist. Damit verbunden ist die zunehmende Betonung einer objektivierenden Typisierung der Fahrlässigkeit. Infolge dieser Objektivierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes wird nicht mehr auf die individuelle Situation abgestellt, sondern seine Bestimmung erfolgt aus dem generalisierten Standard, dessen Verletzung regelmäßig zur Haftung führt. Daneben wurde durch Verlagerungen der Beweislast das Schuldprinzip erheblich eingeschränkt. Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr 329 stellen eine Zwischenstufe zwischen Einstandspflicht für Verschulden und Haftung für Verursachung dar. 330 Hin327 Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 342. Auch Laufs, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.4ff. weist auf diese bedeutsame und zugleich äußerst problematische Rechtsfortbildung hin. 328 Gernhuber, S. 382. 329 Dazu oben II. 4. 330 Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.342 m. w.Nw.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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zuweisen ist darauf, daß die Möglichkeit der Haftungsverlagerung durch beweisrechtliche Mittel allgemein bereits Eingang in die rechtswissenschaftliche Diskussion gefunden hat. 331 Insgesamt hat die Rechtsprechung damit eine Grauzone zwischen Delikts- und Gefährdungshaftung, zwischen Schadenszurechnung und Schadensverteilung entstehen lassen,332 die eine beachtliche Steuerung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten ärztlichen Berufsausübung bewirkt. Richterliche Rechtsfortbildung durch Einzelfallentscheidungen sowie die stets vorhandene Möglichkeit einer Rechtsprechungsänderung - beispielhaft zeigt sich diese bei der Aufklärungspflicht, deren Anforderungen vom Bundesgerichtshof entgegen seiner früheren Judikatur heute wieder reduziert werden 333 - enthalten nicht nur Gefahren für die Rechtssicherheit. 334 Der Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG liegt vielmehr nicht allein in Händen der Rechtsprechung, sondern ist aufgrund der Erfüllungshierarchie bei der Schutzpflichterfüllung maßgeblich vom parlamentarischen Gesetzgeber auszugestalten. Nur dieser kann klare, bestimmte und rechtssichere Regelungen treffen, deren Ableitung aus Einzeljudikaten nur schwer möglich ist. 335 Wenn auch in diesem Zusammenhang der Gewaltenteilungsgrundsatz und die Bindung der Richter an das Gesetz nur selten problematisiert werden, 336 hat die verfassungsrechtliche Kritik hier anzusetzen. Die richterliche Rechtsfortbildung erfolgt in den verschiedenen Bereichen zu Gunsten der Patienten und ist das Resultat der zunehmenden Anerkennung der Determinierung des Zivilrechts durch grundrechtliche Vorgaben. Damit ist die grundrechtliche Schutzpflicht der eigentliche Grund für die Aufweichung des Verschuldensgrundsatzes in Teilbereichen der Arzthaftung. Ihre Existenz und unmittelbare Geltung führt notwendigerweise zu einer Weiterentwicklung des Haftungsrechts bei Berufsgruppen, die - wie die Ärzte - ihren Vertragspartnern nicht gleichrangig gegenüberstehen, sondern spezifische, durch ihre besondere Sachkunde und Position ausgelöste Verkehrs(siche331 Vgl. Laufs, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.9f. m. w. Nw.; M. Reinhardt, NJW 1994, 93 ff. und schon Stoll AcP 176 (1976), 145 ff. 332 Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 342; Laufs, in: Laufs/ Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.6ff.; im Hinblick auf die Beweislastverteilung ist die Lit. teilweise aber strenger als die Rpsr.; vgl. oben II.4.b). 333 Die Entwicklung der Rspr. und teilweise zu beobachtende Reduzierungen der Anforderungen an den Umfang der Aufklärung zeichnet z.B. Pfeiffer, S. 13ff. m.entspr.Rspr.-Nw. nach; ebenso die Einschätzung von BVerfGE 52, 131 (170) - Arzthaftung. 334 Nüßgens, in: RGRK, § 823 Anh. II Rn. 297 m. w. Nw. schon angesichts der flexiblen Handhabung der Beweisregeln durch die Rspr. 335 Die Schwierigkeiten der Umsetzung der Leitlinien und Maximen einer (Einzelfall)Rechtsprechung in klare Regeln betonen auch Bockelmann, in: Eser, S. 176ff.; Ulsenheimer, Rn. 60. 336 So der zutreffende Hinweis von Laufs, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 6, der allerdings insoweit ungenau und zu kurz greift, als sich aus der Bindung an das einfache (hier: vorkonstitutionelle) Gesetz und die Verfassung nach Art. 20 Abs. 3 GG gerade der hier erörterte Konflikt ergibt.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

rungs)pflichten zu erfüllen haben. Wenn aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis oder dem Umgang des Arztes mit dem Patienten auch nicht zwangsläufig folgt, daß der Arzt eine Gefahrenquelle im Sinne des herkömmlichen Gefährdungshaftungsrechts schafft und beherrscht, ist zu konstatieren, daß das vom Gesetzgeber durch das BGB vorgegebene verschuldensabhängige Vertrags- und Deliktshaftungssystem an seine Grenzen stößt, was durch die weitreichende richterliche Rechtsfortbildung noch verstärkt wird. Die fachgerichtliche Rechtsprechung führt zu einer Modifizierung des bürgerlichen Rechts, das in den Vorschriften des BGB aus dem Jahr 1896 ein derartiges Schutzkonzept mangels Existenz einer übergeordneten Wertordnung nicht vorsehen mußte.337 Durch den bis dato erfolgten Verzicht des Gesetzgebers auf inhaltliche Änderungen wurde der zivilrechtliche Umgang mit dem Kräftewandel in der Arzt-Patienten-Beziehung sowie mit den Entwicklungen der modernen Medizin, in der enorme Heilungschancen einem beträchtlichen Risikopotential gegenüberstehen, vollumfänglich in den Verantwortungsbereich der staatlichen Gerichte verlagert. Eine dauerhafte Überspielung bzw. Ersetzung gesetzgeberischer Entscheidungen darf durch die Rechtsprechung jedoch nicht erfolgen. Angesichts der mit Geltung des Grundgesetzes einsetzenden Doppelbindung der Rechtsprechung an die Verfassung und die unter den vorkonstitutionellen Verhältnissen entstandenen Regelungen des BGB war die beschriebene Rechtsfortbildung zwar vorgezeichnet. Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes, der Regelungspflichten des Gesetzgebers begründet, kann jedoch nur eine vorübergehende gesetzesergänzende oder -vertretende Kompetenz der Fachgerichte bestehen, die überdies zur Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet sein können.338 Die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht steht nicht im Belieben der staatlichen Organe. Dies gilt um so mehr, als m. E. zum einen eigenmächtige körperliche Eingriffe der Ärzte keine grundrechtlich geschützte Tätigkeit darstellen und zum anderen der Arzthaftung insgesamt Grundrechtsrelevanz für beide Parteien zukommt, so daß eine spezifische Ordnung der Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient durch den Gesetzgeber geboten ist. Aber auch ohne diese spezielle grundrechtliche Sichtweise ist zu konstatieren, daß die Regelungen des BGB nur ein allgemeines Instrument zur Handhabung privatrechtlicher Konflikte bieten, dessen Regelungsrahmen jedoch durch die im Arzt-Patienten-Verhältnis auftretenden Fragestellungen überfordert wird. Die im Arzt-Patienten-Verhältnis regelmäßig vorzunehmende Auflösung grundrechtlicher Konflikte ist indes keine primäre Aufgabe der Zivilgerich-

337 Um so bemerkenswerter daher die von Esser, Gefährdungshaftung, (S.III) vorangestellten kritischen Worte von Otto v. Gierke zum Entwurf des deutschen Zivilgesetzbuches. 338 Daneben ist auch die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Schutzgewährung durch die Zivilgerichte möglich, die allerdings auf die „Verletzung spezifischen Verfassungsrechts" - das BVerfG ist kein Superrevisionsgericht - beschränkt ist; zu diesem Problem in BVerfGE 33, 131 Arzthaftungsprozeß) Giesen, Rn. 365; kritisch gegen die abweichenden Richter D. Franzki, S. 117 ff.; ausführlich zum Problemkreis F. Krauß, Der Umfang der Prüfung von Zivilurteilen durch das Bundesverfassungsgericht, insbes. S. 8f., 51 ff., 163 ff., 178ff.; Schiaich/Korioth, Rn.274ff.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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te. Hält man sich dies zusammen mit der insgesamt praktizierten Aufweichung des gesetzlich angeordneten Verschuldensgrundsatzes vor Augen, erscheinen Skepsis und Zurückhaltung gegenüber Auffassungen angebracht, die richterliche Rechtsfortbildung bereichsweise als Gewohnheitsrecht einordnen und ihr Gesetzeskraft zubilligen. 340 Wird die Auflösung grundrechtlicher Konflikte vom Gesetzgeber ausschließlich der Rechtsprechung überlassen, sind uneinheitliche Folgen und Widersprüche in der gesamten Rechtsordnung vorgezeichnet. Ebenso problematisch ist die mangelnde Vorhersehbarkeit richterlicher Entscheidungen, die praktisch ausschließlich auf Generalklauseln gestützt werden. Damit ist das Problem angesprochen, daß sich der Gesetzgeber und die Gerichte als Teile der staatlichen Gewalt ihrer Entscheidungsverantwortung entledigen, welches den zweiten Ansatz verfassungsrechtlicher Kritik darstellt. b) Dominanz gesetzlicher Generalklauseln Das zivilrechtliche Arzt-Patienten-Verhältnis wird von gesetzlichen Generalklauseln dominiert: 341 Insbesondere die ärztlichen Leistungspflichten im Rahmen des Behandlungsvertrags werden von der Fachgerichtsbarkeit über § 242 BGB bestimmt, der bei der Arzthaftung bedeutsame Verschuldensmaßstab der Fahrlässigkeit nach § 276 BGB. Durch die Anknüpfung an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und die Verkehrssitte wird die Einwirkung standesrechtlicher Maßstäbe möglich, wenngleich die Generalklauseln zugleich „offen" für verfassungsrechtliche Wertungen sind; bei § 242 BGB ergibt sich dies ausdrücklich aus der Bindung an „Treu und Glauben". Bei der Anwendung dieser Normen sind damit einerseits von den Zivilgerichten Kollisionen zwischen der durch die Interessenvertretung geprägten Verkehrssitte und der grundrechtlichen Wertordnung zu lösen. Letzte wird maßgeblich durch die grundrechtliche Schutzpflicht bestimmt, die einen Ausgleich zu einer übermäßigen und einseitigen Interessenwahrnehmung darstellt. 342 Die Unterschiede werden bei der Behandlungs- und der Aufklärungspflicht deutlich. Die Behandlungspflicht und Behandlungsfehler sind vorwiegend standesrechtlich und -ethisch geprägt, da für die Beurteilung des Ablaufs und der Durchführung der Heilbehandlung sowie deren Einordnung als kunstgerecht fachliche Vorgaben im Vordergrund stehen. Anders dagegen die Aufklärungspflicht, die durch die ordentlichen Gerichte geprägt und auf die grundrechtliche Schutzpflicht zurückzuführen ist und entsprechende Standesmaßstäbe erst geschaffen hat. Dies bestätigt, daß das Standesrecht vorwiegend nur für fachlich-medizinische Fragen herangezogen werden 339

Äußerst kritisch zum Verhältnis Zivilgerichtsbarkeit - Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt der (politischen) Verantwortung z. B. Diederichsen, S. 21 ff., 60ff. 340 Vgl. dazu z.B. Stern, Staatsrecht II, §37 112 (S.586, 579f.). 341 Dazu bereits oben A Kap. 3 IV. 342 Dies leitet über in das allgemeine Problem des Verhältnisses der zur Erfüllung der Schutzpflicht Verpflichteten bei der Anwendung grundrechtlicher/verfassungsrechtlicher Vorgaben.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

kann. Das Streben nach einem hohen Qualitätsniveau beim Stand der medizinischen Wissenschaft ist vor allem auf Erkenntnisdrang zurückzuführen und entspricht ärztlichem Selbstverständnis. Abgesehen von diesem präventiven Schutzeffekt für die Patienten sind wegen des Binnencharakters vergleichsweise geringe andere Schutzwirkungen zu erwarten. Restriktive Standesvorschriften, beispielsweise zur In-Vitro-Fertilisation, zum Gametentransfer und der Sterbehilfe, wären ohne legislative Vorgaben im ESchG oder die Zivil- und Strafrechtsprechung nicht erlassen worden. Der ärztliche Stand, und dies setzt sich in Standesethik und Standesrecht fort, strebt nach medizinischem Fortschritt - die grundrechtliche Wertordnung mit dem Instrument der grundrechtlichen Schutzpflicht, die in die gesamte Rechtsordnung einwirkt, schafft dazu ein Gegengewicht: Medizinischer Fortschritt und Rechtsgüterschutz müssen in ausgewogenem Verhältnis stehen. Nur im Zusammenspiel wird den Interessen der Patienten wirklich Rechnung getragen. Mit der alleinigen Verwendung gesetzlicher Generalklauseln läßt sich dieser Zwiespalt nicht bewältigen. Dem parlamentarischen Gesetzgeber sind schon bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und dem Verweis auf den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik konkretisierende Normen Grenzen durch den Vorbehalt des Gesetzes und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot auferlegt. 343 Dynamische Verweisungen auf den Stand der Wissenschaft und Technik wiedergebende Normen, die von nichtstaatlichen Organisationen wie privaten Standesvertretungen in privater Verantwortung erarbeitet werden, werden überwiegend als verfassungswidrig angesehen.344 Und auch gegenüber einem Rückgriff auf die körperschaftlichen Satzungsregelungen bestehen Bedenken, da diese trotz rechtsaufsichtlicher Genehmigung keine staatliche Entscheidung gegenüber dem Patienten darstellen. 345 Die demokratische Verantwortungskette erfordert eine ausdrückliche staatliche Rezeptionsentscheidung, die nicht nur formaler Art sein darf. 346 Schon bei schlichter Anordnung der Beachtung des Standes der Wissenschaft und Technik ohne Verweis auf konkretisierende Normen begibt sich der Gesetzgeber damit vollständig seines Einflusses auf die Bestimmung dieses Standes, da nicht einmal eine rein formale Einbindung bestimmter Fachleute oder Sachverständiger erfolgt. Noch problematischer ist es daher, wenn die Zivilgerichte innerhalb der Generalklauseln der §§ 242, 276 BGB auf diesem Weg verfahren. Der Rückgriff auf privatrechtliche oder körperschaftliche Regelungen und die weitergehende Übernahme eines gutachtlich postulierten Standes der medizinischen Wissenschaft oder „Kunstgerechtigkeit" ohne normierte Grundlage sind unzulässig. Auch die Einordnung der von Standesvertretungen entwickelten Leitlinien zur Qualitätssicherung als sog. „antizipierte Sachverständigengutachten" ändert hieran 343

Vgl. Kloepfer, § 3 Rn.77, 80. Kloepfer, § 3 Rn. 80 m. entspr. Nw. 345 Ebenso Kleine-Cosack, S. 266ff.; ders. auch kritisch gegenüber der Wirksamkeit der Rechtsaufsicht als alleiniges Instrument zur Verhinderung „gruppenegoistischen Kammerhandelns" (S. 270). 346 Kloepfer, § 3 Rn. 80. 344

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht 347

nichts. Sie sind keine zulässige Entscheidungsgrundlage für die Zivilgerichte, wenn sie nicht aufgrund spezieller gesetzlicher Ermächtigung zustande gekommen und in das private Rechtsverhältnis einbezogen sind. Die standesrechtlichen Regelungen sind daher auch keine Rechtsnormen im Sinne von § 293 ZPO, 348 wie von vornherein die über die §§ 242, 276 BGB ermittelte Verkehrssitte keinen Rechtssatzcharakter erlangen kann. 349 Dieses materiell-rechtliche Defizit kann auch nicht durch eine befürwortende Stellungnahme einer Ethikkommission bezüglich der ärztlichen Tätigkeit behoben werden. Abgesehen davon, daß diese nur in wenigen medizinischen Bereichen beteiligt werden, 350 sind sie bei den Landesärztekammern errichtet, 351 so daß für die Legitimation ihrer Entscheidung und deren Übernahme durch die staatliche Gerichtsbarkeit kein Unterschied zu Kammerentscheidungen im Übrigen besteht.352 Dieses verfassungsrechtliche Defizit bei der Bestimmung des Inhalts und Umfangs ärztlicher Leistungen beim Behandlungsvertrag kann auch nicht im Prozeß durch die Auswahl der medizinischen Sachverständigen ausgeglichen werden. Deren Einbindung erfolgt zum einen im Hinblick auf den präventiven Rechtsgüterschutz zu spät und zum anderen rekurrieren auch sie auf eben diesen (verfassungs)rechtlich defizitären aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik. Angesichts der zunehmenden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten bedürfen daher auch in der Rechtspraxis grundsätzlich bewährte Generalklauseln wie die §§ 242,276 BGB der zeitgemäßen legislativen Konkretisierung. Die Einbindung der Landesärztekammern in den staatlichen Rechtsgüterschutz ist im Sinne der oben (A Kap. 2 III.) beschriebenen, fachlich wünschenswerten schutzgutsorientierten Kooperation zwischen Staat und Standesvertretung vom parlamentarischen Gesetzgeber fortzuentwickeln. Denn immer wenn standesrechtliche Regelungen Außenstehende grundrechtsrelevant betreffen, steigen die Anforderungen an die Regelungsdichte parlamentarischer Entscheidungen,353 die zudem laufend auf Schutzdefizite zu überprüfen sind. Insofern ist die Rechtsordnung gleichsam Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der medizinischen und technischen Möglichkeiten. Mit deren Entwicklung steigen auch die Anforderungen an 347 A. A. Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, § 39 Rn. 6 Fn. 17. Kloepfer, § 3 Rn. 77 weist hier auf die demokratische Legitimation der zudem einer Fachkontrolle unterliegenden Exekutive hin, was in diesem Maß für die (Fach)Gerichtsbarkeit nicht gilt. Bsp. für derartige Leitlinien im Bereich „Manueller Medizin/Chirotherapie" in MedR 1995, 129 f. 348 Zurückhaltend auch Leipold, in: Stein/Jonas, § 293 Rn. 30; für die Anwendung auf Satzungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften z.B. Zöller/Geimer, §293 Rn.4; zu weitgehend F. Kirchhof, S. 110f. 349 Leipold, in: Stein/Jonas, § 293 Rn. 30. 350 De lege lata in den Bereichen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie des Transplantationswesens; dazu unten Kap. 4; in Zukunft wäre an eine Einbindung bei der Humanforschung insgesamt und auch bei der Sterbehilfe zu denken, die aber eine andere rechtliche Organisation erfordern würde. 351 Vgl. z.B. §5 HeilbKG BW. 352 Ähnlich Francke, S. 155 f. Zur Bedeutung der parlamentarischen Verantwortung unter dem Vorbehalt des Gesetzes in diesen Grenzbereichen ausführlich oben A Kap. 3. 353 Ebenso Kleine-Cosack, S. 269 ff. m. w. Nw.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

die Rechtsordnung, die zwangsläufig spezialisiert und konkretisiert werden muß. Zusätzliche Normen sind die unausweichliche Konsequenz, wobei zur Beruhigung der Kritiker der „Verrechtlichung der Medizin" zu bemerken ist, daß fehlende Verrechtlichung nur Ausdruck fehlenden Fortschritts wäre. 354 2. Perspektiven der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Zivilrecht Sowohl die oben dargestellte Entwicklung eigener Kategorien für die vertragliche Leistungserbringung als auch für die Haftung der Berufsgruppe der Ärzte zum Schutz ihres Vertragspartners Patient durch die Zivilrechtsprechung überschreitet m. E. die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung, da allein durch sie die wesentlichen Fragen eines grundrechtsrelevanten Rechtsverhältnisses bestimmt werden. Die beschriebenen verfassungsrechtlichen Bedenken können ausgeräumt werden. Die Perspektive liegt in einem neuen Schutzkonzept, das nachfolgend umrissen wird, dessen Grundgedanken und Regelungswirkungen jedoch nicht notwendig auf den zivilrechtlichen Bereich beschränkt sind. 355 a) Parlamentsgesetzliche Regelung des medizinischen Behandlungsvertrags Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bestehende zivilrechtliche Erfassung und Ausgestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses führen zur Notwendigkeit der parlamentsgesetzlichen Regelung des „medizinischen BehandlungsVertrags". Sie können auch nicht durch den Ansatz der Einordnung der Arzthaftung als (materielles) Sonderdeliktsrecht 356 ausgeräumt werden. Nach dieser Auffassung soll im Wege der Gesamtanalogie zu den §§ 831 ff., 839 BGB eine Neugliederung des Arzthaftungsrechts vollzogen werden, die prinzipiell auch den Ersatz primärer Vermögensschäden erlaubt. 357 Wenn aber schon die momentane Anwendung und Auslegung des Deliktsrechts im Arzt-Patienten-Verhältnis die Grenze der zulässigen Rechtsfortbildung überschreitet, so gilt dies noch mehr, wenn die legislatorischen Defizite allgemein als planwidrige Regelungslücke und die unzureichenden Rege354 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 3 Rn. 23 weist auf die Notwendigkeit des Rechts in einer differenzierten, pluralistischen, rechts- und sozialstaatlich verfaßten Gemeinschaft hin, das auch dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht entgegenstehe, sondern dieses fundiere. 355 Vgl. daher insbesondere die strafrechtliche Erfassung der Heilbehandlung (unten Kap. 2), die besonderen Regelungen (unten Kap. 4) sowie den abschließenden Teil C der Untersuchung. 356 So Weber-Steinhaus, S. 13 ff. Sonderdeliktsrecht in seinem Verständnis bedeutet nicht, daß die vertragliche Arzthaftung in ihrer Anknüpfung an Verhaltensanforderungen zum Schutz bestimmter Integritätsinteressen in bestimmten Situationen als Sonderbeziehung auch der deliktischen Haftung unterliegt; zutreffend kritisch daher Schramm, S. 77 m. w. Nw. 357 Weber-Steinhaus, S. 14.

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lungen umgekehrt als analogiefähig angesehen werden. Zutreffend wird daher angenommen, daß das Haftungsrecht nicht über seine strukturimmanenten Möglichkeiten hinaus als Ersatz fehlender positiver staatlicher Regelungen mißbraucht werden dürfe, 358 erst recht nicht über eine derartige Gesamtanalogie, die zudem mit dem Verlust materieller Wertungskriterien verbunden sei. 359 Legislative Defizite bestehen zum einen bezüglich der Bestimmung der zu erbringenden ärztlichen Behandlung und ihrer Durchführung und zum anderen bei der ärztlichen Haftung. Die parlamentsgesetzliche Regelung des Behandlungsvertrags hat danach zum einen die wesentlichen ärztlichen Leistungspflichten sowie die inhaltlichen Elemente der Leistungserbringung zu bestimmen. In diesem Rahmen hat sich der Gesetzgeber vor allem mit einer Übernahme der ärztlichen Berufs- oder Verkehrspflichten in das Vertragsrecht und ihrer und Weiterentwicklung zu befassen. Diese wurden maßgeblich im Deliktsrecht als gesetzlichem Schuldverhältnis entwickelt, während bei der ärztlichen Heilbehandlung der Umgang mit den Rechtsgütern Leben, Körper und Gesundheit des Patienten Vertragsgegenstand ist. Die Bestimmung der ärztlichen Leistungserbringung am Maßstab des aktuellen Standes der Wissenschaft und Technik ist seitens des Gesetzgebers vorzugeben, wobei der formale Verweis auf entsprechende Regeln nicht ausreicht. 360 Eine derartige normative Konkretisierung der ärztlichen Leistungspflichten würde qualitativ hochwertigere Behandlungen sicherstellen und dem Gebot des präventiven Schutzes der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit stärker Rechnung tragen. Der präventive Schutz würde dort etabliert, wo er benötigt wird - bei der Leistungserbringung, das heißt der Heilbehandlung. Zum anderen ist das der Leistungserbringung nachfolgende ärztliche Haftungsrecht, vorbehaltlich der nachfolgend (c)) dargestellten alternativen umfassenden Versicherungslösung, spezialgesetzlich zu regeln, wobei angesichts der rechtlichen Einordnung körperlicher Eingriffe und der eigenmächtigen Heilbehandlung eine nur vertragliche, Haftung ausgeschlossen erscheint. 361 Die sanktionierende Haftung folgt auf den im Einzelfall fehlgeschlagenen präventiven vertraglichen Schutz. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist bei der Haftung an die Verletzung vertraglicher Pflichten anzuknüpfen. Hieraus folgt, daß die bislang spezifischen deliktischen Ver358

Brüggemeier, JZ 1986, 973. Schramm, S.77f. m.Nw. 360 Zu kurz greift daher der Regelungsvorschlag (§ 1) von Geiger, S. 177; Deutsch, Rn. 82.; dazu sogleich b). 361 Vorliegende Untersuchung muß sich mit der Lösung begnügen, daß der gebotene Patientenschutz in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht durch den Gesetzgeber verschiedenartig gewährt werden kann. Nicht vertieft werden kann daher die Frage, inwieweit die Entscheidung zwischen privatrechtlicher Haftungsverschärfung und Versicherungslösung (auch) von deren Einordnung als soziale Leistungen des modernen Sozialstaats abhängig ist, die schon deshalb zum Vorzug der Versicherungslösung als sekundäre Umverteilung mittels Transferleistungen aus öffentlichen Kassen gegenüber der Primärverteilung durch Korrektur des Privatrechts führen könnte; vgl. dazu und allgemein zur Einordnung von Beschränkungen der Konzeption von Privatrecht und Vertragsfreiheit Zöllner, JuS 1998, 331 ff. m. w. Nw. 359

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

kehrs(sicherungs)pflichten im Arzt-Patienten-Verhältnis soweit als möglich auf eine vertragliche Grundlage zu heben sind. In diese Richtung geht auch der Vorschlag, den bislang deliktischen Schmerzensgeldanspruch auch auf vertragliche Pflichtverletzungen zu erstrecken. 362 Dadurch wird die generalpäventive Komponente der Schadensverhinderung im Haftungsrecht mit dem vertraglichen Anliegen qualitativ hochwertiger Leistungserbringung verbunden. Im Rahmen des Haftungsrechts sind weiter besondere Beweisregeln zu Gunsten der Patienten zu normieren, wobei auch an die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes für fachliche Streitfragen gedacht werden kann. 363 Die Bestimmung des Verschuldens hat in gleicher Weise zu erfolgen, wie die Bestimmung der ärztlichen Leistungserbringung. So wird nicht nur eine Parallelität zwischen Rechtsgüterschutz durch Vertrag und Haftung erzielt, sondern auch den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ausfüllung der gesetzlichen Generalklauseln einheitlich begegnet. Indes ist die Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers zwischen ärztlicher Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung nicht verfassungsrechtlich vorgegeben. 364 Die damit dem Gesetzgeber auch hier zukommende Gestaltungsfreiheit macht die beschriebene Rechtsprechung noch problematischer. Bestehen verschiedene Möglichkeiten zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zeigt sich deren Gesetzesmediatisierung: Die Klärung dieser Grundfrage des Sanktionsschutzes liegt in der Verantwortung des Parlaments. Die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung des medizinischen Behandlungsvertrags oder Arztvertrags wurde schon mehrfach erhoben, wie auch dem Bundesjustizministerium schon konkrete Regelungsvorschläge gemacht wurden. 365 Angesichts der in dieser Untersuchung entwickelten Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht finden diese Vorschläge auch eine verfassungsrechtliche Grundlage. Die genannten Vorschläge sind insgesamt zu begrüßen. Hervorzuheben ist, daß es parlamentsgesetzlichen (Sonder)Regelungen nicht nur in einzelnen, besonders problematischen Bereichen, sondern allgemein bei Heilbehandlungen bedarf. Den Be362

Zu dem entsprechenden Referentenentwurf des BMJ (Ergänzung des § 253 BGB) Deutsch, ZRP 2001,351 ff.; das BGB wurde inzwischen durch die Einführung des §253 Abs. 2 aufgrund Art. 2 Nr. 2 des 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19.7.2002, BGBl. I S. 2671 entsprechend geändert. 363 Ebenso Velten, S. 79 ff. (zusammenfassend S. 105 f.) für den medizinischen Standard; vgl. dens., S. 107 ff. zu Konsequenzen für Parteivortrag und Amtsermittlung im Arzthaftungsprozeß; zur Bedeutung ärztlicher Leitlinien für die Arzthaftung und das Beweisrecht Hart, in: Hart, S. 137 ff.; Dressler, in: Hart, S. 161 ff. 364 Dazu E. Jung, S. 152 ff. m. w. Nw.; m. E. würde auch eine (evtl. bereichsweise) Gefährdungshaftung die Berufsfreiheit der Ärzte nicht verletzen; a. A. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 3 Rn. 21 f. Auch der Gesetzgeber sieht hier keine Schwierigkeiten, wie der neue § 280 Abs. 1 BGB zeigt, der dem Schuldner (nur) die Möglichkeit des Nachweises seines Nichtverschuldens der vertraglichen Pflichtverletzung mit entsprechender Beweislast einräumt und damit de facto zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung einzuordnen ist. Dieser heikle Punkt wird indes ebenfalls durch die unten c) angesprochene „Versicherungslösung" entschärft. 365 Ygi n u r Geiger, Gesetzliche Regelung des medizinischen Behandlungsvertrags; Deutsch, Rn. 82 m. w. Nw.; den Patientenschutz hervorhebend auch Francke/Hart, S. 233 ff.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

Sonderheiten der Arzt-Patienten-Beziehung bei der Leistungserbringung und der ärztlichen Haftung ist Rechnung zu tragen, was nicht ausschließt, daß innerhalb der Regelungen wiederum differenziert wird und in besonderen grundrechtlichen Konfliktlagen, zum Beispiel bei Heilversuchen, fremdnütziger Humanforschung oder der Sterbehilfe, ein weitergehendes Schutzkonzept etabliert wird. 366 Auch wenn sich gesetzliche Regelungen an der bis dato entwickelten Rechtsprechung orientieren wird, ist ihre demokratische Legitimation kraft parlamentarischer Entscheidung hervorzuheben. Eine gesetzliche Regelung würde der Entwicklung der modernen Medizin und dem inzwischen in einem breiten Bewußtsein verankerten Bedürfnis der Patienten nach staatlichem Schutz Rechnung tragen. Dieser Effekt würde durch eine spezifisches Haftungsrecht unterstützt, ungeachtet dessen weiterhin auszunützender präventiver Inhalte. 367 Anknüpfend an die obigen (1.) Ausführungen ist zu betonen, daß durch eine parlamentsgesetzliche Regelung des medizinischen Behandlungsvertrags zugleich das Problem der Auflösung grundrechtlicher Konflikte durch die Zivilgerichtsbarkeit entschärft und eine stärkere Einheitlichkeit innerhalb der Zivilrechtsordnung erreicht würde. Dies gilt erst recht, wenn neben den Grundrechtspositionen der Patienten auch dem Arzt eine weitreichende, grundrechtlich geschützte Therapiefreiheit zugestanden wird. 368 Das Heilungsanliegen des Patienten, das mit den Besonderheiten einer Vertragserfüllung unter Verletzung der körperlichen Integrität und der bewußten Inkaufnahme von Gefahren für Leib und Leben verbunden ist, läßt sich nicht in das ursprünglich vom Gedanken der Handlungsfreiheit von Marktbürgern geprägte und damit letztlich Vermögensinteressen ordnende Schuld- und Vertragsrecht einfügen. 369 Zusammen mit dem überlegenen Sachverstand des Arztes ergibt sich ein Kräfteungleichgewicht, dem vom Gesetzgeber Rechnung zu tragen und nicht ausschließlich durch die Zivilgerichte mittels Auslegung der Generalklauseln abzuhelfen ist. 370 Die ärztliche Heilbehandlung ist dementsprechend keine typische Dienstleistung, so daß die Anwendung der Regelungen der §§ 611 ff. BGB, verbunden mit der Haftung aus pVV und den Folgeproblemen bei der Beweislastverteilung, in dieser allgemeinen Form nicht sachgerecht erscheint. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist allerdings weniger die Etablierung der pVV als eigenständige vertragliche Haftungsgrundlage für Behandlungs- und Aufklärungsfehler problematisch, als vielmehr ihre in Verbindung mit dem Beweisrecht variable Handhabung. Auch die seit dem 1.1.2002 geltenden Regelungen im 366

Dazu weiter unten Kap. 3 II. 3., Kap. 4 II. 2., III. 3. Dazu Brüggemeier, JZ 1986, 969 ff.; Fuchs, in: Köhler/v. Maydell, S. 33; kritisch Esserl Weyers, S. 522 ff., 526 ff. 368 Ihre Einordnung als fremdnütziges Recht steht indes gerade im Einklang mit der hier geforderten standardisierten inhaltlichen Steuerung der Heilbehandlung zu Gunsten des Rechtsgüterschutzes der Patienten; unklar daher Laufs, NJW 1997, 1609. 369 Brüggemeier, JZ 1986, 969 ff. verweist in diesem Zusammenhang auf die zunächst bestehende Randfunktion des Deliktsrechts, die sich zunehmend durch dessen Einsatz als Instrument sozialer Regulierung durch die judizielle Formulierung deliktischer Verhaltenspflichten gewandelt habe (S.971). 370 BVerfGE 81, 242 (254ff.) - Handelsvertreter; Medicus, Privatautonomie, S.24, 27f. 367

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Schuld- und Leistungsstörungsrecht entschärfen die aufgezeigten Probleme nicht entscheidend.371 Die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen erst mit der Anwendung einer allgemeinen vertraglichen Pflichtverletzung bei einzelnen Vertragstypen und besonders gelagerten Rechtsbeziehungen, wie zum Beispiel dem Arzt-Patienten-Verhältnis. Parlamentsgesetzliche Regelungen würden auch die durch die beschriebene Rechtsfortbildung bei Ärzten und Patienten ausgelöste, erhebliche Rechtsunsicherheit beträchtlich reduzieren. Zugleich helfen sie dem Widerspruch ab, daß Leistungs- und Schutzpflichten, die bei Vertragsschluß und -durchführung entstehen und zu beachten sind, erst im Arzthaftungsprozeß bestimmt und konkretisiert werden, in dem bereits ihre Verletzung sanktioniert wird. Der gerichtliche Rechtsgüterschutz stellt insofern nur einen Teil des gebotenen Schutzinstrumentariums dar, als dem Patienten im Prozeß nur sekundäre Schadensersatzansprüche gegen den Arzt zugesprochen werden können. Der Arzthaftungsprozeß knüpft an eine bereits erfolgte Rechtsgutsverletzung an, so daß präventiver Grundrechtsschutz in der konkreten Schutzpflichtkonstellation nicht möglich ist. Der hier gewährte nachträgliche Sanktionsschutz kann die bei der Behandlung erfolgten Rechtsgutsverletzungen nur valorisieren und geldwert entschädigen. Allgemeinen präventiven Schutz bewirken die gerichtlichen Entscheidungen jedoch zum einen hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens der beklagten Ärzte und zum anderen infolge ihrer Verbreitung - ein Schutz, dessen tatsächliche Wirksamkeit in der Breite zu bezweifeln ist. In der Zukunft gilt es daher das Gewicht des präventiven Rechtsgüterschutzes zu stärken und vorhandene Potentiale besser zu nutzen - dazu unten (b), d)). b) Einbindung des ärztlichen Standes, insbesondere zur Bestimmung ärztlicher Leistungspflichten und haftungsrelevanter Fehler De lege ferenda ist die defizitäre Einbindung des ärztlichen Standes, sei es beim Rückgriff auf standesrechtliche Regelungen durch die Gerichte bei der Frage des Vorliegens eines Behandlungsfehlers, zur Bestimmung des Umfangs der Aufklärung oder der Anforderungen an die SorgfaltsWidrigkeit und des Verschuldens, sei es durch die Benennung eines ärztlichen, ebenfalls standesrechtlich gebundenen Sachverständigen, zu beheben.372 In Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht sind zur Abhilfe zwei Wege denkbar, die einen wirksameren Schutz des Patienten bei der Leistungserbringung und der an die dort geregelten Vorgaben anknüpfenden Arzthaftung sowie eine größere Rechtssicherheit für die Beteiligten zur Folge hätten. Die Alternativen zeigen zugleich, daß dem Gesetzgeber auch bei der Annahme 371 Die Pflichtverletzung wird in §280 BGB ohne nennenswerte Konkretisierung (vgl. aber § 241 Abs. 2 BGB) zur zentralen Leistungsstörung erhoben; zum Ganzen Wieser, NJW 2001, 121 ff.; Däubler-Gmelin, NJW 2001, 2283 ff.; äußerst kritisch zum Gesetzentwurf eine Vielzahl der Zivilrechtslehrer, vgl. NJW 20/2001, S.XLIXf. 372 In allgemeiner Weise zu Gunsten des Patientenschutzes ähnlich Francke, S. 187, 230.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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einer Regelungspflicht aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Der eine Weg ist die Bildung von speziell die Fachgerichtsbarkeit unterstützendem Sachverstand. Geschieht dies auf staatlicher Ebene im Ministerium oder einer untergeordneten Behörde oder aber einer ausgelagerten Institution, zum Beispiel dem Robert-Koch-Institut, bestehen Bedenken im Hinblick auf eine die richterliche Unabhängigkeit berührende Einflußnahme seitens der Sachverständigen. Diesen könnte durch die Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Sachverständigenkommission, etwa nach Vorbild des GenTG, 373 abgeholfen werden. Sinnvoll wäre es, die Unabhängigkeit nicht nur von der Exekutive, sondern auch vom ärztlichen Stand sicherzustellen. Dieser Sachverständigenkommission könnten die im Arzthaftungsprozeß auftretenden medizinischen Fragen zur Begutachtung vorgelegt werden. Der andere Weg ist die bislang praktizierte Einbindung der ärztlichen Standes und seiner Organisation auf anderer materiell-rechtlicher Grundlage. 374 Danach bedarf die Mitwirkung der Standesvertretungen bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung der ausdrücklichen Entscheidung und AufgabenzuWeisung des Gesetzgebers. Diese hat zum einen im Bereich des Zivilrechts durch Ergänzung der Vorschriften des BGB oder der ZPO stattzufinden, wobei sich eine entsprechende Ermächtigung im Rahmen der Regelungen zum medizinischen Behandlungsvertrag anbietet. Zum anderen bedarf es der Ergänzung der Heilberufs- und Kammergesetze der Länder um diesen Aspekt der zivilrechtlichen Außen Wirkung. Insoweit richtet sich die grundrechtliche Schutzpflicht an Bundes- und Landesgesetzgeber. Bundes- und Landesgesetzgeber können unter Beachtung der hier entwickelten Vorgaben auch befugt sein, die Mitwirkung privater Standesvereinigungen bei der Schutzpflichterfüllung zuzulassen. In diesem Zusammenhang ist auch das Bewußtsein der Rechtsaufsicht bezüglich der auch sie treffenden Verpflichtung zum Schutz der Rechtsgüter der Patienten zu schärfen. Diese Verpflichtung ist im Rahmen der rechtsaufsichtlichen Tätigkeit, insbesondere bei der Genehmigung der körperschaftlichen Satzungen, zu erfüllen. Im Hinblick auf die zu entwickelnden Standards ist angesichts der Bedenken gegen die Effektivität der Rechtsaufsicht auch an ein weitergehendes Zusammenwirken zwischen ärztlichem Stand und staatlichen Behörden zu denken. Über die oben (A Kap. 3 III. 2.) skizzierte, anzustrebende Kooperation zwischen ärztlichem Stand und staatlichen Stellen hinaus, ist allgemein die in vielen Bereichen notwendige Einbindung externen Sachverstandes in die staatliche Schutzpflichterfüllung 375 normativ transparent und so einheitlich wie möglich zu gestalten, wobei auf die fachliche Mitwirkung des Staates nicht verzichtet werden darf. In die373

Vgl. §§4, 5 GenTG. Dazu bereits oben A Kap. 3 III. 375 Externe Sachverständige sind nicht nur im zivilrechtlichen, sondern in gleicher Weise im strafrechtlichen Arzthaftungsprozeß tätig (dazu unten Kap. 2 II.), daneben auch im Arzneimittel-, Transplantations- und Transfusionswesen; dazu unten Kap. 4. 374

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

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sem Rahmen zustande kommende Regelungen könnten über die §§134, 242, 276, 823 Abs. 2 BGB, 293 ZPO Beachtung im materiellen Zivilrecht und durch die Zivilgerichte finden. c) Versicherungslösung Die grundrechtlich vorgezeichnete Parallelität von vertraglicher und deliktischer Haftung und deren strenge Voraussetzungen weisen den Weg vom Verschuldensgrundsatz zur parlamentsgesetzlich zu regelnden Versicherungslösung. 376 Die Versicherungslösung als Möglichkeit der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht deckt die Gefährdung des Patienten bei der ärztlichen Behandlung ab. 377 Gerade im Bereich menschlich nicht beherrschbarer Schadensverursachung und -Verläufe ist ein finanzieller Ausgleich von eminenter Bedeutung. Bestätigt wird dies durch die Tatsache, daß bei der Arzthaftung eine Naturalrestitution in Form einer erneuten Behandlung durch den beklagten Arzt (§ 249 Satz 1 BGB) regelmäßig nicht in Betracht kommt. 378 Hinzuweisen ist insoweit auf das Arzneimittelrecht, in dem die Gefährdungshaftung nach § 84 AMG mit der individuellen Pflicht zur Deckungsvorsorge nach § 94 AMG verbunden ist, und in dem die §§40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG eine Versicherung zu Gunsten der Probanden der klinischen Arzneimittelprüfung anordnen. 379 In diesem Sinne ist, ebenso wie bei der generellen Übernahme der Kosten einer ärztlichen Heilbehandlung durch die gesetzliche oder eine private Krankenversicherung, im Bereich der fehlerhaften Heilbehandlung allgemein an einen Versicherungsschutz zu Gunsten des Patienten zu denken. Die Frage eines entgeltlichen Vorteils bei erlittener Gesundheitsbeeinträchtigung wäre von der zivilrechtlichen Haftungsproblematik entkoppelt. Dieser Weg hätte für den Patienten und den Arzt Vorteile. Der Patient müßte nicht den unsicheren und das Erlebte wieder aktualisierenden Zivilprozeß anstrengen, bei dessen Nichtverfolgung im übrigen die Krankenversicherung die Folgekosten der fehlerhaften Behandlung trägt. Der Arzt wäre nicht durch einen Arzthaftungsprozeß stigmatisiert und auch die Anzahl der eine behördliche Sachverhaltsaufklärung bezweckenden Strafanzeigen wäre geringer. Bei der versicherungsrechtlichen Abwicklung könnte an eine Einbindung der ärztlichen Gutachter- und Schlichtungskommissionen gedacht werden, was nicht 376

Zum Aspekt der Gefährdungshaftung sogleich nachfolgend 3; kritisch zur beschriebenen Rspr. in diesem Zusammenhang auch Stürner, NJW 1979, 2336 (v. a. Fn. 19); Probleme und Reformvorschläge zusammenfassend auch E. Jung, S. 152ff. m. zahlr. Nw.; vgl. weiter die Beschlußvorschläge II., III. der Abteilung Arztrecht bei der Verhandlungen des 52. DJT, Bd. II (Sitzungsberichte), 1978, 1200 und deren Ablehnung bei der Beschlußfassung (Beschlüsse II.), 1203. Dem Vorschlag zur Bildung einer entsprechenden Expertenkommission (IV., 1200) wurde dagegen gefolgt (Beschlüsse III., 1203). 377 Zu deren Vorzügen weiter Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S. 343 m. w. Nw.; Barta, in: Köhler/v. Maydell, S. 256ff., auch mit Hinweis auf die unzureichenden Patientenversicherungssysteme in den nordeuropäischen Ländern. 378 Es wird nach § 249 Satz 2 BGB (Geldersatz) verfahren. 379 Zum Arzneimittelwesen ausführlich unten Kap. 41.

Kap. 1: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Zivilrecht

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nur deren Sachkunde Rechnung tragen, sondern auch die staatlichen Gerichte entlasten würde. Dem Sanktionsschutz in Form persönlicher Haftung käme de lege ferenda ergänzende Funktion durch Regreßmöglichkeiten und nach wie vor durch das Straf- und Disziplinarrecht zu. 380 Zudem würde die Versicherungslösung der latent befürchteten Einführung einer dienstvertraglichen Gefährdungshaftung durch das Europäische Gemeinschaftsrecht entgegentreten381 und ist auch nach nationalem Recht als milderes Mittel im Hinblick auf betroffene ärztliche Rechtspositionen vorzuziehen. Auch die Versicherungslösung ist nur eine Komponente der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Auch sie setzt erst nachträglich, das heißt nach erfolgter Rechtsgutsverletzung ein, während die grundrechtliche Schutzpflicht vor allem präventiven Rechtsgüterschutz verlangt. Dieser verhindert die Mutierung der Versicherungslösung zum bloßen „Ablaßsystem". d) Fortentwicklung

des präventiven Rechtsgüterschutzes

Im Hinblick auf den präventiven Rechtsgüterschutz ist die Einrichtung von „Behandlungsfehlerkommissionen" indiziert. Sie könnten nach dem Vorbild der schon bestehenden Ethik- und Transplantationskommissionen bei den Landesärztekammern errichtet werden. Der rechtliche Umgang mit von ihnen erlassenen fachlichen Vorgaben erscheint weniger problematisch, als der mit etwaigen von einer staatlichen Sachverständigenkommission. Den Behandlungsfehlerkommissionen kommt zunächst die Aufgabe der Erfassung und Typisierung von Behandlungsfehlern und Gefahrenquellen oder Risikofaktoren zu. Die Erkenntnisse können auch bei der Aufklärung der Patienten berücksichtigt werden. Unter Beachtung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik haben sie dann Vorschläge zur Vermeidung und Gefahrenreduzierung zu machen. Auch hier ist an den Erlaß von Richtlinien, Leitlinien oder Empfehlungen zu denken, die es bislang schon zum Umgang mit bestimmten Erkrankungen oder für bestimmte Heilbehandlungen gibt. Auch die Krankenhausorganisation als häufige Schadensursache ist durch die Kommissionen zu überprüfen. Wegen der notwendigen rechtlichen Verbindlichkeit kommt der Erlaß in Satzungsform durch die Landesärztekammern in Betracht. Da es aber sinnvoll erscheint, in bestimmten medizinischen Bereichen auch den spezialisierten Sachverstand der privaten medizinischen Fachgesellschaften einzubinden, sind entweder deren Vertreter in den Entscheidungsprozeß bei den Kammern einzubinden oder ihre Richtlinien (Vorschläge, Leitlinien etc.) nach inhaltlicher Überprüfung durch Beschluß in Satzungsform zu überführen. Die staatliche Mitwirkung 380 Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.343, der diesen Sanktionen allerdings präventive Wirkung zuspricht. 381 Ebenso Schreiber, in: Laufs/Dierks/Wienke/Graf-Baumann/Hirsch, S.344; zum Konflikt zwischen dem GG und dem EU/EG-Recht in diesem Bereich schon oben A Kap. 1 III. 2. Kritisch gegenüber einer Beeinträchtigung verfassungsrechtlich verankerter privatrechtlicher Grundsätze durch EG-Rechtsakte auch Canaris, in: FS Lerche, S. 873 ff.; eine europäische Lösung fordert dagegen Barta, in: Köhler/v. Maydell, S. 251 ff.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

vollzieht sich wie oben (b)) beschrieben. Ebenfalls dem präventiven Rechtsgüterschutz dient die Einführung von verbindlichen Weiter- und Fortbildungsvorschriften für die Ärzte. Die diesbezüglich bestehenden standesrechtlichen Regelungen382 können eine dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik entsprechende Qualifikation der Ärzteschaft nicht gewährleisten. Daher erscheint es unumgänglich, daß sich der Staat neben der Ausbildung und Zulassung zu Heilberufen 383 auch der Fort- und Weiterbildung der Ärzte annimmt. Der medizinische Fortschritt führt insoweit zu einem enormen Wissensverfall, dem es entgegenzutreten gilt. 3 8 4 Letztlich ist der Bereich der Prophylaxe zu stärken. 385 Der Vorbeugung und der Vermeidung von Gesundheitsschäden kann allein durch Zivilrechtsverhältnisse zwischen Arzt und Patient schwer umfassend Rechnung getragen werden. Hier kommt der gesetzlichen Krankenversicherung eine ergänzende Funktion zu, wie das Sozialrecht im Hinblick auf präventiven Rechtsgüterschutz generell eine eigenständige Rolle gegenüber dem Haftungsrecht innehat.386 Die auf diesen Wegen bewirkte Standardisierung führt m. E. zu qualitativ hochwertigeren ärztlichen Leistungen. Die Beachtung der Standards und der so bewirkte Ausschluß, zumindest aber die Reduzierung von Behandlungsfehlern oder Fehlerquellen findet schon bei der Erbringung der ärztlichen Leistung statt und beugt damit ungewollten Rechtsgutsverletzungen und Schädigungen, das heißt nicht im Rahmen der Heilbehandlung indizierten körperlichen Eingriffen, vor. Dennoch eintretende Schäden beim Patienten würden durch die oben beschriebene Versicherungslösung aufgefangen. Bei der persönlichen Haftung - zum Beispiel im Schmerzensgeldprozeß - können dem beklagten Arzt aus der Beachtung des jeweiligen Standards Beweiserleichterungen erwachsen. Die grundrechtliche Schutzpflicht verlangt die laufende Überprüfung der Aktualität und entsprechende Anpassung an die wissenschaftliche Entwicklung. Ob dies eine fachliche oder zeitliche Überforderung des Gremiums bedeutet, läßt sich theoretisch kaum einschätzen, angesichts der Chancen der Vermeidung von Behandlungsfehlern und der Verbesserung der Heilbehandlungen sollte dies nicht vorschnell unter dem Aspekt der Unmöglichkeit derartiger Schutzpflichterfüllung eingewendet werden.

382 Vgl. z. B. §§ 32ff. HeilbKG BW: Dort geht es um den Erwerb von Zusatzqualifikationen, die zu einer eigenen Bezeichnung (Stichwort: Facharzt) berechtigen. Weiter- und Fortbildung im hier verwandten Sinne strebt dagegen eine dem aktuellen Stand entsprechende ärztliche Behandlung bei Diagnose und Therapie an. 383 Vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG. 384 Ähnlich die Kritik des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen; vgl. Südkurier v. 21.3.2001, S.l. 385 So auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen; vgl. Südkurier v. 21.3.2001, S. 1. 386 v g l Fuchs, in: Köhler/v. Maydell, S. 33; zur Beratung und Aufklärung der Patienten i. R. der GKV auch Francke/Hart, S. 180 ff. Die Instrumente der Qualitätssicherung im System der GKV führen bislang nicht zu einem Rückgang der Arzthaftungsprozesse und reichen damit nicht aus; vgl. auch Schulin/Igl, Rn.331.

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das

recht

Kapitel 2

Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Strafrecht Rechtsgüterschutz des Patienten kann auch durch strafrechtliche Regelungen mit entsprechender Bestrafung infolge eines strafgerichtlichen Verfahrens gewährleistet werden. Unter Strafrecht werden hier die allgemeinen Strafbestimmungen des StGB verstanden. Daneben existiert im Gesundheitsrecht ein weiter Bereich des sog. Nebenstrafrechts, auf den im einzelnen im Rahmen der legislativen Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen des Arzt-Patienten-Verhältnisses eingegangen wird. 387 Im Gegensatz zur Untersuchung der Schutzpflichterfüllung im Zivilrecht wird das strafgerichtliche Verfahren nicht vertieft. Hier herrschen der Amtsermittlungs-/Untersuchungsgrundsatz 388 sowie die Unschuldsvermutung, 389 so daß die zivilrechtlich schwierigen Fragen der Beweislastverteilung zwischen Arzt und Patient nicht auftreten. Ebenso problematisch wie im Zivilrecht ist dagegen die Bedeutung des medizinischen Sachverständigen als Beweismittel zur Sachverhaltsermittlung im Hinblick auf die richterliche Entscheidungsfindung. 390

I. Rechtsgüterschutz durch die strafrechtliche Erfassung ärztlicher Heilbehandlungen Nach der soeben (Kap. 1) beschriebenen zivilrechtlichen Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses und insbesondere der deliktischen Arzthaftung ist es nicht erstaunlich, daß auch das Strafrecht die Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient in erheblicher Weise durchdringt und prägt. Gegenüber ärztlichem Selbstverständnis ist die strafrechtliche Haftung allerdings ein die zivilrechtliche deutlich übersteigender Affront. 391 Ausgangspunkt der Entwicklung war eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1894.392 Danach ist jede ärztliche, die Integrität des Körpers 387 Zum Embryonenschutz unten Kap. 3 I.; zum Arzneimittel-, Medizinprodukte-, Transplantations- und Transfusionswesen unten Kap. 4. 388 Vgl. die §§ 155, 244 Abs. 2 StPO; dazu ausführlich KleinknechtlMeyer-Goßner, Einl Rn.9f., §§ 155 Rn.2, 244 Rn. lOff. 389 Ausdrücklich Art. 6 Abs. 2 EMRK; zur Verankerung im GG Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn.93 m.Nw. 390 Vgl. §§73 ff., 244f. StPO; gemäß §261 StPO gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung; zum Ganzen Dippel, S. 24ff., 205 m. w. Nw.; Ulsenheimer, Rn. 26; dazu weiter unten 1.3. 391 Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 138 Rn. 1 spricht vom noch immer andauernden „kalten Krieg" zwischen Medizinern und Juristen; zum Nachfolgenden ausführlich Tag, S.6ff. (§§ 3-6), 149ff. (§§ 9-11) m. zahlr. Nw. zu Rspr. und Lit. 392 RGSt 25, 375: Das RG bewertete eine absolut indizierte, lege artis durchgeführte und im Ergebnis erfolgreiche Amputation des Fußes eines 7-jährigen Kindes gegen den erklärten Wil-

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

berührende Maßnahme eine tatbestandliche Körperverletzung und zwar unabhängig davon, ob sie erfolgreich oder mißglückt, kunstgerecht oder fehlerhaft durchgeführt wird, so daß auch eigenmächtige Heilbehandlungen seitens des Arztes stets erfaßt werden. 393 Die Rechtsprechung hat diese Einschätzung bis heute beibehalten, sie erachtet den strafrechtlichen Schutz zugunsten des Patienten für notwendig, da dieser dem Arzt keine „unbeschränkte Gewaltherrschaft" über seine Person einräume. 394 Im überwiegenden Schrifttum ist diese Sichtweise, ebenso wie im Zivilrecht, auf Kritik gestoßen, und es werden dagegen zwei Grundlinien vertreten. Die „Handlungstheorie" bewertet die ärztliche Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Folgen beim Patienten: Bei medizinischer Indikation und kunstgerechter Behandlung, verbunden mit subjektivem Heilwillen, ist keine Körperverletzung gegeben. Dies gilt auch beim letztlich mißlungenen Heileingriff. 395 Die „Erfolgstheorie" unterscheidet zwischen gelungener und mißlungener Heilbehandlung. Nach ihr kommt nur bei mißlungenen Heilbehandlungen eine Körperverletzung in Betracht, die durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein kann. 396 In der Tat ist der Wortlaut des § 223 StGB insoweit „offen", als eine Anknüpfung an die Körperverletzungshandlung oder den Körperverletzungserfolg vorgenommen werden kann. 397 Schon vom Begriff der Heilbehandlung ausgeschlossen und somit stets tatbestandliche Körperverletzungen sind indes medizinisch nicht indizierte Behandlungen. Mangels konkreten Nutzens für den Probanden gilt dies auch beim Humanexperiment. 398 Infolgedessen ist das Kernproblem der strafrechtliche Umgang mit der eigenmächtigen Heilbehandlung. Die insofern einschlägigen §§239,240 StGB vermögen nur einen kleinen Ausschnitt der strafwürdigen und strafbedürftigen Fälle des ärztlichen Handelns ohne Einwilligung des Patienten zu erfassen. 399 Der Schutz des der körperlichen Integrität vorgreiflichen Selbstbestimmungsrechts über § 223 StGB ist in der Tat problematisch - der darüber geführte Jahrhundertstreit jedoch noch immer nicht im Sinne der Kritiker der Rechtsprechung gelöst: Auch die im Referentenentwurf des 6. Gesetzes zur Reform des Strafrechts aus dem Jahr 1996 enthaltelen des Vater als tatbestandsmäßige Körperverletzung. Diese Entscheidung hatte und hat zugleich maßgeblichen Einfluß auf die zivilgerichtliche Rspr. 393 BGHSt 12,379; 16, 309; 11,111(112) unter Anführung der zivilgerichtlichen Judikatur BGH, NJW 1956,1106. Dem haben sich Teile des Schrifttums angeschlossen; vgl. die Nw. bei Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 29; Tröndlel Fischer, § 223 Rn. 9 a. Zur nachfolgend beschriebenen Kritik ausführlich schon Kaufmann, ZStW 73 (1961), 370ff. m. w. Nw. 394 RGSt, 25, 375 (382); BGHSt 11,111 (112ff.). 395 Ausführlich zur Lit. Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 29; TröndlelFischer, § 223 Rn. 9 b. 396 Erfolgreich und mißlungen in diesem Sinne bedeutet nur eine vergleichende Zustandsbetrachtung vor und nach der Behandlung; ausführlich zur Lit. Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 29; Tröndlel Fischer, § 223 Rn. 9 b. 397 Vgl. auch Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 138 Rn.7ff.; Eser, ZStW 97 (1985), 4ff. 398 Tröndlel Fischer, § 223 Rn. 9d m. w. Bsp.; zur Organentnahme siehe unten Kap. 4 III. 1. 399 Vgl. Kaufmann, ZStW 73 (1961), 374; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 138 Rn.3.

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das

recht

nen medizinischen Sonderdelikte wurden nicht in das StGB aufgenommen. 400 Während einerseits der unterbliebene Freispruch des Reichsgerichts im Hinblick auf eine für dringend notwendig erachtete Strafbestimmung bedauert wird, 401 ist die beschriebene Spruchpraxis auf der anderen Seite als verfassungsgemäß einzuordnen und fügt sich heute in die Schutzpflichterfüllung ein. Unter dem Grundgesetz und der grundrechtlichen Schutzpflicht unterfällt die Heilbehandlung der Schutzpflichtkonstellation, so daß der Staat verpflichtet ist, die Rechtsgüter des Patienten gegenüber dem Arzt zu schützen. Die fachgerichtliche Auslegung des § 223 StGB stimmt m. E. unabhängig von ihrer strafrechtsdogmatischen Einordnung insofern mit dem Verfassungsrecht überein, als es für die Entstehung der Schutzpflicht auf Beeinträchtigungen der Rechtsgüter des Schutzsubjekts ankommt.402 Ebenso entbindet ein Vertrag mit dem Schädiger oder allgemein die Einwilligung in eine Rechtsgutsverletzung den Staat nicht von seiner Schutzpflicht. Mit der Frage, ob Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts eigenständig und isoliert strafrechtlich zu sanktionieren sind, werden die Strafverfolgungsbehörden angesichts der regelmäßig (auch) gegebenen Verletzung der körperlichen Unversehrtheit allerdings nicht befaßt. Wegen der Anwendung des § 223 StGB entsteht darüber hinaus kein Schutzdefizit, das zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts berechtigen oder verpflichten würde. § 223 StGB unterscheidet nicht zwischen „guten" und „schlechten" Körperverletzungen, so daß den Strafgerichten nicht vorgeworfen werden kann, sie würden nur aus kriminalpolitischen Erwägungen zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken auf die Vorschrift rekurrieren. 403 In diesem Fall würde sich der beschriebene Weg über Art. 100 Abs. 1 GG geradezu aufdrängen. 404 M. E. stellt die Anwendung des § 223 StGB in den beschriebenen Fällen eine zwar rechtspolitisch unglückliche,405 aufgrund der vorliegend gewonnenen Erkenntnisse aber zulässige Schutzpflichterfüllung durch die Strafgerichte dar. Die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ist erst mit Beginn der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit unumkehrbar gegeben und damit mit dieser verbunden. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts bezweckt die Verhinderung ungewollter körperlicher Eingriffe beim Patienten, deren Zulässigkeit nicht allein vom Arzt bestimmt werden darf. Gerade weil der Heilerfolg der ärztlichen Behandlungen nicht 400

Sämtliche (!) Entwürfe zur Reform des StGB seit 1911 haben einen eigenständigen Straftatbestand der „verbotenen ärztlichen Eigenmacht" vorgesehen, die jedoch vom Gesetzgeber nie aufgegriffen wurden; kritisch dazu Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 10; nachdrücklich Zipf in: FS Bockelmann, S. 577 ff., 589 f. Kritisch zum genannten jüngsten Entwurf allerdings ebenfalls Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 11; desweiteren Katzenmeier, ZRP 1997,156 ff. 401 Kaufmann, ZStW 73 (1961), 374. 402 Zum Unterschied zwischen dem Tatbestand des § 223 StGB und der grundrechtlichen Schutzpflichtkonstellation auch Francke, S. 99ff. 403 Anders Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 138 Rn. 3. Ausführlich für die Anwendung des §223 StGB z.B. D. Krauß, in: FS Bockelmann, S.557ff., 574ff. 404 A Kap. 2IV., Kap. 3 V. 405 Und jederzeit behebbare.

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Teil B : Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

garantiert werden kann, ist eine Beteiligung des Patienten bei der Entscheidung über das „Ob" und „Wie" der Heilbehandlung notwendig. Die Mißachtung dieser Vorgabe durch den Arzt verletzt damit das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit. Im Ergebnis kann dem strafrechtlichen Schutz im Arzt-PatientenVerhältnis über die Körperverletzungstatbestände 406 damit nicht von vornherein die Legitimation abgesprochen werden. Innerhalb des StGB erfolgt der Schutz im Rahmen der Unterteilung nach Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit 407 und gegen das Leben 408 entsprechend den Verfassungsrechtsgütern des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Auch der Schutz der Menschenwürde hat in Form des Schutzes des postmortalen Persönlichkeitsrechts in § 168 StGB eine allgemeine Ausprägung erfahren. 409 Das Selbstbestimmungsrecht schließlich kann über das bereits Gesagte hinaus in zweifacher Hinsicht strafrechtliche Relevanz erlangen: Zum einen als eigenständiger Anknüpfungspunkt für strafbares Verhalten, zum Beispiel nach §240 StGB, zum anderen aber wegen der mit seiner Ausübung verbundenen Rechtsfolgen zu Gunsten des Täters. 410 Darüber hinaus fungiert in der Praxis § 323 c StGB gleichsam als Auffangtatbestand bei ärztlichem Fehlverhalten. 411 Allerdings ist ebenso wie beim allgemeinen Zivilrecht problematisch, ob die Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht durch diese allgemeine Regelungen ausreichend beachtet sind. Dies soll nachfolgend für den Bereich der Heilbehandlung und dann in den besonderen Schutzpflichtkonstellationen am Beginn und Ende des menschlichen Lebens (unten Kap. 3) untersucht werden.

406 Auf die Qualifikationstatbestände der §§224, 225, 226 StGB zur vorsätzlichen Körperverletzung nach § 223 StGB soll vorliegend nicht eingegangen werden. Anzumerken ist allerdings, daß die von einem zugelassenen Arzt bestimmungsgemäß verwendeten ärztlichen Instrumente auch nach der Rspr. keine „gefährlichen Werkzeuge" i. S. v. § 224 StGB darstellen; stellvertretend BGH, MDR 1987, 445. Zum Unterschied zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Körperverletzung unten 2. 407 §§ 223 ff. StGB. § 340 StGB kommt dagegen auch bei in öffentlich-rechtlich organisierten Krankenhäusern tätigen Ärzten nicht in Betracht.; OLG Karlsruhe, NJW 1983, 352; kritisch Wagner, JZ 1987, 596. 408

§§ 211 ff. StGB. Dazwischen steht § 227 (226 a. F.) StGB, bei dem die vorsätzliche Körperverletzung kausal zum Tod des Patienten führen muß. Hinsichtlich dieses Erfolgs ist jedoch gem. § 18 StGB nur Fahrlässigkeit erforderlich. Instruktives Beispiel OLG Düsseldorf, MedR 1984, 28: Anwendung einer neuartigen und untauglichen Außenseiterbehandlungsmethode. 409 Zum Verhältnis des § 168 StGB zum Embryonenschutz bzw. dem ESchG und zur Organexplantation oder eigenmächtigen Sektion bzw. dem TPG vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, §168 Rn.1,6. 410 Z. B. im Rahmen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses, der rechtfertigenden Einwilligung oder bei § 216 StGB. 411 Zu Recht kritisch Ulsenheimer, MedR 1992, 131 m. entspr. Nw.; vgl. unten 3.

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das

recht

II. Ausgestaltung des strafrechtlichen Schutzes bei Heilbehandlungen Bei der Ausgestaltung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes im Arzt-Patienten-Verhältnis kommt der Strafgerichtsbarkeit ein vergleichbarer Entscheidungsspielraum wie der Zivilgerichtsbarkeit zu. Die Anforderungen an die strafrechtliche Arzthaftung haben sich im Gleichlauf mit der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelt, so daß nachfolgend nur die wesentlichen Gesichtspunkte des Rechtsgüterschutzes der Patienten durch das Strafrecht und die Unterschiede zur zivilrechtlichen Arzthaftung aufzuzeigen sind.

1. Fehlerhaftes ärztliches Verhalten und Einwilligung des Patienten Die den Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens bezweckenden Strafvorschriften knüpfen an Handlungen an. 412 Indes führt der zwischen Arzt und Patienten abgeschlossene Behandlungsvertrag zu einer Garantenstellung des Arztes, so daß ihm nicht nur positives Tun, sondern über § 13 Abs. 1 StGB auch pflichtwidriges Unterlassen vorgeworfen werden kann. 413 Im Rahmen der grundsätzlichen strafrechtlichen Erfassung von Heilbehandlungen hat aber auch und insbesondere das Strafrecht das Problem zu bewältigen, daß Fehlschläge oder Zwischenfälle bei Heilbehandlungen wegen der Eigengesetzlichkeit und Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren können.414 Zur Feststellung einer strafrechtlichen Verantwortung im Verhältnis zwischen Arzt und Patient kann nicht isoliert auf die Verletzungshandlung oder den Erfolg abgestellt werden, sondern es muß ein spezifisches Zurechnungselement hinzutreten. Genau wie im Zivilrecht wurde das dafür lange Zeit maßgebliche Begriffspaar der Behandlung nach den „Regeln der ärztlichen Kunst" und des „ärztlichen Kunstfehlers" durch die Kategorien des Behandlungsfehlers und Aufklärungsfehlers zur Feststellung pflichtwidrigen ärztlichen Verhaltens abgelöst und durch die Strafgerichte etabliert. 415 Anknüpfend an die Ausführungen zum Zivil412

§§ 223 ff., 211 ff. StGB. Allgemein wird der Arzt zur Gruppe der Beschützergaranten gezählt, der die Pflicht zum Rechtsgüterschutz durch den Vertrag mit dem Patienten übernommen hat; vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 7 ff., 28 a.; ausführlich auch Tag, S. 385 ff., 407 ff. Infolgedessen ist ein rechtswirksamer Behandlungsvertrag nicht notwendige Voraussetzung der Garantenstellung - diese kann auch durch die tatsächliche Betreuung und Versorgung des Verletzten oder Kranken entstehen; BGHSt 7,211 (212) für den Bereitschaftsarzt; anders dagegen bei der Beratung nach §§218b, 219 StGB; BGH, JZ 1983, 151 (152). 414 Vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 6 Rn. 36; im Zusammenhang mit der ärztlichen Therapiefreiheit Siebert, MedR 1983,216ff.; sowie Eser, ZStW 97 (1985), 10 mit dem Hinweis auf die Bedeutung der medizinischen Sachverständigen in diesem Bereich. 415 Kritisch zum Begriff des „Kunstfehlers" auch Ulsenheimer, MedR 1992, 128. 413

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

23 416

recht sollen nur die wesentlichen Punkte zusammengefaßt und der Bezug zur Einwilligung des Patienten aus der strafrechtlichen Sicht betont werden. a) Behandlungsfehler;

Aufklärungsfehler

und objektive Zurechnung

Für die Feststellung eines Behandlungsfehlers besteht wie im Zivilrecht ein objektiver Maßstab.417 Die durchgefühlte Behandlung ist fehlerhaft, wenn sie vom abstrakt-generell bestimmten, jeweiligen Stand der medizinisch Wissenschaft und Technik zum Behandlungszeitpunkt abweicht. Die vom Arzt objektiv geforderte berufsspezifische Sorgfalt ist nicht jede erdenkliche, sondern nur die konkret mögliche. 418 Bei mehreren medizinisch anerkannten Heilmethoden besteht Methodenfreiheit für den Arzt, die die gerichtliche Kontrolldichte darauf beschränkt, ob eine der anerkannten Methoden im konkreten Einzelfall angewendet wurde. 419 Das Reichsgericht ging noch davon aus, daß den allgemein oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst grundsätzlich keine Vorzugsstellung gegenüber den von der Wissenschaft abgelehnten Heilverfahren ärztlicher Außenseiter oder nicht-ärztlicher Heilbehandler zukomme.420 Demgegenüber vertritt die höchstrichterliche Rechtsprechung heute eine strengere Linie, insbesondere bezüglich des Vergleichs der Wirksamkeit verschiedener Heilverfahren, wobei hier nicht nur die Erfolgsaussichten, sondern die zugleich mit der jeweiligen Behandlung verbundenen Risiken miteinzubeziehen seien.421 Der Heilbehandlung hat die Aufklärung zeitlich voranzugehen. Die Aufklärung soll das Wissen des Patienten um die vorgesehene Heilbehandlung und ihre möglichen Gefahren sicherstellen. Ihm muß die Gelegenheit zu eigener Überlegung und Willensbildung gegeben werden. Auch im Strafrecht werden die bereits beschriebe416

Oben Kap. 1 I.2.c); vgl. auch Ulsenheimer, Rn. 38 ff., 53 ff., der zur Beschreibung des Arztstrafrechts in diesem Bereich zahlreiche zivilgerichtliche Entscheidungen anführt. 417 Ulsenheimer, Rn. 18ff., 38ff.; ders., in: Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 18; TröndlelFischer, §223 Rn.9c. 418 Regelmäßig bedeutet dies die schnellstmögliche Anwendung der wirksamsten Therapie; OLG Koblenz, MedR 1994, 405 (407); allerdings sind auch die personellen und apparativen Bedingungen mitzuberücksichtigen; vgl. Ulsenheimer, Rn.26. 4,9 Entgegen Ulsenheimer, MedR 1992, 128 ergibt sich diese beschränkte Prüfungskompetenz des Gerichts aber nicht aus fehlender Sachkunde desselben, sondern daraus, daß aufgrund der Sachkunde erst mehrere gleichwertige Handlungsmöglichkeiten erkannt werden. Zur Bedeutung des Sachverständigen im Arzthaftungsprozeß schon oben Kap. 1 II. 3.; generell zum Sachverständigen im Strafverfahren Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozeß; D. Krauß, ZStW 85 (1973), 320ff. 420 RGSt 67, 12 (22). 421 Zusammenfassung des Meinungsstandes mit Rspr.-Nw. bei Ulsenheimer, Rn. 19 b. In diesem Sinne abweichende Methoden/Verfahren sind aber denkbar, wenn aufgrund vom Arzt zu beachtender besonderer Umstände in der Person des Patienten nicht alle Methoden die gleichen Erfolgsaussichten haben oder die bekanntlich wirksamste anderweitige Gefahren für diesen mit sich bringt.

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das

nen Formen der Aufklärung anerkannt. sind Aufklärungsfehler.

