Kleine Schriften: Band 1 [1943. (Fotomech. Nachdr. ) Reprint 2018 ed.] 9783110817324, 9783110002423


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German Pages 687 [688] Year 1969

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VORWORT
INHALT
I. Heldensage und Nibelungenlied
II. Island
III. Verskunst
IV. Verschiedenes
SCHRIFTENVERZEICHNIS
Berichtigung
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Kleine Schriften: Band 1 [1943. (Fotomech. Nachdr. ) Reprint 2018 ed.]
 9783110817324, 9783110002423

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Andreas Heusler

Andreas Heusler

Kleine Schriften

Band 1

Walter de Gruyter & Co vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp.

Berlin 1969

Kleinere Sdiriften zur Literatur- und Geistesgeschichte

Photomechanischer Nachdruck der 1. Auflage Berlin 1943

Herausgegeben von

Helga Reuschel

© Archiv-Nr. 4338 69/2 Copyright 1969 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösdien'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Triibner — Veit & Comp. — Printed in Germany. — Alle Rcchte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen — audi auszugsweise — vorbehalten. Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65

VORWORT Andreas Heusler übergab mir im April 1938 ein Verzeichnis von Vorträgen, Aufsätzen und Besprechungen und bat mich, diese 42 Nummern als »Kleinere Schriften« nach seinem Tode herauszugeben. Der Plan stand ihm greifbar vor Augen, und er hat noch oft darüber gesprochen und geschrieben. Auch im Testament fand ich mich mit dieser Aufgabe betraut. Die Sammlung selber zu veröffentlichen oder sie bei Lebzeiten von Freunden besorgen zu lassen, lehnte der Verfasser ab. Es gelang auch nicht, einiges, was mir fehlte, mit seiner Zustimmung hoch einzusetzen. Der Ausschluß hatte in jedem Fall gute Gründe. Am meisten mag man »Lied und Epos« und »Die Anfänge der isländischen Saga« vermissen. Doch über die ältere Schrift fühlte sich der Verfasser schon fast zwanzig Jahre früher so weit hinaus, daß er den Gedanken einer Neuauflage von sich wies. Die Ergebnisse der Sagaschrift dagegen hat er, in ganz gedrängter Form und auf den neuen Stand gebracht, in sein letztes Werk eingearbeitet, die zweite Auflage der »Altgermanischen Dichtung«. Ihren Sagateil schrieb er 1938 und 1939 ganz neu und konnte den Druck noch im letzten Herbst überwachen, den er erlebte. Auch andere Gründe wogen mit. Die Zeit um 1920, als er Berlin wieder mit der Heimat vertauschte, sah der Verfasser als einen Wendepunkt in seinem Sprachempfinden an; er sei von da an immer mehr sprachlich er selber geworden »noch erdhafter, knorriger«. So konnte älteres ihm unleidlich sein, was doch andern schon echt Heuslerisch klang; ihm rochs nach Buch und Papier. Darum fehlen Stücke, die viel vor dieser Wende liegen; eine Ausnahme machen

Vorwort

VI

nur die Nachrufe für Freunde und Lehrer. Auch manche Besprechungen vermißt man. Sie sind so schöne Zeugnisse dafür, daß sorgsamste Gewissenhaftigkeit und sichere Leichthändigkeit zusammengehn, ja daß ein freundlicher Humor darüber spielen kann! Man begreift dep. Freund, der sie a l l e , vollständig, gesammelt haben wollte. Unmöglich — das zeigt ein Bück aufs Schriftenverzeichnis. Wir dürfen uns bei der Auswahl bescheiden, die der Verfasser traf. Ungedrucktes schließt sein Testament von der Veröffentlichung aus. Trotzdem werden viele Neues finden, denn manches steht an schwer zugänglicher Stelle. Zwei Stücke erscheinen im deutschen Urtext überhaupt zum ersten Mal; das eine davon, die »Germanische Metrik« aus dem italienischen Nachschlagewerk, sogar in einer besonderen Überarbeitung für die Kleineren Schriften. Die Sammlung ist ein Stück Erbschaft, die der Verfasser uns gelassen hat und so, wie er sie haben wollte; kein Denkstein, den andere setzen und ausfeilen. Darum fehlt ihr auch ein Bild oder ein Lebensabriß, die manche wünschten. Das sähe nach Totenehrung aus. Und die gehört nicht in das Buch, das Andreas Heusler selber zusammenstellte, nur eben nicht zum Druck brachte. In einem Punkt allerdings gab man dem Drängen der Freunde nach, wo er selber wohl nachsichtig gelächelt hätte: Das Verzeichnis der wissenschaftlichen Schriften, im Jahrbuch der Preuß. Akademie 1941 zusammengestellt, ist am Ende der Sammlung nochmals abgedruckt. Den Freunden des Verfassers, die bei der Ausgabe mit Teilnahme halfen, mag das Erscheinen des Buches der schönste Dank sein. Dresden 1941

H. Reuschel.

INHALT

Band 1 herausgegeben von Helga Reuschel

Vorwort

V I. Heldensage und Nibelungenlied

Das alte und das junge Hildebrandslied. Ein Vortrag (1927) Walther und Hildegund. Ein Basler Aulavortrag (1935) Altnordische Dichtung und Prosa von Jung Sigurd (1919) DieQuelle derBrünhildsage inThidreks saga und Nibelungenlied (1920) Die deutsche Quelle der Ballade von Kremolds Rache (1921) Das Nibelungenlied und die Epenfrage (1919) Neues über die Nibelungen (1924) Wie ist das Nibelungenlied entstanden? (1927) Das germanische Heldenideal (1934) Hermann Schneider, Germanisdie Heldensage. Drei Besprechungen (1929,1934,1935) Gedanken über das finnische Epos Kaiewala (1923)

1 12 26 65 103 132 155 162 170 175 213

II. Island Altislands Sprachschaffen und Europa (1930) Das tausendjährige Island (1930) Einleitung zum Codex Regius der Lieder-Edda (1937) Gering-Sijmons, Kommentar zu den Liedern der Edda. Besprechung (1931) Meißner, Die Kenningar der Skalden. Besprechung (1922) Isländisches Recht: Einleitung zur Graugans (1937) Berührungen zwischen den Isländergeschichten (1930) Das Komische im Altnordischen Schrifttum (1930) Etwas über das Verdeutschen Altisländischer Sagas (1920) van Ham, Laxdoela saga. Besprechung (1932) Gehl, Ruhm und Ehre bei den Nordgermanen. Besprechung (1938) . . . . Lie, Studier i Heimskringlas Stil. Besprechung (1937) Burg, Qualiscunque Descriptio Islandiae. Besprechung (1929)

221 247 260 281 292 301 321 347 357 362 368 372 376

Vili

Inhalt Band 1 III. Verskunst

Deutsche Verskunst (1925) Germanische Verskunst (1938) Wege und Irrwege in der neueren Verslehre (1930) Stabreim (1918) Goethes Verskunst. Ein Basler Aulavortrag (1925) Paul Verrier, Le vers français. Besprechung (1933) Margarethe Bressem, Faust II (1932)

379 412 420 444 462 483 498

IV. Verschiedenes Germanische Religion (1928) Heliand, Liedstil und Epenstil (1920) Der Heliand: Zur Einführung (1921) Das Rätsel vom Vogel Federlos (1923) Goethe. Eine Basler Festrede (1932) Johann Peter Hebel. Ein Freiburger Vortrag (1937) Julius Hoffory (1897) Zur Erinnerung an Hermann Grimm (1901) Axel Olrik (1917) Sophus Bugge (1908) Zur Erinnerung an Björn Magniisson Ólsen (1919) Heinrich Wölfflin zum 70. Geburtstag (1934) Schriftenverzeichnis Berichtigung

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DAS A L T E UND DAS J U N G E

HILDEBRANDSLIED

Ein Vortra g

(1927)

Lange hat das deutsche Schrifttum der kirchlichen Volkserziehung gedient. Unter die Beichtformeln, Legenden, Evangelienbücher verirren sich im 8., 9. Jahrhundert ein paar Reste weltlicher Kunst. Der bedeutsamste dieser Reste — auf vierhundert Jahre hin, bis zu den Nibelungen und den Liebesliedern Heinrichs von Morungen das stärkste Kunstwerk in deutscher Sprache — ist ein stabreimendes Heldengedicht: der einzige deutsche Vertreter dieser germanischen Gattung: das alte H i l d e b r a n d s l i e d . Seine Fabel ist der tragische Kampf zwischen Vater und Sohn. Hildebrand, der Vater, und Hadebrand, der Sohn, begegnen sich zum Zweikampf untar heriun twem, »inmitten ihrer Heere«: sie sind die erwählten Vorkämpfer zweier feindlicher Heere. Der Alte erfragt Namen und Geschlecht des andern. Er hört, es ist sein Sohn. Er bekennt sich als Vater und sträubt sich gegen den Kampf. Umsonst! Der andre glaubt ihm nicht: sein Vater sei längst tot; der Alte sei ein Betrüger — und ein Feigling, der sich um den Kampf drücke. Hildebrand muß kämpfen. Sie fechten, zu Roß, dann zu Fuß. Hadebrand erliegt. Der Vater steht über der Leiche des Sohnes. Unser Text ist verstümmelt; er bricht mitten im Kampfe ab. Zwei nordische Quellen erlauben uns, den Umriß des Verlorenen zu erschließen. Der Vater hat einen letzten Versuch gemacht, den Sohn zu schonen. Als er ihn auf die Knie gebracht hat, bietet er ihm noch einmal Versöhnung. Alles könnte noch gut werden! Aber der Sohn erträgt es nicht, von der Gnade des vermeintlichen Fremden zu leben. »So nimm denn hier mein Schwert!« sagt er, und als der andre danach greift, führt er einen Hieb nach seiner Hand. Hildebrand wirft den Schild vor: »Diesen Hieb hat dich dein Weib gelehrt, nicht dein Vater!« Und nun gibt er ihm den Todesstreich. Lieber tot als ehrlos! Nordische Verse überliefern uns — in jüngerer, weicherer Tonart — die Klage des Vaters: i

Heusler, KI. Schriften.

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Heldensage und Nibelungenlied Da liegt mir zu Füßen der liebe Sohn, Der Erbnachkomme, der mein eigen ward: Meinem Herzen teuer, die Hoffnung des Alten — Un-willentlich gab ich ihm den Tod!

Mit dieser Sohnesklage endete das Lied und die Sage. Wir sind bei diesem einsamen Überbleibsel altgermanischer Kunst ausnahmsweise gut gestellt; in zwei Richtungen. Wir können das deutsche Lied des achten Jahrhunderts a u f w ä r t s verfolgen; d. h. fremde Darstellungen des Vater-Sohn-Kampfes werfen Licht auf seine Entstehung. Und wir können es a b w ä r t s verfolgen: zwei jüngere Texte, nach 1200 und gegen 1400, zeigen uns, was aus dem Liede später geworden ist: das j u n g e H i l d e b r a n d s l i e d in einer ritterlichen und einer volksliedhaften Gestalt. Ein Lebenslauf dieses LiedstofFes enthüllt sich uns von außergermanischer Vorstufe bis zum Verklingen der heldischen Dichtung. Kampf zwischen Vater und Sohn begegnet in einer Menge von Gedichten, bei vielen Völkern. Der gleiche Grundgedanke in seiner Allgemeinheit: eben daß Vater und Sohn handgemein werden, bedeutet noch keinen Zusammenhang. Zum Beispiel die Erschlagung des Laios durch seinen Sohn Oedipus hat mit HildebrandHadebrand nichts zu schaffen. Bei dreien der ausländischen Formen aber geht die Verwandtschaft mit Hildebrand so weit, daß wir an Zufall nicht glauben. Sie müssen auf eine Wurzel zurückgehen. Vier Fassungen einer Sage. Wir haben da nicht bloß ein »Wandermotiv« (wie etwa die Unverwundbarkeit des Helden mit der einen verhängnisvollen Ausnahme: bei Achilleus, bei Sigfrid): wir haben eine W a n d er f a b e l von leidlich reichem Aufbau. Und zwar eine ausgeprägt heroische Fabel. Mit »Märchen« darf man da nicht kommen! Eine Heldensage ist gewandert. Das Wo, Wann und Wie dieses Wanderns liegt freilich in tiefem Dunkel! Die drei Verwandten unsres Hildebrand tauchen an so weit getrennten Stellen auf. Der eine in Persien, im Königsbuch des Firdusi: die Geschichte von Rustem und Sohrab, bekannt aus Rückerts Nachdichtung. Der andre in Rußland, im Kreise der Wladimirballaden: der Kampf des Ilja aus Murom mit seinem Sohne. Der dritte in Irland: eine der Sagen von Cuchullin, dem Sagenreichen: der Kampf mit seinem Sohne Conlaoch.

Hildebrandslied

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Die Verwandtschaft der vier Formen ist verwickelt; kein einfaches Nach- und Auseinander. Die deutsche Form hat ihre besonderen Berührungen mit der persischen, hält aber in einem wichtigen Punkte zu der russischen: der Vater steht im günstigen Lichte —• bei Persern und Iren ist es der Sohn. Soviel ist sicher: aus der deutschen Fassung hat weder die irische noch die russische entstehen können: was dem Alter nach möglich wäre und auch von einigen behauptet wurde. Denn: alle drei außerdeutschen Formen stehen geschlossen gegen Hildebrand in den Hauptlinien des Verlaufs. Sie überstimmen gleichsam die deutsche Sagengestalt — d. h. sie beweisen, daß der germanische Dichter schöpferisch geneuert hat. Und hierin liegt das für uns Bemerkenswerte. Sehen wir uns die Neuerungen an! Hinter den drei fremden Formen steht dieser Verlauf. Der Vater hat einst in der Fremde, in einer flüchtigen Verbindung, den Sohn erzeugt. Der schwangeren Mutter hinterläßt er ein Schmuckstück, das soll der Sprößling einst tragen. Als der Junge so weit ist, zieht er aus, den berühmten Vater zu besuchen. Er kommt in sein Land und zeichnet sich hier durch Krafttaten aus. Der Vater muß sich ihm zum Kampf stellen. Keiner kennt den ändern. Erst als es zu spät ist, kommt es zutage. Bei Iren und Persern unterliegt anfangs der Vater; darauf, dank einem mehr oder weniger hinterhältigen Mittel, schlägt er dem Jungen die Todeswunde. Jetzt erst erkennt er den Sohn, an dem Schmuckstück. Es endet mit nachdrücklicher Sohnesklage. Der bewegende Gedanke ist: das Zuspät; das grausame Spiel des Zufalls; eine Schicksalstragödie. Bei Firdusi ist dies aufs reichste ausgeführt durch eine Fülle spannender und hemmender Züge. Das Verhängnis senkt sich herab auf die zwei unvergleichlichen Helden. Schicksalsstimmung, tragische Ironie liegt über dem Sohne, der von Liebe zum Vater glüht und ihn, ahnungslos, dem Tode nahebringt, dann, sterbend, ihn erkennt — als seinen Töter. Wie anders bei Hildebrand-Hadebrand! Entscheidend für die deutsche Sagenform wurde: der Dichter hat den Vater der Wanderfabel gleichgesetzt dem alten Waffenmeister des Dietrich von Bern. Dieser Waffenmeister hatte seine gewichtige Rolle in der gotischen Sage von Dietrichs Flucht. Der treue Gefolgsmann flüchtet den unmündigen, elternlosen Dietrich zum Hunnenkönig Etzel. Dort steht er ihm zur Seite in all

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Heldensage und Nibelungenlied

den Kämpfen der dreißigjährigen Landesferne. Dann geleitet er Dietrich — mit dem Hunnenheere, das Etzel ihm stellt — in das Erbreich zurück und hilft ihm zum Siege über den gehaßten Otacher (Odoaker), der Jung-Dietrich des Landes vertrieben hatte. Wie dieser Waffenmeister des Dietrichliedes hieß, ist unsicher (man denkt an den gotischen Namen Gesimund, das wäre deutsch Germunt): Hildebrand, Herbrands Sohn, Hadebrands Vater, wurde er erst im Vater-Sohn-Liede. Von da hat der Name Hildebrand den früheren verdrängt. Da Namen auf -brand den Goten fehlen, ist die germanische Gestalt der Vater-Sohn-Sage nicht bei ihnen entstanden. Die Vermutung fallt auf die Langobarden; bei ihnen ist diese Namengruppe ausnehmend reich vertreten. Ihnen, den Nachfolgern der Ostgoten auf italienischem Boden, konnte die Dietrich-Dichtung früh bekannt werden, und sie konnten ihre Zutat, das Vater-Sohn-Lied, an die Nordnachbarn, die Bayern, abgeben. Ist es Zufall, daß auch die langobardische Heldendichtung vom jungen Alboin die Stellung des Vaters zum Sohne umkreist? — Das Stäben der drei -brand-Namen, Heri-, Hilti-, Hadu-, deutet auf eine Zeit noch vor der Mitte des siebenten Jahrhunderts. Also der Vater des Vater-Sohn-Kampfes wurde zum Waffenmeister Dietrichs. Eine Neuerung zunächst im heldischen Range. Der Perser Rüstern, der Ire Cuchullin, der Russe Ilja, alle drei sind die Gipfel ihrer Heroenwelt — Hildebrand, der derbe Haudegen, doch immer eine Gestalt zweiter Ordnung; seine eignen Sagen — Sagen, worin er die Hauptperson gewesen wäre — hatte er bisher nicht. Aber mehr hat das Weitere zu bedeuten. Aus der Gleichsetzung mit dem Dietrichshelden folgte fast notwendig, unabweislich: den unerkannten Sohn trifft der Vater, als er — mit Dietrich und dem Hunnenheer — aus der dreißigjährigen Landflucht heimkehrt. Eine Umdrehung der früheren Sachlage! Da kam der Sohn aus fernem Lande gezogen und suchte den Vater in dessen Stammsitz auf. Diese Vorstellung lag an sich näher. Der Alte als der Seßhafte, der Junge als der Schweifende, der Fremdling. Zu dem umgekehrten Bilde führten erst die besonderen, außergewöhnlichen Voraussetzungen der Dietrichsage. Damit fiel nun aber das Liebesabenteuer in der Fremde, dessen Frucht der Sohn ist. Ein Zug, der germanischer Dichtereinbildung überhaupt weniger lag. Der Zusammenhang wurde nun so: Hilde-

Hildebrandslied

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brand hat, als er einst mit Jung-Dietrich die Heimat floh, sein kleines Kind zurückgelassen in der Pflege der Gattin, erblos, schutzlos: er opfert alles für seinen Herrn. Und eine weitere Folge: Der Sohn ist nicht mehr der heroisch Frühreife, das vierzehnjährige Wunderkind (so bei den Persern) oder gar das siebenjährige (bei den Iren): zwei gereifte Männer, ein Dreißiger, und ein Sechziger, stehen sich gegenüber . . . Es ist ernster geworden; auch lebensnäher, denn diesen Waffenmeistern, den Berufskämpen, traute nicht nur die Dichtung zu, daß sie noch ergraut ihren Mann stellten. Aber auch die Tragik ist verstärkt. Denken wir uns hinein! Der Vater hatte gezwungen sein Kind im Stich gelassen, hat dann sein halbes Leben lang die Heimat entbehrt. Jetzt, da er als alter Mann aus dem »Elend« zurückkehrt, ist das erste, daß er den Sohn, den einzigen Nachkommen, erschlagen muß! Schon dies rückte den V a t e r dem Herzen der Hörer näher. Aber auch aus dem Dietrich-Liede war ihnen der Alte vertraut als Wunschbild der Treue und Bravheit . . . Der hinterhältige Hieb konnte nur vom Sohne ausgehen. Eine weitere Neuerung, vielleicht die tiefste, folgte noch nicht aus der Gleichsetzung mit dem Dietrichshelden. Jener bewegende Gedanke: das grausame Zuspät, der tragische Irrtum: dies ist ersetzt durch einen neuen Leitklang. Der Vater erlangt gleich zu Anfang, vor dem Losschlagen, volle Gewißheit, wen er vor sich hat. Was erzwingt denn nun den Kampf? — Nicht die äußere Pflicht der erwählten Vorkämpfer. So starr war die nicht, daß sie Vater und Sohn gegeneinander hetzen mußte. Aber auch keine Tücke des Fatums, wie sie Firdusi so beredt anklagt! Vielmehr zwei einfache seelische Züge: Auf Seiten des Sohnes: das eigensinnige Mißtrauen. Ihn soll der

»schlaue Hunne«, den er in dem andern sieht, nicht beschwatzen; er hat allen Grund, seinen Vater tot zu glauben. Denken wir uns dazu die beiden abwartenden Heere: unter ihren Augen war es doppelt schimpflich, streckte er gutgläubig die Friedenshand hin — einem Betrüger! Auf Seiten des Vaters aber: das Ehrgefühl des Kriegers. Weigert er den Kampf, steht er als Feigling da. »Falsch« konnte er sich schelten lassen: feige, »arg«, darf er nicht einmal scheinen.

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Heldensage und Nibelungenlied

Diese Kriegerethik überwindet die Sohnesliebe. Wieder denke man die zuschauenden Heeresreihen hinzu! So ist es keine Schicksalstragödie mehr. Es ist eine seelische Fragestellung; diesseitig, in taghellem Lichte: Wie sich das Sippegefühl beugt dem Ehrgebote. Im Kopfe des Vaters prallen die zwei Antriebe zusammen. Germanische Heldendichtung liebt diese Herzensnöte. Das Erschauern vor dem Unerbittlichen, nicht logisches Abwägen des EntwederOder kommt zu Worte in jener Rede des Vaters, die auch in beruhigter Prosa noch so denkmalhaft ewig wirkt:

»Allmächtiger

Gott, das Unglück nimmt seinen Lauf! 30 Jahre zog ich draußen von K a m p f zu Kampf, und der T o d verschonte mich. Nun soll mich mein liebes Kind erschlagen — oder ich ihm den T o d geben!« Warum das zweite geschieht, der Alte den Jungen tötet, braucht keine Erklärung mehr. Es ist die Notwendigkeit — nicht der Natur, aber der Dichtung. D a ß der Wissende, der Vater, »unwillentlich den T o d gibt«, wie wir es in dem Klageverse hörten, ist die feinere Tragik. Von dieser kriegsmäßigen Menschenart erwarten wir nicht, daß sich der Alte als freiwilliges Opfer hinstrecken ließe. Aber — den Sohn hinstrecken und am Leben lassen: dieser letzte Ausweg bot sich dem überlegenen Kämpen . . . Wir sahen, wie auch dies fehlschlug. Das Ehrgebot spricht zum zweitenmal: »Diesen Hieb hat dich dein Weib gelehrt, nicht dein Vater!« . . . D a ist ein überkommener Zug — das hinterhältige Kampfmittel, einst auf seiten des Vaters — schöpferisch in den neuen A u f b a u gefügt. Aus dem Roman oder der Novelle ist ein Drama geworden. Der bunte Ablauf ist verinnerlicht, die Spannung nach innen verlegt. Den seelischen Vorgängen gehört die Teilnahme. So ist auch der epische Aufwand vereinfacht; verschwunden sind das Erkennungsgeschmeide, die Mutter (mit einem Worte nennt sie Hadebrands Rückblick!). Eine Vorgeschichte hat der Sohn eigentlich nicht mehr, nur der Vater: die aus dem Dietrichliede. Die bewältigt der Künstler mit den rückblickenden Reden der beiden. Denn — darin krönt sich das Neuern — das Ganze ist gestrafft zum Einszenenlied:

mit festem Schauplatz,

mit

Zusammenfall

der beiden Zeiten. Den Unterbau, die für das Verständnis nötigen Voraussetzungen, vermittelt uns das Aufwicklungsverfahren — mit einer Kunst, woran man immer neue Feinheiten gewahrt.

