Gesammelte Schriften und Briefe. Band 1 Die Wanderschaft: Dokumente aus den Jahren 1815–1819, hauptsächlich aus Tübingen und Iferten [(Fotomech. Nachdr. 2. Aufl.). Reprint 2019] 9783110842890, 9783110026856


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German Pages 337 [344] Year 1970

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Table of contents :
Vorwort des Herausgebers
Die Vorfahren St. L. Roths
Der Gymnasialschüler
Stammbuchblatt vom 12. Sept. 1815
Stammbuchblatt vom 19. Sept. 1815
St. L. Roth an die Eltern in Kleinschelken. Hermannstadt, 23. Hornung 1816
An dieselben. Hermannstadt, 19. März 1816
Urteile über den Gymnasialschüler
An die Eltern in Kleinschelken. Pest, 4. Juni 1817
An dieselben. Pest, 8. Juni 1817
An dieselben. Wien, 18. Juni 1817
An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Wien, 29. Juni 1817
An dieselben. Wien, 9. Juli 1817
An dieselben. Wien, 21. Juli 1817
An die Eltern in Kleinschelken. Wien. 29. Juli 1817
Gemälde einer Reise durch Oberösterreich, das Salzkammergut, durch Salzburg, Berchtesgaden und einen Teil Bayerns ans Licht gestellt von Freimund Atel, einen auf die Universität Tübingen gehenden Theologen aus Siebenbürgen
1817
1818
1819
Inhaltsverzeichnis des 1. Bandes
Die Verwandtschaft Saft St. L. Roths
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Gesammelte Schriften und Briefe. Band 1 Die Wanderschaft: Dokumente aus den Jahren 1815–1819, hauptsächlich aus Tübingen und Iferten [(Fotomech. Nachdr. 2. Aufl.). Reprint 2019]
 9783110842890, 9783110026856

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Stephan Ludwig Roth

Stephan LudwigRoth Gesammelte Schriften und Briefe

Auö dem Nachlaß herausgegeben von

Otto Folberth

1970 Verlag Walter de Gruyter 6 Co. - Berlin vormals G. I. Göschen^sche Verlagshandlung ♦ I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung ♦ Georg Reimer ♦ Karl I. Trübner ♦ Veit & Comp.

1. Bd.: Die Wanderschaft Dokumente aus den Jahren 1815—1819, hauptsächlich aus Tübingen und Ismen

Mit einem Bildnis Stephan Ludwig Roths einer Handschriftenprobe und einer Verwandtschaftstafel

2. unveränderte Auflage

1970 Verlag Walter de Gruyter & Co. ♦ Berlin vormals G. I. Göschen'sche Verlagshandlung ♦

3« Guttentag, Verlagsbuchhandlung ♦ Georg Reimer ♦ Karl I. Trübner - Veit & Comp.

Unveränderter photomechanischer Nachdruck Beigegeben wurde ein Inhaltsverzeichnis

© Archivnummer 43 41702 Copyright 1927 by Walter de Gruyter & So., vormals G.J. Güschen'sche Berlagshandlung I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner • Beit & Comp. — Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Photo­ kopten und Mikrofilmen auch auszugsweise vorbehalten. Photomech. Druck: Europe Prtnting, Vaduz

Vorwort des Herausgebers Eher als ich es wünschte, wurde ich von den Verlegern dieses Werkes aufgefordert, seine Herausgabe i« besorgen. Das heißt, im selben Maße als mein erstes St. L. Roth-Buch „Stürmen und Stranden"x) per­ sönlichstem Antrieb entsprang, zu einer Zeit, da ich für mich selbst St. L. Roth entdeckte und ihn meinen Lesern nur mit vermittelte — im selben Maße ist dies auf mehrere Bände geplante Werk, wie fast alle Gesamtaus­ gaben, durch Ueberlegungen außerpersönlicher Natur veranlaßt worden, die kurz anzuführen hier am Platze sein mag. Erstens ermunterte die ausnahmslos steundliche Aufnahme jenes Auswahlbandes zur weiteren Erschließung des Stoffes, von dem ja kaum mehr als Kostproben geboten worden waren. Es forderte» aber dazu einige umfangreiche Besprechungen auch ausdrücklich auf. — Zwei­ tens schien es ratsam, der deutschen Leserwelt (soweit sie dazu neigt, Wesen und Schicksal des Auslanddeutschtums mitzuerleben), beizeiten und bevor sie an der publizistischen Oberflächenliteratur dieses neuen Schriftzweiges ermüdet oder verflacht, körnigere Nahrung in steigendem Maße zuzuführen. Dies kan« nur durch reichgeschichtete Werke geschehen, die den suchenden Leser an die tiefen, noch kaum betretenen Gründe, zu den versteckten und geheimnisvollen Blütenformen deutscher Seele in der Fremde heranführen. Solcher Aufgabe zu entsprechen, galt es hier. Denn daß sich im Siebenbürger Stephan Ludwig Roth der Heldengenius auslanddeutscher Geisiesgeschichte gestaltet hat, ist mir nicht zweifelhaft. Seine Erhöhung aber aus unsern Reihen zu zeichenhaftem Bilde im gesamtdeutschen Bewußtsein mußte uns Siebenbürger Sachsen gleichzeitig d i e Auftichtung an ihm bringen, die uns heute gerade not tut: tapfere Männlichkeit, unbeirrtes Denken, ja — die Prophetie klarer Geister be­ währt zu sehen. — Und drittens sollte man, das war doch einleuchtend, das große Pestalozzijahr 1927 (100. Wiederkehr seines Todestages) nicht 1) Ausland und Heimat Verlags-Aktiengesellschaft, Stuttgart, 1924.

vorüberstreichen lassen, ohne auf diesen noch kaum gekannten und so über alle Maßen tragischen Pestalozzianer einmal recht nachdrücklich hinzu­ weisen. Denn was ließe sich aus Siebenbürgen Wertvolleres zur Ehrung des „Erziehers der Menschheit in Jferten" beitragen als die restlose Er­ schließung des Freundschaftsbundes, der den ungetrübten Verkehr und die geistige Zusammenarbeit eines 72jährigen Genies mit einem 22jährigen heiligte! Diese Ueberlegungen verpflichteten mich, den nun einmal begonnenen Dienst an St. L. Roth fortzusetzen und führten zur Inangriffnahme des vorliegenden Werkes. Es unterscheidet sich von „Stürmen und Stranden" hauptsächlich durch seine größere Vollständigkeit. Läßt sich jenes mit dem Scheinwerfer eines Kraftwagens vergleichen, der durch die nächtliche Land­ schaft rast, so dieses mit der Lampe des Bergmanns, der den ver­ schlungenen Weg der Goldadern im Erz verfolgt. Es dürfte von der persönlichen Einstellung des Lesers abhängen, ob ihm das überraschende Schlaglicht oder das ruhige Leuchten angenehmer ist. Hier versuchte ich, den noch nie ganz veröffentlichten St. L. RothStoff, der ein großer Stoff sowohl geistig, als künstlerisch ausschöpfbarer Geschichte ist, zu sammeln und übersichtlich zu ordnen. Vor allem werden die Briefe des Nachlasses, von denen in den bisherigen Roth-Büchern immer nur Cinzelproben erschienen sind, endlich einmal als Kabinettstücke siebenbürgischer Memoirenliteratur ans Tageslicht gehoben. Dem Umfange nach nimmt das unveröffentlichte Material weit über die Hälfte dieser Ausgabe, davon den vorliegenden Band fast ganz ein. Die Gliederung des Stoffes ergab sich von selbst: das von Anfang an dramatische Leben St. L. Rochs mußte dem Leser in seiner natürlichen, zeitgeschicht­ lichen Entwicklung vorgeführt werden, ohne daß der Herausgeber in die bewegte Szenenfolge störend eingriff. Meine eingeschobenen Regiebemerkungen, durch den Druck deutlich gekennzeichnet, fasse man also nur als solche auf. Sie wurden möglichst selten, bloß dort, wo Ergänzungen oder Verbindungen notwendig schie­ nen, angebracht. Erst am Schluffe des letzten Bandes, nachdem St. L. Roth sein Leben und Wirken von Anfang bis zu Ende erzählt hat, ver­ suche ich, Gestalt und Schicksal dieses seltenen Mannes in Zeit und Ge­ schichte zu stelle» und aus ihr zu heben. Fußnoten waren, da es sich darum handelte, erstveröffentlichte Texte soweit als möglich zu klären, nicht zu vermeiden. Sie sind zum großen

Teil für den Wissenschaftler bestimmt. Der Laie lasse sie ruhig beiseite liegen und schmälere sich den Genuß Rothscher Sprache nicht durch zer­ streuende Wißbegierde. Der Text der veröffentlichten Stücke geht, soweit nicht Einzelbemer­ kungen Abweichendes besagen, auf den in der Baron von Brukenthalschen Bibliothek in Hermannstadt verwahrten handschriftlichen Nachlaß zurück. Beschädigte oder unleserliche Stellen sind mit zwei Punkten.., vom Herausgeber gestrichene mit drei Punkten . . . kenntlich gemacht. Einige Stücke oder Briefe des Nachlasses, die in keiner Weise Wichtiges enthielten, fielen ganz weg. Der Charakter des Werkes aber ist durchaus episch-umfassend, während der von „Stürmen und Stranden" aphorisiisch-ausschließend war. Die wechselnde Rechtschreibung und Zeichen­ setzung Roths wurde nach Tunlichkeit der heute gültigen angepaßt. Einen einzigen Brief (den vom 20. Jan. 1819 an Wellmann) drucke ich zwecks Vergleich in der Originalorthographie ab. Der altertümliche Lautstand einiger Wörter (wie z. B. Heurathen, Läge) blieb stets unverändert. Für die Förderung meiner Arbeit bin ich Vielen Dank schuldig. Der Leiter der Handschriftensammlung in der Brukenthalschen Bibliothek in Hermannstadt, Herr Dr. G. A. Schüller, blieb mir nach wie vor ein stets zuverlässiger, unverdrossener Ratgeber. Herrn Regierungsrat Georg Schmidgall (Württemberg), dem Spezialforscher für Tübinger Derbin­ dungsgeschichte, verdanke ich die Kommentierung des Tübinger Tage­ buches fast ganz. Die Schweizer Gelehrten Dr. Rud. Hunziker, Dr. H. Stettbacher (vom Pestalozzianum in Zürich) und Dr. L. Weiß halfen mir mit Rat und Tat, den Spuren St. L. Roths in der Schweiz nachzugehen. Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft schließlich zeigte so viel Verständnis für die Aufgabe, St. L. Roth dem deutschen Schrifttum einzuverleiben, daß sie wohl des Dankes aller Roth-Freunde in reichstem Maße versichert sein darf.

Ostern 1927.

Otto F 0 lberth.

t^^tephan Ludwig Roth wurde am 24. November 1796 in Mediasch in Siebenbürgen geboren (getauft am 27. November). Sein Vater Stephan Gottlieb Roth war Konrektor am Mediascher Gymnasium, dessen Vater Schuhmacher in derselben Stadt. Seine Mutter, Marie Elisabeth geb. Gunnesch, entstammte einem Pfarrergeschlecht, das, soweit es sich zurückverfolgen läßt, im Mediascher und Scheller Kapitel der evangelischen Kirchengemeinschaft der Siebenbürger Sachsen Dorfpfarren bekleidete. Ein Urgroßvater dieser Linie war der fleißige Kirchenrechtler Martin Fay (gest. 1786 als General-Syndikus). Die genauen Daten der beiden Familien enthält die diesem Band beigeheftete Verwandtschafts­ tafel. Der Herausgeber hofft durch ihre Zusammenstellung viele Einiel­ erläuterungen der Brieftexte dem Leser und sich erspart zu haben. Noch im Geburtsjahr St. L. Roths wurde sein Vater Prediger an der evangelischen Kirche in Mediasch, kehrte aber 1798 als Rektor ans Gym­ nasium zurück. Casus rarus! ruft er darüber in einer späteren Lebensbe­ schreibung aus und fügt hinzu: O vita maxime iucunda iucundissima!! Seine Lebensfreude wandelte sich bald in zähen, harten Lebenswillen. Im Jahr 1800 wurde er zum Pfarrer von Nimesch, einer kleinen Land­ gemeinde in der Nähe von Mediasch, 1803 als Nachfolger seines Schwie­ gervaters Joh. Traugott Gunnesch zum Pfarrer des zwischen Mediasch und Hermannstadt liegenden Kleinschelken gewählt. Diese damals an­ sehnliche Pfarrstelle behielt er bis zu seinem Tode, 44 Jahre lang, bei. Kleinschelken wurde dadurch die eigentliche Dorfheimat St. L. Roths, in der er die Ferien seiner Schulzeit zubrachte. Die unteren Gymnasialklassen besuchte der Knabe in Mediasch. Im Mai 1809 trat er aus der Syntax (der 3. Klasse) des Mediascher in die des Hermannstädter Gymnasiums über, wo seit 1806 sein Schwager Mich. Bergleiter Professor war. Auch eine Tante Roths, die „liebe Frau Schwester Gergerin", hatte nach Hermannstadt geheiratet. Bergleiter wurde 1811 Rektor des Gymnasiums und leitete umsichtig die wissen­ schaftliche Ausbildung des Jünglings. Im Oktober 1815 starb aber

der geliebte und verehrte Schwager und Roths früh verwitwete Schwester Elisabeth zog mit ihren zwei Kindern wieder zurück auf den väterlichen Pfarrhof von Kleinschelken. Ebendort lebte, noch ledig, Roths jüngere Schwester Therese. Er selbst war der einzige Sohn des Hauses. Aus den Hermannstädter Jahren sind vier Dokumente aus Roths Feder erhalten geblieben: zwei Stammbuchblätter und zwei Briefe. Erstere schrieb der Lateinschüler in (deutschen) Hexametern Jugendfreunden vom Hermannstädter Gymnasium ins Stammbuch. Sie tragen schon unver­ kennbar den Stempel seines Geistes. Die beiden Briefe, die hier nur als die einzigen jener Zeit Mitteilung verdienen, schrieb er an die Eltern. Prächtig erhebt sich im Abendgewölk Reps" stattliche Felsburg Hochberühmt in dem Altertum ob Minne und Fehden; Jetzo minder berufen, doch nicht minder geschähet: Denn wohl manches Herz, wohl manches heiße Begierde Dorthin ziehet über die weite Kluft der Entfernung, Wo die luftige Höhe haust auf der Zinne der Veste. — Wie dort faßt das Eiland der gestrandete Schiffer, Unten erbraustes, unten erdröhntes im grausen Schlunde des Meeres; Also hier im oberen Luftstrich lächelt die Sonne, Wenn im Gaue dort unten sich entladen die Wetter. — Gleiche Höhe des Sinnes wünscht Dir der redliche Schelker: Wenn Dir Deinen friedlichen Sitz das Schicksal umlagert Und verräterisch um die Schwinge die Bosheit sich windet, Schau hinweg über den Tand, erhebe zum Himmel die Blicke. Alles Sein ist ein bleibender Ausdruck des Mangels, Denn zur Scholle wird alles, was die Zeiten gebären. Und die Gräber verschlingen, was Jahrhunderte schufen. Nur der Geist entsteiget den Fluten, verkläret als Seraph Ragt ein Riese empor, wenn alles dem Staube sich gattet. Freund, die Stunde schlägt. Lebe wohl! Hermannstadt, den 12. September 1815.

Dein Freund Steph. Lud. Roth, Kleinschelk 1815 *). 1) Dies Stammbuchblatt gehörte einem ehemaligen Mitschüler R.s, dem Repser Johann Josef Jacobi. Mitgeteilt von Kläre Binder. Kelling.

&)' Dir umrauscht das Kinn der Jugend Erstlingsgebärte Wohl nnd Weh zu versuchen trittst Du beherzt in die Schranken, Denn es behagt am Großen und Schweren zu üben die Manneskraft, Zu bestehen im Kampf gen des Unglücks tausend Gestalten. Diele zu teilen den Kampf bieten Dir Arme und Herzen, Doch es besteht nur selten Einer am Tag der Entscheidung Und den Wahren erprobt nur die Zeit der Gefahren. Darum willst Du als Greis Dich an der Schwelle des Lebens Ruhig schlafen legen: höre vom Freunde die Worte: Trau in dem Vorgefecht dem vielversprechenden Hülfschor, Doch, wenn es heiß geht, rücke selber ins eiserne Schlachtfeld! In der eigenen Brust muß Mut und Tapferkeit sitzen, Soll der fröhliche Sieg die Scheitel die Deinige krönen. Hermannstadt, am 19. September 1815.

Behalte in gutem Angedenken Deinen Freund Steph. Ludwig Roth aus Kleinschelken1). Hermannstadt, den 23. Hornung 1816.

Liebe Eltern! Täglich sah ich Eurem Hereinkommen entgegen, wel­ ches sich doch immer verzögerte. Bald erinnerte ich mich an ein Vor­ nehmen, und nun wartete ich mit noch mehr Bestimmtheit, bald er­ hielt ich Nachricht, so daß ich von Eurer nahe» Reise nach Hermann­ stadt völlige Ueberzeugung bekam. Endlich kömmt auch Herr Prediger Hann und nun hätte ich drauf schwören wollen. Bestimmtheit, Ueber, zeugung ic. gingen weg, wie sie gekommen waren, und der einzige Wunsch blieb übrig. Wunsch nach den Eltern! Freundlicher Gedanke! Bald hätte ich Euch einmal in diesem guten Schlittenwege besucht; gesprochen, gedacht war vieles davon. In Gedanken schon sah ich, wie ihr überrascht worden wäret, wie ich mitgeteilt, wie mir mit­ geteilt worden wäre und wie ich endlich mit vollen Taschen nach Hause getrabt wäre. Umstände rc. ließe» dieses Projekt nicht zur Reife gelangen und ein jeder blieb, wo er war. 1) Nach einer Abschrift ans der Mappe „Denkmale der Freundschaft des Pfarrers Michael Ungar. Mitgeteilt von Prof. Möckel, Mühlbach.

Wie ich gehört habe, ist zu Hause bei Euch alles gesund. Dieser seltene Gott will jetzt, wie es scheint, auch unsere Gemächer be­ wohnen. Lange genug hat er uns gemieden! — Wie lange sollte es dauern? Könnte mein Gebet für die Meinen ihn binden! Gerger Fritzi *), welcher vom Tanzmeister erhitzt ins Kalte getreten war, liegt seit einer Woche, ohne daß man recht die Art der Krankheit einsehen könne. Seit einigen Tagen fängt er an zu genesen. Auch ich muß meine überstandene Krankheit hierher setzen, meinem Versprechen gemäß, treu und auftichtig zu sein und Euch zu be­ ruhigen, weil sie vorbei ist und ohnedem von keiner Bedeutung war. Ich hatte in meinem Stübchen etwas Feuer gemacht, hatte mich in der Bibliothek zu lange aufgehalten12), wodurch ich mir denn die rechte Kopfseite tüchtig erkältet hatte. Die darauf folgende Nacht wurde ich von einem Reißen, Kopfiveh, Zahnweh rc. so gemartert, daß ich die ganze Nacht nichts schlafen konnte. Morgens am vergangenen Sonntag kam ich zu Wellmann3), wo ich einen 4stündigen Frost und ^ständige Hitze empfand. Dieses, vielleicht Schmerzensfieber, erschien nicht mehr, nur eine Geschwulst auf dieser Seite macht mir noch Jncomodität, keine Schmerzen ver­ ursachend. Ich hab mir ein Säckelchen füllen lassen und trage das­ selbe auf dem Backe. Während dieser kleinen Patientschaft lag ich zu Weltmann, weil ich bei mir drunten keine Bedienung hatte usw. Frau Schwester Gerger4) schickt mir auf die Schule das Essen, allein sie läßt öfters ftagen, ob ich noch nicht hinaufkomme. Wo ist die Rectorin?5) Jetzt vermisse ich sie. Noch ftequentiere ich keine Vorlesungen, um mich nicht zu verderben. Montag aber, wenn Gott will, steh ich ein frischer gesunder Kerl wieder da. Ihr habt Euch 1) Friedr. Gerger, geb. 1805, ein Vetter Roths. 2) R. war damals Bibliothekar. 3) Joh. Mich. Wellmann (18. 7. 1793 bis 9. 1. 1855), Predigersohn aus Kleinschelken, Busenfreund R.s. 1820 Rektor der Schule ln Heltau. 1820-53 Konrektor an der Stadtschule in Mühlbach. Zugleich Pfarrer benachbarten Sinekure Reichau. 4) Die Mutter des oben erwähnten Gerger Fritzi, eine Tante R.s. 5) D. i. die Schwester R.s Maria Elisabeth, die Witwe Bergleiters.

also keine Gedanken zu machen wegen meiner Krankheit und macht Euch keine Sorgen, sie ist vorbei. Auch hat mich Herr Pfarrer Roth aus Meschen *) besucht! Ich bitt um so viel Brod und etwas dazu12). Küßt mir alle, die Eurem und meinem Herzen nahe sind und vergeßt nicht Eures Euch liebenden Sohnes St. L. Roth. Hermannstadt, den 19. März 1816.

Liebe Eltern! Frau Mutter ist gesund! Gott, welche Gedanke» drängen sich in mir! Welche ftohen Aussichten breiten sich vor meinen Augen aus! Wahrlich, wäre ich noch nicht gesund, jetzt wäre ich es bereits. Dank Dir, Lisi und Thesi3), die ihr die tausendfältigen Geschäfte zur Ueberhebung der kranken Fr. Mutter übernahmt. Selbst gesund werde ich bald in Euren ebenso gesunden Kreis treten und des Wiedersehens neue Freuden schmecken! — Ebenso ist Fritz gesund und wird von gesunder Mutter gepflegt und von gesunden Geschwistern umsprungen. Da ich Euch in dieser Dlligence persönlich zu sprechen nicht glaube, so will ich denn von meinem Hinauskommen wie und wann benach­ richtigen. Den ersten Ostertag, wie ich Euch bei meinem letzten Be­ suche schon sagte, bin ich an Hermannstadt wegen der lateinische» zu haltenden Rede gebunden, den zweiten kann ich der Geschäfte wegen wohin ich immer will. Gerne möchte ich nun, je eher je besser, zu Hause sein, um die wenigen kostbaren Tage soviel als möglich zu benützen, da ich so ohnedem mit Eurer Einwilligung Mediasch zu besuchen Willens bin, um mich, wenigstens daß ich lebe und auf Mediasch Anspruch mache, zu zeigen. Könnte nun der Wagen den ersten Ostertag hereinkommen, so würdet Ihr Euren Euch liebenden 1) Roth, Martin, geb. in Mediasch, bis 1806 Rektor des Gymnasiums, 1806-1821 Pfarrer von Meschen, vermutlich ei» weiter Anverwandter St. i. Roths. 2) Im Brieftext ist an dieser Stelle die Zeichnung eines großen Laibes Brot und einer Schüssel mit Kobdeln eingeschoben. 3) Die beiden Schwestern R.s.

Sohn abends ju Tische haben. Jedoch — ein Mehreres werdet Ihr in Briefen mir zu wissen tun, und Euch folgen, wird mir eine ange­ nehme Pflicht sein. Der Curs soll auf 280-90 gefallen sein! Der unglückliche Fritz Hessaimer ist im bürg. Spital. Der Heltauer Wald hat gebrannt. Wegen der schlechten Manneszucht von Schartoryskix) wachen in jeder Gasse zwei Nachbarn.

Möchte bald ein Brief von Euch mich erfreuen; und möchte dann denselben ich ebenso ftoh lesen als ihn jetzt schreibt Euer dankbarer und gehorsamer Sohn St. L. Roth. Im Juli 1816 erfolgte der Abschluß der Gymnafialstudien durch eine damals übliche Konfistorialprüfung, die zum Bezug der Univerfität be­ fähigte. Aus den Eintragungen des Hermannstädter Gymnasiums geht hervor, daß Roth unter Rektor Wendel (dem Nachfolger Bergleiters) Bibliothekar gewesen ist. Ein interessantes, sicher zutreffendes Urteil über ihn fällt die Matrikel der Absolventen mit der Angabe seiner mores: Sui nimius aestimator, alioquin diligens ingenüque laeti iuvenis (Don jU großem Selbstgefühl, im übrigen ein fleißiger und stohstnniger Jüng­ ling). Und sein erster Biograph, Andreas Gräser, der zweifellos die Möglichkeit besaß, aus reicher mündlicher Ueberliefemng zu schöpfen, schrieb 1852 über den Gymnasialschüler: „Schon auf dem Gymnasium begann die Entwicklung Roths einen bestimmteren Charakter anzunehmen, als dies gewöhnlich im jugendlichen Alter der Gymnasiasten zu geschehen pflegt: er zeigte jetzt schon eine gewisse Entschlossenheit und Selbständigkeit des Willens, ein offenes und freies Auftreten im Kreise jugendlicher Tätigkeit und ein besonderes Talent, das Gelernte in eigentümlicher Weise wiederzugeben. Eigene Zersetzung und Verarbeitung des im Unterrichte gebotenen Stoffes nahm seine Tätigkeit mehr in Anspruch, als bloße Uebung und Bereiche­ rung des Gedächtnisses und besonders offenbarte sich frühzeitig bei ihm ein gewisser praktischer Sinn, der in der Wissenschaft mehr das Wesen als die Form suchte, mehr de« Kern als die Schale"12). 1) Inhabern«»»« eines österreichischen Regiments. Richtig: Czartoryski. 2) Andreas Gräser: Dr. Stephan Ludwig Roth, nach seinem Leben und Wirke» dargestellt, Kronstadt, 1852, Druck und Verlag von Johann Gött. S. 5.

Jedenfalls muß der junge Abiturient, der den Fußstapfen des Vaters folgend sich dem geistlichen Stande j« widmen entschloß, auf Grund guter Zeugnisse um Verleihung eines Freitisches im Tübinger Theologenstift angesucht haben, denn am 13. August 1816 schreibt König Friedrich von Württemberg an das Rektorat und die Prokuratur des theologischen Seminariums in Tübingen'), daß er „die durch den Austritt des Theile lnann erledigte Stelle an dem Hospitumtisch dem Stephan Ludwig Roth aus Hermannstadt definitiv auf 2 Jahre verwilligt haben wolle", was im Vergleiche tu den vorsichtigeren Begünstigungen anderer Siebenbürger nach ganz besonderer Gnade klingt. Uebrigens hatte Roths Vater auch schon in Tübingen studiert und Beziehungen zu einzelnen Bekannten aufrecht erhalten. Erst arn 3. Mai 1817 (wahrscheinlich durch Erkrankung verzögert) wird die weite Reise zur Universität angetreten. (Siehe Brief vom 16. Juni 1819). Ueber ihren Verlauf unterrichten die folgenden Briefe: Pest, den 4. Juni 1817.

Geliebte Eltern! Nichts ist natürlicher in der Welt, als daß man bei Antretung einer Reise sich recht viel vornimmt: wie man mit Vergnügen und mit Vorteil die Zeit anwenden möge; allein, durch diese kurze Zeit belehrt, glaube ich, sollte man froh sein, wenn man die Hälfte seiner Wünsche realisieren kann, da durch Unbekanntschaft, Feigheit und andere Umstände viele Gelegenheiten teils nicht auf­ gesucht, teils versäumt werden. Von den Landsleuten, auf deren Hülfe ich besonders rechnete, traf ich in Pest keinen einzigen an. Auch hatte ich den Fehler begangen und hatte mich mit keiner Adresse an diese Herren versehen. Ich ging also, um dieselben auf­ zufinden, auf die Promenade, ins Schauspiel, auf den Gassen lang umsonst herum, bis daß ich endlich einige fand, die zwar Kenntniß der Caffeehäuser, aber keine des Nationalmuseums besaßen. Auch hier hatte ich also meine Absicht verfehlt, um vermittelst dieser in kürzerer Zeit Mehreres und Wichtigeres zu sehen. Nach dieser Jntroduction werdet Ihr, geliebte Eltern, Euch nicht mehr so stark wundern, wenn ich Euch sage: ich habe, den einzigen botanischen Garten ausgenom1) Nach dem im Archiv des Stifts verwahrten Original. Folberth, St. L Roth. I.

men, noch nichts der Mühe wert gesehen. Jedoch verschieb ich dieses länger nicht, da ich ziemlich Lust hätte, bald von hier abzureisen. Fleischer und Schuster sind eben ausgegangen, um einzukaufen; jetzt erwarte ich diese, wo ich denn mich in die Bibliothek begeben Will, die ich dann nach Eurem SprÜchwort decies repetita manebit!) oft noch besuchen will. Diesen Nachmittag werde ich auch den astronomischen Turm und die Ofner Burg besteigen, wo ich vielleicht auch Gelegenheit haben werde, die Stuben des Palatinus zu be­ sichtigen. Einmal war ich schon auf der Burg, ohne jedoch mich ge­ nauer umzusehen. Ofen selbst sticht mit Pest sehr ab. Es ist wie wenn man jenseits des Zibin2) Mediasch gestellt hätte, so ist hier Bauart, Ton usw. verschieden. Ofen überhaupt hat in Rücksicht seiner Häuser, seiner eckigten Gassen viele Aehnlichkeit mit unserem Mediasch. Hingegen ist Pest das ungrische Wien. Häuser sind ge­ schmackvoll und fürstlich gebaut. Menschen, die seit io Jahren Pest nicht gesehen haben, sollen diese Stadt, nach dem Urteile einsichts­ voller Männer, nicht mehr erkennen können. Die Nähe der Donau, des Gebirgs und die hiesigen Freiheiten sind dem Handel allzu günstig, als daß er nicht blühen sollte. Die überteuren Dreißigst3) verscheuchen die Kaufleute von Wien und diese kommen nach Pest, um hier taxfrei verhandeln zu können. Gewölber an Gewölber, Niederlagen an Niederlagen, eine Legion von Juden sind Belege dessen, was ich gesagt habe. Obgleich ich in Pest noch nicht bekannt bin, so habe ich doch so gegen 35 Großhandlungen gezählt. Die vielen Equipagen, die Menge Fiakers, Träger, Karrenschieber, Fuhrleute, Buttenträger usf. können nicht übersehen werden. Der Unger ist stolz auf sein Pest, wie der Franzose auf sein Paris, und daran hat er recht. Das Theater ist außerordentlich groß, die Decorationen sind einzig und man hat bei diesem Bau weder Mühe, noch Un­ kosten gespart. Der Eintritt macht 80 kr. Zweimal habe ich es besucht. Zum erstenmal war es ziemlich leer, jedoch zum zweitenmal 1) Zehnmal Wiederholtes wird haften. 3) Maut, Zoll.

2) Also tzermannstadt gegenüber.

sehr voll. Zu beiden Malen habe ich nicht gut verstehen können, mag es nun an dem Theater selbst oder an der Aussprache der Acteuersx) gelegen sein. Ihr Spiel ist übrigens fehlerlos. Bei der nächsten Oper habe ich mir vorgenommen, nach Ofen ju gehen, um auch da das Theater zu besehen, das viel kleiner sein soll. Mit Herrn Bogdan Jssekutz, der mich zum vorigenmale mit auf Wien nehmen sollte, habe ich gesprochen; es ist ein lustiger Mann, mit dem ich gerne reisen möchte. Er sagte zwar: ich sollte ihm 100 fl. geben, weil er so vielen Schaden gehabt habe, da er sich ein Pferd noch gekauft habe u. d. nt. Er wird vermutlich keine Erwähnung mehr machen, die er ohnedem umsonst machen würde. Wir haben etlichemal zusammen gespeist. Was die Kost anbelangt, so kann man, wenn man grade nicht zu hungrig ist, um fl. 2 zu Mittag (samt dem Weine) speisen; jedoch hat man sich eine Motion gemacht, so kömmt es auch nahe an die 3 fl. Abendessen ist immer teurer, jedoch habe ich es noch nie bis auf die 3 Gulden gebracht. Eigentlich ist auch das in einem Jahre viel, denn man kann rechnen einen Tag gegen den andern zu 5 fl. Die Quartiere sind hier teuer, für ein einziges Zimmert begehrt der Wirt auf die Meßzeit 50 fl., also auf jeden Tag 5 fl., welches wirklich ungeheuer ist. Fabini hingegen hat sich von uns getrennt und zahlt aufs Monat 12 fl. Ich glaubte bei Herrn Fleischer hospitieren zu können, allein er macht Miene, daß ich auch zahlen sollte. Was ist zu tun? Ich will ja sehen! Gestern machte Dr. Fabini1 2) eine Staroperation an einer Bäuerin; sie sieht. Ueber drei Täge werden ihr die Augen frei­ gebunden. Dann will auch ich mich dabei einfinden, um diese Scene mitanzusehen. 1) Doch sprachen diese damals deutsch. 2) Joh. Gottlieb von Fabini (1791-1847), ein Mediascher, später Professor der Augenheilkunde in Budapest, der zur Belohnung für eine gelungene Star­ operation am Reichs-Palatin in den ung. Adelsstand erhoben wurde.

(Pest, den 5. Juni 1817.) Heute in der Früh war ich bei Herrn Pro­ fessor v. Svartner. Er ist ein munterer Herr, der mich sehr gütig aufnahm, mir die Bibliothek zeigte. Er ist unverhenrathet und tief in den 409erit. Den berühmten Svartner prophezeit sein Ge­ sicht keineswegs. Seine Wohnung befindet sich in dem Bibliotheks­ gebäude. Diesen Nachmittag nun werde ich die Museen ansehen. Wirklich machte ich damit den Anfang, allein diese Herren sind keineswegs so galant, als ich und jedermann wünschte, daß sie sein möchten. Mein Appetit, der zu meinem Leidwesen zu Hause schlecht war, hat sich zu meinem Leidwesen hier stark verbessert. Eurer Liebe mich empfehlend heiße ich mich Euren gehorsamen Sohn St. L. Noth. Pest, den 8. Juni 1817.

Geliebte Eltern! Heute Sonntag fuhren wir mit einem Fiaker in den Stadtmeierhof, welcher jenseits der Stadt Ofen liegt. Rebenhügel von den beiden Seiten, die Stadt und Festung Ofen im Angesicht, ist man hier mitten zwischen einer ab- und zugehenden Menge. Leute, welche weniger verzehren wollen, besuchen lieber diesen Ort als das Stadtwaldl, wo man mehr gesehen und bewundert werden will. Schattige Gänge schützen vor der Sonne, welche zwi­ schen diesen Bergen mir sehr sengend vorkömmt. Eine schöne türkische Musik ergötzte uns lange auf das angenehmste? Durch seine Größe ist dieser Platz geeignet sowohl für den, der allein sein will, als auch für den, welcher Gesellschaft sucht. Unserm Fuhrmann gaben wir bis dahin und zurück 4 fi. Die Pester Messe ist schlecht ausgefallen d. h. es ist wenig ge­ handelt worden. Verkäufer zwar genug, doch die Käufer waren leicht zu zählen. Tücher waren in billigen Preisen und sollten die Lebensmittel im Preise fallen, so müßten dieselben noch wohlfeiler werden; denn die Wolle ist um zwei Drittel im Werte gefallen. Die Seidenzeuge sollen noch immer als zuvor gelten. Das Silber ist seit der Zeit, daß ich das nnsrige eingekauft habe, etwas ge­ fallen .. .

Ich speise meistenteils bei den 3 Rappen. Der Hof ist mit Bäumen besetzt. Allerlei wildes Geflügel umgibt einen, Störche, Enten, Kibitz, Pfauen rc. Selten vergeht eine Mahlzeit, wo man nicht Tafelmusik haben sollte, welche mich täglich für einmal 2-3 kr. kostet. Jedoch ist niemand zum Geben gedrungen. Die Bedienung ist gut. In Pest habe ich noch an keinem Tische tadle d’hotel ge­ speist. Ueberall ißt man hier für sich allein. Nach den mitgeteilten Preisen könnt ihr sehen, daß die Preise zwar hoch, aber nicht über­ teuer sind, jedoch braucht der Alltag viel und abends wundre ich mich sehr, wenn ich sehe, daß wieder die Tasche leer ist. Auf dem Papier kommts zwar heraus, aber auch aus dem Beutel. Vormittags wollte ich mich in die Betstunde der Calviaer be­ geben, allein der Saal war so voll, daß ich die Predigt nur zum Fenster hinein hören konnte. Der Prediger ist allgemein beliebt und es gilt hier der Name Kleinmann als der Name eines der ersten Prediger. Ich konnte auf der Kanzel nur das Brustbild sehen und nach diesem ist er ein Mann von mittlerer Größe, genährt, ja feist, trägt niedergestutzte Haare .. Seine gesunde Brust gibt gut aus und seine Gebärden und Aktionen sind allen Forde­ rungen entsprechend. Von dem Rührenden scheint er wenig Ge­ brauch zu machen, vom Erschütternden desto mehr. Ich werde ihn vielleicht morgen aufsuchen. Nun wünschte ich nichts mehr, als Nachricht von zu Hause zu erhalten. Briefe können unterdessen an Titl. Meißner adressiert werden. Allen die uns angehören, wünsche ich alles Gute vom Him­ mel! Ich bin ganz gesund! Eurer ferneren Liebe mich empfehlend, wünsche ich allen, allen die goldene Gesundheit und heiße mich Euren gehorsamen Sohn St. L. Roth. Wien, den 18. Juni 1817.

Geliebte Eltern! Den 11. dieses trat ich meine Reise von Pest auf Wien mit einem Ofner Landkutscher gesund und frohen Mutes an. Eine schöne gelblakierte Kutsche bestach mich durch ihre Comodität

und schönes Angesicht so sehr, daß ich ziemlich leicht den Kontrakt für 50 fl. den Fuhrlohn gerechnet schloß. Meine Beredsamkeit und Bemühen etwas ihm abzubrechen war umsonst, ich mußte ohne weiteres Zaudern die bestimmte Summe erlegen. Innerhalb 4 Tage war diese unterhaltende Reise zurückgelegt und Sonntag abends konnte ich das majestätische Wien begrüßen. Mit nach und nach wurden meine Reisegefährten und Reisegefährtinnen in ihr Quartier geführt, bis daß ich endlich allein zum weißen oder weisen Wolfe einkehrte. Ich erhielt das Zimmer No. 7, welches schön gemält ist, mit dieser Schönheit, die mir lautere Ordnung und Reinlichkeit verbindet. Tag und Nacht kostet mich 1.30. Morgens wird mir das Bett gemacht, das Zimmer gereinigt und aufgeräumt. Da ich aber gesonnen bin, mir ein anderes Quartier aufzusuchen, so kann ich jetzt wegen dem vielen Herumgehen nur wenig von der Annehmlich­ keit meines Zimmers genießen. Ich werde an einem savdernj Orte vielleicht wohlfeiler durchkommen als hier; nur sind die Mietzimmer, welche für mich wären, etwas schwer zu bekommen. Ich will nämlich, daß mir Niemand durch mein Zimmer einen Durchgang habe, daß ich eine reine Luft habe «ff. (19. Juni.) Gleich dicht am Glacis konnte ich ein Zimmer mit 4 Fenstern, prächtigen Möbeln, Aussicht auf die Gasse bekommen; der Preis war mir aber zu hoch, er bestand aus 24 Rfl. Weil ich aber nun einmal ausziehen wollte, so war ich denn auch mit einem kleineren Zimmer zuftieden. Dermalen wohne ich also in der Alstervorstadt, Kochgasse No. 69 im ersten Stock, die zweite Türe rechts. Vom Glacis habe ich ohngefähr 200 Schritt, also von Herrn Meißner *) V-i Stunde, wie ich jetzt gehe; wenn ich aber in den Wienergang hineingekommen sein werde, so werde ich auch eine Viertelstunde nur brauchen. 1) Meißner, Paul Traugott, Magister der Pharmazie, Professor der technischen Chemie am

k. k. polytechnischen Institut in Wien, geb. 1778 in Mediasch, Er­

finder der sog. Meißnerischen Heijung,

sowie der Heizung der

Eisenbahn­

(1850), Verfasser bahnbrechender Schriften auf dem Gebiete der Pyro­ technik und Chemie. S. Trausch II, 408 f. und Wurzbach XVIi, 309 f.

wagen

Die meiste Zeit bringt man hier, wie mir scheint, mit Gehen ju, denn alles ist entsetzlich weit voneinander entlegen und man muß gesunde Beine haben, wenn man ein fleißiger Schrittmacher heißen will. (Den 20. Juni.) Gestern war ich auch zu Herrn Meißner *), er war wieder nicht ju haben. Seine Frau12) scheint kreuzbrav zu sein. Schöne Kinder hat sie. Dieser Ort wird von mir viel besucht werden. Buchhändler Bek ist bezahlt worden. Laut Eurem Briefe, den er nicht bekommen hat, war zu zahlen Conv. 16,46 - W. W. 42.25 macht zusammen nach dem 329 Cours 97 Rfl. W. W. Ich hatte Glück mit diesem Cours, denn den Nachmittag darauf war er schon 333. Eure Bücherbestellung habe ich ihm übergeben, er soll die Preise beisetzen und diesen Morgen noch will ich das Geschäft be­ richtigen. Nächstens will er auch schreiben. Morgen soll der Kaiser, wie ich gehört habe, seine Reise nach Polen und Siebenbürgen antreten. Ich bin begierig auf den Er­ folg. Hiedurch nun wird das Unterschreiben meines Passes sehr zurückgedrängt werden. Henter hat 5 Wochen gewartet; jetzt ist er vermutlich an Ort und Stelle. Von Tübingen sind erst neulich angekommen: der Müller aus Zendresch3) und der Müller aus Draas. Letzteren kannte ich schon vorher, ersteren habe ich nur hier kennen lernen. Das Convict soll ganz erträglich sein. Die Teurung in Böhmen und Württemberg ist allstimmig übergroß. Ein Semmel 4-6 kr. Conv. Wenn ich jetzt das Convict nicht hätte!4) Ich esse jetzt täglich zum Adler, nicht weit von meinem jetzigen 1) Siehe Anm. 1 Seite 22. 2) Sara Elisabeth« geborene v. Langendorf, Tochter eines Kronstädter Apothekers. 3) Müller, Georg Friedr., geb. 1791 als Pfarrerssohn in Zendresch, studierte 1814-17 in Tübingen, später Gymnasiallehrer, dann Prediger in Mediasch, 1834 Pfarrer In Baaßen, 1854 in Scharosch. 4) Roth, mit den Tübinger Verhältnissen noch nicht vertraut, verwechselt hier Konvikt mit Stift. Das erstere war nur katholischen Theologen zugänglich. E r hatte einen Freitisch im Stift erhalten.

Quartier, nicht zu teuer und angenehm zum sehen und essen.. Abends habe ich versucht etlichemal nichts zu essen, allein es will mir nicht eingehen und jetzt gehe ich wieder die breite Straße der Gewohnheit. Mein Tagebuch führe ich richtig — sobald ich also nur etwas zur Besinnung komme, so werdet Ihr, wenn Ihr nichts dagegen habt, dasselbe von Blatt zu Blatt erhalten. Ich schreibe mir abends immer alles auf. Hätte ich dieses nicht getan, so wüßte ich jetzt bestimmt nicht, wo ich das Geld hingetan hätte. In Pest hielt ich einmal eine .. und es kam mir die Summe bis auf fl. n heraus, welche vermutlich groschen- und zweigroschenweis in die Welt gergangen sind. Will nun hier sehen! Ich bin ganz gesund und indem ich dieses schreibe, setze ich die Versicherung hierher, daß Ähr, geliebte Eltern und Geschwister, ganz ruhig könnt sein um Euren Euch liebenden Sohn und Bruder St. L. Roth. Wien, den 29. Juni 1817.

Werte Eltern! Liebe Schwestern! Vergangenen Sonntag war ich zu Herrn Meißner«, der mich ganz gewonnen hat, und ich hoffe mir mit Recht viel von seinem Umgänge zu versprechen, den ich noch bei meinem Aufenthalte in Wien, welcher sich noch auf etliche Wochen ausdehnen wird, genießen werde. Sie ist eine engelgute Frau. — Als wir den Nachmittag darauf in dem Garten beim Belvedere spazieren gingen, trafen wir Herrn Bauer, Lehrer der Mechanik am Theresianum, an. Hier verweilte Herr Meißner, während ich mit seiner Frau und seiner Familie uns auf eine Bank setzten und uns in die näheren Verhältnisse der Familien einließen. Hier entfaltete sich die schöne Seele der guten Frau. Sie erzählte mir von ihrer Mutter, ihrem ersten Manne und bald wurden wir vertraut. — Da denselben Abend ein Feuerwerk im Prater gegeben wurde, empfahl ich mich und Herr Meißner kam eine gute Strecke Mit mir und zeigte mir den Weg. Leid tut es mir, daß ich nicht etwas näher wohne, um tagtäglich bei ihm, um ihn sein zu können.

Wenn ich aber auch so glücklich gewesen wäre, bei meiner Ankunft ein Quartier in seiner Nähe zu erhallen, so würbe cs mich doch nichts nützen, da er ein neues bezogen hat. Er wohnt dermalen in der Heugasse Nro. 56 ohnweit der Karlskirche. Mein Gang in den Prater führte mich bei dem Rosamovskischen Palaste vorbei; morgen, übermorgen, wenn ich wieder zu Herrn Meißner« gehen werde, soll dieser imposante Palast ein vorzüglicher Gegenstand meiner Aufmerksamkeit sein. Als es zu dunkeln anfing, wurden ver­ schiedene Kanonenschläge gelöset, um die entfernteren Zuschauer zum Feuerwerke zu rufen. Zu Ehren der Nanetten, deren es in Wien so viele als bei uns Lifi gibt, wurde es abgebrannt. Ich genoß eines wahrhaft prächtigen Anblicks. — Schade, daß es ein Werk des Augenblicks ist, welches zwei bis drei Minuten dauert und dann — nicht mehr ist. Könnte ein Maler diese Ansicht mit seinem Pinsel verewigen! — Vormittags war ich in der reformierten Kirche und hörte die Predigt des Hausknechtx) an; derselbe ist der Nachfolger des Herrn Kleinmann, welcher in Pest als Hofprediger der Palatinufin Euch bereits bekannt ist. Seine Sprache wie sein Vortrag ist mild. Könnte man die Vorträge dieser beiden mischen, so möchte vielleicht mir ein ganz gefälliger Vortrag entstehen. Beide haben sich, wie mir scheint, nach Mustern vom Theater gebildet, wovon der Eine das Erschütternde und der Andere das Rührende als Mittel zur Besserung des Herzens eingeschlagen hat. Fänden sich nun diese Beiden in einer Person vereinigt, so würde der Effekt noch viel größer, als er jetzt ist, sein. Leider sollen in der Gegend von Tübingen sich dermalen keine ausgezeichnete Redner finden. — Vielleicht kann ich bei meiner Rückkehr von Universitäten, wenn mir Gott dann einen längeren Aufenthalt in Wien oder Pest gewährt, diese Muster zur eigenen Bildung benützen. Eurem Urteil selbst zur Folge muß ein junger Geistlicher sein Hauptaugenmerk auf den Vortrag richten. 1) Hausknecht, Justus Christ,

geb. 1792 in

Frankfurt a. M., 1817 erster

Prediger der reform. Gemeinde in Wien, 1818 helvetischer Superintendent, gest. 1834 in Untermeibling.

Herr von Stecnheim, zu dem ich gestern war, versprach mir den Paß innerhalb 14 Tagen. Es geht hier das Gerücht, Kaiser Franz würde vor jetzt nach Siebenbürgen nicht gehen, sondern bloß einen k. Kommissär hinunterschicken. Amtlich ist noch nichts be­ kannt. Ich empfehle mich Eurer ferneren Liebe! Meinen Handkuß der wertgeschätzten Frau Großmutter, meine Empfehlung Herrn Onkel und Frau Muhme in Reußen, Herrn Schwager in Stolzenburg, der lieben, liebe« Frau Schwester *) in Hermannstadt. Küßt mir das Rotznäschen Adolf und die zimperliche Louise, Herrn Prediger und Herrn Richter und Sohn rc. Euer Sohn und Bruder St. L. Roth. N. S. Liebe Schwestern! Wie steht es noch mit den Ringen? Schickt mir doch einmal die Maße dazu, sonst werde ich von Wien wegreisen und die lieben, lieben ftmkelnden Ringe werden bleiben, wo sie sind. Laßt es Euch doch angelegen sein und benachrichtiget mich je eher, je besser. Weil Ihr bis jetzt so wortarm wäret, so will ich Euch Fragen vorlegen, damit Ihr Euch dann nicht entschuldigen könnt: wir haben nicht gewußt, was wir dir hätten schreiben sollen? Was gilt die Frucht, der Wein? wieviel gibt der Haufen Korn und wieviel ist auf unsere Seite gekommen?12) Wie zeigt es sich in den Weingärten? Ob man wohl nicht die Ringe lassen sollte, um Wein dafür einzukaufen? — Wie steht es im Haus? Was macht die Mediascherin Lieschen? Thomas und Aennchen? Wie sehen die Aepfel und Birnen im Baumgarten aus und gibt es viele? Wie ging es Dir, Thesi, in dem geliebten Hermannstadt? Was macht Gerger Susi, Csikani Susi, Frau Albrich, Schreiber Mimmi rc.? Was geben noch Schiwerth, Schreiber, Melas und Roth vor? — Wer ist neulich gestorben, wen hat man neulich getauft? Wie steht es um Eure liebe Person? Hat es keine Besuche in Kleinschelken abgesetzt? Wer war es? Warum war man gekommen? — Was gibt Louise 1) R. meint damit immer die Schwester seiner Mutter. 2) D. h. auf seiten des Pfarrer-ehnten.

und der brave Adolf vor ? Was machen die Mediascher ? Hat Detter Wachsmann seine Frau? Beantwortet mir diese Fragen also in Eurem nächsten Brief und ich will Euch großen Dank wissen! Euer Bruder St. L. Roth. Wien, den 9. Juli 1817.

Liebe Eltern! Als ich gestern mit Capesius und Müller einen Spaziergang vor die Stadt machte, so sah ich Weizen schneiden. Wie ein Blitz fuhr der Gedanke mir durch den Kopf, daß bald vielleicht auch in Kleinschelken die Pfarrersfelder geschnitten werden würden. Nun sah ich in Gedanken die schwarzen Schnitter und hinter denselben die gute Frau Mutter, wie sie sich freute über den Segen, der sich um sie verbreitet hat. Möchte sie gesund, möchte sie keinen Kummer haben, damit sie diese Freude ganz genießen kann, welche Freude sie unter die ersten und vorzüglichsten setzt. Auch ich werde einmal dieses Vergnügen empfinden, von eigenem Verdienst zu leben, über eigenen Erwerb mich zu freuen. — Die Ernte fällt hier ergiebig aus und diese Nachricht erhält man auch aus Ungarn. Unser gesegnetes Siebenbürgen wird wohl nicht zurückbleiben. Die vielen Speicher und Böden, welche die Hoffnung eines teureren Verkaufs zugeschlossen hielt, werden nun, da die Preise immer mehr sinken, geöffnet, die Märkte erhalten hinlänglich Früchte und der Preis derselben fällt laut der Zeitung von Tag zu Tag. Jetzt wird es vermutlich auch in Siebenbürgen wohlfeiler zu leben sein als vor den paar Wochen, da ich herauf kam. In Deva kamen mir dazumal die meisten Bettler vor. Das mitgeschickte Tagebuch, welches die Reise bis Wien enthält, würde Euch darüber belehren, wenn Ihr es einmal durchblättern wolltet. Wenn ich von Wien ab­ gehen werde, so wird mein Tagebuch von Wien auch hinunter­ kommen, das aber nur die Zehrgelder und die Namen der Sachen, welche ich gesehen, enthält. — Heute erst habe ich meine Bittschrift wegen des Passes zur Beziehung einer Universität eingegeben und dies mehr aus Nachlässigkeit als aus Vernunftgründen. Wenn ich mich just zu verantworten hätte, so könnte ich allenfalls sagen:

ich hatte es deswegen getan, weil ich mir vorgenommen hätte, etliche Wochen mich länger in Wien aufjuhalten als gewöhnlich. Genug, wie ich nun den Paß erhalte, so wandere ich weiter; über das Wie? Womit? mit Wem habe ich nicht gedacht, da es unnötig wäre, über etwas lange zu kritisieren, was so häufig von Umständen abhängt. Jetzt fällts mir in den Sinn, morgen abzureisen und ich kann es tun, wenn ich will. Hier soll man nur etwas wünschen zu haben, zu tun, so kann alles ins Werk gesetzt werden. Müller, welcher den io. Juni in Wien angekommen ist und noch andere, raten mir, mit dem Zeusler *) zu fahren, sehr ab, und zwar aus dem Grunde, man sähe nichts, sirapeziere sich sehr und komme meisten­ teils in unreine Gesellschaften usf. Wenn es dem also sein sollte, so wollte ich eine andere Gelegenheit aufsuchen, um mir besonders keine Unpäßlichkeit zuzuziehen. Denn es ist mir jetzt allzuwohl, als daß ich wünschen sollte, etwas Weniges, mit Einbuß meiner Ge­ sundheit, zu ersparen — solche Grundsätze schließen natürlich die Sorge aufs Geld nicht aus. Die Bücher, welche ich in der Bekischen Buchhandlung bestellt habe, sind alle nicht vorhanden und es hat dieselben der Buch­ binder, ob ich gleich ihm den Einband bestimmte, doch anders ein­ gebunden. Ich kann sie so nicht annehmen, denn ich kann das­ jenige, was ich nicht bestellt habe, auf keinen Fall bezahlen. Ich habe dem Buchbinder gesagt, daß die Bücher nicht mein wären, ich würde also nach Hause schreiben und erst wenn ich von da einen Brief erhalten hätte, könnte ich ihm sagen, ob die Bücher so gelassen oder anders eingebunden werden müßten. Ich bitte Euch also, macht mir im nächsten Brief Euren Willen rücksicht dessen bekannt, daß ich mich zu verhalten weiß. i) Ueber die „ Zeiselwägen oder Steirccwagerln" weiß ein Führer durch „Wien wie es ist", allerdings aus dem Jahr 1833, folgendes ju sagen: Es sind verschiedenartige, mitunter recht nette Leiterwägelchen, ein- und zweispännig, mit 2 bis 10 Sitzbänken, mehr oder minder bequem, jetzt meistens bedeckt, welche um wenige Kreuzer in die Umgebungen Wiens fahren, aber auch weitere Reisen unternehmen.

Noch habe ich mir keine Violine gekauft; es kömmt mich äußerst schwer an, Geld auszugeben. Leid tut es mir, daß ich mir meine Geige und Noten nicht mitgebracht habe, denn hier ist alles teuer, der Bogen Notenpapier kostet 30 Kreutzer. Des Notdürftigen kömmt soviel, daß einem Ausgaben für Mode und Luxuswaren höchst sauer werden. Ein paar Stiefel 27Rfl. und ein Vorschub mit Quasten 12 fl. und i2 Groschen. Bis daß man hierher die etlichen Groschen, welche man dem Schusterbuben gibt, rechnet, erfüllen sich gerade die 40 fl. Mein Hut, mit dem ich mich beinahe schämte in Hermannstadt auszugehen, wird vermutlich in Wien dienen und in Tü­ bingen martern müssen. Die Ringe, welche ich zu kaufen habe, kann ich ohne Muster der Fingergröße nicht einkaufen. Die Schwestern, welche ohnedem immer schreiblusiig sind, können in einem frankierten Briefe leicht das Maß mitschicken. Zwar weiß ich wohl, daß man dieselben schon lang erwartet hat, aber —ich weiß, auf was man lange wartet, gewinnt an Wert. Mit dem Sinnbilds in meinem Petschaft bin ich noch nicht im Reinen. Wo ich immer einen Graveur sehe, betrachte ich die Siegel, allein es behagt mir noch keiner und wer weiß, ob ich nicht zuletzt die Buchstaben allein hinsetzen lasse. Unterdessen tut mir das mit­ genommene Siegel sehr gute Dienste. Ich empfehle mich Eurer ferneren Liebe, der ich mich durch die Erfüllung der kindlichen Pflichten würdig mache» will! Ihr, liebe Schwestern, erinnert Euch manchmal bei einer wohlbesetzten Tafel an einem frohen Tage Eures sich täglich erinnernden Bruders! Küßt mir Louise und Adolf! Meinen Handkuß an die liebe Frau Großmutter! an das liebe Pfarrhaus in Reußen meinen Gruß! Alles Gute, was es auf Erden geben kann, dem Gergerischen Hause! einen Handdruck Herrn und liebender Bruder

Prediger usf. Euer gehorsamer Sohn St. L. Roth. Wien, den 21. Juli 1817.

Geliebte Eltern! Schwestern! Ob ich gleich wußte, daß ich noch keinen Brief zu erwarten hätte, so vermochte es meine Sehnsucht

doch über mich, daß ich jedesmal, wenn der Briefträger bei meinem Fenster vorüberging, aufsprang, um demselben einen Brief abzufordern. Nur erst, wenn ich rechnete, daß ich noch kein Monat in Wien sei, setzte ich mich. Gestern ging ich ju Herrn Meißner mit dem Lieblingsgedanken beschäftigt, erhieltest du doch nur einen Brief. Wie ich hineintrat, hob er den Brief in die Höhe und wer war ftoher als ich? Ich bat ihn um Erlaubnis mich niederzusetzen und las den­ selben, in dem alle die Bilder, welche Ihr berührtet, meiner Seele vorschwebten. Derselbe ist datiert vom 29. Juni. Einige Tage ist er zu Herrn Meißner» gelegen, bis daß ich mir ihn abholte. Lieb ist es mir, daß ich vernehme, daß Ihr meine Briefe erhalten habet, nämlich: aus Arad 1, Pest 3, Wien 2 und mit diesem den 3. Solches setze ich deswegen hierher, daß Ihr dann danach Euch zu richten wissen möget. Unserer Abrede gemäß werde ich alle 14 Tage einen Brief, nach Umständen kurz oder lang, nach Hause schicken. So regelmäßig kann ich von zu Hause Briefe nicht erwarten, bis daß mein Sitz nicht fixiert wie der Eurige ist. Nun zu dem Briefe: Die Zahl der Lote vom Silber waren ange­ geben, nämlich 110. Auch lag dabei die Quittung des Silber­ arbeiters. Daß ich die Ringe nicht gekauft habe, ist nicht meine Schuld, ich habe kein Maß. Auch wünschte ich eine nähere Erklärung der Arten [i>et] Ringe. Nun, welche Mode find! — Dieses ist aber nicht bestimmt genug, denn wenn ich zum Juwelenhändler gehe und lvonj ihm Moderinge begehre, frägt er mich: Mit oder ohne Stein. Und wenn ich ihm sagen sollte, mit Steinen, so würde er wieder sagen: mit welcher Art Steinen? Es bleibt kein anderes Mittel übrig, als das einer deutlichen Erklärung von Seiten meiner lieben Schwestern. Wenn ich dann weiß, was ich zu kaufen habe und biswohin ich mich mit dem Gelde versteigen darf, bann werde ich diesen Kauf mit einem sachverständigen Manne unternehmen, den mir vielleicht Herr Meißner anraten würde. Was das liebe Geld anbelangt, so muß ich eine bedenkliche Miene annehmen, aus der man allenfalls herauslesen könnte: er hat und wieder: er hat nicht. Zweihundert Silbergulden habe ich mir ringe-

löset pr. C. 329. Soviel aber habe ich noch immer, daß ich (bei keinen unvermuteten Ausgaben, welche ins Große gehen) ehrlich auskommen kann. Meine letzten Worte können und werden auch hier Euch Beruhigung geben, sowie mein Ausgabenbücher die Beweise davon haben wird. Soviel sich sparen läßt, spare ich, lasse mir aber von Kost und erlaubten Vergnügungen deswegen nichts abgehen. Kurz, ich lebe so, wie ich denke, daß Ihr wünschtet, wie ich leben sollte. Der Segen des Landes ist hier ungemein groß, der Haufen soll mehr als seit vielen Jahren geben. Gebe Gott ein Gleiches da drunten. Wie wir hier hören, ist der Preis der Weine sehr gefallen. Sollte dieses Jahr der Wein gut geraten, so können wir ftoh sein, daß wir verkauft haben und sollen darauf bedacht sein, soviel als nur zum Erschwingen ist, einzukaufen. Guter Wein kommt selten und ist immer preisig. Lebet wohl, geliebte Eltern! und Ihr, liebe Schwestern, mit dem Näsch'en an der Schüssel, gedenkt Eures Bruders, der Euch noch immer wie zuvor zugetan ist. St. L. Roth. Wien, den 29. Juli 1817.

Geliebte Eltern! Kaum war ich von dem Mittagsessen nach Hause gekommen, so klopfte jemand an. Herein! Ein Brief ist da. Mein Gott, das war eine Freude. Gerade diesen Vormittag hatte ich einen Brief nach Hause geschrieben, nun aber, da ich ganz ohne Ver­ muten einen andern erhalte, muß ich wenigstens schreiben, daß ich denselben erhalten habe. Die mir mitgeteilten Nachrichten interes­ sieren mich, leider daß sie auch den Tod unseres werten Wachsmann enthalten. Leid muß es jedem um einen solchen braven Mann tun. Ebenso wie diese Nachricht schmerzt, ebenso hat mich die Nachricht erfreut, daß Ihr zu Pferde in Mediasch wäret, da dieses mir ein sicherer Bürge Eurer Gesundheit ist. Gott lasse ununterbrochen Euch und Eure Familie dieses Glückes genießen! Auch ersehe ich aus demselben Briefe, daß Ihr so gütig wäret, bei Herrn Fleischer 500 fl. zu übermachen. Ich habe dieselben noch nicht gehoben, vermutlich wurde diesen Jahrmarkt dieses Geschäft

mit Herrn Fleischern volljogen und so werde ich höchstens über 2-3 Wochen dasselbige erhalten. Zwar konnte ich noch ohne dieses Geld sein, aber auch so ist es gut. Ich werde es wie ein vernünftiger Mensch behandeln, den weder viel Geld leichtfertig, noch wenig Geld niedergeschlagen macht. Aus einem meiner vorigen Briefe werdet Ihr ersehen haben, dass ich mir 200 fi. Conv. eingewechselt habe. Die zu erwartenden 500 W. W. werde ich vielleicht auch einwechseln und so kann ich eine Zeit dem Hunger und dem Durste Trotz bieten. Nach den Müllern ') sich ju richten, ist etwas schwierig, da dieses sonderbare Leute sind, welche sich in der Welt wenig umsehen. Beide gute Kerls! Sie studieren brav, aber außer den Collegien ignorieren sie beinahe alles. Kein Theater, keine Unterhaltung erlauben sie sich und so leben sie mitten in Wien, wie wenn sie nicht in Wien wären. Bei den Theologen habe ich mich schon oft um dieses und jenes erkundigt, allein ich werde vor mich selbst denken müssen. Man fährt so am besten! Für Eure übrigen Ermahnungen und väterliche Winke sage ich den schuldigsten Dank, ich werde dieselben zu schätzen und ju benützen wissen. Ich verbleibe Euer gehorsanrer Sohn St. L. Roth.

Am 26. August muß Roth von Wien weitergefahren sein, denn in einem Briefe vom 2. September aus Gmunden an die Eltern heißt cs: „Bor 8 Tagen trat ich meine Reise von Wien an..." Statt dieser Briefe an seine Eltern gibt aber genaueren Aufschluß über die weitere Reise und ihre Erlebnisse das erste literarische Werk Roths, das in seinem Nachlaß als Handschrift überliefert und hier zum erstenmal im Zu­ sammenhange veröffentlicht wird. Es wurde nach Tagebuchaufzeich-nungen, die verloren gegangen sind, bald nach der Ankunft in Tübingen und scheinbar in sehr kurzer Zeit (S. Tagebuch vom 5. u. 6. Jan. 1818) zu Papier gebracht. Das Pseudonym des Verfassers und seine Deutung t'm Vierzeiler des Jnnentitels beweist, daß der 21jährige Schriftsteller doch einigermaßen Sorge empfand um Aufnahme seines Merkchens. 1) S. S. 23.

Gemälde einer Reise durch Oberösterreich, das Saljkammergut, durch Salzburg, Berchtes­ gaden und einen Teil Bayerns ans Licht gestellt von Zraimunt Kiel einen auf die Universität Tübingen gehenden Theologen aus Sieben­ bürgen

Auf den angenommenen Namen Ist einmal Verrat geboren Lispelt gleich das Rohr am Bach Laut und laut dem König nach: Midas führet Eselsohren').

Seinen Siebenbürger Landsleuten weiht dieses Blümchen als einen Beweis seiner ungeteilten Liebe der Verfasser. i) Midas ist der sagenhafte phrygische König, der von Apollo straftveise Eselsohren bekam. Obwohl er sie unter einer Mütze zu verbergen suchte, ent­ deckte sie sein Barbier und flüsterte das Geheimnis in eine Grube, deren Schilf­ rohr es dann lispelnd aller Welt verriet. Fo lberth, St. L. Roth. I.

Vorwort Ich weihte meinen Landsleuten aus der guten Absicht diese Blätter, sie möchten teils bei ihrer Reise auf ausländische Uni­ versitäten die Reise selbst als ein Bildungsmittel betrachten, teils wollte ich denjenigen Theologen, welche nach der bestimmten Uni­ versität Tübingen gehen, einen kleinen Leitfaden in die Hand geben, wie und wo sie sich bei diesem kleinen Abstecher von der großen Heeresstraße umsehen sollten. Alle diejenigen nämlich, welche sich dem geistlichen Stande widmen, besuchen, zufolge einer alten Sitte, nach vollendeten Schuljahren auswärtige Akademien. Unsere Väter, die diese Sitte durch ein Gesetz heiligten, verbanden hiebei eine doppelte Absicht. Einmal sollten wir aus der Quelle selbst schöpfen, mit gelehr­ ten Männern persönliche Bekanntschaft machen, um in zweifelhaften Fällen jemand Bestimmten zu Rate ziehen zu können; vors zweite: sollten wir uns durch Kenntnis der Sitten, Gebräuche und Anstalten der Deutschen selkMet unserem Deutschtum erhalten, wie auch in der Menschenkenntnis weitere Fortschritte machen, um einst unseren würdigen Gemeinden als würdige Geistliche vorstehen zu können. Ersteren Zweck behalten wir meistens unverrückt vor Augen; letzteren lassen wir gewöhnlich aus der Acht. Unsere weite Reise legen wir in Wägen zurück, wo wir in sehr wenige Berührung kommen. So gelangen wir auf die Universität. Hier bannt uns teils Eifer für die Wissenschaften, teils Unlust an der arabesken Burschenwell an unsere Studierstube. Andere Gesellschaften gibt es nicht oder suchen wir nicht. So gehen wir nach Hause ohne die weisen Zwecke unserer Reist ganz benutzt zu haben, welche sich doch beide recht gut miteinander vertragen. Eine solche Wanderung wie die vorliegende hat bestimmt ihre Reize und Annehmlichkeiten, ohnfehlbar auch ihren Nutzen. Ueberzeugt von dem Werte desselben gab ich Liesen freundschaftlichen Wink, den meine guten Landsleute zu schätzen wissen werden.

