»Exposure« - Verletzlichkeit und das Politische in Zeiten radikaler Ungewissheit 9783839451106

The political of the present is articulated in moments of "exposure" - of revelation, of exposing oneself, of

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German Pages 230 Year 2020

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Table of contents :
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Inhalt
Geleit
Die Autor*innen
Acts of Exposure and their Affective Publics
Urban Politics on the Fault Line
»Deaf President Now«
Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy
Striking Exposure
“Being Inactive Pays a Much Bigger Price Than Putting Your Body on the Line”
Das Erbe von Aylan Kurdi
Birth and Shit
Agnostische Adaption
»Don’t feed the troll«
Exposing Wonder
“Out there, over the hills, on the other side of the tracks”
Die entsetzte Gemeinschaft
Exposure to Mass Extinction
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»Exposure« - Verletzlichkeit und das Politische in Zeiten radikaler Ungewissheit
 9783839451106

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Christine Hentschel, Susanne Krasmann (Hg.) »Exposure« – Verletzlichkeit und das Politische in Zeiten radikaler Ungewissheit

Sozialtheorie

Christine Hentschel ist Professorin für Kriminologie, insbes. Sicherheit und Resilienz am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie forscht zu Ideologien und Mobilisierungsformen der »neuen Rechten«, zu Affekt und Öffentlichkeit, Situational Awareness im urbanen Raum sowie dem Zusammenhang von Klimakrise und Unsicherheit. Susanne Krasmann ist Professorin für Soziologie in der Kriminologischen Sozialforschung der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Dispositive der Sicherheit, das Recht und sein Wissen, Kulturerbe und Kollektivitäten, die Zukunft der Algorithmen sowie poststrukturalistische Perspektiven (Gouvernementalität und Affekt).

Christine Hentschel, Susanne Krasmann (Hg.)

»Exposure« – Verletzlichkeit und das Politische in Zeiten radikaler Ungewissheit

Diese Publikation wurde mit den Mitteln der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5110-2 PDF-ISBN 978-3-8394-5110-6 https://doi.org/10.14361/9783839451106 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Geleit Christine Hentschel und Susanne Krasmann ........................................................ 7

Die Autor*innen ........................................................................................ 9 Acts of Exposure and their Affective Publics Christine Hentschel and Susanne Krasmann ....................................................... 15

Urban Politics on the Fault Line Istanbul’s Exposure to Seismic Risks Lukas Griessl ............................................................................................... 35

»Deaf President Now« Gehörlose bringen sich zur Sprache Max Gropper ................................................................................................ 45

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy An Interview with Antonia Majaca and Ivana Bago ............................................... 59

Striking Exposure Organisation und Solidarität im transnationalen Frauen*streik Hannah Vögele und Julian Pietzko..................................................................... 77

“Being Inactive Pays a Much Bigger Price Than Putting Your Body on the Line” On Courage and Vulnerability in the NoDAPL Movement at Standing Rock Jasilyn Charger in an interview with Lisa Eisold ................................................. 95

Das Erbe von Aylan Kurdi Phänomenologische Überlegungen zur Temporalität eines Act of Exposure Tanja Strukelj ............................................................................................... 111

Birth and Shit Antonia Rohwetter ....................................................................................... 129

Agnostische Adaption Das amor fati des resilienten Subjekts? Christian Hammermann ................................................................................. 147

»Don’t feed the troll« Exposure und Wahrheit im rechtsextremen »Infokrieg« Johannes Ebenau ........................................................................................ 159

Exposing Wonder Jandra Böttger............................................................................................. 177

“Out there, over the hills, on the other side of the tracks” A Prospectus on Exposure AbdouMaliq Simone....................................................................................... 191

Die entsetzte Gemeinschaft Von Esposito bis Ferreri Lino Wimmer .............................................................................................. 203

Exposure to Mass Extinction Für eine Ontologie und Soziologie gemeinsamen Lebens und wechselseitigen Gebens Frank Adloff ................................................................................................ 215

Geleit Christine Hentschel und Susanne Krasmann

Was bedeutet es, die politische Gegenwart durch Momente der Exposure zu betrachten? Wie muss man dabei Ungewissheit, Verletzbarkeit und Kollektivität neu denken? »To expose« bezeichnet eine Vielzahl von Vorgängen oder Zuständen: etwas ausstellen, freilegen oder sichtbar machen, aber auch jemanden oder etwas entblößen, enttarnen, und enthüllen. »To expose« heißt sich selbst oder jemanden auszusetzen, zu gefährden, zu belasten, aber auch sich buchstäblich zu ent-setzen. Die Autor*innen des Bandes spüren solchen Formationen von Exposure in verschiedensten Bereichen gesellschaftspolitischer Gegenwart nach: den materiellen und politischen Bedingungen des Ausgesetztseins in der Antizipation eines Erdbebens oder der Szene der Geburt (Griessl, Rohwetter), der Exposure gegenüber einem »da draußen«, dessen Konstellation sich jedem Versuch, es zu (be-)greifen entzieht, oder gegenüber der Klimakatastrophe (Simone, Hammermann, Adloff). Ein zentraler Aspekt liegt dabei in den affektiven Verwobenheiten — der Irritation, der Trauer, der Wut oder Häme, aber auch dem Staunen sowie der Erfahrung von Gemeinschaft und ihrer Gegenspieler*innen oder imaginierten Feinde, die sich besonders dramatisch in Akten von rechtem Terror oder dem Tod von Geflüchteten zeigen (Hentschel und Krasmann, Böttger, Ebenau, Wimmer, Strukelj). Exposure untersuchen wir dabei als produktives Moment, das sich etwa im politischen Protest in seinen verschiedenen Bedeutungen artikuliert: das Wahrnehmen und Anprangern eines Ausgesetzt-Seins gegenüber patriarchaler, kolonialer oder anderweitig diskriminierender Gewalt, die Inkaufnahme der eigenen Verletzbarkeit im Akt des Demonstrierens oder Blockierens und der Versuch, sich von diesen strukturellen Unterdrückungen zu befreien (Charger und Eisold, Gropper, Pietzko und Vögele). Exposure ist selbst auch eine Methodologie, kuratorische Strategie für die Auseinandersetzung mit einer zerrütteten Geschichte (Majaca und Bago). Alle Beiträge — von den theoretischen und empi-

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Christine Hentschel und Susanne Krasmann

rischen Essays bis hin zu den Interviews und Reflexionen mit Aktivist*innen und Kurator*innen — zeichnen Exposures als ethisch herausfordernde Momente: Exposures fordern Entscheidungen ein, die getroffen werden müssen, auch wenn nicht klar ist, was uns bevorsteht, und oft nicht einmal, was überhaupt »der Fall ist«. Deshalb rufen Exposures eine Ethik hervor – Ethik weniger im Sinne einer abstrakten Moral als vielmehr einer Praxis, die immer auch mit Emotionen, Irritationen, Spekulationen und neuen Grenzziehungen und Kategorisierungen verbunden ist. Es geht mit anderen Worten um die konkreten Mechanismen, in denen »being exposed« bestimmte Formen des »being in-common« hervorbringt, die indes ihrerseits instabil und prekär bleiben. Die Essays dieses Bandes sind aus einer intensiven zweijährigen Zusammenarbeit mit Stipendiat*innen der Studienstiftung des deutschen Volkes während eines vierteiligen gesellschaftswissenschaftlichen Kollegs zwischen September 2017 und März 2019 entstanden. Die interdisziplinäre Gruppe junger Wissenschaftler*innen aus der Soziologie, Kulturwissenschaft, Philosophie, Genderstudies, Theaterwissenschaft, Politische Theorie, Anthropologie (und später auch der Kriminologie) erarbeitete sich zunächst gemeinsame Lesarten theoretischer Konzepte wie Affekt, Verletzbarkeit und das Politische etwa bei Berlant, Butler und Rancière, um sich schließlich mit konkreten Gegenwartsthemen auseinanderzusetzen, in denen sich Akte der Exposure als besonders relevant erweisen. Unser Dank gilt zuerst den Teilnehmer*innen des Exposure Kollegs, deren Enthusiasmus und kritische Lektüre unseres Konzepts von Exposure uns motivierte, dieses Veröffentlichungsprojekt zu realisieren. Ein großer Dank richtet sich außerdem an die Studienstiftung des Deutschen Volkes für ihre großzügige finanzielle Unterstützung des Buchprojektes und der selbstorganisierten Schreibwerkstätten nach Ablauf der Kollegphasen. Danken möchten wir unseren Kollegen AbdouMaliq Simone und Frank Adloff, die mit ihren theoretischen Essays sich zu einem späteren Moment auf das ExposureProjekt eingelassen haben. Laura Hille danken wir für das Lektorat der Texte und Chris Hammermann für die Feinarbeit am finalen Manuskript. Hamburg, Dezember 2019

Die Autor*innen

Christine Hentschel ist Professorin für Kriminologie, insbes. Sicherheit und Resilienz am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie forscht gegenwärtig zu Ideologien und Mobilisierungsformen der ›neuen Rechten‹, zu Affekt und Öffentlichkeit, situational awareness im urbanen Raum sowie zu Klimakrise und sozialem Kollaps. Mit acts of exposure entwirft sie zusammen mit Susanne Krasmann eine Perspektive für die Analyse öffentlich einschneidender Momente und ihrer affektiven Kraft. Susanne Krasmann ist Professorin für Soziologie am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Ihre Forschungsinteressen sind: Dispositive der Sicherheit; das Recht und sein Wissen; die Architektur der Menschheit; die Zukunft der Algorithmen. Zusammen mit Christine Hentschel entwickelt sie den Begriff der Exposure als eine Form des Ausgesetztseins, aber auch des Sich-Zeigens, aus dem ein Moment des Politischen hervorgeht. Lukas Griessl studierte zuletzt Philosophy of the Social Sciences an der London School of Economics and Political Science und interessiert sich vor allem für soziologische Theorien des Nichtwissens und statistische Praktiken der Rationalisierung von Ungewissheit. Sein Beitrag beschäftigt sich mit der politischen Dimension eines antizipierten Erdbebens in Istanbul und verweist auf ein Verständnis von Exposure als Antizipation und Enthüllung. Max Gropper promoviert am Lehrstuhl für Kultur- und Religionssoziologie der Universität Bayreuth zu Alltagsinteraktionen gehörloser und hörender Menschen. Sein fachlicher Schwerpunkt liegt im Bereich wissenssoziologischer Theorien und den Methoden qualitativer Sozialforschung. Die Analyse der »Deaf President Now«-Bewegung 1988 in Washington D. C. zeigt einen

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Die Autor*innen

Akt der Exposure, in dem eine marginalisierte Gruppe sich selbst öffentlich sichtbar macht und dadurch unterdrückende Strukturen innerhalb der Gesellschaft offenlegt sowie diese infrage stellt. Antonia Majaca is currently developing an artistic research project »The Incomputable« at the Graz University of Technology. Since 2018 she has worked as a theory tutor at the Dutch Art Institute. She is the founder of »Feminist Takes«, a long-term project that consideres the relation between the nonWestern avant-garde art and cinema and feminist praxis. At the HKW – Haus der Kulturen der Welt, she recently co-curated Parapolitics – Cultural Freedom and the Cold War. Ivana Bago is an independent scholar, writer, and curator, currently based in Zagreb, after defending her doctoral dissertation in 2018 at Duke University. Her writings on contemporary art, including conceptual art, exhibition history, performance, feminism, (post)Yugoslav art, and post-1989 art historiographies, have appeared in publications ranging from academic journals to exhibition catalogues and art magazines such as Artforum. She is currently working on a book project titled Yugoslav Aesthetics: Monuments to History’s Bare Bones. Julian Pietzko hat Politik- und Kulturwissenschaften in Leipzig und Madrid sowie Gesellschaftstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena studiert. Er interessiert sich vor allem für politische Soziologie und Philosophie, Kritische Theorie und soziale Bewegungen. Sein (zusammen mit Hannah Vögele) verfasster Beitrag wirft einen Blick auf Exposure als widerständige Praxis im internationalen Frauen*streik. Hannah Vögele hat während dieses Buchprojektes ihren Master in Politischer Theorie in Oxford beendet, ihr kritisches Denken in Gender Studies an der Humboldt Universität vertieft und eine Promotion im Graduiertenkolleg Minor Cosmopolitanisms in Berlin und Potsdam begonnen. Sie interessiert sich besonders für queerfeministisch-marxistische Theorie und Praxis und lernt dazu viel von politischem Aktivismus, wie beim feministischen Streik. Von diesem spezifischen Zusammenwirken von materialistischer feministischer Theorie und Praxis ist auch ihr gemeinsamer Beitrag Striking Exposure mit Julian Pietzko inspiriert. Zusammen mit Jandra Böttger interviewt sie Anto-

Die Autor*innen

nia Majaca und Ivana Bago zu kuratorischen und ästhetischen Strategien im Umgang mit Kontexten politischer Unsicherheit. Jasilyn Charger ist Lakota Oyate Aktivistin, Change Maker und Wasserschützerin vom Cheyenne River Reservat in South Dakota, USA. Sie gründete den International Indigenous Youth Council sowie das 7th Defender’s Project und kämpft seit 2015 für die Rechte indigener Jugendlicher. Lisa Eisold studiert Transkulturelle Studien an der Universität Bremen und beschäftigt sich besonders mit Postcolonial, Indigenous und Queer Studies. Im Interview untersuchen Jasilyn Charger und Lisa Eisold gemeinsam die Dynamik zwischen einem Ausgesetzt-Sein gegenüber Gewalt und einem SichFreimachen von kolonialen Ordnungen und decken die zentrale Bedeutung von Perspektive und Alltagserfahrungen für die Wahrnehmung eines Ereignisses als Exposure auf. Tanja Strukelj studiert Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie interessiert sich für Themen der sozialen Ungleichheit, Emotionsforschung und Methoden der empirischen Sozialforschung. Daneben begeistert sie sich für phänomenologische Denkansätzen und Wissenssoziologie. In ihrem Beitrag erinnert sie an den 2015 auf seiner Flucht im Mittelmeer ertrunkenen Aylan Kurdi und versucht mithilfe von phänomenologischen Reflexionen, die zeitlichen und affektiven Dimensionen dieses Ereignisses in den Blick zu bekommen. Antonia Rohwetter hat im Ruhrgebiet Philosophie und in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft studiert. Neben ihrer kuratorischen Arbeit im Kontext der performativen Künste studiert sie derzeit Gender Studies in Berlin. Sie interessiert sich für Formen genre-überschreitender Wissensproduktion – so auch in ihrem Text »Birth and Shit«, der sich auto-theoretisch der Szene der Geburt widmet, um die materiellen Bedingungen des körperlichen Ausgesetztseins zu befragen. Christian Hammermann studiert Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg. Er interessiert sich für Kritische Theorie, gesellschaftliche Naturverhältnisse und Autoritarismus/Rechtsextremismus. In seinem Beitrag beschäftigt er sich am Beispiel der US-amerikanischen Alt-Right und

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Die Autor*innen

der Trumpregierung mit der Frage, wie sich im Anthropozän Erfahrungen des Ausgesetztseins und Praxen des Aussetzens miteinander verbinden. Johannes Ebenau studiert Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg. Er interessiert sich insbesondere für Rechtsextremismus, Sicherheitspolitik und politische Transformation. Sein Beitrag setzt sich mit den affektiv-kommunikativen Strategien im sogenannten Infokrieg der extremen Rechten auseinander. Kennzeichnend ist sowohl das Bloßstellen identifizierter Feinde, v.a. in den Sozialen Medien, als auch das gezielte Verbergen eigener Motive und Ansichten zu Gunsten einer öffentlichkeitswirksamen Selbstpräsentation. Jandra Böttger studiert Kunstwissenschaft, Philosophie und Szenografie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Sie arbeitet an den Schnittstellen von politischer Theorie und Ästhetik, und ist als Kunstvermittlerin und Kuratorin tätig ist. In ihrem Beitrag untersucht sie die ästhetische Dimension von Exposure, indem sie das Konzept mit dem Affekt des Staunens – einer traditionell ästhetischen Kategorie, aber auch »die erste Leidenschaft« (Descartes) – ins Verhältnis setzt. Eine terminologische Untersuchung nimmt die grammatikalische Offenheit des Begriffs und die damit verbundenen politischen Konsequenzen in den Blick. Mit Hannah Voegele hat sie die beiden KuratorInnen Antonia Majaca und Ivana Bago zu ihrem Ausstellungsprojekt Exposures (Bosnien und Herzegowina, 2009) interviewt.  AbdouMaliq Simone is Senior Professorial Fellow at the Urban Institute, University of Sheffield, Honorary Professor of Urbanism at the African Centre for Cities, University of Cape Town, and Research Associate, Max Planck Institute for the Study of Religious and Ethnic Diversity. He has long been engaged as researcher, activist, NGO worker, and consultant across Africa and Southeast Asia. Exposure in his essay is an orientation of urban residents to an »out there«, a mode of spatial composition freed from the constraints of human invention and assessment, that potentiates the promise that what currently exists is fundamentally incomplete, merely the compelling surface of the intersection of things that cannot be grasped from a predominant view. Lino Wimmer studiert Politikwissenschaft, Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig. Er interessiert sich für Ideologiekritik und widerständige Subjektivität, sowie für Affekte in Philosophie und poli-

Die Autor*innen

tischer Theorie. Sein Beitrag stellt die dekonstruktive Operation vor, die der italienische Philosoph Roberto Esposito am modernen Gemeinschaftsbegriff durchführt, und versucht, eine Identifikationen unterbrechende, „ent-setzende“ Gemeinschaftserfahrung als eine bestimmte Form des Acts of Exposure auszuweisen. Frank Adloff ist Professor für Soziologie (insbes. Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft) an der Universität Hamburg. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Konvivialität, Zivilgesellschaft, Theorie der Gabe sowie Nachhaltigkeit und sozial-ökologische Transformation. In seinem Beitrag betrachtet er das derzeitige Massenaussterben von Arten und den Klimawandel als eine Form von Exposure, die ein neues NaturGesellschafts-Verhältnis erfordert. Er plädiert für eine affektive Gabenbeziehung gegenüber der belebten Natur.

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Acts of Exposure and their Affective Publics Christine Hentschel and Susanne Krasmann

Introduction: affective publics, exposure and vulnerability “Public spheres are affect worlds,” Lauren Berlant (2011: 226) holds, “worlds to which people are bound […] by affective projections of a constantly negotiated common interestedness”. How can we read such changing forms of togetherness, or apartness, as they unfold in public spheres? What we call “acts of exposure” are critical moments in which something decisive happens, moments when the fragility of social and political life becomes particularly felt and articulated. Exposures are moments of radical openness, of uncertainty and vulnerability, and as such, we argue, a crucial starting point for deciphering social relatedness.1 Political power and resistance, it seems, increasingly articulate themselves in terms of exposure. Dramatic acts of whistleblowing expose state and corporate practices that were meant to stay in the shadows, such as tax evasion, mass surveillance, or torture. Such acts of exposing something or someone also entail an act of exposing oneself: the risk of being ridiculed, of not being believed, the risk of violence, of ending up in prison or worse. Here, exposure becomes a mode of “truth telling” (Foucault 2014; Walters 2014): exposing the practices of others inevitably comes at the price of revealing who one is and what one is ready to do. This dual exposure dynamic plays out in a wide range of cases, from lone wolf whistleblowers like Edward Snowden, to the many protagonists of the #metoo movement. Exposing oneself also has a less dramatic and more permanent conjuncture: the manifold opportunities 1

The authors would like to thank Yishai Blank, Martin Coward, Phil Carney, AbdouMaliq Simone and Stefan Höhne and the Exposure Kolleg group for their comments on (much) earlier versions of this article. Our special thanks goes to Antonia Rohwetter, Hannah Vögele and Jandra Böttger for their critical reading of the pre-final manuscript and Stefano Mazzilli-Daechsel for his proof-reading.

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Christine Hentschel and Susanne Krasmann

and expectations to showcase oneself, to make statements via certain brands and lifestyles, points to a new contemporary subjectivity of (voluntary) selfexposure. Moreover, there is a strong tendency in all political camps to accuse powerful others of exposing ‘us’ through their inaction: the survivors of mass shootings in the US accuse their government of accepting their victimization by not opting for stricter gun laws, while the climate strike movements accuse politicians of “stealing the future” from the younger generation by not acting adequately in the face of the climate crisis. Accusations are often made public by acts of self-exposure in which the vulnerability that is at stake is publicly performed, such as die-ins at Black Lives Matter demonstrations or the lockons in the actions of “extinction rebellion”. Finally, traumatic events, from hurricanes to terrorist attacks, are moments of exposure, with the power to change laws or modes of relating to each other in affective communities of mourning. In such rituals, or forms of “representation”, individual feelings and horrors may be transformed into a “collective experience”, where social connections are being renovated or reconfigured (Hutchison 2016: 270). Exposure is a state, or a moment, of being unprotected, unsheltered and undefended (OED).2 Acts of exposure are cast as “moments of truth”, and they are moments in which vulnerability becomes actualized. To be sure, vulnerability is ever present as a precariousness of life that is “always in the hands of the other” (Butler 2010:14). In that sense, vulnerability does not need a critical situation to be; it is a condition of social life. Yet, it never shows itself in a pure shape, but only as a concrete matter. Moments of exposure offer a glimpse of vulnerability when it literally surfaces and becomes palpable and tangible, but also staged. These moments assume a particular publicness: suddenly, an uncomfortable or unexpected truth comes to the fore, ready to be perceived and to be touched – or to “touch” us. Exposures may be intended or unintended, they may be caused by natural forces or technological failures, or the outcome of a carefully planned plot. In their vehemence they are what we may call “productive”: they incite social connection and are at the core of social and political life. Sometimes this connectivity is at the very heart of the act of exposure itself, like in the #metoo or the climate movement, and sometimes it is a more indirect effect

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More even, in parts of psychology, exposure is seen as a necessary condition for social connectivity: In order to connect at all, we have to allow ourselves to be seen, really seen, educational scientist Brené Brown (2012) states in her writings on the “power of vulnerability”. We have to expose ourselves and “dare greatly”.

Acts of Exposure and their Affective Publics

of a brutal event, as in the aftermath of a terrorist attack, where what ‘we’ have in common is painfully being reworked. Take the terrorist attack in Paris on November 13, 2015, that left 130 people dead and more than 300 injured when targeting cafes, restaurants, the national stadium and the Bataclan theatre: the collectivity that was hit, strictly speaking, did not pre-exist the act. Rather, it articulated and constituted itself through the act: as a collectivity that is addressed and that sees itself addressed. Gradually, the slogan “Je suis en terrasse” spread across social media. This slogan, that along with “Je suis Paris” echoed the “Je suis Charlie Hebdo”-proclamation of solidarity after the attacks against the Paris offices of the satirical magazine Charlie Hebdo in January 2015, may be read as an attempt to regain courage and a sign of resilience (Browning 2018) at a time when terrorism seems to become “a fact of life” in European cities.3 But it can also be read as the formation of an interpretation that came to prevail, namely, that the Islamist attacks had hit the core of Western identity, as has been said: “our lifestyle”; and that ‘we’ are not going to let this be taken away from ‘us’. In the reaction to the initial act, one can see how people understand and constitute themselves as a ‘we’. Our analysis of acts of exposure is interested in these moments of affective involvement and forms of connection that materialize at such thresholds of exposure. Following public moments of exposure and their aftermaths allows us to sketch what vulnerability and relatedness mean in their interwovenness, and how this becomes enacted affectively and publicly: where people reach out to others and search for reasons, where they try hard to make sense of a traumatic event, and where attachments may become unstable. In moments of exposure we can notice how an ‘ethics of exposure’ emerges: an uneasy deciphering of what is that provokes a decision on what should be, a decision that cannot fully rely on familiar values and habits of reasoning (see Burgess 2011: 4). The horrible massacre committed by a white supremacist in two mosques in Christchurch, New Zealand, in 2019 constitutes an extreme act of exposure with reverberations for the making of an affective public that we will ponder on throughout our text. In the following section we re-assemble this

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Brinbaum, Michael: Europe may face a grim future with terrorism as a fact of life, Washington Post, 24 December 2016, https://www.washingtonpost.com/world/europe/after-berlin-market-attack-europe-faces-grim-future-with-terrorism-as-fact-oflife/2016/12/23/6f2f6536-c84c-11e6-acda-59924caa2450_story.html?noredirect=on&utm_term=.9e7ab6cfb56b.

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Christine Hentschel and Susanne Krasmann

act as a global and collective atrocity growing out of a rightwing forcefield. We then reflect more conceptually on the interwovenness of vulnerability and exposure through the notion of ethics. Attending to these modes of being in-common necessitates an analytical tool, which we introduce in the next subsection. “Acts of exposure” are our proposition for reading a landscape of radical uncertainty where singular yet connected “acts” create powerful effects and alter the possibilities and perceptions of social and political relatedness. In the end, we consider the modes of being divided and being in-common in vulnerability that such a horrible act has brought to the fore, and into being.

The (global) making of a mass shooting On March 15, 2019, a white nationalist gunman committed a massacre during Friday prayer in the Al Noor Mosque and the Linwood Islamic Center in Christchurch, New Zealand, killing 51 worshippers, many of them refugees. While the attacker committed the concrete act of killing ‘alone’, people around the world ‘took part’: Indeed, the gunman had announced his act on the rightwing forum 8chan/pol with a link to a 75 page manifesto and a livestream, after having posted pictures of the murder weapon days before the shooting (Evans 2019a). Over a time period of seventeen minutes he filmed his massacre with a head-mounted camera and livestreamed it to Facebook. After being alerted by the New Zealand Police, Facebook removed the video and hashed it so that visually similar videos could be detected and automatically deleted. But the video continued to be spread through countless edited versions that users all over the world uploaded to social media with modifications that made it difficult for the Facebook software to recognize the video. In the first 24 hours after the shooting Facebook deleted over 1.5 million videos of the attack.4 Thousands of edited versions, also on twitter and youtube, kept surfacing only minutes after the act and kept circulating, prolonging and spreading the horrid act.5 Three hours after the attack New Zealand’s po-

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Christchurch shootings: Erdogan criticised for showing NZ video, BBC News, 18 March 2019, https://www.bbc.com/news/world-europe-47609814. Aisslinger, Moritz et al.: Hier gibt es nichts zu sehen, Die Zeit, 20 March 2019, https:// www.zeit.de/2019/13/attentaeter-christchurch-rechter-terror-online-video.

Acts of Exposure and their Affective Publics

lice sent out a tweet which “strongly urges” “that the link not be shared”6 and blocked the social network 8chan/pol for New Zealand IP addresses. The gunman, an Australian national by the name of Brenton Tarrant, did not leave any doubt that his act was part of a well established “ecosystem of rightwing terror” (Evans 2019b). His manifesto was filled with narratives of “white genocide” and “the great replacement” and sprinkled with racist memes; he claimed to have found in Breivik a “true inspiration”; his rifle was painted with the symbol of “the 14s” – which became quickly recognized as a reference to the “fourteen words” written by jailed neo Nazi David Lane;7 and the “soundtrack” accompanying his 17 minutes of filmed rampage includes the song “Remove Kebab”, a Serb nationalist song that celebrates the mastermind of the genocide against Bosnian Muslims, Radovan Karadzic. His audience understood and acknowledged his effort. Investigative journalist Robert Evans described the initial responses on 8chan/pol to the shooter’s announcement before the killing as “excitement”. As the shooter began to kill people, the general sentiment turned into “riotous glee”. Subsequently, people “began pouring through his manifesto to look for the in-jokes he had left” for that community, and then the speculations began on who “would carry out the next attack”.8 The act was not only global in the sense of participation beyond the local scene and in the way in which the mass murderer addressed audiences all over the world (by recounting his visits to French war cemeteries and the sense of grief and rage that they infused in him; by calling Angela Merkel “the mother of all things anti-white and anti-germanic” and Sadiq Khan the “pakistani muslim invader now sit[ting] as representative of the people of London”9 ). It was also global in the way it was interpreted and visualized by commentators and politicians. Even though New Zealand is far removed geographically and politically from the conflicts of most of the world, the act was soon identified

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Griffin, Andrew: New Zealand Attack Video spreads across Twitter, YouTube and Reddit despite Pleas from Police not to share it, The Independent, 15 March 2019, https://www.independent.co.uk/life-style/gadgets-and-tech/news/new-zealandattack-video-shooting-mosque-christchurch-reddit-youtube-twitter-a8824131.html. We must secure the existence of our people and a future for white children (Evans 2019a). Evans, Robert: How the Christchurch terrorist used 8chan to connect and joke with neoNazis, ABC Australia, 25 March 2019, https://www.youtube.com/watch?v=44KEmbJelT8. Tarrant, Brenton: The great replacement. Towards a new society we march ever forwards, published online at 8chan, 15 March 2019.

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Christine Hentschel and Susanne Krasmann

as the latest instance of a global lineage of rightwing acts of killing: Anders Breivik’s attacks in Oslo and Utøya in July 2011, who killed 77 people, many of them school kids, and injuring hundreds more; Dylon Roof’s attack in an Episcopalian Church in Charleston in June 2015 killing 9 people, all of them African American; and Robert Bower’s attack in a synagogue in Pittsburgh in October 2018 during shabat morning service, killing 11 people, all of them Jewish. As the framing of the event was global, so were the reactions. In Turkey, Erdogan condemned the killing as “the latest example of rising racism and Islamophobia” and used snippets of the video-footage during a campaign rally and cited excerpts from the gunman’s manifesto to argue that Turkish Muslims are also under threat.10 Many representatives, including of Jordan, Egypt, Pakistan, Germany, France and the UN called the atrocity an act of terrorism, while the US president neither mentioned the victims’ Muslims identities nor used a category of political violence when tweeting that “49 innocent people have so senselessly died.”11 Prominent voices in the European far right quickly argued that the killing had nothing to do with their ideology (despite the very use of the same concepts). The rightwing thinker Renaud Camus, who coined the notion “le grand remplacement”, reasoned in an interview that what most resembled the shooter’s act were the terrorist (i.e. Islamist) attacks that France had been experiencing over the past five years.12 By linking the massacre that targeted Muslims to Islamist attacks, the Christchurch victims, in a cynical inversion, were made “the carriers of terror [… and] the ground of terror’s possibility globally” (Sharpe 2016: 15).13 There was also a different kind of reaction. In one of her first responses to the killing, New Zealand Prime Minister Ardern announced that gun laws would be restricted. In the ceremony for the victims on March 22, 2019, she 10

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Turkey's Recep Tayyip Erdogan uses New Zealand attack video at campaign rally, Deutsche Welle, 18 March 2019, https://www.dw.com/en/turkeys-recep-tayyip-erdoganuses-new-zealand-attack-video-at-campaign-rally/a-47959569. The world reacts to New Zealand mosque attacks, Al Jazeera, 15 March 2019, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/world-reacts-zealand-mosque-attacks190315061839640.html. Christchurch: «Je ne vois pas pourquoi je l’aurais inspiré», réagit Renaud Camus, Le Parisien, 15 March 2019, http://www.leparisien.fr/faits-divers/christchurch-je-nevois-pas-pourquoi-je-l-aurais-inspire-reagit-renaud-camus-15-03-2019-8032662. php#xtor=AD-1481423553. In her In the Wake: On Blackness and Being Christina Sharpe makes this argument by referring to the social experience of Black people.

Acts of Exposure and their Affective Publics

wore a headscarf and quoted a hadith of the prophet Mohammed: “The believers in their mutual kindness, compassion and sympathy are just like one body. When any part of the body suffers, the whole body feels pain. New Zealand mourns with you. We are one.”14

Ethics of being in-common Moments of exposure are concrete and intense. In a moment of exposure, “ethics ‘happens’” (Burgess 2011: 4), not as applied morals or values but as an effort of making sense within uncertainty and dealing with loose ends. Exposures emerge from – and fuel – uncertainty and insecurity. When exposed, or when witnessing the exposure of others, people may be forced to take a position before being able to read the public reaction at large, or despite sensing that this will be received as an unwelcome provocation. The concrete ethics of exposure lies precisely in such attempts to reach out to others, to name feelings or to make commitments, without knowing how they ‘fit’ into what ‘we are’. In this sense, we understand ethics, with Brian Massumi, as the ways in which we “inhabit uncertainty, together” (2002a: 9; see 2002b: 255). It is in such moments of uncertainty that ethics happens between us: modalities of distance, difference, or distinction are assembled in new ways. This “between us”, Martin Coward (2012: 469) reminds us, should not be imagined as a gap to be bridged between people and things but as a condition of being “always already related”. If moments of exposure tell us something about the vulnerability felt and the ethics emerging out of situations of uncertainty, this is not to be understood as a negative ethics, an ethics based on vulnerability as the corporeal or psychic disposition to be wounded and destroyed. Instead, being exposed is a situation where people can become aware of their relatedness, seeing themselves impelled or motivated to reach out, and sometimes risking their freedom or even their lives to defend fellow citizens and stand up against repressive regimes.

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New Zealand's Ardern quotes Prophet Muhammad’s hadith in solidarity with Christchurch victims, Daily Sabah, 22 March 2019, https://www.dailysabah.com/asia/ 2019/03/22/new-zealands-ardern-quotes-prophet-muhammads-hadith-in-solidaritywith-christchurch-victims.

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Moments of exposure involve an opening, a “space for maneuvering”, for contestation, detachment, “strange alliances” or yet unknown collaboration (Simone 2019: 35, 2013: 244; 2018: 25f). A future mode of being in-common might already be there, though it is still ungraspable (Massumi 2002b). How it materializes depends on the various paths taken and shaped in the aftermath of experiences of exposure. Exposure touches on and may re-articulate ‘our’ modes of being in-common. Thinking in terms of exposure and their ethics of being in-common (Coward 2012) moves us beyond an understanding of community as built up by the values people share or a common nationality that is imagined (Anderson 1999). Beyond the rather homogenizing and ethnicizing notions of “identity” and “hegemony”, acts of exposure lead us to emerging forms of being incommon and to the multiple and ambivalent processes that feed into “belonging” (Pfaff-Czarnecka 2011). At the same time, exposures may point us to people’s enduring attachments and appeals to nationalist or fundamentalist ideals, for example, when Turkey’s President Erdogan exploits the Christchurch massacre for his own interests, claiming that “[a]ll Muslims, our country, our nation and myself are targeted”. Others remind us of the Islamophobic and racist discourses that paved the way for such horrific attacks and expose the hypocrisy of many Western politicians who expressed sympathy for the victims while supporting policies that contribute to the social and political exclusion of Muslims and refugees.15 While certain infrastructures of communication, rightwing networks and modes of operation preexisted and enabled the act, and were partly reinforced by it, new “affective communities”16 were also ‘finding’ each other in the aftermath of Christchurch, for example, as communities of solidarity with the victims and communities built on shared vulnerability.

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Knipp, Kersten: Muslime debattieren Reaktionen auf Christchurch-Attentat, Deutsche Welle, 19 March 2019, https://www.dw.com/de/muslime-debattieren-reaktionen-aufchristchurch-attentat/a-47967310. We use the notion of “affective community” to point to forms of connectivity that emerge or sustain themselves around the emotional reaction to a disruptive event. Emma Hutchison (2016: 11) associates affective communities closely to trauma: “it is precisely because trauma seems to suspend reality, imposing a moment of uncertainty and reflection, that individuals seek to regain control and strengthen community ties.”

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Acts of exposure Our analytical device – acts of exposure – may allow us to attend to some of these more complex modes of being in-common. Inspired by George Marcus’ (1995: 90) technique of following and staying within the movement of a particular group, thing, plot, or metaphor, our approach consists of following acts of exposure. We see acts of exposure characterized by seven features: First, acts of exposures are acts. They are not steady practices, but singular. Like Engin Isin’s acts of citizenship, acts of exposure are “rupture[s] or beginnings” and they may “create new sites of contestation, belonging, identification and struggle” (Isin 2009: 379, 371). Yet, in contrast to acts of citizenship that are “purposive” and inspired by certain individual or collective motives (Isin 2009: 378, 381), acts of exposure may transpire without a clear objective or purpose, for example, when a hurricane hits. We read them in their effects – effects that might even be created by a natural disaster or a conglomerate of chaotic human agencies – and we read social and political scripts that we call racism, nationalism, or solidarity into them. To the extent that acts of exposure are disruptions of the ordinary, they may tease out an awareness of the very structures of the ordinary and affect our common sense. Acts of exposure are incidents that break through the threshold of public concern, as the massacre in the mosques of Christchurch did with its horrendous death toll and the shocking involvement of a global audience. Secondly, acts of exposure happen on surfaces of contact (Coward 2012: 479) that are the concrete infrastructures, fabrics and technologies connecting us. Surfaces of contact are surfaces of touch. Where people come together, they are vulnerable, they can be touched. Acts of exposure intervene there. Not only do acts of exposure build on certain infrastructures of togetherness, they may also shake and alter them forever. They may unravel established connections and generate different visions, as in Edward Snowden’s 2013 revelations of the hitherto unknown scale of mass surveillance by the US and the UK intelligence services and their allies – even if all that has changed in the end is that now we know and have to encrypt our messages and files (Snowden 2019). Furthermore, acts of exposure have the ability to overcome, or reinforce, settled habits of proximity and distance. The platform 8chan/pol was a powerful enabling condition for the making and re-making of hateful acts, of which Christchurch, the Poway synagogue shooting and the El Paso Walmart shooting were only several sad points of escalation. Evans called the platform a “24 hours a day […] neonazi rally where every now and then someone will leave in

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order to commit a violent attack“. The platform is all about encouraging each other to engage in “real-life effortposting”.17 Surfaces of contact are also visual. As Craig Calhoun observes, our sense as citizens, “how we are in the world, who else is in the world, how we fit into the world” is first and foremost (audio-)visual.18 Hence, our being and being together with others in the world is shaped by face-to-face encounters as well as by media images or common knowledge of spatial divisions and social distributions that traverse different scales: what is at stake is publicly visible, or sensible. The public sphere does not necessarily rely on physical access so much as on sensory access (see Adut 2012: 243). We get a sense of the political dimension of the terrorist act when we see the frightening images of the massacre or the public reactions, but also when we connect the dots and begin to realize that there is a growing chain of white nationalist attacks that are claiming Black, Jewish, and Muslim lives (or those of political opponents). Mediated images may become symbols, but “the particularities of contemporary forms, expressions, and experiences of citizenship” (Telesca 2013: 339) cannot be grasped by seeing these images as mere collective or hegemonic forms of representation. Often, images are themselves surfaces on which manifold notions of empathy, solidarity, disgust, or hatred are being formed: the Prime Minister in a headscarf, the killer posing with his weapon, family members grieving. An interesting element regarding the visuality of the Christchurch massacre is what Evans calls the “gamification of terror” (2019b: 6). When Brenton Tarrant livestreamed his act of killing from a helmet camera he “made the shooting look almost exactly like a First Person Shooter video game” (ibid: 8). Common references in the discussions following the massacre lauded Tarrrant’s high body count and expressed the desire to “‘beat his high score’” (ibid.) – praise that was not extended to the 19 year old who, weeks later, 17

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Evans, Robert: How the Christchurch terrorist used 8chan to connect and joke with neoNazis, ABC Australia 25 March 2019, https://www.youtube.com/watch?v=44KEmbJelT8. In the wake of the El Paso shooting in August 2019, various tech companies cancelled their services to 8chan, effectively shutting down the site for a short time until it resurfaced on an obscure web platform also used by Islamic State supporters. See Cox, Joseph: 8chan Forced to Move to Obscure Dark Web Service, in Motherboard 6 August 2019, https://www.vice.com/en_us/article/wjwe34/8chan-forced-to-move-toobscure-dark-web-service?utm_source=vicetwitterus. Calhoun, Craig: What is Visual Citizenship, at the Visual Citizenship Conference at NYU's Institute for Public Knowledge 2010, https://vimeo.com/25369048.

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“only” killed one woman and injured 3 others during prayer in a synagogue in California. He too had announced his intention on 8chan/pol, but the community seemed disappointed. An anonymous poster complained “No livestream? Lame as fuck. Don’t mass shooters know they need to up their game now? Tarrant has changed the optics level.” And one adds: “I wont lie, this is a let down after Tarrant’s crusade. Nowadays I hear shooting and I expect 20+” (see Evans 2019b). Here, “scoring” and offering a particular “optics level” with “live” elements are measured as performances in a game world or movie. Recognition is reserved for cruel performances that are well produced. Thirdly, acts of exposure defy containment; no-one can ever fully claim control over that which has passed the threshold of public visibility (Roitman 2004). Once they have appeared at the surface, acts of exposure might enter unexpected or unwanted circuits of diffusion or circulation that disconnect them from their previous state of being. Exposure is also about actively taking risks and putting something at stake. It may involve offering a part of oneself to others as a gift: a gesture, a helping hand, a claim, or even one’s life – and risking that it might well be captured, evaluated, misunderstood, rejected or even ignored. A gift, in Marcel Mauss’ (1966) theory, is not only given and received (even if not received in the way it has been given); it also initiates a mode of connectivity. It is an act of offering something or of exposing oneself since it is not clear how, when and whether there will be a response. In a similar way, acts of exposure rely on and are indeed characterized by their reception, circulation and (expectations of) the reactions they elicit. A heartbreaking detail during the Christchurch atrocity was revealed on the footage and went viral: a Muslim worshipper, one of the first people to be killed greeted the attacker with “Hello brother”, just moments before he was shot dead. Under the hashtag #Hellobrother people reflected on the ethics of this: the tragedy, the peacefulness: “We will continue to say #Hellobrother for a better world and solidarity”, someone commented on twitter. And, “It starts with a hello spark, wrapped with a hello to all humanity”. There is a sense to these statements that says: ‘you will not earn our hate, no matter how hard you try’, a way of escaping the logic of the killer, of refusing to feed a politics of enmity. Fourthly, although they are singular events, acts of exposure rarely stand alone. On the contrary, through their publicness, they are perceivable as a landscape of acts – acts that influence, imitate and resonate with each other, and are comparable in their targets, their methods, in their suddenness, and their horror and, as such, are connected to each other in public discourse.

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The Christchurch Mosque Shooting has been placed in a landscape of other massacres: of white men attacking Blacks, Muslims, or Jews in their places of worship; of “lone wolfs and their digital packs”19 who orchestrate their attacks for broader consumption, of white supremacists who leave manifestos as addendums of their act. Many times, they have also more generally been characterized as extremists who kill innocent people in crowded places in the name of some political goal – hence the comparison to Islamist terrorist attacks. And not only are singular acts of exposure situated in landscapes of other acts, they also make the contours of such landscapes more visible: the Christchurch massacre made the contours of this landscape of rightwing terror more clearly appear to a global public eye than ever before. Fifthly, in that sense, we must see acts of exposure in a larger force field in which they manifest their potential: they are publicly apprehended, take on meaning, instigate re-actions, become matters of concern. To be sure, acts must be powerful, sudden or shocking, but this alone is rarely enough to have them produce an effect in a broader public. The public sphere must be ‘receptive’ to it – which is how we get a sense of decisive moments: through public reactions to a deeply unsettling situation. “Force fields” are dynamic territories; they are “causal ecologies”, as Eyal Weizman (2014: 27) calls them, but these causes are “non-linear, diffused, simultaneous, and involve multiple agencies and feedback loops”. Some causes remain opaque if they are searched for in a linear line of reasoning. The massacre in the mosques of Christchurch grows out of and stirred up a growing global force field infused with racist, Islamophobic and rigthwing positions that are often publicly articulated by prominent politicians. Sixthly, acts of exposure speed up, intensify, create versions of themselves, as they emerge at, or sometimes break through, the surface, and may be evoked again and again. They spiral up into the future.20 A horrid line of

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Musharbash, Yassin/Stark, Holger: Der einsame Wolf und sein digitales Rudel, Die Zeit, 23 March 2019, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/tarrant-und-dierechtsextreme-szene/komplettansicht. We borrow the notion of “spiraling” from AbdouMaliq Simone’s (2015) explorations of the Haitian Spiralists, a literary movement that emerged in the 1960s during the dictatorship of Francois Duvalier. Its three principle writers Frankétienne, Jean-Claude Fignolé, and René Philoctète created an “aesthetic philosophy” using the spiral as metaphor and tool, with the protagonists of their stories often being “caught up in a whirlwind, a funnel cloud that spirals from bad to worse.” (See also: Insularity & In-

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imitators followed in the footsteps of the Christchurch Mosque Shooter, continuing the line of “inspirational terrorism” (Evans 2019a). Only ten days after Christchurch, the Islamic Center of Escondido in California was set on fire; graffiti at the scene referenced Tarrant. On April 27, a young man opened fire in the Poway Synagogue in California and killed one woman and injured 3 others during prayer, he too shared a manifesto, citing the Christchurch shooter as his inspiration: he included a link to his own manifesto and to a livestream, which did not work. On July 22, the anniversary of the Breivik attacks, an Eritrean man was shot in Wächtersbach, Germany, out of racist motives. On July 28, at the Gilroy Garlic Festival in the US, a man shot 3 people dead, injured 13 after having posted a fascist book on Instragram. On August 3, a gunman killed 22 people, amongst them 8 Mexicans, in a Walmart store in El Paso, Texas. In the manifesto he posted on 8chan, he referenced Tarrant and directly echoed Trump’s rhetoric when claiming that the attack was in response to the “Hispanic invasion of Texas.”21 Only 13 hours later a young man opened fire in a popular nightlife district in Dayton, Ohio, killing 10. And on August 10, a man attacked the Al-Noor Islamic Centre at the outskirts of Oslo; he referenced the Christchurch, El Paso and the Poway shooters. On October 9, a man in Halle, Germany, attempted to commit a massacre during a Yom Kippur celebration at a synagogue. Footage from his helmet-mounted camera showed him planting explosives by a locked wooden door, explosives which ultimately failed to detonate. After botching his initial plan, he proceeded to kill a woman passing by and a customer in a nearby Turkish kebab shop. He streamed his act live on the platform Twitch, where, speaking in English, he denies the Holocaust and refers to the Christchurch shooter. He also uploaded a hateful manifesto online.22 Given this history of connected rightwing events in 2019, the spiral is already well on its way and showing no sign of slowing down.

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ternationalism: An Interview with Kaiama L. Glover, The Public Archive: Black History in Dark Times, 04 June 2013, http://thepublicarchive.com/?p=3881). Manifesto quoted in Valencia García, Louie Dean: How The El Paso Terrorist’s Manifesto Echoes Trump’s Rhetoric, Centre for Analysis of the Radical Right, August 13 2019, https://www.radicalrightanalysis.com/2019/08/13/how-the-el-paso-terroristsmanifesto-echoes-trumps-rhetoric/. Schuetze, Christopher F/Eddy, Melissa: Only a locked door stopped a massacre at a German Synagogue, The New York Times, 10 March 2019, https://www.nytimes.com/ 2019/10/10/world/europe/germany-synagogue-attack.html.

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Finally, acts of exposure have a specific temporality: the very act often does not last longer than a moment, but the reactions that follow develop their own timespan and speed. The act itself continues in some kind of afterlife in endless visual and narrative repetitions or allusions, in truncated or mocked versions, until it stops having any disruptive power and is written over by more timely acts. At some point, the force field is no longer affected by the initial act. When materials are exposed to the environment, writes William Walters (2014: 294), they “become weathered”: worn, faded, washed out by the wind, rain and sunlight. Acts of exposure themselves fade away and dissolve after some time. In photography, the notion of exposure refers to the timespan of the shot: the longer the sensitized surface is exposed to light, the more bright and blurry the picture. More light does not mean we see things more clearly. In a similar vein, talking extensively about an act does not necessarily lead us to a better understanding of what happened and why. If acts of exposure bring about radical uncertainty and intensity in the very moment, these may be transformed into more certainty (we understand what happened) and less intensity (we “measure” our responses and “calm down”). The sense of being unsettled, however, endures, and the uncanny underlying threat that there will be more horrors remains. If acts of exposure strike public spheres and make a difference for collective and political life, following them is worth the effort. The seven features of such acts may help us understand their potential for analyzing key moments in the making of affective publics. As we have outlined, acts of exposures are singular events, they are ruptures of the ordinary. They happen and are “received” on surfaces of contact, that is, of touch and the visual. Acts of exposure defy containment and control. Even though they are singular acts, they are (perceived as) part of a landscape of acts that they are linked to and compared to. Acts of exposure make sense and grow out of a particular force field in which they intensify, imitate each other, create versions of themselves and spiral into the future. And, they have their specific temporality where things may become clearer and at the same time blurred, and at some point fade away after having left their imprints.

Being divided, being in common in vulnerability What do acts of exposure teach us about vulnerability and mutual relatedness? In her influential writings on vulnerability, Judith Butler (2010: 25) posits that

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“[l]ives are by definition precarious: they can be expunged at will or by accident”. Vulnerability is exposure to others, and the unknown, and it is about destruction and injurability, but it is also a question of recognition and belonging. This is what Butler designates as precarity: a politically induced differential exposure to injury and, ultimately, to the destruction of life; conditioned by a divided world in which certain subjects are more vulnerable than others and certain subjects are more grievable, and valuable, than others (see Butler 2004: 30, see also 2010: 25). What is at stake here is recognizability, the social conditions of becoming an intelligible subject. Beyond the threshold of the intelligible, life, according to Butler (1998: 281), is “unlivable”, abject, and, as something that remains “radically uninterrogated”, not (yet) real. Hence, Butler’s notion of precarity takes into account how normative and affective frames that are incorporated into power structures shape our perception of otherness and determine how and whether the vulnerability of others comes to be perceptible (Vögele 2020). The notion of the “lone wolf”, for example, tends to sever a terrorist act from its political context and meaning, as the white male that targets particular religious communities or minorities is portrayed as deranged, mentally ill and acting in isolation. ‘Islamist acts’, by contrast, are presented as a constant threat to the West. While one targeted group, and with it its enemy, is put on the spot, the other is rendered invisible or marginal (Hamm and Spaaij 2017; Miller and Hayward 2019) – a pattern that the public readings of the Christchurch massacre interrupted to some degree. While we share much of Butler’s notion of precariousness, with acts of exposure, we are more interested in the political moments in which vulnerability appears in public spheres in a particularly forceful manner and how it is made “politically operative” in various contexts (Thacker 2013; Evans & Reid 2014).23 Furthermore, acts of exposure force us to consider how we perceive ourselves as vulnerable subjects and as subjects who relate to each other in a particular manner. It focuses on the productive effects of these exposures, how we reach out to others and realize that we are connected, that we “rely on each other to exist” (Shindo 2015: 26; Nancy 2000: 56-65) – though neither solely in a mundane day to day sense nor in the sense of an already existing ‘common

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Analogous to the idea of “life itself” (Thacker 2013), this is neither to say that there is a vulnerability as such “that pre-exists or exists outside of politics” or social fabrication nor to negate that there is such a thing as vulnerability. The point rather is that vulnerability, like “life”, “is always already political” or social.

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ground’. What we are in our singularity or uniqueness hinges upon multiplicity: on alterity that is not simply otherness, nor other people, but a virtual connection and connectedness between multiple entities, which constitutes our selves, our being in the first place. We are, in this sense, only singular (in) plural (Nancy 2000). As anthropologist Dame Anne Salmond reminded the people of New Zealand after the attacks in Christchurch: “In the wake of this terrible tragedy, let’s be honest, for once. White supremacy is a part of us, a dark power in the land.”24 If there already existed a community to be called “New Zealand”, it is, of course, a heterogeneous and divided community that harbors a history of white domination over indigenous people. Hence, the Maori who danced their haka as a spiritual and powerful performance of solidarity as a reaction to the terror attack, might also have reminded the country of the inner discords in their own history and of a certain “duress” (Stoler 2016: 7): “the hardened, tenacious qualities of colonial effects.” And yet, for good reasons, Prime Minister Ardern maintained after the shooting: “For those of you who are watching at home tonight, and questioning how this could have happened here, we – New Zealand – we were not a target because we are a safe harbor for those who hate. We were not chosen for this act of violence because we condone racism, because we are an enclave for extremism. We were chosen for the very fact that we are none of these things. Because we represent diversity, kindness, compassion, a home for those who share our values, refuge for those who need it. [...] You may have chosen us – but we utterly reject and condemn you.”25 The will to destroy reached New Zealand precisely because it represents, and lives, diversity – this is the message conveyed here. Being in-common is not a state and not a homogeneity. It is rarely “nice or cuddly” (Thrift 2004: 58), but rather a form of “throwntogetherness” (Massey 2005: 138). Nonetheless, it is important to reject the force that seeks to destroy that very community

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Salmond, Dame Anne: Christchurch shootings: The doctrine of white superiority is alive and well in NZ, Stuff, 19 March 2019, https://www.stuff.co.nz/national/ christchurch-shooting/111363583/online-on-talkback-in-taxis-and-at-dinner-tablesthe-doctrine-of-white-superiority-is-alive-and-well. Britton, Bianca: New Zealand PM full speech: “This can only be described as a terrorist attack”, CNN, 15 March 2019, https://edition.cnn.com/2019/03/15/asia/new-zealandjacinda-ardern-full-statement-intl/index.html.

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to constitute that ‘we’, as Ardern did in her own act of exposure when avowing “we utterly reject and condemn you”, and: “we are one.” Her intervention reached out explicitly to the Muslim community that had been hurt, engaging the imaginary of a body that “feels pain […] when any part of the body suffers”. It evoked the body of believers: the believers in “their mutual kindness, compassion, and sympathy” and by that rendered believing in not as something that divides (as in your god, my god or no god) but that connects. What Arden performed, we might say, was an act of truth-telling (Foucault 2014) that binds the subject, the people of New Zealand, to the truth spoken out and invites a global community of “believers in the mutual kindness” to join in. By evoking this body, New Zealand became a potentially different community. There is a necessary provisionality, incompleteness and search for orientation in these and related acts of mourning. Each act is, following Lauren Berlant (2016: 404), an “affective scene intense with form-making noise.” It is form-making because it experiments with metaphors of togetherness using the words of those whose community once again had been severely shaken. Here, noise points to a realm of searching and speaking beyond the commonly known, “a sensorium for a potential social world” (Berlant 2011: 231). Noise, writes the musicologist David Novak (2015), is a composition of sounds that seems uninterpretable at first. The Latin roots of the word noise is nausea, from the Greek naus for ship. Noise has thus something to do with the sickness on high sea, when everything is moving and we lack orientation. In the scene of mourning, we see the search for orientation actively at work, a moment of ethics in action, a sincere gesture of reaching out and evoking the experience of a possible, though still fragile collectivity. Being in-common is about meeting alterity – alterity to ourselves included – and taking on the ambiguities and the unease that this might entail. Ethics, after all, is about living together, with uncertainty or, in Achille Mbembe’s (2015) words, the “ethics of becoming-with-others”.

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Urban Politics on the Fault Line Istanbul’s Exposure to Seismic Risks Lukas Griessl “DEPREM TOPLANMA ALANIMA DOKUNMA!”

One day – maybe tomorrow, maybe decades from now – a major earthquake will hit the city of Istanbul. According to the Turkish Disaster and Emergency Management Authority (AFAD, Afet ve Acil Durum Yönetimi Başkanlığı), this earthquake is estimated to cause up to 30,000 deaths and could leave more than 2 million people homeless (Winter 2019). Importantly, the materiality and fragility of the city are expected to cause the catastrophe – not the earthquake itself. A recurring phrase in the wider discourse around earthquake risk is “earthquakes don’t kill people, buildings do” (deprem değil, bina öldürür), placing the real danger not on the earthquake itself, but on the fragility of the buildings and the material infrastructure. Martin Coward (2012) states that it is the material fabric of the urban environment that is ’between us’ in the city and which is constitutive of our political subjectivity. It is this very sphere that Istanbul’s residents share and are afraid of. The socio-materiality of the city is what bonds the people together and at the same time threatens their lives. This raises questions about vulnerability, materiality and temporality, which points towards an understanding of exposure as anticipation.

Anticipation Due to its tectonic setting, Turkey has always been exposed to hazardous earthquakes. A large part of the country lies on the Anatolian Plate, surrounded by the North and the East Anatolian Fault line. The North Anatolian Fault is a 1,200-kilometer-long fault zone along the Eurasian and the Anato-

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lian Plate and marks one of the most active seismic fault lines on the globe. Between 1939 and 1999, eight earthquakes with a magnitude over 7.0 occurred along the fault line from the east to the west and have since then taken the lives of more than 60,000 people. These two tectonic plates are now facing each other under the Marmara Sea and are expected to unload their energy into Turkey’s most populous city with more than 15 million residents. (Malin et al. 2018) In particular, the earthquake that happened on the 17th of August 1999 in İzmit – about 100 km east of Istanbul – still remains in the collective memory of Istanbul’s residents and its images disclose the expected menace for the city. The Turkish public is aware of the coming earthquake and the expectation has become part of everyday life for a lot of residents. In a comparative study on social representations of earthquakes, Joffe et al. (2013) have noted startling specificities in the Turkish political culture of dealing with earthquakes, as shared by many Turkish people. While several representations, such as fatalism or awareness, are similar in Turkey (as compared to the other regions under study), it is particularly notable that the Turkish people tend to see the catastrophe of past and anticipated earthquakes not merely as acts of nature, but also as acts of people. Furthermore, a recurring pattern in the Turkish perception is a high intensity of “emotions related to anger, blame and distrust of state and construction authorities, whose negligence and corruption were positioned as the cause of earthquake damage” (Joffe and O’Connor 2013: 18). Especially the “emphasis on vulnerability caused by institutional corruption” (Joffe and O’Connor 2013: 19) makes the Turkish case distinct from other risk-prone areas and is pivotal for the following analysis. Predicting the timing of earthquakes is highly difficult and even seismologists do not seem to agree on whether there are any observable indications prior to the rupture of earthquakes (Mignan 2014). While it has been clear for a long time that a huge disaster is on its way to Istanbul and will arrive suddenly, predicting the time when the earthquake will occur is nearly impossible. There is a strong anticipation, which nevertheless remains highly uncertain and contested. However, a consensus exists that Istanbul is in a prodromal period, “during which the forces which are to cause the ultimate collapse are getting under way” (Carr 1932: 211). But what forces are under way and what constitutes the anticipated catastrophe? While to Carr, this is especially the “earth-strains that were to cause the earthquake” (1932: 211), Angell proposes to understand the anticipated earthquake disaster in Istanbul as the result of “heterogeneous agencies”, including natural hazard and human-

Urban Politics on the Fault Line

made vulnerabilities. Such a perspective raises questions about the “social, political and economic factors that leave certain places and certain people particularly exposed” (Angell 2014: 672) and supports the findings of Joffe et al. (2013), that vulnerability is perceived to stem from institutional malpractice. Besides looking at the rupturing fault line itself, an analysis thus also needs to involve “regulatory regimes, disaster preparedness standards, cultural norms and so forth” (Angell 2014: 672). The togetherness of these entities highlights a particular form of exposure and vulnerability that affords to look at the historical development of existing forms of protection and governmentality.

