Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE). Band 15 Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1.1. bis 31.12.2004 9783110871364, 9783899493412

"Auch diesmal bleibt es beim Gesamturteil der früheren Besprechungen der Sammlung: ein wichtiges Arbeitsmittel für

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German Pages 533 [536] Year 2006

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Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Baden-Württemberg (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin
Nr. 1 29.1.2004 VerfGH 143/00
Nr. 2 28.5.2004 VerfGH 81/02
Nr. 3 23.8.2004 VerfGH 129/03
Nr. 4 1.11.2004 VerfGH 210/03
Nr. 5 7.12.2004 55A/04
Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg
Nr. 1 27.5.2004 VfGBbg 23/04, 6/04 EA
Nr. 2 26.8.2004 VfGBbg 230/03
Nr. 3 26.8.2004 VfGBbg 10/04
Nr. 4 18.11.2004 VfGBbg 213/03
Nr. 5 9.12.2004 VfGBbg 6/04
Nr. 6 9.12.2004 VfGBbg 40/04
Entscheidungen des Staatsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Bremen
Nr. 1 5.11.2004 St 3/03
Nr. 2 5.11.2004 St 2/04
Nr. 3 5.11.2004 St 3/04
Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts
Nr. 1 15.12.2004 HVerfG 6/04
Entscheidungen des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen
Nr. 1 4.5.2004 P.St. 1714
Nr. 2 4.5.2004 P.St. 1872
Nr. 3 4.5.2004 P.St. 1842
Nr. 4 13.12.2004 P.St. 1904
Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern
Nr. 1 16.12.2004 LVerfG 5/04
Entscheidungen des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen
Nr. 1 18.11.2004 Vf. 89-VIII-03
Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt
Nr. 1 30.6.2004 LVG 7/04
Nr. 2 14.9.2004 LVG 7/03
Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofes
Nr. 1 20.4.2004 VerfGH 14/02
Nr. 2 12.10.2004 VerfGH 16/02
Sachregister
Gesetzesregister
Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder
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Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE). Band 15 Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1.1. bis 31.12.2004
 9783110871364, 9783899493412

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Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte

w DE

G

RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen LVerfGE 15. Band 1.1. bis 31.12. 2004

w DE

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RECHT

De Gruytcr Recht · Berlin

Zitierweise Für die Zitierung dieser Sammlung wird die Abkürzung LVerfGE empfohlen, z.B. LVerfGE 1, 79 (= Band 1 Seite 79)

Redaktioneller Hinweis Die abgedruckten Entscheidungen sind vom Verlag in formaler Hinsicht (Rechtschreibung, Zeichensetzung, Abkürzungen) in eine einheitliche Form gebracht, so dass sich insoweit Abweichungen von den jeweiligen Originaltexten ergeben können.

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Bibliografische Information Der Deutschen

Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN-13: 978-3-89949-341-2 ISBN-10: 3-89949-341-9 (£) Copyright 2006 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-Gmbl I, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Vorwort Der hier vorgelegte 15. Band der Entscheidungssammlung der Verfassungsgerichte der Länder enthält Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Bremen, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aus dem Jahre 2004. Zwar kann auch dieser Band dem interessierten Leser nur einen Ausschnitt aus der breit gefächerten Entscheidungstätigkeit der beteiligten Verfassungsgerichte darstellen. Gleichwohl ermöglicht die Zusammenstellung der wichtigsten Entscheidungen einerseits einen repräsentativen Gesamtüberblick über die Rechtsprechung der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder, anderseits werden erneut die durch die verschiedenartige Regelung ihrer Zuständigkeit bedingten Unterschiede zwischen den einzelnen Landesverfassungsgerichten deutlich. Bei etwa der Hälfte der abgedruckten Entscheidungen geht es um Verfassungsbeschwerden bzw. Grundrechtsklagen sowie kommunale Verfassungsbeschwerden. Inhaltlich betreffen die Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden zu einem großen Teil die Klärung prozessualer Fragen dieser Verfahrensart. Hervorzuheben sind die auch das materielle Recht aufarbeitenden Entscheidungen zum kommunalen Verfassungs- und Finanzverfassungsrecht und zum Hochschulrecht. Die andere Hälfte der Entscheidungen entstammt den herkömmlichen Aufgabengebieten von Staatsgerichtshöfen: Organstreitigkeiten, Normenkontrollklagen und Wahlprüfungsverfahren. Dabei betreffen die Organstreitigkeiten Fragen des Pariamentsrechts und der Volksgesetzgebung. Die Normenkontrollklagen befassen sich mit Problemen des Haushaltsrechts, des kommunalen Finanzausgleichs und der Mitbestimmung. Die Wahlprüfungsverfahren schließlich haben die Fragen des gleichen Erfolgswertes der abgegebenen Stimmen sowie der Chancengleichheit im Wahlkampf zum Gegenstand. Mithin bildet auch dieser Band wieder die Vielfalt der verfassungsrechtlichen Fragestellungen in den Ländern ab und dokumentiert die Arbeit der einzelnen Landesverfassungsgerichte. Damit wird er der Aufgabenstellung der Reihe, den wissenschaftlichen Diskurs über die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in

VI

Vorwort

den Ländern zu fördern, vorzüglich gerecht. Den beteiligten Gerichten sei gedankt, dass sie ihre Entscheidungen beigesteuert haben. Besonderer Dank gebührt auch dem Verlag. Es ist schließlich nicht selbstverständlich, dass er der interessierten Öffentlichkeit, der Wissenschaft und auch den Verfassungsgerichten dieses Forum bereitstellt.

Wilhelm Rapp Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts

Inhalt Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Baden-Württemberg.... (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)

Seite

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Nr. 1

29.1.2004 VerfGH 143/00

Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz; Substantiierung; Rechtswegerschöpfung; Subsidiaritätsgrundsatz; Vorabentscheidung; städtische Krankenhausbetriebe; Privatisierung; Betriebsübergang; Widerspruchsrecht; Personalüberleitungsvertrag; Auswirkungen auf Arbeitsverhältnis; Möglichkeit von Rechtsschutz durch Arbeitsgericht

3

Nr. 2

28.5.2004 VerfGH 81/02

Rasterfahndung; Verfassungsbeschwerde; Erledigung; Rechtsschutzinteresse

17

23.8.2004 VerfGH 129/03

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz; Rechtsschutzbedürfnis; Subsidiaritätsgrundsatz

27

1.11.2004 VerfGH 210/03

Berliner Hochschulgesetz; Promotionsrecht; Promotionsverfahren; Gesetzesänderung; Universitäten; Verfassungsbeschwerde; Fachhochschulen; Fachhochschulabsolventen; Professoren an Fachhochschulen; Zulassung zur Promotion; Eignungsfeststellungsverfahren; Einvernehmen; Mitwirkung; hochschulfremde Gutachter; Dissertation; Disputation; Rigorosum; Kolloquium; Ehrendoktorwürde; Grundsatz der Subsidiarität; Wissenschaftsfreiheit; Kernbereich akademischer Selbstverwaltung; universitäre Satzungsautonomie; Abwehrrecht; Schranken; kollidierende Verfassungsgüter; Güterabwägung; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen; Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten; Ermessen der Universitäten; Berufsfreiheit; verfassungskonforme Auslegung; Feststellung der Nichtigkeit einer Gesetzesnorm; Teil- und Gesamtnichtigkeit; Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren ....

34

Nr. 3

Nr. 4

VIII Nr. 5

Inhalt 7.12.2004 VerfGH 55A/04

Nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit erledigter Gerichtsentscheidungen; Rehabilitierungsinteresse in Fällen der Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 und 3 AuslG; Verletzung des Grundrechts der Freiheit der Person; Rechtliches Gehör/Anforderungen an Rüge der Verletzung; Aufhebung einer erledigten Entscheidung und Zurückverweisung zum Erlass einer Kostenentscheidung

66

Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Nr. 1

Nr. 2

Nr. 3

Nr. 4

Nr. 5

Nr. 6

27.5.2004 VfGBbg 23/04, 6/04 EA

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Versag u n g der Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung der Gehörsrüge (§ 321a ZPO) in einem Verfahren der zweiten Instanz

85

26.8.2004 VfGBbg 230/03

Gemeindegebietsreform: Beschwerdebefugnis im Falle der Neugliederung anderer Gemeinden, Einteilung des Landes in verschiedene Neugliederungsräume

90

26.8.2004 VfGBbg 10/04

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Versag u n g v o n Prozesskostenhilfe wegen Überspannung derer Voraussetzungen

110

18.11.2004 VfGBbg 213/03

Gemeindegebietsreform: Ämterzusammenschluss, Eignung der neuen Amtsverwaltung zur Erfüllung gegenwärtiger und zukünftiger Aufgaben

116

9.12.2004 VfGBbg 6/04

Einsicht in Akten des Verfassungsschutzes: VoraussetZungen und Inhalt des Anspruchs auf Aktenvorlage bzw. Akteneinsicht gem. Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV, Anforderungen an Zurückweisung gem. Art. 56 Abs. 4 LV (mit Sondervotum der Richterin Prof. Dr. HarmsZiegler und der Richter Prof. Dr. Schröder, Prof. Dawin und Prof. Dombert)

124

Zum Anspruch auf ein zügiges Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 LV) in einem Verfahren über die Zulassung der Berufung in einem Asylrechtsfall

146

9.12.2004 VfGBbg 40/04

Entscheidungen des Staatsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Bremen Nr. 1

Nr. 2

5.11.2004 St 3/03

5.11.2004 St 2/04

Zur Verfassungsmäßigkeit der Zahlung von FraktionsZulagen an stellvertretende Fraktionsvorsitzende und zur Beschränkung des Oppositionszuschlags auf Fraktionen und Gruppen

155

Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen der Wahlberechtigten bei der Mandatsverteilung auf die Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven

180

Inhalt Nr. 3

5.11.2004 St 3/04

Zum Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf und zum Ausschluss des Rügerechts im Wahlprüfungsverfahren

IX

201

Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts Nr. 1

15.12.2004 Volksinitiative, Organstreit, Gleichrangigkeit von HVerfG 6/04 Volkswillensbildung und parlamentarischer Willensbildung, Aufforderung ohne rechtliche Verbindlichkeit für den Senat und ohne zeitliche Bindungswirkung gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber, Organtreue auch gegenüber dem im Volksentscheid ausgedrückten Willen des Volkes

221

Entscheidungen des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen Nr. 1 Nr. 2 Nr. 3

Nr. 4

4.5.2004 P.St. 1714

Kommunale Grundrechtsklage gegen das Ballungsraumgesetz; Selbstverwaltungsgarantie

247

4.5.2004 P.St. 1872

Jahresfrist für die Grundrechtsklage bei Unterlassen des Gesetzgebers (Wahlkreiseinteilung)

289

4.5.2004 P.St. 1842

Subsidiarität der Grundrechtsklage bei vorausgegangenem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren (§ 80 Abs. 7 VwGO); kein Bestandsschutz für vollständig erneuerte Einfriedung

296

Gegenstand der Grundrechtsklage nach Durchführung der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO

316

13.12.2004 P.St. 1904

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern Nr. 1

16.12.2004 LVerfG 5/04

Organstreitverfahren; Zulässigkeit; politische Partei; Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes; Chancengleichheit bei Wahlen; Fraktionsmindeststärke bei kommunalen Vertretungskörperschaften

Entscheidungen des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung) Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)

327

χ

Inhalt

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen Nr. 1

18.11.2004 Vf. 89-VIII-03

Zulässigkeit eines Antrages auf kommunale Normenkontrolle; Begründungserfordernis; Möglichkeit der Verletzung des Selbstverwaltungsrechts; Fristbeginn bei ablehnenden gesetzgeberischen Entscheidungen; Fristenlauf bei Gesetzesänderungen

339

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt Nr. 1 Nr. 2

30.6.2004 LVG 7/04

Untersuchungsausschuss — Fraktionsrechte der Landtagsfraktionen

353

14.9.2004 LVG 7/03

Kommunale Verfassungsbeschwerde tungsausgleich

359

-

Mehrbelas-

Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofes Nr. 1

Nr. 2

20.4.2004 VerfGH 14/02

Abstrakte Normenkontrolle zum Thüringer PersonalVertretungsgesetz; Mitbestimmungsrecht; Relativierungsauftrag

383

12.10.2004 VerfGH 16/02

Kommunal-Verfassungsbeschwerde; Anhörungsgebot.

462

Sachregister

495

Gesetzesregister

505

Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder

515

Abkürzungsverzeichnis l.IEG-LSA a.A. a.E. a.F. aaO abgedr. abl. ABl. Abs. abw. AH-Drs. AK-GG allg. Alt. Amd. Begr. AmtsBl M-V AmtsO And. ÄndG Anm. Anh. Anm. AöR ARD Art. ASOG AsylVfG Aufl. AuflG AuslG Az BAG BallrG BAT-O BauGB BauR BayObLGZ

Erstes Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und zur Entbüro kratisierung von Verwaltungsverfahren Sachsen-Anhalt andere Ansicht am Ende alte Fassung am angegebenen Ort abgedruckt ablehnend Amtsblatt Absatz abweichend Abgeordnetenhaus-Drucksache Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz allgemein Alternative amtliche Begründung Amtsblatt Mecklenburg-Vorpommern Amtsordnung Änderung Änderungsgesetz Anmerkung Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Artikel Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Berlin) Asylverfahrensgesetz Auflage Gesetz über die Auflösung des Umlandverbandes (Hessen) Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Gesetz zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main Bundesangestelltentarifvertrag - Ost Baugesetzbuch Baurecht Entscheidungen des Bayerischen OLG (Zivilsachen)

XII BayPersVG BayVBl. BayVerfGH BayVerfGH n.F. BayVfGHG BayVGH (N.F.)