Hildebrandslied

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Alles in allem: die Wanderfabel vom Kampfe zwischen Vater und Sohn ist in der deutschen Umprägung irdischer geworden und innerlicher, dramatischer, straffer. *

*

*

Der Lebenslauf dieses deutschen Heldenliedes setzte sich nun fort. Mündlich ging das Lied von einem Vortragenden zum andern. Das Lied verjüngte sich, zunächst in Sprach- und Versform: es wuchs in den Reimvers hinein mit seinem zahmern, kleinem Stile. Die Hauptlinien des Inhalts brauchte dies noch nicht zu ändern. Erst nach 1200 taucht das Lied zum zweitenmal vor uns auf: das j u n g e H i l d e b r a n d s l i e d in seiner ritterlichen »Neuauflage«. Da hat sich denn freilich viel geändert! Nur eine Umschrift in nordische Prosa (in der Dietrichssaga) vermittelt uns diese zweite Stufe. Aber für den Inhalt reicht sie aus. Man erkennt, das Lied ist etwas in die Breite gegangen: etwa der anderthalbfache Umfang des alten. Doch kann von buchepischer Anschwellung nicht die Rede sein. Der erste Antrieb zum Umgießen war: der Wunsch nach versöhnlichem Ausgang. Ein Bedürfnis, das auch andre Heldengedichte der Zeit bestimmt. Selten hat man die düstere Tragik der alten Heroenstoffe so festgehalten wie im Nibelungenlied! Unser Vater-Sohn-Kampf sollte nicht enden mit Hildebrands Klage über dem toten Sohn. Der besiegte Alebrand (so heißt er hier) bleibt leben; die beiden küssen sich voll Freude, daß sie sich endlich haben . . . Da ist es nur billig, daß man sich auch der Mutter erinnert. Ein kleines Anhängsel mit Szenenwechsel: die beiden reiten zu Frau Uote, und die Gatten feiern das Wiedersehen nach dreißigjähriger Trennung. So aber hatte es der Umdichter nicht gemeint, daß es erst gegen Ende, mit einem Ruck, zum Frohen umbiegen sollte. Er hat die ganze Fabel ins leichte Spiel umempfunden. Die beiden dürfen nicht mehr als Vorkämpfer die ernste Angelegenheit zweier Heere ausfechten. Ihre Begegnung muß Privatsache sein. Zwei Ritter treffen sich auf einsamer Heide. Der gewichtige Rahmen im alten Liede, der schweigende Widerhall der beiden Fronten: dies fiel dahin. Und weiter, der Vater darf nicht

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Heldensage und Nibelungenlied

mehr blutenden Herzens, vom Ehrgebot gezwungen, die Waffe erheben. Er hat das Ganze in der Hand. Er könnte den Kampf verhüten, wenn er nur seinen Namen nennte. Aber er verschweigt ihn bis zuletzt. Denn er will den Waffengang, er will den selbstbewußten Jungen ducken, ihm seine Überlegenheit beweisen. Weiß er doch, er kann's zum guten Ende führen. Kurz, der erzwungene Kampf auf Tod und Leben ist zum Spiel geworden, zum Turnei, dem wir von vornherein nur glimpflichen Schluß zutrauen. Damit vertrüge sich noch der alte Hergang: daß der Vater erst erfragen muß, wen er vor sich hat. Also auch die Rückblicke des Sohnes auf die Vorgeschichte, auf Dietrichs Flucht. Hiergegen richtete sich ein zweiter, selbständiger Antrieb: die Rittersitte. Es ist unter Rittern verpönt, sich dem Gegner zu nennen. Das sähe nach Scheu vor dem Kampfe aus. Der Sohn hält starr an diesem Ehrenpunkte. Daraus fließt sein hartnäckiges Kämpfen — das gehörte doch einmal zur Geschichte. Einst war es das Mißtrauen gegen den Fremden, der sich seinen Vater nennt: jetzt ist es der Stolz des Ritters, der keinem Kampf ausweichen darf. Nun muß aber der Vater den Sohn kennen. So will's der harmlose Verlauf. Sonst schlüge er ihn tot — als der Überlegene, der er ist. Damit er ihn kenne, dichtet unser Spielmann einen neuen Eingang zu; ein kleines Vorspiel. Den Hildebrand belehrt ein Eingeweihter (ein miles ex machina): er werde nun einem Ritter begegnen, der sehe so und so aus; das sei sein Sohn; er möge sich nur vor ihm in acht nehmen! — Und der Alte hat gleich Gelegenheit, zu versichern: vor Alebrand fürchte er sich nicht; dem werde er noch den Meister zeigen. So erhalten wir eine Art Programm — und die tröstliche Ahnung, daß es gut enden wird. Das Einszenenlied hat, wie am Ende so vorn, einen Anwuchs bekommen. So fiel das Ausfragen vor dem Kampfe, damit auch die gehaltreichen Rückblicke. Dies aber hatte noch seinen eigenen Grund. Für diese sagenstoffliche Belehrung hatte man wenig mehr übrig. Man zog vor den allgemein menschlichen oder vielmehr ritterlichen Fall, der sich immer und überall begeben konnte. Das Einmalige und gleichsam Historische: der Hintergrund der Dietrichsage, verblaßte.

Hildebrandslied

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Drei Antriebe also wirkten zusammen: Neigung zum gemütlichen Verlauf — Achtung vor der Rittersitte — Gleichgültigkeit gegen das Sagengeschichtliche. Die Folge allerdings war eine dreifache Einbuße. Verloren ging das Tragische — der geschichtliche Faltenwurf — die Kunst des dramatischen Aufwickeins. Das vierte, das seelische Problem, kann man der zweiten Fassung nicht absprechen. Es liegt darin: ob der Alte den Jungen zwingen kann, seinen Namen zu nennen. Er kann es nicht. Der Junge bleibt fest, als er schon niedergeworfen und mit dem Tode bedroht ist. Der Alte muß einlenken: »Willst du das Leben behalten, so sag mir schnell, ob du mein Sohn Alebrand bist; dann bin ich dein Vater Hildebrand.« Worauf der andere: »Bist du mein Vater Hildebrand, dann bin ich dein Sohn Alebrand.« Das ist die Lösung. Es ist freilich flach neben der Herzensnot im alten Liede. Viel geneuert hat er, der Spielmann nach 1200 — und doch auch zäh festgehalten. A m erstaunlichsten darin, daß jenes Zwischenspiel mit dem tückischen Hiebe treulich bewahrt ist, o h n e die grimmige Folge! Der Vater wirft sich erzürnt über den schwerwunden Sohn, setzt ihm die Schwertspitze an die Brust, lenkt aber alsbald ein mit dem Worte: Willst du das Leben behalten . . . Der Ton hat noch eine gewisse Würde. Sie kann sich paaren mit edler Gemütswärme, wie am Schlüsse, als Alebrand auf Uotens Frage: »Mein trauter Sohn, von wem hast du diese Wunde?« antwortet: »Frau Mutter, diese Wunde mag ich wohl verleiden, sei sie auch nicht leicht: ich habe sie von meinem Väter.« #

*

*

Dann folgt noch eine dritte Stufe. Sie mag fünf, sechs Menschenalter später liegen, gegen 1400. Das junge Hildebrandslied ist hinabgeglitten aus dem Vortrag höfischer Spielleute in den der Liebhaber; auch der Bauern. . .: zu jener Zeit beginnen Aussagen wie: »Dietrich von Berne, von dem d i e G e b u r e n also vil singent und sagent.« Es beginnt das Volkslied: der herabgesickerte Ritter- und Spielmannsgesang. Ein episches Volkslied kann man unsern Hildebrand Nr. 3 nennen. Gegen Nr. 2 ist es keine eigentliche Neudichtung. Der Umfang ist auf die Hälfte zurückgegangen. Der Inhalt ist entrittert: das

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Heldensage und Nibelungenlied

ritterliche Schweigegebot spielt nicht mehr — und damit ist der Rest von seelischer Spannung entwichen. Die Linien sind unschärfer geworden, die Zusammenhänge schwebend. Hören wir, wie sich der »ehrlose Hieb« in dem neuen Zusammenhang ausnimmt! Mitten im Kampfe, bevor Alebrand unterliegt, heißt es: Ich weiß nicht, wie der Junge Daß sich der alte Hildebrand Er sprang hinter sich zurücke »Nun sag, du viel Junger:

dem Alten gab ein Schlag, von Herzen sehr erschrak; wohl sieben Klafter weit: den Streich lehrt dich ein Weib!«

Dies hat man so v e r s t e h e n können, der Alte erschrecke ob der G e w a l t des Schlages; darum sei sein Ausruf nun widersinnig, ein versteinertes Überbleibsel. Gemeint ist doch wohl ein regelwidriger, kommentwidriger Streich. Es hat etwas Wahres: aus dem bitter ernsten WafFengang ist eine »fröhliche Holzerei« geworden. Immerhin, zur Posse ist es auch in dieser letzten Auflage nicht gesunken. Eine scherzhafte Ausbeutung des alten Stoffes — eine Travestie — können wir in dem Liede nicht finden. Die »Würde« der vorigen Stufe ist ersetzt durch kleinbürgerliche Gemütlichkeit. Ein bezeichnender kleiner Zug, daß Hildebrand gleich in der ersten Strophe sagt: In zweiunddreißig Jahren

F r a u U t e n ich nie gesach.

Es streift ein paarmal ans Pausbäckig-derbe: Ich zerhau ihm seinen grünen Schild:

es tut ihm nimmer gut

sagt der Alte zu seinem Warner, und zu dem niedergeworfenen Sohne sagt er: Der sich an alte Kessel reibet,

der enpfahet gerne Ram (Ruß).

ö f t e r aber sind es sangliche Klänge, die wir sofort als »volksliedhaft« begrüßen: Was begegnet dir auf der Heide? Was begegnet dir auf der Marke?

ein schneller Degen jung; dein Sun, Herr Alebrand.

Und als sie zu Frau Uten reiten: Was fuhrt er auf seinem Helme? Was fuhrt er an seiner Seiten?

von Gold ein Kränzelein; den liebsten Vater sein.

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Hildebrandslied

Selbst noch dieser jüngsten Stufe bleiben Wortanklänge an das stabreimende Lied. So in Hadebrands Rede. Einst hieß es: Wohl erkenn ich Daß d a h e i m du hast

an d e i n e r K a m p f r ü s t u n g , einen g u t e n Herrn.

Jetzt heißt es: Du fuhrest d e i n H a r n e s c h lauter und klar, Du solltest d a h e i m e n bleiben

recht wie du seist eins Küneges Kind . . . und haben gut Hausgemach.

Solche Stellen bezeugen, daß die Kette geschlossen reichte von dem Liedtexte des 8. zu dem des 14. Jahrhunderts: es hatte sich nie dazwischen aufgelöst in formlose »Sage«, in Prosa. Damit gibt uns das Hildebrandslied eine schätzbare Lehre über den einzelnen Fall hinaus. So haben Heldenlieder gelebt in schriftloser Pflege, dauerhaft zugleich und wandlungsfahig. Unser junges Lied fand Aufnahme in die Sammlung »Des Knaben Wunderhorn«. Dort las es Goethe; er erteilte ihm die milde Note »auch sehr gut«. Das alte Lied kannte er ja nicht. Wir müssen sagen: an die Blüten des lyrischen Volksliedes jener Zeit reicht der jüngste Hildebrand nicht heran. Und daran ist kein Zweifel: der »Lebenslauf« unseres Liedes, in aufsteigender Linie ist er nicht gegangen. Man könnte meinen: dies war gar nicht möglich; das lag an der Eigenart dieses Inhalts. Und doch, möglich wäre es schon gewesen! Man denke an das Nibelungenlied. Auch unsere Vater-SohnFabel hätte einem großen Epiker einen würdigen Vorwurf geboten. Der Epiker der Ritterzeit hätte ihn ausbauen können zu einem Werke in seiner Art ebenbürtig dem alten Liede. So gut ist es ihm nicht geworden. Das folgerechte Umdenken in Sitte und Stimmung jüngerer Zeiten war unter allen Umständen gefahrlich für eine Fabel dieses heroischen Schlages. Epische Stoffe haben ihr Eigenleben und gedeihen nicht gleich gut in jeder Zeittracht. (Preuß. Jahrbb. so8, S.

143—152.)

DIE WALTHER

SAGE UND

VON HILDEGUND

Ein Basler A u l a v o r t r a g

(1935)

I Hätte ich vor vierzig, fünfzig Jahren über Walther und Hildegund zu sprechen gehabt, ich hätte anknüpfen können an ein damals vielgelesenes Buch: Scheffels Ekkehard. Da bekommen wir zu hören, wie der junge sanktgallische Klostermann Ekkehard, nach seiner Liebesirrung mit der Schwabenherzogin Hadwig, vom Hohentwiel flüchtet, an seinem Kloster vorbeischleicht und Einsiedel wird, Bergbruder bei den Sennen hoch oben auf dem Wildkirchlein. Und hier, im Auf blick zu Säntis und Altmann, erwachen Jugenderinnerungen in ihm: die alte Heldengeschichte von Walther und Hildegund war ihm auf der Schule vertraut geworden. Die will er jetzt »singen«. Und zwar in klassischen lateinischen Versen — nicht umsonst hat er seinen Vergil, die Dichtung von Äneas, bewundert und zu erklären verstanden!. . . Aus dem Kloster Sanktgallen verschafft er sich einige »Bogen reinen Pergaments samt Farbe und Rohrfeder«, dazu eine kleine dreieckige Harfe . » . : die mag Scheffel beim »Singen und Sagen« nicht entbehren! Aber sie dient nur zum Vorspiel; sie weckt die Stimmung. Das Dichten selbst ist Schriftstellerwerk, nachts beim Kienspanlicht. So entsteht der uns bewahrte lateinische W a l t h a r i u s mit seinen anderthalbtausend Hexametern. Eine leidlich freie Verdeutschung schiebt Scheffel in seinen Roman ein. Wer liest heute noch Scheffels Ekkehard? — So kann ich hier nicht an Allbekanntes anschließen. Wir müssen uns den Stoff erst nahebringen. Obwohl unser Ziel nicht ist, die Schönheiten des lateinischen Gedichts auszukosten, so sehr sie es verdienten. Wir streben über das Werk des .10. Jahrhunderts zurück: wir fragen nach seinem überkommenen Stoff, der H e l d e n s a g e v o n W a l t h e r u n d H i l d e g u n d : wie sie aussah im Kreise ihrer Schwestern und wo sie ihre Heimat haben mag. Scheffels Ekkehardschicksal ist Dichtung. Beglaubigt ist von dem Sanktgaller Mönch Eckehard I., daß er auf der Schule für den Lehrer ein Hexametergedicht verfaßte über Walther Starkhand

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(Waltharius manufortis). Aber nicht ohne ernste Gründe hat man die Ansicht verfochten: diese »Schulübung« h a b e n wir gar nicht; unser Watharius stammt nicht von Eckehard aus Sanktgallen, sondern von Gerald aus Straßburg, einem Domgeistlichen, der um 980 herum in Urkunden auftritt, auch lateinische Verse hinterlassen hat. Eckehard oder Gerald, Sanktgallen oder Straßburg—: die beiden Waagschalen sind, scheint mir, gleich beschwert. Einen Verfassernamen muß ich hier wählen: erlauben Sie mir, nach dem Gesetz der Trägheit »Eckehard« zu nehmen: den Namen, der seit 100 Jahren in allen Lehrbüchern steht. II Doch eh wir weitergehn, ein Blick auf den I n h a l t des Waltharius! Keine Nacherzählung, die mit der Kunst des Dichters wetteifert. Ein nüchterner Abriß, eine knappe Skizze der Tatsachen. Einige Hauptbilder werden sich uns später noch hervorwölben. Der Anfangsteil spielt bei den Hunnen im Ungernland. Bei Attila, dem großen Machthaber, leben als Geiseln, vom Herrscherpaar gütig umhegt, die Königstochter Hildegund, der aquitanische Königssohn Walther und Hagen, der Gefolgsmann des Wormser Königs. (Diese Wormser sind für Eckehard durchweg Franken, gemäß der Lage zu seiner Zeit. Die ungelehrte Dichtung hielt den Namen Burgunden fest — wie noch im Nibelungenlied.) Walther und Hildegund sind einander seit Kindestagen verlobt. Mit Hagen ist Walther als Waffenbruder (man darf sagen: Blutsbruder) verbunden; sie zeichnen sich aus an der Spitze der Hunnenheere. — Als in Worms der junge Gunther seinem Vater auf dem Thron folgt, entweicht Hagen zu ihm. Auch das verlobte Paar verlangt nach der Heimat. An einem Gelage versetzen sie die Hunnen in schweren Rausch und treten die nächtliche Flucht an: mit sich führen sie eine Pferdelast des hunnischen Goldhorts. Keiner wagt sich an die Verfolgung. Nach vierzig Tagen erreichen die zwei Fliehenden den Rhein, setzen bei Worms über und ziehen in der Nacht noch weiter bis zu einer Felsbastei im Waldgebirg der Vogesen (des Wasgenwalds). A m Wormser Hof erfahrt man von ihrem Durchzug. Hagen freut sich der Nähe seines Gefährten; König Gunther frohlockt, daß ihm der vom Vater entrichtete Schatz zurückkehre. Er befiehlt

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zwölf ausgewählte Mannen mit sich zur Verfolgung. Hagen, der erste der zwölf, rät vergeblich ab. Das Paar, von seinem Bollwerk aus, sieht die Reiter nahen. Walther erkennt den Waffenbruder: »Nur er könnte mir gefahrlich werden!« Hagen warnt zum zweiten- und drittenmal vor dem Angriff: »Hättest du ihn kämpfen sehen, den Unwiderstehlichen!« Der verblendete Gunther fordert von Walther das Roß mit den Schatztruhen und die Jungfrau. Mit hundert Goldringen ist Walther bereit, den König zu ehren. Hagen beschwört seinen Herrn, dies anzunehmen, und erzählt seinen schreckenden Traum. »Du artest nach deinem feigen Vater!« bekommt er zu hören. Da setzt er sich grollend abseits und schaut den Kämpfen müßig zu. Seine elf Mannen schickt Gunther, einen nach dem andern, gegen Walther vor. Die Felsenenge deckt Mädchen und Roß und läßt immer nur einen aufsmal zum Ansturm heran. Alle erliegen der Fechtkunst des Helden, darunter Hagens Schwestersohn: fruchtlos hat ihn der Oheim vor dem sichern Tod gewarnt. Als der elfte gefallen ist, macht sich der König an den zürnenden Hagen: all die Genossen und den Blutsfreund habe er zu rächen — und die Ehre seines Königs. Kniefällig dringt er in ihn. Hagen wägt bei sich ab: das Treugelübde des Schwurbruders, die Gefahr des Angriffs — und die dem Gefolgsherrn drohende Schmach: »Deiner Ehre, nicht dem toten Neffen opfre ich die Freundestreue!« Auf seinen Rat räumen sie den Ort, damit Walther die deckende Klamm verlasse. Walther hat den Versöhnungskuß der beiden gesehen und bedenkt sorgenvoll das zu Tuende. Es folgt die Nachtrast des Paares in seinem Felswinkel. Sie lösen sich im Wachen ab . . . am Morgen rücken sie behutsam ins Freie. Auf offenem Feld überfallen Gunther und Hagen den Helden — das Mädchen wird in den nahen Wald geschickt — zu dem ungleichen Kampf, zweie gegen einen. Walther, taub für Gunthers Trutzrede, mahnt Hagen an ihre alte Bruderschaft: »Solange Hagen am Leben wäre, glaubte ich keinen hier fürchten zu sollen!« Aber Hagen ist zum letzten entschlossen; er will Rache. Nach heißem Waffenwechsel bietet Gunther eine Blöße: Walthers Klinge trennt ihm ein Bein ab und hebt sich zum zweiten, tödlichen Streiche. Dem hält Hagen das eigene Haupt vor: an seinem Helm zerspringt Walthers Schwert, und nun kann Hagen dem Gegner die rechte Hand abhauen. Mit der linken greift Walther zum Dol-

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che und schneidet dem andern ein Auge und sechs Backenzähne aus. Dies setzt dem K a m p f ein Ende. Die furchtbar Verstümmelten lassen sich von Hildegund verbinden. Sie kredenzt ihnen Wein, und unter übermütigen Scherzen über ihre Wunden erneuern die zwei Waffenbrüder ihren Bund. Walther zieht mit der Verlobten in seine Heimat zu glücklicher Herrschaft. III Der Waltharius ist ein hoch und einsam ragendes Denkmal des deutschen, wenn auch nicht deutschsprachigen Schrifttums. In den vier Jahrhunderten vom Hildebrandslied zum Nibelungenlied die einzige bewahrte Darstellung einer heimischen Heldensage in deutschen Landen. U n d zwar von einem Geistlichen und in lateinischen Versen! Was nur an e i n e r Stelle der germanischen Welt Gegenstücke hat: bei dem Dänen Saxo grammaticus ums J a h r 1200. Wie stellt sich dieses gelehrte Denkmal zu seinem deutschen, germanischen ÜberlieferungsstofF? V i e r Antworten hat man gegeben. Den älteren Meistern der Deutschkunde lag die Auffassung nahe: man braucht nur das fremde Sprachgewand abzustreifen, und man greift einen echt germanischen Körper. Das wäre also: der Mönch hat eine umfängliche deutsche Dichtung — es müßte schon ein Heldenbuch, ein Epos, gewesen sein — sachlich treu ü b e r s e t z t . Zwei entgegenstehende Urteile kamen von Erforschern der mittellateinischen Schriftwelt. Der Waltharius, lautete das eine, ist zusammengetragen aus der Bibel, aus Vergil und dem christlichen Prudentius, ein Mosaik fremder Worte, Bilder, Gedanken. U n d der Gegenfüßler: Der Waltharius holt von den Lateinern nur Oberfläche; aber auch aus d e u t s c h e r Überlieferung holt er nur den kahlen Umriß der Fabel, eine bare Inhaltsangabe. E r ist die ganz persönliche T a t eines urschöpferischen Dichters . . . Etwas, wovor sich die Romantiker, so die Brüder Grimm, bekreuzt hätten! Neben den drei genannten, überspitzten Ansichten hat eine letzte — am besten ausgeführt von G u s t a v N e c k e l — etwas Vermittelndes. Sie dürfte ins Ziel treffen. Nämlich: Eckehard hatte als deutsche Quelle weder ein Epos noch eine bloße Inhaltsangabe. Vielmehr ein Werk mittleren Maßes: ein L i e d von sagen wir 2 5 0 Langzeilen. Das hat er auf den sechsfachen U m f a n g gebracht. D a -

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mit ist schon gesagt: er war kein Ü b e r s e t z e r ; er hat sehr viel Eigenes hinzugetan. Dieser reiche Faltenwurf, diese Fülle des Erzählens und Schilderns: das ist sein Werk. Das Werk eines wahren Dichters. Geschult war er an seinen Lateinern, zumeist Vergil. Vergil steckt seinem Formwillen das Ziel — nicht der deutsche Spielmann. Den Lateinern entnimmt er nicht bloß Worte, Phrasen und den Vers. Die ganze epische Masse — der Baustoff mit Gesinnung und Stimmung — ist »romanisiert«, will sagen: römisch und kirchlich durchtränkt. Im Waltharius ist ein germanischer Heldenstoff durch einen klassisch gebildeten Kirchenmann umgedacht, neu geboren. Es ist wie bei dem Dänen Saxo: Der alemannische und der dänische Geistliche liebten die Heldengeschichten der Laden — als Stoff. Im übrigen glaubten sie (mit Neckel zu reden) nicht nur an die Überlegenheit der lateinischen Sprache: auch an den alleinseligmachenden klassischen Stil. Die Schulung in dieser hohen Kunst verleiht dem Dichten — bei Eckehard mehr als bei Saxo — einen Fluß und Glanz, eine augenhafte Sättigung, daß daneben alles Landessprachliche, bis zum Nibelungenlied hinauf, treuherzigungeschlacht erscheint. Heimische und fremde, nordische und südliche Klänge tönen im Waltharius durcheinander. Wer ersthändig Germanisches kennt, spürt leicht die Mischung. Das S a g e n g e r ü s t aber, das hatte der Mönch aus dem deutschen Liede. Und das war eine Hauptsache! Eckehard hat keine Heldenfabel erfunden. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür: im Hauptteil, sobald wir am Rhein sind, haben alle wichtigen Auftritte schon im Lied gestanden — dem Umriß, nicht der Füllung nach. Noch eine Folgerung gewinnt man. Die Walthersage hatte sich einst, im 6., 7. Jahrhundert, als stabreimendes Lied gebildet. Eckehards Liedquelle hatte nicht mehr den alten stabreimenden Stil. Es war ein R e i m l i e d . Wohl eines der ersten deutschen Heldenlieder, die zu der neuen Kunst übertraten. Dieser Übertritt meinte nicht nur verwandelten V e r s . Auch das Innere wandelte sich; es wurde spielmännisch, das ist: sinnlicher, färben- und szenenreicher; Freude an Fechtertaten, Namen auch für Nebenfiguren; die Menschenzeichnung parteiischer, mehr Schwarz-Weiß; die Stimmung entspannter, mitunter prahlerisch, für derben Humor offen — gegenüber der dramatischen Straffung und eintönig ernsten Höhe des älteren Heldenstils.