Die Natur ist das Buch der Offenbarung von Gott; ihre Be­ trachtung ist eine Hand, die uns in die tiefe Weisheit und Güte Gottes, die er bei der Schöpfung beabsichtigte, einführt, die uns die ersten Lettern dieses Buches: Gebirge, Länder, Meere kennen lehrt. Die Weltgeschichte, die uns die Entwicklung des Menschen­ geschlechtes vorlegt, weist auf den Gang der göttlichen Vorsicht hin. Ihre Losung ist: Es lebt ein Gott! Die Materialien daju sammeln Naturphilosophie, Chemie, Physik und Naturgeschichte. Alle haben den Bund der Wahrheit geschlossen und stehen als natürliche Feinde dem Aber- und Unglauben gegenüber. Unter diese heilige Fahne stellt sich auch die Reisebeschreibung. Hinweisung auf das Ewige ist das Leben, in dem sie sich bewegen soll. Zwar spielt sie nur eine untergeordnete Rolle, aber sie ist unentbehrlich, wie der gemeine Krieger im Heere. Sie durchzieht daher Länder und Städte und sammelt Erfahrungen und Kenntnisse, die sie zu den Füßen jener genannten Wissenschaften niederlegt. In ihrem Solde steht sie daher und ist für sie dasjenige, was die Straße für den Kommerz ist. Aber so wie sich der Sonnenstrahl in verschiedene Farben bricht, so wird auch die Reisebeschreibung eine verschiedene sein können. Diese soll die schöne Natur und ihre Bewohner kennen lernen. Landschaftsgemälde und Sittenschilderung ist ihr nächster Zweck, Geschichte und Mechanik ein entfernterer. Bei den Urteilen, die ich über Charakter und Gebräuche eines Volkes einstreue, nehme ich gern den Leser bei der Hand und zeige ihm die Quellen, aus denen ich schöpfte, damit er, wenn er vielleicht anderer Meinung ist, unab­ hängig von mir schließen könne. Bei den vielen Gegenständen und den mannigfaltigen Seiten, die eine Sache hat, lassen sich ver­ schiedene Ansichten nicht vermeiden. Ich bin mit Liebe an dieses Merkchen gegangen, und diese Beschreibungen sind aus einem warmen Herzen gequollen. Könnte ich jemanden für die gute Sache gewinnen oder für die schöne Natur erwärme«, so wäre ich belohnt. Nach dem gewöhnlichen Gange der Dinge werde ich meine Lobner, meine Tadler gewiß finden.

C^Nie Sonne war gesunken, in der Dämmerung trat ich in das ett 15 000 Einwohnern, die Salzburg vorhin hatte, diese 5000 ab, so bleiben 10 000. In diese Summe teilen sich sowohl Fabrikanten als Konsumenten. Nun müssen wir bedenken, daß der abgegangene Hof aus lauter Konsumenten bestand—folglich muß das Mißver-

hältnis, das jetzt zwischen ihnen ist, sehr groß sein. Bei der UeberHäufung der Arbeiter will es jeder dem anderen zuvortun, in Güte selten —mehr in Wohlfeilheit. Was folgt hieraus: die Erzeugnisse werden schlecht, das Ausland führt ein. Es tut mir leid, daß ich diese Angaben nicht mit Beweisen be­ legen kann, mein Aufenthalt von wenigen Tagen x) ließ mir ge­ nauere Untersuchungen darüber nicht zu. Allgemein war jedoch diese Meinung. Salzburg besaß und besitzt noch viele Gelehrte und Künstler. Hagennauer und Nesselthaler sind als Bildhauer und Maler all­ gemein bekannt. Michael Haydn und der unsterbliche Mozart leben im Andenken aller Musikfreunde. Der Diplomatiker Gärtner, Zauner, der Historiker und Jurist, der Typograf seines Vaterlandes Hübner sind berühmt. Der Name Hartenkeils ist allen Medizinern ehrwürdig. Die Theologen zeichneten sich durch Aufklärung und warmen Eifer für die Wissenschaften aus. Nicht leicht ist in einem Lande für die Botanik und Mineralogie soviel getan, freilich hat auch kein Land von so geringem Umfang so viele Schätze der Natur aufzuweisen. 3n Salzburg rolliert Konventionsmünze. Das Papiergeld er­ leidet hier wie in einer ftemden Provinz gleichen Verlust am Werte. Die Einführung gleichförmigen Geldes mit dem übrigen Staate ist auch ohne die Vorstellung der Salzburger aus weisen Absichten unterblieben und der Kaiser hat ihnen ausdrücklich ihre jetzt laufende Münzsorte zugesichert. Die Handelsverbindungen mit Bayern, von wo sich Salzburg seit alten Zeiten mit Getreide und anderen Lebens­ mitteln versehen hat, das Verhältnis zu Schwaben, wovon sie Fabrikate und Luxuswaren beziehen, würde ihr Ruin sein, wenn sie nicht diese Artikel aus den österreichischen Staaten zu beziehen imstande wären. Was das Getreide belangt, so könnten sie sich aus Oberösierreich, das sich dasselbe leicht aus Ungarn ersetzen kann, versehen; Linz könnte die Stelle von Augsburg übernehmen. So könnten sie näher der österreichischen Monarchie angeschlossen i)

Vom

II.—14.

September 1817.

werden. Konventionsmünze müßte immer bleiben. Ohne dies ist auch der Handel im Verfall. Der einst so blühende Transits und Speditionshandel zwischen Italien liegt seit dem Preßburger Frie­ den fast ganz darnieder, weil der Hauptwarenzug aus Italien auf der großen Kommerzialstraße durch Graubünden gerade nach Augs­ burg und Ulm geht, das jetzt auch von dem alten Fette zehret... Nach der Vertreibung der emsigen Protestanten mußten die so ergiebigen Goldgruben im Pinzgau geschlossen werden, über welche die rauhe Natur bald wieder undurchdringliche Gletscher auftürmte, so daß sie nun für Salzburg für immer verloren sind. Der fran­ zösische Krieg »n den Jahren 1800-1801 hat dem Lande die un­ geheure Summe von 15 Millionen Lire gekostet. Dazu kam der Krieg von 1805 und wieder von 1809, wobei es gewiß nicht wenig gelitten hat. Bringt man dieses alles in Anschlag, so muß man sich wundern, wie Stadt, Land und Leute noch bestehen! Salzburg wird zu beiden Seiten vom Kapuziner- und Mönchs­ berg eingedämmt, durch sie hindurch fließt die Salza (Salzach). Eine urerkwürdige Erscheinung sind der Ofenloch-und der Mönchs­ berg. Mitten aus einem ebenen Tale heben sich diese beiden Berge vereinzelt, ohne den geringsten Anlauf senkrecht wie ein Haus mit seinen geraden Wänden empor. Niemand sieht sie an, ohne sich die Frage auszuwerfen: wie kamen diese hieher. Stücke von der Höhe des Gebirges in der Sündflut hergetragen können es nicht sein, denn sie sind dazu zu groß. Auf dem Mönchsberg kann eine Stadt angelegt werden. Auch würde schwerlich das reißendste Wasser, wenn es dicke Wellen wie Blei gehabt hätte, sie hieher haben tragen können. Die Last und Entfernung ist zu groß. Ohnfehlbar ist es ein Lagergebirg. Es waren die gewaltigsten Strömungen erfor­ derlich, um diese ungeheuren Hansen aufeinander zu schichten. Als noch Meeresfluten diese Gegenden deckten und nur die höchsten, damals noch viel höheren Uralspitzen daraus hervorragten, brach die zweite Epoche der Ueberschwemmung ein, da geschah jenes Losreißen, da wurden viele Felsenmassen von dem oberen Teil der Urgebirge gewaltsam abgerissen, zertrümmert und von den tosen-

den Wellen weggeführt, durch den zweiten Niederschlag erhoben sich neue Gebirge aus diesen Trümmern. Ein solches Gebirg mögen auch diese Berge sein, die jetzt freilich isoliert dastehen, deren Ver­ bindung aber mit dem anderen Gebirge damals sichtbar gewesen sein mag. Die übrigen leichteren Teile, die sich noch in den Wellen umhertrieben, setzten sich dann in diesem Teile, das bereits ent­ standen war, nieder. Diese Ansetzung, diese Lager waren so dick, daß man diese Verbindung nur vermuten, nicht sehen kann. Die Gestalt dieser Felsen, die aus Brescia bestehn, die benachbarten Moorfelder, die man für eine ausgesiorbene Pflanzenwelt der Ur­ welt betrachtet, geben dieser Hypothese Haltung und Wahrschein­ lichkeit. Die Bauart von Salzburg ist die italienische; man sieht bei­ nahe kein Satteldach. Einem Reisenden, der an diese nicht gewöhnt ist, mischt sich selbst beim Anblick des schönsten Gebäudes etwas Widerliches, Fremdes ein. Wie man an einer Säule, die mit dem größten Fleiße gearbeitet, deren Gestalt und Verhältnis mit dem größten Geschmacke behandelt ist, immer etwas Fehlendes, Abgehen­ des bemerkt, wenn ihr die Fruchtkränze oder das Gesimse mangelt, so wird von mir selbst am schönsten Gebäude nach italienischem Ge­ schmacke immer die Bedeckung, das Dach, als notwendiges Erfor­ dernis vermißt. Mehrere, die ich darüber gesprochen habe, emp­ finden dasselbe. In einer Stadt, die in ihrem Schoße, seit 1200 Jahren das Christentum hegte, sich bei Verfolgungen am unerschütterlichsten bewährte, in deren Mauern eine geistliche Gewalt herrschte, müssen, wie es einleuchtend sein wird, viele in einen engen Raum gedrängte Kirchen sein. Der Eifer des Volkes wurde besonders dahin ge­ leitet, um solche Werke aufzuführen. Ihre Größe und ihre Anzahl ist ein redender Beweis, daß man nur die Gesinnung benutzen solle, um dasjenige, was man will, den Schwierigkeiten zum Trotze über alle Erwartung vollbringen zu können. Wie bei dem Baue einer Festung, wenn der Feind im Anzuge ist, alles, Jung und Alt die Hand ans Werk legt, um sie zu vollenden, also und mit dem Eifer

wurden in der damaligen Zeit die Kirchen, die Festungen gegen den Teufel, erbaut. Dieses Feuer ist erkaltet. Wenn ein Stück Stadtmauer einfällt, welche Ratsitzungen müssen nicht gehalten [merken], bis etwas beschlossen wird. Aber diese Kraft schlum­ mert nur in uns, Zeit und Umstände wecken sie schon. Die Domkirche, welche nach dem Muster der römischen Petruskirche erbaut sein soll, ist von Grund aus von lauterem Marmor erbaut, sie erwirbt durch ihre richtigen Verhältnisse und einfachen Verzierungen dasjenige Lob, das ihr Kenner in vollem Maße zu­ kommen lassen. Das majestätische Gewölbe, die herrliche Kuppel gewähren einen imposanten Anblick. Die übrigen Kirchen, alle mit dem Gepräge eines hohen edlen Stils sind Gegenstände, auf welche ein Fremder sein Allgenmerk richten muß. An diese reihn sich die Kunstwerke: Den Springbrunnen auf dem Markte bildet ein Marmorbecken, aus dem vier wasserschnaubende Pferde hervorspringen. Auf einem Felsen, oberhalb, stemmen sich drei Riesen und tragen eine Muschel, aus deren inneren Strahlen Wasser fällt. In der Stellung der drei Atlanten, besonders aber in ihren Füßen, wollen Viele Fehler entdecken. — Mir aber scheint gerade hierin sich die Gewandtheit des Künstlers am deutlichsten zu bewahren. Die ineinander ge­ schlungenen Füße, eine schwer zu lösende Aufgabe, sind mit vieler Wahrheit, die ihnen am meisten entzogen werden will, dargestellt und in wieweit ich mir das Bild vor die Augen habe rufen können, auch schön gearbeitet. Die Bildsäule der unbefleckten Jungfrau erhebt sich auf einem marmornen Piedestal von vier kolossalen Figuren umgeben. Sie ist eine wahre Zierde des Domplatzes, dessen regelmäßige Form hiedurch unendlich gewinnt. Schade, daß frecher Eigennutz von dem Fuße einer Figur Blei abgebrochen hat, wodurch um eines kleinen Gewinstes willen ein schönes Kunstwerk verstümmelt worden ist. Die eine Pferdeschwemme stellt den König der Gewässer Neptun von seinem Hofstaate, den Tritonen, umgeben dar; marmorne Geländer umfassen das Becken. Die andere, welche mehr Gegenstand

für Kunst ist, präsentiert einen Reitknecht, welcher ein bäumendes Roß bändigt. Die meisternde Stellung des Reitknechts, die stolze Stellung des Pferdes, das sich erhebt, machen Anspruch auf Be­ wunderung. In dem Garten von Mirabell, der neben vielem Ausgezeichnetem eben soviel Mittelmäßiges hat, können die vier Fechter nicht genug gelobt werden. Die Miene, die sich im Gesichte ausspricht, die kühnste Stellung, der Ausdruck der Muskeln an allen Teilen des Körpers geben den inländischen Künstlern Gelegenheit, diese Muster zu studiere«. Der Bildner rang mit einer groben Materie. Hätte der Zufall ihm einen Stein von feinerem Korn unter den Meißel geschoben, so könnte sich dieser Garten des ihm widerfahrenen Glückes noch mehr freuen. In dem Baue dieser Fechter ist ein großer Schatz begraben, der lange nicht gewürdigt, aber endlich seinen Schätzer finden wird. 3n einem Saale, wo sie minder der Witterung ausgesetzt sein würden, wäre für sie eine bessere Stelle. Das Flügelpferd bei der Schwemme in Mirabell ist ganz miß­ lungen. Der Gießer wollte den Pegasus vorstellen, wie er sich vom Helikon an der Quelle, die er durch seinen Hufschlag schuf, in die Lüfte erheben will. Ein Gedanke, der gelobt, eine Ausführung, die getadelt werden muß. Der vordere Teil ist ganz angeschickt, den Flug in die Lüfte zu wagen, es breitet seine Flügel aus, die Vor­ derfüße heben sich — während dem armen Pferde die Hinterfüße wie von Podagra gelähmt die Dienste versagen. Die Nebenfiguren sind besser. Da aber nur das Kunstwerk vollkommen genannt wer­ den kann, wo besonders die Hauptfigur wahr und mit Gefühl aus­ geführt ist, so muß ich als Kunstwerk diese Schwemme ganz ver­ werfen. Ueberhaupt könnte sie ganz weggeräumt werden, besonders da dieselbe ganz uneigentlich und hinderlich dem Eindrücke der da­ bei befindlichen schönen Gebäude dasteht. Ihre Zwecke abgerechnet könnte man sie in den Garten schaffen, wo sie bessere Wirkung her­ vorbringen würde; freilich müßte der Pegasus seiner mühsamen Stellung entnommen und umgegossen werden. Mehrere gebildete Ausländer, die durch Reisen ihren Geschmack gebildet haben, stim-

men mir hierin bei. Insoweit ihr Urteil vom häufigen Ansehen dieses Gegenstandes nicht verwöhnt ist, läßt flch auf ihre Gutachten bauen. Diese Richter also, wenn man ihnen anders Sitz und Stimme gibt, haben die nämliche Anficht, fällen das nämliche Urteil. Unter den öffentlichen Gebäuden jeichnet fich noch die Sommerreit­ schule aus, welche obenan steht. Um dieselbe ju Volksfesten benutzen zu können, wurde in den Fels des Mönchsberges hinein gearbeitet und 96 Arkaden in drei Geschössen herausgemeißelt. Um dieses tun ju können, mußte vorerst die Wandfläche, die uneben war, gebildet werden, dann arbeitete man zu jedem einzelnen Bogenfenster hin­ ein und höhlte das Zimmer aus, bis man endlich diesen Bau, woran kein Mauerwerk ist, dem Felsen abtrotzte. Die Bogen sind in der Welt einzig: 96 an der Zahl, samt Wand, Fensterstöcken, Gänge aus einem einzigen Stücke! Der Mönchsberg war sehr hinderlich, da man über denselben wegen seiner steilen Höhe nicht gehen konnte, und doch hatte er die Lage, daß die Bewohner Salzburgs vieles hinter seinem Rücken zu tun hatten. Da entstand in der Seele des damaligen Erzbischofs Siegmund der große Gedanke, ihn durcharbeiten zu lassen. Bald wimmelte es von Arbeitern, die die Freigebigkeit des Bischofs nährte, die nach mancher Anstrengung während sieben Jahren das­ selbe zustande brachten. So entstand dieser deutsche Paustlipo *), dessen erhabene Bauart fich in die Reihe der bewunderten Werke des Altertums stellt. Die konische Wölbung verherrlicht die einfache Inschrift: Te saxa loquuntur12). Oben steht das Bildnis dieser neuen Schöpfung. Das andere Portal, welches gegen das Feld steht, führt als Zierrat den gewaffneten Siegmund. In wahren Formen prangen die Pyramiden zu beiden Seiten. Glücklich war der Gedanke, daß man diese Pyramiden aus demselben Felsen, aus welchem das vollbrachte Werk besieht, errichtete. Mehr aber 1) Ein von Neapel nach Südwesten hinstreichender Hügel aus Tuffstein mit einem wahrscheinlich von Augustus hergestellten 689 m langen Tunnel heißt Paustlipo. 2) Die Felsen reden von Dir.

als jedes Denkmal ist das Werk selbst. Die Urbarmachung der jen­ seits gelegenen Felder, welche die Bürger vermittelst diesem Durch­ bruche in der Nähe haben und leichter bearbeiten können, werden den Namen des guten Fürsten bis zur späten Nachwelt tragen. Die vormaligen Hofstallungen enthalten an der Reitschule einen großen Schatz. Stände sind für 130 Pferde, von weißem Marmor sind die Bahren, die Kossen J), woraus sie das Futter holen, aus Eisen. Diese treffliche Stallung nennt eine Beschreibung von Salz­ burg: Pferdewohnung. Nach Betrachtung dieser Gegenstände ging ich über die Salza­ brücke, um den berühmten Friedhof zu sehen, wo Ph. Theoph. Paracelsus die Ruhe, die er vergebens auf dieser Erde suchte, end­ lich fand. Dieses Gebäude ist aufs Viereck gebaut; an den inneren Wänden laufen gewölbte Gänge umher. Denkmale, die Kinder, die Gattenliebe setzte, die das Verdienst erhielt, lehnen sich an die Wände schön und wirkend. In der Mitte unter freiem Himmel ruhen die Aermeren; ein Stein oder einsames Kreuz bezeichnet ihre Stätte; Hof des Friedens, Acker Gottes: welche bedeutungs­ volle Namen! Das Monument des Ph. Theoph. Paracelsus von Hohenheim steht in einer Vorhalle, aus welcher eine kleine Treppe in den all­ gemeinen Begräbnisort führt. Die Inschrift sagt, was zur Sache gehört, alles. Sein Bildnis ist in dieser Gegend in einer Gasse an eine Wand des Zimmers, worin er gewohnt hat, angemalt. Jedes Kind weiß es. Dieser Mann starb nach der gewöhnlichen Meinung 1541 im Rufe eines Alchymisten und Adepten in Armut. Er machte nach dem Geiste der Zeit Gold, und fabrizierte aus verdickten Sonnenstrahlen den Stein der Weisen. Wieviel die Heilkunde durch ihn gewonnen, hat Dr. Weißenbach der gelehrten Welt in einer Rede zu zeigen versucht. Bei Herrn Geheimrat Sömmering wird ein Schädelabdruck gezeigt, worin man eine starke Beschädigung am rechten Schlafbein bemerkt. Hiedurch aufmerksam gemacht fand Herr Sömmering bei seinen weiteren Nachforschungen in einem 1) Soffen in sieben b.rsächsischer Mundart: Fässer.

Buche: Theophrastus redivivus (welches Elias Joh. Heißling in Quart herausgab und welches in Zoffingen 1660, in Hamburg 1663 erschien) folgende Stelle, die über den Tod jenes berühmten Arjtes folgendes Licht gibt: Paracelsus war neben anderen doctoribus nebst seinen heimlichen Widersachern auf einem Gastgebot gewesen; daselben ward er von der doctoren Diener und anderen auf ihn bestellten Sicariis *) ergriffen, und von einer Höhe abge­ stürzet, und ihm also der Hals gebrochen worden; denn auf keine andere Weise hat man ihn sonst bekommen können. Hatte also der seelige Mann eines plötzlichen unversehenen und erbärmlichen Todes mit gesundem Herzen sterben müssen. Nachdem ich die Stadt im Innern durchwandert und die Merk­ würdigkeiten, die mir überall begegneten, betrachtet hatte, richtete ich meine Schritte zu den U m g e b u n g e n. Mein erster Gang war auf den Mönchsberg, von dessen breitem Rücken man die verschiedensten Ausfichten, eine schöner als die andere, genießen kaun. Gegen Morgen ziehen fich die Sennen, erhebt fich der höckrigte Göhl, eine fichere Zuflucht der Gemsen, der Dürrenberg mit seiner Kirche, der Vater von allen der dunkle, marmorreiche Untersberg, zwischen denen die Gletscherspitzen des Teufelhornes und des Watzmanns wie Silber leuchten. Dieses Amphitheater füllen Gärten, Dörfer, Dillen, Wälder, Wiesen. Der Garten von Hellbrunn an der Salza, der von Montfort mit seinen Vorzügen und Eigenheiten heften den Blick vorzugsweise auf fich, damit er fich nicht durch die darge­ botene Mannigfaltigkeit zerstreuen lasse. Hallein gelehnt an das Gebirge, Golling mit seiner Rittersburg dämmert im Dunkel, wie die Zeit, wo es entstand. Wendet man sein Augenmerk auf Westen, so blinkt zwischen finstern Kastanienbäumen, wie ein Mädchenauge unter dunklen Augenbrauen, Leopoldskron hervor. Man kann es aber nur durch die einzige Oeffnung, welche der Ofenloch- und Mönchs­ berg lassen, sehen. Diese beiden Berge find also gleichsam die Rah­ men dieses Bildes. Bayern zu glaubt man eine Landkarte vor sich zu haben, so viele Kirchen, Dörfer, Weiler sind in einem kleinen 1) Mördern.

beschränkten Raum zusammengedrängt. Die Salza mit ihren weißen Sandansetzungen windet sich malerisch durch die Felder hindurch. Der hohe Staufen wirft wie ein Pharus seinen Schatten und sein Licht in die Ebene. Gegen Nordwest erheben sich sanfte Abhänge, welche freundliche Wälder bekränzen. Maria--Plain hängt wie ein Gnadenbild, welches es in seinen Hallen hat, an dem Hori­ zonte, der sich hier schließt. Gegen Osten breitet sich Salzburg mit seinen majestätischen Kirchen, breiten Straße«, schönen Plätzen und steinernen Häusern aus. Die Kuppel des Domes, das Kapuzinerkloster, diese heiligen Gebäude kontrastieren angenehm mit dem geschäftigen Leben der Alltagswelt in der Stadt, das Gedränge der Menschen auf der Brücke, das Durcheinanderdrängen auf den Gasserr, die kriegerische Musik der Wachparade — dort drüben die einsamen, lautlosen Zellen der Mönche, von wo sich ein großes Kreuz am Abhange erhöhet und: Friede sei mit Euch! herunter­ ruft. Diese Vergleichung versetzt uns in die Kenntnis des mensch­ lichen Herzens, das sich einerseits selbst genug ist, andererseits aus sich heraus tritt und sich am Umgänge «freut. Wer mit Empfindung fürs Schöne diesen Berg ersteigt, wen kein innerer Zwiespalt mit sich selbst entzweit hat und wen keine drückenden Sorgen belasten, findet beim Anblicke dieses Pano­ ramas diese Welt, auf der die Stürme wehen und der Tod seine Ernte hält, doch schön. Unter Eichen und Buchen zieht sich ein einsamer Fußpfad. Rasen in dunklem Gebüsche, der Einsamkeit heilig, Bänke aus Holz und Stein mit der Aussicht auf Stadt, Land und Leute lassen dem Spaziergänger die Wahl, abgezogen sich mit sich selbst zu beschäf­ tigen oder mit dem Blick ins rege Menschenleben sich zu erfreuen, auszusöhnen und zu stärken. In der Nähe eines Wirtshauses sind Tische und Bänke, im Schatten gesegneter Obstbäume, gezimmert. Wer genügsam ist, kann sich hier an Speise und Trank laben. Wenn die Kirschenbäume in der Blüte stehen und in die ganze Gegend Wohlgerüche ver­ breiten, schüttelt der Hausvater die Sorgen des Hauses ab, wandert

mit seinen Lieben in diese romantische Höhe, wo er von den Ein, Wirkungen der schönen Natur, im Kreise seiner Familie einen vergnügten Tag bei Spiel und Speise zubringt. Hätte ich dich Weltmann *), Freund, Bruder, mit dem ich die Jugend durchlebte, in der wir uns das geliebte Deutschland so gerne mit unseren Idealen belebten, hätte ich dich hier an meiner Seite gehabt, wer wäre dann glücklicher gewesen als ich? Ich wollte hinabgehn, da hörte ich läuten. Viel Volks zog die Gassen hinunter, der Zug ward immer gedrängter. Es ging zum Richt platze. Auf dem Leiterwagen saß der Verbrecher. Ich hatte so etwas noch nie gesehen — ich schloß mich dem Zuge auch an. Mit Unterbrechungen tönte der Gesang; der Karren hielt am Orte der Bestimmung. Der Arme, auf dessen Tod alle so neugierig waren, konnte nicht gehen. Er endigte das Leben durch das Schwert. Sein Beichtvater, ein abgelebter Greis trat auf, um neben dem Leichnam im erschütterndsten Augenblicke eine Anwendungsrede zu halten. „Damit nicht umsonst dieser arme Sünder gerichtet sei, damit jeder den unausbleiblichen, schnell ereilenden Arm der Gerechtigkeit inne werde, find wir hier versammelt, nicht aus Neugierde, nein, um uns an diesem Unglücklichen zu spiegeln, damit wir uns ein Bei­ spiel an ihm nehmen." So fuhr er fort, alles war gerührt und erschüttert. Aber mitten im Vortrage fing die Menge auf einmal an auseinanderzulaufen und sich zu verteilen. Es war wie wenn eine unsichtbare Macht mit Furcht und Entsetzen alle geschlagen hätte. Obgleich früher ein Pferd scheu geworden war und man sich es daraus erklären wollte, es habe sich wieder das Gerücht verbreitet, so ist es doch immer unbegreiflich, wie in einem Augenblicke es alle hören und sich fürchten konnten. Einzelne wären doch gestanden. Ich selbst war Zeuge, daß kein Pferd wieder scheu geworden ist, da ich mich auf derjenigen Seite befand, wo dieser panische Schrecken ausbrach. Weiber, Kinder, schwache Leute wurden niedergerannt; alles floh, ohne zu wissen weswegen, warum? Man sammelte sich i) Joh. Michael Wellmann, damals Rektor der Schule in Hella«. Siehe S. i4, z. Folberth, St. L. Noth. I.

wieder, einer fragte den anderen nach der Ursache, niemand konnte Rede stellen. Der Redner, der allein geblieben war, begann nun wieder und da er die Bestürjung sah, sprach er: „Vermutlich hat die schwarje Seele dieses Verruchten uns in der Betrachtung und Belebung des Guten und Ewig-Gerechten stören wollen, ich aber sage Euch, wenn der leibhafte Teufel mit seinem Schrecken aus der Hölle käme, so werde ich mich doch nicht fürchten." Dieses will ich nun aber nicht annehmen, denn ju dieser Er­ klärung müßte man nur dann seine Zuflucht nehmen, wenn es sonst auf keine Art vermittelt werden könnte. Soviel ist gewiß, daß das menschliche Gefühl von solchen Sinnen in die höchste Span­ nung gesetzt des geringsten Umstandes nur bedarf, um Furcht, Angst oder Schrecke« im höchsten Grade ju empfinden. Weil eben die Einbildung in volle Flammen aufgeschürt ist, so übermeistert fie den Verstand und reißt den mühsamen Bau der Erfahrung in einem Augenblicke zusammen. Nun eine Tatsache, wie viel die Sitte über den Menschen ver­ möge. Nach der Rede kehrte der Pater zum Scharfrichter, der ein hübsches Haus in der Nähe hat, ein. Er trug den Kranz, der um ein schwarzes Kreuz gewunden war und welches der Hingerichtete in den zusammengebundenen Händen gehalten hatte, mit sich hinein. Diese Kränze, deren der Scharfrichter 34 haben soll, sind der Stolz des Scharfrichters, an welchen er seine vollzogenen Gerichte zählt. Die Obrigkeit folgte. Es wurde getrunken, geschmaust, gelacht. Seine Töchter, die ordentlich angezogen waren, trugen der Menge, die noch da herum stand, Krapfen feil, wovon sich viele kauften und mit Appetit aßen. Niemand kam es in den Sinn, von einem Ehr­ losen, wie nämlich der Scharfrichter in Siebenbürgen gilt, nichts anzunehmen. Ein Bettler würde von ihm nichts annehmen; ein Mensch, der mit ihm aus einem Glase tränke, verlöre selbst Achtung und Ehre. Kein Deutscher würde sich bei uns zu diesem brauchen lassen — nur den Zigeuner gewinnt die Geldgier. Wer meine Landsleute wegen dieser Sitte ungerecht finden wollte,

Unsere SchaffotLe sind unsere Schande!

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würde selbst ungerecht sein. Die Freiheit, der Sinn, der uns be­ lebt, erzeugt diese Gedanken, diese Sitte bei uns. Wer einen Menschen tötet, Obrigkeit oder Individuum, sündigt gegen die Moral. Man darf ihm das Leben, das man ihm nicht gegeben hat, auch nicht nehmen. Ausschließung aus dem Staate oder Gefangensetzung ist das Höchste, was das Gewissen billigen kann. Nur insoweit als sich der Staat gegen einen Verbrecher, den die Juristen für unverbesserlich halten, durch kein anderes Mittel sicherstellen kann und von dem alles zu befürchten ist, nur insoweit darf ein Menschenleben dem Wohle des Ganzen aufgeopfert werden. Das Todesurteil ist demnach ein notwendiges Urteil, ein von den Umständen erzwungenes—mithin nicht frei. Wer nun dieses not­ wendige nicht freie Urteil noch dazu aus Gewinnsucht und Neben­ absichten vollzieht, ist keiner Ehre wert. Er ist ein schändliches Werk­ zeug einer notwendigen Sicherung des Staates. Es gab eine Zeit in unseren Ländern, wo das Todesurteil zu unterschreiben als eine offenbare Erklärung für das Recht und als Liebe zur Gerechtigkeit, nicht aber als die äußerste Notwehr angesehen wurde, da konnte man nicht genug Galgen errichten, die Schwerter, die heiligen Waffen fürs Vaterland, wurden in voller Beschäftigung als schnödes Henkerbeil gebraucht. Die Sitten wurden hiedurch nichts besser. Josefs*) helles Gestirn brachte auch in dieses Dunkel Licht. Man richtete menschlicher. Die fürchterlichen Martern, Nagelschrauben, Verrenkungen, Näderungen wurden als die Menschheit schändende Gewalthabe verbannt. Das Kriminal­ gericht, das vorhin Schauder erregte, fand nun in dem Verbrecher den Bruder, einen unglücklichen Verirrten. Aber welches war die Folge? Es war weniger zu richten. Möchte es freilich keinen Ver­ brecher, keinen Kläger und Richter geben! Wenn es aber auf dieser unvollkommenen Erde nun dahin gelangen wird, so möchte denn der wohltätige Geist, den Josef der Welt wie eine Fackel vortrug, in der Brust eines jeden Fürsten Nahrung und Eingang finden. Unsere Schaffotte sind unsere Schande! 1) Josef II. österr. Kaiser 1780-90.

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Daher war mir die Sitte, die ich an den Salzburgern bemerkte, unlieb, ich hätte gewünscht anders schließen zu können, nämlich ihr Gefühl für Menschenrecht sei nicht so oberflächlich. Um sie zu ent­ schuldigen, will ich anführen, wie wenig oft Sitte und Gemüt ver­ einigt sind: ja ich will zugeben, daß ich nach mitgebrachten Begriffen aus dem Vaterlande, dem ich mit Leib und Leben gehöre, ge­ schlossen hätte—aber ganz will der Schatten, der auf sie fällt, nicht weichen. Nach Leopoldskron, welches ich in meinem Rückwege besuchte, führt eine Kastanienallee. Das Schloß, welches einen edlen Ge­ schmack verrät, enthielt noch vor kurzer Zeit die selbstgemalten Porträte von 288 der berühmtesten Maler. Schade, daß etliche der schönsten, unter denen auch Mengs und Angelika Kauffmann ist, aus dieser Sammlung nach München gewandert sind, wo sie zwar hochgehalten und benutzt werden—aber das Ganze hat unersetzlich verloren. Oesters schon boten englische Chevaliers horrende Sum­ men. Sie erhielten weder ein einzelnes Stück, noch das Ganze. Mich tröstetts noch, daß sie in Deutschland blieben, daß sie nicht übers Meer gingen. Immer ist anzunehmen, daß sich unter diesen Porträts auch einige finden, welche nicht vom Künstler selbst, den sie vorstellen, gepinselt sein werden; von einigen ist es erwiesen. Die Bildnisse aber: von Raphael, Rubens, der sich sehr gerne malte, von Mengs, Angelika Kauffmann, Balloni, Van Dyck und Tischbein nebst vielen anderen waren echt. Abends ermüdet vom Gehen und Sehen suchte ich nun guten Wein auf. 3n Sankt Peter, der die Schlüssel zum Himmel und Keller hat, fand ich ihn. Eine gewählte Gesellschaft hatte sich am Tische gelagert, wo man sich zwischen Gläsern verschanzt vor dem Tabaksdampfe kaum sah. Wollen Sie Rheinwein oder Ofner? Bringe» Sie Ofner! Er war sehr gut, etwas jedoch hatten ihn diese guten Christen getauft. Gespräche aus dem Felde der Politik und des heutigen Ereignisses füllten die Stunden, bis daß es Zeit war, nach Hause zu gehen. —

Wenn man über die Brücke hinüber geht, schwenkt man sich gleich rechts, wenn man indenRoseneggerischenGarten gehen will. Ein artiges Landhaus ist gegen die Gasse gekehrt, in seinem Rücken breitet sich ein wohlbesiellter Obst- und Gemüsegarten aus. In der Mitte desselben erhebt sich ein Hügel, an dessen Fuß die Salja vor­ beifließt. An den Gängen sieht man Statuen ausgestellt, die einen widerlichen Eindruck machen. Es sind Zwerge mit dicken Schmeerbäuchen, Hetären mit Warjen im Gesicht. Die Zeit, wo man sich an solchen faden Gestalten ergötzte, ist vorüber. Sie standen vor­ mals im Garten von Mirabell, wurden aber daraus weggeschafft und lijitiert. Das Auge ruht nicht gerne auf solchen Mißgestalten, die höchstens an den dürftigen Geschmack unserer Voreltern er­ innern. Hofnarrenzwerge, die wir bei Durchblätterung gleichjeitiger Schriftsteller als Zierrate preisen hören, waren damals dasjenige, was man guten Geschmack nannte. Von der Spitze des Hügels hat man eine schöne Aussicht und der gebildete Besitzer hat es sich zum angenehmen Geschäfte gemacht, die schicklichsten Plätze dazu aus­ zusuchen. Dieser Garten ist auf Gräbern der Vorzeit angelegt. Aus den gefundenen Aschenkrügen, Balsamfläschchen, Messern, Lampen, Kohlen ersieht man, daß dies der Begräbnisort einer in dieser Gegend gelegenen römischen Kolonie war. Es war hier das heilig gehaltene Totenfeld, dem die Asche der teueren Vorangegangenen fromm anvertraut wurde. Die Kunst übte sich glücklich zur Ver­ herrlichung des Andenkens an die geliebten Verstorbenen. Der Krieg der Barbaren trat diese Schätze, wo der Forscher reiche Beute macht, nieder. Der Mensch, zerstörender als die Zeit und furchtbarer als die Naturgewalten, brachte Verwüstung diesen achtbaren Resten kindlicher Dankbarkeit, treuer Gattenliebe. Dem Eigennutze ver­ lieh die Zerstörung Kräfte, die sonst der schwachen Hand fehlen. Die folgende Zeit ließ alles vergessen. Das Mauerwerk verwitterte, Rasen überzog die geheiligten Denkmale der Erinnerung, bis ein später Fremdling nach vielen Jahrhunderten dankbar sie dem ent­ zogenen Tageslichte wieder schenkt. Von den Verzierungen, die bei den Gräbern der Römer über der Erde standen, findet man keine

Spur. Ob nichts in der Salza liegt? Was man noch im Schoße der Erde findet, ist gut erhalten, nur die Metalle haben einigen Schaden durch den Rost erlitten. Herr Rosenegger gräbt, wenn er einmal ans Asche und Kohle kömmt, mit eigener Hand nach. Diesem edlen Eifer verdanken wir es, daß wir in Deutschland ein Antikenkabinett trotz des vollständigsten in ganz Italien haben. Der öster­ reichische Kaiser hat dies bei seiner Besichtigung selbst gesagt. Solchen großen Herren öffnen sich bei ihren Reisen alle Türen der Kabi­ nette und insoweit kann man sich auf dieses Urteil verlassen. Man murmelte auch etwas von einer Unterhandlung mit Rosenegger. Was daran Wahres ist weiß ich nicht. Die Einleitungen sollen wenig­ stens sehr günstig sein. Ein ganzes Zimmer, worin sich Tische be­ finden, ist voll von Altertümern. Rosenegger spricht davon, wie sichs gebührt, mit Begeisterung. Als er einmal ein solches Balsam­ fläschchen, worin der Balsam fest geworden war, öffnete und auf den Ofen stellte, damit die vermeinte Fettigkeit zergehe, mußte er in dringenden Geschäften weggehen. Das Fläschchen vergaß er da­ selbst. Als er zurückkam, war in seinem Hause ein solcher Wohlge­ ruch, der sich nicht beschreiben läßt. Im Paradies soll es nicht besser riechen können. Es hatte sich alles verdunstet. Wer sich näher über diese Altertümer im Einzelnen belehren will, sehe sich nach dem in Salzburg erschienenen Merkchen um: „Altertümer in Roseneggers Garten und Feldern zu Birgelstein zunächst Salzburg." Abbildun­ gen von diesen Seltenheiten sind auch daselbst erschienen und mit Liebe zur Sache nach der Natur gezeichnet in Kupfer gestochen worden. Diese Gegend, geschickt das Tempe von Deutschland genannt zu werden, mußte die Römer, die das Schöne in der ganzen Welt auf­ suchten und zu schätzen verstanden, durch seine Eigenheiten und Umgebungen auf längere Zeit als irgendein anderer Ort fesseln. Mauerwerk, auf das man in allen Teilen des Tales stößt, beweisen es mehr als alle sonstigen Data. Sehr ftühe war ich erwacht. Ich machte mir auf heute den Plan, den Park von Aigen, die Altertümer bei Glas, den Garten von Hellbrunn und den Marmorbruch des Untersberges in Augenschein

jv nehmen. Diesem zu Folge wendete ich mich gegen Aigen zuerst. Es war sehr frühe. Zwischen schönen Wiesen, lebendigen Hecken kommt man zur Kirche von Aigen, die von dem Gottesacker und seinen Gräbern umschlossen ist. Gerne betrete ich solche Oerter der Ehrfurcht. Ich ging hinein. Zwischen einer Ecke bewegte sich je­ mand, ich glaubte es sei der Totengräber. Ich ging darauf näher. Es war eine Frau. Sie bemerkte mich nicht. Einen Kranz von schönen Blumen wand sie unter Tränen, hing ihn auf ein schwarzes Kreuz, das auf einem frischen Grabe stand. Wenn sie nicht weinte, schwieg sie. Jetzt machte sie das Kreuz übers Grab, besprengte es mit Weih­ wasser und sprach: „Herr, verlaß mich nicht in meiner Not." Die Sonne stieg in voller Pracht übers Gebirge, es wurde helle. „Gott, du hast mich erhört, ich habe dein Zeichen verstanden." Sie fiel ans Kreuz, küßte dasselbe, drückte es ans Herz und äußerte eine unaus­ sprechliche Freude. Gott hatte sie erhört, sie hatte sein Zeichen ver­ standen. Ich stand wie versteinert — ich faltete die Hände und bat Gott um gleiches Zutraun in ähnlichen Fällen. Rührend und voll Bedeutung war ihre Erzählung. Ihr Mann starb vor einigen Tagen, das einzige Kind, welches hinterblieb, warf dieselbe ansteckende Krankheit auf das Lager. Alle Hoffnung war verloren, die Stütze ihres Alters, das teure Unterpfand der Liebe sollte auch sterben. In der Angst ihres Herzens kam sie diesen Morgen zur Kirche, segnete das Andenken ihres Mannes, flehte Gott um die Erhaltung ihres Sohnes — und fand in dem bedeutungsvollen Sonnenauf­ gang einen unaussprechlichen Trost. Die Glückliche täuschte sich nicht — ihr Kind blieb am Leben. Der Garten von Aigen war offen, ich ging hinein. Bei der Ein­ teilung der Gärten setzt man gewöhnlich dem französischen den englischen entgegen. Der französische Geschmack, der aus dem mißgriffenen Standpunkte der Geometrie hergeleitet werden kann, sucht alles abzusondern, was nicht in mathematische Verhältnisse gebracht werden kann. Man geht darin so weit, daß man das Leben tötet, um nur eine Form, die man sich als schön gedacht hat, darzustellen. Pyramiden, Wände, zugeschnittene Gänge, Kränze entstehen. Die

Bäume und was ihr sonst unter die Hände kommt wird mit der Scheere mißhandelt. Die Krone der Bäume, die die organische Freiheit so schön um den Hauptstamm legt, werden unter dem Vorwände, sie zu verschönern, verdorben. Die Bäume sterben frühe ab, die Zweige verlieren die Blätter und werden kahl. Der einzige Buchsbaum, das Lieblingsgewächs französischdenkender Gärtner, läßt sich alles gefallen. 3n steifen Linien muß er prangen, Blumen werden nach der Schnur gesäet und müssen wie Soldaten in Reih und Glied stehen. Es ist, um in einem Worte alles auszudrücken, der Zweck: zu paradieren. Die Engländer haben die Ehre, der anderen Partei den Namen herzugeben. Es ist wahrscheinlich, daß diese Gärten vor drei bis vier Jahrhunderten sich fanden, nur wurden sie damals nicht als Gegenstand der Aesthetik betrachtet, auch waren noch keine Regeln für Beurteilung der Gartenkunst angewendet. Der Mann, der die Mühe über sich nehmen wollte, eine Geschichte der Gärten zu schrei­ ben, könnte auf den Dank Aller mit Gewißheit rechnen. Verbände er noch damit den Zweck zu untersuchen: ob England oder Deutsch­ land zuerst diese Art Gärten anzulegen gelehrt und versucht hätte, so würde er sich wahre Verdienste erwerben. Wir finden bei uns sehr alte Gärten dieser Art; diese Gärten aber bauten Deutsche und keine Engländer. Die Aufsuchung der Daten hat hier allein Beweis­ kraft. Wenn man Vermutungen Raum geben und aus dem Cha­ rakter des Volkes schließen wollte, so müßte der Apfel der deutschen Nation zuerkannt werden, denn der wesentliche Zug im deutschen Charakter ist die Disposition: dasjenige, was der Verstand erfaßt hat, ins Herz zu tragen und das Empfundene in der Außenwelt zart und fühlend darzustellen. Es ist das Gemütliche. England trat als beständiger Gegensatz des ftavzösischen Volkes diesem Garten­ bau nur deswegen so eifrig bei, weil er nicht französisch war, der auch in England sein Wesen trieb wie in Deutschland, Polen, Ruß­ land und Ungarn. Der englische Garten, der der Gegenzug des französischen ist, scheint das ihm so häufig erteilte Lob mißbrauchen zu wollen, seine

Freiheit wird unbändig, seine ungraden Formen arten nun in willkürliche aus. Was bei den Franzosen gerade, schnurgerade Linie war, wird nun Schnörkel und man scheint ein Verdienst darin zu setzen, ein rechtes Wirrwarr hervorzubringen. Dies ist zu weit ge­ gangen, die Natürlichkeit ist zur Unnatürlichkeit, die Freiheit zur Willkür geworden. Wir finden einen passenden Vergleich in der griechischen Mythologie. Es ist Venus mit dem Gürtel der Anmut. Die Schönheit bedarf noch eines Schmuckes, um dann unwider­ stehlich zu sein. Ohne diesen Zauber schießen alle Blicke wie Pfeile in die leere Luft, ohne zu treffen. Auch wissen es die Göttinnen des griechischen Olymps sehr wohl, welche Siege dieser Gürtel gewährt. Juno, die Königin des Himmels, bittet die Venus um denselben, weil fie nur dadurch glaubt, ihren Mann fich gefällig machen zu können. Mit diesem angetan überlistet fie ihn und die Griechen verlieren bei den Schiffsschnäbeln die Schlacht. Hiemit lehrt uns der griechische Mythus, daß die Schönheit noch etwas bedürfe, um aller Augen und Herzen fich zu gewinnen. Ohne diesen Gürtel reißt die Schönheit nur zur kalten Bewunderung hin, fie ist dem Verstände eine Weide, das Gefühl bleibt kalt. Man kniet vor fie, kann fie aber nicht küssen. Angewendet auf unseren Gegenstand ist derjenige Garten, der gar keine Regel, keine Beschränkung wie der englische leidet, oder die Schönheit, welche keinen Gürtel hat, nicht liebreizend, nicht anmutig. Derjenige Garten, welcher schön genannt werden will, muß fich einige Fesseln anlegen. Der franzö­ sische Garten scheint derjenige zu sein, wo eine Göttin diesen Gürtel von Venus zu leihen nimmt, fich aber so ungeschickt stellt und sich so fest den Leib damit zuschnürt, daß sie ganz braun davon im Gesichte wird. Dieser Garten ist noch weniger gefällig. Die Natur erstirbt unter den Händen des Zwanges. Mein Ideal führt zwar einen Gürtel, sanft liegt er auf den Hüf­ ten und umschließt den Leib, wie die Erde das freie Meer. Zwang ists nicht, Willkür auch nicht. Es wird Freiheit heißen. Der schönste Garten muß in der Mitte zwischen beiden liegen, er muß frei sein. Er läßt sich die Natur sitzen und beobachtet fie in ihren Wirkungen

und Mitteln, um das Gefühl des Angenehmen im Menschen her­ vorzubringen; er befolgt ihre Winke, gibt Schatten, bringt durch ungezwungene Verbindungen Abwechslung hervor, aber er ist nicht ein sklavischer Nachahmer der Natur, mit Freiheit beseelt er seine Schöpfungen, die er nicht eine schöne Landschaft, sondern einen Garten nennt. Möchte er sich der deutsche heißen! Wir können alle drei: den englischen, den ftanzösischen, den deut­ schen unter dem Bilde eines Frauenzimmers, die ja alle schön sein wollen, noch einmal vor die Augen bringen. Die Eva, der ihre langen Haare über den Rücken hinunterfließen ohne Regel und bestimmte Lage ihrer Wellen, ist das Konterfei des englischen; ein liebes Mädchen, das künstlerisch die Locken sammelt und sie in einem Knoten schürzt, die dann am weißen Halse sich kräuseln und ringeln, gleicht dem deutschen Garten; eine Madame, die durch Brenneisen ic. sich eine Frisur wie eine Allongeperücke macht, ist das Bildnis des französischen Gartens. Zwischen dem rohen Kinde der Natur und der koketten Törin der Mode, steht in seiner Schönheit und Unbefangenheit das deutsche Mädchen. Dieses sind ohngefähr meine Ansichten über die Gärten und nach solchen pflege ich über sie zu urteilen. Der Garten von Aigen, dem Fürsten von Schwarzenberg zugehörig, ist sowohl durch seine Lage, als durch seine Behandlung berechtigt, Anspruch auf Schönheit zu machen. Wie man in den Garten hineintritt, begrüßt einen ein starker Springbrunnen, der sich zwischen Silberpappeln hebt. Von schönen Wiesen strebt ein Berg reich an Laubholz in die Höhe. Ein ziemlicher Bach stürzt sich von der Höhe desselben herunter, ge­ staltet durch seine Krümmungen allerlei Abweichungen, bildet durch seine Auswaschungen eine Höhle, stellt einen Wasserfall dar. Was keine Macht, kein Geld anderswo schaffen könnte, hat hier fteiwillig die Natur sgebotenj, und der beobachtende Gärtner folgte ihren Winken, lehnte hier bescheiden an die Felsenwand einen Ruheplatz, ebnete dort den Fußweg, bahnte Alleen, und der Garten von Aigen ent­ stand. Der vortrefflichste Punkt dieses berühmten Gartens ist ein freistehender Felsen, von dem man die schönste Aussicht hat. Er

heißt die Kanjel: jawohl, denn hier predigt die Umgebung die Wunder der Schöpfung. Das Frühstück, das ich im Hofe zu mir nahm, die Betrachtung der einzelnen Teile des Gartens hatten den Mittag in die Nähe gebracht. Noch einmal lief ich auf die Kanzel und übersah diese Gegend, von der ich bald auf ewig Abschied nehmen sollte. Wah­ rend die Gletscher des Teufelshornes und des Watzmanns ewigen Eis und Schnee, die unteren Täler reife Saaten, geschnittene Gar­ ben, geschobertes Heu zeigen, steht man hier im kühlen Schatten eines Baumes und hat die Aussicht auf den gegenüberstehenden Winter, auf den Sommer, der unten Aehren sammelt, in einer temperierten Luft, während dort Frost und im Tale die Hitze be­ lästigt. Die Kontraste lassen sich weiter ausführen. Salzburg mit seinen Türmen und seiner Felsenburg gewährt ein Bild des zu­ sammengedrängten, oft drückenden Stadtlebens; gegenüber auf dem Untersberg wohnen die Hirten in größter Einsamkeit, während hier im Garten auf- und absteigende Lustwandler sich begegnen, begrüßen und unterhalten rc. Dem Herrn Besitzer, der sich ganz der Landwirtschaft und den schönen Künsten weiht, wünscht jeder beim Herabsteigen ein langes Leben, das er größtenteils diesem Garten schenkt. Auch jetzt war er beschäftigt den Eingang in die Grotte bequemer und sicherer zu machen. Wir unterhielten uns einige Minuten, seine Einladung zur Tafel konnte ich nicht annehmen. Seiner Gastfteundschaft aber war ich diese Erwähnung schuldig. Nun ging ich Glas zu, um die dabei befindlichen Altertümer zu besichtigen. Den Weg wußte ich nicht. Bauernweiber verstanden meine Frage in hochdeutscher Sprache nicht und anstatt zu sagen, sie verständen mich nicht, gaben sie mir zur Antwort: i wahs nitte! Ich sagte ihnen, ich wollte dahin gehen, wo man nachgrabe, wo die alten Mauern seien: „i wahs nitte." Von den Männern zeigte mir endlich einer, nachdem wir uns endlich verständigt hatten, in einer gewissen Entfernung die Schutthaufen. Zwei Arbeiter, welche hier gruben, waren vom Gedanken, Schätze

zu finden, ganz beseelt. Auf die Fragen, die fie an mich richteten, ob fie wohl noch lange arbeiten müßten, bis daß fie auf dieselben kämen, antwortete ich ihnen, da fich Mauerwerk zeigte: „Meine guten Leute, arbeitet nur fleißig fort, bald kommt ihr darauf." Vermutlich hatten fie von Schätzen für die Altertumskunde sprechen gehört. Schätze fanden fich, nur nicht die, welche sie meinten. Die ersten Christen dachten sich eine Universalmonarchie. Sie wars! Eine herrliche, geistliche, wo aber keine Ministersiellen zu vergeben waren. Diese beiden, die im Dienste eines Bauern, der nachgraben ließ, standen, sprachen mir viel von Oefen, Heizen und Röhren. Sie zeigten mir berauchte Mauern, Mörtel mit Ruß. Damals verstand ich fie nicht. Später wurde es mir, bei der Besichtigung der Alter­ tümer bei Glasheim, deutlich. Die Römer, denen vielleicht diese Gegend da zu kühl war, führten unter ihren Fußböden Röhren hindurch, welche überallhin kamen. Die Seitenwand, etwas höher als der Fußboden, hat auch Rohre. Diese bilden gemauerte Oeffnungen. Auf diese Art erwärmten fie sich die Böden, die die Römer bekanntermaßen nicht nur zum Gehen wie wir, sondern auch zum Liegen brauchten. Vielleicht ist auch diese Art zu ruhen, zu essen, der Grund ihrer Sorgfalt, die sie auf die Verschönerung desselben verwendeten. Erstaunlich ist die Mühe, die sie darauf verschwendeten. Sie bestehe» aus vielen tausend kleinen Marmorwürselchen, welche aneinandergefügt durch ihre verschiedenen Farben eine Fläche bilden, auf denen das Auge gerne ruht. Die Verzierungen, Zusam­ mensetzungen, die Verschmelzung der Farben machen den Gast scheu fie zu betreten. Den Marmor brachen sie am Untersberg, der fünf abweichende Farben hat. Aus den näheren Umständen ergibt fich ohngefähr diese Bearbeitung: Auf einem gemauerten ebenen Boden wurde ein dauerhafter Kitt wie ein Teig ausgebreitet. Dieser bildete die Grundlage, in welche man nun Würfel an Würfel stellte. Wenn der Kitt erstarrt war, blieben die Würfel fest und un­ beweglich. Vermutlich hatten sie eine Zeichnung vor sich, von der sie die Verhältnisse aufnahmen. Die Abbildungen der Böden bei Glas und Kleßheim, welche in Salzburg verlegt worden sind,

Wasserkünste und Freilichtbühne

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machen ihre Gestalt sehr augenscheinlich. Die Vergleichung des Origi­ nals und der Kopie fällt zum Besten des Zeichners aus. Für Fremde sind immer einige an Ort und Stelle zum Verkaufe vorrätig. Bon hier ging ich an die Salza, wo ich mich ans gegenüber­ stehende Ufer übersetzen ließ. Eine Allee mit schlechten Gängen führte mich nach H e l l b r u n n, dessen Garten im Geiste der franzö­ sischen Gartenkunst angelegt ist. Possterlich ist, wie durch diesen alten Geschmack der neuere hervorschimmert; denn auch hier hat er zu siegen angefangen. Alle Wasserkünste sind benutzt worden, um zu überraschen. Freilich unterhälts, aber die Freude ist nur ephemer. Hat man es einmal gesehen, so lüstets einem nicht wieder darnach. Der Brunnenmeister sucht den Neugierigen zu beschäftigen und seine Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes hinzurichten. Man ahndet nichts. Während dessen öffnet er die Schleußen und man mag fliehen wohin man will, so wird man durchnäßt. So zeigte er mir ein Tier in Menschengestalt, welches in dieser Gegend aufgefunden sein sollte. Während ich die Inschrift las, ließ er die Spritzen los — ich wurde naß und ausgelacht. Noch kam ich gnädig davon. Einige Weiber aus der Umgegend, die «ach Salzburg um der Exekution beizuwohnen mit ihren Männern gegangen waren, kamen auch in den Garten. Diese wurden übel mitgenommen. Die Männer wußten diese Kunststücke, baten daher den Brunnenmeister ihre Ehehälften recht durchzuwalken. Er führte sie daher in eine Grotte, stellte sie auf die gefährlichste Stelle und ließ es losgehen. Don unten hinauf, von oben herunter gischte ein starker Regen. Sie flohen; das Wasser verfolgte sie 20-30 Schritte. Das Geschrei der Weiber, das Gelächter der Männer, die selbstgefällige Miene des Brunnenmeisters, mein gleichmäßiges Verhalten bildeten eine Reihe von Gemütsstimmungen, die von einer Neutralität anfing, die Freude durchging und in Verlegenheit endigte... Der Park, den ein Gitter vom Garten trennt, nährt weiße Hirsche. Gute Pfade mit Bänken versehen führen zu einem Hügel, von dem man das ganze Tal bis Salzburg in seinem vollen Reichtums der Darstellung übersehen kann. Hintenzu ist auf dem Felsen ein

dichter Tannenwald, in dem einstmals Steinböcke gehegt wurden. Am Ende desselben öffnet sich eine Schlucht, die in einer Seite einen Eingang hat, der in die Tiefe des Felsens führt. Er stellt ein Schau­ spielhaus vor. Kunst und Natur sind bei Erschaffung dieses außer­ ordentlichen Theaters Hand in Hand gegangen. Der herrliche Widerhall, der innere Bau, der Gedanke an die innere Abgezogenheit eignen dieses Plätzchen zu den Seltenheiten dieses Gartens, das nicht umgangen werden sollte. Nauman hat hievon schlechte, Fürst Schwarzenberg drei vortreffliche Zeichnungen, nach drei ver­ schiedenen Ansichten, von diesem Theater entworfen... Am Ausgange des Gartens, wohin ich zurückgekommen war, befindet sich ein aus Holz gezimmerter Eingang in den Keller. Er­ quickend war mir die Kühle, die mir aus demselben entgegenwehte. Da hier Bier geschenkt wird, so benutzte ich dieses, um meinen Durst zu löschen. Ich trank eine halbe Maß Bier, aß eine magere Suppe, noch zwei Semmel dazu und mußte einen Gulden zahlen. Wer von hier nach Salzburg zurückgehen will, suche die Eichen­ allee auf, in deren Schatten er bis Salzburg, welches eine Stunde entfernt ist, gelangen kann. Ich ließ sie rechts liegen und ging dem Untersberge zu, der mir immer größer und größer vorkam. Der Weg führt durch Glaneck, ist unterhaltend und angenehm... Auffallend war mir das Gespann an einem Pfluge, die häufig vom Felde zurückkehrten, wo ein Pferd und ein Ochs neben­ einander gespannt waren. Beinahe hätte ich bei diesem Anblick laut aufgelacht. Neben dem feurigen Rosse schritt bedächtig der lang­ same Ochse daher, wie wenn man in eine Staatsbedienung das Genie und den Pedanten zu gegenseitigen Geschäften verbindet, wo beide gegen ihre Natur ein steudenloses Leben führen. Obgleich die Gewohnheit diesen Anblick ganz erträglich machen kann, so glaubte ich doch, es würde sich hiezu ein siebenbürger Pferd nicht brauchen lassen. Die angeborene Wildheit unserer Pferde werde entweder den Wagen zerreißen oder den kaltsinnigen Nachbarn zu Tode schlagen. Die deutschen Pferde sind zahmer, was teils in der Er­ ziehung, teils in ihrer angeborenen Kirre liegt.

Als ich das Schillerische Gedicht vom Pegasus las, war ich so ungerecht, ihn einer Uebertreibung ju beschuldigen; jetzt ward ich inne, daß er in den Schranken, die der Poesie angewiesen sind, ge­ blieben war: ich aber hatte die meinigen überschritten. Morgens ging ich wie gewöhnlich ins Kaffeehaus zum Früh­ stück, «0 ich mit einem Offiziere ein Schach spielte, welches ich verlor. Später ergab sich mit diesem stürmischen Herrn eine Debatte über die bestmöglichste Verteidigung der Stadt und der Umgebung, ohne aber zu einem Resultate zu kommen. Darin kamen wir über­ ein, daß der Kapuzinerberg großen Schaden tun könnte und daß man ihn dadurch unschädlich machen könnte, daß man neben und übereinander mehrere Pulverherde anlegen solle, die man dann, wenn es die Umstände erforderten, in die Luft sprengen könnte. Darin aber, daß der Ofenlochberg, wenn er nicht abgetragen würde, eine zu große Besatzung erfordere, so daß der Vorzug, den der Festungskrieg gewähren solle, nämlich daß eine kleinere Anzahl mit einer größeren mit Vorteil anbinden könne, ganz verschwände, darin konnten wir uns nicht vereinigen. Nachdem man hat einsehen lernen, daß eine Belagerung nach der Natur dieses Krieges die Verfolgung der Vorteile, den Genuß der Siegesfrüchte aufhält und dem Angreifenden außerordentlich viel Blut kostet, so fingen einzelne Heerführer an, die Festungen zu umgehen. Ein B:obachtungskorps, das sich der Vorteile der Verschanzung bediente, sicherte den Rücken. Diese Umgehung der Festungswerke trieb Bonaparte am weitesten. Jedoch gibt es einige Plätze, die notwendig genommen werden müssen, ehe man weiter gehen kann. Unter diese gehört Salzburg und dieses war der Bestim­ mungsgrund, warum ich dieses Gespräches erwähne. Es besitzt die Schlüssel zu Tirol durch den Paß Lung, nach Bayern durch den Paß bei Berchtesgaden und nach Oesterreich durch das Salzkammergut. Alle diese liegen in einem tzalbzirkel von etlichen Stunden. Der Mittag, der uns mit dem gewohnten Hunger heimsuchte und wel­ cher sich nicht mit Diskursen beftiedigen lassen wollte, trieb uns auseinander, jeden an seinen Tisch.

Nach dem Essen gehe ich durch die Vorstadt Mühlen ans Klausen­ tor. Hier stehet am Ufer der Salja ein Kreuz mit zwei gekreuzigten Christussen, wovon der eine nach der Stadt, der zweite mit dem Rücken gegen den anderen gewendet nach der Salza sieht, ein Gegenstand frommer Verehrung den Schiffern. Welcher ist nun der rechte oder gelten beide? Zwei Christus an einem Kreuze ist doch einzig in Hinsicht der Seltenheit und Abgeschmacktheit! 3m Johannisspital, das der leidenden Menschheit Johann Ernst Graf von Thun erbauen ließ, findet sich ein wohlerhaltenes römi­ sches Bad. Es war das erste, welches ich zu Gesicht bekam. Dasselbe ist mit einer Türfalle versehen und liegt unter der Oberfläche der Erde. Man steigt eine steinerne Wendeltreppe bis zum Becken, das ziemlich geräumig ist, hinab. Ein Weltpriester, der mit hinunter­ kam, gestand mir, daß er dieses Bad, von welchem er nur drei Schritte geboren sei, nicht gekannt habe. Uns Siebenbürgern geht es auch so. Das herrliche Hatzeger Tal, wo nach vielen Transporten nach Wien Denkmale römischer Baukunst und Herrschaft noch ge­ nug übrig sind, habe ich nebst vielen andern, die sonst gerechte An­ sprüche auf Bildung machen, Nicht bereiset. O fortunatos nimium sua, si bona normt *).