BB BbgPersVG BbgVerfG BbgVerfSchG Bd., Bde. Bek. ber. BerlHG BerlVerfGH Beschl. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BHO Bl. (d.A.) BlnPersVG BMT-G II BNatSchG BPersVG BremAbgG Brem. GBl. BremLV BremStGH BremStGHE BremStGHG BremWG BremWO BSG BSGE BT-Drs. Buchst. Bü-Drs. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG

Abkürzungsverzeichnis Bayerisches Personalvertretungsgesetz Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungssammlung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (neue Fassung) Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof Entscheidungssammlung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (neue Fassung) Der Betriebsberater Personalvertretungsgesetz Brandenburg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz Band, Bände Bekanntmachung berichtigt Berliner Hochschulgesetz Verfassungsgerichtshof für das Land Berlin Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Blatt (der Akten) Berliner Personalvertretungsgesetz Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Bundesnaturschutzgesetz Bundespersonalvertretungsgesetz Bremisches Abgeordnetengesetz Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen Entscheidungen des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen Gesetz über den Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen Bremisches Wahlgesetz Bremische Wahlordnung Bundes s ozialgerich t Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundes tags drucksache Buchstabe Bürgerschaftsdrucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht

Abkürzungsverzeichnis BVerwGE BWG (BWahlG) BWVB1. BWVPr. bzw. ca. CDU CVP d.h. ders. dies. DM DNA-IFG DJT DJ Ζ DÖV DP Drs. dt. DtZ DVB1. DVP DVU ΕΑ ebd. EGGVG EGZPO ESVGH

EuGRZ EUR e.V. f. ff FA FAG FDP FEVG FGG FGO FGPrax Fn. GBl. gem. GG ggf. GG-Kommentar GO

XIII

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswahlgesetz Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt Baden-Württembergische Verwaltungspraxis beziehungsweise cirka Christlich-Demokratische Union Deutschlands Christliche Volkspartei das heißt derselbe dieselbe(n) Deutsche Mark DNA-Identitätsfeststellungsgesetz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Partei Drucksache deutsch Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungspraxis Deutsche Volksunion Einstweilige Anordnung ebenda Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Entscheidungssammlung des Hessischen VGH und des VGH Baden-Württemberg (mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe) Europäische Grundrechte-Zeitschrift EURO eingetragener Verein folgend, fortfolgende Finanzausschuss Finanzausgleichsgesetz (Baden-Württemberg, MecklenburgVorpommern, Sachsen) Freie Demokratische Partei Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Gesetzblatt gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Kommentar zum Grundgesetz f. d. Bundesrepublik Deutschland Geschäftsordnung (auch: Gemeindeordnung für das Land Brandenburg)

XIV GO-LT GO-BT GVB1. (GVOB1.) GVG HbgVf HdB HENatG HessPersVG HessVerf (HV) HGO HLPG HmbGVBl. HmbVerfG HmbVWG HRG Hrsg. HS HStR HV HVerfGG idF iHv InfAuslR insbes. iSd iSv iVm

JA JbSächsOVG JMB1

JR JW

JZ

KG KStZ KV lfd. Lfg. LG LHO lit. LKV Losebl. LS LSA LSA-A11GO LSA-FAG

Abkürzungsverzeichnis Geschäftsordnung des Landtags Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Handbuch Hessisches Naturschutzgesetz Hessisches Personalvertretungsgesetz Verfassung des Landes Hessen Hessische Gemeindeordnung Hessisches Landesplanungsgesetz Hamburgisches Gesetz- u. Verordnungsblatt Hamburgisches Verfassungsgericht Hamburgisches Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid Hochschulrahmengesetz (auch: Haushaltsrechtsgesetz Mecklenburg-Vorpommern) Herausgeber Halbsatz Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (auch: Verfassung des Landes Hessen) Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht in der Fassung in Höhe von Informationsbrief Ausländerrecht insbesondere im Sinne des (der) im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrbücher des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Justiz-Ministerialblatt Juristische Rundschau Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kommunale Steuer-Zeitschrift Kommunalverfassung laufend Lieferung Landgericht Landeshaushaltsordnung Mecklenburg-Vorpommern litera Landes- und Kommunalverwaltung Loseblatt Leitsatz Sachsen-Anhalt Allgemeine Gebührenordnung Sachsen-Anhalt Finanzausgleichsgesetz Sachsen-Anhalt

Abkürzungsverzeichnis LSA-Verf LSA-VerfGG LSA-VwKostG LT-Drs. LT-PlenProt LT-Prot. LV LVerfG M-V LVerfGE LVerfGE Suppl. BbG. LVerfGG LWG MdA MDHS MdL MDR Mio Mitt StGB Mrd MTLII MV MVPersVG mwN n.F. Nachw. NDR NdsPersVG NdsStGH NdsVBl. NJ NJW NJW-RR Nord-ÖR Nr(n). NRW NRWPersVG NRWVerf NRWVerfGH NStZ NStZ-RR NVwZ NVwZ-RR NWVB1. OLG OVG OVGE PartG PartGG

Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Gesetz über das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Verwaltungskostengesetz Sachsen-Anhalt Landtags drucksache Plenarprotokoll des Landtages Landtagsprotokoll Landesverfassung Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Supplementband Brandenburg zu Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Gesetz über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen Mitglied des Abgeordnetenhauses Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar Mitglied des Landtages Monatsschrift für Deutsches Recht Million (en) Mitteilungen Städte- u. Gemeindebund Brandenburg Milliarden Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder ν. 11.7.1966 Mecklenburg-Vorpommern Personalvertretungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen neue Fassung Nachweis (e) Norddeutscher Rundfunk Niedersächsisches Personalvertretungsgesetz Niedersächsischer Staatsgerichtshof Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer(n) Nordrhein-Westfalen Personalvertretungsgesetz Nordrhein-Westfalen Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht — Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Parteiengesetz Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger

XV

XVI

Abkürzungsverzeichnis

Freier Berufe (Berlin) Partei des Demokratischen Sozialismus Der Personalrat Die Personalvertretung Gesetz über den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main PlenProt. (PlProt.) Plenarprotokoll Protokoll Prot. rund rd. Regierungsbegründung Reg.Begr. Rheinland-Pfalz Rh.-Pf. Randnummer Rn. Rechtsprechung Rspr. Raumordnungsgesetz ROG Seite S. siehe s. s.a. siehe auch siehe oben s.o. SaarlPersVG Saarländisches Personalvertretungsgesetz SächsABl. Sächsisches Amtsblatt SächsGVBl. Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt SächsKomZK Sächsisches Gesetz über kommunale Zusammenarbeit SächsPersVG Sächsisches Personalvertretungsgesetz Sachs VB1 Sächsische Verwaltungsblätter SächsVerf Verfassung des Freistaates Sachsen SächsVerfGH Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen SächsVerfGHG Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen SGB Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz SGG sogenannt(e/er) sog. SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums StabG der Wirtschaft (Mecklenburg-Vorpommern) Staatsanzeiger Baden-Württemberg, Hessen StAnz. ständige Rechtsprechung std. Rspr. Strafgesetzbuch StGB StGH Staatsgerichtshof (Hessen) Gesetz über den Staatsgerichtshof (Hessen) StGHG Strafprozessordnung StPO ThürAbgG Thüringer Abgeordnetengesetz ThürFAG Thüringer Finanzausgleichsgesetz Thüringer Hauptpersonalratsverordnung ThürHPRVO ThürKO Thüringer Kommunalordnung ThürPersVG Thüringer Personalvertretungsgesetz ThürVBl. Thüringer Verwaltungsblätter ThürVerf Verfassung des Freistaats Thüringen ThürVerfGH Thüringer Verfassungsgerichtshof ThürVerfGHG Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof u.a. unter anderem; und andere UA Urteilsausfertigung

PDS PersR PersV PlanvG

Abkürzungsverzeichnis unveröffentl. UPR Urt. V.

Var. VB1BW Verf VerfGBbg VerfGGBbg VerfG MV VerfGGBbg VerfGH VerfGHG VerfGH N W VersR VerwArch VfGBbg VG VGH vgl. vH. VOB1. Vorb. VvB WDStRL VwGO VwRRMO V w V f G LSA z.B. ZAR ZDF ZG ZParl ZPO

unveröffentlicht Umwelt- und Planungsrecht Urteil vom (von) Variante Verwaltungsblätter (Baden-Württemberg) Verfassung Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Verfassungsgerichtshof des Landes Brandenburg Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche vom Hundert Verordnungsblatt Vorbemerkung Verfassung von Berlin Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung VerwaltungsRechtsReport Mittelost Verwaltungsverfahrensgesetz Sachsen-Anhalt zum Beispiel Zeitschrift für Ausländerrecht Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschrift f. Gesetzgebung Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung

XVII

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Prof. Dr. Helge Sodan, Präsident Dr. Ulrich Storost, Vizepräsident (bis 2. Juni 2004) Margret Diwell, Vizepräsidentin (ab 3. Juni 2004) Dr. Klaus-Martin Groth Andreas Knuth Dr. Dietrich Mahlo Dr. Renate Möcke (bis 2. Juni 2004) Frank-Michael Libera (ab 3. Juni 2004) Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer (bis 2. Juni 2004) Dr. Christina Stresemann (ab 3. Juni 2004) Martina Zünkler Angelika Bellinger

Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz - Subsidiaritätsgrundsatz

3

Nr. 1 Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist die von einem bei einem bisher städtischen Krankenhausbetrieb beschäftigten Angestellten des öffentlichen Dienstes erhobene Verfassungsbeschwerde gegen das die Privatisierung des Krankenhausbetriebes anordnende Krankenhausunternehmens-Gesetz unzulässig. Obwohl gegen das Gesetz selbst kein fachgerichtlicher Rechtsschutz eröffnet ist, kann der Angestellte in zumutbarer Weise wirkungsvollen Rechtsschutz durch Anrufung der Arbeitsgerichte erlangen. Die Durchführung des fachgerichtlichen Verfahrens vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ermöglicht auf Grund der besonderen Kenntnisse der Arbeitsgerichte eine Vorklärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen, spezifisch arbeitsrechtlichen Fragen im Hinblick auf die Auswirkungen der Privatisierung auf das Arbeitsverhältnis. Verfassung von Berlin Art. 6, 7, 8, 10, 15, 17, 18, 22, 23, 24, 36 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 49 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2; 50 Bürgerliches Gesetzbuch § 613a

B e s c h l u s s vom 29. J a n u a r 2004 - V e r f G H 143/00 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn W. gegen das Gesetz zur Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung eines Unternehmens der städtischen Krankenhäuser (KrankenhausunternehmensGesetz) vom 30. November 2000 (GVB1. S. 503) Beteiligte gem. § 53 Abs. 3 VerfGHG iVm § 44 VerfGHG: 1. 2.

Abgeordnetenhaus von Berlin Senat von Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. LVerfGE 15

4

Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I.

1. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz zur Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung eines Unternehmens der städtischen Krankenhäuser (Krankenhausunternehmens-Gesetz) vom 30.11.2000 (GVB1. S. 503). Das Krankenhausunternehmens-Gesetz hat auszugsweise folgenden Wortlaut: §1 Das Land Berlin fasst gemäß § 31 Abs. 1 S. 2 des Landeskrankenhausgesetzes in der Fassung vom 1. Dezember 1999 (GVB1. 2000 S. 208), das durch Artikel V des Gesetzes vom 20. April 2000 (GVB1. S. 286) geändert worden ist, die in der Anlage aufgeführten städtischen Krankenhäuser dadurch zusammen, dass diese einzeln mit Wirkung zum 1. Januar 2001 auf eine zuvor gegründete oder erworbene Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die dezentral organisiert ist und in der die einzelnen Krankenhäuser oder zusammengefassten Standorte als Profit-Center mit Budget- und Personalverantwortung geführt werden und deren Alleingesellschafter das Land Berlin ist, im Wege der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen durch Einbringung übertragen werden. §2 (1) Die Gesellschaft wird nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages geführt und übernimmt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Maßgabe eines Personalüberleitungsvertrages. Der Gesellschaftsvertrag soll nach folgenden Grundsätzen gestaltet werden: 1. Gegenstand der Gesellschaft ist das Betreiben von Krankenhäusern, die Sicherstellung, dass der im jeweiligen Krankenhausplan des Landes Berlin der Gesellschaft auferlegte und festgelegte Versorgungsauftrag erfüllt wird, sowie die Möglichkeit der Übernahme von weiteren gesundheitlichen und sozialen Aufgaben. 2. Alleiniger Gesellschafter ist das Land Berlin. 3. Die in der Anlage aufgeführten städtischen Krankenhäuser werden gemäß § 1 mit allen Aktiva und Passiva in die Gesellschaft durch Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage eingebracht. [4.-10.]

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Der Personalüberleitungsvertrag soll nach folgenden Grundsätzen gestaltet werden: 11. Zur Absicherung der Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie im Hinblick auf die betroffenen Beamtinnen und Beamten wird zwischen dem Land Berlin und der Gesellschaft ein Personalüberleitungsvertrag geschlossen, an dem die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, der Deutsche Beamtenbund und der Marburger Bund zu beteiligen sind. Ziel ist es, durch den Personalüberleitungsvertrag die beim Land Berlin erworbenen Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vollem Umfang zu garantieren. Um dies sicherzustellen, wird die Gesellschaft unverzüglich die Mitgliedschaft bei den Arbeitgeberverbänden des öffentlichen Dienstes in Berlin beantragen. Den betroffenen Beamtinnen und Beamten wird nach Maßgabe der geltenden beamtenrechtlichen Bestimmungen eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit in der Gesellschaft ermöglicht. 12. Die Gesellschaft tritt der Vereinbarung über den Umgang mit der Personalüberhangsituation und zur Beschäftigungssicherung vom 27. September 1999 bei, die zwischen dem Land Berlin, den Krankenhausbetrieben des Landes Berlin, dem Max-Bürger-Zentrum für Sozialmedizin, Geriatrie und Altenhilfe gGmbH einerseits sowie dem Hauptpersonalrat des Landes Berlin, den Personalräten der Krankenhausbetriebe des Landes Berlin, dem Betriebsrat des Max-Bürger-Zentrums sowie der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr — Bezirksverwaltung Berlin - , der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft - Landesverband Berlin und Brandenburg —, dem Marburger Bund - Landesverband Berlin-Brandenburg — andererseits abgeschlossen wurde. [13.-16.] (2) ...

§3 Die Gesellschaft ist Vermögensnachfolgerin der in der Anlage aufgeführten städtischen Krankenhäuser. §5 Änderung von Gesetzen (1) Das Landeskrankenhausgesetz in der Fassung vom 1. Dezember 1999 (GVB1. 2000 S. 208), geändert durch Artikel V des Gesetzes vom 20. April 2000 (GVB1. S. 286), wird wie folgt geändert: [1·] 2. § 31 wird wie folgt gefasst:

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„§31 Rechtsform, Rechtsgrundlagen, Aufsicht Der Senat von Berlin kann Krankenhausbetriebe nach Maßgabe eines Errichtungsgesetzes zu einem zentralen Krankenhausbetrieb zusammenfassen." [...] [3.-5.] (2) . . .

