Gesammelte Schriften und Briefe: Band 4 Die Schriften der Jahre 1842/1843 [(Fotomech. Nachdr. 2. Aufl.) Reprint 2019] 9783110844474, 9783110026887


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German Pages 438 [448] Year 1970

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Table of contents :
Vorwort des Herausgebers
Die Zünfte, eingeleitet von Ewald Sindel
Die Zünfte, eine Schutzschrift (1841)
Der Sprachkampf in Siebenbürgen (1842)
Untersuchungen und Wohlmeinungen über Ackerbau und Nomadenleben (1812)
Wünsche und Ratschläge, eine Bittschrift fürs Landvolk (1843)
Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen (1843)
Inhaltsverzeichnis des 4. Bandes
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Gesammelte Schriften und Briefe: Band 4 Die Schriften der Jahre 1842/1843 [(Fotomech. Nachdr. 2. Aufl.) Reprint 2019]
 9783110844474, 9783110026887

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Stephan

Ludwig

Roth

Stephan Ludwig Roth Gesammelte Schriften und Briefe

Aus dem Nachlaß herausgegeben von

Otto Folberth

1970 Verlag Walter de Gruyter

Vorwort des Herausgebers 2) er zweite Band dieser Ausgabe erschien ein Jahr nach dem ersten. Der dritte zwei Jahre nach dem zweiten. Der vierte nun erscheint drei Jahre nach dem dritten. Diese Zahlenkette könnte den Anschein erwecken, sie sei beabsichtigt worden. Sie war es nicht. Und noch weniger besteht die Absicht, sie mit den weiteren Bänden fortzusetzen. Aber freilich muß, wie die Erfahrung lehrt, bei einer so lange laufenden Arbeit mit einer Störung durch unvorher­ gesehene Ereignisse immer gerechnet werden. Schuld an der Verspätung dieses vierten Bandes ist der be­ klagenswerte Zustand, in den wir während der letzten Jahre lanöein-landaus geraten sind und der unsere Heimat nicht nur nicht verschont, sondern in verschärftem Maße sogar heimgesucht hat: die allgemeine große Wirtschaftsnot. Verleger sowohl als Heraus­ geber waren der Meinung, daß es geraten sei, den zahlreichen zum Teil in schwerste Bedrängnis geratenen Abnehmern und Freunden dieses Werkes mit dem vierten Bande keine Bürde auf­ zuerlegen, die sie nur mißmutig tragen könnten. Lieber solle man abwarten, bis die schlimmsten Jahre vorüber seien und die rest­ lichen Bände dann wieder in Hände legen, die sich ihnen gerne ent­ gegenstreckten. Ob wir den Zeitpunkt dafür auch recht getroffen haben? Eins ist sicher: für diesen vierten Band wird nur ein Geschlecht das rechte Verständnis haben, das am eigenen Leibe die Gefahr der materiellen Verarmung, der sittlichen Verelendung, der nationalen Auflösung drohend nahe erfahren hat. Nur ein Geschlecht, das das Ende kommen sah. Insoweit gibt es heute, das wagen wir zu be­ haupten, keine „zeitgemäßeren" historischen Dokumente als die in diesem Band gesammelten, keine, die uns in so überzeugender Weise zu verstehen geben: so und so ist es bereits einmal gewesen und das und das sind die Mittel, die Not zu überwinden. Denn dieser Band enthält jene denkwürdigen Schriften St. L. Noths, die kurze Zeit nach seiner Erwählung zum Pfarrer von Nimesch (1837) in rascher Aufeinanderfolge entstanden und den eigentlichen Kern seines schriftstellerischen Vermächtnisses bilden:

Die Zünfte, eine Schutzschrift, 1841; Der Sprachkampf in Sieben­ bürgen, eine Beleuchtung des Woher und Wohin? 1842; Unter­ suchungen und Wohlmeinungen über Ackerbau und Nomaden­ leben, 1842; Wünsche und Ratschläge, eine Bittschrift fürs Land­ volk, 1843; Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen, 1843. Eine Schrift also aus der Zeit­ wende der Gewerbeentwicklung, eine politische, zwei landwirt­ schaftliche, eine volkswirtschaftliche Schrift. In allen wetterleuchtet es von den Gewittern, den teils schon entladenen und vergrollenden, den teils erst aufziehenden der Zeit. Man befindet sich unter ihnen wie auf einem Felde, das der Hagel schon arg zerschlug, und noch ist der Himmel nicht frei und freundlich, im Gegenteil, man mutz des Schlimmsten erst gewärtig sein. Wenn es sich in allen diesen Schriften nicht um eine so tragische Schicksalswende unseres Volkes handelte, könnte man sie eine Perlenschnur schriftstellerischer Glanzleistungen nennen. In for­ maler Beziehung sind sie es. Nein, so ist weder vorher noch nachher in Siebenbürgen jemals geschrieben worden! Mit dieser Leichtig­ keit hat keiner sonst je die deutsche Sprache hier gemeistert. So blitz und blank sind alle diese Sätze und Gedanken gefaßt und ge­ formt, so ruhig zielend und so treffsicher, daß man sich darüber wundern mutz, daß Roth'scher Sprachgeist in den späteren Ge­ schlechtern bei uns so wenig Nachahmung gefunden hat. Es gibt dafür immer und ewig nur die eine Erklärung: die wesentlichen Leistungen dieses Menschen sind (so lange er lebte ganz besonders, aber auch noch geraume Zeit nach seinem Tod) durch seine so­ genannten „Mißerfolge" völlig beschattet und verdeckt worden. Eine dieser wesentlichen Leistungen war und ist und wird bleiben, so lange man deutsch in Siebenbürgen spricht: seine Sprachmeisterschaft. An ihr gemessen wird die Frage nach der unmittelbaren, nach der handgreiflichen Wirkung dieser Schriften — wenigstens von heute aus gesehen und für uns — mehr und mehr bedeutungs­ los. Erfolg oder Mißerfolg — so fragten die Zeitgenossen Roths und gewiß einigermaßen mit Recht. So jedenfalls fragen Zeit­ genossen immer. So aber fragt die Nachwelt nicht. Die Nachwelt vermag aus ihrem zeitlichen Abstande eine geistige Leistung ruhiger und sachlicher zu beurteilen als nach ihrem Erfolgsgrade. Das Zünglein, das auf ihrer Wage einspielt, hat einen langen Arm. Es zeigt genau. Ja, gewisse Werte sind überhaupt erst auf ihr ab­ zulesen. Als geistige L e i st u n g denn wolle der Leser dieses Bandes die in ihm enthaltenen Schriften St. L. Roths auf sich wirken lassen! Die Zeit, da sie unmittelbar, d. h. stofflich und politisch ins Leben einzugreifen berufen waren, ist unwiederbringlich vorbei. Allein die Zeit, in der sie geistig, d. h. als grundsätzliche Haltung

sächsischer Not und Anfechtung gegenüber gewertet zu werden be­ rufen sind, hat, so meinen wir, kaum erst begonnen. Zweierlei Elemente in ihnen zu unterscheiden, dürfte demnach geboten sein: ein stoffliches, zeitlich gebundenes, grundsätzlich der Vergänglich­ keit überantwortetes Element und ein geistig-ethisches, zeitloses, grundsätzlich der Dauer und Ewigkeit zugehöriges. Schon an der elften Schrift wird das recht deutlich. Roth versucht in ihr eigentlich nichts anderes, als für die sterbenden Zünfte ein rettendes Wort einzulegen. Sein unmittelbarstes Ziel ist, die Regierung dazu zu bewegen, die Zünfte nicht aufzu­ heben. Wir wissen (und Roth selber dürfte sich dessen aller Wahr­ scheinlichkeit nach bewußt gewesen sein): es konnte ihm nicht ge­ lingen. Was aber bietet er darüber hinaus? Eine Zukunftsschau von grandioser Lebendigkeit, eine Schilderung der Dinge, wie sie nachher wirklich gekommen sind, nachdem die Zünfte von den Fabriken abgelöst worden waren. Möglich, daß die Entwicklung keinen so raschen Verlauf genommen hat, als Roth damals dachte. Manche der von ihm befürchteten Erscheinungen haben sich ja, wenigstens in Siebenbürgen, erst nach dem Weltkrieg eingestellt! Hat er aber deshalb grundsätzlich weniger Recht behalten mit ihrer Prophezeiung? Oder hätte er etwa weniger vor ihnen warnen sollen — schon damals? Die zweite Schrift dieses Bandes ist „Der Sprachkampf in Siebenbürgen. Eine Beleuchtung des Woher und Wohin?" Sie dürfte Roths bekannteste, wenigstens seine am meisten genannte Schrift sein. Es ist anzunehmen, daß sie von allen am raschesten entstanden ist, war sie doch ursprünglich als Zeitungsartikel geplant (S. 80). Trotzdem kann niemand ihre Bedeutung für die Gegenwart und alle Zukunft unseres Volkes leugnen: sie hat zu der Zeit, da es zum erstenmal der deutschen Sprache in Siebenbürgen hart an die Kehle ging, Anspruch und Recht dieser Sprache, und sei sie die Sprache einer noch so kleinen Minderheit, verfochten und damit jenen Kampf eingeleitet, den, wenn auch nach einer anderen Seite zu führen, eine der Haupt­ aufgaben der Gegenwart geworden ist. — Daß Roths „Sprachkampf" im Jahre 1817 eine leidenschaftliche, in Leipzig erschienene Gegenschrift zur Folge gehabt hat, ist bisher wenig beachtet wor­ den. Unsere Einleitung zum „Sprachkampf" beschäftigt sich aus­ führlich mit ihr. Die dritte Schrift nennt Noth etwas farblos „U n t e rsuchungen und Wohl m ei nungen über Ackerbau und Nomadenleben". Sie gehört zu jenen seiner Schriften, deren Titel von ihrem Inhalt sozusagen nichts verraten. Denn wer vermutete in ihr — selbst von jenen, die sich gleich nach dem geistigen, dem zeitlos gültigen Wert dieser Schrift gefragt haben

— eine kulturgeschichtliche Abhandlung, sauber, kurz und klar ge­ faßt, den grundsätzlichen Unterschied zwischen Hirten- und Bauern­ stand aufdeckend? Erstens. Und wer vermutete zweitens, daß von dieser Untersuchung und Klärung der Begriffe ausgehend der Ver­ fasser in nicht minder überzeugender Weise das grundverschiedene Rechtsbewußtsein des Rumänen einerseits, des Sachsen anderseits nachweisen werde? Niemand wird bestreiten können, daß es sich hier um eine Frage handelt, die seither an Bedeutung nicht nur nicht verloren, sondern seit der Zugehörigkeit Siebenbürgens zu Rumänien erst recht zu einer in höchstem Maße zeitgemäßen ge­ worden ist. Wie die dritte verspricht auch die vierte Schrift durch ihren Titel „Wünsche und Ratschläge" weniger, als sie hält. Wohl ist sie eine wahre „Bittschrift fürs Landvolk", d. h. sie will — auch sie also — in erster Linie bestimmte Übelstände der siebenbürgischen Landwirtschaft, die Dreifelderwirtschaft vor allem und die Zerbisselung des Bodens, abstellen helfen und macht hiezu positive, durchaus diskutable, in der Folgezeit auch allergrößtenteils ver­ wirklichte Vorschläge. Aber auch sie enthält mehr, viel mehr als das. Der zum Freund und Schicksalsgenossen der Bauern gewor­ dene, das Herz der Erde nahe, ganz nahe klopfen hörende Pfarrer von Nimesch spricht aus ihr. Und was er sagt, ist in einem höheren Sinne als dem unmittelbar gemeinten für alle Zeiten aufschluß­ reich und beherzigenswert. Jedenfalls ist dies die landwirtschaft­ liche Hauptschrift St. L. Roths. Wer, durch diese Bezeichnung veranlaßt, irgend eine Scheu in sich spürt, hier anzubeißen, beginne mit dem letzten Kapitel über den Straßenbau. Hat er das nur einmal gelesen, wird er ganz sicher alsbald von vorne anfangen. Die fünfte Schrift dieses Bandes, die Schrift „Der Geld­ mangel und die Verarmung in Siebenbürgen, be­ sonders unter den Sachsen" ist die umfangreichste, die aufschluß­ reichste und dazu jene von den gedruckten Schriften Roths, die die meisten Beziehungen gerade zu unserer Gegenwart besitzt. In dieser Schrift erkennen wir unsere Zeit und das Schicksal unserer Zeit wieder. Hier rollt ein Geschichtsverlauf vor uns ab, den wir, ungefähr hundert Jahre später, selber erlebt haben bzw. noch er­ leben. Hier ersteht — immer nur mit der Absicht, Schäden der Zeit, hauptsächlich wirtschaftlicher Natur zu bekämpfen — in einem breiten, lebendigen, farbigen Gemälde, wie es sonst nirgend mehr zu finden ist, das Bild jener Epoche, die, von heute aus ge­ sehen, schicksalhaft eingebettet lag zwischen der großen französischen Revolution auf der einen und der allgemeinen europäischen der Jahre 1848/49 auf der anderen Seite. Man sieht: alle fünf hier aneinander gereihten Schriften be-

sitzen genügend aktuelle Beziehungen zur Gegenwart, um ihre Neuauflage, auch abgesehen von der Notwendigkeit, die vor­ liegende Ausgabe mit ihnen zu vervollständigen, gerade im ge­ gebenen Augenblick als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Frei­ lich, in den geistigen Strom des sächsischen Lebens können sie nur wieder einmünden, können ihn nur erfrischen, wenn sie nicht nur neugedruckt, sondern auch wieder gelesen werden. Dieses lange Vorwort hat keinen anderen Zweck, als alle, denen dies Buch je in die Hände gerät, zu beschwören, dies, nur dies ja nicht zu unter­ lassen. Wen, in der Tat, gingen sie nichts an? Dem Bauern, dem Bürger, dem Volkswirtschaftler, dem Bolksführer, jedem von uns gibt Roth ein vollgerüttelt und geschüttelt Maß dessen, was er gerade braucht, mit auf den Weg. An uns liegt es, an uns allein, unS dieses Schatzes zu bedienen. Bedeutete es da nicht wirklich eine völkische Schuld, ihn ungesehen und ungenützt auf der Seite liegen zu lassen? Um die historischen und sonstigen Zusammenhänge, aus denen St. L. Roths Schriften entstanden sind, leichter erfassen zu können, ist jede hier mit einer Einleitung versehen worden. Auch schien es geboten, gewisse Stellen des Textes nicht unerklärt zu lassen. Es geschah durch Fußnoten. Es ist auf diese Weise zum erstenmal zu einer bescheidenen Kommentierung Roth'scher Schriften ge­ kommen. *

Ich kann dies Vorwort indes nicht, wie ich ursprünglich wollte, hiemit abschließen. Ich muß, so fühle ich, gerade an diesem Punkte der Bearbeitung des St. L. Noth'schen Nachlasses, d. i. bei der Herausgabe der großen Schriften, zum Zwecke einer möglichst rest­ losen Verständigung mit meinen Lesern ausnahmsweise noch auf eine andere Angelegenheit zu sprechen kommen: auf die Aufnahme, die die ersten drei Bände dieser Ausgabe bis jetzt gefunden haben. Ich tue es nicht, um für die fast ausnahmslos freundliche An­ erkennung zu danken, die meiner Arbeit gezollt worden ist. Das wäre allenfalls verfrüht, wo diese erst zu einem Teil abgeschlossen vorliegt. Ich tue es nur, um mich gegen vereinzelte Vorwürfe zu wenden, die hier und dort gegen mich laut geworden sind und um Mißverständnissen nach Möglichkeit vorzubeugen. Es gibt nämlich unter meinen Kritikern einzelne, die sich mit der Stoffanordnung meiner Ausgabe nicht befreunden können. Sie behaupten, ich hätte mit der zeitgeschichtlichen Anordnung dieses Stoffes einen schweren Fehlgriff getan. Meine'Ausgabe habe dadurch, daß ich die herkömmliche Einteilung der Gesamt­ ausgaben nach Schema F (Systematische Trennung des Materials in Lyrik, Dramatik, Epik: hier etwa in Briefe und Tagebücher, in

selbständige Schriften und Werke, in Predigten und Sonstiges) ver­ lassen hätte, eine nicht wieder gut zu machende wissenschaftliche Einbuße erfahren. — Ich kann dazu nur sagen, daß aus diesem Einwand eine doppelte Unkenntnis spricht: erstens des Stoffes, den es hier herauszugeben gilt, zweitens des Planes, nach dem ich ihn herauszugeben gedenke. Daß sich dieser Stoff, der nicht der Stoff eines beliebigen Schriftstellers oder Philosophen, d. h. nicht der Stoff eines zünf­ tigen Schreibers überhaupt ist, nicht ohne weiteres, d. h. nicht ohne ihm in unerträglicher Weise Gewalt anzutun, systematisieren ließ, das hätte schon eine flüchtige Einsicht in die bisher er­ schienenen Bände aufzeigen können. Denn diese Einsicht Hütte jedem, der sich diesen Bänden wirklich vorurteilslos genähert hätte, die Augen mit Bestimmtheit darüber geöffnet, daß es sich hier in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle um soge­ nannte Lebensdoku m e n t e handelt. Lebensdokumente ge­ winnen aber, das wird niemand bestreiten können, erst im Zu­ sammenhange eines Lebens Sinn und Bedeutung, erst im Fluß der Tage und Jahre ihr rechtes (Besicht. Oder sollte es Leser geben, die sich ernstlich gewünscht hätten, etwa die kargen Eintragungen des „Schreibkalenders für das Jahr 1818" (I, 179 ff.) von A bis Z und ohne die wohltuende und zu ihrem Verständnis notwendige Unterbrechung der Briefe jener Zeit bloß einer systematischen Anordnung zuliebe im Zusammen­ hange kennen gelernt zu haben? Und hätten etwa auch die „Brief­ bücher" (I, 238 ff.) noch systematisch ausgearbeitet und ihre Stücke in verschiedene Kategorien eingeteilt werden sollen, je nachdem sie den Anschein von Briefabschriften, Briefentwürfen, tagebuch­ mäßigen Eintragungen oder literarischer Skizzen machten? Wo hätte es da ein Ende der Systematisierung gegeben? Wo, um nur noch zwei Beispiele für hundert andere anzuführen, würde nach erfolgter Durchführung von Schema F der Leser etwa die „Streit­ sache mit Herrn Niederer" (I, 268 ff.) oder den Aufruf „An die Lehrer deutscher Nation in Siebenbürgen" (III, 31 ff.) gesucht haben? Die erstere ist weder Brief, noch Tagebuch, noch Skizze: sie enthält einfach 7 Aktenstücke mit Begleittext über den Streit mit Niederer. Der letztere ist eigentlich gar kein Aufruf, denn er ist niemals gedruckt worden, er ist auch nicht eine Rede, denn wir wissen nicht, ob sie gehalten worden ist. Wohin gehört sie also? Etwa in einen Sammelband, in dem alle Predigten, Leichenreden, Ansprachen, Aufrufe, Trinksprüche St. L. Roths „systematisch", d. h. nach den eben angeführten Kategorien zu ordnen und zu sammeln wären? Und seine Abschiedsrede als Rektor (III, 210 f.), die wahrlich jedem ans Herz rühren muß, der sie im Zusammen­ hange des Streites um das Rektorat kennen lernt, soll also in

diesem Bande stehen und dem armen Leser soll zugemutet werden, daß er sich die zu ihrem Verständnisse notwendigen Dokumente, ich meine die Eingaben Roths an das Mediascher Domestikalkonsistorium aus einem anderen Bande, etwa mit dem schönen Titel „Sonstiges" überschrieben, herbeihole? Und warum rät man mir hiezu? Angeblich damit so heterogene Elemente wie Briefe und Schriften nicht in ein und demselben Bande nebeneinander stehen. Wie? Besteht bei einer Systemati­ sierung nach rein formalem Gesichtspunkte nicht gerade in er­ höhtem Maße die Gefahr, die wenigstens inhaltlich heterogensten Stücke eines so vielseitigen Nachlasses aneinander zu reihen? An­ genommen, ich hätte den von dieser Seite gewünschten Grundsatz befolgt — wozu wäre es gekommen? Ich hätte einen Monstreband Roth'scher Schriften zusammenstellen müssen, in dem der Leser vom „Gemälde einer Reise" (I, 33 ff.) über den „Sprach­ unterricht" (II, 49 ff.) und den „Edelsinn" (III, 53 ff.) unmittelbar zu den fünf Schriften der Jahre 1842 und 1843 geführt worden wäre. Mit Verlaub! Was verknüpft die drei erstgenannten mit der' Gruppe dieser fünf letzteren denn gar so eng, daß man sie unbedingt auf einen Faden gereiht sehen möchte? In Wirklichkeit liegen zwanzig Jahre und mehr zwischen ihnen. Zwanzig Jahre, die freilich mit etwas mehr als mit Untätigkeit, selbst nicht schrift­ stellerischer Untätigkeit, ausgefüllt waren, tute aus einer derartigen Zusammenstellung irrtümlicherweise geschlossen werden könnte. Außerdem sind sie dem Charakter und Inhalte nach so verschieden nuc möglich. Das „Gemälde" ist eine Reisebeschreibung. Der „Sprachunterricht" ist ein pädagogisch-wissenschaftliches Werk. Der „Edelsinn" ist ein Aufruf zur Gründung einer Erziehungsanstalt. Keine dieser Schriften ist heute zu verstehen, selbst für den Wissen­ schaftler nicht, keine wird wahrhaft lebendig ohne die Zeugenschaft der übrigen Dokumente aus der Zeit ihrer Entstehung, vor allem immer der Briefe. Diese freilich werfen ein wundersames Licht aus sie, das sie, die halb erkalteten, wieder erwärmt, von dessen Widerschein sie erst erglühen. Deshalb habe ich sie in diesen Zu­ sammenhang gerückt. Deshalb schließt sich um sie der lebendige Hintergrund der Briese. Anders verhält es sich mit der Gruppe der fünf Nimescher Schriften. Vor allem handelt es sich hier wirklich um eine Gruppe. Diese Schriften sind alle innerhalb einer, und zwar sehr kurzen Schaffensperiode entstanden. Sie gehören aber auch inhaltlich, ja sprachlich sehr nahe zusammen, obwohl sie verschiedene Themata behandeln. Sie sind samt und sonders die Schriften des Volks­ mannes, noch einfacher und aus dem Bewußtsein des sächsischen Laien gesprochen überhaupt erst: „die Schriften" St. L. Roths. Ich habe niemals auch nur einen Augenblick daran gedacht, sie

nicht in einem geschlossenen Zusammenhange zu veröffentlichen. Selbst wenn ich dies gewollt hätte, hätte es mir mißlingen müssen, da aus den Jahren ihrer Entstehung ja kaum etwas außer ihnen selbst auf uns gekommen ist. Und damit komme ich zum zweiten Punkt dieser, wie ich glaube hier notwendigen, Erörterungen: es ist vermutlich die Unkenntnis meines Ausgabeplanes gewesen, die die erwähnten Kritiker dazu veranlaßte, vorzeitig den Stab über meiner Ausgabe zu brechen. In diesem Plane war eine Systematisierung des Stoffes, so weit sie geboten und durchführbar erschien, seit jeher vorgesehen. Ge­ boten erschien sie aber nur in den Hauptabschnitten des Stosses. Ich habe sie durchgeführt. Sie beginnt in Band III mit der Zu­ sammenstellung des gelehrten Nachlasses der Mediascher Jahre (S. 167 ff.), der Dokumente zum Streit um das Rektorat (S. 189 ff.), der Predigten und Leichenreden iS. 213 ff.). Sie erfährt ihre Fort­ setzung im vorliegenden Bande IV, in dem ausschließlich die großen Nimescher Schriften gesammelt sind. Sie wird in Band V weitergeführt werden, der hauptsächlich die journalistische Tätig­ keit Roths zusammenfaßt. Das sind die Hauptstücke des Nach­ lasses, systematisch geordnet. So war es von Ansang an geplant. Alles andere aber widerstrebte einer auch nur halbwegs natür­ lichen und übersichtlichen Einteilung nach systematischen Gesichts­ punkten. Es war zu sehr — nochmals sei es betont — Lebens­ dokument. Es mußte, so meinte ich und meine ich noch heute, zu seinem Recht auf biographische Wirkungsmöglichkeit kommen. Ich war glücklich, als ich seinerzeit die Entdeckung machte, daß in einer Ausgabe, die sich nach nichts anderem als diesen Gegebenhei­ ten des Noth'schen Nachlasses richtete, voraussichtlich beides sich werde durchführen lassen: sowohl die systematische Anordnung der systcmatisierbaren Teile dieses Nachlasses, als auch deren biographische Einordnung in den Fluß der reut biographischen Dokumente. Es stellte sich nämlich heraus, daß diese letzteren, also die Teile des Nachlasses, die hauptsächlich von biographischer Bedeutung umreit (Briefe, Tagebücher usw.), entweder zum ersten oder aber zum letzten Lebensabschnitt St. L. Roths gehörten und jene, die eine systematische Gliederung verlangten (die wichtigsten Schriften, Predigten usw.) dem mittleren zugehörig waren. Was war da naheliegender für mich, als diesen mittleren, syste­ matisch bearbeitbaren Lebensabschnitt in die Mitte des Werkes zu rücken, ihm den ersten rein biographischen voranzustellen, ihm den zweiten biographischen folgen zu lassen? Konnte ich nicht hoffen, dadurch den schwierigen, nach Schema F nie und nimmer zu be­ handelnden Nachlaß in eine große, klare, runde Linie zu fassen? Konnte ich nicht hoffen, daß auf diese Weise auch dem Laien, dem Nichtwissenschaftler, dessen Masse ja mein Werk bezahlte und also

erst ermöglichte, der Genuß an der Lektüre erhalten blieb, kurzum das Werk ein lesbares werde? Denn ein übersichtlicheres System für die Darstellung einer Lebensgeschichte und eines Lebenswerkes als jenes, das die zeitliche Folge einhält, gibt es doch wohl nicht. Weshalb geht man heute dazu über, Nietzsche, ja Goethe chrono­ logisch bearbeitet herauszugeben? Und durfte ich gerade im vor­ liegenden Falle auf die Spannung verzichten, die einer Darstellung dieser Art unbedingt innewohnte? Auf eines freilich mußte ich vorbereitet sein: auf den Einspruch der konventionell eingestellten Wissenschaft gegen eine Methode, von der aus den ersten Bänden, zugegeben, nur so viel ersichtlich war, daß sie nach dem rein biographischen Grundsatz verfuhr. Hätte ich diesem Einspruch etwa die Spitze abbrechen können durch eine umständliche Erörterung meines Ausgabeplanes im Vorwort zum ersten Band? Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich es damals als taktlos empfunden hätte, den Leser lange hin und her mit einer Auseinandersetzung über Methodenfragen auf­ zuhalten, wo ich ihn doch so rasch als möglich an den Stoff selber heranführen wollte, an den Stoff, den überhaupt herauszugeben, gleichviel nach welcher Methode, damals weniger Leute für wert hielten als es heute den Anschein hat. Heute glaubte ich diese Auseinandersetzung nicht mehr länger aufschieben zu sollen. Bei dem voraussichtlich langsamen Tempo der Herausgabe der restlichen Bände und also bei der Unmöglich­ keit, die von mir oben gezeichnete Linie des Werkes sich bald sichtbarlich entfalten zu lassen, könnten der Mißverständnisse noch mehr zwischen mir und meinen Kritikern auskommen. Um sie zu ver­ meiden, hielt ich es für angezeigt, hier einiges über meinen Arbeitsplan auszusagen. Ich habe dieser Erklärung nur noch ein Wort hinzuzufügen: ich bin keineswegs der Meinung, daß meine Ausgabe fehlerfrei sei. Mehrere ihrer Mängel sind mir sehr wohl bewußt. Was davon richtiggestellt werden kann, soll im letzten Bande geschehen. Und ganz gewiß sind mir noch eine Menge Fehler verborgen geblieben. Ich bitte ausdrücklich darum, mir sie ja nicht vorzuenthalten. Mit obigem habe ich nie und nimmer einer Kritik überhaupt vorbeugen, ich habe nur meiner Über­ zeugung davon Ausdruck geben wollen, daß ich ^wenigstens i ch!) bei Wahl einer anderen Arbeitsmethode als der hier angewandten mit der Herausgabe des Nachlasses St. L. Roths unfehlbar Schiff­ bruch erlitten hätte. *

Das diesem Band beigegebene Bild St. L. Roths ist eine photo­ graphische Aufnahme der Daguerreotypie, die er 1845, also wenige Jahre nach Entstehung der Nimescher Schriften, während seines

Aufenthaltes in Württemberg in Angelegenheit der Schwaben­ einwanderung (siehe Band V) von sich hatte anfertigen lassen. (Die Daguerreotypie, 1838 in Paris erfunden, ist die Vorläuferin der Photographie gewesen. Ihr Nachteil war, daß das Lichtbild, auf dünnem Metallblatt festgehalten, nicht in beliebig vielen Kopien auf Papier abgezogen werden konnte.) Alle bekannten Bildnisse St. L. Roths gehen auf diese Daguerreotypie zurück. So auch das Bildnis, das in Band I dieser Ausgabe veröffentlicht wurde. Es ist eine Wiedergabe der Steinzeichnung, die 1850 vom Wiener Künstler August Prinzhofer eben aus Grund der Stuttgarter Da­ guerreotypie verfertigt wurde. Es weist nicht unerhebliche Ab­ weichungen von seiner Vorlage auf, die der Künstler im Einver­ ständnis mit seinen Auftraggebern (siehe Band VI) vorgenommen hatte. Eine vollkommen getreue Wiedergabe der Daguerreotypie, deren einziges Exemplar sich heute im Besitze des Herrn Rudolf Rosenauer, Pfarrer in Baaßen, befindet, hat es bis jetzt nicht ge­ geben. Das diesem Band beigefügte Bild ist die erste. Die erste also, die St. L. Roth in photographischer Treue darstellt. Wie Rechtschreibung, Zeichensetzung usw. in dieser Ausgabe an­ gewendet werden, sagt das Vorwort zum ersten Band. Nachzu­ tragen wäre hier bloß, weil es noch nicht ausdrücklich ermähnt worden ist und in diesem Band öfters vorkommt, daß ich in eckige Klammern [ ] Buchstaben oder Wörter setze, die, abweichend von der Druckvorlage, der von mir angenommene Sinn des Textes zu dessen Vervollständigung verlangt, hingegen in runde Klammern () solche, die zu streichen eben dieser Sinn verlangt. Zum Schluß habe ich wieder zu danken. In erster Linie den Mitarbeitern an diesem Band: Herrn Dr. Ewald Sindel, Sekretär der Handelskammer in Hermannstadt, für die beiden Einleitungen zu den „Zünften" und dem „Geldmangel", und Herrn Martin Roth, Hauptsekretär des Siebenbürgisch - sächsischen Landwirt­ schaftsvereins, für die Einleitung zu den landwirtschaftlichen Schriften. Ich hatte sie zur Mitarbeit aufgefordert, weil mir wie in Band III daran lag, die systematische Bearbeitung des be­ treffenden Stoffgebietes noch dadurch zu unterstreichen, daß ich sie in die Hände von Fachleuten legte. Herrn Dr. H. Schüller danke ich, wie stets, für die Kommentierung einiger lateinischer Texte, Herrn Professor A. Rosenauer für die Durchsicht der Revision. Ostern 1933.

Otto Folberth.

Die Zünfte Eine Schutzschrift von St. L. Roth Eingeleitet von Ewald (Bindet Aon den völkischen Schriften Roths, die von seinem Wesen, von seiner Lebenserfahrung ebenso wie von seiner genialen Auffassung in den Kernfragen des sozialen, des staatlichen und auch des rein wirtschaftlichen Lebens ein beredtes Zeugnis ablegen, ist zwar nicht die umfangreichste, wohl aber die meisterhafteste die kleine Schrift „Die Zünfte". Er hat sie atv Landpfarrer geschrieben, also äußerlich den Kampfplätzen dev sozialen und wirtschaftlichen Lebens wohl entrückt, innerlich aber keineswegs abseits von den großen Problemen der Zeit. Im Gegenteil, gerade infolge seines persönlichen Abstandes von den Dingen ist er in ihrer gedank­ lichen Durchdringung zu einer Klarheit und Reife gelangt, die er vielleicht nicht in dem gleichen Maße erreicht hätte, wenn er mitten im alltäglichen Kampf um diese Frage gestanden hätte. Klarheit und Gestaltungskraft drückt sich auch in der Sprache Roths aus. Sie zeugt von einem lebendigen Anschauungsvermögen für alle Gegebenheiten seiner Umwelt. Sie überzeugt. Sie ist zugleich volkstümlich-schlicht und künstlerisch vollendet. Das Schriftchen „Die Zünfte" war einmal von sehr aktueller Bedeutung. Roth nannte es eine Schutzschrift. Er verteidigte mit ihr eine damals noch bestehende öffentliche Einrichtung, die durch Jahrhunderte mit unserem Volksleben eng verwachsen war und die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge der allge­ meinen Umwälzung in der wirtschaftlichen und geistigen Ent­ wicklung in ihrem Bestand schwer bedroht war. Wenn man er­ messen will, von welcher Tragweite dieser Kampf gewesen ist, den der Zeitgeist hierzulande zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegen die Zünfte führte, so muß man sich einmal vor Augen führen, welche Stellung die Zünfte im Leben unseres Volkes überhaupt eingenommen hatten und wie sehr sie notwendige Glieder in dem sozialen Aufbau unserer Städte und unseres Volkslebens waren, bevor der absolutistische Staat durch die fortschreitende Erstreckung F olderth. St. L. Noth. IV.

der staatlichen Bevormundung auf alle Zweige des Lebens ihnen den Lebensboden abgrub. In Siebenbürgen dürfte die Entstehung der Zünfte sozusagen zusammengefallen sein mit der Entstehung der Städte. Jedenfalls erlebten die siebenbürgischen Städte eine erste Blütezeit der Zünfte recht früh, zu gleicher Zeit etwa, als in Deutschland die Städte im Mittelalter ihren großen Aufschwung erfuhren. Die Zahl der Zünfte war in Kronstadt und Hermannstadt nicht wesentlich ge­ ringer als in Straßburg, Augsburg und in anderen Orten. Früh sind die Zünfte Einrichtungen des öffentlichen Rechtes geworden, die von der politischen Obrigkeit anerkannt und gefördert wurden. Unmittelbar unterstellt waren sie den Magistraten der Städte. Ihr oberstes politisches und gerichtliches Forum war indessen die Nations­ universität, die unter anderem auch ihre Satzungen bestätigte. Ihre inneren Angelegenheiten verwalteten sie selber und nahmen außerdem an der Verwaltung und Verteidigung der Städte den ihnen zustehenden Anteil. Einen sehr weitgehenden Einblick in den inneren Aufbau der Zünfte bieten die mannig­ fachen Zunftstatuten, die in unseren Archiven aufbewahrt sind. Aus dem Statut der Hermannstädter Schusterzunft z. B. aus dem Jahre 1539 ersehen wir, daß die Nationsuniversität eine groß­ zügige Reformierung der Zünfte in Angriff nimmt, denn es ist in der Einleitungsformel der Bestätigung davon die Rede, daß „gänzlich verworfen und abgestellt seien alle bösen und untüchtigen Statuta und Gebräuche, die in allen Zünften vormals bis auf die gegenwärtige Zeit erwachsen" seien und daß „aus den bis­ herigen Statuta das Gute und Nützliche unverrücklich festgehalten" sei. Und zwar „zu guet vnnd wolffaren gemeynes nucz des ganezen landes mit gemeinem wittenn vnd rayffem radt aller deutscher angesfangen vnd vollendet"? In der Bestätigung, die die Nationsuniversität im Jahre 1740 den „Gerechtigkeiten" der Töpferzunft unter Zugrundelegung der Urkunde aus dem Jahre 1589 erteilte, findet sich der interessante Satz: „. . . vermöge ob­ liegender Amtspflicht zur Beförderung der göttlichen und gemeinen Civilrechten gemäßen Zechgerechtig ketten lZunftrechte) uns verbunden erachten, mehr ermeldete ehrliche Töpferzunft bei dem Gebrauch ihrer bis dato ge­ nießenden Freiheiten zu handhaben." Wenn die Nationsuniver­ sität, die im Laufe der Zeit so mancher Zunft wegen irgendwelcher Mißbräuche hart zu Leibe gerückt ist, eine Amtspflicht darin sieht, die Zunftrechte zu fördern, weil sie den göttlichen und gemeinen Zivilrechten gemäß sind, so kann man aus dieser Wertung schon 1 Siehe: Das Register der Johannesbruderschafi und die Artikel der Hermannstädter Schusterzunft aus dem 16. und 17. Jahrhundert, herausgegeben von Franz Zimmermann» Archiv des Vereins für siebend. Landeskunde, Neue Folge, 16. Band, 2. Heft, 1881

den einen Schluß ziehen, daß Zunftleben und Zunftrechte viel mehr waren als ein Stück Wirtschaftsleben. Die Zünfte waren die Lebensform des städtischen Bürgertums und die Träger des Bürgersinnes und seiner Traditionen. Sie waren ein unentbehr­ licher Teil der Volksorganisation, denn sie waren nicht nur lokale Organisationen, sondern die gleichartigen Zünfte bildeten eine so­ genannte Union, die sich über das ganze Gebiet der Nations­ universität erstreckte. Eine der Voraussetzungen zum Eintritt in die Zünfte war „teutsches Geblüt". Die Wichtigkeit, die die ein­ zelnen Städte den Zünften zumaßen, kann man auch daraus er­ sehen, daß die Städte ihnen aus ihrem Eigentum wiederholt Grundstücke und Liegenschaften schenkten, die diesen „für ewige Zeiten" gehören sollten. Es gab in den größeren Städten Zünfte, die nahezu hundert Meister umfaßten. Da sich solche Zünfte in Eingaben an Behörden als besonders starke Zünfte bezeichnen, so muß man indes mit einer kleineren Durchschnittszahl der in je einer Zunft zusammengefaßten Meister rechnen. Daß die G ewerbe sehr bevölkert waren, geht einerseits aus der Zahl der Zünfte hervor — so waren im 16. Jahrhundert in Hermann­ stadt 26 Zünfte mit bestätigten Satzungen —, andererseits aus dem Bestreben, einzelne Betriebe nicht über ein bestimmtes Maß an­ wachsen zu lassen, sondern lieber die Zahl der Meister zu vermehren. Kampf gegen unzünftige Gewerbetreibende hat es eigentlich immer gegeben, mcmt er auch nicht immer in gleicher Weise in Erscheinung tritt. Mit der Wiederereberung des Landes durch die kaiserlichen Truppen wird der unzünftige Meister, besonders der Lieferant der Truppen, eine häufigere Erscheinung und erfreut sich zum Teil auch eines besonderen Schutzes der Truppenkommanöanten. Von seiten der Behörden wird besonders im 18. Jahr­ hundert wiederholt mit Aufhebung der Zunftprivilegien gedroht, wenn eine Zunft den ihr obliegenden Marktversorgungspflichten nicht in entsprechendem Maße nachkommt oder in der Leistungs­ fähigkeit den an sie gestellten Anforderungen nicht genügen kann. Ja aus der Mitte der Zünfte selber kommen im 18. Jahrhundert Vorschläge, die auf eine umstürzende Neuerung, die Einführung einer Manufaktur, hinzielen. Ein solcher Vorschlag ist die Eingabe des L e i n e n w e b e r s Georg K e y s e r an das Gubernium von Siebenbürgen im Jahre 1726, in der er die Einführung von Manufakturen für Leinenweberei als wün­ schenswert bezeichnet? Da diese Eingabe in ihrer Begründung An­ schauungen zeigt, mit denen sich Noth in seiner Schrift auseinander­ setzt, weil sie bei der Entscheidung einzelner Fragen vor allem das 1 Siehe: Das Zunftwesen in Hermannsladt zur Zeit Karls VI. Mitteilungen aus den Hermannstädler Magistratsprotokollen von Heinrich Herbert. Archiv des Vereins für siebend. Landeskunde, Neue Folge, 27. Band, 2. Heft 1897.

technisch-wirtschaftliche Optimum im Auge haben, so seien ein paar Stellen aus dieser Denkschrift hier wiedergegeben. Sie fängt mit den Worten an: „Daß Manufakturen einer Republik oder Provinz sehr großen Nutzen schaffen, wird genugsam damit erwiesen, wenn man be­ denket, was nur vor 50 Jahren her für herrliche Fabriken und Commercien nur inÖsterreich durch gemeineHandlungskompagnieen aufgekommen und noch florieren, so wundert man sich, warumb doch eine hohe Obrigkeit sich nicht eifriger umb Manufaetur und Hand­ lungscompagnien in ihren banden zur Einführung sovieler denen Untertanen nöthigen und nützlichen Manufaeturen und Waaren bekümmere, als wodurch soviele Millionen Geldes im Lande augen­ scheinlich reservieret, mithin viel 1000 Arme an das Brod gebracht und die Landschaft lebendig gemacht werden möge . . Sodann führt Geyser aus, wie gute Voraussetzungen Sieben­ bürgen für Leinenwebereimanufakturen bieten würde, klagt aber zugleich über die Schwierigkeiten, die solchen Vorschlägen entgegen­ gesetzt werden: . . es finden und setzen sich gemeiniglich Leute mit Händen und Füßen darwider, moquieren sich über diejenigen, so die Manufakturen etablieren wollen, sehen, daß sie einige Meisters auf die Seite bekommen, denen die dieses disvadieren (abraten), sagend, es nnirc unmöglich oder wohl gar unbillig, ein solches zu verstatten und sinnen einen Haufen Schwierigkeiten aus, daß sie das Maufakturwesen hintertreiben mögen." Man kann den Vorschlag Keysers nicht einfach als zunftfeindlich bezeichnen, denn er wollte doch eine organische Überleitung der Leinenweberzunft in eine Art Leinenwebcrmanufakturkompagnie. Es heißt in dem Vorschlag nämlich: „Wenn man aber die Manu­ fakturen unter gewisse Zünfte eintheilete gleichsamb als ein monopolium zu des Landes Schutz und Privilegium an gewisse meister­ mäßige Orte sollte gepflanzet, auch nöthige Assistenz verliehen würde, so würden bei solcher Gestalten die Manufakturen im Lande gleichsam ausgesäet sein . . Bei der rechnerischen Begründung seines Vorschlages, genannt „curioser calculus von der Leinenwebermanufactur zur beliebigen Einsicht und vernünftigen Erwägung vorgestellet" nimmt Keyser etwa 600 Leinenwebermeister in den siebenbürgischen Städten und Märkten an und insgesamt 1200 Webestühle, von denen durch­ schnittlich jeder 2 Stück Leinwand pro Woche verfertigt. Den ge­ samten Produktionswert der Leinwand beziffert er mit 84.000 Gulden und fügt hinzu: „Sollte man nun auf dergleichen calculum über die Manufaetur von Tuch, Leder, Hauten, Eisen rc. und an­ deren Zeug ziehen, so würde gewiß ein großer und entsetz­ licher R e i ch t u m b zum Augenschein kommen". Kepser drang mit seinem Vorschlag nicht durch, denn besonders

die Kronstädter Leinenwebermeister waren mit der Einführung der Manufaktur nicht einverstanden. Es gelang ihnen, die Stim­ mung, die Keyser für sich gewonnen hatte, wieder umzuwenden. Im Jahre 1727 liefen auf eine Anfrage des Sachsenkomes an die sächsischen Stuhlsämter und Magistrate in dieser Angelegenheit fast nur Ablehnungen der Keyserschen Neformvorschläge ein. Praktisch hatte Keysers Vorschlag also keinen Erfolg, obwohl er bestimmt manche zeitgemäße Neuerung enthielt. Aber man muß sagen, daß er schon sehr deutlich zeigte, wie unter den welt­ erfahrenen Leuten, die auch andere Länder besucht hatten, die kritische Einstellung zu den alten Zunftordnungen im Zunehmen war. Es war aus verschiedenen Anzeichen, nicht zuletzt aus einer Reihe behördlicher Verfügungen im Laufe des 18. Jahrhunderts zu sehen, daß man in den Zünften vielfach einen Hemmschuh des wirtschaftlichen Fortschritts sah und unter dem Einfluß der immer mehr zum Individualismus hinneigenden Lebensanschauungen und Regierungsprinzipien für die soziale und völkische Bedeutung der Zünfte das Verständnis immer mehr verlor. Die Erfolge neuer Wirtschaftssysteme in anderen Ländern blendeten eben sehr, wie man das schon aus Keysers Vorschlag ersehen kann. Die Zunftrechte waren „Privilegien". Der Zeitgeist aber, den besonders die französische Revolution mächtig förderte, war den Privilegien und überhaupt den organischen Sonderrechten feindlich gesinnt. Das waren die historischen Hintergründe zu Roths Schutzschrist „Die Zünfte". Man kann die Schrift ohne Übertreibung als ein Meisterstück soziologischer Diskussion und als reife Frucht umfassender sozio­ logischer Urteilskraft bezeichnen. Roth hat die Zünfte mit allen ihren Leistungen und Aufgaben in den Zusammenhang des gesamten staatlichen und völkischen Lebens gestellt, dessen schöpferische und bewahrende Kräfte er mit bewundernswerter Sicherheit erschaut und erkennt und in unvergleichlich klarer Weise mit starker Sprache aufzeigt. Diese Schrift ist nicht nur eine Untersuchung mit der Fragestellung, wie die Dinge einer bestimmten Zeit­ epoche in Wirklichkeit laufen, sondern zugleich auch ein Wegweiser, wie sie nach den Gesetzen eines größeren Ganzen und nach ihrer inneren Bestimmung laufen sollten. Wenn man bedenkt, wie mannigfaltig die Fragen sind, die alle in eine grundsätzliche Aus­ sprache über die Lebensberechtigung der Zünfte, also alter ererbter Einrichtungen von großer wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung, hineinspielen, so läßt sich erkennen, mit wie viel echter und tiefer Sachkenntnis St. L. Roth gewappnet sein mußte, um dieser so viel­ seitigen Aufgabe gerecht zu werden. Die ganze Kraft und Klar­ heit seiner persönlichen Auffassung und seines Wesens kommt aber dort am besten zum Ausdruck, wo es um Grundfragen geht,

die Bekenntnisse und Entscheidungen verlangen. Nur eine zum Lebensführer herangereiste Persönlichkeit, die von hohen und reinen Triebkräften geleitet wird, kann solche Bekenntnisse mit jener unwiderstehlichen Überzeugungskraft aussprechen, die wir beim Lesen dieser Schrift zu spüren bekommen. Es sei hier mit einigen Worten St. L. Roths selber gesagt, mit welchem Grundsatz der Betrachtung der wertende Vergleich zwischen den Gewerbeordnungen, um die der Streit im Gange ist, durchgeführt wird: „Die Gewerbe sind in meinen Augen nicht Selbstzweck, sondern stehen als Mittel zur Verschönerung, Veredelung und Erleich­ terung des menschlichen Lebens in dessen Diensten." — „Ich halte nur diejenige Hebung des Gewerbestandes für eine Besserung, die dem menschlichen Dasein in seiner höheren Bedeutung zugute kommt." — „Billig ist es daher und vernünftig, obendrein Zünfte und Fabriken nicht allein darin zu vergleichen, welche von den beiden besser und wohlfeiler arbeiten, als zugleich die Wirksam­ keit beider auf das ganze Volksleben, auf das Gemeinwesen, auf das menschliche Dasein überhaupt gegeneinander abzuwägen." Man sieht also gleich, daß nicht nur von wirtschaftlichen Dingen die Rede ist. Roth hat seine Argumentation als „rechter Schätz­ meister des höheren menschlichen Lebens" (ein von ihm geprägtes Wort) streng sachlich aufgebaut. Dabei kommt seine Anschauung von der Notwendigkeit vieler selbständiger Haushaltungen in einem Gemeinwesen und vieler selbständiger Menschen in einer wohlgefttgten sozialen Ordnung immer wieder zum Vorschein. Er hängt mit starker Liebe an der im Volke selber verankerten Munizipalverfassung, von der er sagt, daß sie „auf Menschenwürde und Menschennatur gebaut" sei. In der Auseinandersetzung mit der französischen Revolution kommt seine innere Verwandtschaft mit den Staatsdenkern roman­ tischer Richtung zum Vorschein, die etwas vor ihm den seelen­ losen Nationalismus im staatlichen und sozialen Leben bekämpft hatten. Diese Verwandtschaft mit den Denkern der Romantik ist nicht etwa gleichbedeutend mit Mangel an Klarheit und Wirklich­ kettssinn, sondern läßt vielmehr ein offenes Auge für jene tragen­ den Kräfte und Faktoren des sozialen Lebens erkennen, die geistiger und gefühlsmäßiger Art sind und vom rationalistischen Denken viel zu wenig beachtet wurden. Die geschichtliche Lage zur Zeit der Entstehung der Schrift geht aus ihrem Inhalt selber in weitem Matze hervor. Die allgemeine wirtschaftliche Lage kennzeichnet St. L. Roth mit den Worten: „Diese langen Friedenszeiten haben dem Gewerbsrad die Schwung­ kugeln abgeschraubt." In Siebenbürgen waren die Zünfte als Ein­ richtungen des öffentlichen Rechtes und als wesentliche Bestand-

teile der lebendigen Verfassung der Städte noch nicht ganz ab­ geschafft oder entrechtet, wohl aber manchen Angriffen gegen ihr Daseinsrecht ausgesetzt. Die Staatsgewalt neigte schon sehr dazu, die selbständigen Funktionen der Zünfte einzuengen und zu unter­ binden. In den westlichen Staaten waren die bürgerlichen Zunft­ ordnungen durch den Absolutismus der Landesfürsten schon sehr wesentlich eingeschränkt worden. Das auf Förderung der Manu­ fakturen ausgehende Merkantilsystem hatte die alten Ordnungen von der wirtschaftlichen Seite her ebenfalls durchbrochen. Schließ­ lich wurden durch die von England ausgehenden Strömungen des wirtschaftlichen Liberalismus (Lehre von Adam Smith) die Zünfte an vielen Orten bereits vor dem Ende des 18. Jahrhunderts ent­ weder zum Verschwinden gebracht oder zu einem Scheindasein ver­ urteilt. In Siebenbürgen lebten sie noch, aber es war nicht mehr ein kräftiges, unabhängiges Leben. Sonst hätte sich Roth wohl nicht veranlaßt gesehen, von den „armen Zünften" zu reden, „denen man wie Narren und Blödsinnigen, mie Weibern und Kindern Vormünder gesetzt, weil man sie für unfähig hält, selbständig zu sein, an denen man soviel gehunzt hat . . St. L. Roth hat keinen einzigen der Zunftgegner mit Namen genannt, aber er spricht in der Einleitung von dem Spruch des Zeitgeistes und an anderer Stelle von der öffentlichen Meinung. Er hat gewußt, daß der Kampf schwer war, aber er hat ihn nicht für ganz aussichtslos gehalten. Das erkennt man aus den Worten: „. . . so setze ich in die Weisheit der Gesetzgebung und zugleich in den inneren Wert der Zunftangelegenheit, die ich vertrete, ein zu großes Vertrauen, um das Spiel verloren zu geben, ehe die letzte Karte gefallen ist." Wir wissen heute, daß zwar nicht unmittelbar nach dem Erscheinen der Roth'schen Schrift, aber etwas später die Entscheidung gegen die Zünfte fiel. Wir wissen heute aber auch, daß St. L. Roth mit vielen seiner Voraussagen über die Begleit­ erscheinungen des Fabrikswesens Recht hatte. Das Wort: „Wer daher hier Landes die Zünfte sprengen will, setzt der sächsischen Nationalität das Messer an die Kehle", ist für uns zu einerbitteren historischen Wahrheit geworden, denn das Verschwinden der Zünfte und das Aufkommen der Gewerbefreiheit hat in den von Sachsen bewohnten Städten eine sehr bemerkenswerte Schwächung und einen bedeutenden Rückgang des sächsischen Gewerbes mit sich gebracht und damit auch den Einfluß auf die Führung der Städte gegenüber den früheren Zeiten erheblich verringert. Geschichtliche Entwicklungen, die von bestimmten geistigen Strömungen getragen werden, können mitten in ihrem Lauf durch die einleuchtendsten Vernunftgründe kaum gehemmt werden. Der Notschuß, mit dem St. L. Roth seine Schrift verglich, ist verhallt, ohne der Entwicklung auf längere Dauer Einhalt gebieten zu

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D i e Zünfte

können. Wir haben aber keinen Grund, die Bedeutung dieser Schrift nach ihrer Wirkung in der Geschichte zu messen. Die Schrift enthält eine solche Fülle fruchtbarer und schöpferischer Gedanken, daß sie in ihrer Bedeutung weit größer ist als ein Stück Dis­ kussion, das an einen Zeitabschnitt gebunden blieb. Wir haben es ja heute vielfach mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen, aber auch mit Fragen des Staatsaufbaues zu tun, die den hier erörterten Fragen recht nahe stehen. Deshalb wird jeder den Wert dieser Auseinandersetzung begreifen, der einen gesunden, historisch orientierten Konservativismus zu schätzen weiß, und es wird mancher eine Helle Freude an dieser dem Umfang nach so kleinen und dem geistigen Werte nach so großen Schrift haben. Wer die grundsätzlichen Unterschiede germanischer Rechts- und Verwaltungssysteme mit ihrer weitgehenden Achtung der persön­ lichen Freiheit und ihrer ausgesprochenen Neigung zum Gedanken der Selbstverwaltung gegenüber den mehr in der romanischen Geistigkeit wurzelnden Bestrebungen zum Zentralismus einmal kennen gelernt hat, der sieht leicht, wie sinnvoll und klar sich in St. L. Noth die deutsche Auffassung der sozialen und staatlichen Belange ausgeprägt hat. Das Volk aber, aus dessen Schoß St. L. Roth entstammte, mag heute, wo die Auseinandersetzung zwischen einem nur zu oft sinnlosen und zerstörenden Zentralismus und den auf Wahrung des Eigenlebens gerichteten Bestrebungen in ein äußerst kritisches Stadium getreten ist, aufs neue lernen, wo die Wurzeln der eigenen Kraft vor allem zu suchen sind. Die Handschrift des Merkchens ist nicht erhalten. Zum ersten* mal wurde es veröffentlicht in der Transsilvania, dem Beiblatt zum Siebenbürger Boten in Herwannstadt, 1841, und zwar in den Folgen 85 (vom 2. November), 86, 87, 89 insgesamt in 40 Spalten. Die Unterschrift unter der letzten Spalte lautet: Nimesch im März 1841, Docter und Magister Stephan Ludwig Roth, evang. Pfarrer. Als selbständiges Büchlein erschien es dann, wahrscheinlich noch im selben Jahr l„Aus der Transsilvania 1841 besonders abgedruckt"), in Hermannstadt im Verlag der v. Hochmeister'schen Buchdruckerei, Kleinoktav, 63 Seiten. Ein Klischee des Jnnentitels dieses Druckes siehe auf der folgenden Seite. Zum dritten Male gedruckt wurde es 1896 im 2. Band des Obert'schen Werkes „Stephan Ludwig Roth, Sein Leben und seine Schriften", Verlag von Carl Graeser, Wien, Seite 48—81. In der vorliegenden Ausgabe erblickt es also zum vierten Male das Licht der Welt. Der Text wurde dem bei Hochmeister 1841 er­ schienenen Drucke entnommen.

Die Zünfte. Eine Schutzschrift.

Von Doctor und Magister

Stephan Ludvig Roth, Strang. Pfarrer in Nimesch.

(Aus der Transsilvania 1841 besonders abgedruckt.)

Hermannstadt, v. Hochme«ste r'sche Buchdruckere«.

0 fortunatos nimium, sua si bona norint1 Virg. Georg. II. 458

O Me Glücklichen, wüßten sie bloß ihre Güter zu schätzen!

Die Zünfte Uber die Zünfte hat die neuere Zeit große Beschwerden ge­ führt und schwere Anklagen erhoben. Ihnen gibt man die Schuld, daß bei uns die Gewerbe still ständen oder sogar in Verfall gerieten,' ihnen legt man zur Last die Vervorteilnng des Publikums — die Wanderung des Geldes ins Ausland und weiß Gott was alles stempelt man zu ihren Sünden. Daher lautet auch der Spruch des Zeitgeistes, wenn er sich auf dem Richterstnhle breit macht, nicht sowohl ans Umge­ staltung und Verbesserung als auf Tod und Vernichtung. Nun weiß ich zwar wohl, daß man oft die Leute mutz reden lassen wie sie wollen, wenn auch nur ans dem einzigen Grunde, weil man es nicht verhindern samt. Solange es nur Kleinigkeiten und Lächerlichkeiten betrifft, oder das Ge­ schrei nur aus solchen Mäulern fährt, die wenig zu bedeuten haben — mag man seinen Gang nur ungeirrt weitergehen, wie der Mond am Abendhimmel, der die Hunde auch betten läßt, so lange sic wollen. Wenn aber in der Lebensfrage eines Volkes die achtbare Stimme der öffentlichen Meinung wie über die Z n n f t a n g c l e g e n h e i t e n, seit beinahe 40 Jahren, aus dem anfangs nur leiseren Gemurmel in ein immer deutlicheres: Kreuzige! Kreuzige! losbricht, dürfte die Nichtbeachtung dieser sehr vernehmlichen Äußerungen aller­ dings übel angewendet sein. Niemand darf, wem die Z n n f tVerfassung als Kleinod seines Volkes wert ist, wenn er auch keinen äußeren Beruf dazu hat, bei dieser Richtung der

öffentlichen Meinung gleichgültig fein, viel weniger scheinen, wenn er es nicht ist. Seit die öffentliche Meinung auch Bei uns zu einer Macht erster Größe sich emporzuringen an­ fängt, mag es e'jer rötlich und pflichtgemäß sein, daraus zu achten, als sich die Ohren mit Wachs oder Baumwolle zu ver­ stopfen. Ja, es scheint, da bald die Akten geschlossen werden könnten, hohe Zeit zu sein, daß die Freunde dieser Gcwerbseinrichtung, deren es doch viele im Schoße unseres Volkes geben dürfte, sich zusammentun, mit in achtbarer Gemein­ schaftlichkeit ihre Zungenlösung auch auf den grünen Tisch zu legen, als ich, der gegen die hohen Aktenstöße der Gegner nur diese wenigen Blätter als einzelner kann flattern lassen. Kann ich nun gleich nicht hoffen, mit meiner einzelnen Stimme das gewaltige Tutti zu durchbrechen, so muß ich doch, aus heiliger Überzeugung, mit einem dicken Komma also schreiben: Si omnes consenthmt, ego non consentio.1 Jsts un­ abänderlich — ------ und müssen die Zünfte dem Wahne des Zeitgeistes zur Sühne fallen, so mögen denn diese Zeilen dem Opfertiere wenigstens zu Kränzen dienen, die ihm die Liebe und die Dankbarkeit mit die Hörner windet, wenn es zum Altare geführt wird. Der Verfasser des nachstehenden Versuches einer Verteidigung der Zünfte gehörte in seiner frühe­ ren Zeit auch zu den Gegnern derselben und hielt deren Beseitigung und Aufhebung für etwas so Ersprießliches und Wünschenswertes, daß er oft bei sich dachte — mit Beseiti­ gung dieser Schranken und Zulassung der Gewerbsfreiyeit — würde für unsere Industrie ein neuer Himmel und eine neue Erde werden. Seitdem ich aber älter geworden und die Schwabenzahl 2 40 längst überschritten habe, stellt sich, mit zurückgelegter Sonnenwende des Lebens, auch eine Wende 1 Wenn alle zustimmen, i ch stimme nicht zu. • Ein boshaftes Sprichwort sagt, daß der Schivabe erst mit 40 Jahren anfange, klug zu werden.

der Ansicht und Beurteilung der Zünfte bei mir ein, und diese Inkonsequenz ist wenigstens darin konsequent, daß ich, früher wie später, mein Volk unendlich liebe, dem ich alles verdanke. Um eine Verständigung über den Wert oder Unwert der Zünfte herbeizuführen, was wohl allein die Beibehaltung oder Beseitigung derselben bedingen dürfte, mag wohl diese Frage die oberste sein: Welches ist die Aufgabe aller Gewerbseinrichtungen irnd wie wird diese Aufgabe am vor teilhafte st en gelvset? Über den ersteren Teil dieser Frage kann ich mich ganz kurz fassen. Die Gewerbe sind in meinen Augen nicht Selbstzweck, sondern stehen als Mittel zur Verschönerung, Veredlung und Erleichterung des menschlichen Lebens in dessen Dien­ sten. Mithin ist nicht Güte und Wohlfeilheit der Ware die höchste Anforderung, die ich an die Gewerbe mache, sondern ich halte nur diejenige Hebung des Gewerbes für eine Ver­ besserung, die dem menschlichen Dasein in seiner höheren Bedeutung zugute kommt. Nur dies gilt bei mir für einen wahren Vorteil. Viag eine Gewerbseinrichtung billige Preise erzwecken, wie sie nie erhört worden, und die Ware in einer Güte liefern, daß die leibhafte Tadelsucht in Lob ansbrechen muß — und leidet darunter das Menschliche — so mag ich nichts mit ihr zu schaffen haben: mir gilt sie als Verschlech­ terung. Der materielle Zeitgeist, der Handel und Fabriken um jeden Preis erkaufen will und diesen Interessen auch den Menschen opfert — dieser Geist des bloß Nützlichen kann in seiner Art klug sein — für weise halte ich ihn nicht. Welche Einrichtungen des Gewerbwesens diese Aufgabe am besten lösen, war der zweite Teil der Frage. Ich bemesse alle Formen und Arten der Gewerbseinrichtungen, also auch den Wert der Zünfte, an dem oben aI8. „Aufgabe" ange­ gebenen Gedanken der größeren oder minderen Vorteilhaftigkeit für das höhere Menschliche und gebe also im voraus

derjenigen Gewerbseinrichtung den Kranz, die neben der größten Förderung des Fabrikates, nach Preis und ©iVe, dem Menschen in seinen vielseitigen Beziehungen die treueste Dienerin ist. Sobald einmal die obengenannte zweiteilige Frage auf diese Art in mir beantwortet ward, erschienen mir die Zünfte in einem anderen Lichte, wie sie sich mir früher vor der mate­ riellen Brille dargestellt hatten. Es wehte mich aus ihren altertümlichen Einrichtungen der wohlberechnetste Geist der Menschenfreundlichkeit und der gleichen bürgerlichen Ge­ rechtigkeit an, der mich bald mit Verwunderung, bald mit Ehrfurcht erfüllte. Was Wunder, wenn ich nun, um das ge­ tane Unrecht gut zu machen, gleichsam als öffentliche Abbitte, mit einem Schwert, wie stumpf und kurz es auch ist, mich auf die verzweifelte Seite der Zünfte stelle! Sticht, daß ich, nach Art der Überläufer, nun blind geworden sei gegen ihre Mängel und Schwächen! Ich räume vielmehr gutwillig ein, daß an diesem herrlichen Frnchtbaume viele Wasserschossen abzuschneiden und manche verdorrte Zweige abzusägen seien,' lege aber bei dem allen, will man meine unberufene Anwaltschaft gelten lassen, dagegen eine förmliche Verwah­ rung ein, daß dieser Mängel wegen der ganze Baum abzu­ hauen sei, da er nicht nur in der vergangenen Zeit die köst­ lichsten Früchte geliefert hat, sondern seine schwellenden Keime und gesunden Wurzeln auch der Zukunft das Ver­ sprechen reicher Ernte leisten. Führt nur die Besonnenheit das Gartenmesser, rottet nur die Liebe das schwächende Un­ kraut aus und läßt die Gesetzgebung ihre Sonne günstiger die Schatten durchbrechen, so werden bald wieder, wie früher, die Äste von goldenen Früchten sich beugen. In dieser Über­ zeugung falle ich der öffentlichen Meinung, welche bereits die Axt schwingt, in die Arme und bitte aus folgenden Grün­ den, ehe der Streich geführt wird, um nochmalige Prüfung der Verbrechen, welche man den Zünften zur Last legt.

Zuerst muß ich darauf aufmerksam machen, -atz hierzu­ lande die Zünfte nicht ausschließlich die Gewerbe treiben. Neben ihnen leben hie und da im Lande auch unzünftige Meister aller Art, und an Märkten darf ohnedem jeder feil­ halten, was ihm beliebt. Mithin ist das sächsische Zunft­ wesen nicht in harter und starrer Konsequenz durchgeführt, sondern neben den ausschließenden und beschränkenden Zünf­ ten hat auch die Gewerbsfreiheit ihren Spielraum. Ja, die Zünfte sind selten auf eine bestimmte Anzahl Meister be­ schlossen, sondern wer gewisse Bedingungen erfüllt, kann sich sichere Hoffnung auf Zünftigkeit und Aufnahme machen. Was ich nun zum Schutze der Zünfte oder, was gleichviel ist, zur Anerkennung ihres Wertes und vorteilhaften Be­ stehens zu sagen habe, sondert sich unter folgende vier Auf­ schriften ab, je nachdem wir die Zünfte den Käufern — den Gewerben — dem Gemeinwesen oder endlich dem Staate gegenüberstellen.

I. Die Zünfte als Rechtsanstalt den Käufern gegenüber oder vom Standpunkt der Polizei betrachtet Um eine Vergleichung zwischen den angeklagten Zünften und der angepriesenen Zunftlosigkeit anstellen zu können, müssen wir unserer Einbildung ein kleines Geschäft an­ muten. Da nämlich die Zünfte etwas Wirkliches, ein Wesen sind, die Zunftlosigkeit dermalen noch nur ein Wunsch, ein Gedankending ist, so wollen wir uns vom Zustande -er Zunftlosigkeit ein Bild entwerfen, um dann, beide in zwei Wagschalen gelegt, über das Übergewicht und zunächst in polizeilicher Hinsicht urteilen zu können, ob wir die Zünfte als Mißgeburten töten oder aber die Zunftlosigkeit ans Licht -es Daseins ziehen sollen.

Abgesehen davon, daß der Zustand der Zunftlosigkeit oder Gewerbfreiheit nur durch Aufhebung der Zunftgerechtsame zustande gebracht werden kann und mithin die Kränkung von tausend Rechten damit verbunden ist — setzen wir also den Fall, es geschähe: jedem wäre die Freiheit gegeben, das zu gewerken. was er wolle, so entstünden nun die zwei wichtigen Fragen: erhalten wir dann bessere Arbeit, und erhalten wir dann wohlfeilere Arbeit? Wird die Ware wohlfeiler, zugleich aber schlechter — oder — wird die Ware besser, aber zugleich auch teurer, so ist im Grunde nichts gewonnen. Denn dieses Wechselverhältnis findet auch dermalen statt. Die Aufgabe aber, die wir billigerweise an den Erzeuger stellen können, darf nicht gut und wohlfeil heißen, son­ dern gut und billig. Denn, wer gut und wohlfeil arbeitet, kann nicht bestehen, er wird, er mutz zugrunde gehen: es ist genug, wenn wir gute Ware in billigen Preisen bekom­ men. Will das Publikum selbst gut und billig sein, so kann es nichts mehr verlangen als gute Ware in billigen Preisen. Ist dies der Fall, so kann der Meister leben und das Publi­ kum auch. Die Beurteilung dieses Verhältnisses zwischen dem Preise und der Güte der Ware ist nun teils Sache der Konkurrenz, teils Sache der Marktpolizei. So z. B. bestimmt den Preis der Möbeln» der Schneiderarbeit, der Menschen­ bekleidung usw. die Konkurrenz: hingegen die Ware des Bäckers und Fleischers die Polizei. Soviel scheint einleuch­ tend zu sein, daß diese beiden Faktoren zur Regulierung -es Preises hinreichend seien, da selbst im Zustande der Zunftlosigkeit keine andere Bürgschaften gegen die Überteuerung aufgestellt werden können. Es hängt daher mit den Zünften der höhere Preis, im Gegensatz gegen die Zunftlosigkeit, kei­ neswegs notwendig zusammen, wenn ich die Güte der Ware bei beiden gleichsetze. Stehe ich aber von der Güte der Ware ab, so mutz ich gestehen» daß der unzünftige Meister auf die Wohlfeilheit losarbeitet, der zünftige hingegen auf bessere

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Güte ausgeht. Auf -en Jahrmärkten, wo jedem der Verkauf seines Erzeugnisses erlaubt ist, findet ja, sozusagen, -er Zu­ stand der Zunftlosigkeit statt. Allein schlechtere Arbeit heißt eben -ieserwegen auch im gemeinen Leben: Jahrmarkts­ arbeit. Warum? Auch der zünftige Meister ist für seine Ware, die er an diesem Tage verkauft, keiner Aufsicht und Verant­ wortung unterworfen. Die Arbeit soll nur den Schein -er Güte haben, so wird verkauft, und zwar in um so größerer Menge, je niedriger der Preis ist. Enttäuscht sich endlich auch-er Käufer und erkennt die schlechtere Ware später auch als solche, so gibt es keine Gerichtsstelle, bei welcher der wohlfeile Mei­ ster seiner schlechteren Ware wegen belangt werden könnte. Was nun bei dem zünftigen Meister nur an Märkten als verführerische Vergünstigung eintritt, ist das Alltagsleben des sogenannten Pfuschers. Daß wir aber selbst auf Märk­ ten bisweilen recht gute Ware kaufen, mag wohl daher rühren, daß die Hände, welche gewohnt sind, kunstgerecht zu arbeiten, selbst dann, wenn -er Vorsatz gefaßt ist, zu hudeln, unwillkürlich in die alte Gewohnheit der guten Arbeit ver­ fallen. Es wird daher beinahe eine Wahrheit sein, wenn wir annehmen: beim zünftigen Meister ist die schlechtere Ware, beim unzünftigen die bessere Ware ein Erzeugnis des Vor­ satzes. Denn die Preise bestimmen das Menschenherz, wie das Eisen den Magnet, auf gute oder schlechtere Ware auszu­ gehen, sei es nun ein zünftiger oder unzünftiger Meister. Gehen nun beide Arten Meister zur Marktzeit, zur Zeit -er freiesten Konkurrenz, -. i. zur Zeit der Gewerbsfreiheit und Zunftlosigkeit auf wohlfeilere Preise, daher auch auf schlech­ tere Ware aus, so tritt mit Ende dieser Freiizeit der zünftige Meister, wenn etwas bei ihm verdungen wird, wieder in die Schranken der Beaufsichtigung und Beurteilung. Man ver­ langt bessere Ware, er fühlt die Verpflichtung, sie zu leisten — vermag es — ein besserer Preis wir- zugesichert: er wird um besseren Preis bessere Ware leisten wollen und zu leisten Folbertb. St. 2. Roth. IV.

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durch die vorangegangenen Lehrjahre imstande sein. Ein unzünftiger Meister hingegen, der die schweren Lehrjahre nicht gedient hat, der keine Pietät gegen ältere Meister und Mitmeister zu erfüllen hat, der, als Exlex,' unter keiner Be­ aufsichtigung lebt und an den man bei den niedrigsten Prei­ sen die Anforderung der besten Ware nicht machen kann, steckt immer den Zeiger der Wohlfeilheit zum Fenster heraus. Bei ihm ist alle Tage Markttag und fers will auch nur Jahr­ marktsarbeit machen, weil er in solchen Preisen arbeitet, falls ers auch versteht, besser zu arbeiten, was ja nicht ge­ radezu abgesprochen werden kann, seltener jedoch stattfinden dürfte als beim zünftigen Meister. So färbt z. B. der un­ zünftige Meister das Tuch blau und wohlfeiler als der zünftige,- letzterer färbt, wie man zu sagen pflegt, auch nur blau, aber viel teurer. Da haben wirs, kann es heißen, statt die Zünfte seinem Vornehmen nach in ein vorteilhafter Licht zu stellen, läßt er den Schatten der Vervorteilung auf sie fallen. Nur Geduld! Beide Tücher werden zu Hosen ge­ schnitten und getragen. Nach einiger Zeit, wo der Himmel mit seiner Sonne darauf gewirkt und die Sorglosigkeit und Unachtsamkeit einen Becher Wein darauf geschüttet hat, kommt die verschiedene Güte der Färbung zum entscheiden­ den Vorschein. Eine Hose ist verblichen und rotgefleckt wie ein kotbespritztes Eckhaus. Es heißt, diese Hosen waren ehe­ mals schön blau, sind es aber nicht mehr,- die anderen Hosen aber, von denen man ehedem auch nur das sagte, daß sie blau wären, sind noch immer blau und man kann daraus dem Sohne ein Paar Höschen und dem Kindeskinde noch ein Leibelchen machen und diese blaue Farbe wird immer blau bleiben. Das macht, daß die Zunft ihre Meister beaufsichtigt und durch Androhung von Strafen die Echtfärbigkeit mit Indigo erzweckt. Solche Ware muß teurer sein. Färbt der unzünftige Meister auch mit Indigo, so hört seine vorige 1 Als außerhalb des Zunftgesetzes stehend.

Wohlfeilheit auf. Das Publikum verlange vom zünftigen Meister nicht zünftige Ware und unzünftigen Preis. Eines hängt mit dem andern genau zusammen. Nun, unsertwegen! wollen wir dies zugeben, aber wie wohlfeiles Fleisch würden wir essen, wenn wir nicht ge­ nötigt würden, von der Zunft das Fleisch zu kaufen! Warum nicht gar! — Gerade die Fleischer stehen unter militärischer und ziviler Polizeiaufsicht, unter der leichtesten und darum auch schärfsten Kontrolle und bestimmtesten Taxe. Daher auch jeder von ihnen, der bloß von -er Bank leben will, nicht mit Vieh handelt und keine Feldwirtschaft treibt, schlecht genug wegkommt. Dazu müssen die Zünfte jederzeit Fleisch machen, oft auch in Preisen, wo Verlust ist. überdies noch ein Umstand! Wenn die Fleischhauerei frei wäre, wie man­ ches kranke und sogar verreckte Vieh würde Fleisch in unsere Töpfe liefern! Da wünsche ich dazu guten Appetit. Ich, für meine Person, zahle lieber einen Kreuzer mehr und habe meine Suppe alle Tage und die Überzeugung dazu, daß es gesundes Fleisch sei. Aber, meint man, die Polizei wird schon Auf­ sicht haben, daß kein krankes oder krepiertes Vieh aufgehauen wird. Mein Gott, die Polizei und wieder die Polizei! Was soll nicht alles die Polizei!! Ist sie denn allwissend oder allgegenwärtig? Die Theorie möchte es fordern, aber praktisch läßt es sich nicht tun! Ist denn ein Polizeidirektor, und wenn er vom Diogenes mit -er Laterne gesucht würde, imstande, überall zu sein, wo die Augen, die Nase, die Hände, die Zunge usw. -er Polizei erforderlich ist? — Nun, wenn seine Person nicht kann, so schickt er einen Diener! Da wären wir gut daran. Versteht es dieser? Wird ein Glas Schnaps ihm nicht eine Brille auf die Nase setzen, daß er das kranke Vieh für gesund, das kre­ pierte für lebend ansieht? Zu was alles der allgemeinen oder Zentralpolizei zuweisen, die offenbar außerstand ist 3*

alles zu übersehen, zu überwachen usw.? Unsere alte Ver­ fassung machte dies für ein Amt unmögliche Geschäft möglich durch Aufteilung an verschiedene Unterämter, die nichts kosteten, die Sache besser kannten und bis ins kleinste beauf­ sichtigten. Ich mahne hier nur an die Nachbarschaften und, was zur Sache näher führt, an die Zünfte. Die Fleischhauerzunfi ist die natürliche Fleischpolizei. Nicht an­ ders. Sie ist, wie alle Zünfte, eine Polizeianstalt, eine Rechtsanstalt, um Güte und Preise zu regeln und zu beauf­ sichtigen. In diesem Teile ihrer Wirksamkeit sind sie ein Zweig, eine Unterabteilung der Zentralpolizei. Die Güte des Fleisches ist gesichert, in den Preisen schützen die gesetz­ lichen Proben das Publikum. Tue nur die Zentralpolizei ihre Schuldigkeit, so dürfte sich niemand mit Recht zu be­ klagen haben. Es ist hier der Ort nicht, alle Einwürfe gegen die Fleisch­ hauerzunft zu entkräften, auch bin ich manchmal selbst über sie ärgerlich, wenn ich kein Lungenbratel bekomme,' aber eines Einwandes muß ich doch erwähnen. Es würde jeder­ mann erlaubt, Fleisch auszuhauen,' so würden heute zehn Ochsen aufgehauen, wo fünf genügten,' morgen würde kei­ ner ausgehauen, oder es geschehe meinetwegen wieder, dann bekäme das Publikum stinkendes Fleisch. Die Poli­ zeisoll eswegschaffen! Gut! Aber der Fleischhauer hätte Schaden: das wäre doch auch nicht recht und — morgen oder übermorgen wäre vielleicht gar kein Fleisch, welches auch kein Vorteil zu sein scheint. Die Polizei soll zwingen. Wen? — Es hat ja niemand die Verbindlich­ keit. So bestelle und dinge denn die Polizei bestimmte Individuen. Sehr wohl und so gespro­ chen, wie ich es nur habe wünschen können. Denn da sind wir eben im Begriff, eine Fleischhauerzunft zu erschaffen, die wir, eben aus Liebe zum Publikum, abschaffen wollten. Noch eins! Beim Kalb- und Lammfleisch ist kein fester

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Preis und derselbe mitunter zu hoch, wiewohl im Aufhauen keine Reihenfolge bestimmt ist und in einzelnen Stödten auch die Kürschner das Haurecht der Schafskinder haben. Aller Welt ists freilich nicht erlaubt, aus polizeilichen Grün­ den der Überwachung, daß kein krankes oder totes Tierchen zum Verkaufe ausgesetzt werde. Ist nun diese Fleischgattung — Kalb- und Lammfleisch ist Luxusartikel — demohngeachtet, daß eine gleichzeitige Konkurrenz stattfindet, so hoch im Preise, so bedenke man das Wagnis mit den Fellen, die oft unglaublich steigen, oft unerklärlich fallen, schnell Schlag auf Schlag. Sicherstellung im Lebenserwerb ist Naturinstiukt. Auch die Spinne vergrößert, bei günstigem Wetter, ihr Erwerbmittel, das Netz. Dazu trifft es sich manchmal, daß mehrere Meister zu gleicher Zeit viele Lämmer ge­ schlachtet und vom Publikum zufälligerweise weniger als ge­ hofft gekauft worden,' dann muß mit Einbuß geschleudert werden. Denn der Zunftmeister gestattet morgen den Ver­ kauf des faulen Fleisches nicht. Diesen heutigen Einbuß muß nun ein günstigerer morgen gutmachen. — Einzelne Haus­ haltungen können sich diese kleineren Tiere schlachten lassen. Deswegen nehme es das Publikum nicht übel, wenn am kleinen Vieh dann und wann eingebracht wird, was am großen eben auch dann und wann Einbuß gab. Doch--------lassen wir die Fleischer Fleischer sein, und wenden uns wie­ der zu den Zünften, von denen sie nicht die wenigst ange­ fochtene sind, als zu dem allgemeineren und eigentlichen Ge­ genstand unserer Besprechung. Wir standen aber bei den Zünften als polizeilichen Anstalten dem kaufenden Publi­ kum gegenüber. Da in den nichttaxierten Zünften gefeilscht wird, so kann bei diesen nicht sowohl vom Preise als von der Güte der Ware die Rede sein. Welche Gewerbseinrichtung — Zünfte oder Zunftlosigkeit — leistet nun die beste Bürgschaft den» Publikum gegen übermäßige Preise, d. h. wo bin ich am

sichersten davor, -aß ich für eine Sache nicht mehr zahle, als sie w e r t ist? Gesetzt! ich bin oder glaube mich vervorteilet, so gibt mir die Zunft einen offenen Weg an die Hand, zu einem Rechts­ erkenntnis zu kommen. Der Zunftmeister mit seinen Bei­ sitzern sind eine permanente Gerichtsstelle zwischen dem klagenden Käufer und dem beklagten Zunftmann. Wenn aber keine Zünfte wären, was dann? Bei wem soll ich mich beschweren, bei wem habe ich meine Klage anzubringen? Nun — beim Gericht oder der Polizei! Schon recht! — Wenn es aber auch möglich wäre, für so viele Klä­ ger (die sich alle vor der Polizei sammeln müßten, wenn keine Zunftordnung mehr bestände), Ohren genug zu haben, um sie anzuhören, und Mäuler genug, um zu reden, und Zeit genug, um alles vorzunehmen und auszuführen,' so hat, dies alles als möglich gedacht, weder -er Herr Stuhlrichter, noch -er Herr Polizeidirektor in allen gewerblichen Gegen­ ständen, über die ein Hader zwischen Käufer und einem Mei­ ster entstanden ist, die erforderlichen Kenntnisse, um einen Rechtsspruch (nicht bloß Richterspruch) tun zu können. Diese Herren sind Juristen, und wohl uns, wenn sie es sind — aber keine Professionisten. — Das Gericht soll Sachver­ ständige zu Rate ziehen und auf die Erkennt­ nis dieser soll sich der Rechtsspruch grün­ den. Die Aushülfe scheint nicht übel. Diese Sachverständigen werden, wenn ihre Erkenntnis dem Urteil zum Grunde ge­ legt werden soll, solche Leute sein müssen, die die zu beur­ teilende Sache nicht nur kennen (theoretisch), sondern auch können (praktisch), h. über Schusterarbeit sollen Schuster, über Schneider Schneider entscheiden. Ferner ist erforderlich, daß diese Sachverständigen eines guten Leumunds sich er­ freuen und des öffentlichen Vertrauens genießen. Einem solchen Gerichte kann sich dann Kläger und Beklagter gerne anvertrauen. — — — Da haben wir ja aber wieder ein

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Zunftgericht! Einen anderen Namen, aber im Grunde die nämliche Anstalt! Denn diese vorgeschlagenen Sachver­ ständigen sind ex Institute -er Zunftmeister und die Bei­ sitzer. Nur hat das Zunftwesen hiebei den Vorzug, -atz dieser Nat der Sachverständigen, diese Prüfungskommission, bei be­ stehenden Zünften bereits eingesetzt und vorhanden ist — bei aufgehobenen Zünften das Zivilgericht oder die Polizei solche Sachverständige bei jedem einzelnen Falle erst auf­ suchen, berufen und ermächtigen müßte. Dem Beklagten müßte das Recht -er Exzeption zugelassen werden — von den Erwählten könnte es einer und der andere ablehnen — die ernennende Behörde könnte in der Auswahl Fehlgriffe tun und sich lächerlich machen sojder auch, um den Kläger oder Beklagten zu drücken, aus Nebenabsichten, Feile und Un­ würdige erwählen. Ein bedenklicher Umstand! Die geeignetsten und natürlichsten Richter in Professions­ gegenständen sind die Professionisten. Jeder soll von seines­ gleichen beurteilt und gerichtet werden. Die Güte des Rades hat nicht der Schneider, den Wert eines Hutes nicht ein Kupferschmied zu beurteilen. Daß aber Zunftgenossen ihre Vorsteher erwählen, ist darum wieder in der Ordnung, weil sic sich, in Rücksicht ihrer Kenntnisse und Ehrenhaftigkeit, am genauesten kennen und beurteilen können. Wer daher der Sachverständige in Zimmermannsarbeit sei, entscheidet gebührendermaßen die Zimmerinnung und nicht die Zunft der Weißbäcker usw. Schon diese eine Seite empfiehlt die Zünfte. Die Zunft­ ordnung gewährt polizeiliche Aufsicht und Rechtssicherheit) sie verbürgt ein rechtliches Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer, die ein zunftloser Gewerbszustand nimmermehr so sicher und zuverlässig darbieten kann. Wohlfeilheit und Güte der Fabrikate halte auch ich für wünschenswert — aber es gibt noch höhere Nützlichkeiten und Vorteile, die von größerem Werte sind, und dahin rechne ich

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-en im Boranstehenden entwickelten Stand -er Sicherheit, -er polizeilichen Bürgschaft und fertigen Kompetenz -er Sachverständigen, die im Zunftwesen, als einer organisierten Rechtsanstalt, zwischen dem Publikum und den Professionisten enthalten und eine große, wenn auch oft ver­ kannte oder zu wenig erkannte Wohltat ist. II. Die Zünfte als Pflanzschulen der Gewerbe oder als industrielle Konservatorien Man hat in neuerer Zeit für verschiedene Künste, als Musik, Theater, Malerei, sogenannte Konservatorien er­ richtet zur planmäßigen Begünstigung dieser Künste in ihrer Ansiedlung, Ausbildung und Fortpflanzung. Wie alles Edle zu seinem Gedeihen der Pflege und Wartung bedarf, so er­ kannte auch diese Kunstliebe, daß der Zufall nicht hinreichend sei, diese Musen in den Kreis einer bestimmten Gesellschaft einzuführen und zu behalten. Die Erfahrung lehrte, daß diese himmlischen Gäste nur da ihre Schütze öffnen, nur da einen bleibenden Wohnsitz aufschlagen, wo Gerechtigkeit, Sicherheit, Freundlichkeit ihnen entgegenkommt. Aus der­ selben Erde keimen Blumen, wenn Frühlingsluft die schla­ fenden Kräfte weckt, und Flora sammelt alle ihre Kinder und entflieht in gastlichere Gegenden, wenn die rauhen Vorläufer des Winters sie mißhandeln. Die Konservatorien machen es sich daher zur Aufgabe, alle Hemmnisse und Hindernisse der Künste, welche diesen nachteilig sein könnten, zu beseitigen, und sinnen mit emsigem Fleiße darauf, was deren Bestand, Blüte und Fortdauer befördern könnte. Wie die jetzigen Missionen ihre Niederlassungen unter den blinden Heiden aufschlagen, um Christentum, Humanität und Zivilisation auszubreiten, so machen sich es diese Kunstfreunde zur schönen Aufgabe, in ihrer Nähe dem prosaischen Leben eine poetische

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Weihe zu geben oder, wie Schiller sagt, ins irdische Leben himmlische Rosen zu flechten. Diesen edlen Verbindungen verdankt schon manche Stadt einen freundlicheren Ton, mil­ dere Sitten, einen geläuterteren Geschmack, geweckten Sinn fürs Schöne und reinere, menschlichere Genüsse als ein der­ ber Braten oder einfältige Karten gewähren können. Was nun diese Kunstvereine für die Idee der Schönheit tun, suchen die Zünfte für die niederen Sphären der Be­ quemlichkeit zu tun. Auch die Zünfte verdanken ihren Ur­ sprung der Einsicht und Erfahrung, daß die Gewerbe eines gewissen Schutzes sich erfreuen müssen, wenn sie gerechten Erwartungen entsprechen sollen. Betrachten wir einmal die Zünfte von dieser Seite, näm­ lich als Anstalten zur Erhaltung und Beförderung der In­ dustrie und der Gewerbe in ihren eigentümlichen Einrichtun­ gen. Der Fortschritt in irgendeinem Gewerbe geht für das kommende Geschlecht verloren, wenn dasjenige Individuum, welches diesen Fortschritt getan oder sich angeeignet hatte, ohne eine Mitteilung an einen überlebenden gemacht zu haben aus dem Leben scheidet. Sein Tod ist -er Tod des Fortschrittes. Diese eigene oder angeeignete Virtuosität kann nur durch Lehre in fortlebenden Zöglingen erhalten werden. Ein wahres und echtes Konservatorium mutz daher hauptsächlich in seiner Organisation auf das Prinzip der Mitteilung oder der Lehre gebaut sein. Was -er Einzelne erfunden oder abgelernt hat, bleibt dem Gewerbe erhalten, wenn eine Lehr- oder Lernanstalt organisiert ist. Auf dieser Basis des gegebenen Kulturstandes baut der Erfin­ dungsgeist weiter, der Bienenfleiß der jungen Brut trägt aus der Fremde Fortschritte des Auslandes ein. Dieser Fortschritt wird durch Mitteilung wieder erhalten und Ge­ meingut und so gehts fort. — Eben solche Konservatorien, nur aus uralter Zeit, sind die Zünfte für die Gewerbe und Handwerke. Wie in den Konservatorien der Künste das

Interesse dafür Verbindungen gestiftet hat, die Künste zu erhalten und zu vervollkommnen, ebenso haben sich Männer, im Interesse eines Gewerbes, vereinigt (Innung) und sind zusammenkommen (Zusammenkunft, Zunft), um gewisse Ge­ werbe zu erhalten, fortzubilden und weiter zu verlernen. Durch die Abteilungen in Lehrjungen, Gesellen und Meister sind die drei Stufen der Erlernung bezeichnet. Dem Lehr­ jungen ist durch die Zunft die Lehre oder die Erlernung des Gewerbes garantiert. Dessen Dienstverhältnisse sind durch Artikel geregelt und festgestellt. Damit nicht Willkür im Freisprechen herrsche und zugleich dem Meister sein Lohn für die Lehre und Mitteilungen werde, sind bestimmte Jahre zur Erlernung anberaumt. Wird er freigesprochen, so tritt er als Geselle in den Genuß einer größeren Freiheit und Selbständigkeit. Er darf auch für sich arbeiten und ab- und zuziehen, aufkündigen und anmelden. Für seine Vervoll­ kommnung sorgt Veranstaltung eigenen Erwerbes am Feierabend, die Freiheit, die Werkstätten zu verlassen, und bei vielen Zünften noch der Wanderzwang. Während der Gesellenjahre haben sie in der Brüderschaft ihre gesetzliche Organisation, die Aufsicht auf Ehrbarkeit usw. führt, unter und zwischen ihnen ausgebrochene Händel schlichtet, das Ver­ hältnis zum Meister regelt und ordnet. Seine größere Frei­ heit bewegt sich innerhalb der Schranken eigener Bruder­ schaftsartikel, welche ihr Gesetzbuch sind. Sind die gesetzlichen Bedingungen vom Gesellen erfüllt, so aspiriert er zur Mei­ sterschaft oder zum Befugnis, das Gewerbe auf eigene Faust und Rechnung zu betreiben. Die Bedingungen dazu gehen einesteils auf das Wohl des neuen Meisters, teils auf den Be­ stand des Zunftinstitutes. In Beziehung auf den neuen Mei­ ster verlangt die Zunftordnung die Befähigung desselben, welche durch das M e i st e r st ü ck ermittelt wird; in Beziehung auf die Zunft selbst die Ausübung des Gewerbes ohne Schmälernung der Gewerbsausübung der älteren Meister oder auf

die Sicherstellung des Fortbestehens -er Zunftverbindung, d. h. die Existenz -es Neueintretenden soll, neben der Exi­ stenz der bereits bestehenden Meister, friedlich, unbeöinträchtigend und unter Garantie bestehen. Wer sich die Mühe nimmt, die Bedingnisse, die an einen Meister zur Aufnahme in eine Zunft gestellt werden, prüfend durchzugehen, wird alle Kautelen, in diese zwei Beziehungen gesetzt, antreffen. Es ist dies kein selbstsüchtiger Zweck. Die Befähigung des neuen Meisters auf einer Seite, wie die Sicherstellung der älteren Meister auf der anderen Seite, gehen alle auf das Gewerbe mittelbar aus und kommen diesem zustatten. Wel­ chen Vorteil die „Meisterstücke" für das Gewerbe selbst haben, liegt auf der Hand,' die anderen Bedingnisse und re­ spektive Erschwerungen der Aufnahme usw. gehen wohlweis­ lich auf die Erhaltung der Zunft als derjenigen Anstalt, wo­ durch die Gewerbe erhalten und fortgepflanzt werden. Daß man nicht jeden geschickten Gesellen sogleich oder nie in die Zunft aufnimmt und selbst der Ausübung seines Gewerbes auf Kosten seiner Nebenmeister gewisse Schranken setzt, ist eine wohlberechnete Maxime mit dem Zwecke: die Auflösung der Zunft zu verhüten, denn die alten Meister, welche die Zunft bilden, sollen für ihre Verdienste um die Erhaltung, Vervollkommnung und Fortpflanzung des Gewerbes zuletzt nicht am Hungertuche nagen und ehemalige Lehrlinge und Gesellen, die durch die alten Meister zum Brote gekommen, sollen denen, welchen sie das Brot verdanken, das Brot nicht vor dem Maule wegnehmen. Diese Berücksichtigung der alten Meister, diese Pietät gegen Lehrer und Wohltäter, gegen Väter und Erzieher, kommt zwar zunächst den älteren Mei­ stern, welche die Zunft bilden, zugute — aber dieser Schutz der Zunft ist zugleich mit der Vervollkommnung des Ge­ werbes innig verbunden. Denn wüßte ein Meister, daß jeder Geselle aus Süd und Ost, aus Nord und West einmal zur Ausübung des Meisterrechtes gelangen würde, wüßte der

Lehrmeister, daß über kurz oder lang sein Lehrbube oder Ge­ selle ihm den Erwerb nehmen würde, so dürfte es wohl leichter der Fall sein, daß er sich weislich hütete, ihnen das Gewerbe vollständig zu lehren, über alles die Augen aufzu­ tun, auf alle Vorteile und auf alle Gefahren aufmerksam zu machen. Dies alles, das Wichtigste, behielte er für sich, zum künftigen Auskunftsmittel der später gefährdeten Existenz. Ohne diese Sicherheit des Lehrmeisters gegen seinen Lehr­ ling und Gesellen kommt die Geheimniskrämerei in Schwung. Was ein Meister mehr weiß wie ein anderer, behält er für sich. Eben in dem aber, was ein Meister weiß und andere nicht wissen, besteht das Vorteil,' der Fortschritt des Gewer­ bes. Wird dieser aber nicht mitgeteilt, so steht das Gewerbe still und sinkt auf eine niedere Stufe, wenn -erselbige Mei­ ster, ohne gemachte Mitteilung, stirbt. Ein solcher Meister, den kein Gesetz für Hunger im Alter schützt, bedient sich der Lehrlinge und Gesellen nur als Hand und Fuß und hütet sich mit ängstlicher Sorge davor, dieselben vollkommen auszubil­ den und, wie er selbst ist, zu befähigen. Weil aber die Exi­ stenz des Lehrmeisters durch weise Einschränkung der Auf­ zunehmenden und Aufgenommenen in den Zunftartikeln gesichert ist, lehrt er willig alles, was er weiß und versteht, und dadurch sind diese Einschränkungen wahre Beförde­ rungsmittel des Gewerbes: die beschuldigten und angeklag­ ten Zunftordnungen sind nicht hindernd, sondern fördernd. Dies ist der Sinn, die Aufgabe und die Bedeutung der Zünfte. Sie sind Konservatorien; sie sichern und beschützen den Gewerben die Erhaltung, Ausbildung und Verpflan­ zung. ---------- Ich sage nichts Neues, ich weiß auch nichts Neues — aber es ist gut, Altes in den Sinn zu bringen, an Vergessenes zu erinnern. Die verschrieenen Zünfte, die Städte gründeten, von ihren eigenen, selbsterbauten Türmen Stadt und Volk verteidigten, die den Strom -es Wohlstan1 Mundartlich für Vorteil.

des erzeugten und noch immer die Gewerbe hegen und pfle­ gen, sie, die armen Zünfte, denen man wie Narren und Blödsinnigen, wie Weibern und Kindern Vormünder gesetzt, weil man sie für unfähig hält, selbständig zu sein, an denen man soviel gehunzt hat, sind auch dermalen unter allerhand Verrenkungen und Kneblungen noch immer Konservatorien der Gewerbe und ohne sie wären wir schon längst noch mehr im Schlepptau des Auslandes. IIL Zünfte und Fabriken oder die Zünfte als Anstalten der Humanität dem Gemein­ wesen gegenüber Zünfte sind ein Mittelding zwischen Zunftlosigkeit und dem Fabrikwesen. Die zunftlosen Meister gleichen einem Glas verschüt­ teten Quecksilbers, das in tausend Kügelchen zerstäubt ist. Sie bilden, wie ihrer viele auch sind, kein Ganzes; sie sind viele Bäume, aber kein Wald; eine Menge, aber keine Ge­ sellschaft. Im Zunftwesen findet sich die Selbständigkeit vieler vereinigt in -er Einheit einer Gesellschaft, einer moralischen Person. Im Fabrikswesen steht die Mehrheit im Dienste eines einzelnen. Ein Fabriksherr ist ein Meister, dem viele andere nur als Hände dienen, ein hundertarmiges Unge­ heuer: die ganze Gesellschaft ist eigentlich auch nur eine Per­ son, aber nicht eine moralische, sondern eine physische. In einer dieser drei Bahnen müssen sich alle Formen der Gewerbsausübungen im großen bewegen. Soll daher, wie der Antrag der öffentlichen Meinung lautet, das Zunftwesen aufhören, so müßten die Gewerbsausübungen in die zwei noch übrigen Formen übergehen. Da wir nun in den bishe-

rigen Betrachtungen die Gewerbsausübung in der Form der Zunftlosigkeit beleuchtet und diesen Zustand als minder vor­ teilhaft befunden haben, kann noch nur das Fabrikswesen als einzig übrige Form Gegenstand -er weiteren Forschung sein. Wer das Zunftleben aufhebt und die Zunftlosigkeit be­ zweckt, was der Zeitgeist lieber affirmativ: Gewerbsfreiheit heißt, steuert unwissend, wie auf einer Stromschnelle oder mit Aufsteckung aller Segel, einem anderen Ziele, dem Fabriks­ wesen, zu. Denn gerade die Verbandlosigkeit -er zunftlosen Meister macht es einer oder einigen Personen möglich, diese zerstreuten, systemlosen Atome an sich zu ziehen, sie als Kern festzuhalten, daß die einzelnen Meister ganz aufhören und nur den Kern groß und mächtig machen. Fabriken sind An­ stalten, die darauf ausgehen, eine ganze Gewerbsgattung alleinig auszuüben. Mit Hülfe einer überwiegenden Geld­ kraft sucht die Fabrik die Erzeugnisse so zu verwohlfeilern, daß -er einzelne Meister neben ihr nicht bestehen kann. Dazu können die Fabriken in einzelnen Gewerben ihre Erzeug­ nisse in solcher Vollkommenheit darstellen, daß der einzelne Meister diesem doppelten Druck der Wohlfeilheit und Vor­ trefflichkeit weichen muß. Diese Verbindung -er Güte und Wohlfeilheit erwirkt Las Fabrikswesen teils durch größere Gel-kraft, teils durch die Verteilung der Arbeit. Wer jeder­ zeit Geld vorrätig hat, kauft die rohen Produkte, wenn sie in den niedrigsten Preisen stehen, und schafft sie auch darum billiger ein, weil der Ankauf en gros geschieht usw. Die Auf­ teilung der Arbeit an viele verschafft dem einzelnen Ge­ legenheit, sich in der einzelnen Arbeit eines Gewerbes auf das Höchste zu vervollkommnen, während der Meister für sich, der in seinem Gewerbe Kleines und Großes machen muß, das einzelne als einzelnes minder vollkommen machen kann. Macht sich daher die Staatsökonomie bloß die eine Aufgabe -er Vervollkommnung und Verwohlfeilerung der Gewerbsgegenstände, so hat sie allerdings eine innere Nötigung, sich

für das Fabrikswesen zu entscheiden: die Feder mutz ins Dintenfaß fahren, um den Zünften das Todesurteil zu unter­ schreiben. Nach diesem Eingeständnis scheint jede fernere Anwalt­ schaft für die fernere Beibehaltung der Zünfte ein ver­ lorener Posten zu sein und die Sache der Zünfte einem feder­ lesenden Kranken zu gleichen, dem man das Wasser wärmen soll, für den man die Bretter zu suchen hat, um den Sarg zusammenzuschlagen. Ich bin zwar zu geringe, zum Rat der Staatsmänner gezogen zu werden, die hierüber zu entschei­ den haben, und mir hat selbst die Gelegenheit gefehlt, durchs Schlüsselloch da zuzuhören, wo solche Dinge verhandelt wer­ den, viel weniger bin ich in der Lage, auch nur ein Lot in Händen zu haben, um es in die Wagschale der Entscheidung zu legen. Allein -emohnerachtet die Zünfte den Fabriken ge­ genübergestellt die geringste Aussicht auf Stimmenmehrheit haben, so setze ich in die Weisheit der Gesetzgebung und zu­ gleich in den inneren Wert der Zunftangelegenheit, die ich vertrete, ein zu großes Vertrauen, um das Spiel verloren zu geben, ehe die letzte Karte gefallen ist. Denn um das Alte zu verwerfen, was so lange sich bewährt hat, ist es nicht genug, daß sich das Neue von einer Seite glänzender dar­ stelle. Die Zünfte haben den eisgrauen Zeugen der Erfah­ rung zu ihrem Beistand — die Fabriken bis jetzt noch nur ein blühendes Kind der neuen Zeit zum Zeugen für sich, eigentlich nicht so sehr die Wirklichkeit als einen vielver­ sprechenden Gedanken, eine neue Hoffnung. Billig ist es da­ her und vernünftig obendrein, Zünfte und Fabriken nicht allein darin zu vergleichen, welche von beiden wohlfeiler und besser arbeite, als auch zugleich die Wirksamkeit beider auf das gesamte Volksleben, auf das Gemeinwesen, auf das menschliche Dasein überhaupt gegeneinander abzuwägen. Denn die Fabriken könnten neben dem Vorschub, den sie der Ware leisten, so große Nachteile anderer Art in ihrem Ge-

folge führen, daß nicht nur Gleich von Gleich aufginge, son­ dern noch ein Defizit in der Rechnung bliebe. Dies ist es aber eben, was man dem Fabrikwesen mit Recht zum Vor­ würfe machen kann, sie schaden mehr, als sie nützen,- sie schaden dem Menschlichen und nützen nur dem Gewerblichen. Ist nun der Mensch letzter Zweck aller Künste und Gewerbe und versündigten sich die Fabriken am Menschlichen, so ist ihre Nützlichkeit für die Gewerbe eine so untergeordnete Nützlichkeit, daß die Zünfte, wenn selbe die höheren Zwecke der Humanität mehr begünstigen, den Fabriken nicht auf­ geopfert werden können. Um hierüber entscheiden zu können, wollen wir Zünfte und Fabriken in bezug auf Humanität gegenüberstellen oder, was dasselbe ist: wie wirken beide auf menschliches Dasein, auf Haushaltung, Kindcrzucht, Sit­ ten, Charakter und Gemeinwesen? Zünfte, sind eine bürgerliche Ordnung, vermöge welcher v i e l e F a m i l i e n in Betreibung eines und desselben Ge­ werbes selbständig nebeneinander leben können. Hebt man die Zunftordnung auf und will das Fabrikwesen ein­ führen, so geht dies anders nicht, als es wir- die Gewerbsfreiheit ausgerufen. Denn diese ist die natürliche Brücke zum Fabrikwescn. Die Zunftlosigkeit hat zwar den Aus­ hängeschild, es sollten noch mehrere Familien als bisher von den Gewerben leben — auch diejenigen, welche bisher in die Zünfte nicht aufgenommen wurden, auch die, welche bisher nur als Pfuscher ihre Waren insgeheim einschwärzten. Das hat nun einen guten Klang, einen herrlichen Schein. Sowie mancher Wirt frische Hobelspäne flattern läßt, um sein schales Bier desto sicherer an den Mann zu bringen, so täuscht auch die Zunftlosigkeit, diese Mutter der Fabriken, mit Vor­ spiegelungen von Humanität. Ich muß auf diesen Punkt der Täuschung allen Nachdruck legen, weil gerade das Ver­ sprechen der Zunftlosigkeit, viele, viele Menschen von einem

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Gewerbe leben zu machen, selbst edle Menschen, ja vorzugs­ weise diese, für sich zu gewinnen pflegt und um so leichter dadurch gegen die Zunfteinrichtungen vinnimmt. Sobald man die Zünfte aufhebt, hebt man zugleich die durch Zunftordnung verbürgte gleichmäßige Erwerbs­ fähigkeit auf. Das Gleichgewicht, das bei der Zunftordnung unter den Meistern des nämlichen Gewerbes stattfindet, wird sogleich gestört. Hier lockt ein Meister alle Gesellen an sich,- dort nimmt ein Meister, um das Wochengeld der Ge­ sellen zu ersparen, 6, 8 bis 10 Lehrjungen auf. Wer ver­ kaufen will, muß wohlfeile Arbeit liefern. Daher eine er­ staunliche. Schleuderung in den Waren. Es werden Kapi­ talien ausgenommen, um auszuhalten. Eine glänzende Werkstatt, wimmelnd von geschäftigen Händen und laufen­ den Füßen, scheinet auch dem Wucherer Sicherheit zu ge­ währen für seine gottlosen Prozente. Man will sogar ein­ büßen, wenn nur die Nebenbuhler zugrunde gehen. Sind diese einmal schachmatt, dann hofft man im Besitze des Mo­ nopoles die vorangegangenen Verluste durch nachträgliche Gewinste einzubringen. Dieser Wetteifer mahnt mich ari einen Wettlauf. Die Schranken fallen, alle laufen. Nach einer Weile bleibt hier und da einer zurück, und je länger die Bahn, je kleiner wird die Zahl derer, die noch laufen,- end­ lich fällt der Preis in die Hände eines einzigen, der die größte Lunge und die längsten Beine hat. Also werden in diesem freigegebenen Gewerbswesen der arbeitenden, aus­ haltenden Meister immer weniger, bis ein einzelner, durch Unterdrückung aller anderen, mit goldenen Buchstaben „F ab r i k d e s N. N." über seinen Laden schreiben läßt. Das ist der Ausgang des Liedes und solche Bewandtnis hat es mit der Humanität der Gewerbsfreiheit und Zunftlosigkeit, die­ sem Feldgeschrei und Losungswort der neuen Zeit. Nun bleibt ja freilich jedermann der Weg offen und frei, ein be­ liebiges Gewerbe zu betreiben. Aber wie wird es ihm Folbcith, S«. L. Noth. IV.

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glücken und gelingen können? Unter einem so ausgewach­ senen, wurzelkräftigen, weithinschattenden Baume kann ja freilich ein aufgehender Strauch das Recht seiner Existenz auch geltend machen, aber soweit meine Erfahrung reicht, vermag dieser beschattete, betröpfelte Strauch, fest am alten Kraftstamme, es nicht zum Baume zu bringen. Ich bin viel auf -er Jagd herumgestrichen und habe manchen Wald ge­ sehen, aber nur da einen gleichartigen Wuchs angetroffen, wo die Bäume miteinander unter gleichen Lebensbedingun­ gen aufwachsen konnten. Der arme Anfänger mag sein Ge­ werbe noch so gut verstehen; es fehlt ihm die Geldkraft. Ein­ mal nur soll er was wagen und das Wagnis mißlingen, so hört seine Tätigkeit auf oder, was der Tag erarbeitet, ver­ zehret der Abend. Da seine zwei Hände Frau und Kinder menschlich nicht ernähren können, legt er sich abends ent­ weder als ehrlicher Hungerleider oder gesättigter Betrüger nieder, zieht er es nicht vor, lieber in -er Fabrik als Helfer einzutreten. In eben dem Matze, als sich in dieser Entwicklung des Fabrikwesens die Anzahl der selbstän­ digen Meister verringert, verstärkt sich die Betriebskraft der wenigen, welche das Gewerbe noch treiben, d. h. es werden diese einzelnen um so kräftiger, wie bei einer Pharaobank der glückliche Spieler um so mehr Geld hat, je mehr die an­ deren verlieren und weniger haben. Es ist nicht der edle Eifer zwischen Kunst und Kunst, Fleiß und Fleiß, sondern ein Kampf zwischen Geisteskraft und Geldkraft. Wer bei gleicher Einsicht den bestgespickten Beutel hat, der ist der end­ liche Sieger. Von dem moralischen Boden der gleichbe­ rechtigten Meister der Zünfte spielt die Gewerbsfreiheit das gesamte Gewerbe einer Stadt in die Tasche des Kapitalisten. Aus -er ehrsamen Zunft -er Kupferschmiede verschwindet die gleichberechtigte Vielheit,' neben -er Kesselfabrik des N. N. leben noch nur Kesselflicker. Et sic porro!1 — Die alten 1 Und so weiter.

Meister sterben aus, das neuere Geschlecht hat nur die Kenntnis der Gegenwart. Nur Tollköpfen kann es einfallen, ein selbständiges Professiönchen neben der Fabrik aufzu­ richten: lieber ein satter Geselle als ein hungriger Meister. Drum legt -er Meister willig sein Käppchen nieder und klaubt in seine Gesellenschürze die sicheren Brosamen, die vom Tische seines Fabriksherrn fallen. Dieser aber hat sein Glück nicht auf den Kopf, sondern auf den Beutel gebaut, und oft stehet unter der Firma einer christlichen Fabrik ein in allen Handbüchern der Naturgeschichte noch fehlendes Geldtierchen — der Jude. — Das ist die Humanität -er Gewerbsfreiheit, das neue Glück des Fabrikwesens, die Frucht, die aus dem Grabeshügel -er Zünfte herauswächst. Edle Monarchen unterschreiben nur mit zitternder Hand das Todesurteil eines Verbrechers — Eines — eines Ver­ brechers. Um wie viel mehr sollten sie zittern am ganzen Leibe und am meisten das Herz in dem Leibe, wenn sie, mit Aufhebung der Zünfte, tausend gegründeten Familien den Ruin unterschrieben, wenn sie tausend anderen für die Zu­ kunft durch einen Tropfen Dinte die Gründung selbständiger Gewerbschaft und Haushaltung unmöglich machen! Die Selbständigkeit vieler Haushaltungen neben­ einander, die in der Zunftordnung alle einen Stützpunkt ge­ habt, wo -er Armut, dem Fleiße, dem Talent seine Bahn offen blieb — wäre also verschwunden. Ja, das ist erreicht und das habt ihr ja verlangt, ihr Verbesserer a priori, ihr Kinder der 90 er Jahre,' die ihr nicht aus dem historischen Boden, dem positiven Recht, in die Sonnenhöhe der Idee den Baum der Gesellschaft wollt wachsen, sondern aus dem philosophischen Recht, aus der Idee, diesen Baum fertig, wie einen Deus ex machina, wollt herabsinken lassen. Was ihr gehofft, was ihr gewünscht, was ihr mit vollen Backen ver1 Gemeint sind die Anhänger der Ideenwelt der französischen Revolution.

sprachen, ist nicht geschehen. Es lebten euch in den Zünften nicht genug Menschen von -en Gewerben — es sollten mehrere davon leben, und nun, da die Fabriken entstanden, ist gerade das Gegenteil geschehen. Mögen die Fabriken viele Menschen ernähren,- — mögen die Waren noch so wohlfeil und noch einmal so gut fein; — mögen die Arbeiter in den Fabriken noch so gut leben, obgleich darüber noch manches Zu sagen wäre----------ich schlage das alles nicht so hoch an, als den Segen der vielen selbständigen Haushaltungen, der daraus für das Gemeinwesen erwächst. Selbständigkeit vieler Haushaltungen bildet den Bürgerstand, den ehrenfesten, der dem Staate eine Stütze und Zierde ist, während das Fabriks­ volk Gesindel ist und Dienerschaft. Wer kann dieses einge­ stehen, da es schwer geleugnet und abgestritten werden kann, und wird noch den Zünften ein Pereat und dem Fabrik­ wesen ein Vivat bringen? — Vielleicht ein Freund der Ge­ werbe an sich, aber kein Freund eines achtbaren Gemein­ wesens, kein Freund seines Volkes und rechter Schätzmeister des höheren menschlichen Lebens, der Humanität. Bis aber das Fabrikwesen sich ausbildet — wenn es vielleicht unabänderlich im Rate der Götter und Menschen beschlossen ist — setzt es erst einen mörderischen Kampf zwi­ schen dem aufhörenden und beginnenden Zustande ab — eine Übergangsperiode, einen Gärungsprozeß. In dieserZwischenzeit durchkreuzen sich alle Empfindungen des Unbehagens, des Schmerzes, der Furcht, der Hoffnung, die Verzweiflung der Abwehr, die Heftigkeit des Angriffes, alle Leidenschaften des Eigennutzes, der Habsucht, der Mißgunst, des Betruges und Verschwärzung — es ist keine Ruhe, bis nicht, wie in einem Fischteich, wohin man einige große Raubfische ge­ lassen, die großen Fische die kleinen verschlungen und ver­ zehrt haben. Diese Unterdrückung auf der Seite der Vielen und Sieg auf Seite der Wenigen wird nicht in einem Jahre vollbracht. Viele Augen, die jetzt lüstern in die Ferne nach

den goldenen Bergen der Fabrikszeit sehen, sind, wenn dies geschieht, verloschen — auch die Herzen derjenigen werden dann stillgestanden sein, denen es wehe wird, wenn man auch nur vom Abbrechen des Baues spricht, worinnen sich Vater, Großvater und Ahnen wohlbefunden haben. Diese lange Zeit, wo die Zünfte aufgehoben worden, bis zum end­ lichen Sieg der Fabriksherrschaft — diese Zeit der Kämpfe und Krämpfe — wer wird sie eine glückliche nennen können? Der Mensch gewöhnt sich an alles, an Opium und Arsenik. Gesetzt, die Zunftzeit sei gänzlich vorüber und das Fabriks­ wesen im Mittagsglanze. Wir nehmen an, es blühe in einer Stadt eine Fabrik, wie auf hundert Stunden im Umkreise keine mehr. Ein zahlreicher Menschenschwarm ströme mor­ gens in die Tore des Gebäudes und abends zu den Toren heraus. Da sei ein Drängen und Treiben, Gehen und Kom­ men, Auf- und Abladen usw. Ein großer Teil der Stadt lebe von diesem großartigen Geschäfte,- diese Fabrik sei das Herz der Stadt, in welches aller Kräfte strömen, aus dem beinahe aller Existenz herfließe. Es würde ein altes Männchen, das sein Leben aus der Zunftzeit bis hierher gebracht hätte, sich seiner Jugend beinahe nur mit Schamröte erinnern, wo beim Zunftwesen in der Vergangenheit dieses nämliche Ge­ werbe, so winzig, so kleinlich, so erbärmlich gegen diese glän­ zende Großartigkeit der Fabriken betrieben wurde. Aber halt, mein Freund! Der Unternehmer falliert durch was immer: Unglück, mißratene Spekulation, eine fatale Nacht beim Spieltisch usw. usw.-----------Da tönts durch alle Säle, unten und oben, auf Gängen und Kammern: Krida! Krida! Vor Schrecken entfällt den fleißigen Händen allen das Werk­ zeug,- das Gefühl, wir sind verloren, macht allen Gesang ver­ stummen. Des einen Unglück ist aller Unglück. Die Bienen­ mutter ist tot — die arbeitenden Bienen ziehen aus und der Korb wird leer. Diesen Stoß fühlen alle Bewohner der Stadt, wenige ausgenommen, wie von einem Erdbeben bei-

nahe keine Gebäude unbewegt bleiben. Was nun?! Wenn in öer Zunftzeit eine Werkstatt einging — je nun — es blie­ ben viele andere. Wenn in einem Ballhause auf zwanzig Wandleuchtern Kerzen Brennen, bleibt es hell, wenn auch auf einem Leuchter die Kerze verlischt,' wenn aber der ein­ zige Luster mit zwanzig brennenden Kerzen herabfällt, da ists auf einmal Nacht. Diesem ähnlich ist der Zustand einer Stadt, wo den ganzen Gewerbstand eines Fabrikates eine einzige Person in sich konzentriert, wenn dieser Person etwas Menschliches begegnet. Betrachten wir aber nun auch das Los der Arbeiter. Diese sind sehr zu bedauern. Denn nur zusammen genommen verstanden sie das Fabrikat zu verfertigen- alle in ihrer Fähigkeit einseitig machte nur der gemeinsame Verband zu dem allseitigen Arbeitskörper. Nun dieser aufgelöst ist, vermag keiner das vollständige Gewerbe zu treiben, der Arbeiter ist auf der Gasse und ohne Brot, ohne Werkzeuge, ja ohne die Kenntnis alles dessen, was zu einem Gewerbe gehört, um es alleine wie ein zünftiger Mei­ ster zu machen. Dies ist freilich ein seltener Fall — aber nicht so selten als höchst traurig- aber immer möglich und darum mit in Be­ trachtung zu ziehen. Ehe man aber einwenden möchte, auf diesen außergewöhnlichen Fall nicht ferner einzugehen, so will ich, da es bedeutungsvoll genug geklungen, dieses Fegest1 des tremulando gerne eindrucken, da noch Pfeifen genug zum lamentabile übrig bleiben. Ich mutz -och auch etwas von den Sitten und Gewohnheiten reden, die sich aus dem Zustande der Fabriken entwickeln. Da der Fabrikherr für Einkauf und Absatz sorgt, hat -er Arbeiter ein Leben ohne Sorgen. Seine Einnahme ist be­ stimmt, seinen Wochenlohn erhält er am Sonnabend oder am Schluß des Monates, dieses Rechenexempel ist ihnen so geläufig, daß sie es auswendig wissen, was sie in einer 1 Gemeint ist das Register der Orgel.