422

recht

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Verstöße gegen die Aufklärungspflicht

Weitere Voraussetzung der strafrechtlichen Haftung ist die mitunter schwierige Feststellung des Kausalzusammenhangs zwischen vorwerfbarem fehlerhaften ärztlichen Verhalten und Körperverletzungserfolg. Die Rückführung des tatbestandlichen Erfolges auf den ärztlichen Fehler kann bei positivem Tun trotz der gängigen Zurechnungsformel der „conditio sine qua non" schwierig sein. Wirklich problematisch ist sie dagegen beim pflichtwidrigen Unterlassen. Hier wird ein hypothetischer Kausalverlauf zu Grunde gelegt, der mit einer Restunsicherheit verbunden ist, die angesichts der Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus auf dem Weg zur Wiedergenesung erheblich sein kann. Daher ist notwendig, daß die Erfolgsabwendung dem Arzt auch möglich und zumutbar war und den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden hätte.423 Über die Grundsätze der objektiven Zurechnung oder des Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhangs können Einschränkungen des Kausalzusammenhangs bewirkt werden, womit eine weite Auslegungskompetenz der Strafgerichte verbunden ist. 424 Diese Einschränkungen sind auch beim Vorwurf unterlassener oder unvollständiger Aufklärung bedeutsam.425 Läßt sich im Strafprozeß der Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Erfolg nicht beweisen, so ist gemäß dem Grundsatz „in dubio pro reo" die Tatbestandsmäßigkeit der Körperverletzung ebenso zu verneinen wie beim fehlenden Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen unterlassener Aufklärung und Durchführung des Eingriffs. 426

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Vgl. nur Tröndle!Fischer, § 223 Rn. 9 ff. m. w. Nw. Zurückhaltend auch Ulsenheimer, Rn. 35; im Zivilrecht wird dagegen überwiegend angenommen, daß das haftungsbegründende Verhalten unproblematisch auch durch Unterlassen begangen werden kann; vgl. nur Palandt/Thomas, § 823 Rn. 2. 424 Die zu einer Begrenzung der objektiven Zurechnung bei Behandlungs- und Aufklärungsfehlem führenden Kriterien des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs und vor allem des Schutzzweckzusammenhangs können im Straf- und Zivilrecht angedacht werden. Angesichts der allgemein gefaßten Haftungsnormen kommt der Fachrechtsprechung eine Auslegungskompetenz bei der bereichsspezifischen Anwendung derselben zu, die sich in das oben untersuchte Problem des Verhältnisses zwischen Fachgerichtsbarkeit und Gesetzgeber bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht einfügt; vgl. auch Ulsenheimer, Rn. 230f., 131 m. instruktiven Bsp.; allgemein zur Lehre von der objektiven Zurechnung und Aspekten der Gefahrverwirklichung im Strafrecht Wessels/Beulke, Rn. 180 ff. 425 Vgl. BGH, NJW 1989, 1533 (1535 f.). 426 BGH, MedR 1996, 22, auch unter Berücksichtigung zivilrechtlicher Judikatur (S.24f.). Gegenüber derartigen hypothetischen Einwänden ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten; vgl. schon oben Kap. 11.2.c)bb). Zu dennoch bestehenden begrifflichen Verschiedenheiten und Unterschieden zum zivilrechtlichen Arzthaftungsprozeß wegen der Beweislastverteilung auch Ulsenheimer, Rn. 132 ff. 423

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

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b) Rechtswidrigkeit

und Einwilligung

des Patienten

Behandlungs- oder Aufklärungsfehler führen zur Rechtswidrigkeit des ärztlichen Verhaltens. Mit den Behandlungs- und Aufklärungsfehlern wird damit der Bereich umschrieben, der von der Einwilligung des Patienten nicht erfaßt ist. Die Einwilligung erstreckt sich nicht auf fehlerhafte Heilbehandlungen, ihre Notwendigkeit führt zum strafrechtlichen Schutz vor eigenmächtigen Heilbehandlungen. Der Arzt darf sich nicht selbstherrlich über die Entscheidungsfreiheit des Patienten bezüglich seiner körperlichen Integrität hinwegsetzen, da die Einwilligung einerseits einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind, bedeutet und andererseits weitergehend das Aufsichnehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben. 427 Der grundrechtliche Schutz ist hier insoweit umfassend, als es kein therapeutisches Privileg oder eine Vernunfthoheit des Arztes gibt, die sich über das Selbstbestimmungsrecht hinwegsetzen kann. In diesem Sinne kann ein „Recht auf Unvernunft" in Kollision mit der aus ärztlicher Sicht indizierten Heilbehandlung treten. 428 Infolge dieser verfassungsrechtlich vorgezeichneten Sichtweise ist eine Einwilligung des Patienten zur Rechtfertigung der „tatbestandsmäßigen Heilbehandlung" auch dann erforderlich, wenn die ärztliche Behandlung fehlerfrei und erfolgreich durchgeführt wurde. 429 Um die Voraussetzungen der wirksamen Einwilligung zu schaffen, ist die Aufklärung durch den behandelnden Arzt notwendig. 430 Durch sie erlangt der Patient die Kenntnis über die einwilligungsrelevanten tatsächlichen Umstände.431 Auch bei der strafrechtlichen Erfassung der Heilbehandlungen wird eine mutmaßliche Einwilligung in engen Grenzen für möglich gehalten. 432 Ebenso wird der Begriff der „hypothetischen Einwilligung" verwendet, um dem Vorwurf schlicht unterbliebener Aufklärung zu begegnen;433 die verfassungsrechtlichen Bedenken angesichts des Selbstbestimmungsrechts und der fachgerichtlichen Kategorienbildung bestehen auch hier. 434 Da die Einwilligung in die Heilbehandlung nur insgesamt erteilt werden kann, machen im Grundsatz Aufklärungsdefizite, unabhängig davon, ob sich ein aufklä427

BGH, NJW 1989, 1533 (1535). Ulsenheimer, Rn. 57. Angesichts der für den effektiven Rechtsgüterschutz notwendigen Objektivierung und Normativierung der gebotenen Heilbehandlung kann entgegen Ulsenheimer nicht nur auf das ärztliche Ethos abgestellt werden. 429 Dazu bereits ausführlich oben 1. 430 Ausgangspunkt dieser nach Ulsenheimer, Rn. 56 „Aufklärungsmisere" ist die Entscheidung RGSt 25, 375. 431 Vgl. BVerfGE 52, 131 - Arzthaftungsprozeß, insbesondere das nachdrückliche SV, S. 171 ff. 432 Vgl. BGH, NJW 1977, 336. 433 Der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Aufklärungsmangel und Körperverletzung soll zu verneinen sein, wenn davon auszugehen ist, daß bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung erfolgt wäre; BGH, MedR 1996, 22. 434 Dazu oben Kap. 1 I.2.c)bb). 428

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das

recht

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rungspflichtiges Risiko verwirklicht hat oder nicht, den Eingriff insgesamt wegen der fehlenden Einwilligung des Patienten rechtswidrig. 435 Im Bereich ordnungsgemäßer Aufklärung kommt die Rechtswidrigkeit des Eingriffs infolge eines Behandlungsfehler in Betracht. Umgekehrt sind körperliche Eingriffe, die im Rahmen fehlerfreier Behandlungen nach vorangegangener ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgen, aufgrund der Einwilligung des Patienten rechtmäßig. Im Bereich wirksamer Einwilligung sind auch erfolglose oder mißlungene Behandlungen rechtmäßig und sanktionslos. Auf zivilrechtlicher Ebene entspricht dem, daß der Heilerfolg vertraglich nicht geschuldet ist. Die Einwilligung des Patienten ist ein Rechtfertigungsgrund. 436 Trotz ihrer entscheidenden Bedeutung hat sie aber auch im Strafrecht keine gesetzliche Ausgestaltung erfahren, wenngleich sie in § 228 (früher § 226 a) StGB zu Grunde gelegt und mit der Rechtswidrigkeit der Tat verknüpft wird. Die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung wurden und werden wie im Zivilrecht durch die Rechtsprechung entwickelt. 437 Der Kenntnis des Patienten über die tatsächlichen Umstände - maßgeblich gewährleistet durch die ärztliche Aufklärung - sind in dessen Person liegende Voraussetzungen vorgreiflich. Diese werden mit dem Begriff der Einwilligungsfähigkeit umschrieben. Die Einwilligungsfähigkeit ist nach gängiger Definition gegeben, wenn der Patient Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs erfassen kann. 438 Eine formale Anknüpfung, zum Beispiel an Altersgrenzen, zur Bestimmung des Kreises der Einwilligungsfähigen scheidet damit aus. Neben den Voraussetzungen der Einwilligungsfähigkeit des Patienten und seiner Kenntnis der relevanten tatsächlichen Umstände wird zum Teil gefordert, daß der Eingriff aus ärztlicher Sicht geboten sein muß. Ist er nicht medizinisch indiziert, so soll der nur vermeintliche Heileingriff auch durch den zustimmenden Willensakt des Patienten nicht zu rechtfertigen sein. 439 Die Gegenansicht will in diesem Rahmen nur den grenzziehenden § 228 StGB anwenden440 und ordnet damit das Arzt-Patienten-Verhältnis der allgemeinen Täter-Opfer-Konstellation zu. Die Annahme der medizini435 BGH, NJW 1989,1533 (1535); BGHZ 90,96 (101); vgl. auch OLG Hamm, VersR 1996, 197. Zu Einschränkungen, v. a. infolge wertender Betrachtung des Schutzzwecks der Aufklärung, ebenfalls BGH, NJW 1989, 1533 (1535) sowie schon vorgehend. 436 Zum Institut der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund allgemein Lenckner, in Schönke/Schröder, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 29 ff. m. zahlr. Nw. 437 Regelmäßig wird auch für die Voraussetzungen der Einwilligung nach § 228 StGB auf das allgemeine Institut der (rechtfertigenden) Einwilligung im Strafrecht zurückgegriffen; vgl. z. B. Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 2 f. Für Gleichwertigkeit zwischen § 34 StGB und der Einwilligung wohl Ulsenheimer, Rn. 128. 438 Dazu und zu den anderen Voraussetzungen der Einwilligung TröndlelFischer, Vor § 32 Rn. 3 b, § 223 Rn. 9 e m. w. Nw., auch zur Rspr. Neue Definition einer Einwilligungsunfähigkeit dagegen z.B. von Amelung, R & P 1995, 20ff., 26. 439 So BGH, NJW 1978,1206; den übergeordneten Zusammenhang herausstellend E. Horn, JuS 1979, 30 f. 440 So z. B. Rogall, NJW 1978, 2345; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 26. Zu § 228 StGB sogleich nachfolgend.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

sehen Indikation als Grundvoraussetzung einer wirksamen Einwilligung ist m. E. insofern problematisch, als zahlreiche ärztliche Maßnahmen, bei denen eine derartige Indikation zweifelhaft ist, von der Rechtsordnung nicht mißbilligt werden. Die Einordnung ärztlicher Tätigkeit als zivilrechtliche Dienstleistung, die infolge privatautonomer Entscheidungen erbracht wird, verhindert einen derart engen Bereich wirksamer Einwilligungen. Der staatliche Schutz der körperlichen Unversehrtheit gegen den Willen des Einzelnen bedarf höherer Legitimationsanforderungen. 441 Dazu kommt die Schwierigkeit der Bestimmung der medizinischen Indikation, da sich die Eingriffe verschieden positiv auswirken können.442 Insgesamt kommt in der beschriebenen Rechtsprechung der Straf- und Zivilgerichte zum Erfordernis der Einwilligung des Patienten deren Grundrechtsbindung und ihre Pflichterfüllung als Schutzpflichtadressaten deutlich zum Ausdruck. Durch die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts wird die Grundrechtsposition des Patienten maßgeblich verstärkt. Die grundrechtliche Untermauerung seiner Identität und Entscheidungsfreiheit kann auch nicht mit der Bemerkung relativiert werden, daß die Rechtsprechung schon lange vor der Schaffung des Grundgesetzes die Notwendigkeit einer Einwilligung anerkannt habe.443 Im Gegensatz dazu zeigen die ständig erweiterten Anforderungen an die Aufklärung und den Behandlungsstandard als Grundlage der Einwilligung die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes auf, ohne den eine Stagnation nicht auszuschließen gewesen wäre. Gerade weil sich die Entwicklung des Arzthaftungsrechts bislang ohne Gesetzesänderung vollzogen hat, kann von einer grundrechtlichen Dominanz gesprochen werden, die angesichts der Grundsätze des Vorbehalts des Gesetzes und der Gewaltenteilung jedoch problematisch ist. 444 Die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung ist nach § 228 StGB ausgeschlossen, wenn die Tat trotz Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Erweiternd wird angenommen, daß die Rechtmäßigkeit der Tat nicht nur der Schranke der guten Sitten unterliegt, sondern auch bei einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zu verneinen ist. 445 Nach herrschender Meinung ist unerheblich, ob die Einwilligung 441

Dazu oben A Kap. 3 IV. Genannt seien z.B. experimentelle Maßnahmen, Blutspenden, Organentnahmen, kosmetische Operationen, Transplantatentnahmen, Impfungen, Verschreiben von Drogen und Psychopharmaka, Geschlechtsumwandlung, Empfängnisverhütungsmaßnahmen, humangenetische Verfahren diagnostischer Art, Insemination, In-vitro-Fertilisation, Embryotransfer; Bsp. nach Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 50 ff. 443 So aber H. Franzki, MedR 1994,171, der - ohne entsprechende Schlüsse zu ziehen - zugleich auf die Rechtslage in der DDR hinweist (S. 172), die einen derartigen Schutz des Selbstbestimmungsrechts nicht kannte und wo das einfache Gesetzesrecht (folgerichtig) andere Wege ging. 444 Dazu schon ausführlich oben Kap. 1 III., A Kap. 2 sowie unten 3.; Francke, S. 228 ff. weist daneben auf die Defizite des Standesrechts beim Grundrechtsschutz der Patienten hin. 445 Tröndle/Fischer, § 228 Rn.4. Dagegen nicht schon beim Verstoß gegen bloßes Ordnungsrecht; BayObLG, JR 1978, 296 (297) m. Anm. Kienapfel (S.297f.). 442

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selbst sittenwidrig ist. In besonderen Konstellationen, zum Beispiel bei Organtransplantationen, ergeben sich daraus Ungereimtheiten: 447 Beim Verkauf eines Organs soll der entsprechende Vertrag zwar nichtig, die Transplantation dagegen nicht strafbar sein. 448 Auch die Annahme einer zivilrechtlichen Haftung wegen der Organentnahme ist in diesen Fällen problematisch. 449 Wenn auch von der herrschenden Meinung zugestanden wird, daß bei der Frage, ob die Tat gegen die guten Sitten verstößt, Tatzwecke zu berücksichtigen sind, 450 kommt es nicht auf die Sittenwidrigkeit der Begleitumstände der Einwilligung an. 451 Insgesamt ergibt sich daraus das Dilemma, daß der Verzicht des Einwilligenden auf Rechtsgutsschutz stets mitzuberücksichtigen ist und nicht ausgehebelt werden darf. 452 Beispielsweise eine kunstgerechte Organentnahme kann danach auch dann nur schwer als gegen die guten Sitten verstoßend und damit rechtswidrige Körperverletzung eingeordnet werden, wenn das Organ weiterverkauft werden soll. 453 Hier zeigt sich, daß der allgemeine strafrechtliche Schutz in spezifischen Bereichen an seine Grenzen stößt. In diesen Fällen quasi irreversibler körperlicher Eingriffe oder Heilexperimente treten materielle Schutzdefizite zu den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes und machen eine parlamentarische Entscheidung notwendig. Zu Recht ist daher der Gesetzgeber durch den Erlaß des Transplantationsgesetzes dem zu befürchtenden Organhandel entgegengetreten.454

446 Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§ 32 ff. Rn. 38, Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 9, beide m. w. Nw. Zu beachten ist auch, daß die Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung nach §§ 104ff., 116ff. BGB ist; stellvertretend BGHZ 29, 33 (36). 447 Der hier aufgezeigte prekäre Rechtszustand betrifft die Situation vor Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes. An dieser Stelle wird nur die Notwendigkeit spezifischer Regelungen deutlich, die unten Kap. 4 III. 1. dargestellt werden. 448 So z. B. Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 9, der dasselbe für gentechnische Eingriffe annimmt (Rn. 8). 449 Nach Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 32ff. Rn. 38 z.B. keine Haftung nach §823 BGB. 450 Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 7 m. entspr. Nw. 451 Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§32ff. Rn.38. 452 Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 8; die Einwilligung als Verfügung des Rechtsgutsträgers kann für den Täter strafmildernd wirken; vgl. Tröndlei Fischer, §226a Rn. 9. Im Hinblick auf wirksame und unwirksame Einwilligungen erscheint diesbezüglich aber die einheitliche Verlagerung auf die Irrtumsebene vorzugswürdig; zur Irrtumslehre bei Rechtfertigungsgründen Wessels!Beulke, Rn.467ff. (Erlaubnistatbestandsintum); 482 ff. (Erlaubnisirrtum). 453 Vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32ff. Rn. 38; Stree, in: Schönke/Schröder, § 226 a Rn. 8 f., beide m. w. Bsp.; a. A. Tröndlei Fischer, § 228 Rn. 10. 454 Zum TPG unten Kap. 4 III.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

2. Schuldprinzip Im Strafrecht gilt das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip. 455 Die Sanktion der Strafe setzt die Feststellung der persönlichen Schuld des Arztes voraus. Im Gegensatz zum Verschulden im Zivilrecht nach § 276 BGB, besteht im Rahmen der strafrechtlichen Schuld kein objektiver Sorgfaltsmaßstab. 456 Während zur Bejahung des (Unrechts)Tatbestandes die Außerachtlassung der objektiv erforderlichen Sorgfalt ausreicht, verlangt das Schuldprinzip die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtstat. 457 Daraus folgt ein individueller, subjektiver Sorgfaltsmaßstab. 458 Die strafrechtliche Haftung setzt voraus, daß der Arzt nach seinen persönlichen Fähigkeiten und individuellen Kenntnissen im Stande war, die (objektiv) verlangte Sorgfalt aufzubringen. 459 In der Unterscheidung zwischen den Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit 460 bedeutet Vorsatz den Willen zur Verwirklichung des Straftatbestandes. Fahrlässigkeit stellt sich dagegen als unbewußte oder bewußte Nichtbeachtung der Sorgfaltsanforderungen dar, wobei bei letzterem in Abgrenzung zum Eventualvorsatz pflichtwidrig auf den Nichteintritt des tatbestandlichen Erfolges vertraut wird. Infolgedessen führen Aufklärungsfehler in der Regel zur Bestrafung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, da bei ihnen der Verstoß gegen die ärztlichen Pflicht und der Erfolg (körperlicher Eingriff) dem Arzt bewußt ist. 461 Zweifel treten hier nur auf, wenn der Arzt einem Irrtum über die Vollständigkeit oder den notwendigen Umfang der Aufklärung unterliegt. Da in diesen Fällen der ärztliche Eingriff nicht von der rechtfertigenden Einwilligung gedeckt ist, liegt ein sog. Erlaubnistatbestandsirrtum vor, der nach überwiegender Auffassung zu einer Strafbarkeit des Arztes wegen fahrlässiger Körperverletzung führt. 462 Ebenso kommt bei Behandlungsfehlern in der Regel nur eine fahrlässige Tatbegehung gemäß § 229 StGB in 455 Angeführt werden Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip; vgl. Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn. 94 m. w. Nw., auch zur Rspr. des BVerfG; vgl. weiter Tiedemann, S. 16 ff. 456 Vgl. Palandt/Heinrichs, §276 Rn. 15; Ulsenheimer, Rn.235ff. 457 Wessels!Beulke, Rn.658; Ulsenheimer, Rn. 17, 21. 458 § 29 StGB deutet dies an: Jeder Beteiligte ist nach seiner Schuld zu betrafen. Überdies besteht eine scharfe Trennung zwischen Unrecht/Rechtswidrigkeit und Schuld: Vgl. z. B. die §§ 17,20f. StGB; zum Ganzen Wessels/Beulke, Rn.393ff.; Tröndle/Fischer, Vor § 13 Rn.28ff., beide m. w. Nw. 459 Vgl. Ulsenheimer, Rn.235ff., auch zu den Voraussetzungen der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs und der Zumutbarkeit der Einhaltung der gebotenen Sorgfalt. 460 Wessels/Beulke, Rn.425. 461 Dies ist der oben 1. beschriebene Bereich der eigenmächtigen Heilbehandlung; vgl. Tröndle/Fischer, §223 Rn. 9u; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 138 Rn. l f . (widersprüchlich dagegen § 139 Rn. 13). 462 Gesetzliche Regelungen zum Irrtum bei Rechtfertigungsgründen bestehen nicht. Dementsprechend werden in der Literatur auch alle denkbaren Varianten (Anwendung der StGB § 17 oder § 16 oder § 16 analog, hier wiederum mit verschiedenen Begründungen) vertreten; dazu ausführlich Wessels/Beulke, Rn. 467 m. zahlr. w. Nw.; spezifisch zu den Konstellationen im Arzt-Patienten-Verhältnis Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn.59ff.

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Betracht. Hier ist der vorsätzliche Heileingriff an sich von der Einwilligung des Patienten gedeckt, nicht aber seine fehlerhafte Durchführung. Diese resultiert aus der fahrlässigen, seil, sorgfaltswidrigen Nichtbeachtung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik, die vom Arzt nicht beabsichtigt ist. Auch bei Verletzungen des Rechtsguts Leben infolge eines Behandlungsfehlers kommt regelmäßig nur eine fahrlässige Tatbegehung in Betracht. Dasselbe gilt bei Aufklärungsfehlern, da auch kein Tötungsvorsatz anzunehmen ist, wenn über lebensbedrohliche Risiken nicht aufgeklärt wird. 463 Insoweit ist allerdings nicht nur der Straftatbestand der fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB zu nennen, sondern auch der eine Mindeststrafe enthaltende § 227 StGB, der hinsichtlich der Körperverletzung Vorsatz fordert, hinsichtlich des Todeseintritts als besondere Folge der Tat nach § 18 StGB jedoch Fahrlässigkeit genügen läßt. 464 Problematisch bei der fahrlässigen Tötung ist die Feststellung der Kausalität zwischen (objektiv) sorgfaltswidrigem ärztlichen Verhalten und dem Todeseintritt auf der tatbestandlichen Ebene, die in der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit und der vorwerfbaren Vorhersehbarkeit bei der Schuldfrage weiteren, strengeren Anforderungen unterliegt. 465 In der Rechtsprechung wird insoweit nicht nur auf die Lebensrettung, sondern auch auf die mögliche, unter Umständen nur kurzzeitige Lebensverlängerung abgestellt, was nach Ulsenheimer zu einer verfassungswidrigen Gefährdungshaftung und einer Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro reo" führt. 466 Die im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozeß für das Beweisrecht bedeutsame Unterscheidung zwischen Behandlungsfehlern und groben Behandlungsfehlern 467 hat bei der strafrechtlichen Erfassung der Heilbehandlung dagegen für die Verfahrensart 468 und die Strafzumessung Bedeutung. Ein Arztprivileg in dem Sinne, daß nur schwere Verstöße strafrechtlich zu verfolgen sind, besteht nicht. Bei der Sanktionierung der Tat ist zu beachten, daß neben einer Strafe auch ein Berufsverbot nach § 70 StGB verhängt werden kann. § 70 StGB findet auch bei Berufen mit (zusätzlicher) Ehrengerichtsbarkeit Anwendung 469 und knüpft an die grobe Verletzung berufsspezifischer Pflichten an. Das Berufsverbot ist damit theoretisch auch bei erstmaliger Fahrlässigkeitstat möglich, wenn die von § 70 Abs. 1 StGB geforderte Wiederholungsgefahr festgestellt ist. 470 463

Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit sind bei Heilbehandlungen dagegen regelmäßig notwendig, so daß ein entsprechender Vorsatz des Arztes besteht. 464 Dazu Ulsenheimer, Rn.240c m.Bsp. 465 Dazu Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 140 Rn.26ff. m. w.Nw. 466 Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 140 Rn. 35 ff. m.Nw.; zu den verfassungsrechtlichen Problemen der strafrechtlichen Erfassung der Heilbehandlung unten III. 467 Anknüpfungspunkt ist auch bei diesen das Maß der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung; vgl. Ulsenheimer, Rn.29; oben Kap. 1 II.4.b)cc). 468 Anklage/Hauptverfahren, Strafbefehlsverfahren gem. §§407 ff. StPO, Einstellung gem. §§ 153 ff. StPO. 469 H. M., vgl. nur TröndlelFischer, § 70 Rn. 5; a. A. Olischläger, AnwBl 73, 330. 470 Unklar hinsichtlich einer Notwendigkeit wiederholter Behandlungsfehler Ulsenheimer, Rn. 510.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

3. Auffangtatbestand „Unterlassene Hilfeleistung" Läßt sich keine Strafbarkeit des Arztes nach den §§223 ff., 222,227 StGB beweisen, so ziehen die Strafgerichte häufig § 323 c StGB im Sinne eines Auffangtatbestandes heran. 471 § 323 c StGB pönalisiert den Verstoß in Form des Unterlassens gegen die allgemeine Hilfspflicht ohne an eine konkrete Rechtsgutsverletzung anzuknüpfen und ist damit echtes Unterlassungsdelikt. Auch wenn § 323 c StGB kein Sonderdelikt zur Statuierung einer allgemeinen ärztlichen Nothilfepflicht darstellt, so kann doch die ärztliche Sachkompetenz im Einzelfall zur ausschließlichen Verpflichtung des Arztes auch gegenüber unmittelbar am Unglücksfall Beteiligten führen. Seine beruflichen Fähigkeiten sind regelmäßig auch bei der Bestimmung von Art und Umfang der Hilfspflicht zu beachten.472 Die Verpflichtung helfend tätig zu werden, erstreckt sich jedoch nicht bis hin zu einer Erfolgsabwendungspflicht. Diese besteht nur bei den unechten Unterlassungsdelikten wegen der Anknüpfung an die Garantenstellung des Täters. 473 Bei der ärztlichen Heiltätigkeit sind allerdings Fälle denkbar, in denen den Arzt die Garantenpflicht und die allgemeine Hilfspflicht trifft: Ein Unglücksfall ist nach gängiger Definition ein plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahren für ein Individualrechtsgut mit sich bringt oder zu bringen droht. 474 Danach stellt auch die akute Verschlimmerung einer bereits behandelten Krankheit einen Unglücksfall im Sinne der Vorschrift dar. 475 In diesen Fällen ist der Arzt aufgrund des Behandlungsvertrages schon Garant, so daß die weitergehende Garantenpflicht die auf die bloße Hilfeleistung gerichtete Hilfspflicht notwendig einschließt.476 Folglich ist der Arzt nicht nur bei Behandlungs- und Aufklärungsfehlern nach den §§ 223 ff., 222, 227 StGB strafbar, sondern auch, wenn bei bislang ordnungsgemäßer und erfolgreicher Behandlung plötzlich Komplikationen eintreten und er die indizierten medizinischen Maßnahmen (wenn auch nur fahrlässig) unterläßt. 477 Anders ist es dagegen in den Fällen, in denen der Unglücksfall erst zum Abschluß des Behandlungsvertrags führt. 478 Läßt sich hier der bei § 223 StGB notwendige Kausalzusammenhang zwischen vorwerfbarem ärztlichen Tun und dem 471

Ausführlich dazu Ulsenheimer, Rn.247ff. m. entspr. Nw. Vgl. RGSt 75, 68 (72f.); BGHSt 2, 296 (298 ff.). 473 Kritisch gegenüber einer Ausweitung des §323c StGB Ulsenheimer, Rn.248; Kreuzer, NJW 1967, 278 ff.; zur Garantenstellung des Arztes oben 1. 474 Darüber hinaus ist die zeitliche Bestimmung des Unglücksfalls und der anderen Tatbestandsvoraussetzungen umstritten; TröndlelFischer, § 323 c Rn. 3, 4 m. w. Nw. (auch zur Gegenansicht): ex ante; Cramer, in: Schönke/Schröder, §323c Rn.2: ex post. 475 Bspe. bei Ulsenheimer, Rn.253. 476 Vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder, § 323 c Rn.32, 34 f. 477 Die z. B. von Cramer, in: Schönke/Schröder, § 323 c Rn. 34 pauschal angenommene Idealkonkurrenz zwischen fahrlässigem unechten Unterlassungsdelikt und § 323 c StGB ist damit nur bei Fahrlässigkeit hinsichtlich der Garantenstellung oder -pflicht gegeben, nicht dagegen bei fahrlässigen Behandlungsfehlern. 478 Ähnlich auch BGH, JZ 1983,151, wonach die Patientin von ihrem Hausarzt nur zur Beratung nach §§ 218b, 219 StGB an einen anderen Arzt überwiesen wurde, dem mangels Behandlungsvertrag keine Garantenstellung zukomme (S. 152 f.). 472

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Erfolgseintritt nicht nachweisen, könnte daran gedacht werden, die fehlerhafte Behandlung isoliert als Verstoß gegen die erforderliche Hilfe anzusehen und zu einer Strafbarkeit nach § 323 c StGB zu gelangen.479 Die Bestimmung des Vorliegens einer fehlerhaften Behandlung als berufsspezifischer Sorgfaltsmaßstab würde § 323 c StGB dadurch letztlich zu einem ärztlichen Sonderdelikt machen. Dem steht jedoch dessen Intention der Sicherung der allgemeinen Beistandspflicht entgegen,480 wie auch die nur fahrlässige Tatbegehung bei § 323 c StGB nicht ausreicht. 481 Die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist allerdings insoweit schwierig, als sich der Arzt im Rahmen der erforderlichen und zumutbaren Hilfe nicht auf bloße Scheinmaßnahmen beschränken darf, sondern seiner berufsspezifischen Ausbildung und Tätigkeit entsprechende Maßnahmen ergreifen muß. 482 Nicht geklärt ist, ob in diesem Rahmen dem Arzt auch der Vorwurf unterlassener oder unvollständiger Aufklärung gemacht werden kann. Zwar impliziert der Unglücksfall schon eine gewisse Eilbedürftigkeit, die zur Reduzierung der Aufklärungsanforderungen führen kann - eine Pflicht zur Behandlung des Unfallopfers und Patienten gegen seinen Willen kann § 323 c StGB jedenfalls nicht entnommen werden. 483 Problematisch ist daher insbesondere der Umgang mit Fällen der Lebensgefahr, da unklar sein kann, ob der Gefährdete diese im vollumfänglichen Bewußtsein des Risikos eingeht484 oder aber nicht richtig einschätzen kann. 485 Allerdings ist fraglich, ob privaten Ärzten mittels einer Strafrechtsnorm wie § 323 c StGB eine entsprechende Ermittlungspflicht auferlegt werden kann, wie der staatlichen Gewalt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. 486 Die Schutzgewährung über § 323 c StGB durch die Strafgerichte erscheint angesichts der beschriebenen Handhabung der anderen Straftatbestände zwar konsequent, zeigt jedoch die Defizite der bestehenden strafrechtlichen Schutzgesetze in der Sonderbeziehung Arzt - Patient deutlich auf. 487

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Entspr. Bsp. bei Ulsenheimer, Rn. 248. Ablehnend gegen eine derartige Ausweitung auch Ulsenheimer, Rn. 248 ff.; vgl. aber BGHSt 2, 296 (298 f.). 481 Cramer, in: Schönke/Schröder, §323c Rn.28 m.w.Nw. 482 Vgl. BGHSt 21,50 (53 f.); BGH, NStZ 1985,409; dazu auch Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 141 Rn.54. 483 Cramer, in: Schönke/Schröder, § 323 c Rn. 25 af.; vgl. auch BGHSt 11,111(114); anders jedoch BGH, JZ 1983, 151, nach dem der entgegenstehende Wille der Kranken unbeachtlich war, weil ihr Leben bedroht war und ihr darüber keine Verfügungsbefugnis zukomme (S. 152 m. w. Nw.). 484 Hier sollen die Grundsätze für die unterlassene Hilfeleistung beim Selbstmord gelten; Cramer, in: Schönke/Schröder, § 323 c Rn. 26,7 m. w. Nw. 485 Kritisch gegen BGH, JZ 1983, 151 daher die Lit.; Geiger, JZ 1983, 153 f.; Ulsenheimer, Rn. 260 m.w. Nw. 486 Zur Bedeutung der Sachverhaltsermittlung insbesondere bei der Selbsttötung und Sterbehilfe unten Kap. 3 II. 487 Francke, S. 166 f. lehnt insoweit schon das Bestehen der grundrechtlichen Schutzpflichtkonstellation ab. 480

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

I I I . Zusammenfassung der Schwierigkeiten des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes im Arzt-Patienten-Verhältnis und Perspektiven Die Anwendung und Auslegung der Strafbestimmungen durch die Strafgerichte gewährleisten im Ergebnis insgesamt einen umfassenden, wenn auch von der Literatur stark kritisierten strafrechtlichen Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Bereich der ärztlichen Heilbehandlungen. Hier bestehen de lege lata keine Schutzlücken in dem Sinne, daß die Strafverfolgungsorgane Rechtsgutsbeeinträchtigungen entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben untätig zusehen müssen. Dieser Befund basiert allerdings auch auf der Tatsache, daß bereits eine Konkretisierung und Ergänzung spezifischer Bereiche des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch parlamentarische Schutzgesetze erfolgt ist. 488 Die bestehende und beschriebene strafrechtliche Schutzgewährung ist allerdings verschiedenen, nachfolgend auszuführenden verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. 1. Übertragung der verfassungsrechtlichen Bedenken zum Zivilrecht Der Gleichlauf zwischen strafrechtlichem und zivilrechtlichem Rechtsgüterschutz durch die Arzthaftung zeigt sich schon an der identischen Terminologie. Materiell-rechtlich ist zu konstatieren, daß die bei der ärztlichen Heilbehandlung zu beachtenden ärztlichen Pflichten von der Straf- und Zivilgerichtsbarkeit gleichsam abwechselnd weiterentwickelt wurden und wechselseitige Berücksichtigung finden. Die zum bestehenden Zivilrecht geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihrer Erfüllungskriterien (vgl. oben Kap. 1 III.) gelten damit auch bei der strafrechtlichen Erfassung des Arzt-PatientenVerhältnisses. Die vertraglichen Leistungspflichten, deren Verletzung einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler bedeutet, wurden durch die Strafgerichte in die Auslegung der strafrechtlichen Schutzgesetze implementiert. Angesichts der mosaikartigen Kasuistik der gerichtlichen Entscheidungen wird auch hier die Schwierigkeit betont, die Leitlinien und Maximen der Rechtsprechung in klare Regeln umzusetzen. 489 Aufgrund des Untersuchungs- oder Amtsermittlungsgrundsatzes 490 obliegt den Strafverfolgungsbehörden eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung als den Zivilgerichten. Aber auch hier basiert die richterliche Entscheidung maßgeblich auf dem problematischen Beweismittel des Sachverständigen, dessen Gutachten mit der 488 Dazu unten Kap. 3, Kap. 4. Die Problematik der in manchen Entscheidungen zu beobachtenden Tendenz des strafrechtlichen Sanktionsschutzes gegen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu Lasten des Arztes-vgl. BGH, NJW 1978, 1206; JZ 1983, 151 - kann hier nicht vertieft werden; zum Problem allgemein oben A Kap. 3 IV. 489 Zur Kritik Bockelmann, in: Eser, S. 176 ff.; Ulsenheimer, Rn. 60. 490 Vgl. nur §§155, 160 StPO.

Kap. : Rechtsgüterschutz des Patienten durch das

recht

Heranziehung von Standesvorgaben verbunden ist. Auch hier werden zur Bestimmung der Fehler reine Binnenstandards vom Strafgericht inhaltlich ohne normative parlamentarische Ermächtigung übernommen. Gegen diese Entscheidungsgrundlage und -findung bestehen ebenfalls die zum Zivilrecht vorgetragenen Bedenken.491 Daneben drohen über den Vorwurf des Aufklärungsfehlers und die unterlassene Hilfeleistung zum Schutz der Patienten Auffangtatbestände bei der strafrechtlichen Arzthaftung etabliert zu werden, 492 die der Aufweichung des Verschuldensgrundsatzes im Zivilrecht ähneln. All dies widerspricht dem Vorbehalt des Gesetzes und genügt damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebensowenig, wie der zum Teil anzutreffende Verweis auf das ärztliche Gewissen, das den Arzt im Einzelfall die richtige Behandlung auswählen und durchführen läßt. 493 Die beschriebene gerichtliche Praxis ist allerdings vor dem Hintergrund strafrechtlicher Sanktion zu Lasten der Ärzte und den entsprechenden rechtsstaatlichen Anforderungen als noch problematischer einzuordnen. 494 Allerdings unterliegen die Strafverfolgungsbehörden die Zivilgerichtsbarkeit übersteigende Bindungen. Wegen der verfassungsrechtlich verankerten Unschuldsvermutung 495 kommen nicht aufklärbare Unsicherheiten dem Arzt zugute, während die Zivilgerichtsbarkeit durch die Handhabung des Beweisrechts in diesem Bereich zum Teil Rechtsfortbildung zu Gunsten der Patienten betrieben hat. Zudem folgen aus dem Schuldprinzip im Strafrecht höhere Anforderungen an das Verschulden des Arztes als im Zivilrecht. Diese Unterschiede reichen jedoch nicht aus, um den unterschiedlichen Zielrichtungen des strafrechtlichen und zivilrechtlichen Schutzes des Patienten gerecht zu werden - dazu unten (3.).

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Kritisch gegen die Bedeutung der Sachverständigen im Strafprozeß auch Dippel, S.205 und passim. 492 Zu § 323c StGB oben II. 3.; hält man sich die unterschiedliche Situation des Patienten beim Aufklärungsgespräch und während der (u.U. unter Narkose stattfindenden) Behandlung vor Augen, so ist klar, daß der Nachweis eines Behandlungsfehlers ist ungleich schwieriger ist als der eines Aufklärungsfehlers. Gegenüber dem weisungsgebundenen Personal des beschuldigten Arztes kommt dem Patienten für die Strafverfolgungsbehörden oft eine „Kronzeugenrolle" zu. Nicht nur im zivilrechtlichen Arzthaftungsprozeß hat dies zu einer Verlagerung der haftungsrechtlichen Anknüpfung an den Aufklärungsfehler geführt; vgl. Ulsenheimer, Rn.53, 55 m. Nw., der dies bei der strafrechtlichen Haftung schon wegen Art. 103 Abs. 2 StGB für unannehmbar hält; dazu sogleich 2. 493 So auch, wenn auch ohne verfassungsrechtliche Untermauerung, Laufs, in: FS Geiger, S.235f. 494 Vgl. im Zusammenhang Veit, Die Rezeption technischer Regeln im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht. 495 Die Unschuldsvermutung folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip; stellvertretend Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn.93 m. entspr. Nw.; ausdrücklich geregelt ist sie in Art. 6 Abs. 2 EMRK, zum Verhältnis zwischen EMRK und GG schon oben A Kap. 1 V. 1.

Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

2. Rechtsgüterschutz unter den besonderen Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG Die Schutzgewährung durch strafrechtliche Regelungen unterliegt nicht nur dem Vorbehalt des Gesetzes, sondern wird durch Art. 103 Abs. 2 GG weiteren Anforderungen unterstellt. 496 Art. 103 Abs. 2 GG als spezielle oder konkretisierende Regelung zum Parlamentsvorbehalt soll sicherstellen, daß der Gesetzgeber und nicht die rechtsprechende Gewalt über die Strafwürdigkeit und Strafbarkeit an sich entscheiden. 497 Damit ist die Auflösung grundrechtlicher Konflikte zwischen Arzt und Patient durch die Rechtsprechung über das Instrument des Strafrechts von besonderer Brisanz. Der bereits im Zivilrecht festgestellte Einbruch in die Gewaltenteilung ist im Strafrecht angesichts der beschriebenen strafrechtlichen Erfassung der ärztlichen Heilbehandlung vor Art. 103 Abs. 2 GG noch problematischer. Die allgemein gefaßten Tatbestände der §§223,229,222,227 StGB erfassen jede Handlung, die zur Verletzung der Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit oder des Lebens führt. Den tatsächlichen Besonderheiten und Schwierigkeiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses tragen die Vorschriften damit genau so wenig Rechnung wie der Tatsache, daß zwischen Arzt und Patient ein Behandlungsvertrag geschlossen wird, der die Einwirkung auf den Körper des Patienten zum zentralen Gegenstand hat. Die aus verfassungsrechtlicher Sicht problematische Rechtsprechung setzt sich bei der Handhabung der rechtfertigenden Einwilligung des Patienten fort. Im Ergebnis wurden praktisch alle Besonderheiten des Arzt-Patienten-Verhältnisses von den Strafgerichten unter Anknüpfung an das zivilrechtliche Behandlungsvertragsverhältnis in die genannten Normen hineingelesen. Angesichts der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen - vgl. § 13 StGB - und den damit verbundenen strafrechtlichen Zurechnungsproblemen 498 ist es jedoch bedenklich, wenn die Grundsätze vertraglicher Haupt- und Nebenpflichten oder deliktischer Berufs- und Verkehrs(sicherungs)pflichten, die unproblematisch durch Tun oder Unterlassen verletzt werden können,499 auch der strafrechtlichen Haftung zu Grunde gelegt werden. 500 Vor allem aber verwundert es, daß in der Literatur teilweise ausgerechnet die Vorschrift, die die Einwilligung und ihre rechtfertigende Wirkung immerhin nennt - § 228 (früher: § 226 a) StGB - wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG für nichtig gehalten 496 Vgl. nur Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn.60ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn. 40ff., beide m. zahlr. Nw. 497 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn. 43, 40 m. w. Nw. Damit schließt Art. 103 Abs. 2 GG auch gewohnheitsrechtliche und richterrechtliche Begründungen der Strafbarkeit aus; Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn.60. 498 Vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 61 m. w. Nw., der im Ergebnis aber besondere Schwierigkeiten zwischen Tun und Unterlassen bei der Kausalität bezweifelt; die Schwierigkeiten betonend dagegen Ulsenheimer, Rn. 35. 499 Vgl. nur Palandt/Thomas, § 823 Rn. 2. 500 Zurückhaltend auch Ulsenheimer, Rn. 35. § 13 StGB nimmt nach Wessels!Beulke, Rn. 698 die früher gewohnheitsrechtlich anerkannte Ableitung der unechten Unterlassungsdelikte aus den Begehungstatbeständen auf und ist nach BVerfGE 96, 68 (97 f.) ausreichend bestimmt.

Kap. 2: Rechtsgüterschutz des Patienten durch das Strafrecht

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501

wird. Das dagegen überwiegend vorgebrachte Argument, Rechtfertigungsgründe würden gar nicht von Art. 103 Abs. 2 GG erfaßt, so daß von vornherein Verletzungen des Bestimmtheitsgrundsatzes ausgeschlossen seien,502 vermag m. E. nicht zu überzeugen. Angesichts des Zusammenspiels und der gegenseitigen Abhängigkeit von Tatbestand und rechtfertigender Einwilligung, die in der beschriebenen Konstruktion ärztlicher Pflichten bei der Heilbehandlung zum Ausdruck kommen, ist vielmehr eine weite Auslegung des Begriffs der Strafbarkeit in Art. 103 Abs. 2 GG geboten. Diese Sichtweise bestätigt sich bei der ärztlichen Aufklärungspflicht, deren Verletzung zur Körperverletzung führt und die erst aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten entwickelt wurde. Die „guten Sitten" nach § 228 StGB vermögen hier eine rechtliche Sperre gegen die Wirksamkeit von Einwilligungen zu errichten, die ohne gebotene und ausreichende Aufklärung gegeben wurden. Wenn daher angeführt wird, daß zur Bestimmung des Begriffs der „guten Sitten" nach § 228 StGB die subjektive richterliche Wertung nicht ausreicht, so kann dies angesichts der bestehenden Grundrechtsbindung des Strafrichters nur bedeuten, daß Art. 103 Abs. 2 GG sicherstellen soll, daß der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet.503 Der entscheidende Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG liegt damit m. E. in der beschriebenen strafrechtlichen Erfassung des Arzt-Patienten-Verhältnisses insgesamt. Noch mehr als im Zivilrecht tritt zu dem Aspekt der Überforderung der Fachgerichte bei der Auflösung grundrechtlicher Konflikte im sensiblen Bereich des Strafrechts mit seinen persönlichen Sanktionen der Aspekt der Rechtssicherheit. Auch § 228 StGB bestätigt insoweit nur die grenzziehende Funktion des Strafrechts - dazu sogleich (3.). Die durch die Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG bedingten Defizite beim dynamischen Rechtsgüterschutz sind durch weitere rechtliche Schutzmaßnahmen des Parlaments, insbesondere die Delegation auf untergeordnete Normgeber unter Einbindung der Standes Vertretungen auszugleichen.504 Insoweit kann auf die Abhilfemöglichkeiten der normativen Einbindung des medizinischen Fachwissens und ärztlichen Standes bei der Schutzpflichterfüllung durch das Zivilrecht verwiesen werden. 505 Art. 103 Abs. 2 GG regelt indes nicht, welches Verhalten für strafbar erklärt werden muß oder darf. 506 In der Konstellation des Schutzes durch Eingriff in das Rechtsgut der (körperlichen) Freiheit der Ärzte mittels Strafen unterwirft der Parlamentsvorbehalt strafrechtliche Schutzregelungen nur besonderen Anforderungen. Wann eine dem vorgreifliche Handlungs- und Regelungspflicht des Parlaments 501 U. Reinhardt, JR 1964, 372ff.; aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum z.B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn.49, der unter den Begriff der „Strafbarkeit" den Straftatbestand einschließlich sämtlicher materiell-rechtlicher Voraussetzungen faßt (Rn.42). 502 Stellvertretend Tröndle/Fischer, § 228 Rn. 1 a, des weiteren § 1 Rn. 10, 15 m. w. Nw. 503 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn.43. 504 Zu den Möglichkeiten von Blankettstrafgesetzen Degenhart, in: Sachs, Art. 103 Rn. 60 ff. m. w.Nw.; Veit, insbesondere S.25ff., 90ff. und zusammenfassend S. 217ff. 505 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen und den Abhilfemöglichkeiten ausführlich oben Kap. 1 III. und weiter insbes. A Kap. 3 III. 506 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 103 Rn.43 m. w.Nw.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

besteht, folgt dagegen aus dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes. Zugleich zeigt das Aufeinandertreffen von Schutzpflicht- und Eingriffsabwehrkonstellation im Bereich des Strafrechts wiederum, daß der Schutzaspekt den Eingriffen vorausgeht. 507 3. Perspektiven des Patientenschutzes durch das Strafrecht Strafrechtlicher Rechtsgüterschutz bedeutet wie zivilrechtliche Arzthaftung die Gewährung nur sanktionierenden Schutzes durch den Staat. Auch wenn darin gewisse präventive Elemente enthalten sind, 508 können die Strafgerichte die konkrete Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht verhindern. Spezifisch strafrechtliche Präventionsmechanismen sind kaum denkbar, während den zivil- und standesrechtlichen Möglichkeiten des präventiven Rechtsgüterschutzes auch im Strafrecht positive Wirkung durch die Reduzierung der strafrechtlich relevanten Fälle zukommt. Das vordringlichste Problem beim Gleichlauf zwischen zivil- und strafrechtlicher Arzthaftung ist die unterschiedliche Zielrichtung der Schutz- und Haftungssysteme. Während durch das zivilrechtliche Vertragsverhältnis die alltägliche und typische Situation der Heilbehandlungen erfaßt werden soll, ist gerade dies nicht die Aufgabe des Strafrechts. Das Zivilrecht und nicht das Strafrecht soll den rechtlichen Rahmen für eine typische gesellschaftliche oder soziale Beziehung zur Verfügung stellen. In diesem sollen auch die in der Beziehung zwischen Arzt und Patienten bestehenden typischen und stets wiederkehrenden Probleme bewältigt werden. In Bezug auf die schon innerhalb des Zivilrechts problematische parallele Anwendung vertraglicher und deliktischer Haftung markiert jedenfalls das Strafrecht im Rahmen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht lediglich äußerste Grenzen, ohne dem Arzt erschöpfende (rechtliche) Auskünfte über Dürfen und Sollen zu geben.509 Handlungen, die nicht vom grobmaschigen Netz des Strafrechts erfaßt werden, bewegen sich entgegen Kaufmann allerdings nicht im rechtsfreien Raum, in dem (nur) moralische Verantwortung besteht.510 Obwohl Teil des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzinstrumentariums, sind die Strafbestimmungen als Ergänzung des zivilrechtlichen Schutzinstrumentariums zu begreifen und in ein Gesamtkonzept des staatlichen Rechtsgüterschutzes zu integrieren, 511 das insbesondere die Erfüllungskriterien des 507 Für das Bestehen des Parlamentsvorbehalts bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu Gunsten des Patienten sind damit weder Art. 103 Abs. 2 noch Art. 2 Abs. Satz 3 GG gegenüber dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes speziellere Regelungen. Sie können allerdings - wie Art. 12 Abs. 1 GG - als weiterer Prüfungsmaßstab bei der konkreten Art und Weise der Schutzpflichterfüllung dazutreten; gegen die Herleitung aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in jüngster Zeit z.B. Maurer, in: FS Vögel, S. 342 m. w. Nw., auch zur Gegenansicht, der im Anschluß an Vogel die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte auf alle Regelungen im Grundrechtsbereich erstreckt; zum Ganzen oben A Kap. 2 II. 508 Kritisch z. B. Tiedemann, S. 51 f. 509 Laufs, Arztrecht, Rn. 370. Ethische schon gar nicht. 510 So Kaufmann, in: Eser, S. 306. 511 Strenger wohl Starck, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.2Abs.2Rn. 197, 218; vgl. auch BVerfGE 39,1 (LS 4, 44ff.); 88, 203 (LS 6, LS 8, 252ff., 258); Tiedemann, S.50ff.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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effektiven und präventiven Schutzes nicht aus den Augen verlieren darf. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient entsteht leichter im Rahmen einer vertraglichen Beziehung, als unter stetem strafrechtlichem Druck. Zu Recht ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, daß strafrechtliche Regelungen bei der Schutzpflichterfüllung nur als „ultima ratio" in Betracht kommen.512 Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient entspricht in der Tat nicht der Vorstellung einer typischen Täter-Opfer-Konstellation. De lege ferenda ist damit der vertragsrechtliche Schutz des Patienten in den Vordergrund zu rücken und dem strafrechtlichen ergänzende Funktion zuzuordnen. 513 Eine Klarstellung der strafrechtlichen Einordnung der eigenmächtigen Heilbehandlung durch den Gesetzgeber ist in diesem Rahmen wünschenswert. 514 Als Orientierung für den Gesetzgeber und die Rechtsprechung gilt, daß auch bei unvermeidlichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit und Rechtsgutsgefährdungen im Rahmen von ärztlichen Heilbehandlung, deren Erfolg zudem nicht garantiert werden kann, die Schutzverpflichtung für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten ist. Die Einhaltung eines qualitativ hochwertigen medizinischen Niveaus zum Schutz der körperlichen Rechtsgüter ist unabhängig vom Selbstbestimmungsrecht zu gewährleisten, da die Reduzierung körperlicher Eingriffe und die Minimierung von Gesundheitsgefährdungen regelmäßig auch der Intention des einwilligenden Patienten entspricht. Dies kommt auch in der Pflicht zur Einhaltung der fachlich-medizinischen Schutzmaßnahmen bei medizinischen Zwangsbehandlungen oder Behandlungen Bewußtloser zum Ausdruck. Wegen des grundrechtlichen Schutzes der Autonomie führt der Weg zur zulässigen Rechtsgutsbeeinträchtigung beim Patienten im Rahmen der Behandlungsverträge aber regelmäßig über dessen Beteiligung und fachliche Einbeziehung vor Eingriffsbeginn. Kapitel 3

Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens Die nachfolgend untersuchten Bereiche des Rechtsgüterschutzes am Beginn und Ende des menschlichen Lebens, betreffen nicht den Kernbereich der Heilbehandlungen im Arzt-Patienten-Verhältnis. Die tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen der künstlichen Fortpflanzung und des Schwangerschaftsabbruchs sowie die zunehmenden Möglichkeiten der Pränatalmedizin rücken das vorgeburtliche Stadium aber 512

BVerfGE 39, 1 (46 f.). Zur Bedeutung strafrechtlichen Schutzes auch Eser, ZStW 97 (1985), 44ff., der diesem ebenfalls nur eine Leit- und Verstärkungsfunktion beimißt. Ohne übergeordneten verfassungsrechtlichen Rahmen auf die Schwierigkeiten der Gewinnung normativer Standards im Spannungsfeld Medizin - Recht hinweisend auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 4 Rn. 29 ff. 514 Dazu bereits oben 1.1.; zur Problematik und verschiedenen Gesetzesentwürfen weiter H. Schröder, NJW 1961, 951ff. m.w.Nw.; Deutsch, Rn.299a. 5,3

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

durchaus in den Bereich des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Dasselbe gilt für die Sterbehilfe, bei der infolge der aussichtslosen Situation des Patienten aus einer ärztlichen Heilbehandlung eine ärztliche Betreuung beim Sterben wird. Wegen dieser Anknüpfung werden sie in die Untersuchung aufgenommen, 515 was zugleich die Überprüfung ermöglicht, ob sich das im Teil A entwickelte verfassungsrechtliche Schutzpflichtkonzept auch in Grenzbereichen des Rechts bewährt. Obwohl es beim Schwangerschaftsabbruch und der Sterbehilfe nicht um die Wiedergenesung geht, sondern das Leben des Rechtsgutsträgers vernichtet wird, ist der Weg dahin von den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht geprägt, wie auch der körperlichen Unversehrtheit und dem Selbstbestimmungsrecht eigene Bedeutung zukommt. 516 In beiden Bereichen soll der Rechtsgüterschutz de lege lata primär durch das - wie bereits gesehen - nicht unproblematische Instrument des Strafrechts gewährleistet werden. I. Beginn des Lebens und vorgeburtliches Stadium 1. Schutzpflichtkonstellation Die Fortpflanzungsmedizin 517 ermöglicht die Entstehung menschlichen Lebens, wenn der Wunsch nach Kindern auf natürlichem Wege nicht erfüllt werden kann. Der Schwangerschaftsabbruch vernichtet das menschliche Leben vor der Geburt. Die auf den ersten Blick angesichts ihrer Zielrichtung gegensätzlich erscheinenden Bereiche sind jedoch miteinander verbunden. Die Entwicklung medizinischer Verfahren zur künstlichen Insemination, Retortenbefruchtung und Embryonenverpflanzung ist untrennbar verbunden mit verfeinerten Methoden, die gegen unerwünschte Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt eingesetzt werden können.518 Die verbreitet durchgeführten pränatalen Untersuchungen zeigen die Verbindung der vermeintlichen Gegensätze: Bei negativem medizinischem Befund wird die künstliche Befruchtung und Schwangerschaft fortgesetzt, bei positivem droht ihr Abbruch. Auch die rechtliche Trennung, nach der die künstliche Fortpflanzung und extrakorporale Befruchtung sowie die in ihrem Gefolge auftretenden Manipulations- und Zugriffsmöglichkeiten durch das Embryonenschutzgesetz519 erfaßt wer515 Auch die Enquete-Kommission Moderne Medizin, S.441 geht hier von Arzt-PatientenVerhältnissen aus. 516 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen, insbesondere dem zeitlichen Umfang des Lebensschutzes und der Trennung von Art. 1 Abs. 1 GG oben A Kap. 1 III., II. 517 Die Verfahren der künstlichen Fortpflanzung, die Embryonenforschung und Manipulationen am Embryo unterfallen der Reproduktionsbiologie und der Humangenetik; kritisch gegen den Begriff der „künstlichen Befruchtung" Beier, S. 9, der auf die Bezeichnung „assistierte Reproduktion" als sachlich treffender und international üblich hinweist. Die artifizielle Reproduktion liefert menschliches Gewebe für Experimente und genetische Manipulationen; vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 129 Rn.2ff. 518 Vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 129 Rn.4. 519 Embryonenschutzgesetz (ESchG) v. 13.12.1990, BGBl. I S. 2746, im folgenden ESchG.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen L e b e n s 2 5 5

den, während der Schwangerschaftsabbruch in den §§ 218 ff. StGB geregelt wird, ist mehr formaler Art. Materielle Verbindungen ergeben sich sowohl aus der Tatsache, daß das Recht dem medizinischen Zusammenhang Rechnung zu tragen hat, als auch aus der Regelungssystematik der verschiedenen Vorschriften. Vor allem aber besteht ein Zusammenhang wegen des verfassungsrechtlichen Überbaus, insbesondere wegen der grundrechtlichen Schutzpflicht für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, die das vorgeburtliche Stadium erfaßt. 520 Intention sowohl der gesetzlichen Regelungen zum Embryonenschutz als auch zum Schwangerschaftsabbruch ist der Lebensschutz des Ungeborenen, 521 wenngleich sie auch den Rechtsgüterschutz der potentiellen Mutter oder Schwangeren mit berücksichtigen. Aufgrund der Durchführung der Behandlungen und Eingriffe durch Ärzte sind Schutzpflichtkonstellationen im Sinne des Arzt-Patienten-Verhältnisses gegeben. Zunächst wird die gesetzliche Ausgestaltung des Rechtsgüterschutzes dargestellt (unten 2.). Danach ist der Blick auf Widersprüche zu den Vorgaben für die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht und auf entsprechende Abhilfemöglichkeiten zu richten (unten 3.). 2. Ausgestaltung des Rechtsgüterschutzes im vorgeburtlichen Stadium Strafrechtlicher Lebensschutz im vorgeburtlichen Stadium wird nicht durch die §§212, 222 StGB gewährleistet. Diese setzen die Tötung eines Menschen voraus. Mensch im Sinne des StGB wird man mit dem Beginn des Geburtsaktes,522 das heißt mit Einsetzen der Eröffnungswehen, 523 so daß eine Strafbarkeit nach diesen Vorschriften im zeitlich davor liegenden Stadium ausscheidet. In diesem greifen die §§ 218-219 b StGB ein, durch die neben der Gesundheit der Schwangeren524 vor allem das vorgeburtliche menschliche Leben geschützt werden soll. 525 Der Strafgesetzgeber trägt damit der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung, die die Tatsache widerspiegelt, daß das menschliche Individuum weder teilbar noch austauschbar, sondern im Sinne einer stufenlosen Entwicklung zum 520

Vgl. oben A Kap. 1 III. Im Vordergrund der nachfolgenden Ausführungen steht die Schutzpflicht für die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der davon zu trennende Menschenwürdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 GG (dazu oben A Kap. 1 II.) ist dagegen nicht derart umspannend; vgl. unten 3. sowie Lorenz, ZfL 2001, 42ff. m. zahlr. Nw. 521 Vgl. nurEser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§218ff. Rn.9ff. m. w.Nw. 522 BGHSt 31, 348 m. Anm. Arzt, FamRZ 1983, 1019; Eser, in. Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 13 m. w. Nw. Bislang ging dies auch aus dem jetzt aus anderen Gründen weggefallenen §217 StGB hervor. 523 BGHSt 32, 194 (195 ff., im Einklang mit der medizinischen Wissenschaft) m. Anm. Koch, MedR 1985, 84. 524 Zur veränderten Auffassung diesbezüglich Eser, in Schönke/Schröder, Vorbem §§ 218 ff. Rn. 12 m. w. Nw. 525 Siehe auch Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn. 16 m. w.Nw.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Mensch hin schon vorgeburtlich festgelegt ist. 526 Die moderne Fortpflanzungsmedizin hat indes Gefährdungslagen für das ungeborene Leben geschaffen, die durch die §§ 218 ff. StGB nicht bewältigt werden. Kennzeichnend ist die Entstehung des menschlichen Leben außerhalb des Mutterleibs (in vitro), 527 wofür § 218 StGB keinen Schutz bewirkt. Die §§ 218 ff. StGB greifen erst ein, wenn der Embryo das invitro-Stadium verlassen hat, in die Gebärmutter der Frau transferiert wurde und sich dort eingenistet hat. Bis dahin wird der Embryonenschutz durch das ESchG gewährleistet. Von den §§ 218 ff. StGB und dem ESchG wird allerdings nur vorsätzliches Verhalten erfaßt. Ähnlich ist die Situation beim Schutz der körperlichen Unversehrtheit, der nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eigenständig geboten ist. 528 Beeinträchtigungen des in und ex utero geschützten entstehenden Menschen führen nicht stets zu dessen Vernichtung, 529 so daß dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit eigene Bedeutung zukommt. 530 Schutzsubjekt der §§ 223 ff. StGB ist „eine andere Person", was nach einhelliger Auffassung den geborenen Menschen voraussetzt.531 Daher wird zum Teil vertreten, daß pränatale Verletzungshandlungen nicht von den §§223 ff. StGB erfaßt werden und zwar unabhängig davon, wann ihr Erfolg eintritt. 532 Da die §§ 218 ff. StGB Tötungsdelikte sind, 533 kommt danach de lege lata nur der Schutz durch das ESchG in Betracht. 534 Einen Schutz durch § 223 StGB bewirkt dagegen die Auffassung, nach der von § 223 StGB solche pränatalen Handlungen erfaßt werden, deren körperliche Schädigungen erst nach der Geburt eintreten oder fortwirken. 535 Etwas strenger ist zum Beispiel Eser, nach dem maßgeblich ist, ob sich die Handlung vor 526 Dazu ausführlich oben A Kap. 1 III.; im Kontext zu nennen sind die BVerfGE 39,1 (dazu hervorzuheben ist die kritische Auseinandersetzung von Steiger, S. 261 ff.) und 88, 203 zum Schwangerschaftsabbruch. 527 Zu den einzelnen Verfahren ausführlich Beier, S. 10 ff. 528 Vgl. oben A Kap. 1 III.2.; Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn.20ff. 529 Zunehmend wird der Körperverletzungsvorsatz als vom Tötungsvorsatz umfaßt und damit nur als subsidiär zurücktretend angesehen, was v. a. beim Rücktritt vom Versuch der Tötung bedeutsam ist; vgl. Tröndle/Fischer, § 211 Rn.47 m. w. Nw. Früher wurde überwiegend vertreten, daß der Tötungsvorsatz den Körperverletzungsvorsatz sogar ausschließe; vgl. nur RGSt 61,375. 530 Z. B. bei der abgetriebenen, aber noch lebenden Leibesfrucht oder Embryonen nach abgeschlossener Einnistung im Mutterleib, an denen Untersuchungen/Behandlungen vorgenommen werden. 531 Gleiches wurde auch für §223 StGB a.F („einen anderen") angenommen; stellvertretend Eser, in. Schönke/Schröder, § 223 Rn. 1. 532 Zahlr. Nw. bei Keller/Günther/Kaiser, B I Rn. 5; siehe auch BVerfG, NJW 1988, 2945. 533 Schwangerschaftsabbruch bedeutet die vorsätzliche Tötung ungeborenen menschlichen Lebens; BVerfGE 39,1 (46). Auch über den strafbaren Versuch nach §218 Abs. 4 StGB können Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit des Ungeborenen nicht befriedigend erfaßt werden. 534 Dazu unten a). 535 Entspr. Nw. bei Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 1 a. Infolge der Straflosigkeit des fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs kommt keine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB in Betracht; Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 1 a.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen L e b e n s 2 5 7

oder nach der Geburt auszuwirken beginnt: Bei vorgeburtlichem Beginn der Auswirkung ist nach ihm aber nur der Schutz des § 218 StGB gegeben,536 der die körperliche Unversehrtheit gerade nicht schützt. a) Künstliche Fortpflanzung

und Embryonenschutz

Das ESchG trat nach einer relativ langen Vörlaufzeit - schon 1986 lag ein Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zum Schutz von Embryonen vor, 1988 folgten die Gesetzesentwürfe der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin" 537 - am 1.1.1991 in Kraft. 538 Es trug nicht nur dem Umstand Rechnung, daß in den vorangegangenen Jahren durch die Entwicklung neuartiger Fortpflanzungstechniken eine Gefährdungslage erreicht war, die der parlamentarischen Befassung und Klärung bedurfte. Vielmehr stellt es sich auch gegen die damals aufkommende Einordnung der Embryonen als biologisch-medizinisches Forschungsobjekt - eine Einordnung, die sich gegenwärtig wiederholt. 539 Das ESchG ist kein Symbolgesetz,540 sondern besteht aus Strafvorschriften, die überwiegend als Unternehmensdelikte ausgestaltet sind. 541 Dadurch wird aus strafrechtlicher Sicht gegen Vorsatztaten ein zeitlich umfassender und gegen einen Angreifer rechtsfolgenintensiver Schutz gewährleistet. Das ESchG war jedoch von vornherein mit dem Vorwurf behaftet, es enthalte nur unvollständige Verbotstatbestände, die neben Ausnahmeregelungen wichtige Fragen gar nicht regelten, so daß von bewußt geschaffenen Regelungslücken im Dienste der Forschung zu sprechen sei. 542 In der Tat wurden im Bereich der Fortpflanzungsmedizin nur einzelne Möglichkeiten und 536

Eser, in: Schönke/Schröder, § 223 Rn. 1 a. Daneben ist die Tätigkeit der sog. „Benda-Kommission" und der Enquete-Kommission des Bundestags hervorzuheben; vgl. Deutsch, NJW 1991, 723. 538 Zur Entwicklung Deutsch, NJW 1991, 721 f., auch zum Streit zwischen Bundesrat, der umfassend regeln und nach Möglichkeit verbieten wollte, und Bundestag, der nur exzessiven Praktiken vorbeugen wollte; Vismann, DuR 1991, 23. 539 Vgl. Lorenz, ZfL 2001, 38 f. sowie unten 3. 540 Vgl. Deutsch, NJW 1991,724 unter Hinweis auf den im ESchG zum Ausdruck kommenden Grundrechtsschutz des Embryos und den Verstoß bestimmter Techniken der assistierten Reproduktion gegen die Menschenwürde und den Schutz der Ehe und Familie. 541 Zur Bestimmung des Begriffs „unternehmen" ist auf § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB zurückzugreifen: Eine Strafbarkeit ist zeitlich schon mit dem Versuch der Tatbegehung gegeben, der der vollendeten Tat gleichsteht; vgl. Tröndle!Fischer, § 11 Rn. 37. Nur § 12 ESchG enthält eine Bußgeldvorschrift; sanktioniert wird durch sie der Verstoß gegen den Arztvorbehalt (§9 Nr. 3 ESchG), der im übrigen auch strafbewehrt ist (vgl. § 11 ESchG). Daß die im ESchG genannten Tätigkeiten nur durch einen Arzt durchgeführt werden dürfen, ist aus der Sicht der grundrechtlichen Schutzpflicht eine Selbstverständlichkeit, ähnlich dem Bestehen der §§ 212 oder 223 StGB und einer entsprechenden Deliktshaftung. Ein Defizit bezüglich eines Arztvorbehaltes, das heißt eines Behandlungs- oder Betreuungsprivilegs zu Gunsten der Ärzte, besteht jedoch im Bereich der Pränataldiagnostik; dazu unten b). 542 Zur Kritik mit Beispielen anhand des ESchG z.B. Vismann, DuR 1991, 23ff.; Glauben, DRiZ 1997, 306 f. (dort auch S.305f.). 537

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Praktiken herausgegriffen, verboten und unter Strafe gestellt, so daß das Gesetz nur eine Momentaufnahme des damaligen medizinischen Standes darstellt. 543 Angesichts den von Art. 103 Abs. 2 GG vorgegebenen Bestimmtheitsgebot und Analogieverbot lassen sich neue Gefährdungstätigkeiten kaum erfassen. 544 Das ESchG wurde seit seinem Inkrafttreten nicht geändert. Nachfolgend werden die zur Regelung der künstlichen Fortpflanzung erlassenen Vorschriften dargestellt und Schutzlücken im Zusammenhang genannt.5443 Auf die vorwiegend für die Embryonenforschung relevanten Vorschriften wird erst später (unten 3.) eingegangen. aa) Rechtsgüterschutz durch das Embryonenschutzgesetz Im Vordergrund des ESchG steht der Schutz der Embryonen, die als eigenständige Träger der Grundrechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit geschützt werden. 545 Nach den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kommt ihnen auch der (absolute) Menschenwürdeschutz zu, 546 was in der Literatur stark umstritten' 547 und angesichts der jüngsten Entwicklung beim Klonen und dessen therapeutischer Funktion von aktueller Bedeutung ist. 548 Daneben dient das ESchG dem Rechtsgüterschutz der Persönlichkeitsrechte der austragenden Frau und der Gametenspender. 549 In diesem verfassungsrechtlichen Rahmen lassen sich in den Verbotsnormen des ESchG insgesamt550 folgende Teilziele ausmachen, die eine Beeinträchtigung der genannten Grundrechtsgüter verhindern sollen: 1. die Unterbindung einer gespaltenen Mutterschaft, 2. die Reservierung der extrakorporalen Befruchtung für Fortpflanzungszwecke, 3. die Verhinderung der Entstehung überzähliger Embryonen, 4. die Gewährleistung des Rechts auf Selbstbestimmung über die eigene Fortpflanzung, 5. die Wehrung eines Einstiegs in die Eugenik und 6. den Ausschluß 543

Deutsch, NJW 1991, 724. Vgl. Deutsch, NJW 1991, 723. 544a Ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Reproduktionsmedizin in Deutschland auch Hollenbach, in: Lorenz, S. 82 ff. 545 Kellerl Günther! Kaiser, Vor § 11 Rn. 3. 546 Vgl. nur den Regierungsentwurf zum ESchG, BT-Drs. 11/5460, S. 6 sowie die Nachweise bei Deutsch, NJW 1991,723; ebenso Keller ¡Günther¡Kaiser, Vor § 11 Rn. 3; Pap, MedR 1986, 229 ff. 547 Gegen Menschenwürdeschutz v. a. Hoerster, S. 56ff.; JuS 1989, 172ff.; desweiteren Fechner, JZ 1986, 653 ff. 548 Insoweit zurückhaltend gegenüber dem Menschenwürdeschutz z.B. Hilgendorf, in: FS Maurer, S. 1152ff.; zum Ganzen auch Lorenz, ZfL 2001, 45 ff. m. w. Nw. sowie unten 3.c). 549 Kellerl Günther ¡Kaiser, Vor § 1 I Rn. 3. 550 Die einzelnen Vorschriften sind allerdings getrennt auf das Schutzgut und das angestrebte Ziel zu untersuchen; siehe z.B. Kellerl Günther! Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rn.2, § 1 Abs. 1 Nr. 4 Rn. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 6 und passim; dies., § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 4ff. m. w. Nw. auch zum Rechtsgut des „Kindeswohls", das durch das Verbot der gespaltenen Mutterschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ESchG geschützt wird. 544

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fremdnütziger Experimente mit menschlichem Leben in der Retorte. Aufgrund seiner Struktur als strafrechtlichem Regelwerk (dazu sogleich) bezweckt das ESchG zugleich die Erhaltung von Freiräumen für die Medizin und Wissenschaft, ist doch der ärztliche Umgang mit Embryonen nach überwiegender Auffassung umfassend durch die Art. 12 Abs. 1,5 Abs. 3 GG geschützt.552 Die nach dem ESchG zulässigen Tätigkeiten dürfen nach den §§ 9-11 ESchG nur von Ärzten vorgenommen werden, setzen aber die Einwilligung der Beteiligten voraus. 553 Das ESchG nimmt den zeitlichen Beginn des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes auf, indem es in der Legaldefinition des Embryos in § 8 Abs. 1 ESchG an den Zeitpunkt der Kernverschmelzung anknüpft. 554 Andere Anknüpfungspunkte für den Beginn des menschlichen Lebens, insbesondere die Nidation, wurden zu Recht nicht aufgegriffen. 555 Der Schutz des Lebens beginnt damit ab der Befruchtung unabhängig davon, ob sie in vivo oder in vitro erfolgt. 556 Als Embryo gilt nach § 8 Abs. 1 ESchG weiter jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. 557 Allerdings werden nach der Begriffsbestimmung des § 8 ESchG nur entwicklungsfähige Embryonen von den Handlungsverboten erfaßt. Die Einordnung als entwicklungsfähiger oder nicht entwicklungsfähiger Embryo wird regelmäßig von den Ärzten und Forschern vorgenommen, deren Verhalten durch die Verbote gesteuert werden soll. Damit erscheint der Versuch naheliegend, die fehlende staatliche Präventivkontrolle auszunützen und durch eine großzügige Einordnung der Embryonen als nicht entwicklungsfähig straflose Forschung zu betreiben. 558 Die ohnehin bestehenden Aufklärungsschwierigkeiten der Strafverfolgungsbehörden werden hierdurch noch verschärft. Angesichts der gesetzlichen Definition bereitet weiter die Erfassung der 551

Keller/Günther/Kaiser, Vor § 1 I Rn.4. Vgl. nur Reg.-Entw., BT-Drs. 11/5460, S.6; Deutsch, NJW 1991,721 ff.; zur hier vertretenen Auffassung oben A Kap. 3 III. 3.b). 553 §4 ESchG. schützt das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der Ei- und Samenspender sowie der Empfängerin durch die Verbote der eigenmächtigen Befruchtung, der eigenmächtigen Embryoübertragung und der künstlichen Befruchtung nach dem Tode; vgl. Kellerl Günther/Kaiser, § 4 Rn. 1 ff. 554 Der Rechtsbegriff Embryo umfaßt damit die Zygote (befruchtete Eizelle, die einen diploiden Chromosomensatz enthält) und nicht nur die Frucht in der Gebärmutter während der Organentwicklung (die ersten drei Schwangerschaftsmonate). Nach dem dritten Schwangerschaftsmonat bis zum Ende der Schwangerschaft wird die Leibesfrucht als Fetus bezeichnet; zum Ganzen Keller/Günther/Kaiser, § 8 Rn. 1 ff., A II Rn. 31 ff. 555 H. M., stellvertretend Keller/Günther/Kaiser, § 8 Rn. 7; Ulmer, S. 25 m. w. Nw. Andere biologisch-medizinisch denkbare Anknüpfungspunkte sind aufgelistet bei Ulmer, S. 18. Zur verfassungsrechtlichen Problematik oben A Kap. 1 III. 1. 556 Ulmer, S. 25 f. m. Nw. 557 Dazu Keller/Günther/Kaiser, § 8 Rn. 10 ff.; zum Merkmal Totipotenz der Zellen auch Lilie/Albrecht, NJW 2001,2775; der Veränderung menschlicher Keimbahnzellen wird eigenständig nach §§5 i.V.m. 8 Abs. 3 ESchG entgegengewirkt, dazu unten 3.c). 558 Vismann, DuR 1991,24. § 8 Abs. 2 ESchG ordnet eine widerlegliche gesetzliche Vermutung für die Entwicklungsfähigkeit während der problematischen ersten 24 Stunden an; dazu Keller/Günther/Kaiser, § 8 Rn. 8. 552

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Kerntransfermethode, bei der Zellkerne in eine unbefruchtete, entkernte menschliche Eizelle eingepflanzt werden, Schwierigkeiten. 559 bb) Embryonenschutz durch das Verbot mißbräuchlicher Fortpflanzungstechniken In den §§ 1 Abs. 1 Nr. 1-6 ESchG werden zur Mißbrauchsverhinderung gleichsam komplementär enumerativ einzelne fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen, die sich entweder auf den Vorgang der künstlichen Befruchtung oder auf die Verwendung des bereits erzeugten Embryos zu Fortpflanzungszwecken beziehen, verboten und unter Strafe gestellt.560 Außerhalb der Verbote ist die künstliche Fortpflanzung damit gesetzlich zugelassen,561 so daß der Abwälzung der rechtlichen Probleme in das Vertragsrecht und damit allein in den Bereich richterlicher Entscheidungskompetenz zu Recht Einhalt geboten wurde. Den problematischen Umgang mit mehreren Beteiligten erleichtert § 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG, nach dem die Ersatzmutterschaft ausdrücklich verboten ist, so daß entsprechende Vereinbarungen zwischen Wunscheltern und Ersatzmutter, aber auch mit den beteiligten Ärzten gegen § 134 BGB verstoßen und nichtig sind. 562 Die Annahme der eigenständigen Sittenwidrigkeit der Entgeltabsprache563 ist angesichts des ausdrücklichen gesetzlichen Verbotes und des Verhältnisses von § 134 BGB zu § 138 BGB hypothetisch.564 Schwierigkeiten bereitet jedoch nach wie vor die familienrechtliche Situation eines entgegen dem Verbot durch eine Ersatzmutter geborenen Kindes. 565 § 1 Abs. 1 Nr. 1 ESchG soll eine gespaltene Mutterschaft verhindern. Verboten ist nur die Eispende, nicht aber die Embryonenspende. Dies liegt zum einen daran, daß durch § 1 ESchG die Entstehung einer Ersatzmutterschaft schon im Vorfeld verhindert werden soll. 566 Zum anderen dient dies dem Lebensschutz der Embryonen, da eine Übertragung auf eine andere Frau notwendig werden kann, wenn die (erste) Empfängerin stirbt oder das Kind aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr austra559

Das ebenfalls zur Klonierung in Betracht kommende Embryonensplitting wird dagegen erfaßt; zu den Verfahren Stiegler, S.27ff., 50ff. 560 Keller/Günther/Kaiser, Vor § 1 I Rn. 8. 561 Deutsch, NJW 1991,722 bemerkt treffend, daß das ESchG ebenso aufschlußreich durch die unter Strafe gestellten Tätigkeiten ist, wie durch sein Schweigen. 562 H.A., stellvertretend Palandt/Diederichsen, Einfv § 1591 Rn. 18ff.; a.A. z.B. CoesterWaltjen, FamRZ 1992, 371. Zum Verlagsrecht oben Kap. 11.4. 563 So noch OLG Hamm, NJW 1986, 781. 564 Dazu schon oben Kap. 1 1.3. 565 Ist die Ersatzmutter nicht verheiratet, so ist das Kind nichteheliches Kind von ihr und dem Ehemann der Wunscheltern. Ist die Ersatzmutter verheiratet, so ist das Kind eheliches Kind von ihr und ihrem Ehemann, der jedoch die Ehelichkeit anfechten kann. Dann wird es zum nichtehelichen Kind der Ersatzmutter. Diese ist echte Mutter; das Kind kann den Status eines ehelichen Kindes der Wunscheltern nur durch Adoption nach den §§ 1741 ff. BGB erlangen; Palandt/Diederichsen, Einfv § 1591 Rn.20. 566 Keller/Günther!Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rn.9f.

