Erzählungen für unverdorbene Familien: Band 16 Pächter Martin, Teil 3 [Reprint 2020 ed.] 9783111424095, 9783111059327


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Erzählungen für unverdorbene Familien: Band 16 Pächter Martin, Teil 3 [Reprint 2020 ed.]
 9783111424095, 9783111059327

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Erzählungen für

unverdorbene Familien.

Sechzehnter Band.

Pächter Martin Dritter Theil.

Leipzig bei Georg Joachim Göschen 1316.

Dem Verfasser des

Noth -- und Hülfsbüchleins an6 inniger Hochachtung und Dankbarkeit gewidmet.

Verzetchniß der in diesem dritten Bande enthaltenen Numr

ment, nach Aufschrift und Seitenzahl.

Seite I. Mbet Beckers Volk-schriften und namentlich über sein Noth - und Hülftbüchlein -

3

II. Die Religion im Lande Johannettyn

-

23

1. Aeltefle Urkunde, dieReligionsverfassnng betreffend -

-

2. Die Beichte im Lande Iohannettyn

46

3. £>ic Stunden nachder Deichte 4. Da- Abendmahl

-

-

51

*

66

VI

Verzeichnt ß. Seite

III. Lin Beytrag zum Hausbuche. Geschrieben am Neujahrstage -

85

17.

Noch ein Beytrag zum Hausbuche

-

95

Der gute Bürger, oder das war doch keine Lüge, wenn es auch so aussah -

100

V.

2. Processe und Richter -

-

104

3» Leselust und Lesesucht

-

m

4. Richter handelt besser, alser spricht

5. Richters Eh - und Wehstand

115 -

124

6. Richter bekommt nach dem Tode sei­ ner Frau eine Tochter, und die Tochter zwey Freyer -

133

7. Laubeneinfalt und Schlangenklugheit

133

8. Zahnschmerz über ein Vermachtniß

144

y. Die gute Mutter des guten Sohnes

151

Verzeichnis.

VIT

Seite 10« Der Geburtstag

-

154

-

158

Kleine Beyträge zur Belehrung über einen sehr großen Gegenstand -

166



11. Belohnte Liebe VL

VII.

Wie man tadeln muffe, wenn man durch Tadel seine Kinder bessern will -

i6g

Viii.

Wie man loben muffe, wenn Lob unsern Kindern heilsam seyn soll iso IX.

Ueber Sekonomie in der Erziehungskunfi

19 r

X.

Ueber Unglückliche in der Einbildung

199

XI.

Das reiche Mahl der Freude in allen Jah­ reszeiten *

230

vm

Verzeichutß Seite

XII.

Kennzeichen und Werth des guten Herzens

243

XIII.

Noch einige Anmerkungen über Herzensgute

254

XIV. Don den Todten muß man nichts als Gutes reden $ s

260

XV. Der edle Gläubiger und der nicht minder edle Schuldner -

265

XVI.

Ella - Mira





270

»

-

278

Ueber unsere schönste und höchste Hoffnung

295

• XVII.

Die lehrenden Graber

xvni.

I. Ueber

Der

Pachter

Martin

und

sein Vater.

Dritter Band.

L

Ueber BeckersVolksschriften, und namentlich über sein Noth - und Hülfsbüchlein. *) Dai Noth ; und Hülfsbüchlein hat ein in der Duchhändlerwelt unerhörtes Glück gemacht. Seit 1787, in welchem Zahre der erste Band her; aus kam, sind über 160000 Exemplare rechtmäßig

*) Ls giebt wenige Bücher, von denen ich sagen könnte, ich hatte sie zum zweyten Male mit Vergnügen und Nutzen gelesen. Das Noth­ und Hülfsbüchlein aber habe ich nicht zwey, sondern vier Mal gelesen, und es ist mir immer theurer geworden. Als ländlicher Pachter gehöre ich unter die Menschen, für welche es zunächst geschrieben worden ist, und bin dafür dem guten Manne, der es schrieb, zwiefachen Dank schuldig. Ware ich ein Mächtiger der Erde — was ich mir nur selten auf Augenblicke, und nicht um meinet;

4

Pächter Martin.

abgesetzt worden, und der Absatz von 14 ver­

schiedenen Nachdrücken, welche, Trotz der auffal­

lenden Wohlfeilheit des BucheS, von privilegier­

ten — veranstaltet wurden, ist wahrscheinlich noch

willen zu seyn wünschte — so wüßte ich wohl, was ich dem Manne thäte, der den Armen ein so schöne- Evangelium gepredigt hat. Da ich aber nun nicht thun kann, was ich wollte; so wollte ich doch das thun, was ich könnte, und in mei­ nem und in vieler Landleute Namen unserm lie­ ben Lehrer herzlich danken. Daß der edle Gleim mir mit diesem Danke zuvor gekommen wäre, wußte ich damals noch nicht. Da mir es aber auch schien, als wenn das Buch, für welches ich dem Verfasser herzlich dan­ ken wollte, nicht nur ungemein nützlich, sondern auch lieblich zu lesen wäre: so wünschte ich dieß allen denen sagen zu können, denen es nicht genügt, daß etwas g u t sey, sondern die auch — was wohl nicht unbedingt zu tadeln ist — das Gute zugleich schön haben wollen. Denn ich hielte es für sehr heilsam, wenn auch diejenigen, denen der Himmel ein größeres Pacht - oder gar Erbgut, als mir, zugethcilt hat — in ihrer Sprache würde es, glaube ich, heißen: die einen größern Wirkungs­ kreis haben — um manches, was wir kleineren

Dritter Theil. beträchtlicher.

5

Ueberdieß ist eS ins Dänische,

Böhmische, Ungarische, Polnische und Lettische überseht, und so vielleicht in die Hände von Mil,

lionen Menschen der niedern Volksclassen gekomr men, für welche es zunächst bestimmt war. Auch fehlte eS nicht an Männern aus den höher» Ständen, welche es

auf das nachdrücklichste

empfahlen, nicht an Fürsten und andern obrig, keitlichen Personen, welche es auf eine rühmliche Art unter den Landleuten zu verbreiten suchten,

und nichr an Gelehrten, welche es mit vielem Lobe

rezensierten.

Die Edlen von Dalberg, von

Fürstenberg, von Rochow uitb vonZedlih gaben ihm gleich bey seinem Eintritt in die

Pachter nur wünschen können, auch wirklich aus­ zuführen ; ja, ich hielte es für sehr heilsam, wenn auch sie Lust bekamen, das Büchlein zu lesen. Ich sprach darüber mit dem Prediger, der, wie meine Leser schon wissen, so ganz Ein Herz und Line Seele mit mir ist, daß wir füglich für Line Person genommen werden können. Dieser war meiner Meinung, und überschickte mir, was ich hier mittheile, indem ich alles, was er gesagt hat, unterschreibe

6

Pachter Martin.

Welt da- vortheilhaftesie Empfehlungsschreiben mit; und Gleim, der vortreffliche Dichter und

noch vortrefflichere Mensch, mußte es wohl für etwas mehr als für ein gewöhnliches Buch Hal/

ten, da er den Dank im Namen der Land/

leute an den Verfasser des Noth r und HülfSbüchleins, in das Halberstadt« fche Wochenblatt einrücken ließ.

Indessen

war dennoch, so weit meine Erfahrung reicht, die Zahl derer klein, welche das Deckerische Unter/

nehmen so, wie ein Gleim, würdigten. Dey weü ttm der größere Theil der Veurtheiler aus der gelehrten und cultivierten Classe entschied: daß Herr Decker ein ganz gutes, für den gemeinen

Mann lehrreiches und mit Klugheit geformteBuch geliefert habe; waS aber hundert Andere

ebm so gut in Einem schönen Frühlinge, vielleicht

nur in ein paar Dutzend langen Winterabenden

hätten schreiben können. Man hatte die Ankündigung gelesen, daS Buch

durchblättert, die Holzschnitte mit Lächeln betrach/ tet, .die Ueberschriften der Capitel überlesen —

Stoff genug zu einem solchen Urtheile.

Wie

hätte man sich es auch einfallen lassen können, ein

Dritter Theil.

Buch mit verweilendem Auge zu lesen und näher

zu prüfen, das für den einfältigen Landmann, und — wie der CatechismuS und daS A D C Buch — für die Schulknaben in Bürger: und Landschulen geschrieben ist?

Der gute Absatz des Buches erregte sogar den

Neid manches Zunftgenossen, der wohl auch ein-

mal ein Buch geschrieben hatte, welches, ganz bescheiden geurtheilt, wenigstens so viel werth war

als daS Deckerische, und dennoch von dem undank­

baren Publico nicht geachtet wurde.

Das Servum imitatorum pecus betrat schaarenweise die einmal eröffnete Dahn; glaubte sich, bey der Voraussetzung, etwa- mehr zu wissen, als

der Dauer und Schulknabe, zum Mitlehrer der­ selben berufen; folgte dem Rufe, weil die Waarr eben gut zu gehen schien; brachte viel schlechte

Waare zu Markte, und machte die gute Sache durch den Mißbrauch, der damit getrieben, durch

die feile Art, wre sie behandelt wurde, verdächtig.

(Einige Günstlinge des Glücks, die entweder an keine sittliche Veredelung der niedern Volksclas­ sen, durch Aufklärung derselben, glaubten, oder

aus andern Gründen (— sie haßten daS Licht,

8

Pächter Martin.

Leim ihre Werke waren finster!) einen solche« Unglauben vergaben, urtheilten nun beste lauter: daß das ganze Unternehmen der Volksaufklärung das Werk der Schwärmerey und des Eigennutzes sey. Dey diesem Urtheile erlaubte man sich um so zuversichtlicher einen spöttischen Seitenblick auf die Deckerische Musterschrist, da man den glück» lichen Erfolg, das Glück des Verlegers, mit dem Zwecke des Verfassers verwechselte, und sich es nur nicht zu erklären wußte: wie dieser sich doch so wenig auf seinen Vortheil verstehe, die schnellt Folge des -ten, ;ten und 4tcn Theils eines so gut gehenden Buches verabsäumen, und es so nchig mir ansehen k-nne, daß Andere auf dem von ihm angebauten Felde ernteten, und ohne Auftrag und Beruf mehr als eine Fortsetzung de« Noth »und Hülfsbüchleins lieferten. Daß Decker auf eine Vorschrift, welche Horaz denen Dichtern gab, die für Unsterblichkeit singen wollten, bey «incm Buche für den gemeinen Mann Rück» sicht nehmen, solch ein Buch mit so viel Sorg­ falt, Fleisi und Mühe auSarbeitrn, das Gcschrie» bene wieder durchsehen und verbessern, dabey »ach einem tief durchdachten Plane handeln, diesem

Dritter Theil.

9

Unternehmen, nach eigenem Geständnisse, die besten Zähre und Kräfte des Leben« widmen, und da« für dir Hauptarbeit seine« Berufs ansehen könne —> wie hätte ihnen so etwaS einfallen sollen, da sie im Noth •. und Hülfsbüchlein nichts sahen, als eine zufällige Sammlung nützlicher prakr tischer Wahrheiten für die untern DolkSrlassen, in «in burleskes Gewand gehüllt — und für Ertrag und Gewinn klug berechnet. Dem Verfasser mag bey dem Bewußtseyn, den edlen Wunsch, für welchen er als Jüngling glühte, und al« Mann mit rastlosem Eifer arbei­ tete, nicht ganz verfehlt, und — wie ich mit voller Ueberzeugung hinzusetze — ein Werk für Menschenwvhi und Menschenveredlung vollendet zu haben, daS seinem Jahrhunderte Ehre macht, und noch in den folgenden Jahrhunderten Segen über die Menschheit verbreiten wird, wenn die Zeit erfüllt, und die schöne Prophczeihung, die sein Te Deum rusticum enthält, Wahrheit und Wirklichkeit wird — ihm mag cs in Rücksicht auf Ehre gleichgültig seyn, mit welchem Lobe oder



P ä ch ter Martin.

Tadel einige übercultivierte und »erkünstelte Zeit« genossen lein Werk aufnehmen: aber ihm und jedem Menschen, der im vollen Sinne de« Wort« Mensch ist, kann e« nicht gleichgültig seyn, ob der Segen, den man sich von diesem Werke versprechen darf, durch unrichtige Urtheile darüber aufyehalten, oder durch richtige Urtheile beför­ dert werde. Zch weiß es aber aus Erfahrung, daß selbst Handwerker und Landleute aus Eigendünkel das lehrreichste Buch ungelesen ließen, weil t« ihrer Meinung nach bloß für den ganz Einfältigen, mit welchem sie sich doch nicht vermengen wollten, geschrieben sey. Nun wird zwar in diesem Buche, wie in dem Reiigionsbuche der Christen, zunächst den Armen das Evangelium gepredigt: doch wer­ den auch gebildete Menschen eS nicht ohne Nutzen und nicht ohne Vergnügen lesen; und der wahr­ haft gebildete, sittlich veredelte Mensch wird sich eben so wenig schämen, dieses Buch, als die Bibel mit dem gemeinen Manne gemeinschaftlich zu benutzen, sobald er tiefer in den Plan, Geist und Sinn desselben eindringen, und sich selbst davon überzeugen w«rd: daß gewiß von wenig Büchern

Dritter Theil.

il

sich so viel für das Eine Höchste, das uns allen Noth thut, erwarten lasse, alS von diesem. Uebrir genS dürfte auch hier der Auespruch anwendbar seyn, mit welchem Melanchthon denen antwort tcte, die sich wunderten, daß er ein Schulbuch für Knaben mit so viel Aufmerksamkeit und Zn» tereffe lesen könne: aliter pueri legunt, aliter Melanchthon!

Wer noch nicht allen Glauben an Menschen» güte und Tugend verloren hat, der lese hier und prüfe, und er wird die schön«, dem Herzen wohl­ thuende Hoffnung, daß es in der Welt besr ser werden könne und werde, belebt, und sich selbst mit neuem Eiser, auch an seinem Theile dazu beyzutragen, daß es besser werde, beseelt fühlen. Selbst der, der bloß zu seinem Vergnür gen zu lesen pflegt, wird, vorausgesetzt, daß sein Geschmack nicht ganz »erkünstelt ist, wenn er das eigentliche Noth - und Hülfsbüchlein (das bekannt­ lich nur ein Theil des Ganzen ist) flüchtig durch, blättert, und bey der Geschichte des Dorfes Mildheim verweilet, nicht unbefriedigt bleiben. Der Verfasser richtete sein Volksbuch so ein: „daß die darin enthaltenen Lehren von dem Leser

11

Pächter Martrn.

aus demselben nicht, wie aus andern Lehrbüchern, erlernt werden, sondern beym Lesen in ihm, durch eigenes Nachdenken, gleichsam von selbst entstehen sollten: so daß dieses Buch die Stellt einer absichtlich geleiteten Erfahrung verträte. Er glaubte daher mit Recht, zwar «in wohl geordnetes, auf sichern Gründen ruhendes, und in allen seinen Theilen zusammen hängendes Ganze, doch kein schulgerechteS Lehrbuch über die in seinen Plan gehörigen Gegenstände ent» werfen, sondern ein wirkliches Beyspiel von Menschen, welche durch den Besitz solcher Kennt» Nisse und deren Anwendung zufriedenere und best fere Menschen wurden, aufstellen zu müssen. Da aber eine solche, auf fortschreitende Ausbildung und Entwickelung der Kräfte des Menschen beru­ hende Glückseligkeit und sittliche Veredelung in der gesellschaftlichen und bürgerlichen Verbindung erreicht werden soll: so mußte dieses Beyspiel nicht bloß lehrreiche Begebenheiten und Handlun­ gen einzelner Menschen und Familien, sondern eines ganzen Dorfs, mit einer zweckmäßigen Gemeinheitsverfaffung enthalten."

„ Sü entstand die Geschichte von Mildheim, als ein Roman, worin das eigentliche Roth-

und Hülftbüchlein, welches S. 6i ff. des ersten Theils abgedruckt ist, den Knoten der Verwicker

lung der Hauptbegebenheit abgiebt, wodurch auch die einzelnen, in dieser Encyklopädie enthaltenen, Materien eine Beziehung auf die Catast rophe, und verstärktes Interesse erhalten." —

Wenn man nun von einem Romane, der Sprache, Sitte und Denkart des wirklichen Land-

mannS aufstellen »ist, nicht fordert, daß er Schä­

fer aus Arkadien sprechen und handeln lasse, son­ dern das ursprünglich Rohe nur in so weit mil­

dere und veredele, daß das Wahre dadurch nicht verwischt, und höhere Zwecke nicht aufgeopfert »erden:

so liefet man MildheimS Geschichte

gewiß mit Wohlgefallen, verweilet gern eine

Zeit lang in einer ungepuhtrn, aber reinlichen ländlichen Wohnung.

Freylich ist eS eine sehr

schwere Aufgabe, einen Roman zu liefern, der von dem Landmanne, so bald er nur gesunden Menschenverstand hat, und in der Schule nicht

verwahrloset wurde, mit Vergnügen und großem Nutzen gelesen und verstanden werden könne.

Pachte v 'süt a i* 11 n.

14

dabey aber doch ästhetischen Werth habe, nach den Regeln der Kunst angelegt sey, und in dieser

Anlage auch Menschen mit gebildetem — nur nickt verzärteltem Geschmacke gefalle. Zch glaube

aber, daß diese Aufgabe hier befriedigend gelör ftt sey.

Auch al- liebliche und zum Theil rührende Dichtung hat dieß Buch unverkennbaren Werth.

Wer kann das erste Kaprtel des rten Theil-

ohne herzliche Theilnahme lesen?

Wem gefällt

nicht die Schilderung von Tell- und Gertrm

den- häuslicher Glückseligkeit, wie eine schöne Gesnersche Idylle?

Und wer noch bey einem

vorzüglichen Trauerspiele auf der Bühne eine Thräne weinen kann, dem wird gewiß bey her

S(ene im Himmelsgarten — beyläufig,

-in ungemein glücklich gewählter Ausdruck statt Kirchhof oder Gottesacker — eine ähn,

liche Thräne im Auge glänzen.

Ueberdieß wird

man sich durch manche Bemerkung des Menr

schenkenners, durch so manche bedeutende, obr gleich nickt mit aufgehobenem Finger gegebene,

Winke, durch manche neue äußerst interessante und, was die Hauptsache ist, durchgängig aus/

Dritter Theil.

i,

führbare Vorschläge zu wahren Verbesserungen, auf da« angenedmste überrascht finden. Meines Lebens Frühling ist vorüber; ich bin feit mehrrrn Zähren schon in manniqfaltige Ger schafie des alltäglichen Lebens, die mehr ruhige Besonnenheit als Wärme erfordern, und dem Herzen seine Nahrung entzieh«, verflochten, und habe, nach manchem mißlungenen frommen Wunsche, nach mancher vereitelten schönen Hofft nung, meine, vielleicht einst zu großen, Erwar­ tungen von und • für Menschen ziemlich herabgestimmt: aber ich gestehe es offenherzig, daß ich beym Lesen des großen Buches mit dem bescheidenen Titel eine Thräne weinte, wie sie mir als Manne nur selten floß; daß dann me>n Blick in die Zukunft sich erheiterte, und neue Hoffe nungen für di« Menschheit in meiner Heele erweckt wurden, die auf sicherem Grund gegrüne det zu seyn schienen. Mildheim ist kein Zugendtraum! Es kann in der Wirklichkeit dargestellt werden! Die Mittel sind da; laßt sie uns gewissenhaft anwenden — zu einer Zeit anwenden, wo Hülfe sehr nöthig ist. Zu «mer Zeit, wo so manche«

16

Pächter Marrin.

unaufhaltsam am Werthe sinkt, was sonst, wen» auch nicht sittlich gute Menschen zu bilden, doch von vielen Lastern abzuhalten, und etwa» der

Tugend ähnliches hervor zu bringen vermochte;

wo keine irdische Macht verhindern kann, daß

der gemeine Bürger und Landmann an Klugheit

zunehwe, die, ohne sittliche Grundsätze, in ge» fährliche Verschlagenheit und Arglist auSartet —

da wirket, wirket, Freunde der Menschheit, um

der hervorstrebenden Geisteskraft ein« gute heil» same Richtung zu geben.