Woche zu verzehren haben. Diese Taktförmigkeit -er Ein­ nahmen begünstigt -ie Taktmätzigkeit der Ausgaben oder die Sorglosigkeit und Unwirtschaftlichkeit. Fabriksarbeiter sind schlechte Wirte. Wirft eine Krankheit den Mann aufs Bett, stellen sich ungewöhnliche Bedürfnisse ein, so findet sich in der Sparbüchse kein Kreuzer, oder geht die Fabrik ein, so ist kein Notpfennig gesammelt. Wo hingegen bei selbständigem Ge­ schäfte in der Kasse bald Ebbe, bald Flut ist, lehrt die Er­ fahrung des Lebens Sparsamkeit, Sorgfalt für die Zukunft, wirtschaftlichen Sinn, die Kunst hauszuhalten. Ein vermin­ derter Wochenlohn erzeugt in jedem einzelnen Fabriksarbei­ ter eine ungewohnte Einschränkung und Entbehrung, die ihnen nicht in den Kopf gehen will. Eine geringere Nach­ frage nötigt ja wohl, wie auch noch andere Umstände, den Fabriksherrn manchmal dazu. Sogleich stecken die Arbeiter die Köpfe zusammen und berechnen dem Fabriksherrn den Vorteil und Nutzen, den sie ihm verschaffen. Weil sie aber die Rechnungen ohne den Wirten gemacht und dieser dem Ansinnen nicht willfahren kann oder will, so ist der Handel fertig. Treten diese Verminderungen des Wochenlohnes oder, bei stetigem Wochenlohn, Steigerungen der Lebensbe­ dürfnisse gleichzeitig in vielen Fabriken einer Stadt ein, so bricht der Zorn der Arbeiter gegen die Fabriksherren, wie in Manchester und Lyon, in Aufruhr und Tumult aus, was bei unseren Zünften nie erhört worden ist. Wegen unseren Gesellen, die beinahe alle die Aussicht auf die Begünstigung -er Meisterschaft haben, hat sich noch kein Soldat an der Patrone einen Zahn abgebissen. Ist die Lage der Fabriksarbeiter in einer Gegend so ge­ drückt und kummervoll, daß eine Veränderung der Lage zu einem notwendigen Wunsche wird — und raten die glitzern­ den Bajonette des schlagfertigen Militärs von jedem Ver­ suche zur Selbsthülfe ab, so bemächtiget sich des bekümmerten Herzens ein unwiderstehlicher Wandertrieb in Länder, wo

jeder Meister sein kann, wo das Brot wohlfeil und die Arbeit teuer ist. Bremen und Hamburg, das so viele Frachten unzu­ friedener Menschen jährlich nach Amerika versendet, weiß aus den Schmähreden der Scheidenden recht wohl, wo die alte Welt der Schuh -rückt. Diese langen Friedenszeiten Haben dem Gewerbsrad die Schwungkugeln abgeschraubt. Der exaltierte Kriegszustand des erhitzten Festlandes hat nachgelassen, aber die Fabriksarbeiter, die übermäßige Preise gewohnt sind oder denen Schwesteranstalten das Brot teilen helfen, können sich an Einschränkung nicht gewöhnen. Es erscheint dem verzagten und trotzigen Menschenherzen der Zustand seiner alten Hei­ mat unerträglich. Darum schnallt er sein Bündel und zieht nach der Lockpfeife eines anderen Fabriksherrn oder schickt sich an zur Seereise wie ein Zugvogel. Sollte dem Gemeinwesen mit solchen Grundlagen gedient sein? Sollte dieser im Fabrikswesen wurzelnde und kei­ mende Gemütszustand günstig für das Gemeinwesen sein, welches diese omnia mea mecum porto 1 nicht für ihr Vater­ land achten, sondern bloß für ihren Brutort, Nährplatz und Schlafstelle?! Die Erfahrung, diese Rechenprobe der Theorie, lehrt, daß in Fabriksländern Armut und Reichtum in schnei­ denden Gegensätzen stehen, daß in Ländern, wo noch das Zunftwesen gilt, Armut oder Reichtum gleichmäßiger ver­ teilt ist. Armut und Reichtum in täglichem Kontrast behalten das Herz nicht im Gleichmut: Unmut und Übermut, Verächt­ lichkeit und Verachtung, Mißgunst und Habsucht stellen sich gleichzeitig, als Erzeugnisse der Außenwelt, im Innern dar. Denn Umstände bestimmen unsere Sittlichkeit mehr als wir glauben. Um kurz zu sein — denke man zum Schlüsse noch daran, daß in Fabriken die Eheleute oft keinen gemeinschaftlichen Tisch, höchstens ein gemeinschaftliches Bett haben — daß die Kinder ohne Aufsicht erwachsen und, kaum stark genug, die 1 Alles meine trage ich mit mir.

Hosen sich selbst zu knöpfen, zu kleineren Arbeiten in den Fabriken benützt werden, wo Siechtum des Leibes und Fäul­ nis der Seele ihr Los ist. — Was kümmert es den Fabriks­ herrn, ob sein Arbeiter ein schlechter Wirt ist? Die Voraus­ nahme des Wochenlohnes kettet ihn um so sicherer an seinen Dienst. Der Fabriksherr achtet und schätzt an seinem Ar­ beiter nur die Gefälligkeit. Denn zum Fleiß stachelt die Er­ höhung, die Trägheit bestraft die Niedrigkeit des Wochen­ lohnes. Ob dann der Arbeiter außer dem Arbeitstisch christ­ lich oder heidnisch lebt, ist dem Fabriksherrn als solchem eine ziemlich gleichgültige Sache: er soll nur fleißig sein und gut arbeiten. Dieses Volk bedarf am meisten der Findelhäufer, der Bewahranstalten und der Mäßigkeitsvereine. Zwar wird auch in zünftigen Städten wacker getrunken, mehr als dem Hauswesen nützlich und der Gesundheit dien­ lich ist — doch darf an die Zunftmäßigkeit kein Zauber eines Universalmittels in Gedanken geknüpft werden. Menschliche Schwächen heben die besten Einrichtungen nicht auf. Die Zünfte geben Aussicht auf künftigen eigenen Herd,' der Ge­ selle fühlt den Vorteil und die Notwendigkeit, von seinem Verdienst auch etwas auf die Seite zu legen, um sich ein­ richten zu können. Die Zunftgesetze geben nur einem Ver­ heirateten Aufnahme in die Zahl der Meister,' — wie er daher als luftiger Schmetterling auch hin und her flattert, einmal bleibt der Gimpel doch an einer Leimrute hängen und ein künftiger Meister wählt doch in seiner Frau eine künftige Freundin, Wirtin und Kindererzieherin. Die Zunft­ anstalten begünstigen also Sparsamkeit, Nüchternheit, das eheliche Leben und alle häuslichen Tugenden. Wer sich die Mühe nimmt, den Geist aus dem Buchstaben der Zunftgesetze auszuheben, wird manche Vortrefslichkeit entdecken, die allen notwendigen Folgen des Fabrikwesens ausbeugen und vorbeugen wollen. Durch eine humane Organisation ist die Vorsorge getroffen, daß die einzelnen Meister nebeneinander

leben können: dem geschickteren und fleißigeren Meister ist zwar eine Erweiterung seines Erwerbes und Gewerbes ge­ stattet, zugleich sind aber auch Schranken gezogen, daß ein Meister die anderen nicht verschlinge. Es ist daher in ihnen ein Grund bürgerlicher Gleichheit gelegt — nicht im toten Buchstaben ausgesprochen, sondern Wahrheit des Lebens, versichert durch gesetzliche Verhütungen des überflügelns und Unterdrückens. Die Zünfte haben die Erhaltung aller Familien, deren Väter ein Gewerbe treiben, vor Augen: der ältere Meister rückt immer mehr in den besseren Ver­ kaufsplatz,- die Reihe der Gesellen trifft eher ihn als einen anderen,- das Alter bringt ihn ins Amt, eine Entschädigung an Ehre für das Aufhören der Leibeskräfte,- dem Jüngeren steht seine Jugendfrische, ein in der Wanderschaft ersehener, anderen unbekannter Vorteil, die Mode usw. bei. Alle aber können neben- und miteinander leben, friedlich und ehrlich. Der verarmte Meister geht bei seinen beglückteren Mitmei­ stern einstweilen als Geselle in die Arbeit, bis sich seine Um­ stände gebessert haben, dann tritt er wieder in Reih und Glied. Die Witwe darf die Profession des verstorbenen Mannes forttreiben: der Standplatz bleibt ihr selbst mit fremdem Erzeugnis, eine ehrenhaftere Pension als ein Geldquantum, das ein Fabriksherr auswerfen dürfte, was doch immer nur ein Almosen ist. So weht uns noch im toreo unserer Zunfteinrichtungen ein wohltuender Geist der Humanität an. Leben und Leben­ lassen ist Grundgedanke. Sie gehen auf Begründung selb­ ständiger Haushaltungen aus, auf das Bürgertum gleicher Berechtigung, was ein Hauptzug unserer gesamten Muni­ zipalverfassung ist, nicht allein, wie sie im verlorenen Andreano1 steht, in unseren Statuten verbrieft ist und der selige Kaiser Leopold I. als Vertrag beschworen hat, sondern 1 Der sogenannte Andreanische Freibrief, die älteste Rechtsnrknnde der Sachsen in Siebenbürgen.

wie sie in jeder einzelnen Sachsenbrust, zu Land und Stadt noch leibt und lebt — eine wahre Kommunalverfassung, jeg­ licher Ehre und jeglichen Preises wert und würdig. Wer daher hier Landes die Zünfte sprengen will, setzt der säch­ sischen Nationalität das Messer an die Kehle. Oder gibt es einen Bürgerstand, wo es keine Bürger mehr gibt? Städter sind noch keine Bürger. IV.

Die Zünfte dem Staate gegenüber oder vom Standpunkt der Politik betrachtet Frankreich, dieses politische Laboratorium von Europa, hat innerhalb fünfzig Jahren der zivilisierten Welt über die wichtigsten Gegenstände der Staatslehre blutige Vorlesun­ gen gehalten. Ist nun gleich durch seine alchimistischen Ver­ suche der Stein der Weisen nicht gefunden worden, so ver­ dankt man denselben doch manche Erfahrungen, die, wie die bisher verunglückten Nordpolexpeditionen, wenigstens so viel erübrigt haben, daß man nun weiß, daß da und dort keine Durchfahrt möglich ist. So drängt sich, unter vermin­ derten Möglichkeiten, die Entscheidung der Frage auf einen immer kleineren Fleck zusammen und wenn auch dieser un­ tersucht ist, so werden die Kartenzeichner alsdann mit Ge­ wißheit entweder die zwei Weltteile mit Linien, als ein Ganzes, verbinden, oder aber das trennende Meer durch­ strömen lassen. Frankreich, kein Muster, sondern ein Beispiel, hat durch seine Versuche im Staatswesen drei Resultate gezeigt: 1. Daß eine Pyramide, auf die Spitze gestellt, von einem Lüftchen (Aura popularis) umgeblasen wird. Des Vierzehn­ ten Ludwigs Spruch: l’Etat c’est moi (Ich bin der Staat) hat sich nicht bewährt, selbst als Napoleon sein gutes Schwert zur Stütze unterstellte,'

2. daß eine Pyramide, wenn man aller Erhöhung Feind­ schaft schwört, wie die roten Mützen taten, dadurch, -aß man die Spitze abträgt und alles zur Unterlage macht, eine Pyra­ mide zu sein aufhört und zum Straßenpflaster wird, womit man sich die Köpfe einschlägt. Wahnsinn -es: Liberte et egalite; 3. daß eine Pyramide auf der breiten Unterlage einer volkstümlichen Verfassung am meisten Zukunft hat, was der edle Lafayette,' im Programm des Rathauses, mit den Wor­ ten ausdrückte: wir wollen eine Monarchie, umgeben mit republikanischen Institutionen. Manches edle Herz ward in den ersten Jahren der Re­ volution von der Zuversichtlichkeit in der Verkündigung der neuen Lehre betört. Die Apostel von der Seine waren viel­ leicht anfangs mehr Betrogene als Betrüger. Manche Völker hörten zu wie Gänse, denen Füchse predigen. Wenn sich aber in dem verhängnisvollen Julius 1830 die Franzosen treu­ herzig gebärden, so mahnen sie mich immer an die Affen­ jäger, die ihre Schuhe vor der beschwänzten Neugierde aus­ ziehen und mit Leim beschmiert den einfältigen Kerlen vor­ setzen, um sie beschuht leichter fangen zu können. Ein Volk, das -es Tages siebenmal die Kleider wechselt, wenn es sieben Röcke hat, kann wohl zum Beispiel, nie aber zum Muster dienen. Edler Lafayette, in zwei Weltteilen geehrt, Du sahst die Pyramide des Staates, auf die Spitze gestellt, in Staub zerfallen — sahst sie abtragen und zwischen den Würfeln Hyänen sich zerfleischen und bist mit dem unerfüllten Wunsche und gebrochenen Herzen in das Grab gestiegen, die Pyramide oben hoch und unten breit zu gründen — siehe — was ihr gesucht und nicht gefunden, besitzt seit 700 Jahren mein Völkchen! Doch wohin verirre ich mich? Hätte ich doch beinahe vergessen, daß ich nicht auf einem umdrängten Ka­ theder stehe, sondern einsam in einem kleinen Zimmer sitze, nicht sowohl um über Staatslehre, als über das Verhältnis 1 Lafayette, 1757—1834, französischer General und Politiker.

Die Zünfte

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gering geachteter Zünfte zum Staate nachzudenken. So ver­ leitete mich denn die Bezugnahme auf den Staat zu einem Seitengang, der dem Bewohner einer glücklichen und zu­ friedenen Monarchie, dem Bewohner eines konstitutionellen Landes und frohen Sohn eines Mnurzipiums zu keiner Sünde wird angerechnet werden können. Was ist Munizipalverfassung? Die möglichste Selbständigkeit, vom einzelnen Hausvater angefangen, durch alle erweiterte Verhältnisse hinauf bis zum Ganzen, das sich als eine unter höherer Aufsicht selbstregierende Gemein­ schaft schließt. Jede kleine Gemeinschaft hat, wie der Be­ gleiter -er Erde, ein eigenes Leben, eine Bewegung um seine Achse, zugleich aber ein Leben im ganzen, eine Be­ wegung um die größere Erde,- die verschiedenen Planeten machen aber alle wieder, sowohl um sich, als um die große Sonne, ihre Bewegung und Reise. Wie die Himmelskörper dem Höheren dienen, dabei aber doch auch ein selbständiges Leben haben für sich, so hat mein Volk einen Vater, dessen Un­ tertan es ist, stellt sich den anderen zwei Nationen als gleich­ berechtigtes Kind an die Seite, und unter sich sind alle Sach­ sen Brüder. Diese Unterordnung, Nebenordnung und Über­ ordnung im ganzen unseres Volkes wiederholt sich in allen Verhältnissen, der Nachbarschaft, dem Dorf, dem Stuhl und der Universität.' Ein jedes für sich, ein jedes auch fürs Ganze — das Ganze für sich, zugleich für jedes einzelne. Was nützte aber diese Form, wenn die Füllung eine Täuschung wäre? Me herrlichste Statue in ihrer Vollendung lebt nur in der Form, denn ihre Füllung ist doch nur ein totes Ma­ terial. Bei uns im Innern: gewählte Beamte — eigentüm­ lichen Boden — eigenen Haushalt und Gesetz — in der Nachbarschaft, dem Dorfe, dem Stuhle und der Universität, 1 Die sogenannte Nattonsuniversität, ö. i. die politische Gesamt­ heit der Sachsen.

alles abgewogen nach unten, oben und zur Seite, durch und -urch Munizipalverfassung, auf Menschenwürde und Men­ schennatur gebauet! An die Stelle dessen, was veraltert und -er Herbst als ausgedientes Blatt fallen läßt, treibt die Lebenskraft ein neues Gebilde, und so hat die Nation von Zeit zu Zeit eine andere Gestalt gewonnen und ist -och dabei immer die nämliche geblieben. Den Mongolensturm hat dieser Baum ausgehalten,- den Hagelschlag der Fürstenzeit überstanden; mancher Seitenhieb ist ausgeteilt; was das Gartenmesser zuviel wegschnitt, wird sich ersetzen — aber Verstümmelungen ganzer Äste würden ihn zum Krüppel machen. Ob er dabei doch am Leben bliebe? Dies zu hoffen kann ein Trost des Unglücks, nie ein Wunsch -es Wohlbe­ findens sein, es zu versuchen. Wo wäre ein Narr, dem gleich, der sich ein Bein brechen ließe, weil ein zuversichtlicher Chi­ rurg bei seinem Diplom schwöre, die Heilkraft der Natur werde, mit Unterstützung seiner göttlichen Kunst, den Bruch schon heilen! Wenn es auch geschieht, ist nicht der ganze Leib krank, wenn ein Glied leidet? Die Hand tröste sich nicht da­ mit, daß es am Fuß geschehe und sehe geduldig dem ver­ fluchten Experimente zu. Lieber stelle sie sich, dem Ganzen ein Diener, dem Fuße, seinem Fuße, dem Fuße seines Leibes, zur Wehr, so gut und schlecht es geht. Für eine solche unnötige und mutwillige Verstümmelung unseres Nationalkörpers halte ich die Aufhebung der Zünfte. Denn keine Gefahr noch Schaden droht dem Staate, wenn sie fortbestehen, und keinen Vorteil bringt es, wenn sie aufge­ hoben werden. Diese zwei Gründe der Unnützlichkeit und Schädlichkeit, wenn sie Grund hätten, wären sowohl Ent­ schuldigung als Rechtfertigung genug, daß man die Zünfte dem Ganzen zum notwendigen Opfer brächte, und ich selbst wiirde, ein warmer Freund der Zünfte, aber ein wärmerer des ganzen Volkes, alsdann, wenn auch mit weggewandtem Angesichte, die Fackel an den Holzstoß legen.

Doch wir wollen kürzlich auch diese letzte Prüfung vor­ nehmen. Die Klage auf Schädlichkeit der Zünfte für das Gewerbe hat zu beweisen, daß, wenn viele Meister ein Gewerbe treiben, dies der Ausbildung des Ge­ werbes förderlicher fei, als wenn nur wenigere damit be­ schäftigt sind. Sollte dieser Grund vorgebracht werden, so dienete er als schärfste Angriffswaffe gegen das Fabriks­ wesen, wozu die Zunftlosigkeit Tor und Brücke ist. Unsere Bauern haben hierüber eine gesündere Ansicht. Pflanzt man nur einen Baum, wo mehrere wohl gedeihen können, so meinen sie, wäre es schade um den Platz. Zugleich, glauben sie aber, könne auf einem gewissen Stückchen Erde nur eine gewisse Anzahl, und nicht mehrere, mit Vorteil stehen. Um­ sonst, sagen sie, pflanzt man in einem Garten 50 Zwetschken­ bäume, wo nur 20 hingehören, und verspricht sich davon größeren Vorteil, nach Anzahl -er Stämme: sie schießen wie die Osenruten in die Höhe und tragen in den 50 Wipfel­ spitzen kein Körbchen mehr als die wenigeren 20 rings an ihren ganzen Kronen. Darum lichten sie auch den Kukuruz um Margarethe, aus Erfahrung sich dessen wohlbewußt, daß sie durch Verminderung der Stengel eine Vermehrung der Kolben und Körner erzielen. Ein Beispiel aus dem Zunft­ leben! Vervielfältigt sich die Anzahl der Lederer durch Auf­ hebung der Zünfte von 40 auf 100, so teilen sich nun 100 Mei­ ster den Profit, der früher nur 40 zufiel. Heißen wir die ganze Summe, die das Publikum auf Leder verwendet, weil wir sie nicht zu bestimmen wissen, die unbekannte Größe = x. Hievon käme, wenn die Zünfte beständen, auf einen ein­ zelnen (zünftigen) Meister - 7X0-, h. der vierzigste Teil, und, wären die Zunftschranken gefallen, auf einen einzelnen (zunftlosen) Meister - TjfT, d. h. der hundertste Teil. Da nun mit der Zunahme der Ziffer im Nenner der Wert des ganzen Bruches abnimmt, so verhielten sich die zünftigen Meister zu den unzünftigen in ihrem Einkommen wie 5:2.

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Die Zünfte

Wären die häuslichen Bedürfnisse beiderlei Meister gleich und betrügesnj ohngefähr bei diesem wie bei jenem eine 1, so gestaltete sich das Einkommen' des zünftigen Meisters zum Einkommen des unzünftigen wie 4:1, h. der zünftige hätte viermal soviel Einkommen als der unzünftige. Aus dieser Vergleichung geht nun erstens so viel als ge­ wiß hervor, daß ein zünftiger Meister eine Ware leichter in einem billigen Preise verkaufen kann als ein unzünftiger. Ich rede vom Können. Zweitens vermag ein zünftiger Mei­ ster, eben aus dem Grunde, weil er mehr verdient, einem braven ausländischen Gesellen besseren Wochenlohn zu ge­ ben,- kann auf Versuche, auf Einrichtung in seiner Profession ein Mehreres verwenden. Die Werkstatt kann, mit Auf­ opferung einer größeren Summe, besser eingerichtet, der Garwerdung des Leders besser nachgewartet werden. Wird ein Fremder, der ein Gewerbsgeheimnis zu verkaufen hat, wie ich dies aus Erfahrung weiß, nicht leichter von dem Mehrerwerbenden als von dem Wenigererwerbenden be­ zahlt werden können? — Wie wollen die unzünftigen, un­ verbundenen Meister auch nur eine Lohmühle bauen und unterhalten, da hiezu die Kräfte einer Gesellschaftung erfor­ derlich sind?---------- Es ist ein Irrtum, zu glauben, man begünstige die Blüte eines Gewerbes, wenn man eine maß­ lose Vermehrung der Meister zulässet. Um die Gewerbe zu heben, bedarf es der Aufhebung der Zünfte nicht und der Staat umsehe sich, um dieses zu erreichen, nach anderen He­ beln. Die Zünfte sind eine glückliche Mittelzahl zwischen dem Monopole der Fabrik und der Zerstückelung und Verschwächung des Gewerbsstandes in der Zunftlosigkeit. Im ganzen 1 Hier müßte eigentlich an Stelle von Einkommen stehen: Einkommensüberschuß über die Kosten der Haushaltung, weil sich das Einkommen des unzünfttgen Meisters zu dem zünftigen nicht einmal wie 2:5 und einmal wie 4 :1 in demselben Beispiel ver­ halten kann.

Garten stehe nicht nur ein einziger Baum: er wird sein Summum tragen,- aber der Boden erheischt mehr. Wenn aber 20 Bäume ihren Standort bezahlen und gute und hinläng­ liche Früchte tragen, bringts keinen Vorteil 50 zu pflanzen. Man nennt die Zünfte Schranken. Gut, das sind sie,- sie sind aber auch gute Schranken. Denn die Verständigkeit des Gärtners will die Anzahl der Bäume, aus Berücksichtigung des Gartens, des Vorteils und Gedeihens der Bäume wegen — beschränken. Die aber mit dem Worte Zunft immer den gehässigen Ge­ danken der Ausschließung verbinden, könnten die Schran­ ken einmal auch als Einschließendes betrachten. Was diese Schranken nach außen (extensiv) ausschließen, schließen sie als begünstigendes Moment der Gewerbe nach innen (in­ tensiv) ein. Es ist mithin der Schranke nur gegen die über­ zahl und Verschwächerung der Meister, nicht gegen die, durch Begünstigung Wenigerer, herbeizuführende Vervollkomm­ nung der Gewerbe gerichtet. Können die Freunde der Zunftlosigkeit keine Gunst für ihren Vorschlag dadurch erlangen, daß sie eine Steigerung des Gewerbes durch Vermehrung der Meister zu erlangen versprechen, so nehmen sie endlich den Staat als eine Mutter in Anspruch, die allen ihren Kindern Brot schuldig sei. Würde auch der Stand der Zunftlosigkeit, sagen sie ungefähr, die Gewerbe in keinen größeren Schwung bringen als die bestehenden Zünfte, so haben wir als Kinder einer Mutter ein gleiches Recht. Haben wir Pflichten gegen den Staat, so haben wir auch Rechte,- fordert der Staat von uns: Gehor­ sam und Abgaben, gut,- dagegen fordern wir: Vorsorge und Lebensunterhalt.----------- Es soll also jedermann in die Zunft aufgenommen werden, oder was gleichviel ist, die Zünfte sollen aus dem Grunde aufgelöset werden, weil alle Bürger eines Staates ein gleiches Recht haben, eine Pro­ fession oder Gewerbe auszuüben, einer wie der andere. — Folberth, St. L. R»«h. IV.

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Die Zünfte

Ich habe nichts dawider, jedoch auch mit Einschränkung! Denn -er zünftige Meister hat dasselbe und das gleiche Recht der Ernährung anzusprechen. Nur ist zwischen beiden, den Rechten und den Meistern, ein großer Unterschied. Derjenige, welcher die Gewerbfreiheit anspricht, verlangt aus Philan­ thropie ein noch nicht im Besitz habendes Recht,' der zünftige Meister verlangt die Fortsetzung seines Rechtes aus dem positiven Recht und hat es schon im Besitz. Die Ernährungs­ rechte der Staatsbürger sind zwar allgemein, ein Recht des jedermann, aber nur als formelles Recht — das materielle ist schon aufgeteilt. Das Recht der Equipage ist auch ein all­ gemeines Recht,' aber wer keine Equipage hat, darf, weil er eine Equipage halten darf, den, der sie bereits auf gesetz­ lichem Wege besitzt, darum weder aus der Kalesche werfen, noch sich mit Gewalt neben ihn setzen. Mit samt seinem Equi­ pagenrecht muß er zu Fuße gehen, falls er auch kein Reitpferd besitzt — bis er sich nach den geltenden Gesetzen ein eigenes Fuhrwerk erworben hat. Der zünftige Meister hat sein posi­ tives Recht auf dem gesetzlichen Wege der Lehrjahre, Ge­ sellenjahre, Wanderschaft, Probstücks und des Meisterjahres erworben, wie jener seine Vorspann und Fuhrwerk. Aber ohne diese rechtmäßige Erwerbung des positiven Rechtes ist der Rechtsgrund des allgemeinen Rechtes ein sehr gefähr­ liches Recht, die Lex agraria der römischen Plebejer — das Panier des Bauernaufruhrs in Deutschland — eine Idee, die nur in den Köpfen spukt, die das allgemeine Recht, das Menschenrecht, mit dem positiven Recht, dem besondern Bür­ gerrecht, verwechseln. War nicht die französische Lehre der Freiheit und Gleichheit eine solche Verwechslung und zu­ gleich das Totenglöcklein für unendlich viele positive Rechte? — Die Ausübung eines Gewerbes ist nun einmal ein positives Recht, das sich nur auf gesetzlich vorgeschrie­ benem Wege erwerben läßt. Wer also ein Gewerbe auszu­ üben wünscht, suche sich dieses besondere Recht auf dem ge-

schlichen Wege zu erwerben. Er suche sich einen Meister, lasse sich als Lehrjunge aufdingen usw. Hat er das 15. Lebens­ jahr zurückgelegt — die Schulen besucht — bringt er das Zeugnis -er Konfirmation von -er Kirche — hat er Zeug­ nisse seiner guten Aufführung und den geeigneten Körper und die Geschicklichkeit zum gewählten Gewerbe — so ist ihm die Bahn offen, auf der man zum Privilegium des zünftigen Meisters gelangt. Der zünftige Meister hat sich dies alles auch gefallen lassen,' er hat einen Teil seines Lebens, die An­ wendung seiner Leibeskräfte, die Unterwerfung seines Wil­ lens, die Verrichtung auf die Freiheit, als Preis -er Erwer­ bung dieses positiven Zunftrechtes hingeopfert — wäre es nun recht vom Staate, den zünftigen Meister aus seinem wohlerworbenen Rechte herauszuwerfen? Sollten also — erworbene Rechte, bloß weil sie einmal erworben sind, selbst dann noch, wenn sie als schädlich fürs Ganze erkannt werden, immer und ewig bestehen? Hat nicht vielmehr -er Staat das Recht -er Verbesserung als Haupt­ aufgabe seines Daseins?! O ja! Er hat es. Ich bin am wenigsten ein Mann -es Stillstandes,' ich bekenne mich un­ verhohlen zur Bank' der gesetzlichen Entwicklung. Honni soit, qui mal y pense!12

Wir stehen in unserer Untersuchung auf dem pythago­ räischen Buchstaben. Der eine Arm des Y bezeichnet das all­ gemeine Recht, philosophische Recht, Menschenrecht, Natur­ recht,' der andere Arm das besondere Recht, das positive Recht. Wie sich nun auch das Naturrecht gebärden mag, es hat nur das Recht für sich: So sollt eessein! Das histo­ rische Recht -es zweiten Armes hat die andere Wahrheit für sich: S o i st e s ! Nun gebe ich gerne zu, daß das Recht -es 1 Ob Roth hier wohl an die Bank der Abgeordneten gedacht haben sollte? 2 Schande dem, der Schlechtes dabei denkt. Wahlspruch des eng­ lischen Hosenbandordens.

Sollens ein höheres Recht ist als das Recht des Seins. Aber das Werden -es einen zum anderen geschehe durch die Vermittlung des Vertrages, der Entschädigung. Der gütige Leser verzeihe, daß ich ihn durch dies trockene Kollegium geführt habe. Allen Verdruß der Langweile, die ihn hiebei geplagt haben könnte, werfe er auf den Kopf des Anklägers. Denn die Verteidigung muß sich nach den Waffen -es Angriffs richten. Wir eilen zum Schluffe und betrachten letztlich die Zünfte als Korporationen. Als jenseits des Rheines allem Privilegium der Hand­ schuh hingeworfen ward, als die dortigen Machthaber den Staat aus dem philosophischen Rechte a priori von neuem auf­ bauen wollten und, um dieses tun zu können, erst alles Po­ sitive und Historische niederreißen zu müssen glaubten, fiel auch das Zunftwesen tim allgemeinen Ruin. Die konserva­ tiven Armeen fochten zwar am Rhein gegen diese Prinzipien, aber während hier gegen die Theorie Blut floß, entwickelte sich in der Heimat die F ti n a n z n o t und die Ansteckung. Wie die Regierungen diesseits des Rheins Anzeigen der A n st e ck u n g in ihren Ländern wahrzunehmen glaubten, war es natürlich, daß sie die Zügel -er Regierung straffer anzogen. Die Zentralisation gewann im deutschen Lande die Oberhand. Das heilige römische Reich, dies groß­ artige Gebäude der Monarchie mit Munizipalverfassung, — die kleineren Organe des Selbstlebens: Reichsstädte, Klöster und Stifte und Zünfte samt anderen Korporationen fielen mit ihm. Um diese Kriegsbeute sicherer behalten und re­ gieren zu können, ward zentralisiert. Man erkannte in die­ sen Korporationen einen eigentümlichen, selbständigen Geist, eine Kraft eines Ganzen. Die Regierungen, gerade die­ jenigen, welche und obgleich sie das Beste wollten, stießen bei Korporationen auf Einwendungen, Einreden und Vorbe­ halte. Daß Individuen leichter zu regieren seien als Korpo-

rationen, sprang in die Augen. Durch Furcht und Hoffnung, durch Strafe und Zwang ist man mit dem einzelnen bald fertig, während Korporationen schwerer zu handhaben sind. Es wurden daher die Korporationen in Individuen, außer anderen Gründen, auch aus diesem Grunde aufgelöset. Auf­ lösung -er Zünfte, die früher ihren Anteil an der Regierung der Städte hatten, galt also als Erleichterungsmittel der Staatsregierung. Sie hörten auf. Vereinigtere Begriffe über die Gottseligkeit eines christ­ lichen Lebens mögen zur Aufhebung der Klöster das ihrige auch beigetragen haben, bei allen Korporationen überhaupt mag die Sicherstellung der Regierung und deren Erleich­ terung mit im Spiele gewesen sein. Gleichwohl hätte man schwerlich sie aufgehoben, wären sie nach ihrem Werte er­ kannt worden und sie hätten vielleicht in friedlicheren Zeiten samt ihrer vermeinten Unnützlichkeit fortbestehen können, wenn die Idee ihrer Auflösung nicht gleichzeitig mit der F i n a n z n o t aufgetaucht wäre. Die Gewerbsbefngnisse, welche die Regierungen erteilten, waren eine reiche Quelle des Staatsvermögens in einer Zeit, wo anhaltender Krieg die Ausgaben ungebührlich vermehrten. So aber kam die Sprödigkeit ihrer Regierung, die Finanznot und das Vor­ urteil des Publikums zu gleicher Zeit über die Korpora­ tionen, und diesen dreien gegenüber mußten sie fallen. Nachdem nun alles geschehen ist, was man von unten be­ gehrte und von oben billigte, oder von oben vorschlug und unten guthieß, — nachdem nun in einem großen Teile von Europa die Zünfte aufgehoben sind — wie befinden sich mm diese Staaten? Die Schranken sind gefallen — wer arbeiten will, kann arbeiten, was er will — die Auslösung in In­ dividuen macht leichte Regierung — die Befugnisscheine geben ein schönes Gel- — die Meister steigen wie Pilze die Menge aus dem Boden — dann kamen Fabriken — es bilden sich Millionäre — Gewerbe blühen — gute Ware in billigen

Preisen — aber — es will nicht Friede werden im tiefsten Frieden. Es ist nicht der Zustand -er Behag­ lichkeit, -es Wohlbefindens,' nicht das Gefühl der Sicherheit, — der Wunsch, daß es so bliebe, — die Zufriedenheit mit der vorhandenen Lage, der Genuß einer Ruhe, die ungestörte Fortsetzung verspricht, sondern ein Wetten, Mngen und Wogen, daß man int Fortkommen keucht, im Zurückbleiben flucht. Die Völker gleichen einem Heerlager, wo man in Eile die Bissen verschlingt und die Gläser stürzend leert, weil die nächste Stunde ungewiß ist; sie ruhen zwar, aber unter sehnsüchtigen Gefühlen nach anderen Orten und Zei­ ten, und unter ängstlichen Träumen der Zukunft, die Lor­ beeren, Ketten oder den Tod bringen kann. Wo Ruhe, Sicher­ heit und Frieden im Lande wohnt, dreht sich der Schläfer auf die andere Seite, wenn ein gefallener Schuß ihn weckte — jetzt aber — so gespannt sind die Gemüter — bringt eine los­ gegangene Flinte ganze Städte auf die Beine. Gottlob, daß es bei uns nicht also ist, [mir] aber sollen Gott danken und bitten, daß es auch nicht also werde. Drinnen, im Herzen der Völker, ist der wahre Friede zu bauen, im Familienleben, in dem Hauswesen, im Recht, in frommer Sitte, im Glauben ans Vaterland, im Ver­ trauen in die Regierung, in der Furcht Gottes, die aller Weis­ heit Anfang ist. Alle diese Stützen und Erzeugerinnen des ruhigen, behaglichen und menschlichen Daseins finden sich im Zunftwesen mehr als in -er Zunftlosigkeit und dem Fabrik­ wesen. Der Meister der privilegierten Zunft liebt den privilegierenden Staat mehr als der Zunftlose oder Fabrik­ arbeiter. Nur der sieht im Staate das Vaterland, dem der­ selbe teure Güter gewährt. Zunftlose sind Lazzaroni,' Fa­ brikarbeiter ein Nomadenvolk, das da sein Zelt aufschlägt, 1 Verächtliche Bezeichnung der untersten Volksklasse von Neapel. Der Name stammt von dem armen Aussätzigen Lazarus des Lukas­ evangeliums.

wo das meiste Gras ist. Ubi bene, ibi patria!1 die Berge und Täler liebt es nicht, die das Gras hervorbringen, sondern nur das Gras, was Berge und Täler tragen. Was für einen Einfluß hat dies auf Len Staat? Der Staat besteht aus vielen Menschen. Wenn nun von Liesen vielen viele an dieser ihrer Verbindung keinen Gefallen haben, so ist diese Verbindung Bitte bloß äußere. Die vielen wollen auseinander — nur die Gewalt hält sie beisammen. Die Re­ gierung muß Grenzjäger halten, die die entweichenden Vögel zurückscheuchen, wenn sie wandern wollen. Da ist der Be­ stand des Staates gesicherter, wo die Regierung -er Völker für das Zusammenbleiben, für die Verbindung ist. Tirol ist für Österreich eine sicherere Provinz, als für Holland Bel­ gien war. Je vielfacher nun die Fäden sind, womit sich der einzelne Staatsbürger selbst und sozusagen eigenhändig an den Staat bindet, je stärker wird dies Seil. Diese Fäden müssen von der eigenen Überzeugung gesponnen werden. Solch ein Fa­ den ist der gesicherte Lebensunterhalt, ein zweiter ist die Hoffnung, daß auch für die Kinder gesorgt sei, ein dritter das Gefühl, -aß man im Staatsleben etwas bedeute, ein vierter, daß der Staat nach dem Gewissen glauben lasse, ein fünfter, daß man das Erworbene sicher und in Ruhe ver­ zehren könne usw. Je mehr nun eine Gewerbsverfassung die Entwicklung dieser Überzeugungen, dieser Selbstfesse­ lungen an den Staat begünstigt, je vorteilhafter ist dieselbe für den Bestand des Staates. Dies alles ist aber bei den Zünften mehr der Fall als bei der Znnftlosigkeit. Zünfte be­ günstigen die Ehe, stützen das Familienleben, pflegen die Häuslichkeit, führen zur Sittlichkeit, erzeugen das Gefühl der Selbständigkeit, den Stolz, ein Glied des Ganzen zu sein. Zünfte bieten dem Staate noch eine andere Bürgschaft dar. Sobald der Staat alles nivelliert, außer den Regierungs1 Wo es gut ist, dort ist bas Vaterland.

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D i e Zünfte

orgotten nur Individuen duldet, Korporationen, Assozia­ tionen, Kommunen, aus welchem Grunde immer, aufhebt, trägt er gleichsam alle Hügel uud Berge ab und erzeugt eine Fläche, welche man zwar leichter übersehen kann, wo gerade Linien sich leichter ziehen lassen, wo aber zugleich jedes Lüft­ chen, ohne einen Gegenstand zu finden, der Widerstand leiste, der den erwachsenden Wind bräche, zu einem Boden aus­ wählenden Sturme wird. Nivellierung und Zentralisation ist eins. Jede Erschütterung int Zeutro wird im ganzen Umfange empfunden. Denn befehlen ist dann zugleich befol­ gen. Wird dann ein Fehler gemacht, so geht er ins Große und Ungeheuere; keine Institutionen verhüten den Fehler durch Beratung oder verbessern durch Umänderung oder machen ihn nur zum teilweisen durchs Privilegium. Die Allgewalt des Zentrums hat alle Belehrung und Aufklärung, sowie alle Remonstrationen, Modifikationen unmöglich gemacht. Das geht aber nur so lange, als hier die Verletzung der In­ teressen dort mit einer Schonung, einer Begünstigung ver­ bunden ist. Die Wage kommt wieder ins Gleichgewicht, wenn eine Schale hier das Weh, die andere das Wohl erhält. Voll­ kommen zentralisierte Staaten genießen nur das verwegene Glück eines Seiltänzers: nur ein Fehltritt, der sich nicht verbessern läßt, und er liegt im Staube. Schläft einmal der Steuermann, sitzt ein unverständiges Kind am Ruder, wie leicht strandet ein Schiff, wenn sonst niemand achtgibt oder die Mannschaft der Galeere nur im Zertrümmern des schwim­ menden Gefängnisses die Erlösung hoffen kann. Geschieht in einem vollkommen zentralisierten Staate, wo alle Korpo­ rationen aufgelöset sind, einmal eine allgemeine Verletzung, die allen gleich wehe tut, wird dieser Fehlgriff durch nichts gebessert oder geschwächt, wird derselbe durch keine Anhäng­ lichkeit entschuldigt und zum besten gekehrt, ist keine Liebe vorhanden, die es duldet, die bessere Zeiten hofft, trifft diese Verletzung einen für alle wichtigen Punkt, so fährt durchs

ganze Land zugleich ein Schrei des Schmerzes, -es Ent­ setzens — ein allgemeiner Aufstand bricht die zusammenhal­ tenden äußeren Ketten (innere sind keine, womit sich die Untertanen selber verbinden), und der Kreis stäubt ausein­ ander und dadurch hört der Punkt auf, ein Zentrum zu sein. Ich male schwarz, ich fühle es — aber ich fühle zugleich, daß ich den Teufel darum schwarz malen muß, weil er nicht weiß ist! Wie ganz anders ist die Sicherheit desjenigen Staates beschaffen, dessen Existenz auf der breiten Unterlage von Konstitutionen und Korporationen ruht: Zünfte allein — gewähren und verhüten das Gewünschte wie das Befürch­ tete nicht. Sie gehören aber zu jener Klasse von Vergesell­ schaftungen, die dem Staate eine Zukunft versprechen, mehr als Zunftlosigkeit und Fabriken. Sammeln wir nun, da wir am Ziele stehen, in Gedanken alle weißen und schwarzen Lose als Stimmen für die Aus­ hebung und Beibehaltung der Zünfte, so dürfte nicht nur ein Absolvo der Beschuldigungen, sondern auch eine achtbare Mehrzahl für die Beibehaltung und längere Fortdauer der­ selben zu hoffen sein. Manche Beschuldigungen müssen als unerwiesen beseitigt, andere als allem Menschenwerk an­ klebende Schwäche entschuldigt werden: ihre unverkennbaren Verdienste hingegen für Käufer, Gewerbe, Gemeinwesen und Staat sind so außer allen Zweifel gestellt, daß es als Vermessenhelii, als schädliche Wühlerei erscheint, diese Gewerbsverfassung aufzuheben. Gilt dies nun für jedes Land und im allgemeinen, um wie viel mehr bei uns Sachsen, diesem Jnselvolk, bei seiner besonderen Aufgabe und Be­ stimmung, seiner eigentümlichen Umgebung und Verfassung! Daß das Zunftwesen bei uns Sachsen so vollkommen sei, daß es gar keiner Umbildung, Verneuerung und Ausbesse­ rung bedürfe, ist meines Erinnerns von mir nie behauptet worden. Auch läßt es sich nicht leugnen! Daß aber dieses Zunftwesen so wurmstichig sei, daß kein Leimnagel mehr

halte, oder so verrostet, daß bei scharfem Putzen dies Geräte nur etwa noch zu Lattennägeln tauge, wird vielleicht kein Unbefangener, kein Stimmfähiger behaupten. Allerdings wird dies Zunftwesen dermalen vom Winde umhergetrieben, als Frachtschiff hat es keine Kanonen — vom eigenen Selbst­ gefühl verlassen steuert es ohne Mast und Kompaß — die öffentliche Meinung umschwärmt es wie Korsaren. Darum feure ich vom Ufer einen Notschuß — aber diese Schlüsselbüchse eines Privaten wird nicht weit gehöret werden. Gewiß ist, daß es in Gefahr schwebt — wie zu helfen sei, ist eine andere Frage. Einem Landpfarrer läßt man, wie bei Leichen­ predigten, Lob und Verteidigung noch angehen: — gäbe er, ein Geistlicher, in weltlichen Dingen ungefragt einen Rat, müßte er nicht befürchten, auf dem fremden Gebiete von den Laien auf Anmaßung gepfändet zu werden?! So liege denn da auf deinem Krankenbette und harre aus, bis dein Arzt kommt, armes sächsisches Zunftwesen! Ver­ kennt dieser deinen Zustand, tut der Apotheker einen Fehl­ griff, verweigert dein Volk die Kurkosten oder zögert mit der Hilfe, so hängt in Gottes Namen den Kessel übers Feuer, wir bekommen eine Leiche — vielleicht von wenigen beweint, aber der Tränen aller wert und würdig.

(Ende der Schrift)

Der Sprachkampf in Siebenbürgen Von St. L. Roth Eingeleitet von Otto Folberth ®cr „Sprachkampf" ist die einzige ausgesprochen politische Schrift St. L. Roths. Politische Ereignisse waren die unmittelbaren Vor­ aussetzungen für ihre Niederschrift, politische Ereignisse die Wir­ kungen, die sie — mittelbar — hervorrief. Von diesen poli­ tischen Wirkungen der Schrift sei hier die unheilvollste gleich vor­ weggenommen: St. L. Roths Hinrichtung. Sie wurde letzten Endes an ihm wegen der Schuld vollstreckt, die er bereits mit dem „Sprachkampf" auf sich geladen hatte. Freilich hatte er sich seither auch immer tiefer noch in sie verstrickt. Wer den historischen Hintergrund dieser Schrift malen wollte, müßte fürs erste zeigen, wie die schillernden Farben der Romantik, aus Deutschland nach Ungarn in mächtiger Welle hereinflutend, sich hier im politischen Leben brachen. Wohl traf sie, wie alle geistigen Bewegungen des Westens, mit der üblichen Verspätung hier ein, aber sie stieß auf ein Volk, das ihre Ideen mit unge­ wöhnlich glühender Begeisterung aufgriff. Nichts, fürwahr, konnte gerade ihm genehmer sein, als sich endlich der schweren humanisti­ schen Fesseln zu befreien und sich der Erneuerung aus dem Jung­ brunnen nationalen Eigenlebens überantworten zu dürfen. Be­ günstigt wurde das Erwachen der ungarischen Volksseele dabei zweifellos durch das rege Interesse, das namhafte deutsche Männer wie Herder, Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel und die Brüder Grimm dem ungarischen Volkstum entgegenbrachten. Eine besondere Originalität war ihm, im Vergleiche mit den übrigen europäischen Völkern, ja keinesfalls abzusprechen. Und so erstarkte in den Ungarn mehr und mehr das Gefühl, ein Volk zu sein, dessen Rasse, dessen Sprache, dessen Vergangenheit es dazu be­ fähige, sich völlig eigengesetzlich zu behaupten, politisch gesprochen: sie fühlten sich imstande, einen National st aat zu gründen. Mit zwei Mächten mußten sie bei Verwirklichung dieser Idee in Konflikt geraten: mit dem österreichischen, also artfremden

Herrscherhaus, dem sie als ein Kronlanü unter anderen unter­ standen, und mit den zahlreichen artfremden völkischen Minder­ heiten, die das Land mitbewohnten, dessen Gebiet zum National­ staat gemacht werden sollte. Ein literarisches Denkmal dieses Kon­ fliktes ist St. L. Roths Schrift „Der Sprachkampf in Siebenbürgen. Eine Beleuchtung des Woher und Wohin?" Siebenbürgen bildete damals, d. i. in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein Großfürstentum, das vom österreichischen Kaiser durch die sogenannte siebenbürgische Hofkanzlei in Wien regiert wurde. Immerhin besaß das Land insoweit auch eine Art Selbstregierung, als der vom Kaiser fallweise zusammenberufene siebenbürgische Landtag Gesetze beraten und dem Hos zur Ge­ nehmigung vorschlagen konnte. In diesem Landtag waren her­ kömmlicherweise die drei sogenannten Nationen oder Stände ver­ treten: der ungarische Adel, die Szekler und die Sachsen. Die Rumänen besaßen noch keine politische Vertretung. Zur Gründung eines nach Möglichkeit starken und unabhängigen Nationalstaates nun glaubte Ungarn, Siebenbürgen nicht ent­ behren zu können. Es wünschte deshalb, die beiden Länder, die ja vor 1526 tatsächlich zusammengehört hatten, sollten durch eine völlige „Union" wieder miteinander verschmolzen werden. Ungarn konnte damit rechnen, daß von den drei Ständen -es siebenbürgischen Landtages die beiden stärksten und einflußreichsten, der Adel und die Szekler, diesem Plane mit Jubel und Frohlocken zustimmen würden. Daß es wirklich geschah — wer fände es angesichts der natio­ nalen Idee, die damals ihren Siegeszug durch die Länder Eu­ ropas anzutreten begann, nicht verständlich? Doch ebenso gerecht­ fertigt vor der Geschichte — und heute mehr denn je — bleibt das Verhalten der Sachsen in diesen entscheidungsvollen Stunden. Sie mußten sich, als „klassische Minderheit", die sie schon damals waren, naturnotwendig gegen den durch die Union zu verwirklichenden ungarischen Nationalstaat aussprechen. Ihr natürlicher Bundes­ genosse in dem bevorstehenden Kampfe war das österreichische Kaiserhaus. Der Mann, in dem sich diese ihre politische Haltung — von heute aus gesehen — am klarsten verkörpert hat, ist St. L. Roth. Er allein auch von den geistigen Führern der Zeit mußte für sie mit dem Tode büßen. Im folgenden nun sei Roths „Sprachkampf" auch datenmäßig ge­ nau in den geschichtlichen Zusammenhang gerückt, in den er gehört. Die nationale Bewegung Ungarns setzte in dem Augenblicke mit erhöhtem Druck ein, da Kaiser Franz von Österreich am 2. März 1635 seine Augen für immer schloß und sein kranker Sohn Fer­ dinand I., als ungarischer König Ferdinand V., ihm in der Re­ gierung folgte. Bereits im Mai 1835 gab der in Prehburg tagende

ungarische Reichstag seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß die Regierung es bis jetzt verstanden habe, die Union Siebenbür­ gens mit Ungarn zu verhindern. Außerdem verlangte er bedeutende Zugeständnisse im Gebrauch der ungarischen Sprache. Rücksichts­ lose polizeiliche Drangsalierung der jungen ungarischen Natio­ nalisten war die Antwort des Hofes. Zwei Jahre später, 1837, wurde der erste siebenbürgische Land­ tag unter dem neuen Herrscher, der sogenannte Huldigungsland­ tag, einberufen und zwar, nicht ohne damit einen politischen Schach­ zug zu versuchen, nach Hermannstadt. Man versprach sich bei Hofe offenbar, gegen die Angriffe der Ungarn einigermaßen Rücken­ deckung in der öffentlichen Meinung der sächsischen Stadt zu finden. Die Sprachenfrage, die uns hier allein angeht, wurde auf diesem Landtag zum ersten Male am 22. November verhandelt. Es war ungarischerseits der Antrag gestellt worden, den Gesetzartikel -es Huldigungsaftes in magyarischer Sprache abzufassen. Nach längeren Debatten und Beratungen, die im Vergleiche mit jenen späterer Landtage in -er Tat ein Beweis dafür sind, wie sehr con sordino damals in Hermannstadt gekämpft worden ist, wurde beschlossen: der jetzige Artikel solle noch lateinisch verfaßt werden, -er Kaiser möge aber in der Zukunft die Gesetzartikel in der magyarischen Sprache als der Landessprache genehmigen. Und auch die säch­ sischen Abgeordneten hatten sich mit diesem Beschluß einverstanden erklärt! Neue Trompetenstöße des ungarischen Nationalismus erklangen indessen wieder auf dem 1839/40 in Preßburg tagenden ungarischen Reichstag. Man forderte nun schon: nicht nur die Gesetzsprache, auch die Kommandosprache und die Unterrichtssprache solle die un­ garische seim Deutlich, allzu deutlich stieg vor den Blicken aller nicht­ magyarischen Mitbewohner Ungarns das Gespenst des National­ staates auf. Wen hätte es, angesichts der möglicherweise nahe be­ vorstehenden Wiedervereinigung Siebenbürgens mit Ungarn, mehr ängstigen können als jene kleine Minderheit, deren Los im neuen Verbände auf alle Fälle auf Dornen gebettet sein mußte — die Siebenbürger Sachsen! Preßburg ging voran und Klausenburg folgte nach. Hier trat am 15. November 1841 der neue siebenbürgische Landtag zusammen. Am 4. Februar 1843 wurde er geschlossen. Er ist einer der denk­ würdigsten Landtage der sächsischen Geschichte gewesen? Mitten 1 Von den Darstellungen dieses Landtages sind am leichtesten zugänglich zwei: 1. Joseph Bedeus von Scharberg, Beiträge zur Zeitgeschichte Siebenbürgens im 19. Jahrhundert von Eugen von Friedenfels. Wien 1876, Wilhelm Braumüller. Erster Teil, S. 116—143. Stellen­ weise sehr lebendig. Enthält auch einige weitere Literaturangaben. Im selben Bande, im Anhang XXII. „Landtag", eine kurze Zusammenfassung der historischen Entwicklung der siebenbürgischen Landtage, ihre Gliederung, ihr Wirkungskreis und ihre Geschäftsordnung. 2. Friedrich Teutsch, Geschichte der Siebenbürgcr Sachsen, III. Band, S. 111—129. Im An­ hang (S. 485—492) ein reicher Quellen- und Literaturnachweis überhaupt die 40er Jahre betreffend.

in seine bewegtesten Monate fällt die Niederschrift von St. L. Roths „Sprachkampf". Die Sprachenfrage, die uns hier immer allein angeht, kam in den letzten Januartagen 1842 zur Verhandlung. Aus der Rede­ schlacht, die sie hervorrief, seien nur jene Augenblicke kurz fest­ gehalten, die für ihren Ausgang von Bedeutung gewesen sind. Baron Dionys Kemeny beantragte: die magyarische Sprache zur Landessprache zu erheben, die Gesetze in ihr abzufassen, sie zur Sprache des Guberniums, der k. Tafel, des Thesauriats, kurzum der obersten Verwaltungsbehörden zu machen. Innerhalb der un­ garischen und szekler Nation mögen auch die kirchlichen Angelegen­ heiten in dieser Sprache geführt werden, nach Verlauf von zehn Jahren auch die der anderssprachigen Gemeinden auf diesem Ge­ biet. Es solle ungarisch kommandiert werden, Münzen und Siegel hätten ungarische Aufschriften zu tragen. Die sächsische Nation solle nicht verpflichtet werden, in ihrer Mitte sich der magyarischen Sprache zu bedienen, aber nach zehn Jahren habe sie mit * allen ungarischen Behörden magyarisch zu korrespondieren. In den un­ garischen und szekler Schulen solle hinfort das Magyarische Un­ terrichtssprache sein, in Blasendorf in den walachischen nach Ver­ lauf von zehn Jahren ebenfalls. Graf Dominik Teleki versuchte den Antrag betreffend die Sachsen abzuschwächen: es möge ihnen nicht nur das Recht der Mutter­ sprache im Innern belassen werden, sondern auch nach außen der Status quo (Gebrauch der lateinischen Sprache) gestattet bleiben. Im Namen der Sachsen, jenes kleinen Häufleins von 35 Ab­ geordneten, die das Recht ihres Volkes gegenüber der von Tag zu Tag wachsenden Leidenschaft von nicht weniger als 275 Ungarn und Szeklern zu verteidigen hatten, antwortete auf diese Angriffe der Hermannstädter Simon Schreiber. Es ist kein anderer als jener Jugendfreund St. L. Roths, dem Roth unter dem 17. Mai 1820 von Hofwyl einen Brief geschrieben (II, 249). Er hat sich auch später auf dem Landtag noch mehrfach hervorgetan. Jetzt forderte er, im Sinne eines gemeinsamen Beschlusses seiner Ab­ geordnetenkollegen, Gleichberechtigung der deutschen Sprache mit der magyarischen. Wohl wisse die sächsische Nation, daß die magya­ rische Sprache für den öffentlichen Verkehr in Siebenbürgen not­ wendig sei. Deshalb habe sie beispielsweise an ihren Schulen Lehrer für diese Sprache angestellt. Aber sie habe es freiwillig getan. Zwingen lasse sie sich zu nichts. Schließlich hänge sie an ihrer eigenen Sprache genau mit derselben Liebe wie die Ungarn an der magyarischen. Das Endergebnis war, daß der Antrag Kemeny im wesentlichen angenommen wurde, in bezug auf die Sachsen mit der Änderung, daß für sie der Status quo zu gelten habe. Die Ungerechtigkeit be-

stand darin, daß die Ungarn nun überall statt der lateinischen ihre eigene Sprache gebrauchen konnten, während man dies Recht den Deutschen ausdrücklich verwehrte. Man glaubte gnädig zu sein, indem man ihnen wenigstens das Latein ließ. Schreiber gab im Namen der Sachsen Sonöermeinung ab, auch schriftlich, mit ausführlicher Begründung und mit Anführung historischer Belege. Man erwog sogar, ob man dem Sprachartikel die Besiegelung (durch das Siegel der sächsischen Nation) nicht verweigern und damit überhaupt seine Übergabe an das Gubernium bzw. die Regierung verhindern solle. Man nahm jedoch Ab­ stand davon. Erst ein Jahr später, aber noch auf demselben Land­ tag, im Kampfe gegen zwei andere Gesetzvorlagen sahen sich die Sachsen gezwungen, zu diesem äußersten Mittel ihre Zuflucht zu nehmen. Am 25. Februar 1842 schloß die Debatte über die Sprachenfrage auf dem Klausenburger Landtag. Im Mai desselben Jahres setzte Roth sein Dixi unter den „Sprachkampf". Da er sich darin mehr­ fach auf den Beschluß des Landtages bezieht, ja recht eigentlich durch ihn veranlaßt worden zu sein scheint, zur Sprachenfrage überhaupt Stellung zu nehmen, dürfte die Abfassung der Schrift in die Zwischenmonate fallen. Ihm war nicht vergönnt gewesen, die Nation persönlich auf dem Landtag an der Seite des Freundes zu verteidigen, nun tat er es aus der Entfernung, aus dem ab­ gelegenen kleinen Nimesch mit jener Waffe, die zu führen niemand wie er verstand, mit der Feder. Roths „Sprachkampf" ist demnach in der Haupt­ sache als Landtagsrede zu werten. Als solche endet er vollkommen stil- und sinngemäß mit kurzen, in Punkte gefaßten Vorschlagen. Sein unmittelbarer politischer Zweck war, jetzt, nach erfolgter und verlorener Redeschlacht auf dem Landtag, nun auch das Gewicht des geschriebenen Wortes in die Wagschale der säch­ sischen Nation zu werfen: vielleicht ließ sich das Herz der öster­ reichischen Regierung vor Annahme des ungerechten Artikels doch noch erweichen, vielleicht konnte man ihr gerade auf diesem Wege mit Erfolg zu verstehen geben, aus welch großen und ernsten Zu­ sammenhängen der Geschichte sich nicht nur die ungarischen, sondern auch die sächsischen Forderungen herleiteten, vielleicht konnte man hoffen, die Regierung werde dann schon eine Lösung finden, die das Recht beider verfeindeter Parteien zu wahren verstünde. Aus dem Charakter der Schrift als einer verkappten Landtags­ rede, die kämpfend Partei ergreift für einen bestimmten Stand­ punkt, sind allenfalls eine Menge Dinge in ihr zu verstehen, die die heutigen Leser sonst mehr oder minder befremden würden. Da ist in erster Linie der beißende Spott zu nennen, mit dem Roth die extrem nationale Richtung des ungarischen Adels über-

goß. Es ist klar, daß er verletzen mußte. Roth hatte sich damit freilich nichts anderes als den Ton jener Presse, zu eigen gemacht, deren Weizen bei den bewegten Zeitereignissen natürlich üppig zu blühen begann. Der „Sprachkampf" selber war ja, wie Roth gleich im ersten Sah bekennt, ursprünglich als Zeitungsartikel geplant worden. Was aber im anonymen Zeitungsblatt rasch und wahr­ scheinlich schmerzlos der Vergessenheit anheimgefallen wäre, mußte in Buchform einer viel bedächtigeren und tieferen Wirkung ge­ wärtig sein. Auf dasselbe Blatt gehört Roths überschwengliches Lob der österreichischen Negierung, zumal aber des österreichischen Kaiser­ hauses. Ihn mag darin außer seiner vorgefaßten politischen Meinung auch ein lebendiger, persönlicher Autoritätsglauben nicht wenig geleitet haben. Man erinnere sich nur zurück, wie er in der höchsten Erregung des Mediascher Rektoratsstreites im Jahre 1834 „immediate den Rekurs an des gnädigsten Kaisers geheiligte apo­ stolische Majestät" anzumelden drohte, sofern ihm nicht Gerechtig­ keit widerfahre (III, 198). Ihm war also der österreichische Kaiser kein abstrakter politischer Begriff, sondern eine Realität, mit der er in seinem eigenen kleinen Leben tagtäglich rechnete, übrigens war diese Treue zum Herrscherhaus keineswegs ein rein Roth'scher, sie war vielmehr ein allgemein sächsischer Zug. Leider, leider ist sie — während der immerhin langen Herrschaft Österreichs über Siebenbürgen — weder entsprechend ausgenützt, noch entsprechend belohnt worden. Außer diesen vom politischen Interesse diktierten Übertreibungen sind Roth im „Sprachkampf" zweifellos auch Irrtümer unterlaufen. Sie verdienen diesen Namen, weil sie nicht, wie jene, einfach Aus­ fluß und Folge einer angenommenen politischen Haltung waren, sondern unabhängig davon nachweislich im rein Persönlichen des Verfassers wurzelten. So war es ein Irrtum, -er auf Roths mangelhafte magyarische Sprachkenntnisse zurückging, anzunehmen, die ungarische Sprache eigne sich als Gesetz- und Paragraphen-, als Verwaltungs- und überhaupt Staatssprache nicht. Er sah nur das gewiß oft lächerliche Bemühen auf der gegnerischen Seite, das, woran es ihr gebrach, im Hui aufzublasen — er übersah als ein zu wenig Eingeweihter, daß dieser Sprache wirklich eine un­ geheuere Schöpferkraft innewohnte, der man schon einiges zu­ muten durfte. Die Geschichte — die Geschichte nach 1867 — hat in diesem Punkte den Ungarn Recht gegeben, nicht Roth. Und es war ein Irrtum, dem toten Latein in dem Maße die Stange zu halten, wie es im „Sprachkampf" geschah. Auch nach dieser Richtung ist Roth weiter gegangen als er einer rein poli­ tischen Haltung in diesen Dingen schuldig gewesen wäre. Er tat es zweifellos, weil ihm zeit seines Lebens eine persönliche Bor-

liebe für das Latein eignete. Wieder und wieder sind wir in den vorangegangenen Bänden darauf gestoßen. Mit welcher Hin­ gabe nahm sich Roth bereits in Jferten des Lateinunterrichts an, für den er ein eigenes Elementarbuch zusammenstellte!1 welcher Zähigkeit hielt er als Rektor an dem Gebrauch der la­ teinischen Sprache in den Konferenzen der Meöiascher Gymnasial­ lehrer fest!2 Und die vielen lateinischen Zitate in seinen Schriften und Briefen! Und nun im „Sprachkampf", mit soviel Aufwand an Beredsamkeit, sein Eintreten für die Erhaltung des Lateins als sogenannte Diplomatensprache. Aber die Geschichte hat ihm nicht Recht gegeben. Sie hat ihm nicht Recht gegeben, es ist wahr, in den angeführten Einzelheiten. Allein, sie hat ihm über und über Recht gegeben in all dem, was den eigentlichen Sinn, was die tragenden Gedanken -er Schrift ausmacht und erfüllt. Dieser Sinn bestand in nicht mehr und nicht weniger als darin, zu einem Zeitpunkt, da sich die Staaten Europas an der nationalen Idee eben erst zu orientieren begannen, bereits mit eindeutiger Schärfe davor gewarnt zu haben: dies Ziel etwa auf Kosten der Vergewaltigung völkischer Minderheiten erreichen zu wollen. Insoweit er dieses in allgültiger Prägung und zu diesem Zeitpunkte aussprach, kommt seiner Schrift geradezu eine klassische Bedeutung innerhalb der heute so ange­ schwollenen Minderheitenliteratur zu. Überhaupt fällt ja, von heute gesehen, ein neues Licht auf sie — eine Erscheinung, die uns auf der Wanderschaft durch das Roth'sche Werk auch in bezug auf so vieles andere schon begegnet ist. Nirgends freilich dürfte sie in die Augen springen wie hier, wo eine rein nur aus dem Geiste ge­ borene Warnung durch geschichtliche Ereignisse in einem Ausmaße bestätigt worden ist, wie ihr Urheber es sich selber gewiß niemals hat träumen lassen. Denn hat das Jahr 1918 nicht auf die schreck­ lichste, nicht auf eine nie erwartete Weise den Ungarn jenen Wahn zerstört, den 1842 ihnen als Teufelsfratze zu schildern Roth nicht müde wurde? Ja, „Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein . . ." Aber auch abgesehen von diesem Hauptgedanken, abgesehen von der Kraft des Grundsätzlichen, das in dieser Schrift Ausdruck ge­ wann, finden sich noch eine Menge Erkenntnisse und Erwägungen in ihr, die den heutigen Leser in Bann schlagen. Verblüffend richtig ist die allgemeine europäische Lage der Zeit beurteilt, ver­ blüffend richtig werden aus ihr die Folgerungen gezogen, die sich später tatsächlich ergeben haben. Hier ist wiederum ein gut Stück Zukunft prophetisch vorausgesehen. Visionäre Anlagen allein hätten keinesfalls dazu ausgereicht. Heute wissen wir: die gediegensten 1 Man lese nach beispielsweise bei I 322, II 158, 183, 251, III 168 ff. 2 m 189. Folberth, St. L. Roth. IV.

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geschichtlichen Kenntnisse, auf dem Wege mühseliger wissenschaft­ licher Arbeiten erworben (siehe III, 175 unö III, 177 ff.), sin- dabei Pate gestanden. Roth der Prophet ist ohne den breitschulterigen Gefährten nicht mehr zu denken, der ihm das schwere Gepäck schleppte, nicht mehr ohne Roth den Historiker. Bon den größeren politischen Problemen der Zeit, die die Schrift anschnitt, war wohl das heikelste das Problem des Verhältnisses Ungarns zu Österreich. Seit Jahrhunderten schon war es nie ganz zur Ruhe gekommen und wer weiß, ob es nicht überhaupt immer eines der latenten Probleme Mitteleuropas bleiben wird. Roth beschuldigte die Ungarn offen, sie wollten sich vom rechtund erbmäßig regierenden Herrscherhaus losreißen. Er griff da­ mit in ein Wespennest und es war nicht zu erwarten, daß er seine Hand mit heiler Haut wieder herausziehen würde. Und doch war kühner noch die Entschiedenheit, mit der er — als erster politischer Schriftsteller überhaupt — eine andere Frage des mitteleuro­ päischen Raumes aufgriff: die nach der Zukunft der Rumänen. Sie war kühner, weil er in diesem Punkte nicht einmal auf die Zustimmung seiner eigenen Landsleute rechnen konnte. Deshalb ist an ihr ganz besonders augenfällig, wie sehr dieser Mann dem Drange nach Wahrheit unterworfen war und wie schlecht er es verstand, mit ihr hinter dem Berge zu halten. Gerade aber der Umstand, daß Roth sich als einer der ersten zur Wahrheit über die Rumänen öffentlich bekannte, müßte die heutigen Rumänen verpflichten, es mit der Wahrheit der im „Sprachkampf" ausge­ sprochenen Grundsätze doppelt ernst zu nehmen. Denn besteht die besondere Aktualität dieser Schrift heute nicht eben darin, daß sie, mit umgekehrten Vorzeichen versehen, GegenwärtigesAllzugegenwärtiges rügt unö bekämpft unö beklagt? Man braucht bloß das Wort „Ungarn" in ihr mit dem Wort „Rumänien" zu vertauschen unö der ganze Jammer und die ganze Not der Gegenwart liegt ausgebreitet vor uns, d. i. vor der dritten siebenbürgischen Generation nach St. L. Roth. Und noch immer, immer fließen sie aus derselben Quelle: aus der Wahnvorstellung, dort Nationalstaaten gründen zu wollen, wo es nur um den Preis der Vergewaltigung völkischer Minderheiten möglich wäre. Was die Wirkung des „Sprachkampfes" anbelangt, ist zu sagen: Am verblüfftesten war die gerade damals wieder sehr ängst­ liche und in der Tat sozusagen zwischen zwei Feuern sitzende Hof­ kanzlei, verblüfft nämlich darüber, daß ein Zensor das Buch wirklich erlaubt hatte. Es war ja keine Frage, besonders maßvoll war der Verfasser in seinen Ausführungen nicht gewesen. Und sehr bezeichnend für die Art und Weise, wie der heilige Büro­ kratius auf ungewöhnliche Ereignisse immer und ewig zu reagieren

pflegt: man wunderte sich sehr, daß der Verfasser auf dem Titel­ blatt seiner Schrift sich „Doktor und Magister" genannt hatte und forderte ihn iw Wege der Superintendentur auf, sich darüber aus­ zuweisen, mit welchem Recht er es getan habe. Wir erinnern uns, daß dem im August 1820 in Wien weilenden, auf der Heim­ kehr von Tübingen befindlichen Roth tatsächlich ein Gubernialbefehl eingehändigt worden war, demzufolge die auf ausländischen Universitäten erworbenen Titel in Österreich nichts mehr galten, d. h. nicht mehr getragen werden durften (III, 12 und 18). Auch hatte Roth von dem in Tübingen erworbenen Titel seither kaum noch Gebrauch gemacht. „Die Zünfte", 1841, waren die erste größere Publikation, die er mit „Doktor und Magister" gezeichnet hatte, der „Sprachkampf" die zweite. Die Aufforderung der Hofkanzlei beantwortete Roth jetzt mit einem Gesuch, in dem er unter Vorlegung seines Diploms vom 4. Juli 1820 um die Er­ laubnis bat, seine Titel wieder gebrauchen zu dürfen. Folgende Gründe führte er darin für sich an: „1. Weil mir dieses Diplom von derjenigen Universität erteilt worden ist, wo ich studiert habe, meine Titel also die Natur eines Studienzeugnisses haben, welches von geliebten, nunmehr größ­ tenteils verstorbenen Professoren ausgestellt, für mich einen un­ schätzbaren Wert hat. 2. Weil mir bei meinem vorgerückten Alter von 50 Jahren jede Gelegenheit abgeschnitten ist, derlei gelehrte Auszeichnungen mir künftig zu erwerben. 3. Weil wir Protestanten überhaupt nur auf auswärtigen Universitäten graduieren können, da für uns im Jnlande selbst keine Lehrstühle für derlei Gra­ duierungen vorhanden sind. 4. Weil das hohe Verbot, sich solcher Titel zu bedienen, in Siebenbürgen, in unserem Kreise erst 16 Tage später publiziert worden ist, als ich das Diplom in Tübingen, da­ selbst gegenwärtig, ausgestellt erhielt."* Für die günstige Erledigung seines Gesuches setzte sich sein Freund Hofagent Conrad eifrig ein. Trotzdem wurde es abschlägig beschieden und Roth hat den Titel auch weiterhin nicht führen dürfen. Die Wirkung des Sprachkampfes auf die Presse der Zeit war bei dem hochpolitischen Charakter, der ihm eignete, natürlich ein grundverschiedener und hing ausschließlich von der Parteizuge­ hörigkeit der Blätter ab, die zu ihm Stellung nahmen. Daß sich in den ungarischen Zeitungen „nicht eine Stimme hat vernehmen lassen, welche die Schrift und ihren Verfasser nicht abfällig be­ urteilt hätte",^ ist mehr als verständlich und wird niemanden wundernehmen. Daß vom Augenblick ihres Erscheinens ange­ fangen in den sächsischen Zeitungen „eine Regsamkeit und Mann1 Oberl (II, 48), S. 124 f. 2 Oberl ebenda I, 123.

Hastigkeit zutage trat, die sich auf die Besprechung aller öffent­ lichen Angelegenheiten übertrug"/ können wir uns andererseits ebenfalls lebhaft vorstellen. Auch daß uns von einer beifälligen Besprechung des „Sprachkampfes" in der Beilage der „Augsburger allgemeinen Zeitung"^ berichtet wird, liegt keineswegs außerhalb der Erwartungen, die man heute mit Fug und Recht an die Auf­ nahme einer Schrift wie „Der Sprachkampf" in Deutschland knüpft. Ein einziger Umstand befremdet in diesem Zusammenhang aufs höchste. Und darauf näher einzugehen, scheint hier allerdings um so gebotener, als die bisherige St. L. Roth-Forschung sich ver­ hältnismäßig wenig um ihn gekümmert hat. St. L. Roths „Sprachkampf" hat nämlich eine umfangreiche und außerordentlich scharfe Gegenschrift zur Folge gehabt, die unter dem Titel „Der Sprachkampf und seine Bedeu­ tung in Siebenbürgen" ohne Nennung eines Verfassers im Jahre 1847, also fünf Jahre nach dem Erscheinen der Noth'schen Schrift, in Leipzig bei Karl Franz Köhler herauskam. Sie zählt Großoktav 98 Seiten, ist also umfangreicher als Roths „Sprach­ kampf"? Über die Entstehung dieser Gegenschrift gibt einigermaßen Auf­ schluß ihr Vorwort. Es lautet: „Die Sache, wovon in diesen Blättern die Rede ist, war, wie dieß auch darin erwähnt wird, schon früher in magyarischen Blättern besprochen. Die Feder, welche damals unsere Gesinnungen ausdrückte, ist der Hand, welche sie führte, entsunken: wir mögen ungern sagen aus welchen Gründen. Die Grundzüge aber, woraus jene Darstellung ent­ wickelt war, haben ihren Wert behalten, und wir erweitern nur hier das Gewebe, aus dem wir dort und da einige sprödere, derbere Fäden auszuscheiden angemessen achten, ohne darum dem Ver­ fasser jener magyarischen Aufsätze minder Dank für seine damalige warme Theilnahme an unseren Interessen zu wissen. Hat er Sicherheit seiner bürgerlichen Stellung gegen Zuverlässigkeit seiner Denkart eingetauscht, er mag es vor seinem eigenen Richter verantworten. Was damals durch den Druck Gemeingut geworden, haben wir hier benutzt, ohne ihm dadurch schaden zu wollen, noch zu können." Es geht hieraus also hervor, daß der Verfasser der Gegenschrift mit dem Verfasser der seinerzeit in magyarischen Zeitungen ge­ führten Polemik gegen Roths „Sprachkampf" keineswegs identisch 1 Obert, I. 123. - Der Aufsatz erschien in der Beilage zur Nr. 187 aus dem Jahre 1843. Die „Transsilvania", das Beiblatt zum Siebenbürger Boten, veröffentlichte ihn vollinhaltlich in Nr. 73, 1843, IV. Jahrgang. 3 Das einzige mir bekannte Exemplar wird im Brukenthalmuseum, Hermannstadt, (II. Y. i. M. i. VII. 5) aufbewahrt.

ist, aber auch, daß jener Polemik eingestandermaßen grundsätzliche Gedanken für diese Gegenschrift entnommen worden sind. Man erfährt dann ferner noch auf Seite 4 über die Umstände, die zu ihrer Entstehung geführt haben: „Wir ließen, vorerst, die Widerlegung in der Sprache jener Nation erscheinen, die in dem Machwerk angegriffen war. Der Plan, den wir dabei befolgten, war, uns der öffentlichen Meinung dort zu versichern, wo ungefärbte Wahrheit mehr gilt, als Band und Titel. Die Ereignisse, die im politischen Leben Siebenbürgens und Ungarns, nicht lange darauf, erfolgten, ließen keinen Zweifel, daß, um Klarheit zu erlangen, die Gährung vorüber sein müsse. Wir schwiegen. Die Gährung scheint vorüber, und die Zeit, wo man zu ruhigen oder beruhigten Gemüthern sprechen könne, ge­ kommen. Nur noch Eins, eh' wir den damals bei Seite gelegten Faden wieder ergreifen, bleibt zu bemerken. Der Leser halte ja nicht, was hier gesagt ist und noch gesagt werden wird, für den Aus­ fluß oder Ausbruch einer einzelnen Meinung oder Empfindung. Das Wort „Wir", dessen man sich hier bedient, ist schlechterdings nicht der abgedrosch'ne Kunstgriff der in Jammer und Entzücken zerfließenden Journalistik unserer Tage. Wir sind, in der That, wir, das heißt, eine Anzahl — (kein Verein) — von Männern, die nichts wollen als das Wahre und die Wahrheit, das Rechte und das Recht." Näher wird auf diese Männer, die das Recht und die Wahrheit wollten, im Buche nicht eingegangen. Sehr bezeichnenderweise er­ fährt der Leser nicht einmal, ob sie Ungarn oder Deutsche waren. Und somit bleiben wir hierin sowie bei der Frage, wer denn nun der eigentliche Verfasser der Gegenschrift sei, ganz und gar aus unsere Vermutungen angewiesen. Wir wollen sofort versuchen, diese Vermutungen etwas enger zu umreißen. Daß die Urheber der Gegenschrift Magyaren waren, erscheint bei ihrem ausgesprochen fachsenfeindlichen Cha­ rakter kaum zweifelhaft. Weshalb sie dann aber überhaupt in deutscher Sprache und in Leipzig erschienen ist? Das dürfte seine ganz bestimmten politischen Ursachen gehabt haben. Wir meinen folgende: Das national erwachende Ungarn der 30 er und 40 er Jahre und das Deutschland der Berfassungskämpfe waren aus leicht erkennbaren Gründen (vor allem infolge ihrer gemeinsamen Feindschaft gegen Österreich und ihrer gemeinsamen Bedrohung durch einen möglicherweise erfolgenden Zusammenschluß der Slawen) einander näher und näher gerückt. In Ungarn nun er­ kannte man die Gefahr einer eventuellen Bergrämung des wert­ vollen Bundesgenossen durch die bereits laut vernehmbaren Hilfe­ rufe der Siebenbürger Sachsen, es stände ihnen bei Verwirk-

lichung btt ungarischerseits geplanten Union Siebenbürgens mit Ungarn schwere nationale, insbesonöere sprachliche Unterörückung bevor, und also versuchte man durch eine deutsch geschriebene Be­ antwortung und Widerlegung der bedeutendsten diesbezüglichen sächsischen Klageschrift, nämlich des „Sprachkampfes" St. L. Roths, die öffentliche Meinung Deutschlands zugunsten Ungarns zu be­ einflussen. Nur so auch, das heißt nur bei Annahme einer erwarteten politischen Wirkung des Pamphlets, läßt sich der ungeheuere Auf­ wand an Scharfsinn, an Überredungs- und Widerlegungskünsten aller Art, an dialektischer Übertrumpfung, an Spott, der mit Be­ wußtsein kränkte, ja an taktlosen Entgleisungen erklären, der so reichlich in der Schrift verschwendet worden ist. Um aber vorerst beim Verfasser zu bleiben: solange die For­ schung seinen Namen nicht ausfindig gemacht hat — und meine Nachforschungen, von welcher Seite immer ich sie anzustellen ver­ suchte, sind bis heute leider ergebnislos geblieben — wird man mehr als negative Aussagen über ihn wohl schwerlich wagen können. Immerhin dürfte in diesem Falle auch das schon etwas bedeuten, festzustellen, wer er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ge­ wesen ist. So meine ich erstens, daß er, der Berfasser, kein Un­ gar war. Seine Ausdruckskraft und seine Stilform wächst zu sehr aus echtem deutschen Sprachgefühl heraus. Das geht so weit, daß der Leser an keiner Stelle des Werkes den Eindruck gewinnt, es handle sich hier um eine mehr oder weniger genaue Übersetzung aus dem Magyarischen. Da der Verfasser aber ausdrücklich in seinem Vor­ wort von magyarischen Unterlagen spricht, muß er also sprachlich völlig frei und souverän mit ihnen umgegangen sein. Der Ver­ fasser war, so meine ich zweitens, kein Siebenbürger Sachse. So gut, ja trefflich deutsch er auch schrieb, sein Buch ist nicht von spezifisch sächsischem, im großen und ganzen leicht erkennbarem Sprachgeist gestaltet. Abgesehen von diesem allgemeinen Eindruck müßte bei einem Sachsen die häufige Anwendung von Bezeich­ nungen, die in Siebenbürgen völlig ungebräuchlich sind, zum min­ desten stutzig machen, z. B. des Wortes „Pastor" statt Pfarrer (Seite 89 und sonst oft im Text). Was die Stoffeinteilung der Widerlegungsschrift anbelangt, folgt sie darin im großen und ganzen der Darstellung Roths und nimmt der Reihe nach zu den einzelnen Kapiteln seiner Schrift kritisch Stellung. Sie ist aber selbst nicht in Kapitel oder Unter­ abschnitte gegliedert, sondern es findet sich bloß an manchen Stellen der Übergang zu einer neuen Gedankengruppe angedeutet durch ein Sternchen, das den Text unterbricht. Es ist klar, daß die besten und überzeugendsten Stellen der Gegenschrift diejenigen sind, welche ungerechte Vorwürfe Roths

zurückweisen. Hier hat der Verfasser auch nicht not, sich stilwütig zu gebärden, sondern trägt seine Zurechtweisungen verhältnismäßig ruhig und maßvoll vor. So lautet die Stelle, die für die Eignung der ungarischen Sprache als Staatssprache eintritt (S. 15): „Wäre von einer Sprache die Rede, die noch in ihrer Kindheit ist, von einer Nation, arm an Begriffen und Erfahrungen, wir enthielten uns aller Gegenrede. Denn eine Sprache, als Vehikel, als Exponent und Coeffizient der geistigen Entwickelung, muß diese Entwickelung in allen ihren, auch den höchsten Ab­ stufungen repräsentieren können, soll sie anders Ersatz für das aufgegebene, oder aufzugebende, geistige Eigenthum des Volkes sein, dem sie geboten (oder, um nicht hier durch Wortklauberei misverstanden zu werden), dargeboten wird. Aber eben hier ist es, wo wir mit der magyarischen Sprache jeder andern, auch der gebildetsten, kühn entgegen treten dürfen. Weder die Nation, deren Eigenthum diese Sprache ist, steht an Ideen, Begriffen, Urtheilen und Erfahrungen irgend einer andern in unserm Welttheil (doch offenbar dem gebildetsten des Erdballs), in irgend einer Weise nach, noch ist die Bildsamkeit und Biegsamkeit der Sprache selbst und ihr Formenreichthum und ihre Wortfülle, ihre Tonbarkeit (selbst in musikalischer Beziehung), hinter irgend einer Aufgabe zurückgeblieben, welche die europäische Civilisation auf ihrer jetzigen Höhe an alle ihre Theilnehmer stellt. Ja, wir sind bereit, den Zweiflern auf ausländischem (oder inländisch - verrathenem) Boden mit solchen Individuen unter den Magyaren entgegenzu­ treten, die vom Transcendentalen bis zur rohesten Stoffbenennung selbst aus außereuropäischem Himmelsstrich überall mit Urbenennungen aufwarten können, ein Vorzug, dessen sich weder die celtisch-latinische, noch die slavisch-byzantinische, noch die indo-ger­ manische Völker- und Sprachformation rühmen dürfte." Etwas komisch wirkt es allerdings schon, wenn später (S. 74 f.) zum Beweise des Reichtums der ungarischen Sprache gleich ein ganzer Auszug aus dem Werke Döbrenteis „Magyarische Sprachaltertümer" (R6gi magyar nyelvemlekek) gebracht und außerdem noch die von sprachgeschichtlichem Standpunkt wichtigsten ungari­ schen Literaturdenkmäler aufgezählt werden. Doch fragen wir endlich nach dem Kerngedanken der Schrift! An welcher Stelle verrät sie ihre wahre politische Haltung? Wo wird sie zum Bekenntnis? Wir meinen an dieser lS. 24): „Das feine, fast unsichtbare Band, welches Menschen an Menschen kettet, gleiche Gefühlsweise und Denkart, ist, in sofern sie sich ö a durch ver­ sinnlicht, in der Sprache gegeben. Galt diese als Ausdruck in hoher und höchster Potenz, so kam auch unmerklich Denk- und Gefühls­ weise der sonst verschiedenen Stämme einander näher und ver­ schmolz endlich ganz in Eins. Die Geschichte noch lebender, wie

Längst in der Fluth der Amalgamirung, in welcher der Mensch mehr als jedes Geschöpf unaufhörlich begriffen, untergegangenen Völker, spricht laut für diese Behauptung. Wie verschieden war der Schotte, der Ire vom Briten in Allem und Jedem! Welcher Abstand war zwischen dem Langobarden und dem Weströmer! Und jetzt! Jubelnd hören wir hier unsere Widersacher ausrufen: Also doch! Doch war Verdrängung der übrigen Idiome durch das Magyarische, die herrliche, hohe, aber übel verhehlte Aufgabe? Mit Gunst, meine Herren! Jubeln Sie nicht zu früh. Niemand hat es, magyarischerseits, verhehlt, man hoffe mit der Zeit diese Sprache zur allgemeinen, des materiellen wie des geistigen Verkehrs, erhoben zu sehn. Zu welchem Zweck? Dieß mag die eben jetzt vorausgegangene Bemerkung schließen, oder errathen lassen. Oder gäb' es Stumpfsinnige, denen wir noch nicht deutlich genug gesprochen hätten, so sei es offen bekannt: .Freiheit, Frei­ heit unter dem Gesetz, Theilnahme, wenn auch nur mittelbare, an der Gesetzgebung, und Einfluß, öffentlicher Einfluß auf die Ver­ waltung der öffentlichen Angelegenheiten? Man zeige uns die Möglichkeit, dieß vor Gott und der Welt nicht nur erlaubte, sondern von der Natur vorgesteckte Ziel durch eine andere Sprache der Monarchie zu erreichen, und wir stehn ab von der Idee und hul­ digen dem fremden, beglückenden Laut. Bis dahin aber verzeihe man uns, wenn wir darauf bestehn, daß nur in der Sprache des freisinnigsten Volks die Freiheit fortgepflanzt werden mag!" Und nun noch ein Beispiel dafür, mit was für einem Sud und Absud von dialektischen Sinn- und Wortverdrehungen, von Sar­ kasmen und Zweideutigkeiten, von böswilligen Unterstellungen Noth in diesem Buch gelegentlich übergössen wurde („Ehren Roth" nennt ihn der Verfasser gewöhnlich oder „Pastor", am liebsten aber noch „Doktor und Magister", da er sich dieser Titel ja unerlaubter­ weise bedient hatte): (S. 25) „In ernsten Dramen zur Erholung den Pickelhäring im Zwischenakt, in der Zwischenscene auftreten zu lassen, damit der angespannte Geist, das erschütterte Gemüth auch die niedrige, das heißt dem niedrigen Verstand und Herzen begreifliche, Seite des Gemäldes erblicke und sich desto williger zu der rechten Höhe wieder schwinge, lassen wir unsern Doktor abermals erscheinen, dessen salzsaure Bemerkung also lautet: .Was ich sage, stützt sich auf keinen Codex, sondern auf Geschichte, Nechtsgefühl, Klugheit und Politik. —* Codex? ist ja wohl auch ein Buch, das Gesetze enthält. Also nicht auf Gesetz stützt sich der Doktor. Aber auf Geschichte. Ge­ schichte ? Sie kann nur Recht oder Unrecht erzählen. Nun, auf kein Gesetz, also auch auf kein Recht, weil Gesetz als Recht betrachtet werden muß, so lang es besteht, und doch auf Geschichte? Aber auf Nechtsgefühl.

Einleitung Rechtsgefühl? Gefühl des vorhandenen oder nicht vorhandenen Rechts? Des vorhandenen? Das ist Gesetz. Aber auf kein Gesetz, weil auf keinen Codex. Also auf Gefühl des nicht vorhandenen? Was ist das? Nicht Gesetz. Also auf Unrecht. Aber auf Klugheit. Klugheit? Ist man klug, wenn man sich auf etwas stützt, das nicht vorhanden? Da werde der Henker klug daraus. Aber auf Politik. Aha! Aus Politik! Das ist das Rechte. Auf keinen Codex, also auf kein Gesetz, auf kein Recht, auf keine Klugheit, sondern auf Politik. Man kann die Politik nicht besser definiren. Vielleicht hinterläßt sie, der er in so herzlicher Einfalt zu dienen vermeint, ihm, der von Codex nichts wissen mag, wenigstens ein Kodizill." Ja, hier werden buchstäblich alle Register gezogen, um einen Menschen an den Pranger zu stellen, der gegen den Parteistand­ punkt des Verfassers und seiner Hintermänner Stellung ge­ nommen und politisch ungünstig für sie ausgesagt hatte. Selbst aus mehr oder weniger kühne Geschichtsklitterungen kommt es ihnen dabei nicht an. Daß die Gegenschrift, so durchsichtig sie war, in den unruhigen Jahren, die ihrem Erscheinen unmittelbar folgten, immerhin ein gewisses Gehör fand, ist nicht verwunderlich, wenn man sich die unerhörte politische Aufgewühltheit jener Zeit vergegenwärtigt. Graeser schreibt 1852 (!) darüber:* „Für die Partei, welcher der Verfasser der Gegenschrift angehört, hat diese in Deutschland, wo die siebenbürgischen Verhältnisse nur sehr wenig oder gar nicht bekannt sind, nicht geringe Sympathien erworben, wofür die Jahre 1848 und 1849 den unzweideutigsten Beweis liefern." Zum Schlüsse nur noch die Feststellung, daß Roth mit keinem Wort öffentlich auf das Pamphlet geantwortet hat. Es ist uns überhaupt nur eine einzige Äußerung von ihm darüber erhalten geblieben. Graeser berichtet,- daß er ein — inzwischen verloren gegangenes — Exemplar desselben der Mediascher Gymnasial­ bibliothek mit folgender Bemerkung übergeben habe: „Nach der alten Nechtsregel: Audiatur et altera pars, bin ich so frei diese Widerlegung meines „Sprachkampfes" der vereinigten Schul- und Collegenbücherei ebenfalls zu einem freundlich gemeinten Ge­ schenke zu machen." Zur Textgeschichte der Roth'schen Schrift: über die ver­ mutliche Zeit ihrer Entstehung siehe oben Seite 79. Obert be­ richtet darüber:" „Roth wohnte damals auf seinem Weingut am ' S. 39 seiner I, 16 angegebenen Biographie. - 3. .‘18 ebenda. J S. 117 seiner II, 48 angegebenen Biographie (siehe auch folgende Teile).

,Hasenberg' mit seiner Tochter Sofie, welche die Molkeneur brauchte. Ihr, die damals ein 16 jähriges Mädchen war, las der begeisterte Vater hin und wieder Stellen aus dem Manuskripte vor und fühlte sich beglückt, wenn ihr Herz erglühte in freudiger Zustimmung." Obert stand in den 50 er Jahren dieser Tochter Roths sehr nahe. Es ist anzunehmen, daß diese Aussage auf sie zurückgeht. Handschriftliche Fassungen des „Sprachkampfes" sind im Nachlaß keine erhalten. Der Erstdruck der Schrift erschien 1842 in Kronstadt, Druck und Verlag von Johann Gött, Kleinoktav, 75 Seiten. Ein Klischee des Jnnentitels dieses Erstdruckes siehe auf der nebenstehenden Seite. Ihre „zweite Auflage" erschien 1896 in Hermannstadt, Druck und Verlag von Josef Drotleff, Kleinoktav, 77 Seiten, mit folgender Vorbemerkung des Verlegers: „Das in erster Auflage 1842 bei I. Gött in Kronstadt erschienene Büchlein St. L. Roths ,Der Sprachkarnpf in Siebenbürgen* ist seit längerer Zeit vergriffen und auch antiquarisch nur schwer zu erhalten,- es wird deshalb der Neudruck dieser für unsere Zeitgeschichte so bedeutsamen Abhand­ lung den vielen Verehrern der St. L. Roth'schen Schriften will­ kommen sein. Der Verleger." Die Rechtschreibung dieses Neu­ druckes wurde zeitgemäß verbessert. Zum dritten Male erschien der „Sprachkarnpf" im 2. Bande des Werkes von Franz Obert „St. L. Roth, Sein Leben und seine Schriften", Verlag von Carl Graeser, Wien, 1896, Seite 105—150. Auch Obert modernisierte die Rechtschreibung. Hier wird er also zum vierten Male aufgelegt. Der Text wurde dem Erstdruck von 1842 entnommen.

Der

Sprachkampf i n

Eine Beleuchtung des Woher und wohin? Don

Stephan Ludwig Roth, Doktor und Magister.

Motto: Der Wind bläset, wo er will, und du Dörrst sein Sausen wohl. aber du weisseit nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt. Ev. Sol). 3, 8.

Kronstadt, 1842. Druck und Verlag von Johann Gott.

Inhalt Vorwort. I. Vorwand-Schwindsucht oder Russenfieber. Exod. I. 9. II. Eine Absicht legt man doch jeder Handlung unter. 2 Cor. 2,11. III. Die Unnötigkeit der Magyarisierung und ihre Unvor­ teilhaftigkeit. Jes. 4, 8. IV. Die Sprachverwirrung oder der Turm zu Babel. 1 Mos. 11, 7. V. Die römisch-katholische Kirche. Apostelg. 8, 30. VI. Der Panslavismus, oder: Walachen und Adel. VII. Magyaria, oder die Verdächtigung als erste Frucht der Magyarisierung. 1 Joh. 11,1. VIII. Gütlicher Ausweg und Schluß. Ps. 133, 1.

Imprimatur Kaiser,

Zensor.

An den freundlichen Leser! vorliegende Abhandlung

sollte als Abdruck einer allge­

mein verbreiteten Ansicht meines Völkchens, daher auch, ohne Nennung meines Namens, als unmaßgeblicher Zeitungs­ artikel, erscheinen. Meine Worte kopierten bloß die öffent­ liche Gesinnung,- ich bekannte mich nicht zur Vaterschaft, son­ dern genoß die Schuldlosigkeit eines bloßen Hebammendicnstes. Auf besondere Nötigung trägt nun das Werkchen meinen Namen an der Stirne, aus Gründen, die den Leser wenig angehen. Freilich — hätte ich dieses ahnen können, so hätte ich für die selbständigere Ausstattung vielleicht lieb­ reichere Sorge getragen. Einem vorüberflatternden Zei­ tungsblatt trägt man weder lange den Groll nach, noch setzt man eine scharfe Brille bei der Beurteilung auf die Nase. Steht gleich manche dieser Ansichten auf festem Boden, so könnte es sich doch leicht zutragen, daß sie, weniger bewan­ derten, oder gar auswärtigen Lesern, als in der Luft schwe­ bend erscheinen. Daher Rückweisungen auf heimatliche Ge­ setze, Geschichte und Tagesereignisse nicht ohne gewesen wären. Mit dem ists aber für diesmal vorbei. Als Blätter für die Aufrechterhaltung des Deutschtums in Siebenbürgen, werden sie, um der Sache willen, die in Frage gestellt ist, auch ihre Gegenmeinung finden. Wollen diejenigen Herren, welche der allgemeinen Magyarisier u n g das Wort reden, zur gerechteren Beurteilung dieses Gegenstandes, mir das, auch von ihnen geübte, Recht ei»-

räumen, eine eigene Meinung haben und verteidigen zu dürfen, so muß ich Selbige nur um die Gefälligkeit Bitten: meine persönliche Wenigkeit außer dem Spiele zu lassen, und ihre Waffen lieber auf das Werkchen selbst zu richten. Es wäre dieses nicht nur edelmütig, sondern auch sachgemäß! Schütten Sie mir aber die Lauge -emohnerachtet über meinen Kopf: je nun, so rein ist er nicht, daß nichts abzu­ waschen wäre. Für die Haare fürchte ich aber nichts. Denn ich trage keine Perücke, und da meine Haare festsitzen, ist mir vor einer Glatze nicht bange. Vale et fave.1

1 Lebe wohl und bleib mir gut gesinnt!

Der Sprachkampf in Siebenbürgen Motto: Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du wetssest nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Ev. Joh. 3,8.

Vorwort Die Magyaren haben, als Volk, ihre Eigentümlichkeit be­ wahrt, während zahlreichere Schwärme der großen Völker­ wanderung mit Stumpf und Stiel ausgerottet und ver­ schwunden sind. Ihre wunderbare Erhaltung verdanken sie nicht der Magyarisierung ihrer Mitnationen, sondern der Annahme und Aneignung dessen, was den Völkern Bestand und Zukunft gibt. Ihre orientalischen Götzen warfen sie weg und knieten vor das Kreuz,' die orientalische Despotie gaben sie auf und machten sich einen erblichen, aber kon­ stitutionellen König: sie änderten ihre militärische, auf hin und her basierte Verfassung, und nahmen die fränkische Ein­ teilung in Komitate, also nach festbleibenden Orten, an: end­ lich schlossen sie durch Bündnisse und freundschaftlichen Ver­ kehr, durch Künste und Wissenschaften, mit dem Abendlande sich die Tore -er künftigen Erhaltung auf. Nicht also durch Ausstoßung des Fremden, sondern durch Annahme ward aus der reitenden Horde ein europäisches Volk. In diesem langen Zeiträume hat es nicht an Krisen, auch nicht an Rück­ fällen gefehlt. Mehr als einmal empörte sich der orienta­ lische Geist, und sehnte sich nach den alten Zuständen der Un-

gebundenheit. Der dermalige Sprachkampf ist eine neue Krise, rote ich fürchte, für sie und ihre Mitnationen, eine be­ denkliche und gefährliche. Als der magyarische Schwarm sich in Pannonia niederließ, drängten sie die slawischen Urein­ wohner links und rechts und machten sich Platz. Da sie aber noch unbrauchbaren, wüsten Raum zwischen sich fanden, be­ riefen sie Kolonisten aus Deutschland, diese Plätze anzu­ bauen. Von hier schreibt sich die Verschiedenheit -er Landes­ bewohner her. Die Slawen sind Ureinwohner — die Ma­ gyaren Eroberer — die Deutschen berufene und verbriefte Einwanderer. Diese drei Volksstämme haben in demselben Lande nun seit geraumer Zeit gelebt. An Reibungen hat es nicht gefehlt. Die ungarischen Könige sahen sich oft in die Notwendigkeit versetzt den Slawen gegen seinen Brotherrn zu schützen, und die Inschrift auf dem Banner der sächsischen Komes Ad retinendam coronam heißt nicht nur: zur Beschützung des Königsgebietes gegen außen, sondern auch ge­ gen aristokratische Anmaßungen im Innern. Oft und oft, es beweisen die Articuli diaetales 1 und Privilegia, betrach­ tete sich der magyarische Adel im Verhältnis zum Slawen als: fruges consummere nati2 und der Sachse galt ihm für ein peculium, d. i. für ein Lastvieh, das die Ausgaben des Landes durch Steuern erschwingen sollte. Bei alledem gab es auch ziemlichen Frieden, und die Zeit hat manches Eck und manche Spitze abgebrochen und abgeschliffen. Das müt­ terliche Land war gesegnet genug, diese drei Nationen in Pannonien an ihren Brüsten zu säugen und alle drei haben im Innern gebaut und die Haushaltung betrieben und nach außen, mit gleicher Aufopferung, die Brust geboten. Die neue Lehre unserer Tage, daß man magyarisch sprechen müsse, um der Heimat würdig zu sein, ist bisher nicht erhöret worden. Der Magyare aß das Brot, wenn in die Furchen 1 Landtagsartikel. 2 Die zum Genuß der Früchte Geborenen.

auch slawischer Schweiß getropfet worden,' der Magyare kleidete sich in deutsche Erzeugnisse, wenn sie auch nicht von magyarischen Händen gewoben waren, und wenn das Schwert zu ziehen war, stieß der Magyare den Slawen nicht vom Schlachtplatz, weil er Gott nicht Isten hieß, noch ver­ schmähte er die deutsche Burg, wenn er vom flachen Lande spornstreichs einsprengte, wenn ein deutscher Mund ihn: Willkommen hieß. Nun aber kommt ein neuer Wind ge­ blasen, man hört sein Sausen wohl, man weiß aber nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Dermalen gerade war Friede im Lande. Die Untertanen ertrugen ihre Lasten. Denn die Hoffnung führte das Urbarium1 hinter sich, und uns Sachsen ward- als Bürgerlichen, philanthropischer und kosmopolitischer und humaner Weihrauch auf dem 1834 er Landtag reichlich gestreut? Mittlerweile führt das Königreich Ungarn das Urbarium ein, beschließt aber zugleich, den an­ deren Nationen die Sprache zu nehmen. Ich weiß nicht, haben sie mehr gegeben oder beabsichtigen sie mehr zu nehmen. Seit dies in Ungarn, unbegreiflicherweise, vor sich gegangen, steht auch -er magyarische Adel in Siebenbürgen wie auf einen gegebenen Trompetenstoß auf und läßt diesen nämlichen unglückseligen Gesetzvorschlag zum Verderben des Landes wie Simson Füchse mit brennenden Schwänzen in die Kornfelder -er Philister. Ungarn ließ zuvor dem Un­ tertanen Gerechtigkeit widerfahren im Urbarium und mutete nur nachträglich erst dem Nichtmagyaren die fremde Sprache an. Es erschien demnach dieser Sprachzwang nebenbei doch als eine Zulassung zur Sprache des gnädigen Herrn, also immerhin als eine Art Vergünstigung. In Siebenbürgen hingegen kehrt es der magyarische Adel um, er läßt die Un­ tertanen im bisherigen Mißverhältnisse, und will nur nach1 Grundbuch. 3 S. S. 77 ff. Folberth, St. L. Roth. IV.

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Der Sprachkainpf

träglich, wenn der Unterliegende auf magyarisch um Gnade und Erbarmung gefleht hat, dem besseren Gefühle nachgeben. Der Klausenburger Gesetzesvorschlag in Betreff der Ge­ schäftssprache hat eigentlich nur zwei Teile: 1. Wir Unger und Szekler sollen mit allen Nationen, die auf unserem Grund und Boden leben, freie, adelige oder untertänige, hinfort magyarisch reden. 2. Euch Sachsen lassen wir einstweilen das Rechtchen, zu Hause euere Muttersprache zu reden. Noch ist dieser Vorschlag durch den Beitritt der Regierung nicht zum Gesetz erhoben worden, und die Deutschen, als dritte ständische Nation, haben dawider, zur Emporhaltung ihrer gleichen Gerechtsame, eine Protestation eingelegt. Kann ich daher auch nicht verbeißen, daß die Deputierten meiner Nation ihr Sigill unter den verhängnisvollen Vor­ schlag beigedruckt haben, so lebe ich doch noch immer der Hoffnung auf die Gerechtigkeit des Allerhöchsten Hofes. Allerhöchst derselbe hat zwar denselben Vorschlag in Ungarn bestätigt, aber dort sind die Deutschen keine abgesonderte, in­ tegrierende Mitstandschaft,' hier aber, bei unseren eigen­ tümlichen Rechtsverhältnissen, stehet zu erwarten, die ge­ salbte Hand werde unter den vorgelegten Aufsatz ein gnä­ diges Displicet' setzen. Dies erwarten wir von der deutschen Regierung aus ihrem eigenen Interesse und um unserer ge­ rechten Sache willen. Der selige Kaiser Franz hatte nicht umsonst zu seinem Wahlspruche: Justitia est fundamentum regnorutn,12 und sein gleichherziger Sohn handelt zuver­ lässig wie er spricht: Recta tueri.3 Dieses, dieses verlangen wir, das justum und das rectum, nur nichts weiter. Denn 1. sind die Deutschen in Siebenbürgen ein Mitstand, eben1 Es mißfällt. 2 Die Gerechtigkeit ist die Grundlage des Staates. 8 Das Rechte schützen.

so gut als Unger und Szekler und in Gerechtsamen der Lan­ desstandschaft um kein Haar geringer als diese beiden; 2. ist der Artikel XXXI des Landtages 1791 mit seinem Status quo als Restitution der durch Kaiser Joseph II. umge­ änderten Verfassung historisch zu interpretieren. Der Status quo ist nicht der allerletzte Status vor dem jetzigen 1842 er Jahre, sondern der Status vor 1791. Dieser Status vor 1791 ist das Privilegium Andreanum — die Union — und das Diploma Leopoldinum. 3. Unger und Szekler wollen, statt des Latein, hinfort ihre Muttersprache gebrauchen. Wir Deutsche nicht mehr und nicht minder. Ebensowenig als wir euch, Landesbrüdern, un­ sere deutsche Sprache aufdringen wollen, ebensowenig wollen wir uns euere aufdringen lassen. Dermalen heißt's noch: sub judice lis est.‘ Der Gesetzes­ vorschlag wird samt der Protestation an den Stufen des Thrones niedergelegt werden. Es ruht mithin die Ent­ scheidung in heiligen Händen. — Noch ist's nicht Gesetz — noch ist's also erlaubt dafür und dawider zu sprechen und die Stimme der entschiedensten Mißbilligung ist keine Aufreizung gegen Gesetz und Ver­ fassung. Diese Frist benütze ist denn, pro domo3 zu reden. Wären die magyarischen Herren in Klausenburg auch einer deutschen Mutter unter dem Herzen gelegen wie ich, würden sie a u ch deutsch reden, und zugleich auch f ü r das Deutsche reden, wie ich. Außer dieser Anhänglichkeit an die Mutter­ sprache, vermöge deren jeder so spricht wie ihm der Schna­ bel gewachsen ist, finde ich noch ein gemeinsames Kästchen, aus dem jeder Schnabel herauswächst. Bei Vögeln heißt die­ ses Kästchen: Schädel, bei Menschen: Kopf. Und hier in die­ sem Ladel finde ich nicht magyarische Protokolle, sondern ein für alle Sprachgenossen verständliches Menschenrecht, das 1 Der Streit harrt des Richterspruches. s Für uns.

jedem gilt für seine Muttersprache. Denn der Mutterleib und das Elternhaus ist nicht nur die erste Stelle unseres Daseins, da, wo sich der allgemeine Strahl des Menschlichen prismatisch in die Farben der Nationalitäten spaltet und bricht, sondern aller Sittlichkeit und alles Glaubens sanctuarium. In dieses Allerheiligste kann kein Weibel' eindrin­ gen, darf sich kein Gerichtsdiener wagen, denn Gott hat da seinen Altar gebauet. Hier und sonst nirgends brennt die Opferflamme -er reinsten Liebe im Mutterbusen, die Flamme des reinsten Vertrauens im kindlichen Herzen. In -er Überzeugung des Rechtes gehe ich daher meines Weges und rede so wie mir der Schnabel gewachsen ist. Möglich ist's, daß meine und andere Wasserbächlein im Laufe gedämmet und dadurch aufgehalten wird — allein der ewige Zufluß aus der Quelle des Lebens wird bald eine Erhöhung des Dammes erfordern, und endlich einmal wird in dieses Gesetz, wie in den wohlverwahrtesten Damm, ein Maulwurf ein Loch schaufeln. Der Damm wird trocken stehen bleiben und das gesammelte Wasser wird, nicht mehr murmelnd und plätschernd, zwischen seichten Ufern fließen. Discite justicium moniti, nec temnere divos.12

Noch ist der Gesetzesvorschlag nicht Gesetz — noch darf man dawider reden, frei und offen, wenn nur mit Achtung vor der heiligen Krone, wenn nur ohne Kränkung -er Ehre, des Gewissens oder der Rechte eines andern. Euch, ihr edlen der Vorwelt, euch frommen und verstorbenen Ungern, Szeklern und Sachsen, verdanken wir die Gewissensfreiheit, die Rede­ freiheit, die Lebensfreiheit. Wir können glauben, was wir hoffen dürfen vor Gott verantworten zu können, viele Län­ der sind darin minder glücklich wie mir; unsere Schrift1 Amtsbote. 2 Lautet richtig: Discite justitiam moniti et nec temnere divos. Lasset euch mahnen, Gerechtigkeit zu lernen und die Götter zu fürchten. Vergil. Aen. VI, 620.

steller dürfen in den gesetzlichen Schranken freien Fußes ge­ hen, wie figura zeiget, und dürfen, wenn sie einen Fuß er­ hoben haben, nicht ängstlich umhersehen, wohin den andern tun, als ob die Straße mit Eiern beleget wäre. Wo ein gutge­ meintes oder etwa schlechtgewähltes Wort den Hals brechen kann, da ist das Auge auf den Boden geheftet und der Auf­ blick, dieser Vorzug -es Menschengeschöpfes, ist ein eitel Ding oder weißer Rabe. Ebenso haben sie dem Lande Segen, Segen die Fülle gebracht, daß diese Völker selbständigen Haushalt haben. Dank euch darum, euch edlen Männern -er Vorwelt! Seht, euere Nachkommen sind -es Friedens und der Eintracht satt geworden, und haben für einander eine neue Art Kette, eine neue Gattung Fesseln erdacht. Sie wollen durch Gesetze Schlösser an die Mäuler legen, und nur das Wort, was auf den Anruf: fin. vagyok! antwortet, soll passieren. O wischet den Staub aus eueren Augenhöhlen und steiget heraus, ihr heiligen Schläfer, und tut auf eueren versöhnenden Mund zur Beilegung dieses Streites, -er Wind säen und Ungewitter ernten wird. Doch ist eine zu große Kluft zwischen euch und uns befestiget, daß ihr nicht herüber könnet, so sendet wenigstens eueren Rechtssinn, eueren Geist der Versöhnung, daß die sich nicht den Rücken kehren, die Herz an Herz gehören, und die Hände nicht gegen­ einander aufheben, die mit verschlungenen Händen am Altare des Vaterlandes beten sollen. Ich jedoch, vom Tode noch nicht gehalten, will wirken, so lange es Tag ist, ehe die Nacht kommt, wo niemand etwas wirken kann, habe bisher aufmerksam zugehört, was andere, mehrbegabte Männer, aus Gründen des Rechtes dawider und dafür gesprochen haben, und werde auch ferner weder Baumwolle noch Wachs in meine Ohren stopfen, wenn sie ein übriges aus ihrem Schatze hervorholen werden. Wie die Witwe im Evangelio lege auch ich mein Schärflein in den ausgestellten Kirchenteller. Es ist mein Bestes, wenn es auch

an sich -as Schlechteste wäre. Was ich aber über den be­ gonnenen Sprachkampf in Siebenbürgen, welcher dermalen Köpfe, Federn, Mäuler und Herzen in Bewegung setzet, zu sagen habe, stützt sich nicht sowohl auf irgend einen Kodex, sondern auf Geschichte, das Rechtsgefühl, die Klugheit und Politik, und besteht in folgenden Abteilungen. I.

Vorwand-Schwindsucht oder Russenfieber? Exod. I. 9. Wohlan, wir wollen sie mit Listen dämpfen!