Exposure When the earthquake hit İzmit in 1999, only a minority of buildings in Istanbul met the official seismic codes (Ickert/Stewart 2016), which led to an estimated 30-40% of buildings to be at risk (Erdik/Durukal 2008).1 In the aftermath of this earthquake, the Urban Transformation Act was introduced – a policy that aims to protect Istanbul from a major earthquake by regulating and transforming the urban fabric and bringing the buildings in accordance with the official standards. One of the measures for risk mitigation was the establishment of around 470 assembly areas in Istanbul, determined within the framework of the Urgent Disaster Action Plan (Ocak 2017). Earthquake assembly areas serve as ‘escape areas’ which are big and wide areas in safe distance to buildings on which container cities can be established. They would provide infrastructure that can meet basic needs such as electricity, food, water, heating, showers, and toilets in the case of an earthquake. The importance of earthquake protection areas is essential since it can greatly serve to reduce 1

One of the main reasons for this is the rapid urban growth from 800.000 residents in 1930 to 10 million in 2000 and 15 million in 2018. This immense growth has led to the development of so-called 'gecekondu' (built overnight) neighbourhoods, consisting of buildings that have been built in a very short time in the 1940s. These districts are characterised by low-quality and substandard buildings, which makes them especially vulnerable (Ickert and Stewart 2016). It was, however, not mainly those gecekondu neighbourhoods but especially middle-class areas, which were due to the immense growth in the area and thereby through the construction of multi-story houses very particularly affected by the 1999 earthquake. Most of the structures which were destroyed were apartment blocks built approximately two decades before the 1999 earthquake.

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the loss of lives and to assure a safe place to escape after an earthquake, especially for those living in particularly risky areas and buildings. However, on the 18th anniversary of the 1999 disaster, the Union of Chambers of Turkish Engineers and Architects (TMMOB, Türk Mühendis ve Mimar Odaları Birliği) published a statement revealing that 300 out of 470 areas previously assigned as earthquake assembly areas in Istanbul were released for the usage as shopping malls and business centres and that despite strong risk mitigation policies, Istanbul remains particularly vulnerable (TMMOB 2017). The response of AFAD was that there still exist enough protection zones, even more than previously planned, and that the critique is unjustified. TMMOB did, however, show that AFAD counted yards, little parks and other free areas without the necessary structures and requirements as protection zones. Furthermore, many of these proclaimed places were in close proximity to high buildings and did not fulfil the requirements to count as an emergency protection area. According to TMMOB, there are currently only 77 assembly areas that actually meet the necessary criteria (Köker/Yazan 2019). It thus wouldn’t be exaggerated to state that Istanbul’s authorities have privatised its public spaces which were supposed to be used as shelters. This leaves the question open where people should gather and find shelter after an earthquake rupture. This has become a matter of public concern and led to protest and debates in Istanbul. Reccurring slogans thereby show that the relation between exposure, vulnerability and privatisation resonates in the public perception. Slogans such as “don’t touch my earthquake protection zone” (deprem toplanma alanıma dokunma), “no project areas, but earthquake protection zone” (proje alanı değil, deprem toplanma alanı) or as already mentioned “earthquakes don’t kill people, buildings do” (deprem değil, bina öldürür) can be read as a demand to reclaim public space and as an awareness that Istanbul’s residents are vulnerable – not because of the earthquake itself, but for political reasons. This demand, to reclaim the right to the city, motivates people to go on the streets and protest against Turkey’s “neoliberal transformation” (Eliçin 2014). The problem of weak and fragile buildings also became a matter of concern for Turkish people who live on the fault zone. The slogan “earthquakes don’t kill people, buildings do” became, in Angell’s terms “an accusation that locates moral and political responsibility for the disaster with the people and institutions that made those buildings weak” (Angell 2014: 672). Thus understood, exposure is the result of decisions and political practices and takes the form of an anticipation in which vulnerabilities become concrete in the present.

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Concrete To claim that vulnerabilities become concrete plays with the dual meaning of the word. Concrete stands for the building material used for construction, but also means that something is actual and tangible. While on one hand, it is clear and certain that people are particularly vulnerable, on the other hand, we can also see that this actual vulnerability is represented and reinforced in the concrete urban structures of Istanbul. This reminds of Deville et al.’s (2014) notion of concrete governmentality, designating the way in which “governmental institutions use concrete structures to, quite literally, build up their conceptualizations of risk and the role of government in protecting civilians” (Deville et al. 2014: 186). The way in which shelters are constructed - and how practices of preparedness look – are concretisations of existing conceptualisations of risk and perceived vulnerabilities. While far-reaching and promising measures have been established and materialised in the creation of protection areas in Istanbul, it can now be seen how the protection areas diminished over the years. When shelters are materialisations of governmental “conceptualisations of risk”, to condone the loss of shelters indicates a strategic concealment of the danger and a shift in the valuation of priorities. To better understand how the official risk mitigation policies actually manifests vulnerabilities, it is worth looking again at Istanbul’s urban renewal policy. Eliçin (2014) argues that the Urban Transformation Act follows a double agenda. While it directly refers to earthquake risk mitigation, the implicit agenda is urban transformation and gentrification. Its official goal is to set forth principles and procedures for the assessment and improvement of areas under disaster risk – areas that could “engender loss of lives and property, due to surface structures or settlements” (Tarakçı and Özkan 2015: 69) – and which identification has to be made by the Ministry or Administration. Despite its apparent intention to be only for buildings under risk, article 3 of the Urban Transformation Act states that those buildings in the perimeters of the implementation area are also subject to the Act, to make sure it can be implemented integrally (Eliçin 2014). In this way, the Urban Transformation Act mainly serves as a means to “eliminate legal regulations that are likely to constitute an obstacle for the construction sector” (Eliçin 2014: 151). The term ‘urban transformation’ is, as formulated by Tolga İslam , rhetorically used as a “magic term used by politicians at all levels as a tool to justify how they organise the physical sphere” and “a solution to almost all of the city’s ills” (İslam 2010: 60). Earthquake risk mitigation is used as

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a means to realise gentrification and to “serve to appropriate existing land for the use of higher-status groups” (Uzun 2013: 241). It is in this sense that vulnerability has a particular quality, as Turkish public authorities state that the problem of earthquake risk has been taken into account, while it is actually instrumentally used as a means for other ends and leaves lower status groups particularly exposed.

Vulnerability In her theory of vulnerability, Judith Butler emphasises a relational understanding of the self as always dependent on others. Unlike common understandings of vulnerability, as set by the Oxford Dictionary as being “exposed to the possibility of being attacked or harmed” (Soanes and Hawker 2006), Butler puts forth an understanding as “a susceptibility to others that is unwilled, unchosen, that is a condition of our responsiveness to others” (Butler 2005: 87–88). Vulnerability means to be always “already in the hands of the other” (Butler and Athanasiu 2013: 95) and is thus a precondition of human life consisting of an enduring exposure to others. Even if vulnerability may be a precondition of human life, it is, as Hentschel and Krasmann (this volume) show, about to see how vulnerability is seen and experienced. In the case of Istanbul awaiting its earthquake, we can see how vulnerability stems from political decisions and profit maximisation. Exposure lies in this humanmade imminence and leads to the anticipation of catastrophe, wherein the nature of this form of exposure lies. In this sense, we can read Butler’s understanding of vulnerability as one that must be grasped in their particular quality and form. It arises from decisions and political practices on which people’s safety depends. For the case of earthquake preparedness in Istanbul, this being “in the hands of the other” becomes crucial for understanding the public perception of risk. Martin Coward argues that our material surroundings play an active role in constituting our subjectivity and establishing community. The urban fabric is through which “the mobilities that define contemporary subjectivity emerge” (Coward 2012: 474) and which becomes subject to Turkey’s concrete governmentality. It is especially the materiality of what is “between us in the city” (Coward, 2012), the infrastructure, buildings or technology, which becomes constitutive for the political subjectivity, and which has become threatening and dangerous in Istanbul. Concrete, which is something

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stable, something that lasts, has become fragile. Especially in its fragility, concrete’s massiveness and stiffness becomes a destructive power. It is this brittleness that is “between” Istanbul’s residents and through which they “become a political collectivity” (Coward 2012: 468), however, a fragile one. The anticipation of and exposure to the coming earthquake makes the political constitution of a ‘natural disaster’ visible. This points towards what may be called concrete vulnerability: material and concrete structures that manifest, maintain and reinforce vulnerability. Shelters are materialisations of existing ideas about government preparedness and of existing vulnerabilities. These shelters may undergo transformations which involve further changes in ideas about preparedness and vulnerability. The decomposition of shelters is one form of such a transformation. Shelters that cease or change their usage enact a decomposition of preparedness, “a decomposition of the idea of the state as materially responsible for the survival of its population” (Deville et al. 2014: 200). Shelters do not merely limit risk and provide safety; they also suggest raising the question about who needs protection and why. As we have seen, Turkey’s Urban Transformation does not mainly serve to protect the people, but rather facilitates an organised restructuring of the city through which public space becomes a commodity. The disparity between the use value and the exchange value of urban space and thereby the prioritisation of the exchange value leads to the creation of spaces for speculation and the accumulation of profit instead of its usage as shelters (see Adanalı 2013: 38; also Lefebvre 1991). It is the same struggle over the city on which the Gezi Park protests emerged and politicised people from a variety of different backgrounds. The protest emerged in response to a construction plan to demolish a public park in the centre of Istanbul, so that a shopping mall and luxury residence complex could be built in its place – all done under in the name of urban transformation. Against this attempt to commodify public good and spaces, the protests became a nationwide revolt. The slogan ‘Sermaye defol, Gezi Parkı bizimdir’(Capital be gone, Gezi Park is ours) represents, as Kuymulu (2013) rightly states, this struggle against authoritarian neoliberal urbanism and emphasises how vulnerability is experienced and articulated in contemporary neoliberal societies (see also Kuymulu 2013).

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Conclusion: Materialities of Vulnerability A major earthquake is on its way from the east to the west of Turkey on the North Anatolian Fault Line and will most likely hit the city of Istanbul. While around 500 earthquake protection zones have been established since the 1999 Izmit earthquake, most of them have by now changed into shopping malls or business centres. The logic of commodification of public space shows how apparent risk mitigation policies entail a valuation that leaves some people particularly exposed. Vulnerability increases, as the promise of disaster management is neglected. Publications and protests are an indication that the exposure happens in anticipation, wherein the central contribution of this essay to this volume lies; namely to highlight the temporality and anticipation of exposure. The very anticipation of such moments of exposure make concrete forms of vulnerability visible in the sense that material and concrete structures manifest, maintain and reinforce vulnerabilities.

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»Deaf President Now« Gehörlose bringen sich zur Sprache Max Gropper

Abbildung 1: ILY-Gebärde, Grafik von: Alesia Frommeyer.

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Max Gropper

Der Protest gehörloser Studierender   an der Gallaudet University 1988 Im Jahr 1987 tritt Jerry Lee, hörender Präsident der Gallaudet University in Washington D. C., von seinem Amt zurück. Auf dem Campus der weltweit einzigen geisteswissenschaftlich ausgerichteten Universität für Gehörlose und Zentrum der internationalen Gemeinschaft der Gehörlosen keimt bei den Studierenden die Hoffnung, dass erstmals in der 124-jährigen Geschichte der Universität ein gehörloser Präsident oder eine gehörlose Präsidentin gewählt werden könnte.1 Bestärkt wird diese Hoffnung dadurch, dass zu diesem Zeitpunkt über 100 gehörlose Menschen mit Doktortitel an der Universität beschäftigt sind, die sich potentiell auf diese Stelle bewerben könnten. Zur engeren Wahl stellen sich zwei gehörlose und eine hörende Kandidatin. Am 1. Mai 1988, eine Woche vor der Wahl, demonstrieren dreitausend Menschen an der Gallaudet University mit der Forderung, dass dieser Posten mit einer gehörlosen Person besetzt wird. Während die Studierenden und gehörlosen Mitarbeiter der Gallaudet University davon überzeugt sind, dass Gehörlose keine Bevormundung durch eine hörende Verwaltung benötigen und über die Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, selbstbestimmt für sich einzustehen, ist man gespannt, ob die hörende Verwaltung sowie das Wahlkuratorium, in welchem nur vier der 21 Mitglieder selbst gehörlos sind, diese Auffassung teilen. Am 6. März verkündet das Wahlkuratorium in einer Pressemitteilung die Ernennung der hörenden Kandidatin Dr. Elisabeth Ann Zinser zur siebten Präsidentin der Gallaudet University. Als Reaktion auf die Wahl von Dr. Zinser und den von Jane Bassett Spilman, der Leiterin des Wahlkuratoriums, vermeintlich geäußerten Satz »Deaf people are not ready to function in a hearing world« (Pianin/Sinclair 1988) protestieren in der darauffolgenden Woche abermals tausende Menschen vor der

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Die Beschreibung der »Deaf President Now«-Bewegung basiert auf der Darstellung der Gallaudet University (2019) sowie Sacks (2015).

»Deaf President Now«

Gallaudet University, sie blockieren Straßenzüge und ziehen in Demonstrationsmärschen vor das Weiße Haus. Die Forderungen der Demonstrierenden waren erstens der Rücktritt von Zinser und die Wahl eines neuen gehörlosen Präsidenten, zweitens der Rücktritt von Spilman aus dem Wahlkuratorium, drittens solle der Anteil der gehörlosen Kuratoriumsmitglieder auf mindestens 51 % erhöht werden und viertens dürfe es nicht zu Repressalien gegenüber den Protestierenden kommen. Durch die rasant steigende überregionale mediale Berichterstattung steigt der Druck auf die Administration. Am 10. März gibt Dr. Zinser ihren Rücktritt bekannt und am 13. März 1988 wird mit Dr. Irving King Jordan der erste gehörlose Präsident der Gallaudet University gewählt. Als ein Reporter anschließend die Frage stellt: »Okay. All of this is good, but even if deaf people have a college education […]. What can they do with a college education?« antwortet Jordan mit einem Satz, der bis heute in Gehörlosengemeinschaften weltweit zitiert wird: »Where have you been all week? Deaf people can do anything but hear.« (SVRS 2015)2

Emanzipation der Gehörlosen In der Entscheidung des Wahlkuratoriums für eine hörende Präsidentin manifestiert sich die Grundhaltung, dass administrativen Fähigkeiten für diese Position eine weitaus höhere Relevanz zuzuschreiben ist als linguistischen und kulturellen Aspekten (vgl. Jankowski 2002: 2).3 Darin zeigt sich ein spezifischer Moment des Ungeschützt- und Ausgesetzt-Seins gehörloser Men2

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Die »Deaf President Now«-Bewegung als Akt der Exposure stellt einen wichtigen Wendepunkt in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Gehörlosigkeit weg von einer Defizitorientierung hin zur Wahrnehmung als kulturstiftendes Phänomen in der amerikanischen Gesellschaft dar. Da dieser Moment der Emanzipation gehörloser Menschen im deutschsprachigen Kontext bisher derart nicht stattgefunden hat, versteht sich der vorliegende Text als ›kleiner‹ Akt der Exposure. Das Ziel ist es, im deutschsprachigen Raum neben der Analyse der »Deaf President Now«-Bewegung Einblicke in die Geschichte der Gehörlosenkultur zu bieten und dadurch zum Umdenken im hegemonialen Diskurs beizutragen. Bezeichnend ist auch, dass Jane Bassett Spilman in ihrer siebenjährigen Amtszeit als Kuratoriumsvorsitzende »nicht mehr als ein paar ›Brocken‹ Gebärdensprache gelernt« (Sacks 2015: 193) hat. Sacks berichtet: »Ich sehe eine Studentin, die ihrem Hund Befehle in Gebärdensprache gibt. Brav legt er sich auf den Rücken, macht ›Bitte‹ und gibt Pfötchen. Sie hat ihm ein weißes Tuch umgebunden, auf dem steht: ICH VERSTEHE DIE GEBÄRDENSPRACHE BESSER ALS SPILMAN« (ebd. [Hervorheb. i. O.]).

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Abbildung 2: »Deaf-President-Now«-Proteste am U.S. Capitol, Washington D. C. Das Foto wurde freundlicherweise vom Archiv der Gallaudet University, Washington D. C. zur Publikation zur Verfügung gestellt.

schen gegenüber einer Gruppe paternalistisch auftretender hörender Menschen, deren politische Entscheidungen die Belange gehörloser Menschen regeln. Die Betrachtung der »Deaf President Now«-Bewegung als Akt der Exposure (Hentschel/Krasmann 2018) zeigt, wie eine marginalisierte Gruppe in den öffentlichen Raum tritt und durch die öffentlichkeitswirksame Infragestellung des Phonozentrismus der bestehenden und als ›normal‹ wahrgenommenen sozialen Ordnung diese vermeintliche Normalität aktiv hinterfragt. Die historisch als alternativlos erachtete pathologische Perspektive auf gehörlose Menschen innerhalb einer hörenden Gesellschaft wird brüchig und ermöglicht es gehörlosen Menschen, sich selbst gesellschaftlich zur Sprache

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zu bringen. Was man zu dieser Zeit noch nicht wissen kann: Im Ergebnis geht daraus ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation gehörloser Menschen hervor. Hentschel und Krasmann betonen, dass Momente der Exposure »selten allein [stehen]. Sie verbinden sich mit anderen Akten beziehungsweise werden mit diesen in Verbindung gebracht« (ebd.: 50). Betrachtet man die Geschehnisse an der Gallaudet University eingebettet in den historischen Umgang einer hörenden Mehrheitsgesellschaft mit dem Phänomen ›Gehörlosigkeit‹ wird deutlich, dass es sich bei der »Deaf President Now«Bewegung um mehr als ein singuläres Ereignis zur Besetzung eines administrativen Postens handelt. Vielmehr stellt diese einen Schlüsselmoment für die Emanzipation einer anerkannten Gehörlosenkultur und die Manifestation eines Kampfes um die Gebärdensprache als anerkannte und eigenständige Kommunikationsform im öffentlichen Raum dar (vgl. Jankowski 2002: 7ff). Einer phonozentrischen Gesellschaft, in der die gesprochene und gehörte Sprache das wichtigste Medium der Kommunikation darstellt, fällt es schwer sich vorzustellen, wie Kommunikation ohne dieses Medium stattfinden könnte. So beschreibt schon Abbeé Sicard, einer der ersten Gehörlosenlehrer in Frankreich, den gehörlosen Menschen als »ein Wesen, welches in der Gesellschaft ein totales Nichts ist, ein lebender Automat. […] Bevor wir den Schleier lüften, der seinen Geist verhüllt, hat er nicht einmal primitive animalische Instinkte« (zitiert nach Lane 1988: 43). Es herrscht die auch bis heute noch verbreitete Vorstellung vor, dass Intellekt und Identität sich nur auf der Grundlage von lautsprachlicher Kommunikation entwickeln können. Ebendiese Fähigkeit wird der Gebärdensprache abgesprochen, da sie als ausschließlich pantomimisches Kommunikationsmedium zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse (Essen, Schlafen etc.) betrachtet wird, mittels der eine Äußerung abstrakter und gegenstandslosgelöster Gedanken nicht möglich sei (vgl. u.a. Lane 1988: 22; 57f; Sacks 2015: 41ff). Leben Gehörlose in den USA zu Beginn des 19. Jahrhunderts zumeist ohne die Möglichkeit, Bildung zu erhalten, legt die Gründung der ersten Gehörlosenschule im Jahr 1817 in Hartford, Connecticut durch Thomas Hopkins Gallaudet und Laurent Clerc, dem ersten gehörlosen Lehrer der Welt, den Grundstein für die Vergemeinschaftung Gehörloser in den USA. Wird zunächst eine Form methodischer Gebärden für den Unterricht angewandt, bei dem die englische Sprache Wort für Wort in Gebärden übertragen wird, so stellen die Lehrer*innen bald fest, dass die Schüler*innen bereits über eine eigene und ›natürlich‹ entwickelte Form der Gebärdensprache verfügen und erkennen den Mehrwert, die Schüler*innen in ihrer eigenen, ›natürlichen‹

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Sprache, der American Sign Language (ASL), zu unterrichten. Viele Gehörlose zu dieser Zeit begegnen an den Gehörlosenschulen zum ersten Mal anderen Gehörlosen und der Möglichkeit, eine gemeinsame Sprache zu erlernen und mit anderen zu kommunizieren. Ist Clerc zunächst für viele Jahre der einzige gehörlose Lehrer, führt die Etablierung eines Bildungssystems für Gehörlose dazu, dass nach ihrem Abschluss immer mehr Gehörlose als Lehrer*innen an den Gehörlosenschulen bleiben. Neben Clerc setzt sich insbesondere Edward Miner Gallaudet, der Gründer der Gallaudet University und Sohn von Thomas Gallaudet, für einen Perspektivenwechsel im Umgang mit gehörlosen Menschen ein. Anstatt Gehörlosigkeit als Behinderung zu stigmatisieren, betont er, dass Gehörlose durch eine adäquate Bildung unter Verwendung der ASL zu mündigen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden können (vgl. Gannon 1989: 16). Im Jahr 1870 sind 42,5 % der Lehrer an Gehörlosenschulen in den USA selbst gehörlos. 1895 sind es jedoch nur noch 22 % und bis 1917 reduziert sich die Zahl gehörloser Lehrer schließlich auf 14,5 % (vgl. Jones 1918: 12). Was war geschehen? Parallel zur Entstehung der ersten Gehörlosenschulen und einer ersten Etablierung der Gebärdensprache als anerkanntes Kommunikationssystem im Unterricht entwickelt sich in Europa und den USA eine Gegenbewegung hörender Gehörlosenpädagog*innen mit der Ansicht, dass Gehörlose nur durch Lippenlesen und Lernen der Lautsprache als vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft integriert werden können. Die Gebärdensprache wird als Störfaktor betrachtet, durch den das Lernen der Lautsprache und eine Integration gehörloser Menschen in die hörende Gesellschaft verhindert wird. In der Sichtweise der Gehörlosigkeit als zu kompensierende Behinderung, die eine Teilhabe an der Gesellschaft unmöglich macht, ist das erklärte Ziel hörender Pädagog*innen die Integration der Gehörlosen in die hörende Mehrheitsgesellschaft durch Lautsprache. Die Bemühungen, die Gebärdensprache aus den Klassenzimmern zu verdrängen, gipfeln 1880 in dem Mailänder Kongress, an dem der Entschluss gefasst wird, dass nur durch die Vermittlung von Lautsprache eine Integration gehörloser Menschen in die Gesellschaft sowie eine moralische und intellektuelle Entwicklung möglich sei und die Verwendung der Gebärdensprache diese Entwicklung massiv beeinträchtige.4 Als Ergebnis wird beschlossen, die Gebärdensprache in den Schulen

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Von den 164 Teilnehmenden des Mailänder Kongresses ist nur einer der anwesenden Pädagog*innen selbst gehörlos. Siehe ausführlicher Lane (1988: 455ff).

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und öffentlichen Räumen zu verbieten und den Unterricht gehörloser Schüler*innen ausschließlich durch Lippenlesen und lautsprachliche Artikulation durchzuführen.5 Der Oralismus und die damit einhergehende Verbannung der Gebärdensprache aus den Klassenzimmern bleibt bis in die späten 1960er Jahre die dominante Unterrichtsform für Gehörlose in den USA (vgl. Jankowski 2002: 29f). In der Umsetzung bedeutet dies, dass im Unterricht den Schüler*innen die Hände auf den Rücken gebunden wurde, um die Kommunikation über Gebärden zu unterbinden, oder beispielsweise bei Artikulationsübungen den Gehörlosen mit einem Löffel im Mund die Zunge in die richtige Stellung zur Aussprache eines Buchstabens gedrückt wurde. Schüler*innen, die im Unterricht oder den Pausen die Gebärdensprache nutzten, wurden streng bestraft. Wurde es gehörlosen Menschen in den USA durch die Einrichtung der Gehörlosenschulen, in denen gehörlose Lehrer*innen an der Erziehung nachkommender Generationen mitwirken konnten, Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals möglich, sich aktiv an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen, so wird ihnen diese Partizipationsmöglichkeit durch die Beschlüsse des Mailänder Kongresses und der Bemühungen hörender Pädagog*innen zum Ende des 19. Jahrhunderts wieder aus der Hand genommen. Es etabliert sich ein System, in dem Gehörlose beständig von den sie betreffenden Entscheidungen ausgeschlossen werden und das bis in die 1960er Jahre den Umgang der Hörendenwelt mit gehörlosen Menschen dominiert. Erst im Zuge der sich wandelnden gesellschaftlichen Perspektive auf Behinderung, die in den 1940er und 50er Jahren durch das in den USA aufkommende »Disability Rights Movement«6 angestoßen wird, beginnt dieses System zu bröckeln. Die Diskussionen über die Belange von gesellschaftlichen Minderheiten und die ausbleibenden Erfolge in der Integration Gehörloser mittels der oralen Methode führen zu einem neuen Selbstbewusstsein gehörloser Menschen, sich aktiv für ihre Belange einzusetzen. Zu diesem neuen Selbstbewusstsein trägt maßgeblich auch die wissenschaftliche Publikation von William C. Stokoe (1960) zur linguistischen Struktur der amerikanischen 5

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Als Folge wird ein großer Teil des Curriculums durch Übungen zur Artikulation und des Lippenlesens ersetzt, wodurch ein breiter Zugang zu Bildung drastisch eingeschränkt wird. Zum Wandel in der gesellschaftlichen Betrachtung und dem Umgang Minderheitengruppen sowie die historische Einbettung der »Deaf President Now«-Bewegung in den Kontext sozialer Bewegungen der 1950er bis 1990er Jahre siehe u.a. Pelka (2012) und Jankowski (2002: 67-98).

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Gebärdensprache bei: Betrachten viele Gehörlose selbst die Gebärdensprache nicht als tatsächliche Sprache, so gelingt es Stokoe aus strukturalistischer Perspektive, die Gebärdensprache anhand ihrer Einzelbestandteile wie der Handform, der Bewegung und der Ausführungsstelle am Körper als vollwertiges Sprachsystem zu analysieren. Dies bildet die Grundlage dafür, dass Ende des 20. Jahrhunderts der gebärdensprachliche Unterricht langsam seinen Weg zurück in die amerikanischen Klassenzimmer finden kann. Das wachsende Selbstbewusstsein gehörloser Menschen führt zudem dazu, dass immer mehr Gehörlose, wie beispielsweise in dem Oscar-prämierten Film Children of a Lesser God von 1986, in die Öffentlichkeit treten und dadurch der hörenden Mehrheitsgesellschaft die ASL sichtbar machen. Junge Gehörlose dieser Zeit wachsen mit einem neuen Selbstbewusstsein für ihre Gehörlosigkeit und ihre Sprache auf und die Formulierung des Wunsches nach Eigenmündigkeit verstärkt sich. Die Proteste an der Gallaudet University werden zum Symbol der Emanzipation der Gehörlosengemeinschaft und dem Kampf um die eigene Sprache. Die Gebärdensprache, welche von hörenden Pädagog*innen historisch als ›Abnormalität‹ betrachtet worden ist, wird zu einem Distinktions- und Identifikationsmerkmal einer Gehörlosenkultur (vgl. Gannon 1989: 17ff).

Gehörlose bringen sich zur Sprache »I cannot begin to count the number of times, right here in Washington, D. C., I have been speaking with someone who asks, ›Where do you work?‹ When I respond that I work at Gallaudet University, it inevitably draws a blank stare. I then spend a few minutes describing Gallaudet and our student population. People have always been surprised that such a unique university exists right under their noses and that they knew nothing whatsoever about it. I have now been president of Gallaudet since March 13, 1988. In the time since then, not once have I had the experience I just described, not in Washington, D. C., not in New York, Boston, Chicago, Los Angeles, Honolulu, Toronto, Philadelphia, or Dallas, not even in London! The response I get now when I tell people where I work is one of excitement. ›Wow,‹ they say, ›that must be an exciting place to work. What’s going on there now?‹« (Jordan 1989: 173). Das Zitat von Irving King Jordan zeugt von einer veränderten Wahrnehmung der Gehörlosen in der Öffentlichkeit. Sind gehörlose Menschen und ihre Be-

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lange bis dahin eingebettet in einen Spezialdiskurs, der primär durch hörende Pädagog*innen und Wissenschaftler*innen über den Kopf der Betreffenden hinweg geführt und im öffentlichen Raum eher wenig bis gar nicht wahrgenommen wird, rückt die internationale Berichterstattung über die »Deaf President Now«-Bewegung die Belange gehörloser Menschen in den breiten öffentlichen Diskurs. Heutzutage gehört der Unterricht in amerikanischer Gebärdensprache zum festen Inventar in der Bildung und Erziehung gehörloser Kinder und Jugendlicher; seit Jordan ist jeder Präsident und jede Präsidentin der Gallaudet University gehörlos; die Beforschung der Geschichte und Kultur gehörloser Menschen etabliert sich im Rahmen der Deaf Studies als international anerkannte wissenschaftliche Disziplin; Fernsehserien und Filme wie Switched at Birth (2011) oder A Quiet Place (2018) richten öffentlichkeitswirksam die Gehörlosenkultur und die ASL in den Mittelpunkt; an den Universitäten der USA ist die ASL 2009 nach Spanisch, Französisch und Deutsch die am vierthäufigsten gelernte Fremdsprache und neben Spanisch und Koreanisch die einzige Sprache, deren Schüler*innenzahlen stetig steigen (vgl. Furman/Goldberg/Lusin 2010: 3f). Deutsche Gehörlose berichten dem Autor dieses Textes7 begeistert von Reiseerlebnissen in den USA, wo die Kommunikation in Gebärdensprache in öffentlichen Einrichtungen oder Hotels kein Problem darstellt, da häufig gebärdensprachkompetentes Personal vor Ort ist. In der »Deaf President Now«-Bewegung manifestiert sich sichtbar, was in ein komplexes force field der ›Verlautbarungen‹ unterschiedlicher Interessensgruppen eingebunden ist. Der Wandel im Selbstbewusstsein der Gehörlosen legt den Grundstein für den Moment der Exposure: Durch die gemeinsame Sprache und Kultur nehmen sich Gehörlose erstmals selbst als Interessengruppe wahr, die sich in der Öffentlichkeit sichtbar macht und aktiv im Diskurs Position bezieht. Als einen der zentralen Aspekte decken die zunächst ergebnisoffenen Proteste an der Gallaudet University, insbesondere durch die Verwendung der Gebärdensprache, öffentlich den hegemonialen Phonozentrismus auf und stellen die gängigen Anerkennungsschemata und -praktiken als kontingent heraus (vgl. Butler 2012: 120). Denn »unlike other marginalized group members who declare loudly their demand to be heard in a modality

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Angestoßen durch einen gehörlosen Sprachlehrer in Deutscher Gebärdensprache (DGS) besucht der Autor regelmäßig Veranstaltungen des örtlichen Gehörlosenvereins und Gebärdensprachstammtische.

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shared by the dominant society, Deaf Americans are excluded from communicating their demands in that dominant mode of speech« (Jankowski 2002: 10). Ein Versuch der Emanzipation durch die Verwendung der Lautsprache würde zwangsläufig die Hierarchisierung und Unterordnung gehörloser Menschen insofern verstärken, als eine mögliche Inklusion in die Gesellschaft nur unter Anpassung der Gehörlosen an die Hörenden gelingen könnte. Die »Deaf President Now«-Bewegung nutzte andere kommunikative Mittel. Der öffentliche Protest, die Blockade der Universität und der Straßen in Washington D. C. und die Märsche vor das Weiße Haus drängen die gesprochene Sprache in die Nebensächlichkeit: Die Körperlichkeit und die Sichtbarkeit der Gehörlosen im öffentlichen Raum zwingt die hörende Gesellschaft dazu, den Blick auf sie zu richten. Der Titel des Buches zur chronologischen Dokumentation der Geschehnisse, The week the world heard Gallaudet (Gannon 1989), bringt auf den Punkt, dass sich in einer hörenden Gesellschaft Gehör zu verschaffen damit gleichzusetzen ist, sich im öffentlichen Raum sichtbar zu machen, sich eine Bühne zu verschaffen (Rancière 2016) und eine Sprecher*innenposition auf Augenhöhe im Diskurs einzufordern. Mehr noch lässt sich das ›sich-zurSprache-Bringen‹ in doppeltem Wortsinn verstehen: Neben dem Einfordern einer Sprecher*innenrolle im Diskurs ist damit die Forderung nach einem Perspektivwechsel der Gesellschaft verbunden - weg von Gehörlosigkeit als einer auszugleichenden Behinderung hin zu dem Verständnis der Gehörlosigkeit als eigenständige Kultur, mit eigener Sprache, eigener Literatur, eigener Kunst sowie eigenen Geschichten und Mythen. Die Relevanz des Perspektivenwechsels lässt sich mit Thomas Luckmann (1979: 2) hervorheben, wenn er schreibt, dass die Einstellungs-, Denk- und Wertungszusammenhänge, welche eine Kultur bestimmen, vornehmlich in der Sprache objektiviert sind und durch diese vermittelt werden: »Ein bestimmter Lebens-›Stil‹ einer Gesellschaft, einer sozialen Schicht, einer Gruppe wird im Sozialisierungsprozeß [sic!] sprachlich vermittelt und wird im Verlauf der Einzelbiographie zum gewohnheitsmäßigen subjektiven ›inner-sprachlichen‹ Denk- und Erfahrungsstil: zu einer Routine der handlungssteuernden Weltorientierung.« Luckmann kommt für die Sprachsoziologie zu dem Schluss, dass »Sprache und Sprechen etwas so Selbstverständliches [waren], Schwierigkeiten, welche Sprache und Sprechen betrafen, so offensichtlich individueller und individuell-pathologischer Art« (ebd.: 3) sein mussten, dass diese nicht weiter hinterfragt wurden und somit auch nicht in den Fokus soziologischer Arbeiten

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genommen wurden. In diesen Zitaten spiegelt sich ein gängiges Wahrnehmungsmuster wider: Die Aneignung der Wirklichkeit durch Sprache als Lautsprache und deren Verwendung zur Kommunikation erscheint als etwas so grundlegend Gegebenes, gar etwas ›Natürliches‹, dass diese nicht hinterfragt wird. Momente, in denen diese Grundannahme hinterfragt werden, werden als individuelle Abweichung pathologisiert. Dieser Gedanke manifestiert sich im Alltagsdenken der hörenden Mehrheitsgesellschaft. Erst die oben erwähnte Arbeit von Stokoe führte zu einem neuen Selbstverständnis der Gehörlosen: Ihre Sprache ist, mit Bezug auf Luckmann, der Grundpfeiler ihres Lebensstils, ihres Denk- und Erfahrungsstils, ihrer Einstellungen und ihrer Kultur. Zum Zeichen dieses neuen Selbstverständnisses wird die Gebärde ›ILY‹ (I love you), welche weltweit als Zeichen für die Zugehörigkeit zur Gehörlosenkultur verwendet wird. Erst durch die Wahrnehmung der sie vereinenden Sprache eben nicht als etwas Pathologisches und den Einzelnen als von der Norm abweichend Stigmatisierendes sondern als Distinktionsmerkmal einer eigenen Kultur, kann eine Gehörlosengemeinschaft entstehen, welche sich aktiv für die gemeinsamen Belange gehörloser Menschen einsetzen kann. Dieses ›sichzur-Sprache-Bringen‹ legt damit den Grundstein dafür, dass sich Gehörlose überhaupt als Gruppe – und damit auch als politische Subjekte – erfahren und sich dadurch in ein Feld der politischen Auseinandersetzung begeben. Erst durch diesen Prozess ergibt sich die Möglichkeit, innerhalb des Diskurses die notwendigen Sprecher*innenpositionen einzunehmen, die »damit einher gehenden [sic!] ›Chancen auf Gehör‹« (Keller 2007) zu schaffen und den Weg für den Moment der Exposure zu ebnen, in dem man sich aktiv zur Sprache bringen kann.

Die »Deaf-President-Now«-Bewegung als Akt der Exposure Im Akt des sich sichtbar ›zur-Sprache-Bringens‹ in der »Deaf President Now«Bewegung manifestiert sich der doppelseitige Charakter der Exposure. Auf der einen Seite zeigt sich die Verwundbarkeit und die historische Erfahrung Gehörloser der Willkür einer hörenden Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt und untergeordnet zu sein. Auf der anderen Seite kann diese Verwundbarkeit produktiv gewendet werden und sich zu einer treibenden Kraft entwickeln, um den sozialkonstruktivistischen Charakter bestehender und gelebter Normen aktiv zu hinterfragen und zukunftsgerichtet auf eine Neustrukturierung der Verhältnisse hinzuarbeiten, in der die »in die Sichtbarkeit Drängenden in ih-

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rer Angewiesenheit auf Andere und Anderes, ihrem Gefährdetsein und ihrer Schutzbedürftigkeit [ebenso] anerkannt sind« (Pistrol 2016: 263). Daraus resultierend können die positiven Einflüsse, die eine gehörlose Perspektive für eine hörende Gesellschaft haben können, in die Gesellschaft integriert werden. Die Einbettung der »Deaf President Now«-Bewegung in einen historischen Kontext, der zu diesem speziellen Moment der Exposure geführt hat sowie die daraus entstehende Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Diskurs, ermöglicht es, den Moment der Exposure als einen zentralen Moment der Weichenstellung in der Geschichte der Gehörlosenkultur in der USA zu begreifen, an dem ein neuer gesellschaftlicher Pfad eingeschlagen wird, dessen Entwicklung und Endpunkt erst retrospektiv beschrieben werden kann. Auch der in der aktuellen Diskussion neuerdings auftauchende Terminus des ›Deaf-Gain‹ als Kontrastfolie zur Perspektive auf den ›Hearing-Loss‹ betont nicht den Mangel, sondern beschreibt Gehörlosigkeit als »Form menschlicher Diversität, die einen wichtigen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft insgesamt leisten kann« (Bauman/Murray 2014: 18). Stellt der Moment der Exposure zunächst die Infragestellung des herrschenden Status Quo mit offenem Ausgang dar, kann aus heutiger Perspektive und in der historischen Bezugnahme auf die Ereignisse an der Gallaudet University im Jahr 1988 dieser Moment als Wendepunkt im hegemonialen Denken über Gehörlosigkeit und die Gebärdensprache betrachtet werden. Die Auswirkungen zeigen sich insbesondere darin, dass sich die ASL heutzutage in den USA als ein gängiges und selbstverständlich gewordenes Kommunikationsmedium – nicht nur für Gehörlose – institutionalisiert hat. Die analytische Betrachtung der »Deaf President Now«-Bewegung als Akt der Exposure zeigt, dass zwar viele Momente das Potential einer Exposure in sich tragen, sich jedoch nur retrospektiv analysieren lässt, ob diese sich tatsächlich zu einer Exposure entwickeln, oder ungehört verhallen. Die retrospektive Betrachtung ermöglicht es, drei für die Entstehung der Exposure wesentliche Aspekte herauszuarbeiten: Erstens muss ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb einer Gruppe in Distinktion zu einer anderen Gruppe entstehen. Zweitens ermöglicht diese Distinktion die Bewusstwerdung einer Stigmatisierung durch die andere Gruppe, wie etwa erst durch die Anerkennung einer Gehörlosengemeinschaft die Wahl einer hörenden Universitätspräsidentin als stigmatisierende Handlung betrachtet werden kann. Drittens müssen, mit Ranciere gesprochen, die bis dahin Anteillosen aktiv werden und sich aktiv in den Diskurs einbringen, indem sie »eine Rede hören [lassen], die [bis dahin] nur als Lärm gehört wurde« (Rancière 2016: 41).

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Abbildung 3: »We Still Have A Dream«: Protestierende vor der Gallaudet University, Washington D. C.; das Foto wurde freundlicherweise vom Archiv der Gallaudet University, Washington D. C. zur Publikation zur Verfügung gestellt.

Literatur Bauman, H-Dirksen/Murray, Joseph (2014). »Deaf Studies im 21. Jahrhundert: »Deaf-gain« und die Zukunft der menschlichen Diversität«, Das Zeichen 96, 18-41. Butler, Judith (2012). Bodies in Alliance and the Politics of the Street, in M. McLagan/Y. McKee (Hg.): Sensible Politics. The Visual Culture of Nongovernmental Activism, New York: Zone Books, 117-137. Furman, Nelly/Goldberg, David/Lusin, Natalia (2010). Enrollments in Languages Other Than English in United States Institutions of Higher Education, Fall 2009, https://eric.ed.gov/?id=ED513861. Gannon, Jack R. (1989). The week the world heard Gallaudet, Washington, D.C: Gallaudet University Press. Hentschel, Christine/Krasmann, Susanne (2018). »Exposure«, in: A. Gottschalk/S. Kersten/F. Krämer (Hg.): Doing Space while Doing Gender – Vernet-

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zungen von Raum und Geschlecht in Forschung und Politik, Bielefeld: transcript, 43-50. Jankowski, Katherine A. (2002). Deaf empowerment: Emergence, Struggle, and Rhetoric. Washington, D.C: Gallaudet University Press. Jones, John W. (1918). One hundred years of history in the education of the deaf in America and its present status, American Annals of the Deaf 63(1), 1-47. Jordan, Iving K. (1989). Epilogue, in J. R. Gannon: The week the world heard Gallaudet, Washington, D.C: Gallaudet University Press, 173-176. Keller, Reiner (2007). Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung, Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research 8(2), Art. 19. Luckmann, Thomas (1979). Soziologie der Sprache, in R. König (Hg.): Sprache, Künste (2., überarbeitete Aufl.; Von T. Luckmann/A. Silbermann), Stuttgart: Enke, Dt. Taschenbuch Verlag. Pelka, Fred (2012). What we have done: An oral history of the disability rights movement. Amherst: University of Massachusetts Press. Pianin, Eric/Sinclair, Molly (1988). Congressman urges Zinser to resign, The Washington Post 10.03.1988, abrufbar unter https://www.washingtonpost. com/archive/politics/1988/03/10/congressman-urges-zinser-to-resign/ a16f2ea4-0968-40b5-a7e1-7e1962571196/?. Pistrol, Florian (2016). Vulnerabilität. Erläuterungen zu einem Schlüsselbergriff im Denken Judith Butlers, Zeitschrift für Praktische Philosophie, 3(1), 233272. Rancière, Jacques (2016). Das Unvernehmen: Politik und Philosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Stokoe, William C. (1960). Sign Language Structure: An Outline of the Visual Communication Systems of the American Deaf . Buffalo: University of Buffalo. SVRS (2015). »Deaf People: Tell Me More« featuring I. King Jordan [cc], https://www. youtube.com/watch?v=un0db3DH1j0. Uhlig, Anne C. (2012). Ethnographie der Gehörlosen: Kultur-KommunikationGemeinschaft. Bielefeld: transcript.

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy An Interview with Antonia Majaca and Ivana Bago

Questions and Edit: Jandra Böttger and Hannah Vögele (Q) Where Everything Is Yet to Happen (WEIYTH) took place in 2009 and 2010 in the framework of Spaport Biennale in Banja Luka, Mostar and Sarajevo, and involved a series of exhibitions, workshops, discussions, and new artistic productions, divided into two chapters: “Can you speak of this? -Yes, I Can” (2009) and “Exposures” (2010). The project was curated by Ivana Bago and Antonia Majaca, founders of Delve | Institute for Duration, Location, and Variables, and its first edition, “Can you speak of this? -Yes, I Can” included a collaboration with a team of invited co-curators: Anselm Franke, Ana Janevski, Vit Havranek & Zbynek Baladran, Erden Kosova, Nina Möntmann and Jelena Vesić. Following the first, decidedly international exhibition, Exposures focused on artists, film-makers, and intellectuals whose work addressed the social, ideological, and economic aspects of the violent destruction of Yugoslavia. Building on the topics opened up by the first exhibition – the questions of collaboration, complicity, exile and return, the politics of language, the politics of memory, the culturalization of politics and the politicization of art – Exposures sought to constitute new, temporary communities of artists, theoreticians, activists, students and curators willing to embrace the curators’ proposal of the notion of exposure as a state of radical uncertainty and vulnerability, and as a condition for the counter-hegemonic work of social transformation. Q: Could you briefly describe the project and its beginnings? How did you come to work with the term ‘exposure’? Ivana: Exposures is the title of the second ‘chapter’ of a two-year project called Where Everything Is Yet to Happen (WEIYTH), which Antonia and I conceived during 2009 and 2010 in response to the invitation to curate the second edition of Spaport in Banja Luka, Bosnia-Herzegovina. Spaport was a project initiated in 2008 by a group of local artists as an annual exhibition of con-

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An Interview with Antonia Majaca and Ivana Bago

temporary art, with the aim of evolving into a contemporary art biennial. In the words of the organizers, the goal of the project was to “provide a platform for installing contemporary art in Bosnia and Herzegovina.”1 We were invited to the opening of the first Spaport exhibition in 2008, and we soon learned that the board h suggested us as curators of the following edition. We felt ambivalent about this invitation and took a long time to decide how to respond, especially having seen the first exhibition, which was actually very good, but was equipped with all the typical biennial gear, including ambitious marketing, tote bags, umbrellas, etc.2 All this seemed truly out of place with how we perceived the social and political reality of Bosnia and Herzegovina, as well as the whole region, aimlessly wading through all the transitional ‘posts’: post-socialist, post-Cold-War, post-historical, post-Yugoslav, post-war, postDayton, post-genocide. The latter one was especially relevant, as the president of the Republic of Srpska, the autonomous, Serb-dominated entity in Bosnia and Herzegovina where Spaport took place, has led an inflammatory and secessionist politics, including insistent denials that the orchestrated massacre of thousands of men and boys in Srebrenica in 1995 constituted an act of genocide. In this atmosphere, the idea of a contemporary art biennial seemed like another layer of repression and denial, in which art – even, or especially, critical art – was summoned to whitewash reality and turn Banja Luka into the cultural hub of the region. So, the question for us was: how to respond to the call to become agents of this “installing of contemporary art in Bosnia and Herzegovina,” especially as curators coming from Zagreb, which is generally considered to have a more developed and better funded scene for contemporary art? This question was the place from where the reconceptualizing of the ‚biennial‘ exhibition into a two-year-long set of exposures started. We decided to play with the long-term goal of Spaport to evolve into a biennial exhibition, and said: ok, let’s turn it into a biennial right now, but let’s make a biennial that actually lasts two years, rather than taking place once every two years. Antonia: As Ivana mentioned, the Republic of Srpska (literally: Serbian Republic) is an autonomous republic within the state of Bosnia-Herzegovina, its other part being the Federation of Bosnia and Herzegovina, which is, by 1

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“Protok – Center for Visual Communication, Banja Luka, Bosnia and Herzegovina”, available at the website of the German foundation, Robert Bosch Stiftung, who was a sponsor of the project, http://kulturmanager.bosch-stiftung.de/content/language2/ html/12617.asp. Last accessed on 30 October 2018. The first exhibition, titled “It’s Raining Outside, But I Don’t Believe It Is” was curated by Ana Nikitović, a curator based in Belgrade at the time.

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy

contrast to the explicitly Serbian denomination of the first, supposed to be shared by the two other ‘constitutive nations’, Bosniaks and Croats. Republic of Srpska is basically an ethnically cleansed autonomous republic, with the population consisting mainly of orthodox-Christian Serbs, with Muslims (Bosniaks) and Catholics (Croats) either expelled or murdered. Finding ourselves in this ‘state within a state’ and one that has effectively been built on top of a mass grave, we were skeptical from the onset. The first question, then, was how to escape getting caught in the art washing spiderweb that a great deal of cultural production was enmeshed in, intentionally or not. We wondered what the entire machine of contemporary art could actually do? Could it go beyond merely approximating and eventually normalizing the situation? Was there a way for an art-based project to meaningfully confront the complexities of the unhappy present entangled with the recent and not so recent past? Of course, grief, hatred and violence were all still very much there, as the war of the 1990s practically never ended and was continued by other means. So, given this sensitive set-up, and our suspicion that art could only normalize the situation, we struggled with the decision to accept the invitation and arrived at it very slowly. We were, however, convinced from the very beginning that it must be a slow and dedicated collective investigation with an open outcome. We thus initiated a sort of primary, ‘diagnostic’, so to speak, work by forming a network of interlocutors and alliances which enabled us to test different hypotheses and helped us arrive at a position from which we could actually start speaking. It was from the onset crucial to complicate the binary set-up where Bosnia and Herzegovina is assessed from the outside – from Europe, or the ‘international community’ – as a broken body, investigated, dissected and otherwise ‘handled’, historically, anthropologically, politically or forensically. In part, we wanted to question this binary and look at the contemporary state of Europe from the perspective of the peripheral and traumatized space located at its fragile borders. Three communities thus intersected conceptually: antinational, national and then also this ‘international’ which is, of course, essentially a technocratic management of population on a large scale. The project was thus an attempt to challenge the assumed scientific ‘objectivity’ and political neutrality of the supposedly impartial ‘international community’ while at the same time grappling with the devastation of the Yugoslav political community and the formation of the new imaginary communities of the nation states from the inside. Ivana: It is important to state that we would not do the same project in Zagreb, or anywhere else, not because these same issues would not be relevant,

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An Interview with Antonia Majaca and Ivana Bago

but because the starting point, a set of initial constellations and coordinates, would be different. This also leads me to the name of our organization, Delve – Institute for Duration, Location, and Variables, in which we echoed Douglas Huebler’s decision to stop making objects3 and used it to sketch a kind of manifesto of our approach to curating, as a form of durational, situated practice, always dependent on the changing vectors of time, place, and other variables. Delve is at the same time an acronym for duration, location, and variables, and the sign of a decision to go beyond the surface, to linger and explore, rather than focus on revealing the findings. All this is to say that Antonia and I were always doing projects in response to geopolitical and temporal specificities of their location but the invitation to curate Spaport presented us precisely with the challenge of a location that already seemed to be so overdetermined by its identification with war, ethnic conflict, and genocide. We decided to share the weight of this challenge – which basically concerns the question of representation – with a group of European and postYugoslav curators whom we invited into the project: Anselm Franke, Nina Möntmann, Erden Kosova, Jelena Vesić, Ana Janevski and Vit Havranek. This collaboration was the basis of the first chapter of WEIYTH, which we entitled Can you speak of this? – Yes, I can, and where we chose as our key topic the notion of community, with the aim of exploring non-identitarian and nonproprietary ways of imagining togetherness and belonging. Rather than exoticizing Bosnia Herzegovina as this post-conflict space, we decided to invite colleagues working in other contexts, with the focus on Europe, to meet in Bosnia Herzegovina, and talk about the issues that dominate the WestEuropean perception of the Balkans, but were hardly endemic to the region. Ironically, the opening of the second exhibition in 2010 coincided with the political crisis in Belgium, which ultimately broke the world record, previously held by Iraq, in taking 541 days to form the government, due to conflicts resulting from the rise of Flemish separatism and mounting ideological divisions. This could be said to be an actualization of how we framed Bosnia and 3

“The world is full of objects, more or less interesting; I do not wish to add any more. I prefer, simply, to state the existence of things in terms of time and/or place.” This sentence marked his contribution to Seth Siegelaub’s exhibition “January 5 – 31, 1969,” where no objects could be found in the exhibition place and is therefore sometimes said to mark the beginning of Conceptualism. Huebler emphasized that art was rather an idea that would only manifest in certain materials, but is essentially dependent on the parameters of space and time. For an overview of his pieces called f.i. Location Piece #17 (1973), Duration Piece #31 (1974), or Variable Piece (1992); see Godfrey et al 2002.

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy

Herzegovina in the first chapter of the project: not as an object of observation and intervention on behalf of the so-called “international community”, but instead as a mirror that should be used to look back. Ten years later, when the set of problems marked since the 1990s by the term ‚Balkanization‘ was evident everywhere, from the war in the Ukraine and the nationalist and authoritarian takeover of many countries in Europe and the US, this inversion of the gaze is especially relevant. In fact, we hear often nowadays that Yugoslavia was the “dark avantgarde” of the present, and Where Everything Is Yet to Happen might have also been a tiny premonition, or intuition of that. Q: How much did your own exposure to these politically sensitive challenges influence your decision to entitle the project’s second chapter Exposures? Antonia: Well, yes, we were exposed to this situation, but the decision to enter into a long-term process with all these questions also meant the exposure of that which would have remained foreclosed had we done a more conventional biennial exhibition. It was ultimately more about exposure as a choice, and as a position that we were willing to embrace and work from, as well as towards; exposure not in a sense of revealing or illumination something but as a readiness to submitting ourselves to this process with uncertain and possibly painful outcomes but also one that simply had to transform everyone involved and thus also substantially change some space and time around it. While some important projects such as those by Monument Group or Four Faces of Omarska, were working investigatively, ‘exposure’ for us was really not about exposing or unmasking somebody or something. In other words, the possibility of exposure, in the sense of revelation, is included, without necessarily being an objective. Of course, a commitment to setting up a stage where such entangled exposures could play themselves out also calls for a readiness ‘of the first order’ so to say, meaning that you are ready to step onto this stage yourself. From that moment, unexpected resignifying chains start to enfold. In that sense, WEIYTH was, I think, a significant intervention into that typical curatorial protocol where you aim for a coherent and self-contained whole and where from chaos you create harmony, like some curatorial demigod. Here, instead, you start from things falling apart and from knowing that they will not come together if you enter the stage but you trust that they will rearrange themselves differently and in a way that fundamentally challenges the status quo, at least in its immediate surrounding. And then, hopefully, what this ‘free fall’ enables is seeing, maybe in just a few fleeting moments, those same well-known thoughts and objects but from different

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angles. This can only happen if their previously unexposed sides not merely reveal themselves but start to reflect other things around them in ways previously precluded by their stabilized positions. I mean, you still witness things falling apart, but falling apart differently. Q: Would you say there are specific challenges to this way of working? Antonia: The title of the entire project, Where Everything is Yet to Happen, implied, among other things, that we, as curators, were not in full control, or, at least, that we did not always know what we were going to do next. This was, in part, also mimicking the general political paralysis of Bosnia and Herzegovina which is itself in a constant state of expectation of something to happen, of something to finally be resolved. We were interested neither in resolution nor in reconciliation, but we were also not willing to simply avoid confronting the violence of the 1990s and what was there before them, the socialist state of Yugoslavia. This is, of course, a very sensitive terrain, as it is one regularity abused in daily politics. For the Right, you cannot have better proof that socialism didn’t work than the mass grave. So, we were very attentive to this threat. Thus, the question was, how to talk about the entirety of the Yugoslav historical experience, without being appropriated by nationalist narratives. Of course, returning to the legacies of socialism was not new in the sphere of culture, theory and art but it was rarely, if ever, thought of in the same breath with the wars of the 1990s. Even now, I am wondering how to properly think this challenge. In my mind, WEIYTH was a sort of a synecdoche of the Yugoslav experience, and as such remains very close to me albeit equally in a haze; vulnerable, open, uneven, uncontained, falling apart, grainy, exposed, insecure. This general feeling did not diminish with time, at least not for me. The insecurity that was a propositional element in this project, something acknowledged and embraced, is now more of a thin crust on something still raw and unhealed. Q: Referring to your phrase ‘insecurity as a propositional element’: how does this relate to your choice to frame exposure as an activity rather than a condition? Meaning, in a political situation where different sorts of exposures happen on a daily basis, how did you reconceptualize exposure as an active decision? Ivana: We wanted to frame exposure not as reactive, but as proactive and creative. If something happens and then you are exposed to a condition or situation, you are reacting to the situation. Instead, we created exposure itself as a condition, so that exposure is at the same time the situation as well as the fact that you are exposed to the situation. There are important nuances

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy

in the Serbo-Croat-Bosnian version of the word exposure, izloženosti, which was our starting point and which was deliberately placed in tension with the term izložak, an exhibit. Izložak refers to a static subject-object relation, but izloženosti annuls the distinction between subject and object, between who is looking, and who is being looked at. In comparison to the English translation, izloženosti covers only the meaning of being exposed to something, of willingly entering the process of vulnerability to some kind of circumstance: to what is not known, to the uncertain, to establishing an inherently risky relation with the other. Its meaning does not include the spectacular dimension present in the English word, exposure in the sense of unveiling a crime or a secret, and we really struggled with the English translation because we didn’t like this spectacular connotation of the term. Also important is the critical distance to the act of exhibiting, which is again clearer in the local language, when you juxtapose izložba (exhibition), and izloženosti (exposure), but it is also present in English through the relation between exposure and exposition. The concept of exposure allowed us to play with all these meanings, and to establish a distance between what we were doing and between the commissioned goal of ‘installing contemporary art’. In the place of your typical biennial exhibition, we were inviting both ourselves and others into this constellation of izloženosti, into this set of exposures. Let’s see how we and everybody else, including the organizers who invited us, respond to this imperative, to this invitation, to the question Can you speak about this? Another important term for us was that of complicity, which necessarily comes with exposure; the idea that no-one is innocent, that everyone is involved and complicit, in one way or another. Antonia: Izloženosti is also akin to izlaganje, which means not only to expose, exhibit, show or demonstrate something, but to speak publicly, to present something in a form of a public address or speech. This is relevant in as much we embraced a kind of a self-willing interpellation, in which you are not called, but you call yourself to be that person who has the capacity to address something even though at the moment of acceptance you still lack the vocabulary and the grammar to articulate what you nonetheless feel needs to be addressed. Q: Could you say a little bit more about the specific political position from which you were working? What was the political and aesthetic effect of the exposures you activated with the project? Antonia: As I mentioned above, one aim was to tackle the destruction of Yugoslavia in the violent wars of the 1990s, but in a way that would be oppositional to nationalist discourses about some primordial hatred among

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the Yugoslav people which would make the 1990s wars seem like a natural result of the unnatural condition of their togetherness in socialist Yugoslavia. To try to bring these two historical contingencies together – the history of socialist Yugoslavia and the history of its destruction – is still a difficult task if you want to avoid the recuperation by the Right. I guess there have not been many attempts to do that in art before WEIYTH, at least not from the political positions we occupy. Ivana: It seems to me that there have been two ways of addressing the Yugoslav past in culture, scholarship and art: the first phase did include addressing war and violence but more through narratives about individual and collective trauma, and then the second phase was sort of a reaction to that, because it became clear how easy it is to exploit and mobilize trauma. Today, many young artists and intellectuals do not want to talk about the war at all, because they think that the moment they start talking about war, they cannot avoid the topic of nationalism and identity politics, so they skip through that and talk about capitalism and the economy, while reclaiming the Yugoslav socialist experience. I would say that WEIYTH somehow managed to merge the two perspectives – the emancipatory socialist heritage and the mass grave – or rather, to complicate them. Exposures, the second chapter of the project, included artistic research on the Srebrenica genocide (in the work of Grupa Spomenik/Monument Group), and self-management (for example, in the work of STEALTH. Unlimited).4 The Four Faces of Omarska Working Group, a project initiated by artist Milica Tomić and also featured in Exposures, is really the epitome of what we were trying to do: a group research that begins from a site of mass death, a concentration camp set up in a former socialist mine in Omarska, only to reveal that the concentration camp was not the end but the means of transforming the social property of the socialist mine into a peripheral organ of a multinational corporation.5 This is a research that does 4

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STEALTH. unlimited is an artist duo (Ana Džokić and Marc Neelen) based in Rotterdam and Belgrade. Originally trained as architects, there practice is located in between the field of urban research, visual arts, spatial interventions and cultural activism. For Spaport Biennale they conceptualized a research archive entitled Taking Common Matter into Your Own Hands (Uzeti zajedničku stvar u svoje ruke), presenting traces of the artists’ journey "along the life story and archives of Ana's grandparents (...), who in the times of socialist Yugoslavia started up number of economically viable initiatives involving workers, peasants and women”. For more information see the artist’s website: http:// stealth.ultd.net/?p=1334, last accessed Nov. 8th, 2019. Today, the iron ore mine in Omarska is owned by the AcelorMittal corporation.