§7 Inkrafttreten Die §§ 1 bis 3 dieses Gesetzes treten am Tage nach der Verkündung im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. Im Übrigen tritt das Gesetz am 1. Januar 2001 in Kraft. Anlage Krankenhaus Am Urban - Krankenhausbetrieb von Berlin-Kreuzberg — Auguste-Viktoria-Krankenhaus - Krankenhausbetrieb von Berlin-Schöneberg — Krankenhaus im Friedrichshain - Krankenhausbetrieb von Berlin-Friedrichshain Krankenhaus Hellersdorf - Krankenhausbetrieb von Berlin-Hellersdorf Krankenhaus Neukölln - Krankenhausbetrieb von Berlin-Neukölln Krankenhaus Prenzlauer Berg - Krankenhausbetrieb von Berlin-Prenzlauer Berg Krankenhaus Reinickendorf - Krankenhausbetrieb von Berlin-Reinickendorf Krankenhaus Spandau - Krankenhausbetrieb von Berlin-Spandau Wenckebach-Krankenhaus - Krankenhausbetrieb von Berlin-Tempelhof —

Die in der Anlage genannten Krankenhäuser wurden auf der Grundlage des Krankenhausunternehmens-Gesetzes in eine zuvor gegründete GmbH eingebracht, die am 20.11.2000 als NET-GE Kliniken für Berlin GmbH ins Handelsregister eingetragen worden war und im Laufe des Jahres 2001 in Vivantes NETZWERK FÜR GESUNDHEIT GmbH (im Folgenden: V. GmbH) umbenannt wurde.

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Ferner schloss das Land Berlin mit der V. GmbH einen Personalüberleitungsvertrag ab, in dessen § 2 Abs. 1 es heißt, dass die V. GmbH gem. § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus den am 1.1.2001 bestehenden Arbeitsverhältnissen bei den betroffenen Krankenhausbetrieben des Landes Berlin mit ihren Arbeitnehmern eintritt. Dies gilt nicht für diejenigen, die dem Ubergang des Arbeitsverhältnisses fristgemäß widersprochen haben. Nach § 3 Abs. 1 des Personalüberleitungsvertrages finden auf die von der V. GmbH übernommenen Arbeitsverhältnisse auch künftig die bisher maßgebenden Tarifverträge Anwendung. Die Beschäftigten werden nach § 7 des Vertrages über die bevorstehende Uberleitung unterrichtet. Dabei ist der Hinweis aufzunehmen, dass der einzelne Beschäftigte der Uberleitung innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Erhalt dieses Schreibens widersprechen kann. Die Beschäftigten sind dabei ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass im Falle des Widerspruchs — sofern ein dem arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch entsprechender Einsatz im Bereich des Landes Berlin nicht möglich ist — eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausgeschlossen werden kann. In § 9 des Vertrages verpflichtet sich die Gesellschaft, unverzüglich die Mitgliedschaft bei einem Arbeitgeberverband oder beiden Arbeitgeberverbänden des öffentlichen Dienstes in Berlin zu beantragen (Abs. 1) und unverzüglich eine Beteiligung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zu beantragen, wobei sie eine mindestens gleichwertige Versorgung gewährleistet, wenn eine Beteiligung nicht zustande kommt (Abs. 2). 2. Der Beschwerdeführer war bisher als Angestellter des Landes Berlin im städtischen Krankenhaus Neukölln beschäftigt. Mit seiner am 20. November 2000 eingereichten Verfassungsbeschwerde beantragt er, das Krankenhausunternehmens-Gesetz für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Der Beschwerdeführer rügt, durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz und die mit diesem Gesetz verbundenen Eingriffsmaßnahmen in Gestalt des Personalüberleitungsvertrages in seinen Rechten nach Art. 6, 7, 8, 10, 15, 17, 18, 22, 23, 24 und 36 der Verfassung von Berlin — VvB — verletzt zu sein. Insbesondere das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit stehe unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung. Das Krankenhausunternehmens-Gesetz und der auf ihm beruhende Personalüberleitungsvertrag gehörten nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, da es eine Kompetenznorm für die Privatisierung der städtischen Krankenhausbetriebe weder in der Berliner Verfassung noch in anderen Berliner Rechtsnormen gebe. § 31 Landeskrankenhausgesetz enthalte in seiner alten Fassung keine entsprechende Kompetenznorm. Auch sei die Führung des sozialen Versorgungsbetriebs „Krankenhaus" eine Aufgabe, die nicht an bloßen Erwerbschancen orientiert sein dürfe. Sie sei vielmehr nach sozialpolitischen Grundsätzen zu erfüllen. Mit der Zentralisierung und Privatisierung der städtischen Krankenhäuser könne das Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens nicht aufrecht erhalten werden. Dies verstoße auch gegen EU-Recht. Außerdem kollidiere das KrankenhausunternehLVerfGE 15

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mens-Gesetz mit dem Krankenhausfinanzierungs-Gesetz, das von wirtschaftlich eigenständigen Betrieben ausgehe. Die Umsetzung des Krankenhausunternehmens-Gesetzes stelle weiter einen erheblichen Eingriff in die bezirkliche Selbstverwaltung dar (Art. 66 Abs. 2 VvB), da die städtischen Krankenhausbetriebe als nichtrechtsfähige Anstalten in die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungen fielen. Schließlich macht der Beschwerdeführer geltend, dass er als bisheriger Beschäftigter des Krankenhauses Neukölln durch § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 11 Krankenhausunternehmens-Gesetz in Verbindung mit der Präambel und nach § 7 des Personalüberleitungsvertrages in seinen Rechten verletzt werde, da sein Arbeitsverhältnis zum 1.1.2001 auf die V. GmbH übergehe. Er sei durch die Rechtsnorm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen, denn es bedürfe keines besonderen Vollziehungsaktes. Da die neue GmbH mit einem Schuldenberg von ca. 300 bis 500 Mio. DM starte, könne ein „gewollter Konkurs" dieser Gesellschaft in den nächsten Jahren bzw. ein Weiterverkauf an einen privaten Investor nicht ausgeschlossen werden. Wegen dieses Risikos und der damit verbundenen Konsequenzen würde bei einer Verweisung auf den Rechtsweg das Instrument der Verfassungsbeschwerde ins Leere laufen und ihm, dem Beschwerdeführer, ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstehen. Die Verfassungsbeschwerde sei auch von allgemeiner Bedeutung, da das Land Berlin als erstes Bundesland alle seine städtischen Krankenhausbetriebe zentralisiere und privatisiere. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs sei geboten, um die Rechtsunsicherheit im Berliner Gesundheitswesen - bei Patienten und den Beschäftigten der städtischen Krankenhausbetriebe — abschließend zu beenden. Der gleiche Senat, der den Berliner Stadtreinigungsbetrieben den Bestand als Anstalt des öffentlichen Rechts zusichere, zentralisiere und privatisiere die städtischen Krankenhausbetriebe. Nach Art. 10 VvB dürfe aber nicht willkürlich Gleiches ungleich behandelt werden. Es gebe keinen sachlichen Differenzierungsgrund, dass ein Beschäftigter eines städtischen Krankenhauses privatrechtlich arbeite, aber ein Musiker des Berliner Philharmonischen Orchesters öffentlichrechtlich spiele. Der Gleichheitssatz nach Art. 10 VvB sei auch deswegen verletzt, weil der Personalüberleitungsvertrag die Rechte von Beamten und Angestellten unterschiedlich regele. Denn nur den Angestellten, die dem Übergang iSd § 613a BGB widersprächen, werde die Kündigung angedroht. Es sei auch nicht richtig, dass die auf die V. GmbH übergeleiteten Beschäftigungsverhältnisse vollen Bestandsschutz genössen. Die in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 11 Krankenhausunternehmens-Gesetz ausgesprochene Garantie, durch den Personalüberleitungsvertrag die beim Land Berlin erworbenen Rechte der Arbeitnehmer in vollem Umfang sicherzustellen, werde nicht eingehalten. Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 23 VvB. Rentenanwartschaften der gesetzlichen Sozialversicherung unterlägen dem Eigentumsschutz. Ähnliches müsse auch für Ansprüche der Zusatzversorgung durch die VBL gelten. Eingriffe in solche Anwartschaften könne der Gesetzgeber nur durch gesetzliche Regelungen vornehmen, wenn sie LVerfGE 15

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im öffentlichen Interesse dringend geboten und verhältnismäßig seien. Das Krankenhausunternehmens-Gesetz enthalte keine Regelung über den weiteren Bestand der Anwartschaften der VBL sowie deren Weiterführung für die Angestellten des öffentlichen Dienstes. Dem Betriebsübergang könne deswegen nur unter dem Vorbehalt zugestimmt werden, dass der Arbeitgeber vertraglich versichere, dass die in der VBL erworbenen Rechte ungeschmälert blieben, und dass per Vertrag klar geregelt und zugesagt werde, dass die Tätigkeit in der V. GmbH dem öffentlichen Dienst gleichgestellt sei. Die jetzige Bemühenszusage nach § 9 des Personalüberleitungsvertrages zur VBL-Versorgungsrente und die fehlende Generalklausel nach § 29 Abs. 7 BAT bedeuteten eine wesentliche Schlechterstellung seines mit dem Land Berlin abgeschlossenen Arbeitsvertrages. Im Ergebnis sei der Personalüberleitungsvertrag daher nicht rechtsgültig. 3. Gem. § 53 Abs. 3 VerfGHG iVm § 44 VerfGHG ist dem Abgeordnetenhaus von Berlin und dem Senat von Berlin Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern. Der Senat von Berlin hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Der Beschwerdeführer sei durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz nicht unmittelbar in seinen Rechten berührt. Sein Beschäftigungsverhältnis ändere sich nämlich nicht aufgrund des Krankenhausunternehmens-Gesetzes. Vielmehr gehe das Arbeitsverhältnis u.a. nach Maßgabe des § 613a BGB und des Personalüberleitungsvertrages auf die V. GmbH über. Der Beschwerdeführer sei gehalten, den Rechtsweg auszuschöpfen. Er müsse zunächst die sich aus der Umsetzung des Krankenhausunternehmens-Gesetzes ergebenden und ihn unmittelbar treffenden Rechtsakte vor den Fachgerichten angreifen. Die Sache sei weder von allgemeiner Bedeutung noch drohe dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil. Außerdem werde der Beschwerdeführer durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz nicht in seinen in der Verfassung von Berlin garantierten Rechten verletzt. Der Beschwerdeführer könne zudem im Rahmen seiner Verfassungsbeschwerde nur Verletzungen seiner Grundrechte geltend machen. Die Verfassungsbeschwerde sei hingegen kein Instrumentarium, um Verstöße gegen sonstige, nicht drittschützende Regelungen zu rügen. Das KrankenhausunternehmensGesetz verstoße schließlich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen materielles Recht. Das Abgeordnetenhaus von Berlin verweist ebenfalls darauf, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig sei, weil der Beschwerdeführer durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz nicht unmittelbar betroffen sei. Der Beschwerdeführer übersehe, dass die V. GmbH nicht durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz selbst gegründet werde, sondern dass durch das Gesetz nur die Grundlage hierfür geschaffen werde. In einem zweiten Schritt habe es der Einbringung der städtischen Krankenhausbetriebe in die V. GmbH bedurft. Ferner seien ein Gesellschaftsvertrag sowie ein Personalüberleitungsvertrag zu vereinbaren gewesen. Auch insoweit seien also zusätzlich zu der gesetzlichen Regelung im KrankenLVerfGE 15

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hausunternehmens-Gesetz besondere Rechtsakte erforderlich. Entsprechend sei den bei den betroffenen städtischen Krankenhausbetrieben Beschäftigten unter Hinweis auf § 613a BGB die Möglichkeit eingeräumt worden, gegen den Übergang des jeweiligen Arbeitsverhältnisses auf die neue GmbH Widerspruch einzulegen. Ein solches Widerspruchsrecht bestehe nur, wenn der Betriebsübergang auf einem Rechtsgeschäft beruhe. Im Übrigen sei es dem Beschwerdeführer nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde durchaus möglich und auch zuzumuten, zunächst den Rechtsweg auszuschöpfen, indem er gegen die ihn unmittelbar betreffenden Maßnahmen, etwa gegen die Überleitung seines Arbeitsverhältnisses auf die V. GmbH, vorgehe. Schließlich sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. II. Die gegen das Krankenhausunternehmens-Gesetz innerhalb der für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze geltenden Jahresfrist des § 51 Abs. 2 VerfGHG eingelegte Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. 1. Gem. § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte verletzt zu sein. § 50 VerfGHG verlangt für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, dass der Beschwerdeführer in der Begründung seiner Beschwerde hinreichend deutlich einen Sachverhalt vorträgt, aus dem sich die konkrete Möglichkeit der Verletzung eines ihm von der Verfassung von Berlin verbürgten Rechts ergibt. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, § 1 und § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 11 Krankenhausunternehmens-Gesetz verletzten Art. 18, 22, 24 und 36 VvB, ist seine Verfassungsbeschwerde schon deswegen unzulässig, weil die genannten Verfassungsnormen jedenfalls in diesem Zusammenhang keine mit der Verfassungsbeschwerde rügefähigen subjektiven Rechte gewähren (Beschl. v. 22.5.1996 - VerfGH 34/96 - LVerfGE 4, 62, 64, zu Art. 22 VvB; v. 20.8.1997 - VerfGH 101/97 - LVerfGE 7, 3, 8, zu Art. 18, 36 VvB sowie v. 26.10.2000 - VerfGH 116/00 —, zu Art. 24 VvB). Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 6, 8 und 15 VvB behauptet, genügt sein Beschwerdevorbringen nicht den — an die Frist des § 51 Abs. 2 VerfGHG gebundenen — Substantiierungsanforderungen in § 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG, denn der Beschwerdeführer hat nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen er sich durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz gerade in diesen Grundrechten verletzt fühlt. Auch hinsichtlich Art. 10 VvB dürfte es an einer hinreichenden Substantiierung fehlen, denn der Beschwerdeführer beanstandet insofern lediglich pauschal, dass Angestellte des öffentlichen Dienstes und Beamte bzw. die bislang städtischen Krankenhäuser im Vergleich zu anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen des Landes Berlins unterschiedlich behandelt würden. Es reicht aber für die Erfüllung der SubstantiLVerfGE 15