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gen kann. Durch die Beschränkung der Zulässigkeit der Befruchtung von Eizellen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft in § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG wird die gezielte Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken ausgeschlossen.568 Dennoch hat der Gesetzgeber durch die Zulassung der künstlichen Befruchtung ein Dilemma geschaffen, das bei Anerkennung der grundrechtlichen Schutzpflicht entweder kaum lösbar oder Ausdruck eines nur unvollkommenen Schutzes des menschlichen Lebens ist 569 - den Umgang mit überzähligen Embryonen. Zumindest bei Erlaß des ESchG führten nur durchschnittlich 20% der nach In-vitroFertilisation durchgeführten Embryotransfers zur Nidation und Schwangerschaft. Daher wurde die Notwendigkeit gesehen, mehr als einen Embryo innerhalb eines Zyklus übertragen zu können. Dem Rechnung tragend verbietet § 1 Abs. 1 Nr. 3 ESchG die Übertragung von mehr als drei Embryonen innerhalb eines Zyklus. Eine entsprechende Regelung enthält § 1 Abs. 1 Nr. 4 ESchG für den intratubaren Gametentransfer, das heißt die Einbringung männlicher und weiblicher Geschlechtszellen vor der Vereinigung in den Eileiter der Frau, um sich dort zu vereinigen und die Befruchtung der Eizellen zu bewirken. 570 Regelungen bezüglich der Eizellengewinnung und -entnähme fehlen jedoch, so daß die Reagenzglasproduktion von Embryonen vorprogrammiert ist. Hat schon die erste Befruchtung Erfolg, so fallen überzählige Embryonen an, deren Schicksal fraglich ist. 571 Durch die Übertragung mehrerer Embryonen wird zugleich die Möglichkeit von Mehrlingsschwangerschaften geschaffen. Dadurch sind neuartige Bedrohungen des ungeborenen Lebens entstanden, die durch die Beschränkung des Transfers auf drei Embryonen nur reduziert werden können.572 Durch die Methode der Kryokonservierung droht hier eine Vorratshaltung der Embryonen, um diese bedarfsweise zu verschiedenen Zwecken - Forschung oder weitere Fortpflanzung - zu verwenden. Die Zulassung dieses Mehrfachtransfers bewirkt damit schon die Aufweichung des (Teil)Ziels des ESchG, das Entstehen überzähliger Embryonen zu verhindern. 573 Eine ausdrückliche Regelung für den Um567

Kellerl Günther! Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 10. Vgl. hierzu und zur Entwicklungsgeschichte des ESchG Eser, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§ 218 ff. Rn. 11. 569 Keller/Günther!Kaiser, B V Rn. 18. 570 Vgl. Keller ¡Günther/Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 4 Rn. 8. Die Nichterfassung des intrauterinen Gametentransfer stellt dagegen eine nur durch den Gesetzgeber schließbare Regelungslücke dar; Keller/Günther/Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 4 Rn. 12,3. Zu den verschiedenen Möglichkeiten der künstlichen Fortpflanzung und den naturwissenschaftlich-medizinischen Grundlagen insgesamt Keller/Günther/Kaiser, Teil A, sowie bei den einzelnen Vorschriften des ESchG. 571 Dazu sogleich nachfolgend. Zudem ist daraufhinzuweisen, daß angesichts der hohen Gesamtverlustrate bei der In-Vitro-Fertilisation schon in dieser selbst ein für den Embryo lebensbedrohliches Verfahren etabliert wurde; Beckmann, MedR 2001, 173 m. w.Nw. 572 Dies wird unter dem Stichwort „Mehrlingsreduktion durch Fetozid" diskutiert; dazu Keller/Günther/Kaiser, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Rn. 5; zur Entwicklung und Problemen auch Eser, S. 17 ff., 54 ff. 57 3 Keller/Günther/Kaiser, Vor § 1 I Rn.4. 568

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gang mit den überzähligen Embryonen enthält das ESchG nicht. 574 Das Problem vervollständigt sich nun dadurch, daß aufgrund der grundrechtlichen Pflicht zum Schutz des Lebens575 die Kryokonservierung 576 gerade geboten sein könnte, so daß die Frage nach dem weiteren Umgang mit den Embryonen in verschärfter Weise zu stellen ist. Die inhaltliche Verbindung von Fortpflanzungstechniken und anderer Verwendung des Embryos oder dessen totipotenter Zellen, macht deutlich, daß ein weitergehender Schutz des Embryos geboten ist. Diesen soll § 2 ESchG gewährleisten, nach dem umfassend Verwendungen des extrakorporal verfügbaren Embryos zu anderen als Fortpflanzungstechniken verboten sind. Danach ist jede fremdnützige, das heißt nicht seinem Erhalt dienende Verwendung des Embryos ausgeschlossen, was eine Begrenzung der Forschungsmöglichkeiten an menschlichem Zellmaterial und Erbgut bedeutet. Das Auffangtatbestandsmerkmal der (mißbräuchlichen) Verwendung zu anderen Zwecken als der Erhaltung oder Weiterentwicklung im Rahmen der Schwangerschaft erstreckt sich sowohl auf den Umgang mit extrakorporal erzeugten, als auch auf der Gebärmutter vor Abschluß der Einnistung entnommene Embryonen. Nicht erfaßt wird danach die fortentwickelte Leibesfrucht, die bei spontanen Abgängen, legalen oder illegalen Schwangerschaftsabbrüchen (extrakorporal) verfügbar werden kann. 577 Lebende Embryonen dieser Entwicklungsstufe sind strafrechtlich nicht geschützt,578 so daß de lege lata an ihnen geforscht werden oder sie zu Transplantationszwecken verwendet werden können.579 Nicht erfaßt von § 2 ESchG wird auch die imprägnierte Eizelle bis zur Vereinigung der Vörkerne zur Zygote mit diploidem Chromosomensatz, so daß in diesem (Vorkern)Stadium an überzähligen Eizellen verbrauchend geforscht werden könnte. 580 Durch diese Strafvorschriften wird der zu Gunsten der Ärzte in Form des sog. Arztvorbehalts nach § 9 ESchG reservierte Tätigkeitsbereich der Fortpflanzungsme574 Die aus dieser Regelungslücke resultierenden Fragestellungen nennt Kellerl Günther! Kaiser, B V Rn. 18 f. 575 Diese erstreckt sich auch auf extrakorporal erzeugtes menschliches Leben und beginnt mit der Vereinigung der Keimzellen; vgl. oben A Kap. 1 III. 1. und im Zusammenhang Beckmann, ZRP 1987, 82ff. m. w.Nw., auch zur Gegenansicht. 576 Gegen diese Beckmann, ZRP 1987, 86; Pap, MedR 1986, 235, beide aber ohne Beachtung der grundrechtlichen Schutzpflicht. 577 Vgl. Keller/Günther/Kaiser, Vor § 11 Rn.7. 578 Neben § 2 ESchG greifen auch die §§ 211 ff., 223ff. StGB nicht ein, da diese einen geborenen Menschen voraussetzen, was nach der Rspr. eine frühgeborene oder abgetriebene Leibesfrucht nur erfassen kann, wenn sie unabhängig vom Leben der Mutter in menschlicher Weise zumindest für kurze Zeit lebt; BGHSt 10, 291 (292); Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn. 14f. m.w.Nw. 57 9 Keller!Günther!Kaiser, § 2 Rn. 23. Zur Embryonenforschung auch sogleich nachfolgend. 580 § 1 Abs. 2 ESchG enthält nur ein Erzeugungsverbot im Vorkernstadium; vgl. Keller/Günther! Kaiser, § 2 Rn. 10 unter Berufung auf § 8 Abs. 3 ESchG, sowie die unterschiedlichen Regelungen in § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 ESchG. Überzählige Eizellen könnten bei Verstößen gegen das Erzeugungsverbot nach § 1 Abs. 2 ESchG oder auf legale Weise wie die Vorratskryokonservierung zu ursprünglichen Implantationszwecken gewonnen werden; Eser, S.55f. hält dagegen eine Strafbarkeit für möglich.

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dizin beschränkt. § 1 ESchG stellt im wesentlichen ein medizinisch durchdrungenes Sonderstrafrecht für Ärzte dar, 581 da die Strafbarkeit der Frau, von der die Eizelle oder der Embryo stammt, sowie der Frau, auf die die Eizelle übertragen wird oder der Embryo übertragen werden soll (§§1 Abs. 1 Nr. 1, 2,6 ESchG), durch § 1 Abs. 3 Nr. 1 ESchG, die Strafbarkeit der Ersatzmutter und der nachfolgend aufnahmewilligen Person (§ 1 Abs. 1 Nr. 7 ESchG) durch § 1 Abs. 3 Nr. 2 ESchG ausgeschlossen wird. Konkretisierungen der gesetzlich genannten Methoden und die Bestimmung der Voraussetzungen ihrer Anwendung erfolgen aber nur durch standesrechtliche Regelungen, insbesondere Richtlinien und Bekanntmachungen der Bundesärztekammer 582 und in den Berufsordnungen der Landesärztekammern. 583 b) Pränatale Untersuchungen Die moderne Medizin ermöglicht auch Untersuchungen im vorgeburtlichen Stadium. Es handelt sich dabei vorwiegend um verschiedene genetische Analysen, durch die bestehende oder zu erwartende Krankheiten erkannt werden können.584 Die neuen biologisch-medizinischen Untersuchungsmöglichkeiten unterscheiden sich von herkömmlichen Diagnosen vor allem dadurch, daß der zukünftige Gesundheitszustand in den Bereich des Diagnostizierbaren gerückt wird. Mit der pränatalen gentechnischen Diagnose rückt auch die pränatale Heilbehandlung näher, wie allgemein auf die Verknüpfung mit der Gentherapie als (anderem) humangenetischen Behandlungsverfahren hinzuweisen ist. 585 Die Anwendung der Verfahren wird durch die Möglichkeit von In-vitro-Diagnosen, insbesondere der Präimplantationsdiagnostik, bei der künstlichen Befruchtung erleichtert und provoziert. 586 Klar ist, daß pränatale Untersuchungen nicht nur den werdenden Menschen berühren, sondern auch die schwangere oder implantationswillige Frau individiuell und als El581

Deutsch, NJW 1991, 722. Abgedruckt z.B. bei KellerIGünther/Kaiser, Anhänge 2-5. 583 Z.B. in F. Nr.2 (mit Anhang) BO Landesärztekammer BW i.d. Neu-F. v. 14.1.1998. 584 Hervorzuheben sind die Chromosomen-Analysen (Zytogenetische Analysen - hier finden mikroskopische Untersuchungen auf Zahl und Zustand der Chromosomen statt) sowie die DNA-Analysen (hier werden molekularbiologische Methoden zur Feststellung von Veränderungen einzelner Gene und deren Regulation eingesetzt); vgl. Hennen/Petermann/Schmitt, S. 60ff.; zu den Verfahren im Einzelnen auch Vollmer, S. 18 ff. 585 Zum Ganzen auch Vollmer, Genomanalyse und Gentherapie. Im Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Somatische Gentherapie", S. 38 ff. werden unter die somatischen Gentransfermethoden im Rahmen der somatischen Gentherapie auch diagnostische und präventive Einsatzbereiche gefaßt; ebenso Vesting, S.38f. Weiter steht nach Hennen!Petermann/Schmitt, S.Iii, ein gentherapeutisches „Medikament" gegen die Bluterkrankheit kurz vor der ersten klinischen Prüfung. Diese unterfällt dem AMG (§§40,41 AMG) und als unmittelbare Anwendung eines gentechnischen Verfahrens wie die somatische Gentherapie insgesamt nicht dem GenTG (vgl. § 2 Abs. 2 GenTG, Abgrenzungsprobleme sind allerdings denkbar - vgl. nur § 37 GenTG); zur Anwendung des AMG auf die somatische Gentherapie unter dem Aspekt des Patientenschutzes v. a. Vesting, S. 56 ff. 586 Vgl. Losch, S. 32; Hufen, MedR 2001,440f. 582

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

ternteil, und mithin die Familie insgesamt. Die hier zu Grunde liegenden Grundrechtspositionen werden, ebenso wie die der Ärzte, erst unten im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Gesamtbetrachtung untersucht. 587 Nachfolgend geht es nur um die dem Embryo zukommenden Grundrechtsgüter und ihren Schutz durch das einfache (Straf)Recht.

aa) Grundrechtsrelevanz im vorgeburtlichen Stadium Gentechnische Untersuchungen am ungeborenen Menschen sind als körperliche Eingriffe grundrechtsrelevant. Auch das vorgeburtliche Stadium ist Teil der menschlichen Entwicklung und vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßt. Ähnlich wie bei ärztlichen Heilbehandlungen an Patienten wird auch bei pränatalen Eingriffen die körperliche Unversehrtheit des Embryos beeinträchtigt, während das Leben gefährdet werden kann. 588 Im Unterschied zu herkömmlichen ärztlichen Eingriffen an Patienten kann dem Rechtsgutsträger in diesem Stadium aber kein Selbstbestimmungsrecht zukommen. Das Rechtsgut Leben ist daneben unter dem Aspekt betroffen, daß die pränatalen Untersuchungen oft in unmittelbarem Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen stehen. Die Relevanz der Menschenwürde zeigt sich hier erst im Kontext. Art. 1 Abs. 1 GG ist m. E. nicht schon bei medizinisch indizierten Untersuchungen, sondern erst bei breiter, nicht medizinisch indizierter Anwendung angesprochen.589 Das Problem, insbesondere der DNA-Analyse, ist das enorm hohe Datenresultat (Informationsspektrum). Aufgrund der besonderen Bedeutung der Diagnose für erst später ausbrechende Krankheiten (Krankheitsdispositionen) und der Feststellung von Anlageträgerschaften (Heterozygotennachweis bezüglich späterer Nachkommen) oder gar krankheitsunabhängiger Eigenschaften, 590 ist auch der grundrechtliche Datenschutz stärker gefordert, als bei herkömmliche Diagnoseuntersuchungen.591 Die pränatalen Untersuchungen werden von der grundrechtlichen Schutzpflichtkonstellation erfaßt. Die Notwendigkeit des grundrechtlichen Schutzes zeigt sich auch an der früher von der Bundesärztekammer vertretenen medizinischen Einordnung der genetischen Beratung und Diagnostik, die noch 1980 als ein „wichtiges Teilgebiet der Präventivmedizin" - das heißt zur Verhinderung der Entstehung derartiger Krankheiten und damit der Geburt 587

c)aa) und v. a. 3. Vgl. nur Vollmer, S. 106ff. 589 Dies gilt auch nach der Geburt, z. B. gegenüber Bestrebungen aus Kreisen der Arbeitgeberschaft oder des Versicherungswesens. 590 Z.B. Charaktereigenschaften oder Intelligenz; in den U.S.A werden derartige Identifikationsprojekte teilweise auch von staatlichen Stellen unterstützt; Hennen!Petermann/Schmitt, S.64f. 591 Dennoch wird z. T. verharmlosend gesagt, die DNA-Analyse erweitere als zusätzliches Untersuchungsinstrument lediglich das Informationsspektrum, besitze aber ansonsten ein Potential, das mit den anderen Methoden vergleichbar ist; dagegen zutreffend Hennen/Petermann/Schmitt, S.63ff. m.Nw. 588

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insgesamt - bezeichnet wurde. Eine mit den Vorgaben des grundrechtlichen Lebensschutzes auch bei Schwangerschaftsabbrüchen 593 kollidierende Einordnung wird heute weniger offen ausgesprochen, als vielmehr de facto praktiziert - eine Vielzahl der genetischen Diagnosen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge wird ohne genetische Beratung erbracht 594 und führt zur Tötung des Ungeborenen, zum Teil auch zum Sterbenlassen nach der Geburt. 595 bb) Rechtsgüterschutz bei pränatalen Untersuchungen Für den Bereich der künstlichen Befruchtung besteht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG eine ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes.596 Dennoch besteht de lege lata gegen die pränatalen körperlichen Eingriffe und Gefährdungen kein spezifischer strafrechtlicher Schutz durch das StGB oder das ESchG.597 Die rechtlichen Grundlagen der Ausgestaltung der ärztlichen genetischen Beratung und Diagnostik sind die Empfehlungen und Richtlinien der Ärzteschaft und ihrer Verbände.598 Daneben findet eine gewisse Steuerung durch § 218 a Abs. 2 StGB statt, der in seiner Neufassung die rein kindliche (eugenische) Indikation nicht mehr ausdrücklich enthält. Der zivilrechtliche Schutz scheint dagegen effektiver. Ein zwischen den Eltern und dem Arzt geschlossener Vertrag über die Untersuchung des Ungeborenen wird von der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nicht den §§ 134, 138 BGB unterstellt. 599 Schuldhafte Behandlungsfehler, die nach der Geburt sichtbar werden, können immerhin zur vertraglichen oder deliktischen Haftung des Arztes führen. Diese kann m. E. als notwendige Kehrseite der Arzthaftung wegen Diagnosefehlern oder 592 593 594

ten c).

Hennen! Petermann! Schmitt, S.75. Vgl. nur BVerfGE 39,1; 88, 203. Hennen! Petermann! Schmitt, S.75 ff. m. entspr. Nw.; zum Schwangerschaftsabbruch un-

595 Vgl. Philipp, ZfL 2000,71 ff. mit Kritik an der bestehenden Gesetzeslage und Rechtsprechung im Straf- und Zivilrecht. 596 Eingefügt durch das 42.ÄndG v. 27.10.1994, BGB1.I S.3146; vgl. z.B. Degenhart, in: Sachs, Art. 74 Rn.96ff. 597 Etwas anderes gilt nur für die Präimplantationsdiagnostik (PID); dazu unten cc). 598 An erster Stelle zu nennen der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer; vgl. die Richtlinien zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen, DÄB1.95 (1998), A 3236 ff. (abrufbar auch über zu Inhalten des Standesrechts witex Hennen!Petermann! Schmitt, S. 82f. Großzügig gegenüber Regelungen durch Kammersatzungen z.B. Michael Schröder, VersR 1990, 243 ff., der allerdings den bedeutsamen Aspekt der Außenwirkung des Standesrechts nicht ausreichend beachtet. 599 Nach dem BGH verstoßen Verträge über die Beratung und Untersuchung potentieller Eltern nicht gegen § 134 oder § 138 BGB - die intendierte Verhinderung der Zeugung eines erbgeschädigten Kindes ist die Herbeiführung eines rechtmäßigen Erfolges im vertragsrechtlichen Sinn; BGH, NJW 1994,788 (790 f.) m. w.Nw. zur Rspr. und in Reaktion auf BVerfGE 88, 203 (LS 14). Ebenso werden auf Sterilisation gerichtete Verträge als zulässig angesehen; BGH, NJW 1994, 788 (790f.) m. Nw. In diesen Fällen ist allerdings der Rechtsgutsträger Embryo noch gar nicht vorhanden, so daß eine andere grundrechtliche Ausgangslage vorliegt - im Vordergrund steht das Selbstbestimmungsrecht der Eltern.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

unterlassener Aufklärung über die Möglichkeit genetischer Untersuchungen, verbunden mit der anschließenden Geburt eines behinderten Kindes, 600 eingeordnet werden. Nur einen weiteren Steuerungsfaktor stellen die Bestimmungen der gesetzlichen Krankenversicherung dar. 601 Insgesamt ist im Bereich der pränatalen Untersuchungen und Behandlungen eine normative Schutzlücke festzustellen. Diese resultiert aus dem defizitären Schutz der körperlichen Unversehrtheit im vorgeburtlichen Stadium durch das einfache Recht. Unabhängig von Beweisschwierigkeiten im Zivil- und Strafrecht wird den Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, insbesondere dem Gebot präventiven Schutzes materiell-rechtlich nur unzureichend Rechnung getragen. Auch ein wirksamer Schutz des Lebens erscheint zweifelhaft, da das geltende Recht und seine Anwendung durch die staatlichen Organe den Zusammenhang zwischen pränataler Untersuchung und Schwangerschaftsabbruch nicht berücksichtigt. 602 In diesem Sinne kommen auch Hennen/Petermann/Schmitt zu einer kritischen Einschätzung der rechtlichen Handhabung der genetischen Analysen: De lege lata bestehen von gesetzgeberischer Seite keine harten Barrieren gegen eine extensive Nutzung gentechnischer Testmöglichkeiten. Unsicher ist auch, ob die standesrechtlichen Versuche der Selbstregulierung ausreichen, einer ungesteuerten und unreflektierten Nutzung genetischer Diagnosen Einhalt zu gewähren. 603 Zudem droht nach geltendem Recht eine Leistungserbringung durch Nicht-Mediziner, da der Begriff der Ausübung der Heilkunde häufig restriktiv ausgelegt wird. 604 Diese führen zum Beispiel reine Labortests und auch Beratungen durch, was im Hinblick auf den Schutz der Embryonen und potentiellen oder werdenden Eltern weniger wegen des in diesem Bereich ohnehin umstrittenen Arztvorbehalts, sondern wegen der drohenden Entkopplung von Beratung und Diagnose problematisch ist 605 - zum Rechtsgüterschutz durch das Beratungskonzept unten (c), 3.). cc) Präimplantationsdiagnostik Nicht zulässig ist momentan dagegen die sog. Präimplantationsdiagnostik (PID), soweit sie an totipotenten Zellen durchgeführt wird. Bei der PID wird eine geneti600 Der ohnehin nur ein obiter dictum darstellende LS 14 in BVerfGE 88,203 wurde einhellig abgelehnt; vgl. aus der Lit. nur Deutsch, NJW 1993,2361 ff.; Giesen, JZ 1994,286 ff. sowie die Folgerechtsprechung BGH, NJW 1994, 788. Problematisch ist allerdings, daß die Aufklärung hier direkt in eine entsprechende Abbruchs-Empfehlung mündet; Hennen! Petermann! Schmitt, S.147. 601 Vgl. z.B. §§24a, 24b, 27a, 28, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10, Nr. 11 SGB V. 602 Dazu ausführlich Philipp, ZfL 2000, 72 ff. 603 Hennen!Petermann!Schmitt, S. 89, 82 ff. 604 Vgl. §§ 1 Abs. 1 HeilPrG; 2 Abs. 5 BÄO. 605 Zu den Problemen ausführlich Hennen!Petermann!Schmitt, S. 98 f., 141 ff., wie auch zur Einheit von Beratung und Diagnose sowie den Chancen und Risiken der Pränataldiagnostik insgesamt (S. 74ff., 91 ff.).

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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sehe Analyse der in-vitro befruchteten Eizelle vor der Implantation in die Gebärmutter durchgeführt. Da diese Zelle totipotent und entwicklungsfähig ist, gilt sie gemäß § 8 Abs. 1 ESchG als Embryo, so daß die Schutzvorschriften des ESchG eingreifen - seil, die §§ 2 Abs. 1,6 Abs. 1 ESchG, nach denen die nicht seiner Erhaltung dienende Verwendung sowie das Klonen von Embryonen verboten ist. 606 In Zukunft erscheint aber die PID auch nach der Differenzierung des Embryos im Embryoblast (dem künftigen Fötus) und Trophoblast (dem künftigen embryonalen Nährgewebe) möglich. Untersuchungen der hier entnehmbaren nicht totipotenten Zellen vor der Implantation des Embryos in die Gebärmutter sind damit nicht auszuschließen, wobei zum einen ein hohes Verletzungsrisiko für den Embryo besteht und zum anderen eine Beeinträchtigung der Nidationschancen nicht ausgeschlossen werden kann. 607 De lege lata besteht hier abgesehen von § 2 Abs. 2 6 0 8 auch kein Schutz nach dem ESchG, da nach § 8 Abs. 1 die nicht (mehr) totipotente Zelle nicht selbständig entwicklungsfähig ist und daher kein taugliches Tatobjekt für die §§2 Abs. 1, 6 Abs. 1 darstellt. 609 Umstritten ist indes, ob dafür eine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG gegeben sein kann. 610 Dasselbe gilt für § 1 Abs. 1 Nr. 5 und § 2 Abs. 1 ESchG unter den Aspekten des Umgangs mit dem „Rest"-Embryo oder des Untersuchens.611 Die insoweit bestehende Rechtsunsicherheit wird auch nicht durch § 3 ESchG ausgeräumt. Die danach ausnahmsweise zulässige Geschlechtswahl bei schweren geschlechtsgebundenen Erkrankungen setzt zwar entsprechende Untersuchungen voraus. Da diese jedoch über eine Auswahl der Keimzellen noch vor Entstehung des Embryos vorgenommen werden, 612 kann § 3 ESchG keine Aussage hinsichtlich der PID entnommen werden. 613 Bei fehlendem Schutz durch das ESchG und unabhängig von Beeinträchtigungen des Embryos durch die PID selbst, besteht auch bei der PID als pränataler Untersuchung das Problem der Verbindung zum Schwangerschaftsabbruch. 614 606

S. Schneider, MedR 2000, 360f. m. w. Nw.; Kellerl Günther! Kaiser, §§ 2 Rn. 54, 6 Rn. 9; Regierungsentwurf ESchG, BT-Drs. 11/5460, S. 11 f. 607 Hennen/Petermann/Schmitt, S. 88. 608 Dieser kommt in Betracht, wenn aufgrund des zeitlichen Untersuchungsablaufs eine Einnistung wegen des fortgeschrittenen Entwicklungsstadiums nicht mehr möglich ist; Kellerl Günther!Kaiser, § 2 Rn. 56. 609 S. Schneider, MedR 2000,361. Anknüpfungspunkt für §2 Abs. 1 könnte auch die Nichtverwendung des Embryos nach positiver Diagnose und damit eine Tatbegehung durch Unterlassen (§13 StGB) sein, die jedoch am Selbstbestimmungsrecht der Patientin scheitert; S. Schneider, MedR 2000, 362 ff. Ein Verwenden durch Unterlassen wird dagegen grundsätzlich abgelehnt von Keller/Günther¡Kaiser, § 2 Rn. 34; Vor § 1 II Rn. 73. 610 Bejahend z.B. Beckmann, ZfL 2001, 12ff.; ablehnend z.B. v.Renesse, ZfL 2001, lOff.; vgl. auch S. Schneider, MedR 2000, 361 f. m. entspr. Nw. 611 Zur strafrechtlichen Relevanz der PID insgesamt S. Schneider, MedR 2000, 362 ff. m. w. Nw; Keller ¡Günther¡Kaiser, § 2 Rn. 34, 55 f. 612 Keller/Günther/Kaiser, §3 Rn.3. 613 S. Schneider, MedR 2000, 364. 614 Dazu bereits oben aa), bb) sowie unten 3.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

c) Schwangerschaftsabbruch Der Schwangerschaftsabbruch wird strafrechtlich von den §§218 ff. StGB erfaßt, 615 deren Fassung maßgeblich vom zweiten Schwangerschaftsabbruchsurteil des Bundesverfassungsgerichts 616 beeinflußt wurde. Durch dieses wurde auch der Streit über die Zusammenführung der unterschiedlichen Regelungen in Ost und West beendet und die verfassungsgerichtliche Übergangsregelung abgelöst.617

aa) Rechtsgüterschutz und Lebensvernichtung Der Schwangerschaftsabbruch führt zur Vernichtung des ungeborenen Lebens. Es handelt sich um eine Disposition Dritter über die Existenz des Rechtsgutsträgers. Vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzpflicht für das Leben ist dieses Ergebnis jedoch möglichst zu vermeiden und kann nur ausnahmsweise akzeptiert werden. Der Schwangerschaftsabbruch unterfällt schon formal der Schutzpflichtkonstellation, da die Eingriffe in das Rechtsgut Leben nicht von staatlicher Seite durchgeführt werden. Vor allem aber stellen die §§ 218ff. StGB keine Eingriffe oder Eingriffsermächtigung, sondern eine staatliche Duldung und NichtSanktionierung dar, die die Einhaltung der staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen zur Verhinderung des Abbruchs erzwingen sollen. M. E. folgt die Notwendigkeit parlamentarischer Regelungen damit weniger aus Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG, als aus den oben (A Kap. 2) entwickelten Vorgaben zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Schwangerschaftsabbruch kann sanktionslos nur geduldet werden, wenn ihn gleichrangige und -wertige Rechtsgüter unumgänglich machen. Dementsprechend nimmt das Bundesverfassungsgericht an, daß das Lebensrecht des Ungeborenen neben der Menschenwürde auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frau berührt. 618 Diese Grundrechtspositionen können in Ausnahmesituationen dazu führen, der Frau die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes nicht aufzuerlegen. 619 Gleiches gilt unter dem Aspekt des sich an die Schwangerschaft anschließenden 615

Aufgrund v. Art. 13 SFHG (Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangershaftsabbruchs [Schwangeren- und Familienhilfegesetz] v. 27.7.1992, BGBl. I S. 1398 i.d.F. v. Art. 8 SFHÄndG (Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz v. 21.8.1995, BGB1.I S. 1050). 616 V. 28.5.1993; BVerfGE 88,203; vorgehend die einstweiligen Anordnungen BVerfGE 86, 390; 88, 83 und im Kontext BVerfGE 39, 1 - Schwangerschaftsabbruch 1. 617 Zur Entwicklung ausführlich Eser, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§218 ff. Rn. 1 ff.; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn. 1 ff., beide m. zahlr. w. Nw. 618 BVerfGE 88,203 (254); 39,1 (42ff.). Entgegen Steiger, S. 263 ergibt die Pflicht der Mutter zum Austragen des Kindes aber nicht aus der objektiv-rechtlichen Herleitung der Schutzpflicht, sondern zwangsläufig aus dem Verletzungsverbot für Dritte. 619 BVerfGE 88, 203 (255).

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dauerhaften Umgangs und der Sorge für das Kind. Diese Ausnahmesituationen bedürfen der parlamentarischen Regelung als Ausnahmetatbestände.621 Ohne und außerhalb dieser ist der Lebensschutz strikt und gegenläufiges Verhalten im Rahmen der Schutzpflichterfüllung in geeigneter Weise zu erfassen. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist der Abbruch von Verfassungs wegen während der gesamten Dauer der Schwangerschaft Unrecht und muß rechtlich verboten sein. 622 Daraus und aus den Grenzen grundrechtlich geschützter Tätigkeit folgt m. E., daß sich die beim Abbruch der Schwangerschaft und damit der Tötung des Ungeborenen Beteiligten beim Verletzungsakt nicht auf grundrechtlichen Schutz berufen können.623 Dies gilt auch bei von Ärzten durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen. In Ergänzung zu den Ausführungen zur Humanforschung 624 ist auch die Vernichtung menschlichen Lebens durch den Arzt eine eigenmächtige Inanspruchnahme der körperlichen und existentiellen Rechtsgüter des Ungeborenen, die grundrechtlich nicht geschützt ist. Die eigenmächtige Inanspruchnahme beim Totungsakt wird auch nicht infolge der Duldung, Mitwirkung oder Einwilligung der Schwangeren ausgeschlossen, da diese insoweit selbst über fremde Rechtsgüter disponiert und keinen Grundrechtsschutz genießt.625 Damit kommt es nicht darauf an, ob ein Schwangerschaftsabbruch nach dem Gesetzgeber indiziert ist und zugelassen wird, oder ob er nicht indiziert und strafrechtlich zu verfolgen ist. 626 Die Zulassung durch Verzicht auf strafrechtliche Sanktion des Tötungsakts, die mit der Wirksamkeit den Tötungsakt beinhaltender zivilrechtlicher Verträge verbunden ist, kann allerdings seitens des parlamentarischen Gesetzgebers erfolgen und ist verfassungsgemäß, soweit und solange bei der Ausgestaltung im übrigen insbesondere die Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht beachtet werden. 627 620

Hier ist allerdings darauf hinzuweisen, daß Schutzmaßnahmen nicht nur in der Abwehr von Angriffen Dritter, sondern auch in der Gewährung tatsächlicher Hilfe liegen können. Die Vermeidung sozialer Indikationen durch staatliche Leistungen wird aber von BVerfGE 39, 1 (61 f., 65) nicht ernsthaft in Erwägung gezogen; zu Recht kritisch Steiger, S. 263 ff. 621 BVerfGE 88, 203 (255). 622 BVerfGE 88, 203 (LS 3, S.255); 39, 1 (44). 623 Demgegenüber sollen sich nach BVerfGE 98, 265 (297 f.) die den Abbruch vornehmenden Ärzte auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen können, was nach hier vertretener Auffassung höchstens mit dem Argument einer „heilbehandlungsähnlichen Maßnahme" gegenüber der Schwangeren vertretbar ist. Auch das BVerfG beruft sich auf Rechtspositionen der Schwangeren und den Einsatz der Ärzte zum Schutz des ungeborenen Lebens (S.297). 624 Oben Kap. 3 III. 3. b), c). 625 Nach BVerfGE 88, 203 (255) greifen Grundrechte der Frau gegenüber dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nicht durch; vgl. auch Eser, in: Schönke/Schröder, §218 Rn. 34. 626 A.A. Hillgruber, MedR 1998, 203ff. (vgl. aber S.202). 627 Auch dies zeigt die Nähe zur Eingriffsabwehrkonstellation (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG), die bei ausdrücklichen staatlichen Handlungsbefugnissen gegeben wäre; nicht berücksichtigt wird diese Nähe von Schutz und Eingriff z. B. von Hillgruber, MedR 1998, 202, nach dem eine Tätigkeit außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs liegt, wenn die grundrechtliche Schutzpflicht nur durch ein eine Unterlassungspflicht festlegendes Verbot erfüllt werden kann.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Demgegenüber ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, daß die ärztliche Tätigkeit auch dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG unterfällt, wenn (sogar rechtswidrige) Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. 628 Aus der Sicht des Gerichts ist die ärztliche Tätigkeit notwendiger Bestandteil des gesetzlichen Schutzkonzepts, weil es der ärztlichen Mitwirkung im Interesse der Schwangeren und ihrer Gesundheit bedarf und von der Beteiligung des Arztes am Schutzkonzept zugleich ein besserer Schutz für das ungeborene Leben zu erwarten ist. 629 Mit dieser Argumentation scheint tatsächlich ein Grenzfall im Hinblick auf die Verneinung grundrechtlichen Schutzes bei der Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter zu bestehen. M. E. ist aber die folgende Aufspaltung möglich und Vorzugs würdig: Während die konkrete Abtötungsmaßnahme nicht von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist, ist die Behandlung außerhalb derselben - vorgehende Beratung und Betreuung der Schwangeren sowie die Nachbehandlung - vom Schutzbereich der Berufsfreiheit erfaßt. 630 Durch die Einbindung der Ärzte in den strafgesetzlich im Einzelfall zugelassenen Schwangerschaftsabbruch und das vorangehende grundrechtsschützende Beratungskonzept631 wird de facto eine über die allgemeine Hilfspflicht hinausgehende Tätigkeitspflicht statuiert. 632 Der dem Tötungsakt vor- und nachgehende Teil ärztlichen Tätigkeit mag an Art. 12 Abs. 1 GG gemessen werden, das Erfordernis verhältnismäßiger Belastungen der Ärzte ergibt sich indes schon aus dem Rechtsstaatsprinzip. Angesichts der strafrechtlichen Ausgestaltung tritt Art. 103 Abs. 2 GG hinzu. Danach stellt Art. 12 Abs. 1 GG an die gesetzlich geregelte Einbindung der Ärzte keine eigenen oder weitergehenden Anforderungen, so daß die gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf die Rechtsposition der Ärzte verfassungsgemäß sind. 633 Ob sie auch eine verfassungsgemäße Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht bewirken, ist im Zusammenhang mit der Darstellung der gesetzlichen Ausgestaltung des Schwangerschaftsabbruchs zu untersuchen.

628 BVerfE 98, 265 (297 ff.); ablehnend Büchner, NJW 1999, 833; hinsichtlich rechtswidriger Abbräche auch Hillgruber, MedR 1998, 203 ff. 629 BVerfGE 98, 265 (297). 630 Diese Aufspaltung ergibt sich aus der singulären Fallkonstellation und wird durch § 12 Abs. 1 SchKG (Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten - Schwangerschaftskonfliktgesetz v. 21.8.1995, BGB1.I S. 1050, 1052) insoweit bestätigt, als Ärzte nicht zur Mitwirkung am Schwangerschaftsabbruch verpflichtet sind, zur Untersuchung, Klärung von Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahren und der Nachbehandlung dagegen schon; vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn.44. 631 Dazu BVerfGE 98, 265 (301 ff.). 632 Vgl. Art. 12 Abs. 2 GG, §323c StGB. 633 Auch das BVerfG mißt die auf dem Prüfstand stehenden Vorschriften des BaySchwHEG (Bayerisches Schwangerenhilfeergänzungsgesetz v. 9.8.1996, BayGVBl, S.328) am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und bemängelt an der landesrechtlichen Einführung eines Erlaubnis- und Facharztvorbehalts nur das Fehlen einer schonenden Übergangsregelung für letzteren; BVerfGE 98, 265 (308 ff.).

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bb) Gesetzliche Ausgestaltung des Schwangerschaftsabbruchs Ein strafrechtlich relevanter Schwangerschaftsabbruch ist erst ab Abschluß der Einnistung (Nidation) möglich. Die Phase zwischen Kernverschmelzung und Nidation wird gemäß § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht erfaßt. In diesem Stadium ist eine Schwangerschaft regelmäßig weder objektiv beweisbar, noch für die Frau subjektiv erfahrbar. 634 Auf mangelndes individualisiertes Leben vor der Nidation kann zur Erklärung wegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht abgestellt werden - dem entspricht, daß der Schutz des Embryos in der Pränidationsphase durch das ESchG gewährleistet wird. 635 Mit den §§ 218 ff. StGB trägt der Gesetzgeber dem vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichneten Umstand Rechnung, daß eine Schwangerschaft nicht zwingend auszutragen ist. Insbesondere die Situation und Rechtsgüter der Schwangeren können zur staatlichen Duldung eines Abbruchs führen. Dem wurde zum einen durch den nicht tatbestandlichen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 1 StGB Rechnung getragen, der innerhalb von 12 Wochen seit der Empfängnis erfolgen muß und eine Beratung voraussetzt. Zum anderen besteht die Möglichkeit eines nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs, der nach § 218 a Abs. 2 bei medizinisch-sozialer und nach § 218 a Abs. 3 StGB bei kriminologischer Indikation in Betracht kommt. Die Indikationen für den Ausschluß der Rechtswidrigkeit sind abschließend, so daß ein Rückgriff auf allgemeine Rechtfertigungsgründe nicht möglich ist. 636 Die medizinisch-soziale Indikation ist an keine Frist gebunden, bei der kriminologischen dürfen nicht mehr als 12 Wochen seit der Empfängnis verstrichen sein. Eine Beratung ist in diesen Fällen - abgesehen von § 218 c StGB - nicht vorgeschrieben.637 Die vormals in § 218 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. geregelte embryopathische (oder eugenische oder therapeutische) Indikation ist weggefallen. 638 Derartige Gründe können zwar im Rahmen der medizinisch-sozialen Indikation berücksichtigt werden, die jedoch immer den Bezug zur Situation der Schwangeren verlangt. 639 Die dadurch bewirkte alleinige Verantwortung der Schwangeren für das ungeborene Leben wird zum Teil als erhebliche Schwächung des Lebensschutzes angesehen, die eine Beratung der Schwangeren in allen Konfliktfällen um so wichtiger machen 634

Vgl. Eser, in Schönke/Schröder, Vorbem §§218ff. Rn.35 m. w.Nw. Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn.7f. Zu den auch von Ulsenheimer angenommenen Wertungswidersprüchen zwischen nahezu absolutem Schutz vor der Nidation und häufig durchbrochenem Schutz nach der Nidation (Rn. 8 m. entspr. Nw.) ist anknüpfend an die verfassungsrechtlichen Erörterungen zu bemerken, daß die Wertungswidersprüche nicht durch den Embryonenschutz, sondern durch den Schwangerschaftsabbruch zustande kommen, der für sich zwar begründbar ist, nicht aber zur Forderung nach einem Verzicht auf strafrechtlichen oder anderen Schutz vor weiteren Tötungshandlungen eingesetzt werden kann. 636 Ebenso Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn.34 m. entspr. Nw. 637 Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn.28ff. m.zahlr.Nw.; Eser, in: Schönke/Schröder, §218a Rn. 25, dort auch zum Verhältnis zwischen §218a Abs. 1 zu §§ 218 a Abs. 2, 3 StGB. 638 Sie war stets äußerst umstritten; Tröndle/Fischer, § 218 a Rn. 21 f. m. zahlr. Nw. 639 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, § 218 a Rn. 37 f., 43 m. w. Nw. 635

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würde. Die Ausnahmesituation der Schwangeren zeigt sich weiter an den ihr durch die §§218 Abs. 3, Abs. 4 Satz 2 StGB, den persönlichen Strafausschließungsgrund des § 218 a Abs. 4 Satz 1 StGB und die Möglichkeit des Absehens von Strafe nach § 218 a Abs. 4 Satz 2 StGB zukommenden besonderen Privilegierungen. 641 Den Ärzten kommt eine hervorragende Bedeutung im gesetzlichen Konzept zu. Da ein Schwangerschaftsabbruch eine medizinische Maßnahme darstellt, stehen die §§ 218 ff. StGB unter einem Arztvorbehalt. 642 Damit muß auch der den Abbruch durchführende Arzt die über fachlich-medizinische Fragen hinausgehenden Voraussetzungen für eine straffreien Schwangerschaftsabbruch feststellen. 643 Strafbares ärztliches Handeln ist darüber hinaus unter verschiedenen Aspekten möglich. Zunächst bei Pflichtverletzungen im Rahmen der §§218b, 218c StGB. Diese begründen besondere ärztliche Rechtspflichten, die zur Unbeachtlichkeit etwaig entgegenstehender standesethischer Verpflichtungen führen. An die Ärzte adressiert, sichert § 218b StGB das Vorliegen der rechtfertigenden Indikationsvoraussetzungen ab, während §218c StGB Verhaltensanforderungen an den behandelnden und abbrechenden Arzt aufstellt. Wichtig ist, daß abbrechender und indikationsfeststellender neutraler Arzt 6 4 4 sowie abbrechender und beratender Arzt 645 nicht personenidentisch sein dürfen. Verbunden mit der Beratung nach § 219 StGB 646 zeigt sich in diesen Pflichten der grundrechtliche Einfluß auf den Schwangerschaftsabbruch. 647 Die dem Tötungsakt vorgehenden Verfahrensschritte sollen den Schwangerschaftsab640

Starck, NJW 2000, 2714. Bei § 218 Abs. 4 Satz 1 StGB muß der Abbruch vor Ablauf der 22. Woche seit Empfängnis, das heißt bis Ende der 24. Woche seit der letzten Menstruation erfolgen; zur Berechnung Eser, in: Schönke/Schröder, § 218 Rn. 15. Bei § 218 Abs. 4 Satz 2 StGB muß eine besondere Bedrängnis bestehen, die nicht schon in der Schwangerschaft oder der Verpflichtung zum Aufsuchen von Beratungsstelle und/oder Arzt gesehen werden kann. Die Strafbarkeit anderer Tatbeteiligter bleibt unberührt; zum Ganzen Eser, in Schönke/Schröder, § 218 a Rn. 66 ff. Zu Gunsten der Schwangeren sind daneben die Strafausschließungsgründe der §§ 218 b Abs. 1 Satz 3, 218 c Abs. 2, 219 b Abs. 2 StGB zu nennen. 642 Vgl. §218 a StGB; dazu Eser, in: Schönke/Schröder, §218 a Rn. 58 f.; vgl. auch BVerfGE 88, 203 (314); 98, 265 (298 ff.); differenzierend Beckmann, S.42ff. 643 Eser, in: Schönke/Schröder, §218b Rn. 1, 14 ff. 644 §§218 a Abs. 2, Abs. 3, 218b Abs. 1 StGB. 645 §§218a Abs. 1, 218c Abs. 1 Nr.4, 219 Abs.2 Satz 3 StGB. 646 § 219 Abs. 1 Satz 1 StGB: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens"; § 219 Abs. 1 Satz 3 StGB betont, „daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft (...) ein eigenes Recht auf Leben hat" und daß „der Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt". Die Praxis entspricht dem nicht; äußerst kritisch z.B. Büchner, S.9ff.; vgl. weiter unten 3. Der von § 219 Abs. 2 StGB skizzierte Ablauf der Beratung wird durch die §§ 5-11 SchKG (Schwangerschaftskonfliktgesetz v. 21.8.1995, BGB1.I S. 1050) ergänzt und konkretisiert; vgl. vorgehend BVerfGE 88, 203 (LS 6-9). 647 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218 a Rn. 58 spricht von verstärkten Anforderungen an das verfassungskonforme Verantwortungsbewußtsein der Ärzte. 641

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bruch verhindern und stellen damit wesentliche Schutzmaßnahmen in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben im vorgeburtlichen Stadium dar. 648 Desweiteren sind die Ärzte verpflichtet, die Abbrüche entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchführen. Unklar ist, ob wegen des Rechtsgüterschutzes der Schwangeren bei schuldhaften Behandlungsfehlern eine Strafbarkeit nach § 218 StGB gegeben ist. 649 Dies ist m. E. abzulehnen, da ärztliche Behandlungsfehler keine Auswirkung auf die rechtliche Bewertung der Tötung des Ungeborenen haben. Werden (kunst)fehler- und schuldhaft nur die Rechtsgüter der Schwangeren verletzt, ist m. E. ein strafrechtlicher Schutz durch die §§223, 229, 222 StGB sachgerechter. 650 Diese Auffassung bestätigt sich bei Fahrlässigkeitstaten, die von § 218 StGB nicht erfaßt werden, 651 jedoch den Regelfall fehlerhafter Behandlung darstellen. § 218 StGB ist ein Tötungsdelikt, so daß auch kunstwidrige Verletzungen des Ungeborenen und die Durchführung unnötig qualvoller Methoden beim Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich nicht erfaßt werden. 652 Ein schwächerer strafrechtlicher Schutz besteht bei Auslandsstraftaten. Angesichts der beschriebenen strengen grundrechtlichen Vorgaben und ihrer einfach-gesetzlichen Ausgestaltung ist ein Schwangerschaftsabbruch im Ausland oft rechtswidrig. Insoweit erweitert zwar § 5 Nr. 9 StGB den räumlichen Anwendungsbereich des § 218 StGB durch die Statuierung eines eingeschränkten aktiven Personalitätsprinzips (Strafbarkeit von deutschen Tätern, wenn deren Lebensgrundlage im Inland ist). Eine Erweiterung im Sinne des passiven Personalitätsprinzips (Strafbarkeit von Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter) besteht jedoch nicht. 653 Damit bestehen Schutzlücken im Hinblick auf einen „Abtreibungstourismus", 654 der durch die fehlende krankenversicherungsrechtliche Erstattungsfähigkeit 655 kaum eingedämmt werden kann. Die bestehende Fassung der Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch kann durchaus im Sinne der hier vertretenen Auffassung, nach der die Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter nicht grundrechtlich geschützt ist, gedeutet werden. Der nicht tatbestandliche656 oder gerechtfertigte 657 Schwangerschaftsabbruch vollzieht sich 648

Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, §§218b Rn. 1,218c Rn. 1,219 Rn. 1 ff. m.entspr.Nw.; kritisch z. B. Büchner, S. 9ff. 649 Wohl dafür Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 218ff. Rn. 12, § 218a Rn. 59f. m. w. Nw.; anders dagegen ders., in: Schönke/Schröder, § 218 Rn. 68. 650 Ähnlich Eser, in: Schönke/Schröder, §218 Rn.68. 651 Dies gilt auch und insbesondere für fahrlässige pränatale Einwirkungen, sogar in Form pflichtwidriger Handlungen eines Garanten, die zum Absterben der Leibesfrucht führen; vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 143 Rn.9 m. w.Nw. 652 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, §218 Rn.20, 69. 653 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 3-7 Rn. 6f., §5 Rn. 1, 17. 654 Für andere Straftaten, insbesondere der fehlerhaften ärztlichen Behandlung verbleibt es bei den §§3, 7, 9 StGB. 655 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, §218a Rn.58. 656 § 218 a Abs. 1 StGB. 18 Hollenbach

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

immer über Rechtspositionen einschließlich der Willensäußerung der schwangeren Frau. Dem Arzt kommen keine Rechtspositionen zu, die ohne diesen Bezug zur Schwangeren den Abbruch zulassen. Besonders deutlich wird dies nach dem Wegfall der sog. embryopathischen Indikation des § 218 a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. 658 Diese kann nur noch im Rahmen des § 218 a Abs. 2 StGB berücksichtigt werden, der an die Situation der Schwangeren und späteren Mutter anknüpft und damit letztlich deren Überforderung verhindern will. 6 5 9 Auch bei feststellbaren Schädigungen oder nachgeburtlich zu erwartenden Krankheiten darf kein Schwangerschaftsabbruch ohne an der Person der Schwangeren anknüpfende Indikation vorgenommen werden. 660 Die Schwangere befindet sich in einer notstandsähnlichen Konfliktlage, die einen Eingriff in das Lebensrecht des Ungeborenen nach und aufgrund gesetzlicher Regelung rechtfertigen kann, wenn die zumutbare Opfergrenze der Frau überschritten ist. 661 Diese extreme Einzelfallsituation schließt auch die Annahme eines Verstoßes gegen die Menschenwürde aus, der gesetzlich nicht zugelassen werden könnte. Damit ist der grundrechtliche Schutz für das ungeborene Leben umfassend, wenn es um die Inanspruchnahme (hier: Tötung) des Rechtsguts bei gleichzeitig ausgeschlossener Betätigung des Selbstbestimmungsrechts durch den Rechtsgutsträger geht. Einschränkungen können sich nur aus ebenso gewichtigen Rechtspositionen der Schwangeren ergeben.

cc) Schutzkonzept und besondere Abbruchsmethoden Neben der Frage, ob das Beratungskonzept Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich verhindert und damit ein wirksamen Lebensschutz gewährleistet, 662 können einzelne Abbruchsmethoden - insbesondere das vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizintechnik zugelassene Abtreibungsmittels Mifegyne (früher: RU 486), das nach dessen Vorschriften bis zum Ende der 7. Schwangerschaftswoche angewendet werden darf 663 - Zweifel an der Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Schutzvorgaben aufwerfen. Zur ärztlichen Qualitätssicherung wurde bei Mifegyne weiter festgelegt, daß die Feststellung einer intakten 657

§ 218 a Abs. 2 StGB. Die Zurückhaltung gegenüber einer derartigen Indikation spiegelt schon die Begriffswahl wider: weder „genetische" oder „kindliche" noch „eugenische" bringen den tragenden Abbruchsgrund sachgerecht zum Ausdruck; Eser, in: Schönke/Schröder, § 218 a Rn. 38. 659 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218 a Rn. 37. 660 Vgl. auch BVerfGE 88,203 (272 ff.). Auch § 218 a Abs. 1 StGB knüpft an den Willen der Schwangeren an (Nr. 1). Zum daran anschließenden Problem der sog. Früheuthanasie ausführlich Merkel, Früheuthanasie. 661 BVerfGE 88, 203 (272); Eser, in: Schönke/Schröder, §218a Rn.37. 662 Nw. zu kritischen Stimmen gegen das Beratungskonzept bereits soeben bb) und weiter unten 3. 663 Danach nimmt seine Wirkung ab, so daß es aus medizinischen Gründen nicht mehr verabreicht werden darf; Starck, NJW 2000, 2714f. 658

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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Schwangerschaft vor Verabreichung des Präparats zu erfolgen hat, 664 was die mögliche Beratungszeit auf eine Woche reduziert. Deswegen ist nach Starck nicht nur die Zulassung, sondern wegen der Unterlaufung des Schutzwirkung des Beratungsmodells die Abtreibungsgesetzgebung als Ganzes verfassungswidrig. 665 Ein Abstellen auf diese Woche führt in der Tat zu einem Widerspruch zu den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, das ausgeführt hat, die Beratung müsse nach Inhalt, Durchführung und Organisation geeignet sein, der Frau die Einsichten und Informationen zu vermitteln, die sie für eine verantwortliche Entscheidung über Abbruch oder Fortsetzung der Schwangerschaft bedürfe und nur in diesem Rahmen sei das gewählte Modell des Gesetzgebers angesichts der grundrechtlichen Schutzpflicht ausreichend. 666 Entgegenzutreten ist jedoch zum einen der Grundannahme von Starck, daß die Verabreichungszeit von Mifegyne (7. Schwangerschaftswoche) und die Zeit, in der sich die Schwangere mit ihrer Schwangerschaft befaßt, identisch sei. Es ist durchaus denkbar, daß eine Schwangere sowohl die Beratungsstelle als auch den Arzt schon vor der problematischen 7. Schwangerschafts woche aufsucht und die Konfliktsituation und medizinischen Möglichkeiten eines Abbruchs besprechen will. Hier kann eine Beratung im Sinne des § 219 StGB i.V. m. §§ 5-11 SchKG im zeitlichen Ablauf wie bei einer herkömmlichen Abbruchsmethode 667 erfolgen. Umgekehrt ist auch denkbar, daß die Schwangerschaft über lange Zeit nicht festgestellt oder der Entschluß zum Schwangerschaftsabbruch erst spät gefaßt wird, so daß die Durchführung einer ordnungsgemäßen Beratung auch innerhalb des §218a Abs. 1 StGB schwierig ist. Zum anderen ist auf die Verpflichtung des Gesetzgebers hinzuweisen, die Auswirkungen seines Schutzkonzepts zu beobachten und gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen. 668 Diese erfaßt auch Regelungen hinsichtlich der Wahl der Mittel zur Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs, liegt doch zwischen der genannten 7. Woche und der 12. Woche nach § 218 a Abs. 1 StGB noch Zeit für eine den bestehenden Anforderungen genügende Beratung. 664

Dies wurde vom Bundesinstitut in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe verfügt, um ärztliches Fehlverhalten auszuschließen: Bei alsbald nach Ausbleiben der Menstruation festgestellten Schwangerschaften ist nach entsprechenden Untersuchungen mit einer spontanen Abortrate von 30-40 % und bei sonographisch bestätigten Schwangerschaften noch von 15 %. In je früherem Stadium der Schwangerschaft Mifegyne eingenommen wird, um so häufiger werden künstliche Fehlgeburten auch dort ausgelöst, wo eine natürliche Fehlgeburt eintreten würde, so daß aus ärztlich-medizinischer Sicht in dieser Zeit die Herbeiführung einer künstlichen Fehlgeburt nicht in Betracht kommt. Die Anwendungszeitraum für das Präparat ist damit nur die 7. Schwangerschaftswoche; alles nach Starck, NJW 2000, 2714ff. 665 Starck, NJW 2000, 2714ff. (2716). 666 BVerfGE 88, 203 (281 ff.). 667 Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß aufgrund der Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch die Auswahl und Anwendung der Abbruchsmethode (z.B. Absaugmethode, instrumentelle Curettage, Salzverätzung oder Tötung nach Kaiserschnitt) vom Rechtsgüterschutz, sprich möglichst schonende Eingriffe auch beim Ungeborenen, geleitet werden müßte; vgl. oben bb). 668 BVerfGE 88, 203 (269, 309 f.). 1*

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Insgesamt ist m. E. davon auszugehen, daß die deutsche Abtreibungsgesetzgebung nicht als Ganzes verfassungswidrig geworden ist. 669 Der Gesetzgeber ist allerdings zur Beobachtung der tatsächlichen Abläufe bei Schwangerschaftsabbrüchen verpflichtet und hat auftretende Schutzlücken zu schließen. Eine solche wäre gegeben, wenn durch Gestaltung und Durchführung der Beratungen der Schutz und die Rettung des ungeborenen Lebens abnehmen und eben auch, wenn durch den Einsatz von Mifegyne dieser Sinn und Zweck der Beratung untergraben würde. Unabhängig von einem strafrechtlichen Defizit müßten bei einem Einsatz des Präparats, der im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben steht, auch arzneimittelrechtliche (Gegen)Maßnahmen ergriffen werden. 670 Weitere Folgen wie zum Beispiel die Nichtigkeit des Behandlungsvertrags zwischen abbrechendem Arzt und der Schwangeren - zu denken wäre an § 138 BGB - , oder der Ausschluß von Krankenversicherungsschutz - zu denken wäre an die fehlende Erstattungsfähigkeit der Behandlung - , sind dagegen problematisch. Nach der bestehenden gesetzlichen Regelung kann sich der abbrechende Arzt bei Vorlage des Beratungsscheins auf eine ordnungsgemäß durchgeführte Beratung verlassen. Eine fachgerichtliche Entscheidung, die wegen der Verfassungswidrigkeit des Einsatzes von Mifegyne und damit in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht vertragliche oder versicherungsrechtliche Leistungsansprüche des Arztes verneinen würde, stünde an der Grenze zulässiger Rechtsprechung. Auch hier wäre der Weg über Art. 100 Abs. 1 GG vorzuziehen. 671 Abschließend ist auf den Zusammenhang des Abtreibungsmittels Mifegyne/ RU 486 mit Auslandstaten hinzuweisen: Das Präparat konnte wohl nicht ohne verbrauchende Embryonenforschung entwickelt werden. 672 Es wurde zwar durch ein französisches Unternehmen entwickelt, da dieses jedoch eine Tochtergesellschaft eines deutschen Chemiekonzerns war, 673 stellt sich die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. § 9 Abs. 2 StGB erfaßt die Teilnahme an Auslandstaten, so daß sich wegen Anstiftung oder Beihilfe zu Verstößen gegen das ESchG 674 Organe 675 oder Mitarbeiter deutscher Unternehmen strafbar machen, wenn die Embryonenforschung in das Ausland verlagert wird, sie aber von deutschem Boden aus geleitet, finanziert oder sonst unterstützt wird. 676 Andere Erweiterungen des räumlichen Embryonenschutzes entsprechend dem § 5 Nr. 9 StGB wurden vom Gesetzgeber jedoch nicht vorgenommen, so daß auch in diesem Bereich Schutzlücken zu 669

So aber Starck, NJW 2000, 2716. In der Änderung des AMG um Mifegyne zulassen zu können (!) - dazu auch Deutsch, NJW 1999, 3393 - sieht Starck, NJW 2000,2716 daher eine Unterminierung der Position des BVerfG durch des Gesetzgeber. 671 Dazu oben A Kap. 2 IV., Kap. 3 V. 67 2 Keller/Günther/Kaiser, Vor § 1 II Rn. 12. 673 Information nach Keller!GünherlKaiser, Vor § 1 I I Rn. 12. 674 Für die Embryonenforschung v. a. § 2 ESchG. 675 § 14 StGB. 67 6 Keller!Günther!Kaiser, § 1 I I Rn. 10. 670

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konstatieren sind. Auch hier zeigt sich, daß der ärztliche Umgang mit Embryonen regelmäßig einen Bezug zur Embryonenforschung aufweist. 678 3. Zusammenfassende Kritik am bestehenden Rechtsgüterschutz am Lebensbeginn und Abhilfemöglichkeiten a) Künstliche Fortpflanzung - Pränataldiagnostik Schwangerschaftsabbruch

-

Die heute bestehenden medizinischen Möglichkeiten führen zu verschiedenen Bedrohungen für das ungeborene Leben. In den strafrechtlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch kommt zutreffend der rechtliche Stellenwert des ungeborenen Lebens zum Ausdruck. Nur in Ausnahmefällen wird der ärztliche Eingriff in das Leben vom Staat zum Schutz der Schwangeren geduldet. Ob die Auflösung des Konflikts der Rechte des Ungeborenen und der Schwangeren in zulässiger Weise durch das bestehende Beratungskonzept gewährleistet wird, erscheint allerdings zweifelhaft. Hier ist der Gesetzgeber gehalten, die Wirksamkeit seines Konzepts zum Schutz des ungeborenen Lebens zu überprüfen. Dies gilt um so mehr, als durch die künstliche Fortpflanzung und die Pränataldiagnostik medizinische Verfahren gesetzlich zugelassen oder de lege lata toleriert werden, die die Gefahr einer Eugenik und die Einordnung der Embryonen als Versuchsobjekte in sich bergen. Die der Zulassung des Schwangerschaftsabbruchs immanente gewisse Eugenik infolge der Indikationen (vgl. §§ 218 a StGB, 3 ESchG 679 ) ist indes von der Verfassungsmäßigkeit aufgenommen. 680 Verfassungsrechtlich bedenklich ist dagegen eine Etablierung auf breiter Ebene durch eine ausgreifende Pränataldiagnostik. 681 Die zunehmenden medizinischen 677

Ebenso kritisch Kellerl Günther! Kaiser, § 1 II Rn. 11; Deutsch, NJW 1991, 723. Dazu sogleich 3. 679 Seine eigentliche Legitimation erhielt § 3 Satz 2 ESchG aus der inneren Verbindung zu § 218 a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. (embryopahische Indikation), so daß er als jetzt isolierte Vorschrift verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist; vgl. Kellerl Günther! Kaiser, Vor § 1 II Rn. 82; § 3 Rn. 14 f. m. Nw. zum kontroversen Gesetzgebungsverfahren. Mit den heute zur Verfügung stehenden Methoden kann zudem während der Schwangerschaft festgestellt werden, ob das defekte Gen bei der Muskeldystrophie Duchenne (Muskelschwund) vererbt wurde oder nicht, so daß bei (med.) negativem Ergebnis die Schwangerschaft ohne weiteres fortgesetzt werden kann (Die Krankheit ist an das männliche Geschlecht gekoppelt und bricht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% aus. Zumeist wurde daher bislang eine Abtreibung vorgenommen); Hennen!PetermannlSchmitt, S. 92, die allerdings auf den genannten § 3 ESchG nicht eingehen. 680 Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist nach dem Wegfall embryopathischen Indikation aber stets die Situation der Schwangeren. Zur Parallele der pränatalen Schwerstschädigung mit der Situation am Lebensende Lorenz, ZfL 2001, 48; ähnlich Hufen, MedR 2001, 447. 681 Einen Verstoß gegen Art. 1 GG nimmt z.B. Podlech, in: AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn.52ff. an; zur Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG gegenüber Tendenzen der Eugenik Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn.23 m. w.Nw.; kritisch auch Hennen! Petermannl Schmitt, S. 101 ff.; Beckmann, MedR 2001, 173 f. 678

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik und der Fetaltherapie können de lege lata ohne wirksamen rechtlichen Schutz des Ungeborenen angewendet werden. 682 Die hier zu konstatierenden Schutzdefizite hat der parlamentarische Gesetzgeber zu beheben. Er hat Regelungen über die Durchführung pränataler Untersuchungen einschließlich der Präimplantationsdiagnostik und Therapien zu erlassen, die in Bezug zum Schwangerschaftsabbruch zu setzen sind. 683 Ärztliche Aufklärung und Beratung vor und nach den Untersuchungen müssen die Bedeutung des Rechtsguts Leben mit einbeziehen. Das Problem des drohenden Schwangerschaftsabbruchs oder der Entscheidung gegen die künstliche Befruchtung würde durch eine gesetzliche Aufzählung von Krankheiten, zu deren Feststellung genetische Analysen zulässig sind, zwar nicht ausgeräumt, immerhin aber reduziert. Auch wenn ein wirksamer Schutz des Ungeborenen letztlich nur über die Frau gewährleistet werden kann, 684 dürfen die de facto drohenden „Schwangerschaften auf Probe" angesichts der grundrechtlichen Schutzpflicht rechtlich nicht privilegiert werden. In einem Bereich, der ohnehin keiner einheitlichen und widerspruchsfreien Lösung mehr zugänglich ist, 685 ist ein parlamentarischer Kompromiß der standesrechtlichen Selbstregulierung vorzuziehen. Abgesehen davon ist es im Rahmen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bedenklich, wenn ihr primärer Adressat - das Parlament - einer bekanntermaßen problematischen gesellschaftlich-medizinischen Entwicklung (bewußt?) dauerhaft hinterher hinkt und erst durch standesrechtliches Agieren zur Tätigkeit gedrängt zu werden droht. 686 Im Fall der schwangeren Frau würde gesetzlichen Regelungen auch die un682 Vgl. auch Eberbach, JR 1989, 267; zu Defiziten des vorgeburtlichen Gesundheits- und Lebensschutzes w e i t e r e r , ZStW 97 (1985), 36ff. 683 Dadurch würde auch ein Bogen zum Zivilrecht gespannt, in dem die Vertrags- und haftungsrechtliche Einordnung der künstlichen Fortpflanzung und des Schwangerschaftsabbruchs de lege lata nicht befriedigend gelöst ist; vgl. Vieweg, in: FS Stree u. Wessels, S. 982ff.; PalandtlDiederichsen, Einfv § 1591, Rn. 13 ff.; zum vorausliegenden Problem der zivilrechtlichen Pflichten und Haftung des Arztes Philipp, ZfL 200,71 ff. m. w. Nw. Im Kontext zu nennen ist die unter dem Schlagwort „Kind als Schaden" geführte Diskussion um Schadensbegriff und -ermittlung nach fehlerhafter ärztlicher Tätigkeit im Rahmen der § § 249 ff. BGB: die Rspr. der Zivilgerichte wurde in BVerfGE 96, 375 als verfassungskonform angesehen; anders noch BVerfGE 88, 203 (LS 14), dessen Vorgaben schon BGH, NJW 1994, 788 (790ff.) „argumentativ umschifft" hat; ablehnend auch Deutsch, NJW 1993, 2361 ff.; zum Ganzen Giesen, JZ 1994, 286 ff. 684 Zur Bedeutung ihrer Rechtsposition deutlich Hufen, MedR 2001,444,447. Den Rechtspositionen Ei- und Sammenzellspender sowie der Empfängerin Rechnung tragend verbietet § 4 ESchG die eigenmächtige Befruchtung, die eigenmächtige Embryoübertragung und die künstliche Befruchtung nach dem Tode; vgl. Keller/Günther/Kaiser, § 4 Rn. 4. 685 Im Kontext Beckmann, MedR 2001, 173ff.; Laufs, NJW 2000, 2716f.; Isensee, in: FS Hollerbach, S. 262f. 686 Im Bereich der de lege lata verbotenen PID (siehe oben 2.b)cc)) bestehen sog. Diskussionsentwürfe der Bundesärztekammer; S. Schneider, MedR 2000,360 (mit Fn. 1) verweist auf einen Diskussionsentwurf 1997, DÄB1. 1997, A525; aktuell ist allerdings der „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik", DÄB1.97 (2000), A 525 ff. (abrufbar auch über www.bundesaerztekammer.de); kritisch dazu auch Laufs, NJW 2000, 2717.