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy

not stop at the idea of a death camp as a site of collective trauma concerning a single ethnic community, but sees it as a site where Yugoslav society as a whole – and, by extension, the socialist project and even the idea of communism – was destroyed.

 

Figure 1: Working Group Four Faces of Omarska, together with Jasmin Odobašić (Committee for Tracing Missing Persons in Bosnia and Herzegovina) at the recently excavated mass grave in Omarska. Photo: Working Group Four Faces of Omarska.

Antonia: The way Four Faces of Omarska Working Group dealt with what they call the four faces of the Omarska death camp is similar to what Exposures tried to do in its entirety: to look at what was there before, in terms of socialism, in terms of the war, but also investigate in a situated sense and materially how this site of war and destruction was not only instrumentalized for nationalist identity building but also how its history ultimately melted away through the capitalist normalization. Undoubtedly, the ethnic divisions, ethnic cleansing and wars were instruments of privatization and, in the last instance, served a brutal neoliberal takeover. It is precisely the layering and contradictions between these ‘faces’ of Yugoslav history, the working through

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them, in all senses, that Exposures sought to get at. You cannot think about the war without thinking about what was there in the past, but you also cannot think about it without taking into account what came after or what (and whom) the war served. Ivana: It is also important to note that the wars of the 1990s were framed very differently in the art production and institutional practices of different parts of the post-Yugoslav space. In Croatia, the key approach is the displacement of the topic: the war is something obscene that happened in Bosnia and that we have nothing to do with. For example, if you visit the permanent collection of the Museum of Contemporary Art in Zagreb, the first thing you see is a huge poster by Šejla Kamerić, a work called Bosnian Girl,6 in which the artist juxtaposes her self-portrait with racist graffiti about Bosnian women written by the UN soldiers in Srebrenica. Apart from that and one brilliant performance by Croatian artist Slaven Tolj – placed much less prominently – there are no more works that deal with the war, which to a great extent also reflects the artistic production in Croatia. This is a reflection of what could be described as the Hague-version of contemporary art production on war in the region, where artists from Serbia take on the position of guilt, those from Bosnia and Kosovo the position of victim, and those from Croatia stay diplomatically silent. It seems to be very hard to go beyond those positions, which is why the work of Monument Group is so important. It functions as an invitation to de-individualize and de-nationalize the approach to war traumas and work together on a new history, a truth that goes beyond the ethnic divisions into victims and perpetrators. Antonia: Of course, it goes without saying that if we would have allowed ourselves to only deal with the guilt of “our” side – “our” defined by our citizenship in one of these new nation-states that we unwillingly ended up in – then we would end up repeating and legitimizing the same exclusionary logic of the war and the nation-states, and reproducing the nationalist discourse about victim-nations and perpetrator-nations. Q: The first chapter’s title Can you speak of this? – Yes, I Can seems like a very confident statement at first, whereas the second one, Exposures sounds more

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For a detailed account on the mentioned art work see: Seila Rizvic (2015). What does a Victim Look Like? An Interview with Šejla Kamerić on the Legacy of ‘Bosnian Girl’., The Balkanist, https://balkanist.net/what-does-a-victim-look-like-sejla-kameric/, last accessed Nov. 8th, 2019.

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experimental and open-ended. Would you say there is a shift from certainty to uncertainty also in terms of method and attitude? Ivana: Not really, because even the supposedly confident statement entails more uncertainty than apparent at first. The title references Agamben’s essay On Potentiality (1999), where he tells the story of the Russian poet Anna Akhmatova as she stood in the crowd in front of a Stalinist prison, where her son was held, when another mother recognized her and asked: “Can you speak of this?”, meaning, you are the poet, you must be able to articulate this, to which she responded “Yes, I can.” Agamben argues that her response does not imply confidence about her ability to articulate a terrible historical experience, but instead an acceptance of the responsibility to do so, a stepping into the process of potentiality. There is a great analogy to this in the way that Branimir Stojanović described the forming of the Monument Group as stemming from the realization that “we [the cultural and intellectual scene of ex-Yugoslavia] have no language, no theory, no poetry, no literature to account for what happened in the 1990s.”7 Monument Group was thus conceived as the site of inventing this language, a responsibility which cannot – as the group also claimed in their critique of the city of Belgrade’s proposal for a war memorial – be relayed to an object (a monument). We only learned about this quote later, when we started working with Monument Group in the second stage of the project, but it is in perfect alignment with the position with which we opened WEIYTH and the question: “Can you speak of this?”, where the affirmative answer “Yes, I Can” is less an affirmation and more an invitation to accept the responsibility to “talk about this”. So both chapters of WEIYTH are conceptually related, and each one is anchored in extending the invitation that we had initially accepted to others, asking them to perform their own izloženost, their own exposure to potentiality. Q: How far could this be seen as a curatorial strategy? Ivana: In the second edition we had an open call for applications and were inviting artists whose work we were interested in. Some things actually happened accidentally, resulting from random conversations, but many of the collaborations, especially with younger artists from Bosnia and Herzegovina, came through the open call. This was another kind of exposure, for both the artists and ourselves, to engage in the process of working with very young artists that we had never worked with before, and to get them to approach 7

Branimir Stojanović (2010). Discussion transcript, following the lecture by Šejla Šehabović, Matemi reasocijacije (samizdat), 76.

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topics they might have not worked on before. In some cases, the exhibited works were made by people who weren’t artists at all but who sent us interesting proposals, which is another reason why the exhibition wasn’t really a typical large-scale exhibition or biennial. There, you usually try to reinforce the position of certain artists and the very inclusion is a statement: ‘These are the artists that I think are worth being further circulated in the art world.‘ This was really not our intention. We lacked, in a positive sense, all curatorial standards. Antonia: Some of the works that we have shown could even be described as ‘bad art‘ by some generic standards of curatorial judgment, some of them were only half developed, some bordering kitsch. But it is exactly this disobedience towards the idea of a curator as the confident, omniscient arbiter of value that is in itself a form of exposure. Q: You describe the fundamental question of the project as the possibility of “the conception and constitution of a community, beyond essentialist models of identification and belonging” (Bago/Majača 2010: 41). Therefore, you draw inspiration from “philosophical conceptualizations of community that define ‘being‘ as above all ‘being with,’ being singular-plural, a radical exposure to each other (Jean-Luc Nancy), or the ‘whatever singularity’ of Giorgio Agamben.”(ibid.: 43). This potential of moments of uncertainty and exposure for new understandings of community is central to many of our inquiries, too. Based on your experiences, to what extent can ‘exposure’ as a strategy transgress forms of essentialism, particularly in the context of deeply divided societies? Antonia: The question of community posed itself as a central one, obviously because of the triumph of nationalist essentialism over the non-identitarian Yugoslav community, but also because we wanted to reflect on the role of the ‘international community’. The problem of defining community was thus unavoidable while thinking the possibility of an anti-fascist community in the Yugoslav space after these wars. If I returned to the same issues now, I do not think I would necessarily go to the same literature but at that point we read a lot of theory dealing with the idea of community, Maurice Blanchot’s ”unavowable community” (1988: 24), Jean-Luc Nancy’s ”inoperative community” (1991), Giorgio Agamben’s ”coming community” (1993) and so on. All of these authors dealt with the question of how to establish a community based on difference, which is always in displacement, a community based on, as famously suggested by Agamben, an “inessential commonality, a solidarity that in no way concerns an essence” (Agamben 1993: 18f.). Blanchot’s reference to

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Bataille in saying that the community is the community of those without a community, still resonates strongly with me (Blanchot 1988: 24). I guess we tried to invoke such an anti-identitarian community but not like something to build from scratch but with a recognition that the communist idea, preceding not only the wars but also the formation of the socialist state remained untainted. I would say that there were moments in the project, where a common feeling of such a prospect seemed palpable. There was a common sense of such a coming community; in many difficult but cathartic moments, during poetry sessions, reading groups, working with young students or schoolchildren etc. Ivana: Nancy and Agamben were relevant for us especially in the first chapter of the project, where we have a whole section on Nancy in the catalogue. Nancy starts writing about these issues in the 1980s when he elaborates on the concept of the “inoperative community” (1991), but his book Being Singular Plural (2000) was published in the 1990s, and is introduced by references to Rwanda, Bosnia and Sarajevo. So, it is not only that Nancy influenced our project, but that what happened in Yugoslavia brought him back to those topics and to redefining being as always inherently being with. His writing was partly an inspiration for our notion of exposures, since in Being Singular Plural Nancy defined being with as grounded in the appearance of a space between – between you and I – but one which is not a matter of juxtaposition but instead of exposure. This was fundamental to our thinking, and as Antonia already said, it also really happened in practice, in many of the cathartic moments which are always hard to recount without making them seem banal or sentimental, but they were truly transformative. Like, for example, when young people from Banja Luka told us how genuinely moved they were to have met someone from Mostar for the first time in their lives at a workshop that we organized, which revealed to what extent these communities live a separate existence and, even more importantly, how willing new generations were to disturb that separation. And for us, we knew that we were also bringing our ideological baggage, the baggage of our own backgrounds, just as we knew that some people working on the project also felt some sort of resistance because they were coming from families and societies that did not want to talk about the death camps in Omarska, for example. So, the notions of exposure and of singular plurality were not simply conceptual but were lived by everyone in the project. Every time we organized a workshop, a reading group, an exhibition, we were coming together as singularities while knowing that our own views were not necessarily going to be reinforced and

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were not going to be blended into this one harmonious choir where everyone is singing the same song. In fact, something very different would happen and we would all be challenged constantly, questioning our thinking and finding different resonances and alliances. Q: We have been thinking a lot about the methodological potentialities of a concept of exposure. You have talked about this inability (and refusal) to promise any fidelity to the past as well as being placed in a condition of uncertainty about the future. Would you say that exposure(s) as a sort of methodology of the present has the potential to enable a conversation between different times – past, present, future? Ivana: The project’s overall title was Where Everything is Yet to Happen, so it did have this anticipatory framework. I don’t think that we tried to theorize exposure as a conversation between different times, between the past and the future, but I really like this proposition. Exposures did turn out to be a method for (re)building links between the present, the past and the future, but we primarily located ourselves in some kind of unformed present, where you basically have this past that has been lost and even this promise from the past has been annulled and no-one is even trying to make promises about the future. It is this empty space where everyone is just left waiting, a classic postwar constellation. WEIYTH was an invitation to create, out of this ‘nothing’, a new language about the past, the present and the future, which could become the first instance of ‘everything,’ a desired future that is yet to happen. Although one should be more than skeptical about the rhetorical declarations of the power of art, I do believe in the proverbial imaginatory power of art, and its potentials to envision new scenarios, even if they are scenarios about the past. Q: Both of you have expressed critical, skeptical or even cynical views in relation to what art can do. But hearing you describe these kinds of projects, we wonder what you would say about the potential of art to invite people to participate in their own exposure in ways that other critical projects can’t. Why did you decide to adopt an artistic approach for a political problem? Would you say there is something that makes art better equipped to deal with situations of uncertainty and open up an ‘exit’ from a deadlocked situation? Ivana: I think what I am cynical about is the fact that criticality has become hegemonic, it is now demanded from art, turned into business-as-usual. We have to think very honestly about the horizon of our projects’ impact. For Exposures, I would say that, at least for everyone who was part of it, it was a transformative moment. Did it manage to go beyond that? Did it manage

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy

to reach to the audiences who were just viewing the exhibitions, without engaging in new productions, workshops and conversations? I am not sure, but moments of empowerment were certainly activated by projects that standard art historical terminology would classify as participatory, it’s just that we did not call this participation, we called it exposure. Participation by means of exposure, by embracing your vulnerability and allowing yourself to be disturbed – this means to encounter art and theory inquisitively and even insecurely, rather than as a confident subject, as Antonia would say, endowed with some sort of prevalidated knowledge. I think this encounter with disturbance did happen. Embracing exposures as a methodology enabled us to curate not by arranging high-quality art in space, but by tending to a constellation in which every component and every protagonist – be it an object on the wall or the exhibition producer, an artist, an expert invited to participate in a roundtable discussion – is an agent, embedded in a network of unstable subjectobject-relations, where roles become ambivalent.

Figure 2: Generation 91-95, documentation of the theatre play. Photo: Mara Bratoš.

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A great example of this was Generation 91-95, a theatre performance staged by the Zagreb-based collective MONTAЖ$TROJ.8 The director, Borut Šeparović, invited high school boys and young men who were born between 1991 and 1995 to play soldiers who fought in the 1991-95 war. At some point in the play, this act stopped, and they began playing themselves, each starting with a statement in which they claimed they had an A in history, and continuing to recount their own views about the war. During the work on the play, one actor ‘outed’ himself as a Serb, among predominantly Croat boys who grew up at the height of the nationalist rhetoric during the 1990s and who were used to telling jokes and singing derogatory songs about Serbs. Following the play the actors sometimes had one-hour conversations with the audience, where some people would cry and tell their own stories. A similar situation took place in Banja Luka, during the public conversation with three survivors of the Omarska concentration camp, who returned to the Republic of Srpska despite all odds, insisting to have a right to live in the home from which they had been forcefully expelled, and even, live with those who persecuted them. We had a room full of people, most of whom were crying during this conversation, because the usual modes of governing, mediating and exploiting trauma don’t allow for encounters like this. Here, I would say, lies the potential of art, insofar it is not just analytical and deconstructive, but can also instigate processes where people allow themselves to feel and be truly affected. This is also crucial in the artistic practice of Monument Group, where, let’s not forget, psychoanalysis plays a huge role. This is not to say that art is to be conflated with therapy, but rather that analytical and critical thinking, which characterized Monument Group, does not exclude affect. Antonia: These affective processes and points of breakage are precisely the moments when the essentialist community is displaced and seen for what it is. These moments emerge only if thinking happens live and only when it is shared, in real time, with others, and only if everyone involved is ready for exposure, in one way or another. I suppose it can, but rarely does, happen while you are sitting by yourself in a library, or writing a text and then publish it in a journal many months after you finished writing it. These ‘contained’ formats recuperate every spillage and potential crack that might provide a short

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MONTAЖ$TROJ is a Zagreb-based artist group founded in 1989 by Borut Šeparović, employing performative and theatrical strategies to "raise awareness about cultural paradoxes" with an explicit focus on questions of community. For more information, see: http://www.montazstroj.hr. Last accessed Nov 8th, 2019.

Exposures: Reflections on a Curatorial Strategy

glimpse into some unexpected potentiality. Similarly, an art exhibition, even when it includes more ‘open-ended’ works is still an enclosed microcosm with certain positions that are ultimately perceived as ontologically and epistemically stable. Exposure means actively working towards opening up this space of collective live-thinking and enabling collective affective unraveling of procedures uncontained by the initial premises. Exposure is both a space and a procedure, a noun and a verb. It does not call for affect but it also does not exclude it as part of the process of thinking in common, the commoning thinking. These processes and spaces are becoming ever rarer, because of the pervasive neoliberal enclosure of academia and because of the neoliberal, populistic take-overs of art institutions. Recognizing these conditions as such demands from us a certain readiness for risk, for carving out space for autonomy of collective thought and action. And yes, thank you for bringing up the psychoanalytical undercurrent in the WEIYTH process. In fact, in a text I wrote earlier this year I discuss WEIYTH in terms of a “pledge to an impossible analysis” (Majača 2019) since analysis is always operatively impossible. Our two years there were almost a kind of a condensed analysis; in the beginning you don’t understand what is going on, you are indifferent but then things start to open up, you start to become more enthusiastic and so on and things seem great for a while, and then, after another three years or so, things start to fall apart again, but differently than before. You enter the process already exposed, broken, in a moment where you are already fallen and where things have already fallen apart, then analysis forces you not to do what you might have intended to do in that time frame, but forces you to do what you have to do.

References Agamben, Giorgio (1993). The Coming Community. Minneapolis: University of Minnesota Press Agamben, Giorgio (1999). On Potentiality, in: Potentialities: Collected Essays in Philosophy, Stanford: Stanford University Press, 177-185. Bago, Ivana/Majača, Antonia (2010). IZLOŽENOSTI / EXPOSURES, in: Ivana Bago/Antonia Majača (Eds.): Where Everything Is Yet to Happen. 2nd Chapter: Exposures, Banja Luka: Center for Visual Communication, Institute for Duration, Location and Variables (DeLVe), 20-86.

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Blanchot, Maurice (1988). The Unavowable Community. Barrytown: Station Hill Press. Godfrey, Mark/Paul, Frédéric/Burgy, Donald (Eds.) (2002). Douglas Huebler. London: Camden Arts Centre. Majača, Antonia (2019). A Pledge to an Impossible Analysis, in: Steven Henry Madoff (Ed.): What about Activism?, Berlin: Sternberg Press, 167-176. Nancy, Jean-Luc (1991). The Inoperative Community. Minneapolis: University of Minnesota Press. Nancy, Jean-Luc (2000) Being Singular Plural. Stanford: Stanford University Press.

Striking Exposure Organisation und Solidarität im transnationalen Frauen*streik Hannah Vögele und Julian Pietzko

Nackte Brüste. Gleiche Rechte. Politische Teilhabe. Eine Femen-Aktion in Hamburg. Politiker*innen, die Reden über Gleichberechtigung halten und Parität in den Parlamenten fordern. Diese Bilder dominieren die mediale Berichterstattung über den 8. März, internationaler Frauen(kampf)tag. Jenseits dieser begrenzten medialen Aufmerksamkeit, sind in Deutschland Zehntausende – in der Welt Millionen – auf der Straße. Viele von ihnen protestieren nicht nur, sie streiken. Sie bringen also nicht nur ihre Körper auf die Straße und fordern Raum, Zeit und Aufmerksamkeit ein, sie entziehen sich auch ihrer bezahlten und unbezahlten Arbeit. Der Tag steht für Aktivist*innen auf der ganzen Welt unter dem Banner des feministischen Streiks. Und doch beschränkt sich der Kampf dieser feministischen Bewegung nicht nur auf den Widerstand gegen sexualisierte Gewalt und die Ausbeutung ihrer arbeitenden und lebensgebenden Körper, es ist auch ein Kampf mit der Aufmerksamkeitsökonomie der Öffentlichkeit. Aufdecken, Stören, Licht auf etwas scheinen lassen; all dies geht über die mediale Logik des Spektakels hinaus, die sich auf den einen Moment fokussiert. Die großen Demonstrationen schaffen es in der medialen Rezeption aufzublitzen, doch der Aspekt des Streik(en)s wird in den Berichten über den Tag meist verschluckt. Damit bleibt nicht nur die Radikalität der Forderungen, die sich fern von Quoten, Paritäten und formal gleichen Rechten befinden, im Dunkeln. Unbelichtet bleibt auch das Beziehungsnetzwerk, das feministische Praxen und Forderungen einbettet und damit diesen zeitlichen Moment und diese geographische Verortung sprengt. Wenn wir unseren Blick auf Akte der Exposure lenken, auf bestimmte Ereignisse, die einen widerhallenden und verstärkenden Effekt in medialer und ge-

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sellschaftlicher Aufmerksamkeit erlangen, was bleibt außerhalb dieses Blickfeldes? Versteht man Akte der Exposure als Situationen, die das Normale und Gewöhnliche stören, in denen nicht klar ist, wie es weitergehen wird, welche Perspektive eines vermeintlichen Normalzustandes wird dann eingenommen? Stellt man sie dar als Momente, in denen Verletzlichkeiten sichtbar werden, Verletzlichkeiten von Ordnungen, Materien, Narrativen oder Körpern aus Fleisch und Blut, wie materialisieren sich Verletzlichkeiten dann in der Welt? In unserem Essay wollen wir die Beziehungen und Geschehnisse unter dem Akt ausleuchten. Dieses Ausleuchten zeigt die konstitutiven Elemente solcher Ereignisse und den Boden aus dem sie wachsen. Den Akt zerlegen wir damit in unzählbare Aktivitäten sowohl über als auch unter der Oberfläche der gesellschaftlichen Aufmerksamkeitsbühne. Was dabei erscheint ist ein doing exposure als aktivistische Praxis, die ein Leben und Umgehen mit alltäglichen Situationen des Ausgesetztseins politisiert und neu organisiert. Diesen Vorschlag, exposures als relationales und praxisorientiertes Konzept zu verstehen, veranschaulichen wir anhand der Aktivitäten der transnationalen feministischen Streiks der vergangenen Jahre. »8. März ist alle Tage, das ist eine Kampfansage« Dieser Demospruch enthält mehr als einzig die »Kampfansage«, dass der feministische Widerstand sich nicht auf einen Tag beschränkt. Er betont, dass es nicht um eine einzelne Unterbrechung, sondern um kontinuierliche Prozesse und Organisationen geht. Dieses Verständnis eröffnet uns die Möglichkeit anders über Arbeit nachzudenken, auch über die Arbeit, die für das Streiken überhaupt erst nötig ist. Erst durch diese fortlaufende Arbeit, durch die wechselseitigen Bezugnahmen von Aktivist*innen und Gruppen aufeinander und die gegenseitige Unterstützung wird das Ereignis und das gemeinsame Einnehmen von Straßen und Städten möglich. Dieses aufgebaute Fundament geht den Widerständen jedoch nicht nur voraus, sondern wird ebenfalls in den Aktivitäten permanent performativ hergestellt und kollektiv neu konstituiert. Im Folgenden zeigen wir diese solidarischen Praktiken des organizing exposure schlaglichtartig auf; Praktiken solidarischer Zeitlichkeit und Örtlichkeit und der Reproduktion von Leben und Gemeinschaftlichkeit.

»Making a history common« und translokale Verbindungslinien Die aktuellen Proteste verweisen auf Historisches, sie kontextualisieren die heutigen Bedürfnisse und Begehren in den Kämpfen und Wünschen

Striking Exposure

vergangener Zeiten. Während dieser Komponente bislang kaum öffentliche Beachtung geschenkt wird, ist kollektive Erinnerungsarbeit zentraler Teil der Streikpraxis. Susan Draper beschreibt dies als »thinking about and enacting forms of collective memory of struggles that are capable of making a history ›common‹« (2018: 688). Eine gemeinsame Geschichte ist nicht einfach festgeschrieben,1 sondern wird erlebt und gemein(sam) gemacht. Diese schreibt sich nach Mariana Menéndez Díaz ein in »ein Gewebe der kollektiven Erinnerungen« (2018: 99), welches zeitgenössische Praktiken in eine komplexe Beziehung zu vergangenen Kämpfen stellt, die über lineare Vorstellungen hinausgeht. Wie weit diese Kämpfe zurückreichen, in deren Tradition sich zeitgenössische feministische Proteste stellen, wird an einer Szene vom weltweiten Frauen*streik2 2017 in Spanien deutlich, die gefilmt und anschließend im Internet verbreitet wurde.3

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Insbesondere die Geschichte von unterdrückten und marginalisierten Subjekten ist in der offiziellen Geschichtsschreibung meist nicht – oder nur als Fußnote und immer aus der hegemonialen Sichtweise – vorhanden. Wie Walter Benjamin (1980) festhielt, wird Geschichte von den Siegenden einfühlsam gemacht. Diese Lücken in der Geschichte, sind teilweise unmöglich vollständig zu füllen, wie beispielsweise in der Geschichte der Sklaverei (siehe zB. Hartman 2008). Und doch gibt es Gegengeschichte(n); Geschichte, die gegen den Strich gezogen wird, nicht-normative Widerstandsgeschichte. Aktivistische Geschichte hält sich oft oder hauptsächlich in den Körpern und Praktiken der Aktivist*innen, wird mündlich weitergegeben (oral history), und teilweise in kleinen Archiven Stückchen für Stückchen angesammelt. Mit dem Asterisk folgen wir der Selbstbeschreibung des deutschsprachigen feministischen Streiks, der damit darauf hinzuweisen will, dass das binäre Geschlechtersystem die Realität nicht abbilden kann und auch noch nie abbilden konnte. Ganz im Gegenteil, die Konstruktion von Binarität in Geschlecht und Sexualität geht mit der erzwungenen kapitalistischen sowie kolonialistischen Arbeitsteilung einher – wie beispielweise Lugones (2007) zeigt – und wird von den feministischen Streiks somit grundlegend in Frage gestellt. Uns ist klar, dass auch der Asterisk höchst unzureichend ist um andere Geschlechtsidentitäten ›einzubeziehen‹ und versuchen dies im Text daher anders – inklusiv und/oder geschlechtsneutral – aufzuzeigen. Zur pueblodevoces, »8M brujas«, veröffentlicht am 9.3.2017, abrufbar unter https:// www.youtube.com/watch?v=Ep_Q4odS67I.

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Im ganzen Land gehen die Menschen, vor allem Frauen und trans oder nicht-binäre Personen, auf die Straße.4 Allein in der Hauptstadt Madrid sind es bis zu 50.000. In dem Video ist eine breite Straße zu sehen, Menschenmassen drängen sich auf ihr aneinander, Plakate, Schilder und Fahnen werden in die Luft gehalten. Es ist schon dunkel, nur Laternen und Leuchtreklamen fluten die Szenerie in helles Licht. In der Mitte des Straßenausschnitts laufen und springen mehrere dutzend Frauen im Kreis und halten sich dabei an den Händen. Viele von ihnen tragen lilafarbene Schals oder T-Shirts, die Farbe des feministischen Protests. Nach und nach schließen sich ihnen immer mehr der Umstehenden an, gemeinsam bilden sie einen Reigen. Anschwellendes rhythmisches Klatschen der weiterhin um sie herumstehenden Streikenden begleitet sie. Ein lautes, melodisches Rufen folgender Worte erfüllt die Luft: »Somos las nietas de todas las brujas que nunca pudieron quemar« (»Wir sind die Enkel*innen der Hexen, die sie nicht verbrennen konnten«). Nach einer halben Minute gibt es einen Schnitt, es wird nicht mehr getanzt, aber weiterhin geklatscht und gesungen, bis sich die Szene in lauten Jubelrufen auflöst. In dieser Szene ist beispielhaft zu sehen, wie durch eine gemeinsame Praxis der Protestierenden eine Geschichte im Sinne Drapers gemeinsam gemacht wird und so Netze zwischen aktuellen und historischen feministischen Kämpfen gesponnen werden. Der Slogan »Hexen, die sie nicht verbrennen konnten« bezieht sich dabei auf die historische Situation vieler nicht der damaligen ›weiblichen‹ Norm und Rolle entsprechenden Frauen während der Übergangszeit vom Feudalismus zum Kapitalismus. Insbesondere diejenigen, die sich der Aneignung ihrer Körper und dem reproduktiven System entzogen und Kontrolle über Körper und reproduktive Funktion erwirkten, wurden brutal als Hexen kategorisiert, verfolgt und ermordet (siehe Federici 2012a). Die Protestierenden eignen sich dieses Bild der Hexe an, tanzen symbolisch in einem Reigen (eine Tanzform, mit der Hexen häufig mythologisch in Verbindung gebracht werden), greifen sich dabei an ihre Hände, schaffen eine physische, sichtbare Verbundenheit, und zeigen sich solidarisch mit den Opfern der Hexenverbrennungen und der Kraft ihres Widerstandes, wie es durch die Selbstbezeichnung als deren Enkel*innen deutlich wird.

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Der Streik ist dominiert von Frauen, sowohl cis als auch trans, sowie »queeren«, nichtbinären und auch männlichen trans Personen. Während wir nicht denken, dass es nötig ist alle Identitäten einer Bewegung »festzustellen«, ist es uns wichtig, hier keine Menschen unter dem Banner des feministischen, oder eben »Frauen*«streiks unsichtbar zu machen.

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Abbildung 1: Johanna Hoffmann; Protestaktion beim Bundesweiten Vorbereitungs- und Vernetzungstreffen des Frauen*streik Deutschland, Blockade Karl-Marx-Allee, Berlin.

In Mitten des Wiedererlebens der Vergangenheit in heutigen Kämpfen erarbeiten die Protestierenden sich somit kollektiv ein Bewusstsein über etwas Gemeinsames zwischen den Erinnernden und dem Erinnerten. In diesem Sinne findet in dem Prozess des »making a history common« eine mehrfache Solidarisierung statt: zwischen denen, die gemeinsam erinnern und gleichzeitig denen, an die erinnert wird. Diese Solidarisierung reicht dabei nicht nur von der Gegenwart in die Vergangenheit, auch schlägt sie eine Brücke zu dem, was kommen wird. Dieses Entdecken und Verbinden von gemeinsamer Geschichte ermöglicht so nach Draper die Vorstellungskraft für eine gemeinsame Zukunft, »a mode of reflecting, imagining, and reinventing different struggles running through the histories of liberation, opening spaces for a collective imagination that can cross border« (Draper 2018: 689). Solidarische Kollektivitäten überbrücken mindestens affektiv die Grenzen von Zeit und Raum. Aber bei diesem aktiven Machen – doing und organizing – wird nicht nur eine gemeinsame Vergangenheit beschworen und belichtet, Verbindungspraktiken setzen auch die Kämpfe der Gegenwart translokal miteinander in Beziehung. Ein Beispiel aus Berlin zeigt dies schlaglichtartig auf:

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Die dortige Frauen*streik-Demonstration 2019 endet mit einer Kundgebung am Oranienplatz. Der ›O-Platz‹ ist selbst geprägt von Widerstandsgeschichte und wurde überregional bekannt, als Asylsuchende ihn 2012 für zwei Jahre besetzten und gegen Lagerunterbringung und Abschiebungen protestierten. Die Kundgebung ist als Assamblea5 aufgezogen. Jede*r darf und soll sprechen. Am Mikrophon wird in verschiedensten Sprachen von rassistischen und sexistischen Unterdrückungserfahrungen berichtet, genauso wie über Polizeigewalt an diesem Tag gegen kurdische Demonstrierende nur ein paar Ecken weiter. Vor allem durch kollektive Solidaritätsbekundungen wird den Beteiligten aber auch Mut gemacht. Der gemeinsame Kampfgeist wird symbolisiert durch die Figur des ›Geist des Feminismus‹, die in der Nacht zuvor durch eine Lichtinstallation an die Häuser Berlins projiziert wurde und dabei durch die Stadt wanderte. Nun steht dieses Symbol bei der Bühne an der Seite der Streikenden auf einer Leinwand abgebildet, daneben Slogans der transnationalen Streiks, ob auf Englisch, Polnisch, Türkisch, Arabisch oder Spanisch: »When we strike, the world stops.«6 »Biz greve çıkarsak, dünya yerinde durur.« »Jeśli położymy kres naszej pracy, świat stanie w miejscu.« Damit wird klar über Kategorien von Nation und Sprache hinausgewiesen. Zudem wird die Vielfalt der lokal Streikenden aufgezeigt – viele leben aus Gründen in Berlin, die gleichzeitig Streikgründe sind, etwa ökonomischer Zwang, Krieg oder reproduktive Gewalt. Der translokale Charakter der Assamblea und des Streikens zeigt sich auch dadurch, dass per Videoübertragungen unter anderem argentinische und spanische Aktivist*innen mit den Anwesenden sprechen, ihre Grüße und Mutmachungen ausrichten und sich über die große Menschenansammlung in Berlin freuen. Nicht nur die Lokalität des Streiks kann 5 6

Spanisch für Versammlung: nach Vorbild der feministischen Assambleas, die vor allem in Argentinien und Lateinamerika abgehalten werden. Die feministische Streikbewegung hatte sich in den letzten vier Jahren rasant um die Welt bewegt: In Argentinien entstand 2015 die Bewegung »Ni una menos« zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und feminisierte Subjekte, zum Beispiel durch Feminizide. Bald steckte dies auch andere lateinamerikanischen Länder an. Ein Jahr später wird in Argentinien zum Massenstreik aufgerufen – und zahlreiche solidarischen Proteste und Demonstrationen in verschiedenen Ländern folgen. Zum 8. März 2017 wird dann zum weltweiten Women’s Strike aufgerufen, der auch in Europa auf Widerhall stößt: allein in Spanien sind zehntausende auf den Straßen. In Polen kommt es 2018 zu massenhaften Demonstrationen gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. Ähnliche Proteste und Streiks gibt es in den letzten Jahren in den USA, in der Türkei, in Irland – und im Juni 2019 gehen über eine halbe Millionen Menschen in der Schweiz unter dem Banner des Frauen*streiks auf die Straßen.

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nicht eingegrenzt werden, auch seine Temporalitäten sind vielfältig. Durch die Zeitverschiebung wird es verschiedene Momente des Höhepunkts weltweit geben, die sich ineinander verweben. Es wird somit aktiv an der Herausbildung eines globalen Bewusstseins gearbeitet, was den eigenen Kampf zu einem Kampf aller macht. Eine zeitgenössische gemeinsame Sprache entwickelt sich, die sich in Sätzen wie »Ni una menos« (»Nicht eine weniger«) und »Si se tocan a una se tocan a todas« (»Wenn sie eine berühren, berühren sie uns alle«) artikuliert, die rund um den Globus zu hören sind. So werden Verbindungen geschaffen und eine geteilte Gegenwart beharrlicher und ausdauernder Organisierung sichtbar,7 vielfältige Solidarisierungen über Grenzen hinweg entstehen: »We say, Ni una menos (Not one woman less), in a slogan of transversality that combines the music of previous revolutions and the tenacity of feminist struggles« (Ni una menos 2018). Transversalität funktioniert nicht nach einer linearen und vorhersagbaren Logik, sondern ist selbst ein brüchiger und sich fortlaufend veränderbarer Prozess. Und doch zeigen sich die gemeinsam erarbeiteten Erinnerungen sowie translokalen Verbindungen in konkreten Streik- und Protestaktivitäten. In diesen konkreten zeitlichen und räumlichen Beziehungen werden Solidaritäten gemeinsam aufgebaut, ausgesprochen, praktiziert und erlebt.

»Striking for the common good« und die Arbeit im Streik Solidarische Praktiken sprengen also Zeit und Raum und schaffen neue Verbindungen. Organisation von Widerstand über diese, identitäre und andere Grenzen hinweg bedeutet dabei kontinuierliche Arbeit. Diese Arbeit zu beleuchten heißt diejenigen Prozesse sichtbar werden zu lassen, die in der Betonung der Logik des singulären Ereignisses oft verdeckt bleiben. Doch was 7

Diese eine Gegenwart ist eine bestimmte, von verschiedenen möglichen, die in nichtlinearen bzw. nicht-kohärenten Prozessen entstehen. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit oder Endgültigkeit gemacht, es besteht ein konstanter Aushandlungsprozess um Macht und Deutungshoheit: die wichtigsten Themen, die bedeutendsten Kämpfe, die besten ersten Schritte und Partner*innen etc. Dabei haben auch in sozialen Bewegungen – und vor allem in der translokalen und historischen Berichterstattung – oft diejenigen strukturelle Vorteile, die der Hegemonie der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. All dies wird in solidarischen Praktiken versucht konstant zu exponieren und anders zu organisieren. Und doch setzt sich zumeist ein Narrativ, eine Geschichte, eine Gegenwart vordergründig durch.

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wird überhaupt als Arbeit erkannt und wertgeschätzt? Der Frauen*streik – und mit diesem die starken Streikbewegungen der heutigen Zeit – erweitern durch ihren Widerstand gegen Ausbeutung die Perspektive einer breiten Palette von Arbeitsformen. Denn genauso wie der Begriff Arbeit bei vielen Bildern von Fabriken oder Schreibtischen evoziert, so ist das Streikbild für viele geprägt von Menschen – meist Männern – in Ver.di-Westen, oder von stornierten Flugreisen. In den letzten Jahren wurde das Konzept des Streiks jedoch weltweit in verschiedener Weise neu besetzt.8 Beispielhaft für dieses neue Streikverständnis stehen die Massenmobilisierungen von Lehrer*innen in den USA, sowie unter anderem auch in Brasilien und Chile, die die Kraft kollektiver Arbeitsniederlegungen demonstrieren und Tausende und Millionen auf die Straßen bringen.9 Dabei geht es nicht nur um verbesserte Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte, sondern auch um eine Änderung der Lehrpläne, Unterstützung für die Schüler*innen und deren Familien und ihr Leben in der Stadt und vieles mehr. Treffend zusammengefasst: »The strike isn’t just for wages anymore. It’s for ›the common good« (Greenhouse 2019). Striking for the common good – es mag vorerst schwierig sein, sich darunter konkret etwas vorzustellen, und doch, so meinen wir, geht es genau darum ebenfalls in den globalen Frauen*streiks. Was die Streiks von Lehrer*innen, Erzieher*innen oder Krankenpfleger*innen mit den Women’s Strikes gemeinsam haben, ist, dass ihr Kampf nicht von den herkömmlichen Produktionsstätten ausgeht. Statt Fließband und Fabrik rücken sie die Sphären in das Zentrum des Kampfes, in denen es um die Arbeit an und die Fürsorge von den Subjekten selbst geht. Diese Streiks als Arbeitsverweigerung attackieren also nicht nur die herkömmli-

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Zu erwähnen ist hier auch die Schulstreik-bewegung Fridays for Future, die seit 2018 weltweit Millionen Schüler*innen und Erwachsene in Streik und Protest für andere Klimapolitik auf die Straße und damit auch politischen Streik über Arbeitskämpfe hinaus auf die Agenda bringt. In Deutschland standen und stehen feministischer Streik und Klimastreik gemeinsam auf der Straße. Vgl. u.a. Jane McAlvey (2016), die beispielsweise von Lehrer*innen in Chicago 2012 berichtet, die in kürzester Zeit enge Verbindungen innerhalb – einer zuvor geschwächten – Gewerkschaft aber auch darüber hinaus mit der Gemeinschaft und Gesellschaft aufbauten und erfolgreiche Massenstreiks durchführten. Im Moment des Finalisieren dieses Artikels, Herbst 2019, streikt die Chicago Teachers Union erneut. Siehe für den globalen Character der Aufstände in der Sphäre des Reproduktion des Lebens auch zB. die Schüler*innen und Lehrer*innen Streiks in Brasilien oder Chile (z.B. Franco 2019).

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che Produktionsarbeit, sondern gleichermaßen die Reproduktionsarbeit.10 Dies entblößt grundlegend den limitierten Arbeitsbegriff, der traditionell in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft dominiert. Nicht nur in Büros, Fabriken oder Flugzeugen wird gearbeitet, sondern auch im Haushalt, in der Pflege von Angehörigen, im Flüchtlingsheim oder in der Sexarbeit. Die Arbeit, die in vielen verschiedenen Orten in die Erhaltung der Arbeitskraft fließt, wird noch immer oft als Liebesdienst verkannt,11 gleichzeitig ist es ein Feld das vor allem von feminisierten, sowie migrantischen und/oder von Rassismus betroffenen Subjekten ausgeführt wird (vgl. u.a. Hochschild 2004). Der Frauen*streik macht es möglich und notwendig, Aspekte des Zusammenlebens als sozial gegeben zu erkennen, die oft als natürliche Begebenheiten festgeschrieben werden. Dadurch wird eine lange Geschichte der Nichtwertschätzung der Reproduktion freigelegt. Dies ermöglicht auch Macht- und Unterdrückungsstrukturen miteinzubeziehen, die nicht nur patriarchal organisiert, sondern beispielsweise auch von Rassismus und Kolonialismus geprägt sind. Denn mit der Kategorie der sozialen Reproduktion werden alle Beziehungen zwischen dem Lohn-Arbeitsplatz und allen anderen Institutionen und Prozessen, die die Arbeitskraft kreieren und erneuern, in Augenschein genommen. Dies geht über jede Logik des Spektakels und einmaligen Ereignisses hinaus, im Gegenteil, es geht um die alltäglichen, oft

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Mit dem Fokus auf Reproduktionsarbeit beziehen wir uns auf einen Kernbegriff feministischer Debatten, Kämpfe und Forderungen. Im Kern umfasst sie alle Arbeiten, die zur »Reproduktion des Lebens« (Braun 1999: 18) notwendig sind. Anders als bei der Produktion konkreter Güter, die geschaffen werden um Mehrwert zu generieren, geht es – in marxistischer Terminologie gesprochen – bei der Reproduktionsarbeit um die Arbeiten, die die Arbeitskraft reproduzieren und diese gleichermaßen erst herstellen. Da Arbeitskraft ein menschliches Attribut ist, liegt der Fokus somit auf all den Arbeiten, die menschliches Leben schaffen und erhalten. Konkret geht es um vielfältige Tätigkeiten von der Erziehung über die Ernährung bis hin zur Pflege – und damit um »Arbeit, die für die Reproduktion der Gattung überwiegend von Frauen unbezahlt verrichtet wird« (ebd.: 119). Es handelt sich um Arbeiten, die in einem eindimensionalen Verständnis von Arbeit als unmittelbar mehrwert-erschaffend gar nicht als solche anerkannt und verstanden werden – ein Missstand, gegen den schon seit Jahrzehnten von Seiten feministischer Akteur*innen vorgegangen wird, etwa mit Forderungen wie nach der »Entlohnung von Hausarbeit«, wie sie Silvia Federici berets seit den 1970ern prominent vertritt (vgl. https://www.deutschlandfunkkultur.de/feministin-silvia-federicisollte-hausarbeit-bezahlt-werden.2162.de.html?dram:article_id=438115). Ein Missstand, den Federici auf den Punkt bringt: »They say it is love. We say it is unwaged work.« (1975: 1).

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Abbildung 2: Plakat Naturfreunde Jugend Berlin und Frauen*streik Berlin.

vernachlässigten und unsichtbar gemachten Vorgänge. Welche Arbeit wird in den Zwischenräumen und sozialen Beziehungen zwischen Büro, Fabrik, Zuhause, Schule, Krankenhaus, Pflegeheim, Kindergarten etc. geleistet und in welcher Form stellt diese arbeitswillige, produktive und normativ geschulte Menschen her?12 Die Arbeitskraft wird auch in und durch Grenzkontrollen, Flüchtlingslager, bei der Rücksendungen von Geld von Migrant*innen, und 12

Die Frage, die aus dieser Perspektive heraus von Generationen von marxistischen Feminist*innen aufgeworfen wird, ist: Welche strukturelle Funktion hat diese Arbeit in dem Prozess kapitalistischer Akkumulation, wenn bedacht wird, dass diese nur von menschlicher Arbeit erhalten und produziert werden kann? (Bhattacharya 2017: 14).

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anderen Prozessen und Institutionen der globalen kapitalistischen Ordnung reproduziert (Ferguson et al. 2016: 31). Indem diese Orte öffentlich und kollektiv aufgerufen werden, und ihre Wichtigkeit und Funktion zur Debatte gestellt werden, fordern die feministischen Streiks eine grundlegende Veränderung der politischen Geographie von unten. Ein erweiterter Begriff von Arbeit, sowie damit eine weiter gefasste Ansicht über das was es zu be-streiken und zu er-streiken gibt, bringt eine Problematisierung des Streiks, bzw. ein Hinterfragen der Organisation von sozialer und politischer Mobilisierung generell mit sich. Zum einen geht es hierbei darum, dass bestimmte Tätigkeiten kaum niedergelegt werden können. Denn eine besondere Stärke des theoretischen und praktischen Fokus auf soziale Reproduktion ist, dass sie unbezahlte und bezahlte Pflegearbeit sichtbar macht, sie denaturalisiert und politisiert (Hall 2016: 88). Die Fokussierung auf die Pflegearbeit hilft Verwundbarkeiten eines wirtschaftlichen und politischen Systems aufzudecken, das die Grundbedürfnisse seiner Teilnehmer*innen nicht berücksichtigt (vgl. Federici 2012b).13 Damit wird aber auch die Unsichtbarkeit von Sorgearbeit in der traditionellen Streikidee thematisiert. Das feministische Manifest der Precarias a la Deriva behandelt diese Widersprüchlichkeiten eines Sorgestreiks, bei dem die Sorgenden die Umsorgten keiner Gefahr aussetzen möchten (2014: 109-110). Doch die Widersprüche beinhalten auch eine besondere Produktivität, wenn der stark politische Charakter dieser Arbeiten hervortritt: die Machtverhältnisse, die sexistische und rassistische Organisation davon, die öffentliche Vernachlässigung und die zentrale Bedeutung von Sorge für die Gesellschaft. Precarias a la Deriva bezeichnen den Sorgestreik als »Sichtinstrument« (ebd.: 110), das durch das Aufdecken, die Kritik und die grundlegenden Neuüberlegungen »eine Affirmation anderer möglicher Praktiken und Welten« ermöglicht (ebd.). Somit wird deutlich, warum es letzten Endes noch nie einen wirklichen Generaloder Massenstreik14 gegeben hat oder geben wird – zumindest nicht in der 13

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Soziale Reproduktion, oder auch »Pflegearbeit«, zeigt damit die Widersprüche des kapitalistischen Systems in besonders pointierter Weise auf (vgl. Fraser 2017). In einem System, das auf unbegrenzte kapitalistische Expansion setzt, wird soziale Reproduktion, die keine (oder in ihrer kommodifizierten Form wenig) Rendite bringt, permanent untergraben. Gleichzeitig jedoch ist der Kapitalismus für sein Funktionieren grundlegend von sozialer Reproduktion abhängig, da dies seine Arbeiter*innen herstellt, erhält und erzieht. Die Bedeutung eines Massenstreiks für revolutionäre Bewegungen und Umschwung wird beispielsweise von Rosa Luxemburg (1906) behandelt. Für sie ist der Massenstreik,

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Form der totalen Arbeitsniederlegung. Denn reproduktive Arbeiten können nicht komplett und langfristig unterbrochen werden, wenn es eine lebendige Zukunft nach dem Streik geben soll. Bei diesen Arbeiten handelt es sich es nicht nur um die Pflege von Angehörigen oder die medizinische Versorgung von Kranken. Es geht grundlegender auch um die fortlaufende Versorgung der politisch Agierenden, der Akteure der Ereignisse: Wer kümmert sich um Verpflegung, Betreuung, Erziehung, physische und psychische Gesundheit während eines Streiks, einer Demonstration oder einer kollektiven Aktion? Diese Fragen sollten nicht ignoriert werden oder unter dem Spektakel des Aktes verschwinden. Aufgedeckt können sie kollektiv im hier und jetzt neu justiert und somit selbst politisiert, selbst Gegenstand des Kampfes werden. Die Organisation menschlicher Bedürfnisse ist zentral, wenn wir verstehen wollen wie politische Akte zustande kommen können. Die Frage nach der reproduktiven Arbeit – von der Kinderbetreuung über das Pflegen bis zum Verpflegen mit Essen – stellt sich also auch ganz konkret in den Momenten der politischen Aktion: »We often imagine social movement work as consisting of debates, speeches, and phone banks. But we rarely consider the sustaining activity, often seeming to take place in the background, that make these political moments possible« (Backer/Cairns 2019). Damit müssen wir uns der Frage stellen: »If movements’ labor produces change in society, who then produces the movement?« (Backer/Cairns 2019). Progressive Errungenschaften und emanzipatorischer Gesellschaftswandel werden ›von unten‹ erkämpft. Auch dies wird in der Geschichte oft vergessen und/oder vergessen gemacht. Genauso wird die Arbeit, die die teils selbsternannten Bewegungsführer*innen trägt, systematisch missachtet, so wie die Menschen, die sie vollziehen. Wenn wir uns vergangene bekannt gewordene Streiks ansehen, wie beispielsweise den bedeutenden Miners’ strike anders als Demonstrationen, in seiner dynamischen und prozesshaften Form der mögliche Ursprung einer Revolution. Umfasst das eigene Arbeitsverständnis jedoch zudem explizit die Reproduktionsarbeit und wird somit deutlich, dass niemals alle Arbeit(en) gleichzeitig niedergelegt werden können, muss jedoch eine Revolution nicht per se unmöglich erscheinen – viel eher muss diese selbst weniger als Moment der Umwälzung, denn als langwieriger Prozess der Herausbildung neuer Praktiken und Lebensformen begriffen werden. Diese Perspektive führt somit auch zu einem spezifischen Revolutionsverständnis, dem es nicht um das Ereignis, den »singuläre[n] Moment des Sturzes der alten Herrschaft«, sondern ganz grundlegend »um die Gestaltbarkeit von Gesellschaft selbst« geht (Adamzcak 2018a: 84-85).

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in Großbritannien in den 1980er Jahren, können wir den Fokus von den Bergarbeiter*innen zu den unterstützenden Kräften lenken. Während die Miners ihre Arbeit niederlegten und an den Streikposten ausharrten, organisierten ihre Partner*innen die Verpflegung für die Streikenden und ihre Familien. Beispielsweise die Gruppe Women Against Pit Closure (WAPC) politisierte sich in dieser Arbeit. Wie Brenda Proctor es beschreibt: »It wasn’t all about soup kitchens and food parcels – though that was important. We wanted to tell people why we were on strike.« (Sherwood 2014). Ohne diese Form der Organisierung und Verpflegung hätte der Streik niemals ein ganzes Jahr durchhalten können. Doch durch den Streik fanden sich auch neue Arten und Weisen Reproduktionsarbeit zu handhaben – kollektiv, solidarisch, geschlechterübergreifend: »He’d be picketing, and would come home to look after the kids while I went to meetings. He was quite happy to do that. Miners had a new respect for women.« (Ebd.) Politische Bewegungen selbst hängen also von reproduktiver Arbeit ab, wenngleich diese in der medialen Berichterstattung oder wissenschaftlichen Analyse von Protestbewegungen selten thematisiert wird. Dabei kann Reproduktionsarbeit selbst Gegenstand des Protests und der Politisierung sein und nicht bloße notwendige Infrastruktur ›für das eigentlich Wichtige‹ des Widerstands, wie u.a. der Frauen*streik zeigt. Im Sinne unserer Perspektive des doing exposure wird im Frauen*streik durch den Fokus auf reproduktive Arbeiten deren vermeintlich natürliche und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aktiv entblößt, in Frage gestellt und durch konkrete Praktiken neu gestaltet – Praktiken, die im Vorfeld und während der Momente gemacht werden, die herkömmlicherweise als politische Aktionen wahrgenommen werden. Diesen Akten gehen zahlreiche reproduktive Aktivitäten voraus und begleiten diese, die wiederum selbst Gegenstand neuer Gestaltungsformen sind. In den letzten Jahren haben vor allem Occupy Wallstreet und Standing Rock die Bedeutung von Reproduktionsarbeit sowohl für die Gesellschaft als auch für politische Bewegungen in den öffentlichen Raum und damit in das kollektive Bewusstsein geholt (vgl. Graber 2013, Flanders 2019).15 Der feministische Streik fokussiert sich explizit auf diese Arbeit, ihrer normalisierte gesellschaftliche Organisation und ihren Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen System, mit Heteronormativität, sexualisierter Gewalt und Prekarität. Auf der Basis dieser Analyse stellt er permanent die Frage, wer – und wie – 15

Für Standing Rock vgl. auch den Beitrag von Jasilyn Charger und Lisa Eisold in diesem Buch.

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die erhaltende Arbeit innerhalb der Bewegung leistet. Auch in linken Kreisen werden diese Fragen oft unter den Tisch gekehrt und mehr oder weniger automatisch auf – oft vereinzelte – feminisierte Subjekte abgewälzt (vgl. Backer/Cairns 2019). Der Frauen*streik hat den Anspruch, die Kontinuität dieses gesellschaftlichen Missstandes auch in emanzipatorischer politischer Arbeit zu unterbrechen. Das geschieht auf der Basis tiefgehender Debatten – zum Beispiel Debatten über demokratische und gleichberechtigte Organisationsformen. Diese kristallisieren sich um die weit verbreitete Frage, welche Rolle (vor allem cis-)Männer in der Bewegung spielen.16 So wird politisch entschieden, dass Männer solidarisch die fundamentale Arbeit für das Ereignis, die Basisarbeit für – und unter – dem geplanten Moment der Exposure unterstützen. Diese Debatten schufen also eine Dynamik in vielen feministischen Kollektiven der Welt, ob in der Schweiz, Deutschland, Spanien oder Argentinien, wo Kinderbetreuung, Schlafstellen für Aktivist*innen, Küche und Essensversorgung sowie Infrastruktur zunehmend von Männern und explizit kollektiv betrieben werden. Dies geschieht nicht nur aus der Notwendigkeit heraus, dass dies an dem spezifischen Streiktag unabdinglich werden würde. Die gesamte Organisationsstruktur basiert auf der Neuordnung von Verantwortlichkeiten, Pflegepraktiken und der Nutzung von Räumen. So findet die Verpflegung nach dem Streik beispielsweise als Küfa (Küche für Alle) in den öffentlichen Räumen einer Bar statt. Es ist ein ungewohntes Bild wenn in den Barräumen kaum oder keine Männer zu sehen sind, dafür ausschließlich im Hinterraum bei der Essensausgabe. So wird Solidarität praktisch organisiert und dies kann auch zu kleinen Momenten der Aussetzung gesellschaftlicher Verhältnisse und einer Sichtbarmachung und Entnormalisierung von Zuständen führen. Im Größeren könnten solche kollektiven solidarischen Praktiken der Versorgung das Potential haben sexistische, rassistische und vereinzelnde Beziehungsweisen grundlegend aufzubrechen und die binäre Organisation des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu untergraben.

»Reproducing Solidarity« und das Weben neuer Beziehungsweisen Um emanzipatorische Akte herum tummeln sich die Geister der Vergangenheit und die Vorboten der Zukunft, sowie die unterstützenden Hände trans16

Unter »cis Männern« verstehen wir Menschen, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde und die sich mit diesem identifizieren.