3ch äußerte mich gegen den W e l t p r i e st e r, daß ich nach Kleßheim zu gehen gesonnen sei. Er erbot sich mir zum Gesellschafter, welches ich gerne annahm. 3n einem Gespräche, das wir auf diesem Spazier­ gange Machten, ergab es sich, daß er den Boethius de consolatione philosophiae in einer gegenüberstehenden Uebersetzung herauszu­ geben gesonnen sei. Seine Wärme für diesen Gegenstand, verbunden mit einem sanften Betragen, ließen mich in ihm einen liebenswür­ digen Gelehrten finden. Sein Manuskript, welches bei dem ge­ bildeten Herrn Oberarzt war, verglich ich mit dem Originale und es verdient, nach der kurzen Prüfung zu schließen, eine vollkom­ mene Würdigung. Der Versbau schließt sich genau an; die Sprache ist rein und gewählt. Boethius war der Letzte, der dem einstürzeni) Zitat aus Virgil, Georgien II, 458: O ihr glücklichen Bauern, kenntet ihr doch euere Güter!

den Gebäude der römischen Literatur noch einige Haltung ver­ schaffte, dann stürzte es, um sich nie wieder zu erheben. Noch wünscht Herr Susan lein Bildnisf dieses Dichters und Philosophens seinem Werke vorsetzen zu können, um es dann dem Buchhandel zu über­ lassen. Möchte es soviele Abnehmer finden, wie es verdient. Der Herausgeber würde hiedurch veranlaßt, von seinen literarischen Kenntnissen der gelehrten Welt mehr mitzuteilen, wozu ihn seine Talente und ein hartes Schicksal auffordert... Wir gingen durch die Remisen, wo das Geschütz von 1800 zwischen den österreichischen und französischen Truppen großen Schaden ange­ richtet hat. Im Johanniskloster besuchte ich den Herrn Oberarzt, dem ich meine Aufwartung machte und der mich zu einem Besuche auf morgen einlud, den ich aber wegen meiner Abreise nicht machen konnte. Ich ließ mir den Koffer, den ich immer auf eine Stadt im voraus anwies, damit ich bei meiner Ankunft ihn schon da finden sollte, vifitieren und abschicken; holte meinen Paß, berichtigte die Zehrung, die hoch angeschlagen war und empfahl diese Stadt, der ich so viele frohe Augenblicke zu danken hatte, ihren heiligen Schutzengeln. Das allgemeine Urteil über diese Stadt: Salzburg hat Schönheiten, die Wien nicht aufzuweisen hat, unterschreibe ich aus voller Ueberzeugung. Mein Bündel habe ich mir leichter gemacht. Die übrigen Be­ stellungen, die man in einem Augenblicke abzufertigen hofft, halten mir den ganzen Vormittag geraubt. Punkt 11 Uhr ging ich weg. Das Glockenspiel, das in sanften Molltönen variiert, tönte vom Turme herab, ich sollte es nicht mehr hören. Eine heftige Hitze setzte mir getvaltig zu. Unter einer Eiche in der Nähe von Grödig fand ich den gewünschten Schatten und die Kühle. Hier fließt der Kanal vorbei, der den Salzburgern so viel Nutzen verschafft. Indem ich von der Straße abwich, gelangte ich nach S t. L e 0 n h a r d, wo ich zu Mittag speiste. Merkwürdig ist dieser Ort durch einen großen Mehmarkt, zu dem sich die Käufer und Verkäufer aus der ganzen Gegend finden. Die nahegelegenen Vieh­ weiden auf und zwischen den Gebirgen eröffnen diese wohltätige Handlungsquelle. Der Schlag des Rindviehes ist etwas klein, doch Fol berth, Sr L. Noth

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kräftig; gute Pflege und nahrhaftes Futter machen sie feist. Die Kühe haben schöne Euter, welche nicht das Fleisch daran, sondern die Milch groß und strotzend macht. Die Pferde sind stark und knochig. Die großen Anstrengungen als Füllen beschleunigen ihr Altern, dem ein früher Tod folgt. Ihr Kreuz, die Hauptjierde an diesem edlen Tier, ist schön gewölbt, manchmal so tief, daß man glaubt, es sei eingesessen. Die Speckhälse sind zwar schöner als die Dünn­ hälse, immer aber ein Fehler. Nach den dicken Füßen dieser Pferde zu schließen, die bisweilen ins Unförmliche gehen, scheinen sie über­ haupt mehr an die Stange als unter dem Sattel sich zu eignen. Sieht man die ungeheuren Lasten, die man hier hinter zwei Pferde aufladet, so muß man erstaunen; freilich kamen die hiesigen Kunst­ wege ihnen zu Hilfe. Mein Fuhrmann, der mich bis Pest brachte, hatte 8 Pferde und führte 40 Zentner nach Haus: eine Ladung, über die man hier lacht und spottet. Hingegen geht es bei uns meistens in scharfem Trotte und nur an üblen Stellen wird im Schritt gefahren; bricht nun ein übles Wetter aus, daß die Wege austveiche», so kömmt ihm die Anzahl seiner Pferde zu statten, die ihn selten stecken lassen. Einige deutsche Fuhrleute, welche damit ihr Glück zu machen glaubten, übernahmen auch eine solche Reise mit ihrer gewohnten Ladung und wenigen Pferden: allein wenn sie auf der ungrischen Wüste zwischen die Schlamm- und Sandwege ge­ rieten, mußten sie diesen Vorwitz oft teuer bezahlen. Gartenau, am rechten Ufer der Alm, die aus dem Bartho­ lomäussee strömt, war in vorigen Jahrhunderten ein Raubschloß. Jetzt bewohnt es ein Landmann. Welch glücklicher Tausch! An der kaiserlichen Grenze befindet sich ein Turm, der dies kleine Ländchen vor Zeiten schützte — nun ohne weitere Bedeutung ... Berchtesgadens stellt sich dem Wanderer unter den Hörnern des beeisten Watzmanns in einem öden Winkel, wie eine wilde Landschaft Salvator Rosas1 2) dar. Ein emsiges Völkchen be1) 16. und 17. September 1817. 2) Salvator Rosa, ital. Maler und Kupferätzer, Urheber wildromantisch-phan­ tastischer Landschaftsgemälde, 1615-1673.

wohnt dieses Tal, das weniger der Natur als seinem Fleiße ver­ dankt. Zwar reihen sich auch hier Felder und Aecker aneinander — aber Frost und Unftuchtbarkeit machen den Gewinst unsicher und unbeträchtlich. Der menschliche Geist aber eröffnet sich da, wo er am wenigsten begünstigt wird, die ergiebigsten Hilfsquellen und nirgend zeigt sich Erfindung und Regsamkeit mehr, als auf Feldern, wo freiwillig keine Früchte reifen. Auch in diesen Leuten hat der Mangel den Scharfsinn bis zu einem erstaunlichen Grade gesteigert. Be­ rühmt sind die Spielerzeugnisse aus Holz, welche hier verfertigt und in ferne Länder versandt werden und unter dem Namen Berchtoldsgadner Waren allgemein bekannt sind. Ungeschlachte Bauern sieht man hier die größten Kunststücke aus Holz, Knochen und Elfenbein arbeiten. Der Fleiß und der Scharfsinn ist auf allerlei Gegenstände verfallen. Ich sah noch im Hermannstädter Museum unter anderen Kuriositäten dieser Art einen hölzernen Becher, in welchem mehr als 50 andere, jeder kleiner als der vor­ hergehende, stecken. Sie waren so dünn, wie feines Papier. Ebenso ein Auge, welches zerlegt und der innere Bau in seinen kleinsten Tellen gezeigt werden konnte. Die kleinen Aederchen auf der Horn­ haut, die Haare der Augenlider waren nicht vergessen. Beide Gat­ tungen versteht man nicht mehr zu machen. Unsere Zeit hat das Eigentümliche, daß sie auf solche Gegenstände weniger als die Vor­ zeit hält. Die Künstler sehen sich durch den vernachlässigten Kauf solcher Dinge gezwungen, die Fabrikation derselben einzustellen. Einträglicher ist für sie die Erzeugung der Schachteln, Pfeifen und der Kinderspiele rc. Hiedurch ist manche Kunst verloren gegangen. Manchmal auch brachte die folgende Generation ein unerhoffter Tod des Meisters um die Kunst. Brotneid, der nirgends verzeih­ licher als hier ist, ließ sie ihre Fertigkeiten nie ftüher gestehen, als bis sie überzeugt waren, durch den sicher bevorstehenden Tod der­ selben nicht mehr zu bedürfen. Herr Wallver hat jedoch noch immer einen ziemlichen Vorrat von solchen Kunstarbeiten. Betrachtet man sie und gedenkt, daß dies gleichsam die letzten Züge einer ersterben­ den Kunst sind, so wird man um desto mehr die Fertigkeit der IO*

Dordereltern erheben müssen. Um eines davon anzuführen, so zeigt man einem auch vor: einen Postwagen mit vier Pferden und den Kutscher dazu, welche alle durch ein Nadelöhr gehen. Beschauen kostet nichts, doch pflegt man immer etwas zu kaufen. Berchtesgaden erhält manchen Besuch von der galanten Welt aus Salzburg, die zur Erholung und zum Vergnügen zu dem Bartholomäussee, der eine Stunde entfernt ist, wallfahrten. Fremde, die Langeweile in die Kutsche setzt, oder der Naturgenuß den Wanderstab in die Hand gibt, unterlassen es nie, wenn fie in die Gegend kommen, diesen gerühmten See zu besuchen. Der Weg führt durch angenehme Lärchen-- und Fichtenwälder an einigen wenigen Bauernwohnungen vorbei. Die vielen Besuche, die dieser See erhielt, überredeten endlich die Regierung, den Weg, der sehr schlecht war, zu verbessern. Die Gebirge kommen so nahe aneinander, daß man die Schlucht, worin sich der See hineinziehen könnte, nicht ahn-en kann. Am Hafen steht einem die freie Wahl, Schiffe nach eigenem Bedürfnis und Geschmack zu wählen... In einen kleineren Rachen setzte man mir einen Stuhl; an beiden Ende» ruderten junge Schiffer, die aber von einer am vorigen Sonntag gehaltenen Schiffswette noch ganz ermattet waren. Außer ihrer Müdigkeit hatten sie noch den Kummer, verspielt zu haben. Auf ihrem Schiffe befanden sich zwar die stärksten Schiffer, die ihr Aeußerstes taten, um zu gewinnen, das andere Schiff hatte aber den Vorteil des gleichen Ruderschlages eingesehen und angewandt, wodurch es um etliche Minuten früher das Ufer erreichte. Dieses Volksfest wird alle Jahre gehalten — auf das künftige Jahr ver­ sprachen sie sich den Sieg... Der See, der durch den Vorsprung des Falkensieins verengert geschlossen zu sein scheint, erfüllt selbst eine mäßige Erwartung da­ von nur halb; hat man aber diese Spitze umschifft, so werden selbst die gespannteren übertroffen. Wie man um diese Ecke einlenkt, so eröffnet sich ein meilenlanger Wasserspiegel von wolkentragenden Gebirgen umschlossen. Auf der hinteren Erdzunge schimmert die Bartholomäuskirche und das Jagdschloß. Ein Pistol, das mir mein

Wirt geladen und mitgegeben hatte, wurde freigeschossen. Achtmal wiederholte den Knall das Echo. Wenn im Frühjahr auf den Gebirgen der Schnee schmilzt oder ein starker Regen niedertut, so stürjen viele, viele WasserfÄle die senkrechten Felsenwände herunter. Ein Anblick, der an die Tausend und eine Nacht grenzt! Eine Einfiedelei, welche links in eine Schlucht von Herrn Wallner angelegt ist, kann einsamer oder -der nicht gedacht werden und ist in dieser Art Garten einzig zu nennen. Obgleich die Natur zu diesem sonderbaren Gedanken selbst viel beitrug, so mag doch die Herstel­ lung und Einrichtung viele Mühe erfordert haben. Der Geschmack dieser Gartenanlage kann, bei den noch so schwankenden Gesetzen für schöne Gartenkunst noch nicht gehörig beurteilt werden. Die Idee selbst einer solchen Anlage oder der Gedanke dieser Schöp­ fung scheint nicht schön zu sein. Der unglückliche Einstedler, der der Welt, die er als ein Jammertal und einen Tränenwinkel bedauert oder verachtet, entflieht, sammelt um fich her nur die trüben Ge­ stalten seines Gemütes, die ihm die Entsagung der Welt, die doch so schön ist, ewig vorhalten. Der Totenkopf, die härene Kutte, die Kasteiungen, die er sich widerfahren läßt, scheuchen die heiteren Lebensgeister — mit ihnen fliehet die Schönheit, die nur im Leben wohnt. Felsen, Gräber, memento mori, was haben die mit der Schönheit, was mit dem Leben gemein? Das Leben ist i h m eine Bürde und der Tod die willkommenste Botschaft; verträgt sich dies mit dem ftohen Gefühle des Daseins, ohne welches nichts be­ lebt, nichts schön sein kann? Wird sich wohl an demjenigen Busen, der selbst kalt und ftosiig ist, die starre tote Natur erwärmen? Der Geist nur, den wir in sie tragen, macht sie schön. Nur wer sie mit liebenden Armen umfängt, nur wer mit Sehnsucht sie sucht und der mit Begeisterung sie ergreift, nur dem ist sie schön. Dem an­ deren erstirbt sie an der kalten Betrachtung wie ein blühendes An­ gesicht unter dem anatomischen Messer. Die Idylle oder das Leben nach der Natur bildet die wahre Krone des Lebensbaumes. Die Asketik kriecht an der Wurzel, wandelt nnr

halb auf der Erde, denn im Herjen lodert der Wunsch ihr nicht mehr anjugehören, das gewöhnliche Leben bildet den an­ deren Endpunkt, es ist die prosaische Wirklichkeit. Diese beide sind der Poesie fremd, sie gehören einem anderen Gebiete an, wo einerseits gar keine Früchte, andererseits nur Saaten für eine künftige Ernte ausgesät werden. Wir können daher eine Werkstatt, ein Fabriksgebäude als Repräsentanten des wirklichen Lebens, eine Einsiedelei als die Wohnung eines Lebenshassers gar nicht schön finden. Eine Hütte, wie sie Geßner*) baute und Theokrit^) besang, sind die höchsten Blüten einer Natur­ poesie, die vom reinen Aether der Freiheit umflossen uns nach den goldenen Früchten, die in ihren Aesten rauschen, begierig machen. Das grüne Eiland, wo die Kirche steht, war erreicht — wir lan­ deten. Bei der Jägerfamilie bestellte ich mir ein Mittagsmahl, um es fertig zu finden, wenn ich von der sogenannten Eiskapelle zu­ rückkäme. Mein Schiffer zeigte mir den Weg. Wir gingen über eine Wiese bei einer Kapelle vorbei jener Eisdecke zu, die von ungeheuren Schneemassen entstanden ist. Unten rinnt von der wohltätigen Wärme der Natur zerlassen und von einem Bache aufgeweicht, Schneewasser und bildet hiedurch eine Höhle, die die Eiskapelle ge­ nannt wird. Da im vorigen Winter so viel Schnee fiel, so war die Oeffnung nicht so weit, als sie in anderen Jahren sein soll. Beim Hineingehen darf man nicht die geringste Besorgnis tragen, daß diese Schneemasse einsinken würde, denn ich warf Steine von etwa 40 Pfund mit aller Gewalt auf dieselbe, ohne die befürchtete Wir­ kung hervorbringen zu können. Ohngefähr 20 Schritte ging ich hin­ ein, aber das beständige Tröpfeln des Schnees, die Kälte, die hier herrscht, kühlten mich und meine Neugierde so stark ab, daß ich kein Verlangen mehr trug weiter hineinzuschreiten. Wer in dieselbe hineingehn will, folge der freundschaftlichen Warnung: sich zuerst 1) Siehe S. 55,1. 2) Theokrit, griech.-bukolischer Dichter, geb. um 300 v. Chr. G., Begründer der Hirtendichtung und der Idylle.

Der Königsee als ideales Gefängnis

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abzukühlen und nur dann mit Vorsicht in diese Residenz des Winters zu dringen. Dieses ganze Tal soll von solchen Felsenhöhen eingeschlossen sein, daß der kühnste und geübteste Kletterer sich umsonst bemühen würde durch einen anderen Weg, als den die Natur offen ließ, hinaus oder hinein zu gelangen. Während andere Gegenden, wo viel Wild ist, großen Schaden durch die Wildschützen erleiden, ist der hiesige Jäger um solchen Raub ganz unbesorgt. Es kann sich ihm, wie man sagt, keine Gemse verlaufen, gegen die doch der größte Waghals im Klettern ein Stümper ist. Wenn man die eine Oeffnung des Sees gegen Berchtesgaden vermauern sollte, so könnte dieser Winkel zur sichersten Aufbewahrung großer Verbrecher gebraucht werden, ohne dem Staate die mindesten Unkosten zu machen. Fische und Wildbret würde sie nähren und durch Holzarbeiten würden sie soviel ge­ winnen, um sich die notwendigen Kleidungsstücke anzuschaffen. Wie seltsam dies nun klingen mag, im Reich der Möglichkeit liegts, wo es noch viele Provinzen neben dieser gibt, die nie ihren Anbauer finden werden. Es bleibt dies immer ein Phantasiestück; worin die Wirklichkeit so viel ablösen kann, bis nur die nackte Lächerlichkeit stehen bleibt... Von Glücke können diejenigen sagen, welche sich hier an einem solchen Tage eingefunden haben, wo der Holzsiurz vor sich geht. Am Königsberg stürzen die Scheiter über 100 Klafter tief herab. Wenn das Signal gegeben ist, so vernimmt man ein entferntes, Donner ähnliches Getöse, je näher je stärker; jetzt erscheinen die Blocke am Abhang und werfen sich in einem Bogen von mehr als 1000 Fuß in die Tiefe des Sees. Wie von Stürmen aufgewühlt ächzet der See und schreckliche Wellen branden am Ufer. Der un­ aufhörliche Donner, das Gerolle oberhalb, das Geschmetter in der Tiefe machen die reichste Phantasie um ein Bild, würdig dieses Schauspiels, verlegen. Wem es gegönnt ist, einer Jagd hier beizuwohnen, der wird diesen See und seine Umgebungen nie aus der Tafel der Merk­ würdigkeiten streichen. Die Hirsche, lange gejagt, sehen endlich ein,

daß sie dem Tode geweiht sind; um das Letzte tu wagen, setzen sie vom Abhange in weitem Sprunge in den See, der sich ihnen wlllig zur Flucht darbietet. Schon glaubt sich der Hirsch, dessen Geweihe nur über dem See sichtbar ist, gerettet; doch der Mensch, grausamer als dies rohe Element, erlegt ihn aus den Kähnen. Einige geben die Anzahl der in einem Herbste geschossenen Hirsche auf 5000 an, was mir nach Uebertreibung riecht. Gegen Abend erscheine» auf den höheren Felsengipfeln Freuden­ feuer, die die Holzknechte gegen ein zugesichertes Geschenk daselbst anzünden. Unter dieser Erleuchtung ruderte ich zurück. Alles war still und hehr. Wir schwiegen. Nur in der Entfernung, die das Dunkel deckte, erklang eine wohltönende Musik uns Herabziehenden zu Ehren. Der Wirt hatte bereits die Vorkehrungen wegen Besichtigung des hiesigen Bergwerks getroffen. Ungesäumt ging es in die Unter­ welt. Es sollte gesprengt werden. Die Löcher waren schon gebohrt und gefüllt. Die Knappen löschten die Lampen aus. Wir taten desgleichen. Auf einer Galerie entgegengestellt harrten wir ängst­ lich der bevorstehenden Explosion entgegen. In der Tiefe brannte die Lunte, Blitz und Schlag zugleich, wie wenn alles einstürzen wollte. Die Wände bebten, erschrocken sahen wir uns an, ob wir noch lebten. Die abgesprengte« Steine rasselten übereinander. Der plötzliche Uebergang aus der Mitternacht wie in ein Fever­ meer, aus der Grabesstille in Oonnergeroll, erschüttert jeden Nerv. In den Ohren gellt noch lange ein Summen fort, während vor dem Auge wie tausend kleinere Sterne schwimmen. Mit nach und nach verliert sich der Hall in den Gängen und Gemächern und er­ stirbt endlich ganz mit leisem und leiserem Gemurmel; der Ham­ merschlag und Menschevstimmen tönen wieder. Alles geht seinen vorigen Gang fort. Es ist, wie wenn es nie gewesen wäre. Man rechnet dieses Bergwerk zu den ergiebigsten in Oberdeutsch­ land. Es bricht in Kern und Flöhen. Es findet sich vieles von roter Farbe. Bon der Sole geht ein Teil nach Schellenberg, der andere nach Reichevhall.

Den übrigen Teil des Abends verkürzte ich mir in Gesellschaft bayerischer Offiziere, die hier im Quartier lagen. Die Gespräche begriffen die Messung dieser Gebirge, zu welcher der bayerische Hof, dem Berchtesgaden zugefallen ist, fteigiebig die Summe vorgeschossen hat. Da sehr stark daran gearbeitet wird, so läßt fich nicht zweifeln, daß diese interessante Messung bald zustande kommen werde. Da auch von österreichischer Seite stark daran die Hand angelegt wird, so können sich die Freunde der physischen Mathematik bald eines großen und genauen Resultates erfreuen. Mir, einem guten österreichischen Untertanen, tat die Entstellung eines Bildnisses unseres Kaisers, das in meinem Schlafzimmer hing, sehr wehe. Abgesehen davon, daß eine solche verdecke Pasquille in Feindesland immer verdächtig ist, so hatte doch der Sudler kein Eigentumsrecht dazu. Zwar bin ich weit von dem Wahne entfernt, daß die kaiserlichen oder, königlichen Personen über allen Tadel, dem alle Menschen ausgesetzt sind, allein erhaben sein sollten, vielmehr entdeckt man an ihnen, eben weil sie in die Höhe gestellt sind, eher die Fehler und Mängel; aber es ist doch niederträchtig und schmerzen muß es, den Repräsentanten vieler Millionen Menschen, den verehrten Gegenstand aller Gutgesinnten, in den Kot gemeiner Possen herabgezogen und besudelt zu sehe«. Die Nacht regnete es; ängstlich zog ich morgens die Gardinen hinweg, um mich von dem Zustande der Witterung zu überzeugen, aber da war wenig Hoffnung. Da sich ein Wind erhob, glaubte ich, der Regen, den schwarze Wolken am Himmel drohten, werde vor­ überziehen. Ich glaubte, weil ich es wünschte, einen baldigen Son­ nenschein. Recht wie wenn mich das Wetter nur ins Freie hätte locken wollen, so fing es jetzt [el; Berger und Tübinger Schwabe. 2) Sachs, Friedr. Wilh. Gottft., theol. aus Baden, imm. 14. Nov. 1816, Schwabe. 3) Becker, Franz, theol. aus Karlsruhe, imm. 27. Nov. 1817, 1821 Hof­ prediger der ev. Fürstin Amalie von Fürstenberg in Donaueschingen, Leiter der Hofbibliothek, vortrefflicher Kanzelredner, gest. 1857. 4) Schottes, Mich. Ferdinand, theol. aus Bistritz in Siebenb. imm. 27. Nov. 1817. 5) Ursprünglich Lesekranz der Württemberger, dann erweitert und schließlich in das noch heute blühende Museum übergegangen. 6) Danotti, Johann Baptist, phil. aus Ueberlingen, imm. 27. Nov. 1817, später Jurist.

viele leben noch. 31 Jahre ist ein Zeitraum, wo viele Leben verlöschen können! Habt Ihr meinen Brief vom 8. Jänner erhalten? Er lag als Beilage in einem Brief an Akad. Kenst *), der mir wegen dem Hospitnmtisch geschrieben hatte. Don Eschenmayers Antwort ans Euren Brief war auch dabei. Den 24. Jänner fuhr ich mit den Landsleuten nach Reutlingen auf den Ball. Meiner Gewohnheit nach, in der ich immer mehr bestärkt werde, rührte ich keinen Fuß, sondern saß wie auf dem Stuhle angenagelt mit der Pfeife im Munde und sah den Reihen und den frohen Gesichtern nach! Zu einem Ehrentänjchen allen­ falls auf einer Hochzeit in der Familie habe ich indessen Lust und Mut genug—was zum Troste meiner tanzlustigen Schwestern dienen mag, die über ihren ungeratenen Bruder die Hände zusammen­ schlagen. Ihr zwei Vertreterinnen des Tanzes, streut mir, wie von ohngefähr, die Namen Eurer Tänzer in die nächsten Briefe ein! Wer gut tanzt, weiß ich, gefällt Euch, nur schade, daß das Leben nicht aus Tanzen besteht. Die Welt ist eine Redoute, wo sehr wenig getanzt, höchstens dann und wann Raststunde gehalten wird. Das übrige spinnt Euch selber aus. Man hat sich hier nur einen kleine« Fingerzeig erlaubt. Ehe ich in die Vakanz nach Langenau zu Flaischlen gehe, was über fünf Wochen geschieht, will ich noch einmal schreiben. Weil ich einmal von nichts anderem als von mir zu sprechen habe, so erwähne ich denn auch meiner Musik. In derselben gehe ich den Krebsgang oder, um die Sache nicht zu schlimm zu machen, so mache ich Stillstand. An Zeit gebricht es nicht, denn man könnte sich immer so viel nehmen, aber an Gelegenheit fehlt es. Abgesehen davon, daß ich eine schlechte Fiedel zu entlehnen genommen habe, so gebricht es mir auch an Musikalien, welche hier enorm teuer sind. Für ein Quartett, das sehr kleinleibig ist, zahle ich einen Reichsthaler. Ein Bekannter von mir aus Karlsruhe üimpert etwas auf der Guitarre — mit diesem spiele ich manchmal einige Galanteriesiücke. 1) Kenst, Sam., aus Mediasch, hatte 1814 in Tübingen studiert.

Diese Leute alle zusammengenommen find im Takte nicht sonder­ lich fefi — ich selbst, nicht renomiert darin, verdanke unserer Kleinschelker Orgel doch soviel, daß ich alles mitmachen kann. Mit vielem Vergnügen dachte ich mich am Christtage bei dem Kyrie, von dem hier keine Spur ist. Herrn Prediger Keppx) verdanke ich im Musikfache viel, was ich ihm mit großer Vorliebe zu ihm gerne einräume. Da sein Bruder nun Schulmeister bei Euch ist, so wird Herr Pre­ diger vielleicht, nach dem Gange des menschlichen Herzens, wärmern Anteil an Kirchenmusik nehmen. Beiden meinen Gruß. Von Adolf, von der folgsamen Louise wieder kein Wort! Habt Ihr denn schon vergessen, wie lieb sie mir waren. Drei Ringe auf eine Person ist doch zu arg! Bedenkt doch auch Listen, die Köchin, wenn sie noch da ist, mit einigen Ringen, wenig­ stens von den zur Feier des Christtags geschlachteten Schw... Meinen Kuß Euch lieben Eltern! Empfehlet mich allen Freunden und Freundinnen, wo Frau Schwester Gergerin obenan stehe. Euer zum Konvict gehender Bruder und Sohn St. L. Roth. N. 8. Wenn Ihr es vielleicht nicht schon aus dem Briefe ersehet, so schreibe ich noch hieher, daß ich vollkommen gesund bin. (Aus dem Schreibkalender.) 7. Februar 1818. Auf dem Fechtboden haut mich Pl. mit dem Rap­

pier unter das Auge. 8. Februar 1818. Ich wollte zur alten Payerin gehen, ging aber zur

unrechten, da diejenige, welche ich aufsuchen wollte, bei ihrem Sohn auf dem Lande ijl1 2). Die alte Schwabin3) traf ich zu Hause; ich 1) Kepp, Andreas, seit 1812 Prediger von Kleinschelken, gest. 1858 im Alter von 72 Jahren. 2) Zur Zeit Roths gab es drei alte Payerinnen in Tübingen, es war also tatsächlich eine Verwechslung leicht möglich. Wahrscheinlich suchte er (und fand später) die Witwe des gewesenen Univerfitätspedells Christof Ludwig Payer (gest. 1814), um ihr vermutlich Grüße von seinem Vater auszurichten. Das Pedellenamt in Tübingen ist durch drei Generationen im Besitze des NamenS Payer gewesen. Der «och lebende ehemalige deutsche Vizekanzler Friedr. Payer ist der Sohn des letzten Pedellen Payer gewesen. 3) Die alte Schwäbin war vermutlich die ehemalige Hausfrau des Vaters St. L. R.s.

mußte ihr die Briefe von den Siebenbürgern vorlesen, und ver­ sprechen, wieder bald ju kommen. 9. Februar I8l8. Präsentiert mir die gute Frau Vollmerin *) am Geburtsfest ihres Mannes eine Schale Schokolade, später Kuchen. 15. Februar 1818. Besuche Prälat Gaab 2) (welcher nicht ju Hause ist), ebenso Herrn Prof. Sigwart, welcher mir sein Manuskript ver­ spricht. Mache mit Becker dem Eschenmayer und dem Bengel *) ein Ständchen. 16. Februar 1818. Panzer1 4)52haut 3 mich auf die Finger. Burschenleiche (Höppl)6). 17. Februar 1818. Bengel hört mit seinem Collegium historiae christianae auf, um die Dogmengeschichte beendigen zu können. 18. Februar 1818. Auf dem Hauboden schlitze ich dem Becker den ganzen Bart auf. Abends esse ich zu ihm Butterbrot und grünen Tee. rr. Februar 1818. Mache mit den Karlsruhern einen weitläufigen Spaziergang, steigen durch die Weinberge auf die Höhe, und kom­ men an der jachen Seite des Schloßberges zum Hagtor herein. 36. Februar 1818. Nachmittag trinke ich Kaffee bei Herrn von Eschen­ mayer. 27. Februar I8r8. Gehe zu Sigwart. 1. Mär» 1818. Bei Herrn Gaab, welcher nicht zu Hause ist. Besuche die alte Schwabin. Abends bei Becker Tee. 4. Mär» 1818. Esse abends zu Herrn Prälat Gaab. 5. Mär» 1818. Reise ich mit den Karlsruhern in die Vakanz über Herrenberg, Weilderstadt bis Pforzheim, wo wir aus dem Adler in den Ritter gehen. 1) Die Hausfrau Roths. 2) Gaab, Joh. Friedr. (1761-1832), Dr. theoi., seit 1816 Professor der orientalischen Sprachen und Stiftsephorus in Tübingen, dann Prälat. 3) Bengel, Ernst Gottlieb (1769-1826), Professor der Theologie in Tü­ bingen, Prälat. 4) Pa»»er, Georg, aus Finsterlohe, jur., irnro. 7. Nov. 1816, Armine, gest. als Justijasseffor in Regensburg. 5) Höppl, Joh. Georg Karl, theoi. aus Sulzbach, Imm. 24. Nov. 1816, Mitglied der Hohenlohegesellschaft, gest. Febr. 1818.

6. Mär» 1818. Den 6. abends in Karlsruhe. 2z. Mär» 1818. Aufenthalt in Darmstadt. Sind in der Schloß­ kirche, wo Zimmermann predigt — trefflicher Redner —, schöne einfache Kirche. Nach dem Essen in die Wirtschaft: Büffel, schöne weiße Kühe. Spajiergang in die neuen Anlagen. Speise abends an der gemeinschaftlichen Tafel mit den beiden Eschenmayern und mit Schröder. 24. Mär» 1818. Vormittag besehen wir ziemlich flüchtig das Museum, Bildergallerie, Naturalienkabinett rc. Nehmen uns dann eine Re­ tour nach Heidelberg. In Auerbach essen wir, ich gehe mit einem Boten zur Riesensäule und j«m Felsenmeer. Nachts 11 Uhr kom­ men wir in Heidelberg an, kehren im Carlsberg ein. 26. Mär, 1818. Besuche DaubJ) — mit dem ich über die Tübinger Theologen sprach. — Zu Paulus1 2):3 über Rationalism und Supernaturalism, über Freiheit rc. Lehne die Einladung znm Esse» ab. — Zu Hegel2) — ein wortarmer Mann. Besteigen die Riesen­ felsen. Abends Kasino. 27. Mär» 1818. Um 10 Uhr gehn wir von Heidelberg weg. Durch Feldwege bis Schwetzingen, wo wir im roten Hause zehren. Holzmann 4) und die Apollostatue. 3n der Dämmerung an den Rhein, eben wollte der Schiffer abstoßen. Kurz vor dem Essen treffen wir in Speyer eia. 28. Mär» 1818. Samstag mußte ich mit aller Gewalt in Speyer bleiben. Weitläufiger Spajiergang mit Holzmann und Bäschen Karoline bis an den Rhein nahe an Rheiahavsen. 29. Mär» 1818. Brechen wir von Speyer auf und fahren mit Freitag biS Graben, dann gehen wir durch die verbotene Allee in drei Stunden nach Karlsruhe. Rach dem Essen gehe ich zu Becker, 1) 2) in 3)

Daub, Karl (1765-1836), Professor der Theologie in Heidelberg. Paulus, Heinrich Eb. Gottlob (1761-1851), Professor der Theologie Jena und Heidelberg. Hegel, Georg Wilh. Friedrich (1770-1831), Philosoph. 4) Holtmann, Eduard, jur. aus Karlsruhe, Tübinger Schwab«, (mm. 27. Nov. 1817.

der mich willig empfängt — suche Stern *) auf, finde ihn nicht. Salzer1 2) ist auch nicht zu Hause, auf der Gasse treffen wir ihn. 30. März 1818. Bis Durlach gegen die Karlsruher mit. Hier gesellen flch noch zu uns zwei Heidelberger Studenten, mit denen ich meine Reise bis Pforzheim mache. Sie bleiben da, ich gehe noch bis Weilderstadt, welches im Ganzen zehn Stunden beträgt. Den anderen Morgen bis Herrnberg, wo ich tüchtig zehre. Zi. Mär» 1818. Komme ich aus der Vakanz zurück. Tübingen, den 1. April 1818.

Vielgeliebte Eltern! Teuerste Schwestern! Gestern kam ich von einer weitläufigen Reise ganz gesund zurück, die mich aber vom Be­ suche des lieben Flaischlen zurückgehalten hat, was mir einiger­ maßen meine Reise verleidet. Ich will es auf Pfingsten tun. Etwas von der Reise: Donnerstag den 5. März kamen wir bis Pforzheim, das ein ruhmrediger Chroniker von den Trojanern gegründet wissen will. Den andern Tag bis Karlsruhe, durch Durlach, die vormalige Badische Refidenz, hindurch. Von da führt eine kerzen-gerade Pappelallee bis Karlsruhe, das seinen Namen und seine Ent­ stehung der Ruhe Karls auf einer Jagd verdankt. Ein hübsches Städtchen. Hier hielt ich mich 5 Täge, in dem Hause des Galleriedirektors Becker auf. Das ungünstigste Wetter von der Welt ließ mich die Umgebung nicht besuchen. In der Stadt sah ich das Natu­ ralienkabinett, das physikalische Kabinett, Theater, Harmonie (Lese­ gesellschaft), das Innere des Schlosses, den Bleiturm, Botanischen Garten, Marschstall rc. Den 17. ging ich mit dem jungen Holtzmann, einem Sohn des verstorbenen Staatsrats, nach Speyer 1) Stern, Wilh., aus Moosbach (1792-1873), Theologe in Heidelberg nnb Tübingen. Wangenheim verschaffte ihm eine Lehrstelle bet Pestalozzi in Jferten 1815-17 (für Latein und Griechisch), 1817-19 am Lyzeum in Karlsruhe, später Direktor des Schullehrerseminars ebenda. Verfasser pädagogischer Schrif­ ten. Siehe Brief vom 25. Okt. 1819. 2) Salzer, Wilh., theol. aus Karlsruhe, Tübinger Schwabe, lmm. 27. Nov. 1817. Siehe Eintragung vom 11. Juni 1820.

jum Kaufmann Holtzmann, der Bürgermeister gewesen ist. Der herrliche Dom, wo die Gebeine Rudolfs 1. und Albrechts ruhen, ist schrecklich von den französischen Schergen mißhandelt. Ich machte hier mehrere interessante Bekanntschaften. Von 16000 Einwoh­ nern ist Speyer auf 6000 herabgekommen. Der Handel hat es noch am Leben erhalten. Es ist das alte Spira Nemedum. Den 15. abends waren wir in Mannheim. Hier sprach ich Pfarrer Katz, be­ suchte das Conzert, bestieg den astronomischen Turm. Schöne Je­ suitenkirche. Worms, wo der merkwürdige Reichstag gehalten wurde. Schöner Dom, arm inwendig. Enge Straßen. Stocken des Handels. Mainz. Festungswerke, die merkwürdigste Fahr-Schiffbrücke. Hafen. Dom. Theater. Der Aufenthalt in Mainz war mir nicht der ange­ nehmste, weil ich meine rechte Hand in der Schlinge tragen mußte, da ich mir sie arg verbrannt hatte. In Mannheim noch war durch Unvorsichtigkeit meines Freundes ein Fenstervorhang angegangen, dessen Flammen mich aus dem Schlafe weckten. Da ich denselben mit den Händen herunterreißen mußte, so bekam ich besonders an der rechten Hand abscheuliche Blattern, die aber jetzt gänzlich ge­ heilt sind. Solche Abenteuer lassen für die Erinnerung heilsame Spuren zurück. Es gehört mit zum Ganzen. Den 20. fuhren wir mit dem Marktschiff den Main hinauf nach Frankfurt, wo Messe war. Konzert: Die Schöpfung, von 300 Personen aufgeführt, nach diesem die Völkerschlacht bei Leipzig v. Winter. Samstag besuchte ich den Pfarrer Stein, einen jungen gelobten Redner. Spaziergang nach Oberrode, Bornheim. Monument, welches Friedrich Wilhelm den braven Hessen setzen ließ. Von hier auf den Exerzierplatz, wo in einer Winternacht auf der Retirade von Rußland das Spital mit cirka 20 000 Kranken verbrannte. Es sollen die Weiber aus der Umgebung die wenigen Verwundeten, welche sich gerettet hatten, auf ihren Rücken in ihre Häuser getragen haben, wo sie sie gratis verpflegten. So begegnet uns unter den Schrecken des Krieges die sanftere Gestalt der Menschlichkeit. Ostertag vormittag halte ich Gottesdienst wie ein guter Christ. Höre die berühmten Redner Hufnagel, der alles aus dem Papier liest, und Benkert, der mit

den Händen wie eine Windmühle herumfährt. Noch besuchte ich Herrn Professor von Eschenmayer aus Tübingen, der auch hierher ge, reist war. Gegen Mittag pilgerten wir weiter und kamen zeitig noch nach Darmstadt, wo durch Begünstigung des Großherzogs sehr viel gebaut wird. Trauer wegen der jüngst verstorbenen Mutter des Großherzogs. Ich war auch recht traurig, daß wegen dieser Trauer alles so traurig daherging. In der Schloßkirche predigte Zimmer­ mann 1), der neben Kleinmann eine Stelle verdient. Im Gesichte hat er viel Aehnlichkeit mit Herrn Pfarrer Schmidt (soll ich sagen? den Schaalen oder den Schaaler?) Als Pfarrerssohn und ein­ stiger Pfarrer besuchte ich auch eine Wirtschaft, wo ich außerordent­ lich schönes Vieh antraf. Büffel waren auch da, mit denen man aber nicht zuftieden war, da sie tags nur 4 Maß Milch, die weißen hingegen 11-14 geben. Sie hatten aber auch Euter! Diese weißen Kühe werden alle Tage gestriegelt und einmal gewaschen mit kaltem Wasser. Sie bekommen des Tages nur 2mal Heu zu ftessen, morgens und abends, in allem 14 Pf. Heu. Haben sie weiter Appetit, so steht ihnen Sttoh zu Diensten. Außerdem bekommen sie Brannt­ weinüberbleibsel (Geschläbber), zu dem man hierzulande 2/3 Krumpirn und 1/3 Frucht nimmt. Um die Mittagszeit kommen sie auf 2 Stunden ins Freie, sonst stehen sie das ganze Jahr im Stall. Die Reinlichkeit in den Ställen ist nicht genug zu loben. Zwei Knechte besorgen 30 Stück Vieh, bei uns klagt der Knecht, wenn er 6 Pferde hat. Die Krippen stehen in der Mitte des Stalles, von beiden Seiten steht das Vieh und zwischen den Krippen kann man hindurch gehen. Das Vieh stellt sich vom Kopfe gewiß am schönsten dar und es be­ kommt auch seltener Augenweh, weil es nicht ewig wider die Wand sehen muß ic. Roch verdient in Darmstadt bemerkt zu werden die Schloßkirche, Bildergallerie, Naturalienkabinett, wo eine Mumie war, und der botanische Garten. Ich speiste abends mit Professor Eschen­ mayer und Professor Schräder an der gemeinschaftlichen Tafel. Herr Professor von Eschenmayer war so gütig auf Eure Gesundheit mit mir 1) Itmmermann,

Ernst Christoph Philipp (1786-1832), 2. Hofpre­

diger in Darmstadt. Bedeutender Theologe.

anzustoßen: Vivat das elterliche Haus; tausend mal Hoch rief ich. Den 24. fuhren wir von Darmstadt mit einer Retour weg. 3n Auerbach aßen wir. 3m größten Wind und Regen lief ich noch drei Stunden ins Gebirge, um die merkwürdige Riesensäule ju sehen. Herr Kotzebue wollte sie auf eine Gebirgsspitze zum Andenken der wiedererlangten Freiheit setzen. Es wäre aber ein zu kleines Monumentchen gewesen, und das wahre Denkmal dieser großen Ent­ scheidung und der rechte Bürge, nie wieder Sklaven zu werden, kann nur in unserem Herzen sein, daß wir nie vergessen wollen, daß wir Deutsche sind. Diese Säule ist aus Granit, ihr Ursprung und ihre Bestimmung verliert sich in das Dunkel der Zeit. Diese Gegend des Odinwaldes war der eigenüiche Sitz jener blauäugigen Riesen, vor denen die Römer zitterten. Sie waren gefallen — doch jetzt stehen sie wieder anstecht und herrlich wird im Sonnenschein des Friedens dieser edle Baum sich in Blüten und Früchten ausbreiten. Wir, Vater, sind Ableger dieses Baumes. Daher: Heil ihnen, Heil «ns! 3n Heidelberg hielt ich mich 2 Täge auf. Das Schloß, die schönste Ruine in Deutschland, gewährt einen imposanten Anblick. Die ganze Umgegend dieser Universitätsstadt ist wunderschön. 3ch ging in die Vorlesungen des Professor Thibaut^), der dieselben noch nicht beendigt hatte. Sein Name wird mit Ehrerbietung ausge­ sprochen. Herr Kirchenrat Daub nahm mich mit vieler Liebe auf. Wir sprachen von seinem: Judas 3schariot. Er trägt wie Thibaut lange Haare und hatte sich dieselben gerade eingewickelt. Der Philo­ soph Hegel, der in Schellings ph. Zeitschrift vieles geliefert hat und ein ausgezeichneter Kopf ist, taugt in der Unterhaltung wenig oder gar nichts. Wir sprachen vom Regen und vom Sonnenschein. Dr. Paulus, der bekannte Verstandesmensch, hat, wie der Ver­ sucher, der zu Herrn Jesu trat, eine desto gewandtere Zunge. 3ch hatte von Herrn Prälat Gaab eine Empfehlung an ihn. Vermutlich 1) Thibaut, Anton Friede. Justus (1773-1840), bedeutender Rechtsger lehrt«, seit 1806 Professor an der Universität Heidelberg, Freund Goethes und Schillers.

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Universitätsjeit in Tübingen

war dies ein Uriasbrief*), denn, nachdem er ihn gelesen hatte, fing er gleich mit mir über Vernunft und Glauben ju reden an (ich gelte allgemein als der wärmste Freund des Eschenmayers, dessen Anficht der des Paulus ganz entgegengesetzt ist). Wir disputierten beinahe 3 Stunden, ich mit der gehörigen Achtung, er mit Leidem schaft. Das Ende war, daß er mich zum Essen rief, das ich aber wegen verschiedenen Ursachen ablehnte. Er will eben alles wissen und nichts glauben, aber wissen heißt in Begriffe fassen, nun aber läßt sich alles Unendliche in keine endliche Formen unseres Begriffes gießen, folglich können wir nicht alles wissen. So können wir Gott nicht wissen, sondern glauben. Herr Doktor Paulus hat an mir keinen Proseliten gemacht. Um Euch ein Beispiel zu geben, wie feurig unser Gespräch gewesen sein muß, so sagte er auf die Supra­ rationalisten, weil fie den Zusammenhang ihrer Ideen nicht be­ weisen können: „Wenn mir der liebe Gott alle Re­ sultate der Wahrheiten in diese Hände ge­ geben hätte, so könnte ich doch noch so dumm sein wie eine Kuh", dieses stempelte er auf den Eschen­ mayer. — Den 27. über Schwetzingen, wo die herrliche Gartenan­ lage ist, wieder nach Speyer, wo wir uns einen Tag aufhielten. In Karlsruhe hielt ich mich nur die Nacht auf und kam dann allein in zwei Tagereisen nach Tübingen, wo ich einen Brief von Euch antraf, für den ich Euch danke. So hätte ich denn die schönen Rheingegenden genossen. Unter­ haltend ist's in Städte und Länder zu kommen, die so verschiedene Herren haben. So ist Tübingen württembergisch, Karlsruhe badisch, Speyer bayerisch, Mainz Bundesfestung, Frankfurt freie Stadt, Darmstadt hessisch, Heidelberg badisch rc. Die alte Schwabin lebt; wenn dieselbe von Euch spricht, treten ihr Tränen in die Augen. Sie spricht von mir: ich wär' zwar auch 1) Uria wurde infolge eines schriftlichen Befehls Davids, den er selbst an den Oberfeldherrn Joab überbringen mußte, im Kampfe an die gefährlichste Stelle gestellt und fiel. Daher heißt jetzt noch ein Brief, der für den Ueberbringer selbst nachteilig ist, Uriasbrief.

gut, aber so gut, wie Ihr gewesen wäret, könnte ich nicht sein. Fritz ist jeitig gestorben. Ein Enkelchen ist noch da. Ihr Tochtermann und ihre gerade Tochter lebt. Sie bewahrt alle Schriften von Euch, Euer Andenken ist ihnen heilig, ich gehe auch gerne dahin. Pedell Payer lebt auch, er ist ein grünjähniger Philister (salva venia)J). Ich gehe ganz charmant mit ihm um. Von Frau Stadtschreiberin Holland habe ich schon geschrieben. Mit dem Bruder des Krippendorff sprach ich in Mannheim, mit Lang auf der Reise nach Karlsruhe, wo er in einem Dorfe Pfarrer ist. Herr Vetter aus Schaas ist tot. — Wenn die Ehe mit Fra« Schwester Gergerin vollzogen worden wäre, welches ich ihr von Herzen gern gegönnt hätte, so wäre sie Universalerbin.—Wenn nur Frau Mutter sich bei der Verpflegung nicht verdorben hat! Der Schwester des Herrn Vetters gehört garnichts, weil Undankbarkeit von ihrer Seite, eben weil sie nicht bedacht worden ist, präsumiert werden muß. Selig sind die, die von ihrem Recht abstehen! Lebt wohl! Euer gehorsamer Sohn, gesunder Bruder, hungriger Onkel, St. L. Roth. Tausend Grüße und Küsse allen unseren Anverwandten und Freunden, allen Kleinschelkern, an die ich mich oft erinnere. Letztere müssen nur gegrüßt werden. Wellmann hat kein einzigmal ge­ schrieben — kommst mir aus den Augen, kommst mir aus dem Sinn. (Aus dem Schreibkalender.)

Zu Frau Schwabin. 1818. Gehe zu Eschenmayer, Stadtschreiberin Holland. 7. April 1818. Hospitiere bei Wurm1 2)3in der Dogmatik. Wer Gra­ naten gekostet hat, dem schmecken die Krumpiren2) nicht mehr. O Bergleiter, Friede deinem Gebein, und dankbare Tränen deiner Asche! Vaterländische Speise: Palocs. 11. April 1818. Becker und Salzer zu mir auf eine» Tee. Wir ver1. April 1818.

2.

April

1) Von wohlwollender Gesinnung. 2) Wurm, Stadtpfarrer in Tübingen, mit Lehrauftrag. 3) Siebenbürgischer Ausdruck für Kartoffeln.

binden damit Vorlesungen aus Müllners Kngurd, und fassen den Entschluß, diese deklamatorischen Uebungen fortzusetzen. 12. April 1818. Bengel predigte; war zur Frau Schwabin. 13. April 1818. Vorlesungen zur Uebung in der Deklamation: König Ungurd, Trauerspiel von Müllners. 14. April 1818. Hospitiere bei Conz1 2), welcher Vorlesungen über Pindar hält. 15. April 1818. Hospitiere von 2-3 bei Sch. Ebenso von 4-5 in den Vorlesungen über Botanik. 17. April 1818. Hospitiere bei Drey3) (Dogmatik) und bei Hirscher4)5(Moral). Beide gefallen mir im Vortrag und überhaupt in der ganzen Ansicht ihres Gegenstandes. 2i. April 1818. Lesen die Lehre von den Engeln bei Becker. Den ganzen Tag heimweherig und katzenjammerig. 25. April 1818. Auf dem Kommers züchtigt mich Schottes öffent­ lich einer Lüge. 26. April 1818. Durch Duffnern6) stürtze ich dem Schottes einen dummen Junge«. 1. Mai 1818. Um 6 Uhr gehen wir: ich, Becker, Salzer und Mar­ tini 6) über den Schloßberg der Wurmlinger Kapelle zu. Nicht weit davon machen wir Feuer, wo wir Schokolade kochen und verzehren. Abends wieder beisammen auf Beckers Zimmer, wo Burgunder auf das Wohl seines Vaters, dessen Geburts- und Namenstag heute war, getrunken wird. 7. Mai 1818. Gehe ich zu Prof. Sigwart, um ihm sein Honorar (Dukaten) zu bezahlen. Er nimmt es nicht an. 1) „König Ungurd", 1817 erschienene Tragödie des Dichters A. G. A. Müllner (1774-1829). 2) Co nz, Karl Philipp (1762-1827), Professor der alten klassischen Lite­ ratur und Eloquenz, Dichter. 3) Drey, Joh. Sebastian (1777-1853), Professor der kath. Theologie. 4) H i r s ch e r, Joh. Bapt. von (1788-1865), Professor der kath. Theologie. 5) Duffner, Josef, med. von Furtwangen, Hauptführer der Schwaben gegen die Burschenschaft, imm. 25. Mai 1815. 6) Martini, Karl, iheol. aus Karlsruhe, imm. 10. Jan. 1818.

10. Mai 1818. Um 6 Uhr fahre ich mit Sachs in einem Kabriolett über Waldenbuch nach Stnttgart. Becker und Martini kom­ men zu Pferde mit. Nach Besichtigung der Anlagen der Stadt Kannstatt am Neckar und Berg fahren wir in der prächtigsten Blütenbänmeallee bis Ludwigsburg, wo wir im Seitzschen Kaffeehaus einkehren. Angenehmes Gespräch mit einem Offi­ zieren von der Lage Schwabens, besonders seiner Gebirgszüge. Zwei schöne Mädel. Solider Wirt. 11. Mat 1818. Während der Nacht ein Donnerwetter. Morgens Regen. Es hört auf, gehen in die Kirche, in der Stadt herum. Hübsche Straßen, schöne Häuser, der Park ist vorzüglich. Die künst­ liche Ruine von einem Ritterschloß. Rüstungen an den Wänden. Schönes Kloster, weitläufig in schönstem Geschmack. Fahren zurück nach Stuttgart. Nach dem Essen gehe ich mit Becker in der Stadt herum. Abends im Theater, wo aufgeführt wird: So ist es gewesen, so war es, so ist es jetzt. Im Zweiten zeichneten sich aus Herr K. und E. I-. Mat 1818. Zu Dannecker Bildhauers: Schillers Büste in kollossaler Größe; in den übrigen Zimmern wurde nach der Natur gezeichnet. Wir fanden daher keinen Eingang. Dannecker trägt eine gepuderte Frisur und in seinem Auge liest man die gespann­ teste Aufmerksamkeit. Einfache katholische Kirche. Bibliothek. Bei Professorin Lebret, er war nicht zu Hause. Sie beschied mich zu ihrem Bruder, der konnte aber der Freund meines Vaters nicht sein, weil er noch zu jung war. Bei Prälatin Gaab; er nicht zn Hanse. Hauptmann von Langen im ersten Infanterieregiment nicht zu Hause. Ich schrieb ein Billet. Er suchte mich auf. Seine Frau hält sich in Neuhausen bei einem Onkel auf. Um zwei Uhr fahren wir weg. Bleiben in Waldenbuch bis 7 Uhr. Gegen 10 sind wir an Ort und Stelle. (Bestelle mir beim Hofinstrumrntenmacher Schauf­ ler einen Czakan. Gebe ihm auf die Hand 2,42.) Sieh« S. 201, Anm. 1. 1) Dannecker, Ioh. Heinr. von, der berühmte Bildhauer, 1758-1841. Folberth, et. L Roth.

I.

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Tübingen, den 8. Mai 1818.

Wertgeschätzte, teure, vielgeliebte Eltern und Schwestern! Am i. Mai war es ein Jahr, als wir uns an der Grenje des nahen Ab­ schiedes im Baumgarten noch einmal versammelten, um die letzte kostbare Zeit — ju genießen. Mein damaliger Wunsch war ins Ausland gerichtet — mein jetziger ins Inland. Es war ein schöner Morgen! Die Bäume in der schönsten Blüte und o Gott, welches Glück, meine Lieben alle gesund. Diesen Tag, einen der wichtigsten meines Lebens, habe ich der Erinnerung geheiligt, die mich jetzt in die Verhältnisse, ans denen ich herausgetreten bin, mitten hinein­ stellte. Aber die Bilder, die sie mir vorführt, schleichen vor meinen Augen in dunkle Gründe der Vergangenheit wie ein Schattenspiel vorbei; sie sind stürmisch und verblaßt — nur die Sehnsucht und meine kindliche Liebe leihen den Lieblingen meines Herzens eine hellere Farbe. Seltsame Empfindungen, liebster Vater, wogten in meiner Brust, als ich hier den ersten Maimorgen begrüßte. Mein erster Gedanke war das väterliche Haus, wohin anderes aber hätten mich auch meine Gedanken tragen können ? Für wen anderes hätte ich meine Arme öffnen und wen anderes an mein Herz drücken wollen ?— Mit einigen Freunden machte ich am ersten Mai einen Gang znr Wurmlinger Kapelle. Der Weg durchs Schloß, über die Berg­ schneide, links und rechts Blütenbäume, mit der Aussicht ins Neckarund Ammertal, wird Euch wohl bekannt sein. 3m Angesicht des neulich erstiegenen Hohenzollern bei Hechingen, am Fnße der Ka­ pelle, schlugen wir unser Lager auf. Wir errichteten aus Feldsteinen einen Herd, schlugen Feuer und bald kochte an einem herrlichen Feuerchen unser Chokolade, der im Schatten einer ehrwürdigen Tanne genossen mir besser schmeckte, als wenn ich mir ihn um schweres Geld im Wirtshause angeschafft hätte. Wir tranken Eure Gesundheit selbst gegen den Comment (Studentenetikette) aus un­ seren Schalen. — Ich bin überzeugt, und lebe der süßen und gewissen Hoffnung, daß auch 3hr meiner an diesem Tage gedacht habt. 3hr Glücklichen zu Hause, ich glücklich durch Eure Erinnerung — wir alle glücklich durch unsere Liebe.

Euren wertgeschähten Brief vom 26. März erhielt ich den 26. April, wofür ich Euch herzlich danke. Der plötzliche Fall des Weines und der Frucht ist mir unbegreiflich; man hätte vermuten sollen, er würde mit nach und nach Herabkommen und zwar tief — jedoch so geschwind und so tief, darauf wäre wohl niemand verfallen. Wie aber? Wie verbessert sich dann der Kurs nicht mehr, warum hält er sich noch immer so in der Höhe? Bisher glaubte ich immer, der Kurs wäre mit der Geldmasse unserer Länder in einem stetigen Verhältnis, nun, da wir mit dem Nennwerte so herabgekommen sind, sollte wenigstens der Wert des Geldes bedeutend gestiegen sei«. Mir scheint^, als würde jetzt der Kurs nur künstlich noch so hoch gehalten. Er muß herunter. Es ist aber auf der anderen Seite auch möglich, daß die Frucht-, Wein- ic. Preise sich wieder heben wie eine empfindliche Wage, die, wenn man einen Teil des Gewichts wegnimmt, lange hinauf- und hinunterschlägt, ehe sie sich wieder in Ruhe setzt. Zwar nur ein Bild — aber es hat Sinn. Man glanbe ja nicht, daß diese Wohlfeilheit dem Lande Segen bringe; der Bauer, das Herz des Staatskörpers, muß bei teurem Ankäufe und wohlfeilem und schlechtem Absätze zugrunde gehen. Aber noch ein traurigeres Bild bietet die Partei der Armen dar, die Schulden zu bezahlen haben, die bei der jetzigen schweren Gelderwerbung bei dem einstweilig höheren Werte des Geldes einem unvermeintlichen Elend entgegengehen. Gott behüte uns, daß der Gläubiger das Recht zu Hülfe nehme. Billigkeit muß in dieser Sache entscheiden und großmütig sollte der Gläubiger dem Armen die rettende Hand reichen. Doch, was wissen die Juristen von Billigkeit; in ihrem Jus tripartitum sieht nichts davon und die Häuser, wo sie gelehrt wird, sind gerade von denen am wenigsten besucht, denen man es am meisten ans Herz legen sollte. Wir hier müssen eine andere Klage führe», nämlich die wegen der Teuerung. Lange Zeit hatten wir im Kloster keinen Wein, weil derselbe im vorigen Jahr gänzlich mißraten war. Wollte ich dann und wann ein Glas ordentlichen Tischwein trinken, so mußte ich das Seidel pr. 24 kr. hiesigen Geldes bezahlen, so wie auch noch 13*

jetzt. Zieh« wir nun die Parallele, so sind etv, Seidel Wein hier und ein Eimer bei Euch in gleichem Preise. — Soll man sich nun mehr über unsere Teuerung oder über Eure Wohlfeilheit wundern? Alle Sonnabend haben wir Corners, — nie werde ich da unter 24 kr. los. Curios! Was hier in Tübingen Sparsamkeit heißen muß, kann in Siebenbürgen nicht anders als Verschwendung heißen. Nach den Ausgaben kann niemand ein Knicker und niemand ein Verschwender genannt werden. Da wir den Pfingsttag über 3 Tage Ferien hatten, so benutzte ich diese Zeit, um Stuttgart ju besehen. In einem Kabriolett fuhr ich nebst noch einem guten Freund; zwei andere ritten vor. Nach dem Mittagessen fuhren wir nach Ludwigsburg, wo wir den Abend, die Nacht und den Morgen jubrachten. Die Anlagen, die geräumige Stadt ziehen hierher viele Fremde, die freilich längere Zeit verwellen können. Bei mir soll es nicht das letztemal sein, daß ich nach Ludwigsburg fuhr. Noch einen anderen Grund muß ich angeben, war­ um ich nächstens wieder Ludwigsburg besuchen will. Es bediente uns nämlich dort ein hübsches Mädchen, daß erstaunlich viele Aehnlichkeit mit Therese hat. Sehe ich dieses, so glaube ich Thereschen (das liebe Thereschen) vor Augen zu haben. Ist es mir nun wohl zu verargen, wenn ich mit diesem ein wenig schäkere? Es gllt ja eigenllich der Schwester! — Ueberdies habe ich noch die Porzellanfabrik nicht sehen können. Don den Allee» zwischen Ludwigsburg und Stuttgart läßt sich das gerechteste Lob sagen, daß sie die schön­ sten im Schwabenlande sind. Ueberhaupt ist der ganze Weg von Tübingen bis Ludwigsburg eine schöne Obstallee, die jetzt in voller Blüte stand. Diese Alleen sind größtenteils ein Werk des alten Königs (Friedrich des Dicken), dem in dieser Rücksicht kein Fürst gleichgestellt werden kann. Bei seinem Leben gefürchtet und ver­ flucht, als Tyrann verschrien, fand nur der Tote die gehörige Schätzung und manche Träne eines im allgemein würdigenden Patrioten segnet seine Asche. Von Stuttgart bis Kannstatt dehnt sich eine Promenade aus, ein Spatzierplatz, der von Menschen aus allen Ständen immer

bedeckt ist. In Kannstatt ist ein saures Wasser, das häufig gewunken wird. Es wird nächstens gefaßt werden. Dasselbe liegt eine viertel Stunde vom Neckar. Hier sah ich das erste Wasserwehr in Deutsch­ land jum Behufe einer Mühle. Hierher sollte man unsern scheuer­ bärtigen, großsprecherischen Müller schicken, damit er etwas lerne und nicht länger die Kleinschelker um Geld, Zeit und den jungen Wald brächte. Doch dafür haben andere Leute ju sorgen, nicht ich. Der Bildhauer Dannecker ist in Europa nebst Canova, der jetzt in England ist, der größte Mann in seinem Fach. Ich sprach ihn. Er trägt eine gepuderte Frisur, ist kurj und trocken; hat scharfe Züge. Sein von Aufmerksamkeit gespanntes Auge ist beinahe stier. Die einzige Büste von Schiller konnte ich sehen; in den übrigen Zimmern zeichneten seine Schüler nach der Natur. Da Dannecker ein persönlicher Freund von Schiller war, so hat er in den toten Stein das anschaulichste'Leben hineingetragen. Der Preis, um den ihm diese Büste feil ist, soll 50000 Gulden betragen. Die Bibliothek ist groß. Angestellt an derselben ist Professor Lebret. Ich suchte ihn auf, ohne ihn jedoch zu treffen. Ich werde trachten seine Bekanntschaft zu machen. — Hauptmann von Langen ist ein schätzbarer Mann. Seine Gemahlin hält fich bei Herrn von Steigenbusch in Neuhausen auf. Ein Billet von mir, das ich an den Hauptmann schrieb, den ich anfangs nicht zu Hause traf, ist ihr überschickt worden. Ich hoffe das Beste. Neuhausen ist von Tübingen 4 Stunden entfernt, nahe genug, um nächstens hinüberzureiten. Den 14. Mai. Um Eurem Wunsche auch in Rücksicht der Musik­ übungen entgegenzukommen, so setze ich seit einiger Zeit auch dies Studium fort. Alle Donnerstage soll in der Regel im Kloster musiziert werden, da aber dem Kloster seit einigen Wochen ein Musikdirektor aufgedrungen worden ist, so blieben die Schwarzen ganz weg. Seit der Zeit aber hat ihr Zorn etwas nachgelassen und es geht nun wieder im alten Geleise. Als ich heute gerade um 2 Uhr von dort kam, überreichte man mir Euren Brief vom 26. April. Durch ihn erfuhr ich, daß Ihr meinen Brief empfangen habt, worin ich Euch von meiner Rheinreise benachrichtigte. Eschenmayers Brief ist für

mich sehr vorteilhaft — mir aber scheints, man dürste nie dabei ver­ gessen, daß derselbe an einen Vater gerichtet ist. Möchte nur Herr Superintendent, der gelehrte und große Mann, mich nicht nach einem jn großen Maße messen. Uebermäßiges Lob hat nach Kant manchmal denselben Erfolg als Verleumdung. Etwas von meinem Studium. Im vorigen Semester verwandte ich meine Zeit größtenteils auf Philosophie — mein Leitstern war Eschenmayer, der Psychologie vortrug. Prof. Sigwart las die Einleitung in alle phllosophische Systeme, die ich auch mitnahm. Da ich nun die Seele kannte, in ihren unendlichen und endlichen Formen, so gewann mich die Philosophie ganj und mit der Zeit ist es möglich, daß ich mir auf diesem festen Boden eigenes Bauwerk errichte. Jetzt bin ich ein entschiedener Supranaturalist, von welchen man zu sagen pflegt, ste seien schlechte Philosophen und gute Theologen.—Jede Walachin lobt ihre Butter. Dieses Semester beschäftige ich mich mit dem theo­ logischen Fache, dem ich wieder neuen Reiz abgewonnen habe, da dasselbe mir nur vor kurzem ziemlich verleidet war. Bei Bengel, dem besten hiesigen Theologen, höre ich Kirchengeschichte und Sym­ bolik. Die Dogmengeschichte habe ich im Manuskriptx). Ohne dem­ nach etwas über Dogmatik zu hören, so bekomme ich sie doch in den Kopf, steilich nur in historischer Ordnung. F. V. Reinhardts Dogmatik habe ich zu leihen genommen — wenn nicht am Titelblatte dieser berühmte Name stände, ich würde sie gerade ein schales Zeug nennen. Trefflich sind seine Predigten und seine weitläufige Moral — seine Dogmatik heißt, im Ernste gesagt, wenig mehr als nichts. Eschenmayers Vorlesungen in diesem Semester besuche ich in der Moralphllosophie und in der Religionsphilosophie. Beide erscheinen im Druck und sind sehr teuer. Der erste Band von der Religions­ philosophie ist bereits erschienen und kostet 3 Gulden, noch werden zwei Bände erwartet. Von Bohnenbergers Exp. Physik höre ich auch an. Beftemdend war es für mich, daß Ihr mich mit 91.. auf 1) Dies Manuskript R.s ist im Nachlaß erhalten. Es zählt 920 beschriebene Quartseiten.

einer Reise in der Schweiz vermutetet. Ich habe nichts geäußert. Er machte einen schnellen, sehr schnellen Durchflug, ohne daß ich jedoch es nur im Sinn gehabt hätte mitzugehen. Er wird jetzt schon in Wien sein. Gewöhnlich pflegt man hinten noch Neuigkeiten anzuhängen — gerne wollte auch ich dieser Sitte treu bleiben, hätte ich nur einige bedeutende zu erzählen. Jüngst fiel ein geheimes Duell hier vor. Beide Parteien wurden consiliert. 54 Studenten, die sie gegen den Befehl des Senats begleitet haben, sollen nächster Tage ins Karzer wandern. Ich bin nicht dabei. Uebrigens gilt es als keine Schande. Autenrieth ist ein strenger Rektor, da er Mediziner ist, so seciert er alle Burschenhandlungen mit seinem anatomischen Messer, daß es ein Jammer ist. Selten ists, daß der Schnitt nicht ins Lebendige geht. Baron Reder hat sich am Osterdienstag erschossen. Er war ein Bursche. Die Ursache weiß man nicht. Laßt einmal sehen, Schwestern, welche den besten, schönsten Tabaksbeutel stricken kann! Schickt mir ihn nach Wie», von da schickt ihn schon Prof. Meißner durch die Ulmer Schiffer nach Tübingen. Gruß und Kuß allen und jedem, der sich meiner erinnert. Euer Sohn und Bruder St. L. Roth. (Aus dem Schreibkalender.)

Louise [?] gibt mir einen Tabaksbeutel. Die Brüder Schunke und Sohn geben ein Waldhornkonzert, das den zahlreichen Besuch vollkommen verdiente. 17. Mai 1818. Musiziere in der Kirche. Besuche Frau Hollandin und Frau Schwabin. Vormittags zu Gmelin. 2i. Mai 1818. Besuche den jungen Fritz, den Enkel der Frau Schwa­ bin. Bade mit Martini im Neckar. 24. Mai 1818. Gehen auf den Bledbergx); ich, Salzer und Becker. Nachmittag gehen wir nebst Holzmann nach Bebenhausen, um kristallisierte Sandsteine zu suchen; finden keine, kommen über Wald­ hausen, wo wir eine schlechte Milch überteuer bezahlen, grade ein halb 7 Uhr zurück. Abends musizieren wir bei Becker. 15. Mai 1818.

16. Mai 1818.

1) Wohl verschrieben für Bläsiberg.

25. Mat 1818. Aufruhr unter den Geckenx), welche mit Gesang auf die Brücke hinausziehen. Polizeikommissarius Groß ritt ju ihnen und besänftigt sie. — Abends im Hauptjoll sprechen wir darüber, wie auch über verschiedene Religionsgegenstände. 27. Mai 1818. Nachdem sich Lei einer Paukerei zwischen Provence1 2) und Klett3) die Sekundanten entzweien, so erklären die komunen Arminianer4) die Schwaben5) in Verschiß. Noch ehe sie gefordert werden können, läßt sich das Gerücht vernehmen, als wisse es schon der Pedell. Dieser Pech, in den mutmaßlich die Schwaben geraten, stimmt auch mich mit meinen Renoncen anders [?]. Nach dem Kommers lärmt und schreit der Becker schauderhaft.

Es dürfte hier angezeigt sein, einige Aufklärungen über die studen­ tischen Verhältnisse in Tübingen zur Zeit Roths einzuschieben. Der Spe­ zialforscher für Tübinger Verbindungsgeschichte, Georg S ch m i d g a l l, teilte mir folgendes mit: Nach dem Tübinger Burschencomment von 1815 war das Rekrutie­ rungsgebiet des Corps Suevia (gestiftet den 25. Mai 1813, Farben schwarz-weiß-rot, 1826 untergegangen, ohne Zusammenhang mit dem heutigen 1831 gestifteten Corps Suevia) „das ganze südliche Deutsch­ land bis an das Gebiet Frankfurt, welches die Grenze zwischen Nordund Süddeutschland bildet. Zu ihren Kantonen gehören demnach Schwa­ ben, Franken, Bayern, Oesterreich, Tyrol, Vorarlberg, Kärnten, Kram, Baden, das ganze Elsaß und Mainz". Daraus erklärt es sich, daß die zahlreichen siebenbürgischen Theologen entweder Mitglieder des Corps Suevia wurden oder sich wenigstens als äußere Mitglieder, Kneipschwänze, dem Corps anschlossen. Diese letzteren Corpsanhänger hieß man Renoncen, weil sie gewissermaßen auf die volle Mitgliedschaft verzichteten. 1) Wohl verschrieben für „Gogen", wie man die urwüchsigen Bewohner der unteren Stadt heißt. 1817 war ei» bekanntes Hungerjahr. Die Gogen forderten damals die Wöhrdweide für ihre Zwecke. 2) Provence, Jurist aus Donaueschingen, Schwabe. 3) Klett, August, aus Heilbronn, Burschenschafter. 4) Mitglieder der Burschenschaft Arminia, richtig Arminen, verächtlich Armi­ nianer genannt. 5) Mitglieder des Corps Suevia.