ES kann, ohne trau»

rige Folgen, nicht so bleiben, wie eS ist; und es

ist zu bewundern, und zeugt für ursprüngliche Güte der menschlichen Natur, daß die Menschen in den niedern Ständen, unter den gegenwärti­ gen Umständen, noch sind, was sie sind, daß nicht ganz« Dörfer, an deren Bewohnern sich jene Herr

vorstrebende Geisteskraft zeigt, ohne zweckmäßige

Leitung und Richtung zu erhalten, wo vielmehr köpf» und herzlose Lehrer in den Schulen tage­ löhnern , und die Erwachsenen in der Kirche,

während einer armseligen Predigt plaudern oder schlafen, und sonst nichts, nichts für die sittliche Bildung der Armen gethan wird — zur Woh­ nung

Dritter Theil. nung von Straßrnräubern wurden.

*7 Und, Gott!

solche verwahrloste Dörfer findet man noch in allen Landern.

Laßt es uns mit Dank erkennen,

daß wir gerade zu dieser Zeit der Mittel zur wahren Aufklärung und Veredelung der Mensehen mehr haben, und sie zweckmäßig anwenden.

Man kann aber für diese Absicht das Noth-

und Hülfsbüchlein nicht genug empfehlen.

Wie planmäßig das Noth - und Hülfsbüchlein gearbeitet, und wie inhaltsvoll es sey, leuchtet

auf das deutlichste aus dem Fragbuche hervor,

durch welches der Verfasser die Schullehrer in den Stand setzen will: „die von den Kindern, beym Durchlesen des Noth - und Hülfsbüchleins,

gleichsam wie auf dem Wege der Erfahrung, ohne bestimmte Ordnung gesammelten Kenntnisse und

Grundsätze in wissenschaftlichen Zusammenhang

zu bringen, und in Fächer zu ordnen."

Da nun

das Noth i unt> Hülfsbüchlein schon in vielen

Bürger; und Landschulen, und zwar — was man nicht ohne innige Freude bemerken kann — sowohl in protestantischen als cathoti­

schen Schulen eingeführet worden ist, und 3 Theil.

2

18

Pächter Martin,

künftig gewiß in noch mehrer» eingeführet werden wird: so ist dieses Fragbuch «in sehr schätzbares Hülfsmittel zur zweckmäßigen Benutzung dessel­ ben für alle Schullehrer, die ihrem Amte einiger­ maßen gewachsen sind. Da aber leider die Zahl der Schulmeister noch groß ist, von denen man nicht sagen kann: daß sie ihrem Amte nur ein i< germaßen gewachsen wären; und da ich des­ wegen besorge, daß das Fragbuch, so gut es auch ist, dennoch für jene Geistesarmen nicht leicht genug seyn, und dann entweder zurück gelegt, oder doch seltner und nicht zweckmäßig genug be­ nutzt werden möchte — besonders da bey andern Lehrbüchern mehr für ihre Bequemlichkeit und Unwissenheit gesorgt worden ist; so kann ich den Wunsch nicht unterdrücken, daß es dem edlen Verfasser seine Zeit erlauben möge, noch etwas zur leichtern Behandlung des Noth - und HülfsKüchleins in Frage und Antwort auszuarbeiten, oder doch unter seinen Augen und nach seinem Plane ausarbeiten zu lassen. Nur darf keiner von unsern allezeit fertigen, aber unberu­ fenen Schreibern sich zur Erfüllung dieses Wun, sches hinzu drängen! Es grenzt freylich an Unbe-

Dritter Theil.

19

scheidenheit, von einem Manne, der so viel gab, noch mehr zu fordern; aber der Wunsch: da­ gemeinnützigste Werk überall zweckmäßig benutzen zu sehen, scheint jene Ditte verzeihlich zu machen. Viel Gutes darf man auch mit Zuversicht von der Beckerschen Liedersammlung erware ten. Sie geh-rt zum Noth t und Hülfsbüchlein, mit welchem sie in engster Verbindung steht, und vorzüglich die durchdachten sittlichen Grundsätze dem Herzen näher bringen soll, wie das Gesang» buch zur Bibel. Wer es weiß, wie gern (wasehr gut ist) der gemeine Mann, und besonders Jünglinge und Mädchen der niedern Stände, bey jedem Lustgelage, und so oft sich sonst Gelegenheit darbietet, singen; aber auch, (was nun nicht gut, was vielmehr für ihre sittliche Bildung überaus nachtheilig ist) welchen Schmutz und Unsinn sie zu singen pflegen: der wird auch diese Zugabe zur Volk-veredlung segnen. Freylich ist nun das Li« verbuch — wie sich es bey den mannigfaltigen Beyträgen von sehr verschiedenen Dichtern leicht denken läßt — nicht so fleckenlos und vollendet, wie das Noth 1 und Hülfsbüchlein selbst; aber es

20

Pächter Martin-

ist weit mehr geleistet worden, als man bey dem zeitherigen kleinen Vorrathe an guten Volkslied dern erwarten konnte; und man sieht mit Freu,

den, daß die vor mehrern Zähren von dem Herr ansgeber veranstaltete Preisaufgabe nicht ohne erwünschten Erfolg geblieben ist. Außer den bekannten, besseren Liedern dieser Art, ent,

hält diese Sammlung ane beträchtliche Anzahl neuer und zum Theil musterhafter Volkslieder. Nur bey einigen ältern lustigen Liedern, von sehr

geringem Gehalte, fiel es mir auf, daß ein Becker sie der Aufnahme gewürdiget habe. Doch eben in dem Umstuide, daß es bekannte lustige Lieder mit sehr gefälligen Melodien

sind; und daß es die Klugheit erforr

dere, dem gemeinen Manne ferne ger liebteren unschädlichen Zuchheisa's undZubelgesänge unangetastet zu last

feit, wenn man will, daß er das Best sere mit willigerm Herzen annehme;

und daß man sich, in billigen Stücken, nach feinem gegenwärtigen Schön, heitsgefühl bequemen muß, um ihn

allmählich aufzustimmen und seinen

Dritter Theil.

r -i.

Geschmack zu veredeln; glaubte ich dm

zureichenden Grund für die einüwejiige Aufnahme, lener Lückenbüßer zu finden.

Uebriaens sagt der

Zusatz zum Titel: Für Freunde erlaubter

Fröhlichkeit und Tugend, die den Hopf nicht hängt! etwas sehr Wahres.

Man darf

hoffen, daß der trauliche, freundliche Gesellschaf­

ter des Noth t und HülfSbückleins viel dazu bey­

tragen werde, den grämlichen Ernst zu mildem,

den noch viele fälschlich für Würde der Tugend halten, da er doch nnr allzu »ft das Grab wahrer Tugend ist, die Ausübung der Pflichten erschwe­

ret, und sich und andern das Leben verbittert. Er lehrt wahre Lebensweisheit im (ttgen Bunde mit wahrer Sittlichkeit, und wird dazu beytrar gen, daß der gemeine Mann das, was er Got­

tesdienst nennt, nicht mehr auf die Kirche ein­

schränke, sondern die wahre Religion als treueste

Gefährtin bey den Geschäften, Freuden und Lei­ den des Lebens anerkenne, und das Gute freudig

thue.

Und nun, wer stimmt nicht in den Wunsch

ei«!

Möge der Edle, dem wir dieses

33

Pächter Martin.

Gut« zu verdanken haben, sich lange noch hienieden de« Segen«, den er für die Menschheit stiftete, erfreun! Und sanft sey, nach vollbrachtem schö­ nen Tagewerke, seine« Leben« Abend!

Dritter Theil.

SS

IL

Die Religion im Lande Iohannettyn. *)

1.

Aelteste Urkunde, die Religionsven fassung betreffend.

Zu welcher Religionspartey bekennt ihr euch nun? fragte ich meinen Führer Saddy. „Wir sind Lhristenl" antwortete er. Du sagtest mir aber, daß von- den europäir schen Stammvätern eure- Volkes jeder seine be­ sondere Landes t und Kirchenreligion mitgebracht hätte —? „Eben diesen Umstand wußte Vater Lessow zu seinem wohlthätigen Zwecke weise zu benutzen. Ich will dir diesen Theil unsrer Geschichte aus unsern ältesten Jahrbüchern vorlesen, so wie ihn •) Vergleiche Num, III. im attn Bande.

24

Pächter Martin.

Deridal,

einer unserer Stammväter, aufge-

zeichnet hat: „„Wir ehemaligen Europäer wünschten nun

nichts mehr, als uns in Ansehung unserer Reli-

gionsmeinungen näher zu vereinigen; und Tel­ tow, Lossy und Krowell glaubten nut mir dieß am sichersten zu Stande zu bringen, wenn

wir uns über die streitigen Sätze freundschaftlich unterredeten,

eines jeden Meinung und seine

Gründe dafür ruhig anhörten, und unbefangen und »«parteyisch prüften, was wahr oder falsch -sey, um dann gemeinschaftlich die gefundene Wahr­

heit anzunehmen.

Vater Lessow billigte unsere

gute Absicht; doch wollte er an unsern Unter­ redungen nicht eher thätig Theil nehmen, bis wir unter einander völlig einverstanden wären.

Allein unsere Unterredungen blieben fruchtlos,

und desto angelegentlicher baten wir nun unsern

Warer um Rath und Beystand. „Liebe Kinder, sprach dieser, ihr habt nicht den reckten Weg eingeschlagen; aber ihr seyd

doch, hoffe ich, dem reckten Wege naher gekom­ men.

Zhr wißt nun aus Erfahrung, daß durch

Disputieren über ReligionsmeiNungen Nichts aus-

Dritter Theil.

25

gemacht werde — wenn jeder für seine Meinung

zum voraus eingenommen ist.

Und dieß ist fast

immer der Fall, und war es auch bey euch. Denn so schön auch euer Vorsatz war, ruhig und nnparr

tcyisch die Gründe für und wider abzuwägen: so werdet ihr dvcb finden, wenn ihr euch aufrichtig prüfen wollt, daß jeder mehr darauf dachte, seine

Meinung mit Gründen zu unterstützen, und die

Gegner zu widerlegen, als zu untersuchen, ob die

Meinung deS andern mehr Wahrheit enthalte als seine eigene.

Zch mache euch aber keinen Vor»

wurf darüber, daß ihr nicht unbefangen und unparteyisch untersucht habt; ihr konntet das

nicht.

Ihr thatet redlich, was ihr konntet; ihr

spracht so sanft und liebevoll, als vielleicht noch nie unter Anhängern verschiedener Religionspar­ teyen gesprochen worden ist.

Aber werdet ihr

daS immer thun, wenn ihr fortfahret zu dirpu,

tieren? Werdet ihr nicht bald hitzig streiten? Wird nicht einer oder der andere ansangen, di«

Wahrheitsliebe und Redlichkeit der übrigen zu bezweifeln, weil sie seine Meinung, die ihm

«nläugbare Wahrheit scheint, nicht annchmen wollen? Wird dieß nicht zu kaltem. Mil-trauev

-6

Pächter Marti«.

Veranlassung geben, und eure Herjen von thu

ander entfernen? Und ihr wünscht ja doch, das; auch eure Wei­

ber und Kinder, und die übrigen gutmüthigen Insulaner, weiche wir an der Glückseligkeit dieses Landes Theil nehmen lassen, auch an dem Segen

der christlichen Religion Theil nehmen sollen.

Welchen Unterricht werdet ihr ihnen nun geben?

Wird nicht jeder die Zahl seiner Glaubensgenossen

vermehren wollen ? Wird nicht mancher die Un­ terscheidungslehren seiner Partey als Hauptsache

vortragen? und dies; vielleicht mit Zurücksetzung der wichtigsten Wahrheiten der eigentlichen Reli­

gion? Geschieht aber dieß, so werden einst bey euren Nachkommen die Rcligionsstreitigkeiten die­ selben traurigen, schrecklichen Folgen haben, die

sie in unserm Vaterlande hatten.

Eure Kinder

werden sich um religiöser Meinung willen Haffen und verfolgen, und an den Altären, die ihr dem Gott der Liebe errichtet, wird vielleicht das Blut

eurer Nachkommen fließen."

Traurig blickten wir uns unter einander, trau­

rig blickten wir unsern Lehrer an.

verhüte dieß', rief Tellow.

Gott, Gott

WaS können wir

Dritter Theil.

27

thun, fragte ich, Vater, was sollen wir thun, um

diese schrecklichen Folgen von «ns und unsern Kin­ dern abzuwenden?

„Macht rS, antwortete Lessow, wie die I 0 h a n n y t e n."

Unter diesem, von dem Stifter ihrer Reli­

gion abgeleiteten Namen lernte ich bey meinem Aufenthalt in Abissynien ein Völkchen ken­

nen, dessen Geschichte für un« lehrreich werden kann.

Zch habe sie glücklicher Weise noch unter

meinen geretteten Papieren.

Eben damals, als ich iifGambia «ar, hob der junge König, KordaMolla, um dieZohannyten für eine edle patriotische That zu belohnen,

die Verordnungen auf, durch welche sein Vater, Kord« Grand0, ihre Religion-freyheit be­ schränkt hatte.

Die Zohannyten dankten ihm, machten

aber von der wieder erhaltenen Freyheit keinen weitern Gebrauch.

Darüber wunderte sich der

König, ließ ihre Aeltesten und Lehrer zu sich rufen, und fragte sie: Warum handelt ihr nicht nach den Gebräuchen eurer Väter, da ich euch doch di« Erlaubniß dazu gegeben habe, nnd da

28

Pächter M a r 11 it.

euch von nun an die uneingeschränkteste NeLrgioner freyheit zuqesichert ist? — Gern, fetzte er hinzu,

möcht' ich aber auch die Geschichte eures Volks

und eure Lehren selbst näher kennen lernen, durch deren Befolgung ihr so gute Menschen und gute

Bürger geworden seyd.

Da antwortete der Aelteste unter ihnen, und El r a , Siba (der Geschwindschrelber des

Königs) zeichnete feine Rede auf: „ Es find nun

hundert und zwanzig Zahre, als unsern Satorn eine höhere überirdische Sonne, die Sonne der

Wahrheit aufqing, als der Prophet Johanny

unter chnen auftrat, um fein Volk zu veredeln, und ihre Religion zu verbessern.

Weife benutzte

der Prophet das Gute, das er unter ihnen vor, fand, zerstörte nichts, ivas nur einer Ausbesserung

bedurfte, nahm dem Schwachen nichts, was ihm seht noch zur Stühe diente; suchte ihn aber zu

starken, um ihm entbehrlich zu machen, was nicht dem Menschen, sondern nur dem schwachen

Menschen Bedürfniß ist; ließ sich herab zur Fast sungskrast seiner Schüler, rechte die unbekannte Wahrheit an die bekannte, untergrub den 3rrx thum mit sanfter Schonung gegen den Irrenden,

Dritter Theil.

29

und nur gegen das Laster, und was bas Laster

begünstigte, sprach er mit Feuereifer.

Aus dem

Buche Apokrypta (dem ältesten Religionsbuche

unsers Volks) hob er die Lehren der Weisheit und Tugend aus, welche er erläuterte, berichtigte

und ergänzte.

Von der in diesem Buche enthalt

leiten Geschichte urtheilte er, daß sie für den Forscher nützlich zu lesen wäre, und entlehnte

daraus zuweilen ein erläuterndes Beyspiel; und

die unsern Vätern vorgefchnebenen religiösen ®ex

brauche beobachtete er zwar, in wie fern sie an sich schuldlos waren, aber nicht als religiöse

Gebräuche, sondern als Gebräuche seines

Vaterlandes, die dem Volke heilig waren, unter welchem er als Lehrer wirken wollte. Allein

eben deswegen, weil sie diesem Volke zu heilig

waren, weil es sie für Religion selbst hielt, sagte Zohanny seinen Schülern immer deutlicher

und deutlicher, daß sie das nicht wären, wofür

sie gehalten würden; daß sie aufhörten unschuldig zu seyn, wenn sie das, was dadurch befördert

werden sollte, verhinderten, wenn sie, die nur

Hülfsmittel zur wahren Gotteeverehrung durch

ein frommes und tugendhaftes Leben feun sollten,

3o

Pächter Martin,

an die Stelle der Gottesverehrung und Tugend selbst gefetzt würden, und daß darum (dieß sind feine eigenen Worte) seinVolk sich frey machen müsse von dem Gesetz der Knechtschaft, so bald es mehr Empfäng­ lichkeit hätte für das Gesetz der Frey» heit, das Gott mit Flammenschrift dem Menschen ins Herz schrieb. Nur Einen dieser äußeren Gebräuche, nehmlich den: an heiligen Tagen eine Drustdeck« von weißer Leinwand zu tragen, schien der Prophet dadurch zu begünstigen, daß er ihm eine geistige Dem tung gab. „Dieses weiße Gewand," sagte er, „erinnere dich an Unschuld und Herzensreinigkeit, ohne welche eS unmöglich ist Gott zu gefallen. Frage dich selbst, so oft du die weiße Leinwand anlegen willst, ob du auch schuldlos und reines Herzens seyst, und gelobe, so oft du sie ablegst, auch in der neuen Woche schuldlos zu bleiben, um am nächsten hetllgen Tage dick wieder mit freudigem Bewußtseyn damit bekleiden zu können. Lege dir selbst, wenn du thatest, was nidjt recht ist, und dadurch deine Seele beflecktest, die Strafe auf.

Dr itter Theil-

3i

entweder in der Versammlung deiner Brüder ohne

Leinwand zu erscheinen, oder sie doch in deiner

Wohnung desselben Tages früher, als sonst gewöhnlich, abzulegen.

So wird die todte Lern­

wand dir zur lebendigen Lehre der Frömmigkeit

werden!

Doch, setzte er hinzu, wird da­

unreine Herz nicht durch

die Lein­

wand gereiniget! "

Kaum aber war der Gesandte Gottes zum Himmel zurück gekehret, so fing man schon an

mit der Drustdecke Mißbrauch zu treiben, und

nach dem Tode seine- vertrautesten SchülerZohannettyns, hatte ein Priester den unse­

ligen Einfall: geweihte Leinwand zu verkau­

fen.

Die andern Priester wußten den Einfall zu

benutzen.

Sie schrieben der gewechten Leinwand,

um ihr bessern Absatz zu verschaffen, übernatür­ liche Kräfte zu; fingen an die Verstorbenen mit einer geweihten, und bald nachher mit einer

dreymal geweihten Decke zu bekleiden; und

der Erfinder der Deckenweihe war frech und irre­ ligiös genug zu behaupten, daß auch der größte

Sünder durch dieses Ehrenkleid von allen Sün­ den gereinigt werde. — Schrecklich! Denn der

Pächter Martin.

3i

Gedanke lag dem sinnlichen Menschen zu naher

wozu soll man mit so viel Mühe nach einem heil kigeo Leben ringen, da man ja eine heilige Brüste decke hat?

Auf diesen Mißbrauch folgte eine Menge

anderer.