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Dieses Lied mit seinen 250 Zeilen wirkte als stattlicher Vertreter der Gattung. Es muß Eindruck gemacht haben, menschlich-künstlerisch . . .: an ihm entzündete sich doch die Begeisterung für den Stoff"; die glüht uns j a auch aus den lateinischen Sechsfüßlern entgegen. Ohne diese Lust an dem deutschen Lied hätte wohl der Mönch einen andern Vorwurf gesucht selbst für eine Schulübung! IV Nach dem Gesagten ist klar: Man mag bei dem lateinischen Gedicht nicht stehenbleiben. Es ist doch eben eine »Bearbeitung«, wenngleich die eines Künstlers. Die Neugier regt sich: wie sahen Wather und Hildegund außerhalb des Klosters aus? Wir h a b e n j a weitere Zeugen. Allerdings, außer dem Waltharius verblieb uns nur eine vollständige Durcherzählung unserer Sage, und das ist eine kecke Neuformung des 13. Jahrhunderts. Das übrige sind Bruchstücke oder Anspielungen. Ein L i e d — die ersthändige Verkörperung der Heldenstoffe — ist uns bei der Walthersage nicht gerettet. Die jüngeren Stimmen, die aus der Ritterzeit, lassen erkennen: diese deutsche Überlieferung setzt das Reimlied des 10. Jahrhunderts fort, nicht das lateinische Klosterwerk. Den Waltharius lasen die Geistlichen: für die Spielleute und damit für das deutsche Weiterdichten war er ein unfruchtbarer Schoß. Die Zeugen des 13. Jahrhunderts bringen kleine Züge, die dem Waltharius fehlen und doch augenscheinlich keine Neuerung sind. Schon Jacob Grimm bemerkte den Fall: Hagen sitzt untätig a u f d e m S c h i l d e , während ihm Walther die Freunde schlägt. Auch der Name Wasgenstein gehört wohl zu den Zügen, die wir in das Reimlied vor Eckehard eintragen dürfen (s. u. V I . ) . Aber hinter das Reimlied zurück führt uns ein e n g l i s c h e s Denkmal. Schon zweihundert Jahre vor Eckehard oder Gerald gab es in England den Eifer der Geistlichen für die heimischen höfischen Heldenstoffe. Nur war hier der heimische Einschlag stärker: Sprache und Vers nahm man von den weltlichen Liedsängern; man baute keine lateinischen Hexameter, sondern angelsächsische Stabreimzeilen. Einer dieser heldenfreundlichen Pfaffen ergriff die aus Deutschland herübergekommene Liedfabel und machte daraus ein Helden2

Heusler, Kl. Schriften.

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buch, den Waldere. Hinter d i e s e m steht nun zweifellos das stabreimende Lied, das Frühlied von Waither und Hildegund. Leider sind uns vom Waldere nur einige sechzig Langzeilen bewahrt. Auch daraus lernen wir viel. Einmal über Anlage und Geist dieses englischen Epos. Viel mehr als der Waltharius lebt es sich aus in tiefatmigen Reden der Handelnden. Deren christliche Frömmigkeit geht friedlich zusammen mit dem Reckentum. »Zeichne dich aus durch wackre Taten, dieweil sich Gott deiner annimmt!« mahnt die Jungfrau den kampfmüden Helden. Und er befeuert sich zum letzten Waffengang: »Wer auf Hilfe vertraut von dem heiligen Gott, der findet sie dort bereit, wofern er zuvor der verdienstlichen Taten eingedenk ist!« Im ganzen wirken die englischen Bruchstücke — das liegt schon an Sprache und Zeitfall — weniger »romanisiert« als der Waltharius. Ihr Pathos liegt dem der Edda immerhin näher. V Wichtiger ist uns, was die sechzig englischen Zeilen über die Sagen form verraten. Sie geht in bedeutenden Zügen vom Waltharius ab. Unverkennbar lauter ursprünglichere Züge. Wir dürfen sie dem stabreimenden Lied zuteilen: das deutsche Reimlied des i o.Jahrhunderts hat umgedichtet. Hildegund, bei Eckehard eigentlich nur das unterwürfige und verängstete Wesen, erscheint in ihrer langen Rede — zwar nicht als Schildmaid, doch als hochgesinnte Gefahrtin des Helden. Mehr als das: sie greift durch ihren Zuspruch in den Ablauf ein; auf der Höhe der Kämpfe ist sie gegenwärtig, sichtbar . . . der Waltharius entfernt sie sorgsam von dem Gemetzel am ersten wie am zweiten Kampftage. Folgenreicher sind die weiteren Züge; sie hängen unter sich zusammen. Ein T a g umschließt alle Kämpfe. Als die zwei Hauptgegner, Gunther und Hagen, noch übrig sind, tritt ein Stillstand ein. Darin kommen alle vier Beteiligten zu Worte. Es ist als eine geschlossene Szene zu denken. Gunther sucht Hagen zum Losgehn zu gewinnen — vergeblich. Hagen warnt seinen Herrn: Waither führe das gepriesene Schwert: nur eines sei ihm gewachsen, Hagens Schwert: — und das ruht in der Scheide! Walther frohlockt: »Fürwahr, du wähntest, Gunther, Hagen werde mich bezwingen! Nun hol dir selbst, wenn du dich getraust, von mir Kampfmüdem die graue Brünne!« — Gunther, aber auch Hagen,

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sind noch vornehmer gefaßt. Da Hagen verweigert hat, stellt sich der König zum ehrlichen Einzelkampf. Hagens Widerstreben ist noch entschiedener: er läßt sich nicht »beschwatzen«. Aber — eingegriffen hat er doch . . . Das Weitere muß man erschließen, und da trennen sich die Meinungen. Gunther, schwer verwundet, steht ungedeckt, Walther holt zum letzten Hieb aus . . . J e t z t , wo er seinen Herrn in äußerster Gefahr sieht, jetzt erst ist Hagens Augenblick gekommen. Recht oder Unrecht, seinen Herrn muß er retten. Soweit sind die meisten einig. Für das Folgende gehn wir mit der Deutung Ludwig W o l f f s . Nicht, wie bei Eckehard, mit dem H e l m fangt Hagen den gefürchteten Hieb auf: an seinem S c h w e r t — auf dessen Überlegenheit schon vorausgedeutet war — läßt er Walthers Klinge zerschellen. Nun steht Walther Starkhand waffenlos, wehrlos da! Hagen ist Herr der Lage. Wie entscheidet er das Männerschicksal? E r gebietet dem Kampf ein Ende. Nach beiden Seiten hat er die Treue gewahrt: seinem H e r r n hat er das Leben gerettet; der Reizung gegen den W a f f e n b r u d e r hat er widerstanden, sein Blut nicht vergossen . . . Wir atmen auf als nach einem vermittelnden, gerechten Schiedsspruch des Fatums. Die Blutsbrüder können ihr Bündnis erneuern, beide Teile ihres Weges ziehen. Ein »versöhnliches« Ende. Andere forderten tragischen Schluß. Erst der Spielmann nach 900 hätte »versöhnt«. Daß Walther und G u n t h e r den Tod fanden: der Einfall war abwegig — schon deshalb: der Schöpfer unserer Sage kannte und benützte das Burgundenlied, wo Gunther sein berühmtes Ende am Hunnenhof erlebt. Dem durfte seine Erfindung nicht ins Gesicht schlagen. Erwägbar wäre nur: Walther, er allein, stirbt durch Hagen. Die erzwungene Neidingstat kennen wir aus anderen Sagen; man denke nur an Hildebrand, der den Sohn erschlagen muß. Bei Hagen wäre es: das Freundesband aufgeopfert der Mannentreue. Wie bei Rüediger in der Nibelungenot. Aber — Rüediger stirbt daran! . . . Und in unserem Falle regen sich zwei Bedenken. Walther ist in d e m Maße als »Held«, Gunther als Gegenspieler beleuchtet . . .: für das Gefühl des Hörers wäre es keine L ö s u n g , müßte an Hagens Entscheid der Bessere verbluten. Das zweite: was würde aus Hildegund? Eine Ritterballade ließe sie gebrochenen Herzens über dem Geliebten hinsinken. So leicht stirbt 2

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sich's unter Helden nicht . . . Soll Gunther sie als Beute heimführen? Wir glauben an kein tragisches Ende. Der Bogen ist nicht gespannt auf ein so gewaltsames Bersten. Nicht alle germanischen Heldensagen enden mit dem Tod der Hauptgestalt. Ernst und heldisch genug ist dieser Ausklang, wo keiner der drei überlebenden Männer einen Sieg zu rühmen hat. O b das alte Lied von ihren Wunden sprach? Gewiß nicht so blutrünstig wie der Waltharius. Das hatte der Spielmannsgeschmack hereingebracht. Davon abgesehen: als die große N e u e r u n g , die der Walthersage in dem Reimlied des 10. Jahrhunderts widerfuhr, betrachten wir diesen, aus Eckehard bekannten Vorgang: Nach der Kampfpause schmieden Gunther und Hagen den heimtückischen Plan: das Ringen scheinbar aufzugeben, Walther aus seiner Feste herauszulocken und ihn dann zu zweien zu überfallen. Ein Verrat, ein unritterliches Komplott. Dies bedingt die Zerlegung in zwei Kampftage. Die Erweiterung der Szenenfolge f l i e ß t a u s j e n e r i n n e r e n U m w a n d l u n g . Sie verhalf der jüngeren Stufe zu den Bildern von der Nachtrast, in denen der Lateiner sein Höchstes gegeben hat. Diese spielmännische Neuerung hat die Wormser stark erniedrigt. Dem stabreimenden Lied trauen wir weniger Schwarz-WeißFärbung zu. Auch im englischen Epos ist Gunther höher gegriffen, wenngleich er — Worte der Hildegund — »diesen Streit mit Unrecht als erster anfing«. Wieweit schon der Raubritter in Gunther zu spüren war, stehe dahin. Im Waltharius ist Gunther der — offenbar ganz jugendlich gedachte — Hitzkopf, unbeherrscht bis zur Tollheit und ohne die entsprechenden Taten; im Schlußkampf sinkt er zum Mitleidenswerten. Wir glauben nicht, diese Farben habe Eckehard gemischt. Er redet von den Franken mit Achtung, und ihm liegt sonst mehr an Erhöhung seiner Helden. Den wesentlichen Schritt muß der Vorgänger, der reimende Umdichter, getan haben. VI Vergegenwärtigen wir uns die Ursage! Sie wird uns immerhin erkennbar genug. Die Fabel von Walther und Hildegund gehört zu denen mit wirklichkeitstreuem Baustoff. Kein mythisches Jenseits spielt herein. Der Held ist wunschhaft gesteigert: der jugend-

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liehe, strahlende Typus des fürstlichen Kriegers, mit der besonderen Marke des »Manufortis«, mit dem ahnungsvollen Schwert, das nach herrlicher Bewährung einmal versagen wird! Dieser vollendete Kriegsheld steht neben Sigfrid, Beowulf und einigen Nordländern. Aber ihm fehlt die Berührung mit der Wunderwelt: märchenhafte Jugend und Kämpfe mit Unholden. Die Handlung wirkt aus der Ferne wie ein Abenteuer. Flucht voller Gefahren; eine Nachstellung, unvorhergesehen, zufallig, wobei es auf Tod und Leben geht, doch mit gutem Ende. Die Art mehr des Ritterromans als der schicksalsschweren Heldendichtung. Aber da bildet sich als Rückgrat heraus: Hagens Stellung zwischen seinem Gefolgsherrn und dem Blutsbruder. Dieser Zwiespalt von Mannenehre und Freundestreue hebt unsere Sage in die Gesellschaft der ernsten Heroenfabeln. Der innere Kampf, das bittere Entweder-Oder, ist so bewußt hingestellt wie sonst, unter den a l t e n Sagen, nur noch bei Hildebrand-Hadebrand. Man kann Walther als den »formalen Helden« der Geschichte bezeichnen, Hagen aber als die »erregende Hauptgestalt«. Ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Sigfrid und Brünhild in ihrer Sage. Hagen ist der mit Liebe beleuchtete Gegenheld; er trägt die Spannung: wie wird er sich entscheiden? Der Gegenspieler, in minder günstigem Lichte, ist Gunther. Die übrigen, auch Hildegund, sind Stützen des Geschehens. Nach Walther u n d H a g e n wäre die Fabel zu bennen; wie es in der einen Handschrift steht: Liber duorum sodalium, Waltharii et Haganonis. Rache aber, dieser liebste Leitgedanke unserer Heldendichter, spielt hier nur nebenher herein: Hagen hat seinen Neffen an Waither zu rächen. Unsere Geschichte ist keine Rachesage und kein Trauerspiel von Sippenbruch. Auch zu den Brautraubsagen hat man sie mit Unrecht gestellt. Zu Walthers Person und zu der Haupthandlung hat man vergebens irgendeine geschichtliche Wurzel gesucht. Wohl aber besteht ein sittengeschichtlicher H i n t e r g r u n d : der Hof Attilas mit den germanischen Führern seiner Heere, mit seinen fremden Geiseln, seinen entführten Frauen, den entwendeten Schätzen. Und der l ä n d e r k u n d l i c h e Rahmen ist sogar greifbarer als in den meisten anderen Heldensagen: vom Hunnensitz im ungarischen Osten an den Mittelrhein, Worms, Vogesen; als Ziel der südgallische Westen.

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Die Vogesen (im weiteren Sinne), der Wasgenwald, als Schauplatz der Kämpfe . . . Erst Zeugen des 13. Jahrhunderts bringen die bestimmtere Bezeichnung »Wasgenstein« für Walthers Bollwerk. Den Wasgenwald werden wir der Ursage zusprechen dürfen. Wir wollen nicht Historie treiben und fragen: wie reiste man »am zweckmäßigsten« von der mittleren Donau nach der Garonne? oder: wo gab es über den Rhein regelmäßigen Fährdienst? Die Walthersage war von Anfang an Dichtung, nicht Chronik. Die Dichtung g i n g d a v o n aus: das Paar stößt mit dem Burgunden Gunther zusammen. Den aber kannte man in Worms. Das Paar zieht also an Worms vorbei — und dann, heimwärts flüchtend, kommt es in eine abgeschiedene Waldwildnis: etwas Derartiges b r a u c h t e man für diesen Zwölfkampf. Da konnte auch ein Ungelehrter auf den Wasgenwald verfallen, besonders wenn er nicht auf der Landkarte die Meilen nachzählte! Man brauchte aber a u c h das Bollwerk, die Klamm, die Felsgruppe, den »Wall«, wie es der englische Epiker nennt. S e r Felsen muß Hildegund bergen, in Walthers Nähe, daß sie als Augenzeugin im Bilde steht. Vor allem aber: der Felsen verhindert die Umzingelung des Helden, den Massenangriff auf ihn. Zweimal betont Eckehard: die Enge erzwingt, daß einer gegen einen kämpfe. Wie man sich dies nun im einzelnen zurechtlegen mag, der Dichtung bleibe ihre Freiheit. Nichts spricht dagegen, daß schon der Schöpfer der Sage diesem wichtigen »Stein« im Wasgenwald den Namen »Wasgenstein« gab. Ob er ortskundig war und an eine bestimmte Felsgruppe dachte? Nötig war dies nicht. Auch die Ausmalung im Waltharius führt auf keine sichere Spur; sie scheint eher von der Äneis als von den Vogesen eingegeben! Was später als »Wasichenstein«, »Wassenstein« erscheint, nah der Grenze von Elsaß und Rheinpfalz, genügt nach Augenzeugen den Voraussetzungen der Waltherkämpfe so wenig, daß an eine u r s p r ü n g l i c h e Ortsbindung hier nicht zu denken ist. Mit dem Namen Wasgenwald und Wasgenstein hängt es wohl zusammen, daß Walthers Heimat bei Eckehard Aquitanien ist. Aquitanien hieß althochdeutsch »Wasconoland«: Baskenland, Gascogne. Zwei grundverschiedene Namen, der der Basken und der des »mons Vösögus«, fielen im deutschen »Waskon« zusammen. Es fragt sich: war Walther z u e r s t der Held vom Wasgenwald und

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d a n a c h der Königssohn aus Wasconoland? Oder zog die waskonische Heimat den Wasgenwald an sich? Kaum zu entscheiden! — In Aquitanien herrschten bis ins 6. Jahrhundert herein die Westgoten. Der Dichter unserer Sage aber kannte dieses Land wohl schon bis zum Grenzgebirge als Teil des Merowingerreichs: so wird ihm der Held aus Waskenland als W e s t f r a n k e , kaum als Westgote, vorgeschwebt haben. VII Das Waltherlied war ein richtiges »Sproßlied« oder »Neulied« (wie wir das mit Hermann Schneider nennen): zum Unterschied von den »Stammliedern« oder »Urliedern«. Es gestaltete keine jüngste Vergangenheit, brach keinen völlig neuen Boden auf. Es e r b t e einen Personenkreis, eine heroische Bühne, und stellte hinein eine neue Fabel, auch eine neue Hauptgestalt; denn einen Walther aus Waskenland hatte die Heldendichtung bisher nicht gekannt. (Ein deutliches Sproßlied war auch Hildebrands Sohneskampf. Der mag um dieselbe Zeit entstanden sein.) Der Waltherdichter s c h ö p f t aus mehreren uns bekannten Sagen. Über den bloßen Zierrat geht es hinaus in diesen Fällen. Der Mahn kannte die beiden Hauptlieder des Nibelungenkreises: das Sigfrid-Brünhildlied und das Burgundenlied. Daraus nahm er die Wormser Burgunden, das Paar Gunther und Hagen, und zwar in fester Prägung, als kenntliche »Köpfe«. Hagen als der besonnene Warner seines Königs und Gunthers Schelte »Du gleichst deinem feigen Vater!«: dies ist geradezu aus dem Burgundenlied herübergeholt. Hier zielte die Schelte auf Hagens albische Abkunft; aber dies mußte der Waltherdichter verwischen, denn s e i n Hagen konnte ja unmöglich der albische Halbbruder des Königs sein: die ganze Rolle forderte den G e f o l g s m a n n , wie er von jeher in der Brünhildsage stand, und den machte man nicht zum Albensohn. Sodann lag die Dietrichsdichtung vor. Sie lieferte die Anschauung von Herrschaft und Hofhalt des Hunnenkönigs. Sie bot das günstige Bild von Attila-Etzel: der väterliche freigebige Machthaber: das Bild, das die Bayern — in der Dietrichdichtung — von den Ostgoten übernommen hatten. Der Walthersage, dächte man, hätte es gelegen, Attila als Zwingherrn zu zeichnen. Aber das andere

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Etzelbild, eben das gotisch-bayrische, überwand bei unserm Dichter das gehässige, das er aus dem Burgundenlied der Franken kannte. Aus den genannten Sagenstoffen ergibt sich für das Waltherlied die obere Zeitgrenze: Mitte des 6. Jahrhunderts. (Führt man die Heldin der Brünhildsage auf die Austrasierkönigin Brunihild zurück, dann muß man um zwei Menschenalter abwärts.) Die untere Grenze, rund zweihundert Jahre später, zieht der englische Epiker. Alles erwogen, wird unsere Sage »um 600« zu setzen sein. Eine Zeit, da Worms längst nicht mehr Burgundensitz war; eine Zeit, der die Etzel und Gunther dichterisches Einst waren, nur aus den Sagenliedern vertraut. Das stimmt zum »Sproßlied«. Jenen »sittengeschichtlichen Hintergrund« — Etzels Hofhaltung — hat der Waltherdichter nicht dem Leben nachgezeichnet: die zur Wirklichkeit stimmenden Züge muß man der Dietrichdichtung zutrauen — es wäre denn, daß man sich zu Einwirkung gelehrter Quellen (Jordanes, Priskos) verstände. VIII Und die H e i m a t der Walthersage? Im 6. Jahrhundert, als die Völkerwanderung zu Ende ging, hatte sich die Kunst der Heldendichtung weithin über die germanische Welt verbreitet. An den bewahrten Stoffen alter Schicht haben sich dichtend beteiligt die Stämme der Ostgoten und Westgoten, der Langobarden, der Franken, der Bayern, Alemannen und Thüringer, der Altsachsen und der Angeln, dann der Dänen, Gauten und Schweden. Nicht immer geht die Heimat der H e l d e n zusammen mit der des dichterischen Formens. So dürfte das Lied vom Untergang der Burgunden, die Nibelungenot, eine Schöpfung der Franken sein. Selbst wenn man Walther als Westgoten gedacht hätte (s. o. VI): bei diesem Stamm kann unsere Sage unmöglich entsprungen sein. Das Folgende schließt diese Herkunft aus. Aber auch die Ostgoten, in Italien, hätte man nicht bemühen sollen. Deren Reich war dahin; ihren Resten trauen wir keine Hofkunst mehr zu. Und hätten sie von Worms und dem Wasgenwald gedichtet? War ihnen der Nibelungenkreis bekannt? In Betracht kommen: Bayern, Alemannen und Franken. Gegen die Bayern zeugt dies: nach begründeter Annahme haben sie die Nibelungen-

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dichtung — woraus die Waltherfabel schöpfte — erst im 8. Jahrhundert aufgenommen. Zu spät fiir unsere Sage. Ob die Franken ihrerseits im 6. Jahrhundert die Dietrichdichtung mit dem freundlichen Etzelbild kannten, ist mindestens fraglich. Der mittelrheinische Schauplatz samt dem Wasgenwald spräche zunächst für die Südfranken. Gegen sie erhebt sich der Einwand: diese Wormsgauer — also nach der alten Benennung die Burgunden — stehen als die mißliebigen Gegenspieler da: s c h o n auf der Urstufe, bevor der jüngere Dichter sie erniedrigt hat. Der aus der Fremde kommende Held mäht ihre Vorkämpfer nieder und demütigt ihren König . . . So etwas hat leichter ein Nachbar erfunden! Der a l e m a n n i s c h e Nachbar, dem ja ebenfalls der Wasgenwald im Blickfeld lag. Den Alemannen konnten sehr wohl die b e i d e n Stoffquellen vertraut sein, der bayrische Etzelkreis und der fränkische Nibelungenkreis. Noch dies mag man in die Waage legen, daß im i o.Jahrhundert der Waltherstoff auf alemannischem Boden — sei es nun in Sanktgallen, s.ei es in Straßburg — bis in die Kreise der dichtenden Geistlichen in Gunst stand. Helden eigenen Stammes haben die Alemannen nicht in die Sagendichtung eingeführt. Ihre Wanderungskämpfe gegen das Römerreich warfen, soviel wir sehen, keine Liedfabel ab. Fremde Kreise haben sie ausgedichtet. Zu der altgotischen Stammsage von Ermenrich dichteten sie ein »Sproßlied«: das bittere Ende der zwei strahlenden jungen Königsneffen, der Harlunge. Ein kühnerer Wurf, auch von stärkerer Wirkung auf die Nachwelt, war die Sage von Waither und Hildegund. Wir denken sie uns um 6oo entstanden . . .: vor den Tagen der irischen Bekehrer, noch in heidnischen Herrenhallen vorgetragen. Aber darum brauchte das Lied keine Heidengötter zu beschwören. Es war Herkommen der Völkerwanderungssagen — bei dem Durcheinander aller Bekenntnisse! —, den Gottheiten fern zu bleiben. Unser Lied bedurfte keiner Säuberung, als es nun allmählich vor christliche Hörer kam. Als später der englische und der alemannische Geistliche ihre Lichter aufsetzten, ist auch dies der Sage nicht ans Mark gegangen. (Z- /• Dt. Bildg. ti, S.