Roch ist offenbar bei den Schwaben Renonce gewesen. Im Corps selbst waren folgende Siebenbürger: Hiemesch aus Kronstadt 1815, Herberth aus Johannisdorf 1817, Kaiser aus Kronstadt 1816, Schottes aus Distritz 1817, Modjer aus Kronstadt 1818. Einzelne schlossen sich auch der Burschenschaft an. Diese letztere ist am 12. Dezember 1816 unter dem Namen Arminia gegründet worden, mit der Absicht, keine Landsmann­ schaft (Corps) mehr zu dulden. Dies gelang ihr auch mit Ausnahme der Suevia, welche zwar mit kleinem Bestand, aber meist tüchtigen Badenern weiter bestand. Wegen ihrer Zusammensetzung hieß man die Schwaben geradezu die Badenser. Die Schwaben hatten ein starkes Kartell in Heidelberg, das jederzeit zur Unterstützung bereit war. Die Burschenschaft hatte bei ihrer Stiftung den Burschencomment verworfen und einen neuen entworfen, der die merkwürdige Bestimmung enthielt: „Der Be­ leidigte kann nicht angeschissen werden", d. h. das Duell darf nie zu dessen Ungunsten ausgehen. Aus diesem Grund entzweiten sich die Se­ kundanten bei der Paukerei zwischen Provence und Klett. Nach ihrem Comment mußten nun die Burschenschafter den Verschiß über die Schwaben avssprechen. Sie meldeten dies auch sofort der Vorsitzenden Burschenschaft. Roths Meinung über den Streit zwischen Landsmannschaft und Bur­ schenschaft lese man nach im Brief vom 22. Jan. 1819 an Becker. (Aus dem Schreibkalender.) 29. Mai 1818. Erhalte morgens

den Czakan1). Zu Hetsch damit. Es ist nicht Bux, schreibe dem Schaufler. 30. Mai 1818. Nach dem Essen ruft mich Martini in den Konvent, wo mich Schottes um Verzeihung bitten sollte. Ich reiche ihm die Hand, ohne wörtliche Abbitte. Spielen Schach im Museum. 31. Mai 1818. Ich und Salzer gehen zu Duffner, um die Arminia konstituieren zu lassen. Derselbe getröstet uns aber bis zur Erhal­ tung einer Antwort aus Heidelberg. Morgens in der katholischen Kirche, wo Präparant Kolb predigt. Gute Stimme—wenig Dispo­ sition. Rach dem Essen wird der Müringer Jude festgesetzt, weil er hohle goldene Ringe mit Blei ausgegossen hatte. Mit Martini, Salzer, Becker Spaziergang über den Weingärten. Sprachen über die Arminianer. 1) Ungarisches Musikinstrument.

1. Juni 1818. Letzte und vorletzte Nacht sind in den Weingärten stark rauchende Feuer angejündet worden, um womöglich die Kälte, die bis auf den Geftierpunkt gestiegen war, unschädlich zu machen. Abends ißt Martini, Becker, Salzer zu mir gestandene Milch. 2. Z«»i 1818. Nach dem Mittagessen gehe ich mit Martini, Dann­ wolf x) und Würtemberger12) den Mühlbach hinauf bis oberhalb Dernedingen, wo wir baden. Bleßbad. Komme zu spät zum Kloster­ essen. 3. Juni 1818. Lasse den ersten Dukaten wechseln. 4. Juni 1818. Auf den Verschiß los, den den Badensern die Arminianer gestürzt hatten, lassen wir dieselben ganz, und zwar Mann für Mann, fordern. 5. Juni 1818. Freitag kommt Martini zu mir und verrichtet den Auftrag der Arminianer an uns Renoncen; die Arminianer hatten zur Bedingung der Paukerei gemacht: wir Renoncen sollten von dem Corps abstehen und ihren Komment anerkennen. Welches na­ türlich nicht geschah. Unterdessen waren zwei andere bei Duffner gewesen und ihm erklärt, daß sie mit den Renoncen nichts hätten u. d. g. m. Duffner heißt sie Scheißkerle rc. rc. Bin begierig! Abends kömmt Römer3) auf mein Zimmer, wo wir unsere Czakane ver­ gleichen. Spaziergang. Hauptzoll. 6. Juui 1818. Auf dem Wörth türkische Musik, dann Kommers. 7. Juni 1818. Um 10 Uhr abends machen wir Prälat Gaab ein Ständchen, man sagt fteilich, es wäre seiner Tochter zu Ehren ge­ schehen; je nun, was tut man nicht guten Freunden zu Gefallen. 10. J«»r 1818. Mache eine Visite bei Prälat Gaab. 11. Juni 1818. Da Becker beim Bischof in Rottenburg speist, so reiten ich und Salzer ihm um 1 Uhr nach. Kneipen im Waldhorn und reiten nach Niedernau, wo wir baden und etwas essen. 9% «nt Tor. 14. Juni 1818. Spaziergang nach Lustnau. 1) Dannwolf, Friede., ans Tübingen, Student. 2) Würtemberger, Christ. Friede., jur. ans Tübingen, imm. 27. Nov. 1817. 3) Römer, wohl Christian Gottlob, Stiftler, imm. 29. Okt. 1813.

Endige mein Manuskript der Dogmengeschichte. Abends der junge Gaab*) bei Becker, wo wir musizieren. 18. gutti 1818. Donnerstag morgens treten drei Landsleute, welche mit den vorigen Tag angekommen sind, in mein Zimmer. Großer Kommers wegen der Schlacht bei Watterloo12)----- hole mir einen Dampf, in welchem ich viele hundert Pereat ausbringe. 19. Juni 1818. Hole mir die bestellten Pfeifen und Rohre von den Landsleuten ab. 24. Juni 1818. Mittwoch fahren wir in die Nebelhöhle. Sind die Nacht hindurch auf dem Reutlinger Balle auf der Post. Eingekehrt ins Lamm. Nur wenige können tanzen wegen dem zu großen Ge­ dränge. Um 4 Uhr fahren wir weg. 25. Juni 1818. Mache Beckers Vater eine Visite. Abends Konzert, wo 6 Personen das ganze Personale des Publikums ausmachen. 28. J««i 1818. Erste Zusammenkunft zu philosophischen Gesprächen in einem Landhause .. Nachmittag zu Fritz und Frau Schwabin. Alter Harfenspieler auf der Chaussee. Abends Museum Bier. 1. Juli 1818. Barbiere mich — !— in. Juli 1818. Gehe mit Modjer3) nach dem Essen krebsen und fischen. 19. Juli 18x8. Prof. Holzmann4) aus Karlsruhe kommt auf einen Besuch nach Tübingen. Wir machen mit ihm einen Spaziergang ins Bleßbad, wo wir Bier trinken. Gespräche über und von Pestalozzi auf dem Gang hin und her. Ich esse mit ihm im Hirschen, wo der Wirt besoffen ist, so daß er den Professor für den Großvater von Sprötz ansieht. 20. Juli 1818. Führe den Herrn Professor in die K. zu den Grab­ mälern aufs Schloß, und in die Höhle im Oesterberg. 15. Juni 1818.

1) Gaab, Ludwig, Sohn des Prälaten, Mathematiker, Armine, gest. 1869 als Oberbaurat in Stuttgart. 2) Das Watterloo-Fest, jahrelang eine großartige Veranstaltung der Tübinger Studenten, meist unter Führung der Burschenschaft. g) Modjer, Franz, theoi. aus Kronstadt, Schwabe, imm. 22. Juni 1818. 4) Holzmann, Johann Michael, Professor.

2i. Juli 1818. 5 Uhr fahren wir fort, ich mit Professor und seinem

Sohn Julius im Kabriolett, die Schwaben committieren. Wir fuhren durch Reutlingen, Metzingen bis Neckarthailfingen, wo wir über­ nachten, Dienstag morgens trennen wir uns und fahren nach Tü­ bingen zurück, er aber geht den Neckar hinunter. 25. Juli 1818. Ein halb 3 Uhr gehe ich in Gesellschaft aller Lands­ leute auf das Wurmlinger Kapellchen. Essen im Auerhahn Milch. Auf dem Rückgänge begegnet uns Becker. Z47 Uhr sind wir schon wieder zu Hause. Tübingen, den 25. Juli 1818.

Teuerste Eltern! Geliebte Schwestern! Endlich haben wir hier Wetter, wie es im Sommer sein muß. Lange Zeit war es unge­ wöhnlich kühl und die Besorgnisse wegen möglichem Mißrats trie­ ben die Preise der Früchte wieder etwas in die Höhe. Den 1. Juni stand das Thermometer auf dem Geftier punkt. Die Weingärtner mußten während dieser Zeit auf ein durch die Trommel gegebenes Zeichen starke Rauchfeuer in den Weingärten anzünden. Alle Halden waren von einzeln stehenden Feuern wie von niedergefallenen Ster­ nen besät. Wenn ich diese kalten paar Täge über um 6 Uhr morgens in die Algebra aufs Schloß ging, so fror es mich tüchtig ans Näschen oder um austichtig zu reden, an meine Nase (ich setze den letz­ teren Zusatz mit Fleiß hierher, damit sich nicht etwa die Schwestern der Hoffnung überlassen, als wäre meine Nase kleiner geworden). Gottlob, wir sehen dieses Jahr einer gesegneten Ernte entgegen. Die Sichel geht schon ins Feld und alle Felder stehen im Golde da. Wenn ich durch die Fußpfade zwischen gebeugten Aehren gehe, so setze ich mich in Gedanken auf den Eichelt, auf den Hallerberg; die Frau Mutter selbst ftoh zwischen vergnügten Arbeitern — da wird mir so wehe ums Herz, ich möchte Euch nur einmal an mich drücken und dann wieder geschwind wie der Blitz durch die Luft in Tübingen sein. Leider will der Mensch auch etwas Körperliches haben, —ich bin ja bei Euch mit meinen Gedanken, ich umschwebe Euch, höre Euch von mir sprechen, und dennoch entsteigt mir der

Wunsch, Euch mit diesen meinen Augen zu sehen, mit diesen Armen zu umschließen. Die Zeit eilt ja geschwind, noch zwei Jahre und sie stellt mich in Euren Kreis. Euer Brief vom 5. Juli, den ich den 23. erhielt, ist wie mit Essig und Honig gemischt. Die Sprache ist so feierlich und ich habe jede Silbe studiert, um womöglich die Ursache zu entdecken, die Euch in diese Stimmung versetzte. Das Briefchen von der Frau Mutter scheint mich auf die Schaaser Angelegenheiten aufmerksam machen zu wollen. Vermutlich habt Ihr daselbst Verdruß gehabt, ich merke auch von welcher Seite. Die Menschen sind nun einmal so. - Gibts ein Ungewitter, so gibts auch wieder Gegenden, wo schönes Wetter ist. Der Storch erhebt sich, wenn es regnet, über Wolken und Regen in die höhere Region, wo die Sonne scheint. Tut es mir zuliebe und laßt Euch von nichts anfechten. Der Eigennutz verleitet oft die besten Menschen zu Schritten, die sie ohne diesen Sporn nie getan hätten. Wenn man es nur immer könnte! — Meinen weitschweifigen Brief vom 13. d. M. werdet Ihr bis jetzt vermutlich erhalten haben. Ich sehe mit großer Begierde Eurer Antwort entgegen. Zu Freund Flaischlen bin ich noch nicht gewesen — aber ich gebe Euch mein Wort, ihn noch vor meiner Abreise zu besuchen. Er ist von hier zwei starke Tagesreisen. Eure Aeußerung, daß es Euch lieb wäre, ist mir ein Befehl, — ich selbst wünsche die Bekanntschaft Eures Freundes, des Freundes meines besten Vaters zu machen. Morgen gehe ich zum Geistlichen von Steigenbusch, den ich noch nicht besucht habe. Heute ging ich mit den Landsleuten um zwei Uhr morgens auf das Wurmlinger Kapellchen, wo wir den Auf­ gang der Sonne feierten. Ohngefähr seit 14 Täge» leide ich an Hämorrhoiden, die mir im Sitzen und Gehen beschwerlich waren. Motion hat mir geholfen, ich spüre beinahe nichts mehr. Gestern war ich zu Frau Stadtschreiberi», die mir den Antrag machte, ich sollte ihr einen Brief zum Einschließen bringen. Wie Ihr seht, so habe ichs getan. Eurer Bekanntschaft, Eurer Erinnerung

freut sie sich sehr. Um das Zettelchen nicht zu groß zu machen, schließe ich. Heute noch schreibe ich an Herrn Onkel in Reußen, an die liebe Frau Großmutter und Frau Schwester Gergeriv. Herrn Prediger nebst Klein und Groß, Benj. Schlosser, die Schullehrer, ganz Kleinschelken lasse ich grüßen. (Ohne Unterschrift.) (Ans dem Schreibkaiender.) 29. Juli 1818. Trinke zu Holzmann Schokolade. 2. August 1818. Morgens Visite bei Herrn Eschenmayer, dann bei Gaab

und da er nicht zu Hause ist, so unterhalte ich mich mit ihr, oben bei seinem Sohn. Nach dem Essen zu Fritz, wo ich Kaffee trinke, nach dem Abendessen mache ich einen Spaziergang mit Bärlinx), später zum Musikdirektor Silcher1 2),3 der uns Wein aufwixt. Wir bleiben da bis nach i2 Uhr, dann begleiten wir den Musikdirektor Schlüpf2) aus Blaubeuren bis in die Krone, wo wir erst nach dem unbändigsten Lärmen eingelassen werden; Streit mit dem Torwart. 4. August 1818. Laufe mit Salzer und Becker ungewöhnlich viel her­ um, um uns eine Chaise mit 4 Pferden zu bekommen. 6. August 1818. Nach dem Essen versammeln sich mit nach und nach die Begleiter des Duffner, der heute ins Philisierium einzieht. Wir, Salzer und Becker, haben eine Chaise mit 4 Pferden, werden an der Burgsteig der Münzgasse zu umgeworfen. Niemandem fehlt etwas. 3n Rottenburg kneipen wir uns im Röm. Kaiser ein, gehen dann in die Klause wieder zurück. Nehmen sehr schweren Abschied von Duffner. Auf dem Rückweg weint der Becker laut, ich heimlich, Salzer kontempliert und die beiden Frankfurter A. und Schiele, die wir mitgenommen hatten und die abwechselnd ritten oder fuhren, wissen nicht, was wir an Duffner verloren haben. Trinken, in Tü­ bingen angekommen, Maraskino zum Salzer. Komme, weil mich die Reitstiefel gedrückt haben, in Socken nach Hause. 7. August 1818. Schneide alle Dukaten aus der Weste heraus, finde 1) Bärlin, Heinrich, theoi., imm. 7. Dez. 7815. 2) Musikdirektor Friedr. Silcher, 1789-1860. Fruchtbarer Komponist. 3) Schlüpf vom evang.-theol. Seminar in Blaubeuren.

tot Ganzen, nachdem ich zwei verzehret habe, noch 52. Wechsle von Salzer 3 französische Louisdor ein, weil ich glaube, ich würde in der Schweiz besser damit fortkommen. 8. August 1818. Las Bengel nicht, well er morgen predigen soll, y. August 1818. Mache Visite bei Ferd. Gmelin Dr. jur. cand. — und Prälat Gaab. i;. August 1818. Da Herberth zum letztenmal auf den Kommers ging, so fand denn auch ich mich ein. Nach meiner Aeußerung, daß das Bier doch zu teuer sei, entstand mit Fritz, dem Sohn des Hauptzollers Rüp, der sich im Zorne ganz unbändig stellte, lein Streitl. Ich ging fort und segnete das Haus. Amen. 20. August 1818. Herberth, der nach Hause geht, Schottes und ich fahren in einer Trotsche 5 Uhr morgens von Tübingen bis nach Urach, wo wir zu Mittag essen. Ich und Herberth laufen bis Böh­ ringen (2 St.), hier gibt man uns ein schlechtes Pferd, wir kehren zu Fuße um und lassen uns dem Accorde gemäß 2 geben. Schimpf­ worte des Fuhrknabenswegen des Trinkgeldes. Blaubeuren. Morgens zum Musikdirektor Schlüpf. Hübscher Klosteraltar; komme in U l m 2 Uhr an. Ulm, den 20. August 1818.

Liebe Eltern! Wider Euer Vermuten erhaltet Ihr einen Brief aus Ulm, wo ich heute um zwei Uhr mit meinem guten Freunde Herberth eintraf. Dieser liebe Landsmann ist im Begriffe ins Vater­ land zurückzugehen und da er so gütig ist, ein Briefchen an Euch mitnehmen zu wollen, so unterließ ich denn diese Gelegenheit nicht, von den Ufern der Donau Euch Glück, Gruß und Gesundheit zu entbieten. Ich wurde so wehmütig gestimmt, als ich die Donau aus dem Fenster des Wirtshauses zur Sonne erblickte, wo ich wußte, daß auch Ihr, wertester Vater, gestanden wäret. Ich hätte Lust ge­ habt, mit dem Strome hinunterzuschwimmen, um unvermutet au Eure Türe anklopfen zu können und Euch in die langentbehrten Arme zu sinken. Doch nicht —es ist noch nicht Zeit, aber den Wunsch meines sehnsüchtigen Herzens werdet Ihr verzeihen. Diesmals kam

ich nach Ulm, um Euren Freund Flaischlen in Langenau aufzu­ suchen, auf dessen Umgang ich mich so sehr steue. Es ist der Freund meines edlen Vaters! Aus seinen Einladungen sehe ich in ihm einen guten biederen Deutschen und es soll mir keine geringe Freude verursachen, ihn und Euch mir in Eurer Jugend vorzustellen, wie Ihr Arm in Arm Gespräche über die verschiedensten Gegenstände werdet geflochten haben. Bor 33 Jahren schlosset Ihr die Freund­ schaft und Eure Söhne liebet Ihr, weil Ihr Euch liebtet! Die Flamme der Freundschaft, die Ihr in Eurer Brust entzündetet, soll mir eine gute Aufnahme bewirken und ich soll mich daran wärmen. Es ist doch was Großes um die Sache: für unbekannte Schnitter zu säen und für kommende Geschlechter zu pflanzen! Morgen 6 Uhr pilgere ich nach Langenau. Von meinem Aufent­ halt und meiner Rückreise sollt Ihr ein getreues Bild erhalten. Mein Freund Herberth, der jetzt auch der Eurige ist, wird, er hat es mir versprochen, Euch bei seiner Heimreise besuchen und ich darf denselben Euch nicht weiter empfehlen. Sollte er von Müllbachx) gerade nach Mediasch gehen, so wird er bei seinem vermut­ lichen Eintreffen in Abstdorf Euch gewiß aufsuchen, oder, falls er den Weg über Hermannstadt einschlagen sollte, von Marktschelken hinüberkommen. Ueber Tübingen und dem Leben daselbst wird Euch Herr Herberth allerlei zu sagen wissen; ich überhebe mich daher dieses Geschäftes, da ohnedies jede geschriebene Beschreibung eine papierene ist und des Geistes entbehrt. Ich empfehle Euch meinen Freund bestens und bin versichert, daß Ihr in seiner Gesellschaft einen angenehmen Abend haben werdet. Ich bin vollkommen gesund und wünsche Euch in ebendenselben guten Zustand! An Herrn Onkel, Frau Großmutter, Frau Schwester Gergerin, an die ich bereits geschrieben, tausend Grüße und Empfehlungen! Herrn Prediger, dem ich noch eine Antwort schuldig bin, lasse ich nebst allen Freunden in Kleinschelken grüßen. Euer durch Eure Liebe glücklicher Sohn und Bruder St. L. Roth. 1) Richtig: Mühlbach i. S.

Zwei Stammbuchblätter aus -er Tübinger Zeit

Das erstere befindet sich im Besitze der Frau Marianne Ongyerth, Kronstadt (veröffentlicht im Klingsor i.Jahr, Heft 6), das zweite im Besitze des Herr» Reg.-Rat Georg Schmidgall, Ellwangen. 1. Das Leben des Einzelnen ist sphärisch geschlossen und vorgeschrieben. So folgt der Mensch seines Schicksals Stern, der nur in den Tiefen seines Innern ruht. Den Weisen und Frommen leuchtet aber der göttliche Strahl der Offenbarung vor. Tübingen, den 14. Angust 1818. Symb.: Ich bin Dir, was Du mir.

Deiner Liebe sich empfehlend schriebs Dein aufrichtiger Freund Steph. Ludwig Roth. 2. Wir belohnen eine Tat nach ihren Folgen. Was ihr Ursprung war, gehört vor den Richterstuhl der Gottheit. Und so kommt es, daß der Bösewicht oft ein Held, und der Tugendhafte ein Schurke ist. Tübingen, den 18. August 1818.

Diesen Sinnspruch schrieb zum Andenken Dein Freund Steph. Ludwig Roth, Theolog aus Mediasch in 7-bürgen. (Aus dem Schreibkalender.) 22. August 1818. Von Ulm begleitet mich Herberth bis auf die erste

Anhöhe, dann Lebewohl! Ich treffe bei dem biederen Flaischlen in Langenau UM 10 Uhr ein. (Siehe Brief vom 24. Sept. 1818.) 23. August 1818. Sonntag nachmittags besuche ich Herrn Helfer Diete­ rich, der mir seine schriftstellerischen Arbeiten zeigte. I« sein alpha­ betisches naturhistorisches Werk von 2 Bänden trug er mehrere Sachen, die ich ihm zu sagen wußte, ein. Naturalienkabinett — unordentliches Studierzimmer. Ich wollte den folgenden Tag fort­ reisen, allein Herr Pfarrer gab es nicht zu. 24. August 1818. Nachmittag kommt Herr Pfarrer R. E. von Darm­ stadt mit seinem Mkarius Stettner auf einen Besuch, der auch mir Unterhaltung macht; offene Leute. Folberth, St L Roth

I.

35. Airgnst 1818. Morgens 4 Uhr geht Pfarrer Flaischlen mit mir bis Heidenheim. Gespräche über seine Heiratskuppelei, lebt mit seinem Schwager auch nicht gut. Stummer Abschied, der beredt genug war. Wir beide und später ich allein verirrten uns. Geislinger Steige bringt mir den Rest. Sehr müd. Turne auf den Felsen. Beständiges Fluchen der Wirtin. O jerum, was vor ein Haus! Ich kam in Göppingen äußerst müde an. Morgens von 7-10 in der Mädchenschule; dann ins Bad, von dem ich mir Kopfweh hole. Nach dem Essen machen wir in der Mädchenschule Quartette. Um 4 Uhr fahre ich mit einem Einspänner bis Plochingen. Esse da den herrlichsten Pfannkuchen bei einem sehr neugierigen Wirten. Gedeckte Neckarbrücke. 27. Angnst 1818. Wie ich vor N e u h a u se tt komme, erkundige ich mich nach dem Herrn Pfarrer, welcher auf der Totenbahre liegt. Ungewißheit, ob ich ins Totenhaus gehen soll. Mir wird sehr freundschaftlich begegnet. Der Vikar macht mir nicht die beste Schilderung vom Hauswesen. Der Hauptmann äußerst gefällig, schlafe auch da. 28. Angnst 1818. Begleite die Leiche, ich war in der Kirche bei der Musik; der tolerante Herr Pfarrer aus Töpfer-Neuhausen geht um den katholischen Altar beim Opfer. Nach dem Essen fahre ich mit Herrn Dekan Sinz aus Stuttgart und Herrn von Lange über Eßlingen nach Stuttgart. Uebernachte im Petersburger Hof. 2y.Angnst 1818. Ueber Schwieberdingen nach Nußdorf, wo der Pfarrer verreist ist. Bevor kaufe ich mir in Stuttgart einen Hirsch­ fänger. Unterhalte mich abends mit Gräfin und Tochter von Reu­ schach 1), die dem Pfarrhause einen Besuch machten. 30. August 1818. 7 Uhr gehe ich fort, spreche in Eberdingen ein, der Herr Pfarrer ist im Haberbad. In Böblingen nehme ich mir ein Reitpferd und reite bis oberhalb Bebenhausen und von da ein halb 10 nach Tübingen zu Fuße. I. September 1818. Zu Herrn Bohnmaier2), den ich um Recommen1) Graf Reuschach ist der Patronatsherr der Pfarrei Nnßdorf. 2) Bohnmaier, Jonathan Friedr., Professor der Theologie, wegen seiner

dationen anspreche. Zu Ferdinand Gnrelin um Zeugnisse. Nehme von Fr. v. Hollandin Abschied; treffe da die Töchter des Dichters Haug (Friedrich Haug 1761-1829). 2. September 1818. Zu Bengel, Bohnenberger *) und Eschenmayer. 3.September 1818. Donnerstag Frühe wird jur Reise eingepackt. Von Gmelin die Recommendation. Beurlaube mich bei Prälat Gaab. Die Bücherschuld an Laupp übernimmt Flaischlen, dem ich noch 3.30 gebe, da er mir 2 fl. schuldig war. Blittersdorf führt uns nach Hechingen; Punkt 2 Uhr — Anlagen. 4. September 1818. Von Hechingen bis Ebingen 5 Stunden. — Nach einer Stunde, wo wir in der Irre herumlaufen, nach Stetten am kalten Markt (3 Std.) — Tiergarten (1 Std.). Durchs Donautal beim pittoresken Schlosse Hausen und .. wo wir Milch essen. In Meßkirch .. in der Kirche die jwei messingenen Epitaphien von den Grafen von Zimpern, und ein altes Gemälde von vor­ züglichem Werte. Unser Wirt führt uns auch ins Schloß, meisten­ teils durch Waldungen bis S., wo wir übernachten, da uns unsere Füße nicht mehr weitertragen wollen. 6. September 1818. Von S.—Stockach I Std. Auf dem Wege ver­ liert Jüngling*2) 1mein Perspektiv. Boulet von Mezira aus Stubachtal, der in Extrapost fährt, gibt mir seine Adresse und fügt eine Einladung bei. In.. trinken wir Most. Prediger in der gegen­ überstehenden Kirche, der so arg schreit. Von hier bis Ueberlingen 3 Std., immer dicht am See führt der Weg; Wohnungen in den Felsen der alten Deutschen. In Ueberlingen kehren wir im Löwen ein. Machen eine Visite bei Herrn Vanotti, der uns mit vieler Freundschaft feiert. Er zahlt sogar das Ueberfahrtsgeld bis Dingels­ dorf; eine halbe Stunde bis Mainau — schöne Aussicht vom Schloß. milden Beurteilung von Sands Tat (Mörder Kotzebues) 1819 als Dekan nach Kirchheim versetzt, gest. 1841. 1) Bohnenberger, Johann Gottlieb Friedr., 1765-1831, Mathe­ matiker und Astronom, Professor in Tübingen. 2) Am 12. Nov. 1818 wird in Tübingen ei» Karl Jüngling aus Streitfort in

Siebenbürgen immatrikuliert.

Waschen uns die Füße jenseits des Steges im See. Nach einer Stunde in C o n st a n z im Stern dicht an der Brücke. 7. September 1818. Morgens tröpfelt es. Münsterkirche mit gotischem Schnitzwerk — Pfarrkirche — Konzilienhaus — wo die zwei Stühle stehen, wo der neugewählte Papst Martin der V. und Sigismund saßen, Huß — Mantel. Grobe Polizei in Jägersweiler. Bon Ermatingen über den See nach Reichenau, wo Pirminius im XVI. Jahrhundert eine Benediktiner-Abtei >) anlegte. Reliquien, Gebeine des heiligen Maurus und ein Zahn; Krug von der Hoch­ zeit zu Kanaan; zwei Dornen von der Krone Christi und Holz vom Kreuz, etliche Tropfen h. Blutes, 28 Pfund schwerer Smaragd oder Glasfluß. Bon Berlingen, wo wir landen, marschieren wir bis Mamern. 8. September 1818. Regen mit heftigem Wind. Verdächtiger Hausterer. Weil es regnet bleiben wir da bis 4 Uhr nachmittags. Stadt Stein am Rhein — lassen uns in die Stadt überschiffen, da die Brücke ruiniert ist. Spitzer Turm, viele Schilder an den Häusern. Inschrift an der Kirche. 9. September 1818. 3n Schaffhausen: Kirche — Burg Munot — Promenade — Stadt — über Schlösse! Laufen nach dem Wasser­ fall. Zank mit dem Schiffsmann wegen dem Fuhrlohn — Friedens­ richter — Schlafen in Bülach. 10. September 1818. Trübes Wetter — 11 Uhr in Zürich im Storch. Gegen Abend zu Nägeli12). Zu Mittag treffe ich beim Essen drei Münchener Studenten an: August Merk, Franz Pauer rc. 11. September 1818. Zu Herrn Pfarrer Geßner, zu Nägeli — SchloßInstitut. Singschule, Flötist aus Wien. Nach dem Essen reisen meine zwei Reisekompagnons Jüngling und Holzmann ab. Ge­ wissermaßen bin ich ftoh, daß ich frei bin, weil der Holzmann ein schlechter Fußgänger ist und über alles klagt. Promenade zum.. starker Nebel — regnet wenigstens nicht. Nägeli. 1) Richtig: im 8. Jahrhundert. 2) Nägeli, Hans Georg, 1773-1836, Komponist, ehemaliger Musiklehrer Pestalotjis, der „Sangesvater Nägeli".

Blindeninstitut: die Kinder lesen durchs Gefühl der Hände, ebenso Notensingen; schreiben ziemlich; rechnen durch Stifte, die sie in ein Brett setzen. Kaufe mir ein Geldbeutelchen, Uhrbandel und Schnur, welche diese Kinder gearbeitet haben. — Singstunde im Waisenhaus. Trinke mit den zwei Kaufleuten: Leis­ ner und Wasner im entfernten Wirtshäuschen guten Wein. Abend­ gespräch mit Offizieren an der Tafel. IZ. September I8i8. 2fo der Waisenhauskirche bei Füsi, der den größten Zulauf hat. Abschied von Nägeli: Messe von Bach. Am Seeufer gehe ich nachmittag bis Richterswyl. 14. September 1818. Großes Fest der Katholiken in Mariaein­ siedel n. Außerordentliche prächtige Benediktiner Klosterkirche. Bibliothek und Natnralienkabinett — junger Benediktiner, der auf der Universität Freiburg studiert hat. Gehe umher mit einem jungen Züricher Kaufmann Maier. Den verlorenen Tabaksbeutel geben mir Züricher Frauenzimmer zurück. 15. September 1818. Gehe mit Jul. Z. Brause, Kaufmann aus Alt­ dorf, bis nach Schwyz, ein unschuldiges Wallisermädchen aus Sion kommt mit — das Mädchen, naiv wie ein Kind und schön wie eine Blume, vergiß ich nicht! — Fahre über den Lowerzersee; Goldauertal; Bergsturz; Rigi, wo ich auf der Staffel übernachte und im Stroh schlafe. Mache die Bekanntschaft mit Herrn Hiasberg, Ober­ appelationsrat aus München und Sohn. 16. September 1818. 5 Uhr Sonnenaufgang auf der Kulm; steigen herab nach Küßnacht, wo wir Teils Kapelle sehen. Puntt 12 Uhr in Luzern, nachdem wir bei der Habsburg vorbeigegangen waren. Nachmittag sehen wir die Brücke mit den vielen Bildern; gehe um die Stadt; auf eine Anhöhe; Basrelief von den kleinen Cantons; Kirchhof. Die Lage von Luzern am Fuße des Pilatus am See ist äußerst schön. 17. September 1818. Starker Regen durch die Nacht — morgens be­ sehen wir die Kirche. Auf der Reußbrücke der Totentanz. Bei un­ gestümer See langen wir in Gersau an, betrachten die sehr schöne Kirche, bis daß wir in Flüeln ankommen ein beträchtlicher Sturm. iS.

September i8i8.

Yz Stündchen Altdorf. Hier stand der Hut, vor dem sich Wil­ helm Teil nicht entblößen wollte, hier die klassische Stelle, wo er seinem Knaben den Apfel vom Kopf herunter schoß. 18. September 1818. Kaufmann Brause, mit dem ich von Einfiedeln bis Schwyj gegangen war, besucht mich, führt uns ins Kapuzinerkloster und nach Bürgten. Schulmeister Triner: Landschaftsmaler. Tells Kapelle und Haus; äußerst romantisches Dorf. In einem neblichten Wege gehen wir auf schmalem Saumpfade nach Wasen, wo wir übernachten. Auf diesem Wege sehen wir die Schloßruinen: Silenen und Zwinguri. 19. September 1818. Teufelsbcücke — Urner Loch, wie man heraus­ tritt, öffnet fich unerwartet ein Tal, an fich nicht so schön, als durch den Abstand mit der durchgangenen Gegend. Zu Mittag bei den Franziskanern in Realp; Führer über Furka, den Rhonegletscher vorbei auf die Grimsel ins Spital, bei sinkender Nacht der furchtbarste Weg. 20. September 1818. Vom Grimselspital kommt man immer mehr aus der Wildnis. In Handeck Zicher (Urda) herrlicher Fall der Aar. Zwei rings umschlossene Täler; im Tal, im Grund: Mei­ ringen. Im Haslital, welches fich vom Grimsel bis Meiringen zieht, sehr hübsche Leute! — 21. September 1818. Von Herrn v. Hiasberg, Oberappellationsrat aus München samt Sohn, die die Reise vom Rigi bis nach Mei­ ringen mit mir machten, trenne ich mich — er schreibt mir auch ins Stammbuch. Ich gehe nun mit Herrn Rittmeister v. Rottenburg. Reichenbach — ich steige ganz in die Tiefe. Prächtige Felsengestalten — erst hören wir Lawinen stürzen, später sehen wir 5-6. Grindelwald-Gletscher besteht aus purem Eise (Kinder an der Straße bieten Mineralien an). 22. September 1818. Ueber die Wengern-Alp, an deren Fuße der Reichenbach einen prächtigen Wasserfall bildet, nach Lauter­ brunnen. Auf diesem Wege kamen wir an der großen und kleinen Eiger, am Mönch und an der Jungftau vorbei, sahen aber noch das Mittagshorn rc. ic. Gehen noch diesen Abend an den Staubbach.

Nach 6 wieder zum Staubbach. Ueber ZweiLütschinen nach Jnterlaken und Untersten,wohin mich Herr Rittmeister von Rottenburg begleitet. Glücklicherweise traf ich, da die Post schon abgegangen war, zwei Engländer an, mit denen ich in 3 Stunden nach Thun fuhr. Hier kehre ich ein wenig im Frei­ hof ein, genieße bei der Kirche auf dem Schloß die schöne Ausficht und fahre endlich um 5 Uhr mit einer Retour-Chaise ab, komme in Bern um 8 Uhr an, wo ich im Distelzwang einkehre, wo ich Herrn Leidner finde. 24. September 1818. Laufe mit Herrn Leidner bis 10 in der Stadt herum, dann gehe ich zu Prof. Hünerwadel. Aber Tafel esse ich mit Herrn Fellenbergx) aus Hostvyl, ohne daß ich weiß, wer er ist. 2Z. September 1818.

Bern, den 24. September 1818.

Meinen Gruß zuvor meinen lieben Eltern und Schwestern! Ich habe lange nicht geschrieben — meinen letzten Brief brachte Euch Herr Herberth. Ich hatte ihn bis Ulm begleitet, von wo aus er dem väterlichen Herde zueilte. Der Abschied fiel mir schwer. Den 22. Au­ gust trat ich ins Langenauer Pfarrhaus, wo mich der alte Flaischlen in aller Freundschaft empfing. Es ist doch was Edles um die Freund­ schaft! 200 MeUen entfernt komme ich als ein Fremdling an und hier sinkt mir jemand an die Brust, der mich nie gesehen und ge­ sprochen hat und doch liebt er mich und ich ihn. Hier, wo keine Convenienz gebot, wo kein Eigennutz wirken konnte, hier ist doch wohl nur der Gedanke an den fernen geliebten Freund die Flamme, die uns warm macht für solche Gefühle und Teilnahme. Ihr, bester Vater, und Ihr, geliebte Mutter und Schwestern, wäret der be­ ständige Gegenstand seiner Fragen und meiner Ergießungen. Ich mußte das Haus, den Hof und Eure Miene, Eure Beschäftigungen, alles, alles beschreiben. Ich tats, Gott weiß's, gerne; ich hatte ja dabei das große Vergnügen mich überall wieder umzusehen: im fteundlichen Gärtchen, im reinlichen Keller, in der sonnigen Stu1) Fellenberg, Philipp Emanuel von (1771-1844), Pädagog, Leiter einer blühenden Erziehungsanstalt in Hostoyl.

dierstube, in den geräumigen Ställen, und überall, überall begegnete ich Euren holden Gesichtern, Euren Blicken, die mich immer, wenn sie heiter sind, so glücklich machen. Seht, aus diesen Blüten und Blumen flocht ich mir und ihm die genußreichen Kränje der Erinnerung, die uns die Läge, wo ich hier verweilte, so steuadlich bei der Hand nahm und uns in die Felder vergangener Zeiten führte. Das Vergangene ist bald vergangen, wenn man nicht dann und wann auf der Bahn stille steht und die Täler und Gegenden übersieht, wo man hinüber-gewandelt ist, und je größer die Entfernung ist, je mehr hüllen sich die Gegenstände in Nebel ein und nur die interessantesten Sachen ragen noch, wie große Gebirge, aus der allgemeinen Dunkelheit hervor, oder sie strahlen wie Abendsterne herunter. Ist nicht die Ver­ gangenheit ein Kirchhof, wo man mit einem Kreuj, mit einer Trauerweide oder einem Rosenstock die Stelle bezeichnet, wo etwas für uns abgestorben ist? —Auf die Letzt hat man nichts als die Er­ innerung. Eure akademischen Jugendjahre blätterten wir wie ein Liederbuch durch; Allegro und Adagio, Piano und Forte, Moll und Dur wechseln wohl nicht nur hier, sondern in der ganzen Welt ab; durch Eure Freundschaft wart Ihr glücklich. In Tübingen hab ich nur zwei von Herzen geliebt — ach, es war keiner, der die Mutter­ sprache verstand. Bin ich denn gar zu kalt, daß sich niemand wünscht, an meinem Busen auszuruhen oder bin ich zu heiß, daß meine Flamme niemand vertragen kann? Je nun — ein großer Trost liegt mir darin, daß nicht dieses Herz aus Staub und diese Brust aus Moder Bündnisse schließt und trennt, gute Seelen suchend nicht auf dieser armen Erde, sie begegnen sich auf den Sternen ihrer Ideale, in dem Brennpunkt ihrer gleichen Stimmung, ihres glück­ lichen Eins-seiens. Nun, so sage aber etwas von meinem Freund Flaischlen! höre ich Euch in meinem Geiste sagen. —Herr Pfarrer ist derselbe, wie Ihr ihn mir beschriebet, der steundliche, fröhliche und ordentliche. Auf seinem Tische steht es so nett aus, daß man glaubt, er habe nur diesen Augenblick aufgeräumt und versorgt. Immer, wenn er was braucht oder wenn er etwas gebraucht hat, legt er es aufs Haar in

dieselbe Lage und Stellung. Seine Kirchenbücher sind vielleicht am besten versorgt im ganzen Königreich; doch darüber hat er Euch schon geschrieben oder wird es tim. Er ist ein rechter pastor dei1). Seine Gemeinde liebt ihn und schätzt ihn rc. Seine Frau ist ebenso seelengut und die Liebe zu seinem Sohne, die sie bewiesen hat, macht ihm sie lieb nnd wert —nur ist ihm seine Heuratsgeschichte äußerst ärgerlich, da er, wie er sich selbst des Aus­ drucks bedient, an sie verkuppelt worden ist. An dem Begräbnistage seiner ersten unvergeßlichen Frau machte ihm sein jetziger Schwager schon Vorschläge, läßt Worte von Reichtum fallen, ladet ihn ein; nun, er geht mit in der Hoffnung, es wisse niemand etwas von der Sache außer ihnen beiden; zu seinem großen Ärgernis wird er als Herr Sohn gegrüßt usf. Der Reichtum hat sich nicht gefunden, sie hat einen kürzeren Fuß, kurz —wäre sie nicht sonst brav, so könnte» beide unglüMch sein. Diese Geschichte, wobei er sich mit vieler Wehmut seiner ersten Gattin erinnerte, erzählte er mir, als er mich einen fünfstundenlangen Weg begleitete, vermutlich in der Absicht, es Euch einmal erzählen zu können. Es kann Euch dieses vertraute Gespräch dazu dienen, um Euch von seinem großen Vertrauen auf Euch und von seiner Offenheit gegen mich zu überzeugen. Er ver­ gaß mein ungleiches Alter über dem Sohn seines Freundes und wir wandelten nebeneinander wie zwei akademische Freunde, die sich erprobt haben und ihrer Treue und Freundschaft sicher sind. Bei­ nahe stumm war unser Abschied — unter kurzen Versprechungen aufs Wiedersehen trennten wir uns. Seine letzten Worte waren: Es kann nimmer lange dauern, so sehen wir uns mit Ihrem Herrn Vater dort droben. Er wußte nicht, wie wehe er mir tat und wie große Schmerzen das dem Sohn machen kann, was dem Freunde Hoffnung und Vergnügen schafft. Da, da wird wohl manches Mor­ genrot lange genährter Sehnsucht aufgehen und manche Perle steudigen Entzückens in dem Auge zittern.. Gang ist dunkel, nur das Menschenherz scheuet sich davor. Wie still ist es doch in einem deutschen Pfarrhause! Eine einzige 1) Gotteshirt.

Magd war Köchin, Kammermädchen rc.; leise schritt sie über den gescheuerten Boden, drückte sachte auf die Schnalle, aß mit am Tisch — und war so gut wie ein Kind im Hause. Zwei Katzen und ein Leibhukd waren das einzige Vieh aus dem Hause, noch gackerten zwei Enten und drei Gänse im Hofe. An das Haus selbst stoßen der Kraut- und Obstgarten, groß genug, um die kleine Haushaltung zu versehen und vor Mangel zu schützen. Beinahe zu ruhig war es mir, mir, der ich des Lärmens und der Jagd gewöhnt bin. Die Hausfrau strickt oder näht, die Magd kocht, der Herr Pfarrer schreibt, und dies geht alles so ruhig zu, daß man das Gras könnte wachsen hören. Wer stellt bei solchem Kontraste nicht Vergleichungen an? Wem ist es wohl nicht hier zu ruhig und bei uns etwas zu geräusch­ voll? Wer aber kann es ohne Nachteil ändern? Gern wüßte ich Euch und die so heißgeliebte Frau Mutter mehr geschont — aber liegt es nicht in den gegebenen Umständen, baß es nicht anders werden kann? Ueber Geislingen und Göppingen komme ich nach Neuhausen, wo ich den Herrn von Steigenetsch auf der Totenbahre antreffe. Ein Bauer, den ich ftagte: ist Euer Herr Pfarrer zu Hause, antwortete mir: ja. Was macht er? Er ist gestorben. Hier verweilte ich mich nur so lange, bis daß er zur Ruhe gebracht war. Man hat ihn im Leben für reich gehalten — wenn etliche Hunderte übrig bleiben, so soll es gut sein, sagte mir der Helfer. In Nußdorf traf ich den Herr Pfarrer Plessing nicht an — jedoch sie, die mich mit gewohnter Liebe aufnahm. Ich schlief hier über Nacht und kam den andern Tag müde in Tübingen an. In den vier Tagen, die ich noch in Tübingen blieb, hatte ich über­ mäßig viel zu tun. Die Besuche zu den Professoren, die Beurlau­ bungen von dem Schwarm guter Bekannter erhielten mich beständig auf den Füßen. Einen großen Teil der Zeit raubten mir die Aus­ zahlungen meiner Schulden, die ich alle rein bezahlt habe. Meine Hausleute weinten, als ich fortging. Ich auch; war mit ihnen zu­ frieden. Bis Hechingen begleiteten mich einige gute Freunde. Die Bezahlung der Kollegiengelder hat mir viel Geld weggenommen.

Hausmiete, Schneider- und Schusterkonto haben mir gerade nur noch so viel gelassen, daß ich bis Jferten gut auslangen kann. Noch sind die Lebensmittel in den Schweizer Wirtshäusern ungeheuer hoch, die vornehmen Reisenden machen es dem minder Begüterten beinahe unmöglich, auszukommen. Auf dem Schneeberg: Grimsel mußte ich für Butterbrod, Schlafen und Kaffee einen Kronentaler zahlen rc. Sollten es Euch die Umstände erlauben, so wollte ich Euch gehorsam um einen Wechsel nach Jferten bitten, derselbe darf gar nicht groß sein, weil ich an Ort und Stelle sehr wohl­ feil leben kann. Wenn ich auch mit meinem Gelde noch etwas längere Zeit auskommen sollte, so seid meiner Wirtschaftlichkeit versichert. Ohnmöglich ist es mir, jetzt Euch eine Beschreibung von meiner Schweizerreise zu geben; es liegen in meinem Kopfe noch alle Ein­ drücke übereinander und durcheinander, ich muß sie erst in besondere Gefächer bringen; jedoch will ich Euch die Hauptörter nennen, da­ mit ihr wenigstens meine Reiseroute wisset. Ueber Hechingen, Meßkirch, Stockach, Ueberlingen, Konstanz, Stein, Schaffhausen, Eglisau, Zürich, Richterswyl, Maria-Einsiedeln, Schwyz, Berg, Rigi, Luzern, Altdorf, Andermatt, Realp, über den Berg Furka, am Rhonegletscher vorüber, über die Grimsel nach Meiringen, Grindel­ wald, Lauterbrunn, Jnterlaken, Untersee, Thun, Bern, wo ich jetzt im Wirtshause: Distelzwang logiere. Von hier werde ich nach Neuchatel und dann über den See nach Yverdon an den Ort meiner Bestimmung gehen. Ich habe den ganzen Weg zu Fuß gemacht, bin sehr gesund und hoffe es noch lange zu verbleiben. Gebe Gott, daß auch Ihr alle gesund wäret. —Ich muß schließen, bald ein mehreres. Ihr meine Geliebten, Ihr meine Heißgeliebten .. liebet noch ferner Euren Sohn und Bruder St. L. Roth. (Aus dem Schreibkalender.) r;. September 1818. Besuche vormittags das untere Gymnasium, an

dem ich nichts als Mittelmäßiges finde, es sieht einer allgemeinen neuen Organisation entgegen. Ich bespreche mich mit Herrn Lutz,

den der SchLßburger Heinrich kennt und grüßen läßt.. Nach­ mittag trage ich Briefe auf die Post, sehe den Turnübungen zu und gehe endlich in die berüchtigten Matten. 26. September 1818. Ich mache Bekanntschaft mit einigen Studenten von der Akademie, die mich nach dem Essen, wo ich zu Hünerwadel speiste, in die Bibliothek, Naturalienkabinett, botanischen Garten führen, dann wird in einem entlegenen Garten commersiert. Es sind brave Jungen; Müller verehrt mir ein ftanzösisches Wörter­ buch, um mir im Französischen helfen zu können. 27. September 1818. Vormittags gehe ich in und um die Stadt spa­ zieren. Nachmittags 3 Uhr begleiten mich Müller, Ryffenacht und Steinhäusli bis nach sSchloßj Reichenbach, wo wir zum Abschied noch ein Glas Wein trinken. Abends komme ich durch H 0 fw y l, wo ich mit meiner Recommendation gleich Bekanntschaft mit Herrn Stäsele aus St. Gallen mache, der Geschichte und Geographie vor­ trägt, er begleitet mich bis ins Wirtshaus. 28. September 1818. Morgens werde ich Herrn Emanuel v. Fellenberg vorgestellt, dem ich meinen Plan entwickele; er gibt mir ver­ schiedene seine Anstalt betreffende Bücher, in denen ich von 10-4 ununterbrochen lese. Besuche dann Herrn Briegleb und Müller, mit denen ich Kegel spiele. Speise bei ihnen. 29. September 1818. Don 8-9 hospitiere ich im Griechischen bei Briegleb. Lese wieder, dann bei Fellenberg, der mir gewissermaßen einen Antrag macht, der darin bestehen sollte: mich als Lehrer bei ihm einige Zeit aufzuhalten und dann als Leiter oder Ableiter seiner Ansichten und seines Instituts im österreichische« Kaisertum, wie es Seine Majestät verlangen, ein neues Hostvyl zu gründen. Schön! Nur aber mit Sicherheit. Esse abends bei Tafel. 30. September 1818. Um 4 Uhr von Buxen fort — mein Führer hatte sich ein wenig verirrt. In Ortschwaben treffen wir uns be­ stellterweise mit Ryffenacht. Wir gehen zusammen bis Walperswyl, wo wir dann zusammen auf die Petersinsel fahren. Aufenthaltszimmer Rousseaus. Nach Neuenstadt, das keineswegs neu genannt werden kann. Regen und Sturmwind bis nach Neuenburg.

1. Oktober 1818. Schöne Aussicht vom Schloß; io Uhr gehe ich fort, es regnet. Eine Stunde vor Grandson, wo die berühmte Schlacht zwischen den Burgundern und Schweizern 1474 vorfiel, treffe ich mit Herrn Pfarrer zusammen, mit dem ich dann ein Ge­ spräch anknüpfe. Kehre im goldenen Löwen ein und komme gegen Abend in Jferten an, ganz genäßt und müde. 2. Oktober 1818. Pestalozzi und Schmid nehmen mich fteundschaftlich auf. Z. Oktober 1818. Niederer und Krüsi, zwei wackere Leute, ebenso Hauff. 5. Oktober 1818. Ziehe aus dem Wirtshaus in mein Logis, wofür ich monatlich 2 Neuthaler zahlen soll, lange genug hat mich der Ebenberger aufgehalten.

Bevor hier die weitere Veröffentlichung der Jfertener Aufzeichnungen erfolgt, dürste es dem Leser willkommen sein, einiges über die Verhält­ nisse zu erfahren, in die sich Roth sofort nach seiner Ankunft in das kleine Städtchen der französischen Schweiz versetzt sah. Eine umständliche Ge­ schichte der Unternehmungen Pestalozzis bis zu diesem Zeitpunkt würde zu weit führe» und es soll gar nicht versucht werden, seine reiche Ge­ dankenwelt rasch auf Formeln zu bringen, mit denen sich ebenso leicht als irreführend operieren ließe. Dagegen scheint es angezeigt, durch eine etwas eingehendere Erläuterung der Tagebuchnotizen vom 2. und 3. Okt. den Leser, der sich der Mühe nicht u»terziehen will, eines der unzähligen Pestalozzi-Bücher zur Hand zu nehmen, in die Lage einzuführen, die Roth bei seiner Ankunft in Jferten vorfand. Schlaglichtartig beleuchten jene knappen Aufzeichnungen diese Lage. Die vier darin angeführten Namen bedeuten ebenso viele Eckpfeiler, in die sich die Jfertener Welt einbeziehen läßt. Johann Heinrich Pestalozzi (12. Jan. 1746 bis 17. Febr. 1827) war damals fast 73 Jahre alt. Er hatte ein Leben reich an Ereignissen und Enttäuschungen, Wechselspielen des Schicksals, hinter sich. Er war Landwirt, Industrieller, Armenvater, Erzieher, Schriftsteller, Schnlmeister gewesen. Alle seine Unternehmungen scheiterten schließlich. Seinen Schmerz darüber verdoppelte stets die Sorge um Frau und Kind. Jetzt war er Leiter einer blühenden Erziehungsanstalt, mit der er 1806 von

Münchenbuchsee nach Jferten übersiedelt war. Die Schüler wurden hier nach seiner Methode unterrichtet. Die Anstalt war weithin berühmt, Pesta­ lozzi hatte, hauptsächlich infolge seiner schriftstellerischen Arbeiten, Weltruf. Die ihn bedrängende Flut innerer Erlebnisse und Erkenntnisse hatte er in zahllose Schriften zu bannen versucht, die zwar immer das intuitive Genie ihres Verfassers verraten, aber infolge der üppigen, kaum zu hemmenden Verästelungen seiner Gedanken keineswegs zu den besonders leicht lesbaren Büchern gehören. Trotzdem hatten sie sich in Europa schon allenthalben verbreitet, vor allem die 1780 erschienene Programmschrift „Abendstunde eines Einsiedlers"; ferner das 1781-87 in vier Teilen erschienene Volksbuch „Lienhard und Gertrud". Besonders dieser Er­ ziehungsroman verrät starke Beeinflussung durch Rousseausche Gedanken. Die systematische Grundlegung des ganzen elementaren Unterrichts be­ gann Pestalozzi 1801 mit der Schrift „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt" und setzte sie in mehreren methodischen Schriften, u. a. im „Buch der Mütter 1803, fort. Während Roth sich in Jferten aufhielt, war Pesta­ lozzi hauptsächlich mit der Zusammenstellung und Umarbeitung seiner Werke für eine Gesamtausgabe beschäftigt, die der berühmte deutsche Verleger Cotta, der Verleger Goethes und Schillers, veranstaltete. Sie wuchs auf 15 Bände an. Pestalozzis Anstalt in Jfercen war in einem altertümlichen Schloß mit vier Türmen, das ihm der Staat zur Verfügung gestellt hakte, unterge­ bracht. Die Zahl der Schüler und Lehrer wechselte oft. Für die hier in Betracht kommende Zeit dürften im Durchschnitt 170 Schüler und 15 Leh­ rer angenommen werden können. Die meisten wohnten im Schloß und wurden dort verpflegt. Die Anstalt war zweisprachig, d. h. es wurde teils deutsch, teils französisch unterrichtet. Pestalozzis rechte Hand und wirtschaftlicher Leiter des Instituts (denn Pestalozzi besaß kein Organisationstalent und konnte mit Geld nicht um­ gehen) war damals: Josef Schmid. Geboren am 25. Dez. 1785 in Au, einem hochgelegenen Gebirgsort Vorarlbergs, war er als i4jähriger in die Erziehungsanstalt eingetreten, an der er schon seit 1805 als Lehrer wirkte. 1810 hatte er sie vorübergehend verlassen und eine pam­ phletartige Schrift gegen das Institut verfaßt. Trotzdem war er von dem alles verzeihenden Pestalozzi 1815 wieder zurückberufen und sogar mit der Führung der Geschäfte betraut worden. Cr schrieb mehrere mathematische Lehrbücher, besaß ein bedeutendes organisatorisches Talent

und sollte die wirtschaftliche Verfahrenheit des Instituts heilen helfen. Tatsächlich griff das „Vorarlberger Naturkind", wie er genannt wurde, mit kräftiger Hand ei» und hat in der Geschichte der Anstalt dauernde Spuren hinterlassen. vr. Johann Niederer (r. Jan. 1779 bis 2. Dez. 1843), den Roth an dritter Stelle unter den Personen in seinem Tagebuch anführt, mit denen er in Jferten zuerst in Berührung trat, stammte aus dem Kanton Appenzell und hatte, als er sich mit 24 Jahren Pestalozzi zur Mitarbeit verpflichtete, schon die Pfarrtätigkeit an zwei ostschweizerischen Gemeinden hinter sich. 1803-1817 hatte er seine beste Kraft in den Dienst der Erziehungsideen Pestalozzis gestellt, für die er besonders pu­ blizistisch warb. Dadurch war auch er lange Zeit hindurch die rechte Hand Pestalozzis gewesen, mehr jedoch in wissenschaftlicher Beziehung als in ökonomischer. Er war ein feuriger Kopf, hervorragender Redner und er­ teilte im Jnstiwt den Religionsunterricht in den oberen Klassen. Don seinen Veröffentlichungen seien genannt: Pestalozzis Erziehungsunternehmung im Verhältnis zur Zeitkultur, 2 Bde., Jferten 1812/1813. (Die Universitäten Tübingen und Gießen verliehen ihm für dieses Werk den Titel eines Dr. phil.). Jesus Christus der Gesetzgeber und das ewige Muster der Menschenbildung, 1816. Obwohl Pestalozzi unter dem Einfluß, den bald Niederer, bald Schmid auf ihn ausübte, litt, konnte er sich davon nicht befreien. So entstanden zwischen den beiden führenden Männern Mißhelligkeiten, die sich bald auf die übrige Lehrerschaft übertrugen. Nach dem Tode der Frau Pesta­ lozzi (11. Dez. 1815) brach die Feindschaft der Parteien im Hause offen aus. Da Pestalozzi auf Schmid nicht verzichten zu können glaubte, nahm Niederer zu Pfingsten 1817 in kränkender Weise öffentlich Abschied von der Anstalt. Einige Monate vorher schon war Krüsi, ebenfalls aus Appenzell, der älteste Gehilfe Pestalozzis, ausgetreten. Niederer und Krüsi errichteten nach ihrem Austritt eine eigene Erziehungsanstalt in Jferten. Roth scheint, den Tagbuchaufzeichnungen vom 2. und 3. Oft. nach zu schließen, kurz nach seiner Ankunft in Jferten zuerst die Anstalt Pestalozzi-Schmid, dann die Niederer-Krüsi besucht zu haben. 3n die Feindschaft zwischen beide Häuser wird er übrigens, wie spätere Doku­ mente zeigen werden, bald selbst hineingezogen. Bei Vergegenwärtigung dieser keineswegs gewöhnlichen Verhältnisse, in die sich der junge Siebenbürger zu schicken hatte, vergesse man über-

dies nicht die Altersnnterschiede: Pestalozzi war fast 73 Jahre alt. Niederer 40, Schmid 33, während Roth, als er in Jferte» eintraf, kaum 22 Jahre zählte. Jferte«, den 6. Oktober 1818.

Ich glaubte diesen Brief schon längst auf der Post — und siehe da, er liegt noch unter meinen Papieren vergraben. Verzeiht! Morgen geht er fort! Jferte«, den 15. Oktober.

Geliebte Eltern Gruß und Kuß! Den zweiten dieses Monats langte ich abends in Jferten an; Regen und Wind hatten mich naß und stieren gemacht. Ich war stoh, daß meine Reise beendigt war. Mles hat seine Zeit. Aequinoctialstürme machten das Wetter unsteundlich und der traurige Herbstnebel hüllte alles so ein, daß man in den letzten Lägen keine Aussicht mehr genießen konnte. Von Host wyl bis Neuenburg nur sparsame Sonnenblicke und von hier bis Jferten ein kalter Wind und ein durchdringender dünner Regen, der mich die Gegend nur wie durch ein Sieb ansehen ließ. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß selbst dasjenige Gemälde, welches einen Regen vorstellte, an und für sich betrachtet, schön sein könne und so ließen sich denn auch bald mehrere Schönheiten in diesem Naturgemälde auffinden. Besonders gefielen mir Streifregen, die über den See zogen, und mit ihren eilenden Schritten bald die gegenüberstehenden Berge erreichten. Die Windstöße bläh­ ten große Wellen auf und diese liefen dann hintereinander in dun­ keln Linien, bis ihre Spitze brach und ein weißer Schaum mit Ge­ räusch sich mit den übrigen Nuten vereinigte. Diese Brechungen blldeten wahre Lichtpunkte in dem graue» Grunde. Ein Deutschersprachworterweiterungsversucher könnte sie Wasserblitze heißen. Wenn man aber müde und naß ist, kann man die Schönheiten nicht ins eigenlliche Gefühl aufnehmen — sie bleiben mehr Gegen­ stand der Betrachtung. In der Nähe eines Ofens, durch Fenster, Dach und Türe vor Regen und Wind geschützt, hätte man noch andere interessante Seiten auffinden können.

In Hoftvyl hielt ich mich nur — sage nur — zwei Tage auf. Daß hier Fellenbergs berühmtes Landwirtschasts-Erziehungs- und Armeninstitut ist, brauche ich nicht ju sagen. Ganz neuerlich hat fich das Landwirtschaftsinsiitut desorganisiert, d. h. die Fremden sind fort­ gegangen und Herr Fellenberg meint, er habe ste fortgeschickt, weil sie, nicht im Geiste seiner Anstalt erjogen, verderblichen Samen für Sitten und Tugend hätten verbreiten können. Diese bestand näm­ lich nicht aus seinen selbstgejogenen Kindern, sondern es war ein Zusammenfluß von Offizieren und Oekonomen aus ftemden Län­ dern. Das Erziehungsinstitut zählt gegen 100 Zöglinge, meist aus großen Häusern, die hier von unten hinauf bis zur Akademie in allen erforderlichen Kentnissen, die höhere Stände brauchen, unter­ richtet werden. Außerdem erhält aus eigenen Mitteln Fellenberg 34 arme Knaben, die in der Armut erzogen werden und deren Er­ ziehung und Bildung wieder auf Armut berechnet ist. Seine leitende Idee ist: Erziehung armer Kinder zum Berufe eines Armen. Sie müssen sich ihren Unterhalt selbst erwerben. Wenn es die Witterung zuläßt, so arbeiten sie auf dem Felde, sie lesen z. B. Steine auf, jäten Unkraut aus, stechen Torf oder bringen Holz nach Hause rc. Treibt sie ein tüchtiger Regen nach Hause, so flechten sie da Stühle, Strohmatten, Körbe rc. Ihr Erzieher, der ganz wie sie gekleidet ist, mit ihnen ißt, schläft und arbeitet, unterrichtet sie fortwährend bei ihren Beschäftigungen. Sie sind arm gekleidet, gehen im Sommer barfuß und es werden in ihnen keine Bedürfnisse erweckt, die sie später nicht bestiedigen könnten. Auf diese Art erhalten sie Nah­ rung, Unterricht und Bildung für ihren künftigen Beruf. Noch übersteigt die Ausgabe die Einnahme, aber Fellenberg hofft, mit der Zeit würde das Institut sich selber ernähren. Die höchste Auf­ gabe für die Existenz. — Die gewöhnliche Versorgung der Armen durch Spitäler oder Almosen ist nur vorübergehend, beschwert den Staat, öffnet ihnen selbst keine erfreulichere Aussicht, daß die An­ zahl der Armen vermindert würde, sondern sie muß entweder gleich bleiben oder zunehmen, da die Kinder nur gefüttert und nicht unterrichtet werden. Auch ist es nicht ganz gleichgültig, an welche Folberth, St L. Roth. I.

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Arbeiten man diese Kinder anstelle. In Fabriken, am Spinnrad werden die Kinder verweichlicht und ihr Bildungstrieb und ihre Lebensphantasie geht über dem ewigen Einerlei der Arbeit am lore». Schwächlinge am Körper, dressierte Maschinen am Geiste wirst oft der Ruin und der Zerfall einer solchen Anstalt sie noch hülfloser und unbehülflicher in die lieblose Welt, die sie nicht brauchen kann und vor der sie mit allen Künsten der Verstellung ihr Brot vor den Türen betteln muß. Werden sie hingegen zum Landbaue gebraucht, setzt ihre tägliche Beschäftigung sie immer mit Land und Boden in Beziehung, wo finden sie nicht — wenn ein Unglück sie auseinander gehen heißt — Aecker und Wiesen? — Fellenberg hätte mich gern als einen Lehrer angestellt. Ich äußerte ihm nämlich meinen Wunsch, mich später einige Zeit bei ihm aufzuhalten, um in seinem Umgänge und in der täglichen Be­ trachtung seines Institutes mich in den Geist einer solchen Anstalt so einzusenken, um später selbst unabhängig davon .. (Brief be­ schädigt) zu können. Unser guter Kaiser soll, wie er sagt, in 4 ver­ schiedenen .. in Bern sich erkundigt haben, was eigentlich an diesem Institut sei? Da nun Fellenberg den Auftrag bekommen hat, einen Bericht aufzusetzen, um darin seine Ideen niederzulegen, so glaubt er, Se. Majestät hätten im Sinn, eben solche Anstalten zu begründen, wo er denn den Rat geben würde, seine Methode durch hier zu unterrichtende Lehrer in seine Staaten verpflanzen zu lassen; es wäre der sicherste und kräftigste Gang. Er wollte also, im Falle diese Anforderung an ihn erginge: mich vorschlagen und im Fall, daß ich damit zufrieden wäre, mit mir dann contrahiere«, daß ich während meines dortigen Aufenthaltes eine Lehrerstelle übernehme rc. Liebe Eltern! Meinem Vaterlande zu nützen, ihm mich mit Auf­ opferung hinzugeben, wenn ich nur Früchte des Segens zu hoffen hätte, würde ich keinen Anstand nehmen; jeder Weg, der mich zur Beftiedigung dieses meines Wunsches hinführte, wäre mir gleich. Aber — Fellenberg braucht einen Lehrer! Wohlgemerkt er braucht einen Lehrer! Die Welt hat mich Vorsicht gelehrt, ich müßte ge-

sichert feilt, daß ich über den Wunsch meines Nützlichwerdens nicht selbst die Nützlichkeit aufgebe und verlöre. Mein Vaterland hat an mich gerechte Ansprüche — ihm zu lieb wollte ich auch eine andere, ach! so selten noch recht benutzte Bahn einschlagen, aber ich kann nicht wie ein kühner Waghals im Spiele den Wert meines ganzen Lebens auf die Vorstellungen eines einzelnen Privatmannes bauen. Ich werde ihm daher in einem Briefe, zu dem er mich aufgefordert hat, drei festzubestimmende Punkte vorlegen, i. soll ich gewiß sein, daß mein erhabener Monarch den Plan hat, solche Anstalten zu begründen. 2. soll ich zu diesem Zwecke von Seiner Majestät aus­ drücklich angenommen sein; und 3. können wir zwei uns dann noch darüber besprechen, in welchem Verhältnis ich dann mit ihm leben solle. Von diesen darf keines ungewiß, darf keines mangelhaft sein. Von Entschließungen dazu und von Plänen ist noch gar keine Rede bei mir. Erst die Zusicherung der obigen Sätze, und dann ist noch Zeit genug zur Ueberlegung, dann auch will ich mich bei Euch, Ihr meine Lieben, anfragen —jetzt trage ich es bloß als Geschichte meiner Reise vor. Ich setze ja alles in Beziehung auf Euch und selbst die unwichtigste Angelegenheit meines Lebens knüpft meine Liebe an Euch und unsere Familie. Auf der St. Petersinsel im Bielersee genießt man einer erquicken­ den Aussicht. Dies wäre so ein Aufenthaltsort, wie ihn sich oft die liebe Jugend Phantasie malt, wenn sie das Schöne und Göttliche in sich ahnend, im Zwiespalt mit diesem Crdenleben, sich ein Eiland wünscht, um dort in Gesellschaft mit sich und in der Anschauung seiner selbst ein paradiesisches Leben zu führen. Wer hat sie nicht geträumt, diese Träume, wen weckte aber auch nicht die unfreund­ liche Hand der Zeit, die kalt an das warme Herz griff? Rousseau lebte hier einige Zeit seiner Verbannung. In seinem Zimmer haben so viele ihren Namen eingekritzelt oder angeschrieben. So gern hängt sich der Mensch an die Schwingen irgend eines großen Mannes, um mit diesem der Vergessenheit zu entgehen. Noch ist sie merkwürdig durch den englischen Einfall eines Engländers, der sich hier eine Grabstätte erkauft hat und dessen Hierherbestattung sein Testament 15*

gültig oder ungültig macht. Wie sehr daß der Mensch seinen Kör­ per liebt und wie sonderbar die Disposition darüber ist! Als ich auf dem Wege nach Neuenburg den See entlang ging, so waren die Menschen in voller Beschäftigung, den Segen der Weinreben einzusammeln. Don der Straße hinauf erhoben sich die Weinberge und das Rumpeln der Butten erscholl mir so heimisch. Gegen den Weg zu sind alle Weingärten mit hohen Mauern um­ geben und, sobald es dämmert, patroullieren Wächter herum, um Diebstäle zu verhindern. Kein Besitzer darf ohne Erlaubnis der Obrigkeit für sich oder sein Haus eine Traube abschneiden, ja er darf nicht einmal in dieselben gehen. Die Strafen sind bedeutend. Man hat die Einrichtung getroffen, daß alle Tage ein besonderer Strich von den Eigentümern unter Aufsicht besucht werden darf. So sehr streng ist man hier. Lieber schränkt man das Eigentums­ recht ein, als daß man nur zugeben sollte, daß etwa ein Mißbrauch daraus entstehe .. und dieses tut man in der freien Schweiz! Was würde .. (Brief beschädigt.) Hier fällt der Herbst sehr reich­ lich aus und .. würde dem Elfer nichts nachgeben. Gebe Gott! Mir kommt es nicht so vor. Uebrigens sinken die Preise der Weine immer mehr und mehr: um 3 Batzen trinkt man einen passablen Wein; freilich ist er dann nicht wie der Wein aus den 3 großen Fässern im Bauernkeller. — Wie läßt sich der Herbst bei uns an oder besser bei Euch an? Was machen die Resser *) in dem Pfarrers­ weingarten ? Prangen recht viele am Gitter der großen Stube? Hat die verehrte Frau Großmutter vieles zu hoffen? Ich kann mir so ganz die Geschäftigkeit in unserem Pfarrhause vorstellen. Frau Mutter, die vielgeliebte, mit der weißen Schürze vor, ist die Seele von allem, Lisi und Thesi machen die Scriba, Herr Vater geht vielleicht mit der Pfeife bei den in die Länge gelegten Fässern um­ her und der tätige Michel (Collaborator) bringt Bähe1 2) und Du Herzensjunge Adolph und Du bescheidenes Mädchen Luisi lauscht 1) Traubenart. 2) Heißes, verdampfendes Wasser ;um Zwecke, Weinlesegefäße anschwellen d. i.

dicht werden j« lassen.