Zohonnettyn hatte ein

hinterlassen:

Buch

Die Lehren der Weisheit

und Tugend Zohannys, nebst einer kure zen Geschichte des Lebens des Prophe­ ten in Beziehung auf seine Lehre;

«nd dieses Buch war bis auf den Erfinder der

geweihten Leinwand das einzige Religionsbuch der Bekenner Zohannys.

O daß es da« einzige

geblieben wäre! Mathary aber, so h»eß der

Priester, der die Deckenweihe erfand, vermehrte

auch unser RrligionSbuch durch seine Tha um ata,

pder gesammelte Nachrichten von dem Leben und den Wundern des göttlir chenGesandten, und bald darauf durch feine

erklärte Apokrypta — und stiftete dadurch unsäglich viel Uebel für sein Volk. Die Einfassung verdeckte nun den köstlichen

Stein, um dessen willen sie da war; der Geist

der Religion erlag unter der körperlichen Mass«; das

Dritter Theil.

33

das Wesentlich« wurde von dem Nichtwesentlichen in Schatten gestellt, und was das Mittel zur

Tugend seyn sollte, wurde als Zweck selbst ange, sehn.

Der größte Theil unser» Volks fand es

leichter, fromm zu sprechen, als fromm zu Ham

dein, und leichter, äußere Gebräuche zu beobacht

ten, als im Kampf der Leidenschaften, bey den Reihungen des Lasters, zu thun, was recht ist; und fern vom Zohannytischen Sinn hielten die

Getäuschten sich für vollendete Iohannyten, wenn sie verneinte Zohannytische Gebräuche miimacht ten, und mit der geweihten Leinwand ein unge«

weihteS Herz bedeckten.

Hierzu kam nun eine

Menge Streitigkeiten über die Erklärung der

Thau mala ynd Ap.okrypta.

Sie Mitten

über Meinungen und Worte, die keiner der Streit

tenden verstand, und vernachlässigten das Gesetz

der Bruderliebe, das sie all« verstanden, nur nicht ausübten.

Bey Gelegenheit;btr Wahl eines Oberprie» sters theilten sich die Priester in zwey Parteyen,

und jede Partey wollte die erledigt« Stell« mit «inem ihrer Mitglieder besetzen.

Beide Parteyen

machten sich Anhänger im Volke, beide schrieen: 3- rb-n-

3

34

Pächter Martin,

die Religion ist in Gefahr! — Zohan, nyten ergriffen gegen Johannyten die Waffen.

Es tarn zu einem allgemeinen

welchen auch wurden.

Aufstand, in

Nichtjohannyten mit verwickelt

Eme Sclnvärmcrey gebar die andere;

man widersetzte sich der Obrigkeit; und Sultan

Hassan bestrafte die Schwärmer mit grausam nur Strenge.

Seine Krieger mordeten den

Unschuldigen mit dem Schuldigen, und schonten

selbst der «ehrlosen Weiber und Kinder nicht.

Von mehr als sechstausend Menschm, welche

die Lehre Johannys bekannten, blieben kaum

tausend übrig, welche, aus Sesan vertrieben,

zu dem Könige, deinem Vater, ihre Zuflucht nahmen. — Wir gestanden ihm offenherzig unsere Vergehungen, und gelobten, durch Unglück gebest

strt, desto friedfertigere und treuere Bürger sei­ nes Staates zu werden, wenn er uns Unglück­ liche aufnehmen wollte.

Korda Grands,

der Gütige und Weise, nahm uns auf; doch

unter der Bedingung: daß wir aller au 6-

zeichnenden Gebräuche uns enthalten,

und die Bücher, Thaumata und Apo* krypta, ber unsern gemeinschaftlichen

Dritter Theil.

35

GotteSverehrungen nicht vorlesen und erklären sollten; da wit selbst gestän» den, daß über diese Dächer aller Streit entstanden wäre, und daß wir auch ohne sie ächte Zohannyten blei­ ben könnten. Wir befolgten diesen Befehl um so williger, da wir, durch gemeinschaftliches Unglück fester an einander gekettet, mehr Lines Sinnes geworden waren, und gern jede Veran­ lassung zu neuem Zwist vermeiden wollten. Wir ließea inm die Thaumata und Apokrypta jeden für sich lesen, wer sie lesen wollte, hielten »ns aber in unsern Versammlungen einzig und allein an die eigentlichen Lehren der Tugend und Weisheit unsers Propheten — und bee fanden uns wohl dabey. Wir sind bey weitem noch nicht, was wir seyn sollten, aber wir sind besser, als wir waren, and verstehen nun den zweyten Abschnitt unsers heiligt« Buches: „Zn Llly ging zuerst das Licht der Wahr„heil auf. Die meisten Bewohner dieses Flek„kens bekannten sich zu der Lehre des Prophe« „ten, erwählten Aelteste und Lehrer, und vcr

z6

Pächter Martin,

„sammelten sich in ihrem Hechalini *), zu „ hören die heilige Wahrheit. „Nicht weit von Elly wohnte ein Mann „mit Namen KalokagathoS, der kam oft in „ ihre Versammlung: denn süß tönte die Lehre „der Wahrheit seinem Ohre, willig nahm sie „sein Herz auf, und sein Leben war der reinste „Abdruck dieser Lehre. Er schied aber (wie „der Prophet diese Scheidung selbst seinen Zün, „gern empfohlen Hat: „damit nicht der „Geist unter den Fesseln des Körpers „erliege, und nicht der Buchstab den „Gedanken ertödte!") die Lehre der Tu, „ gend und Weisheit von aller Deymischung aus „dem Buche Apokrypta, verwahrte das Ge, „schieden« in einem reinen Herzen, und verwarf, „was bloß Zufah und Aufputz ohn« innern Gehalt, „was bloß Körper ohne Seele war, waü dem „Menschen nichts frommet zur Besserung, waS „ihn verleitet nur zu scheinen, so daß er „dann wenig oder gar nicht mehr darnach ringet „zu seyn, was er seyn soll. •) Tempel.

Dritter Theil.

37

„ Dawider eiferten die Aeltesten und Lehrer

„der Gemeinde zu Ellp, «nd stiessen ihn «US, „den Kalokagathos, ans ihrem Hechalini.

„Bald darauf kam der Prophet selbst nach

„Llly, und sprach in der Gemeinde: „Ich habe einen Mann gefunden, der recht „thut, «eil er recht ist, der da« Laster verabe

„scheut, und die Menschen liebt, einen Man«, „der reines Herzens ist.

„Zch fand einen ander», der viel betet und

„viel opfert, »ad alte Gebräuche beobachtet, «0« „von geschrieben stehet im Buche der Däter,

„Apokrypta — nur nicht dr durch unzeitiges Lob zu entflammen; und da, wo bey weniger» Aula« gen, bey geringern Kräften und schwächerm Muthe sich dennoch guter Wille äußert, diesem guten Willen die Gerechtigkeit, die ihm gebührt, die Ermunterung, die ihn belebt, nicht zu ver­ sagen. — Verbüke, so viel möglich, daß der dem Einen Kinde ertheilte Beyfall nicht für die übrigen nachthetlige Wirkungen hervor bringe! Man kann es wohl nicht läuqnen, daß gegen diese Vorschrift sehr häufig gefehlt wird. Man hofft dadurch, daß man das Eine Kind mit vorzüglich guten Anlagen den Uebriqen bey jeder Gelegenheit als Muster aufsiellt, einen doppelten Zweck zu errei­ chen: hoklk, das gelobte Kmd im Gurrn desto

Dritter Theil.

189

fester zu machen, und die andern zur Nacheife­

rung zu erwecken — verfehlt aber oft beide Zwecke, oder erreicht sie doch nur mit AufopfeL rung eines ungleich größern Gutes.

Welche

Kraft müßte das alö Muster ausgestellte Kind

haben, wenn es nicht früh anfangen sollte, sich feiner Vorzüge zu überheben, und mit Stolz auf

andere herab zu blicken! Und wie darf man hof­ fen, daß die übrigen Kinder den Bruder oder die Schwester, durch welche sie sich so oft gebe-

müchiget und zurück gefetzt sahen, herzlich lieben

könnten!

Warnend sollte uns auch in dieser

Rücksicht die bekannte lehrreiche Geschichte aus dem ältesten Buche der Vorzeit von einem mit

unweiser Liebe feinen Brüdern vorgezvgenen, dar­ um aber gehaßten und verfolgten Joseph seyn. Zeder Vater, jede Mutter wünscht gewiß

nichts angelegentlicher, alS daß ihre Kinder sich gegenseitig brüderlich und schwesterlich lieben

möchten; da diese Liebe nickt nur ihr Leben ver­ schönern, sondern auch das von Jugend auf an

Liebe und Wohlwollen gewöhnte Herz der Kin­

der sehr veredeln wirb. — Aeltern, verscherzt nicht selbst dieses Glück und diesen Herzensadrl

190

Pächter Martin,

eurer Kinder durch ungleich ausgetheilte Liebe und durch untvetfen Vorzug, den ihr dem einen oder andern Kinde ertheilt. Berichtiget endlich selbst eure Begriffe über wahre Ehre des Menschen immer mehr, und suchet dann auch allmählich euren Kindern diese geläuterten Begriffe beyzubringen. Leget nie dem Kleide, der Geburt, dem Titel, dem gefäli ligen Aeußern einen Werth bey, den diese Dinge, die nicht zu unserm Selbst gehören, die blo-e Geschenke des wandelbaren Glücks find, unmögr lich haben können. Gewöhnt eure Kinder, den stillen Beyfall ihres innern Richters jedem lauten Lobe weit vorzuziehen, und das laute Lob der Menge immer mehr entbehren zu können — und ihr werdet dadurch für ihr Glück und für ihre fittliche Veredelung sorgen.

Dritter T h e r i-

IX.

Ueber Oekonvmie in der Erziehung-kunst. Ich habe einen Freund, der ein sehr großer Der, «hrek des WeinS ist, dennoch aber — ob ihm gleich

der Himmel Mittel genug gab, seine Verehrung thätig zu beweisen, und ob er gleich sonst mit

diesen Mitteln -ar nicht kargt — den Wein mit vieler Mäßigung und weiser Oekonowie braucht.

Sein gewöhnlicher Tischwein ist rin guter reiner, aber leichter Wein.

Alten Wein mit Feuerkraft

trinkt er nur an Sonn , und Festtagen in Gesell,

schäft eine- bewährten Freunde«, und Cham,

pagner — den lieben Freudengeber, wie er ihn

nennt — nur an Hauptfesten.

Aechten Tokayer,

sagte er mir, habe ich in meinem Leben nur Einmal getrunken, und dabey mir fest vorgenvm, men, diesen Göttertrank nur dann wieder zu

trinken, wenn ich nach einer überstandenen Krank,

heil, oder nach schweren Leiden da« Bedürfniß

fühlen sollte, auch durch den Gebrauch äußerer

i9~i

Pächter Martin.

Mittel Kraft und Erheitrung zu suchen.

Gott

aber sey Dank, daß ich es feit dieser Zeit noch nicht nöthig gefunden habe, ein Tokayer-Fläsch­

chen zu entsiegeln!

Mein Freund gehört unter die heitersten, zu­ friedensten Menschen, die ich kenne, und unter

die, die das Gute mit Freuden thun.

Möchten

die Menschen ihm im Genusse ihrer Freuden nach­

ahmen ; dann wohnte auf Erden mehr Zufrieden­ heit und mehr freundlich« Tugend.

Und beob­

achtete man gleiche Mäßigung und weise Ottern» mir im Gebrauche der Defferungsmittel in der

Erziehung, so würden diese Mittel nicht so oft den beabsichtigten Zweek verfehlen.

Leider aber

brauchen auch vielt Erzieher bey ihre« Zöglingen

zu oft alten Feuerwei», Champagner und To­

kayer, daß ihnen dann ein leichter guter Tisch­ wein wie Wasser schmeckt, daß die edleren Weine

selbst in immer stärker» Portionen gegeben wer­

den müssen, wenn sie wirken sollen,.und daß ihnen für die seltenen Fälle, für welche mein Freund das Desto sparte, nichts mehr übrig bleibt. Am Loben und Tadeln, im Ermahnen und

Warnen, im Versprechen und Drohen, im Beloh­

nen

Dritter Theil.

193

MN und Bestrafen — kurz in allem, was man als Dessernngsmittel in der Erziehung anwendet, muß man ökonomisch verfahren, nie mit unnützem Aufwande von Kraft thun, was man auf eine leichte Art eben so gut und vielleicht noch besser zu Staude bringen kann, und seltene große Mittel zu seltenen großen Zwecken aufsparen. Aber wie viele Aeltern und Erzieher verachten das Kleine und verschwenden und verschweigen das Große! Zn einer kleinen Erziehungsanstalt war e« Sine, daß jeder neu« Zögling bey seiner feierlichen Aufnahme die Formel nachsprechen mußte: Zch gelobe und schwöre: daß ich meine Pflichten treu erfüllen will, daß ich n. s. w. Zch weiß zweckmäßige religiöse Feierlichkeiten sehr hoch zu würdigen, und wünschte sehr, daß sie überall gehörig gewürdiget und zu rechter Zeit angewendet würden. Aber sollt« wohl jene Feier­ lichkeit zweckmäßig für Knaben von 8 bis 10 Jah­ ren seyn? Sollt« «S wohl «rlaubt seyn, Knaben schwören, oder doch feierliche dem Eid« ähnliche Detheurimgen aussprechen zu lassen? Sollte eS nicht zweckmäßiger seyn, in Erziehungsanstalten 3. The«. 13

194

Pächter Martin.

und Schulen für eine bessere Zeit, in welcher Wort und Handschlag die Stelle des Eides ver» treten sollen, hinzuarbeiten? Zn einer andern Erziehungsanstalt wurde bey der Aufnahme ein Noscnstock mit einigen Rosen» knospen aufgestellt. Der Aufzunehmende mußte mit drey Fingern der reckten Hand eine Knospe berühren, und die Worte sprechen:

Zch schwöre: daß ich mich eifrig ber mühen will, mich wie diese Rosen» knospe (— an welcher vielleicht ein verdorr gener Wurm nagte—) zu entfalten re. Ein genialisch seltener Gedanke! sagte ein Zuschauer bey einer solchen Aufnahme, wo auch ich zugegen war. Sehr feierlich! sagten Ander«. Sehr zweckwidrig, und mehr als zweckwidrig! dachte ich. Ein Mann, den ich wegen seiner ungeheur chelten Frömmigkeit schätzte, und dem es gewiß als Vater um die sittliche Veredlung seiner Kinr der rin Ernst war, hatte den Einfall, sich noch bey voller Gesundheit seinen Sarg machen zn lassen.

' Eines Tages sagte er mir sehr betrübt: Ich

bin em unglücklicher Vater! — Dieme Kinder haben heute meine feierüd e Ermahnung an mei­ nem Sarge mit sichtbarem Leichtsinne angehört.

„An Ihrem Sarge?" Lecher! an dem Sarge, den ich mir machen

ließ, um mich, und noch mehr, um meine Kin­

der zum Guten zu ermuntern und zu stärken. „War eS heute zum ersten Male, daß Sie Ihre Kinder um Ihren Sarg herum versammel­ ten? Und was gab Ihnen dazu Veranlassung?"

O ich habe das schon oft gethan.

„ Schon oft! dann freylich! — " —

Wie viele andere Vater und Mütter sehen zwar ihren Kindern nicht den Sarg vor, aber halten ihnen doch nur allzuoft Sargs - und Grabesreden. — Eine Grabeerede, zu rechter

Zeit und auf die rechte Art gehalten, kann viel

wirken;'aber zu rechter Zeit und auf die rechte Art muß sie gehalten werden.

„Ich habe gar ein gutes Kind!" sagte mir

jüngst noch eine Mutter. * „ Zuweilen zwar wan­

delt meinem Lottchen ein klemer Eigensinn an.

Dann sage ich aber nur:

Lottchen, ich sterbe,

lyS

Pächter Martin,

wenn du nicht gut bist! Da kann ich gleich alle-

mit ihr machen, was ich will."

Arme Mutter, wie lange wird dieß Mittel noch seine Wirkung thun, da du es zur Unzeit verbrauchst? Wie wird es dich schmerzen, wenn «S nicht mehr wirkt! Und wie sehr wirst du in Verlegenheit seyn, wenn rS künftig nöthig seyn

sollte, deinem Lottchen ein Wort ans Herz zu

reden! Eine andere Mutter hielt ihrem zehnjährig«» Knaben, der ein Paar Fensterscheiben eingeworr

sen hatte, eine nachdrückliche Rede, in welcher

sie ihm, nach ihrem eigenen Ausdrücke, Himmel und Hölle vorstellte, und ihn tief erschütterte. Sie erzählte mir dieß selbst, wiederholte einen

Theil der gehaltenen Rede, und setzte mit Triumph hinzu: Der wird mir gewiß kein Fen, ster wieder einwerfen i

„Aber," fragte ich sie, „wenn nun Ihr Sohn

einen Fehler beginge, der nicht so leicht, wie die, fer, mit juqendlichem Leichtsinne entschuldigt wer,

den könnte, was wollten Sie ihm dann sagen?"

„Dann — dann würde ich eS ihm schon noch nachdrücklicher sagen — "

Drlkrer Theil.

197

„ Freylich noch nachdrücklicher müßte es seyn,

damit er den Unterschied zwischen einem kleinen

Fehler und einem größeren Vergehen bemerkt." „Nun," fuhr sie etwas beleidigt fort, „ich hoffe doch, daß ich es mit mclner mülterlichen

Ermahnung besser gemacht habe, wie Frau Drar goman, die um desselben Fehlers willen ihren

Karl ausgeschimpft hat,

mit gar häßlichen

Schimpfwörtern — ?"

„Ganz unläugbar," antwortete ich, „denn

ein W e i b und eine Mutter, welche schimpft—" „ Oder gar wie Frau Hussar, die neulich ihr« Tochter, welche eine Kaffekanne zerbrochen hatte, mit voller Hitze so ins Gesicht schlug, daß dem

armen Mädchen Maul und Nase blutete —?" „ Frau Hussar — "

„ Und, denken Sie nur, drey Tage darauf,

in meiner Gegenwart, wurde ihre Minna über» führt: daß sie schändlich gelogen und ein unschul­ diges Dienstmädchen verleumdet habe.

Und das

ließ Frau Hussar mit einem leichten Verweise

hingehen!" „ Liebe Frau Gevatterin," sagt« ich, sie be» sänftigend, „Sie handelten mit mütterlichem

Pächter Martin.

198

^Herzen.

Aber ich meine nur, Ihre Ermahnung

war so nachdrücklich, so herzanareisend, daß Sie schwerlich selbst im Stande wären, bey künftigen

Veranlassungen noch nachdrücklicher zu sprechen." „Nun vielleicht habe ich auch das bey meir

NtM Wilhelm gar nicht nöthig."

„Vielleicht!" Aber, liebe Lettern, wir «ollen es doch nicht

auf ein Vielleicht ankommen lassen, sondern lieber zweckmäßig nach durchdachten Grundsätzen handeln lernen.

Dritter Theil.

»59

X. Ueber Unglückliche in der Einbildung, o*

„ weiß nicht," sagte mir ein Freund, der in seinem Leben den seltensten Wechsel von Glück und Unglück erfahren hatte, „ich weiß nicht, ob ich Gott mehr für die Freuden, die ich genossen, oder mehr für die Leiden danken soll, die ich erduldet habe. Das weiß ich, daß Leiden für mich sehr wohlthätig waren." Mein Leben war weder durch außerordentlü cheS Glück noch Unglück — was man gewöhnlich dahin zu rechnen pflegt — ausgezeichnet, aber ich habe bey vielen frohen auch manche traurige Stunden gehabt, und ich unterschreibe den Ausr spruch meines Freundes; und wahrscheinlich uni terschreibt ihn jeder, der über sich und seine moralische Bildung nachzudenken gewohnt ist. Läßt sich aber bey wirklich großen Leiden eine Seite auffinden, von welcher sie nicht als Um glück erscheinen, und giebt es Menschen, die, wie

Pächter Martin.