Striking Exposure

nationaler Mitstreiter*innen. Doch was spielt sich dabei ab? Wenn wir die Perspektive der um Emanzipation bemühten Menschen einnehmen, dann erscheint uns ein solcher Akt in ganz anderem Lichte. Nicht als passiv, überraschend, spontan oder als Bruch mit dem sogenannten ›Normalen‹. Nicht primär als Spektakel für die Öffentlichkeit, welches die darunter und darum stattfindende Arbeit im Dunkeln lässt, sondern eine Vielzahl von exposures, als ein Prozess des doings und organizings. Diese Praktiken und Aktivitäten werden zur aktiven Möglichkeit für alle und verweisen gleichzeitig auf die Verantwortung die mediale und öffentliche Aufmerksamkeitsökonomie zu hinterfragen und zu untergraben. Dann entpuppen sich die Aktivitäten als Arbeit. Denn: Sozialer Wandel ist Arbeit. Politischer Aktivismus ist Arbeit. Solidarität und Beziehungsweisen sind Arbeit. Und auch wenn es paradox klingen mag: Auch Streik ist Arbeit. Der Blick unter den Moment der Exposure wirft ein anderes Licht nicht nur auf die Streiks, sondern offeriert ein breites Verständnis des Politischen, welches sich nicht in spektakulären Bildern demonstrierender Menschenmassen oder heroischer Einzelposen erschöpft. Anstatt des Bruchs und des singulären Ereignisses geraten so all die Prozesse, Praktiken und Arbeiten in den Blick, die jene erst ermöglichen und selbst Gegenstand einer aktiven und bewussten Neugestaltung sind. Dabei verweisen all diese unterschiedlichen Aspekte des doing und organizing exposure – das Historisieren, das Entgrenzen und das Reproduzieren – auf das Herstellen und Weben solidarischer Beziehungsweisen, die aktiv gestaltet werden. In ihnen offenbart sich ein relationales Solidaritätsverständnis, das die eigene Situation mit der anderer Zeiten und Orten verbindet. Die prinzipielle Verbundenheit der Menschen zueinander allein stellt dabei zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen solidarischen Zusammenhalt dar. Diese Verbindungen müssen aktiv politisiert und von handelnden Akteur*innen aktualisiert werden. Solidarität entsteht also nicht aus sich objektiv hinter dem Rücken der Individuen abspielenden Prozesse, sondern muss durch eine bewusste und aktive soziale Praxis hervorgebracht werden: »Even if it [solidarity] relies on the fact of ›being associated‹, this fact still has to be ›realised‹ – in the double sense of being aware of something and putting something into being – in order to lead to solidaristic action« (Jaeggi 2003: 288). Solidarität in diesem Verständnis ist kein bloßes Faktum, sondern eine Praxis, etwas, in das Anstrengung und bewusstes Handeln von den Einzelnen

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investiert werden muss.17 Solidarität entsteht nicht einfach aus gesellschaftlichen Bedingungen, sie wird gemacht. Dabei ist dieses Machen von Solidarität eine der zentralen Dinge, um die es den zeitgenössischen feministischen (Streik-)Bewegungen geht: Globale Solidarität mit Kämpfen der Vergangenheit und der Gegenwart, Solidarität in den konkreten Beziehungen und Praktiken der Organisation. Betrachten wir nur das Ereignis und blicken nur auf die konkreten Körper, die sich in Massenmobilisierungen durch die Straßen unserer Welt bewegen, gerät aus dem Fokus, welche Verbindungen dabei, davor und danach geschaffen werden und welche fortlaufenden Prozesse damit verbunden sind, die sich seit jeher der medialen Logik des Spektakels widersetzen: Arbeit, die somit selbst ins Licht der Aufmerksamkeit gerückt werden muss.

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“Being Inactive Pays a Much Bigger Price Than Putting Your Body on the Line” On Courage and Vulnerability in the NoDAPL Movement at Standing Rock Jasilyn Charger in an interview with Lisa Eisold

From April 2016 to February 2017, thousands of Water Protectors gathered in several Prayer Camps on the land of LaDonna Tamakawastewin Allard at the edge of the Standing Rock Sioux Reservation in North Dakota, USA. The main camp became known as Oceti Sakowin, the Seven Council Fires, which describes the traditional government structure of what is today called the Great Sioux Nation. Indigenous people from approximately 300 different groups and nations across the Americas were joined by non-Indigenous allies from diverse backgrounds on the ground and millions more online via social media (Dhillon/Estes 2016). Together, they tried to protect Mni Sose (the Missouri River) from the Dakota Access Pipeline (DAPL) that was built to transport crude oil under the river. If the DAPL leaks, it will pollute the drinking water supply of the Standing Rock Sioux Reservation as well as of millions of people downstream (Donella 2017). Today, DAPL is built and active, transporting over 500,000 barrels of oil daily since June 2017 (Energy Transfer LP n.d.). How did the Water Protectors find the courage for this extraordinary movement and how does it relate to their everyday struggles? How do courage and vulnerability interrelate in this act of standing up? The heart of this article consists of a transcript of an interview with Jasilyn Charger, the knowledge-holder and voice of the parts written in regular fond. Jasilyn is a Lakota Oyate activist, change maker and Water Protector from Cheyenne River Reservation, South Dakota. She overcame depression and addiction, co-founded the International Indigenous Youth Council as well as the 7 th Defender’s Project, and has been fighting for young Native people since 2015. The interview has been conducted and slightly edited for readability by Lisa Eisold, the voice of the parts written in italics. I, Lisa, am a German student of Transcultural Studies, trained in cultural anthropology, postcolo-

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nial studies and Indigenous studies by Western as well as Gomeroi, Gumbainggir and Mohawk university lecturers in Germany, Australia and Canada. When I read twitter posts and watched videos about Standing Rock, I was utterly impressed by the courage, strength and peacefulness of the Water Protectors. I started contacting some of them via social media to learn more. After a few messages to build the relationship, Jasilyn and I had an hour-long video chat conversation guided by my questions, that I recorded and transcribed. Although the initial idea for this article came from me, and I will benefit academically from the publication of this knowledge, the research makes meaning for Jasilyn as well: Constantly, people write poverty porn about reservations. They do not grab the whole story of what people have to live through on a daily basis. They just grab the tragic story of what has become our lives. They take a statement of a person and write a whole article about it. It is extremely rare that someone is interested in getting the whole story from the person who lives it every day, that they take the time to sit down and listen to another person’s life-story. I would like to see more of that, so that the person is more involved. NonNative people need this type of exposure because not everybody can travel to reservations and see for themselves. It is very important to us that we get to tell our own story and be the writers of our own history because there are not many books telling our history of day-to-day Native American life and the barriers we have to hurdle through. We need to document this and put it out there. For a long time, I was trying to implement a collaborative style of research and writing, inspired by Shawn Wilson’s Research is Ceremony. Indigenous Research Methods (2008), which would allow Jasilyn to become involved on equal terms. It is my strong desire not to speak for her and in her place, as has been the colonial reality for centuries (Spivak 1988). Instead of contributing to her silencing, I want to support her in telling her story. Therefore, I sent Jasilyn my first ideas for the analysis, asked her to read and edit my first drafts, tried to get hold of her for another video conversation to hear her opinion – and was irritated by her silence. In my desperate attempts to allow her equal say in the research process, I ignored that Jasilyn had already given me everything that was necessary to achieve her interest in the article: She had told me her story. I now had to take over the responsibility for making her voice be heard. Throughout the research process I learned that, as a remarkable and highly committed activist, Jasilyn did not have the resources for turning our interview into an academic article. I am the academic, therefore, I am responsible for creating a text that is publishable in an academic context and at the same time accountable to the relationship we have with each

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other as well as with the knowledge (Wilson 2008: 114). I sincerely hope that I fulfilled this responsibility. Relational accountability – a demonstration of respect, reciprocity and responsibility – lies at the heart of an Indigenous research paradigm as it is described by Wilson (2008: 99). Removing the knowledge from the relationship that formed it or “breaking things down into their smallest pieces” for a Western analysis, he argues, is an act of cultural appropriation (Wilson 2008: 114, 119). To avoid this, the main part of this article consists entirely of the interview transcript. Where I know of other Indigenous activists or scholars making the same statements as Jasilyn, I have added these resources with the help of footnotes for the interested reader. I am convinced that Jasilyn’s words do not need any further analysis. They speak for themselves. As Wilson (2008: 133) explains, which conclusions each reader draws from a text depends on their point of view. Instead of making seemingly universal conclusions, he therefore ends with a final reflection of what he has learned from the research process, in order to “respect the reader’s ability to take in what they are ready to receive or what they [sic] current relationships allow” (Wilson 2008: 133). In the same way, my final thoughts at the end of this article are by no means intended as a legitimation or absolute conclusion, but rather as a reflection on my personal learning process that Jasilyn enabled by sharing her knowledge with me.

Origins of courage Was there a particular moment that started Standing Rock or made it so big? Standing Rock started really small and grew slowly and gradually bigger when like-minded people came together and believed in something no one else cared about. We believed that we have the power to stop a multi-milliondollar corporation, a pipeline.1 This planted the seed for more courage and understanding to grow. It built a platform where we as youth can take charge of our own future. I think Standing Rock grew when the younger people started seeing that they can take back the power over their own lives and over their own future. We demanded to be part of the decision makings that will evidently affect our futures and our children’s futures. Today, many young people do not have control over this future because we are constantly told what to be, what to do, how to act. And if we conform, we do not contribute to society 1

Robbie W.C. Tourse and his colleagues (2018: 135) write about the Water Protectors: they “rejected their position of powerlessness by organizing a protest”.

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and we are looked at as burdens. At Standing Rock, we were not a burden but a part of something that helps to pave the way for a better future, not only for ourselves but for everybody with whom we share this our home, including the animals, all life, everybody around the world. Because whether or not anyone was aware of it at the time, we were at the forefront of this great lifechanging moment in the world that will hopefully contribute to young people believing that they can make a difference, as free men and free women. We have power. We have rights. We can take advantage of those rights. Not many people worldwide have freedom of speech and get to use their voice. We have these rights and it would be wrong not to exercise them to demand a better future. It started when we did the runs from Cannon Ball, North Dakota to the district office of the United States Army Corps of Engineers in Omaha, Nebraska in April and to their headquarters in Washington D.C. in July 2016.2 We took the courage to do something you do not hear about every day: we were twenty, thirty, fifty young people running across the country for the water and for our life. The courage for this came from the struggles we have to live on a day-to-day basis. We have courage from having to survive in this very hostile environment where many young people do not know where they are going to sleep or what their tribal government is going to do for their future. Our courage really came from understanding that our ancestors in the last several hundred years have had to go through much trial and tribulations for us to get where we are today. We understand that they made an even bigger sacrifice for our next generations. We need to take on this immense responsibility.3 Being inactive pays a much bigger price than putting your body on the line, than running across the country or taking part in movements such as Standing Rock. None of us regrets what we did. Even throughout the pain we all faced in Standing Rock, it was worth it. We made an imprint on the world through

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In the context of the Idle No More movement in Canada, Leanne Betasamosake Simpson (2014: 221) explains that walking “created a moment of unity in the movement because they physically walked on the land and connected to other Indigenous peoples”. Simpson (2014: 6) makes a very similar statement when she explains: “My Ancestors struggled, sacrificed and fought much worse than I have to get me here, and I have the same responsibility to my future relations”.

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our sacrifices. It’s going down in history books.4 We made our stand. When people look at that story of us standing up for our land, for our rights and for our future, it gives them courage.5 I like to think it gives courage to those on the same frontline as us, in different places around the world like Canada or Hawaii, France or Palestine. Wherever the forefront is, it is always young people fighting for their future and to change this world for the better. It is the biggest movement in our era. When we look back on people in movements in the past fighting for their rights – for the right to be addressed as a human being not as a property or for their right not to be segregated – we see that we can change the way things are.

Moments of vulnerability If you say it was worth it through all the pain, were there particular moments when you felt pain or when you felt vulnerable? I remember the moment on October 27, 2016, when North Camp was raidedby the police. When I approached the scene, I saw two of our friends already being dragged and arrested. I saw people getting shot with bean bags and rubber bullets. There were sound canons and concussion grenades. There was mace. There were smoke bombs. People screaming. People being dragged out of their tipis, out of their homes. Seeing all this hurt and pain, I felt like we were at war. I felt like we were being attacked by our own government. And this was a familiar feeling because, as Native Americans, we have had many experiences like that. If you exchange the non-lethal weapons for lethal ones, it would have been the same as the many massacres that have happened to Indigenous peoples over land, over treaty rights. These are still happening today, except that they are now using non-lethal weapons because we have our cameras to document what they are doing to us and to hold them account-

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As Kelly Hayes (2018) writes: “We didn't stop the pipeline, but we did seize a page of history from those who would make us disappear. The movement in Standing Rock was a vision of ourselves, as Native people: imperfect, beautiful, alive in the face of colonialism, and still rising.” According to Simpson (2014: 81), “[i]t is critical that this generation inspires and creates the next generation of Indigenous peoples” to create a better future.

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able.6 In that split moment, I knew what it feels like to be scared. Fear not only for your life but for the lives of your people. But what gave me courage through that fear was seeing people getting back up and returning to the line. They held the police back so that the camp could be evacuated. Even through their pain and their suffering, they still, without aggression, held that line for our Elders, for the women, the children to get away. So just in that split second that vulnerability renewed my courage and reminded me why I was there. Being part of something like that, it becomes a part of your story as a person and as a human being. It stays with you. Even though I saw some very traumatic things, it has helped to shape me into a stronger person. It does for our people. People have reasons, people have scars. Many people got hurt but we still stood our ground, we stood up for what we believed in – as a community and as one people. There were non-Native allies there, too, supporting us. That was really amazing for me because you do not usually see non-Natives on our side throughout history. But now we are changing history. We understand that we are one people. It makes people open-minded, which is pretty awesome.

A safer space The idea of vulnerability or fear turning into strength really impresses me! In your interview with Amy Goodman on Democracy Now! (2017) you described Standing Rock as a safer space despite the violence. How do these things go together? Many people on reservations feel as if we are constantly attacked by the government. Our children are stolen because there are no jobs here. Or we are kicked out of our house because we do not have the money to pay the rent. Or we are abused by the police because it is what they can do. But Standing Rock was a space where we did not have to worry about money. A place to go where there was enough food because we worked together as a community to make sure that no one was starving. Everybody had a place to sleep, everybody had clothes. We looked out for one another. Money did not matter. We traded if we wanted something. We had a relationship where we did not have to separate each other through greed, money or how nice your house is, because 6

Sacred Stone camp founder LaDonna Tamakawastewin Allard’s family are survivors of the Whitestone massacre in 1863. She underlines that, despite this and other instances of state violence, her family was always sure that they could survive (Democracy Now! 2016).

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everywhere we stayed you had to build your own home. It was not valued on how high-priced it was. It was valued on how much time and effort you put into it. Not having to stress about social norms was really freeing. We could focus on loving each other7 and being there for each other and being connected and being human beings and caring for each other as a community. Our economy is set up to pit people against each other, fighting for better grades in schools, fighting for better jobs and more money. Economy prevents us from seeing each other as a community member or a human being or someone who has children. It takes away the compassion that we have for each other. But at Oceti Sakowin, if you look at each other, you do not see the job titles, you do not see the money. You see a family just like yours. A human being just like you. It brings our communities closer. There were tribes that came to support us that have been at war for hundreds of years. They put their differences aside to stand together as a nation, as a people, as human beings.8 We have an ongoing epidemic of suicides on reservations. People kill themselves because they think that, just because they do not have a job or money, they are not worth anything. But at Oceti Sakowin, money and work did not define your worth. Who you are and what you stand for defined your worth. All we had to worry about was making sure that we were all safe and we all stayed safe when we went to the frontline, making sure that our community was good, that the kitchens were clean. We could start caring more about each other because we could say: “Help me clean these dishes and talk to me about it.”9 There was always somewhere you could go: there were dancing circles and there were places where you could express yourself freely without having to be someone else. There was a place for everybody, and everybody had their own spot. It was awesome to see a big community not based on money or economics or the colour of your skin. You can just live together as people. It made people free. It is what gathered many people to this spot. We were all equal on 7

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This reminds me of the words Sara Ahmed (2017: x) finds to introduce Audre Lorde’s work: “loving each other as refusing the world that judges some of us to be unloveable; loving each other as a way of surviving the world”. Scholar and activist Nick Estes underlines the importance of the anticapitalist aspect of the prayer camps: “It’s unifying around a common cause. In opposition to not just a pipeline but in opposition to an entire way of life, which is industrial capitalism or capitalism in general” (CENHS 2016). Estes beliefs that the “influx of good food and camaraderie” in the camp challenged the system (CENHS 2016).

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the basis of being alive. Many young people went there to create our own space and have our meetings, so we matter to each other. This was important to me because we can save so many youths by creating community. If we create safe spaces for youth to gather and feel like they belong, they feel like they matter and are important. This is very life-changing. It saved many people. Many youths were brought to Oceti Sakowin for the healing from depression.10 Many kids and youths suffer from depression on the reservation because there is no help for them. A space for those young people to go, where they feel accepted and loved, is really needed in the communities.11 It helps them to not land in a place of violence or a place of anger. Many young people get angry because we are left out. People do not care about us. They only start caring when twenty to thirty young people kill themselves. But now we have new ways of organising. We can use our voices, we can use our bodies, we can use organisations and public outlets. In my own community, I am now trying to create that same space of comfort and acceptance for the other pipeline that we are facing: the Keystone XL pipeline. That space is really, really needed here on my reservation. From what you told me I got the impression that the vulnerability has always been there. With the act of standing up people, especially youth, found their voices and used their power. They started to create something and began to feel powerful and safe. Is that correct? That vulnerability is still here, we are still going through it. Many young people, and Native people in general, are vulnerable to the many different things we have to constantly survive.12 Creating a space where these things do not exist is so great that it brings nations together and gives the person back the power. For many Native Americans, it is like having an addiction, an addiction to poverty, an addiction to thinking that we are alone. Giving an addict back their power over that addiction and making them think “I do not need that anymore. That is not who I am. That is not who I want to be. That is not going to be a part of my life anymore”, means that they take back the power over their own life. They become a part of the decisions and understand 10 11

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Kirmayer et al (2011: 89) also report that political activism improves mental health and enhances self-esteem. According to Andrew R. Hatala and his colleagues (2017: 1337), one of the sources of resilience for Native youth is “being known and understood, experiencing empathy with regard to where youth are coming from, and acceptance for that history and their life journey”. In the words of Simpson (2014: 45), colonialism “creates a world where I am never safe. It is a violent system of continual harm forced on my body, mind, emotions, and spirit”.

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what they want for themselves.13 You want to be better. You want to pave the way so that it can be better for the younger generation and they do not have to struggle through the things that we have to endure now. I am still a part of movement-making and of life-changing events because instead of being addicted to depression, instead of thinking that this is all I have in my life, I got addicted to making change. That is something that I am trying to expose other young people to do as well: to take back the power because we can change the things that are going on today; because when we come into positions of power, we do not have to care about those very highly toxic waves and upbringings and environments. They are not something we want for ourselves. To be a part of power is something we have never really imagined for ourselves all throughout colonisation. We never really imagined that we would make such an imprint in history – which is pretty crazy.14

Being in prayer The camps at Standing Rock were called Prayer Camps.15 Why did you centre the movement around prayer? We brought our culture into the movement and linked Indigenous peoples into Indigenous resistance. Because anybody can start a riot, anybody can start trouble, but approaching it in a respectful way of prayer and bringing our own culture into it is special. As Indigenous peoples, we are very proud. We have defended our lands through our Dakota warriors in the 1800s. But we want to get away from being seen as savages and being labelled terrorists. 13

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Estes says about some of the Water Protectors: “The gym shorts and the t-shirt, that’s all they have, that’s all they possess. And they have everything to gain by joining this encampment, by becoming politically educated and politically conscious. Learning how to organise, learning how all these other interconnected struggles interact in a dynamic way, not just at Standing Rock but across the world.” (CENHS 2016). Rebecca Solnit (2019) writes about (Native) Water Protectors “whose experiences at the protest site had encouraged them to dream of new possibilities and take actions that might otherwise have seemed out of reach”. The most famous of them is Alexandria Ocasio-Cortez, currently Member of the U.S. House of Representatives for New York's 14th district. As Yitazba Largo-Anderson (2017: 7/8) explains, prayer can be “expressed through dance, affirmation, chants, sweat lodges, vision, sharing of indigenous knowledge, saying ‘I love you’, and art” and is based on the belief that “their output of positive energy and unconditional love provides healing towards the earth, the policemen of North Dakota, each other, and every creature and inanimate object that resides on this planet”.

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We learned from history that, if we fight in a violent way, it does not end well for us. It gives them an excuse to exterminate and abuse us. It creates a picture of the victim as violent, a threat. But if we put them face to face with an environment that is in prayer, that is peaceful and that is a symbol of unity, they have a much harder time facing that with violence. If you stand there and take their beating, take their mace, and you are still in prayer, it leaves an impact on them. And we gather strength from knowing that we can stand together and survive this without being violent. Our war was not with the police, or Morton County, or the security. It was with the pipeline, it was with the oil, the poison that will kill our people. We were realising that these men had orders by higher-ups. It was their job. At that time, I was only nineteen and twenty. If they saw a young girl up there and if they had a young girl at home, maybe that would appeal to their humanity so that they would ask themselves: “What am I doing? Why am I doing this? This isn’t right.” One of the cops quit because he could not do it because we did not give them the reaction they were prepared for. They are prepared for very violent people, but we were respectful. We prayed for them. That estranged them. To go out there took a lot of training and took a lot of prayer. In our ceremonies, we do exercises where we use mental and physical discipline. Applying what we have learned in our own culture to real-life situations was a very big tool for Indigenous youth. Many of them are very angry with the situations that they have been put in and with life in general. We still have this anger, but we will move that place of anger in our prayers of peace and come to peace with it. We realise that, if we do react in a violent way, we are going to hurt the people. We did have some agitators who were just being angry, and our people ended up being hurt. We had to be very stern and make them understand that their actions affect us all. If one picture of someone being angry is shot out to social media, people are going to see that we are just angry people, that we are not prayerful, we are not peaceful. There were thousands of people from very diverse backgrounds there, including non-Native people, people from other countries and the clergy. It was hard to get them all to be in prayer. We had to accommodate everybody. We had to try to move together, find a place of common ground and have that understanding that, no matter where you come from or what your belief is, we are here in prayer. It is a prayer camp. This is not the time, this is not the place for people to be angry.

“Being Inactive Pays a Much Bigger Price Than Putting Your Body on the Line”

We are the future Do you have any more comments, anything you would still like to say? Throughout the whole movement-making, youth were at the forefront. They are on the ground in a lot of movements. They are going down in the world today. I mean the yellow vests movement in France, the fight in Palestine for land, and in Hawaii for the rights to their sacred mountain, the Mauna Kea, and up in Canada to protect their land from industrial destruction. It is so amazing that we are literally trying to change how this world works. We as young people are screaming and putting our lives on the line and are saying that this is not what we want for the future: “You are not doing this for us, you are doing this for your pocket.” Many people who are doing extraction already have more money than they could ever wish for. Yet, they continue because they want more money. It will be the greed that breaks them, but it will be the resilience and the power that keeps driving the future forward. And we as younger people, we will all be the storytellers of our own future. We take the story of our ancestors who have fought up unto this date to make sure that we have these rights, and that we have come this far in our culture, in our awareness, even as human beings. We will carry that past into the future because we are the future. We will not stop fighting even if we get eliminated. There is always someone else to take our place. We do this in the sight of life, in the sight of a continuation, of having a prosperous people. I encourage everyone. Whether you are on the frontline, whether you are an organiser or a news person telling the story, or whether you are a student from another country wanting to learn about a simple person starting a movement, we all have a part to play in this.

What Jasilyn taught me (about exposure) What surprised me the most about Jasilyn’s account of the NoDAPL movement, is her statement that she is not necessarily more vulnerable when she is living in the Prayer Camps compared to her life on the reservation. For me as a white and privileged outsider, Standing Rock appeared to be an act of deliberately exposing the body to violence by putting it on the line. What I did not see was that, in Ned Blackhawk’s (2006: 6) words, Indigenous “history, culture, and identity” often remain defined by physical, spiritual, emotional as well as administrative-institutionalised violence and pain. Poverty, forced removal of children, homelessness and abuse by the police, among oth-

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ers, are realities that many of the Water Protectors struggle with every day outside of the camps. If Christine Hentschel and Susanne Krasmann (this volume) claim that acts of exposure are moments when “vulnerability becomes actualized”, “literally surfaces and becomes palpable and tangible”, the question is: to whom? According to Judith Butler (2016: 19), vulnerability is exposed “when we find ourselves radically unsupported under conditions of precarity or under explicit conditions of threat”. For colonised, racialised individuals and groups, their own vulnerability is thus always visible as a consequence of the precariousness of their lives and the lack of institutional and societal support. Although feeling “like we were at war” at Standing Rock was traumatising, “this was a familiar feeling” for Jasilyn. Only for the non-Native public, the vulnerability of the Native Water Protectors surfaces suddenly and unexpectedly as they witness the live footage of police brutality on social media. The Water Protectors’ vulnerability becomes more easily recognisable to outsiders as it manifests itself as a vulnerability to physical violence on the frontline. This does not mean, however, that the NoDAPL movement constitutes a situation of heightened vulnerability and violence for the Indigenous peoples involved. For Jasilyn, “being inactive pays a much bigger price than putting your body on the line”. In her opinion, living in a colonial society and enduring the daily threats this entails, has a worse impact on her life than deliberately exposing her body to the violence of security forces at Standing Rock. In the context of the movement, the Water Protectors’ everyday experiences of vulnerability become a source of courage: “The courage for this came from the struggles we have to live on a day-to-day basis. We have courage from having to survive in this very hostile environment”. Similarly, scholar and poet Leanne Betasamosake Simpson (2014: 6) refers to her children who, being “born into a centuriesold legacy of resistance, persistence and profound love”, expect that Indigenous peoples will always “be there anyway” despite colonial oppression. Being aware of everything they and their ancestors have lived through means knowing their strength. Envisioning history as a continual fight against colonisation not only appreciates the scope of daily challenges but also serves as evidence of persistence, Laurence Kirmayer and his colleagues explain (2011: 89). Furthermore, such narratives of continuity counteract the ruptures created by colonisation (Kirmayer et al. 2011: 89). In the words of Judith Butler (2015: 151), “[i]t is not that vulnerability is converted into resistance” but rather “vulnerability is itself mobilized” in social movements. Indigenous Water Protectors do not join the movement despite their vulnerability but because of it. What is special about Standing Rock is not the vulnerability in the face of violence exerted by security and police forces. Rather, it is the Water Protectors’ activism and the creation of an anticapitalist community. The Prayer Camps provide “a space for those young people to go, where they feel accepted and loved […]. It helps

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them to not land in a place of violence or a place of anger” but instead find “new ways of organising” so that they realise: “We can use our voices, we can use our bodies, we can use organisations and public outlets”. This courage to take back the power over their own lives “is something that I [Jasilyn] am trying to expose other young people to do”. Jasilyn seems to suggest that being exposed to ideas of a different, self-determined, empowered lifestyle, and subsequently adopting the conviction that such an alternative life is possible, can enable Indigenous youth to seize opportunities for change. I see a similar idea in Butler’s (2015: 148f.) understanding of vulnerability as a general responsiveness to and dependence on our environment. If we are constantly impacted by what happens around us, exchanging toxic conditions for an empowering environment becomes an instrument for changing our lives. The movement did not have to prevent the building of the pipeline to be a success. The act of standing up and fighting for their futures has in itself improved the mental health of the young Water Protectors and thereby changed their lives. “Our most important work is internal”, Simpson agrees (2017: 6). Even if a movement does not reach its goal, no one can “remove the experience of hundreds of people coming together” in resistance (Simpson 2017: 242). Escaping from colonial reality, Simpson (2017: 18) insists, must include a flight towards an alternative Indigenous lifestyle. She explains that by rejecting colonial shame, embodying Indigenous values and trying out lived alternatives, Indigenous activists can establish an Indigenous present/presence “that will create flight paths out of colonialism” (Simpson 2017: 193). For example, by exploiting the land, devaluing women’s work as “private”, and forcing families to become “individual units of consumption”, colonisers strategically employed capitalism to destroy Indigenous economic and social systems (Anderson 2000: 59). Because this colonial form of economy led to the poverty many Native American communities suffer today, Simpson (2017) sees anticapitalism as a fundamental aspect of an alternative way of being in-common that will help to escape from colonial reality. By encouraging Native youth “to take back the power over their own life” and by substituting the capitalist system with an economy of bartering, sharing and caring, the encampment at Standing Rock thus offers a flight path out of established orders. Rather than creating uncertainty, however, the exposure to a politically active, caring, anticapitalist community at Standing Rock stabilises the Native youths’ identities and self-esteem which had been unsettled by centuries of colonialism. To account for this dynamic, I believe we should broaden the concept of exposure to include acts of exposing oneself to radically new positive environments that make the exposed feel less vulnerable. If we think acts of exposure with regard to Indigenous peoples, we have to remember that the latter are constantly exposed to the violence of colonisation that makes them

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visibly vulnerable, forms identities and often impacts mental health. Their vulnerability thus unavoidably becomes the basis on which courage and strength must be built and are built successfully. In such a situation, further physical violence against bodies on the line – although it might make Indigenous realities more visible to the non-Indigenous public – might not create singular “moments of radical openness, of uncertainty and vulnerability” (Hentschel/Krasmann, this volume) for the people themselves. On the contrary, building alternative, safer and caring communities that allow for voices to be heard, can serve as “flight paths” (Simpson 2017: 193) out of the established colonial order. What looks like an act of exposure to white scholars, might be a daily routine for Indigenous youths, and what the privileged take for granted, might have the significance of an act of exposure for the colonised, the racialised, and maybe even the marginalised more generally. Whenever we as scholars do not research moments of our own exposure, whenever we find ourselves in positions of privilege compared to those at the centre of the exposure, we have to sit down and listen to the whole story, to the lived realities, to truly understand the meaning and details of acts of exposure.

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“Being Inactive Pays a Much Bigger Price Than Putting Your Body on the Line”

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Das Erbe von Aylan Kurdi Phänomenologische Überlegungen zur Temporalität eines Act of Exposure Tanja Strukelj

Ein ikonisches Foto als Act of Exposure Ein kleiner Junge in blauer kurzer Hose und rotem T-Shirt liegt am Strand, er ist ungefähr drei Jahre alt. Er liegt auf dem Bauch, sein Kopf wird umspült von den Wellen des Meeres, seine Arme und Beine finden sich leblos im Sand. Äußerlich zeigen sich keine Verletzungen, kein Blut. Doch Aylan Kurdi ist tot. Aylans Familie war aus Syrien geflohen. Seit 2011 tobt dort ein Bürgerkrieg, in welchem laut UN innerhalb der ersten drei Jahre rund 400.000 Menschen gestorben waren und welcher mehrere Millionen Menschen zur Flucht zwang (vgl. New York Times 2018). Wie ungefähr 3.400 andere Geflüchtete im Jahr 2015 auch verloren Aylan, sein fünfjähriger Bruder Galib und seine Mutter Rehan auf der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben (vgl. Prøitz 2018: 548). Nachdem ihre toten Körper an die türkische Küste nahe Bodrum gespült worden waren, verbreitete die Fotografin Nilüfer Demir das Foto des verstorbenen Jungen unter dem Hashtag #KiyiyaVuranInsanlik (übersetzt: »die fortgespülte Menschlichkeit«) am 2. September 2015 in den sozialen Medien, wo es innerhalb weniger Stunden tausendfach geteilt wurde (vgl. Slovic et al. 2017: 640). Am folgenden Tag druckten zahlreiche internationale Zeitungen dieses Foto auf ihre Titelseiten. Inmitten eines bereits im Sommer 2015 entfachten Diskurses über den Umgang mit geflüchteten Menschen stach das Foto von Aylan Kurdi aus den vielfach abgedruckten Aufnahmen fliehender Menschen hervor. Es zeigt in aller Deutlichkeit die Verletzlichkeit und Sterblichkeit von Menschen auf der Flucht – sowie die Not, welcher jene ausgesetzt sind, die keinen anderen Ausweg sehen als die gefährliche Flucht über das Mittelmeer. Nach der Veröffentlichung des Fotos stiegen im September 2015

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die Anzahl und die Höhe von Spenden an Hilfsorganisationen deutlich an, wie Paul Slovic und Kollegen (2017: 641) für Schweden, Lucy Mayblin (2015: 42) für Großbritannien und eine Recherche der Süddeutschen Zeitung (2017) für Deutschland zeigen. Zugleich entstanden zahlreiche Bürger*inneninitiativen, in denen sich freiwillige Helfer*innen für Geflüchtete engagierten (vgl. de-Andrés et al. 2015: 32). Auch auf die Politik zeigte das Foto eine Wirkung: Der damalige britische Premierminister David Cameron stimmte zu, mehr syrische Geflüchtete als zuvor angekündigt aufzunehmen (vgl. Pedwell 2017: 149). Auch die Türkei bot eine Zusammenarbeit mit der EU zur Verbesserung der Situation geflüchteter Menschen an, die der damalige Ministerpräsident der Türkei Ahmed Davutoğlu als »Probe für unsere Menschlichkeit wie auch für unseren Anstand« bezeichnete (vgl. FAZ 2015b). Aufgrund der weltweiten Zirkulation und Rezeption wird die Aufnahme von Aylan Kurdi als »ikonisches Foto« bezeichnet, welches das Potenzial in sich trage, den Blick auf die Welt zu verändern und sozialen Wandel anzustoßen (vgl. Prøitz 2018: 551; Hariman/Lucaites 2003: 38). Die Reaktionen, die das Foto hervorgerufen hatte, waren jedoch nur von kurzer Dauer und seine Effekte bald wieder verschwunden. Sowohl in der europäischen Zivilgesellschaft als auch in der Politik ließ das Engagement für Geflüchtete nach wenigen Wochen nach (vgl. Slovic et al. 2017: 641f.). Während dieser Text entsteht, liegt der Tod von Aylan Kurdi ungefähr vier Jahre zurück. Mittlerweile erschwert die europäische Politik die Seenotrettung, wodurch – trotz sinkender Anzahl an Geflüchteten – proportional mehr Menschen auf ihrer Überfahrt nach Europa ertrinken als in den Jahren zuvor (vgl. UNHCR 2018).1 Die europäische Flüchtlingspolitik ist restriktiver und die Asylverfahren sind strenger geworden (vgl. Independent 2018). Dies lässt die Frage nach der Temporalität des Ereignisses um Aylan Kurdi aufkommen: Wie konnte ein Ereignis, welches solch intensive Emotionen ausgelöst hatte, so schnell in Vergessenheit geraten? Um das Geschehene besser zu verstehen, soll hier nach Wegen der Beschreibung und Deutung des Ereignisses um Aylan Kurdi gesucht werden. Das Ereignis soll dabei als Act of Exposure gelesen werden, um die affektive und zeitliche Dimension dieses Geschehens in die Analyse aufzunehmen.2 1

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Der UNHCR (2018) schreibt: »In June alone, one person died for every seven who crossed the Central Mediterranean, compared to one in 19 in the first half of this year and one in 38 in the first half of 2017.« Was aus soziologischer Perspektive einleuchtend erscheint, wird jedoch nicht von allen wissenschaftlichen Kommentator*innen geteilt: Unter anderem Olesen (2018) und de-Andrés et al. (2015) reduzieren die Analyse der Wirkung des Fotos von Aylan Kurdi

Das Erbe von Aylan Kurdi

Die Janusköpfigkeit von Affekten In ihrer Konzeption von Acts of Exposure weisen Christine Hentschel und Susanne Krasmann (2018) mit Blick auf Sara Ahmed (2014) auf die Rolle von Affekten3 hin, welche bei Ereignissen in der Öffentlichkeit zirkulieren. Auch die sozial- und kulturwissenschaftliche Forschungsliteratur zu Aylan Kurdi schreibt Affekten und Gefühlen eine bedeutende Rolle zu und sieht insbesondere im Mitgefühl und im Mitleid den ausschlaggebenden Impuls für die breite Rezeption des Fotos (vgl. u.a. Slovic et al. 2017, Pedwell 2016, Prøitz 2018, Pascasio 2017, El-Enany 2016).4 Demzufolge regten die ausgelösten Gefühle eine neue Perspektive der Rezipient*innen auf Geflüchtete an, da Aylan Kurdi dem Schicksal geflüchteter Menschen ein Gesicht gegeben habe, was etwa bei Statistiken nicht möglich sei, da konkrete Menschenleben hier hinter abstrakten Zahlen verschwinden (vgl. Slovic et al. 2017: 640; Prøitz 2018: 551). Mit der Affizierung würden neue Formen des Wissens erworben, die das Selbst – und somit auch die eigenen Einstellungen und Handlungen – veränderten (vgl. Pedwell 2016: 150, Prøitz 2018: 551). Jedoch erweisen sich diese Affekte als janusköpfig: Zwar schafften solche Gefühle die Möglichkeit, Reflexionen und Handlungen hervorzurufen, jedoch überführten sich diese nicht in verfestigte Strukturen. Mit Begriffen wie »compassion fade« bzw. »compassion fatigue« wird in der Forschungsliteratur die Instabilität und die rasche Vergänglichkeit von Mitleid bezeichnet (vgl. Slovic et al. 2017: 642; Pascasio 2017: 3; in Anlehnung an Sontag 2003: 101). Die feministische Emotionstheoretikerin Sara Ahmed (2014: 141) spricht

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auf dessen ästhetische Qualitäten. Dies stellt jedoch eine kurzsichtige Vereinfachung dar, welche die kontextuelle Einbettung des Fotos ignoriert. Stattdessen wird hier die Position vertreten, dass ein Foto nicht allein aufgrund eigener Qualitäten öffentlich zirkuliert wird – stattdessen braucht es rezipierende Menschen, welche für das Foto besonders empfänglich sein müssen, um es zu teilen und zu besprechen. Ahmed (2014) zufolge sind Affekte zu verstehen als eine Form von Kapital, deren Effekte sich in der Zirkulation und Verbreitung zeigen (siehe auch Pedwell 2017: 151). Beispielsweise erklärt Nadine El-Enany (2016: 13), dass die helle Hautfarbe Aylans es weißen Europäer*innen ermögliche, sich einzufühlen und in Aylan ihren eigenen Sohn zu sehen. Diese Interpretation stützt, dass das Foto von Aylan in den sozialen Medien unter dem Hashtag #CouldBeMyChild kursierte. Neben der Hautfarbe kann auch das junge Alter und die damit einhergehende anmutende Unschuld Aylans als ermöglichende Bedingung für die Affizierung der Rezipient*innen mit Mitleid angesehen werden (in Anlehnung an Ahmed 2014: 192).

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der von Mitleid geprägten Nächstenliebe sogar gänzlich ab, sozialen Wandel herbeiführen zu können, da Machtverhältnisse unhinterfragt blieben. Dass Affekte Handlungen evozieren, die nach kurzer Zeit wieder verblassen, erscheint zunächst trivial. Die bisherige Forschungsliteratur zu der Rezeption von Aylan Kurdi kratzt jedoch an der Oberfläche, wenn es um die Beschreibung der Genese von Affekten und deren Verbindung zu Handlungen geht. Was geschieht konkret, wenn wir etwas sehen, das uns mit Mitleid und Mitgefühl erfüllt? Wie lässt sich das Aufkommen von Affekten und affektevozierten Handlungen detaillierter beschreiben? Im Folgenden soll das Ereignis um Aylan Kurdi mit phänomenologischen Beschreibungen angereichert werden, um ein komplexeres Bild von der Wirkung von Affekten zu zeichnen und den aufgeworfenen Fragen nachzugehen.

Acts of Exposure im Lichte von Pathos und Response Für die Analyse von Ereignissen bedeutsam ist der Grundgedanke der Phänomenologie, nach welchem etwas als etwas wahrgenommen wird (vgl. Waldenfels 2015: 242; basierend auf Husserl 2009 [1913]: 73ff.): Ein Sachverhalt und die Modalität seines Erscheinens, das Was und Wie des Erfahrungsgegenstands, sind demzufolge inhärent miteinander verbunden. Erfahrungsgegenstände können nicht ohne eine Sinn- und Bedeutungszuschreibung wahrgenommen werden, wobei sich dieser anhaftende Sinn als kontingent erweist (vgl. Waldenfels 2016: 37). Das Foto von Aylan Kurdi zeigt nicht nur einen toten Jungen am Strand; ohne jeden Kontext wäre das Foto als trauriges Einzelschicksal interpretiert worden und nicht in diesem Maße im öffentlichen Diskurs aufgekommen. Stattdessen wird Aylan Kurdi in der Öffentlichkeit als Geflüchteter wahrgenommen, der mit seiner Familie vor Krieg und Gewalt floh. Dementsprechend zeigt sich mit der Zuschreibung des Status des Geflüchteten eine politische Dimension, welche die Frage nach der Verantwortung europäischer Länder aufwirft. Damit die Öffentlichkeit diese politische Dimension in das Foto hineinlegen konnte, musste sie bereits empfänglich für eine solche Interpretation sein. Angelegt wurde diese Interpretation nicht zuletzt durch die Fluchtbewegung im Sommer 2015: Nachdem im Juli über 100.000 Menschen nach Europa geflohen waren, wurde seitdem regelmäßig über die politische Krise in Syrien berichtet und Fotos mit überfüllten Booten von fliehenden Menschen in Zeitungen veröffentlicht (vgl. Borneman/Ghassem-Fachandi 2017: 116). Ende August erklärte die deutsche Bundesregierung, dass syrische

Das Erbe von Aylan Kurdi

Asylbewerber*innen in Deutschland bleiben dürfen, auch wenn diese zuvor in einem anderen EU-Land angekommen waren (vgl. ebd.). In einer Regierungserklärung vom 31. August äußerte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den die folgende Zeit prägenden Satz: »Wir schaffen das.« Am selben Tag erreichten mehrere Züge mit Geflüchteten aus Ungarn die Stadt München, wo diese von hunderten Menschen begrüßt und applaudierend empfangen wurden (vgl. ebd.: 117). Nur zwei Tage später wurde das Foto von Aylan Kurdi aufgenommen und in den sozialen Medien geteilt. Das Foto gelangte also zu einer Zeit an die Öffentlichkeit, als diese besonders empfänglich für das Schicksal geflüchteter Menschen war.5 Durch Acts of Exposure geraten etablierte Ordnungen ins Wanken, sie lassen bislang Unsichtbares sichtbar werden und können neue Wahrnehmungsund Handlungsmuster hervorrufen. Bernhard Waldenfels (2015, 2016) hat mit seinem Konzept der Responsivität einen Weg gefunden, diese Begegnung mit dem Fremden phänomenologisch zu beschreiben: Wenn wir einem fremden Anspruch begegnen, der sich uns zeigt, indem er sich entzieht (vgl. Waldenfels 1999: 85), und der somit unsere eigene Ordnung übersteigt, fallen wir in Responsivität. Diesen »Grundzug, der unser gesamtes leibliches Verhalten prägt«, fasst Waldenfels (2015: 19f.) als ein Doppelereignis aus Pathos und Response auf. Pathos wird entworfen als ein »Widerfahrnis oder Affekt«, als »Wovon des Getroffenseins« (ebd.: 81). Es ist ein Ereignis, an welchem man nicht im Nominativ, als Urheber*in oder Autor*in, beteiligt ist, sondern im Modus des »Dativ oder Akkusativ eines Mir oder Mich, dem etwas zustößt oder die etwas trifft« (ebd.: 82, Hervorhebungen im Original). Im Pathos überwiegt das Moment der Passivität: Ein Ereignis überrascht, ohne dass man sich dagegen wehren könnte. Hier befindet sich das Ereignis jenseits von Sinn und Regel (vgl. Waldenfels 2011: 27). Man wird getroffen, ohne einordnen zu können, wovon man getriffen wurde. Der Versuch, ein außerordentliches Ereignis sinnhaft zu machen und darauf zu antworten, findet in der Response statt: Hier verwandelt sich das »fremde Wovon des Getroffenseins […] in das Worauf einer eigenen Antwort« (ebd.: 82). Pathos und Response stehen in einem 5

Diese phänomenologischen Überlegungen lassen sich mit der Idee des Forcefields von Hentschel und Krasmann (2018: 44) verbinden, nach welcher Acts of Exposure eingebettet sind in ein diskursiv-affektives Feld, in welchem sie ihre Wirkung entfalten und zu welchem sie selbst verstärkend beitragen. Im Fall von Aylan Kurdi deutet sich dies interessanterweise bereits in den Grafiken von Slovic et al. (2017: 641) an: So stiegen die Suchanfragen zu »Syria« und »Refugees« bereits einige Tage vor der Veröffentlichung des Fotos von Aylan Kurdi leicht an.

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Wechselbezug, »da ein Widerfahrnis nichts wäre ohne jemanden, dem etwas widerfährt, und eine Antwort nichts wäre ohne etwas, worauf sie antwortet« (vgl. Waldenfels 2015: 122). Diese Gedanken lassen sich auf die Analyse von Acts of Exposure übertragen: Auch mit ihnen kann nicht routiniert umgegangen werden, weshalb offene, von Unsicherheit und Ungewissheit geprägte Situationen entstehen (vgl. Hentschel/Krasmann 2018: 44). In diesen Situationen müssen Getroffene neue Wege des Antwortens finden. Acts of Exposure haben somit immer auch ein produktives Moment, in welchem sich das Pathos, das passive Getroffensein, in eine Response und somit in eine Antwort verwandelt.6 Wie eine solche Antwort aussieht, ist jedoch weder vorhersehbar noch bei allen Getroffenen einheitlich.7 Um die phänomenologischen Kategorien von Pathos und Response für die Analyse des Ereignisses um Aylan Kurdi fruchtbar zu machen, wirft der phänomenologische Blick die Autorin zunächst auf sie selbst und ihre erste Begegnung mit dem Foto von Aylan Kurdi zurück: Schließlich bin auch ich eine Rezipientin des Fotos, die getroffen wurde und die eine Antwort finden musste. Als ich das Foto des toten Aylan im Herbst 2015 zum ersten Mal in einer Zeitung sah, fand ich mich betroffen wieder. Noch ohne zu wissen, worum es ging, hatte ich aufgrund der Berichterstattung der vorigen Monate den Verdacht, dass es sich bei dem toten Jungen um ein geflüchtetes Kind handelte, welches im Mittelmeer auf der Flucht ertrunken war. Der zu dem Foto gehörige Artikel bestätigte meine Lesart und versorgte mich mit weiteren Informationen zu dem Fall. Meine erste Response auf das Getroffensein war der Wunsch, mehr über die Hintergründe zu erfahren, mich zu informieren und die Tragödie um Aylan – nicht zuletzt politisch – einzuordnen.8 In den folgenden Tagen sprach ich mit meinen Freundinnen und Freunden über das 6

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Hentschel und Krasmann (in diesem Band) bezeichnen diesen Umgang mit der Ungewissheit als ›Ethik‹: »In a moment of exposure, »ethics ›happens‹« […] as an effort of making sense within uncertainty and dealing with loose ends.« In diesem Sinne kann die öffentliche Response auf ein affizierendes Ereignis als Aushandlungsprozess verstanden werden, in welchem sich am Ende eine be-stimmte ethische Überzeugung durchgesetzt haben wird. Auch inwiefern ein Geschehnis die Qualität eines Acts of Exposure annehmen wird, kann daher nicht im Vorhinein, sondern immer erst im Nachhinein anhand der Rezeption und der Reaktionen festgestellt werden (vgl. Hentschel/Krasmann 2018: 44). Dass ich mit dieser Art von Response –dem Wunsch, mich zu informieren – nicht alleine war, zeigen die Daten von Slovic et al. (2016): In den ersten Tagen nach der Veröffentlichung des Fotos von Aylan stiegen die Google-Suchanfragen zu »Syria«, »refugee« und »Aylan« erheblich an.

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Foto; einige von ihnen begannen, sich für kurze Zeit in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Dennoch fühlten wir uns hilflos, da wir vermuteten, nichts an dem Sterben im Mittelmeer ändern zu können. Bald war in den Nachrichten nichts mehr von Aylan Kurdi zu lesen, wodurch seine Geschichte auch bei mir langsam in den Hintergrund trat.9 Neben einem ›Mich‹ kann ein Ereignis auch ein ›Uns‹ treffen: »Koaffektion bedeutet, dass wir gemeinsam etwas erfahren, und zwar auf der Ebene einer originären Passivität.« (Waldenfels 2015: 190, Hervorhebung durch die Autorin) Andere Menschen können ebenfalls affiziert werden; wir können miteinander betroffen sein. Diese gemeinsame Affektion impliziert nicht, dass alle Getroffenen gleichermaßen affiziert werden oder auf dieselbe Weise reagieren: »Wir unterscheiden uns nicht in dem, worauf wir antworten, wohl aber in der Art und Weise, wie wir antworten.« (ebd.: 94; Hervorhebungen im Original) Waldenfels geht es darum, »dass eigenes mit fremdem Tun interferiert, dass eines das andere verstärkt, dämpft, hemmt, auch durchkreuzt« (ebd.: 105). Trotz der Unterschiedlichkeit zeigt sich in den Antworten, dass wir immer schon miteinander verbunden sind, dass wir Ereignisse miteinander erfahren und damit umgehen müssen. In diesem Miteinander, »im Übergang vom Wovon des Pathos zum Worauf der Response, in der Transformation von Affekt in Sinn, Gestalt, Struktur, Typus und Habitus«, findet eine Vergemeinschaftung statt, weshalb Waldenfels (2015: 76) von der »Geburt des Sozialen aus dem Pathos« spricht. Durch das gemeinsame Zuwenden und Abwenden, durch das miteinander erlittene Pathos und die je eigene Response merken wir, dass wir in einer Gemeinschaft sind, die von einem Widerfahrnis getroffen wurdeund darauf antworten muss. In der Rezeption von Aylan Kurdi, die mit Waldenfels als Response gelesen werden kann, zeigt sich eine solche Vergemeinschaftung: Eine Vielzahl an Rezipient*innen wurde von dem Schicksal Aylans berührt, sie mussten das Foto sinnhaft einordnen und eine Antwort finden. Hierdurch wurde ein Diskursraum geschaffen, in welchem wir mit anderen über das Foto sprechen und über praktische Folgen für das eigene Handeln nachdenken konnten. Innerhalb dieses Diskursraums waren die Antworten unterdessen vielfältig: Sie reichten von persönlichen Reflexionen und Diskussionen über politischen Aktivismus und Engagement bis hin zur Verarbeitung des Ereignisses in Form von Kunst oder Wissenschaft. Aber auch wegzusehen und zu versuchen, das Foto zu verdrängen, kann eine Form

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Dieser Artikel stellt eine weitere (späte) Response dar.

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der Response sein, die allerdings keinen Lernprozess zur Folge hat (vgl. Waldenfels 2015: 23). In diesen Auseinandersetzungenfindet sich der Versuch, das Ereignis einzuordnen, zu interpretieren und sinnhaft zu machen. Auf das erlittene Pathos, dem man sich nicht entziehen konnte, wurde reagiert.

Ein homogener Diskurs Wie sich die Response ausgestaltete und welche Sinn- und Auslegungsrahmen für das Ereignis um Aylan Kurdi gefunden wurden, lässt sich – neben der persönlichen Erfahrungsebene – auch diskursiv in der öffentlichen Debatte nachvollziehen: In der FAZ (2015a) wurde von einer »traurigen Geschichte« gesprochen, die taz (2015) schrieb, das »Foto rührt ans Gewissen«, und in der Süddeutschen Zeitung (2015) wurde die Frage aufgeworfen, »[w]as den nächsten Aylan Kurdi retten könnte«. Auch die BILD-Zeitung fand Worte der Betroffenheit: So beschreibt ihr erster Artikel10 zu diesem Thema Aylans Familie als verzweifelt und voller Not; ihr Tod habe »weltweit für Entsetzen« gesorgt (vgl. BILD 2015a).11 Auch in anderen Artikeln wie »Wir trauern« (BILD 2015b) oder »Der Vater klagt an: ›Dieses Leid muss ein Ende haben‹« (BILD 2015c) stehen die Not von Geflüchteten und die dadurch ausgelöste Betroffenheit im Vordergrund. Sämtliche Artikel über Aylan Kurdi in den großen überregionalen Zeitungen versuchen, das Ereignis einzuordnen und zu kontextualisieren, Trauer zu bekunden sowie eine menschlichere Fluchtpolitik zu fordern. Es zeigen sich keine Kontroversen in der Auslegung und keine Ambivalenzen in der Reaktion – trotz der unterschiedlichen politischen Ausrichtung der Zeitungen. Diese Einheitlichkeit der diskursiven Deutungen zeigt, dass es möglich war, das Ereignis schnell in bereits etablierte Sinnhorizonte einzuordnen. Zwar hatte das Foto von Aylan Kurdi die Öffentlichkeit eindrücklich mit der Unaufrichtigkeit der europäischen Politik konfrontiert, welche den Tod fliehender Menschen vor ihren eigenen Küsten hinnimmt. Das Pathos, welches durch das Foto von Aylan Kurdi hervorgerufen worden war und welches die 10

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Dieser Artikel wurde unter dem Titel »Die fortgespülte Menschlichkeit« (BILD 2015a) veröffentlicht und ist somit angelehnt an die Übersetzung des Hashtags, unter welchem die Fotografin das Foto von Aylan in den sozialen Medien geteilt hatte. Am Ende des Artikels wird daneben auf die BILD-Aktion »Wir helfen« verwiesen, in deren Rahmen Leser*innen ihre Solidarität mit geflüchteten Menschen bekunden sollten.

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Öffentlichkeit für einen Moment von der europäischen Agenda entfremdete, verblasste allerdings schneller, als dass sich langfristige Handlungsstrukturen hätten ausbilden können, um die Bedingungen der Flucht nach Europa zu verbessern. Die Homogenität der artikulierten Emotionen, der Interpretationen und der anschließenden politischen Forderungen machte das Geschehene besprechbar, was wiederum das Vornehmen von Abwägungen ermöglichte: Welche (europäischen) Werte sprechen für das Retten von fliehenden Menschen, welche (europäischen) Interessen stehen dagegen? Diese Möglichkeit, Abwägungen vorzunehmen und zu besprechen, zeigte sich nicht zuletzt in dem ZEIT-Artikel »Oder soll man es lassen?« (2018), in welchem die Journalistinnen Caterina Lobenstein und Mariam Lau diskutierten, was für und was gegen die Seenotrettung im Mittelmeer spricht. Das Ereignis um Aylan Kurdi, welches für einen kurzen Moment aufhorchen ließ, verlor mit dieser Möglichkeit der Besprechbarkeit seinen ereignishaften Charakter, da das Pathos in der Response eingehegt und rationalisiert werden konnte. Frei nach Waldenfels könnte man sagen: Dort, wo kein Pathos (mehr) war, folgte auch keine Response.

Ein weiterer Act of Exposure betritt die Bühne Die anfangs solidarische Einstellung gegenüber Geflüchteten wurde bald von einer xenophoben und misstrauischen Stimmung abgelöst (vgl. Borneman/Ghassem-Fachandi 2017). Vier Monate nach der Veröffentlichung des Fotos war fast nichts mehr über Aylan Kurdi zu lesen. Stattdessen wurde in Deutschland nun über ein anderes Ereignis berichtet: die sogenannte ›Kölner Silvesternacht 2015‹. Während einer Silvesterfeier versammelten sich über 1.000 Männer, denen insbesondere eine nordafrikanische und arabische Herkunft zugeschrieben wurde, auf dem Bahnhofsplatz in Köln, wo sie hunderte Frauen bedrängt, intim berührt und ausgeraubt haben sollen. Der Polizei war es nicht möglich, einzugreifen und die Gruppe aufzulösen. Wie im Fall von Aylan Kurdi berichteten auch hier alle überregionalen Zeitungen über das Geschehen. Während die Berichterstattung über Aylan Kurdi noch recht homogen ausgefallen war, zeigten sich Berichte über die Kölner Silvesternacht dagegen kontrovers und die Interpretationen dieses Ereignisses waren deutlich heterogener – sogar innerhalb der Zeitungen selbst. Beispielsweise finden sich in der BILD-Zeitung einerseits Artikel, die davor warnen, dass die AfD »aus dieser Situation Kapital […] schlagen«

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könne (BILD 2016a). So kommentiert der Chefredakteur Julian Reichelt nach den Ereignissen in Köln, dass die »Willkommenskultur« weder »naiv« noch »gescheitert« sei (BILD 2016b). Andererseits führen andere Artikel in der BILD-Zeitung die Ursache für die sexuellen Übergriffe in Köln auf den Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter zurück: In Artikeln wie »Woher stammt das Sexmob-Phänomen?« (BILD 2016c) wird ein direkter Bezug zu den sexuellen Belästigungen von Frauen auf dem Tahrir-Platz in Ägypten hergestellt und sexuelle Gewalt als nicht-deutsches – und somit eingewandertes – Phänomen beschrieben. Gegen eine solche Interpretation stellt sich unter anderem Hilal Sezgin in der ZEIT (2016a), der zufolge stattdessen die (männliche) Gewalt gegenüber Frauen thematisiert werden solle statt die Nationalität oder die Herkunft der Täter. Welche Rolle die Herkunft der Täter hat und welche Rückschlüsse auf Zuwanderung und Flucht gezogen werden sollten, wurde also in den Zeitungskommentaren unterschiedlich beantwortet. Besonders anschaulich zeigt sich diese interpretative Unsicherheit in einem Artikel in der ZEIT (2016b), welcher mit folgenden Worten die Stimmung in Köln nach der Silvesternacht zu beschreiben versuchte: »Nach den Angriffen der Silvesternacht haben viele Kölner Angst um die fröhliche und weltoffene Identität ihrer Stadt – und zugleich auch vor den Folgen der Zuwanderung.« Gegen Ende fällt der Satz: »Was ist richtig, was ist falsch? Die Kölner wissen es noch nicht.« (Ebd.) Während sich in der Rezeption von Aylan Kurdi alle Kommentare einig in ihrer Interpretation und Trauer zeigten, streuten die Reaktionen und die artikulierten Affekte im Diskurs um die Kölner Silvesternacht deutlich. Aufgrund dieser Umstrittenheit verwundert es nicht, dass das Ereignis von Köln in den Medien deutlich häufiger aufgegriffen und intensiver rezipiert wurde als jenes um Aylan Kurdi: Es musste länger um das Finden einer Interpretation und um die Einordnung der Geschehnisse gestritten werden. Zudem wurden die Gefühle der Unsicherheit im Fall von Köln dadurch bestärkt, dass die Aufklärung durch die Polizei selbst Verwirrung hervorrief: Was genau geschehen war, wer beteiligt war und warum die Polizei nicht eingreifen konnte, waren Fragen, die erst Tage nach dem Bekanntwerden der Ereignisse aufkamen und auch dann nur unzureichend beantwortet wurden. Während im Fall von Aylan Kurdi bereits nach kurzer Zeit über keine neuen Details mehr berichtet und keine weiteren politischen Analysen mehr vorgenommen wurden, wurde die Öffentlichkeit in Bezug auf die Kölner Silvesternacht regelmäßig über Neuigkeiten informiert und der angestoßene Diskurs durch nachträg-

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liche Bezugnahmen aktualisiert. Die Hintergründe der Kölner Silvesternacht wurden zudem komplexer beleuchtet als jene im Fall von Aylan Kurdi. Durch die resultierende, länger anhaltende Berichterstattung entfaltete das Ereignis um Köln diskursiv eine andere zeitliche Dauer als jenes um Aylan Kurdi. Doch trotz der bisherigen Diskussion um die Unterschiedlichkeit der kurz- und mittelfristigen Rezeption bleibt fraglich, weshalb die Berichterstattung auch noch Monate und Jahre später auf die Geschehnisse in Köln zurückgreift, wohingegen Aylan Kurdi aus dem öffentlichen Diskurs nahezu verschwunden ist. Aus welchen Gründen erzeugen manche Acts of Exposure einen nachhaltigeren Widerhall in einer Gesellschaft und wirken längerfristiger als andere?