69-78.)

ALTNORDISCHE DICHTUNG

UND

PROSA VON JUNG

SIGURD

(1919) i. E i n l e i t e n d e s . H e l d e n g e d i c h t u n d M ä r c h e n . Die eddische Dichtung von Jung Sigurd bietet der stoffgeschichtlichen Betrachtung Schwierigkeiten eigner Art: nicht nur weil sie von den deutschen Sagenformen, in Thidreks saga, Nibelungenlied, Hürnen Seyfrid, weit abliegt und viel nordische Neuerung enthält, sondern auch aus textkritischem Grunde: es haben sich hier Gedichte verschiedenen Alters und ungleicher Sagenform ineinander geschoben. Dazu kommt, daß die prosaische Hauptquelle, die Völsunga saga, hier nicht, wie bei den folgenden Sagen, einfach auf der eddischen Liedersammlung fußt, sondern daneben eine selbständige Vorlage wiedergibt. Dadurch wird das Bild zusammengesetzter. Der Stoffvergleichung und Motivgeschichte muß vorangehen eine Heraushebung der dichterischen Einheiten. Diese müssen je auf ihr Sagenbild befragt werden. Es geht nicht an, den hergehörigen Ausschnitt von Edda + Völsunga saga als einheitliche, fortlaufende Erzählung zu behandeln, wie dies noch kürzlich C. W. von Sydow getan hat in einer überaus fördernden, ergebnisreichen Untersuchung von Sigurds Drachensage (Lunds Universitets Festskrift 1918). Als Sagenbild dieser nordischen Gesamtquelle gibt er u. a. an: »Sigurd wird dargestellt als junger Fürstensohn, wohl ausgebildet in Fertigkeiten, höfisch erzogen und ideal in allen Stücken. Nichts Rohes oder Burleskes findet sich in seinem Wesen. Er zieht gegen den Drachen aus . . . nicht eher als er seine Pflicht erfüllt und den Tod des Vaters gerochen hat.« Fast alles hier herausgehobene ist die Vorstellung des j ü n g e r e n Gedichts, das in das ältere eingefügt wurde: das Sagenbild des älteren wich beträchtlich ab und liegt dem deutschen Ausgangspunkt viel näher. Darin ist man heute einig: die langen Lebensläufe oder gar Sippenbiographien, wie sie in der Völsunga saga oder in gewissen mittelhochdeutschen Heldenepen begegnen, die stehen am Ende der Linie, und die vorausliegenden Liedinhalte waren enger be-

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grenzte Einheiten. Die Untersuchung und, wo es nottut, Herstellung der Liedinhalte darf sich das Recht nicht nehmen lassen, den Aufbau, die Stoffbegrenzung dieser Werke aus ihnen selbst und ihren Verwandten abzulesen und das Unsichere aus dem Eindeutigen zu erhellen. Mag man das Alter der neuen, bandwurmartigen Märchenromane und ihre Einwirkung auf germanische Heldensage so oder so einschätzen, die Stilgesetze der Heldenlieder — und dazu gehört ihre Stoffbegrenzung — lernen wir aus den Liedern, nicht den Märchen kennen. Ich denke dabei an Panzer, der es ein klares Ergebnis seiner Stoffvergleichung nannte, daß alle Jung Sigfrid-Sagen von jeher als Teile eines Zusammenhangs bestanden; daß die älteste Heldendichtung von Jung Sigfrid die Gestalt einer Lebensgeschichte hatte, weil ihre Vorlage, das Bärensohnmärchen, eine Lebensgeschichte ist (Sigfrid 272). Dieser Schluß, meine ich, wäre abzulehnen, auch wenn man in dem Märchen die Quelle der heroischen Dichtung sähe. Nun hat aber Sydow mit feinem Abwägen der Werte gezeigt: der Bärensohn oder der Starke Hans ist nicht das Modell des ältesten Sigfrid; er hat erst auf jüngere Stufen eingewirkt — wir dürfen sagen: nicht vor dem 11. Jahrhundert, zumeist aber auf die deutsche Sigfriddichtung des 12./i3. Jahrhunderts. Die schlagenden Berührungen mit dem Starken Hans zeigt die Thidreks saga und der Hürnen Seyfrid, nicht die Edda, und Sydow legt dar, wie sich diese Märchenformeln später übergelagert haben über eine der Edda ähnlichere Sagenform; wie sie — und dies ist das wichtigste — den inneren Stil der Drachensage verschoben haben aus dem Ernsteren, Großen, Heroischen ins Gemütliche, Mittelstandsmäßige, Genrehafte. Diese Wandlung stimmt zu dem, was wir anderwärts an deutschen Heldenstoffen beobachten; man denke an das Alte und das Junge Hildebrandslied. Die Buntheit und Gemütlichkeit der sogenannten Sigfridmärchen ist unvorstellbar als stabreimendes Ereignislied, und die »Sage« ist nicht getrennt zu denken von ihrem Körper, dem Lied. Nach Sydow braucht sich die i n n e r e Stufenfolge nicht mehr in Widerspruch zu setzen mit der Z e i t folge der Denkmäler: eddische Gedichte des 9. bis 11. Jahrhunderts, heidnische oder doch außerchristliche und vorritterliche Schöpfungen, müssen wir nicht mehr auf jüngere Staffeln setzen als den Hürnen Seyfrid des 13./15. Jahrhunderts, darum weil dieser dem Starken Hans ähnlicher ist.

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Es bestätigt sich, was von der Leyen bei andern Stoffen seit vielen Jahren verfochten hat: daß die heute weltläufigen Märchenromane erst im späteren Mittelalter auf germanische Dichtungsfabeln einwirken. Wohl zeigen schon frühe Heldenstoffe eine entferntere Verwandtschaft mit Märchen: sie deutet auf gemeinsame Quellen, die man Urmärchen oder Ursagen nennen kann; sie unterschieden sich in Stoffwahl, Bau und Ethos von dem, was in Antti Aarnes Verzeichnis »eigentliche Märchen« heißt. Die Annahme, daß eine dem Märchen entstammende Formel erst in jüngere Umdichtungen der Sigfridsagen eingedrungen ist, trifft meines Erachtens noch auf zwei weitere Fälle zu, wo Sydow nach einer andern Erklärung griff (u. § 3. 6). 2. Der K o m p l e x R e g i n s m a l - F a f n i s m a l . Der in der Handschrift zusammenhängend geschriebene Komplex »Reginsmäl + Fäfnismäl«, der Strophen des epischen und des dialogischen Maßes mischt, ist ungleich beurteilt worden1. Eine Ansicht geht dahin: man habe Bruchstücke zweier gleichlaufender Lieder verbunden, die beide den ganzen Hergang umfaßten. Diesen Liedern würde jede Einheit der Handlung fehlen: die Vorgeschichte des Hortes läßt sich zwar mit der Hortgewinnung, der Drachensage, vereint denken, allenfalls auch die Drachensage mit Sigurds Vaterrache. Aber alle drei Teile in ¿inem Liedrahmen, dies wird man nicht ohne Not ansetzen. Noch weniger Gegenstücke hätte es, wenn man die Erweckung der Valkyrje dazu nähme; zu schweigen von der Einbeziehung der Sign^sage (Corpus poeticum boreale 1, 31. 155). Auch rechnet diese Hypothese mit reichlich viel Verlusten und würdigt den Umstand nicht, daß die Vaterrache mit Zubehör ein neues, kenntlich sich abhebendes Sagenbild hereinbringt. Erwägenswert wäre der Gedanke: nur die von wenig Prosa unterbrochene Strophenreihe Faf. 1—31 (oder bis 39, evtl. ohne die vier Langzeilenstrophen) bildete ein geschlossenes Lied, »Fafnirs und Regins Tod«, und alle übrigen Ströphen wären Lausavisur 1

Cpb. 1, 30ff. 1 5 5 f r . ; F.Jönsson, Lit. hist. 1, 2 6 8 f f . ; Mogk, PGrundr. 2 , 6 2 g f f , ; Symons, Edda C C C X X I I I f . ; Boer, Nibelungensage 3, 9 4 f r . ; Ussing, Hehekvadene 4 6 fr.; Polak, Sigfridsagen 2 0 ff.; Schuck, Illustr. svensk L i t . 1 1 , 105 f.

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aus einem Heldenroman, einer Sigurdar saga. Dagegen spricht: i. die Strophen stehn zu dicht für Lausavisur einer Saga; 2. nach ihrer altertümlichen Haltung wird man die Mehrzahl von ihnen vor das 12. Jahrhundert, den ersten Zeitraum der mündlichen Heldenromane, setzen; 3. die in den Vaterrachestrophen gegebene Neugestaltung von Sigurds Aufwachsen ist doch wohl im Lied, nicht im Prosaroman, geschaffen worden. Die befriedigende Lösung scheint mir die zu sein: die Masse Reg.Faf. besteht aus zwei Gedichten, einem annähernd vollständigen »Hortlied« im dialogischen Maße und den Resten eines »Vaterrachelieds« im epischen Maße. Dazu kommt drittens eine Lausavisurgruppe, Faf. 40—44, die »Vogelweissagung« (u. § 7). Das Hortlied wird noch der alten, heidnischen Schicht der Eddapoesie angehören; es hat eine viel altertümlichere Sagenform als das Vaterrachelied. Die Frage, wie die metrisch und zum Teil inhaltlich abstechenden Strophen Rm. 5. 11. 19—22. 24* 25, Faf. 32. 33. 35. 36 zu fassen sind, nehme ich nicht auf. Vgl. dazu Polak, a. a. O., der für die angedeutete Abgrenzung der Lieder eingetreten ist, und Genzmers Edda 1, 113 ff., wo diese Abgrenzung durchgeführt ist. 3. Das H o r t l i e d . Das ältere unserer Gedichte, das Hortlied, ist eine Umgießung und Erweiterung deutschen Sagenguts. Nach innerer und äußerer Form, — reines Redelied, Versmaß Ljödahattr — ist es kenntlich nordisch und von vornherein keine bloße Wiedergabe deutscher Dichtung. Aber auch sein Inhalt hat stark geneuert. Selbständige nordische Zudichtung ist der Anfangsteil, die unter Göttern und Riesen spielende Vorgeschichte des Hortes; dann der Schlußteil, das Kosten vom Drachenherzen und die Mahnung der Vögel. Der zweite hatte doch wohl einen vornordischen Ausgangspunkt in der ganz anders begründeten Fingerprobe, die im Hürnen Seyfiid fortlebt (Polak 48). Diese beiden stofflichen Zutaten, zu Anfang und zu Ende, heben sich einigermaßen von dem Mittelstück ab; man könnte sie lostrennen, ohne daß die übrige Handlung zerbräche: Die Tötung des Schmiedes, ein aus der deutschen Quelle stammender Zug, ließe sich unschwer schon an den Wortwechsel Faf. 23—30 knüpfen.

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Daß die Strophen Rm. i — 1 2 lockerer zusammenhängen, viel mehr verbindende Prosa heischen und dann mit einem gewaltigen Sprung in Faf. 1 fortfahren, kann j a zum Teil auf Verlusten beruhen ( § 7 ) , aber zumeist wohl darauf, daß jener Eingang an einen selbständigen Gedichtinhalt angetreten ist. Doch würde ich bei der durchgehenden Ähnlichkeit des sprachlich-metrischen Stils (in den sechsversigen Strophen) die Einheit des Dichters nicht anzweifeln. Das Braten des Drachenherzens und die Fingerprobe, dies hat ein sehr nahes Gegenstück in dem Lachsrösten des berühmten irischen Helden Finn, Cumalls Sohn. Zimmer hielt die Iren für den entlehnenden und mißverstehenden Teil (Zschr. f. d. Altrt. 3 5 , 1 5 5 fr.); Sydow sieht in der irischen Erzählung das Vorbild der nordischen (a. a. O. 35fr.). E r betont, daß die zauberische Erleuchtung bei Sigurd nur dieses eine Mal spielt, bei Finn ein bedeutsamerer, immer wiederkehrender Zug ist. Allein, Finns Erleuchtung beruht in diesen wiederholten Szenen nur darauf, daß er den Finger in den Mund fuhrt und (nach einigen Fassungen) seinen Weisheitszahn berührt; nur diesem Motiv sichern alte Quellen den vorwikingischen Ursprung. Davon ist zu trennen der Gedanke des nordischen Liedes: daß der Saft von dem wunderbaren Tiere die Kenntnis verleiht. Dies kommt bei Finn n u r in der Szene vom Fischrösten in Frage, und auch da tritt es nicht klar heraus: die modernen Fassungen bei Gurtin und Gampbell stellen es so dar, daß Finn den am Lachse verbrannten Finger in den Mund steckt und damit zum erstenmal die Bewegung ausführt, die ihm fortan das höhere Wissen verschafft; von dem Safte des Fisches ist nach dem ganzen Zusammenhang keine Rede. Dies sieht in der Tat aus wie das Anflicken eines mißverstandenen Zuges an einen anderen, damit nicht vereinbaren. Die im ganzen von dem Eddalied viel weiter abliegende Fassung bei Zimmer a. a. O . , Kuno Meyer, Eriu 1, 180ff., zielt zwar auf das Essen des Fisches: dies macht Finn, der die Dichtkunst lernen will, wissend1. Aber auch hier ist sowohl das Daumenverbrennen wie das gewohnheitsmäßige Daumen-in-den-Mund-stecken widersprechend angefügt. In der Sigurddichtung ist der ganze Hergang logisch aufgebaut. So dürfte sie doch der gebende Teil sein. Die weiteren EntlehnunWas man dann auf den isländischen Skald Sigvat übertrug: S. Bugge, Arkiv 13, 209 fr. 1

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gen aus der Finnsage, worauf sich Sydow beruft, betreffen nicht das Hortlied, sondern die jüngere Vaterrachedichtung (u. § 6). Es ist anerkannt, daß die keltischen Einflüsse im allgemeinen erst in jüngeren Schichten der norrönen Sage auftreten (Olrik, Danske Studier 1907, 188). In dem Hauptstück des Hortliedes hat der Dichter zwei altdeutsche Liedinhalte, zwei Jung-Sigfrid-Sagen, schöpferisch verschmelzt zu einer neuen Einheit: die Schmied-Drachensage und die Sage vom Albenhort. Er hat den Schmied und den Drachen gleichgesetzt den zwei um das Erbe streitenden Brüdern, den Drachenhort gleichgesetzt dem umstrittenen Erbe. Also, wenn wir die Namen von Thidr. und NL. anwenden: Reginn = Mime + Nibelunc; Fafnir = dem Drachen + Schilbunc; Vater Hreidmarr = dem alten Nibelunc. Die deutschen Eigennamen sind verschwunden; auch die aus der Albenhortsage stammende Prägung »Niflunga hodd, arfr, skattr, rög« begegnet in diesem Zusammenhang nicht mehr. Die Drachensage hat durch diese Verschmelzung ganz neue Akzente bekommen: Sippenfehde und Rache; Sigurd ein Werkzeug des Bruderhasses; Weissagung dunkler Schicksale. Das heroische Trollenabenteuer ist angenähert den seelischen Problemsagen. Das eddische Hortlied beweist, daß die deutscherseits zuerst im NL. erscheinende Jung Sigfrid-Sage von den erbstreitenden Brüdern keine junge Erfindung ist, die den Namen »der Nibelunge hört« umdeutet. Im NL. ist die Geschichte nach dem Erbteilermärchen gemodelt (Bolte-Polivka, Anmerkungen 2, 326.331fr.). Diese Züge fehlen dem nordischen Hortliede. Sydow folgert daraus, die deutsche Sage sei erst spät nach dem Norden gedrungen und hier ihres wesentlichen Gehalts beraubt worden. Dem widersetzt sich die Altertümlichkeit des Hortliedes und die Art, wie es den Bruderzwist zum Grundstein der Handlung macht. Was der Edda fehlt, der wandernde Held, der zum Erbschichter angerufen wird, usw.: dies ist jüngerer Ausbau auf deutscher Seite. Hinter der eddischen und der hochdeutschen Form liegt eine vom Märchen noch unberührte Urgestalt, und die kann so alt sein wie irgendeine Sigfridsage. Der Fall ist der gleiche, wie ihn Sydow selbst beim Drachenkampf nachgewiesen hat: eine vom Märchen unabhängige

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Urform ist in der deutschen Quelle der Thidr. nach dem Märchen umgestaltet worden. Das ursprüngliche Streitobjekt der Brüder war ein richtiger Hort, nicht die märchenhaften Wunschdinge. Dies zeigt die Edda deutlich, auch die Vorgeschichte mit den drei Göttern; und vor allem: der a l t e , aus deutscher Dichtung stammende Name »Niflunga hodd« kann ja nicht Tärnkappe und Wünschelrute gemeint haben. Der Hort konnte allerdings Wunschdinge einschließen: dem goldenen rüetelin des N L . steht der Ring Andvaranautr gegenüber und dem Schwerte Balmung das Schwert Hrotti, obwohl diese erbeutete Waffe nun neben der vom Schmiede gefertigten, die den Drachen besiegt hat, ein Doppelgänger ist: eine Folge der Verschmelzung der beiden Sagen (nicht Entlehnung aus Ortnids Drachensage, wie Sydow 13 erwägt). Eine gleiche Mischung ist es, wenn Balmung auf dem Drachenstein gefunden wird (Rosengarten A 330, vgl. HSfr. II). Zu dem jungen Märchengut aber gehört die Tarnkappe. Der Gegenstand an und für sich reicht in das vorspielmännische Altertum hinauf; man nehme altsächs. heliähelm Hei. 5454, Gen. 444, anord. hulidshjalmr (in unsern Denkmälern schon nur in abgeleitetem Sinne), wie auch das Wort tarnhüt ein paläozoisches Fossil ist. Aber in dem Sigfridkreise bekam die Tarnhaut erst spät eine Rolle, und zwar zunächst in der Brünhildsage. Nachdem diese den Gestaltentausch durch die Tarnhaut ersetzt hatte, brachte man dieses Wunschding zu den früheren in die Hortsage herein. J a , dies mag der A n s t o ß gewesen sein, die Hortsage umzubilden nach dem Erbteilermärchen, worin die Tarnkappe eines der umstrittenen Stücke war (Patzig, Zur Gesch. des Sigfridsmythus 25f.; Panzer, Sigfrid 178). Die ganze Neuerung wird ins 12. Jahrhundert fallen. Daß die Sage vom Albenhort zu der alten Sigfriddichtung gehörte, daran braucht nicht irrezumachen, daß auch Sigfrids Drachensage ursprünglich einen Hort enthielt (Beowulf, Edda, HSfr. II). Die von Sigfrid umlaufenden Lieder bildeten keinen einheitlich entworfenen Lebenslauf (das zeigt auch die Erweckungssage); sie konnten zwei selbständige Hortgewinnungen erzählen (vgl. Boer, Nibelungensage 1, 96). Diese Zweiheit hat das nordische Hortlied durch einfache Gltichsetzung beseitigt. Daß die deutsche Dichtung (Thidr., HSfr. I, NL.) den hortlosen Drachen zeigt,

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will Sydow aus dem Drachentyp der modernen Volkssagen und Märchen erklären *; der Hauptgrund wird doch gewesen sein, daß man an dem zwiefachen Schatze Anstoß nahm. Erkennt doch auch Sydow noch in dem späten Hürnen Seyfrid II einen Rest der Drachenhortvorstellung (50 f.). Ob der Dichter unsres Hortliedes, der die beiden Schatzsagen verschmelzte, diese zwei Stoffe unmittelbar aus deutscher Überlieferung holte oder sie schon in norröner Dichtung, getrennt, vorfand, wird nicht zu entscheiden sein. Die Anspielungen des Alten Atlilieds 6 und 26 f. könnte man auf die zwei noch unverschmolzenen Schätze, den der Gnitaheide und den der Niflungar, beziehen (mit Polak 28f.), nur setzt das Beiwort äskunni arfr Niflunga doch wohl die Vorgeschichte mit den Asen voraus, und sollte die älter sein als das Hortlied ? — Zeugnisse, die deutlich über die Sagenform unsres Liedes zurückführten, kennt die nordische Überlieferung nicht, auch nicht in den bildlichen Darstellungen. Bewahrt ist aus der deutschen Quelle, dem Schmied-Drachenliede, der ursprüngliche Zug: Sigurd ist der »mutterlose Knabe«, das Findelkind, das seine Abkunft nicht kennt und sich gefugt dyr »edles Wild« nennt (nach der säugenden Hindin ?): Faf. 2. Auch der Vorwurf haptr ok hernuminn (Faf. 7) läßt sich allenfalls vereinen mit diesem alten Sagenbild, dem Dienst beim Schmiede, und braucht nicht bestimmt zu sein durch die jüngere Vaterrachedichtung, die eine wirkliche Kriegsgefangenschaft ebensowenig kennt. Daß Sigurd in Faf. 4 dennoch den Namen seines Vaters nennt, muß Anpassung an die spätere Sagenform sein: mehr als einen Kurzvers brauchte man dafür nicht umzuformen; daß dieser Vers 5 den Satz zerreißt, verrät wohl die Änderung; die ursprüngliche Form kann man sich nach Lok. 45, 2, Alv. 3, 2, Fjölsv. 4, 2 denken. Alle übrigen Strophen des Hortlieds fügen sich zu dem elternlosen AufWachsen. Damit ist gegeben, daß der Schmied noch nicht der erwählte Prinzenerzieher und wohlwollende Helfer war. Als Hintergrund zu den Reden in Faf. hat man sich das urwüchsigere Verhältnis zu denken: der alleinstehende Knabe, der heroische Wildling, fern von den Menschen aufgewachsen bei dem elbisch unheimlichen Schmiede und in seinem Auftrag, halb wider Willen (Str. 26), 1

3

So auch in der Festskrift til E. T. Kristensen, 1917, 115. Heusler, K l . Schriften.