Englische1 *Ideen sind es nicht, und die Theorie der Sprachausrottung hat in der neueren Welt weder einen Grotius,3 nicht einmal einen v. Haller3 gefunden. Die Römer sind ja mausetot, und die Franzosen haben es bis jetzt zu keinem Ansehen in der Politik bei den Magyaren zu bringen ge­ wußt. Sonst hätte es vieles von französischer Eitelkeit und Vorliebe an sich, die sich in Sachen des Geschmackes, Kunst und Sitten auch so für ein Stück auserwähltes Volk Gottes halten wie die Männer ohne Vorhaut. Auch ist der geplagte Ludwig Philipp seines kleinen Thiers4 für jetzt frei, sonst 1 Namhafte Ungarn der Zeit, z. B. SzSchLnyi, sympathisierten mit England. 1 Hugo Grotius, 1583—1645, bedeutender holländischer Jurist und Staatsmann. Insbesondere gebührt ihm der Ruhm» der Begründer des allgemeinen Staatsrechtes, der Rechtsphilosophie und der Völkerrechtswiffenschaft zu sein. 3 Karl Ludwig von Haller, 1768—1854, Professor des allgemeinen Staatsrechts in Bern, der hervorragendste Vertreter des patriar­ chalischen» antikonstitutionellen Prinzips. * Adolphe Thiers, 1797—1877, der französische Staatsmann, der sehr klein von Gestalt war. Unter Ludwig Philipp war er öfters Minister des Innern und zweimal Minister des Äußern gewesen. Vom 1. März bis zum 20. Oktober 1840 war er dessen Minister­ präsident. Nachher führte er die Opposition an gegen die Politik des Königs.

käme ich auf Leu Gedanken, es hätte dieser Taschenspieler, um -es lieben Rheines willen, in Ungarn ein Feuerchen an­ zünden wollen, damit der österreichische Adler seinen Blick an die Donau richten müsse. Denn diese Herren verstehen es, fremder Regierung ein Dörnchen unter den Schwanz zu drücken, derweil sie das ihre ins Trockene bringen. Der Sämann dieses Unkrautes -er Zwietracht und Anfeindung mag also nicht von außen her kommen. Woher kommt also der Anstoß? Wie heißt die Mutter, die dieses Kind zur Welt gebracht hat? Lache mich aus, wer Lust hat, ich gebe einer modernen Wissenschäst schuld, die seit nicht langer Zeit jedem Volke das Bewußtsein seiner Stärke und seiner Schwäche bringt. Ich meine die Statistik. Denn diese, mit ihren Popula­ tionstabellen unter dem Arme, sagt mit trockenen Zahlen­ verhältnissen zu den Magyaren: Ihr Magyaren seid ihrer wenige unter den Kindern des Landes! Dieses fatale Zah­ lenverhältnis wirkt wie Sauerteig. Es setzt den ganzen Süßteig in Bewegung. Der Gedanke der Versicherung ist natürlich und bei der Hand. Denn wie kleine Familien leichter aussterben als weitläufige und zahlreiche, so mögen auch die Magyaren denken, können wir leichter aussterben, wenn wir arm an Volk, als wenn wir zahlreich sind. Denn Völker sterben nicht aus wie einzelne Menschen, auf dem Bett oder Wahlstatt, sondern — sie verlieren sich in ein an­ deres Volk, durch Annahme fremder Sprache, Sitten und Gebräuche. Die Sprache ist aber die mächtigste Sitte und der häufigste Gebrauch. Mit dem Verlust der Sprache verlischt die Nationalität und hiedurch auch die Nation selber. Die Magyaren, aus der ganzen Völkerwanderung das einzig erhaltene Volk, fürchten das Los ihrer asiatischen Kameraden, die auch eindrangen, eine Zeitlang rumorten und dann wie Frühlingsschnee verschwanden. Ich zwar halte

diese Besorgnis für ein Gespenst, dem ich aber die Existenz nicht absprechen kann, nur ist es nicht außer uns, sondern in uns vorhanden. Dieses Gefühl eines Teiches, der keinen Zufluß durch Bäche hat und bloß vom Regen -es Himmels lebet, mag sich auch der Magyaren bemächtigen, wenn sie keinen Zuwachs von außen durch Zuzug ihrer Volks- und Sprachgenossen weder erhalten, noch hoffen dürfen. Sie reden zwar viel von einem großen Volke, von dem sie sich abgelöset hätten, von einem friedlichen Volke abgekeilt, allein wo. dieses ist, wissen sie selber nicht, da sie außer den Zu­ sammenhang gebracht worden sind. Mögen sie nach Atellufuden letzten Sitzen blicken, wem [!] sie vor den Petschenegen Fersengeld gaben und hieher flüchteten, oder meinet­ wegen an die chinesische Mauer, wo das himmlische Volk wohnt — überall findet man keine Magyaren, wenigstens bis jetzt. Eine interessantere Erscheinung gäbe es freilich in der Welt nicht, als wenn man die Ursitze entdeckte und sehen könnte wie sie sich da, ohne europäische Hebammendienste, entwickelt hätten. Entweder sind also unsere Magyaren der Kern des Kometen selbst und kein Kometensplitter, oder ihre Sprachgenossen sind in fremden Völkern bereits unterge­ gangen. Herr Körösi12 flog wie eine Taube aus der siebenbürgischen Arche bis nach Tibet, allein es ist ihm auf seiner patriotischen Entdeckungsreise kein Magyare begegnet. Hier also und sonst nirgends, sind sie zu Hause, wohl in einem schönen Garten eilt schönes Pflanzengeschlecht, aber zwischen anderen Geschlechtern, die eben so zahlreich oder noch zahl­ reicher sind. Während nun die Mitnationen von den Stamm­ genossen entweder von außen her Verstärkungen, wie die Deutschen, erhalten, oder aus sich selbst, durch größere Frucht1 Atelcuzu, später Etelköz genannt, die Urheimat der Ungarn. Ungefähr das heutige Podolien und Vessarabten. 2 Körösi Csoma Sändor, 1784—1842, berühmter Asienforscher, hervorragender Kenner besonders Tibets und seiner Sprachen.

barkeit, wie die Slawen sich vermehren, die Proportionalen sich also noch übler gestalten, drängt sich leicht der Wunsch auf, auch ihrerseits auf Zunahme und Vermehrung zu sin­ nen und ein Mittel zu ergrübeln, welches eben die M agyarisierung wäre. Denn nehmen wir nur die Emp­ findungen eines Magyaren an, der die isolierte Lage seines Volkes überdenkt und einmal von diesem ansteckenden Ge­ danken an Versickerung und Verringerung oder Aus­ trocknung ergriffen ist. Hier und da träufelt ein Deutscher mit dem Bündel herbei. Er siedelt sich an und singt auf seinem Meisterstühlchen vom Vater Rhein oder dem Hause Habsburg^ in den Kanzleien hat mancher Deutsche die Feder hinter dem Ohre, in den ungrischen Regimentern grüßen sich viele Offiziere mit dem freundlichen: Guten Morgen, auf den Pußten leget der Schwabe seine Kartoffeln in den jungfräulichen Schoß der Erde. Doch mit dem Deutschen hat es noch eine begütigende Bewandtnis. Denn die Mutter nimmt der zureisende Deutsche doch meist aus den Landes­ töchtern und während der Deutsche einer Magyarin das Herz stiehlt, stiehlt die Magyarin ihren Mann seinem Volk, oder wenigstens die Kinder. Mag der Vater auch noch Backen­ bart tragen, seine Söhne scheren ihn ab und tragen, wie der mütterliche Großvater, eine verbrämte Oberlippe. Aber — der Slawe, dieses wuchernde, samenreichere Unkraut, ist zäher in seiner Nationalität, und wenn durch Samen­ mischung Kreuzungen entstehen, schlagen diese eher ins Slawische als Magyarische, überdies find die slawischen Weiber fruchtbarer als das schöne Geschlecht ihrer magya­ rischen Überwinder. Da ist immer ein Kind entweder an der Brust oder in der Wiege oder im Verborgenen. Ohne Milch ist keine Slawenhütte. Der Slawe spricht zwar auch ungrisch, aus Klugheit, besonders mit seinem Dienstherrn, aber nur mit derselben Bereitwilligkeit, womit die gebotenen

Illuminationen zustande gebracht werden. Wo aber -er Slawe Slawe sein darf, da ist er es ganz mit Leib und Seele, in seinen vier Pfählen, mit Frau und Kind, im Kreise seiner Freunde. Es ist nicht gut, -aß man dieses Volk noch einmal so schmerzhaft an seine Unterjochung mahnet, daß man den Groll, auf den Jahrhunderte versöhnlichen Staub geworfen hatten, noch einmal ausgräbt. Denn allen Unterdrückten, wenn sie auch nicht Slawen sind, wächst der Stachel der Rach­ sucht, den sie in einer sammetnen Scheide -er Heuchelei tra­ gen. Was mahnt man den Slawen an seinen unendlichen Zusammenhang, an den sicheren Hinterhalt einer befreun­ deten Macht, die wie eine Lawine wächst, an das unabseh­ bare Völkernetz, das, nach allen Richtungen -er Windrose, die Nachbarländer bedecket. Dazu nehme man seine Unverwüstbarkeit, seine Elastizität, seine Bildsamkeit, sein Ge­ dächtnis, seine Phantasie und historischen Reichtum, über­ dies hatte dieses Volk bereits eine Literatur, als die Ma­ gyaren noch kein ABC hatten, und Literatur ist ein Stab, an dem sich auch ein tiefgesunkenes Volk in die Höhe hebt, wie Griechenland zeiget. Zwar hatten sie das Geschick, von den Magyaren unterjocht zu werden, aber — seit mehr als 1000 Jahren überwunden — sind sie nicht zu Magyaren ge­ worden, sondern Slawen geblieben. Sie wissen, daß sie die Urbewohner sind, daß der Unger von ihnen, ehe noch der Deutsche kam, den Webstuhl und den Pflug annahm und in diesem Stolze können sie zu den Magyaren sagen wie Chri­ stus der Herr zu den Juden: Ehe denn Abraham war, war ich. Dieses frühere Recht der Ureinwohnerschaft ist zwar in den Schlachten der Eroberung, wie eine Geldbörse im Würfelspiel, verloren gegangen. Natürlich kann hievon keine Rede mehr sein. Nur ist es nicht gut, daß man sie daran erinnert, daß es ein gezwungenes Spiel war- es ist nicht gut, daß man ihnen in einem neuen Spiele eine andere und letzte Börse, ihre Sprache abnehmen will. Dieses Sla-

wentum mit seiner reichen Zukunft erregt in den Magyaren Besorgnisse und sie stellen sich selbst die Nativität,' es würde nicht sowohl von den Magyaren als den Slawen heißen: Ich bin der, der da war, -er da ist und der da sein wird. Die Slawen sind dermalen wie die Kinder Israels im Agyptenlande, wie Sand am Meere, von ihren Herrn ge­ scheut, gedrückt und gefürchtet. Im Exodus 1, 8—10 steht also geschrieben: „Pharao, der neue König, d e r nichts von Josef (und seinen Verdiensten um das Land) wußte, sprach zu seinem Volk: Siehe, des Volks der Kinder Israel ist viel und mehr, denn wir. Wohlan, wir wollen sie mit Listen dämpfen, daß ihrer nicht so viel werden. Denn, wo sich ein Krieg erhöbe, würde»! sie sich zu unsern Feinden schlagen und wider uns st r e i t e Diesen Gedanken, wie ihn Pharao aus­ spricht, und nichts anderes verstehe ich, falls ich es verstehe, unter dem Gemurmel und Geflüster des Panslavismus, zu deutsch das Russenfieber. Dieses bange Gefühl hieß den Pharao harte Maßregeln ergreifen. Die Pharaonischen Listen aber, womit er sie dämpfen wollte, halfen nichts. Eben die Unterdrückung gaben die Mittel der Errettung und ohne diese Gewalttätigkeit wäre Moses nie an den Hof gekommen, nie hätte ihm eine ägyptische Prinzessin die Tem­ pel der priesterlichen Geheimnisse ausschließen lassen, — er wäre geblieben, was sein Vater war, ein Jude — hätte nach Knoblauch gestunken und Ziegel geschlagen im Lande Gosen. — Die Vorsehung geht von menschlichen Spinneweben un­ gehindert ihren Gang und spottet -er Pfiffe -es Unter­ drückers, und wenn dieser Ruten zusammenbindet, seinen Bruder im Unrecht zu schlagen, läßt die Vorsehung erst Dörner dareinwachsen und dann — gibt sie sie dem Schuld­ mäßigern selbst auf den Rücken. 1 Sie lesen aus den Sternen.

II. Eine Absicht legt man doch jeder fremden

Handlung unter. Denn uns ist nicht unbewußt, was er im Sinne hat. 2 Cor. 2, 11.

Daß die Magyaren es bei dieser Magyarisierung mit nns nicht übel meinen, am wenigsten mit sich, versteht sich von sich selbst. Sie halten ihre Sprache für einen Edelstein, für eine Perle, für einen Schatz, für eine Goldgrube usw. Und da­ rinnen haben sie vollkommen Recht nnd hierinnen meine ich es so aufrichtig, daß ich dasselbe nicht minder für wahr halte als von meiner eigenen Muttersprache. Diese kostbare, un­ schätzbare Sache wollen sie nun, vor aller Welt Augen — nicht daß man allenfalls meint, es würde sie später gereuen und so das Versprechen zurücknehmen — durch ein Landes­ gesetz mit angehängtem Adlersiegel — allen Völkern des Landes, zum unentgeltlichen und vollkommenen Eigentume, schenken. Diese ihre Sprache, die einzige orientalische im ge­ bildeten Europa, wollen sie, nicht wie Egoisten tun, für sich allein behalten — nein, sie soll Gemeingut, die Muttersprache aller Seelen werden, mögen sie nun um die drei Berge des patriarchalischen Kreuzes wohnen oder zwischen den Quer­ balken leben: mögen sie hausen, wo Sonne nnd Mond scheint, wo der schwarze Adler fliegt, ja, wenn das Glück günstig ist, auch in den sieben Burgen.' Dafür verlangen sie nichts weiter als ein bißchen Vergessenheit, die freilich schwerer sein soll, wie Kästner12 und Aretin3 in seiner Mnemonik sagt, als Erinnerung und das Gedächtnis. Nur weil wir nicht 1 Anspielung aus die verschiedenen Felder des ungarischen Wappens. 2 Vermutlich Christian August Kästner, Verfasser des Werkes: Mnemonik oder die Gedächtniskunst der Alten, 2. Ausl., Leipzig 1805. 3 Aretin, Freiherr von, Verfasser der: Kurzgefaßte Theorie der Mnemonik. Nürnberg 1806.

hastig auf das Geschenk herfallen, Me Wohltat nicht mit bei­ den Händen ergreifen, hält man uns für ein bißchen dumm und vernagelt. Als die sächsischen Deputierten im Landhause ihre Protestation1 2einreichten, klang es ja vernehmlich auf der Galerie: Bok szäsz — marha!2 Um daher unserer Un­ vernunft in etwas zu Hilfe zu kommen, damit wir die gün­ stige Gelegenheit nicht etwa verscherzen, will man auch etwas Gewalt nicht scheuen, da man -och unser Bestes bezweckt. Die Magyaren versichern, hiebei fremde Nationalität achten zu wollen, und gar nicht die unterlegte böse Absicht zu haben, wir verstehen sie nur nicht. Mit der menschen­ freundlichsten Absicht von der Welt — mögen wir es nur erkennen und beherzigen, — wollen sie ja unser Wohl, unser Heil, unsere Errettung. Sie handeln hiebei, wenn man ihnen glaubt, mit derselben Herzlichkeit und Redlich­ keit, mit der ein bigotter Christ Ketzer zu bekehren sucht. Es dauren diesen die ketzerischen Seelen, und es wäre Schade, meint er, wenn sie dem Teufel in den Rachen kämen. Darum läuft ein solcher menschenfreundlicher Erretter wie eine Gluckhenne ängstlich am Ufer auf und ab, wenn wir ketze­ rischen Enten, noch mit den Schalen auf dem Rücken, ins Wasser eilen, auf- und eintauchen, pladdern und schnattern. Die gute Henne meint in ihrer Trostlosigkeit: die Entchen würden leicht ersaufen. Wie blutet dem Seelenhirten sein christliches Herz, wenn er befürchten muß, daß die schöne Menschenbrut direkte in den Schwefelpfuhl eilet. Lieber da­ her ein Viertelstündchen im Auto da fe3 gebraten, — nur mit Holz oder Stroh — auch nur den vergänglichen Leib ---------- als eine lange Ewigkeit, die man gar nicht denken kann — die Seele selbst — in der Hölle schmoren zu lassen. 1 S. S. 79. 2 Beliebtes Schimpfwort der Ungarn. Richtig: Bakszäsz. Be­ deutet ungefähr: Specksachse — du Ochs! 3 Portugiesisches Ketzergericht.

Darum bittet er, er beschwöret, verspricht und drohet,koset und erniedriget sich, nur um alle seines Glaubens zu machen. Wol­ len die verlorenen Küchlein, wenn auch nicht aus Überzeu­ gung und Herzensglauben, sich unter die warmen Flügel der mütterlichen wohlmeinenden Henne selbst ducken, so ist auch für das bloße Maulbekenntnis, in Hoffnung späterer besserer Besinnung, wenigstens im Schatten noch Platz. Oder kann es etwa ein solcher Proselytenmacher nicht redlich meinen? Oder kann seine Kirche nicht etwa selig machen? Bei Gott! sie kann es und er kann es auch ehrlich und redlich meinen. Auch seine Lehre von der alleinseligmachenden Kraft seiner Kirche unterschreibe ich aus inniger, fester und geprüfter Überzeu­ gung, so wie ich ja oben bei der Muttersprache dasselbe tat. Wundere dich nicht, lieber Leser, wenn ich vom Sprachgegenstand abzuweichen scheine, habe ich doch nur parabolisch immer von der Muttersprache geredet, denn ist die gewalt­ same oder listige Ausmerzung der anderen Sprache nicht bloß eine andere Art Inquisition? Die Versicherungen der Magyaromanen, -atz sie es gut meinen, sind dennoch, hier wie dort, leeres Stroh. Diese Ultra1 haben sich für ihre Mutter­ sprache auch so ein Stückchen Alleinseligmachung zum Götzen geschnitzelt. Umsonst sind alle Beteuerungen der Liebe, -es Wohlwol­ lens, die Versicherungen -er guten Absicht usw. Ihr meinet -och, ohne magyarisch zu sprechen, sei man kein echter Patriot und unwürdig, Luft und Duft -er Karpathen zu atmen, ge­ rade wie quondam2 die Inquisitionen in Spanien, die da sagten: ohne ihren Glauben sei man kein echter Christ und nicht wert, -aß einen die Sonne am Ebro beschiene. Euere Beteuerungen, -aß es nicht auf Vertilgung unserer Na1 Lateinisch, heißt wörtlich „darüber hinaus". Roth versteht hier und im folgenden darunter die ultranationale, die übertrieben nationale Partei der Ungarn. 2 Einst.

tionalität abgesehen sei, ist mir so einleuchtend und an sich so wahr wie die Worte einer Hausmutter, die sie zum Weine spricht, den sie ins Essigsassel füllt: Sei getrost mein Sohn und vereinige dich vertrauungsvoll mit dem Essig — du sollst Wein Bleiben, aber schmecken mußt Lu so, wie der Essig schmeckt! Wahrhaftig: das ist doch ein Messer, das ohne Stiel ist und keine Klinge hat. Wundern sich diese Ultra, oder, wie es nun beliebt zu sagen: Magyaromanen, wie es möglich sei, daß wir sie so schwer verstehen, ja mißverstehen; so mögen sie sich wenig­ stens darüber nicht wundern, -aß auch wir uns darüber wundern, -aß sie auch uns nicht verstehen. Wir wittern in diesem Gesetzesvorschlag so etwas vom Pharaonischen: Wohlan, wir wollen sie mit Listen dämpfen! und glauben daher, durch Annahme ihres Vorschlages, un­ serer Nationalität das Todesurteil zu unterschreiben. Wie wir dieses für möglich und wahrscheinlich halten, will ich durch Ausmalen des Einzelnen auch für denjenigen deut­ lich zu machen suchen, -er für unsere Besorgnisse sehr blöde Augen hat, nur darf er nicht gerade den schwarzen Star haben. Aus dem offenen Geständnisse eines rückhaltslosen Menschen werden sie am deutlichsten ersehen, daß etwas doch an unserer Furcht sei und der Vorschlag etwas enthalte, was das Selbstgefühl auf die Hinterbeine stellt. Unser Gedankengang ist dieser: Gesetzt, der Vorschlag werde höchsten Ortes begnehmiget und erhielte gesetzliche Kraft — so find alle Dikasterien1 dem Sachsen, als Sachsen, also uns, dem dritten Mitstande, als deutschem Mitstande, verschlossen. Eine Schlagbrücke ist aufgezogen, die nur für den sich niederläßt, der magyarisch spricht. Da wir nun aus einer deutschen Mutter geboren worden sind und es eine mißliche Sache wäre für uns sowohl und noch mehr für die armen Magyarinnen, wenn wir, wie ' Gerichtshöfe.

der einfältige Nikodemus meinte, in den Leib einer anderen Mutter umkehren sollten, um als Magyaren geboren zu werden, so bleibt uns nur diese Alternative: entweder allem Landesdienste zu entsagen oder magyarisch zu sprechen. Da wir ersteren nicht aufgeben wollen, müßten wir uns zum zweiten verstehen. Denn nach dem Landesgesetze schließt nur ein magyarischer Schlüssel die Türen zu Amt und Würden, zu Ehre und Einfluß, zu Einkommen und Brote auf. Bis ein Deutscher so gut magyarisch spricht wie ein geborener Magyare, braucht es wohl Zeit, Sprachtalent und viele Mühe. Bis ein Deutscher es so gut spricht wie ein geborener Magyare, hat er immer eine schwächere Konduite. Was dem Magyaren in der Geburt, so zu sagen, im Schlafe zu­ kömmt ----------diese Gabe muß sich der Deutsche mit saurer Mühe durch jahrelange Anstrengung erwerben und er­ kämpfen. Und um sich im Magyarischen zn vervollkommnen, muß er magyarische Gesellschaft ebenso fleißig aufsuchen als die Gesellschaft seiner Sprachgenossen meiden. Während aber der Deutsche alle Mühe und Zeit zur Erlernung und voll­ kommenen Einübung des Magyarischen aufwendet, bekömmt der Magyare in den übrigen Kenntnissen einen Vorsprung, auf die er sich mit ganzer, ungeteilter Kraft werfen kann. Hiedurch aber öffnet sich für den geborenen Magyaren ein zweiter Vorzug in der Anstellungsfähigkeit und Beförde­ rungswürdigkeit. Die Sachsen haben also durch dieses Sprachgesetz nicht nur die Schwierigkeit mit der fremden Sprache zu überwinden, sondern die Überwindung dieser Schwierig­ keit zieht ihnen auch eine Versäumnis und Verspätung in der Aneignung anderer Wissenschaften zu. So lange das Latein Geschäftssprache war, hatten Magyaren und Deutsche gleiche Schwierigkeiten. Beide hatten an der fremden Sprache einen Ballast in den Taschen, und wenn sie in gleicher Bahn und zum gleichen Ziele liefen, erschwerte eine gleiche Schwere ihren Lauf. Nun entlediget sich der Magyare des Lateins —

der Deutsche nicht minder. Aber statt -es Lateins bekommt er das Magyarische, d. h. statt eines halben Zentners, den er ablegt, bekommt er nun 50 Pfund. Daß ein solcher Wettlauf ungleich sei, und daß der Beschwerte eine schwerere Aufgabe habe, würde auch ein Thomas 1 glauben, wenn man ihm auch das Gewicht nicht in seine Tasche ließe, um den Lauf mit und ohne Gewicht zu vergleichen. Ich bin so geneigt zu glauben, daß es einigen Sachsen, selbst bei diesen erschwerenden Umständen, möglich sein werde, sich dazu zu bilden. Immerhin mag es ein solcher Sachse am besten wissen, wie sauer es ihm geworden ist und wie angestrengt er die Kinnladen aufeinander -rücken mußte, um diese harte Nuß zu knacken, daß er zum Kerne einer ehrenvollen Anstellung gelangte. Insonderheit muß er das als Fehler in seiner Standesbildung ansehen und er­ kennen, daß ihm das Magyarische darum so schwer ward, weil er etwas zu spät auf die Erlernung -es Magyarischen sich verlegte. Wollen also solche Beamten selbst oder andere Sachsen ihre Söhne in gleichen oder ähnlichen Diensten ver­ sorgen, da sie diesen ihren Unterhalt und Ansehen verdan­ ken, so werden sie diese Erfahrung benützen und den Fehler bei ihren Kindern zu vermeiden suchen, -er durch verspätete Erlernung des Magyarischen bei ihnen gemacht worden war. Solche Beamten oder überhaupt sächsische Eltern, welche ihre Söhne dem Landesdienste weihen wollen, müssen sich daher, als Bedingung des Glückes und der Beförderung ihrer Kin­ der die Aufgabe machen: diese sobald als möglich in die ungrische Sprache einzuführen. Zu diesem Behufe kommt eine magyarische Amme ins Haus, ein magyarisches Kindermädel plaudert dem jungen Papageien magyarische Wörter vor. Er plappert ungrische Gebete und sein Gedächtnis erhält ma­ gyarische Märchen zur Nahrung der Phantasie. Magyarische 1 Gemeint ist der ungläubige Thomas des Evangeliums. Aolberth, St. 2. Rotb. IV.

Knaben werden am meisten zu Gespielen ersehen. Diese be­ kommen Semmel, und verirrt sich ein deutscher Knabe ins Haus, so sieht man ihn nicht so gern und sucht seiner, bei häufigeren Besuchen, auf eine feine Art loszuwerden. Kurz, ehe das Bürschchen sich dieHöschen selber zuknöpfelt, ist er schon auf gutem Wege. Daß er in eine magyarische Schule geschickt wird, läßt sich leicht vorstellen. Um ja vorwärts zu kommen, bekömmt er, falls das sächsische Beutelchen es vermag, auch einen magyarischen Mentor ins Haus, -er die Lippen über­ wacht, -aß sie nicht ketzerisch sprechen. Selbst die Eltern auf­ erlegen sich die Pflicht, in Gegenwart ihrer Kinder nun ma­ gyarisch zu sprechen, nur -aß die Absicht vollkömmlich gelinge. Ja, ich kann mir die Freude solcher Eltern so lebhaft vor­ stellen, daß ich glaube, die hellen Freudentränen ihnen über die Backen laufen zu sehen, wenn -er Herr Sohn von einem angesehenen Manne das Lob einerntet, derselbe sei ein ganzer Magyare. Sehet, meine Herren Magyaren, dieses be­ wirket Euer Gesetz in den Herzen der Eltern. In der Über­ zeugung für das Glück ihrer Kinder zu sorgen, schlägt ihre Liebe von selbst den Weg der Magyarisierung ein. Doch wir sind noch nicht am Ende, sehen wir nun im schnel­ len überblick auf den weiteren Verlauf. Durch diese elter­ lichen Voranstalten wird dem Kinde die Erlernung -er ma­ gyarischen Sprache hundertmal leichter, als es dem Vater ward. Bei den Kindern dieses Kindes ist es vollends nur ein Spiel und keine Arbeit mehr. Wohlan, wirwollen sie mit Listen dämpfen, hat Erfolg! Es gibt deutsche Häuser, wo nicht mehr deutsch geredet wird. Der deutsche Nationalkörper verliert und -er magyarische gewinnt. Und nach den Gesetzen der Proposition1 gewinnen die Magyaren immer 2, wenn die Deutschen 1 einbüßen. Die Erfahrung ist schon oft und gerade in unseren höchsten deutschen Familien 1 Soll richtig „Proportion" heißen.

gemacht worden, daß der Enkel seines deutschen Großvaters Sprache nicht mehr sprechen kann, wiewohl er sie noch ver­ steht, daß aber der Überenkel auch das Verständnis verlernt und sein deutschgebliebenes Geschwisterenkel: Ebb adta Nemet1 schilt. — Auch darin steht der alte Baron Brukenthal einzig da, -er in sein Wappen den Wahlspruch stechen ließ: Fidem Genusque servabo!12 3 *

Diese Fälle erblicken wir für uns Nichtmagyaren in dem vorgeschlagenen Gesetze ausgestellt, kein Wunder, daß wir nicht hastig nach dem Köder langen. Wie schön daher auch die Ultra auf der magyarischen Wichtel8 locken und zirpen, wir Nichtmagyaren kennen die funkelnden Ruten und sitzen als Gimpel nicht auf. III.

Die Unnötigkeit der Magyarisierung und ihre Unvorteilhaftigkeit. Wehe denen, so ein HauS ans andere ziehen, und einen Acker zum andern bringen, biS daß kein Raum mehr da sei, daß sie allein daS Land be­ nützen. Jes. V. 8.

Wiewohl es nun sicher ist, daß die Einführung dieses Sprachgesetzes die allmähliche Magyarisierung der Mit­ nationen im Gefolge hat, so ist durch obige Beweisführung -och noch nicht ausgemacht, ob die Magyaren eine solche Ma­ gyarisierung -er übrigen Landesbewohner auch wirklich be­ absichtigen und im Schilde führen. Auch ist es mir unbe­ kannt, ob diese Absicht abgeleugnet oder eingestanden wird. Wo hätte ich es auch erfahren sollen? So was hängt man nicht jedem an die Nase. Selbst aus dem Haufen, der dafür 1 Hundsfötttschen Deutschen. 8 Glauben und Volk will Ich treu bleiben. 3 Zu verstehen: Wichtelpfetfe, -. i. eine Lockpfeife, die den Ton des Käuzchens nachahmt.

sich heiser schreit, mag nicht jeder wissen, wem und was es eigentlich gilt. Die wenigen Eingeweihten gehen, bei Durchsetzung eines Planes, nur zuversichtlich voran, wohl wissend, daß dem durchgeschleppten Leithammel die furcht­ samen Schafe auch durchs Wasser folgen. Die Annahme also, -aß die Monopolisierung des Magyarischen zur allgemeinen Geschäftssprache die Magyarisierung der übrigen Landes­ bewohner bezwecke, ist also meinerseits bis noch Vorurteil, Aberglauben, ja sogar Argwohn. Es kann auch nicht anders sein. Ich lese meinen „Siebenbürger Boten",' der ja, wie ich glaube, redliche Berichte über die Landtagsverhandlun­ gen enthält und was da nicht ausdrücklich stehet, ergänze ich mir aus der Zusammenstellung -er einzelnen Tatsachen. Die wirkliche Absicht, die eigentlichen Gedanken, aus denen dieser Vorschlag geboren worden ist, kann ich hiebei freilich nur erraten. Oben habe ich etwas von der Furcht der Schwindsucht geredet — auch das Russenfieber ist nicht ver­ schwiegen worden---------- vielleicht haben die Magyaren diesen Vorschlag bloß gemacht, umihrerSpra che mehr aufzuhelfen. So übel wäre es für ihre Sprache freilich nicht, wenn sie das ganze Land allein füllete und alle Lebensverhältnisse in ihr allein den Ausdruck und iure Ab­ bildung fänden. Je mehr eine Sprache in allen Verhältnissen des Daseins und Wirkens gebraucht wird: je mehr sie in alle Weisen des Verkehres und der Gewerbe eingreift: je mehr sie alle Arten menschlicher Gesellschaft durchdringt: je mehr sie sich über alle Gattungen von Verfassung und Abstufun­ gen der Stände ausdehnet und ausbreitet, um so mehr wird sie, nach Maßgabe der Gelegenheit, die vorhanden ist, mehr­ seitig oder vielseitig oder allseitig sich ausbilden. Hiezu ge­ hört 1. eine große geographische Ausdehnung und 2. auch eine große Bolksanzahl. Eine hinlängliche Ausdehnung an Raum ist der Sprache wohl gegeben. Ungerland ist groß 1 Zeitung, erschien in Hermannstadt 1792—1862.

genug, wenn auch nicht alles dazu geschlagen wird, was dem großen Matthias' Gold zu seinen Rabendukaten zuschoß. Dieser Länderstrich, den die Magyaren wirklich inne haben, besitzt die benötigte Mannigfaltigkeit zur Gestaltung eines verschiedenartigen Lebens: es hat schiffbare Ströme: Berge zu Triften, zur Anpflanzung von Reben: im Schoße der Erde ein mineralogisches Quodlibet: Seen und Sandwüsten, holzarme und holzreiche Gegenden. Diese Bedingungen einer mannigfaltigen Gestaltung der Lebensverhältnisse sind auch nicht ohne Einwirkung geblieben. Es wohnen in den ungrischen Räumen: Städter und Dörfler, Einsiedler und Nomaden, Herren und Knechte, Freie und Untertanen, Bauern und Handwerker, Arbeitsbienen und Drohnen, kurz — alle Stände. Diese Gelegenheit Sprache und Volksleben universell auszubilden, ist den Magyaren gegeben gewesen seit ihrer geschichtlichen Niederlassung in Europa und datiert sich nicht erst von heut oder gestern. Verlangt daher ein Sprachbaum zu seinem völligen Gedeihen Raum und guten Boden, siehe, ohne die Radhaue' erst anzuwenden hat der magyarische Sprachbaum Raum genug und eine günstige Lage. Wollen sie ihn umgraben, etwas düngen, die Raupen­ 2 — wer hindert nester fegen, die Wasserchaussee13 ausbrechen sie daran? Nur fanget nicht damit an, andere Sprachbäume auszuhauen, denn diese stehen euch nicht im Wege. Wendet euere Mühe, euere Zeit und eueren Fleiß nur an bei euerem Baum. Bedingungen einer vollkommenen Bil­ dung sind hinlänglich vorhanden, wenn auch verschiedene Völkerschaften noch im Lande wohnen. Das Leben des ma­ gyarischen Volkes, welches eine breite Unterlage genug hat, 1 Matthias I. Corvinus, König von Ungarn 1458—1490, eroberte Mähren, Schlesien, die Lausitz und Teile Österreichs. 2 Rodehacke, von roden, ausroden. 3 Offenbar ein Irrtum des Setzers der ersten Ausgabe. Soll richtig: die Wasserschosse heißen.

kann seine Sprache ganz durchdringen. Die anderen Völker beabsichtigen keine Störung in der Ausübung, Anwendung und Ausbildung derselben. Freilich ganz ungeniert sind sie nicht, so schrankenlos können sie sich nicht bewegen, als wenn sie die alleinigen Landesbewohner wären. Wer kann dafür, daß in diesem Erdely-Orszag1 zwischen der magyarischen Tanne eine Menge slawische Buchen und deutsche Eichen stehen. Die Weltverhältnisse, die der fromme Christ Vor­ sehung nennt, haben es so mit sich gebracht. Um so besser für's Ganze! Denn während die Tannen gutes Bauholz liefern, sind die Buchen gut zum kochen und braten und die Eichen zu Weinfässern und Pilotten? Diese mannigfachen Berührungen mit verschiedenen Völkern, solltesns diese etwa der Ausbildung einer Sprache nicht eher förderlich als hin­ derlich sein, und gehen etwa die Lebenserfahrungen dessen, mit dem wir Berkehr und Umgang haben, für uns spurlos vorüber ohne uns zu bereichern? Wäre es etwa ein Glück für ein Volk, wenn eine chinesische Mauer ein Volk umschlösse, -atz nur fremde Vögel über dieselbe, aber kein fremder Mensch durch dieselbe Verbindung mit der übrigen Welt unterhielte. — Wenn man aber einen Vorteil aus der Nach­ barschaft fremder Völker ziehen kann, warum sollte ein Ver­ kehr mit fremden Völkern in näherer Berührung schädlicher sein? Diese völkerschaftlichen Berührungen im Jnlande und Auslande bieten dem Magyarentum große Vorteile dar, die man nicht übersehen darf. Nehmen wir die Anwohner seiner Grenzen. Da ist -er lebensfrohe Österreicher, der zähne­ knirschende Pole, der faule Bewohner der glückseligen Wa­ lachei. Welche Anschauungen bieten diese dar, welche Be­ rührungspunkte reichen sie her! Welche chemische Amalga­ mierungen von Gefühlen und Begriffen, welche Verwand­ lungen und Austausche, Niederschläge, Läuterungen, Gä1 Siebenbürgen. 2 Französisch pilot, Grundpfahl, z. B. bet Brücken.

rungen und Produkte führet nicht die Mitwohnerschaft der Sachsen, der Walachen, des Juden, des Armeniers, des Zi­ geuners der Charakterbildung, -. h. der Nationalbildung des Magyaren dar! Denn Völker stehen in einem Staate im nämlichen Verkehr zueinander wie einzelne Individuen in einer Gesellschaft. Das Inland und das Ausland bietet, in seinen verschiedenen Charakteren, Lebensarten und Ver­ fassungen, tausend Seiten der Berührung dar und übet einen Reiz auf die Lebenstätigkeit aus, daß nur der Unver­ stand eine Isolierung nach außen und eine Monopolisierung im Innern wünschen kann. Die Magyarisierung, wenn sie ganz gelungen wäre, stellete einen gesättigten Körper dar, -er nichts mehr aufnehmen kann und auch nichts fahren läßt und bringt das Volk auf das Jsolierungstischchen mit gläser­ nen Füßen. Was reiche Leute bei einem geschulten jungen Manne durch Reisen ins Ausland erzwecken wollen, das ge­ währt dem Siebenbürger und Unger sein eigenes vielge­ staltetes Vaterland, das bunte Kammertuch seiner Be­ wohner. Der Landjunker muß, um sich zu bilden, sein gleich­ förmiges Leben unterbrechen, die gewohnten Gleise des All­ tagslebens verlassen und seinen Geist den störenden Ein­ flüssen fremder Geister aussetzen. Darum verläßt er sein untertäniges Dorf, wo er alle Leute kennt, wo er für alle dort geäußerten Einflüsse gesättigt ist. Eine andere Umge­ bung, eine andere Gesellschaft, verschiedene Leute schleifen und polieren dann den Lan-juwel. Wie ist -och die Sprache eines gereiseten und vielerfahrenen Mannes so reich und da­ gegen wie arm die Sprache eines Aschenbrödels, wie unbe­ hilflich, wie linkisch! Sobald über etwas mehr als Ochsen­ hörner und Maikäfer, Truthühner und den versoffenen Nach­ bar geredet werden soll, ziehen sie, wie Freitag im Robin­ son, aus Ungewohnheit, nicht aus Ungeschicklichkeit, die Güt­ chen 1 an die Arme und das Hemd an die Beine an. 1 Sächsisches Lehnwort aus dem Ungarischen» bedeutet Unterhosen.

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Der Sprachkampf

Ich halte daher — dies ist mein Bekenntnis — diese Sprachverschiedenheit in unserem lieben Baterlande für eine Begünstigung -es Himmels, für einen Vorteil für das ma­ gyarische Volk und für uns alle. Man sollte diese Verschie­ denheit herbeiwünschen, wäre sie nicht bereits auf dem Wege der Ereignisse faktisch vorhanden. Die Magyarisierung der Neben- und Mitvölker hat daher nicht Not, sie ist für den Charakter und Sprache der Magyaren, also für ihre Na­ tionalität, kein unumgängliches Bedürfnis wie Feuer und Wasser, und führt eher noch ein: Wehe denen usw. Jes. V, 8. mit sich. Suchen die Magyaren, wie einige sagen, in der Erhebung ihrer Sprache zur alleinigen Geschäftsführerin im Lande, was auch nur eine Hypothese ist, nicht sowohl die Magyarisierung eigentlich und an sich, sondern darinnen für ihre Na­ tionalität nur eine breitere und festere Basis des Lebens, so mögen sie, da extensive Mittel, Gelegenheit und Veran­ lassung genug vorhanden sind — hinfort lieber auf inten­ sive Benützung dieser gegebenen Mittel, Gelegenheiten und Veranlassung hinarbeiten. An dieser Benützung hindert sie keine Seele im Lande, keine Neben- und Mitnation wälzet ihrer Volkserziehung, der Entwicklung ihres Volkscharakters, der Vervollkommnung ihrer sozialen, kirchlichen usw. Ver­ hältnisse ein Sandkörnchen in den Weg. Selbst wenn der deutsche Mitstand mehr zugestanden erhielte als was er be­ gehret, da er doch noch weniger verlangt als wozu er ein Recht hat — bleibt dem magyarischen Adler Raum genug den Anlauf zu nehmen, seine Schwingen zu strecken, um sich aufzuschwingen und oben im Geisterreich wird doch Platz genug sein. Er tue es nur, er tue es in Gottes Namen! Der Deutsche hat Ursache sich darüber zu freuen. Denn Roheit ist ätzend, um sich fressend, Scheidewasser; Bildung: Wein und Ol des Samariters, Menschenliebe. Ich bin sicher, je mehr das Ebenbild Gottes durch christliche Weisheit und Liebe in

den Völkern hergestellt wird, desto mehr werden die Engel vom Himmel singen: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen! Mögen auch immerhin unsere zwei Nationen wie zwei Bäume durch das Flüßchen unserer Sprache getrennt sein, in der Höhe der Humanität küssen und umarmen sich die Zweige und Aste und neigen gegeneinander die Blüten und Düfte ihrer Wipfel wie Brautleute ihre Blumensträuße. IV. Die Sprachverwirrung oder der Turm zu Babel. Wohlauf, lasset unS herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe. 1. Moses XI, 7.

Ob die Sprache der Magyaren bereits so ausgebildet fei, um für alle Bedürfnisse -er -ermaligen Kultur auszureichen, weiß ich freilich am allerwenigsten. Soviel höre ich aber von klügeren und verständigeren Männern, -aß es -er magya­ rischen Sprache weder Schaden noch Schande gebracht hätte, wenn sie die alte lateinische Gouvernante, wenigstens eine Zeitlang noch, als Gesellschaftsfräulein beibehalten hätte, ehe man jene zur alleinigen und ausschließlichen Dol­ metscherin zwischen Thron und Land, Volk und Völker ge­ stellt hätte. Schande wäre es nicht. Denn an V o l l b l u t in der Lite­ ratur und Leben der jetzigen Völker ist nicht mehr zu denken. Wir alle haben von der Vorwelt geistiges Blut in unseren Adern: wir sind schon reich durch Erbschaft und Narren wären wir, die überkommenen Millionen auf die Seite zu schieben bloß aus dem Grunde, weil es nicht selbst erworbenes Vermögen wäre. Wozu mit dem Kreuzer den Anfang machen, so doch die Hinterlassenschaft der Vorwelt ein großes Kapital ausmacht, das reichere Zinsen trägt.

Christentum, Geschichte und klassisches Altertum haben das Blut aller neueren Völker durchdrungen und gemischt. Kein Volk auf Erden ist ein Original mehr, sondern wir gehen auf den bereits gebahnten Wegen nur weiter. Ehre genug für uns, wenn wir auf dem Grund nur weiter bauen und den Tempel des ewigen Jerusalems seiner Vollendung immer näher bringen. Der ganze Völkerzug der Menschheit hat am klassischen Altertum eine Magnetnadel, um des Weges nicht zu verfehlen. Denn klassisch ist ja eben das, was die Menschheit an humaner Bildung erlangt hat. Vom größten Volke lebt nur seine Humanität als gesegnetes Erb­ stück fort — die Nationalität, -. h. die Individualität eines Volkes fällt zu Boden wie das Individuellste in einem Volke, seine Individuen. Wir sollen zwar Magyaren, Deutsche, Italiener, Franzosen, Engländer usw. feilt, denn das eine Abstractum kann nur als Concretes, das Wesen nur als Form in -er Welt erscheinen. Aber obgleich die Huma­ nität nur als Nationalität erscheinen kann, so hat doch jede Nationalität zur Aufgabe, in die Humanität zurückzukehren und ich denke mir hiebei immer die sonst schwer verständ­ lichen Worte des Heilandes Joh. 3,13: „Niemand fähret gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder kommen ist." Die göttliche Vorsehung hat durch Kompaß, Presse und Pulver, wunderliche Herolde ihres Willens, einen Weltver­ kehr herbeigeführt und die Isolierung der Völker gesprengt. Die Altäre der Nationalgötzen sind umgestürzt und das Christentum schlingt als Liebe Gottes, die Fleisch geworden ist, ein versöhnendes Band des Friedens um aller Völker Herzen. Auch der Magyarengott -es Herrn Szentivani1 wird dem Heiland der Welt seine Nische räumen müssen. Es soll kein Partikularismus mehr auf Erden sein und kein Volk wächst mehr aus einer abgesonderten Wurzel. Alle Bildung 1 Vermutlich Szentivänyi Michael, 1813—1842, ungarischer Ab­ geordneter im 1834 er Landtag.

ist Gemeingut, Gut nicht eines Volkes, sondern der Menschheit. Darum hätten die Magyaren keine Schande da­ von, wenn sie sich auch noch eine Weile der vollkommenen lateinischen Sprache bedient hätten, bis die eigene Kraft sich mehr geübt, mehr erprobt und erwiesen hätte. Was wir ja an Latiums Sprache verehren und hochschätzen, ist eben das Gemeinsame aller Völker, das, was wir auch erstreben, das W e s e n in -er flüchtigen Gestalt eines Volkes, das, was int -er Nationalität das Bleibende ist, das Humane. Me Hastigkeit aber, mit -er im Magyarischen fremde Wör­ ter ausgemerzet werden, läßt gerechter Besorgnis Raum, es möchte zum Teil diese Unüberlegtheit -er Sprache selbst Schaden bringen. Die Emsigkeit, mit -er -er Armut der Sprache aus allen Winkeln der Dialekte zu Hilfe geeilt wird, läßt es wahrscheinlich werden, daß man das erreichen werde, daß alle Wörter magyarisch seien. Der Verkehr aber mit die­ sen Münzen alter und neuer Zeit, von verschiedenem Schrot und Korn, dürfte leicht darunter leiden, indem z. B. ein in Kurs gesetztes Münzkabinett viele Mißverständnisse erzeu­ gen müßte. Sprachbereicherung aus dem Schatze der Volks­ sprache ist eine löbliche, eine feine Sache. Die Sprachbereiche­ rung gehe aber aus einem Volksbedürfnisse hervor und nehme nicht sowohl durch das Lexikon den Weg in die Bücher der Schriftsteller, sondern umgekehrt, aus den Erzeugnissen des Talentes in das Magazin der Sprache. Dr. Martin Luther nahm unzählige Wörter aus dem Munde des Volkes in seine Übersetzung auf. Das Bedürfnis hieß ihn sammeln und der allgemeine Gebrauch erteilte das Bürgerrecht. Wenn aber einzelne magyarische Gelehrte ausstoßen und aufneh­ men, von keinem Volksbedürfnisse autorisiert, von keinem allgemeinen Gebrauche bestätigt, so wird zwar das Lexikon [uot] viele Wörter, aber die Sprache der Sprechenden doch nicht reicher werden, weil die Schriftsteller auf Gedanken aus-

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Der Sprachkamps

gehen und nicht auf Wörter Jagd machen werden und sollen. Ich will mich deutlicher machen. Niemandem kann das Recht abgesprochen werden, aus dem Munde des Volkes Wörter in die Büchersprache aufzu­ nehmen. Nur mutz das Talent des Schriftstellers dem Ein­ wanderer zur sicheren Empfehlung dienen. Bedienen sich dieses Rechtes viele mittelmäßige Köpfe in gleicher Zeit, so treten zu viele neue Wörter in Kurs. Ihre Menge ist ihrer Befreundung und Aufnahme hinderlich. Kommt eine Zahl Herren in eine Gesellschaft und jeder bedient sich geflissent­ lich seiner Provinzialausdrücke, so wird die allgemeine Ver­ ständlichkeit darunter leiden müssen, über eins und das an­ dere gibt der Zusammenhang, die Betonung die erforder­ lichen Aufschlüsse. Wenn sie aber so häufig wie Hagelkörner vom Himmel fallen, ist es unmöglich sie alle im Sinn zu be­ halten, unmöglich sie alle nur am gehörigen Orte, da sie nur einmal oder zweimal gehört worden, anzuwenden. Es muß eine Wort-, eine Begriffsverwirrung entstehen. — Diese zusammengerafften Wörter: edle und unedle, derbe und feine, poetische und prosaische usw. stehen nur dann am rechten Orte, wenn sie am geeigneten Orte stehen. Gebraucht man sie so, wie sie der Syllabus des Lexikons anbietet, so reiht man leicht Wörter aneinander, die so zueinander passen, wie eine Mistgabel auf die Toilette oder ein Schurz­ fell neben eine Spitzenhaube. Das lächerliche und erhabene, das schmutzige und das keusche Wort, das heilige und das profane, das ernste und das spaßige — wollen erkannt sein in ihrer Eigentümlichkeit, um in den besonderen Stilgattun­ gen gehörig angewendet zu werden. Provinzielle Wörter haben nun allerdings ihre feste Bedeutung, allein da die Aufnahme in der Eile einer Insurrektion geschieht, ist da an keine Feststellung des Begriffes zu denken. Daher entstehen Doppelbedeutung und Zweideutigkeit. Die Konturen des Sprachgemäldes sind nicht scharf, über die ganze Welt, in

wieweit sie in Büchern sich abspiegelt, ist ein Schleier gehan­ gen. In einem Zeitpunkte, wo das Magyarenvolk mit sich ins klare kommen will, wo keine vorhandene Literatur das Richteramt ausübet und Gelehrte nur Inseln im Weltmeere sind, können solche Wechselbälge, Wortchamäleons auf die Bildung der Sprache und durch die Sprache auf das Volk nur einen nachteiligen Ginfluß üben. Gefährlich für die magyarische Sprache ist schon dies über­ eilte Bestreben der Bereicherung, wenn auch durch Wörter aus ihrem eigenen Schoße. Beabsichtigen aber diese Gesetzes­ vorschläge eine Magyarisierung der Landesbewohner zu­ gunsten nicht sowohl ihrer Sprache allein, als auch ihres Volkes selbst, so können sie wohl dies nur mit Emporhal­ tung ihrer Eigentümlichkeit, ihrer magyarischen Nationalität wünschen. Daher ich mich um so höchlicher wundern muß, daß keiner ihrer Landsleute auf die weit größere Gefahr auf­ merksam macht, die eben aus diesem Bestreben für sie und ihre Sprache, für die Verwischung ihrer Eigentümlichkeit, erwächst. Ein fremdes Wort wollen sie nicht zwischen den ihrigen leiden, mit unerbittlicher Strenge scheiden sie es aus, aber sie tragen kein Bedenken fremde Völker in sich auf­ zunehmen. Sie ahnen nicht, daß die fremdartigen Elemente eines oder mehrerer Völker ihrer Originalität eher den Garaus als fremde Wörter machen. Es wird ihnen wie den Römern gehen. Die fremden Völker jener Zeiten ahmten, zum Teil gezwungen, zum Teil freiwillig, römische Sitte, Sprache und Verfassung, also das R ö m e r t u m, nach: aber von ihrer Eigentümlichkeit konnten sie sich nie ganz frei schälen und drückten daher der Sprache, den Sitten und der Verfassung der Römer auch ihren Stempel auf. So entstand die Zeit des Verfalles, die man, nach dem minderen Werte der Metalle, das goldene, silberne und eiserne Zeitalter nennt. Im goldenen war das Römertum rein: im silbernen überwog Rom noch die Barbarei: im eisernen blieb römische

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Der Lprachkampf

Kultur in der Minderheit, bis es verschwand. Sehen wir näher dieser historischen Chemie auf die Finger. Wir nehmen ein umgekehrtes Beispiel und ein Beispiel ganz aus der Nähe, die Walachen. Sie sind keine Römer oder sie heißen sich mit demselben Rechte Römer (Rumuni), mit dem ich mich in der Schweiz und Frankreich einen Österreicher nannte. Der Mensch nennt sich nämlich entweder nach seiner Heimat, seiner Nation oder nach seiner Regierung. Ein hiesiger Karlsburger, dem aber eine Kleinigkeit fehlt, die andere Männer haben, kann sich einen Siebenbürger — einen Juden — und zugleich einen Österreicher nennen. Die Wa­ lachen wußten, daß es keine Schande sei, von Römern über­ wunden worden zu sein und fühlten, daß -er Name eines römischen Untertanen bei Barbaren noch eine Ehrenemp­ fehlung war. Sie nannten sich also, jeweil, nach ihren Herren Römer, Rumuni, bis sie den Namen, der die Untertänigkeit anzeigt, für ihren Nationalnamen hielten. — Aber wozu führe ich dies an? Das will ich gleich sagen: Um an den Walachen zu zeigen, welche Gefahr es für die Originalität und Eigentümlichkeit zweier Völker hat, wenn sie sich en gros mischen und einander einverleiben. Die Römer teilten den Völkern an der Donau von ihrer Sprache mit, wie es der­ malen die Magyaren auch tun wollen. Das ist wahr: es er­ hielten die lateinischen Wörter eine größere geographische Ausdehnung hiedurch. Aber diese Völker behielten -och von ihrer ursprünglichen Sprache auch ein gut Teil bei. So ent­ stand, durch die Mischung -es Lateins und -er Ursprache der Donauanwohner, die walachische. Mag sich die Magyaromanie bei erstem Anschein damit täuschen und trösten, daß hiedurch den Donauvölkern doch das Latein aufgedrungen worden sei, also mehr Menschen als früher lateinisch redeten. Nur ein wenig! Die lateinischen Kolonisten, die ja ursprüng­ lich reines Latein geredet haben mögen, standen mit den­ selben Donaubewohnern, die das Latein verhunzten und

verpfuschten, in beständigem Verkehre wie etwa jetzt die Ma­ gyaren mit den Walachen, nahmen von diesen Völkern im Verlaufe der Zeit auch ihre Wörter, ihre Sitten an, ver­ schmolzen in ein Volk, d. h. wurden auch Walachen. Römer und Urvölker sind verschwunden und Walachen bedecken den Boden. Die Literatur also und das Volk der Lateiner ge­ wann hiedurch nicht nur nichts, sondern es verlor auch das, was bereits vorhanden war, eine Massa reines lateinisches Blut. Hier, an diesem nahen Volke, das zwischen uns wohnet, an den Walachen, können die Magyaromanen ein lehrreiches Beispiel sehen, -aß ihr Bestreben törigt und eitel sei. Die Römer konnten aus den Anwohnern der Donau wohl Römer (Rumuni) machen, d. h. Untertanen des römischen Reiches, aber keine Lateiner, Latini. So haben die Magyaren aus diesen freien Walachen auch Siebenbürger und Unger machen können, d. h. Untertanen der Herren von Siebenbür­ gen und Ungarn — aber mit dem Vorhaben, sie zu Ma­ gyaren zu machen, wird es nie und nimmer gehen. Es gehe denn auch das Magyarische mit in den Kauf und werde denn daraus ein neues Mischlingsvolk, eine neue Sprache. Eins hätte ich beinahe vergessen. Wenn die Römer an der Donau ein Land voll lateinredender Kolonisten auch ein­ büßten, so wimmelte noch die ganze Welt von hier und dort zerstreuten, anderen lateinredenden Kolonisten. Wenn aber die Magyaren in Ungarn und Siebenbürgen sich mit Sprache und fremdem Volke mischen, wo findet man dann mehr Ma­ gyaren, die durch Reinerhaltung ihrer Sprache dem Gcmengsel heraushelfen könnten? Nirgends! Auch den Rö­ mern half es nichts. Denn dasselbe, was jenen an der Donau begegnete, begegnete ihnen im ganzen Orbis terramm. Auf der lieben weiten Welt redet keine einzige Seele mehr Latein als Muttersprache. Wollen die Magyaromanen, dieser Weltlehre zum Trotze, ferner und demohnerachtet auf dem Vorhaben bestehen, die Mitbewohner des Landes zur An-

nähme der magyarischen Sprache zu nötigen, so mögen sie mir gefälligst vom Welttheater in die Werkstatt des ersten besten Seifensieders folgen. Dieser bedeute den Weltgeist. Er vereinigt Talg, Salz und Asche in einem Bottich. Lassen wir ihm etwas Zeit. Talg sei der Magyare, Salz der Deutsche und Asche der Slawe oder Walache. Der Kessel kocht, und mit dem angezündeten Spahn leuchtet bisweilen der Meister in die schäumenden Dämpfe. Ob alles zu Talg wird oder alles Salz oder lauter Asche? Nur Geduld! Der Meister gießt den Brei in die Lade!. Was ist daraus geworden? Weder dies, noch das, sondern — Seife — ein neues chemi­ sches Produkt — nicht Magyare, nicht Deutscher, nicht Wa­ lache, sondern eine Mischung. Darum lasset ab die Ziegeln zum Turme von Babel zu streichen. Ihr bauet ihn nicht. Der Herr wird hernieder­ fahren und euere Sprache verwirren. 1 Mos. XI, 7. V. Die römisch-katholische Kirche Verstehest du auch, was du liesest? Apostelgeschichte 8, 30.

Lateinisch wird zwar auch ferner in den magyarischen Schulen gelehrt werden, aber Latiums Musen haben hinfort sicherlich auf eine dünnere Jüngerschar zu rechnen. Ehedem sprach in Ungarn und Siebenbürgen jedermann Ciceros Sprache, wenn auch so gewässert, daß man es Küchenlatein nennen mochte. Demohnerachtet erhob sich aus diesem Patois so manches edle Reis der Poesie und Rhetorik, das seinen Gipfel wohl vor den klassischen Palmen neigen mochte, aber im modernen Europa nielleicht gleichen Wert vorfinden und die Vergleichung nicht scheuen durfte. Das Christentum, welches beim magyarischen Königsthrone Patenstelle ver­ trat, hat die lateinsprechenden Apostel, Künstler, Ritter usw.

«ingeführt. In her Kirche war das Missale Romanum und die Vulgata des Hieronymus,' in den Schulen Cicero, Virgilius und Horatius,' in den Rechtssälen Justinianus usw. Jedes Schulkind wußte Bescheid und Auskunft in latei­ nischer Sprache zu geben. Die diplomatische Sprache mit dem Auslande und im Umkreis der Karpathen war vor­ zugsweise, vielleicht sage ich nicht zu viel, auch ausschließlich das Latein. Mehrere Jahrhunderte von Stephan herab findet man alle juridischen Verhandlungen lateinisch ge­ schrieben. Da diese größtenteils von geistlichen Schreibern aufgesetzt sind, komme ich beinahe auf den Einsall, auch min­ der wichtige Dinge seien lateinisch verhandelt worden. Wenn dieses etwa früher nur bei vornehmerer Erziehung statt­ fand, so brachte es endlich Amos Comenius mit seinem Orbis pictus dahin, daß man mit dem Latein beinahe durchs ganze Land reisen konnte. Bürger und Bauern in jedem Krähwinkel und Eipeldau sprachen mit Fertigkeit die Sprache Roms. Dieser Unterricht in den Schulen und Ge­ brauch im Leben wirkte so nachhaltig auch auf die spätere Zeit, daß noch in meiner Kindheit mich als jungen Studen­ ten viele Bauern mit ihren lateinischen Anreden in Ver­ legenheit setzten. Bis auf Basedow' ward in allen Schulen Latein gelehrt, selbst die A B C - Bücher in deutschen Schulen hatten das Pater noster, Duae tabulae Mosis, das Credo, Gra­ tias usw. Mit diesem Manne trat in allen Ländern eine Reaktion gegen das Latein als tote und f ü r die Mutter­ sprachen als lebende ein. Allmählich ging es dem Latein, wie einem ausgebrannten Papierstreisen, wo ein Fünklein nach dem anderen zur Kirche hinausgeht, bis das letzte, als Küster, die Kirche verschließet. So sehen wir die lateinische Sprache, nach dem Sprachabschlusse des heurigen Landtages, ihres Dienstes in Gnaden entlassen, nachdem die erwachsene 1 Johann Bernhard Basedow, 1723—1790, Reformpädagog. S-lberth, St. L. R»th. IV.

Tochter schon seit längerer Zeit ihre leitende Hand los­ schüttelte und ein Hinlängliches getan zu haben wähnet, wenn sie ihr das Zeugnis bisher treuerfüllter Pflicht erteilt. Durch das Latein hing bisher das Altertum und die Neu­ zeit zusammen. Durch diese Gesetzesvorschläge schneidet man beide wie mit einer Schere voneinander. Der katholische Priester, -er mit der Welt ehedem schon nur in loser Ver­ bindung stand, wird durch Abolierung des Lateins zu einem Insulaner. Der römische Meßpriester vor 300 Jahren, ver­ richtete er gleich sein Amt in lateinischer Sprache, ward doch von jedermann v e r st a n - e n. War gleich das lateinische Volk ausgestorben, seine Sprache lebte verstanden und ge­ sprochen unter den Magyaren. Auf die Religionserkenntnis der Protestanten hat das Verlassen -er lateinischen Sprache keinen nachteiligen Ein­ fluß, denn die Reformation führte in den Gottesdienst die Muttersprache ein. Jeder bekam die Bibelübersetzung in die Hand und die aufkeimende Reformation konnte sich nur da­ durch befestigen, daß sie die Finger auf die schlagenden Bibelstellen legte und sagte: Siehe, so spricht Gottes Wort! Ließ daher auch der Protestantismus ein Antikes (das Latein) fahren, so öffnete sich ihm dafür durch die Bibel­ übersetzung ein anderes Altertum, hebräische Einfalt und griechischer Tiefsinn. Die von der Zeit bedungenen Kon­ troverspredigten schlugen die Brücke der Andacht über den scholastischen Graben aus der modernen Begriffs- und Ver­ standeswelt in die orientalischen Anschauungen und Verkör­ perungen. Die nämlichen Kanzelreden kamen der rohen Muttersprache sehr zustatten. Wenn auch der gemeine Mann seine Muttersprache in keinen Büchern las, so hörte er wenigstens an Sonn- und Festtagen die werten Töne in der Kirche erklingen. Die Prediger gaben sich hiebei Mühe, in gewählteren Ausdrücken zu reden und befleißigten sich fei­ nerer Wendungen als im gemeinen Leben. Sie haben daher

auf -ie Denk- und Gefühlsweise, wie nicht minder auf die Ausbildung und Veredlung der Sprache einen großen Ein­ fluß ausgeübt und haben auf die Dankbarkeit aller Ma­ gyaren, um der Sprache willen schon, den gegründetsten Anspruch. Kaum konnte irgend etwas dem katholischen Ritus eine tötlichere Wunde als dieses Sprachgesetz schlagen. So lange das Latein, in dem dieser Gottesdienst gehalten werden muß, von den Laien verstanden ward, war der katho­ lische Ritus mehr als der protestantische ein lebendiger Ver­ kehr zwischen Volk und Priester, so wie er es noch jetzt für denjenigen ist, der diese Sprache versteht. Selbst dem, der nicht lateinisch geschult worden, dienten die in der Volks­ sprache erhaltenen vielen Brocken von Latein zu einer Krücke. Einzelne Worte verstand man, die anderen erriet man aus dem Zusammenhang. Durch die Ausstoßung aller lateinischen Wörter entzieht man dem armen Laien auch diesen Notbehelf. Noch verstehen die älteren katholischen Christen wenigstens einen Teil davon, was der Priester am Altar singt oder, bei anderen gottesdienstlichen Hand­ lungen, spricht. Ehe ein Menschenalter vergeht, wird es dahin bei der unermeßlichen Menge der Ungelehrten gekommen sein, daß sie nichts davon verstehen werden. Es sind zwar Worte voller Sinn und Salbung, aber für sie haben sie keinen Sinn. Der arme Laie muß selbst den Sinn hinein­ legen. Die Worte des Ritus bringen nicht, wie es doch sein sollte und bisher geschah, in den Gläubigen Leben, sondern der Gläubige belebet die Worte. Der Priester könnte eben­ sogut lateinisch das Einmaleins beten. Der Gläubige sieht Verbeugungen, Wendungen, aber wozu diese äußerlichen Geberden gemacht werden, was sie bedeuten, ist ihm oin Rätsel. Die sinnvollen Begleitungen der Worte mit dem Körper als äußerer Abdruck und mimische Darstellung des in der Sprache enthaltenen Gottesgefühles sind ihm Schalen,

Hülsen geworden. Denn die Worte, als Dolmetscher des innern, unsichtbaren Gefühles, versteht er nicht. Jetzt erst wird die lateinische Sprache für die katholische Kirche der Magyaren eine völlig tote. So stellt denn ein in Ungarn schon zum Gesetz erhobener Landtagsabschluß und ein in Siebenbürgen noch nur in Vorschlag gebrachtes Gesetz die römisch-katholische Kirche auf den bedenklichen Scheideweg: entweder beim befohlenen aber unverstandenen Latein zu verbleiben oder aber zur verbotenen aber verständlichen Muttersprache zu greifen. Wie war es möglich, daß die katholischen Bischöfe Ungarns so willig ihre bejahende Stimme zu einem Abschlüsse gaben, der ihren Gläubigen das Verständnis ihres Gottesdienstes verschließet. Wenigstens dermalen war in ihnen der Ma­ gyar besser als der Bischof! — VI. Panslawismus oder Walachen und Adel. Denn sie säen Wind und werden Ungewitter einernten. Hosea VIII., 7.

Die Herren auf dem Landtage in Klausenburg mögen eine Kanzleisprache gebäret haben und sich nun freuen, daß das Kind zur Welt gebracht ist---------- eine Sprache zur Landessprache zu erklären hat nicht Not. Denn eine Lan­ dessprache haben wir schon. Es ist nicht die deutsche, aber auch nicht die magyarische, sondern die walachische! Mö­ gen wir ständische Nationen uns stellen und gebärden wie wir wollen, es ist nun einmal so und nicht anders. Pst, pst! sagt man und zupft mich am Ärmel: Einfältiger Kerl, so etwas sagt man ja nicht! — Diesen Ehrentitel mag ich viel­ leicht verdienen, auch um meiner anderen Streiche willen, aber hier gerade, scheint mir, belohnte man mich über Ver­ dienst. Denn ich und du und er, wir, ihr, sie, alle haben diese Überzeugung. Wenn man von einer allgemeinen

Sprache des Landes redet, glauben wir, daß damit keine an­ dere gemeint sein könne als die walachische. Umsonst stecket der gejagte Strauß seinen Kopf in den Strauch, der Meinung, weil er nicht sehe, würde auch er nicht gesehen. Umsonst, meine ich, sagt man so etwas nicht: wenn mans auch nicht sagt, ist es deswegen -och. Lieber gesagt und darüber ge­ dacht, als nicht gesagt und nicht gedacht. Es ist diese Tat­ sache nicht zu leugnen. Sobald zwei verschiedene Nations­ genossen zusammenkommen, die ihre Sprache nicht können, ist gleich das Walachische als dritter Mann zum Dolmetschen da. Man mache eine Reise, man begebe sich auf einen Jahr­ markt. Walachisch kann jedermann. Ehe man den Versuch macht, ob dieser deutsch oder jener magyarisch kann, beginnt die Unterredung in walachischer Sprache. Mit dem Walachen kann man ohnedem nicht anders reden, denn gewöhnlich redet er einzig die seinige. Das kommt daher: um magya­ risch oder deutsch zu lernen, bedarf man des Unterrichtes und der Schule, walachisch lernt man auf -er Gasse, im täg­ lichen Verkehr, von selbst. Die Leichtigkeit ihrer Erlernung beruht nicht nur in der großen Menge lateinischer Wörter, welche dieses Mischlingsvolk durch die Verschmelzung mit römischen Kolonisten in sich aufnahm und welche uns Sie­ benbürgern bei unserer bisherigen lateinischen Erziehung von selbst verständlich sind — sondern das Leben selbst bringt uns alle Tage in Verkehr mit diesem zahlreichen Volke, welches beinahe die Hälfte der gesamten Bevölkerung bildet. Heute bleibt ein Wort hängen, morgen das andere und nach einiger Zeit bemerkt man, daß man walachisch kann, ohne es eigentlich gelernt zu haben. Würde es einem aber auch nicht so leicht, so empfiehlt deren Erlernung ein tausendfältiges Bedürfnis. Will man mit einem Walachen reden, so muß man sich zu seiner Sprache bequemen oder man halte sich gefaßt auf sein achselzuckendes: Nu gtiu!'

1 Rumänisch — ich weiß nicht.

Hätte ich die Populationstabellen1 zur Hand, die im Kabi­ nette liegen, so wüßte ich die Verhältnisse der Landesbe­ wohner genauer anzugeben, so aber denke ich mir, nur ohngefähr in runden Zahlen, folgendermaßen die Bevölkerung des Landes: Uuger, eigentlich Magyaren . . 400.000 Szekler . ................................... 300.000 Sachsen ........................................ 300.000 Walachen....................................... 900.000 übrige Völker ........................... 100.000 2,000.000

Etwas drüber, etwas drunter. Hier an diesem Orte kommt es nicht auf große Genauigkeit an. Diese Ziffern geben hinlänglichen Aufschluß über meine Behauptung, daß die Sprache der Walachen die eigentliche Landessprache sei.2 3 Wären nun die Walachen, welche ursprünglich Slawen2 sind, insgeheim Anhänger des mächtigen slawischen Kaiser­ reiches, worauf die Magyaromanen mit ihrem Panslawis­ mus verdächtigend hinweisen, so wäre das freilich eine miß­ liche Sache. Denn Pharao sagte: Wo sich ein Krieg erhöbe, 1 Laut E. A. Bielz „Handbuch der Landeskunde Siebenbürgens", Hermannstadt 1857, S. 147, wurden von den Jahren 1835 bis 1839 durch die einzelnen Jurisdiktionen Populationstabellen der Lan­ desbuchhaltung eingesendet, aus denen diese einen Bevölkerungs­ ausweis zusammenstellte. 2 Eine halbwegs zuverlässige Volkszählung fand in Siebenbürgen erst 1650 statt. Laut Bielz (ebenda S. 160) mit folgendem Ergebnis: Walachen...................................... 1,227.276 Ungarn und Szekler................... 536.011 Deutsche (samt Sachsen) .... 192.482 Übrige Völker............................ 106,610 2,062.379 3 Nach neuerer Auffassung haben die Rumänen wohl auch sla­ wisches Blut in ihren Adern, gelten aber keineswegs als Ab­ kömmlinge der slawischen Völkerfamtlie.

würden sie sich zu unseren Feinden schlagen und wider uns streiten, 2 Mos. 1, 10. Ehe man aber dieserwegen Besorg­ nisse empfindet und Maßregeln ergreift, muß doch zuvor ausgemacht sein: 1. Die Absicht des auswärtigen Slawenreiches, alle Länder, wo Slawen wohnen, als Bekleidung des Stammkernes an sich zu ziehen. 2. Die Neigung der österreichischen Slawen, den beste­ henden Verband zu lösen und eine neue Verbindung einzugehen. Eine wachsame Politik kann sich ja immerhin diese Fälle als mögliche vorstellen, um nicht überrascht und dadurch außer Fassung gebracht zu werden. Hat man doch die kluge Vorsicht, die Feuerspritzen in Bereitschaft und in bestem Stande zu erhalten, bevor die Flamme ausschlägt. Dies also auch zugegeben — hat man doch noch nicht not, dermalen schon Feuer! Feuer! durch die Täler des Landes zu schreien. Abgesehen davon, daß ein Verdacht, wie er im Panslawis­ mus erhoben worden, eine Beleidigung gegen eine befreun­ dete Macht ist, die sich wenigstens jetzt auf dem Boden der ehrbarsten Rechtlichkeit befindet, abgesehen davon, daß eine solche Berschwärzung mehrerer Millionen im Kaiserstaate eine unverantwortliche Gehässigkeit ist,- so muß doch jeder es einsehen, daß eine solche Verdächtigung nach innen und außen keine Beschwörung enthält, die auswärtigen Absich­ ten und inländischen Wünsche, wenn sie bestehen, zu ver­ nichten. Wir fürchten uns vor den Natterbissen, aber da­ durch, -aß wir es sagen, bleiben die Giftzähne im Rachen noch unversehrt stecken und werden durch dies Geständnis nicht ausgerissen! — Äußerungen der Furcht sind aber auch Geständnisse der Schwäche, des Mangels an Vertrauen in die eigene Kraft. Äußerungen der Furcht sind Einladungen für den Beschuldigten zu Versuchen, zu Benützungen der

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Der Sprach kämpf

eingestandenen Schwäche. Statt also die Rechtlichkeit der Nachbarn in beleidigenden Zweifel zu ziehen,- statt auf bloßen Verdacht Mituntertanen der Verräterei zu bezüchtigen und zugleich dem Gefürchteten über seine Furchtbar­ keit die Augen aufzutun,- statt sich durch Äußerungen der Furcht als Schwächling oder Feigling an den Pranger zu stellen---------- hätten die Magyaromanen besser getan, vor ihrer Tür zu kehren, zu schweigen und diese Sorge der Re­ gierung zu überlassen, deren tausend Augen nie alle schlum­ mern, noch schlafen. Ist nun aber einmal das Ungebührliche geschehen und haben einmal nun die Magyaromanen dieses unüberlegte Gerede in Umlauf gesetzt, so ist es beinahe zu einer öffent­ lichen Pflicht geworden, diesem nebelhaften Ungetüme ein klares Bewußtsein zum Begleiter zu geben. Hiebei kann keine Rede von Widerlegungen sein, sonst könnte es heißen: qui s'excuse, s’accuse;1 vielmehr dürfte es eine ehrenvollere Aufgabe sein, auf die Mittel einer präventionellen Politik be­ dacht zu sein, um, wenn ein Miasma12 in der Luft ist, der An­ steckung oder dem Ausbruch der Krankheit selbst vorzubeugen. Wenn es ja einmal zur Entscheidung kommt, wem die Slawen gehören sollen, so wird dieser große Kampf an den Donaumündungen eröffnet werden. Hier ist der Fleck, wo der Norden und Westen ernstlich aufeinander stoßen werden. Deutschland wird seine Interessen bewahren, Rußland seine Sympathien benutzen. Germanen kämpfen da um ihre Exi­ stenz — die Slawen um die Oberherrlichkeit der europäischen Welt. Selbst Konstantinopel fällt nur, wenn zuvor eine russische Kette die Ausmündung der Donau versperret. An den Ufervölkern der Donau findet Rußland seine Glau­ bens-, seine Stammesgenossen — Millionen, die der Er­ lösung, der Aufrichtung des neuen Reiches warten. Sind 1 Wer sich entschuldigt, klagt sich an. 2 Griechisch: Verunreinigung.

die Siebenbürger Walachen auch nicht den Russen als solchen zugetan, so sind sie -och gewohnt, in der Walachei ihre eigentliche Heimat zu ehren. Richtet sich daher die Magnet­ nadel ihres Herzens auch nicht nach Rußland, so weist die Spitze doch immer in die Zara, ins Land, in die Walachei, das unseren Walachen, trotz der früheren Gesetzlosigkeit, jetzt wie früher für ein Kanaan gilt, wo Milch und Honig fließen. Will man nun unsere Walachen von Rußland abziehen, auf das sie nur das Gerede der Magyaromanen aufmerksam ge­ macht hat, so ist wohl die nächste Aufgabe, sie von der Walachei zu entfremden. Es wäre also diese Frage politisch zu lösen: wie entfremdet man den Walachen dem Walachen? Im allge­ meinen könnte darauf keine befriedigendere Antwort gege­ ben werden als: man trenne sie durch Verschiedenheit -er Religion — der Sprache — und des Interesses. Letzteres, nämlich das Interesse, halte ich für das geeignetste und ein­ zige Mittel, auf die anderen zwei lege ich kein besonderes Gewicht. Doch wollen wir sehen! Die R e l i g i o n ist schon seit längerer Zeit in der Arbeit, die Magyaromanen wollen ihr Glück mit der Sprache versuchen. Das Wort für die Interessen führen diese Zeilen in bescheidener Rückhaltung. Die Religion der Walachen in beiden Ländern ist zwar die christliche. Wären die auswärtigen Slawen und Walachen Nichtchristen, so würde das Christentum die walachischen Christen unseres Landes von den nichtchristlichen Slawen und Walachen des Auslandes abziehen. Die christliche Kirche bildete den Anziehungs- und Abstoßungspunkt. Nun aber die auswärtigen Slawen und Walachen ebenfalls Christels wie die zu Hause sind, so geschehen zwei entgegengesetzte An­ ziehungen, nach innen und außen, gleichmäßig,- es bleiben also unsere Walachen in der Mitte unbewegt. Die Konfession macht aber einen Unterschied. Gleichwie der Mensch, dem Wesen nach, nur einer ist, in der Form der

Erscheinung aber sich nationell verschieden gestaltet, so hat das Christentum auch seine ideelle Einheit im Wesen, seine Erscheinung in der Äußerlichkeit aber wird zugleich eine Mehrheit zu verschiedenen Konfessionen. Diese verschie­ denen Christenparteien hängen zwar alle als Glieder -es Christentums zusammen in der Einheit ihres Wesens, in Christo, nicht anders als die verschiedenen Nationen wie Glieder am Leibe der Menschheit mit den ersten leib­ lichen Menschen (Adam = Mensch) zusammenhängen. So wie nun die Nationen oft über ihrer Nationalität das Ge­ meinsame der Humanität aus den Augen setzen, so heften auch die verschiedenen Konfessionen mit übersehung ihrer gemeinsamen Wesenheit ihre Blicke oft starr und stier nur auf das Besondere ihrer Konfession. Wie nun der Mensch an sich nur ein Gedanke ist, der nirgends oder eigentlich überall zu finden ist, indem der unsichtbare M e n s ch, um zu erscheinen, in der Form eines Engländers, Deutschen, Fran­ zosen usw. auftreten muß—ebenso mutz das unsichtbare Chri­ stentum, um in der Welt als Tatsache, als Kirche sich zu offen­ baren, in der Form einer Konfession sich gestaltet darstellen. Der Kosmopolit ehret in jeder Nation das Menschenge­ schlecht, im besonderen das Allgemeine. Das Gegenteil tut der Ultranationalismus, über die Form seiner Nationalität geht ihm nichts, sie ist ihm alles. Der echte Christ gibt jedem Christen den Bruderkuß, denn er erkennt in jeder Kon­ fession eine allgemeine Grundlage, das Christentum. Der Ultrakonfessiionist sieht in einer anderen Besonderheit nur den Nebenbuhler, den er haßt. Den Christen hat er aus den Augen verloren: sein Konfessionsverwandter ist ihm alles, der Christ der liebe Niemand. Diese große Wahrheit, wie langweilig sie auch sei, ist der Schlüssel zu allen Volks- und Religionssympathien. Das Verwandte zieht sich an und stößt das Fremde ab. Europäer, die sich hier fremd sind, schütteln sich in Asien, zwischen Nicht-

europäern, freudetrunken die Hand. Sie erkennen das Ge­ meinsame. Galt es gegen die Türken, so beseelte alle Chri­ sten der Gedanke an ihr gemeinsames Haupt. Alle Konsessionseitelkeit verbleichte, ein Sternenlicht vor dem Glanz der Sonne des Christentums. Entfernte sich der Halbmond im Staub der fliehenden Rosse, so kehrten sich die jüngst ver­ einigten Christen den Rücken oder, wenn die Gemeinsamkeit sich aus dem Bewußtsein ganz verlor, standen sie sich wohl mit den Gesichtern gegenüber, aber Faust gegen Faust. Wel­ ches der höhere Standpunkt sei, brauche ich nicht zu sagen. Es versteht sich von selbst. Wollen wir nun den Walachen aus seiner besonderen Kon­ fession heraustreiben, ihm eine andere eingeben, um die ver­ lassene anzufeinden, so stellen wir ihn auf keine christlich höhere Stufe, sondern der Konsessionshaß, der bisher von a nach b ging, soll nun hinfort von b nach a wirken. Denn es ist ja bekannt, daß sich die beiden katholischen Kirchen des Morgen- und Abendlandes wenig vertragen und sich alles übel auslegen. Diese erwiesene Antipathie soll nun zum politischen Hebel dienen. Gelänge es, die Walachen zu römisch-katholischen Christen zu machen, so verspricht sich die Politik, es würde der Walach im Russen den morgenlän­ dischen Christen hassen. Der Walache verlöre nichts, denn er träte aus einer katholischen Kirche in die andere über. Frei­ lich müßte alsdann der Glaubenswechsel nicht auf der Ober­ fläche, sondern im Innern liegen auf der Überzeugung des Besseren, der Schritt müßte eine Frucht der Wahrheit sein. Es dürfte dann die Ansicht Kä tot una!1 nicht geduldet wer­ den, sonst hat man den Zweck nicht erreicht. Die angenom­ mene neue Kirchenlehre erzeugt ja keine Antipathie: ist es alles eins, römisch oder griechisch, so ist nichts gewonnen, 1 ES ist gleich. — Alle rumänischen Ausdrücke werden hier so wiedergegeben, wie Roth sie schrieb, nicht wie sie heute geschrieben werben.

nämlich für den Staatszweck. Sieht -er konvertierte Walach auch nach seinem übertritt den Religionswechsel als eine gleichgeltende Sache an, so übersetzt sich das walachische Sprichwort: Kä tot una! ohngefähr also: Ich bleibe meinem Glauben treu, wenn ich auch einige Dinge dermalen be­ kenne, die mir in meiner Lage nützlich sind und an sich gleichviel gelten. Als solche gleichgeltende Sachen erscheint ihm eine Vermehrung seiner Heiligen, denn die alten behält er bei. Ebenso macht ihm die Angelobung -er Glaubenstreue an den Papst als conditio, sine qua non kein Herzklopfen: denn er ist schon gewöhnt, in Religionssachen die Entschei­ dung über wahr und falsch aus dem Munde seines Popen sonder Zweifel zu erwarten, den er, sei er auch der letzte seines Sprengels» Sfintzia sa, „Seine Heiligkeit" nennt. Bei solcher kindlichen Hingebung in die Unfehlbarkeit seines Dorfpfarrers ist sein Glaubensbekenntnis an die höchste entscheidende Glaubensstelle des Papstes kein Merkmal sei­ ner römisch-christlichen Gesinnung, keine Bürgschaft seiner abendländischen Gesinnung. Der übertritt ist noch nicht vollkommen, denn der übertretende steht noch immer im Wahne, in seiner Kirche zu sein. So lange aber dieser Wahn nicht gehoben ist, hat der Staat mit seiner Politik keinen Fuß vor den anderen getan. Ist aber ein Widerwillen zwischen morgenländischer un­ abendländischer Kirche, wie doch diejenigen anzunehmen scheinen, die auf diesen Widerwillen als Mittel der Ent­ fernung ihre Politik bauen, so ist nun die andere Frage bei der Hand: wie überwindet man behufs des Übertrittes diesen Widerwillen? — Nicht anders als durch innere oder äußere Vorteile, die mit dem übertritt verbunden wer­ den. Innere Vorteile find: die Überzeugung der Vorzüge, des größeren Anteils am Wesen des Christentumes, am all­ gemein Christlichen. Das ist ein langer, ein steiler Weg! Für die Beurteilung fehlet dem Walachen die Vorschule der

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Erkenntnis. Offenere Augen hat er für äußere, irdische Vor­ teile. Diese begreift er, diese ergreift er leicht. Will man Körper in der toten Natur aus ihrer Zusammensetzung in die Bestandteile zerlegen, so bringen die Chemiker einen an­ deren Stoff in Berührung, der mit dem einen Teil mehr Verwandtschaft hat als die zusammengesetzten Körper zu ihrer Zusammensetzung. Hiedurch läßt der eine Teil seinen bisherigen Kameraden fahren und schließt mit dem darge­ botenen eine neue Verbindung. So wirken auch die Nei­ gungen auf die Seele. Es muß des Walachen Neigung zu seiner Kirche, mit der er in Verbindung steht, von ihm durch eine größere Neigung losgemacht werden, damit seine Seele eine neue Verbindung eingehe. Eine solche größere Neigung, die größte, die der Mensch hat, ist das Interesse, die Eigenliebe, -er Vorteil. Diese werden die Anhänglichkeit auf­ heben und eine Verbindung mit dem Angebote eingehen. Der Vorteil wird das alte Bündnis lösen, das neue schließen, d. h. der Vorteil, das Interesse wird den Walachen von seiner alten Kirche scheiden und eben der dargebotene Vor­ teil ihn mit der neuen Kirche verbinden. Eigentlich aber geht nur ein Bündnis mit dem Vorteile und nicht mit der römi­ schen Kirche vor sich. Daher eine noch größere Befriedigung der Eigenliebe wieder imstande wäre, das eben jetzt ge­ schlossene Bündnis aufzuheben und eine neue Verbindung einzugehen. Venalem certe urbem, sagte Jugurtha, emtorem modo si invenerit!1

Wie sehr ich die Zwecke der Aufklärung durch die Union2 für erreichbar und darum auch für wünschenswert halte, so wenig verspreche ich mir durch sie eine Förderung des poli­ tischen Zweckes, der ja ohnedem nicht im eigentlichen Plane 1 Lautet richtig: Urbem venalem et mature perituram, si emptorem invenerit! O käufliche und bald dem Untergang geweihte Stadt, sobald sie nur einen Käufer findet! Sali. Jug. 35, 10. 2 Durch die Union der griechischen Kirche mit Rom.

-er Union liegen kann. Denn -er Religionswechsel soll eine verdächtige Anhänglichkeit an den Kaiserthron in Wien zu einer sicheren und zuverlässigen machen. Das ist ja die poli­ tische Seite! Der beim Wechsel mitbekommene Widerwillen gegen Verbindungen mit griechisch-katholischen Christen soll ihn in der Anfechtung und Verlockung stark machen, daß er die schuldige Treue bewähre. Da man dies erreichen will, so wäre vor allen Dingen not, seine Gewissenhaftig­ keit empfindlich wie eine Dukatenwage und unerschütter­ lich wie der Surul1 zu machen. Die Ehrenhaftigkeit der Sprüchwörter: ein Mann, ein Mann — ein Wort, ein Wort: die Gottesvergessenheit des Meineides: daß Untertanentreue Gottes Wille sei — müßte ihm nicht als äußerliches Gebot erscheinen, es müßte nicht als historische Wahrheit im Ge­ dächtniskasten liegen, sondern das Mark seines Lebens, der Odem seiner Seele, das Blut seines Herzens sein! Da ist also die Aufnahme durch die größte Feierlichkeit wichtig zu machen, der Übertritt aus Leichtsinn, aus Furcht vor einer Strafe zu verweigern. Denn kann der Staat auf den bauen, auf dessen Treue sich verlassen, der in leichtsinniger Untreue seine Treue anbietet? Welche Bürgschaft hat der Thron? Werden die, die eine Kirche aus Treulosigkeit ver­ lassen, ihre Treue dem Throne besser behalten? Ist nicht die Kirche etwas Heiligeres und Größeres denn der Staat? Wird etwa der die für kleiner angesehene Sünde, den Staatsherrn zu wechseln, scheuen, der vor der größer ge­ achteten nicht zurückbebt, im Mutwillen aus einer Kirche in die andere überzutreten? Will man den Walachen, ohne etwas mehr in dem Kauf zu bekommen als Treue für den Thron, mit größter Sicher­ heit dem Panslawismus entziehen und sein Herz mit dem Munde obendrein für den österreichischen Staat, das Vater1 Ein langgestreckter Bergrücken in den siebenbürgtschen Süd­ karpathen.

land gewinnen, so biete man ihm, nach meiner Ansicht, Be­ friedigung seiner Notdurft, Achtung seiner Menschenwürde, Ehrfurcht seinem Christentume, selbständigen Haushalt, Mit­ tel -er Erziehung usw., mit einem Worte: Befriedi­ gung seiner Inte ressen. Denn diese binden und diese trennen. Hoffnungen diesseits befriedigt, haben nichts vom Jenseits zu hoffen. Die heimische Regierung sättige den Hunger und Durst dieses Volkes, -aß es sich nicht -er zukünftigen zu getrösten brauche. Speise -er Gerechtig­ keit brauchen sie und den erquickenden Trank menschlicher Behandlung. Durch Wohltaten fesselt sie ans Land und an euch: gebt ihnen, daß sie durch Krieg etwas zu verlieren, durch Einfälle einzubüßen haben. Gebet ihnen alles, was Recht und Billigkeit verlangt, daß sie nichts mehr zu be­ gehren haben, wenn die Fremden sich zeigen. Der Fremde wird versprechen, er wir- geben,' aber von dem eueren wird ers nehmen und ihnen geben. Jetzt wird -er Empfänger Dank im Herzen empfinden, dann erhaltet ihr die Schaden­ freude und das Hohngelächter. Sind die Interessen befrie­ diget, werden sie sich zur Ruhe legen und satt den Frieden suchen. Der Walache wird sich dann nicht auf die Fußzehen stellen und sehen, ob die Erlöser noch weit sind und nicht die Ohren spitzen, ob nicht mit -er Sprache des Fremden die Fahne -er Hoffnung einherzieht. An euch magyarischen Edelleuten ist es, die walachischen Untertanen zu begü­ tigen, zu befriedigen, durch Liebe Liebe zu gewinnen, durch Vertrauen Kindesliebe zu erzeugen. Wehret ab künftige Missetaten durch jetzige Wohltaten, besänftiget sie durch Sanftmut, machet sie dem Lande eigen durch Eigentum! Gabe und Zugeständnis sei ein Kind -es freien Willens, ohne saures Gesicht aus offener Hand gereicht. Eine solche Gabe ehret den Geber und auferleget dem Empfänger die Verpflichtung, das Rückständige in Geduld zu erwarten. Was ertrotzt worden ist, was mit unwilliger, furchtsamer

Hand gereicht wird, reizt zu neuen, unverschämteren Forde­ rungen, zu größerem Trotze. Eins ist vor allen Dingen not: das Urbarium!1 Es sei dasselbe aber eine Wohltat, eine Wahrheit ohne Hintertüren, wahrhaftig Brot und nicht Stein, Fisch und keine Natter. Will das Land den Walachen zum Landeskinde haben, will es seine Zuneigung sich er­ werben, so sei es eine gerechte Landesmutter gegen unierte und nichtunierte, denn beide sind Walachen. Es wende das bißchen Grund und Boden auch an diese Kirche, die sich für die eigentliche walachische Kirche ansieht und gebe auch den nichtunierten Geistlichen die portionem canonieam.2 Sonst er­ grimmen sie innerlich als Märtyrer des, dem Walachentume treugebliebenen, Walachentums, das übermenschlich dulden und unmenschlich sein kann. Hiemit liefert ihr dem miß­ trauischen Walachen den nötigen Glauben in die Hand, die Wohltat gelte dem Walachen und nicht der Konfession. Durch diese und ähnliche Gaben stopft ihr Baumwolle in die Ohren für die verführerischen Schmeicheleien, verlockenden Ver­ heißungen etwa ausgesendeter Emissaire, früher oder später. Haben sie, was sie entbehren, besitzen sie, was sie verlangen — wirbeln dann einmal russische Trommeln auf den Kar­ pathen — lasset sie wirbeln, bis die Hundsfelle springen. Der Dankbare, der Glückliche, der Zufriedene kämpft mit euch für den Besitz, für die Gewißheit, für den Wohltäter, für den Stifter seines Glückes, für den Urheber seiner Zu­ friedenheit, für Land, für Volk, für Thron. Sie sind unter uns und die Unserigen, wie wir früher schon ihnen und die Ihrigen waren. Gebet, gebet, so wird Euch wieder ge­ geben; ein voll, gedrückt und überflüssig Maß wird man in eueren Schoß schütten. Was soll ich von der Sprache sagen? Nicht viel und doch nicht wenig! Gebt euere magyarische Literatur mit Bausch 1 Grundbuch. 2 Das jährliche Einkommen des Kanonikus, des Geistlichen von Staats wegen.

Das Kirchlein von Nimesch

und Bogen dem Walachen, in ganzem Franzband, mit Gold­ schnitt, meinetwegen auf die Haut des Esels Bileams selbst gedruckt — es stillet ihre Wünsche, befriediget ihre Erwar­ tungen, sättiget ihre Hoffnungen nicht. Die Hoffnung, durch Magyarisierung die Walachen zu gewinnen, ist auf Sand gebauet. Wem die Därme vor Hunger kollern, wird von einem Blumensträußchen nicht satt. Mit diesem Anbot treibet ihr nur Spott, es ist Hohn. Sie werden euch ins Gesicht lachen und den Rücken kehren. Dies schon, wenn ihr als Ersatz für andere abgeschlagene Bitten euere Sprache zum Geschenke anbötet, das man ausschlagen oder annehmen könnte. Wollt ihr aber nach zehn Jahren, wie der Vorschlag will, auch Gewalt üben und selbst in die Kirchen dringen, so es doch nichts helfen wird, so sehet zu, was ihr tut und werfet nicht in frevelndem übermute glühende Kohlen ins Stroh. Ihr säet Wind und werdet Ungewitter ernten. Hos. VIII, 7. VII. Magyaria oder die Verdächtigung, als erste Frucht der Magyarisierung Prüfe doch die Geister, die dich erhitzen und erfahre, ob sie aus Gott sind. 1 Joh. IV, 1.

Die erste und bittere Frucht, welche dieser Ultraismus der mütterlichen Sprachvorliebe getragen hat, ist die Verdäch­ tigung der Magyaren durch die Slawen, als führten die Tonangeber im Schilde, Ungarn zuerst mächtig und dann unabhängig und selbständig zu machen. Es ist dies nur eine freundliche Beantwortung des Vorwurfes, den die Magya­ ren kurz zuvor den slawischen Bewohnern des Landes mit dem Panslawismus gemacht hatten. Der Stoß ließ den Rück­ stoß erwarten. Zahn um Zahn ist orientalisches Recht. Weder glaube ich, daß die Magyaren ernstlich an den Panslawismus glauben, noch kann ich annehmen, daß Aolberlh, St. L. Noth. IV.

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die Slawen mit dieser Magyar ia etwas mehr als Er­ widerung des einen Verdachtes mit Hinschiebung einer an­ deren Verdächtigung im Sinne haben. Sie zeigen nur -er Welt, wie sehr sie sich lieben und wie liebenswürdig sie sind. Ist denn das ehrenvoll, wenn sich Brüder also katzbalgen und dem Auslande das Schauspiel schadenfroher Ergötzung geben! Zu was schimpfen die Slawen znriick, so lange der Hof schweigt und warum machen die Magyaren beim Publi­ kum den Naderer/ da treue Untertanen ein solches Geheim­ nis der Regierung allein anzuvertrauen hätten. Ist nun dieses einmal am ungehörigen Orte vorgebracht und zum Volksgespräche gemacht worden, so ist nun wohl kein ge­ hörigerer Ort als eben die Zeitungen, solches Gerede oder Beginnen in seiner Torheit, Albernheit und Unwahrschein­ lichkeit kurz als non ens8 darzustellen. Das ganze Volk der Slawen wird es nicht gesagt haben, auch nicht das ganze Volk der Magyaren. Es tun es immer nur einzelne, von allzu­ großem Eifer hingerissen. Dem ganzen Volke muß es aber lieb und willkommen sein, obgleich wieder nur durch einen einzelnen, vor demselben Publikum eines schmerzhaften Ver­ dachtes reingewaschen zu werden. Den Schein einer bösen Absicht oder den Verdacht haben sich die Magyaromanen durch ihren allzuheftigen Liebeseifer und überspannte Forderungen für ihre Muttersprache selbst zugezogen. Sie begehren alle ehemaligen, zur Krone Un­ garn gehörig gewesenen Länder wieder damit zu vereinigen. Selbst nach einer Verjährung von 300 Jahren, seit wann Siebenbürgen seine Unabhängigkeit von Ungarn erwarb, er­ mangelt Ungarn nicht, Einladungen an Siebenbürgen er­ gehen zu lassen, sich mit dem Mutterlande wieder zu ver­ einigen. Sie reden von Serbien und Bulgarien, von der 1 Naderer (Wiener Apachenwort) — Geheimagent der Polizei, Konfident, Detektiv. 8 non ens, nicht seiend.

Moldau und Walachei, als ob in der Weltgeschichte seit -er Zeit kein Jahr vergangen wäre und man den König Mat­ thias nur gestern begraben hätte.' Hiebei reden sie immer von einer Vereinigung mit sich und nicht mit dem öster­ reichischen Kaiserstaate. Man kann diese Sprache nicht an­ ders als eine unvorsichtige, unüberlegte nennen, wenn sie solche Provinzen, die im nämlichen Staate mit ihnen als Glieder eines und des nämlichen Staates leben, auffordern, sich mit ihnen zu vereinigen. — Verlangen sie nun in kurzer Frist, gleichsam in einem Odemzuge, ungrische Siegel, mt= grische Umschrift auf den Münzen, ungrisches Kommando, ungrische Sprache selbst von oben, ungrische Wanderbücher usw. so mutz man stutzen und -er verdächtige Slawe konnte leicht hierauf weisen und sagen: Ex ungue leonem!12 Die österreichische Regierung fühlt sich stark genug, man­ ches hievon ohne Besorgnisse gewähren zu können und ist auch gutmütig genug, manches zuzulassen, was eine eifersüchti­ gere Regierung schon übel genommen hätte, wenn es ihr auch nicht angemutet, sondern nur obenhin zu Ohren ge­ langt wäre. Wie viele Widerstvebungen hat Ungarn und Siebenbür­ gen den menschenfreundlichen Absichten der Regierung in betreff dieser eigenen Länder entgegengesetzt, wie vielen Widerstand haben diese Länder der Einführung besserer und zweckmäßigerer Einrichtungen geleistet, bis endlich in neuester Zeit der harte Boden sich von selbst ausschließet und dieselben Pflanzen, die nun Früchte trügen, wenn sie früher aufge­ nommen wären, die ersten Blättchen zeigen. Ungarn, wollte es sich aus den liebenden, beschützenden und väterlichen Armen Österreichs losreißen, wiederholte nur die alte Fabel von der erstarrten und im Busen des Bauers aufgetauten Natter, die zum Dank den Bauer biß, 1 S. S. 117. 2 An seinen Krallen erkennt man den Löwen.

oder die lehrreiche Geschichte vom verlorenen Sohn im Evangelio. Wenn der Sohn seinen Wohlstand mit Frem­ den verzehrt, wenn er seine Selbständigkeit an einen frem­ den Herrn eingebüßt hätte, käme dem zerlumpten Schweine­ hirten schon die Reue am Treberntroge, daß er der Tafel seines Herrn Vaters gedächte. Zu was also den Tanz mit H . . . . beginnen, da eine väterliche Aufsicht und Über­ wachung dem geliebten magyarischen Sohne so zuträglich, so unentbehrlich, eine Losreißung so verderblich sein würde! Fa, wenn Österreich auf die Zerstörung der Nationalitäten ausginge, wenn es ein Regierungsprinzip befolgte, welches die Eigentümlichkeiten seiner verschiedenen Völker absichtlich mit Atzwasser zerstörte. Österreich ist zu einem großen Reiche geschichtlich aus verschiedenen Reichen erwachsen. Die Zeit hat ihm diese Bahn, diese Einrichtung vorgezeichnet, die Zeit deren Borteilhaftigkeit bewährt und damit die Verpflichtung ihrer Beibehaltung auferlegt. Das Haus Habsburg begreift diese seine Aufgabe und Bestimmung und handelt gewissen­ haft danach, es ehret, achtet und beschirmet diese Eigentümlich­ keiten, läßt jedes Volk nach seiner Weise leben und regieret ein jedes nach dessen Gesetzen. Daher hat sich Ungarn nicht zu beklagen, daß die Vorsehung auch seine Völker, mit an­ deren zu einem Blumensträuße gebunden, dem kaiserlichen Hause am Hochzeitstage überreichte. Die Mitgift der Braut, Ungarn, war mit Janitscharen umstellt, die Töchter -es Lan­ des fürs Serail und den türkischen Harem, die Kremnitzer Dukaten für die Beutel der Bassen, die Jünglinge Ungarns zum Kanonenfutter für islamitische Zwecke, die ganze Be­ völkerung zu Lasttieren bestimmt. Diese Mitgift war schön und herrlich, aber in fremden Händen,' ein Schatz von großem Werte, jedoch vergraben und von türkischen Drachen bewacht. Nur der Rechtsanspruch, die Verschreibung war in Händen---------- der Besitz mußte erkämpft, mit Gewalt er­ griffen werden. Da galt es Geld — Blut — und Sorgen. Läßt

sich von einem Kaufschilling bei Ländererwerbungen reden, so hat Österreich dafür den höchsten Preis erlegt. Die Pro­ zente mag dieses Landgut wohl tragen, aber diese Erwer­ bung war kein Zweck kaufmännischer Berechnung. Der Gedanke einer Gebietsoergrößerung reicht nicht hin, die An­ strengungen zu erklären, die Österreich und Deutschland machen mußten, um Ungarn dem Halbmond zu entreißen. Weniger war es Wunsch der Politik als Sache des Gewissens. Mit dem mohamedanischen Fanatismus konnte sich nur christliche Begeisterung messen: -er prosaische Gedanke an Länderzuwachs oder die nüchterne Berechnung des Einkom­ mens wären nicht imstande gewesen auch nur Widerstand zu leisten, geschweige den Sieg an die Fahne des Doppeladlers zu fesseln. Die Begeisterung fürs Kreuz, -er Glaube für Gottes eigene Sache zu streiten, vermochte allein, den christ­ lichen Heeren die Aussicht auf die Möglichkeit zu eröffnen, ihnen die Zuversicht zu geben und die Ausdauer, dies Christenland dem Erbfeind zu entreißen. Ein Schaf, das dem Wolfe aus dem Rachen abgejaget worden, darf seinem Lebens­ retter die seit der Errettung gelieferte Milch nicht nach Maß und Seidel, die abgegebene Wolle nicht nach Pfund und Lot vorrechnen und herzählen. Wahre Dankbarkeit hat nur ein Gedächtnis für die Wohltat und führt keine Rechnung für die Erkenntlichkeit und kein Register über den Dank selbst. Eine Goldbörse, die ein Erretteter seinem Erretter am sicheren Ufer in die Hand drückt, wenn jener die schöne Tat an dem Ertrinkenden mit Gefahr des eigenen Lebens vollbrachte, kann wohl den Geber, als Erkenntlichkeit, ehren,' die Schuld selbst läßt sich nie bezahlen. Zur Abtragung solcher Schul­ den gehört ein lebenslänglicher Dank, d. h. die Länge des ganzen Lebens hindurch, bei einzelnen wie bei Völkern. So gehöret Ungerland dem Wienerhof und Kaiserthron, weil es aus Todesnöten mit Lebensgefahr gerettet worden zum lebenslänglichen Danke nicht als Siegespreis, sondern als

verlorenes und gerettetes Leben. Sollten daher je die Ma­ gyaren ernstlich den Wunsch im Herzen hegen, sich von Öster­ reich loszureißen, um ihresgleichen auf den Königsstuhl in Ofen zu setzen, weil sie nun glaubten, dem Erretter abge­ zahlet zu haben, so wäre das der schwärzeste Undank, wert daß den Aufrührern die Hände verdorrten und Raben das Gehirn der Verführer zerhackten. Mutete die Ultra dem Wiener Hofe so viele Leichtgläubig­ keit zu, daß er sich den Panslawismus als Bären aufbinden lasse — könnte dann nicht dieselbe Leichtgläubigkeit auch für das Hirngespinst der Magyaria ein williges Ohr haben? Würde in diesem Falle Österreich seine sichersten Anhänger, die Deutschen, magyarisieren lassen und uns blindlings auf­ opfern, deutsche Interessen vertilgen und so zur leichteren Ausführung des Verrates einen Handlanger abgeben? Wür­ den die Walachen und untertänigen Slawen, die in der Krone allein ankern können, um nicht in Feudalismus zer­ schellt unterzugehen, etwa ihren Herren noch einen Leder­ streifen reichen wollen, um die Peitsche vollwichtiger zu machen? Da häufte sich Wahnsinn auf Wahnsinn, reif zum Narrenhaus. Zum Glück ist dieser Verdacht ohne Grund und Boden und nur eine hervorgerufene Schmähung zur Vergeltung für die Verdächtigung der Slawen mit dem Panslawismus, die erste herbe Frucht, die die Magyarisiernng trägt. Andere Früchte sind noch in der Blüte. Doch spricht jedermann bei uns die ehrenwerte Nation im ganzen von diesem Verdachte frei, aber wer mag dafür die Bürgschaft übernehmen, ob nicht in einigen Sprudelköpfen ein solches Gelüsten vorhanden? Der Ausbruch eines sol­ chen Unternehmens, das wie ein Irrlicht nicht zünden, son­ dern nur scheinen würde, wäre aber einer mehr machiavellischen Regierung eine nützliche und willkommene Geistcrprobe. Dann fielen die Masken, dann würde sich zeigen.

wer es mit Österreich hielte und wer nicht. Diese Aufklärung über wahre Anhänglichkeit und Sympathie bedarf nun eigentlich Österreich nicht. Denn sonst könnte es noch den aufrührerischen Zwecken in die Hände arbeiten, sich selbst schläfrig, matt und sorglos stellen — ja den feurigen Pfer­ den durch Konzessionen noch verdoppeltes Haserfutter rei­ chen, damit sie nur ja durchgehen, um sie dann niederzureiben und statt der bezottelten Trense den eisernen Kappzaun auf die Nase zu legen. Wäre die ungrische Konstitution dem Wiener Hofe ein Dorn im Auge, wäre ihm diese Konstitution eine Unbequem­ lichkeit, deren er los zu werden wünschte, obgleich tausend Beweise für dessen Zuneigung und Aufrichtigkeit zeugen, wohlan, ein Aufruhr wäre das sicherste Mittel, diese Kon­ stitution in den Sarg zu legen. Ein selbständiges Ungarn gibt es — ein unabhängiges wird es nie geben. Dagegen spricht die Geschichte der Ver­ gangenheit, die jetzigen Weltverhältnisse und dieses Volkes Lage, Leben und Zustände. Dieses Volk ist zu klein — eine von den benachbarten Sonnen zieht es immer als Mond in seine Begleitung. Dieses Volk ist mit zu verschiedenen Völ­ kerschaften durchspielt, um als Staat den erforderlichen einen Willen zu haben. Die Eifersucht der menschenreicheren Slawen, das gekränkte Ehrgefühl der Deutschen usw. werden nie die erforderliche Anziehungskraft entwickeln lassen, um als kräftiger Kern fernere Stoffe anzuziehen und festzu­ halten. Der ungrische Magnet hat zu viele Pole, die sich ihre Einflüsse gegenseitig stören. Ungarn kann nur glücklich sein in Verbindung mit Österreich. Ist aber die Hoffnung des Gelingens, die Aussicht auf größere Beglückung durch die Losreißung nicht vorhanden, so ist darüber kein Wort zu verlieren, als ob das uneinige, schwache Ungarn allein gegen Norden einen sichereren Damm bilden würde als Österreich in Verbindung mit eben diesem

Ungarn. Der Rutenbündel ist doch jedenfalls stärker und läßt sich in seiner Gesamtheit schwerer zerbrechen als die einzelne Rute, selbst wenn sie eine magyarische wäre. Ge­ länge es auch den Magyaren, sich unabhängig und selbständig zu machen, ihre Unabhängigkeit gäbe dem Westen keine größere Sicherheit. Das unabhängige Ungarn, die Magyaria, wäre in seiner entfremdeten Stellung eine leichte Sie­ gesbeute dem verschrieenen Riesen. Seine Überwindung würde die gefürchtete Lawine nicht aufhalten, höchstens nur vergrößern helfen. Wären aber alle diese Betrachtungen in den Wind ge­ redet und verhallten spurlos wie die Stimme eines Pre­ digers in der Wüsten und sollte die Magyarisierung demohnerachtet die Segel spannen, um an dies Ziel zu gelangen — was hat nicht Ungarn zu befürchten, wenn das Wagnis mißlänge?---------Polen kam durch den Völkerfrieden zu Wien unter russische Oberherrlichkeit mit Beibehaltung aller Eigen­ schaften eines Nationalreiches. Es hatte seine polnische Armee, seine polnische Verfassung und Verwaltung. War auch das Joch mit keinem Sammet gefüttert und schliefen die Polen auch auf keinen Rosen — war doch noch eine Eigentümlichkeit vorhanden, noch Bedingungen da, das Leben der Nationalität zu fristen. Daß es nicht besser war — — — sie büßten nur die Schuld ihrer Väter, die an den Säulen der Königsmacht so lange schabten, sägten und raspelten, bis der Thron über den Haufen fiel und aus seinen Brettern ihrer Nationalität ein Sarg zu­ sammengeschlagen ward. Ehe noch die Teilherren kamen, war ja der polnische Groschen aus Schuld der aristokratischen Übergriffe in drei Kreuzer zerfallen. Die Nachbarn durften sich nur bücken, um sie aufzuheben. Nun diese Kreuzer auf­ geteilt waren und es keinen Groschen mehr gab, wollte der einzelne Kreuzer den russischen Rubel überwiegen! — Statt,

in -er gegebenen Lage, wie sie geschichtlich gegeben war, sich zn stärken -nrch Versöhnnng -er Gemüter in Glaubens­ sachen — statt den dritten Stand zn pflegen, -aß er gedeihe — statt den Untertanen des Adels zum Untertanen des Staates heranzubilden und in -er leutseligen Behandlung der eigenen Untertanen dem Petersburger Hof ein Beispiel zu geben, wie auch sie behandelt zu werden wünschten — be­ nützten sie diese Frie-ensjahre nicht zur Heilung der alten Schäden, nicht zu ihrer Wohlfahrt, sondern griffen zum Schwert -er Empörung — zu ihrer eigenen völligen Unter­ jochung. Frankreich hat sie auf dem Gewissen! Wie Feinde eine Gegend in Brand stecken, um sich den Rückzug zu decken, versetzte Paris die Polen in Flammen, um unterdes seine Juliusrevolution ins Trockene zu bringen. Frankreich hatte Hilfe versprochen, half aber nur sich. Denn dazwischen lag wohl das mitleidige, aber fürstentreue Deutschland. Darum mußten sie singen: -er Himmel ist hoch und die Franzosen sind weit! Ohne französische Aufwiegelung und Aufhetzung wäre Polen, wenigstens eine Zeitlang noch, wie 1 Petri 2,18 fordert, untertan gewesen wie Knechte in aller Furcht den Herrn: nicht allein den gütigen, sondern auch den wunderlichen. Es wäre noch ein polnisches Königreich: im sibirischen Schnee bleichten nicht die Gebeine -.er edelsten Geschlechter und die anderen wanderten nicht wie ewige Juden umher. Es wäre noch ein Königreich Polen, das vorhanden gewesen, wenn die ge­ salbten Häupter eine nochmalige Wiederherstellung für nötig erachtet und beschlossen hätten, gebildet, stark, mächtig. Aber nun scheints aus zu sein. Europa hat eine Hoffnung weniger und Polen — gar keine. Die Uneinigkeit hatte es geschwächt, die Revolution hat es vernichtet. Also: Halte, was du hast — daß niemand -eine Krone nehme. Offenb. 3,11.

VIII. Gütlicher Ausweg und Schluß Siehe, wie fein und lieblich isi's, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Ps. 133, 1.

Zum Vorrecht des diplomatischen Gebrauches gelangte die Sprache Latiums nicht auf dem Wege einer Unterhandlung oder infolge eines Landtagabschlusses, so viel mir bewußt, sondern auf dem Wege des Geschehens, der Geschichte. Ehe und bevor noch der ungrische Edelstein in die österreichische Krone eingesetzt ward, hatte die lateinische Sprache bereits Besitz von Kirchen, Schulen, Gerichtsstuben, dem Komitats­ saale usw. genommen. Das Sonnenlicht des Christentums, das dem magyarischen Eroberer am Morgen seiner Zivili­ sation von der Spitze der Sophienkirche in Konstantinopel herüberleuchtete, ward bald durch die türkischen Heuschrecken verdunkelt und hinfort konnte nur aus Roms glücklicherer Entfernung christliche Aufklärung nach Ungarn dringen. Die Türken setzten den Magyaren den römischen Informator ein. Ohne die Unsicherheit der Gegenden zwischen Ofen und Konstantinopel wäre jetzt vermutlich Ungarn griechischkatholisch. Als durch Heiratsverträge Ungarn an Österreich kam, war schon alles latinisiert. Durch die Reformation, die fast gleichzeitig mit dieser Vereinigung begann, entspann sich zwar schon damals das Geplänkel zwischen der lateinischen Geschäftssprache und der magyarischen Volkssprache. Hätte der Katholizismus in Ungarn nur mit eigenen Kräften sich erhalten wollen, so wäre schon längst der Sprachkampf ent­ schieden. Während die Reformation auf Seite der Mutter­ sprache- stand, hing die alte Mutter fest am Latein aus ein­ leuchtenden Gründen. Die Entscheidung blieb dadurch in der Schwebe. Eben der Gang der Dinge, welcher dem Latein in Ungarn und Siebenbürgen eine zweite Heimat zuwege ge­ bracht hatte, gab dieser fremden Sprache durch die Be-

kämpfung, welche der Protestantismus erfuhr, noch eine ver­ längerte Frist von 300 Jahren. Freilich war das Magya­ rische zur Zeit der Mohacser Schlacht (1526) noch wenig ge­ eignet, die ausgebildete Vorgängerin zu ersetzen. Das Be­ dürfnis hieß also diese Sprache länger behalten, welche durch die frühere Lage der Welt in diese Gegenden eingeführt worden war. Kaiser Ferdinand II., der zuerst das ungrische Wappen in das Brustbild des doppelten Adlers heftete, sprach mit seinem neuerworbenen Reiche Ungarn in der nämlichen Sprache, in der der Wiener Hof mit allen anderen Völkern sprach und mit dem auch unbesessenen Ungerlande gesprochen hatte, in der lateinischen — und das Königreich Ungarn, nun sein Ungarn, schrieb an den neuen Landesvater auch in keiner fremderen Sprache, sondern jetzt wie früher gleich­ falls in der lateinischen. Wäre aber auch die lateinische Sprache damals nicht im allgemeinen Gebrauche gewesen,' so hätte es schon das gute Einvernehmen, die feinere Lebensart mit sich gebracht, daß Volk und Regierung lateinisch verhandelt hätten. Aus die­ sem Gefühle des Anstandes und der Schicklichkeit, eine Kette aus Golddraht für Gebildete, sprach der deutsche Landes­ herr nicht deutsch, sprachen die magyarischen Untertanen nicht magyarisch. Sie hätten sich sonst nicht verstanden. Es blieb mithin auch nach der Verbindung Ungarns mit Österreich beim bisherigen Gebrauche. Insoweit der ausschließliche Ge­ brauch des Lateins durch die Unbehilflichkeit der magya­ rischen Sprache zuvor und in damaliger Zeit bedungen war, insoweit könnte der Grund der ferneren Beibehaltung der­ malen wegfallen. Das Gefühl des Schicklichen bleibet aber noch immer stehen und erheischet seine fernere Befriedigung. Wäre der Kaiser von Österreich nichts mehr und nichts weiter als König der einzigen Magyaren, so dürfte der Wunsch, vom Throne nur magyarische Worte zu vernehmen, in Gestalt einer bescheidenen Bitte noch angehen. Aus Liebe

zum alleinigen Besitze könnte -er Landesherr seine Mutter­ sprache zum Opfer bringen. Wenn er aber ein Herr mehrerer Länder ist, die verschiedener Zunge sind, möchte es seine eigene Schwierigkeit haben, mit jedem Volk in -essen eigener Sprache zu verhandeln. Die Erziehung eines Prinzen könnte beinahe nur allein aus Unterricht in den Sprachen bestehen. Französisch muß -och unumgänglich gelernt werden, es ist die diplomatische Sprache der ganzen alten Welt. Das Latein fordert die Humanitätsbildung und der Kirchen­ glaube. Das Italienische bedingt die Verwandtschaft und die Bewandtnis, daß die großen Erinnerungen Italiens begämelt' werden müssen, daß es ruhig sei und nicht eine Beute Frankreichs werde. Vom Englischen und Russischen rede ich nichts. Verlangt nun aber der Böhme, der Pol e, -er Magyare gleichfalls die Erlernung seiner Sprache, und dringt er darauf, aus dem kaiserlichen Munde die eigene Sprache zu vernehmen — wo läuft das hinaus?! Wird auch jedem gegeben sein die Gabe vieler Sprachen? — Ungarn stoße sich nicht an Italien. Denn wenn -er Kaiser italienisch lernt, kann er mit allen Italienern reden und hat oben­ drein den Dante und Petrarca — aber wenn er auch ma­ gyarisch lernte, könnte er doch nicht mit allen Ungarn reden, sondern nur mit einem einzelnen Volke in Ungarn, den Magyaren. Denn eine ungrische Sprache gibt es ja nicht, so wie es auch keine siebenbürgische gibt. Wollte man also auch in der Lehre der allgemeinen Staatsgrundsätze als aus­ gemacht annehmen: jedes gekrönte Haupt solle mit seinen Reichen in deren Sprache sprechen, so kann dieser Ausspruch, wenn er auch zugegeben würde, für und bei uns keine An­ wendung finden, weil Ungarn und Siebenbürgen nur Sprachen, aber keine Sprache hat. Sollte es in Sieben1 Siebenbürgisch-sächsische Mundart: pflegen, besänftigen, schmei­ cheln.

bürgen heißen a potiori fit denominatio 1 so käme es ent­ weder auf das Recht oder die Anzahl der Sprechenden an. Sieht man auf das Recht, so kann das kein anderes sein als das Recht der Standschaft. Hier aber sind die Sachsen mit den Magyaren gleichberechtiget. Sieht man auf die A nzahl der Sprechenden, so muß der allergnädigste Kaiser walachisch zu den Siebenbürgern sprechen. Denn der Kinder Israel sind mehr wie wir. Wendet man gegen die Walachen ihre Untertänigkeit ein — gut — so dehne man dieses Prin­ zip nur immerhin auf alle Untertänigen aus. Zieht man alsdann gleichmäßig, infolge dieses Grundsatzes, alle Lose der Untertänigen aus der Urne der Entscheidung und stellt alsdann eine Zählung nach freien Köpfen an, so möchte nach Abzug der magyarischen Untertanen das Mißverhältnis zwischen Deutschen und Magyaren nicht mehr wie im Land­ hause so ungleich sein. Beruft sich der Magyare zur Erlangung des Vorrechtes und Bevorzugung seiner Sprache auf sein Schwert und die Eroberung: steht es dem Deutschen frei, auf Verträge und Bebauung des Landes zu weisen. Zeigt er auf frühere Beschützung des Landes: wir haben dasselbe getan. Während der Adel aber jetzt auf den Lorbeeren seiner Ahnen, ruhm­ reichen Andenkens, ruht und nichts zu den Lasten und Be­ dürfnissen des Landes hergibt, sorgen andere für Brücken und Straßen und unterhalten im stehenden Heere die Sicher­ heit des Landes. — Doch wozu das? Ehe diese unglückselige Disjunktion: deutsch oder magyarisch! gemacht und beant­ wortet wird, möchte es zweckdienlicher sein, sich umzusehen, ob es, außer diesen zwei Fällen, die erbittern und ent­ zweien, nicht noch einen dritten gebe, der da versöhnet, näm­ lich den, daß beide nebeneinander bestehen. Dieser gütliche Ausweg bestände in einer Huldigung, die man dem 1 Vom Wichtigeren (Stärkeren) geht die Benennung aus.