Die Klebrigkeit von Affekten Die Kölner Silvesternacht ließ einen Wendepunkt erkennen, an welchem das Narrativ des verletzlichen und hilfsbedürftigen Geflüchteten überlagert wurde von dem Bild des kriminellen »Asylbewerbers«.12 Während uns das Ereignis um Aylan Kurdi noch mit der Ambivalenz der europäischen Politik konfrontiert hatte, welche uns befremdete und dadurch eine »Fremdheit unserer selbst« (vgl. Waldenfels 1997: 27) hervorrief, basierte die Fremdheitserfahrung im Fall der Kölner Silvesternacht auf der Fremdheit des (rassifizierten) Anderen. Gefühle des Mitleids und der Solidarität wurden überlagert von Affekten der Unsicherheit, der Furcht und der Wut. Bereits in ihrer Analyse des britischen Diskurses im Jahr 2000 beobachtete Sara Ahmed (2014: 46ff.), dass Geflüchtete meist mit Konnotationen der Krise und des Kontrollverlusts in Verbindung gebracht wurden. In diesem Zusammenhang entwirft sie Emotionen als eine klebrige Verbindung (»sticky relation«) zwischen Zeichen und Körpern. Welche Emotionen an welchen Körpern, Objekten und Zeichen klebten, sei abhängig vom jeweiligen historischen Kontext: »We can think of stickiness as 12

Auffällig ist, dass in der Rezeption von Aylan oft von »Flüchtlingen« die Rede war, wohingegen bei den Ereignissen von Köln meist von »Asylbewerbern« gesprochen wurde. Bei dem Begriff des »Asylbewerbers« steht die Flucht weniger im Vordergrund; vielmehr wird darauf fokussiert, dass es sich bei dem Bezeichneten um einen Bittsteller handelt, welcher sich darum »bewirbt«, sich in Deutschland aufhalten zu dürfen. Zwar unterscheidet sich dieser Begriff durchaus vom Begriff des »Migranten«, da sich ein »Asylbewerber« durchaus noch auf Fluchtgründe beruft, zugleich sind diese Fluchtgründe aber noch nicht durch Behörden bestätigt und daher noch unsicher.

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an effect of surfacing, as an effect of the histories of contact between bodies, objects, and signs« (Ebd.: 90; Hervorhebungen im Original). Eine alte diskursive Verbindung von Geflüchteten und Gefühlen der Furcht haftet nach wie vor an ihnen, weshalb sich die Verknüpfung von Geflüchteten mit der Konnotation der Krisenhaftigkeit leicht aktualisieren lässt. Eine solche Aktualisierung verfestigt erneut diese Verbindung zwischen Körpern und Furcht, was sich wiederum auf zukünftige Zuschreibungen auswirken kann (vgl. ebd.: 67). Da Kinderkörper in unserer Gesellschaft als unschuldig und zu beschützend wahrgenommen werden, ließen sich Gefühle des Mitleids leicht an den Körper von Aylan Kurdi heften. Allerdings blieben diese Gefühle an dem jungen Körper von Aylan alleine haften: Auf die Vielzahl an Körper rassifizierter (insbesondere männlicher) Erwachsener ließen sie sich nicht übertragen. Im Gegensatz dazu ließen sich die im Zusammenhang mit den Ereignissen um Köln zirkulierenden Gefühle der Unsicherheit und Furcht leicht auf ebendiese Körper heften: Aufgrund der bereits in der Vergangenheit oftmals hergestellten Verbindung zwischen (zumeist männlichen) Geflüchteten und Kriminalität sowie sexualisierter Gewalt handelt es sich dabei um ein gesellschaftlich fest verankertes Bild, weshalb die klebrige Verbindung der rassifizierten Körper mit den durch diese Unsicherheit evozierten Gefühlen lediglich aktualisiert werden musste. Mit Schlagzeilen wie »Jetzt kommen immer mehr Straftaten von Flüchtlingen und Migranten ans Tageslicht« (BILD 2016d) werden die Ereignisse von Köln im medialen Diskurs als Dammbruch beschrieben, nach welchem bereits geschehene, aber vermeintlich geheim gehaltene Straftaten von Geflüchteten an die Öffentlichkeit gelangten. Die Herstellung eines solchen Zusammenhangs von Flucht bzw. Migration und Kriminalität aktualisiert die klebrige Verknüpfung rassifizierter Körper mit Gefühlen der Unsicherheit und Furcht. Die Klebrigkeit der Emotionen verweist somit auf ein ganzes System von Stereotypisierungen und Stigmatisierungen: Die Kölner Silvesternacht steht nicht nur singulär und für sich, stattdessen wurde sie in ein lange bestehendes System von negativen Zuschreibungen gegen Geflüchtete integriert.

Vergessen und Erinnern Auch wenn einzelne Acts of Exposure bald wieder in den Hintergrund geraten, bleibt von ihnen meist doch etwas zurück: Denn vergessen ist Aylan Kurdi nicht. Spiegel Online (2019) berichtete Anfang Februar 2019, dass ein

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deutsches Rettungsschiff nach dem geflüchteten Jungen benannt worden war. Im Januar 2017 wies Markus Schulte von Drach in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (2017) auf die »vergängliche Macht der furchtbaren Bilder« hin. Und im September 2018 kritisierte Katy Fallon im Independent (2018), dass trotz des Todes von Aylan das Leben vieler geflüchteter Kinder in Europa weiterhin unzumutbar sei. Einerseits weisen solche erinnernden und zugleich mahnenden Artikel darauf hin, wie radikal die Vergänglichkeit von Acts of Exposure sein kann: Aylan Kurdi kann heute nur noch in Form von Erinnerungen in Erscheinung treten, nicht aber in Form eines nachhaltig vollzogenen Wandels in der Politik, in den Praktiken der Flucht(hilfe) oder im Diskurs. Andererseits haben das Foto und die damalige Rezeption durchaus Einfluss auf die rezipierenden Menschen genommen, auch wenn diese heute nicht mehr unmittelbar sichtbar sind. Das Foto hat es ermöglicht, Menschen zu affizieren, Reflexionen anzuregen und sie zu Handlungen zu bewegen. Es hat eine neue Perspektive auf Geflüchtete gestiftet und so eine Erinnerung angelegt, die vorerst im kollektiven Gedächtnis bleibt und auf die zukünftige Ereignisse Bezug nehmen können. Die Temporalität eines Acts of Exposure ist somit nicht nur auf die zeitliche Dauer der unmittelbaren Reaktionen auf das Ereignis beschränkt: Das Foto kann noch heute wirken, indem daran erinnert wird.

»Mirrors, not windows« Warum hallen manche Acts of Exposure länger nach als andere? Mithilfe einer phänomenologischen Konzeption von Responsivität, bestehend aus Pathos und Response (Waldenfels 2015, 2016), wurde zunächst die Temporalität des Ereignisses um Aylan Kurdi beschrieben: Trotz der anfänglichen Erschütterung verblasste das evozierte Pathos schnell, wodurch auch jene Antworten auf das Ereignis verschwanden, die zuvor nicht in langfristige Veränderungen überführt worden waren. Herrschten im Rahmen des Ereignisses um Aylan Kurdi noch Affekte des Mitleids, des Mitgefühls und der Solidarität vor, so wurden diese nach wenigen Wochen von Gefühlen der Unsicherheit und Ambivalenz, wenn nicht sogar des Misstrauens und der Angst gegenüber Geflüchteten überlagert: Die Debatte um die sogenannte Kölner Silvesternacht knüpfte an eine bereits etablierte, ›klebrige‹ Verbindung (Ahmed 2014) von Emotionen der Angst und Unsicherheit mit rassifizierten Körpern an, welche sich nachhaltiger mit dem Bild von Geflüchteten verbinden ließen als jene

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Emotionen des Mitleids, die vor allem am kindlichen Körper von Aylan hafteten. Diese Entwicklung zeigt, dass es für die Analyse der Wirkung eines Act of Exposure nicht nur relevant ist, die zu dieser Zeit vorherrschende Stimmung in den Blick zu nehmen: Deren Temporalität wird überdies von dem Erscheinen neuer Acts of Exposure beeinflusst, welche bereits zirkulierende Affekte überlagern können. Die Wirkungen von Acts of Exposure lassen dabei Rückschlüsse auf die rezipierende Gesellschaft zu: Die Intensität und Dauer, mit welcher ein Ereignis im öffentlichen Diskurs zirkuliert, zeigt die umkämpften – und schlussendlich dominierenden – gesellschaftlichen Werte und Strukturen auf und verdeutlicht die Setzung politischer Relevanzen. Anhand der Analyse bestätigte sich, dass Gefühle des Mitleids und der Solidarität schneller verblassen, wenn Menschen aus anderen Regionen der Welt betroffen sind (siehe hierzu Butler 2004). Gefühle der Unsicherheit, der Angst oder Wut scheinen besser an ihren rassifizierten erwachsenen Körpern zu kleben als jene des Mitleids und der Solidarität. Doch was sagt es eigentlich über eine Gesellschaft aus, die Fotos wie jenes von Aylan Kurdi benötigt, um zumindest kurzzeitig aus ihren »Arenen der Ablenkung und der Gleichgültigkeit« (Habermas 2019: 16) katapultiert zu werden, indem in Erinnerung gerufen wird, was ohnehin bekannt ist: dass täglich fliehende Menschen im Mittelmeer ertrinken? Der Fotokritiker und Schriftsteller Teju Cole (New York Times Magazine 2019) bemerkt im Fall eines anderen viral gegangenen Fotos ertrunkener Geflüchteter treffend: »These photographs are mirrors, not windows. We look into them, and what they reflect back to us is something monstrous and hard to reconcile with our notion of ourselves. We look, and look, and then—sated with looking, secure in our reactions, perennially missing the point—we put them away.«

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gel.de/panorama/justiz/alan-kurdi-deutsches-rettungsschiff-nachtotem-fluechtlingskind-benannt-a-1252581.html [zuletzt aufgerufen am 17.03.2019]. Süddeutsche Zeitung (2015). »Was den nächsten Aylan Kurdi retten könnte«, von Ruth Eisenreich, 09.09.2015, https://www.sueddeutsche.de/politik/ fluechtlinge-was-den-naechsten-aylan-kurdi-retten-koennte-1.2640109 [zuletzt aufgerufen am 05.04.2019]. Süddeutsche Zeitung (2017). »Die vergängliche Macht der furchtbaren Bilder«, von Markus Schulte von Drach, 17.01.2017, https://www. sueddeutsche.de/politik/aylan-kurdi-die-vergaengliche-macht-derfurchtbaren-bilder-1.3331828 [zuletzt aufgerufen am 17.03.2019]. taz (2015). »Ein Foto rührt ans Gewissen«, von Dominic Johnson, 03.09.2015, https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5226687&s=aylan %2Bkurdi/[zuletzt aufgerufen am 05.04.2019]. UNHCR (2018). »As Mediterranean Sea arrivals decline and death rates rise, UNHCR calls for strengthening of search and rescue«, 06.07.2018, https://www.unhcr.org/news/briefing/2018/7/5b3f270a4/mediterraneansea-arrivals-decline-death-rates-rise-unhcr-calls-strengthening.html [zuletzt aufgerufen am 18.07.2019]. ZEIT (2016a). »Ich bin es leid«, von Hilal Sezgin, 06.01.2016, https://www. zeit.de/kultur/2016-01/koeln-sexuelle-uebergriffe-sexismus [zuletzt aufgerufen am 29.04.2019]. ZEIT (2016b). »Silvesternacht in Köln: Etwas wird sich ändern«, von Christoph Herwartz, 10.01.2016, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/ 2016-01/silvesternacht-in-koeln-angst-identitaet-offenheit-fluechtlinge [zuletzt aufgerufen am 29.04.2019]. ZEIT (2018). »Oder soll man es lassen?«, von Caterina Lobenstein und Miriam Lau, 11.07.2019, https://www.zeit.de/2018/29/seenotrettung-fluechtlingeprivat-mittelmeer-pro-contra [zuletzt aufgerufen am 10.03.2019].

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Exposing the scene of birth The human condition of being born, Hannah Arendt argues, is inextricably connected with the potentiality for political action: “Because they are initium, newcomers and beginners by virtue of birth, men take initiative, are prompted into action.” (Arendt 1958: 176) To act then means to take initiative, to begin – and for Arendt the capacity to begin is rooted in the fact of birth. The fetus is born into a pre-existing world as a “unique somebody” embodying the potential to begin something as for the fact of birth they are a beginning themselves. Thus, when we appear to act and speak, „to insert ourselves into the human world”, we repeat our birth: “we confirm and take upon ourselves the naked fact of our physical appearance.” (Ibid.) But what is the nakedness in the fact of birth that we take upon ourselves when we act? This essay approaches the naked fact of birth not only as the nakedness of the newcomer, but of what else birthing exposes in its complex interplay between different bodies and the conditions in which they exist: touching technologies, excremental sensations, unequal distributions of power and agency… Arendt’s notion of natality makes it possible to consider birth as a site for political thought. But rather than to think the fact of birth, I want to attend to the scene of birth, in which our shared condition – being born – takes place. Birth, this essay claims, is not only a fact through which we can understand the human capacity to begin, it is also a scene through which we can understand the human and non-human supports, the vulnerabilities and interdependencies that are the conditions to this, to any beginning. To expose the scene of birth in the frame of this essay is not only a theoretical desire. It is an attempt to contest how birth currently materializes in German public debate. Rising costs of mandatory liability insurance and low salaries making midwifery unremunerative, shutdowns of birthing cen-

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ters and delivery rooms due to economic inefficiency and the general understaffing in hospitals have rendered appropriate care before, during and after labor increasingly difficult to receive. Statistics show an increase in medical interventions during birth that seem to go beyond actual medical necessities, while more and more testimonies are circulating online describing violent and traumatic birth experiences due to verbal and physical mistreatment, neglect or non-consensual medical interventions.1 It is in this context that birth activism in Germany has gained visibility – be it on the streets with Hebammenprotest 2 or on Youtube or Instagram, where natural birth finds outspoken advocates. Be it through the initiative Roses Revolution, which allows testimonies of obstetric violence to surface, or through a professionalized association like Mother Hood e.V. which focuses on building networks of birth givers, health care providers, researchers, journalists and political representatives to influence legislative processes and insurance policies for birth practices that center around the people giving birth. Since the 1970s, birth activism has challenged the notion that medicalized birth is safe and risk-free. As a feminist cause some birth activism has been invested in showing to what extent the medicalization of birth is embedded in a patriarchal-capitalist ideology that aims for a clean, controllable and profitable female body (Rich 1976). As in other fights for reproductive rights, the call for physical integrity and self-determination often forms the rhetorical heart of demands. I stand in fierce defense of (women’s) rights to self-determination and physical integrity, but having birthed twice, I can’t let go of how the experience of birth challenges these categories: There can be no talk of physical integrity when your body is pushing out another being with a force that threatens your own intactness or when your abdominal wall is cut open to make way for a being that’s in you but not you. The desire for physical integrity will always be disappointed by the act of giving birth – neither safety nor freedom of risk are experiences birth has to offer. At most they serve as statistical arguments, when we acknowledge how medical and technical advancements and their accessibility within the German medical system have lowered infant

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For information on the current state of obstetrics in Germany see: Mother Hood e.V. (2019). Translates to “midwifery-protest”, a term under which a number of concerted actions and petitions have taken place to strengthen and make visible the need for midwifery care.

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and mother mortality rates. However, since the mid-1990s statistics highlighting the correlation between medical intervention and lowered mortality rates have stalled. Since then mortality rates have remained unchanged, while cesarean rates have doubled, outgrowing by far the cesarean rate that the WHO estimates as medically justified (WHO 2015). These statistical oddities contribute to the rise of a public discourse that questions whether obstetrics as they are performed in hospitals today actually center the safety of the birthing person and the newborn. Therefore, Mother Hood e.V. and other organisations have adopted a language centered around safety, their main slogan being “Für eine sichere Geburtshilfe!” (“For safe obstetrics”). Appropriating the rhetoric of risk and safety on which medical birth discourses are based, they describe birth as a scene of economisation, systemic neglect and abuse of medical power. They work to denounce medicalized birth under current conditions as unsafe, while trying to shift the discourse on what makes birth safe. In this context Mother Hood e.V. cooperated with the documentary film production Die sichere Geburt (The safe birth; director: Carola Hauck, 2017) screening it in theatres throughout Germany to raise awareness of the regular misuse of medical interventions during childbirth. In one scene, a male osteopath squats in front of the camera. As an expert, he is telling the audience how anatomically evident it is that squatting is the best position to give birth in. I know that he’s probably squatting for us to counter the birth scene that most commonly haunts common imaginary: a woman in a hospital gown lying in a hospital bed surrounded by hospital staff and a puzzled partner, who yell at her to push harder, while she’s screaming, lying immobile on her back. But as I watched the expert squatting, I tried to picture myself – how I squatted in front of the sofa during my second birth trying to keep my butt up, while the force of contractions kept pressing it to the ground, as if I was trying to take a shit, but if the shit would come out, I would sit in it, leaving no space for a head to be born. After some time my midwife gently proposed to move to bed, which I gratefully accepted, giving birth on my back – at home, a decision which had previously exposed me to my gynecologist’s reprimand for risky and irresponsible behaviour. How can we account for the ordinariness and singularity of birth, when we keep arguing about what positions and procedures are better, more anatomically correct, safer? Birth will never be safe – the experience of birth can neither be disentangled from its physical challenges, nor the changing socio-economic and medical-technical conditions in which it takes place. Birth exposes the fetus

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to the outside world, to life or death and the birthing person to an incalculably intense physical process – the exposure to these physical (and emotional) challenges demands assistance, but the need for assistance results in an inevitable exposure to others (containing its own risks as birth activists are showing us), if our socio-geographical position grants us access to proper assistance at all. The exposures of birth are inextricably bound up with the endangerment of life and physical integrity of at least two beings. In this context, taking the messiness of birth seriously must complicate demands for safety. This essay is an attempt to step back – to attend to the messy scene of birth and to ask: What can we demand instead? It is an attempt to write the exposures that birth entails, to write the scene of birth, how it is shaped through distinct configurations of bodies, power relations, objects, affects and ideologies. In this endeavor, I choose to move through an object that plays a part in giving birth and through which I may be able to assemble the scene of birth in its complex interplay of lived experience, physical process, human and nonhuman assistance. This object that might allow me to zoom into some intractable details of birth is shit. Shit will help narrate birth as an embodied event that happens within the fabric of expectations, affects, interactions of bodies and technology that exceed both the body that births and the body that is born. In approaching birth as a scene, I am not solely interested in how it is staged as it is put into a scene or how it already exists as a scene in public imaginary. Rather I want to shift the focus to the affective experience of birth. I am inspired here by the critical thought (and style) of scholars such as Kathleen Stewart (2007) and Lauren Berlant in their commitment to attend to the scenes, in which our lives unfold: “to learn from sex how to think about the event and relationality; to learn from intimacy new ways of thinking about sovereignty; to learn from the scene of the reproduction of life how to think about power’s unequal impact on the sensorium and embodiment; and to produce a style that’s genuinely exploratory, as undefended as possible from fear of incoherence and its vicissitudes” (Berlant 2013). In a very literal way this text will attend to the intimacy of “the scene of the reproduction of life” through linking auto-theoretical observations with accounts of birth in literature, theory and birth activism. My impulse here is twofold: Like Hannah Arendt I do believe that birth can teach us a lot about the ways “we insert ourselves into the world” and as

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a birthing academic and a self-identified defender of reproductive rights, I believe we can sharpen our political demands by carefully attending to the complexities of the scene of our concern.

Shit   [from where it feels] Birth, “the Great-Experience-You-Are-Missing”, actually feels “like shitting a pumpkin” – this is how Shulamith Firestone famously recounts the experience of a friend in The Dialectic of Sex (1970) to frame birth self-evidently as a dispensable life-event that should be delegated from women’s bodies to technology. Shit lingers in birth’s proximity. It is not only that the expulsion of the baby might feel like shitting something that could not possibly be shat, but also that the final labor pains tend to work on the intestines and anus so the baby’s birth might be announced by excrement. Moreover, the most common birth injuries affect the perineum – tears, cuts, lacerations that challenge the status of anus and vagina as distinct orifices. In her essayistic memoir The Argonauts, Maggie Nelson (2015: 134) writes: “Then, all through my labor, I could not shit at all, as it was keenly clear to me that letting go of the shit would mean the total disintegration of my perineum, anus, and vagina, all at once. I also knew that if, or when, I could let go of the shit, the baby would probably come out. But to do so would mean falling forever, going to pieces.” In her account the compulsion to birth can’t be distinguished from the urge to shit – both are felt but need to be withheld because their simultaneity is experienced as a presage of a force without ground. Nelson continues: “In perusing the Q&A sections of pregnancy magazines at my ob/gyn’s office before giving birth, I learned that a surprising number of women have a related but distinct concern about shit and labor (either that, or the magazine editors are making it up, as a kind of projective propaganda):   Q: If my husband watches me labor, how will he ever find me sexy again, now that he’s seen me involuntarily defecate, and my vagina accommodate a baby’s head?”

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This question confused me; its description of labor did not strike me as ex  ceedingly distinct from what happens during sex, or at least some sex, or at least much of the sex I had heretofore taken to be good.   No one asked, How does one submit to falling forever, to going to pieces. A question from the inside.“ (Ibid.) Nelson experiences the need to retain her shit as “a question from the inside” – defecation would mean to submit to “falling forever, to going to pieces”. Here, giving in to the urge to shit during birth appears as an act of self-shattering. In Nelson’s narration shit is used as an object to demarcate the inner experience of (withholding) shit during labor from the anticipation of involuntary defecation as it might be witnessed from the outside. For Nelson the object of shit does not bring up questions of bodily exposure to others, but rather to the exposure of one’s own demolition which is experienced as selfinflicted: How do I submit to going to pieces? How can I let myself assent to an act that potentially crushes me? Before my body and the fetus it carried went into expulsion, my labor pains, too, were indistinguishable from the need to shit. I called the midwife into the room I was supposed to rest in. I told her that I urgently needed to go to the bathroom, but that it also felt like I couldn’t. Seemingly amused she told me that I should get ready for the delivery room instead. Like Nelson, I experienced this phase of labor as a moment of phantasmatic agency – as if the progress of this moment depended upon my affirmation, as if I could refuse to let go, choose to actively work against the force pressuring my insides out, as if the convulsion of my abdomen was something I could thwart. Some hours later this sense of agency was lost on me when my body entered a phase of intense pushing. I couldn’t locate where the impulse to do so came from. I could feel the fetus, about whose existence I had almost forgotten during the shitting pains, as if it was kicking off the uterine wall. My body contracted, mobilized forces, whose loci remain unknown to me. No chance to withhold, submitting as the only option. Like when you’re in the process of defecating and you missed the moment, when you could still hold it in. Like when your vagina is accommodating a fist and the orgasm hurls it out without active

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control.3 I don’t know, if I actually defecated then, but the midwives kept reporting back to me: We can see the head. Carry on! Do you want to touch it? As if carrying on was a choice, as if this moment of total submission to the forces of my body would allow for an intentional movement such as touching the baby’s head. Birth pushes you to actively experience the limits of agency – but whether that experience leaves you feeling powerless, exposed, relieved or even empowered through your ability to let go, must depend on the specific scene, in which this loss of agency is experienced (Rushing 2015). Like the fetus, shit travels from the inside of the body to the outside through an orifice whose anatomical set-up both challenges and supports its voyage. While Nelson is quick to dismiss the way the ‘outside’ aspects of shitting during birth are brought up in the Q&A, I would argue that shit makes the scene of birth tangible in its transgressing the inside-outside trajectory of the body. The transgressive nature of shit might make us think of Kristeva’s theory of abjection: ”Excrement and its equivalents (decay, infection, disease, corpse, etc.) stand for the danger to identity that comes from without: the ego threatened by the non-ego, society threatened by its outside, life by death” (Kristeva 1982: 71). But here I am less concerned with the symbolic function of shit (or birth for that matter) within our psychic systems as with how shit can help to describe the experience of birth. ”I am not interested in a hermeneutics, or an erotics, or a metaphorics, of my anus”, Nelson (2005: 136) writes following her reflections on labor and shit that quickly take her to discuss anal eroticism – rather she wants to inquire “into how it feels“ (ibid.). But how things feel, how shit feels in relation to birth, how shit can help to describe what birth feels like, always already transgresses the sensations I feel from within my body. I can’t picture myself from the outside giving birth, but I know what my surroundings looked like, what the hands and technical apparatuses that assisted my birth felt like. I cannot separate my inner experience of giving birth from it being witnessed and assisted in a specific cultural and discursive context. How birth feels is always related to the outside, to the fears and expectations that affect the moment of birth. “Birth is enacted as a spreading, seeping and expansive set of relations involving many bodies, configurations of power, objects, frames, ideologies, energies and sociomaterialities.” (Chadwick 2018: 193). How I submit to falling forever, is then not 3

“I feel most like a girl Putting my whole hand Inside you Something like maternity In reverse; mid-wrist Midwife A water-witch With four sticks thrummed & set to the floor” (Prairie M. Faul: 2017)

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only a question from the inside, but always related to the scene in which I go to pieces. [anticipated shit shame] That is why I find it important to revisit the anticipated fears around shit from the Q&A that Nelson (2015: 134) cites while quickly dismissing them: “Q: If my husband watches me labor, how will he ever find me sexy again, now that he’s seen me involuntarily defecate, and my vagina accommodate a baby’s head” Here the concerns revolve around the perception of the birthing body being seen as something undesirable (stretched vagina), out of control (involuntary) and dirty (defecation). Nelson expresses her surprise over this concern because to her defecation and stretched orifices belong into the realm of good, of queer, of non-reproductive sex – The Argonauts opens with an anal sex scene. The entire book is as invested in queer perspectives on the normative joys of pregnancy and family making as in “making space for women’s anal eroticism” (ibid.: 136). But even if we ignore the fact that not all people about to have children might pursue sexual practices that are comparable to the intensities and pains of birth, the exposure feared in the Q&A still doesn’t take place in a scene of sexual intimacy.4 In the US as well as in Germany 98% of children are born in hospitals. Assisted, witnessed and placed in a public institution we know that “it is no longer true, that ‘giving birth is the most private of all acts’” (Chadwick 2018: 85). This also means that the partner, if present, does not only perceive the birthing body but the birthing body as it is exposed to others. The concern about shit voiced in the Q&A seems to point precisely at a distraught relationship of intimacy and female embodiment. It can be traced in birth, but might be related to a broader construction of female sexuality that has historically been brought to us through the perspective of the (male) observer. In my birth preparation course, partners were separated from their pregnant counterparts when the possibility of shitting during labor was discussed. While they were taught to change diapers (a less horrific kind of shit?), we were informed about how shit could play a role in our birth experience – as if what was expected to be a shameful exposure would become less shameful if 4

“I said, what if I just needed— what if in the name of true love I had to shit on your chest every day for the rest of our married lives?” (Marylyn Tan: 2017)

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it didn’t happen unprepared. At first I was deeply irritated that the discussion about shit as part of the corporeality of birth seemed to be linked to an anticipation of gendered shame that required the separation from mostly male partners. But the actual time it took to inform us about shit and birth was very short. We sat down in a circle formed of yoga mats, each of us hugging one of the provided maternity pillows. The midwife told us that today modern midwifery usually refrains from using enemas and preferred to let the shit come out in the natural process of birthing. Shitting during birth is normal and should not be a cause of shame, was the simple and quick message followed by forced laughter. But then the midwife opened the round: This is the space to ask questions about labor that we feel more comfortable asking within this circle of women, she said. It became clear to me that shit was used as a pretence to enable a moment of seclusion for people in the room, who shared the experience of pregnancy and the expectation of labor. Here shit, naturalized as an object of shame, created a more intimate sphere among the pregnant women, while opening space for more subtle fears, expectations and fears of expectations. The Q&A and my birth preparation course assumed shit during labor as an object of shame – but nothing is ever shameful in itself. Through the object of shit, birth became visible as “a locus to which women bring a lifetime of experiences relating to the shame of female embodiment” (Lyerly 2006). If shit is anticipated to be a shameful object in birth, birth is recognized as an inherently social situation as the feeling of shame always relates to the exposure to others as I appear to them: “I am ashamed of myself as I appear to the Other” (Sartre 2003: 246). For people who have been socialized as women the experience of shame is often linked to their corporeality as Sandra Bartky (1990) has argued. Here shame is not necessarily experienced as a disruptive moment but as a “pervasive affective attunement” (ibid.: 85) that might not only be experienced in front of an actual other but an “internalized audience [...] hence internalized standards of judgment” (ibid.: 86). The description of birthing scenes that have circulated historically have mostly been filtered through the perspective of a male observer –here the birthing body tends to be depicted as monstrous, as outside of herself (Rich 1976). When we birth, we expect to enter a situation that we do not control, in which we won’t be able to control ourselves and that will expose what we are usually taught to hide to people who in most cases we won’t know in advance. The experience of birth is located in the social and cultural constructions and perceptions of birth and female sexuality – even if the actual experience exceeds it. “A pregnant body is a sexual body” (Pollock 1999: 56). In this context,

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birth seems to tap straight into the construction of sexed female sexuality as Elizabeth Grosz (1994: 490) has described it: “The metaphorics of uncontrollability, the ambivalence between desperate, fatal attraction and strong revulsion, the deep-seated fear of absorption, the association of femininity with contagion and disorder, the undecidability of the limits of the female body.” It should not come as a surprise that within the misogynist cultures, in which we come to inhabit our bodies, we are concerned by how our birthing body is perceived. In Rachelle Chadwick’s insightful study Bodies that Birth. Vitalizing Birth Politics (2018), which entangles new materialist theories with qualitative research performed among mothers in South Africa, she finds that the fear of the exposure of “unclean” body parts and fluids tends to inform birth choices within white, middle- and upper-class women, who opt for elective cesareans and sometimes home births aiming to prevent such public exposure. While the anticipation of shame that could be caused by the exposure of genitals, excrement and bodily fluids can inform birth choices, Chadwick’s research shows that the actual experience of shame in birth is located elsewhere.5 Chadwick identifies such “circuits of shame” during labor, when mistreatment occurs that “manifests as a pervasive sense of personal inadequacy” (Bartky 1990: 85 as cited in Chadwick 2018: 121). Less privileged women, Black and/or low-income, were more likely to be exposed to acts of shaming by hospital staff – whether their pregnancy was referred to as sexually promiscuous, their bodies regarded as dirty, their privacy intentionally violated – doors and curtains being left open, personal data shared as gossip. What is enacted as shaming, as mistreatment, folds onto the shamed self in this moment of heightened vulnerability, of dependence on medical authority. This “sense of inadequacy” seems to be felt regularly when it comes to birth. In the German facebook group Gewalt unter der Geburt (violence during 5

“Birth choices were made in relation to anxieties about the heightened vulnerability of intense, often uncontrollable corporeality of the body during labor/birth. Women recognized, imagined and worried about the threats and vulnerabilities of birthing embodiment, including potential loss of bodily control, dignity and privacy, objectification and mistreatment by others, and possible damage to the sexual body. While privileged women worried about these risks and made birth choices in relation to them, it was poor women in public sector contexts that were usually the recipients of acts of mistreatment, shaming and loss of bodily dignity” (Chadwick 2018: 82).

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birth), that connects people who’ve experienced obstetric violence, many birth stories start with the confession of feeling a shame that renders the experience almost unspeakable. “Shame can be described as an intense and painful sensation that is bound up with how the self feels about itself, a self-feeling that is felt by and on the body” (Ahmed 2004: 103) Eve Kosofsky Sedgwick (2003) has pointed out that shame occurs quite early in infants and cites psychoanalytic Michael Franz Basch (1976: 765 as cited in Sedgwick 2003: 36), who explains that “the shame-humiliation response, when it appears, represents the failure or absence of the smile of contact, a reaction to the loss of feedback from others, indicating social isolation and signalling the need for relief from that condition.” When we birth, we experience an enhanced dependency on the response of others – if the response is withheld or given as a humiliating response, we find ourselves in “the double movement shame makes: toward painful individuation, toward uncontrollable relationality” (Sedgwick 2003: 37). The exposure to such humiliating response becomes greater, when one is in need of assistance and for better and for worse subordinate to (obstetric) authority. As shame is bound up with acts of humiliation it does not only exist on the line of gender, but its intersections with class, race and other forms of discrimination (Ahmed 2004; Probyn 2005). Silvan Tomkins (1995) has pointed out that shame comes to affect only when interest has been activated and its pursuit appears as endangered.6 Discourses on birth that advocate for good, for safe or even for empowering birth experiences seem to promote interest in birthing well – particularly when rhetorics link the need for an empowering birth experience to the wellbeing of the child as it happens regularly within natural birth movements. Unwillingly, they seem to enhance birth as a locus of shame – a shame that evokes a sense of failure as woman, as mother, as partner, if one has not birthed ‘well’ (which is often code for: vaginally, unmedicated, self-determined and loving, when it comes to the birth itself, and Cis, in a stable heterosexual partnership, financially secured, educated, able-bodied, of appropriate age, when it comes to the social position of the birth giver).

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“Like disgust, [shame] operates only after interest or enjoyment has been activated, and inhibits one or the other or both. The innate activator of shame is the incomplete reduction of interest or joy. Hence any barrier to further exploration which partially reduces interest will activate the lowering of the head and eyes in shame and reduce further exploration or self-exposure.” (Tomkins 1995: 135)

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Lessons from enemas When preparing my hospital bag for my first birth as birth manuals told me to, I went shopping for a birth gown. I wanted something that was nice enough to make me feel good, would not show stains too easily, but was cheap enough to be disposable. I wanted it to give easy access to my genitals without exposing them too much. I bought a simple black t-shirt dress but ended up giving birth naked in the hospital bed as I had been in the tub before. The mobile CTG that was strapped around my belly witnessed distress in the fetal heartbeats, so the midwives called in a doctor and heaved me onto a bed for better monitoring during the last expulsive contractions. In preparation of my second birth I did not even think about what I would wear. When the midwife arrived at my rental apartment in Berlin, I slid into an old white t-shirt that hardly covered my ass. As my midwife thought I was about to give birth, she had called a colleague for safeguarding. When contractions became more intense, I started kneeling in front of the sofa. But the contractions did not seem to work hard on my cervix yet. I touched it, something I would not have dared during my first birth: It was lowered to the entrance of my vagina, incredibly sodden, but not very open – I was still in the shitting pain phase. My butt was pressing towards the ground. During basal rhythms I would stick it out, while the midwives took turns at treating my anus and perineum with coffee compresses. At some point, one of them asked, if I had had a shit that day. Maybe letting go of the shit, would enable me to relax, to let go of the child. I told her that there was no way I would be able to shit (or relax for that matter). Quite decisively she offered to give me an enema. “I’ve heard that that’s an antiquated method,” I replied. “I think you’ll feel relieved. And you won’t have the mess on your floor,” she answered calmly. Weak-willed I agreed and felt as if my abdomen was imploding while the fluid was flooding my anus. “Retain it. Retain it. And then move to the toilet,” she instructed. I stormed to the toilet immediately, the actual urge to shit collapsing into heavy contractions, images of an infant slumping into the toilet flooded my brain. I clutched my co-parent’s arms. As I let go of my liquefied excrements, I did feel a relief. As if the enema had enabled me to successfully rehearse birth with shit as the understudy. When I try to overlap the memory of me shopping for a birth gown with that of my butt sticking out to the midwives to be treated, I can’t help but think that the experience of birth has radically altered how I relate to my body. While I was worrying about how to least expose my genitals during my first birth, I

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was eager to touch them and let them be touched, to be assisted taking a shit during my second birth experience. I could go further and argue that birth has transformed my ability to submit to assistance when in need, or that it has taught me to embrace my vulnerabilities, interdependencies, as well as my excrements. But the important thing here is that the experience of birth can also do the opposite. That it can increase shame, that it can mess up your body, the relationship to your body, that it can evoke distrust in medical institutions, yourself, your relationship to the child, your partner or co-parent. Both of my births were what people would consider ‘smooth’ or ‘good’ births – healthy children, healthy mother, minor injuries, vaginal, not too long. Living through them might even have been empowering. That’s the perspective through which this essay has approached birth. Not to carve out the empowering potential, but to make tangible that even, if everything goes as it should, it exposes you to others, to authority, to uncertainty, to all-embracing vulnerabilities, to pain, to dependency, to the loss of agency. In the hospital or at home, even a birth that is declared a ‘good’ birth in its aftermath has at no point prior to that declaration been a ‘safe’ birth. I did not actively choose the enema. I consented to my midwife’s expertise, to her impression that progression of labor was stagnating, that some sort of intervention might help – but worn down by contractions, I couldn’t own that choice, I let it happen. In the context of giving birth, its physical efforts and its uncertainties (the lives that are at stake here), the impossibility of self-determination becomes tangible. What I could choose was the place of delivery. I could choose to give birth at home, because I could pay the extra fee of 650€ and because a well-equipped delivery room with an adjacent neonatology was a few minutes’ drive away. During birth support is necessary. What the enema was for me, might be for others a dose of oxytocin, the touch of a hand, a black tea with grape sugar, an epidural, guided breathing techniques, a suction cup, hypnotic methods, an episiotomy, a C-section. Some of these technologies may make the experience of birth more bearable, some may support birth’s progression, some of them are crucial to save lives. Distrusting hospitals for the institutionalized violence that reportedly occurs there, is therefore perfectly compatible with believing in the potential and occasional necessity of medical technology assisting birth. Access should be granted to the full spectrum of supporting methods – and it’s important to keep in mind: Whether it’s hypnobirthing classes or a C-section with attentive aftercare, currently this access is not available to everyone on a global

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and local level.7 While demanding access to appropriate birth care and technologies for everyone is absolutely necessary, we still need to point to how the applications of different support technologies touch bodies, how they alter the human and non-human interactions that constitute the scene of birth that always unfolds in a specific set of power relations. How they touch and how they come to touch matters and affects the scene. In many testimonies of obstetric violence, birth givers share that interventions are employed without their consent. The forced or unannounced application of interventions leaves them feeling powerless and objectified. These accounts often point to the ordinary and institutionalized violence that happens in the delivery room (Mundlos 2015, Chadwick 2018). The kind of safety that hospitals promise birth givers (from death) seems to regularly come in Hobbesian tradition: for the price of obedience and subordination. But birth teaches us so vividly that self-determination and agency cannot be the counterdraft to forced subordination. When we organize our political fights for better obstetric care, can we do so while refraining from interpellations of safety and/or self-determination? What if we demanded instead the recognition of the various exposures that unfold in any scene of birth, whether it’s a traumatic or empowering, a vaginal or surgical, an institutional or domestic experience? I have used the object of shit as an actor in birth to exemplarily trace some exposures that birthing might entail and that impact the progression of birth depending on how they are enacted. In the context of birth, shit can make speakable how birth exposes the birthing person to unknown bodily sensations or pains, while also signifying the inseparable exposures to others that might be connected to embodied experiences of affects such as shame. Through the involuntariness of shitting – whether it’s a byproduct of contractions or initiated through enemas or suppositories – I pointed to the loss of agency that lies in any scene of birth. The loss of agency is of course not necessarily linked to shitting but can be a way in which the dependence on others during this time of heightened bodily vulnerability is experienced. As

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While hypnobirthing classes come as the commodified form of birth support methods targeting mostly middle and upper class birth givers with an interest in ‘natural’ birth, colonial capitalism has worked to destroy handed down knowledge how to support birth non-invasively in countries of the Global South, while an infrastructure for accessible medically support is also lacking (Federici 2004, Lewis 2019).

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in any scene that demands care, here the necessity of support and the misuse of power lie in close proximity. What is paradigmatic for the discussions around violence during birth is that intentionality is no category for measuring the misuse of power (as medical staff continues to claim medical necessity for interventions, even when they are experienced as violating). So rather than to reclaim an agency that is rooted in a medical ethos or the birthing subject, I want to highlight what this essay has tried to trace: In the scene of birth, the idea of an agency that is situated in the individual human actor is exposed as phantasmatic. I follow Karen Barad (2007) here, when I claim that agency can only be enacted within the intra-action of all human and non-human actors. This might read as an abstract claim concluding a not so abstract essay on birth and shit. But the consequences of this thought can be relieving: We do not need to separate moral calls to birth practitioners to value the integrity of the birthing subject from rethinking medical practice during birth. We do not need to condemn technology supporting birth or call to the full self-efficacy of the birthing person, her ‘natural’ powers to birth ‘well’. We need to call for a recognition of interdependence – that all actors’ intra-actions alter the scene. The CTG will witness fetal heartbeats in relation to contractions, but it will also touch the belly (and if it’s not mobile: strap the birth giver to the bed). The touching of the cervix might give some more or less valid information on the progression of birth, but depending on how the touch is enacted, it will also affect how the birth giver feels, so therefore will also affect birth’s progression. Whether it’s the door left open, the epidural taking the pain away as a supporting relief, the epidural taking the pain away, but stagnating birth, whether it’s technology touching or words affecting bodies, we cannot draw continuous lines between cause and effect, between intentionality and impact. “Interdependency is not a contract, nor a moral ideal — it is a condition” (Puig de la Bellacasa 2017: 70). Birth is a messy materialization of interdependency that all life is. This is what birth exposes about life when we attend to how it unfolds, when we don’t separate ‘being born’ from ‘giving birth’. But even if interdependency is a condition that grounds all our lives, its materialization does not in any way happen symmetrical. It’s enacted within the embodied and institutionalized power structures that exceed the delivery room exposing birth givers differently in relation to race, gender, class, age and ability. To argue that the recognition of interdependency within the delivery room could undo this, would be bumptiously optimistic. But if interdependency is a condition that exposes bodies differentially depending on

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their situatedness, its recognition can only start out as a reflexive and critical practice – within clinics, medical education and birth activism. In the UK, a few birth clinics have established team meetings following births involving an emergency C-section to carefully reflect on what social and medical factors colluded to make the emergency occur. This practice is claimed to have contributed to lower C-section rates (Hauck 2017). Not because in the meetings the causes are always analyzed properly, I assume, but because this practice institutes a reflexive relation towards the action one takes within the entanglements of birth. If they invited the birth givers to these meetings, I bet they would even learn more. Birth practitioners need to be educated to witness carefully how the surrounding, their interventions and biases alter the scene, even when they have to act fast. Check-ins on how the birth giver feels, how they are affected by different support methods, contractions or any other factor, should not be a moral obligation but practiced as much as a professional routine as checking on the cervix or fetal heart beats. Within the West-Berlin feminist health movement of the 1970s and 80s, activists established the regular practice of self-organized vaginal self-examinations to strengthen their position within patriarchal reproductive health care.8 Sharing practical knowledge between birth givers about how to monitor the fetal position and heart beat, how to touch for the cervix and how to demand care and information from medical authority could also be part of a critical activist practice that insists on the birth giver’s vital position within the intra-actions of birth. The challenge is not to make birth more controllable, but to learn, teach and share how to attend to its unforeseeable messiness. Acknowledgements: This text is dedicated to the midwives who’ve accompanied my pregnancies and births with knowledge and care: Annette, Rosi, Martina and Christa. Thank you, Doireann O’Malley, for unclenching my writing. Thank you to Hannah Voegele, Jandra Böttger, Katharina Massmann, Lotta Thiessen, Maxi Wallenhorst and the Exposure Working Group led by Christine Hentschel and Susanne Krasmann for your encouragement, critical comments and editorial work.

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For more insights on the movement see the beautiful and thoughtful zine “Practices of Radical Health Care: Materialien zur Gesundheitsbewegung der 70er und 80er Jahre” by Feministische Gesundheitsrecherchegruppe (2019).

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Agnostische Adaption Das amor fati des resilienten Subjekts? Christian Hammermann

Die drohende Klimakatastrophe wird von neuen Protestbewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion massiv politisiert (Thunberg 2019; Extinction Rebellion 2019a). Sie haben es binnen knapp eines Jahres geschafft, ökologische Themen wieder ins Zentrum politischer Debatten zu rücken. Die Grenzen, an die solche Mobilisierungen stoßen, führen zu widersprüchlichen Erfahrungen von Macht und Ohnmacht. Folglich scheinen auch die Protestakteur*innen hin- und hergeworfen zwischen einem Verständnis als politische Subjekte, die ihre eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten, und einem Bittsteller*innendasein, das sich fordernd an staatliche Entscheidungsträger*innen richtet. Explizit wird diese Ambivalenz in den drei Forderungen von Extinction Rebellion – »Tell the Truth«, »Act Now«, »Beyond Politics« – die sich alle an Regierungen richten. Mit »Beyond Politics« werden diese paradoxerweise dazu aufgefordert, die Klimapolitik an eine Art basisdemokratisches Gremium abzugeben, dass sich allerdings nicht selbst konstituiert, sondern von eben jenen Regierungen initiiert werden soll: »Government must create and be led by the decisions of a Citizen’s Assembly on climate and ecological justice« (Extinction Rebellion 2019b). Ihnen gegenüber stehen eher rechte und konservative Reaktionen auf die Klimakrise, bei denen sich die organisierte Infragestellung des menschengemachten Klimawandels mit alltäglicher Apathie und Verleugnung verbindet (Oreskes/Conway 2010; Norgaard 2011). Die extreme Rechte hat dabei ganz eigene Formen entwickelt, um den Widerspruch zwischen individueller Bedeutungslosigkeit und politischer Subjektivität zu überbrücken. Sie wurden historisch unter dem Namen amor fati, der Liebe zum Schicksal, propagiert. Hier wird gesellschaftliche Ohnmacht nicht als Gegensatz zu politischem Handeln erfahren, sondern mit diesem kurzgeschlossen: »Auf dem verlore-

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nen Posten ausharren ohne Hoffnung, ohne Rettung, ist Pflicht«, brachte das Oswald Spengler auf den Punkt (Spengler 1931: 62). Das Anthropozän, die Welt der menschengemachten Klimakrise, ist eine Welt der Exposure.1 Die menschlichen Individuen finden sich einer Naturgewalt ausgesetzt, die nicht mehr die der ersten, unmenschlichen Natur ist, sondern die der zweiten: Sie stehen der Gewalt eines Gesellschaftsprozesses gegenüber, der sich hinter ihrem Rücken und jenseits ihrer bewussten Planung vollzieht. Damit ändert sich fundamental, wie sich Subjekte zu ihrer Umwelt verhalten können und insbesondere, inwiefern sie diese als beherrschbar und veränderbar wahrnehmen, d.h. inwiefern sie sich selbst als politische Subjekte erfahren. Das Anthropozän erscheint als Schicksal und die ihm entsprechende Bewusstseinslage stellt sich als Fatalismus dar. Ich argumentiere im Folgenden, dass die rechtsextreme Affirmation dieses Schicksals, ihr amor fati, aus einer bestimmten, im Anthropozän sich verstärkenden Erfahrung von Ausgesetztsein erwächst und heute in säkularisierter Gestalt im Phänomen der agnostischen Adaption wiederkehrt. Deren Grundlage ist eine Resilienzdoktrin, die mit dem klassischen amor fati und dem breiteren Anthropozändiskurs die Ausblendung gesellschaftlicher Faktoren des Ausgesetztseins teilt.

Amor fati Theodor W. Adorno (2003) hat in seiner Diskussion von Immanuel Kants Ästhetik darauf hingewiesen, wie sehr die ästhetische Erfahrung von Natur gelingende, gesellschaftlich organisierte Naturbeherrschung voraussetzt: »[I]hr Anblick«, so Kant, »wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden« (Kant 1968: 349). Die Krise des Verhältnisses zur Natur ist folglich eine Krise der menschlichen Sicherheit. Kaum zufällig wurde sie während der schweren Krisen der Zwischenkriegszeit zum Thema künstlerischer Reflexion, etwa im Werk H.P. Lovecrafts. Er beginnt seine wahrscheinlich berühmteste Erzählung The Call of Cthulhu von 1928 mit 1

Unter Exposure im weitesten Sinne verstehe ich, mit Christine Hentschel und Susanne Krasmann, »die verschiedenen Facetten von Verletzlichkeit«: »das Moment des Ungeschützt- und Ausgesetzt-Seins wie des Sich-Zeigens, aber auch das Ereignishafte und Produktive« (Hentschel/Krasmann 2018: 43). Im Sinne von ›einem Risiko oder einer Gefahr ausgesetzt sein‹ ist Exposure ein einschlägiger Begriff in Debatten um den Klimawandel, siehe bspw. auch den Beitrag von Adloff in diesem Band.

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der düsteren Prognose, dass »some day the piecing together of dissociated knowledge will open up such terrifying vistas of reality, and of our frightful position therein, that we shall either go mad from the revelation or flee from the deadly light into the peace and safety of a new dark age« (Lovecraft 2008: 201). Dem Erzähler bleibt nur die Alternative von Wahnsinn oder Ignoranz, weil die drohende, aber nur angedeutete Katastrophe zur Tat der Old Ones – mächtiger, extraplanetarer und vorzeitlicher Götter – erklärt wird. In der Erzählung wird sie von geheimen apokalyptischen Sekten repräsentiert, die zu Chtulhu, einem der Old Ones, beten und auf seine Wiederkehr hinarbeiten. Der Fatalismus aller drei Verhaltensweisen entspringt der Abstraktheit eines Katastrophenbewusstseins, das nicht so recht fassen kann, was ihm eigentlich droht. Die drohende Gefahr wird mystifiziert, indem sie quasi Raum und Zeit entzogenen Göttern zugeschrieben wird. Ein bewusster, planender Umgang mit ihr wird unmöglich, der Realgrund des Katastrophengefühls bleibt verborgen. Drei Jahre nach Lovecrafts Erzählung veröffentlichte ein anderer apokalyptischer Fatalist in Deutschland eine kurze Schrift mit dem Titel Der Mensch und die Technik, in der er eine selbstzerstörerische Tendenz der abendländischen Naturbeherrschung diagnostiziert. Weil die drohende Katastrophe auch bei ihm nicht aus sozialen Verhältnissen entspringen soll, sondern zum anthropologischen »Raubtierschicksal« verklärt wird, könne man auch nicht dagegen ankämpfen, sondern die Katastrophe nur akzeptieren – Oswald Spengler nennt das, mit Friedrich Nietzsche, Schicksalsliebe, die »amor fati« (Spengler 1931: 15): »Wir sind in diese Zeit geboren und müssen tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist. Es gibt keinen andern. Auf dem verlorenen Posten ausharren ohne Hoffnung, ohne Rettung, ist Pflicht. Ausharren wie jener römische Soldat, dessen Gebeine man vor einem Tor in Pompeji gefunden hat, der starb, weil man beim Ausbruch des Vesuvs vergessen hatte, ihn abzulösen. Das ist Größe, das heißt Rasse haben. Dieses ehrliche Ende ist das einzige, das man dem Menschen nicht nehmen kann.« (Ebd.: 62) Das gesellschaftliche Problem, das bei Spengler durchschlägt, ist die Verwischung der Differenz von Natur und Gesellschaft. Bei Kant konnte die Gesellschaft dem Subjekt noch Sicherheit bieten, gerade weil sie die Natur scheinbar von ihm ferngehalten hat, Spengler vollzieht die falsche Versöhnung beider Pole durch Naturalisierung. Weil das Subjekt nur Natur sein soll, ist auch sein Untergang nichts Grauenhaftes mehr, sondern Teil des

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natürlichen Kreislaufs. Der Soldat ist dem Vesuv schutzlos ausgeliefert, das Subjekt der Natur völlig ausgesetzt. Dass der reale Zusammenbruch der Natur-Gesellschaft-Unterscheidung menschliche Sicherheit erodiert, hat in der jüngeren Vergangenheit Ulrich Beck (1986) mit dem Begriff der Risikogesellschaft beschrieben. Das rasante Wachstum industrieller Produktivkräfte im 20. Jahrhundert habe die vormals externalisierte Natur wieder in die Gesellschaft hineingezogen, sodass einerseits Natur nun selbst zum gesellschaftlichen Produkt wird und andererseits die Gesellschaft in toto der Natur ausgesetzt wird: »Die Kehrseite der vergesellschafteten Natur ist die Vergesellschaftung der Naturzerstörungen, ihre Verwandlung in soziale, ökonomische und politische Systembedrohungen der globalisierten Weltgesellschaft« (ebd.: 10). Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wird diese Entwicklung unter dem Begriff des Anthropozäns diskutiert. Er soll den gewaltigen Einfluss fassen, den die menschliche Gesellschaft seit der industriellen Revolution und besonders seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf die Funktion der Erdsystemprozesse ausübt. Seine Grundaussage ist, dass »humankind has become a global geological force in its own right« (Steffen et al. 2011: 843). Innerhalb der Anthropozändebatten hat prominent Dipesh Chakrabarty (2009) darauf hingewiesen, dass der menschliche Einfluss auf die Naturprozesse klassische Gegensätze wie die zwischen menschlicher Geschichte und Naturgeschichte oder menschlicher Freiheit und natürlicher Notwendigkeit verwischt. Christophe Bonneuil und Jean-Baptiste Fressoz sprechen von einer »double relation of internality« von Natur und Gesellschaft (Bonneuil/Fressoz 2016: 36). Damit hört die Gesellschaft auf, sicherer Schutzort fürs Subjekt zu sein. In der Krise des Verhältnisses zur Natur drückt sich aus, wie die Erosion der Natur-/Gesellschaftsunterscheidung subjektiv erfahren wird.