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den Drachen bekämpfend. Licht auf dieses Verhältnis wirft das Alte Sigurdlied mit dem Ausdruck prall Hialpreks konungs (Völs. c. 28, 7), wohinter ein »Knecht des Regin« (oder früher »des Mime«) zu erschließen ist (Polak 76. 1 2 7 ) . Daß Regin tückisch den T o d des jungen Gesellen sinnt, wird aus einer der beiden deutschen Grundsagen stammen: ob aus der Drachensage, entscheidet die Thidr. nicht, da hier die Tücke des Schmiedes nach dem bösen Dienstherrn des Märchens gemodelt ist (Sydow 26f.). V o n einzelnen Zügen muß die Schwertschmiedung aus dem deutschen Schmied-Drachenlied in unser Hortlied übergegangen sein: Faf. 29 spielt darauf an; in Versen erzählt wird sie nicht mehr, und der Prosabericht nach R m . 1 4 wird mittelbar aus dem jüngeren Liede fließen: dieses hatte, wie wir sehen werden, die Schwertschmiedung aufgegriffen und reicher ausgestaltet. Über die zweierlei Schwertproben s. u. § 6. Verloren hat das Hortlied einen sehr bedeutsamen Z u g des deutschen Drachenkampfes: das Unverwundbarwerden des Helden. A u c h Sydow rechnet dies zum alten Bestände unsrer Sage (S. 33) und glaubt auf nordischer Seite ein Überlebsei zu finden in der Grube, die das Drachenblut auffangt. Aber dies hat erst die Völs. (c. 18), gleichzeitig mit einer gewiß neuen Einführung Odins: die Prosa der Faf. denkt sich die Grube noch einfach als Deckung des Angreifers. Außerdem halte ich die geschmolzene Hornhaut des Drachen, die schon der Beowulf 897 bezeugt, für die ältere Quelle der Unverwundbarkeit und das Baden im Blute mit dem mehr zierlichen als überzeugenden Lindenblatt für eine Veredelung durch den Nibelungendichter. Kräfteverleihendes Blut wird sonst »innerlich« angewandt. Der Verlust der Hornhaut im Hortliede hängt offenbar zusammen mit dem Verschwinden von Sigfrids bedingter Gefeitheit in der nordischen Brünhildsage, und zwar, wohlgemerkt, nicht bloß in der Bettodform (die diesen Zug von jeher entbehrte), sondern auch im Waldtod, wie die älteste eddische Quelle ihn bietet. Hier ist eine ganze Gruppe deutscher Sagenmotive erloschen, und wahrscheinlicher hat sich das Hortlied diesem V e r luste angeglichen, als umgekehrt. Einen Ersatz fand das Lied in dem Erlernen der Vogelsprache (s. o.). Sydow hebt einige Züge hervor, die der Fafnirkampf mit zwei Drachensagen bei Saxo teilt (S. 8): Ein Ratgeber unterweist den Helden; der W u r m wird auf dem Weg zur Tränke angegriffen;

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der Held muß sich irgendwie gegen das Gift schützen (doch hat die Grube der Eddaprosa eigentlich nicht diesen Sinn). Diese Züge haben in den Strophen keine Stütze, und da sie den südgermanischen Spielarten abgehn, können wir sie für das Phantasiebild des Hortlieddichters nicht ansprechen. Etwas anderes ist es, daß der Schmied seinen Zögling zum Drachenkampf reizt und ausstattet: dies stand schon im deutschen Schmied-Drachenlied, und durch die Einschmelzung der streitenden Brüder Wurde das Anstacheln gegen den feindlichen Horteigner noch verstärkt. 4. D a s V a t e r r a c h e l i e d : s e i n e B e s t a n d t e i l e . Das zweite, jüngere Lied, im epischen Strophenmaß, »Sigurds Vaterrache«, verwendet Data aus der überkommenen Sigfridsage, ist aber im wesentlichen nordische Neudichtung und stellt Sigurds Anfänge in ein anderes Licht. Dieser Dichter hat die Sagenform von Sigurds Jugend geschaffen, die man als die »nordische« der älteren in der Thidrekssaga und der modern-ritterlichen im Nibelungenlied entgegenstellt. Früher nahm man ja gern an, die »Sagenformen« hätten sich außerhalb der Poesie, im »Volksmunde«, in der formlosen »Überlieferung«, gebildet, und die Verfasser unsrer Gedichte hätten sich an diese Sagenformen nur angeschlossen. Macht man Ernst mit der Einsicht, daß die Heldenlieder nicht nur Verse fügten, sondern Geschichten ersannen, dann liegt in unserm Fall der Schluß am nächsten, daß ebendieses, zum Teil bewahrte, zum Teil erschließbare Vaterrachelied die neue, nordische Sagenform in die Welt gesetzt hat. Das eigentliche Ziel der Neuerung war dieses: Sigurd wird angeknüpft an seinen Vater. Damit hängt mehr oder weniger eng zusammen: Die Mutter bleibt am Leben, sie vermittelt dem Sohne das väterliche Schwert; Sigurd wächst in fürstlichen Ehren am Hof eines Stiefvaters auf, der Schmied wird zum Handwerker des Königs (Völs. c. 14, 62) und zum Pflegevater, der nach nordischer Sitte dem Fürstenkinde bestellt wird und es unterrichtet; die Schwertschmiedung bekommt einen neuen Gehalt; die erste T a t des Jungen ist, wie zu verlangen, die Vaterrache: ein richtiger Kriegszug, wozu der königliche Stiefgroßvater eine Flotte stellt; Odin taucht auf als 3*

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Helfer seines Völsungengünstlings; die Feinde, die Hundingssöhne, sind Namen aus einem fremden Sagenkreis, der Helgidichtung. All dies, eine planvolle Neuzeichnung, war dem Gesichtsfelde des Hortlieddichters noch unbekannt. Die eddische Liedersammlung gibt nur Bruchstücke unsres Gedichts. Zu Ergänzungen verhilft uns die Völsungasaga; sie folgt hier wahrscheinlich einer »Sigurdar saga« (u. § 9), und diese hatte das Vaterrachelied in vollerer Gestalt benutzt. Folgende Züge kommen für das Lied in Rechnung. 1. Ein paar einzelne Aussprüche. Dem Worte Regins an Sigurd: ok ertu ölikr pinumfrandum at hugkreysti (Vs. c. 18, 12) entspricht ein Verszitat in König Sverrirs Munde (Eirspennill 421, 8; Fornm. ss. 8, 409): ok er, sem kvedit vor: ölikr ertu ydrum nidium, J)eim er framrädir fyrri väru

(S. Bugge, NFkv. X X X V I I I ; Symons, Edda X X . L X V I ) . Gleich danach zitiert Sverrir eine Halbstrophe aus Sigurds Hortlied. D i e s e m kann unser Langzeilenpaar aus metrischem Grunde nicht entstammen, obgleich die Vs. ihre Replik in den Fafnirabschnitt gestellt hat: an früherm Orte bringt sie eine gedanklich verwandte, im Wortlaut weiter abliegende Äußerung Regins, c. 13, 58—61. Anklingt auch Sigurds Wort an Regin c. 15, 8: pü munt likr vera inum fyrrum frandum pinum (ok vera otrür). Daß all dies zunächst aus der Sig. s. fließt, wird man glauben. Es lockt gewiß, die zwei Langzeilen weiterhin auf das Vaterrachelied zurückzufuhren; in dessen Gedankenkreis paßte die Betonung der unerreichbaren Altvordern sehr gut. Einwenden läßt sich, daß die bewahrten Strophen 1 3 — 1 5 die Sinnesart des Jungen nichts weniger als anstachelungsbedürftig zeigen. Sigurds Unlust konnte nur dem Drachenkampf, nicht der Vaterrache gelten: das Gedicht hätte somit aus dem Hortlied die Reizung zum Drachenkampf entlehnt. In der Richtung deutet auch der Schluß von R m . 13, wogegen man 15 so fassen könnte: die roten Ringe, die Sigurd nicht mehr locken sollen als die Rache, sind nicht Fafnirs Hort, sondern das vom Feind gebotene Bußgeld (Polak 24f.). Nach alledem finde ich es unsicher, ob die hier besprochenen Stellen bis auf das Vaterrachelied zurückgehen und nicht erst später in der Sig. s. erwuchsen.

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Als ein Klang aus dem Liede ist zu erwägen Sigurds Wort an die Könige: ok vilda ek, at peir (Hundings synir) vissi, at Vqlsungar vari eigi allir daudir (Vs. c. 17, 4). Diese selbe Prägung steht zwar schon in der Signygeschichte, Vs. c. 8, 113, und dort ist sie offenbar gewachsen; doch könnte sie unser jüngerer Dichter von dem altern erborgt haben. Auch H. Hj. 11, 7. 8: hyggz aldaudra / arfi at rdda mag daraus stammen. Fragwürdig ist die Herkunft der Reden, worin der Schmied auf Sigurds Ärmlichkeit stichelt (Vs. c. 13, 17—27, 45—47). Sie sehen j a inhaltlich nach einem Überlebsel aus (Polak 76f.), aber schon zu dem Sagenbild des Vaterrachedichters stimmten sie nicht mehr! Letztlich müssen sie wohl aus Motiven des alten Hortlieds erwachsen sein. 2. Die Schwertschmiedung. Dem kahlen Prosasatz der Liedersammlung stellt die Völs. c. 15 eine überraschend lebhafte, zügereiche Darstellung entgegen: Zweimal fertigt Regin eine Klinge, die bei der Amboßprobe zerschellt; erst das drittemal gelingt die Waffe, nachdem Sigurd von seiner Mutter die Stücke des väterlichen Schwertes geholt hat. Diese letzten Motive zeigen, daß wir bei der j ü n g e r n Sagenform stehen. Für die Dichtung von der Vaterrache hatte das Schmieden des Schwertes, dieser aus dem Hortlied übernommene Baustein, viel mehr zu bedeuten als ein Zierrat: es war zum Mittelpfeiler des neuen Gebäudes geworden, es trug die Beziehung zwischen Sohn und Vater. So zweifeln wir nicht, daß dieses Stück der Völs. auf unser Lied zurückgeht. Die Zwischenstufe, die Sig. s., hatte nach ihrer Art sagamäßig umstilisiert (s. u. § 10), so daß die Prosa nicht mehr unmittelbar liedhaft klingt; ein paar Einzelheiten — die Begrüßung und das Zechen bei der Mutter — sind gewiß jüngere Zutat. D a ß als nächste Bestimmung des Schwertes der Drachenkampf, nicht die Vaterrache genannt wird (Vs. c. 14, 68ff.), erklärt sich leicht: hier hat der Sagaschreiber den Gedankengang des jüngern Liedes dem des Hortlieds untergeordnet. In dieser Strecke weicht die faeröische Reginballade von ihrer Vorlage, der Völs., so beträchtlich ab 1 , daß man versucht wäre, eine ursprünglichere gemeinsame Quelle zu erschließen, die von 1

Eingehend

hierüber

zyklus, 1 9 1 8 , 2 5 fr., 5 1 f r .

de

Boor,

Die

iaröischen Lieder des Nibelungen-

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der Saga wie der Ballade verändert wurde. Darin hätte Sigurd schon zu Anfang den Stahl der Vaterwaffe geholt: daß es ihm in der Völs. erst nach den zwei mißglückten Versuchen einfällt, befremdet; Regin aber hätte zuerst aus falschem Erze geschmiedet, um Sigurds Kraft zu erproben; das drittemal erst nahm er den echten Stoff, und der amboßspaltende Hieb bewährte nun zugleich die Waffe und des Helden Stärke. Diese erschlossene Stufe könnte wohl nur die Sigurdar saga gewesen sein — eine Folkevise als Quelle der Völs. wäre zeitlich denkbar, aber doch ein Unicum ad hoc! Indessen ist es gewagt, der Reginballade für dieses eine Stück eine sonst nicht benutzte Sagaquelle zu verschreiben, und so wird doch Vs. c. 1 5 die uns erreichbare Grundfassung bleiben. Die herrschende Ansicht, daß die Ballade auf der Völs. ruht 1 , wird durch de Boors Ausführungen, a. a. O. 38 fr., nicht erschüttert. E r ist den bewußten Änderungen des Faerings, die gutenteils dichterische Verbesserungen sind, nicht gerecht geworden; das stabreimende Sigurdgedicht des 12. Jahrhunderts, das er als Quelle der Vs. und der Ballade fordert, wäre ein seltsamer Doppelgänger zum Hort- und Vaterrachelied und nach seinem biographischvielkreisigen Inhalt gegenstücklos in der alten Dichtung. Für die Zutaten der Vs. zum Liederbuch verlangt de Boor mit Recht eine eigne Quelle; aber diesen Dienst leistet, wie wir noch sehen werden, eine prosaische Sigurdar saga besser als das vermutete Lied. Ein Plus der Völs. innerhalb von Sigurds Jugendgeschichte ist noch die R o ß w ä h l (c. 13, 2 7 — 4 5 ; im Liederbuch zu i 1 /» Zeilen zusammengezogen). Für das Lied von der Vaterrache können wir diese Episode nicht ansprechen; denn, mag sie nun alt oder ganz jung sein, in der Handlung dieses Liedes hatte das Roß nichts zu suchen. Das Bisherige — Schwertschmiedung und Rachefahrt mit Zubehör — hätte zwar die von einem eddischen Ereignislied zu erwartende Einheit, wäre aber eine dürftige Gedichtfüllung; man vergleiche nur den Gehalt der anderen Vaterrachesagen, Ingeld, Amleth, Halfdanssöhne, Helgi Hundingsbani! Ich vermute, daß ein Hauptteil unserer Dichtung der Strophe R m . 1 3 vorausliegt; ich halte für einen Rest des Vaterracheliedes: 3. Sigmunds Tod, Völs. c. 12. Dafür ist schon Polak eingetreten (a. a. O. 82f.). Ich suche die These weiter zu festigen. 1

Zuletzt bei de Vries, Studien over fzerösche Balladen, 1 9 1 5 , 6 ff.

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5. D a s V a t e r r a c h e l i e d : die V e r k n ü p f u n g v o n S i g m u n d und S i g u r d . Die Liedspuren in des sterbenden Sigmund Abschied von der Gattin hat man oft beobachtet. Das Vorangehende, Odins Erscheinen im Kampfe usw., würde an und für sich über Sagakunst nicht hinausführen, ist aber inhaltlich mit der letzten Schlachtfeldszene so verwachsen, daß das zweite ohne das erste kaum verständlich wird. Was kann das für ein Lied gewesen sein? Unmöglich eine Sigmundbiographie. Aber auch nicht eine Darstellung von Sigmunds letzter Ehe, seinem Zwist mit den Hundingssöhnen: dies hat kein liedmäßiges Gewicht, und der Schluß, eben Sigmunds letzte Reden, lebt ja schon ganz im Anblick des neuen Geschlechts, des rächenden Sohnes! Daß diese Erfindung ausgegangen sei von dem jungen Traumlied, Vs. c. 25, 55fr., ist unglaubhaft (vgl. Neckel, Eddaforschung 250. 32of.): alles spricht dafür, daß dieser Epigone um 1200 oder später die Anspielungen seines Frauengesprächs aus vorhandener epischer Dichtung bestritt. Unsere Schlachtfeldszene schließt sich zur Einheit zusammen mit Sigurds erster Jugendtat. Die Einheit ist: Tod des Vaters — Rache des Sohnes. Dazu treten die drei besonderen Bindeglieder: das Schwert, die Mutter, der Gott. Jung Sigurd erbt mit der Rachepflicht den Stahl des väterlichen Schwertes: daraus soll ihm die Waffe geschmiedet werden, mit der er unsterbliche Großtaten vollbringt (Vs. c. 12, i6ff.), und mit der er dem Vatermörder den »blutigen Adler« in den Rücken ritzt (Rm. 26). Dieses Erbe händigt der erlöschende Sigmund der Gattin ein, die den Rächer unterm Herzen trägt: sie soll ihn wohl aufziehen und ihm die Schwerttrümmer wohl bewahren: die ganze Rolle der Mutter in Sigurds Leben besteht darin, daß sie dem Sohn zu einer königlichen Magschaft verhilft und ihm das väterliche Schwert vermittelt: beides dient der Vaterrache — was nachher aus der Mutter wird, danach fragt keine der Sigurddichtungen; sie lebt in und mit dem Liede von Sigmunds Tod und Sigurds Rache. War ihr Name für den Dichter noch der alte, Sigrlinn = h d . Sigelint? »Hj9rdis« begegnet in Versen erst in den Hyndl. 26 und der Grip. 3. Das dritte Band ist Odin. Er erscheint bei dem Vater als der Lebensender, der Heimholer, bei dem Sohne als der hilfreiche Berater auf dem Zuge zur Vaterrache. »Odin will nicht mehr, daß

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ich das Schwert ziehe, nun es geborsten ist; ich habe Schlachten geschlagen, solange es ihm gefiel«: in diesen frommen Worten des sterbenden Sigmund liegt der Gedanke, daß er als Odins Schützling durchs Leben ging und seine Siege erstritt. So möchte man auch die Verse Rm. 18: Hnikar hitu mik, pd er Hugin gladdi Vqlsungr ungi ok vegit hafdi auf Sigmund beziehen; »schon deinem Vater war ich als Hnikar bekannt in seinen Kämpfen«. Odins Hilfe aber — auch dies deuten jene Worte des Sterbenden an — war geknüpft an das Schwert, sie erlosch mit dem Schwerte, und, so dürfen wir ergänzen, sie tritt mit dem neu geschmiedeten Schwerte wieder in das Leben des Sohnes ein. Sigmunds Schwert war irgendwie als Schicksalsträger, als Odinsgabe gedacht. Man sieht, wie alle diese Motive den beiden in unserer Überlieferung getrennten Teilen, Sigmunds Tod und Sigurds Vaterrache, gemein sind und sie zur dichterischen Einheit verbinden. Als äußerliche Klammer kommt dazu der Name der Hundingssöhne; den nennt die gesamte Sigurddichtung nur an zwei Punkten: bei Sigmunds Tod und bei der Vaterrache. Odin, sein Schwert und die Mutter — als Pflegerin und Erbvermittlerin —, dies sind die Abzeichen der Vaterrachedichtung. Es sind ihre Neuerungen. Daß die Mutter als überlebende, in Sigurds Jugend eingreifende Gestalt nicht über unser Lied zurückgeht, wird man ohne weiteres zugeben. Aber sollte nicht auch der Odinsschutz und das Odinsschwert durch diesen Dichter in den Völsungenkreis eingeführt sein? Nach dem familienbiographischen Faden der Vs. setzt j a beides schon früher ein: um von der jungen Vorgeschichte zu schweigen, in dem berühmten Eingangsauftritt der Signysage, wo der einäugige Alte das Schwert in den Stamm stößt. Aber seine durchgeführte Rolle hat beides, der Gott und das Schwert, in der Vaterrache-, nicht in der Signysage: in diese dürfte beides erst später hereingekommen sein nach dem Vorgang unsres Liedes und unter Einfluß der kymrischen Arthurdichtung. (Die Anspielung der Hyndl. 2, gaf kann .. . Sigmundi sverd at piggia, kann schon dieser jüngern Stufe gelten; vgl. Müllenhoff, Zschr. f. d. Alt. 23, 129). Auch von den übrigen Fällen, wo Odin in die Völsungengeschichte eingreift (u. § 9), braucht keiner älter zu sein als die zwei Fälle der Vaterrachedichtung. Das Vorbild für Sigmund und Sigurd als Odinshelden sehen wir in dem dänischen Sagenkönig Harald Kampfzahn. Hier ist der

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Gedanke mit primärer Kraft durchgeführt: das Leben des Königs von der Geburt bis zum Tode wird getragen von seiner Beziehung zu Odin; er ist der wahre goii signadr; seine Sage ist e n t w o r f e n aus dieser religiös-grüblerischen Vorstellung. Bei Sigmund-Sigurd haben wir eine schwächere, weniger durchgreifende Anwendung des Gedankens; von denen gab es eben schon überlieferte Fabeln, die außerhalb standen. Auch in unserm Liede kehrt das Haraldische Muster gedämpft wieder: der vorgehaltene Speer, an welchem Sigmunds Klinge zerspringt, worauf die Feinde ihn fallen — und bei Harald die Holzkeule, womit der Gott selbst den gegen Eisen Gefeiten zerschmettert; bei Sigmund das christlich-heidnische Schlußwort »ich will nun meine dahingegangenen Gesippen aufsuchen« — bei Harald die pathetische Ausstattung des Toten zur Walhallfahrt; oder in der Hnikarstelle der das Schlachtschiff besteigende Gott, der dem Helden Lehren erteilt über Vorkommnisse des Kriegerlebens — und drüben Odin, der seinen Geweihten dank der geheimen Kunst des Schlachtkeils von Sieg zu Sieg führt 1 . Was die beiden Völsunge vor dem Dänen voraus haben, ist das schicksalhafte S c h w e r t : das ist die überkommene Waffe des Drachentöters, die unser Dichter aufgegriffen und in seinem Sinne weiter umdichtet hat. — Eine dritte Auflage des »Odinshelden« war Starkad (nach 1100): auch hier widerstanden die schon geformten Massen dem Durchdringen des Motivs. Der jüngste Odinsheld ist der mehr romanhafte, nicht mehr im Liede gestaltete Hadingus (12. Jahrhundert), und hier ist nun wieder der bunte Lebenslauf von vornherein auf die mythische Rolle angelegt. Bilden Sigmunds Tod und Sigurds Rache eine dichterische Einheit, so muß diese epische Form, diese »Sage« von Sigmunds Tod, die Schöpfung unsres Dichters sein. Leider bleibt dunkel, was die alte d e u t s c h e Dichtung hierüber wußte. Von Sigmund gab es selbständige Sagen, desgleichen von Sigfrid, und Sigfrid hieß seit alters Sigmunds und Siglindens Sohn. Warum aber Vater und Mutter im Leben des Sohnes fehlten; warum Sigfrid der elternlose Knabe war und kein väterliches Reich erbte: ob und wie die vornordische Dichtung dies begründet hat, wissen wir nicht. Die in der Thidreks saga versuchte Begründung — die »Crescentia-SibiliaFormel« (Panzer 36 fr.) — wirkt nach ihrem Gehalte hochmittel1

Vgl. Neckel, Beitr. 40, 477, Arkiv 34, 317^

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alterlich, nachheroisch und ist überdies möglichst ungeeignet, das Abtreten des Vaters zu erklären: der bleibt j a am Leben, und die Geschichte drängt auf eine Fortsetzung! Was die Thidr. mit der Vs. gemein hat (die Schwangere in der Waldeinsamkeit), bezieht sich auf Sigfrids Geburt und kann zur Schmied-Drachenfabel gehört haben: eine begründende Vorgeschichte haben wir darin nicht. Mit der Verstoßung der Borghild hängt die gefühlvollromantische Verleumdungssache der Thidr. schwerlich zusammen. O b also in frühdeutscher Dichtung eine Sage von Sigmunds T o d bestand, ist fraglich: noch fraglicher, ob in der nordischen, ehe unser Lied da war. Gesetzt, man erzählte im Norden, sagen wir u m das Jahr iooo, von Sigmund nur die Signysage und Sinfjötlis T o d : dann ist es u m so glaubhafter, daß der Dichter, der mit Sigurds Vaterrache hervortrat, auch die Vorbedingung dazu, den Fall des Vaters, erzählte, und zwar im R a h m e n desselben Liedes. Wer verstand denn sonst die Anspielung auf Eylimi (Rm. 15), einen in diesem Zusammenhang sicher nicht altvertrauten Namen! Dieses Lied hat zum erstenmal, soviel wir sehen, eine faßbare Verbindung geschaffen zwischen Sigmund und seinem berühmten Posthumus, den zwei Helden, die zwar als Vater und Sohn, aber der eine ganz außer Sehweite des andern durch die Jahrhunderte gegangen waren. Der Versuch war altheldenhaft empfunden: die Beziehung der Generationen ist die Rache. Wie anders knüpfte der Wiener Epiker das Band! V o n dem einen Punkte aus: daß der Sohn in doppeltem Sinne Erbe des Vaters wird, begreift sich das Weitere: daß Sigurd nun nicht mehr in Niedrigkeit aufwächst — , kurz die Ersetzung des altfränkischen durch das nordische Jugendbild ( § 4 ) » Neue, lobpreisende K l ä n g e werden in unserm Jung Sigurd-Liede laut: zuerst in der Weissagung des sterbenden Vaters (c. 12, 15—20), dann in den Begrüßungsworten des Schmiedes (Rm. 13 f.) und wieder in seinem Frohlocken über die geglückte Rachetat (Rm. 26). D a ß Sigurd der Vorderste seines Geschlechts ist, der Mächtigste unter der Sonne, daß sein R u h m über alle Lande und bis ans Ende der Zeiten reicht: in diesen hohen Tönen hatte sich das alte Hortlied noch nicht bewegt. Das Traumlied und andere jüngere Dichtung nimmt diese Töne auf. Einen Anfang dazu haben wir schon bei dem Beowulfdichter: Se was wreccena wide mterostofer werpeode . . .