Sieb, sachs.: En 956 gien.

gewiß mit dem Becher in der Hand, wie ich und Eure Mutter vor Zeiten, und schöpft und kostet und probiert. Wohl bekomme es! —Ich höre die Wägen über die Brücke rumpeln und sehe vor der Burg die Kirchenväter mit den ftühsten Wägen ankommen! Ach, und ich sitze hier und habe zwar keine Weinlese, aber im Anblicke Eures Wohlgefallens selbst Freude. Herrn Prediger, den ich nebst Benj. Schlosser herzlich grüßen lasse, ist mit edler Geschäftigkeit immer um Euch; der Gute ist gegen unser Haus, was ihm viel Ehre macht, so gut. — Apropos! Jetzt lasse ich Euch alles recht ge­ nießen und wünsche Euch Glück und Gesundheit dazu, aber nehmt es mir, Eurem Sohn und Bruder und Freund, nicht übel, wenn er jetzt auch mit einer Bitte aus dem Hintergründe hervorttitt. Der Mensch, wenn auch in Jferten, ist menschlich. Füllet mir ein regelnd mit dem süßesten, letzten, besten, delikatesten, vielver­ sprechendsten Moste. Wozu? Nun wozu? Nur heraus, wir wollens wissen! Dieser Wein soll alt werden und dann will ich ihn zum H-ch-ztweine brauchen. Ha! Ha! Ha!----------------Seht! ich gehe Euch mit meiner Schwatzhaftigkeit vor; ich erzähle Euch alles, was ich gedacht und empfunden habe und alles dies tue ich, um Euch auch etwas zur Redseligkeit zu verleite«, damit ich doch auch so einige Anekdötchen erführe. Ich hätte so. Lust nach dieser Speise. Ihr Schwestern, nur an den Tisch, Dinte und Papier zur Hand. Ja, ich weiß nicht, was ich schreiben soll, höre ich dich, Lisi und Thesi, sagen. Nun so hört! Kauft ein Buch Papier auf meine Unkosten und merkt Euch, sobald Ihr eine Neuigkeit erfahrt, dieselbe an. Auf diese Art könnt Ihr mir immer einen ganzen Stoß schicken ic. Nehmet diese Lehre zu Herzen und macht es nicht wie die Verliebten, die in der andern Minute vergessen, was man ihnen in dieser Minute gesagt hat! Hört Ihr? Habt Ihr mich verstanden, habt Ihr es Euch vorgenommen? Wollt Ihr Wort halten? —Welt­ mann hat noch nicht geschrieben — es tut mir so weh! Warum martert mich denn dieser gute Mensch mit seinem Stillschweigen wie ein Toter? Der hat das Leben nicht schätzen gelernt, der dem 1) Ein Fäßchen.

Freund nichts ju gefallen tut. Oft denke ich darüber nach, was ihn wohl so stumm machte? Je nun! Man kann ihn nicht dazu bringen und nicht zwingen, auch mag ich keinen Conventionsbrief. Wen» ihn nicht die Liebe treibt, die Pflicht soll ihn nicht dazu vermögen! Alle meine Freunde und Bekannte schweben mir vor — ich lasse dieselben alle grüßen — das aber umfaßt wohl jeden. Ihr kennt sie ja alle .. St. L. Roth. (Aus dem Schreibkalender.) 13. Oktober 1818. Spaziergang mit Krüsi. Großer Ring um den Mond. 14. Oktober 1818. .. Lutz, Student aus Bern bei mir — mit seiner

Schwester gehen wir nachmittag nach Chamblon, wo wir Trauben essen. 31. Oktober 1818. Samstag marschieren die Zöglinge des Pesta­ lozzi-Instituts nach dem benachbarten Dorf, wo sie den Tag über mit Feuer exerzieren. Ich bin den ganzen Tag bei Ihnen. 2. Nov.'mber 1818. Helfe Beckx) an seinem Brief an den Basler Geistlichen, dem er wegen seiner Glaubensveränderung und seiner Anstellung durch die Pariser Gesellschaft, die sich Bekehrung der Juden zum Zweck gemacht hat, schreibt. 3. Novemver 1818. Leihe Herrn Petzke 5 Reichsthaler, habe weiß Gott auch nur noch 5. — ich muß wohl bald nach Hause um einen Wechsel schreiben. 4. November 1818. Bekomme meinen Koffer, nichts beschädigt. 5. November 1818. Ein ganzes Monat habe ich mir beinahe nichts aufgezeichnet. Ich bin in Unordnung geraten. — Heute schreibe ich an Becker, Silcher nach Tübingen, Lutz und Müller nach Bern. Jferten, den 24. November 1818.

Gruß und Kuß zuvor Euch Allen! Verehrte Mutter! Seht doch den Datum dieses Briefes an! Ich bitte Euch. Gewiß rührt sich Euch heute ungewöhnlich Euer Herz. Heute ist mein Geburtstag. 1) Deck, Moritz, aus Karlsruhe. Jude. Lehrer im Institut 28. September 1817 bis 29. Juni 1820.

fteute vor Jahren schenktet Ihr mir das Leben. Ja heute schlägt auch mir mein Herz bedeutend schneller und stärker und es über­ strömt von der Fülle meiner Gefühle. Meine Lippen gehen über, denn meine Brust kann die Gefühle nicht alle fassen. Erlaubt es mir, meine Empfindungen, die Empfindungen eines dankbaren Kindes, vor Euch ausjuschütten und allen Segen, den menschliche Worte ausjusprechen vermögen, vom Himmel für Euch zu erflehen. Ja Mutier, der Sohn, den Ihr unter Eurem Herzen trugt, bringt Euch heute sein Herz voll Liebe und Dankbarkeit dar. Erforschet es und prüfet es, es gehört Euch. Meine Hände, die Ihr mich zum Gebete falten lehrtet, hebe ich zum Himmel auf und bringe den süßen Mutternamen vor Gott und danke ihm, preise ihn und bete für Eure Erhaltung. O daß er Euch mir und uns allen noch lange erhalten wolle. — Für Eure schlaflosen Nächte, für Eure Aufopfe­ rungen bei Tag, was kann ich Euch geben, was kann ich Euch auch nur versprechen? Wenn ich Euch an meiner Wiege halbe Nächte kniend denke, wenn ich Euch mir an meinem letzten Krankenbette vorstelle, und dies find nur einzelne Stunden aus einer unendlichen Reihe, wo kann ich dann Worte finden, um einen armseligen Dank zusammenzustückeln? Wie arm bin ich, Mutter, Mutter, um Euch wieder zu vergelten und wie ärmer fühle ich mich von Tag zu Tag! Welche Verdienste hatte ich, daß Ihr mich auf Euren Armen trugt und welche Verdienste habe ich jetzt, daß Ihr mich mit Wohltaten überhäuft? — Für alle Eure Mühe, Plage, Kummer, Angst und Anstrengungen verlangt Ihr großmütig nichts als meine Liebe. So nehmt mein Herz hin, das nur Euch und dem Guten schlägt und nur dann aufhören wird, Euch über alles, was die Welt hat, hinüberzusetzen, wenn es ausgeschlagen hat und kalt ist. Könnte ich Euch zeigen, wie unaussprechlich gern daß ich Euch habe, wie mein Leben an Eurem hängt und wie ich mich nur in derjenigen Zukunft glücklich denke, wo ich Euch und der Tugend zur Seite gehen kann! Wenn ich zurückkehren werde und wonnetrunken Euch in meine Arme schließe, dann, dann wie selig werde ich sein! Mein Leben soll Euch jetzt und immer geweiht sein, Ihr habt es mir gegeben. Ihr

habt an mich die heiligsten Forderungen; auf ihrer Erfüllung ruhen die Verheißungen des Himmels. Euch will ich sein. Meine Hände, mein Herz, mein Kopf, ich selbst will ganz und mit allem, was ich habe, in Euren Diensten leben. Euer Wohlwollen, Eure Liebe, Cure Zufriedenheit soll mein Lohn sein. Gott wird mir Kraft und guten Willen geben. Denn er ist in den Schwachen mächtig und hat fich sein Lob in den Kindern bereitet. Er, der Allmächtige, wird mich zum Stabe Eures Alters und zum Lager Eurer Ruhe machen. Bleibet mir, was Ihr bis jetzt immer gewesen, Mutter, auch in Zu­ kunft und segnet mich mit Eurem mütterlichen Segen. Euer Kind war ich, Euer Kind will ich bleiben. So breite denn Gott sein Heil über uns und lasse sein Antlitz über uns leuchten und gebe «ns seinen Frieden. Der Herr breite seinen Segen über Euch und lasse Euch leben und gebe Euch die Verheißung, die er Eltern und Kin­ dern versprochen hat. Amen. Auch Euch, lieber Vater, wollte ich an meinem Geburtsfest so gerne etwas geloben und schenken. Der Sehende, dem Gott seine Augen erhellt, wünscht die Erhaltung beider Augen. Es sei denn, der Tod hätte ihm eines ausgelöscht. Mich hat Gott erhört und hat mir Vater und Mutter erhalten. O ihr Augen meines Lebens! Wie traurig, wie einsam wäre es mir sonst in dieser Welt. Gott sei Ehre in der Höhe, er hat mich erhört, er hat mir Vater und Mutter erhalten. Gottes Gnade hat aber auch meinen Sinn erhellet und meine Brust erwärmet für Elternliebe. Ich weiß, was ich an Vater und Mutter habe. Euch beide will ich an mein Herz schließen; es kette mich an Euch das goldene Band der Liebe und des Glaubens. Ich will Euch auf den Händen tragen, wie Ihr mich getragen habt, ich will Euch im Leben führen, wie Ihr mich ins Leben geführt habt, ich werde für Euch leben, wie Ihr für mich gelebt hat und würde für Euch sterben, wie Ihr sterben würdet für mich. Ich bin Euer auf Leben und Tod. In mein Herz teilt Euch beide; beiden gehörtes. Wenn es Gottes Zulaß ist, so will ich Freude in Eure Tage flechten. Es sind Blumen aus dem Garten meiner Liebe und meines Glau­ bens. Der Strahl Eurer Pflege hat sie entfalten. Sie sind Euch.

Hieran bin ich reich. Ich will sie Euch auf den Weg streuen mein Leben lang. Oeffnet die Arme und laßt mich an Eure Brust sinken. Vaterbrust an Sohnesbrust, Sohnesbrust an Vaterbrust. Die Welt ist arm an Freuden, wer aber Vater und Mutter hat, ist reicher als ein König. Und nun, treue Schwestern, gebt mir die Hände und laßt uns den Bund kindlicher Liebe und schwesterlicher Einigkeit schließen. Dich Lisi sah die Welt früher als mich und Du Thesi schlossest das Kleeblatt unserer Familie. Kommt und schließt einen Kreis, der Gott wohlgefällig sei. Du Thesi, Jüngste von uns, komm in unseren Bund. Das Schicksal, das Deine Schwester getroffen hat, hat Dich noch geschont. Du kennst die Leiden dieser Welt nur vom Hören­ sagen und nicht aus eigener Erfahrung. Bis daß man eine Rose bricht, wird man von manchem Dorn gestochen. Aber waffne Dich gegen Welt und gegen die Erfahrung. Nach welcher Art unsere Schätze sind, je nachdem kann uns das Schicksal alles und nichts nehmen. Tugend äschert keine Feuerbrunst ein und ein reines Ge­ müt schwemmt kein Wasser weg. Sammle solche Schätze! Du bist immer so gut gewesen, Du bist immer so gut als Schwester, so gut als Kind gewesen. Du warst klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Der Mutter warst Du so ähnlich. Mich hast Du an Güte des Herzens immer übertroffen. Tue es noch immer. Deine Sanftmut hat mich so oft weich gemacht. Meine kräftige Natur, wenn sie dadurch kalt wurde, schmelzte so oft Dein Blick. Sei mein Engel auch in Zukunft, stehe mir auch weiters fteundlich zur Seite und helfe mir, wenn ich sinken will und richte mich auf, wenn ich gefallen bin. Lasse nicht von mir. Sinn und Blut machen uns zu Geschwistern. Fasse aber, wie Du tust, Deine Bestimmung und Deinen Beruf höher als ein Weltleben auf. Laß Dir das Hei­ lige alles sein. Sei eine Pilgerin zum Heiligen. Dieses Leben ist nur die Halle dazu! Wandle so, meiner und aller Guten Liebe bist Du gewiß und sei versichert des Wohlgefallens Deines, unseres aller Vaters im Himmel. Liebe Schwester Bergleiter! Die Hoffnungen Deines jungen

Lebens hat ein Stnrm vernichtet. An der Seite des edelsten Mannes standest Du beneidenswürdig da. Er ist nicht mehr. Der Gute wan­ delt nicht mehr zwischen uns. Arme Schwester! Dein Verlust ist groß. Auf seinem Sterbebette drückte er mir Deine Hand in meine Hand. Ich verstand die Sprache des Halbtoten. Ach, die gräßlichsten Schmerzen hinderten ihn nicht, an Dich zu denken und an Deine Kinder. Die Erinnerung dieses Auftritts macht mich weich, mit Tränen schreib ich dieses nieder, aber ich schäme mich meiner Tränen nicht, denn sie fließen um den edelsten Menschen. Hier treue Seele, in dieser feierlichen Stunde gelobe ich Dir mit meinem Wort: ich will Deinen Kindern Vater sein. Sie sollen meine Kinder sein. Berg­ leiter, nun in den Wohnungen der Seligen, wird uns von oben sehen und hier empfinde ich die Gnade der Lehre Jesu Christi: daß unser Leben im Tode nicht aufhöre, sondern über das Grab hinausreiche. Kommt her, ihr vaterlosen Waisen, Louise und Adolf, kommt her an meine Brust, an mein Herz. Ich will Euer Vater sein und ihr sollt meine Kinder sein. Den letzten Bissen Brot, den ich habe, und sollt ich ihn betteln, will ich mit Euch teilen. Liebet die Mutter und haltet sie in Ehren, denn es wird solchen Kindern wohl gehen auf Erden. Gott hat Euch nicht verlassen und wird Euch auch nicht verlassen. Er ist der Witwen und Waisen Schutz und Schirm. Er wird allen die Tränen trocknen. Seid brav und fromm und vertraut auf ihn. Hoffnung geht nicht zu Schanden. Auch für Euch lerne ich hier und will Euch dann lehren. Du aber, geliebte Schwester, wenn Du mich je geliebt hast, wenn Du je ein Schwestergefühl gegen mich gehabt hast, so sei Mutter Deinen Kindern; tue es Deinem ver­ storbenen Manne im Himmel zu lieb, tue es Gott, dem aller Waisen Vater zur Ehre und zum Preis. Sei eine Mutter Deinen Kindern. Also sei unser Bund der schwesterlichen Einigkeit und der kind­ lichen Liebe auf ewig geschlossen. Nichts trenne unseren Bund; kein Sturm, keine Zeit. Verbindung macht stark; Vereinzelung geht zu Grunde. So haltet denn fest an der Liebe und am Glauben. Ueber uns wacht ein allgütiger Vater, es wacht über uns eine unendliche

Liebe, eine ewige Vorsehung! — Lebet wohl! Kinder, Schwestern, Eltern! St. L. Roth. Brief Pestalozzis an St. $. Roths Vater. Dverdon, den 25. Dez. 1818. Wohlehrwürdiger Herr! Edler Vater eines mir inniglieben Soh­ nes! Sie haben mich mit einer Zuschrift beehrt, deren edler, geradfinniger Inhalt mein Herz rührte. Meine Ueberzeugung ist lebendig und warm. Sie sind ein Mann, der das Wohl seiner Mit­ menschen wie sein eigenes wünscht und mit jeder Kraft, die in seiner Hand ist, zu befördern sucht. Wir suchen hier die Mittel der Erzie­ hung und des Unterrichtes zu vereinfachen und vorzüglich die Bil­ dung des Volks mehr aus seinem Können, als aus seinem Wissen hervorgehen zu machen. In dieser Rücksicht aber, wohl­ ehrwürdiger Herr, sind Gegenden, in denen das Volk noch auf keine Weise wissenschaftlich verkünstelt worden, für unsere Grundsätze über die Volksbildung weit geeigneter, als Gegenden, in denen der ver­ derbliche Wust des oberflächlichen Viel- und Halbwissens die Tat­ kraft der Menschen in genugtuender Erlernung dessen, was sie tätlich können und ausüben sollten, vielseitig und bedauernswürdig ge­ lähmt hat. Das, was wir hier unter Mühe und Schwierigkeiten mit ausge­ suchten Kindern meiner Armenanstalt bezwecken, dafür finden Sie Ihr ganzes Volk in Rücksicht auf Naturkraft und unverkünsielten Sinn so vorbereitet, wie wir es auch in dem besten Lokal, das in unseren Gegenden nur denkbar ist, nicht vorbereitet finden. Diese Ansicht, lieber, edler Herr Pfarrer, ist in Rücksicht auf Ihr Volk auch die Ansicht Ihres lieben Sohnes, und ich freue mich, in ihm einen Mann kennengelernt zu haben, der fähig ist, die Grund­ sätze, die wir hier für unsere Zwecke bearbeiten, in seinem Vaterland mit gesichertem Erfolg zu benützen und der zugleich mit dem reinsten Eifer begabt und von der Liebe zum Volk seines Landes so begeistert ist, daß ihm keine Mühe und Anstrengung zu schwer sein wird, um hierin ein entscheidendes, wichtiges Resultat für sein Vaterland zu erzielen.

Sie fühle«, edler, wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, wie innig ich in meinen alten Tagen wünschen muß, daß dies edle Streben Ihres lieben Sohnes kein eitler Traum bleibe, sondern wirklich in Tat und Wahrheit hinüber gehe. Er wünscht, beides aus Liebe ju mir, denn ich bedarf seiner, und aus Eifer für den berührten Zweck, ein Jahr bei mir ju bleiben. Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer! Ich weiß, wenn keine entscheidend höhere Gründe seine Rückreise notwendig machen, so fteuen Sie sich, ihm die Erlaubnis solang bei mir bleiben zu können j« erteilen und ich lege diese Bitte mit vollem Vertrauen an Ihr Herj. Die Gefälligkeit, die Sie mir damit erweisen, ist groß, aber der Zweck, einst Ihrem Vaterland durch Ihren Sohn im Fach der Erziehung dienen zu können, ist mir wichtiger als meine Lage, die mir einen längeren Aufenthalt Ihres lieben Sohnes vielmehr wünschbar macht. Was wir, mein Freund Schmid und ich, dazu bei­ tragen können, daß dieser Zweck beftiedigend erreicht werde, das wollen wir gewiß tun und dafür gebe ich Ihnen mein feierliches Wort. Genehmigen Sie indessen, wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, die Versicherung der vorzüglichen Hochachtung, mit der ich die Ehre habe zu sein dero gehorsamster Diener Pestalozzi. Brief R.s an einen Freund.

Yverdon, den 30. Dezember 1818.

(Veröffentlicht von Gräser») S. 84.)

Gruß und Kuß! Deinen Brief vom 22. Ds. Mts. erhielt ich heute zu Mittag — schon diesen Abend setze ich mich nieder zur Antwort. Ja Freund, hier habe ich meinen Frieden so ziemlich gefunden. Es ist mir wie einem Gefangenen, der endlich seinen Riegeln ent­ rinnt und ohne Fesseln mit wonnetrunkenem Blick in Gottes freier Natur schwelgt. Wie oft habe ich mir Eure Ruhe, Eure Zuftiedenheit, Euch selbst gewünscht! Ich Narr, ich suchte sie in den leeren Töpfen der Philosophie und in den hohlen Nüssen der Theologie und nicht im Wesen und Leben der PHUosophie und Theologie. Denn was ist Theologie und Philosophie? Doch nichts anderes als Formen, in denen das Leben als Bruch dargestellt wird. Mir fehlte 1) Gräser siehe S. 16, Anm. 2.

die Einheit, das Band und die gegenseitige Beseeligung. Das Wesen der Philosophie suchte ich außerhalb mir und die Heimat der Theo­ logie in Satzungen. Blickte ich in das Leben, so entflohen mir die Wissenschaften; umarmte ich die Wissenschaft, so verlor ich das Leben. — Ich Armer wußte nicht, daß sie sich nur in uns selbst die Hände brüderlich reichen und daß unsere Brust der wunderbare Himmel ist, in dem sich beide Schöpfungen gestalten. — Die Be­ stimmung des Lebens, inwieweit sie aus der Natur der Anlagen und dem Wunsche des Herzens hervorgeht, ist, wenn sie aufgefun­ den, immer ein köstliches Kleinod, und wenn man selbst dazugelangt, desto unschätzbarer, und hierunter meine ich nichts mehr und nichts weniger, als ich will Schulmeister werden. Ich will unten im Volk tun, was ich nur kann, ich will in der verachteten Spreu Perlen suchen, und hier in Yverdon finde ich, was ich suchte, was ich finden mußte, um meinen Durst löschen zu können. Ich bin von den Staffeln und Höhen der Philosophie heruntergekommen und wandle im Tale. Wirkt Ihr von oben, es ist für die Menschheit wichtig, die ganze zurückgelegte Strecke des bebauten oder eroberten Gebiets des Wissens zu übersehen, damit man wisse, wohin die Richtung gehe, welchen Weg man zu nehmen habe, um in das Land der Vollendung zum Tempel der Wahrheit zu gelangen. Fahrt fort am Reich Gottes zu arbeiten. Euer Beruf oder besser die Natur fordert Euch zu diesem Beruf auf. Hierzu bin ich nicht geschickt. Ich will in den Bauernschulen, einfältig wie ein Bauer, diese entdeckten Felder bebauen, und wenn mich Gott segnet, die Pflanzen der Liebe und des Glaubens in diesen Acker säen. Darf ich Euch aber um Etwas bitten, so reichet mir, sind wir einst im vielgeliebten Vater­ lande, wen» ich die Hände aus der Tiefe hinaufstrecke. Eure Hände von der Höhe. Ich brauche Euch, Ihr braucht mich vielleicht, und alle braucht das Vaterland gewiß. —.... Unser Volk, ei« edles Reiß vom edlen Stamm der Deutschen, lebt es, oder vegetiert es? Auch das Volk lebt nicht, wo nicht Gemeinnützlichkeit das Zentrum aller Tätigkeit ausmacht. — Es gibt höhere Güter für jedes Indi­ viduum als Essen, Trinken und Schlafen. Wer seine Hände in die

Säcke steckt und sagt: ich Bitt glücklich —der ist ein verächtlicher Wurm. Da gibt es für das Volk höhere Güter. St. L. Roth. Mit dem folgenden Blatt Beginnt hier die WiedergaBe auch jener Briefe Roths, die «ns nur durch Eintragung in eines seiner drei hinter­ lassenen Briefbücher erhalten geblieben sind. „Briefbücher", d. i. Ab­ schriftensammlungen eigener Briefe an andere, legte man sich ftüher an, um — erstens — nicht auf immer verloren zu haben, was man oft müh­ sam und in tagelanger Arbeit in'eine gefällige, nicht selten künstlerische Form gebracht hatte. Zweitens, um sich, genau so wie der moderne Kauf­ mann, durch diese Abschriften eine sichere Erinnemngsstütze ju schaffen, die bei ausgebreitetem Briefwechsel und dem langsamen Postverkehr jener Zeiten notwendig war. Roch pflegte nur ausnahmsweise „Abschriften" im buchstäblichen Sinne des Wortes, d. i. zweite Niederschriften, in seine Bücher einzutragen. So behandelte er wahrscheinlich nur die lateinischen und ftanzösischen Briefe, deren Abfassung ihm einige Schwierigkeiten bereitet haben mag und deren Entwürfe er sicher erst auf lose Blätter strich, dann rein schrieb und ein zweitesmal in das Buch kopierte. Da­ gegen trug er umgekehrt sofort in sein Briefbuch ein die erste Nieder­ schrift, de» Entwurf der Briefe an seine Eltern, seine Freunde und an seine Geliebte. Alle diese Briefe sind im folgenden gekennzeichnet durch die Angabe: Aus dem Briefbuch. Die Briefbücher Roths enthalten übrigens außer Briefen auch Aus­ züge aus literarischen Werken (wie z. B. gleich im Anfange des ersten einen 34 Seiten langen Auszug aus Fichte's Reden an die deutsche Nation), Tagebuchaufzeichnungen, verschiedene Aufsätze rc. (Aus dem Brtefbuch.)

Antwort auf meines Vaters Brief vom 2. Dezember; abgeschickt, den 9. und empfangen den 1. Januar 1819. Beantwortet den 3. Januar 1819.

Gruß und Kuß! Am Neujahrstage erhielt ich, gleichsam znm Geschenk, Euren lieben Brief vom 2. Dezember. Die Krankheit unserer Lieben tat mir im Herzen weh. Meine Lisi kränkelt schon lange Zeit. Mit Besorgnis sehe ich auf die liebe Schwester, mit Be­ sorgnis auf die Kinder! Die mütterliche Stelle ersetzt kein Mensch

auf Erden und während der Krankheit sind die Kinder ohne Mutter. Vielleicht bricht einmal diese Kränklichkeit in eine tüchtige Krankheit ans. Ja, ich sehe sie voraus. Eine dauerhafte Gesundheit ist gern der Lohn einer übersiandenen Krankheit. Kränkelte ich doch vor meiner großen Krankheit beständig *). — Des Uebelbefindens war ja kein Ende; Tag für Tag gesellte sich zum vorhandenen Uebel ein neues, bis ich endlich erlag. Ihr alle wißt^s, wie meine Lebens­ flamme hin und her wankte und ju erlöschen drohte — Gott schenkte mir das Leben — und ich genaß; und nun bin ich seit der Zeit gesund wie ein Fisch im Wasser. Der Lohn der überstandenen Krankheit ist eine dauerhafte Gesundheit. Sollte daher auch die gute Schwester hart, sehr hart krank werden, so haben wir den Trost, daß sie dann nach überstandener Krankheit desto gesünder werden wird. Schwerlich wird auch ihr eine dauerhafte Gesundheit zu teil, ohne eine große Krankheit. Laßt uns daher in ihrer jetzigen Krank­ heit ihre künftige Gesundheit sehen. Und Du, vielgeliebte Schwester, lasse den Mut nicht sinken — Du wirst es überstehn und dann recht gesund sein. Habe Vertrauen auf die Stärke der menschlichen Natur, die oft zu schlafen scheint, um desto kräftiger zu auferstehen. Vertrauen auf seine Stärke und Hoffnung der Genesung ist halbe Arznei. Du wirst gesund werden und dauerhaft gesund werden. Sieh mich an, nimm mich zum Beispiele an. Man beruft sich so gerne auf Erfahrung. Was in der Familie geschah, liegt dem Men­ schen am nächsten. Noch erinnere ich mich, wie Du Deine rotge­ weinten Augen mir zu verbergen suchtest, als ich im Saale mit dem Tode rang. Ach, es fiel mir zentnerschwer aufs Herz! Ich glaubte mich verloren, ich schien für Euch verloren. Sprachlos lag ich da — aber Gott weiß, mein Herz suchte Euch zu trösten. Eure Liebe machte mich gesund, Eure Sorge stand mir dienstfertig zur Seite. Auch Dich wird die Liebe gesund machen, auch Dir wird die Sorge zur Seite stehn. Wie gerne wollte auch ich aus Liebe und Dankbar­ keit Dich warten und pflegen, wenn es mir, dem Entfernten, ge1) R. hatte — vermutlich Winter 1816/17 — eine schwere Erkrankung über­ standen.

gönnt wäre, meine teueren Pflichten zu erfüllen. So aber kann ich nichts tun, als Dir Geduld, Ergebung und Hoffnung zu wünschen. Für die Pflege wird die Familie und für Deine Genesung, Deine Erhaltung wird Gott, dem endlich alles anheimgestellt ist, sorgen. Er wird's wohl machen. In seine Hände befehle ich Dich! Gott wird Dich uns erhalten, er wird Dich gesund werden lassen. Hoffe und vertraue auf ihn. — Auch Ihr, vielgeliebte Mutter, seid krank! Dieser Gedanke, schon schmerzlich an sich, tut mir, weil ich von Euch entfernt bin, noch weher. Beistand beim Leiden, Unterstützung in der Krankheit ist für die Teilnehmenden Trost. Beruhigung würde es mir gewähren, Euch überheben, Euch unterstützen zu können. Aber so muß ich aus der Entfernung zuhören und zusehen und kann Euch in nichts helfen, Euch in nichts unterstützen, Euch in nichts überheben. Oh, wäre Euch Ruhe gegönnt, würde Euch Ruhe zuteil! Eure Um­ gebungen bürden Euch große Lasten auf, Eure Umgebungen ruhen schwer auf Euch. Eure Liebe für uns. Eure Sorge für das Wohl der Familie wird nie müde, sich täglich neuen Lasten, neuen Be­ schwerden zn unterziehen. Eure Liebe ist groß, Eure Sorge ist groß — Eure Lasten aber sind zu groß, sie übersteigen zwar nicht Eure Liebe, aber Eure Kräfte, sie übersteigen zwar nicht Eure Sorge, aber sie übersteigen Eure Kräfte. Entziehet Euch der Liebe, ent­ ziehet Euch der Sorge nicht, entziehet Euch aber den zu großen Lasten, den zu großen Beschwerden. Sie übersteigen Eure Kräfte. Oh, würde Euch Ruhe gegönnt, würde Euch Ruhe zuteil! Euer Alter fordert Ruhe, Eure Kräfte fordern Ruhe. Ruhet nicht in der Liebe, ruhet nicht in der Sorge, aber ruhet in den zu großen Ar­ beiten, ruhet in den zu großen Lasten und in den zu großen Be­ schwerde». Liebe Mutter! Verstehet mich wohl, ich will nur Eure Schonung, ich will die Erhaltung Eurer Kräfte, die Erhaltung Eures Lebens. Liebe Mutter, entziehet Euch etwas den härteren Geschäften. Ich weiß, es geht dadurch viel verloren, es geht dadurch viel zu Grunde. Ich weiß es sicher, daß dadurch viel, sehr viel ver­ loren geht, aber Eure Gesundheit ist uns der größte Schatz, Eure

Euer Werk, liebe Mutter

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Gesundheit sind uns die größten Reichtümer. Hätten wir denn etwas, wenn wir Euch nicht hätten, hätten wir denn einen Gewinn durch Euren Verlust? Mutter, liebe Mutter, ich wäre ärmer als arm ohne Euch! Und alle wären es mit mir. — Wir sind nicht un­ versorgt, unsere Erziehung, Euer Werk, liebe Mutter, schafft uns Brot und Dach in der ganzen Welt. Alle beseelt eine Liebe. Einer darbt, einer suchet, einer wirbt gern für das andere Geschwister. Wir halten zusammen, Vereinigung macht uns stark. Die Liebe ist mit wenigem zufrieden, Liebe würzt das magerste Gericht. (Heute eine Feuersbrunsi und morgen sind wir Bettler; unsere Erziehung, Euer Werk liebe Mutter, schafft uns übermorgen Brot und Dach in der ganzen Welt.) Ich weiß, liebe Mutter, daß Jhrs nicht gerne habt, daß ich hievon spreche — aber kann ich anders? — Weil ich Euch liebe, laß ich Euren Verdruß über mich gerne ergehen. Ver­ zeiht mir, ich kann nicht anders--------- Werdet gesund und bleibt noch lange unter uns. Noch etwa anderthalb Jahr und ich bin bei Euch, gehöre Euch und lebe Euch und für Euch. Gott! ich werde Euch wiedersehen, wieder finden, an mein Herz drücken und das unnennbare Gefühl empfinden. Euch in meinen Armen zu haben. Unterdes werdet gesund und lebet wohl, schließt mich ein in Euer Gebet! Lebet wohl. Was Ihr mir, lieber Vater, über meinen künftigen Aufenthalt im Auslande schreibet, stehet allerdings in der nächsten Beziehung zu mir. Ich las und las es etliche Male durch. Wie Ihr mir schreibe, so lag es in Eurem Plane: ich sollte auf ein halbes Jahr nach Paris gehen, dann über Holland nach Berlin reisen, um allda meint Universitätsjahre zu beschließen. Ich erkenne Cure väterliche Vor­ sorge, auch Euren väterlichen Willen, aber mit der Auswahl des Aufenthaltes bin ich nicht zuftieden. Machte ich diese Reise, so würde ich bloß m i r leben — ich sammelte einen Schatz, aber einen toten in mir. Wenn ich diese Zeit auf Unterricht verwendete, wenn ich diese Zeit zur Erweiterung meiner pädagogischen Kenntnisse und psychologischen Erfahrungen verwendete, würde ich weniger für mich, aber mehr für die Menschheit tun. Einst zurückgekehrt ins Folberth, St L Noth. I.

16

teure Vaterland, könnte ich durch Aufrichtung der Bauernschulen, durch Belebung des Unterrichts und der Erziehung mehr und besseres wirken. Wir haben so viele gelehrte Männer, so viele gute Pfarrer, aber so wenig gute Schulmeister. Schulen sind der Boden und die Wurzel des tüchtigen Volkslebens. Diese hat — der böse Geist — die Zeit zu sehr in Schatten gestellt. Diese müssen gepflegt und ans Licht des Lebens gezogen werden. Mit dem übrigen kann man schon zufrieden sein, aber mit den Schulen nicht. Junge Bäume sind biegsam, alte nicht mehr. Darum scheint es mir so wichtig: das Bäumchen, so lange es noch jung ist, zu biegen, sind sie ein­ mal alt, so lassen sie sich nicht mehr biegen. In der Verbesserung der Volksschulen wird mich niemand hindern, aber es kann mich auch niemand hindern. Vom Heil und dem wohltätigen Einfluß der Schulen auf das Volk ist, der Rasende ausgenommen, jeder­ mann überzeugt. Wie kommt es, daß niemand Hand daran legte? Viele Vermögens, wenige oder keiner tuts. Eine Radikalkur tut not. Die Ermahnungspflaster und Hocuspocus Examina, wodurch man den Schulen Leben beibringen wollte, können nicht genügen, auch haben sie nicht genügt. Die Zeit hat's bewiesen. Mit unseren Schulen stehen wir weit zurück. Wir wissen es, wir fühlen es, wir sehen es täglich mit eigenen Augen — aber ein bleierner Schlaf drückt uns unsere Augen zu. Wir wissen es, wir fühlen es, wir sehen es dann nicht und wir arme Tröpfe wähnen, weil wir es mit verschlossenen Augen nicht sehen, das Gebrechen und das Uebel sei nicht vorhanden. Einst wird die Morgensonne über unsern Bergen scheinen, einst wird es auch bei uns tagen. Und wenn es Tag wird, da wird man sich erkennen. Beschämt werden manche sich Erken­ nenden auseinanderfliehen, doch viele werden sich ins Angesicht schauen und sich erkennen und sich zu Rat und Tat die Hände reichen. Wenn es dann Tag wird, so hört die gute Fischerei auf und die Maskerade wird auch aufhören. Die Huren, die Diebe und die vermummten Wölfe werden dann ihre Höhlen aufsuchen und die offenen Straßen verlassen, denn es wird Tag sein. Allonge­ perücken wird man dann nimmer brauchen, denn so man eine

Glatze hat, wird man sie zeigen. Die Wahrheit wird bloß gehen. Im Dienste dieser Sonne denke ich mich so gerne. Ich will mich an ihren Wagen spannen und sie mit heraufziehen helfen. Zwar gibt es viele Wege, die zur Volksaufklärung führen, aber einer da­ von ist die Schule gewiß. Sie wirkt zwar langsam, aber sicher und zuverlässig. Oft schon habe ich manches Schloß in Lüfte gebaut, es zerrann. .Das Schloß meiner Wünsche hatte keinen Grund, darum zerrann es. Volksbildung hat aber ein Fundament, es liegt in der Menschennatur. Darum ist dieses Schloß kein Schloß in die Luft gebaut, es ist auf Boden und festem Grund gebaut. Es ruht auf dem Menschen, der zwar überall verschieden, doch überall gleich ist. Volksbildung, Volkserziehung braucht wenig Kraft, aber guten Willen. Diese Ersparung aber alles Genius, die Auffindung dieses Allgemeingültigen, die Entdeckung, daß das Schwierigste das Leich­ teste sei, verdanket die Welt dem unsterblichen Pestalozzi. Nun ist es leicht, Hand an zu legen, denn die Mittel sind gegeben. Es braucht wenig Kraft, aber guten Willen. Nun wird mirs niemand verargen, daß ich zwar wenig Kraft, aber guten Willen genug habe. Ich glaube daher, es wäre erforderlich, mich dieser Hülfsmittel ganz zu bemächtigen, weil sie eben große Kraft entbehrlich machen. Vieles übernimmt ohnedem die Zeit und ihre Gefährtin die Not. Den Aufenthalt in Jferten brauch ich daher wie täglich Brot. Hier wäre ich. Mein Wunsch geht aber noch etwas weiter. Fribourg ist nur etwa 6 Stunden von hier entfernt. Dort blüht unter Pater Girard *) eine Lancaster'sche Schule. Russen, die von der Regierung zu ihrer pädagogischen Bildung ausgeschickt bei Bell und Lancaster selber waren, versichern, daß die Fribourger Kopie das englische Original weit übertreffe. Was dort im Fabriksgeist getrieben wird, ist hier menschlicher und reiner aufgefaßt worden. Diese Schule und ihren edlen Stifter möchte ich daher gerne besuchen und stu­ dieren. Es ist eine eigne Erscheinung, unter etlichen 100 Kindern 1) Jean Baptiste Girard (1765-1850), als Franziskanermönch Pere Gregoire genannt, Pädagog, seit 1804 Vorsteher der Präliminarschule in Freiburg (i. d. Schweiz).

nur einen Lehrer ju sehen wie er alles belebt und in Tätigkeit setzt. Dieses ist das eigene der Bellischen und Lancasterischen Lehrart1). In kurzer Zeit würde ich hier fertig sein, weil mich hier nur die Disziplin interesstert. Von Fribourg denke ich dann nach Hofwyl zu gehen, um mich etwas in der Botanik und der Agrikultur umzu­ sehen. Keineswegs wünsche ich und trachte hiebei ein gründlicher, eia umfassender Botaniker und Landmann zu werden. Es liegt außerhalb der Möglichkeit und außerhalb meines Willens und Vorsatzes. Kenntnis der Giftpflanzen, Futterkräuter und der Obst­ baumzucht wäre mir aus der Botanik; Düngung, Felderbenutzung, Werkzeuge wären mir in der Agrikultur hinlänglich. Ich brauche zu meinem Plane nicht mehr. Zum Beschlusse wünschte ich nach Zürich zu Nägeli zu gehen, um seine Methode der Gesanglehre ver­ stehen zu lernen und zu üben. Freilich ist hier vieles in wenigen Worten gesagt. Dies alles hoffe ich jedoch in einem halben Jahre zurückzulegen. Wie gesagt, ich brauche nur Einsicht in diese Gegen­ stände, die Fertigkeit und Gewandheit überlasse ich der Uebung und der Zukunft. Dann, geliebter Vater, wäre ich so ziemlich fertig. Die Donau würde mich nach Wien und Pest tragen. Ich wäre dann Euer. Was ich dann mit allem diesem will, erspare ich mir auf ein andermal. Vor jetzt genug. Ich lege Euch nun diesen Plan vor — überlegt ihn, beschneidet, setzt hinzu, wir haben Zeit uns darüber zu beratschlagen.-------Die Bewandnis mit Fabini und seine Obligation würde ich Euch im nächsten Briefe schicken. Dieser würde viel zu dickleibig werden. i) Bell-Lancastersche Lehrart oder Methode des gegenseitigen Unterrichts, das­ jenige Lehrsysiem, nach welchem vorgerücktere Schüler unter Oberaufsicht eines Lehrers schwächere unterrichten. Durchgebildet und in ein System gebracht wurde diese Methode durch die Engländer Andrew Bell (1753-1832) und Josef Lancaster, Quäker (1778-1838), gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Ihre Unterrlchtssysieme stimmen im wesentlichen miteinander überein. Man teilt die Schüler beim gegenseitigen Unterricht in eine Menge kleiner Klassen, deren jede durch einen fortgeschrittenern Schüler in den nötigsten Fertigkeiten soweit geübt wird, als dieser sie selbst vorher von dem Lehrmeister erlernt hat. — Siehe auch Roths Brief vom 28. Mai 1819.

Nun lebet wohl! Alle, alle. Werdet gesund und liebet ferner Euren Sohn, Bruder und Onkel St. L. Roth. An den Schulmeister Vollmar in Tübingen, den ehemaligen Haus­

Jferten, undatiert. (Gräser, der einen Teil davon S. 85

herrn R.s. (Der Briefist am untern

abdruckte,

Rande stark beschädigt.)

Januar 1819.)

datiert ihn auf Anfang

Lieber Freund! Mein Versprechen erfülle ich etwas spät. Ver­ zeihen Sie! Das Meer von Geschäften, worin mich das Studium der Methode warf, ließ mich eine Zeitlang für nichts anderes leben. Es ging mir wie einem Vergreisenden, der von der Höhe plötzlich eine unabsehbare Fläche erblickt, in der Unendlichkeit verirrt sich sein Blick, er selbst vergißt sich. Dieses Bild kann Ihnen meinen Zustand anschaulich machen. Ich vergaß mich und daher auch Sie, wertester Freund! Hier in Jferten ist endlich Friede. Lange2) hat, wie Sie schon wissen werden, abgebeten. Ich bin ftoh, daß diese Händel beendigt sind, aber nur wegen des Friedens willen. Pestalozzi wurde nämlich wesentlich in seinen literarischen Arbeiten hiedurch gestört, und wie muß es diesen edlen Mann gekränkt haben, sich in seinem 74. Jahr als einen gemeinen Verbrecher angegriffen zu sehen! — Im Institute geht es zwar nicht so gut wie es gehen könnte, aber die unzufriedene Partei macht es denn doch zu arg.. Aber kann es anders sein? — Französische Lehrer, eine Menge französischer Kinder. — In der Mathematik wird viel getan, desto mehr happerts in den alten Sprachen. Mit der lateinischen Sprache krotet man sich noch durch, mit der griechischen geht es wie es kann. Beide Sprachen werden noch nach der alten Herkommniß gelehrt. Ich glaube daher, der Grund, warum man hierin zurückbleibe, liege in der alten Art (Schlendrian). Denn so wie sich Tod und Leben nie vereinigen können, also kann sich Pestalozzische Methode mit der bisherigen nicht vereinigen. Zwar wurden schon oft Versuche mit den alten Sprachen gemacht, um ihre Erlernung in die Pestaloz1) Siehe S. 250, Anm. I.

zische Methode umzugießen, wiewohl vergeblich. Seit einiger Zeit arbeite auch ich daran. Ich bin überzeugt, daß es der richtige Weg sei. Jedoch sehen Sie selbst ein, daß dies ein sehr weitläufiges Unter­ nehmen ist, und daß man große Liebe für die Sache haben muß, um sich diesem Geschäfte zu unterziehen. Nächstens werde ich Ver­ suche machen. Auf lange Zeit habe ich schon Materialien, und wäh­ rend der Bau fortgeht, werde ich immer neue sammeln. Ich muß mich glücklich schätzen nicht gelehrt zu sein, denn den wenigen Natur finn, den wir noch aus den verkünstelten Lebensverhältnissen erret­ ten, raubt uns, wie ein Straßenräuber, gewöhnlich die gewöhnliche Schule. Um die lateinische Sprache gründlich und vollständig zu verarbeiten und als ein organisches Ganze darzustellen, braucht es viele Jahre und ich habe nicht soviel Zeit. Froh will ich sein, wenn nur etwas geschieht. Es soll ein Fingerzeig sein, mehr nicht, der seinen hinlänglichen Nutzen hat, wenn er einen größer« Lateiner aufzufordern im Stande ist, mit seiner größer« Kraft etwas Grö­ ßeres zu leisten. Meine Eltern haben mir im letzten Brief erlaubt, diesen Winter hier bleiben zu dürfen, aber ich sehe wohl ein, daß es zur umfassen­ den Kenntnis der Methode mehr Zeit braucht, ich werde deswegen meine lieben Eltern ersuchen, mich noch ein Jahr hier zu lassen. Währenddem ich von Tübingen fortgegangen bin, haben sich meine Wünsche und mein Ziel merklich verändert — ich gehöre jetzt ganz der Erziehung, während ich in Tübingen sehr oft mit hohlen Nüssen gespielt habe; denn in meinen philosophisch seinsollenden Träumen lagen keine Kerne. Was machen meine Landsleute? — Möchten Sie nur einig sein! — Kommt denn keiner zu Ihnen? Fahren Sie fort ein Freund meiner Landsleute zu sein. Es gibt edle Männer unter Ihnen. O, lieber Herr Dollmar, wie oft denke ich an Ihr Haus. Sie erlaubten mir, ein Glied Ihrer Familie zu sein. Ich bin in Tübingen nicht in der Fremde gewesen, ich war zu Hause. Das Andenken an Sie soll mir heilig sein. Noch denke ich mit Vergnügen an mein sonniges Stübchen und an die berauchte Küchentüre, wo ich tausendmal ge-

standen bin und mein Pfeifchen im traulichen Gespräch mit Ihrer Familie verdampft habe! Was macht Ihre liebe Frau, die dem stürmischen Burschen manches verziehen hat? Was macht die schöne Malerin..

(Aus dem Bricfbuch.)

Beantwortung des Briefes meines Vaters

vom 23. Dezember 1818. Empfangen den 15. Jänner 1819. Teure Eltern! Euren Brief vom 23. Dezember erhielt ich heute den 15. Jänner. Er ist ein wahres Bild des menschlichen Lebens! Krankheit, Verdrießlichkeiten, Mühseligkeiten sind beinahe immer im Gefolge unserer Wallfahrt. Sie wechseln ab, kleinere mit grö­ ßeren, wie es kommt. Die äußere Welt unserer Umgebungen hat fürwahr wenig Wert. Könnte man das Herz so bilden, daß es nur gegen Freuden empfänglich und gegen Schmerzen unempfindlich wäre, so würde, ich weiß nicht dem sittlichen, immer aber dem Men­ schen als Menschen dies eine Wohltat sein. Sich gegen alles eine kalte Unempfindlichkeit anzubilden, ist denn gar zu traurig. Des­ wegen scheint es mir am besten zu sein, diese Außenwelt nur soviel zu beachten, als sie es verdienet, d. h. wenig. Immer aber in uns sei das Leben. Das Reich der Gedanken ist ja ohnedem unendlicher als die vergängliche Erde. Die Freuden aus uns geschöpft stehen jedem zu Diensten. Sie versiegen nie. Wie mich daher die unglück­ liche Sinnesänderung der Frau Schwester Gerger auch betrübt hat, so setze ich mich doch hinüber, weil ich eben nichts besseres zu tun weiß. Allerdings muß es schmerzen, einen Menschen, an den uns Blut und Liebe fesselten, gewaltsam von unserem Herzen abreißen zu müssen; allerdings — es wird schmerzen und wehe tun, aber der Schmerz darf nie größer als der Verlust sein. Den Achtungswür­ digen achtete man, den Liebenswürdigen liebte man, und man achtete ihn nur insoweit als er achtungswürdig, und liebte ihn nur inso­ weit als er liebenswürdig war. Ist er es nicht mehr, hat er es auf­ gehört zu sein, so fällt Liebe und Achtung von sich selbst weg. Wird er wieder achtungswürdig, wird er wieder liebenswürdig, so achtet

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Bei Pestalozzi

man ihn wieder und liebt ihn wieder. Denn das bißchen Staub, das der Mensch als Körper herumträgt, ist gleichgültig und keiner Rücksicht wert. Diese wandelnde Erde ist uns nur dann etwas, wenn sie die Behausung des Ewigen, der Menschenwürde ist. Wendet da­ her Euer Herz und Euer Auge von Frau Schwester Gerger ab. Sie selbst hat sich herabgerissen und ist nicht herausgestoßen worden, so wie man sich von einem Toten mit wehmütigem Herzen und weinen­ dem Auge wegwendet. Man blickt zwar auf die einst geliebte Hülle mit Wehmut, mit Tränen, aber da der Geist des Lebens entfloh, hört Liebe, hört Achtung auf. Ein harter Trost, welcher Trost ist aber nicht hart? — So, liebe Eltern, bewegt man sich in immer engerem und engerem Kreise. Die Freunde scheiden. Das Grab und die Feindschaft reißt sie alle von unserer Seite, bis wir allein stehen. Das Schicksal er­ zieht uns hierdurch zur Selbstständigkeit. Selbstständigkeit aber ist die Vollendung der Erziehung und nun betrachte ich es noch von der anderen Seite, daß dies mit ein Fingerzeig zu unserer Selbst­ ständigkeit sei. Wir werden auf unser Haus, auf die Rothische Fa­ milie eingeschränkt. Hier, liebe Eltern, laßt uns aus dem größeren Kreise sunsj hereinretten. Hier krümmt keines dem andern ein Haar, denn wir haben uns so lieb. Vater- und Mutterhaus! Woh­ nung des Friedens, sei mir gegrüßt! Eintracht und Zuftiedenheit, seid auch künftig unsere Genossen. Ihr (-mgel der Liebe und Freund­ schaft, bewohnt auch ferner unser Vater- und Mutterhaus. O heilig ist diese Erziehung, die unser Glück auf Familienwohl und ihre Freuden baut. Hier ist ein sicherer Hafen, wer hier ankert, ist ge­ schützt vor allen Stürmen. Eine Erziehung, die keinen Unterschied zwischen den Kindern macht, wo den Eltern jedes Kind gleich lieb ist, hat für solche Spaltungen vorgesorgt. Das Glück und die Zu­ friedenheit des einen beruht immer auf der Zuftiedenheit des an­ deren. Scheelsucht, Neid kann in einem also gebildeten Gemüte keine Stelle finden, denn das Herz bewohnt die Liebe und die Freund­ schaft. Eine Erziehung aber, die dieses gleiche Verhältnis schon in den ersten Lebensjahren der Kindheit nicht anerkennt und dawider-

handelt, wirft gleich in das jarte Mer den Keim späterer Entjweinng. Wo es Lieblinge, wo es Schoßkinder gibt, da kann keine echte Geschwisterliebe wurjeln. Denn der Boden der Liebe fehlt. Und da gedeiht die Blume der Eintracht nie, wie sie gedeih» könnte und sollte. Noch aber hat mich Eure Aeußerung, daß Ihr Frau Schwester Gerger während dieser Zeit als wahnsinnig ansehen wollt, auf einen anderen Gedanken geführt. Unsere Stimmung nämlich und der Ausdruck derselben, unsere Worte und Aeußerungen sind dem Einflüsse der Umgebungen sehr stark unterworfen, oft setzt sich durch eine giftige Umgebung an unsere Seele ein fremdartiger Stoff an, der die Reinheit unseres Herzens ganz verdunkelt und beschmutzt. Die Seele unterliegend diesem Drucke erscheint im fremden Dienste der Bitterkeit und hämischen Scheelsucht. Es scheint dann, als schliefen alle übrigen guten Eigenschaften und nur die bösen wären vorhanden. Hier kennen wir den Menschen noch zu wenig; das geheime Band zwischen uns und der Umgebung ist uns noch zu sehr unbe­ kannt. Die Krankheiten der Seele sind aber so zahllos als die des Körpers, und es ist wahrscheinlich, daß die gute Frau Schwester jetzt von irgendeiner Seelenkrankheit angesteckt ist!!! Sie wird bestimmt ftüher oder später ihr uns angetanes Unrecht einsehen, wie es alle eingesehn haben, die noch gegen uns aufgetreten sind. Laßt es uns hoffen. Tut daher keinen Schritt, der eine Wiedervereinigung un­ möglich macht.. die Hand und denkt: es sei besser Unrecht leiden, als Unrecht tun. Meine Lisi ist noch immer krank — doch Gott sei Dank auf dem Wege der Besserung. Zu wünschen wäre es, daß es recht bald ge­ näse, bis mein Brief ankömmt, ist es gewiß ganz hergestellt. Ich bin immer gesund und frisch und gelangten nicht dann und wann Trauertöne aus der Heimat an mich, so würde ich ganz ver­ gessen, was Kummer sei. Hier haben sich eben die Feierlichkeiten im Pestalozziinsiitute be­ endigt, das Fest des Neujahres war der Anfang und der gestrige Tag das Ende derselben. Vater Pestalozzi hielt sowohl am Neu-

jahrstage, als an seinem Geburtstage (den 12. Januar) herrliche Reden! Einen eigenen Gang ist das Schicksal mit diesem Manne gegangen und geht ihn noch! Am Schlüsse des Jahres überblickte ec mit dankbarem Herzen die Gefahren des Jahres, die glücklich überstanden sind. Tränen rollten über seine Backen, als er seine Schicksale berührte. Zu Anfang dieses Jahres war eine förmliche Empörung gegen ihn, alles drohte sich aufzulösen und die Mühe seines ganzen Lebens lag ungewiß in der blinden Hand des Schick­ sals. Wie einen Wahnsinnigen brachte man ihn nach Bullet aufs Gebirge, wo er sich wieder erholte und beinahe bis ans Ende des Jahres ungestört arbeitete, als sich wieder ein gewaltiger Sturm des Hauses bemächtigte. Lange *), ein Lehrer, klagte ihn öffentlich an, verließ plötzlich sein Haus und nahm eigenmächtig mehrere Zöglinge mit sich fort. Der Streit wurde gewonnen und nun lächelt ihm wieder eine fteudigere Zukunft entgegen. Seine neugegründete Anstalt in Clindy12) übertrifft alle seine kühnsten Wünsche und er steht wieder als verehrter Retter der Menschheit da. Sonnenschein und Regen. Der folgende Brief ist — wie auch einige andere — in doppelter Fas­ sung vorhanden: in der des Briefbuches und in der des durch die Post beförderten Originales. Wie weit die beiden Fassungen bei Roth stilistisch und auch inhaltlich voneinander abweichen konnten, erkenne man hier an der Wiedergabe beider, die nur in den zwei ersten Absätzen einiger­ maßen übereinstimmen. Zugleich zeige die Wiedergabe der zweiten Fas­ sung die Originalorthographie Roths. An Joh. Michael Wellmann, Rektor» der Schule in Hcltan. (1. Fassung: Aus dem Bricfbuch.) Jfertcn, den 20. Januar i8iy.

Gruß und Kuß. Lange haben wir beide geschwiegen. Es soll hin­ fort nicht mehr geschehn. Du siehst, ich mache den Anfang. Bist Du vielleicht deswegen über mich böse, so reiche mir nun die Hand 1) Lange, ein preußischer ehem. Rektor eines Gymnasiums. 1817 Schmids Adjunkt. 2) Oie Armenanstalt in Clindy, einem ganz in der Nähe von Jferten gelegenen Dorfe, war am 13. September 1818 eröffnet worden.

und verzeihe. Meine Nachlässigkeit im Briefschreiben isi Dir ja längst bekannt. Deine habe ich, wie Du wissen wirst, auch erfahren. Wir sind gleich faule Briefschreiber. Verzeih Du mir, ich Dir, so sind wir beide versöhnt. Es wundert mich, daß mein Vater mir von Dir gar keine Nachricht erteilt, ließ er Dich vielleicht auch von mir nichts er­ fahren ? — Beinahe in jedem Briefe erkundigte ich mich um Dich, Dein Leben und Weben — umsonst — alle Briefe meines Vaters schwiegen davon still wie das Grab. Ich vermutete also, Ihr stündet dermalen in keiner näheren Verbindung. Es sollte nicht so sein, daß fühlte ich wohl, aber weil es einmal so war und mir der anderweitige Zusammenhang dieses Rätsels unbekannt war, so tröstete ich mich dadurch, daß ich annahm, nur mir schiene es aus der Entfernung, als wie wenn Ihr in keiner Berührung ständet. Nun frage ich Dich, Dein Gewissen: wie verhält es sich mit dieser Sache? Du mußt mir darüber schreiben. Ein weiteres Stillschweigen schützt Dich vor meiner Bestürmung nicht. Ich werde eigensinnig genug sein, um Dich so­ lange zu plagen, bis Du mir Red und Antwort gibst. Ebenso werde ich nicht ermangeln, aus meinem Vaterhause über Dich Nachrichten einzujiehn. So muß es mir endlich heiter und klar werden. Uebrigens wünsche ich und hoffe, daß Du in guten Verhältnissen lebest, denn nur unter solchen pflegt man alles um sich her zu vergessen. Deine Zufriedenheit, Dein Glück, Dein Frieden geht mir über alles, aber laß mir doch ein Plätzchen in Deinem Herzen, erneuere Dir mein Bild, wenn dasselbe vielleicht Deine jetzige Umgebung an Frische übertrifft, und ruf die Erinnerung aus dem Hintergründe Deines Herzens hervor, wecke in Dir das Andenken an Deinen alten und darum bewährten Freund Roth. Du wirst wissen, daß ich jetzt in Jferten bei Pestalozzi lebe. Nach einem vierteljährigen Aufenthalte entschloß ich mich noch ein Jahr hier zu bleiben. Der Brief, den ich deswegen nach Hause geschrieben habe, ist noch unbeantwortet. Nach Mutmaßungen und Wunsch wird mein lieber Vater Ja sagen. Ich freue mich sehr darauf. Pestalozzi hat an meinen Vater ge­ schrieben. Ich erwarte die Antwort alle Tage.

In Tübingen habe ich kaum ein Jahr zugebracht. Mit den vor­ züglichsten Gelehrten stand ich in näherer Bekanntschaft. Eschen­ mayer rechnete mich zu seinem Hausfteund, ebenso Prälat Gaab. Es war aber umsonst. Ich konnte nicht mehr länger da aushalten. Ein Sturm trieb mich fort. Seitdem ich anfing über Erziehung nach­ zudenken, wurde die heldenmäßige Vorstellung der Philosophie vor meinen Augen immer schmächtiger. Ich wurde ihr gram und später treulos. Soviel sah ich ein, daß eine bloße philosophische Ausbildung einseitig sei und das Herz ging dabei leer aus, dies fiel mir umsomehr auf, da ich außer den Stunden mein Leben der Freundschaft hei­ ligte. Ich verließ die Fahnen der Philosophie und warf mich in die Arme der seligmachenden Religion. Aber die Wissenschaft von ihr trat mir wie ein abgelebter Greis entgegen, der einer anderen Zeit angehört, dessen Schritte dem Grabe zueilen. Besonders schmerzte es mich, den unprotestantischen Geist der Protestanten zu bemerken, die offenbar den Menschensatzungen dienen, um fich daher auf der anderen Seite dem Katholizismus zu nähern. Wem muß diese Erfahrung nicht wehe tun? Dieser Geist ist aber der herrschende in Deutschland. Erhebt fich jemand gegen die Formen und will fie, die unnützen, zerschlagen und umgießen, so schreien wir ebenso: Ketzer! wie man vor zoo Jahren geschrien hat! Sag" es nur, ob dies ein gutes Zeichen der Zeit sei. Ein unglücklicher Drang treibt uns in Formen zu wohnen. Wir verehren fie noch immer, wenn der Geist längst entflohen ist. Man kennt auch das Uebel in Deutsch­ land; die Edleren, Besseren klagen und jammern darüber. 3n den Staatsauffassungen geht es nicht besser. Der Siegestaumel der nur kurzen Zeit ist wie ein Zugvogel geflohn. Die Not führte die Men­ schen recht zurück, die alte Kraft erwachte. Der Enthusiasmus ist überwindlich. Sieg auf Sieg. Der Unterjocher Europas liegt ge­ fangen und nun werfen sich alle Blicke auf den Thron und verlangen repräsentative Verfassungen. Die gnädigen Großen geben mit gnädiger Miene das, was sie ernstlich tun müßten. Der Taumel verschwindet. Die Verfassungen entsprechen nicht. Die ungeheuren Auflagen dauern fort. Die stehenden Heere saugen noch immer die

Länder aus. Man jersiückelt Völker wie eine stumme Herde, man tauscht mit Land und Volk. Was im Kabinett geschieht, muß das Volk wollen. Kurz, es bleibt beim alten, nur daß jetzt noch die Unzuftiedenheit alle Herzen vergiftet. Auf den Trümmern seiner Be­ geisterung sitzt der deutsche Genius und weint: wo ist Pressefteiheit? — Diese Stimmung der Gemüter ist unter den Bessern herrschend. Wir an den Karpathen ahnten noch nichts davon. Unschuldig wie die Kinder gehen wir ins Leben, daß uns ergreift, nur nicht wir dasselbe. Wir leben in der Zeit, nicht die Zeit in uns. Beinahe dieselben Plagen drücken auch uns, aber in unserer Unmündigkeit ist es gut für uns. Unsere Unvermischbarkeit mit andern Völkern, ein weises Gesetz unserer vernünftigen Voreltern, lassen wir selbst, aus Liebe zur Ruhe, zu Grunde gehen. Unser Graf ist nicht mehr unser Graf, Du wirst es sehen. Schlafsucht, Geiz schläfern uns ein und jagen uns auf. Die Nation begreift sich nicht als solche. Wo habe» wir eine Geschichte? Der Luxus schleicht sich in die Familien ein und die große Hure am Donaustrande wird unsere Kupplerin. Unser Handel ist blos passiv und man wird schon dafür sorgen, daß er es immer bleibt. (2. Fassung: Brieforiginal) *).

Jferten, den ... Jänner 1819.