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terstützende Legitimation zukommen, das fehlende Selbstbestimmungsrecht des Ungeborenen zu kompensieren. Die Annahme einer entsprechenden alleinigen Verfügungsbefugnis der Schwangeren ist problematisch, weil diese angesichts der bestehenden medizinischen Möglichkeiten 687 praktisch zur Duldung der Untersuchung und gegebenenfalls Behandlung des Ungeborenen gedrängt wird. Die zu erlassenden parlamentarischen Regelungen müssen auch den Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Ungeborenen bei den medizinischen Eingriffen im Rahmen der künstlichen Fortpflanzung und der pränatalen Untersuchungen/Behandlungen sicherstellen. 688 Ebenso ist ein Schutz des Ungeborenen vor fahrlässigen Rechtsgutsverletzungen einzuführen. 689

b) Strafrechtlicher

Schutz der Embryonen und des ungeborenen Lebens ESchG und §§218ff. StGB

In der Literatur wird zum Teil ein Widerspruch zwischen dem ESchG und den §§ 218 ff. StGB konstruiert: Die Verbotsregelungen des ESchG seien streng, während das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs wesentlich durchlässiger sei. 690 Ein derartiger Widerspruch besteht m. E. nicht. Der Verzicht auf strafrechtliche Sanktion in bestimmten Konstellationen des Schwangerschaftsabbruchs folgt aus verfassungsrechtlichen Positionen der Schwangeren, die staatliche Duldung dient nicht dem Schutz von Rechtspositionen der Ärzte. Beim ESchG geht es dagegen primär um die Verhinderung des Einsatzes und Mißbrauchs neuer medizinischer Verfahren und wissenschaftlicher Erkenntnisse außerhalb der künstlichen Befruchtung und Fortpflanzung, so daß der (vermeintlich) 691 strenge Schutz durchaus systemgerecht ist. Es entspricht dem Beginn des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes, daß durch das ESchG die von § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB ausgeschlossene Pränidationsphase erfaßt wird. 692 Dem geltenden Recht Rechnung trägt indes D. Nr. 14 Satz 2 Berufsordnung LÄK BW v. 14.1.1998, wonach diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe verboten, es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen zum Ausschluß geschlechtsgebundener Erbkrankheiten im Sinne des § 3 ESchG. 687 Vgl. nur Hennen/Petermann/Schmitt, S.57ff. 688 Entgegen Eberbach, JR 1989,267 ist auch dies eine verfassungsrechtliche Verpflichtung und nicht nur als rechtspolitische Forderung zu erheben. 689 Zum Problem der pränatalen Embryonenschädigung auch Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 5 f.; Kellerl Günther! Kaiser, B III Rn. 20 f.; B V Rn. 20 ff.; § 5 Rn. 6, beide auch zum Diskussionsentwurf des BMJ zum ESchG, der einen Sondertatbestand der „vorsätzlichen und leichtfertigen Embryonenschädigung" enthielt, auf dessen Aufnahme in das ESchG jedoch wegen angeblicher WertungsWidersprüche zu § 218 StGB und der ungelösten Frage der Verortung (ESchG oder StGB) verzichtet wurde. 690 Z. B. Losch, NJW 1992, 2929; Eser, S. 57 ff. 691 Zu den zahlreichen Schutzlücken im ESchG bereits oben 2.a). 692 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§218ff. Rn. 11.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Die Schutzregelungen sind zumindest dann geboten, wenn sie dem Schutz des Lebens des bereits existenten ungeborenen Rechtsgutsträgers dienen. Hier gibt die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Rechtsgüterschutz der Embryonen vor, während die verbrauchende Embryonenforschung, die zur Vernichtung des ungeborenen Lebens führt, m. E. nicht durch die Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG oder die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist. 693 Die verbrauchende Embryonenforschung führt zur Vernichtung des ungeborenen Lebens und stellt eine grundrechtlich nicht geschützte Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter dar. Dies gilt grundsätzlich auch bei der Forschung an dem Embryo entnommenen totipotenten (Stamm)Zellen. Im Falle ihrer Entwicklungsfähigkeit sind auch sie als menschliches Leben anzusehen, das Grundrechtsschutz genießt.694 Dem entspricht die Begriffsbestimmung des Embryos in § 8 Abs. 1 ESchG. Der vom Gesetzgeber bestimmte umfassende Schutz der überzähligen Embryonen vor fremdnütziger Verwendung durch § 2 ESchG ist daher nicht verfassungswidrig. 695 Mit aller gebotenen Vorsicht sei angefügt, wie problematisch schon die Duldung eines Schwangerschaftsabbruchs wegen schwerster Schädigungen des Embryos oder die nach § 3 Satz 2 ESchG ausnahmsweise zulässige Geschlechtswahl ist, da hier der Gesetzgeber letztlich über die Situation und Zukunft des Ungeborenen in dessen - immerhin - (vermeintlich) eigenem Sinne disponiert. 696 Auch vor diesem Hintergrund scheidet eine Öffnung des Lebensschutzes für künstliche Manipulationen am Embryo zu fremdnützigen Zwecken aus. Insgesamt sind die §§ 218 StGB, 2 ESchG daher als Versuch des Gesetzgebers zu bewerten, die Widersprüchlichkeiten beim Lebensschutz zu begrenzen, die durch die staatliche Duldung des Schwangerschaftsabbruchs in bestimmten (Ausnahme)Konstellationen sowie der Zulassung des Mehrfachtansfers innerhalb eines Zyklus bei der künstlichen Fortpflanzung entstanden sind. De lege ferenda ist vor allem dem verfassungsrechtlich bedenklich in Kauf genommenen Embryonenüberschuß entgegenzutreten - dazu sogleich (c)). Problematisch ist auch die Dominanz strafrechtlicher Schutzregelungen zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht im vorgeburtlichen Stadium - dazu unten (d)). c) Embryonenschutz und Embryonenforschung Vor allem bei der Embryonenforschung in Form der Untersuchung und Manipulation einzelner embryonaler Zellen konzentriert sich die aktuelle Diskussion auf 693

Ähnlich Lorenz, in: FS Lerche, S. 274; dazu ausführlich oben A Kap. 3 III. 3. m. w. Nw., auch zur gegenteiligen h. M. 694 Vgl. Hufen, MedR 2001, 447; Kellerl Günther! Kaiser, § 8 Rn. 10. 695 Zu § 2 ESchG ausführlich Keller/Günther/Kaiser, § 2 Rn. 1 ff. m. zahlr. Nw. 696 Die Konfliktsituation läßt auch hier nur das Strafunrecht entfallen, Keller/Günther/Kaiser, § 3 Rn. 16 f.; zum Problem im Zusammenhang mit der PID Hufen, MedR 2001,447 f.; Lorenz, ZfL 2001,47 f.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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die Frage des Menschenwürdeschutzes i m vorgeburtlichen Stadium. Die Auffassung des ESch-Gesetzgebers, der den Schutz der Menschenwürde gerade vor der Embryonenforschung ohne weiteres angenommen hat, 6 9 7 wird heutzutage heftig kritisiert. 6 9 8 Die hier vertretene Trennung zwischen der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG und der aus Art. 1 Abs. 1 G G 6 9 9 führt indes auch hier dazu, daß ein weitreichender Rechtsgüterschutz schon des Lebens und der körperlichen Unversehrheit im vorgeburtlichen Stadium gewährleistet werden muß, der die Einordnung der Embryonen und ihrer Stammzellen als Forschungsobjekte ausschließt. 700 Da es inzwischen möglich ist, menschliche Stammzellen aus dem Rückenmark oder dem Blut der Nabelschnur zu gewinnen, 7 0 1 ist die tatsächliche Notwendigkeit der Embryonenzüchtung und -forschung auch keineswegs so groß, wie seitens der medizinischen Wissenschaft oftmals behauptet. 702 Aus der Sicht der grundrechtlichen Schutzpflicht i m Rahmen des Art. 2 Abs. 2 GG sprechen vor allem drei Gründe gegen die gesetzliche Zulassung der Embryonenforschung. Erstens, daß Stammzellen auch von einem der Selbstbestimmung fähigen Rechtsgutsträger entnommen werden können, bei dem sich die Entnahme nicht verbrauchend (existenzvernichtend) vollzieht. 7 0 3 Die Forschung am Embryo ist dagegen ausschließlich fremdnützig. 7 0 4

697 Vgl. Deutsch, NJW 1991, 723; Keller ¡Günther¡Kaiser, §2 Rn. 5; Pap, MedR 1986, 231 ff.; Reg.-Entw. ESchG, BT-Drs. 11/5460, S. 6, 11 f. 698 So fordert z.B. Losch, NJW 1992, 2930f. m. w.Nw. ein spezifisches Menschenwürdeverständnis für den Bereich des Embryonenschutzes; ähnlich Hilgendorf', in: FS Maurer, S. 1152ff.; grds. gegen den Schutz durch Art. 1 Abs. 1 GG Hoerster, S. 56ff.; ders., JuS 1989, 172ff.; Fechner, JZ 1986, 653 ff. 699 Dazu oben A Kap. 1 II.; Lorenz, ZfL 2001,43 f.; speziell für den Embryonenschutz auch Vollmer, S. 86ff.; Iliadou, S. 119ff., 250. 700 Eine Einordnung der Zellen als Sachen mit entsprechendem Schutz durch § 303 StGB - so Bilsdorf er, MDR 1984, 804 f. - scheidet damit vor den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG aus; ebenso Kellerl Günther!Kaiser, B I Rn.6; Pap, MedR 1986, 230. Zum Lebensschutz des Embryos auch Beckmann, ZRP 1987,80 ff.; Lorenz, in: FS Lerche, S.274f.; für Zugeständnisse zu Gunsten der Forschung z. B. Iliadou, S. 156 ff., 248 ff. und passim, die aber von anderen verfassungsrechtlichen Prämissen ausgeht. 701 Inzwischen konnte auch Muskel-, Knorpel- und Knochengewebe aus Stammzellen gezüchtet werden, die aus menschlichem, bei Operationen abgesaugtem Fett gewonnen wurden; Südkurier v. 11.4.2001, S.9. Stammzellen wurden weiter im menschlichen Gehirn entdeckt; vgl. zum Ganzen die Forschungsberichte von Snyder/Vescovi, Nature Biotechnology 2000, 827 f.; Aldhous, nature 2000, 897 f. 702 Vgl. nur die Tagespresse, z. B. Südkurier v. 29.11.2000, S. 9.; gegen die für die Notwendigkeit der Embryonenforschung vorgebrachten Argumente auch Keller!Günther!Kaiser, §2 Rn. 50 ff. m. Nw. zur Diskussion. 703 Sogar der Abgeordnetenentwurf zum Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz - StZG) v. 27.2.2002, BT-Drs. 14/8394, S.7 geht von einer medizinischen Gleichwertigkeit adulter und embryonaler Stammzellen aus; zum Teil werden in der neuesten Forschung indes Probleme sowohl für den medizinischen Einsatz adulter als auch embryonaler Stammzellen prognostiziert; vgl. z. B. Süddeutsche Zeitung v. 19.3.2002, S. 13 sowie v. 26./29.1.2002, S.2/12.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Zweitens, daß dem konkreten Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Embryonen nur vage Aussichten auf die Entwicklung erfolgreicher medizinischer Behandlungsverfahren zu Gunsten der Patienten gegenüberstehen, die grundrechtlich jedenfalls deutlich weniger geschützt sind. Weder Forscher noch potentielle Nutznießer haben einen Anspruch auf derartige Experimente. Ein Verzicht auf die fremdnützige Embryonenforschung in Form eines staatlichen Verbotes, der zum Schutz der Rechtsgüter des Forschungssubjekts erfolgt, ist damit nicht in gleicher Weise rechtfertigungsbedürftig wie ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Freiheitsräume. 705 Drittens kann auf die Zulässigkeit der Embryonenforschung nicht aufgrund der für nicht strafwürdig erachteten künstlichen Fortpflanzungstechniken geschlossen werden. Die bei der künstlichen Befruchtung angewandte medizinische Praxis führt zwar zu einem Embryonenüberschuß, der jedoch untrennbar mit der Ermöglichung künstlicher Schwangerschaften verbunden ist und keinen zweckfremden Einsatz erlaubt. Wegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und infolge des medizinischen Fortschritts ist vielmehr de lege ferenda die Reduzierung des Mehrfachtransfers anzustreben.706 Nicht zu überzeugen vermag daher auch das Argument, daß sich schon die vom ESchG im Grundsatz für zulässig erachtete extrakorporale Schwangerschaft nicht ohne Versuche etablieren konnte, so daß ein (jetzt) absolutes Forschungsverbot widersprüchlich erscheine. 707 Die rechtlichen Widersprüche beim Lebensschutz, die durch die Zulassung der künstlichen Fortpflanzung und des Schwangerschaftsabbruchs hingenommen wurden, sind als Ausnahmekonstellationen nicht verallgemeinerungsfähig. Geht es dagegen um den Schutz der Einzigartigkeit des menschlichen Individuums und seiner Nachkommen, bleibt in der Tat nur der Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG. Beispielhaft gilt dies für die Verbote des Klonens 708 und der Chimären- und Hybridbildung. 709 Soweit die hier denkbaren Verfahren Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht berühren, 710 erscheint angesichts der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen nur das de lege lata durch die §§ 6, 8 Abs. 1 ESchG verbotene, sog. therapeutische 704 Dem Embryo nützliche Behandlungen zur Behebung diagnostizierter Schädigungen sind dagegen Heilversuche, die in Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik stehen - dazu oben a). 705 A.A. Ach, in: Paslack/Stolte, S. 125. 706 Ebenso Beckmann, ZRP 1987, 86; Pap, MedR 1986, 235 f., die schon beim damaligen Stand der Fortpflanzungsmedizin die Beschränkung auf die Übertragung eines Embryos pro In-vitro-Fertilisations-Behandlung gefordert haben. Nur so können auch strafrechtliche Widersprüche - vgl. die Verbote der §§2 Abs. 2, 6 Abs. 2, 7 Abs. 2 ESchG, die zu Totungspflichten überzähliger Embryonen führen; Keller/Günther/Kaiser, §§2 Rn. 34,6 Rn. 11,7 Rn. 32 f. - vermieden werden. 707 Vgl. dazu Losch, NJW 1992, 2928. 708 §6 ESchG. 709 §7 ESchG. 710 In der Literatur wird hier, soweit ersichtlich, nur Art. 1 Abs. 1 GG als zu schützendes Rechtsgut angeführt; vgl. nur Keller/Günther/Kaiser, §§ 6 Rn. 3; 7 Rn.4 m. w. Nw. Vom Auffangtatbestand des § 2 ESchG werden die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings (mit)geschützt; Keller/Günther/Kaiser, § 2 Rn. 6.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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Klonen diskussionswürdig. Dabei werden einzelne Zellen oder Zellgruppen mit der Zielsetzung der Herstellung von Antikörpern oder transplantationsfähigen Organen geklont. 711 Dies könnte in der Tat auf einer anderen Stufe anzusiedeln sein, als traditionell thematisierte Verletzungen der Menschenwürde und des Lebens, da nie ein kopierter Mensch entstehen soll. 712 Auch die von Dürig geprägte, inzwischen aber weitgehend adaptierte, 713 Objektformel enthält insoweit Ansätze für Einschränkungen. Nach ihr ist die Menschenwürde betroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zum bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird. 714 Übertragen auf den Embryonenschutz soll eine derartige Objektbehandlung nur vorliegen, wenn das Leben am Lebensbeginn sinnlos vergeudet wird. Wenn dagegen eine Aufopferung für den Versuch der Herbeiführung einer Schwangerschaft oder verbrauchende Embryonenforschung für medizinische Zwecke unternommen wird, sollen diese lebenswichtigen Forschungsanliegen nicht durch den Menschenwürdeschutz in Verbindung mit den Verboten des ESchG vereitelt werden. 715 Wenn sich zukünftig in diesem Bereich realistische Heilungschancen ergeben, könnte eine entsprechende Änderung des ESchG in Betracht kommen. Aufgrund der Unterscheidung zwischen fremd- und eigennützigen Experimenten würde eine parlamentarische Regelung aber unter dem Vorbehalt stehen, daß keine Zellen vom geborenen Menschen gewonnen werden können. Die Debatte ist damit eigentlich überholt, da die notwendigen Stammzellen inzwischen auch beim geborenen Menschen gefunden wurden und zukünftig entnommen werden können.716 Gesetzliche Regelungen müßten damit an die Gewinnung nicht-embryonaler Stammzellen anknüpfen und hätten vordringlich den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Spender und empfangenden Patienten zu beachten. Weiter gilt es, gerade beim therapeutischen Klonen die Personenidentität von Spender und Empfänger anzustreben, die den Schutzaspekt auf den Rechtsgutsträger Patient konzentriert und reduziert. Entsprechendes gilt für die de lege lata durch § 5 ESchG verbotene, Keimbahntherapie, 717 die allerdings in absehbarer Zeit noch nicht realisierbar erscheint. 711

Vgl. zu den Möglichkeiten Stiegler, S.9ff. Eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG lehnt z.B. Hilgendorf.\ in: FS Maurer, S. 1152ff. ab; dagegen z. B. Lorenz, ZfL 2001,48. Die Gewinnung und Verwendung der Stammzellen hätten dagegen die Schutzvorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten. 713 Vgl. z.B. Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 13; BVerfGE 57, 250 (275). 714 Dürig, AöR 81 (1956), 127; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 1 Rn.28. 715 Losch, NJW 1992, 2930; im Ergebnis für menschliche Zellen und das therapeutische Klonen auch Hilgendorf \ in: FS Maurer, S. 1162 ff.; differenzierend auch Iliadou, S. 133, 250. Die Vertreter dieser Auffassung gehen aber wohl davon aus, daß körperliche Beeinträchtigungen oder gar die Vernichtung des Embryos unabdingbar sind, so daß nach hier vertretener Ansicht Art. 2 Abs. 2 GG eine Sperre gegen derartige Forschung und unter diesem Umstand auch das therapeutische Klonen errichtet. 716 Vgl. z. B. die Forschungsberichte von Snyder/Vescovi, Nature Biotechnology 2000, 827 f.; Aldhous, nature 2000, 897f. 717 Das Verbot der künstlichen Veränderung menschlicher Keimbahnzellen nach § 5 ESchG dient neben dem Schutz der Menschenwürde auch dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit; Keller/Günther/Kaiser, § 5 Rn. 3 m. w. Nw. Nicht erfaßt von § 5 ESchG 712

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

d) Perspektiven des Rechtsgüterschutzes im vorgeburtlichen Stadium Auch zukünftig wird der strafrechtliche Rechtsgüterschutz im vorgeburtlichen Stadium dominant bleiben. Im vorgeburtlichen Stadium ist der Rechtsgutsträger fremden Gefährdungen und Verletzungen sowie Manipulationen durch Dritte schütz- und wehrlos ausgeliefert. Ihm kommt keine Selbstbestimmung und Autonomie zu, in deren Rahmen Rechtsgutsbeeinträchtigungen legitimiert werden könnten. Die Art und Intensität der Rechtsgutsbeeinträchtigung kann vom Ungeborenen weder beeinflußt werden, noch kann er ihnen ausweichen, so daß seine körperliche Integrität ausschließlich vom Willen anderer abhängt. Dem entspricht, daß das Bundesverfassungsgericht gerade in den Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch den strafrechtlichen Schutz als zulässige ultima ratio eingeordnet hat. 718 Die aufgezeigten Lücken beim Rechtsgüterschutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit im vorgeburtlichen Stadium sind daher durch Ergänzung der bestehenden Strafgesetze zu schließen.719 Ein alleiniger strafrechtlicher Schutz wird den Rechtsgutsbeeinträchtigungen am Lebensbeginn jedoch nicht gerecht. Zum einen markiert das Strafrecht wie im herkömmlichen Arzt-Patienten-Verhältnis auch im vorgeburtlichen Stadium und beim Embryonenschutz nur äußerste Grenzen. Es sanktioniert den strafwürdigen Mißbrauch, mit dem die ethische und auch die rechtliche Grenze des zu Billigenden nicht identisch sein muß. In diesem Sinne beschränkt sich die Aufgabe des Strafrechts generell auf die Festlegung eines ethischen Minimums und nicht die Definition des ethischen Optimums.720 Deutlich wird dies in Vorschriften wie zum Beispiel den §§2 Abs. 2, 6 Abs. 2, 7 Abs. 2 ESchG, die gerade keine Lebenserhaltung gewährleisten können: Die Befolgung der genannten strafbewehrten Verbote hat vielmehr den Tod des Embryos in der Retorte zur Folge. 721 Zum anderen kann ein wirksamer Rechtsgüterschutz nicht allein durch Strafgesetze gewährleistet werden. Dies zeigt sich deutlich an den inzwischen veralteten Regelungen des ESchG, die aufgrund des im Strafrecht strikt geltenden Schuldprinzips, verbunden mit dem Bestimmtheitsgebot und dem Analogieverbot, 722 verschiedene neuartige Rechtsgutsbeeinträchtigungen nicht zu erfassen und zu sanktionieren vermögen. Wegen der rasanten Entwicklung wird dagegen die somatische Gentherapie, das heißt die Veränderungen einer Körperzelle - hier gelten die zivil-, straf- und arzneimittelrechtlichen Maßstäbe für ärztliche Heilversuche (Neulandversuche); Keller!Günther!Kaiser, § 5 Rn. 6; zur Gentherapie ausführlich mit Darstellung des medizinisch-biologischen Hintergrundes Vesting , Somatische Gentherapie. 718 BVerfGE 39, 1 (44 ff.). 7,9 Vgl. oben 1.-3. c); zu Schutzlücken weiter Vismann, DuR 1991, 23 ff.; Glauben, DRiZ 1997, 306 f. (in Bezug auf die Information in DRiZ 1997, 305 f.). 720 Keller!Günther!Kaiser, § 2 Rn. 34. 721 Keller!Günther/Kaiser, §§2 Rn.34, 6 Rn. 11, 7 Rn.32f.; Gutmann, in: Roxin/Schroth, S. 328; für Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 2 ESchG z. B. Hilgendorf, in: FS Maurer, S. 1158 ff. Eine ewige Kryokonservierung wäre verfassungsrechtlich ebenso bedenklich. 722 Dazu oben Kap. 2 III. 2.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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der medizinisch-technischen Möglichkeiten drohen damit verschiedenste Umgehungen der Schutzregelungen des ESchG.723 Umgehungen zuträglich sind weiter die fachspezifischen Formulierungen, die zahlreiche medizinisch-biologische Abgrenzungsprobleme aufwerfen, 724 deren Lösung zuvörderst von den Ärzten und Forschern, die zugleich Adressaten der Strafgesetze sind, vorgenommen wird. Ebenso führt die interne Organisationsstruktur von Großforschungsanlagen dazu, daß einzelne Beteiligte nur kleine Beiträge zum gesamten Forschungsprojekt leisten, so daß die strafrechtlich notwendige persönliche Vorwerfbarkeit der gesamten Tat zweifelhaft ist, wie auch die interne Hierarchie zu Pflichtenkollisionen führen kann. Insgesamt sind damit enorme Probleme bei der staatlichen Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Strafverfolgung vorprogrammiert. In Zukunft gilt es daher dem strafrechtlichen Schutz einen präventiven Rechtsgüterschutz voranzustellen. 725 Der Inanspruchnahme der Embryonen als Forschungsobjekt und der Ausweitung von Fortpflanzungstechniken sollte zumindest durch die Einschaltung von Ethikkommissionen vorgebeugt werden. Hier sind in parlamentarischen Regelungen konkrete Vorgaben an deren Tätigkeit, das heißt Aufgaben, Zusammensetzung und Entscheidungsverfahren, zu machen.726 Weitergehend kommt (zusätzlich) auch eine Beteiligung staatlicher Stellen, zum Beispiel der Gesundheitsbehörden, dergestalt in Betracht, daß neuartige, das heißt nicht vom ESchG erfaßte humangenetische Vorhaben anzeige- oder genehmigungspflichtig sind. 727 Dies würde Rechtsgutsbeeinträchtigungen verhindern, daneben aber auch die Ahndung von Verstößen erleichtern, so daß ein effektiverer Grundrechtsschutz im vorgeburtlichen Stadium gewährleistet wäre. Dem Problem des staatlichen Zugriffs auf Forschungsdaten könnte durch Vorkehrungen des Datenschutzes Rechnung getragen werden. Eine derartige Genehmigungs- und Anzeigepflicht sowie die Pflicht zur Einschaltung einer Ethik-Kommission ordnet jetzt das Stammzellgesetz für die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen an. 727a Eine ausschließliche Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht durch strafrechtliche Regelungen kann auch bei Schwangerschaftsabbrüchen nicht erfolgen. Dies zeigt sich an den Regelungen zum Schutz des Lebens durch das Beratungskon723

Kritisch auch Deutsch, NJW 1991, 723. Vgl. schon oben 1., 2. 725 Auch die verhältnismäßig hohen Strafandrohungen der Vorschriften des ESchG bewirken keinen entsprechenden präventiven Schutz (Abschreckungseffekt); Deutsch, NJW 1991, 723. Dies spiegelt sich im gesellschaftlichen Rahmen wider - werden doch embryonale Zellverbindungen seitens der Forscher gern als „Zellhaufen" bezeichnet. Kritische Reflexionen sind hier nicht zu erwarten. 726 De lege lata werden diese Einzelheiten durch Satzungen der Landesärztekammern geregelt; vgl. z.B. §5 HeilbKG BW. 727 Vgl. schon Losch, NJW 1992, 2931 f., der einen Erlaubnisvorbehalt allerdings entgegen der hier vertretenen Auffassung anstelle der Verbote des ESchG fordert. 727a Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz - StZG) v. 28.6.2002, BGBl. IS. 2277. 724

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

zept im Rahmen der §§ 218 ff. StGB. Das Erfordernis der Beratung mit anschließender Bescheinigung verläßt als rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale728 den Bereich des eigentlichen Strafrechts als Instrument des Sanktionsschutzes. Das Beratungskonzept dient dem präventiven Rechtsgüterschutz, der beim Schwangerschaftsabbruch allerdings nur die Alternative zum Sanktionsschutz darstellt: Das Versagen des präventiven Schutzes führt nicht zu strafrechtlicher Sanktion - es kommt auf die Bescheinigung und nicht auf den Erfolg der Beratung an. Im herkömmlichen Arzt-Patienten-Verhältnis kommt dem strafrechtlichen Schutz durch das Arzthaftungsrecht dagegen eine Auffangfunktion für die Fälle vor, in denen das präventive Schutzinstrumentarium seitens des Arztes (schuldhaft) unterlaufen wurde. Ein wirksamer Schutz des ungeborenen Lebens kann damit nicht nur durch die Sanktionierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Nicht-Ärzte oder ohne vorangegangene Beratung gewährleistet werden. Es gilt vielmehr den momentan durch das Beratungskonzept intendierten präventiven Rechtsgüterschutz durch weitere staatliche Maßnahmen zu stärken, 729 da hinter diesem (de lege lata) kein strafrechtlicher Auffangschutz besteht. Gegenüber anderen, insbesondere medizinischen pränatalen Einwirkungen läßt sich dagegen ein präventiver Schutz etablieren, wie er schon im herkömmlichen Arzt-Patienten-Verhältnis vorgeschlagen wurde. 730 In Ergänzung müssen ärztliche Behandlungsfehler auch im vorgeburtlichen Stadium durch Haftungsregelungen sanktioniert werden. Hierbei kommen auch zivilrechtliche Schutzvorschriften in Betracht. 731 Standesrechtliche Regelungen in Form öffentlich-rechtlicher Satzungen (Berufsordnungen), die von der staatlichen Rechtsaufsicht genehmigt wurden, 732 können den gesetzlichen Schutz gegebenenfalls ergänzen, nicht aber an dessen Stelle treten. 733 Insoweit ist nochmals auf den Binnencharakter des Standesrechts hinzuweisen.734 Daneben besteht auch die Notwendigkeit einheitlicher Regelung im gesamten Bundesgebiet.735 728

§§218, 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB. So könnte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch durchaus auch die Verpflichtung des Staates zu finanzieller oder sozialer Unterstützung abgeleitet werden; vgl. Steiger, S. 276 m. w. Nw. 730 Siehe oben Kap. 1 III. 2., Kap. 2 III. 731 Vgl. Vollmer, S.232ff. 732 Vgl. z.B. §§ 10 Nr. 15, 9 Abs.3 HeilbKG BW. 733 Für die In-vitro-Fertilisation und den Embryonentransfer bestehen (ausnahmsweise) detaillierte Vorgaben in den Berufsordnungen, z. B. B. § 13 Abs. 2 i.V. m. F. Nr. 2, D. Nr. 15 Berufsordnung LÄK BW v. 14.1.1998. Diese sind nach Deutsch, Rn.437 außerordentlich streng; ihre Ambivalenz zeigt sich aber z. B. beim Umgang mit nicht transferierten Embryonen: Nach F. Nr. 2 4.3. Berufsordnung LÄK BW ist der Embryo im Sinne der Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki und Tokio vor ethisch nicht vertretbaren Experimenten zu schützen (Satz 1). Verantwortbare wissenschaftliche Untersuchungen an nicht transferierten Embryonen sind daher nur nach Prüfung durch eine Ethikkommission unter strengen, in gesonderten Richtlinien festzulegenden Voraussetzungen und Bedingungen zuzulassen (Satz 2). In diesen Regelungen kommt zudem eine nicht vertretbare Außerachtlassung der staatlichen Rechtsordnung zum Ausdruck. 734 Dazu ausführlich oben Kap. 2 III. 735 Neben den Kompetenzen aus den Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 (Zivil- und Strafrecht mitsamt den gerichtlichen Verfahren), 12, 19 a (Sozialversicherung und Krankenhauswesen) kommt dem 729

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen L e b e n s 2 8 7 Zusammenfassend ist zu sagen, daß der geltende Embryonenschutz ein ca. 14 Jahre altes Schutzniveau repräsentiert. Die Probleme des Zusammenhangs zwischen künstlicher Fortpflanzung, pränatalen körperlichen Eingriffen und Schwangerschaftsabbrüchen werden von den bestehenden Regelungen genau so wenig erfaßt, wie verschiedene heutzutage mögliche Forschungsvorhaben. Die Novellierung der Vorschriften zum Rechtsgüterschutz i m vorgeburtlichen Stadium ist vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Schutzpflicht(en) überfällig 7 3 6 und darf nicht am Widerstand einflußreicher Unternehmen und Verbände oder (auch staatlicher) Forschungseinrichtungen scheitern. Die Vorgaben des Grundgesetzes werden insoweit auch i m europarechtlichen Rahmen relevant, da die Europäische U n i o n 7 3 7 und der Europarat 7 3 8 den Bereich nicht nur für sich entdeckt haben, sondern die Embryonenforschung sogar zulassen wollen. 7 3 9 Da das bundesdeutsche Recht der Embryonenforschung im Ausland nur wenig entgegenzusetzen hat, 7 4 0 gilt es den Wert und die Bund die spezifische Kompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG zu. Auch BVerfGE 98, 265 (301 ff.) geht großzügig von einer Kompetenz des Bundes (kraft Sachzusammenhangs) bei der Ausgestaltung des Schutzkonzepts beim Schwangerschaftsabbruch aus. 736 Vgl. auch Vollmer, S. 242ff. 737 Einschließlich der Gentechnologie; vgl. Hasskarl, in: Bitburger Gespräche, S.73ff., 82; Schaub, in: Bitburger Gespräche, S. 61 ff. Die bislang erlassenen Richtlinien betreffen allerdings nicht direkt die Embryonenforschung. 738 Vgl. Art. 18 der Bioethik-Konvention des Europarates, abgedruckt bei Deutsch, Rn. 1032 (S. 694); dazu oben A Kap. 1 V. 2. 739 Das Europäische Parlament hat der Embryonenforschung entgegen der Empfehlung der Humangenetik-Ausschusses zugestimmt; vgl. die Mitteilungen unter www.i-Satz-b-org/ presse/o 146.htm. Art. 19 Abs. 1 Bioethik-Konvention gewährt dem Embryo nur angemessenen Schutz im Rahmen der Forschung an Embryonen in vitro; Abs. 2 verbietet allerdings die Erzeugung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke. Ein im Vergleich zu den Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 1 Abs. 1 GG weitergehender Schutz ist daher von der europäischen Rechtsordnung nicht zu erwarten; dazu, wie auch zur möglichen Resistenz nationalen Verfassungsrechts gegenüber dem europäischen Recht bereits oben A Kap. 1 V. 3. 740 Mangels besonderer Regelungen im ESchG finden die §§ 3 ff. StGB Anwendung, wonach die Strafgesetze aufgrund des herrschenden Tatortprinzips grundsätzlich nicht auf reine Auslandstaten anzuwenden sind; Deutsch, NJW 1991,724 f.; ausführlich, auch zu Gründen der Abkehr vom aktiven Personalprinzip, Eser, in: Schönke/Schröder, § 3 Rn. 1 ff. m. w. Nw. Ausnahmen bestehen zum einen nach §7 Abs. 2 StGB bei im Ausland forschenden Deutschen; vgl. hierzu Deutsch, NJW 1991, 724 f. Zum anderen kann bei Forschungsvorhaben mit maßgeblicher deutscher Leitung und Verantwortung über § 14 StGB auch verbotene Tätigkeit im Ausland sanktioniert werden; zum räumlichen Geltungsbereich des ESchG auch Kellerl Günther! Kaiser, Vor § 1 II Rn. 9 ff. Letztlich resultiert aus § 9 Abs. 2 StGB die Möglichkeit der Sanktionierung von in Deutschland begangenen Teilnahmehandlungen an Haupttaten im Ausland; vgl. Lilie!Albrecht, NJW 2001, 2775 f. Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion um den Import von Embryonen oder embryonalen Stammzellen ist zu bemerken, daß zwar nicht das bloße Verbringen nach Deutschland, wohl aber die Forschung an diesen nach § 2 ESchG strafbar sein kann, soweit es sich um Tatobjekte i. S. v. § 8 ESchG handelt - bis zu welchem Zellstadium Totipotenz besteht, ist allerdings höchst umstritten und wird de lege lata im Ergebnis von den Forschenden selbst bestimmt; zum Problem des Imports von Stammzellinien auch Lilie!Albrecht, NJW 2001,2774 ff. Das neue StZG schafft indes eine größere Rechtsklarheit und -Sicherheit und beschränkt die Einfuhr und Verwendung auf pluripotente Stammzellen; § 3 StZG.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Bedeutung der existentiellen Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der Menschenwürde in völkerrechtlichen Verträgen 741 und vor allem in einer europäischen Rechtsgemeinschaft voranzubringen, die den Abschied von den bloßen Wirtschaftsgemeinschaften der Römischen Verträge noch nicht endgültig vollzogen hat.

II. Ende des Lebens Auch am Ende des Lebens tritt die Frage nach dem Rechtsgüterschutz im ArztPatienten-Verhältnis zu Tage. An dieser Stelle wird nur der Bereich der sog. Sterbehilfe 742 untersucht, bei dem es zum einen die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu bestimmen gilt (unten 1.). Zum anderen ist auch hier zu prüfen, ob die Ausgestaltung durch die einfache Rechtsordnung den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht (unten 2.). Der Bereich der Organentnahmen bei Verstorbenen wird dagegen erst im Rahmen der Untersuchung des Transplantationswesens untersucht. 743 Obwohl die nachfolgenden Ausführungen zum Lebensende durchaus die Anknüpfung an Organentnahmen bei Verstorbenen zuließen, gibt das inzwischen geltende Transplantationsgesetz, das Regelungen über Organentnahmen bei toten und lebenden Spendern enthält, eine zusammenhängende Darstellung vor. 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Sterbehilfe a) Grundrechtliche

Schutzpflicht

und Selbstbestimmungsrecht

Im Gegensatz zu ärztlichen Heilbehandlungen, die zur Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten führen sollen, erscheint am Lebensende die problematische Konstellation des aufgedrängten staatlichen Schutzes für den Patienten, bzw. des Schutzes des Patienten vor oder gegen sich selbst, denkbar. 744 Der Wille des Schutzsubjekts zu sterben, könnte der staatlichen Schutzpflicht entgegenstehen. Die herrschende Meinung nimmt indes zwar zu Recht an, daß das Leben als Basis und Ausdruck menschlicher Existenz grundsätzlich auch Verfügungen seitens des Rechtsgutsträgers selbst entzogen ist. 745 Da Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG umgekehrt jedoch keine 741

Demgegenüber ist ein wirksamer Rechtsgüterschutz durch bloße nicht-staatliche Deklarationen, z. B. des Weltärztebundes im Rahmen der Neufassung der (Revidierten) Deklaration von Helsinki (1975) über medizinische Versuche am Menschen im vergangenen Jahr (Edinburgh, 2000) - dazu Deutsch, NJW 2001, 857 ff. - zu bezweifeln. 742 Kritisch zum Begriff der „Sterbehilfe" z.B. Tröndle, ZStW 99 (1987), 25f. 743 Unten Kap. 4 II. 744 Zum Ganzen, wie auch zur unterschiedlichen Terminologie m. zahlr. Nw. bereits oben A Kap. 3 IV. 745 Für die h. M. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 50; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 176; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 17, alle m. w. Nw., auch zu a. A.; a. A. z. B. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 211 ; Hufen, NJW 2001,851.

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen L e b e n s 2 8 9

Pflicht des Einzelnen zum Leben entnommen werden kann, errichtet das Grundgesetz kein verfassungsrechtliches Verbot der Selbsttötung.746 Bei „todgeweihten" Patienten, das heißt unheilbar Schwerstkranken, die in der Regel auch unter enormen Schmerzen leiden, wird zudem ein „Recht auf einen menschenwürdigen Tod" angenommen.747 Dem stellt sich auch die staatliche Pflicht zum Schutz des Lebens und der Menschenwürde nicht entgegen. Dies folgt jedoch nicht aus der Anknüpfung der grundrechtlichen Schutzpflicht an Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch Dritte. Denn die staatliche Schutzpflicht stellt sich grundsätzlich auch der Beendigung des Lebens durch den Rechtsgutsträger selbst entgegen. Zumindest die Sachverhaltsaufklärung, das heißt die Ermittlung des Willens des Rechtsgutsträgers und der äußeren Umstände erfordern staatliches Entgegentreten.748 Am Lebensende schwerstkranker Patienten ist die äußere Situation jedoch von der medizinischen Aussichtslosigkeit der lebenserhaltenden Maßnahmen geprägt - die vormalige Heilbehandlung ist zur künstlichen Lebensund Leidensverlängerung geworden. Dem ernsthaften Sterbewillen des Patienten hat der Staat in dieser Ausnahmesituation keine Abwehrmaßnahmen entgegenzustellen. Die formale Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdbeeinträchtigung käme bei der Sterbehilfe als taugliches Abgrenzungskriterium zudem nicht in Betracht. Die typische Situation ist hier weder die eigenverantwortliche Selbsttötung des Patienten, noch die fremdverantwortliche Tötung durch den Arzt. 749 Vielmehr 746

Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 50, beide m. w. Nw. 747 Dieses soll im Sinne eines status negativus aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgen; Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 66 m. w. Nw.; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 212 läßt die Herleitung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 oder 2 Abs. 1 GG offen; Art. 1 Abs. 1 GG ist nicht ohne weiteres betroffen; vgl. Höfling, JuS 2000,114; sehr zurückhaltend dagegen noch Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. II Rn. 10 ff. 748 Trotz der Straflosigkeit der Selbsttötung - vgl. WilmslJäger, ZRP 1988, 42ff. - ist z. B. die polizeiliche Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der Gefahrenabwehr durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geboten, da zwischen Bilanzselbstmord und ambivalentem Suizid zu unterscheiden ist; so die Terminologie von Kühne, NJW 1975, 671 f., nach der Bilanzselbstmord, dem aufgrund der klaren Abwägung aller Umstände eine eindeutige Entscheidung des Suizidenten zugrundeliege, vom ambivalenten Suizid abzugrenzen sei, der regelmäßig mehraktig verlaufe und dem eine Appellfunktion zukomme, so daß nur der Wille zu einer Lebensgefährdung, nicht aber eine rationale Entscheidung hinsichtlich der Lebensbeendigung gegeben sei (diese beiden Motivationslagen stellen allerdings auch nach Kühne selbst eine idealtypische Verkürzung dar [S. 671]; ebenso Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn.93. Ebenso erlaubt die unsichere Abgrenzung zwischen strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Beihilfe zur Selbsttötung - dazu Bade, S. 129 ff. m. zahlr. Nw. - ein polizeiliches Einschreiten; vgl. im Kontext den außergewöhnlichen Fall des VG Karlsruhe, JZ 1988,208 ff., in dem über die polizeilibehördliche Untersagung von Sterbehilfe-Vorrichtungen zu entscheiden war und der auch das BVerfG - vgl. E 76, 248 (251 f.) - befaßte; dazu weiter Herzberg, JZ 1988, 188 f. Für Schutzmaßnahmen gegen eine drohende Selbsttötung bei der Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund deliktsrechtlicher Verkehrssicherungspflicht z.B. BGH, ArztR 2001, 208 (209f.). 749 Nach Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 56, Vörb. vor Art. 1 Rn. 34 schließt die Einwilligung wegen der Bedeutung des Rechtsguts einen Eingriff nicht aus. Nach hier vertretener 19 Hollenbach

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trägt der Arzt dem Willen eines oft handlungsunfähigen Patienten passiv oder aktiv Rechnung. Da die Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur an die Willensbildung und -äußerung anknüpft, muß der Grundrechtsschutz auch dann gewährleistet sein, wenn die Vollziehung des Willens durch den Arzt erfolgt. Ansonsten bliebe die im Hinblick auf den menschenwürdigen Tod zulässige Verfügungsbefugnis des Patienten wirkungslos, was der von der Grundrechtsordnung intendierten tatsächlichen Durchsetzbarkeit der grundrechtlichen Gewährleistungen widersprechen würde. Daß die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bei der Sterbehilfe dem Tod des Patienten nicht entgegensteht, folgt damit aus ihrem Zweck, den Rechtsgüterschutz des Einzelnen zu gewährleisten und dadurch die Freiheitssicherung des Schutzsubjekts zu bewirken. Der staatliche Schutz des Einzelnen wird unzulässig, wenn er freiheitsbeschränkend wirkt. Die von der Verfassung mit der grundrechtlichen Schutzpflicht errichtete Sperre gerade gegen fremde Beeinträchtigungen des Rechtsgutsträgers 750 ist im Rahmen der Ausnahmekonstellation Sterbehilfe angesichts der Verfügungsbefugnis des Patienten im Rahmen seines Rechts auf einen menschenwürdigen Tod durchlässig. Bei der Sterbehilfe verpflichten die Art. 2 Abs. 2 Satz 1, 1 Abs. 1 GG den Staat nicht dazu, eine Lebensverlängerung entgegen dem Willen des Patienten durch eine ärztliche Pflicht zur Weiterbehandlung sicherzustellen. Grundsätzlich stellt im Arzt-Patienten-Verhältnis vielmehr gerade die Weiterbehandlung des Patienten gegen seinen Willen einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar, der von der Schutzpflicht erfaßt wird. 751 Da die Durchlässigkeit des Lebensschutzes allein an das Selbstbestimmungsrecht des Patienten anknüpft, ist für eine Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe auf verfassungsrechtlicher Ebene kein Raum. 752 Die Durchführung lebensverkürzender Maßnahmen ist nach hier vertretener Auffassung allerdings grundrechtlich nicht geschützt, so daß entsprechende Handlungsbefugnisse nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber eingeräumt werden können. Entsprechende Regelungen haben sich an den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht zu orientieren und müssen die große Mißbrauchsgefahr mit einbeziehen. Da die grundrechtliche Schutzpflicht vordringlich Eingriffe Dritter in die Rechtsgüter des Patienten verhindern soll, ist es selbstverständlich, daß vor einer Duldung aktiver Lebensverkürzung die Zulassung passiver Sterbehilfe im Sinne eines Sterbenlassens zu stehen hat, wenn der Einsatz der Medizin nur eine aussichtslose künstliche Lebensverlängerung gegen den Willen Auffassung enthebt die Einwilligung den Staat zumindest seiner Schutzverpflichtung - im Arzt-Patienten-Verhältnis ist das Erfordernis der Einwilligung gerade die Ausprägung grundrechtlichen Schutzes. 750 Ähnlich Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62. 75 1 Hufen, NJW 2001, 853 f. m. entspr. Nw. 752 Im Ergebnis ähnlich darf nach Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 50; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 71 der Staat die aktive Sterbehilfe rechtlich unterbinden, ohne dazu grundrechtlich verpflichtet zu sein; a. A. z. B. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 191; Höfling, JuS 2000, 112 ff.

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des Patienten bedeutet. Die Trennlinie zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe verschwindet indes zum einen beim in der Praxis gängigen Einsatz schmerzlindernder Mittel, der ebenfalls zu einer Lebensverkürzung führen kann, 754 und zum anderen angesichts der rechtlichen Gleichstellung von Tun und Unterlassen als eingriffsrelevantem Verhalten. 755 Daher ist es fraglich, ob die Unterscheidung des geltenden Strafrechts zwischen strafloser Selbsttötung und stets strafbarer Fremdtötung nach § 216 StGB der beschriebenen Situation am Lebensende gerecht wird; 7 5 6 die Strafrechtspraxis jedenfalls geht auch hier schon eigene Wege - zum Ganzen unten (2.). b) Schutz und Eingriff Die Situation der Sterbehilfe am Lebensende wird von der grundrechtlichen Schutzpflicht erfaßt. 757 Wegen der staatlichen Duldung bzw. Zulassung bestimmter Eingriffe am Lebensende ist jedoch die Unterscheidung zwischen staatlichem Eingriff und staatlichem Schutz nochmals zu verdeutlichen. 758 Auch wenn insbesondere nach Auffassung der Rechtsprechung bestimmte lebensverkürzende Maßnahmen strafrechtlich nicht sanktioniert werden, dominiert der Aspekt des Rechtsgüterschutzes. Ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch oder bei medizinischen Zwangsbehandlungen wird der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Ergebnis toleriert oder zugelassen, während der Weg dahin von den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht geprägt ist. Beispielhaft zeigt sich dies an der Einführung von Arztvorbehalten. 759 In gleicher Weise sind körperliche Eingriffe bei ärztlichen Heilbehandlungen frei von haftungsrechtlicher Sanktion, soweit die Anforderungen der grundrechtlichen Schutzpflicht beachtet werden. Die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflicht liegt damit in der Errichtung von Sicherungen zur Gewährleistung eines selbstbestimmten menschenwürdigen Todes. Im Zentrum 753 Vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 50; die Einwände gegen eine parlamentarische Rechtfertigung der aktiven Sterbehilfe sind jedoch beachtlich; vgl. Höfling, JuS 2000, 112ff., 117f.; WilmslJäger, ZRP 1988,41 ff.; vgl. weiter unten 3. 75 4 Hufen, NJW 2001,854 verneint bei der indirekten Sterbehilfe angesichts der unbeabsichtigten (?) Nebenfolge des Todes und der ärztlichen Pflicht zur Schmerzlinderung einen Eingriff in das Rechtsgut Leben. 755 Gerade die Bestimmung der passiven Sterbehilfe, z. B. von Hufen, NJW 2001, 854 als Unterlassen lebensverlängender medizinischer Maßnahmen definiert, die vor dem Hintergrund der Achtung des vom aktuellen Willen des Rechtsgutsträgers getragenen, natürlichen Geschehensablaufs steht, ist insoweit kaum eindeutig möglich; vgl. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 66. 756 Vgl. nur Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 21; Bade, S. 117 ff. m. w. Nw. 757 Auch Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 188 ff. (209 ff.) thematisiert den Bereich im Rahmen der staatlichen Schutzpflicht; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 191, 198; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 I I Rn.43, 50 thematisieren den Bereich im Rahmen der staatlichen Einriffe und der Schutzpflichten; Hufen, NJW 2001, 850 ff. untersucht die Sterbehilfe in der „klassischen" Prüfung Schutzbereich - Eingriff - Rechtfertigung. 758 Vgl. oben A Kap. 2 II. 2. 759 Vgl. Beckmann, S.42ff. für den Schwangerschaftsabbruch; vgl. auch soeben I.2.c)aa).

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muß dabei die Ermittlung des wirklichen Willens des Patienten stehen. Dieser muß frei von äußeren Zwängen und in voller Einsichtsfähigkeit gebildet und geäußert werden. 7 6 0 Daneben lassen die drohende Gefahr des Mißbrauchs 7 6 1 die Bedeutung des grundrechtlichen Schutzes deutlich hervortreten. Der Staat tritt den Patienten zum Schutz ihrer Selbstbestimmung und körperlichen Integrität bis zum Tod zur Seite. Erst in der beschriebenen Grenzsituation am Ende des Lebens und infolge des entsprechenden Willens des Patienten endet der Lebensschutz. Bei Willensunfähigen ist daher auszuschließen, daß der Staat die Entscheidung über die Lebensbeendigung aus der Hand g i b t . 7 6 2 I m Widerspruch zu dieser Vorgabe steht zum Beispiel die sog. Früheuthanasie - das praktizierte Sterbenlassen mißgebildeter Neugeborener. 763

2. Einfach-rechtlicher Rahmen der Sterbehilfe de lege lata Auch i m Bereich der Sterbehilfe dominiert bislang der Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht 764 - dazu sogleich (a)). Zunehmend rückt jedoch auch das Zivilrecht, dem zusätzliche Schutzaspekte entnommen werden können, in das Blickfeld 7 6 5 - dazu unten (b)).

760 Zur Problematik der Bildung eines „defektfreien Willens am Rande des Todes" Bade, S. 118 f. m. w. Nw. In diesem Rahmen kommt auch eine antezipierte Willensäußerung, z. B. in einem sog. Patiententestament, in Betracht; vgl. Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 212; dazu unten 2.b). 761 Zu den Aspekten der Tötung aus bloßem Mitleid und drohenden wirtschaftlichen, kommerziellen Interessen z.B. Höfling, JuS 2000, 117f.; Uhlenbruch NJW 2001, 2771 f. 762 Hier werden sog. mutmaßliche Einwilligungen in die Sterbehilfe für zulässig erachtet; z.B. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art.2 I I Rn.43; Hufen, NJW 2001, 852, deren Ermittlung und Maßgeblichkeit m. E. jedoch staatlicher Kontrolle unterliegen muß; zurückhaltend auch Höfling, JuS 2000, 116f.; vgl. weiter unten b). 763 Für eine Schutzverstärkung auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 198; Höfling, JuS 2000,118; umfassend, insbesondere zur strafrechtlichen Relevanz, Merkel, Früheuthanasie; Eser, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§ 211 ff. Rn. 32a betont die Bedeutung des Problems über den reinen Lebensschutz des Neugeborenen hinaus. Gegenüber einem ärztlichen Beurteilungsspielraum oder einer Reduzierung der ärztlichen Behandlungspflicht qua Standesrecht ist daher Zurückhaltung geboten; anders jedoch die Empfehlungen „Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht bei schwerst geschädigten Neugeborenen" der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR), MedR 1986, 281. 764 Vgl. z.B. BGHSt 6,147 (Beschluß des Großen Senats in Strafsachen); Roxin, in: Roxin/ Schroth, S.87ff.; v. Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes; Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht; kritisch zu diesem Schwerpunkt Wilms/Jäger, ZRP 1988,41 ff. 765 Vgl. z.B. Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens? (Gutachten A zum 63. DJT 2000), zusammengefaßt in Beilage NJW 25/2000, S.6ff; Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments.

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a) Straf recht aa) Strafrechtlicher Schutz vor Sterbehilfe und seine Ausnahmen Der Rechtsgüterschutz der Patienten soll de lege lata ohne spezialgesetzliche Regelungen durch die Vorschriften des StGB zum Schutz des Lebens gewährleistet werden. Legislative Vorgabe ist damit das Verbot der Fremdtötung nach den §§212, 216 StGB, indirekt auch die Entscheidung für die Straflosigkeit der Selbsttötung. Insbesondere durch das ausnahmslose Verbot der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB soll ein strikter Schutz vor Fremdtötungen bewirkt werden, da dieses Verbot unabhängig vom Willen und der Willensbetätigung des Patienten besteht. Der Selbstbestimmung des Patienten am Lebensende wird damit im Gegensatz zu ärztlichen Körperverletzungen kein Raum gelassen, bei denen die Einwilligung des Patienten durch § 228 StGB nur begrenzt wird. 766 Angesichts der Tatsache, daß der im Sterben liegende Patient sein Leben oftmals nicht selbst beenden kann oder infolge des Einflusses Dritter soll, geraten vor allem die behandelnden Ärzte selbst dann in den Bereich der §§ 212, 216 StGB, wenn sie nur dem Willen des im Sterben liegenden Patienten Rechnung tragen wollen. 767 Die Garantenstellung und Garantenpflicht des behandelnden Arztes führt dazu, daß eine Reduzierung seines Tatbeitrags auf eine straflose Teilnahme an der straflosen Selbsttötung des Patienten ausscheidet.768 Der Arzt ist angesichts der §§212, 216, 13 StGB im Grunde nach begonnener Behandlung zu aktiven Maßnahmen zur Verhinderung des Todeseintritts verpflichtet, was auch den Abbruch der begonnenen (Heil)Behandlung ausschließt.769 766 Dazu oben Kap. 2 II. 1.; a. A. Bade, S. 121 m. w.Nw., der §216 StGB nicht als Schranke der Verfügungsbefugnis über das Leben einordnet. 767 Vgl. Eser, ZStW 97 (1985), 32 ff. 768 §§ 26, 27 setzen eine rechtswidrige Haupttat voraus; die bloße Teilnahme ist jedoch von der Täterschaft durch Tun oder Unterlassen abzugrenzen. Anders in ausländischen Rechtsordnungen, wo die Verleitung oder Beihilfe zur Selbsttötung strafbar ist; vgl. Art. 115 Schweiz. StGB, §78 öst. StGB; in England war sogar der Selbstmordversuch selbst bis zum Suicide Act 1961 strafbar. Zur schwierigen Abgrenzung zwischen strafloser Beihilfe zur Selbsttötung und strafbarer Tötung auf Verlangen Bade, S. 129 ff. m. zahlr. Nw. 769 Insbesondere die frühere Rspr. des BGH ist vom Gedanken des Lebensschutzes geprägt und hält auch Tatbegehungen durch Unterlassen für möglich; vgl. BGHSt 7, 268; 13, 162; 32, 367; dazu auch Tröndlel Fischer, § 216 Rn. 6, zugleich mit Darstellung der bei der Sterbehilfe vertretenen Ausnahmen; Eser, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§211 ff. Rn.42f., mit kritischer Einschätzung der Rspr.; zum Streit um die Anwendung des § 13 StGB v. a. im Rahmen des § 216 StGB sowie der allgemeinen Hilfspflicht nach § 323 c StGB auch Möllering, S. 50ff.; Bade, S. 140ff. m. w.Nw. Die dort z.T. vertretene Nichtanwendung des § 13 StGB im Rahmen des § 216 StGB mit dem Argument, daß sonst Wertungswidersprüche zur straflosen Beihilfe zur Selbsttötung auftreten würden, überzeugt m. E. nicht. Angesichts der Schutzpflicht für das Leben, die grundsätzlich auch Verfügungen des Rechtsgutsträgers ausschließt, sind nicht nur Fremdbeeinträchtigungen ausgeschlossen. Daher können aus der bloßen Straflosigkeit der Selbsttötung keine Schlüsse auf das Nichtbestehen staatlicher Schutzmaßnahmen gezogen werden, ist doch nach dem BGH schon der Helfer nach Durchführung der Selbsttötungshandlung des Suizidenten als Garant oder wegen der allgemeinen Hilfspflicht zu Gegenmaßnahmen zur Lebensrettung verpflichtet; vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§211 ff. Rn. 42

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Dieser gesetzliche Rahmen wird m. E. weder der Auflösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses zwischen staatlichem Rechtsgüterschutz und Selbstbestimmungsrecht des sterbewilligen Patienten zu Gunsten der Lebensbeendigung gerecht, 770 noch kann die besondere Situation des beteiligten Arztes ausreichend berücksichtigt werden. Der verfassungsrechtlichen Ausnahmesituation der Sterbehilfe, die auch die Endlichkeit des Lebens und die nach wie vor begrenzten medizinischen Möglichkeiten widerspiegelt, wird durch das allgemeine Strafrecht als zwar notwendigem, aber „grobkörnigem" Schutzinstrument nicht befriedigend Rechnung getragen. Auch in der Literatur wird im Ergebnis beim freiverantwortlich gefaßten Sterbewillen in medizinisch ausweglosen Situationen überwiegend eine strafrechtlich sanktionierbare Pflicht des Arztes zur Lebensrettung oder -Verlängerung verneint. 771 Gebildet wurden hier Kategorien wie zum Beispiel das Sterbenlassen, die Hilfe im Sterben und die passive Sterbehilfe bzw. Euthanasie.772 Ebenso wird die strafrechtliche Verantwortung des Arztes bei Schmerzlinderungen mit unbeabsichtigter lebensverkürzender (Neben)Wirkung als indirekte Sterbehilfe verneint, 773 während die (aktive) Tötung als Mittel zur Schmerzbeseitigung dem §216 StGB unterfallen soll. 774 Diesen Auffassungen trägt der Bundesgerichtshof inzwischen zum Teil Rechnung.775 Höchst umstritten ist allerdings, wie die Straflosigkeit des Arztes dogmatisch zu begründen ist. 776 Befriedigende und einheitliche Lösungen bestehen bislang nicht. 777 Noch schwieriger ist die Annahme der Straflosigkeit der Sterbehilfe bei Patienten, die zu keiner Selbstbestimmung mehr fähig sind. 778 m. entspr. Rspr.-Nw. Die besondere Situation bei der (passiven) Sterbehilfe läßt sich damit nicht schon auf der Ebene des Tatbestandes der Strafgesetze lösen; a. A. z.B. Tröndle! Fischer, Vor § 211 Rn. 18, der eine Tötung ausschließt. 770 Siehe oben 1. 77 1 Tröndle/Fischer, Vor §211 Rn. 17ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn.41; Zöller, ZRP 1999, 317, alle m. w.Nw. 772 Vgl. Roxin, in: Roxin/Schroth, S.87ff.; Zöller, ZRP 1999,317; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn.21, 27ff.; Bade, S. 140ff., alle m. w.Nw. Zu Problemen der Anwendung der §§ 216, 34 StGB bei der Sterbehilfe bei mißgebildeten Neugeborenen (Früheuthanasie) z.B. Merkel, S. 154ff., 398ff., 528ff. 773 Hier wird allgemein versucht, zur Straflosigkeit des Arztes zu gelangen: durch Verneinung der Tötungsrelevanz des auf Schmerzlinderung gerichteten Handelns, Verneinung des Vorsatzes, durch die Annahme rechtfertigenden Notstandes, rechtfertigender oder entschuldigender Pflichtenkollision; zum Ganzen Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 26; Bade, S. 106ff., beide m. entspr. Nw. 774 Auch hier wird durch die Annahme rechtfertigenden Notstandes oder übelgesetzlichen entschuldigenden Notstandes die Straflosigkeit angenommen. Hier sah §216 Abs. 2 AE-Sterbehilfe das Absehen von Strafe vor; zum Ganzen Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn.25 m. entspr. Nw.; zu Fallgruppen der „aktiven Sterbehilfe" und deren strafrechtlicher Relevanz ausführlich Bade, S. 101 ff. m. w.Nw.; Roxin, in: Roxin/Schroth, S. 103 ff. 775 Vgl. Uhlenbruck, NJW 2001, 2771 unter Hinweis auf BGHSt 37, 376; 40, 257; 42, 301. 776 Vgl. Bade, S. 101 ff., 116ff., 129ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn. 21 ff., Roxin, in: Roxin/Schroth, S. 87ff., alle m. zahlr. Nw.; zum Ganzen auch v.Dellingshausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes. 777 Zu den Unstimmigkeiten innerhalb des Strafrechts z.B. Hoerster, ZRP 1988,1 ff.; Eser, in Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn.32b, 21 ff.; Roxin, in: Roxin/Schroth, S.87ff.; zum

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bb) Verfassungsrechtliche Kritik am bestehenden Strafrecht Der Konflikt zwischen absolutem Fremdtötungsverbot und strafloser Selbsttötung wird durch die zahlreichen dogmatischen Konstruktionen und Bemühungen, zur Straflosigkeit des Arztes zu gelangen, mehr verdeutlicht als behoben. Ausgangspunkt der Problematik ist der von den Strafrechtsnormen der §§ 212, 216, 13 StGB erfaßte ärztliche Tatbeitrag an der Tötung des Patienten - eine Einordnung, die ebenso wie der Zusammenhang zwischen § 223 StGB und Heilbehandlungen zwar bestritten wird, 779 de lege lata aber besteht.780 Insbesondere die Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Verhalten des Arztes vermag aufgrund dessen fachlicher und tatsächlicher Dominanz sowie seines kausalen Tatbeitrags das Problem der Anwendbarkeit des § 216 StGB, gegebenenfalls in Verbindung mit § 13 StGB, nicht befriedigend zu lösen. Das geltende Strafrecht bezweckt einen umfassenden Lebensschutz, der Beeinträchtigungen durch Dritte ausschließt und insoweit auch dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers vorrangig ist. 781 Es trägt dadurch allerdings den verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Ausnahmesituation des „todgeweihten Lebens" nicht ausreichend Rechnung, nach denen der Patient sein Recht auf einen menschenwürdigen Tod ausüben kann, wie diesem daneben grundsätzlich die freie Bestimmung über Beginn, Ablauf und Ende der ärztlichen Behandlung zukommt. 782 Durch eine Rechtsfortbildung in der beschriebenen Art und Weise dürfen die legislativen Vorgaben indes nicht überspielt werden. Ihre - wenngleich vorliegend sachgerechte - Aufweichung durch die Strafgerichtsbarkeit verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Die Rechtsprechung betreibt hier keine RechtsanWendung in Form der Konkretisierung parlamentarischer Vorgaben, sondern erschließt einen Ganzen unter Einbeziehung historischer und ethischer Aspekte auch Bade, Der Arzt an den Grenzen von Leben und Recht. 778 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 29; Tröndle/Fischer, Vor § 211 Rn. 24, beide m. w. Nw. Die hier z. T. bemühte Figur der „mutmaßlichen Einwilligung" vgl. Tröndle!Fischer, Vor § 211 Rn. 24 ist im Rahmen der strafrechtlichen Totungsdelikte jedoch wenig brauchbar, da angesichts des § 216 StGB sogar der ausdrückliche Wille des Patienten die Strafbarkeit der Fremdtötung gerade nicht ausschließt; vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 13. In der Betonung des vermeintlichen Willens des Patienten zeigt sich daher das Unbehagen gegenüber einer „medizinischen Indikation", die nach Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S. 7 legitimerweise auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten zugänglich ist, oder einer Entscheidungsfreiheit der Ärzte bei der Beendigung des Lebens; vgl. auch unten b), 3. 779 Vor der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben ist es indes bedenklich, wenn in der passiven Sterbehilfe schon keine (tatbestandliche) Tötung gesehen wird; so aber TröndlelFischer, Vor §211 Rn. 18, jedoch mit unzutreffendem Verweis auf Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn. 29. 780 Vgl. auch Dreier, in: Dreier., Art. 11 Rn. 93 m. w. Nw.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 21; MöUering, S. 51 f.; Bade, S. 117 ff. m. w. Nw. 781 Für weitgehende Strafbarkeit in den einzelnen Fallgruppen auch v. Dellingshausen, S. 473 ff.; zur Kritik am bestehenden Recht weiter Möllering, S. 81 ff. 782 Vgl. Höfling, JuS 2000,114f.; Hufen, MedR 2001, 853f.; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 58 Rn. 6 unter Hinweis Einbeziehung der vertragsrechtlichen Situation zwischen Arzt und Patient; zurückhaltend dagegen Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 28.

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sachlich abgrenzbaren Bereich neu. Es geht nicht um die gerichtliche Entscheidung eines einzigartigen Sonderfalles, sondern um die Schaffung von spezifischen Regeln für einen, ähnlich dem Schwangerschaftsabbruch, gesellschaftlich bedeutsamen grundrechtsrelevanten Sachbereich. Die Entscheidung über die StrafunWürdigkeit und die Bestimmung nicht strafbarer Fallgruppen, die Handlungsbefugnisse zu Gunsten der Ärzte begründet, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht nur durch das Parlament getroffen werden. 783 Die Notwendigkeit parlamentarischer Regelung wird dadurch bestätigt, daß ein Abrücken vom absoluten Fremdtötungsverbot wegen des Unterschiedes zwischen § 228 und § 216 StGB eine Positionierung des Selbstbestimmungsrechts erforderlich macht. Auch wenn in der richterlichen Schaffung von straflosen Kategorien der Sterbehilfe darüber hinaus kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG gesehen wird, bleiben die Überforderung der Gerichte durch den Zwang zur unmittelbaren Auflösung von Grundrechtskollisionen und eine beträchtliche Rechtsunsicherheit zu Lasten der Beteiligten. Während die Ärzte auf einem schmalen Grat agieren müssen, ist für die Patienten der alleinige strafrechtliche Sanktionsschutz angesichts des irreversiblen Eingriffs in das Leben inakzeptabel. Wenn die Rechtsprechung ohne bestehendes präventives Instrumentarium im Nachhinein über die Strafwürdigkeit oder Straflosigkeit von Sterbehilfemaßnahmen entscheidet, ist ein defizitärer Rechtsgüterschutz der Patienten vorprogrammiert. Zudem verlagert die Rechtsprechung die Konfliktlösung zum Teil auf die Ebene der ärztlichen Berufspflichten und ethischen Gebote.784 Gerade im Fall des weitreichendsten Eingriffs in Patientenrechte, der zielgerichtete Unterstützung der Beendigung des Lebens, kann kein unüberprüfbarer ärztlicher Beurteilungs- oder Ermessensspielraum bestehen.785 Die grundrechtliche Schutzpflicht steht staatlicher Passivität oder Nichtbeteiligung entgegen und verlangt in wesentlichen Bereichen die parlamentarische Auseinandersetzung und Konfliktordnung. 786 Eine Delegation in Form der Überlassung zur ärztlichen Gewissensentscheidung kommt im Bereich der Sterbehilfe genau so wenig in Betracht, wie eine Abwälzung auf die Straf- und Zivilgerichte.

b) Zivilrechtliche

Komponenten bei der Sterbehilfe

Das Problem des Patientenwillens am Lebensende ist auch unter zivilrechtlichen Aspekten relevant. Im Rahmen der zivilrechtlichen Einordnung des Arzt-PatientenVerhältnisses ist der Patientenwille entscheidend für die Zulässigkeit der ärztlichen Heilbehandlung. Nicht von einer wirksamen Einwilligung gedecktes ärztliches Ver783

Zur verfassungsrechtlichen Ausgangssituation oben 1. sowie ausführlich A Kap. 2, Kap. 3. Vgl. z.B. BGHSt 32,367 (377 ff.); 40,257 (260), beide unter Hinweis auf die Richtlinien der Bundesärztekammer für die ärztliche Sterbehilfe (DÄB1. 1979, S. 957 ff.) bzw. Sterbebegleitung (DÄB1 90 [1993], B-1791 f.). 785 Kritisch auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 21 m. w. Nw. 786 Dazu unten 3. 784

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halten ist rechtswidrig. Daraus wird auch für die Situation am Lebensende geschlossen, daß eine Weiterbehandlung des Patienten gegen seinen Willen unzulässig ist. 788 Durch die Betonung der Selbstbestimmung und des Willens des Patienten, letztlich der Privatautonomie, ist aus zivilrechtlicher Sicht die Anwendung der verschiedensten Kategorien wirksamer Willensäußerungen - von der mutmaßlichen Einwilligung bis hin zur Stellvertretung - eröffnet. 789 Hervorzuheben sind insoweit die sog. Patiententestamente - dazu sogleich aa) - und die Situation nicht einwilligungsfähiger Patienten - dazu unten bb). aa) Selbstbestimmung durch Patiententestamente und gewillkürte Vertretung In den Fällen, in denen es den Patienten tatsächlich oder rechtlich nicht möglich ist, in der Situation am Lebensende einen Sterbewillen zu bilden oder zu äußern, kommt die Einbeziehung eines vormals wirksam geäußerten Willens in Betracht. Dessen Relevanz wird überwiegend bejaht, wenn er in einem sog. Patiententestament festgehalten wurde. 790 In diesen wird regelmäßig in schriftlicher Form vor dem Einsetzen des Sterbevorgangs durch den Patienten eine Sterbeweise bestimmt oder aber den Ärzten untersagt, lebensverlängernde Maßnahmen unter bestimmten Umständen wegen der Aussichtslosigkeit der Lage anzuwenden.791 Nach Uhlenbruch ist es auch zulässig, daß ein Dritter vorab bevollmächtigt wird, den Abbruch der Behandlung zu verlangen. 792 Angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben am Ende des Lebens ist die Rechtsverbindlichkeit auch dieser frühen Willensäußerungen der Patienten zu ihrem Tod anzuerkennen. Die grundrechtliche Schutzpflicht fordert jedoch Sicherungen zum Schutz der Patienten. Momentan stellt die Bejahung der Rechtsverbindlichkeit derartiger Verfügungen zudem die behandelnden Ärzte vor unzumutbare Schwierigkeiten. Diese bestehen zunächst in der Auslegung der Verfügung, da zwischenzeitliche Meinungsänderungen ebensowenig auszuschließen sind, wie eine Änderung der medizinischen Situation, das heißt, daß andere Behandlungsformen und -möglichkeiten als zur Zeit der Anfertigung des Patiententestaments bestehen.793 Zum 787

Dazu ausführlich oben Kap. 1. Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.7; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §58 Rn.6. 789 Vgl. Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.7 ff.; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §58 Rn. 7 ff. m. w. Nw., auch zu zurückhaltenderen Auffassungen. 790 Vgl. Palandt/Diederichsen, Einf. v. § 1896, Rn. 10f.; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 58 Rn. 8 f., beide m. w. Nw. 791 Zum Ganzen Schöllhammer, Die Rechtsverbindlichkeit des Patiententestaments; die Voraussetzungen zusammenfassend Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.9f. 792 Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §58 Rn.7f. 793 Allerdings kann von der Widerrufbarkeit der Verfügungen oder Erklärungen im Patiententestament nicht auf ihre Unverbindlichkeit geschlossen werden; Schöllhammer, S. 121 m. w. Nw.; ders., S. 123 ff. m. w. Nw. zum Personenkreis der Prüfungsberechtigten, der allerdings auf medizinische wie Hausarzt oder Psychiater beschränkt bleibt. 788

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Problem der Anpassung des früher erklärten Willens auf die aktuelle Situation tritt die unter Umständen schwierige, aber notwendige Überprüfung der Wirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung Dritter. Vervollständigt werden die Schwierigkeiten durch die zutreffende Annahme, daß der mutmaßliche Wille des Patienten im Moment der Sterbehilfe Vorrang vor früheren Erklärungen haben muß. 794 Derartige Schwierigkeiten mögen in alltäglichen Vertragsbeziehungen von den Parteien und ihren Vertretern ohne gesetzliche Detailvorgaben oder gerichtliche Beteiligung überwunden werden. Geht es dagegen um Zweifel über die rechtsgeschäftlich legitimierte Beendigung des Lebens, so ist die staatliche Zurückhaltung zum einen angesichts der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben und die Selbstbestimmung des Patienten, zum anderen angesichts der drohenden Sanktionen gegen den Arzt fehl am Platz. Abgesehen von der Einführung konkretisierender gesetzlicher Vorgaben 795 weist hier die Rechtsprechung zum Betreuungsrecht einen denkbaren Weg. bb) Gerichtlicher Lebensschutz im Rahmen von Betreuungsverhältnissen In der viel diskutierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main wurde der Behandlungsabbruch bei einer irreversibel hirngeschädigten Patientin durch Einstellung der Ernährung mit einer PEG-Magensonde von der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nach § 1904 BGB abhängig gemacht.796 § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB ist Ausdruck des Grundrechtsschutzes des Patienten797 und betrifft nach seinem Wortlaut nur die Durchführung von Heilmaßnahmen, bei denen die begründete Gefahr 798 der Gesundheitsbeschädigung oder sogar des Todes besteht - die Vorschrift dient also der Lebensverlängerung des Patienten. Die Genehmigung wäre danach zu versagen, wenn die Behandlung weder eine Heilung noch eine nachhaltige Besserung des Gesundheitszustandes verspricht. 799 Das Oberlandesgericht vertritt demgegenüber unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen die Auffassung, daß die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck erst recht (entsprechend) anzuwenden sei, wenn die ärztliche Maßnahme im Behandlungsabbruch bestehe und der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt habe. Der Bundesgerichtshof führe eine gesetzesimmanente richterliche Rechtsfortbildung durch, die anerkannter Methodenlehre entspreche.800 § 1904 BGB enthalte 794

Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.7. Auch nach Taupitz, Beilage 25/2000, S. 9 zur Beseitigung zahlreicher Zweifel wünschenswert; dazu weiter unten 3.; zurückhaltend dagegen die Beschlüsse des 63. DJT, K196ff. 796 OLG Frankfurt/M., NJW 1998, 2747; zur Diskussion im Schrifttum Hufen, NJW 2001, 856 f. m.zahlr.Nw. 797 Nach Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S. 9 Grundrechtsschutz durch Verfahren. 798 Vgl. Palandt/Diederichsen, § 1904 Rn.5, 10 f.; anders der ursprüngliche Regierungsentwurf, der die bloße Befürchtung genügen lassen wollte; vgl. BT-Drucks. 11/6949, S. 14. 799 LG Berlin, FamRZ 1993, 597. 795

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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insofern eine planwidrige Lücke, als der Gesetzgeber des Betreuungsrechts dieses grundlegend und unter Wahrung der größtmöglichen Autonomie der Betroffenen regeln wollte. Durch die Anwendung würde eine unbewußte Lücke im Wege teleologischer Auslegung geschlossen. Der geregelte Tatbestand der Risikooperation sei dem nicht geregelten Tatbestand des Behandlungsabbruchs bei wertendem Denken nicht absolut ungleich, so daß vorliegend eine Analogie zulässig sei, der auch das Erst-recht-Argument des Bundesgerichtshofs unterfalle. 801 Diese Argumentation, die auf den (mutmaßlichen) Willen des Betreuten, dem der Gesetzgeber Beachtung verschaffen wollte, 802 abstellt, ist m. E. um den Aspekt der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu ergänzen. Denn ohne diese hätte das Gericht auch hinterfragen müssen, ob die persönliche Entscheidung über den eigenen Tod nicht auch staatsfrei ermöglicht werden kann. Durch die grundrechtliche Schutzpflicht wird die vom Oberlandesgericht sichtbar ergebnisorientierte Einbindung des Vormundschaftsgerichts gestützt: Die gerichtliche Überprüfung beabsichtigter lebensbeendender Maßnahmen dient dem Schutz des Lebens und des Selbstbestimmungsrechts zugleich. Die Auflösung dieses grundrechtlichen Konflikts, das heißt die Abwägung zwischen Lebensschutz durch Versagung der Genehmigung und Achtung des Selbstbestimmungsrecht durch Erteilung derselben, 803 entspricht der „anerkannten Methodenlehre" bei der Gesetzesauslegung durch das Oberlandesgericht. 804 Verfassungsrechtlich problematisch bleibt die Entscheidung dennoch: Sie widerspricht m.E. dem Vorbehalts des Gesetzes. Die Frage, ob § 1904 BGB nicht nur Heilbehandlungen, sondern auch lebensbeendende Behandlungen erfaßt und die daraus resultierende präventive Einbindung staatlicher Gewalt unterfällt dem Wesentlichkeitskriterium. 805 Dies gilt um so mehr, als der Bereich der Sterbehilfe außerhalb dieser betreuungsrechtlichen Konstellation ebenfalls nicht gesetzlich geregelt ist. In diesem Zusammenhang ist nochmals die Aufgabe des Gesetzgebers zur Entlastung der Zivilgerichte von der unmittelbaren Auflösung grundrechtlicher Konflikte zu betonen, die diese trotz legilsativer Defizite wegen Art. 1 Abs. 3 GG vornehmen müssen. Eingebettet in die Erfüllungshierarchie kann die Entscheidung des OLG daher nur singulär sein und ein Tätigwerden des Gesetzgebers auslösen. Die Vormundschaftsgerichte dürfen nicht zur allgemeinen Sterbe800 OLG Frankfurt/M., NJW 1998, 2748 unter Verweis auf BGH, NJW 1995, 204 sowie LarenzICanaris, S. 187, 194, 208. 801 OLG Frankfurt/M., NJW 1998, 2748. 802 Durch das Betreuungsgesetz vom 12.9.1990, BGB1.I S.2002 wurden die §§ 1896-1908i BGB neugefaßt; den Genehmigungsvorbehalt des § 1904 BGB insgesamt ablehnend z.B. Palandt/Diederichsen, § 1904 Rn.6; kritisch auch Uhlenbruch in Laufs/Uhlenbruck, §58 Rn.7. 803 Entgegen Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 136 kommt damit das zwingende Erfordernis einer staatlichen (hier: gerichtlichen) Genehmigung nicht nur zum Schutz von Gemeinwohlgütem, sondern auch zum Schutz von Individualrechtsgütern in Betracht. 804 OLG Frankfurt/M., NJW 1998, 2748. 805 Ebenso Hufen, NJW 2001, 857; Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.9.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

hilfeinstanz mutieren. 806 Diese Auffassung wird durch verschiedene divergierende gerichtliche Entscheidungen bestätigt,807 die zu einer in diesem Bereich nicht akzeptablen Rechtsunsicherheit führen. c) Wertungswidersprüche

zum Straf recht

Die zivilrechtliche Auffassung des unbedingten Vorrangs des Patientenwillens vor ärztlicher Tätigkeit führt zu Wertungswidersprüchen mit dem Strafrecht. Die Vollziehung lebensbeendender Maßnahmen durch den Arzt kann auch bei entsprechendem Patientenwillen durch § 216 StGB strafrechtlich verboten sein. 808 Ebenso kommt dem Arzt grundsätzlich eine Garantenstellung nach § 13 StGB für den schwerstkranken Patienten zu, die auch die passive Sterbehilfe stets an die Schwelle der Strafbarkeit rückt. Die verfassungs- und zivilrechtlich einleuchtend zu begründende Möglichkeit des jederzeitigen Behandlungsabbruchs und der Entbindung von der Garantenstellung durch den Patienten, ist im Strafrecht wegen den §§216, 13 StGB nicht ohne weiteres möglich. 809 Die Annahme einer allein strafrechtlichen Behandlungspflicht am Lebensende, die in anderen Fällen als eigenmächtige Heilbehandlung straf- und zivilrechtlich sanktioniert würde, fällt allerdings in der Tat schwer. Im beschriebenen Rahmen ist jedoch die paradoxe Konstellation vorstellbar, daß Genehmigungen der zivilen Vormundschaftsgerichte zu strafbaren Handlungen der Ärzte führen. Ein derartiger Konflikt bei der Schutzgewährung zwischen Zivilgerichten und Strafverfolgungsbehörden, der auf dem Rücken der Ärzte und letztlich auch der Patienten ausgetragen würde, darf nicht entstehen. Seine Verhinderung kommt dem Parlament zu, das die Einheitlichkeit des Fachrechts herzustellen hat. 3. Parlamentarische Regelung der Sterbehilfe de lege ferenda Die oben (1.) vorgezeichnete verfassungsrechtliche Grundentscheidung zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts am Ende des Lebens ist vom parlamentarischen Gesetzgeber auszugestalten. Ihm kommt die Konkretisierung der Voraussetzungen zu, unter denen ausnahmsweise eine ärztliche Beteiligung an der Lebensbeendigung des Patienten erfolgen darf. Dies bedeutet zum einen die Eingrenzung der äußeren Umstände. Es gilt die besondere Situation normativ zu erfassen, in der das Recht auf 806 Angesichts der Ausgestaltung der §§ 1896, 1897 BGB ist allgemein der Versuch zu befürchten, über den Weg des Betreuungsrechts eine staatliche Legitimation für lebensbeendende Maßnahmen zu erlangen; vgl. auch Schöllhammer, S. 135 ff. 807 Zunächst trat das LG München I, NJW 1999, 1788 der Entscheidung des OLG Frankfurt/M. entgegen, inzwischen bestehen noch weitere gleich- und anderslautende Judikate; Nw. bei Hufen, NJW 2001,850. 808 In der Entscheidung des BGH, NJW 1995, 204, auf die sich die Entscheidung des OLG Frankfurt/M., NJW 1998,2747 maßgeblich stützt, ging es um passive Sterbehilfe vor dem Einsetzen des eigentlichen Sterbeprozesses; vgl. Hufen, NJW 2001, 849 f. 809 Vgl. oben a).