20Q

mein Freund/ viele und große Leiden erduldeten,

ohne zu murren, jn ohne sich für unglücklich zu

halten; wie unweise und ungerecht handeln dann

diejenigen, die in einem Leben, das jeder andere für glücklich halten würde, dennoch, immer unzm frieden, die Welt für ein Jammerthal, und sich

gerade m diesem Zammenhale für die unglückseligsten Gescköpfe halten — die Unglücklichen

in der Einbildung! „Ueberlaffen wir sie der Strafe ihrer eigenen Thorheit? "

Nein; lieber laßt uns versuchen, ob es uns nicht vielleicht gelinge, den einen oder den andern

von seinem Lrnhum, und von der Ungerechtig­

keit seiner Klagen zu überzeugen und ihn zu bes­

sern ! —

Wohlthätig und verdienstvoll ist es nnläuqbar, die Leiden seiner wirklich unglücklichen Mitbrüder

durch Rath und Trost zu mildern; aber Nicht

minder wohlthätig scheint mir es, den eingeLrlderen Unglücklichen, wo möglich, von fernem Wahne

zu befreyen, den Unzufriedenen zufriedener zu machen, und den grämlichen Menschen - und Freu-

Dritter Theil.

101

denhaffer mit der Welt, mit chm selbst und sei­ nem Schicksale auszusöhnen. Nicht bloß wirkliche, auch eingebildete Kranke bedürfen des Arztes. Die letztem eben deswe­ gen« um nicht vieileicht in kurzem zu werden, was sie zetzt zu seyn wähnen. Und fühlt Nicht der Kranke in der Einbildung die Schmerzen de«; Krankheit, die er zu haben glaubt? Und gekört der nicht unter die bedauernswürdigen Menschen, der durch böse Laune und Mißmuth, und durch die unselige Geistesstimmung, alles um sich herum durch schwarzen Flor, und bey Menschen und Dingen überall nur die schlimme Seite zu sche>» — alle Freuden von sich scheucht und sich um den Genuß seines Lebens bringt? Ich besuchte vor einiger Zeit in dem Städt« chen S ... einen alten Bekannten, einen Kauf, mann, der in seinen jüngern Jahren in D . .. wohnte, wo es ihm mit seinem Handel nicht glücken wollte. Zn S . .. erwarb er sich ein ansehnliches Vermögen, und nach allem, was ich sonst von seiner Lage gehört hatte, glaubte ich in ihm einen glücklichen, zufriedenen Mann zu finden. Seine Miene, gleich nach dem ersten Empfang,

104

Pächter Martin.

schien mir aber das Gegentheil von dem st’hjntün; digen, was ich erwartet hatte. Sie sind doch gesund? fragte ich ihn. „Gesund, Gott sey Dank!" (Er sprach das Gott sey Dank! mit einer Kälte aus, die eben nicht von einem dankbaren Herzen zeugte.) „gesund bin ich." Und die Zhrigen? „0 die befinden sich wohl." Besondere Unglückofäüe haben Sie doch zelther auch nicht erfahren? „Das eben nicht." Nun so sind Sic auch hoffentlich, was Sie der Welt zu seyn scheinen. Man zählt Sie unter die Glücklichen, und mit Ihrem Kopf und Herzen werden Sie Ihr Glück zur Glückselig« keil erheben, werden — „Mich unter die Glücklichen? — Die Menschen urtheilen nach dem Scheine, und der Schein trügt. Es gehört nicht viel dazu, um mitten unter armen Leuten — wie das bey mir der Fall ist — für einen reichen Mann zu gelten. Wäre ich aber auch noch einmal so reich: macht Geld allein glückselig? "

Dritter Theil.

-oz

Geld thuts freylich nickt; aber —

„Freund, ich bin im Grunde ein Sclav mit

scheinbarer Freyheit und ohne bestimmten Herrn — ich bin ein lasitraqendcS Thier.

Da habe ich

mir, außer meinen Kausmannsgesckaften, eine

neue Last auf den Hals geladen durch eine weitr

läufige Oeconomie; habe mir einige Hufen Lam deS gekauft, auf welche ich Knechte und Mägde halten muß; und was es da für Arbeit giebt,

das können Sie sich nicht vorstellen.

Habe ich

den Vormittag auf meiner Arbeitsstube gesessen, so muß ich Nachmittags auf dem Felde herum

reiten.

Denn ist man nicht allenthalben selbst

dabey, so geschieht nichts, oder doch nichts in der Ordnung —" Um davon zu leben, brauchen Sie ja die

Feldwirthschaft nicht zu treiben —

„ DaS wohl nicht; aber einmal habe ich das Land gekauft, so will ichs doch auch benutzen."

Und werden für Ihre Gesundheit keinen kleir

nen Gewinn davon haben.

Die Bewegung im

Freyen, nach vollbrachter Arbeit im Zimmer, muß

Ihnen heilsam seyn.

Und manches Angenehme

304

Pächter Martin,

ist doch gewiß mit dieser Art Arbeit auch ver, bunden. „Za das Angenehme! — Acrger und Ver» druß mit Knechten und Mägden, das ist das Angenehme.

Möchte doch aber alles drum seyn,

wenn man für saure Arbeit wieder Erholung,

nach einem mühevollen Tage wieder einen frohen Abend zu erwarten hätte; wenn man einen oder

einige gute Freund« hätte, mit denen man sich freuen und zuweilen einen Festtag feiern könnte.

Aber wo sollte ich hier Erholung, wo sollte ich hier einen Freund suchen? So rohe, »ngeschlift

fene und einfältige Leute, wie hier, muß es weit und breit nicht geben." Doch stehen ihre Nachbarn und Mitbürger in sehr gutem Rufe von Seiten ihrer Ehrlichkeit und Gutmüthigkeit.

„Ehrlich, das sind sie größten Theils. Man ist aber wahrhaftig sehr wenig, wenn man nichts

als ehrlich ist." Wie man da- nimmt.

Man hat mit aller

Klugheit ohne Ehrlichkeit als Mensch gar keinen

Werth! Wer einmal in die Hände eines feinen

DetrügerS fiel, der verzeiht gewiß dann dem ehr»

Dritter Theil.

205

liehen Manne gerne den Mangel an äußerer

Cultur. „GiebtS zwischen rohem Klotz und feinem Schurken keine Mittelclasse? Lassen sich Geistest bildung und feinere Sitten nicht mit Rechtschaf­

fenheit und moralischer Güte verbinden?" Unstreitig! Und wo sie verbunden sind, da hat

der Diamant die Politur und schöne Einfassung erhalten, die er verdient, und wodurch er allge­

mein — dem Nichtkenner wie dem Kenner — gefällt: allein auch ohne Politur und Einfassung vertauscht der Kenner, der sich auf sännt innern

Werth versteht, ihn gewiß nicht mit einem ge­

meinen Steine, wäre dieser auch noch so schön

geschliffen und eingefaßt; und der Nichtkenner, der ihn dafür eintauschte, ist betrogen, und wird

es gewiß bereuen, daß er durch äußern Glanz'sich blenden ließ. — Sie sagten ganz recht, es giebt Mittelclassen, die, wie gute gangbare Münze,

auch ihren Werth haben, und die man zum Glück überall findet.

Es ist nicht leicht ein Dörfchen

so arm an Menschen, wo man nicht hier und da Rechtschaffenheit mit gesundem, auch wohl gebil­

detem Menschenverstände (versteht sich ohne höfi-

206

Pächter Martin.

sche Bildung, die Sie auch eben nicht wünschen

werden) veremt fände. , Hier suchten Sle das vergebens. Ich wenigs

stens habe es nrcht gefunden." So waren S»e freylich zu bedauern — wenn

Im

Sie nicht in Zdrem Hause Ersah fänden.

traulichen häuslichen Kreise seiner Lieben vermißt

man Gesellschaften außer dem Hause weniger. Mit Zhrem Weibe und Kindern —

„Sie kennen ja mein Weib.

Ein gute-,

treues, braves, wirthschaftliches Weib; nur zur

Unterhaltung — dazu ist sie freylich nid)t"

Ein gutes, treues, braves, wirthschastlicheS Weib! Nun das heiß ich dock ernmal gelobt, wie ichs gerne höre. — Guter, unglücklicher D. .. könntest du das von deinem Weibe sagen? —

Sie kennen ja den Präsident D ...

„ Ganz genau.

Zch war in D ... so glück

lich, oft in seiner Gesellschaft zu seyn.

Za das

ist ein herrlicher Mann! Wer so emen Mann zu seinem Nachbar hätte!" Zeht würden Sie ihn kaum noch kennen. Ich

habe ihn auf meiner kleinen Reise besucht.

Seit

zehn Zähren sah ich ihn nicht; und in den zehn

Dritter Theil.

-07

Zähren, Gott! wie hat sich der Mann geant dert! „3(1 er krank?" Der Gram nagt an feinem Herzen. Der Gram, den ihm sein Weib verursacht, ein Weib, daS in allen Gesellschaften,die erste Rolle spielt, die wie ein Engel spricht, aber wie das gemeinste Weib handelt, die sich um ihr Haus nicht bekäme wert, die gute Hälfte des Vermögens ihres Man» neS durch Spiel und Putzsucht durchgebracht, und ihren Luten Ruf äußerst verdächtig gemacht hat. Er klagt jetzt auf Ehescheidung. Ein trauriges Mittel für einen Mann, der Vater ist! Auch fühlt er das selbst sehr lebhaft; und doch, sagte er, habe ich kein anderes Mittel, wenn ich mich, wenn ich meine Ehre, und selbst meine Kinder retten will, welche sie auf die unverzeihlichst« Art vernachlässigt. „ Armer D ...! Wie bedaure ich sein um glückliches Loos!" Za wohl ein unglückliches Loos! Handelt ein falscher Freund treulos an uns, daS greift frey­ lich auch das Herz an; aber wir können doch seinen Umgang vermeiden, und finden in der

208

P"ä chter Martin.

Umarmung eines treuern Freundes Tröst und Beruhigung. Was soll aber der Mann thun, der mit dem Feinde feinet Ruhe in einem Hause wohnen, ihn täglich um sich sehen und täglich neue Kränkungen von ihm erdulden muß? Wo soll der Mann, dem sein eigenes Weib die Freut den des Lebens vergällt, den Dissen, den er ißt, vergiftet — wo soll der Beruhigung und Trost suchen?------ Wohl dem, dem Gott ein gutes, treue# Weib gab! — Wer ertrüge nicht gern« kleinere Mängel , wenn er Güter von so unfchätzt barem Werthe besitzt?-----Er gab mir vollen Beyfall, aber — ohne die Anwendung auf sich selbst zu machen. Er hatte drey Töchter, gute, liebenswürdige Kinder; aber er war unzufrieden, weil er einen Sohn wünschte. Zeh fand, mid —' natürlich da es hier am rechten Orte war — sagte ihm, daß et ein schönes Haus habe; aber sein schöne# Haus hatte keinen Reitz für ihn, weil unglücklicher Weise gegen über ein Wirthshaus stand, wo immer ger lärmt wurde, wo Fuhrleute einkehrten, ihm ihre Wagen vor der Thüre stehen ließen, und mit den Wagen und ihrem Kvth die Straße verum reir

Dritter Theil. reinigten.

209

Ich lobte seinen schönen Garten, aber

da war der Boden nicht sruchtbar genuq, und

unter dem rauhe« Hemmet wollte kein — Wein

gedeihen. Der Kaufmann au< S . . . gehört unter die große Zahl der Unglücklichen in der Einbildung,

ju den verstimmten Menschen. dir nur an Din­ gen, die sie nicht haben, die schöne, gute Seite

auffinden, sonst überall nur die schlimme Seite

der Menschen und Dinge sehen, und dadurch sich und Andere, die mit ihnen in näherer Verbin­

dung stehen, da« Leben verbittern. Und woher diese traurige Gemuthsstimmnng?

Sie entsteht aus sehr verschiedenen Ursachen, die

aber doch zum Theil in einander greifen, und wo

es dann oft schwer seyn möchte, bestimmt anzu­

geben, welche unter mehreren an der vollrn Wir­

kung den größten Antheil habe.

D»e ersten Ein­

drücke, in der Kindheit empfangen, geben den Durchschlag in das ganze übrige Gewebe unsers Lebens, und die Geistesstimmung zunächst unsrer

Mütter, und dann aller derer, die in dem Alter,

wo unsere Seele noch ein unbeschriebenes Blatt ist, am meisten sich mit uns beschäftigen, geben 3 Theil.

310

Pächter Martin.

gewöhnlich den Grundton zu unserer eigenen

Stimmung an.

Wenn manche Aeltern mit unr

mäßiger Strenge jeden klemen Fehler ihrer Kin­

der rügen, immer radeln, immer Vorwürfe machen, ists dann Wunder, wenn die armen gemißhandel­

ten Geschöpfe allen Muth verlieren? Wenn An, dere mit unweiser Liebe sich zu Sclaven ihrer Kinder machen, jeden Wunsch, jede Laune des

kleinen Despoten befriedigen: so läßt fich'6 dann wohl schwerlich erwarten, daß diese verzärtelten

Menschen im männlichen Atter mit einer Welt, die sich nicht mehr nach ihren Launen drehen will,

zufrieden seyn werden. Wenn Andere eilen, was

sie können, um ihre Kinder zu Drahtpuppen der

Mode zu machen; wenn ihnen Kinderspiele ver, boten werden, weil sie dabey ihre schönen Kleider beschmutzen könnten; wenn das Bübchen von sechs und das Mädchen von fünf Zähren sich wie

hübsche, manierliche, artige Herren und Damen

betragen sollen;

oder wenn ihnen durch Lecke,

reyen, durch geistige Getränke *) und stark

*) Der eben so vortreffliche Mensch als Dichter Gleim soll einst auf die Frager Wie fangen Sie e-

Dritter Theil.

211

gewürzte Speisen früh Blut und Magen verdor­ ben wird — können ane solchen Kindern frohe und glückliche Menschen werden? Wenn Kmder

durch unnatürliche Anstrengung zu Männern ge,

macht werden; isis dann nicht natürlicher Lauf

der Dinge, das; sie im männlichen Alter mürrü sehe Greise werden? Uebrigens fällt es mir nicht

ein, die mannigfaltigen Fehler der Erziehung, welche diese Stimmung vollenden, der Reihe nach aufzuzählen, weil ich nicht Lust habe, ein Buch darüber zu schreiben.

Mir ist es genug, Väter,

Mütter und Erzieher, denen das Wohl ihrer Kmder und Zöglinge am Herzen liegt, auf diesen

an, daß Sie, trotz Ihrem Alter, immer so heiter bleiben, wie Sie es als Jüngling waren? geant­ wortet haben r Ich fing erst im Alter an Wein -u trinken, und auch da äußerst mäßig. Gleim, der Weise, wollte nun damit wohl nicht sagen — daß er diesem Umstande allem seine Heiterkeit verdanke, aber er fand ihn doch wichtig genug, ihn vor andern auszuheben. — Zuweilen einige Tropfen Wem sollen, wre Aerzte behaupten, auch zarten Kindern dienlich seyn. Aber wohl zu merken: zuweilen und einige Tropfen»

211

Pächter Marrin.

noch immer sehr vernachlässigten Punct der Er«

ziehung von neuem — denn mehrere haben es schon vor mir gethan — aufmerksam gemacht zu

haben. — Ein großer Theil der Unglücklichen in der Ein­ bildung ist eS aus Selbstsucht, welcher gewöhn­

lich Neid und Mißgunst zur Seite gehen.

Der

Selbstsüchtige sieht nur sich als Zweck, alle andere Menschen als Mittel an, hat bey dieser Boraus­

setzung natürlich vor allen andern gegründet« An­

sprüche auf alles, waS zum Lebensgenuß gehört, und was et dazu rechnet, muß aber eben so

natürlich unter Menschen, die sich nicht zu Mit­

teln hergeben wollen, und am meisten bey denen, die ihm gleich denken, überall anstoßcn und frey­ lich immer Stoff zur Klage finden — di« aber

nur dann gerecht wär«, wenn er über seine eigene Thorheit und Ungerechtigkeit klagte.

Schwer

mag eS freylich seyn, den, welchen es trifft, da­ von zu überzeugen — wer wollte in einem so

häßlichen Bilde fein liebes Zch erkennen? — aber «S ist darum nicht minder Wahrheit.

WaS hat

der Selbstsüchtige Gutes, daS er nicht zu haben verdiente, und wie viel Gutes giebt es nicht in

Dritter Z t) e il.

213

der Welt, das er nicht hat, das Andere Haven, die eS, ganz bescheiden gesagt, nicht mehr verr dienen als er? Warum ward eS nun gerade jenen

zu Theil? Und was er hat, verliert durch alltäg» lichen Besitz an Reih, da hingegen das, was er

nicht hat und zu haben wünscht, immer an neuen Reihen gewinnt.

Wie kann er glücklich seyn?

Leopoldchen hatte mehr, schöneres, kostbarer res Spielzeug, als hundert andere Kinder, und

dünkte sich reich in feinem Besitze.

Unglücklicher

Weise sah er bey einem andern Knaben eine Trommel.

„ Ach die schöne Trommel!" sprach

Leopoldchen, „das nenne ich mir doch ein Spiel­ zeug, daS einem Freude machen kann! Papachen,

eine Trommel muß ich haben."

Lieber alles andere, antwortete der Dater,

nur das nicht; du betäubst mich sonst mit deinem Trommeln.

Und was hättest du auch an einer

Trommel?

Sieh doch, wie viel schöner dein

Spielzeug ist; und ich will dir noch mehr kaufen,

nur fordre keine Trommel. Aber Leopoldchen ließ verächtlich alle sein Spielzeug liegen, und konnte

sich nicht eher wieder freuen, bis er eine Trommel erhielt.

Wie glücklich war nun der kleine Troim

Pächter Martin.

214

mclschläger! Drey Tage trommelte er V'tn Morr gen brs an den Abend.

Allein am vierten Tage

warf er die Trommel hin und wollte — eine Querpfeife.

Wie viel erwachsene Leopoldcben giebt es nicht

in der Welt? — ob es sich gleich Niemand zur Ehre rechnen wird, im männlichen Alter noch mit dem verzärtelten Kinde in einer Classe zu stehen.

Diese Selbstsucht äußert sich nicht bloß in

der Begehrlichkeit alles zu haben, sondern auch in dem Chrgeih, alles zu seyn, und in der

Reformiersucht, alles um ändern, und — wie sich von selbst versteht — besser machen zu

wollen.

So schön und edel nun dieses Besten

ben, beyzutragen nach seinen Kräften,

damit es in der Welt immer besser

werde, an sich ist, so wenig Werth hat eS doch, wenn nur Ebrqertz, nicht durch Weisheit geleitete

Liebe zum Guten, die Triebfeder ist; wenn das

Bessermachen nur Mittel zur Erziebung eines eigennützigen Zweckes ist, ein Mittel, um wel­ ches man sich nicht bekümmern würde, wenn man seinen Zweck sichrer und leichter auf eine andre

Dritter Theil. Art zu erreichen wüßte.