Gruß und Kuß! Mein Lieber! Wir beide haben lange geschwiegen. Du siehst: ich breche das Stillschweigen. Meine Nachläßigkeit im Briefschreiben ist Dir längst bekant; von Deiner kann ich aus Er­ fahrung sprechen. Wir sind gleich faule Briefschreiber: ich und Du. Verzeih Du mir, ich Dir, so sind wir beide quitt. Mein Vater gibt mir auch keine Nachricht von Dir — vielleicht ließ er Dich von mir auch nichts wißen. Beinahe in jedem Briefe erkundigte ich mich um Dein Leben und Weben — umsonst — alles schwieg von Dir still, wie das Grab. 8 Stunden Entfernung sollte Dich doch nicht gehindert haben, meine Eltern, die Dich so i) Erstmalig veröffentlicht von Dr. G. A. Schüller in: Ostland I. Jg. Hermannstadt (1919), S. 190.

sehr lieben, ;u besuchen. Wie steht es um Dich, wie lebst Du? Laß michjsj doch, mein Lieber, wißen. Weiteres Stillschweigen schützt Dich vor dem ungestümen Frager nicht. Eigensinnig genug, werde ich Dich so lange plagen, biß daß Du mir Red" und Antwort gibst. Uebrigens glaube ich, daß Du unter guten Umständen lebest; denn nur unter solchen pflegt man alles um sich her zu vergeßen. Dein Glück gönne ich Dir von Herzen, nur bin ich mit Deinem Still­ schweigen unzufrieden. Laß mir doch ein Plätzchen in Deinem Her­ zen. Erneuere das blaße Bild, wenn es vielleicht die junge, neue Gegenwart an Frische übertrifft, in Dir; und rufe die Errinerung aus dem Hintergründe Deines Herzens hervor, wecke das An­ denken an Deinen Roth. Du wirst wißen, daß ich jetzt bei Pestalozzi in Jferten lebe. Schon bin ich ein Vierteljahr hier; und ich bin entschloßen noch ein Jahr hier zu bleiben. Noch erwarte ich die väterliche und mütterliche Er­ laubniß. Die Anmort auf meine Bitte erwarte ich nächstens. Jch muthmaße, daß mein Vater: ja sagen wird, und die gute Mutter liebt mich auch zu sehr, um mir an meiner Ausbildung hinderlich sein zu wollen. Für Erziehung läßt sich sehr viel thun. Soll ein beßeres Geschlecht auferstehen, so muß die Erziehung dafür sorgen. Pesta­ lozzis Methode besitzt diese Arznei für die Krankheit der Zeit. Ich weiß und kenne Deine Liebe zum Erziehungsfache. Dein Eifer dafür macht Dir ja in Heltau jede gute Familie hold. Deinem Wunsche, den deutschen Boden zu betretten, könte ich einen Weg zeigen; und zwar in Jferten selbst, im Pestalozzischen Institute. Pestalozzi braucht einen Religionslehrerx) für sein Schloß1 2). Der jetzige ist bloßer Prediger — er hat die Gabe nicht: sich den Kin­ dern zu nähern, ein Kind unter den Kindern zu werden. Die Lehre aber vom Katheder verhalt, und wenn sie auch kalt im Gedächtniße 1) Statt des 1817 ausgetretenen Niederer. 2) Die Erziehungsanstalt war in einem alten, von dem Stadtrat von Jferten Pestalozzi zu diesem Zwecke überlassenen Schlosse untergebracht. Daneben be­ stand in Clindy, einem Dorfe ganz nahe bei Jferten, seit dem 13. September 1818 eine Armenanstalt unter Pestalozzis Leitung.

aufbewahrt wird, so geht sie nicht in's Leben über — sie ist für das Leben verloren. Die Herzen verstehen nur die Herzen zu erwärmen, Dispositionen am Finger abgezählt sind Stimmen in der Wüste, Freundschaft und Liebe erweicht, und macht empfänglich für^s Gute, macht gut. Der Lehrer sey dem Schüler Bruder und Freund. Dieses liebevolle Verhältniß, Freund, ist die erste Bedingung eines guten Lehrers. Pestalozzi will auf seine Anstalt das gemütliche Leben der Familie übertragen. Pestalozzi braucht einen Religions­ lehrer nach solchen Grundsätzen. An gewöhnlichen Predigern ist kein Mangel. Pestalozzi wünscht einen guten Menschen. Er theilte mir, nebst Schmid, dem künftigen Vorsteher der Anstalt *), ihren Wunsch mit; gleich dachte ich an dich; und mein Herz war froh bei dem Gedanken dem Vater Pestalozzi einen braven Religionslehrer, und mir den seelenguten Freund an die Seite zu schaffen. Ich kenne Dich. Du taugst dafür. Diese Leute werden Dir, wie mir, alle Liebe erzeigen. Ich bin überzeugt, daß Du hier zufrieden leben wirst, so wie ich in vollkomner Zufriedenheit lebe. Unterdessen werde ich auch die älterliche Erlaubniß erhalten, ein Jahr als Lehrer bleiben zu dürfen. Dann, Freund in gleichem Werke, von gleicher Liebe beseelt wollen wir der Erziehung leben. Ich zwar werde Dir in's Vaterland voraus­ gehen, aber wir wollen uns die Hände doch immer reichen; ic. Solltest Du dich entschließen, so machst Du uns allen Freude. Schreibe ja nur bald. Die Bedingungen sind sehr annehmbar und es läßt sich dabei honnet leben. Hier köntest Du mehrere Jahre leben. Ich weiß, die Vaterlandsliebe würde Dich endlich auch nach Hauße ziehen, aber doch nur nach Jahren. Unterdessen werde ich schon etwas angebahnt haben, und wenn Du dann komst, so geht alles herlich von Statten. Deine Verhältniße sind ja von der Art, daß sie immer abgeschnitten werden könen. Bringe alles in Anschlag, was Du zu bringen hast, Vater und Mutter machen Dich vor keiner Trennung scheu, sie sind todt. Eigene Ausbildung, künftiger Vateri) Pestalozzi beabsichtigte, seiner Anstalt über seinen Tod hinaus die Fortdauer zu sichern. Er wollte sie durch seinen Enkel Gottlieb im Verein mit Schmid weiterführen lassen.

landsdiensi heißen Dich m'6 Ausland gehen. Ziehe meine Eltern zu Rathe; ich weiß, diese rathen Dir auch dazu. Solltest Du Dich entschließen, hieher zu kommen, so schreibe nur bald. Die Entfernung macht es notwendig. Vergeßenicht hinzuzufügen, wenn Du kom­ men kannst, unter welchen vielleicht individuellen Bedingungen? rc. Aus Hermannstadt habe ich auch seit ewigen Zeiten keine Nach­ richt. Frau Schwester Gerger, samt Familie, und allen unsern Angehörigefnj viele Grüße und Küße! Allen meinen Freunden: Schimert, Reschner, Schreiber, Hertel, Schüller, Conrad, Jacobi, Royko, Groß, Phleps, lasse ich alles Gute wünschen. Lebe Du selbst wohl, und in Erwartung einer günstigen Antwort heiße ich mich Deinen Roth. (Aus dem Briefbuch.)

Antwort auf Freund Beckers Brief vom 14. Januar 1819 (den 22. Januar.)

Freund! Es ist wahr, Du hast lange gezaudert, endlich doch ge­ schrieben. Ich bins zufrieden, hier ist meine Hand! Aus Deinem Brief trittst Du mir wie Du lebst und liebst ent­ gegen, darum begrüße ich Dich auch wieder als solchen: Freund! Zu meinen Vorsätzen rufst Du mir wie ein erfahrener Weltmann zu: Festina lente!1) Gut: wenn Du die nüchterne Erwägung der Zeit und der Umstände damit bezeichnest; herzlich schlecht: wenn es Rücksichten bedeuten sollen, die man auf dies armselige Leben nehmen soll. Der Eifer macht blind. Aber geharnischt springt Pallas und Jupiters Gehirn. Dem geistlichen Stande entfremdet sich immer mehr mein Herz, während sich die Flamme der Erziehung und Geistlichkeit immer mehr verschwistert. Nach meinen jetzigen Einsichten halte ich die Niederlegung des geistlichen Berufes (äußere Geistlichkeit, Pfarrung) für notwendig. Warm und wohl isis einem auf einer fetten Pftünde — viel läßt sich entwickeln und entfalten — aber. Freund, ergraut im lastenden Dienst des Toten und also Herkömmlichen, taugt man in der Ordnung gewöhnlich zu nichts mehr als zu einem Pfründner. Das Jugendleben hat noch Kraft, 1) Eile mit Weile!

eigene Bahnen zu gehn, das spätere Alter umsieht sich um einen Stab, vertraut dann dem Stabe und nichtmehr sich selbst. Auch gar mancher wird mich ungeschoren gehen lassen, wenn ich durch diesen Schritt dem Eigennutze weniger Gelegenheit gebe, in meinem Streben einen Vorsprung, ein Hervortun zu wittern. Noch liegt alles in meiner Hand. Meine guten Eltern wissen noch nichts. Ich aber trage mich [mit] dem Gedanken schon so lange herum, daß es mir nicht schwer fallen wird, einen lange genährten Wunsch meines Herzens willig aufzugeben. Es war ein Wunsch, mehr nicht. Allerdings schrieb mir mein Vater von einer Reise nach irgend einer merkwürdigen Hauptstadt: Paris, Berlin. Neulich habe ich ihm erwidert, daß ich nirgendsmehr hin will. Wenn Reisen klug machen könnten, so hätte ich schon diese Art Klugheit mir anzu­ eignen Gelegenheit gehabt. Was soll ich in Italien, wo die Natur des Menschen spottet? Um zu weinen, brauche ich nicht auf diesen Kirchhof christlichen Glaubens zu gehen. Paris hat sein Leben in die äußeren Elendigkeiten vergraben. Die Hülle ist zu sehen, aber der Geist ist entfloh». Die Natur hat sich in der Revolution von der Unnatur freimachen wollen. Man hielt es für Wehen der Geburts­ stunden des Menschenrechts; venit ridiculus mus1). Berlin ist eine Hauptstadt — auch auf diesem Boden will der Baum des Deutsch­ tums nicht gedeihn. Ein schöner Traum schwebte über Deutschland, er ist zerflossen. Gerne wollte ich diese Blätter in der Geschichte um­ schlagen; der Genius Deutschlands steht hier mit gesenkter Fackel. Ein großer Gang fehlte unserer Geschichte: d. h. sie hat den Cha­ rakter der Charakterlosigkeit. Die Zeit geht fort, warum will man stillstehen? — Wer nicht auf der Oberfläche der bedeutungslosen Gegenwart schwimmt, wer nicht durch die Brille des Zeitgeschmacks falsch steht, muß von gerechter Trauer erfüllt werden ob dem Leben im Tode oder dessen, was des Todes ist. Wo öffnet sich dem Frieden, wo der Freiheit sichern Zufluchtsort? Dich und den lieben Salzer wollte ich gern noch eiu'nwl sehen, wollte Euch gern noch einmal an meine Brust drücken. Deutsche 1) Zirm Vorschein kam eine lächerlich kleine Maus. ^

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l b c v 10, St. L. Roth. I.

Brust an deutsche Brust. Sollte es wirklich geschehen, so wollte ich gern dann dem heimatlichen Flusse mich anvertrauen, ich wollte gern auf so manches andere verzichten. Verzichten ist ja unser Los. Schwer wird es mir fallen, einmal auch diese Hoffnung aufgeben zu müssen. In einer andern Welt wieder! Eure Eltern grüßet vom Freund ihrer Söhne. Dies ist mein Verdienst. Der Streit zwischen Landsmannschaft und Burschenschaft dauert. Der Streit ist die Gelegenheit des Sieges. Dem Verdienst seine Kronen, Untergang der Lügenbrut! Verständigt Euch vor allen Dingen über das, was ihr wollt, die Form macht's nicht. Laßt sich das Leben verschieden kleiden, es soll nur Leben sein. Von innen heraus muß das Gute wirken und das Schlechte verdrängen. Der Kastengeist sei verbannt. Jeder Stamm hat nur Wert im ganzen Volke. Deutschtum umflechte Eure Herzen, ein deutscher Geist be­ wohne Eure Brust; und hiermit Gott befohlen! Meine Landsleute stehn ja meinem Herzen nahe. E i n Himmel wölbte sich über uns, in e i n e r Sprache lernten wir Vater und Mutter sagen. Wir verstanden uns nicht. Eine böse Erziehung warf durch Nährung des Ehrgeizes den verderblichen Zunder der Zwietracht zwischen uns. Ich liebte sie, indem sie ihr Gesicht von mir abwen­ deten. Was konnte ich mehr tun? Sie verzeih» mir! Wie froh bin ich! Aber daß sie mir die Hände bieten werden im Vaterlande, um Funken aus dem Stein zu schlagen, dieses macht mich erst glücklich. Was vermag ein Einzelner? O, nähre diese Liebe in ihnen, die nur [in] einem Winkel in ihre« edlen Herzen schlafen konnte. Sie ist erwacht! So hoffe ich, daß unter uns Männern einst eine herrliche Verbindung stattfinden solle. Zwar wird jeder an seinem Platze, in seinem Kreise wirken, aber in elektrischer Nähe sind wir immer bei­ sammen. Grüße sie, die Guten, herzinnig, besonders aber Deine Freunde Greißing und Modjer! Dem Schuster könnte ich auch, wenn ich wollte, vermöge der Ent­ fernung das unbedeutende Geld nicht übermachen. Uebrigens ent­ sinne ich mich, alles gezahlt zu haben. Tröste ihn so gut als Du kannst.

(Tagebuchaufzeichnung aus dem Briefbuch.)

Montag, den .... Jänner 1819

Ueber den Stillstand der Seelcnjunahme in unserer Nation. Die Seelenjahl unserer Nation soll stillstehn. Völlig glaube ich nicht. Von einzelnen Gegenden mag es allerdings gelten. Die von der Regierung aufgeworfene Frage: woher es käme, ist nicht tüchtig und trüglich beantwortet worden. Teils wurden Nebengründe an­ gegeben, teils wurden schon Folgen der eigentlichen Ursache als Grund angegeben. Zu den Nebengründen gehört Abgaben, schlechte Zeiten ic., zur anderen Art die besondere sträfliche Meinung des Volkes, ihre Kinderanzahl sich zu bestimmen. Mir scheinen dieses die wesentlichen Gründe zu sein: I. Frühes Heiraten. 1. Schwache Kinder, die teils hinsterben, teils als schwache Eltern noch schwächlichere Kinder zeugen. 2. Schwächung der Eltern, besonders der Ruin der Mutter. Durch übermäßigen Genuß werden sie zur Zeugung entweder un­ fähig oder sterben frühe und hinterlassen die Waisen. 11. Aus unserem Gesetz der gleichen Güterverteilung, welches an allem unschuldig ist, fließt mit ein Grund. Es ist die Bestim­ mung der Anzahl der Kinder. Es gibt solche Dörfer, worauf man mit Fingern weisen könnte. Da nach der gleichen Güter­ verteilung auf jedes Kind ein Teil kommt, so kommt auf wenigere Kinder mehr, auf mehrere weniger. Das Gesetz ist recht und voll­ kommen auch hieran unschuldig. Nun beschränken die Eltern die Anzahl ihrer Kinder, damit auf die einzelnen mehr komme. Der Wunsch der Eltern ist zwar sträflich, aber kein Verbrechen. Daß sie sich aber eines so widernatürlichen Mittels bedienen, das ist verflucht. Diese Gesinnung ist sträflich, weil sie aus allzugroßer Liebe für die irdische Wohlfahrt entspringt. Sorget nicht, wo ihr morgen essen werdet, der himmlische Vater gibt uns schon zu essen. Aber das widernatürliche Mittel ist verflucht. Gibt es denn kein anderes Mittel, den Kindern Vermögen zu hinterlassen? — Jawohl!

1. Erziehung zur Selbstständigkeit. 2. Einführung besserer Agrikultur. 3. Dadurch schon, daß zwei bis drei Kinder nur im väterlichen Hause sind, verliert sich der reine Sinn für das Familienleben. Es ist ja eine allgemeine Erfahrung, daß die Erstlinge und Spätlinge von den Kindern verdorbene, verzärtelte Kinder sind. Ein Kind bildet das andere und es selbst wird am anderen gebildet. Sind nun in einem Hause ein bis zwei Kinder, so können diese Kinder nur von sich selbst ablernen. Eins von einem. Mehrere sind besser. 4. Vernachlässigung der Patevpflichten. Die Paten treten an Vater- und Mutterstatt. Es ist ihre heiligste Pflicht, die Patenkinder zu unterstützen, sie mögen Waisen oder Nichtwaisen sein. 5. Abgeholfen könnte ihm werden: durch Gesetze: I. Anverwandte, die kinderlos sind, sind genötigt, Kinder von fremde» Anverwandten anzunehmen. II. Kein Unverheirateter darf ein Amt bekommen (streng darauf halten). III. Die kinderlosen Eltern müssen zu Abgaben, die die Erzie­ hung der Kinder der Stadt, des Dorfes notwendig macht, gleichen, ja mehr Beitrag geben. IV. Allgemeines Rekrutierungsgesetz. (Tagebuchanfzeichnung aus dem Briefbuch.) Dienstag, den •.. Jänner 1819.

Etwas über die Verkehrtheit unseres Zeit­ alters. Es ist wohl außerhalb allem Zweifel/ daß alle unsere Erkenntnis aus dem Hintergründe der Beobachtung hervortritt. Nur inwie­ weit sie aus eigenem Nachdenken hergeleitet wird, ist sie für uns etwas. Das Urteil reift nur zur Vollkommenheit alsdann, wenn man lange Zeit Beobachtungen angestellt, wenn man den Gegen­ stand von allen Seiten betrachtet, in allen seinen Verhältnissen er­ wogen und geprüft hat. Die Beobachtung ist der Hintergrund, aus dem unsere Erkenntnis hervortritt. Solange nicht gehörig Beob-

achlungen gemacht wurden, solange ist es der Sache gemäß, sein Urteil zurückzuhalten. Das Urteil ist erst die Frucht der Beobach­ tung. Nun aber ist es wesentlicher Charakterzug unseres Zeitalters, das Urteil vor die Beobachtung zu setzen. Man kann es in allen Ständen bemerken, dieses verkehrte Wesen ist in die Hütten der Armut ebenso eingeschlichen, wie in die Wohnungen der Großen und Reichen. Die Jugend ist naseweis und das Alter vorurteilig (es urteilt vor). Die stillen Hallen der Erziehung stehen aber obenan und sind im jetzigen Jahrhundert besonders bemüht, dieses ver­ kehrte Unwesen zu verbreiten. Sie wissen freilich nicht, was ste tun, oder sie wähnen noch Wunder, Gutes zu tun. Weil sie aber an dem Orte sind, wo der Durchgang alles geistigen Lebens ist, so ist ihr Einfluß je größer er ist, desto verderblicher. In die stille, unbefangene Brust der Jugend wird [auf] diese Art frühzeitig der Samen des sich aufblähenden, inwendig leeren Ehrgeizes gelegt, der sich in späteren Jahren, beim Eintritt in den Beruf, wo jeder seine Ware so gut anbringt als möglich, zur unglückseligen Anmaßung und Täuschung anderer Gutmütigen und Leichtgläubigen entfaltet. An­ statt die Brust mit Bescheidenheit, frommer Einfalt und Demut zu erfüllen, wird sie hiedurch mit dem Gift des verkehrten, inwendig hohlen Ehrgeizes getränkt und erfüllt. Der Schein ist dann der Zweck geworden, aber der Verlust des Wirklichalsoseienden ist auch der Gewinn. Man will etwas scheinen, was man nicht ist, weil man sich hiedurch leichter durch die Welt hindurchzudringen glaubt. Durchzukommen ist die Losung des Lebens geworden. Aber dieses heißt, sich jedes erlaubten oder unerlaubten Mittels bedienen, um mit Ehren durchzukommen. Ob mit gradem Sinn und gradem Rücken oder Schmeichelei und Schein wird nicht getrachtet und unterschiede». Jeder Stand will scheinen. Der Student will ge­ lehrt scheinen; Wortkram und gelehrte Brocken rieseln ihm vom Munde. Der Advokat will listig scheinen und gewandt, denn unter diesem Schilde kehren bei ihm die meisten Streitsüchtigen ein. Die Obrigkeit räuspert sich und wirft sich in die Brust, denn sie will ansehnlich scheinen. Der Arzt will beschäftigt scheinen, darum rennt

er entweder die Leute auf der Straße nieder oder bewegt sich nur langsam mit gesenktem Kopfe und zählt an den Fingern die Pillen und Pulver ab. Der Geistliche schleicht einher auf dieser Erde wie wenn er hier nicht zu Hause wäre, denn sein Reich ist nicht von dieser Welt. Der Soldat lügt und flucht, denn hiedurch erscheint man als Held. Frommer Mann, der du nicht so bist, stoße dich nicht dar­ an, es gilt nicht dir. Dieses alles sind tägliche Erscheinungen des Lebens. Geht auf die Straße und beobachtet unparteiisch und ihr werdet es so finden. Das Uebel ist allgemein. Woher kommt es denn, daß wir so vom Weg des Wahren abgekommen sind? Woher stammt denn dieser Hang, etwas anders zu sein und etwas anders zu scheinen? So war es nicht immer. Fürwahr, es ist der Mühe wert, sich umzusehen und nach den Quellen zu schauen, aus denen diese Uebel über uns hereinbrechen. Es ist zu unserer Heilung notwendig, daß wir sie kennen, damit wir ihnen Damm und Ufer setzen. Denn so kann es nicht mehr lange dauern. Treue und Redlichkeit lebt mehr auf den Lippen als im Herzen und wird immer mehr aus dem letzteren ver­ schwinden und seinen Wohnsitz nur auf den Lippen haben. Es gab auch eine andere Zeit, wo mehr das Wort galt. Ein Mann, ein Wort. Wer da versprach, dem glaubte man, er hielt das Verspre­ chen. Da gab es keine Obligationen, keine Quittungen, keine Scheine, das Wort war alles: Bürge und Zeuge. Treue und Redlichkeit wohnten noch unter den Menschen. Aber sie sind entflohen, sie sind nichtmehr bei uns und wohnen nichtmehr unter uns. Die Schein­ sucht hat sie aus dem Lande gejagt. Mit nach und nach im Laufe der Zeit verdrängte sie sie aus den Herzen von einem Ort zum andern, bis über unsere Grenzen. Scheinsucht hat Treu und Red­ lichkeit aus dem Lande gejagt. Darum klagen die Alten so sehr, denn sie sahen auch eine andere Zeit, sie haben aus dieser mitge­ bracht noch die Sehnsucht nach ihnen. Auch weiß es das Zeitalter selber, daß es nicht so ist, wie es sein sollte. Denn darum traut es sich selber nicht. Aber so kann es lange nicht mehr bleiben. Die Quellen, aus denen diese Scheinsucht hervordringt, müssen ent-

Sokratisieren und Kathechetisieren

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deckt und verstopft werden. Das Uebel ist gemeinschaftlich, also muß es aus einer gemeinschaftlichen Ursache herrühren. Da, wo der Durchgang aller Bildung ist, da muß auch diese Quelle der Miß­ bildung verborgen liegen. Wir wollen gleich das Kind beim rechten Namen nennen, es sind die in den Schein und die Verkehrtheit arbeitenden Schule«. Ein hartes Wort, aber ein wahres! Zwar mag es dem jarten Ohr der schwachnervigten Zeit ju grob scheinen, zwar mag es den feinen Anstand der also verwöhnten Welt beleidigen, unumwunden dieses also zu sagen; aber keinem andern Grunde können wir es beimessen, denn den in den Schein und die Verkehrtheit arbeiten­ den Schulen. Und wir glauben hierin Recht zu haben, wenn wir dartun, daß nach dem jetzigen Geist der Schulen das Urteil dem Schüler früher abgenötigt wird, als die Beobachtungen und das selbsttätige Denken angestellt werden konnte. Nach der Natur der Sache kann ich nur über das urteilen und darf nur über das urteilen, was mir durch und durch bekannt, was ich nach seinen notwendigen und zufälligen Eigenschaften mit meiner Einsicht durchdrungen habe. Nur aus Beobachtungen überhaupt folgt das Urteil und nur aus richtigen Beobachtungen folgt ein richtiges Urteil. Wird aber dieser augenscheinlichen Wahrheit ge­ folgt? Anstatt dem Zögling die mannigfaltigste Gelegenheit zu Beobachtungen und den mannigfaltigsten Stoff zum Denken zu geben, wird durch Sokratisieren und Kathechetisieren dem Kinde wie dem Jüngling gleich ein Urteil abgedrungen. Ohnedem ist es bekannt, daß Wissen und Antworten eine getrennte Kraft ist. Ich kann schon manches in mir tragen und es in meinem Bewußtsein haben, aber deswegen bin ich doch noch nicht geeignet, auf jede Frage Antwort zu geben. Die Antwort setzt ein Geben und das Wissen auch nur ein zu sich Aufnehmen voraus. Dieses abgerechnet, daß dieses Verfahren schon unnatürlich sei, läßt man dem Zögling keine Gelegenheit, jdasj Angehörte in sich völlig aufzunehmen und es zu verdauen. Denn soll das Wort in uns sich wieder lebendig ge­ stalten, soll es wieder Geist werden, wie es Geist bedeutet, so muß

ihm doch Zeit gegönnt sein, es gehörig in sich zu verarbeiten. Diesem Grundgesetz in uns, daß alles bis zur völligen Vereinigung mit uns Zeit brauche, diesem Grundgesetz in uns nun ganz zuwider wird gleich gefragt und wieder gefragt, und so ein vorreifes Urteil abgedrungen und abgezwungen; der Schüler wird genötigt zu scheinen, als habe er die ganze Sache genügsam überdacht und könne nun schon darüber urteilen. Da er aber in den Geist und das Wesen noch nicht eingedrungen sein kann und er es selber fühlt, weil er gerne still­ schwiege, so muß er es scheinen. Oder bleibt er der Wahrheit getreu und sagt: ich weiß nicht, so wird er ausgelacht von den Mitschülern und vom Lehrer ausgeschimpft. So allmählich weicht die Jugend von der Bahn der Natur ab und wird zum Scheine getrieben. Da man ihnen ohnedem das Lernen als Mittel zum Brote vorstellt, und vom Lehrer alles auf das Antworten gesetzt wird, so erscheint als Frucht des Lernens die Scheinantwort, die in sich nichtig und hohl, nur außen zu, im Schein bleibt. Wir wollen dieses schon an sich Klare noch durch einige Beispiele anschaulich zu machen suchen. Das Rechnen ist eine Beschäftigung und eine Arbeit des Verstandes. Die Resultate und die besonderen Vorteile, die dabei zu gewinnen sind, sollen sich erst aus einer Tätig­ keit des Denkens ergeben. Sonst ist es eine verkehrte Sache. Nun aber läßt man das ganze Rechnungsfach der Memorie zufallen und behandelt dasjenige, was ursprünglich Versiandessache ist, lediglich als eine Sache, die der Memorie gehört. Gleich von vornherein gibt man dem Schüler das Ein-mal-eins auswendig zu lernen, ohne daß er die Bestandteile der einzelnen Zahlen noch kennt. Da er es mit dem Verstände noch nicht begreifen kann und man sich auch keine weitere Mühe gibt, daß er es begreife, so muß er es aus­ wendig lernen. Seine Aussagen ruhen nicht auf dem Grund der Anschauung und der Einsicht, sondern bloß und allein im Gedächt­ niskasten. Die Verfahrungsart aber im ganzen Unterricht des Rech­ nens ist ebenso beschaffen. Man könnte es, wenn es nötig wäre, durch das ganze Feld Schritt vor Schritt zeigen, wenn es sich der Mühe lohnen sollte und es nicht schon an sich heiter wäre.

Lisi ist krank

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Jferten, den 14. Hornung 1819.

Geliebte Eltern! Schon seit längerer Zeit habe ich nicht geschrie­ ben. Euer Brief kam gerade recht, um mich an mein Versprechen, fleißig zu schreiben, zu erinnern. Einmal wollte ich Euren meine Anfrage beantwortenden Brief erwarten, weil von diesem allerdings ein merkwürdiger Abschnitt in meinem Leben gemacht wird. Noch weiß ich zwar nicht, wie Ihr entschieden habt, aber ich verspreche mir doch das Beste. — Diese lange Frist, seitdem ich und Pesta­ lozzi x) Euch geschrieben haben, hat für mich etwas äußerst Pein­ liches, das Ihr Euch wohl werdet vorstellen können. Ungewißheit hat etwas sehr Marterndes. Indessen, bis Ihr diese Zeilen erhaltet, weiß ich auch, woran ich bi». Meine List ist noch immer krank, es dauert lange und kann noch lange dauern, je länger es aber gedauert hat, desto näher ist es der Entscheidung. Früher, später, die Entscheidung wird kommen. Wie immer, es ist dann entschieden, d. h. unabänderlich. Eins von beiden. Eine Vorsehung wacht über uns. Furcht hilft nichts, Hoffnung alles. Unsere Hoffnung stirbt mit dem Grabe nicht. Fassung und Vertrauen auf Gott ist noch immer Sieger gewesen. — Der menschliche Körper kann außerordentlich viel ertragen, ein weiblicher Körper das Doppelte. Mut und Mut und wieder Mut ist die beste Arznei. Als Lisi an seinem Leben verzweifelte, war es nahe daran. Wer verzeiht nicht dem Menschen seine Tränen um sein Leben? Lisi ist Mutter von zwei unerzogenen Kindern! Mütter müssen schwer sterben! Diesen Gedanken kann ich garnicht denken. In meiner Seele dämmert mir immer die Genesung. Wen über­ fällt aber nicht am Krankenbette unserer Lieben eine düstere Schwer­ mut und wer ist von uns schwachen Menschen so sehr weise, um sich in immer gleicher Stimmung zu erhalten? Schwer wird es Eurem Herzen fallen, meine gute Schwester so leiden zu sehn. Stärket sie mit Hoffnung und Mut. Unsere Seele bleibt immer Herr über den Körper. Euch aber kann ich kein tröstlicheres Wort sagen und aus aller 1) Am 25. Dezember 1818.

Ueberzeugung zurufen, als: hoffet das Beste! Die menschliche Natur ist stark. Unser edler und braver Doktor Gierling ist Meister in seinem Fache. Unsere gute Frau Mutter steht ja noch immer auftecht in dem gewaltigen Andrang dieser Anstrengungen, unter den Lasten der Mutter und Hausfrau pflichten. Gott tut an ihr Wunder und dadurch überhäuft er unsere Familie mit Gnade. An ihrer Auf­ rechterhaltung und Erhaltung können wir uns bei Lisis Krankheit auch aufrichten und in der Hoffnung erhalten. Ueberdies ist Lisi noch jung. Zuletzt Ihr Lieben, wenn die Erfahrung gegen den Trost spricht, so bleibt uns der Himmel offen. Blickt auf diesen! Der Vater im Himmel, vor dessen Augen die Haare auf unserem Kopf gezählt sind, wird uns nur Gutes angedeihen lassen. — Gott sei Dank! ich bin gesund. Wenngleich mager und bleich, so fehlt mir doch im geringsten nichts. Ziemlich viele Arbeit hält mich in beständigem Atem, aber ich freue mich ihrer. Meine Haus­ mannskost schmeckt mir gut und der Därmreißer, den wir auf unserem Tische haben, schlägt mir gut an. Meine Geige und etwa auch die Guitarre vertreiben mir die etwaigen Grillen. Und meine Pfeife dampfend kommt und geht der Morgen und Abend ich weiß nicht wie. Keinen eigentlichen Winter haben wir noch — dem ohngeachtet hat es manchen Schauer gegeben. Wir haben hier den Nordwind, in der Schweiz wird er Bise genannt, der ganz furchtbar ist, kalt und scharf. Er bricht Bäume, wirft Kamine herunter rc. Gegen diesen argen Gesundheitsfeind hat mir mein Mantel herrliche Dienste ge­ tan. Ich kann keck sagen: er hat mich bei meiner Gesundheit erhalten, denn da ich keinen Rock habe, so hätte ich sonst nur im Frack gehen müssen. Ich habe wirklich auf den Rat der guten Frau Mutter ge­ hört und ihn mehr, als ich sonst pflege, getragen. Meine Kleidungs­ stücke, die ich mir in Tübingen machen ließ, haben mich sehr be­ trogen. Weil sie grob waren, haben sie garnichts gedauert, mein schwarzer Frack zerfällt mir auf dem Rücken wie Mist. Grobe Stoffe — schlechte Spekulation.

Obgleich Pestalozzi nichts auf schöne Kleider gibt, denn er geht wie ein Bettler umher, so muß ich doch auf einen neuen Anzug denken und da will ich mir wirklich feines Gewand kaufen. Allhier sind die Tücher teuer; aber was ist zu machen? Um 12 Franken (10 Batzen) kann man sich nur sehr gewöhnliches Tuch kaufen. Hier ist kein Fasching, überhaupt keine öffentliche Lustbarkeiten. Der Sekten- oder besser Kastengeist läßt keine völlige Oeffentlichkeit einer Freude aufkommen. In diesem sogenannten freien Lande will der Adel sich auch konstituieren, obgleich er konstitutionswidrig, wie bei uns, ist. Aber die armen Menschen sind nach einem Egoismustrank immer so sehr dürstig, daß sie sich gerne etwas aneignen, was entweder allen oder keinem gebührt. Und, lieber Vater, ver­ möge unsern Grundsätzen, auf denen unser sächsischer Staats­ körper gebaut ist, sind wir alle adlig, d. h. frei. Aber leben die Stellvertreter unserer gefeierten Nation diesem gemäß? Bringen es nicht neuere Gesetze mit sich, daß man sich um die Adelbriefe be­ danken muß ? Man muß danken, — warum ? weil man aller gnädigst die Konstitution mit Füßen tritt------Es gibt daher hier mehrere Gesellschaften 1. Noblesse, d. h. eine Menschenart, die nichts erwirbt, aber nur verzehrt. 2. Wohlhabende Bürger, sie schämen sich der letzteren Klasse und werden von der ersteren auch zurückgesetzt, und endlich gehören in die 3. die armen Bürger. Ich gehe in keine, weil ich außer mit Pädagogen in keiner Familie Bekanntschaft suche. Kann unterm Monde größere Torheit irgendwo stattfinden? Der Kanton von Waadt, worin Jferten liegt, hat aber noch einen Krebsschaden. Dieser Kanton gehörte zum Berner, riß sich oder wurde in den letzten Jahren davon abgerissen. Das Volk liebt die jetzige Verfassung, da dasselbe hiedurch zu mehrerer Freiheit gelangt ist, die Noblesse hingegen hängt dem Alten an, weil ihr durch die neue manche Vorteile aus den Händen gerissen worden sind, die sie früher unter den Bernern besaß. Da nun die bessere Verfassung einmal da ist, so suchen sie wenigstens ihre Kuttlen (ein Schweizer Ausdruck für Egoismus) geltend zu machen. —

Ueberhaupt ist in der Schweiz keine sonderliche Freiheit zu Hause. Entweder saugt die Aristokratie, wo man zehn Herren vor einen hat, das Volk aus, oder benimmt die Demokratie allem Staatsgange die Haltung und Energie, d. h. man hat gar keine eigentliche Obrigkeit. Aristokratie vermählt sich gerne mit Despotie, und Demo­ kratie mit Anarchie. Eine Monarchie vereinigt alles Gute in sich, wenn sie durch eine vernünftige, d. h. liberale, Ständeverfassung unschädlich gemacht wird. — Aber, aber, aber-----------In Deutschland ist ein großer überwiegender Hang nach Stände­ verfassungen, d. h. repräsentativen, sonst taugen sie garnichts; des­ wegen taugt so manche Ständeverfassung nichts. Baden hat die beste, Freude und Jubel. Bayern ist in der Liberalität etwas zu­ rück. In Preußen herrscht über dem gänzlichen Mangel an Konsti­ tution ein bald wehmütiger, bald höchst unzuftiedener Geist. In Württemberg kann sich Volk und König nicht verständigen. In Hessen weint man oder flucht man. In einem gewissen anderen Lande schläft man, aber mit dem Zusatze, daß man nicht einmal träumt. Ich weiß nicht aus welcher Ursache, vielleicht hat es die Zensur verboten *). Diese Kannegießerein mußten diesmal die Lücke ausfüllen, die mir Mangel an sonstigem Stoff zuzog. Euer St. L. Roth. (Aus dem Briefbuch.)

Streitsache mit Herrn

Niederer^).

Die Originalien dieses Streites bin ich im Begriffe Herrn Nie­ derer zu schicken, indem ich ihn mehr als durch Papiere von meinem Gradsinn und meiner alten Liebe zu ihm zu überzeugen wünschte. Den Vorwurf lehnen an sich schon die Papiere zurück, aber ich wollte ihm noch Achtnng einflößen, obgleich von meiner Seite keine nähere Berührung ausgehen kann. Geschichte. Den 18. Hornung ging ich zu Herrn Niederer, um ihm einen Besuch abzustatten. Mehrere Tage war ich nicht zu ihm gewesen. 1) Oesterreich. 2) Siehe S. 223.

Seine Krankheit, mehr noch die pädagogische Inhaltslosigkeit un­ serer Gespräche machten mich eben nicht sehr sehnsüchtig nach häufigen, seit einiger Zeit ju ganz gewöhnlichen Conversationsvisiten herabgesunkenen Gesprächen. Nach kurzen Begrüßungen nahm der Herr Niederer einen feierlichen Ton an, der sich bald zum stürmischen und endlich, nach eingetretener Krisis, zum schmelzen­ den gestaltete. Das Gespräch war dieses: i. Aktenstück. (N: Niederer; 3: 3ch.)

N: Ich habe etwas auf dem Herzen, ich muß es Ihnen sagen: Sie haben mir Briefe gelesen? I: Welche? N: Sie wissen schon! I: Kein Wort. N: Warum leugnen Sie? Weillmann*) hat schon alles gestanden. I: Was hat er gestanden? N: Daß Sie meine, ihm unter dem heiligen Siegel der Verschwie­ genheit zum Abschreiben übergebenen Briefe gelesen haben. 3: Es ist nicht wahr. N: Doch, doch. Sie haben darüber gelacht — 3: Er hat es 3hnen also mit Umständlichkeit erzählt? N: Ja, mit der größten Umständlichkeit. Er hat mir gesagt: Sie hätten ihm sie so mit allerlei Wendungen, Drehungen und verführerischen Worten aus den Händen gedreht. 3: 3ch hätte also ihn mit verführerischen Worten so lange ange­ griffen, bis daß er mir sie zum Lesen gegeben hätte, ich hätte sie also gelesen? N: Gradso. Sie hätten z. B. gesagt: Sie wüßten schon alles und 3hnen könne er's schon geben u. d. g. 3: 3ch habe also 3hre Briefe, in meinen Händen gehabt, gelesen dazu und gelacht? N: Ja, er hat mir alles gestanden mit der größten Umständlichkeit — es ist schon alles heraus — 1)

Wahrscheinlich richtig: Weilenmann.

3: Wenn ich den Kerl bekomme, zertrete ich ihn wie eine Kröte. N: Das nützt nichts. I: Weillmann ist in der Stadt, es wird sich zeigen, er soll mir^s ins Gesicht sagen. N: Ja — Weillmann ist fort. I: Wohin? N: Man weiß nicht. 3: Er wird doch wieder kommen. N: Ich weiß nicht. 3: Jetzt Herr Niederer: glauben Sie es oder nicht? Ja oder nein? N: Ich weiß nichts zu sagen. — Sie spielen eine kritische Rolle, wo es viel Standhaftigkeit braucht — 3: 3ch könnte eben nicht sagen. Glauben Sie es oder nicht? Ja oder nein! N: Einesteils hängen Sie sehr an Pestalozzi, andersteils kommen Sie auch zu mir. Es ist wahrscheinlich, daß Sie die Liebe zu Pestalozzi hingerissen hat. 3: Was sind es denn vor Briefe? Geheime oder was? N: Es sind keine geheime, aber es braucht sie doch niemand zu lesen, der kein Recht dazu hat. 3: Ich weiß gar nichts davon. Mir sind keine Briefe vor Augen gekommen. N: Sie waren doch hier, als ich sie Weillmann gab? 3: Wohl! Aber ich wußte nicht, was vor Briefe es waren. 3ch sage ausdrücklich ohne alle Modifikation, ich weiß gar nichts davon, im Geringsten nichts. N: Sie wissen, persönliche Verhältnisse sind heilig und es ist die größte Niederträchtigkeit, diese auf eine solche Art zu miß­ brauchen. 3: Sie haben Recht im Falle.... N: Ich habe Sie mit aller Liebe aufgenommen, habe Sie mit aller zuvorkommenden Freundschaft behandelt und nun — ich muß Ihnen nur sagen, daß ich Sie sehr geachtet habe. 3: Das ist mir lieb; und nun werfen Sie auf diesen Mann, den

N:

I: N: I: N: I:

Sie so sehr geachtet zu haben vorgeben, auf das Wort eines Weillmann den schändlichsten Verdacht. Das ist sehr geschwind geändert. Verjeihen Sie, ich habe schon manche solche Erfahrung gemacht, daß ich von Personen, die ich geachtet und geliebt habe, so schändlich betrogen worden bin. Ihre Ueberzeugung würde mir wehe tun — Mein Urteil gilt nichts, sondern nur dieses fragt sich nun hier: Ist es geschehen oder nicht. Das fragt sich bei mir nicht. Ich will Ihr Urteil widerlegen! Widerlegen Sie lieber die Tat. Das wird geschehen.

Ich bat Herrn Niederer um die schriftliche Erklärung alles dessen, was Weillmann gesagt hätte. Er verspracht. Unterdessen ging ich ju Herrn Lange, um den Weillmann auf­ zusuchen, und, im Falle ich ihn antreffen würde, ihn sogleich zu Herrn Niederer zu führen und mit diesem Hauptstreich den Streit zu entscheiden. Er war nicht da. Wann er kommen würde, war un­ gewiß. Ich ging wieder zu Herrn Niederer zurück und sagte es ihm. Auf meine wiederholte Bitte um die schriftliche Erüärung alles dessen, was Weillmann gesagt hätte, vertröstete mich Herr Niederer auf den morgenden Tag. — Des anderen Tags, den 19. Hornung, traf ich ihn im Garten Zeitungen lesend. Ich befragte ihn wegen des schriftlichen Auf­ satzes, ob er ihn gemacht hätte. Nein. Das war mir sehr ärgerlich. Schon diesen Morgen vor dem Kaffee habe ich unser Gespräch, welches zwischen mir und Herrn Niederer vorgefallen war, zu Papier gebracht: teils um es mir in Karem Bewußtsein zu erhalten, teils auch aus der Absicht, es ihm vorzuzeigen. (Siehe das erste Acktenstück. Der wesentliche Anhalt ist mit denselben Worten hingestellt, wie es denn auch Herr Niederer anerkannte. Ausfälle, die nur in­ direkt mich angingen, habe ich nicht aufgezeichnet.) Ich zog also dieses Gespräch aus meiner Tasche und gab es ihm

ju lesen. Er las es und gab es mir stillschweigend jurücke. Ich fragte ihn, ob Falsches drin wäre? Nein! Ob Lügen und Mißsiellungen drin wären? Nein! Erst als ich ihm es zur Unterschrift vorlegte, fing er an, sich zu winden. Er setzte aber nur ein einziges Wort aus, nämlich „drehte", in dessen Stelle er „entlockt" gesetzt wissen wollte. Er sagte nämlich, er hätte nicht gesagt, daß Weillmann ihm gesagt hätte, daß ich ihm die Papiere aus den Händen gerissen hätte, wo ich ihn dann aufmerksam machte, daß: „mit verführerischen Worten einem etwas aus den Händen drehn", nicht heiße: entreißen, sondern bloß entlocken. Als wir über diese schwierige und eigentlich nur schwierig gemachte Stelle einig geworden waren, so sagte ich, ich gäbe es zu, man solle an die Stelle des Wortes gedreht „entlockt" setzen, er solle mir nur seinen Namen unterschreiben, da er es sonst ganz billige. Ich setze sonst nichts daran aus, war seine Antwort, aber ich unterschreibe nichts Fremdes; wenn ich das Gespräch aus­ setzen würde, so würde es anders sein. Aber meines ist doch nicht falsch? Nein! Warum wollen Sie es dann nicht unterschreiben? Was Männer gesprochen haben, müssen auch Männer unterschreiben können! Ich will Ihnen die Aussage Weillmanns zu Mittag schreiben. Aber schreiben Sie es deutlich und wesentlich. Ja, ja. Wir schieden schon frostig; und sein jetziges Betragen warf mir den Argwohn in die Brust, als habe er eine Lüge unter Weillmanns Aussage unterschoben. Nun dachte ich nach und wieder nach: wie kommt doch Niederer zu dieser Anklage gegen dich? Daß wir schon längere Zeit nicht mehr so freundlich gegen ein­ ander gesinnt waren, wie im Anfang, dies hatte ich an mir und auch an ihm bemerkt. Dieses waren, wenn ich alles überlege, die Ursachen unseres Auseinandergehens: i. daß ich bei seinem öfteren Andrängen, mich über Pestalozzi, ihn und über das gegenseitige Verhältnis nicht erklären wollte.

2. daß ich auf das Reformationsfesi nicht mitgehen wollte. Genug, wir standen schon ftüher nicht auf dem besten Fuße. — Aber wie kam er nun ju diesem Verdachte? Ich enträtsle mir es folgendermaßen. Schmid spricht von 'seinen Sachen immer in der bestimmtesten Form; neulich hatte er sich bei Herrn Fassion, Friedensrichter, auch so ausgesprochen, und vermutlich hat dieser ihm gesagt: Schmid wisse schon alles, er wisse alle seine Gründe und so fort. Natürlich mußte Niederer, als ihm Fassion dieses hinterbrachte, auf den Gedanken kommen: von wem kann es denn Schmid erfahren haben? Weillmann kopiert deine Briefe — mit wem kommt Weillmann zusammen? Mit Roth. Richtig Roth. Roth war hier, als ich ihm die Briefe gab. Roth hat dem Weill­ mann diese Briefe entlockt und sie dem Schmid mitgeteilt. Ein hitziger Kopf ist leicht erhitzt und so fort. So erkläre ich mir den Jdeengang in dieser heißen Natur, der ihn zu diesem dummen und bSslichen Schritte verleitete. Weillmann hat tt'i auch so gemacht, nur mit dem Unterschiede, daß er diesem mehr noch angetan hat — Weillmann hat ihm etwas von mir gesagt. Seine Aussage über unser gehabtes Gespräch setze ich daher an diesen Platz: 2. Aktenstück. Zeugnis. Dieser Tage ging ich zu Herrn Roth in gewissen Büchergeschäften. Herr Roth fragte mich: ob ich ihm nicht eine Landkarte abziehen könnte. Ich antwortete: nein! weil ich von Herrn Niederer Arbeit hätte. Was hat Herr Niederer Ihnen zu tun gegeben, ftagte mich Herr Roth. Man darf es nicht sagen, war meine Antwort. Lächelnd erwiderte Herr Roth: Ich weiß schon. Sie haben vollkommen recht. Geheimnisse sind heilig. Dies ist alles, was wir darüber ge­ sprochen haben. Auch hat Herr Roth weiters keine Gebärde gemacht, als ob er dieses im Geringsten zu lesen wünschte. Sondern hat mich vielmehr darüber als einen rechtschaffenen Mann gelobt. — Be­ scheinigt Heinrich Weillmann. Jferten, de» so. Hornung 1819. Folberth, St. L. Roth. I.

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Ich komme wieder zurück. Niederer hatte mir also versprochen auf Nachmittag das Billet. Nach dem Essen ging ich hin. Es hieß, Nie­ derer schlafe. Ich ließ mich aber durch so fruchtloses Hingehen nicht irre machen, sondern ging später wieder hin. Nun gab er mir einen Wisch, in dem viel Gewäsche ist, nur das nicht, was hiezu gehört. Ich überlas ihn noch im Zimmer. Er lautet von a-co: 3. Aktenstück. Herrn Candidat Roth Wohlgeboren. Der Unterzeichnete erklärt hiemit dem Herrn Candidat Roth, der Kopist Weillmann habe ihm auf Befragen bekannt, Herr Candidat Roth habe ihn über das, was er kopiere, geftagt, mit Lachen ge­ sagt, er brauche es nicht zu verbergen, er wisse es schon, und auf diese Weise Notiz davon genommen. Was an der Tatsache ist, kann ich natürlich auf keine Weise entscheiden und finde deswegen die kategorische Frage von Ja oder Nein, die Herr Roth an mich richtete, in diesem Falle unpassend. Ich setze pflichtmäßig Herrn Roth als einen rechtlichen Mann voraus. Er weiß aber selbst, daß wenige Stunden des Umgangs und bloße Mitteilungsverhältnisse keine Gewährleistung begründen, sondern daß diese allein durch fortwährende Tatbeweise in bestimmten Lebensverhältnissen liegen kann. In solchen bin ich mit Herrn Roth noch nicht gestanden. Die ernsteste unserer bisherigen Berührungen ist gerade der gegen­ wärtige Umstand selbst und das Benehmen des Herrn Candidat Roth wird allerdings zur Festhaltung meiner (bis jetzt nur vorteil­ haften Meinung von ihm beitragen. Dr. Johann Niederer. Jferten, den 19. Hornung 1819.

Anmerkung. Was heißt denn: auf diese Weise Notiz davon ge­ nommen? Heißt es denn: die fremden Briefe in den Händen ge­ habt und gelesen? Das undeutsche Wort: Notiz, sagte ich zu Herrn Niederer, gibt hier nicht genug, es sagt nichts! Verstehen Sie denn darunter in den Händen gehabt und gelesen? 1) Welche Spitzfindigkeit! Anm. R.s.

N: So etwas. I: Das sagt aber das Wort nicht. Haben Sie daher die Güte und machen Sie dabei ein Zeichen und schreiben Sie hin, daß Sie in den Händen gehabtund gelesen darunter verstanden wissenwollten. 91: Ich schreibt nicht hin. 3: Nun gut. Sie wollen das nicht schreiben, was Sie gesprochen haben. Ich nehm's mit, es ist besser etwas als garnichts. Nun war es mir ziemlich klar, daß Niederer von einem anderen etwas ausgesagt hatte, was nicht dem also sei oder kurz, daß er ge­ logen habe. Weillmann war nicht da. Bis daß er ankam, mußte ich mich ruhig verhalten. Den 20. Hornung ging ich auf Pestalozzis Zimmer, wohin ich den Weillmann rief. 3ch stellte den Weillmann zur Rede und es war alles so, wie ich es mir in Gedanken vorgestellt harte. Niederer hatte ihn furchtbar (wie Weillmann sagt: wütend) angegriffen u.s.f. Er erklärte Niederers Aussage für grundfalsch und stellte mir neben dem zweiten Aktenstück noch folgende zwei aus. 3n dem ersten er­ klärt er, daß er zu Niederer nichts von mir ausgesagt hätte, in dem zweiten, daß ich ihn um nichts in dieser schmutzigen Angelegenheit angesprochen hätte. 4. Aktenstück. Zeugnis. Ich bescheine hiemit auf Ehre und Gewissen, daß ich bei Herrn Niederer auf seinen heftigen Angriff weder etwas gestanden, noch zu gestehen gehabt habe, was der Ehre des Herrn Roth nachteilig sein könnte. Ich erkläre demnach die Aussage, die ich gestanden haben soll: daß ich dem Herrn Roth die mir von Herrn Niederer mitgeteilten Briefe in die Hände zum Lesen gegeben hätte, für grundfalsch. Heinrich Weillmann. Jferten, den 20. Hornung 1819.

5. Aktenstück. Zeugnis. Ich Endesunterzeichneter bescheine hiemit auf Ehre und Gewis18*

fett, daß ich Herrn Roth die mir von Herrn Niederer anvertrauten Papiere weder in die Hände gegeben, noch zu Gesichte habe kom­ men lassen und ebenso, daß mir Herr Roth dieselben nie abgefor­ dert oder abzufordern die Gebärde gemacht habe, auch hat er kein Wort gegen mich geäußert, was hiemit in Verbindung stehen oder auch nur dahin gedeutet werden könnte. Jferten, den 20. Hornung 1819. Heinrich Weillmann. Diese Zeugnisse setzten mir nun alles ins Licht. Es lag mir nun da als Tatsache, was ich zuerst nur geahnt hatte. Nun konnte ich schon fester auftreten; ich kannte nun die Art des Angriffs und hatte mit keiner Ungewißheit mehr zu kämpfen. Ich schrieb also an Niederer noch ein Billet: 6. Aktenstück. L. B. S. Indem ich mir die Freiheit nehme, Sie um die Rückgabe meiner Papiere zu bitten, lege ich Ihnen die Frage vor: ob Sie zu Ihren Worten, die Sie vorgestern mehrmals ausgesprochen haben, als ein Ehrenmann stehen wollen? und umsomehr, als Sie in meinem schriftlich aufgesetzten Gespräche, dessen Inhalt und Echtheit Sie übrigens ganz billigten, nur das einzige Wort: „gedreht" ausnahmen und an seine Stelle „gelockt" gesetzt wissen wollten, da Sie hingegen in Ihrem mir schriftlich übergebenen Aufsatze gar nichts, was hierüber Wesentliches ausgesprochen worden ist, einge­ setzt haben. Der wesentliche Inhalt des Gespräches war dieser: Weillmann hätte von mir ausgesagt: ich hätte Ihre demselben unter dem heiligen Siegel der Verschwiegenheit anvertrauten Pa­ piere aus den Händen zu locken gewußt, diese Briefe in meinen Händen gehabt und dieselben gelesen. Dieses ist alles, was ich Sie zu fragen habe. Beantworten Sie es nach Ehre und Gewissen. Roth. Nun hoffte ich endlich eine Erklärung, der man so lange ausge­ wichen war und die Hände und Füße hätte, zu erhalten. Ich glaubte, auf eine so entschiedene Frage müßte eine entschiedene Antwort

folgen. Wie sehr man sich hüte, dasjenige, was man gesprochen hatte, schriftlich von sich zn geben, beweiset folgendes witzige Billet, das mir Herr Niederer auf meine ernste Frage überschickte: 7. Aktenstück. Herr Roth! Wenn Herr Roth einmal den Studententon abgelegt hat und weiß, was er sich und andern schuldig ist, so wird sich weiter mit ihm einlassen Dr. Johann Niederer. Was war nun ju tun? War dies eine Antwort auf Ehre und Gewissen? Ich schrieb ihm daher folgendes Billet: Herr Dr. Niederer! Wenn Herr Dr. Johannes Niederer einmal den Männerton an­ genommen hat und weiß, was er sich und anderen schuldig ist, so wird er auf die Frage in dieser Gewissens- und Ehrensache ant­ worten. Math. 5,37. Roth. Dies war das Letzte, was ich tun konnte, um jv einer Antwort zu kommen. Niederer ließ mir durch Lafargue, den Ueberbrivger, sagen: er wolle mit einem Mann, den er nicht kenne, nichts zu tun haben. Abgesehen von diesem gewiß nicht feinen Streiche, schickte er noch das Billet zurück mit folgendem Zusatze: Zurückgeschickt mit Berbittung aller weiteren Zudringlichkeit. Noch hatte er die Un­ vorsichtigkeit begangen und es offen zurückgeschickt und dadurch dem Kinde einen Blick in seine Schande geöffnet. Wenn nun dieser Knabe dieses weiter plaudert, so kann die Schuld wieder nur den Schuldigen treffen. Da er mir durch letzteres Billet nicht undeutlich durch seine Wut zu verstehen gab, er könne mirs nicht schriftlich geben, so ließ ich gern einem geachteten Mann noch diese Hintertür, wodurch er wenig­ stens dem Urteil der Stadt entging. Er ist genug gedemütigt und der Sieg wäre nur leicht zum entscheiden, aber weniger ehrenvoll gewesen. Deswegen ließ ich nun die Sache auf sich beruhen1). 1) Siehe noch R.s Brief an Niederer vom 28. Mai 1819.

(Aus dem Briefbuch.)

Jferten, den i. März 1819.

Zwei Träume Den ersten Traum, der sich mir so lebhaft vor die Augen stellte und noch in sonderbarer Frische erhält, hatte ich in der Nacht vom 25.-26. Hornung. Ich befand mich mit Herrn Beck am Fuße eines großen Ge­ birges; vor mir lag ein unendliches Meer, schwarz, aber spiegelglatt. Das Ganze aber halte so viele Aehnlichkeit mit einer Landcharte. Es war alles so beisammen: Eilande, Küsten ic. Welche Gegend daß es sei, wußte ich nicht. Beck kannte aber alles genau und nannte mir jedes mit seinem Namen. Schon erblickte ich das Schiff, welches in der Entfernung wie ein Schwan glänzte und welches uns abholen sollte zu einer Seereise nach irgend einem glückseligen Boden, dem ich mit der unaussprechlichsten Sehnsucht entgegensah. Schon wollte ich zu Bord gehen, als mich feindliche Menschen fortrissen und mich an der Ueberfahrt verhinderten. Mein Schmerz war grenzenlos. Wut und Verzweiflung gaben mir ungewöhnliche Stärke, ich wehrte mich tapfer — aber ich erlag der Menge. Nun wurde ich übers Gebirg getrieben, das sehr stark blau gefärbt war. Auf einem holprigen Wege wurde ich hinaufgeschleppt. Wir langten nun irgendwo an, ich weiß nimmer wo. Noch immer wollte ich entwischen, aber weder meiner List, noch meiner Anstrengung gelang es mich freizumachen. Nun erschien meine Mutter, bat mich um alles in der Welt doch nur zu bleiben. Selbst dem Mutterbitten widerstand mein eiserner Wille. Nun fiel meine Mutter über mich her wie eine Rasende. Ich wurde niedergeworfen und geknebelt. Meine Mutter nahm nun eine vergiftete Nadel und stach mich damit in die linke Schulter, wo ich alsdann großmächtig geschwoll; hie und da zeigte sich an meinem Körper ein häßlicher Ausschlag. Meine Mutter triumphierte, denn nun konnte ich nicht fort, ich war krank. Ueberdies kamen noch Aerzte, tunkten ihre Pinsel auch in Gift ein und bestrichen mir damit meinen nackten Körper von oben bis unten. Dick und holprig lagen nun die Eiterbeulen auf mir, wie die Rinde eines alten Eichenbaumes. Matt lag ich da, beständig mit Flüchen

UM mich donnernd. Ich konnte nicht fort an den Ort meiner Sehnsucht.

Mein Schmerj war größer als der Tod.--------- Ich erwachte. Den jweiten Traum hatte ich in der Nacht vom 28. Hornung bis 1. März. Ich, Vater und Mutter befanden uns an einem unbedeuten­ den Flüßchen. Ich warf nach zwei Fischen. Als ich sie getroffen hatte, wurden sie vieltausendmal größer als sie gewesen waren. Darüber fteute ich mich in meinem Herzen. Unsere Familie war arm geworden und hieran hatten wir sehr lange zu zehren. Einen nahm ich heraus und tat ihn in eine benachbarte Lache, die kaum etliche Maß Wasser halten konnte. Plötzlich grub sich dieser Fisch in den Kies ein, daß ich ihn nimmer sah, aber ich scharrte mit meiner Mutter immer den Sand weg, um endlich auf den Fisch zu kommen. Den konnten wir nicht finden. Anstatt dessen aber kamen wir auf Mosaik, die immer schönere Formen hatten, je tiefer wir kamen. Neue Hoffnungen gingen uns auf. Endlich erschienen die Formen in Gold eingelegt. Unsere Wünsche blieben hinter dem Fund nach. Während ich mit Freude weiterarbeitete, saß meine Mutter am Ufer und sah mir mit ftohen Augen zu. Ein Arbeiter, dem ich gern diesen Fund verhehlt hätte, verriet uns. Nun veränderte sich diese Spalte in einen Juwelierladen. Der Eigentümer kam her­ ein. Ich widersetzte mich mit einem Messer und wollte Herr bleiben, indem ich diese Entdeckung unter der Erde gemacht hätte. Der Eigentümer hingegen berief sich auf sein Eigentumsrecht. Dieses vielversprechende Glück, das unserer Armut abhelfen sollte, ging verloren; ich erwachte. Aus meines Vaters Brief vom 9. Januar er­ sehe ich, daß Herr Theil Pfarrer in Hetzeldorf geworden ist. Ich muß nun dem lieben Mann schreiben, der mir Vater und Freund war.

(Aus dem Briefbuch.)

Iferten, den 4.-5. Märj.

Wohlehrwürdiger Herr, Hochgeehrter Herr Vetter. Aus meines lieben Vaters Brief vom 9. Jänner ersehe ich, daß die Wahl der Hetzeldorfer Gemeinde zu ihrem Pfarrer Sie getroffen hat.

Teuerster Mann! Ich freue mich und jeder Rechtliche freut sich mit mir. Ein Schicksal schien es, die Vorsehung war es. Der Vaterstadt nur wollte sie hiedurch wohl tun und, den Blinden aus­ genommen, kann es jeder einsehen, daß es geschah. Ich freue mich, ich Ihr Zögling, Lehrling, freue mich, weiß Gott, von Herzen; im Geiste trete ich zu Ihnen und umarme Sie, den ich nie aufhören werde als Vater zu verehren. Und Sie liebe Frau Muhme, nun Frau Pfarrerin, empfangen Sie die Aeußerung meiner Gefühle mit derselben Güte, mit der Sie mich liebten und behandelten. Nie, nie werde ich^s vergessen. — Ihr lieben Kleinen und Großen, vorzüglich Du, lieber Karl, mein Bruder, wie wohl isi^s mir ums Herz, Euch Pfarrerskiuder und Dich Pfarrerssohn nennen zu können. Mein Vater schrieb mir diese Nachricht mit ganz junger Sprache und seine Freude über Ihre Wahl prägte sich in der bestimmtesten Form einer frohen Freude aus, obgleich er im übrigen Teile seines Briefes kummervoll und gebeugt einhergeht. Unsere Familie hält seit einiger Zeit mancherlei Unglück darnieder. Obgleich ich aus der Entfernuug die Kranken und Leidenden nicht gerade vor meinen Augen habe, so übermannt mich manchmal dennoch eine gewisse Wehmut, die aus allen Zügen meiner elterlichen Nachricht spricht. Mich führt das Leben auch durch eine ernste Schule und Vater--, Mutter--, Schwesterkrankheiten stürmten immer mit ftischer Kraft auf mich ein. Welche Gedanken daß sich in meiner Seele wälzen, können Sie leicht erraten, es sind die Gedanken eines besorgten Sohnes, eines besorgten Bruders. Die Notwendigkeit aber zwingt mich eisern zu bleiben und kein Gefühl, das meiner Meister werden könnte, auch uur keimen zu lassen. — So saß ich denn auch mit dem halbgeleseuen Briefe meines Vaters in der Hand und vertraute mich mit einigen Freigeistern, die zwar noch nur im Hintergründe schlummern, aber loszustürmen bereit scheinen — Ihre Wahl, teuerster Freund — Ihr Glück, mein Glück — zeigte auch mir wieder den Stern der Hoffnung. Er hat mir meinen Frieden ge­ geben. Geehrtesier Herr Vetter, stehen Sie meinen Eltern zur Seite. Ihre jetzige Lage gibt Ihnen etwas freieren Spielraum, besuchen

Sie recht oft mein Vaterhaus. Ihr Einfluß auf das Herj meiner Eltern gibt Ihnen die Mittel an die Hand, auf ihre Gemütsstim­ mung wohltätig wirken zu könne«. Sie und Herr Dr. Gierling sind ja beinahe die einzigen, zu denen ich und unsere Familie ein ge­ gründetes Zutrauen legen können. Das Alter weicht schon ver­ möge dem Druck der Jahre — erhalten Sie daher den Sinn und den Gleichmut meiner Eltern anstecht in dieser unglücklichen Zeit. Sonst wäre ich, wenn nicht dann und wann eine Trauerstim­ mung .., recht glücklich. Ich bewege mich in dem Kreise einer Um­ gebung, der meinem Wesen entspricht, und obgleich die Zukunft noch viel von meinen Wünschen und Hoffnungen hinwegnehmen und sich.. wird, so nähre ich doch täglich in mir Vorsätze, die ich, ohne mich aufzugeben, nicht kann fahren lassen. Jferten ist eine pädagogische Welt und sie eröffnet neue Gruben, aus denen sich vielleicht etwas Gewisses herauslesen ließe. Natürlich nehme ich beständig Rücksicht auf unser Siebenbürgen, in dem sich zwar schon manche Kraft entwickelt hat, das aber von dem Heil, das in der neuen Zeit durch Erziehung und besonders durch Pestalozzi der Welt widerfahren ist, noch keine Blüten und Früchte entfaltet hat. Mein Vater hat mich wie ein Mann, der schon viele Erfahrungen im Rücken hat, auf die entgegenwirkenden Kräfte aufmerksam ge­ macht, die sich besonders dann zeigen, wenn Minderbekanntes ein­ geführt werden soll. Natürlich muß man bei dem Verfolgen eines Zieles immer.. das Senkblei auswerfen, um sicher zu fahren und die Klippen vermeiden, die oft im Angesichte des Hafens das Schiff stranden machen. Ganz aus der Rechnung konnte ich diese Dinge nicht lassen. Nun sehe ich mich wieder genötigt, auch bei Be­ trachtung dieses Gegenstandes mein Augenmerk auf Sie und Ihren Einfluß zu richten. Da Sie nur jetzt aus einem Verhältnisse heraus­ treten, dem Sie durch Einwirken vieler Jahre eine bestimmte sichere Richtung und Haltung gaben. Nun aber bin ich so selbst verliebt, daß ich, als von Ihnen erzogen und mithin in ihrem geistigen Tun lebend, mich im voraus Ihrer Unterstützung versichert glaube. Ihre liebende Sorge, ihre aufopfernde Hingabe an unsere Stadt-

schule *), durch die Sie sich alle Herzen.tragen Sie gewiß auch auf die Schule Ihrer Sie hochschätzenden Gemeinde über. Auf diesem Wege sollen wir uns begegnen. Wie geschäftig bin ich oft nicht, mir den Vordergrund meines Lebens mit so schönen Farben auszumalen, als meine Phantasie nur hat und herzugeben vermag. Einige Farben werden verbleichen. Glück genug, wenn nur die Grundzüge sich bestimmt erhalten. Nun, teuerster Mann, will ich schließen. Seien Sie versichert der Fortdauer meiner Liebe und besonderer Hochachtung und schließen Sie mich nebst Ihrer edlen Frau Gemahlin nie aus dem mir so lieben Kreise Ihrer Freunde aus. Euch Kinder küsse ich alle. Haben Sie die Gefälligkeit und bezeugen Sie die Ehrerbietung der ganzen Familie Schaffendt und Theil. Mich in allem und besondern emp­ fehlend schätze ich es mir zur vorzüglichen Ehre, mich nennen zu dürfen Ihren Sie hochschätzenden Freund St. L. Roth. (Aus dem Briefbuch.)

Den 8. März 1819, ins Schloß *).

Ein Landschullehrerseminar darf in allen seinen Einrichtungen den Charakter der Ländlichkeit nie verleugnen, und zwar sollte es dann auch nirgend anders, als auf dem Lande, in einem Dorf, oder in einem kleinen Landstädtchen seinen Sitz haben. Es ist in der Tat zu verwundern, daß zu einer Zeit, wo man die landwirtschaftliche Kultur in allen Ländern mehr zu heben sucht, an unsere Land­ schulen, die natürlichen Pflanzstätten ländlicher Betriebsamkeit, bei­ nahe garnicht gedacht wird. Der Landmann lebt so ganz in und mit der Natur; an ihre Erscheinungen knüpfen sich alle seine Hoff­ nungen und Bestrebungen, ja mit ihnen hängt seine Religion aufs innigste zusammen. Wie kömmt es — möchte man fragen —, daß man noch nicht ernstlicher daran gedacht hat, ihn für die edelsten Genüsse der Natur besser zu erziehen? Warum versäumt man es denn bis auf die neueste Zeit, ihn in seine Welt so einzuführen, daß 1) Das Medtascher Gymnasium. 2) Von diesem Tage angefangen, da Roth in das Gebäude der Pestalozji^schen Anstalt übersiedelt, ist also seine eigentliche Lehrtätigkeit zu rechnen.

er nicht nur lernt, dem Boden seine Erjeugnisse auf eine verständige Art abzugewinnen, sondern daß ihm auch die Natur eine Quelle religiöser Erhebungen wird? Warum macht man denn nicht eine richtige Naturkenntnis zu einem Hauptgegenstand des Unterrichts in den Landschulen? Oder wäre das nicht das unfehlbarste Mittel, der Roheit zu steuern, die Sitten des Landvolkes milder zu machen, und es dahin zu führen, daß es sein so mühsames Geschäft von einer höheren Seite liebgewinnt? — (Aus dem Briefbuch.) Jferten, de» 9. März 1819. An Mich. gerb. Schuttes (aus Bistritz). Ohne Anschrist.