Agnostische Adaption Das spenglersche »Ausharren ohne Hoffnung« muss nicht zum heroischen Akt verklärt, sondern kann auch stillschweigend vollzogen werden. Man passt sich an Probleme an, ohne ihre Ursachen zu begreifen. Im Kontext der Klimakrise wird solches Verhalten unter dem Begriff der agnostischen Adaption diskutiert, unter dem Katrina Fischer Kuh eine »adaptation without the why – the divorce of adaptation from knowledge or acceptance of climate change being humans fault« versteht (Adams-Schoen et al. 2015: 10046). Individuen

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vollziehen solche Anpassungen alltäglich, wenn sie beispielsweise beim Sturm eine Regenjacke anziehen, ohne danach zu fragen, warum es in ihrer Region heute häufiger stürmt als noch vor wenigen Jahren. Aber auch auf kollektiver Ebene werden Adaption und Ursachenfragen getrennt. Indem die politisch brisante Frage des Klimawandels und seiner menschlichen Ursachen ausgeblendet wird, erlaubt agnostische Adaption einerseits (auf kurze Sicht) effizientes Handeln, befördert aber andererseits bestehende Ungleichheiten und kann (auf lange Sicht) die Gefahren verstärken, an die man sich anpasst (ebd.: 10047f.). Dass agnostische Adaption bestehende Ungleichheiten verstärkt, hat auch Liz Koslov in ihrer Feldforschung mit Bürger*inneninitiativen in Staten Island, New York, herausgearbeitet (Koslov 2019). In der stark überflutungsgefährdeten Küstenregion hatten sich nach Hurrikan Sandy 2012/13 Anwohner*innen zusammengeschlossen, um von der Regierung den Rückkauf ihrer Grundstücke und finanzielle Hilfe bei der Umsiedlung zu fordern. Politische Konflikte unter den Bewohner*innen konnten durch eine populistische bottom up-Mobilisierung umgangen werden, die statt über menschengemachten Klimawandel über Verstöße gegen ›Mother Nature‹ sprach. Erfolgreich waren vor allem die Bürger*inneninitiativen aus wohlhabenderen und weißen Nachbarschaften, die sich öffentlich leichter Gehör verschaffen konnten. Ihre Kampagnen wurden medial und politisch wahrgenommen und ihre Grundstücke teilweise zurückgekauft, während andere Initiativen aus ärmeren oder nichtweißen Nachbarschaften ignoriert wurden. Die selektive Rückkaufpraxis bot somit Sicherheit für ein paar sozial privilegierte Anwohner*innen, während alle anderen weiterhin dem erhöhten Flutrisiko ausgesetzt sind. Diese Logik agnostischer Adaption bleibt nach Koslov (ebd.: 10f.) nicht auf den Bereich nachbarschaftlicher Politik beschränkt, sondern spiegelt sich auch auf nationaler Ebene in der Politik der Trump-Regierung wieder. Sie beschweigt einerseits den menschengemachten Klimawandel und geht aktiv gegen unter Obama erlassene Umweltschutzmaßnahmen vor, verfolgt aber andererseits adaptive Strategien wie den Ausbau des Flutschutzes. Als Maßnahme gegen Klimaflüchtlingsbewegungen verstanden, passt sich auch die Migrationsabwehr an der US-Außengrenze in diese Strategie ein. Nach Laura Pulido und Kolleg*innen bedient Trump, sowohl mit den eher stillschweigend vollzogenen Deregulierungen als auch mit seinem zur Schau gestellten Rassismus, die Bedürfnisse einer ökonomisch und kulturell verunsicherten weißen Wähler*innenbasis, die sich von Nichtweißen ungerechtfertigt übervorteilt und von Umweltschutzmaßnahmen ungerecht und überproportional

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negativ betroffen sieht (Pulido et al. 2019: 10). Agnostische Adaption impliziert also eine Form des Exposuremanagements, bei dem einige Populationen durch Anpassung vor den Folgen des Klimawandels geschützt werden, aber ohne diesem selbst entgegenzuarbeiten, wodurch andere Populationen ihm umso stärker ausgesetzt werden. Die Politik der Trump-Regierung bietet zwar ein besonders krasses Anschauungsobjekt, aber sie ist keine Ausnahmeerscheinung, kein regressives Ausschwenken aus dem globalen Kampf gegen den Klimawandel. Wenn Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung mit nationalen und insbesondere wirtschaftlichen Interessen kollidieren, werden sie fast zwangsläufig entweder gar nicht durchgeführt oder ökonomischen Interessen untergeordnet und bis zur Ineffizienz ausgehöhlt. Das liegt nicht am bösen Willen der entscheidenden Politiker*innen, sondern an polit-ökonomischer Notwendigkeit: Da sich Staaten zum größten Teil über Abstriche aus ihrer Binnenwirtschaft finanzieren, sind sie auf deren möglichst effizienten und profitablen Ablauf angewiesen. Die Handlungsfähigkeit des Staates entspringt der Wirtschaft und kann daher nur begrenzt in diese eingreifen, ohne sich selbst zu entmachten. Während aber die meisten Regierungen sich mindestens Lippenbekenntnisse gegen die Erderwärmung abringen lassen, verzichtet Trump selbst darauf. Auch Jan Selby (2019) argumentiert, dass die globale Klimapolitik von anderen sozialen und politischen Konflikten überdeterminiert wird und sich dies auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird, falls nicht zukünftige technologische Entwicklungen eine entpolitisierte Abwendung der Klimakatastrophe erlauben. So würde die US-Klimapolitik stark vom sich abzeichnenden Ende der US-amerikanischen Hegemonie im Weltsystem und den damit verbundenen Ängsten vor dem aufstrebenden Konkurrenten China bestimmt. Diese Abstiegstendenzen der USA hätten – zusammen mit Chinas korrespondierenden Wachstumsbestrebungen – wesentlich zur Zahnlosigkeit des Pariser Klimaabkommens beigetragen, weshalb für Selby auf globaler Ebene eine »disorderly and violent energy transition« möglich erscheint, von der die Trump-Regierung »more a reflection than a cause« ist (ebd.: 490). Klimawandelfolgen werden dabei nicht als existenzielle Bedrohung der menschlichen Gattung behandelt, sondern als Verschärfung der Konkurrenzverhältnisse zwischen sozialen Gruppen bzw. Staaten verstanden. Dementsprechend werden sie auch nicht kollektiv bewältigt, also etwa durch verbindliche multilaterale Aktionen der größten CO2-ausstoßenden Nationen, sondern es wird versucht, durch Aufrüstung der eigenen Konkurrenzfähigkeit die negativen Folgen für den eigenen Staat und die nationale Wirtschaft zu mildern, was

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auch den Ausbau fossiler Energieversorgung beinhalten kann und so die Klimakrise noch weiter verschärft.

Reaktionäre Resilienz In den Debatten um politische Szenarien der Klimakrise ist auch die auf die jüdische Eschatologie und die Staatslehre von Thomas Hobbes zurückgehende Unterscheidung von rechtsstaatlichem Leviathan und chaotisch-gesetzlosem Behemoth als den möglichen Polen moderner Staatlichkeit wiederaufgekommen (Neumann 1977: 16). Joel Wainwright und Geoff Mann (2013) folgend unterscheiden Matthew Sparke und Daniel Bessner (2019) vier mögliche globale politische Reaktionen: Wenn die Klimawandelfolgen beginnen, die Ökonomie global negativ zu beeinträchtigen, könnte sich ein Klimaleviathan konstituieren, der versucht, sich als planetarer Souverän zu behaupten und einen Grünen Neoliberalismus durchzusetzen. Seine planwirtschaftliche Variante nennen sie Klima-Mao, die kapitalistisch-einzelstaatliche Abwehr dieses planetaren Souveräns Klimabehemoth und eine mögliche antikapitalistische, nicht-planetare Lösung der Klimakrise schließlich Klima-X. Sparke und Bessner analysieren die Regierung Trump als einen solchen Klimabehemoth. Sie betonen, dass Trumps Umweltpolitik keinen vollständigen Bruch mit der Obamas darstellt, sondern dessen Resilienzdoktrin aufgreift und entuniversalisiert. Während Resilienzförderung unter Obama explizit auf die Folgen des Klimawandels bezogen wurde und versuchte, Risiken zu mindern, spricht die Trump-Regierung nicht mehr von Klimawandel und verteilt Risiken so um, dass ärmere und nicht-weiße Gruppen praktisch aufgegeben werden. Dieser Segregation im Inneren entspricht die nationale Dominanz nach außen, so dass am Ende die vermehrte Nutzung fossiler Brennstoffe nicht mehr Teil des Problems des Klimawandels, sondern Teil der vermeintlichen Lösung der Klimawandelfolgen ist. An die Stelle des depolitisierenden Grünen Neoliberalismus der Obamaregierung tritt offen eingestandene Machtausübung. Das Resilienzdenken verbindet Trump aber nicht nur mit Obama, sondern auch mit jenem Teil der extremen Rechten, der seinen Aufstieg zum Präsidenten mitbegleitet hat: der amerikanischen Alt-Right, die als nationale Variante der Neuen Rechten betrachtet werden kann. Der Resilienzbegriff stammt aus der Systemökologie, wo er den Grad der »persistence of relationships within a system« beschreibt, d.h. »the ability of these systems to absorb changes […] and still persist« (Holling 1973: 17).

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Das Aufrechterhalten solcher Beziehungen wird erleichtert, je heterogener das System beschaffen ist, weil so die Chance erhöht wird, dass genügend seiner wesentlichen Elemente eine unerwartete Katastrophe überleben. Resilienzförderung zielt folglich nicht wie Stabilitätsförderung darauf ab, ein gegebenes, quantitativ bestimmtes Gleichgewicht zu bewahren, sondern will durch qualitative Variation eine Vielzahl möglicher Antworten auf unvorhersehbare zukünftige Ereignisse bereitstellen (ebd.: 21). Resilienzlogiken sind aktuell vor allem in den Bereichen der Klimawandelanpassung und Umweltsicherheit verbreitet. Sie kennzeichnen aber auch die Entwicklung des Nachkriegsrechtsextremismus, der sich von quantitätsfixierten Massenparteistrategien entfernt hat und an ihrer Stelle stark heterogene Kleingruppenstrukturen ausgebildet hat, die qualitativ auf die politische Kultur Einfluss nehmen. Nach Roger Griffin (2000, 2003) hat die extreme Rechte im Nachkriegseuropa wesentlich zwei Strategien verfolgt, um unter den feindseligen politischen Bedingungen zu überleben: Die Parteien haben sich zumindest teilweise demokratisiert und sich durch rechtspopulistische Strategien in den meisten westlichen Demokratien dauerhaft etablieren können. Andererseits setzt der Nachkriegsrechtsextremismus auf ideologische und organisatorische Variation und Netzwerkformen. So kann er sich dauerhaft in der Gesellschaft verankern und sich gegen staatliche Repressionsmaßnahmen immunisieren, die sich gegen einzelne Organisationen oder Individuen richten, aber das größere rechtsextreme Geflecht intakt lassen. Nicholas Michelsen und Pablo de Orellana (2019) haben darüber hinaus herausgearbeitet, dass sich Resilienzlogiken auch im Diskurs der US-amerikanischen Alt-Right niederschlagen. Vor 1945 verfolgte die extreme Rechte, besonders der bis heute ideologisch wirkmächtige Nationalsozialismus, ein offensiv-eugenisches Projekt, das von der Neuen Rechten seit den 1960ern in ein defensives Überlebenskampfszenario umgeschrieben wird. Darin erscheint die ›weiße Rasse‹ unmittelbar von Migration bedroht, die aber nur deshalb gefährlich werden könne, weil die liberale Demokratie die natürliche Resilienz der ›weißen Kultur‹ und des ›weißen Individuums‹ untergrabe. Antidemokratische und antiliberale Resilienzförderung erscheint so als gegebene und notwendige Bedingung einer zukünftigen, antimodernen Politik: »Alt-right resilience thinking fosters forms of decentralised and networked subjectivity and counterinformation as a percursor to any (also decentralised and networked) direct forms of resistance« (ebd.: 14). Solche reaktionären Wendungen sind in der Resilienzlogik immanent angelegt, weil sie lebensgefährdende Katastrophen zu Naturnotwendigkeiten

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verklärt und damit ihre Folgen legitimiert. Im Resilienzdenken gelten Katastrophen als unvorhersehbar und unvermeidbar, aber auch als positive Lernprozesse. Das Subjekt überlebt, indem es die Hoffnung auf Sicherheit aufgibt, »by learning how to expose oneself to danger rather than believing in the possibility of ever achieving freedom from danger as such« (Reid/Evans 2013: 83). Julian Reid und Brad Evans theoretisieren Resilienz als eine partikularistische Lösung des widersprüchlichen Sicherheitsversprechen des Liberalismus. Dieses beanspruche zwar universale Geltung, könne aber immer nur partikular realisiert werden, weil der Schutz von gefährdetem Leben als ultima ratio die Vernichtung von gefährdendem Leben impliziert und biopolitisch gewendet zur Unterscheidung von lebenswertem und -unwertem Leben führt. Das Resilienzdenken gebe diesen universalistischen Anspruch auf, weil es vor der realen Krisenhaftigkeit der Gesellschaft resigniere und statt auf eine sichere Gestaltung der Verhältnisse auf »sheer survivability« (ebd.: 91) setze. Dieser Überlebensprimat wirkt gleichermaßen depolitisierend wie partikularisierend: Die Zukunft erscheint nicht mehr als gestaltbar, was jegliche Form von politischer Vision oder Utopie zum sinnlosen Gedankenspiel entwertet. Auch idealisierte Lebensformen werden nicht mehr als universale Ideale, sondern als exklusive Privilegien verhandelt. Evans und Reid nennen hier insbesondere die »gated community« als eine neue Form der Risikoverteilung, bei der die Sicherheit des »gated individual« dadurch erkauft wird, dass der Zwang zur Resilienz an Elemente des »gated systems«, wie Überwachungstechnik, Zäune und Mauern oder bewaffnete Wächter, ausgelagert wird (ebd.: 96). Unter rechtspopulistischen Regierungen wie der Trumps werden ganze Staaten nach der Logik solcher gated communities geführt, die freilich in der Form des Nationalstaats selbst schon angelegt ist. An die Stelle eines universalistischen Sicherheitsversprechens tritt dann partikularistisches Exposuremanagement, das einerseits privilegierte soziale Gruppen, wie die wohlhabenderen weißen Bewohner*innen Staten Islands, vor den Klimawandelfolgen schützt, und andererseits ganze Regionen, wie die ehemalige US-Kolonie Puerto Rico, der Verwüstung aussetzt und sie dann im Stich lässt.

Coda: Von Exposure zur Gesellschaft Das bisherige Argument lässt sich so zusammenfassen, dass im Anthropozän die Natur/Gesellschaft-Unterscheidung praktisch kollabiert, weil die Gesellschaft beginnt, irreversibel in Naturprozesse einzugreifen, wodurch sich

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ihre Naturbasis immer stärker im Sozialen bemerkbar macht. Gesellschaft hört auf, Sicherheit vor der Natur zu bieten, das Projekt rationaler Naturbeherrschung gerät in eine Krise, die ästhetisch als Krise des Naturverhältnisses erfahrbar wird. Eine Möglichkeit mit dieser Krise umzugehen ist die apokalyptisch-heroische Bejahung des eigenen Ausgesetztseins, wie sie sich beispielsweise in Spenglers amor fati ausdrückt. Die zeitgenössischen Formen agnostischer Adaption können als säkulare Version dieses amor fati beschrieben werden, denen eine Resilienzlogik zu Grunde liegt. Sie hat das Projekt rationaler Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und universaler Sicherheit tendenziell aufgegeben und bejaht ebenfalls das Ausgesetztsein, verklärt dieses aber nicht zur heroischen Tat, sondern akzeptiert es resigniert als unumgängliche Anpassungsleistung. Die Kehrseite der agnostischen Adaption ist ein Exposuremanagement, bei dem als Kollateralschäden in Kauf genommene Populationen stärker den sozialen Naturgefahren ausgesetzt werden als andere. Ich habe eingangs argumentiert, dass solcher Fatalismus die dem Anthropozän angemessene Bewusstseinsform sei. Das stimmt freilich nur zum Teil. Innerhalb der Anthropozändebatten haben Andreas Malm und Alf Hornborg (2014) die Verwendung des Gattungsbegriffs scharf kritisiert, weil er die historisch kontingente, auf sozialer Ungleichheit beruhende Entstehung des Anthropozäns ebenso verschleiert wie die höchst unterschiedlichen Auswirkungen der anthropogenen Erdsystemveränderung auf verschiedene soziale Gruppen. Die Ausblendung solcher sozialen Faktoren ist es, die ein fatalistisches Denken in Schicksalsbegriffen begünstigt: »species-thinking on climate change is conducive to mystification and political paralysis« (ebd.: 67). Ebenso falsch wäre es, die zumindest theoretisch gegebene Kontingenz der sozialen Reaktionen auf das Anthropozän auszublenden. Die Fatalismusdiagnose ist kein Freibrief, selbst fatalistisch zu werden, weil die anderen es auch seien und sich also ohnehin nichts ändern werde. So zu denken hieße, »ein schlecht zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit« (Adorno 2019: 55) einzunehmen.

Literatur Adams-Schoen, Sarah/Badrinarayana, Deepa/Carlarne, Cinnamon Piñon/Craig, Robin Kundis/Dernbach, John C./Hirokawa, Keith H./Klass, Alexandra B./Kuh, Katrina Fischer/Miller, Stephen R./Owley, Jessica/Roesler, Shannon/Rosenbloom, Jonathan D./Scott, Inara/Takacs,

Agnostische Adaption

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»Don’t feed the troll« Exposure und Wahrheit im rechtsextremen »Infokrieg« Johannes Ebenau

Ein »Infokrieg« ist seit Jahren zentraler Bestandteil der Kommunikationsstrategie von Rechtsextremen1 in Deutschland, wie auch international. Er wird überwiegend im Internet und hier insbesondere in den sozialen Medien ausgetragen. Praktisch besteht er darin, öffentliche Räume mit sogenannten »alternativen« Themen und Inhalten zu belagern, sowie politisch Andersdenkende öffentlich bloßzustellen und zu delegitimieren. Die DiscordChatgruppe Reconquista Germanica beispielsweise folgt einer militärischen Rangordnung, die an die interne Organisation der Wehrmacht angelehnt ist, und ihre Mitglieder agieren gemeinsam strategisch auf Twitter als eine Art Trollarmee. Private Seiten wie D-Generation2 veröffentlichen dazu Anleitungen wie das Handbuch für Medienguerillas (HfM 2017), die auch unerfahrenen Personen die Teilnahme am sogenannten Krieg ermöglichen sollen. Erklärtes Ziel des Infokriegs ist eine »Kulturrevolution von rechts« nach Alain de Benoist, um so die Oberhand völkisch-rechtsextremer Ideologien über die politische Kultur und entsprechende Sagbarkeiten in der Gesellschaft zu gewinnen (Bruns et al. 2016). Analog zu einem echten Krieg sollen (Diskurs-)Räume erobert werden (Kubitschek 2017).3 Der Zusammenhang von rechtsextremer Ideologie und einer Internetkultur des Trollens4 ist wenig erforscht. In den vorhandenen Publikationen geht es oft darum, verbindende Elemente wie bestimmte Bilder von Männlichkeit, 1 2 3 4

Verstanden als Sammelbegriff für Akteure und Einstellungen, die mehr oder weniger gewaltaffin einer Ideologie der menschlichen Ungleichheit folgen. http://d-gen.de/. Vielen Dank an Gillian Zimmermann für die außerordentlich gute Zusammenarbeit, die den Grundstein für diesen Artikel gelegt hat. Der Begriff des trolling leitet sich von der gleichnamigen Angeltechnik (dt.: Schleppfischen) ab, bei der ein Köder hinter einem Boot durch das Wasser gezogen wird. Im

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die auf reaktionären Weltbildern fußen, zu identifizieren (Bezio 2018; Salter 2018). Solche Weltbilder gehen über die popkulturelle Einbettung im Internet und insbesondere in der Gamingszene zunehmend in breitere gesellschaftliche Diskurse ein (Karl 2019). Die Menschen, die diese Weltbilder verbreiten, setzen sich und ihre Ideen den Augen einer breiteren Masse aus, während die Masse selbst wiederum den Ideen ausgesetzt ist. Ein solcher Akt der Exposure (Hentschel/Krasmann, in diesem Band) ist von rechtsextremen Akteuren als Teil ihres Infokriegs durchaus intendiert. Selbst-Exposure bedeutet für Soldat*innen im Krieg in der Regel eine erhöhte Gefahr für die eigene Sicherheit bzw. das eigene Leben. Wie ich zeigen werde, kommt ihr im Infokrieg eine andere Rolle zu. Auch ist die Exposure im Infokrieg nicht als bloßes Ausgesetztsein gegenüber rechtsextremen Inhalten und Trollattacken zu verstehen. Im Gegenteil werde ich argumentieren, dass die Exposure eine doppelte strategische Rolle für den rechtsextremen Infokrieg einnimmt. Während es einerseits um das Bloßstellen Andersdenkender geht, lässt sich die Selbst-Exposure der Rechtsextremen vor allem als eine Präsentation begreifen, die mit dem gezielten Offenlegen und Verbergen eigener Motive arbeitet. Hierfür sehe ich mir exemplarisch die Strategien und Ziele rechtsextremer Kommunikation im Kontext des Infokrieges an. Um das Phänomen des Infokriegs besser zu verstehen, untersuche ich zunächst das eingangs erwähnte Handbuch für Medienguerillas (im Folgenden: HfM) und schließlich die Äußerungen weiterer rechtsextremer Akteure, die den Infokrieg strategisch vordenken. Ich unterscheide zwei rechtsextreme Infokriegsstrategien, die mit zwei unterschiedlichen Verständnissen von Wahrheit(sansprüchen) einhergehen: Die Trollkommunikation und die Produktion rechtsextremer Wahrheiten. Abschließend begebe ich mich auf die Suche nach Potentialen von Diskursstrategien gegen den rechtsextremen Infokrieg und diskutiere auch deren Nachteile.

Mit Schopenhauer in den Infokrieg Im HfM (2017), das in vier sukzessiven Blogeinträgen auf der Seite DGeneration erschienen ist, finden sich, ganz im Sinne eines Infokrieges, Internet ködern Trolle ihre Gesprächspartner*innen gewissermaßen durch provokative Statements oder gezielte Fehlinformation (Tepper 1997).

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militaristisch formulierte Aufträge wie »Schmeiss die Infobombe übern Zaun, mitten in die Filterblase des Gegners« (ebd.: 8). Die vier Einträge befassen sich mit dem »Shitposting« (I), der »memetischen Kriegsführung« (memetic warfare – II), also der Kriegsführung mit Hilfe von vermeintlich lustigen und vielgeteilten Bildern (sog. memes), mit gemeinsamen Überfällen (sog. raids) in sozialen Netzwerken (III), sowie mit dem gezielten Angriff auf bestimmte Filterblasen (IV). Dabei werden jeweils oft kindlich-naiv formulierte und zugleich böswillige Aufträge an die Leser*in herangetragen: »Finde die schwachen Punkte deines Gegners« (ebd.: 2), »Provoziere deinen Gegner bis zur Weißglut« (ebd.: 3), und es »ist […] erlaubt ihn fett oder hässlich zu nennen« (ebd.). Der Anweisung: »Sollte man jedoch wirklich mal an jemand geraten, der diskutieren kann und dem auch mit den Kunstgriffen der Eristischen Dialektik nicht beizukommen ist, gibt es nur noch eins: Beleidigen« (ebd.: 1), steht die Warnung gegenüber: »Mache keine strafrechtlich relevanten Aussagen und keine Drohungen, die du nicht einhalten kannst. Drohe nicht mit Gewalt, sondern bringe deinen Gegner dazu, es zu machen« (ebd.:.2). Aufgrund solcher, teilweise widersprüchlich anmutenden Anweisungen stellt Stefan Lauer auf dem Nachrichtenportal Belltower News der Amadeu-Antonio-Stiftung fest, dass sich dieses Dokument bestenfalls für einen Infokrieg in der Grundschule eigne (Lauer 2018). Nichtsdestotrotz darf das Dokument nicht unterschätzt werden. Während unklar ist, zu welchen Organisationen Verknüpfungen der Betreiber*innen der Seite bestehen, verweist die über das Wort Infokrieg hinausgehende Terminologie und die konkrete Benennung von Feind*innen5 auf eine Verankerung in einem rechtsextremen Weltbild. So werden insbesondere »junge Frauen, die direkt von der Uni kommen« (HfM 2017: 1), aber auch das Recherchezentrum Correctiv und die Amadeu-Antonio-Stiftung zu Gegner*innen erklärt, die mit Rassismusvorwürfen und der »Nazikeule« operierten. Dieser Befund wird durch die Verbreitung des HfM u.a. durch Martin Sellner, den Gründer der Identitären Bewegung Österreich, unterstrichen. Der Begriff des Infokriegs wurde maßgeblich geprägt durch den USamerikanischen Verschwörungstheoretiker Alex Jones, der verschiedene Internetportale betreibt. Eines davon ist das von ihm 1999 gegründete Infowars.com, das mit Infokrieg.tv (heute recentr.com) auch einen deutschen Ableger inspirierte. Auf seinen Internetportalen will Alex Jones nach eigener Aussage getreu dem Motto »our bias – the truth« (Infowars 2019) die 5

Im Dokument wird uneinheitlich von »Feinden« und von »Gegnern« gesprochen.

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vermeintliche Manipulation der öffentlichen Meinung durch eine globale Machtelite, die sogenannte New World Order, bekämpfen. Dies reproduziert ein häufig genutztes verschwörungstheoretisches und oft antisemitisches Argumentationsmuster (Baldauf/Rathje 2015). Sowohl im August 2018 als auch im Mai 2019 unternahm Facebook Versuche, Alex Jones bzw. mit ihm assoziierte Accounts von der Plattform zu löschen. Als Gründe führte Facebook Hate Speech und Versuche der Entmenschlichung anderer Nutzer*innen an (Facebook 2018; Martineau 2019). Martin Sellner geht ebenfalls von einer Art Steuerung der öffentlichen Meinungslandschaft durch eine globale Elite aus, die Migration fördere, um Kulturen und Lebensweisen zu zerstören. Um der angenommen Elite etwas entgegenzusetzen, ruft auch er auf zum Infokrieg. Ultimativ soll dieser durch die Eroberung von Diskursräumen zur Erringung einer durch Antonio Gramsci beschriebenen Kulturellen Hegemonie führen (Bruns et al. 2016). In diese Zusammenhänge reiht sich das HfM nun ein: »Leute verarschen ist eine spaßige Sache, aber manchmal findet man sich unvermittelt in einer Grundsatzdiskussion wieder. Merke: Du willst bei Diskussionen im Internet nicht Deinen Gegner überzeugen, das sind eh meist verbohrte Idioten. Es geht um das Publikum. Und es geht hier nicht darum wer Recht hat, sondern wer vom Publikum Recht erhält. Wende deshalb uneingeschränkt die Kunstgriffe der Eristischen Dialektik […] an« (HfM 2017: 1). Hier wird ein klarer Öffentlichkeitsauftrag formuliert: Der Infokrieg soll vor allem ein Publikum beeinflussen bzw. Außenstehende von der eigenen Sache überzeugen, und gezielt Gleichgesinnte ansprechen. Durch den Hinweis auf Schopenhauers Eristische Dialektik ist ferner klar, dass es weniger um den Inhalt der Argumente, als vielmehr um die Führung des Gespräches gehen kann. »Die Kunst, Recht zu behalten« ist der Titel von Arthur Schopenhauers (2016) Werk, in dem er die Eristische Dialektik begründet. Als solche Kunst bezeichnet Schopenhauer die Fähigkeit, im Streitgespräch zu gewinnen – unabhängig davon, ob man objektiv Recht hat oder nicht. Die Entstehung dieser Kunst begründet er in der Eitelkeit der Menschen, deren Wille zum Triumph den Wert von Wahrheit in den Hintergrund stellt. Von der Trennung zwischen objektiver Richtigkeit und faktischem Rechtbehalten leitet Schopenhauer die Unterscheidung zwischen Logik und Dialektik ab, sodass letztere gesondert

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untersuchbar wird. Dabei übt Schopenhauer Kritik an der fehlenden Trennschärfe der beiden Begriffe (ebd.: 15f.), indem er erklärt: »[D]ie Dialektik als solche muß bloß lehren, wie man sich gegen Angriffe aller Art, besonders gegen unredliche verteidigt, und eben so wie man selbst angreifen kann, was der Andre behauptet, ohne sich selbst zu widersprechen und überhaupt ohne widerlegt zu werden« (ebd.: 21). Den Zweck einer wissenschaftlichen Dialektik sieht er in der Aufdeckung dieser Mechanismen. Sie hat »zur Hauptaufgabe, jene Kunstgriffe der Unredlichkeit im Disputieren aufzustellen und zu analysieren: damit man bei wirklichen Debatten sie gleich erkenne und vernichte« (ebd.: 23). Diesen Anspruch verwirklicht Schopenhauer indem er die 38 Kunstgriffe eristischer Dialektik benennt, die zur Täuschung des Gegenübers eingesetzt werden. Dass es den rechtsextremen Trollen von HfM und Co. allerdings nicht darum geht, »Unredlichkeit[en] im Disputieren« zu erkennen, sondern vielmehr sie anzuwenden, zeigt der folgende Hinweis: »Sollte man jedoch wirklich mal an jemand geraten der diskutieren kann und dem auch mit den Kunstgriffen der Eristischen Dialektik nicht beizukommen ist, gibt es nur noch eins: Beleidigen. Und da ziehe jedes Register. Lass nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie. Habe immer ein Repertoire an Beleidigungen, die Du auf den jeweiligen Gegner anpassen kannst« (HfM 2017: 1). Spätestens jetzt wird klar, dass es die Autoren des HfM auf das Bloßstellen von identifizierten Feind*innen oder Gegner*innen in den sozialen Medien abgesehen haben, was sie selbst wiederum in ein besseres Licht stellen soll. Somit geht es um die dialektische Steuerung von affektiven Einflüssen. Christoffer Kølvraa (2017) spricht im Kontext rechtsextremer provokativer Rhetorik von einem spielerischen metakommunikativen Rahmen, der etabliert wird, um potenzielle Gesprächspartner*innen gewissermaßen öffentlichkeitswirksam auflaufen zu lassen. Ein solcher Rahmen geht nach Christoffer Kølvraa gleichzeitig mit einem Verzicht auf Wahrheitsansprüche (claims to truth) einher. Was bedeutet das genau?

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Ein Infokrieg ohne Wahrheitsanspruch? Um mich einer Idee von Wahrheitsansprüchen zu nähern, betrachte ich zunächst Michel Foucaults Konzept der véridiction. Von den lateinischen Begriffen »ver« (Wahrheit) und »diction« (sprechen) abgeleitet beschreibt es eine Art Bekenntnis (avowel) von Subjekten über sich selbst: »a verbal act through which the subject affirms who he is, binds himself to his truth, places himself in a relationship of dependence with regard to another, and modifies at the same time the relationship to himself« (Foucault 2014: 17). Solche Bekenntnisse markieren eine Art Selbstverpflichtung: »he who speaks, obligates himself to being what he says he is« (ebd.: 16). Dieser Akt des Wahrsprechens ist zugleich ein Akt der eigenen Exposure, denn, indem das Subjekt sich selbst darin positioniert, wer es ist oder sein wird, stellt es sich im diskursiven Raum zugleich zur Disposition: »Es ist mitunter riskant, es erfordert Mut, körperliches Vermögen, mitunter affektive Involvierung, und es macht verletzlich und angreifbar.« (Mühlhoff 2018: 78). Rainer Mühlhoff (2018) spricht deshalb mit Blick auf das Wahrsprechen bei Foucault von affektiver Subjektivierung. Hiernach konstituiert sich das Subjekt innerhalb von Diskursen und einem »umfassenden praktischen und agentiellen Gefüge« (ebd.: 76), dem Wahrheitsspiel, und sammelt objektivierte Erfahrungen. Dies geschieht durch ständiges Beziehen auf sich selbst und andere innerhalb dieses Wahrheitsspiels, wodurch auch ein Potential zum gegenseitigen Affizieren und Affiziertwerden in den Subjektivierungsprozess miteingeschrieben wird. Dieses Potential wird von Mühlhoff im Begriff der affektiven Sensitivitäten, also der Fähigkeit zu Affizieren und der spezifischen Prädisposition, affiziert zu werden, festgehalten. Aus diesen Überlegungen leitet er eine spezielle Subjektivität der Trolle ab, den Troll-Spirit. Mit diesem geht eine affektive Sensitivität einher, die laut Mühlhoff von »Schadenfreude und Lust am Quälen« getragen ist (ebd.: 89). Diesem Troll-Spirit möchte ich im Hinblick auf den rechtsextremen Infokrieg noch eine an die Gesprächspartner*innen gerichtete affektive Sensitivität hinzufügen: Im Moment des Verzichts auf Wahrheitsansprüche, das Christoffer Kølvraa (2017) in den Blick nimmt, zeichnen sich Redner*innen durch eine Unaufrichtigkeit (insincerity) aus. Diese besteht darin, dass die dahinterliegenden Subjekte weder selbst glauben, was sie sagen, noch notwendigerweise den Anspruch haben, dass das Gesagte als gemeinte Wahrheit

»Don’t feed the troll«

aufgefasst wird. Es besteht also kein Interesse an einer aufrichtigen inhaltlichen Kommunikation bzw. einem Akt des Wahrsprechens. Es wird auch nicht unbedingt gelogen – vielmehr sind Übertreibungen und Ironie beliebte Mittel provokativer Kommunikation, deren Akteure selbst eine solche Unterhaltung also auch gar nicht ernst nehmen. Rechtsextreme Provokateure spielen Kølvraa zufolge nur ein Spiel und wissen um die Unaufrichtigkeit des Gesagten, wodurch es schwieriger wird in der Kommunikation mit ihnen negative Emotionen bei ihnen hervorzurufen. Sie sind nicht was sie vorgeben zu sein, weshalb weder ein Bekenntnis noch eine wirkliche Exposure stattfindet. Dies trifft meines Erachtens auch auf die provokative Trollkommunikation im Sinne des HfM zu. Eine solche Exposure des Gegenübers ist hingegen eher Ziel des Trollens, wenn durch Provokationen die affektive Involviertheit eines aufrichtigen Gegenübers bloßgestellt wird. Für ein Gegenüber gilt es im Zweifelsfall die affektive Sensitivität der Trolle oder den Troll-Spirit aus der Kommunikation herauszulesen bzw. zu hören und die Kommunikation einzustellen. In Internetchats ist daher auch die Redewendung »Don’t feed the troll« gebräuchlich. Dass rechtsextreme Infokrieger allerdings nicht nur diskursiv kämpfen, zeigt u.a. der Anschlag von Halle vom 9.Oktober 2019, der sich in eine Linie rechtsterroristischer Attentate (München, Utøya, Christchurch, Poway etc.) einreiht. Ein Mensch ohne direkten Bezug zur organisierten Rechten baut sich anhand von Anleitungen aus dem Internet ein Arsenal von Waffen zusammen und plant, Jüd*innen in einer Synagoge zu erschießen. Er streamt die Tat live für ein Onlinepublikum und bezeichnet sich als »Internet-SS«. Er versucht während der Tat, wie in einem Computerspiel, selbstgewählte Aufgaben abzuschließen. Er scheitert jedoch an der gesicherten Tür der Synagoge und erschießt zwei Zufallsopfer. Vieles deutet darauf hin, dass solche Ereignisse immer auch ein Produkt der rechtsextremen Infokriegsstrategie sind. Statt auf Neonazi- oder AfD-Veranstaltungen hat sich der Täter nach derzeitigem Stand im Internet radikalisiert (z.B. Maxwill 2019, Sieber 2019). Er folgte einer antisemitischen und antifeministischen Ideologie, die in bestimmten Internetforen bzw. sogenannten Imageboards wie dem von ihm genutzten kohlchan – kombiniert mit verspieltem, sadistischem Humor – zum normalen Umgangston gehört. Dies ist der metakommunikative Rahmen, der, unterfüttert mit Inhalten rechtsextremer Ideologie, neue Tatsachen, neue Opfer und neue, aber gleichzeitig erschreckend bekannte Zustände schafft.

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Rechtsextreme Infokriegsproduktion – die Wahrheit Der rechtsextreme Infokrieg wird nicht nur mithilfe von Trollen geführt, weshalb es zu kurz greift, ihn lediglich als sadistischen Spaß einiger kindlichnaiver Internetuser zu begreifen. Wahrheitsansprüche nehmen, wie in der Parole »Wir haben die Wahrheit auf unserer Seite«6 , einen zentralen Platz im Infokrieg ein. Hierbei handelt es sich jedoch meines Erachtens um eine andere Form von Wahrheitsansprüchen als bei Kølvraa, da diese Kommunikation nicht mehr nur noch auf eine dialektische Ebene im Sinne Schopenhauers abzielt, sondern auf die logische. Es geht also nicht mehr darum, in einer Diskussion vor einem Publikum Recht zu bekommen, sondern darum, dass die Aussagen als objektiv richtig wahrgenommen werden. Der Wahrheitsanspruch generiert sich nicht über das Wahrsprechen im Sinne eines Bekenntnisses, sondern im Sinne des faktischen Rechthabens: Rechtsextreme Infokrieger und Ideologen produzieren Wahrheiten und erheben Anspruch auf ihre Geltung. Ein erstes Beispiel für einen solchen Geltungsanspruch ist bei Martin Sellner (2019) zu finden. Sellner spricht in einem inzwischen privaten Video auf seinem Youtube-Kanal, welches er als Reaktion auf eine Hausdurchsuchung in seiner Wiener Privatwohnung am 18.06.2019 hochgeladen hatte, immer wieder davon, dass er und die Identitäre Bewegung (im Folgenden: IB) die Wahrheit auf ihrer Seite hätten und die Menschen dies früher oder später erkennen würden. Dies ist ein gängiges Argumentationsmuster in neurechten7 Kreisen und wird dort auch oft mit der Rede von »der schlafenden« oder »schweigenden Mehrheit« verziert. Die Wahrheit, die damit gemeint ist, findet sich z.B. in dem von Sellner und der IB propagierten Konzept des Ethnopluralismus. Dieses Konzept wurde maßgeblich durch neurechte Intellektuelle wie Armin Mohler, Alain de Benoist und Henning Eichberg in den Diskurs gebracht und steht für die Verbindung einer sogenannten menschlichen Ethnie an ihren geografischen Herkunftsort, wobei die Ethnie gleichzeitig mit einer

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Siehe z.B. https://www belltower . news/grundschullehrerin-nach-rede-auf-nazi. demonstration-suspendiert-44032/ Die generelle Unterscheidung zwischen der Neuen Rechten und ›alten‹ Neonazis wird bereits seit dem Ende der 60er Jahre bemüht. Er geht vor allem auf den Umstand zurück, dass Rechtsextreme versuchten, die eigenen politischen Ansichten vom Nationalsozialismus zu trennen, um sich öffentlich von dessen Tradition zu distanzieren (vgl. Speit/Röpke 2008).

»Don’t feed the troll«

bestimmten Identität bestehend aus Kultur, Bräuchen und Traditionen einhergehe. Hier findet eine essenzialisierende Gleichsetzung von Ethnie und Identität statt: Aus der Prämisse, unterschiedliche Kulturen seien natürlich festgelegt und miteinander weitgehend unvereinbar, da sie sich bei Vermischung gegenseitig zerstörten, wird abgeleitet, dass jede geografische Region, die ihre spezifische Ethnie mit einer spezifischen Kultur beherberge, zu schützen gelte. Dem Ethnopluralismus stellen Sellner und die IB das Projekt des Großen Austausches entgegen: Maßgeblich gesteuert durch eine fiktive politische Elite zerstöre der Große Austausch die kulturelle Reinheit der Ethnien durch Migration. Gleichzeitig unterdrücke ein »radikaler Staat« (ebd.) seine Feind*innen. Hierin ist der Versuch zu erkennen, aus einem vermeintlich natürlichen Zustand – der in keiner Weise nachweisbar ist – Schlüsse für ein vermeintlich natürliches soziales Zusammen- oder besser Gegeneinanderleben zu ziehen. Dieser Versuch wird daher als rassistische Spielart des Kulturrelativismus (Zorn 2018), bzw. als Rassimus ohne Rassen oder Kultureller Rassismus (Balibar 1992) eingeordnet. Ferner verstehen sich einige der genannten rechtsterroristischen Anschläge der Idee des Großen Austausches folgend als widerständische Aktion (Evans 2019, Lauer 2019). Ein weiteres Beispiel für Geltungsansprüche liefert der Thüringer AfDVorsitzende Björn Höcke, etwa wenn er in einer Rede an Götz Kubitscheks Institut für Staatspolitik in Schnellroda unterschiedliche Reproduktionsraten von Ländern mit dem biologistischen Argument einer unterschiedlichen Fortpflanzungsstrategie erklärt (Höcke 2015). Zurückgehend auf die Arbeit von Robert MacArthur und Edward Wilson (1967) unterscheidet die Biologie hinsichtlich der Fortpflanzung von Lebewesen zwischen einer K-Strategie und einer r-Strategie. Diese Strategien beschreiben Unterschiede in der Reproduktion von beispielsweise Bakterien oder Ameisen, die nicht nur wesentlich mehr Nachkommen zeugen als z.B. Säugetiere dies tun, sondern darüber hinaus in der Regel über eine wesentlich schnellere Individualentwicklung verfügen und kaum elterliche Fürsorge beziehen (r-Strategie). Menschen und andere Säugetiere verfolgen hingegen die K-Strategie. Diese Theorie greift Höcke auf und konstruiert aus ihr unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien für Europäer*innen und Afrikaner*innen. Derartige »Wahrheitsproduktionen« bilden gemeinsam mit der Provokation rechtsextremer Trolle eine (militärische) Strategie des Infokriegs. Der rechtsextreme Ideologe und Verlagsgründer Götz Kubitschek (2017) fasst diese in seinem Aufsatz »Selbstverharmlosung« zusammen. So soll zunächst pro-

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vozierend »in Grenzbereiche des gerade noch Sag- und Machbaren« (ebd.) vorgestoßen werden, um neue sprachliche Gewohnheiten zu schaffen und Räume zu »erobern« (ebd.). Spielerisches Trollen in sozialen Medien ist an dieser Raumnahme maßgeblich beteiligt. Durch gezielte affektive Investition wollen Trolle vor einem Publikum souverän wirken und gleichzeitig ihre Gegner*innen schlecht aussehen lassen. Ein Indiz für den Erfolg der Raumnahme ist die Vereinnahmung von Teilen der Gaming-Szene (z.B. Ebner 2019a), die mit einem popkulturellen Anstrich auf Foren wie 4chan und dessen Abspaltung 8chan am laufenden Band neonazistische und rechtsextreme Motive reproduzieren. Diese Motive entnehmen sie den Aussagen deren Geltung beansprucht wird. Kubitschek (2017) bedient sich außerdem des militärischen Konzepts der Verzahnung, welche im ursprünglichen Sinn eine Verzahnung eigener Truppenteile mit denen der Feind*innen meint. Dies erschwere vor allem die Truppenteile voneinander zu unterscheiden. Im übertragenen Sinne heißt das, dass rechtsextreme Akteure im öffentlichen Diskurs an etablierte Sagbarkeiten, Denkmuster und Konzepte andocken, sich mit diesen verzahnen sollen, so dass ihre Aussagen herkömmlich erscheinen. So ist es u.a. zu erklären, dass gerne biologistische Argumentationsmuster gewählt werden, die mit einem inhärenten und verhältnismäßig etablierten Geltungsanspruch daherkommen. Dieses Vorgehen ergänzt Kubitschek um die Strategie der Selbstverharmlosung, sprich der oberflächlichen Bejahung von zivilgesellschaftlichen Standards und der »Suggerierung von Unterschiedslosigkeit«, um die »emotionale Barriere« des Publikums herabzusetzen oder zu durchbrechen (ebd.). Er erachtet es als Gefahr, aus der eigenen Harmlosigkeit später nicht mehr herauszukommen, weswegen diese nur als tarnende Positionierung bzw. taktische Präsentation innerhalb eines Diskurses zu verstehen ist. Das heißt, selbst wenn Geltungsansprüche öffentlich formuliert werden, findet immer noch kein Bekenntnis statt, weil sich die Sprecher*innen nicht an die von ihnen bekundete »Wahrheit« binden. Stattdessen präsentieren sich selbstverharmloste Sprecher*innen im Diskurs strategisch als anschlussfähig und verzahnen sich so mit etablierten Sagbarkeiten. Schaffen sie es nicht, aus der eigenen Harmlosigkeit wieder herauszukommen – legten sie also wirklich ein Bekenntnis zu zivilgesellschaftlichen Standards ab – gäben sie Kubitschek zu Folge, und ganz in der Kriegsmetapher bleibend, »zu viele Stellungen« auf (ebd.). Diese Stellungen interpretiere ich als rechtsextreme Positionen im Selbstverständnis, denen gegenüber sich die selbstverharmlosten Sprecher*innen im öffentlichen

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Sprechakt nicht verpflichten, wenn sie sich mit etablierten Sagbarkeiten verzahnen. An dieser Stelle sollte deutlich geworden sein, dass die rechtsextreme Kommunikation im sogenannten Infokrieg nicht als Moment des Bekenntnisses oder des Wahrsprechens zu verstehen ist. Die Selbst-Exposure der Rechtsextremen wird zum Selbstzweck und lässt sich eher als Präsentation verstehen, denn als Akt des Wahrsprechens. Im Gegenteil sollen diejenigen, die als Feind*innen wahrgenommen werden, bloßgestellt werden, sollten sie in Verlegenheit kommen selbst ein öffentliches Bekenntnis abzulegen, das nicht dem rechtsextremen Weltbild entspricht. Die von Christine Hentschel und Susanne Krasmann (in diesem Band), identifizierte doppelte Dynamik der Exposure stellt sich hier also anders dar. Das mit einer Exposure verbundene Risiko, lächerlich gemacht zu werden, oder keinen Glauben geschenkt zu bekommen, wird durch den Präsentationscharakter der Selbst-Exposure der Rechtsextremen praktisch ausgeschlossen. Es findet keine wirkliche Exposure statt. Denkt man die Kriegsmetapher weiter, so fällt eine strategische Nähe zum Partisanenkrieg auf, die auch durch den Begriff »Medienguerilla« im Titel des HfM bekräftigt wird: Während die Kriegsstrategie öffentlich bekannt ist und sogar bewusst verbreitet wird, um weitere vermeintliche Partisanen für den Kampf zu gewinnen, bleiben die Akteure selbst oft anonym. Die Anonymität betrifft einerseits die oberflächliche Identität, also den Namen, der im Ausweis steht (z.B. bei rechtsextremen Troll-Accounts in sozialen Medien). Andererseits betrifft sie eben auch die Subjektivität, die zum Ausdruck kommt, wenn im öffentlichen Diskurs kein Wahrsprechen stattfindet. Welcher Umgang existiert mit dem rechtsextremen Infokrieg und rechtsextremer Kommunikation und was können wir daraus unter dem Gesichtspunkt der Exposure lernen?

Diskursverweigerung oder Countertrolling Zunächst ist es wichtig zu unterscheiden, wann Geltungsansprüche gestellt werden, und wann es lediglich um Trollkommunikation mit gezielt affektiver Wirkung handelt. Ist ersteres der Fall, existieren verschiedene Ansätze damit umzugehen: Ein erstes Beispiel ist eine journalistische Antwort auf Rechtsextremismus, die mit dem Aufruf einhergeht, Parteien wie die AfD nicht mehr die öffentliche Agenda bestimmen zu lassen. »Diskursverweigerung« benennt

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Alard von Kittlitz (2018) diese Strategie in einem ZEIT-Beitrag. Darin spricht er sich für ein Ende der journalistischen Befassung mit (den Inhalten) der AfD aus und regt die Setzung neuer Themen abseits von Migration, Identität und Sicherheit an. Er enttarnt die Themensetzung der Rechtsextremen als Relevanzschaffung für eine durch Diskursmacht erschaffene eigene Wirklichkeit. Diskursverweigerung kann auch als die Strategie der Non-Exposure gesehen werden. Wir setzen uns nicht der Themensetzung der Rechtsextremen aus, und stellen die Themen nicht öffentlich aus. Von Kittlitz’ Beitrag liest sich vor allem als Appell an Medienschaffende und Journalist*innen. Zudem ist auf der einen Seite fraglich ob nicht manche Menschen überhaupt erst affektiv davon angezogen werden, dass man selbst den Diskurs verweigert, da es mitunter wie ein Rückzug wirken könnte. Auf der anderen Seite ist ebenso fraglich, bis zu welchem Grad diese Diskursverweigerung funktioniert, wenn sie nicht von allen Akteuren getragen wird. Eine verbreitete Haltung zieht es vor, sich dem Dialog mit Menschen nicht zu versperren und so gehen immer wieder Menschen auf den Diskurs ein. Es gibt zahlreiche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, wenn wir an die vielen Talkrunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen o.ä. denken, in denen verschiedenste AfD-Vertreter*innen zu Wort kamen. Georg Restle (2019: 11) vertritt in seinem Beitrag eine Zwischenposition, da er keine völlige Diskursverweigerung vorschlägt, rechtsextremen Positionen aber auch nicht unnötigen Raum geben möchte: »Wir sollten diese Demagogen in ihrem durchschaubaren Kalkül mit Desinteresse strafen, ihre lautesten Lügen widerlegen und sie in ihren Blasen debattieren lassen, worüber sie debattieren wollen. Wir sollten damit aufhören, ihre Scheinthemen großzureden, und ihnen nicht den Gefallen tun, sich auf großer Bühne als Opfer gerieren zu können.« So wichtig diese Perspektiven in der Mediation öffentlicher Meinung auch sind, können sie (durch ihre Isolation in der Wirkkraft eingeschränkt) nicht als gesamtgesellschaftlich durchsetzungsfähig bezeichnet werden. Zum Zweck der politischen Aufklärungs- und Distanzierungsarbeit sucht das zweite Beispiel den inhaltlichen Dialog: DEKONSTRUKT8 richtet sich ex-

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»DEKONSTRUKT ist ein Projekt des CJD Nord mit Sitz in Hamburg. Es wird im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit« gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Rahmen des Landesprogramms zur Förderung

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plizit gegen den politischen Aktivismus der IB. Das unter anderem vom Bund mitfinanzierte Projekt beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Distanzierung geneigter junger Menschen von identitären Umfeldern im Netz. Dabei wird verstärkt auf aufklärende Video-Formate zu den von der IB gesetzten Themen zurückgegriffen und an die Mediennutzung identitärer Akteur*innen angeknüpft. Der Ansatz von DEKONSTRUKT stellt ein alternatives Deutungsangebot dar und versucht nahezu das »Geradebiegen« der propagandistischen Erzählungen. Er könnte als Versuch der Schaffung einer Gegenwahrheit im Wahrheitspiel betrachtet werden, einer eigenen Erzählung mit Geltungsanspruch. Die Videos verfolgen die Strategie der Exposure und sprechen Personen an, die noch nicht zu tief vom Ideologiegeflecht vereinnahmt sind. Die rechtsextremen Inhalte werden enttarnt bzw. aufgedeckt und die Zuschauer*innen setzen sich ihnen mit einem prüfenden Blick aus. Im Gegenzug gehen sie aber auf die rechtsextreme Themensetzung ein und festigen somit auf eine gewisse Art die diskursive Stellung der Selbigen. Dies geschieht beispielsweise, wenn vormals wenig umstrittene Themen nun in Begrifflichkeiten wie »Lügenpresse« oder »Fremde Täter« (DEKONSTRUKT 2019) diskutiert werden. Diese Begriffe hat die extreme Rechte erst in den Diskurs zurückgeholt, um den gesellschaftlichen Konsens in Frage zu stellen. Damit dient jede Wiederholung der Ausbreitung ihrer diskursiven Stellung. Zudem gibt uns das Buch »Mit Linken leben« der rechtsextremen Philosoph*innen Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld (2017) ein weiteres Argument an die Hand, warum diese Strategie allein wenig erfolgsversprechend ist. Sie berufen sich interessanterweise ebenfalls auf Arthur Schopenhauer, wenn sie konstatieren, »daß es den Menschen nur äußerst selten um die reine Wahrheit unter Ausschluß ihres Egos, ihres sozialen Status und ihrer Interessen zu tun ist« (ebd.: 102). Welche »reine Wahrheit« Lichtmesz und Sommerfeld hier im Sinn haben, wird sogleich klar, wenn sie ausführen, dass dem US-Amerikanischen Psychologen Jonathan Haidt nach »rationale Argumente die Haltung eines Menschen kaum [verändern] – die Sache verhält sich vielmehr umgekehrt: Erst nachdem er unbewußt bestimmte intuitive Entscheidungen getroffen hat, sucht und findet er Argumente, um diese Entscheidungen zu bestätigen und zu rechtfertigen.« (ebd.: 103). demokratischer Kultur, Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus ›Hamburg – Stadt mit Courage‹ von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration Hamburg« (http://dekonstrukt.org/ueber-uns).

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Lichtmesz und Sommerfeld scheinen diesen psychologischen Effekt zu generalisieren und ihren wahrgenommenen Gegner*innen als Vorwurf entgegenzuschleudern. Nicht nur reihen sie sich hier in die Produktionsschlange rechtsextremer Geltungsansprüche ein, auch wird deutlich, dass ein Diskurs gegen eine solche Haltung kaum Erfolg haben kann. Als ein abschließendes Beispiel, welches den Diskurs nicht verweigert, aber nach eigenem Ermessen führt, kann die Arbeit der Instagram-Seite »Wirhattenjanichts« bezeichnet werden. Dieses Beispiel steht für eine Strategie des kreativen und ironischen Umgangs mit rechtsextremer Kommunikation. »Wirhattenjanichts« thematisiert die oftmals unzureichende Aufarbeitung der deutschen Verbrechen im zweiten Weltkrieg und setzt sie in Bezug zur gegenwärtigen Inszenierung einer deutschen Opferrolle durch Rechtsextreme (z.B. Thorwarth 2019). Zwar ist dieses Beispiel aufgrund der spezifischen Thematik und zynischen Aufarbeitung nicht unbedingt massentauglich, aber über die (teils makabre) humoristische Bearbeitung werden Personen angesprochen, die sich möglicherweise nicht intrinsisch mit der Thematik auseinandergesetzt haben, durch die affektiven Momente des Humors jedoch angezogen werden. Gewissermaßen handelt es sich hier um eine Perspektive, die von ihrer affektiven Sensitivität ähnlich dem Troll-Spirit auf Ironie und Übertreibung setzt. Ihr gelingt es den Akt der Exposure auf die rechtsextreme Opferinszenierung zu fokussieren und den Spieß umzudrehen. Die Opferinszenierung wird durch die Täterschaft, etwa der Deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg, konterkariert und somit offengelegt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Dies könnte im Kontext des Infokrieges als Counter-Exposure verstanden werden. Nach der kurzen Erörterung dieser drei Strategien möchte ich mich Julia Ebner (2019b) anschließen und mit einem Desiderat enden: Julia Ebner analysiert drei inhaltlich unterschiedliche Kampagnen rechtsextremer Onlinekommunikation mit jeweils unterschiedlichen Zielgruppen: Radikalisierungskampagnen für Sympathisant*innen, Manipulationskampagnen für den Mainstream und Einschüchterungskampagnen für Gegner*innen. Um dem etwas entgegenzusetzen leitet sie die Notwendigkeit eines integrierten Vorgehens aus: »Predicting the trends, understanding the audiences, building an anti-hate coalition, and testing new intervention approaches.« (ebd.:176) her. Die unterschiedlichen Inhalte und unterschiedlichen Zielgruppen, verknüpft mit den von mir analysierten unterschiedlichen affektiven Infokriegsstrategien verdeutlichen, dass es keine universelle Antwort auf rechtsextreme diskursive Taktiken gibt, sondern dass vielmehr wir gefragt

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sind, gemeinsam »dynamischere«, »innovativere« und »mutigere« (ebd.: 179) Ansätze und  Wege zu verfolgen. Davon braucht es noch jede Menge.

Abbildung 1: Instagram »Wirhattenjanichts«.

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Exposing Wonder Jandra Böttger Das Staunen darüber, daß die Dinge, die wir erleben, im zwanzigsten Jahrhundert ›noch‹ möglich sind, ist kein philosophisches. Es steht nicht am Anfang einer Erkenntnis, es sei denn der, daß die Vorstellung von Geschichte aus der es stammt, nicht zu halten ist. (Benjamin 1980: 697, Hervorh. i.O.)

I Ich lese Walter Benjamins Abhandlung Über den Begriff der Geschichte aus dem Jahre 1940. An dem oben zitierten Abschnitt der achten These bleibe ich hängen, stolpere. Ich staune darüber, dass Benjamin schon vor achtzig Jahren das Staunen kritisierte, welches Menschen dem Faschismus entgegenbrachten und das sich heute wiederholt: Ich staune über das Ansteigen der Zahl antisemitisch und rassistisch motivierter Übergriffe. Das Staunen, das sich auf den Faschismus richtet, entblößt nach Benjamin nicht den Faschismus, sondern eine »Vorstellung von Geschichte« (Benjamin 1980: 697), die ›Fortschritt‹ als normal und Faschismus als zu bestaunende Regression setzt: Es legt die Vorannahmen der staunenden Person über die Welt offen, auf Grundlage derer zwischen Normalzustand und Ausnahme unterschieden wird. Die Entblößung, die ich angesichts Benjamins Gedanken zum Staunen spüre, richtet sich auf mein eigenes Staunen, aber auch auf den Begriff des Staunens selbst. Diese Erfahrung ist Ausgangspunkt dieses Textes, der sich dem Staunen dort widmet, wo es sich mit dem Potential überschneidet, offenzulegen, bloßzustellen, zu enthüllen – und somit Elemente von Gewalt und Verletzlichkeit umschließt.

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Staunen ist eine Reaktion auf etwas zuvor Unbekanntes oder nicht Wahrgenommenes: etwas besonders Schönes, Kleines, Filigranes, oder auch Brutales. Bin ich erstaunt, reagiere ich zum Beispiel verunsichert, erschrocken, verwundert oder überrascht: bewegt von etwas Unerwartetem, das sich mir enthüllt. Ich erkenne etwas, und erstaunt über jenen Eindruck, stehe ich kurz fassungslos da – noch nicht bereit zu urteilen oder zu erklären. In diesem Moment bin ich verletzlich und brauche Zeit, um zu verstehen. Das Staunen unterscheidet sich somit von anderen Reaktionen darin, dass es zunächst urteilsfrei ist: Es ist eine Reaktion, die – obgleich nicht trennbar von meinem spezifischen Erfahrungshintergrund – vor dem Verstehen stattfindet und meine Fähigkeit zu Urteilen kurzzeitig suspendiert. Der Begriff der Exposure umschließt diese Bedeutungen des Staunens, besitzt aber eine größere grammatikalische Offenheit, insofern er sowohl das erstaunende Ereignis als auch die Reaktion im Subjekt bezeichnen kann. So steht er ins Deutsche übersetzt einerseits für eine Enthüllung, Entblößung und Bloßstellen, ein Ausstellen, Offen- oder Freilegen und sogar eine Gefährdung (Willmann et al., 1993: 361). Andererseits bezeichnet er auch die jeweils im Subjekt stattfindende Erfahrung: das exponiert sein, bloßgestellt sein, offengelegt werden, enthüllen müssen, ausstellen dürfen. Eine Exposure kann Ereignis und Zustand gleichzeitig sein, sich auf das ausgestellte Objekt oder das ausstellende Subjekt beziehen.1 So bezeichnet Exposure in der Fotografie den Vorgang, in welchem Licht auf den fotografischen Film oder den elektronischen Sensor trifft. In diesem Sinne beschreibt er jedoch nicht nur die vorgefundene Lichtintensität am fotografierten Ort und die Reflexion des zu fotografierenden Gegenstandes, sondern auch die Objektivöffnung und die Verschlusszeit auf Seiten der Kamera. Es ist also einmal der Moment, in dem eine Umgebung oder ein Gegenstand fixiert, zum Objekt verstärkter Aufmerksamkeit gemacht und dadurch exposed wird. Es ist jedoch auch der Moment, in dem das Anvisierte auf das aufnehmende Gerät einwirkt und dieses dadurch 1

Eine ähnliche Verbindung von Enthüllung und Entblößung findet man im altgriechischen Terminus für ›Wahrheit‹: Αλή θεια (Aletheia). Das Präfix a- markiert die Negierung, Aufhebung oder Absenz des darauffolgenden Wortes lethe (dem Verborgenen, Verheimlichten oder Verschleierten). Im Anschluss hieran möchte ich Wahrheit als perspektivischen und situativen Prozess verstehen, der von einem verstehenden/wahrnehmenden Subjekt abhängt. Wahrheit ist dann weniger auf Seiten des Objekts zu finden, sondern bezeichnet vielmehr ein Heureka-Moment auf Seiten des Subjekts, welches bei Platon mit der Tätigkeit des Staunens assoziiert ist. (Platon 1982, 155d)

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selbst verändert — wie vor allem im Falle analoger Fotografie deutlich wird, wo die Belichtung des Films irreversibel ist. Der Begriff der Exposure zieht die unterschiedlichen und gegensätzlichen, jedoch oft gleichzeitig auftretenden Dimensionen der Wahrnehmung zusammen: Er impliziert die Gewalt eines Blicks, ein voyeuristisches Moment, die Verletzlichkeit des Bestaunten, die Kompromittierung, als ›anders‹ eingeschätzt, als besonders gesehen und beurteilt zu werden. Er verweist auf die normative Dimension unseres Sehens, in der das Normale erkannt und das Besondere bestaunt wird. Obgleich es Exposures ohne Wahrheitsgewinn und Entblößungen ohne Staunen geben kann, möchte ich in diesem Text die begriffliche Nähe der Termini Staunen und Exposure erkunden, ohne beide ineinander aufgehen zu lassen.2 Der Begriff des Staunens kann dabei helfen, die wahrnehmungstheoretische Dimension einer Exposure zu erkunden, während der Begriff der Exposure die im Akt des Staunens enthaltene Gewalt und Verletzlichkeit zu reflektieren vermag.