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ierungspflicht in Bezug auf die Verletzung des Gleichheitssatzes nicht aus, dass Vergleichspaare genannt und daraus die beanstandete Ungleichheit abgeleitet wird (BVerfGE 49, 1, 8). 2. Die im Übrigen in Bezug auf die ausreichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde und die unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers durch das Krankenhausunternehmens-Gesetz bestehenden Fragen können deswegen auf sich beruhen, weil die Verfassungsbeschwerde jedenfalls im Hinblick auf den Subsidiaritätsgrundsatz unzulässig ist. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Subsidiarität hat der Beschwerdeführer alle nach Lage der Sache zur Verfugung stehenden und ihm zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken bzw. eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Beschl. v. 31.7.1998 — VerfGH 80/97 - LVerfGE 9, 33, 35; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 63, 77, 78; 85, 80, 86). Ausprägung dieses Subsidiaritätsgrundsatzes ist das Gebot der Rechtswegerschöpfung gem. § 49 Abs. 2 S. 1 VerfGHG. Danach kann, wenn gegen die behauptete Rechtsverletzung der Rechtsweg eröffnet ist, die Verfassungsbeschwerde zulässigerweise erst dann erhoben werden, wenn dieser erschöpft ist. Die Unzulässigkeit einer gegen eine Rechtsnorm gerichteten Verfassungsbeschwerde kann sich nach diesen Grundsätzen daraus ergeben, dass der Beschwerdeführer, obwohl gegen die Norm selbst kein fachgerichtlicher Rechtsweg eröffnet ist, in zumutbarer Weise einen wirkungsvollen Rechtsschutz zunächst durch Anrufung der Fachgerichte erlangen kann (Urt. v. 31.10.1996 - VerfGH 5 4 / 9 6 LVerfGE 5, 49, 53; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 71, 305, 336; 74, 69, 74). Die Auslegung einfacher Gesetze wie des Krankenhausunternehmens-Gesetzes ist Aufgabe der Fachgerichte. Es ist demgegenüber grundsätzlich nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, einfachrechtliche Bestimmungen auszulegen und die zur Anwendung der Vorschriften erforderliche Ermitdung und Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen. Der Grundsatz der Subsidiarität stellt unter anderem sicher, dass dem Verfassungsgerichtshof infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Beschwerdepunkte nicht nur die abstrakte Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers unterbreitet werden, sondern auch die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für die jeweilige Materie zuständiges Gericht. Zur Herbeiführung einer Vorklärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen Lage ist ein Beschwerdeführer daher gehalten, zunächst Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen. Der Vorklärung durch die Fachgerichte kommt insbesondere dort Bedeutung zu, wo die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsächlicher oder einfachrechtlicher Fragen voraussetzt, für die das Verfahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 55, 244, 247; 86, 382, 386 ff). So liegt der Fall hier. Der Beschwerdeführer hat bzw. hatte die Möglichkeit, vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde arbeitsgerichtlichen Rechtsschutz LVerfGE 15

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zu erlangen, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 15 Abs. 4 S. 1 VvB an einen tatsächlich und rechtlich wirksamen Rechtsschutz genügt (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 71, 305, 336 f). Die Auswirkungen des Krankenhausunternehmens-Gesetzes auf sein Arbeitsverhältnis kann der Beschwerdeführer im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO klären lassen mit dem Antrag festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis zum Land Berlin fortbesteht und nicht zum 1.1.2001 auf die V. GmbH übergegangen ist (zur Zulässigkeit eines Feststellungsantrags vgl. BAG AP Nr. 172, 215 zu § 613a BGB; BAG AP Nr. 1 zu UniversitätsG Saarland; BAG BB 1996, 2413; vgl. auch LArbG Berlin, Beschl. v. 7.3.2000 - 3 Sa 2740/99 - , JurisAusdruck S. 3, 4 — zum Berliner Bäder-Anstaltsgesetz). Das fachgerichtliche Verfahren ermöglicht eine Klärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen Fragen, mithin auch die Klärung, inwieweit sich das Gesetz überhaupt auf die Rechtsposition des Beschwerdeführers auswirken kann. a) Dazu müsste arbeitsgerichtlich neben der erforderlichen Ermittlung noch offener Sachverhaltsfragen geklärt werden, ob die in § 1 Krankenhausunternehmens-Gesetz angeordnete Zusammenfassung der städtischen Krankenhäuser, die eine Privatisierung der bisher rechtlich unselbständigen städtischen Krankenhäuser (vgl. § 31 Landeskrankenhausgesetz a.F.) darstellt, ein sog. Betriebsübergang ist und ob dieser den Übergang der Arbeitsverhältnisse zur Folge hat. In diesem Zusammenhang ist maßgeblich, ob ein Betriebsübergang durch Gesetz (sog. Gesamtrechtsnachfolge) auf Grund des Krankenhausunternehmens-Gesetzes als einem sog. Organisationsgesetz (vgl. Trümmer PersR 1993, 473, 476) vorliegt oder aber ein Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft mit der Folge des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, wonach der neue Inhaber des Betriebs in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Ubergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt. Der Begriff des Rechtsgeschäfts wird weit verstanden und erfasst alle Fälle einer Fortführung der wirtschaftlichen Einheit im Rahmen vertraglicher oder sonst rechtsgeschäftlicher Beziehungen, wobei bisheriger Inhaber des Betriebs auch ein öffentlicher Rechtsträger sein kann, der zugleich Alleingesellschafter des Übernehmers ist (BAGE 92, 251, 256; BAG AP Nr. 131, 209 zu § 613a BGB). Dabei hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, der Annahme eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB stehe nicht entgegen, dass der Übergang des Betriebes kraft Gesetzes erfolgt, wenn der neue Inhaber in den Besitz der Betriebsmittel durch ein Rechtsgeschäft gelangt (BAGE 85, 312, 320 f, BAG AP Nr. 215 zu § 613a BGB). Im Einzelnen stellen sich hier somit spezifisch arbeitsrechtliche Abgrenzungsfragen, die zudem eine weitere Sachverhaltsermittlung im Hinblick auf die Einzelheiten der Gründung der V. GmbH und der Einbringung der Krankenhäuser in diese erfordern. Die Einordnung als gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang ist zum einen entscheidend für die Frage, ob und in welcher Weise die Arbeitsverhältnisse der bei dem alten Betrieb Beschäftigten auf den neuen Betrieb überLVerfGE 15

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gehen. Denn im Fall eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs könnten möglicherweise die privatrechtlichen Akte der Gründung der V. GmbH und die Einbringung der städtischen Krankenhäuser als Sacheinlage ungeachtet einer etwaigen Verfassungswidrigkeit des Krankenhausunternehmens-Gesetzes wirksam sein und daher in jedem Fall den Übergang der Arbeitsverhältnisse gem. § 613a BGB auf die V. GmbH zur Folge haben. Zum anderen hängt von der Einordnung als gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang ab, ob den Arbeitnehmern des übergehenden Betriebes ein sog. Widerspruchsrecht gegen den Ubergang ihrer Arbeitsverhältnisse zusteht. Ein derartiges Widerspruchsrecht hat das Bundesarbeitsgericht für die Fälle des rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs durch Auslegung der Vorschrift des § 613a BGB entnommen, weil dem Arbeitnehmer gegen seinen Willen kein anderer Arbeitgeber aufgezwungen werden kann (BAG AP Nr. 1 zu § 613a BGB). Demgegenüber sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes oder eines sonstigen Hoheitsaktes vollzogene Betriebsübergänge vom sachlichen Geltungsbereich des § 613a BGB ausgenommen (BAG AP Nr. 13, 131 zu § 613a BGB; BAGE 92, 251; BAG AP Nr. 219 zu § 613a BGB = Urt. v. 8.5.2001 - 9 AZR 95/00 - S. 8 f des Urteüsabdrucks). Das BAG hat bisher nicht abschließend entschieden, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, den Ubergang von Arbeitsverhältnissen auch gegen den Willen der Arbeitnehmer durch Gesetz anzuordnen, eine Auslegung entsprechend § 613a BGB aber als naheliegend bezeichnet (BAG AP Nr. 215 zu § 613a BGB; AP Nr. 1 zu Universitätsgesetz Saarland), wenn es auch ein Widerspruchsrecht nicht für erforderlich gehalten hat, sofern anstelle der Gebietskörperschaft eine Anstalt des öffentlichen Rechts die Arbeitgeberfunktion wahrnimmt (BAG AP Nr. 219 zu § 613a BGB). Ob dem Beschwerdeführer ein Widerspruchsrecht gegen die Übernahme seines Arbeitsverhältnisses zugestanden hat, kann bedeutsam für die verfassungsrechtliche Beurteilung des vorliegenden Falles im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 17 VvB) sein. Das Grundrecht der Berufsfreiheit garantiert neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dabei bezieht sich die freie Arbeitsplatzwahl neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch auf den Willen des Einzelnen, diese beizubehalten oder aufzugeben. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz demnach auch dann, wenn der Staat den Einzelnen zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingt oder die Aufgabe eines Arbeitsplatzes verlangt (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 84, 133, 146; 85, 360, 372 f; 97, 169, 175; BAG AP Nr. 1, 102, 103 zu § 613a BGB). Es gibt demgegenüber keine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz als solchen (Beschl. v. 20.8.1997 - VerfGH 101/96 - LVerfGE 7, 3, 10; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 84, 133, 146). Das gilt auch für Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst. Das Grundrecht lässt die Organisationsgewalt des öffentlichen Arbeitgebers unberührt. Ein Beschwerdeführer kann deswegen nicht die EntLVerfGE 15

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Scheidung über die Abwicklung von Einrichtungen, bei denen er gearbeitet hat, angreifen (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 84, 133, 147). Entsprechend dient die Widerspruchsmöglichkeit nach der bundesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung dazu, den ungewollten Arbeitgeberwechsel zu vermeiden (BAG AP Nr. 1, 55 zu § 613a BGB), wenn auch das Bundesarbeitsgericht offen gelassen hat, ob das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers im Hinblick auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes und die Vertragsfreiheit verfassungsrechtlich geboten ist (BAG AP Nr. 215 zu § 613a BGB). Die Prüfung, ob der Beschwerdeführer von der ihm jedenfalls tatsächlich eingeräumten Möglichkeit, dem Ubergang seines Arbeitsverhältnisses auf die V. GmbH zu widersprechen, form- und fristgerecht Gebrauch gemacht hat, fällt zudem in den Bereich fachgerichtlicher Sachverhaltsermitdung. Denn wäre der Beschwerdeführer Angestellter des Landes Berlin geblieben, käme es im Hinblick auf das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses auf die Frage, ob tatsächlich auf Grund des Krankenhausunternehmens-Gesetzes ein den Ubergang der Arbeitsverhältnisse auslösender Betriebsübergang der städtischen Krankenhäuser auf die V. GmbH vorliegt, erst an, falls das Land Berlin gegenüber dem Beschwerdeführer im Hinblick auf dessen Widerspruch eine (außerordentliche) Kündigung ausgesprochen hätte. In diesem Fall hätte der Beschwerdeführer zudem die Möglichkeit der Kündigungsschutzklage vor den Arbeitsgerichten, im Rahmen derer er sich u.a. — nämlich außer einer fehlerhaften Sozialauswahl — darauf berufen könnte, dass kein Kündigungsgrund vorliege, weil kein wirksamer Betriebsübergang stattgefunden habe. Sollte der Beschwerdeführer dem Ubergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen haben, wäre zunächst fachgerichtlich zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer der gerügten Verletzung des Grundrechts der Berufs freiheit durch den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die V. GmbH nicht durch eine Ausübung des Widerspruchsrechts hätte entgegenwirken müssen. Vor diesem Hintergrund hätten die Fachgerichte zu prüfen, ob der Widerspruch im Hinblick auf eine eventuell dann drohende (außerordentliche) Kündigung nicht zumutbar gewesen wäre, obwohl Art. 17 VvB keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen und damit auch keinen unmittelbaren Schutz vor Kündigungen (Beschl. v. 26.9.1996 - VerfGH 76/95 LVerfGE 5, 30, 35) gewährt und dem Staat lediglich eine Schutzpflicht obliegt, der die geltenden Kündigungsvorschriften hinreichend Rechnung tragen (BVerfGE 84,133,147; 97,169,175). b) Hinsichtlich der Rüge des Beschwerdeführers, sein Eigentumsgrundrecht aus Art. 23 VvB sei verletzt, weil weder das Krankenhausunternehmens-Gesetz selbst noch § 9 Abs. 2 Personalüberleitungsvertrag sicherstellten, dass seine bei der VBL erworbenen Rechte ungeschmälert blieben, steht nach dem Vorbringen des Beschwerdeführer noch gar nicht fest, ob überhaupt eine Beschwer eintreten wird (vgl. BVerfGE 61, 260, 274). Hierzu wäre deswegen zunächst in tatsächlicher LVerfGE 15