Kap. 3: Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens

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einen menschenwürdigen Tod im Unterschied zu anderen Konstellationen der Selbsttötung besteht. Denkbare Kriterien könnten etwa die medizinische Aussichtslosigkeit der Weiterbehandlung und der unzumutbare Leidensdruck auf den Patienten sein. Zum anderen bedeutet dies die Einführung von Sicherungen zu Gunsten des Selbstbestimmungsrechts und des Lebens des Patienten. Dessen eigen- und freiverantwortliche Willensbildung und -betätigung muß sichergestellt und nachprüfbar sein. Die Entscheidung über das Ende des Lebens darf nicht fremdbestimmt getroffen werden. Bei Patienten, die in der entscheidenden Zeitspanne am Ende des Lebens keinen wirksamen Willen bilden oder äußern können, muß daher der mutmaßliche Wille ermittelt werden, der von Vorverfügungen geprägt sein kann. 810 Angesichts der Gefahr der Fremdbestimmung ist aber hier eine staatliche Kontrolle notwendig. Das in Betreuungsverhältnissen zu Recht etablierte Erfordernis der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung ist auf alle Fälle nicht einwilligungsfähiger Patienten zu erweitern. 811 Ob die Einschaltung staatlicher Organe dagegen auch bei einwilligungsfähigen Patienten geboten ist, hängt von der Frage ab, ob diese in praxi tatsächlich autonom entscheiden. Angesichts der großen Mißbrauchsgefahr, die einen Bogen vom bloßen Mitleid bis hin zu diversen wirtschaftlichen Erwägungen umspannt, kann eine staatliche Beteiligung nicht kategorisch abgelehnt werden und der Gesetzgeber ist zur Beobachtung, gegebenenfalls zum Tätigwerden verpflichtet. Hervorzuheben ist, daß die staatliche Kontrolle und Genehmigung unter der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben und das Selbstbestimmungsrecht sowie die Menschenwürde des Patienten keine Entscheidung über Leben und Tod darstellt. Sie gewährleistet vielmehr, daß die Sterbehilfe grundsätzlich unter dem einzig zulässigen Anknüpfungspunkt durchgeführt wird: dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten.812 Infolgedessen ist eine Änderung der Strafgesetze dahin notwendig, daß Ausnahmen vom absoluten Schutz vor Fremdbeeinträchtigungen am Ende des Lebens zugelassen werden. 813 Es bedarf der gesetzlichen Benennung zulässiger Sterbehilfemaßnahmen und ihrer Voraussetzungen sowie der Einordnung als tatbestandslos oder rechtmäßig (gerechtfertigt). Schwierig zu beurteilen ist, inwieweit über die 810 In Fall des sog. non-liquet, in dem der mutmaßliche Wille für oder gegen die Weiterbehandlung bzw. das Sterben nicht bestimmt werden kann, ist wegen der grundrechtlichen Schutzpflicht das Leben grundsätzlich zu erhalten; ebenso OLG Düsseldorf, NJW 2001, 2807 (2808); Höfling, JuS 2000, 116f.; a. A. Hufen, NJW 2001, 856. Ausnahmen könnten sich nur daraus ergeben, daß die Weiterbehandlung gegen die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG verstößt; sehr großzügig in diesem Sinne Hufen, NJW 2001, 856. Zur Vermeidung dieser Situation bestehen gerade die oben 2.b) aa) genannten, nicht unproblematischen zivilrechtlichen Möglichkeiten der Patientenverfügung und der Vertretung. 811 Zurückhaltend dagegen Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.7ff. 812 Ebenso Hufen, NJW 2001, 857. 813 Vgl. oben 2.a); zu entsprechenden Gesetzesänderungen auch Hufen, NJW 2001, 855, 857; Möllering, S. 93 ff.; eine gesetzliche Regelung oder gesetzliche Ergänzungen mit Ausnahme des Absehens von Strafe bei passiver Euthanasie ablehnend z. B. v. Dellingshausen, S. 472ff.; zu früheren und aktuellen Reformbestrebungen stellvertretend Eser, in: Schönke/ Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 32b m. zahlr. Nw.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

passive Sterbebegleitung hinaus auch aktives Tun im Sinne der Durchführung medizinischer Maßnahmen, die indirekt oder direkt lebensverkürzend wirken, gestattet werden kann. Da die aktive Lebensverkürzung wegen ihrer Unumkehrbarkeit auch der Selbstbestimmung des Patienten und dem natürlichen Geschehensablauf entgegensteht, ist hier große Zurückhaltung geboten.814 In dem Maß, in dem Fremdbestimmung zugelassen wird, steigt auch die Mißbrauchsgefahr. Nachdrücklich bestätigt wird dies durch die Erfahrungen mit der (zulässigen) aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden. 815 Aufgrund der grenzziehenden Funktion des Strafrechts und seiner geringen präventiven Wirkung hat der Gesetzgeber bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht den strafrechtlichen Lebensschutz und dessen Ausnahmen zu Gunsten der Selbstbestimmung des Patienten um die beschriebenen präventiven Sicherungen zur Ermittlung des Willens des Patienten zu ergänzen. Dem dient die Einrichtung eines staatlichen Kontroll- und Genehmigungsorgans und auch die Statuierung zivilgesetzlicher Vorgaben an die Form und das Zustandekommen von Voraus-Verfügungen des Patienten als Patiententestament oder Vorsorgevollmacht. 816

Kapitel 4

Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen des Arzt-Patienten-Verhältnisses Die Bereiche des Arzneimittel-, 817 des Transplantations- und Transfusionswesens818 sind parlamentarisch geregelt. In diesen Sonderbereichen des Gesundheitsrechts hat der Gesetzgeber auf das Bestehen spezifischer grundrechtlicher Gefährdungslagen reagiert. Die Schutzwirkungen der Vorschriften entfalten sich auch im Arzt-Patienten-Verhältnis. Auf diese beschränken sich die nachstehenden Ausführungen. Es geht damit nicht darum, den gesamten gesetzlichen Regelungsrahmen darzustellen, sondern entsprechend der Themenstellung den Bezug einzelner Vorschriften zum Arzt-Patienten-Verhältnis unter dem Blickwinkel der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht zu verdeutlichen. 8,4

Auch das Schrifttum ist hier ganz überwiegend zurückhaltend; vgl. nur Höfling, JuS 2000, 117 f., mit Hinweis auf die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe durch den Europarat (S. 114 m. entspr. Nw.); Hufen, NJW 2001, 854; Uhlenbruch, NJW 2001, 2770ff.; Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 66; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 191. 815 Vgl. Uhlenbruch, NJW 2001, 2771; ablehnend auch Höfling, JuS 2000, 118. 816 Vgl. Taupitz, Beilage NJW 25/2000, S.9f.; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, §58 Rn. 7 ff. 8,7 Dazu unten I., II.; dort auch zum Einsatz von Medizinprodukten im Arzt-Patienten-Verhältnis. 818 Dazu unten III.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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I. Einsatz von „Fremdgütern" bei der ärztlichen Heilbehandlung am Beispiel von Arzneimitteln M i t der ärztlichen Heilbehandlung ist regelmäßig der Einsatz von Arzneimitteln verbunden, oft wird nach der Diagnose nur eine sog. Arzneimitteltherapie durchgeführt. 8 1 9 In gleicher Weise führt der technische und wissenschaftliche Fortschritt in der Medizin zum Einsatz verschiedenster technischer Geräte, Produkte oder Substanzen i m Rahmen der Heilbehandlung. Gemeinsam ist dem, daß es sich um „Fremdgüter" handelt, auf deren Herstellung und Vertrieb der Arzt keinen Einfluß hat. U m die Sicherheit der Patienten bei der konkreten Heilbehandlung zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber an die verschiedenen „Fremdgüter" anknüpfende Gesetze erlassen. Den Vorschriften gemeinsam ist daneben ihre Prägung durch europarechtliche Vorgaben infolge des europäischen Marktes. 8 2 0 Hervorzuheben sind das Arzneimittelgesetz 821 und das Medizinproduktegesetz, 822 die beide durch Rechtsverordnungen konkretisiert werden. 8 2 3 I m Kontext stehen zum Beispiel das Infektionsschutzgesetz 824 und die Strahlenschutzverordnung, 825 gegebenenfalls auch das Gerätesicherheitsgesetz. 826 819

Vgl. Hart, S. 1. Vgl. z. B. für die Bereiche der Arzneimittel und Medizinprodukte Deutsch, Rn. 691 ff., 832, 979. Rechtsgrundlagen sind jedoch ganz überwiegend nur die Harmonisierungsvorschrift des Art. 100 a alt EGV (95 EG) und die Ausnahmevorschrift des Art. 235 alt EGV (308 EG), die angesichts des Art. 152 EG nicht zu einer Kompetenz der EG zur Regelung des gesamten Gesundheitswesens oder gar der Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient ausgeweitet werden dürfen; ähnlich jetzt EuGH, EuZW 2000, 694 (698); zum Ganzen schon oben A Kap. 1 V. 3. 821 Das (erste) Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) v. 16.5.1961, BGB1.I S.533 konnte die z.B. in den Contergan-Fällen auftretenden Probleme nicht befriedigend lösen und wurde durch das AMG v. 24.8.1976, BGBl. I S. 2445 ersetzt. Seitdem wurde es mehrfach novelliert, zuletzt durch das 10. Gesetz zur Änderung des AMG v. 4.7.2000, BGBl. IS. 1002; zur Entwicklung des AMG Deutsch, Rn. 679 ff., 694; Deutschi Lippertl Anker! Ratzel, in: Deutsch/Lippert, Einleitung Rn. 1 ff. 822 Gesetz über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz - MPG) v. 2.8.1994, BGBl. I S. 1963, geänd. durch G. v. 6.8.1998, BGB1.I S.2005 und jüngst durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Medizinproduktegesetzes (2. MPG-ÄndG) v. 13.12.2001, BGB1.I S.3586; zum Medizinproduktewesen ausführlich Deutsch, Rn. 696, 978 ff. m. w. Nw.; zum neuen MPG Gassner, NJW 2002, 863 ff. Medizinprodukte sind gem. § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG keine Arzneimittel, ebenso ist das MPG nach § 2 Abs. 4 MPG n. F. (u. a.) nicht auf Arzneimittel, menschliches Blut und Transplantate anzuwenden. 823 Indes enthalten z. B. die §§ 7,22 MPG n. F. dynamische Verweisungen auf Richtlinien der EG, zu denen die allgemeine Verordnungsermächtigung des § 37 MPG n. F. tritt. 824 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) v. 20.7.2000, BGBl. IS. 1045; zu dessen Zusammenhang mit dem AMG Deutsch Rn.738. 825 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) v. 30.6.1989, BGB1.I S. 1321 i.d.F. d. Bek. v. 20.7.2001, BGB1.I S. 1714; vgl. z.B. §§28, 41-43 StrlSchV. 826 Das MPG ist lex specialis zu dem schon länger bestehenden, allgemeinen Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz-GSG) v. 23.10.1992, BGB1.I S. 1793 i.d.F. d. Bek. v. 11.5.2001, BGB1.I S.866; Deutsch, Rn.989. 820

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Die nachfolgenden Ausführungen zum Arzneimittelwesen sind im Hinblick auf diese Regelungen beispielhaft. 1. Schutz Wirkung des AMG im Arzt-Patienten-Verhältnis Das AMG wurde zum Zweck der Arzneimittelsicherheit erlassen. Es trägt der Entwicklung im Arzneimittelwesen Rechnung, die Anfertigung und Vertrieb von Arzneimitteln zu einem anonymen Markt werden ließ. Auf diesem hat der behandelnde Arzt keinen vollständigen Überblick über die bestehenden Präparate und ihre Wirkungen. 827 Zum Schutz der Patienten wurde daher ein Instrumentarium geschaffen, das die Risiken des Einsatzes der Arzneimittel bei der konkreten Heilbehandlung kalkulierbar machen soll. Durch das AMG wird der gesamte Arzneimittelmarkt einer behördlichen Marktkontrolle unterworfen. 828 Dadurch soll die Sicherheit des Arzneimittelverkehrs im Hinblick auf die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel für den Patienten gewährleistet werden. 829 Dies geschieht zum einen durch das präventive Instrument der Herstellungserlaubnis 830 für Arzneimittel, 831 zu der die ebenfalls präventive Zulassungspflicht bei Fertigarzneimitteln 832 tritt. 833 Dadurch werden die von neuen Arzneimitteln drohenden Gesundheitsbeeinträchtigungen reduziert. 834 Da das Auftreten gesundheitsschädlicher Wirkungen nicht stets vorab ausgeschlossen werden kann, sieht das AMG zum anderen eine laufende Marktkontrolle und die Möglichkeit behördlichen Einschreitens vor. 835 Damit wurde ein zweistufiger Gesundheitsschutz der Patienten etabliert: Bedenkliche Arzneimittel sollen vom Markt ferngehalten werden, geprüfte und auf dem Markt befindliche Arzneimittel unterliegen der laufenden Beobachtung. Zum Beispiel Di Fabio gelangt zur Einschätzung, daß der Gesetzgeber im Arzneimittelwesen inzwischen ein ausdifferenziertes Kontroll- und Handlungssystem geschaffen habe, das gleichsam paradigmatisch Kontu827

Vgl. Deutschi Lippertl Anker!Ratzel, in: Deutsch/Lippert, Einleitung Rn. 1 ff. Dazu ausführlich Di Fabio, S. 166 ff., 184 ff., 237 ff.; Hart, S. 35 ff., 47 ff., beide m. w. Nw. 829 § 1 AMG. 830 §§13 ff. AMG. 831 Arzneimittelbegriff: §2 AMG. 832 Legaldefiniert in §4 Abs. 1 AMG. 833 §§21 ff. AMG; dazu Deutsch, Rn.723,726ff. 834 Darüber hinaus ist es nach § 5 Abs. 1 AMG von vornherein verboten, bedenkliche Arzneimittel - das sind nach § 5 Abs. 2 AMG solche, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, daß sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbare Maß hinausgehen - in den Verkehr zu bringen; erfaßt ist auch die bloße Abgabe von Ärztemustern; vgl. Deutsch, in: Deutsch/Lippert, § 5 Rn. 1 ff. 835 Vgl. z. B. die §§ 18, 30,54ff., 62ff., 64ff. AMG; zu dieser sog. Nachmarktkontrolle ausführlich Di Fabio, S. 237 ff. m. w. Nw.; zum Problem der sog. Nachzulassung (vgl. § 105 AMG) Deutsch, Rn.748ff; Ratzel, in: Deutsch/Lippert, Vor § 105 Rn.2f.; § 105 Rn.2, 7f. 828

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836

ren der Risikoverwaltung widerspiegele. In der Tat ist die Einordnung der wesentlichen Risikomerkmale der therapeutischen Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der Arzneimittel in die Nutzen-Risiken-Abwägung der behördlichen Entscheidungen integriert. 837 In der Regel sind die Schutzmechanismen des AMG dem Einsatz der Arzneimittel bei der ärztlichen Heilbehandlung vorgeschaltet. Die vor allem bei Fertigarzneimitteln effektive behördliche Präventivkontrolle und die Herstellerinformationen 838 stellen jedoch nur einen Basisschutz dar, der den Arzt bei der Verschreibung oder Verabreichung eines Arzneimittels von einer Eingangsuntersuchung im Hinblick auf die grundsätzliche Wirksamkeit und das Gefahrenpotential entbindet.839 Zu einer gänzlichen Pflichtenbefreiung führt dies aber nicht. Dem Arzt kommt in der konkreten Behandlung neben der Aufklärung über den Einsatz und die (Neben)Wirkungen des Arzneimittels vor allem die Entscheidung über die Dosierung sowie die laufende Beobachtung des Patienten unter Einbeziehung besonderer persönlicher Eigenschaften, die dem Einsatz des Arzneimittels entgegenstehen, zu. 840 In diesem Sinne führt Hart aus, daß die behördlich attestierte Marktfähigkeit eines Arzneimittels nur eine Voraussetzung seines Einsatzes in der ärztlichen Behandlung ist. 841 Die spezifische ärztliche Leistungspflicht betrifft den konkreten Einsatz am einzelnen Patienten. Hieraus ergeben sich besondere Aufklärungs- und Behandlungspflichten, für die das AMG keinen Schutz gewährt. Insbesondere unterliegt ein behandelnder Arzt keiner laufenden arzneimittelrechtlichen Kontrolle im Hinblick auf die Folgen seiner Arzneimittelbehandlung. 842 Der Umfang der ärztlichen Pflichten beim Einsatz von Arzneimitteln ist infolgedessen im Rahmen der oben (Kap. 1, Kap. 2) beschriebenen allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Regelungen zu bestimmen. Dasselbe gilt für die Haftung bei Aufklärungs- und Behandlungsfehlern im Zusammenhang mit dem Einsatz von Arzneimitteln bei der Heilbehandlung.843 Die arznei836

DiFabio, S. 166 f., der allerdings unzutreffend davon ausgeht, daß das Zulassungsverfahren alle Arzneimittel betreffe; vgl. S. 185 ff. (insbes. S. 186 mit Fn.5). Das Zulassungsverfahren besteht jedoch nur bei Fertigarzneimitteln (vgl. §§21 ff., 4 Abs. 1 AMG), die allerdings quantitativ dominieren; vgl. Deutsch, Rn. 726ff., 723, 703. Gestützt wird die insgesamt positive Einschätzung von Di Fabio durch einen Blick auf das Gentechnikrecht als vergleichbare spezifische Risikomaterie, zu deren Kontrolle und Reduzierung das Gentechnikgesetz (GenTG) v. 20.6.1990 i.d.F. d. Bek. v. 16.12.1993, BGB1.I S.2066 erlassen wurde, das ebenfalls Instrumente des präventiven, repressiven und sanktionierenden Rechtsgüterschutzes enthält; vgl. Kloepfer, § 16. 837 Dazu ausführlich DiFabio, S. 168 ff.; Hart, S.47ff. 838 Insbesondere die Fachinformation und der Packungsbeilage, durch die der pharmazeutische Unternehmer den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Fertigarzneimittels absteckt (vgl. §§ 11, 11 a AMG); Deutsch, in: Deutsch/Lippert, § 5 Rn. 3. 839 Francice, S. 195 ff. sieht in der Beschränkung der verfügbaren (Fertig)Arzneimittel durch die behördliche Zulassung keine Grundrechtsverletzungen der Ärzte und Patienten. 840 Dazu ausführlich Hart, S. 85, 86ff., 124ff. 841 Hart, S.73. 842 Vgl. v. a. die §§ 64-69 AMG. 843 Dazu ausführlich Hart, S.81ff.; Vogeler, S. 18 ff. 20 Hollenbach

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mittelrechtliche Gefährdungshaftung nach § 84 AMG und die besonderen Strafvorschriften der §§ 95,96 AMG greifen in diesen Fällen nicht, da der Arzt weder pharmazeutischer Unternehmer, 844 noch am Prozeß von der Entwicklung bis zum Vertrieb beteiligt ist. 845 2. Weitere Einschränkung des Schutzes durch das AMG bei besonderen ärztlichen Maßnahmen im Arzt-Patienten-Verhältnis Schwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen die Schutzmechanismen des AMG zumindest teilweise ins Leere gehen, weil sich der Einsatz der Arzneimittel außerhalb des gesetzlichen Anwendungs- und Schutzbereichs vollzieht. Zu nennen sind, soweit ersichtlich, der außerhalb der behördlichen Zulassung stattfindende Einsatz eines Arzneimittels - dazu unten a) - und die Eigenherstellung von Arzneimitteln durch den behandelnden Arzt - dazu unten b). a) Neue Anwendungsgebiete von Arzneimitteln Der medizinische Erkenntnisfortschritt, möglicherweise nur durch zufällige Erfahrungen, kann dazu führen, daß Arzneimittel zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden, für die sie nicht entwickelt wurden. 846 Bei einer solchen Verwendung von Fertigarzneimitteln kommen dem behördlichen Zulassungsverfahren, Fachinformationen und Packungsbeilage geringere Schutzwirkungen zu, als beim bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels. Dasselbe Problem besteht bei anderen Arzneimitteln, für die das AMG jedoch von vornherein einen geringeren Schutz vorsieht, als bei Fertigarzneimitteln. 847 Dem neuen Gebrauch ähnlich sind gezielte Überdosierungen und die Multimedikation. 848 Derartige Verwendungen der Arzneimittel sind nicht unzulässig.849 Es bestehen jedoch erhöhte ärztliche Aufklä844 Legaldefiniert in § 4 Nr. 18 AMG; zu § 84 AMG Vogeler, S. lOOff.; zu den Änderungen durch Art. 1 des 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19.7.2002, BGBl. I S. 2671 - v. a. die Kausalitätsvermutung gem. § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG n. F. und die Auskunftsansprüche gem. § 84 a AMG n. F. - z. B. Däubler, JuS 2002, 628 f. 845 Zu den §§ 95, 96 AMG Lippert, in: Deutsch/Lippert, § 96 Rn. 11 ff. 846 Vgl. auch Francke, S. 196; als Beispiel sei die Verabreichung des Hustenmittels Remedacen an Drogenabhängige genannt; dazu BSG, MedR 1996, 373. Geprägt ist davon der Bereich des Doping; vgl. Deutsch, Rn.719f. In Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht hat der Gesetzgeber 1998 durch die Einführung der §§ 6 a, 95 Abs. 1 Nr. 2 a AMG versucht, der bestimmungswidrigen Verschreibung oder Anwendung von Arzneimitteln zu Dopingzwecken Grenzen zu setzen. 847 Zum Unterschied schon oben 1. 848 Zur Multimedikation z. B. Hart, S. 97f. 849 Bestätigt wird dies durch die arzneimittelrechtliche Nutzen-Risiken-Abwägung (vgl. insbes. §§ 25 Abs. 2 Nr. 4,5), die auch zur Zulassung von Mitteln mit erheblichen Nebenwirkungen zum Einsatz gegen (Neu)Erkrankungen führen kann, wenn diese sonst nicht sinnvoll behandelbar sind; Deutsch, Rn. 672.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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rungs- und Behandlungspflichten. Im Rahmen der Aufklärung, die zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfolgt, ist die sog. Risikoaufklärung hervorzuheben, 850 da für die konkrete Anwendung geringere Erfahrungen mit den Wirkungen des Arzneimittels vorliegen. Die antezipierte behördliche Nutzen-RisikenAbwägung kann nur eingeschränkt herangezogen werden, so daß die Entscheidung in das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten verlagert wird. 851 Bei der Behandlung, die ebenfalls von den Vorgaben des Schutzes des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durchdrungen ist, ist die ärztliche Überwachung der Arzneimittelwirkungen beim Patienten hervorzuheben. Insgesamt kann der bestimmungsfremde Einsatz von Arzneimitteln in den Bereich des Heilversuchs fallen. 852 Zumindest soweit und solange noch keine medizinischen Erfahrungswerte bestehen, haben sich die ärztlichen Pflichten m. E. an § 41 AMG zu orientieren, der den klinischen Heilversuch mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln detaillierten Anforderungen unterwirft. 853 Hervorzuheben sind die strenge Indikation und die umfassende Aufklärung. 854 Daneben ist eine geeignete Dokumentation der Behandlung durch den Arzt vorzunehmen. 855 b) Eigene Arzneimittelherstellung

für die Heilbehandlung

Nach herrschender Ansicht liegt die ärztliche Herstellung von Arzneimitteln, die bei eigenen Patienten angewendet werden, von vornherein außerhalb des Anwendungs- und Schutzbereichs des AMG. Die Notwendigkeit einer Herstellungserlaubnis entfalle, da keine Herstellung zur Abgabe an andere erfolge. 856 In der Tat liegt nach § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG eine Abgabe an andere (nur) vor, wenn die Person, die das Arzneimittel herstellt, eine andere ist als die, die es anwendet. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts ist eine Herstellungserlaubnis nicht erforderlich, solange der Arzt das von ihm hergestellte Arzneimittel nicht aus der Hand gibt und selbst am Patienten anwendet; eine Herstellungserlaubnis ist dagegen erforderlich, wenn das Arzneimittel an den Patienten (oder andere Ärzte) weitergegeben wird. 857 Da auch 850

Vgl. oben Kap. 11.2.c)bb). Vgl. Hart, S. 128 ff.; eine ähnliche Situation besteht, wenn nach der Zulassung neue Erkenntnisse im Rahmen der Marktüberwachung gewonnen werden; dazu auch Hart, S. 134. Erhält die Behörde von bestimmungsfremden Anwendungen der (Fertig)Arzneimittel Kenntnis, z. B. aufgrund der §§ 29, 62ff. AMG, so kann dies zu behördlicher Schutztätigkeit, z. B. der Durchführung einer Neuzulassung bei Fertigarzneimitteln, führen. Die Ärzte selbst sind nur standesrechtlich zur Mitteilung unerwünschter Arzneimittelwirkungen an die Bundesärztekammer verpflichtet; vgl. z. B. B § 6 BO Landesärztekammer BW. 852 Vgl. auch Hart, S. 144f. 853 Ähnlich Hart, S. 144f.; zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln insgesamt unten II. 854 §§41 Nr. 1, Nr. 5 AMG; vgl. auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 130 Rn. 10. 855 Vgl. Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §130 Rn. 10; Hart, S. 154f. 856 BVerfGE 102, 26 (33 ff.) m. w.Nw.; Ratzel, in: Deutsch/Lippert, § 13 Rn.2. 857 BVerfGE 102,26 (34 f.); ebenso Ratzel, in: Deutsch/Lippert, § 13 Rn. 2 der auf den Wechsel der Verfügungsgewalt abstellt; zu Möglichkeiten der Delegation bei der ärztlichen Eigenherstellung Deutsch, Rn. 814; Hoppe, MedR 1996, 72ff. 851

20*

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

das Inverkehrbringen von Arzneimitteln nach § 4 Abs. 17 AMG die Abgabe an andere voraussetzt, greifen nach dieser Auffassung auch bei gesundheitsgefährdenden Arzneimitteln weder das allgemeine Verbot des Inverkehrbringens nach § 5 Abs. 1 AMG, 8 5 8 noch die Möglichkeit des besonderen Schutzes der Gesundheit in Form einer Rechtsverordnung des Bundes nach § 6 AMG. 8 5 9 Das Bundesverfassungsgericht fordert für die Anwendung des § 6 AMG unter Berufung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Arzneimittelverkehr), daß die Herstellung zum Zwecke der Abgabe an andere erfolge. 860 Zu Gunsten der ärztlichen Therapiefreiheit wird damit ein arzneimittelrechtliches Ärzteprivileg angenommen.861 Dessen Folge ist, daß auch hier die allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Pflichten des Arztes gegenüber dem Patienten Anwendung finden. Dasselbe gilt für die zivil- und strafrechtliche Arzthaftung. Das Bundesverfassungsgericht verweist indes auf die Zuständigkeit der Länder zur Überwachung der ärztlichen Sorgfalt und Verantwortung bei der Berufsausübung. 862 Nach den Regelungen des AMG sowie des Grundgesetzes ist diese Auslegung des Bundesverfassungsgerichts m.E. jedoch angreifbar. Im Gegensatz zu den §§ 13, 5 Abs. 1 AMG knüpft § 6 AMG, ebenso wie die Überwachungsvorschriften der §§ 64 ff. AMG, an die bloße Herstellung der Arzneimittel unabhängig von der späteren Abgabe oder dem Inverkehrbringen an. Gerade die sachlich nachvollziehbare Unterscheidung des AMG zwischen Herstellen, 863 Abgabe und Inverkehrbringen zeigt, daß der Begriff des „Verkehrs" nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG eigenständig zu bestimmen ist. Dementsprechend wird als „Verkehr" der gesamte Umgang mit den Arzneien und Heilmitteln, von der Herstellung über den Vertrieb bis zum Verbrauch, verstanden. 864 Das vom Bundesverfassungsgericht aus historischen und sprachlichen Gründen betonte kommerzielle Element des Verkehrs 865 ist nicht nur gegeben, wenn das Arzneimittel an den Patienten weitergegeben wird, sondern selbstverständlich auch bei der unmittelbaren Anwendung des Präparats durch den 858

Das Zulassungsverfahren kommt ohnehin nicht in Betracht; vgl. nur §§21, 4 Abs. 1

AMG. 859

BVerfGE 102, 26 (33 ff.). Nach dem Wortlaut des §6 AMG kann durch RVO allerdings bereits die Verwendung bestimmter Stoffe bei der Herstellung verboten und (ggf. nachfolgend auch) das Inverkehrbringen untersagt werden; dazu sogleich. 860 BVerfGE 102,26 (36ff., 39). Daher wurde das strafbewehrte Verbot der Verwendung von Frischzellen bei der Herstellung von Arzneimitteln der §§ 1, 2 Frischzellen-Verordnung das Bundesministeriums für Gesundheit (VO über das Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe zur Herstellung von Arzneimitteln v. 4.3.1997, BGBl I S.432), gestützt auf §6 AMG, für nichtig erklärt. Nach BVerfG 102,26 (36ff.) fehle dem Bund aufgrund des Art.74 Abs. 1 Nr. 19 GG die Regelungskompetenz für die Fälle, in denen Arzneimittel vom Arzt selbst hergestellt und beim Patienten angewendet werden, da dies kein Verkehr mit Arzneimitteln sei. Zudem habe der Bund nur die Kompetenz zur Regelung der ärztlichen Berufszulassung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19), die ärztliche Berufsausübung sei Ländersache; BVerfGE 102, 26 (36 f.). 861 Deutsch, Rn. 814; BVerfGE 102, 26 (36). 862 BVerfGE 102, 26 (36). 863 Die Legaldefinition des §4 Abs. 14 AMG knüpft nicht an die spätere Verwendung an. 864 So z. B. Degenhart, in: Sachs, Art. 74 Rn. 76. 865 BVerfGE 102, 26 (38 f.).

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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herstellenden Arzt am Patienten. Angesichts des vom AMG bezweckten Grundrechtsschutzes ist die restriktive Auslegung der Schutzvorschrift des § 6 AMG abzulehnen. Die der ärztlichen Therapie- und Berufsfreiheit konzedierte Befreiung von der Herstellungserlaubnis nach § 13 Abs. 1 Satz 3 AMG stellt kein Privileg zur Herstellung bedenklicher oder gefährdender Arzneimittel und zum Einsatz am Patienten dar. Die Schutzgewährung durch die sachlich kompetenten Arzneimittelbehörden 866 ist m. E. vom AMG und der Kompetenz des Bundes gedeckt. Die arzneimittelrechtliche Überwachung wird von Landesbehörden durchgeführt, 867 so daß auch bei lokalen Gefährdungslagen ein effektiver Schutz gewährleistet ist. Rechtsverordnungen sind ebenfalls ein geeignetes Instrument der Schutzgewährung, da ein bundesweit einheitliches Schutzniveau etabliert und einer Ausweitung lokaler Mißstände vorgebeugt wird. 868 Die beschriebene gegenteilige Auffassung des Bundesverfassungsgerichts überzeugt m. E. nicht. Sie steht nicht nur im Widerspruch zur großzügigen Annahme einer Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs im Rahmen der Schutzregelungen zum Schwangerschaftsabbruch, 869 sondern übersieht vor allem, daß die Kompetenztrennung zwischen ärztlicher Berufszulassung zu Gunsten des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG und ärztlicher Berufsausübung zu Gunsten der Länder 870 im ArztPatienten-Verhältnis nicht besteht. Während das Landesrecht den ärztlichen Beruf als solchen ordnet, 871 wird die ärztliche Berufstätigkeit im Verhältnis zum Patienten de lege lata maßgeblich vom Zivil- und Strafrecht bundesrechtlich gestaltet.872 In diesem 866 Neben § 6 AMG kommt auch ein behördliches Einschreiten im Rahmen der Arzneimittelüberwachung nach §69 Abs. 1 AMG in Betracht: Die §§64, 67 AMG knüpfen ebenfalls schon an die Herstellung, unabhängig von der späteren Abgabe oder dem Inverkehrbringen oder einer entsprechenden Zwecksetzung des Herstellers, an; im Hinblick auf die allgemeine Anzeigepflicht des § 67 AMG unklar Hoppe, MedR 1996,76, da er nicht auf die verschiedenen denkbaren Empfängerkreise eingeht. 867 Dies gilt für das Verfahren der Herstellungserlaubnis nach den §§ 13 ff. AMG und die Überwachung nach den §§64ff. AMG; vgl. Deutsch, Rn. 836; Ratzel, in: Deutsch/Lippert, § 13 Rn. 11; Lippert, in: Deutsch/Lippert, §69 Rn.2. 868 Der regelmäßig lokale Charakter Eigenherstellung von Arzneimitteln zur Anwendung an eigenen Patienten spricht nach BVerfGE 102, 26 (36) für die Zuständigkeit der Länder bei der Überwachung - offengelassen wird, nach welchen Vorschriften sich diese vollziehen soll. Auch nach der hier vertretenen Anwendung des AMG ist ein zusätzlicher Schutz durch Landes(polizei)recht nicht ausgeschlossen, wie auch die Statuierung besonderer ärztlicher Berufspflichten im Rahmen der Heilberufs- und Kammergesetze der Länder sowie der Satzungen der Landesärztekammern unbenommen bleibt. Eine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG besteht hier nicht. Das AMG ist insoweit von vornherein nicht erschöpfend konzipiert, so daß es keines ausdrücklichen Vorbehaltes zu Gunsten der Länder bedarf; zur Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG vgl. Degenhart, in: Sachs, Art. 72 Rn. 17 ff. m. w.Nw. 869 BVerfGE 98, 265 (301 ff.); ablehnend allerdings Starck, in: FS Maurer, S.282f., 292ff. 870 BVerfGE 102, 26 (36 f.). 871 Insbesondere durch die HeilbKG und die darauf fußenden Satzungen der öffentlichrechtlichen Landesärztekammern. 872 Vgl. nur oben Kap. 1, Kap. 2; hier kommt dem Landesrecht (v. a. den HeilbKG), ebenso wie dem ärztlichen Standesrecht nur ergänzende und konkretisierende Funktion zu. Ergänzend

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Sinne hat das Bundesverfassungsgericht auch keine Bedenken, eine (mittelbare) inhaltliche Steuerung der ärztlichen Heilbehandlung durch arzneimittelrechtliche Schutzvorgaben beim Einsatz von Fertigarzneimitteln ausdrücklich anzuerkennen.873 Auch nach der hier vertretenen Auffassung, die immerhin einen eingeschränkten Schutz durch die Vorschriften des AMG zuläßt, dominiert im Übrigen der allgemeine zivil- 8 7 4 und strafrechtliche 875 Schutz. 3. Ergebnis und Folgerungen Der legislative Schutz des Patienten als Endverbraucher der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel durch das AMG modifiziert die insbesondere dem Zivilrecht bekannte Produktverantwortlichkeit, die über die Annahme von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung 876 seitens der Zivilgerichte in einzelnen Sachbereichen konkretisiert wurde. Durch das AMG wird der herkömmliche zivil- und strafrechtliche Rechtsgüterschutz, der regelmäßig erst nach dem Eintritt der Rechtsgutsverletzung gewährt wird, um ein präventives Instrumentarium ergänzt. In Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG findet eine behördliche Sicherheitsüberprüfung zur Gefahrenreduzierung und Risikobeherrschung des Arzneimittels vor dem Inverkehrbringen bzw. der Abgabe an den Patienten statt. 877 Die Modifizierung des Zivilrechts setzt sich auf der Haftungsebene mit der Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 AMG fort, die der Tatsache Rechnung trägt, daß der Patient bei der alltäglichen bestimmungsgemäßen Anwendung des Arzneimittels geschädigt werden kann, während bei dessen Herstellung für ihn nicht einseh- und nachvollziehbare komplexe interne Produktionsabläufe bestehen.878 Im Verhältnis zwischen Arzt und Patient bewirken die Regelungen des AMG jedoch nur einen Basisschutz, der die Ärzte nicht von eigenen Leistungspflichten entist auf die bundesrechtliche Steuerung durch das System der Gesetzlichen Krankenversicherung hinzuweisen; dazu unten Kap.5. In BVerfGE 102,26 (36f.) wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Abgrenzung zwischen ärztlicher Behandlungsfreiheit und Arzneimittelrecht im Rahmen des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG noch nicht thematisiert wurde. 873 BVerfGE 102, 26 (39). 874 Insbesondere die zivilrechtliche Gefährdungshaftung nach § 84 AMG besteht nur bei zulassungspflichtigen (Fertig)Arzneimitteln. 875 Daneben können Verstöße gegen Rechtsverordnungen nach § 6 AMG nach § 96 Nr. 2 AMG strafbewehrt, Verstöße gegen behördliche Anordnungen bei der Überwachung im Rahmen der §§ 97 Nr. 25, 26 AMG bußgeldbewehrt sein. 876 Insbesondere im Rahmen des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB. 877 Diese präventive behördliche Kontrolle folgt nicht aus zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten, sondern ist Ausprägung des Grundrechtsschutzes durch den Staat; unklar Deutsch, Rn.761 f. 878 Neben § 84 AMG ordnen auch die §§ 1 Abs. 1 ProdHaftG, 32 Abs. 1 GenTG eine verschuldensunabhängige Haftung an; zur Aufweichung des Verschuldensgrundsatzes des BGB durch die Rspr. oben Kap. 1 III. 1.

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bindet. Dies gilt schon beim Einsatz von Arzneimitteln, die vom Schutzinstrumentarium des A M G erfaßt werden und erst recht, wenn das A M G geringere Schutzwirkungen zu Gunsten der Patienten entfaltet. Die ärztlichen Pflichten bei der Verwendung von Arzneimitteln im Rahmen der Heilbehandlung müssen anhand der beschriebenen allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Regelungen bestimmt werden, so daß die fachgerichtliche Ausgestaltung dominiert. 8 7 9 Die verfassungsrechtliche Kritik an der bestehenden zivil- und strafrechtlichen Schutzgewährung bei ärztlichen Heilbehandlungen wird daher durch das A M G kaum beeinflußt, die genannten Abhilfemöglichkeiten sind hierher zu übertragen. 880 Das variable Schutzinstrumentarium des A M G sollte aber durchaus i m Sinne der schutzpflichtorientierten Auslegung zu Gunsten der Patienten eingesetzt werden. Auftretende Schutzlücken bei der Anwendung von Arzneimitteln am Patienten sollten angesichts des bundesrechtlichen Regelungsrahmens des Arzneimittelwesens und der ärztlichen Pflichten i m Arzt-Patienten-Verhältnis weiterhin durch Bundesrecht geschlossen werden. 8 8 1

II. Rechtsgüterschutz bei der klinischen Prüfung von Arzneimitteln 882 und Medizinprodukten Die §§ 4 0 - 4 2 A M G , 20-24 (17-19 alt) M P G enthalten Regelungen für die klinische Prüfung von Arzneimitteln und Medizinprodukten am Menschen. 8 8 3 Der Ge879

Vgl. oben Kap. 1, Kap. 2. Vgl. oben Kap. 1 III., Kap. 2 III. Darüber hinaus wurde das AMG zu Gunsten der Verbraucher- im Arzneimittelwesen besser Patienten - durch Art. 1 des 2. Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften v. 19.7.2002, BGBl. IS. 2671 geändert - hervorzuheben sind insoweit die Erstreckung des Schmerzensgeldanspruchs auf die Gefährdungshaftung, Auskunftsansprüche gegen pharmazeutische Unternehmer sowie Beweiserleichterungen; vgl. Däubler, JuS 2002, 625 ff. 881 Wenig praktikabel erscheint demgegenüber die Auffassung von BVerfGE 102,26 (33 ff.), nach dem die Länder zum Schutz der Patienten zuständig sind, wenn der Arzt das von ihm hergestellte Arzneimittel anwendet (sprich: verabreicht), der Bund dagegen, wenn der Arzt das Arzneimittel dem Patienten gibt und dieser es (vor den Augen des Arztes) selbst einnimmt. 882 Eine neue, wiederum auf den problematischen Art. 95 EG gestützte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen von Arzneimitteln, ABl. EG 2001 Nr.L 121, S. 34, wird nach Deutsch, NJW 2001, 3361 ff. zu Veränderungen der §§40ff. AMG führen. Die Richtlinie erweitert und konkretisiert in der Tat die Schutzvorkehrungen der §§40 ff. AMG zu Gunsten der Versuchspersonen, insbesondere Minderjähriger und Nicht-Einwilligungsfähiger; vgl. aber Laufs, NJW 2001,3381 f. Unabhängig von den Einwänden gegen eine rechtliche Harmonisierung aufgrund von Art. 95 EG im Arzt-Patienten-Verhältnis (vgl. oben A Kap. 1 V. 3. b)) ist die Richtlinie erst bis zum 1.5.2003 umzusetzen und spätestens ab dem 1.5.2004 anzuwenden, so daß sie nachfolgend außer Betracht bleiben soll. 883 Dazu auch Deutsch, Rn. 759 ff., 776 ff., 1003 ff. m. w. Nw. Auf die Möglichkeit der Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen am Menschen in der medizinischen Forschung nach §41 StrahlenschutzVO wird hier nicht eingegangen. Parallelen weist auch die Spenderimmunisierung nach § 8 TFG auf; Deutsch, in: Deutsch/Lippert, §40 Rn. 3, dazu unten III. 2. a). 880

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

setzgeber hat damit der Tatsache Rechnung getragen, daß eine Marktfreigabe und breite Anwendung von Arzneimitteln und Medizinprodukten wegen des ihnen immanenten Gefahrenpotentials ohne vorherigen Test am Menschen unabsehbare Folgen für die Patienten haben kann. Umgekehrt besteht in der Erprobungsphase von Arzneimitteln mangels genauer Kenntnisse der Wirkungen ein hohes Maß an Risiken, da noch keine medizinisch-technischen Erfahrungen, geschweige denn ein Standard besteht. Angesichts der möglichen gravierenden Beeinträchtigungen der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter der Versuchspersonen steht deren Schutz im Vordergrund der gesetzlichen Ausgestaltung.884 Das präventive Schutzkonzept wird durch sanktionierende Haftungsnormen ergänzt. 885 1. Rechtsgüterschutz bei der klinischen Prüfung Die gesetzlichen Regelungen unterscheiden zwischen fremdnützigen Humanexperimenten und Heilversuchen an Patienten.886 Beim Heilversuch besteht ein therapeutischer Nutzen, 887 die Patienten haben mit anderen Worten ein sachbezogenes Interesse am Einsatz des Arzneimittels an ihrem Körper. Demgegenüber ist die fremdnützige klinische Prüfung ein wissenschaftlich-medizinisches Experiment, das nicht oder nicht unmittelbar der Gesundheit der Probanden dient oder deren Wiederherstellung bezweckt.888 Hier stellen die Teilnehmer ihren Körper in den Dienst der Wissenschaft und sind dazu regelmäßig durch materielle wirtschaftliche Interessen motiviert. a) Humanexperiment aa) Gesetzliche Voraussetzungen Die Voraussetzungen des Humanexperiments sind in den §§40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-8 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 1-9 MPG katalogisiert. 889 Grundlage der Humanexpe884

Dementsprechend steht der 6. Abschnitt des AMG unter dem Titel „Schutz des Menschen bei der klinischen Prüfung"; vgl. auch DiFabio, S. 223 ff. 885 vgl. §§96 Nr. 10, 97 Abs. 1, Abs.2 Nr.9 AMG, 41 Nr.4, Nr.5, 42 Abs. 1, Abs.2 Nr. 10 MPG; vgl. Deutsch, Rn.812, 1027f.; ders., in: Deutsch/Lippert, §§40 Rn.25, 41 Rn.6f. mit z.T. kritischer Bewertung. Die §§40f. AMG, 20f. MPG sind daneben Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB; Deutsch, Rn. III, 1023; ders., in: Deutsch/Lippert, §§40 Rn. 24, 41 Rn.5. 886 §41 AMG modifiziert die §§40 Abs. 1-3 AMG für den Bereich des Heilversuchs; zur Systematik Deutsch, Rn. 776. Dasselbe gilt für § 21 MPG bzgl. der §§ 20 Abs. 1-3, 6, 7 MPG. 887 Dies ist auch das gesetzliche Abgrenzungskriterium; vgl. §§41 AMG, 21 MPG; Legaldefinitionen bestehen nicht. 888 Zum Unterschied zwischen Heilversuch und Humanexperiment sowie Abgrenzungsschwierigkeiten auch Deutsch, Rn. 527 ff., 539 f., 559; A. Jung, S. 27 ff., beide m. w. Nw. 889 Vgl. Deutsch, Rn.777ff., 1004f.; ders., in: Deutsch/Lippert, §40 Rn.4ff. Zur Einbindung von Ethik-Kommissionen und staatlichen Stellen unten bb).

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rímente ist die freie und sachkundige Entscheidung der Versuchsperson. Klinische Prüfungen an Probanden dürfen nur durchgeführt werden, wenn diese durch einen Arzt über Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung aufgeklärt wurden und eingewilligt haben.890 Eine wirksame Einwilligung setzt Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit sowie die Erteilung durch den Probanden selbst und in schriftlicher Form voraus. 891 Eigenmächtige Experimente sind unzulässig und strafbewehrt. 892 Nähere gesetzliche Vorgaben für das Verfahren und den Inhalt der Aufklärung bestehen nicht. 893 Zur Konkretisierung werden hier de lege lata Richtlinien der Deutschen-Krankenhaus-Gesellschaft e.V. herangezogen.894 Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber einer Außenwirkung angesichts des Binnencharakters des (öffentlich- und privatrechtlichen) Standesrechts wurden bereits beschrieben 895 und bestehen auch hier. Daneben bestehen äußere Voraussetzungen, die eine Reduzierung der Gefahren für die körperliche Integrität der Probanden bezwecken. Die Risiken des Experiments für den Probanden müssen gegenüber der Bedeutung des Arzneimittels/Medizinprodukts für die Heilkunde ärztlich vertretbar sein. 896 Diese Nutzen-RisikenEntscheidung trifft regelmäßig der das Experiment leitende, durch Erfahrung qualifizierte Arzt. 897 Einen Ausschluß von Experimenten, bei denen die konkrete Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit schwerster Körperverletzungen oder gar des Todes bestehen, hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.898 Er hat sich vielmehr mit der Verpflichtung zur Versicherung der Probanden begnügt.899 Den Experimenten müssen bestimme Untersuchungen oder Prüfungen auf dem jeweiligen Stand der Wissenschaft oder Technik vorangehen, über deren Ergebnisse und Risiken der ärztliche Leiter informiert sein muß. 900 Insgesamt ist das Experiment in einen Prüfplan einzubinden, der dem Stand der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse ent890

§§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 2 MPG. §§40 Abs. 2 AMG, 20 Abs. 2 MPG. An Einwilligungsunfähigen und Minderjährigen sind damit höchstens Heilversuche zulässig; §§40 Abs. 4, 41 AMG, 20 Abs.4, 21 MPG; dazu unten b). 892 §§ 96 Nr. 10 AMG, 41 Nr. 4, Nr. 5 MPG. Darüber hinaus sind keine Humanexperimente im Rahmen öffentlich-rechtlicher (Zwangs)Behandlungen zulässig; §§41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 3 MPG. Ähnlich zurückhaltend aus zivilrechtlicher Sicht z. B. Eberbach, S. 174 ff. 893 Kritisch dazu DiFabio, S. 233. 894 So DiFabio, S.233, mit dem zutreffend kritischen Hinweis, daß diese Heileingriffe an Krankenhauspatienten betreffen, so daß die spezifischen Besonderheiten der Arzneimittelforschung nicht erfaßt werden. 895 Insbesondere oben Kap. 1 III., A Kap. 2 III. 896 §§41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 1 MPG. 897 §§41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 4 MPG. 898 Skeptisch Deutsch, Rn. 779, der dies als „erstaunlich" bezeichnet. 899 §§41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 MPG. 900 §§41 Abs.l Satz 1 Nr.5,7 AMG(pharmakologisch-toxischePrüfung),20Abs. 1 Nr.5-7 MPG (biologische Sicherheitsprüfung oder für die vorgesehene Zweckbestimmung des Medizinproduktes erforderliche Prüfung). 891

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314 901

spricht. Das Vorhaben ist einer Ethik-Kommission zur Bewertung vorzulegen und danach der zuständigen Bundesoberbehörde anzuzeigen.902 Diese gesetzlichen Voraussetzungen werden bei der Arzneimittelprüfung durch Verwaltungs Vorschriften, 903 bei Medizinprodukten bislang durch Rechts Verordnung 904 der zuständigen Bundesminister konkretisiert. Im Unterschied zur Rechtsverordnung kommt den Verwaltungsvorschriften zwar keine unmittelbare Bindungswirkung zu. 905 Ihre Einhaltung wird aber faktisch dadurch sichergestellt, daß die Behörde im Rahmen des Anzeigeverfahrens dem geplanten Experiment widersprechen kann. 906 Zudem konkretisieren die Verwaltungsvorschriften den bei der Erstellung des Prüfplans zu beachtenden jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dessen Nichtbeachtung nach § 97 Abs. 2 Nr. 9 A M G bußgeldbewehrt ist. 907 Damit bewirken die Verwaltungsvorschriften einen Schutz der Probanden, dem sich das Ministerium zu Recht auch ohne gesetzlichen Auftrag angenommen hat. Die dauerhafte Wirksamkeit des Schutzes hängt indes davon ab, ob der medizinischen Entwicklung durch die Aktualisierung der Verwaltungsvorschriften und der Rechtsverordnung 908 Rechnung getragen wird.

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§§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 8 MPG. §§40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG; 20 Abs. 6, Abs. 7 MPG. Liegt kein zustimmendes Votum der Ethik-Kommission vor, darf 60 Tage nach der Anzeige mit dem Experiment begonnen werden, wenn die Behörde nicht widersprochen hat; §§40 Abs. 1 Satz 3 AMG, 20 Abs. 7 Satz 4 MPG. 903 Grundsätze für die ordnungsgemäße Durchführung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln v. 9.12.1987; BAnz. S. 16 617f.; kritisch dazuDiFabio, S.233f. 904 Verordnung über Medizinprodukte (Medizinprodukte-Verordnung - MPV) v. 17.12.1997, BGBl. I S. 3138, ber. BGB1.I 1998, S.515, gestützt auf §5 MPG a.F. Die §§22, 7 MPG n. F. verweisen dagegen dynamisch auf die Bestimmungen der Rl. 90/385 EWG und 93/42 EWG und ersetzen die Verordnungsermächtigungen bzgl. der klinischen Prüfung; vgl. Gassner, NJW 2002, 865. Die neue Verordnungsermächtigung des § 37 MPG n.F. betrifft die klinische Prüfung, soweit ersichtlich, nur am Rande. Nicht spezifisch ist auch die allgemeine behördliche Überwachung nach § 26 MPG n. F. 905 DiFabio, S.234; allgemein zu den Rechts Wirkungen von Verwaltungsvorschriften A t a rer, § 24 Rn.l5ff. 906 Daneben besteht die behördliche Überwachung nach den § § 64 ff. AMG auch bei der klinischen Arzneimittelprüfung und einer den Verwaltungsvorschriften widersprechenden klinischen Prüfung könnte im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach §§ 21 ff. AMG die Anerkennung verweigert werden. 907 Vgl. DiFabio, S.234. 908 Nach dem MPG n. F. auch der Richtlinien der EG. 902

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bb) Einbindung von Ethik-Kommissionen Vor der Durchführung der klinischen Prüfung am Menschen ist die Einschaltung einer unabhängigen Ethik-Kommission vorgeschrieben. 909 §41 Abs. 1 Satz 2 AMG ordnet schlicht an, daß die Ethik-Kommission nach Landesrecht gebildet wird. 910 § 20 Abs. 7 Satz 1, Abs. 8 MPG verlangt dagegen eine interdisziplinäre, zugleich aber fachlich kompetente Besetzung mit mindestens fünf Personen und die Registrierung bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Die Registrierung erfolgt (unter anderem) nur, wenn in einer veröffentlichten Verfahrensordnung die Mitglieder und das Verfahren der Ethik-Kommission aufgeführt sind. 911 Während der Verweis auf das Landesrecht im Arzneimittelwesen zur Bildung von Ethik-Kommissionen bei den öffentlich-rechtlichen Landesärztekammern und Universitäten geführt hat, 912 sind infolge des Registrierungserfordernisses im Medizinproduktewesen auch private oder freie Ethik-Kommissionen zulässig.913 Auf die Probleme der Einbindung der Landesärztekammer bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht wurde bereits oben (A Kap. 2 III.) eingegangen. Hinsichtlich der Einbindung der bei den Landesärztekammern zu bildenden EthikKommissionen ist zu ergänzen, daß die Heilberufs- und Kammergesetze der Länder einen Kompromiß treffen, indem sie allgemein die Einrichtung von Ethik-Kommissionen vorschreiben und weiter die wesentlichen Inhaltspunkte der von der Landesärztekammer zu erlassenden Pflichtsatzung benennen.914 Diese konkretisiert die gesetzlichen Eckvorgaben. 915 Den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes wird dadurch formal genügt. Vor dem Hintergrund der (Außen)Wirkung der Entscheidungen der Ethik-Kommissionen gegenüber den Probanden und Pharma-Unternehmen ist der Verzicht des Gesetzgebers auf detaillierte Vorgaben, vor allem hinsichtlich der Unabhängigkeit und Sachkunde, der personellen Besetzung insgesamt sowie des Entscheidungsverfahrens und der Entscheidungsmaßstäbe, allerdings bedenklich, 916 auch wenn, soweit ersichtlich, bislang ein wirksamer Schutz der 909 §§ 40 Abs. 1 Satz 2 AMG, 20 Abs. 7 MPG. Nach § 40 Abs. 1 Satz 4 AMG muß die EthikKommission zudem über signifikante Sicherheitsprobleme während des Verlaufs der Prüfung unterrichtet werden. 910 Z. B. in Baden-Württemberg gem. § 5 HeilbKG i.V. m. §§ 1, 2 Statut einer Ethik-Kommission bei der LÄK BW i.d.F. v. 2.8.1995. 911 Vgl. § 20 Abs. 8 Satz 3 MPG. 912 Vgl. z.B. §5 HeilbKG BW; dazu auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 130 Rn. 18. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Landesärztekammem. 913 Ablehnend Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 130 Rn. 18. 914 Vgl. z.B. §§5 Abs. 1, Abs.2 HeilbKG BW. 915 Vgl. z.B. die Satzung „Statut einer Ethik-Kommission bei der Landesärztekammer BW i.d.F. v. 2.8.1995" der Landesärztekammer BW aufgrund der §§4 Abs. 1,5 Abs. 1,9 Abs. 1 KG BW (jetzt HeilbKG). 916 Für Verfassungswidrigkeit z. B. Pfeiffer, ZRP 1998, 45 f.; kritisch DiFabio, S. 222; vgl. auch Schenke, NJW 1991,2320f.; zur Frage der Begründung und Anfechtbarkeit der Entscheidungen der Ethik-Kommission Deutsch, VersR 1995, 124.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Rechtsgüter der Probanden - dies ist der Sinn und Zweck der Einbindung der EthikKommissionen917 - bewirkt wird. 918 Angesichts der Grundrechtsrelevanz der Entscheidungen hat der Gesetzgeber zumindest stets zu prüfen, ob die Unabhängigkeit der Ethik-Kommissionen sowie der verfassungsrechtlich und gesetzlich gebotene Schutz der Probanden bei einer Einbindung in die ärztliche Standesorganisation noch gewährleistet sind. 919 Zu befürworten ist jedenfalls die öffentlich-rechtliche Einbindung der Ethik-Kommissionen in die staatliche Aufgabe der Gewährleistung der Arzneimittel- und Probandensicherheit. Auch wenn durch die zahlreichen lokalen Ethik-Kommissionen widersprüchliche Entscheidungen sogar bei einem Forschungsvorhaben befürchtet werden, 920 ist die beschriebene Einbindung den privaten oder freien Ethik-Kommissionen nach dem MPG vorzuziehen. Abgesehen von der Frage der Zuständigkeit dieser Kommissionen921 erscheint ein wirksamer Rechtsgüterschutz der Probanden zweifelhaft: Die Registrierung ist an keine materiellen Voraussetzungen gebunden ist, so daß keine behördliche Kontrolle insbesondere der Einhaltung der Verfahrensordnung und der Fachkompetenz der Mitglieder besteht.922 b) Heilversuch Der Kreis möglicher Patienten ist beim Heilversuch größer, als beim Humanexperiment. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der §§40 Abs.4,41 AMG, 20 Abs.4, 21 MPG 9 2 3 Einwilligungs- und Geschäftsunfähige mit einbezogen und die Vorausset917

Pfeiffer, ZRP 1998, 43, 45; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 130 Rn. 19. Auch Deutsch, VersR 1995, 123 tendiert zur Delegation der Detailregelungen auf die Landesärztekammem. 919 Zum Problem eingehend Pfeiffer, ZRP 1998,45.; vgl. auch Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, §130 Rn.22. 920 Äußerst kritisch z. B. Pfeiffer, ZRP 1998, 44f.; relativierend dagegen Laufs, in: Laufs/ Uhlenbruck, § 130 Rn. 21 f. Die Anerkennung von Voten anderer öffentlich-rechtlicher EthikKommissionen wird z. B. von § 5 Abs. 2 Nr. 11 HeilbKG BW vorgesehen; eine „blinde" Übernahme darf zum Schutz der Probanden aber nicht erfolgen; Deutsch, VersR 1995, 124f. 921 Insoweit ist nach Deutsch, Rn. 1008 auch ein Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben gegeben, da eine örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit zur Beurteilung einer klinischen Prüfung vor Ort bestimmt werden muß, was durch die bloße Registrierung nicht erfolgt. 922 Ebenso Deutsch, Rn. 1006; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, § 130 Rn. 18; a. A. Pfeiffer, ZRP 1998, 43 ff., der neben den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ethik-Kommissionen bei den Landesärztekammer auch eine Verstoß gegen das europäische Gemeinschaftsrecht sieht (S.46). Gegenüber dem Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sollte jedoch m. E. die europäische Wettbewerbs- und Dienstleistungsfreiheit nicht überbetont werden, die zudem unter eben diesem Schutzaspekt beschränkt werden können; dazu bereits oben Kap. 3 I.3.d), A K a p . l V.3. 923 Bei Minderjährigen muß die Anwendung zum Erkennen oder Verhüten von Krankheiten bestimmt und nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, so daß das beim Humanexperiment bestimmende Merkmal der Fremdnützigkeit nicht vorliegt, sondern das Heilbehandlungen und -versuche kennzeichnende kurative Element gegeben ist. Nach 918

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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zungen bestimmt, unter denen auch an diesen die Wirkung von Arzneimitteln und Medizinprodukten geprüft werden kann. M. E. wurde im Einklang mit den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit sowie die Selbstbestimmung des Schutzsubjekts zu Recht nicht allein an die Möglichkeit der gesetzlichen Vertretung angeknüpft, sondern der medizinische Nutzen für den Patienten zur Grundvoraussetzung zulässiger Heilversuche gemacht. Die klinische Prüfung darf nur durchgeführt werden, wenn die Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, das Leben des Kranken zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern. 924 Die hier zugelassene Fremdbestimmung durch gesetzliche Vertreter, in Ausnahmesituationen auch durch Ärzte, 925 ist zu Gunsten der körperlichen Integrität des Patienten zulässig.926 Über die Einschaltung der Ethik-Kommission und der zuständigen Bundesoberbehörde wird auch hier die Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen sichergestellt. Bei besonders gefährlichen Heilversuchen an Betreuten kann daneben eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlich sein. Aufgedrängter Grundrechtsschutz ist in diesem Rahmen nur in der ausweglosen Situation am Lebensende denkbar. 927 2. Folgerungen für die Humanforschung und Heilversuche insgesamt In Deutschland bestehen Regelungen für die fremdnützige Humanforschung und für Heilversuche als besondere Heilbehandlungen nur in spezifischen Bereichen des Gesundheitswesens, die zudem eng mit der Produktsicherheit, insbesondere im Hinblick auf den europäischen Markt verbunden sind. Für Experimente im herkömmlichen Arzt-Patienten-Verhältnis bestehen dagegen keine speziellen gesetzlichen Schutzvorgaben.928 Für eine bestehende Vielzahl und zunehmende Anzahl medizidem MPG darf darüber hinaus zum einen eine Prüfung bei Erwachsenen keine ausreichenden Prüfergebnisse erwarten lassen (§ 20 Abs. 4 Nr. 3) und zum anderen nach § 20 Abs. 5 eine Prüfung bei Schwangeren und Stillenden nur unter eben genannten Voraussetzungen durchgeführt werden, wobei für das Ungeborene keine unvertretbaren Risiken erwartet werden dürfen; zurückhaltend dagegen Deutsch, Rn. 1004. 924 §§41 Nr. 1 AMG, 21 Nr. 1 MPG; zur Notwendigkeit der Einbeziehung heute üblicher Formen der Arzneimittelprüfung, z.B. klinisch kontrollierten Versuchen, Doppelblindversuchen, Placebos, Auswechslung der Gruppen oder Einschleichphasen, sowie der Anwendung auf Diagnostika und Impfsera und Zusammenspiel mit §40 AMG Deutsch, Rn. 792, 768 ff., 1004; ders., in: Deutsch/Lippert, §§41 Rn. 1, 40 Rn.4f. 925 §§41 Nr. 7 AMG, 21 Nr. 5 MPG, wenn ein entgegenstehender Wille des Patienten nicht erkennbar ist. 926 Wegen des wirtschaftlichen Vordergrundes des Humanexperiments und der damit verbundenen Mißbrauchsgefahr wurde dieser Personenkreis dort verfassungsgemäß ausgeschlossen; vgl. §§40 Abs. 2, Abs.4 AMG, 20 Abs. 2, Abs. 4 MPG. 927

Vgl. oben Kap. 3 II. In Frankreich ist dagegen der gesamte Bereich der biomedizinischen Versuche am Menschen dem Regime der „Loi Huriet-Serusclat" unterstellt; dazu A. Jung, Die Zulässigkeit biomedizinischer Versuche am Menschen. 928

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

nischer und biomedizinscher Versuche am Menschen steht damit nur das allgemeine Zivil- und Strafrecht als Normengerüst zur Verfügung. 929 Wenn allerdings etwaige Freiheitsräume überwiegend nur aus „negativ gelesenen Straftatbeständen" herausgekratzt werden müssen, mangelt es der medizinischen Wissenschaft an unerläßlicher Rechtssicherheit und Akzeptanz, den Probanden und Patienten an wirksamem Schutz. In gleicher Weise wird die Aufgabe der Zivilgerichtsbarkeit überdehnt, wenn ihr die Regelung der Grundfragen der Humanforschung überlassen wird. Medizinische Forschungsverträge unterliegen denselben verfassungsrechtlichen Bedenken wie medizinische/ärztliche Behandlungsverträge. Angesichts der höheren Gefahren- und Risikointensität bei Experimenten und Heilversuchen, vom Probanden sogar bei (für ihn) therapeutischer Nutzlosigkeit in Kauf genommen, erscheint eine Bestimmung der spezifischen Pflichten über die §§ 611, 242, 276 BGB seitens der Fachgerichte sogar noch problematischer und ist der Handlungsbedarf des Gesetzgebers entsprechend größer. Bestätigt wird dies durch die hier denkbare weitere Anwendung des § 138 BGB. Dieser ist zwar in seiner rechtsgutsschützenden Wirkung zu Gunsten der Probanden und Patienten begrenzt, die (drohende) Nichtigkeit von ForschungsVerträgen wegen Verstoßes gegen die guten Sitten indiziert jedoch den Handlungsbedarf des Gesetzgebers zur Gewährung grundrechtlichen Schutzes. Auch im Bereich der Forschung kommt dem Schutz durch das Haftungsrecht vorwiegend kompensatorische Bedeutung zu, die nur einen Teil des notwendigen Grundrechtsschutzes darstellt. Die Etablierung präventiver Schutzvorkehrungen zu Gunsten der Probanden und Patienten, insbesondere über die Bestimmung der ärztlichen Vertragspflichten bedarf auch hier der Ergänzung der bestehenden Gesetze.930 Die zu erlassenden Regelungen können sich ebenso wie die bis dahin zulässige und unumgängliche Schutzgewährung durch die Fachgerichtsbarkeit an der im Arzneimittel- und Medizinproduktewesen gewählten Schutzkonzeption orientieren. Diese trägt dem grundrechtlichen Schutz des Selbstbestimmungsrechts und des Lebens bzw. der körperlichen Unversehrtheit Rechnung. Die Anforderungen an die Aufklärung und die Einwilligung werden durch weitere Voraussetzungen, insbesondere die Bindung an den jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik sowie die Einschaltung einer Ethik-Kommission ergänzt. Die Konkretisierung der einzelnen Voraussetzungen wird allerdings weitestgehend in die Hände der Ärzte gelegt. Vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Schutzpflicht erscheint es indes - ähnlich wie bei der Embryonenforschung 931 - angezeigt, daß sich der Gesetzgeber mit der grundsätzlichen Frage auseinandersetzt, inwieweit Forschungs- und Versuchstätigkeiten 929

Eberbach, insbesondere S.60ff., 183f., A. Jung, S.2; allgemein zu den verschiedenen Strafzwecken und ihrem Verhältnis zueinander Stree, in: Schönke/Schröder, Vörbem §§38 ff. Rn. 2ff.; zum Zusammenhang zwischen wirksamen Rechtsgüterschutz und strafgesetzlicher Schutzgewährung auch Driendl, S. 12ff., 39ff., 55 ff.; zu den damit verbundenen Problemen der grundrechtlichen Schutzgewährung oben Kap. 1, Kap. 2. 930 Vgl. oben Kap. 1 III.; a. A. z.B. Eberbach, S. 183f. und passim, nach dem eine Bewältigung mit den bestehenden zivilrechtlichen Vorschriften möglich ist. 931 Vgl. oben Kap. 31.3. d).

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am Menschen der staatlichen Beteiligung bedürfen. Delegationen an die Standesvertretungen müssen den Aspekt der notwendigen Außenwirkung mit einbeziehen und dürfen nicht zu Lasten des Rechtsgüterschutzes der Probanden und Patienten gehen. 933 Dasselbe gilt bei der Übertragung der Entscheidungskompetenz an die beteiligten Ärzte und der Zulassung der Stellvertretung der Probanden und Patienten.

I I I . Transplantations- und Transfusionswesen Die Bereiche des Transplantations- und Transfusionswesens haben inzwischen eine parlamentarische Regelung erfahren. 934 In beiden Bereichen werden die entscheidenden medizinischen Maßnahmen durch Ärzte durchgefühlt, zum Teil wird ein Arztvorbehalt ausdrücklich normiert. 935 Sowohl bei der Entnahme der Organe und des Blutes, als auch bei der Übertragung auf die Empfänger bestehen damit Arzt-Patienten-Verhältnisse im Sinne der vorliegenden Untersuchung. Auch hier soll keine umfassende Darstellung des gesetzlichen Regelungsrahmens erfolgen, sondern untersucht werden, ob durch spezifische Regelungen ein Rechtsgüterschutz der Patienten - Spender und Empfänger - bewirkt wird, der den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht mehr entspricht, als der durch die oben (Kap. 1-3) beschriebenen allgemeinen Normen und ihre Fortbildung durch die Fachgerichte. 1. Transplantationswesen Die Transplantationsmedizin hat in den letzten 20 Jahren durch den medizinischen Fortschritt eine ungeheure Ausweitung erfahren. In den 1970er Jahren scheiterten die gesetzgeberischen Bemühungen um eine gesetzliche Normierung noch. Mitte der 1990er Jahre trugen dann Zweifel und Unklarheiten der Rechtslage, die in der DDR geregelte Widerspruchslösung und der gesetzgeberische Vorsprung anderer Mitgliedsstaaten des Europarates nach kontroversem Gesetzgebungsverfahren zum Erlaß des Transplantationsgesetzes bei. 936 Mit der Einführung der spezifischen Kompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG ist der Streit um die Zuständigkeit im Transplantationswesen beendet.937 932 In anderen Ländern bestehen hier Genehmigungsvorbehalte, zumindest aber wird der Nichtwiderspruch nach Anmeldung verlangt; Deutsch, in: Deutsch/Lippert, §40 Rn.2. 933 Vgl. schon Schenke, NJW 1991, 2313 ff. 934 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG) v. 5.11.1997, BGBl. I S. 2631; Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz-TFG) v. 1.7.1998, BGB1.I S. 1752. 935 Vgl. z.B. die §§3 Abs. 1 Nr. 3,8 Abs. 1 Satz 1 Nr.4 TPG, 4 Satz 1 Nr.2,5 Abs. 1 Satz 1,7 Abs. 2, 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 13, 19 Abs. 1 Satz 4 TFG. 936 Zur Entstehung des TPG und der (Straf)Rechtslage vor dessen Inkrafttreten Ulsenheimer, Rn. 301 ff.; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, Einführung Rn. 1 ff., 17 ff.; zur Notwendigkeit einer spezifischen Regelung auch der Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S. 1 f., 10ff. 937 Höfling/Rixen, S. 39ff. m. w. Nw.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Die wesentlichen Ziele des TPG sind der Schutz der an Transplantationen beteiligten Spender und Empfänger. 938 Die gesetzlichen Regelungen sollen insoweit die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts, insbesondere der Spender sicherstellen und über eine hochwertige medizinische Qualität der Entnahme- und Übertragungsverfahren die Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität der Beteiligten reduzieren. Wichtiger Bestandteil des Gesundheitsschutzes ist die Dokumentation der persönlichen und medizinischen Daten der Spender und Empfänger, deren Erhebung und Schutz durch eigene Vorschriften sichergestellt wird. 939 Zentral ist weiterhin die Organisation der Entnahme der Organe und ihre Vermittlung, da ein großes Mißverhältnis zwischen wartenden potentiellen Empfängern und verfügbaren transplantationsfähigen Organen besteht. Daran anknüpfend ist das TPG vom Leitgedanken geprägt, den Handel mit menschlichen Organen zu verhindern. 940 § 1 TPG beschränkt den Anwendungsbereich des Gesetzes auf menschliche Organe mit Ausnahme von Blut und Knochenmark sowie embryonale und fetale Organe und Gewebe. Nicht erfaßt wird damit die Xenotransplantation, das heißt die Verpflanzung tierischer Organe in den Menschen.941 Aufgrund der Transplantationsengpässe und der weitreichenden medizinischen Möglichkeiten wird erwartet, daß der Xenotransplantation in naher Zukunft beachtliche Bedeutung zukommt, mit der angesichts der bis dato nicht erfolgten Folgenforschung ein beträchtliches Risiko938 Auch das TPG wurde - nach hier verwandter Terminologie - zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht erlassen; die Verbindung zum Wesentlichkeitskriterium bejahen auch Höfling!Rixen, S. 112. 939 Vgl. v. a. die §§ 3 Abs. 3 Satz 2, 5 Abs. 2 Satz 3, 10 Abs. 2 Nr. 4, 11 Abs. 5, 13-15 TPG; Verstöße sind im Rahmen der §§ 19 Abs. 3, 20 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 TPG straf- oder bußgeldbewehrt; dazu Baumann, S. 28; Nickel/Schmidt-Preisigke!Sengler, §§19 Rn. 16, 20 Rn. Iff.; Deutsch, Rn.521 begrüßt es, daß nicht mehr Pflichten durch Bußgeldvorschriften sanktioniert werden. 940 Vgl. Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S.29ff.; Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn.20; Deutsch, Rn.521. Die §§ 17, 18 TPG enthalten ein umfassendes strafbewehrtes Verbot des Organhandels, das sich an die beteiligten Ärzte, Spender und Empfänger richtet; einen Organhandel bezweckende Verträge sind damit nach § 134 BGB nichtig. Uber die Auslandsgeltung nach den §§24 TPG, 5 Nr. 15 StGB kann der sog. „Transplantationstourismus" sanktioniert werden; vgl. Deutsch, Rn.521. § 12 Abs. 1 Satz 4 TPG enthält einen spezifischen ordre-public-Vorbehalt (vgl. Art. 6 EGBGB), nach dem Organe nicht vermittelt werden dürfen, die im Einklang mit ausländischen Rechtsvorschriften entnommen wurden, die jedoch mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten offensichtlich unvereinbar sind; vgl. Nickel/Schmidt-PreisigkelSengler, § 12 Rn. 6, die eine Anknüpfung an den Herzstillstand für unzulässig, für zulässig dagegen die Widerspruchslösung halten; für - allerdings nicht offensichtliche - Verfassungswidrigkeit der Widerspruchslösung dagegen z.B. Kühn, S. 124ff. 941 Uhlenbruck, in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn.4,22. Der Grundbegriff der Xenotransplantation oder xenogetischen (früher: heterologen) Transplantation erfaßt Organe oder Gewebe von artfremden Spendern; Thiele, S. 1062,2697; vgl. auch S. Müller/Paslack, in: Paslack/Stolte, S. 141. Die Xenotransplantation fällt auch nicht unter das Verbot des §7 Abs. 1 Nr. 3 ESchG (Chimären- und Hybridbildung), da die für die entsprechenden Glycoproteine erforderliche DNA regelmäßig nicht vom Menschen kommt; Deutsch, NJW 1991, 725.