II Insofern Exposures das Wahrnehmbare von Veränderungen bezeichnen, sind sie eine ästhetische Kategorie: Sie bezeichnen nicht notwendigerweise den Beginn oder Endpunkt einer Veränderung, sondern den Moment ihres Auffälligwerdens.3 Ob sich meine Umgebung verändert, oder die Art und Wei2

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Der Begriff des Staunens ist in seiner Bedeutung dem des Wunderns ähnlich und etymologisch eng verwandt mit dem Begriff des Erstarrens. Im Altgriechischen wurde unterschieden zwischen thaumazein als Neugier verursachendem ›Antrieb zur Erkenntnissuche‹, einem hedonê als bewunderndem Gefühl im Anblick von Kunstfertigkeit, und ekkplêttin als eine das Denken unterbrechende Erschütterung (vgl. Gess 2016). Während das englische wondering etymologisch ableitbar ist vom protogermanischen wundra, so ist astonishment auf ähnliche Wurzeln zurückzuführen wie staunen: Aus dem Proto-Germanischen stunona (›to sound, crash, bang, groan‹) oder auch aus dem ProtoIndo-Europäischen: *(s)ten-, *(s)ton- (to thunder, roar, groan), welches gleichbedeutend ist wie a-stun (Seebold 2002, 877f.). In seinem einschlägigen Buchwerk Aesthetica aus dem Jahre 1750 widmet Alexander Gottlieb Baumgarten dem Staunen in Bezug auf das Wunderbare ein ganzes Kapitel, betitelt Thaumaturgia aesthetica [Die ästhetische Thaumaturgie]. Dort schreibt er: »Die Kunst, das Neue und Wunderbare in schönen Gedanken zu erhalten, und die Neubegierde samt der Verwunderung zu erwecken, wird die aesthetische Thaumaturgie ge-

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se auf welche ich meine Umgebung wahrnehme, bleibt zunächst offen und ist oft nicht eindeutig zu trennen. Ich nehme etwas wahr, dessen Bedeutung ich noch nicht einordnen kann, das mir aber dennoch bedeutsam erscheint oder dessen unmittelbarer Wirkung ich mich nicht entziehen kann. Ich beschäftige mich mit dem Gegenstand meiner Erkenntnis, ohne ihn in einen Funktionszusammenhang einordnen zu können. Mit Kant kann man einen solchen Zustand als einen des »interesselosen Wohlgefallens« (Kant 1990: 116) bezeichnen, welcher eine ästhetische Erfahrung charakterisiert: Das Subjekt findet sich in einem gebannten Zustand, ohne moralisch oder rational einordnen zu können, was es ist, durch das es fasziniert wird.4 Im Versuch, jenseits der Beschäftigung mit dem sogenannten Kunstschönen das Gefühl von Überwältigung im Anblick von Natur, zum Beispiel eines Gewitters, zu greifen, entwirft Kant das Konzept des Erhabenen (Kant 1990: 164). Adorno beschreibt dies folgendermaßen: »(…) die hohen Berge sprechen als Bilder eines vom Fesselnden, Einengenden befreiten Raums und von der möglichen Teilhabe daran, nicht indem sie erdrücken.« (Adorno 1970: 297) Das Besondere dieser Naturerfahrung ist nicht bloß die Erfahrung der Kräfte der Natur, sondern mein Gewahr werden ihrer Materialität. Etwas zeigt sich als Akteur, das sonst als Ressource genutzt wird. Die Gewaltigkeit eines Gewitters oder eines Wasserfalls lassen mich klein erscheinen, jedoch erhebt sie mich auch zu einem Teil eines größeren Ganzen, dessen ich mir vorher nicht bewusst war. Die Exposure-Erfahrung liegt hier im erschütternden und entrückenden Moment, in dem das aufbegehrt, was sonst unauffällig ist. Das Vertraute wird zur Bedrohung, und nur im Falle gleichzeitiger Sicherheit kann ich das Schauspiel genießen, mit welchem die Welt sich selbst und mich gleichzeitig als Teil von ihr ausstellt. In einer solchen Erfahrung des Erhabenen wird das Objekt der Betrachtung zum Akteur, d.h. Subjekt der Erschütterung. Jedoch bedarf eine solche das Staunen hervorrufende Erfahrung eines wahrnehmenden Subjekts, das in

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nannt.« (Meier 1754, 332f.) Für einen umfangreichen Überblick über das Staunen als ästhetische Kategorie siehe Gess (2017). Im Unterschied zu Kants Erkenntnistheorie, in welcher die Vernunft Urteile aus dem Allgemeinen ins Besondere ableiten soll, wird das ästhetische Urteil bei Kant reflektierend getroffen, das heißt, dass nicht aus dem Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird, sondern aus dem Einzelnen Erkenntnis über das Allgemeine gewonnen werden kann (Kant 1974).

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einer bestimmten Verfassung ist. »Je dichter«, so Adorno, »die Menschen, was anders ist als der subjektive Geist, mit dem kategorialen Netz übersponnen haben, desto gründlicher haben sie das Staunen über jenes Andere sich abgewöhnt, mit steigender Vertrautheit ums Fremde betrogen.« (Adorno 1970b: 192) Hier geht es um die Wahrnehmung dessen, was nicht in die Kategorien von Fremdheit und Vertrautheit passt, sondern um das Sehen des Fremden im Vertrauten und vice versa. Staunen bezeichnet somit auch eine Fähigkeit,5 nämlich sich nicht gewohnten Prinzipien und Kategorien hinzugeben, unter welche das Besondere gewaltvoll subsumiert werden muss, sondern das Außergewöhnliche wahr-, und somit ernst zu nehmen. So habe Bertolt Brecht das Staunen zur »zentralen Wirkungskategorie« seiner Theaterpraxis gemacht (Rebentisch 2011: 353). Er stelle »Wirklichkeit« aus, was bedeute, »sie darstellend so zu verfremden, dass ihr wirklicher ›Zustand‹ sich dem Zuschauer enthüllt. Das Eigene wird als Fremdes erkennbar, das Gewöhnliche ausgestellt und dadurch (an-)greifbar« (ebd.: 350). Indem Brecht seine Stücke so nah wie möglich an den alltäglichen Erfahrungen seines Publikums orientiere, verschleife er die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion, und das vermeintlich Normale bekomme eine absurde Färbung. Anstatt empathisch auf etwas Dargestelltes zu reagieren und so Mitleid zu etwas Fremden herzustellen, staune man über das Eigene, das durch minimale Veränderungen, Übertreibungen oder die Figur des ›rauchenden Beobachters‹ aus dem Vertrauten heraustritt und auffällig wird (Rebentisch 2011: 350). Der politische Einsatz liegt hier darin, dass gewohnte Strukturen hinterfragt und kontingent gesetzt werden.6 Exposure beschreibt 5

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Fähigkeit wird hier im Anschluss an Sara Ahmed (2014, 183) mit Deleuze nicht als spezifische Eigenschaft einer Person verstanden, sondern als aus einer Konstellation heraus entstehend: »You do not know beforehand what a body or a mind can do, in a given encounter, a given arrangement, a given combination.« Benjamin schreibt: »Das Staunen, welches also hier in die aristotelische Formel von der Wirkung der Tragödie eingesetzt werden muß, ist durchaus als eine Fähigkeit zu bewerten und kann gelernt werden.« (Benjamin 1977, 531) Brecht wendet sich von einer aristotelischen Konzeption von Theater ab, in welchem die Zuschauerin durch das Durchlaufen unterschiedlichster emotionaler Zustände eine läuternde, d.h. reinigende Erfahrung macht. Mitleid, so Rebentisch, lässt sich nach Brechts Überzeugung »nicht direkt in politische Praxis transformieren: Auf außerästhetische Zusammenhänge angewendet, erscheint es [das Mitleid des Publikums im Theater] ihm sogar zutiefst unmoralisch. Denn es versetzt sich gleichsam in die Leidenden, um selbst zu leiden, anstatt das Leiden der Anderen zu beenden. Echtes Mitleid

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in diesem Zusammenhang die Erfahrung dessen, was zwischen den Kategorien und somit außerhalb herkömmlicher Konzepte gelagert ist, die Entblößung des Eigenen als Fremdes und dessen Ausstellung, hier durch künstlerische Strategien im Kontext des Theaters. Davon ausgehend kann Exposure als ästhetisch-politische Strategie konzipiert werden, die hegemoniale Strukturen unterläuft. Insofern in einer »reflexiven Distanz zum Dargestellten […] das ethischpolitische Potenzial von Kunst generell« (Rebentisch 2011: 368) verortet werden kann, beschreibt der Begriff der Exposure nicht nur den Akt des Bloßlegens und Fremdwerdens von Konventionen. Er leistet vor allem die Hervorhebung von Verletzlichkeit im Akt eines solchen Ausstellens seiner selbst. Da Ausstellungspraxen und Blickregime immer Formen von Gewalt einschließen —sei es durch die Form des Ausstellens oder das Nicht-Ausstellen von etwas— ermöglicht Exposure als kuratorische Strategie eine Verschiebung vom Fokus auf das Ausstellen hin zu einer Übung in Verletzlichkeit. So machten die Kuratorinnen des zweijährigen Projektes Where Everything Is Yet to Happen (WEIYTH) Exposure zum Titel einer Serie von Veranstaltungen, Workshops und Ausstellungen.7 Die Erhebung von Exposure zum Leitmotiv, so Ivana Bago und Antonia Majača (2010), war die einzige Möglichkeit, künstlerische und intellektuelle Praxen in politisch extrem sensiblen Kontexten wie in Bosnien und Herzegowina einzusetzen: »Exposures opens itself up above all as a point for the gathering together and mutual empowerment of projects that resist the imperative of static representation and whose vision is directed to the generation of new models of joint action and the transformative effect on all who become a part of the project, whether as authors, participants, curators, organizers or the publics.« (Bago/Majača 2010: 85) Mit langfristigen lokal verankerten Praxen setzten die Kuratorinnen unterschiedliche, schon existierende Projekte miteinander in Verbindung und suchten so den Dialog zwischen Gruppen, in denen Menschen bereit waren, sich verletzlich zu zeigen. Auf diese Art und Weise zielten die Kuratorinnen darauf ab, Formate, die eigentlich showcase exhibitions zeitgenössischer Kunst

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muss sich nach Brecht in politischen Zorn transformieren, oder es ist nichts wert; es muss sich praktisch wenden, oder es verpufft.« (Rebentisch 2011, 350) Siehe hierzu das Interview »Exposure as Aesthetic and Political Strategy« von Antonia Majača und Ivana Bago in diesem Band.

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sein sollten, in Räume zur Bildung neuer Gemeinschaften und Allianzen zu transformieren. Kunst wurde zum Ort der Übung und Antizipation von Kollektivität: ein Ort, in dem im als ob künstlerischer Praxis Formen von Verletzlichkeit erprobt werden können.

III Staunen kann somit am Beginn von Philosophie8 und auch von politischer Praxis stehen, ist aber zuerst urteilsfreie9 Reaktion auf die entsetzende Kraft einer Exposure, die bisheriges unterbricht, ohne schon Neues zu setzen.10 Wie Descartes herausstellte, ist dies gleichzeitig Stärke und Schwäche des Staunens.11 Deswegen verurteilte er das Spektakel, in dem Seltenes »nur des Verwunderns, aber nicht der Erkenntnis wegen« gesucht werde. Daher sei es wichtig, sich von dieser Leidenschaft zu befreien, die man »leicht durch Nachdenken oder Aufmerksamkeit ersetzen« könne (Descartes 1996: 119). Diese Kritik am Staunen ist für den Begriff der Exposure wichtig. Sie betont, dass das Politische des Staunens nicht im Moment der Enthüllung selbst liegt, sondern in den Konsequenzen, die sich aus der punktuellen Enthüllung ergeben oder gezogen werden können. 8

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Für Platon (1982: 155d) und Aristoteles stand das Staunen am Anfang einer Erkenntnis: »Wer sich aber über eine Sache fragt und verwundert, der glaubt sie nicht zu kennen. (Deshalb ist der Freund der Sagen auch in gewisser Weise ein Philosoph; denn die Sage besteht aus Wunderbarem.) Wenn sie daher philosophierten, um der Unwissenheit zu entgehen, so suchten sie das Erkennen offenbar des Wissens wegen, nicht um irgendeines Nutzens willen.« (Aristoteles, 1989: 13 [982b]) Hier wird erneut das nicht instrumentalisierbare, dysfunktionale Moment des Staunens deutlich. Urteilsfrei in dem Sinne, dass keine moralische Bewertung oder rationale Einstufung der Reaktion vorliegt, obgleich, so auch die umfassende These dieses Textes, allein eine Reaktion normativ geladen ist. Für unterschiedliche Verwendungen eines Begriffs von Gewalt als setzender und entsetzender in Bezug auf den Ausnahmezustand siehe (Benjamin 1996) und (Agamben 2004). Descartes spricht über Staunen (étonnement) als ein Übermaß von Verwunderung (admiration), verwendet die Begriffe allerdings nicht trennscharf: »Wenn ein Objekt uns beim ersten Entgegentreten überrascht und wir urteilen, daß es neu ist und sehr verschieden von allem, was wir vorher vermuteten, das es sein sollte, bewirkt das daß wir uns über es wundern und erstaunt sind. Da das jedoch auftreten muß, bevor wir überhaupt erkennen, ob dieses Objekt uns angenehm ist oder nicht, ergibt sich für mich, daß die Verwunderung die erste aller Leidenschaften ist.« (Descartes 1984: 95)

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Exposures als Momente der blitzartigen Belichtung, der schockhaften Wahrheitserfahrung, aber auch als Entblößung und Offenlegung eines Größeren sind weniger isolierte Ereignisse, sondern haben eine Vor- und Nachgeschichte, die transformiert wird oder sich erst im Moment der Exposure einstellt oder offenbart: Das Erschütternde eines Ereignisses bezieht sich nicht bloß auf das Ereignis oder das Subjekt, sondern auch auf die Vergangenheit und Zukunft von Entitäten, die mit dem nun Erlebten in Verbindung gestellt werden. Exposures sperren sich gegen eine lineare Zeitwahrnehmung, indem sie die Vergangenheit im Lichte der Gegenwart transformieren. Eine Exposure verändert die Strukturen von Wahrnehmung, bricht sich Raum und zerstört bislang kohärente Erzählungen. Dies beschreibt auch Benjamin, wenn er die Gegner des Faschismus, die im Namen des Fortschritts über immer noch vorhandene Strukturen des Faschismus staunen, mitschuldig erklärt am Triumph derselben (Benjamin 1980). Hier geht es nicht um das unschuldige Staunen eines Kindes, das zum ersten Mal etwas sieht, fragt und Erklärungen erhält. Stattdessen speist es sich aus der Möglichkeit von Wissen, das dem Fortschrittsglauben geopfert wird. Benjamin beschreibt die Gefahr eines geschichtslosen Staunens, das nicht am Beginn von Erkenntnis steht oder politisch aktivierend wirkt, sondern Ausdruck einer arretierenden Haltung ist, die gerade nicht in politische Aktion umgewandelt werden kann, weil sie Strukturen als besondere und vereinzelte wahrnimmt und dadurch tieferliegende Verbindungen und Zusammenhänge nicht versteht. Wenn Benjamin die Staunenden mitschuldig erklärt, so ist es dennoch nicht das Staunen an sich, das schuldig ist. Vielmehr, so mein Einsatz, verschuldet man sich im Akt des Staunens zu einem gewissen Grade dem bestaunten Objekt: Was mich berührt, hat die Kraft, Ausgangspunkt politischen Handelns zu werden.12 Für ein solches Verhältnis von Staunen zu Geschichtlichkeit plädiert auch Sara Ahmed: »But I would suggest that wonder allows us to see the surfaces of the world as made, and as such wonder opens up rather than suspends historicity. Historicity is what is concealed by the transformation of the world into ›the ordinary‹, into something that is already familiar, or recognizable.« (Ahmed 2014: 179; Hervorh.i.O.)

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Für eine Konzeption von Schuld (munus, lat: Bürde, Verpflichtung, Gabe, Amt) als Ursprung von Gemeinschaft (lat: communitas) siehe Esposito 2004.

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Ein politisierendes Staunen ist mehrdimensional. Es ist nicht nur das Staunen über das Vertraute, sondern auch über die Normalität des Vertrauten. Nach dem Erstaunen beginnt ein Prozess des Fragens und Teilens, in dem das eigene Wundern mit den Erfahrungen anderer abgeglichen wird. Ahmed beschreibt den Prozess von individuellem Schmerz zum Sprechen darüber als einen Kollektivierungsprozess, der geprägt ist von neuen ExposureErfahrungen: »We could think about feminist therapy and consciousness-raising groups in the 1970s precisely in terms of the transformation of pain into collectivity and resistance. Carol Tavris argues that consciousness-raising groups were important because ›to question legitimate institutions and authorities, most people need to know that they are not alone, crazy, or misguided‹.« (Ahmed 2014: 172) Im Moment des Staunens sind wir unwissend im Bezug auf den Gegenstand des Staunens und daher verletzlich. Diese temporäre Ungewissheit birgt jedoch ein Moment der Offenheit: Staunen ist nicht nur die Vorbedingung dafür, dass sich ein Objekt zeigt, sondern auch dafür, dass sich das Subjekt der Welt stellt und öffnet. Wir exposen uns und sind exposed — diese Gefährdung ist Grundlage unserer Positionierung in der Welt; oder wie Ahmed schreibt: »[w]onder is the precondition of the exposure of the subject to the world: we wonder when we are moved by that which we face« (Ahmed 2014: 179).

IV Verletzlichkeit kann nicht nur als Grundlage von Beziehungen gedacht werden, sondern auch als theoretisches Grundprinzip von Demokratie, insofern sich der Besitz von Macht durch ihre Angreifbarkeit legitimiert. Dies bedeutet nach Claude Lefort, dass der Platz absoluter Autorität leer bleiben und Macht sich stattdessen stets neu in Relation zum Volk legitimieren muss (Lefort 1986: 39). Dieser notwendig performativen Dimension von Demokratie ist idealerweise ein Moment von Exposure eingeschrieben: Diejenigen, die in der Position der Macht sind, müssen sich uns ausstellen, verantwortlich und somit angreifbar zeigen.13 13

Bei Lefort nimmt »die Debatte«, welche notwendigerweise eine ästhetische Dimension hat, insofern sie von Szenografie, Rhetorik und Medien geprägt ist, eine zentrale

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Juliane Rebentisch verweist jedoch darauf, dass sich heute in westlichen Demokratien »Macht im Rekurs auf die wirtschaftliche Notwendigkeit legitimiert und damit als Macht selbst verleugnet« (Rebentisch 2011: 370). Das Subjekt jener Politik, welche sich als bloße Verwaltung tarnt, wird hier in dem Maße verletzlicher, in welchem politische Positionen sich gerade nicht als angreifbar zeigen, in dem die Orte der Macht nicht als politisch streitbare, sondern als wirtschaftlich notwendige und in Folge dessen alternativlose erscheinen. Eine solche sich unverletzlich gebende Politik14 produziere ein depressives Subjekt (Rebentisch 2011: 372) welches einem abstrakten Ideal voraussetzungsloser Freiheit hinterher hechelt und in dieser Ausrichtung auf die Möglichkeiten in der Zukunft strukturelle Ungleichheiten der Gegenwart zu seinem eigenen Scheitern zählt: »Das derart zur Selbstökonomisierung angehaltene Subjekt ist faustisch, rastlos in seinem Streben, sich selbst immer voraus oder hinterher: Ein solches Subjekt hat keinen ›erfüllten Augenblick‹. Die einseitige Ausrichtung nach seinen vermeintlich endlosen Möglichkeiten verdammt die eigene Gegenwart zu geschichtsloser Zeitlosigkeit.« (Rebentisch 2018: 29) Gegen eine solche Form der Geschichtsvergessenheit ist das Staunen der Moment, in dem die glatte Oberfläche der »verwalteten Welt« (Adorno 1997: 129) aufbricht, und, wie Ahmed beschreibt, Fragen der Provenienz aufkommen: »What appear (sic!) before consciousness, as objects of perception, are not simply given, but are effects of history: ›Even the objects of the simplest »sensuous certainty« are only given him through social development, industry and commercial intercourse‹ (Marx and Engels 1965, 57). To learn to see what is ordinary, what has the character of ›sensuous certainty‹ is to

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Stellung ein: » […] modern democracy invites us to replace the notion of a regime governed by laws, of a legitimate power, by the notion of a regime founded upon the legitimacy of a debate as to what is legitimate and what is illegitimate—a debate which is necessarily without any guarantor and without any end.« (Lefort 1986: 39) Dass Politik unverletzlich erscheint, heißt nicht, dass Politiker nicht im selben Maße verletzlicher werden, wie der politische Apparatus Verantwortungsstrukturen verschleiertte: »Erwartungen an Politiker wachsen, während ihr Einfluss schrumpft: ›(…) Verhärtung ist die größte Gefahr,‹ sagt ein Minister im Gespräch« (Dausend/Pausch 2019). Auch hier scheint ein entfesselter Erwartungshorizont mit einer angenommenen voraussetzungslosen Freiheit zu korrespondieren, um in Überhöhung überzugehen und als Enttäuschung zu kollabieren.

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read the effects of this history of production as a form of ›world making‹.« (Ahmed 2014: 180) Kritisierte Marx, dass kapitalistische Strukturen als natürliche wahrgenommen würden, so war eine Strategie der Denaturalisierung die Erforschung geschichtlicher Prozesse und Machstrukturen, innerhalb welcher sich kapitalistische Strukturen herausbildeten. Marx stellte die Gemachtheit dieser Strukturen heraus und rückt auf diese Art Kapitalismus in eine geschichtliche Form. In diesem Sinne beschreibt Ahmed die Marxsche Philosophie als »philosophy of wonder« (Ahmed 2014: 180), die sich zur Aufgabe macht, sinnliche Gewissheit in eine ästhetische und epistemologische Unsicherheit zu transformieren. Wenn Staunen bedeutet, Dinge wahrzunehmen, als ob man sie zum ersten Mal sehe, so setzt dies voraus, dass man sie als besondere wahrnimmt (ästhetisches Irritationsmoment) und hat zur Konsequenz, dass ihre Zuordnung in gewohnte Ordnungen des Wissens zumindest temporär unmöglich erscheint (epistemologisches Irritationsmoment). Ahmed stellt mit Marx heraus, dass das, was wir mit sinnlicher Gewissheit als das Gewöhnliche betrachten, Produkt unterschiedlicher Strukturen des »world-makings« (Ahmed 2014: 180), d.h. der Bedeutungsstiftung ist. Staunen wir über die systematische Unterdrückung und Ausbeutung in kapitalistischen Verhältnissen, erfahren wir diese als kontingente und somit zur Disposition stehende.

V Staunen als Fähigkeit kann im Anschluss an Adorno als die Grundlage einer kritischen Haltung gesehen werden. Mit Ahmed lässt sich der Begriff des Staunens um die Dimension der Verletzlichkeit erweitern: Es ist ein Öffnen seiner selbst hin zum Ungewohnten und eine Leidenschaft, dieses zu erforschen. In diesem Sinne ist das Staunen Grundlage einer Distanz zur und Positionierung in der Welt, die jedoch verbunden ist mit Formen von Exposure. Die Welt enthüllt sich als eine andere, und indem ich mein Staunen teile und mich positioniere, stelle ich mich aus und mache mich angreifbar. Ich staune im Angesicht einer Exposure und bin exposed, wenn jemand anderes über mich staunt. Zwischen diesen beiden Polen liegt ein Kontinuum unterschiedlicher Formen und Praktiken von Exposure und unterschiedlicher Qualitäten und Intensitäten von Staunen, von einem leichten Wundern bis hin zu einem erschrockenen Erstarren.

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Diese unterschiedlichen Konstellationen von Staunen und Exposure sind oftmals nicht eindeutig voneinander zu trennen, vielmehr sind dem Staunen Momente von Exposure inhärent. Durch die Beleuchtung dieser Eigenschaften kann der Begriff des Staunens politisiert und als ästhetisch-politische Strategie verstanden werden. Als Fähigkeit, das Besondere wahrzunehmen, kann Staunen normalisierte Gewalt und die Gewalt von Normierung entblößen und so Strukturen der Unterdrückung zur Disposition stellen. Der Begriff der Exposure verhindert dabei eine Romantisierung des Staunens, insofern er auf die inhärente Beziehung zwischen enthüllender und entblößender Praxis verweist. Die grammatikalische Unbestimmtheit des Terminus Exposure entspricht der Vielgestaltigkeit von Gewalt und Verletzlichkeit im Akt des Staunens. Danke an Tomas Pimenta, dafür, dass du die Faszination für Benjamin verstanden und verstärkt hast. Danke an Lena Reitschuster, Cosima Langer und Johanna Ziebritzki, für tausend Korrekturschleifen, Kraft und Liebe und Ehrlichkeit. Dieser Text würde ohne euch nicht existieren. Danke an Lino Wimmer, Hannah Voegele, Julian Pietzko und Antonia Rohwetter für intensiven Austausch. Danke an Hasan Halilovic für schonungslose Kritik der letzten Korrekturen. Herzlichen Dank an Christine Hentschel und Susanne Krasmann, für Geduld und Unterstützung bei allen Feedbackloops.

Literatur Adorno, Theodor W. (1970a). Gesammelte Schriften Bd. 7: Ästhetische Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Adorno, Theodor W. (1970b). Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse 24, 486-509. Adorno, Theodor W. (1997). Kultur und Verwaltung, in: Gesammelte Schriften Bd. 8: Soziologische Schriften 1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Agamben, Giorgio. (2004). Ausnahmezustand: Homo sacer II.1, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Aristoteles (1989). Metaphysik, 1. Halbband, Bücher I (A)-VI (E), Hamburg: Felix Meiner. Ahmed, Sara. (2014). The Cultural Politics of Emotion. 2. Auflage. Edinburgh: Edinburgh University Press. Bago, Ivana/Majača, Antonia. (2010). Where Everything Is Yet to Happen. 2nd Chapter: Exposures. Banja Luka: Center for Visual Communication, Institute for Duration, Location and Variables (DeLVe).

Exposing Wonder

Benjamin, Walter (1977). Was ist das epische Theater? (1), in: Gesammelte Schriften Band II.1. Literarische Und Ästhetische Essays. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Benjamin, Walter (1980). Über den Begriff der Geschichte, in: Gesammelte Schriften Band I.2. Abhandlungen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Benjamin, Walter (1996). 1 (1913-1926) Selected Writings. Cambridge, Massachusetts/London, England: Harvard University Press. Dausend, Peter/Pausch, Robert (2019). Verantwortung: Niemand will., Die Zeit 29.06., https://www.zeit.de/2019/26/politik-verantwortung-sofortismusdemontage. Descartes, René (1984). Über Die Leidenschaften Der Seele. Hamburg: Felix Meiner. Esposito, Roberto (2004). Communitas. Ursprung und Wege der Gemeinschaft. Berlin: Diaphanes. Gess, Nicola (2016). Stichwort »Staunen/Verwunderung«. in: Martin Koppenfels/Cornelia Zumbusch (Hg.): Handbuch Literatur & Emotionen, 571-72. Gess, Nicola (Hg.) (2017). Staunen als Grenzphänomen. Paderborn: Wilhelm Fink. Kant, Immanuel (1990). Kritik der Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Lefort, Claude (1986). The Political Forms of Modern Society: Bureaucracy, Democracy, Totalitarianism. Cambridge, Mass: The MIT Press. Marx, Karl und Friedrich Engels (1965). The German Ideology. London: Lawrence and Wishart. Platon. (1982). »Theaitetos«. In: Sämtliche Werke, Heidelberg: Lambert Schneider. Rebentisch, Juliane (2011). Die Kunst der Freiheit: Zur Dialektik demokratischer Existenz. Berlin: Suhrkamp. Rebentisch, Juliane (2018). Dark Play. Anne Imhofs Abstraktionen, in: Susanne Pfeffer (Hg.) Faust. Anne Imhof., Köln: Koenig Books, 25-33. Seebold, Elmar (ed.) (2002). Kluge. Etymologisches Wörterbuch Der Deutschen Sprache. 24. Auflage, Berlin/New York: De Gruyter. Willmann, Helmut/Heinz Messinger/Langenscheidt Redaktion (Hg.) (1993). Langenscheidts Grosswörterbuch der Englischen und deutschen Sprache. ›Der Kleine Muret-Sanders.‹ Englisch-Deutsch. 6. Auflage, München: Langenscheidt Verlag.

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“Out there, over the hills, on the other side of the tracks” A Prospectus on Exposure AbdouMaliq Simone

Too late for modernity In this brief essay, I want to consider exposure to an “out there”. Not as a constitutive outside nor space beyond actual or potential colonization or settlement. Neither as something beyond history or human apprehension. Rather, the “out there” I have in mind is a matter of how attention is paid in the present, and to what. It is an orientation to a beyond very much in the midst of things, or conversely, a background that provides neither context nor content. It is an “out there” that both proceeds and precedes modernity’s dependence of anti-blackness, and thus is the destination of abolition – that unanticipated opening in the backwoods, the underground railroad that speeds off the tracks, that something which appears as an aperture out of nowhere, as everyone makes a run for it. Urban modernities concerned the ways in which space and time were organized in rational ways that reflect linear progressions, differentiated functions, ordered relations of cause and effect, and the configuration of circulatory systems that placed landscapes, resources and productivity in relationship to each other. Still cities were haunted by something “out there”, beyond the capacity to control, beyond the ordering of sovereignties that attempted to identify that outside. Beyond the incursions of potential enemies, disease vectors, or wayward natural occurrences, this “out there” pointed to the unanticipated implications of modernity’s own accomplishments. For, the capacity of the urban to interrelate different ways of life and materialities generated unanticipated excesses and trajectories that sometimes escaped the ability of governments to fold in disorder as an instigation to continuous progress.

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These conditions are then antecedents for considering the position of a contemporary urban human and for the prospects of a life that exceeds both the capacity of the urban to individuate life, to enhance its productivity, and to consider how human life itself might be remade to insulate it from the adverse conditions that urbanization itself largely generated. The urban human as a particular breed or brand is staked to three basic features of the urban. Firstly, the urban is the concrete manifestation of the human capacity of continuous self-invention. As the continuous rearrangement and intersection of things, urbanization exemplifies the human as something without any fundamental nature, as something open-ended, as process rather than entity, and where the “end” of the human is itself indicative of such open-endedness. In other words, as Beth Povinelli (2016) puts it, the capacity of the human to decide for itself the terms of its own finitude and of the fundamental distinction between life and nonlife. Second, the urban is the limit of that very capacity of continuous becoming. For, the implications of urbanization posit the real possibilities of human extinction and have always done so. Third, the urban is a form of life yet to come or, alternately and simultaneously, a form of human enactment that does not yet possess a mode of visibility or a vernacular to be sufficiently recognizable, something outside the available frames of recognition, as shadow, absence, immanence, or spirit – or even as undergirding, as the tain of the image, the support or background required to make the visible something that can be seen. That which is to come, that which is to be invented either as new beginning or end, and that which constrains any invention – all intersect in ways that upend clear distinctions between the inside and out, here and there, the urban and non-urban. Yet if these divides persist in both concept and everyday experience, how then to situate a way of being human that is something else besides an all encompassing urbanization – something that co-exists with it in an intimate proximity but yet is not of it, neither as contradiction nor alternative? Something that remains “out there”, of uncertain distance and form. As urbanization becomes more extensive and extended, it would also seem to be moving in the direction of an “out there”, taking on the risk of what Lauren Berlant (2016) calls constant interruptions. From the elongated circuits of interminable migration, to the diffuse and nearly all encompassing insecurities that make up the raison d’etre of gated communities, to the vague aspirations of those willing to jettison relatively secure positions in the urban core

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to inchoate futures of urban hinterlands, to the febrile imaginations of those living in carceral conditions, often without discernible walls, the “out there” is not only an object of longing or dread, but an increasingly active participant in the here and now.

Exposure to time And so this presence of the “out there” raises the question, “what time is it?” How do we think about this time, if “out there” is another one? Well the answer is, that increasingly we don’t know, as time is urbanized itself – rendered more complex, numerous and all over the place, despite all the efforts to settle this question, what time is it, once and for all. In the prolongation of settler mentalities that not only attempts to affix an “out there” to a hierarchy of value and use, but also colonize the very possibilities of speech beyond soliloquy, the plantation has returned full force, folding in heterogeneous logics of land use to corporate mono-cropping and the circulation of goods and knowledge to logistical systems. What’s left in the way of small farms or workshops is converted into platforms of boutique consumption. To be set lose becomes the defining urban condition for all except the blackest. At the same time, where the plantation may have once “set the clock”, established a form of homogenous time through which human efficacy was to be measured and to which everyday rhythms of what bodies could do with each other were regulated, it is not clear that such temporal discipline works anymore, if ever. If on the one hand, the simultaneous erasure of time’s heterogeneity and its particularization through intensified global spatial division appears to be a key characteristic of contemporary urbanization, the extension of urbanization also underlines the simultaneous existence of many temporalities. Here, different ways and rhythms of doing things, transacting, buying and selling, making and distributing, deliberating and deciding are both exposed and extended to each other. Rather than a multiplicity of times being subsumed into a standardized version, across much of the South, discrepant temporalities tend to co-exist, even if the terms of co-existence tend to disallow the capacity of any one of them to posit its own trajectories of implication. After all, the colony hasn’t gone anywhere. Yet, the time of bazaar, the festival, the factory, the neighborhood, the coordinates of modernity, the time of extended family and kinship relations, the time of religious devotion, the time of diurnal and nocturnal markets,

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the time of administrative bureaucracies all co-exist. They co-exist not as individual tracts, not as the rhythms of autonomous worlds but as pressure points that avail any operation to the exigencies and operational practices of the other. Here, exposure is both an act of risk and indifference. One pays attention to something just because it is there and can be used without fear of contamination or undo influence. And if exposure means a certain form of infection, than so what, who is interested in the integrity of things anyway now. Take for example, the bazaar, that multifaceted commercial system that integrated individual merchants and trades, that provided credit to those unable to access formal banking mechanisms, that mobilized political sentiment, that charted out specific geographies of articulation, that shifted resources across various kinds of social, geographic, and religious ties, that established the price of things based on considerations that far exceeded those of supply and demand, and that shaped the structure and settlement of built environments continues to thrive. In a world of logistics, just-in-time production, and constantly recalibrated commodity chains, the bazaar thrives not on the basis of what it was, and the implications of its own logics and operations, but because those very logics and operations offer a resource to so-called modern economies and to advanced logistical operations when those economies and operations run into difficulty, when they confront choke points or blockage (Nielson et al 2018). The implicit design of urban economies is such as to elaborate semi-permeable interfaces amongst such varying temporalities. There is just enough of a solid, definitive boundary to enable the ongoing recognition of the coherence of a specific time, but a boundary that leaks or that can be “reversed engineered” into incorporating or adhering to discrepant times when need be. Here extensive urbanization is not the unfolding of a single temporal format, not the imposition of a standardized time – although there may indeed be elements of such a process – but rather the extending of diverse temporalities to each other. Here is an urbanization of temporality itself, of a process of switching back and forth, changing temporal gears, accelerating and slowing down as a means of diversifying the rhythms of enactment so as to complexify the sensory field of urban life, to engender a wider range of implications and behavioral possibilities and, as such, modalities of valuation. At least at the temporal level, the out there is in here, and vice-versa. As such the urban human is subject to multiple rhythms of endurance. Never before have human individuals been so idiosyncratic – and, in part, this

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idiosyncracy is a product of the infinite running of algorithmic computations that resituate that individual life in terms of all others being resituated. Never before has human life been accessible simply as biomass to be expended or securitized. The urban poor are no longer reserve labor but indications of the capacity of states to move bodies around, keep them in line, kill them when necessary, and thus prove their creditworthiness on the international market. The refusal to invest in social reproduction, leaving the poor to fend for themselves, but now under conditions when fending becomes improbable, conveys the willingness of nations to do what is necessary to guarantee the safety of foreign investment. It detaches itself from its own coherence in favor of the machinic resonances of continuous incomes streams dutifully laundered. Life for many is what Neferti Tadiar (Tadiar 2016) refers to as “remaindered life”, that which remains after the pursuit of a normative humanity has been exhausted.

Itineraries of exposure What this signals is that what we have long recognized as the criteria for human life may no longer suffice. The elite seem willing to finally abandon the conceit of the human as a self-reflecting, autonomous subject guided by enlightened free will – a position always buttressed by a class of urban residents denied such a position – in favor of merging with technical prosthetics and artificial intelligence. As such why should any of the urban majority waste their time on self-reflexivity? If the laboring body is made obsolete by automation and robotics, and no longer sustainable in the long run because of changes in climate, why should we bother with obsessions about where work will come from for the exploding youth populations of Africa and South Asia? Key to this issue is the notion of exposure. Not only the exposure of bodies to a growing number of vulnerabilities, not only exposure in terms of the value of whatever assets an individual might have in their pockets or portfolios, not only exposure in terms of the capacity of individual thoughts and feelings to be read, marketized and used to develop more proficient control systems. But exposure to an “out there”, something beyond the familiar trappings of the human, beyond the trap of being human, beyond the entrapment of populations having been convinced that becoming properly human is something worth pursuing.

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Given these different connotations of exposure, that outside to be exposed to may not strategically be some image of emancipation or availing of rights to all. Rather the “out there” may simply be something within the most banal of landscapes, within miles of faceless apartment blocks, within long stretches of mass produced storage facilities, cheap hotels, strip malls, and faded industrial zones. That “out there” might be rather the possibility of an “anything whatsoever”, a mode of visibility where it is difficult to tell for sure what something is, what something contains or embodies. That “out there” may best be seen as a compression of multiplicities, a capacity for anyone to read something about themselves into a particular situation. Rather than having a specific destination in mind or an idea of fulfillment or accomplishment, the urban majority is showing significant signs of opting rather for a kind of maximum exposure, not to the truth of a particular situation – even as obsessions with religiosity are growing, but rather to an absence of clarity, to a background of prolific details not yet or if ever organized into a coherent narrative of development, of what it means to be human. Here, exposure is to the possibilities of auto-construction – not auto-construction of a home, a community or a way of life, but more so to the viability of making up itineraries as one goes along. The details of daily itineraries are less viewed as indicative of specifically defined futures that would suggest clear courses of action, based on what they knew from their prior residential situations, but entities still in motion, yet to be “settled” within any framework. Instead of provoking stasis and an inability to take decisive courses of action, individual enactment in an environment of detached details is seen as a function of paying attention to a larger picture, itself something vague in people’s minds but something “out there” which is determinant, vital. I am particularly interested in this shifting sensibility about and relation to an “out there” because my long time preoccupation has been exploring the processes through which the so-called majority world – that oscillating amalgam of working classes, the poor, the lumpenproletariat, the vaguely middle class – attempted to construct viable urban lives within conditions that were at once rigidly formatted and open-ended. In such processes of what is popularly known as auto-construction, the volatility of a larger city, characterized by sometime violent political contestations, the absence or constant revisions of regulatory frameworks, or the unpredictability of essential provisioning, was compensated for through a time of increments. Here a steady beat of

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small changes, of hundreds of initiatives responding to each other, of call and response, produced confidence in what was to come. What was important was a sense of forward momentum; that the efforts were worth something, not necessarily in monetary terms but in the ongoing capacity to build relationships with the “surrounds” – with other inhabitants, human and non-human – that afforded a range of different possibilities for action. When conditions don’t seem to be taking you anywhere, where you constantly battle to keep your head above water, and where most of the efforts you make, both individually and as part of a larger collective, at best only manage to repair break-downs of all kinds, then trying to make a particular way of life that endures doesn’t really matter. It doesn’t really matter no matter how much it is familiar or embodies cherished memories or attainments. This then is the irony of making auto-constructed districts, that they became indifferent to their own accomplishments, and that they sometimes so eagerly jumped for opportunities to acquire new assets, new property, new lifestyles, if the price is right. What was important, though, was the capacity to keep going. What was productive about many instances of self-constructed urbanization was the way in which the things that were built could be translated into each other in many different ways. Housing, work, sociability, caretaking, service provisioning, and livelihood were all connected to each other. A house wasn’t simply a house; a place of work wasn’t simply a workplace; a religious institution wasn’t simply a church, temple or mosque; a neighbor wasn’t simply a neighbor; water, sanitation and power weren’t simply material resources coming out of the blue. They were woven through each other, continuously combined in different ways. In all of these efforts there was often no clear destination in mind. Whatever occurred never exceeded all of the rudimentary, unsubsumable fragments of effort, inclination, and passion. Of course such districts were subject to seemingly debilitating racial anxieties, as race was a critical barometer in measuring what kinds of opportunities and resources were to be available for whom, and in signaling what kinds of bodies were both exempt and intelligible for specific adherences to codes of conduct that emphasized respectability, discipline, doing the right thing. Even as auto-constructed districts curated atmospheres of freewheeling improvisation and everyday vernaculars replete with ribald intensity, propriety through property, the property of owning oneself, caring for its transactional value was at the heart of much of postcolonial governmentality.

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As some districts transitioned into those of a middle class, affective intensity was to be traded for a more disciplined pursuit of well-mannered accumulation, playing by the rules, postponing immediate gratification for longterm visions of individual success. It was important to demonstrate increasing distance from communities of the poor as well as one’s eligibility to be noticed and taken seriously by an urban elite. In this way, households were managed as if they were really in “the middle of things”; that through hard work, as opposed to inherited privilege, demeaning physical labor, or trickery, that they constituted the necessary moral underpinning of urban growth, cemented in the acquisition of property and propriety; that propriety was attainable through considering one’s lifetime as a property to be cultivated, a value to be maximized. Working class districts may persist with their thick socialities and makeshift practices. Yet, residents may have to consider too many variables, watch out for too much interference, and spend too much time avoiding or resolving conflicts. They are constantly doing something but may be increasingly unsure about what that something is, what it means, and what value it has. Still, these districts provide the semblance of stability and seemingly inexhaustible resourcefulness. Endurance may often seem something overly leveraged rather than a clear consolidation of discernible assets. Yet, it generates a life that cannot be considered precarious even when it affixes itself to sentiments and expectations that clearly would seem to induce precarity. Whether marked by a middle class narrative of self-possession, of accumulation through doing the right thing or the reworked solidarities of a working class barely working, each appears increasingly tempered by an insouciant orientation to outcome, an indifference that has come to characterize the decisions of many former residents of auto-constructed districts as they spread across the vast peripheries and hinterlands of urban regions. Even though failure has a debilitating cost, and households may rightly worry about wrong moves, a sense of provisionality seems to burst through the most persistent anxieties. They are taking their chances in settings where there is often nothing clear to latch onto, where the chief concern seems to be finding a place to “park” – one’s belongings or aged parents. The concern is not so much to “settle” as it is to take care of the essential pragmatics in an affordable way so that one can tend to the real business of circulating across the region, betting on being at the right place at the right time. Perhaps like the so-called “white man’s burden”, the middle class of today’s Indonesia, Brazil, Nigeria, Philippines, India, and Thailand, to name a few,

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see themselves as doubling down on their positions, not so much through a confident knowing of who they are, but in marshalling an intensifying vitriol for the backwardness and immorality of the poor, many of which are not so poor anymore, but are begrudgingly viewed as having more fun, more scope in their everyday itineraries, less tied down by debt and obligation. What is crucial here is the increased visibility then of a lower middle class, barely crossing a threshold of verification, that can no longer be regarded as strictly poor, that manage, even with limited assets to perform many of the same “rituals” conventionally associated with being middle class, but without the moral and behavioral constraints. Inhabiting a place becomes less important than unfolding multiple possible configurations of concretizing shelter and income streams, fulfilling household and extended family obligations, and ways of imagining the future. It entails assessments about where and how opportunities are moving across the urban region, under what conditions, and what then are various routes available to access them. It is a strategy based on mobility, of generating spaces of inhabitation through movement – a practice that has long been the purview of the poor. But these actions also reiterate, in a more general way, the extent to which demarcations and apprehensions of space are a result of intersecting itineraries that enfold specific sites as ever changing passageways of arrival and departure, articulated to various elsewheres in ways that are always being changed by the itineraries themselves. How itineraries with their concomitant sensibilities, backgrounds, services, and goods converge and part, how they work themselves around each other with different proportions of contact, how they sense the implications of each others’ presence or absence – all imbue a space with a certain solidity that enables specific rhythms of repetition and adjustment that enable the space to assume a particular character. Again, this is a matter of exposure, of itineraries exposed to each as people circulate through and around each other. Whereas apparatuses of urban policing seem to have foregone attempting to keep bodies in place, despite the persistence of segregation and increasingly privatized space, circulation is increasingly subject to tracking, control and targeting. Despite this capacity to target bodies in movement, the exposures of itineraries to each other—and the experiences and knowledge of those who deploy such itineraries–is perhaps more likely amongst “people on the move” than it is by developing more stable places for people to work and reside. All crossings do indeed take place in a place, yet as those in movement cross, bringing their histories, aspira-

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tions, and capacities with them, exposing them to both familiar and unfamiliar situations, the “out there” is brought into the ambit of each person’s daily operations. In the midst then of multiple “out theres” different for every person, the actions of those crossing are not undetected but perhaps imbued with enough ambiguity to enable continuous passage onto somewhere else, some unexpected terrain or disposition.

“Out there” One way of thinking about the “out there” are the temporalities of blackness, which are potentially important because they signal the obdurate inclusive exclusions that are at the heart of modernity, the persistent need to banish and oppress no matter the particularities of the individual human histories involved. But they also signal a way of existing that stands outside of measured time, that holds open the abolition of gradated measures of human worth, of calculating who counts and who doesn’t (Wynter 2003). In her work on the plots of plantation life as an integral aspect of an economy of sustenance based on attunements and reciprocities with the slave quarter’s physical surrounds, Wynter demarcates an interstitial position through which slaves could demonstrate their humanity differently. McKittrick (2013) picks this up and extends this practice to the urban centers where tending to the very physicality of bodies and the grit and messiness of streets trafficked by these bodies generated an economy of sustenance as blacks were largely kept out of “official” urban life. The constitution and appropriation of blackness have been at the heart of the development of modernity in its continued extensions of imperialism and coloniality (Hanchard 1999). The capacity of the human to operate according to the maximization of its position required a notion of free will, of the ability to act freely amongst otherwise constraining interdependencies (Hartman 2007). This freedom necessitated relegating certain bodies to the status of property, capable of circulating only through the transactional circuits of economic exchange and valuation (Wynter 2003, Bogues 2012). Yet, as the work of Michele Wright (2015) points out, the inauguration of blackness ushered in a time that did not only progress in terms of the linear, capitalist temporalities it facilitated. Blackness remains in a process of both constant repetition but also reinvention, sometimes prophetic, sometimes that of quantum entanglements.

“Out there, over the hills, on the other side of the tracks”

As such, blackness might posit modes of human generation not dependent upon the primacy of the time of the Middle Passage. As Moten (2018) points out, it does not consent to being a single being. It is something disobedient. It is a time that co-relates past, present, and future, needs to be recuperated outside the terms of judicial resolutions (Thomas 2016), and directed toward the repair of a humanness fundamentally broken. It is broken in its very selfreflection, as living out the idea of itself as sufficiently detached from the world to be its orchestrator (Mbembe 2017). Hortense Spillers (2003) has talked about the complicated strategic choices facing black people in the Americas in terms of ensuring their endurance. Blacks could insist upon their humanity in contexts in which this humanity was structurally foreclosed, where the insistence would be construed as evidence of disobedience or the very absence of humanity, but which, nevertheless, in this assertion of will despite the odds and consequences could be construed by a black self, with no official recognition, as evidence of being human. In contrast, indifference to the value of a self-formed human subject could be manifested in the capacity of the black body to extend itself into the very surrounds, terrain, and materiality of their limited world of operations. Here an extraordinary attunement to the operations of the earth and its varying atmospheres and ways of being signaled a detachment from the need to be human. The processes of social reproduction were experienced in concert with the rhythms of other forms of liveliness (King 2017). What can such extensionality as a black practice indicate to us today in a world of extended urbanization? How can disobedience and extending into the world be simultaneously coupled as a critical urban practice in light of the possible end of urbanity itself?

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Die entsetzte Gemeinschaft Von Esposito bis Ferreri Lino Wimmer

Exposure und Gemeinschaft Das englische Wort exposure impliziert, im Unterschied zu möglichen deutschen Übersetzungen, etwa dem »Ausgesetztsein« oder dem »Sich Aussetzen«, sowohl Passivität als auch Aktivität. Diese Ambiguität macht exposure für die Begriffsbildung in der empirischen Sozialforschung attraktiv: Ob das Ausgesetzte einer Gewalt hilflos ausgeliefert ist, oder ob seine Prekarität produktiv gemacht werden kann, lässt das englische Wort offen. Als Analysewerkzeug greift der Exposure-Begriff vielfältige Situationen heraus, in denen Vulnerabilität erfahren wird, die sich dann auf ihre politischen und sozialen Effekte befragen lassen. Somit werden Momente sichtbar, die produktive Wendungen der Vulnerabilität begünstigen, erschweren oder sogar verunmöglichen. Acts of Exposure nehmen dabei ein entschieden emanzipatorisches Moment in den Blick, indem sie sich mit Gilles Deleuze und Félix Guattari »als Fluchtlinien« begreifen lassen, »die aus […] etablierten Zuordnungen, Stratifizierungen und Territorialisierungen zumindest momenthaft herausführen«, um sich dann in neuen Beziehungen und Kollektivitäten – oder Gemeinschaften – zu aktualisieren (Hentschel/Krasmann 2018: 46). In dieser Konzeption ist Gemeinschaft ein Begriff, der sich auf historisch konkrete Gemeinschaften beziehen lässt. Er bezeichnet die neuen Territorien, die im Gefolge der Acts of Exposure abgesteckt werden und sich voneinander abgrenzen. Insofern führen die Gemeinschaften die Stratifizierung, die »momenthaft« unterwandert wurde, gleich wieder ein (ebd.). Territoriale Abgrenzung ist demnach charakteristisch für Gemeinschaft. In Communitas: Ursprung und Wege der Gemeinschaft arbeitet der italienische Philosoph Roberto Esposito hingegen in einer etymologisch-theologischen und ideengeschichtlichen Analyse die Umrisse eines Gemeinschaftsbegriffs heraus, der nicht auf historisch konkrete

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Gemeinschaften referiert. Gemeinschaft meint für Esposito vielmehr selber eine Destratifizierungsbewegung, eine Öffnung bestehender Ordnungen und Abgrenzungen – zu denen auch die historisch konkreten Gemeinschaften gehören – auf ein radikal Anderes hin. Was Esposito unter Gemeinschaft versteht, hat daher eine frappierende Ähnlichkeit mit einem von Deleuze und Guattari informierten Exposure-Begriff: Schließlich meint Exposure – zusammengesetzt aus dem Präfix ex-, außer-, und dem Verb ponere, setzen, stellen, legen – bereits im Wortsinn eine Bewegung, die von einem Ort wegführt, ohne sich auf einen anderen Ort zuzubewegen, eine Bewegung radikaler Alteration. Die Dringlichkeit seines Projekts begründet Esposito wie folgt: Es scheint, als wäre nichts mehr an der Tagesordnung als ein Denken der Gemeinschaft: als sei in den Zeiten einer Krise, die das Scheitern aller Kommunismen und das Elend der neuen Individualismen der Epoche zu einem unentwirrbaren Knäuel verstrickt, nichts so angebracht, eingefordert, ausgerufen. Und dennoch ist nichts so wenig in Sicht. Nichts, was so weit weg wäre, so verdrängt, so verschoben auf eine Zeit, die einst kommen mag, auf einen fernen und unentzifferbaren Horizont. (Esposito 2004: 7) Der auf Kollektive bezogene Gemeinschaftsbegriff ist auf einen Widerspruch oder ein Spannungsverhältnis mit dem Individuum zugespitzt, der, wie Esposito andeutet, eine Sackgasse für emanzipatorische Projekte darstellt. Espositos kritische Distanz zu dieser Alternative ließe sich etwa so begründen: Sowohl das Individuum als auch das Kollektiv markieren Territorien, die sich gewissermaßen bloß durch die Zahl ihrer Bewohner unterscheiden. Dementgegen versteht Esposito Gemeinschaft als Ausbruch aus der Territorialität selbst. Damit verschiebt sich die Fragestellung vom Gebiet historisch konkreter Kollektive auf ontologisches Gebiet. Wie ich argumentieren möchte, bietet Espositos communitas-Begriff deshalb interessante Anschlüsse an Exposure, weil er sich dem emanzipatorischen Potential der Gemeinschaft ex negativo nähert. Indem Esposito eine Kritik am begrifflichen Erbe moderner politischer Theorie formuliert, macht er die emanzipatorischen Limitierungen von Kollektivität und Individualität sichtbar. Abseits des Ethischen und Politischen lenkt Esposito die Aufmerksamkeit daher auf ontologisches Terrain. Hiervon, so meine Annahme, kann auch der Exposure-Begriff profitieren: Zunächst, weil die Kritik der Gemeinschaften auch jene Kollektive trifft, die sich im Gefolge von Acts of Exposure

Die entsetzte Gemeinschaft

neu bilden; dann auch, weil Exposure als ein Begriff des Gemeinschaftlichen verstehbar wird.