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Hinsicht unter dem Blickwinkel des Rechtsschutzbedürfnisses fachgerichtlich zu ermitteln, ob die V. GmbH zwischenzeitlich an der VBL beteiligt ist oder anderweitig eine gleichwertige Versorgung gewährleistet hat (vgl. zur fachgerichtlichen Herleitung eines entsprechenden Verschaffungsanspruchs BAGE 99, 92, 97 f). Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Eingriffe in Art. 23 VvB hinsichtlich der fehlenden Gewährleistung seiner VBL-Zusatzversorgung bzw. der von ihm gerügten fehlenden Gleichstellung des Arbeitsverhältnisses bei der V. GmbH mit dem öffentlichen Dienst (vgl. § 29 Abs. 7 BAT) beruhen ohnehin nicht unmittelbar auf dem Krankenhausunternehmens-Gesetz, das vielmehr anordnet, dass die erworbenen Rechte der Arbeitnehmer in vollem Umfang zu garantieren sind (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 11). Das Ausmaß der konkreten Auswirkungen auf den Beschwerdeführer lässt sich damit nicht allein anhand des Personalüberleitungsvertrags beurteilen. Dieser stellt aber keinen Akt der öffentlichen Gewalt dar, der unmittelbar Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein könnte. Vielmehr ist der Beschwerdeführer hinsichtlich von ihm beanstandeter Regelungen des Personalüberleitungsvertrages gehalten, fachgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Es obliegt den Arbeitsgerichten als Fachgerichten, in diesem Zusammenhang zum einen Rechtsnatur, Wirksamkeit und Umfang dieses Vertrages zu prüfen und zum anderen aufzuklären, wie sich die Regelungen auf das — privatrechtliche — Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers auswirken. Davon abgesehen ist ohnehin zweifelhaft, ob die bisherige Position des Beschwerdeführers als Angestellter im öffentlichen Dienst des Landes Berlin dem Schutz des Art. 23 VvB unterliegt. Denn letztendlich handelt es sich um ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis, dessen Bestand jedenfalls nicht von Art. 17 VvB garantiert wird. Uberhaupt ist zu bedenken, dass das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst verfassungsrechtlich — anders als das Beamtenrecht — nicht institutionalisiert ist (Kunig in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2003, S. 773). c) Angesichts der dargelegten tatsächlichen und rechtlichen — spezifisch arbeitsrechtlichen — Zweifelsfragen müsste der Verfassungsgerichtshof seine Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Krankenhausuntemehmens-Gesetzes auf ungesicherten Grundlagen zur Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften sowie zu verschiedenen Fallkonstellationen treffen. Dies zu verhindern ist gerade der Sinn des Subsidiaritätsgrundsatzes des § 49 Abs. 2 S. 1 VerfGHG (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 86, 15, 27). Seine Anwendung führt dazu, dass die besonderen Kenntnisse der Arbeitsgerichte und insbesondere ihre umfassende Erfahrung mit der rechtlichen Beurteilung von Betriebsübergängen dem Verfassungsgerichtshof bei einer etwaigen späteren verfassungsrechtlichen Prüfung der hier umstrittenen Regelungen von Nutzen sein können (vgl. auch BVerfGE 72, 39, 45). Einer Verweisung des Beschwerdeführers auf den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten steht nicht entgegen, dass sich die Arbeitsgerichte auch mit verfasLVerfGE 15

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sungsrechtlichen Fragen befassen müssten. Es gehört zu den Aufgaben eines jeden Gerichts, im Rahmen seiner Zuständigkeit auch bei Verfassungsverletzungen Rechtsschutz zu gewähren. Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass zunächst die für das jeweilige Rechtsgebiet zuständigen Fachgerichte eine Klärung darüber herbeifuhren, ob und in welchem Ausmaß ein Beschwerdeführer durch die beanstandete Regelung in seinen Rechten betroffen ist und ob die Regelung mit der Verfassung vereinbar ist. Kommen die Fachgerichte hierbei zur Auffassung, die angegriffene Regelung sei verfassungswidrig, so ist hierzu nach Art. 100 Abs. 1 GG zwar die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs einzuholen. Dann ist aber auch gewährleistet, dass sich die verfassungsgerichtliche Beurteilung auf umfassend geklärte Tatsachen und auf die Beurteilung der Fachgerichte stützen kann (BVerfGE 71, 25, 35; 74, 69, 74 f) Die Voraussetzungen für eine Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtsweges nach der — im Rahmen des Subsidiaritätsgrundsatzes sinngemäß anwendbaren - Vorschrift des § 49 Abs. 2 S. 2 VerfGHG (Urt. v. 31.10.1996 - VerfGH 54/96 - LVerfGE 5, 49, 54; vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 86, 382, 388) sind demgegenüber nicht erfüllt. Danach kann der Verfassungsgerichtshof über eine vor Erschöpfung des Rechtsweges eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Im Rahmen der hierbei vorzunehmenden Abwägung (vgl. BVerfGE 71, 305, 336 f) sind die Vorteile des Beschwerdeführers aus einem sogleich eröffneten verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz den dabei für die Allgemeinheit oder für Dritte entstehenden Nachteilen gegenüberzustellen. Einzubeziehen sind auch die Umstände, die für eine Subsidiarität der RechtssatzVerfassungsbeschwerde gegenüber anderweitigem, vor den Fachgerichten zu erlangenden Rechtsschutz sprechen. Eine etwaige allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde gebietet dabei für sich allein keine Vorabentscheidung durch den Verfassungsgerichtshof. Auch sie wäre vielmehr nur ein Moment bei der Abwägung für und wider eine sofortige Sachentscheidung des Verfassungsgerichtshofs (Urt. v. 31.10.1996 - VerfGH 54/96 - LVerfGE 5, 49, 54 f; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 71, 305, 349; 86, 382, 388). Die Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall eine Sachentscheidung des Verfassungsgerichtshofs vor Erschöpfung des Rechtswegs nicht ergehen kann. Eine Vorabentscheidung kommt nämlich in der Regel dann nicht in Betracht, wenn — wie hier — entscheidungserhebliche Tatsachen sowie die einfachrechtliche Lage nicht hinreichend geklärt sind (vgl. BVerfGE 8, 222, 227; 13, 284, 289). Wie dargelegt, müsste sich der Verfassungsgerichtshof mit verschiedenen — stark verästelten — arbeitsrechtlichen Fragen zum Betriebsübergang auseinandersetzen, die wiederum mit offenen Tatsachenfragen verknüpft sind. Dies gilt umso mehr als sich der Beschwerdeführer in einem nicht unwesentlichen Umfang gegen Regelungen des Personalüberleitungsvertrages wendet, die einer umfassenLVerfGE 15

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den Klärung durch geeignete fachgerichtliche Ermittlungen und Bewertungen des Sachverhalts bedürfen und in deren Zusammenhang Fragen des einfachen Rechts zu beantworten sind. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren können die verfassungsrechtlichen Fragen deutlichere Konturen gewinnen und sich Anhaltspunkte für das Ausmaß und die Wirkungen eines etwaigen Eingriffs in Grundrechte des Beschwerdeführers ergeben, die Voraussetzung einer abschließenden verfassungsrechtlichen Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof sind (vgl. auch BVerfGE 74, 69, 77). Das Interesse an der fachgerichtlichen Vorklärung wiegt damit hier so schwer, dass das Interesse des Beschwerdeführers an einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vor Erschöpfung des Rechtswegs zurücktreten muss. Hinzu kommt, dass es dem Beschwerdeführer zuzumuten ist oder war, zunächst den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zu beschreiten. Die Umsetzung des Krankenhausunternehmens-Gesetzes ist bereits erfolgt, da auf seiner Grundlage die V. GmbH gegründet und in ihr zwischenzeitlich die städtischen Krankenhäuser zusammengefasst wurden. Ein weiterer unmittelbarer Vollzug des Gesetzes, der den Beschwerdeführer berühren könnte, ist nicht ersichtlich. Auch ist der Beschwerdeführer nicht mehr zu Entscheidungen bzw. Dispositionen gezwungen. Die Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis sind für den Fall, dass der Beschwerdeführer dem Ubergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen haben sollte, bereits eingetreten. Sollte sich nach Beschreitung des Rechtsweges zu den Fachgerichten herausstellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf die V. GmbH übergegangen ist, hätte der Beschwerdeführer ohnehin zu keinem Zeitpunkt seine Position als Angestellter des Landes Berlin verloren. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Nr. 2 1. Ob eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage während eines anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses führt, ist im jeweiligen Fall unter Berücksichtigung des angegriffenen Hoheitsaktes, der Bedeutung der Grundrechtsverletzung und des Zwecks des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden. 2. Für eine mit der Rüge der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 33 Satz 1 VvB) gegen die auf der Grundlage von § 47 ASOG nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erfolgte gerichtliche Anordnung der „Rasterfahndung" erhobene Verfassungsbeschwerde besteht kein Rechtsschutzbedürfhis mehr, nachdem alle in diesem Zusammenhang ermittelten und verwendeten personenbezogeLVerfGE 15

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nen Daten über die Beschwerdeführer vernichtet bzw. gelöscht worden sind. Verfassung von Berlin Art. 33 S. 1 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung § 47 Abs. 1 S. 1

B e s c h l u s s v o m 28. Mai 2004 - V e r f G H 81/02 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn Z. 2. des Herrn B. 3. des Herrn E. Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Η., K., R., R., P., D., KI., H. und H. gegen 1. 2. 3. 4. 5.

den Beschluss des Kammergerichts vom 16. April 2002 - 1 W 89-98/02 den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. Oktober - 3 5 3 AR 199/01 den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 26. September - 353 AR 206/01 ASOG den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. September - 3 5 3 AR 199/01 A S O G den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. September - 3 5 3 AR 199/01 A S O G -

Beteiligte gemäß § 53 Abs.l und 2 VerfGHG: 1. 2. 3. 4.

Polizeipräsident in Berlin Senatsverwaltung für Inneres Präsidentin des Kammergerichts Präsident des Amtsgerichts Tiergarten Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

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„Rasterfahndung" — Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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Gründe: I. Der Beschwerdeführer zu 1 stammt aus der Westsahara und besitzt einen algerischen Reisepass. Er ist als Student der Sozialwissenschaften an einer Berliner Universität immatrikuliert. Die sudanesischen Beschwerdeführer zu 2 und 3 sind an dieser Universität im Fach Biologie eingeschrieben. Sämtliche Beschwerdeführer sind praktizierende Moslems, sprechen fließend Deutsch und haben keine Kinder. Die Konferenz der Innenminister und -Senatoren beschloss am 18.9.2001, im Bundesgebiet „Rasterfahndungen" durchzuführen, um noch unerkannte Mitglieder islamischer terroristischer Zusammenhänge („Schläfer") aufzuspüren. Mit Schreiben vom 19.9.2001 beantragte der Beteiligte zu 1 beim AG Tiergarten in Berlin, näher beschriebene Maßnahmen des Datenabgleichs gem. § 47 ASOG anzuordnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, diese Anordnung sei angesichts der Terroranschläge in den USA vom 11.9.2001 zur Abwehr der Gefahr weiterer Terroranschläge islamischer Extremisten erforderlich. Mit Beschluss vom 20.9.2001, berichtigt durch Beschluss vom 21.9.2001, ordnete das AG die Übermittlung personenbezogener Daten durch bestimmte Stellen, u.a. Universitäten an (sog. Rasterfahndung) und legte als Merkmale der einzubeziehenden Personengruppe die vermutete islamische Religionszugehörigkeit und den vermutlich legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland fest. Auf Antrag des Beteiligten zu 1 erweiterte das AG mit Beschluss vom 26.9.2001 die Anordnung dahin, dass alle Dienststellen der Landesregierung zur Übermittlung der Datenbestände verpflichtet wurden. Unter dem 17.10.2001 beantragte der Beteiligte zu 1 im Hinblick auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung der bisherigen Anordnung eine „Beschlussneufassung" und führte hierzu die zu übermittelnden Daten und verpflichteten Stellen neu auf. Neben weiteren Merkmalen für die einzubeziehende Personengruppe gab er für das Merkmal „vermutlich islamischer Religionszugehörigkeit" Hilfsmerkmale (insbesondere Geburtsort mit Länderliste) an. Mit Beschluss vom 24.10.2001 entsprach das AG diesem Antrag. Auf die Beschwerden der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des AG hob das LG Berlin diese Beschlüsse mit Beschluss vom 15.1.2002 - 84 Τ 278, 288, 289, 308, 348 -351/01, 84 Τ 8/02 - auf und wies die zugrunde hegenden Anträge des Beteiligten zu 1 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Nach § 47 Abs. 1 S. 1 ASOG könne die Übermittlung personenbezogener Daten zum Zwecke des Datenabgleichs nur verlangt werden, wenn eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Leib und Freiheit einer Person abzuwehren sei. Hierfür bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte.

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Unter teilweiser Aufhebung des Beschlusses des LG vom 15.1.2002 verwarf das KG mit Beschluss vom 16.4.2002 auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 die Beschwerden der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des AG vom 20.9.2001 (in der berichtigten Fassung vom 21.9.2001) und vom 26.9.2001 als unzulässig und wies die Beschwerden gegen den Beschluss des AG vom 24.10.2001 im Wesentlichen zurück. Soweit sich die weitere Beschwerde gegen die Aufhebung der Beschlüsse vom 20. und 26.9.2001 richte, sei sie schon deshalb begründet, weil diese Beschlüsse in vollem Umfang durch den Beschluss des A G vom 24.10.2001 ersetzt worden und damit die gegen die ursprünglichen Beschlüsse erhobenen Beschwerden unzulässig geworden seien. Die gegen die Aufhebung des Beschlusses vom 24.10.2001 gerichtete weitere Beschwerde sei im Wesentlichen begründet, weil die Entscheidung des LG auf einer rechts fehlerhaften Auslegung und Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der gegenwärtigen Gefahr in § 47 ASOG beruhe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 47 ASOG seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei diese Vorschrift mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Zweifel an der Effektivität der Rasterfahndung für die präventiv-polizeiliche Ermittlungsarbeit könnten an der grundsätzlichen Eignung dieses Fahndungsinstruments nichts ändern; denn es stehe eben nicht ohne weiteres fest, dass die Rasterfahndung nicht einmal möglicherweise Erfolg versprechend sei. Die vom LG vorgenommene Auslegung des Begriffs der gegenwärtigen Gefahr lasse die Besonderheiten von Gefahrenlagen der geltend gemachten Art unberücksichtigt. Diese Gefahr sei gerade dadurch gekennzeichnet, dass Wahrscheinlichkeitsprognosen zum Zeitpunkt und zum Ort sowie zur Art und Weise der Verwirklichung nach Art der Gefahr nicht möglich seien, sondern nur zum Bestehen der Gefahr überhaupt und zum in Betracht kommenden ungewöhnlich großen Ausmaß möglicher Schäden. Es handele sich um eine Dauergefahr, die sich jederzeit verwirklichen könne. Auch eine Dauergefahr könne eine gegenwärtige Gefahr sein. Oft bestehe das Wesen einer gegenwärtigen Gefahr darin, dass der Zeitpunkt des Eintritts eines Schaden stiftenden Ereignisses ungewiss sei, aber nach Lage der Dinge jederzeit damit gerechnet werden müsse. Eine solche Gefahr habe der Beteiligte zu 1 geltend gemacht. Die Notwendigkeit des sofortigen Einschreitens bei einer Vorfeldmaßnahme wie der Rasterfahndung setze nicht voraus, dass die Maßnahme auf eine unmittelbare Beseitigung oder Verminderung der Gefahr gerichtet sei. Es komme auch nicht darauf an, ob terroristische Anschläge gerade in Deutschland oder gar in Berlin drohten. Denn § 47 ASOG lasse keine Beschränkung des Schutzzwecks auf im Geltungsbereich des Gesetzes aufhältliche Personen erkennen. Angesichts der vom Beteiligten zu 1 dargelegten Möglichkeit von Schäden, die in ihrem Ausmaß noch weit über die in Zusammenhang mit den Ereignissen vom 11.9. eingetretenen Schäden hinaus gehen könnten, beruhe die Entscheidung des LG auf einer Uberspannung der Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit der dargelegten Gefahr. LVerfGE 15