Fürsten gebührendermaßen und der gleichen Berechtigung der Stände gerechterweise brächte, in folgendem: I. Die Gesetze werden in drei Kolumnen gedruckt, vorne lateinisch, in der Mitte magyarisch, zuletzt deutsch. II. Auf den Landtagen wird ausschließlich magyarisch ver­ handelt, da die wenigeren Sachsen der magyarischen Mehr­ heit diesen Vorzug gerne einräumen und in den Verhält­ nissen gleicher Berechtigung auch sonsten der Gebrauch ein­ geführt ist, -atz die Minderheit der Mehrheit nachsteht. Der königliche Kommissär eröffnet und schließt die Landtage in lateinischer Sprache. III. Sprechen Deutsche und Magyaren unter sich aus­ schließlich in ihrer Sprache, so möchte im Verkehre beider Stände folgender Ausweg am versöhnlichsten sein. Ist -er Deutsche höflich, so schreibt er an magyarische Behörden magyarisch: — will der Magyare höflich sein, so schreibt er an den Deutschen deutsch. Ist ein Teil so unhöflich und schreibt an den anderen nicht in -essen Sprache, sondern in seiner — je nun — so hat er sich nicht zu beklagen, wenn ihm dasselbe widerfährt. Sind die Deutschen so unartig und schreiben an ein Komitat deutsch, so antwortet er magyarisch: hat ein Komitat nicht Feinheit genug, so antworte der säch­ sische Stuhl ihm deutsch. IV. Die hohe Landesstelle läßt sich in magyarischer, deut­ scher, lateinischer und walachischer Sprache schreiben und schreibet, was für alle gilt, in den zwei Sprachen ma­ gyarisch und deutsch, was nur ein Volk angeht, nur in der einen, welche dieses Volk spricht, deutsch an die Deutschen, magyarisch an die Magyaren. V. Die Korrespondenz zwischen Thron und Land ist und bleibt Latein. VI. Das Generalkommando als dem deutschen Heerwesen zugeteilt und das Thesaurariat als dem deutschen Herrscher zugehörig, bleibet deutsch.

Die Sprache bei anderen Stellen ordnet sich, bei Annahme dieses Grundsatzes -er Gerechtigkeit und Billigkeit, von selbst. So wäre keines ständigen Volkes Sprache nachgesetzt und keine bevorzugt: jeder Sprache bliebe ihre gleiche Berech­ tigung und Ehre. Es bliebe Ruhe im Lande, die gestört ist, und -er Frieden kehrte in die Herzen wieder, der jetzt ge­ trübt ist. Siehe, wie fein und löblich ists, wenn Brü­ der einträchtig beieinander wohnen!Ps. 133,1.

Zum Schluffe noch eine warme Bitte an die Vorsteher des deutschen Volkes in Siebenbürgen. Auf unsere deutschen Brüder in den Komitaten traget weise Vorsicht und das Blut vergesse des Blutes nicht. Unus sit populus!1 Der Ausdruck aber im Andreano: a Varos usque ad Boralt2 bedeutet nicht ein Längenmaß, sondern sagt so viel als: überhaupt, alle, überall. Deswegen hatte es auch nicht not, die Breite anzugeben. Dixi.8 Nimesch, im Mai 1842.

(Ende der Schrift)

1 Eins sei das Volk! Zitat aus dem Andreanischen Freibrief. 2 Im Andreantschen Freibrief: Von Broos bis Draas. 3 Ich habe gesprochen.

Die landwirtschaftlichen Schriften St. L. Roths Eingeleitet von Martin Roth

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der gleichen Weise wie man von einem großen Bauwerk nur bei dessen Betrachtung aus einer entsprechenden räumlichen Entfernung eine klare Vorstellung gewinnen kann, so kann wohl auch die Geistesarbeit eines Menschen nur aus entsprechendem zeitlichem Abstand richtig beurteilt und vollauf gewürdigt werden. Dies ist eine Erfahrung, die im Rahmen der Geschichte des sächsischen Volkes an St. L. Roth gerade bei seinen auf die Hebung und Förderung der Landwirtschaft gerichteten Bestre­ bungen in besonders deutlicher Weise zum Ausdruck kommt. Während St. L. Roth vor 100 Jahren von seinen Zeitgenossen vielfach mißverstanden und verkannt wurde, gilt er heute allgemein als einer der größten Männer seines Volkes, ja man kann es ruhig sagen, daß jeder, der tiefer in das Denken und Schaffen von Roth eingedrungen ist, den von ihm erstrebten Neugestaltun­ gen der Lebensgrundlagen des sächsischen Volkes nicht nur Aner­ kennung und Dankbarkeit, sondern vielfach geradezu Bewunderung zollen mutz. Seine geniale Schaffenskraft tritt uns, wenn wir die einzelnen Arbeiten, die Roth insonderheit zur Hebung der säch­ sischen Landwirtschaft angeregt und mit unermüdlichem Eifer zu verwirklichen bestrebt war, mit solcher Unmittelbarkeit entgegen, daß wir auch heute noch nach den verschiedensten Richtungen hin darin Anregung und Zuversicht finden können. Freilich hat sich auch an St. L. Roth die Tragik, die großen Geistern so oft beschieden ist, erfüllt, daß es ihm nicht vergönnt war, das Reifen der Saaten, die er mit seinen Ideen ausgestreut hat, zu erleben. Erst die zweite Generation nach ihm sollte sich der Früchte freuen, die aus seiner reichen Saat aufgingen. Bei einer zusammenhängenden Betrachtung der vielseitigen Ar­ beiten, die St. L. Roth zur Förderung der Landwirtschaft geleistet hat, ist festzustellen, daß er dem Bauernstande schon in frühester Jugend ein lebhaftes Interesse und eine aufrichtige Liebe ent­ gegengebracht hat. Es ist dies wohl nicht nur darauf zurückzu-

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führen, dag er als Sohn eines Dorfpfarrers Freude und Leid des Bauern von Kindheit an gründlich kennengelernt hat und dah sein Elternhaus durch die Zehntabgaben, die bis zur Revolution im Jahre 1848 von den Bauern allgemein zur Besoldung ihrer Geistlichen zu leisten waren, von dem Wohl und Wehe des Bauern unmittelbar berührt wurde, sondern beruht in der Hauptsache auf der frühzeitigen Erkenntnis, daß der sächsische Volkskörper in Sie­ benbürgen nur bei entsprechender wirtschaftlicher Kräftigung für die Erfüllung der ihm vom Schicksal gestellten Aufgaben gesund und widerstandsfähig bleiben wird. Diese Erkenntnis ist aus Tage­ buchaufzeichnungen und Briefen, die Roth schon während seiner Studentenzeit geschrieben hat, immer wieder festzustellen. Dabei war für ihn der Erwerb materieller Güter und die Hebung des Wohlstandes niemals Selbstzweck, sondern immer nur das Mittel, um der Gesamtheit ein besseres, menschenwürdigeres Dasein zu ermöglichen. Von großem Einfluß auf das persönliche Verhältnis St. L. Roths zur Landwirtschaft im allgemeinen und auf seine zielklaren Be­ strebungen, die er später zur Förderung des Bauernstandes ent­ faltet hat, war zweifellos schon seine Fahrt zur Universität, die nahezu fünf Monate gedauert und zu einem großen Teil als Fuß­ wanderung zurückgelegt wurde. Während dieser Reise, die den jungen, lebensfrohen Studenten vom Kleinschelker Pfarrhof über Mühlbach, Arad, Budapest, Wien nach Oberösterreich, Salzburg, Oberbayern, nach München und schließlich nach Tübingen führte (I, 17—170), hatte er nicht nur reichlich Gelegenheit, Land und Leute dieser, verschiedenen Gegenden näher kennenzulernen, son­ dern auch die Möglichkeit, die landwirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Länder mit denen der Heimat zu vergleichen und über fortschrittliche Maßnahmen ein Urteil zu gewinnen. Insbesondere war es die in Österreich und Deutschland als Folge der sozial­ politischen Reformen von Friedrich dem Großen und Kaiser Jo­ sef II. teilweise schon durchgeführte Aufhebung der Leibeigenschaft und die Abschaffung der Frondienste, die Roth als eine der wich­ tigsten Voraussetzungen für eine Wandlung zum Besseren auch für seine Heimat erkannte. Daneben konnte er auf seiner Reise die Einführung der Fruchtwechselwirtschaft an Stelle der Dreifelder­ wirtschaft mit Flurzwang, den Anbau von Futterpflanzen, bessere Viehrassen und zum Teil auch schon Stallfütterung als wichtigen Fortschritt im Betriebe der Landwirtschaft aus persönlicher An­ schauung kennen lernen. Diese Neuerungen waren in Sieben­ bürgen damals noch kaum dem Hörensagen nach bekannt- eine praktische Durchführung derselben hatte noch niemand in Angriff genommen. Deutschland und die angrenzenden Kronländer von Österreich dagegen standen damals mit ihrer Landwirtschaft be­ reits am Beginn einer neuen Entwicklung. Folderth, St. L. Roth. IV.

Als Folge der fortschreitenden Bevölkerungszunahme hatte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Deutschen Reiche all­ mählich ein Mißverhältnis zwischen Viehzucht und Ackerbau fühl­ bar gemacht, zu dessen Ausgleich aus der Reihe erfahrener Land­ wirte Wiesenverbesserungen, der Anbau von Futterpflanzen, darun­ ter besonders Rotklee, wie auch die Einführung des Fruchtwechsels empfohlen und zum Teil mit auffallenden Erfolgen durchgeführt wurden. Insbesondere war es Johann Christian S ch u b a r t (1734 bis 1789), der sich tatkräftig in Wort und Schrift um die Einführung des Kleebaues bemüht hat und mit seinem Beispiel und durch seine rege literarische Tätigkeit geradezu der Reformator der bis dahin auch noch in sehr primitiver Weise betriebenen deutschen Landwirt­ schaft geworden ist. Zum Zeichen der Anerkennung seiner bedeu­ tungsvollen Arbeit wurde Schubart im Jahre 1784 von Kaiser Josef II. mit dem Prädikat „Edler von Kleefeld" in den Adelstand erhoben. Von den Schriften Schubarts seien hier bloß seine im Jahre 1783 durch die königliche Akademie der Wissen­ schaften in Berlin preisgekrönten Antworten auf folgende Fragen erwähnt: „1. Welche Futterkräuter sind überhaupt zum Trocknen oder frischen Gebrauch die besten, sie mögen in Grasung, Blatt­ oder Wurzelwerk oder in kleinen Kräutern bestehen? 2. Welche sind darunter ihrer gesunden, nahrhaften Eigenschaften halber am leichtesten und häufigsten auch bald mit wirklichem Erfolg zu bauen? 3. Welche Bestimmungsarten müssen dabei in Berück­ sichtigung genommen werden?" Außerdem die Arbeit, die er unter dem Titel: „Hut, Trift und Brache, die größten Gebrechen und die Pest der deutschen Landwirtschaft" veröffentlicht hat. Da seit Friedrich dem Großen (1740—1786) in Deutschland auch von Staatsmännern und Nationalökonomen die Landwirtschaft immer mehr als die Grundlage für das sichere Gedeihen eines Staates erkannt wurde und Fachschulen zur Erlernung der Land­ wirtschaft damals noch vollständig fehlten, hat das Bestreben, den Betrieb der Landwirtschaft zu fördern und einträglicher zu ge­ stalten, nach Beendigung des 7 jährigen Krieges an mehreren Orten zur Gründung von Berufsvereinigungen geführt. So war 1763 der Thüringer Lanöwirtschaftsverein zu Weißensee und 1764 die kgl. Landwirtschaftsgesellschaft zu Zelle entstanden, denen bald Bereine mit gleichen Bestrebungen in Leipzig, Gotha usw. folgten. In diesen Gesellschaften wurden mündlich und schriftlich praktische Erfahrungen und Meinungsäußerungen ausgetauscht und damit eigentlich die Grundlage für die Errichtung von Lehranstalten ge­ schaffen, in denen die Landwirte ihre den Bedürfnissen des Be­ rufes angepaßte Ausbildung erfahren sollten. Bis dahin wurde die Landwirtschaft in der Hauptsache nur gewerbsmäßig, d. h. ent­ sprechend den aus der Erfahrung gewonnenen Anschauungen be­ trieben.

Eine wissenschaftliche Methode für die Beurteilung der einzelnen Arbeiten und Hilfsmittel der Landwirtschaft fehlte also noch vollständig. Diese zu schaffen war Albrecht Daniel T h a e r (1752—1828) vorbehalten. Seiner eigentlichen Vorbildung nach Arzt hat Thaer sich sehr bald vom Gartenliebhaber ganz der Landwirtschaft zugewendet und durch Anwendung naturwissen­ schaftlicher Erkenntnisse und planmäßiger Versuche in wenigen Jahren mit den Erfolgen seiner Wirtschaftsführung größtes Aussehen erregt. Die meiste Anerkennung für seine Wirtschastsmethoden hat Thaer, wie er selbst zugibt, in dem gründlichen Stu­ dium der englischen Landwirtschaft gefunden. Um mit seinen Er­ kenntnissen und Erfahrungen der Allgemeinheit zu dienen, hat Thaer eine größere Anzahl von Schriften herausgegeben; die erste erschien im Jahre 1790, ohne daß er sich als Verfasser nannte, unter dem Titel: „Unterricht über den Kleebau und die Stallfütterung in Fragen und Antworten für den Lüneburgischen Land­ wirt." In den Jahren 1798—1804 entstand sein berühmt gewor­ denes Werk: „Einleitung zur Kenntnis der englischen Landwirt­ schaft." Daneben besorgte Thaer die Herausgabe der „Annalen der niedersächsischen Landwirtschaft", aus denen er später in drei Bänden unter dem Titel „Vermischte landwirtschaftliche Schriften" einen Auszug machte. Des weiteren ist in der Zeit von 1803—1806 seine Schrift: „Abbildung und Beschreibung der nützlichsten Acker­ gerätschaften" erschienen und das Buch „Benjamin Bells Versuche über den Ackerbau". Daneben hat Thaer noch unzählige Einzel­ abhandlungen über die verschiedensten Fragen der Landwirtschaft in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht. Bald nach ihrem Erscheinen erhob sich über die Thaer'schen Schriften und die darin ausgesprochenen Ansichten ein lebhafter Streit, der aber bald da­ mit endigte, daß diese unter allen bisher herausgegebenen Schrif­ ten als die zuverlässigsten Führer der Landwirtschaft anerkannt wurden. So hat mit A. D. Thaer, trotzdem die Chemie als eine der wichtigsten Hilfsmittel der Landwirtschaft damals noch im An­ fang ihrer Entwicklung stand, zu Beginn des 19. Jahrhunderts für Deutschland eigentlich das Zeitalter der modernen Landwirtschaft begonnen. Obwohl in der Zeit, da St. L. Roth die Universität besuchte, die Verbreitung neuer Ideen und die Bekanntmachung von prak­ tischen Erfahrungen nicht so leicht war wie heute, weil Zeitungen nur noch vereinzelt bestanden und Bücher ziemlich kostspielig waren, so ist doch anzunehmen, daß man sich auch in Tübingen mit den Arbeiten von Schubart und Thaer in den Kreisen der Ge­ lehrten eifrig beschäftigte und daß auch Roth die Ideen dieser Männer während seiner Studienzeit wenigstens teilweise kennen­ gelernt hat. Diese Annahme ist um so mehr begründet, als ge­ ll*

rade in Württemberg von dem regierenden Fürstenhaus und den maßgebenden Staatsmännern der damaligen Zeit der Hebung und Förderung der Landwirtschaft ein lebhaftes Interesse entgegen­ gebracht wurde, das im Jahre 1818 zur Errichtung der ersten deutschen landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim unter der Leitung von Johann Nepomuk Schwärz führte. Die Schaffung dieser Lehranstalt war der erste Schritt dazu, die Landwirtschaft, die an den Hochschulen bis dahin durch die sogenannten Kamera­ listen hauptsächlich vom volkswirtschaftlichen Standpunkt behandelt wurde, auf Grund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen zu einer selbständigen Wissenschaft zu machen. Wie sehr St. L. Roth die Notlage des Bauernstandes in seiner Heimat während seiner Studienzeit in Tübingen und auch ge­ legentlich seines Aufenthaltes bei Pestalozzi empfunden hat, geht mit größter Deutlichkeit aus einem Briefe hervor, den er am 8. März 1819 von Jferten an seine Eltern geschrieben hat. Er sagt darin: „Es ist in der Tat zu verwundern, daß zu einer Zeit, wo man die landwirtschaftliche Kultur in allen Ländern mehr zu heben sucht, an unsere Landschulen, die natürliche Pflanzstätte ländlicher Betriebsamkeit, gar nicht gedacht hat. Der Landmann lebt so ganz in und mit der Nature an ihre Schöpfungen knüpfen sich seine Hoffnungen und Bestrebungen, ja mit ihnen hängt seine Religion aufs innigste zusammen. Wie kommt es, möchte man fragen, daß man nicht ernstlicher daran gedacht hat, ihn für die edelsten Genüsse der Natur besser zu erziehen? Warum versäumt man es denn, bis auf die neueste Zeit, ihn in seiner Welt so ein­ zuführen, daß er nicht nur lernt, dem Boden seine Erzeugnisse auf eine verständige Art abzugewinnen, sondern daß ihm auch die Natur eine Quelle religiöser Erhebungen wird? Warum macht man denn nicht eine richtige Naturerkenntnis zu einem Hauptgegen stand des Unterrichtes in den Landschulen? Oder wäre das nicht das unfehlbarste Mittel, der Rohheit zu steuern, die Sitten des Landvolkes milder zu machen und es dahin zu führen, daß es sein so mühsames Geschäft von einer höheren Seite lieb gewinnt?" (I, 282 f.) Dafür, daß St. L. Roth auch während der Zeit, die er bei Pesta­ lozzi verb acht hat, alles, was mit der Förderung der Landwirt­ schaft im Zusammenhang stand, mit lebhaftem Interesse verfolgt hat, liegt ein weiterer Beweis in der Tatsache, daß er von Jferten aus das berühmte landwirtschaftliche Erziehungs- und Armen­ institut Fellenbergs in Hofvyl besucht und eingehend besichtigt hat. Er hat bei diesem Besuch nicht nur mit dem Schöpfer und Leiter dieser Anstalt, die in ihrer Art in der Schweiz damals auch noch etwas Neues war, die persönliche Bekanntschaft gemacht, sondern

ist auch mit einem großen Teil der Lehrer — es sollen nahe an dreißig an der Anstalt tätig gewesen sein — in Fühlung getreten (II, 251). Dabei war er bemüht, nicht nur die Art und Weise des Unterrichtes, sondern auch die praktischen Arbeiten der Feldbestel­ lung, Tierpflege, Anwendung neuer Geräte usw. kennenzulernen. Den Zweck seines Besuches bei Fellenberg hat Roth nach dieser Richtung schon von vorneherein in dem am 3. Januar 1819 an seine Eltern gerichteten Brief deutlich gekennzeichnet, in dem er sagt: „Bon Fribourg denke ich dann nach Hofwyl zu gehen, um mich etwas in der Botanik und der Agrikultur umzusehen. Keines­ wegs wünsche und trachte ich hiebei ein gründlicher, ein umfassen­ der Botaniker und Landmann zu werden. Es liegt dies außerhalb der Möglichkeit und außerhalb meines Willens und Vorsatzes. Kenntnis der Giftpflanzen, Futterkräuter und der Obstbaum­ zucht wäre mir aus der Botanik,- Düngung, Felderbenutzung, Werkzeuge wären mir in der Agrikultur hinlänglich. Ich brauche zu meinem Plane nicht mehr" (I, 244). Gelegentlich dieses Be­ suches scheint Roth nicht nur mit seinem reichen Wissen, sondern auch als Mensch auf Fellenberg einen sehr günstigen Eindruck gemacht zu haben, denn nur so ist es verständlich, daß dieser ihm nach so kurzer Bekanntschaft unter günstigen Bedingungen eine Lehrstelle an seiner Anstalt anbot (II, 251). Das Anerbieten wurde von Roth abgelehnt, da er dem Drängen seiner Eltern folgend den Entschluß, ehestens in die Heimat zurückzukehren, schon ge­ faßt hatte und wegen einer Anstellung in Heltau mit den zustän­ digen Stellen bereits in Verbindung getreten war. Die Heimkehr aus der Schweiz führte Roth über Freiberg, Basel, Straßburg, durch das obere Rheinland, über Karlsruhe, Pforzheim nochmals nach Tübingen. Während dieser Reise, die vom 6. April bis 22. Juni 1820 dauerte und von ihm mit zahlreichen Unter­ brechungen und zum großen Teil zu Fuß zurückgelegt wurde, hatte er abermals reichlich Gelegenheit, seine Kenntnisse und Erfahrun­ gen auch auf dem Gebiete der Landwirtschaft zu erweitern. Vor allem sind es auf dieser Reise die Beobachtungen und Vergleiche der Auswirkungen der sogenannten Bauernbefreiung gewesen, die im Rheinland wie auch in Baden und Württemberg zum Teil schon durchgeführt war, die auf Roths spätere Tätigkeit zweifellos in hohem Grade befruchtend eingewirkt haben. Als Folge -er Be­ freiung des Bauernstandes von den Hemmungen, die in Form von Leibeigenschaft, Frondiensten, Flurzwang usw. damals noch fast überall auf dem Bodenbesitz lasteten, zeigte sich dort, wo eine Be­ seitigung derselben erfolgt war, ein deutlicher Aufschwung des Wirtschaftslebens bei gleichzeitiger Zunahme des Wohlstandes ganzer Gegenden gegenüber solchen Landestetlen, wo die Bauern noch mit den mittelalterlichen Rechtsgrundsätzen und Gebräuchen

belastet waren. Das spätere zielbewußte Bemühen St. L. Roths, die Bauern auch in seiner Heimat zu unumschränkten Besitzern ihres Bodens zu machen, ist jedenfalls zu einem wesentlichen Teil auf die während dieser Reise gesammelten Erfahrungen zurückzu­ führen. In Tübingen unterbrach St. L. Noth seine Reise für kurze Zeit, schrieb seine Dissertation über „Das Wesen des Staates als einer Erziehungsanstalt für die Bestimmung des Menschen" (II, 273—287) und erhielt auf Grund dieser Arbeit von der Universität den Titel: „Doktor und Magister". In dieser Arbeit haben unverkennbar auch die sozialpolitischen Anschauungen, zu denen Roth durch seine Studien und Beobachtungen bezüglich der Befreiung und Förde­ rung des Bauernstandes im allgemeinen gelangt war, einen deut­ lichen Niederschlag gefunden. In. der Heimat angelangt, ging Noth sofort mit Eifer und der großen Begeisterung, die für alle seine späteren Arbeiten kenn­ zeichnend geblieben ist, an die Verwirklichung seiner Pläne, die ur­ sprünglich in der Hauptsache auf die Hebung der Volkserziehung ge­ richtet waren. Es sollte zunächst auf dem Kleinschelker Hattert die sogenannte „Räuberburg" erworben und dort nach Muster von Pestalozzi und Fellenberg eine Schule errichtet werden (III, 53 ff.), nt der die Zöglinge neben der entsprechenden wissenschaftlichen und pädagogischen Ausbildung für den Lehrerberuf auch auf dem Ge­ biete der Landwirtschaft sowohl theoretische wie auch praktische Unterweisung erhalten sollten. Zu letzterem Zwecke wollte er sich für den Unterricht auf dem Gebiete der Landwirtschaft einen „aus­ gelernten Ökonomen" aus der Anstalt von Fellenberg kommen lassen (III, 109). Leider mußte Roth aber sehr bald an sich selbst erleben, daß nicht nur Vorurteile, sondern auch Selbstherrlichkeit und eine gewisse Scheu vor Neuerungen in den führenden Krei­ sen der damaligen Zeit so fest verwurzelt waren, daß die Ver­ wirklichung seines ihm so teueren Planes scheiterte. Wie wohl St. L. Roth die Förderung der Landwirtschaft und Hebung des Bauernstandes seit jeher als eine der wichtigsten Auf­ gaben seiner Zeit ansah, hat seine Arbeit nach dieser Richtung doch erst die entscheidende Wendung genommen, als er im Jahre 1837 sich in die kleine in der Nähe von Mediasch gelegene Gemeinde Nimesch zum Pfarrer wählen ließ. Durch das neue Amt gelangte er in unmittelbare Fühlungnahme mit dem Bauernstand und all den Sorgen und Nöten, die auf diesem lasteten. Dabei empfand Noth sehr bald die verschiedenen schweren Mängel der damaligen Wirtschaftsweise, wo neben der starken Zerstückelung des Grund­ besitzes hauptsächlich die allgemein übliche Dreifelderwirtschaft mit Brache und dem strenge gehandhabten Flurzwang jeder fort­ schrittlichen Entwicklung im Wege standen. Daneben machte sich

für öie Landgemeinde auch der Mangel an guten Wegen immer deutlicher als Hemmschuh für die entsprechende Verwertung des Überschusses an landwirtschaftlichen Erzeugnissen fühlbar. Um auch nach dieser Richtung eine Wandlung zum Besseren zu er­ reichen, mußte natürlich zuerst öie öffentliche Meinung auf diese Übelstände aufmerksam gemacht und von der Notwendigkeit der Beseitigung derselben überzeugt werden. Da St. L. Roth während seines Aufenthaltes in Deutschland und in der Schweiz, wie wir gesehen haben, reichlich Gelegenheit hatte, bessere Wirtschaftsmetho­ den, leistungsfähigere Viehrassen, praktische Geräte und Maschinen für den rationellen Betrieb der Landwirtschaft kennenzulernen, stand er dieser traurigen Lage des sächsischen Bauern nicht ratlos gegenüber, sondern erkannte mit klarem Blick, daß vieles von dem, was er in der Fremde als Fortschritt im Betriebe der Land­ wirtschaft kennengelernt hatte, auch in der Heimat mit Erfolg an­ zuwenden sei, daß dazu aber eine Aufrüttelung der in Mutlosigkeit und Entsagung schlummernden Kräfte erfolgen müsse. Aus dieser Erkenntnis hat Noth in Nimesch im Jahre 1842 seine „Unte rsuchungen und Wohlmeinungen über Ackerbauu n d N o m a d e n w e s e n" geschrieben und darin mit besonderem Nachdruck auf die Schädlichkeit des Flurzwanges und des im Zu­ sammenhange damit schmarotzerhaft betriebenen Weideunfugs hin­ gewiesen. Wenn er in dieser Schrift über den Jäger, Hirten und Bauern in historischer Entwicklungsreihe Betrachtungen anstellt und sagt: „Wie die Frucht an einer Pflanze öie letzte und voll­ kommenste Stufe ihrer Entwicklung ist, so ist das völlige, aus­ schließliche Privatrecht die höchste Stufe der Nechtsausbildung in betreff des Bodenbesitzes", so hat er damit wohl in geradezu klassischer Weise zum Ausdruck gebracht, wie sehr das freie Ver­ fügungsrecht über den Boden für den Bauern die unbedingte Voraussetzung für eine fortschrittliche Entwicklung der Landwirt­ schaft ist. In einer kurze Zeit später entstandenen Schrift, die unter dem Titel: „Wünsche und Ratschläge, eine Bitt­ schrift fürs Landvolk" im Jahre 1843 in Druck gegeben wurde, hat Roth versucht, im einzelnen auf die Fehler des dama­ ligen Betriebes der Landwirtschaft hinzuweisen und zugleich Mit­ tel und Wege gezeigt, durch die eine Wandlung zum Besseren er­ reicht werden könne. Wenn er darin sagt: „Der Landwirtschaft kann auf zweierlei Art geholfen werden: teils durch Hinweg­ räumung der im Wege liegenden Hindernisse und teils durch be­ günstigenden Einfluß auf ihre Vervollkommnung" und dann im einzelnen die Maßnahmen anführt, durch die er die Besserung für erreichbar erachtet, so hat er damit zugleich das Programm auf­ gestellt, an dessen Verwirklichung auch gegenwärtig noch gearbeitet wird. Wer diese Arbeit als Fachmann heute, das ist bald

100 Jahre nach ihrer Entstehung liest, mag dieselbe in bezug auf die seither erfolgte Vervollkommnung der technischen Seite der Landwirtschaft und hinsichtlich der Anschauungen auf dem Gebiete der Viehzucht wohl als längst überholt empfinden, wenn man aber bedenkt, daß zur Zeit ihrer Entstehung die Wissenschaft der Chemie, Botanik und Physiologie im Anfang ihrer Entwicklung standen (Justus v. Liebig hat seine berühmte Schrift: „Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie", mit der für die Landwirtschaft ein neues Zeitalter begonnen hat, erst int Jahre 1840 veröffentlicht), so ist es selbstverständlich, daß St. L. Noth in diesen Fragen moderne Erkenntnis noch gefehlt hat und daß die Ansichten seiner Zeit seither in vielen Dingen eine Wandlung er­ fahren haben. Unwandelbar scheint aber die Auffassung, die Noth über die Landwirtschaft und ihr Verhältnis zu Gewerbe, In­ dustrie und Handel, sowie über den Bauernstand als Glied der menschlichen Gesellschaft unter den führenden Männern des säch­ sischen Volkes jedenfalls als erster ausgesprochen hat. Wer das Merkchen heute als Landwirt liest, hat bei vielen Stellen das Ge­ fühl, als seien sie erst jetzt im Zusammenhange mit aktuellen Fragen geschrieben worden. So spricht Noth z. B. von der Er­ weiterung des Kartoffelbaues, die von den gegenwärtigen Führern unserer Landwirtschaft immer noch mit größtem Eifer erstrebt wird, schon damals als Fortschritt im Ackerbau mit dem Be­ merken: „Die Kartoffel gibt uns Mut und Hoffnung, Mißjahre zu überstehen." Desgleichen können auch die Betrachtungen, die er über die Hebung und Förderung des Weinbaues in seinen „Rat­ schlägen" angestellt hat, in mehr als einer Hinsicht auch für die Gegenwart als richtig angesehen werden. Es ist selbstverständlich, daß die von Roth vertretenen Ansichten nicht sofort widerspruchslos Anerkennung gefunden haben, son­ dern daß dieselben zum Teil bekämpft, zum Teil falsch verstanden wurden. Deshalb wurde sehr bald auch das Bedürfnis fühlbar, eine Möglichkeit zu schaffen, die verschiedenen Ansichten und Rat­ schläge auch in der Öffentlichkeit zu diskutieren und das Für und Wider dem Urteil weiterer Kreise zu unterwerfen. Diese Er­ kenntnis hat Roth dazu geführt, ebenfalls im Jahre 1843 unter dem Titel: „An mein Volk! Ein Vorschlag zur Herausgabe von drei absonderlichen Zeitungen für siebenbürgisch- deutsche Landwirtschaft, Ge­ werbe, Schul- und Kirchensachen" mit einer weiteren Schrift vor die Öffentlichkeit zu treten. (Siehe Band V.) Wie sehr er gerade mit Rücksicht auf die Förderung der Landwirtschaft die Schaffung einer Zeitung als Notwendigkeit empfand, das hat er in der Begründung seines Vorschlages ausgesprochen, indem er von der Landwirtschaft sagte: „daß diese das edelste, tiefsinnigste

und scharfsinnigste Geschäft der Welt darstelle und daß deshalb eine ständige Erörterung der sich dabei immer wieder ergebenden neuen Fragen notwendig erscheine". Dieser Vorschlag hat offenbar viel­ seitige Anerkennung gefunden, denn schon im Jahre 1844 wurde unter dem Titel „Deutsches Volksblatt für Land­ wirtschaft und Gewerbe in Siebenbürgen" eine Zeitung geschaffen, in der Noth in zahlreichen Artikeln (Band V.) für die Abschaffung der Brache und Einführung des Frucht­ wechsels mit Futterbau eingetreten ist. Besonders beachtenswert ist ein in Nr. 40 des ersten Jahrganges vom 8. Juli 1845 unter der Aufschrift: „Nicht zu übersehen" erschienener Artikel, in dem Noth sich zum Teil in vorwurfsvollen Worten über den Mangel an „Einsicht und Begeisterung in und für bessere Bewirtschaftung" beklagt. Die Ursache dieser Erscheinung sieht er in dem „Mangel eines Ideales" und ist deshalb der Meinung, daß dieser Übel­ stand am besten durch die Errichtung von M u st e r w i r t s ch a st e n behoben werden könne. Es offenbart sich in Roth nicht nur der große Erzieher, sondern zugleich auch eine reiche praktische Er­ fahrung, wenn er in diesem Artikel weiter sagt: „Eine Anschauung macht die Sache klarer als viele Beschreibungen. Hätten wir das Glück, hierzulande eine ordentlich eingerichtete Bauernwirtschaft mit Stallfütterung und Fruchtwechsel mit eigenen Augen täglich ansehen zu können, so wäre in dieser täglichen Anschauung die Einsicht und auch die Begeisterung gegeben. Unsere armen Bauern, die bei allem Fleiße kaum imstande sind, die Kontribution (staat­ liche Steuern) zu zahlen, würden nicht nur sehen, wie es andere besser machen, sondern sie müßten auch, vom Anblick bezauberte sich gedrungen fühlen nachzuahmen oder desgleichen zu tun. Zur besseren Einsicht käme auch die unentbehrliche Begeisterung." Gleichzeitig wird von Noth zum ersten Male der Vorschlag gemacht, deutsche Einwanderer nach Siebenbürgen zu be­ rufen, um mit ihrer Hilfe die erstrebten Musterwirtschaften zu er­ richten. Dieser Gedanke wurde von Volksfreunden hoffnungsvoll aufgegriffen und fand insoweit auch von Deutschland eine gewisse Unterstützung, als im Jahre 1841 Friedrich L i st in seinem vielbeachteten Buch über politische Ökonomie die Anregung zur Auswanderung deutscher Bauern gegeben hatte und im Jahre 1842 in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" geradezu eine Aufforderung zur Einwanderung nach Siebenbürgen erschienen war. Die Durchführung dieser Idee war in der Weise gedacht, daß „Pfarrer und sonstige Private, die Mayerstuben und Feld­ gründe" hatten, also Grundbesitzer, die ihren Grund nicht selbst bearbeiteten, diesen Einwanderern ihren Grundbesitz aus Grund eines Vertrages zur Bewirtschaftung übergeben sollten. Auf diese Weise hoffte man ohne großen Kostenaufwand in den meisten Ge-

meinden leicht nicht nur zu einer sogenannten „Musterwirtschaft" zu gelangen, sondern gleichzeitig auch eine Stärkung des deutschen Elementes in Siebenbürgen zu erreichen. Als Urheber des Ge­ dankens und gründlicher Kenner der deutschen Verhältnisse wurde St. L. Roth damit betraut, eine Reise nach Deutschland zu unter­ nehmen und dort hauptsächlich in Württemberg deutsche Bauern für die Auswanderung nach Siebenbürgen anzuwerben. Er hat diese mühevolle Arbeit in bereitwilligster Weise auf sich genom­ men und im Jahre 1845 in der Zeit von Mitte August bis Ende November von Cannstadt aus, neben Stuttgart, auf Grund von Verträgen Familien für die Auswanderung nach Siebenbürgen angeworben. In hervorragender Weise wurde Roth bei diesen Arbeiten von seinem Freund Franz Conrad, Hofagent in Wien, unterstützt. In ihrem Endergebnis hat diese großzügig angelegte Aktion die daran geknüpften Erwartungen leider nur zu einem geringen Teil erfüllt und ist für St. L. Roth persönlich zum Ver­ hängnis geworden. Wohl sind bis Ende Mai 1846 laut den darüber vorliegenden Aufzeichnungen im ganzen 307 Familien mit 1460 Köpfen nach Siebenbürgen gekommen, aber da viele von ihnen nicht eigentliche Bauern, sondern kleine Handwerker waren, die nach kurzer Zeit wieder abwanderten, so hat die sächsische Land­ wirtschaft durch die deutschen Einwanderer nur wenig Befruchtung erfahren. Offenbar hat St. L. Roth und alle die Männer seiner Zeit, die an dem Zustandekommen der Einwanderungsaktion mit­ gewirkt haben, sich auch einer Täuschung hingegeben in der An­ nahme, daß deutsche Bauern auf Grund ihrer im eigenen Lande gesammelten Erfahrungen ohne weiteres in der Lage sein werden, auch in Siebenbürgen unter ganz anderen Klima- und Bodenver­ hältnissen mit Erfolg zu wirtschaften. Außerdem hatte man auch die Widerstände unterschätzt, die sich von seiten der ungarischen Machthaber in Siebenbürgen in Verkennung der wahren Absichten Roths sehr bald geltend machten und mit der Einwanderungsfrage die politischen Spannungen zwischen Sachsen und Magyaren soweit steigerten, daß Roth ihnen schließlich zum Opfer gefallen ist. Es kann aus diesem Mißerfolg aber Roth ebensowenig ein Vorwurf gemacht werden wie den Einwanderern und Grundbesitzern, die solche aufgenommen hatten, da man in der damaligen Zeit die naturgegebenen Differenzen der landwirtschaftlichen Betriebe in ihrer Bedeutung für den Wirtschaftserfolg zu wenig gekannt hat. Heute würden die Fachleute vor einem ähnlichen Experiment je­ denfalls warnend ihre Stimme erheben, da man genau weiß, daß subjektive, empirische Erfahrung allein nicht genügt, um unter un­ bekannten, verschiedenartigen Verhältnissen Landwirtschaft sofort mit Erfolg betreiben zu können. Der unmittelbare Einblick, den St. L. Roth als Landpfarrer in

das Dorfleben und den Betrieb der bäuerlichen Wirtschaften er­ langte, offenbarte ihm sehr bald, daß neben der Dreifelderwirt­ schaft mit ihrem Flurzwange auch die starke Zerstückelung des Grundbesitzes durch Erbteilung eine rationellere Wirtschaftsweise unmöglich machte. Um diesen Übelstand zu beseitigen, hat er im Jahre 1845 in seinem in der „Transsilvania" (Beiblatt zum Sie­ benbürger Boten) Nr. 53, 6. Jahrgang, 1845, an die Pfarrherren der evangelischen Kirche im Zusammenhange mit der „MayerFrage" gerichteten längeren Artikel zum ersten Male auf die Kommassierung (Sie Zusammenlegung) der Pfarrgründe hingewiesen und diese als wünschenswert empfohlen. Wie sehr er gerade mit dieser Frage den Kernpunkt der ganzen fortschritt­ lichen Entwicklung der Landwirtschaft erkannt hat, ist der Allge­ meinheit erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts so recht zum Be­ wußtsein gekommen, als durch die Bemühungen des Siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaftsvereines die Kommassation in den meisten sächsischen Gemeinden tatkräftig in Angriff genommen und durchgeführt wurde. Damit wurden mit einem Schlage all die großen Hindernisse, die einer besseren Ausnützung des Grund­ besitzes in der Dreifelderwirtschaft, der starken Bodenzerstückelung, dem Flurzwang und des allgemein beklagten Weideunsuges im Wege standen, beseitigt. In den meisten Gemeinden war schon wenige Jahre nach Durchführung der Kommassation eine sichtbare Steigerung des Wohlstandes festzustellen. Durch sein unermüdliches Eintreten im Wort und Schrift für die von ihm als dringend notwendig erkannte Förderung des Bauernstandes hat St. L. Roth jedenfalls am meisten dazu beige­ tragen, daß sich im Jahre 1843 gelegentlich der Generalversamm­ lung des Vereines für siebenbürgische Landeskunde in Kronstadt am 9. Juni unter dem Vorsitz des Hofagenten Franz Conrad eine größere Anzahl führender Männer versammelte, um darüber zu beraten, „wie die gesunkene Agrikultur in den sächsischen Kreisen zu heben sei". Das bei dieser Beratung aufgestellte Programm fand grundsätzlich allgemeine Zustimmung, so daß der „Sieben­ bürger Volksfreund" darüber mit Freuden berichtete und von dem im Entstehen begriffenen Verein sagen konnte: „welcher so zeit­ gemäß und von so großer Wichtigkeit für uns Sachsen ist, wie keiner von den Vereinen, welche wir in letzter Zeit zu so vielen guten Zwecken ins Leben gerufen haben". Die tatsächliche Grün­ dung des Landwirtschaftsvereines erfolgte am 5. März 1845 in Klausenburg, wo unter Vorsitz des Oberlanöeskommissärs Hofrat Josef Bedeus v. Scharberg durch die dort an­ wesenden sächsischen Abgeordneten der Systemaldeputationen und mehrere Gubernialbeamten nach mehrfachen Änderungen und Ver­ besserungen das Programm und die Statuten des Siebenb.-sächsischen

Landwirtschaftsvereines festgesetzt wurden. St. L. Roth hat an dieser Beratung persönlich nicht teilgenommen, aber es ist unzweifelhaft, daß seine Tätigkeit und die von ihm vertretenen Ansichten tu hohem Grade zur Erweckung der Geister beigetragen haben. Im Jahre 1846 wurde, nachdem inzwischen die Werbung von Mit­ gliedern und Zeichnung von Aktien für den Verein mit ent­ sprechendem Erfolg durchgeführt morden war, in Mühlbach die erste ordentliche Jahresversammlung abgehalten uno dabei die Wahl der Oberverwaltung vollzogen. Es ist sehr bezeichnend, daß St.L.Roth damals nicht in die Oberverwaltung des Landwirtschaftsvereines gewählt wurde. Wohl hatte Roth seine Reise nach Württemberg zur Anwerbung von Einwanderern nach Siebenbürgen mit Zu­ stimmung der damaligen politischen und kirchlichen Führung des Sachsenvolkes unternommen, aber, da allerlei Verdächtigungen über ihn ausgesprengt worden waren und seine Bemühungen nicht die erwartete Unterstützung gefunden hatten, legte er die Geschäfte der Kolonisationsleitung, — nachdem er bereits im Fe­ bruar 1846 durch eine öffentliche Erklärung im „Schwäbischen Merkur" bekanntgegeben hatte, daß er vor der Hand keine Ein­ wanderer mehr nach Siebenbürgen benötige —, im Sommer des Jahres 1846 nieder. Damit stellte er sich aber nicht gekränkt und untätig beiseite, sondern er erteilte immer wieder durch neue Veröffentlichungen im „Bolksblatt für Landwirtschaft und Ge­ werbe für Siebenbürgen" wie auch im „Volksfreund" und im „Siebenbürger Boten" dem Bauernstände Belehrungen über bessere Bodenbearbeitung, Fruchtwechselwirtschaft, Stattfütterung usw. Wenn er dabei für seine Artikel Titel wie: „Ihr Herren laßt Euch sagen, nach finstrer Nacht ist's Zeit zum Tagen" wählte und in einem anderen sagte: „Für so vieles hat das Volk, das Land, der Fürst etwas getan, für den Bauern als solchen in der Welt nichts. Theologen, Juristen, Kameralisten usw. haben Stipendien, Lehr­ anstalt usw., Gewerbe haben in den Zünften, der Wanderung, den Probearbeiten Lehre und Ansporn, für den einzigen Bauern­ stand ist in der lieben Welt nichts geschehen. Er wird gemolken wie eine Kuh, geschoren wie ein Schaf, mutz ziehen wie ein Ochse und wird zum Reiten gebraucht wie ein Pferd, hie und da be­ handelt wie ein Hund. Das ist nicht Recht, das ist bei Gott nicht Recht", so ist dies ein Beweis dafür, wie unbeirrt Roth aus sein Ziel losging und wie sehr ihm das Wohl und Wehe des Bauern­ standes im Interesse seines Volkstums am Herzen lag. Er war niemals von Ehrgeiz oder Eigennutz geleitet, sondern hat stets Ge­ meinwohl über Eigenwohl gestellt. Wenn er am Schlüsse seines „Offenen Briefes ins Sachsenland", in dem er dem neu gegrün­ deten Landwirtschaftsverein eine ganze Reihe von Ausgaben, darunter auch die Errichtung von Ackerbauschulen, stellt, sagt: „Ein

jeder verfolge gute Zwecke in seiner Art, ich helfe überall, wo und wie und solange ich kann und dennoch wird die dornte mir eher sinken, als es der Mühe lohnte, geboren zu sein", so kennzeichnet St. L. Roth selbst in klarer Weise, wie sehr es ihm ausschließlich um sein uneigennütziges Opfer auf dem Altare seines geliebten sächsischen Volkes zu tun gewesen ist. $

Was die Textgeschichte der beiden im nachfolgenden abge­ druckten landwirtschaftlichen Schriften Roths anbelangt, ist zu sagen: Die „Untersuchungen und Wohlmeinungen" sind, so lange Roth lebte, überhaupt nie im Drucke erschienen. Daß er es wohl einmal versucht hat, sie zu veröffentlichen, geht aus einer Reüaktionsmitteilung der „Blätter für Geist, Gemüt und Vaterlandskunöe" (Druck und Verlag von Joh. Gött, Kronstadt) aus dem Jahre 1847, Folge 41, an „Pestalozzi" hervor: „Ihr .Bruch­ stück einer landwirtschaftlichen Abhandlung über Ackerbau und Nomadenwesen, Zehendablösung und Stallsütterung auf Sachsen­ boden in Siebenbürgens welches heute erscheinen sollte, ist durch unabweisliche Umstände für jetzt unmöglich gemacht worden, wir hoffen jedoch in kurzer Zeit ihren Wunsch zu erfüllen. Die Red." Trotz dieses Versprechens ist es, wie gesagt, nie erschienen. Am 12. Januar 1872 schreibt dann Franz Obert darüber: „Die vorliegende Abhandlung St. L. Roths kam mir vor einigen Tagen zu Händen", und veröffentlicht die Schrift in der „Kronstädter Zei­ tung". Von dieser Veröffentlichung wurden auch Sonderdrucke hergestellt. Sie tragen den Titel „Untersuchungen und Wohl­ meinungen über Ackerbau und Nomadenwesen. Aus dem Nachlasse Stefan Ludwig Roths, mitgeteilt von Franz Obert". Die Druckvorlage Oberts ist im jetzigen Nachlasse St. L. Roths nicht mehr erhalten. Erhalten ist in ihm bloß eine Fassung, die wohl als erste Niederschrift anzusehen ist. Ihr ursprünglicher Titel lautete: „Landwirtschaftliche Wohlmeinungen". Diesen änderte Roth später um in „Untersuchungen und Wohlmeinungen über landwirt­ schaftliche Gegenstände auf Sachsenboden in Siebenbürgen". Und erst der dritte Titel blieb der endgültige. — Da diese Seite der Handschrift, welche die eben erwähnten Titel und deren Ver­ änderungen aufbewahrt hat, auch sonst aufschlußreich ist für Roths Arbeitsweise, wird sie am Ende dieses Bandes in getreuer Fak­ simile wiedergegeben. — Diese Handschrift ist auch in ihrem wei­ teren Verlaufe vielfach verbessert ivordcn. Sie ist nicht vollständig. Ein Vergleich mit dem Obert'schen Text ergibt, daß sie umfang­ reicher war als die Druckvorlage. Auffallend ist auch, daß es in dieser Fassung stets „Attmande" heißt statt „Allmende". Da

Oberts Druckvorlage in mehr als einer Hinsicht den Eindruck einer reiferen Fassung macht, sei die Schrift hier so wiedergegeben, wie Obert sie veröffentlicht hat. Nur dort, wo ein Vergleich mit der ersten Niederschrift ergab, datz sich in den Obert'schen Text Fehler eingeschlichen hatten, sind diese auf Grund jener richtiggestellt worden. Obert veröffentlichte die.Schrift ein zweites Mal in seinem Werk „St. L. Roth, Sein Leben und seine Schriften", 2. Band, Seite 82—104. In der vorliegenden Ausgabe gelangt sie also zum dritten Male zu einem Neudruck. Der Text der Bittschrift fürs Landvolk „Wünsche und Rat­ schläge" ist in handschriftlichen Fassungen überhaupt nicht er­ halten. Das Vorwort des 1843 im Verlag der v. Hochmeister'schen Erben erschienenen Erstdruckes trägt das Datum: Nimesch, den 31. Dezember 1842 (f. S. 209). Dieser zählt Kleinoktav 99 Seiten. Obert druckte sie 1896 in seinem oben angegebenen Werk Seite 151—203 ab. Hier wird sie also nun zum dritten Male, nach dem Text des Erstdruckes von 1843, veröffentlicht.

Untersuchungen und Wohlmeinungen über Ackerbau und Nomadenwesen Von St. L. R o t H (1842) I.

Der Jäger, - er Hirte und der Bauer Sevor der Mensch für Kunst und Wissenschaft empfänglich wird, zwingt ihn die Notdurft des Lebens zur Stillung der sinnlichen Bedürfnisse. Ungestüm ist der Erhaltungstrieb. Lebensmittel herbeizuschaffen ist also des Menschen erstes und wichtigstes Geschäft. Der Nährstand ging also in der Geschichte der Menschheit dem Gewerbewesen voraus. Den Zug, den die Menschheit in ihrem Bildungsgänge macht, eröffnete der Jäger mit Spieß und Keule. In der Mitte erscheint der Hirte mit den Herden und endlich schließt den Zug der Bauer mit dem Ährenkranz. Dieser Zug kommt aber bei allen Völkern nur mit nach und nach auf die Bühne des Lebens. Wie bei einer Pflanze auf dem Wege ihrer Entwicklung sich immer neue Zustände ergeben und einer den anderen be­ dingt, so daß die Blüte nicht hinter -er Frucht kommt, son­ dern ihr vorausgeht — zu beiden aber bereits eine Pflanze herangewachsen sein muß, an der sie haften und reifen können: entwickeln sich auch die menschlichen Zustände, es kann nicht der Bauer vor dem Hirten zum Vorscheine kom­ men und der Jägerstand muß schon vor beiden in der Ent-

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Untersuchungen und Wohlmeinungen

Wicklung der Menschheit vorangegangen sein. Es ist zwar vor und nach der Blüte, mit und ohne Frucht, immer die­ selbe Pflanze, aber dabei jedesmal in einem verschiedenen Zustande der Entwicklung. Also ist der Mensch immer Mensch, als Jäger, Hirte und Bauer, aber er befindet sich, je nachdem er eines oder das andere ist, auf einer verschie­ denen Stufe seiner Entwicklung. Den peinigenden Hunger und die Kälte hat Gott den Menschen nicht aus Rachsucht für den Apfelbiß, noch aus Freude an unserer Mühseligkeit zu­ geteilt, sondern seine liebevolle Weisheit wollte durch d>e notwendige Befriedigung solcher Triebe den Menschen aus dem bloß tierischen Zustand herausdrängen, durch die Ver­ legenheit zum Nachdenken, durch die Schwäche zur Gesellig­ keit und durch alles übrige, was er gibt und versagt, zur Entwicklung der menschlichen Anlagen veranlassen. Die Not fährt wie der Stahl mit Gewalt am Steine herab und er­ zeuget dadurch erst den Funken des Lichtes und der Wärme. Im Paradiese, das wir uns gerne als einen Garten mit gepfropften Bäumen vorstellen, wo man nur beißen darf und wo ein Feigenblatt zur Kleidung genügt, sind wir dermalen lebende Menschen schon nicht mehr. Wir müssen arbeiten, um zu leben. Seine Ernährung des Leibes übte der Mensch zuerst als Jäger aus. Er erschlug das Wild, wovon die junge Erde wimmelte; der Hirte zähmte dann das Wild und der Ackers­ mann richtete es zur Arbeit ab. Es sind also diese drei Stände aufeinander folgende Bildungs- und Entwicklungs­ stufen. Es sind dieses drei Ernährungsformen. Fragt man nach den wesentlichen Merkmalen derselben, so können wir diese an den Entwicklungsstufen im Rechtsbegriffe auf das Recht des Eigentumes anschaulich nachweisen. Das beweg­ liche Eigentum ist früher als das unbewegliche. Das Beweg­ lichste aber unter den Beweglichen wird das erste fein; und darum erscheint das Tier als erstes Eigentum. Mit der

Habhaftwerdung eines Tieres fängt Ser Mensch seine Herr­ schaft auf Erden an. Besitznahme eines Tieres macht Sen Menschen zum Hirten, es ist dieses sein erstes erworbenes Eigentum. Beim Jäger sind alle Tiere noch wild, ungezähmt. Solange das Wild noch frei ist, kann er es nicht eigen heißen. Nur verwundet oder tot wird es sein Eigentum. Solange es fliegt, läuft oder schwimmt, ist es nicht sein,- und wenn es sein wird, hörts bald auf zu fein; denn er verzehrt es oder es verweset. Die Benützung des Tieres geht durch den Toschnell vorüber. Der Jäger ist hauptsächlich ein Fleischfresser, das listigste Raubtier. Anfangs jagt jeder nur für sich und bloß auf eigene Rechnung. Nur wenn das Wild seltener und scheuer wird, bedarf es größerer List, des Zusammenwirkens mehrerer Jäger. Die Not walkt die Hirten zu Gesellschaften zusammen, wie der Hüter im Filzen die Haare. Ein Jäger erschlug eine wilde Hündin und bekam Junge mit. Er er­ zieht sie mit den Resten vom Fleische — die Anlage und Be­ stimmung war da — der Hund wurde des Menschen Gefährte zur Tötung und Gefangennehmung anderer Tiere. Durch die Zähmung eines betäubten, jungen oder gefan­ genen Tieres bietet sich dem Jäger die Gelegenheit dar, Hirte zu werden. Es muß schon der Mangel an frischem Fleische erfahren worden sein, um ein gefangenes Tier für künftige Speisung am Leben zu lassen. Vermutlich entstand aus dem geselligen, blöden Schaf das erste Hausvieh. Auf der Hirten­ stufe ist das Eigentum lebendiges Vieh und nicht mehr bloß totes. Das Geschäft ist menschlicher geworden. Es tötet nicht sowohl, als es behält die Tiere in der Gefangenschaft. Es wird zahm. Durch die Zähmung tritt der Mensch mit dem Vieh, das er seiner Freiheit beraubte, in ein gewisses Rechts­ und Pflichtenverhältnis. Will -er Mensch am Vieh, das er in seine Gewalt lebendig bekommen hat, ein Eigentum be­ halten, so muß er für dessen Nahrung und Pflege sorgen: Folberth, St. 8. Roth. IV.

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er übernimmt also eine Verpflichtung, für die Erhaltung dieses Lebens zu sorgen. Derjenige Jäger, welcher in dieses Verhältnis sich mit einem lebendigen Tiere durch dessen Ver­ sorgung setzt, tritt dadurch aus dem Jägerstand in den Hir­ tenstand. Die Sorge also für die Unterhaltung eines tieri­ schen Lebens ist die Brücke, über die die Menschheit aus dem Jägerstand in die Hirtenwelt hinüberkommt. War beim Jäger die Besitzerweiterung der Tod, so verfeinert sich dieses Besitz­ recht beim Hirten nur auf Gefangenhaltnng oder Beraubung der ursprünglichen wilden Freiheit; war der Jäger ein Fleisch­ fresser, so ist dem Hirten die gewöhnlichste Speise die Milch. Die Ernährung dieses Viehes setzt einen Boden voraus, wo das gezähmte Vieh weiden kann. Wesentlich ist bei der Ernährung des Viehes im Hirtenleben, daß sich das Vieh die Nahrung selber pflücket. Die Sense, Sichel und der Häcksel­ kasten fallen in die Bauernzeit. Diesen Boden an und für sich betrachtet der Hirte noch nicht als sein Eigentum, son­ dern sein Rechtsanspruch geht nur auf das Gewächs, welches die Oberfläche dieses Bodens trägt. Man sieht, die Rechtsidee wird immer bestimmter, der Jäger hat nur das Wild im Auge, das über den Boden läuft; beim Hirten hat sich das Recht schon näher bestimmt; er macht Ansprüche auf die Er­ trägnisse dieses Bodens, ohne selbst jedoch an die Bebauung die Hand zu legen. Noch kümmert ihn der Boden selbst wenig, nur, was er freiwillig trägt, beweidet der Hirte, bis endlich der Bauer auch vom Boden, abgesehen vom Erträg­ nis, Besitz ergreift. Aber selbst dieser bescheidene Anspruch des Hirten auf das bloße Beweidungsrecht der wild gewachsenen Pflanzen auf einem gewissen Boden kommt, wo Weide genug ist, nicht zum Bewußtsein. Solange es an Futter in einer Gegend nicht fehlet, kommt der Begriff eines näheren Rechtes darauf auch keinem Hirten in den Sinn. Ist Weide genug da, was kümmert sich ein Hirte darum, wenn ein anderer neben ihm

weidet, oder gerade da weidet, wo er heute oder gestern weidete,' denn wenn hier eine Strecke auch abgeätzt wird, so ist ja rechts und links noch Weide genug. Mehren sich aber Hirten und Herden und es stellt sich hinreichender Weide wegen schon Bedenklichkeit und Verlegenheit ein, so drän­ gen sich schon Rechtsfragen zur Entscheidung in den Vorder­ grund. Wenn zwei an einem Orte nicht weiden können, wer hat das Recht dazu! Die Besorgnis und die Sorge nötiget zur Entwicklung -es Rechtsbewußtseins. Die Tatsache des Lebens erzeugt hier das Rechtsbedürfnis. Es erfolgt daher eine Rechtserörterung, aber jedesmal erst dann, wenn ent­ gegengesetzte Rechtsansprüche aufeinander stoßen. Nicht ein Professor ersinnet die Fälle — das Leben stellt sie auf. Ist ein Hirte schon im Gebrauche und Besitz einer Weidegegend und ein zuwandernder Hirte will auf demselben Platze mit seinen Herden sich ausbreiten, so vertragen sie sich oder nicht. Ist hinlängliche Weide da und selbst für die Zukunft kein Mangel zu befürchten, so werden sie sich gegenseitig gerne sehen und wohl leiden. Denn wo das Interesse nicht scheidet, bindet die Einsamkeit. Wenn aber nur ein Hirte daselbst hinreichende Weide hat, beide aber den Platz behaupten wollen, so stoßen über die Benützung dieses Platzes zwei Willen, als Rechtsansprüche, aufeinander. Es wird sich der Konflikt durch das Recht der ersten Besitznahme, durch Ver­ trag oder durch Gewalt entscheiden. Alle drei voneinander wohl zu unterscheidende Rechtsbestimmungen bilden die ersten Paragraphe eines sich immer mehr ausbildenden mündlichen Rechtsbuches. Räumt einer den strittigen Platz, bleibt aber in der Nähe, so bringt das Beweiden zweier ab­ gesonderter Plätze eine von Zeit zu Zeit immer genauere Rechtsbestimmung von Grenzen hervor. Diese zwei Hirten­ familien oder Hirtengemeinschaften machen also schon gegen­ seitig Rechte auf die Benützung eines gewissen Bodens gel­ tend, aber die einzelnen Glieder dieser zwei Familien haben

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Untersuchungen und Wohlmeinungcn

auch ein Recht unter sich. Es ist also das ursprünglich ein­ fache Recht schon ein doppeltes geworden: das Recht, das sie gemeinsam miteinander ausüben und dann das Recht, das sie der anderen, fremden Hirtenfamilie entgegensetzen. Es erscheint ihnen also dieses Revier jenen gegenüber schon als besonderes und untereinander als ein gemein­ schaftliches Recht. Die übrigen Weideplätze der Erde haben noch kein Recht, weil noch niemand Besitz davon ergriffen hat. Wo aber ein jeder zugreifen kann, da ist auch kein Recht. Wie entsteht nun der Bauernstand? Der Hirte benützt nur das Futter, das die gütige Natur von selbst für ihn und zur Ernährung seiner Herden frei­ willig trug. Höchstens zündet er Wälder an, um Raum für Weide zu machen oder Raubtiere aus ihren Schlupfwinkeln zu verscheuchen,' mehr tut er nicht. Wenn nun die freiwilligen Gaben der Natur nicht mehr ausreichen, zwingt letztlich die Not den Menschen zum Anbaue. Wenn die Hirten dieses tun, so treten sie ins Bauernwesen, das seinen Namen vom Anbauen des Bodens hat. Hiedurch geht nun in den Rechts­ begriffen eine neue und große Veränderung vor. Der Bauer wird es recht eigentlich nur dadurch, daß er das bereits vom Hirten gezähmte Vieh zurArbeitabrichtet. Auch Hir­ ten können mit eigenen Händen etwas anbauen, sie hören aber nur dann auf Hirten zu sein, wenn sie das Vieh zur Arbeit zwingen. Ist daher der tödliche Spieß das Sinnbild -es Jägers, der Milchschachtert1 das Sinnbild des Hirten, so bezeichnet sich der Bauernstand mit dem segensreichen Pfluge. Durch die Bebauung des Bodens entsteht das bleibende Eigentum. Der Boden selbst wir- nun zum Eigentum, und zwar zum Unterschiede von der allgemeinen Benützungsart des Hirtenstandes, Eigentum eines Einzelnen, nämlich -es Bauers. Der Bauernstand will ein ausschließliches Privile­ gium erringen und gründet dies Recht auf die Mühe, den 1 Mundartlich für Milchkübel.

Fleiß und die Zeit, die er darauf verwendet hat. Erreicht -er Bodenbesitz das ausschließende, besondere Privatrecht, was auch nur stufenweise geschieht, so ist hiemit der Begriff aus­ gebildet, es läßt sich keine weitere Entfaltung denken und erwarten. Wie die Frucht an einer Pflanze die letzte und vollkommenste Stufe ihrer Entwicklung ist, so ist das völlige, ausschließliche Privatrecht die höchste Stufe der Rechtsaus­ bildung in Betreff -es Bodenbesitzes. Die Menschheit ist aber nicht zugleich, nicht überall, nicht mit ganz gleichem Schritte in dieser Rechtsausbildung vor­ geschritten. Hier ist reiner Jägerstand, dort reiner Hirtenstand und nur in den dichtbevölkerten Staaten und Ländern ein reiner Bauernstand; aber an ebensovtelen Orten sind die Stände nicht rein, nicht ganz nur einer, sondern durch vermit­ telte Übergänge aus einem Stande in den anderen vermischt. Bis ein Stand sich aus dem anderen ganz losschälet, setzt es aber Reibungen ab. Die früheren Zustände wollen fort­ dauern, die jüngeren sich geltend machen. Jeder Most muß gären, bis er Wein wird. Diese Gärung und dieser Kampf des neuen Lebens stellt sich auch bei den Gestaltungen dieser Stände ein. Denn dem Jäger verscheucht der Hirte das Wild; dem Hirten zerstört des Bauern Pflug die Weide für seine Herden und was hinter dem Pfluge wächst, nimmt der Bauer als sein Eigentum für sich in Anspruch. Der Hirte tut zwar nicht dem Erwerbsleben des Jägers Abbruch — aber sein Wesen bringt es mit sich, daß er das Jagdwesen beeinträchtigt; ebenso geht der Bauer nicht darauf aus, dem Hirten seine Viehweide zu schmälern, aber sein Geschäft bringt es mit sich, daß dadurch die wilde Wiese auf engere Räume zurück­ geführt wird. Eben weil die späteren Stände den früheren Abbruch tun, mag der Jäger nicht den Hirten und der Hirte nicht den Bauern. Die letzte und gewisse Hoffnung ist dann doch die, daß der Hirte gewiß den Jäger verdrängt, sowie der mühsame Bauer sicherlich den faulenzenden Hirten.

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Untersuchungen und Wohlmeinungen II. Das Sachsenland

Wir Bewohner des Sachsenbodens sind aus dem Jäger­ zustande längst heraus: niemand unter uns lebt bloß vom Fleisch erlegten Wildes. Diese erste Stufe ist also völlig, Gott sei Dank, überwunden. Das Hirtenleben lebt rein nur noch im Gebirge, wo kein Fruchtbau ist. Hier unten in den Tälern ist Banernwesen, aber mit Hirtenwesen ver­ mischt und im Kampfe. Die Strebung der Zeit geht zwar auf völlige Überwindung auch der zweiten Stufe; allein durch die Vermischung mit einer Bevölkerung, die im Kern ihrer Sitten noch am Hirtenleben hänget, wir- der sonst leicht getane Schritt sehr erschwert. So stecken wir also noch zwischen Tür und Angel und die meisten Bewohner sind keines von beiden ganz, sondern halbe Bauern, halbe Hirten, auch manchmal nur Viertelsbauern und Dreiviertelshirten. Doch treibet die Not; wenn die Frucht reif ist, wird sie von selbst fallen. Damit aber meine Beleuchtung, daß wir noch samt und sonders im Hirtenwesen und mehr noch, als man sich gewöhnlich schmeichelt, stecken, lade ich zu einer Betrach­ tung unserer Zustände ein. Wir wollen die Beurteilung unserer Zustände am sicher­ sten Maßstabe nachweisen, an der Stufe, auf welcher sich das Eigentumsrecht befindet. Wir erkannten als Eigentümlich­ keit des Hirtenstandes das gemeinschaftliche Recht der Bodenbenutzung; als Eigentümlichkeit aber des Bauern­ standes die B e s o n d e r h e i t des Bodenwesens, das eigent­ liche Privateigentum. Wenn daher auf Sachsenboden noch beide Stände vorhanden sind und leben, so müssen am Bo­ denrechte diese Merkmale des gemeinschaftlichen und beson­ deren Eigentumes wahrnehmbar sein. Sind diese Merkmale da, so ist auch an dem Vorhandensein der beiden Stände in bezeichneter Art nicht zu zweifeln. Wir sehen nach.

Es finden sich auf Sachsenboden teils Allmenden, auch Gemeinweide genannt, und dann auch Privateigentum. Auf der Allmende kann kein einzelner sagen, welches Stückchen aus der Gemeinweide ihm allein zugehöre. Wohl gehört es auch ihm, aber nur insoweit, als sein Vieh darauf weidet. Wie sein Vieh vom Flecke fortgehet und wie anderes darauf kommt, wechselt auch das benutzende Recht, woran alle teil­ haben, denn es gehört allen, es ist Allmende, ein g e m e i ns ch a f t l i ch e s Eigentum. Ebenso finden wir aber auch ans demselben Sachsenboden Privateigentum, das beson­ deren Personen zugehört. Hier kann der einzelne ein be­ stimmtes Stückchen Erde als sein besonderes Eigentum angeben, das ihm und nicht einem anderen gehört. Diese zwei verschiedenen Rechte auf unserem Sachsenboden weisen mit Fingern nach, daß ein Teil unseres Bodens noch ans der Rechtsstufe des Hirtenstandes sich befindet, der andere aber schon auf der Rechtsstuse des Ackerbaues stehe. Inwie­ weit nun beide Eigentumsarten, nämlich das allgemeine und das besondere, ans unserem Boden gelten, treiben die Bewohner dieses Bodens teils Hirtenwirtschaft, teils Bau­ ernwesen. Beide Arten des Eigentums finden wir bei uns: mithin stehen wir auf zwei Stufen der Rechtsentwicklung. Diese zwei Stufen zeigen sich aber nicht in zwei streng gesonderten Ständen des Hirtenwesens und des Ackerbaues, sondern in den einzelnen Personen vermischt, so daß nur wenige bloß Hirten und nicht auch Bauern, und nur wenige bloß Bauern und nicht auch Hirten sind. Wären einige bloß Hirten und übten keinen Ackerbau, so gäbe es noch einen Hirtenstand, der als solcher rein dastünde,' gäbe es Bauern, die vom Hir­ tenrechte der Gemeinbeweidung keinen Gebrauch machten oder vielleicht auch kein Recht darauf hätten, so hätten wir auch einen reinen Bauernstand. Nun aber sind die Be­ wohner des Sachsenbodens in die zwei Stände haarscharf

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Untersuchungen und Wohlmeinungen

nicht ausgeschieden, sondern es übt jeder die beiden Rechte aus. Man ist Hirte und auch Bauer, und wieder Bauer und auch Hirte. Es ist also eine Übergangsperiode, wo das Hir­ tenwesen verlassen und der Ackerbau ergriffen wird. Dieser Übergang ist bei den Walachen ein Fortschritt, denn diese tun aus dem Hirtenleben einen Schritt ins Bauernleben, also vorwärts,' die Sachsen hingegen verharren auf dem vor siebenhundert Fahren schon errungenen Standpunkt des Überganges, sie befinden sich also im Stillstand. Unterm Könige Matthias bis zur Reformation scheint aber die Be­ völkerung so dicht gewesen zu sein, -aß es wahrscheinlich ist, -aß dazumal auch ein reines Bauernwesen unter ihnen statt­ gefunden habe. Die enorme Anzahl Gewerbsleute auf den Dörfern und die vielen Ackerraine, die wir jetzt zum Teil in Wäldern und anderen Gemeinplätzen finden, lassen auf eine so große Ausdehnung des Ackerwesens schließen, daß damals vermutlich hie und da kein Hirtenrecht unter ihnen gegolten haben mag. Wäre Liese Mutmaßung wahr, so hätten diese Ortschaften nur einen Rückschritt getan. Sie wären aus dem reinen Bauernwesen zum Teile wieder in das Hirtenleben zurückgefallen. Währen- also die Walachen offenbar im Fort­ schritt begriffen sind, stehen die deutschen Bewohner ent­ weder im Stillstand oder haben sogar einen Rückschritt getan. Genug, auf Sachsenboden ist Las Bodenrecht dermalen teils ein hirtliches, teils ein bäuerliches. Wir haben Privatgrund und auch Allmende. Ist aber unsere Rechtsentwicklung ein Zustand, der auch das Merkmal des Hirtenwesens, auch das Merkmal des Ackerbaues hat, so ist noch zu fragen, ob wir in diesem zwitterhaften Rechtsleben mehr auf der Seite des Hirten oder mehr auf der Seite des Bauern stehen? Oder ist unsere Stellung mitten zwischen beiden? Wäre der letztere Fall: so könnte man sagen, wir wären halb Bauern und halb Hirten. Stehen wir aber nicht in der Mitte zwischen beiden Rechtsentwicklungen, so sind wir ent-

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weder dem Hirtenwesen näher oder wir haben die Mitte überschritten und sind dem reinen Bauernwesen näher. Wel­ cher dieser drei Fälle mag für uns gelten? Wir Sachsen sind in der Meinung, unser Bodenrecht habe die Mitte über­ schritten. Man täusche sich aber nicht durch eine oberflächliche Betrachtung und scheue die kleine Mühe nicht, die Sache gründlicher zu untersuchen, um sich selbst besser kennen zu lernen. Selbstkenntnis ist niemals schädlich und oft recht nützlich. Wir haben Allmenden mit Hirtenrecht, Privatgrund mit Bauernrecht, aber es haftet auf dem Privatgrund auch noch ein Kommunalrecht der gemeinschaftlichen, also hirtenmätzigen Benützung. Halb Bauern und halb Hirten sind wir also nicht, denn, wie die Sachen stehen, ist das Recht des Hir­ tenwesens wegen der Mitbenützung des Privatgrundes in größerer Ausdehnung als das Recht des Ackerwesens. Man wird nicht irren, wenn man, der gezeigten Rechtsent­ wicklung nach, die dermalige Population in */» Bauernschaft und 3/4 Hirtenschaft einteilt: nicht nach der Zahl der Aus­ übenden, sondern nach dem Grundsätze des unter uns im Gebrauche befindlichen Eigentumsrechtes. Das Hirtenwesen, gleichviel, von wem es ausgeübt wird, hat nämlich dreimal mehr Anteil am Hattert oder seiner Be­ nützung als der Bauernstand. Wir wollen dieses näher nach­ weisen, um dadurch aus den Träumen über die Kulturstufe, auf der wir zu stehen vermeinen, aufzuwachen, da wir noch ein gut Stück zurückhaben, ehe wir zu ganzen Bauern werden. Oder gilt das ganze Bauernrecht? Mit Nichten! Welcher Stand also oder welches Eigentumsrecht hat denn das Übergewicht? Allerdings Las Hirtenrecht, weil das Recht der allgemeinen Benützung sogar auf dem Privat­ grunde gilt. übt denn nicht die Kommunität, nämlich zu gewissen Zei­ ten, ein Mitbenützungsrecht aus und geschieht dies nicht selbst der Form nach durch Beweidung? So ist zwar der

Privateigentümer ein besonderer Eigeniimer seines Bauern­ gutes, aber er hat einen Miteigentümer. Der Bauer ist also nicht ein alleiniger und ausschließlicher Eigentümer seines Privatgutes. Zu einer gewissen Zeit kann wohl der Eigen­ tümer sagen: diese Erde ist mein, -ich kann sie allein benutzen! ich allein! Dann kommt aber wieder eine Zeit, wo er dieses nicht mehr behaupten kann, sondern er verschwindet mit sei­ nem besonderen Recht und seinen, wiewohl privaten, Boden benützt jeder aus der Gemeinde und er nur wie jeder an­ dere, bloß als Mitglied des Ganzen. Die Kommunität ge­ steht also dem Privateigentümer nur auf gewisse Zeit ein Privatrecht, ein besonderes Recht zu, hebt aber, wieder zu gewissen Zeiten, alle besonderen Rechte oder Privatrechte auf und tritt, durch das allgemeine Recht das Privatrecht ver­ drängend, in die Mitbenützung. Selbst auf dem Privatboden also, wo das bäuerische Recht zu gelten scheint, ist zeitweise auch das hirtliche im Mitrecht. Auf Privatboden sogar haben also die Rechtsansichten beider Stände noch Geltung. Da­ gegen benützt die Allmenden das Hirtenwesen allein. Denn diese werden nicht bebauet, sondern beweidet, auch nicht vom einzelnen als solchem, sondern von allen einzelnen oder von allen. Dieser Boden ist nicht für den einzelnen in Teile zer­ legt, sondern auf der Ganzheit ruht das Recht der Benützung und wird von allen gemeinschaftlich ausgeübt. Zwar benützt die Allmenden durch die allgemeine Beweidung auch -er ein­ zelne Eigentümer, aber er übt es nicht als ein besonderes Recht, nicht als Ackerbauer durch Bebauung aus, sondern nur als Gemeindeglied, insoweit er auch Viehzucht treibt. Wären die Allmenden auf die Höfe, Familien oder nach einem anderen Schlüssel, etwa der Lasttragung, in einzelne Stücke geteilt, könnte jeder seinen Teil für sich benutzen, sei es durch Sichel, Sense oder Haue,' so wäre das Bauernrecht in Ausübung, das Privatrecht,' so aber, da sie ungeteilt, nur als Ganzes, von allen, gemeinschaftlich, zur Viehweide be-

nützt werden, hat dieser Boden in dieser Rücksicht nur die Rechtsstufe des reinen Hirtenwesens oder der Nomadenschaft. üben daher selbst auf dem Privatgrunde Bauernwirtschaft und Hirtenwesen ihre verschiedenen Rechte aus, kommt aber auf den Allmenden nur das bloße und reine Hirtenrecht in Anwendung, so folgt daraus unwidersprechlich, daß bei uns das Hirtenrecht die Vorhand hat, in größerer Ausdehnung ausgeübt wird, daher in offenbarem Vorteil ist und als be­ vorzugter Stand auf Sachsenboden angesehen werden darf. Ist aber das Hirtenwesen vorgezogen und im Vorteil, so ist notwendig das Bauernwesen nachgesetzt und im Nachteile. Und solche Bewandtnis hat es allerdings mit dem Ackerbau und Nomadenwesen bei uns, so ist es und nicht anders. Der Bauer zieht auf Sachsenboden den kürzeren, er hat weniger Recht. Das Hirtenwesen hat auf den sächsischen Halterten noch immer die größere Ausübung: es hat mehr Recht. Man täusche sich dadurch nicht, daß auch der Bauer Vieh auf die Weide gibt. Er ist dadurch doch im Nachteil gegen den Hirten. Ein reiner Hirte ist der, der sich bloß von der wilden Viehzucht nährt, ein reiner Bauer der, der gar kein Vieh auf wilder Weide hält. Ein reiner Hirte hat also gar keinen Privatgrund und lebt doch nicht bloß von der Allmende, son­ dern auch von der zeitweiligen Benützung der Privatgüter. Der reine Bauer macht keinen Gebrauch sowohl von der Allmende, als auch von dem Privatgrunde und von seinem Privatgrunde nur, insoweit er das Recht des Privateigen­ tümers ausübt. Sein Recht also sowohl auf der Allmende als auf dem Privatgrund als Kommunalrecht übt für ihn der Hirte aus. Nun aber fehlt im dermaligen Benützungs­ recht -er Viehweide überdies noch die Proportion sowohl auf der Allmende als auf dem Privatgrund, da jeder so viel Vieh auf beiden Weiden halten darf als jeder kann. Denn es gibt Privateigentümer, die weniger Vieh auf den Privatgründen halten, als sie nach ihrem Besitze von Privatgründen halten

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sollten, und hinwieder gibt cs viele Viehzüchter, die mehr Vieh auf den Privatgründen halten, als auf ihren Privat­ besitz kommen würde, wenn die Erlaubnis des Viehstandes nach der Regula societatis, nach dem Besitze -es Privateigen­ tums erteilet würde. Wir wollen diesen Mißstand in eine hellere Beleuchtung bringen. Mr nehmen, um nicht weitläufig zu werden, nur zehn Dorfbewohner an, jedoch jeden einzelnen mit einem verschiedenen Besitze an Privatgründen. Der erste soll 10 Joche Privatgrund haben, der zweite 9, der dritte 8 und so fort, bis letztlich einer vorkommt, -er gar kein Grundeigentum oder,.was dasselbe ist, kein Privateigentum hat,- so wäre das nun wohl die einzig richtige und gerechte Aufteilung, wenn der Privateigentümer von 10 Joch in der allgemeinen Herde auf Privatweiden ein zehnmal so großes Benützungsrecht hätte, als derjenige, welcher nur 1 Joch zur Benützungsmasse hergibt. Der Eigentümer von 9, von 8, von 7 Jochen müßte, im Verhältnis zu dem, der nur 1 Joch eigene Erde zur ge­ meinschaftlichen Weide hergäbe, neunmal, achtmal oder sie­ benmal so viel Recht an der Benützung als dieser haben oder neunmal, achtmal oder siebenmal so viel Vieh halten als dieser. Es wäre dieses Recht nach der strengsten Gerechtig­ keit! Nun aber finden wir hier gar keinen Maßstab. Denn, wer auch nur wenigere Joche zur Ernährung der Herden auf Privatgründen hergibt oder gar keinen Privatacker hat, kann doch so viel Vieh in der Herde halten oder so großen Anteil an der allgemeinen Benutzung nehmen, als er will. Dieses ist doch offenbar ein Zustand ohne Recht, eine Unbilligkeit gegen die anderen Besitzer, mithin eine Bedrückung des Privateigentümers und eine Begünstigung des Nichteigen­ tümers. Da nur der Privatbesitz den Rechtsstand des Acker­ wesens bezeichnet und der Mangel an Privatbesitz den Rechtsstand des Hirtenwesens bezeichnet, so läßt sich wahr­ haftig sagen: der Bauernstand sei im Nachteile und das Hir-

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tenwesen im Vorteile. Schon also durch diese theoretische Be­ trachtung springt es in die Augen, daß bei uns der Hirten­ stand besser daran ist als -er Bauernstand. Aber auch durch die praktischen Erfolge kommt die bevor­ zugtere Stellung -es Hirtenwesens zutage. Denn es ist eine allgemeine Erfahrung und eine anerkannte Tatsache, daß der Viehzüchter den Pflüger auskauft. Der Hirte steckt den Bauern in den Sack. Nicht etwa, -aß die Viehzucht an sich, und als solche, nützlicher sei und mehr abwerfe als die Pflug­ arbeit — keineswegs — sondern darum, weil der Hirtenstand bei uns begünstigter ist als der Bauernstand. Erstens schon in Rücksicht -es Ausübungsrechtes auf einem größeren Raume, da das Hirtenwesen nicht nur auf die Allmenden, sondern auch auf die Privatgüter ausgedehnt ist, zweitens aber weil des Bauern eigentümlicher Grund mit Steuer, mit Zehnden, mit Naturalienlieferungen belastet ist, die der Eigentümer, der Bauer, allein trägt,- dann steckt im Boden noch ein Kapital, das der Bauer allein verzinset, überdies besorgt auch der Bauer allein die Verbesserungsunkosten, die schützenden Feldzäune usw., zu dem allen der Hirte, als solcher, nichts beiträgt und nur den reinen Nutzen mit­ genießt. Die Viehzüchter sind bei uns die Privilegierten, die Drohnen, die auf Kosten der Bienen leben. III.

Die Aussicht Der Hirtenstand ist in der Rechtsentwicklung der Völker der zweite Schritt? er hat also einen Schritt mehr getan als der Jägerstand — aber doch einen Schritt weniger als der Bauernstand. An seinem Orte und zu seiner Zeit ist der Hirtenstand der beste, weil der angemessenste. Da nämlich ist er an seinem Orte, wo das Verhältnis der Menschenmenge zu dem vorhandenen Boden für ihn spricht. Im allgemeinen

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findet sich dieses Verhältnis da, wo wenige Menschen sind und vieler Boden? oder, näher bestimmt: wo der Boden Lurch Viehzucht auf natürlicher Weide so viel Nutzen abwirft, um gegen diese rohen Produkte die Lebensbedürfnisse befrie­ digend einzutauschen. In den Gegenden aber, wo die Bevöl­ kerung so zugenommen hat, daß die bloße Beweidung -er Erde nicht so viele Tauschmittel abwirft, um die vorhandenen Lebensbedürfnisse zu befriedigen, da mutz sich die Hirtenzeit schließen. Denn die Angemessenheit desselben ist vergangen. Darum ist auch auf Sachsenboden durch die vermehrte Be­ völkerung ihre zeitgemäße Angemessenheit vorüber, und nur die eingefleischte Gewohnheit hält uns die Hand vor die Augen, -aß wir Augen haben und diese Not -och nicht sehen. Der Bauernstand bei uns, der so fleißig ist wie irgendwo in der Welt, welkt sichtbarlich unter dem benachteiligenden Ein­ flüsse des Hirtenwesens. Wie wilder Hopfen sich aus die Obst­ bäume zieht, mit seinen Ranken von Zweig zu Zweig steigt und die ganze Krone mit dem Blätterdache bedeckt, so hilft sich -er Hirtenstand dermalen bei uns durch seine Ranken, daß er den ganzen Bauernstand überwuchert und erstickt. Ohne den Baum krümmt er sich auf der Erde, durch den Baum hilft er sich in die Höhe, an das Sonnenlicht? verdirbt aber diesen, daß er weniger und schlechtere Früchte trägt und verkümmert. Jedoch ist -er Grund dieser auffallenden Verkümmerung des Bauernstandes nicht allein darinnen zu suchen, sondern es hat der Bauernstand auch größere Bedürfnisse bekommen. Diese, natürliche oder künstliche, wahre oder eingebildete, lassen sich ohne Befreiung vom schmarotzenden Hirtenstande nicht mehr befriedigen. Was Privatgut ist, also, was des Bauern ist, muß auch allein vom Bauern genützt werden. Ohnedem hat jeder Mensch einen Hang zur Trägheit, eine Vorliebe zum Müßiggang. Eine Beschäftigung also, wo man das Geschäft der Erzeugung der Natur überläßt und sich vom Viehe ernähren läßt, ohne dabei sich anzustrengen und ab-

zumühen, sagt allen zu. Es ist ja leichter, im Schatten die Flöte zu blasen oder hingestreckt zu schlafen und nur dann und wann das zerstreute Vieh zu sammeln, als hinter dem Pfluge zu gehen oder gebückt in sengender Hitze zu arbeiten. Genießt das Vieh der Freiheit und Arbeitslosigkeit, immer­ hin: ich gönne es dem Viehe, solange der Mensch ohne Acker­ bau leben kann,' es weide im üppigen Grase bis an den Bauch, meinethalben: ich gönne es ihm und noch mehr: ich gönne diese Gemächlichkeit auch dem armen Menschen. Wenn aber die Dichtigkeit -er Bevölkerung ein so müheloses Leben nicht mehr zuläßt, wenn aber in der Bepflügung und Besämung des Erdbodens das alleinige Mittel der Ernährung so vieler gegeben ist, dann verzeihe dem Menschen, Bruder Ochs, wenn du ins Joch mußt, von der Weide in den Stall. Dann verzeihe auch du, Bruder Hirte, wenn ich dir wehre, hinter meinem Fleiße in Faulheit zu leben. Mein Eigentum brauche ich für mich und meine Kinder. Du Menschenkind, tue mit deinem Eigentum auch also, schwitze auch, um zu essen, plage dich auch, um dich zu kleiden, um Abgaben zu entrichten, um Weib und Kinder erhalten zu können. Nicht appelliere ich an deine Einsicht und Beurteilung, welche Le­ bensart die leichtere und weniger anstrengende sei, siehe! die geänderten Umstände und die Macht der Verhältnisse ge­ bieten es, wir können beim Hirtenwesen nicht mehr leben. Denn die Erde kann nur, wenn wir die Erde bebauen, die Bedürfnisse der vielen befriedigen. Die Vorsehung hat in ihrem Weltgange dich und deine Zeitgenossen in die Not­ wendigkeit versetzt, daß du den Hirtenstab ablegen mußt, daß du gezwungen bist, die Hörner des Pfluges zu fassen, die Wahl hast du nicht. Dir, als vernünftigem Wesen, ist nur dieses eine überlassen, welchergestalt du die von dir unab­ hängigen Verhältnisse vernünftig beherrschen willst. Es ist nicht die Frage: ob wir es tun wollen, sondern nur: wie wir es am vernünftigsten tun.

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Mitten in solchen Verhältnissen leben wir schon. Das Hir­ tenrecht ist nicht rnehr in seiner ganzen Wirksamkeit. Denn das allgemeine Eigentum ist teilweise zu einem besonderen geworden. Selbst das besondere Eigentum aber hat im Triftzwang noch das Hirtenrecht der Nichtbebauung an sich. Die vermehrte Menschenzahl kann ihre Bedürfnisse nicht befrie­ digen. So ist es also notwendig, dem Bauernrecht mehr Ausdehnung zu geben. Zu allererst muß unser noch beste­ hendes Hirtenwesen geordnet werden, und wieder zuerst das Beweidungsrecht des Privateigentums. Auf welche Art? Um mögliche Fehler zu vermeiden, scheiden wir das Weiderecht im zwei Klassen, und reden 1. vom Weiderecht auf Allmenden, und dann 2. vom Weiderecht auf Privatgütern, d. h. auf den be­ kannten drei bebauten Hattertteilen. Der Maßstab des Rechtes wird auf beiden Weideplätzen leicht zu finden sein. Also 1. auf den Allmenden haftet nicht das besondere Recht, nicht das Privatrecht, sondern das allgemeine Recht, das Kommunalrecht, nicht das Recht des einzelnen, sondern das allgemeine, das Recht aller. Der Maßstab für das Viehhalten auf Allmenden oder auf der Gemeinerde muß daher auch ein allgemeiner sein. Will man in die Ausübung dieses Rechtes ein gewisses Recht bringen, so muß teils bestimmt werden, wer diesesRecht habenkönne, und dann teils inwelchemMaßstabe es die Berechtigten ausüben sollen. Also erstens: wer ist berechtigt zur Beweidung der Allmenden? Jeder Dorfsbewohner, mit Bürgerrecht und Bürgerpflicht. Ausgeschlossen von diesem Weidegenusse ist nur, wer nicht Bürger ist und keine Bürgerpflichten und Lasten trägt. Die Kommunität kann aber auch die zur Beweidung zulassen, die

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nicht eigentliche Bürger sind. Volenti non fit injuria.1 Sie treten nur vom ihrigen ab. Aufdringen kann sich aber nie­ mand, noch aufgedrungen werden. Die zweite Frage war: in welchem Maße hat jeder Berechtigte das Weiderecht auf der Allmende auszuüben? Antwort: allen Dorfsbewohnern, die Bürgerrechte und Bürgerpflichten haben, gebühret das gleiche Maß an diesem Nutzungsrecht. Wer gleiche Pflichten erfüllt, hat auf der Gemeinde auch gleiche Rechte zu genießen. Es fragt sich hier nicht um anderes als um das Bürgerrecht. Jeder einzelne hat hier das gleiche Recht. So viel Vieh einer auf der Allmende halten darf, so viel ist auch jedem anderen erlaubt. Dieses ist ja auch bis jetzt beobachtet worden. Aber dieses Rechtsbewußtsein blieb bloße Theorie. Jeder hielt so viel Vieh, als er wollte, also ohne Maß. Daher genoß einer mehr als ihm gebührte und -er andere weniger. Wer weni­ geres Vieh hintat, hatte nicht nur wenigeres Vieh, das mitsratz, sondern das Vieh dessen, der vieles hintat, fraß auch die Weide ärger ab, daß die Weide weniger Futter gab, als sie bei gleichem Biehstand gegeben hätte. Da ist eine Proportion erforderlich. Man muß zuerst erfahren, wie viel Vieh im ganzen sich daselbst erhalten könne; es kann das Maximum des Weideviehes entweder durch Ausmessung oder durch Ab­ schätzung oder durch Erfahrung ausgemittelt werden. Ist diese Summe festgesetzt, dann erst läßt sich auf die be­ rechtigten Dorfbewohner die Summe des daselbst zu halten­ den Viehes leicht aufteilen. Ernähret etwa die Gemeinerde 400 Stück und der Berechtigten im Orte sind 100, so darf jeder 4 Stück halten; ernähret diese Allmende nur 200 Stück, und dasselbe Dorf hat wieder 100 berechtigte Bewohner, so kann keiner mehr als 2 Stück halten. Dieser Schlüssel zur Zulassung ist so gerecht, daß sich keine Einwendung dagegen machen läßt. Mit Einwilligung aller 1 Wenn jemand es zuläßt, geschieht ihm kein Unrecht. Kolbertfr, 0t. L. Roth. IV.

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Untersuchungen und Wohlmeinungen

können auch hier Ausnahmen gestattet werden. Mögen die Unzufriedenen wohin immer mit Klagen und Bittschriften laufen — ist nur der Richter gerecht, so wir- dieses Rechts­ erkenntnis über die Art -er Allmendenbenützung nicht um­ gestoßen werden können. 2. Ist man mit der Berechnung und Zuteilung -er Vieh­ zahl auf den Allmenden fertig, so kommt nun die Reihe an die Beweidungsrechte der bekannten drei Felder -es Privateigentumes. Hier findet kein allgemeines Recht statt, sondern das Gegenteil davon, das besondere, das private Recht auf Eigentum. Beim Genusse der Allmenden wurden alle ausgeschlossen, die kein Gemeinderecht besaßen, von der Benützung des Privateigentums werden alle ausgeschlossen, die keine Privatgüter haben oder nur solche, welche [feine] Weide abwerfen. Sie können z. B. Weingärten, Obst- und GemUsegärten haben. Scheuer, Haus und Hof; das trägt nichts bei. Nur der bekömmt Anteil an der Weidebenützung der Privatgüter, der Privateigentum hat, welches vom Viehe beweidet werden kann. Weil aber Wiesen mehr Weide ge­ währen als Äcker, so wird im allgemeinen festgesetzt, daß ein Joch Wiese etwa für zwei Joch Ackergrund gerechnet werde. Zwar ist auch ein Unterschied zwischen Wiese und Wiese — Acker und Acker — aber hier genügt diese allgemeine Fest­ stellung dieser Verhältniszahl. Um nun eine Berechnung machen zu können, wieviel auf des einzelnen Privateigen­ tum komme, so müssen zuerst alle eigentümlichen Gründe zusammengerechnet werden. Hiedurch erfährt man, wie vieler Weidegrund im ganzen ist. Dann kommt zu bestimmen, wie­ viel Vieh sich darauf erhalten könne. Dies weiß man nach den Erfahrungen der Landwirte, die sie bereits gemacht haben oder machen werden, und erkennt dann, wieviele Stück Vieh sich auf dieser Weidefläche Jahr für Jahr er­ nähren können. In diese Summe des Weideviehes teilen sich nun die Besitzer der Privatgründe in dem Verhältnisse,

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als sie zur Viehweide Privatgründe hergeben. Denn jeder bekömmt dann nach Proportion seines Beitrages zur allge­ meinen Weide auch seinen ihm gebührenden Teil. Mehr nicht, weniger nicht. Sein gebührender Teil ist eben be­ stimmt durch die Anzahl seiner Gründe, die er zur Mass« dieser Viehweide hergibt. Nehmen wir beispielsweise an, es betrüge die Weidefläche dieser Privatgüter 1000 Joch, darunter befänden sich 200 Joch Wiesenerde, so erhielten wir im ganzen 1200 Joch, nämlich 1. 800 Joch Ackererde und 2. 200 Joch Wiesenerde. Das sind nun in Beziehung auf die Weide nicht bloß 1000 Joch, sondern 1200 Joch, weil wir 1 Joch Wiese zu 2 Joch Ackerweide rechnen. Die nähere Bestimmung betrifft das Vieh. Denn großes Vieh verzehrt mehr Futter als kleines. Es kann also nicht ein Vieh schlechtweg gegen ein anderes gerechnet werden. Es ist wie zwischen Wiesen und Ackern ein Unterschied zu machen! Unmaßgeblich kann als Einheit eine Kuh ange­ nommen werden. Auf sie rechnet man 1 Joch Ackererde, zur Ernährung eines Ochsen und ausgewachsenen Pferdes das Doppelte, also auf einen Ochsen 2 Joch. Auf einen starken Ochsen rechnet man. zwei schwache Ochsen oder zwei Kühe oder zwei dreijährige Kälber. Eine Kuh gilt soviel als ein dreijähriges Kalb, dieses ist gleich zwei zweijährigen oder drei einjährigen oder gleich fünf Schafen usw. Die ökono­ mischen Schriften geben hier hinreichende Winke? nur müssen für inländische Rassen und Ansichten von Ernährung Ab­ änderungen zugelassen werden. Auf diese Art kann man jedem seine Viehzahl auf der Weide nach seinem Besitzstände in gerechter Weise ausschei­ den. Nach diesem Maßstabe also können auf dem angenom­ menen Hatterte sämtlicher Privatgrün-e 600 große Ochsen leben oder 1200 kleinere oder ebensoviele Kühe und drei­ jährige Kälber oder 9600 Schafe usw.

Weil wir aber nicht nur einerlei, sondern mancherlei Vieh halten, haben wir auch nicht nur aus einerlei Viehgattung die Herden. Dazu kommt noch, daß die verschiedenen Haus­ wirte verschiedenes Vieh haben. Es muß deswegen bei der Aufteilung für den einzelnen auch auf die Biehgattung Be­ dacht genommen werden. Es fragt sich dabei entweder nach dem Ackerbesitze oder nach dem vorrätigen Viehstan-e. 1. F r a g e: Wie viel Joch Ackerland oder Wiese gibst -u oder hast du in der allgemeinen Weidefläche? Antwort: 9 Joch Ackererde und 2 Joch Wiesenerde, das macht im ganzen 9 und 4, d. i. 13 Joche. Bescheid: Du kannst also sechs große Ochsen halten und eine Kuh oder 13 Kühe oder ebensoviele dreijährige Kälber oder 104 Schafe. Oder 2. Er sagt seinen Viehstand und will wissen, ob er genug, zu viel oder zu wenig Vieh, nach seinem Besitz­ stände, hat. Frage: Wieviel Vieh hast du? Antwort: Zwei große und zwei schwache Ochsen, drei Kühe, ein dreijähriges Kalb, zwei zweijährige, ferner zwölf Schafe. Berechnung. 2 2 3 1 2 12

große Ochsen sind gleich .... schwache Ochsen sind gleich.... Kühe sind gleich............................. dreijähriges Kalb ist gleich . . . zweijährige Kälber sind gleich . . Schafe sind gleich........................ .

.

4

Joch 2 .3 „ . 1 . 1 11L__ t,

.



12 V, Joch Bescheid: Du hast weniger Vieh, als du halten kannst. Es gebührt dir noch Vieh auf 1 Joch.

Wenn also bei -er Benützung -er Viehweide -ie Gerechtig­ keit berücksichtiget würde, hätten -ie Berechtigten, um -ie ganze Kompetenz zu erfahren, zu dem Anteil an der All­ mende noch den Anteil an der Weide auf Privatgütern hin­ zuzutun, und könnten, ohne Beeinträchtigung anderer, ohne Schmälerung eigenen Rechtes, sich den Viehstand für beide Weiden berechnen. Ob unsere Dorfkommunitäten den erforderlichen guten Willen haben, um zur Ausführung zu schreiten oder um den Versuch zu machen! Es kommt darauf an, die Berechnung zuerst nur für sich zu machen und dann zur Besprechung an­ deren mitzuteilen, bis sich darüber eine Meinung bildet. Gar viele glauben, daß sie dann nicht soviel Vieh halten könnten wie jetzt, und eben wegen dieser Befürchtung, die jedoch nur in -er Luft schwebt, wollen sie es auch zu keiner Berechnung kommen lassen. Diese Regelung des Biehstandes in den Herden ist zur Er­ leichterung und Unterstützung der Privateigentümer ein sehr -ringendes Erfordernis, und es werden sich in den vielen Kommunitäten doch auch Menschen finden, die für Verbesserungen soviele Zeit erübrigen, um eine solche Be­ rechnung zustande zu bringen. Die Not wird hiezu sicher einmal treiben. Schon unendlich hat der Besitzer liegender Gründe hiedurch gewonnen, und es ist zu wünschen, daß -ie Ausführung überall nicht lange anstünde. Das übel liegt aber tiefer, als -aß -em Bauernstande hiemit gründlich geholfen werden könnte. Wenn auch diese Regulierungen geschehen sollten, so werden sie doch nicht von langer Dauer sein können, weil -ie Dichtigkeit der Bevölke­ rung gänzliche Abstellung des reinen Brachfeldes und aller Herden mit Ungestüm verlangt. Diese Regulierung der Viehherden wäre also nur eine vorläufige Abschlagssumme auf eine erst künftige ganze Abzahlung. Die gänzliche Ab­ stellung der Herden und Abschaffung der Brache ist da im

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Untersuchungen und Wohlmeinungen

Erforderungsfalle, wenn und wo die dermaligen zwei Florfelder die vorhandene Menschenmenge nicht hinreichend er­ nähren, wo also mehr Erde zur Ernährung erforderlich ist. Größer aber kann man den Hattert nicht machen — man sieht sich also bestimmt, auch das Brachfeld zu besäen und keine reine Brache mehr zu halten. So wächst der Raum der Trag­ barkeit, ohne daß der Hattert erweitert wird. Durch die Los­ sprechung der Privatgüter vom Triftzwang tritt das Eigen­ tumsrecht auf seine letzte Stufe: es wird Eigentum im voll­ kommensten Sinne. Das Mitbenützungsrecht hört ganz auf. Es hat es weder die Kommunität noch sonst jemand. Der Eigentümer wird vollkommener Herr seines Grund und Bodens. Mit den Allmenden wird dasselbe geschehen! Wenn es für die vermehrte Bevölkerung einer noch größeren Bau­ fläche bedarf, so werden davon Aufteilungen gemacht werden, und alle einzelnen Stückchen der aufgeteilten Allmende wer­ den dadurch in Privateigentum verwandelt. Zwar werden auch hier zu gewissen Zeiten die Herden gehen, bis sie auch von hier weichen müssen, und die Aufteilungen dadurch zum vollkommenen Eigentum werden. Dies ist die Bahn der na­ türlichen Entwicklung des Bodenrechtes. Jedes neugeborene Kind schlägt einen Nagel in den Sarg des Hirtenwesens. Unaufhaltsam geht es seinem Grab ent­ gegen, so wie der Ackerbau seiner Erlösung und Vollendung. Nur Friedensjahre und gesunde Zeiten, es wird hiezu sehr schnell kommen. Die Entwicklung der Rechtsbegriffe, ihre Anwendung auf den Boden und dessen Verwendung kann nach den Erfahrungen anderer Länder und nach der Voraus­ sage der besten nur mit dem vollkommenen Eigentum, nur mit einem gartenmäßigen Anbau schließen. Bis aber der Ackerbau dem Hirtenstand den Grabeshügel macht, wird er noch genug von ihm zu leiden haben.

über Ackerbau und Nomadenwesen

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IV.

Das verschiedene Rechtsbewußtsein Der Nomade fühlt sich durch den Ackerbau in seiner Er­ werbsart gehemmt und eingeschränkt. Ohne Einsicht in die Entwicklung menschlicher Zustände begreift er nicht, daß aus dem Hirtenwesen mit Notwendigkeit sich der Stand der Acker­ bauer und dadurch der Rechtsbegriff des Privateigentumes entwickeln muß. Es darf uns daher nicht wundernehmen, wenn er die Erwerbsart seines Standes, die ihm bei körper­ licher Schonung große Vorteile in die Hände liefert, selbst dann auszuüben sucht, wenn sie dem Ackerstande zum Nach­ teil gereicht. Den Wert -es besonderen Eigentumes für menschliche Ausbildung begreift er nicht, es leuchtet ihm nicht ein, daß es eine Entwicklung -es Rechtsbegriffes ist, die der Vollkommenheit des Menschengeschlechtes zugute kommt. Da­ her kann auch in seinem Bewußtsein die Achtung dafür keine Wurzel schlagen. In den Hirtenköpfen steckt das Vorurteil, daß das allgemeine Eigentumsrecht, das in der Beweidung durch alle ausgeübt wird, ein menschlicheres Recht sei, als das ausschließende Privateigentum. Wie wenn eine durch die Vermehrung der Menschen herbeigeführte und von der Notwendigkeit gebotene und von derVernunft getroffene Ein­ richtung nicht eine menschliche, eine gleich gerechte und Gott ebenso wohlgefällige sei! Am liebsten hört daher -er Hirten­ bube den Großvater von der glücklichen Zeit erzählen, wo das Vieh das übervolle Weidegras nicht habe abweiden können und, nach Ausgang des Winters, damals noch so viel Felch1 übrig geblieben sei, wie jetzt auf den Wiesen rät Florfelde. Aber nun werde alles vom Pfluge und der Haue umgewühlt, und die guten Zeiten, wie er sie noch geschmeckt, seien vorüber. 1 Mundartlicher Ausdruck. Eigentlich „Fieltsch", d. t. das nach Ausgang des Winters übriggebliebene, vüschlig verwachsene Gras. Siehe Siebenbürgisch-sächsisches Wörterbuch.

Man sieht, -es Hirten Ideale leben in den Zeiten der wenigeren Menschen und der Kompaß seines Herzens ist auf die Zustände -er Vergangenheit gerichtet. Für den Hirtenstan- war damals freilich die goldene Zeit, da­ mals war für ihn auch die rechte Zeit. Die Verwandlung der Gemeinerde in Privatbesitz erscheint ihm daher als eine Verkürzung und Schmälerung -es Menschenrechtes, als eine Versündigung an seinem Stande, weswegen er sich denn auch weniger ein Gewissen daraus macht, die Privatgründe hirtenmäßig zu benützen und auszubeuten. Da sein hirtlicher Lebensunterhalt durch den Ackerbau geschmälert wird, ist ihm Privateigentum nicht nur eine verhaßte Schranke, sondern auch eine Aufforderung, diese Schranken zu überspringen, so oft er es ohne Gefahr -er Be­ strafung zu tun vermag. Mit seinem Gewissen im reinen, verlegt sich seine Moral auf das Gebiet -er List. Macht man ihn darauf aufmerksam, daß Abweidungen jetziger Privatgründe Diebstähle seien, so will er nicht begreifen, wie die Sättigung hungrigen Viehes eine von Gott verbotene Sache sein könne. Weiden tot Gras und Holzstehlen gilt ihm für keine Sünde, weil man ja nicht darum gehäufelt habe. Tut er in den Weizenfeldern Schaden, so beschwichtigt ihn der Gedanke: dem Eigentümer bleibt noch genug, er spürt es nicht, er hat noch übrig. Treibt man ihn mit der Bemerkung in die Enge, daß hier geackert und gearbeitet sei, und zwar nicht durch ihn und auch nicht für ihn, so ist auch da noch ein Türchxn offen: arme Leute müssen auch leben. Diese Behandlung des Privateigentumes könnte zum Zeugnis dienen, daß der Kommunismus im Prinzip da sei und es fehle nur die Organisation. Sei das aber auch nicht der Fall, so beweisen solche Äußerungen doch wenigstens eine große Geringschätzung des siebenten Gebotes. Aus dieser Betrachtung geht hervor, daß zwischen Bauern­ stand und Hirtenwesen ein geheimer Krieg ist. Diese Feind-

seligkeit entspringt nicht aus dem Grundwesen -er Personen oder aus -er Nationalität, sondern aus den entgegengesetzten Lebensarten und Rechtsansichten vom Eigentum. Man hat sich oft gewundert und schon oft die Frage aus­ geworfen, warum denn die sächsischen Ackerbauer und die walachischen Viehzüchter sich nicht besser meinten und nicht besser vertrügen, und hat es der Fremdartigkeit -er Natio­ nalität zuschreiben wollen. Die Keime eben dieser Entgegen­ setzung liegen nicht auf der Oberfläche der Kleidung und -er Sprache, sondern in der verschiedenen Rechtsansicht, in der Entwicklung -es Begriffes über das Mein und Dein, tut allgemeinen und besonderen Eigentum. Mithin liegt die Kluft in dem Punkte, wovon alle heutigen Staaten ausge­ gangen find; die beiden Stände: Bauernwesen und Nomadentum gehen auf der Wurzel aller unserer sozialen Ver­ hältnisse auseinander. Zwei Stände, deren einer zurück ist auf dem allgemeinen Recht, der andere aber sich bereits durch­ gearbeitet hat bis zum besonderen Recht, können in wahrer, innerer Eintracht nicht leben. Sie können wie ein zwistiges Ehepaar einen äußerlichen Ehestand bilden, aber bei aller sonstigen Gemeinschaftlichkeit der Arbeiten, der Ausgaben und Einnahmen, fehlt ihnen die Einheit der Seelenstim­ mung, welche das wahre Sakrament der Ehe ist. Der Hirtenstand und der Bauernstand mahnen mich an zwei Nachbarn, die sich nicht schlagen, noch schimpfen, noch eigentlich sich übles gönnen, aber doch nicht recht Freund sein können, weil einer viele Hühner hält, die dem anderen Nachbar über jede Planke fliegen und in seinen Gärten alles verscharren, der viele Schweine hält, die jenem Tag für Tag im Hofe sind und ihm alles verwühlen, und jedes Obst, das vom Baume fällt, wegfressen usw. Man hält sichs ja zugute, man hat ja lange Geduld, aber so gut können sich diese Nachbarn nicht sein, als fies wären, wenn sie gleiche Freude am Gartenwesen hätten, und gleichmäßig ihr Eigen-

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Untersuchungen und Wohlmeinungen

tum gegenseitig respektierten. Die unausgesetzten, nur nach den Jahreszeiten wechselnden Beschädigungen und Belästi­ gungen des einen durch den anderen legen zwischen ihre Herzen einen Keil. Zufälliger-, aber unglückseligerweise liegen nun Liese zwei Verschiedenheiten der Rechtsansicht über Eigentum unter uns zugleich auch in der verschiedenen Nationalität. Die walachischen Bewohner sind nämlich größtenteils der Viehzucht ergeben, die sächsischen größtenteils Sem Ackerbau zugetan. Das ist es, daß sich die innere Verschiedenheit der Rechtsprinzipien äußerlich als nationaler Widerwille äußert. Nicht deswegen, weil dieser ein Deutscher und jener ein Walache ist, fließen die Elemente nicht ineinander, sondern weil der Deutsche als Pflüger, und der Walache als Vieh­ züchter von zwei verschiedenen Grundansichten des Lebens­ unterhaltes ausgehen, und sich also das daraus fließende Leben im täglichen Verkehre als eine Entgegensetzung, als eine Ausschließung offenbart. Wenn es aber zu bedauern ist, daß auf gleichem Boden der erwünschte Friede in den Gemütern nicht durchgängig wohnt oder die wahre Wohlmeinung und Gewogenheit fehlt,so drängt sich die Frage vor allen in den Vordergrund: wie bringt man denn hier nun eine Aussöhnung zustande, die so wünschenswert fürs Ganze und so wohltätig für beide wäre! Meiner festesten Überzeugung nach nur durch die Hebung des Widerspruches, der in den beiden entgegengesetzten Rechtsprinzipien des Eigentumes liegt. Mit anderen Wor­ ten: das Nomadenprinzip der gemeinschaft­ lichen Güterbenützung (der älteste Kommu­ nismus) muß gänzlich beseitigt und das be­ reits anerkannte Recht des besonderen Eigentumes zum ausschließlichen und voll­ kommenen erhoben werden.

Es soll eine Rechtsansicht Geltung haben, nur einerlei liegendes Eigentum sein. Dazu sind zwei Schritte nötig. Die gemeinschaftliche Benützung des Privateigentumes hört auf,- oder, weil diese gemeinschaftliche Benützung in der Beweiöung durch die öffentlichen Herden ausgeübt wird, so be­ steht der erste Schritt darinnen, daß fremdes Vieh vom Pri­ vatgrunde für immer für ausgeschlossen erklärt wird. Hie­ durch wird das besondere Eigentum zugleich ein ausschließen­ des und vollkommenes. Den zweiten Schritt kann man tun durch die Aufteilung der Gemeindeweide an die sämtlichen Ortsbewohner. Der allgemeine Grund wird also zum Pri­ vatgrund gemacht. Dadurch kommt der Ackerbau in den Zustand der Ent­ fesselung, der Freiheit. Die Bevölkerung tritt hiedurch aus einem minder vollkommenen Rechtszustand in einen voll­ kommeneren über. Die Obrigkeit hat ein Recht und eine Pflicht, ohne aus­ wärtige Aufforderungen noch abzuwarten, diese neuen Ein­ richtungen zu treffen. Zum Begriffe einer christlichen Obrig­ keit gehört nicht nur die Verwaltung einer bereits bestehen­ den Anordnung, sondern auch die Herbeiführung neuer Ein­ richtungen, wenn sie erforderlich sind. Nur in dem Volke, wo diese Organisationskraft tätig ist, lebt eine Zukunft. Wo bloß die Administrative noch in einem Volke lebt, jede Er­ setzung abgestorbener Organe aber fehlet, da gehts bergab ins Grab. Sind daher die alten Feldeinrichtungen für un­ sere veränderten Verhältnisse nicht mehr ausreichend, so stellt sich die Notwendigkeit heraus, neue zu schaffen. Es ist eine recht traurige Wahrnehmung, daß unser Volk so arm an Selbstsorge, Selbstrat, an Selbsthilfe sich bezeigt; daß man nicht folgt, wenn es nicht heißt, es sei von höheren Orten befohlen, daß man so wenig unternimmt, wo man auch in seinem Rechte ist. Halt mich, Bruder, sonst fall ich um, sagt wohl ein Trunkener oder den ein Schwindel an-

fällt,- wer aber gesund ist, macht sein Rückgrat fest und steift sich auf die Füße und fällt nicht. Man hat uns zu viel ge­ gängelt, zu viel auf dem Arme wie Kinder getragen, darunt wanken die Beinchen so leicht, darum gehen wir so täppisch, wenn die leitende Hand fehlt. Darum wollen wir auch oft nicht gehen, weil wir fürchten zu fallen. So wären wir beinahe zur Tretmühle geworden, die nur geht, wenn sie getreten wird und alsbald steht, wenn sie nicht mehr getreten wird. Die Gebote unserer Pflichten predigt man uns immerhin vor: Gehorsam muß sein,- aber ein Unterricht zur Begeiste­ rung für Recht und Befugnis tut uns noch mehr not. Die Er­ ziehung zur Selbständigkeit geschieht aber nicht nur durch die Gewöhnung an Gehorsam, sondern auch durch die Ge­ wöhnung an Selbstbestimmung. Der Staat muß Unter­ werfung des Willens unter die Zwecke und Mittel der all­ gemeinen Wohlfahrt verlangen — aber einen bloßen pas­ siven Willen, ohne eigenes Selbstgefühl, Selbstachtung, Selbstsorge, Selbstbestimmung haben nur die asiatischen Despotien verlangt und auch erzwungen. Darüber sind sie aber auch in Fäulnis geraten und zugrunde gegangen. Eine christliche Obrigkeit macht sich zur Aufgabe, ihre Völker zur Vernünftigkeit zu erziehen, Erziehung zur Vernünftigkeit ist eine Erziehung nach Grundsätzen. Darinnen besteht die rechte Freiheit, daß wir nach den Forderungen der Vernunft leben oder nach dem Willen Gottes. Wie nun dieses die Ausgabe für die Erziehung je­ des einzelnen ist, so ist es dieselbe Aufgabe für jede einzelne Gesellschaft. Selbständigkeit ist die Krone am Ziele,- Angewöhnung zwar zum Gehorsam und — zugleich — zur Selbsttätigkeit sind die zwei Mittel hiezu. Diese Regel geht durch die ganze Welt, sie gilt in allen Verhältnissen, sie ist die Aufgabe aller

Jahrhunderte. Als allgemeine Regel finde sie auch in un­ serem Volksleben —auch in der Volkswirtschaft statt. Die Verwaltung allerdings sorgt für das Ganze durch Gehorsam gegen bestehende Einrichtungsformen, die Organi­ sationskraft aber für die Wohlfahrt des einzelnen durch Er­ schaffung neuer Werkzeuge und Mittel und Formen, die sie, wie die Schnecke das Haus, selbst bauet, in dem sie leben soll. Zur vollkommenen Lösung der Aufgabe müssen beide beitragen. Ist dies wahr, so hat die Verwaltung unserer landwirt­ schaftlichen Zustände zwar allerwege darauf zu achten, daß Gebote und Verbote befolgt und in Ehren gehalten werden — aber sie soll bescheiden auch der Selbsttätigkeit das an­ dere Teil überlassen, neue Einrichtungen in der Feldwirt­ schaft zu treffen.