115

Wer aber das Dessen

machen nicht bey sich selbst anfängt, wer die

Gelegenheit, im Stillen Gutes zu thun, unge­ nutzt vorbey läßt, wer sich träge finden läßt, wenn er etwas Gutes nur mit befördern, nicht

dabey die erste Nolle spielen soll, wer sich nicht über daö Gute, das Andere ohne ihn zu Stande brachten, herzlich freuen kann, sobald er es selbst für wirklich gut erkennt: der täuscht sich, wenn

er sich mit Menschen $ und Tugendliebe schmei­

chelt, der liebt nur sich, ist nicht Verehrer der Tugend, sondern Sclave seines Ehrgeihes, und hat sehr unrecht, die Menschen anzuklagen, daß

sie nicht seinem Eigennütze fröhnen, nicht seine

eigennützigen Plane befördern wollen. Diese reformiersüchtigen Menschen, die Alles

anders haben wollen, als es ist, in der Hoff­ nung, daß es dann für sie selbst besser werde, theilen sich aber wieder in zwey Classen, in solche, die selbst Hand anlegen, um, wo möglich, die ge­

wünschte Umänderung der Dinge zu Stande zu bringen, und in solche, die das Alte tadeln, und

Neuerungen, oder, wie sie sich ausdrücken,

Verbesserungen wünschen, aber es beym

216

Pächter Martin.

Tadeln und Wünschen bewandt seyn lassen. Ich befürchte, daß diese letzte Classe bey weitem di« Zahlreichste ist; und da leuchtet «S doch ein, wie wenig Ursache diese haben, über die Menschen zu klagen, daß sie nicht besser sind — alt sie selbst. Man braucht eben nicht scharfsichtig zu seyn, um «inzulehen, daß vieles in der Welt besser seyn könnte und sollte, als es dermalen noch ist: allein durch bloßes Tadeln und Wünschen wird es doch nicht besser, eben so wenig, alS durch das Treiben und Drängen eigennütziger, selbstsüchtiger Menschen. Denn sind nicht eben Irrthum, Trägheit und Selbstsucht der Menschen die reichhaltigsten Quellen, aus welchen moralisches Verderben und Eiend über die Erde strömt? Ist dir es wirklich «in Ernst mit Tue gend und Menschenwohl, so fange vor allen Dine gen b.y dir selbst an, wirke treu und redlich in deinem Stande und Berufe, und hilf dann bei« nem Nachbar: so wirst du im allmählich erweis tetten Kreise Segen um dich herum verbreiten; und je mehr Menschen dir gleich denken und Hani dein, desto besser wird es mit der Welt werden.

Dritter Theil.

217

„ffitnn nun aber mein Nachbar meine Hülfe auSschlägt?" So zürne deswegen nicht mit ihm; er verkennt vielleicht dich und deine gute Absicht; suche ihn zu überzeugen, daß du eS gut mit ihm meinest; gelingt dir daS, so wird er dir dann um so herzlicher danken. Gelänge dir's aber auch nicht; nun das ist freylich unangenehm. Indessen wird doch hoffentlich der Gedanke: Der Mann handelt seinem eignen Wohl entgegen! deinen Unwillen, da- sehr verzeihe liche bittre Gefühl deS ersten Augenblicks, leicht in sanftere« Mitleid umwandrln, und das Trau» rige, das noch jenes Mitleid begleiten möchte, verliert sich in dem schönen, wohllhuenden De» wußtscyu: Zch verdiente wenigsten«, daß mir mein gutes Werk gelungen wäre! Ihr lieben, guten Menschen, ihr Edelsten unter den Unglücklichen, die durch dm Gebrauch zweckmäßiger Mittel glückseliger seyn könnten! euch sey dieß gesagt, die ihr wirklich mit einem Herzen voll reiner Tugend • und Menschenliebe in die Welt tratet, mit diesem Herzen die Men» schm umarmtet, jede Kraft zum Dienst der Menschheit aufbotet — und verkannt, zurück

-18

Pächter Martin-

gestoßen von diesen Menschen, denen ihr euch

aufopfertet, mit verwundetem Herzen euch in die Einsamkeit zurück zieht und euch mit Menschenhaß tauschet. Euch täuschet — denn wie könntet ihr

die Menschen hassen, mit dem Herzen, mit welchem

ihr so viel für die Menschen gethan und gelitten habt, und noch leidet? — Kann auch eine Mutter

ihr Kmd hassen ? — Richtet euch auf, edlere Menscheu, dir ihr verkannt und mit Undank belohnt wurdet, richtet euch guf mit dem Zeugnisse eures Herzen«! Wohl euch! und wenn eine Welt euch

verurthcilt, wohl euch, wenn ihr gerechtfertiget seyd vor dem Gerichte de« Gottes, der in euch

ist, der Glück scheidet von der Tugend, und Lohn von Würdigkeit!

Zhr aber, deren Güte nicht bewährt gefun­

den wurde vor dem innern Richter, die ihr euch

der Güte eurer Gesinnungen, der Reinigkeit eurer Absichten nicht bewußt seyd, hütet euch, daß ihr

nicht Schein für Wahrheit nehmt, und, zwie­ fach getäuscht, euch durch den Schein der Tu­

gend nicht nur von der Tugend selbst entfernt, sondern auch zugleich um die Glückseligkeit eure« Leben« bringt-

Dritter Theil.

219

Dieß ist der Fall der religiösen und moralir schon Schwärmer, die um des Hmmiels willen

die Erde herab setzen, jede, auch die schuldloseste,

Freude deS Lebens verdammen, immer klagen, nichts als Zam?ner und Elend in der Welt fin»

den, und Diese Klage und Unzufriedenheit, die ihnen endlich zur traurigen Gewohnheit wird, für Frömmigkeit und Tugend halten. „—Wir müssen durch Leiden und Trübsal

in daS Himmelreich eingehen! — " Wahr und trostvoll für den Leidenden! Er

leidet also nicht zwecklos.

Zn Rücksicht auf den

großen Zweck seiner moralischen Veredelung find

ihm Leiden oft wahre Wohlthar, und so lange er

diesen Zweck nicht aus dem Auge verliert, wird kein Leiden ihn ganz niederdrücken. Allein ist Leiden Zweck an sich? und grettzt es nicht an Wahnsinn, von dem, waS uns zum

Trost und zur Beruhigung gegeben ist, eine so

verkehrte Anwendung zu machen, selbst Nahrung für seinen Gram, Stoff zur Schwermuth und

zur Klage aufzusuchen? Der weise Vater versagt dem Sohne, den

er lieb hat, manchen Wunsch, gewöhnt ihn früh

220

Pächter Martin.

an Ertragung mancher Mühe und Unannehmlich­ keit de- Lebens.

Wie sehr würde aber der Sohn

die Absicht des Vater- verkennen, wenn er glaubte, dein Vater sieht e- gern, wenn du lei­

dest; und wenn er, um dem Vater desto lieber zu werden, der Freude jeden Zugang zu seinem Herzen verschließen, es nur dem Grame und der

Schwermuth öffnen wollte!

„ 0 du kennst nicht da- Säße der Schwer­ muth!" ruft mir ein Schwärmer einer andern

Art entgegen.

Zch kenne e-, ehrlich gestanden, au- eigener

Erfahrung.

Auch ich floh einmal in meinem

Zünglingsalter Gesellschaft, Freude und Scherz,

wandelte gern einsam im dunklen Hain und unter Gräbern, und Wonuegenuß ward mir die Thräne

der Schwermuth.

Vielleicht ist diese Art der

Schwärmerey die verzeihlichste, vielleicht kann sie

gar auf die Bildung unser- Geiste- und Herzeneinen vortheilhaften Einfluß haben, wenn sie nur bi- auf einen gewissen Punct ge­

trieben tvird: aber Schwärmerey, die immer mit Thorheit verschwistert ist, bleibt sie doch,

und wird über jenrn Punct hinaus für

Dritter Theil.

in

unsere Glückseligkeit, und selbst für unsere Mora«

lität sehr gefährlich.

Daß du im Herbst, wenn

das Laub von den Bäume» finkt, etwas mehr denkst und fühlst, als: daß der Winter nun her«

an nahe; das ist nicht übel: aber daß du nun mit Verachtung herab blickst auf die übrigen kalr

ten Menschengeschöpfe, welche ruhig über da­

gefallene Laub hingehen, das taugt nicht; und schwemmst du mit deinen Thränen die Kraft der

Seele hinweg, fängst du an ju empfindeln, wan­ delt fich deine sanftere Schwermuth in finstern

Gram und Mißmuth: so wirst du mit allem dei­

nen erträumten Seelenadel em, in jedem Be­ tracht, armseliger Mensch werden. 0 daß es doch so schwer ist die Linie zu treffen, die zwischen zu

viel und zu wenig, zwischen Wahrheit und Irrthum mitten inne liegt, oder, wie eö unser

Wieland bestimmter ausdrückt: di« einzige Art recht zu thun zwischen unzähligen

zu fehlen.

Unsere meisten Irrthümer ruhen

auf halber Wahrheit; wir fliehen einen Fehler, und verfallen in den entgegen gesetzten; wir ken­

nen den Irrweg rechter Hand, und, nm ihn

desto ficherer zu vermeiden, schweifen wir eben

Pächter M arten.

222

so weit lmker Hand vom rechten Wege ab; vm fallen z. B. aus herzloser Starkgeisterey in das entgegen gesetzte Extrem, in vernunftlose Schwär,

merey. — So kenne ich Menschen, die, um nur nicht

für leichtsinnig gehalten zu werden, die schöne Gottesgabe, leichten, frohen Sinn, die ihnen im reichen Maße zu Theil geworden war,

in grämlichen Ernst umsetzten.

freylich wollten

sie mcht grämlichen Ernst, sondern nur den,

der sich mit Würde paart, aber die erkünstelte Würde zieht gewöhnlich Falten in die Stirn, die immer tiefer und tiefer sich in die Seele eindrük,

ken.

So betrügen sich die Menschen selbst um

die Glückseligkeit ihres Lebe: S.

„Aber wenn nun nicht Selbstsucht, nicht

Chrgeitz , nicht Wahn ; wenn wirkliche Leiden, wenn z. D. der Verlust dessen, was uns das Liebste war, oder wenn anhaltende Krankheit uns auf immer für jede Freude veruimmce? "

Nun als Leidende, als wirklich Unglückliche

gehört ihr ja nicht in die Classe, wovon hier die Rede ist, nicht unter die Unglücklichen in der Einbildung.

Dritter Theil.

223

Kern sey es von mir, euch ungerechte Vor­

würfe darüber zu machen, daß ihr weint, wenn der Schmerz euch Thränen auspreßt.

Weinen

will ich lieber mit euch, flrehen aus dem Kreise

der Frohen und Glücklichen, und mit euch wei­ nen; und wenn die Thräne des mitfühlenden Freundes euch wohl thut, diese Thränen segnen. Aber noch mehr würde ich mich dann glücklich

preisen, wenn ich im Stande wäre, euch nicht bloß auf Augenblicke Milderung eures Schmer, zeS, sondern durch guten, wenigstens gut gemein­

ten freundschaftlichen Rath einem und dem andern

unter euch dauerhafte Beruhigung zu verschaffen.

Und, Freunde, gewiß wäre doch bey einigen unter euch nicht bloß Milderung des Schmerzes

auf Augenblicke, durch sanfte freundlrche Theilnehmung, sondern auch Beruhigung möglich, wenn ihr euer Auge Nicht einzig und allein auf

die trübe Seite eures Schicksals heften, und

wenn ihr eure ganze Kraft dem Druck der Leiden entgegen setzen wolltet.

Es giebt verschiedene

Grade der Leiden, verschieden an und für sich, und verschieden in Rücksicht auf den Leidenden selbst.

Lin Unglück, das mich Niederdrücken

2i4

Pächter Martin,

könnte, ist vielleicht für einen andern, der entr

weder mehr innere Kraft oder weniger Gefühl hat, ein leicht zu ertragende« Uebel; und ich kann in dem Ganzen meines Leben« viel Unan< genehme« erfahren haben, ohne dennoch berech­

tigt zu seyn, mein Leben für unglücklich zu hal­ ten, wenn das Angenehme dennoch »eit überwie­

gend ist, und vielleicht au« manchem geringen Verlust ein gr-ßerer Gewinn entsprang, manche« scheinbare Unglück die Grundlage zu meinem wahren Glück« war.

So pflegen freylich die Men­

schen nicht immer zu rechnen, aber'so sollten sie

doch rechnen, wenn sie mit ihrer Klage nicht ungerecht werden wollen.

Der Weg durch« Er­

denleben kann und soll sich nicht immer durch Dlumengefilde schlängeln; aber wo ist der Mensch,

-er sagen könnte, daß er auf seinem Wege nicht« al« Dornen gefunden habe?

Daß ihr aber nur die Dornen, durch die ihr euch winden mußtet, nicht auch die Blumen, die

euch entgegen blühten, bemerktet, das war nicht Schuld des Wege«; und daß ihr ganze Tagerei­ sen, wo «hr heitern Himmel, schöne Gegend und

guten Weg hattet, vergeßt, und gleich mißmüthig

wer-

Dritter Theil.

225

»erdet, wenn einMl der Himmel sich auf Sinn,

den trübet, die Gegend etwa« rauher, der Weg weniger gebahnt wird — da« »ß nur dem Kram tat zu verzeihen.

„ Aber eben Krankheit! — Und wie man« cher wird für gesund gehalten, der es nicht ist!"

Wie mancher halt sich aber auch für kraut

oder doch für kränker, als er ist, und entschuldigt seine böse Laune und seinen Mißmuth mit einer

Krankheit, von der er sich befreyen könnte, wenn

er nur ernstlich wollt«! „Wenn er wollte?" Wenn er ernstlich wollte; was freylich de»

Gebrauch zweckmässiger Mittel in sich schließt. Der als Gelehrter schätzbare, al« Mmfch hochachtungswürdige Bode besuchte mich noch

in dem letzten Jahre vor feinem Tode, auf eine«

Reise, di« er, nach seinem eignen Aufdruck, unternommen hatt«,

um, wo nicht einer

Krankheit, doch wenigsten« der häßii, chen Hypochondrie zu entgehen. Denn,

setzte er hinzu, grämlich und hypochom drisch mag ich schlechterdings in meir

nem Alter nicht wieder werden. 3- Theil.

Ich

3 26

Pächter Martin.

werde «< aber auch nicht wieder, denn ich besitze noch das Mittel dagegen! „Und dieß Mittel ist? —"

Zch will es Nicht werden.------- Sie scheinen mir einiges Mißtrauen in mein angegebenes Mittel zu setzen? „ Bey nicht gar zu trübem Himmel mag es hinreichend seyn."

Auch beym trübsten Himmel! — Ein Stückchen aus meiner Lebensger schichte unter der Bedingung, daßwir dann kein Wort weiter davon sprer chen: Zch war dreyMal verheirathct, hatte sechs Kinder, und habe weder Weibnoch Kind mehr.--------------- Dar malS, am Sterbebette meiner Lieben, überfiel mich die hartnäckigste Hypo« chondrie, und nichts half, als endlich der feste Entschluß, den ich stündlich Erneuert»: Du willst nicht mehr hypor chondrisch sey»!

Der Mensch vermag viel, wenn er ernstlich will, und wer im Gegentheil den Muth verliert.

Dritter Theil.

227

der hat Alles verloren. Sey es denn, daß nur wenige sich zu der Geisteskraft eines D 0 de erhe» den können; aber anwendrn sollte doch jeder seine Kraft; nicht muthloS, nicht ohne Kampf erliegen. Und jede Kraft wird ja durch Uebung erhöht, und durch jeden errungenen Sieg erhal» ten wir neuen Muth. Und ist der Sieg nicht des Kampfes werth? Nicht bloßes Lebensglück; was mehr als Lebens» glück ist — Menschenwürde und Tugend selbst, ist der Preis des Sieges.

Nicht allein dir selbst, auch allen, die mit dir in näherer Verbindung stehen, verbitterst du durch Unzufriedenheit, böse Laune und Mißmuth das Leben. Armer Mann an der Seite einer hysterischen, launenhaften Gattin! Armes Weib an der Seite, eines hypochondrischen, mürrischen Gatten! Und arme« Land, dessen Fürsten böse Laune und Mißmuth plagen! „ Mein wahres Mitleid jedem ErdeusohE Er trage eine Königskrone, Er schleich' an einem Hirtenstab, Den ein erzürnter Gott zur Strafe,

rrtl

Pächter Martin. Hier seines Volks, dort seiner Schafe, Der Laune Dämon übergab." *)

Za wohl Mitleid dem Peiniger seiner selbst!

„Aber auch den Peinigern Anderer? Auch den Ungerechten, die Liebe und Wohlwollen ihrer Freunde mit Härte und Bitterkeit vergelten?

Den Tyrannen in ihren Häusern? —" Auch ihnen Mitleid; sie wissen nicht, wat sie thun. Du aber, der du di« Menschen liebst, und jedes

Unrecht verabscheuest, dennoch aber aus Ersah«

rung weißt, zu welcher Ungerechtigkeit Gram, Mißmuth und böse Laune verleiten können, und

noch Kraft hast, ihnen entgegen zu kämpfen, nicht durch schwere Leiden nieder gedrückt, nicht durch tief eingewurzelt« Krankheit entnervt bist—

kämpfe ihnen entgegen, suche frohe Menschen auf, gewöhne dich, die gute Seite der Men«

scheu und der Dinge zu erkennen, mäßige deine

Wünsche, lerne entbehren und weif« genießen! Wie könntest du die Menschen lieben und das Unrecht hassen, und dich dennoch der Gefahr •) Thümmel« Reisen in die mittäglichen Provinzen von Frankreich.

Dritter Theil.

229

aussehen, durch böse Laune und Mißmuth zu einem menschenfeindlichen Betragen fortgeriffen zu werden! Di« finstern Freudenfeinde find, «» nicht Feinde, doch gewiß auch nicht leicht thätige Freunde der Menschen. Wie sollten sie andern Freude schaffen, wenn sie selbst für die Freude keinen Sinn haben? Erwartet wenigstens keine gute That von ihnen, wozu anhaltende Thätige feit und ausdauernde Kraft erfordert wird! An guten Wünschen und Vorsätzen sind einige von ihnen reich, aber arm an Thätigkeit und Hande lung, und bey manchem erstirbt allmählich auch der gute Wille. Lerne Weisheit und übe sie au» um der Tugend selbst willen! Tugend erfordert Kampf; wo soll aber der die Kraft zum Kampfe hernehmen, dem Gram und Unzufriedenheit am Herzen nagen? Wolle kein Glück ohn« Tugend, aber iffne dein Herz der schuldlosen Freude, die dich mit Kraft ausrüsiet, deine Pflichten auch dann zu erfüllen, wenn sie Kampf und Opfer fordern!

;go

Pächter Martin.

XI.

Dar reiche Mahl der Freude in allen Jahreszeiten. 9D?nn sollte glauben, jeder Mensch, der fähig ist, gesund mit offnem Sinn und mit denkendem Geiste die Wunder der Weisheit und Güte Gottes in der Natur zu betrachten, müßte sich von Ehrfurcht, Lieb« und Vertrauen gegen den Schöpfer durchdrungen, und sich gestärkt fühlen, zufriedener auf einer Erde zu wandeln, auf welr cher selbst für den minder Beglückten doch so manche Quelle de- Trostes, der Ruhe, der Freude fließet; sich gestärkt fühlen, auch den trübern Tag muthvoll, glaubend und hoffend, zu ertra­ gen, des hohen Vorzugs, der ihm als Menschen zu Theil wurde, immer würdiger zu leben, und vorzüglich immer freudiger die Gebote eines Got­ tes zu vollbringen, der als liebevoller und seg­ nender Vater gebietet — und der seinen Men­ schen in jeder Jahreszeit «in reiches Mahl der Freude bereitet.