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Am 24.6.2002 haben die Beschwerdeführer gegen die bezeichneten Entscheidungen des KG und des AG Tiergarten Verfassungsbeschwerde erhoben. Nach Beendigung der Rasterfahndung wurden im Laufe des Verfassungsbeschwerdeverfahrens alle in diesem Zusammenhang ermittelten und verwendeten personenbezogenen Daten über die Beschwerdeführer unwiederbringlich vernichtet bzw. gelöscht. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 33 iVm Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 10 Abs. 2 sowie Art. 15 Abs. 1 und 4 der Verfassung von Berlin (VvB) und führen zur Begründung aus: Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Zwar hätten sich die angegriffenen Entscheidungen in Anbetracht dessen, dass die auf ihrer Grundlage erhobenen oder gespeicherten Dateien nicht mehr existierten, erledigt. Es bestehe aber ein schutzwürdiges Interesse an der nachträglichen Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Zum einen sei zwischen der Entscheidung des Kammergerichts und der Erledigung der Grundrechtsbeeinträchtigung verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz nicht zu erlangen gewesen. Zum anderen bedeuteten die angegriffenen Entscheidungen tief greifende Grundrechtseingriffe, da umfangreiche personenbezogene Daten der Beschwerdeführer von verschiedenen Stellen zur Terrorismusbekämpfung an den Polizeipräsidenten zu übermitteln gewesen seien und von diesem in einem umfangreichen Auswertungsprogramm hätten verwendet, anderen deutschen Sicherheitsbehörden übermittelt sowie ins Ausland weitergegeben werden dürfen. Die Behörden hätten damit rechtlich und tatsächlich über Mittel verfügt, die den Betroffenen in erheblichem Maße Schaden hätten zufügen und ihre Freiheiten einschränken können. Datenerhebung und -Verwendung erfolgten dabei als heimliche Maßnahmen, woraus eine besondere Eingriffstiefe folge, da sie einerseits eine erhebliche Verunsicherung der potentiell betroffenen Bevölkerung verursache und andererseits geeignet sei, die Rechtsverteidigung der Betroffenen zu behindern oder gar zu vereiteln. Die Rasterfahndung knüpfe zudem an besonders schützenswerte Daten wie die Religionszugehörigkeit an und betreffe notwendig Personen, die in ihrem bisherigen Verhalten keinen Anlass zur informationellen Inanspruchnahme gegeben hätten. Außerdem sei Wiederholungsgefahr gegeben. Die vom KG ausdrücklich unterstellte Dauergefahr bestehe mindestens bis zur endgültigen Beseitigung der Gefahr terroristischer Anschläge islamisch orientierter Tätergruppen fort. Diese Gefahr sei nicht einmal an die Existenz von Al-Qaida gebunden, welche im Übrigen ihre fortbestehende Aktionsfähigkeit unter Beweis gestellt habe. Es bestehe auch ein Rechtschutzbedürfnis hinsichtlich der vor dem 24.10.2001 ergangenen Beschlüsse des AG, denn diese seien bis zu dem angeführten Datum die rechtliche Grundlage für die Übermitdung und Verwendung personenbezogener Daten der Beschwerdeführer gewesen. Die Verfassungsbeschwerde sei begründet. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschwerdeführer durch die Anordnung der LVerfGE 15

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Rasterfahndung sei unverhältnismäßig. Die Eignung der Ermittlungsmethode Rasterfahndung zur Abwehr der Gefährdung durch „Schläfer" sei angesichts der typischen Schwerfälligkeit dieser Methode und ihrer geringen Ermittlungstiefe generell zweifelhaft. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen den Grundsatz der Erforderlichkeit. Aus den Grundrechten in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folge, dass der Einzelne nur dann polizeilichen (Zwangs-)Eingriffen ausgesetzt werden könne, wenn gegen ihn ein individualisierter, auf Tatsachen begründeter Verdacht bestehe. Eine Inanspruchnahme von Nichtstörern sei nur im Ausnahmefall des polizeilichen Notstandes denkbar und setze zudem voraus, dass andere Maßnahmen nicht zur Verfugung stünden. Eine verfassungsrechtlich hinreichende Wahrscheinlichkeit schwerster Rechtsgutverletzungen sei nicht feststellbar. Eine die Eingriffsschwelle bis zur Unkenntlichkeit nivellierende Figur der Dauergefahr stelle kein tragfähiges Kriterium dar, das die spezifischen grundrechtlichen Kosten und Risiken für die Betroffenen rechtfertigen könnte. Hiergegen könne nicht eingewandt werden, dass Gefahrenvorsorge in bestimmten Lebensbereichen verdachtlose Eingriffe erfordere. Das KG habe weiterhin die aus Art. 15 Abs. 1 und 4 VvB folgende Pflicht zur vollständigen Überprüfung der angefochtenen Akte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht verletzt. Das KG gehe in seiner Bewertung der Gefahrenlage formelhaft von der Möglichkeit monströser Terroranschläge aus, ohne sich um eine eigene Tatsachenaufklärung auch nur zu bemühen. Die angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Übermaß, denn die Rasterfahndung bedeute in der Sache ein informationelles Sonderopfer für bestimmte Studenten auf Grund ihres islamischen Glaubens. Sie setze die Betroffenen einer „informationellen Gruppenverfolgung" aus. Der Verfassungsgerichtshof hat den nach § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beteiligte zu 2 vertritt im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der Beendigung der Rasterfahndung erfolgte Vernichtung und Löschung der personenbezogenen Daten die Auffassung, dass eine noch bestehende Rechtsbeeinträchtigung der Beschwerdeführer nicht erkennbar sei. Darüber hinaus bestünden keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 47 ASOG. Auch nach Auffassung des Beteiligten zu 1 kann die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben. Die Regelung des § 47 Abs. 1 ASOG sei verfassungskonform. Die angefochtene Maßnahme sei ebenfalls als solche verfassungsmäßig. Zwischen den Terroristen des 11.9.2001 und den Herkunftsländern der Betroffenen, deren mutmaßlicher Religionszugehörigkeit und den dazu in Verbindung zu setzenden weiteren Fahndungsdaten bestehe ein untrennbarer Zusammenhang, so dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 10 Abs. 2 VvB) bestehe. Hinsichtlich der Erforderlichkeit habe das KG die gegenwärtige Gefahr zu Recht als eine jederzeit, also unmittelbar drohende Gefahr subsumiert.

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II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Soweit die Beschwerdeführer die Beschlüsse des AG vom 20., 21. und 26.9.2001 angreifen, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil ihr der in § 49 Abs. 2 VerfGHG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegensteht. Danach muss ein Beschwerdeführer vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht nur dem Gebot der Rechtswegerschöpfung nachkommen, sondern auch sonstige bestehende und zumutbare Möglichkeiten ergreifen, um ohne Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Beschl. v. 16.12.1993 — VerfGH 104/93 — LVerfGE 1, 199, 201; std. Rspr.). Mit dem Beschluss vom 24.10.2001 hatten sich nach der auch von den Beschwerdeführern nicht angezweifelten Feststellung des KG die früheren Beschlüsse des AG erledigt, so dass deren Aufhebung nicht mehr begehrt werden konnte. Gleichwohl kam grundsätzlich eine Fortführung des Verfahrens mit auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Beschlüsse gerichteten Anträgen in Betracht. Die Beschwerdeführer haben es jedoch nicht nur versäumt, entsprechende Anträge zu stellen, sondern sie haben auch im Ausgangsverfahren nicht erkennen lassen, dass und weshalb sie unter Berücksichtigung des Beschlusses vom 24.10.2001 ein schützenswertes Interesse an der Fortführung des Verfahrens in Bezug auf die erledigten Beschlüsse hätten. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht innerhalb der Frist des § 51 VerfGHG hinreichend dargetan, welches schutzwürdige Interesse sie nunmehr an einer verfassungsrechtlichen Uberprüfung der gegenstandslos gewordenen Beschlüsse haben, so dass die Verfassungsbeschwerde insoweit auch mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist. Allein aus dem von den Beschwerdeführern angeführten Umstand, dass die überholten Beschlüsse bis zum 24.10.2001 Rechtsgrundlage für die Ubermitdung und Verwendung von personenbezogenen Daten der Beschwerdeführer gewesen seien, ergibt sich nicht, weshalb neben dem Beschluss vom 24.10.2001 auch die früheren Beschlüsse des AG verfassungsgerichtlich überprüft werden müssten. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des in Art. 6 iVm Art. 7 VvB gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts rügen, ist die Verfassungsbeschwerde schon deswegen unzulässig, weil als Prüfungsmaßstab für die von ihnen beanstandete Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten das in Art. 33 S. 1 VvB geregelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung als spezielles Persönlichkeitsrecht heranzuziehen ist. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des in Art. 15 Abs. 1 VvB gewährleisteten Rechts auf rechtliches Gehör beanstanden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht den sich aus § 50 VerfGHG ergebenden Anforderungen an die Bezeichnung einer derartigen Rechtsverletzung entspricht. Es ist insoweit nicht Aufgabe des VerfassungsLVerfGE 15

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gerichtshofs, Verfahrensakten auf etwaige Verletzungen von Rechten zu überprüfen, wenn dieser die Verletzungshandlungen nicht selbst im Einzelnen darlegt. Diese Anforderungen erfüllt das Beschwerdevorbringen nicht. Es beschränkt sich darauf, eine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung durch das KG zu rügen. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des in Art. 33 S. 1 VvB gewährleisteten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist die Verfassungsbeschwerde schließlich unzulässig, weil den Beschwerdeführern insoweit das Rechtsschutzinteresse fehlt. Das von den Beschwerdeführern verfolgte Begehren hat sich mit Beendigung der durch die angegriffenen Entscheidungen angeordneten Rasterfahndung und der danach erfolgten Vernichtung bzw. Löschung der über die Beschwerdeführer geführten personenbezogenen Daten erledigt. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass nicht nur bei Antragseingang, sondern auch noch im Zeitpunkt der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ein Rechtsschutzinteresse für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsakts oder für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit besteht (BVerfGE 9, 89, 92; 21, 139, 143; 50, 244, 247; 53, 152, 157; 56, 99, 106; 81, 138, 140; 81, 347, 355 f; Beschl. des Verfassungsgerichtshofs v. 11.2.1999 - VerfGH 25/97, 25 A/97 - StV 1999, 296). Im Falle der Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens sind die entscheidenden Kriterien für das Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses darin zu sehen, dass die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder andernfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbleiben würde und der gerügte Grundrechtseingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht betrifft bzw. besonders belastend ist (BVerfGE 9, 89, 93 f; 33, 247, 257 f; 81, 138, 140; 98, 169, 198). Im Fall besonders tiefgreifender und folgenschwerer — wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkender — Grundrechtseingriffe ist vom Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses auch dann auszugehen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine verfassungsgerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann (BVerfGE 9, 89, 93 f; 34, 165, 180; 81, 138, 140 f; 74, 163, 172; 76, 1, 38 f; 96, 27, 40; Beschl. des Verfassungsgerichtshofs v. 11.2.1999, aaO, und v. 24.1.2003 VerfGH 39/99 - NJW 2004, 593). Ob eine nachträgliche Änderung der Sachoder Rechtslage während des anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses führt, ist dabei im jeweiligen Fall unter Berücksichtigung des angegriffenen Hoheitsaktes, der Bedeutung der Grundrechtsverletzung und des Zwecks des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden (BVerfGE 6, 389, 442 f; 50, 244, 247 f; 76, 1, 38 f).