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potential für den Patienten und Dritte einhergeht. Ebenso liegt die Züchtung transplantationsfähiger Organe aus menschlichen (vorwiegend embryonalen) Stammzellen außerhalb des Anwendungsbereichs des TPG. 943 Angesichts der medizinischbiologischen Fortschritte in diesen Bereichen werden in Zukunft Regelungsdefizite auftreten, so daß die Pflicht des Gesetzgeber zur laufenden inhaltlichen Überprüfung seiner Schutzgesetze, insbesondere im Hinblick auf drohende oder neu eingetretene Schutzlücken, zu betonen ist. 944 Durch die bestehenden Regelungen des TPG werden die Fachgerichte aber von schwierigen Auslegungsfragen entbunden.945 a) Rechtsgüterschutz der Organspender Gesetzliche Voraussetzungen der Organentnahme Das TPG unterscheidet zwischen toten und lebenden Organspendern. Dem Selbstbestimmungsrecht beider wird durch eigene Schutzvorschriften Rechnung getragen. Der eigenständige Schutz des Selbstbestimmungsrechts setzt sich auf der Ebene der strafrechtlichen Haftung mit den §§19 Abs. 1, Abs. 2 TPG fort. Die allgemeinen strafrechtlichen Körperverletzungs- und Tötungsdelikte sind daneben weiterhin anwendbar. 946 aa) Tote Spender Gesetzliche Voraussetzung der Organentnahme ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Tod des Organspenders. Die Feststellung des Todes erfolgt nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Deren Aufstellung erfolgt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Richtlinien der Bundesärztekammer. Als Entnahmevoraussetzung hat der Gesetzgeber überdies in § 3 Abs. 2 Nr. 2 die Feststellung des Gesamthirntodes angeordnet. Diesbezüglich kommt der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TPG nur die Feststellung der Verfahrensregeln zu. 947 Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich hier die Frage, wie sich die grund942

Dazu ausführlich S. Müllerl Paslack, in: Paslack/Stolte, S. 142 ff. m. w. Nw. Zur Bewältigung reichen die Regelungen des AMG (§§ 2, 3,13,40ff., 67) oder IfSG (Infektionsschutzgesetz v. 20.7.2000, BGB1.I S. 1045, NachfolgeG des BSeuchenG) nicht aus; vgl. Vesting/S. Müller, MedR 1996, 203 ff.; Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn.22. 943 Hier greift der Embryonenschutz durch das ESchG ein; dazu oben Kap. 3 I. 944 Zu jetzt schon bestehenden Defiziten im TPG z.B. Deutsch, Rn.522; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn. 21. 945 Die Zivilgerichte von Vertrags- und deliktsrechtlichen Fragestellungen; vgl. Tress, Die Organtransplantation aus zivilrechtlicher Sicht; die Strafgerichte bei der Auslegung der §§223, 226,228 und 212,216 StGB; zu den Tötungsdelikten ausführlich Rixen, S. 353 ff. m. zahlr. Nw. 946 Vgl. Nickel/Schmidt-Preisighe/Sengler, § 19 Rn. 15; Baumann, S. 30; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 142 Rn.2ff. m. w.Nw. 947 Zum Ganzen Nickel/Schmidt-Preisighe/Sengler, §3 Rn. 6, 18. Die Erleichterungen im Nach weis verfahren nach § 5 Abs. 1 Satz 2 TPG betreffen nur die Todesfeststellung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2; für die Feststellung des Gesamthirntodes nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG bleibt es beim 21 Hollenbach

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

rechtliche Schutzpflicht zu einer gesetzlichen Bestimmung des menschlichen Todes verhält-dazu (1). Daneben ist die Organentnahme nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG nur zulässig, wenn der Spender in die Entnahme eingewilligt hatte; unzulässig ist sie nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG dagegen, wenn der Tote einer Entnahme widersprochen hatte. §4 regelt die Organentnahme mit Zustimmung anderer Personen. Fraglich ist, ob dadurch dem grundrechtlichen Selbstbestimmungsrecht des zum Spender Bestimmten ausreichend Rechnung getragen wurde - dazu unten (2). (1) Grundrechtliche

Schutzpflicht und gesetzlicher Todeszeitpunkt

Nach herrschender Auffassung endet das Leben und damit der rechtliche Lebensschutz in straf- und verfassungsrechtlicher Hinsicht mit dem Hirntod. Der Hirntod ist der vollständige und irreversible Funktionsausfall des Gehirns. 948 Trotz dieser biologisch-medizinischen Definition stellt der Hirntod ein normatives Konzept dar. 949 Bei ihm steht das Transplantationsinteresse Dritter im Vordergrund, das durch die Anknüpfung an den späteren Herz- und Atmungsstillstand in Frage gestellt würde. Der dem Herz- und Atmungsstillstand, wenn auch gegebenenfalls nur infolge des Einsatzes technischer Geräte vorgreifliche Hirntod läßt „frische" Organentnahmen zu. 950 Eine Anknüpfung an den früher in der Tat für die Bestimmung des Todes maßgeblichen Zeitpunkt des Herz- und Atmungsstillstandes kommt heutzutage wegen der möglichen künstlichen Reanimation nicht mehr in Betracht, zu der die grundrechtliche Schutzpflicht für das Leben grundsätzlich verpflichtet. 951 Der grundrechtliche Schutz des Lebens gibt den Einsatz von Möglichkeiten der medizinisch-technischen Lebensverlängerung vor, die den Todeseintritt rechtlich und tatsächlich hindern. 952 Dies führt nicht nur zu einem Zeitgewinn zu Gunsten des Lebens, der schon angesichts der schwierigen Feststellung des Todes, zu der oft weiErfordernis der Feststellung durch zwei qualifizierte Ärzte unabhängig voneinander; Nickeil Schmidt-PreisigkelSengler, §5 Rn.4f. 948 Vgl. nur Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 15; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 142; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 2 Rn. 176; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem zu §§ 211 ff. Rn. 18, alle m. zahlr. w. Nw.; Schreiber, in: Höglinger/Kleinert, S. 91 ff.; auch hier bestehen jedoch verschiedene Anknüpfungsmöglichkeiten; vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§211 ff. Rn. 19; Höfling, JZ 1995, 29f., beide m.w.Nw. Ausführlich zum Todeszeitpunkt, auch aus medizinischer Sicht, Kühn, S. 70ff. m. w. Nw. 949 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 18 m. w. Nw. 950 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 16. 951 Die Reanimation bei Feststellung des Herz- und Atmungsstillstandes liegt damit nicht im Belieben des Arztes, sondern es besteht eine Reanimationspflicht, die strafrechtlich über die ärztliche Garantenpflicht (§ 13 StGB) oder die allgemeine Hilfspflicht (§ 323 c StGB, angereichert durch die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten des Arztes sowie der Bedeutung des Rechtsgutes Leben) durchgesetzt werden kann; vgl. oben Kap.2 II. l.a), 3, Kap. 3 II.2. 952 Ähnlich Höfling/Rixen, S.72ff.; Höfling, MedR 1996,7f.; zurückhaltend insoweit Saerbeck, S. 138.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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tere Untersuchungen und Abschätzungen erforderlich sind, geboten ist, sondern zur Annahme eines möglichst späten Todeseintritts. Zudem werden gegen den Hirntod als tatsächlichem Todeszeitpunkt verschiedene Argumente vorgebracht, die gegen die Annahme des Endes menschlichen Lebens mit dem (bloßen) Ausfall der Hirnfunktionen sprechen.953 Angesichts dieser tatsächlich-medizinischen und rechtlichen Situation spricht einiges dafür, auf verfassungsrechtlicher Ebene einen Übergang vom Leben in den Tod anzunehmen, der von der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßt wird. 954 In diesem Sinne mehren sich im Schrifttum die Stimmen, nach denen Personen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, ausdrücklich nur als Sterbende anzusehen seien, denen als noch Lebende der Schutz aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zukomme.955 Danach erfolgt am Ende des Lebens kein abrupter Wechsel vom verfassungsrechtlichen Schutz zur Schutzlosigkeit. Daß die Medizin in diesen Fällen (voraussichtlich) nicht mehr helfen kann, so daß der baldige Tod die einzig noch verbleibende Entwicklung darstellt, ist insoweit unbeachtlich.956 Die Erstrekkung des grundrechtlichen Schutzes durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG über den Zeitpunkt derartiger Todesfeststellung hinaus, führt zum Schutz des Patienten auch nach Eintritt des Hirntodes und verhindert die freie Explantation von Organen, deren Funktion durch die Reanimation (trotz eingetretenen Hirntodes) wieder in Gang gesetzt wurde. 957 Das beschriebene Hirntod-Konzept steht für sich betrachtet mit dieser Sichtweise nicht im Einklang, da es als juristische Begriffsbestimmung einen medizinisch frühen (Hirn)Tod des Menschen normativ aufgreift und den Todeszeitpunkt letztlich fingiert. 958 M. E. kann der Streit um den Eintritt des menschlichen Todes jedoch über die Rechtsposition des sterbenden Patienten entzerrt werden. Die Bestimmung des 953

Vgl. z.B. Höfling/Rixen, S.69ff.; Höfling, MedR 1996, 7 f.; Rixen, S. 247 ff.; Tag, S. 145 ff., alle m. w. Nw.; zurückhaltend auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 II Rn. 16. 954 Nach Saerbeck, S. 127 m. entspr. Nw. folgt aus dem Schutz des Lebens das Gebot der Lebenserhaltung und das Verbot der Lebensvemichtung, die eine Vermutung zu Gunsten des Lebens einschließen: Der Mensch lebt, solange er stirbt.; ähnlich Höfling, MedR 1996, 7 f. 955 So z.B. Kühn, S.99f., 120f.; Höfling, JZ 1995, 26ff„ 31 ff.; ders., MedR 1996, 7f.; zur Entwicklung der Kritik am Hirntodkonzept als auch dessen Rezeption ausführlich Rixen, S.23ff., 108ff., 152ff., 247ff. m.zahlr.Nw. aus dem verfassungs- und strafrechtlichen Schrifttum; dagegen z.B. Schreiber, in: Höglinger/Kleinert, S.92ff.; NickellSchmidt-PreisigkelSengler, § 3 Rn. 7 ff. m. w. Nw. 956 Vgl. Höfling, MedR 1996,6 ff. In diesem Sinn beschreibt Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S. 45 den Hirntod als Zeitpunkt, in welchem dem Arzt weder das Recht noch die Pflicht zukommt, den sterbenden Menschen weiter zu behandeln. 957 Der ärztliche Stand, insbesondere die Bundesärztekammer vertritt dagegen das HirntodKonzept mit dem Zusatz, daß nach der Feststellung des Hirntodes „Überlegungen des Lebensschutzes nicht mehr relevant" sind; entspr. Nw. bei Höfling, JZ 1995, 29. 958 Ähnlich Kühn, S.70f.; Rixen, S. 276ff., 389, der (primär) an den irreversiblen Stillstand der Herz-Kreislauf-Funktion anknüpft (S. 390) - zu dessen Verbindung mit dem Ausfall der Hirnfunktionen aber Schreiber, in: Höglinger/Kleinert, S. 93; für den Hirntod auch Nickeil Schmidt-Preisigke/Sengler, § 3 Rn. 7 ff. m. w. Nw. 2 *

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

menschlichen Todes kann vorliegend nicht ohne Berücksichtigung der Rechtsgüter des betroffenen Patienten als potentiellem Organspender vorgenommen werden. Diese werden zu Recht auch von den Vertretern des Übergangs vom Leben in den Tod betont.959 Die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gibt einen möglichst weitgehenden und umfassenden Lebensschutz vor, 960 so daß Beschränkungen, die im Einzelfall zu einer Verkürzung des Lebens führen, nicht nur einer formalen parlamentarischen Grundlage, sondern vor allem einer materiellen Legitimation bedürfen. Bei der Vernichtung des Rechtsguts Leben kommen dafür nur ebenso hochrangige Verfassungsgüter in Betracht. Ähnlich wie bei der Sterbehilfe steht auch hier an erster Stelle das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, an zweiter Stelle seine Menschenwürde, die eine Lebensverlängerung um jeden Preis ausschließen kann. Interessen Dritter allein können dagegen die Herbeiführung des Todes - und in seiner rechtlichen Wirkung ist dies auch der Weg über die Definition des Lebensendes - nicht rechtfertigen. Auch die Annahme einer staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für wartende Organempfänger, die zur grundsätzlichen Beschaffung von Organen verpflichtet, 961 kann nicht zur Zulässigkeit einer konkreten Lebensverkürzung bei einem geeigneten Spender führen. 962 Beim Aufeinandertreffen von konkretem Rechtsgüterschutz im Einzelfall und allgemeinem Schutzgebot ohne detaillierte Erfüllungsvorgaben 963 kommt dem Individualschutz der Vorrang zu. 964 Wenn sich der Patient in freier und autonomer Willensentscheidung für die Organspende entschieden hat, ist die Organentnahme als Eingriff in die körperliche Integrität aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig.965 Eine Organentnahme gegen den Willen des Patienten hätte indes auch bei parlamentarischer Grundlage vor den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG keinen Bestand.966 Die Schutzpflichten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG bewirken eine Resistenz gegenüber jeder nach dem (Hirn)Tod beabsichtigten eigenmächtigen Einwirkung auf die körperliche Integrität, 959 Vgl. Höfling, MedR 1996, 8; Rixen, S. 363 ff.; ablehnend Schreiber, in: Höglinger/Kleinert, S.97. 960 v g l 0 b e n a Kap. 1 III. 1. Gegen das Himtodkonzept spricht z. B. auch, daß eine nach diesem tote Schwangere ihr Ungeborenes mit medizinischer Unterstützung weiter austragen kann; Höfling, MedR 1996, 7 m. w. Bspen. gegen den Hirntod als Ende des Lebens. 961

So Höfling/Rixen, S.90. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 49; im Ergebnis ebenso Höfling!Rixen, S. 90f.; Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn. 13. Bei Transplantationen ist zudem auf den Unsicherheitsfaktor der Verträglichkeit oder Abstoßung hinzuweisen. Verfassungsrechtlich vergleichbar ist die Situation bei der Human- und Embryonenforschung; vgl. oben II., Kap. 3 1.3. 963 Bei der Art und Weise der Ausgestaltung der staatlich organisierten Organbeschaffung kommt dem Staat in der Tat ein weitgehender Gestaltungsspielraum, der wohl nur am Untermaßverbot gemessen werden kann; vgl. Höfling!Rixen, S. 90 m. Nw. 964 Zu Recht zurückhaltend gegen etwaige Abwägungen zur Beschränkung des Rechtsguts Leben z.B. Steiner, S. 13f.; vgl. auch BVerfGE 39, 1 (43); 88, 203 (255). 965 Ähnlich Höfling, MedR 1996, 8. 966 Zumindest Art. 1 Abs. 1 GG schlösse Eingriffe in das Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG aus. 962

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auch wenn ein natürliches Weiterleben oder gar die Genesung des Patienten kaum möglich erscheinen. Selbst wenn mit der herrschenden Auffassung der Hirntod als Todeszeitpunkt anerkannt wird, verhindern die Menschenwürde und die postmortale Wirkung des Selbstbestimmungsrechts die freie, fremdbestimmte Explantation eines als Organbank erhaltenen toten Körpers. 967 M. E. entscheidend ist damit die exklusive Verbindung des Hirntod-Konzepts mit Organentnahmen, die von dem entsprechenden Willen des Patienten und Spenders gedeckt sind. Der eigentliche Eingriff in die Rechtsgüter des Spenders ist nicht die Bestimmung des Todeszeitpunktes, sondern die Organentnahme.968 Da Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aber ausschließt, daß der Organspender über den Zeitpunkt seines eigenen Todes disponiert, 969 bedarf es der parlamentarischen Bestimmung eines sachlich begründeten Zeitpunktes, ab dem der staatliche Schutz des Rechtsgutsträgers durch dessen Selbstbestimmungsrecht ausgeschlossen werden kann. Dies ist mit der gesetzlichen Voraussetzung des medizinisch vertretbaren Hirntodes im Transplantationswesen geschehen,970 die insoweit der de lege ferenda vorzunehmenden gesetzlichen Bestimmung der äußeren Umstände, unter denen die Sterbehilfe zulässig ist, ähnelt.971 Im Ergebnis ist die parlamentarische Entscheidung im Transplantationswesen, die in §§ 3, 4 TPG das Hirntodkonzept mit dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts verbindet, daher m.E. verfassungsgemäß. 972 Eine Übertragung des Hirntodkonzepts in andere Bereiche des Rechts, zum Beispiel das Erbrecht oder das allgemeine Strafrecht, ist dagegen nicht ohne weiteres möglich. 973 Grundsätzlich hat hier der Gesetzgeber den Vorgaben des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rechnung zu tragen und den möglichst späten Todeszeitpunkt für maßgeblich zu erklären. Die Bestimmung des rechtlichen Eintritts des Todes unterfällt dem Wesentlichkeitskriterium und bedarf der parlamentarischen Regelung. Durch diese wird ausgeschlossen, daß den staatlichen Rechtsanwendungsorganen eine bei mehreren medizinischen Anknüpfungsmöglichkeiten naheliegende Wahlfreiheit 967

Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs.I Rn.26; Podlech, in: AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rn.49; Dreier, in: Dreier, Art. 1 I Rn. 53 m. w. Nw.; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 3 Rn. 3 m.w. Nw.; vgl. auch § 168 StGB. 968 Nach Höfling, MedR 1996, 8 wird dagegen vom Autonomiegehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Freiheit des Sterbenden im Sinne eines Rechts auf menschenwürdigen, mit selbstbestimmter Sinngebung erfüllten Tod eingeschlossen. Zumindest für die Sterbehilfe ist dies zu bejahen; siehe oben Kap. 3 II. 969 Mit Ausnahme der Sterbehilfe; vgl. oben Kap. 3 II. 1. 970 Vgl. Schreiber, in: Höglinger/Kleinert, S. 93; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, §3 Rn.6ff. m. w.Nw. 971 Vgl. oben Kap. 3 II. 3. 972 Im Ergebnis ebenso Nickel/Schmidt-Preisigke!Sengler, § 3 Rn. 1 ff.; a. A. Rixen, S. 382; Kühn, S. 169 knüpft bei seinen Vorschlag für ein TPG (§4) an den Herz- oder Himtod als Entnahmezeitpunkte bei toten Spendern an. 973 Vgl. auch Saerbeck, S. 118 ff., 127ff., 140ff.; zurückhaltend gegenüber der Möglichkeit verschiedener Todesbegriffe, wenn auch ohne Beachtung des parlamentarischen Gestaltungsspielraumes, Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 17 f. m. w. Nw.

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zukommt, durch die verschiedene Todeszeitpunkte uneinheitlich in die Rechtsordnung übertragen würden. 974 Zugleich kann durch gesetzliche Regelung die bloße Adaption der Ansichten der medizinischen Wissenschaften ausgeschlossen werden. 975 (2) Selbstbestimmungsrecht des Spenders Die Zulässigkeit der Organentnahme ist grundsätzlich vom Willen des Spenders abhängig. Die fehlende Einwilligung oder der Widerspruch stehen einer Organentnahme zwingend entgegen, wenn sie schriftlich geäußert wurden. 976 Ansonsten kann der Arzt, der die Organentnahme vornehmen soll, den nächsten Angehörigen befragen, ob eine Erklärung des Toten zur Organspende bekannt ist. Ist dies nicht der Fall, darf der Arzt die Organentnahme vornehmen, wenn der nächste Angehörige 977 unterrichtet wurde, zugestimmt hat und dabei den mutmaßlichen Willen des Toten beachtet hat. 978 Der nächste Angehörige ist allerdings nur zu einer Entscheidung befugt, wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod persönlichen Kontakt zu dem möglichen Organspender hatte.979 Nach §§ 2 Abs. 2, 4 Abs. 3 TPG kann die Entscheidung über eine Organentnahme zu Lebzeiten an eine bestimmte Vertrauensperson übertragen werden, die im Todesfall an die Stelle des nächsten Angehörigen tritt. 980 Der Gesetzgeber hat zu Recht eine fremdbestimmte Organentnahme bei Toten weitestgehend ausgeschlossen. Dies ist nicht nur verfassungsrechtlich von den Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG vorgegeben, sondern angesichts der mit kommerziellen Interessen verbundenen Mißbrauchsgefahr indiziert. Inwieweit bei Entscheidungen Dritter der mutmaßliche Wille des Toten tatsächlich berücksichtigt wird, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. 981 Dies gilt auch für die Frage, ob die Verstöße ge974 Z. B. bei der Auslegung der strafrechtlichen Tötungsdelikte; dazu ausführlich Rixen, S. 353 ff. 975 Kritisch dagegen auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 211 ff. Rn. 18. 976 §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V. m. § 4 TPG. 977 Rangfolge nach §4 Abs. 2 TPG; dem nächsten Angehörigen steht nach §4 Abs. 2 Satz 6 TPG eine volljährige Person gleich, die dem möglichen Organspender bis zu seinem Tod in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden hat. 978 § 4 Abs. 1 Satz 2, 3 TPG; auf die Notwendigkeit der Einbeziehung des mutmaßlichen Willens hat der Arzt den nächsten Angehörigen nach §4 Abs. 1 Satz 4 TPG hinzuweisen, nach Vereinbarung mit dem Arzt kann der nächste Angehörige seine Erklärung innerhalb einer zu bestimmenden Frist widerrufen; §4 Abs. 1 Satz 5 TPG. 979 §4 Abs. 2 Satz 2. 980 Angesichts des verfassungsrechtlichen Unterschiedes zwischen Fremd- und Selbstbestimmung, dem der Gesetzgeber in §§ 3,4 TPG Rechnung getragen hat, gilt das Erfordernis des persönlichen Kontaktes auch für die Vertrauensperson, die nach § 4 Abs. 3 an die Stelle des nächsten Angehörigen nach § 4 Abs. 2 TPG tritt; a. A. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, §4 Rn. 27. 981 pü r Verfassungswidrigkeit dieser Dritt-Zustimmungslösung z.B. Kühn, S. 133ff.

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gen § 4 Abs. 1 Satz 2 TPG sanktionierende Strafvorschrift des § 19 Abs. 1 TPG den intendierten Schutz tatsächlich gewährt. 982 Die Betonung der Selbstbestimmung möglicher Spender durch die §§ 3, 4 TPG steht allerdings im Zusammenhang mit der Aufklärungs- und Motivationskampagne der §§ 2 Abs. 1, Abs. 3 TPG. 983 Dieser Aufgabe gilt es in Zukunft verstärkt nachzukommen, da letztlich dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsträgers nur über die schriftliche Erklärung zur Organspende in Gänze Rechnung getragen werden kann. bb) Lebende Spender § 8 TPG dient dem Schutz der Rechtsgüter, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts lebender Spender. Die Vorschrift nennt die Voraussetzungen, die vor der Durchführung der konkreten Organentnahme gegeben sein müssen. Verstöße gegen § 8 TPG können im Rahmen des § 19 Abs. 2 StGB strafbar sein, 984 der den Schutz durch das allgemeine Strafrecht ergänzt. 985 (1) „ Außere " gesetzliche Schutzbestimmungen Eine Organentnahme stellt einen schwerwiegenden, möglicherweise irreversiblen und (regelmäßig) fremdnützigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Spenders dar, der nur bei dessen wirksamer Einwilligung rechtmäßig ist. Im Unterschied zur Heilbehandlung, bei der nach ständiger Rechtsprechung die natürliche Einsichtsfähigkeit zur Wirksamkeit der Einwilligung ausreicht, hat der Gesetzgeber den Personenkreis der Spender auf volljährige und einwilligungsfähige Personen beschränkt. 986 Diese Beschränkung ist vor dem Hintergrund der Mißbrauchsgefahr 982 Skeptisch Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 19 Rn. 5; Deutsch, Rn. 505 hält die strafrechtliche Sanktionierung der „verwickelten Regelung" des §4 TPG hingegen für „schwerwiegend" und weist dezent auf den Notanker strafrechtlicher Irrtumslehren hin. Der strafrechtliche Schutzes des § 19 Abs. 1 TPG kann aber jedenfalls nicht über die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB zu Gunsten möglicher Empfänger oder Forschungszwekken umgangen werden; Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn. 13. 983 Es handelt sich hierbei nicht um eine Aufklärung im Sinne der ärztlichen Eingriffe; vgl. Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, §2 Rn. 10. 984 Strafbar macht sich allerdings nur die das Organ entnehmende Person, wie auch fahrlässige Tatbegehungen nicht strafbar sind; aus der Sicht des Gesetzgeber werden nur die den strafrechtlichen Unrechtscharakter tragenden Verstöße gegen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 TPG sanktioniert; dazu Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 19 Rn. 10. 985 Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 142 Rn.23ff. 986 § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a TPG. Eine Fremdeinwilligung kommt damit nicht in Betracht; der Gesetzgeber wollte insbesondere geistig und seelisch Behinderte sowie psychisch Kranke aus den Spenderkreis ausnehmen; Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S.20; Nickel/ Schmidt-Preisigke/Sengler, §8 Rn.5; Ulsenheimer, in: Laufs/Uhlenbruck, § 142 Rn.27; infolgedessen nicht nachvollziehbar Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn. 21, nach dem ein unter Betreuung stehender geistig Behinderter ein Organ spenden kann, wenn der Betreuer die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts eingeholt hat.

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und des drohenden Organhandels zu befürworten. Um eine Fremdbestimmung und einen Mißbrauch auszuschließen, muß vor der Organentnahme eine nach Landesrecht zuständige Kommission eine gutachtliche Stellungnahme dazu abgeben, ob begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Einwilligung des Spenders nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand eines verbotenen Organhandels ist. 987 § 5 Abs. 3 Satz 3 TPG bestimmt nur personale Mindestanforderungen der Kommission und überträgt die Konkretisierung, insbesondere die Regelung der Zusammensetzung der Kommission und des Verfahrens, dem Landesrecht. Dies ist in den Heilberufs- und Kammergesetzen erfolgt, wobei zum Beispiel in Baden-Württemberg nur eine, im Vergleich zu § 40 Abs. 1 Satz 2 AMG i.V. m. § 5 HeilbKG 988 zurückhaltende Einbindung der Landesärztekammer - mit Ausnahme der Finanzierung 989 - erfolgt ist. 990 Die Zusammensetzung der Kommission und das Verfahren werden detailliert in § 5 a HeilbKG geregelt, der im Übrigen auf Vorschriften des LVwVfG und FGG verweist. 991 Daneben findet eine medizinische Nutzen-Risiken-Abwägung statt. Nach ärztlicher Beurteilung muß danach der Spender geeignet sein, müssen sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf das Operationsrisiko und die unmittelbare Entnahme beschränken992 und muß die Übertragung zur Lebenserhaltung oder wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität bei schwerwiegenden Krankheiten führen. 993 Spender und der Empfänger müssen sich zur Teilnahme an einer ärztlich empfohlenen Nachbetreuung bereit erklärt haben.994 Aus der Sicht des Spenderschutzes scheint in diesem Rahmen der Ausschluß der Lebendspende bei einem zu Verfügung stehenden, geeigneten Organ eines toten Spenders durch § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TPG folgerichtig. 995 Zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des volljährigen und einwilligungsfähigen Spenders hat der Gesetzgeber darüber hinaus besondere Regelungen getroffen. Überdies wurde der Kreis möglicher Empfänger nicht regenerierungsfähiger Organe gesetzlich beschränkt - dazu sogleich. Insoweit wird, anders als bei den genannten „äußeren" Voraussetzungen, die, soweit ersichtlich, zutreffend nicht als 987

§8 Abs. 3 Satz 2 TPG. Dazu oben II. l.a). 989 Diese wird auf die Landesärztekammer nach §5 Abs. 12 HeilbKG „abgewälzt". 990 Die Kommissionsmitglieder und ihre Stellvertreter werden von der Landesärztekammer im Benehmen mit dem Sozialministerium ernannt und ggf. abberufen; §§5a Abs. 4, Abs. 5 HeilbKG BW. Die Landesärztekammer bestimmt allerdings den Vorsitzenden der Kommission, der die personellen und sächlichen Mittel der Landesärztekammer in Anspruch nehmen darf; §5 Abs. 11 HeilbKG. 991 §§ 1-34, 65 LVwVfG, 13 FGG. 992 § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c TPG. 993 §8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TPG. 994 § 8 Abs. 3 Satz 1 TPG. 995 Zu medizinischen und anderen Schwierigkeiten dieser Regelung allerdings Nickeil Schmidt-PreisigkelSengler, § 8 Rn. 9 ff. m. w. Nw. 988

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Schutzmaßnahmen gegen den Willen des Rechtsgutsträgers eingeordnet werden, die Verfassungsmäßigkeit derartiger Beschränkung der Autonomie des Spender bezweifelt. (2) Schutz des Selbstbestimmungsrechts und Beschränkung des Empfängerkreises Der vorgehend beschriebene Ausschluß minderjähriger und nicht-einwilligungsfähiger Spender ist angesichts der gesundheitlichen Folgen der ganz überwiegend fremdnützigen Spende und der Gefahr des kommerziellen Mißbrauchs verfassungsrechtlich unbedenklich. Durch die Beschränkung des Empfängerkreises nicht regenerierungsfähiger Organe auf Personen, die dem Spender rechtlich oder tatsächlich besonders nahe stehen, wird indes in die Dispositionsbefugnis des Volljährigen und Einwilligungsfähigen beschränkt. Gegen diese Beschränkung wird angeführt, daß zur grundrechtlichen Freiheit die Möglichkeit gehöre, für die eigene Person Risiken einzugehen oder Schäden in Kauf zu nehmen, soweit dabei nicht Dritte oder die Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden. 996 Ein Grundrechtsschutz vor sich selbst passe nicht in das freiheitliche Konzept der Grundrechte, was in besonderer Weise für Entscheidungen über die eigene körperliche Integrität gelte. 997 Das Bundesverfassungsgericht ist dagegen der Auffassung, daß der Gesetzgeber im hier auftretenden Konflikt zwischen Selbstbestimmungsrecht und Gesundheitsrisiken legitimerweise auch den Schutz des Spender vor sich selbst anordnen dürfe, 998 eine gesetzliche Zielsetzung, die (auch) im Vorrang der postmortalen Organentnahme zum Ausdruck komme. 999 Darüber hinaus stützt das Bundesverfassungsgericht auch die Zielsetzung des Gesetzgebers, durch die Beschränkung des Personenkreises die Freiwilligkeit der Organspende abzusichern und jeder Form des Organhandels vorzubeugen. 1 0 0 0 M. E. ist der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen. Auch wenn Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich Selbstgefährdungen des Lebens zuläßt, 1001 so ist doch die parlamentarische Beschränkung auf einen bestimmten Empfängerkreis gerechtfertigt, da zu der Gefährdung des Lebens zum einen die schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit durch den Verlust eines nicht regenerierungsfähigen Organs und zum anderen die Entnahme, 996

Gutmann, NJW 1999, 3388 m. w.Nw. Für Verfassungswidrigkeit daher z. B. Gutmann, NJW 1999, 3388; zweifelnd z. B. Deutsch, Rn. 507, wenngleich ohne Begründung. 998 BVerfG, NJW 1999, 3399 (3402). 999 BVerfG, NJW 1999, 3399 (3401). 1000 BVerfG, NJW 1999, 3399 (3401 f.); vgl. den Fraktionenentw. zum TPG, BT-Drs. 13/4355, S.20. BVerfG, 1999. 3399 (3400ff.) verneinte auch die Verletzung von Grundrechten eines potentiellen Organempfängers (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und eines Transplantationschirurgen (Art. 12 Abs. 1 GG). 1001 Im Unterschied zur Vernichtung des eigenen Lebens; stellvertretend für die h. M. Lorenz, in: HStR VI, § 128 Rn. 62f. m. w. Nw.; zum Ganzen bereits oben A Kap. 3 IV. 997

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möglicherweise auch Einflußnahme, durch Dritte treten. 1002 Auch hier ist jedoch auf die Kontrollpflicht des Gesetzgebers hinzuweisen, die sich in zwei Richtungen entfaltet. Einerseits muß überprüft werden, ob der gewährleistete Schutz ausreichend ist, das heißt, ob die Spenden freiwillig erfolgen, 1003 ein Handel mit den Organen wirksam ausgeschlossen wird und der beabsichtigte Vorrang der postmortalen Spende zu einer ausreichenden Organversorgung führt. Andererseits ist zu prüfen, ob nicht ein Zuviel an staatlichem Schutz gewährt wird und das Schutzniveau bei einer Reduzierung unverändert bliebe. In diesem Rahmen ist es folgerichtig, daß sich der Spender bei Verstößen gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 TPG nicht strafbar macht - die strafrechtliche Verantwortlichkeit trifft nach § 19 Abs. 2 TPG nur die das Organ entnehmende Person. 1004 Den Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Spenders bewirkt § 8 Abs. 2 TPG, der umfassende Anforderungen an Inhalt und Rahmen der Aufklärung und Einwilligung stellt. Es ist nicht nur über Art und Umfang des Eingriffs, sondern auch über mögliche, auch mittelbare Folgen und Spätfolgen für die Gesundheit des Spenders sowie sonstige bedeutsame Umstände aufzuklären. 1005 Aufklärung und Einwilligung müssen in Gegenwart eines zweiten Arztes erfolgen, der an der Organentnahme und -Übertragung nicht beteiligt und weisungsunabhängig ist; gegebenenfalls sind noch andere sachverständige Personen hinzuzuziehen.1006 Der Inhalt der Aufklärung und die Einwilligungserklärung sind in einer Niederschrift aufzuzeichnen, die von den Beteiligten zu unterschreiben ist. 1007 Die Einwilligung ist jederzeit formlos widerrufbar. 1008 Auch wenn diese hohen inhaltlichen und formalen Anforderungen an die Aufklärung und Einwilligung damit begründet werden, daß ein medizinischer Eingriff ohne therapeutischen Nutzen, dem fremdnützigen Humanexperiment vergleichbar, vorliege, 1009 kann ihnen m. E. dennoch Vorbildcharakter für ärztliche Heilbehandlungen zukommen - dazu unten 3. 1002

Ebenso Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 8 Rn. 14f.; Baumann, S.24 unter Hinweis auf in der Tat verfassungsrechtlich bedenkliche frühere, noch strengere Gesetzesentwürfe, die eine Beschränkung auf „genetische Verwandte" oder „Verwandte ersten und zweiten Grades" vorsahen. Auch aus zivilrechtlicher Sicht zurückhaltend gegenüber einer individuellen Autonomie bei Organverfügungen z.B. Koslowski, in: Ott/H.-B Schäfer, S. 117ff. 1003 Zum Problem des der Freiwilligkeit gegenläufigen psychischen Druckes, der infolge der Beschränkung vorwiegend im Familienkreis erzeugt werden kann Nickel!Schmidt-Preisigke! Sengler, § 8 Rn. 14. 1004 Vgl. BVerfG, NJW 1999, 3399 (3403). 1005 Im Einzelnen dazu Nickel!Schmidt-Preisigke!Sengler, § 8 Rn. 26. 1006 §§ 8 Abs. 2 Satz 2, 5 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 TPG. 1007 D i e s e m u ß a u c h eine Angabe über die versicherungsrechtliche Absicherung der gesundheitlichen Risiken enthalten; § 8 Abs. 2 Satz 3 TPG. Strafrechtlich sanktioniert werden nach § 19 Abs. 2 TPG nur vorsätzliche Verstöße gegen den Inhalt der Aufklärung, nicht dagegen fahrlässige Tatbegehungen und Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Vorgaben; Nickel! Schmidt-Preisigke!Sengler, § 19 Rn. 11, 13. 1008 1009

§8 Abs. 2 Satz 5 TPG. Nickel!Schmidt-Preisigke!Sengler,

§ 8 Rn. 25.

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b) Rechtsgüterschutz bei der Organübertragung aa) Rechtsgüterschutz der Spender und Empfänger bei der Organübertragung Die nach Aufklärung und Einwilligung des Organspenders erfolgende Organentnahme ist durch einen Arzt durchzuführen. 1010 Auch wenn die Entnahme als solche mangels therapeutischen Nutzens für den Spender nicht als Heilbehandlung eingeordnet wird, so folgt im Anschluß die Nachbehandlung mit dem Ziel der Wiedergenesung des Spenders. Insoweit liegt eine Heilbehandlung vor, die insbesondere den allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Schutzmechanismen unterliegt. Die ärztliche Sorgfalt beginnt aber selbstverständlich bereits bei der Durchführung der Organentnahme, die schon für sich fehlerhaft sein kann. 1011 Die Übertragung des entnommenen Organs auf den Empfänger stellt unproblematisch eine Heilbehandlung im herkömmlichen Sinne dar. Infolgedessen besteht hier die ärztliche Aufklärungsund Behandlungspflicht, deren Verletzung als Aufklärungs- und Behandlungsfehler zivilrechtlich und strafrechtlich sanktioniert werden kann. 1012 Dieses allgemeine Schutzinstrumentarium wird durch das TPG bei der Übertragung parenchymatöser (durchbluteter) Organe konkretisiert. 1013 Die statuierten Anforderungen an die Übertragung der in § 9 Satz 1 TPG genannten Organe weisen allerdings zwei Schutzzwecke auf. Der eine ist die im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehende Gewährleistung des Rechtsgüterschutzes bei der ärztlichen Behandlung.1014 Die verschiedenen Instrumente der Qualitätssicherung und -Verbesserung der ärztlichen Behandlungen1015 dienen dem präventiven Rechtsgüterschutz 1010

§8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TPG. Ion § g j p g konkretisiert nur die ärztliche Aufklärungspflicht, enthält aber keine Anforderungen an die Durchführung der Organentnahme, die sich daher anhand der allgemeinen zivilund strafrechtlichen Vorgaben bestimmen. 1012

Das TPG enthält auch diesbezüglich keine speziellen Haftungsvorschriften; vgl. auch Nickel/Schmidt-PreisigkelSengler, Vor § 9 Rn. 9. 1013 Für andere als die in § 9 Satz 1 TPG genannten Organe (Herz, Niere, Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse, und Darm), z.B. Haut, Knochen, Augenhornhäute (siehe aber § 10 Abs.3 TPG) oder Gehörknöchelchen gelten nachNickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 9 Rn. 1 die „allgemeinen Rechtsgrundsätze und ggf. berufsrechtliche Regelungen und Richtlinien", d. h. das oben Kap. 1, Kap. 2 beschriebene zivil- und strafrechtliche Schutzinstrumentarium mitsamt seinen verfassungsrechtlichen Defiziten. 1014 Insbesondere von den §§ 10 Abs. 1, Abs.2 Nr.3-6, 11, 13, 15 TPG soll eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung gewährleistet und die erforderliche Qualität der Organübertragung gesichert werden. Die gesetzlichen Regelungen sollen neben dem Schutz des Willens der Spender die Schaffung der bestmöglichen Voraussetzungen für den medizinischen Erfolg von Organübertragungen gewährleisten, insbesondere durch den Schutz der Organempfänger vor damit verbunden gesundheitlichen Risiken und die Nachbetreuung der Lebendspender; zum Ganzen Nickel/Schmidt-Preisigke!Sengler, §§10 Rn. 1, 11 ff., 11 Rn. 1, 3ff., lOff. 1015 Nach § 10 Abs. 1 TPG werden die Organübertragungen in Transplantationszentren durchgeführt. Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Kranken-

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

und reduzieren die Rechtsgutsbeeinträchtigungen bei den Patienten. Sie bestimmten die Art und Weise der vertraglichen Leistungserbringung durch die behandelnde Ärzte. Die dadurch entstehenden Standards liefern zugleich die Maßstäbe für die Zivil- und Strafgerichte im Rahmen der sanktionierenden Arzthaftung. Der damit im Grunde positiv einzuschätzende Rechtsgüterschutz durch die gesetzliche Regelung des Transplantationswesens ist allerdings in einer Hinsicht bedenklich. Der Gesetzgeber des TPG hat zur Verwirklichung seines Schutzkonzeptes weitgehende Delegationen vorgenommen, deren Vereinbarkeit mit den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht zweifelhaft erscheint. Nur unter diesem Gesichtspunkt soll auch der zweite Schutzzweck der §§9ff. TPG untersucht werden. Dieser ist die Handhabung der problematischen Verteilung und Vermittlung der parenchymatösen Organe von toten Spendern - Vermittlungspflichtige Organe nach § 9 Satz 2 TPG - an die wartenden Patienten.1016 Auch die Auswahl eines Patienten unter mehreren in Frage kommenden wird von der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfaßt. Angesichts des heutzutage gravierenden Mangels an menschlichen Organen kann die Entscheidung für die anderen wartenden Patienten fatal sein. Auch hier ist fraglich, in welchem Umfang die Entscheidung und die Bestimmung der ihr zu Grunde liegenden Kriterien vom Gesetzgeber delegiert werden können.

häusern, die nach § 108 SGB V oder anderen gesetzlichen Regelungen zugelassen sind und somit über die erforderliche Ausstattung, z.B. notwendige Apparate und qualifiziertes Personal, verfügen. Nach § 10 Abs. 2 TPG ist jede Organübertragung so zu dokumentieren, daß eine lükkenlose Rückverfolgung vom Empfänger zum Spender möglich ist (Nr. 4), sind die Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten vor und nach der Übertragung sicherzustellen (Nr. 5) und nach Maßgabe des SGB V Maßnahmen zur Qualitätssicherung durchzuführen, die auch einen Vergleich mit anderen Transplantationszentren ermöglichen (Nr. 6). Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 sind die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Empfänger erforderlichen Maßnahmen (Nr. 1) und die Unterstützung der Transplantationszentren bei Maßnahmen zur Qualitätssicherung (Nr. 3) zu regeln. Der jährliche Tätigkeitsbericht nach § 11 Abs. 5 TPG liefert aufschlußreiche Informationen über Ablauf, Erfolg und Risiken der Organübertragungen. § 15 TPG bestimmt lange Dokumentationszeiten für die Daten der Organentnahme, -Vermittlung und -Übertragung, so daß auch spät auftretende Komplikationen bewältigt werden können. Schließlich sichern die Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 TPG, daß die Maßnahmen im Transplantationswesen auf dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft durchgeführt werden. 1016 Insbesondere die §§ 10 Abs. 2 Nr. 1 Nr. 2, 12 TPG bezwecken die Schaffung und Wahrung größtmöglicher Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit für die ein Vermittlungspflichtige Organe benötigenden Patienten, wobei die Auswahl und Zuteilung anhand des Erkenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft, insbesondere anhand der Kriterien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit - vgl. § 11 Abs. 3 TPG - vorgenommen wird; zum Ganzen Nickeil Schmidt-PreisigkelSengler, §§11 Rn. 1,12 Rn. 1 ff. Die Rechtsstellung und Rechtsschutzmöglichkeiten potentieller Empfänger werden vom TPG jedoch offengelassen, vgl. Laufs, NJW 1999, 1765.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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bb) Grundrechtliche Schutzpflicht und gesetzliche Delegation Während die Anforderungen an den Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Organspender vom Gesetzgeber im wesentlichen detailliert geregelt wurden, 1017 hat er die Bestimmung der inhaltlichen Schutzanforderungen bei der Übertragung parenchymatöser und Vermittlungspflichtiger Organe weitgehend delegiert. Zum einen wurde eine Vertragskonzeption statuiert, zum anderen die Einbindung der Bundesärztekammer angeordnet. (1) Vertragskonzeption Die Organentnahme und die Vorbereitung der Übertragung sowie die Vermittlung des Organs sind in einem organisierten Ablauf bedarfsgerecht zu realisieren, was zu einer Zentralisierung im Sinne einer gemeinschaftliche Aufgabe im Transplantationswesen führt, die durch die Errichtung einer Koordinierungsstelle (§11 TPG) und einer Vermittlungsstelle (§12 TPG) erfüllt werden sollen. 1018 Die einzelnen Transplantationszentren und anderen Krankenhäuser sind zur Zusammenarbeit und Beachtung der Regelungen und Entscheidungen der Koordinierungs- und Vermittlungsstelle verpflichtet 1019 und können die Transplantation an ihrem Patienten erst nach einer Zuweisung des Organs durchführen. 1020 Die Koordinierungs- und Vermittlungsstelle werden nach den §§11 Abs. 1 Satz 2, 12 Abs. 1 Satz 1 TPG von den gesetzlich genannten Spitzenverbänden der Krankenkassen gemeinsam,1021 der Bundesärztekammer 1022, der Deutschen Krankenhausgesellschaft 1023 oder den Bundesverbänden der Krankenhausträger gemeinsam1024 errichtet oder beauftragt. 1025 Diese Beteiligten auf Bundesebene sollen durch privat1017 Delegationen bestehen insoweit bei der Prüfung von Voraussetzungen der Lebendspende (Freiwilligkeit, kein Organhandel) nach § 8 Abs. 3 Satz 2-4 TPG und daneben v. a. bei der Bestimmung von Regeln zur Feststellung des Todes nach §§3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 i.V. m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TPG; vgl. oben 1. 1018 Vgl. Deutsch, Rn.510ff.; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, §§11 Rn. 1, 12 Rn. 1; Uhlenbruch in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn. 17 f. 1019 Vgl. z. B. §§ 10 Abs. 2 Nr. 3, 11 Abs. 4 TPG. 1020 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 11 Rn. 3. 1021 Nach § 213 Abs. 1 SGB V sind dies die Bundesverbände der Krankenkassen, die Bundesknappschaft, die Verbände der Ersatzkassen und die See-Krankenkasse. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; §§ 29 Abs. 1 SGB IV, 4 Abs. 1, Abs. 2, 212 Abs. 4 SGB V. 1022 Ärztliche Standesorganisation in Form eines privatrechtlichen Vereins; zu deren Bedeutung insbesondere oben A Kap. 2 III. und sogleich (2). 1023 Die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist nach § 108 a Satz 2 SGB V der Zusammenschluß der Landeskrankenhausgesellschaften. Beide sind rechtsfähige privatrechtliche Vereine; H.-P.Jung, in: GK-SGB V, § 108 a Rn. 2, 5. 1024 Auch diese sind rechtsfähige privatrechtliche Vereine. 1025

Als Koordinierungsstelle wurde die Deutsche Stiftung Transplantation beauftragt; Nikkei! Schmidt-Preisigke! Sengler, § 11 Rn. 4. Als Vermittlungsstelle kann nach § 11 Abs. 2 TPG

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

rechtlichen Vertrag einerseits mit der Koordinierungsstelle - § 11 Abs. 2 TPG andererseits mit der Vermittlungsstelle - § 12 Abs. 4 TPG - deren Aufgaben festlegen. 1 0 2 6 Hinsichtlich des Inhalts der Verträge nennt der Gesetzgeber in einer nicht abschließenden Aufzählung nur bestimmte Punkte. Im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 TPG insbesondere die Anforderungen an den Schutz der Organempfänger (Nr. 1), die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit der Vermittlungsstelle (Nr. 2) und die Unterstützung der Transplantationszentren bei Maßnahmen zur Qualitätssicherung (Nr. 3). Im Rahmen des § 12 Abs. 4 Satz 2 TPG insbesondere die Erhebung und den Umgang mit für die Organvermittlung relevanten Daten (Nr. 1,2), die Vermittlung der Organe (Nr. 3), die Überprüfung von Vermittlungsentscheidungen in regelmäßigen Abständen durch eine von den Vertragspartnern bestimmte Prüfungskommission (Nr. 4) sowie die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit der Koordinierungsstelle und den Transplantationszentren (Nr. 5). Die Verträge sind nach den §§ 11 Abs. 3 Satz 1, Satz 2, 12 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 TPG vom Bundesministerium der Gesundheit nach Durchführung einer Rechtskontrolle zu genehmigen. Die laufende Überwachung der Einhaltung der Vertragsbestimmungen obliegt nach den §§ 11 Abs. 3 Satz 3, 12 Abs. 5 Satz 3 TPG den Beteiligten auf Bundesebene, die die Stellen errichtet oder beauftragt haben. Den Verträgen kommt über die in den §§ 11 Abs. 2 Satz 1,12 Abs. 4 Satz 1 TPG angeordnete Wirkung für die Transplantationszentren und anderen Krankenhäuser auch (Außen)Wirkungen gegenüber den Organspendern und -empfängern sowie den behandelnden Ärzten zu, da sie den Gegenstand und die Erbringung der vertraglichen Leistung mitbestimmen. In diesem Rahmen bedenklich ist schon die Delegation auf überwiegend private Beteiligte sowohl bei der Errichtung der Koordinierungs- und Vermittlungsstelle, als auch beim Abschluß des privaten Vertrages, dessen Inhalt im Einzelnen ebenfalls erst durch die Beteiligten festgelegt wird. 1 0 2 7 Vor allem aber hat der Gesetzgeber auch auf die Schaffung eines Kontrollsystems verzichtet, das eine Überprüfung der wirksamen Schutzgewährung durch die Vertragskonzeption zuläßt. Insofern würde zum einen die bloße behördliche Rechtskontrolle im Rahmen des Genehmigungsvorbehalts nur dann ausreichen, wenn aus den allgemeinen gesetzlichen Schutzvorgaben konkrete und qualitativ hochstehende Behandlungsmaßstäbe abgeleitet werden könnten. Diese Konkretisierung wird jedoch gerade mit der Delegation an Beteiligte bezweckt, die überwiegend privatrechtlich organisiert sind und weder den Bindungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften unterliegen, noch über eine einfach-gesetzlich eingeräumte Selbstverwalauch eine internationale Organisation beauftragt werden, was mit der privaten gemeinnützigen Stiftung niederländischen Rechts Eurotransplant International Foundation, Leiden, NL inzwischen geschehen ist; NickellSchmidt-Preisigkel Sengler, § 12 Rn.7f. Zur Tätigkeit beider Organisationen weiter Lopau/HeidbrederIWanner, in: Höglinger/Kleinert, S. 101 ff.; Smitl Schoeppe, in: Höglinger/Kleinert, S. 109 ff. 1026 Die Verträge haben nach den § § 11 Abs. 2 Satz 1,12 Abs. 4 Satz 1 TPG Wirkung für die Transplantationszentren und anderen Krankenhäuser. 1027 Kritisch auch Deutsch, Rn. 512 bzgl. der Vermittlungsstelle.

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tung verfügen. Zum anderen findet keine Überwachung der laufenden Einhaltung des Vertrages durch den Staat statt. Dies wird durch die überwiegend privatrechtlichen Vereinigungen vorgenommen, die ihrerseits ebenfalls keiner Aufsicht unterliegen. 1029 Festzuhalten ist damit, daß der Gesetzgeber im Gegensatz zu herkömmlichen ärztlichen Heilbehandlungen bei Organübertragungen immerhin eine ausdrückliche Delegation vorgenommen hat, die sich im Hinblick auf die Erreichung der gesetzlichen Ziele und die Gewährung des gebotenen grundrechtlichen Schutzes zu bewähren hat. Angesichts der kurzen Geltungsdauer der Regelungen1030 ist insoweit noch keine Bewertung möglich. Aufgrund der Vorgaben für die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht für die staatliche Gewalt ist allerdings zumindest eine wirksame staatliche Kontrolle der Vertragskonzeption einzuführen, die durchaus eine fachliche Kontrolle beinhalten kann. Die verfassungsrechtlichen Bedenken können auch nicht mit dem Argument ausgeräumt werden, daß das Regelungssystem auf die Organvermittlung durch die privatrechtliche Stiftung Eurotransplant zugeschnitten sei. 1031 Die Entwicklung des Transplantationswesens führte vor dem Inkrafttreten des TPG zu verfassungswidrigen Defiziten beim Rechtsgüterschutz der Spender und Empfänger. Spätestens dadurch wurde die Ordnung des Transplantationswesens zur staatlichen Aufgabe, 1032 die nicht durch die bloße gesetzliche Einkleidung bestehender privatrechtlich organisierter Tätigkeit erfüllt werden kann. (2) Richtlinien der Bundesärztekammer Die Schutzgewährung durch die Vertragskonzeption wird durch den Auftrag zum Erlaß von Richtlinien an die Bundesärztekammer in § 16 TPG ergänzt. In den Richtlinien hat die Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 Satz 1 TPG den Stand der medizinischen Wissenschaft festzustellen für die Regeln zur Feststellung des Todes und Verfahrensregeln zur Feststellung des Hirntodes (Nr. 1), die Regeln zur Aufnahme in die Empfängerwarteliste (Nr. 2), die ärztliche Beurteilung der mittei1028 j^ier liegt ein Unterschied zu den Beteiligten im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); vgl. nur § 29 I SGB IV; dazu unten Kap. 5. 1029 £> er Staatsaufsicht unterliegen nur die Spitzenverbände der Krankenkassen; §§212 Abs. 4, 214, 208 Abs. 2 SGB V i.V.m. §§87ff. SGB IV. 1030 N a c h den Mitteilungen in NJW 2000, 2724 traten die vertraglichen Regelungen nach 2-jährigen Verhandlungen mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger am 15.7.2000 in Kraft (vgl. §§11 Abs. 3 Satz 1, 12 Abs. 5 Satz 1 TPG). 1031 So z. B. Baumann, S. 27, der die gewählte Form der „regulierten Selbstregulierung" insgesamt, wenn auch ohne Begründung, für zulässig hält. Auch § 25 TPG sieht vor, daß bestehende Verträge über Regelungsgegenstände der §§ 11, 12 TPG durch den Vertrag nach den §§11 Abs. 1, Abs. 2,12 Abs. 1, Abs. 4 TPG abgelöst oder durch die Rechts Verordnung nach den §§11 Abs. 6, 12 Abs. 6 TPG ersetzt werden; dazu Nickeil Schmidt-Preisigke! Sengler, §25 Rn. 1 f., 3 f. Ähnlich wie hier dagegen Laufs, NJW 1998, 1754, der den privatrechtlichen Einschlag des beschriebenen Systems für bedenklich hält; kritisch auch Deutsch, Rn. 521. 1032 A. A. Nickel!Schmidt-Preisigke/Sengler, Vor § 9 Rn. 2, 5, § 12 Rn. 1, 3.

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lungspflichtigen Todesfeststellung (Nr. 3), die Anforderungen an die Maßnahmen zum Schutz der Organspender und -empfänger (Nr. 4), die Regeln zur Organvermittlung (Nr. 5) und die Anforderungen an die im Zusammenhang mit Organentnahme und -Übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung (Nr. 6). 1 0 3 3 Angesichts der ständig fortschreitenden medizinischen Entwicklung und der Verpflichtung zur Gewährleistung wirksamen Rechtsgüterschutzes ist § 16 Abs. 1 TPG als dynamische Verweisung einzuordnen: Die Richtlinien müssen den aktuellen Stand der Wissenschaft wiedergeben. 1034 Nur bei dieser Auslegung konnte vor der grundrechtlichen Schutzpflicht eine gesetzliche Verpflichtung zur laufenden Anpassung der Richtlinien unterbleiben. Ebenso ist nur bei einer Verpflichtung auf die Feststellung des aktuellen Standes die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Satz 2 TPG haltbar, wonach die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet wird, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind. Hinsichtlich der Erarbeitung bestimmter Richtlinien enthält § 16 Abs. 2 TPG Soll-Vorgaben an die personelle Zusammensetzung,1035 durch die eine gewisse persönliche Unabhängigkeit und sachliche Unvoreingenommenheit gewährleistet werden soll. 1036 § 16 TPG sieht indes weder eine staatliche Beteiligung bei der Erstellung der Richtlinien, noch eine Rechtmäßigkeits- oder gar Inhaltskontrolle vor. M. E. ist auch diese gesetzliche Verweisung verfassungswidrig. Aufgrund der Vorgaben bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht 1037 kann der Gesetzgeber seiner Schutzverpflichtung nicht nachkommen, indem er erst zu erlassenden, im weiteren laufend anzupassenden Regelungen einer privatrechtlich organisierten 1033

§ 15 Abs. 1 Satz 1 Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S.7, 28 f. sah nur ein fakultatives Tätigwerden der Bundesärztekammer vor: „Die Bundesärztekammer kann (...)". § 16 Abs. 1 Satz 1 TPG ist dagegen als Pflichtauftrag an die Bundesärztekammer einzuordnen, dessen Nichterfüllung allerdings sanktionslos bleibt, da die Bundesärztekammer als privatrechtlicher Verein keiner Aufsicht des Bundes oder der Länder unterliegt; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 16 Rn. 3; Deutsch, Rn. 513 spricht dagegen nur von „außerordentlichen Befugnissen" der Bundesärztekammer; offengelassen z.B. von Uhlenbruch in Laufs/Uhlenbruck, §131 Rn. 19. 1034 Ebenso Kloepfer, § 16 Rn. 21 zu den entsprechenden Verweisen auf den Stand der Wissenschaft und Technik im Gentechnikrecht (z. B. §§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 2 GenTG), der nicht statisch, sondern dynamisch ist; a.A. Baumann, S.29; widersprüchlich Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, § 16 Rn.20, die eine (unzulässige) dynamische Verweisung verneinen, zugleich jedoch davon ausgehen, daß die Richtlinien ständig fortgeschrieben und dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft angepaßt werden. 1035 Nach § 16 Abs. 2 TPG sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines daran beteiligten Arztes unterstehen, nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Nr. 5 Personen mit Befähigung zum Richteramt und aus dem Kreis der Patienten, bei Nr. 5 auch aus dem Kreis der Angehörigen von toten Spendern vertreten sein. 1036 Entsprechend der Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S.29, nach dem so einer objektiven Feststellung des Standes gedient und Interessenkollisionen vermieden werden sollen. 1037

Dazu ausführlich oben A Kap. 2 II., III.

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Standesvereinigung allgemeine rechtliche Relevanz und Wirksamkeit verleiht. Den Feststellungen in den Richtlinien kommt Außenwirkung im Verhältnis zwischen den Organspendern und -empfängern und den behandelnden Ärzten sowie anderen Beteiligten zu. 1039 Sie bewirken präventiven Rechtsgüterschutz durch die Beachtung der neuesten medizinischen Erkenntnisse und erlangen wegen der gesetzlichen Vermutung gesteigerte haftungsrechtliche Relevanz. Die grundrechtliche Schutzpflicht schließt jedoch die vollständige Delegation der Aufgaben, das heißt die alleinige Schutzpflichterfüllung durch private Standesvertretungen aus. 1040 Angesichts der demokratischen Verantwortungskette muß eine inhaltliche Prüfung der rezipierten Standards durch den Staat erfolgen. 1041 Diese Einschätzung würde auch gelten, wenn in § 16 TPG - sachlich wenig plausibel - nur eine statische Verweisung auf einen nach Erlaß der Richtlinien rasch veralteten Stand gesehen würde. Die durchaus zu begrüßende Einbindung der fachlich kompetenten Bundesärztekammer ist de lege ferenda so auszugestalten, daß eine präventive staatliche Mitwirkung bei der Erarbeitung der Richtlinien, zumindest aber eine staatliche Prüfung vor ihrem Erlaß besteht. Dadurch können etwaige Regelungsdefizite auf der normativen Ebene ausgeglichen werden 1042 und die Richtlinien sowohl ihre präventive Funktion entfalten, als auch Grundlage der fachgerichtlichen Auslegung der zivil- und strafrechtlichen Haftungsnormen sein. Eingekleidet in einen verfassungskonformen gesetzlichen Rahmen begegnen die Richtlinien der verfassungsrechtlich bedenklichen Überführung standesrechtlicher Vorgaben durch die Zivil- und Strafgerichte im Arzthaftungsrecht bei der Auslegung der Generalklauseln und erlangen eine rechtssichere verbindliche Außen Wirkung im Arzt-Patienten-Verhältnis. 2. Transfusionswesen Die Gewinnung und Übertragung von Blut und Blutbestandteilen ist im Rahmen der Notfall- und operativen Medizin von großer Bedeutung. Das zentrale Problem 1038 zur Bundesärztekammer ausführlich Bergemann, Die rechtliche Stellung der Bundesärztekammer. 1039 Die Richtlinien nach § 16 Abs. 1 TPG bedürfen gerade keiner Umsetzung durch Aufnahme in die Berufsordnungen der Landesärztekammern; unklar NickeilSchmidt-Preisigkel Sengler, § 16 Rn. 4; zurückhaltend gegenüber einer verbindlichen Wirksamkeit z. B. Baumann, S. 29, der zur Begründung jedoch auf den Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S. 29 abstellt, entgegen der in Kraft getretenen Regelung des § 16 TPG nur eine Kann-Vorschrift (§15 Entw.-TPG) enthält (Fraktionenentwurf TPG, BT-Drs. 13/4355, S.7). 1040 Ablehnend auch Deutsch, Rn. 513; zur Notwendigkeit der staatlichen Aufsicht, z. B. bei der Beleihung Maurer, § 23 Rn. 58; zur Einbeziehung der Bundesärztekammer durch Beleihung im Sozialversicherungsrecht Axer, S. 34. In der vorliegenden Form wäre indes auch eine Delegation auf die öffentlich-rechtlichen Landesärztekammern bedenklich. 1041

Zum Ganzen oben A Kap. 3 III. sowie bei den Ausführungen zum Zivil- und Strafrecht; im Ergebnis ebenso Kloepfer, § 3 Rn. 80, 77 m. w. Nw.; vgl. auch BVerfGE 49, 89 (134ff., 140 ff.)- Kalkar I. 1042 Vgl. BVerfGE 49, 89 (135); 53, 30 (77ff., 94f.). 22 Hollenbach

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

bei der Verwendung fremden Blutes ist, daß dieses mit Erregern verseucht sein kann, die Infektionskrankheiten beim Empfänger auslösen können. 1043 Die Reduzierung dieser Gefahr ist das Hauptanliegen des Transfusionsgesetzes, das die sichere Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen sowie die sichere Versorgung der Bevölkerung im Hinblick auf den Bedarf bei Heilbehandlungen sicherstellen will. 1 0 4 4 Zugleich soll dem quantitativen Mangel an Blutkonserven entgegengewirkt und eine gesicherte Versorgung der Bevölkerung gewährleistet werden. Beide Ziele lassen sich am besten durch Eigenblutspenden erreichen, so daß die Förderung der Selbstversorgung einen wichtigen Aspekt des gesetzlichen Schutzkonzepts im Transfusionswesen darstellt. 1045 Vor dem Inkrafttreten des TFG bestand ein zersplittertes Regelungsgeflecht, das neben dem AMG vorwiegend aus internationalen Vorschriften und standesrechtlichen Regelungen in Form von Richtlinien der Bundesärztekammer bestand.1046 Das TFG vereinheitlicht diese rechtliche Gemengelage und hat ohne weiteres auch vor der Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft Bestand. Die Kompetenz der EG zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Blut- und Blutderivate nach Art. 152 Abs. 4 a) EG ist mit der Befugnis der Mitgliedsstaaten verbunden, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen. Daneben betont Art. 152 Abs. 5 Satz 2 EG insbesondere für den Umgang mit Blut die Verantwortung und Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.1047 Das TFG bezieht sich trotz der Verwendung des allgemeinen medizinischen Begriffs der Transfusion nur auf Blut, Blutbestandteile und Blutprodukte; das Transplantationsrecht findet keine Anwendung. 1048 Durch das TFG wurden spezifische Gesetzeslücken im Arzneimittelrecht geschlossen.1049 1043 Besonders heftig diskutiert bei der Verseuchung durch HIV-Viren und entsprechende Infektionen der Empfänger, was sogar zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses führte. Vgl. auch dessen Schlußbericht v. 25.10.1994, BT-Drs 12/8591. 1044 Vgl. § 1 TFG. 1045 Vgl. nur §§ 1, 13 Abs. 1 Satz 5 TFG; dazu Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S.l, 14, 22. 1046 Überblick bei Deutsch, NJW 1998, 3377; vgl. auch BGH, ArztR 2000, 217 (219). 1047 Die Blut und Blutplasma sowie den Handel mit Erzeugnissen aus diesen betreffende Richtlinie 89/381/EWG v. 14.6.1989, ABl. L181/44 wurde noch auf Art. lOOaEWGV (Art. 95 EG) gestützt. Die 1992 eingeführte (Art. 129 alt EGV) spezielle und jetzt in Art. 152 EG modifizierte Kompetenz der EG versperrt weitestgehend den Rückgriff auf allgemeine Kompetenznormen, insbesondere die Art. 94, 95, 308 EG; zurückhaltend auch Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, Einführung Rn. 16; großzügiger Oppermann, Rn. 2056; dazu ausführlich oben A K a p . l V.3. 1048 §§ 2, 29 TFG, 1 Abs. 2 TPG. 1049

Uhlenbruch, ArztR 1998, 311. Blutzubereitungen, Sera sowie Blutkomponenten, wie z.B. Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate sowie gefrorenes Frischplasma unterfallen dem AMG; vgl. nur die §§4 Abs. 2, Abs. 3 AMG. Ebenso sind spezielle Immunglobuline Arzneimittel, zu deren Herstellung Plasma erforderlich ist (vgl. §8 TFG); Deutsch, NJW 1998, 3378; siehe auch die zahlr. Änderungen des AMG durch § 34 TFG.

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Nachfolgend werden die gesetzlichen Vorkehrungen zum Schutz der Rechtsgüter der Spender und Empfänger sowie die Einbindung der Bundesärztekammer in die Aufgabenerfüllung dargestellt. Aufgrund der sachlichen Anknüpfungspunkte und vergleichbaren Regelungsstrukturen in den oben (I. - III. 1.) untersuchten Bereichen des Arzneimittel- und Transplantationswesens, verstehen sich die nachfolgenden Ausführungen als Ergänzung und konzentrieren sich auf Parallelen und Unterschiede in den gesetzlichen Schutzkonzepten. a) Rechtsgüterschütz bei der Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen Die Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen erfolgt in speziellen Spendeeinrichtungen, die über die notwendige Ausstattung und spezifisch qualifiziertes Personal verfügen. 1050 Um den Versorgungsauftrag zu gewährleisten, insbesondere Versorgungsengpässe zu vermeiden, arbeiten die Spendeeinrichtungen zusammen. Die Einzelheiten der Zusammenarbeit sind in einer Vereinbarung festzulegen - weitere inhaltliche Vorgaben oder eine staatliche Mitwirkung bzw. Kontrolle bestehen nicht. Solange Versorgungsdefizite dadurch behoben werden, ist der Verzicht auf weitere staatliche Beteiligung zulässig, da bei der Organisation der Versorgung mit Blut, die ähnlich der Organbeschaffung im Transplantationswesen als durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vorgegebene staatliche Pflicht eingeordnet werden kann, ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht.1051 Für den Rechtsgüterschutz der Empfänger zentral ist die sichere Gewinnung des Blutes und der Blutbestandteile. Nach § 5 Abs. 1 TFG sind nur Spender zur Entnahme zuzulassen, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik durch einen Arzt für tauglich befunden wurden. Die Spender sind nach § 5 Abs. 3 TFG auf bestimmte Infektionsmarker zu untersuchen, 1052 vorsätzliche Verstöße sind nach § 31 TFG strafbar, fahrlässige nach § 32 TFG bußgeldbewehrt. Die Untersuchungen und die Blutentnahme bei den Spendern sind körperliche Eingriffe, die der Einwilligung bedürfen. Nach § 6 Abs. 1 TFG sind die Spender vor der Einwilligung in für sie verständlicher Form über Wesen, Bedeutung und Durchführung der Entnahme und der Untersuchungen sachkundig aufzuklären. Die Aufklärung und Einwilligung sind vom Spender schriftlich zu bestätigen.1053 Da die 1050 §§3 Abs. 1, 4 TFG; nach §4 Satz 1 Nr. 2 muß die leitende Person ein approbierter Arzt sein, der die erforderliche Sachkunde nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik besitzt, ein Verstoß dagegen ist nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 TFG bußgeldbewehrt. 1051 Vgl. oben l.a)aa)(l). 1052 Vgl. Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S. 17f. 1053 § 6 i § a t z 2 TFG; dies ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung und dient nur Beweiszwecken, wobei die haftungsrechtliche Bedeutung ungeklärt ist; Deutsch, NJW 1998, 3380. Eine schriftlich zu bestätigende Aufklärung muß nach §6 Abs. 2 TFG auch über den Umgang mit personenbezogenen Daten des Senders erfolgen.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Rechtsgutsbeeinträchtigung im Vergleich zu Organentnahmen in der Regel geringer ist, wird die gesetzliche Vertretung bei Minderjährigen und im Rahmen von Betreuungsverhältnissen für zulässig erachtet, 1054 spezifische Regelungen bestehen jedoch nicht. Im Gegensatz zum Transplantationswesen werden Verstöße gegen die Vorschriften zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Spender nicht eigenständig sanktioniert. 1055 Insoweit ist das allgemeine Straf- und Zivilrecht anzuwenden, wobei bei der Auslegung der Haftungsvoraussetzungen § 6 TFG anzuwenden ist. Zum Schutz der körperlichen Integrität der Spender bestimmt § 7 TFG Anforderungen an die Gewinnung des Blutes. Untersuchungen und Entnahme haben nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik zu erfolgen und sind durch einen Arzt oder unter ärztlicher Verantwortung durchzuführen. Verstöße sind haftungsrechtlich ebenfalls durch das allgemeine Straf- und Zivilrecht zu bewältigen. Letztlich ist jede Spendeentnahme langfristig zu dokumentieren. 1056 Die Dokumentation dient dem Rechtsgüterschutz der Spender und Empfänger, da Blutentnahmen für die Gesundheit beider Relevanz zukommt. Die aufgrund der Dokumentation mögliche rasche Sachverhaltsaufklärung läßt zum einen bei Zwischenfällen ein Schädigungen entgegentretendes ärztliches Einschreiten zu und wirkt sich zum anderen auf der sanktionierenden Ebene des Haftungsrechts aus. 1057 Mit größeren Gesundheitsgefahren für den Spender als normale Blutentnahmen sind die Spenderimmunisierung nach § 8 TFG und die Vorbehandlung zur Blutstammzellseparation nach § 9 verbunden. 1058 Die §§ 8, 9 TFG enthalten daher zusätzliche Schutzvorkehrungen, die § 40 AMG nachgearbeitet sind. 1059 Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 TFG muß die Durchführung der Immunisierung im Interesse einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung geboten sein. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 TFG ist sie nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik durchzuführen. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 TFG ist weiter notwendig, daß die Risiken für die Spender ärztlich vertretbar sind (Nr. 1), die Spender nach umfassender Aufklärung eingewilligt haben (Nr. 2), die Durchführung durch einen sachkundigen Arzt geleitet wird (Nr. 3), ein Immunisierungsplan vorliegt (Nr. 4), die ärztliche Kontrolle des 1054

Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S. 18. Vgl. §§31,32 TFG. 1056 Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 mindestens 15 Jahre, im Falle der §§ 8 (Spenderimmunisierung), 9 (Vorbehandlung zur Blutstammzellseparation) TFG mindestens 20 Jahre. 1055

1057 Besonders wichtig ist die Rückverfolgung der Spende und die Risikoerfassung nach dem AMG; Uhlenbruch, ArztR 1998, 312. 1058 D j e Spenderimmunisierung ist zur Gewinnung von Plasma zur Herstellung von speziellen Immunglobulinen (Arzneimittel) notwendig; vgl. Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S. 18 f.; Deutsch, NJW 1998, 3378; die Blutstammzellseparation ist die Entnahme von Stamm- und Vorläuferzellen aus dem peripheren Blut zur Behandlung schwerster Krankheiten, z. B. Leukämie. Die Vorbehandlung dient der Steigerung der Stammzellmenge im peripheren Blut z.B. durch Chemotherapie oder Zytokinabgabe; vgl. Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S. 19 f. 1059 Deutsch, Rn. 524. Die Vorbehandlung zur Blutstammzellseparation ist nach § 9 Satz 1 nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik durchzuführen, im übrigen gelten nach § 9 Satz 2 TFG die §§ 8 Abs. 2-4 TFG entsprechend.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

341

Gesundheitszustands des Spenders während der Immunisierung gewährleistet ist (Nr. 5), das Immunisierungsprogramm der zuständigen Behörde angezeigt wurde (Nr. 6) und das zustimmende Votum einer nach Landesrecht gebildeten unabhängigen Ethik-Kommission vorliegt (Nr. 7). 1 0 6 0 Daneben ist die Durchführung der Immunisierung umfassend zu protokollieren und muß insbesondere Aufzeichnungen über unerwünschte Ereignisse enthalten,1061 die der leitende Arzt der Ethik-Komission, der zuständigen Behörde und dem pharmazeutischen Unternehmer des zur Immunisierung verwendeten Arzneimittels unverzüglich mitzuteilen hat. 1062 Die Durchführung ohne Immunisierungsplan oder Anzeige bei der zuständigen Behörde ist bußgeldbwehrt. 1063 Im Gegensatz zu den §§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 3 AMG, 20 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 MPG wurde im Rahmen der §§ 8, 9 TFG, bzw. im gesamten Transfusionswesen, auf die Verpflichtung der Spendeeinrichtungen zum Abschluß einer Versicherung für Immunisierungs- oder Transfusionsunfälle verzichtet. 1064 Im Hinblick auf die gesetzlichen Schutzvorgaben und verfassungsrechtliche Bedenken kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu den §§40 AMG, 20 MPG verwiesen werden. 1065 Hervorzuheben ist jedoch, daß der Gesetzgeber mit den §§ 8, 9 TFG ein besonderes Schutzinstrumentarium für ärztliche Behandlungen etabliert hat, die regelmäßig keine Humanexperimente darstellen. 1066 Auch wenn es sich hier um den besonderen Schutz fremdnützig handelnder Spender handelt, ist m. E. eine sachgerechte Übertragung einzelner Schutzvorkehrungen zu Gunsten der Patienten bei besonders gefährlichen Heilbehandlungen möglich. Bestätigt wird dies durch die besondere Anforderungen an Heilversuche aufstellenden §§41 AMG, 21 MPG, die keine fremdnützigen Behandlungen, sondern Heilbehandlungen der Patienten sind. 1067 Die umfangreichen gesetzlichen Schutzvorkehrungen sind zudem Indiz gegen die oft behauptete Regelungsfeindlichkeit des medizinisch-technischen Bereichs. 1068 Die Bestimmung des wiederholt für maßgeblich erklärten Standes der 1060

Anders als die §§40 Abs. 1 AMG, 20 Abs. 7, Abs. 8 MPG läßt das TFG allerdings offen, worauf die Ethik-Kommission ihr - unumgängliches - Votum stützen soll; kritisch auch Deutsch, NJW 1998, 3380. 1061 §§8 Abs. 3, 11 TFG. 1062 §8 Abs. 4 TFG. 1063 §§ 32 Abs. 2 Nr. 2 TFG; dazu treten der bußgeldbewehrte Arztvorbehalt gem. §§ 32 Abs. 2 Nr. 1,4 Satz 1 Nr. 2 TFG und die straf- oder bußgeldbewehrte Pflicht zur Untersuchung auf Infektionsmarker vor Freigabe der Spende gem. §§31,5 Abs. 3, 32 Abs. 1 TFG. 1064 Kritisch Deutsch, Rn.524; ders., NJW 1998, 3380f. m. w.Nw. Transfusionsunfälle sollen durch die SGB VII, SGB V aufgefangen werden; dasselbe wird wohl für Komplikationen im Transplantationswesen angenommen. 1065 Oben II.; insgesamt positiv zu den Regelungen des TFG Deutsch, NJW 1998, 3378ff. 1066 z u r Immunisierung sollen nach § 8 Abs. 2 Satz 3 TFG zugelassene Arzneimittel angewendet werden. 1067

Der Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S. 19 sieht nicht nur §40 AMG, sondern die §§ 40 ff. AMG als Orientierungsnormen für die §§ 8, 9 TFG an. 1068 Gegen die häufig vertretene Regelungsfeindlichkeit medizinisch-technischer Fragen kann z.B. auch das Protokoll zu dem Europäischen Übereinkommen über den Austausch the-

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Teil B Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

medizinischen Wissenschaft und Technik erfolgt nach § 12 TFG durch Richtlinien der Bundesärztekammer. 1069

b) Rechtsgüterschütz bei der Anwendung von Blutprodukten Auf die unter den vorgehend beschriebenen Schutzvorkehrungen erfolgte Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen im Rahmen der Spende folgt die Anwendung der Blutprodukte. 1070 Diese ist regelmäßig Teil einer ärztlichen Heilbehandlung am Patienten. Basierend auf der Grundlage des gewonnenen sicheren Blutes hat der Gesetzgeber weitere Schutzvorkehrungen für die Patienten etabliert, die eine Konkretisierung der ärztlichen Leistungspflichten bewirken. 1071 § 13 Abs. 1 Satz 1 TFG unterstellt die Anwendung grundsätzlich dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 TFG müssen weitere Anforderungen zur effizienten Behandlung der Kranken, wie die Identitätssicherung, die vorbereitenden Untersuchungen sowie die Aufklärung und Einwilligung beachtet werden. 1072 Auch bei der Anwendung der Blutprodukte ist die Dokumentation von besonderer Bedeutung.1073 § 14 TFG hebt die verschiedenen Zwecke der Dokumentation hervor. Über die transfusionsspezifischen hinaus ist diese für die ärztliche Behandlung der Patienten insgesamt sowie die Risikoerfassung nach dem AMG bedeutsam. Die Dokumentation hat die Aufklärung und die Einwilligungserklärungen, das Ergebnis der Blutgruppenbestimmung sowie die Darstellung der Wirkungen und unerwünschten Ereignisse zu umfassen. 1074 Die Dokumentation ist langfristig anzulegen und muß zu Zwecken der Rückverfolgung unverzüglich verfügbar sein. 1075 Ein wichtiger Aspekt vorwiegend des präventiven Rechtsgüterschutzes ist letztlich die Qualitätssicherung. 1076 Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 TFG haben Einrichtungen der Krankenversorgung, die Blutprodukte anwenden, ein System der Qualitätssicherung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik einzurichten. In personeller Hinsicht bedeutet dies die Bestellung eines Transfusionsverantwortlichen und eines Transfusionsbeauftragten, gegebenenfalls auch die Bildung rapeutischer Substanzen menschlichen Ursprungs samt Anlagen, BGBl.II 1989 S. 995 ff., angeführt werden kann. 1069 Dazu unten c). 1070 Gesetzliche Begriffsbestimmung nach § 2 Nr. 3 TFG: Blutprodukte sind Blutzubereitungen i. S. v. § 4 Abs. 2 AMG, Sera aus menschlichem Blut i. S. v. § 4 Abs. 3 AMG und Plasma zur Fraktionierung. 1071 Ein spezieller haftungsrechtlicher Schutz ist bei der Anwendung der Blutprodukte nicht vorgesehen; vgl. §§31,32 TFG. Die Rspr. stellt grundsätzlich hohe Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt; vgl. z. B. BGH, ArztR 2000, 217 (222) m. w. Nw. 1072 Vgl. Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S.21f. 1073 Vgl. Deutsch, NJW 1998, 3379. 1074 Deutsch, NJW 1998, 3379; im Einzelnen §§ 14 Abs. 1, Abs. 2 TFG. 1075 §§ 14 Abs. 3 Satz 1 (mindestens 15 Jahre), Satz 2 TFG. 1076 Uhlenbruch ArztR 1998, 312.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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einer Transfusionskommission. 1077 Weitere qualitätsfördernde Maßnahmen bestimmt § 15 Abs. 2 T F G . 1 0 7 8 Auch bei der Anwendung der Blutprodukte wird der Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik nach § 18 TFG durch Richtlinien der Bundesärztekammer festgestellt. Dieser kommt damit auch maßgeblicher Einfluß auf die Gestaltung des Systems der Qualitätssicherung zu, das keiner laufenden staatlichen Überwachung unterliegt und dessen Wirksamkeit folglich von der ärztlichen Selbstregulierung abhängt. 1 0 7 9 c) Grundrechtliche Schutzpflicht und gesetzliche Delegation Richtlinien der Bundesärztekammer

-

Der i m Rahmen der Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen sowie der Anwendung von Blutprodukten zu beachtende Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik ist durch Richtlinien der Bundesärztekammer nach den §§12 Abs. 1,18 Abs. 1 TFG festzustellen. 1080 I m Gegensatz zum Transplantationswesen ergehen die Feststellungen jedoch i m Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörd e 1 0 8 1 und nach Anhörung von Sachverständigen, 1082 wie auch Empfehlungen der 1077 Im Einzelnen § 15 Abs. 1 Satz 2-4 TFG. 1078 N a c h § 15 Abs. 2 Satz 1 TFG sind die Qualifikation und Aufgaben der Personen, die im engen Zusammenhang mit der Anwendung der Blutprodukte tätig sind, nach § 15 Abs. 2 Satz 2 TFG die Grundsätze für die patientenbezogene Qualitätssicherung der Anwendung von Blutprodukten, insbesondere der Dokumentation und des fachübergreifenden Informationsaustausches, die Überwachung der Anwendung, die anwendungsbezogenen Wirkungen und Nebenwirkungen und zusätzlich erforderliche therapeutische Maßnahmen festzulegen. 1079

Uhlenbruch ArztR 1998, 312. 1080 jsj a c h § i2 Abs. 1 Satz 1 insbesondere für die Sachkenntnis des Personals der Spendeeinrichtungen (Nr. 1), die Auswahl der Spender und Durchführung der Auswahl (Nr. 2), die Identifizierung und Testung der Spender (Nr. 3), die durchzuführenden Laboruntersuchungen (Nr. 4), die ordnungsgemäße Entnahme der Spenden (Nr. 5), die Eigenblutentnahme (Nr. 6), die Gewinnung von Plasma für die Herstellung spezieller Immunglobuline, insbesondere die Spenderimmunisierung (Nr. 7), die Separation von Blutstammzellen und anderen Blutbestandteilen, insbesondere die Vorbehandlung der Spender (Nr. 8) und die Dokumentation der Spendeentnahme (Nr. 9). Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 insbesondere für die Anwendung von Blutprodukten, die Testung auf Infektionsmarker der zu behandelnden Personen und die Anforderungen an die Rückstellproben (Nr. 1), die Qualitätssicherung der Anwendung von Blutprodukten in den Einrichtungen der Krankenversorgung und ihre Überwachung durch die Ärzteschaft (Nr. 2), die Qualifikation und die Aufgaben der im engen Zusammenhang mit der Anwendung von Blutprodukten tätigen Personen (Nr. 3) und den Umgang mit nicht angewendeten Blutprodukten in den Einrichtungen der Krankenversorgung (Nr. 4). 1081 Paul-Ehrlich-Institut gem. §27 Abs. 1 TFG. 1082 Bei der Anhörung der Sachverständigen ist eine angemessene Beteiligung der sachlich tangierten Fach- und Verkehrskreise sicherzustellen, nach § 12 Abs. 1 Satz 2 TFG insbesondere der Träger der Spendeeinrichtungen, der Plasmaprodukte herstellenden pharmazeutischen Unternehmer, der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft sowie der zuständigen Behörden von Bund und Ländern, nach § 18 Abs. 1 Satz 2 TFG insbesondere der Träger der Spendeeinrichtungen, der Spitzenverbände der Krankenkassen, der

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Europäischen Union, des Europarates und der Weltgesundheitsorganisation zu Blut und Blutbestandteilen zu berücksichtigen sind. 1083 Gleich dem Transplantationswesen wird nach §§ 12 Abs. 2, 18 Abs. 2 TFG die Einhaltung des Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik vermutet, wenn und soweit die Richtlinien beachtet worden sind. Wie im Transplantationswesen wird auch hier bezweifelt, daß die Vorschriften dynamische Verweisungen enthalten und daß die Richtlinien verbindlich sind. 1084 Die Zweifel vermögen m. E. auch hier nicht zu überzeugen: Der Erlaß der Richtlinien ist nicht fakultativ. Aufgrund der grundrechtlichen Verpflichtung zu dynamischem Rechtsgüterschutz muß der aktuelle Stand der Wissenschaft und Technik verbindlich wiedergeben werden. Weder der Erlaß, noch die Beachtung der Richtlinien darf im Belieben der Beteiligten stehen. Nur dann macht das Richtlinienkonzept Sinn, das den Rechtsgüterschutz der Beteiligten durch die Anwendung modernster Kenntnisse und Verfahren gewährleisten will. Nur dann machen auch die gesetzlichen Vermutungen Sinn, deren rechtliche Relevanz sich in der Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Spender sowie Empfänger zeigt. Die Feststellungen der Bundesärztekammer fließen zum einen in die Bestimmung und Erbringung der vertraglichen Leistungen und zum anderen in das Arzthaftungsrecht ein. In verbindlichen Richtlinien liegt daher gerade die Möglichkeit der Wiedergabe transparenter Standards, die eine zum Teil diffuse, stets aber rechtsstaatlich bedenkliche Erkenntnisgewinnung der mit entsprechenden Haftungsfällen befaßten Gerichte vermeidet. Insoweit ist auch das von Deutsch angeführte Argument möglicher Fehler in den Richtlinien 1085 für die Frage ihrer Verbindlichkeit irrelevant. Dem Problem des „Hinterherhinkens 4' der normativen Vorgaben hinter den tatsächlichen Entwicklungen wird nicht durch den Wegfall der rechtlichen Bindung, sondern durch die laufende Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Richtlinien entgegengetreten. Auch im Transfusionswesen scheinen das Fehlerpotential und durch den schnellen medizinisch-technischen Fortschritt entstehende Schutzlücken bewältigbar zu sein. 1086 Überdies können die gesetzlichen Vermutungen von beiden Parteien widerlegt werden. Im Gegensatz zum Transplantationswesen entspricht die Einbindung der Bundesärztekammer im Transfusionswesen jedoch den Vorgaben der grundrechtlichen Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie der zuständigen Behörden von Bund und Ländern. 1083 §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs. 1 Satz 1 TFG; zu § 16 TPG oben l.b)bb)(2). 1084 Deutsch, NJW 1998, 3379f.; unklar der Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S.21, 24; für § 16 TPG z.B. Baumann, S.29; dazu oben l.b)bb)(2). 1085 Deutsch, NJW 1998, 3380. 1086 Neu auftretende Gefährdungslagen können durch staatliche Schutzmaßnahmen in Form von Rechtsverordnungen nach § 20 TFG oder im Wege der polizei- bzw. gesundheitsbehördlichen Gefahrenabwehr im Einzelfall bewältigt werden. Derartige staatliche Rechtsakte gehen den Richtlinien der Bundesärztekammer bei fachlichen Widersprüchen vor; vgl. Regierungsentwurf TFG, BT-Drs. 13/9594, S.21. Auch dies ist aber m.E. kein Argument gegen die Verbindlichkeit der Richtlinien an sich.