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(898): das wird auf Sigfrid, nicht seinen Vater, zielen, hat aber gewiß noch den engeren Sinn »der berühmteste der heimatlosen Recken«. Zur Rückgewinnung des väterlichen Reiches hat die Vaterrachesage nicht geführt. O b schon unser Lied auf diesen natürlichen Schluß verzichtete? Jedenfalls hat sich die alte, von den Sigurdarkvidur gestützte Anschauung, daß Sigurd als landloser Recke zu den Gjukungen kommt, im Norden nicht erschüttern lassen. Insofern blieb die Neuschöpfung unseres Poeten ein loses Außenwerk der Sigurdmasse. Umriß, Szenenfolge des Liedes erkennen wir nur mangelhaft. Wieviel hat zwischen Sigmunds T o d und dem Willkomm bei Regin in Versen gestanden? Die ausführliche Geschichte der Völs. c. 1 2 vom Kleidertausch der Frauen und von der Adelsprobe (Panzer 8 1 ) ist eddischen Strophen nicht zuzutrauen: das ist jüngere, genrehafte Prosaformung, also wohl »Sigurdar saga« des 12. J a h r hunderts. Überschauen wir den erkennbaren Verlauf des Liedes, so werden wir nicht auf ein reines Redegedicht schließen. Odin in der Schlacht, die Schwertschmiedung, das ließ sich kaum durch Dialog vergegenwärtigen. Wir hätten also den Fall, daß von einem doppelseitigen Ereignislied nur einige Redestrophen (7 bzw. 14) zu dem Aufzeichner des 1 3 . Jahrhunderts sich durchschlugen. 6. D a s V a t e r r a c h e l i e d : und

die S c h w e r t p r o b e .

Sigurdsage

Helgisage.

Z u den Quellen des Vaterracheliedes haben wir schon die Dichtung von Harald Kampfzahn gerechnet. Unter den keltischen Vorbildern, auf die man hingewiesen hat, sind namentlich die in gälischer Dichtung beliebten Schwertschmiedungen und Schwertproben zu erwägen 1 : sie enthalten mehrere der deutschen Sigfridsage noch fehlende Züge, wenn auch in anderm A u f b a u als unser Lied. Mit diesem hat die Jugendgeschichte des irischen Finn noch weitere Ähnlichkeiten, doch von blasserer Farbe: die Rolle der Mutter oder Pflegemutter, das Verhältnis zum Großvater; anderes hat schon der deutschen U r sage angehört, so wohl auch, daß Sigurd, wie Finn, ein Nachge1

Olrik, Kilderne 2, 189; Sydow, a. a. O. 39. 41.

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borener ist. Auch der Anklang von Sigmunds Tod an den Tod König Arthurs1 ist mehr stimmungsmäßig-allgemein, und, wie ich glaube, mit Konvergenz vereinbar. Überlieferung deutschen Ursprungs muß der Nordmann noch außer dem Hortlied gekannt haben; denn Hjalprekr-Älfr hatten hier gewiß keine Stelle. Zu diesen rätselhaften Gestalten hab ich nichts beizubringen2; so leere Rollen bieten geschichtlicher Anlehnung keinen Halt. Ich möchte nur zu erwägen geben, daß »Hjalprekr« als bloßer Name aus einem Merkvers geholt wurde, weil er deutsch klang, zu Sigurds »Frakkland« paßte. Die dänische Heimat (SnE., Völs.) kann jünger sein. Über die Schwertprobe hat Sydow 22 ff. eingehend gehandelt. Er folgert, daß die nordische Sagenform (die er als Einheit nimmt) auch hier vom Starken Hans nicht abhänge. — Soviel dürfen wir einfach aus den Tatsachen ablesen, daß die d r e i m a l i g e Probe am Amboß die Neuerung unsres jüngeren Liedes ist. Denn ihr Sinn ist j a der, daß der falsche Stahl zweimal versagt und erst der vom Vater ererbte die Probe besteht; also die neue Sagenform (§4). Wir haben keinen Grund, schon dem Hortlied oder seinem deutschen Vorgänger den dreifachen Amboßhieb zuzuweisen. Bei einer nordischen Neuformung des 1 1 . Jahrhunderts aber ist mit Einfluß des Märchens schon eher zu rechnen, und die dreimalige Probe ist im Starken Hans verbreitet (Panzer 86). Vielleicht ist dieses Muster schuld daran, daß sich Sigurd erst vor dem dritten Versuch an das kostbare Erbe erinnert, was uns schon als wunderlich auffiel (§ 4). Daß weitere Züge von dem derben Märchenhelden unbrauchbar waren für den Sigurd dieser jüngeren, verfeinerten Sagenform, leuchtet ein; darin liegt kein Bedenken gegen die Entlehnung des einzelnen Zuges. Aber fiir die alte SchmiedDrachensage ist damit, wie man sieht, nichts behauptet. Es fragt sich weiter, ob der e i n m a l i g e amboßspaltende Hieb einst mit dem Schwert geschah, eine Waffenprobe, — oder mit dem Hammer, ein Zeichen der überschüssigen Kraft, der Untauglichkeit zum Handwerk. Thidr. und Hürnen Seyfrid haben das zweite; das erste ist gar nicht unmittelbar belegt (da die Edda1

Schofield, Public, of the Mod. Lang. Ass. 17, a88f. (anders Panzer 268). Die zwei fränkischen Chilperike erwägt Patzig, a. a. O. 27 fr., den burgundischen (Vater der Chrothild) Schütte, Arkiv 24, 10; den Westgoten Athaulf ( > Qlf) S. Bugge, Beitr. 35, 2701". (vgl. Neckel, Eddaforschung 250). 1

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prosa nach Rm. 14 ein Auszug ist aus jener reicheren Darstellung) — doch könnte es für das nordische Hortlied vermutet werden. Sydow sagt, das erste gehört in Heldendichtung, das zweite ins burleske Märchen. Doch begegnet auch das zweite, zwillinghaft ähnlich, im persischen Heldenbuch (Rückert, Firdosis Königsbuch 3, 284^): Der Schmied Burab nimmt den Königssohn Guschtasp zum Gesellen an; Ein mächtiger Klumpen ward glühend gemacht | U n d glühend auf den Amboß gebracht. | Dem Guschtasp gab man den Hammer schwer, | U n d alle Schmiede standen umher. | Er schwang den Hammer, und Amboß und Ball | Zersprang, und der Markt war voll Hall und Schall. | Burab erschrak: »O Jüngling«, er sprach, | »Für deine Streich ist der Amboß zu schwach . . . «

Man kann die Wirkung nicht burlesk nennen. Aus Abstand vergleicht sich noch der eddische Zug, daß unter den Händen des mahlenden Helgi die Mühlsteine bersten usw. (H. Hu. II 2): auch da die heroische Überkraft zur Knechtsarbeit. Auch darf man fragen: eine Klinge zu erproben dadurch, daß man nach dem Amboß haut, sieht das nicht nach Umbiegung aus? Die vielen heldischen Waffenproben haben sonst eine andere Logik. Wogegen der Schlag mit dem Schmiedehammer, der das Amboßeisen durch den Steinblock treibt (Thidr.), gesteigerte Wirklichkeit ist. Nun berichten ja Eddaprosa und Vs. eine zweite Schwertprobe, die mit der Wollflocke im Fluß. Man hat oft bemerkt, daß sie einem Schmiedemeister besser anstehe als einem Helden; sie begegnet denn auch bei Velent in der Thidr., und zwar dreimal mit Steigerung; sie paßt hier gut zu den übrigen Schmiedepraktiken. Entlehnung aus der Thidr. stieße bei dem Liederbuch auf zeitliche Schwierigkeit, wird auch durch den Wortlaut nicht gefordert; Edda und Vs. folgen gewiß hier wie anderwärts der Sigurdar saga. Außerdem ist nur in der Eddaprosa, nicht der Thidr., der Fluß der R h e i n . Dies spricht für eine deutsche Sigfridsquelle; denn von sich aus bringen die isl. Schreiber keine solchen deutschen Namen an. Ging die Schwertprobe von Wieland aus, so war sie schon in deutscher Sigfridsdichtung übernommen. Dies kann doch nur die Schmied-Drachendichtung gewesen sein, die Vorstufe des eddischen Hortliedes. So hat denn das Hortlied b e i d e s enthalten, die Wollflockenprobe (vielleicht noch dem Schmiede zugeteilt) und die Amboßspaltung. Dies stärkt die Annahme, daß die Amboßspaltung nicht auch als Schwertprobe

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gemeint war, sondern im andern Sinne. Dann hat erst der Dichter der Vaterrache diesen Kraftstreich umgebildet zur Waffenprobe — im Zusammenhang mit seiner sonstigen Neuformung und vielleicht im Anschluß an irische Dichtung. Die Probe im Fluß wird direkt aus dem Hortlied in die Sig. s. und daraus in unsre Denkmäler übergegangen sein. Z u den Neuerungen des Vaterrachelieds gehört die Einführung der Hundingssöhne. Dies bedeutet eine Anrückung an die Sage von H e l g i d e m H u n d i n g s t ö t e r . A u c h unsre Denkmäler der Helgisage zeigen die Verknüpfung mit der Völsungensippe. Die Entwicklung ist in folgenden Stufen vor sich gegangen 1 . Noch unberührt vom Helgikreis ist Sigurds Hortlied, wie übrigens die meisten unsrer Völsungendenkmäler. A u f der andern Seite liegt ¿in Gedicht der Verknüpfung voraus: H . H u . I I i — 4 , die Reste von Helgis Jugendsage. Hier rächt Helgi an König H u n ding noch den erschlagenen Vater. Dessen Namen kennen wir nicht. Die Prosa ergänzt nach der jüngeren Sagenform. Die Anrückung an die Völsunge muß von einem Helgidichter ausgegangen sein. Denn ihr erstes Ziel war doch die Ehrung Helgis 2 : ihn fügte man ein in das berühmtere Sieg-Geschlecht; er wurde zum Sohne Sigmunds, zum Halbbruder Sinfjötlis und Sigurds. Das sog. Alte Völsungenlied (H. H u . I I 14fr.) hat diesen Schritt getan. Sein N a m e trägt ihn zur Schau; Helgi heißt »sonr Sigmundar«, und Sinfjötli ist ihm zugesellt. Die Frage, wie dieser Dichter über Helgis Vaterrache dachte, ist gegenstandslos, um so mehr als sein Lied wohl nur den zweiten Helgistoff, die Brautwerbung, enthalten hat. Dann kam ein Dichter aus dem andern Lager, der unsres Vaterrachelieds. E r fand dem Sigurd den Halbbruder Helgi zugeschrieben, der den V a t e r rächt; und nach dem »Völsungenlied« war Sigmund der Vater. E r sagte sich: die Ehre der Vaterrache muß Sigurd haben. A b e r dem Helgi konnte er seine Hundingstötung nicht gut rauben; die war in dem klangvollen stabenden Beinamen 1

Mehrfach abweichend Müllenhoff, Zschr. f. d. Alt. 23, 126fr.; Golther, Germ. 34, 292fr.; Boer, Nibelungensage 3, 87f., gif; Polak 81 ff.; Ussing, a. a. O., passim; Patzig, Die Verbindung der Sigfrids- und der Burgundensage, 1914,

3ff-

2

S. Bugge, Helgedigtene 174.

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zu fest verankert; Sigurd durfte kein »Hundingsbani« werden. Er half sich so: Hunding muß noch zu Sigmunds Lebzeiten gefallen sein; aber er hat Söhne hinterlassen (die Verse nennen keine Einzelnamen): die bringen Sigmund um, an i h n e n vollzieht der berühmtere Sohn, Sigurd, die Vaterrache. Der Jugendtat Helgis kommt dies nur soweit ins Gehege, als die nun keine Vaterrache mehr ist. Daran schließt sich wieder einer von drüben, das Jüngere Helgilied (H. Hu. I). Es macht dem Sigurddichter das Zugeständnis: die Hundingstötung heißt nicht mehr Vaterrache; von Sigmunds Tod schweigt der Dichter sorgfältig — sonst zöge es ihn auf jenes andre Gleis: Helgis Jugend verhält sich zu der im alten Bruchstück (H. Hu. II i—4) ungefähr wie Sigfrids Jugend im Nibelungenlied zu der in der Thidreks saga: im Glanz des väterlichen Hofes wächst der Knabe auf. Darin aber biegt dieses Helgipreislied die Prämisse des jüngern Sigurddichters selbstherrlich um: die Hundingssöhne, die sich auf der vorigen Stufe von Hunding abgespalten hatten, unterliegen nun ebenfalls d e m H e l g i , bis auf den letzten Mann, wie Str. 14 rühmt: in majorem gloriam Helgonis! Dies meint nicht, der Dichter wisse noch nichts von Sigurds Vaterrache; denn daß Helgis Jugendkämpfe nicht mehr dem toten Vater gelten, dies setzt doch gewiß die Enteignung durch Sigurd voraus. Diesen Widerspruch der beiden Lieder gleichen dann die Sagamänner aus, am deutlichsten der Nornagests J>ättr (58, 10 ff.): auf Helgi entfallen Vater Hunding und die Hälfte seiner Söhne; die andre Hälfte bleibt übrig für den letzten Krieg mit Sigmund und für Sigurds Vaterrache. Was hat die S i g u r d d i c h t u n g durch dieses Anrücken an den Helgikreis gewonnen? — Man könnte sagen: die Vaterrache. Denn die Helgisage brachte eine Vaterrache mit, und der Rächer Helgi mußte dieses Amt an Sigurd abtreten. Möglich, daß dies der äußere Anstoß war, dem Sigmund einen heroischen Tod und seinem Sohne die Rache anzudichten. Wirksamer war j a gewiß das innere Bedürfnis, zwischen den zwei fedgar endlich eine lebendige, geschaute Verbindung herzustellen (§ 5). Vor allem aber mache man sich klar: Sigurd ist nicht eingetreten in Helgis Vaterrache als epische Handlung; denn was H. Hu. II 1—4 von dieser Sage enthüllt, weicht j a völlig ab von unsrer Sigurddichtung!

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Kein einziger Auftritt in Sigurds Vaterrache ist aus Helgis Jugendsage geholt, nur der Name Hundings. Daß etwa die Schlachtfeldszene mit dem Odinsschwert fiir Helgis Vater, nicht für Sigmund, erfunden wäre, wird niemand glauben; welch andre Rolle hat Odin im Helgischicksal! Daß Regins »gehobener Charakter« von dem Ziehvater Helgis, also Hagall, stamme, wäre schwer zu beweisen; falls sein N a m e von dem Regin der Halfdanssöhne käme, wäre dies eine viel ältere, schon im Hortlied gegebene Entlehnung aus einem zwar verwandten, aber immerhin andern Heldenstoffe. Kurz, die Jugendsage Helgis — seine Fehde mit Hunding — war nicht unter den Bausteinen unsres Vaterrachelieds. Etwas anderes ist es mit der zweiten Helgidichtung: das Alte Völsungenlied, das die beiden Fürstenhäuser verknüpft hatte, kann auch zu Sigurds Flottenfahrt beigetragen haben. Das große Jüngere Helgilied (H. Hu. I) war dem Vaterrachelied gegenüber der nehmende, nicht der gebende Teil. Auch nach seinem Stile macht es mir einen jüngern Eindruck als die Langzeilenstrophen Rm. 13ff.; Motive und sprachliche Wendungen sind in abgeleiteterem Sinne gebraucht. Man sehe die Vergleichungen bei Ussing 82 ff. und Polak 23fr. (beide halten das Helgilied für das ältere). Ich nenne nur zwei Punkte. Jene superlativischen Lobpreisungen, die das Sigurdlied kennzeichnen, und die auch im Jüngern Helgilied hervorstechen (besonders Str. 2 und 53), erscheinen bei Sigurd gewachsener als bei Helgi. Sodann der »wikingische« Seezug, der ist zwar von dem Dänen Helgi, nicht dem Binnenländer Sigurd ausgegangen, aber i m A l t e n V ö s u n g e n l i e d (H. Hu. II 19ff.): däran konnte unser Sigurddichter anknüpfen, wie später nachweislich der jüngere Helgidichter. Der S e e s t u r m aber ist im Sigurdliede, als Vorbedingung für die Hilfe Odins, gut begründet und wird sehr ernst genommen (er oss byrr gefinn vid bona sialfan): bei Helgi ist er ein leicht entbehrliches Kulissenstück, woran der Dichter seinen Wortprunk spielen läßt. Die Heldenlieder, die uns hier beschäftigt haben, würde ich in diese zeitliche Folge setzen: Hortlied — Helgis Vaterrache — Altes Völsungenlied



Lied von Harald Kampfzahn —



Sigurds Vaterrache

Jüngeres Helgilied.

Das letztgenannte muß zwar weder von Arnörr Jarlaskald noch von E>jödolfr Arnörsson stammen, scheint sich aber an ihren Für-

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stenliedern geschult zu haben und dürfte um 1070 zu setzen sein. Das zu vermutende Lied von Harald Hilditann möchte, als eine Art religiöser Problemdichtung, um die Wende der heidnischen und christlichen Zeit fallen. Unser Vaterrachelied denke ich mir gegen die Mittte des 1 1 . Jahrhunderts gedichtet. 7. Das S i g u r d l i e d e r h e f t . Hortlied und Vaterrachelied sind in der einzigen Handschrift, dem codex Regius, auf eigentümliche Art zusammengestückt. Dies rührt nicht erst von dem Sammler des großen eddischen Corpus her, sondern von einem Vorgänger, dem Urheber des kleinen Sigurdliederbuchs. Ein Isländer etwa um 1230 — d. h. nach Snorris Skaldenlehrbuch — vereinigte eine Anzahl Gedichte, die zusammen einen Lebenslauf Sigurds ergaben. Es waren, wie Gripisspä und Völsunga saga uns erkennen lassen, folgende sechs oder sieben Numnern 1 : Zuerst drei ältere Gedichte bzw. Bruchstücke: Hortlied, Vaterrachelied, Erweckungslied; als Überleitung zu diesem letzten trat eine Losestrophengruppe dazwischen, die Vogelweissagung. Darauf zwei sehr junge Lieder, Falkenlied und Traumlied. Endlich als Hauptstück des ganzen Büchleins eine Dichtung mittleren Alters, das Große Sigurdlied. Hierzu verfaßte dann noch ein dichtkundiger Sagenfreund ein Programmlied, das den Inhalt von fünf jener Gedichte zu einem prophetischen Zwiegespräch verarbeitete. Diese »Weissagung Grfpirs«, das jüngste aller stabreimenden Sigurdlieder, wurde in die Einleitungsprosa hineingestellt. Das eine der Gedichte, das Traumlied, war fiir die Weissagung unmöglich zu gebrauchen; darum kann es doch in der Sammlung gestanden haben: trat auch Sigurd nicht leibhaft darin auf, so ließ sich doch dieser nordisch ausgebaute Kriemhildentraum passend dem Großen Sigurdlied voranstellen. Das Liederheft wollte mehr sein als eine schlichte Sammlung. Das ganze sollte sich ohne sachliche Wiederholungen, ohne Doppelgänger, lesen lassen als zusammenhängende Geschichte des Hel1

Eine andre Begrenzung geben Edzardi, Germ. 23, i86f., und Symons, PGrundr. 3, 633f., Edda L X X I V f f . CL. CLXII, mit meines Erachtens irriger Berufung auf den Nornagests pättr. t

Heusler, KI. Schriften.