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Diese besonderen Umstände, die es gebieten können, ausnahmsweise von einem fortbestehenden Rechtsschuteinteresse trot2 Erledigung des Begehrens auszugehen, sind nicht gegeben. Zunächst ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beschwerdeführer durch die angegriffenen Entscheidungen weiterhin beeinträchtigt sind. Auch ist ein Rechtsschutzinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr nicht gegeben. Hierbei kommt es darauf an, ob jederzeit mit einer Wiederholung des gerügten Verhaltens gerechnet werden kann (BVerfGE 21, 139, 143; 56, 99, 106). Die nicht näher konkretisierte Möglichkeit des erneuten Eintritts des gerügten Eingriffs genügt aber nicht (BVerfGE 81, 138, 141 f; 98, 169, 197). Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist unabhängig von der Frage, in welchem Umfang terroristische Anschläge durch Mitglieder extremistischer islamistischer Gruppierungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt drohen, eine Wiederholungsgefahr zu verneinen. Auf Grund der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen kann eine weitere Rasterfahndung ohnehin nicht durchgeführt werden. Hierzu bedürfte es einer neuen richterlichen Anordnung nach § 47 Abs. 4 ASOG. Dass eine derartige Anordnung einen identischen Inhalt haben könnte und wieder unter Berufung auf die Gefahrenlage im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11.9.2001 durch islamische Extremisten mit identischen Suchmerkmalen für die einzubeziehende Personengruppe erfolgen könnte, ist jedoch nicht absehbar. Dies hängt neben der nicht prognostizierbaren weiteren Entwicklung der bisher angenommenen Gefahrenlage nicht zuletzt davon ab, wie der Polizeipräsident nach Auswertung der durchgeführten Rasterfahndung die Erfolgsaussichten einer neuerlichen Rasterfahndung einschätzt. Hinzu kommt, dass eine vergleichbare richterliche Anordnung ohnehin die Beschwerdeführer nur wieder betreffen könnte, wenn sich ihre Lebensumstände bis dahin nicht geändert haben sollten. Schließlich liegt für den Fall, dass die Verfassungsbeschwerde während des Zeitraums der Fortwirkung der angegriffenen Gerichtsentscheidungen begründet gewesen wäre, kein Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung vor, der in seinen Auswirkungen für die Beschwerdeführer besonders belastend erscheint. Besonders belastende bzw. tief greifende Eingriffe sind vornehmlich solche, die schon die Verfassung - wie in Art. 8 Abs. 2 und 3, Art. 28 Abs. 2 VvB - unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 104, 220, 233 f). Das ist bei der Rasterfahndung nicht der Fall. Allerdings stellt sich der konkret in Gestalt der Anordnung einer Rasterfahndung nach § 47 ASOG erfolgende Eingriff in Art. 33 S. 1 VvB ungeachtet dessen nicht nur als geringfügig dar. Denn bei der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung fallt ins Gewicht, dass ein unüberschaubarer Kreis von Personen dieser Fahndungsmaßnahme ausgesetzt wird, ohne dass dies mit deren Verhalten in Beziehung gebracht werden könnte oder durch das Verhalten dieser Personen veranlasst wäre (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 100, 313, 380). Das aus dem Recht auf informationelle SelbstbestimLVerfGE 15

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mung abzuleitende Zweckbindungsgebot (vgl. BVerfGE 1, 65, 46) wird dadurch durchbrochen, dass in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten auf der Grundlage des § 47 Abs. 1 ASOG an die Polizei übermittelt und von dieser für eine gewisse Zeit — entgegen der ursprünglichen Zweckbestimmung — verwendet und mit anderen Datenbeständen abgeglichen werden können (vgl. zu § 47 Abs. 1 SächsPolG: SächsVerGH, Urt. v. 26.1.1996 - Vf. 15-1-95 - LVerfGE 4, 287, 394). Wenn danach diese Eingriffe nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden können, so sind sie allerdings bezogen auf den einzelnen Grundrechtsträger auch nicht als besonders schwer wiegend einzustufen. Die übermittelten Dateien werden lediglich in Form von automatisierten Vergleichsvorgängen innerhalb einer Datenverarbeitungsanlage mit anderen Datenbeständen verglichen. Dieser interne Datenabgleich tritt nicht nach außen und schließt für den betroffenen Personenkreis tatsächlich spürbare Auswirkungen und damit insbesondere diskriminierende Wirkungen im Privat- oder Arbeitsleben - auch im Hinblick auf die Religionsfreiheit (vgl. Art. 10 Abs. 2 VvB) - aus. Es liegt auch keine Herabwürdigung des Einzelnen zum bloßen Objekt darin, dass mit der angegriffenen Anordnung der Rasterfahndung Befugnisse für Eingriffe gegenüber Personen geschaffen worden sind, die in keiner besonderen Beziehung zu einer Gefahr für bedeutsame polizeiliche Schutzgüter stehen. Das „Misstrauen" des Staates ist bei einer Rasterfahndung kein konkretes, gegen einen bestimmten Betroffenen gerichtetes, sondern allenfalls ein abstraktes. Fahndungsmaßnahmen wie die Rasterfahndung knüpfen gerade nicht daran an, dass der Einzelne als (möglicher) Störer angesehen wird; statt dessen geht es zunächst nur darum, bestimmte Informationen zu gewinnen, um überhaupt erst beurteilen zu können, ob der Betroffene als Störer in Betracht kommen könnte. Grundrechts sichernde Wirkungen haben zudem § 47 Abs. 4 S. 1 ASOG, wonach die Rasterfahndung regelmäßig nur durch den Richter angeordnet werden darf, sowie die in § 47 Abs. 4 S. 8 ASOG erforderliche Unterrichtung des Berliner Datenschutzbeauftragen. Gegenstand der Rasterfahndung sind dabei lediglich personenbezogene Daten aus bereits vorhandenen Dateien. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu Eingriffen durch die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 12.3.2003 - 2 BvR 330/96 u. 1 BvR 348/99 - NJW 2003, 1787), deren Zweck die Beschaffung neuer - bisher unbekannter — Informationen ist. Es dürfen ferner von der Polizei mit Hilfe des automatisierten Datenabgleichs keine Daten erhoben und verarbeitet werden, die sie — wie z.B. eine unzulässigerweise gespeicherte Religionszugehörigkeit — auf andere Weise nicht erheben dürfte. Nach Beendigung dieser Rasterung werden der Polizei nur die Daten der Personen bekannt, auf die die „störertypischen" positiven oder negativen Prüfkriterien zutreffen. Soweit der Abgleich bei einzelnen Personen zu Folgeeingriffen Anlass gibt, sind diese nur unter gesonderten rechtlichen Voraussetzungen zulässig (vgl. zu § 47 SächsPolG: SächsVerfGH, aaO, S. 394). Ist der Zweck der Maßnahme erreicht oder zeigt sich, dass er nicht LVerfGE 15

„Rasterfahndung" - Recht auf informationelle Selbstbestimmung

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erreicht werden kann, sind nach § 47 Abs. 3 S. 1 ASOG die übermittelten Daten zu löschen und die Unterlagen zu vernichten. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Prüfung, ob die Verfassungsbeschwerde Anlass zur Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung geben könnte. Da nach dem oben Gesagten ein tief greifender und folgenschwerer Grundrechtseingriff nicht vorliegt, reicht allein die Tatsache, dass eine verfassungsgerichtliche Sachentscheidung wegen der Art der Maßnahme bzw. des Geschehensablaufs in der Regel kaum rechtzeitig erlangt werden kann, für die Annahme eines fortbestehenden Rechtsschutzinteresses nicht aus. Den Betroffenen verbleibt zudem die Möglichkeit, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung einer Rasterfahndung wegen ihrer „Heimlichkeit" die Erlangung dieses Rechtsschutzes regelmäßig ausschließen könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eine derartige Maßnahme stets auf andere Weise bekannt wird. Nicht zuletzt haben auch die Beschwerdeführer durch ihre Universität von der Anordnung der Rasterfahndung Kenntnis erlangt. Diese Entscheidung ist mit sieben zu zwei Stimmen ergangen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Nr. 3 Partnerschaftsgesellschaften sind wie Handelsgesellschaften grundrechtsfähig und damit im Verfassungsbeschwerdeverfahren parteifähig, wenn sich der staatliche Eingriff auf das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen oder das von der Gesellschaft betriebene Geschäft bezieht. Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften

B e s c h l u s s vom 23. A u g u s t 2004 - Urteil 129/03 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts K. Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Κ., K. und Partner gegen 1. 2.

den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 30. Juni 2003 - 519 Qs 92/03 den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. März 2003 - 3 5 1 Gs 1382/03LVerfGE 15

Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

28 3.

die

Beschlüsse

des

Amtsgerichts

Tiergarten

vom

28. Januar

2003

- 3 5 1 Gs 4 5 1 / 0 3 Beteiligte gem. § 53 Abs. 1 VerfGHG: 1. 2.

der Präsident des Landgerichts Berlin der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I.

Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und Notar. Bis zum 1.4.2003 war er Sozius einer Sozietät mit Sitz u.a. in Nürnberg und Berlin, deren Kurzbezeichnung die Namen dreier Sozietätsmitglieder, unter anderem den des L. enthielt, gegen den die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte. Seit dem 1.4.2003 wird die Anwaltskanzlei als im Partnerschaftsregister eingetragene Partnerschaftsgesellschaft geführt, die unter dem Namen zweier Partner - ohne den L. - mit dem Zusatz „& Partner" firmiert. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung unter anderem gegen den L. erließ das AG Tiergarten am 28.1.2003 zwei Durchsuchungsanordnungen für die Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume des L. sowie die Kanzlei in Nürnberg und Berlin. Vom 18. bis 24.3.2003 fanden in den Räumen der Sozietät in Nürnberg und Berlin Durchsuchungen statt, in deren Verlauf Unterlagen beschlagnahmt wurden. Der Beschwerdeführer, der bei der Durchsuchung anwesend war, gestattete nach dem Durchsuchungsprotokoll die Durchsuchung freiwillig, widersprach jedoch der Beschlagnahme zahlreicher Ordner. Im Durchsuchungsbericht der Staatsanwaltschaft vom 19.3.2003 heißt es, dass der Beschwerdeführer nach Überreichung der Beschlüsse erklärte, dass der L. seit Anfang 2001 nicht mehr Sozietätspartner sei und zur K. Consulting gewechselt habe. Der Beschwerdeführer habe grundsätzlich Kooperationsbereitschaft gezeigt, jedoch auf seine Verschwiegenheitspflicht „gegenüber seinen Mandanten" hingewiesen, so dass er Widerspruch gegen eine Beschlagnahme der Unterlagen einlegen müsse. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen habe sich herausgestellt, dass in der Kanzlei laut Auskunft des Beschwerdeführers die 14. Etage u.a. an die K. Consulting untervermietet sei. Der Beschuldigte L. sei in den Räumen der Kanzlei erschienen und von den LVerfGE 15

Partnerschaftsgesellschaft — Parteifähigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren 29 Staatsanwälten darauf angesprochen worden, ob die Büros der K. Consulting begangen werden könnten, woraufhin auch diese Räumlichkeiten gegen 10:00 Uhr durchsucht worden seien. Mit Beschlüssen vom 31.3.2003 bestätigte das AG Tiergarten die Beschlagnahme mit dem Urteil, dass die genannten Gegenstände als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein könnten und mildere Maßnahmen zur Erreichung des Untersuchungszieles zur Zeit, beim jetzigen Stand der Ermittlungen, nicht ersichtlich seien. Die Partnerschaftsgesellschaft legte mit Schreiben vom 24.4.2003 sowohl gegen „den Beschluss" vom 31.3.2003 als auch gegen „den Beschluss" vom 28.1.2003 Beschwerde ein. Sie führte aus, dass der Beschluss vom 28.1.2003 unzulässig sei, da der Beschuldigte L. seit dem 1.1.2001 nicht mehr Sozius gewesen sei und demzufolge auch keine Büroräume innerhalb der Sozietät und der Partnerschaftsgesellschaft genutzt habe bzw. nutze. Ein Fall des § 102 StPO liege ersichtlich nicht vor. Die Gegenstände unterlägen nicht der Beschlagnahme. Mit Schreiben vom 4.6.2003 forderte das LG die Partnerschaftsgesellschaft auf mitzuteilen, seit wann der L. keine Büroräume mehr innerhalb der Kanzlei nutze. Gleichzeitig wies es darauf hin, dass die Beschwerdeschrift in der auf Seite 2 verwendeten Kopfzeile weiterhin den Namen L. in der Kurzbezeichnung enthalte, und bat um Mitteilung, ob der L. weiterhin Zutritt zu den Kanzleiräumen habe oder für die Kanzlei tätig sei. Der Beschwerdeführer teilte am 6.6.2003 telefonisch mit, dass der L. seit dem 1.1.2001 aus der Sozietät ausgeschieden sei, seitdem keine Büroräume mehr innerhalb der Sozietät und auch keine Schlüssel zu den Büroräumen habe und zwar sowohl am Sitz in Nürnberg als auch in Berlin. Zu dem verwendeten Briefpapier führte er aus, dass bis zum 1.4.2003 die Kanzlei weiterhin die drei Namen der Sozien — auch des L. — in der Kurzbezeichnung geführt und bis zu diesem Zeitpunkt auch entsprechendes Briefpapier genutzt habe. Eine Verwendung nach diesem Zeitpunkt sei auf ein Büroversehen zurückzuführen oder auf eine besonders sparsame Mitarbeiterin, die vorhandenes Papier noch hätte aufbrauchen wollen. Ab dem 1.4.2003 sei der Name des L. in der Firma der Partnerschaftsgesellschaft nicht mehr enthalten. Das LG erklärte mit Beschluss vom 30.6.2003 die Beschwerde bezüglich eines zurückgegebenen Aktenordners als erledigt und verwarf die Beschwerden der Partnerschaftsgesellschaft gegen die Beschlüsse vom 28.1.2003 und 31.3.2003 im Übrigen als unbegründet. Zum Urteil führte es aus, der Beschuldigte L. stehe in dem Verdacht, seit dem 14.11.1997 in sechs Fällen gemeinschaftlich jeweils eine Steuerhinterziehung begangen zu haben. Die Staatsanwaltschaft habe auf die Ausführungen der Partnerschaftsgesellschaft geltend gemacht, dass das Ausscheiden des L. als Seniorpartner aus der Sozietät zum 1.1.2001 zweifelhaft erscheine, da zum einen der Beschuldigte auf der Website im Internet vom 17.12.2002 als Seniorpartner aufgeführt werde und die Internet-Seite erst zum 1.3.2003 geändert worden sei. Zum anderen habe der Beschwerdeführer am Tag der Durchsuchung LVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