Die Insistenz des munus: eine etymologisch theologische Spurensuche Esposito zeigt, dass die Territorialität, dass das Eigene, über das sich Individuen wie Gruppen herstellen, erst mit der Moderne zum selbstverständlichen Bestandteil des Gemeinschaftsbegriffs wird. Mittels einer etymologischen Spurensuche legt sein Werk Communitas einen ganz anders gearteten Gemeinschaftsbegriff frei. So bezeichnet das in der communitas enthaltene Wort munus im Lateinischen eine Art Schuld, die in Konflikt mit dem freien Willen des Individuums steht, und bringt somit eine Negativität ins Spiel, die im Gegensatz zur Affirmation des Eigenen steht. Wie Esposito ausführt, impliziert munus drei Bedeutungsvariationen: onus (Last, Bürde), officium (Dienst, Amt, Beruf) und donum (Gabe) (Esposito 2004: 11-14). Diese Bedeutungen stehen aber nicht isoliert nebeneinander, sondern verschieben sich mit ihrem Eintritt in das Ensemble. So entzieht der munus der Gabe ihre Freiwilligkeit: Es steht dem Subjekt keineswegs frei, sie zu geben, sondern es kann gar nicht anders, als sie zu geben, es ist durch sein Amt, officium, dazu verpflichtet. Ebenso wenig lässt sich die Gabe noch in irgendeiner Weise begrenzen. Es handelt sich also nicht um eine horizontale Gabe unter prinzipiell Gleichen, die sich zumindest annäherungsweise aufwiegen und somit erwidern und tilgen ließe. Ein Echo dieser semantischen Verdichtung von officium und donum findet Esposito im frühen Christentum auf. So argumentiert etwa Paulus, mit dem Tod Christi habe Gott sich selbst geopfert. Da mit dieser göttlichen, also absoluten oder vertikalen Gabe in der biblischen Erzählung der Heilige Geist einzieht, der die Gemeinschaft der Gläubigen begründet, impliziere die Gemeinschaft von ihrem Ursprung her eine unendliche Pflicht, diese Gabe im Dienst an Gott abzuarbeiten (Esposito 2004: 21-23). Am Ursprung der Gemeinschaft steht demnach auch in dieser christlichen Bedeutungslinie eine vertikale Gabe, die einen nie einlösbaren Appell enthält, zu geben. Der Beitrag der dritten, stärker negativ konnotierten Komponente des munus, der Last oder Bürde, onus, ist im frühen Christentum ebenfalls präsent, wie Esposito in Hinsicht auf ein theologisches Argument deutlich macht, das Augustinus formuliert. Augustinus macht darauf aufmerksam, dass auf die göttliche Schöpfung des Menschen

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ein zweiter Ursprung folgt, der Ursprung der menschlichen Gemeinschaft, der durch den Sündenfall gekennzeichnet ist: zunächst die Sünde der ersten Menschen Adam und Eva, dann Kains Brudermord. Sobald die Menschen miteinander in Beziehung treten, so wird impliziert, werden sie von der Endlichkeit heimgesucht. In diesem Sinne unterhält der Gemeinschaftsbegriff im (frühen) Christentum eine konstitutive Beziehung zum Tod, wie Esposito zeigt (ebd.: 23f.): Während Adam und Eva aus dem Paradies verbannt und sterblich werden, wird Kain zum ersten Mörder. Die Verstrickung von Tod und Gemeinschaft wird auch der Ausgangspunkt von Hobbes’ politischer Theorie sein. Hobbes’Argumentation ist bekanntermaßen nicht etymologisch-theologisch, sondern anthropologisch begründet, mit einem Naturzustand, einer conditio humana, die durch das angeborene Vermögen jedes Menschen gekennzeichnet ist, jeden anderen Menschen zu töten (Hobbes 1970: 112-118). Die Angst vor dem Anderen, der nun für die Bedrohung durch den Tod steht, drängt demnach zu einer politischen Lösung, der Einführung eines Leviathans, dem ein Monopol zugesprochen wird, über Leben und Tod zu entscheiden (ebd.: 156). In dieser Konzeption übernimmt die staatliche Instanz eine Immunisierungsfunktion, die, wie Esposito anmerkt, weit über den Schutz des bloßen Lebens hinausreicht: »[D]er Mensch kommt zur Welt, indem er seine eigene Identität vor der Kontinuität des Nicht-Seins abhebt, aus dem er hervorgegangen ist […] [I]nsofern als er diese Grenzen mit der Tatsache zu sein anstatt nicht zu sein identifiziert, versetzt ihn die Möglichkeit, sie zu verlieren, in Angst und Schrecken« (Esposito 2004: 179). So betrachtet wird der Andere zu einer Lebensbedrohung, vor welcher der Leviathan-Staat schützen muss: Der Andere bedroht durch seine bloße Existenz die versichernden Mauern der Identität. Hobbes’ Lösung besteht also darin, einen Garanten des Eigenen ins Spiel zu bringen, der seine Bürger gegen die doppelte Bedrohung des Anderen immun macht, die in der Figur des Menschenwolfs zusammenfällt: immun gegen den relativ Anderen, den Nachbarn, und immun gegen den absolut Anderen, den Tod. Der Leviathan immunisiert, er vertreibt den Tod, der die Gemeinschaft von innen, von ihrem Ursprung her bedroht, indem er jedes horizontale Band zum Anderen zerschneidet, um ein exklusiv vertikales Band zu knüpfen. Das berühmte Titelbild des Buches Leviathan, das den Herrscherkörper im Kettenhemd zeigt, dessen Glieder die Staatsbürger bilden, illustriert dieses vertikale Band. Der Leviathan sichert also das Eigene – das biologische Leben, die Identität, das Eigentum –, indem er die horizontale Bedrohung durch den Anderen auf sich umlenkt. Indem der Andere in diesem Sinne unschäd-

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lich gemacht wird, lässt sich die Bedrohung zumindest einhegen, so die Idee. Wie Esposito argumentiert, kann der Leviathan-Staat dieses Versprechen allerdings nicht einlösen: Anstatt den munus, anstatt die Schuld gegenüber der Gemeinschaft wirklich zu tilgen, lenkt er sie bloß auf sich selbst um. Nun stehen die Subjekte dem Leviathan gegenüber in der Pflicht: Er wird zu der Instanz, die töten kann und unter gewissen Bedingungen auch töten darf. Wenn der munus »verdrängt [und] verschoben« wird, wie es in der zitierten Passage heißt, dann wird die horizontale Bedrohung, die er birgt, keineswegs abgeschafft, sondern vielmehr um neunzig Grad gekippt (ebd.: 7). Für das Problem der Emanzipation, das Exposure und Gemeinschaft hier in ein Gespräch bringen soll, ist die Problematisierung des Eigenen der wichtigste Aspekt der Kritik, die Esposito an dem modernen Paradigma der Immunisierung formuliert. Esposito zeigt, dass sich die Auflösung letztlich jedes horizontalen, gemeinschaftlichen Bands in der modernen politischen Theorie durch den Zweck begründen lässt, das Eigene zu schützen. Ob es sich dabei um ein individuelles oder ein kollektives Eigenes handelt, ist aus dieser Sicht von nachgeordneter Bedeutung. Demnach verkennen nicht nur liberale politische Modelle, die dem Individuum eine emanzipatorische Kraft einräumen und es daher gegen das Kollektiv zu schützen versuchen, den entscheidenden Konflikt, sondern auch kommunitaristische Modelle, die dieses Verhältnis einfach umkehren. Beide blenden den Aspekt der Gabe aus, der in den etymologischen Wurzeln der communitas angelegt ist, indem sie Kollektive oder Individuen voneinander trennen und voreinander schützen. Analog zu Espositos Operation lässt sich neben der Gemeinschaft auch die Emanzipation in Widerspruch zum Eigenen stellen: Wo keine gesellschaftlichen Plätze mehr zugeteilt werden können, wo kein Eigenes von seinem Anderen unterscheidbar ist, da greifen keine Mechanismen der Unterwerfung. Emanzipation und Gemeinschaft kommen insofern in einer Ent-Eignungsbewegung miteinander zur Deckung.

Dekonstruktion der Gemeinschaft: Rousseau – Kant – Heidegger Esposito hebt die etymologischen und theologischen Spuren auf eine begriffliche Ebene, indem er ihre Präsenz in einer ideengeschichtlichen Linie freilegt, die eine Alternative zu dem modernen Immunisierungsparadigma anbietet. Diese Linie setzt mit Rousseaus Konzeption eines negativen Ursprungs der Gemeinschaft in einem Naturzustand an, der weniger eine conditio huma-

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na abbildet, wie bei Hobbes, als er eine Kontrastfolie zur jeweiligen gesellschaftlichen Gegenwart darstellt. Dieser Lesart zufolge zielt die Verfallsgeschichte, die Rousseau erzählt, auf eine »positive Definition des Ursprungs, indem sein Verschwinden beklagt wird« (Esposito 2004: 74). Hierin drückt sich laut Esposito ein Begriff des Ursprungs aus, den Rousseau zwar selber noch nicht ausgeführt habe, zu dem ihn seine Konzeption aber logisch zwinge: ein Ursprung, der mit sich selbst nicht zur Deckung kommt, der also kein historischer Ursprung, sondern immer schon vergangen und immer noch im Kommen begriffen ist (ebd.: 74-78). Ein solcher differierender Ursprung oder »Nicht-Ursprung« versperrt den Weg zu einem Gemeinschaftsbegriff, der sich in einer Wiederaneignung eines verlorenen Eigenen ins Werk setzen ließe (ebd.: 77, H.i.O.). Auf dieser Grundlage kann sich keine Gemeinschaft durch ihre vermeintliche Natürlichkeit legitimieren. Wie Esposito argumentiert, wird Rousseaus Denken aber an anderer Stelle von dem modernen Paradigma der Immunisierung eingeholt: Am »Nicht-Ursprung« der Gemeinschaft, im negativen Naturzustand, existieren individuelle Subjekte, die ihrem uneingeschränkt freien Willen gemäß handeln (ebd.: 77, H.i.O.). Das Eigene bleibt also bei Rousseau in der Form des Individuums, das sich selbst gehört, erhalten. Bei Kant macht Esposito einen Begriff aus, der dieses Dilemma auflösen und die Frage der Gemeinschaft aus dem »individualistic-subjective paradigm« der modernen politischen Theorie herauslösen helfe (Langford 2015: 92): das Sittengesetz. Kants moralisches Gesetz unterwandere das Konzept eines Individuums, das sich vollständig selbst gehört. Als Gesetz, dem kein Inhalt gegeben werden kann, als reine Negativität, markiere es nicht den Kern eines aus freiem Willen handelnden Subjekts, sondern – im Gegenteil – eine Begrenzung jedes Subjekts, die, da Kant das Sittengesetz als Ursprung des moralischen Subjekts versteht, das Subjekt von seinem Ursprung her belagert. (Esposito 2004: 118). Die Erfahrung, ein Gesetz befolgen zu müssen, das keinen Inhalt hat, interpretiert Esposito als Erfahrung der Gemeinschaft, des »nothing-in-common« (Esposito 2010: 77). Mit Kant ist daher in Espositos Lesart kein autonomes, der Gemeinschaft vorgängiges Individuum denkbar. Einen Beitrag von Heidegger sieht Esposito in einer kritischen Weiterentwicklung dieser Heimsuchung durch die communitas (Esposito 2004: 30). Heidegger folge Kant zwar darin, den unbestimmten, leeren Appell, der das moralische Gesetz kennzeichnet, als Ursprung des Subjekts zu verstehen, aber er konzipiere diesen Ursprung nicht als etwas dem Subjekt Äußeres, Vorgängiges, sondern als diesem immanent: »der Ruf kommt aus mir und doch über

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mich« (Heidegger 1977: 366). Dieser Schritt hat weitreichende Konsequenzen für den Gemeinschaftsbegriff, wie Esposito ausführt: Die Gemeinschaft kommt nicht vor und auch nicht nach der Gesellschaft. Sie ist weder das, was diese zerstört hat, noch das Ziel, das sie sich stecken soll. So wie sie auch nicht das Ergebnis einer Abmachung, eines Willens oder eines einfachen Bedürfnisses ist, das die Individuen miteinander teilen. Aber auch nicht der archaische Ort, aus dem diese stammen und den sie verlassen haben. Und das aus der einfachen Tatsache, dass sie als Individuen nicht außerhalb ihres In-einer-gemeinsamen-Welt-seins existieren. (ebd.: 140) Das »nothing-in-common«, den ursprünglichen Abgrund, der sich an der Grenze des Subjekts auftut, identifiziert Heidegger demnach mit einer fundamentalontologischen Kategorie: dem being-in-common, dem »Mit-Sein«, das allem Seienden, allen historisch konkreten Individuen und Kollektiven vorausgeht (ebd.: 149). In der »Reflexionslinie« bis hin zu Heidegger zeichnet sich somit ein Gemeinschaftsbegriff ab, der sich dem Immunisierungsparadigma versperrt (Esposito 2004: 29): Wenn die Gemeinschaft einen negativen Ursprung hat, dann lässt sie sich nicht in der (Wieder-)Aneignung eines vermeintlich verlorenen Eigenen realisieren, das sich in einen Überlebenskampf mit einem Anderen gedrängt sähe. Indem die Gemeinschaft als fundamentalontologische Kategorie begriffen wird, als »Mit-Sein«, verschließt sie sich gänzlich der territorialen Realisierbarkeit. Diese ist auf die Dichotomie von Eigenem und Anderem angewiesen, die dem »Mit-Sein« jedoch nachgeordnet ist.

Gemeinschaft als Erfahrung I: Bataille Wenn die Gemeinschaft sich nie ins Werk setzen lässt, indem sie sich in historisch konkreten Gemeinschaften realisiert, hat sie dann noch eine Relevanz für eine emanzipatorische Problematik? Ist sie mit einem Appell, mit einer Forderung verbunden? Diese Frage ist gerade in Hinsicht auf den Exposure-Begriff von Bedeutung, der sich erst durch den Bezug auf kontingente Ereignisse und Handlungen von der »Vulnerabilität« als einer »Grundbedingung des Lebens« in Butlers Sinne abhebt (Hentschel/Krasmann 2018: 43). Der Nachdruck, mit dem Esposito fordert, den Begriff der Gemeinschaft in einer Zeit neu zu denken, die »das Scheitern aller Kommu-

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nismen und das Elend der neuen Individualismen« verbindet, die historische Dringlichkeit, lässt durchaus eine Forderung nach dem Gemeinschaftlichen vermuten – wenn auch in anderer Form als dem Aufruf, ein gemeinsames Eigenes (wieder)herzustellen (Esposito 2004: 7). Georges Bataille, dessen Überlegungen in Communitas prominent an letzter Stelle eingeführt werden, hat die »kommunikati[ve]« Erfahrung eines Appells begrifflich zu fassen versucht, der sich nicht auf ein So-Sein richtet, und der von keinem Individuum oder Kollektiv zueigen gemacht werden kann (ebd.: 178). Die emanzipatorische Kraft der communitas bei Esposito ist im Sinne dieser Bataille’schen Kommunikation zu verstehen, einer radikal alterierenden Erfahrung. Ähnlich wie Heidegger versteht Bataille die Gemeinschaft als Ursprung der menschlichen Existenz, als deren unhintergehbare Bedingung. Bataille hebt sich allerdings von Heidegger ab, indem er eine spezifische Erfahrung der Gemeinschaft konzipiert, die »innere Erfahrung«, deren Möglichkeit sich im Rückzug des Eigenen öffnet (ebd.: 172). Dementsprechend nimmt er an, dass von dem ontologischen Fundament des Mit-Seins zwei konfligierende Bewegungen anheben: eine Bewegung, die von der Gemeinschaft wegführt, die das Eigene also gegen das Andere zu immunisieren versucht, und eine weitere Bewegung, in der die Gemeinschaft zurückkehrt. Zunächst konstituiert sich demnach der Mensch als Individuum oder als Teil eines Kollektivs, indem er sich gegenüber der ursprünglichen Öffnung abgrenzt und sich somit eine eigene Identität verschafft. Bataille ergänzt diese immunisierende Bewegung nun um eine Gegenbewegung, welche diese Grenzen verletzt und ihn zurück zur Gemeinschaft lockt. Esposito rekonstruiert diese Bewegung, die nach der ersten, immunisierenden Bewegung ansetzt, in einer Passage, deren umfängliche Zitation sich an dieser Stelle lohnt: Sein Leben stimmt […] mit den Grenzen überein, die ihn von den anderen trennen und ihn zu jenem spezifischen Sein machen, das er ist. Deswegen ist er gezwungen, diese Grenzen zu verteidigen, um das eigene Überleben zu garantieren […] Dieser Erhaltungsinstinkt erschöpft allerdings nicht seine Erfahrung – er bildet vielmehr deren schwächste, weil rein biologische Ausrichtung: in die sich ein gänzlich gegenteiliger Trieb mischt, der, ohne den ersten aufzuheben, sich ihm dumpf widersetzt. Auf diese Weise tritt die paradoxe Situation ein, dass das Individuum das begehrt, was es fürchtet – eben die Grenzen zu verlieren, die es sein ›lassen‹ – und von einer unstillbaren Sehnsucht nach seinem vorgängigen und zukünftigen Zustand eines Nicht-individuell-seins getrieben ist. (Esposito 2004: 179f.)

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Die Immunisierung gegenüber dem Anderen, die der biologische Selbsterhaltungstrieb absichert, wird, wie Bataille argumentiert, von einem Gemeinschaftstrieb konterkariert. Die Gemeinschaft verschafft sich demnach ihr Recht, sie ist »unentrinnbar, weil in eins fallend mit dem eigenen Begehren« (ebd.: 34). Damit taucht eine weitere etymologische Spur des munus wieder auf: die Unfreiwilligkeit der Gabe an der Schnittstelle von donum und officium. Mit Bataille betrachtet wird das Amt keineswegs von anderen aufgebürdet, sondern es folgt aus einer inneren Notwendigkeit des Individuums. Wie die oben zitierte Passage nahelegt, zielt dieser Gemeinschaftstrieb auf die Negation des Eigenen – etwa in Form der ökonomischen Verschwendung oder der Unterwanderung von Identitäten. Um das Eigene zu negieren, reicht die Alteration eines Ichs durch einen Anderen nicht aus. Damit würde das Ich sich nur als spezielles Eigenes negieren, was bloß die »Verdoppelung« eines speziellen Anderen bedeuten würde (ebd.: 182). Die Negation des Eigenen kann daher nur eine solche Negation sein, »die nichts mehr zu negieren hat«, eine Negation von Nichts (ebd.: 172). Diese konzipiert Bataille als eine »chain of alterations«, als Alterationskette (Esposito 2010: 138).1 Damit ist eine kommunikative Situation gemeint, in der das Ich und der Andere sich weder »ineinander spiegeln«, noch sich voneinander abgrenzen, sondern sich beide radikal alterieren, also »jenem Unergründlichen ausliefer[n], das ihre ›letzte Instanz‹ ist« (Esposito 2004: 183). Wenn das Ich den alterierten, also negierten Anderen negiert, dann wird das Eigene als solches zum Verschwinden gebracht, die territorialen Grenzen werden eingerissen, und eine Situation entsteht, die in Batailles Sinne kommunikativ ist: Die Kommunikation findet nur zwischen zwei Wesen, die sich aufs Spiel setzen, statt – beide zerrissen, schwebend, gebeugt über ihr eigenes Nichts. (Bataille 1973: 44f.) Ein gemeinsames Handeln und Sprechen, eine gemeinschaftliche Erfahrung wird, Bataille zufolge, erst im Rückzug des Eigenen möglich. Daher präsentiert die Gemeinschaft sich dem Denken notwendig als »Nichtwissen« (ebd.: 171). Denn die Erfahrung der Gemeinschaft lässt sich nicht aneignen, indem sie in ein Wissen überführt würde, sondern bleibt vielmehr fremd und der 1

Das Zitat ist dem Aufsatz Nihilism and community entnommen, welcher in der englischen Edition von Communitas als Appendix enthalten ist, in der deutschen Edition hingegen fehlt.

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Aushandlung bedürftig. Bataille rückt diese prinzipiell fremde und unaneigenbare Erfahrung in Nachbarschaft zum Tod. Nicht nur der eigene Tod kann nicht bezeugt werden, so die Argumentation, sondern jedweder Tod versperrt sich seiner Aneignung als Wissen. In diesem Sinne schreibt Bataille: »Über den Tod zu sprechen ist der größte Unfug« (Bataille 1976, zit.n. Esposito 2004: 183)2 . Die innere Erfahrung Batailles versammelt also die drei Dimensionen des munus: onus, donum und officium.

Gemeinschaft als Erfahrung II: Das große Fressen Wenn sich über den Tod nicht sprechen lässt, wie können wir uns dann die Kommunikation vorstellen, in der die Gemeinschaft laut Bataille erfahrbar wird? Wie ich vorschlagen möchte, kann Marco Ferreris Skandalfilm Das große Fressen, weniger als illustrative denn als allegorische Annäherung an Batailles Begriff der Kommunikation verstanden werden. In dem 1973 anlaufenden Film kreuzen sich die Themen Gabe, Unendlichkeit und Tod in einem kollektiven Suizid durch Völlerei. Vier Freunde – Richter, Pilot, Tänzer und Koch – ziehen, ihrer familiären und beruflichen Verhältnisse überdrüssig, in ein Haus in der Vorstadt, um das Geben zur einzig gültigen Maxime zu erheben. Der Film spielt mehrere Dimensionen der Gabe durch und verflechtet sie miteinander: die Verschwendung des akkumulierten Mehrprodukts im exzessiven Konsum, die sexuelle Verausgabung und schließlich die völlige Erschöpfung des Lebens im Tod der vier. Mit dem drastischen Ende, auf das die Handlung zuläuft, arbeitet der Film heraus, inwiefern der Tod in der Gabe enthalten ist, auf welche Weisen er sie vergiftet. Die Maßlosigkeit, mit der sich die vier Männer über die opulenten Pasteten und Torten hermachen, wird durch ebenso maßlose Verfallserscheinungen kontrastiert: Blähungen, Erbrechen, Impotenz und Wahnsinn. Dabei geht es den Männern weniger um die Herbeiführung ihres Todes als um die Inkorporation des Todes in das Leben, um die radikale Anerkennung ihrer Endlichkeit. Auf die Warnung, seine Pastete werde ihn umbringen, wenn er weiter davon esse, schüttelt der Koch Ugo abwehrend den Kopf und isst weiter bis er an der Pastete erstickt. Würden

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Ich folge hier der Übersetzung von Communitas: Ursprung und Wege der Gemeinschaft. Batailles Konferenzbeitrag L’enseignement de la mort ist bislang nicht vollständig ins Deutsche übersetzt worden.

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sich die vier Protagonisten tatsächlich bloß treffen, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten, dann hätten sie auf suizidale Mittel zurückgreifen können, die ihren Zweck effektiver erfüllen. Wie auch für Bataille geht es in Das große Fressen vielmehr um die Darbietung »eines Teils von einem selbst, den man verloren gibt, um den anderen zu retten« (Esposito 2004: 188, H.i.O.). Die Bedrohung des eigenen Lebens wird nur insofern in Kauf genommen, als sie ein Nebenprodukt des Versuchs ist, »über [die] eigenen Grenzen hinaus zu schauen« (ebd.: 34).

Acts of Exposure als Gemeinschaftserfahrungen? Bataille und Ferreri erkennen das Problem des munus, der Gründung der Gemeinschaft in einer vergifteten Gabe, in vollem Umfang an. Anders als Hobbes suchen sie keinen Ausweg, sie versuchen nicht, den munus loszuwerden oder ihm den Stachel zu nehmen, sondern suchen einen Handel, ein Gegengift. Diese Haltung verdeutlichen auch Batailles Untersuchungen zur allgemeinen Ökonomie in der Schrift Der verfemte Teil von 1949: Am Beispiel des Potlatschs und der Ökonomie des Opfers bei den Azteken arbeitet Bataille die Ventilfunktion der kalkulierten Verschwendung heraus, die einer katastrophischen Zerstörung vorausgreife. Aus dieser Perspektive erscheint Bataille der Erste Weltkrieg als das Zerbersten einer Blase, die durch ein Ungleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion entstanden sei, gewissermaßen durch die übermäßige Akkumulation von Eigenem, das unnachgiebig auf seine dann katastrophische Zerstörung bestehe. Mit Bataille und Ferreri übernimmt die Gemeinschaft also die Rolle eines destruktiven Gegengewichts zu jeglichen Aneignungs- oder Reterritorialisierungsprozessen. Bei Bataille – das macht ihn für Esposito so interessant – tauchen sämtliche Komponenten des munus in theoretisierter Form wieder auf: seine Unentrinnbarkeit, seine Unerschöpflichkeit, seine bedrohliche Nähe zum Tod. Gemeinschaft wird mit Bataille nur im Verlust, im »Abfließen« des Kollektiven und Individuellen erfahrbar (Esposito: 34). Durch seine Augen betrachtet wären es daher die Acts of Exposure selbst, in denen sich die Gemeinschaft zeigt, und nicht das, was danach kommt. Die geteilten Werte etwa, die nach Katastrophenereignissen angerufen werden, und um die sich relativ stabile Gruppen konstituieren, verwischen die Spuren der Gemeinschaft eher als sie freizulegen. Die Ähnlichkeit eines solchen Gemeinschaftsbegriffs und der Acts of Exposure wird dadurch verstärkt, dass diese ebenfalls nie aufhören, vermeintlich stabile Ordnungen

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heimzusuchen – und dass einige der Beispiele in diesem Band lebensbedrohliche oder -vernichtende Situationen schildern, etwa die Geburt, das drohende Erdbeben in Istanbul oder das Massaker von Christchurch. Auch in den Acts of Exposure scheinen insofern sämtliche Elemente des munus auf. Tatsächlich ist ein Gemeinschaftsbegriff, der an Esposito und Bataille anschließend einen dezidiert emanzipatorischen Ansatz verfolgt, jedoch weitaus enger gefasst als die Acts of Exposure. Ihm ist die Nähe zum Tod nicht nur fest eingeschrieben, er kreist auch um eine sehr spezifische Gefahrensituation: Batailles doppelte Alteration impliziert Freiwilligkeit und Symmetrie, sie verlangt mindestens zwei Individuen, die sich nicht von äußerem Zwang, sondern von innerer Notwendigkeit geleitet aufs Spiel setzen.

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Exposure to Mass Extinction Für eine Ontologie und Soziologie gemeinsamen Lebens und wechselseitigen Gebens Frank Adloff

Einleitung Das Anthropozän ist nicht nur eine neue geochronologische irdische Epoche, in der der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Wir sind einem Massensterben ausgesetzt, so tiefgreifend hat die Menschheit in alle Ökosysteme der Erde eingegriffen. Schroffe Eingriffe in die Natur lassen sich bis in das Neolithikum mit dem Übergang zur Landwirtschaft vor rund 10.000 Jahren zurückverfolgen. Doch erst mit der Durchsetzung von Kapitalismus und moderner Technik vor rund 200 Jahren setzt die Emission großer Mengen von CO2 und damit das erste take off zum Anthropozän ein, eine beschleunigte Freisetzung von Treibhausgasen erleben wir seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch es droht nicht nur die Erderwärmung mit steigendem Meeresspiegel, Unwettern und Dürren. Die Erde verliert derzeit rund 100 Spezies pro Tag, und wenn die Ausrottung von Pflanzen und Tieren nicht gestoppt wird, wird das Anthropozän rund fünfzig Prozent aller existierenden Spezies vernichten (Dawson 2016). Man spricht derzeit von einem sechsten Massensterben. Zuletzt starben vor rund 66 Millionen Arten in einem Ausmaß aus, wie wir es derzeit erleben. Damals war die Ursache jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach der Einschlag eines Asteroiden. Mit den Dinosauriern gingen seinerzeit rund 70 Prozent aller Spezies verloren. Aktuell sterben Tierarten etwa 1.000- bis 10.000-mal schneller aus, als sie es ohne menschliche Einflüsse tun würden – wir sind der Asteroid. Ein massives Aussterben von Arten begleitet uns und wird doch kaum bemerkt. Das Thema ist von Naturwissenschaftler*innen beobachtet, gemes-

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sen und auf die Agenda gebracht worden. Es findet eine lebensweltliche Entsprechung in der Wahrnehmung, dass es mittlerweile viel weniger Insekten als noch vor rund 30 bis 40 Jahren gibt. Nun ist zwar die Menschheit insgesamt dem massenhaften Aussterben von Arten ausgesetzt, doch nur wenige – wie die aus Großbritannien kommende Bewegung Extinction Rebellion – reagieren darauf mit Entsetzen oder der politischen Entschlossenheit, dem Ausserben Einhalt zu gebieten. Soziologisch ist das nicht weiter erstaunlich, könnte man sagen. Es gibt eben nicht »die Menschheit«, sondern eine Vielzahl von Gesellschaften, Kulturen, von sozialen Milieus, Menschen, Wertvorstellungen, Interessen usw. Nur wenige lassen sich von den neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen affizieren und fühlen sich dem Massensterben ausgesetzt. Sie leben, so würde man soziologisch argumentieren, in einer anderen Sinnprovinz (Schütz) als diejenigen, die das Massensterben eher ignorieren oder gleichgültig hinnehmen. Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit fällt eben bei einer Gruppe so aus, bei einer anderen Gruppe anders. Exposure hängt von explizitem und implizitem Wissen ab, wäre konstruktivistisch zu formulieren. Diesen kulturalistischen Erklärungsansatz möchte ich im Folgenden jedoch hinterfragen und kritisieren. Er beruht auf einer auch die Soziologie zu weiten Teilen beherrschenden Subjekt-Objekt-Dichotomie, die nicht nur wichtige Fragen nicht stellen und beantworten kann, sondern sogar Teil der globalen Misere ist. Anders gewendet: Haben Menschen nur unterschiedliche Vorstellungen über die Realität der Natur? Oder werden verschiedene Realitäten durch verschiedene Praktiken in Werk gesetzt? Im ersten Fall, typisch für die Soziologie als Disziplin, stellt man epistemologische Fragen und geht davon aus, dass es eine Natur, aber viele Kulturen, also Perspektiven auf die Natur gibt (Descola 2014). Folgt man dem zweiten, radikaleren Ansatz, setzt man sich mit ontologischen Fragen auseinander, und es gibt dann nicht nur eine Welt, sondern mehrere Welten (Law 2015).1

Latours flache Ontologie Wir können die Geschichte der modernen Gesellschaften lesen als eine Geschichte der Vermeidung des Ausgesetzt-Seins. Bruno Latour hat beschrieben, wie die Moderne auf einer Reinigungs- und Purifizierungsarbeit beruht. 1

Man kann aktuell einen regelrechten ontological turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften beobachten, vgl. dazu Kohn (2015).

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Er vertritt in seinem Buch Wir sind nie modern gewesen (2008) bekanntlich die These, dass es auf der Ebene des wissenschaftlichen Diskurses der Moderne zwar zu einer strikten Trennung zwischen Objekten der Natur und der Welt des Sozialen kam, dass diese Welten aber faktisch aufs Engste ineinander verwoben sind. Die Trennung von Natur und Gesellschaft, wie sie im Selbstbild der Moderne vorliegt, hat dieser Sicht zufolge so nie stattgefunden. Für Latour konstituiert sich unsere Realität nur über die Verkopplung von Menschen mit natürlichen wie vor allem auch technischen Dingen. Die Welt ist bevölkert von hybriden Wesen: Mischungen aus Kultur und Natur, technischen Akteuren und Quasi-Subjekten. Alle hybriden Wesen haben eine gewisse Handlungsmacht und beruhen auf der Vermengung von Kultur und Natur. Parallel dazu hat die Moderne eine begriffliche Anstrengungsarbeit betrieben, indem sie darauf bestand, dass die Bereiche Natur und Kultur konzeptionell strikt geschieden seien. Für Latour tun die Modernen nicht, was sie sagen und sagen nicht, was sie tun. Sie wollen sich, so meine Interpretation, weder der Natur noch den von ihnen geschaffenen Hybriden aussetzen. Die »Vormodernen« wussten hingegen, dass, wenn sie die Naturordnung verändern, sie zugleich die gesellschaftliche Ordnung verändern. Deshalb gingen sie mit Vorsicht vor und schränkten die Expansion von Kultur-Natur-Hybriden ein. Durch die vorherrschende Denkweise der Trennung von Natur und Kultur können die Modernen nicht sehen, wie jede Veränderung der Natur die Gesellschaftsordnung mit verändert: »Für jeden Zustand der Natur gibt es einen korrespondierenden Zustand der Gesellschaft« (ebd.: 127). Faktisch leben wir schon lange in einem Zeitalter nach der Natur (Böhme 2017), auch wenn wir dies in unserem Weltbild selten anerkennen. Doch im Anthropozän identifizieren wir zunehmend in der Natur »dort draußen« die eigenen, menschlichen Anteile wie die Erderwärmung, die Fischarmut der Meere oder die Vergiftung des Trinkwassers – alles Phänomene, die wir uns selbst zurechnen müssen. Politisch zieht Latour daraus die richtigen Schlüsse, sozialtheoretisch jedoch nur zum Teil. Latour führt in seinem Buch Kampf um Gaia (2017) weiter aus, dass wir uns politisch von der Vorstellung verabschieden sollten, dass die Menschengattung bald ein gemeinsames Interesse an der Einhaltung der Klimaziele haben könnte. Stattdessen sollten wir der Gespaltenheit der Menschheit ins Auge blicken: gespalten in die Gruppe der Menschen, die gleichsam noch im Holozän lebt und sich weiterhin die Natur Untertan macht, und die Gruppe der Erdverbundenen (so nennt Latour sie aus Ermangelung eines besseren Begriffs), die im Anthropozän angekommen sind und ein Bündnis mit

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Gaia suchen. Wichtig für die »Erdverbundenen« ist es, benennen zu können, von welcher Lebensgrundlage sie abhängen, welches Territorium sie gegen was und wen verteidigen wollen. Um Gaia zu verteidigen und zu besänftigen, bedarf es der Bündnisse mit Teilaspekten Gaias: mit den Regenwäldern, den Ozeanen, der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen in den BiodiversitätsHotspots, mit den Böden usw. Bevölkerungen, die von diesen Komponenten Gaias abhängen, sollten sich mit ihnen verbünden und ihre Subsistenzgrundlagen verteidigen gegen die disruptiven und ortlosen Kräfte des globalen Kapitalismus. Alle Aspekte Gaias, von denen wir abhängen, gilt es also zunächst zu entdecken und zu artikulieren. Da die Nichtmenschen nicht auf gleiche Weise für sich sprechen können wie Menschen, müssen die nichtmenschlichen Lebewesen und Ökosysteme repräsentiert werden. Dies ist nicht weiter erstaunlich, denn eine Vielzahl von Dingen muss pausenlos repräsentiert und zum Sprechen gebracht werden, seien es Gesetze, Unternehmen, Nationalstaaten, Gott, die Vergangenheit oder die Zukunft. Das Wasser, die Luft und die Meere brauchen daher Sprecher und Sprecherinnen. Sozialtheoretisch folgt Latour der Maxime, dass man nicht zwischen menschlichen Akteuren und nicht-menschlichen passiven Mitteln oder Objekten unterscheiden sollte. Die Welt besteht aus Hybriden, und Latour denkt dabei an Türschließer, Autos, Pflugscharen, aber auch an biotechnologisch veränderte Lebewesen, Labormäuse, Mikroben und Antibiotika. Nicht nur Menschen, auch die hybriden Wesen zeigen eine gewisse Handlungsmacht, aber erst in der Verknüpfung zu Akteur-Netzwerken entstehen Handlungen. Ontologisch betrachtet geht Latour davon aus, dass die Relationen zwischen Entitäten das Entscheidende sind. Dinge entstehen durch Relationen. Ein Ding ist daher nur dadurch definiert, dass es etwas in konkreten Beziehungen tut, es ist nicht mehr als seine Effekte im Rahmen von Relationen. Zwischen Objekt und Akteur wird nicht unterschieden, und alles kann nach Latour ein Akteur sein. Das hat klare Vorteile, die Graham Harman (2016: 97) herausstellt: »The flat ontology of ANT allows it to avoid the modern dualist ontology in which all finite beings are implausibly divided between (a) people and (b) everything else.« Doch für Harman hat dieses Vorgehen auch enorme Nachteile.

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Harmans OOO Graham Harman ist ein Vertreter des sogenannten Spekulativen Realismus und hat – unter anderem in der Auseinandersetzung mit Heidegger und Latour – eine eigene Ontologie entwickelt, die er Objektorientierte Ontologie (OOO) nennt. Die neuen spekulativen Realisten (Philosophen wie Quentin Meillassoux, Karl Gabriel, Graham Harman oder Timothy Morton) sind sich darin einig, dass man den linguistic turn in gewisser Hinsicht zu überwinden habe (zum Überblick Palzer 2016). Es geht ihnen darum, eine Realität anzuerkennen, die vom menschlichen Denken und Sprechen unabhängig ist. Der Mensch ist für sie nicht mehr das Zentrum der Welt und Realität. Für Harman stehen daher Objekte im Mittelpunkt seiner Metaphysik (er benutzt den Begriff der Metaphysik synonym mit dem der Ontologie).2 In Kants Nachfolge gilt ja, dass wir nichts von den Dingen an sich wissen können, sondern nur, wie sie unserem Bewusstsein erscheinen: Es gibt Dinge, und es gibt Daten, wie uns die Dinge erscheinen. Linguistic turn, Konstruktivismus, Poststrukturalismus etc. beruhen auf der Idee einer Korrelation zwischen einem Objekt und den Vorstellungen eines Subjekts vom Objekt, ohne dass das Objekt jemals vollständig erkennbar wäre. Zugleich gilt in dieser Kant’schen Tradition: ohne »Korrelator« (Geist, Bewusstsein oder Sprache) kein Objekt. Eine Korrelation beinhaltet immer eine Kluft, das Ding an sich bleibt unsichtbar. Diese Kluft besteht jedoch nicht nur zwischen einem menschlichen Bewusstsein und einem Objekt, sondern zwischen allen Objekten, so das Hauptargument Harmans. Wir Menschen haben keinen Zugang zu den Dingen an sich, sondern nur zu den Dingen, wie sie uns erscheinen. Dies gilt aber auch für alle Relationen zwischen Objekten: Die realen Objekte ziehen sich zurück, sie entziehen sich dem Zugriff und werden immer nur verzerrt wahrgenommen (vgl. Harman 2018: 7). Auch Feuer tritt nur auf eine bestimmte Weise mit einem Blatt Papier in Kontakt, es kann das Papier nicht an sich in seinem Sein erfassen, sondern nur den Aspekt der Brennbarkeit. Es gibt daher eine relationale Kluft zwischen allen Objekten. Objekte gehen demzufolge auch nicht darin auf, dass wir beschreiben, aus was sie bestehen (das ist eine unzulässige Reduktion) oder was sie tun und welche Effekte sie provozieren. Jedes reale Objekt verfügt über zwei Seiten, eine sinnliche, über die es in Kontakt mit 2

Harmans (2018: 43) sehr weite Definition von Objekten, die auch Immaterielles sowie Prozesse umfasst, lautet: »an object is anything that cannot be entirely reduced either to the components of which it is made or to the effects that it has on other things.«

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anderen Objekten tritt, und eine reale Seite, die sich den Relationen entzieht. Ein Tisch kann beispielsweise physikalisch beschrieben oder als Alltagsgegenstand wahrgenommen werden. So gesehen gibt es zwei Tische, darüber hinaus gibt es noch den realen Tisch, der nicht sinnlich wahrgenommen werden kann. Nur mit den Mitteln der Kunst gelingt es, auf die reale Seite des Objekts anzuspielen. Der Zugang zum realen Objekt kann immer nur ein indirekter und metaphorischer sein. Gegen Latour gewendet bedeutet dies, dass Objekte nicht in ihren Handlungen aufgehen. Objekten wohnt ein Überschuss, ein Surplus inne, der nicht auf ihre Effekte auf andere Objekte reduzierbar ist. Zudem sind nicht alle Relationen reziprok, es kann einseitige Abhängigkeiten geben (was Latours Ansatz auch nicht ernst genug nimmt). Schließlich behandelt Latour alle Relationen als gleichwertig, es wird nicht unterschieden zwischen wichtigen und eher unwichtigen Relationen. Wenn jede Relation für die Realität gleichbedeutend wäre, wäre auch jeder Moment in der Geschichte des Objekts gleich wichtig und Objekte würden permanent dem Wandel unterliegen. OOO hält dagegen, dass nicht alle Relationen gleichwertig sind. Insbesondere die nicht sehr häufig vorkommenden Relationen, die das Objekt transformieren, sind entscheidend. Harman nennt diese Transformationen Symbiosen. Will man soziale Objekte verstehen, ist es für Harman entscheidend, nach ihren Symbiosen zu fahnden. Symbiosen kann man mit anderen Personen, mit Institutionen, Ideen oder anderen Lebensformen eingehen.3 Auch Symbiosen müssen nicht reziprok ausfallen: Meine Symbiose als Student mit der Stadt Marburg hat mich verändert, aber sicher nicht Marburg an der Lahn. Symbiosen sind Beziehungen, die wenigstens eins der in Relation zueinanderstehenden Objekte grundlegend verändern. In diesem Sinne befinden sich Bauern und ihr Vieh in Symbiose oder Bienen und Imkerinnen. Aufs Ganze gesehen lässt sich sagen, dass wir abhängig sind vom Leben (der Pflanzen und Tiere) auf dem Planeten Erde, dass die Tiere und Pflanzen im Anthropozän auch von 3

In seinem Verständnis von Symbiose stützt Harman (2016: 42ff.) sich auf die bahnbrechenden Arbeiten der Biologin Lynn Margulis, die schon vor vielen Jahren herausfand, dass im Verlauf der Evolution höhere Zellen nicht durch Konkurrenzkampf entstanden sind, sondern durch die Symbiose einfacherer Vorformen. Wurde Margulis zunächst noch als Außenseiterin betrachtet, so boomt mittlerweile die Forschung zu Symbiosen (im Sinne von artübergreifenden Kooperationen) unter Pflanzen und Tieren. Heute ist Schulwissen: Kein Wald existiert ohne die Symbiose von Baumwurzeln und Pilzen. Vgl. dazu auch Emanule Coccias (2018) Kosmologie der universellen Mischung, die ihren Ausgang bei den Pflanzen nimmt.

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uns abhängig sind, dass aber zugleich die Erde als Ganzes nicht abhängig von uns ist. Nicht umsonst boomt derzeit das Genre, sich apokalyptisch die Erde ohne uns vorzustellen; oder man denke an die Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit.4 Wir haben keinen direkten Zugang zu den realen Dingen, dafür steht uns für Harman allerdings ein künstlerischer, indirekter und metaphorischer Weg offen, der uns natürlich auch nicht das »Ding an sich« zeigt, aber uns etwas Neues zu sehen gibt. Nimmt man folgende Metapher: »a cypress is like the ghost of a dead flame«, so eröffnet die Metapher uns nicht, wie die eine Zypresse an sich ist. Aber die Metapher ermöglicht eine Bindung an die Zypresse, die durch das Amalgam von Leser und den Qualitäten einer Flamme entsteht. Es wird ein neues Objekt kreiert. Der Leser geht eine Allianz mit den Qualitäten der Flamme ein und versetzt sich gleichsam in die Position der Zypresse. Harman (2018: 105) bringt die Pointe des künstlerischen Zugangs zu Objekten so auf den Punkt: »I note that art does not reach the object itself by clearing away its accidental qualities, but that it actively couples the beholder to the aesthetic object so as to produce a new compound object.« Schließlich muss man zwischen verschiedenen Entitäten unterscheiden: »any theory worth its salt needs to shed light on the difference between humans, nonhumans, natural entities, cultural entities, technologies, flowers, mammals, and so forth« (Harman 2016: 106). So wichtig es für die Entwicklung der Sozialtheorie der letzten Jahre war, dass Latour die Gleichwertigkeit aller Aktanten betont hat, so wenig kann man auf eine genauere Differenzierung verzichten, da wichtige Unterschiede zwischen Akteursklassen verlorengehen.

Tierliche Agency, überlappende Welten Die Moderne ist gekennzeichnet von einer Reduktion des tierlichen Lebens auf das instinkthaft Mechanische. Jegliche Agency wurde über viele Jahrzehnte hinweg den Tieren abgesprochen. Die Soziologie unterscheidet z.B. seit ihrer Gründung zu Max Webers Zeit zwischen Verhalten und Handeln, nur letzteres ist menschlich und Gegenstand der Soziologie. Die Massentierhaltung des 20. Jahrhunderts tat das ihre zur Passivierung der Tiere, die moderne 4

Zum aktuellen Diskurs über das Ende der Welt im Anthropozän vgl. Danowski/Viveiros de Castro (2019).

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Ethologie wurde zur Laborwissenschaft, und der Behaviorismus interessierte sich nur für einfachste Reiz-Reaktionsschemata und Konditionierungen. Intentionalität, Subjektivität, Handlungsfreiheit, Gewieftheit, Kultur, Moral und Widerständigkeiten wurden allesamt in das Reich der Anekdoten von Tierliebhabern, Züchtern, Bauern und Dresseuren verbannt (Despret 2019). Erst in den letzten Jahren finden sich Gegenbewegungen – auch im Bereich der Wissenschaft selbst. Schon vor Jahrzehnten forderte Herbert Marcuse, die Natur nicht länger als Gegenstand technischer Verfügungsgewalt anzusehen, sondern als möglichen Interaktionspartner zu begreifen. Ein neues Interaktionsmodell würde der Natur Subjektivität zuschreiben, und wir würden mit den Tieren und Pflanzen kommunizieren, statt sie instrumentell zu bearbeiten. Diese Sicht wird mittlerweile von Teilen der Biologie selbst unterstützt. Es wird zunehmend klar, dass sich die traditionelle Biologie zu sehr auf einen technizistischen und reduktionistischen Pfad begeben hat, der die Natur entzaubert und deren Lebendigkeit, Sinnhaftigkeit und Subjektivität übersieht oder gar negiert. Dem stellt der Biologe und Philosoph Andreas Weber gegenüber, dass Materie selbst schöpferisch ist, »dass sie einem Prinzip der Fülle folgt und Subjektivität aus sich hervorbringt« (Weber 2007: 14).5 Dabei stützt sich Weber unter anderem auch auf Lynn Margulis und das Symbiosekonzept. Auch der von den Biologen Francisco Varela und Humberto Maturana eingeführte Begriff der Autopoiesis verweist auf ähnliche Prozesse der autonomen Selbstorganisation. Lebewesen sind keine Maschinen, sondern stellen sich selbst her, entwickeln eine Form von Autonomie und bauen ihre Identität selbst auf. Des Weiteren ließen sich hier die Forschungen der Biosemiotik nennen. Diese Bedeutungslehre der Natur interessiert sich für die Zeichenprozesse innerhalb und zwischen Lebewesen. Damit bricht man mit einfachen UrsacheWirkungs-Betrachtungen und deutet Leben als einen Zeichenprozess. Dem Pragmatisten Charles Sanders Peirce folgend kann man sagen, dass jegliche Form des Lebens auf Zeichenprozessen beruht. Während menschliche Kommunikation zu weiten Teilen symbolische Zeichen nutzt, findet pflanzlicher und tierlicher Austausch eher auf den Ebenen ikonischer und indexikaler Zeichenbeziehungen statt (Kohn 2007). Auf diesen Ebenen ist es dann auch prinzipiell möglich, in einen zeichenhaften Austausch mit Pflanzen und Tieren zu treten. Multi-Spezies-Relationen sowie eine Soziologie des gemeinsamen 5

Ähnlich argumentiert der Neue Materialismus, vgl. etwa die Positionen von Rosi Braidotti, Karen Barad oder Jane Bennett.

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Lebens6 hätten folgende Basis: »it is appropiate to consider nonhuman organisms as selves and biotic life as a sign process, albeit one that is often highly embodied and nonsymbolic« (ebd.: 6). Weber (2016) kommt zu dem Schluss, dass jeder Austausch zwischen Lebewesen (egal ob zwischen Zellen oder zwischen Vogeleltern und Küken) drei Aspekte umfasst: Erstens werden materielle Stoffe übertragen, zweitens werden dabei Bedeutungen ausgetauscht, und drittens verschränken sich im Austausch Subjektivitäten. Leben findet nicht einfach nur statt, es wird auch erlebt und gefühlt. Ein Lebewesen »macht primäre Erfahrungen von gut und schlecht« (ebd.: 63). Lebewesen sind in diesem Sinne wertende Systeme: Sie unterscheiden zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll. Und sie bilden Welten: »It’s not about knowing that there is a world. It’s about getting on with stuff, going about your doggy, or spidery, or whaley business« (Morton 2017: 92, Herv. i. Orig.). Welten bilden Schnittmengen, sie überlappen oder überlagern sich und werden teilweise geteilt. Fatalerweise sind wir Wittgensteins Diktum gefolgt, der in den Philosophischen Untersuchungen schreibt: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.« Zu schnell wird die grundsätzliche Unmöglichkeit einer Verständigung zwischen sehr verschiedenen Lebensformen auf der Grundlage verschiedener Praxen behauptet, weil man sich nicht bemüht, gemeinsame Praktiken aufzubauen. Weber zieht hingegen den Schluss, dass man die Prozesse des Lebens als das Hin- und Herfließen von Gaben verstehen muss. Lebende Systeme befinden sich zumeist in einem Zustand des dynamischen Gleichgewichts, den man auch als einen Zustand der Gegenseitigkeit betrachten kann, beruhend auf der Trias von Geben, Nehmen und Erwidern. Folgt man jedoch dann nicht einem unangemessenen Anthropozentrismus? Ich denke nicht: Der Anthropozentrismus wird vielmehr überwunden zugunsten einer Kontinuität menschlichen und nicht-menschlichen Lebens. Man könnte eher von einem Anthropomorphismus sprechen, der sich von einem Mechanozentrismus abgrenzt, der auf einem ontologischen Dualismus beruht und der Annahme folgt, dass andere Lebewesen gleichsam schweigen und nicht in einer Welt von Bedeutungen und Bedeutsamkeiten leben.

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Vgl. hierzu auch die aus Frankreich kommende intellektuelle und politische Strömung des Konvivialismus (von lat. convivere: zusammenleben): Les convivialistes (2014).

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Theorie der Gabe oder taking care Abschließend möchte ich die vorhergehenden Überlegungen mit einer Theorie der Gabe verbinden (ausführlich dazu: Adloff 2018). Alle bisherigen Kulturen – außer der der Moderne – haben ihr Verhältnis zur nichtmenschlichen Natur als Gabenbeziehung verstanden: Von den Seen, Bergen, Sternen, Wäldern und Tieren nimmt man und ihnen gibt man auch etwas zurück. Wie kann nun ein solches Gabeverhältnis unter modernen Bedingungen wiederhergestellt werden? Denn die Maxime der Moderne lautet bekanntlich: »thou shall not regress« (Stengers 2018: 99). Sehr schnell handelt man sich den Vorwurf ein, romantisch und vor- oder antimodern zu sein. In eine vormoderne oder komplett esoterische Vorstellungswelt können und wollen wir ja tatsächlich nicht einkehren. Doch ohne eine gewisse Wiederverzauberung der Welt wird ein gemeinsames Leben nicht zu gewinnen sein. Zudem gilt, dass die moderne Lebenswelt längst nicht so entzaubert ist, wie wir in den Sozialwissenschaften seit Max Weber annehmen (Bennett/Khan 2009) Caillé, Chanial und Flipo (2013) stellen heraus, dass eine partnerschaftliche Beziehung zur Natur zur Voraussetzung hätte, dass wir ihr (wieder) Subjektivität zusprechen. Nun tut die zeitgenössische Biologie, wie wir oben sahen, mittlerweile genau dies. Man kann also auf naturwissenschaftliches Wissen gestützt versuchen, einen aufgeklärten Animismus wiederzubeleben oder neu zu kreieren. Caillé, Chanial und Flipo nennen dieses Projekt einen methodologischen Animismus. Denn wir müssen nicht zunächst allen Lebewesen wissenschaftlich nachgewiesen und abgesichert Bewusstsein, Subjektivität und Intentionalität zusprechen. Es reicht, die nichtmenschlichen Wesen methodologisch als Quasi-Subjekte anzusehen. Das heißt, wir behandeln die anderen Lebewesen so, als ob sie über Subjektivität verfügten – unabhängig davon, ob man diese wirklich wissenschaftlich »beweisen« kann. Dies führt dazu, nichtmenschliche Wesen als Geber anzuerkennen, sich ontologisch ganz anders mit ihnen zu verbinden und sie gleichsam wieder zu verzaubern. Es geht nicht nur um andere Perspektiven, sondern um andere Realitäten, die praktisch verankert sind. Gabenbeziehungen einzugehen, heißt in diesem Zusammenhang, eine Allianz zu bilden, das Bündnis zwischen den menschlichen und nichtmenschlichen Wesen immer wieder aufs Neue herzustellen. Mit Weber gesprochen werden materielle Stoffe sowie Bedeutungen ausgetauscht, und in diesem Austausch verschränken und vermischen sich Subjektivitäten in Form neuer Allianzen.

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Dieses Bündnis hat genauso wie die Gabenbeziehung unter den Menschen eine agonistische Seite. Denn unser Gabenverhältnis zur Natur ist niemals nur rein harmonisch, auch die Natur kann sich verweigern, unerbittlich nehmen oder Schlechtes geben. Und natürlich geht es nicht darum, Äquivalentes zu dem zurückzugeben, was die Natur gegeben hat. Woraus sollte dies auch bestehen? Es geht vielmehr um die Anerkennung des Eigenwerts nichtmenschlicher Lebewesen und ökologischer Prozesse sowie um die Erneuerung des Bündnisses durch den Akt der Erwiderung. Im Akt der Erwiderung wird die Natur als Partnerin anerkannt und nicht länger nur als passive Ressourcenquelle. Ich plädiere also dafür, aus einer Gabenperspektive auf die Natur zu blicken und die Reichweite unserer Loyalitäten und Sympathien zu erweitern. In der Symbiose mit nichtmenschlichen Lebewesen entstehen neue Objekte, die es auch ermöglichen, das Unfassbare wie das Massenaussterben ein Stück weit fassbarer zu machen. Manche Objekte sind extrem schwer zu fassen. Der Literaturwissenschaftler und Philosoph Timothy Morton (2018) spricht in diesem Zusammenhang von Hyperobjekten, die extrem weit über Zeit und Raum verteilt sind. Evolution, Menschheit, Biosphäre oder Klima sind beispielsweise Hyperobjekte. Sie haben eine eigene Realität, sind also nicht auf einzelne beobachtbare Phänomene reduzierbar, und zugleich bekommt man sie niemals vollständig in den Blick. Die Kluft zwischen Objekt und sinnlichen Objektqualitäten, die allen Objekten nach Harman innewohnt, liegt hier in dramatischer Ausprägung vor. Morton holt weit aus und vertritt die These, dass mit der beginnenden Viehhaltung seit dem Neolithikum eine traumatische Kluft zwischen der menschlichen Realität (Menschen gelten als Subjekte, Natur ist ein davon geschiedenes Objekt) und dem eigentlich ökologisch Realen, nämlich der Symbiose zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen in der Biosphäre, Einzug gehalten hat. Nicht nur die ökologische »Gesundheit« leidet unter dieser Kluft, auch die menschliche psychische Gesundheit leide.7 Ökologisches Gewahrsein beginnt mit dem Bewusstsein für die Kluft und

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Mittlerweile gibt es erste psychologische Studien zum psychischen Stress, den Umweltzerstörung bei Menschen zu verursachen vermag. Glenn Albrecht, Pionier dieser neuen Forschungsperspektive, definiert ihn so: »Psychoterratic illness is defined as earth-related mental illness where people’s mental wellbeing (psyche) is threatened by the severing of ›healthy‹ links between themselves and their home/territory« (Albrecht et al. 2007: 95).

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mit Versuchen, sie zu überwinden, indem die Interdependenzen zwischen den Lebensformen bemerkt und anerkannt werden, indem man sich dem Charisma anderer nicht-menschlicher Lebensformen öffnet und sich von ihnen affizieren lässt. Es geht nicht nur um eine andere kognitive Sicht auf die Welt, sondern darum, mit ihnen in eine andere Art Beziehung zu treten – im Modus von Gabe und Sorge als »matters of care« (Puig de la Bellacasa 2011). Bauern, die sich nicht komplett der Massentierhaltung mit ihrer Passivierung und ontologischen Reduktion von Tieren hingegeben haben, beschreiben ihr Verhältnis zu den Kühen und Schweinen als geprägt von Wechselseitigkeit – Wechselseitigkeit im Geben und Nehmen von Sorge, Arbeit und Emotionen (Despret/Porcher 2007). Und auch in den Städten entstehen neue Bewegungen, die andere Wege beschreiten. Die Bewegung Extinction Rebellion macht nicht nur vehement auf das sechste Massenaussterben und die Erderwärmung aufmerksam und fordert politische Maßnahmen. Es werden vor allem auch Akte des zivilen Ungehorsams ausgeübt (Straßensperrungen und -besetzungen etwa), »die-ins« werden vollzogen, die zum Ausdruck bringen sollen, dass permanent Arten aussterben und die Menschen vielleicht auch als Spezies vom Aussterben bedroht sein wird. Darüber hinaus wird jedoch auch Trauerarbeit geleistet. Die Aktivistin Gail Bradbrook beschreibt regelrecht einen ontologischen Transformationsprozess, ein neues Objekt wird durch das Betrauern des Sterbens um uns herum kreiert: »For years I have engaged with this ecological crisis on an intellectual level, the mounting evidence, the science […] but now I have engaged with the potential destruction of this world on an emotional level and there is a fundamental difference. There is huge feeling of grief, of loss. I found myself bursting into tears, of feeling distant with longstanding friends […] but as with other forms of grief, as the poets say, you start to come through that initial shock and feeling of loss and there is a renewed appreciation of the beauty of the world, a renewed realisation that we are connected. Once you face and feel the shock of what we are facing, if you are willing to face the grief and can process those feelings, there is tremendous energy and a will to do what it takes. So that is what we have been asking people, to be willing to look at the truth of our predicament and grieve.« (Taylor 2018) Man setzt sich hier bewusst dem Hyperobjekt des Massenaussterbens aus. Man transformiert das Unfassbare in »matters of care«, indem man trauert und sich der eigenen Verwundbarkeit und der des Lebens insgesamt bewusst wird. Exposure to Mass Extinction wird so zu einer Frage von Nehmen und Ge-

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ben, von Care. Die Aktivist*innen von Extinction Rebellion gehen eine Allianz mit dem Sterben von Tieren und Pflanzen ein, sie schaffen damit ein neues Objekt auf Grundlage einer Symbiose des Gebens und Nehmens (unter Anerkennung dessen, dass Menschen zumeist alleinig nehmen, ohne zurückzugeben). Das Leben selbst ist dem Aussterben ausgesetzt und diese Tatsache kann erst auf Grundlage einer neuen – vor allem auch affektiven – Bindung erkannt und gefühlt werden.8 Das Hyperobjekt des Massensterbens kann nicht direkt und an sich erfasst werden. Aber das neue symbiotische Objekt der Bindung von menschlichem und nicht-menschlichem Leben aneinander ermöglicht erst kognitiv abzusehen und emotional zu spüren, inwieweit das Leben auf der Erde dem massenhaften Aussterben derzeit ausgesetzt ist. Auf diesem Wege, so mein Eindruck, könnten onto-politische Alternativen künftigen Zusammenlebens möglich gemacht werden.

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Extinction Rebellion steht dem entsprechend »für eine politische Haltung des Widerstands durch Trauer, die es uns ermöglicht, angesichts katastrophaler Zustände für ein humanes Leben zu kämpfen« (Extinction Rebellion Hannover 2019: 86).

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Soziologie Naika Foroutan

Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6

Maria Björkman (Hg.)

Der Mann und die Prostata Kulturelle, medizinische und gesellschaftliche Perspektiven 2019, 162 S., kart., 10 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4866-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4866-3

Franz Schultheis

Unternehmen Bourdieu Ein Erfahrungsbericht 2019, 106 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4786-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4786-4 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4786-0

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Soziologie Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)

Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7

Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf

Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2

Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)

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