Kap. 4: Legislative Schutzpflichterfüllung in Sonderbereichen

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Schutzpflicht, da das Einvernehmen einer fachlich kompetenten staatlichen Behörde zum Erlaß der Richtlinien notwendig ist. Über die behördliche Mitwirkung bei der Normierung und Grundrechtsbindung können unzureichende internationale Empfehlungen inhaltlich ergänzt oder den verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Vorgaben widersprechende internationale Empfehlungen ausgeschlossen werden. Die fachliche Qualität der Richtlinien wird zudem durch die Anhörung der genannten Sachverständigen im Verfahren der Entscheidungsfindung gesteigert, wenngleich ausdrücklich nur Partikularinteressen berücksichtigt werden und die Patientenbelange nicht unmittelbar vertreten sind. Vor Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stellt daher die Behörde diesem verbandsmäßig organisierten Einfluß ein Gegengewicht zum Schutz der Patienten. Ob darüber hinaus eine laufende behördliche Kontrolle des entstandenen Schutzsystems notwendig ist, hängt davon ab, ob dieses einen wirksamen Rechtsgüterschutz der Beteiligten gewährleistet oder nicht. Angesichts der kurzen Geltungszeit der Regelungen ist eine entsprechende Beurteilung noch nicht möglich, der Gesetzgeber unterliegt allerdings der fortlaufenden Pflicht zur Beobachtung und gegebenenfalls Ergänzung seiner Schutzmaßnahmen. 3. Ergebnis Es ist zu begrüßen, daß der Gesetzgeber auf die spezifischen Gefährdungen des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit reagiert und in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht neben dem klassischen Bereich des Arzneimittelwesens auch das Transplantations- und Transfusionswesen erschlossen hat. Ungeachtet der inhaltlichen Kritik 1 0 8 7 tragen die gesetzlichen Regelungen zu einer erheblichen Reduzierung der bis dato bestehenden Rechtsunsicherheit und zu einem wirksameren Rechtsgüterschutz bei. 1088 Die gesetzlichen Schutzregelungen stehen im Einklang mit der ärztlichen Berufsfreiheit. Positiv hervorzuheben sind die normierten Vorkehrungen zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts,1089 auf die die nachfolgenden Schutzmaßnahmen zur Qualitätssteigerung und Fehlerreduzierung der ärztlichen Eingriffe aufbauen. Die detaillierten Regelungen in den genannten Bereichen erhöhen die Qualität und Sicherheit der medizinischen Leistungen und reduzieren damit Rechtsgutsgefährdungen und -Verletzungen. Positiver Nebeneffekt dieses präventiven Schutzes ist die Entlastung des sanktionierenden Haftungsrechts in zweifacher Hinsicht: Die Fachgerichte werden rein quantitativ weniger belastet, vor allem aber von ihrer durch Art. 1 Abs. 3 GG vorgezeichneten Pflicht zur Auflösung von Grund1087

Gegen das TPG z.B. Rixen, S.382ff.; kritisch auch Uhlenbruch, in: Laufs/Uhlenbruck, § 131 Rn.21. 1088 Im Ergebnis ähnlich Laufs, NJW 1998, 1754; ders., NJW 1999, 1765 f. für das Transplantationswesen; Uhlenbruch, ArztR 1998, 314; Deutsch, NJW 1998, 3381. Für die positive Wirkung des TPG und TFG spricht auch die geringe Anzahl gerichtlicher Entscheidungen in diesen Bereichen. 1089 Allgemein zur zunehmenden Bedeutung der Patientenautonomie auch Laufs, NJW 1999,1765.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

rechtskollisionen zwischen Arzt und Patient entlastet. Unter der zuvor bestehenden Rechtslage setzte der zivil- und strafrechtliche Schutz für den konkret betroffenen Patienten dagegen zu spät ein, wie auch die inhaltliche Steuerung der ärztlichen Tätigkeit vorwiegend durch das richterlich geprägte sanktionierende Haftungsrecht problematisch war. 1090 Leider hat der Gesetzgeber im Zuge der Normierung die ein derartiges Schutzkonzept abrundende Versicherungslösung weder im Transplantations-, noch im Transfusionswesen realisiert. 1091 Ebenso ist keine einheitliche Einbindung des fachlich kompetenten ärztlichen Standes in die Schutzpflichterfüllung erfolgt. Den unter den Vorgaben der grundrechtlichen Schutzpflicht insgesamt positiv zu bewertenden Möglichkeiten der normativen inhaltlichen Steuerung ärztlicher Behandlungen und Behandlungsmöglichkeiten kommt m. E. Vorbildcharakter auch für Heilbehandlungen zu. Für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten weist die Rechtsprechung der Fachgerichte bereits allgemein in diese Richtung, indem angenommen wird, daß die Anforderungen an Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärung entsprechend den Risiken und der Eingriffsintensität auch bei ärztlichen Heilbehandlungen zunehmen.1092 Formale Sicherungen werden dadurch jedoch ebenso wenig etabliert, wie „äußere" Schutzvorkehrungen. Vor allem bei neuen oder besonders gefährlichen Heilbehandlungen oder Heilversuchen, die trotz therapeutischem Nutzen ähnlich dem Humanexperiment ein beträchtliches Maß an Risiken aufweisen, ist weder das Selbstbestimmungsrecht, noch das Interesse eines Patienten an seiner körperlichen Integrität geringer, als beim fremdnützigen Organ- oder Blutspender. Die sachgerechte Übertragung der beschriebenen effektiven Schutzvorkehrungen auf Heilbehandlungen und -versuche ist folglich nicht per se ausgeschlossen. Die beschriebenen Regelungen zeigen auch, daß der Rechtsgüterschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis durchaus normierbar ist. Die vom Gesetzgeber zu erlassenden Regelungen über den medizinischen Behandlungsvertrag 1093 können daher Schutzelemente aus dem Transplantations- und Transfusions-, aber auch dem Arzneimittelwesen übernehmen, eine vollständige Übertragung dürfte jedoch nur in besonderen Fällen in Betracht kommen. Durch die Schaffung spezifischer Schutzkonzepte werden die Bedingungen für einen wirksamen Rechtsgüterschutz der Patienten geschaffen, der im Einzelfall durch die zur Anwendung der Gesetze berufenen staatlichen Stellen schutzpflichtorientiert zu gewähren ist. In die staatliche Schutzgewährung können auch kompetente Externe, zum Beispiel Ethik-Kommissionen oder der ärztlichen Stand, einbezogen werden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist bei Delegationen allerdings darauf zu achten, daß sich der Staat nicht seines Einflusses auf Inhalt und Maß der Schutzgewährung begibt. Insoweit ist nicht nur die rasante Entwicklung der moder1090 1091 1092 1093

Vgl. oben Kap. 1, Kap. 2, A Kap. 2 IV. Vgl. oben 1., 2.; allgemein zur Versicherungslösung Kap. 1 III. 2. c). Vgl. Nickel/Schmidt-PreisigkelSengler, § 8 Rn. 25; oben Kap. 1 I.2.c)bb), Kap. 2 II. 1. Dazu oben Kap. 1III. 2.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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nen Medizin laufend im Hinblick auf Schutzlücken zu beobachten, sondern auch Delegationen der Schutzpflichterfüllung: Bei Defiziten ist der Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet. Kapitel 5

Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung Die Mehrzahl der ärztlichen Behandlungen ist in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eingebettet. Die GKV begründet eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht der Patienten,1094 die durch staatlich zugelassene Vertragsärzte oder Krankenhäuser behandelt werden. 1095 Die GKV sieht desweiteren die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung vor 1 0 9 6 und läßt es den Versicherten unbenommen, daneben eine vollumfängliche oder ergänzende private Krankenversicherung abzuschließen.1097 Die Vertragsärzte und Krankenhäuser dürfen auch privat oder teilweise privat versicherte Patienten behandeln.1098 Nach hier vertretener Auffassung werden auch im Rahmen der GKV privatrechtliche Dienstverträge - medizinische Behandlungsverträge - zwischen Ärzten/Krankenhäusern und Patienten abgeschlossen. Daran ändert auch der Einfluß der Regelungen der GKV auf den Vertragsinhalt und die Vertragsdurchführung nichts. 1099 Dieser Einfluß ist dagegen verfassungsrechtlich bedeutsam. Die nachfolgend aufzuzeigende verfassungsrecht1094 Während 1895, das heißt ein Jahrzehnt nach ihrer Schaffung 14,4 % der Bevölkerung direkt versichert waren, stieg dieser Prozentsatz über 32% (1931), 34% (1938) auf 48% im Jahr 1955, als das Gesetz über das Kassenarztrecht in Kraft trat. 1958 betrug die Anzahl der Direktversicherten 53,1 %, was unter Miteinbeziehung der mitversicherten Familienangehörigen die Anzahl der Leistungsempfänger auf ca. 80 % anwachsen ließ; Zahlen nach BVerfGE 11, 30 (43). 1995 betrug der Anteil der gesetzlich versicherten Patienten schon 90%; Angabe nach Wimmer, NJW 1995, 1578; zur Entwicklung auch Krauskopf\ in: Laufs/Uhlenbruck, § 23 Rn. 1 ff. m. w. Nw. 1095 Auf diese Leistungserbringer beschränkt sich die nachfolgenden Untersuchung. 1096 § 9 SGB V. 1097 Der hier untersuchte (rechtliche) Einfluß des Krankenversicherungsrechts auf das ArztPatienten-Verhältnis ist bei einer privaten Krankenversicherung aufgrund der getrennten Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient sowie Patient und Versicherung wesentlich geringer (vgl. z. B. Zuck, NJW 1991,2933,2937 m. w. Nw.) und kann daher ausgeblendet bleiben. 1098 Bereits 1955 bot die freie Praxis nur ein zusätzliches Einkommen von durchschnittlich 25 % zum Einkommen aus der Kassenpraxis, während davor die kassen/vertragsärztliche Tätigkeit nur eine zusätzliche Einkommensquelle für den frei praktizierenden Arzt war. Im Ergebnis ist damit davon auszugehen, daß der frei praktizierende Arzt seinen Beruf wirtschaftlich gesehen ohne Kassenzulassung/vertragsärztliche Zulassung nicht erfolgreich ausüben kann und er im allgemeinen auf diese angewiesen ist; so schon die auch heute noch realistischen Feststellungen in BVerfGE 11, 30 (44). 1099 Dazu ausführlich oben Kap. 1 1.1. a) m. zahlr. w. Nw.; vgl. auch Voß, S. 7ff. m. w. Nw.; a. A. z.B. Krauskopf in: Laufs/Uhlenbruck, §25 Rn.5ff.; Eberhardt, AcP 171 (1971), 289ff.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

liehe Relevanz ist vor allem in der heutigen Zeit gegeben, in der die solidarisch über Mitgliedsbeiträge finanzierten gesetzlichen Krankenkassen 1100 zunehmend Probleme haben, eine umfassende hochwertige medizinische Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Die Aufgabe der GKV besteht nicht nur darin, ähnlich einer privaten Krankenversicherung die bloße Kostendeckung für Gesundheitsleistungen zu gewährleisten, sondern die Krankenversicherung hat nach § 1 Satz 1 SGB V als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Daraus folgen eigene Verpflichtungen der Krankenkassen zu Gesundheitsleistungen an die versicherten Patienten. 1101 Die Bestimmung dieser Leistungen, die Organisation ihrer Erbringung und die Vergütung der Leistungserbringer, zum Beispiel der Vertragsärzte und Krankenhäuser, ist in Zeiten unzureichender finanzieller Ausstattung der GKV besonders brisant. Angesichts der demographischen Entwicklung und der kostenintensiven Möglichkeiten der modernen Medizin ist das System der GKV mehr denn je von Sparzwängen beherrscht. Auch der Gesetzgeber hat verschiedene Reformen aufgelegt, um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu bewältigen.1102 Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sind die verfassungsrechtlichen Probleme der Maßnahmen, die das Arzt-Patienten-Verhältnis unmittelbar betreffen und insbesondere zu Beschränkungen der ärztlichen Versorgung führen. Diese sollen zunächst dargestellt (unten I.) und dann einer verfassungsrechtlichen Kritik unterworfen werden (unten II.).

1100

Vgl. §3 SGB V. Schulin, in: Schulin, §6 Rn.223. 1102 Zu nennen sind insbesondere das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (1977), das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (1989), das Gesundheitsstrukturgesetz (1993), das Beitragsentlastungsgesetz (v. 1.11.1996, BGBl. I S. 1631), das 1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetz (v. 23.6.1997, BGB1.I S. 1518 und 1520), das GKV-Solidaritätsgesetz (v. 19.12.1998, BGB1.I S.3853; dazu Marburger, BB 1999,789ff.), das GKV-Gesundheitsreformgesetz und Gesetz zur Rechtsangleichung der GKV (v. 22.12.1999, BGBl. IS. 2626 uns 2657; dazu Krasney, NJW 2000, 2697 ff.); zur Entwicklung ausführlich Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, §23 Rn. 12ff.; Schulin/Igl, Rn. 111 ff. mit statistischen Angaben; Voß, S. 85ff. Insgesamt handelt sich bei den gesetzlichen Reformen um einen politischen Zick-zackKurs, der ohne klare Linie mal Einschnitte im Leistungsbereich, das heißt die Reduzierung der medizinischen Versorgung der Versicherten, mal Änderungen bei der Leistungserbringung, das heißt Sparmaßnahmen gegenüber den Ärzten und Krankenhäusern, vorsieht, deren Effizienz und Nachhaltigkeit zweifelhaft ist; kritisch auch Ost!Möhr!Estelmann, S. 91ff.; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, §23 Rn.38; siehe auch unten III. 1101

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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I. Inhaltliche Gestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im Rahmen der GKV 1. Einbindung des Arzt-Patienten-Verhältnisses in das System der GKV Die grundlegende Ausgestaltung der GKV wird vor allem durch die Regelungen in den SGB I und V vorgenommen. 1103 Durch dieses gesetzliche System werden Rahmenbedingungen des zivilrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen Arzt und Patient statuiert. Besteht eine gesetzliche Krankenversicherung, ist der behandelnde Arzt Vertragsarzt, 1104 die versicherten Patienten sind Leistungsempfänger. 1105 Außer dem Behandlungsvertrag zwischen Vertragsarzt und versichertem Patienten bestehen zum einen Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse. Die Krankenkassen sind nach § 4 Abs. 1 SGB V rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. 1106 Infolge seiner beitragspflichtigen Mitgliedschaft erlangt der versicherte Patient Leistungsansprüche gegen seine Krankenkasse. 1107 Die Leistungen bestehen in der Regel aus Sach- und Dienstleistungen, die von den Leistungserbringern erbracht werden (Sachleistungsprinzip). 1108 Die Heilbehandlung der versicherten Patienten ist damit eine Leistung der Krankenkasse, die über die eingebundenen Vertragsärzte oder Krankenhäuser als Leistungserbringer erbracht wird. 1 1 0 9 Daher bestehen zum anderen Rechtsbeziehun1103

Siehe aber auch Art. II § 1 SGB I. Früher Kassenarzt. Die Rechtsstellung als Vertragsarzt wird durch die Zulassung durch den Zulassungsausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung begründet; vgl. §§95 ff. SGB V. 1105 Früher Kassenpatient. Beim versicherten Personenkreis ist zu unterscheiden nach kraft Gesetzes Versicherten (§ 5 SGB V) und freiwillig Versicherten (§ 9 SGB V); zudem sind nach § 10 SGB V Familienangehörige des (Stamm)Versicherten mitversichert; zum Ganzen Ost/ MohrIEstelmann, S 104 ff. 1,06 Zu den Kassenarten weiter §4 Abs.2 i.V.m. (v.a.) §§ 143,147,156,157,165,166,167, 168) SGB V; die Landes- und Bundesverbände der Krankenkassen sind ebenfalls Körperschaften des öffentlichen Rechts; vgl. §§ 207,212 SGB V. Nach §§ 29 ff. SGB IV ist die gesamte Sozialversicherung durch diese körperschaftliche Selbstverwaltung geprägt; vgl. Geis, in: Schnapp (2001), S.66ff., 71 ff. 1107 Vgl. nur §§2, 11, 27 ff. SGB V. 1108 Vgl. schon BVerfGE 11, 30 (31); dazu ausführlich Schulin, in: Schulin, §6 Rn.8ff., 106ff., 223 ff.; kritisch Ost/Mohr/Estelmann, S.97f., die von „SachleistungsverschaffungsPrinzip" sprechen. 1109 Zum Ganzen Schulin, in: Schulin, § 6 Rn. 106 ff., 223 ff. Eigene Einrichtungen der Krankenkassen bestehen dagegen nur ausnahmsweise; vgl. § 140 SGB V. Die ärztliche Behandlungen werden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt, die durch die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und die Kassenärztliche Bundesvereinigung sicherzustellen und durch die Vertragsärzte als Pflichtmitglieder zu erbringen ist; §§75 Abs. 1,72 Abs. 1,95 Abs. 3 Satz 1,77 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Bei Behandlungen in Krankenhäusern durch dort angestellte Ärzte bestehen Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen bzw. deren Verbänden und den Krankenhausträgern. Auch hier darf die Krankenkasse die Leistung nur über zugelassene Krankenhäuser erbringen lassen (vgl. §§ 108 ff. SGB V); dazu ausführlich Heinze, in: Schulin, § 38. Wegen dieser Trennung sind auch beson1104

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

gen zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen. Nach dem SGB V bestehen jedoch, anders als zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen, zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen, zwischen ihnen steht die auf Landesebene gebildete Kassenärztliche Vereinigung. 1 1 1 0 Die vertragsärztliche Versorgung 1111 wird nach § 72 Abs. 2 SGB V im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien der Bundesausschüsse1112 durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen so geregelt, daß eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse gewährleistet ist und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet werden. 1113 Auch die Krankenhausversorgung wird durch ein Vertragssystem gewährleistet, in dem bestimmte Krankenhäuser - ähnlich den (Vertrags)Ärzten - zur Leistungserbringung zugelassen werden. 1114 Die Art und Weise der Durchführung der Krankenhausbehandlung wird durch zweiseitige Verträge zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den Landeskrankenhausgesellschaften 1115 oder den Vereinigungen der Krankenhausträger in den Ländern, 1116 bei Einbeziehung der Kassenärztlichen Vereinigungen durch dreiseitige Verträge 1117 inhaltlich konkretisiert. Unabhängig von den am Vertragsschluß Beteiligten ist der Inhalt all dieser Verträge nicht nur für die Leistungserbrindere Regelungen für den Fall der Beteiligung von Vertragsarzt und Krankenhaus bei einer Behandlung, zum Beispiel beim Belegarzt notwendig (§§ 115 ff. SGB V); vgl. Dolinski, S.27ff.; siehe auch oben Kap. 11. l.a). 1110 Ost/Mohr/Estelmann, S. 131 f.; zum Ganzen auch Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, §25 Rn. 11 ff., 14ff. Die Vertragsärzte sind Pflichtmitglieder, die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder bilden die Kassenärztliche Bundesvereinigung, alle sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; § 77 SGB V. Die Krankenhäuser bzw. Krankenhausträger sind nicht in ein derartiges öffentlich-rechtliches Mitgliedschaftsverhältnis eingebunden; Heinze, in: Schulin, § 38 Rn. 61 (vgl. zu den Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Krankenhausträger § 109, aber auch die §§ 112,115 SGB V). Eine übersichtliche Darstellung der verschiedenen Rechtsbeziehungen bieten auch die Schaubilder in Ost/Mohr!Estelmann, S. 132 oder Schulin/Igl, Rn. 332. 1,11 Diese gliedert sich nach § 73 SGB V in die haus- und fachärztliche Versorgung. 1112 Diese sind nach §92 Abs. 8 SGB V Bestandteil der Bundesmantelverträge, deren Inhalt nach § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB V wiederum Bestandteil der Gesamtverträge nach § 83 SGB V ist; dazu Ebsen, in: Schulin, §7 Rn. 157ff., 110ff.; Funk, in: Schulin, § 38 Rn. 10ff.; zu den Richtlinien der Bundesausschüsse ausführlich unten 2.c). 1113 Hervorzuheben sind die Bundesmantelverträge und die Gesamtverträge auf Landesebene nach § 82 Abs. 1, 83, 87 SGB V; zum Vertragssystem insgesamt sowie den genannten Verträgen Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, §30 Rn. 1 ff., 4ff., 9ff.; Ebsen, in: Schulin, §7 Rn. llOff.; Funk, in: Schulin, §32 Rn. 14, 15ff., 21 ff. I,14 § 108 SGB V; hervorzuheben ist der Abschluß eines Versorgungsvertrags zwischen den Verbänden der Krankenkassen und dem Krankenhausträger nach §§ 108 Nr. 3, 109 SGB V. 1115 § 108 a Satz 1 SGB V; diese sind, ebenso wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft (§ 108 a Satz 2 SGB V), privatrechtliche Vereinigungen. 1116 §112 SGB V. II,7 §113 SGB V.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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gung der Vertragsärzte und Krankenhäuser verbindlich, sondern auch für das Leistungsverhältnis zwischen versicherten Patienten und Krankenkassen. 1118 Unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten und Krankenhäusern können die Patienten indes frei wählen. 1119 Nicht zugelassene Ärzte können grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden. 1120 Nachrangig sieht § 13 SGB V allerdings die Möglichkeit der Kostenerstattung vor, bei der sich der Versicherte die ärztliche Leistung selbst verschafft und sich die entstehenden Kosten von seiner Krankenkasse erstatten lassen kann. 1121 Durch das Sachleistungsprinzip erhalten die Krankenkassen unmittelbaren Einfluß auf die wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit den erforderlichen medizinischen Leistungen.1122 Und angesichts der gesetzlich vorgesehenen Dominanz der Sachleistung1123 ist dieser Einfluß auch in medizinisch-fachlicher Hinsicht weitreichend. Aufgrund der Verträge und Richtlinien erhalten indes neben den Krankenkassen weitere Selbstverwaltungsträger 1124 und aufgrund gesetzlicher Ermächtigung errichtete Gremien 1125 inhaltlichen Einfluß auf das Arzt-Patienten-Verhältnis. Die durch das Konglomerat aus gesetzlichen Regelungen, Richtlinien und Verträgen entstehenden inhaltliche Vorgaben für das Arzt-Patienten-Verhältnis gilt es nun zu präzisieren. 2. Inhaltlicher Einfluß der GKV auf die ärztliche Heilbehandlung a) Gesetzlicher Rahmen von Leistung und Leistungserbringung Ohne weiteres zeigt sich der Einfluß des SGB V und aufgrund des SGB V erlassener Regelungen bei der Vergütung des Arztes. Die Höhe des ärztlichen Vergütungsanspruchs aus §611 Abs. 1 BGB als Äquivalent der ärztlichen Dienstleistung wird nicht individuell mit dem Patienten ausgehandelt und von diesem beglichen. Die Vergütung des Arztes ist vielmehr pauschal und erfolgt im genannten Vertragssystem ohne Beteiligung des Patienten durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, an die seitens der Krankenkasse eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung entrichtet wird. 1 1 2 6 1118

Ebsen, in: Schulin, §7 Rn. 111, 115; Papier, VSSR 1990,128f., 134ff.; vgl. z.B. §§95 Abs. 3 Satz 2, 112 Abs. 2 Satz 2, 115 Abs. 2 Satz 2 SGB V. 1119 § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V; vgl. aber auch § 76 Abs. 2 SGB V. 1120 Anders z. B. in Notfällen; § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V. 1121 Dazu ebenfalls Schulin, in: Schulin, §6 Rn. 106ff.; Ost!Mohr!Estelmann, S. 98 f.; zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Einführung der Kostenerstattung G. Schneider, MedR 1997, 530 ff. m. w.Nw. 1122 Schulin, in: Schulin, § 6 Rn. 114. 1123 Vgl. §§2 Abs. 2, 13 Abs. 1 SGB V. 1124 Z.B. der Kassenärztlichen Vereinigung; vgl. §§77ff. SGB V. 1125 Z.B. der Bundesausschüsse; vgl. §§91 ff., 135 SGB V. 1126 Vgl. §§ 82 ff. SGB V; im Einzelnen dazu Funk, in: Schulin, § 32 Rn. 90 ff.; Krauskopf, in: Laufs/Uhlenbruck, § 32, beide m. w. Nw.; unter dem Aspekt der inhaltlichen Ausgestaltung der Vertragsarzttätigkeit Boecken, in: FS Maurer, S. 1097, 1102ff.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Schwieriger und ungleich diffuser vollzieht sich dagegen der Einfluß bei der Bestimmung der ärztlichen Dienstleistung nach § 611 Abs. 1 BGB. 1 1 2 7 § 11 SGB V bestimmt die Arten der Leistungen der Krankenversicherung. Der Leistungskatalog umfaßt insbesondere Maßnahmen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten, die gesetzlich präzisiert werden. 1128 Derartige ärztliche Leistungen sind nach § 15 Abs. 1 SGB V durch Ärzte zu erbringen. Die beiden zuerst genannten Maßnahmen betreffen den auch im Rahmen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht wichtigen Bereich der Prävention, den es in Zukunft weiter auszubauen gilt. 1 1 2 9 Der Einfluß auf den Inhalt der zivilrechtlichen Verträge zwischen Ärzten und Patienten soll nun am Beispiel der ärztlichen Krankenbehandlungen aufgezeigt werden. Hier bestimmt § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, daß die Versicherten Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Begriff der Krankheit wird gesetzlich nicht definiert, angesichts der insbesondere in § 1 SGB V bestimmten Zielsetzung der GKV wird zutreffend - jedenfalls bislang - allgemein ein weites Begriffsverständnis vertreten. 1130 Die §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-6 SGB V nennen abschließend die Mittel der Krankenbehandlung. 1131 (Auch) die Qualität und Wirksamkeit der Krankenbehandlung hat nach den §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen, den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen und ist nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchzuführen. Zugleich ist das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten.1132 Die entscheidende inhaltliche Gestaltung des Leistungsanspruchs erfolgt nun nicht direkt durch die behandelnden Ärzte, sondern das SGB V ermächtigt zum Erlaß verschiedener untergesetzlicher Normen - Verträge oder Richtlinien - , 1 1 3 3 die eigenständig und für 1127

Vgl. auch Boecken, in: FS Maurer, S. 1098 ff.; Francke, S. 217 ff., 249ff., beide m. w. Nw. 1128 §§ 20ff. (Leistungen zur Verhütung von Krankheiten), 25f. (Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten), 27 ff. (Leistungen bei Krankheit) SGB V; dazu Schulin, in: Schulin, §6 Rn. 153 ff.; ErlenkämperlFichte, S. 336ff. 1129

Vgl. auch Schulin, in: Schulin, §6 Rn. 157 ff. Definierendes Element soll die sog. Regelwidrigkeit des Körper- oder Geisteszustandes sein; vgl. BSGE 39, 166 (167) und allgemein Ost!Mohr!Estelmann, S. 116ff., nach denen ein aufgrund der Finanzknappheit zu befürchtender Versuch der restriktiven Interpretation des Krankheitsbegriffs bislang nicht ernsthaft konstatiert werden konnte. In diesem Zusammenhang ist auch der Ansatz der sog. „ökonomischen Analyse des Rechts" zu beachten; dazu schon oben A Kap. 3 I. 1131 So die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 11/2237, S. 170; dazu auch Schulinllgl, Rn. 300ff.; Ost!MohrIEstelmann, S. 124. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die ärztliche Behandlung (Nr. 1), die Versorgung mit Arzneimitteln (Nr. 3) und die Krankenhausbehandlung (Nr. 5). Die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) wird vom Gesetz selbst konkretisiert und teilweise beschränkt (§§ 31 ff. SGB V). Ermessensleistungen - vgl. §§ 38, 39 SGB I - bestehen bei der GKV zu Recht nur in geringem Umfang. 1132 §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 SGB V; dazu sogleich b). 1133 Zum Normcharakter vgl. nur Funk, in: Schulin, § 32 Rn. 8 ff. m. entspr. Nw. 1130

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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die Ärzte und Patienten verbindlich die Art und Weise der Heilbehandlung, das heißt die Leistungserbringung durch die Vertragsärzte und Krankenhäuser beeinflussen und dadurch mittelbar die Leistungsansprüche der versicherten Patienten begrenzen. 1134 Der Anspruch des Versicherten auf Krankenbehandlung wird insoweit als Rahmenrecht eingeordnet, das einem besonderen Konkretisierungsverfahren durch Normgeber unterhalb der Stufe von Verordnungsgebern unterworfen sei, 1135 wie allgemein das SGB V nur die „Grundlinien" des Vertragsarztrechts regele. 1136 Zur Vermeidung terminologischer Unsicherheiten ist klarzustellen, daß die Regelungen des SGB V keine Rahmengesetze nach Art. 75 GG sind, sondern aufgrund des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 (ggf. mit Nr. 19 a) GG erlassen wurden. Organisationsrechtlich ist jedenfalls keine Sperre gegen detaillierte Regelungen des Bundesgesetzgebers errichtet. Die weitere und abschließende Konkretisierung der Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber dem versicherten Patienten erfolgt durch den behandelnden (Vertrags)Arzt. Nach dem Bundessozialgericht verdichtet sich das gesetzliche Rahmenrecht des § 27 SGB V erst dann positiv zum durchsetzbaren Einzelanspruch, wenn der - an Stelle der Krankenkasse kraft gesetzlichem Auftrag handelnde - Leistungserbringer festgelegt hat, welche Sach- und Dienstleistungen zur Wiederherstellung oder Besserung der Gesundheit notwendig sind. 1137 b) Insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellen die Krankenkassen die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung. § 12 Abs. 1 SGB V präzisiert dies dahingehend, daß die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot bindet die behandelnden Ärzte unmittelbar 1138 und ist weiter ein leitender Maßstab für die untergesetzliche Normsetzung nach dem SGB V. 1 1 3 9 1134 Hervorzuheben sind die Richtlinien der Bundesausschüsse, die Verträge im Rahmen der Krankenhausbehandlung sowie die Tätigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung; dazu unten c). 1135 Vgl. BSGE 73, 271 (279ff.); Ost/Mohr!Estelmann, S. 124; Schwerdtfeger, NZS 1998, 49ff., 97 ff. 1136 BVerfGE 78, 165 (166); BSGE 58, 18 (22). Die Entscheidungen ergingen zum Kassenarztrecht der RVO; an der Regelungsstruktur hat sich aber durch das SGB V nicht geändert; ebenso Wimmer, NJW 1995, 1577. 1137 BSG, NJW 1999,1805 (1807 f.) m. w.Nw. zurRpsr. unter Berufung auf eine inzwischen st. Rspr. 1138 Vgl. § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V; zur Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots ausführlich Voß, S.89ff. 1,39 Vgl.nur§§4Abs.4,92Abs. 1 Satz 1,106,112 Abs.2Satz 1 Nr.3,113,135 Abs.l Satz 1 Nr. 1 SGB V. Im Zusammenhang zu nennen ist z.B. das Festbetragssystem der §§ 35 ff. SGB V, für Arzneimittel verbunden mit der Verpflichtung zur Übernahme der Mehrkosten nach § 73 Abs. 5 SGB V, das die ärztliche Behandlung der Versicherten erheblich steuert; Boecken, in: FS

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

Bereits die in § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Kriterien lassen sich nur schwer miteinander in Einklang bringen. 1140 Noch schwieriger wird es jedoch bei der Einbeziehung der weiteren, ebenso wichtigen Grundvorgaben der §§ 1, 2 Abs. 1 Satz 2, Satz 3, 27 Abs. 1 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1,70 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nach denen die Leistungen und die Versorgung umfassend zu erbringen sind, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse sowie den Regeln der ärztlichen Kunst zu entsprechen sowie den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. 1141 Zudem ist nicht nur das Verhältnis der Kriterien zueinander problematisch, sondern schon der rechtliche Rang bei der Leistung und Leistungserbringung unklar: Während in § 2 Abs. 1 SGB V das Zur-Verfügung-Stellen der Leistung von vornherein unter die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gestellt wird, ordnet § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V die entsprechende Bindung erst bei der Erbringung der Versorgung an. 1142 Steht danach gegenüber den Patienten schon die Auswahl der Leistungen unter dem Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit oder kann eine nicht durch das Kriterium der Wirtschaftlichkeit in ihrer Auswahl beschränkte Versorgung stattfinden, die nur in der Folge wirtschaftlich zu erbringen ist? Im letzteren Sinne ordnet § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V an, daß die ärztliche Behandlung den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen muß und in diesem Rahmen ausreichend und zweckmäßig durchzuführen ist. Aufgrund der wechselseitigen Beziehung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse, denen die Leistungen zu entsprechen haben, mit den Regeln der ärztlichen Kunst, die zugleich Anknüpfungspunkt der zivilund strafrechtlichen Sorgfaltsanforderungen sind, 1143 sowie des Leitmaßstabes „Heilerfolg des versicherten Patienten" ist ein vorgreiflicher Wirtschaftlichkeitsvorbehalt ausgeschlossen. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot und seinem Einsatz als Instrument zur Kostenreduzierung bei der Leistung und der Leistungserbringung werden also schon durch das SGB V Grenzen gesetzt. Sie werden durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben bestätigt.1144 Davon ausgehend sind die weiteren Kriterien des § 12 Abs. 1 SGB V durchaus inhaltlicher Bestimmung zugänglich. Unter Beachtung der ärztlichen Behandlungsmaßstäbe ist eine medizinische Maßnahme nur ausreichend und zweckmäßig, wenn sie hinreichende Heilerfolgsaussichten besitzt.1145

Maurer, S. 1097 ff. Die maßgebliche inhaltliche Bestimmung erfolgt auch hier durch Richtlinien (§§ 35,92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V) oder durch das Verfahren der Entschlußfassung der Spitzenverbände (§§ 36, 213 Abs. 2 SGB V); zu den Richtlinien unten c). 1140 Letztlich stehen die Begriffe in untrennbarem Zusammenhang, so daß eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist; vgl. BSGE 17,79 (84, ausgehend vom Begriff der Wirtschaftlichkeit). 1141 Kritisch auch Schulin, in: Schulin, §6 Rn. 19 ff. 1142 Da ärztliche Behandlung erfolgt am Patienten, so daß sich für diesen die vertragsärztliche Versorgung nach §§72, 73 SGB V als Teil der Leistungen der Krankenversicherung nach §§2, 11 SGB V darstellt. 1143 Vgl. §76 Abs. 4 SGB V und oben Kap. 1, Kap. 2. 1144 Dazu unten II. l.a). 1145 v g l auch Voß, S. 91, nach Neugebauer, S. 67 ist die qualitative Eignung eine Frage der Zweckmäßigkeit.

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Die Grenze der Anwendung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse darf nicht unterschritten werden, 1146 wie auch die ärztliche Behandlung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V den Regeln der ärztlichen Kunst zu entsprechen hat. Nur in diesem Rahmen kann sie ausreichend und zweckmäßig durchgeführt werden. 1 1 4 7 Das Gebot ausreichender Leistung legt somit die Untergrenze der Leistungsgewährung fest, während die Zweckmäßigkeit die Geeignetheit im Hinblick auf die medizinische Indikation und gesetzlichen Zielvorgaben ausdrückt und das „nicht zu überschreitende Maß des Notwendigen" die Obergrenze der Leistungen bestimmt, die zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden können. 1148 Können die einzelnen Kriterien danach zur Bewältigung relativ eindeutiger Fälle herangezogen werden, so ist eine Gesamtbetrachtung dann Vorzugs würdig, wenn in diesen Kriterien schwer zu verortende Aspekte, zum Beispiel die UnWirtschaftlichkeit unzureichender Prophylaxe, Diagnose oder Therapie, oder die Gegenüberstellung der Kosten alternativer Behandlung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Heilungsdauer, zu berücksichtigen sind. Insgesamt ergibt sich nach dem Gesagten aber ein durchaus brauchbarer Auslegungsmaßstab für alle Leistungsarten nach § 11 SGB V, der den Bereich des präventiven Rechtsgüterschutzes umschließt. Bereits aus dem gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsgebot folgt daher ein VorTang der Prävention vor der Krankheitsbehandlung bei der gesetzlichen Aufgabenerfüllung nach dem SGB V, 1 1 4 9 der wiederum durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben bestätigt wird - dazu unten II. c) Normative unter gesetzliche Vorgaben am Beispiel der Richtlinien der Bundesausschüsse Für die vorliegende Untersuchung reicht es aus, das Problem des inhaltlichen Einflusses auf die ärztliche Heilbehandlung durch untergesetzliche Vorgaben anhand der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen 1150 aufzuzeigen. Da diese nach § 92 Abs. 8 SGB V in das Vertragssystem einbezogen werden, erstrecken sich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Richtlinien ohnehin auf die vertragliche Normsetzung. 1151 Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen wird gemäß § 91 Abs. 1 SGB V durch die Kassenärztliche Bundes Vereinigung, die Bundesverbände der Krankenkasssen, die Bundesknappschaft und die Verbände der Ersatzkassen gebildet. Der Bundesausschuß besteht nach § 91 Abs. 2 SGB V aus insgesamt 18 Vertre1146

§§2 Abs. 1 Satz 3, 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V; dazu schon soeben. Ähnlich Schulin, in: Schulin, § 6 Rn. 19 ff. 1148 Vgl. Voß, S. 91 ff. m. w. Nw. 1149 Ebenso Erlenkämper/Fichte, S. 337. 1150 Nach § 91 SGB V wird neben diesem ein Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen gebildet. 1151 Vgl. Papier, VSSR 1990, 134 ff. sowie unten II. Dasselbe gilt für die Verpflichtung zur verbindlichen Übernahme der Richtlinien und Verträge in die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 81 Abs. 3 SGB V. 1147

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tern der Krankenkassen und der Ärzte sowie drei unparteiischen Mitgliedern, darunter der Ausschußvorsitzende. 1152 Der Bundesminister der Gesundheit führt nach § 91 Abs. 4 SGB V die Aufsicht über die Geschäftsführung. Der Bundesausschuß beschließt nach § 92 Abs. 1 Satz 1 die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. In § 92 Abs. 1 Satz 2 SGB V werden beispielhaft Bereiche genannt, in denen entsprechende Richtlinien beschlossen werden sollen. Hervorzuheben im hier untersuchten Kontext sind die Richtlinien über die ärztliche Behandlung (Nr. 1), über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (Nr. 5) und die Verordnung von Krankenhausbehandlung (Nr. 6). Einen Sonderfall betrifft die Beurteilung besonderer Therapierichtungen. Hier hat der Gesetzgeber auf die verschiedenen medizinischen Grundansätze Rücksicht genommen und keine Vorgabe für eine bestimmte Therapierichtung und damit keine Aussage zur objektiven Richtigkeit eines Denkansatzes gemacht.1153 § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V läßt ausdrücklich neben der Schulmedizin auch besondere Therapierichtungen zu. 1 1 5 4 Bestätigt wird deren Anerkennung durch §§92 Abs. 2 Satz 4, Satz 5 SGB V, 1 1 5 5 wonach im Rahmen des Richtlinienerlasses bezüglich Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen die Stellungnahmen von Sachverständigen dieser Therapierichtungen einzubeziehen sind. 1156 Innerhalb der jeweiligen Therapierichtung wird die Art und Weise der Behandlung jedoch durch die Richtlinien der Bundesausschüsse, zum Beispiel nach den §§92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8 SGB gesteuert. Ebenso wird die Qualität der vertragsärztlichen Versorgung nach § 136 a SGB V durch Richtlinien nach § 92 SGB V bestimmt. 1157 Der Vertragsarzt und der zu behandelnde versicherte Patient werden damit durch das Richtliniensystem bei der Auswahl und der fachlichen Durchführung der möglichen Heilbehandlungen beschränkt. Besonders problematisch sind die Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, da diese zu1152

Die Vertreter der Ärzte werden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die Vertreter der Krankenkassen von den in § 91 Abs. 1 SGB V genannten Verbänden der Krankenkassen bestellt. Über die unparteiischen Mitglieder sollen sich die in §91 Abs. 1 SGB V Genannten einigen; kommt keine Einigung zustande, werden sie vom Bundesminister für Gesundheit im Benehmen mit den Genannten berufen; im Einzelnen §91 Abs. 2 SGB V; kritisch unter dem Aspekt der Beteiligung der versicherten Patienten Oldiges, in: Schnapp (2000), S. 64ff.; Francke, S. 230. 1153 Ausführlich BSGE 73, 66 (72f.) m. w.Nw. 1154 Z.B. die Naturheilkunde; BSGE 73, 66 (72). 1,55 § 92 Abs. 2 konkretisiert § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V. 1156 Hieraus folgt, daß auch die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung (vgl. §§2 Abs. 1 Satz 1, 12 SGB V), wie auch der allgemeine Stand der medizinischen Wissenschaft (vgl. §§2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) nur therapierichtungsspezifisch beurteilt werden kann; ebenso BSGE 73, 66 (72ff.); Zuck, NJW 1991, 2935. 1157 Auch diese sind nach § 135 a SGB V für die Vertragsärzte verbindlich; dazu Francke, S.216ff.

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gleich § 135 Abs. 1 SGB V unterliegen. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen danach nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuß in seinen Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung im Sinne des §§ 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3 SGB V abgegeben hat. Nach dem Bundessozialgericht stellt § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V allerdings nicht nur einen Abrechnungsausschluß dar, sondern ist „in der Art eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt gefaßt". 1158 Spoerr interpretiert diese Aussage wohl zutreffend als Etablierung eines Leistungsausschlusses mit striktem Verbotscharakter. 1159 Zuvor hatte das Bundessozialgericht schon das Regelungsgefüge von SGB V und Richtlinien mit ihrer normativen Wirkung und Bindung nicht nur der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen, sondern auch der Vertragsärzte und Versicherten als verfassungsgemäß angesehen. 1 1 6 0 Zu der Qualifizierung der § § 135 Abs. 1 i.V. m. 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V als Verbot mit Erlaubnis vorbehält führt das Bundessozialgericht aus, daß neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht nur von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen seien, bis der Bundesausschuß sie als zweckmäßig anerkannt habe, sondern schon nicht als Leistung erbracht werden dürften. 1161 Bei der Verbindung mit den Leistungsansprüchen der Versicherten nimmt das Gericht unter Berufung auf § 2 Abs. 2 SGB V an, daß eine nicht empfohlene Behandlungsmethode keine Behandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V darstelle, die der Versicherte als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung beanspruchen könne. 1162 Für das Verhältnis zwischen Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht folgt daraus, daß der Versicherte seinen Leistungsanspruch nur innerhalb der Vorgaben des Leistungserbringungsrechts verwirklichen kann, was sich maßgeblich aus der doppelten Verpflichtung der Vertragsärzte als Leistungserbringer gegenüber den Versicherten und den Krankenkassen ergibt. Mit der Leistung an den Versicherten erfüllt der Arzt sowohl die Leistungsverpflichtung der Krankenkasse, als auch seine eigene, aus der Kassenzulassung folgende Verpflichtung, krankenversicherte Patienten nach Maßgabe der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Vorschriften zu behandeln. Bei einem Ineinandergreifen verschiedener Rechtsbeziehungen würden unterschiedliche Leistungsstandards zu unüberbrückbaren Widersprüchen führen. 1163 Eine Durchbrechung des Sachleistungsprinzips 1158 1159

BSG, NJW 1999, 1805 (1806ff.); siehe auch BSG, NJW 1998, 2765. Spoerr, NJW 1999, 1773 f. in kritischer Auseinandersetzung mit der Judikatur des

BSG. 1160 BSG, MedR 1997,123; bestätigt durch BSG, NJW 1999,1805 (1808 f.). Schnapp, in: FS Krasney, S.457f., 460 f. bezweifelt die Kompetenz der Bundesausschüsse zur Normsetzung und nimmt eine Verbindlichkeit der Richtlinien durch Inkorporation an (z. B. als Bestandteil der Bundesmantelverträge nach § 92 Abs. 8 SGB V), so daß die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dynamischer Verweisungen zu klären ist; dazu unten II. 1161 BSG, NJW 1999, 1805 (1807 f.). 1162 BSG, NJW 1999, 1805 (1807). 1163 BSG, NJW 1999,1805 (1807 f.); ebenso bereits BSG, MedR 1997,123 (126), nach dem durch Richtlinien auch Regelungen über Leistungsansprüche der Versicherten getroffen werden können; dem folgend z.B. Ebsen, in: Schulin, §7 Rn. 162; dagegen wird z.T. ein Vorrang

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

nach den §§ 2 Abs. 2,13 SGB V könne ausnahmsweise in dem Umfang bestehen, in dem ein Systemversagen oder ein Systemmangel besteht, das heißt zur Schließung unbeabsichtigter oder unvorhergesehener Versorgungslücken. 1164 Ein Vorrang eines „höherrangigen" Leistungsrechts gegenüber einem „minderwertigem" Leistungserbringungsrecht soll sich gerade nicht aus der Berufung auf die Zweckmäßigkeit einer Behandlung und der Möglichkeit der Kostenerstattung herleiten lassen.1165 Diese Rechtsprechung führt dazu, daß den Versicherten nicht durch Richtlinien empfohlene ärztliche Behandlungen als Leistung der Krankenkasse verwehrt bleiben, wie auch eine Kostenerstattung außer Betracht bleibt. Im Rahmen der Vertragsfreiheit zwischen Arzt und Patient kann eine derartige Behandlung dagegen vereinbart werden, 1166 so daß die beschriebene Reglementierung wohl mehr den Schutz der Versichertengemeinschaft in Form einer Stärkung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes als den Schutz der Versicherten vor unerprobten Methoden, deren Nebenwirkungen von ihren Befürworten nicht immer richtig eingeschätzt werden, bezweckt. 1167 Selbst wenn ein verfassungsrechtlicher Anspruch eines Versicherten auf eine bestimmte Behandlung als Leistung der Krankenkasse oder auf eine Kostenerstattung verneint wird, 1168 bestehen doch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsetzung und gesetzlichen Verweisung. Diese ergeben sich zum einen aus der durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten ärztlichen Berufsfreiheit 1169 und zum anderen, bestätigt durch die vom Bundessozialgericht angenommene Schutzgewährung zu Gunsten der versicherten Patienten, aus verfassungsrechtlichen Vorgaben zu Gunsten der Versicherten. 1170 Die verfassungsrechtliche Relevanz der GKV für die Patienten kann auch nicht durch den Hinweis auf die Möglichkeit der ärztlichen Heilbehandlung außerhalb der GKV entkräftet werden.

des Leistungsrechts vor dem Leistungserbringungsrecht angenommen; Schulin, in: Schulin, § 6 Rn.99ff., 105 m.Bsp.; Estelmann/Eicher, SGB 1991, 255f. 1164 BSG, NJW 1999, 1805 (1806, 1808 [Systemversagen], 1809 [Systemmangel]). Widersprüchlich weiter, daß § 13 Abs. 3 SGB V zunächst nur als Instrument zur Schließung unbeabsichtigter oder unvorhergesehener Versorgungslücken angesehen wird (S. 1808), während an anderer Stelle sein Eingreifen auch bejaht wird, wenn das Verfahren willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert wird (S. 1809). 1165 BSG, NJW 1999, 1805 (1808). 1166 Eine entgegen den Richtlinien nach entsprechender Aufklärung bzw. ordnungsgemäßer Beratung des Patienten durchgeführte ärztliche Behandlung kann disziplinarisch nicht bestraft werden, derart absolute Richtlinien sind rechtswidrig; BSGE 73, 66. 1167 Nach BSG, NJW 1999, 1805 (1806f.) sind beide Zwecke gleichermaßen wichtig. 1168 So BVerfG, MedR 1997, 318 (319). 1169 Dazu unten II. l.b). 1170 Dazu unten II. l.a).

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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d) Inhaltlicher Einfluß durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen Der Medizinische Dienst wird nach § 278 Abs. 1 SGB V als Arbeitsgemeinschaft der verschiedenen Kassenarten 1171 in jedem Bundesland in Form einer rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet, die nach § 278 Abs. 2 SGB V auch seine Mitglieder sind. Gemäß § 282 SGB V erfolgt eine Koordinierung der Medizinischen Dienste der Länder auf Bundesebene. Der Medizinische Dienst unterliegt - wie die Krankenkassen selbst - nach § 281 Abs. 3 SGB V nur der behördlichen Rechtsaufsicht. 1172 Durch die Einbindung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen nach den §§ 275 ff. SGB V in die Aufgabenerfüllung der Krankenkassen findet eine fachliche Kontrolle der vertragsärztlichen und Krankenhausversorgung statt. 1173 Der Medizinische Dienst ist für die durch die §§ 275, 275 a SGB V zugewiesenen zahlreichen Aufgaben medizinisches Kontrollorgan und gibt im Einzelfall gutachterliche Stellungnahmen ab, die gemäß § 275 Abs. 5 Satz 2 SGB V aber nicht in die ärztliche Behandlung eingreifen dürfen. Im übrigen kommt den Medizinischen Diensten umfassende beratende Funktion zu. 1174 Infolgedessen sind die Überprüfungen durch den Medizinischen Dienst vor allem für den Inhalt der zukünftigen Leistungen und die zukünftige Leistungserbringung bedeutsam. Die Ärzte des Medizinischen Dienstes sind bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nach § 275 Abs. 5 Satz 1 allerdings nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Diese Regelung soll nach § 281 Abs. 3 Satz 3 SGB V auch vor der Rechtsaufsicht Bestand haben. M. E. hat eine derartige Beschränkung auf ausschließlich ethische Maßstäbe angesichts der grundrechtlichen Schutzpflicht und ihrer normativen Wirkungen keinen Bestand.1175 § 275 Abs. 5 Satz 1 SGB V ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß die für die öffentlich-rechtliche Körperschaft tätigen Ärzte die gesetzlichen und grundrechtlichen Vorgaben zu beachten haben und nur fachlich unabhängig urteilen sollen.

1171 Landesverbände der Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen, landwirtschaftliche Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen. 1172 Der für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörde des Landes; neben § 274 SGB V gelten die §§87 Abs. 1 Satz 2, 88, 89 SGB IV entsprechend. 1173 § 275 SGB V knüpft an den Vertrauensärztlichen Dienst nach § 369 b RVO an, die Funktion und Stellung der Medizinischen Dienste wurde in den §§275 ff. SGB V jedoch gebündelt und verstärkt. 1174 Vgl. §275 Abs. 4 SGB V; vgl. auch Erlenkämper!Fichte, S. 366ff.; zu Aufgaben und Funktion des Medizinischen Dienstes ausführlich Rebscher, in: Schulin, § 46. 1175 Dazu schon ausführlich oben; in Betracht kommt daher eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, daß die für die öffentlich-rechtliche Körperschaft tätigen Ärzte die gesetzlichen und grundrechtlichen Vorgaben zu beachten haben und nur fachlich unabhängig urteilen sollen.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

II. Verfassungsrechtliche Kritik Der Gesetzgeber hat sich bei der Gestaltung des Systems der GKV darauf beschränkt, ein institutionelles Gefüge zu schaffen und die verschiedenen Rechtsbeziehungen der Beteiligten zu ordnen. Zur Aufgabenerfüllung und Konkretisierung der gesetzlichen Leitlinien 1176 wird kein eigener, fachlich kontrollierbarer Behördenapparat installiert, sondern auf die Bewältigung durch die überwiegend körperschaftlich organisierten und mit Selbstverwaltungsbefugnissen ausgestatteten Beteiligten, die dazu eigene Gremien errichten und komplexe Verträge abschließen, vertraut. Während im allgemeinen Zivil- und Strafrecht der Rechtsgüterschutz des Patienten unabhängig von seiner Gegenleistung (ärztliches Honorar) durch gesetzliche oder gerichtliche Verbote bestimmter Behandlungen, vor allem aber die gerichtliche Konkretisierung ärztlicher Leistungspflichten sichergestellt wird, kann nach dem SGB V schon der Leistungsanspruch der versicherten Patienten von vornherein beschränkt sein. 1177 Zusammen mit der inhaltlichen Beeinflussung der Heilbehandlung findet dadurch eine Beschränkung der Privatautonomie beider Vertragsparteien statt. Hieraus wird geschlossen, daß sich die ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte gegenüber dem System der GKV gegenseitig verstärken, wie generell die grundrechtliche Mehrdimensionalität die Anforderungen an den Umfang parlamentarischer Regelungen hebt. 1178 Ob dem insbesondere die gesetzliche Delegation von Entscheidungskompetenzen zur Beschränkung von Leistung und Leistungserbringung genügt, ist fraglich. 1179 1. Inhaltliche Gestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch die GKV Der Einfluß auf das Arzt-Patienten-Verhältnis ist sowohl für Ärzte als auch Patienten verfassungsrechtlich relevant. 1180 Der Inhalt der ärztlichen Heilbehandlung wird zwischen den Parteien nicht mehr vertraglich autonom nach den §§133, 157 1176

Zu deren Funktion aus Verständnis- und Auslegungshilfen Schulin, in: Schulin, §6

Rn. 4 ff. 1177 Vgl. dazu BVerfG, NJW 1997,3085, in der das Gericht einen Anspruch des Versicherten auf Kostenübernahme (in LS 1 sogar „auf Bereitstellung spezieller Gesundheitsleistungen") aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mangels Verschreibungsfähigkeit aufgrund versagter arzneimittelrechtlicher Zulassung (§ 25 Abs. 2 AMG) des Präparats verneint. 1178 Wimmer, NJW 1995, 1579, 1582. 1179 Ablehnend auch Wimmer, NJW 1995, 1577ff.; MedR 1996, 425 ff.; Ossenbühl, NZS 1997, 497 ff.; Papier, VSSR 1990, 123 ff.; Hill, NJW 1982, 2104; fachspezifischer Schulin, JZ 1992,419ff.; umfassend Hiller, S.79ff., 111 ff., 127 ff. Das BSG hat nach Einschätzung von Wimmer, MedR 1996, 425 m. entspr. Nw. zur Rspr. die verfassungsrechtliche Determinierung lange Zeit vernachlässigt und erst in jüngerer Zeit vertieft: vgl. z. B. BSG, JZ 1992, 416 (417f.). Für Verfassungsmäßigkeit aus der Literatur z.B. Clemens, NZS 1994,344f.; Schnapp, in: FS Krasney, S.437 ff.; Oldiges, G + G 1998, 28ff. (letzterer allerdings ohne Begründung). 1180 Vgl. auch Francke, S.210ff., 221 ff., 236ff., 257ff., 266ff. m. w.Nw.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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BGB in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB festgelegt, sondern ist durch die beschriebenen Steuerungsfaktoren vorgeprägt. Mit der Beschränkung der Privatautonomie der Vertragsparteien gehen Beschränkungen der ärztlichen Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und der GesundheitsVersorgung der Patienten einher. a) Grundrechtsschutz

der gesetzlich versicherten Patienten

Der Grundrechtsschutz der versicherten Patienten wird im Bereich der Krankenbehandlung unbedenklich gewährleistet, solange und soweit die Leistungspflicht der Krankenkassen umfassend ist und die Leistungserbringung durch die Vertragsärzte und Krankenhäuser auf einem qualitativen Niveau erfolgt, auf dem ein wirksamer Rechtsgüterschutz der Patienten gewährleistet ist. Angesichts der Geltung des Vorbehalts des Gesetzes ist auf diesem hohen Schutzniveau nur zu erörtern, ob die gesetzlichen Delegationen bei der Festlegung der Inhalte ärztlicher Leistungen verfassungsgemäß sind. Verfassungsrechtlich problematisch wird die inhaltliche Steuerung der Heilbehandlung, wenn der Umfang und die Qualität der vertragsärztlichen Leistungen bzw. der Krankenhausbehandlungen reduziert und beschränkt werden. Dabei ist die grundrechtliche Ausgangslage der Patienten verschieden von der bislang untersuchten staatlichen Schutzgewährung, in der die Patienten vor Grundrechtsbeeinträchtigungen der Ärzte geschützt werden. Vorliegend werden die in die gesetzliche Gesundheitsversorgung eingebundenen Ärzte hoheitlich zur Leistungsbeschränkung verpflichtet. Es geht damit nicht um grundrechtliche Schutzdefizite, die durch staatliche Maßnahmen behoben werden, sondern der Staat reduziert sein ehedem hohes Schutzniveau im Hinblick auf den Umfang und die Qualität der ärztlichen Versorgung. Die Rückführung staatlichen Schutzes stellt wie das Unterlassen oder ein Zuwenig an Schutz einen Eingriff in die Grundrechte der versicherten Patienten dar, wenngleich dieser nicht an Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG zu messen ist. 1181 Parallel besteht in der privatrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient die Schutzpflichtkonstellation, die bei der Rückführung der Leistungen der Krankenkassen nicht ausgeblendet werden darf. 1182 Daher wird der Patientenschutz verfassungsrechtlich nicht nur durch den Schutz seiner Mitgliedsbeiträge seitens Art. 14 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip gemäß den Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG gewährleistet. 1183 In diesem Rahmen wären in 1181 Dies ist nur gegeben, wenn der Patient eine notwendige Heilbehandlung nicht privat finanzieren kann oder sie ihm durch den behandelnden Arzt vorenthalten werden muß; zur Anwendung des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG bei der Erfüllung der Schutzpflicht oben A Kap. 2 II. 2. Für die Annahme der Schutzpflichtkonstellation auch hier z.B. BVerfG, MedR 1997, 318 (319); Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 118 ff.; a. A. Francke, S. 242ff., 268, der daneben aber auch das Eingreifen der grundrechtlichen Schutzpflicht bejaht (S.210f., 221, 239f.). 1182 Dies betonend v.a. Francke, S.221, 239. 1183 Vgl. Merten, in: Schulin, § 5 Rn. 67 ff., 17 ff., der die Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG nur im Hinblick auf das menschenwürdige Existenzminimum anführt; § 5 Rn. 65 f.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

der Tat weitgehendere Beeinträchtigungen zu Lasten der Gesundheitsversorgung und mittels des Vertragsverhältnisses zwischen Arzt und Patient zulässig als bei Eingriffen in die körperlichen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 GG. 1 1 8 4 Dementsprechend wird im Schrifttum zum Teil betont, daß sich aus der Ausgestaltung des Sozialstaatsprinzips in Form der GKV keine originären, sondern nur derivative Ansprüche des Patienten ergeben. 1185 Vor allem gegenüber einer Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips durch eine Verbindung mit den Grundrechten besteht Zurückhaltung. 1186 M. E. wird der verfassungsrechtliche Rahmen, in dem sich die Leistungsbeschränkungen bewegen, aber auch durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gezeichnet. Unabhängig von konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch die Ärzte geht es bei der Ausgestaltung des Systems der GKV um Gesundheitsversorgung und damit um einen allgemeinen Schutz der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, die das Selbstbestimmungsrecht der versicherten Patienten umfassen. 1187 Daher wird die Bestimmung des Umfangs und der Art und Weise der Krankenbehandlung von der Bedeutung der körperlichen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 geprägt. 1188 Dies wird schon durch die gesetzlichen Verpflichtungen zum Erhalt, der Wiederherstellung und Verbesserung des Gesundheitszustandes1189 und zur Leistungserbringung nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts 1190 sowie nach den Regeln der ärztlichen Kunst bestätigt.1191 Die GKV nimmt den grundrechtlich vorgegebenen wirksamen Rechtsgüterschutz durch Einsatz der bestehenden medizinischen Möglichkeiten auf. Ihre gesetzliche Schaffung kann nicht als Argument für eine Rückführung des 1184 Insbesondere das BVerfG erkennt im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung als eingriffslegitimierenden Grund an; vgl. z. B. BVerfGE 53,257 (293); 58, 81 (110); 75,78 (98); kritisch gegen die Annahme derart weitgehender Gestaltungsfreiheit aber z. B. Merten, in: Schulin, § 5 Rn. 70 m. w. Nw. Auch Schulin, in: Schulin, §6 Rn. 41 wendet sich ausdrücklich gegen die Annahme, daß die ausschließliche Funktion der Krankenversicherung der Individualschutz sei; zurückhaltend auch Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 118ff.; großzügigerFrancke, S.210f., 239ff. 1185 Vgl. Merten, in: Schulin, §5 Rn.25. 1186 Vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art.20 Rn. 102f., 113; Merten, in: Schulin, §5 Rn.47; weitergehend aber z.B. Seewald, Verfassungsrecht, S.72ff. 1,87 So vor allem Francke, S. 210f., 221 ff., 239ff., 266ff.; auch Taupitz, in: Wolter/Riedel/ Taupitz, S. 118 führt Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG an; Merten, in: Schulin, § 5 Rn. 64 betont dagegen Art. 1 Abs. 1 GG auch in Bezug auf die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp (2000), S.77 weist auf die bislang spärliche Beachtung der Grundrechte der Versicherten hin. 1188 Weitergehend Francke, S. 239ff., 267 f., der die qualitative Seite des ärztlichen Versorgungsangebots an der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die Beschränkungen des Leistungsrechts am abwehrrechtlichen Prüfungsmaßstab des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mißt. 1189 1190 1191

§ 1 Satz 1 SGB V. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V. §28 Abs. 1 Satz 1 SGB V.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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Rechtsgüterschutzes außerhalb der Bindungen des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eingewendet werden. Gerade weil die GKV grundsätzlich den gesamten Bereich ärztlicher Krankenbehandlungen erfaßt 1192 und damit umfassend ist, 1193 können die Patienten de lege lata auch nicht ohne weiteres auf die Alternative ärztlicher Heilbehandlungen ohne gesetzlichen Versicherungsschutz verwiesen werden. 1194 Der im Schrifttum auch angeführte Art. 1 Abs. 1 GG 1 1 9 5 stellt insoweit nur eine hinter Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehende, absolute Sperre gegen die Verweigerung gänzlicher öffentlicher Fürsorge und gänzlichen Gesundheitsschutzes durch die staatlich organisierte Gesundheitsversorgung dar. Infolgedessen sind die bestehenden Regelungen der §§ 2 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4, 12, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V von Verfassungs wegen im Sinne der bestmöglichen und dynamischen Gesundheitsversorgung auszulegen. Die medizinische Versorgung muß durch die Vertragsärzte und Krankenhäuser nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik erbracht werden. Durch den Verweis auf den allgemein anerkannten Stand können Neulandverfahren, Außenseitermethoden oder Heilversuche nur solange ausgeschlossen werden, als im Einzelfall eine bewährte Behandlungsalternative zur Verfügung steht. Der gleichzeitigen Verpflichtung zur Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts ist daher in Ausnahmefällen ein Dispens zu entnehmen.1196 In diesem Rahmen sind die ärztlichen Heilbehandlungen wirtschaftlich durchzuführen, während das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht zu qualitativ niedrigeren Behandlungen ermächtigt. Über § 12 SGB V können keine Eingriffe in die körperliche Ünversehrtheit des Patienten gerechtfertigt werden. 1197 Gegenüber der Anerkennung eines verfassungsrechtlichen Ranges des Wirtschaftlichkeitsgebots 1198 ist insoweit Zurückhaltung angebracht. Das Bestehen der GKV wird zwar durch das Sozialstaatsprinzip und Art. 87 Abs. 2 GG gewährleistet, 1199 so daß auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Sinne einer existentiellen Grundlage von Verfassungs wegen geboten ist. Daraus folgt jedoch weder ein allgemeiner Vorrang der Wirtschaftlichkeit vor der qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, noch ein konkreter Vorrang bei einzelnen Krankenbehandlungen. 1200 Auch Voß hat angesichts des grundrechtlichen Schutzes 1192

Vgl. v.a. §11 SGB V. Schulin, in: Schulin, § 6 Rn. 153. 1194 Ähnlich Francke, S. 243, der der Beitragsvorleistung eine erhebliche faktische Wirkung hinsichtlich der Durchführung der Heilbehandlungen im Rahmen der GKV zumißt; insoweit erlangt die grundrechtlich geschützten Patientenautonomie Bedeutung; vgl. Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 131 f. 1195 Vgl. Merten, in: Schulin, §5 Rn.64. 1196 Ähnlich Laufs, Arztrecht, Rn.490ff.; Schulin, in: Schulin, §6 Rn.20ff.; a. A. Voß, S. 141. 1197 Dem widerspricht nicht, daß BVerfG, MedR 1997, 318 eine Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten bei der Therapiewahl wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots für zulässig hält. 1198 So Voß, S. 95 unter Verweis auf BVerfGE 68, 193 (218); 70, 1 (26, 30); 77, 84 (107). 1199 Dazu F. Kirchhof in: HStR VI, § 93 Rn. 1. 1200 Auch nach F. Kirchhof in: HStR IV, § 93 Rn. 1 hat das GG dem „Sozialgesetzgeber (nur) einige Maximen auf den Weg gegeben; diese Vorgaben sind aber inhaltlich karg, systematisch 1193

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

der Patienten Bedenken dagegen, daß das - nach ihr ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete - Wirtschaftlichkeitsgebot nach Abwägung die Wahl des gleichwertigen, aber kostengünstigeren Behandlungsverfahrens vorschreiben kann. 1201 Erst recht gilt dies, wenn aus medizinischer Sicht nur eine Behandlung in Betracht kommt oder eine medizinisch notwendige Behandlung vom Patienten nicht privat finanziert werden kann. Wenn § 12 SGB V pauschal als den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG konkretisierendes Gesetz eingeordnet wird, 1202 droht die Etablierung einer wirtschaftlichen Auslegung der Grundrechte, die unter der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes ausgeschlossen ist. 1203 In diesem Sinne kann Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG durchaus als Instrument zur Sicherung eines grundrechtlichen Überbaus verstanden werden, der gerade frei von ständigen Wirtschaftlichkeitsvorbehalten ist. 1 2 0 4 Dieses Verständnis des Verhältnisses zwischen Gesundheitsversorgung und Wirtschaftlichkeit gilt auch beim Erlaß der Richtlinien durch den Bundesausschuß.1205 Der Ausgangspunkt inhaltlicher Vorgaben für die ärztliche Behandlung und die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden 1206 müssen die aktuellen medizinischen Möglichkeiten für einen wirksamen Rechtsgüterschutz der Patienten sein. Auf dieser Basis kann ihr wirtschaftlicher Einsatz bestimmt werden. Nur mit dieser grundrechtsorientierten Auslegung der Vorgaben des SGB V wird der grundrechtlichen Schutzpflichtkonstellation im Arzt-Patienten-Verhältnis ausreichend Rechnung getragen. Die Wirkungen der grundrechtlichen Schutzpflicht in der privaten Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient und die staatliche Schutzpflichterfüllung kann durch das System der GKV nicht ohne weiteres abgeschwächt werden. Leistungsbeschränkende Regelungen der GKV hinsichtlich des Umfangs oder der Qualität der ärztlichen Behandlungen sind in jedem Fall mit der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Zivil- und Strafrecht abzustimmen.1207 Durch ungeordnet und damit ohne strukturierende Kraft. (...) Ihr vollständiges, inneres System und ihre abschließende Gestalt gewinnt die Sozialversicherung erst im einfachen Gesetz". 1201 Voß, S. 95. Die bei Gleichwertigkeit praktisch nicht aussagekräftige Nutzen-RisikoBilanz soll nicht allein zur kostengünstigeren Behandlung führen, vielmehr müssen die Heilungsaussichten auf der einen und Risiken und Belastungen auf der anderen Seite nach Art und Nähe vergleichbar sein. Der Patient, der ein konservatives Vorgehen wünscht, kann daher nicht auf eine kostengünstigere Operation verwiesen werden; Voß, S.95; vgl. aber BVerfG, MedR 1997,318. 1202 So Voß, S. 95; gemeint ist wohl Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG. 1203 Ablehnend auch Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 114ff.; dazu oben A Kap. 3 I. 1204 Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ordnet schlicht die Defizithaftung des Bundes an; dazu und zum Problem der finanziellen Einbindung der Länder F. Kirchhof \ in: HStR IV, § 93 Rn. 31 ff. 1205 Vgl. § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V. 1206 §§92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 5 SGB V. 1207 Im Spannungsfeld zwischen Vorgaben der GKV und drohender ärztlicher Haftung kommt angesichts der Art. 2 Abs. 2 Satz 1,12 Abs. 1 GG de lege lata der Qualität der Heilbehandlung Vorrang zu; Francke, S. 239 (und passim) erstreckt die Schutzpflichtkonstellation insoweit auf das System der GKV insgesamt.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

365

die Einordnung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als gestaltender Faktor im System der GKV wird dem ärztlichen Unbehagen gegen qualitative Einschränkungen, das sich im Vertragsverhältnis gegenüber dem unwissenden Patienten oft mehr durch beiläufige als ausdrückliche Leistungsbeschränkungen manifestiert, begegnet. Auch im staatlichen Gesundheitssystem muß der Heilung der Patienten unter Anwendung der medizinischen Möglichkeiten Priorität eingeräumt werden und die Ärzte zu dieser, ihrem Tun und beruflichen Verständnis entsprechenden Tätigkeit verpflichtet werden. Nur bei einer dieser Zielsetzung angepaßten Einordnung des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Leistungskatalogs ist auch die Verpflichtung des Arztes zur Beachtung der Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts gemäß § 76 Abs. 4 SGB V haltbar. 1208 Wohin die Abstriche bei der vertragsärztlichen Versorgung führen, macht die Diskussion um die Reduzierung der ärztlichen Haftung 1209 infolge des Kostendrucks und der Ressourcenknappheit deutlich, 1210 die zugleich aufzeigt, daß die denkbare Alternative privater Behandlung und Kostenübernahme in der Praxis kaum realisiert wird.

b) Grundrechtsschutz

der (Vertrags)Arzte

Der inhaltliche Einfluß auf die Heilbehandlungen beeinträchtigt auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der (Vertrags)Ärzte. Ihr grundrechtlicher Schutz entfällt durch die Tätigkeit als Vertragsarzt ebenso wenig, wie als angestellter Arzt in einem zur Versorgung zugelassenen Krankenhaus. Auch im System der GKV übt der Vertragsarzt eine freiberufliche Tätigkeit und keine arbeitnehmerähnliche aus. 1211 Ebensowenig kann der Arztberuf vorliegend gar als staatlich gebundener Beruf eingeordnet werden. Die insoweit diskutierte öffentlich-rechtliche Durchdringung der ärztlichen Berufsausübung wegen ihrer Anlehnung an Art. 33 Abs. 2 GG, die zur Zulässigkeit von Sonderregelungen außerhalb des Art. 12 Abs. 1 GG führen könnte, ist abzulehnen.1212 Zwischen Arzt und Patient kommt ein zivilrechtlicher Behandlungsvertrag zustande, der durch die Einbindung der Ärzte und 1208

Im Ergebnis ähnlich Boecken, in: FS Maurer, S. 1098ff., 1101 f.; Steffen, MedR 1993,