Dritter Theil.

231

Schon der Wechsel der Jahreszeiten an sich, wie wohlthätig ist er! Einen ewigen Frühling möchte der Mensch so wenig, als ein anhaltendes «munterbrochncS Glück, ertragen. Inniger ge­ nießt er das Glück, das er eine Zeit lang entbeh­ ren mußte, und fühlt es nach dem Winter zwie­ fach, welch ein reiches Mahl der Freude ihm in jedem Frühlinge bereitet wird. Wenn nun wieder des Himmels Bläue und der Erde Grün so Auge als Herz erquickt; wenn nun wieder ein milderer Sonnenstrahl das vorher erstarrt« Erd­ reich erwärmt, und Pflanzen, Blumen, Früchte und Gewächse aller Art empor keimen; wenn der Baum, der vorher so reihlos und trauernd da­ stand, als hätte des Todes Hand ihm Laub und Leben abgestreift, nun mit neuem Leben beseelt, mit neuen Reihen auögeschmückt, die blühenden Zweige ausbreitet; wenn Flüsse wieder rauschen, Bäche wieder rieseln, Blüthen wieder duften, und Millionen verschiedener Geschöpfe theils zum Leben entstehen, theils zu erneutem Leben wieder erwachen, theils aus entfernten Gegenden auf die verjüngte Flur zurück kehren, und in mannig­ faltigen Tönen ihr Daseyn und Wvhlgefühl ver«

Pächter Markin,

r;r

kündiqen: wo wäre dann ein menschliches Auge, das nicht mit Wohlgefallen dir Schönheit der

Matnr betrachtete! wo ein menschliche« Ohr, das nicht den Aufruf zur Freude vernähme! wo ein menschliches Herz, das dann nicht höher schlüge!

Selbst diejenigen, deren bessere Anlagen der Menschheit weniger ausgebildet wurden, können

dann doch den wohlthnenden Einflüssen des Alles

belebenden. Alle« erfreuenden Frühlings nicht Auch der Kranke vergißt auf

ganz widerstehen.

Stunden seine Schmerzen; der Unglückliche den

Kummer, der ihm am Herzen nagte. Zunächst für den Menschen ist das freudige Mahl bereitet.

fühlsvermögen

Wie eingeschränkt ist da- Ger der

niedern Mitbewohner der

Erde! Wie viel hingegen kann der Mensch umx fassen, wie viele Freuden genießen! Zhm, ihm zunächst duftet die Blume, blühet der Baum,

rauschet die Quelle, singet der Vögel, Chor.

Er

nur hat Sinn für höhere Schönheit, Wohllaut, Ordnung und Uebereinstimmung im Mannigfalr tigrn.

Er nur kann dunkle Gefühle, die ihm

durch die Sinne zuströmen, zu lichtvollen Gedan­

ken veredle»; er nur kann von dem Sichtbare»

Dritter Theil.

rz;

zu dem Unsichtbaren sich erheben, in dem Leben und Weben der Natur eine Stimme au« einer

andern Weil vernehmen, und, von dem Hauche des Allliebenden umweht und durchdrungen, mit

denkendem Geiste und fühlendem Herzen zugleich «uSrufen: Wie wunderschön ist Gottes Erde

Und werth darauf ein Mensch zu seyn!

Drum will ich, bis ich Engel werde, Mich dieser schönen Erde freun! Mit Abwechselung, aber mit «ohlthuender segensvvller Abwechselung dauert dieses Mahl der

Freude im Sommer fort.

Zwar senget dann der

Sonne Gluth manche Blume ab, aber treibt auch manche Blume und Freude empor.

Zwar fühlt

dann der Mensch bey den Arbeilen feines Berufs drückend die schwüle Hitze mancher Stunddn, aber

desto labender und erquickender wird ihm dann auch Schatten und Kühlung.

Zwar giebt es Menschen, die dann nicht ohne Lange Furcht dem herannahenden Gewitter ent» gegen sehen können; aber es giebt auch Menr scheu — und ihre Zahl wird sich mit den Fort-

234

Pächter Martin,

schritten in richtiger ReligionS » und Naturkenntr niß vermehren — Menschen, die fähig sind, jene

bange Furcht zu verdrängen, fähig , bey den lau» testen Stürmen der Natur sich ihrer sittlichen Würde und ihrer Erhabenheit über das Irdische und Vergängliche deutlicher bewußt zu werden,

und dann noch, wenn nächtliche Wolken den Himmel umgeben, strahlende Blitze hrrabfahren,

rollender Donner vom Gebirge wicderhallt und den Erdkreis erschüttert — dann noch mit Ruhe

dem gütigen Schöpfer und Erhalter de« Welt» all« zu danken, der auch im Gewitter segnet, Gesundheit und Fruchtbarkeit herabgießet, daß

die sinkende Pflanze sich wieder erhebe, und Alles,

was da lebt, sich vom neuen erquickt und gestärkt fühle. Der Sommer ist e«, welcher un« den vol»

testen Genuß der ersten und letzten Stunden des

Tages gewähret; wenn am Morgcnhimmel die Sonne prachtvoll empor steigt, und Licht und Wärme und Leben und Freuden über die Welt

verbreitet, oder, nach vollbrachtem Lauf für den

Theil der Erde, den wir bewohnen, am Abend» Himmel hinab sinkt, um in einem andern Welt»

Dritter Theil.

-35

theile wieder als Morgensonne begrüßt zu wer­ den. Zm Sommer vollbringt die Natur, unter der Leitung und Regierung des Allweisen und Allgütigen, ihr Werk zur Ernährung und Deglütkung zahlloser Geschöpfe; da reift die Dlür the zur Frucht, die Saat zur Ernte, zur Freude dessen, der auf Hoffnung den Samen ausstreute, und seine Hoffnung nun erfüllt, seinen Fleiß be­ lohnt sieht. Da wird sie ausgebreitet, die uner­ meßliche Tafel zur Versorgung der Lebenden vom Aufgang« bis zum Niedergänge. Und welche Fülle, welch« Mannigfaltigkeit gereifter Frücht« wird dann besonders dem Menschen dargereicht, zum augenscheinlichsten Beweise, daß ihm nicht bloß ein Mahl zur Sättigung, sondern auch zur Freude bereitet ist, daß er nicht bloß sein Leben erhalten, sondern auch seines Daseyns froh wer­ den , und dem milden Ernährer und freundlichen Geber den herzlichsten und freudigsten Dank dar­ bringen solle. Die Ernte beginnt im Sommer, und wird mit dem Anfänge des Herbste- vollendet; und so dauert schon in dieser Rücksicht das Mahl des Segen- fort. Freylich tritt nun wohl mancher

r;6

Pächter Martin.

trübe Tag ein, doch so, daß uns auch oft noch

der Herbst eine erfreuliche Zugabe zur schinern Zahreszeit schenket, die vielleicht nm so mehr

genossen wird, weil sie unerwartete Zugabe ist. Denn so ist der Mensch:

in der Fülle von

Glücksgütcrn, und mit der Hoffnung, immer mehr zu erhalten, verschiebt er ost den weisen Genuß von einem Tage zum ander».

Künf­

tig will er thun, »as er jeht thun könnte;

und so läßt er die Gegenwart ungenützt vorüber

stiegen. Er vergißt, daß der künftige Augenblick, kaum als Zukunft gedacht, zur Gegenwart und eben so schnell zur Vergangenheit wird.

Der

Frühling gleicht dem Feste des Reichen, der alle

Tage herrlich, aber darum nur selten in Freude

lebt.

Der heitere Herbsttag gleicht dem Feste

des Armen, das selten kommt, aber dann mehr

genossen wird.

Darum gewinnt der heitere

Herbsttag nicht bloß durch den Wechsel mit vor­

her gegangenen trüben Tagen, sondern auch durch die Desorgniß, daß er vielleicht der letzte, oder doch bald der letzte seyn möchte, an welchem noch

Sonnenlicht «nd Sonnenwärme zugleich dem Menschen wohl thut.

Und so werden wir nicht

Dritter Theil.

237

mit einem Male, sondern durch allmähliche Vor,

berritung aus der freyern Natur in den engern Raum der häuslichen Wohnung zurück gewiesen. Freylich ist das Gefühl, mit welchem wir den

blühenden Daum betrachteten, verschieden von

dem, mit welchem wir jetzt über das Herabsim

kende Laub hinwandeln. Eine Art von Wehmuth befällt uns, wenn wir das Laub — als ob es dem Tode entgegen blühen wollte — in gefällig« Farben umgestal,

tet herab finken sehn; aber eine Wehmuth, die bey Menschen, welche einen schönern Frühling in Gefilden einer bessern Welt hoffen, nicht

Schmerz, sondern nur eine Freude ernster Art ist.

Es scheint, als ob wir jetzt weniger mit

de» Sinne» al- mit dem Geiste genießen sollten, durch einen Wechsel, den wir vielleicht nicht will,

kührlich wählen würden, dessen Wahl aber für uns heilsam ist.

Vergleicht man den Frühling mit der Zugend

des Lebens, so erscheint der Herbst in dem Bilde des vollendeten männlichen Alters, dem nicht so spielender Scherz als stille denkende Heiterkeit

geziemt.

Za «in herzerhebendes Bild stellt der

238

Pächter Martin.

Herbst von einem Menschen dar, der in reifern

Zähren ohne Neue auf die genossenen Frühlings/ freuden zurückblicken, und jetzt sich sagen darf,

daß er in seinem Sommer gewirkt habe , iinb noch nach dem Maße seiner Kraft sich für die Welt nützlich zu machen suche.

O daß doch jeder

in dem Herbste seines Lebens sich in diesem Bilde erkennen möchte; ruhiger wirb er dann seinen

Winter herannahen sehn! Auch der Wirrt er ist nicht freudenleer.

Er

gewährt uns manchen Tag, an welchem wir mit heiterm Blick den Sonnenstrahl auf der Oben

-fläche des Schnees, auf dem Eise der Gewässer, auf dem Dufte der Baume glänzen sehn, oder auch mit dem Wohlgefühle, das aus dem De,

wußtfeyn der Sicherheit vor Gefahren entspringt,

im ruhigen Obdach, durch Gottes Huld gegen Mangel, Sturm und Kälte geschützt, in dem

erwärmten Zimmer die stürmische rauhe Witte/ rung leicht ertragen können — besonders wenn

wir von Menschen umgeben sind, mit welchen wir in traulichen Gesprächen Gedanken und Em, pfindungen umtauschen.

Denn eben diese engere

Vereinigung im häuslichen und freundschaftlichen

.Dritter Theil.

239

Kreise verdient gewiß als ein vorzüglicher Theil des freudigen Mahles, das Gott uns durch den

Wechsel der Jahreszeiten bereiter, mit Dank ge,

dacht zu werden.

Der Mensch, der vorher frey,

wie die Natur, sich ausbreitete, soll nun die Bande, welche Menschen zu chrer gegenseitigen Veredlung und ihrem gegenseitigen Wohle binden,

segnen, und im Umgänge mit Andern milder und menschlicher werden.

Damit aber dennoch nicht

bey der äußern Beschränkung sein Geist allmächr

tig eingeengt werde: so bereitet ihm Gott von Zeit zu Zeit ein Schauspiel, das den freyen Auf,

fing des Geistes befördert, ein majestätisches Schauspiel, das in den länger» Winternächten auf das vollkommenste genossen werden kann —

den Anblick des gestirnten Himmels.

Zn einer heitern Winternacht unten erst die Schneedecke wie ein großes weißes Leichentuch ausgebreitet sehn, und dann zum wolkenlosen

Himmel, zu zahllosen Welten empor blicken, die

gewiß eine höhere Bestimmung haben, als matte Lichtstrahlen auf unsere Erde zu werfen, in wel, chen gewiß auch vernünftige Wesen das herllgc

Gesetz deS ewigen Geistes anerkennen — walu-

240

Pächter Martin.

lich, dieß ist ein festliche«, hochfcierlicheS Mahl

für jeden, der an Gott und Tuqend, und darum an Unsterblichkeit glaubt! Der Christ wird stch lebhaft an Zesu Ausspruch erinnern: Zn meines

Vaters Hause sind viel Wohnungen! und mit unaussprechlicher Ruhe wird er dann von dem

Leichentuch« zum strahlenden Stcrnenkranze empor

blicken, erhaben über alles, was Zeit und Raum beschränkt, und da auch unter dem Frost des

Winters fein Her» für höhere reinere Freuden erwärmt fühlen. Reich, reich ist das Mahl der Freude, das

«ns Gott in jeder Jahreszeit bereitet! Laßt es

«ns mit Dank gegen den Geber aller guten Gaben genießen!

Unsere Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur hängt aber von unserer Empfänglichkeit

für das sittlich Schöne und Gute ab. Wie wahr, wie unläugbar wahr ist, was der Dichter sagt:

Der Erde fehlt- an Engeln, nicht an Pracht Daß sie kein Himmel ist! Allein sie glänzet für die Tugend nur.

Der Unschuld ist sie schön!

Uim

Dritter Theil.

341

Umsonst schmückt sich mit Himmeln die Natur Für Augen, di« nicht sehn! Ach, von wie vielen Menschen muß man noch sagen: Sie haben Augen, und sehen nicht, sie haben Ohren, und höre» nicht; denn es fehlt ihnen an dem Herzen, welches das Schöne und Gute aufzufaffen vermag. Wie kann die still« Feierlichkeit der Natur uns wvhithun, so lange noch Stürme wilder Begierden und Leidenschaft ten in unserm Innern wüthen? Wie könne» wir mit Wohlgefallen schöne Ordnung außer uns wahrnehmen, so lange wir noch im Widersprüche mit uns selbst begehren und thun, was wir »ach unsrer Vernunft mißbilligen müssen? Wie kön­ nen wir mit Freude die Natur als das Werk eines gütigen Gotte» betrachten, so lange wir noch wissentlich und vorsätzlich dem Willen die, fes Gottes entgegen handeln? O laßt uns das erkannte Gute aufrichtig «ollen und vollbringen, und di« Natur wird uns mit Mutterliebe umfanr gen und wohlthnn! Laßt «ns aber auch mit wei­ ser Zufriedenheit unsere Wünsche beschränken, und nicht unmäßig auf einer Erde fordern, wo wir 16 3- Theil.

141

Pächter Martin,

doch alle mehr erhielten, als wir zu ferdern brr

rechtlgt waren.

Laßt uns den trüben Tag mit Muth und

Standhaftigkeit ertragen auf einer Erde, auf

welcher nach jedem Winter ein Frühling folgt, und selbst der Winter nicht freudenleer ist!

Laßt uns so leben, daß wir einst mit freut digem Danke das Mahl, das uns Gott hieni«

den be eitet hat, verlassen können, mit der Ueber»

zeugung: Gott wird auch dort «ns segnen l

Dritter Theil.

XII.

Kennzeichen und Werth des guten Herzens. Viele unter meinen Lesern werden sich noch einer Zeit erinnern, in welcher von nichts mehr als von Empfindsamkeit gesprochen und geschrieben wurde, in welcher man alle Tugend auf Empfind' samkeit zurück zu führen suchte, und den gam zen Werth des Menschen nach seiner Fähigkeit, schnell und leicht gerührt zu werden, beurtheilte. Die Folge davon war: man erzwang und erkünr sielte Empfindungen, um doch auch unter die vermeinten bessern, edleren Menschen zu gehör ren, oder man begnügte sich, zu empfinden, wo man hätte denken, und Thränen des Mitleids zu weinen, wo man hätte die Hand zur Hülfe und Rettung anlegcn sollen. Es entstand eine Schwärmerey, welche der Vernunft Hohn sprach, eine kraftlose Weichlichkeit, die vor jedem mühr

344

Pächter Martin.

samen Geschäfte zurück bebte, und eine Frömmelep, welche Empfindungen für Thaten gab. Der Irrthum war zu groß, und hatte zu traurige Folgen, als daß nicht weise Menschenfreunde alle Kraft hätten ausbieten sollen, ihn, und die durch ihn erzeugte Empfindeley zu ver­ drängen ; und ihre Bemühung war nicht frucht­ los. Es ist aber das gewöhnliche LooS der Men­ schen, daß sie nur gar zu leicht von einem Irr­ thum zu dem entgegen gesetzten übergehen, und die dazwischen liegende Wahrheit überspringen. Ze lebhafter sie von der Größe und Schädlichkeit eines Irrthums überzeugt sind, desto geneigter werden sie, zu glauben, daß sie sich nicht weit genug davon entfernen können; so eilen sie von einem äußersten Ende zum andern, und verfehlen die Wahrheit. Dieß ist besonders bann der Fall, wenn einZrnhum leidenschaftlich bekämpft wird; wo nicht selten auch der aufrichtigste Wahrheits­ freund durch Uebertreibung der guten Sache scha­ bet, und den entgegen gesetzten Zrrrhum begün­ stigt. So geschah es denn auch, daß viele von jener «nächten Empfindsamkeit, von jener »ernunfllosett

Dritter Theil.

345

Lmpfindeley zu einem herzlosen Vernünfteln über/

gingen.

Fälschlich glaubten sie, daß ein gesühl,

volle« Herz immer von Schmücke de« Geiste­

zeuge, daß jede lebhafte Empfindung den Mem scheu zur Sinnlichkeit herabziehe und dadurch

ihn entwürdige. Wer hörte nicht zuweilen da« Urtheil: Der

Mensch hat ein gute« Herz! mit einer Miene, mit einem Tone, auf eine Art fallen,

daß das Lob dadurch zum Tadel wurde. E r h al

«in gute« Herz! da« heißt in dem Munde

mancher Uebcrwe»sen: Der Mensch hat kindliche Güte — ohne männliche Kraft und Einsicht. Nun gebe ich es zwar gern zu, daß nicht

selten Gutmüthigkeit ohne Geisteskraft gefunden werde — so wie leider oft «in sehr Heller Kopf bey einem bösen Herzen gefunden wird t: glaube

aber auch, daß sich Geisteskraft und Herzensgüte,

wie Licht und Wärme, gar wohl vereinigen lassen, «nd daß beides vereinigt den Adel der Menschheit

ausmache. Pflanzen, die in Treibhäusern, durch bloße Ofenwärme, ohne Sonnenlicht, gezogen werde»,

sind ärmliche kränkliche Pflanzen; aber auch nicl-r

246

Pächter Martin,

einmal eins dürftiqe Pflanze entkeimt dem vorn Frost erstarrten Erdreiche unter den Strahlen der

Winterfonne.

Nur dann, wenn der erhellende

Sonnenstrahl zugleich den Doden erwärmt, ent/

keimen, blühen und reifen Gewächse aller Art

schön und kraftvoll.

Vielleicht wird man den

Werth des guten Herzens höher anschlagen, wenn

man einen richtigern Begriff mit dem Worte selbst verbindet, als wohl gewöhnlich damit per/

bunden wird.

Wir finden in dem Menschen Vernunft und Sinnlichkeit im Kampfe, die Forderungen eines höheren Gesches, dessen Vernunft r und Recht/ Mäßigkeit er nidjt verkennen kann, mit seinen

Neigungen und Begierden im Widersprüche. Der Mensch kann nicht mit sich selbst zufrieden seyn,

so lange er diesen Widerspruch in sich wahrnimmt.

Aber wie soll er ihn lösen? Was kann und soll

er thun, um zur Einigkeit mit sich selbst, da/ durch zur innern Ruhe, zum Frieden der Seele zu gelangen? Doll er es als das höchste Ziel seines Lebens ansehen, Glück zu machen, irdische, vergängliche Freuden in so vollem Maße, als nur

-immer möglich, zu genießen? Ach auf diesem

Dritter Theil.