(Ende der Schrift)

Wünsche und

a 1 hschkäge. Eine

Bittschrift für's Landvolk. Vom Verfasser der

Aünfte und des SprachkampfS rc.

Hermannstadt. 1843. Druck und Verlag der v. Hochmeisser'fchen Erben.

Vorwort ^)er Bauernstand ist ein Ehrenstand. Wollen wirs einge­ stehen, so ist er der Grundstein, auf dem das Gemäuer, -er Dachstuhl und zuletzt der goldene Turmknopf des ganzen Staatsgebäudes ruht. Er trägt aber schwere Lasten,' Fesseln hindern seinen freien Gang in seiner Genährung: und wie summendes Sommergeschmeiß will mancher fingerlange Nichtbauer ihm zur Ader lassen. Seine Not ist deshalb groß, beinahe so groß, als seine Verdienste um uns alle, die wir, aus seinen Händen, unser täglich Brot empfangen. Drum, wer zu helfen vermag, wer einen Rat weiß, diese Not zu lindern, komme herbei. Mich aber bestimmt dazu eine doppelte Pflicht, da ich, vermöge meinem Beruf, zwischen Bauern, von Bauern und für Bauern zu leben habe. Liebhaberei zur Landwirtschaft, die ich einige Fahre leidenschaftlich trieb, ließ mich manchen übelstand gründlicher erkennen, als ich imstande gewesen wäre, hätte ich Brot, Milch, Fleisch und Wein genossen, ohne zu fragen, wie man dazu gelange. Das Wissen hätte ich wohl, aber als der geringsten einer im Reiche, das nicht von dieser Welt ist, fehlt mir die Macht, die andere haben. Darum komme ich doch nicht ohne Hilfe. Denn wie der beseligende Glaube aus der Predigt kommt — also kommt die Abstellung des Übels aus der Erkenntnis. Was ich nun in dieser Hinsicht, der Landwirtschaft zu Lieb und Nutzen, gedacht und empfunden, wieder gedacht und niedergeschrieben habe, hast Du, freundlicher Leser, in diesen Blättern beisammen.

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Habe ich in -er Verteidigung -es Guten und Angriff des Bösen manchmal fehlgeschossen — es könnte sein, verzeihe! Nahm die Kugel eine falsche Bahn, das Auge war immer aufs rechte Ziel gerichtet. Hat jemand einen sichereren Schuß: hier ist das Gewehr, triff Du ins Schwarze! Wenn nur das Wahre getroffen wird, mir rührts die Galle nicht auf, wenn auch die Hahnenfeder auf einem fremden Hute prangt. Geht -er Böller nur los: -er erste will ich freudig rufen: Es ist getroffen! N i m e s ch, den 31. Dezember 1842.

Landwirtschaftliche Wohlmeinungen Allgemeines Nicht derjenige Staat ist am reichsten, -er das ausge­ dehnteste Gebiet besitzt. Sonst wäre Rußland -er reichste Staat, weil er auf Erden dermalen der größte ist. Denn Gebiete werfen nur dann etwas ab (reichen etwas her — daher Reichtum), wenn sie bebauet werden, wo sich also Be­ bauer, Bauern, finden. Die Menge der Bewohner tuts allein aber auch nicht. Einen Bienenkorb, der größere Haufen Droh­ nen als Arbeitsbienen hat, hebt man im Herbste vom Stand­ ort mit leichter Mühe auf. Was der Fleiß einsammelt, ver­ zehrt das große Maul -er Faulheit, ohne -aß Honig übrig bleibt. Also — welcher Staat ist am besten daran, der an Boden reichste oder der die meisten Einwohner hat? — Keiner von beiden. Nur da finden sich die Bedingungen des Wohlstandes, wo H ä n d e und Erde im Verhältnisse stehen. Nicht mehr aber, als Bedingungen; denn zur Erzeugung des Segens wir- noch Bebauung erfordert, der Him­ melstau des Schweißes. Arbeit macht reich. Nun liegts am Tage, daß eine große, aber faule und dumme Bevölkerung weniger zum Tausch und Absatz erzeugt, als eine kleinere Bevölkerung, die gescheit und fleißig ist. So lange in einem Staate durch Bebauung des Bodens nur dem Hunger und der Blöße gewehrt, darüber aber nichts mehr erzeugt wird — kann nicht nur von keinem Wohlstände die Rede sein, sondern der Staat tut auch keinen Schritt aus dem

Eine Bittschrift fürs Landvolk

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Ackerbau ins Gewerbewesen. Das Volk kann auf dieser un­ teren Stufe ruhig und zufrieden sein — aber es kommt zu keiner Entwicklung der höheren Anlagen im Menschen. Ein bloß ackerbauendes Volk, ohne Gewerbe, wird wie ein glück­ liches Tier, wenn es sich gesättiget hat, auf den Ruheplatz aus­ gestreckt, wiederkäuen — ein verschönertes, menschlicheres Dasein gewähren nur die Gewerbe, die aber wieder nicht die Spitze sind, sondern nur ein Untergestell -er himmlischen Künste und Wissenschaften. Um den Gewerben die Wege zu bahnen, auf denen sie ins Land ziehen sollen, rühre sich -er Landbau mit -er Geschäftigkeit eines Wirten, der gewünschte Gäste erwartet. Wenn er sie mit dem Überflüsse seiner Er­ zeugnisse nach ihrem Gefallen bewirten kann, werden sie festgehalten werden, bleiben und ihre Wohltaten zum Danke geben. Ist daher Boden vorrätig und Hände hinlänglich dazu, so müssen, um zum Überflüsse -er Landeserzeugnisse gelangen zu können, die Hände fleißig, die Köpfe verständig und die Herzen sittlich sein. Diese drei letzteren Erforder­ nisse bilden die heiligende Verbindung zwischen Volks­ menge und Boden. Ohne diese Heiligung ist nicht nur das Ganze, als Ganzes, immer in Frage gestellt, sondern die irdischen Leidenschaften lassen es auch nie zu einem Gan­ zen kommen. Nehmen wir das Gesagte zusammen: Der Wohl st and eines Staates erfordert zu sei­ nen Bedingungen: Boden, Bebauer, und als Heili­ gung beider, die Einsicht, den Fleiß und gute Ver­ wendung. Macht sich ein Staat die Aufgabe, in seinen Untertanen alle Anlagen zu entwickeln, die menschliche Natur heißen, so wir- er streben, aus dem Ackerbau zum Gewerbwesen sich zu erheben. Dieser Schritt kann nur dadurch geschehen, wenn die Landwirtschaft zu einer solchen Entwicklung und Höhe gediehen ist, daß Rohstoffe im Überflüsse erzeugt werden. Denn, wo der Bauer an Körnern nur so wenig 14*

erzeugt als er braucht, um den Magen zu füllen, alle Wolle und Hanf, die ihm das Schaf und die Au liefert, zur Be­ deckung des eigenen Rückens bedarf — der Winter also alles frißt, was -er Sommer gebar — da werden die Gewerbe keinen Aufenthalt suchen oder finden. Wenn sie auch etwas erzeugten, wer würde es kaufen können? Sie, die Geschäf­ tigen, lassen sich nur da nieder, wo Stoffe zur Bearbeitung, Wohlhabende als Käufer sich einfinden. Je mehr also die Landwirtschaft den Reichtum hebet, je größere Fortschritte der Überfluß macht, je näher ist die menschliche Pflanze der Bildung der Zeit gerückt, wo sie in die Blume schießt und in den Gewerben ihre Blütenkelche öffnet. Der Landbau ist in der Entwicklung menschlicher Tätigkeit der erste Schritt — ohne diesen ersten kann ein Volk den zweiten Schritt zu den Gewerben nicht tun. Daher mich immer bedünken will, es sei unser ungestümes Begehren nach Erweiterung und Vervollkommnung der Industrie im Vaterlande, dermalen noch, ein vorzeitiger Wunsch, eine Rechnung ohne den Wir­ ten. Unser Landbau, im ganzen genommen, ist noch zu sehr zurück. Die Industrie kann, wieder als Ganzes genommen, nur soviel vorwärts gehen, als der Landbau in seinem Kreise vorwärts gegangen ist. Denn beide halten gleichen Schritt. Die Industrie kann nur insoweit sich heben, als der Landbau sie dahin erhebet. Sie laufen parallel. Erzeuget man auf künstlichem Wege etwa einen Gewerbszweig, so dauert seine Blüte nur so lange, als die künstliche Auf­ munterung dauert- geht das Feuer im Glashause aus, er­ starren in der Kälte die Kinder des Südens, wie der Kunst. Schließt hingegen die natürliche Sonnenwärme des Jahres die Blumenkronen auf — so braucht es keines Ofenheizers. Wenn die Erzeugung des Überflusses den Wohlstand er­ zeuget, begnüget sich der Wohlstand mit der einfachen Be­ friedigung der Notdurft nicht mehr — er macht höhere An­ forderungen ans Leben — weil er die Mittel, sie zu befrie-

Eine Bittschrift fürs Landvolk

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digen, besitzt. Will er also mehr als bloß leben: siehe da, die Gewerbe eilen herbei und' befriedigen die Bedürfnisse der Notdurft mit Bequemlichkeit, gefälliger Form und Ge­ schmack. Daher machen reiche Bauern reiche Bürger,' arme Bauern arme Bürger. Nur der Kreuzer kann aus der Bauern Hände in des Bürgers Tasche kommen, den er für andere nötigere Ausgaben nicht auszugeben hat. Nimmt die Notdurft die ganze Einnahme des Bauern in Anspruch, fehlt dem Bauern von Jahr zu Jahr der übrige Kreuzer zur Verschönerung und Bequemlichkeit seines Lebens, so kommt er notgedrungen vom stattlichen Stiefel zur Roheit des Bundschuhes, vom Kammertuch zur Hausleinwand, vom eisenbeschlagenen Wagen zum Blockrad, vom ledernen Zügel zum Leitseil, vom Kessel zum Erdtopf usw. Nur der Reichtum des Bauers rufet die Gewerbe ins Leben, er ist die Bedingung zum Entstehen, zum Gedeihen des Ge­ werbestandes. Blühet die Feldwirtschaft nicht, ist der Bauer außerstande Abnehmer zu sein, was können Gewerbeschulen, Kunstausstellungen, polytechnische Institute? Ich brauche es nicht zu sagen. Sie helfen wenig, bei gänzlichem Mangel, gar nichts! Diese Anstalten befähigen zwar die Gewerbe, vollkommenere Erzeugnisse zu liefern — das ist wahr, wer aber kaufet die vollkommeneren ab, da schon die unvollkom­ meneren ohne Käufer bleiben? Es sind solche Anstalten zur Hebung -er Industrie Gebäude, die in der Luft schweben. Denn es fehlt ihnen die Grundlegung in einem gedeihlichen Zustande der Landwirtschaft. Es muß zuvor die Verbesse­ rung -er Lage des Bauernstandes in der Vervollkommnung seines Geschäftes vorausgehen, dann erst tritt die Blütezeit des Gewerbwesens als Mittel der Befriedigung eines höheren Bedürfnisses von sich selber ins Leben. Unser dermaliges Treiben und Zeitungsgeschrei nach mehrerer und vollkommenerer Industrie ist eitel Geschwätz und Maul­ werk: unsere Sucht darnach eine Krankheit. Wir wollen

Trauben essen im Junius oder gar ohne Rebenbau! Halten wir doch den für einen voreiligen und törichten Wirten, der, statt zuerst für seine Genährung einen Gemüsegarten her­ zurichten, sein früheres Geschäft sein läßt, ein Glashaus zu bauen [!]. Nicht also, mein Freund, würden wir sagen, sondern zuerst Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse, dann erst die Befriedigung -er künstlichen und künstlerischen, das ist der Gang einer naturgemäßen Entwicklung. Lebensrnittel sind Lebensbedingung. Man fange also mit der Sicher­ stellung des Lebens, mit Erzeugung roher Stoffe an, mit der Landwirtschaft, die die Mutter der Gewerbe ist. Un­ sere Landwirtschaft ist aber noch weit davon, Lebensrnittel und Rohstoffe die Hülle und Fülle zu erzeugen. Schnellt nicht jedes einzelne Fehljahr die Preise der Lebensrnittel in die Höhe — folgt noch ein mageres Jahr, so ist Teuerung, Mangel und die Hungerzeit da. Ist ein, zwei Jahre ge­ segnet, so ist der Landmann durch Spottpreise gleich übel daran. Woher kommt das? Es ist noch kein Wohlstand un­ term Landvolke, der in gesegneten Jahren den Überfluß versorgen könnte, um in Fehljahren den neuen Mangel durch die alten Vorräte zu decken. Schnelles Steigen und Fallen der Fruchtpreise deutet immer bei uns auf Mangel, da es die Nachfrage nie tut. Wüßte ich auch nicht, -aß ehe­ mals unsere Industrie besser sich gestanden, man könnte darauf schon aus der Größe der alten Fruchtmagazine in Städten und Dörfern schließen. Den Bauern kostet seine Fechsung noch immer so viel, daß er die Jahreseinkünfte rein verzehret. Soll er zu dauerndem Wohlstände kommen, so muß er leichter zu arbeiten wissen und sicherer erzeugen­ sein Kopf muß verständiger, seine Handgriffe vorteilhafter, sein Geräte berechneter werden: es muß sich, mit einem Worte, die ganze Ökonomie seiner Ökonomie neu gestalten. Zwar werden wir solche Jahre wie 1816 und 1817 vielleicht nicht mehr zu erleiden haben. Wir könnten sie aber auch

nicht mehr überstehen. Denn größtenteils sinö die Schulden der Bauern aus den Hungerjahren immer noch nicht bezahlet. Wie elend muß aber der Ackerbau betrieben werden und wie wenig abwerfen, wenn er von 1817 bis 1842 diese Scharte, ohne -aß -er Krieg viel Gebäude und Gerät ver­ brannte, bis heute nicht auswetzen konnte? Was wird uns aber erretten, wenn die Körner noch einmal fehlschlagen? Was? Ein Fortschritt, den wir mittlerweile in der Land­ wirtschaft gemacht haben, ich meine den erweiterteren Anbau der Kartoffeln. Auf diesen Fortschritt in dem Ackerbau haben wir uns allein zu stützen- die Kartoffel gibt uns Mut und Hoffnung, Mißjahre zu überstehen. Ihre Zigeu­ nernatur und Wohnung unter der Erde verspricht uns Hülfe. Was half es, daß die Entdeckung von Amerika diese Wohl­ tat der alten Welt bot, hätten nicht auch wir sie angebauet? Wir sind durch ihren Anbau vorwärts geschritten in einer Art in der Sicherung der Lebensmittel, und wer diese Wohl­ tat für Arme und Reiche, für Mensch und Vieh überleget, wird beim Einsammeln -es Erdsegens nicht nur des be­ quemeren Geschäftes wegen niederknien, sondern auch aus Dankgefühl und mit dem Blick gen Himmel. Ein ein­ zelner Fortschritt in der Landwirtschaft hat uns schon so große Hoffnung gebracht, was haben wir erst für Segen zu erwarten, wenn die Fortschritte in der Landwirtschaft rudel­ weise ihr Füllhorn übers Land ausleeren? Die Kartoffeln sind nur die ersten Schwalben, die Boten -es nahenden Sommers- wenn sie alle kommen, wenn die veredelte Land­ wirtschaft in allen Richtungen ihre Segensfurchen zieht, dann werden auch die Gewerbsgöttinnen, wie wir verlangen, ein­ herziehen. Auf die Frage also, wo anzufangen sei, -aß den Gewerben geholfen werde, kann nur die eine Antwort sein: Unten, unten, im Landbau! Helfet dem Bauern, so ist dem Bürger geholfen! Hebet den Landbau, ist auch das Gewerbwesen gehoben.

Der Landwirtschaft kann aber auf zweierlei Art geholfen werden: teils durch Hinwegräumung -er im Wege liegen­ den Hindernisse, teils durch begünstigenden Einfluß auf ihre Vervollkommnung. Die hauptsächlichsten Hindernisse ihrer Entwicklung find: die Zerbißlung — die Dreifelderwirt­ schaft — Vorspannslast — Eigentumslosigkeit im größeren Teile des Landes usw. Wären, wenn auch nur diese erst be­ seitiget, so würden die anderen Fesseln, vom Rost der Zeit zernagt, schon auch abfallen. Schon ist es als ein Gewinn zu achten, daß diese Hindernisse im Volksbewußtsein, als solche, in ihrer Verderblichkeit erkannt werden. Denn -er Gedanke hat über die Welt bereits eine solche Übermacht erlangt, -atz, was einmal in der öffentlichen Meinung ge­ fallen ist, über kurz oder lang auch in der Wirklichkeit fällt. Ist das nicht Schimmer der Morgenröte, wenn Grund­ herren, nicht immer aus Furcht, öfterer noch aus Trieb des Rechtes, selbst eingestehen und unverhohlen äußern: Es sei an -er Zeit, die Klugheit rate es, die Gerechtigkeit -ringe darauf, dem Jobagyen* Erleichterung zu verschaffen? Der Jobagy ist, um bloß den Eigennutz sprechen zu lassen, nie Abnehmer der Gewerbserzeugnisse, daher rührt der natür­ liche Anteil her, den die Bürger an dessen Schicksal nehmen. Wie England, um seines Handels willen, alle Völker reich und frei wünschet, so müssen auch wir die Lage des Jobagyen bessern helfen. Wir helfen damit auch uns, sein Wohl ist mit unserem Wohl verknüpft, denken wir auch nicht daran, -aß er ein Landsmann und Landesbruder ist. Wenn er weint, können wir daher nicht lachen, sein Wohlstand — obgleich im Komitate, obgleich in anderer Sprache, zum Teil eines anderen Glaubensbekenntnisses — bedingt das Blühen -es Bürgerstandes, ja -es ganzen Landes. Humanität und Lan­ desnutzen, Himmel und Erde, verlangen Gerechtigkeit, nicht 1 Magyarisch: Fronbauer, Höriger.

Fortdauer erschöpfenden Druckes. Doch halt! Es schwirren die Morgenlerchen, das Tagsgestirn naht. O wenn wir doch alle bedächten, daß ein Bergkranz uns umziehet, wir alle aus einer Taufe geweiht sind, zu einer Wirtschaft gehören, nur Wohlleben können im Frieden und Segen, die Sonne ginge rosenrot, nicht blutig auf. Die Leibeigenschaft hat aufgehört. Noch ein Schritt: Ablösung, Freikauf! dann kommt für die Gewerbe die bessere Zeit! Der Adel soll nichts verlieren,- er hat Rechte, worauf Jahrhunderte das Siegel gedrückt haben. In positiven Verhältnissen müssen positive Gesetze herrschen. Nur nicht mehr Körperpflicht, sondern eine Ausgleichung, ein Äquivalent in Geld. Steht das nicht mit der Landwirtschaft und ihrer Veredlung in Verbindung? Eigentumslosigkeit ist Mutlosigkeit. Wird der adelige Untertan seinen Grund gut bauen können, solange er seiner Zeit nicht Herr ist? Wird er ein Land, das un­ fruchtbar ist, fruchtbar machen, das nicht sein ist? Hat je ein gezwungener Arbeiter also gearbeitet wie ein freier in sei­ nem Eigentum? Man taxiert int höheren Landbau die Er­ folge und Güte der Arbeiter also: eigener Herr = 4; Ge­ sinde — 3; Tagarbeiter = 2; Jobagy = 1. Darum tut die Freiheit der Person soviel zur Hebung -er Landwirtschaft! Darum eben haben wir kein Hehl daraus zu machen, -atz wir einer gewaltsamen Fesselsprengung der Untertanen ebenso feind-, als einer friedlichen Ausgleichung und B e­ glückung der armen Untertanen die wärmsten Freunde sind. Bürgersinn ist Gemeinsinn, wer wahrhaft frei ist, wünscht aller Welt die Freiheit und dadurch sein eigenes Glück. Einzeln verlautbarende Äußerungen aus der Mitte des Adels, die Ablösung der Robotten betreffend, sind zwar nur Edelgefühle einzelner. Sie mahnen mich an das Vorge­ schäft der Jnstrumentenstimmung eines Konzertes. Es geht eine Zeitlang wirr durcheinander: man schraubt hinauf,

man schraubt hinunter: was hier und da für sich erklang, fällt, wenn die Stimmung im reinen ist, alles nun in einen Akkord zusammen: es rauscht die Symphonie harmonisch. Menschen, und Untertanen dazu gemacht, werden vor Freu­ den weinen und Engel in die Hände klatschen. Dreisel- er — oder Wechsclbau? Wenn die Römer eine Landschaft erobert hatten, zogen mit den siegreichen Adlern die Götter Latiums, ihre Sprache und Gesetze und zugleich die Ackerwirtschaft mit drei Fel­ dern ein. überall, wo sie festen Fuß setzten, ward der Hat­ tert in ein Sommerfeld, Winterfeld und Brachfeld einge­ teilt. Vermutlich schreibt sich auch im hiesigen Lande die Drei­ felderwirtschaft entweder von ihrer hiesigen Herrschaft noch her oder es brachten sie, als angenommene Römerlehre, aus der Heimat unsere Väter hieher. Nur Rom selbst mit seiner nächsten Umgebung machte eine Ausnahme und trieb den Wechselbau, wie die alten Schriftsteller klar es sagen. In dieser langen Zeit blieb diesem Ackersystem beinahe in dem ganzen Umfange ihres ehemaligen Weltreiches die Geltung. Nur im Mecklenburgischen und Holsteinischen erhielt sich die altdeutsche Sitte, nur um das Haus die Felder zu haben und keine dreijährigen Brachfelder zu halten. Aus diesen Gegenden zog sich diese besondere Art Wechselwirtschaft — die Koppelwirtschaft — nach England und, weil hier am ersten mit großem Erfolge und Umfang getrieben, führt sie den unverdienten Namen: englische Felderwirtschaft. Englands Beispiel wirkte auf Deutschland zurück und die für ausländisch gehaltene Wirtschaftsart fand in ihrer alten Heimat bald Anklang und allgemeine Nachahmung. Der­ malen ist sie die ausgebreitetste und erfolgreichste Art, die Felder zu bebauen, in allen zivilisierteren Ländern. Solange der Boden nicht erschöpft, also sehr fruchtbar oder

int Überflüsse vorhanden ist, nähret die genügsamere, spär­ lichere Bevölkerung sich von jeder Wirtschastsart. Da der Ackerbau aus dem Hirtenstande hervorgegangen ist, so grün­ det auch der Anfang der Ackerperiode seinen Hauptunterhalt auf Milch, Fleisch und Felle. Die anfangs unermeßliche, fette Weide wird mit der zunehmenden Bevölkerung enger, durch beständige Abätzung ohne Dünger magerer. Solange es nur angeht, bleibt die Ackerkultur mit einem Fuße im Hirtenstand und behält daher viele Viehköpfe. Ist auch die Weide im Brachfelde fortgehend schlechter, gibt doch das viele Vieh aus vielen Eutern noch Milch genug zur Er­ nährung -es Eigentümers und die Bebauung -es Brach­ feldes ist kein Bedürfnis und Zwangsnot. Wenn aber die Bevölkerung in der Zahl und den Ansprüchen an Lebens­ genuß wächst, verringern sich die rohen Weideplätze für die Herden und der Pflug bringt immer mehr Boden unter die Furche. Zuletzt entsteht ein Kampf zwischen Pflug und Her­ den. Man vermißt mit Schmerzen die Brache, als den drit­ ten Teil der Ackerfläche, dem Körnerertrage entzogen und findet in den latschigen Eutern und dem verkrüppelten Vieh­ schlag keinen genügenden Ersatz dafür. In diesem Zustande, den die gestiegene Bevölkerung in den Friedensjahren, die Pockenimpfung und das Verhüten der Pest hervorgebracht hat, befinden wir Siebenbürger uns eben diesmalen. Die Menschen haben zugenommen, die Hattert können nicht mehr wachsen,' die Erweiterungen durch Roden haben ihre Grenzen erreicht. Auf diesem durch die Volksmenge kleiner gewordenen Hattert ist die Arbeit schwieriger, der Ertrag geringer geworden. Durch die Bepflügung der Berge wird der unfruchtbare Sand, das Eingeweide unserer Berge, bloß­ gelegt. Wir brauchen dieserwegen mehr Mist als unsere Vorfahren und die verschlechterten Weideplätze geben weni­ geren: die ärmeren Acker erzeugen wenigere Halme, und so versinkt unsere Feldwirtschaft in immer tiefere Verarmung,

denn der Futtermangel nötiget uns, die Herden von Jahr zu Jahr, früher im Frühjahr und später nach dem Herbste auf die Wiesen zu treiben. Diese in der Winterseuchtigkeit, zu Anfang und Ende des Winters, durchtreten und zerkneten, liefern immer wenigeren Graswuchs und dieser ist von immer schlechterer Beschaffenheit. Denn die edleren Pflan­ zen sterben in der Mißhandlung aus und nur die zäheren Unkräuter überstehen sie und breiten sich auf Unkosten der edleren aus. Zudem stützet jeder Regen aus den Bergrillen mit dem herabgeschwemmten Sande Siechtum und Tod in die Täler. Die Dammerde liegt bald den Saatenwurzeln unerreichbar unter der Sanddecke. Denn die Gebüsche und Gesträuche an den Rainen sind durch Ziegen und Äxte aus­ gerodet worden und der Tropfen, der dem Berg auf Stirne, Scheitel oder Wangen fällt, kugelt sich, mit Sand vermischt, bis an seine Füße, ohne von einem Strauch aufgehalten, ohne von Wurzelwesen gesickert, ohne von Blattfäulnis wieder ersetzt zu werden. Welche unerschöpfliche Gelegen­ heit, über unsere landwirtschaftlichen Mißstänöe tagelang Klage zu führen! Der Bauer geht zugrunde,' nur dieses sehen wir,' er arbeitet härter als seine Großväter und wird dabei ärmer von Tag zu Tag, bei Mühe und Plage nährt ihn sein Pflug nur kümmerlich, nicht besser als einen Bett­ ler. Dieses alles könnte nachgewiesen werden, wenn es ge­ leugnet werden könnte. Doch wozu? Wer könnte, bei fort­ dauernder Dreifelderwirtschaft, diesem Stand der Dinge zu raten wissen oder helfen können? Einige Mittel könnten vielleicht im einzelnen nachgewiesen werden, aber sie hälfen nur wie gewärmte Tücher im Fieberfrost, auch gehören sie mehr in eine rein wirtschaftliche Zeitschrift. Was aber hier vom Verfalle des Landbaues gesagt ist, berührt es die Sache auch nur obenhin, genügt schon hinlänglich, um zu sehen, wie es um unsere Dreifelderwirtschaft stehet, auch wir- die Uneinträglichkeit des Landbaues in jetziger Gestalt von den

einsichtsvolleren Landleuten als Tatsache eingestanden, ohne daß sie aber bis zur Heilquelle, zur Änderung -es Wirtschaftssystemes, zu steigen gemeiniglich ver­ mögen. Ich bin weit entfernt, mehr wissen zu wollen als jeder meinesgleichen und bringe diesen Gegenstand nur darum zur Sprache, weil ich Gelegenheit gehabt. Versuche zu machen und durch Geburt, Erziehung und Lebensart in die Nähe unserer Landwirtschaft gebracht, meine in Deutsch­ land und -er Schweiz gebrauchten Augen verloren haben müßte, wenn ich, durch Vergleichungen aufmerksam gemacht, die übel nicht erkannt hätte, welche -er Alletag mir in viel­ fältigen Erscheinungen darbot. Die auffallendsten Nachteile -er Dreifelderwirtschaft überhaupt, also auch unserer, sind ohngefähr folgende: 1. Der dritte Teil der Äcker und Wiesen liegt beinahe nutzlos da. 2. Die Verteilung der Grundstücke in drei Feldern er­ schweret die Aufsicht -es Herrn. 3. Mit dem Hin und Her aus einem Feld ins andere geht viel an Zeit für wirkliche Arbeit verloren. 4. Diese Einteilung in drei Felder läßt dem Eigentümer nicht freie Hände, das zu bauen, was er will, sondern er muß das bauen, was an der Reihe ist, Sommer- oder Win­ tergetreide. Kleebau samt Geschwister ist rein unmöglich. 5. Die Acker besämen sich mit U n k r ä u t e r n, der Boden verwildert durch Verdreeschung. 6. Die Entfernung der Gründe voneinander, und daß sie von Ackern anderer Eigentümer umschlossen sind, verhindert oder erschweret den Mist wagen. 7. Die Wirtschaft mit allgemeiner Hutweide ist die Mutter der Pferdediebe und der Teigsamen oder Sauerteig für Viehseuchen. Diese sieben Punkte sind nur ein Teil der Schädlichkeit der Dreifelderwirtschaft. Ich rede nichts vom Verderben der

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Wünsche und Ratschläge

Wälder, von -er Roheit des Biehhütens, vom Abfüttern der Wiesen und Saaten usw., ich rede nur von den Nach­ teilen, die mit dem Landbau in nächster Beziehung stehen und bis noch unter uns immer noch von zu wenigen in ihrer Verderblichkeit gewürdiget worden sind. Die Einsicht und Wünsche einzelner stehen noch zu einsam da in -er Menge der Gegenfüßler. Die Lobredner der Dreifelder kennen ge­ wöhnlich nur das Herkömmliche und haben weder gesucht, aus Schriften etwas zu lernen, noch die Gelegenheit gehabt. Besseres zu sehen. Die Stimme der Besserbelehrten wird noch zu sehr überschrien vom Vorurteil und Mißverstand. Diese Leute, die -es Viehes wegen dem Brachjahr das Wort reden, scheinen zu vergessen, daß der Mensch die Haupt­ sache ist, selbst wenn die Wechselwirtschaft das Entweder und das Oder zwischen Mensch und Vieh wäre, dem aber nicht also ist. Denn Erfahrung hat außer Zweifel die Tatsache gesetzt, daß bei der Wechselwirtschaft auf das Vieh so gut Bedacht genommen ist, daß hier Menschen und Vieh besser als bei unserer dermaligen Dreifelderwirtschaft leben. Die­ ser Versicherung geben Hans Schlendrian und Michel Vor­ urteil kein Gehör. Ihre Überzeugung gründet sich auf ihre Erfahrung — eine fremde haben sie nicht kennen gelernt und ihrem Verstände trauen sie nicht so weit als ihren Sinnen. Sie bedürfen zur Änderung dieser ihrer Ansicht und Be­ richtigung ihrer Beurteilung mehr als Wortlehre, Wort­ überweisung, sie bedürfen zu ihrer Widerlegung des Augen­ scheines. Wären die Dampfwägen dermalen schon bis an unsere Grenze im Gange, man sollte sie samt und sonders aufladen und die öffentlichen Kosten nicht scheuen, sie dahin zu schicken, wo sie sehen könnten, was sie nicht glauben wollen oder sich nicht vorstellen können. Weil aber die Axfftljrt1 zu hoch kommt, verwende man diese Unkosten lieber auf Gründung von Wechselwirtschaften hier 1 Fahrt auf der Achse, auf dem Wagen.

bei uns im Lande, um sie dann bei -er Hand nehmen und sprechen zu können: Siehe her, Thoma, sei gläubig und nicht ungläubig. Wenn hiebei die strengste Buchführung über Ausgaben und Einnahmen vorgelegt wir-, wie etwa int Dickson; wenn sie das fettere Vieh sähen, die strotzenden Euter, die geilen Acker, den wogenden Klee, die vollen Kornkästen, das gute Mehr in den Büchern, würden sie die Vorteilhaftigkeit dieses Systems nicht mehr leugnen kön­ nen. Die überwiegenden Vorteile lassen sich so mit Augen sehen, -aß man sie beinahe mit Händen greifen kann. Augen­ schein muß doch endlich Überzeugung wirken! Augenschein muß Einwürfe und Zweifel niederschlagen, die jetzt alle bessere Einsicht um den Erfolg bringen. Dieser Weg des Augenscheines mußte auch anderwärts, an gar vielen Orten, eingeschlagen werden, um zum Ziele der Über­ führung zu gelangen. Beinahe überall, wo beide Wirt­ schaftssysteme in Hader gerieten, wurde lange dafür und da­ gegen in Wort und Schrift geeifert und es entschied sich ge­ wöhnlich das Publikum für die Aufhebung -er Dreifelder und Einführung -es Wechselbaues erst dann, wenn einzelne Versuche durch den Augenschein erwiesen hatten, daß die Wechselwirtschaft möglich — rötlich und — nützlich sei. Ge­ gen die Tatsachen des Augenscheines, gegen die Beweisfüh­ rung durch Erfahrung ist Widerspruch doch nicht mehr möglich — lächerlich oder — verächtlich. Um aber einem mehrfach gehegten Vorurteil den Wider­ willen gegen die Wechselwirtschaft in etwas zu benehmen, muß zur Beruhigung der Herdenliebhaber dies flüchtig er­ wähnt werden, -aß Stallfütterung oder die Auflösung -er Herden bei der Wechselwirtschaft nicht unumgängliches Er­ fordernis sei. Herden können aus benarbter Gemeinerde (Rasenerdei, mit Betreibung der Wechselwirtschaft zugleich, recht wohl bestehen, nur aus den Ackerfeldern müssen sie heraus. Denn Wechselwirtschaft erfordert freie Benützung

des beackerten Eigentumes zu jeder Jahreszeit und beliebige Anpflanzung von Gewächsen, die nach gewissen erfahrungs­ mäßigen Reihenfolgen hintereinander gebauet oder gewech­ selt werden. Nur weil man den Boden nützlicher zu be­ bauen als zu beweiden fand, hob sich der Herdengang nach dem Wunsche der Kommunitäten, als sie dies die Erfahrung einsehen ließ, von freien Stücken auf. Noch immer aber bestehen gemeinschaftliche Herden, öffentliche Hutweiden, neben der Wechselwirtschaft, an viel tausend Orten. Nur auf die Äcker, weil kein Brachfeld ist, darf keine Herde ge­ trieben werden. Weil nun solche Hatterte, wo außer den Brachfeldern noch genügsame Weideplätze vorhanden sind, um das Vieh, bei guter Benützung, in erforderlicher Kraft zu erhalten, zu den selteneren Fällen und sozusagen zu den Ausnahmen gehören, mußte vom Acker aus für die Er­ nährung des Viehes gesorgt werden. Der Anbau der Futter­ kräuter, unter denen der Klee mit seinen Arten noch immer obenan stehet, wurde ein Bedürfnis, und bald überzeug­ ten sich die Menschen aus der Erfahrung, daß eine künstliche Futterwiese mehr abwerfe, als wilde, der Natur überlassene Weideplätze. Wie also diese Erfahrungen zunahmen, so wur­ den die Gemeinplätze, wo die Herden auf- und abgetrieben wurden und mit vier Füßen mehr zertraten als sie mit einem Maule gefressen, mehr und mehr durch Aufteilungen zu Ackern verkleinert, bis der Pflug beinahe alles unter sich bekam. Nur was zur Beackerung in den Allmenden (Gemein­ erde) untauglich war, überließ man letztlich, weil man es nicht nützlicher benützen konnte, dem Vieh und dem Holzwuchs. Die Wechselwirtschaft kann also mit und ohne Herden be­ stehen. Ihr Wesen bestehet nicht in der Auflösung der Her­ den oder, wie man es gewöhnlicher nennt, in der Stallfütte­ rung. Wo alles, alles Vieh int Stall gefüttert wird, da ist vollkommene Stallfütterung,' roo ein Teil des Viehes im Stalle, ein anderer aber im Freien gefüttert wird, da ist

teilweise Stallfütterung. Nur auf den Ackerlän­ dern, wo die Wechselwirtschaft getrieben werden soll, darf keine Herde gehen, weil die ganze Ackerfläche zum Florfeld gemacht ist, wo jeder, nach seiner Rechnung und seiner Einsicht, das bauet, was ihm beliebt. Daher in solchen Län­ dern die Ackerfläche, in einen blühenden Garten verwandelt, wenigstens um den -ritten Teil mehr erzeugt. Diese Vermehrung des Nutzens steigert natürlich auch den Preis eines Ackers von 200 auf 300 fl. Die Population nimmt durch mehrere Ernährung reißen- zu. Kinder sind beim gartenmäßigen Feldbau ein Segen, keine Last. Drum scheuet man das Kindererzeugen nicht. Alles kann leben und lebet. Ob zur Aufhebung -es ganzen oder teilweisen Triftzwanges überall im Lande die Glocke geschlagen, glaube ich nicht. Bei uns Sachsen, nach unserer Bevölkerung, Art und Gestalt der Erde halte ich die nötigenden Umstände zur Ein­ führung der Wechselwirtschaft mit teilweiser Stallfütterung großenteils für vorhanden. Wo aber und wenn auch diese Umstände da sind: man wird noch manchen Kalender -rucken, ehe die Not alle Köpfe unter diesen einen Hut bringt und die Wechselwirtschaft zur Ausführung kommen läßt. Ge­ berden sich -och manche Kommunitäten, wie wenn man ihnen die Weide verböte,- sie geraten in Zorn, wenn in ihrer Mitte jemand nur mit einem Worte darauf anspielt oder sonst ein Verlangen darnach laut wird. — Was ist -a zu tun? Worte, Belehrung und Disput helfen da alles nichts. Sie haben Wachs in den Ohren. Was? Ich glaube, man sollte dieses tun! Um eine bessere Felderwirtschaft, die zur Notwendigkeit geworden ist und zu unserem Schaden nur noch aufgeschoben wir-, dennoch ins Leben einzuführen und auf die erfolg­ reichste Art auch diejenigen dafür zu gewinnen, die dieser Einführung dermalen mit fanatischem Eifer entgegen sind, stelle man ihrer Erfahrung eine andere Erfahrung, ihrem Folborth, St. L. Roth. IV. 15

alten Augenschein einen anderen neuen Augenschein gegen­ über. Dazu diene folgende Abrede: Die Freunde und Anhänger -es Wechselbaues teilen sich, zur endlichen Herbeiführung -er Wechselwirtschaft, in diese zwei Rollen: 1. Welche arrondierte Grundstücke (Koppeln, Thanorungen)1 besitzen, die dem Triftzwange nicht unterworfen sind, machen es sich zur Aufgabe, darauf Wechselwirtschaft zu treiben, eifrigst bemüht, den Wechselbau zu Ehren zu brin­ gen: also mit Umsicht und Nachdruck! 2. Welche keine solche Grundstücke haben, wirken dadurch zum Zwecke, daß sie jede Gelegenheit benützen, eine Ver­ ständigung herbeizuführen. Sie suchen daher den Kopf­ kranken die Arznei in aller Art beizubringen, in Ernst und Witz, gehts nicht löffelweis, wenn auch nur in Tropfen — verträgt der Kranke die Allopathie nicht, sucht man auch die Homöopathie zur Hülfe heraus. Diese Freunde des ganzen und vollen Eigentumrechtes machen es sich zur Aufgabe und Pflicht, allen Versuchen zu Arrondierungen den kräftigsten Vorschub zu leisten, die bereits eingehegten Grundstücke aber gegen Böswilligkeit und mutwillige Einbrüche von öffent­ lichen Herden oder Winkelhuten in besten Schutz zu nehmen. Wieder dann, wenn durch die Herden in Waldpflanzungen ein Schaden geschieht, wenn durch sie eine Seuche ausge­ breitet wird, wenn aus Nachlässigkeit der Hirten Einbrüche im Florfelü oder Verwüstungen in Weinbergen geschehen usw., hängen sie sich mit beiden Händen an die große Lärmglocke, und ixmtett2 den Altgläubigen ihre schädliche Vor­ liebe für den Triftzwang vielfach auf. So, von zwei Seiten 1 Mundartliche Wortbildung aus dem Magyarischen, wo tanörok eine von einem Zaun umgebene Wiese bedeutet. Der Ausdruck wird besonders in der Gegend der sogenannten 13 Dörfer (zwi­ schen großer und kleiner Koke!) gebraucht. 2 Aufdamen, mundartlich für: vorwurfsvoll anführen, unter die Nase reiben.

im Feuer, müssen sie endlich die Waffen strecken und das weiße Fähnlein wehen lassen. Um aber solche Grundstücke gehörig, nicht aufs Gerate­ wohl, sondern nach Grundsätzen des Fruchtwechsels zu bewirtschaften, sind unsere inländischen Arbeiter ungenügend. Sie verstehen es nicht und mögen es nicht. Da das Grundeigentum bei uns so leicht zu erwerben ist, weil, tausendfach zerbisselt, alle Augenblicke eins zu ver­ kaufen ist, so sind diejenigen, welche kein liegendes Eigentum erwerben, gemeiniglich Taugenichtse,-Augendiener oder Sie­ benschläfer. Die Besten unter ihnen, deren es doch auch gibt, verstehen höchstens das Herkömmliche, womit unseren Zwecken nichts gedienet ist. Wollen wir daher den Wechselbau bei uns einführen, zunächst wenn auch nur auf Koppeln oder Thanorungen, um in Anschauungen eine Werberei für die­ ses System zu begründen, müssen wir uns nach deutschen Einwanderern umsehen, die, in Betreibung dieser Wirt­ schaft aufgewachsen, dieses Bessere im Kopse und die Aus­ übung, als Gewohnheit, in den Gliedern haben. Wie werden die Ungläubigen staunen, wenn unter den Händen derselben die neue Schöpfung zauberartig aus dem Boden steigt! Zu dieser Einwanderung werden sich Deutsche wohl finden lassen, da Ungehörigkeiten und Übervölkerung sie sogar zur vermessenen Fahrt in die amerikanischen Urwälder verleitet haben. Der Wagen oder das Schiff, mit Dämpfen getrieben, macht hieher die Reise wohlfeil und kurz. Von Ulm bis Pest hat ja jetzt ein Mensch mit einem Klausenburger Brot1 genug. Amerika, das freie und doch sklavenliebende, hat den Einwanderern nicht mehr als unser Siebenbürgen zu bieten, und bis an die Ufer der neuen Welt sind Seestürme und Seekrankheiten abschreckende und gefährliche Reisege­ fährten. Die Einwanderer hätten doch hier, ebenso wie dort, einen eigenen Herd in der Anwartschaft, das letzte Ziel aller 1 Die Ungarn backen Brote im Umfange einem Wagenrad gleich. 15*

Wanderlust. Auch kommen die Einwanderer bei uns ... zu gutem Brode, freier Verfassung und . . . Blut zu Blut. Wir unsererseits . . . werden reicher an Erkenntnis, an Nährmitteln, an Sprach- und Glaubensgenossen. Diese Ackerbauern strictioris observantiae1 werden hoffentlich dem Nomadenwesen bei uns den Gnadenstoß geben, die Viehliebhaberei, die auf die Menge, nicht auf die Güte sieht, und das tagschlafende und nachtwachende Hirtenwesen, das unserem deutschen Wesen fremd und unserem ausgelaugten Boden nicht mehr angemessen ist, verdrängen helfen. Dieses Nomadenwesen, mit dem langen Schweif der Winkelhut, Feld- und Viehdiebstahl hat sich, hauptsächlich seit den letzten Hungerjahren, durch rohere Einwanderer aus den Komi­ taten als wir sind, die wir aber unsinnig genug nicht verab­ folgten, als sie abverlangt12 wurden, mehr und mehr einge­ nistet und sitzt unserem Deutschtum wie eine Made im Fleisch und drückt dermalen auf den Ackerbau wie ein Alp auf der Brust, so daß wir, wie eine zahmere Fischgattung durch die andere Raubgattung verdrängt, gegen das Sandufer ge­ schoben, außerhalb des Wassers bald nach Luft schnappen. Hermannstadt hat im Jahre 1841 unterm 3. April für seinen ganzen Hattert eine neue Einteilung in sechs Felder gemacht. Warum aber gerade sechs Schläge gemacht worden, läßt sich aus dem Abschlüsse nicht entnehmen, da derselbe nur die Reihenfolge enthält, in welchen der Hattert vom Trift­ zwange in fünf Feldern erlöset werden solle. Sollte es auf eine sechsfeldrige Wirtschaft m i t Brache, sollte es auf eine Wechselw'rtschaft mit sechs Schlägen ohne Brache abge­ sehen sein oder hat man die Meinung und Absicht durch Ver­ mehrung und Erweiterung der Florfelder sich die Brücke zur eigentlichen Wechselwirtschaft zu bauen oder sollen die fünf Jahre Flor auf einem Felde strenge den Her1 Strengerer Observanz (Ordensregel). 2 Nämlich von ihren Grundherren.

Eine Bittschrift fürs Landvolk

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öeit verschlossen oder -as Vieh in -ie Stoppel zugelassen werden? Mündliche Erkundigungen haben mir die Sache nicht ins Licht gesetzt? ich tappe im Dunkeln, aber samt diesem demütigen Geständnis läßt sich -och eben in der Unbestimmtheit über die m ö g l i ch e n Fälle manches be­ stimmen. Die Gelegenheit muß benützt werden. Will man aus diesen sechs Feldern nach sechs Jahren ein Feld ohne Brache machen, jedoch so, daß ein sechsjähriger Wechsel­ schlag zum Grunde liegen soll, so ist zu befürchten, -er Wille sei besser gewesen als -ie Einsicht in die Beschaf­ fenheit -es Wechselbaues. Denn -er kleinste Rotulus' ist meines Wissens schon mit sieben Schlägen, und dieses -ie unterste Klasse im Erträgnis und Erfolge dieser Wirtschafts­ art. Da sich nun die Hermannstädter Kommunität -ie am wenigsten Nutzen abwerfende Klasse zur Einführung ge­ wählt hatte, konnte nur mit Besorgnis auf -as Glücken des Erfolges gesehen werden. Denn fiele Hermannstadt noch einmal in die alte Wirtschaft zurück, so wäre dieser Unfall für -ie gleiche Sache auch in anderen Landesteilen eine Nie­ derlage. Die Schadenfreude würde mit aufgezogenen Augen­ brauen ausrufen: Hab' ichs nicht gesagt, und der Un­ glaube würde triumphierend ob -es Mißlingens ein Jahr­ hundert hindurch mit dem Finger auf -ie Hauptstadt des Sachsenlandes weisen. Sei nun auch ein Fehlgriff in der Art -er Einführung geschehen: -ie Ehre gebietet, die Brücke hinter sich abzubrechen. Vorwärts nun, in Gottes Namen! Mögen -ie kräftigen Männer, die solches beschlossen, nun auch Mut und Beharrlichkeit haben, es auszuführen. Die großen, ausgedehnten Wiesen und der viele Mist, den eine Stadt darbietet, machen noch eine nachträgliche Verbesserung des Fehlers im Anfange möglich. Um aber den Erfolg mehr in Sicherheit zu bringen, rate ich, ein Bauer im Kaputrocke? 1 Fruchtfolge (Rotation). * Kaputrock = Kappenmantel, vermutlich -er Mantel -er Aka­ demiker.

je eher, je besser, zum Kleebau, nicht aus Wiesen, sondern auf Ackern. Denn bei jedem Wechsel von Wirtschaftssystemen stellt -er Mangel an Viehnahrung in den ersten Jahren den ver­ wegenen Anfänger auf die gefährlichste Probe, übersteht ein eiserner Wille mit berechnender Umsicht die erste harte Prü­ fungszeit, so ist am späteren völligen Gelingen alsdann kein Zweifel mehr. Zu dieser Umsicht rechne ich noch, die Äcker nicht mit angreifenden Gewächsen zu bebauen. Es sind Anstren­ gungen, auf die gänzliche Ohnmacht folgt. Zu den erschöp­ fendsten Kräutern gehöret leider ein eben jetzt in Hermannstadt sehr beliebtes Gewächs, ich meine den Rips und Raps. Kommt da nicht gleich der volle Mistwagen hinter dem Ernte­ wagen, so geht die Fechsung den Krebsgang. Wie sehr ich da­ her das Wollen lobe und das Gelingen wünsche, so habe ich doch von diesem Versuch, die Wechselwirtschaft auf diese Art einzuführen, keine blutwärmende Hoffnung. Man erlaube, man verzeihe mir daher die bescheiden vorgebrachte Frage: Woher kommt dem guten Willen und dem Vorsätze die Einsicht, das Verständnis, das Wissen und das Können, ohne Lehre, ohne Un­ terweisung, ohne Beispiel und Augenschein, bei unwissendem Gesinde und nichts davon ahnendemArbeiterhaufen? Eins und das andere kann man bauen, herrlich und ersprießlich, aber die Schluß­ rechnung übers Ganze gibt die Entscheidung, das Ende lobet den Meister. Wechselbau ist nicht, daß man im Anbau von Gewächsen wechselt nach Lust und Willen, sondern ein Fruchtwechsel nach Grundsätzen der Erfahrung, daß eine Frucht, die vorhergeht, das bessere Gedeihen der nächstfol­ genden immer vorbahne, das Kraftkapital im Grund und Boden immer vermehre und steigere, daß zuletzt der Acker fähig sei, die größten Anstrengungen ohne Schwächung zu machen. Wird auf Geratewohl dies und das gebauet, was für den Augenblick den meisten Nutzen gewähret, so kommt

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als Strafe auf die Sünde der übermäßigen Anstrengung un­ mittelbar die Erschöpfung. Man baue zum Beispiel etliche Jahre hintereinander Halmfrüchte, so kommt der Reiter aus dem Sattel nicht aus Übermut des Pferdes, son­ dern dieses bricht unter dem Sattel ohnmächtig zusammen. Werden hingegen bei fleißiger Mistung mehrmals Hack­ früchte, ohne Halmfrüchte dazwischen, hintereinander gebauet, und man sät dann Körnerfrüchte, so fällt die zu geile Saat, der Reiter wird vom Tiere heruntergeworfen. Ob nun in dieser Hinsicht Vorkehrungen und Anordnungen getroffen worden, und welcher Art sie seien, weiß ich alles nicht. Dem Entferntstehenden muß manches unbekannt bleiben. Zu was aber soll ein ganzes Publikum Lehrgeld zahlen, da durch eine einzelne Wirtschaft eines verständigen Mannes alle Un­ kosten von Fehlgriffen erspart werden können? Hat aber die Hermannstädter Kommunität nicht die Einführung des Frucht­ wechsels im Schilde, so ist so viel Aufhebens davon nicht zu machen. Es ist Brachwirtschaft, nur eine eingeschränktere. Woher ich aber das Recht hergenommen, Bedenken zu äußern? Woher nimmt es denn ein altes Weib, die jeman­ den der Hülfe bedürftig hält und ihr Hausmittel vorschlägt? Wenn sie's sagte, mutz es ja nicht befolgt werden. So auch bei mir. Im Krankenhause macht man doch nur, was man will. Ich versichere als armer Sünder, daß -er wärmste An­ teil aus mir redet, so warm, wie wenn ich die Ehre hätte, selbst ein Bürger von Hermannstadt zu sein — aber mir will diese Einführung, ich mag sie so oder so nennen, nicht einleuchten. Gerne bescheide ich mich aber damit, daß auch andere Leute Köpfe haben. Demohnerachtet muß ich wieder­ holt meine feste Überzeugung aussprechen, daß die Wech­ selwirtschaft sich aus ganzen Halterten durch bloße Beschlüsse nicht einführen lasse, son­ dern allein durch Anschauung im einzelnen oder großen, wozu Einwanderer aus Deutsch-

land für uns unumgänglich erfordert wer­ den. Soll aber gefahrloser und gesicherter vor Unfällen oder Rückfällen zur Einführung von Wechselwirtschaft im Lande geschritten werden, muß mit mehr Umsicht zu Werke gegangen werden. Immer aber werden die Versuche bei Städten eher gelingen als auf dem flachen Lande. Städte müssen es sein, nicht Dörfer, einmal, weil hier am meisten arrondierte Grundstücke anzutreffen sind, zwei­ tens, weil der Mist hier die leichteste Aushilfe gewährt und letztlich, weil die Städter, bei mehrerer Geistesbil­ dung, außer dem Bodenerträgnis noch anderwärts Mittel haben, zuzubüßen. Welche Städte sollen sich aber ins Vor­ dertreffen stellen? — Hermannstadt hat sich bereits gestellt. Seine Position scheint mir aber eine falsche. Den Sieg und das Gelingen erwarte ich anderswo. Also Schäßburg und Kronstadt! Warum? Nicht nur, weil sie stark bevölkert sind, wacker an Gesinnung und erfahren im Landbau, son­ dern weil sie auch vorzugsweise arrondierte, triftfreie Grundstücke haben. Also, meine Herren, an den Ehrenplatz! Wir übrigen stellen uns ins zweite Glied. Wir haben auf keinen auswärtigen Anstoß zu warten; tun wir es aus eige­ nem Vorteil! Also: Kronstadt und Schätzburg voran! Wechselbau! sei Losungswort; Ende dem Nomaden­ wesen! die Inschrift des Vereines. Die Zerbisselung 2>ije vorhandene jetzige Feldereinteilung hat an -er Ge­ wohnheit und dem Vorurteil mächtige Beschirmer; sie hat aber auch an der Not und dem Bedürfnis einen mächtigen Fein- und Bekämpfer. Wenn unsere Bauern nicht bald ge­ winnreicher, d. h. mehr und wohlfeiler als bisher erzeugen, werden bald die Schwaben aus dem Banate uns so mit Mehl überführen, daß wir, durch ihre Preise gedrückt, nur des­ wegen noch den Acker bauen werden, weil uns das Geld

fehlen wird, das wohlfeilere aus der Fremde zu beziehen. Wir werden auch mit dem Brote besserer Gattung dem Aus­ lande zahlpflichtig, wie wir bereits mit dem Schlachtvieh und Borstenvieh von den benachbarten Fürstentümern abhängig sind. Wo sich aber der Bauernstand leichter arm arbeitet als arm schläft, zieht er das Faulenzen vor und sinkt aus dem anstrengenden, nicht lohnenden Bauernzeug ins Ruheleben des Hirtenwesens. Er fängt die Sonne an zu meiden, sucht den Schatten und streckt sich auf das Bärenfell. O dolce far niente!1 Diese Erscheinung sehen wir überall auftauchen, wo der Ackerbau übermäßig belastet ist, sei es durch uner­ schwingliche Aufschläge, sei es durch Unsicherheit des Ernte­ segens in Kriegsunruhen oder — wo -er Pflug zum Bettel­ stab führet. So wie -er Bürger den Ochsen am Hörne nimmt, wenn seine Meisterschaft nicht mehr ergiebig nährt, so ver­ läßt der Bauer die Hörner -es Pfluges und greift zum Hirtenstabe. Ein Zurücksinken in den nächsten niederen Stand, aus dem man sich erhoben hat. Solche Betrachtungen sind wohl geeignet, den Neinherren in den Kommunitäten Wachs und Baumwolle aus den Ohren zu ziehen, wenn von einer Verbesserung des Landbaues die Rede sein soll und sein wird. Not ist auch Gebot. Verschaffen wir nur bald dem Bauern in seinem Handwerk Vorteile, sonst hängen ihm die Umstände die Hirtentasche um. Die Wechselwirtschaft ist bereits als eine Haupthilfe vor­ geschlagen worden, auch sind einige wohlmeinende Winke gegeben, welcher Art sie am sichersten eingeführt werden könnte. Im Sündenregister der Hindernisse, welche den Wohlstand -es Bauersmannes oder die Veredlung der Land­ wirtschaft hemmen, ist noch aufgeführt die Zerbisselung. Hiebei wollen wir unser vorhabendes Geschäft also einrichten, daß wir zuerst die Zerbisselung in ihrer Schäd1 Italienisch: O süßes Nichtstun.

lichkeit näher beleuchten, alsdann aber für die Krankheit ein anspruchsloses Rezept verschreiben. Die Zerbisselung, die in dem jetzigen Matze früher nicht vorhanden war, ist eine Folge unserer Gesetzgebung oder, um verständiger zu reden, ein Ergebnis ihrer teil­ weise engherzigen Auslegung und Anwendung. Die Deut­ schen, als sie einwanderten, mögen im alten Vaterlande, das sie verliehen, die Beschwerlichkeiten, welche Dominalgüter und das Vorrecht der Erstgeburt mit sich führen, in schmerz­ licher Erinnerung gehabt haben, und begründeten also hier, im Widerspruch der verlassenen, beschwerlich empfundenen Gesetze, ein Gesetzbuch oder Herkommen, das diese übel ver­ hindern sollte, die Aufteilung der Erbschaft zu gleichen Tei­ len unter die Kinder. An die nachteiligen Folgen dieser ge­ rechteren Teilungsgrundsätze, welche sie möglicherweise in der Folgezeit mit sich führen würden, dachten sie wohl schwerlich. Es war ihnen vorderhand nur um den Grund­ satz -er Gleichheit zu tun, durch welchen sie unter sich der Übermacht einzelner vorbeugen wollten, worin sie wohl nicht unrecht getan haben mögen. Im Sinne dieses Grund­ satzes, der Gleicherhaltung des Vermögens, der eine Säule unserer Volksverfassung ist, kann nun immerhin das Vermögen auch ferner ins Drittel und Zwei­ tel, und dann wieder in gleiche Teile unter die Kinder geteilet werden. Es liegt aber schwerlich in der Sachsen Eigen­ landrecht oder den Statuten ausgesprochen, es solle jedes Kind von jedem teilbaren Grundstücke seinen Bruchteil bekommen. Hieraus, aus diesem Mißbrauch und Mißver­ stand aber fließet vorzugsweise der Jammer der Zer­ biss e l u n g. Jetzt wird, so es nur tunlich ist, jedes ein­ zelne Grundstück auf vielen Dörfern, wenn drei Kinder sind, ist das Grundstück breit, in drei Teile zerspalten, wenn es schmal ist, in drei Teile geschroten. Ist das zu vererbende Grundstück guter Art, so wollen alle Kinder deswegen je-

des seinen Teil haben, weil es ein gutes Grundstück ist; das schlechtere Grundstück will das einzelne Kind darum nicht ungeteilt alleine haben, weil es ein schlechtes ist. Kaum bringt daher ein fleißiger und umsichtiger Hausvater einige Grundstücke mit Scharfsinn und Opfern zusammen und stirbt, so kommen die Kinder und machen -cs Vaters Be­ mühungen zunichte, seine Pläne zuschanden. Die Teilherren, nur vom Grundsatz der Gleichheit und Gerechtigkeit beseelt und geleitet, halten ihre Aufgabe gelöset, wenn die E r b e n zufriedengestellt sind. Ich verkümmere ihnen diese Seligkeit nicht, im Frieden eine Teilung beendigt zu haben. Sie, in der niederen Sphäre des Familienlebens, tun Recht,- im höheren Maßstabe der Nationalwohlfahrt ist hingegen ihr mühevolles Gelingen oft eine Versündigung am Allge­ meinen, welches keinen Beifall verdient. Durch diese miß­ verstandene Gerechtigkeits- und Friedensliebe ist es auf manchem Dörfchen dahin gekommen, daß die Zerbisselung bis zum zerhackten Braten ausgeartet ist. Ich weiß ein Dörf­ chen, dessen Bewohner zu den fleißigsten und gutmütigsten im Stuhle gehören, dessen Hattert durch fortgesetzte Teilung bereits schon einmal oder mehrmal schon geteilter Grund­ stücke -ermaßen zerbisselt ist, daß auf dem ganzen Hattert nicht zwei ganze Erdoche* aneinander einen Herrn haben. Einzelne ganze Erdoche gibt es etwa nur achte,' halbe Erdoche sind noch immer etwas besonderes, von dem man schon sagt: es sei ein ganzer halber Erdoch,' Viertelerdoche sind die Mehrzahl. Es gibt aber auch Schrotteile von Viertelerdochen! Ebenso gibt es viele Dorfsleute im Stuhle, die 6, 8 bis 10, ja 15 bis 18 Weingärten haben, doch nota bene, sie sind dann aber zum Teil auch nur drei Schritte breit. Hört man hier und dort Bauern von ihren Wiesenteilen reden, meint man, ihre Schöpfen seien viel zu klein angelegt. Warum nicht gar? Man fällt wie aus den Wolken, wenn man den ganzen ein1 Ein Ackermaß. Näheres darüber im Sieb.-sächs. Wörterbuch.

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Wünsche und Ratschläge

gesammelten Heuvorrat beisammen sieht. Das arme Vieh bekommt im Winter so sparsame Nahrung, daß es zu keiner Seltenheit gehöret, wenn beim Kukuruzsäen die letzte Por­ tion Grummet oder Heu gereichet wird, und das Vieh vom Hungerleiden matt in den Furchen stehen bleibt oder, von Schlägen in Bewegung gebracht, wackelnd und schaukelnd wie ein Besoffener forttampelt. Kein Wunder! — denn alle Wiesen zusammen und ineinander gerechnet, sind nur wenige Graserdo' — kann da die zerbisselte groß sein? Es sind die sogenannten Wiesen oft nur von der Breite eines türkischen Shawls und haben die Länge eines halben Stein­ wurfes. Muß diese Acker- und Wiesenzerbisselung nicht ein übelstand und Verderben für ihre Bearbeitung sein? Man versetze sich nur in Gedanken in die Arbeitszeit. Kaum hat der Wirt den Pflug in seinen kleinen Acker eingesetzt, so ist er schon fertig. Also frisch zusammengepackt — es geht auf einen anderen Acker. Hier ist auch nicht lange Arbeit, also wieder fort. Die Hausmutter ist dieserwegen nie sicher, ihn mit dem Essen anzutreffen, also kommt der Pflüger selber zu Mittage nach Hause, und — für diesen Tag hat das Pflü­ gen ein Ende. Das Tagewerk beträgt gewohnheitlich ein Vierteljoch mit Ochsen, ein Halbjoch mit Pferden. Beide Be­ spannungen sollten mit eben dem elenden Vieh das Dop­ pelte leisten! — Der Mähder legt 3—4 Matten auf dem einen Wiesentsile nieder, läuft dann auf ein anderes, dann auf ein drittes. Kommt es zum Trocknen, so muß hier ge­ schüttelt werden,' dann wieder ein Gang um die Matten an­ derswo, dann wieder ein Gang, um ein drittes zu zerschütteln. Nun wird das erste zum Wenden sein, also zurück, wieder auf das erste, dann auf das zweite, so auch auf das dritte Wiesenteil. Die Sonnenstrahlen stechen — es könnte regnen. Also hurtig ans Schobern, hier, dort, dort. Viele Laufereien, wenig Erfolg! — Mit den Weingärten hat 1 Als Flächenmaß gebraucht.

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es die nämliche Bewandtnis. Die guten Leute machen sich mit den Gängen hin und her, her und hin ebenso müde als mit der Arbeit. Dies ist keine Übertreibung, sondern Wahr­ heit und Tatsache. Mag auf einem größeren Hattert die Zerbisselung auch nur halb so groß sein, als auf einem kleinen Hattert, so verkürzet hier die Nähe der Grundstücke die mehreren Gänge, die auf einem größeren Hatterte durch die Entfernung verlängert werden, wenn sie auch nicht so oft gemacht werden müssen. Das übel ist bei Zerbisselungen auf größeren und kleineren Halterten also gleich. Wie kann nun bei einer solchen Zerbisselung etwas Gedeihliches in der Landwirtschaft herauskommen? Man muß so etwas mit Augen gesehen und nicht bloß im matten Bilde der Einbil­ dung sich vorgestellt haben, um von der Verderblichkeit über­ zeugt und vom Wahn der Unschädlichkeit ganz geheilt zu werden. Laufen doch die Leute über Berg und Tal, wie wenn sie auf Kohlen liefen: alles kabbelt und grabbelt wie ein Ameisenhaufen, wie Csiken1 im Wetterglase. Die vielen Gänge, was sind sie als verlorene Zeit? — Verlust an Zeit ist aber Verlust an Arbeit — Verlust an Arbeit, Verlust an Gewinn und Erzeugnis. Wäre es möglich, diese Gänge nach der Zeit zu berechnen, wie würde man erstaunen, wieviel dadurch an Gewinn verloren ginge! Bringe man nun aber zur Vervollständigung -er Anschauung auch die Wagen­ arbeit in Anschlag. Das Heu von einer solchen kleinen Wiese reicht auf dem kurzen Wagen nur über die Leitern, also mit diesem entweder nach Hause oder auf ein anderes Wiesen­ teil, wenn es näher liegt, um den Wagen v o l l e r zu laden. Das Heu vom zweiten Wiesenteile füllt den Wagen auch noch nicht, also neuerdings entweder nach Hause oder auf ein 1 Csik bedeutet tat Ungarischen: Schlammbeißer, Schmerle, Grundel, Wetterfisch. Man schloß früher Schlammbeißer in ein mit Wasser und Schlamm gefülltes Glas. Bet tiefem Barometer­ stand wurden sie aufgeregt, wühlten den Grund auf und zeigten so den Wetterwechsel an.

drittes Wiesenteil. Das Vieh könnte vielfach mehr bezwin­ gen und macht der Wege viel, woran die leidige Zerbisselung die Schuld hat. Dasselbe ist der Fall mit dem Korn im Som­ mer, dem Kukuruz im Herbste, mit dem Moste in der Lese, den Schüfen oder Bündeln der Kukuruzstengel. Dieses Hinund Herfahren mit geringer Last ist nun besonders dem Hornvieh zuwider, dem die Natur die besondere Eigenschaft gegeben hat, lieber schwerere Lasten zu ziehen auf längeren Wegen, wenn nur seltener, als leichte Lasten mit vielen Trit­ ten öfterer. Dieses begründet denn in solchen Gegenden den Brauch, statt ausgewachsenen Ochsen beinahe nur Kälber zu halten, weil die älteren das Gefahrsel nicht ertragen. Ein größerer Schlag, selbst in jüngeren Jahren, würde dieses Gezappel gleichfalls nicht aushalten. Welch ein herrlicher Anblick, wenn der Wagen hochbeladen unter der Last ächzet und die glatten Stiere den Weg bedächtig abmessen und schnauben oder feiste Gäule sich in die straffen Sillen legen und dampfen! Ich habe diesen Anblick hier nie genossen! Kommt das wegmüde Vieh, wie hier bräuchlich, auf Mittag mit Pflug oder Wagen nach Hause, so mutz es noch den Weg an die Hattertgrenze mit der Herde oder ohne sie auf den ärmlichen Weideplatz machen! Dem Einheimischen, der daran gewöhnt ist, geht es wie einem Kropfeten, wie schwer er auch atmet, wenns ihm in der Geburt zugekommen, hat er keine Vorstellung vom leichteren Atmen ohne Kropf; sie verwundern sich darüber, wenn es jemanden auf- und miß­ fällt. Gewohnheit macht alles erträglich und die Leute blind, und im Lande der Einäugigen ist ein Zweiäugiger ein Spek­ takel. So fällt auch uns Siebenbürgern der sittliche Nachteil nicht auf, den die Zerbisselung unter dem Volke bewirket. Ein ewiges Gezänke um Grenzen. Ein Nachbar, der ein Land von 60 Furchen Breite besitzt, verschmerzt es eher, wenn sein habgieriger Nachbar ihm eine Furche abackert, der Einbutz macht nur den sechzigsten Teil vom ganze Ackerlande

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aus. Wäre aber das Ackerland nur. sechs Furchen breit und -er Nachbar schlüge davon eine auf seine Seite, so wäre -er Verlust einem Sechstel gleich vom Ganzen. — Umgekehrt: wenn jemand einen nur sechs Furchen breiten Acker hat, und er kann per fas und nefas1 noch eine Furche sich zu­ eignen, so ist -er Vorteil im Verhältnis zum bisherigen Be­ sitze ein sehr großer; er hat seinen Acker um den sechsten Teil vermehrt, während ein Besitzer größerer Gründe, etwa von 60 Furchen, nur ein Unmerkliches, V™ seiner Ackergröße profitieret. Hieraus folgt, -aß bei kleineren Gründen die Begierde nach Abackerung und -er Wille, sich nichts abackern zu lassen, größer ist, als bei größeren Feldgründen, wo Vor­ teil und Einbuß nicht leicht auffällt oder leicht verschmerzt und nur selten absichtlich unternommen wird. Dasselbe ist der Fall bei den Wiesen im Mähen zu Heu und Grummet, bei Weingärten in der Furchenrichtung. Je kleiner die Grundstücke sind, desto mehrere Zwischenfurchen gibt es, desto öfterer bietet sich dem Eigennutz die Gelegenheit dar, sich m e r k l ich auf Unkosten seines Nachbars etwas anzueignen. Der Nachbar hingegen verschmerzt diesen Einbuß um so schwerer, je mehr der Verlust für ihn auch empfindlich ist. So gibt es also ewige Angriffe und eine ewige Verteidigung. Nun ist ja das Gericht eben zu nichts anderem da als das Recht zu beschützen — also, bei so bewandten Dingen wird es auch nicht an Beschäftigung fehlen — wenn nur die Ent­ scheidung auch so leicht zu treffen wäre! In einem Furchling12 sollen zwar die Joche gleich groß sein, aber durch die Zerteilung haben sich die ursprünglichen Joche so durchein­ ander gemengt, daß die verschiedenartigsten Brüche von Jo­ chen entstanden sind, je nachdem die Teilungen durch gleiche 1 Durch Recht und Unrecht. 2 Mundartlicher Ausdruck: Furlengk. Ein Stück Land, in dem die Furchen nach derselben Richtung und in derselben Länge gezogen werden konnten. Siehe Steb.-Sächs. Wörterbuch, 2. Bd., S. 532.

oder ungleiche Zahlen vor sich gingen, worauf aber bei denen Bauern in Teilbriefen nicht Rücksicht genommen wir-, son­ dern nur obenhin von halben oder Vierteljochen oder großen halben Erdochen oder kleinen halben Erdochen die Rede ist. Solche Entscheidungen müssen nur immer an Ort und Stelle von den obrigkeitlichen Personen entschieden werden und die Arbeit einer sicheren und gewissenhaften Ausmessung ist in verschiedener Hinsicht von so vielen natürlichen Schwierig­ keiten umgeben, daß es gar keiner Parteilichkeit bedarf, um Parteien unbefriedigt zu lassen. Auch sind die Josefinischen Riedtbögen so durcheinander korrigiert, daß man beim Aus­ messen oft nicht weiß, wo man nun dran ist. Es kommt also endlich zu einer Verständigung — aber nur einer Art Waf­ fenstillstands denn jede Grenzdiffevenz bringt alle ruhigen Grenzbesitzer in neuen Aufruhr. Denn wenn -er neue Kämpfer sein größeres Gebietsrecht etwa erweist, so gibt dies eine neue Regula societatis1 usw. Da fehlt es denn nicht an Versuchen, die Hattertbeamten irrezuführen oder durch Geschenke die Maße länger oder kürzer zu machen — auch besticht oft der ehrliche Name eines Prozeßführenden den Richter zum Vorurteile, das Recht sei auf seiner Seite usw. Der Argwohn der Grenznachbarn, die Neigung zum Unrechttun und die wenige Geneigtheit, sich Unrecht tun zu lassen, die Preisgebung an verdächtige Urteile sind bei In­ habern kleiner Hatterte an der Tagesordnung, und nebenbei erzeugt sich auch ein kleinlicher Sinn dadurch, daß es sich so häufig um Kleinigkeiten handelt, die man aber doch nicht außeracht lassen darf, da sie so häufig sich ereignen, daß sie, zusammengerechnet, aufhören, eine Kleinigkeit zu sein. Ich will aber aufhören, die Zerbisselung unserer Feldgründe von ihrer sittenverderbenden Seite zu zeigen, da ich sonst nicht wissen würde, wann und wo ich aufhören sollte. Ich habe genug erreicht, wenn ihre Sittenverderblichkeit auch 1 Gemeinschastsordnung.

nur im allgemeinen anerkannt wird. Geklagt hätte ich nun ohnedem über die Zerbisselungen der Feldgründe genug, manchem vielleicht schon zu viel. Weil aber das Gekläge wenig hilft, mache ich mich nun an einen Vorschlag zur Abhilfe. Da das übel teils darin steckt, daß ihm in den Statuten nicht vorgesehen ist, teils aber darin, daß die Teilungsge­ schäfte fehlerhaft vor sich gehen, so kann die Verbesserung im großen nur durch die Gesetzgebung und Verwaltung einge­ führt werden. Die Gesetzgebung hat nur einige Ergänzun­ gen der einschlägigen §§. im Gesetzbuch vorzunehmen und die Verwaltung dann die Sorge zu tragen, vorfallende Teilungen in diesem Sinne der Ackerbauverbesserung zu veranstalten, und das Gericht in gleichem Sinne bei Ent­ scheidungen über Näherrechte zu sprechen. Diese Ergänzun­ gen liegen wohl im Interesse aller, ob im Rechtsgebiete der L. Universität als Gesamtwillen -es sächsischen Volkes, weiß ich nicht zu sagen, da in der neueren Landkarte ihres Rechts­ gebietes einige Grenzen verwischt worden und nur mit....... angegeben sind, was doch so viel heißen soll, sie seien unbe­ stimmt. Die alte Universität hätte es vielleicht auf ihre Faust getan. Will man lieber anfragen, so wird ja eine Antwort erfolgen. Verminderter Verkauf dürfte uns Sachsen auch in politischer und nationeller Beziehung ein Vorteil sein. Um weiteren Zerbisselungen Einhalt zu tun, die bei wach­ sender Population immer mehr Umsichgreifen müssen, wird zwar auch künftig mit Festhaltung -es gleichen Anspruchs­ rechtes -er Kinder auf die zu vererbende Hinterlassenschaft die Teilung vorzunehmen sein, aber so, daß das einzelne Kind nicht sowohl auf ein einzelnes Grundstück sein Teil­ recht ausübt, als vielmehr nur einen Anspruch auf seinen ge­ bührenden Teil aus dem ganzen Vermögen zu machen haben soll. Es könnten also aus diesem Grundsätze folgende einzelne Gesetze zugunsten des Feldbaues von der betreffen­ den Behörde ausgesprochen werden: Folder«-, S«. 2. Roth. IV.

1. Ein Grundstück, wie es jetzt einmal tatsächlich bestehet, soll bei Teilungen nur dann in Teile zerlegt werden, wenn kein Erbnehmer es als ganzes übernehmen will. Die übri­ gen Erbnehmer erhalten entweder eine Vergütung durch ein anderes gleicherweise nicht zu teilendes Grundstück oder werden sonst ausgeglichen. 2. Wenn zwei Nachbarn das Näherrecht in Anwendung bringen, dürfen diese das in Anspruch genommene Grund­ stück nur dann zerschroten oder spalten, wenn beider Nach­ bargut gleich groß ist, sonst fällt es demjenigen zu, dessen an­ liegender Acker der kleinste ist. 3. Das Näherrecht der Anverwandten ist nur dann größer als das Näherrecht -er Nachbarschaft, wenn der Anver­ wandte im Furchling schon ein Grundstück hat. 4. Wenn man befürchten sollte, es würden im Verlaufe der Zeiten die Vergrößerungen sich zu sehr ausdehnen, so könnte ein Quantum festgestellt werden, über das hinaus demselben diese ZusatzM. nicht mehr zugute kämen. Dieses Summum könnte angenommen werden gleich der Anzahl aller einartigen Gründe auf einem Felde eines Hatterts, dividiert durch die Anzahl der Wirten mit Haus und eige­ nem Gespann. Sind also auf einem Felde eines Hattert etwa 1000 Joch Ackerland und der Wirte etwa 100, so bestünde eine Arrondierung in 10 Joch. Hätte einmal L oder I diese 10 Joch in einem Felde beisammen, so hörte für ihn in die­ sem Felde diese Vergünstigung auf, es bliebe für ihn in die­ sem Felde die alte Fassung und Auslegung des Gesetzes. 5. Verkauf und Wechsel, wie auch Schenkungen, als noch übrige Titel der Erwerbung behalten freie Hände. Auf sothane Weise kann man hoffen, daß sich die Grund­ stücke von selbst arrondieren werden, ohne Machtgebot, ohne Geldopfer usw. und ohne eine fernere Zerbisselung zu be-

fürchten, denn sowohl ihr wäre Lurch die Zusatz-FD. 1, 2, 3, als auch dem befürchteten übel -er Übermächtigkeit einzelner durch § 4 zugleich Tür und Tor geschlossen. Mu st erwirtschaften Viele Leute meinen, mit Befehlen oder Verordnungen werde auch in -er Veredlung -es Feldbaues vieles ausge­ richtet werden; ich hoffe davon sehr weniges. Befehle bei aller nützlichen Absicht und Ausführbarkeit sind überhaupt nur zu oft das bekannte Jugendspiel: Gibs weiter! Damit aus -er Mitte ein Befehl an die ganze Peripherie ge­ lange, hat er viele Kreise in Bewegung zu setzen. Ein Stein, in die Mitte eines Teiches geworfen, bewirkt mit seinen, Plumpser eine heftige Erschütterung; es bilden sich Ringel­ kreise, die immer schwächer werden; -er letzte Kreis, der an dem Ufer landet, ist nur eine unmerkliche flache Welle. So ergeht ein donnernder Befehl von einer Oberstelle. Die Un­ terstelle beladet den Befehl mit einer Begleitung und gibt ihn weiter. Diese Unterstelle tut dasselbe — endlich kommt der Wandersmann am letzten Orte seiner Bestimmung an, aber schwach und straßenmüde. Das Exhibitursprotokoll weist die Ankunft und Abfahrt des Befehles richtig aus, schwarz auf weiß, wie bei reisenden Gesellen das Städte-visa in einem Passe. Befehle aus großer Entfernung nützen daher wenig. Wie eine Stockrakete anfangs mit brausender Schnel­ ligkeit gen Himmel steigt, je mehr sie aber sich von ihrem Ausgangspunkt entfernt, an Geschwindigkeit immer mehr abnimmt, bis sie, im Scheitelpunkte zwischen Fall und Stei­ gen angelangt, — stillsteht, also verhallen sich die Wirkungen der Befehle, anfangs sind sie heftig, letztlich schwach. Daher haben weise Männer alter und neuer Zeit den Bau eines Staatskörpers also einzurichten gesucht, daß der große Staat aus kleineren Selbständigkeiten bestünde, die, zwar dem 16*

Ganzen als Glieder dienend, für sich dennoch Ganze bildeten. Trägt der große Staat Sorge auf Verbesserung des Feld­ baues, wie es wohl in seinem Nutzen lieget, so wolle er nun nicht das einzelne von der Mitte oder aus der Höhe leiten, sondern überlasse die eigentümliche Ausführung den ein­ zelnen selbständigen Teilen. Das Ganze leite nur das Ganze, das Einzelne jedoch das Einzelne. Wie wollte man aber auch von oben die einzelnen Wirtschaften leiten? Der höchste Befehl kann immer nur der allgemeinste sein. Eine einzelne Vorschrift von oben gegeben paßt nicht auf alle Ört­ lichkeiten, auf den Charakter -er Bevölkerung, die Nachfrage auf dem Marktplatz, Vorrat an Kapitalien usw. Lieber spreche sich ein hoher Befehl nur als allgemeiner Grund­ satz aus: helfen zu wollen,- worin und wie, überlasse er der Einsicht der Provinzen. Spräche sich nun die Provinz aus, sie bedürfe einer oder mehrerer landwirtschaft­ lichen Musteranstalten und es würden diese ge­ währt, so wäre in diesem Institute -er Befehl eine vollstän­ dige Erfüllung, ein Vollzug, kein bloß beschriebenes Papier. Die Verbesserung -er Landwirtschaft ginge aus die­ sen Musteranstalten als eine wirkliche Tatsache, nicht als bloßer Befehl, als Leben und nicht als tote Lehre hervor usw. Das Bedürfnis und die Zweckdienlichkeit solcher An­ stalten ist zu einleuchtend, um mir noch die Mühe zu nehmen, es nachzuweisen. Lieber will ich, um Papier und Dinte mir, dem Leser aber Mühe zu sparen, die Grun-züge solcher landwirtschaftlichen Musteranstalten nach den Er­ fahrungen bewährter Fachmänner entwerfen und nieder­ schreiben, um Fehlgriffe in der Anlage zu vermeiden, die bei Begründung dieserlei Anstalten häufiger, als man meinen sollte, gemacht worden sind. Es ist Nutzen genug, wenn wir hiebei nur den Gewinn haben, daß wir hiedurch das oft teuere Lehr- und Reugeld nicht bezahlen müssen. Denke ich mich als Ausschußmitglied eines Regnikolarelaborates für

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Veredlung der inländischen Landwirtschaft, würde ich etwa folgende Gesichtspunkte aufstellen: 1. Die landwirtschaftliche Musteranstalt ist eine Anstalt zur praktischen Nachahmung bereits anderwärts geglück­ ter Versuche. Originelle Experimente sind also nicht ihre Aufgabe. Die Tatsache mutz bereits autzer Zweifel sein: sie hat sie bloß einheimisch zu machen. 2. Diese Musterwirtschaft steckt sich nicht zum Ziele, die anderwärts erreichten höchsten Lösungen der Land­ wirtschaft zu erstreben. Denn unser Stand des Feldbaues kann keinen Sprung aus der Tiefe in die Höhe, ohne Be­ tretung der Mittelstufen, machen. Sie ahmt nur das unserem Standpunkte Angemessene nach. Hiedurch allein gewinnen wir für uns anwendbare Anschauungen. Denn dieser Anstalt ist nicht darum zu tun, die Landwirtschaft swiffeuschaft zu heben, sondern unsere Landwirtschaft. 3. Diese Musterwirtschaft umfasse, wo möglich, das ganze Gebiet: Viehzucht, Gartenbau, Weinbau, Holzzucht, Ackerwirtschaft, Bienenzucht, ökonomische Technologie usw. 4. Dieselbe ist nicht eine Unternehmung auf Spekulation einer hohen Rentierung. Die Verpflanzung auswärtiger Fort­ schritte ins Land ist hinlänglicher Profit. Dafür aber mutz sie als Musterwirtschaft, einmal eingerichtet, sich selbst erhalten. 5. Eine solche Landwirtschaft verlangt, ausdrücklich, nicht den besten Boden. Denn was sie auf b e st e m Boden leistete, kann für Wirtschaften auf schwächerem Boden kein Muster sein. 6. Sie führt keine neuen Viehrassen ein. Das Volk, dem sie zur Nachahmung aufgestellt ist, hat dazu kein Geld. Ihre Aufgabe ist: aus dem vorhandenen Viehschlag durch Auswahl von Zuchteltern und angemessene Pflege nach ihrer Lebens­ art sich eine veredelte Nachkommenschaft selbst zu bilden. 7. Sie bauet nur die gewöhnlichen Erzeugnisse des Landes, aber die gewöhnlichen alle. Und dies tut sie aus dem Grunde,

weil sie am gemeinsten Anbau den Augenschein liefern soll, w i e der Anbau beschaffen sein müsse, um mehr und besser und wohlfeiler zu erzeugen. Erst, wenn sie das Landvolk bis auf diesen Standpunkt erzogen hat, greift sie auch zu Krapps Wau12 und dergleichen. Durch Anbau ungewöhnlicher Erzeugnisse isoliert sie sich vom allgemeinen Bedürfnisse. Sie soll aber Volkslehrerin sein. 8. Das Personale besteht aus wissenschaftlichen und prak­ tischen Lehrern, Lehrlingen, Dienstboten und Handlangern. 9. Die Frage, wieviel Lehrer, in welchen Gegenständen itfro. ist zu vielseitig, um hier näher angegeben zu werden. 10. Die Lehrlinge sind teils wissenschaftliche Zöglinge, teils praktische, die auch in den Handgriffen unterrichtet werden. Die wisserkschaftlichen Zöglinge sind teils künftige Selbst­ wirtschafter, teils höhere Vorsteher fremder Wirtschaften. Die praktischen teils künftige kleinere Wirte, teils niedere Landwirtschaftsbeamte. 11. Das Dienstgesinde sind elternlose Waisen, die die An­ stalt an Kindesstatt aufnimmt. Bei ihrem Austritt wird die frühere Mehrausgabe mit dem späteren Mehrverdienst in Rechnung genommen und der Überschuß, als Ausstattung, beim Austritt ausgezahlt. 12. Die Handlanger sind entweder zugesendetes Gesinde oder zugeschickte Lehrbursche aus den Dorfschaften. 13. Die wissenschaftlichen Zöglinge zahlen Kost und Lehre,' die praktischen nur dann, wenn sie, nach Zurücklegung des Kursus, der Anstalt nicht ebensoviele Jahre als Gehilfen dienen wollen. 14. Die zugesendeten Handlanger steigen am Lohn nach ihrer Brauchbarkeit. 15. Die Sprachverschiedenheit und Verschiedenheit der 1 Farbpflanze. 2 Pflanzengattung, Reseda luteola.

Eine Bittschrift fürs Landvolk

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Örtlichkeiten rot Lande, die eine verschiedene Ökonomie er­ heischen, machen mehr als eine solche Anstalt erforderlich. So ohngefähr müßten die allgemeinen Grundsätze lauten. Doch würde ich im Anfange das Theoretische ganz weg­ lassen und nur den praktischen Teil in Anwendung bringen, um auch hier das Höhere aus dem Niederen herauswachsen zu machen. Dieses trockene Verzeichnis -er näheren Be­ stimmungen einer zweckmäßigen landwirtschaftlichen Muster­ anstalt wird vielleicht nur vom zehnten Leser, ohne Lange­ weile, durchlesen werden. Ich kann nicht dafür. Denn die Landwirtschaft ist an sich gar ein mühseliges Geschäft und verlangt Überwindungen, die noch mehr Geduld und Aus­ dauer erfordern als solcherlei zu durchlesen. Wie kommen wir aber zu solchen Musteran­ stalten? Durch den und das, durch das und den — schwer­ lich! Meiner geringen Meinung nach, nur durch die Re­ gierung, woran gar nicht zu zweifeln ist. Will die Re­ gierung die Landwirtschaft heben, so hist sie wenig mit Be­ fehlen. Musteranstalten sind ein geeignetes Mittel. Schwer­ lich gibt es ein anderes: ich — weiß keines. Bei vielen Un­ terredungen mit mancherlei Menschen über diesen Gegen­ stand, die ich absichtlich darauf hinlenkte, ward kein Vorschlag gefunden, der wert gewesen, diesem auch nur die Schuh­ riemen aufzulösen. Der geehrte Leser nehme sich die Mühe nachzudenken und schlage ein anderes zweckdienlicheres vor. Etwa Verminderung der Lasten, die der Stand der Landwirte zu tragen hat? Wer deckt den Ausfall? Er­ leichterungen müßten zu groß sein, um bemerkbar einzu­ wirken. Sind sie unmerklich, was fühlt das lastbeladene Ka­ mel, wenn ihm etliche Pfunde abgenommen werden?--------Etwa Aufmunterungen durch Preise fürs schönste Vieh, schwerste Getreide, weichsten Flachs, besten Wein usw.? Preise können wohl den Eifer wecken, aber nicht die Einsicht. Denn Preiserteilungen geben keine An-

leitung, wie man es anstellen müsse, um es zum Preiswürdigen zu bringen. Etwa junge Leute ins Aus­ land geschickt, umzulernen? — Was hat man da­ mit gewonnen? Um ihre Einsicht zu verbreiten, müßten ihre Privatwirtschaften zu Musterwirtschaften eingerichtet wer­ den. — So kommen wir letztlich, andere minder erhebliche Vorschläge übergehen-, wieder einzig auf die Musteran­ st alten als den mächtigsten und zweckmäßigsten Hebel einer zu veredelnden Landwirtschaft. Ihre Begründung mit allem Zugehör fordert aber Opfer. So leichten Kaufes kommt man nicht davon. Nur scheue man das Opfer nicht, nach dem ökonomischen Lehrsatz: Wer Milch will, füttere die Kuh zuvor. Die Lust, immer nur zu melken und dabei die Kuh ihrem Schicksal zu überlassen, ist als schlechte Wirtschaft in Staat und Haus längst verschrieen. Milcherzeugung ist eine höhere Kunst als die Melkkunst. Wo nichts ist, hat auch der Kaiser das Recht verloren. Man mache den Bauern zuvor wohlhabend, so ist er in den Stand gesetzt, Steuern, auch große, nachträg­ lich zu zahlen. Kommt dann die Not, auch einmal viel Milch zu bedürfen, die Euter sind voll, und Kühe mit strotzendem Euter stehen auch leichter. Versteht sich also der Staat zu diesem Opfer voraus, so gibt er, um später zu nehmen. Denn schwerlich trägt irgendeine Staatsausgabe, für den Staat selbst, einen reichlicheren Nutzen. Diese Anstalten machen die Bauern reich, reiche Bauern machen den Bürger reich, und so strömt aus einer Quelle der Wohlstand übers ganze Land, ohne Steuerersatz, ohne daß man dem Bauern Gel- in Hut schüttet, bloß dadurch, daß man ihn die Kunst lehrt, die gelben Füchse selbst zu fangen. Die Hausnöten, die täglichen Bedürfnisse werden ihn von selbst antreiben, die eingesehene Kunst zu üben. Das Volk heißt in den Staats­ schriften: das arme steuertragende Volk. Spricht etwa die Erbarmung daraus, daß es Steuern trägt? Nein,

ohne Steuern gibt es keinen Staat,' ober heißt es arm durch das Steuerleisten? Ein schönes Geständnis! Dieser mißratene Ausdruck fall kassiert und dafür, der Tat nach, ein anderer eingeführt werden: das wohlhabende steuertragende Volk. Steuern soll es auch ferner tragen, aber arm soll es nicht bleiben. Es soll meinetwegen, wenn es die Staatsbe­ dürfnisse erheischen, dieselbe Last tragen, nur werde seine Kraft, sie zu zahlen, sein Vermögen verdoppelt. Der dop­ pelten Kraft erscheint aber dieselbe Last nur halb so schwer. Vermehrung der Kraft ist also Verminderung der Last. Ein dankerfülltes Volk, anhänglich und treu, ist doch in der Poli­ tik auch eine Einnahme, ein Nutzen — im Frieden weit mehr als ein scheinbar überflüssiges Schnitzwerk am Throne, in Tagen der Gefahr aber die Sicherheit des Fußgestells. In anderen Ländern mußten Fürsten, die diese Wohlge­ sinnung gegen den Landmann hatten, 100.000 geben, um solche landwirtschaftliche Musteranstalten ins Dasein zu rufen. Bei uns braucht der Fürst weder einen Kreuzer aus seinem Privatbeutel herzugeben, noch einen Groschen aus der Landeskassa. Sein guter Wille braucht nur etliche Trop­ fen Dinte und eine Gänsefeder dazu. Wie so in aller Welt? Das klingt ja wie ein Märchen aus 1001 Nacht oder wie ein Reisebericht aus dem berühmten Lande -er Schlaraffen. So höre ich den einen und den anderen Leser verwundert aus­ rufen. Ich glaube das nicht,' sondern vernimm, gefoppter Leser, um dich nicht raten zu lassen, die einfache Lösung des nur scheinbaren Rätsels. Unser Fürst ist gesetzlicher Erbe verloschener Lehen oder Adelsgüter, deren Herren ohne Jntestaterben gestorben sind, mit der ebenfalls gesetzlichen Verpflichtung, solche Lehen wieder zu verleihen. Gibt diese Lehen nun der Fürst zur Errichtung obberührter Anstalten her, so kostet diese Ver­ leihung weder ihn einen Kreuzer aus seiner Tasche, noch den Landesbeutel einen Groschen. Wenn nun einzelnen

Männern, ihres Verdienstes wegen ums Vaterland, solche Schenkungen gemacht werden können und sollen, ist das Vaterland selbst, um das doch jene nur beschenkt werden, dieser Verleihung nicht viel mehr wert und würdig? Sollten die Stände hierin der nämlichen Ansicht sein und hätten die einzelnen Edelmut genug, die Verwendung die­ ser heimgefallenen Güter zu diesem Zwecke dem Allerhöchsten Hofe vorzuschlagen, was würde der Landesvater wohl tun: als den Vorschlag prüfen, bewilligen?---------Weinbau Das Jahr 1834 wird durch Güte und Menge der Wein­ fechsung unvergeßlich bleiben. Nach hundert Jahren noch wird der Enkel die Mär vom 1834 iger Herbste erzählen. Es war ein Ereignis durch seine Folgen in tausend Beziehun­ gen der spätesten Erwähnung wert. Es hat uns zu einem unnatürlichen Lachen gekitzelt, bis wir ins Weinen geraten sind. Im Weinlande sah man nur frohe Gesichter: nur Koffennot1 erzeugte einige verlegene Mienen. Ein unermeß­ liches Geld setzte dieser Segen in Umlauf. Unsere Weinberge waren Goldbergwerke. Was dem Winzer der niedrige Preis, 20 kr. C. Mze. der Sieb. Eimers nicht leistete, ersetzte die Menge. Wer Geld und Fässer hatte, ward ein reicher Mann. Sein Glück mit und ohne Kopf war ausgemacht. Dieser ungewöhnlich süße Most erzeugte, wie später der ge­ gorene Wein, bei Käufern und Verkäufern Besinnungs­ losigkeit und Schwindel. Die Geldleute stellten ihrerseits dem Winzer ihre Beutel zur freien Verfügung: die Winzer hingegen stürmten rasend nun völlig die Berge. Die Berg­ wände, wenn auch nur halb der Sonne zugekehrt und nur wenig zum Rebenbau geeignet, wurden mit Reben be1 Fässernot. " Accuratissime: 8 Wiener Matze. Sinnt. Roths.

pflanzt, so daß diese genügsame Pflanze mit ihrem Laube jetzt beinahe jede Bergscheitel bekränzt. Zweierlei fällt hiebei sogleich dem Nachdenkenden in die Augen. Die Eroberung, welche der Rebenbau machte, entzog teils dem Pfluge, teils der V i c h t r i f f t das Erdreich, über die Schmälerung des Triftrcvieres ist der Trost leicht gefunden. Denn das Vieh hatte an diesen Abhängen nie eine ergiebige Kost gehabt. Der Einbutz ist also geringe. Dazu steht in -er wahren Feldökonomie dieser Grundsatz fest, daß Kultur besser belohnt als die rohe Gabe -er Natur. Auch stieg sich das Vieh bis zur Höhe müde, verdaute die Kost im Magen während des Ganges an der abschiissigen Bergwand mit Angst und Besorgnis, und kam unten wieder erschöpft an wie es hinaufgestiegen war. Der Fraß nützet dem Vieh nach der Erfahrung nur in dem Maße, als es den­ selben in Ruhe, Gemächlichkeit und Leidenschaftlosigkeit ge­ nießt, was die Schweizer Hirten so sehr zu würdigen wissen, daß sie bei den Herden keinen beunruhigenden Hund leiden und ihr Alpenhorn ebenso zu ihrem Vergnügen als zur Ergötzlichkeit der Herden absichtlich blasen. Eins ins andere gerechnet gewann daher die Dorfwirtschaft durch Bepflan­ zung der steilen Bergwände entweder mehr als sie durch Schmälerung des Weideganges einbüßte oder es war Vor­ teil und Nachteil sich gleich in beiden Schalen. Mit den Ackerländern hingegen verhält es sich anders. Durch teilweise Besetzung mit Reben, auf einen geringeren Raum eingeschränkt, ist Kornerzeugnis in den Weingegenden ge­ ringer geworden. Der Bedarf an Brot, ohnedem schon knapp, ist nun noch knapper gedeckt. Auch in bezug auf die Güte des auf Ackerländern erzeugten Weines stellt sich die Sache in keinem so günstigen Lichte dar. Die Lage der niedrigeren Äcker stellt die Güte des Weines auch dem Unerfahreneren in Zweifel und Bedenklichkeit. Denn liegen sie auch, was doch nicht immer und nur selten der Fall ist, Sttdsüd, so er-

fordert guter Wein nicht nur die gehörige Neigung -es Winkels — Steilheit; nicht nur die Wendung der Berg­ wand gegen die Mittagssonne — Sonnseite, sondern auch eine reine Luft, die nur die Erhöhung allein ge­ währet. Ackerländer also, da sie gewöhnlich tiefer liegen, liefern, wenn sie auch steil und sonnseitig sind, doch nur so­ genannten Landwein und keinen Bergwein. Denn die Weine, die im Tal, wenn auch über dem Flußgebiet, erzeugt werden, schmecken immer nach Ebene, nach Erde, nach den Ausdünstungen, die der Verwesungsprozetz in -er Tiefe er­ zeugt, während die Hochweine, in reinerer Luft gekocht und gebraten, ein eigentümliches Gewürz, das der Franzose bouquet nennt, haben. Dieser Unterschieb ist am auffallend­ sten und selbst einer Zunge bemerkbar, die keinem Fein­ schmecker zugehöret, wenn man eine Traube gleicher Gat­ tung aus einem Hausgärtchen und aus einem Weingarten vom freien Felde gegeneinander kostet. Gewöhnlich ist auch der untere Teil eines Berges fetter als mehr oben. Daher treibt die bessergenährte Wurzel mehrere und stärkere Triebe, also auch kräftigere Blätter und Holzschoße. Da nun unsere Winzer, dem größeren Teile nach, Rebe von Rebe, ohne die verschiedenen Standorte zu berechnen, in ziemlich gleicher Entfernung voneinander pflanzen, mag es oben oder unten am Berge sein, mag der Boden gut oder schlecht in Dungkraft stehen, so verschlechtert der vermehrte Schatten na­ türlich seinerseits auch die Güte des Weines. Hiezu kommt noch, daß einige Winzer die unglückselige Bemerkung machten, daß der sogenannte Gornischstock leichter zu bearbeiten und gewöhnlich reichlicher am Ertrage sei. Das alte Sprich­ wort: Gornisch gedräng, macht den Keller eng, bewog sie denn, bei neuen Anpflanzungen dem Gornisch den Vorzug zu geben, und so hat sich denn auch hiedurch die Menge, auf Unkosten der Güte, vermehret. Denn Gornische erzeugen einen derben, groben Wein, der mit den älteren, edleren

Gattungen, wie Resser und Aest sind, die Vergleichung nicht aushält. Alles obige zusammengenommen stellt die Tatsache fest, daß die neueren Weinanlagen eint schlechteres Getränke liefern wie die Weingärten vor 1834, wenn auch zum zweiten Male die Witterung gleich günstig wäre. Diese vermehrte Ausdehnung des Weinbaues ver­ schlechtert nicht nur das Gewächs, vermindert durch Be­ sitznahme einer größeren Erdoberfläche in den Weinländern nicht nur die Körnererzeugung, sondern benimmt auch durch Entziehung des Dunges auch den noch übrigge­ bliebenen Ackerländern die Zeugungskraft. Der Dung, der sonst den Äckern zugeführt war-, wandert nun an die Wurzeln der übermäßig vermehrten Reben. Die Acker, bis­ her mit mehr Mist bedacht, liefern nun nicht nur kleinere und wenigere Körner, sondern durch schwächere Bestaudung auch wenigere Halme oder Stroh. Das wenigere Stroh aber macht nicht nur, als Futter in den Magen der Tiere ge­ bracht, wenigeren Auswurf oder eigentlichen Mist, sondern bringt auch als Unterstreu mit dem Mist verbunden weni­ geren Dung. Denn, da sich der Mist mit -er Streu, welche nun spärlicher als früher ausfallen muß, weniger sättigen kann, entweichen nicht nur viele flüssige Teile unbenutzt, weil sie nicht genug gebunden werden, sondern es fehlt auch -er Mistgärung das erforderliche Verhältnis zwischen dem Gärungsstoff und dem Stroh, als Materie, welche mit in Gärung gesetzt werden soll. Nun ist schon durch Ein­ schränkung der Sommersütterung auf dem Felde die Fabri­ kation des Mistes im Bauche -es Tieres beschränkter wie vordem,' das Vieh kommt auch weniger gut genährt an die Winterkrippe, es ist magerer. Von schlechter genährtem Vieh ist aber, wie jeder rationelle Landwirt weiß, dieselbe Quantität Mist weniger kräftig als vom besser gehaltenen, fetteren. Der eine Bestandteil des Dunges, der Mist, ist also schon an sich unkräftiger. Nun kommt der Mangel -es

anderen Bestandteiles, des Strohes, hinzu. Wir erhalten also in zunehmender Proportion immer wenigeren und immer schlechteren Mist. Diese schlechtere und vermindertere Düngung wirkt wieder nachteilig aufs nächste Jahr usw. Sind Liese Andeutungen nun gleich nur wenige, so läßt sich doch aus diesem wenigen der Schluß leicht ziehen, -aß die Vergrößerung und Ausdehnung des Weinbaues höchst nach­ teilig auf den Ackerbau und die übrige Landwirtschaft habe einwirken müssen. Man hätte dieses voraussagen können, hätte man im voraus darüber nachgedacht. Diese üble Ein­ wirkung der vermehrten Weinberge ist nun vor aller Augen da. Schon hiedurch ist die Lage des Weinländers eine pein­ liche. Es gesellen sich aber dazu noch andere, die ebenso nach­ teilig, wenn auch nicht so auffallend sind. Weinberge er­ fordern folgende Arbeiten: Stecken — Gürten — Graben — Schaben — Brechen — Schaben — Schneiden — Unterlegen. Aufmerksamere Winzer haben noch das Heften, Verhauen, das Pflücken. Das Misten ist überdies die noch unerwähnte beschwerlichste Arbeit, da man hiezu den Rücken hergeben muß. Je nachdem man rechnet, 10—12 besondere Arbeiten, seien es auch nur acht, so gibt es schon genug Beschäftigung, die, wenn dem Weinbau zugewendet, dem Ackerbau entzogen wird. Eine -er auffallendsten Erscheinungen dieser Art ist, um nur eine anzuführen, -aß aus Mangel an Zeit und Hän­ den die Kornfelder nicht mehr so rein von Unkräutern gehalten werden können als zuvor. Was man also in un­ seren Gegenden über das Verochzen' des Weizens häufig klagen höret, findet in der vermehrten Arbeit, welche die Berge in Anspruch nehmen, seinen Aufschluß. Hat der Bauer auch künftighin nur zwei Hände, so ist er nicht imstande und hätte er zehn Köpfe sein Weizenfeld rein zu jäten, zumal der Mistwagen im schlechter gegorenen Mist eine größere Menge unzerstörten Unkrautsamen aufs Feld führet. Da 1 Vermutlich Verunkrautung durch Ochsenzunge (Anchusa L).

sich nun die Hände nicht gemehret haben, wohl aber die Ar­ beit, so hat dies auch diese natürliche Folge, daß -er Arbeits­ preis über den bisherigen gestiegen ist oder wo die Orts­ obrigkeit einen Preis festsetzte, der Arbeiter selbst ein größerer Winzer, durch Verspätung, Anforderung besserer Kost, Zu­ gabe von Morgen- und Abendtrunk usw. die eigentlichen Ar­ beitspreise dennoch erhöhet. Wer arbeiten lassen wollte, sieht sich in der Notwendigkeit, durch Vorschüsse, kleine Nebenvor­ teile usw. den Arbeiter an sich zu fesseln oder, tut ers nicht, sieht er sich in der Lage, in seinem Weinbergsbau entweder einige Arbeiten auszulassen, schlecht arbeiten oder nicht zu ge­ höriger Zeit gearbeitet zu sehen. Die W e i n p f ä h l e, durch Vermehrung der Weinberge auch verteuert, sind auch nicht zu übersehen. Die Abnahme der Eichenwaldungen im ganzen Lande hätte die eichenen Weinpfähle an sich schon gesteigert, wenn auch die Anzahl der Weingärten nicht zugenommen hätte — die Vermehrung der Weingärten hinzugerechnet, bewirkte nun die Verdoppelung des teueren Ankaufes. Alles fiel daher über die tannenen Stäbel her. Die starke Nach­ frage verleitete den Gebirgsbewohner, ohne Überlegung die junge Nadelwaldung anzugreifen. Hie und da hat die eigene Besorgnis vor künftigem Mangel die Gebirgsbewohner zur Selbstbeschränkung der Ausfuhr bestimmt. Braucht gleich das Tannen- und Fichtenholz nur etwa sechs Jahre, um die gehörige Stärke und Höhe zu erreichen, so liebt doch diese Holzart Gemeinschaftlichkeit und die nahe Ge­ sellschaft von ihresgleichen, denn sie verästet, wenn sie allein stehet. Die Waldstrecken in den Gebirgen geben also, fleißig mit der Axt gelichtet, knorrige, schnell ins Dünne laufende, mühsamer zu behauende Pfähle und durch Bel­ üftung weniger taugliche(re) Bretter. Die Pfähle aus Wei­ denholz haben die schlimme Eigenschaft, daß sie im Früh­ jahr noch Festigkeit versprechen und im Herbste, wenn sie beladen sind, samt dem Segen des Herrn oft umbrechen. Die

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Wünsche und Ratschläge

Akazie(n), als der beste Weinpfahl, er steht neun Jahre auf einer Schärpe,* ist noch zu wenig verbreitet, und mancher Bauer sieht in seiner Anpflanzung nichts weiter als einen Mutwillen oder ein blumentragendes Gesträuch. Aus allem diesem leuchtet die Kostbarkeit der Bepfählung sattsam ein, und die Bepfählung ist eine so wichtige und unerläßliche Sache in den Weingärten, daß sie ohne angemessen hohe Pfähle nach unserer Bauart und nach dem Grade der Frucht­ barkeit des Bodens, bald durch notwendig gewordene tiefere Beschneidung der Reben auf die Hecke kommen, wie das Wort -er Winzer lautet. Hat nun die Vermehrung der Weinberge eine Vermehrung der Weinerzeugung zur natürlichen Folge, so drückt schon diese Weinvermehrung den Weinpreis herunter. Kommt aber hiezu auch Vermeh­ rung der Unkosten in der Erzeugung, so ist das eigent­ liche Einkommen, der reine Ertrag, mehr als um die Hälfte gefallen. Dies alles aber verschuldet großenteils das merkwürdige Jahr 1834, das also neben der Lichtseite auch seine Schattenseite, neben seinem Segen auch sein Unheil gebracht hat. Es wäre für uns besser gewesen, man hätte nie 1834 geschrieben — oder — es hätte der Himmel mit dem Segen an den Bergen uns zugleich auch mehr Verstand und Umsicht in die Köpfe gegeben. In diesem schlimmen Zustande befindet sich dermalen der gedemütigte Weinländer. Eine allgemeine Mutlosigkeit hat sich -er Gemüter bemächtiget. Ohnedem unterwarf eine Aller­ höchste Verordnung, veranlaßt durch eine Zehntfrage in Reichesdorf, die neuen Weinpflanzungen einer Abgabe, zu der sie nach bisherigem Brauche nur verpflichtet waren, wenn sie im siebenten Jahre standen. Diese Allerhöchste Ver­ ordnung wird tatsächlich dahin ausgelegt, daß diese Zehntpflichtigkeit der neuen Weingärten nicht nur auf die An­ lagen auszudehnen sei(en), die nach Erlaß dieser Berord1 Vielleicht gleichbedeutend mit Streifen.

nung gemacht werden würden, sondern auch auf die, welche bereits vor dieser Verfügung angelegt worden waren, wenngleich diese im Glauben auf diese Vergünstigung ins Werk gesetzt und ins Leben gerufen wurden. Es kommt also durch Entziehung dieser Vergünstigung eine neue Abgabe auf die neuen Weingärten, die bisher zur Entschädigung und Vergütung für die ersten bedeutenden Ausgaben einer solchen Anlage gedienet hatten. Denn nach der Berechnung erfahrener Winzer deckte die Zehntfreiheit der ersten Jahre im vierten, fünften, sechsten Jahre die Anlage des Neubaues, so daß -er Zehnte nach diesen Freijahren mehr von dem Erträgnis des Jahres gegeben wurde, währen- er jetzt dem Kapitale, das der Unternehmer in diese Wirtschaftsart steckt, in diesen Jahren zur Last fällt. Bleibt nun die Beleuchtung dieser Allerhöchsten Verfügung vom Standpunkte des Rechtes billi­ germaßen auch ausgeschlossen, so darf -och diese Zehntver­ pflichtung nicht an den Haaren herbeigezogen, als eine Verminderung des Nutzens, den neue Weingärten bisher genossen, mit angeführt werden. Der vermehrte Weinbau hat also den Nutzen nicht abgeworfen, den sich die erhitzte Einbildungskraft versprach. Ist nun gleich die Be­ nachteiligung -er Ackerwirtschaft dem Blicke -er oberfläch­ lichen Berechnung auch mehr entzogen, so liegt desto deut­ licher die Erfahrung am Tage, -aß vieler Most weniges Geld bringen kann. Wir haben Wein genug, aber leider kein Geld. Gehen wir gleich den Herren Käufern mit dem Hut unterm Arme entgegen, wir müssen es uns gefallen lassen, wenn man weniger bietet als der Wein uns selbst kostet. Führen wir den Most feil vor die Tore dem Städter, so büßet -er verzweifelnde Winzer allda nicht nur die Wolle, sondern auch das Fell ein. Diese Zusammenwirkung verschiedener feindseliger Um­ stände und Einflüsse haben denn auch im Weinlande eine unglaubliche Verarmung zuwege gebracht. Die KXbertti, St. L. Roth. IV.

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in den Weingegenden so auffallen- vorhandenen Nückstände in der Steuer werden durch Militärexekution und andere dörfliche Zwangsmittel, die oft an Grausamkeit grenzen, aus der Armut doch noch vie Öl aus Kieseln ge­ preßt, da die Verantwortlichkeit der Steuereinheber auf den ersten Kreuzer, der sich aufs Land verirrt, sogleich Hand legt. Die Steuer mutz gezahlt werden und wird also ge­ deckt, wenn auch nicht aus dem Erlöse der Fechsung, doch dadurch, -atz man ein Kalb ausspannt oder den Pelz im Winter wegnimmt usw. Denn sie gehöret zu den Ausgaben, von denen es heißt: Mußsein ist mehr als Jchkannnicht. Aber diejenigen Ausgaben, die, um menschlich zu leben, nicht unterbleiben sollen: Schuhe im Winter, ein Kleid gegen den Regen, eine Fleischsuppe in Krankheit usw., müssen bei der Mehrheit -er Weinbauern erst von besseren Zeiten gehoffet werden. Setzt jemand mildernd hinzu, es gelte diese Wahr­ heit nur von einigen, so lasse ich mir auch diese Einschrän­ kung meiner Behauptung gefallen. Wenn aber diese soge­ nannten „einige" 30—50 per Cente der gesamten Weinbevöl­ kerung sind, also ihrer genug, so gibt -och selbst diese ein­ geschränkte Anzahl den schlagendsten Beweis an die Hand, daß die Lage der Weinbauern keine beneidenswerte sei, daß diese Wirtschaftsart im ärgsten Verfalle liege. Denn es gibt eine Menge Familien, wo im Hause nur ein einziges Paar Schuhe anzutreffen ist, die dann dasjenige Glied der Fa­ milie anzieht, welches auszugehen hat. Ist Holznot, zieht es der Vater an, unterdes Mutter und Kinder mit bloßen Füßen auf dem Herde sitzen; klopft die Mutter Leinzeug im Bache mit dem Bleiel/ hockt der Vater mit der Brut in dem Zimmer. Der Sachse, der eine besondere Vorliebe zur Wein­ gartenarbeit hat, besitzt eine eigentümliche Schamhaftigkeit, die ihm verbietet, seine Armut gewahr werden zu lassen. Denn seines Volkes Sitte verbindet mit der Armut den 1 Mundartliche Form für Bleuel = Wäschebracker, Waschschlägel.