338. 1209 Der soeben genannte §76 Abs. 4 SGB V verweist ohne Einschränkung auf die Sorgfalt und damit die Haftung nach den Vorschriften des bürgerlichen (Vertrags)Rechts. 1210 Dazu insbesondere Voß, S. 147 ff., 155 ff., 215 ff. m. w. Nw., auch zur Rspr., die diesen Aspekt zunehmend bei der Bestimmung der Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt aufgreift; vgl. auch Laufs, Arztrecht, Rn.491 ff. m. w.Nw.; Taupitz, in: Wolter/Riedel/Taupitz, S. 124 f.; Steffen, MedR 1993, 338. 1211 Dazu Boecken, in: FS Maurer, S. 1091 ff.; vgl. auch die Einordnung als „freier Beruf" in § 1 Abs. 2 BÄO; zur Ablösung des ärztlichen Berufs von der GewO und der historischen Entwicklung, auch im Zusammenhang mit der GKV, Huerkamp, S. 194ff., 254ff. m. w. Nw. 1212 Dazu ausführlich und im Ergebnis ebenfalls ablehnend Schmidtke, S.73ff. m. w. Nw.; Fleischmann, S. 164 ff.; zur Bedeutung der ärztlichen Berufsfreiheit im System der GKV ausführlich Francke, S.212f., 224, 236ff.; zurückhaltenderBogs, in: FS Thieme, S.716ff.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

ihrer Standesorganisationen in die staatliche Aufgabenerfüllung zwar beeinflußt, in seiner rechtlich selbständigen Einordnung aber nicht mitgebunden wird. Ausdruck dessen ist auch die eigenständige Haftung des Arztes gegenüber dem Patienten. Die Einbindung der Ärzte in die staatliche Aufgabenerfüllung besteht überdies nicht nur im gesetzlichen Krankenversicherungsrecht, sondern im gesamten Gesundheitsrecht. Insbesondere im Rahmen der oben (Kap. 4) beschriebenen besonderen gesetzlichen Regelungen wird der ärztliche Sachverstand in die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht eingebunden. Dem ähnlich wird der Inhalt des zivilrechtlichen Behandlungsvertrags zwischen Arzt und Patient vom medizinischen Kenntnisstand bestimmt, wie auch die Zivil- und Strafgerichte im Arzthaftungsprozeß bei der Sachverhaltsermittlung auf ärztlichen Sachverstand zurückgreifen. 1213 Die besondere Beziehung zwischen Staat und Ärzten bzw. ärztlichem Stand zeigt sich desweiteren in den Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder. Selbst in deren Rahmen kann nicht von mittelbarer Staatsverwaltung gesprochen werden, 1214 so daß sich eine Zuordnung der niedergelassenen Vertragsärzte zum öffentlichen Dienst verbietet. 1215 Die im hier entwickelten Schutzpflichtkonzept zulässige Einbindung der Ärzte in die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht und damit in die staatliche Aufgabenerfüllung ändert nichts am ihnen grundsätzlich zukommenden Grundrechtsschutz durch Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber dem Staat und damit auch den öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungskörperschaften. 1216 Umgekehrt resultieren aus dieser Einbindung keine Sonderrechte gegenüber den Patienten. Zwischen Staat, Sozialversicherungsträgern, Arzt und Patient besteht die Schutzpflicht- und die Eingriffsabwehrkonstellation. Auch im Rahmen der Einbindung der Ärzte in die staatliche Aufgabenerfüllung ist der Rechtsgüterschutz der Patienten bei den ärztlichen Behandlungen sicherzustellen. Der Arztvorbehalt für bestimmte körperliche Eingriffe trägt der grundrechtlichen Schutzpflicht gerade Rechnung und bedeutet keine unkontrollierte Behandlungs- und Eingriffsfreiheit für die Ärzte. In gleicher Weise sind die Durchführung und der weitere Verlauf der Einbindung der Ärzte unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes zu gestalten. Eingriffsabwehrkonstellationen sind insoweit gegeben, als die staatliche Gestaltung regelmäßig die ärztliche Berufsausübung regelt und Reduzierungen der ärztlichen Versorgung zu Lasten der Patienten gehen. Wie eng Schutz und Eingriff zusammenliegen, zeigt sich bei der Staatshaftung nach Art. 34 GG: Beim nachträglichen Ausgleich nicht abwehrbarer staatlicher Eingriffe findet sich der Schutzpflichtgedanke auch bei Rechtsgutsbeeinträchtigungen und Schädigungen durch den Staat.1217 1213

Vgl. oben Kap. 1, Kap. 2. Nochmals hinzuweisen ist auf die bloße Rechtsaufsicht de lege lata; ablehnend ebenfalls Kleine-Cosack, S. 56f.; Maurer, § 23 Rn. 1. Dagegen spricht BSG, MedR 1997, 123 (127) von „gemeinsamer Selbstverwaltung" und „mittelbarer Staatsverwaltung". 1215 Ablehnend ebenfalls Schmidtke, S. 83 ff. 12,6 Vgl. auch B. Tiemann/S. Tiemann, S. 161 f., 175 ff. 1217 Zur teilweise problematischen Abgrenzung auch BVerfGE 39, 1 (42); 77, 170 (225); BVerfG, NJW 1998, 3264. 12,4

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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Auch beim Grundrechtsschutz der Ärzte stellt sich damit die Frage, ob deren Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG durch das System der GKV verfassungsgemäß eingeschränkt wird. Angesichts der durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG eröffneten Beschränkungsmöglichkeiten 1218 bedeutet dies insbesondere die Prüfung, ob die eigentliche inhaltliche Steuerung der ärztlichen Tätigkeit durch die beschriebenen untergesetzlichen Regelungen erfolgen darf. 1219 2. Umfang zulässiger parlamentarischer Delegation und untergesetzliche Normsetzung Der Gesetzgeber unterliegt ebenfalls verfassungsrechtlichen Bindungen bei der Entscheidung, in welchem Maß die inhaltliche Steuerung der ärztlichen Heilbehandlung durch untergesetzliche Regelungen erfolgen soll. Die de lege lata bestehende untergesetzliche Normsetzung, insbesondere durch die Richtlinien der Bundesausschüsse begegnet daher verfassungsrechtlichen Bedenken sowohl angesichts ihrer Regelung der ärztlichen Berufsausübung, als auch angesichts ihrer Regelungswirkung zu Lasten der gesetzlich versicherten Patienten. Der Gesetzgeber hat seine parlamentarischen Regelungspflichten durch die beschriebene umfassende sachliche Delegation auf die Krankenversicherungsträger, die nicht nur zur eigenständigen Normsetzung ermächtigt werden, sondern darüber hinaus zur Schaffung eigener Gremien, die ihrerseits normsetzend tätig werden, verletzt. In grundrechtsrelevanten Bereichen muß der Staat auch bei der Schaffung einer gesetzlichen, sozialen oder funktionalen, verfassungsrechtlich nicht vorgegebenen Selbstverwaltung 1220 zur Er1218

Ausführlich dazu Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12 Rn. 41 ff., 73 ff. m. zahlr. Nw. Unklar insoweit BSGE 73,66 (72), wonach dem die ärztliche Therapiefreiheit nur in den Grenzen der von den Bundesausschüssen und Krankenkassen beschlossenen Richtlinien bestehe, wie auch die Meinungsfreiheit nur in den Grenzen der allgemeinen Gesetze gewährleistet sei. Das BSG scheint, ähnlich wie Voß, S. 95, die Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 5 Abs. 2 GG, zudem die unterschiedlichen Gesetzesvorbehalte der Art. 12 Abs. 1 Satz 2 und 5 Abs. 2 GG zu vermischen. Aufgrund des Vorbehalts der „allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG sind spezifisch gegen die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG gerichtete Gesetze von vornherein verfassungswidriges Sonderrecht, während die allgemeinen Gesetze wegen ihrer Allgemeinheit die Besonderheiten der Kommunikationsgrundrechte nicht ausreichend zu berücksichtigen vermögen. Daher sind „allgemeine Gesetze" nicht ohne weiteres verfassungsgemäß, sondern bedürfen der Eingriffsrechtfertigung, in deren Rahmen die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG eine Schutzverstärkung erfahren - entsprechend der „Wechselwirkungslehre" des BVerfG als Variante der Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere des Übermaßverbotes; vgl. Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 142 ff. m. w. Nw., allerdings auch Übertragung der Wechselwirkungslehre auf andere Freiheitsrechte (Rn. 146 m. Nw.). Demgegenüber bezwecken die Richtlinien die unmittelbare Steuerung der ärztlichen Heiltätigkeit und sind daher gerade keine „allgemeinen Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Als Beeinträchtigung der Therapiefreiheit als Teil der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit, wie auch der Vertragsfreiheit des Arztes und Patienten, ist das Richtliniensystem des SGB V und seine Inhalte m. E. stets verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig. 1220 Die h. M. lehnt zutreffend eine verfassungsrechtliche Garantie der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger ab; vgl. nur F. Kirchhof \ in: HStR IV, §93 Rn.8; Hendler, in: HStR 1219

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

füllung der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Aufgaben die wesentlichen Regelungen selbst treffen und sich darüber hinaus Möglichkeiten der Mitwirkung und Kontrolle vorbehalten. Ebensowenig entbindet eine Einordnung der Krankenversicherungsträger und ihrer Verbände als Beliehene 1 2 2 1 von der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Einräumung derart weitreichender Normsetzungskompetenzen ohne staatliche Beteiligung. Die Regelungs- und Mitwirkungsdefizite können durch eine bloße Rechtsauf sieht gegenüber den Krankenversicherungsträgern 1222 nicht ausgeglichen werden. 1 2 2 3 Angesichts ihrer grundrechtsbeschränkenden Außen Wirkung widerspricht das bestehende System der untergesetzlichen Normsetzung den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere den Grundrechten und dem Demokratieprinzip. Die gegenteilige, insbesondere vom Bundessozialgericht vertretene Auffassung, nach der die gesetzliche Normsetzung und Verweisung verfassungsgemäß sei, 1 2 2 4 IV, § 106 Rn. 55 ff.; Bogs, S. 155 ff.; w. Nw. bei Schnapp, in: FG v. Unruh, S. 887 ff. Bogs, in: FS Thieme, S. 721 f., 725 ff. plädiert jedoch für den Schutz der Kassenärztlichen Vereinigungen durch Art. 12 GG. Allgemein zur Selbstverwaltung in der Sozialversicherung Schnapp, in: FG v. Unruh, S. 881 ff. m. w. Nw.; Geis, in: Schnapp (2001), S. 65 ff., der die Legitimation einer nur sozialen oder funktionalen Selbstverwaltung aus dem Demokratieprinzip verneint (S.78ff.). 1221 So Axer, S. 32 ff. m. w. Nw., auch zur Gegenansicht, der dies damit begründet, daß sie in den Vollzug von Verwaltungsaufgaben eingebunden seien und der die Entscheidungen in der Folge als exekutive Normen ansieht (S. 52ff. und passim). 1222 §§87 ff. SGBIV (Versicherungsträger), 78 (Kassenärztliche Vereinigungen), 91 Abs. 4 (Geschäftsführung der Bundesausschüsse), 208, 214 (Landes- und Bundesverbände der Krankenkassen) SGB V; zur Aufsicht und staatlichen Kontrolle der Selbstverwaltungsträger ausführlich Schnapp, in: Schulin, § 52 m. w. Nw.; Bogs, S. 61 ff., dessen Ausführungen zur RVO prinzipiell auch unter den SGB gelten. Weitergehende Befugnisse und Möglichkeiten der unmittelbaren staatlichen Einflußnahme auf das Zustandekommen von Maßnahmen der Versicherungsträger, insbesondere durch Mitwirkung der Aufsichtsbehörde, bestehen im hier untersuchten Bereich, soweit ersichtlich, nicht; vgl. Schnapp, in: Schulin, §52 Rn. 14 ff. Allenfalls zu nennen wären die erforderliche Genehmigung der Satzungen der Krankenkassen durch die Rechtsaufsichtsbehörde (§ 195 Abs. 1 SGB V) oder deren Selbsteintrittsrecht bei Untätigkeit der Krankenkassen (§ 195 Abs. 2 Satz 2 SGB V) oder der Bundesausschüsse (§ 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V) zu; dazu Ebsen, in: Schulin, §7 Rn. 182 ff. 1223 Ablehnend auch Ossenbühl, NZS 1997, 502f.; zum Erfordernis ausreichender staatlicher Einwirkungs- und Überwachungsmöglichkeiten auch BVerfGE 37, 1 (27); vgl. weiter oben A Kap. 2 III. 2. Auch die zur Vermeidung vertragsloser Zustände vorgesehenen Schiedsstellen, die den Inhalt der Normsetzungsverträge bei Nichteinigung der Vertragspartner festlegen, nach § 89 SGB V für den Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung, nach den §§ 114, 115 Abs. 2 für die zwei- und dreiseitigen Verträge über die Krankenhausbehandlung, werden ebenfalls ohne staatliche Beteiligung durch die Vertragspartner gebildet und unterliegen nur der Rechtsaufsicht (§ 89 Abs. 5 SGB V) bzw. der Aufsicht bzgl. der Geschäftsführung (§ 14 Abs. 4 SGB V); kritisch zu den Schiedsverfahren de lege lata auch Schimmelpfeng-Schütte, NZS 1997, 503 ff. 1224 BSG, NJW 1999, 1805 (1808f.); für Verfassungsmäßigkeit z.B. auch Engelmann, in: Schnapp (2000), S. 142, 152; zu Unterschieden in der Begründung der Senate ausführlich Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp (2000), S.76ff.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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vermag nicht zu überzeugen. Unter dem Vorbehalt des Gesetzes kann die Zulässigkeit der Richtlinien nicht daraus folgen, daß diese über die §§92 Abs. 8, 82 Abs. 1 Satz 2 SGB V in die Bundesmantel- und Gesamtverträge eingeführt sind, 1225 da diese Verbandsverträge dasselbe legitimatorische Defizit aufweisen. 1226 Auch der Hinweis auf die schon in vorkonstitutioneller Zeit praktizierte Form der Rechtsetzung durch Kollektivverträge zwischen den Verbänden und deren lange Tradition 1227 ist wenig hilfreich, da sich die verfassungsrechtlichen Bedenken in voller Schärfe erst in der Rechtsentwicklung unter dem Grundgesetz gebildet haben.1228 In gleicher Weise geht die Anführung eines etwaigen numerus clausus zulässiger Rechtsetzungsformen nach dem Grundgesetz ins Leere. 1229 Verfassungsrechtlich ist weniger die Delegation an sich und damit die zwangsläufige Notwendigkeit anderer Rechtsetzungsformen als im Grundgesetz genannter bedenklich, sondern deren Umfang oder umgekehrt die zwingend beim parlamentarischen Gesetzgeber zu verbleibende Regelungsmaterie. Es gilt über das Wesentlichkeitskriterium die Reichweite der parlamentarischen Regelungspflicht zu bestimmen, das nicht zur Ausschließlichkeit parlamentarischer Regelungen führt, sondern nur zu einem delegationsfesten Bereich, die Bestimmung seines Umfangs und seiner Dichte eingeschlossen.1230 Auch das Bundessozialgericht vertraut der Regulierungskraft des Richtliniensystems im Hinblick auf die Versicherten indes nicht gänzlich und etabliert über den Begriff des Systemmangels Anforderungen an das Verfahren vor dem Bundesausschuß: Aus § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V folge, daß auch neue medizinische Verfahren zum Leistungsumfang der GKV gehören, so daß sie den Versicherten nicht vorenthalten werden dürfen, soweit sie sich als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen. 1231 Daher liege es nicht im Belieben, zum einen der antragsberechtigten Verbände, ob, und zum anderen des Ausschusses, in welcher Zeit das Verfahren nach § 135 Abs. 1 SGB V durchgeführt werde. 1232 Über § 13 Abs. 3 SGB V könnten entsprechende Versor-

1225 So aber BSG, NJW 1999, 1805 (1808). Daneben müssen nach §81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen Bestimmungen enthalten, nach denen die Richtlinien für sie und ihre Mitglieder verbindlich sind. Aber auch dies stellt eine schon für sich verfassungsrechtlich bedenkliche formale Einbeziehung ohne inhaltliche Überprüfung dar (dazu sogleich; kritisch bereits zur Vorgängerregelung des §368p RVO Hill, NJW 1982, 2104 ff.), zu der die problematische Außenwirkung der Satzungen im Arzt-Patienten-Verhältnis tritt; zu diesem Problem bereits oben A Kap. 2 III. 1. 1226 Ebenso Papier, VSSR 1990, 134 f. 1227 So BSG, NJW 1999, 1805 (1809); ebenso Schlenker, NZS 1998, 414. 1228 Aus der NichtVeränderung vorkonstitutionellen Rechts oder einem Schweigen des Verfassungsgesetzgeber können schon wegen Art. 123 Abs. 1 GG keine Schlüsse gezogen werden; ablehnend gegen derartige Argumentation auch Ossenbühl, NZS 1997, 500f. 1229 Vgl. BSG, NJW 1999,1805 (1809), im Ergebnis allerdings zu Recht verneint. Dementsprechend wird z. B. auch die Rechtsform der Satzung nicht im GG genannt ist, ohne daß verfassungsrechtliche Bedenken gegen ihre Verwendung bestehen. 1230 Ebenso Papier, VSSR 1990, 126f.; weitergehend Ossenbühl, NZS 1997, 498ff. 1231 BSG, NJW 1999, 1805 (1809). 1232 BSG, NJW 1999, 1805 (1809).

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gungslücken zu Gunsten der Versicherten geschlossen werden. 1233 Die genannten grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken werden m. E. durch derartige „Notbremsen" nicht ausgeräumt. Verfassungsrechtlich entscheidend ist, daß der Staat auf die Mitwirkung beim Erlaß der Richtlinien und damit auf inhaltliche Einflußnahme verzichtet und sich darauf beschränkt hat, die Richtlinien an verschiedenen Stellen mit Verbindlichkeit auszugestalten,1234 was angesichts der betroffenen Grundrechte auf Seiten der Ärzte und Patienten de lege ferenda, zum Beispiel durch Rechtsverordnungen 1235 zu beheben ist. Zu Recht wird diese mehrfache Inkorporation nicht als herkömmliche Verweisungstechnik zur Vereinfachung der Normsetzung angesehen, sondern als Maßnahme der Kompetenzverlagerung durch Begründung einer neuartigen ständisch-korporatistisch strukturierten Normsetzung. 1236 Dies gilt erst recht, wenn durch das jetzt bestehende Richtlinienkonzept die versicherten Patienten unmittelbar berührt werden. 1237 Sowohl gegenüber den Vertragsärzten als Mitgliedern der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung, 1238 als auch gegenüber den insoweit externen 1239 Patienten sind dynamische, das heißt die Richtlinie in ihrer jeweiligen Fassung aufnehmende Verweisungen angesichts des Vorbehalts des Gesetzes verfassungswidrig. Dessen Rückführung auf das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip verhindert eine Unterwerfung des parlamentarischen Gesetzgebers und auch des parlamentarisch legitimierten Satzungsgebers unter ein fortlaufend veränderliches und damit ungewisses Regelungswerk, auf dessen Inhalt 1233

Zu Widersprüchlichkeiten bei der Anwendung des § 13 Abs. 3 SGB V durch das Gericht schon soeben. 1234 §§ 92 Abs. 8, 95 Abs. 3 Satz 2, 81 Abs. 3 Nr. 1 SGB V, insoweit besteht nicht einmal ein wirksame Rechtsaufsicht; ablehnend auch Ossenbühl, NZS 1997,497ff., 502f.; Wimmer, MedR 1996,427f.; NJW 1995, 1581 ff.; Hill NJW 1982, 2104ff. 1235 Papier, VSSR 1990, 137; vgl. auch Wimmer, MedR 1996,428 f.; NJW 1995, 1584. 1236 Ossenbühl, NZS 1997, 498; vgl. auch Schnapp, in: FG Unruh, S.886f. m. w.Nw.; die verbandliche Dominanz befürwortend zB. Geis, in: Schnapp (2001), S.86f. Gegen die Einordnung der Bundesausschüsse als Anstalten des öffentlichen Rechts durch BSG, MedR 1997, 123 (128) zutreffend Wimmer, MedR 1997,225 f. mit dem Hinweis, daß durch §91 SGB V Kooperationsgremien, aber keine öffentlich-rechtlichen Träger i. S. v. Art. 87 Abs. 2, Abs. 3 GG errichtet wurden. 1237 Im Ergebnis kritisch auch DiFabio, in: Schnapp (1999), S.27ff. BSG, MedR 1997,123 (126) ging noch davon aus, daß die verbindliche Wirkung der Richtlinien nicht durch Regelungen gegenüber den Versicherten abzusichern sei, weil diese nicht aktiv in die Leistungserbringung eingezogen seien, sondern die Leistungen entgegennehmen; kritisch unter dem Gesichtspunkt des grundrechtlichen Patientenschutzes auch Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp (2000), S.78f. 1238 Vgl. §77 Abs. 3 SGB V. 1239 Die Wirkung der Richtlinien vollzieht sich mittelbar zum einen über die Mitgliedschaft in den Krankenkassen, da Gesamt- und Bundesmantelverträge durch die Landes- und Spitzenverbände der Krankenkassen abgeschlossen werden, zum anderen über § 135 Abs. 1 SGB V, einer Regelung der Beziehung zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern - de facto haben die Versicherten keinen Einfluß auch die Normsetzung; zur Legitimation gegenüber den Versicherten auch Schwerdtfeger, in: FS Krasney, S. 503ff.; DiFabio, in: Schnapp (1999), S.26f.

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1240

sie keinen oder nur unzureichenden Einfluß haben. Dies gilt insbesondere in grundrechtsrelevanten Bereichen: Die Annahme eines präventiven Erlaubnisvorbehalts hinsichtlich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden beeinträchtigt nicht nur die Berufsausübung der Vertragsärzte, 1241 sondern stellt zugleich eine Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Gesundheitsversorgung des Patienten dar. 1242 Darüber hinaus durchbricht das SGB V die selbst eingeräumte Selbstverwaltung zugunsten der Körperschaften des öffentlichen Rechts bei der gesetzlichen Aufgabenerfüllung. Die gesetzliche Verweisungstechnik reduziert die Satzungsautonomie der Selbstverwaltungsträger, da die entsprechenden Inhalte nicht vom Parlament vorgegeben werden, sondern dieses nur die Aufnahme der Richtlinien in die Satzung verbindlich anordnet. Dem Satzungsgeber wird so die Adaption der Richtlinien als doppelt fremde Willensentscheidung aufoktroyiert. 1243

I I I . Zusammenfassung und Perspektiven des Systems der GKV Durch das System der GKV wird das Arzt-Patienten-Verhältnis inhaltlich beeinflußt. Medizinische Untersuchungen und Heilbehandlungen von gesetzlich versicherten Patienten durch zugelassene Vertragsärzte oder in zugelassenen Krankenhäusern werden sowohl durch parlamentarische Vorgaben im SGB V als auch durch untergesetzliche Vorgaben im Rahmen der gesetzlichen Selbstverwaltung erheblich gesteuert. Der Gesetzgeber hat den in diesem Rahmen Beteiligten 1244 insgesamt eine verfassungswidrige inhaltliche Entscheidungs- und Regelungsfreiheit eingeräumt, die durch die Rechtsprechung des Bundesozialgerichts in ihren Wirkungen noch erweitert wird. Insbesondere die Grundrechte der letztlich betroffenen Ärzte und Patienten sowie das Demokratieprinzip errichten eine Sperre gegen derart weitreichende Delegationen. Auch in tatsächlicher Hinsicht zeigen die über die Jahrzehnte 1240 Hill, NJW 1982, 2105 m. w. Nw. Im Hinblick auf die im Umweltrecht vorzufindenden Verweisungen auf technische Normen entsprechend Kloepfer, § 3 Rn. 80, 77 m. w. Nw. Zu Recht weist Papier, VSSR 1990,128 f. daraufhin, daß die Grundrechtseinschränkungen durch die Richtlinien erfolgen und die §§ 92 Abs. 8, 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V insoweit nur gesetzestechnische Kunstgriffe sind. 1241 Nach BVerfGE 11, 30 (41 f.) ist die Tätigkeit als Vertragsarzt kein eigener Beruf, sondern nur eine Ausübungsform des allgemeinen Berufs des frei praktizierenden Arztes; danach ist die Zulassung als Kassenarzt keine objektive Beschränkung der Berufswahl, sondern eine Berufsausübungsregelung. Für Berufszugangsregelungen angesichts der tatsächlichen heutigen Verhältnisse z.B. Wimmer, NJW 1995, 1578 m. w.Nw.; vgl. auch BVerfGE 69, 233 (244). 1242 Papier, VSSR 1990, 128f.; ähnlich Wimmer, MedR 1997, 226. Schwerdtfeger, in: FS Krasney, S.502f. stellt ebenfalls den Bezug zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG her. 1243 Hill, NJW 1982, 2104. 1244 Zu den lokal geschaffenen und verbandsmäßig organisierten öffentlich-rechtlichen Körperschaften treten spezifische Gremien, z.B. die Bundesausschüsse nach §91 SGB V, und werden auch privatrechtliche Vereinigungen eingebunden, z. B. die Krankenhausgesellschaften oder die Bundesärztekammer.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

entstandenen, inzwischen existentiellen Probleme der GKV und die alltäglichen Diskussionen um ihre Zukunftsfähigkeit, daß die Beschränkung auf einen parlamentarischen Regelungsrahmen zur wirksamen Aufgabenerfüllung zweifelhaft ist. Unter dem rechtlichen Schutz der Selbstverwaltung wurde ein außerordentlich kompliziertes Regelungsdickicht errichtet, daß insbesondere für die Versicherten undurchschaubar geworden ist. 1245 Dessen Lichtung ist die vorrangige zukünftige Aufgabe des Sozialgesetzgebers, wobei seine Tätigkeit dabei von zwei Gesichtspunkten geleitet wird. Zum einen von der Grundrechtsrelevanz der GKV, die einer Beschränkung auf ein bloßes parlamentarisches Rahmenrecht entgegensteht. Insbesondere die für das Arzt-Patienten-Verhältnis unmittelbar relevanten Fragen des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts sind parlamentarisch aufzunehmen und dürfen nicht ausschließlich von den Beteiligten selbst konkretisiert werden. 1246 Zum anderen von der ebenfalls verfassungsrechtlich vorgegeben staatlichen Beteiligung bei der untergesetzlichen Normsetzung. Die bisher bestehende Rechtsauf sieht und einzelne weitergehende Kontrollinstrumente reichen nicht aus, um die entstandene Verbandskonzentration zu entflechten und inhaltlich ausreichend zu beeinflussen. 1247 Insoweit ist zu beachten, daß die Selbstverwaltung im System der GKV nicht verfassungsrechtlich gewährleistet und daher gegenüber sachgerechten parlamentarischen Rückführungen nicht resistent ist. 1248 Dem verfassungsrechtlichen Defizit kann weder eine vermeintliche Schwerfälligkeit parlamentarischer oder exekutiver Normsetzung, 1249 noch eine Unterstellung mangelnder parlamentarischer Fachkenntnis1250 entgegengehalten werden. 1251 Im hier vertretenen Schutzpflichtkonzept, dessen Kernaussagen auch bei den vorliegend gegebenen Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch Reduzierungen des Schutzniveaus Anwendung finden, ist die Einbindung medizinischen und auch externen Sachverstandes ein wichtiger Faktor für die Gewährleistung eines wirksamen Grundrechtsschutzes. Der Sachverstand ist jedoch so einzubinden, daß sich der Staat seiner Verantwortung für die Entschei1245 Ebsen, in: Schulin, §7 Rn.9; kritisch auch Schulin, in: Schulin, §6 Rn. 105; Oldiges, in: Schnapp (2000), S.36. 1246 Zu den Freiräumen der Selbstverwaltung und dem Konflikt zwischen Leistungs- und Leistungserbringungsrecht auch Schulin, in: Schulin, § 6 Rn. 79 ff., 97 ff.; vgl. weiter Ebsen, in: Schulin, §6 Rn. 14ff., 117 ff. Insoweit kommen auch RVOen in Betracht; dazu sogleich. 1247 Ausführlich zu den verbandlichen Zusammenschlüssen, ihren Aufgaben und der staatlichen Kontrolle Bogs, S.45 ff., 50ff., 61 ff.; kritisch Schnapp, in: FG v. Unruh, S. 887; zum Zusammenhang zwischen Demokratieprinzip und Aufsicht Geis, in: Schnapp (2001), S.78f., der im Übrigen der Verbandskonzeption positiv gegenübersteht (S. 86 ff.). 1248 Ablehnend gegenüber einer verfassungsrechtlichen Absicherung auch F. Kirchhof\ in: HStR VI, § 93 Rn. 8; Schnapp, in: FG v. Unruh, S. 887 ff. m. w. Nw., auch zu a. A.; Hendler, in: HStR IV, § 106 Rn. 57 entnimmt Art. 87 Abs. 2 GG, daß eine Abschaffung der sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltung nur aus besonders schwerwiegenden Gründen des allgemeinen Wohls zulässig wäre. 1249 So BSG, MedR 1997, 123 (129). 1250 So Schlenker, NZS 1998, 414. 1251 Zu den Faktoren, die zu einem parlamentarischen Regelungsverzicht führen auch DiFabio, in: Schnapp (1999), S.20ff.

Kap. 5: Grundrechtsschutz und Gesetzliche Krankenversicherung

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dung und Entscheidungsfindung im grundrechtsrelevanten Bereich nicht begibt. 1252 Ausgehend davon, daß medizinisch-technische Sachverhalte normierbar und auch Zweckmäßigkeitsaspekte der rechtssatzmäßigen Formulierung zugänglich sind, 1253 ist de lege ferenda der Umfang und Inhalt der vertragsärztlichen und Krankenhausversorgung zu konkretisieren. Hierbei kommen detailliertere parlamentarische Regelungen sowie der verstärkte Erlaß von Rechtsverordnungen oder die Einräumung weitergehender Satzungsbefugnisse in Betracht. 1254 Daneben1255 ist eine fachliche staatliche Mitwirkung und Kontrolle an Stelle der bloßen Rechtsaufsicht, zum Beispiel durch die Einführung kooperativer Elemente, sicherzustellen. 1256 Letztlich sollte der Gesetzgeber in Zukunft dem nicht zuletzt selbst geweckten Eindruck begegnen, das Wirtschaftlichkeitsgebot sei der Leitmaßstab der GKV. Im Gegensatz zu den Rechtspositionen der Ärzte und Patienten, die sich bislang im gesetzlichen Auftrag zur umfassenden und hochwertigen Krankenbehandlung abbilden, 1257 findet das Wirtschaftlichkeitsgebot keine entsprechende verfassungsrechtliche Grundlage. Insoweit ist es kaum nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber die finanzielle Leistungsfähigkeit der GKV über die Stärkung des Wirtschaftlichkeitskriteriums durch Rückführungen im Leistungs- und Leistungserbringungsrecht sicherstellen will und zugleich Besserverdienende aus der gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft entläßt. Die entsprechende Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist weder unter Berufung auf den „Solidargedanken" noch auf die „Friedensgrenze" mit der Stärkung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu vereinbaren und daher zu Recht als so1252 Ähnlich Ossenbühl, NZS 1997, 503; Schimmelpfeng-Schütte, in: Schnapp (2000), S.96ff. mit Regelungsvorschlägen; vgl. auch Engelmann, in: Schnapp (2000), S. 159ff. 1253 Schnapp, in: FG v. Unruh, S. 895. 1254 Ebenso Ossenbühl, NZS 1997,503; Wimmer, NJW 1995,1583 f.; MedR 1996,429; Papier, VSSR 1990, 136; zu Ansätzen der Berücksichtigung ärztlicher Leitlinien der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften im Rahmen der GKV Francke, in: Hart, S. 171 ff.; zurückhaltender DiFabio, in: Schnapp (1999), S.33ff. 1255 Unmittelbare parlamentarische Verantwortlichkeit kann der exekutiven staatlichen Aufsicht allerdings nicht zukommen, so daß dem Wesentlichkeitskriterium nicht nur durch die (alleinige) Einführung von Einwirkungs- und Überwachungsmöglichkeiten genügt werden kann; Ossenbühl, NZS 1997, 502. 1256 Kooperative Elemente sind auch in präventiven (Rechts)Aufsichtsmaßnahmen enthalten; vgl. Hollenbach, VB1BW 2000, 464 f., 467; zur Nähe von Fach- und Rechtsaufsicht und der rechtlichen Überprüfung von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten Schnapp, in: FG v. Unruh, S. 895; dersin: Schulin, §52 Rn. 11 ff.; zur Zweckmäßigkeitskontrolle bei staatlichen Mitwirkungsrechten ebenfalls Schnapp, in: Schulin, §52 Rn. 17 f. m. w.Nw.; zur vergleichbaren Problematik im ärztlichen Kammerwesen oben A Kap. 2 III. Als weitere, vorliegend nicht zu vertiefende Kontrollinstrumente sind die staatliche Rechnungsprüfung und die Sozialgerichtsbarkeit zu nennen; vgl. Art. 95 GG, §§51 ff. SGG; zur staatlichen Kontrolle der Sozialversicherung insgesamt Bogs, S. 61 ff.; zur Finanzprüfung Schnapp, in: Schulin, §52 Rn. 103 ff., 112ff. 1257 Dazu tragen in besonderer Weise die verschiedenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -Steigerung, z. B. nach den §§113, 115 b, 135 ff. SGB V oder die Tätigkeit der Medizinischen Dienste, bei; Schulinllgl, Rn. 331; Rebscher, in: Schulin, §46 Rn. 3 ff.; Seewald, in: Schnapp (1999), S.99ff.; Francke, S.216ff.

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Teil B: Die einfach-rechtliche Ausgestaltung auf dem Prüfstand

zialpolitisch nicht zu erklären bezeichnet worden. 1258 Die Existenz der GKV ist durch Strukturlinien im Grundgesetz vorgezeichnet, 1259 so daß Belastungen im Rahmen der Solidargemeinschaft unter Gleichheitsaspekten verfassungsrechtlich durchdrungen sind, jedoch deswegen nicht auf breiter Basis aufgehoben werden können. Angesichts der zu befürchtenden Zwei-Klassen-Gesundheitsversorgung kann auch in der politischen Sprache nicht mehr von einer „Friedensgrenze" zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung gesprochen werden. 1260 Wenn sich der Gesetzgeber dagegen auf die Aufgabe der hochwertigen Gesundheitsversorgung konzentriert, die durchaus vorhandenen Möglichkeiten der Kostenreduzierung im organisatorischen und institutionellen Gefüge ausnützt und die präventiven Potentiale der GKV stärker aktiviert, 1261 scheint die Zukunft der GKV als vorbildliches Instrument des sozialen und solidarischen staatlichen Rechtsgüterund Gesundheitsschutzes gesichert.

1258 1259 1260 1261

SchulinllgU Rn. 153. F. Kirchhof in: HStR IV, §93 Rn.6 m. w.Nw.; zurückhaltender z.B. SchulinllgU Rn.40. Dazu SchulinllgU Rn.42. Vgl. Schulin,: Schulin, §6 Rn.65, 157ff. m. w.Nw.

Teil C

Zusammenfassende Schlußbetrachtung 1. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat zum Schutz der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit. 1 Ebenso ist er daraus zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts über die körperliche Integrität verpflichtet. Dem absoluten Schutzgebot zugunsten der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG kommt ergänzende Bedeutung zu. Angesichts der auftretenden und potentiellen Rechtsgutsgefährdungen und -Verletzungen bestehen auch im Verhältnis zwischen Arzt und Patient die Voraussetzungen für das Eingreifen der grundrechtlichen Schutzpflicht. Untermauert wird dies durch das fachliche Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern Arzt und Patient. Die zwischen Ärzten und Patienten zustande kommenden Behandlungs- oder Forschungsverträge werden rechtlich nicht nur vom Zivilrecht erfaßt, sondern besitzen danach auch Grundrechtsrelevanz. Hiervon ausgehend hat der Staat Patientenschutz zu gewährleisten, nach hier verfolgter Terminologie die grundrechtliche Schutzpflicht zu erfüllen. Grundrechtsdogmatisch ist die grundrechtliche Schutzpflicht eine aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte abzuleitende Funktion, die eigenständig neben der subjektiven Eingriffsabwehr besteht. Die grundrechtliche Schutzpflicht erscheint danach als der geeignete Ansatz, um die im Arzt-Patienten-Verhältnis bestehenden Probleme, die durch den Facettenreichtum der modernen Medizin ständig vergrößert werden, zu bewältigen.2 Durch sie wird die naturgegebene Begrenztheit der einfachen Rechtsordnung ausgeglichen und normativen Lücken normativ begegnet. Aufgrund der Besonderheiten ärztlicher Eingriffe greifen der Schutz des Selbstbestimmungsrechts und der Schutz der körperlichen Rechtsgüter ineinander und ergänzen sich wechselseitig. Ein wirksamer Rechtsgüterschutz wird in der Regel durch die Einführung ärztlicher (Schutz)Pflichten gewährleistet, so daß deren Grundrechtsposition, insbesondere die Berufsfreiheit, gegebenenfalls auch die Forschungsfreiheit, mit zu berücksichtigen sind. Die Intensität des Grundrechtsschutzes der Patienten richtet sich zum einen nach dem Grad der körperlichen Rechts1

Zu Herleitung und Umfang der grundrechtlichen Schutzpflicht oben A Kap. 1. Auch wenn Isensee, in: FS Hollerbach, S. 264 dem ausgehenden 20. Jahrhundert eine Grüne Romantik und Forschungs-, Technik- und Industriephobie bescheinigt, kann nicht geleugnet werden, daß durch die technische Entwicklung neue Grundrechtsgefährdungen geschaffen wurden, auf die ein modemer Staat nicht nur aus Legitimationsgründen reagieren muß. Für das Arzt-Patienten-Verhältnis im hier vertretenen Sinne auch Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, S. 1 ff. und passim. 2

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Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

gutsbeeinträchtigung der ärztlichen Maßnahme und zum anderen nach dem Umfang der bestehenden persönlichen Autonomie der Patienten. In diesem Rahmen deckt die grundrechtliche Schutzpflicht die gesamte Bandbreite von Arzt-Patienten-Verhältnissen, von körperlichen Untersuchungen an Ungeborenen bis hin zu lebensbeendenden Maßnahmen bei Schwerstkranken ab.3 Aus der Verfassung folgen zur Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht in diesem Rahmen verschiedene Vorgaben, die die staatlichen Organe zu beachten haben.4 An erster Stelle ist die auf Grund des Vorbehalts des Gesetzes bestehende Erfüllungshierarchie zu nennen, die den parlamentarischen Gesetzgeber vorrangig zur Schaffung eines einheitlichen Schutzkonzeptes verpflichtet. Hierbei unterliegt er der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Zugleich setzt der Vorbehalt des Gesetzes der Schutzpflichterfüllung durch die Fachgerichtsbarkeit Grenzen. Die grundsätzliche Konfliktordnung - Schutzregelungen - muß vom Gesetzgeber vorgenommen werden, während die Schutzgewährung im Einzelfall - Konfliktordnung - durch die Fachgerichte erfolgt. An zweiter Stelle der von den staatlichen Organen zu beachtenden verfassungsrechtlichen Faktoren sind inhaltliche Erfüllungskriterien zu Gunsten des Rechtsgüterschutzes der Patienten und die Grundrechtspositionen der Ärzte zu nennen. 2. Der Rechtsgüterschutz in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht wird normativ durch Vorgaben des Bundes dominiert. Der Inhalt und die Grenzen der ärztlichen Tätigkeit, insbesondere im Rahmen der medizinischen Behandlungsverträge, wird vor allem durch bundesgesetzliche Regelungen - BGB, StGB, sachspezifische Gesetze,5 SGB V - und bundesgerichtliche Rechtsprechung vorgegeben. Die Länder haben umgekehrt in ihren Kammer- und Heilberufsgesetzen überwiegend auf detaillierte Regelungen verzichtet und sich mit der Ermächtigung der öffentlich-rechtlich organisierten Landesärztekammern zu weiteren Regelungen begnügt. Für die Landesärztekammer bedeutet der Satzungserlaß allerdings regelmäßig nur die (inhaltliche) Übernahme der Richtlinien und Empfehlungen der privatrechlich organisierten Bundesärztekammer, ihren Unterorganisationen und Fachgesellschaften. Bei der Gestaltung der ärztlichen Heiltätigkeit und dem Patientenschutz hat sich damit 3

Dazu oben A Kap. 3, B Kap. 1-4. Dazu oben A Kap. 2, Kap. 3 und sogleich 2.-4. Z. B. lautet Art. 35 der Schweizer Bundesverfassung v. 18.4.1999 wie folgt: Abs. 1: „Die Grundrechte müssen in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen", Abs. 2: „Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen", Abs. 3: „Die Behörden sorgen dafür, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden."; vgl. auch G. Müller, ZBJV 1993, 153 ff. Für Art. 1 Abs. 1 GG wird sogar eine unmittelbare Geltung zwischen Privaten angenommen; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1 Rn. 11; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 1 Rn.27; Stern, Staatsrecht III/l, §58 116 (S. 29ff.); zum Verhältnis der grundrechtlichen Schutzpflicht zur herkömmlichen Drittwirkungslehre oben A Kap. 21. 5 V. a. das Arzneimittelgesetz, das Medizinproduktegesetz, das Transplantationsgesetz, das Transfusionsgestz (zu diesen oben B Kap. 4) und das Embryonenschutzgesetz (dazu oben B Kap. 31.). 4

Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

de facto ein bundeseinheitlicher Standard etabliert, dem gegenüber die Länderkompetenz für die ärztliche Berufsausübung - allerdings im Einklang mit der Verfassung - weitgehend ins Leere geht. Für Bund und Länder ist generell eine große Zurückhaltung der parlamentarischen Gesetzgeber festzustellen, der eine um so größere Bedeutung der Rechtsprechung gegenübersteht. Mit Ausnahme besonderer Sachbereiche6 wird der Rechtsgüterschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis im (allgemeinen) Zivilrecht überwiegend durch die gerichtliche Auslegung der vertraglichen und deliktischen gesetzlichen Generalklauseln gewährleistet und auch im (allgemeinen) Strafrecht enthalten die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte kein spezifisches Schutzinstrumentarium für die Besonderheiten der Rechtsgutsbeeinträchtigungen im Arzt-Patienten-Verhältnis. Ebenso wenig hat der Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Patienten eine allgemeine gesetzliche Grundlage erfahren. Angesichts des Grundsatzes des Vorbehaltes des Gesetzes und auch des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung bei der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht im Arzt-Patienten-Verhältnis daher schon für sich problematisch. Die Probleme werden aber noch dadurch verstärkt, daß die Rechtsprechung oftmals private „Rechtsetzung" aufnimmt und gegenüber den Patienten verbindlich macht. Weder der direkte Rückgriff auf privatrechtliche Standesmaßstäbe, noch auf die Satzungsregelungen der Landesärztekammern führt indes zur ausreichenden demokratischen Legitimation. Die unveränderte Übernahme durch die Rechtsprechung oder die öffentlich-rechtlichen Landesärztekammern verschaffen den Entscheidungen (insbesondere) der Bundesärztekammer nur ein demokratisches Kleid, aber keine ausreichende demokratische inhaltliche Legitimation.7 Insoweit ist im Rahmen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht bereits die Zulässigkeit einer derart weitreichenden Delegation durch die Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder auf die Landesärztekammern wegen der beschränkten Binnen Wirkung des von diesen gesetzten Standesrechts, dem die Patienten nicht unterworfen sind, zu bezweifeln. 8 Über dieses Defizit hilft auch die Adaption in die Zivilrechtsordnung über die Auslegung der gesetzlichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Zivilrechtsprechung nicht hinweg. Dasselbe gilt für die strafrechtliche Judikatur. Da eine eigene Sachprüfung der medizinischen Vorgaben durch die Gerichte auch bei Einschaltung medizinischer Sachverständiger kaum zu bewerkstelligen ist, ist de lege ferenda die Beteiligung des Staates schon beim Zustandekommen der standesrechtlichen Regelungen sicherzustellen.9 6

Dazu unten 4. Ähnlich die Rspr. des BSG zu den untergesetzlichen Norm vorgaben in der GKV. 8 Deutlich in diesem Sinne auch Hennen/Petermann/Schmitt, S. 137 f.; vgl. weiter Pitschas, in: Hart, S. 239 ff. 9 Dazu oben A Kap. 2 III., passim in B Kap. 1-4. Im Hinblick auf die Vielfalt und Reichweite entsprechender hoheitlicher Maßnahmen ist zu wiederholen, daß für die ärztliche standesrechtliche Selbstverwaltung oder die Selbstverwaltung im Gesetzlichen Krankenversiche7

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Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

Vergleichbaren Bedenken begegnet die untergesetzliche Normsetzung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung. 10 Auch hier hat sich der Gesetzgeber auf die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens beschränkt, der von den Krankenversicherungsträgern, ihren Verbänden oder extra errichteten Gremien mit verbindlicher Wirkung für die Ärzte und versicherten Patienten konkretisiert wird. De lege ferenda sollte auch hier durch verfassungsgemäße Delegationen ein hochwertiger Rechtsgüterschutz gewährleistet werden. Aus den zahlreichen standesrechtlichen und krankenversicherungsrechtlichen Regelungen sowie aus den Einzeljudikaten der fachgerichtlichen Rechtsprechung ergeben sich beachtliche Auswirkungen auf die ärztliche Berufsausübung im Verhältnis zum Patienten. Der Inhalt der ärztlichen Behandlung als vertragliche Leistung gegenüber dem Patienten wird durch außervertragliche Einflüsse erheblich gestaltet, während der Gesetzgeber nur in bestimmten Bereichen seinerseits eigene inhaltliche Vorgaben normiert hat. Die inhaltlichen Vorgaben sind nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Ärzte grundrechtsrelevant. Den Ausgleich der teilweise kollidierenden Grundrechtspositionen im Arzt-Patienten-Verhältnis hat unter der Ägide des Grundgesetzes jedoch vorrangig der Gesetzgeber vorzunehmen. Auch wenn durch nicht-parlamentarische Tätigkeit Grundrechtsschutz gewährleistet wird, ist es doch verfassungsrechtlich bedenklich und zugleich erstaunlich, daß sich dieser trotz der immensen Entwicklungen in der Medizin, die nicht nur zu einem Wandel in der Beziehung zwischen Arzt und Patient, sondern auch zu völlig neuen rechtlichen und ethischen Fragen geführt haben, und trotz der Überlagerung der Rechtsordnung durch den grundgesetzlichen Grundrechtsschutz der Patienten und Ärzte überwiegend in einem mehr als 100 Jahre alten Regelungsgeflecht vollzieht. 11 Unter dem Grundgesetz ist angesichts der heutzutage vielschichtigeren und fachlich komplexeren Gefährdungslagen eine parlamentarische Neuordnung geboten. 3. Das Arzt-Patienten-Verhältnis bedarf infolgedessen einer eigenen parlamentarischen Grundlage durch die Schaffung eines zivilrechtlichen medizinischen Behandlungsvertrages. In diesem sind auch die Besonderheiten der Humanforschung - sei es bei Heilversuchen, sei es bei fremdnützigen Forschungsvorhaben - zu regeln. In diesem Rahmen ist weiter das gesetzlich nur ausnahmsweise durchbrochene Prinzip der zivilrechtlichen Verschuldenshaftung zu überdenken. Die Zivilgerichtsbarkeit hat dieses inzwischen im Bereich der Arzthaftung erheblich aufgeweicht, so daß der Abstand zur Gefährdungshaftung und damit letztlich zu einer Patientenversicherung ständig abnimmt. Zu beachten ist jedoch, daß eine derartige Versicherung nur die vereinfachte Schadensabwicklung bewirkt und dem inhaltlich zentralen Anliegen des präventiven Rechtsgüterschutzes, ebenso wie das rungsrecht kein dem Art. 28 Abs. 2 GG entsprechender verfassungsrechtlicher Freiraum besteht; vgl. weiter unten 3., 4. 10 Dazu oben B Kap. 5. 11 Dazu oben A Kap. 21., IV.

Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

herkömmliche Haftungsrecht, nur begrenzt Rechnung tragen kann.12 Die zu erlassenden Regelungen haben auch die Bedeutung der ärztlichen Standesvereinigungen zu berücksichtigen und deren Fachwissen sachgerecht normativ einzubinden. Zum einen kann dadurch ein qualitativ hochwertiger Behandlungsstandard bei der Leistungserbringung etabliert werden. Zum anderen wird die Sachverhaltsermittlung und Entscheidungsgrundlage der Fachgerichte im Arzthaftungsprozeß auf eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Ebene gehoben. Parallel ist das System des strafrechtlichen Schutzes bei Heilbehandlungen zu überdenken. In dem Maß, in dem sich die zu erlassenden gesetzlichen Regelungen bewähren, das heißt den vertraglich-präventiven und zivilen haftungsrechtlichen Grundrechtsschutz der Patienten verbessern, könnte an Rückführungen des aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflicht ebenfalls gebotenen strafrechtlichen Schutzes gedacht werden. Durch rechtssichere parlamentarische Vorgaben für den vertraglichen Rechtsgüterschutz sowie bezüglich der ärztlichen Haftung wird auch der Befürchtung einer zunehmenden Defensivmedizin begegnet.13 Die vom Bundesverfassungsgericht postulierte Einordnung des Strafrechtsschutzes als ultima ratio findet sich im Arzt-Patienten-Verhältnis de lege lata jedenfalls nicht wieder. 14 4. Im Zentrum der inhaltlichen Erfüllungskriterien der grundrechtlichen Schutzpflicht stehen das Gebot des präventiven Rechtsgüterschutzes und die Notwendigkeit eines einheitlichen Schutzkonzeptes.15 Entgegen verbreiteter Auffassung im Schrifttum bestehen durchaus verfassungsrechtliche Kriterien, in welcher Art und Weise die Schutzgewährung zu erfolgen hat. Zahlreiche Ansätze dazu finden sich in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Schutzpflicht. Die dort entwickelten Vorgaben binden alle Träger staatlicher Gewalt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Zugleich stellen sie Konkretisierungen des Wesentlichkeitskriteriums dar und prägen den vom Gesetzgeber zu regelnden Bereich. Die vorrangige Zielsetzung der Verhinderung von Rechtsgutsbeeinträchtigungen muß alle Bereiche des Gesundheitswesens durchdringen. 16 Elemente des präventiven Rechtsgüterschutzes lassen sich im Rahmen der zivilrechtlichen Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Patient und deren Einbettung in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung etablieren. 17 Insgesamt bestehen aber zahlreiche Schutzdefizite beim ärztlichen Umgang mit den Patienten, die insbesondere der Gesetzge12

Dazu sogleich 4. Diese werden insbesondere angesichts der Entwicklungen im zivil- und strafrechtlichen Arzthaftungsrecht geäußert; vgl. z.B. Ulsenheimer, MedR 1992,127ff.; E. Jung, S. 159f.; kritisch gegen die isolierte Verbindung von ärztlicher Haftung und medizinischem Fortschritt zutreffend bereits Giesen, Rn. 348 ff. 14 Zum Rechtsgüterschutz durch das allgemeine Zivil- und Strafrecht oben B Kap. 1, Kap. 2. 15 Dazu oben A Kap. 2 II. 16 Die übergeordnete Notwendigkeit präventiven Schutzes und seine defizitäre Gewährleistung zu Recht betonend v. Hippel, ZRP 2001, 145 ff. m. w. Nw. 17 Kritisch zur Art und Weise der aktuellen Qualitätssicherung in der GKV aber z. B. G. Schneider, MedR 1998, 151 ff. 13

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Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

ber zu beseitigen hat. Unter präventiven Gesichtspunkten ist der durch die Zivil- und Strafgerichte gewährte Rechtsgüterschutz defizitär, da er an bereits erfolgte Rechtsgutverletzungen und Schädigungen anknüpft und damit nur sanktionierend wirkt. Folglich muß der präventive Rechtsgüterschutz andere Wege gehen, wie sie vom Gesetzgeber in den parlamentarisch geregelten Bereichen des Arzneimittel-, Transplantations- und Transfusionswesen eingeschlagen wurden. Insgesamt ergibt sich in diesen ein positives Fazit im Hinblick auf die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Hier bewirken die präventiven Schutzregelungen zudem eine Entlastung des sanktionierenden Arzthaftungsrechts. Bestimmte Regelungen, zum Beispiel über die Voraussetzungen an klinische Arzneimittel- und Medizinprodukteprüfungen, die Anforderungen an Aufklärung und Einwilligung von Patienten oder die Einbindung der Standesvertretungen zur Bestimmung des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik und zur Steigerung der Qualität ärztlicher Behandlungen, sind durchaus geeignet, in sachgerechter Anpassung in das Arzt-Patienten-Verhältnis insgesamt, das heißt allgemein auf Heilbehandlungen und die Humanforschung, übertragen zu werden. 18 Die verfassungsrechtlichen Bedenken der bestehenden Gestaltung des Arzt-Patienten-Verhältnisses im Hinblick auf die Grundrechte der Ärzte werden durch die vorgeschlagenen Regelungen ebenfalls ausgeräumt. Auf parlamentarischer Grundlage sind weitergehende Regelungen der Berufsausübung zulässig, als durch gerichtliche oder standesrechtliche Vorgaben. Der Gesetzgeber baut beim Rechtsgüterschutz zu Recht auf die Einbindung externen medizinischen und ethischen Sachverstandes. Zu betonten ist jedoch, daß sich diese im Rahmen der Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht vollzieht. Auch wenn die Einbindung in den spezifischen Gesetzen im Gegensatz zum Zivil- und Strafrecht unmittelbar erfolgt und damit transparent gestaltet ist, ist doch de lege ferenda eine einheitliche Konzeption zu verfolgen, die dem Staat und seinen Organen die Möglichkeit der inhaltlichen Einflußnahme beläßt. Diese ist in allen Bereichen der normativen Schutzpflichterfüllung im Arzt-Patienten-Verhältnis, sei es durch zivilrechtliche oder strafrechtliche, sei es durch andere Schutzregelungen zu etablieren. Anzustreben ist insoweit die Schaffung einer fachlichen Kooperation zwischen Staat und ärztlichem Stand, die zum Beispiel auch beim Erlaß von parlamentarische Vorgaben konkretisierenden Rechtsverordnungen eingebracht werden kann. Allerdings hat der Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch in den spezifisch geregelten Bereichen die noch bestehenden sowie neu auftretende Schutzlücken zu schließen. Der Schutz der existentiellen Rechtsgüter ist dabei auch gegenüber der medizinischen Forschung durchzusetzen. Besondere Aufmerksamkeit ist auf den Rechtsgüterschutz am Beginn und Ende des menschlichen Lebens zu richten.19 Bestehende Schutzgesetze im StGB und ESchG sind angesichts der fortgeschrittenen medizinischen Möglichkeiten heutzutage defizitär. Dies betrifft nicht nur den Schutz des Lebens, sondern auch den der körperlichen Unversehrtheit. Deren eigen18 19

Dazu oben B Kap. 4. Dazu oben B Kap. 3.

Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

ständige Bedeutung im pränatalen Stadium ist ausdrücklich hervorzuheben. In gleicher Weise bedarf es der gesetzlichen Vorgaben für die Sterbehilfe, die zur Zeit von den fachlich überforderten Zivil- und Strafgerichten Stück für Stück entwickelt werden. Beim Umgang mit derart grundlegenden Fragestellungen erscheint ein einheitlich europäischer Weg zur Zeit nur schwer erreichbar. So bestehen zum Beispiel in England (Embryonenforschung) und den Niederlanden (aktive Sterbehilfe) sogar Regelungen, die vor dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne weiteres Bestand hätten. 5. Dem de lege ferenda zu etablierenden Schutzkonzept würde insgesamt aber Vorbildcharakter für eine einheitliche europäische Lösung zukommen.20 Angesichts der momentan bestehenden Kompetenzverteilung ist zwar die Bedeutung des nationalen Rechts insbesondere gegenüber dem Recht der Europäischen Union hervorzuheben.21 Einerseits gilt dies angesichts der Entwicklung Europas jedoch möglicherweise nicht dauerhaft. Andererseits sind zu Gunsten der Rechtspositionen der Ärzteschaft Ansätze zur Reduzierung des Patientenschutzes im Sinne eines kleinsten europaweiten Nenners zu befürchten. 22 Zu einer weiten Auslegung der ärztlichen Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG 23 ist allerdings zu bemerken, daß die bloße Statuierung einer derartigen Grundfreiheit den spezifischen Problemen im Arzt-Patienten-Verhältnis und in diesem unerläßlichen Grundrechtsschutz genauso wenig genügt, wie §611 BGB. Insoweit würden sich die beschriebenen Probleme hinsichtlich des Vorbehalts des Gesetzes nur verlagern. Sollte die EU daher in Zukunft zur Regelung der umfassenden und komplexen Rechtsbeziehung zwischen Arzt und Patient ermächtigt werden, hätte auch sie nicht nur die Bedeutung der beim Patienten betroffenen (Grund)Rechtsgüter, sondern auch den legitimatorischen Rang parlamentarischer Konfliktordnung zu beachten. Zu warnen ist indes vor einer Relativierung der nationalen Schutzpflichtkonzeption, nur weil einem Sachbereich transnationaler oder globaler Gehalt zukommt. Verfassungsrechtlich bedenkliche Schutzdefizite können nicht unter Berufung auf eine Internationalität oder die Globalisierung aufrechterhalten werden. 24 6. Angesichts der hier entwickelten Stärkung der Verantwortung und Regelungspflicht des Gesetzgebers ist weiteres Augenmerk auf den Prozeß der parlamentarischen Entscheidungsfindung zu legen. Auch hier besteht eine Vielzahl von Proble20

Vgl. auch Barta, in: Köhler/v. Maydell, S. 253 ff., 274 der allerdings eingangs - ohne Begründung - eine einheitlich europarechtliche Lösung fordert (S.251). 21 Dazu oben A Kap. 1 V. 22 Hingewiesen sei z. B. auf die praktizierte Präimplantationsdiagnostik in manchen EUMitgliedstaaten, die teilweise als Argument für deren (zukünftige) Zulässigkeit auch in Deutschland angeführt wird. 23 Vgl. EuGH, Rs. 159/90, Slg. 1991,1-4685,1-4733 (1-4738f.)-Irisches Abtreibungsverbot. 24 Zurückhaltung ist daher gegenüber Aussagen angebracht, die Überprüfungen am GG wegen eines internationalen Umfeldes als staatsintrovertierte Verfassungsexegesen und anachronistisch bezeichnen; so Isensee, in: FS Hollerbach, S.264 (einschränkend allerdings S.265f.).

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Teil C: Zusammenfassende Schlußbetrachtung

men, die einer eigenen Untersuchung vorbehalten sind. Positiv zu vermerken sind aber in jedem Fall die heutzutage im Schrifttum zu beobachtenden Auseinandersetzungen, beispielsweise mit der Art und Weise der Bildung von Entscheidungsgrundlagen für das Parlament oder Anforderungen an gesetzliche Regelungen.25 Einen positiven Beitrag zur Schaffung einer eigenen Sachkunde des Gesetzgebers leisten auch spezifische Kommissionen, denen beratende Funktion zukommt.26 In Zukunft gilt es auch hier, eine den demokratischen und rechtsstaatlichen Ansprüchen entsprechende Transparenz und Institutionalisierung anzustreben. Abschließend gilt es der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, daß die vorliegende Arbeit nicht nur rechtstheoretisch zur Sicherung und Stärkung des Grundrechtsschutzes der Patienten beiträgt, sondern letztlich auch in der medizinischen Praxis zu qualitativen Verbesserungen führt. Unerläßlich erscheint insoweit auch eine rechtsgutsorientierte Schärfung des gesellschaftlichen Problembewußtseins, welche oftmals durch das offene Austragen von Verbandskonflikten verhindert wird. Das bei Heilbehandlungen notwendige Vertrauen zwischen Arzt und Patient darf durch die Einbindung des Staates nicht erschüttert werden. Die verfassungskonforme Einbindung des ärztlichen Standes bei der staatlichen Schutzpflichterfüllung im ArztPatienten-Verhältnis ist daher genau so wichtig wie die Erkenntnis, daß sich der medizinische Fortschritt nicht um jeden Preis und außerhalb der Rechtsordnung entwickeln und vollziehen darf.

25 Vgl. z. B. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988; Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, 1996; Junghans, ZRP 1999, 359ff., oder Nachbetrachtungen in DiederichsenlDreier, Das mißglückte Gesetz, 1997. Diese ausschließlich weiterführende Literatur wurde nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen. 26 Hervorzuheben ist die im Jahr 2000 v. Dt. Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin", die im Sommer 2002 ihren Schlußbericht vorgelegt hat.

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averzeichnis Die Seitenzahlen geben die einschlägige Seite oder den Beginn einer Passage zum Stichwort an. Abhilfefrist s. Übergangsfrist Abwehrrecht 28,30,34 Adressaten der Schutzpflicht 67 Aktiver Schutz 94 Allgemeine Geschäftsbedingungen 194 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 51,258, 268 Amtsermittlung 226,248 Analogieverbot 75, 250, 284 Anscheinsbeweis 214 Anwendung von Blutprodukten 342 Arbeitszeit 178 Arzneimittelherstellung 307 Arzneimitteltherapie 305 Arzneimittelwesen 62,274,303, 321, 338 Arzneimittelzulassung 304 Ärztekammern s. Kammerwesen Arzthaftung 15, 70,114,192,233, 265, 305,331,366 Ärztliche (Standes-)Ethik 17, 56, 106, 128, 168, 183,359 Ärztliche Leistungspflichten 179, 305, 342, 352 Arzt-Patienten-Verhältnis 17, 25, 104, 127,157,170, 233, 253 Arztrecht 16, 128 Arztvertrag s. Behandlungsvertrag Arztvorbehalt 262,272,319 Aufgedrängter Grundrechtsschutz 49, 155, 288 Aufklärung 157,182,212,238,240, 306, 313,330, 339 Aufklärungsbefreiung 185 Aufklärungsfehler 157,182, 198, 212, 237, 305,331 Aufklärungskategorien 184 Aufklärungsverzicht 186

Aufsicht 111,112, 135, 286, 314, 334, 337, 339, 341,356, 367,373 Ausbildung s. Fortbildung Außenseitermethoden 146, 186, 356, 363 Begrenzte Einzelzuständigkeit 62 Behandlungsabbruch 53, 170, 185,288, 293, 297 Behandlungsfehler 157,180, 198, 210, 237, 273, 305,331 Behandlungsfehlerkommission 231 Behandlungsvertrag 50, 128, 170,174, 210, 224, 346, 347, 378 Belegarzt 176 Beratungskonzept 271 Berufsausübung 16,25,80,102,110,136, 152, 259, 269, 280, 365, 376, 380 Berufsfreiheit s. Berufsausübung u. Berufswahl Berufsordnung 102, 105, 263, 286 Berufsrecht s. Standesrecht Berufswahl/-zulassung 25,102,110 Besondere Therapierichtungen 356 Bestimmtheitsgebot 75,132,222, 250, 258, 284 Betreuung 298 Beweiserleichterung 208,214,218 Beweislast 63,204,208,218 Beweislastumkehr 210,213,218 Beweismittel 204 B innenautonomie 108 Binnenmarkt 64,287,303 Binnenrecht 71,104, 131, 189, 286 Biomedizin 15,129,181,317 Blutgewinnung 339 Blutstammzellseparation 340 Bundesärztekammer 102, 263, 278, 333, 335, 338, 343, 376

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arverzeichnis

Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen 355,367 Bürgerliches Recht s. Zivilrecht Darlegungslast s. Beweislast Definitionsverbot 42, 145 Delegation 69,77,81,101,120,132,228, 251,313,332, 335, 343, 367, 377 Delegationsverbot 77, 82, 97, 120, 336, 371 Deliktische Haftung 118, 157,198, 218 Demokratie 72,80,132,167,337,368,377 Deutscher Ärztetag 102 Diagnose 50, 129, 158, 174, 263, 277 Dienstvertrag s. Behandlungsvertrag Dokumentationspflicht 187, 214, 331, 340, 342 Drittwirkung 27,70,376 Duldungspflicht 30 Dynamischer Schutz 90, 163, 336, 344 Effektiver Schutz 88, 94, 112, 114, 133, 161, 178, 202, 364 Eigenmächtigkeit 149,157,182,233,313, 324,327, 339 Eingriffsabwehr 21, 30, 60,78, 89, 254, 268,291,366 Einsichtsfähigkeit 182, 240, 291 Einsichtsrecht 187 Einwilligung 50,157,182,212,233,240, 312, 327, 339, 342 Embryonenforschung 150, 258, 280 Embryonenschutz 253 Empfänger 319,329,331,342 Entlastung der Fachgerichte 72,114,202, 204, 231,321,345 Erfüllungshierarchie 69,76,219 Erfüllungskriterien 87, 167 Erfüllungsverpflichtete 67 Erfüllungsvorgaben s. Erfüllungskriterien Ersatzgesetzgeber 69,116,162 Ethikkommission 56,102,106,285,315, 341 Europäische Gemeinschaft 61,338 Europäische Kommission 63 Europäische Menschenrechtskonvention 57 Europäische Union 59,287,344,381

Europäischer Gerichtshof 59, 64 Europarat 58,287,319,344 Existenzminimum 55 Externer Sachverstand 101,205,222,228, 335,343, 376 Fachgerichtsbarkeit 67, 114 Fachgesellschaften 103, 376 Fertigarzneimittel 304, 310 Fetaltherapie 265,278 Forschung/Forschungsfreiheit 58,80,144, 258, 280,311,375 Forschungsvertrag 318 Fortbildung 25, 102 Fortpflanzungsmedizin 254, 257, 277 Freier Beruf 141 Friedenspflicht 30,32,114 Frischzelle 307 Garantenstellung/-pflicht 237, 293 Gefährdungshaftung 196,218, 306 Gemeinsamer Markt s. Binnenmarkt Gemeinschaftsgrundrechte 59 Gemeinschaftsrecht 59,231,287,338 Genehmigung 25, 30, 111 121, 222, 285, 298,334 Generalklausel 70, 105, 115, 118,131, 179, 221, 377 Gerichtliche Sachverhaltsermittlung 204 Geschäftsführung ohne Auftrag 173 Gesetzesvorbehalt 76, 138 Gesetzliches Verbot 153,188, 260, 265 Gestaltungsfreiheit 68, 81, 88, 116,161, 228 Gesundheit 32,47 Gesundheitspflicht 156 Gesundheitsrecht 16,85,187 Gesundheitsschutz 32,47, 61, 317, 319, 347 Gesundheitswesen 59, 62, 347 Gewaltenteilung 68, 82, 161, 219, 250 Gewaltmonopol 30,32,114 Gewinnung von Blut/Blutbestandteilen 339 Grundfreiheiten 64, 381 Grundpflichten 156 Grundrechtliche Schutzpflicht 20, 375 Grundrechtsbindung 67

Sachwortverzeichnis Grundrechts-Charta 60 Grundrechtsrelevanz 85,132,371 Grundrechtsträgerschaft 44, 54, 136, 147 Grundrechts verzieht 49, 157 Gutachterkommission 202 Haftpflichtversicherung 178, 230, 313, 341 Haftungsbeschränkung 194 Harmonisierung 61,311 Heilbehandlung 25, 50, 129, 174, 237, 331,338 Heilerfolg 51,151,174 Heilversuch 144,316 Herstellungserlaubnis 304 Herz-Kreislauf/Atmungs-Stillstand 45, 322 Hilfsperson 176, 194, 195 Hirntod 45,322 Humanexperiment 144,258,280,312 Hypothetische Einwilligung 185, 240 Inanspruchnahme 149, 269 Indikation 271,277 Instrumentalisierung 40, 149 Interessenvertretung 22, 73, 102 Internationale Regelungen 55 Kammerwesen 101 Kassenarzt s. Vertragsarzt Kausalzusammenhang 185, 200, 238 Keimbahnzelle 52,283 Klinische Arzneimittelprüfung 311 Klonen 60,258,282 Kollektivvertrag s. Vertragskonzeption Kontrolle 112,335,336,345,359,373, s.a. Aufsicht Kooperation 112, 168, 345, 373, 380 Koordinierungsstelle 333 Körperliche Unversehrtheit 15,20,46,57, 61, 125, 149,233, 256, 264,279, 345, 361 Körperverletzung 118, 198, 233 Kostenerstattung 64, 171, 351, 358 Kräftegleichgewicht 119, 179, 208, 375 Krankenhausvertrag 176, 347 Krankenkassen s. Krankenversicherung/ -sträger

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Krankenversicherung 64, 159, 172, 347 Krankenversicherungsträger 333,349,367 Krankenversorgung 27, 151,342 Kryokonservierung 261 Kunstfehler s. Behandlungsfehler Künstliche Befruchtung s. Fortpflanzungsmedizin Kurierfreiheit s. Therapiefreiheit Landesärztekammer 102, 181, 189, 263, 315,328, 376 Leben 15, 20,42,57,125, 149,254,288, 321,361 Lebensbeginn 43, 57, 254 Lebensende 45,57,288 Lebensverlängerung 290 Legislatives Unterlassen 69,116,121,132, 162,191, 224, 277, 300, 317, 367, 371 Leistungsrecht 32,46, 55, 62 Liberaler Freiheitsstaat 35, 72, 145, 166 Marktkontrolle 304 Medizinische Zwangsbehandlung 78,150, 173,253 Medizinischer Dienst der Krankenkassen 359 Medizinproduktewesen 303, 311 Mehrfachtransfer 261,280,282 Menschenrechts- und Biomedizin-Übereinkommen 58 Menschenwürde 28,29,37,61,125,258, 281,289, 363 Menschenwürdekern 29, 39 Menschenwürdiger Tod 289 Mifegyne 274 Nachbesserungspflicht Nasciturus 43, 55

90, 163, 347

Nationales Schutzniveau 59, 287, 338 Nebenstrafrecht 233, 258, 302 Nebenwirkung 151, 158, 294, 305 Neulandmedizin 129, 147, 357, 363 Nicht-Einwilligungsfähiger 59, 150,301, 311,313,316, 327 Normenkontrolle 122,161, 171

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Objektive Zurechnung s. Kausalzusammenhang Öffentlich-rechtliche Versorgungskonzeption 171 Ökonomische Analyse des Rechts 124, 159,353 Organentnahme 3 21 Organhandel 320,328 Organübertragung 331 Parlamentsvorbehalt 77,97,108,117,250, 300, 325, s.a. Wesentlichkeit Passiver Schutz 94 Patientenautonomie s. Selbstbestimmungsrecht/Verfügungsbefugnis Patiententestament 296, 302 Personalität 43 Pflichtmitgliedschaft 102, 108, 347 Pluripotente Zelle 287 Positive Vertrags-/Forderungsverletzung 118, 194,197,210 Präimplantationsdiagnostik 266 Pränataldiagnostik 263 Präventiver Schutz 25, 72, 91, 96,121, 157,179, 231, 284, 298, 304, 311, 318, 345, 379 Privatautonomie 50,70,119,126,153,188 Privatrecht s. Zivilrecht Prozeßkostenhilfe 202 Qualitätssicherung/-förderung 334, 342, 356, 359, 373

102, 179,

Rechtsangleichung 62, 311 Rechtsgutsgefährdung 22, 50, 157 Rechtsschutzverweigerung 71, 114 Rechtsstaat 35, 70,75, 80, 132, 167, 202, 370 Regeln der ärztlichen Kunst 140,180,237, 354, 362 Regelungsfeindlichkeit 133, 341, 372 Regelungspflicht 83, 84, 110, 133, 153, 161, 191,224, 277, 288, 300, 367 Reproduktionsmedizin s. Fortpflanzungsmedizin Reserveursache 200 Restrisiko 23 Richterliche Hinweispflicht 205

Richterliche Rechtsfortbildung 72, 111, 114,218, 293,298 Richterrecht 116 Richtlinie 62,103,113,231,313,335,338, 343, 355, 367, 376 Risikovorsorge 91, 305 Sachleistung 64, 349 Sachverstand/Sachverständiger s. Externer Sachverstand Sachverständigenbeweis 205 Sanktionierender Schutz 72, 91, 96,121, 157,192, 233, 284, 311, 320, 331, 339, 340, 380 Satzung 101,180,189,199,222,315,370, 377 Satzungsautonomie s. Selbstverwaltung Schlichtungsstelle 202 Schmerzensgeld 118, 193 Schuldprinzip s. Verschulden Schutz vor/gegen sich selbst 40, 155, 288 Schutzgesetz 170, 199, 233, 254, 302 Schutzpflichterfüllung 66, 169 Schutzpflichtkonforme Auslegung 75, 114,364 Schutzpflichtkonstellation 20,58,78,254, 291,361 Schwangerschaftsabbruch 152, 268, 309 Schweigepflicht 187 Selbstbestimmungsrecht 16,49,149,155, 182, 234, 258, 279,288, 326, 329, 340, 362 Selbstgefährdung 50, 155 Selbsttötung 50, 156, 288 Selbstverletzung 50, 155 Selbstverwaltung 108,143, 151, 351, 367 Sittenwidrigkeit 70, 118, 154, 183,190, 242,251,260,265,276,318 Solidarprinzip 348, 373 Sozialpflichtigkeit 23 Sozialstaat 18,32,70,202,361 Spendeeinrichtung 339 Spender 321,327,331,339 Spenderimmunisierung 340 Stammzelle 281,285 Stand der Wissenschaft und Technik 90, 105,132,180, 313, 321, 335, 340, 343, 354, 380

Sachwortverzeichnis Standesautonomie s. Selbstverwaltung Standesorganisation/-Vertretung 16, 69, 102, 118, 180,228, 379 Standesrecht 59,102,180,189,199, 263, 277,335, 343 Stellvertretung 269,317 Sterbehilfe 288 Sterbenlassen 294 Sterbewille 288 Störer 21,30 Strafrecht 75,92,154,233,255,293,309, 321,327, 331,339 Subjektives Recht auf Schutz 28, 53, 161 Subsidiarität 62 Systemmangel/-versagen 358, 369 Therapie 50, 129, 158, 174, 304 Therapiefreiheit 16, 140 Todeszeitpunkt 322 Totipotente Zelle 259, 280 Transfusionsbeauftragter/-kommission 342 Transfusionswesen 62, 337 Transplantationskommission 102, 328 Transplantationswesen 62, 319 Transplantationszentrum 333 Treu und Glauben 70,118,132,153,179, 187, 221,318 Übergangsfrist 134, 164 Überwachung 285, 302, 304, 335, s. a. Aufsicht Überzählige Embryonen 258, 261, 282 Unbestimmter Rechtsbegriff 70, 90, 115, 132, s. a. Generalklausel Unschuldsvermutung 249 Unterlassen 180,237,246,293 Untermaßverbot 88, 96, 162 Unvereinbarerklärung 164 Urkundsbeweis 204 Verbotsgesetz 188, 200, 260, 265 Verfahrensdetermination 70,192, 205 Verfassungsbeschwerde 28, 54, 161 Verfassungsgerichtliche Kontrolle 28, 54, 61,74,110,117,137,161,214,307,329 Verfassungsgerichtsbarkeit 54, 161

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Verfügungsbefugnis s. Selbstbestimmungsrecht Verhandlungsgrundsatz 204 Verjährung 194 Verkehrssitte 70, 118, 132,179, 318 Vermittlungsstelle 333 Verschulden 194,218,244,284 Versicherungsgemeinschaft 159, 373 Versicherungslösung 230, 346 Vertrag zugunsten Dritter 172 Vertragliche Haftung 118, 157,197, 218 Vertragsarzt 171,349 Vertragsfreiheit s. Privatautonomie Vertragskonzeption 153, 333, 350, 355, 369 Vertragsnichtigkeit s. Sittenwidrigkeit u. Verbotsgesetz Vertragspartner 176 Vertrauensbeziehung 16, 128, 253 Verwaltungsvorschrift 314 Volljährigkeit 313,329 Vorbehalt des Gesetzes 69, 76, 97, 108, 153,218,277, 300, 317, 333, 343, 367 Vorgeburtliches Leben 43, 55, 57, 254 Vorrang des Gesetzes 68 Vorsorgevollmacht 297, 302 Warnung 98 Weiterbildung s. Fortbildung Weltgesundheitsorganisation 47, 344 Werkvertrag 174 Wertordnungslehre 26,70,126 Wesensgehalt 39, 141 Wesentlichkeit 82, 84, 97, 116,132, 163, 299, 369, s. a. Parlamentsvorbehalt Wirksamer Schutz s. Effektiver Schutz Wirtschaftlichkeit 123, 159, 353 Wissenschaftsfreiheit s. Forschungsfreiheit Xenotransplantation 320 Zivilisationsrisiko 23,42 Zivilrecht 70,92,153,170,296,310,317, 340 Zurechnung s. Kausalzusammenhang Zusammenarbeit s. Kooperation Zuständigkeit 61, 68, 83, 99, 102, 229, 308, 353