247

Wege gelangt er nimmer zum Frieden mit sich selbst'. Gottes Stimme in ihm, fein Gewissen

spricht dagegen, onb er fühlt sich selbst entwürr digt, wenn er die Vernunft znm Dienste drr

Sinnlichkeit herabwürdigt, wenn er sich bloß als

Thier betrachtet, mit dem einzigen Vorzüge, mehr und länger als da- Thier sinnliche Freuden gee nießen zu können.

Soll er hingegen die Sinn»

lichkeit ertödten, jeden Trieb nach Lebensgenuß und Freude gewaltthätig ausrotten? So müßte et

aufhören Mensch zu seyn, um als reiner Geist leben zu können.

„Nein; nicht vernichten soll der Mensch den Trieb nach Lebensgenuß und Freude, foiti dern ihn nur der Vernunft unterordnen, durch sie ihn beherrschen und gehörig Ui:

ten!" Richtig! das soll er.

Aber welch ein schweres

Unternehmen! Wie wahr ist eS, was ein Weiser

der Vorzeit sagt: Wem dieß gelingt, wer seines Muthe« Herr wird, wer seine Neigungen, Bet gierden und Leidenschaften besiegt, der ist mehr, als wer Städte gewinnt und Länder erobert!'

-4?

Pächter Martin.

Was wird bey den meisten Menschen die btoß gebietende, kalte, ruhige Vernunft, da sie über» dieß gewöhnlich erst dann, wenn die Sinnlichkeit schon erwachsen ist, entkeimt — was wird sie bey den meisten Menschen gegen warmes Blut, was gegen heftige Begierden und stürmische Leit denschaften vermögen? Wie wird der Mensch im Stand« seyn, das, was er vernünftig billigt, dem vorzujiehen, «a< die Begierde mit Ungei stüm fordert? -----Muth! Muth uns Mitgenossen dieser Erde, aber auch Mitqenossen der Unsterblichkeit! Der Allgütige und Allwerse, der den Menschen zu einer hohen Bestimmung schuf, rüstete ihn auch mit Kraft aus, sie zu erreichen. Er, der überall bey allen Stürmen dennoch Ordnung, Ueberein­ stimmung und Zusammenhang in dem großen Gebiete der Natur zu erhalten weiß, er sorgte auch für Aufrechthaltung der sittlichen Ordnung tn der Geisterwelt, und er wußte den scheinbaren Widerspruch in dem Menschen, zwischen den Fon derunqen der Vernunft und den Trieben der Sinnlichkeit, durch Vermittelung deS menschlichen Herzens aufzulösen.

Dritter Theil.

249

Gott gab den Menschen ein Herz. Versier hen wir unter dem Ausdruck Herz nicht das Empfindungsvermögen, Gefühl für Freude uud Schmerz, überhaupt; sondern wir das davon ab, war der Mensch an sinnlichen Trieben mit dem Thiere gemein hat — und was ja schon durch den gewöhnlichen Sprachgebrauch selbst ab» gesondert wird, da man nie von dem Thieresondern nur von dem Menschen in sittlicher Be» ziehung sagt: daß er «in Herz hab« — so bleib» dann der unläugbare Vorzug des Mensch«« r Sin» und Empfänglichkeit für das wahrhaft Schöne und Gute zu habendaher das, was die Vernunft billigt, hegehrungS», wünschenstund liebens» würdig zu finden. So ist da- Herz das Neinmenfchljche in dem Menschen, das, womit er von der Sinnenwelt zum Geisterreiche übergeht, das, waS ihn über die Erd« erhebt, ohne ihn dock, so lange er noch als Mensch hienieden wandeln soll, der Erde zu entziehen. Das erste Kennzeichen eines guten Herzens ist: reine, innige Liebe für das wahre haft Schöne und Gute.

Pächter Martin.

250

Empfänglichkeit dafür — Fähigkeit, da- m kannte Gute zu lieben, hat der Mensch unläugr

-ar; -r muß durch wiederholte Laster tief unter die Menschheit herabgesunken, muß — wenn ich

mich des Ausdrucks bedienen darf — schon ganz entmenscht seyn, wenn er diese Empfänglichkeit

Verliert.

Nicht bloß die Vernunft, sondern auch

da- Gefühl jedes nicht ganz verwahrlosten Men-

schen empört sich -egen offenbar ungerechte und lasterhafte Handlungen; er sieht hingegen schöne,

gute Thaten mit Wohlgefallen, bemerkt die Aeuße­ rungen sittlicher Güte nicht bloß nut Billigung,

sondern auch mit freudiger Theilnahme; und je

mehr er dieß Gefühl ausbildet, je inniger und wirksamer dadurch feine Liebe zum Guten wird: desto besser wird sein Herz, desto mehr weiß er

seine edleren Wünsche gegen die unedleren geltend zu machen — denn GotteS Gesetz ist in seinem

Herzen.

So gelangt er zur Uebereinstimmung

mit sich selbst, zu innerer Ruhe, zum Frieden der

Seele, weil er das Gute williger und freudiger vollbringt.

Nun freut er sich des Lebens, ohne

dem Tode entgegen zu zittern, nun strebt er nach

dem hohen Ziele, da- ihm aufgesteckt ist, ohn^

Dritter Theil.

i 51

seinen irdischen Berns zu vernachlässigen, aber auch ohne über den ersten Wohnsitz daS Varerland, ohn« über daS Land der Vorbereitung daS Land der Vollendung zu vergessen; nun genießt er die Freuden der Erde an der Hand der Tugend mit weiser Mäßigung, weiß sich selbst die klei­ neren Vergnügungen deS Lebens durch Beimi­ schung deS Geistigen und Sittlichen zu erhihen, zu verschönern und zu veredeln; und fordert die Tugend auch größere Opfer, er bringt sie willi­ ger , da di« Göttin, die er anbetet, die Geliebt« seines Herzens geworden ist — so ist die Erd« und der Himmel sein. Sehet das erste Kennzeichen des guten Her­ zens , das: der innigen Tugendliebe überhaupt; und verbindet damit das zweyte, das: der Menschenliebe insbesondere.

Und hier, hier, denke ich, zeigt es sich noch deutlicher, daß das Herz der Vermittler in dem Menschen seyn sollte — zwischen den Forderun­ gen, die der Himmel, und den Ansprüchen, die die Erde an ihn macht; zwischen dem, was er als Verwandter der Geisterwelt billigt, und dem.

$5*

Pächter Martin,

wozu ihn, noch mit der Hülle brr Menschlichkeit umgeben, die Sinnlichkeit hinzieht. Darum pflanzte uns Gott den schönen Trieb des M i t< gefühlS, der Theilnahme an den Freuden und Leiden unserer Mitmenschen, ins Herz, den edlen Trieb, der sich bey allen guten Menschen so wirk­ sam zeigt. Ungemäßigte Selbstliebe — Selbstsucht ist

vder ihue wenigstens auf dir Schuld Verzicht.

Eine edle Schamröthe färbte Hameds Anger ficht; und noch an demselben Tage wohnte Al: Makar in dem Pal-ste des Fürsten und speiset?

an seiner Tafel.

270

Pächter Marti».

XVI.

Ella-Mira.

Noch eine persische Erzählung.

Es war am sechsten Tage des schönen Monats, in welchem Sultan Hamed der Gute — wie

er gewiß genannt zu werden verdient — in seit nein Garten zu wohnen pflegte, als der gute

Fürst früh, wie er aus dem Lusthause trat, einen

Anblick hatte, der seine Seele erschütterte.

Ein

junges Weib, deren Schönheit Gram und Lei­ den nicht ganz hatten auSlöschen können, lag ent­ seelt, den Dolch in der blutenden Brust, vor

der Thür, und neben ihr ein kleiner Engel, ein Kind, kaum ein halbes Zahr alt, das im Grase spielte, mit einigen beschriebenen Palmblattern.

Vergebens war die Bemühung der geschickten Aerzte, welche auf Hamed'S Befehl alles, waS die Kunst vermochte, zur Rettung der Unglück-

Dritter Theil.

271

lichen aufboten; der Stoß hatte das Herz getrost

fen! Sultan Hamed, der während der Zeit, daß die Aerzte die Mutter zu retten suchten, ihr Kind in seine Arme nahm, und sich bey dem

Lächeln de- kleinen schuldlosen Geschöpfes erheiterte, richtete jetzt seinen Blick auf dre Palm­

blätter, bemerkte die Aufschrift: An Sultan

Hamed; und las:

„Verzeihe, Vater, verzeihe einer Unglückli­ chen, die nun, wenn du dieses liesest, auSge-

weint hat, verzeihe ihr, daß sie aus Mutterliebe Deinem edlen Herzen wehe that! Höre, Vater

Hamed, höre meine traurige Geschichte, und Du wirst mir verzeihen, und wirst die Bitten —

ich hoffe es mit Zuversicht zu Deinem edlen Her­

zen, und fühle mich durch diese Hoffnung allein

gegen die Schrecken de- nahen Todes gestärkt — wirst die Bitten der Sterbenden erfüllen. Zch war die einzige Tochter eine- Mannes,

der zwar dem Range nach nichts als Bürger von Kaschmir«, aber an innerem Werthe — doch seine

Freunde, seine Nachbarn, und ape, die ihn kann­ ten, mögen Drr sagen, was für ein Mann Had-

dina war. Meine Mutter verdiente das Glück,

>>72

Pächter Martin.

-es besten Mannes Gattin zu seyn; und die (lerne Ella -Mira war der Mutter Stolz und dcS Vaters Freude. Mein Vater lehrte mich benteit, die Natur gab mir ein Herz, für alles Schöne und Gute empfänglich, und als ich kaum dreyzehn Sommer zählte, so sagten mir die Züngi finge von Kaschmira, Meine Gestalt sey nicht ohne Reihe. Unter andern sagte mir das auch Al-Hassan, und von keinem hörte ich es lie­ ber, als von ihm: denn Al - Hassan war selbst eist schöner junger Mann, und übertraf alle Jünglinge, die ich kannte, an Geistesbildung. Er suchte und fand Gelegenheit, meinen Vater oft zu besuchen, und meine gute Mutter — ach die gute Mutter fehlte aus allzu zärtlicher. Liebe und vielleicht aus verzeihlicher mütterlicher Eitelkeit, die es schmeichelhaft fand, einen Raja zum Schwiegersohn zu haben — erleichtert« ihm den Umgang mit ihrer Tochter. Al - Hassan schwur mir ewige Liebe, versprach mir, so bald et die Einwilligung seines Vaters erhalten hätte, mich zu seiner Gattin zu wählen: und ich glaubte seinem Schwur und seinen Versprechungen, weil ich ihn für wirklich «del hielt, und — weil ich ihn

Dritter Theil. ihn liebte.

»73

Drey Zahre dauerte unser Umgang;

manch« Stund« der Einsamkeit wollte Al - Has,

san mißbrauchen; ich zürnte, und verzieh; denn

Liebe war seine Vertheidigerin, Liebe seine Rich«

Am Ende des dritten Jahres starb Al«

Urin.

Hassans Vater. Er war oder schien trostlos über diesen Verlust; ich weinte mit ihm und tröstete

ihn.

Zn dieser Lage, wo ich ihm zum ersten

Male erlaubte, mich allein in einer Abendstunde

zu besuchen, wo ich nur den leidenden Freund

neben mir sah, wo ich alles anwandte, um ihn

zu beruhigen, wo ich ihm die Thränen vorn Auge küßte, fester chn an das theilnehmende

Herz drückte: ach! da siegte er über das schwache Herz------------ Ich weinte nun nicht mehr über seinen Verlust, ich weinte über den meinigen,

klagte ihn an, machte ihm Vorwürfe, und ward

untröstlich.

Da ich die Folgen meiner Schwach,

heil zu fühlen anfing: da wurden seine Besuche

Drey Monate nach der Todesstunde

seltener.

meiner Unschuld und meines Glücks hörte ich den

schrecklichen Ruf: Al-Hassan hat sich mit der Tochter Al-Ala, Red dins verherrlt,

1 h et.

Mein Vater, wie er die Entehrung seiner

3. Th-il.

18

Pächter Martin.

374

Tochter erfuhr, behandelte mich zum ersten Mal« in seinem Leben — nicht väterlich, und in der darauf folgenden Nacht machte ein Schlagfluß —

«nstrritig die Folge des heftigen Zorns, seinem Leben ein Ende.

Noch ehe ich das Kind des

Unglücks gebar, starb auch meine Mutter vor Gram — und ich allein, die Mörderin meiner

Aeltern, wenigstens die Ursache ihres frühe» Todes, ich mußte leben bleiben, um noch mehr zu leiden.

Dir einzige Hoffnung blieb mir, daß

Vie Stund« der Geburt meines Kindes die Stunde meines Todes seyn werde. Zch gebar und konnte

nicht sterben.

Zch wollte mein Leben gewaltsam

endigen: aber die Mutterliebe entwand mir den Dolch aus den Händen.

Nun fiel ich in die

Hände des Gesetzes, und mit dem Rest meine» Vermögen» maße« ich die mir angedrohte öffent«

liche Schande abkaufen.

Zch suchte Zuflucht bey

Freunven; Niemand wollte sich der Geschändeten annehmen; die Noth trieb mich unter die Men» fchen, und sie stießen mich mit Verachtung von

stch.

Dieselben Menschen, welche me»

nen Verführer — Zederman wußte, daß er da» sey — öffentlich ehrten nach seiner

Dritter Theil.

27;

schwarze« That, wir zuvor, -«handelten di« Verführte, die schrecklich genug für

ihren Fehler gebüßt hatte, mit dem bittersten Spotte, mit der empfinde

lichsten Geringschätzung. O Menschen, was verachtet ihr, daS Laster oder das Unglück?

Unsere heiligen Bücher erzählen viel von den Martern, welche die Uebelthäter jenseits des Grabes an dem Orte der Nacht und der Qual ausstehen müssen: aber mehr können st«

nicht leiden, als ich gelitten habe.

Darum sey

mein L00S nach dem Tode, was rS wolle; ich

unterwerfe mich; aber dieß Leben kann ich nicht länger ertragen.

Unter Hunger und Kummer hab« ich nm meine- Kindes willen bis hierher da< Leben der

Nacht und der Qual ertragen, länger kann ich nicht.

Zn kurzem würde ich ohnehin mit nww

nem Kinde vor Mangel haben umkommen müs­ sen, wenn ich nicht stehlen, oder mich zu einem

Gewerbe, daS eben so schändlich ist, erniedrigen wollte.

Ich sterbe also lieber allein, und rett«

mein Kind, daS ich Dir, guter Fürst, Vater

176

Pächter Martin,

aller Deiner Unterthanen, fn Deine Hände leg».

Erbarme Dich des schuldlosen Geschöpfs, und der

Unsichtbare wird zum Lohn für Deine Erban mung Freude Dir inS Herz gießen.

Vater, erbarm« Dich! erbarme Dich meines

lindes! aber —- höre auch noch eine Ditte der

Sterbenden:

Erbarme Dich der Unglücklichen,

die, so wir ich, die Mutterwürde zu ihrem Vcn derben empfangen! Erbarme Dich der Gerecht tigkeit, die die Verführte bestraft und den Den

führer ungestraft läßt!

Erhöre diese Bitten der

unglücklichsten aller Mütter!

Ella i Mira. Nun ist. Trotz des Widerspruchs des Ober»

Priesters M u s s u ck und der Raja'S, die Den

ordnung ergangen: „Daß jeder Verführer eines Mädchens, und

wäre sie auch ein bloßes Landmädchen, und ihr Verführer ein Omrah, gehalten seyn soll, die Verführte, wenn sie Mutter wird, zur Ehe zu

nehmen, um ihre verlorne Ehre vor der Welt

wieder herzustellrn.

Sie können dann wieder

getrennt »erden, — wenn Gründe dazu von

Dritter Theil.

»77

Hande» sind; dock bekLlt-die Mutter den Name» des Mannes, und unter bttstm Namen wird auch

das Kind erzoqen. für deffen_Erziehung der Vater, nach Maßgabe seine« DermigenS, zu sorgen ven

Da« K,nd hat übrigen« mit den in

bunden ist.

der

Ehe

Rechte,

erzeugten

und

Kindern

gleiche bürgerliche

seine Geburt soll ihm zu keinem

Dorwurfe gereichen.

Pächter Martin.

»78

XVII.

Die lehrenden Gräber. 9)teden, viel» leicht nur für sehr wenige Menschen ist anhak

tendeS Glück wahrhaft heilsam. Sittliche Würde, vereint mit stiller Güte, Strenge gegen flch selbst, vereint mit sanfter Schonung und Duldung gegen den Irrenden und Fehlenden, Kraft und Milde im engsten Bunde werden nicht leicht anders als

in der Schule des Unglücks ausgebildet. Zu jedem

hihern Wirkungskreise wird eine sorgfältigere und mühevollere Vorbereitung erfordert.

Glaubet

«nd hoffet, der Vater der Menschen, der so gern

wohl »Hut, so gern erfreut «nd segnet, läßt seine

288

Pächter Martin.

Kinder nicht zwecklos leiden. Gewiß auch ihr, die ihr jetzt leidet, werdet emst den rauhen Weg segnen, den Golt euch führte, werdet in feiner Führung weise Güte mit Dank erkennen; die ihr mit Thränen säetet, ihr werdet einst mit Freude» ernten. Duldet muthvvll, glaubt und hofft, und will der schwache Mensch in euch ermatten; so blicket nach dem Grabe, wo Vergeffenheit der Sorgen, Ruhe nach der Arbeit, Sieg nach dem Kampf», «nd das Ende jedes Kummers euch »rwartet. Nur auf eine kurze Zeit wandelst du neben deinen Mitmenschen, wandle im Friede mit ihnen den Weg zum Grabe! Da ruhen a»rch sie in Frieden neben einander, die einst in Zwist und Feindschaft mit einander lebten, die oft ein leichtes Wort entzweyte, ein kleiner Verlust, den ihnen Andere verursachten, erbitterte, ein Fehler der Uebereilung zu Rach» sucht entflammte, und die dann mit unversöhnt lichem Hasse sich einander verfolgten. O die Armen, daß sie sich selbst den Becher der Freude, den ihnen chr Schutzgeist so freundlich darr

Dritter Theil.

289

darrcichte, vergällten und vergifteten! Lasset unS weiser, lasset uns besser handeln! Verziehen sey allen, dir mich beleidigten! Zch habe keinen Feind mehr! Es kehret znm Staube zurück, waS dem Staube angehört. Lerne vom Staube scheiden, was überden Staub erhaben, was unvergänglich ist! Diese Lehre begleite uns noch vom Grabe in» thätige Leben. Wir nannten die Gräber Ruhe­ stätten unserer verstorbenen Brüder, Gräber der Menschen; und folgten in diesem Ausdrucks dem gewöhnlichen Sprachgebrauche. Allein sollte wohl dieser Sprachgebrauch bestimmt und richtig seyn? Menschen, vernünftige Wesen, die sich mit einem Strahle des göttlichen Lichts beseelt füh­ len; Menschen, die durch Geisteskraft über all« andere Geschöpfe der Erde wett erhaben sind, die auf Kenntnisse verstossener Jahrhunderte neue Kenntnisse fortbauen, die Welten messen, den Lauf der Gestirne berechnen, und mächtigen Ele­ mente» gebieten, für ihren Dienst zu arbeiten — Wesen mit allen diesen hohen Vorzügen sollten der Raub eines vernichtenden Todes seyn? Und 3. rh-u.

190

Pächter Martin

Wesen, die fähig sind, mit edler Freyheit da­ erkannte Gute selbst im Widerspruch mit ihre»

Neigungen und sinnlichen Wünschen zu wählen,

diese könnten im Grabe vernichtet werden?