Nebenbegriff der Faulheit und Selbstverschul-ung. Darum gibt er sich Mühe, es ist bewußter Vorsatz, reich und wohl­ habend zu scheinen, wenn ers auch nicht ist, oder reicher und wohlhabender sich zu zeigen, als er es wirklich ist. Lieber verhungert er, als er bettelt. Ich weiß einige wenige Häu­ ser, wo die Familie nackend sich niederlegt, bis die Haus­ mutter die Wäsche reinigt; ich weiß aber mehrere, wo nur eins aus dem Leibe und das andere auf dem Seile hängt, um nur sonntags in frischer Wäsche zu erscheinen. Die Zeiten der vielen Wäsche sind vergangen! Denn der ge­ machte Hanf geht in den Weingarten oder in die Steuer, wenn der Most keinen Käufer findet oder kein Most gerät. Der sächsische Bauer, ärmer als der schlafliebende Walache, schämt sich, die Armut einzugestehen; er fürchtet das Urteil seines Volkes, seine Verurteilung. — Was ich hier sage, gilt nicht bloß von Lumpen und Taugenichtsen — es ist auch nicht immer eine Folge der Selbstverschul-ung, sondern Strom der Zeit, eine Folge -er Wirtschaftsart, eine Folge der über­ mäßigen Vermehrung des Weinbaues, der nicht nur süße Trauben, sondern auch diese Frucht bitterer Armut erzeuget. Ist das recht, -aß Fleiß und Anstrengung solchen Lohn empfange? — Ich glaube nicht. Solche Ungerechtigkeiten zu sehen und zu wissen und dabei die Achseln zu zucken, ist auch nicht recht. Wer Mensch ist, kann sich damit nicht entschuldiget halten, daß er es weiß, daß er es eingesteht; er muß helfen, raten, wie er kann und wie er weiß. Durch meinen Beruf in die Hütte der Armut gebracht, darf ich mich in meinem Ge­ wissen damit nicht beruhigen, daß ich sage: Euch helfe Gott! Eine teilweise Abhülfe in einzelnen, immer doch nur wenigen Fällen reichet nicht aus. Das Leck im Schiffe muß verstopft werden, einzelne Züge an der Pumpe sind zwar nicht verdammlich [!], aber wenig ersprießlich. Ist man selbst kein Schiffszimmermann, der mit dem Verstopfen umzugehen weiß, so habe man wenigstens den Mut, vom versinkenden

Borde einen Ruf zur Hülfe, eine Hoffnung der Todeser­ lösung hinauszuschreien. Darum nehme ich, in christlicher Angst, alle meine Luft zusammen und schreie: Zu Hülfe, zu Hülfe, zu Hülfe! ehe in der deutschen Hütte der Begriff von Schande von dem Begriffe -er Armut sich ablöset,- ehe die Not der Ehrlichkeit die Türe weist, ehe lange Erfahrung die Arbeit für eine Mühseligkeit halten lehrt, für eine unnütze Qual. Worin aber könnte die Hülfe bestehen und von welcher Seite soll sie kommen? Wir wollen uns umsehen und auf die Sette gekehrt, wo Hülfe zu hoffen ist, die Hände vor den Mund gesetzt, unseren Ruf ertönen lassen. — Wir nehmen die oben angezogene Allerhöchste Verfügung, die Zehntverpflichtung auch vor dem siebenten Jahre als ein Fa-enen-e auf und gehen daran dann weiter. Mir erscheint diese Allerhöchste Verordnung in ihren Folgen als eine Handlung höherer Politik, als eine Maßregel der Vorsicht, als Staatsdkonomie. Wieso? Die bisherige Vergünstigung mit den sechs freien, zehntlosen Jahren war eine Aufmunte­ rung zu neuen Anlagen, eine Belohnung -er vollbrachten neuen Weingärten. Man will nun nicht mehr hiezu auf­ muntern, sondern davon abraten, durch Entziehung dieser Gunst die eingerissene Weinbausucht zur Besinnung brin­ gen, es sei des Dinges genug geschehen und nun Zeit, damit aufzuhören. Ich nannte diese Maßregel eine politische, ob ich gleich nicht weiß, ob man diese Absicht gerade gehabt hat. Sie ist es! Verstehe ich nun gleich von der Politik wenig mehr als nichts, so sieht es mir, dem Uneingeweihten, dem Laien, in ihren Folgen -er Politik ähnlich, wenn man unter Politik bas versteht, daß man etwas bewirkt, was man will, ohne gesagt zu haben, daß man es wolle. Diese allerhöchste Verordnung, politisch nun oder unpolitisch, wird diesen Er­ folg, -er nur zu billigen ist, in Beziehung auf neue Anlagen

sicherlich haben. Auf diese entschwundene Vergünstigung hin wird niemand mehr Ackerländer umarbeiten oder wüste Bergseiten durchwühlen und mit Reben besetzen. Eine Ver­ mehrung des Übels wäre also durch die weise politische Maß­ regel,wäre sie auch nur aus -emJnteresse derVerrechnung -er Zehnteinkünste vom Hochlöbl. Thesaurariate ausgegangen, für die Zukunft verhütet. Ein erster, entscheidender Schritt. Sollten weitere Verhinderungen neuer Pflanzungen einem erfinderischen Kopfe so schwer fallen? Ich wüßte einige, sage sie aber nicht, aus Gründen, um die mich zu fragen niemand ein Recht hat. Was fangen wir aber mit den bereits angeleg­ ten Weingärten an, deren es eingestän-lich zu viele gibt? Wie heben wir die Unfälle, in die die Weinwirtschaften durch ihre Berechnungslosigkeit, durch das verführerische Jahr 1834 ge­ raten sind? Wie entgehen wir dem Fluch, den der Segen dieses Jahres auf uns bereits gewälzt hat, der Not, die unser Wahnsinn erzeugte? Denn s o halten die Weinländer es die Länge nicht aus. Eine Bevölkerung, die durch Miß­ griffe in Verfall geraten ist, mutz ja dadurch immer tiefer sinken, wenn die Ursache ihrer Verarmung ungehoben bleibt,' Versumpfungen trocknen niemals auf, wenn die Quellen fortfließen, die den Boden mit Wasser übersättigen. Das wirksamste, schnellste und zugleich unausführbarste Mittel wäre, die überflüssigen Weingärten aufzulassen. Es wäre dieser wohlgemeinte Vorschlag ähnlich einem Heilmit­ tel wider das Kopfweh, sich den Kopf abnehmen zu lassen. Es hälfe gewiß, aber nur ein Narr riete es, nur ein Tor würde den Rat befolgen. Diese Grundstücke sind als Erb­ teil zugefallen, durch Ankauf Eigentum geworden, mit vie­ lem Bücken und Schwitzen zu Weingärten gemacht worden. Es gibt sie gewiß so leicht niemand auf. Also ein anderes Mittel, da das erste untunlich ist. — Eine noch höhere Besteuerung der Weingärten? Hm! Sie könnte wohl den Weinbau recht aus Herzensgrund verleiden, aber

dabei würde das Volk noch ärmer. Ärmer braucht es aber nicht zu werden. Denken wir und sinnen wir also auf was anderes. Was ist die Aufgabe, die gelöset werden soll? Diese Aufgabe ist: den Winzer für seine Mühe und Unkosten zu entschädigen. Es heißt dies doch nichts anderes, als Mit­ tel aufzufinden und anzugeben, wodurch der Winzer seine Fechsung besser verkaufen könnte. Setzte der Verkaufspreis sich mit dem Preis der Erzeugung in ein ordentliches, ge­ höriges Verhältnis, so käme alles in die Ordnung. Die Auf­ gabe noch näher bestimmt wäre also diese: Man ver­ mehre den Absatz! Denn dieser fehlt- für die Erzeu­ gung ist mehr als genug gesorgt. Ich gestehe es, Abhülfe auf diesem natürlichen und einzigen Wege zu finden, ist eine sehr schwierige Sache- ein Mittel, den Absatz zu vermehren, ist nicht leicht aufzufinden. Denn den B a n a t e r n etwa die Einfuhr ihrer Weine ins Land zu verbieten, geht nicht. Sie sind Kinder des nämlichen, einen Vaters. Dieser kann doch uns nicht begünstigen wollen und zugleich das nicht minder berechtigte andere, gleich liebe Kind drücken. Was würden wir dazu sagen, wenn etwa sie die Einfuhr unserer Arti­ kel verboten zu sehen wünschten? Was uns recht ist, ist auch ihnen recht. Ob gegen Galizien, das Nachbarland des gleichen Kaisers, der Grenzzoll aufgehoben sei, weiß ich nicht, da wir in Siebenbürgen kein Regierungsblatt haben. Und woher sollte ich es anders wissen können, da solche Befehle auf sonstige Weise ins Haus eines geringen Untertanen, der wenig unter die Leute kömmt, nicht dringen? Man erfährts ja, wenn man an den Schlagbaum kommt oder durch Briefe oder von Reisenden sich darum erkundiget. Weis wissen will, soll fragen. Wenn nun aber diese Zölle auch nicht mehr be­ ständen oder aber sehr unbedeutend wären: ich verspreche mir wenigen Trost davon, denn das gesegnetere Ungarn ist näher, hat gleich guten, wenn nicht besseren Wein und — Galizien soll leider überdies nicht reicher als wir sein. Dazu

hat der polnische Bauer, wie ich höre, keinen [!] Schneid auf Wein — die zahllosen Kinder Israels versehen ihn sattsam mit Wutky und Spirr. Hat aber der gemeine Mann in Ga­ lizien kein Geld auf Wein zu verwenden und liebt er die gebrannten Geister, so geht im Norden kein Stern für un­ seren Absatz auf. Mit den besten Weinen wäre ja noch einige Hoffnung. Aber die Menge machts: die Herren vom Adel versorget und stellt zufrieden eines unserer Dörfer allein. Die Walachei und Moldau sollen mit ihrer Einfuhr bereits so abgesperrt sein, daß sich ein übriges nicht wohl soll tun lassen. Zudem ist dieser ehrliche Nachbar uns viel unent­ behrlicher als wir ihm. Treibet unser Zoll es gar zu bunt, so könnte, wie von seinen Fortschritten in der Industrie zu befürchten steht, derselbe gar auf den Gedanken kommen, zum Schutze seiner jungen Industrie auf unsere in­ dustriellen Gegenstände einen dem Verbot gleichkommenden Grenzzoll zu legen. Er täte nur das uns, was wir ihm täten. Gleiches für Gleiches! So wären wir denn rund um die Grenze gegangen und müssen uns selber die traurige Wahr­ heit eingestehen, -aß aus den Nachbarländern wenige Hoff­ nung für Absatz unserer Weine zu holen fei. Wir sehen uns also, Gott geklagt, nur auf unsere eigenen Hälse und Gur­ geln und bloß auf innere Hülfe eingeschränkt und ange­ wiesen. Ist, um deutsch zu reden, den Weinbauern nur da­ durch zu helfen, daß wir mehr Wein trinken, so kommt her­ bei, ihr alten verrufenen Maßkrüge, ihr klappenden Kannen aus Zinn! Laßt uns trinken, aus Erbarmen, aus Menschen­ liebe, daß die Blasen springen, bis wir die Engel hören singen, der beste Zecher sei als König ausgerufen,' eine Kupfernase Adelsbrief! Oho! Oho! — So ists nicht gemeint. Was werden die Pfarrer dazu sagen? Was? Die sollen sel­ ber so sagen. Am Tage der Hochzeit von Kanaan in Galiläa sollen und müssen sie von der Verdienstlichkeit des vielen Weintrinkens predigen. Predigen sie doch dadurch selbst

ihren Kellergefangenen Erlösung von der Finsternis, den Beruf zum tätigen Leben. Auch fehlt es ja nicht an erbau­ lichem Vorgang, am erobernden Beispiel der Erweckung. Nun halt ein, mein Freund! dieser Rat taugt nun gar am allerwenigsten. Denn bei allem Wunsch, -er Winzernot steuern zu helfen, werden sie nie zu einem Mittel der Un­ sittlichkeit ihre Beistimmung erteilen. Mit dem Spruch: Man müsse Gott mehr, als Menschen gehorchen, werden sie bald und mit Recht deinem losen Maul das nötige Pflaster aufkleben. Nun, wenn das nicht geht, wie ich beinahe fürchte, so tue man den schlesischen Priesnitz' samt dem Wasserpro­ pheten Ortel2 in förmlichen Bann. Der Besuch von Gräfenberg1 sei für ein Lanöeskind ein Landesverbrechen und jede Schrift, die das Wassertrinken empfiehlt, werde angesichts der Welt vom Henker verbrannt. Nun genug mit solcheu Dumm­ heiten. Alles dies geht nicht, Vorschläge dürfen nichts Unsitt­ liches enthalten und das bißchen Freiheit, das so süß ist, nicht verkümmern, noch schmälern. Also Scherz beiseite und nun barerErnst, wie es die ernsthafte Sache verdient und erheischet. Halten wir einstweilen den Gedanken fest, daß den Weinländern nur vom Innern des Landes geholfen werden könne und gestehen wir es nun offenherzig, daß die versuchten Späße bloß diese eine Absicht hatten, zu zeigen, was unter innerer Hülse nicht zu verstehen sei. Welche innere Hülfe kann also damit allein gemeint sein? Die Gesetzgebung, als Perpendikel, welche das Staatsleben regelt und ordnet, die Gesetzgebung, hat meiner geringen Meinung nach ein ein­ ziges Mittel in ihrer Gewalt, den Verbrauch des Weines zu vermehren, ohne gegen sittliche Zwecke zu handeln oder Ein­ griffe in die persönliche sittliche Freiheit zu machen, in> der Einschränkung des Branntweines. Dieses 1 Prießnttz Btncenz, geb. 1799 zu Gräfenberg in Osterr.Schlesten, Begründer der Kaltwafferkur. Gestorben 1851. 2 Derlei E. F. Christian, der Hydrologe von Ansbach, 1765—1850.

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Getränke, durch Mißjahre im Weinwachs und durch das Beispiel polnischer Garnisonen bei uns in Schwung gebracht, ist zu einer solchen Gewohnheit geworden, -aß sich im allge­ meiner gewordenen Gebrauch -es Branntweines eine Ver­ minderung des Weinverbrauches recht leicht nachweisen läßt. Denn, weil der Mensch es einmal liebt, wenigstens dann und wann ein Räuschchen zu haben, so läßt sich dieses Vergnügen der Vernunftlosigkeit durch Branntwein ge­ schwinder und wohlfeiler bewerkstelligen, als durch Reben­ saft. Es ist dies eine besondere Empfehlung des Brannt­ weines bei demjenigen Trinker, der nicht Heiterkeit sucht, sondern Berauschung und Sinnlosigkeit. Der Woin ist ein Sorgenbrecher durch Erzeugung angenehmerer Bilder, als die Wirklichkeit sie bietet — -er Branntwein unterdrückt den Schmerz durch Stumpfsinn und Unempfindlichkeit. Weil ich nun dem Menschen das Vergnügen nicht absprechen mag, den abgearbeiteten Körper zu spannen, den Feierabend eines Dor­ nentages mit Rosen zu kränzen, überhaupt die Freude für keine Sünde halte, wenn solche in der Beschränkung der Un­ schuld bleibt — aber wenn ich auch alle Beredsamkeit an­ wenden sollte, die ich nicht habe, so würden den Wein und son­ stiges geistiges Getränke Arme und Reiche nie beseitigen. Haben -och die Chinesen 21,000,000 Dollars zu zahlen, weil ihr Kaiser den Untertanen nicht erlauben wollte, Opium zu rauchen oder zu kauen. Wein ist ja besser. Ist aber einmal eilte Wahl zu treffen zwischen Wein und Branntwein, so kann, auch ohne damit den Weinbauern helfen zu wollen, nur dem Wein -er Vorzug gegeben werden. Alle Vernünf­ tigen brechen dem Branntwein das verhängnisvolle Hölzchen über dem Kopfe. Denn ohne Widerrede ist der Branntwein für Gesundheit, Verstand und Sittlichkeit schädlicher als Wein. Ich dächte also, das Mehrschädliche sollte dem Minderschädlichen immer und allerorten aufgeopfert werden, es müßte der Branntwein zugunsten des Weines eingeschränkt

werden. Eine Einschränkung des Branntweintrinkens könnte zwar auch auf dem Wege der Belohnung versucht werden, aber schneller kommen wir durch die Gesetzgebung hiezu. Wieder aber nicht durch Gesetze als eine Art Warnung oder Lehre, sondern durch Gesetze, welche den Genuß des Brannt­ weines verteuern helfen. Diese Verteuerung des Branntweines brächte die Trinker von selbst auf den Ge­ brauch des wohlfeileren Weines oder, was gleichviel ist, die Konsumtion oder Aufgang des Weines würde vermehret werden, sein Preis also steigen, die Ausgabe der Weinerzeu­ gung mehr gedeckt sein, dem Winzer geholfen werden. Ehe und bevor ich aber die Art und Weise angebe, welcher Gestalt eine Verteuerung des Branntweines durch die Ge­ setzgebung erzweckt werden könne, muß ich zuvor einigen Einwendungen begegnen, die mich dem Verdachte aussetzen könnten, als hätte ich, vielleicht vom Weine besiegt, unüber­ legt dem Branntwein den Krieg erklärt, da -er Branntwein in einigen Gewerbszweigen unentbehrlich ist und vom Weine nicht ersetzt werden kann. Zunächst also verwahre ich mich vor dem Gedanken, als beabsichtigte ich, die Erzeugung von Branntwein ganz eingestellt zu wissen. Es braucht der Tisch­ ler in die Politur Spiritus, der Apotheker desgleichen zu seiner Arzenei usw. Es wäre gegen die Lan-esökonomie ge­ handelt, diese Gewerbe zu nötigen, den Bedarf des Brannt­ weines aus dem Auslande zu beziehen. Die Verteuerung des Branntweines muß also auf eine solche Art zuwege ge­ bracht werden, daß wir das Kind nicht samt dem Bade aus­ schütten. Deshalb muß ich zuvor eine Unterscheidung machen. Ich finde diese Unterscheidung in den Stoffen, die zur Erzeu­ gung von Branntwein benützt werden. Einige Gegenstände, welche die Landwirtschaft unwillkürlich erzeuget, gehen ent­ weder für diese ganz verloren, wenn man sie nicht zumBranntwein benützt, o d e r es sind solche, welche auch ohne Brannt­ weinerzeugung auf andere Art benützt werden können, ohne

für die Landwirtschaft verloren zu gehen. Z. B. Weintrebern, der Lager, können zu nichts anderem als zu Branntwein verwendet werden. Mit den Zwetschkengattungen hat es bei­ nahe dieselbe Bewandtnis, da das Dörren die ganze Masse nicht verbrauchen kann und Schweinsmastung zu unwirt­ schaftlich wäre. Kartoffeln hingegen, besonders aber Körner, müssen nicht, wie die anderen Artikel, im Branntweinkessel erst nutzbar gemacht werden,- sie sind es schon an und für sich. Um nun keinen Schaden oder Verlust an den vorhandenen Stoffen durch verhinderte Branntweinerzeugung zu erleiden und doch die Verteuerung dieser geistigen Flüssigkeiten zu bewirken, müssen in der Besteuerung derselben gewisse Kate­ gorien oder Klassen aufgestellt werden. Diejenigen Gegen­ stände, die ohne Branntweinerzeugung ganz verloren gehen, kommen in die geringste Klasse oder, wenn man will, in dieSteuerlosigkeit selbst, besonders deswegen, weil die zwei ersteren Stoffe, Trebern und Lager, als Nebenerzeugnisse des Weinbaues diesem selbst dadurch zugute kommen. Die Zwetschken können schon höher angeschlagen werden, nicht bloß deswegen, weil sie kein Erzeugnis anhaltenden Fleißes sind, sondern auch weil sie keiner Unterstützung insbesondere bedürfen. Den Kartoffeln ist außer den Menschen das Vieh zur Verzehrung angewiesen, die Branntweinerzeugung er­ höhet wohl ihre Nutzbarkeit, vermehret aber das Giftge­ tränke und drückt die Weinerzeugung. Die Erzeugung -es Branntweines aus Körnern unterliegt der höchsten Besteue­ rung. Denn außer anderen Gründen verteuert das Brannt­ weinbrennen daraus die notwendigsten Lebensmittel. Wir erhielten also vier Klassen oder Kategorien: 1. 2. 3. 4.

Treber und Lager . . . . Zwetschkengattungen . . . Kartoffeln ....... Körner ... . . . . .

nicht besteuert. etwas besteuert. mehr besteuert. stark besteuert.

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Wünsche und Ratschläge

Der Ansatz der Steuern gehört nicht hieher. Der Grund aber, warum ich bei Nr. 3 und Nr. 4 nur eine höhere Be­ steuerung eintreten lassen will und kein völliges Verbot, liegt darinnen, weil es Jahrgänge gibt, wo keine Trauben und keine Zwetschken geraten, das Bedürfnis aber -er Ge­ werbe und der Apotheken jederzeit befriediget werden muß. Daß ich mich aber getraut, den Branntwein aus Körnern in die höchste Klasse -er Besteuerung zu setzen, tue ich aus Ver­ anlassung einer hohen Gubernial-Verordnung vom Jahre 1807, die das Brennen der Brotfrüchte durchwegs verbietet. Vermutlich hat eine spätere Verordnung dieses gänzliche Verbot etwa aufgehoben und freigegeben, was mir aber nicht zu Ohren gelangt ist. Ich schließe aber dies daraus, weil ohne Scheu aus Brotfrüchten dermalen Branntwein gebrannt wird, was wohl nicht der Fall sein würde, wenn die hohe Gubernial-Verordnung nicht widerrufen worden wäre. Denn eine Verordnung stillschweigend außer Kraft setzen zu lassen, gäbe jeder Übertretung den Borwand zur Entschuldi­ gung, man habe geglaubt, die D a u e r ihrer Geltung sei vor­ bei gewesen. Liegt nun in der Machtvollkommenheit der hohen Landesstelle, etwas ganz zu verbieten, so hat der Vor­ schlag einer Besteuerung keinen Widerspruch zu befürchten. War aber das Verbot, aus Brotfrüchten Branntwein zu brennen, nur durch Mißraten der Körner hervorgegangen, so ist doch auch damit genug eingestanden, nämlich, daß Branntweinerzeugung aus Körnern dem Lebensunterhalte des Menschen Eintrag tue. Wird zugunsten des in Verzweiflung stehenden Wein­ bauers auf den Branntwein nach diesen Klassen etwa eine Besteuerung als Auskunftsmittel angenommen, so läßt sich eine Vermehrung des Weinabsatzes allerdings hoffen und dann wäre nun noch schließlich die Art und Weise anzugeben, wie eine solche Besteuerung vorzunehmen sei, um den

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Branntwein jeder besonderen Art, nach seiner Klasse, wie beabsichtiget ist, zu Verteuern. Dieses kann nun nicht nach Farbe und Geschmack geschehen. Es sind dies zu unsichere Merkmale. Um zu zeigen, -aß sich eine solche Besteuerung nicht so schwierig werde einführen lassen als Zweifelskrämer sich einbilden mögen, so gehe ich auch ins besondere und ein­ zelne. Um jede Branntweingattung nach -er besonderen Klasse zu besteuern, muß man auf die Bereitung selbst zu­ rückgehen. Der Branntweinbrenner hat sich unter Strafe im voraus zu erklären, was er brennen wolle, Trebern, Kar­ toffeln oder Körner usw. Die Rüben gehören zu den Kar­ toffeln. Nun wird der Topf gemessen, gestempelt und nach dem Inhalte die Berechnung gemacht. Ein großer Topf muß mehr zahlen als ein kleiner, weil man damit mehr erzeugen kann. Ist die Steuer für alle Töpfe oder Kessel eine und die nämliche, so ist daselbst keine Gerechtigkeit. Diese Ungerech­ tigkeit ist eine Bedrückung -er kleineren Branntweinbrenner und Vergünstigung der größeren. Nun ist aber bisher auch eine Steuer auf die Branntweinkessel im Gebrauche gewe­ sen, aber ohne alle Rücksicht auf ihre Größe. Nimmt man aber die Größe zum Maßstabe der Steuer, so zahlt derjenige, welcher mehr Branntwein erzeugen kann, auch eine größere Steuer von Rechts wegen. Das ist aber auch wahr, daß ein fleißiger Brenner mit einem kleineren Kessel dennoch mehr erzeugen kann als der minder fleißige Inhaber und Besitzer eines größeren. Hierin geschieht ihm kein Unrecht,' denn diese Steuer ist als eine Zahlung für die Erlaubnis zu be­ trachten. Wer diese Erlaubnis nicht benützt, ist selber daran schuld. Um aber -och auch hierin soviel als möglich gerecht zu sein, kann die Steuerquota für einen gewissen Topf immer nur auf eine kleinere Zeit, als ein Jahr ist, aus­ geschrieben werden. Wer länger, als diese Zeit ist, brennen will, hat für die nächste Zeit wieder die Taxe zu erlegen.

So gleicht sich auch die Benützung ziemlicherweise aus. Je­ dem ist seine Freiheit gelassen, er kann brennen viel oder wenig oder gar nicht,- während jetzt die Kessel besteuert sind, ob man brennt oder nicht, ob man viel oder wenig brennt. Abgesehen von unserem Zweck ist schon an und für sich diese Regelung der Steuer eine Verbesserung. Um aber meinem Ziele der Branntweinverteuerung noch näher zu kommen, so würde ich nur demjenigen die Erlaub­ nis erteilen, Branntwein zu erzeugen, der in der Steuer­ tabelle Grund und Boden hat. Ausgeschlossen wäre der Adel, solange er sich zu dieser Branntweinsteuer nicht bequemt und jene Juden, die Branntwein aus Produkten brennen, welche sie nicht selbst erzeugt haben. Ganz zum Schlüsse noch nur diese wenigen gesetzlichen, dem Weinbau direkt günstigen Bestimmungen: Wer seinen Wein­ berg auflassen will, entweder wegen des schlechten Erzeug­ nisses, das er liefert, oder des unfruchtbaren Bodens wegen, soll es tun können, ohne zur Ablieferung der darauf haften­ den Weinbergsteuer ferner verhalten werden zu können. Als Zeichen seiner Aufgebung diene, wenn er alle Wein­ pfähle ausgezogen hat. Baut der Eigentümer andere Ge­ wächse darauf, so kommt der Grund und Boden aus der Klassensteuer der Weinberge in die Klassensteuer des Ge­ wächses, das er nun anbauet. Unterläßt er jeden Anbau drei Jahre hintereinander, so fällt der Grund und Boden bei Sachsen der Kommunität, bei Szeklern den Nachbarn, bei der Komitatserde dem Grundherrn eigentümlich zu. Dies sind meine unmaßgeblichen Vorschläge zur Verbes­ serung der Lage des Weinbauern. Andere kenne ich nicht. Mit diesen, konsequent durchgeführt, würde ich den Wein­ bauern und — der Sittlichkeit viel helfen. Auf die g ä n zliche Ausführung mache ich mir keine Rechnung, auf eine teilweise, ja!

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Straßenbau Stehen die Gewerbe auf den Schultern der Landwirtschaft und sind die Gewerbe Handlangerinnen -es Handels, so kom­ men die Straßen allen zugute, also auch und vorzüglich der Landwirtschaft. Wenn diese gut sind, ist es eine Lust zu rei­ sen, man ersparet an Zugvieh — an Kostgeld und Zeit. Leider daß sie sich nur selten von selbst, etwa im Sommer, machen und im Winter, wo der Frost gratis den Boden befestiget und -er Schnee vom Himmel rutschenden Schotter streuet. So schlecht sind die Straßen nicht mehr tot Lande wie in meiner Kindheit; ich hoffe, meine Kinder werben dasselbe sagen. Ich stimme also nicht ins Klaglied -er Unzufriedenen ein, die über dem Fehlenden das bereits Geleistete über­ sehen. Wollte man aber die wirkliche Verbesserung -er Stra­ ßen mit den Kräften in Vergleich setzen, die zu Gebote standen oder dabei verwendet wurden, so wäre die Verwun­ derung natürlich, daß nicht mehr geleistet ward. Ward auch eine Strecke hergestellt, so unterblieb gewöhnlich die Be­ sorgung und Unterhaltung in gutem Stande. Daher kam es und kommt es, -aß gemachte Straßen so schnell sich wieder verschlimmern. Das Regenwasser sammelt sich in den Glei­ sen und erweicht die Sohle. Der kommende Wagen drückt in die feuchten Gleise tiefer ein, es kann sich mehr Wasser sammeln; die Folge -es dritten und vierten Wagens drückt noch tiefer ein; kurz, es vermehrt sich je länger je mehr die Verschlimmerung -es Weges. Wie sich die zur Seite fort­ laufenden Gräben durch übersetzendes Vieh oder zerbrökkelnde Ufererde mehr ausfüllen, bleibt im ungleichen Bett des Grabens das Wasser stehen und zieht sich, am gänzlichen Abfluß gehindert, aus Not seitwärts in den Damm des Weges. Hat auch der Wegdamm oben ein schuhdicke härtere Kruste, sie wird von der durchnäßten Unterlage nicht unter­ stützt, die Lastwägen drücken durch, so daß die Gleise oft so

tief einschneiden, daß die Räder mit den Naben auslangen. Daher haben wir an manchen Orten -es Landes den sonder­ baren Anblick, daß, bei Regenwetter nur etliche Tage, Fuhr­ leute die Wege Wege sein lassen und auf Äcker und Wiesen ausbrechen. Das Wasser in den eingebogenen Straßen macht sich zu einer schlubrigen Pludder, die, etwas erhärtet, zum knatschenden Moorteig wird, wo jeder Fußtritt eines Viehes einen hohlen Stiefel zurückläßt, wie Töpfe aufgestellt zum Auffassen des Regenwassers. Die Eigentümer der benachbar­ ten Acker und Wiesen suchen sich durch Querschanzen zu schützen, auch warnt das aufgepflanzte Reis davor — aber rutscht man nur eine Strecke hurtig auf der Wiese fort, so ist die Gefahr über einen Querschanz zu setzen oder einem auflauernden Eigentümer in die Hände zu fallen doch noch immer eine kleinere Gefahr als das sichere Verderben auf der Straße. So ist denn -er Weg oft ein Unweg und der Unweg oft der bessere Weg. So ist's nicht überall — so sollte es aber nirgends sein! Gibt es auch nur einzelne schlechte Stellen, sie wirken auf die ganze Reisestrecke ein. Denn der Fuhrmann berechnet schon zu Hanse, ehe er sein Vieh an die Deichsel spannt, welcher Kraft er bedürfe, um von A nach B eine Last zu schaffen. Kommen auf der zu durchreisenden Strecke auch nur eine bis zwei Stellen vor, wo es einer stärkeren Bespannung bedarf, muß er schon von Haus aus sich mit einem oder zwei Tieren mehr versehen. Diese Tiere machen auf den guten Strecken die Reise unnütz mit; nur an der Übeln Stelle müssen sie den Müßiggang entgelten. Beträgt nun die ganze zu befahrende Strecke etwa 50 Stun­ den und die einzelnen schlechten Stellen zusammengerechnet etwa fünf Stunden, so muß das überflüssige Vieh 45 Stun­ den umsonst mitmachen. Denn nur fünf Stunden ist es nützlich zu verwenden. Um 45 Stunden muß also die Fracht diese sonst müßig mitlaufenden Tiere gleichfalls be­ zahlen. Rechnet man ein Pferd auf eine Stunde zu 20 kr.,

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und man nimmt zwei solcher Nothelfer mit sich, so beträgt das per Stunde 40 kr., in 45 Stunden fl. 30. — Diese Ver­ teuerung schlägt der Handelsmann auf die Ware, die er verführen läßt. Der Abnehmer, will er überhaupt die Ware kaufen, muß diesen Aufschlag von fl. 30 auf die ganze Wagen­ last mitbezahlen. Dem Fuhrmann kommt der Aufschlag nicht zugut, auch dem Handelsmann nicht. Sie sind in den Bach geworfen. Mittlerweile entbehret aber des Fuhrmanns Wirt­ schaft dieser zwei Tiere gleicherweise unnötig. Auf der Strecke von 45 Stunden sind sie dem Fuhrmann entbehrlich, und zu Hause, weil abwesend, arbeiten sie nichts,- also dop­ pelter Einbuß! Wüßte man anzugeben, wie viele solcher Tiere in einem Lande in einem Jahre mir nichts dir nichts mitliefen — es betrüge dies eine große, große Herde, die lebte und arbeitete, ohne ein Halm Stroh zu verdienen. Diese Verschwendung an Futter und unnütze Aufwand von Viehkräften sind ein teueres Wegegeld. So befahren wir also die schlechten und guten Wege nicht gratis. Denn an gefährlichen Orten brauchen wir das sonst überflüssige Vieh, was wir nicht brauchen würden- wenn es keine gefährlichen Orte gäbe — auf dem guten Wege müssen wir das hier über­ flüssige Vieh mitnehmen, weil wir es an den gefährlichen Orten nicht entbehren können. Wir zahlen also dennoch Wege­ geld, aber nicht für gute und ebene Straßen, sondern für Tunken, Schläge, Moordotter, Stöße und sonstige Ungehörigkeiten. Weil wir dem Mautner den Beutel nicht öffnen müs­ sen, rühmen wir uns einer Art Steuerfreiheit, die wir doch nicht besitzen.Wendet man ein, daß unsere Fuhrleute mit einer gewissen Zahl Zugvieh zu fahren gewohnt seien, ob der Weg gut oder schlecht sei, so will ich diese Entgegnung nicht in Abrede stellen. Denn zum Teil ist es nicht anders als ent­ gegnet worden. Dieser Brauch-unserer Fuhrleute gründet sich auf die Erfahrung, daß man mit Wenigerem es nicht wagen dürfe. So einfältig ist der Bauer nicht, daß er es Folberth, St. L. Roth. IV.

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nicht vorziehen sollte, mit vier als mit sechs Pferden auf die Reise sich zu machen. Nur erlebter Schaden hat ihn klug ge­ macht. Denn oft schon, wenn er auf gutem Wege zu seinem Tor hinaussprengte, kroch er, weil Regen eintraf, mühselig mit den durchbläuten Tieren nach Hause. Der Weg hatte sich dermaßen verschlechtert. Laß der Wagen steckenblieb und der halbe Fuhrlohn gegeben war-, ihn aus dem Kote zu ziehen, oder es brach die Deichsel u. dgl. Diese Erfahrung macht denn, daß überflüssiges Vieh gleich im voraus mitgenommen wird, um der unbarmherzigen Hülfe aus einer schlechteren Stelle nicht zu verfallen. Der Banater hingegen, an gute Straße gewöhnt und guter Straßen bis nach Hermannstadt sich erfreuend, spannt vor ein 40 Eimerfaß nur zwei Pferde an. Dasselbe tuen die Bistritzer, wenn sie nach Mediasch kom­ men. Denn sie schlagen sich, solange sie im Weinland sind, einer dem andern die Berge hinauf vor und unserem Elend einmal entwischt, traben sie lustig mit ihren Pferdepaaren nach Hause. Das läßt sich jedoch nur von Gesellschaft er­ warten. Die schlechten Stellen verteuern den Fuhrlohn, wenn sie auch nur einzeln sind. Wenn aber die Wege durchaus schlech­ ter Beschaffenheit sind, so laufen einige Zugpferde bei sol­ chen Wegen freilich nicht umsonst die Strecke. Man hätte aber auch sie ganz entbehren können, wenn der ganze Weg gut gewesen wäre. Es läuft mithin auf eins hinaus, auf eine überflüssige Ausgabe. Die Eigentümer, welche Äcker und Wiesen neben schlechten Wegen haben, erleiden, wie jeder­ mann weiß, jahraus jahrein bedeutenden Schaden. Die Wie­ sen werden in Brachjahren vergleiset, im Florfeld beschädiget, im Frühjahr und Herbste im ganzen Wurzelgeflechte zerstöret. Kornfelder grün und reif werden nicht verschonet, man bricht in den Mais ein, sei er groß, sei er klein. Die Hatterthüter sind, weil ihnen die Eigenschaft der Allgegenwart fehlet, außer Stande, dem Schaden zu wehren. Auch -er Richter

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mutz häufig durch die Finger sehen, da der rohe Pöbel mit dem roten Hahne droht oder auch ungedroht für die erlittene Buße sich rächt. Von den Raufereien, die bei Pfändung tum Stratzenleuten sich oft ereignen, rede ich nichts. Sie sind als gemeinhellige Erfahrungen jedermann bekannt. Verspätet sich ein Fuhrmann durch schlechte Straßen, -atz er sein Ta­ gesziel nicht erreichen kann, so übernachtet er auf freiem Felde. Es ist nicht immer der Fall, daß sein Nachtsquartier im Brachfelde ist. Er hat kein Viehfutter — also ins Mäh­ gras oder in die Früchte. Um Feuer zu machen, werden ein­ same Mühlen entkleidet oder Feldbrücken angegriffen. Not bricht Eisen. Und gegen eines Menschen Ratschlag ist selbst die List eines Fuchses blödsinnig und leichter läßt sich -er Heißhunger eines Wolfes vom Einbrüche in eine Herde ab­ halten, als ein bedrängter Fuhrmann nachts von einer ver­ botenen Atzung. Alle diese und noch andere Unfälle oder Be­ schädigungen sind als Einbüße auf Reisen doch auch wieder ein Wegegeld, eine Maut, eine Straßenausgabe. Wollte ich alle übel anführen, die mit schlechten Straßen verbunden sind, würde ich zu viele Mühe und der Leser zu viele Geduld brauchen. Darum habe ich nur diese wenigen anzuführen für nötig erachtet. Die ausgelassenen wird sich der Leser leicht ergänzen. Diese übelstände lenkten daher die öffentliche Aufmerk­ samkeit auf die Verbesserung der Straßen. Aber die ganze Last -es Wegbaues ist dem Bauern zugeschoben. Seine Un­ lust und unwilliges Wesen bei Herrichtung von Straßen er­ klärt sich hinlänglich aus dem Gefühl: er müsse allein für alle den Weg machen. Die zum Teil aus der Entfernung herbeigetriebenen Leute kommen spät an und gehen frühe auseinander. Die kurze Zeit zwischen Ankunft und Heim­ kehr, oft weniger als ein halber Tag, mein Gott! wie wird sie angewendet? Sie bewegen sich wie Schnecken und alle Raucher scheinen bei der Arbeit ohne Pfeife keinen Schritt

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Wünsche und Ratschläge

machen zu können, alle haben nassen Zunder. Die Körbe sind klein wie Mützen und alte abgenützte Schaufeln, seit dem letzten Türkenkrieg im Gnadengehalt, kommen hier zu­ sammen, um in der Hand ihrer Herren den Gesprächen der­ selben zuzuhören. Bon den Fuhrwägen läßt sich nicht mit ganzer Gewißheit bestimmen, ob sie eine Wette eingegangen sind, langsamer oder weniger zu fahren. Die ursprünglich schon geringe Beladung mit Erde oder Schotter wird von Schritt zu Schritt leichter, denn die Hurten1 haben zwanzig Löcher, Pferde gehen langsam wie Ochsen, und Ochsen wie Esel. Beim Straßenbau wird, was man sieht, wenig aus­ gerichtet, und zu Hause, was man nicht sieht, viel versäumt. Auf Mittel der Abhilfe ist zwar nicht vergessen worden zu denken, durch Schotterkästen, Aufgaben von Strecken, Be­ stimmung der Anzahl Fuhren und die wohlmeinendsten Vorstellungen vom Nutzen guter Straßen und deren Nütz­ lichkeit insbesondere für den Bauersmann. Das sind aber Erbsen gegen eine Festung abgefeuert. Der Wille fehlt und das Gefühl des Unrechts ist da. Die Kalesche rollt vorbei und der freundlichste Gruß aus derselben, wenn einer zugerufen wird, lockt aus der stummen Brust des Arbeiters nur den Wunsch bis zwischen die Zähne als Antwort: Ei kämest Du und hälfest auch! Wenn endlich mit tausend Händen eine Strecke gemacht ist, wozu hunderte bei Lieb und Lust hingereicht hätten, was geschieht? Man überläßt sie ihrem Schicksal. Da ebnet nie­ mand die Gleise, niemand feget die Gräben. Soll allda wie­ der gearbeitet werden, muß sie wieder so schlecht oder beinahe so schlecht werden wie zuvor. Bis diese Not zur Einsicht und die Einsicht zum Befehl, der Befehl aber zur Ausführung gelangt, haben die Reisenden ihr bescheidenes Weh und Ach! Hiebei habe ich meinerseits keine neue Entdeckung gemacht. Jeder, der nur einmal auf unseren Straßen fährt, macht

1 Mundartlich für Korbgeflecht.

seinem Arger Luft gegen -en Nachbar auf dem Ladensitze. Schimpfen und raisonnieren pflastert und schottert aber keine Straßen. Es bleibt beim Alten. Hat man einen Unfall ge­ habt, so erzählt man sich das Abenteuer zu Hause, ein anderer erzählt das seine, — es entsteht daraus ein unterhaltendes Ge­ spräch. Die Sache wird vergessen. So ergehet es denen, die ein Wort darein zu reden haben, und denen, die keins zu reden haben und doch reden, mehr als eins. Von unseren Straßen gilt somit das, womit das Athanasius'sche Glaubensbekennt­ nis schließt: Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar! Ist es aber nicht gut, wenn es also verbleibet, und ist eine gute Straße für Handel, Gewerbe und die Landwirtschaft von unberechenbarem Vorteile, so ist es nicht hinlänglich, einige Augenblicke sich darüber aufzuhalten und dann den Gedanken liegen zu lassen. Nur der Tadel ist gut, dem ein Vorschlag der Verbesserung zur Seite geht. Um nun meinerseits nicht hinter dem Berge zu halten, will ich mein Glück mit einem Vorschlage versuchen. Bleibe ich etwa gleichfalls stecken, so lade ich -en Vorschlag ab und komme mit dem leeren Wagen um so schneller heim. Eine Hauptsache vor allem ist, in der Verpflichtung -es Straßenbaues gerechter zu verfahren. Wer fühlt nicht das Unbillige darin, daß der Bauernstand allein Straßen herzu­ stellen und zu unterhalten hat? Straßenbau ist Landessache, und Landessache ist nicht gleichgelten- mit Landmannssache. Wenn Adel und Städte durch Steuer oder Stellvertreter hel­ fen, sind gleich der Kräfte mehr. Das Gefühl der Last wird den Wunsch erzeugen, sobald als möglich damit fertig zu werden, und dieser Wunsch träufelt gewiß der Arbeit Sl ins Räderwerk. Will jemand hämisch das Pflicht- und Rechtsgesühl dadurch bewitzeln, daß er Schaufeln und Schiebkarren zu Versuchen anbietet, so danke ich für die gütige Erinne­ rung. So lange ich hierin nicht muß, rühre ich weder Hand noch Fuß. Wenn aber der Landtag niemanden von der

Straßenpflicht ausnimmt, dann ists was anderes. Wäre nun einmal, wann immer, die allgemeine Verpflichtung zum Straßenbau ausgesprochen, so entsteht alsdann die nicht un­ nütze doppelte Frage: Sollen unsere Hände oder unsere Beutel die Straßen bauen und unterhalten? Wir stehen an einem zweiarmigen Wegweiser. Eins oder das andere muß geschehen, soll über­ haupt etwas geschehen. Für die bisherige Arbeit durch Hände spricht die Erfahrung nicht. Auch zum Verdingen der Arbeit durch Aufschläge wäre nicht zu raten. Denn seinen Anteil am Geldaufschlag könnte der Bauer nicht erschwingen, -a der freie wie der untertänige bereits ohne diesen neuen Auf­ schlag manchen Abend seine Palukes darum ungesalzen ißt, weil er keinen einzigen Kreuzer hat, um Salz zu kaufen. An dem Beitrage der anderen, die dermalen nur zusehen, werde ich so lange zweifeln, bis die hochherzigen Reden ein­ zelner zur Tat aller geworden sind. Bis dahin meine Hoch­ achtung den liberalen Äußerungen, aber den Dank wollen wir für die vollbrachte Tat uns aufsparen. Sollen wir also weder selbst die Hände anlegen, noch durch verdungene Arbeiter uns vertreten lassen, so bliebe also nur die Maut oder der Wegzoll übrig,- zahle man diese der Regierung oder einer Aktiengesellschaft oder einem Pri­ vaten. Mautgelder aber oder Wegzölle sind eine verfängliche Sache. Wir könnten uns, meint der Argwohn, damit am Halse fangen, denn in vielen Staaten war die Maut an­ fänglich nur eine Abgabe zur Herstellung und Unterhaltung der Straßen, sie artete aber oft, natürlich nicht bei uns, die wir sie nie bezahlt haben, in ein Mittel aus, irgendein Loch in dem Beutel zu stopfen, von dem die Sage geht: die Nätherin habe vergessen, den Boden zuzunähen. Diese Furcht hat die Schul- daran, daß wir lieber im Kote fahren ohne Bolletten1 1 Bolletten sagte man in Siebenbürgen für Mautscheine, Fahr­ scheine.

Eine Bittschrift fürs Landvolk

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als mit ihnen auf guter Chaussee. Dieses Mißtrauen, in un­ sere Regierung gesetzt, wäre eine Sünde, denn nie hat sie etwas versprochen ohne es zu halten. Gerne würde sie sich da­ her, wie ich glaube, sogar zur öffentlichen Rechnungslegung verstehen, um nur das Gute zu befördern. Anschein aber zu einem Antrage einerseits, und darum auch zur Bereitwillig­ keit hiezu andererseits, ist jedoch nicht vorhanden. Also stünden wir, bei aller Mühe der Aufsuchung einer Auskunft, noch immer auf demselben Flecke. Gibt es wohl kein anderes Auskunftsmittel, da Straßenarbeit durch Her­ beitreibung von Menschen, gedungen oder nicht gedungen, ebenso unergiebig schien als unzulässig die Wegzölle? Wo bleibt das Militär, der ausgewählteste Men­ schenschlag in den besten Jahren? — Der römische Soldat war Wegmacher und Schanzgräber, Brückenbauer und Städtegründer. Diesem Vortritt nach wäre ein Nachtritt keine Schande. Verträgt sich aber Arbeit mit seiner Bestimmung und hat nicht vielleicht -er Soldat für die Gefahr seines Lebens die Arbeitslosigkeit als Ersatz anzusprechen? Ich weiß nur so viel, daß Arbeit stärkt, und die Fähigkeit, Stra­ pazen zu ertragen, Armeen gefahrlos sich bewegen läßt un­ gefährlich für den Feind macht. Ob aber das vielleicht täglich notwendige Exerzieren so viele Zeit übrig läßt, weiß ich nicht. Es versteht sich hiebei von selbst, daß das Land die Abnützung der Militärkleider ersetze und die Werkzeuge zum Wegbaue hergebe. Wollte jedoch die Regierung dem etwa von den Landstän­ den hierin gemachten Antrage ihre Beistimmung nicht ver­ weigern, so wäre eine Herstellung unserer Straßen in bal­ dige frohe Aussicht gestellt. Kommen nämlich dem Landvolk auch die übrigen Bewohner des Landes und diesen die ge­ wählten Kräfte und der strenge Gehorsam des Krieger­ standes zu Hülfe — so gingen aus vereinter Bemühung schnell die schönsten Straßen hervor.

Wären die Straßen einmal hergestellt, so bliebe noch die gleich wichtige Sorge ihrer Unterhaltung zurück. Diese Besorgung und Reparatur im kleinen denke ich mir auf fol­ gende Art eingerichtet. Es haben dieses Geschäft nicht Kreise, nicht Dörfer zu vollziehen. Denn je mehr Sorger, je weni­ gere Sorge. Man übertrage die Besorgung und kleineren Wiederherstellungen einzelnen dazu verpflichteten Menschen, aber ohne Tagelohn. Denn Bezahlung auf Tage macht der Tage viel und läßt die Arbeit zu keinem Ende kommen. Also etwa ein Akkord per Pansch und Bogen. Meinetwegen, nur keine weitläufigen Rechnungen. Das Papier widerspricht nicht, schreibe man auch darauf, was man will. Rechnungen mit und ohne Quittungen unterscheiden sich nicht durch diese Äußerlichkeiten, sondern immer nur hauptsächlich durch die Ehrlichkeit des Rechnungslegers, und mir will immer beLünken, die Ehrlichkeit sei durch Einführung schriftlicher Rechnungslegungen, verklausuliert aufs äußerste, im Lande nicht gewachsen. Um daher diesem zu entgehen, mutz ich wie­ der meinen früher schon vorgebrachten Gedanken auftischen: selbständige Organe ins Leben zu rufen, die, einmal be­ stehend, aus sich selbst Leben und Tätigkeit entwickeln und erzeugen, ohne immer eines äußeren Anstoßes zu bedürfen. Darunter verstehe ich in diesem Falle: fest am Wege, in angemessenen Entfernungen voneinander stehende Häuschen mit Wirtschaftseinrich­ tungen, deren Bewohner statt Pachtgeld und Hausmiete eine gewisse Weg st recke zu unter­ halten haben. Diese Wegverbesserer bedürfen zum Schotterführen ein Paar Pferde, mit welchen sie zugleich auch ihre rings um das Häuschen liegenden Ackergründe be­ bauen, und eine Milchkuh, um die beste Nahrung immer in Bereitschaft zu haben. Die Größe des erforderlichen Bodens bestimmt seine Güte und das Bedürfnis des Lebensunter­ haltes für eine Familie oder zwei unverheiratete Manns-

leute. Diese Bewohner denke ich mir am liebsten als Mili­ tärinvaliden, die teils Besseres anderwärts gesehen haben, teils durch ihre durchgemachte Dienstzeit an Pünktlichkeit gewöhnt sind. Wahrhaftig, eine Anstalt bester Art zur Ver­ sorgung von Invaliden! — Mit Lebensgenuß, Tätigkeit und Nützlichkeit verbunden bis ans letzte Stündlein, weil das Bewußtsein, es verdient zu haben, aufs Gnadenbrot das würzende Salz streuet! Die Verantwortlichkeit ist ange­ messen, da Wege sich nicht auf einmal verschlechtern, die Nähe der Wohnung jeden Fehler sogleich entdecken läßt und schnelle Abhülfe die Vermehrung des Übels im Entstehen ver­ hindert. Ein eigenes Häuschen, das der Invalide, das Landeskind, sich selbst in Dach und Fach zu unterhalten hat, ist für jeden Soldaten, der in seinem bisherigen Wanderleben überall und nirgends zu Hause war, eine Hausseligkeit, deren verlustig zu gehen er gewiß nichts tun oder unterlassen wird. Will er sich verheiraten, so genieße seine Familie gegen Er­ füllung der Bestimmung das Gütchen in Erbpacht. Erfüllet sie Pflicht und Schuldigkeit nicht, so schließet ihre Sünde ihnen die Türe zu und öffnet sie einem anderen Invaliden. Unteroffiziere haben die tiefere Aussicht — Oberoffiziere die höhere, lauter Invaliden oder Pensionisten. Einem Kriegs­ mann ist Beschäftigung durch Gewohnheit die zweite Natur. Wie ehrwürdig wäre der Genuß einer Pension in solcher Nützlichkeit! Und wie mancher Pensionist, -er zum Kriegs­ dienst nicht mehr taugte, wäre ein Wohltäter in diesem Friedensdienst. — Wären wohl nicht auch diese vielen, vielen Jnvalidenposten ebensoviele Wachhäuser im Lande? Die Anschaffung dieser Lokalitäten wäre eine sehr große Ausgabe, aber auch eine Erlösung von einem großen übel. Ein Land würde sie vielleicht anschaffen können. Eine große Ausgabe, aber nicht jeden Tag eine neue, nicht jede Stunde wieder ein Zoll. Einmal für allemal. Das Ganze müßte sie tragen. — Der einzige Weg, der Maut zu entgehen.

Wie die Aufteilung zur Deckung der ersten Anschaffungs­ kosten geschehen und gedeckt werden müßte, wie etwa auf die leichteste Art, etwa durch einen Fundum semper crescentem,1 dem Lande der gemachte Vorschuß wieder zurückgezahlt wer­ den könnte, kann nur eine spätere Aufgabe für einen ge­ scheiteren Kopf sein, wenn die Annahme -es Vorschlages in seinem größeren Umrisse entschieden wäre. Dann könnte Bauer und Edelmann auf guten Straßen, beide unentgelt­ lich, fahren. Einstweilen fahren wir nach wie zuvor auf schlechten. Nun, meine Herren, wir sind am Ende dieser schriftlichen Reise, ich bitte auszusteigen. Hab' ich gleich ein Trinkgeld nicht verdient, so pflegt mans doch zu geben. Diese Straße habe ich nie befahren und der Weg ist schwer gewesen unvoller Gefahr. Haben Sie Stöße erlitten und Ängsten ge­ habt, ich möchte stecken bleiben oder umwerfen? Mir ists auch so ergangen! Mit solchen Dingen sind jedoch wir Sie­ benbürger hinlänglich vertraut. Ich aber bitte um Ent­ schuldigung und Vergebung demohnerachtet! Ihr steifen Gäule, haltet nun stille — ihr seid abgetrieben — denn ich hatte euch zu viel aufgeladen oder euerer zu wenige vorgespannt. Heraus, -'er Vater ist da, halberfroren und müde. — Decket den Tisch und wärmet das Bett. Ich bringe Geld und bin gesund.

Durch eine ständig wachsende Anlage.

Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen Von St. L. Roth Eingeleitet von Ewalö S i n d e l 5lm 31. Mai des Jahres 1843 hat Stephan Ludwig Roth die Schrift „Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen" zum Abschluß gebracht. Es ist nicht genau zu ermitteln, wie lange er an ihr gearbeitet hat. Auf alle Fälle ist sie die umfangreichste seiner gedruckten Schriften ge­ worden, obwohl sie — was zu erwähnen nicht unwesentlich sein dürfte — erst recht kürzer ausgefallen ist als die meisten heute in der wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Literatur üblichen Bro­ schüren. Für Roth spricht, daß er ihr trotzdem einen außerordent­ lich reichen und tiefen Gehalt geben konnte. Und er konnte es, weil er mit den Untersuchungen menschlicher Angelegenheiten seiner Art gemäß bis zu den letzten geistigen Wurzeln vordrang und die tiefsten Zusammenhänge der Erscheinungen des sozialen und staatlichen Lebens aufdeckte. So ist es ihm gelungen, ein Ge­ samtbild seiner Zeit von ungeheuerer Lebendigkeit vor uns hin­ zustellen. Noch etwas macht uns Heutigen diese Schrift wertvoll und höchst lesenswert. Wir bemerken sehr bald, nachdem wir in sie Einsicht genommen haben, welch auffallende Ähnlichkeit in den wesent­ lichen Fragen unsere Zeit und unsere öffentlichen Angelegenheiten mit der Zeit hat, die von St. L. Roth so eingehend und lebendig ge­ schildert wird. Mit dem Wort „Es ist kein Geld unter den Leuten" ist diese Ähnlichkeit aber nur sehr oberflächlich angedeutet. In Wirklichkeit handelt es sich um eine weitgehende Gleichartigkeit der brennenden Probleme der Zeit. Wir wissen, -aß die Zeit um das Jahr 1843 noch durchaus in die langdauernde Depressionsperiode fällt, die ziemlich bald nach Beendigung der napoleonischen Kriege in vielen europäischen Ländern folgte. Auch damals standen Erzeugungsfähigkeit und

Absatzfähigkeit besonders für die gewerblichen Erzeugnisse in einem sehr ungünstigen Verhältnis, weil durch Krieg und Infla­ tion die Kaufkraft der Märkte zerstört war. Auch damals hatten die öffentlichen Schulden ein ungeheueres Maß erreicht und der Ziffernrausch, dem man sich eine Zeitlang hingegeben hatte, hatte manchem den Sinn verwirrt, so daß ähnlich wie heute das Hin­ schleppen von Jnflationssünden ein sehr hervorstechendes Merk­ mal der damaligen Zeit war. Zahlungsmoral und Moral des öffentlichen Lebens von damals weichen von den Gewohnheiten der heutigen Tage nicht sehr ab. Wir würden mit der Sprache der heutigen Wirtschaftswissenschaft den allgemeinen Zustand, der in der Schrift St. L. Roths über den Geldmangel eine sehr anschauliche Beschreibung findet, ge­ meiniglich als Revalorisationskrise oder Deflationsk r i s e bezeichnen, denn die Symptome, die Roth so trefflich auf­ zuzeigen weiß, gehören durchaus zu den bekannten Merkmalen eines solchen Krisenzustandes. Man könnte vielleicht sagen, daß die Veränderung der Struktur des europäischen Wirtschaftslebens, die durch das Fabrikwesen und den immer zügelloseren Wettbewerb herbeigeführt wurde und die sich in den technisch zurückgebliebenen Ländern, zu denen auch Siebenbürgen zählte, notwendigerweise als Depressions­ zustand bemerkbar machen mußte, in der Schrift St. L. Roths nicht genügend Berücksichtigung gefunden habe, aber es wäre von einem Beobachter der damaligen Zeit, dem unterrichtende Mittel wie Statistik und Nachrichten aller Art nur in sehr geringem Matze zur Verfügung standen, zu viel verlangt, wenn man ein genaues Eingehen auf die angedeutete Fragestellung erwartete. Die Schrift über den Geldmangel wollte nicht eine trockene wirtschaftswissenschaftliche Untersuchung oder Darstellung in den engen Grenzen einer lebentötenden Abstraktion sein, sondern wie viele andere Roth'sche Schriften eine Erziehungsschrift, die mit aller Eindringlichkeit und Ehrlichkeit das Weltbild zeich­ net, in dem sie wirken soll. Vielleicht würde man heute im Zeit­ alter der Spezialisierung in einer verhältnismäßig kurzen Schrift nicht so viele Fragen außerordentlicher Bedeutung auf einmal anschneiden, wie St. L. Roth es getan hat, und man würde das Weltbild, dessen Kenntnis in den Grundzügen unbedingt notwen­ dig ist, wenn man sich über Dinge auseinanderzusetzen hat, die als lebendige Glieder zu diesem Weltbild gehören, dürftiger und mit mehr Beschränkungen zeichnen, aber wir müssen St. L. Roth dafür danken, daß er als rechter Bolksführer liebevoll über die rein wirtschaftlichen Fragen hinausgegangen ist und uns mit seiner hohen Geisteskraft ein erschöpfendes Zeitbild gegeben hat, aus dem wir heute noch als Volk unendlich viel lernen können.

St. L. Noth ist den Erscheinungen des sozialen Lebens und der geistigen Haltung seines Volkes mit einem sonnenklaren Verständ­ nis bis auf die Wurzeln nachgegangen, und wenn man ihm dabei folgt, so merkt man sehr bald, wie bei der in die Tiefe gehenden Betrachtung menschlicher und im besonderen völkischer Angelegen­ heiten das Zeitgebundene in weitem Maß schwindet, und daß die auf diesem Wege gewonnenen Erkenntnisse dem Suchenden auch für andere Zeiten und ihre brennenden Fragen manchen guten Schlüssel in die Hand geben. Wenn wir uns heute an viel ein­ geschränktere Fragestellungen gewöhnt haben, als wir sie in dieser Schrift St. L. Roths finden, so müssen wir vor allem bekennen, daß wir heute so vielfältige Fragen von verschiedenen Lebensbereichen zu einem Ganzen verwoben kaum zu meistern imstande sind. Roth wollte seinem Volke eben Lebensführer, nicht etwa nur Wirtschaftsführer sein, und deshalb mag ihm auch in dieser Schrift die erzieherische Absicht im allgemeinen näher gelegen haben, als die Behandlung der theoretischen Fragen der Wirtschaft, be­ sonders des Geldwesens. In der Einleitung sagt er: „Nicht habe ich daher eigentlich die Absicht, die auf dem Titelblatt an­ gegebenen Gegenstände aus dem Gesichtspunkte der Staatsöko­ nomie zu erschöpfen, vielmehr suche ich nach meiner inneren und äußeren Stellung auf den Willen der Zeit einzuwirken." Voraus­ gegangen war diesem Satz das Urteil: „Die Zeit ist krank." Vielleicht würde diese programmatische Erklärung manchen Wirtschaftswissenschaftler von heute veranlassen, dem Werke Roths von vornherein den Charakter einer wissenschaftlichen Schrift abzusprechen. Ein solcher Schluß würde aber dieser Schrift nicht gerecht werden. St. L. Roth ist in seinen Untersuchungen ehrlich, und die Absicht des Geistlichen, die seelischen und mora­ lischen Krankheiten seiner Zeit zu bekämpfen, hat ihm den Blick für die praktischen Wirklichkeiten des Lebens in keiner Weise ge­ trübt. Er hat sich an sein Wort: „In Sünden und Seelenge­ brechen ist die nackte Wahrheit die beste Arznei" gehalten. Seine Schrift verdient auf jeden Fall auch von der Wirtschaftswissen­ schaft zur Kenntnis genommen zu werden, weil er auf dem Ge­ biete des Geldwesens besonders über das Papiergeld manchen Gedanken in sehr klarer Form ausgesprochen hat, der erst später von der Theorie systematisch ausgebaut worden ist. Aus der Dogmengeschichte der Volkswirtschaftslehre ist zwar bekannt, daß die wichtigsten Gedanken über Geldwesen, die Roth in dieser Schrift vertritt, schon vor ihm von anderen erarbeitet worden sind, so daß es sich nicht um Vindizierung von gedank­ lichen Urheberrechten für Roth handeln kann. Aber so viel kann man doch sagen, daß er sich mit den volkswirtschaftlichen Auf­ fassungen, die in den Lehren seiner Zeit vorherrschten, aus-

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Der Geldmangel und die Verarmung

einandergesetzt hat, ohne viel von der Selbständigkeit seines höchst eigenen Urteils einzubüßen. Was der Theologe und Lehrer Roth über sein Rechtsstudium gesagt hat, das mag auch von seinen Studien über das Wirtschaftsleben gelten. („Das Rechtsstudium lief bei mir nur nebenbei, wie das Fohlen neben der Frachtstute, ich gehöre also nicht zur Zunft") Es ist nicht leicht festzustellen, unter wessen Einfluß, genau genommen, St. L. Roth in allen diesen Fragen steht. Er hat nie­ mals einen Schriftsteller dieses Gebietes selber angegeben. In den Fragen des Geldwesens ist Roth Quantitätstheore­ tiker, d. h. Anhänger einer Auffassung, die den Geldwert durch­ aus auf das Mengenverhältnis zwischen Geldumlauf und vorhan­ dener Gütermenge gründet und eine eindeutige mathematische Ab­ hängigkeit des Geldwertes von den Mengen der Güter und des umlaufenden Geldes als gegeben sieht. Diese Theorie lebt auch heute noch, wenn auch mit gewissen Zusätzen und Einschränkun­ gen, obwohl sie begreiflicherweise von mancher Seite auch be­ kämpft wird. Es ließe sich an manchen Stellen gegen die von St. L. Roth angeführten Rechnungsbeispiele und gegen einzelne Schlußfolgerungen aus diesen ein Einwand erheben, doch wäre eine solche Auseinandersetzung über Einzelfragen oder Methoden­ fragen einer schon recht abgezogenen Lehre bei einer Beurteilung dieser Schrift nicht am Platze, weil der Gedankengang im großen, dem man die Zustimmung wohl schwer versagen kann, durch diese Einzelheiten nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Stellen wir die Frage, von wem St. L. Roth in der Rechts­ philosophie beeinflußt war, so werden wir im Satz: „Die Trennung der exekutiven Gewalt von der legislativen ist unumgänglich notwendig vor allem", eine Einstellung finden, die zur Zeit Roths wahrscheinlich schon ein allgemein anerkannter Grundsatz war, letzten Endes aber doch auf Montesquieu zurückgeht. Oft und oft setzt sich Roth in dieser Schrift mit den Gedanken der französischen Revolution auseinander. Er wendet sich gegen den mangelnden historischen Sinn der revolutionären Ideologie und gegen ihre lebensfeindlichen Abstraktionen. Wenn er auch den Begriff des Naturrechtes selber verwendet, so ge­ schieht das nicht im Sinne Rousseaus, sondern mehr in dem Sinne, daß die Idee des Rechtes einen im Wesen unwandelbaren Inhalt habe, den der unter den Menschen wirkende Verwalter -er Rechtsidee bei seinen Entscheidungen, aber auch bei der Weiter­ entwicklung des Rechtes vor Augen halten müsse. Roth hat sich zu dem Gedanken bekannt, daß dem idealen Rechte, d. h. dem Rechte des Sollens, (das sich aus der Rechtsidee ergibt), der Vor­ rang vor dem Rechte des Seins gebührt, aber er verweist den in der Gegenwart waltenden Richter doch immer nach englischem

Muster auf das positive Recht, das im Gesetz und in der beste­ henden Ordnung gegeben ist. Das ideale Recht, das Sollen, ist ihm der Wegweiser für das Vorwärtsschreiten der Rechtsordnung, wobei der Weg von dem gegebenen Zustand ausgehen und immer auf dem festen Boden des bestehenden Rechtsgutes weiterführen soll. Die tief eingewurzelte Achtung vor den historisch erwor­ benen Rechten neben der echten und tiefen Religiosität Roths ist vielleicht der Hauptunterschied zwischen der konservativen Ge­ sinnung Roths und den Denkern und Anhängern der französischen Revolution. Der Staatskanzler Metternich hatte vor dem Beginn der Freiheitskriege gegen Napoleon seine Siegeszuversicht mit dem Hinweis darauf begründet, daß die Verbündeten die Idee der Gesetzmäßigkeit für sich hätten. In der Politik der Heiligen Allianz gehörte die Idee der Gesetzmäßigkeit zur tragenden Ideo­ logie. Sie war also ein durchaus geläufiger Gedanke. Der Grund­ satz der Gesetzmäßigkeit kann aber bei Überspannung nur allzu­ leicht zu einem öden Positivismus führen, der den ideellen Gehalt des positiven Rechtes übersieht, und keine Rechtfertigung der posi­ tiven Satzung aus der Idee des Rechtes sucht. Diese Gefahren der Entartung des positiven Rechtes und be­ sonders der Rechtspflege hat Roth deutlich gesehen und er führt seinen Kampf gegen diese Verfallserscheinung mit sehr scharfen geistigen Waffen und zugleich mit sehr wuchtiger Sprache. Den fatalen Zusammenhang zwischen den Mängeln der Rechtspflege und dem Mangel an Kredit im Wirtschaftsleben hat Roth sehr deutlich herausgearbeitet und dabei bewiesen, wie klar er die Ein­ wirkungen der Zustände des öffentlichen Lebens auf das Wirt­ schaftsleben überblickt hat. Wir finden in der Schrift Roths eine vorbehaltlose Staatsbejahung und eine ehrliche Anerkennung auch der bitteren Staatsnotwendigkeiten. Der Staat wird in seinem höch­ sten Daseinszweck als Träger und Bewahrer des sittlichen Lebens angesehen, und die Kirche erscheint, da sie ebenfalls religiöses und sittliches Leben bewahren und zur Entfaltung bringen soll, als die Trägerin einer im höchsten Sinne staatserhaltenden Funktion. Von der Kirche ist im Zusammenhang mit den Fragen der Geld­ entwertung die Rede, weil Roth den Wunsch ausspricht, der Staat möge der Kirche die durch Geldentwertung entstandenen materiellen Verluste, durch die sie in ihrer Tätigkeit zu sehr gehemmt ist, wieder ersetzen.. Die Begründung dieser Forderung geschieht in würdevoller und zugleich meisterhafter Weise. Man kann aus ihr erkennen, welcher Art die Gedanken Roths über die geistigen und seelischen Fundamente eines gesunden und moralisch hochstehenden staatlichen Lebens waren. Es klingen manchmal Töne an, die erkennen lassen, daß der

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Der Geldmangel und öie Verarmung

Druck des absolutistischen Staates, der von Metternich regiert wurde, auch in Siebenbürgen zu spüren war. Wir finden die Worte: „Bliebe öie öffentliche Presse frei, sie gibt ein wahres Bild des Lebens, der Gesinnung, des Zustandes der Gemüter. Es be­ darf, wenn durch sie die Wahrheit gesagt werden darf, nur des Willens, um alles zu erfahren, was man zu wissen wünscht." Diese Worte zeigen, daß der absolutistische Staat, dessen positiven Seiten St. L. Roth soviel Verständnis entgegenbringt, mit der Unter­ drückung der Meinungsfreiheit einen großen Wunsch Roths un­ erfüllt läßt und daher auch seine Kritik herausfordert. Inhaltlich zerfällt dieses Werk von St. L. Roth in zwei Teile, die schon durch den Titel angesagt sind. Roth hat den ersten Teil mit „Der Gelömangel" überschrieben. In ihm sind vorwiegend Fragen des öffentlichen Lebens oder des Gesamtlebens öer Nation in ihren lebendigen Einrichtungen zur Sprache gekommen. Der zweite Teil heißt: „Die Verarmung", und die Blickrichtung geht darin mehr auf das Verhalten der einzelnen Menschen und auf ihre Beziehungen zueinander. In diesem Teil erscheint Roth als Kämpfer gegen einen Zeitgei st, der den Sinn für Wahrhaftigkeit in der Lebensführung in weitem Maße zu verlieren droht. Es tritt darin das, was St. L. Noth zu den seelischen Gebrechen seiner Zeit zählt, ganz besonders klar hervor. Die Tonart, in der dieses Aufzeigen der zu be­ kämpfenden inneren Krankheiten geschieht, ist weit entfernt von einer Kapuzinerpredigt, sie ist vielmehr ein mit allen Mitteln der Überzeugungskraft verbundenes Werben für bessere Gedanken und Ideen, für die volle Wahrhaftigkeit der Lebenseinstellung und der Lebensordnung. Immer sind die Blicke letzten Endes auf ein Ganzes gerichtet, und zwar auf die Grundlagen eines Volkslebens, von dem St. L. Roth sagt, daß darin vieles von den Gedanken — wenn auch nur in kleinem Kreise — verwirklicht gewesen sei, um die in den größeren Ländern Europas Ströme von Blut geflossen sind. *

Die Druckvorlage zu diesem Werke St. L. Roths ist nicht erhalten. Wohl befindet sich im Nachlaß, aufbewahrt im Brukenthalischen Museum, eine ziemlich umfangreiche Handschrift dieses Werk betreffend, aber weder ist sie vollständig, noch ist es die Druckvorlage, denn der Text dieser Handschrift weicht an un­ zähligen Stellen von dem Text des Erstdruckes ab. Übrigens ent­ hält diese Handschrift mehrere Kapitel in doppelter Fassung, von denen aber doch keine öie Druckvorlage darstellt. Es geht daraus hervor, daß Roth es, wenigstens in diesem Falle, mindestens zu drei verschiedenen Fassungen gebracht hat, bevor er mit seinem Text zufrieden war.

Lehrreich sind in dieser Beziehung allein schon die zahlreichen Fas­ sungen des Titels, welche die erwähnte Handschrift aufbewahrt hat. Sie seien hier zur Kennzeichnung der Roth'schen Arbeitsweise in der vermutlichen Reihenfolge ihrer Entstehung wiedergegeben: Ursachen / Folgen und Heilmittel / der / Verarmung / der / Sie­ benbürger, besonders der Sachsen. / Ein / wohlmeinendes Wort I an / feine Zeitgenossen / vom / Verfasser -er Zünfte und -es Sprachkampfes. Die / Verarmung der Siebenbürgtschen Landesbewohner, / be­ sonders der Sachsen, / tn / ihren Ursachen, Folgen, und Heil­ mitteln. I Ein / Wohlmeinendes Wort / an seine Zeitgenossen, / vom / Verfasser der Zünfte und des Sprachkampfes. Der / Geldmangel und die Verarmung / in / Siebenbürgen, / besonders unter den Sachsen. / Ein wohlmeinendes Wort / über / Ursachen — Folgen und — Heilmittel, / an seine Landsleute und Sprachgenoffen / vom Der / Geldmangel und die Verarmung / tn Siebenbürgen, be­ sonders unter den Sachsen / nach ihren / Ursachen — Folgen und Heilmitteln. / Ein / Wohlmeinendes Wort / an seine Volks- und Zeitgenossen / vom / Verfasser der Zünfte und des Sprachkampfes. Den endgültigen Titel, also den fünften, siehe auf Sette 291. Einen kurzen Vorabdruck der Schrift brachte der „Satellit" des Siebenbürger Wochenblattes, Kronstadt, Druck und Verlag von Joh. Gött, in seinen Folgen 70 (31. Augusts bis 73 aus dem Jahre 1843 „aus dem die nächste Woche erscheinenden Werke: Der Geldmangel." Der Titel des Vorabdruckes lautete: Kurze Schil­ derung voriger Zustände des Volkslebens unter den Sachsen tn Siebenbürgen. Der Erstdruck erschien also 1843 tn Kronstadt, Druck und Verlag von Joh. Gött. Kletnoktav, 112 Setten. Der Zweitdruck erfolgte 1896 im 2. Bande des Obert'schen Werkes „St. L. Roth, Sein Leben und seine Schriften", Verlag von Carl Graeser, Wien. Obert verzichtete dabei auf Wiedergabe der spafftgen Vorrede. In de- vorliegenden Ausgabe handelt es sich um einen dritten voll ständige» Neudruck. Der Text wurde dem Erstdruck des Jahres 1843 entnommen.

Folbrrth, St. 8. Roch. IV.

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Der Geldmangel und

die Verarmung i n

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unter den Sachsen.

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dem Derfasser der Bünftt und d,S Eprachkampfe».

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Kronstadt, 1843. Druck und Verlag von Johann Gott.

Imprimatur. Michael Kaiser, m. p. Diac. Parock. et Censor.

Vorrede, die ihres Gleichen nicht hat, welche aber vom Leser demohngeachtet Überschlagen werden kann, wenn er darauf verzichten will zu erfahren, was darinnen stehet. Drei merkwürdige Dinge kommen hier zum Vorschein, derer zu geschweige«, welche anderswo besprochen werden. I.

Erstlich erfährt der Leser, wie ich zu einem Verleger gekommen — besonders lehrreich für arme Skribenten. Äls ich meinem Verleger das Manuskript zum Kaufe an­ bot, hatte ich bei mir bereits die Rechnung ins Reine ge­ bracht. Wie das Mädchen mit dem Eierkorbe diese in Ge­ danken schon veräußert hat und vom Erlöse eine Herde Hühner anschafft, diese wieder legen läßt, daraus sich eine Ziege, daraus ein Kühchen erzieht, endlich ein Gütchen kauft, und, wenn das Glück günstig ist, mit einem Sitz in einem steirischen Wägelchen schließt, so dachte auch ich, mir selbst überlassen, an eine glänzende Umwechslung meiner bald um­ stehenden Schimmel mit einem Paar herrlicher Edelpferde durch einen günstigen Verkauf dieser Broschüre. Ich stutzte also nicht wenig, da mein Verleger mich versicherte, man könne ein Buch nur dann beurteilen, wenn man es gelesen

habe, und sich es daher zum sogenannten Ansehen auZbat. Während dieser Prüfungszeit hatte ich immer die be­ sondere Furcht als Eis im Busen, ein Fremder, ein Käufer würde mein Erzeugnis schärfer beurteilen, als Freunde zu tun pflegen, die es mit liebenden Augen durchblättern und was dem Werke selbst abgeht, nach der Lehre von der Satisfactio, durch ihre Huld und Güte ersetzen. Nach einiger Zeit machte mir der Verleger das grobe Kompliment, daß er, durch das Büchlein vor unnötigen Ausgaben gewarnt, un­ schlüssig sei, was er zu tun habe. Wiewohl ich beinahe bereuen mußte, so erfolgreich gegen unnötige Ausgaben ins Feld gezogen zu sein, so brachten mich doch eben diese Besorgnisse meines Verlegers zur völli­ gen Überzeugung von der Wirksamkeit, Zweckdienlichkeit und Bortrefflichkeit meintzs Werkchens. Mußte dies nicht in mir die Hoffnung erwecken, meine Warnungen würden auf die Sinnesart anderer Leute einen noch größeren Eindruck machen, da sogar ein deutscher Verleger durch sie zur Un­ schlüssigkeit gebracht worden sei, von denen ja alle Welt weiß, wie besinnungslos sie sich in Gefahr und Schaden stür­ zen. Sollte etwa der Druck unterbleiben, wie es den An­ schein hatte, so würde der jetzigen Welt eine Arznei ent­ zogen, deren sie, meiner Meinung nach, sehr zu bedürfen schien. Leid war es freilich vorzüglich mir um mich selbst. Denn ich vergesse nie in der allgemeinen Liebe, die ich je­ dermann schuldig bin, auch mich darein mit eingeschlossen zu betrachten. Ich sollte also vergeblich so viele Zeit aufge­ wendet haben und nicht einmal einen schönen Dank dafür bekommen? — ich sollte für die Anstrengungen meines armen Kopfes nicht einmal den Nutzen kriegen, den man mit leeren Visiten sich aneignet, welche der ehrenvollste Müßiggang sind. Nur mit Schmerzen dachte ich an die zerkauenen Federn, an die schwarze Dinte und das viele Pa­ pier, von welch Letzterem die Geistlichen ohnehin mehr be-

dürfen als sonstige Skribenten, da sich über unsichtbare Dinge leichter streiten, also auch mehr schreiben läßt, als über sichtbare, wo der Augenschein und die Handgreiflichkeit jedem Disput ein Ende macht. Mußte ich mich nicht selbst verklagen, daß ich, — ich — im Büchlein ein Eiferer gegen jede Verschwendung, doch so unüberlegt, so auf's Gerathewohl gehandelt hatte! Um mir für mein künftiges Schriftstellerleben diese trüb­ seligen Bußübungen nicht verloren gehen zu lassen, faßte ich zwei weise Vorsätze: meine folgenden Werke entweder nur solchen Verlegern anzubieten, die am übel der Zeit leiden oder die Werke zuerst kaufen und dann prüfen. Diesmal kam solche Klugheit freilich zu spät. Für den Augenblick mußte aller Scharfsinn aufgeboten werden, dermalen, wo möglich, den Verleger zu fangen. Der Zweck, sich und an­ dern zu nützen, dachte ich, heiliget die Mittel! Würden sonst Kriege geführt werden, wo Menschenblut fließt, wenn sie nicht die Mittel wären, als letzten Zweck, den goldenen Frie­ den zu erobern? Mit dieser Beschwichtigung meines Gewis­ sens fing ich denn an, den Verleger in Arbeit zu nehmen. Ich begann also auseinander zu setzen, daß es bei ihm Mangel an Unternehmungsgeist verrate, nur solche Artikel zu verlegen, wo kein Risiko fei; ich hielt ihm die Schmach und Schande vor, bloß Kalender zu -rucken; ich malte ihm mit glänzenden Farben die Ehre und dirs Verdienst aus, als Beförderer vaterländischer Literatur gerühmt zu werden; auch führte ich ihm zu Gemüte, daß wir Siebenbürger Deut­ schen als Ableger eines bücherschreibenden Volkes von un­ serer in Zweifel gestellten Nationalität auch hierinnen Be­ weise dafür geben müßten, da ja eine Schöpsennase selbst an einem Karrengaul auf die edle Abkunft aus dem Bethlenischen' Gestüte zurückweise; auch rechnete ich ihm vor, daß 1 Bethlen, ein siebenbürgisch-ungarisches Adelsgeschlecht.

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Der Geldmangel u-nd die Verarmung

er im schlimmsten Falle nur seine eigenen Unkosten tragen werde; endlich erhob ich Stimme und Gedanken und sprach mit rührender Stimme: „Mein Herr, wie ich noch immer hoffe, Verleger! da es viele Beispiele von Exempeln gegeben hat, daß Verleger reich geworden und Schriftsteller dabei arm geblieben sind, zugleich aber auch nicht geleugnet werden kann, daß viele Verleger arm geworden sind, ohne daß Schriftsteller reich geworden wären, so bitte ich in Er­ wägung zu ziehen, daß die Fälle des möglichen Vor­ teiles immer nur auf Seiten der Verleger sich ergeben. Eines möglichen Vorteiles sich aber zu vergewissern, sei dermalen also nichts weiter nötig, denn mir flugs das Honorar zu bezahlen. Nur sei Kauf und Druck schnell abzumachen, ehe die Welt aus der Not eine Tugend mache und bedachtlos ferner keine Bücher kaufe, weil sie kein Geld mehr dazu habe. Nach den bisherigen Erfahrungen der öffentlichen Bußund Besserungsanstalten sei jedoch nicht anzunehmen, es würde dem Publikum die Kauf- und Leselust bevor ver­ gehen, ehe noch das Werk verkauft und gelesen sei, da, nach den Versicherungen der Arzte die Genesung nur nach ein­ genommener Arznei einzutreten pflege, gleichviel ob propter hoc oder post hoc.1 Auch brauche selbst eine so wirksame Arznei, als mein Büchlein enthalte, doch immer einer ge­ wissen Zeit zur Wirksamkeit. Weil nun Seelenkrankheiten ohnehin mehr Zeit brauchten als Leibesgebrechen z. B. die Abnahme eines roten Bartes, so sei alle Wahrscheinlichkeit da und vorhanden, daß er auch nach zehn Jahren noch Zeit genug haben werde, die Nachfrage zu befriedigen. Würde er nur Sorge tragen, das Außere sehr schön auszustatten — der Titel sei schon interessant genug und verspreche seiner­ seits viel mehr, als er leiste — würde überdies der Preis nur zur halben Deckung der Druckkosten berechnet, so dürfte es reißend aufgehen und die Menge des Absatzes im Gro1 Ans ursächlichem oder zeitlichem Grunde.

tzen würde den einzelnen Ausfall -ecken. Hätte er dieses seinerseits getan, so käme seinen Bestrebungen auch die Lese­ welt zu Hilfe. Der Reiz, den jedes unaufgeschnittene Buch auf die Neugierde ausübt — die Affektation im Zimmer auf Betten, Kästen und Kanapees patriotische Broschüren umher liegen zu lassen — die Mode, ungelesene Bücher zu empfehlen und auszuleihen — die Sucht, Bücher zu kaufen, nicht um darnach zu handeln, sondern um darüber wie über angehörte Predigten reden zu können und die für Verlags­ handlungen so heilsame Gewohnheit -er Leute, auch solche Bücher zu kaufen, deren man eigentlich auch gar nicht be­ dürfe ---------- Alles dies werde die Stellagen vom Ver­ lagsartikel leeren und seinen Beutel füllen." Nach Vollendung dieser meiner Rede versank er in Nach­ denken,' denn meine Gründe s. v.1 Überredungen fingen in seinem Gehirn an zu gären wie Sauerteig im Brot­ trog. Noch immer lag sein Finger an seiner Stirne, und ich atmete kaum. Während ich also meinen Mund geschlos­ sen hielt, weil ich auf die Öffnung des seinigen wartete, räusperte er sich. Wie viel günstiger wäre für mich, zu einem verbindlichen Glückwunsch, ein Nieser gewesen. So beobachteten wir ein gegenseitiges Schweigen, ohne dabei ein Wort zu reden. Endlich------ ich spitzte die Ohren, wie ein gejagter Fuchs, der erfahren will, ob die Hunde weit sind — endlich zählte er am Rock und Leibel die Knöpfe, — rief: Topp! und sprach folgendermaßen: „Das Mann­ skript ist mein! die jetzige Welt, hat sie nur Geld, gibt sie es her. Spinnen würden ja verhungern, wenn alle Fliegen klug und vorsichtig wären. Meine frühere Besorgnis, als ob das Merkchen nicht ausgehen würde, finde ich jetzt, nach reiflicherer Überlegung, ohne Grund und Halt. Denn der­ jenige, wer wissen will, ob das Werk des Geldes wert sei, muß es zuvor doch geprüft haben. Welcher es nun prüfen 1 Salva venia, mit Verlaub.

will, muß es zuvor gelesen haben; wer es lesen will, muß cs zuvor kaufen. Bei meiner Ehre aber, wer es einmal ge­ kauft hat, kriegt in seinem Leben von mir das ausgezahlte Geld nicht mehr zurück." So kam der Handel zu Stande und dies ist die merk­ würdige Geschichte, wie mein Buch zu einem Verleger und die Welt zu einem Buche kam. II.

Der zweite Teil beweiset, daß die schlechtesten Vorreden die besten sind, und vice versa* die besten die schlechtesten — ein neuer Vor­ teil für Skribenten, da es den meisten leich­ ter fallen wird, schlechte zu machen. Am liebsten sähen es freilich die Schriftsteller, wenn es nur lobende Kritiken gebe. Hierbei führen sie am besten und auch die Welt. Denn da es nur eine Wahrheit, aber viele Irrtümer gibt, so ist es einleuchtend, daß beim Prüfen die Gefahr zu irren viel größer ist als die Hoffnung die Wahr­ heit zu finden. Zwischen tausend und tausend Nieten ist ja nur eine Zahl, die das große Los gewinnt! Alle übrigen erzeugen lange, d. h. verdrießliche Gesichter. Weswegen es denn auch bis auf den heutigen Tag nicht an Menschen im Staat und in der Kirche gefehlt hat, die, um Fehler in der Beurteilung zu verhüten, die Beurteilungen überhaupt zu verhindern bemüht gewesen sind. Da aber dieses Hingeben an die Autorität oder an die Unfehlbarkeit der Herren Autoren, so zu sagen, einer Berzichtleistung gleich ist auf eigenes Urteil, so ist sehr zu be­ fürchten, als würde dieses Prinzip in diesem denklustigen Zeitalter noch weniger Eingang finden als früher und höch­ stens bei denjenigen Klassen Wurzel in der Überzeugung 1 Umgekehrt.

schlagen, die an den Vorteilen dieses blinden Glaubens ihren Anteil, als Aktionäre, gleichfalls haben. Einstweilen, bis die Welt zu dieser Überzeugung gebracht wird, bleibe auch ich der Gefahr ausgesetzt, getadelt zu werden. Schade, daß der Staat und die Kirche die Zensur nur für sich in Anspruch nimmt und nicht lieber, in gemeinnützigerer Ausdehnung, auch die Schriftsteller insgesamt unter den Schild der Un­ antastbarkeit oder Unfehlbarkeit stellt. Denn, wo der Tadel, wenn auch noch so wahr und begründet, verboten ist, bleibt allein das Schweigen oder Loben übrig, und das, was alle Autokratie und Bureaukratie, zu denen auch die Schriftsteller gehören, am liebsten hören und allein geschehen lassen wol­ len. Wie aber die Sachen jetzt noch stehen, ist an Prohibi­ tionsmaßregeln zur Unterdrückung des Tadels nicht zu den­ ken. Es bleibt also den Schriftstellern nichts anderes übrig, als sich entweder mit den Ansichten und Maximen der Macht und der Autorität zu identifizieren oder aber an die Men­ schenfreundlichkeit und Großmut der Kritiker zu appellieren, um auf sothane Art den aufgelegten Pfeil von -er Sehne zu nehmen. Es mögen also die Kritiker bedenken e r st l i ch, daß Tadeln leichter ist als Bessermachen,z w e i t e n s, daß Tadel weniger zum Dank verpflichtet als Lob,drittens, daß ein gelobter Schriftsteller den lobenden Kritiker um so mehr lobt, je weniger beide das Lob verdienen,viertens, daß, da jeder Tadel eigentlich nur die Besse­ rung zum Zwecke haben kann, bei einem bereits ge­ druckten Werte die Besserung nicht mehr möglich ist; fünf t e n s, daß Schriftsteller die Sache so gut machen als es ihnen nur möglich ist. Der Tadel trifft also den guten Willen, der doch immer zu loben ist — ansonst zu gefahren steht, er würde noch seltener in der Welt werden, wie er bereits schon ist usw. usw.

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Der Gel-mangel und die Verarmung

Diese Schutz- und Schirmworte gelten aber nicht der Vor­ rede, sondern allein dem Werke. Die Vorrede selbst geb' ich Preis,' an ihr mag der Kritiker sein Zähnejucken befriedigen, wie er Lieb und Lust hat. Meine Absicht ist nur das Werk selbst mit heiler Haut öurchzubringen. Nota bene, mit dieser Vorrede hat es seine eigene Bewandtnis. Wie bekannt sind Vorreden Speisezettel in der Hand eines mundfertigen Kellners, der die Speisen, die da kommen sollen, so eigentümlich zu schildern, zu rühmen und zu preisen versteht, daß den Eintretenden, ist ihnen sonst nur der Magen nicht verdorben, bei dieser Beschreibung und Ver­ zögerung des Auftischens, der Mund voll Wasser läuft. Der .Schalk weiß wohl, daß seine Speisen nicht die besten von der Welt sind, sucht daher durch Verzögerung den Appetit so zu steigern, daß der gewachsene Hunger der Gäste zum natür­ lichen und unfreiwilligen Lobredner des Koches in der Küche wird. Tritt man z. B. um 11 Uhr ein und der Kellner hält einen bis 1 Uhr auf, so wäre man zwar geneigt, denselben Kellner beim Kragen zu nehmen und aus dem Zimmer zu werfen — mittlerweile steigt aber der Hunger von Minute zu Minute, und so wird seine Vorrede zu den Tischgerichten die geeignetste Captatio benevolentiae.1 Also ist auch diese Vorrede eine bare Verzichtleistung auf sich selbst und ein freiwilliges Opfer zu Gunsten des folgenden Merkchens. Sie will mißfallen, damit desto mehr das Merkchen selber ge­ falle. Hier hast du, wohlgeneigter und wie ich hoffen darf, hiedurch auch hinlänglich hungriggemachter Leser, nicht nur darüber den Aufschluß, warum diese Vorrede so und nicht anders gestaltet worden sei, sondern zugleich auch die Mit­ teilung eines großen schriftstellerischen Geheimnisses, wie man überhaupt durch schlechte Vorreden einem mittelmäßigen Werke hilf- und hoffnungsreich unter die Arme greifen 1 Haschen nach Wohlwollen.

könne. Oder erweckt, lieber Leser, die Langweile dieser Vorrede nicht schon den heftigen Wunsch in dir, sie möchte bald zu Ende gehen, oder, was im Grunde eins ist, es sollte doch einmal nun auch das Merkchen selbst beginnen! Weil aber schlechte Vorreden, auf diese Art, so gute Früchte tragen, können sie ohnmöglich schlechte sein, sondern müssen eben dieserwegen für gute erklärt werden. Daß aber dieses Kunststück die beabsichtigte Wirkung habe, lehrt nicht nur a priori1 die Theorie, von der geheimnisvollen Wunderkraft des Kontrastes, sondern es beweist es auch a posteriori3 die Praxis der Erfahrung. Der Maler hebet durch den Schatten das Licht,- — die zweite Frau eines Mannes, d. h. diejenige, die er nach seiner ersten heiratet, ist sie nur halbwegs gut, wenn jene grundschlecht war, bringt sie ihn durch Ver­ gleichung zum Entzücken,- — Köche, die ihre Kunst verstehen, lassen auf saure Speisen süße und auf die süßen saure folgen, weil sie wohl wissen, daß der gefoppten Zunge hierdurch das Süße noch süßer schmeckt,- ja, durch vorangegangenes Regen­ wetter wird der Sonnenschein erst zum wahren Freudenschein, so wie der Mai erst durch den launenhaften April zum eigentlichen Wonnemond wird,- — oder habe ich nicht an Frauen die Gewohnheit bemerkt, am liebsten solche Ge­ sellschafterinnen sich zu wählen, die minder schön' als sie sind, und aus bemerktem Vorteil, den unser Abstand ihnen gewährt, deshalb sie ihre liebsten Freundinnen zu nen­ nen pflegen.-----------Diese Vorteilhaftigkeit des Kontrastes, von Theorie und Praxis gleich empfohlen, habe ich nun durch 1 Im voraus. * Im nachhinein. 3 Daß eilt Frauenzimmer, weil zum schönen Geschlechte ge­ hörig, nie häßlich sein könne, versteht sich von selbst, und wird hier nur deswegen erwähnt, um meinerseits nicht zum häßlichen gezählt zu werden. Anm. Roths.

diese Vorrede dem nachfolgenden Merkchen zu Gunsten kom­ men lassen wollen. Hätte nur -er Leser seinerseits Geduld genug, die ganze Vorrede hinzunehmen, so dürfte er leicht ein Verlangen nach einer anderen Speise bekommen. Noch eins! durch solche Vorteile aufmerksam gemacht, wird es -er Welt sobald an guten Werken nicht fehlen, da Vor­ reden schlecht zu schreiben ein Kinderspiel ist. Quod erat de­ monstrandum.*1 III.

Hierinnen erfährt der Leser im voraus, was er sonst nur nach Durchlesung des ganzen Werkeswissenwürde — ichmeinedenJnhalt. Theaterzettel und Büchertitel gleichen sich gemeiniglich, teils darinnen, daß sie viel versprechen und wenig halten, teils aber auch darinnen, -aß sie, List gebrauchend, solche Namen wählen, aus denen niemand klug wird, wo man also einen nicht beim Worte nehmen kann. So ist es letzthin meinen „Landwirtschaftlichen Wohlmeiu u n g e tt" gegangen, die in die Unbestimmtheit von W ü nschen und Ratschlägen1 geraten sind, wozu ich aber meine Einwilligung gegeben habe, weil Väter ein ge­ ringeres Recht auf die Namenserteilung haben als Mütter, weil sie solche mit Fleisch und Bein bekleiden, unter großem Druck zur Welt bringen und für ihre nächste Unterkunft zu sorgen haben. Zeitschriften bekommen noch in der Broschiirung von ihnen das erste Kleid. Während also ein Komö­ dienzettel mit seinem doppelgängerischen Namen in uns oft die unrichtigsten Vorstellungen von der Vorstellung macht, und während das Belieben der Schriftsteller oft solche Titel wählt, die zum Werke passen, wie die berüchtigte Ableitung 1 Was eben zu beweisen war. 1 S. S. 173 und 207.

des lucus von non lucendo;1 gefällt mir besser das offene lebendige, wenn auch possierliche Wesen eines Bajazzo, der vom Pferde herunter dem kometenschwanzähnlichen Buben­ trosse die Mirakel und Spektakel seiner Kunstreitergescllschaft vorerzählt oder vormacht oder in schönen Bildern die Gestalten vorzeigt, die Mensch und Vieh grausenerregend darstellen sollen. Diese Posse paßt darum so gut zum salto mortale, folglich auch meine Vorrede zum Werk, weil sie das menschliche Herz mit der Grausenhaftigkeit des Wagnisses versöhnt, das, ohne Beisatz von Scherz, nur der Angst allein im Busen des Zuhörers Raum ließe. Darum nehmen sich auch diese Scherze in der Vorrede so gut aus vor dem nach­ folgenden Ernste im Werke selbst. Sie sind schöne lachende Blumen, die ein bittersüßer Schmerz auf die Leichenhügel einer gewissen sächsischen Vergangenheit streut. Die Hoff­ nung ist ja Leben, hat aber das Leben noch Hoffnung? Wie nun ich und alle Leute am liebsten gradaus gehen, d. h. wenn der Umweg nicht der nähere oder bessere ist, — so ist es wohl nun Zeit auf den Inhalt loszugehen, der den -ritten Teil ausmachen soll. Ist es gleich nun richtig, -aß unter dem Inhalt eines Buches das zu verstehen sei, was im Buche enthalten ist; so ist das doch nicht also zu ver­ stehen, wie manchmal gemächliche oder böswillige Rezen­ senten zu tun pflegen, die die Jnhaltsanzeige mit dem das Buch selbst bildenden Inhalte verwechseln. Um also der Mißdeutung zu entgehen, erkläre ich denn im voraus, -atz ich unter dem dermaligen Inhalte nicht das ganze Faß Wein verstehe, das feil geboten wird, sondern nur ein Glas Wein, das zur Kost aus dem ganzen Faß herausgezogen wird. Also------wie der Titel besagt, handelt das Werk vom Geld­ mangel und der Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter uns Sachsen. Der Geldmangel wir- also erklärt. 1 Einen Begriff nach seinem Gegenteil benennen: als ob man l. B. lucus — der Wald, von lucere — hell sein ableiten wollte.

daß das Geld nun ebenso selten sei, wie es früher häufig war. Im zweiten Teile, der von der Verarmung han­ delt, erscheint unsere Wirtschaftsart als ein Mehlkasten, aus dem -er Backofen tagtäglich mehr herausnimmt, als die Mahlmühle hineintut, so -aß die Zeit nicht mehr ferne zu sein scheint, wo man des ganzen Mehlkastens auch entbehren könnte, wenn nur anders das Nimmersatte Lebensbedürfnis seine Exekutionen einstellen wollte. Wir scheinen uns auf eine große bevorstehende Nationalfast, zu guter Letzt, in un­ serem jetzigen Treiben, noch einmal an künftig versagten Fleischspeisen über und übersättigen zu wollen. Mitten auf diese reichbeladenen, unter der Last von Genüssen sich beu­ gende Tafeln setze ich denn, als erster Fastenkoch, meine dermalige Wassersuppe. Erinnerungen an bessere Tage sind als Fettaugen aufgetröpfelt und geschichtliche Rückblicke wollen als eingemachte Gurken dienen, über diese wenigen Worte des Titels „Geldmangel und Verarmung" — be­ denke, es sind nur zwei, hat der Verfasser, wie über zwei Knödel, eine lange Brühe gemacht, zur unumstößlichen Be­ weisführung für das aufgegebene alte Sprüchwort: „Mit Vielem hält man Haus, mit Wenigem kömmt man aus." Nach dem ersteren Teile dieses Sprüchwortes hat nun unser ausgeartetes Völkchen circtter 40 Jahre ge­ lebt — will es ferner leben, hat es wenigstens die nächsten 40 Jahre nach dem zweiten Teile zu leben. Denn die Fa­ milien, die ehemals viel hatten, sind auf w e n i g e s heravgekommen, und die vor 40 Jahren weniges hatten, haben nun gar nichts. Bald sind die Leute dahin gelangt, keine Sorgen mehr zu haben; ihre emsigen Bemühungen aus etwas nichts zu machen, krönt bald ein so vollständiger Er­ folg, daß wie man auch den Hahn an der Faßpipe dreht und wendet, bald kein Tropfen mehr kommt. Das Faß selbst ist von Jahr zu Jahr gehoben worden. Doch^ noch ist bei allem nicht alles verloren; noch lebt der Volksbaum in seiner

Wurzelspitze, in der noch nicht ganz erloschenen Genügsam­ keit des Landmannes und in seinem teilweise noch vorhan­ denen Grundbesitz — auch noch in der Ehrenhaftigkeit und dem Erwerbsinn und der in -er Enthaltungskraft be­ dungenen Erhaltungskraft mancher Bürgerfamilien — während die eigentlichen Blüten, Frucht- und Ehrenreiser an der Astkrone und die höchsten Spitzen nur von einem Tag zum andern leben. Währen- also in unserem Volke die zwei Wirtschafts­ arten tätig sind, die eine, um aus etwas nichts, die andere, um aus nichts etwas zu machen — liegen, sozusagen, alle unsere Genossen in zwei Lägern sich gegenüber, und jeder von uns dienet entweder unter der Fahne der Enthaltsamkeit und Berechnung oder unter der Fahne der Sorglosig­ keit und Verschwendung. Lieber Leser! Unter welcher Fahne ich mein Volk gern sähe, wüßte ich,' wo du stehest, weiß ich nicht,' vielleicht hast du auch selber nach deren Inschrift nicht gesehen. Schau hinauf! — schau rückwärts — vorwärts! — schau um und um! Es ist Pflicht, zu wissen, wem man dienet. Bleibe dann, oder werd' ein Überläufer. Beides kann ehrlich sein. Meinst du es gut mit dir, mit deinen Kindern und mit deinem, mehr von innen noch als von außen hartbedrängten Volke wohl und redlich, so wüßte ich schon, wo ich dich zu suchen und zu finden hätte. Daß du sächsisch sprichst, macht dich noch zu keinem Sachsen,' du bist, ohne deinen Teil an der Bestimmung und Bedeutung unseres Postens zu haben, ein, verzeihe mir, sächsischredender Niemand. Begreifst du die Aufgabe deines Volkes, ein Licht zu seiii, zu erleuchten die Heiden, daß die Völker ein groß Licht sehen! Schlage das Buch zu, für dich ists nicht geschrieben. Denn der Ge­ sunde bedarf des Arztes nicht. Der Geist wird dich frei machen. Gehörest du aber zu den Gedankenlosen, die ihr Vermögen immer nur als i h r Vermögen und nie als N aKott>crt&, ®t. L. Roth. IV.

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tionalvermögen betrachten, o nimm und lies mich, ich bitte dich, und beherzige, was ich schrieb, und denke hirtzu, was ich nicht schrieb. Sieh, wohin das Volksschifflein führt, wie die See hoch geht, wie die Feinde mit dem Enter­ haken nahen! Geld- und Habverachtung ist ein Aderlaß vor dem Kampfe, deine Lebensart der Schlaf in einem lecken Schiffe, während alle Kräfte an die Pumpen gehören. Der allgemeine Inhalt wäre denn hiermit als Speise­ zettel vorgelegt — die einzelnen Schüsseln bezeichnen die Überschriften. Wer mehr wissen will, darf den Versuch nicht scheuen das Büchlein selbst zu durchlesen, wobei es ihm leicht begegnen kann, zu erfahren, was darin stehet,- es sei denn er lese in Zerstreutheit, welche das Gegenteil von der Auf­ merksamkeit zu sein pfleget. Da dieser Teil der letzte ist, so ist keiner mehr zu erwarten. So trage ich denn als Kellner nun die Speisen auf. Herbei, Ihr Herren, wenn Verzögerung die Eßlust weckt, so wird sie hier nicht fehlen. Also: Gott gesegne es! und damit Punktum. D e r V e r s a s s e r.

Einleitung Aie vielfachen Bestrebungen für leibliche Wohl­ fahrt, welche in neuerer Zeit Köpfe und Federn in Be­ wegung setzten, haben wohl meistens ihre Quelle in dem Gefühle -rückender Verarmung und des peinlichen Geldmangels. Diese zwei Quellen, wo sie zusammen­ fließen, erzeugen die Vermögenslosigkeit. Der Geldmangel liegt außer uns, in von uns unabhän­ gigen Umständen, in der Notwendigkeit der Weltverhältnisse,' die Verarmung in uns, in den Fehlern unserer Lebens­ art, auf dem freien Gebiete unseres Willens. Der Geld­ abschlag, als ein unfreiwilliges Nehmen, verminderte die Geldmassa, er erzeugte den Geldmangel; von unserer unersättlichen G e n u ß s u ch t, als einem freiwilligen Geben, ging die Verarmung aus. Nimmt man als Ursache des Geld­ mangels den Geldabschlag und als Ursache unserer Ver­ armung die Genußsucht an, so erklären sie hinlänglich die Klagen über schlechte Zeiten und öffnen manchem die Augen über Zeiterscheinungen und Gestaltungen von Le­ bensverhältnissen, die nicht zu den angenehmsten und er­ götzlichsten gehören. Da gegen den Geldmangel zu eifern eine Torheit wäre, weil vergangene Zeiten unverbesserlich sind, darum wird es für klüger erachtet, statt Beschwerden über was zu führen, was nicht mehr zu ändern ist, lieber gegen die Verarmung die Lanze einzulegen, wo zwar vieles, aber -och noch nicht alles vollzogen und vorüber ist. Ein armes Volk ist unbedingt nicht zu beklagen — ein

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Der Geldmangel und die Verarmung

reiches unbedingt nicht glücklich zu preisen. Die Zufrieden­ heit, als höchstes Glück auf Erden, liegt weder in noch außer dem Beutel, sondern in der Lebensansicht, in der Gesinnung, die ein Volk in sich trägt. Denn die Genügsamkeit er­ setzt der Armut den Mangel,' Begehrlichkeit entziehet dem Reichtum den Genuß des Vorhandenen. Glücklich ist der, wer soviel hat, als er bedarf,' doch weise ist der, wer nur soviel bedarf, als er hat. Natürliche Bedürfnisse zu stillen, braucht der Mensch unglaublich wenig,' unglaub­ lich viel, wer k ü n st l i ch e n sich hingibt. Die jetzige Ver­ armung fühlt sich nur darum so unleidlich, weil wir, bei verminderten Mitteln, vermehrte Bedürfnisse befriedigen wollen und — nicht mehr können. Millionäre an Gelüsten — Schlucker an Mitteln! Diese unersättliche Genußsucht einerseits und die karge Kost, welche uns unsere Mittel dar­ reichen, andererseits — erzeugen die allgemeine Mißstim­ mung, die üble Laune der Völker, den Unmut der Menschen. Unsere grenzenlosen Wünsche alle zu erfüllen, reichen könig­ liche Schatzkammern nicht hin. Denn wenn uns auch ein König zu Erben einsetzte — was würde es, wie lange würde es uns helfen? Denn mit den Mitteln der Befriedigung wächset die Begierde nach Vermehrung, nach Verfeinerung der Genüsse. Die Zeit ist krank! Da gibt es nur eine Arznei. Nicht Entdeckung von Goldquellen, Auffinden vergrabener Schätze, nicht Gewinste des großen Loses — sondern die Kraft, zu entbehren — der Wille, sich etwas zu versagen — der Vorsatz, sich einzuschränken, die innere Erhebung: frei­ lich eine Vernichtung für den, dem Leben und Genuß gleich gilt, aber eine Auferstehung für den, dem das Leben ohne Pflicht der Tod ist. An dieser Einsicht fehlt es nur wenigen Köpfen,' denn von dem Apfel des Baumes -er Erkenntnis des Guten und Bösen haben wir, wenigstens wir Männer, alle gebissen. Nur das Beispiel und die Gewohn­ heit zwingen unseren sich sträubenden Kopf mit dem Nacken

in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen

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ins Joch- sie schlagen den freien Menschen in Fesseln. Unser armer Wille steht zwischen der guten Erkenntnis und der schlechten Gewohnheit in der Mitte. Wir könnten der guten Erkenntnis folgen — aber Beispiel und Gewohnheit sind die st ä r k e r e Kraft. Daher hassen wir das Böse und — tun eg; das Gute lieben wir und — unterlassen es. Ist nun das die Aufgabe des Seelenarztes, den Willen dahin zu brin­ gen, daß er sich für die bessere Erkenntnis entscheide, so muß er dem Drucke und Zuge -es Beispiels und der Ge­ wohnheit in der einen Schale als Gegengewicht in die an­ dere Wagschale größere Leidenschaften hineinlegen. Nicht habe ich daher eigentlich die Absicht, die auf dem Titelblatte angegebenen Gegenstände aus dem Gesichtspunkte -er Staatsökonomie zu erschöpfen, vielmehr suche ich nach meiner inneren und äußeren Stellung auf den Willen -erZeit einzuwirken. Ich will durch Rührung, Scham, Furcht und Hoffnung, der besseren Erkenntnis, der Erkenntnis des Sollens Hilfe zuführen, ihrer gehobenen Schale hie­ durch so lange Gewichte zulegen, bis Beispiel und Gewohn­ heit hinaufgehen und der Wille, von innen bestimmt, also durch sich, im Kampfe gegen Beispiel und Gewohnheit die Oberhand erhalten kann. Wer sich -er Zeit entgegenstellt, hat zwar ein Großes im Sinne, ich bin aber nicht allein — Tausende denken wie ich; will's Gott, so soll's gelingen. Ströme können zwar durch Aufstauung nicht genötigt wer­ den, rückwärts und bergauf zu fließen — aber Menschen, und sei es eine ganze Völkerschaft, können, sobald sie wollen, die entgegengesetzte Bahn einschlagen, können steigen und sich erheben, sich selbst besiegen und Sieger sein. Dieses Geschäft -er Seelenerlösung aus dem Dienste der Welt, der Sünde und -es Teufels ist ja Beruf und Aufgabe des geistlichen Standes. Wie, wo und wann er's tut — er ist auf seinem Posten! Der Mittel gibt's verschiedene — das Ziel ist eins.