Lieber Freund 1 Nach längerem Stillschweigen als recht ergreife ich die Feder, um Dir für Deinen lieben Brief vom 24. Jänner lf. Jahres zu antworten. Deine mir mitgeteilten Ansichten über Volkserziehung fließen aus dem Leben und ins Leben ein. Pestalozzi, dem ich den Inhalt Deines Briefes mitteilte, fand den Schreiber achtenswert. Gebe Gott, daß alle unsere Landsleute in und außer Tübingen dieselbe Gesinnung hegten und von derselben Begeisterung erhoben und geläutert würden wie Du. Endlich wür­ den einmal die homines praeposterix) von ihrem Wahn zurück­ kehren. Endlich einmal wird man früher die Ohren öffnen als pre­ digen, und früher das Herz erwärmen als mit Rad und Galgen und der Hölle drohen. O Freund, zwar wird noch manche Zeit vorüberrauschen, aber endlich werden wir wieder zur Natur zurück­ kehren, von der wir uns zu unserem großen Schaden entfernt haben. Du gehst früher ins Vaterland, Freund, tausend Segnun­ gen begleiten Dich von mir. Ich kehre zu Deinem Briefe zurück: Volkserziehung gewinnt besonders durch Berücksichtigung der ganzen Nation eine interessante Seite. Das Volk ist Stammhalter der Nation und deswegen tritt die Beleuchtung dieses Gegenstandes: der Nationalcharakter, als der glänzendste Punkt hervor. Auf diesen muß als auf die Grundlage jeder Volkserziehung gebaut werden. 1) Die Verkehrten.

Denn wie die Menschheit in jeder einzelnen Person individuell er­ scheint, so offenbart sich auch die menschliche Würde nur als natio­ nale im Volke. Dieser Charakter ist, solange er ungetrübt und unverrenkt ist, immer löblich und ehrenfest. Da nun jedes Volk eine besondere Stellung und einen eigentümlichen Einfluß auf das Leben der Menschheit hat und nur durch Anziehung oder Abstoßung dieser Kräfte eine Weltgeschichte möglich und denkbar ist, so haben schon längst gründliche Denker das Heil der Welt in der vollkom­ menen Ausbildung dieses ursprünglichen Nationalcharakters ge­ sucht. Nun aber läßt sich dieser nur aus der Geschichte schöpfen, die hier als Spiegel der Selbsterkenntnis erscheint. Es müßten daher nur diejenigen Willensäußerungen eines Volkes in die Geschichte aufgenommen werden, die in dem Volksgeist gezeugt oder in demselben ausgeprägt worden sind. Ich halte z. B. die franzö­ sische Revolution für eine solche; unsere siebenbürgischen Anteile daran scheinen aber mir nicht in unserem Wesen, sondern in dem Wesen desjenigen Staates zu liegen, unter dessen Botmäßigkeit wir stehen! — Ein Volk, welches keine Geschichte hat, kennt sich noch nicht, denn es fehlt ihm teils die Haltung in der jetzigen, als auch der sichere Schritt in der künftigen Zeit. Wenn daher Klein1) etwas fürs Volk und seinen Namen zu tun har, so wird er uns, da er sich mit Geschichte, wie Du mir gesagt hast, beschäftigt, durch eine solche Sachsengeschichte erfröhlichen. Dieser Gesichtspunkt muß aber dem Geschichtsschreiber immer vorschweben, denn im anderen Falle käme sonst eine Staaten- und keine Volksgeschichte zur Welt. Das Landvolk aber, das heißt derjenige Teil der Nation, der noch nicht vernnnatürlicht ist, bleibt immer der Commentar zu dieser Ge­ schichte. Denn der Geist in großen Städten, an den giftigen Sümp­ fen der Höfe ist sich immer gleich, und weil er in seiner Individualität tot ist, existiert er noch in der Fäulnis des gesellschaftlichen Lebens,, das wohl Formen, aber keine Unterlage von Selbstständigkeit hat. — 1) Vermutlich: Klein, Josef Traugott (1783-1827), damals Pfarrer von Heidendvrf, später Stadtpfarrer von Bistritz, Historiker.

Da lob ich mir auch aus dieser Rücksicht das einsame Dörfchen, das mit seinem Kirchturm zwischen den Bäumen hervorragt. Hier find ich noch Menschen. 3n Wien, Paris, London finde ich nur Wiener, Pariser und Londner und für die große Seelenzahl keine Menschen. Mit Liebe denke ich daher nach Kleinschelken zurück, weil ich außer unseren dortigen traulichen Verhältnissen noch ein Mikro­ kosmos unserer Nation darin erblicke. Wir Pfarrerssöhne haben durch unseren Aufenthalt auf dem Lande in der Kenntnis des Dolkscharakters einen bedeutenden Sprung vor jedem Stadtkind. Auch Du verdankst diesen Landleuten Deine Frische und Bestimmt­ heit Deines edlen Charakters und die gradfinnigen Vorstellungen, die Du von Volkserziehung in Dir trägst, können nur aus der Brust kommen, die oft die frische Morgenluft geschwellt hat. Ich glaube daher in Uebereinstimmung mit Dir, wie ich hoffe, und auf das Obige gestützt, die Volkserziehung habe nicht nur diese Seite, weil darin manches Genie unbekannt umherwandle, sondern es habe hauptsächlich diese: weil die Wurzel des Nationalbaumes das Volk ist, von dessen Stärke Gesundheit und Wohl das Ganze wesentlich abhange. Ueber den Charakter unseres Volkes habe ich mir bei mir schon Rechenschaft zu geben gesucht. Gutmütige Schwäche scheint mir der jetzige Satz zu sein, der fich freilich oft verschieden moduliert. Wolltest Du mir nicht von Deinen heimi­ schen Umgebungen ein Bild in einigen kräftigen Zügen ent­ werfen? Es muß Dir an sich schon Freude machen, nur spare das Papier nicht, laß auch den Rand an dem Briefe weg. Schreib nur viel rc. rc. (Aus dem Briefbuch.)

Den 13. März 1819.

Das Kind ist ftüher witzig als scharffinnig. Wie leicht stellt sich ein Kind unter einer Gerte ein Pferd, unter einer Puppe ein leben­ diges Wesen ic. vor. Der Witz aber verbindet und der Scharfsinn trennt. Die Uebungen zur Entfaltung beider müssen also nach diesem Gesetze entwickelt und angefangen werden.

W i tz (Aufsuchung von Aehnlichkeiten an verschiedenen Gegen, ständen). Erste Stufe. Aufsuchung zweier Gegenstände nebst ihren Aehnlichkeiten, ganz vom Kinde abhängig. Zweite Stufe. Ein Gegenstand wird gegeben, man sucht einen anderen dazu, nebst der zwischen sich vorfindenden Aehnlich, (eit, ganz freiwillig. Dritte Stufe. Beide Gegenstände sind gegeben: 1. Leichte, z. B. Licht und Lehrer. 2. Schwere, z. B. Rosenstrauch und das menschliche Leben. 3. Bilder, z. B. der Schlaf ist der Bruder des Todes ic. Scharfsinn. 1. Welche Teile hat dieser Körper? — welche Verrichtungen oder Beschaffenheiten hat jeder Teil? 2. Wodurch unterscheiden sich die Teile, die Verrichtungen oder Beschaffenheiten. Zuerst ohne Angabe des Gesichtspunktes, dann mit Angabe z. B. Affe, Mensch (Verstand). 3. Ohne Angabe des Gesichtskreises. (Aus dem Briefbuch.)

Jferten, den 24. März 1819.

Lieber teurer Vater! Eure zwei Briefe, deren Beantwortung ich noch schuldig bin, sind voller Traurigkeit. Unwillkürlich werde ich, sowohl während dem Lesen, als auch während dem Beantworten in eine düstere Stimmung versetzt, die ich so gerne in Eurer Seele durch ruhiges Prüfen aufheitern wollte. Denn es scheint mir not, wendig, daß der Mensch immer Herr seiner Gefühle und Empfin, düngen sei, es scheint mir dieses unumgänglich notwendig zu jedem gewöhnlichen und ungewöhnlichen Lebensgange, den uns so oft eine unbegreifliche Vorsehung führt. In uns muß uns -er Trost auf, gehen, den uns kein Wort des Freundes und kein Zureden des Nichtfteundes geben wird, wenn wir ihn nur nicht aufgeben. Selbst die Sterne, jenseits welchen unser Vater wohnt, werden uns keine Hoffnung in unsere Brust strahlen, wenn wir nicht innerlich und

mit uns einig sind. Die Religion mit ihren Segnungen und Hoff­ nungen wird für uns sonst nicht da sein. Vor allen Dingen trachte ich daher, mich selbst ju beherrschen und ich suchte mir es immer heiterer und klarer ju machen, daß der Mensch nur.. sich besitzen müsse, um dem höchsten Unglück mit derjenigen Ruhe entgegenjugehen, mit der man ihm entgegengehen muß, um weder in weibische Tränen ju zerfließen, noch um des Menschen unwürdig keine Rührung und innere Lästerung bei dem Unglück durch den Leichtsinn sich zu versperren. Ihr, lieber teurer Vater, schreibt mir mehr als ernsthaft und mit Eurem Briefe in der Hand könnte ich Zug für Zug in Eurem betrübten Herzen lesen. Familiensorgen sind nicht drückend, sondern schwer. Aber was man liebt, trägt man gern. Gerade Eure Liebe zur Familie macht Euch das Herz schwer, und wolltet Ihr dieser Liebe nicht, um keinen Schmerz zu haben? Wie so manches erscheint uns größer, wenn es noch in dem Nebel der Entfernung gehüllt erblickt jwirdj, als wie wenn es entschleiert und nackt in der Nähe vor uns steht, daß wir es mit den Augen sehen, wie es ist und nicht wie es scheint. Ich habe einmal bei einem Gedichte über das Unglück einer Wachtel geweint, der ein Platzregen ihr noch ungefiedertes Junge fortschwemmte, das die zitternde Mutter in der Höhe mit Jammertönen beklagte. Ich kenne auch das Schmerzgefühl eines Hausvaters und bin nicht nur kalt dabei, wenn widerliche Sterne und Krankheit die Seinigen unglücklich zu machen drohen. Ich kann mir die Angst einer besorgten Mutter vorstellen und ich bin nicht ungerührt dabei, wenn sie ihre Kinder, die sie unter ihrem Herzen trug, vom Schicksal teils niedergehalten, teils niedergestürzt sieht. Aber, glaubt mir auch, ich empfinde noch den Schmerz des Bruders, der beim Leid seiner Geschwister alles mitfühlt und mitleidet. Denn wenn ein Ast verdorrt, so trauert der andere--------- aber, lieber teurer Vater, die sanfte mitfühlende Kinderliebe, die menschlich schön leidende Geschwisierliebe schließt die männliche Erduldung, die feste Ausdauer, die unbesiegbare Größe im Unglück nicht aus. Jene harte stoische Philosophie meine ich damit nicht, denn diese lehrt, daß es kein Unglück gebe, aber jene

christliche Geduld und Standhaftigkeit habe ich im Auge, die mit der Weide weint, mit dem Frühling froh ist, sich aber.. aus dem Unglück und der Widerwärtigkeit die schönen Früchte christlicher Tu­ genden zieht, die oft nur aus solchen Lagen und unter solchen Ver­ hältnissen aufwachsen können. Pflanzt doch der Landmann im Schweiße seines Angesichts Samen für das gemeinere Leben. Sollte sich der sittliche Mensch nicht manchen Sturm gefallen lassen, um in sich auf diese edle, ja köstliche Art seine Früchte für seine sittliche Vervollkommnung zu sammeln? So denke ich mich im allgemeinen und besonderen in die Lage unserer Familie hinein. Ich finde mich bei dieser Betrachtung immer beruhigt und wenn es nicht die einzigen Trostgründe sind, so sind es doch welche. Doch zurück zur Beantwortung Eurer Briefe. In Eurem Briefe vom 10. Feber sucht ihr mich aufmerksam zu machen, daß ich mich bei meinen Hoffnungen in der Zukunft nicht übersteigen solle, daß getäuschten Erwartungen ein verzehrender Schmerz folge. Auch über die Einführung der Methode streut Ihr weise Lehren ein und das Los rechtschaffner Menschen, denen Un­ dank für ihren guten Willen zuteil wird, fällt in unserem lieben Vaterlande ebenso blind aus wie in der ganzen Welt. Ihr habt Recht. Die Hindernisse sind auf dem Gange, den Ihr glaubt daß man einschlagen werden könne, unübersteiglich. In Privatstunden läßt sich nur wenig tun, aber die größtmöglichste Ausdehnung hierbei ist einem Herzen unzulänglich, das so gerne eine große Menge umfassen würde und noch seinen guten Glauben erwärmen wollte. Setzt noch hinzu, daß man hiebei nicht freie Hand hat, daß mindergeschickte Kinder die ersten Zöglinge sein können; würde nicht der und der unwissende Haufe dieses Werk des Zu­ falls als den wahren Erfolg der Methode ansehen? £>, dazu braucht man nicht Salamons Weisheit, um die Welt von dieser Seile zu kennen. Ein Gymnasium wäre fteilich ein Ort, der hiezu geschickter wäre und wo etwas geleistet werden könnte; aber da gibt es bei der derFol berth, St. L. Roth. I.

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maligen Beschaffenheit der Dinge unüberwindliche Hindernisse. Rechnet man ab die geheimen Umtriebe, von denen in peinlichem Ehrgeiz anderer einem jungen Mann gemacht werden, rechnet man ab die täglichen Schlingen, die jedem noch gelegt worden sind, der etwas von der Landstraße abgewichen ist und seine eignen Wege gehen will, rechnet man ab den natürlichen Widerstand, den jedes Neue und besonders solches, das nichts Fremdartiges neben sich duldet, finden kann und finden wird, rechnet man noch endlich ab die Unempfindlichkeit der Zeit gegen eine solche Behandlung der Erziehung und die natürliche Schwäche des neuen Lehrers, der noch mit unsicherer Hand gegen alles dieses kämpfen muß, der, wenn er innerlich gleich unbesiegt, äußerlich doch oft fallen muß,----so hat man endlich doch noch das Beträchtlichste nicht berechnet und dasjenige, auf was alles ankommt, garnicht in Anschlag gebracht. Wer soll denn ein ganzes Gymnasium in Bewegung setzen? Wer soll in den verschiedenen Ilasftn Lehrer und Schüler zugleich unter­ richten ? Wer wird es vermögen, viele hundert Personen so geistig anzuregen, daß sie nun in diesem Geiste denken, leben und handeln? Das vermag ich nichts das vermag kein einzelner Mann. Lehrer fehlen. Lehrer fehlen. Ehe diese da sind, darf nicht der leiseste Ge­ danke solcher Art in einem klugen und umsichtigen Manne aufkom­ men. Auf Bildung der Lehrer muß daher zuerst und vor allen Dingen Sorge getragen werden. Ohne diese Bildung von Lehrern muß das Unternehmen scheitern; es muß fallen, es muß zu Grunde gehen. Ohne diese Mittel in Händen zu haben, ohne mich aller Vorteile im voraus versichert zu haben, die zur sichern Einführung notwendig sind, darf ich kein Wort über Absichten, Hoffnungen und Pläne laut werden lassen. Es ist nicht die Zeit dazu. Ein vorlautes Wort, eine übelberechnete Aeußerung könnte einem guten Willen mehr Schaden zufügen, als eine hartnäckig ausgeführte Opposition eines erbitterten Feindes. Dieses bleibt sicher: Lehrer müssen zuerst gebildet werden. Sind diese gebildet, hat sich diese Versicherung er­ geben, so fallen alle anderen Kleinigkeiten, die sonst bedenklich sein könnten, als geringfügig weg. Dann bedarfs keiner Oberbefehle,

keiner Empfehlung jum Voraus, keines überkrummen Rückens um gnädige Patronate. Die Sache ist da; sie sieht vor aller Augen und jeder kann sie sehen, der Augen hat und sie zum Sehen offen läßt. Da die Bildung talentvoller Kinder zu Lehrern und Lehrerinnen allein dem Ganzen Haltung zu geben vermag und ohne diese jeder Versuch, der nur auf irgend eine Art hiezu gemacht teerte» könnte, mißlingen muß, und es sich hier nicht nur darum handelt, daß mehrere Monate vielleicht folgereicher hätten angewendet werden können und daß die Ideale eines gutmütigen Herzens in Haufen fallen, sondern es vielmehr in Anschlag gebracht werden muß, daß allein einer richtigen Wahl der Zeit und des Ortes das sichere Mittel zur Erreichung seiner Hoffnungen dieses gutmütigen Herzens erwachsen kann, so muß alle Kraft angestrengt, alle Kunst versucht und alle Mittel angewandt werden, um dieselben alleinigen Hebel nach allen Zwecken und Bedürfnissen in Bewegung setzen zu können. Indem ich die Wichtigkeit dieses Schrittes und die Folgen des­ selben, die für mich daraus entspringen könnten, jetzt auf einmal gleichsam unerwartet vor meinen Augen sehe, wie ich sie noch nie so klar sah, so muß ich mich jetzt in Acht nehmen, damit nicht Euer durch so manche Erfahrung geschärfter Blick in meinen übrigens ganz einfachen Kombinationen solche Fehler entdecke, die eben bei der wichtigen Behandlung nicht hätten geschehen sollen. Mt einem Lot Last kann ich seiner Natur nach Mllionen Pfunde oder Zentner heben, je nachdem ich die Lage zu verschieben weiß ic. Der Mensch ist kindisch genug in jeder aufgefundenen Sache, wenn sie seinem unttaren Glauben Nahrung gibt und ihm daher wichtig und außerordentlich scheint, etwas noch Wichtigeres und Ungewöhnlicheres hinter ihr zu suchen; so ging es auch mir mit vielem: diese unbedeutende Erfahrung, die mir schon manchmal be­ gegnete, gewann jetzt, da mein Herz geneigt war, etwas mehr da­ hinter zu suchen, einen Wert für mich. Der mir so lieb und wert ist, weil ich dadurch auf die für meine Schwachheit so ersteulichen Ge­ danken gekommen bin, dieses Gesetz des Hebels könnte auch im geistigen Leben Statt und Stelle finden. —

Ich habe noch nie auf einen Brief mit so verjehrender Ungeduld gewartet als auf Euren vorletzten, der meinen längeren Aufenthalt bei Pestalojzi bestimmen sollte. In diesen paar Wochen, wo ich mehr als sonst spajieren ging, drängten sich aus allen Seiten Be­ sorgnisse hervor und wenn ich diese aus dem Felde geschlagen hatte, so überfielen sie mich wieder aus dem Hinterhalte, um mir meine Brust, die ohnehin so mancherlei Gedanken durchstürmten, [tim] so banger und mein Herj noch schwerer ju machen. Es war in der trüben Zeit, wo von Krankheit in der Familie Nachricht auf Nach­ richt und Schlag auf Schlag kam. Euer Brief kam — ich las ihn nicht, ich verschlang ihn. Während ich ihn im Zimmer las, stand Pestalozzi und Schmid um mich. Die Stelle, wo Ihr darüber sprecht, las ich laut vor, obgleich Eure Antwort nicht bestimmt war, so konnten wir sie doch nicht anders auslegen, als es sei darin eine Einwilligung verborgen. Wegen dieser Erlaubnis, die mir so an­ genehm war, und ich setze noch um Euch hinzu, die auch den Pesta­ lozzi freute, war ich sehr ftoh. Bleibe ich noch ein Jahr hier, so kann ich in dieser Zeit Erfahrungen machen, die mir in meinem künftigen Beruf manchen Mißgriff ersparen und mir manchen Vorteil in die Hände geben werden. Nach dem Wunsche Pestalozzis und Schmids bin ich ins Schloß gezogen, heiße also jetzt Mitglied des Hauses, als welches mich auch diese guten Menschen behandeln. Als Aufsichter der ersten Klasse (es gibt im Ganzen drei) bin ich immer in der Mitte von diesen herrlichen Kindern. Ich will Euch doch unsere Tagesordnung schreiben. Um %6 Uhr wird aufgestanden. Die erste Morgenstunde ist dem Religionsunterricht gewidmet. Halb eins ißt man, nachdem die Kinder von 6—12 (Intervalle von 5 Minuten ausgenommen) unausgesetzt beschäftigt sind. Nach dem Essen fangen die Stunden ein einhalb an und dauern bis vier einhalb. Eine Stunde Spiel im Felde; Ball, Springen und andere gymnastische Uebungen wechseln miteinander ab. Daß ich immer mitspiele jedes Spiel, ist Pflicht des Aufsehers. In den Freistunden ist der Lehrer Spielkamerad, so wie er in den Lehrstunden Freund ist. Dieses brüderliche Verhältnis, dieses Familienband tut meinem

Herzen, das dieses Glückes nicht genossen hat, wohl. — Nach dem Spiel (5%) wird Butterbrot oder Apfel, Käse, Milch (abends nie Fleisch) gejauset. Von 6—8 wieder Stunden. Den Tag schließen Gebete, die bald Herr Pesialojji, bald unser Pfarrer hält. Nach diesem wird eine gesunde Suppe gegessen und dann gehts ins Bett. Um 9 Uhr schnarcht schon alles. Im Schlosse bewohne ich kein besonderes Zimmer. Habe ich etwas zu arbeiten, so arbeite ich in Schmids Zimmer. Mein Bett ist im Schlafsaal der jweiten Klasse, wo ich am spätesten ins Bett und am frühesten aus dem Bette gehe. In meinem täglichen Tun, in meinen persönlichen Verhältnissen von nichts beengt, in lauter freundschaftlichen Berührungen weiß ich garnicht wie der Tag vergeht und wenn mir es nicht die Kerze sagte, so könnte ich fragen, ists möglich?------Unserm lieben Herrn Theil, der nach manchem harten Jahre und nach mancher mit saurem Schweiße zurückgelegten Bahn und nach manchen drückenden Familiensorgen endlich überkommen hat, habe ich einen Brief geschrieben, warm, wie ichs empfand. Welche Freude muß in dem Hause gewesen sein! — Es war Zeit, hohe Zeit — wer im geistlichen Stande bei uns nicht mehr als geistigen Genuß sucht, täuscht stch bei diesem Stande, wenn ihn die gemeinen Vorteile des Lebens bei der Wahl bestimmen, mehr als bei jedem andern. Zwanzig Jahre warten! Wirklich, es macht eins nicht lüstern nach diesem Leben und die krummen Rücken, das Pudern des Kopfes und die Dinge dazu gerechnet, wie man sich bücken, räuspern und Wind machen muß.—Der Drang um Gutes zu stiften findet vielleicht am andern Ort noch mehr Nahrung als in diesen eng vorgezeichneten Gren­ zen, die schon manchen von Idealen begeisterten Mann zur arm­ seligen Gestalt eines Stundengebers zusammengedrückt haben. (Aus dem Briefbuch.)

Antwort auf meines Vaters Brief vom 24. Februar 1819. (Erhalten den 23.März) Ostertag den n. April 1819.

Geliebte Eltern! Ich setze mich eben nieder, um Euch — wenn auch nur kurz — etwas zu schreiben. Habe ich doch niemanden

außer Euch, mit dem ich mich in einen Rapport setzen wollte, der meiner Seele so kommlich sein könnte. Acht Tage bin ich krank gewesen, nicht gefährlich, aber schmerzhaft. Eine ungeachtete Erkältung des Kopfes warf sich auf meinen beschädigten Zahn, der mich dann etliche Tage im Bette hielt. Meine Geschwulst brach mir heute Nacht auf und so halte ich es für beendigt. Morgen werde ich wieder Stunden geben. Noch ist mir zwar der Kopf etwas eingenommen — eine Folge des Liegens, Warm-Haltens ic. In einigen Tagen isis vorbei. Meinem Ver­ sprechen gemäß und nicht der Wichtigkeit der Sache wegen habe ich Euch dies mitgeteilt. Nun zu Eurem Brief vom 24. Februar, den ich den 23. März erhielt. Zwei Betrachtungen, die Euer Herz mit Sorgen erfüllen, ragen darin über alle andern empor. Da dieselben so tief in das Leben der Familie eingreifen und eine Behandlung erfordern, die mehr nur leidet als tätig sein kann, so nimmt es mich garnicht wunder, warum Ihr mit Besorgnissen erfüllt und von Betrach­ tungen umgeben seid, die man allerdings zu den ernsthaftesten rechnen kann und muß. Fürwahr, es muß einem Manne, der selbst­ tätig in den Gang seines Schicksales einzuwirken gewohnt ist, das Gefühl des völligen Abhangens von sehr zufälligen Dingen und Umständen äußerst demütigend sein. Schon an sich ist der Schritt, weil er das erste Glied einer lebenslänglichen Kette ist, von bedenk­ licher Art und hätte die Natur nicht so sehr mit fröhlicheren Ge­ nüssen die Wege zur Entschädigung gleichgestellt, so würden gar wenige sich die Hände auf ein Leben reichen, in dem auf jeden Fall sich Erdbeben und Fröste einstellen.. Welchen Schatz hatte Lisi gezogen! So glücklich kann ich mir kein anderes Weib vorstellen, und je mehr ich mir diesen durch die Erinnerung nur zu früh entschwundenen Engel vorstelle, je mehr finde ich, daß auch wir durch unseren Bergleiter überglücklich waren. Ich mag nicht durch Ergießungen meines Herzens Eure Wunden aufteißen, ich mag Euch nicht das schmerzliche Gefühl des uner­ setzlichen Verlustes Euch ins Gedächtnis rufen. Es wird sich ohne-

dem häufig genug einstellen, um Euch selbst in der fröhlichsten Stunde an den Unbestand menschlichen Glückes ju mahnen; aber darauf Hinjudeuten konnte ich mich.. dieser Betrachtung nicht ent­ halten, wenn auch nur einiges j« erwähnen, da mir selbst dies er­ zeugte schmerzliche Gefühl durch die Erinnerung an unseren seelen­ guten Bergleiter wieder lieb ist und versüßt wird. Bei der jetzigen Stellung, die die Umstände gegen List genommen haben und bei dem, wenn auch nur stillschweigenden, Antrag Herrn K., der geschehen ist, halte ich es aber nach meiner Anficht für wesentlich, wenn auch nur mit leiser Stimme, daran zu mah­ nen. Es ist nicht meine Absicht mit rauhen Händen in das Gewebe der Empfindungen zu greifen, es vermag auch sehr schwer (ein] Wort, das nicht aus eigner Brust kommt, dies so schnell entstehende und so schwer zu bekämpfende Gefühl in die notwendigen Ufer einzudämmen — nur die einzige Bemerkung entfalle mir gleich­ sam, daß es höchst schwerlich für uns und List noch einen solchen Schatz auf dieser Welt gebe und daß eine neue Wahl durch die im menschlichen Herzen so leicht entstehende Vergleichung, die hier nur schmerzhaft sein kann, ins ganze Leben eine sich täglich erneuernde Bitterkeit einmischen würde, die zwar oft verschwindet, in schwachen Stunden leicht Ueberhand bekommen könnte. Fern sei es von mir dem Herrn K. einen tieferen Rang anzuweisen als er sich durch seine, so viel mir bekannt ist, sehr edle geistige Verfassung selber anweist, ferne sei es von mir, in meiner Unkenntnis falsche oder auch nur entstellende Züge in sein BUd hineinzutragen, ferne sei dies und noch mehr von mir, aber immer wird es mir, wenn ich einige Ver­ gleichung bei mir jetzt anstelle, sehr wehmütig im Herzen, in dem Herzen, welches erst noch nicht einem Zubern als Gatten jemals gehörte. Ihr alle verzeiht mir dieses Gestän^? 's, das anspruchslos nur als Meinung hier stehen will. Das Mittelalter, welches im Durchschnitt die Menschen erreichen, ist 60 Jahre. Das Drüber und Unter kann man als Ausnahme an­ setzn. List ist nahe an 30. Gegen 20 Jahre kann es im staubigen Wege der bekümmerten und wenig erfteulichen Bahn einer ge-

wöhnlichen Akademikerfrau wandeln. Schulden müssen gemacht werden. Sollten die übrigen jehn Jahre diese Schuldenlast, die notwendig gemacht werden müßte, dermaßen decken, daß noch einiges Vermögen den Stiefkindern und den eigenen bliebe?-------In Lists Alter muß jede Heurath mehr eine Folge reifer Ueberlegung als der Sieg gewisser Leidenschaften sein, die nur 18jährigen Mäd­ chen das Mieder eng machen können. (Aus dem Driefbuch.)

Freitag, den 28. Mai 1819.

Ich gehe diesen Nachmittag von 4 y2-5 V2 mit A. hinter den See, um ihn gegen den Empfang des heiligen Abendmahls vorzubereiten. Ich fordere ihn am Ende zur Versöhnung mit allen seinen Feinden auf und füge die Bemerkung bei, daß ich niemanden hätte, mit dem ich nicht in Eintracht lebte. Ich hatte Niederer ver­ gessen: das Wort erstarb mir im Munde. Ich will ihn um Ver­ zeihung bitten. Geehrter Herr! Diese Pfingsten habe ich mir vorgenommen zum heiligen Abendmahl zu gehn. Die Betrachtung, die ich bei mir über dieses Mahl der Liebe und über den Zustand meiner selbst anstellen mußte, erweckte in mir das Bedürfnis zur Ver­ söhnung mit Ihnen. Einer vaterländischen Sitte und diesem meinem Gefühl gemäß bitte ich Sie um dieselbige. Die Hitze im Glaubeu an mein Recht und an meine Unschuld machte mich vieles vergessen und eine . . Persönlichkeit verwandelte mich in eine Rute, die denjenigen, der auf fie tritt, ins Gesicht schlägt. Stumm, ftemd und äußerlich gleichsam nicht in Jferten werde ich auch in Zukunft sein. Als solcher konnte ich es im Inneren nicht bleiben. Schon längst hat sich der Sturm im Innern gelegt — aber auch sichtbar wollte ich es tun. Die Ueberzeugung, daß dies notwendig sei, treibt mich daher sdiej Hand zur Versöhnung zu bieten. Leben Sie recht wohl und empfangen Sie meinen angelegentlichen Wunsch, selbst dessen, daß Ihnen niemehr was ähnliches begegne. Leben Sie recht wohl! Diese Papiere, das traurige Andenken an einen vielleicht durch

Unvorsichtigkeit zu sehr übereilten Schritt, dessen Anblick in mir beständig die unangenehmsten Gefühle erweckt, überschicke ich Ihnen hiemit. Ich will nichts desgleichen in den Händen haben, verbrennen Sie dieselben. Roth. Jferten, den 28. Mai 1819.

Liebe Eltern! Schon oft setzte ich mich nieder, um den schuldig­ gebliebenen Brief zu beantworten, aber ohne es eigentlich zu be­ merken, wie dieses von einem Tag zum andern hinausgeschoben wurde, unterblieb es immer. Diesmal will ich es nicht wollen, son­ dern tun. Unvermerkt ist mir bald ein Vierteljahr als Lehrer vergangen; ich habe dasselbe im Umgang mit Pestalozzi und Schmid vergnügt und mit Belehrung zugebracht. Nur zu bald werden die andern 3/4 vorübergehen, zu bald für das Studium und zu langsam für die Heimreise, die für mich in den verschiedensten Richtungen den Ein­ tritt in ein besonderes Lebensverhältnis sein wird. Nesda mens hominum fati, sortisque futurae ')!

Pestalozzi arbeitet mit einem unglaublichen Fleiße an der Her­ ausgabe seiner Schriften12), in die er seine sämtlichen Erfahrungen, Ansichten des Lebens und Grundsätze der Erziehung niederlegen wird. Staat, Kirche und Schule, die Grundkräste der menschlichen Entwicklung bieten sich darin die Hände zu dem schSnen Bunde, deren gehörige Befolgung mehr als Alliance und Concordate die Menschheit weiter bringen würden. Seine Ansichten über diese wichtigen Gegenstände hat die Revolution erzeugt und sie sind durch ein langes tatenreiches Leben geläutert und bestätigt worden. Alter hat dem Feuer seiner Gedanken keinen Abbruch getan; nur scheint es mir, als gestalte sich jetzt seine Sprache in längere Sätze, wodurch es 1) Der Geist des Menschen kennt das Los der Zukunft nicht. 2) 1817 war mit Cotta in Stuttgart ein Vertrag betreffend die Neuausgabe der Werke Pestalozzis abgeschlossen worden. P. rechnete auf eine Einnahme von 50 000 fl. Mit dem Kredit, den er daraufhin von Cotta erhielt, eröffnete P. seine Armenschule in Clindy.

manchmal in theoretischen Werken dämmert. Jedoch ist seine Sprache ihm immer zu Diensten und die Schreibart, mit der er alles hin­ riß und mit der er die Bessergesinnten von beinahe ganz Europa in Bewegung setzte, steht ihm immer noch zu Diensten. Lienhard und Gertrud, das beste Volksbuch und dasjenige Werk, auf welches Pestalozzi am meisten hält, hat beinahe die letzte Feile erhalten. Zu Michälis erscheint der erste Band. In diesem Werke spricht sich auch sein eigentümlicher Geist am deutlichsten aus und mit bewun­ derungswürdiger Kunst weiß er sub rosa den Fürsten die verfluch­ testen Sachen zu sagen. 3» gewisser Hinsicht hat dies Buch eine» doppelten Sinn. Für den Neugierigen ist es bloße Geschichte, der Unterrichtete betrachtet dies als Kleid und erfreut sich still am an­ dern wie an einem nur ihm offenen Schatze. Wegen der Wichtigkeit der Sache selbst, als auch wegen meiner Stellung, wäre es mir sehr lieb, wenn Ihr in Eurem Brief, den Ihr ihm schreiben werdet, auf seine Werke subskribiertet. Er hat mir zwar ein Subskriptions­ billet geschenkt, immer aber läßt sich mit dem andern etwas machen. In seinen Reden übt er über die Zuhörer große Gewalt aus. Ungekünstelt wandelt er den Gang der täglichen Umgangssprache und deswegen ist man ihm auch näher. Denn eine höhere Sprache, die sich in ungewöhnlichen Redensarten bewegt, erhebt uns zwar auch, aber der Mensch ist geneigt, Wahrheiten in höherer Sprache ausgesprochen auch mehr anwendbar in einem anderen Leben, das höher ist als dieses, zu glauben. Natürlich wird sich die Sprache etwas veredeln, aber sie soll ja nicht durch den Stil uns fremd werden. England nimmt großen Anteil an der Methode und an der Unternehmung; er verdient es, daß ein edles und an Hülfsmitteln reiches Volk dem Verkannten, dem übermäßig Gelobten und übermäßig Getadelten unter die Arme greife. Diese Unterstützung seiner Zwecke kann vielleicht und wird es.. bewirken, daß einmal seine Ansichten und Grundsätze anerkannt und . . Der Ausgang dieser Teilnahme schreibt sich von der Stiftung in Clindy her. Seit­ dem diese Armenschule in unbestreitbarem Erfolge als tatsächlicher

Beweis dasteht, scheint England gewonnen jv sein. Vieles, was bisher nur als reiner Gedanke im Buch vorhanden war und viel­ leicht noch lange der Erweckung gewartet hätte, lebt nun hier als schöne Sache und Tat. Die Engländer haben einen praktischen Sinn und vorzüglich das regt sie an, was augenscheinliche Vorteile für Kunst und Manufaktur verspricht. Geometrie, Zeichnen und Rech­ nen tun dies aber in vorzüglichstem Maße. Pestalozzi schickte daher, um diese Teilnahme zu nähren, vor 3 Monaten einen Engländer Greavesx), der hier Lehrer der englischen Sprache ist, mit bestimm­ ten Aufträgen nach London, der dort die gehörige Motion gemacht hat. Er ist jetzt wieder zurück. Die Reise hat den erwünschten Erfolg gehabt. Beinahe das ganze pädagogische Publikum ist aufgeregt und glücklich eingetreten. Es läßt sich erwarten, daß dieses entschie­ dene Gewicht der guten Sache den Ausschlag geben werde. Die beiden Vorsteher verschiedener Parteien und eines Zweckes, Bell und Lancaster, die bei gleichen pädagogischen Ansichten sich doch immer reiben, werden entweder selbst hierher reisen und sich längere Zeit aufhallen oder verständige Männer zum Studium der Me­ thode abschicken. Dabei kann es mir nicht fehlen, ihre Bekanntschaft zu machen, die allerdings für mich wichtig sein muß. MeineBearbeitung der lateinischen Sprache nach PestalozzischenAn­ sichten schanzt mir manche interessante Bekanntschaft zu und es kommt mir manchmal selbst lächerlich oder doch kurios vor, wenn diese Leute oft unverdientes Aufheben von dieser zwar nicht unwichtigen, aber bei weitem noch nicht vollendeten Sache machen. Soviel bin auch ich überzeugt, daß die Idee und ihre Ausführung, wenn diese gelingen sollte, eine neue Bahn dem Lateinischen brechen würde. Ich habe nun angefangen, nach diesem Plane 12 Zöglinge zu unterrichten. Die bisherigen Resultate sind mir erfreulich, ob sich gleich ihre Wohl­ tätigkeit nur in der Folge zeigen kann. Lieb wäre es mir, wenn ich den Gang in diesem Jahre durchhauen könnte. Das Gerüste oder das Skelett ist fertig. Täglich arbeite ich einige Stunden dran und 1) James Pierpoint Greaves, ein früherer Kaufmann, kam 1817 zu Pesta­ lozzi und erteilte den Kindern Unterricht in der englischen Sprache.

der Fleiß meiner Zöglinge nötigt mich ohnedem immer, für fertigen Stoff zu sorgen. Vielleicht ist auch diese Anstrengung etwas daran schuld, daß ich seit einiger Zeit etwas Kopftveh habe. Indessen sage ich in meiner Freude oft zu mir selbst: Hol der T-f-l den Kopf, wenn nur die Arbeit zu Stande kommt. In Schottland ist die Methode in wackeren Fortschritten begriffen. Mehrere Institute blühen dort. Auch ist hier Herr Buchholzx), der als Instruktor nach Schottland geht und der gewiß viel zur Ver­ breitung des Guten und Menschlichen in diesem Lande beitragen wird. Sonderbar ist es, daß die Methode aus Amerika nach dem benachbarten Paris wandern mußte. Vor 12 Jahren ohngefähr gingen von hier vier Lehrer Frik, Schär, Näf, Alphons nach Amerika und breiteten sie dort aus. Nun kehrt von dort ein Franzose Phiqueral, der sie mit.. nach Paris.. Neulich schrieb er an das Institut um Ueberschickung aller über diesen Gegenstand erschienenen Schriften. Schmid, mit dem ich sehr gut auskomme, wird auch nächstens eine Ankündigung verschiedener Schriften über Mathe­ matik drucken lassen12). Ich freue mich herzlich darauf, indem durch solche Ausarbeitung das Treffliche dieser Lehrart nur gewinnen kann und es ist wichtig, daß man sich in allen Fächern versuche, daß man jede Sache von vielen Seiten kennen lerne. Da wir beide in einem Zimmer zusammenwohnen, so werden wir dann oft beide mit dem Finger an der Nase oder uns hinter den Ohren kratzend, dasitzen und arbeiten. Ohnedem haben wir beide die artige Gewohnheit, bei Behandlung schwieriger Arbeiten zu schwatzen oder im Zimmer agierend auf- und abzulaufen. Die Verbreitung Pestalozzischer Schriften in meinem lieben Vaterlande liegt mir sehr am Herzen und ich habe schon längst darüber nachgedacht, wie man das Ding angreifen müßte, um es einzuleiten und gehörig in Gang zu bringen. 1) Buchholz, Friede, aus Hannover, Seekaplan der deutschen Legion. Im Geschäftsprotokoll des Instituts eingetragen vom 18. Juli 1818 bis i8. Sep­ tember 1821. 2) Es erschienen tatsächlich von Schmid 1826 „Praktische Elementarübungen: 1. Zahlen- und Formenlehre, 2. Form- und Größenlehre."

Eintreten für Pestalozzi in Siebenbürgen

301

Sollte es besser sein durch Ankündigung in einer Zeitung oder, weil diese nicht allgemein genug sind, durch eine besondere kleine Schrift? Was meint Ihr? Beinahe würde ich Letzteres vorziehen, da ich so manches zur Sprache für das Publikum unseres werten Vaterlandes in dieser heiligen Sache zu bringen hätte. Vielleicht könnte ich es als Landeskind, der mit manchem Gebrechen bekannt ist, so stimmen, wie es für die Ohren unserer teils schläftigen, teils einschläfernden Volksgeister erforderlich wäre. Ich bitte Euch be­ sonders um Eure Ansicht. Mit Pestalozzi habe ich darüber bereits gesprochen; er stimmt für das Letztere. Nun etwas anderes: vor etlichen Monaten schrieb ich an unseren Wellmann in einer besonderen Sache und ich glaubte ihm dadurch einen Dienst für sein ganzes Leben zu tun. Er hat mit keiner Silbe geantwortet. Pestalozzi nämlich braucht einen Religionslehrer, weil der jetzige vermöge seiner Individualität die Religion mehr als theologische und nicht pädagogische Sache auffassen konnte. Zu dieser Stelle würden sich hinlänglich Individuen finden — ich sprach und bat für unsern Freund. Pestalozzi kennt ihn nicht, auf meine Vorstellungen war er bereit ihn und keinen anderen zu haben. Nun schrieb ich — er antwortet nicht. Bin ich denn vielleicht so unglück­ lich gewesen, daß der Brief verloren gegangen ist? Auf mehrere Jahre hätte er Versorgung, kommt gratis nach Deutschland, kommt zu einem Freund, der ihn unaussprechlich liebt. Hat alles frei und bekommt eine Besoldung über 60 Dukaten jährlich.. einladender sein? Mich bat zuerst Herr Pestalozzi; aber ich gehe.. über ein Jahr fort, ich mußte es also abschlagen.. Gott mit Euch. Roth. (Aus dem Briefbuch.)

Antwort auf meines Vaters Brief vom 2i» Mai, erhalten den 16. Juni. Jferten, den 16. Juni 1819.

Teure Eltern! Wenn ich mich nicht irre, so reiste ich von Hause den 3. und nicht den 25. Mai ab. Jedoch bin ich nicht sicher. Zwei Jahre sind vorüber und Gott sei Dank wir leben noch alle. Krankheit und Unglück hat sich aber eingestellt. Diese werden aber

nur dann über uns die Oberhand bekomme«, wenn Wik uns ge­ fangen, wenn wir Ihnen nichts Gleichwichtiges entgegensetzen. Mle diese Leiden, die uns getroffen haben, schmerzen allerdings und tun dem Herzen weh, aber in demselben Herzen wohnt auch der unbe­ siegbare Glauben an eine Vorsehung, die endlich, wenngleich auf dunklen Wegen, alles zu unserem Besten kehrt. Diese Vorsehung wird auch bei uns alles zum Besten kehren ... Was meinen Aufenthalt in Jferten anbetrifft, so handle ich nach Ueberzeugung, die ich niemandem aufdringen will. Wenn ich in Uebereinstimmung mit Eurem Willen und mit dem heißesten Wunsche meines Herzens selbst mit Aufopferung des persönlichen Interesses mir alle diejenigen Mittel in die Hand lege, die mir erst eine rechte Stellung in der Welt geben werden, so kann ich dennoch den gutgemeinten Ansichten anderer in fremder Angelegenheit, be­ sonders wenn sie ohne Anschauung der Sache geschehn, nicht in den Willen kommen. Gott hat mir auf meinen eigenen Hals einen eigenen Kopf wachsen lassen, damit ich mit eigenem Kopf eigene Gedanken denken solle. Antwort aufSalzer's') Briefvom 8. Juli 1819. Lieber Freund! Wie kommt es, daß wir uns so selten schreiben? Sehen werden wir uns schwerlich wieder! Ein großer Teil meiner Wünsche wiegt diesen einzigen nicht auf und doch. Freund, in was fügt sich der Mensch nicht? Es geht mir wie einer Pflanze, die im Boden eingewurzelt ist, die Natur hat sie fest gemacht, sie kann nicht fort. Schau selbst an diesem abenteuerlichen Gedanken, den ich in aller seiner Nichtigkeit erkenne, wärme ich mich wie ein armer Maikäfer. Nach Hause rufen mich die Bitten meiner Eltern, die in ihrem Alter mit verzweifelter Sehnsucht an mir hangen. Meine ältere Schwester liegt seit einem Jahre auf dem Krankenlager. Der Vater mit dem grauen Kopfe und die kränkliche Mutter stehen auch nach (Aus dem Driefbuch.)

1) Wilh. Salzer aus Karlsruhe, der zweitbeste Tübinger Freund R.s (neben Becker).

dem Gesetze der Natur da am Rande des Grabes; die unversorgten Schwestern und die zurückgelassenen Waisenkinder hängen sich an meitt Herz und rufen mich nach Hause. Doch hier muß ich bleiben; Pflichten gebieten, denen alle Weichmütigkeiten des Herzens weichen müssen; Pflichten gebieten, ohne deren Erfüllung ich lieber mein Leben zusammenschlagen möchte wie man einen Topf zusammenschlägt, wenn er keinen Wert mehr hat. 3n schwachen Stunden, wenn mich der Gram beschleicht, muß ich alle Kräfte aufbieten, um nicht so schwermütig zu tun, was eine höhere Ansicht des Lebens unbedingt gebietet. Stelle Du Dich auf diesen Kreuzweg. Gern bin ich hier — Pestalozzi und sein Freund Schmid lieben mich und unter die Lehrer stellt mich diese Liebe gerade in soviel Ansehen, als ich notwendig habe. Dauernd lebe ich hier zufrieden, warum aber auch nicht? Wie wohl ist's mir unter meinen Kindern und wie wichtig ist es mir unter ihnen zu leben! Ich mache Er­ fahrungen, die mich bei dem Hinblicke auf meine Zukunft sehr glücklich machen. Engel, Engel sind die Menschen in ihrer Kindheit oder können es alle werden. Von der verdorbenen Menschennatur sage mir niemand etwas, die Verderbnis kommt auf Rechnung der Welt. Jferten, den 8. Juli 1819.

Geliebte Eltern! In Ermangelung andersweitigen Stoffes teile ich Euch hiemit einiges aus der Zeitschrift: Der Württembergische Volksfreund Nro. 16. 1818 mit........ Es folgt ein Aufsatz über: Die Verhütung der Weinreben gegen Frost, dann auch einige Ge­ dichte. Der Schluß des Briefes lautet: Nur um Euch zu schreiben zeichnete ich diese Kleinigkeiten auf — es ist ein Surrogat — habt dafür Surrogaturteile. Ich bin ge­ sund und hinlänglich beschäftigt, denn ich gebe wöchentlich 34 Stun­ den, nehme in und erhalte über einige Tage noch 4 andere. Näch­ stens lege ich Euch meine Tagesordnung bei. Gott mit Euch! St. L. R.

304 (Aus dem Briefbuch.)

Bei Pestalozzi Jferten, de» 1. August 1819.

Lieber Vater! Nur vor zwei Tagen schickte ich einen Brief an Euch ab. Heute ordnete ich mir Eure Briefe nach Jahr und Tag. Sobald ich einige Tage nach einander frei haben werde, sollen sie in der Reihenfolge gelesen werden. Man blättert ein durchlebtes Leben durch und fühlt sich von neuem dazu gedrungen, den Zu­ sammenhang fortzusetzen, der uns beiden, als Kindern und Eltern, ein Bedürfnis des Herzens ist. Viele Monate schon lebten wir nur in geistiger Berührung, aber — ob es gleich immer die einzig­ mögliche ist, so wünscht doch der menschliche Teil in uns auch das Angesicht derer zu sehen, deren Seele uns umschwebt und deren Liebe uns glücklich macht. Wenn die Entfernung nicht so groß wäre, so könnten wir leicht, von beiden Seiten uns entgegenkommend, eine Zusammenkunft veranstalten. Ueber Kopf und Hals beeile ich mich den vorgesteckten Plan meiner pädagogischen Ausbildung zu erreichen, aber es braucht Weile. Wochen vergehen mir wie Stun­ den und am Ende des Monats erschrick ich vor der Ueberlegung: wie wenig ich vorwärts geschritten bin. Die Erlangung äußerer Kunst­ mittel in der Erziehung kann auch nur langsam wachsen, aber m'.t meiner eigenen Menschensache, mit der inneren Reinigung geht es saumselig. Ach, welche Kluft ist zwischen dem Wissen des Guten und dem Tun; und wie schwer wird es, das ins Leben zu setzen, was sonst, ohne daß es ins Leben gesetzt ist, gar keinen Wert hat. Man lebt in der Lauheit, ist weder ein Held, noch ein Sünder grö­ berer Art. Was hilft es endlich, nicht gestoßen, nicht gehurt und nicht totgeschlagen zu haben? Dieses bloße Nichtstun ist der wahre Tod und wie wenig kommt man auf dem Wege der Bestimmung fort? Ich erteile Religionsunterricht — aber — wie oft werde ich schamrot, wenn ich lese, was ich sollte und nicht tue. Hier ist es be­ sonders, wo wir und unsere Zeit so weit zurück sind. Wir schwatzen und kommen doch auf dem Wege der Seligkeit nicht weiter. Jeden Tag bete ich, aber nach einem Gefühl der Pflicht. Die eigene Weise des Gebets kommt aber nur von Gott. Ich siehe da, besehe mich in meinen Mängeln, in meiner Elendigkeit und spreche mit dem

Mund, fühle es auch im Herzen, aber der heilige Geist, der alles durchdringt, wohnt nicht in mir. Innere Rücksicht und die Welt umgeben mich und wie schwer und wie selten gelingt es mir, alles wegzuwerfen und aus bloßer Liebe zu Gott zu handeln. Ich zweifle nicht und habe den Glauben; aber das Leben der Frömmigkeit und Gottesfurcht ist in mir noch nicht aufgegangen. Wie viel fehlt mir zu einem Religionslehrer! Lieber Vater, mit diesem Gefühle trage ich mich oft herum und das Bibellesen bei meinen Kindern öffnet mir oft himmelhohe Gründe der Verderbnis des menschlichen Her­ zens. Gott, wie kann man predigen und das nicht tun! Begegnet mir ein Bettler, so zittert in ihrer Schwäche die eigennützige Hand, wenn ich nicht kleines Geld habe. Zum christlichen Leben gehört mehr als nur bürgerliches Rechttun; und gibt uns noch keinen Teil am ewigen Leben. Die Gnade wird mich auch aufnehmen und mir den Geist der Wahrheit und der Liebe geben. Wir wandeln hier nur im Schatten, von oben muß das Licht kommen; auch mir wird es komrnen. Die religiösen Fundamente der Erziehung führen den, der es redlich mit der Sache meint, zu mancher Prüfung und wie oft sieht der gelehrtere Erklärer der heiligen Schrift vor dem un­ schuldigen Herzen und dem reinen Sinn der Kinder am Pranger. Unserem jetzigen Volksleben fehlt die Religion und allein durch Moral kommt man über das Gebiet der Krisis nicht hinaus. Ich will nicht ermüden und an mir arbeiten. — Aber einen Feuerbrand hat mir die Theologie in meine unschuldige Seele geworfen. Das Gebäude des unbewußten kindlichen Glaubens ist in der stolzen Meinung des Wissens, in der Täuschung des Gelehrtseins ver­ brannt und jetzt sitze ich auf den rauchenden Trümmern und weine über die Täuschung und über den Verlust. Die Zwietracht des Wissens und Tuns, des Glaubens und Handelns, des Fühlens und Wollens muß noch ausrauchen und ausbrennen und ehe ich die Hände sinken lasse, will ich arbeiten so gut ich kann und Gott wird das Wollen annehmen als Vollbringen. Man hat mich von dem Glauben der Liebe und des Christentums mehr sprechen ge­ lehrt als ich eigentlich glaubte und litt und Christ war. „Der GlauFolberth, Ct L. Roth. I.

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ben aber muß durch das Glauben und nicht durch das Wissen und Verstehen des Geglaubten; die Liebe muß wieder aus der Liebe und nicht aus dem Wissen und Lernen des Liebenswürdigen und der Liebe selber und dem tausendfachen Gerede über das Lieben hervorgebracht werdenl)" Dieses sind meine heutigen sonntäglichen Betrachtungen — ich teile sie Euch mit, weil ich mit Euch leben will. Roth. (Aus dem Briefbuch.)

An Weltmann, Rektorn in Heltau.

Jferten, den

14.

August 1819.

Lieber Freund! Glaube es mir, Freund, ich kannte Deine Hand­ schrift nicht mehr. Heute glaubte ich in der Ueberschrift Deines Briefes, auf den ich lange gewartet hatte, fremde Züge zu sehn. Aber das Siegel, das Dir Dein seliger Vater stach, auf dessen Ver­ fertigung ich mich noch erinnern kann, zeigte mir den Freund. Jetzt wurde der Brief nicht geöffnet, sondern aufgerissen, nicht gelesen, sondern mit Heißhunger verschlungen. Uns alle hat Dein Brief sehr gefreut. Derselbe hätte mich, wenn er nicht verloren gegangen wäre, nicht so ungerecht gegen Dich sein lassen, als ich ungerecht gegen Dich war, da er verloren ging. Was denkt man nicht alles, wenn die Tat den Beweis für unser Denken zu führen scheint? Uebrigens bist Du wegen Deinem nachlässigen Schreiben bei mir noch nicht ganz entschuldigt. Uebrigens noch eins, ehe ich zur Haupt­ sache gehe. Es ist die einfache Bitte, Du möchtest, da Du ohnedem so selten Dich dazu entschließest, ein andermal mehr schreiben. Laß auch das weite Zeilenwesen bleiben; schreibe mir enger und mehr. Solche breite Gänge sind wie breite Meen nur in herrschaftlichen Gärten und Briefen zu gebrauchen. Freunde erlassen sich gerne solche herrschaftlichen Leerheiten. Die Stelle eines Geistlichen ist bei uns, da unser bisheriger erst neulich abging, noch nicht besetzt, also frei. Herr Pestalozzi möchte gerne in Wahrheit und Liebe sein Haus, das sichtbar eine gütige Vorsehung vom Untergang rettete, auf Religion und Moral bauen, 1) Aus der Rede Pestalozzis an seinem Geburtstag 12. Januar 1818.

und ihm durch diejenigen Fundamente diejenige Fortdauer sichern, die ihm seine Wirkung auf Menschenbildung auch noch hinter dem Grabe offen ließen. Obgleich Pestalozzis Sache aus dem engen Kreise eines Häuserers herausgetreten und auch die Grenzen seines Vaterlandes, ja die Grenzen von Deutschland längst überschritten und seine Sache durch ihren göttlichen Keim je länger, je mehr Sache der Menschheit werden muß, also nie untergehen kann — so ist es doch wichtig, daß jener Mittelpunkt, aus dem alles Leben ausging, von dem aus sich Wärme und Licht ausbreitete, erhalten werde und je länger, je mehr als Musterschule, als Vorbild häuslicher und öffentlicher Erziehung dastehe. Die Anstalt selbst hat bei allen ihren beengenden Verhältnissen im Kampf mit dem Unglauben der Zeit und der Schwäche und dem Eigennutze im Innern immer noch Außerordentliches geliefert. In dieser Rücksicht freue ich mich wie man sich über weniges freuen kann in dieser Welt, daß es in dem hohen Abend seines Lebens dem edlen Pestalozzi durch die Hülfe seines Freundes Schmid gelungen ist, eine Armenanstalt ins Leben zu setzen, die nicht blos auf die Erziehung eines Individuums berechnet ist, sondern die durch Bildung von geniale» Kindern zu Lehrern in Armut und Arbeit einst .. in der Geschichte glücklich begangener Erziehungsverbesserung — oben anstehen wird. Wenn Tat den Worten vorgeht, so verdient diese winklige Schule vor den tausend und abermalstausend schön ausgemalten Schulräumen einen tausendfachen Vorzug. Freund, wie man sich freut, wenn man aus einem finsteren Gefängnis zum erstenmal wieder das Sonnenlicht sieht, so freue ich mich aus dem Schlummer meines Lebens, aus der engherzigen Vorstellung von Menschen.. er­ wacht zu sein. Freund, lieber Freund, ich hatte es not. daß ich er­ wachte aus der mir vorgeschwatzten und mir Syllogismen erweiterten Welt. Daß ich die Augen eröffnete und das sah, was jedes Kind, das sich selbst erzieht und aus der Natur die wesentlichen Eindrücke sammelt, leicht faßt und sieht und das auch mir vor der Nase nur drei Spannen weit lag. Lieber Freund! Diese Anstalt wird uns in unseren innern und äußern Entwicklungen helfen — und wenn 20*

etwas in der Welt imstande ist, uns zu demjenigen Zustande und derjenigen Höhe zu erheben, auf die stch die Sache, wenn fie nicht von Menschen herabgezogen wird, erhebt, so ist es diese auf die Fundamente der Familienlehre gebaute Anstalt. Diese Hoffnungen, die mehr als eine Lebenszeit umfassen, die der Denkstein am Grabe unseres großen Pestalozzis sein sollen, diese Wünsche, die über viele Segen ausgießen wollen, die in der Armenschule als Leben und Tat größtenteils dastehen, sollst Du, mein Lieber, in der größeren Anstalt teils fortführen, teils weiter anbahnen. An Deinem Ein­ flüsse auf die fittliche Stärkung und religiöse Erhebung unserer Kinder hängt daher sehr viel. Je näher man dem Kinde ist, je tiefer wird das Wort, das man aus dem Herzen spricht, ins Herz ein­ dringen. Wie von einem älteren Bruder nimmt man am liebsten, und kann es auch, Wahrheiten, wenn ste auch schmerzen, in Liebe zu ihm und im Glauben an ihn, an. Das Leben selbst bietet die eigentlichen Anfänge der Religion an. Das Bedürfnis, Rat und Tat im Leben erzeugen Liebe und Dankbarkeit, und wenn diese im Herzen Wurzel geschlagen haben, so wölbt sich auf diesem Grunde von selbst der Tempel der Religion. Was die übrigen Geschäfte anbelangt, so wirst Du einsehen, daß Du Dein Lebe» als im Dienste der Jugend und des Hauses an­ sehen mußt; Dein unermüdeter Fleiß ist mir zu wohlbekannt, als daß ich nicht überzeugt wäre, daß Dir gerade Arbeit und Tätigkeit Bedürfnis und zur anderen Natur geworden sei. Aeußerlich glaube ich auch, daß Dich Pestalozzi auf einen solchen Fuß stellen wird, daß Du mit demselben zustieden sein kannst. Kost, Wohnung, Wäsche ist alles frei, das Weitere wird Herr Schmid besorgen, der mir ver­ sprochen hat, alles zu tun, was Dich sicher und ruhig stellen könnte. Nun, lieber Freund, wünsche ich nichts mehr, als daß ich Dich bald bei mir sehe. Ich sehe in Sehnsucht Deiner Ankunft entgegen, die ich Dir nicht beschreiben will und kann. Unsere gegenseitigen Wünsche, im Ausland zusammenzukommen, gingen auf diese Art in eine unberechnete Erfüllung. Wohl haben wir Arm in Arm uns das Leben in Deutschland mit den schönsten Farben, die eine glü-

hende Phantasie leihen kann, ausgemalt. Alle diese Bilder aber, die meinen Aufenthalt in Deutschland mir beleben sollten, schwan­ den mir und ich nahm traurigen Abschied von ihnen, als ich ganz allein meine Reise antreten mußte. Aber siehe Freund! Endlich wären es doch keine Luftschlösser, und unsere Schwärme, die damals nur von Sehnsucht und Wunsch unterstützt waren, wollen jetzt sicheren Boden gewinnen. Was ich diesfalls fühle und wie ich eigentlich in meinem Inneren bewegt bin, kann nur eine gleichge­ stimmte Seele wie die Deinige mitfühlen. Mehr als zwei Jahre sind nun vorüber, seitdem ich von Dir, von unseren Freunden in Hermannstadt, keine Nachrichten habe. Meines Vaters Briefe treten nie über die Schwelle unseres Hauses und unserer Familie. Ich habe so manche Menschen im teuren Vaterland, an denen mein Herz mit aller Sehnsucht der Freundschaft und Liebe hängt. Aber es ist mir ohnmöglich durch, meine Zeit und meine Kräfte weitübersteigenden, Brieftvechsel mich im Zusammenhang der Gedanken und Gefühle zu erhalten, wie ich mich gerne darin erhalten möchte. Seit Jahr und Tag habe ich an niemand außer an meine Eltern geschrieben und ich weiß sicher, daß ich durch dieses Versäumnis manches zart­ fühlende Herz, das auf Aeußerung der Liebe in Freundschaft wartet, von mir abstoße und vielleicht verwunde. Ich kann nicht ohne äußere Veranlassung und äußere Herbeiführung der Gelegenheit Gefühle äußern und aussprechen, die sich bereits selbst voraussetzen und auf deren Voraussetzung das eigentliche Verhältnis der Freundschaft und Liebe beruht. Gruß ic. (Aus dem Briefbuch.)

Jferten, den 30. August 1819.

Geliebte Eltern! Vorigen Mittwoch war ich nach Bullet, einem angenehmen Dörfchen auf dem Juragebirge, gegangen. Aus dem vorigen Briefe werdet Ihr ersehe» haben, daß ich mit meiner Brust nicht ganz zuftieden war. Nicht Bruflweh, sondern eine gewisse Schwere in den Sprachwerkzeugen. Jetzt wollte ich eine Bergkur vornehmen. Ich versprach mir das Beste von der stärkenden, be­ lebenden Luft in der Höhe, am meisten aber von der Ruhe. Schwer

verließ ich das Haus. Hier wollte ich nun eine Woche mit Nichtstun und Herumschlendern ein sorgenfreies Leben führen. Die Lage ist sehr schön. Zu Füßen lag mir Jferten, welches ich so gerne habe, links der Neuenburger und Murtensee, rechts in einer Entfernung von 8 Stunden der Genfer See und hinter ihm der berühmte Montblanc, der Großvater aller Schweizer Gebirge. Die meiste Zeit wollte ich mit Spazierengehen, das mir der Arzt anbefohlen hatte, zubringen. Da wollte ich in den Feldern herumstreifen, im geheim­ nisvollen Dunkel der Fichten träumen, oder von der Spitze des Sucheron jChasseronj um mich sehen, vor mich nach Jferten, wohin mich unaussprechliche Gefühle binden, nach Baden und Württem­ berg hinaus, wo die Freunde und die Universität ist und endlich über eine große Strecke hin nach Siebenbürgen, wo mir Alles liegt. — Aber mit etwas hatte ich mich verrechnet. Das Wetter durchstrich die Rechnung. Schon im Hinaufsteigen, wo mich etwa zwanzig Zöglinge begleiteten, tröpfelte es etwas, und nun waltete oben kein schöner Tag. Darauf hatte ich nicht gerechnet! Nebel stiegen auf und ab. Daraus bildeten sich Wolken, die in der Gegend wie verirrte Schafe umherliefen und mich, so oft ich mich hinaus­ wagte, durchnässen wollten. Da saß ich nun in einem einsamen Dörfchen, einer noch einsameren Bergspitze und träumte von zu­ künftigen Tagen; doch ich wachte auf. Liebe Eltern! Teure liebe Schwestern! Möchten meine Träume mich nicht verlassen, möchten auch Eure, denn jeder hat welche, nicht zerrinnen. Ist man nicht glücklich, wenn man auch nur in der Einbildung Aussichten hat, die sie sich immer verschönerte? Was schadets, wenn unsere irdischen Augen in dem Dunkel eigener Ueberzeugung sich täuschten und sahen, was nicht vorhanden ist. Einmal weicht diese Nacht und die andern Augen erwachen im Licht der ewigen Wahrheit. Oh, wenn man wüßte, daß es Träume wären, wenn man wüßte, daß es Täuschung sei, daß es das Nichts war, was uns erfreute, was uns erhob, was uns so glücklich wie Engel im Himmel machte, was würde man denn tun, was sollte man denn tun? — Wünschen, daß man es nicht gewußt hätte!

Sonnabend regnete es wieder; ich sah halb ärgerlich übers Wetter und halb ärgerlich über mich, daß ich so schwach war und mich übers Wetter ärgerte, zum Fenster hinaus. Da kam ein Lehrer unseres Schlosses mit einem fremden Herrn Braubach aus Gießen, die mich besuchten. Euer Brief kam mit. Ost kommt es mir vor, als ob ich nur etliche Wochen von Hause weg sei, ein andermal mahnt es mich doch auch, daß es nicht so kurze Zeit sei. Auch Euer letzter Brief zeigt es mir: durch unsere Familienveränderung. Thereschen soll Heurathen! Gern hätte ich Thereschen noch unverheurathet zu Hause angetroffen. Was ich in ftoher Hoffnung einmal zu Hause anfangen werde, hätte ich gerne mit Thereschen, der lieben Schwester, angefangen. Mich aber verliere ich gerne aus den Augen und setze mich gern auf die Seite. Aber Euch kann ich nicht so auf die Seite setzen. Eure Ruhe, Euer Wohlsein, Euer Glück und Zufriedenheit ist mir meines Lebens erstes Glück. Gesetzt, List verheurathet sich — und geht von Kleinschelk weg; Thereschen verheurathet sich auch und geht auch von Eurer Seite weg. So steht Ihr da wie ein alter Baum, dem ein Sturm seine Zweige geraubt hat. Nein, nein. Eure Tage müssen geschützt sein. Euer Leben muß von den Engeln des Hauses gepflegt und umgeben sein. Ihr dürft nicht allein sein. Euer Alter soll nicht einsam, es soll nicht entblößt von allem sein, was Ihr als das größte Glück auf Erden immer schätztet. Eure Lieben sollen um Euch sein. Lisi ging nach Mediasch, Thereschen nach Hermannstadt, ich beinahe 500 Stunden entfernt. Teure Eltern! Das weiß ich wohl, daß Ihr Eurer Kinder wegen alles tun, alles erleiden würdet. Dem Herzen Lisis, dem Herzen Thereschens will ich nicht in den Weg treten, ich kann es auch nicht. Aber selber wenn ich es könnte, so wollte ich es dennoch nicht tun, aber Eins muß doch geschehen. Ich rufe die schwesterliche Liebe an und fordere Euch auf, bei allem was Euch teuer und lieb ist, laßt eins von beiden nicht so bald von Euch. Der Liebe läßt sich nicht widersprechen, das Feuer und die Flammen derselben sollen sich auch nicht dämpfen lassen. Gut! Sie sollen sich gern haben, aber die Heurath wenigstens um ein Jahr hinausschieben. Das ist doch leicht, liebe teure innigst-

verehrte Eltern. Die kindliche Neigung zu den Eltern und Ge­ schwistern wird durch die andere Liebe noch geläutert und er­ hoben ------ Ihr seid da, sehet, wisset — urteilet auch. Mein Herz läßt mich nicht anders sprechen. (Aus dem Briefbuch.)