Wenn der Zünqling mit rastlosem Eifer seine Kräfte auebildete, und nun eben, da er seine Kräfte zum Segen für die Welt «»wenden wollte,

von dieser Welt abgerufen wird; und wenn der Edle sein Leben der Tugend zum sreywilligen Opfer darbringt, oder von dein Lasterhaften zu

Bode» getreten wird — da umfaßte das Grab

jene Kraft, da umfaßte das Grab diese Tu­ gend? — O mit einem Glauben, den nichts zu

erschüttern vermag, blicke ich vom Grabe zum Himmel empor, unterscheide mit dem deutlichsten

Bewußtseyn das, was jetzt noch über dem Staube steht, und einst zu Staub wird, von mir selbst, der ich glaubensvoll Gott, Tugend und Unsterblichkeit zu denken vermag.

Wir sind unsterblich i So wahr wir ein hei­

lige- Gesetz anerkennen, da« nicht für die Bet wohner des Staubes, das nur für Verwandte

der Geisterwelt gelten kann, wir sind unsterblich!

Dritter Theil.

191

Und Wahrheit und Tugend sind die Güter, die wir in das inner« HeiUglhum der Seele auffasscn

können, und als uns« bleibendes Eigenthum mit uns in die bessere Welk hinüber nehmen werden!

1. Geweihter Ort, wo Saat von Gott

Dem großen Ernte 1 Tage Entgegen reift, sey mir gegrüßt. Du Ort, wo jede Klage

Verstummt, wo mancher Ruhe fand, Der st« auf Erden nie gekannt!

1. Zwar stossen hier der Thränen viel.

Wenn von des Freunde- Herjen

Den treu'sten Freund das Schicksal riß; — Wit tief gefühlten Schmerzen Hab' ich auch selbst, ach, manchem Freund

Die Abschied-thräne hier geweint!

293

Pächter Martin. 3.

Doch Schlaf ist ja de- Menschen Tod,

Er schaffet Ruh den Müden,

Nimmt Leidenden die Bürde ab, Und bringt zum eiv'gen Frieden.

Weint, Freunde, nicht; denkt: Wiedersehn!

Di« Todten werden auferstehn! *)

4Belebend sinkt ein Sonnenstrahl Einst auf die Gräber nieder; Und wa- hier schläft, erwachet dann

Zum schönern Leben wieder. Zm Winter starb die Rose; seht!

Sie blüht vom Frühiingshanch umweht.

5-

Und was man hier der Erde giebt, Zst nur de- Geiste- Hülle. Unsterblich ist de« Menschen Geist!

Vernunft und guter Wille •) Auferstehung — es ist und bleibt doch eine schöne bildliche Vorstellung von Unsterblichkeit!

Dritter Theil.

Begleiten, wenn die Hülle fällt, Den Geist in jene beff're Welt.

6. Drum kann mein Blick vom Leichenfetd Zum Himmel sich erheben; Und winkt auch mir das kühle Grab,

Werd' ich nicht ängstlich beben. Ich pflücke in der Blüthe Zeit Di« Blume der Unsterblichkeit.

7Was ihr einst war't, das bin ich jeht.

Ein Pilger hier auf Erden;

Was ihr, entschlaf'»« Brüder, seyd, Werd' ich vielleicht bald werden. Nun dann — durch'S Todesthal eilst bu,

Mein Geist, dem Daterlande >«$

8. Doch dem nur wird der Uebergang

Zu jenem Vaterlande Der Weg zum Heil, der edel hier

Des Laster« Sclavenbandr

293

2 94

Pächter Martin.

Zerriß, der in der Prüfung-zeit

Sein Herz der Tugend har geweiht.

Auf Gräbern der Entfchlafnen sey Der Tugendbund aufe neue Derstegelt, hier gelobe ich

Der Tugend ew'gr Treue, Und heilig sey mir jede Pflicht,

Di« «inst mein Aug« sterbend bricht!

Dritter The«,.

?9>

XVIII.

Ueber unsere schönste und höchste Hoffnung. Erfreulich ist die Hoffnung der Unsterblichkeit, so daß selbst der Glückliche sie nicht entbehren

kann, wenn er reinere menschliche Glückseligkeit

genießen will.

Ohne diese Hoffnung erblickt er

unter den Blumen, die ihm entgegen blühen, sein Grab, und die Furcht vor der Zukunft trübt

ihin die Freuden der Gegenwart. Ze mehr er mit seinem Daseyn tufrieden ist, desto lebhafter fühlt er den Wunsch, es auf «ine länger« Zeit zu erhalr ten; aber er weiß nicht, ob er morgen noch seyn

werde.

Er hat vielleicht Sinn und Empfänglich«

keit für die Freuden der Natur; des Himmels

Bläue erheitert seinen Blick, die Erde im Früh«

lingSgewande spricht ihm anS Herz; aber mitten

in diesem Genuß erwacht der Gedanke: Wird

ryü

Pächter Martin,

die morgende Sonne auch mir noch scheinen?

oder ist vielleicht der heutige Sonnenuntergang der letzte, den mein Auge sieht? Oder der Herbst

nahet; und der Sturm, der den Baum entblät­

tert, bestürmt seine Seele mit dem Gedanken

an seine eigne Hinfälligkeit und Vergänglichkeit. Trauernd verweilt er bey der Frage: Wenn der

wiedcrkehrende Frühling neues Leben verbreitet,

wirst auch du dieses Lebens dich noch freuen kön­ nen? oder bist du dann schon in# Grab gesun­ ken ; abgeblüht, um nie wieder aufzublühen? Er

hat treue Freunde, mit welchen er Gedanken und Empfindungen wechselt, in deren Gesellschaft er jede Freude, jedes Glück, da# ihm zu Theil wird,

zwiefach genießt, weil er auf ihre Theilnahme rechnen kann, und wünscht dann natürlich, mit ihnen Hand in Hand und unzertrennlich den Weg durchs Erdenleben zu gehen; aber wie bald wird

ihm vielleicht der liebste Gefährte von der Seite

gerissen? Er ist glücklicher Gatte und sieht dar­ um mit dem schmerzlichsten Gefühle dem furcht­ baren Feind« entgegen, der da# Band ehelicher Liebe auf immer zu trennen droht.

Er ist zärt-

Dritter Theil.

297

lieber Vater, wünscht so sehnlich noch auf ein« längere Zeit für seine Kinder zu leben; und je sehnlicher er dieß wünscht, desto ängstlicher ist di« Besorgniß seinen Wunsch zu verfehlen.

Ohne Glauben an Unsterblichkeit gleicht der Glückliche einem Manne, dem ein Mächtiger der Erde die herrlichste Wohnung und schönste Flur zwar zum Eigenthum übergäbe, doch auf eine so ungewisse Zeit, daß der Besitzer mit jeder Stunde besorgen müßte, es werde ihm alles wieder ge­ nommen werden, und also unter dieser traurigen Bedingung unmöglich seines Glücks recht froh werden könnte. Aber ist nicht dieser Vergleich auch auf den Glücklichen m i t dem Glauben an Unsterblichkeit anzuwenden? Nein, dieser gleicht einem Manne, dem zwar auch Wohnung und Glücksgüter auf eine kurze ungewisse Zeit, doch zugleich mit dem sichern Versprechen übergeben wurden: wirst du von hier abgerufen, so geschie« het es, um in eine andere noch schönere Gegend versetzt zu werden, und ungleich mehr zu erhalr ten, als du hier hallest. Jener ist entsetzt, dieser

Pächter Martin,

298

weiter befördert worden.

Jener ist in anhalterir

der Gefahr, alles zu verlieren, dieser darf mit

Zuversicht hoffen, durch den Wechsel zu gewinnen. Mit dieser Hoffnung eines bessern Lebens jenr

feit des GrabeS werden dem Frommen schon die Freuden des gegenwärtigen Lebens erhöht und verschönert.

Dankbar genießt er, waS ihm der

Geber alles Guten hreruedcn zu Theil werden läßt, und ruft ihn dieser von der Erde ab, so

weiß er ja, daß, nach Jesu Ausspruche, in Gott teS Hause viele Wohnungen sind, und daß er

den Wechsel der Wohnung gewiß nicht werde zu

bereuen haben.

Und wie trostvoll ist diese Hoffnung für den leidenden Frommen! Wer kann es läugnen, daß

deS Lebens Schöne noch mit mancher Noth ver-

eint sey, daß auf Erden manche bange Thräne geweint werde? WaS tröstet nun aber den Uns glücklichen ohne den Glauben an eine bessere

Zukunft? heit:

Vielleicht die kalte vermeinte Weis­

man muß ertragen, waS das Schicksal

über uns verhängt hat, und was wir nicht abänr

Dritter Theil.

-99:

dern können—? Freylich muß man; nur ge­ währt diese strenge Nothwendigkeit wenig Trost,

wenn der Leidende dabey denken muß, daß er zwecklos, oder doch nur als Mittel zur Defördei

rung fremder Zwecke leiden müsse; wenn der

Schmerz ihm dabey die Frage abnöthigt: Warum war ich nun eben zu Leiden bestimmt, da doch

so vielen andern der Weg durchs Leben überall mit Blumen bestreuet ist? Was wollten wir ihm antworten auf seine Klagen: „Nur ein so kurzes,

auf wenige ungewisse Jahre beschränktes Leben

ist mein LooS, und auch dieß soll ich unter Schmerzen hinbringen? Mit gleichen Ansprüchen auf LebenSglück, wie jeder andere Sterbliche,

betrat ich diese Erde, und warum mußte ich eben zu Leiden ohne Ersatz verurthetlt seyn? Lange

habe ich auf Hoffnung »ine- mildern Schicksal­

geduldet, und immer bin Ich getäuscht worden. Jetzt erwarte ich nur Ruhe im Grabe; und wa-

hindert mich, dieser Ruhe entgegen zu eilen, und

meine Leiden durch einen raschen Schritt zu

enden?" — was wollten wir dem Unglücklichen auf diese bittren Klagen antworten, so fern wir

3oo

Pächter Martin,

ihm keine Aussicht über das Grab hinaus triff#

nen könnten?

Nur der Glaube: du bist unsterblich! gießt dem leidenden Frommen Trost ins Herz.

Er

weiß, daß er nicht zwecklos, weiß, daß er für eine bessere Welt leidet, und daß ein gütiger und

weiser Vater der Menschen nicht bloß Freude und Glück, sondern auch Schmerz und Unglück

als Mittel anwendet, um uns desto vollkomme# ner zu unserm eigenen Heil für jenes Leben vor, zubilden.

Erreicht man schon in diesem Leben

nicht leicht etwas Wünschenswürdiges ohne Mühe; darf der, welcher nur in irgend einer Wissenschaft

größere Fortschritte machen will, keine Arbeit, keine Anstrengung scheuen: wie sollte nicht den Frommen, der diese Erbe als Bildung« # und

ErziehungS; Anstalt für den Himmel betrachtet,

wie sollte ihn nicht, wenn er vielleicht mehr als Andere leiden muß, die Vorstellung aufrichten: daß er unter der Regierung feine« Gotte« zu

einem größern Wirkungskreise in jenem Leben durch Leiden vorgebildet werde — und daß dieser

Dritter Theil.

301

Zett Leiden nicht werth sey der Herrlichkeit, die

dort an uns offenbaret werden soll, wenn wir

hier treu erfunden wurden? Wirkung des Glaubens an Unsterblichkeit ist

es, daß wir nun am Grabe unserer Lieben nicht

trostlos weinen, und auch unserm Tode nicht mit Angst entgegen beben dürfen.

Zwar tadeln wir

ketneswegeS die Thränen wahrer Empfindung, am

Grabe derer geweint, die im Leben uns theuer

waren.

Auch daS Herz har seine Rechte; und

seine geläuterten Gefühle haben den wohtt thätigsten Einfluß auf unsere sittliche Veredelung.

Aber der Mensch mit der zugesicherten Hoffnung, daß ihm jenseits deS Grabes ein besseres Leben erwarte, und daß er von dem sterbenden Freunde auf Wiederfehn in schöneren Gefilden einer voll,

tommnern Welt scheide, weinet nicht trostlos; denn er denkt bey der Aussaat die Ernte, wan,

delt ruhiger unter Gräbern, wo Saat, von Gott gesäet, dem Tage der Ernte reist.

Kann die

zärtlichste Mutter sich über eine, wenn auch noch so wette Entfernung von ihren Kindern leicht

303

Pächter Ar artin.

beruhigen, wenn sie nach höchster Wahrscheinlich­ keit glaubt, daß diese Entfernung wahres Glück für ihre Kinder sey: nun, was ist denn der Tod unserer Lieben mehr als eine weitere Entfernung durch den Ueberganq in ein besseres Land? — und Entfernung auf Wiedersehen? Den Tag, den wir auf Erden Todestag deS Frommen nennen, den feiern dort Selige als seinen Geburtstag zum bessern Leben. Zu einem bessern Leben werden wir sterbend geboren, zu einem Leben, wo wir daS, was hienieden uns noch dunkel war, in hellerm Lichte erkennen, und unsern erhabenen Beruf: immer weiser, bes­ ser, edler zu werden, vollkommener als -auf Erden erfüllen sollen.

Und für diesen heiligen Beruf, für das eifrigste Bestreben, immer williger und freudiger den Willen Gottes zu vollbringen, was könnte uns wohl dazu mehr ermuntern, was uns mehr stärken, als die Ueberzeugung: daß wir hier nur beginnen, was wir dort in einem grenzenlosen Daseyn fortsetzen sollen, daß wir hier zu dem

Dritter Theil.

303

großen Werke unsrer Heiligung nur den Grund

legen, worauf wir dort in der Reihe vollendete» Geister fortbauen sollen!

Ach, ohne diese Ueberzeugung, woher sollten wir den Muth nehmen, in diesem kurzen Leben

nach einem Ziele zu ringen, das sich, je mehr wir uns ihm zu nähern suchen, desto weiter von uns zu entfernen scheint?

Woher den Muth,

uns dem Kampfe, der Mühe, der Anstrengung,

welche die Tugend fordert, zu unterziehen? Wo,

her den Muth und die Kraft, auch dann den Forderungen des göttlichen Gesetzes gemäß zn

leben, wenn wir sie mit unsern liebsten Neigun­ gen, mit unsern sehnlichsten Wünschen im Wider­ spruche finden; auch dann im Guten standhaft

auszudauern, wenn unsere Güte mit Undank

belohnt wird, wenn wir von Andern verkannt und verfolgt werden, mit Einem Worte, wenn

die Tugend schwere Opfer fordert?

Nur dann, wenn wir über das Gräb hin­ aus, wenn wir in ein« vollkommnere Welt blicken.

Pächter Martin,

304

wo der Heilige Glück und Tugend gegen einander gleich wäget, wo, was hier noch mißtönt, sich

in Harmonie aufiöset — nur dann fühlen wir uns mit neuem Muthe beseelet, nut neuer Kraft durchdrungen, standhaft auf dem Wege der Tur

gend fortzuwandeln, und wenn er auch noch so

steil und mühevoll wäre. Mitunsterbliche, lasset uns Gutes thun und

nicht müde werden!

Lasset uns vereinigt

GuteS thun, denn dieser Vereinigung werden wir uns noch in den Wohnungen des Lichts und

der Vollkommenheit erfreuen.

Bande, durch welche Seelen unter dem heü iigen Gesetze der sittlichen Freyheit sich vereint, gen, solche Bande löset kein Tod!

Menschen,

die zum Guten sich verbinden, errichten einen

Bund für den Himmel, einen Bund für die Ewigkeit!

0 wie wird mit dieser Ansicht der

Mensch dem Menschen mehr und theurer, und

wie werden dadurch unsere Verbindungen zu ger meinnützigen und edlen Zwecken geheiliget und

befestiget!

Der

Dritter Theil.

305

Der Mensch mit allen seinen sonstigen Vor,

zögen, was wär' er sich selbst ohne Glauben an

Fortdauer in einer andern Welt? Er fühlt seine Erhabenheit über das Thier, und dennoch erwar»

tet ihn dasselbe Schicksal.

Er blickt empor zu

fernern Welten, und der nächste Grabeshügel erinnert ihn an seine Vergänglichkeit.

Er ver,

sagt sich um der Tugend willen manchen Genuß, und wie bald wird er keines Genusses mehr fähig seyn! Er bauet und bessert in Zähren, was eine

Minute niederreißt.

So bleibt er im Wider»

spräche mit sich selbst, und fühlt sich bey der Sehnsucht nach dem Höheren und Besseren den­

noch immer wieder zur Erde herab gedrückt. Und feine Mitmenschen, auch sie die Kinder der Zeit und der Vergänglichkeit, Wesen, die al« fliehende

Gestalten vorüber eilen, heute vielleicht mit dem wärmsten Herzen den Freund umarmen, und morgen entseelt keinen Händedruck mehr erwie­ dern können — auch sie werden ihm, so gedacht,

mehr ein Gegenstand des Mitleids als der Ach­ tung seyn.

Pächter Martin. Aber von welcher ganz andern Seite erscheint uns der Mensch, wie gewinnt er an Würde und' das menschliche Leben an Werth, und welch ein heiliges unzertrennliches Band umschlingt die Menschheit, so bald wir mit Glauben und Hoff­ nung an eine Wiedervereinigung aller Fromme» und Guten im Lande der Seligen denken! 0! bey diesem lebendigen Glauben ist mir kein Mensch als Mensch rin Fremder, find alle meine Mitinenschen meinem Herzen theurer, denn sie haben ja alle mit mir gleiche große Bestim­ mung und gleiche selige Hoffnung; und vielleicht, daß mancher unter ihnen, den ich hier noch nicht kennen lernte, dort den Bund der engsten Freund­ schaft mit mir errichtet, und,. Geist mit Geiste verbrüdert, die Dahn der Tugend mit mir wan­ delt, die uns der Gottheit näher bringt. Und euch, welche die Gottheit schon hirnieden mir zu treuen Gefährten und Begleitern auf dem Wege durchs Erdenleben zuführte, mit dem herzlichsten Wohlwollen reiche ich euch die Hand. Auf wie mannigfaltige Art kann in einem grenzenlosen

Dritter Theil.

307

Daseyn unsere Verbindung für uns segensvoll

werden! wie viel Gutes können wir noch vereü nigt wirken! Sey es auch, daß der eine früher,

der andere spater wieder von mir scheidet; bestre/ ben wir uns nur redlich, unsere Pflichten zu erfüllen, so finden wir alle, alle uns wieder in

dem gemeinschaftlichen Vaterlande. Und da unser

ganzes Erdenleben als die erste Jugend unsers

Daseyns zu betrachten ist; so werden uns noch nach Millionen Jahren Seelen, die sich hier mit uns vereinigten, zwiefach theuer seyn, theuer, Wie geliebte Jugendfreunde. Freuet euch, Mitmenschen, freuet euch mit

mir der schönsten Hoffnung! Wir sind unsterblich! Mögen Sonnen erlör schen, mögen Erden zertrümmern; wir, mehr

als sie, wir sind unsterblich!

Menschen, Mitgenossen dieser Erde, und

Mitgenossen der Unsterblichkeit, ihr alle, die ihr dort noch mit mir leben, und vielleicht durch immer engere Bande verbunden, mit mir leben

zoS

Pächter Martin,

werdet, brüderlich reiche ich euch die Hand;

und fordert von mir, wo ich helfen, wo ich Leiden mildern, wo ich Gutes befördern soll!

Gern will ich thun, was ich kann; denn ich bin unsterblich, und wirke für Unsterbliche.

Grimma,

gedruckt bey Georg Joachim Göschen.