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den Sigurd, wobei man allerdings gewisse innere Unebenheiten in Kauf nehmen mußte, da die sechs Lieder nicht als Teile eines durchdachten Zyklus entstanden waren. Einschneidende Liedertitel, wie in der großen Eddasammlung, blieben hier weg. An vielen Stellen war es nötig, für einleitende und verbindende Prosastücke zu sorgen. Aber das Ziel blieb doch immer ein Liederbuch, ein »Leben Sigurds in Liedern«; die Teile der Sage, die nicht in Versen zugänglich waren, tat der Sammler in kurzer, kunstloser Skizze ab. Auf eigne Zudichtung war es nicht abgesehen; ein paar harmlose Neuerungen ergaben sich sozusagen unfreiwillig aus der biographischen Anordnung. Die drei letzten Gedichte heischten vermutlich — dieser Teil ist uns in der Lücke des Regius verloren — keine besonderen Redaktoreneingriffe; es waren dies wohlbewahrte junge Liedtexte, die man schlichtweg aneinanderreihen konnte. Die spärlichen Trümmer des alten Erweckungsliedes hat vielleicht erst unser Sammler durch die runischen und sittenlehrenden Strophenmassen auf den Umfang von 37 Gesätzen gebracht. Besondere Maßregeln brauchte es bei dem vorausliegenden Teil. Die Reste des Vaterracheliedes konnte der Isländer nicht h i n t e r das Hortlied stellen: dies hätte den zeitlichen Fluß der Lebensgeschichte gestört, denn Sigurds Begrüßung durch den Erzieher und der Rachezug fielen ja zwischen die Hortvorgeschichte und den Drachenkampf. Er hat also die Strophen des jüngern Liedes mitten in das ältere eingeschaltet; die ungleiche Strophenform hat ihn auch sonst nicht gestoßen. Diese Einschaltung kann sehr leicht bewirkt haben, daß Strophen des Hortlieds dem einsträngigen Fortschreiten zuliebe wegfielen: jedenfalls klafft ja zwischen Rm. 12 und Faf. 1 eine Kluft, die aus der Technik der einseitigen Ereignislieder — nur die Reden in Versen, der Rest in Prosa — kaum zu begründen wäre. Doch mag schon mündlich eine Lücke entstanden sein. Die Hortvorgeschichte aber, die vor Sigurds Tagen spielte, hat der Sammler dadurch in den Lebenslauf gezwungen, daß er sie als Bericht Regins an Sigurd hinstellte: eine recht künstliche Machenschaft bei einem Liede, das fortwährend in gerader Rede der Handelnden erzählte. Denkbar ist es, daß dieser Einfall schon in der prosaischen Quelle des Sammlers stand, in der Sigurdar saga (s. u.); doch hätte ein Prosaroman weniger Grund gehabt, dieses zeitliche Zurückgreifen zu scheuen, er konnte die Hreidmar-

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episode ruhig in direktem Bericht einschalten (vgl. Olrik, Danske Studier 1908, 76); man sehe das abspringende und nachholende Erzählen Ragn. c. 1.2. 3; Herv. c. 2; Hr61fs saga kraka c. 14. 17. (Die Völs. hat sich hierin einfach dem Liederbuch, ihrer Hauptvorlage, angeschlossen.) Jedenfalls dürfen wir dem Hortlied in mündlicher Gestalt diese Machenschaft nicht zutrauen: das Lied zog sich keine zwiesträngige Handlung zu, wenn es die Vorgeschichte unmittelbar auf die Bühne brachte, denn von Sigurd erzählte diese Dichtung erst in dem Augenblick, wo er zu Regin kam (wie SnE. 1, 356); ein Zurücklenken brauchte es da nicht. Auch unser Sammler hat den Kunstgriff nicht glatt durchgeführt: in der Prosa nach Str. 9 und 11 vergißt er, daß Regin berichten soll, und namentlich kommt Str. 13 f. — nach dem Vaterrachelied deutlich der erste Willkomm beim Ziehvater — nun zu spät nachgehinkt. Eine s a c h l i c h e Folge des Kunstgriffs war, daß die Prosa dem Fafnir allein den Vatermord zulegt, wo Snorris Skizze noch das ältere hat (Symons, Edda LIII); vielleicht ist auch der Verstext an einer Stelle, Str. 6, geändert worden (Polak 40). Die fremdartigen Strophen 5 und 11 wird wohl auch dieser Sammler eingeschoben haben. In dieser Strecke ist das Sigurdliederheft ein Mittelding zwischen bloßer Niederschrift und planvoller Neugestaltung. Bleiben noch die fünf Strophen »Vogelweissagung«, Faf. 40—44. Über ihren Inhalt streitet man noch immer. Eine neue, ganz selbständige Erklärung hat Panzer aufgestellt (Sigfrid 236ff.). Er sieht in allen fünf Strophen die verzauberte, von Sigurd zu erweckende und als Weib zu gewinnende G u d r u n : also eine mit Hürnen Seyfrid I I verwandte Sagenform. Diese soll auch in Grip. 14 ff. vorliegen. Allein, hier ist doch von mundi kaupa und Heirat gar nicht die Rede; es ist klar, daß diese Strophen die sog. Sigrdrifumäl umschreiben, und daß d e r e n Heldin nicht Gudrun ist. Die Erlebnisse Grip. 19—31 könnten unmöglich auf die Gewinnung der Gudrun folgen; Grip. 33 muß die erste Einführung der Gudrun sein. Gegen die richtige, von Symons verfochtene Deutung der Vogelstrophen wendet Panzer den Vers ein: ef ßü geta meettir (Faf. 40, 8). Daß diese Worte nicht eine »Erwerbung mit Schwierigkeiten« bedingen, zeigen die gleichlautenden in Häv. 4, 5; an unsrer Stelle haben sie etwa den Sinn: »wie, ob sie dir zuteil wird!« Unvereinbar mit der auf den Berg gebannten Valkyije 4*

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sind die Verse 40, 7 gulli gadda und 41, 5. 6 par kefir dyrr konungr döttur alna: dies setzt Gudruns Weilen am väterlichen Hofe voraus. Bei der Erklärung der fünf Strophen wollen wir nicht so sehr Vogelpsychologie treiben als fragen, was ein isländischer Erzähler in derartigen Überleitungs- und Programmversen als bekannte Sagenfakta voraussetzen durfte. Dazu hat Gudruns Zauberschlaf sicher nicht gehört, da keine altnordische Quelle, wie Panzer zugeben wird, ihn eindeutig ausspricht und er den Gudrunrückblicken wie der Snorra Edda, der Völs. und dem Nornag. nachweislich unbekannt ist. Bei ungekünstelter Deutung zielen die fünf Strophen erstens auf Sigurds Vermählung mit Gudrun, zweitens auf die feuerumschlossene Brynhild, die hier, wie in der Helreid, mit der schlafenden Valkyije auf Hindarfjall verschmolzen ist (so de Boor, a. a. O. 145fr.). Es ist also ein Ausblick auf den Anfangsteil der Werbungs- oder Brünhildsage: einen Sagenstoff, der von Sigurds Drachenkampf und Vaterrache scharf getrennt ist. Aus dem Rahmen der beiden vorangehenden Lieder fallen die Strophen völlig heraus. Ebensowenig können sie zu der folgenden Dichtung, dem Erweckungslied, gehört haben, denn dieses hat ja eine ganz andre Sagenform: die Valkyije ist n i c h t die feuerumschlossene Brynhild, und Sigurd ist noch nicht mit Gudrun vermählt; kurz, die Erweckung steht noch außerhalb der Brünhildsage. Die Vogelweissagung wird verständlich als Lausavisurgruppe, dazu bestimmt, überzuleiten von der Hortsage zu der Brünhildsage. Diese zwei Liedinhalte standen von Hause gelenklos nebeneinander; setzt doch in den Sigurdarkvidur, wie in Thidr. und NL., die Brünhildsage selbständig, als etwas Neues, ein. Unsere fünf Strophen schufen ein Gelenk: dieselben beratenden Vögel, die die Hortsage zum Abschluß geführt haben, lenken die Augen des jungen Helden auf den Gjukungenhof. Der Sammler der Sigurdlieder nahm dieses Bindeglied auf— obwohl es seiner eigenen Fortsetzung widerstreitet; denn bei ihm folgt ja noch nicht die Brünhildsage (die Große Sigurdarkvida), sondern vorher noch drei andere Lieder. Er muß wohl die erste der Strophen (. . . mey veit ek eina, myklu fegrsta, . . .) auf die Valkyije bezogen haben, dann konnte das Erweckungslied zur Not anschließem. Diese Umdeutung hat auch neuere Forscher verführt. Anders half sich der Programmdichter: er las eine inhaltlose Einkehr bei Gjuki heraus,

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vor der Erweckungsgeschichte (Grip. 13f.)- Schuld an all diesen Mißverständnissen war, daß die Vogelstrophen aus ihrem rechten Zusammenhang gerissen waren; der sie dichtete, dachte sich als Fortsetzung die Brünhild-, nicht die Erweckungssage. Der Verfasser der Völs. hat die Lage durchschaut: da er, dem Liederbuche folgend, die Erweckungssage anschließen mußte, behielt er aus den fünf Strophen nur ¿inen Zug bei, den er auf diese Sage umdeuten konnte (c. 19, 37f.). Als Fundstätte solcher Gelenk-Lausavisur kann man sich nur einen Heldenroman, eine Fornaldar saga, denken. Weissagende oder mahnende Stimmen außermenschlicher Art, in Losen Strophen gestaltet, kennen wir in größerer Zahl aus der Hälfs saga (EM. 90ff.) und der Haddings saga (Saxo 38—57, sechs Fälle), je ein Beispiel ferner bei Frotho I und Fridlevus II (Saxo 61 f. und 266). Auch die dialogischen Gruppen Helg. Hjörv. 1—4, 6—9 kann man hier nennen. Daß die Strophen die Brücke schlügen von einer epischen Fabel zur nächsten, dafür haben wir keine eindeutigen Belege; doch scheint mir, daß Helg. Hund. II 5—13, das Gespräch Helgis mit Sigrün, als Lausavisurgruppe zu verstehen ist, die überleiten soll von der Hundinggeschichte zu Helgis Brautwerbung: diese zwei bisher selbständigen Fabeln werden verknüpft, indem die rückblickenden Verse die Heldin schon in die Schlacht gegen Hunding hereinziehen — wovon noch das junge Erste Helgilied nichts weiß. In unserm Falle muß ein Prosaroman die Quelle gewesen sein, der die verschiedenen Sagen von Sigurd zusammengestellt hatte: eine S i g u r d a r saga. 8. Z e u g n i s s e f ü r d i e S i g u r d a r saga. Für das Vorhandensein einer Sigurdar saga hat neuerdings Finnur Jönsson gute Gründe beigebracht (Aarb0ger 1917, i6ff.). Zwar die drei Quellenstellen, die von einer »Sigurdar saga« reden, helfen uns nicht weiter; denn sie zielen nicht auf ein bestimmtes Sprachdenkmal. Wenn Snorri von einem Skalden um das Jahr 1000 sagt, er habe »nach der Sig. s. gedichtet«, kvedit eptir Sigurdar SQgu (SnE. 1, 646); oder wenn es von Sigvatr, dreißig Jahre später, heißt, er habe ein Preislied geschmückt mit Zwischensätzen nach der Sig. s., stalti eptir Sigurdar sqgu (Fiat. 2, 394, ähnlich Fornm. 5,

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210), so hat der Ausdruck beidemal nur stofflichen, nicht formalen Sinn: »was man von Sigurd erzählte; res gestae Sigvardi«, mag man nun an Verse oder Prosa oder Bilder gedacht haben. So wird j a »saga« oft genug gebraucht, sehr deutlich z. B. im Prolog der Thidreks saga — dicht neben dem andern, literarischen Wortsinne; wir können allemal unser »Geschichte« dafür setzen, dieses Wort durchläuft, vom andern Ende aus, die gleiche Stufenfolge. In dem genannten Prolog käme man zu den absonderlichsten Schlüssen, wenn man »saga« immer auf das Schriftwerk, die vorliegende Geschichtensammlung, bezöge (mit Klockhoff, Arkiv 31, 167f.); man sehe etwa: kvtedi ... er fyrir fangu voru ort eptir pessari sQgu; — pessi saga hefir gqr verit l pann tima, er Constantinus konungr hinn mikli var andair. (Dagegen: sagan, dieses Buch, er ä pd leid saman sett .. .) Endlich die dritte Stelle, das Zitat des Nornagests J>ättr 65, 3, das man mit so schweren Folgerungen belastet hat: Eptir pat reid hann upp d Hindaifiall, ok Parfann kann Biynhildi, okfara peira skipti, sem segir l SQgu Sigurdar. Sachlich gilt diese Berufung der Völsungasaga: dem einzigen Denkmal, das den Auftritt auf Hindarfjall von Brynhild erzählte. (Die bloße Erwähnung im jüngeren Text der SnE., 1, 360, kann bei dem »okfara J>eira skipti, sem segir . . nicht vorgeschwebt haben.) Nicht als ob Völsunga ( + Ragnars) saga den amtlichen Titel »Sigurdar saga« geführt hätte: das Zitat meint auch hier »das von Sigurd Erzählte, die Sigurdhistorie«. So konnte man ganz gewiß auch eine Sammlung von S i g u r d l i e d e r n anführen (S. Bugge, NFkv. X L I I I ) , und es steht j a fest, daß die eigentliche Vorlage des Nornag. die Eddasammlung war. Aber daß unser Liederheft unter dem Namen einer »saga«, im technischen Sinne, gegangen sei, wie Edzardi und Symons wollten, ist unwahrscheinlich und wird durch den Hinweis auf Halfs und Hervarar saga nicht gestützt: in diesen spielt die Prosa doch eine ganz andere Rolle. Das Liederheft ist einer »Saga mit eingestreuten Lausavisur« schon deshalb nicht zu vergleichen, weil es ungefähr zur Hälfte aus einem langen fortlaufenden Ereignislied mit Erzählversen bestand (der Großen Sigurdarkvida). Es ist keine Saga, sondern eine Kvadabök; als Q u e l l e hatte es u. a. eine Saga benutzt (s. unten). Ausdrückliche Hinweise also auf einen Heldenroman, genannt »Sigurdar saga«, gibt es nicht. Es ist aber an und für sich glaubhaft, daß ein so beliebter Held wie Sigurd schon um 1200 oder früher

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seinen zusammenfassenden Prosaroman, seine (mündliche) »Saga«, erhalten hatte. U n d als Hilfskonstruktion tut dieses Werk gute Dienste, wenn auch nicht in dem Umfang, wie F. Jönsson glaubte; es erklärt mehreres an der Einrichtung des Sigurdliederhefts und an der Völsunga saga. Als der Sammler um 1230 unser Liederbüchlein redigierte, zog er diese Sig. s. heran und entnahm ihr das nötige für einen Teil seiner Prosafüllsel. D a er selbst keine Saga herstellen wollte, hat er bei diesem Entlehnen gekürzt und zusammengezogen; dies hat F. Jönsson im einzelnen gezeigt. O b ihm die Sig. s. schriftlich vorlag, sei dahingestellt. Aus derselben Quelle bezog er die Lausavisurgruppe mit der Vogelmahnung (§ 7); denn wir werden dafür keine zweite Quellensaga aufbieten wollen. Trifft dies zu, so gewinnen wir da einen Schluß auf die Sagenform dieses Prosaromans; eine besondere Erweckungsfabel (wie im Liederbuch) gab es hier nicht: die Ankunft bei Gjuki kam sogleich nach der Hortgewinnung; dafür folgte die Brünhildsage der gemischten Form: die für Gunnar Geworbene hatte die Tracht der Odinsvalkyije angenommen. D a ß wirklich die Erweckungsfabel, die »Sigrdrifumäl«, in der Sig. s. fehlte, bestätigt uns folgender Umstand. Die Prosa dieses Eddastücks stimmt auffallend genau zu Völs. c. 20; irgend Nennenswertes bringt hier die Saga nicht hinzu, zum Unterschied von den Kapiteln vorher, wo sich Vs. und Eddaprosa gewöhnlich wie T e x t zu Auszug verhalten. Das macht, fiir diese vorangehenden Teile hatte die Völs. eine ergänzende Quelle in der Sig. s.: für die Sigrdrifumäl setzte diese Quelle aus, da war die e i n z i g e Vorlage das Liederbuch. Weitere Vermutungen über das Aussehen der Sig. s. gewinnt man aus der Vergleichung der Völs. (§ 9f.). K e i n Zeuge für die Sig. s. ist S n o r r i . D a ß seine Skizze der Völsungengeschichte den Heldenroman benützt habe, ist nicht zu erweisen. Die Sachlage ist in K ü r z e diese. Das im Upsaliensis bewahrte Anfangsstück (SnE. 2, 359f.) weicht von Edda-Völs. so durchgängig ab, daß an eine gemeinsame Vorlage — das wäre eben die Sig. s. — nicht zu denken ist; die paar übereinstimmenden Wendungen erklärt der Umstand, daß beide Teile Isländer waren und für Stein steinn, für zeigen syna sagten u. dgl. Zugegeben, d a ß dieser T e x t U gekürzt hat: unmöglich hat erst dieses Kürzen die Spuren einer gemeinsamen Vorlage verwischt. Dies beweist der

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ungekürzte »gemeine Text« x (SnE. i, 352 fr.): er hat, soweit er mit U gleichläuft, kein nennenswertes Mehr an Berührungen mit Edda-Völs. (Möllenhoff, DAk. 5, 186). Wo aber im weiteren Verlauf solche Berührungen sich einfinden, da verraten sie Benützung der E d d a s a m m l u n g , nicht der Sig. s.; denn: die Stellen liegen der Eddaprosa viel näher als der Völs., während doch diese das treuere Bild der Sig. s. gibt. Ein klares Beispiel setzen wir her: Edda pat var svà hvast, at hann brä J>vi ofan i Rfn ok lét reka ullar lagd fyrir straumi, ok tók i sundr lagdinn sem vatnit. J)ui sverdì klauf Sigurdr f sundr stedia Regins. Eptir J>at

SnE. Text x at svà hvast var, at Sigurdr brä nidr 1 rennanda vatn, ok tók i sundr ullar lagd, er rak fyrir strauminum at sverds egginni. pvi naest klauf Sigurdr stedia Regins ofan i stokkinn med sverdinu. Eptir pat . . . .

Vòls. s. Sigurdr hió i stediann ok klauf nidr i fótinn, ok brast eigi né brotnadi; hann lofadi sverdii mi^k ok fór til àrinnar med ullar lagd ok kastar i gegn straumi, ok tók i sundr, er hann brà vid sverdinu; gekk Sigurdr pà gladr heim. Reginn malti:

Es liegt so, wie Müllenhoff, Mogk und Symons gelehrt haben: der B e a r b e i t e r von Snorris Text hat das mittlerweile entstandene Liederbuch herangezogen. Wir können beifügen, daß Kenntnis der Sig. s. bei diesem Bearbeiter so wenig wie bei Snorri selbst zu gewahren ist. F.Jönssons Ansicht von diesem Punkte befriedigt nicht (a. a. O. 26ff.). Die Beziehungen der fünf Texte sind so zu veranschaulichen. Sig. s. SnE.

Völs. s.

SnE. x

9. Die V ö l s u n g a saga Daß die Sigurdar saga uns verloren gegangen ist, hat seinen erkennbaren Grund: sie wurde ersetzt, verdrängt durch die Völsunga saga.

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Das schriftliche Einsammeln der mit Sigurd zusammenhängenden Gedichte blieb nicht stehen bei jenem kurzen biographischen Liederheft. Wenig später entstand die viel stattlichere Liederreihe, die wir in dem eddischen Corpus vor uns haben: dem Inhalt des ältern Büchleins geht voran eine Gruppe von Helgidichtungen, die mit dem Sigurdkreise lose verknüpft sind (§ 6); es folgen dann noch elf Gedichte, umfassend die drei alten Liedstoffe, Brünhild-, Burgunden-, Svanhildsage, nebst ihren Sprößlingen. Dies war nun weit mehr ein bloßes S a m m e l w e r k : dieselben Stoffe brachte es in zwei und mehr gleichlaufenden Liedern; von einem durchgehenden epischen Faden war trotz tunlichst chronologischer Anordnung nicht die Rede; die verbindenden Prosasätze waren (von der Helgigruppe abgesehen) noch knapper und unepischer als in dem früheren Hefte. Mit Stropheneinschiebseln, wie wir sie dem Vorgänger, besonders im Erweckungsliede, zutrauten, hielt dieser zweite Sammler zurück; er war mehr philologischer Editor. Daß er die Stücke des älteren Liederhefts um weitere Strophen aufgefüllt habe, ist eine überflüssige Vermutung, daraus entsprungen, daß man diesem Hefte das Gepräge einer Saga zuschrieb. Nichts steht der Annahme entgegen, daß die kürzere Reihe unverändert in die längere einging. Nachdem diese große Sammlung einmal da war, bildete sie für den Sigurd- oder Nibelungenkreis die weitaus reichhaltigste schriftliche Quelle. Auf dieser Grundlage war es möglich, die Sig. s. durch ein anspruchsloseres Prosawerk zu überbieten. Dies ist unsere Völsunga saga, die zusammen mit der Fortsetzung, der Ragnars saga lodbrökar, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstand. In ihrem Hauptteil, c. 9—42, ruht die Vs. auf der eddischen Heldenliedersammlung; von dem Punkte ab, wo diese Liederreihe einsetzt, bis zu ihrem Ende, also von Vs. c. 8, 131 bis und mit c. 42, ist die Saga im wesentlichen eine Umschrift der gesammelten Lieder; an diesem Ergebnis der älteren Forschung ist gegen F. Jönsson festzuhalten. In diesem Teile war die Sig. s. nur Nebenquelle: sie diente zur Ergänzung der Stücke, die das Liederbuch, weil sie nicht in Versen vorlagen, übergangen oder stark gekürzt hatte: c. 10—12; Teile von c. 13; c. 15. Überall, wo der Wortlaut der Vs. zum Liederbuche stimmt, ist die nächste Erklärung, daß er aus dem Liederbuch stammt. Seine letzte Quelle

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k a n n die Sig. s. sein (soweit diese reichte); aber in dem genannten Hauptteil hat die Vs. das Liederbuch aus der Sig. s. ergänzt, nicht umgekehrt. Als ersten Unterschied der Vs. von der Sig. s. darf man ansetzen: Soweit die Lieder der Sammlung sich erstreckten, erlaubten sie dem jüngeren Sagaschreiber eine viel reichere Gestaltung der Geschichte. Seine neben den anderen Heldenromanen außergewöhnliche Ausführlichkeit hat er mehrmals dadurch erreicht, daß er gleichlaufende Lieder ineinander verwob; dies war sö nur möglich auf Grund geschriebener Texte; die Sig. s. aber war gewiß aus mündlicher Dichtung erwachsen. Auch eine Doppelhandlung wie Sigurds zweimalige Verlobung mit Brynhild kennzeichnet den Bearbeiter einer Liederreihe. Daß die Sig. s. noch nichts von dem Gripirbesuch wußte, folgt aus dem Altersverhältnis: i. Sig. s., 2. Liederheft, 3. Gripisspä. Auch den Inhalt von Erweckungslied, Falkenlied, Traumlied glaubten wir der Sig. s. absprechen zu dürfen (§8). Die Zahl der von ihr benützten Gedichte kennen wir nicht. Eine z w e i t e Neuerung war sicher die Angliederung der Geschichte Ragnar lodbröks. Die sagenverklärten Völsunge sollten die Ahnen sein des tatenreichen Wikingfürsten und durch ihn der Norwegerkönige wie anderer geschichtlicher, auch isländischer Sippen (Ragn. c. 18). Als Bindeglied wurde Äslaug eingeführt, die unechte Tochter Sigurds, die der älteren Saga so fremd war wie dem eddischen Liederbuch. Die Gleichsetzung der entzauberten Valkyije mit Brynhild war zwar schon im Großen Sigurdlied erfolgt, aber weder Liederbuch noch Gripisspä hatten dies in der Darstellung der Hindarfjallsage aufgenommen: erst der Verfasser der Vs. tat diesen Schritt. Zwei weitere Unterschiede der beiden Sagas kann man nur vermuten. Nehmen wir mit F. Jönsson an, daß die Sig. s. bis zum Tode des Titelhelden reichte — genauer: bis zum Ende der Brünhildsage, also Sigurds und Brynhildens b&ljqr, Vs. s. 31, 68 — , dann war alles folgende, die Versöhnung der Witwe, darauf Burgunden- und Svanhildsage, c. 32—42, reiner Zuwachs des jüngern Werkes. Kap. 1—8 der Vs. denkt sich F. Jönsson einfach aus der Sig. s. herübergeholt. Ich möchte glauben, daß die Sig. s. erst mit der großen Signysage, ungefähr c. 2, 24 begann, also mit dem alt-

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überlieferten, in Liedern ausgeformten Völsungenstoff; die vorangehenden Stammbaumglieder, Odin-Sigi-Rerir, sind Zutat der jüngern Saga — womit ein höheres Alter der Motive, wenigstens in der Bredigeschichte, nicht angezweifelt wird 1 . Ich berufe mich auf folgendes. Was über Sigi und Rerir zusammengestoppelt wird, matte, motivarme Geschichten, hat seinen Zweck gewiß darin, zwischen den göttlichen Stammvater und das heroische Sippenhaupt, Völsung, ein paar Mittelglieder einzuschieben. Auch in den Vorbildern dieses Stammbaums, dem der dänischen Skjflldungar, der schwedischen Ynglingar, ist der Gott durch einige schattenhaftere Generationen getrennt von den großen, eigentlich heroischen Dichtungshelden. Die nordische Sage vermeidet die enge Verknüpfung dieser Gestalten mit der Gottheit, zum Unterschied von den griechischen Göttersöhnen. (Daß Sigmund selbst »Sohn zweier Väter« sei, des Völsung und des Odin, ist ein Mißverständnis Liebrechts und Schofields; diese Ähnlichkeit mit Arthur und Theseus fällt dahin!) Also der Eingang der Vs. dient der Herleitung des Völsungengeschlechts von Odin. Diese Erfindung schreibt man am besten dem Manne zu, der die Völsungen zu Vorfahren des Ragnar und der Norwegerkönige machte: diesen N a c h k o m m e n galt die Ehre der göttlichen Abkunft. Auch überall sonst, wo ein nordischer Gott einen heroischen Stammbaum eröffnet, bei den Ynglingar, Skj9ldungar, Háleygir, bei Sigrlami in der Herv., bei Hringr in der Bósa saga, läuft es aus auf eine bekannte Dynastie der nordischen Geschichte; bei den übrigen Sagenhelden hat man sich um keine göttliche Spitze bemüht2. Dies weist uns somit auf den Verfasser der Völsunga + Ragnars saga als Urheber des Eingangsteils. Neunmal spielt Odin in die Geschichtenkette der Vs. herein. Die zwei ersten Male fallen in das neue Eingangsstück (c. i, 30. 62): ihnen fehlt die gewohnte Wandrertracht, der Gott ist ein helfendes Abstraktum. Auch dies spricht für die Sonderstellung der zwei ersten Kapitel. Die weiteren Fälle kann unser Verfasser alle schon angetroffen haben. Den letzten, Odin als verderblichen Rater bei Jörmunrek, bezeugt um 1200 Saxo: eine sagamäßige Auflösung 1

S. Bugge, Arkiv 17, 41 ff.; Deutschbein, Studien zur Sagengeschichte Englands 247 fr. a In der Halfdanar saga Eysteinssonar eine einfache Angliederung an den überlieferten Odinssohn Sseming.