Erste Abteilung

Der Geldmangel Allgemeines Äöenn man in Siebenbürgen über Geldmangel klagt, darf man, um gerecht zu sein, nicht, wie gewöhnlich geschieht, alle Schuld auf den Luxus werfen. Dieser hat zwar vor­ züglich den Geldern eine Strömung nach außen gegeben, reicht jedoch, als einzige Ursache angenommen, nicht hin, den Geldmangel zu erklären. Auf die Verminderung des Geldes hat der Geldabschlag vom 20. Hornung oder 13. März 1811 einen nicht minder entscheidenden Einfluß gehabt. Die spätere Einhebung der Steuer in Silbergeld ist von sehr ge­ ringer Einwirkung auf die Erzeugung -es Geldmangels ge­ wesen, da von der Steuer, wie hoch oder niedrig sie immer­ hin sei, nichts oder Unbedeutendes auswandern soll, wie achtbare Stimmen öffentlich geäußert haben, über Steuern ist zu allen Zeiten und an allen Orten Klage geführt wor­ den. Der Mensch, wie er ist, nimmt zehnmal lieber, als er einmal gibt. Bleibet die Steuer nur im Lande, so ists in bezug auf Geld alles eins, ob viel oder wenig gegeben wird. In solchem Falle entsteht Geldmangel daraus gewiß nicht. Die Abgabe -er Steuer ist nur eine Wanderung des Geldes aus einer Tasche in eine andere,' bleibt das Geld nur in einer Siebenbürger Tasche, so ist es gleich, in dieser oder jener. Eine zehnfach stärkere Steuer erzeugt dadurch noch

keinen Geldmangel. Ein Teil der Siebenbürger, nämlich -er steuerzahlende, kann zwar dadurch ärmer werden, aber Sie­ benbürgen, der Inbegriff aller Einwohner, nicht. Inwie­ weit nun die Sachsen einen unverhältnismäßigen Teil an der Landessteuer tragen, wird sich zwar eben hiedurch unter ihnen ein größerer Geldmangel zeigen als unter den Be­ wohnern der anderen Landesteile und unter den nichtbesteuerten Leuten — aber die Einhebung der Steuer in Sil­ bergeld, bleibt sie nur, wie Unterrichtetseinkönnende sagen, im Lande, so vermindert dies die Geldmasse im Lande nicht, oder sie verschuldet den Geldmangel des Landes nicht. Gehen nun gleich für uns Sachsen Geldabschlag und Sil­ bersteuer Hand in Hand, so mutz ich doch darauf verzichten, beide unseren Blicken vorzuführen. Ich verzichte auf eine jede weitere Betrachtung und Beurteilung der Silbersteuer auf uns Sachsen, da ich jede Mißdeutung zu vermeiden habe und mir viel daran gelegen ist, das Notwendige als Not­ wendigkeit erkannt und als Notwendigkeit getragen zu sehen. Brächte ich daher zur Sprache, daß die unverhältnis­ mäßige Steuerquota, welche den Sachsen aufgebürdet ist, für sie eine fortfließende Ursache eines unter ihnen immer sich vergrößernden Geldmangels wäre, so könnte eine solche Be­ trachtung nur die Unwilligkeit steigern, sie ferner zu tragen, ohne daß ihnen in der Sache selbst ein Heller abgenommen würde. Steuern zu regulieren, ist Sache des Landtages und der gemeinsamen, zwischen Land und Fürst geteilten Gesetz­ gebung. Heil uns, daß dieser Gegenstand nicht auf den Markalkongregationen,' sondern auf dem Landtag entschie­ den wird, wo des Adels Blüte, an Weisheit und Humanität immer reicher, darein zu reden hat, welcher wohl weiß, daß Staatszwecke Staatsmittel erheischen und das Geben die Be­ dingung des Nehmens ist, eine Ernte aber ohne Saat nicht 1 Komitatsversammlungen.

sein kann. Bliebe aber auch dasselbe Quantum uns Sach­ sen zugeteilet, was wir jetzt tragen — darob würde ich einer nicht murren — wenn nur die a n d e r e n Landesbewohner zu einer gleichmäßigeren Steuerlast verhalten würden. Ohnstreitig wäre das für dies ganze Land eine nützliche Vermehrung der Staatsmittel, deren Verwendung zum a l lgem einen Landeswohle — auch uns zugute käme. Eine Besteuerung aller Landesbewohner liegt als Anspruch einer Pflicht an jeden, der sich zum Landeskinde zählet: eine gleich­ artige, der sächsischen Kontribution gleichmäßige Besteue­ rung ist eine Forderung der Gerechtigkeit, deren Stimme wohl überhört, aber nicht unterdrückt werden kann. Eine Erhöhung -er Landessteuer der Nichtsachsen kommt aber uns nicht nur als Lan-esbewohnern überhaupt, sondern auch als Sachsen insbesondere zugute, da wir dermalen als die höchst­ besteuerten in Fruchtpreisen und sonstigen Erzeugnissen mit den anderen Landesbewohnern schwerer konkurrieren kön­ nen, die keine oder eine geringere tragen, als es dann -er Fall sein wird, wenn wir mit den anderen unter gleichen Bedingungen arbeiten, kaufen und verkaufen. Weil ich aber einmal -es Geldabschlags und -er Silber­ steuer zusammen erwähnet habe, so kann ich nicht umhin, über beide noch nur dieses Wenige zu sagen. Mit dem Geld­ abschlag rettete sich Österreich als Staat das Lebens durch die Silbersteuer sicherte sich -er gerettete Staat die Entfal­ tung seines inneren Lebens. Reuet uns doch im gemeinen Leben das Geld nicht, das wir dem Arzt zahlen, wenn er uns ein wertes Haupt am Leben erhielt — wie sollte uns die Summe reuen, durch die Österreich seine Existenz im Kampfe mit der französischen Revolution bewahrte? — Der Geldabschlag war nur eine natürliche Folge der vorausgegan­ genen ungeheueren und unvermeidlichen Kriegsunkosten. Wie dieses nur nach und nach gekommen und geworden, ist uns Lebenden zwar noch allen erinnerlich, und wir Sieben-

bürger, von der Kriegsfackel unberäuchert und unverbrannt, können Gott nicht genug danken, -aß unser Land noch so leichten Kaufes in diesem großen und allgemeinen Kriege, von feindlichen Scharen unbesucht, davongekommen ist. Unverständige Leute zerbrechen sich unnötig die Köpfe mit allerhand Mutmaßungen, wohin sich wohl das liebe Geld verkröche,- oft ist es lächerlich, noch öfter ärgerlich, anhören zu müssen, was man nicht alles ersinnen kann, um sich den fühlbaren Geldmangel zu erklären. Will mich -er geneigte Leser auf dem Wege der Entdeckung, wenn auch nur als Notstecken gebrauchen, so hoffe ich auf dem natürlichen Wege der Geschichte zur Erklärung des Geldmangels zu gelangen, ohne zu Hypothesen oder zu Verdächtigungen unsere Zu­ flucht nehmen zu müssen. Hiebei wir- es nötig sein, einige wenige Betrachtungen über die Entstehung und Natur des Papiergeldes anzustellen; dann wollen wir einige Rücksicht auf dessen Einwirkung auf Kredit und Rechtspflege nehmen und endlich den Einfluß dieser Zeiterscheinung auf Huma­ nität in wenigen, aber naturtreuen Umrissen schildern. Papiergeld Als am Schlüsse des vorigen Jahrhunderts der römische Kaiser Franz der Zweite mit dem wühlerischen Frankreich zu ringen begann, kam die schon unter der glorreichen Kaiserin Maria Theresia begonnene Maßregel, Papiergeld in Umlauf zu setzen, zu einer weiteren Ausdehnung. Der Glaube oder Kredit in die Gewährleistung der Wiener Stadtbankozettel war so grenzenlos, daß man anfangs, um nur davon zu bekommen, noch Aufgeld zahlte. Das neue Geld wußte sich durch leichtes Gewicht und geringen Um­ fang, in den es zusammengelegt werden konnte, so einzu­ schmeicheln, daß ohne Zwangsmaßregeln, wie durch Tröd-

lerei und Zauberkünste, Zwanziger, Thaler und Dukaten verschwanden und unversehens nur Papiergeld allein zu se­ hen war. Die Geldsäcke und Geldbeutel kamen außer Brauch,' die Zeit ward Mutter der Brieftaschen. Ganz natürlich! Denn man konnte ein ungeheueres Geld in einem engen Raume meilenweit und unbemerkt tragen, ohne weder zu schwitzen, noch von der Geldkatze an den Hüften wund ge­ rieben zu werden. Woher rührte aber die Überschwemmung des Papiergeldes? — Es bewirkte dessen große Vermehrung nicht etwa die Mei­ nung von den Vorzügen des Papiergeldes oder irgendein Vorteil oder Nachteil einer Finanzoperation, sondern — die Not. Denn der Kampf mit den roten Mützen am Rhein, denen man sie mit etlichen Pfund Pulvers von den Köpfen wegzublasen vermeint hatte — zog sich in die Länge. Ward auch eine Strecke von den Ohnehosen gesäubert, so strömte aus dem Innern des Landes eine neue Schar hervor und stellte sich todverachtend den legitimen Donnerschlünden ent­ gegen. Dieser herkulische Kampf mit dem Drachen, der in Aufregung begonnen und in möglichster Erbitterung geführt wurde, kostete Österreich Millionen. Kaiser Franz II., der zum letzten Male die Krone Roms auf seinem Haupte trug, tat für das römische Reich sein Äußerstes — aber die Glie­ der dieses Reiches versäumten desto mehr und häufiger ihre Pflicht. Die Reichsarmee erschien gewöhnlich zu spät im Feld und lief zu bald auseinander. Am Reichskörper war nur der Kopf gesund und seines Willens Herr und Meister. Daher trug diese ungeheueren Kosten Österreich beinahe allein — das Erzherzogtum fürs Kaisertum! Nur selten gelang es, auf Feindeskosten zu leben, auch scheute man sich, etwa dadurch die Erbitterung in der feindlichen Bevölkerung zu steigern,' im Lande der Freunde und Verbündeten ward natürlich jedes Ei bezahlt. Österreichisches Papiergeld galt in der Fremde nichts — man lösete also zu Hause Silber

und Gold damit ein und bezahlte mit dem heimischen Edel­ metalle die Bedürfnisse der entfernten Armee. Endlich schien für die Sühne der Anverwandtschaft, für Rächung des Königsmordes Blut genug geflossen zu sein. Die Hände waren müde- man hätte die Schwerter gerne in die Scheide gesteckt, wenn nicht von Franzosen über Staat und Thron­ recht solche Grundsätze auf die Bahn gebracht worden wären, die man, wenn wicht anders, mitsamt den Köpfen, die sie ausgeheckt, vertilgen zu müssen glaubte. Dieser Kampf um Grundsätze (Prinzipien) hatte neue Wechselfälle — endlich war- er zu einer Lebensfrage, zur bedenklichen Entscheidung iiber Hamlets Worte: Sein oder Nichtsein! Diesemnach be­ friedigte die erste Auflage der Bankozettel die großen Be­ dürfnisse nicht. Es mutzten also diese langen oder vom Volke sogenannten schwarzen Zettel wieder und wieder vermehrt werden, nicht sowohl nach der Zahlfähigkeit als nach dem Drang der Umstände und Notwendigkeit. Hat die Mär das Volk etwa erfunden oder ist es sonst Tatsache, genug, die Leute erzählen sich: Napoleon habe bei seinen zweimaligen Besuchen Wiens — Bankozettel fuderweise machen lassen. Gab dieser Mann sich etwa zur Falschmünzerei einmal her, so ist kein Zweifel, er werde auch dies, wie alles, was er ergriff, ins Große getrieben haben. Sei nun dem, wie ihm wolle — es gab Papier die Hülle und Fülle. Papiergeld ist aber bloßes Tauschmittel, ohne Wert an sich, es hat nur einen ihm beigelegten Preis, inwieweit die öffentliche Meinung, der Kredit, ihm einen solchen beilegt. Nur insoweit dieser Kredit dem Papier einen Wert beilegt, hat es eine Geltung oder — ist Geld. — Wir Inländer er­ blicken freilich im Papiergelde immer Geld und tun auch recht daran, denn wenn es auch nicht auf unseren Namen ausgestellt ist, so haben wir als Staatsangehörige doch die Bürgschaft für die Schuldleistung und es kann daher auch nicht anders sein, als daß wir es gelten lassen, als Geld,

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Der Geldmangel und die Verarmung

und zwar als unser Geld, als gegenseitiges Tauschmittel. Die Ausländer, wo Gel- mit innerem Wert, Metallgeld, umlief, betrachteten das Papiergeld nur als Wechsel und legten diesen Wechseln eines fremden Staates nur einen freiwilligen Wert bei, wie den Wechseln eines sonstigen Schuldners und Privaten. Denn der Staat, der Papiergeld in Umlauf setzte, zahlte zwar seine inländischen Ausgaben und Besoldungen nur in Papiergeld, aber es kam bald die Zeit, -atz er auch die gesamte Steuer nur in Papiergeld erhielt. Mit dieser papierenen Steuer konnte im Kriege keine einzige Vorspann im Auslande gezahlet werden. Der Staat, -es baren Geldes ledig, mutzte sich also um Metallgeld bei denen umsehen, die dessen zu leihen hatten. Diese standen nun dem Staate nicht als Untertanen, sondern als Gläu­ biger gegenüber. Sie gaben, und gaben nicht, nur wann und wie sie wollten. Es mußten ihnen recht sichere Schuldscheine ausgestellt und Prozente gezahlet werden. Wollte der Staat Geld borgen,wie er wohl mutzte,so fanden es dieGeldverleiher und Staatsgläubiger nur ganz in -er Ordnung, -aß sich der Staat über die Zahlfähigkeit auswies oder über seine Möghaftigkeit, die ausgestellten Schuldscheine einst auch mit Ba­ rem einlösen zu können. Je mehr nun der Staat in Schulden versunken war, je mehr überhaupt auch der Bestand des Staates selbst oft in Frage gestellt war — je trüber waren die Aussichten auf einstige Tilgung. Die Not des Staates einerseits und die kaltblütige Berechnung der Geldleute andererseits stellten dieses ganze Geschäft der Staatsanlehen, das unter dem Donner der Kanonen geschlossen ward, außerhalb der Beschränkung ä 6 pro Cento. Es mußte Geld herbeigeschafft werden, unter schweren, was sage ich? unter allen Bedingungen. Ein Abzug der Interessen von vorn­ herein ist doch eine verletzende Sache — aber man mutzte sich auch dieses gefallen lassen, da die Gläubiger hierinnen ge­ wissermaßen eine Schadloshaltung erblicken für die Unsicher-

heit des ganzen Darlehens. Hat auch das durch seine Red­ lichkeit berühmte Österreich seine Anlehen beinahe unter allen Staaten am billigsten zustande bringen können, so -rückte -och der Umstand, daß es bereits eine große Schulden­ last trug, nachteilig auf die Abschließung jedes neuen Geld­ geschäftes. Denn die Geldleute sind, mit Unrecht nicht — im Rufe, das Einmaleins zu verstehen, und brachten mit in Anschlag, daß der Staat in den vervielfältigten Bankozetteln mehr auf sich ausgestellt habe, als daß er sie sobald Lar einlösen könnte, wie er bei der Ausstellung geglaubt und angelobt hatte. Das Papiergeld bekam also Kurs, d. h. die Meinung von der teilweisen Unfähigkeit des Staates, seine Wechsel ganz zu honorieren — maß dem österreichischen Papiergulden nur soviel Wert bei — als man diese Zahl­ fähigkeit im allgemeinen abschätzte und abschlug. Mit anderen Worten: die Ziffer des Kurses drückt eben nur das Ver­ hältnis aus, in welchem der Glaube oder der Kredit an die Einlösung des Papiergeldes steht oder: das Verhält­ nis, in welchem das Papiergeld zur klingenden Münze des Schuldners steht,' oder weil der Staat als Gläubiger frü­ her oder später immer zahlen kann, wenn er will, so ist der Kurs auch soviel, als die gute Meinung, die man von der Moralität und Gewissenhaftigkeit einer Regierung hat, aus­ gedrückt in einem Bruche, weil die Not auch auf den besten Willen Einfluß hat. Der Nenner dieses Bruches ist gleich der Summe der ganzen Schuld, den Zähler setzt der Kredit nach seinem Ermessen und unabhängig von der Beistimmung des Schuldners obenan. Geldabschlag Als der Staat Papier als Geld ausgab, nahm er dafür Geld in Gold und Silber ein. Wieviel Gold und Silber ein­ getauscht ward, soviel stand als Anerkennung des Empfan-

ges auf dem Zettel gedruckt. Kurz gesagt: Papiergeld sind Schuldscheine, worauf -er Staat so und soviel dem schuldig zu sein anerkennt, der sie in Händen hat und welche er nach Frist oder sogleich zu zahlen, d. h. mit Metallgeld einzu­ lösen verspricht. Wie nun die Ehrlichkeit selber durch die uwerforschlichen Wege Gottes beim besten Willen autzerstand gesetzt werden kann, seine Wechsel in gleicher Ziffer, wie sie darin lautet, einzulösen, so ist es vielen Staaten, so ist es auch dem ehrlichen Österreich ergangen. Die Kriege mit ihrer Ausrüstung, Führung, Unterhandlungeü und teilweise« Bußen — gegen ein Volk geführt, das seine Glocken in die Präge schickte, das alle Adelsgüter in Beschlag nahm, alle Besitzungen der Kirchen und Klöster für gute Beute er­ klärte, hatte den österreichischen Kredit dahin gebracht, -atz der Kurs auf 500 pro Cento 1 fiel. Im Jänner 1799 stand er noch 103, stieg und fiel, bis er im Oktober 1810 auf 500 sich setzte und stehen blieb. Was besagen diese Zahlen? Es ist gesagt worden, der Kurs sei ein Bruch, dessen Nenner die Schuldsumme bilde und den Zähler der Kredit. Also was ist der Kurs von 500? — Die Schuld beträgt 500 und der Kredit ist 100. Also: die Staatspapiere sind wert: ‘£® = £ ihres Nennwertes. Der erschöpfte Staatsschatz, außerstande, die ganze Schuldsumme oder dermalen £ zu zahlen, erbot 1 Mit der Ausdrucksweise, -aß der Kurs des österreichischen Kredites auf 500 Prozent fiel, hat sich der Verfasser einer Inkon­ sequenz der Ausdrucksweise (Terminologie) schuldig gemacht, denn wenn er weiter oben sagt, daß der Kurs in einem (notwendiger­ weise echten) Bruche seinen Ausdruck finden kann, so bedeutet ein Fallen des Kurses ein Fallen des Wertes dieses Bruches, b. h. seines Zählers, was nicht gut in reziproker Art durch Pro­ zente ausgedrückt werben kann, weil der Begriff des Prozentes selber auf einen Bruch hinweist, dessen Nenner 100 ist. Es müßte also besser heißen (und würde der heutigen Ausdrucksweise besser entsprechen), wenn man sagte: Der Kurs fiel auf ein Fünftel oder auf 20 Prozent.

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sich im Finanzpatent vom 20. Hornung oder 13. März 1811 zu einem Fünftel. Demzufolge fiel der Nennwert eines Bankogulden von 60 kr. auf f oder auf y — 12 kr. herab. Hiedurch entledigte sich der bedrängte Staat an jedem Gul­ den um 48 Kreuzer und blieb noch nur 12 kr. schuldig. Das neue Papiergeld, womit man den noch übriggebliebenen fünften Teil der Schuldsumme einzulösen beabsichtigte, hießen deswegen Einlösungsscheine. Man schätzte nämlich das noch zur Verfügung stehende bare Geld oder des Staates Zahlfähigkeil dem noch zu zahlenden Fünftel gleich. Der Berechnung nach sollte kein neuer Kurs ent­ stehen. Der Nennwert der Einlösungsscheine sollte dem Nenn- und Jnnwerte der Konventionsmünze vollkommen gleichen. Es wäre dieses auch sicherlich der Fäll gewesen, — am friedfertigen Österreich lag die Schuld nicht — allein der Korse gab keine Ruhe. Neue, noch furchtbarere Kriegszurüstungen nötigten zu neuen Ausgaben. Der Staat, der alle Anstalten getroffen, seine Schulden zu zahlen, mußte seine Mittel hiezu, um den Krieg führen zu können, her­ geben — er mußte! Hannibal war vor den Toren. Der Kredit war aufs neue erschüttert; die kaum ausgegebenen Einlösungsscheine bekamen wieder Kurs. Um sich zu über­ zeugen, wie viele falsche Einlösungsscheine, zur bewußten Anzahl der ausgegebenen gerechnet, etwa im Umlaufe seien oder im ganzen ausmachten, oder aus anderen Gründen, die hier als begründetere Mutmaßung anzuführen zu weit­ läufig wäre — genug, es ward ein neues Papiergeld ge­ liefert, das durch seinen Namen: Antizipationsscheine die Absicht seiner Erschaffung an der Stirne trug, nämlich: der Einwechslung oder Einlösung gegen Silber nur wenige Schritte vorausgehen zu wollen. Wie sehr auch der Kredit dieses neuen Papiergeldes schwankte — da schon Aussicht auf Krieg dem Papiergeldwert entgegenwirkt — sie behielten

ihren Wert als Stellvertreter der Einlösungsscheine. Denn es gelang der Nationalbank, das Ansehen des österreichischen Geldes auf 250 zu bringen, d. h. der Kurs, der sich auch über 250 % auszudehnen anfing, verbesserte sich so, daß man um 100 Silbergulden oder Banknoten nicht mehr als 250 Gul­ den in Einlösungs- oder Antizipationsscheinen zu geben brauchte. Dieser Kurs steht nun seit geraumer Zeit eisen­ fest. Wie also seit Erschaffung der Banknoten der Kurs un­ verändert, nämlich lautet, so gibt man also jetzt für 100 Konventionsgulden eine gleiche Summe von Banknoten oder 250 fl. in Einlösungsscheinen oder Antizipationsscheinen oder, was ebensoviel heißt: für jedes Stück Silber- oderBankgeld zwei und einhalbmal soviel sonstiges Papiergeld, oder für einen Silbergulden in Papiergeld 2,5 oder 2 fl. 30 kr. W. W. Diese wenigen und oberflächlichen Auseinander­ setzungen der Entstehung und Vermehrung des Papier­ geldes können für unseren beschränkten Zweck, den Geld­ mangel zu erklären, als genügend betrachtet werden. An der Wahrheit dieser angeführten Tatsachen läßt sich nicht zweifeln- teils steht das Gedächtnis von Millionen Menschen zum Zeugnisse darüber bereit, teils sind die von Kanzeln und in Ratsstuben bekanntgegebenen Allerhöchsten Verord­ nungen hierüber in tausend Aktensammlungen jedem zur Einsicht und Überzeugung bei Wege. Wir wollen nun un­ serem Zwecke gemäß, so wie es auch von uns bereits ver­ sprochen worden ist, in den ferneren Zeilen den Einfluß be­ trachten, den diese geschichtlichen Geldverwandlungen in ver­ schiedenen Beziehungen auf uns geäußert haben. Denn hie­ durch erst gewinnen wir denjenigen Standpunkt, von dem aus mit einigem Gewinn auf die Entstehung und die Folgen des Geldmangels gesehen werden kann. Um aber die Veränderungen, welche der Geldabschlag auf unsere Vermögensumstände im großen und insgesamt her-

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beiführte, anschaulicher zu machen, wollen wir zu einem Bei­ spiele für alle Einzelnen einen Kapitalisten von 1000 fl. K. M. wählen, der zu Anfang der französischen Revolution nicht mehr und nicht minder in seinem baren Vermögen besitzet. Wollte er diese 1000 fl. nicht als totes Geld im Kasten ver­ schlossen behalten, sondern sie, in welchem Verkehr immer, in Tätigkeit setzen, so verwandelten sich die 1000 fl. Silber­ geld durch die Einführung des Papiergeldes in 1000 fl. Bankozettel oder Papiergeld erster Art. Nach dem Finanz­ patent vom 20. Hornung oder 13. März 1811 siel das Papier­ geld, aus den im Vorangehenden angegebenen KriegsnotwenLigkeiten, auf den fünften Teil seines Nennwertes herab. Es sind aber 0 = 200 fl. Die ursprünglichen 1000 fl. Konven­ tionsmünze schmolzen also auf 200 fl. K. M. herab, nur der Hoffnung nach. Denn in der Tat war es nicht Silbergeld, was durch Entstehung eines neuen Kurses im Verlauf fort­ währender Kriegsunruhen bald zum Augenscheine ward. Der Kurs oder die Berhältnisbestimmung zwischen der Schuld­ summe und dem Kredit fiel zusehends. Diesen Schwankungen setzte endlich die Begründung, die Festigkeit und eigentüm­ liche Beschaffenheit der österreichischen Nationalbank ein festes Ziel. Die Einlösungsscheine oder Antizipationsscheine kamen zu den Banknoten oder dem Silbergeld in das festge­ setzte und bis heute auch sestgebliebene Verhältnis von 250 — 100. Nach diesem letzten Kurse von 250 muß man also, um 100 fl. K. M. zu erhalten, in Papiergeld 250 fl. bezahlen. Diesemnach bekommt unser angenommene Kapitalist für seine 200 fl. in Einlösungs- oder Antizipationsscheinen, in barem oder Silbergeld 80 fl. Mithin ist unseres Kapitalisten angenommenes Vermögen von 1000 fl. K. M., ohne daß er einen Heller davon für sich, nötiger- oder unnötigerweise, herausgenommen hätte, auf 80 fl. K. M. herabgeschmolzen. Es kostet also der Kampf im Kriege mit der französischen Kolbirth,

et. 8.

Rot». IV.

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Revolution diesen Kapitalisten 1000 fl. weniger 80 sl., also 920 fl. K. M. Will man dieses in pro Cento ausdrücken, so zahlte dieser Kapitalist zur Führung dieses Krieges 92 pro Cento, und es bleiben ihm von seinem Vermögen bloße 8 pro Cento. Da nun in diesem einen Beispiele die Erlebnisse und Begebnisse aller Kapitalisten inbegriffen sind, so ist es klar, -aß aus -er ursprünglichen Geldmassa 92 pro Cento ver­ schwunden und noch nur 8 pro Cento davon übrig geblieben sind. Drückt also das jetzt so häufig gebrauchte Wörtchen „der Geldmangel" die Bemerkung aus, daß dermalen weni­ ger Geld als vor und während der französischen Revolution im Umlaufe sei, so stellt sich die Verhältnisbestimmung zwi­ schen dem übriggebliebenen und aufgeopferten Gelde in folgenden Zahlen aus, wie 8:92 oder 1:11 y2 oder um den Bruch zu beseitigen, wie 2:23. Läßt man ander­ weitige Geldvermehrung außerhalb -er Berechnung und untersucht als zweiten Fall das Verhältnis zwischen dem übriggebliebenen und ursprünglichen ganzen Geldvermögen, so weist sich selbiges folgendermaßen aus. Es verhält sich das jetzige Geldquantum zum früheren unge­ schmälerten Geldquantum wie 8:100 oder wie 1:12 y2 oder, um den Bruch zu beseitigen, wie 2:25. Es beträgt also, wenn die Berechnung richtig ist und ohne daß man ander­ weitige Zu- oder Abflüsse von Geld in Anschlag bringt, unser dermaliges Geldvermögen nicht einmal den zwölften Teil von dem früheren, sondern es schwebt zwischen dem zwölften und dreizehnten Teile. Daß die Prägen in diesen 40 Jahren zur Vermehrung des Geldes ihren Anteil werden geliefert haben, ist wohl gewiß. Eine Andeutung auf ihre Tätigkeit kann nicht unterlassen werden, wenn auch eine nähere An­ gabe ihrer Wirksamkeit hierinnen dem Verfasser nachgesehen werden muß, da er sich außerstande erklärt, solche, aus Man­ gel an Einsicht, liefern zu können.

Wirtschaftsart Hoffentlich wird niemand so unbillig sein und mir an­ muten, die Folgen alle, welche sich aus dieser Geldveränderung und respektive Gel-verminderung in den Kreis -es täglichen Lebens gestellt haben, anzugeben. Einer solchen Anmutung dürfte ich, auch könnte ich nicht Genüge leisten. Die wichtigeren Einflüsse dieses Gelöabschlages auf die Lebensverhältnisse der Gesellschaft will ich aber gerne, so­ weit ich es vermag, dem Auge -es Lesers als flüchtiges Schattenspiel an -er Wand vorüberführen. Nehmen wir Lebende uns zuerst. Wir sind schlechte Wirte geworden, aus zwei Gründen: Das viele Geld und die großen Summen, die in der Zeit der Bankozettel, man wußte selbst nicht wie, in aller Hände kamen, haben uns erstens über den vielen Gulden den ein­ zelnen Kreuzer verachten gelehret. Gab es doch damals übermütige, die sich die Tabakspfeife mit Zetteln anzün­ deten! Vors zweite: welchen Handel man auch damals immer ergriff, niemals hörte man von einer Einbuße. Jede Unternehmung gelang. Wie so? — Durch die immerfort zu­ nehmende Vermehrung des Papiergeldes stieg jeder Artikel im Preise von Tag zu Tag. Was man heute kaufte, konnte man morgen mit Nutzen wieder verkaufen. Der Schuster gewann am angeschafften Leder auf -er Heimreise, in -er Truhe, ehe er es noch zuschnitt — mehr, als er jetzt durch Fleiß und Mühe daraus erhält. Denn geht der Verkehr und das Gewerbe im ordentlichen Geleise, so soll der Profit im Arbeitslöhne stecken. Kaufte man auch teuer ein, eines noch teuereren Verkaufes des Materiales im verarbeiteten Zu­ stande war man immerfort sicher. Das heißt, der Meister X, Y, Z erhielt nicht nur einen von Tag zu Tag höhersteigenden Arbeitspreis, sondern auch das angekaufte Materiale stieg während der Arbeit also im Preise, daß ihm noch ein zweiter 21*

Profit als Handelsmann mit dem Materiale zufiel. Diese Vermehrung des Nennwertes fand in allen Verkehrsgegen­ ständen statt. Alles stürzte sich daher in Spekulationen. So ging es in einemfort bis zu den Hungerjahren 1815, 1816 und 1817. Hier trat ein merkwürdiger Wendepunkt ein. Der Wein aus dem Jahre 1811 war bis auf 22—24 fl. gestiegen, ein Paar Stiefel auf englische Wichs und ein feiner Studentenwichsec kostete 70 fl., das Siebenbürger Viertel' Kukuruz 12 fl. und der Weizen 14 fl. W. W. usw. Unsere Nachkommen werden es kaum glauben und uns ältere, wenn wir solches erzählen, nur um der grauen Haare willen der Aufschneiderei nicht zeihen.' Dieses viele Geld und das damit in Verbin­ dung stehende Glücksspiel in den Spekulationen und Unter­ nehmungen aller Art brachte die Leute um den Verstand und die Besinnung, und es bedurfte der Hungerjahre, als von Gott angeordnete Fastenmandate, um die Leute wieder auf die Füße zu stellen. Dadurch, daß Hunger uüd Not uns das benötigte Sturzbad auf die Köpfe goß, kamen wir aus der 1 Nimmt man das Siebenbürger Viertel netto zu 16 Siebenbürger Maßen an, wie es auch nicht anders anzunehmen ist tStebenbürgen hat aber für trockene und flüssige Gegenstände nur eine und dieselbe Maß ober Achtel auch genannt), so betragen diese 16 Stebenbürger Maße ebensoviele Wiener Flüssigkeitsmaße (Wien hat für die trockenen Gegenstände eine andere Messungsmaß, und diese ist nur eine gedachte, also sogenannte erdichtete Maß), aber von den erdichteten Wiener trockenen Maßen nur 15. Das Sieben­ bürger Viertel ist also um ö'/a Wiener Flüssigkeitsmaße, oder überhaupt 5Va Stebenbürger Maße kleiner als Wiener Metzen. Nimmt man freilich 1 Siebenbürger Maß größer als */» von einem Stebenb» rger Viertel an, so kann man jeden Fehler rechtfertigen. Wahr bleibt aber doch wahr, und zu dieser Wahrheit zähle ich auch, daß ein Siebenbürger Viertel nichts mehr als 16 Maße aus­ mache, daß mithin 1 Siebenbürger Maß nicht mehr und nicht weniger betrage als Vi« von einem Viertel. Sinnt. Roths. 5 Über die damaligen Preise siehe auch die ersten Briefe Roths von seiner Reise zur Universität I, 19 ff.

Täuschung heraus, als ob diese 70 fl. auch wirklich 70 fl. seien. Die damaligen 70 fl., die man damals um ein Paar Stiefel gab, waren doch auch nicht mehr wert, als eben das Paar Stiefel. Die französischen Assignaten von 100 Franken, mit denen man zu einer gewissen Zeit in Frankreich kaum eine Bouteille guten Weines sich anschaffen konnte, waren dort ja auch nicht frühere 100 Franken wert, sondern hatten nur die Tauschkraft gegen eine Bouteille Weins. Der Nenn­ wert oder die Aufschrift des Tauschmittels hatte die Köpfe verwirrt. Der Wert aber eines Tauschmittels ohne inneren Wert, wie derselben eines das Papiergeld ist, besteht nicht in seiner Benennung oder seinem Nennwerte, sondern in seiner Tauschkraft, im Kredit. Denn, alles sonst gleich ge­ setzt, gründet sich die einzig richtige Schätzung -es Papier­ geldes immer nur auf die Rückführung und Beziehung auf den Metallwert, als das sicherste und allgemeinste, in sich selbst Bürgschaft tragende Tauschmittel. Wir nun — ge­ wöhnt an vieles Geld und große Summen, haben die Um­ stände und Verhältnisse autzeracht gelassen, -aß durch den Geldabschlag und die spätere Einführung der Banknoten um ein bedeutendes die Anzahl -er Tauschmittel vermindert worden ist. Gesetzt nun, es wären die zu vertauschenden Gegenstände in der Anzahl dermalen nicht weniger als zu­ vor — hingegen, es hätten sich die Mittel zur Bewerkstelligung des Vertauschens, wie es auch wirklich der Fall ist, vermindert; so liegt doch das als Wahrheit auf der Hand, daß der Tausch dieser zu vertauschenden Mittel nur durch die vorhandenen Tauschmittel l-Geld) bewerkstelliget werden müsse und könne, d. h. für dieselbe Menge von Tauschgegen­ ständen können nur wenigere Tauschmittel gegeben werden,oder da das Geld teuer ist, so sind die Gegenstände des Tau­ sches, die Ware, wohlseil. Ist es der umgekehrte Fall, wie es früher war, ist vieles Geld als Tauschmittel vorhanden und die Menge und Beschaffenheit der Waren sich demohn-

erachtet gleich, so muß man vieles Geld als Tauschmittel für dieselben Waren geben,' es heißt alsdann, die Waren oder Verkaufsgegenstände sind teuer, was doch im Grunde nur so viel heißen kann, als das Gel- ist wohlfeil oder in Menge. Ein ganz anderer Fall ist es freilich, wenn die Verkaufs­ gegenstände seltener sind. Diese Seltenheit kann eintreten, teils wenn viel Geld im Umlaufe ist, teils wenn weniges Geld im Umlaufe ist. In beiden Fällen mutz mehr Geld für den Eintausch der wenigeren Gegenstände gegeben werden. Denn das Geld, als Tauschmittel, steht mit seiner Mafia mit der Mafia der Tauschgegenstände immer auf dem Punkte der Ausgleichung. Jedoch würde man sich gewaltig irren, wollte man das Geld bloß als Faktor -es Kaufes und nicht auch zugleich als Produkt des Verkaufes betrachten. Denn es gibt keinen Verkäufer, der nicht auch ein Käufer wäre, so wie sich kein Käufer denken läßt, in -essen Geld nicht auch der Verkauf eingewirkt hätte. Nur muß hier Verkauf soviel bedeuten als Erwerbsart. Hieher gehörte nun das Kapitel vom Bedürfnis, der Aussicht, Charakter der Bevölkerung usw. Ich mache mich aber in eine Untersuchung hinein, die mir viele Anstrengung und dem Leser, der Mehrheit nach genommen, ebensoviele Langeweile machen würde. Darum nur geschwind mit dem Licht unter den Scheffel und schnell wieder zur Verwöhnung des Zeitalters, nur große Summen für vieles Geld zu halten. Ich kann mir es aber doch nicht versagen, um diese meine Rüge besser zu begriinden und an­ schaulicher zu machen, eine Insel zum Beispiele für meine Zurechtweisung für Geldverhältnisse vorzuführen. Gesetzt, auf einer Insel zirkulierten eine Million Gulden, so heißt dies doch nichts anderes, als mit dieser Million Gulden wil­ der Tausch aller Gegenstände zwischen den Einwohnern ver­ mittelt. Wäre diese Insel abgeschnitten von allem Weltver­ kehre, so müßte man sagen, diese Million Gulden repräsen­ tierten das Vermögen der ganzen Insel, oder die Inhaber

-es Geldes hätten die gesamten Mittel, alles Vorhandene zu kaufen, in den Händen. Blieben die Verkaufsgegenstände -er Menge und Güte nach in allen Beziehungen sich gleich, so würde auf dieser Insel ein ewiger gleichmäßiger Tarif stattfinden, was allerdings nur gedacht werden kann. Brächte allenfalls ein gescheitertes Schiff nichts anderes ans Ufer als neuerdings eine andere Million Gulden in die Hände der Bewohner in demselben Verhältnisse, wie sie das Geld vor der Strandung des Schiffes bereits hätten, so würde für dieselbe Ware über kurz oder lang das doppelte Geld gezahlet werden müssen. Nehmen wir nun aber auch den ent­ gegengesetzten Fall, es scheitere nicht nur kein Schiff mit einer Million an Bord am Ufer dieses Godankeneilandes, sondern es gingen auch sogar durch irgendeinen Zufall von der 1,000.000 Gulden 500.000 verloren,' so müßte mit den hal­ ben Tauschmitteln, wenn der Verlust gleichmäßig jeden nach seinem vorigen Besitz betroffen hätte, fernerhin derselbe Verkehr getrieben werden. Und was könnte hierin wohl für eine andere Folge in Betreff des Handelsverkehrs erwartet werden, als daß man mit dem halben Gelde künftig dieselbe Ware kaufen würde, die man früher mit dem ganzen kaufte. Kaufte man, als im Lande noch nur 1 Million Gulden um­ lief, ein Paar Stiefel um 1 Dukaten, so gelten sie, als das Geldschiff strandete, natürlich 2 Dukaten oder, als die Hälfte der Tauschmittel verloren ging, dasselbe Paar Stiefel nur um Vü Dukaten. In allen drei angenommenen Fällen kann für die Insel, als Gesamtheit betrachtet, weder von einem Glück oder von einem Unglück die Rede vernünftigermaßen sein, wiewohl nicht zu leugnen ist, daß diese Zufälle für e i nze Ine Klassen und Individuen Vorteile oder Nachteile mit sich führen können. Nun weiß ich zwar wohl, daß Sieben­ bürgen keine Insel ist, wie solches einstimmig alle Geo­ graphen bestimmen, aber unsere gesamte Erde ist eine Insel, die Geldfabriken sind die strandenden Schiffe und alle Um-

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Der Geldmangel und die Verarmung

stände, welche das Geld dem Umlaufe entziehen, sind der­ jenige Zufall, von dem oben die Rede war. War nun für den österreichischen Staat die große Ver­ mehrung der Tauschmittel ein solches strandende Geldschiff und hinwieder die Einführung der Banknoten ein Mittel der Verminderung der Tauschmittel,' so dürfen wir uns bei dieser Flut und Ebbe von Geld nur über uns selbst bekla­ gen, wenn wir -er veränderten Zeit nicht wahrnehmen und den Gulden immer als Gulden betrachten. Es verrät un­ sererseits Mangel an Einsicht und Mangel an Fügsamkeit in die Umstände, wenn wir, bei aller Rechenkunst, in die uns die Kurse doch hätten einführen sollen, nicht einmal das gelernt haben, daß 80 Konventionsgulden jetzt so viele Tauschkraft besitzen, als anno 1811 1000 fl. Banknoten \ Wir müssen den Irrtum aufgeben, das Geld nach seinem Nenn­ wert zu schätzen, und das Faktische an ihm, die Tauschkraft, in Erwägung ziehen. Es bleibt uns also in dieser Rechen­ welt die Aufgabe, hinfort das wenigere Geld, das wir jetzt besitzen, in gleichen Ehren zu halten als vorhin das viele oder mehrere Geld. Diese diätetische, wenn man will, homöo­ pathische Lebensart Haben wir nicht nur im Kaufe, sondern auch im Verkaufe zu befolgen. Es ist eine Einseitigkeit, in homöopathischen Preisen ankaufen und in allopathischen Preisen verkaufen zu wollen. Jetzt ist die Homöopathie des Geldes im Flor! Bei unserem zweisystemigen Leben kommt nichts Gutes heraus. Es zerreißt den Frieden -er Seelen oder ihre Gesundheit. Freilich fällt es uns schwer und die Nachteile dieser unserer Unfügsamkeit sind offenbar in der allgemeinen schlechten Wirtschaft. Mit unserem Erwerb ste­ hen wir auf dem Boden -er Gegenwart, die eine geld1 Diese auf deduktivem Wege aufgestellte Gleichung dürfte in den Tatsachen keine Bekräftigung gefunden haben. Sie steht in logischem Widerspruch zum nachfolgenden Satz, daß am Geld das Faktische, also die tatsächliche Tauschkrast zu schätzen sei.

in Siebenbürgen, besonders antet den Sachsen

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ärmere ist, mit unserem Verbrauch auf dem Boden der Vergangenheit, die das Geld vollauf hatte. Ver­ gangen ist vergangen, wer leben will, muß sich in die Zeiten schicken. Gläubigerschaft Nehmen wir nun die Verhältnisse der Gläubiger­ schaft zur Hand. Wir können sie nicht umgehen. Die Schuldherren verloren durch den Geldabschlag oder die De­ valvationen ebensoviel, als die Schuldner dadurch gewan­ nen. 28er. 1000 fl. K. M. vor dem französischen Kriege aus­ borgte, gab dieses Darlehen seinem Schuldner in Gold oder Silber,' ließ derselbe diese Summe immerfort als Darlehen ausstehen, ohne die Münzsorte angegeben zu haben, in wel­ cher die Auszahlung geschehen müsse und erhielt nun in neuester Zeit sein Obligo ausgezahlt, so bekam er dafür nur 80 fl. Die Skala1 ist zwar hier vermittelnd eingetreten, aber nur insoweit, als sie es vermochte. Der Kapitalist büßte als Schuldherr ebensogut 92 pro Cento ein, als der Schuldner diese 92 pro Cento profitierte. Der Kapitalist bekam 8 pro Cento, weil der Schuldner nicht mehr zu zahlen brauchte, um alles bezahlet zu haben. Hiedurch wurden Berge geebnet und Täler ausgefüllt. Geldreichtum und Geldarmut rückte sich um 92 pro Cento näher! Waren sie bisher 100 Schritte aus­ einander,' jetzt trennten sie nur noch 8 Schritte. Solche Er­ lebnisse und Erfahrungen gehen für die Gemüter der Men­ schen nicht verloren. Die Gläubiger, durch so bedeutende Verluste gewitziget, kamen klüger vom Rathaus herunter. Sie meinten nun weiser zu handeln, wenn sie den Wrack -es gescheiterten Schiffes lieber untätig im Hafen liegen ließen, als, noch einmal vom Sirenengesang der Interessen verlockt, auf die offene See sich zu wagen, aus der sie nur eben jetzt auf einem Brette ans Ufer gespült worden waren. Gläu1 Hinweis auf gewisse Aufweriungsbestimmungen.

biger konnte man sie bei dieser ihrer Gemütsstimmung am wenigsten nennen,- denn sie schenkten gar keinen Glauben mehr oder waren total Ungläubige. Sie glaubten nur sich, dem Geld in -er eigenen Hand. Dieses Erlebnis erzeugte also einerseits eine Geldliebe, die sich von ihrem Geld nicht trennen mochte, einen Kultus des Metalles, einen Götzen­ dienst des Metalles. Die Schuldner hingegen, die mit 8 fl. sage 100 fl. gezahlt hatten, ohne ein anderes Verdienst als sich sorglos den Wellen der Zeit überlassen zu haben, ge­ wahrten in dem Zufall und dem Leichtsinn das beste Zah­ lungsmittel und es erzeugte dieses Ergebnis in ihnen die Geldverschätzung, die Goldverachtung, einen Kultus des Pa­ pieres, des Scheines. Während also die Geldbesitzer an ihre Kästen sieben Schlösser legten und ihren Geldern ewige Ge­ fangenschaft schworen, hatten die Geldbedürftigen keine wich­ tigere Angelegenheit, als auf Mittel und Kunststücke zu sinnen, (als) den Eingesperrten den Ausgang zu öffnen. Wer also Geld bedurfte, und deren gab es viele, denn die ein­ gebüßten 92 fl. des Schuldherrn kamen durch dessen Ein­ buße noch nicht in die Einnahme des Schuldners — mußte sein Glück mit Versprechungen versuchen, ein Netz, das ebenso oft dazu dient, den Schuldherrn wie den Schuld­ ner zu fangen. Versprechungen waren ein guter Köder, nach der Natur des Fisches, den die Schuldner fangen wollten. Denn die personifizierte Gel-liebe sollte ja betört werden. Auf diese Geldliebe ward also die Falle gestellt. Wir kommen auf den Vogelherd des Gel-wuchers. Der Geldliebende ließ die Locktaube zwar lange girren und diese girrte vom Herzen und herzzerschmelzend. Der Gedanke an die Möglichkeit, mit den acht treugebliebenen Tauben etwa die verlockten 92 wieder einzufangen und in einen Schlag beisammen zu bekommen, tat seine Wirkung endlich. Die schwersten Bedingnisse wurden dem künftigen Schuldner vorgeschlagen und von diesem angenommen. Auch mancher

Ehrliche ward als Schuldherr zum Wucherer,' denn seine An­ sicht, von den Schuldnern verkürzt worden zu sein, ließ ihn die Weltereignisse, mit denen er nicht hadern konnte, leicht übersehen und überredete ihn, am jetzigen Schuldner seinen Regreß zu suchen, -a der andere seinen Händen entsprungen war. Seien wir billig! Pflegen nicht auch wir, die wir doch alle den Wucher verdammen müssen, aus innerer Nötigung, darum eine gewisse Klasse von Menschen zu hassen, weil wir in dem Falle gewesen, daß uns einer oder der andere Mensch aus dieser Klasse einmal schnöde behandelte, betrog oder ins Unglück stürzte? — Freilich war nicht immer diese psycholo­ gische Selbsttäuschung -er tiefer liegende Grund zur Bele­ bung und Entstehung des nun allgemeiner werdenden Wu­ chers, oft lag er schon im natürlichen Egoismus, der über dem Rechte, für sein Wohl zu sorgen, die Pflicht gegen fremde Wohlfahrt außeracht zu lassen pflegt. In diesem Kampf für Vergangenheit und Zukunft gestalteten sich die Schuldscheine zu wahren Festungen, die mit allen ersinnlichen Schutz-, Trutz-, Verwahrungs- und Sicherheitsmitteln ä la Vauban1 umgeben wurden. Frühere Obligationen, in rechtlicheren Zeiten so einfach, hatten nun über dem Hirsch­ koller ein Drahthemd und darüber einen stählernen Küraß. O glückliche Zeit, wo die Obligationen in den Herzen die Kraft der Verbindlichkeit hatten und die Schuldsumme nur deswegen aufgeschrieben ward, um dem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen! Diese Zeit, die so vieles begraben hat, war letzt­ lich in vielen auch selber gestorben. Der Schuldner, nur jüngst bis an Hals verschuldet und nun auf freiem Fuße, einer schweren Schuldenlast mit leichter Mühe los, nahm leichtsinnig, wie er nun geworden, alle vorgeschlagenen Be­ dingungen ohne lang darüber nachzudenken an. Hypothek — Petschaft — Handschrift — Bürgschaft — Handschlag — Be­ teuerung — Schwur — alles ward verlangt — alles zuge1 Der Erbauer der Festungen Ludwigs XIV.

standen. Vielleicht wären auch die Versprechungen alle ein­ gehalten worden. Hart ist zwar das Wort unseres Herrn, daß ein Reicher so schwer in das Himmelreich eingehe als ein Kamel durch ein Nadelöhr, aber was er über die Schuldner gedacht, ist uns nicht gesagt, denn für einen Schuldner scheint das Nadelöhr an einer Spennadel zu suchen zu sein. Selbst der ehrliche Schuldner dieser Zeit baute auf den Zufall. Am Himmel ließen sich keine Anzeigen einer Wetterveränderung merken. Glücken die Spekulationen künftig wie bisher, so war die Hoffnung vorhanden, das gegebene Wort halten zu können. Weil aber so ungewöhnliche Gewinste, als sie hier zur Lösung -es Wortes erforderlich waren, nicht gemacht wer­ den konnten — so kamen die gewagtesten Unterneh­ mungen an die Tagesordnung. Aut Caesar, aut nihil.1 Unter­ des wendete sich das Blatt in allen Dingen. Denn zunächst hatte eben in diesen Zeitläuften die Geldflut ihre größte Höhe erreicht. Es trat die Ebbe ein. Dieser merkwürdige Rücktritt -er Geldwellen folgte den Hungerjahren auf -er Ferse. Alle Handelsgegenstände, sie mochten Namen haben, welche sie wollten, fielen von Tag zu Tag in ihrem Nenn­ werte. Die Verminderung -er Geldmassa -rückte alle Preise auf eine immer tiefere Ziffer herunter. Man brauchte mit dem Verkaufe eines Gegenstandes nur eine geringere Zeit zu säumen, so war in die Stelle einer größeren Zahl eine geringere getreten und dies ging so Schritt für Schritt berg­ ab, daß man am Einkäufe - a + b, beim Verkaufe nicht nur das c als Gewinst nicht erhielt, sondern leicht auch von den a + b das b einbüßte. War aber auch kein Einbuß — der doch rot allgemeinen häufiger als der Gewinst war, so kam man meistens nur mit einem blauen Auge davon. Man war entweder ein Handelsmann gewesen oder der Gewinn war sehr klein und geringfügig. Wie bisher alles, alles gelungen und geglückt war, was man auch unternahm, so sah man 1 Entweder alles, oder nichts.

nun ebenso häufig das Geschickteste mißlingen. Legen wir -er Veranschaulichung dieses Ge-ankens die bekannte musi­ kalische Figur des accrescendo und decrescendo ---- zum Grunde, so gingen die Preise -er Dinge, in Geld ausgedrückt, vom ppp ins pp, daraus in p; von hieraus ins pf, daraus ins f, endlich ins ff, letztlich zur Zeit der Hungerjahre ins unerhörte fff über. Seit jener Zeit sinken die Preise durch alle Grade, die sie bergauf ge­ stiegen sind, Schritt vor Schritt bergab. Ob wir beim decreScierenden fp oder schon beim einfachen p angelangt sind, ge­ traue ich mich nicht zu bestimmen. Denn es könnte möglich sein, daß die sinkende Schale, ehe sie ins Gleichgewicht sich stellt, auch noch unter fff1 sänke. Jedenfalls ist es eine un­ angenehme Empfindung, vom Pferd auf den Esel zu kommen. Unglückseligerweise traf diese Wut, nicht sowohl durch Ar­ beit als durch Spekulationen in kurzer Zeit ein reicher, reicher Mann zu werden, gerade in jene Periode, wo die Kreditlosigkeit mit allen ihren Schrecken eintrat, wo der Schuldner für eine Handvoll Geld einen goldenen Berg versprechen mutzte und versprach. Der Zufall, von dem der Schuldner gemeint hatte, daß er für ihn zahlen würde, wollte gleichsam durch eine neue Tücke an dem leichtgläu­ bigen Günstlinge seine Natur erweisen, indem der Hoff­ nungsschimmer, der von ihm ausging, sich als ein schmäh­ liches Irrlicht erwies, den Vertrauenden bis an den Hals in Kot und Moor und Sumpf zu bringen. Diesmal war der Schuldner der Geprellte. Läßt sich gleich der mit der Ver­ minderung der Geldmassen steigende Wert oder die wach­ sende Tauschkraft des Geldes nicht so handgreiflich dartun, wie solches aus der veröffentlichten Skala der Bankozettel von Monat zu Monat, bei der Vermehrung des Geldes stattfand und ersichtlich ist; so ist doch soviel hoffentlich ein­ leuchtend, daß bei unverändert bleibender Zahl der Schuld1 Soll vermutlich ppp heißen.

summe in -er Obligation und gleichzeitiger Verminderung des Geldes oder -er Zahlmittel außer -er Obligation, wenn auch unsichtbar, das Debet des Schuldners gestiegen oder seine Kraft zu zahlen vermindert war. Schnitt auch die Schere -er Gerechtigkeit diejenigen pro Cente, welche über die gesetzlichen 6 versprochen worden waren, billigermaßen unerbittlich weg — die nackte Schuldsumme selbst setzte den Schuldner schon an und für sich in den größten Nachteil,' blieb auch der Kurs auf 250 fest ohne ein einziges Mal zu wanken — die in den Jahren 1815,1816 und 1817 entlehnten 100 Gulden waren, weil sich das Geld herwärts vermindert, also verteuert hatte, je nachdem die Zahlung später oder noch später erfolgte, nicht nur aus dem Grunde, weil sie schwerer erworben wurden, schwerer zu zahlen, sondern diese spä­ teren 100 fl., und wenn sie auch in gleicher Geldgattuug erfolgten, waren auch mehr wert als die früheren 100 Gul­ den. Sollte sich die Geldmasse von den Hungerjahren bis heute etwa auf '/6 verringert haben, so wären, posito ac concedo,1 die jetzigen 100 Gulden fünfmal soviel wert als zur Zeit des empfangenen Darlehens. Der Schuldner zahlte also, wenn er zahlte, dem Nennwerte nach, zwar für 100 Gulden auch nur 100 Gulden, beim Lichte aber besehen, für die Tauschkraft von 100 Gulden dermalen nun die Tauschkraft von 500 Gulden. Dieser Mißstand wir- nun mehr gefühlt als gedacht, mehr empfunden als ausgesprochen. Und eben dieser Mißstand ist es, der die Schuldner, leichtsinnige wie ernstlichmeinende, in die größte Verlegenheit bringt, er ist die häufigste Ursache, daß die Zahlungen eingestellt werden, er -er eigentliche Trommelschläger und die heisere Stimme: wer gibt mehr?! Derjenige Schuldner, der noch vor Jahren auf gerichtlichem Wege gezwungen ward, durch Veräußerung seiner Hypothek 1 Lautet richtig: posito ac concesso — angenommen und zuge­ geben.

die schuldige Summe zu zahlen — wie glücklich ist er, daß er damals es tun mutzte und wie muß er im Herzen die unnachsichtliche Strenge seines Schuldherrn loben, der nicht länger warten wollte und auf terminmäßige Abzahlung drang! Denn, während die Schuldsumme im Obligatorium unverändert bleibt, fallen die Realitäten, als Hypotheken verschrieben, fortwährend im Preise. Wem früher in öffent­ licher Versteigerung zur Tilgung einer Schuld eine Rea­ lität verkauft ward, hatte das Glück, daß diese Veräußerung doch immer in eine geldreichere Zeit fiel. Er zahlte und es blieb ihm noch etwas, währen- bei späteren Versteigerungen, je später sie vorgenommen werden, für den Schuldner immer wenigere Aussicht ist, durch Aufopferung des einen Teiles den anderen sich zu retten. Denn, wenn wir das übel der Zeit in seiner Ganzheit erkennen wollen, müssen wir doch auch noch die Menge und Häufigkeit dieser Versteigerungen mit in Anschlag bringen, die einen nachteiligen Druck auf die Berkaufsgegenstände ausüben. Denn die Vermehrung der Ware hat dieselbe Wirkung wie die Verminderung des dafür interessierten Geldes. Es ist eins. Soll der Preis einer Ware, womit ein Markt überführt wird, in seinem bis­ herigen Stand verbleiben, so kann dies nur geschehen, wenn sich in eben dem Maße das nachfragende Geld ver­ mehrt. Ist die Nachfrage nur wie bisher, so müssen die Waren fallen. Denn auf die vermehrte Massa der Waren kömmt nicht mehr der vorhinnige Bruchteil -er gewöhnlichen Proportion zwischen dieser Ware und der Nachfrage, sondern ein kleinerer; h. mit wenigerem Gelde kauft man mehr - die Ware ist gefallen, versteht sich nur in bezug aufs Geld. Es ist eine mißliche Sache, ein weites Feld zur Kasuistik des Gewissens! Zum Glücke liegen die Zeiten des Darlehens und der Abtragung soweit nicht auseinander! Oft büßt der Schuldner nur seine eigene Schuld und Sünde! Ist die Ne­ mesis ein heidnischer Begriff und selbst die Idee davon ein

Aberglaube? Während der Schuldherr das ausstehende Gel­ vermißte, versagte er sich manches, das sich der Schuldner vergönnte. Versündigen sich nicht viele Schuldner an ihren Schuldherren, wenn sie sich über deren Sparsamkeit, Ent­ haltsamkeit und Nüchternheit lustig machen oder oft durch Prunk, auch noch für andere als verführerisches Beispiel wirkend, die Möglichkeit zeitgemäßerer Abzahlung selbst hinausschieben, durch Erregung von Mitleid — planmäßige Hinhaltung, Vorspiegelungen oder aber durch Furcht vor ihrem weiten Maul die Einforöerung zu blöde und leise machten! — Doch wozu tausend Fälle als mögliche angeben, da das innere Gericht des Herrn kein sterblich Auge durch­ sehen kann und dem Gewissen des Schuldherrn allein an­ heimgestellt bleiben muß, von seinem positiven Rechte vollen, teilweise» oder keinen Gebrauch zu machen! In diesen schneidenden Gel-verhältnissen ist ein weiter Raum gegeben zur geistlichen Ausgleichung der weltlichen Ungerechtigkeit und die Schäfer der Seelen werden nicht fehlen, wenn sie die Hartherzigen durch Hinweisung auf Liese Ausgleichung zu erweichen suchen werden. An Rednertalent und Über­ redungskünsten wird es gleicherweise von seiten -er be­ drängten Schuldner nicht fehlen, sie werden das Herz des Schuldherrn und den Kopf des Richters auch ohne Auffor­ derung hiezu in der Gerbe zu bearbeiten suchen, um das eine weich und den anderen geschmeidig zu machen. Ich lenke aber wieder ein. Während also der Schuldherr in der Steigerung der Tauschkraft des Geldes einen Mor­ genstern erblickt, der ihm den Tag herausführen soll, durch die 8 ausgeliehenen pro Cento die ausgeflogenen 92 pro Cento wieder einzufangen, sieht in eben dieser Verminderung des Geldquantums der Schuldner den Abendstern seines Heiles und seines Vermögens. Wenn er vielleicht auch so rechnet, wie ich, so steht er in der Meinung, er bezahlte mit ein­ facher Schuldziffer eine fünffache Geldkraft. Wäre letztere

Annahme richtig, so erhielte der Schuldherr für 8 ausge­ liehene Gulden, respektive 40, also an früherer Einbuße von 92 pro Cento ein Abschlag von 40 fl. Mithin bliebe der Schuldherr dennoch im Schaden von 52 pro Cento und -er Schuldner hätte an dem Ersätze nur 40 fl. als pro Cento getragen. Ein Unterschied von 12 pro Cento fiele also noch immer dem Schuldherrn zur Last. Er mag sie tragen, es läßt sich nicht ändern. Der Schuldner nun wird so billig in der Rechnung nicht sein, in der Berechnung -es Sachver­ haltes so tief einzugehen — er wird vielmehr suchen, seiner Verbindlichkeit sich auf irgendeine Art zu entziehen. Seine große Bedrängnis bringt nicht nur seine Habseligkeit in Gefahr, sondern auch seine Rechtlichkeit. Das losgelassene Signet hetzt den aufgescheuchten Schuldner demjenigen Nechtsfreunde ins Haus, der am meisten im Gerüche steht, seinesgleichen geholfen zu haben. Seine Nachfrage um einen Nechtsbeistand wird zwar honetter, aber -och im Sinne jenes Walachen lauten, der einen Advokaten nicht anders zu erfragen wußte, da er das Wort hiefür vergessen hatte, als durch die Worte: Unde shede eile, kare mintje pe plate!1 Gerichtswesen Gehen wir nun vors Gericht — natürlich nur inkognito und mit der Tarnkappe. Hier gibts vollauf zu tun — Rechts­ streite die Menge. Schuldner winden sich wie Aale — die Schuldherren hingegen suchen den Daumen hinter die Kie­ men zu bringen. Was tut -er Richter? Er sieht erst zu! Doch ich muß etwas ausholen. Die Engländer, durch ihre Prinzipien Handelsleute der Welt — haben der Willkür ihrer Rechtssprüche eine auf dem 1 Wo wohnt der, der für Bezahlung lügt? D. h. der mir zu einem Spruche verhilft, wie ich ihn brauche. Die rumänische Or­ thographie von heute wäre: Unde $ade äla, care minie pe platä. Folberth. St. L. Roth. IV.

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Festlande ungebräuchliche, oft und oft belächelte und für Pedanterie ausgeschriebene1 Schranke ihres Verhaltens zur Richtschnur gesetzt, nämlich Verbindlichkeit nach dem Buch­ staben. Der englische Richter glaubt sich dafür nicht verant­ wortlich, wenn ein Gesetz hart, unsinnig oder unmenschlich ist. Diese Verantwortlichkeit schiebt er der Gesetzgebung ins Gewissen. Sein Wahlspruch und sein Glaubensbekenntnis lautet: E lege, non de lege!2 Ist das Gesetz nicht nach seinem Gefühle oder seiner Erkenntnis gemodelt, er maßt sich nicht an, ein Jota daran zu ändern, er erkennet nur die eine Pflicht als die seinige, die einmal vorhandenen Gesetze — so wie sie sind, gut oder schlecht nach seiner Meinung, gleich­ viel — in Anwendung zu bringen. Hält er es mit seinem Gewissen unvereinbarlich, nach dem Gesetze zu sprechen, so legt er die juridische Perücke nieder, oder macht die Anzeige nach geschehenem Spruch der gesetzgebenden Stelle oder emp­ fiehlt den Fall der königlichen Gnade — in allen Fällen ein Ehrenmann- denn macht er sich selbst durch abweichenden Richterspruch aus eigener Faust zum Gesetzgeber, so gilt er in der öffentlichen Meinung oder dem Bolksbewußtsein als ein willkürlicher Richter, in England soviel als Feind der Verfassung und Verfälscher des Rechts, als Halunke. Diese Beschränkung der richterlichen Befugnis, diese Buchstaben­ herrschaft, hat den Inselstaat zum Banquier der gesamten Welt gemacht. Denn nirgends auf der ganzen lieben Welt gilt Schwarz auf Weiß soviel als in England und darum, soweit Vollkommenheit unterm Monde möglich ist, das Ver­ mögen in der englischen Bank am sichersten niedergelegt. Eine Anweisung auf diesen Zahlmeister gilt an den Polen wie unter der Linie wie bares Geld. Darum haben auch bei­ nahe alle Mächte des Festlandes, in utrumque casus eventum,** 1 Soll wohl „ausgeschrieene" heißen. * Nach dem Gesetz urteilend, nicht über das Gesetz nachdenkend. 1 Für alle Fälle.

ihre goldene Scherwolle, eigener Staatseinrichtung1 2 ver­ trauen-, in den englischen Pferch untergebracht. Dieser un­ ermeßliche Kredit ist die Schwungkugel ihres unermeßlichen Handels- und Gewerbewesens und wenn man nach der Ur­ sache fragt, die solche Erstaunlichkeiten gebar, so sind es nicht Goldbergwerke — Bolkszufriedenheit, die Ruhe eines Kirch­ hofes oder der ewige Friede, sondern der allen richterlichen Ansprüchen zugrunde liegende Satz: E lege, non de lege! Wie du siehst, verehrter Leser, bin ich nicht der Mann, der hinterm Berge hält und leicht wirst du erraten, wozu ich mir diese Brücke gebaut. Wir jammern über Kreditlosigkeit ilnd ich meine nicht ohne Grund. Alle halten wir sie für Wassermangel * bei Mehlnot, für ein zusammengebrochenes Wagenrad, daß man nicht von der Stelle kommt. Wer sich dermalen bei uns ohne bares Geld befindet, sei er die ehrlichste Haut, habe er auch des Geldwertes hinlänglich — bis er zum Tauschmittel gelangt, Straßen ab und auf läuft, an hundert Türen anklopft — ist die Gelegenheit, das endlich erlangte Geld in Tätigkeit setzen zu können — längst vorüber. Alle Griffe an den Hinterkopf geben keine Locken in die Hände, denn vorn ist der Schopf und hinten die Glatze. Hieran ist nicht die Verringerung der Geldmassa schuld oder der sachgemäßere Geldmangel, sondern der Mangel an Kredit. Diese Kreditlosigkeit hängt unse­ rem Verkehr wie einem Seeleichnam Kanonenkugeln an die Füße: sie zieht uns nicht nur jetzt in die Tiefe, sondern wird uns auch verhindern, je wieder über dem Meeresspiegel zu gleiten, wenn nicht------in der Ansicht über die richterliche Befugnis eine Wendung eintritt, und die Anwendungsart des Gesetzes als eine Wiedergeburt und neue Kreatur zu­ tage kommt. Die beliebte Willkür des Richters muß auf­ hören, soll der Kredit anfangen. Sind auch dem Herzen eines 1 Der Sinn verlangt hier Einfügung des Wörtchens „nicht". 2 Hier ist an die Wassermühlen gedacht.

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Der Geldmangel und die Verarmung

Richters -ie menschlichen Gefühle der Billigkeit, des Mit­ leids und der Humanität überhaupt nicht zu vermehren, ja ich achte ihn um so mehr — aber in seinem Munde als Urteilsprecher, als Gesetzausleger sind sie eine Übertretung der Befugnis, Mißbrauch seiner Amtsgewalt — Willkür. Die Gesetze sind ein bereits Gegebenes, Vorhandenes oder Gesetztes und nicht ein zu Gebendes, Zukünftiges, zu Set­ zendes,' sie sind da als Norm und nicht als erst zu Normie­ rendes. Ist ein Paragraph zu mildern oder zu verschärfen, ein Zusatz zu machen oder ein Ausschluß vorzunehmen, alles dies ist Sache der Befugnis, der Fähigkeit und des Scharf­ sinnes der gesetzgebenden Gewalt eines ganzen Landes und nicht Sache eines nur mit sich selbst konzedierenden unbe­ fugten Privaten. Die Trennung -er exekutiven Gewalt von der legislativen ist unumgänglich vor allem. E lege, nicht de lege stehe an dem Giebel jedes Gerichtssaales oder vielmehr in der Überzeugung jedes Richters. Ich bin so billig, einzu­ gestehen, daß Richter in jedem Lande Menschen sein werden. Sympathien und Antipathien werden auch im Lande -er Nebel und des Kohlendampfes ihre Anziehung und Ab­ stoßung äußern. Auch der Judex anglicus wird kein angelicus fein; änglisch, aber nicht: englisch. Fühlen -och auch wir Nichtrichter, daß auch das redlichste Herz seine unbe­ wachten, schwachen Augenblicke hat, daß auch unsere Ge­ rechtigkeit ihr Mittagsschläfchen hält. Dies beim Beamten und Nichtbeamten zu verhüten, vermögen nur die Volks­ stimme in der Welt und Gottesstimme in der Kirche. Wenn es dem englischen Richter beliebt, in einer schwachen Stunde der Menschlichkeit einzunicken, weckt ihn die Furcht vor der Wahlbürgerschaft auf, -ie ihm gellen- in die Ohren schreit: Du kannst nicht unser Mann sein! In einem Lande, das eine Verfassung hat, welche dem Volk die Bürg­ schaft dieser Verfassung im Wahlrecht in die Hände gibt, können nur dann willkürliche Aussprüche von Richtern oder

beliebige Gesetze slegungen als gewöhnliche und allgemeine Beschwerden zum Vorscheine kommen, wenn das Volk selbst Sinn und Verstand, Neigung und Zug zu dieser Verfassung in sich und aus sich bereits verloren hat. Ein Volk, das als Wähler ein Hüter seines Rechtes sein sollte, und sich dieses Wahlrechtes halber nur als eines Rechtes bedient, Willkür auszuüben, indem es die Faulheit, den Unverstand oder die Willkür wählt, ist da, wo es Zeit ist, zur Leichenpredigt das Papier zu beschneiden. Wenn es zugrunde gerichtet wird, es verdiente kein besseres Los- es schleppt ja seine Ver­ fassung selbst auf dem Hunde zum Schutthaufen. Wie wahr sagt Johannes von Müllers -er mit seiner Seele die Schlüssel zu vernagelten Archiven sich (v)erkaufte: Jedes Volk hat die Verwaltung, die es verdient!! — Wo aber im Volksbewußtsein die Würde der Gesamtheit in seinen Wählern wie eine Abenddämmerung immer mehr zur Nacht wir-, da hat dies Volk noch nur einen Ort, von wo es seine Erlösung hoffen darf, die Kirche. Dahinein gehören wir alle, Richter und Parteien — willkürliche und unwill­ kürliche — redliche und unredliche. Da ist das wahre, alleinige, das Ansichrecht, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Da, da ist der Ort: das äußere Recht, als eine fehlerhafte Abschrift des inneren Rechtes, aus dem Urtext zu verbessern- hier hat -er Richter vollkommenste Freiheit sich zuzureden ein Mensch zu sein, da er draußen in der Welt nur Richter sein -arfhier muß sich -er Schul-Herr eingestehen, -aß er in der Welt zwar Schulden einzukassieren, im Himmel aber größere zu verantworten hat. Diese Umtaufe der Hartherzigkeit in mil­ den Sinn, Gesetzeshärte in Herzensweiche hat und wird kein Deliberat und kein V. R. W? jemals vollziehen. Am Bei­ spiel -es willkürlichen Richters hat der Schul-herr 1 Johannes von Müller, 1752—1809, Geschichtsschreiber in öster­ reichischen, preußischen und französischen Diensten. 2 „Von Rechts wegen".

keine Leiter gefunden, zum ewig Rechten sich zu erheben. Denn, wenn der Richter gegen das Gesetz einen Rechts­ spruch tut, stellt er den weltverderbenden Grundsatz auf: es ist erlaubt, durch Unrecht das Recht zu machen: laßt uns Böses tun, damit Gutes daraus hervorgehe, heißt das Testa­ ment eine verfluchte Lehre. Ja, ja, die Gewissenhaftigkeit und Menschenliebe, das Evangelium, welches den Armen zugut kommen soll, ist keine Blume, die sich durch Rechts­ aussprüche entfaltet: der Herr des Gartens hat ihre Pflege anderen Dienern anbefohlen und anvertrauet, denen er, eben zur Unterscheidung von der Welt, alle Macht versagt hat und verboten. Was der willkürliche Richter fühlen, aber als Richter nicht aussprechen darf als Gesetzeswillen, darf nnd soll die Kirche ex nobili officio1 tun. Ihr stehet es zu, unter Donner und Blitz die Gesetzgebung der Pflicht zu ver­ kündigen, wie Moses am Sinai die Gesetzgebung des Rechts. Stellt der natürliche, positive Mensch als höchstes Recht sein Recht auf, kehrt es der wiedergeborene, ideale Mensch um und stellt als höchstes Recht seine Pflicht auf. Dieses und dergleichen ist Amt und Wirksamkeit der lieben Kirche, dieser Anstalt zur Entweltlichung der Menschen und zu ihrer Berhimmlischung. Wie gut wäre es, wenn zur Anhörung solcher Lehren öfter als einmal im Jahre des Kaisers Geburtsfest Gelegenheit und Nötigung gäbe, oder ein Frohnleichnam. Denn da hätte die Kirche Gelegenheit, vom Herzen des Rei­ chen und der fordernden Parteien die Eiskruste abzuschlagen und könnte das stumpfe Amtsgefühl auf dem Schleifsteine spitzen, während sich jetzt nur die Armen und Mühseligen Assignationen auf eine künftige, bessere Welt daraus holen. Dies klingt ja freilich beinahe so wie eine Bußpredigt, und es ist wohl leicht zu erraten, welches Geschäft Beruf meines Lebens sei. Ich wills nicht leugnen, daß ich mein Amt im Besitze einer Kraft halte, die Welt selig zu machen; aber, um 1 Nach ihrer höheren Pflicht.

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ganz verstanden zu werden, mutz ich bemerken, -aß -er pre­ digende Pfarrer doch immer auch sein eigener Zuhörer ist. Ich wenigstens habe mir, wenn ich das Maul gehen lasse, die Ohren niemals noch verklebt. Darum fahre ich nun in meinen Gleisen, wenn ich, nach 2 Tim. 4, 2 desgleichen zu lesen gebe, denen, die ihren Ohren solche mißfällige Lehre dadurch gewöhnlich vorenthalten, daß sie mitsamt den Ohren lieber ganz zu Hause bleiben. Welche Hausmutter denkt nicht beim Anblick schwarzer Wäsche, unwillkürlich und augenblicklich solche in den Beuchkessel1 zu tun? Sollte dieses bei Be i ch tvätern wohl anders gehen und nicht zu entschuldigen sein? Hat auch der Geistliche als solcher in Weltsachen nichts zu reden, so tritt er in dem allgemeinen Sprechsaal nicht als Priester, sondern als Gutsherr auf. Mags ihm niemand ver­ argen. Denn bei einer Feuersbrunst läßt man jeden löschen. Ich aber habe keinen größeren Löscheimer als mein Tin­ tenfaß. De lege und nicht e lege hat uns in die Kreditlosigkeit ge­ stürzt oder in den Zustand eines Fuhrmannes versetzt, der fahrstützige Pferde hat: die Schindmähren haben wohl noch so viele Kraft, den Wagen fortzuschleppen, aber sie wollen sie nicht hergeben, ihre Füße zum Vorwärts nicht in Be­ wegung setzen. Der Richter erhielt den Anstoß zu einer will­ kürlichen Anwendung der Gesetze durch seine Einsicht in das Mißverhältnis der Geldverhältnisse, die im Laufe der Dinge bald den Schuldherrn, bald den Schuldner vom Flau­ menbett auf den Strohsack legten. Kam die Sache vor den Richter, so fiel er aus seiner Rolle des Gesetzauslegers und Anwenders, wich vom Buchstaben und suchte den Vermittler zu spielen zwischen der gerechten Forderung und ungerechten Leistung und geriet dadurch über die Tasche des Gläubigers, 1 In diesem Kessel wird eigentlich bloß die Bauche oder Bäuche ssieb.-sächs. Bech) hergestellt, mit der die Wäsche überbrüht wer­ den soll.

obgleich er wohl wicht zum Herrn gesetzt ist über -en Besitz, sondern nur über das Erkenntnis des Gesetzes. Sie fühl­ ten, -aß sie sich eine Blöße gaben und suchten ihre Blöße mit einem Feigenblatte zu beschönigen, das aber so durch­ sichtig war, daß es eher aufdeckte als verdeckte. In der Bo­ tanik der Moral haben die Feigenblätter zweierlei Eigen­ schaft. Eine Handlung der Humanität kann, als Blatt, die Fehler einer Privat Handlung verdecken; die Blöße einer fehlerhaften Amtshandlung, einen Fehler des Prinzips und -er Stellung, kann eine vorgeschürzte Huma­ nität nicht decken. Darum erkannte auch das Volk, mit seinen vielen Augen, in diesen Humanitätsäußerungen und Afterrechtsprüchen, daß das Schiff des Richters seinen Kompaß verloren habe. Die schwache Seite des Richteramtes war entdeckt, darum zielten alle Pfeile auf die verwund­ bare Stelle dieser Achillesferse, auf die Erregung des Mit­ leides. Alle Geschütze schossen daher auf das Herz, wohl be­ rechnend, daß, nach Eroberung dieser Bastion, die übrige Besatzung im Kopfe die Waffe strecke, und zur Unterzeich­ nung -er vorgelegten Pakten bereit sei. Bei Jericho fielen doch die Mauern durch -en Schall und Hall der ringsum tobenden Israeliten ein, hier aber zerweichen sie von Zähren erniedrigender Gnadenbettelei: darum die Sprache -er Be­ klagten wie auf Messen die Stimme derer, die ein hölzernes Schüsselchen halten: Gebärden zum Erbarmen. Da ist ein Überfluß von Bitten, Verschwendung an Weihrauch, der wohl den Heiligen gebührt, die hiedurch nicht heiliger, aber nicht den Menschen, die hiedurch schlechter werden. Der Rich­ ter, der auf dem Leuchtturm -es Gesetzes -en Verstand ent­ fernt und dafür das Herz zur Feuerwache eingesetzt hatte, das, ein flüchtig Ding, wie es ist, eben beim Einlaufen des Schiffes, wo es die meisten Riffe und Bänke gibt, die Laterne auf die unrechte Seite hing — merkte zwar, weil sich oben Kopf und Herz um -en Laternenplatz zankten, daß eine Ge-

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fahr vorhanden fei, steuerte etwas hierhin, etwas dorthin — endlich folgte er doch dem Herzen und das Gesetz bekam einen Leck. Was nutzte es, daß das geduldige Papier den Schluß erhielt V. R. W.1, es hieß endlich: von meinetwegen. Unser Sachsen Eigenland-Recht, so strenge nicht wie die neueren Wechselgerichte, entbehret, mein' ich, in seinem ju­ ridisch-politischen ersten Teile der H u m a n i t ä t doch nicht. Die andere Hälfte, der Kriminalkodex, trägt allerdings die Spuren der Zeit an sich, in der er entstand, und ich bin weit entfernt, jedem und allem darin das Wort reden zu wollen. Hätten sich nur die sächsischen Unterstellen durch Kassationen ihrer Kriminalurteile, wie sie i-n den Statuten einmal vor­ gezeichnet sind, durch höhere Entscheidungen nimmer beirren lassen und bei wiederkehrenden Fällen ihre Urteile jedes­ mal wieder auf dasselbe Gesetzbuch begründet — so wären die Oberstellen, hiedurch aufmerksam gemacht, von selbst da­ rauf gekommen, eine Revision des Kriminalkodex anzuord­ nen und wir hätten, vermutlich schon längst, ein Gesetzbuch, d. h. etwas Festes, während wir jetzt der Willkür des so und so urteilenkönnenden Strafrichters preisgegeben sind. Dieses lasse ich jedoch klüglich aus dem Spiele,' denn, wo ohne notwendige Begründung auf ein Gesetzbuch über Frei­ heit, Ehre und Leben die bloße Ansicht und Beurteilung eines doch immer Mensch bleibenden Menschen die Kraft und Erfolge von Gesetze[«] haben, da muß ein anderer davon reden, der mehr Mut hat zu verschweigen als ich. Nach­ weisungen des schädlichen Einflusses auf Moral und Cha­ rakter, Eigentum und Volkssinn usw., welchen dieser Mangel eines allgemeingültigen Maßstabes in der Bestrafung auf das gesamte Leben des Volkes ausübt, könnten nicht schwer fallen und würden vielleicht mit dazu dienen, das Kind je eher, je besser aus der Taufe zu heben, was um so notwen1 »Von Rechts wegen".

diger zu sein scheint, als der Vorwurf -er Bureaukratie in keinem Punkte weniger abgewiesen werden kann als eben hierinnen. Indem ich also die Juno Lucina1 anflehe, mit den Händen die beiden Knie nicht so feste aneinander zu drücken, mache ich mich aus diesem Gebiete der Willkür bei­ zeiten aus dem Staube und kehre von -er peinlichen Hals­ gerichtsordnung zum minder gefährlichen, wenn auch nicht erfreulicheren Geschäfte in die juridische Gerichtsstube zurück. Daß die Statuta Nationis Saxonicae im ersteren Teile human, hinlänglich, seien, ist bereits gesagt: also ist auch -er Richter, in -er Vollziehung dieser Gesetze, im Vollzüge einer humanen Handlung. Die Humanität des Richters hat nicht zu bestehen in der Humanmachung der Gesetze, sondern in seinem Betragen und Benehmen gegen die Parteien, wenn sie vor Gerichte stehen. Torvus vultus, Verba ferocia, oculi minaoes2 stehen ihm nicht an. Nicht nur sei er kein Gesetzgeber, das wäre Anmaßung: das Amt eines Scharf­ richters, wenn auch nur im psychologischen Sinne, eine Ent­ würdigung und Entehrung der Stelle, die er bekleidet. Zart aber oder grob, ist ein Spruch vom Richterstuhl gesprochen, nicht gesetzlich, so ist er ungerecht, und ein ungerechter Nechtsspruch, dächte ich, wäre eine Contradictio in adjecto.3 Ich rede so lange schon von der Willkür der Richter als von einer der Hauptursachen unserer Kreditlosigkeit: findet sie denn auch statt? — Ja! — Bei jedem Richter? Vielleicht! — Immer? Nein, ganz gewiß Nein! Vorsatz ist es nicht, es ist nur Schwäche, eine Überlistung des Kopfes durch das Ge­ fühl, zwar klares, lauteres Regenwasser, das aus dem Him­ mel der Liebe fällt, aber doch die Wege des Erwerbes und der Gewerbe mit Schlamm vollflözt und sie unfahrbar macht. 1 Die römische Göttin der Entbindung. 2 Wilde Miene, trotzige Worte, drohende Augen. 3 Widerspruch an sich.

Es geht nun einmal dieser laue Wind in -er Praxis, der in alle Geschäfte eine Stockung bringt. Bekommt doch auch ein Russe, obgleich der Kälte zu trotzen gewohnt, wenn die Grippe grassiert, auch seine beschmutzte Nase, warum sollte denn ein siebenbürgischer und auch ein sächsischer Richter, wenn in den allgemeineren Rechtsansichten seines Reiches Tauwetter herrscht, von diesem Zeitübel unangegriffen blei­ ben, seines Teils von dem Tribut seiner gebrechlichen Natur allein ausgenommen sein? — Braucht denn so was bewiesen zu werden? Von was zeuget denn der Staub auf den S t ö ß e n -er Akten? — Bon -er statutarmäßigen Schnellig­ keit, womit Prozesse erlediget werden sollen? Drückt nicht der Richter in -er ewigen Vergönntnis12 von Exmissionen der Gerechtigkeit oft das Auge nur darum zu, um dem gejagten Hasen noch eine Gnadenfrist zu lassen? Er weiß, derselbe bringt es nicht mehr weit, die Schrift auf dem Papier macht wie auf frischem Schnee die Fährte zu kenntlich — warum also dem Rüden den irrenden Anruf! — Es ist nur schwaches Mitleid! Ist die V i e l h e i t der Prozesse nicht ein schlagen­ der Beweis davon, daß auch das Unrecht seine Hoffnung hat!? Ist die beinahe gänzliche Abolierung des mündlichen Prozesses vor Gericht etwa Ausdruck eines Wunsches, mit den Prozessen bald fertig zu werden? Was beweisen die Bücklinge, die Jahäupter der Parteien, die schmählige Sklavensprache in den Bittgesuchen und son­ stigen Captationes benevolentiae,2 als diese Einsicht des Vol­ kes, daß sein goldenes Gesetzbuch nicht in allen Stücken und nicht bei jedermann gelte, ein stummes Geständnis, daß in des Richters Händen die seidene Schnur um seines Volkes Hälsen liege. Das entehrt die heiligen Hallen der Gerechtig­ keit, entwürdigt ein freies Volk. Recht und Freiheit ist ja 1 Gewährung. 2 Haschen nach Wohlwollen.

nur eins, und beide gedeihen nur im Sonnenschein -es Ge­ setzes. Geneigtheit, Begünstigung, Gefälligkeit, Güte, Gunst, und die sonstigen Blumen des Herzens, die auf dieses nackte Leben Rosen streuen, gehören ins Privatleben, wo man ge­ ben kann und nicht, nehmen kann und auch nicht. Von Gnade steht nun gar im Prozeßverfahren auch nicht e i n Buchstabe — wohl aber im Vokabularium^des Kriminal­ kodex und auch da nur, von dem einen geheiligten Munde -er Landes-Majestät auszusprechen. In Gerichtsstuben kann nur die Rede sein vom Recht und vom Unrecht. Alles geschehe denn auch, wie geschrieben und gesprochen wird, V. R. W. Um sein Recht zu bitten, ist eine Redensart der Höflichkeit und Bescheidenheit. Jeder Gebildete kann, soll und wird sich dazu verstehen: aber selbst diese Einkleidung in das schöne Gewand einer Bitte hüllt nur den Gedanken ein des Rechtsverlangens, der Rechtsforderung. Unbeschei­ denheit ziemt nirgends und an keinem Orte, am wenigsten vor einem Richter, dem des Volkes Wahl das Zeugnis der Vertrauenswürdigkeit zugleich mit dem Gesetzbuch in die Hände gab, als Evangelium der Welt. Aber Recht bleibe Recht, ob man nach Pomade dufte oder nach Butter stinke, wer und wie und was man sei. Ein Katzenbuckel helfe nichts, ein gerader Rücken schade nichts. Das Recht über alles! Dieu et mon droit!1 —

In diese Bahn einer sogenannten humanen Gesetzaus­ legung sind unsere juridischen Angelegenheiten durch das verhängnisvolle Jahr 1811 geraten. Viele Richter wollten die eisernen Räder der Weltereignisse mit der weichen Watta ihres Gefühles umpolstern und übernahmen die Weltver­ söhnung durch einen Akt der Willkür. Die geringgeschätzte Gerechtigkeit schickte, als beleidigte Gottheit, die Rechtsun­ sicherheit und die Kreditlosigkeit dafür ins Land. 1 Gott und mein Recht.

Rechtsschulen Die künftigen Juristen unseres sächsischen Volkes zogen mit ihrem bißchen Naturrecht, von dem unsere Munizipal­ verfassung ein Nachbild ist, welches sie auf unseren Schulen mehr angelernt als in Blut und Saft verwandelt hatten, in den Jahren, wo man überhaupt leicht annimmt, zu ihrer eigentlichen juridischen Stempelung in eine Schule und un­ ter den Einfluß einer Umgebung, die unserer gesellschaft­ lichen Verfassung ein wahrer Gegenfüßler ist,1 2 in das Land der ewigen Prozesse, und kamen nach Hause, oft entzückt vom Glücke angesehener Klassenbevorrechtigungen, mit der einge­ lernten Kunst: Prozesse bis an den jüngsten Tag zu führen. Das heimatliche Gefühl der Beschränkung unter Gleichbe­ rechtigten fand keine Nahrung da, wohin er zog. Fern von den wachenden und schützenden Volksblicken, sah er sich die­ ser Schranke los und erfreute sich einer junkerlichen Allein­ bestimmung. Er fand da im Typus des dortigen National­ lebens nur die zwei Stände: Herren und Jobagyen? Seine Kleidung aus feinem Tuche und sein lebensartiger Umgang zog ihn zu dem Herrenstande hin: auch ward er gerne dort gelitten. Der Attila aber, den er anzog, der Schnurrbart, der hier den Gänseprozeß gewann, der Klang -es hinten auf­ fallenden Säbels — eine Auszeichnung des Edelmannes ge­ meiniglich, die silbernen Sporen, als Merkmal eines Reiter­ volkes, Umgang, Luft, Sprache, alles ließ ihm den Adel als hoch und beneidenswert, den Bürger als gering­ schätzig und gemein, den Jobagyen als verächtlich er­ scheinen. Vater und Mutter daheim freuten sich über die vornehme Gesellschaft, in die aufgenommen worden zu sein ihr bürgerliches Kind das Glück gehabt hatte, nur fiel die 1 D. h. entweder nach Klauscnburg oder nach Väsärhely, die beiden Mittelpunkte des siebenbürgisch-ungartschen Lebens. 2 Leibeigene.

barsche Schreibart in den Briefen bisweilen doch als eine Verwandlung ihres gehorsamen Sohnes auf, wenn es hieß: „Und wenn Ihr wollt, daß ich studieren soll, so muß ich, um nicht verachtet zu werden, meinem Stande gemäß hier leben" usw. Freilich sind studieren und standesgemäß leben, wie mir deucht, nicht gleichbedeutende Ausdrücke. In Tübingen studierte man auch, auch war das Leben nicht ohne Freuden, aber der Bursche ging in seinem Flaus und von standesmäßigcm Leben war keine Rede. Der Bürgersohn — jeder Sachse ist Bürger — kam endlich nach Hause aus adeliger Umgebung in die altehrliche Beschränktheit. Ich will niemanden be­ leidigen — aber -och muß ich den getriebenen Aufwand für unverhältnismäßig erklären, und — zum mindesten gesagt — als unbürgerlich mißbilligen. Mit Tränen in den Augen über die glückliche Heimkehr sagt auch der Vater: Gott sei Dank, wir haben auch dieses bewerkstelliget, und die Mutter spricht: Nun zieh st du nicht mehr von uns! Am anderen Mor­ gen ist kein Famulus da, -er die Stiefel putzt, der Rock bleibt unausgeklopft am Nagel hangen. Es kommt zur Erklärung: Mein Sohn, sorge nun selb st für dich,- was nochübrigi st, brauchenwirf ürsAlter!--------Was ist nun zu tun? Die Anstellung und damit ein Kreuzer auf Brot und Fleisch ist ein noch zu entdeckender Weltteil. Was ist nun zu tun, sage ich. Der Wunsch manches jungen Mannes ist eine Reue, mag er mit dem ge­ raden Degen oder mit dem krummen Säbel am väterlichen Herde aussteigen, beide haben vielleicht zu bedauern, man­ chen silbernen oder goldenen Doppeladler fliegen gelassen zu haben, der öen jetzigen späteren dringenderen Bedürf­ nissen hätte aufgespart werden können. Der Akademikus, zwischen Lehrern und Lernenden zu seiner Selbständigkeit erwacht, nimmt sein Kreuz auf sich und sucht sich seinen

Lebensunterhalt mit Unterricht zu verdienen. Mancher Professor extraordinarius lebte ja, töte er wohl wußte UNd

womit er sich tröstet, auch nur vom Honorar, im Schweiße seines Angesichtes. Quales videmus, quales audimus, tales sumus!1 Er tut daher die mitgebrachte Begeisterung für die Idealität des Lebens als Kohlenpfanne in sein Herz, an der er sich wärmt, wenn es ihm bedünken will, sein Vater­ land sei eben kein Tropenland für die Musensöhne, fügt sich in die Umstände und spannt seinen guten Willen, als demü­ tig gewordenen Pegasus, neben den bedächtig gewordenen Bruder Ochs ins Joch des Philisteriums. Also säet er in den Schulstaub sein Zehentkorn und zehrt einstweilen gleich nach seiner Heimkehr von der Hausmannskost eines ehrlichen und mäßigen Verdienstes. Was bleibt aber demjenigen Juristen übrig, dem im elterlichen Hause die Quelle der Gelder zu fließen aufgehört hat? Was sonst, als eigener Erwerb? Weil aber Unterricht und Lehre anwidert — bleibt nur der Erwerb und das Ge­ werbe der Rechtsfreun-schaft übrig! — Weil aber die Not groß ist, und nach den Goldfischlein viele angeln — vielleicht auch in selteneren Fällen, weil die Präge der Schulmoral sonst schon abgegriffen worden .... jede, jede Partei, von denen jedoch immer nur eine das Recht auf ihrer Seite haben kann, findet einen Anwalt, ihren Beistand. Hm! Ob sich auch jedesmal so leicht das Unrecht vom Rechte scheiden läßt? — Das wollte ich aber nicht strenge behaupten. Ich habe mein bißchen Kenntnis der Statutargesetze2 nur vom Gymnasium in Hermannstadt geholt und das Rechtsstudium lief bei mir nur nebenbei, wie ein Fohlen neben der Frachtstute. Ich gehöre also nicht zur Zunft. Mir will aber immer bedünken, wer die Gesetze an den Fingern herzuzählen wisse, müßte 1 Wie wir sie (die Menschen) sehen, wie wir sie hören, so sind wir. 8 Das von 1583—1853 in Siebenbürgen geltende Gesetzbuch.

wenigstens und doch hauptsächlich darinnen eingeübt worden sein, zu wissen, welche Partei recht und welche unrecht habe. Wer nicht einmal dieses zu tun imstande wäre, hat — bei Gott — das Recht nicht hinlänglich studiert: Zeit und Geld für sich und sein Volk verloren. Derjenige aber, der diesen Unterschied machen kann, und sich -och zum Verfechter des Unrechtes dingen läßt, sollte mit stinkenden Eiern beworfen werden. Die Kunst, Prozesse zu führen, heißt und ist nur dann eine Dienerin der Gerechtigkeit, wenn sie die himm­ lische Hand ist, die der Unschuld beisteht, dem Rechte zum Recht hilft! Pfiffe und Kniffe, remedia juris,1 widern an, auch in gerechten Prozessen jedes sächsische Herz. Auch an­ derer Nationen Herzen, die Pfingsttäg gehabt haben, denken und fühlen das Gleiche, oder wie die Epistel meint, der eine Geist spricht in allen Sprachen. Nur wird die widrige Emp­ findung im Menschen, je nachdem er verschiedene Luft der Verfassung eingeatmet hat von Kindesbeinen an als wider­ lich bald mehr, bald weniger empfunden. Ja! -er Einfluß der Umgebung kann so groß sein, -aß diesem nach Ambra2 3 duftet, was jenem nach Assa foedita8 stinkt. Ibrahim Pascha in Ägypten hatte in der Jugend seine Freude darin, in die Gefäße der Wasserträger mit der Stutzenkugel ein Loch zu schießen; ging die Kugel einmal fehl und in den Wasser­ träger selbst: je nun! — Er bezahlte das Blutgeld. Sein Ge­ wissen fühlte sich nach dem Zahlgeschäfte beruhigt. Die ägyp­ tische Moral des Lebens und -es Hofes, in der er zum In­ dividuum geworden war, begnügte sich mit dieser Theorie der Versöhnung mit Gott. Also: Moral hat jedermann, aber jedes Volk, jedes Zeitalter seine eigene. Der Charakter -es einzelnen Menschen nimmt, ich werde vielleicht nicht zuviel sagen, von seiner Umgebung und dem Einfluß, der auf ihn 1 Hilfsmittel gegen das Recht. 2 Ein wohlriechendes Erdharz. 3 Teufelsdreck.

wirkt, also hauptsächlich von seinem Volk und seiner Zeit an. Die Zeit der geistigen Mannbarkeit fängt bei uns Hosen­ trägern dann an, wenn die Flaume am Kinn schamhaft herauskommt. Der Charakter ist noch flüssig — jetzt schießt er in die Krystallisation, er wird immer fester, endlich stein­ hart. In dieser kritischen Periode tritt die juridische Wan­ derzeit ein. Die sächsische Nation, die ihre juridischen Eier wie der Kuckuck einer anderen Bruthenne unterlegt, ward oft in ihren Erwartungen getäuscht- teils brütete die fremde Henne sorgloser aus, daß es Windeier gab, teils, wenn sie auch ausgingen, flatterte nicht selten kein junger Kuckuck, sondern nach der Volksmeinung ein Habicht nach Hause. An geratenen, echte Sachsen gebliebenen Juristen hat es Gott sei Dank noch nie gefehlt. Ich will mich ob dieser scheinbaren Unbill näher erklären. Der ungarische Professor, so ehren­ wert er auch ist, und, wie wenig geneigt oder fähig ich bin, diesen vorzüglichen und ausgezeichneten Männern hinter dem RückenBöses nachzusagen, hat wohl, wie nicht geleugnet wer­ den will, die erforderliche Kenntnis unserer Statutargesetze, um sie vortragen zu können. Aber Wasser tut's freilich nicht, sondern usw. usw., denn sie können — ohne das Unmögliche als möglich annehmen zu wollen, ihrer Gesinnung nach nie zugleich Ungarn und Sachsen sein. Die Geister der Verfas­ sung sind zu verschieden, um es einem Professor möglich zu lassen, vormittags in seinen Vorlesungen als Unger und nachmittags als Sachse seinen Schülern in den Vorlesungen das Herz bewegen zu können. Menschen sind wir zwar alle — aber die Nationalität erzeugt, wie in den verschiedenen Rebengattungen der Muttersaft, hier schwarze und dort gelbe, und dort weiße und dort grüne Trauben. Eine und die nämliche Rebe kann nicht verschiedene Trauben tragen. Ein Volk aber, das die Ausbildung seiner Juristen ver­ langt, wünscht deren Gesinnung ausgebildet nach der ^Ge­ sinnung der Gesamtheit im Volke. Nur derjenige Mensch Folderth, S«. L. Roth. IV.

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gehört, ist oder bleibt in der Gesellschaft seines Volkes, der in dessen Gesinnung, im Geiste der Gesamtheit bleibt. Nie­ mand kann zwei Herren dienen, entweder rc., oder rc. Wie sollte es nun einem ungarischen Professor möglich sein, in sich selbst zweierlei Rechtseiten, die sich den Rücken kehren, als Gesinnung in sich zu tragen? Als Gesinnung nicht, und darum auch nicht als Lebensreiz, als Tatenregung — höch­ stens Formelwerk, Gedächtnissache, Anwurf. Um aber den Geist einer Verfassung einem anderen mitteilen zu können, muß er im Lehrer selbst vorhanden sein, als Lebenskraft, als Zeugungskraft und nicht als bloßes Bewußtsein, Ein­ sicht und Verständnis. Wer unsere sächsische Gesinnung durch Lehre übertragen will in einen anderen, -er muß sie auch im Herzen haben, und zwar als ein solches Herzenseigen­ tum, das er nicht nur hat, sondern das auch ihn hat. Die Volksgesinnung ist die Model, nach der jedes Volk sich seine Verfassung und Gesetze zuschneidet, und um diese Ver­ fassung und Gesetze zu verstehen und zu lieben, muß wieder aus der Volksgesinnung der eigentliche Kommentar geschöpft werden. Die ungrischen Professoren haben nun diese un­ sere Gesinnung nicht, sie haben eine andere, die für uns eine fremde ist — was ihnen zu keinem Borwurfe gereichen soll — aber einer Unterwerfung ist es gleich, wenn wir unsere Geister in den Unterricht eines Fremdlings — zur Belehrung über eigene Gesetzgebung und Verfassung — ausschicken. Ein lutherischer Bube kann in einem Konvikte fremder Religionsgenossen seinen Katechismus ganz lernen, und, beim Austritt, auch ganz wissen — kann derselbe Bube aber in dem Konvikte eine lutherische Gesinnung be­ kommen? — So wenig, wie ein Jurist eine sächsische in einer ungrischen Schule. Unsere Juristen aber müssen, roernt es gut gehen soll, eigentlich, wenn es besser gehen soll, durch und durch Sachsen sein. Denn der Geist des Volkes

in seinem Außenleben und Erscheinung, als Rechtsgesin­ nung, ist ihren Händen anvertraut, als Auslegern der Ge­ setze und Vertretern -er Verfassung. Wäre einmal im Verlaufe der Zeit oben im Himmel — -es Deutschtums Untergang in Siebenbürgen beschlossen, wozu es jetzt we­ niger als je den Anschein hat — so würde dies am sichersten erreicht: erstens durch Absonderung vom deutschen Mutter­ lande und zweitens durch Hingabe an fremde Lehrer in -er Bildung unserer Juristen. Hier: Abfluß -er Gesinnung und dort: kein Zufluß mehr. Bis jetzt ist noch nichts verlautet von einer Absicht der ungrischen Professoren, unsere Juri­ sten in der Gesinnung zu entdeutschen und zu vermagyaren. Wir lebten ja friedlich und es hielten die drei Hände der Union1 fest ineinander, bis die Sprachfrage2 aus dem Pföifenkopfe eines überspannten Kopfes oder Müßiggängers, als Kohle, darauf fiel. Wir sind kälter gegeneinander ge­ worden, und der von der allgemeinen nationalen Gloichgültigkeit vielleicht gleichfalls ergriffene magyarische Lehrer braucht unsere sächsischen Juristen nur gleichgültiger zu lehren, nur so obenhin, und nicht con amore, so wird eben dadurch das Schwert st u mpf gemacht, womit die deut­ schen Interessen verteidiget werden sollen. Es braucht dies nicht Absicht, nicht Plan, nicht Berechnung zu sein, so hätte es schon diese Folgen: [mm] erst, wenn der Professor in jedem Juristen einen deutschen Vertreter erblickte, die der Magyaromanie um so förderlicher sein würden, je weniger zum Widerstand geeignet sie erzogen und gebildet würden! Aber einer solchen Annahme boshafter Absicht bedarf es nicht, um zwischen uns und über uns antimunizipale An­ sichten —eine undeutsche Gesinnung zu erzeugen. Die Lehre über unsere Gesetze und Verfassung tut es wohl alleine nicht 1 Die drei auf dem Landtag vertretenen fiebenbürgischen Na­ tionen: der Abel, die Szekler, die Sachsen. 2 Siehe St. L. Roths „Sprachkampf" S. 75 ff.

— eine noch viel größere Gewalt übt auf das Gesinnungs­ leben unserer Juristen das Leben selb ft unter einem fremden Volke, unter einer fremden Verfassung aus. Mag auch das Magyarentum die Unwehrhaftigkeit der sächsischen Nation in seinen Juristen nicht planmäßig betreiben und zu erreichen wünschen — der tägliche Anblick einer Scheide­ wand zwischen Herren und Knechten söhnt, durch die Täglichkeit des Anblicks, das davon beleidigte sächsische Auge aus. Man gewöhnt sich daran, man findet zuletzt Verhält­ nisse, die doch unserer Verfassung zuwider sind, als natürlich, und insoweit man auch gerne ein Herr, d. h. im Rechte über seinesgleichen sein möchte — sogar wünschenswert. Wer da­ her seine Verfassung von einem Lehrer lernet, der für sie kalt ist: wer seines Volkes Gesetze unter Umständen erler­ net, die ihn dafür nicht warm machen, wer in einem fremden Volke zur Mündigkeit gelangt, der1 den nationalen Sachsen von sich stößt und nur den Anschmiegenden liebkoset und herzet, wer seine Geistesblüten unter antu und undeutschen Befruchtungen entfaltet, wer in fremde Sitte, Gebräuche, Ansichten und Gewohnheiten sich hineinlebt, wer sich in eine fremde Sprache, zu diesem allem, noch tüchtig einbürgert — — der ist auf dem halben Wege, ein ganzer Unger zu wer­ den, und dadurch aufzuhören, ein Sachse zu sein. Denn er bringt nach Hause eine Zunge, der die fremde Sprache, Ge­ wohnheiten, denen die fremde Sitte, ein Herz, dem die frem­ den Gefühle, einen Kopf, dem die fremde Ansicht, eine Lebensart, der das fremde Leben,------ gäng und gäbe, eigen und geläufig sind.------ Die Einflüsse, die auf den zu wer­ denden Juristen eindringen, haben eine überwältigende Kraft. Was setzen wir also diesen Einflüssen entgegen? welches Gegengewicht hängen wir an den anderen Hebelsam? — Noch ist's nur ein Wunsch, ein Sternchen von Hoff­ nung. Was ists denn also? Ein späterer Besuch der 1 Soll richtig „das" lauten.

außersächsischen Lehranstalten, wenn in eine[i] s ä ch s is che sns Rechtsschule die Wurzeln deutscher Gesinnung bereits hinlänglich erstarkt sind? Einstweilen und bisher haben wir von der Aneignung unbürgerlicher Rechtsmaximen vieles zu leiden gehabt und verdanken wenigstens einen Teil unserer Rechtsunsicherheit demjenigen Advokatengeiste, der seine Ehre darinnen sucht, die ungerechten und darum auch verzweifeltsten Prozesse — über ein Menschenalter hinaus zu verlängern, was keinem Volke des Landes so zuwider sein kann, als dem Sachsen, der schlechtweg ein Gewerbsmann, dem Kredit und schnelle Rechtspflege Luft und Wasser sind. Wer diese Kunst der ewigen Prozesse gelernt — bewundert, belohnt und geachtet gesehen hat, mißbrauchte sie um so leichter, je mehr im Volks­ bewußtsein selbst der Selbstsinn und das Selbstsein unter Umständen eingeschlummert waren, die wenige Eigenschaften hatten, ihn wach, munter und lebendig zu erhalten. Die letzten Fechter sind gewöhnlich die ärgsten Raufer,' ihnen scheint ihr Ruf in der Friedfertigkeit zu verlieren, ihre Kunst will statt der verwelkten immer frische Lorbeerkränze um die Schläfe winden. Ein Haudegen und Raufbold sucht die Gefahr auf, weil sie nur für einen anderen eine Gefahr ist, für ihn selbst eine Gelegenheit zur Vitezseg.2 Ein solcher berühmter Schlächter, der alle seine Gegner zu Boden schlägt, mag dieser der Beleidiger oder der Beleidigte sein — das Recht soll ja nicht entscheiden, sondern, wie im ungerechten Prozesse, die Gewandtheit — findet denn seine Bewunderer, seine Verehrer, auch seine — Nachahmer. Ein solcher Ad­ vokat — ungerecht, halsbrecherisch — glücklich und bewun1 Der Gedanke, eine sächsische Rechtsfakultät in Hermannstadt zu errichten, war auch sonst bereits aufgetaucht und besprochen worben, z. B. aus dem Klausenburger Landtag 1841—43. Im November 1844 ist sie dann wirklich eröffnet worden. 8 Magyarisch, bedeutet: Heldenhaftigkeit.

dert, gibt ein verführerisches Beispiel für die nachkommen­ den Advokaten und säet durch dasselbe ins Leben und Be­ wußtsein seines deutschen Volkes undentsche Gesinnung und fremdes Wehen? Je schlechter die Zeiten, je häufiger die Prozesse, in jedem aber auch eine Partei, die Unrecht hat. Die ungerechte Partei ist aber die bestzahlende — der ungerechte Advokat also der bestbezahlte. Was macht dies für einen Eindruck auf das Gemütsleben, auf die Gesinnung des Volkes? — Schweigen ist Reden — und Nichtssagen ein Hilferuf. Palliative12 Diese traurigen Erfahrungen sind gemacht — die Kreditlosigkeit ist vorhanden — eine Quelle des Erwerbes ist nach der anderen versiegt — der sächsische Wohlstand liegt, wie ein Schwindsüchtiger mit Wangen, die eingefallen sind und auf denen die Röte als Ironie sich zeigt, als widriger, weh­ mütiger Anblick da — Hilfe schien allen vonnöten — Arznei dringendes Bedürfnis. Viele beredte und warme Herzen suchten in Palliativen das Heil und Rettungsmittel. Als solche sind angerühmt und vorgeschlagen, zum Teil auch an­ genommen worden: Wechselgerichte — Grundbuch — Leihhaus und die Sparkassen. Ich kann ihren ausgemachten Nutzen nicht leugnen, aber zugleich darf ich's nicht verhehlen, daß ich sie, als Palliative, nur ins zweite Glied meiner Zuversicht und Hoffnung stelle. Sie kommen mir eben vor wie der Dienst eines Regenschirmes, den je­ mand in einem Zimmer zum Schutze gegen eindringenden Regen aufspannt, weil — das Dach voller Löcher ist. Er tut's ja — aber das Dach stopfen wäre doch besser. Diese Gegen­ stände, einmal in unseren Kreis der Beratung gezogen, muß ich nun schon näher betrachten, aber, weil die Zeit drängt, 1 Soll wohl „Wesen" heißen. 2 Scheinmittel, Abwehrmittel.

nur berühren-, wie eine flüchtige Schwalbe, die über einen Fluß segelt, darein nur die Spitze des Schnäbleins taucht. Von Wechs elgerichten ist dermalen vielfach die Rede im Lande und fürs Land. Ungarn hat sie bereits ein­ geführt. Ich zweifle nicht daran, daß solche Anstalt zu ver­ mehrter Rechtssicherheit führen wird. Zur Überlegung des Ob? und Wie? werden unsere Lan-esstän-e weniger Zeit als Ungerland brauchen, da das Dafür und Dage­ gen schon in Preßburg* besprochen worden ist und bei der Ähnlichkeit beider Verfassungen läßt sich die Anpassung für hiesiges Land ohne Schwierigkeit bewerkstelligen. Unsere Obliegenheit wäre überdies die, in Ungarn nach -er Ver­ öffentlichung gemachte Erfahrungen zu Verbesserungen zu be­ nützen. Nun meine Ansicht: Wechselgerichte sind, ein Forum extraordiuarium zwischen Kaufleuten von Profession an ihrem Orte, als allgemeine Prozeßnorm zu verwerfen. Wir Sach­ sen hätten der Wechselgerichte eigentlich am wenigsten von­ nöten, da unser Gesetzbuch Bedingungen der Rechtssicherheit genug in sich hat. Die dermalige Kreditlosigkeit unter den Sachsen liegt nicht in -er Mangelhaftigkeit des Gesetzbuches, sondern in der Nichtachtung seiner Vorschriften und deren schlechter Anwendung. Das Sachsenvolk hatte in seiner Han­ delsblüte, wo es der teilweise Spediteur des Welthandels war, wo sein aktiver Handel nach Ägypten und in die Ostsee reichte — demohnerachtet kein W e ch s e l g e r i ch t; die Statuten reichten aus — denn, waren sie auch noch nicht ge­ druckt, sie lebten im Herzen als Gesinnung, im Volke als Rechtsachtung und Rechtsfreundschaft. Dazu: ebensowenig die Erbauung eines ständischen Saales in einem reinmonarchischen Staate die Volksvertretung ins Leben ruft, sondern umgekehrt: Wechselgerichte erzeugen nicht den Handel, son­ dern der Handel die Wechselgerichte. In Ungarn ist es etwas anderes. Der Hauptstrom Deutschlands strömt durch seine 1 Ans dem ungarischen Reichstag.

gesegneten Gauen, und der Weg über die Landenge bei Suez, die Englands Beharrlichkeit dem überfirnißten Pha­ rao abgetrotzt hat, stellt Ungarns Firma einst in den Vorder­ grund. Gelingen endlich die Expeditionen auf dem Euphratus, so stellt sich der alte Karawanenzug wieder her; der un­ garische Adel, verschmäht er Elle und Wage nicht, geht in seinen Enkeln einer glänzenden Zukunft entgegen, dem Reichtume eines venetianischen Nobilismus, wenn er das Bür­ gertum oder den Gewerbsstand mehr begünstiget als bisher. Siebenbürgen hingegen, ferner liegend, hätte zwar auch seine Maris1 2und den absatzreicheren Altfluß — doch ich verliere mich zu weit. Siebenbürgen wird an diesem Welthandel nur dann einen erklecklichen Teil haben, wenn dem Warenzuge die Donau her und hinauf der Weg durch Kriege verlegt ist, daß alsdann die indischen und chinesischen Waren, dieser Richtung gewöhnt, durch unser Land einen Umweg machen müssen. Bis nicht der Altfluß vor allem und die Maris von Handelsschiffchen wimmelt, könnte man den Antrag auf a l lge m e i n e Wechselgerichtsordnung billigerweise vertagen. Wozu ein neues Loch in unsere Gesetze, die scharf genug sind und voller Humanität, um sich, ohne daß es ein Handels­ bedürfnis ist, ein unbarmherziges Gesetz aufzuladen, das ein eigentliches Stau-recht ist, wo man dem Schuldner nur so viele Tage zur Zahlung läßt als einem Galgenvogel zur Rettung seiner Seele. Bedächten nur unsere Richter, und wäre es allen und allezeit klar im Bewußtsein, daß an ihren Lippen nicht allein die einzelne Entscheidung, sondern darinnen die Ehrwürdigkeit der Gesetze überhaupt und die Glaubwürdigkeit unseres Volkes hinge — die Statuta2 reich­ ten noch immer aus. Daher ich immer und immer die besseren Zeiten für unsere gesellschaftlichen Zustände nicht einseitig 1 Lateinische Bezeichnung des in die Theiß mündenden Miereschflusses. 2 Stehe S. 351, Anm. 2.

in äußerlichen Einrichtungen, sondern in -er inneren Wie­ dergeburt suche. Die Rüstung machet den Helden nicht — sondern der Mut, die Kraft und die Kunst. Die Grundbücher wollen dem Gläubiger das Vor­ handensein einer Hypothek ausweisen, sowie auch sein Recht auf Befriedigung daraus. Kronstadt, als die erste Handels­ stadt, ging voraus. Für das übrige Sachsenland sind sie gleichfalls angeordnet, in Städten und Märkten gewisser­ maßen auch bewerkstelliget worden. Dermalen garantieren unsere Grundbücher, wenigstens so viel ich weiß, eigentlich nur die Häuser? Denn vom Hattertbesitztum ist noch kein Ausweis vorhanden. Der Schuldherr läßt das Ackerland, welches -er Schuldner angibt, in die Obligation schreiben und diese Obligation protokollieren: das ist alles! Wie nun, wenn dieser Schuldner dieses Ackerland entweder verkauft oder nie besessen hat? Wo ist La Sicherheit? Solche Fälle habe ich erlebt, auch das habe ich erlebt, daß die verpfändeten Länder größer vom Schuldner angegeben wurden, als sie sich befanden? Wo ist da wieder die Sicherheit? Grund­ bücherliche Versicherung ist nicht bloße Jnprotokollierung! Ein Grundbuch ist ein Buch, wo aller Landbesitz mit dem jeweiligen Besitzer verzeichnet ist. Sollen die Grundbücher bei uns zur Wahrheit und eine sichere Stütze -es Kredites werden, sollen sie mehr als Name sein, was die Zeit und Schwäche liebt, so gehören als Ergänzungen dazu: 1. Ein gutes Gericht, von dem oben schon die Rede war. 2. Eine zuverlässige Ausmaß der Grundstücke und 3. ehrliche Schutzmänner. 1 In Kronstadt auch andere liegende Gründe. Sinnt, im Erst­ druck, vermutlich des Verlegers. 2 In Kronstadt sind alle Feldgründe mit der Quadratklafter ge­ messen, numeriert und in die Grundbücher eingetragen. Sinnt, im Erstdruck.

Sparkasse — Leihhaus — Versicherungsanstalten erlaube man mir zu übergehen, sonst komme ich nicht ans Ende. Ohne gute Rechtspflege kann eine Verpfändung immerhin ausgewiesen sein. Ist auch die Schuldforderung sichergestellt — wenn man nicht zur Auszahlung gelangt, was nützt das Grundbuch? Nur die Hälfte dessen, was es nützen sollte und könnte. Auf unseren Prozeßgang läßt sich ein Märchen an­ wenden, womit man die Kinder zum Schlafe bringt und fol­ gendermaßen lautet: „Es war einmal ein Hirte von 100 Scha­ fen. Mit diesen hatte er eine Gegend abgeätzt und jenseits des Flusses auf dem Uferlande nickten viele Blumen, klein und groß, und Wohlgeruch wehte der Wind herüber. Dasselbige Wasser ist zum Durchwaten zu tief und zu scharf. Er treibt also seine Herde zur einzigen Brücke. Diese ist eine Stunde lang und so schwach, daß immer nur ein einziges Schaf sich darauf befinden darf. Er treibt also das erste Schaf auf diese Brücke, welches hinüberzieht, so nach einer Stunde noch ein zweites und drittes. Eben ists am vierten. Nun setzt sich der Hirte nieder, um die Stunde zu rasten, bis dieses seine Straße auch vollendet habe. Wir wollen uns gleichfalls derweil in Geduld geben. Schlafet derweil, ihr Kinder, oder seid wenigstens im Bettchen ruhig, daß ihm kein Lämmchen erschrecket! Wie leicht könnte es herunter­ fallen und ertrinken,' denn diese Brücke schaukelt stark und hat kein Geländer. Wenn alle Schäfchen drüben sind, wecke ich euch schon auf und erzähle dann weiter." Diesem Kinder­ märchen gleichen bei aller Ausweisung im Grundbuche un­ sere Prozeßzüge dermalen oft und oft. Bis der Gläubiger seine Schäfchen aus dem abgeätzten Beutel des Schuldners wieder auf sein jenseitiges Ufer, über die fatale Brücke und Passage des Prozesses bringt, hats gute und lange Weile. Denn, hat man auch das Deliberat in der Tasche, was hat man denn? — Kaum die Hälfte ist drüben. Denn ein De­ liberat ist wohl doch nichts mehr als ein gerichtlicher Aus-

spruch, daß in der Obligation ein Rechtsanspruch wirklich ge­ gründet sei. Das glaubte -er Schuldherr auch früher. Er suchte ja nicht Erkenntnis allein, sondern einen Rechts­ zwang, eine gerichtliche Nötigung zur Zahlung. Gibt diese das Deliberat? O nein; es ist nur eine Anweisung zur An­ wendung einer gesetzlichen zwingenden Kraft. Um aber diese Kraft in endliche Bewegung zu setzen, brauchts in manchen Fällen einer Doppelung der Sohlen, bisweilen neben dem Sommerrock auch eines Winterpelzes. Wenn sich das Ding so lange verzieht, wo ist nun der Zwang, der diese Anwei­ sung auf Zwang die Versilberung des Endurteiles, die Lei­ stung der Zahlung erzwänge? — Nun wo? Eben auch in -er Machtvollkommenheit des Gerichtes. Der Zwang des Richters zur Exekution ist in derselben Hand, oder: wer ge­ zwungen werden soll, einen anderen zu zwingen, ist zugleich auch der Zwingende. Gesetzt, zu den 10 Schafen, die als De­ liberat die Brücke passiert haben, kommt nicht einmal das erste Schaf als Anstalt zur Exekution hinüber, was dann? was? — M anklage! Im Ernste? Sollte dieses wohl ein möglicher, nötiger Fall sein! Wie? Sollte die Partei, die nur jetzt unter dem Richter stand, in den Notfall kommen können, sich der erhobenen Person des Richters nun gegen­ üb e r st e l l e n ? Wohin kommt da die Würde des Amtes, die Erhabenheit der Stellung? Wenn es aber sein muß und nicht anders geht! Gut, gut, aber es ist gleichwohl schlecht für Amt und Partei. Das Amt verliert den Heiligenschein: mehr sage ich nicht. Die Partei, die das Recht auf ihrer Seite hat, kommt aus dem Regen unter die Traufe. So viel sieht jedermann ein, daß der bloße Richterspruch als Rechtserkenntnis nur eine halbe Maßregel sei. Wie es nun gewiß ist, daß man nicht zum Ziele kommt, wenn man auf dem halben Wege stehen bleibet, ebenso gewiß ist es, daß ein Deliberat ohne Willfährigkeit in der Exekution den End-

zweck der Thädig1 nicht erreichet. Es ist Blindekuh gespielt — ein Spiel, wo aber niemand froh wird. Sieht sich die Par­ tei in der Notwendigkeit, durch Klage und Beschwerdefüh­ rung eine Anweisung sich zu verschaffen, die erste Anweisung auf Zwang in Vollzug endlich zu setzen, so ruht ja die erste Anweisung derweil in Frieden, bis diese zweite anlangt und erwirkt ist. Es hätte dieser Sprünge nicht not, wäre -er gute Wille und die Einsicht in die unendliche Wichtigkeit dieses Berufes auf Moral und Wohlstand in jedem Richter und Beisitzer gleich lebendig. Ich weise auf niemand im einzel­ nen und meine Zeigefinger habe ich gerade jetzt, auf Ehre, in -er Tasche. Ich verdürbe ja mehr damit, als ich nützte. Zu beklagen ist es aber, daß wir so sehr an Willensschwäche leiden, beinahe als ob wir schliefen. Wäre es doch ein er­ holender Schlaf -er Freiheit einer wohltätigen Krisis ge­ wesen! Gebe Gott, daß wir als neue Menschen erwachen, neugeboren nicht in Formen, die tot sind, als im Geiste, der lebendig macht. Grundbücher und Wechselge­ richte sind wohl für den Handel und Kredit — Fahrwasser und Segel. Das beste Grundbuch ist die Ehrlichkeit und Ge­ wissenhaftigkeit im Grunde des Herzens und das benötigtste Wechselgericht ein Wechsel des Gerichts. Wenn wir das Wohl, die Ehre des Volkes wollen, wie wir sagen, so lasset uns tun ein jeglicher, wie es ihn innerlich treibet, sein Amt in Rechtschaffenheit. Diese Sonne ist -er wahre Volksfreund, der klug, gut und mächtig ist. Scheinet die Sonne der Gottes­ furcht in den Herzen helle und warm, so dienen Leihhäuser und Sparkassen allerdings zur Sparsamkeit und Sicherheit des Erwerbes, sie sind im Verkehr ein gutes Wagenschmier an der Handelsachse — scheint aber die Sonne -er Gottes1 Siebenb.-sächs. mundartlicher Ausdruck für „Streitversahren". Siehe mhd. teidinc, ahd. tagading „Verhandlung", eigentlich „Ver­ handlung an einem Tage".

furcht im Rechtsbewußtsein nicht, so ist die Wärme und das Licht der Leihhäuser und der Sparkassen nur ein Kohlenfeuer im Win-ofen, nur das Licht von einer Tranlampe. Christliche An st alten Christliche An st alten: Vermögen erschafft -er Er­ werb; Erwerb ruht auf der Rechtssicherheit; Rechtssicher­ heit ist bedingt durch die Rechtspflege. Diese hängt ab vom Gerichtspersonale. Diesem gibt die Schule das Schrot, die Kirche das Korn. Wenn diesen Schlußfolgen die Wahrheit nicht fehlt; so folgte hieraus als Schluß der Schlüsse, daß, wer der Welt wohl wolle, diesen zuvor wohlgewollt haben müsse. Denn es scheint, als läge alles Wohl in den Händen der Schule und der Kirche. Die Schule ist die Kirche der Kleinen; die Kirche ist Schule für die Großen. Das Christen­ tum ist ein Edelreis, auf den Wildling des natürlichen Men­ schen gepfropft. Der alte Adam treibt aus der Wurzel immer neue Wildschossen, am wilden Stamm neue Augen. Die christliche Obrigkeit — die Rechts- nnd Schutzanstalt des Staates — hat den Ziegen zu wehren, daß ihre Zähne dem Baume nicht das Leben rauben: sie hat dem Frevel zu wehren, daß kein böses Herz die edlen Zweige zusammen­ breche; sie wird der Axt des Unverstandes wehren, daß der christliche Baum nicht gefället werde. Dies zu verhüten, hat der Staat den Kirchen- und Schulbaum, d. i. den Baum des Christentums, mit Gesetzen umzäunet und die Sorge als Schirmvogt übernommen. Die christliche Geistlichkeit aber wird in ihrem Berufe sein, wenn sie als Gärtnerin in der Baumschule des Lebens die jungen Wildlinge immer neu mit dem Evangelium pfropfet — die Raupen zerstöret, welche die Blüte fressen, diese Hoffnungen der Weltver­ besserung, deren Inbegriff das Reich Gottes ist — sie wird die kranken Bäume heilen, die Wasserschossen abschneiden, die Wurzeln in Tragkraft setzen, das Erdreich lockern und

vom Unkraut reinigen usw. Gott aber, der Herr sowohl -es Gartens als der Gärtner, läßt scheinen seine Sonne und gibt Regen, Segen und Ernte zu seiner Zeit. Bon ihm, dem Vater des Lichtes, kommt alle gute und vollkommene Gabe, wenn wir ihn darum bitten, so wir des doch alles nicht wert sind. Kirche und Schule sind also zur Herstellung und Er­ neuerung des Bildes Gottes in uns und dadurch auch -er Welt und ihrer gesellschaftlichen Zustände — förmlich be­ rufen. An ihren Bemühungen ists gelegen, auch das un­ tergegangene oder geschwächte Rechtsgefühl im Volks­ bewußtsein wieder aufzuwecken und zu beleben, nachdem die Rechtsunsicherheit, welche die französische Revolution in ihrem Gefolge mit sich brachte, dasselbe untergraben hat. Die Kirchen aber, gleicherweise auch die Schulen, sowie auch alle übrigen christlichen Anstalten, haben an ihren äußeren Mitteln, an ihrem Vermögen, so gut eine Schmälerung ge­ litten als das Privatvermögen jedes einzelnen. Nur ist der Verlust bei ihr bedauerlicherer als bei einem Privaten. Denn sind auch durch den Gel-abschlag viele reiche Privaten arm geworden, sie, wenn sie leben, oder ihre Kinder, werden sich den Verlust leichter ersetzen. Denn der Lebende hat Hoffnung. Hingegen die Kirchen, die Schulen, die frommen Stiftungen, die Anstalten zu edlen, menschenfreundlichen Zwecken, Waisenhäuser, Spitäler usw., mit einem Worte die christlichen An st alten — wie werden sich diese die er­ littenen Geldverluste, die eingebüßten Gel-kräfte ersetzen? — Auch ihre Kapitalien sind auf 8 proCente gefallen. Ihre Wirksamkeit ist -och bedingt von ihren Mitteln! Es ver­ halten sich aber ihre dermaligen Kräfte zu den früheren, die Wirksamkeit von jetzt zur Wirksamkeit von früher wie 8:100, -. h. sie haben gleichfalls um 92 pro Cento verloren. Wären diese Anstalten im Besitze ihrer vollen Mittel, ständen ihnen die alten Kapitalien in ungeschwächter Kraft zu Diensten,

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wie gut käme ihre volle Wirksamkeit dem größeren Bedürf­ nisse der Zeit, -er Not -er kränkeren Gegenwart zustatten! Die Gesinnungen -er Menschen, -er Zeitgeist, befindet sich wie ein Schiff auf dem Meere der Welt, mit zerrissenen Se­ geln, zerbrochenen Rädern — nur -er Kompaß -er Kirche ist recht. — Der Mangel an gewöhnten Bedürfnissen macht die Mannschaft meuterisch — ein Blutbad unter dem Schiffvolk ist wahrscheinlich, dann Las Grab in den Wellen gewiß,' — bei diesem Zustande -er Gesinnungen hätte nur die Kirche ihre verlorene Kraft, ihre eingebüßten Mittel — wie würde sie dem Dampfkessel ein vermehrtes Feuer geben, die Schau­ felräder würden brausen und am Schlepptau führte die ret­ tende Kirche den rettungsbedürftigen Staat aus Not und Gefahr, aus Tod und Verderben. So aber bläst sie umsonst in die Handvoll übriger Kohlen, sie kann nur klagen und — beten. Sie hätte, reich geblieben, Unterstützung gewährt, nun arm geworden, mutz sie betteln, um nur sich das Dasein als äußere Anstalt, als Gefäß zu erhalten. Die Kirchen­ fonds, die Schulfonds, die Fonds der Waisen, der Siechen, des Alters, der schuldlos Verarmten usw. usw. sind teils ge­ schmälert, teils eingegangen, teils liegen sie im Stadium des Federlesens. Glaube, Liebe und Wissenschaft sind in ihrer Idealität freilich jedem Geldwechsel und Gel-abschlag entrückt und enthoben. Ideen fliegen, wie Adler bei Regen­ wetter, über die nässenden Wolken hinauf in die oberen Re­ gionen des Sonnenscheines, der Himmelsbläue, -er ewigen Klarheit. Wollen aber die Ideen den Sterblichen helfen, so müssen sie das Kind der Welt, das Fleisch der Wirklichkeit anziehen, eine irdische Erscheinung werden, wie der ewige Ratschluß Gottes, der Logos, in Jesu Christo, im Fleische erschien. Gotteswort und Gottesgeist bedarf eines irdischen Leibes, eines Organes ihrer Tätigkeit auf Erden, auf die Erde. Einen Einfluß auf die Welt kann die Idee und Auf­ gabe der Kirche nur als äußere Anstalt, als irdische Einrich-

tung haben. Der himmlische Zweck kann der irdischen Mittel nicht entbehren. Soll die Kirche mit Kraft und Mut, wie Simson die Philister, die Kinder des Unglaubens und Aber­ glaubens erschlagen und die Kinder Gottes schützen, also: dem Bösen steuern und des Guten pflegen, so müssen da Knochen und Sehnen, Arme und Beine sein. Ohne Glied­ maßen ist man auch stark und mutig,- was nützet Mut, was nützet Kraft? Wie kann also Schule und Kirche leiblich wir­ ken, fehlen ihr die Mittel? — Die Barmherzigkeit kann die Kirche haben,- aber von der bloßen Barmherzigkeit wird kein Spitäler satt---------- die Lehre kann fein: von was lebet aber das Maul, welches lehren soll?---------Das Evan­ gelium ist da,- wenn nun aber der Diener des Wortes nicht zu leben hat! Der Glaube ist und die Wissenschaft- wenn aber der Schulmeister schlechter bezahlt ist als ein Hirte! — Das liegt nur am Mangel der Geldmittel. Reichlichere Mittel können unter dem sich anbietenden Personale eine bessere Auswahl treffen: das Genie, das Talent, das geeignete Individuum wird für diesen Beruf, für diesen Dienst gewonnen und dabei festgehalten, wenn die christ­ lichen Anstalten ihm dieselben Kränze, dieselben Früchte bieten. Wie mancher Bauer geht hinter dem Pfluge, der aufs Katheder gehört, und wie mancher Pfarrer steht an einer Stelle, wohin er nicht gehört. Die christlichen Anstalten, ich will nur Kirche und Schule nennen, fehlten nicht die Mittel, wären imstande, den Mann für den Dienst zu suchen, wäh­ rend die Verarmten den nehmen müssen, der sich dazu ent­ schließt. Was hat die Jesuiten zur Weltmacht erhoben? Der Grundsatz: jeden an diejenige Stelle zu setzen, zu der er einen inneren Beruf hatte, zu was ihn die Natur er­ schuf. Eben, weil die Welt im Argen liegt, mutz dem Lehrer der Jungen und Alten durch Wegnahme der weltlichen Sorgen, durch Befriedigung sogenannter gemeiner Bedürfnisse, durch

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Verschaffung einer unabhängigen Stellung in der Welt — für seinen Beruf — Liebe und Freundlichkeit des Geistes verschafft werden. Der Kranken und der Krankheiten sind viele. Fetzt braucht das Sanitätskollegium viele Helfer und Helfershelfer und die Apotheker der Seele müssen, wo sie hingreifen, volle Lade!, volle Büchsen und Flaschen haben. Gerade jetzt aber, wo Seelenübel epidemisch grassieren, ist die Hauptheilanstalt ohne hinreichende Mittel. Wie sollen sich diese christlichen Anstalten, die Kirche, nun ihre erlit­ tenen Verluste, die eingebüßten Mittel der erforderlichen Wirksamkeit wieder ersetzen?---------Ihr Vermögen, ich meine das weltliche, irdische, die Geld­ mittel, bildete ssichj und entstand aus den Gaben ganzer Jahrhunderte, aus Vermächtnissen frommer Begeisterung, heißer Liebe zur erkannten Sache Gottes, aus Ersparnissen der Gottesfurcht, die sich die Gabe vom Munde abbrach, die ihren Kindern, ihrem Blut, den Bissen entzog, um damit ihrer Seele die Erlösung, die Vergebung, das Himmelreich zu erkaufen. Ob diese Vorstellung in dem Aberglauben wurzle, steht noch dahin. Wo ist nun dieser Sinn? wo diese Ansicht, wo diese Kraft? Teils ist dies alles gestorben, teils unkräftiger geworden. Noch lebt aber der ewige Keim in jeder Menschenbrust, er wird, wie das verwesende Weizen­ korn, auch eine Zeit -er Wiederbelebung haben: Christus, von der Welt verkannt oder unerkannt, darum verspottet und gekreuziget, und von der Welt noch im Grabe behalten, wird auch für unser Zeitalter seinen Auferstehungsmorgen, seinen Ostertag haben. Noch weinet die glaubende Maria und die liebende Magdalena am versiegelten Grabe. Die Sache der Kirche scheint verloren. Der weltliche Rüsttag ist aber bald vorbei.---------- Die Glaubensfahne, die Sieges­ fahne wird sich wieder entfalten — bald — und wieder wird sie in -er Höhe als Standarte der Menschheit wehen! Die Witwen werden ihre Scherflein wieder in den Gotteskasten Folberth, St. L. Roth. IV.