Jferten, deu 14. September 18x9.

Liebe Eltern! Der ganze Gang ist schnell gemacht. Thereschen pflegte sonst immer nur wenig, und nur wenig vom eignen Nasch­ werk, zu essen. Auf diesen zögernden Genuß hätte ich etwas gerechnet. Heute erhielt ich Euren Brief, wo Ihr mir die Verheurathung Thereschens zu wissen tut. Thereschen ist ftoh und Ihr zuftieden, was will der Mensch mehr? Was kann er mehr wollen? Ich aber bin so bewegt und von mancherlei Gedanken, die sich .. in meiner Seele bewegen und verdrängen, und stehe da mit einem vollen Herzen, ein sprachloser Träumer. Wenn ich an mich denke und mich allein in einen Kreis hineindenke, der noch leer ist, den ich beleben soll, so stehe ich da, lasse die Hände finken und weiß mir nicht zu helfen und umsehe mich nach Hülfe und finde fie nicht und weiß, daß ich sie in Siebenbürgen nicht finden werde. Hülfe habe ich in mir und ein ftommer Wille wird mich in meiner Schwäche wie ein Riese ein Kind über einen Bach tragen. Das weiß ich, ich werde hinübergetragen werden. Berzärtlungen des Lebens kann ich ent­ behren. Es wird mich manches Opfer kosten. Nicht um meines, sondern um Euretwillen. Mit mir habe ich abgeschlossen und sehe dem Verluste eines geträumten Glückes mit unbekümmertem Her­ zen nach. (Weil ich sie selber aufgebe, kommt es mich nicht schwer an. Die Ueberzeugung, selbständig handeln zu wollen, macht mir die Wahl nicht schwer.) Wenn aber vielleicht Eure Hoffnungen sich an mir täuschten, wenn Eure Vorstellungen von meinem Glücke sich etwas veränderten, würdet Ihr auf mich nicht böse werden? Würdet Ihr mich, wenn ich dem Scheine nach einen Mißgriff getan und schlechter gewählt hätte, eben noch so lieb haben? — Ich bin glücklich und lebe — in der Zukunft. Diese schließt eine Hoffnung ein. Sie werde ich öffnen. Liebe Eltern, könnte ich Euch nur ein

schwaches Bewußtsein, ein schwaches Vertrauen von meiner Zuver­ sicht aus meinem Herzen in Enres hineingießen! Könnte ich Euch nur das Morgenrot zeigen, könnte ich Euch unter der Decke von . ♦ Dornen die Saat zeigen, die mich im Voraus erquickt und beseelt. Ich sollte nicht so sprechen — ich sollte nicht mit einer Bestimmt­ heit sprechen, wenn der Sturm die noch ungesäte Saat verwehen und meine Hoffnung zernichten kann. Es ist wahr. Hier fault schon das Samenkorn, ehe es nur aufgeht; hier kommt es schon avgeftessen in den Boden; und wenn es erhaben ist und austvächst, so tötet es die Kälte, die Nässe richtet es zugrunde und nur unwirsch geht darüber der Fußtritt des Menschen und des Viehes. Es ist wahr, Vater, ich sollte nicht so sprechen. Aber ich bin so schwach und gerade, wo ich entscheidende Schritte für »rein Leben zu tun ge­ sonnen bin, baue ich vielleicht Hoffnungen, die vor meinen Augen niedersinken können wie ein Traum. .. aber Vater, was kann nicht fallen? Es kann fallen, ich kann vielleicht selber einen Fall beschleunigen, aber das Gute, das ich will, wird Gott erhalten. Die Erde ist weit und unter dem Himmel sind viele Wohnungen bereitet. In meinem Vaterlande sind die natürlichen Anknüpfungspunkte. Aber auf Menschen rechne ich nicht — nicht weil ich ihrer Güte mißtraue, sondern weil ich es wenigstens unabhängig von den verschiedenen Urtellen tun will. Ein Stroh­ dach ist mir genug und mit Brot und Mlch bin ich zufrieden. Der Glauben, die Liebe und das Vertrauen macht mich glücklich. (Aus dem Briefbuch.)

Den 17. September

1819.

Deus bene vertat!!!1).

(Aus dem Briefbuch.)

Jferten, den 19. September 1819.

Liebe Eltern! Für diesen Brief einen Anfang zu finden ist mir etwas schwer. Viel könnte ich nicht schreiben; zu sagen hätte ich Euch unendlich viel. Die Zeit und die Ereignisse in meinem Innern stellen mich aber an einen Ort, wo man erwartet, daß ich spräche. Könnte 1) Gott möge es gut lenken!

ich Euch mit Augen sehen, um nach der Empfänglichkeit oder Un­ empfänglichkeit Eures Herzens hiefür sprechen oder schweigen zu können! Ich trete vor Euch hin, ergreife Eure elterlichen Hände und sinke Euch an die Brusi und wünsche, daß Jhr's erratet, daß ich's nicht zu sagen brauchte. Die Zwecke meines Lebens, an denen mir alles liegt, kennt Ihr. Meine Augen sehen nur sie, ich kenne keinen anderen Beruf. Teuerster Vater! Ihr wolltet mein Glück, wie wenig Väter es wollen. Wir beide glaubten es auf einem be­ stimmten Wege zu erreichen. Das Gute will ich wie zuvor, ich will es noch mehr wollen, aber diesen Weg kann ich weiter nicht gehen. Vater, Ihr wolltet ein Glück, wie wenig Väter es wollten. Vater, Ihr wollt noch mein Glück, wie wenig Väter es wollen. Dies Ver­ trauen zu Euch, dieser Glaube an Euch steht in mir fest und un­ erschüttert, daran habe ich nie gezweifelt, daran werde ich nicht zweifeln. Euer Glaube an mich steht auch fest. An mir habt Ihr nie gezweifelt, an mir werdet Ihr, sollt Ihr nicht zweifeln. Darin sind wir eins, Vater und Sohn eins, wie wenige eins sind. Aber alles, was in mir lebt und Empfindung hat, treibt mir auf die Lippe und spricht: Vater, verlangt nicht, daß ich auf dem Wege weiter­ gehe. Der Schimmer der Welt leitet meine Empfindung nicht und mein Herz begehrt nicht der Welt. Eine höhere Ansicht des Lebens reißt mich mit sich. Ist das Leben nicht ein Acker, der unfruchtbar bleibt, wenn er auch an der Sonnenseite des Glückes liegt? Ist es nicht Eisenerz, es in Prunkkästen zur Schau [ja] legen oder eine Pflugschar daraus zu machen? Vater, dies Leben hat keinen Wert, wenn es unftuchtbar an der Sonne des bloßen Glückes liegt, es hat keinen Wert, wenn es im Prunke eines äußeren Standes ruht. Wenn die innere Bedeutung dafür mir verloren gegangen ist, wenn ich in dies Glück nie gegen mein Gewissen und gegen meine Ueberzeugung eintreten kann, soll ich die äußere Unbedeutenheit beibehalten? Ein Jahr beinahe trage ich diese Erkenntnis in mir. Habe nie deutlich mit Euch darüber gesprochen. Einzelne Worte habe ich wohl fallen lassen. Mein gutes Herz wollte es nicht eher aussprechen, bis daß ich nicht die Sache von tausend Seiten be-

trachtet hätte. Sie hat aber nicht tausend Seiten, sie hat nur zwei. Die lange bei mir beschlossene Wahl, die jetzt zv einem Entschluß gereift ist, der mich selig macht, spreche ich gegen Euch zum ersten­ mal aus. Indem ich es ausspreche, ist es mir etwas unheimlich wegen Euch, mich aber durchströmt dafür eine geläuterte, beson­ nene Begeisterung. Gerade das freut mich, daß ich auf die Welt nicht zähle, daß ich den Stand des Aeußerlichen zwar nicht aus Verachtung mit Füßen trete, sondern mit Ruhe aus den Händen sinken lasse, weil es für mich keinen Wert hat. Ich wüßte nicht Vater, teurer Vater, was mich glücklicher machen könnte als der Gedanke, du vertraust auf niemanden bei der Wahl eines^Lebensweges als auf dich selbst. — Teure Mutter! Ich sehe Tränen in Euren Augen, in den Augen, die auf mir nur mit Wohlgefallen ruhten. Mutter, teure Mutter, ich bin ein starker Sohn, freut Euch mit mir, ich sieh auf eigenen Füßen und handle nach eigenen Ueberzeugungen. Ich will Euch ein Baum sein, an dem Ihr Euch mit Lust, mit Zu­ versicht halten könnt. Wolltet Ihr, daß ich ein Kind wäre, das der Laufbahn brauchen könnte? Nein Mutter, meine Entschiedenheit hat Euch immer gefreut und wenn ich Euch ein Bild meines Lebens gab, so freutet Ihr Euch, daß ich mir das Leben schuf und nicht mich das Leben und die Zeit. Mehr schreibe ich heute nicht. Vertraut Euch mit dem Gedanken, der in mein Herz eingewurzelt ist und der aus diesem Herzen nicht herausziehen wird, ohne daß ich überhaupt die Beachtung Eurer Güte verlöre. Gott mit Euch, Gott mit mir! Der Schritt ist getan, ich kann nicht weiter. Gott sei Dank, er ist gelungen. Ihr sollt ge­ wiß zufrieden sein. Morgen ein anderer Brief. (Aus dem Briefbuch.)

Jferten, den 24. September 1819.

Liebe Eltern! Ernsthaft sollte mein Brief sein, um Euch zu über-zeugen, daß ich bei ruhigem besonnenem Verstände wäre und hätte dennoch die heißesten Gefühle auszusprechen, in Eure Brust aus­ zuschütten. Daher wünsche ich nichts sehnlicher, als Euer Herz solle der Verstand erleuchten und Euren Verstand Eure Herzen er-

wärmen. Auf dem Weg meines Lebens habe ich mir meine Be­ gleiterin gesucht. Es ist die Lehrerin unserer Armenschule Marie Schmid. Ein Weib, das der Welt anhängt, konnte ich nicht lieben und je mehr ich selber auf ste verzichtete, je glühender durchströmte mich die Sehnsucht nach einer innerlich erhobenen Freundin. Der Weg geht durch Rosen oder Dornen. Wahrer Frieden wohnt nur in häuslichem Glück. Ich selber habe es mit meinen Augen gesehn, wie Euch nicht die Welt beglückte, sondern wie Ihr Euch, geliebte Eltern, selber beglücktet durch Eure Liebe. Und seid Ihr im Sturm gestanden? — Mit ihr an der Hand, liebe Eltern, ist es mir, als wie wenn ich einem Engel zur Seite stünde; aber einem Engel, der ein Schwert in der Hand hat. Ich liebe — ich werde geliebt. Was fehlt mir denn? Es fehlt mir--------- Vater, Mutter, seht auch auf den glücklichen Weg zurück, den Ihr in Eurer Ehe gemacht habt. Denkt an die Stunden, wo Ihr Euch als Braut und Bräutigam mit vollem Herzen gegenüber standet, zurück, sprecht es aus, ob nicht von diesem Schritte alles, alles abhänge, sprecht es nur aus, daß hier Himmel und Hölle sich berühren. Mir wird himmlisch wohl bei diesem Gedanken und wohl zu Mute, ich kann Euch mit Zuver­ sicht ansehen, ich kann, entkleidet von aller unedlen Rücksicht der minder geläuterten Welt, vor Euch treten. Ich trete vor Euch, ich trete vor meine Eltern; Vater, Mutter, gebt uns Euren Segen; er­ kennt unsere Verbindung an und legt die Hände in einander, die Gott ineinander gefügt und Gott nur trennen kann durch den Tod. Um Euren Segen, um den Segen göttlicher Verheißung, Vater, Mutter, bitte ich Euch, bitten wir Euch. Wollt Ihr uns in Euerem Hause sehen? Wollt Ihr uns an Euer Herz drücken, so erfreut uns bald mit einem Briefe. Teure Eltern! Wegen der Heurath ist es uns nicht zu tun, diese kann noch anstehen. Es beschleunigt diese Handlung weder mein, noch ihr Willen, vielmehr haben wir Gründe, diese Feierlichkeit noch hinaus­ zuschieben. Es freut mich unendlich, Vater, Euch schreiben zu können, daß wir hierin die unbefangensten Menschen sind. Wir leben in einer Unschuld, in einer Reinheit der Gefühle, die gerade ein Pro-

biersiein unserer edlen Absichten ist. Aber es ist nicht die Unschuld der Schwäche, es ist nicht die Unschuld der Kindheit, es ist die Un­ schuld der Kraft edler Macht in der Liebe. Ich wiederhole es noch einmal und sage es mit Weiß, um die Heurath ist es mir nicht zu tun. Vater, Mutter, gebt uns Euren Segen, wie Ihr ihn einmal bekommen habt, wie Ihr ihn der Lisi, der Thesi gegeben habt. Die heilige Flamme des Glaubens, der Liebe brennt in uns. Vater, sie können nicht verlöschen. Ich dachte an Euch, ich dachte an sie, meine Brust war ein Schlachtfeld von Gefühlen. Was sonst bei einem Mädchen in Anspruch nimmt und was sonst die Herzen der Männer zu fesseln pflegt, hat mich nicht in Anspruch genommen, hat mein Herz nicht gefesselt. Die niederen Erdenansichten haben mich nicht an sie und sie nicht an mich gebunden. Ihre unbegrenzte Liebe zu mir, ihr Glauben an mich, dies und endlich noch die reli­ giöse Hingebung an die Vorsehung, dies Vater hat mir meine Hand in die ihrige gelegt. Sie ist seit einem Jahre Vorsteherin unserer Armenschule. Sie hat Wunder getan. Nicht nur verdankt diese Schule ihr das Dasein, sondern auch die geistige Kraft, die in allen Kindern lebt. Ihre innere Erhebung hat sich den Kindern mitgeteilt; Arbeitsamkeit, Demut und Wömmigkeit lebt, webt und ist in ihnen. Diese Kraft, diese Liebe, Vater, die aus ihr selber hervorgeht, die ja sie und ihr Wesen selber ausmachen und ohne welche sie ein gewöhnliches Mädchen sein würde, welches mich nicht anspräche, diese Kraft, diese Liebe, Vater, können wir unserem Vaterlande zuwenden; während wir in der Armut äußerlicher Um­ stände innerlich glücklich und erhoben sind, können wir mit der Zeit in der Unschuld eines unbedeutenden Scheines Mittel anbahnen, die wir mit Zuversicht auf den Altar unseres Vaterlandes und un­ seres Volkes legen können. Um unser Fortkommen ist mir nicht bange. Sie ist eine Tirolerin — an Armut gewöhnt —, Vater, ich bin nicht verweichlicht. Wollte ich hier bleiben, so würden wir mit einer Liebe, mit einem Zuvorkommen aufgenommen, die meiner vielleicht nirgend wartet. Ihr Bruder, der gefürchtete eiserne Mann, weint über ihren Verlust — sie war ihm der rechte Arm — und er

hätte gewünscht, sie solle sich nie verheurathen. Gegen meine Person hat er nichts. Pestalozzi, der mich und sie unaussprechlich liebt, gibt seine Einwilligung; was fehlt uns als Euer Segen? — Aber Vater, eine Hütte ist genug für uns und soviel Brot, als wir brau­ chen, wird uns die Vorsehung geben. Noch eins: Für meine Selbständigkeit und freie Bewegung im hiesigen Leben wäre es mir vielleicht sehr dienlich, eine Summe Geldes zu haben, die mich in dem Stande erhielte, Herr jeder meiner Schritte zu sein. Das Institut ist mir noch schuldig, aber gerade jetzt schäme ich mich etwas zu verlangen. Ich habe beinahe nichts gebraucht und es wird mir zum mindesten zu statten kom­ men. Sollte es für .. nicht möglich sein, nun so sehe ich es so an und behandle die Sache so, daß mir Geld nicht fehlen kann. Das.. mich nichts, wenn Ihr mir keines schickt. Nach meiner Mutmaßung ist mir das Schloß vielleicht fünfzig Louisdor schuldig. Ich habe keinen Kontrakt gemacht, soviel reichte hin. Diese aber mag ich nicht haben. Dieses muß ich hinzusetzen, daß ich keine Ar­ tikel zeigen könnte, auf welche ich das Geld brauchte; nur als Ga­ rantie meiner Freiheit und Selbständigkeit wollte ich es in meinen Händen haben. Wahrscheinlich vertue ich keinen Kreuzer davon, so wie meine Besoldung noch ganz unangegriffen ist; aber gewiß bin ich eben nicht. Indeß, Vater, macht wie und was Ihr wollt! Nun schließe ich den Brief, empfehle mich und meine Marie Eurer Liebe, Eurem Schutz, Eurem Herzen; mich aber und meine Marie emp­ fehle ich noch außerdem dem Schutz der ewigen Güte und Allmacht. Vater, Mutter, Schwestern lebt wohl. Euer Sohn und Bruder St. L. Roth. Als ich in der Broschüre „Liebesbriefe St. L. Rothes" (Kommissions­ verlag Hans und Ernst Harth, Mediasch, 1924) erstmalig über den Liebes­ bund zwischen St. L. Roth und Marie Schmid berichtete, war mir obiger Brief R.s an seine Eltern noch nicht bekannt. Sonst hätte ich ihn zur Ergänzung jener kleinen Driefsammlung mitabgedruckt. Im übrige» dürfte man das klarste Bild von R.s Liebesgeschichte, deren Dokumente der streng chronologischen Anordnung dieses Werkes gemäß hier nur

verstreut auftauchen können, immer noch durch die Lektüre jener Ver­ öffentlichung gewinnen. Marie Schmid, die Schwester des Mathematikers Josef Schmid (s. S. 222), hatte ihre Ausbildung, ebenso wie ihr Bruder, in der An­ stalt erhalten. Geboren am 8. Oktober 1794 in Au (Vorarlberg) war sie zwei Jahre älter als St. L. Roth. Während der Trennung ihres Bruders von Pestalozzi wirkte sie als Lehrerin in Bregenz ebenso wie dieser selbst. Als sie 1818 Vorsteherin von Pestalozzis Armenanstalt in Clindy ge­ worden war, schrieben ihr die anhänglichen und dankbaren Bregenzer Schulkinder Briefe, die Pestalozzi seinerseits in einem rührenden Briefe vom 3. Februar 1819 (mitabgedruckt in der oben angeführten Broschüre) an diese Kinder beantwortete. Er setzt darin der Geliebten St. L. Roth's ein Denkmal, das dem Bilde, welches dieser selbst im obigen Briefe vom 24. September von ihr entwirft, um weniges nachsteht. Anfangs wurden in Clindy i2 Kinder beiderlei Geschlechts beherbergt, bald stieg ihre Zahl auf 30. Da die Armenerziehung Pestalozzis Lieblingsgedanken war und er gerade diese Kinder dauernd in seiner Nähe wissen wollte, da weiters Räume im Schloß frei geworden waren, verlegte er, ungefähr ein Jahr nach ihrer Gründung, auch diese Anstalt ins Jfertener Schloß. Seit dieser Zeit also, d. i. seit September 1819, lebte Marie in unmittelbarer Nähe Roth's. Der Vollständigkeit halber sei hier auch gleich der jüngeren Schwester Maries, Katharina, gedacht, die in späteren Briefen eine Rolle spielt. Sie war 1799 geboren und izjährig der Schwester nach Bregenz gefolgt. In Clindy besorgte sie die Führung des Haushaltes. Die Ehe der Eltern Schmid-Berlinger war im ganzen mit 11 Kindern, 6 Söhnen und 5 Töchtern, gesegnet. Außer den hier erwähnten drei Geschwistern stand noch ein Bruder, der als junger hoffnungsvoller Lehrer starb, in Verbindung mit Pestalozzi. Bei der Vielköpfigkeit dieser Vorarlberger Bauernfamilie ist es weiter nicht verwunderlich, daß ein Teil der Kinder schon in frühem Alter ihr Auskommen in der Fremde suchten. Dazu kam noch, daß die Mutter 1802, der Vater 1809 schon tot waren. (Aus dem Briefbuch').)

Unterm 19. Oktober schreibt Herr Schmid an Wellmann den 1) Das umfangreichere durch die Post beförderte Original des Briefes ist veröf­ fentlicht von Dr. G. A. Schüller in „Ostland" I. Jg. Hermannstadt (1919), S. 192.

unterm 14. August versprochenen Brief. Inhalt: Nach der jetzigen Lage können wir Sie nicht anstellen. Jferten, den 20. Oktober 1819.

Lieber Fr. Wellmann! Du wirst bis jetzt Herrn Schmids Brief bekommen haben — was zur Sache gehört, weißt Du demnach. Die Entscheidung hing wirklich von einer Reise nach England ab. Umstände haben diese Reise verschoben. Noch immer wäre der Wille da, Dich bei uns zu sehen — aber die gehörige Sicherheit auf Jahre hinaus liegt nach meiner Ueberzeugung nicht in Pestalozzis Hand. Zwar wird allem Anscheine nach die Pesialozzische Sache über sein Grab hinaus reichen, unter welcher Gestalt und Form weiß ich nicht, weiß auch Herr Pestalozzi nicht. Pestalozzi steht unter lauter Feinden und hier in Jferten ist das Hauptlager derselben. Ein großer Teil der Schweiz selber ist vermöge ihrer sehr aristokratischen Prinzipien dem edlen Volksfreund zuwider; es geschehen daher vom Lande aus mehr Schritte zur Untergrabung als zur Unter­ stützung — die Vorsehung wird ihn nicht verlassen. Mährend daß Deutschland und die Schweiz beinahe gefühllos den Dingen zu­ sehen, nimmt England desto tätigeren Anteil daran. In dem Grade, daß sich daher deutsche Kinder vermindern, nehmen Engländer zu. Dies ist schon seit meinem Hiersein stark merklich und diese Pro­ portion tritt nun klarer und bestimmter an das Licht. Setzt sich dieses fort, so wäre es möglich, daß Du als teutscher Pfarrer unter einer zu kleinen Herde wärest. Ohnedem ist die französische Sprache die Hauptsprache, obgleich ich mir alle Mühe gebe, daß das Deutsche nicht aus dem Gleichgewichte komme. Mir fällt es wirklich schwer französisch päppeln zu müssen, und da ich es jetzt aus bloßem Ge­ brauche lerne, so mache ich nur die unbedeutendsten Fortschritte. Die englischen Kinder kommen aber gewöhnlich hier an, ohne etwas anderes als englisch sprechen zu können; bald, bald, in wenigen Monaten wird man es spüren, daß die Uebermacht der Anzahl Engländer sind. Wäre der ganze Gang rascher gegangen, so hättest Du den Berufungsbrief und wärest hier. Aber das Ding ist ver­ schlafen worden. Bei dieser Lage der Dinge, wo die Sachen einmal

so stehen wie sie stehen, konnte ich auf die Anstellung weiter keinen Einfluß haben und konnte auch nicht wünschen, Dich aus einer warmen Stelle in eine vielleicht kalte zu setzen. Unangenehm ist es mir wie ich es nicht ausdrücken mag und nicht ausdrücken kann; bei der .. meines Selbst in meinem Innern und dem beinahe ge­ dankenlosen Zustande, worin mich ein anderer Schlag versetzt hat, stehe ich da, Freund, und spreche also aus: ich kann sagen mit Ruhe, wie sie aus einer edlen Absicht, aus reinem Willen hervorquillt, die aber dennoch an den verlorenen Hoffnungen mit Wehmut, ja beinahe mit Tränen hängt. Verzeihe, daß ich nicht mehr schreibe. Mit gewissen Gefühlen, die sich in mir heute .., kann ich nicht anders fertig werden außer ich höre auf zu denken und zu schreiben. Dein Roth. (Aus dem Briefbuch.)

An Herrn Wilhelm Stern in Karlsruhe wegen spezieller Behandlung d. lat. Sprache. Jferten, den 25. Oktober 1819.

Hochgeehrter Herr und Freund! Vor zwei Jahren hatte ich das Glück Ihrer Bekanntschaft im Beckerschen Hause in Karlsruhe. So wie mir überhaupt mein Aufenthalt im Kreise dieser Familie zu den schöneren meines Lebens gehört, so ist er mir aber besonders durch Ihre Bekanntschaft von nicht geringer Wichtigkeit. Schon damals erzählten Sie mir, daß Sie in Jferten vorzugsweise den Unterricht in der lateinischen Sprache gehabt und daß Sie von Pestalozzi aufgefordert an die Ausarbeitung eines Elementar­ wörterbuches — oder wie Sie es nannten — die Hände gelegt hätten. Von jeher Freund der lateinischen Sprache sprach mich schon da­ mals die Nachricht an. Seit der Zeit bin ich nach Jferten, um mir Mittel anzueignen, die mir einst in meinem entfernten Vaterlande bei der Bildung von Dorfschulmeistern zustatten kämen. Ich trat gerade ein, als Lange das Schloß verließ und wodurch neuerdings alles in Bewegung gesetzt wurde. Durch die Unordnung, die solche Schritte herbeiführen, ging auch das Manuskript, woran Sie nebst Folberth, St. L. Roth. I.

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Ihrem wertgeschätzten Freunde Herrn Marxx) mit Anstrengung und Liebe gearbeitet haben, verloren. Unendlich soll es mich steuen, wenn Sie das Werk für stch haben abschreiben lassen. Hier ist es nicht. Bruchstücke erhielt ich von Herrn Brousson, der innigen An­ teil daran nimmt, auch gab mir Herr Schmid einige Bogen Phrasen, die Pestalozji aus der Kopie hatte ausjiehen lassen. Mir war das Latein an sich schon wichtig, würde es aber noch mehr, da die Me­ thode überhaupt, wie ich die Ueberjeugung habe, nur an der Hand der alten Sprachen in Ungarn und Siebenbürgen eingeführt wer­ den kann. Daß mir daher diese mehr als alles andere am Herzen lag, können Sie daher soviel als gewiß annehmen. Ich dehnte unterdessen, noch von anderen Dingen bestimmt, einen anfänglichen Aufenthalt von wenigen Wochen auf längere Zeit aus und be­ mühte mich besonders, Herrn Pestalozzi in seinem Gespräch immer hierauf zu lenken, was er denn auch mit seiner ihm eigenen Hin­ gebung tat. Unter dieser Diskussion über den Unterricht in den alten Sprachen und der lateinischen insbesondere, spielte ich ge­ wöhnlich die Rolle eines Gegners nach meiner Ueberzeugung. Das Ganze war mir dunkel. Meine Abneigung verwandelte sich in Ver­ trauen zur Sache und nach einiger Bekanntschaft mit den übrigen Teilen der Methode, heben sich nun hie und da einige Punkte heller und heller hervor. Mein Wunsch in meinem teuren Vaterlande hiemit mir zuerst ein günstiges Vorurteil zu bilden, bestimmte mich, den Forderungen Pestalozzis zu folgen und mich an diese Arbeit zu machen. Solches habe ich denn auch getan nach bestem Willen und Kräften. Der Hauptentwurf ist gemacht, bei einigen erhält er in seiner Unvollkommenheit Beifall. Pestalozzi lebt in Rücksicht dieser Arbeiten, besonders wegen seiner Armenschvle, der sie ver­ mutlich zugehören werden, in Vorurteilen. Aeußerst willkommen war mir ein Büchelchen von Herrn Marx, das sich über die leitenden Gesichtspunkte im Allgemeinen bei Bearbeitungen und Behand­ lungen der lateinischen Sprache verbreitet. Ich danke dem Herrn Verfasser sehr für die darin niedergelegten Ansichten; nach meiner i) Marx, Lehrer bei Pestalozzi seit 1815.

Individualität aber sehe ich es sehr gerne, wenn man in einer Sache mehr auf das Spezielle eindringt, indem ich mir dann leichter aus dem Gegebenen das Allgemeine abziehen kann. Nun, wertester Freund, nehme ich mir nach diesen Vorausschickungen die Freiheit, mich an Sie mit einer Bitte zu wenden. Ihnen selbst ist die Sache gewiß nicht weniger unwichtig als mir. Wollen Sie mir einige spezielle Gesichtspunkte über Ihr Heft zukommen lassen? Sie würden mir eine ungewöhnliche Freude machen, eine Gefälligkeit erzeigen, die ich zu schätzen wüßte. Nehmen Sie fich die Mühe aus Liebe zur Sache und teilen Sie mir etwas Näheres, in jenem Büchelchen nicht Berührtes, mit. Verzeihen Sie meine Unumwundenheit und wenn es Ihnen vielleicht be­ schwerlich ist, so mögen Sie sich dieselbe selbst ein wenig zuschreiben, da Sie sowohl hier und in Karlsruhe für einen Mann gelten, zu dem man nur durch Offenheit eingehen kann. Uebrigens denke ich, es wäre jetzt doppelte Pflicht, uns mit der starken Speise der Alten zu kräftigen, da das äußerliche Leben gehindert scheint, damit wenigstens in uns ein freier Geisieszug lebe und webe. Meine Bitte wiederholend empfehle ich mich Ihnen und Herrn Marx auf das beste. Versichern Sie die Becker'sche Familie meiner fortdauernden Hoch­ schätzung und Liebe. Ihr Freund und Diener Roth. (Aus dem Briefbuch.)

An Herrn Gersbachx), Musiklehrer bei Herrn Dittmar in Nürnberg (wegen Ge­ sängen als Bildungsmittel fürs Volk.) Jferten, den 25. Oktober 1819.

Hochgeehrter Herr! Unbekannterweise ergreife ich die Feder, um Ihnen eine Bitte vorzutragen, die sonst in jedem anderen Falle dem Freunde und nur dem Bekannten gestattet sein würde. Einiges muß ich vorausschicken. Ich bin Geistlicher — komme von Universitäten nach Jferten —, habe im Sinne, zu Hause eine Lehrerschule 1) Gersbach aus Würjburg, Mustklehrer, Schüler Nägelis, bei Pestalojji 1817 bis 1818.

für Land und Volk zu gründen. Indem ich m'.ch hier um alle Mittel umsehe, die mir für meinen Endzweck dienlich sein könnten, höre ich so oft von Herrn Beck, von Krüsi rc. und von den Kindern selber von Ihnen, wertgeschätztesier Freund, sprechen, als von einem Manne, der einen originellen Weg im Gesänge eingeschlagen habe. Der Beweis von der Güte der Methode Ihres Gesangunterrichtes lebt noch in Ihren Gesängen in unseren Kindern. Soll etwas ge­ sungen werden, so müssen eben die Gersbachischen Lieder hervor­ gesucht werden. Ich kann Sie versichern, Herr, es ist mir mit der Sache ernst, und ich weiß, wenn auch mehr Liebhaber als Künst­ ler, der Musik in der Volkserziehung einen Platz anzuweisen, den sie verdient und dessen sie sich nicht zu schämen braucht. Ihre altertümliche Gesangweise schließt sich dadurch ganz an die junge Seele an, und indem sie das Märchen und das Schauerliche der Ballade ergreifen, fließen sie ganz in die Phantasie der Deutschen ein, deren Leben im Rittertum oder in der grauen Zeit des Mittel­ alters seine eigentümliche Wurzel findet. Immer ergreifen mich Ihre Lieder, wenn ich dieselben höre, und der Eindruck ist auf jedes unverschrobene Gemüt derselbe. Unsere Volksschullehrer in Sieben­ bürgen müssen einer alten Sitte gemäß alle singen und noch dabei ein Instrument spielen; deswegen ist denn auch unser Kirchenge­ sang mehr Chor als anderswo und bei der sonstigen Vorliebe für Musik sind wir darin nicht sehr weit zurück. Wie aber der Gesang insbesondere als Bildungsmittel aufgefaßt, belebend und erhebend ins Volk hinübergeleitet werden solle, daran hat man, da man die Mängel nicht kannte, noch nicht mit dem gehörigen Ernste gedacht. Schon daß wir den Gesang immer mit uns tragen und keines weiteren Apparates als eben unsrer selbst bedürfen, daß weiters in ihm eine Wurzel zum weiteren Familienbunde ruht, und endlich daß die höchste Kunst, die Poesie, in ihm lebendig wird, um dies und um noch mehreres ist mir die Sorge für den Gesang eine Herzensangelegenheit. Jedoch ist es in Deutschland gar nicht ein unbebautes Feld, vielmehr kann unser gemeinsames Vaterland darin viel Gutes und Gelungenes aufweisen. Wie aber überhaupt.

so hat sich auch hier die Sorge mehr auf das Höhere, Vollendetere, als auf die erste Stufe jvm Höheren und Vollendeteren gerichtet, und es tut wahrlich not, daß schon von vornhinein der Gesang als Grundlage aller Musik musikalisch in Ohr, Herz und Kehle ein­ dringt. Für große Ausdehnung hätte ich ohnedem nicht Mittel, ich muß daher alles in mir selber zu vereinigen suchen und in dieser Rücksicht muß ich sagen, daß mich nie Armut reich machen soll und muß. Um also einstmals Gesang in eine Armenanstalt einzuführen, muß ich selbst singen können und habe daher Ihrer Ansicht und Ihrer Lieder dazu nötig. Bei Ihrer Abreise haben Sie Ihren Freunden dahier versprochen, eine Liedersammlung nach Ihrem Geiste und nach der Weise Ihrer übrigen anzulegen. Inwieweit Sie hierin fortgearbeitet haben und wie weit Sie fortgerückt seien, habe ich, ohngeachtet ich alle Ihre hiesigen Bekannten befragt habe, nicht erfahren können. Oeffentlich haben Sie auch nichts bekannt gemacht. Nun, lieber Mann! frage ich Sie auf Ihr Herz, auf Ihre musikalische Liebe hin, wollen Sie uns Deutschen in Siebenbürgen Ihre Lieder zukommen lassen oder nicht? Wollen Sie dieselben mir bei meiner einstigen Heimreise im Manuskript geben oder werden Sie dieselben über einige Zeit in Druck geben? Noch weiß ich nicht, wann ich nach Hause gehe, aber lieb soll es mir sein, Sie hierüber zu vernehmen. Ohne zudringlich zu sein, kann ich Ihnen weiter nichts zusprechen, wünsche aber, Sie möchten eine Anftage dieser Art ebenso offenherzig annehmen, als ich auf jeden Fall Ihre Antwort offenherzig aufnehmen werde. Teilen Sie mir, wenn Ihnen die Sache in einem so weiten Lande nahe genug am Herzen liegt, ich bitte Sie recht sehr, über diese Sache Ihre Ansicht etwas weitläufig mit. Alles, was ich von Ihnen weiß, weiß ich von einer dritten Person aus; daher ist es unsicher und mangelhaft. Leben Sie wohl! Roth. Der folgende Brief ist ebenfalls in zwei Fassungen vorhanden: ein Entwurf dazu befindet sich im Briefbuch, während die durch die Post beförderte Rein­ schrift in der Kronstädter Gymnasialbibliothek aufbewahrt wird. Hier wur­ den beide Fassungen durch einander ergänzt.

Herrn Kepp, Prediger in Kleinschelken. Jferten, den 26. Oktober 1819.

Wertgeschätzter Freund! Ich sehe wohl ein, daß versprechen leichter ist als halten, berufe mich bei meiner Entschuldigung aber gerade auf Sie: es geht eben einmal so und nicht anders in dieser Welt, die auch viel verspricht und nicht viel leistet.. Mich soll es sehr freuen, wenn wir aber auf der alten Straße bleiben. Ich für meinen Teil bin noch immer der Alte und gedenke mit vieler Rührung an die Schulsiuben in Kleinschelken und an das Predigerhaus, wo zuerst eines Freundes Barer, nachher ein Freund selbst wohnte. Wenn Gott will und man mir es nicht gar zu toll macht, so habe ich im Sinn, mich noch näher an die Dorfschulen anzuschließen, ja eigent­ lich in ihnen geistig zu leben und zu weben. Denke ich daran, wie ich das Ding angreifen will und kommt mir mein Wunsch mit seiner Phantasie zu Hilfe, so fühle ich mich in der gedachten unge­ wöhnlichen Stellung ungewöhnlich glücklich. Mein Abgehen von der Universität, mein längeres Hiersein und vielleicht mein ausge­ dehnterer Aufenthalt im Auslande soll mir einige Mittel zur Er­ reichung meiner Absicht geben. Weil ich zur Sicherung meiner gar nicht ausgedehnten Pläne mich allein zur Disposition habe, muß ich suchen in mich selbst alle Kräfte zu legen, die mir einst hiezu behülflich sein könnten. Ich strecke meine Arme nicht nach etwas Unerreichbarem, das schon in seinen Bedingungen den Tod trägt; nein, ich lebe in Hoff­ nungen, die von meiner Seite nur Ausdauer und Anstrengung, von der Seite des Schicksals wenig Unglück und von den übrigen Menschen wenig mehr als nichts bedarf d. h. Unbefangenheit und Ruhe. Je stiller, je unsichtbarer daß ich es erreichen kann, je lieber, je willkommener soll mir Weg und Mittel sein. Hier sehe ich mit leiblichen Augen, was der Ruhm und eins ins Große gehende Leben für Dornen hat und Hindernisse selber der Ausführung in den Weg legt. Eins fürchte ich, aber es ist Furcht bei einem guten Gewissen, es möchten vielleicht die getanen Schritte meine guten Eltern befremden. Sie selbst sehen die Ursache leicht ein. Der Zu-

sammenhang des geistigen Lebens kann durch keinen Briestvechsel erhalten werden und die Reifung von Gedanken und Ideen, die jahrelang in mir unbemerkt schliefen, frappieren andere nun desto­ mehr, je mehr sie im Augenblick entstanden und von ihm das Dasein erhalten ju haben scheinen. So wird meinen teuren Eltern ein Entschluß, der aus innerer Notwendigkeit hervorging und von mir unjertrennbar ist, schwer einleuchten, kommen aber bestimmt ins Klare, wenn ich vor ihnen selber mit dem Munde ausspreche, was so gesichert, so wirklich in meiner Seele liegt. Leider gehe ich auf meine Zwecke im Zickzack los und muß nebenbei manches mit­ nehmen, weil ich nicht anders kann, muß daher oft längere Zeit auf etwas verwenden, was bei anderen Umstanden weniger Kräfte und kürzere Zeit in Anspruch nähme. Mein Aufenthalt dehnt sich mir selber, wenn ich alles überlege, zu lange aus, und doch ist es notwendig. Glauben Sie sicherlich, daß ich tausendmal mit meinen Gedanken mich ins liebe Kleinschelken versetze und da von Euch allen ungesehen Treppen auf und ab laufe, im Garten herumgehe und Euch umschwebe. Es wird mir oft so heimlich ums Herz, aber damit es mich nicht überwältige, muß ich mir alle solche Gedanken aus dem Kopfe schlagen, die mich nur zu weich machen könnten und mir doch nichts hülfen. Werlgeschätzter Freund! Indem ich mich der Bolkserziehung wei­ hen will, indem ich mich aus lebendiger Ueberzeugung an die Wurzel selber und an die Quelle des öffentlichen und allgemeinen Wohls mit meinen Bestrebungen wende, freue ich mich schon im voraus auf den Beistand meiner Freunde, von denen ich überzeugt bin, daß sie allen Ernst wie treue Arbeiter am Weinberge Gottes auf die Verbreitung des Guten und Menschlichen verwenden werden. Jch freue mich, daß ich mit unsern guten Kleinschelkern so freund­ schaftlich gelebt habe und glaube, es ließe jstchj vielleicht hier der Anfangspunkt für den ältesten Unterricht, den es gibt, für den naturgemäßen Unterricht anknüpfen. Mein Vaterland liebe ich wie wir es beinahe alle tun — nur einer mehr aussprechend, der andere es mehr im Innern schätzend und sich daran erfreuend.

Hätte ich es nicht so lieb, so wäre ich in gewisse Bedingungen ein­ gegangen, die mir die ftohesie Existenz meines Lebens gesichert hätten. Weil ich aber dieses allem anderen vorziehe, so habe ich mir selber einen Todesstoß in mein armes Herz gegeben. Gott kann mich heilen, er wird mich mit Vergessenheit, mit dem end­ lichen Resultate alles Menschlichen, schlagen. In Deutschland steht es finster aus. Die Zeit geht schwanger. Ob wir uns darüber freuen, ob wir daruber weinen sollen, wird und kann die Zukunft allein lehren. Ohnstreitig will ein mächtiger Geist für seine Ideen ein Haus bauen, worin er frei walte. Es wird einen Kampf kosten. Gebe Gott dem Rechte den Sieg. Hier in der Schweiz, am gegenüberstehenden Ende, spüren wir das Ringen der Geister weniger, auch hat dies Land an eigenen Wunden blutend hinlänglich mit sich zu tun. Jedoch ist es auch hier, besonders bei unserer öffentlichen Stellung, so weit gekommen, daß man in seinem Gespräche vorsichtig sein und das Wort wählen muß. Bei der Gä­ rung der Gemüter teilt man einen gleich einer Partei auf. Dies ist hinlänglich, um Freunde zu bekommen, es ist hinlänglich, um die Augen der Polizei oder den Haß dabei interessierter Personen auf sich zu ziehen. Freilich ist unser Haus durch den unaufhörlichen Be­ such von Fremden dem allgemeinen Urteile mehr als ein anderes ausgesetzt. Vielleicht ist es in Deutschland nicht so arg, als es eine gewisse Partei macht, doch ist sicher etwas im Werke. Die Gut­ meinenden sehen ihm auf jeden Fall mit Besorgnissen entgegen: denn bei jedem gewaltsamen Umschwung der Dinge finden Uebertretungen statt. Die Nachricht, daß unsere Geistliche hinfort das Ausland nichtmehr besuchen sollen, ist sehr betrübend. Gute Nacht! Unser gesamtes Völkchen lebten und erhielten uns in der Höhe nur durch den Zu­ sammenhang mit Deutschland. Dieser Strom wäre also abgeschnit­ ten. Jetzt gälte es selbständig fortzuleben aus eigenen Kräften, und auf eigenen Wegen, jedoch in deutschem Geiste, fortzuwirken! Wer nimmt sich unserer an? Wer denft auf Abhülfe, wer denkt daran, den geistigen Quell aus uns selbst hervor-

strömen zu machen? Oder weil man hier mit dem bloßen Denken nicht auskommt, was will man denn tun? Was tut man denn wirklich ? Dies ist die heiligste Daterlandssache; denn Brot und Leinwand sichern noch nicht den Gang der geistigen Ausbildung. Soll vielleicht durch eine inlän­ dische Universität dem Uebel abgeholfen werden? Das Ganze geht an mir nicht als bloße Nachricht vorüber, son­ dern es hat Einfluß auf mich. Denn darf ich, wenn alle Landsleute zurückkehren, im Auslande noch bleiben? Lieber Freund! Ich wollte Ihnen einen Beweis durch diese Zeilen geben, daß ich noch an Sie dächte; empfangen Sie meine fteundschaftlichen Versicherungen. Grüßen Sie mir Ihre Anverwandte alle, alle. An Gevatter Schlosser und Schneider denke ich recht oft, an diesen besonders häufig im Herbst, an jenen im Winter, wenn es Kukuruzkörbe zu machen gibt. Herrn Prediger Hann in Marktschelken und Herrn Pfarrer Nikolaus in Abstdorf meine Empfeh­ lung. Daß Sie in mein elterliches Haus gehen, daß Sie alle vom Adolph bis zum Aeltesten hinauf grüßen, versteht sich. — An Well­ mann habe ich in besonders fatalen Angelegenheiten geschrieben. Das Ding ist verschlafen. — Jetzt leben Sie wohl! Erinnern Sie sich oft an mich und geben Sie diesen Brief höchstens meinen Eltern zu lesen. Ich bin gesund! Wünsche Gleiches von Euch allen. Sagen Sie meinen Eltern zugleich, daß ich mich von Kopf bis zu Fuß ganz neu gekleidet habe. Roth. (Aus dem Briefbuch) *).

Herrn Leutschaft und Kenst in Mediasch. Averdon, den 14. November 1819. Geehrtester Herr! In Uebereinstimmung mit Ihnen über den Wert der Pestalozzischen Erziehungsansichten füge ich nur noch die Bemerkung hinzu, daß es gerade jetzt wichtig sei, die Volksbildung auf das Fundament der ewigen Menschenkräfte zu bauen, weil durch die Verhältnisse neuerer Zeit der geistige Zusammenhang mit 1) Das Original dieses Briefes veröffentlichte Gräser, S. 86, mit dem falschen Datum „im Februar 1819".

auszugsweise

Deutschland uns abgeschnitten wird und dadurch eben die Not­ wendigkeit eintritt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich freue mich deshalb in meinem Herzen, daß gesunde Männer dieser Pflanze in unserem Vaterlande Schutz wollen angedeihen lassen; und ins­ besondere tut es mir wohl, daß unsere Vaterstadt sie zuerst in ihrem Boden aufnehmen will. Geht ein solcher Entschluß aus dem Bedürfnisse hervor, so ist allerdings weit mehr gewonnen, als wie wenn es ein Befehl aufdränge. Ich lebe glücklich in der Hoffnung, daß auf diese Weise mein isoliertes Treiben sich an eine größere Kraft anschließen könne und nehme mir hiebei die Gelegenheit, Ihnen für Ihre Bemühung für unsere Schule herzlich zu danken. Was unsere Landsleute betrifft, so erwartete ich immer Briefe von denselben und wollte Ihnen, hochgeehrter Herr, nicht eher schreiben, als bis ich von irgend einer Seite eine spezielle Aufforde­ rung erhalten hätte. Unterm 4. November erhielt ich einen Brief von Herrn Langius *), worin er mir neben seinen pädagogischen Ueberzeugungen den Entschluß mitteilt, nach Pverdon zu kommen. Gern würde ich ihm hier eine Stelle zur Subsistenz ausgesucht haben, wenn nicht in gegenwärtigem Augenblicke alles besetzt wäre. In­ dem ich also bedauere, Ihnen von dieser Seite nicht an die Hand gehen zu können, erbiete ich mich aber zu jedem anderen Dienste und werde es mir sehr angelegen sein lassen, alles, soweit mein Wirkungskreis geht, in Bewegung zu setzen, um ihm bei seiner Ankunft so viel Zeit und Unkosten zu ersparen, als nur immer mög­ lich ist. Ich halte einen Aufenthalt in Dverdon zur lebendigen Er­ kenntnis der Methode für sehr dienlich, da das Anschauen der Sache bei weitem schnelleren Ueberblick gewährt und tiefere Ein­ sicht gestattet als vieles Lesen. Hiebei berufe ich mich auf einen Grundsatz unserer Schule, daß die Methode im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht gelernt werden könne, sondern vielmehr nur von außen angeregt sich selbst von innen heraus erzeugen müsse. Nicht unlieb wäre es mir, wenn sich mehrere Herren zum gleichen ent­ schlössen, da es für dieselbigen nicht unwesentlich sein wird, mit 1) Daniel Langius aus Mediasch, Student in Tübingen.

einem etwas größeren Halt . . den Gang einzuleiten, wenn dieselben die Methode im Großen einzuführen gesonnen sind. Ich glaube nun, es wird diese Methode, die so leicht von einem natür­ lichen Menschenverstände angenommen wird, keine äußeren Schwie­ rigkeiten in der Ausführung finden. Jedoch bleibt dies wahr: jede Veränderung hat ihre Feinde und diese sind oft um so heftiger, je entschiedener sich andere dafür entscheiden. Gesetzt, es träte das Unerwartetste ei». Es ist nicht zum erstenmal, daß die Welt mit Dornen krönt. Das aber ist des Menschen höchster Stolz, daß er für den Gedanken lebt. R. (Alls dem Briefbuch.)

Herrn Langius in Tübingen. Jferten, den 14. November. Wertgeschätzter Freund! Am 10. November erhielt ich Ihren lieben Brief vom 4. November. Einige Tage voraus war ich auch so glücklich ein Schreiben von Herrn Leutschast und Kenst zu be­ kommen. Da diese Herren mir Ihren Plan schon im Voraus mit­ teilten, so kam mir Ihr Schreiben nicht unerwartet. Ich muß Ihren Entschluß in hohem Grade billigen, und obgleich durch den Stand des Augenblicks eigentlich keine Stelle für Sie da ist, so glaube ich doch, die Wichtigkeit der Sache wäre so groß, daß Sie selbst ein ökonomisches Opfer ihr bringen könnten. Seitdem mir ein Geist­ licher in seiner Erhebung zum Hohen, in seiner Hingebung fürs Volk mehr gibt als ohne dieses auch der gelehrteste Kopf, so muß jichj es Ihnen nur deutsch heraussagen: Das Leben macht geringe Forderungen an den Menschen; aber der Mensch muß sie an das Leben machen. Da überdies durch die jetzigen Maßregeln unser Staat sich ganz absondern will von dem lieben Deutschland, so ist es umsomehr Pflicht, den letzten Augenblick zu benützen, um so viel Gutes nach Hause mitzunehmen und zu verpflanzen, als es nur möglich ist. Sie dürfen sich nur keck zu den Wenigen rechnen, die noch das Glück gehabt haben, ausländische Universitäten zu be­ treten; und wie mancher würde eine Seligkeit in diesem Gedanken nur finden. Seien Sie versichert, daß ich, wenngleich von individuel-

ler Liebe zur Sache hingezogen, doch hier nicht ohne Hinblick auf unser Siebenbürgen verweile. Wäre es mir möglich, in einem be­ schränkten Teile unseres Vaterlandes, in einem Winkel, der Methode Leben, Kraft und Dauer in der Ausübung zu geben, so hätte ich hier nicht umsonst gelebt. In pädagogischer Hinsicht werde ich alle Kunst und Mittel aufbieten, um Ihren hiesigen Aufenthalt so ökonomisch und zeitgewinnend einzurichten, als nur möglich. In pekuniärer Rücksicht ist im Durchschnitt der Aufenthalt in der Schweiz teurer als anderswo. Am besten würden Sie tun, wenn Sie bei mir essen würden. Unsere Kost ist ftugal — und aus dem Grunde wird Ihnen auch unser Bureau den kleinst-möglichen Preis machen. Seien Sie daher versichert, Sie könnten alsdann an meiner oder an Pestalozzis Seite essen. — Was zur Hauptsache gehört, habe ich berührt, das Ganzspezielle kann Ihnen Herr Ahr­ mann, dem ich hiemit wegen seines Nichtschreibens einen Verweis gebe, weitläufig auseinandersetzen. In der Hoffnung, Sie würden sich für das Beste entscheiden, grüße ich Brecht und Schüller und bleibe Ihr R. (Aus dem Driefbuch.)

An Schwager Henrich. Istrien, den 19. November 18x9. Lieber Schwager! Heute war ich so glücklich, den ersten Brief von Ihnen zu erhalten. Die Verhältnisse eines Schwagers zum andern verdienen zu den schönsten im menschlichen Leben gerechnet zu werden. Ich glaube unseren hieraus entspringenden Brief­ wechsel auf keine würdigere Art beginnen zu können, als wenn ich mich als Bruder Ihrer jungen Frau an Ihre Seite stelle. Ich liebe meine Familie unendlich und hänge an meinen Schwestern mit ganzer Seele. Seien Sie mir daher willkommen, lieber Schwager, Mann meiner Schwester, seien Sie mir herzlich willkommen in unserer Familie. Fortan sind wir uns die Nächsten. Ich (rette mich, daß wir durch diese Ehe, die Gott segnen mag, in eine so schöne Verbindung mit einer ehrwürdigen Familie gelangen. Erlauben Sie mir, daß ich mich hiemit der Freundschaft und der Liebe Ihrer

Familie empfehle, zu Ihnen aber, lieber Schwager, trete ich mit den innigsten Gefühlen und biete Ihnen meine Hand zu unserem schwägerlichen Vereine. Schenken Sie mir Ihr Vertrauen, Ihre Liebe, die allein dieses Verhältnis zu dem Leben erheben könne, zu dem es edle Menschen auffordert. Und Du, liebe Schwester, Frau eines Freundes, suche mit beizutragen, dieses Verhältnis in der inneren Bedeutung zu erhalten, deren wir durch unsere Herzen fähig sind und sei, wie Du die Quelle desselben bist, also auch der Grund zu einer ununterbrochenen, sich immer mehr erhärtenden Dauer und Beständigkeit in derselben. Jetzt, Ihr lieben Leute, schließe ich, durch ein vorübergehendes Uebelbefinde« gehindert, fortzufahren. Hätte eigentlich heute noch nicht geschrieben, wenn ich nicht durch augenblickliche Beantwortung Ihres Briefes meine Empfindungen an den Tag habe legen wollen. Gruß und Kuß meinen Eltern. Dank für Geld und Provision! Meine Empfehlung an alle Freunde! Roth. Ende des ersten Bandes.

Der zweite Band, der sich um die Heimkehr schließt, wird neben den rest, lichen Dokumenten aus der Zelt des Aufenthaltes bei Pestalozzi auch die beiden großen Erziehungsschriften St. $. Roths enthalten: die erste im Auftrag Pestalozzis verfaßte über den Sprachunterricht, die zweite, die für den Plan warb, in Siebenbürgen eine eigene Erziehungsanstalt zu begründen. — Die darauffolgenden Bände werden Leben und Wirken des Mannes wiedergeben, dessen Schicksal sich dramatisch steigert bis zum Tod in der Zitadelle von Klausenburg.

Das Personen- und Sachregister sämtlicher Bände befindet sich am Schlüsse des letzten Bandes.

Inhaltsverzeichnis deS 1. Bandes Vorwort des Herausgebers.............................................................

7

Die Vorfahren St. L. Roths.........................................................

11

Der Gymnasialschüler......................................................................

11

Stammbuchblatt vom 12. Sept. 1815.......................................

12

Stammbuchblatt vom 19. Sept. 1815.......................................

13

St. L. Roth an die Eltern in Kleinschelken. Hermannstadt, 23. Hornung 1816..............................................................................

13

An dieselben. Hermannstadt, 19. März 1816...............................

15

Urteile über den Gymnasialschüler

............................................

16

An die Eltern in Kleinschelken. Pest, 4. Juni 1817..................

17

An dieselben. Pest, 8. Juni 1817................................................

20

An dieselben. Wien, 18. Juni 1817

............................................

21

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Wien, 29. Juni 1817....................................................................................................

24

An dieselben. Wien, 9. Juli 1817................................................

27

An dieselben. Wien, 21. Juli 1817................................................

29

An die Eltern in Kleinschelken. Wien. 29. Juli 1817..................

31

Gemälde einer Reise durch Oberösterreich, da» Salzkammergut, durch Salzburg, Berchtesgaden und einen Teil Bayern» an» Licht gestellt von Freimund Atel, «inen auf die Universi­ tät Tübingen gehenden Theologen au» Siebenbürgen ...

33

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Augsburg, 29. Sept. 1817........................................................................................ 166 An dieselben. Ulm, 7. Okt. 1817.......................................................... 168 An die Eltern in Kleinschelken. Tübingen, 12. Okt. 1817 . . .

170

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Tübingen, 30. Okt. 1817.............................................................................................171 An die Eltern in Kleinschelken. Tübingen, 8. Dez. 1817 . . .

175

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Tübingen, 11. Dez. 1817................................................................................... 178 Aus dem „Schreibkalender für das Jahr 1918“ 1. Jan. bis 2. Febr. 1818.........................................................................................179 An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Tübingen, 3. Hornung 1818.................................................................................... 181 Aus dem „Schreibkalender“ 7. Feb. bis 31. März 1818 . . .

183

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Tübingen, 1. Apr. 1818.............................................................................................186 Aus dem „Schreibkalender“ 1. April bis 12. Mai 1818

. . .

191

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Tübingen, 8. Mai 1818.............................................................................................194 Aus dem „Schreibkalender“ 15. Mai bis 19. Juli 1818

. . .

199

über Roth als „Renonce“ des Corps „Suevia“...................... : 200 An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Tübingen, 25. Juli 1818............................................................................................ 204 Aus dem „Schreibkalender“ 29. Juli bis 20. August 1818 . .

206

An die Eltern in Kleinschelken. Ulm,20. Aug. 1818.........................207 Zwei Stammbuchblätter aus der Tübinger Zeit. Aug. 1818. .

209

Aus dem „Schreibkalender“ 22. Aug. bis 24. Sept. 1818

209

. .

An die Eltern und Schwestern in Kleinschelken. Bern, 24. Sept. 1818..........................................................................................................215 Aus dem „Schreibkalender“ 25. Sept. bis 5. Okt. 1818 . . .

219

Kommentar über Pestalozzi.................................................................. 221 Kommentar über Joseph Schmidt..................................................... 222 Kommentar über Dr. Johann Niederer.............................................223 An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 15. Okt. 1818 ....

224

Aus dem „Schreibkalender“ 13. Okt. bis 5. Nov. 1818....

230

An die Mutter und die Schwestern in Kleinschelken. Jferten, 24. Nov. 1818........................................................................................ 230

Pestalozzi an St. L. Roth's Vater in Kleinschelken. Pverdon, 25. Dez. 1818.........................................................................................235 Brief Roths an einen Freund. Uverdon, 30. Dez. 1818 . . .

236

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 3. Jan. 1819 ....

238

An den Schulmeister Vollmar in Tübingen. Jferten, ohne DajUtn.......................................................................................................... 245

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, ohne Datum ....

247

An Joh. Mich. Wellmann in Heltau. Jferten, 20. Jan. 1819 .

250

An Franz Becker in Tübingen. Jferten, 22. Jan. 1819 . . .

256

Über den Stillstand der Seelenzunahme in unserer Nation. Jan. 1819............................................................................................. 259 Etwas über die Verkehrtheit unseres Zeitalters. Jan. 1819. .

260

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 14. Hornung 1819. .

265

Streitsache mit Herrn Niederer....................................................... 268 Zwei Träume. Jferten, 1. März 1819........................................... 278 An Pfarrer Theil in Hetzeldorf. Jferten, 4.-5. März 1819. .

279

Tagebucheintragung im Briefbuch. Jferten, 8. März 1819. .

282

An Mich. Ferd. Schottes in Tübingen. Jferten, 9. März 1819

284

Tagebucheintragung im Briefbuch. Jferten, 13. März 1819 .

286

An den Vater in Kleinschelken. Jferten, 24. März 1819 .

. .

287

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 11. April 1819 .

. .

293

An Dr. Joh. Niederer in Jferten. Jferten, 28. Mai 1819 . .

296

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 28. Mai 1819 . . . .

297

An dieselben. Jferten, 16. Juni 1819......................................301 An Wilhelm Salzer (in Tübingen). Jferten, ohne Datum. .

302

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 8. Juli 1819 ....

303

An den Vater in Kleinschelken. Jferten, 1. Aug. 1819. .

. . 304

An Joh. Mich. Wellmann in Heltau. Jferten, 14. Aug. 1819 .

306

An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 30. Aug. 1819 ....

309

An dieselben. Jferten, 14. Sept. 1819...........................................312 Tagebucheintragung im Briefbuch: Deus bene vertat! Jferten, 17. Sept. 1819.................................................................................... 313 An die Eltern in Kleinschelken. Jferten, 19. Sept. 1819. . .

313

An dieselben. Jferten, 24. Sept. 1819...........................................315 Kommentar über Marie und KatharinaSchmid............................319 An Joh. Mich. Weltmann in Heltau. Jferten, 20. Oft. 1819 .

320

An Wilh. Stern in Karlsruhe. Jferten, 25. Ost. 1819....

321

An Musiklehrer Gersbach in Nürnberg. Jferten, 25. Oft. 1819

323

An Prediger Andreas Kepp in Kleinschelfen. Jferten, 26. Oft. 1819..................................................................................................... 326 An Rektor A. G. Leutschaft in Mediasch. Pverdon, 14. Nov. 1819..................................................................................................... 329 An D. Langius in Tübingen. Jferten, 14.Nov. 1819 ....

331

An Joh. Dan. Henrich in Siebenbürgen. Jferten, 19. Nov. 1819..................................................................................................... 332 Ende des ersten Bandes. Das Personen-, Sach- und Ortsregister sämtlicher Bände befindet sich am Schlüsse des siebenten Bandes.

Die Verwandtschaft S

Diese Tafel hat den Zweck, die verwandtschaftlichen Verhältnisse St. L. 9tot( Darstellung zu klären. Sie erhebt ans Vollständigkeit im Familiensinn fei Matrikeln der Gemeinden: Mediasch, Kleinschelken, Nimesch, Meschen,

Die Eltern des Vaters Stephan Roth geb. 14. 8.1734 in Mediasch, Schuhmacher, gest. 25. 9. 1802 in Mediasch

x ii*

1761 tn Medrasch

Rebeeea Wachsmann Witwe des Goldschmieds Si­ mon Wachsmann, geb. Kreger; gest. 13. io. 1789 in Mediasch

L

—I

Der Vater

x < Stephan Gottlieb Roth geb. 6. 8. 1762 in Mediasch, 30. 9.1789 in Kleinschelken studiert 1783—86 in Tü­ bingen, seit Mat 1787 Leh­ rer am Med. Gymn., 1796 Stadt Prediger, kehrt 1798 als Rektor ans Gymnasium zurück, seit 1800 Pfarrer von Nimesch, seit 1803 Pfarrer von Kleinschelken, gest. 16. 12. 1847 als Pfarrer von Kleinschelken

Erste Gattin

Therese Rebeeea Roth geb. 1802 in Nimesch, gest. 16. 4. 1835 tn Hermannstadt x Aug. 1819 2oh. Daniel Henrich geb. 1. 1. 1792 in Talmesch 1833-54 Pfarrer in Dobring zuletzt Pfarrer von Stolzenburg; gest. 2. 1. 1872 in Hermannstadt

Maria Elisabeth Roth get. 1. 1. 1793 in Mediasch

1. Therese Henrich geb. 1821 in Hermannstadt, x Dr. I. Iekeli, gest. 14. 12. 1890 in Her­ mannstadt

1. Luise Bergleiter geb. 1811 in Hermannstadt, gest. 1856 in Heltau x . ♦ . Binder

x Mich Bergleiter geb. 9. 3. 1782 in Heltau, seit 1806 Professor am Her­ mannstädter Gymnasium, gest. 16.10.1815 als Rektor des Hermannstädter Gymn.

Sophie Auner Tochter des Pfarrers Georg Gottl. Auner von GroßKopisch, gest. 16. 11. 1831 in Mediasch an Tuberkulose

ig22 Stephan Ludw geb. 24. ii. 1796 ii diasch, gest. 11. 5. 1 Klausenburg

Kinder erster Ehe

2. Stephan Adolf Bergleiter 2. Gustav Henrich geb. 5. 6.1814 in Hermann­ geb. 7. 10.1834, gest. 11. 4. stadt, gest. 26. 10. 1863 als 1902 als Advokat in HerPfarrer von Neppendorf mannstadt

1. Stephan Ludwig Heinrich geb. 4. 4. 1824 in Mediasch, gest. 9. 3. 1841 als „Ladendiener" in Nimesch an der „Abzehrung"

; i

2. Maria Elisabeth Sophie geb. 18.12.1826 in Mediasch, x 30. ii. 1844 Mich. Rosenauer, Kaufmann, Me­ diasch, gest. 3. 2. 1913 tn Mediasch

\

3. Friederike Joseph« geb. 19.2.1829 in Mediasch, gest. 30.11.1841 in Nimesch an der „Abzehrung"

1 * (

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< ;

-aft St. L. Roths. . L. Roths, soweit seine Briefe darauf Bezug nehmen, in übersichtlicher nsinn keinen Anspruch. Die Daten sind entnommen den kirchlichen Neschen, Reußen, Scharosch, Kleinalisch, Wurmloch, Hermannstadt.

Die Eltern der Matter x Johann Traugott Gunnesch 28. 8. 1771 geb. 5. 3.1743 in Kleinalisch, in Scharosch Lehrer am Med. Gymn.; seit 25. 6. 1776 Stadtpredidiger in Mediasch, seit 1. 1. 1778 Pfarrer in Wurm­ loch, seit 1783 Pfarrer in Kleinschelken; gest. 1802 als Pfarrer in Kleinschelken

I

Anna Maria Fah geb. 18.3.1755 in Mediasch, Tochter des Kirchenreü tlers Martin Fay, Pfarrers von Scharosch und GeneralSyndikus

I

•i

Die Mutter x Maria Elisabeth Gunnesch l7%9 in get. 28. 5.1773 in Mediasch, Heiken gest. 25. 6. i8;s in Klein­ schelken

Sara Susanna Gunnesch get. 23. 8.1776 in Mediasch, gest. io. io. 1830 in Her­ mannstadt x 13. 1.1799 in Hermannstadt Daniel Gerger geb. 1772, gest. 8. 2. 1815, als Sächs. Nationskassa­ zahlmeister in Hermannstadt

Johann Martin Gunnesch geb. ii. 11.1779 in Wurm­ loch, studiert in Jena, Rektor in Mühlbach, seit 21, 3.1812 Pfarrer von Reußen; gest. 16. 9.1840 in Reußen x Rofina Elisabeth«

Friedrich Gerger geb. 1805, gest. 3. 5. 1873, als k. k. Steuereinnehmer in Hermannstadt

1. Rofina Carolina Gunnesch geb. 2. 6. 1812

Zweite Gattin

iubtotft Rvth x Karoline Henter , . ® 18.2.1837 Tochter des Pfarrers An1796 m Mein dreas Henrer von Bogesch11. 5. 1849 m Mediasch dorf, geb. um 1809, gest. senburg y. 1. 1848 in Meschen

1

I Kinder zweiter Ehe 1.

Stephan Andreas geb. 14.7.1838 in Nimesch, x Christine Ruder aus Wien, verunglückt in Amerika 2. Johanna Carolina geb. 16. 10. 1839 in Nimesch, x 7. 2. 1860 Jos. Traugott Theil, Kaufmann in Mediasch, gest. 29.10.1901 in Mediasch 3. Stephan Gottlieb geb. 11. 12. 1842 in Nimesch, gest. 25. 3. 1866 in Mediasch als Kadett im 17. Jägerbataillon an Tuberkulose 4. Regina Carolina Theresia geb. 18. 8.1845 in Nimesch, gest. 4. 1. 1855 in Reichesdorf 8. Maria Carolina geb. 24. 12. 1847 in Meschen, x I. 22.1. 1867 Heinrich Siegmund, Apotheker tn Mediasch, x II. 11. 2. 1882 Bernhard Sykan, Rittmeister in Mediasch, lebt in Hermannstadt

2. Johann Friedrich Gunnesch geb. 25. 11. 1816