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des Hamdirliedes wird dies dem Dänen wie später der Vs. vermittelt haben. Die sechs übrigen Fälle liegen in der mutmaßlichen Erstreckung der Sigurdar saga und mögen dieser Vorlage angehört haben — ausgenommen Fall 8, Odin als Berater vor der Fafnirtötung: hier weiß die entsprechende Prosa des Liederbuchs (vor Faf. i) nichts von dem Gotte (so wenig wie SnE. i, 358), und der Zusammenhang sieht nicht danach aus, daß sie ihn gestrichen hätte: sie bietet eine einfachere, ältere Erzählform mit Regin als einzigem Berater, während Vs. c. 18 den falschen und den guten Berater gegeneinanderstellt. Wohl aber kann die im Liederbuch auf einen Satz verkürzte Roßwahl (Reginsmal zu Anfang) den Odin der Quelle leicht gestrichen haben. Das Leitmotiv des geheimnisvoll auftauchenden Gottes war also dem Völsungaverfasser schon überliefert. Daß es der Stammvater ist, der für seine Sprößlinge sorgt, dies ist der letzte Ausbau des Motivs, nicht sein Ursprung. Wir nahmen an, daß das Vaterrachelied den Odin als Völsungengott kreiert hatte — nach dem Vorbild von Harald Kampfzahn. Also das Eingreifen vor Sigmunds Tode und dann in Sigurds Seesturm, dies wären die beiden frühesten Fälle; der zweite der einzige, den uns die eddische Quelle bezeugt. Es schließen sich an zwei wohl nicht mehr in Liedern erwachsene Fälle: Odin in Völsungs Halle und als Ferge mit Sinfjötlis Leiche; beidemal Odin in eine vorhandene Rolle eingesetzt. Jüngere Sagadichtung scheinen die Roßwahl und der verdoppelte Ratgeber bei Fafnir zu sein. Auch Odin bei Jörmunrek entsprang dem Umdeuten einer halbdunklen Liedstelle (Ranisch, Hampismäl 24) wohl nicht lange vor Saxo, als es in der Luft lag, dem heroischen Realismus mythische Zierden aufzusetzen. Zwei letzte, blasse Fälle endlich steuerte der Sagaschreiber nach 1250 bei, dazu den Gott als Ahnherrn. So hat der echt nordische Dichtergedanke — Odin eingreifend in die Taten eines auserwählten Geschlechts, launenhaft-unerforschlich: meist ratend und helfend, seltener wie ein Gegenspieler, vernichtend, heimholend — : dieser Gedanke hat, von einem Liede ausgehend, im Lauf der Zeit um sich gegriffen bis auf den letzten Gestalter des alten Nibelungenkreises, unsern Sagamann. Nimmt man dies zusammen, so zeigt sich der Abstand zwischen Sig. s. und Vs. viel größer, als F. Jönsson wollte. Der jüngere Heldenroman ist sehr viel mehr als eine Neuauflage des ältern. Er

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übertraf dessen Umfang um das Mehrfache: reichte die Sig. s. bis zum Schluß der Brünhildsage, dann war sie augenscheinlich ein echtes Vortragsstück, bequem »auf einen Sitz«, in einer bis zwei Stunden anzuhören. Das jüngere Werk weitete dem Stoff die Grenzen aus nach aufwärts und namentlich nach abwärts: es führte von dem Urururgroßvater des berühmtesten Vorzeitshelden bis an die Schwelle der geschichtlichen Zeit. Aber auch das Hauptstück, worin es der ältern Saga gleichlief, das Leben Sigurds, hat es mit neuen Mitteln viel üppiger ausgeformt. 10. B e s c h a f f e n h e i t d e r S i g u r d a r saga. L i e d - und Prosaüberlieferung. Mehr oder weniger treu aus der Sig. s. übernommen sind wohl nur Völs. c. 2, 24 bis 8, 1 3 3 , sodann c. 1 0 — 1 2 , c. 1 5 und Stücke von c. 13. Also die Signysage; die Sage von Sinfjötlis Tod; der Inhalt der Vaterrachedichtung, soweit er dem Liederbuch ferngeblieben war, mit einigen jüngern Anwüchsen. Nach diesen A b schnitten haben wir uns das Bild zu machen von der verlorenen Sig. s. Da wir ihre Quellen nicht haben, wissen wir nicht, wieviel sie erfunden hat. A n c. 10, Sinfjötlis Ende, erkennen wir, daß der Verfasser die eigentliche Sagatechnik mit Kunst durchführen konnte: diese leichtgliedrigen Reden liegen vom Liedstil weit ab 1 ; hatte dieser, seinem Kerne nach fränkisch-burgundische Sagenstoff einst Liedform, dann hat ihn die Saga aus dem Formgefühl der isländischen Prosa gründlich neugestaltet. Die Vs. stellt sich ihren Liedern nie so frei, so sagamäßig gegenüber. Auch das weitere in dem Kapitel, die Holung der Leiche auf dem zauberischen Boote, hat in seiner wortkargen, scharflinigen Gegenständlichkeit die gute Sagaart; ein paar Einzelheiten kommen übrigens in der Fassung der Eddasammlung noch geschauter heraus. Auch dazu böte die Vs. in den Teilen, die sie selbst aus Strophen umgeschrieben hat, kaum ein Gegenstück. In c. 15, der Schwertschmiedung, treffen wir wieder das Schlanke, Gegliederte — teils mit zugespitzten Repliken, teils mit redeloser sinnlicher Zeichnung —, das aus der Liedsprache umgewandelt ist. Die ältere Saga war offenbar mehr Prosadicht u n g und hat ihre Liedquellen mehr als Rohstoff behandelt. Daher 1

Verf., ZfdA. 46, 236.

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begegnen auch so wenig Stellen, in denen Verse kenntlich durchschimmern; und doch ist j a als Grundlage der Signysage ein Lied, und zwar ein doppelseitiges, durch das eingeschobene Langzeilenpaar verbürgt. Auch die Wiedergabe dieser Signysage auf zehn Druckseiten fordert die Annahme, daß der Liedinhalt (an den »Liederzyklus« wird niemand mehr denken!) in hohem Grade angeschwellt ist durch Züge, die im Bereich einer Saga, nicht eines Heldenlieds liegen. So wie die Geschichte dasteht, ist sie für ein Eddagedicht viel zu gliederreich, locker und märchenähnlich bunt. Der großartige Auftritt mit Odin in Völsungs Halle würde sich nicht gegen Verse sträuben, aber motivgeschichtlich fügt er sich, wie man öfter bemerkt hat, schwer in den Rahmen der Signysage ein. Ist er eine Zutat unsrer Sig. s., dann stellt er ihrer Gestaltungskraft das höchste Zeugnis aus. Schöpfung dieses Sagamanns — oder dieser Sagamänner, denn wir können nicht einem Erzähler das Ganze gutschreiben — werden auch die mehr genrehaften, nicht liedfähigen Stücke sein, die sich an die Dichtung von Sigmunds Tod und der Vaterrache anschlössen (Vs. c. u f f . ) . In den Teilen, die aus der Sig. s. stammen, bringt die Vs. nur zwei Langzeilen als dichterisches Zitat (c. 8, 102). Daraus darf man vielleicht schließen, daß schon die Sig. s. mit Verseinlagen sparte; was ja zu der besprochenen Stilhaltung stimmen würde. Die Saga läge also mehr in der Linie der Hrölfs s. kraka als der Herv. und der Hdlfs s. Anderseits gehörte sie nicht zu den halbgelehrten, literarischen Vorzeitsgeschichten, wie Skjöldunga und Ynglinga saga, die uns durch viele dünn skizzierte Menschenalter hinleiten und gleichsam eine Merkdichtung in Prosa vertreten. Die Sig. s. war ein richtiges Unterhaltungswerk, eine naive Schöpfung der volkstümlichen Sagamänner, wie sie uns für die schrifllose Zeit, besonders durch Saxo, verbürgt sind. Sie spannte über zwei bis drei Stammbaumglieder: Sigmund Signy

Sinfjötli Sigurd,

so zwar, daß das erste Glied, Völsung, nur in der Fabel auftrat, deren eigentliche Helden die Geschwister Sigmund und Signy sind, der »Signysage«. Auch nach diesem Grundriß läßt sich die Sig. s. vergleichen mit der Hrölfs s. kraka in der ältern Gestalt, ehe sie die Seitengeschichten der Hrolfskämpen aufgenommen hatte;

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so wie sie um 1200 umlaufen mochte und zu Saxo drang (ZfdA. 48, 60ff.); diese Rahmenpersonen: Halfdan-

Helgi

Hrölf kraki.

In beiden Fällen der Gipfelheld am Schluß; am Anfang der alte König, dessen Bestimmung ist, durch Verrat zu fallen und den Kindern die Aufgabe der Vaterrache zu hinterlassen. Die Liedstoffe der Sigurdar saga hatten ein besseres Schicksal als die der Hrölfs saga: diese wurden auf Island allmählich durch die Saga verschlungen; nur wenige Reste des Bjarkiliedes, das Saxo noch als Einlage der Saga vortragen hörte, sind geborgen worden, kein andres Lied von Hrölf oder von Hröar und Helgi. Ein gleiches Los hatten die älteren Völsunge, Sigmund ünd seine Rachegehilfen. An Sigurd aber hafteten die beiden Erzählformen; neben der Sigurdar saga blieben die Sigurdar kvaedi in Gunst — lange genug, bis sich zwei Sammler fanden, die eine reiche Lese dieser Lieder im dichterischen Wortlaut bargen: das Liederheft um 1230 und wenig später die größere Liederreihe. J a , mehrere dieser Gedichte (Falkenlied, Traumlied, Gripisspa) sind gleichjung oder jünger als die Saga. So verflechten sich hier die alte und die neue, die gemeingermanische und die isländische Darstellungsform. Aber die Prosaform blieb für die Isländer doch der Liebling: die gebuchte Liederreihe empfand man nicht als das letzte Wort; der Sagamann nahm sie noch einmal vor und goß sie um in einen stattlichen Prosaroman, die Völsunga saga; ein Denkmal, das, zwar nicht als persönliche Dichterart, aber als abschließende Zusammenfassung und als Kulturfrucht im allgemeinen, dem hochdeutschen Nibelungenlied gegenüber treten darf. Also diese Stufenfolge: (Südgermanische Heldenlieder: 5.—16. Jahrhundert) Nordisch-isländische Heldenlieder: 9. Jahrhundert bis 1230 Isländisch: Sigurdar saga: 12. Jahrhundert Biographisches Liederheft: c. 1230 Sammelndes Liederbuch: nach 1230 Völsunga saga: nach 1250.

Als dann noch einmal die Versform an die Reihe kam, in dem Tanzgedicht Völsungs rimur um 1400, da hatte sich die alte Hei-

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denkunst verflacht in eine bäuerliche Meistersingerei, und der Ehrgeiz ging nur noch auf ein zufalliges Bruchstück. Bis zur Völsunga saga kann man in gewissem Sinne einen Aufstieg rechnen: sie zieht verstehend die Summe aus dem, was die Dichter und Sagamänner des Landes über Sigurd und seinen Kreis erzählt hatten. (Bert.

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DIE QUELLE

DER

B R Ü N H I L D S A G E IN T H I D R E K S UND

SAGA

NIBELUNGENLIED (1920)

§ 1. In vielem heben sich die zwei Teile des Nibelungenlieds voneinander ab. Am eindrucksvollsten hat dies Roethe vor zehn Jahren dargelegt. Ihre dichterische Höhe ist merklich ungleich. In technischen Einzelheiten trennen sie sich, so im Reimgebrauch, im Wortschatz. Zwischen Teil I und I I gibt es sachliche Widersprüche. Innerhalb von I sind die Unebenheiten viel zahlreicher und fühlbarer. All dies hat man oft beobachtet, und über die Erklärung hat man sich zum T e i l verständigt. An der Einheit des Epikers nach 1200 hält man fest. Man schreibt seinem zweiten Hauptstück eine breitere Grundlage zu, eine viel ausführlichere Quelle. Es war ein Buchepos, die »ältere Nibelungenot«, das »ältere Burgundenepos«. Wir kennen es einigermaßen aus der Thidreks saga. Eine entsprechende Vorlage fehlte dem ersten Hauptteil. Aber w i e nun die Quelle oder die Quellen von I beschaffen waren, darüber hat sich noch kein Gonsensus multorum gebildet. Erwähnen wir die eine Ansicht, für die unser Jubilar eingetreten ist. Jenes ältere Epos enthielt auch die Brünhildsage, aber nur als kurzgefaßten Eingang. Also das ganze N L hatte zunächst eine zusammenhängende Vorlage, in dieser aber waren die zwei Stoffteile sehr ungleich ausgeführt: zu dem breit erzählten zweiten bildete der erste nur »eine flüchtig abgetane Einleitung« (Golther). Man sehe Braune, Beitr. 25, 182; Droege, ZfdA 5 1 , 177; 52, 193. 205f.; Golther, Die deutsche Dichtung (1912) 306. Braune fügte aber, wohlgemerkt, hinzu, unser Epiker habe den ersten Teil ausgebaut »auf Grund einer anderen Quellendichtung«. Damit begegnet er der Auffassung, die ich im folgenden zu begründen suche. Jene Annahme der einen Buchquelle für das N L ließe die Widersprüche zwischen Teil I und I I unerklärt. Aber noch andere Einwände kann man erheben. Ein Epos von dem Bau, wie es hier vorausgesetzt wird, dürfte keine Gegenstücke haben. Auf die Kudrun wird man sich nicht berufen. Da haben wir die Erscheinung, die im welschen Ritter5

Heusler, Kl. Schriften.

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roman, wohl zuerst im Tristan des Thomas, im Cligès des Chrestien, aufkam und dann in andern Gattungen nachgeahmt wurde (G.Paris, Mélanges 1 , 2 7 1 ) : der Epiker hat zu seiner Hauptgeschichte eine Eingangsfabel neu erfunden und diese im Verhältnis zu ihrer armen Handlung gar nicht sonderlich knapp erzählt. Die Geschichte von Sigfrid und Brünhild aber war von jeher eine gliederreiche Heldentragödie; sie konnte im Liedstil, wie die Sigurdarkvidur der Edda erkennen lassen, gleichen Raum verbrauchen wie der Burgundenuntergang. Gewiß konnte man sie auch, wie jede andere Geschichte, in gedrängtem Rückblick abtun: man denke an die eddischen Gudrun-, Brynhild- und Oddrunelegien; der ausführlichste dieser Rückblicke, der in der Gudrünarkviöa II, bedenkt die Brünhildsage mit einem Dutzend Strophen. Allein in unserm Falle wäre j a nicht an einen halblyrischen Ichbericht zu denken, nur an eine unmittelbar-epische Vorführung. Und eine solche als flüchtige Einleitung — man versuche dies in Gedanken, mit den Mitteln des altdeutschen Epikers, zu verwirklichen. Es scheint unvorstellbar. So sagen wir, das ältere Burgundenepos kann n i c h t f r ü h e r als mit Etzels Werbung eingesetzt haben; ob erst an einem späteren Punkte, diese Frage berührt lins nicht. Aber auch die Thidreks saga zeugt mittelbar gegen die Annahme der einen, zusammenhängenden Quelle. Ich glaube, man kann zeigen: 1. die deutsche Überlieferung hat dem Nordmann die beiden Stoffe, Brünhild- und Burgundensage, als z w e i g e t r e n n t e D i c h t u n g e n dargeboten; und 2. die deutsche Quelle der Brünhildsage war eine unliterarische, verhältnismäßig kurze Dichtung, e i n L i e d , kein buchmäßiges, umfängliches Werk, k e i n E p o s . Den eindeutigen Namen »Brünhildsage« darf man für den ersten unsrer Stoffe gebrauchen, obwohl er gewiß nach der Rollengestaltung im N L nicht mehr zutrifft. »Werbungssage« ist zu blaß, und »Sigfridsage« würde geradezu irre führen, da es ja noch andre Sagen von Sigfrid gibt, die außerhalb des Grundrisses von N L Teil I stehen (§ 17). § 2. Zwischen den Schluß der ersten Sage, Sigfrids Beisetzung, und den Anfang der zweiten, Attilas Werbung, schiebt der Sagaverfasser eine stoffremde Erzählung ein, die von Isung, Hertnid und Ostacia (Berteisens Ausgabe 2, 268—275). Dies beweist nichts für unsre These, daß zwei getrennte deutsche Dichtungen hinter

Die Quelle der Brünhildsage

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den beiden Sagen stehen. Denn auch die Brünhildgeschichte, eine offenkundige Einheit, hat der Nordmann entzwei gestückt durch fremden Stoff von über 200 Druckseiten und durch eine stark einschneidende Uberschrift (S. 2 5 8 Haer haefr upp sagu Niflunga . . .), so zwar, daß diese Überschrift den Schlußteil der Brünhildsage mit dem Burgundenuntergang zusammenfaßt. Der naheliegende und auch schon ausgesprochene Gedanke: mit dieser Überschrift setze eine bisher unbenutzte Quelle ein (das Epos, das die zweite Hälfte der Brünhildsage nebst dem ganzen Burgundenfall enthielt), ist bei näherem Zusehen nicht zu halten und wird auch durch die folgenden Ausführungen widerlegt. Die genannte Überschrift sowie das ihr folgende, gänzlich unepische Kapitel ist eine selbstherrliche Zutat des Sagamanns, dazu bestimmt, den Hörer in die so gründlich im Stich gelassene Sigfrid-Brünhild-Erzählung neu einzuführen. Daß der N a m e Vernica, Worms, erst n a c h besagtem Einschnitt auftaucht (258, 10, dann noch 4mal), kann eine neue Vorlage nicht beweisen. Es ist dies eine zufallige Unebenheit, zu vergleichen damit, daß das neu einführende Kapitel den Gernoz verschweigt, der doch schon in dem ersten Stück, nach Gunthers Heirat, genannt war (43, 3) und im folgenden seine Rolle hat. Ähnliche Sorglosigkeiten des Sagaschreibers hat G . Storm, A a r b0ger 1 8 7 7 , ß ^ f - j besprochen. Die entzweigeschnittene Sigfrid-Brünhild-Geschichte, c. 2 2 6 — 3 0 ; 3 4 2 — 4 8 , fließt unbedingt aus ¿iner deutschen Quelle, und die Frage ist nur, ob mit c. 3 5 6 , der Burgundensage, eine neue Quelle eintritt. Ein erster Stützgrund dafür ist, daß die Burgundensage eine Gestalt aus dem Wormser Lager bringt, die uns in der Brünhildgeschichte noch nicht vorgestellt wird: es ist Folker, der von seinem ersten Auftreten ab eine nicht unbedeutende Rolle hat; 1 6 m a l nennt die Saga seinen Namen. Ein zweiter Fall dieser A r t scheint die Königinmutter Oda zu sein, die gleichfalls erst in der späteren Geschichte, freilich nur einmal, auftaucht. Allein, ihr Fehlen in der ersten Sage beruht auf Auslassung durch den Nordmann, wofern wir mit Recht den Kriemhildentraum zu Anfang und damit seine Deuterin Oda der deutschen Quelle zuschreiben (§ 1 3 ) . Mehr Gewicht haben die folgenden Tatsachen. § 3. Die Burgundengeschichte der T h s bringt den Ausspruch Giselhers, er sei bei Sigurds Ermordung ein fünfjähriges Kind ge5*

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wesen (323, 15). Das N L hat diesen Ausspruch auf Dankwart übertragen: ich was ein wenic kindel, do Sivrit vlos den lip (1924). Somit hat diese Vorstellung von Giselhers Alter dem älteren Epos angehört. Während N L Teil I dem widerspricht, steht die Brünhildgeschichte der Ths in Einklang damit: sie kennt kein Auftreten eines jüngsten, vierten Bruders und hat daher keinen Grund, Giselher überhaupt zu nennen. Zwei Stellen aber stechen aus dem Zusammenhang hervor. Die Rede des sterbenden Sigurd schließt mit den Worten: »und wäre eher zu gewärtigen, daß, bevor dies geschehen wäre, läget ihr alle vier tot