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Der Geldmangel und die Verarmung

legen usw. Wäre aber dieser Zeitpunkt der Himmelsliebe und der Weltverachtung auch schon wieder da: Jahrhunderte müssen erst an aussterben-en und sich ersetzenden Geschlech­ tern vorübergehen, bis aus den einzelnen Einlagen die alte Kapitalssumme sich wieder sammelt. Nun ist aber dermalen nicht nur in dem frommen Sinne und in der tätigen Huldi­ gung fürs Kirchengut, sondern auch in den Vermögensum­ ständen -er Gläubigen die Ebbe eingetreten. Wäre die Mild­ tätigkeit gleich geschäftig wie in den alten Zeiten, so stehet dermalen dem frommen Sinne w e n i g e r zu Gebot. Wenn früher etwa die Frömmigkeit ein pro Cento ihres Ver­ mögens auf den Altar legte, so betrug dieses pro Cent von einem Vermögen von 1000 fl. gerade 10 fl. Nun das Ver­ mögen auf 80 geschmolzen ist, beträgt dasselbe pro Cento nicht mehr als 48 kr. Welches ablaufende Verhältnis, bei gleichem Willen die ungleichste Wirkung! Hätte die Mild­ tätigkeit zur Gründung ihrer Stiftungen von der Reforma­ tion bis 1800 einer Zeit von 300 Jahren bedurft, so bedürfte sie jetzt, wenn sie in dem Verhältnis ihrer Gaben sich gleichbliebe, eines Zeitraumes von 3750 Jahren. Sollen unterdetz die Talente der Armen aus Mangel an Unterstützung dem Staate, der Kirche, dem Volke, der Welt und dem Him­ mel verloren gehen? — Sollen die eingegangenen Konvikt­ tische der Mittellosen so lange ungedeckt bleiben? sollen bis dahin unverschuldete Arme unter den Zäunen vergehen? soll dem im Schuldienste oder Kirchendienste unversorgt ge­ bliebenen und untauglich gewordenen Gottesdiener kein Scheit Holz für seine zitternden Glieder, keine schwarze Suppe für seine hinterlassene Witwe und Waisen verabreicht werden? — sollen die Nachkommen einst blühender Ge­ schlechter, die ehemals, als ihre Familie im Wohlstand war, Kirche, Schule und Siechhäuser usw. usw. unterstützten oder begründeten, nicht einmal ein A-B-C-Buch zum Lernen er­ halten? sollen ihre Nachkommen, die Nachkommen der Volks-

Wohltäter, als verschämte Hausarmen keinen Bissen Brot im Mangel, keinen Wärter in -er Verlassenheit, keinen Strohsack auf das Sterbelager erhalten? Schon die Reformation riß unter uns Sachsen der heiligen Kirche die Ehrenkleider zu Fetzen vom Leibe. Hätte man sie dem trägen Genusse auch mißgönnt, warum verwendete man sie nicht auf den Fleiß und die nützliche Verwendung? für Arme, Hilflose usw. — Was hat die Welt denn davon ge­ wonnen, daß sie eine Kirchenräuberin ward? Wenn die weltlichen Machthaber jener Zeit dem Mißbrauch das Gut abgenommen und dem rechten Gebrauche zugeteilt hätten, also daß alles der Kirche geblieben wäre, was ihr nach gött­ lichem und weltlichem Rechte gebührte — wie schön und herr­ lich stünde sie da und ihre schmutzigen Hände, die ihnen aus dem Grabe herausgewachsen find, würfen keinen Schatten auf eine Sache, die reiner nicht sein kann, und erzeugten keine Schamröte auf den Wangen derer, die allein darüber zu erröten haben? Die Nationalfürsten mögen freilich manches verschlungen haben, der türkischen Hyäne mag frei­ lich manches Kirchengut vorgeworfen worden sein, um das Volk zu retten — was an weltlichen Händen hängen blieb, von dem schweige ich. — Es ist vorbei,' aber einen großen Fehler begingen die Alten darinnen, daß sie drein einwillig­ ten, die übrig gebliebenen oder die entstehenden Schätze der Kirche auf Geld zu gründen, statt die Wirksamkeit der Gaben für Menschen und Gottesliebe auf den ewig dauern­ den Grund und Boden, auf liegende Feldstücke zu ba­ sieren! Die Zeit und ihre Unfälle hätten wohl auch hier Ein­ trag tun können, aber die Kraft und Wirksamkeit dieser Gaben wäre doch nicht von 1000 auf 80 gefallen. Der h. Vater in Rom, von dem ich bedauern muß, daß er keinen weitern Mantel hatte, läßt sich vom Staate, mit dem er konkordiert, bei Stiftung neuer Bistümer ihre Rente nie auf Staatspapiere anweisen, da muß schon in die Dotations-

urkunden Grund und Boden kommen. Klug und not­ wendig! Wäre nur die Erfahrung der Vergangenheit, die Klugheit -er Gegenwart für Protestanten eine Lehrerin der Zukunft!! freilich in manchen Stücken nur ein Mantel nach dem Regen — die Vorsorge des Mantels wäre ja aber doch gut bei einem künftigen Regen. Wo ist aber die Möglichkeit gegeben zur Verbesserung der Vergangenheit, die Aussicht einer Restitutio in integrumt1 — Hier nicht und da nicht, auch an vielen anderen Orten nicht. Soll der Schaden ersetzt werden, den die christ­ lichen An st alten erlitten haben, so kann die Ersetzung des Schadens nur von dem erwartet werden, dem diese Opfer zugute gekommen sind. — Doch nicht etwa vom Staate? — von wem denn? — Die Kirche, das Christentum, die An­ stalt Gottes kann es im Namen der Toten und Lebendigen verlangen, nichts mehr, nichts weniger als Ersatz. Fragt man, auf was ich diese Bevorzugung, dieses Mehrrecht und Vorrecht -er Kirche und nur für sie allein 'begründe? — Nun, auf sie und ihr Wesen selbst! Denn allen Gläubi­ gern kann es der Staat nicht ersetzen,- Privaten mögen sich es selbst ersetzen, diese Anstalten können dies aber nicht. Wenn es der Staat der Kirche ersetzt, kommt der Ersatz dem Himmel und der Erde zugut und der Staat selbst zieht den besten Nutzen daraus. Ich rufe ja nicht einen menschlichen Richter, ein menschliches Recht oder Gesetz an: ich rufe die­ jenige Gerechtigkeit an, die vor Gott gilt, ein Recht, das der Finger Gottes geschrieben hat in unsere Herzen. Wie es Gesetzschulden gibt, auch Ehrenschulden, so gibt es auch, außer diesen und über diesen, auch — Gewissensschuld e n. Solcher hat das Christentum an den Staat zu fordern. Hat Frankreich, wo man am Sonntag in den Straßen pfla­ stert und wo am h. Pfingsttage auf dem Dache der Zim­ mermann die Marseillaise singt, doch Religiosität ge1 Aufwertung, Rückerstattung, vollwertiger Ersatz.

nug gehabt, eine Milliarde Franken zur Entschädigung des Adels zu zahlen, warum sollte ich nicht ebensoviel oder mehr Religiosität von einem christlicheren Staate voraussetzen dürfen!! Frankreich wollte die Aristokratie mit dem neuen Zustande -er Dinge, der ihm die Besitzungen seiner Väter, die Schlösser seines Ruhmes, den Boden der Erinnerung ge­ kostet hatte, durch Wiederersatz aussöhnen und mit dieser Weisheit hat die Regierung den Krater der Revolution ver­ schüttet. Österreich, das fromme, dem Gott die Untertanen treu und ausdauernd erhielt, benötiget keiner Milliarde zur Versöhnung mit -er Revolution — aber groß und edel, weise un- gerecht wäre eine Aussöhnung des Staates mit der Kirche, die ihre Mittel der Wirksamkeit zum Opfer ge­ bracht hat: nicht mit den Institutionen des Geburtsadels, sondern mit dem Adel der Seele, den Anstalten der Vered­ lung. Es zahlet sie nicht an die unruhigen Geister, sondern an die Geister der Beruhigung, an die Teufelsbanner und Exorzisten. Hat Frankreich für seine Klugheit einen Dank vom Adel zu erwarten,' die kirchlichen Anstalten -es Kaiser­ staates werden ihn nicht schuldig bleiben. Hat der Adel Dank, hat die Kirche Segen. — Die, welchen die Milliarde zugut kam, werden vergessen oder sterben — die Kirche lebt ewig. Ohne Kirche kein Staat, wie kein lebendiger Mensch ohne Seele. Ohne Idealität, was ist die Realität? Was? was Frankreich war nach Abschaffung der Religion, Brutalität, ein Gesellschaftszustand, der damit anfängt, wo das Mensch­ liche aufhört. Die Kirche hat ihre Zukunft für und für. Wer herrschen will, braucht den guten Willen i n den Untertanen und den Zwang und die Nötigung außer den Untertanen. Von beiden ist, als im allgemeinsten Ausdruck, ein Sinn­ bild: -asKreuz und das Schwert. Diesen guten Wil­ len, diese eigene Unterwerfung unter das Gesetz und die Obrigkeit oder den Gehorsam, die Untertanentreue und Unwandelbarkeit der Pflicht gegen den Staat lehret die Kirche,

und sucht sie im Herzen als Überzeugung, als Neigung, als Befehl und Willen Gottes zu gestalten. Sie hat eine Zu­ kunft, wie sie eine Vergangenheit hat. Alles, was sie tat, tat sie zwar einem anderen Herrn zuliebe, als Diener eines höheren Reiches — allein, was sie tat, war immer ein Vor­ teil für den Staat. Die Sonne ist keine Dienerin der Erde — sie läuft nach einem höheren Willen, und -och erhält die arme, kalte, dunkle Erde von ihr Leben, Licht und Wärme. Wenn die Kirche vom Staate eine Rücksetzung in den vorigen Stand verlangt, wünscht sie dies, um dem Staate damit einen Gefallen zu erzeigen und darf, eben um dieser Uneigen­ nützigkeit willen, mit Mutterstolz auf das sehen und zeigen, was sie dem Staate auch nur in den nächsten 40 Jahren für Wohltaten erzeugte. Hat nicht die in den verflossenen und verhängnisvollen Jahren in der Brust jedes gehorsamen und to-willigen Soldaten mitgekämpft und mitgestritten? — Wer zeigte dem sterbenden Krieger, dem siegenden, wie dem be­ siegten, den Lorbeerkranz unter den Sternen? Der Himmel ward als Aussicht geöffnet in den unbeschreiblichen Drang­ salen des Krieges auch da, wo der Staat keine Belohnung, keine Zwangsgewalt hatte! Wo und wer lehrt die Vater­ landsliebe? Wer bringt die Pflicht zur Einsicht und Über­ zeugung? Wer legt jeglicher Begeisterung die Grundlage, wer das Gefühl für Ehre? Wer predigte Geduld, Hingabe, Aufopferung, Hoffnung? Wer erregt unter den Völkern die Bewegung der Geister, -atz sie bei Leipzig des Haders ver­ gaßen und durch Eintracht siegten, wofür dankbar die Mo­ narchen auf die Knie fielen, weil sie wußten, woher es kam. Der Geistessturm verblies die Napoleoniden, im tiefsten Grunde tats die geisterbildende Kirche, die unablässig und beständig eine Hüterin, Wärterin und Pflegerin der Seele ist. Damals erkannte die gekrönte Weisheit der Welt, was die Welt der Kirche zu danken habe, als derjenigen Anstalt, die eine Herrscherin der Geisterwelt sein soll und kann, weil

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sie am Tore des Lebens den Säugling auf die Arme nimmt, als zärtliche Mutter den Wanderer mit Ermahnung, Trost und Stärkung die ganze Strecke begleitet, den Todesschweiß abwischt und selbst die aushauchende Seele in ihre Gebete einschließt. Die Wunden dieses mörderischen Krieges heilen allen wie­ der — nur -er Kirchen Wunden bluten fort. In der Mitte einer verweltlichenden Welt, der eine idealische Richtung nach oben so von Herzen nottäte, sitzt sie da mit abge­ brochenem Schwerte — von Hoffenden, Wirkenden und Er­ werbenden umgeben — eine Trostlose. Der Staat behandelt sie als eine Unmündige — hat ein Unmündiger bei Einbuß die Schadloshaltung nicht am Vormund zu suchen, und hat nicht der Staat die Schirmvogtei übernommen? — Österreich ist aus dem Abgrund größer und herrlicher emporgestiegen, ein Taucher, über dem die Unglückswellen brandend oben zusammenschlugen, der aber aus der Todes­ tiefe lebensfrischer und mit Schätzen beladen ans Tageslicht und in den Glanz der Oberwelt emporruderte. Österreich ist gerettet und trägt die Palme und den Lorbeerzweig: ihm hat der Herr geholfen wie dem Lazarus in Bethanien, der schon roch. Todesrettung kam aus dem Geisterreich, vom Vater der Geister. Wie danket nun würdig — weise und einzig der gerettete Staat dem rettenden Gott? — Nur durch Erhaltung der­ jenigen Kraft, deren Wirksamkeit er an seiner Rettung er­ fahren, durch Ersetzung der eingebüßten Mittel an die christ­ lichen Anstalten, deren Inbegriff die heilige Kirche ist. Sol­ cher Dank gebühret den Altären: er gefiele dem Herrn wohl! Gott allein die Ehre! —

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Der Geldmangel und die Verarmung

Zweite Abteilung

Die Verarmung Grund und Boden Die Leute sagen: das Land verarme. Wie ists auch anders möglich? Denn, wer fortwährend mehr ausgibt als ein­ nimmt, kommt sicher an den Bettelstab. Das läßt sich ja an den Fingern abzählen. Wer z. B. 1000 Gulden ererbt, erarbeitet, gefunden oder gestohlen hat — das sind ja so ziemlich alle Titel, unter denen man zu Vermögen kommt — und zu diesen 1000 fl. nichts mehr hinzutut, würde sein Lebtag da­ mit genug haben, wenn er nichts davon vertäte. Weil aber dieses nicht geht, so wird diese Summe von Jahr zu Jahr kleiner, und, wenn seine Ausgaben jährlich 100 fl. betragen, ist er mit seiner Barschaft in 10 Jahren fix und fertig. Ja, wer mehr vertut, kommt dem Beutel noch schneller auf den Grund: ein Kartenspieler z. B. kann in einem Hui es be­ werkstelligen, daß ein Beutel umgedrehet werden kann, ohne daß ein Kreuzer herausfällt, wiewohl nur kurz zuvor 1000 Gulden darin waren. — Dieser erste Fall, den wir betrach­ teten, war ein Mensch, der etwas besaß und nichts erwarb: — nun nehmen wir umgekehrt einen Menschen, der nichts besitzt, aber etwas erwirbt. Dieser fingierte Habenichts ver­ dient jährlich 100 fl. — aber ebensoviel betragen seine Aus­ gaben. Macht er einmal den Versuch, mit sich zu rechnen, so lautet am Sylvcsterabend -er Ansatz:

Verdient...................... 100 fl. Ausgegeben................. .... 100 fl. Summa........................ — fl. Sonstiger Besitz . . . . 000 fl. Vermögensstand .... — fl. So werden diese 2 Beispielsmenschen über kurz oder lang, nach erster Annahme in 10 Jahren — in ihren Vermögensständen Brüder und Kameraden,' jedoch, mit Erlaubnis, in zweierlei Eigenschaften. Der frühere Kapitalist kann die vorige Lebensart nicht mehr fortsetzen, da das Kapital selbst aufgezehrt ist, von dessen Interessen und Verbrauch er lebte,' sein Kamerad, der, was er erwarb, auch alles vertat, kann sein Wesen noch länger treiben. Er erwirbt und verzehrt, wahrhaftig wie ein Kind, das sein Schlittchen aus eine An­ höhe zieht und fich darauf setzt: Halloh he! gehts herunter. Der Genuß herunter hat die Anstrengung hinauf schnell verzehrt. Will es sich wieder den Genuß verschaffen, herabzurutschen, muß es wohl erst keuchen- wieder auf die Höhe steigen.------ Zwischen diesen beiden Habenichtsen steht in -er Mitte noch als dritter Mann, als Ergänzung des Kleeblattes, derjenige, der teils besitzt und teils erwirbt, aber mehr ausgibt, als er einnimmt und daher auch vom Kapitale zehrt. Diesen drei Repräsentanten eines großen Teiles unserer Bevölkerung muß doch ein Rat erteilet wer­ den. Die Aufforderung dazu liegt in ihrer Wirtschafts­ führung. Der Rat lautete ohngefähr also: 1. Freund Kapitalist, der du nur ein Maul, aber keiue Hände hast, erwirb doch nur wie wenig, so gelangst du später zum Entbehren. Magst du sparen oder knausern: ohne Er­ werb Hilsts wenig. Erwirbst du nichts — mit Schneckenpost oder Dampfwagen kömmst du doch beim letzten Heller an. 2. Du aber, Erwerbsmann, der, was er erarbeitet, auch verzehret — entweder vermehre deinen Erwerb oder

vermindere dein Vertun. Solches wird deinem Alter, deiner Krankheit, einem Unglücksfall zugute kommen. 3. Du dritter Mann bist eine Fledermaus, befolge den Nat beider. Solcher Leute gibt es viele, wenige halten sich dafür. Die Menschen des Zeitalters zahlen' von alten Kapitalien, wie Bären vom Sommerfett, oder fahren Schlitten wie Schul­ buben, nur auch wieder mit dem Unterschied, daß diese Bären glattleibig sind und diese Schulbuben Backenbart tragen. Mein Gott, dies alles ist aber so bekannt, als das Einmaleins gewiß ist,- über Verarmung ist schon alles gesagt, was darüber gedacht worden. Die Zeit weiß es und doch eilt sie wie ein rasender Tänzer dem Grabe, lachenden Gesichtes der Armut entgegen. Daß wir durch unbesonnenes Leben in die Verarmung geraten, dafür gibt es gewisse An­ zeigen, die als Beweise dieser Behauptung angeführt werden können, nämlich der rasche Gang der Nachbarzeichen — das mit Zetteln bedeckte schwarze Brett, des Han­ nen Stimme nach der Vesper und endlich der schaurige Ton der T r o m m e l und der heisere Ruf: Wer gibt mehr!? — Alle predigen: Mehr vertun als erwerben zieh» Hemd und Hosen aus! — Hat man denn seit Menschengedenken je so viele Grundstücke und Häuser feilgeboten und verkauft als in jetziger Zeit? Dieser Handel und Tausch geht ja rasend und im Schwung: über Geldwechsel darf man hiebei nicht klagen — es läuft ja hin und her, zum Erbarmen. Ach! vom väterlichen Hause sich zu trennen, die Wiegestellen zu verlassen------ das Erbe eines vieljährigen Familienbesitzes zu verlassen, ist ein Entschluß, dem viele Nächte mit verheim­ lichten Seufzern, mit verstohlenen Zähren vorangehen mö­ gen. Der allgemeine Staatsökonom kann zwar sagen: ein Verkäufer setzt immer einen Käufer voraus. Der Vermö­ gensstand bleibt sich gleich! Wahr ist dies, das schlimme

1 Im Sinne von „zehren".

in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen

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Zeichen des Verkaufes wird aufgehoben durch das gute Zeichen -es Kaufes,' ist hier ein Minus (—), so ist dort ein Plus (+), -er Stand des Landesvermögens bleibt sich hiebei gleich: das Geld und die Häuser wechseln bloß die Herren — der Besitz bleibt sich gleich: das Geld geht aus -er linken Tasche in die rechte und aus -er rechten in die linke, das ist alles. Ja, damit wollte ich mich auch trösten, wenn Peter und Paul von einer Nation wären: es wäre dann Kauf und Verkauf nur eine neue Verteilung des Ver­ mögens in einem und demselben Volke. Das Ganze bliebe, bei wechselnden Herren, von Grund und Boden doch -er Herr. Wenn aber Peter und Paul aus zwei verschiedenen Na­ tionen sind, so wird diejenige Nation, wo es viele verkau­ fende Peters gibt, in eben dem Maße ärmer, als diejenige Nation, worin es viele kaufende Pauls gibt, dadurch reicher wird. Wer nun und dermalen im Lande die Peter und die Paule sind, brauche ich nicht zu sagen. Sagte auch kein Ge­ ständnis: es brennen die Wangen,' wer aber auch hievon keine Spur hat, der Augenschein, die Steuertabellen machen es aller Welt offenkundig. Dächse haben einen wohnlichen Ban gegraben mit Mühe und Schweiß, nun müssen sie her­ aus, wie wenn -er Gevatter Fuchs etwas hineintut, wobei man die Nase zuhält: er hat es bequem im Fertigen. Aller­ dings ist bei dieser Peter- und Paulschaft nicht eigentlich darauf Rücksicht genommen, ob das Land im allgemei­ nen verarme, sondern nur auf den speziellen Fall einer Nationalität ist eine Andeutung gegeben mit einem ungehörten Seufzer und unbemerkten Träne. Nun könnte zwar von mir die Nervenschwäche oder die absichtliche Selbsttäu­ schung soviel Schonung verlangen, ein Ferneres darüber nicht zu sagen und schnell über dieses Wehgefühl zu gleiten­ fordert doch die seine Lebensart sogar vom Sittenprediger, in den magenstärkenden Bittertee soviel Zucker zu tun, daß mit dem widerlichen Geschmack auch die beabsichtigte Wir-

kung verloren geht. Ich aber kann weder dem Patienten seine Lage verhehlen, noch will ich die Erweckung unan­ genehmer Gefühle vermeiden, noch darf ich. Denn mit der Heilung von Seelengebrechen hat es eine andere Bewandtnis als mit den Krankheiten des Leibes. In großen und ge­ fährlichen Leibeskrankheiten würde das vorhandene übel oft noch vermehrt, wenn man dem Todkranken die Gefahr entdeckte, in -er sein Leben schwebt. Täuschung kann als Beruhigungsmittel eine Wohltat sein. In Sünden- und Seelengebrechen ist die nackte Wahrheit die beste Arznei. Der sündige Mensch streift sich nur im engen Butzpförtlein sein Sündenkleid ab, und die Erkenntnis seines elenden Zustandes muß ihn geißeln und sein Gewissen muß ihm seine inneren Umstände so unleidlich machen, daß er die Neue ergeift, um die Hoffnung einer Änderung zu um­ armen. Dies aber kann allein die Wahrheit bewerkstelligen. Schonungslosigkeit ist Not, ein Werk der Liebe! Mein Volk ist von innen mehr noch bedroht, als von außen. In öffent­ licher Schrift über die Gefahr einen Mantel breiten, wäre Berräterei und Schlechtigkeit. Auf die Gefahr hin, von dem Heißgeliebten gehaßt zu werden, muß ich w a h r sein. Noah, der erste Winzer, verfluchte zwar den Ham, als dieser von des trunkenen Vaters entblößter Scham seinen Brüdern erzählte und diese rücklings gingen und mit abgewandtem Gesichte auf den entblößten Vater einen Mantel warfen — aber — diese Schande vermochte doch eine Sinnesänderung im Erzvater erweckt zu haben, daß er dieses Lasters ferner sich enthielt. Von dem, daß er aber niemals mehr trunken worden, steht ja nichts in der Bibel. Wörtlich nicht — allein daß er 950 Jahre alt ward, ist doch ein Beweis, daß er kein Trunkenbold war. Und es ist eine große Frage, ob er Kraft über sich und den Weinreiz gehabt hätte, wäre das Gefühl der Schande dem Edelschein der Nüchternheit nicht

zu Hülfe gekommen. Ham war ein unzartes Kind, allein ein wirksamer Sittenverbesserer. Wenn in einem Lande nur ein Volk lebt — dann ist der Wechsel des Besitzes gleichgültig. Denn -er Besitz bleibt im Schoße -es einen Volkes: Käufer und Verkäufer sind Na­ tionsgenossen. Wenn aber durch Kauf und Verkauf -er Be­ sitz von Grund und Boden von einem Volke zu einem an­ deren übergeht, so fällt hier die Schale und die andere steigt. Die Nationen des Landes sitzen sozusagen um einen Spieltisch: Ungarn, Szekler, Sachsen und — Walachen. Was diese vier Spieler zusammen besitzen, ist Landesvermögen. Wie auch einer gewinnt und frei andere verliert, die Summe der Vermögen bleibt sich im allgemeinen gleich. Was aber ein Spieler verliert, gewinnt der andere. Die eine Nation steht ärmer auf, die andere reicher. Das Spiel also mit seinem Verluste und Gewinst schwächet und stärkt die einzelnen Spieler untereinander und im gegenseitigen Verhältnisse. Die Hand aufs Herz gelegt, wer ist dermalen der Gewinner und — wer der Berspieler? — Kauf und Verkauf ist, wie dermalen die Sache steht, in fundo regio', ein Nationalverlust, und unsere reiche Nationalkasse nur eine Ironie darauf. In den Familien, in den einzelnen Haushaltungen suche ich das Heil des Ganzen — die Kassa ist einen Pfifferling wert — für mein Volk kein Trost und keine Hoffnung. Reiche Bauern, reiche Bürger, das heißt was, das ist etwas, das gibt Aussicht und Zukunft. Ein Wind---------- ihr Hüter des Schatzes, und — die Kassa ist weg. Grund und Boden ist Besitz, ein Kapital mit ewigen Interessen, ein Nationalvermögen, evident ohne Buchhal­ tung und Schuldscheine. Eine arme Nation mit einer reichen Kassa ist ein Blendwerk! Was hilft es, wenn die Ganzheit einen vollen Beutel hat und die einzelnen haben leere Taschen? Da gefiele es mir besser, eine leere National1 Auf dem Königsboden der Sachsen.

kassa bei herrschendem Wohlstände in der Nation. Hätten wir Sachsen jetzt, wie früher, aus unserem Beutel den Pestkordon zu bestreiten, aus eigenen Mitteln gegen die Grenze Heerhäuflein als Wächter und Verteidiger zu unter­ halten — dann wäre Geldvorrat ein Zeitbedürsnis. Dieses alles bestreitet dermalen der Staatsbeutel oder Landesbeutel, zu dem wir, wie es auch recht ist, Beiträge als Steuer zu liefern haben. Eine besondere Fürsorge hierauf haben wir nicht zu tragen,' spezielle nationale Ausgaben hierauf sind uns abgenommen. Hiezu bedürfen wir keiner Nationalkassa. Die Besoldungen unserer Beamten, die auch jetzt wacker und tapfer unser Dasein und Recht beschützt und bewahret haben, sind dermalen aus einen Teil der Interessen begründet. Viel­ leicht reichten dazu die fließenden Einnahmen aus. Mit dem übrigen wuchernden Kapitale wird ein Leihgeschäft ge­ trieben. Die Interessen werden ja eingehen, aber selten allein, sondern der Zahlende legt sich ein Kapital in seinem Herzen gegen die Nation an, den Widerwillen, den Neid und die Feindschaft. Dieses Kapital ist auch auf Wucher angelegt und wird seinerzeit seine Interessen auch tragen. Es sind zwar an der Lade dicke Schlösser da, aber die Mißgunst wird so lange und so viele Dietriche schmieden, bis . .. einer aus­ schließt und säßen die 7 und 2 Richter' Tag und Nacht auf dem Deckel. Es findet sich gewiß in der Zeit eine Zeit, wo man nimmt von dort, wo ist und sich vorfindet. National­ vermögen ist nur dann Nationalvermögen, wenn damit nicht sowohl Geldinteressen als Nationalinteressen gewonnen werden. Darum den Nationalinteressen nicht kreuzerweise Brosamen mit zitternder Hand zugeworfen, sondern durch Gründung von hochherzigen Anstalten eine Quelle immer­ fort fließender Nationalwohlfahrt eröffnet - Vermögen, 1 Hinweis auf die einstigen sächsischen Verwaltungseinheiten, die zusammen die sächsische politische Nation ergaben.

eigentliches — Geist — Willen und Kraft in der Nation ... so lange es noch geht. Es wird vielleicht nicht immer gehen. Denn wenn man auch voller Selbstvertrauen so etwas nicht glauben will, kann deswegen doch geschehen, wenn es ge­ schehen soll. Ich stütze mich auf Ev. Luc. II, 21, 22, wo es heißt: „Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast be­ wahret, so bleibt das Seine in Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommet und überwindet, so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und teilet den Raub aus." Der arme Jüngling, der nach Josefi Bericht auf den unüberwindlich geglaubten Mauern Jerusalems Wehe! Wehe! rief — ward verlacht, bedräut, gestäupt — aber die heilige Stadt fiel: er hatte Recht. — Hätte ich Anweisun­ gen auf die Nationalkassa zu stellen — ich wüßte wohl, was ich täte. Nur Weniges sollte darin bleiben. Alles teilte ich auf, nicht unter das Volk, aber für das Volk, nicht als Kapitalien in Geld, sondern als Kapitalien in Wirksam­ keit, in Lebensquellen, als Kapitalien mit ewigen Renten des Unterrichts, der Lehre, der Kunst und Wissenschaft. Sollte wohl ein Kapital in Grund und Boden verwandelt — also ewig sächsisch bleibend — dessen Grundmiete eine sächsische Rechtsschule z. B. ins Dasein und Leben riefe, nicht sicherer, nicht nützlicher fürs Volk angelegt sein als eine Mutterobligation, die immer neue papierne Interessen ferkelt? Sagt mir -och um Gottes willen, was hat die Nation von den Prozenten der Prozente, wenn sie nur gehäuft und nicht für Nationalinteressen verwendet werden! — Weil mir aber hinter dem Vorhänge her, wohinter die eiserne Lade -er Nationalkassa steht, leicht zugerufen werden könnte: Sutor ne ultra crepidam, auf deutsch: Schuster, bleib bei deinem Leisten! so klebe ich wenigstens über das Schlüsselloch der Lade meine unverstandene Frage: Cui bono? auf deutsch: was habt ihr davon?

Bewegliches Vermögen Die Verarmung des Volkes war schon lange da, ehe noch durch Boden- und Häuserverkauf die Krankheit sichtbar wurde. Es ging diesem sichtbaren, offenbaren ein unsicht­ barer Verkauf des Geschmeides, des Goldes und Silbers voraus. Nur seit Liese, von der Vorwelt an uns vererbte Ehr- und Notpfennige in alle Welt gegangen sind, wird Grund und Boden angegriffen. Die Scham behalf sich längere Zeit mit dem geheimen Verkaufe. Nun die Not größer ist geworden als die Scham, kommts ans Haus, den Meierhof und die Grundstücke. Schon lange ists her, daß die Juden, welche als Krummschnäbel die Verwesung wittern, ihre Nasen mit der Frage in die Häuser steckten: Js nix ze handle, altes Silber, Borten rc.? Nun fragen sie freilich seltener und bleiben mählig aus. Warum? Das Fleisch ist von dem Aase weg, es sind noch nur die Knochen übrig. Denn die Vermächtnisse der Elternliebe und der Eltern­ tugend sind dahin. Die neue Zeit hat Riesenmägen und nur Händchen wie Zwerge. — Wie wären wir jetzt imstande, sengende Tataren mit Molden' aufgehäufter Kleinodien zum Abzüge zu bewegen? — Womit könnten wir die Brand­ schatzungen von den Türken erkaufen? — Womit wollten wir flüchten, wenn fremdes Kriegsvolk hereinbräche? — Wer könnte seinen Vater, seine Mutter, seine Frau oder Kinder aus der Gefangenschaft erlösen? — In einer Polsterzüche12 nahm die flüchtende Ahnfrau die Schätze des Hauses, und sie und die Kinder konnten Brot kaufen in der Fremde, monate­ lang, Jahre hindurch. Wo hätten wir Mittel, auswärts zu zehren, wenn wieder einmal der loingausgebliebene Krieg unsere langverschonten Gegenden heimsuchen sollte? Eben aber weil uns der Krieg so lange nicht ausgesucht hat, ist die 1 Mundartlich für Mulde = Backtrog. 2 Mundartlich für Polsterüberzug.

Zeit um soviel näher gerückt, wo er sich einfinden wird. Uns fehlen die Mittel der Flucht oder sind so selten wie Schnekkenhäuschen mit linker Windung. Denn die Veräußerung dessen, was überall und allezeit Wert hat, der Pretiosen, ist so gut wie vollzogen. Der Verkauf von Grund und Boden weist dies sattsam aus. Wer hat wohl die Schuld? Etwa die Zeit?! Wer ist sie? Sind nicht wir sie? Darum hat nicht sie, sondern wir die Schuld, und w i r werden die Strafe leiden, nicht sie. Haben wir also die Schuld, an was liegt dann die Schuld der Ver­ armung? Im Mißverhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe! So muß die Antwort gestellt werden und nicht anders. Denn was hier Aufwand ist, ist dort Sparsamkeit, und was hier Knickerei ist, heißt dort mit Recht Verschwendung. Alles kommt auf das Verhältnis an zwischen Einnahme und Aus­ gabe. Umsonst haben die Großmütter im Lobe und in der Empfehlung von Sparsamkeit sich heiser geredet: im Tadel der Verschwendung sind die Großväter müde geworden. Der Geist der Zeit, die in der Mehrheit der Menschen herrschende Lebensansicht, hat einmal den Zug dahin genommen: im äußerlichen sich gleich zu stellen. Das französische Gift der Gleichheit hat auch die unteren Stände ergriffen; sie wollen den höheren gleich tun. Weil nun dies in edlem Inhalt nicht geht, versuchen sie es in der Präge. Diese Rich­ tung bekamen unsere bürgerlichen Verhältnisse besonders durch Einwirkung der Geldmenge und in den Hungerjahren. Ter Beamte vom löblichen Militär- und Zivilstande war in der Bankozettelzeit elendiglich, über alle Vorstellung schlecht bezahlt. Denn die Besoldung geschah in Papiergeld, wo es am mindesten stand, in der nämlichen Ziffer, wie sie in der Metallzeit gelautet hatten. Und wieder: es betraf die BeNolberth, St. L. Roth. IV.

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amtenwelt dieses Unglück in einer Zeit, wo sonst jedermann Rock- und Westentaschen vollgepfropft mit Bankozetteln hatte. Während also der Beamtenwelt es so schwer gemacht war, auch nur ehrlich durchzukommen — war dem Gewerbsmann Erwerb und Leben ein Kinderspiel. In dieser Zeit, wo die Beamten gedemütigt wurden, wurden die Bürgers­ leute übermütig. Jene schränkten sich in Kleidung, Woh­ nung, Bedienung ein: stiegen herab, weil sie mußten; die Bürgerwelt blies sich auf, tat dick und stieg der Höhe zu. Sie tat es, weil sie konnte. Damals wurden die Bürgerjungfern zu Fräulein gemacht; — die Meisterin ward: gnä­ dige Frau; — der Geselle: junger Herr; — der Meister: Euer Gnaden. Dies Vornehmtun geschah freilich zuerst nur in der Höhe des Bürgerstandes, auf der Grenzscheide, wo der eigentliche Mittelstand lebt, zwischen Beamtenwelt und dein gemeinen Bürger. Nun griff bald dieses übel um sich, er­ weiterte und dehnte sich aus, wie ein Dintenfleck im Lösch­ papier. Aus der Höhe des Bürgerlebens stieg diese Krank­ heit in die tieferen Glieder herab, mit demselben Recht und Unrecht wie oben. Die hohlen und windigen Titel hatten endlich in den Städten ihre Eroberungen vollendet, nun strömte dieses zu den Stadttoren hinaus auch aufs flache Land. Schon gibt es Dörfer, wo sich die Bauern einander Herren heißen und die Augen aufreißen, wenn das ehr­ würdige „Ihr" an ihre Ohren schlägt, da sie schon ans städtische „S i e" gewöhnt worden sind. So drängt sich alles nach oben, wie das Blut in einem Menschen, der ohnmächtig geworden, den der Schlag rühren soll. Wie es mit den Titeln ging, gings auch mit den Kleidern und den übrigen Schau- und Scheinseiten des Lebens. Vor­ nehme Herren und Frauen des Auslandes — vom Militär und Dikasterien1 — erschienen, wenn sie in das Land kamen, in ihren ausländischen Kleidern. Hier hießen diese Kleider 1 Gerichtsämter.

neue Kleider, und weil sie vornehme Leute trugen, v o rnehme Kleider, Herrenkleider. Der Anstand dieser Herren, die Anmut dieser Frauen — eine unnachahmliche Seite vornehmer Geburt — ließen diese Kleidung gefallen. Der Zauber, der im Benehmen lag, ward gesucht im Er­ zeugnis des Webstuhles. Gern hätte man sich sogleich in den Frack gesteckt und den Frauenkopf in die Haube, aber alles war noch zu neu. Erst als der Herren- und Beamten­ stand die fremde Kleidung nachgemacht — wich im Mittel­ stand die Schamhaftigkeit, die Furcht, sich lächerlich zu nmchen. Als aber der schlecht besoldete und als arm be­ kannte Beamtenstand des Landes oft am Kuchelherd den Kreuzer ersparen mußte, um seiner Stellung gemäß sich zn kleiden und äußerlich zu leben, unterlag der durch Zeit­ umstände bemitteltere Bürgerstand um so leichter der Ver­ suchung, dasselbe zu tun, weils ihm leichter möglich war als dem andern. Wie daher Militaristen und Dikasterialisten Töchter des Landes heirateten und diese den Standesverhält­ nissen ihrer Männer gemäß sich kleideten, wurde der alte Gänserich und die Mutter Gans in die Kleidung der gnä­ digen Frau Tochter sterblich verliebt. Konnte doch nun jedermann am Kleide schon der Frau Tochter ansehen, daß ein Herr, oft 100 Meilen weit gereist, des Kindes Ehmann sei. Die andere Tochter an einen Heimischen nur, an ihres­ gleichen, verheiratet, an einen Bürgerlichen, wie ihr ehr­ licher Großvater war oder ihr Vater, samt der Frau Schwä­ gerin, machten ob dieser Auszeichnung und distinguierten Kleidung sauere Gesichter. Sie fühlten, unter gleichem Her­ zen gelegen, ob der Mehrverwendung auf die andere und größere Liebesäußerung sich unbilligerweise zurückgesetzt. Landestracht erschien als Ursache der Herabsetzung — die wenigere Achtung und Ehrenbezeugung als Folge der Nationalkleidung. Was geschah? Die Kleiderordnung, von denen zuerst nicht beachtet, die aufgestellt waren, darauf und

darüber zu halten, bekam Breschen. Der Geldreiche, der Dünkelhafte brach hinter dem Vornehmen und Stawdesmanne durch. Die neuen Apostellehren der Zeit „U nabhängigkeit und Zügellosigkeit", die nach keiner Sitte frugen und darinnen eben die Weisheit ihrer Lehren suchten, setzten sich über alles hinweg. Daher stellten sie auch überhaupt das Recht der Obrigkeit in Zweifel, ob es ihr auch zustehe, über Tracht und Ehrbarkeit zu wachen. Die väter­ liche Seite ihrer Wirksamkeit war bei der sächsischen Obrig­ keit eingefallen durch die Unkindlichkeit der Untergebenen. Ehrfurcht keine mehr — noch nur Furcht vor Gewalt und Strafe. Vor Strafen aber wegen übertretener Kleiderord­ nung war das Volk zu sicher. Denn wo der Dorfshann seine Ochsen selbst ins Mähgras treibt, hört die Pfändung der übrigen auf. So brach denn nun die Ausländer-Tracht wie eine Flut herein, willkommen dem Triebe des Zeitalters nach Gleichstellung mit dem Höhergestellten, und dem Un­ teren, dem Gewerbsmanne, möglicher als sonst gemacht durch den Geldüberfluß damaliger Zeiten und Verhältnisse. Einem gegebenen Beispiele rückte das andere nach, bis — in den Städten die heimischen Kleider verschwunden sind, wie es scheint, auf immer. Auf dem Lande wuchert dieselbe Nach­ ahmung. Schon weicht hier die Bauerntracht der städtischen, und nur mit Mühe behauptet noch der geistliche Stand, vom weltlichen hierinnen schon längst im Stiche gelassen, die Na­ tionaltracht bei Festlichkeiten. Hier auf den Dörfern wird aber der Kleiderwechsel auch langsamer vor sich gehen. Der Bauer hält fester an dem Alten, Hergebrachten — auch ver­ hindert tl und Docht, oder es war dieser nicht an­ gezündet. Es sollte sein und war nicht, konnt' es tun und tats nicht. Die Not, die Not lehrt beten und arbeiten. Die Not ist die Mutter gar vieler Tugenden. Aber die ausgewachsenen Bäume lassen sich nicht mehr beugen; wir müssens versuchen mit den jungen. Wenn der Mensch die Zeit ist, so ist die werdende bessere Zeit, die bessere Zukunft, in dem werdenden Menschengeschlechte, un­ serer Nachkommenschaft, zu erwarten. Wenn unserem Zeit­ alter und Volke die Kinderwelt nicht hilft, ist auch die Zu­ kunft verloren. Wenn nur wir keinen üblen Eindruck auf die Kinderwelt ausübten; und ich wünschte sehr die modische Theologie, die die Lehre von der Erbsünde nur im h. Augu1 Die Fußstapfen warnen. 1 Kaum möchte ichs glauben.

stinus stehen läßt, im biedern Luther und dem Glaubensbe­ kenntnis des weisen Melanchthon von 1530 — wäre wahr! So lange aber beim Vieh eine Charakterverpflanzung und Erbschaft von guten und schlimmen Eigenschaften nachge­ wiesen werden kann, wie jeder weiß, der über Veredlung der Pferde und des Rindviehes es auch nur im Buche ge­ lesen hat- wem es für keinen Aberglauben gilt, dem Vater einen Einfluß auf den Embryo einzuräumen, und der Mut­ ter, während der Zeit ihrer Tracht, auch einen besonderen Anteil nicht absprechen mag, wird die Furcht mit mir teilen, die Nachkommenschaft werde von uns verdorbenen Eltern so schneeweiß in den Anlagen nicht gezeugt werden wie frisch gefallener Schnee. Liegt einmal das Kind im Schoße -er Mutter, so leugnet ja ohnedem niemand die Einwirkung der moralischen und physischen Welt auf Leib und Seele des Kindes. Doch lassen wir das gehen und stehen. Betrachten wir jedoch unsere Hoffnung besserer Zeiten, die Kinderwelt, die Erziehung, zu unserem Zwecke, unter dem Einflüsse der Verarmung und -er alles verschlingenden Genußsucht. Es ist beinahe der letzte Streich an diesem Konterfei der Zeit und der dermaligen Welt. Die Eltern, durch sich schon ärmer, haben auf die Erziehung ihrer Kinder nunmehr weniger zu verwenden wie zuvor, berechnete man auch die Unkosten nicht nach den Erforder­ nissen und Begehrlichkeiten der Elterneitelkeit. Jeder Un­ terricht spricht schon an sich ein Geld an, daß einem Vater vieler Kinder eine sparsame Haushaltung zur Seite gehen muß, soll es ihm möglich werden, seine Pflicht als Vater ehrlich zu erfüllen. Bei beschränkteren Mitteln, vermehrten Ausgaben wollen die jungen Adamskin-er in allen Dingen, Kleidern und Vergnügungen den Eltern es gleich, wo möglich, noch zuvor tun. Theater, Bälle, Kegelbahnen, Biergläser, Kaffeehäuser, Jausen, Uhren, Kleider en gros — ich sage nichts mehr, kommen um 10 Jahre früher aufs Tapet, als

früher. Dieses Vorgreifen -er Zeit, dieses Bestreben, vor -er Zeit zu genießen, nannte man sonst Unzeitigkeit. Wie es jetzt heißt, weiß ich, seit ich ins alte Eisen gekommen, freilich nicht. Die ältere Zeit ließ die Vergnügungen mit den Jahren wachsen. Zwischen Kopfbildung, Leibeswachstum, Kleidung und Vergnügungen war ein gewisses Verhältnis beobachtet. Die Jahre waren das Maß, womit alles gemessen mard. Fangen aber, wie jetzt, um zehn Jahre die großen Ausgaben früher an, so dauern sie um zehn Jahre auch länger. Die unnötigen Ausgaben sind aber nicht nur die meisten, sondern auch die sogenannten großen Ausgaben. Früher war daheim ein Hauskleid — in -er Woche auch auf der Gasse ein Werkklei- — am Sonntag ein Feierkleid. Die Kinderfreuden bewegten sich im Kreise von ihresgleichen. Ich versichere, -aß ich weder taub noch blind bin. Die jetzige Welt ist eine andere — ihre Beurteilung, ihre wahre Ab­ schätzung nach ihrem wahren Wert darf aber nicht aus dieser jetzigen Zeit genommen werden. Die älteren Leute sind auch jung, die jüngeren aber noch nicht alt gewesen. Die Er­ fahrung ist ein Plus auf Seite des Alters. Weil aber zwi­ schen Alter und -er Kindheit noch ein Geschlecht der Mittel­ zeit steht, halb alt und halb jung, so möchte dieser -er kom­ petenteste Richter zwischen beiden Parteien sein. Diesem zu Liebe, Nutz und Frommen entwerfe ich hier nur kürzlich eine Schilderung voriger Zustände des Volkslebens. Mögen sie über diese sächsischen Altertümer nicht schmunzeln und das Belächeln so lange sich aufsparen, bis sie selbst alt ge­ worden sind und dann selbst in Gefahr schweben, gerichtet zu werden. Diejenigen Leser aber, die im Alter die Mittagsliuie passiert haben, mögen so gütig sein, die Federzeichnung aus dem Farbenladen der Erinnerung sich zu kolorieren. In diesem wehmütigen Geschäfte mögen sie dann den Entschluß nie fahren lassen, das Gute, was die Vorwelt etwa hatte,

wenn auch in anderen Formen, zur Wiederbelebung zu bringen. Der Fasching hatte für uns Sachsen mit der Refor­ mation aufgehört. Die Entschädigung für die harte Fasten­ zeit, in -er schwelgerischen Fastnacht, als letzter Fleischstunde, fiel natürlich bei denen weg, wo die Fasten selbst, als Nüch­ ternheit und Mäßigkeit, als Pflicht für alle Zeit ausgerufen ward. Nur drei Narrentage blieben noch als alter Sauerteig in -er Aschwoche, auch noch nach -er Reformation, wie es noch immer auf dem Lande gehalten wird. Öffentliche Bälle oder Freibälle gab es in -er sächsischen Nation nicht. Die Zeiten der Freibälle datieren sich nur aus den Zeiten der Kaiserin Maria Theresia, wo durch öffentliche Verpachtun­ gen dem verschuldeten Beutel der Kommunitäten zu Hülfe geeilet ward. Darum war die Welt nicht freudenleerer als jetzt. Als Rosenzeiten der bürgerlichen Einrichtungen er­ götzte sich das junge Blut auf Bällen der Zünfte, -er Nach­ barschaften und Familien. So ward auch in der Freude die politische Bedeutung beachtet. Man war immer in -er Kate­ gorie eines Verbandes — in den Zünften als Standes­ genosse — in -er Nachbarschaft als Wehrmann und Stadt­ bürger — auf Hochzeiten als Mitblut. Die Zünfte, als Gesellschaft, bis auf Kaiser Joseph II. reich und wohlhabend durch Erträgnis von Grund und Boden, veranstalteten Festlichkeiten, herbeigeführt durch besondere Ereignisse, die diesen Innungen lieb und wichtig waren. Die Ausgaben flössen aus dem Beutel des allgemeinen Ver­ mögens, woran ein jeder als Genosse seinen rechtmäßigen Anspruch hatte. Kein Aufschlag, kein Griff in die eigene Tasche erschwerte oder versauerte dem Ärmeren den Beitritt oder den Genuß der Lustzeit. Er bekam die Freude umsonst. Wie die Veranlassung zur veranstalteten Freude aus -er Zunft hervorging, so flössen auch daraus die Mittel -er Be­ streitung — aus allen, für alle. Was er aß und was er trank.

hatte er niemandem zu danken als seinem Stand: es war von dem Seinigen, wenn es auch nicht aus seinem Keller, nicht aus seiner Kammer kam,' es kam aus seinem Recht. Jeder war Gastgeber und Gast in einer Person. Wen dieser Kreis als Mitglied nicht einschloß, den nahm dieNachba rschüft in ihre Kreise der Geselligkeit auf. Man muß die Nachbarschaft in ihrer alten Wichtigkeit nehmen, in der Be­ deutung, die sie hatte, ehe die moderne Zentralisation sie um Ansehen und Wirksamkeit noch gebracht hatte---------- nur dann begreift man die Wichtigkeit der Tage, wo die Nachbar­ väter gewählt wurden, wo Sitzungen, mit Lösung schwerer Aufgaben, geendigt wurden, wo der Sittag für ein ganzes Jahr, mit seinen Rechnungen, seinen Gerichten über Ge­ sinde, Kinder, Eheleute, Nachbarn, seine Anstalten für Sicher­ heit, Frieden, Recht und Gottseligkeit — festlich und feierlich schloß. Es waren merkwürdige Tage. Da gaben die einzel­ nen Nachbarschaften ihren Vorstehern, die es durch Nach­ barnwahl geworden waren, die Instruktion, nach der sie sich zu äußern hatten, wenn sie, mit den anderen Nachbarvätern und Zunftmeistern in ein Ganzes vereiniget, die Kommuni­ tät bildeten. Die Glieder der damaligen Kommunität waren durch Wahl Glieder derselben, aber nur so lange, als sie sich des Vertrauens dem Volke würdig bewiesen. Das Volk war also in den Kommunitäten tätig lebendig, seine Abgeord­ neten sprachen dort aus, was ihnen die Zunft und die Nach­ barschaft auf die Zunge gelegt hatte. Die Beschlüsse der Kom­ munität also Volkswille, darum auch Leben darnach und Daraufhalten. Ein abgesondertes Kommunitätswesen vom allgemeinen Interesse konnte nicht entstehen, oder ward durch die nächste Wahl, durch Beseitigung der Mißfälligen besei­ tiget, während die Bertrauenswerten und Würdigbefun­ denen an der Spitze der Zünfte und Nachbarschaften blieben. Durch das jetzige System der Selbstergänzung bleibt die Kommunität vom Leibe des Ganzen mehr abgesondert. Das

gewählte Mitglied ist niemandem Rechenschaft schuldig: esempfängt von niemandem Aufträge. Der Blutumlauf der Gefühle, Gedanken ist im Volkskörper unterbunden, dadurch,, daß die Mitglieder der Kommunität einmal gewählt immer bleiben und aller Einwirkung des Volkes auf sie enthoben sind. Sie haben niemanden zu fragen, niemandem zu antWorten. Auch sind keine Anstalten getroffen, sie über den Wunsch der Gemeine zu belehren. Sie handeln nach Gut­ dünken. Wie die jetzigen Kommunitäten nach unten jetzt un­ abhängiger sind, nach oben abhängiger, so waren sie früher nach unten abhängiger, nach oben unabhängiger. Magistrats­ personen wurden alle Jahre gewählt, aus der Kommunität. Eine Magistratsperson war immer ein Zunftmann, dadurch auch immer ein Nachbar, ein Zunftmeister oder ein Nachbar­ vater, kannte, wußte, sah, hörte, was nottat und gewünscht ward. Der einzige Jurist ex professo war der plebanus oder später der Notarius. Wir finden in allen alten Schriften unter den Bürgermeistern, Stuhlsrichtern, Königsrichtern nur Zunftleute: Kürschner, Schneider, Fleischer usw. Wenn das Jahr der Amtierung um war, legten sie Rechenschaft ab — die neue Wahl, als Bestätigung oder Beseitigung, war des Volkes Gericht, Ausdruck der allgemeinen Zufrieden­ heit oder Mißbilligung. Der Volkswille hatte ein Ziffer­ blatt,' jeder konnte merken, was die Glocke sei. Ich aber wollte mit diesem allen nur dies Eine sagen, daß damals Zünfte und Nachbarschaften politische Korporationen waren^ ihre Zusammenkünfte also eine Bedeutung hatten, ein Ge­ wicht und Entscheidung, was nun freilich anders geworden ist. Ehe die zentralisierten Gerichte mit ihrem schriftlichen Prozeßverfahren die mündlichen Rechtsverhandlungen in den Nachbarschaften aufsogen oder ausmerzten- ehe die Zen­ tralpolizei alle Rechte der Aufsicht, alle Hebel der öffentlichen Sicherheit und Volkswohlfahrt an sich ritz, in welcher schönen und hohen Bedeutung standen die Nachbarschaften da. Wie

alle Werkstätten zusammengenommen die Zünfte bildeten, so liefen alle Haushaltungen durch die Nachbarschaftordnung in eine politische Spitze, in ein politisches Ganze aus. Der ein­ zelne Nachbar und Bürger hatte ein Organ, seinen Willen zu äußern, er war sich der Kraft und Wichtigkeit -es Ganzen froh bewußt und fühlte sich darin gehoben, ein Glied dieser Kette zu fein, ein Teilhaber an der öffentlichen Macht,' wenn auch nur mittelbar, seine Stimme ward gehört, er hatte das Recht, die Gelegenheit, seine Ansicht gelten- zu machen, ein­ mal in -er Nachbarschaft als Nachbar, dann als Zunftmann in -er Zunft, was durcheinander sich mengen- das Privat­ interesse einer Zunft oder einer Nachbarschaft darnieder hielt. Die Abschlüsse waren wahrhaftiger, allgemeiner Wille. In eben dieser Ehrwürdigkeit, Unentbehrlichkeit und Nahr­ haftigkeit mag ehemals auch in Deutschland, unserem alten Vaterland, die Anstalt -er Nachbarschaften gestanden haben, da der selige Doktor Martin Luther den guten Nachbar zum täglichen Brote zählt. Die aus einem Brunnen tranken, Brot aus einem Ofen aßen, die die Nachthut füreinander hielten, die sich ihre Wohn­ häuser aus gemeinschaftlicher Kraft aufrichteten, in Krank­ heit und Unglücksfällen den Willen von Anverwandten hat­ ten, die endlich einmal alle auf derselben Totenbank ruhten, die sich einander ihre Gräber gruben, eigenhändig ihre Toten auf den Gottesacker trugen und die letzte traurige Ehre der Leichenbegleitung als eine Gemeinsamkeit erwiesen — beim Tränenbrote -er Geschiedenen Verdienste rühmten und aus nachbarlichem Vermögen und Beruf für Witwen und Waisen sorgten----------diese brüderliche Gesellschaft, durch Örtlich­ keit bezeichnet, nannte sich die Nah e n, die Nachbar­ schaft. Wo seid ihr hin, ihr goldenen Tage, wo sich die Bewohner anstoßender Häuser nahe waren, näher als Anverwandte, die Nächsten in Leid und Freud, bei Tag und Nacht. Als

alles dies noch Tatsache war, nicht bloßer Name, als ein leeres Nest, aus dem das Leben ausgeflogen ist, als es Wahr­ heit war, nicht Schein und Hülse, Dasein und Wirklichkeit, nicht bloße Erinnerung--------- waren diese Zusammenkünfte der nachbarschaftlichen Verbrüderung, dieser nahe wohnen­ den Freunde mehr als jetzt, wo sie auch so heißen, aber weni­ ger sind. Solche Zusammenkünfte waren Ereignisse, die Ur­ sache und Folge hatten, eine Bedeutung für jeden Haus­ eigentümer! Sagte ich Hauseigentümer. So, ja, und ich sagte recht. Denn die Mietsleute kannte das sächsische Altertum nicht. Junge Eheleute lebten nur so lange bei Anverwand­ ten, bis die Nachbarschaft, in Verbindung mit -er Anver­ wandtschaft und Hilfe der Zunft, dem neuen Immen eine neue Wohnung aufbauete. Alles legte freudig die Hand an. Die Stadtmauer erhielt einen neuen Streiter, die Steuer, welche damals ein Pauschquantum war, einen Teiltrager usw. Was man selbst erhalten sollte aus gemeinsamer Kraft, tat man gerne auch einem anderen? es lag die Bürgschaft darin, man werde es tun auch seinen Kindern. Darum boten die Altvermählten Hand und Fuß als Hülfe den Neuver­ mählten, Freunde liehen die Wagen? ein Zimmermann fand sich leicht in der Freundschaft, Zunft oder Nachbarschaft. Bald stand das Haus aus unlizitiertem Waldholz usw. Wo seid ihr hin, ihr Tage des Unscheines, der Genügsamkeit, -es Habens und Liebens, der Aufopferung und des Gemein­ sinnes? — Der Anruf „Nachbar" war nicht leer? er ent­ hielt ein Bündel Rechte und Pflichten? sagte was im Munde -es Gleichen? klang nicht wie Herablassung im Munde des Vornehmen? er war Anerkenntnis gleicher Berechtigung, ein Geständnis der Benötigung, die Parole einer Verbrüde­ rung. Wenn in solchen Zusammenkünften die Männer ihre Geschäfte mit Zufriedenheit beendiget hatten und Zeit und Wille war da, der Fastenspeise -es Werktaglebens die Freude als Fett und Butter aufzugießen, entbot man den Frauen,

den Kindern und Kegeln. Die Versammlung waren Men­ schen gleichen Zieles, gleicher Furcht und Hoffnung. Ein Leib, eine Seele! Jung und alt war fröhlich! Denn alle hatten Ursache am Beschlusse, froh ein jeder in seiner Art. Die Alten rückten in Gesprächen näher — die Jungen dreh­ ten sich im Tanze. Mutter und Vater ergötzten sich die Augen am Kinde. Diese Freude war Lohn eines beendigten Ge­ schäftes, eine Lust am Beisammenbleiben,' nicht Lust aus Tanz, sondern Tanz aus Lust. Saget es selbst, ihr grauen Häupter, Ruinen der Vergangenheit, als ihr Kinder, Jüng­ linge und junge Männer wäret, hatten diese Zeiten denn keine Freude, keinen Frohsinn, keine Lust und kein Ver­ gnügen? Hat euch der später eröffnete Freiball im öffent­ lichen Saale die Innerlichkeit der alten Einrichtung ersetzen können? — Der Freiball versammelt zwar auch eine Gesell­ schaft — eine vergängliche, denn ihre Mitglieder vereinigen sich nur auf eine Nacht: das Recht -er Aufnahme erkauft man sich mit keiner Pflicht und mit keinem Verdienst. Das Entree bringt Kleti und Pleti zusammen. Eine Gesellschaft, die vor -er siebenten Stunde nicht ist und gegen Morgen ausein­ andergeht und aufhört! Die Verbindung hört auf, sobald der schläfrige Diener die herabgebrannten Kerzen ausbläst. Öffentliche Bälle, durch keine Begebenheit ins Leben gerufen, ohne etwas, was sie ausdrücken sollen, ohne Bedeutung und Sinn) als Berechnung die Allodialkassen zu füllen, bedürfen freilich der Kronleuchter und des Aufputzes, wie Leichname der Schminke. Denn der Mangel eines Inneren mutz ersetzt werden durch ein Außeres. Verzeihet, ihr jüngeren Freunde und Freundinnen! den Faschingsfreuden fehlet etwas We­ sentliches: die Würze eines Gedankens, die Weihe eines Ge­ fühles, das Bewußtsein, es habe diese Freude etwas zu be­ deuten, es sei die Auszeichnung einer Zeit, Bemerkbarmachung eines Zuträgnisses, das Erinnerungsmal einer Be­ gebenheit. Ihr tanzt — das ist wahr, und ihr tanzt mehr Folverth, St. L. Roth. IV.

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un- heftiger, künstlicher als die Alten, wie sie jung nmrcrt; ihr tanzt sogar mit Aufopferung euerer Gesundheit — mehr zum Erstaunen anderer und zur Erweckung von Besorg­ nissen, als für euch aus Innigkeit. Denn — kaum werde ich mich deutlich machen können: eueren Tanz habt ihr euch vor­ genommen, ehe die Freude noch da war,' es ist ein gemachter Ball- es fehlet ihm der Boden einer Geschichte, eines Er­ folges, Rechtes, -er Sitte. Die Quelle euerer Tanzlust ist Zucken -er Fußsohlen, -er Boden euerer Freude sind Bretter aus Tannenholz — nichts mehr. Noch muß ich der Familienfreuden erwähnen und darunter besonders der Hochzeiten, als eines dritten Kreises, worin sich das Leben und die Freude unserer Altvorderen bewegte. Die Zusammenkunft auf Hochzeiten bildeten teils Freunde durch Blut, teils Freunde durch Gemüt, menschen­ reich und zeitläufig. Es lebte in der Zeit noch der Gedanke, im entferntesten Freunde die gemeinschaftliche Wurzel oder die Verzweigung zu ehren. Um dieses Bewußtsein rege zu erhalten, wurden Familienereignisse mit möglichster Teil­ nahme aller Angehörigen gefeiert und langer, langer Kir­ chenzug war nicht Stolz auf viele Leute, sondern auf viele Freunde! Die besonderen Sitten und Gebräuche der dama­ ligen Zeit sind nun abgekommen und leben nur noch küm­ merlich und versteckt, teils auch verachtet auf dem einsamen Dorfe, je entfernter von Städten, je frischer. Diese Sitte» und Gebräuche waren aus der Humanität hervorgegangen, dem Festgeber nicht beschwerlich zu fallen. Eine Hochzeit, die acht Tage dauerte, zugebracht in Scherz, bei Essen un- Trinken, Tanzen un- Springen, kostete dem Gastgeber, bei vollgestopften Häusern, nicht mehr als setzte Wie das kam, wäre wohl leicht nachgewiesen. Der du es aber zu wissen begehrest, frage deinen Großvater und -eine Groß­ mutter, wenn sie noch in diese Zeiten hinaufreichen. Diese werden dir erzählen, wie die Braut und junge Frau mit

Pölstern und Kuchelgeschirr, mit Gel- und Hausrat beehret war-, wie die Tänzer -ie Reihen löseten, wie die Musikanten durch freiwillige Gaben der Tänzer bezahlt, wie Bedienung und Hülfe umsonst geleistet ward usw. Die Eßwaren kamen tot und lebendig, roh oder zugerichtet, gebacken und ge­ braten, freiwillig und unbezahlt ins Hochzeitshaus. Je mehr Gäste, je mehr Geber. Was Ausgabe schien, war Einnahme! Weil jeder wußte, daß er gegeben oder getan hatte, genoß auch jeder im Gefühle seines Anteiles. Beim Abschiede dankte jeder für die mitgenossene Freude und man dankte zurück für den Anteil, für Vermehrung des Glanzes, Vergrößerung der Freude, für Beiträge und Hülfe.---------- Die jungen Eheleute wären ein halbes Jahr lang in der Freundschaft, bei ehemaligen Hochzeitsgästen, geladene Tischgenossen. Dieser alten Arten gesellschaftlicher Freuden mußte ich etwas weitläufiger erwähnen, weil sie mir den Weg bahnen sollten, die neuen Zustände der Jugendvergnügungen zu be­ leuchten. Es war nämlich davon die Rede, daß die Jugend, ihren Kreisen der Altersgleichheit entrissen, bedeutungs­ losen Vergnügungen zugelassen würde, die große Kosten verursachten und für das Jugendgemüt, weil vor der Zeit und im Übermaß, verderblich wären. Sollte auch die Freude der Jugend, unter Aufsicht der Eltern, nicht sittlicher sein und war die alte Zulassung der Kinder zu ihresgleichen auf Hochzeiten, Zünften und Nachbarschaften, immer unter einer Idee versammelt, nicht natürlicher? Diese natürlich veranlaßten Bälle, aus aller, d. h. aus niemandes Beutel bestritten, stillten das Bedürfnis, wenn es und solange es vorhanden war. Kein Arrend,' den ein Ballpächter zu zahlen hat, legte eine indirekte Steuer auf die Freude. Keine Pro­ zente eines kostspieligen Ballhauses mußten durch Verlei­ tungen der Jugend aus der Tasche gespielt und gedeckt wer­ den. Freilich beabsichtigt dies das Publikum nicht — aber der 1 Pachtsumme.

Arrend nötiget schon, sich Nutzen und Entschädigung zu er­ sinnen. Damals war jedes geräumige Haus irgendeines ehr­ baren Mannes bald zum Tanzsaale eingerichtet. Diese über­ last nahm man auf sich, als Ehre oder Gefälligkeit gegen die Jugend, wie ein anderer für ihn einmal die gleiche Unter­ last getragen hatte. Ein solches Zimmer auszuräumen waren eine Menge Hände vorrätig und geschäftig, ebenso zum Ein­ räumen. Etliche Juseltkerzen1 an die Wand, etliche Turner2 -----------die Heiterkeit war da durch die Vorbegebenheit; der Tanz, Ausdruck vorhandenen Gefühles — also inniger; zwischen Rechtsgleichen — also zwangloser; unter Aufsicht älterer, selbst von Freude ergriffener Leute — also anstän­ diger und ehrbarer. Man durfte nicht luxuriös in Kleidern erscheinen, um sich unter einem Trotz, den keine Idee zur Einheit verband, zu unterscheiden usw., während jetzt im öffentlichen Ballsaale jeder einzutreten die Befugnis hat, er soll nur zwei Bedingungen erfüllen, nämlich den Eintritt bezahlen und im Kleide sich den anderen gleichstellen. Das Recht also der Teilnahme gründet sich auf Geld und das Kleid, die zwei Götzen der Zeit. Wenn ich also darüber Be­ schwerde führe, daß die Vergnügungen der Kinder den Eltern eine Last aufbürgen, habe ich nicht Recht? Wenn jetzt zwi­ schen Kutschern und Kuchelfräulein Kinder der Freien an einem Orte und mit gleicher Berechtigung sich einfinden, ist die Verleitung zu einer auszeichnenderen Kleidung nicht na­ türlich? Ist das Gefühl der Gleichstellung und Gleichbe­ rechtigung im Niederen nicht oft eine Verlockung zur Unbe­ scheidenheit im Höheren, eine Verlockung zu Vertraulichkeiten — wie erklärlich, diese Gleichstellung auch nach der Ballnacht fortzusetzen. Wer kann dem erhitzten Blute wehren, Bekannt­ schaften zu machen, die außer dem Ballsaale nichts taugen? — Das Bürgermädchen, von der glatten Grazie des Vor1 Mundartlich für Unschlittkerzen. s In Mediasch nannte man damals die Bläser „Turner".

nehmeren betöret, wenn auch sonst nicht mißbraucht, findet die ungehobelte Sprache des Gesellen, -er sie aber heiraten, ehren und nähren würde, nunmehr widerlich und unan­ sprechend. Wenn es nicht über die Altarschwelle mit einem Bornehmern ins Ehebett kommen kann, raunt ihm der Teu­ fel ins Ohr: Ei so kehre es um, aus dem Bett vor den Altar. Die protestantischen Kirchen machen durch die abgesonderten Sitze -er Geschlechter die Kuppeleien unmöglich — umsonst wachet die Geistlichkeit; denn die Bälle mit Masken geben Gelegenheit zu den schamlosesten Annäherungen. Mit wem man sich schämt, von anderen gesehen einen Gruß anzu­ nehmen, dem gibt man verkleidet und von anderen uner­ kannt Kuß, Händedruck und mehr. Im bloßen Gesichte schämt man sich auch vor sich selbst — in -er Maske nicht. Die öffent­ lichen Bälle verführen zum Aufwand an Kleidungsstücken und Geldern. Wer in den Kredenzen auswichset, wird ge­ sehen; wo kann ein Kleid so sehr gezeigt, durch Vergleichun­ gen, wo können solche Triumphe gefeiert werden? usw. Wer zahlt nun diese Ausgaben, wer büßt für diese Jugendsünden anders als die Eltern? Für die Kinder? Nein -och, nur für den eigenen Unverstand! Klagen, gerechte, über die ver­ teuerte Kindererziehung sind zwar schwer zurückzuhalten. Oft schon, wenn sich Mann und Frau umarmen wollen, legt sich der Gedanke an diese Kostspieligkeit zwischen sie oder macht die Umarmung fruchtlos. Wozu nützen Klagen? Männern steht Klage wie Greinen übel, während Weiber hiedurch schöner werden. Also statt ferner zu klagen, was die Sache nicht besser macht und nur entstellt, blättern wir lieber im Buche der Erfahrung und Vergangenheit und sehen nach, wie es die Alten anfingen, daß sie mit geringeren Mitteln ein Geschlecht erzogen, gleich weise, wie gut; gleich tapfer, wie leutselig; gleich volksliebend, wie sürstentreu. Keine Privaterziehung------alle in gleicher Bahn, bis die Wahl -es Berufes, jedem freistehend einem wie dem anderen.

sie auseinan-erbrachte. Das ist recht. Die öffentliche Schule ist öffentliche Beweisführung von Anlage und Verwendung. Den zähen und den weichen Zögling, den empfindlichen und halsstarrigen weiß der Lehrer, wenn er sein Fach versteht und gelernt hat, auch verschieden zu behandeln. Wenn die Kinderschuhe ausgezogen waren, hieß es: Marsch in die Stu­ dentenzelle, an den Coquintisch, unter die sittenbeschirmen-e Toga, die Kaiser Josef durch seinen Beifall geehrt hat. Ka­ meradschaften auf Zeitlebens! Freundschaften, welche die Scheidewand der Eltern, des Cantönligeistes übersahen! Viele in einer Stube oder Museum. Alle an einem Studiertische, wo bei gemeinsamer Kerze alle versuchten, was aus dem Kopfe, was in den Kopf ging. Zwischen sich Rang und Unterordnung, eine Verfassung mit Wahl und Rechenschafts­ legung. Kein Kanapee als Faulbett, kein Bedienter als Werk­ zeug. Wen die Reihe trifft, ist Wasserträger, Ofenheizer, Stubenkehrer. — Die Kleidung wie zweckmäßig! Nur die Toga ist Studentenkleidung; denn Dolman und Mente Bür­ gerkleidung, in meiner Kindheit noch allgemeine Festtracht des Bürgers. Dolman, Sommerkleidung, Mente hingegen Winterkleidung. Letzteres mit Lammfell gefüttert, ange­ messen der Jahreszeit und den Kirchendiensten und Leichen in Wintertagen. Dieser Pelz mit schwarzem Tuch über­ zogen, früher auch mit schwarzem Lammfell ausgeschlagen, artete schon vor Anfang dieses Jahrhunderts in die Pracht des Fuchsrückens aus. Mente und Dolman gingen vom Kinn bis unter die Wade. Man brauchte keine scheinige Weste und die stark in die Quere zugeschnittenen, übereinanderliegen­ den vorderen Rockzipfel ersparten dem Träger geflickter Hosen das Erröten. Die Toga deckte, wenn man ausging, die durchlöcherten Ellenbogen. Welche Rücksicht auf Armut, welche Bedachtnahme auf jedermann, der lernen wollte! Das ist Humanität! Wer dies Ehrenkleid trug, grob oder fein, ganz oder geflickt, neu oder alt, galt als Student, genoß die

Ehre, die Behandlung, das Privilegium eines solchen. Diese Studentenuniform äußerte aber auch einen Einfluß, eine Rückwirkung auf den Träger selbst. Ein Student, trägt er «inen Frack, weicht er in der Abenddämmerung der Gassen­ liebschaft nicht aus — ungezeichnet durch die Studenten­ kleidung schlüpft er in die schmutzige Kneipe, unter das Kehricht der Gesellschaft. Ehrt ihn das Kleid — er sucht es auch zu ehren. Nicht nur auf den Studenten, auch auf den Vater des Studenten äußert diese Kleidung ihren wohl­ tätigen Einfluß,- da ein abgeschabter, unmodischer Frack den jungen Menschen in der Weltmeinung herabsetzt, wirb da­ durch dieser Sohn veranlaßt, auf feines Tuch Ansprüche zu machen, auf einen neuen modischen Schnitt anzutragen. Hiemit ist er allen Wechselfällen der Modelaune preisgegeben. Daß die Modesucht Studentenseelen nicht verschont, ist ge­ wiß,' daß mit dem Modetand der Weltsinn einziehet, aus vielen Beispielen erwiesen. Nehmen wir nun die klösterliche Wohnung. Der Zaum war scharf — die Fohlen aber auch wild. Die Welt als Nach­ schule handelt dem idealen Schulleben ohnedem genug ab. Eine verständige Erziehung macht es wie eine Zigeunerin,' die Schule begehrt viel — um viel nachlassen zu können. Dieses klösterliche Leben war in allen seinen Einrichtungen dahin bemüht, in den Studenten Takt und Charakter zu bringen — zur Zeit — nach Maß — am Ort. Ausgang und Eingang — Schlaf und Wachen — Anstrengung und Er­ holung — Gebet und Arbeit — Essen und Nüchternsein. Zur Abendstunde rief das Glöcklein die Studenten nach Hause — wie der Zapfenstreich das Militär — bis zehn Uhr Privat­ studium. Dann wurden die sogenannten Schiffe vom Strande gelassen. Der Schlaf brachte Ruhe in den Ameisenhaufen. Fünf Uhr morgens ruft das Glöcklein statt des Morgen­ hahnes. Der Wecker ruft zur Arbeit und stellt die entzün­ dete Kerze auf den Tisch. Der Vordermann des Zimmers

nötiget aus den Federn. Während die Morgenstunde fin­ den Schulbewohner Gold im Munde hat, was geschieht mit dem Stadtbewohner häufig, nicht immer? — Der Vater schläft selber zu lange und die Mutter hat mit ihrer Zärt­ lichkeit einen zu ungleichen Kampf zu bestehen, um das Herzenssöhnchen im sanften Morgenschläfchen zu stören. Nun lief auf der Schule nach dem Morgenappell die Beschäftigung fort bis zur Mittagsstunde. Die Coquin für jede Tischgesell­ schaft dieselbe, immer noch besser als Spartaner-Suppe, mit der einst Könige sich begnügten. Gesunden und Jungen ist der Appetit der beste Koch. Der Vater brauchte nur für den Magen das Kostgeld zu bezahlen, nicht dem Gaumen. Speise sei Bedürfnis, nicht Vergnügen. Wie der Freiheitsgeist und Sinn für Unabhängigkeit in einem Volke abnimmt, desto mehr gewinnt der Magen Oberhand. Die niedlichsten Spei­ sen, gesülzt, gedampft, überzuckert usw., was erzeugen sie? Dünger! Studenten gehören nicht ins Kosthaus, weniger noch ins Wirtshaus. Denn es wirft der Anblick, Duft, Ge­ schmack der Speisen in den Beutel des Vaters ein Netz und zieht Geld heraus, das nötigeren Dingen aufgesparet werden muß. Wer sich aufs Eis begibt, fällt leichter!-------Lassen wir die übrige Zeiteinteilung — nur noch die Aufsicht und Überwachung des Lebens, der Sitten. Das Auge des Vor­ gesetzten, die ganze Stufenleiter bis zum Rektor, hält doch bessere Wache, als ein gleichgültiger Hausherr, der ein Ver­ dienst verliert oder ein leichtgeäffter Verwandter im Stadt­ quartier. Wären auch diese Schulordnungen, wie die mosaische Ge­ setzgebung, in der Wirklichkeit nie so vollkommen ausgeführt als im Gedankenreich entworfen worden,- so legen sie doch ein klares Zeugnis ab von der Umsicht, von der Weisheit der Altväter, von ihrer allgemeinen Bolksliebe, welche Wis­ senschaft und Aufklärung allgemein, allen zugänglich machten, nicht läppisch wünschten, sondern männlich veran-

stalteten. Wir, noch mit den Eierschalen auf dem Rücken, wollen die Altzeit meistern und rümpfen die Naschen, wenn sie noch rotzig sind, wenn Ernst und Strenge die Kinder in das Gleis bringen will. Die Schule, als Tochter -er Kirche, teilt mit ihrer Mutter das Los der Gefangenschaft, ist dem Weltsinn überantwortet — denen, die da draußen sind. Die Polykratie hat mit ihrem Geplärr von Liberalität und Hu­ manität aus diesen Gebäuden den alten Ernst herausgenom­ men, wie Kinder Eier aus den Nestern. Während die Um­ stände — -er Nation stählerne Gliedmaßen wünschenswert machen, zieht man dem Jugen-charakter Schlafröcke an. Die Schlafmütze werden sie sich als Zierbengel später schon selber aufsetzen! Was hat denn die neue Zeit zur Charakterbildung für die Jugend getan? Welchen Ersatz hat sie an die Stelle -es Abolierten gesetzel? Heißt Liberalität etwa, den jungen Leuten jeden Willen lassen? Besteht nicht vielmehr die wahre Schulliberalität darin, durch äußeren Zwang und Gesetze, nach psychologischer Berechnung, die innere Freiheit und Selbstgesetzgebung wecken, durch Gewohnheit gute Sitten zur zweiten Natur machen? Ist das Humanität, durch die Finger sehen, den Eltern aus Rücksichten zu Gefallen leben? Ist das Humanität, die feste Form der Schulver­ fassung, nach Launen, wie ungesäuertes Brot verfließen lassen, statt nach Prinzipien die Nachkommenschaft zur Him­ melsbeschauung, zur göttlichen, festen Weltansicht, zur Auf­ gabe der Menschheit zu erziehen? Gleich ein gellendes Ge­ schrei über Zwang, Schranke und Fessel. Ist denn Mode, Zeitgeist weniger Zwang, weniger Fessel? — Opfer, zur Bestreitung wesentlicher, unumgänglicher Be­ dürfnisse, hat das ärmer gewordene Elternhaus schon ge­ nugsam zu bestreiten — die Abgaben für unwesentliche, vermeidliche Ausgaben als z. B. doppelte Kleidertracht, Gleichstellung mit Selbständigen, Nachäffung der Welt — wie werden sie diese erschwingen? Wenn diese Liberalität

und Humanität, in der Bedeutung, wie sie jetzt hat, eine Weile noch fortdauert und für das abgebrochene Gebäude lein anderes bald aufgeführt wird, fürchte ich, wird das Studieren — sonst ein Gemeingut des Volkes, zum Privilegium des Reichtumes, eine Ausschließung für den Armen. Hiemit aber hört die Lichtmassa im ganzen auf, wenn auch der gleiche Lichtstoff in einem einzelnen Glied­ maße neu versammelt wird. Das soll man verhüten und es durch Veranstaltungen möglich machen, daß sich die intelli­ gente Klasse aus dem ganzen Leibe der Nation rekrutiere. Wir Sachsen, die wir weder im Adel, noch in einer hohen Geistlichkeit, außer dem Volk eine Stütze für das Volks­ tum haben, müssen alles Heil für das Volk im Volke s e l b st suchen. Verlieren wir das geistige Übergewicht, so ----------Brutus, schläfst du? B l a s e n d o r f unterhält, aus bischöflichen Händen — durch kaiserliche Freigebigkeit — alle Jahre eine große An­ zahl junger W a l a ch e n, die klösterlich erzogen in der kirch­ lichen Enthaltsamkeit die große Kunst der Selbstbeherrschung üben lernen. Hier richtet der Unterricht und die Erziehung ihrer Kinder die Eltern nicht zugrunde — vielmehr fließt aus der Erziehung für die Familie eine Quelle künftigen Wohlstandes. Die Zeit ist nicht mehr ferne, wo aus dem immerfort und fort abfließenden Unterrichte für dies Volk Heere von Geistern über das Land sich ausbreiten werden und ihrem Volke leuchten wie Sonne, Mond und Sterne. Karlsburg unterhält, aus bischöflichen Händen, durch kaiserliche Freigebigkeit, alle Jahre eine große Anzahl junger K a t h o l i k e n, die sich dem Dienst der Kirche weihen. Durch strengen Gehorsam — durch Unterwerfung selbst natürlicher Anforderungen — gehen sie, am Willen gestählt, in die Welt hinaus, diese der Kirche zu unterwerfen, mit fester Zuver­ sicht darum, weil die Welt in ihnen schon besiegt, die Pforten der Hölle überwältiget sind.

Sollen wir — bei allgemeiner Auferstehung im Lande, die Einzigen sein, die schlummern, gähnen, schlafen und schnar­ chen? — Andere pflücken und pflanzen in der Gegenwart sich Lorbeeren und Immortellen,- ist es denn eine Sache -er Sicherheit, auf den vertrockneten Blättern der Erinnerung der gewesenen Zeiten zu ruhen? Völker erhalten sich durch Kindererzeugung und Kinder­ erziehung. Das schändliche Kapitel der Kinderverechnung unter den Sachsen nach Zoll und Zirkel übergehe ich. Hätte ich Pfundsohlen zur Gesichtshaut, Scham würde dennoch wie Kohlenfeuer durchscheinen. Ich schweige deshalb,- denn alles zu sagen, möchte die Dinte rot, und nur halbes zu sagen, mein Gewissen schwarz machen. Verhinderte Kinderzeugung, Vernichtung der Elternhoffnung setzt auf den Grabeshügel eines Volkes eine Schandsäule, mehr als Rad und Galgen. Wenn auch nur hie und da die Mütter das Henkeramt führen — schon um der Einzelnen willen, so greulich ist die Sünde, furchtbarer, wenn möglich, als Vater- und Mutter­ mord — trägt der Herr des Lebens und des Todes ein solches Volk in das Totenregister ein! Die Haut zittert unter dem Hemd — das Herz im Leibe---------- aber armer Pre­ diger in der Wüste, darüber haben andere zu wachen — mache dich nicht zu tief in diesen Abgrund des Selbstmordes, der Volksvernichtung! Ein Trost ist ja noch da! Welcher? Die vorhandenen Kinder und ihre Erziehung - die Verjüngung des Geschlechts in der Nachkommenschaft, eine Wiedergeburt. Durch die Schultüren strahlet der Morgenstern. Wäre doch des Volkes Schullehrer-Seminarium einzig der geistlichen Obhut in Birthälm anvertraut. Städtischer Begehrlichkeit entrückt, in geistlicher Zentralisation mit apostolischem öle gesalbeti, säeten sie Sachsensinn, d. h. bete — arbeite und entbehre! Das Volk hat Hoffnung nicht nur auf Bestand durch Erhaltung der noch geretteten Sitten — auch Fort-

dauer durch neuen Lebensgeist. Ein hochherziger, großmü­ tiger Entschluß mache die Schultüren hoch und weit, daß alles hinein kann durch wohlfeiles Studium; Erziehung zur Selbstbeherrschung, angebahnt durch unabhängige Leh­ rer, brav im Kennen und Können, Wollen und Wissen, Tun und Lassen. Unsere Kinder, absichtslos zwar, aber wie wenn es Plan und Absicht wäre, in Genußsucht aufwachsend, in Weichlich­ keit erzogen, durch vorreife Genüsse verhätschelt, vom Welt­ sinn gegängelt, der Eitelkeit hingeworfen, der Selbstsucht ver­ kauft — sollten sie, unter diesen tausend auflösenden, schwä­ chenden, zersetzenden Einflüssen, den nötigen Charakter entwickeln, im Erforderungsfall, in der Stunde der Entschei­ dung, das eigene Ich mit Füßen zu treten, um die Gemein­ schaft, das Ganze, das Volk zu retten? Wehe, wenn Pyrrhus hinter dem Vorhang den Elefanten weist oder vor dem Vor­ hang den Beutel und die Schätze zeiget! Weichlingen und Feiglingen werden die Zähne klappern und Gecken und Schnldenmacher werden zugreifen, verraten, verkaufen. Dahin führt Genußsucht und Verarmung. Die Schule, die von der Weltlust umgarnt ist, baut ein Volksglück mit tönernen Füßen, ein Haus auf Sandgrund. Bloße Verstandes- und Kunstbildung ist nicht genug. Der Teufel ist auch gescheit und versteht gut zum Sündendienst zu pfeifen — aber er ist durch Lüge und Betrug ein Vater alles Übels. Wird die Schule, das Salz der Erde, welche dem Leben Geschmack geben und der Verwesung der Gesellschaft widerstehen soll, durch Selbstsucht und Dienst der Sinne dumpf, so liefert sie auch Schüler und Zöglinge feil im Herzen, schwach am Willen, verächtlich in Gesinnung, niederträchtig im Wandel. Wo findet dann, wie sie ihn braucht, die Nation einen Scävola, der sein Fleisch brennt, oder einen Kodrus, der sich in die Schwerter stürzt? —

Politik Mit der prunkvollen Außenseite unseres Lebens, dem Schimmer des Aufwandes, bringen wir nicht nur selbst unser Schiffchen zum Sinken, sondern verdecken auch anderen den Anblick der Grube mit grünen Reisern, in die wir, ge­ stürzt, aufhören sollen, als Volk zu leben. Wir bringen zu unserem eigenen Schaden andere, die Staatslenker, auf den Wahn: die Bürde, unseren Schultern aufgelegt, sei zu leicht, der Ladung und Befrachtung im Schiffe zu wenig. Ist doch der Schein für uns, die wir es doch am besten wissen, so groß, die Täuschung so natürlich, daß wir beim Flittern und Flattern der Gewänder mehrmals uns selbst über die Stirne streichen müssen, um inne zu werden, es sei Schein, nicht Wahrheit, Traumgebild, nicht Wirklichkeit, Hoffart, nicht Wohlstand. Machen wir uns selbst so schwer frei von der Täuschung, wie schwerer wird es einem anderen fallen, die Vermögensumstände der Nation zu würdigen, ein rechter Schätzmann zu sein? Kommen vornehme Leute ins Land, Augen des Hofes, zur Erforschung der Wahrheit hereingeschickt — wie ist alles bemühet, diese wayrheitsuchcnden Augen hinters Licht zu führen! Alle Anstalten werden ge­ macht, den Zustand des Volkes im herrlichsten Glanze er­ scheinen zu lassen. Die schönsten Pferde werden zur Vor­ spann auserlesen, mit Hafer im voraus dagegen feist ge­ macht, daß kein Wassertropfen auf der glänzenden Haut stehen bleibt — wenn man auch den daheimgebliebenen, der Mehrzahl, nur Zecker' an die Hüftknochen hängen kannder bestgenährte, amtsergebenste Bauer kommt in den Sattel oder auf den Bock- der hohlwangige, vergelbte bleibet zu Hause, der Ausschwätzer, wer feine, neue, dekatierte12 Kleider 1 Mundartlich: Kleine schilfgeflochtene Körbe. 2 Dekatieren, ein Apprcturvcrfahren, das seidenen oder wollene» Stoffen einen nicht schwindenden Glanz erteilt und das „Ein­ gehen" dieser Stoffe bei Durchfeuchtung verhindert.

hat, Mienen der Zufriedenheit, eine Zunge in Honig ge­ taucht — alle dazu geeignet, ein Schauspiel aufzuführen mit dem Titel „L a n d e s g l ü ck s e l i g k e i t", umflattern den Angekommenen; der Ehrenmann, der Wassereinschenker bleibt mit den abgeschabten Ärmeln im Winkel. Saget in aller Welt, wie kann man ein Land auf einer Durchreise beurteilen, als aus dem, was man sieht und hört. Der Schein gilt fürs Sein! Dieser schaugestellte Glanz strafet dann den Weheruf über Verarmung der Lügen und Übertreibung. Das Land gilt, wofür es sich ausgibt,' da man mit dem Wohlstand die Bekanntschaft macht, bleibt die Verar­ mung unbekannt. Können Bitten um Erleichterung und Gesuche um Hilfsleistung für die Verarmung dann als Wahrheit Eingang finden, wenn sich die Verstellung im Prunk und Überfluß hervordrängt auf die Straße in die Kreuz und Quer. Diese Theaterdekorationen sind so täu­ schend gemacht, daß das schärfste Auge ob dem Weihrauch­ dampf — die Täuschung für Wahrheit hält. Dies hat zur Folge, daß die Täuschenden die Getäuschten werden. — Frei­ lich hat man nicht zur Absicht, zu täuschen, man will den hohen Gästen nur Freude, nur Vergnügen machen. Die Freundlichkeit des Anblicks will im Reisenden nur ange­ nehme Gefühle erwecken, und von diesen angenehmen Er­ innerungen und Eindrücken erwartet man später Wohl­ wollen und Geneigtheit. Mir scheint's, als ginge man hier­ innen fehl! Die hohen Reisenden haben ja schon für das Land Wohlwollen und Geneigtheit zu Hause schon, ehe sie noch hereinkamen. Der Anstalten zur Erweckung des Wohl­ wollens und der Geneigtheit bedürfte es also nicht. Beab­ sichtiget etwa die Bereisung die Erkenntnis -er Landesge­ sinnung? Was laufen dann nur Beamte vor? Eine Reise inkognito wäre ein sichereres Mittel, eine Zusammenkunft mit Leuten aus allen Ständen. Bliebe die öffentliche Presse

frei, sie gibt ein wahres Bild des Lebens, -er Gesinnung, des Zustandes der Gemüter. Es bedarf, wenn durch sie die Wahrheit gesagt werden darf, nur des Willens, um alles zu erfahren, was man zu wissen wünscht. Reisemühe, Reise­ unkosten sind erspart — Vorspiegelungen hören auf — die Wahrheit steht entschleiert. Wenn man sich zeigen will, zeige man sich, wie man ist, um nicht als das zu erscheinen, was man nicht ist. Die dermaligen Empfänge und Veranstal­ tungen bei Reisen hoher Herren sind aufgetragene Schminke,sie erzeugen ein Vorurteil von Vollblütigkeit, von Stärke und Gesundheit. Was geschieht darauf und darnach? Wenn dann die Poesie der Darstellung vorüber, das angestellte Lustfeuerwerk abgebrannt ist — wer dann den Heimge­ kehrten das nackte Gerüst im verlassenen Lande zeigen wollte — nur hurtig hinaus, ehe man ihm die Türe zeigt. — Hat man doch selber den Glanz, die Pracht, das Wohl­ leben und den Wohlstand des Landes mit eigenen Augen gesehen! — Die Politik der Niederen wäre also, die Verarmung vor hohen Augen nicht zu verdecken, nicht zu verkleistern, nicht zu bemänteln. Die Politik in der Höhe wäre aber, der Verarmung Schranken zu setzen. Denn aus der Verarmung erwächst für die gesellschaftlichen Zustände, für den Staat, eine Ge­ fahr. Daß die Verarmung eine Begleiterin der Hoffart ist, ist bekannt; weniger anerkannt, daß die Verarmung der Völker in ihnen die Mißstimmung erzeuge, die jetzt epi­ demisch als Krankheit des Jahrhunderts grassiert. Die ver­ schiedensten Länder und Völker sind m i ß st i m m t, ein all­ gemeines Mißbehagen schreitet klagend über die Strecken der zivilisierten Welt. Die Staatsmänner haben kopfschüt­ telnd langher schon den kranken Zustand beobachtet und mit den diplomatischen Fingerspitzen die Pulse befühlt. Die Feinde der Aufklärung leiten das Übel aus dem Übermaße des Lichtrcizes her, der das Gehirn zu stark angegriffen

habe, und raten daher folgerichtig als Heilmittel die Ver­ finsterung des Krankenzimmers an. Andere, entgegengesetz­ ter Meinung, machen der Unwissenheit, der Finsternis Vor­ würfe und leiten alles Mißbehagen aus dem Unverstände, aus dem Mißverstände, also aus Mangel gehörigen Lichtes her. Wenn daher das Mißbehagen in Aufruhr ausbricht, schreien diese: Finsternis, Finsternis! jene: Licht, mehr Licht, noch mehr Licht! Ob ganz die Tag-, ob ganz die Nachtvögel recht haben, kann ich als Dämmerungsfalter nicht entschei­ den, da ich in meinem Helldunkel einer isolierten Stellung nur so viel erkennen kann und auszusprechen wage, daß ich diese Mißstimmung, Unzufriedenheit und Mißbehagen für keine Kopfkrankheit halte. An die Lehren dieser obigen zwei Gegenfüßler als an ein Universalmittel glau­ ben ohnehin die graduierten Doktores nicht. Meiner ge­ ringen Meinung nach kann diese Krankheit nicht im Kopfe sein, weil, zum Trost der Lichtscheuen, das Denken noch nicht so allgemein die Sache des Jedermanns ist, daß ein allge­ meines übel der Mißstimmung in ihrer Allgemeinheit dar­ aus allein sich erklären ließe. Auf der anderen Seite werden die Lichtfreunde auch so gütig sein, einzugestehen, daß der Tag zwar wachsen kann, aber seit dem Abzug Mosis aus Ägypten eine derlei Finsternis, wie sie damals war, nir­ gendswo mehr zu Hause ist. Es scheint daher am sichersten und geratensten zu sein, keiner Partei beistimmend hicrinncn, diese Mißstimmung nicht sowohl in einer Fehler­ haftigkeit des Urteiles, im Mangel des Lichtes oder der Blendung zu suchen, sondern sie für einen Seelenzustand, für ein übel zu erklären, wo das Herz der Sitz der Krank­ heit ist. Darf ich daher, nach Hut und Stock greifend, um mich zu empfehlen, mein Stimmchen auch abgeben, so möchte ich dann in meiner Unbedeutendheit das übel im Begehrungsvcrmögen suchen, und zwar in demjenigen Teile, wo es heißt: Ich hätte gern, doch hab' ich

u i ch t! Des Zeitalters Begehrungsvermögen, -er Ver­ brauch ist dem Erwerb, die Ausgaben den Einnahmen über den Kopf gewachsen. Es ist eine Abnormität vorhanden. Aufgeklärt oder nicht aufgeklärt — die Völker haben sich eilte solche Menge Genüsse angewöhnt, die sie nicht mehr imstande sind zu befriedigen. Es ist nicht eigentliche Not oder Entbehrung natürlicher Bedürfnisse, wie sie die Unter­ haltung des Lebens fordert, sondern die besondere Art Mit­ tellosigkeit, die künstlichen, außernatürlichen Bedürfnisse zu stillen, wie wir sie uns einbilden, angewöhnt und zur zweiten Natur gemacht haben. Die natürlichen sind leicht befriedigt — sie haben Maß und Grenze,' diese hingegen sind unersättlich, grenzenlos. Der gefüllte Magen kollert nicht — der Leib, bedeckt, zittert nicht — die Zunge, genetzt, klebet nicht am Gaumen. Für alles dies sorget der himm­ lische Gastgeber, der die Vögel nährt und den jungen Raben ihr Futter gibt, wenn sie ihn anrufen; — aber der Nimmer­ satte Hunger der künstlichen Bedürfnisse, die Blöße, die sich in zehn Kleidern nackend fühlt, der nie zu stillende Durst nach immer neuen, immer teuereren Genüssen stachelt den Verschwender, der durch seine Schuld zugleich auch der Habenichts in einer Person ist, zu immer neuen Klagen, mißstimmt sein Herz und versetzt es in die übelste Laune. Die Bemühungen des Staates, jedem Grenzeingeschlosse­ nen Lebenswege zu eröffnen, die Sorge für Erweiterung des Erwerbes ist allerdings eine dankenswerte. Alles, was für Industrie geschieht, von der Gewerbsschule bis zum polytechnischen Institute, sind, beim wahren Namen genannt, Veranstaltungen zur Vermehrung der Einnahmen, um — doch die Ausgaben, die die Staatsgehörigen einmal haben, zu decken. Wenn nur nicht mit der Vermehrung der Mittel, vorhandene Bedürfnisse zu befriedigen — die Bedürfnisse selbst wüchsen an Zahl und Stärke!!! So aber bleibetzwischen Einnahme (Erwerb) und Ausgabe (Bedürfnis) immer eine Rolbettb, St. 8. Molb. IV.

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unausgefüllte Kluft, eine Differenz, ein Defizit, die Not, der Mangel, ein unbefriedigtes Bedürfnis. Steigert man die Fähigkeit der Einnahmen ins Unendliche — so hat die Eigenschaft des Mehrbedürfens, das Übermaß der Ausgaben dennoch einen Vorsprung. Wie auch die Erwerbskraft meilen­ weit Schritte tut, macht die Verbrauchskraft noch größere Schritte! Sie werden nie mitsammen gehen — im Herzen wird das niegestillte Verlangen nie den Frieden, die Ge­ mütsruhe, das Wohlbehagen aufkommen lassen. So klug biu ich schon, auch so bescheiden, daß ich mich nicht zu den Klüg­ sten rechne — aber bei aller dieser Limitation muß ich doch offenherzig gestehen, daß ich diese Bestrebungen des Staates,

„die Einnahmen des Volkes zu vermehren", für eine Einseitigkeit, für eine halbe Blaßregel halte. Will der Staat seine Völker zur Ruhe bringen, will derselbe, daß in den Völkerherzen Friede geschlossen werde — muß zur halben Maßregel noch die andere Hälfte hinzugetan werden, um das Ganze zu haben, die Verminderung der Ausgaben. Nicht mit der Barschheit des großen Zaren, womit er nolens volens seinen Bojaren die Bärte abnehmen ließ, also überhaupt nicht durch Eingriffe oder Machtsprüche, sondern durch Leben und Ansichten ändernde Veranstaltungen, um durch Erweckung der Kraft, sich einzuschränken, die Ausgaben zu vermindern. Nur wenn die Verminderung der Genußsucht, die Kraft der Selbst­ beherrschung und Beschränkung, d. h. die Verminderung der Bedürfnisse und Ausgaben sich von den vermehrten Er­ werbsmitteln, der Kraft der Befriedigung, d. h. der Ver­ mehrung der Einnahmen sich einholen läßt, wird das pro­ blematische Oltönnchen in die Aufgeregtheit der Leiden­ schaften ausgeleert werden, mit der Hoffnung, den Sturm zu beschwören: nur dann wird das Mißbehagen der Völker in ein Wohlbehagen verwandelt, die Mißstimmung in Wohl-

laut und in die Harmonie einer sich genügenden Zufrieden­ heit aufgelöset werden. Vermehrung der Erwerbskraft, ein­ seitig, wie jetzt betrieben, ist, mit Erlaubnis es zu sagen, nur eine Erregung der Leidenschaftlichkeit, ein Vorschub der Sinnlichkeit, eine Beförderung des Weltsinnes. Die nötige Beschwörung dieser schlimmen Geister durch Selbst­ beschränkung, das Dämpfen der Leidenschaft, ein Geschäft des geistigen Faktors im Staatskörper, ein Geschäft und die Aufgabe der Kirche. Papst Hildebrand ist zwar von Pro­ testanten und Katholiken tausendmal getadelt und ver­ schrieen worden — aber seine Idee von der herrschenden Kirche wird dauern, so lange die Welt dauert. Die Herrschaft der Sittlichkeit, nicht das Gesetz und die Gewalt, kann die Welt erlösen und beseligen. Lange noch wird die Weltmacht die Kirche gefangen halten und mit Schmähungen über­ laden, weil sie nicht bewirkt, woran man sie doch selber hindert,' aber es wird eine Zeit kommen, wo der weltliche Stand der langgefesselten Mutter ungebeten die Hand­ schellen abnehmen wird, um sich den Segen zu holen. Diese Lehre macht zwar Bauchgrimmen, wie das Buch, welches der Apokalyptiker verschlang, aber ohne dies Bauchweh er­ scheint nicht die Offenbarung des neuen, herrlichen und hei­ ligen Jerusalems, der Weltfriede, die Erlösung vom übel, Gottesreich und das Reich Jesu Christi. Der Arme und der Verarmte sind ihrer zwei. Der Arme hat gute und willige Diener, die die Bürde tragen helfen. Gewohnheit heißt der eine und Unbekanntschaft mit dem Entbehrten der andere Diener. Beide machen, daß das Ent­ behrte nicht als Druck, nicht als Entbehrung erscheinen und empfunden werden. Die Genußsucht aber, die vom verbo­ tenen Baum einen Apfel einmal angebissen hat, verzehret nicht nur diesen ganz, samt' Grips und Schalen, sondern fährt im Ablesen so lange fort, mit Hand und Leiter, Stange

und Wurf, bis alles gar ist und am Baume nichts als Blät­ ter sind. Fehlen ihm die Mittel, die Apfel zu langen, oder ist die Erlaubnis verwehrt, so wässert ihm doch immer der Mund darnach wie dem quondam Tantalus. Sein Sinnen und Trachten steht ewig darnach. Mit lüsternen Augen sieht er wachend und im Schlafe träumend die unnahbaren Äpfel an den aufschnappenden Asten hin und her sich wiegen und winken, und wenn er, die getrocknete Zunge zu kühlen, die hohle Hand nach Len Silberwellen streckt, weichen sie tückisch zurück. Gekannte, gekostete, eingewöhnte Genüsse, zum Be­ dürfnis geworden, bei bellendem Magen, bei juckender Kehle, welche das Gelüste und die Einbildung süßer noch vormalen als sie sind und welche zu genießen die Verarmung immerdar verwehret — dies macht übellaunig, verstimmt, unzufrieden, rasend. Der Armgeborene, der Arme im Geist, hat au der Genügsamkeit einen Engel, der mit wenigem viele sättiget, kleidet und tränket,' sein Zuspruch tröstet, beruhigt, besänf­ tiget, mit Geduld, mit Hoffnung und Ergebung in die Ord­ nung, den Willen Gottes,' — während über dem Rücken der verarmten Genußsucht ein Teufelskerl eine zerfleischende Geißel aus drei Drähten schwingt: die Nimmersättigung, Mißgunst und Schamlosigkeit. Beim Armen ist die Ge­ wohnheit an sein Los ein Schlaftrunk für die Leidenschaft, die ungewohnte Mittellosigkeit für den Verarmten ein Dornenlager und Stachelgürtel. Ein chinesisches Weibchen hat Füßchen, denen man aus einem Gänseei zwei Schuhe machen kann,' es wird ein solches Himmelskind über die enge Fußbekleidung nicht murren, weil sein Füßchen nach dieser Schustermodel sich ausgebildet hat. Würde einer Europäerin nach diesem Schnitt ihre Patsche in ein Stiefelpärchen ein­ gezwängt, sie schrie Mord und Zeter! Armut also nicht — die Verarmung bringet dem Staate Gefahr. Nur die äußere Macht hält vor Gewalttätig-

feiten die Verarmung zurück. Die Leiden der Verarmung sind ohne Zuspruch der Religion eine unmenschliche Folter. Reife an Reife muß ein solches Bundlegeln1 haben, soll das Gefängnis nicht vom gärenden Safte gesprenget werden. Gegen das Häkchen, mit dem man die nordsüchtige Magnet­ nadel absperrt, treibt ihre Natur sie fort und fort. Dieses Häkchen ist für die verarmte Genußsucht die bestehende Ein­ richtung der Gesellschaft, die bürgerliche Ordnung, der Staat. Der Unzufriedene aus Verarmung stemmt sich mit aller Macht, die ihm zu Gebote steht, gegen diesen Bestand -er Dinge, als gegen die Anstalt, die die Fortsetzung seiner Ent­ behrungen und Leiden verewiget. Die Natur in der Rich­ tung des Begehrungsvermögens hat der Verarmte mit der Magnetnadel gemein — aber sein Widerstand gegen das Bestehende, den Staatszwang, hat mehr Ähnlichkeit mit einer Spiralfeder in einer Taschenuhr, welche auf das Äußerste gespannet ist. Je größer die Einschränkung, je größer der Gegendruck. Ist der Zwang zu groß, so bricht sie - S e l b stm o r d; oder ist die Feder zu kräftig für das Uhrwerk und die Spannung aufs höchste, so jaget die Feder das Räderwesen surrend durcheinander, daß das Ganze verhudelt wird = Revolution. Ich fürchte daher nicht den eigent­ lich Armen, das lastgewohnte Kamel, das Wasser trinkt und mit Disteln sich begnügt,- ich fürchte die Verwegenheit, das Brüten der Verarmten auf Anstellung, Abänderung, Um­ sturz und Umwälzung. Mir ist die Verarmung eine Bestie, die in die Kette beißt, seine [iljrelj Schnauze leckt, die nach Blut, der alten Speise, begehret, die funkelnde Blicke schießt, späht, ob etwa ein Glied losgeht, um auf die Beute den furchtbaren Satz zu tun, um im Blutbad, im Würgen für 1 Mundartlicher Ausdruck für ein kleines, mit starken Reifen versehenes Weinfaß, in dem der Most ohne Luftzutritt unvoll­ ständig zum sogenannten Bundwein vergärt. Besonders in der Gegend um Mediasch bekannt.

Gefangenschaft, für Entbehrung ssichj zu entschädigen. Betrug und Ungerechtigkeit — Häusereinbruch, Brandstiftung und Straßenraub sind nur das Zerren an der Kette. Revolution suchen die scheuen Augen. Darum haben von jeher Ver­ armte in Revolutionen die Hauptrolle gespielt — zu allen Unternehmungen dieser Art die Hand eingeschlagen, sind als Wagehälse zuerst auf die Mauer gestiegen. Einzelne Verarmte — sind nur Tropfen- wird die Ver­ armung und Genußsucht allgemein, sind sie ein Meer, das als L i st ein Loch für sich im Deiche bohren will, als G ew a l t den Durchbruch des Ganzen versucht. Daher muß der Verarmung und der Genußsucht das Talar und die Tiare, Groß und Klein, Herr und Knecht, Mann und Weib wie einer W a s s e r n o t zulaufen, ehe mit stürzendem Damm die losbrechende Flut Mann und Maus ersäuft. N i m e s ch, den 31. Mai 1843.

(Ende der Schrift)

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Inhaltsverzeichnis des 4. Bandes Vorwort des Herausgebers

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Die Zünfte, eingeleitet von Ewald Sindel..............................17 Die Zünfte, eine Schrrtzschrist (1841)........................................... 25 Der Sprachkampf, eingeleitet von Otto Folberth.................75 Der Sprachkampf in Siebenbürgen (1842)..............................

91

Die landwirtschaftlichen Schriften, eingeleitet von Martin Roth 160 Untersnchnnge» und Wohlmeinungen über Ackerbau «nb No­ madenleben (1812)....................................................................... 175 Wünsche und Ratschläge, eine Bittschrift fürs Landvolk (1843) . 207 Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, ein­ geleitet von Ewald Sindel.......................................................... 285 Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, be­ sonders unter de« Sachsen (1843)................................................ 293

Ende des vierten Bandes

Das Personen- und Sachregister sämtlicher Bände befindet sich am Schlüsse des letzten Bandes