gegenüber der Staatsanwaltschaft geäußert, dass die Kanzleischilder am Durchsuchungsort zum 1.3.2003 entsprechend erneuert worden seien. Des Weiteren sei der Beschuldigte L. am Tag der Durchsuchung in den Kanzleiräumen in Berlin erschienen, um mit einem der anderen anwesenden Beschuldigten ein Rechtsproblem zu erörtern. Die Durchsuchung sei im Ergebnis rechtmäßig und von §103 StPO gedeckt. Zwar habe die bloße Angabe, dass der Beschuldigte L. in dem Verdacht stehe, in sechs Fällen gemeinschaftlich jeweils eine Steuerhinterziehung begangen zu haben, den einfach- und verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung der Durchsuchungsanordnung nicht genügt. Dieser Begründungsmangel führe aber nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung an das AG, da das Beschwerdegericht gem. § 309 Abs. 1 StPO in der Sache selbst zu entscheiden habe und die Beschuldigten auf Grund der Sichtung der sichergestellten Beweismittel in diversen, bei der Staatsanwaltschaft Berlin geführten Verfahren zum Komplex „Bankgesellschaft" im Verdacht stünden, die im Tatbestand des landgerichtlichen Beschlusses näher dargelegte Grunderwerbssteuerhinterziehung begangen zu haben. Das AG habe darüber hinaus nicht ausdrücklich ausgeführt, welche Tatsachen darauf schließen ließen, dass bestimmte gesuchte Beweismittel aufzufinden seien. Auch dies stelle jedoch keinen, nicht spätestens im Beschwerdeverfahren heilbaren Begründungsmangel dar, denn die Tatsache, aus der zu schließen gewesen sei, dass die gesuchten Unterlagen in den Kanzleiräumen zu finden waren, ergäbe sich aus dem Mandatsverhältnis der Sozietät zur IBG, mit der sie am 26.1.1996 einen pauschalen Beratungsvertrag geschlossen habe. Hinsichtlich der übrigen notwendigen Bestandteile sei der angefochtene Beschluss ausreichend bestimmt. Er bezeichne konkret die zu durchsuchenden Räume und die gesuchten Unterlagen. Es bestünden weder Bedenken hinsichtlich einer Vermengung von beschlagnahmefähigen und anderen Unterlagen noch gegen die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung. Die Durchsuchungsanordnung wäre unzulässig gewesen, wenn sie sich darauf gerichtet hätte, Gegenstände zu finden, deren Beschlagnahme nach § 97 Abs. 1 StPO ausgeschlossen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall, da hier eine juristische Person, nämlich die IBG Klientin der zeugnisverweigerungsberechtigten Partnerschaftsgesellschaft gewesen sei, während sich das Strafverfahren selbst u.a. gegen den Geschäftsführer der IBG als einen der Mitbeschuldigten richte. Das Beschlagnahmeverbot schütze lediglich das Vertrauensverhältnis mit dem Beschuldigten und erstrecke sich nicht auf die durch diesen vertretene juristische Person. Ein das Beschlagnahmeverbot auslösendes Vertrauensverhältnis zwischen der Partnerschaftsgesellschaft und einem Mitbeschuldigten bestehe somit nicht. Der Berufsangehörige solle vor dem Konflikt zwischen Zeugen- und Verschwiegenheitspflichten geschützt werden. Nur aus diesem Grund sei das aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Interesse an einer möglichst umfassenden Wahrheitsermittlung im Strafverfahren eingeschränkt. Daneben komme es nicht darauf an, ob der weitere Beschuldigte L. als Sozietätsmitglied Gewahrsam an den LVerfGE 15

Partnerschaftsgesellschaft - Parteifahigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren

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beschlagnahmten Unterlagen gehabt hätte und so die Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 2 S. 3 StPO entfallen wäre. Gegen ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis des Beschuldigten L. spreche jedenfalls nicht das angegebene Ausscheiden aus der Sozietät zum Januar 2001, denn nach diesem Zeitraum sei L. als Partner nach außen hin gefuhrt worden, zuletzt im Briefbogen der Beschwerdeschrift, so dass jedenfalls zivilrechtlich von einer Scheinsozietät auszugehen sein dürfte. Zwar sei eine zivilrechtliche Beurteilung der Haftungssituation für die Frage des strafrechtlichen Gewahrsams nicht aussagekräftig, wenn wie hier aber erfahrene Anwälte auf der einen Seite eine zumindest „unklare" Außendarstellung in Kauf nähmen und auf der anderen Seite sich der Beschuldigte auch im Zusammenhang der Durchsuchung noch ohne weiteres zwanglos in den Kanzleiräumen bewege, sei auch die Schlussfolgerung nach der natürlichen Auffassung des täglichen Lebens auf tatsächlich weiter bestehende faktische Verfügungsherrschaft zulässig. Auch die Beschlagnahmebeschlüsse vom 31.3.2003 seien rechtmäßig. Die sichergestellten Unterlagen könnten für die Untersuchung des vom LG dargelegten Verdachts gegen die Beschuldigten von Bedeutung sein und ihre Beschlagnahme sei verhältnismäßig. Die Rechtsanwaltskammer Berlin teilte der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 15.8.2003 mit, dass der L. ihr nicht mitgeteilt habe, dass er aus der Kanzlei ausgeschieden sei. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, durch sämtliche angegriffenen Beschlüsse in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Garantie auf Unverletzlichkeit des Wohnraums sowie seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt zu sein. Indem die Kanzleiräume am 18.3.2003 durchsucht und umfangreiche Unterlagen beschlagnahmt worden seien, sei in die Unverletzlichkeit des Wohnraums eingegriffen worden. Dadurch, dass die Strafverfolgungsbehörden in einer Pressemitteilung mitgeteilt hätten, dass im Rahmen der Ermittlungen zur Aufarbeitung strafrechtlich relevanter Vorgänge im Zusammenhang mit der IBG umfangreiche Durchsuchungen einer in Berlin und Nürnberg ansässigen Großkanzlei durchgeführt worden seien, seien die Vorfälle bekannt geworden und könnten dem Ansehen des Beschwerdeführers in den Augen seiner Mandanten und der breiten Öffentlichkeit schaden. Die Durchsuchung sei unverhältnismäßig gewesen, da sowohl dem Amts- als auch dem LG auf Grund der Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft bekannt gewesen sei, dass der Beschwerdeführer seit langem zum Strafverteidiger des Beschuldigten L. bestellt worden sei. Bei der Durchsuchung der Kanzleiräume hätte berücksichtigt werden müssen, dass sich zwangsläufig auch solche Unterlagen dort befanden, die der Verteidigung des L. dienten und somit gem. § 97 Abs. 1 StPO nicht hätten beschlagnahmt werden dürfen. L. habe im Zeitpunkt der Bestellung des Beschwerdeführers als Strafverteidiger diesem auch detailliert Unterlagen benannt, die zur Vorbereitung der Verteidigung dienen sollten. Dabei handele es sich im Wesentlichen um die dann LVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

später beschlagnahmten Unterlagen. Wenn die Geschäftsräume eines Rechtsanwalts und Notars durchsucht würden, ohne zwischen Unterlagen, die der Verteidigung des Beschuldigten dienen, und anderen zu unterscheiden, so sei dies in höchstem Maße dazu geeignet, dem beruflichen Ansehen des Beschwerdeführers zu schaden, da potenzielle zukünftige Mandanten die Auffassung vertreten könnten, dass bei ihm noch nicht einmal ureigenste Verteidigungsunterlagen sicher seien. Durch die Entscheidung des LG sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Dies habe hinsichtlich der ursprünglichen Durchsuchungsanordnung des AG eine Reihe von schwerwiegenden Mängeln festgestellt und seine Entscheidung dabei auf eine Reihe von Tatsachen gestützt, die bisher nicht in das Verfahren eingeführt gewesen seien. Es habe das Vorbringen der Staatsanwaltschaft zu Grunde gelegt, ohne zuvor dem Beschwerdeführer von diesem Vorbringen Kenntnis zu geben und ihm eine Stellungnahme zu ermöglichen. Hätte er das Vorbringen der Staatsanwaltschaft gekannt, so hätte er vorgetragen, dass die Fortführung einer Sozietät unter der selben Kurzbezeichnung nach Ausscheiden eines namensgebenden Partners in § 9 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ausdrücklich vorgesehen und damit auch das Fortführen des Namens des L. in der Kurzbezeichnung des Briefkopfes nicht zu beanstanden sei. Darüber hinaus seien auf der Rückseite des verwendeten Briefpapiers alle für die Kanzlei tätig werdenden Berufsttäger namentlich aufgeführt, der L. hingegen nicht. Weiter hätte er vorgetragen, dass der L. am Tage der Durchsuchung zu einem vereinbarten Besprechungstermin mit seinem Strafverteidiger anwesend gewesen sei. Die Frage des Ausscheidens des L. aus der Sozietät zum 1.1.2001 sei für die Durchsuchungsbeschlüsse entscheidend, da es Büroräume des L. in Berlin und in Nürnberg gar nicht mehr gegeben habe und eine Durchsuchungsanordnung nicht auf Räumlichkeiten gerichtet sein könne, die gar nicht mehr existieren. Die Beteiligten wurden gem. § 53 Abs. 1 VerfGHG gehört. Der Beteiligte zu 1.) teilte mit, dass dem LG bei seiner Beschlussfassung eine Verteidigerstellung des Beschwerdeführers für den L. nicht bekannt war, dass sich weder eine Vollmacht in den Ermitdungsakten der Staatsanwaltschaft befand noch eine entsprechende Mitteilung der Ermitdungsbehörde. II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Gem. § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist, wie des Strafverfahrensrechts, besteht eine Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von Berlin, die mit dem BundesLVerfGE 15

Partnerschaftsgesellschaft — Parteifähigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren 33 recht in Übereinstimmung stehen (vgl. u.a. Beschl. v. 2.12.1993 - Urt. 89/93 LVerfGE 1, 169, 179 ff = NJW 1994, 437, std. Rspr.). Eine Verfassungsbeschwerde kann regelmäßig erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden. Sie soll im Hinblick auf den umfassenden Rechtsschutz unseres Rechtssystems iSd Art. 15 Abs. 4 VvB und Art. 19 Abs. 4 GG nicht einen wahlweisen Rechtsweg neben den sonstigen Rechtswegen gewähren, sondern nur dann zulässig sein, wenn sie trotz Erschöpfung der regelmäßigen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung einer Grundrechtsverletzung erforderlich wird (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 1, 97, 103; 22, 287, 290 ff). Das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne erfordert, dass der Beschwerdeführer alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche erst gar nicht eintreten zu lassen (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 81, 22, 27). Diesen Voraussetzungen genügt die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der amtsgerichtlichen Entscheidungen nicht. Dem Beschwerdeführer wäre es möglich gewesen, zunächst gem. § 304 Abs. 2 StPO gegen die Beschlüsse des AG Beschwerde zu erheben, da nach dieser Vorschrift auch andere Personen berechtigt sind, Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, wie der Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde behauptet, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde anzufechten. Insbesondere auch soweit der Beschwerdeführer erstmals mit der Verfassungsbeschwerde auf seine Verteidigerstellung gegenüber dem L. hinweist, hätte er zunächst den Rechtsweg erschöpfen müssen. Im vorliegenden Fall wurde zwar Beschwerde gegen die Beschlüsse erhoben, nicht aber durch den Beschwerdeführer, sondern vielmehr durch die Partnerschaftsgesellschaft, in der der Beschwerdeführer Partner ist. Das LG hat auch dementsprechend seinen Beschluss vom 31.3.2003 an die Partnerschaftsgesellschaft gerichtet. Gegen diesen Beschluss ist die Verfassungsbeschwerde demgemäß unzulässig, da der Beschwerdeführer nicht Adressat und durch sie nicht unmittelbar betroffen sein kann. Der Annahme der Unzulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass die Partnerschaftsgesellschaft iSv § 7 Abs. 2 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG) iVm § 124 Abs. 1 HGB nur teilrechtsfähig ist. Bei der Partnerschaftsgesellschaft handelt es sich um eine Gesellschaftsform, die als Schwesterfigur der Offenen Handelsgesellschaft anzusehen ist und besonders für die freien Berufe geschaffen wurde. Zwar ist gem. § 7 Abs. 3 PartGG iVm § 125 Abs. 1 HGB jeder Gesellschafter ermächtigt zur Vertretung der Gesellschaft. Die Annahme, dass hier in Wahrheit eine Verfassungsbeschwerde der Partnerschaftsgesellschaft vorliegt, kommt jedoch nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung eigener Rechte eingelegt. Seinen Anträgen und Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, dass er die Verfassungsbeschwerde für die Partnerschaftsgesellschaft einlegen wollte. Im Gegenteil hat die PartnerLVerfGE 15

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schaftsgesellschaft mit Schreiben vom 4.2.2004 dem Verfassungsgerichtshof mitgeteilt, dass sie die rechtliche Interessenvertretung des Beschwerdeführers übernommen habe. Die Partnerschaftsgesellschaft, die innerhalb der Frist des § 51 VerfGHG keine Verfassungsbeschwerde erhoben hat, besitzt zudem grundsätzlich selbst für die gerügten Grundrechte Grundrechtsfähigkeit iSd § 49 Abs. 1 VerfGHG. Grundrechtsfähig sind zweifelsfrei natürliche Personen. Dazu, wer im Übrigen grundrechtsfähig sein kann, äußert sich die Verfassung von Berlin nicht ausdrücklich (vgl. im Bundesrecht: Art. 19 Abs. 3 GG). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind jedoch jedenfalls solche juristischen Personen und nichtrechtsfähige Gebilde als grundrechtsfähig anzusehen, die sich nach dem in der Verfassung von Berlin zum Ausdruck kommenden Willen des Landesgesetzgebers auf die Einhaltung von Individualrechten sollen berufen können (Urt. v. 19.10.1992 - 24/92 - NVwZ 1993, 1093 ff; Beschl. v. 13.8.1996 - 29/96 LVerfGE 5, 10, 12). Die Grundrechtsfähigkeit und damit verbunden die Parteifähigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren von Handels- und ihr ähnlichen Partnerschaftsgesellschaften ist entsprechend dem Grundgedanken des Art. 19 Abs. 3 GG jedenfalls dann gegeben, wenn sich der staatliche Eingriff auf das gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsvermögen oder das von der Gesellschaft betriebene Geschäft bezieht (vgl. für das Bundesrecht für Handelsgesellschaften: BVerfGE 4, 7, 12; 20, 162, 171; 21, 271, 277). So kann sie Trägerin des Grundrechts aus Art. 7 VvB (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 42, 374, 383 für die KG; BVerfGE 29, 260, 266 für die AG; BVerfGE 10, 89, 99 für die OHG) sowie des Grundrechts aus Art. 28 Abs. 2 VvB sein, da der dort verwendete Begriff der „Wohnung" auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume umfasst (vgl. für das Bundesrecht: BVerfGE 76, 83, 88). Darüber hinaus kann sich die Partnerschaftsgesellschaft auf das Prozessgrundrecht des Art. 15 Abs. 1 VvB berufen (vgl. zur OHG und KG: Krebs in v. Münch/Kunig (Hrsg.): C G Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 19, Rn. 30). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Nr. 4 1. Alt. 21 Satz 1 Verfassung von Berlin (VvB) begründet ein Recht der wissenschaftlichen Hochschulen auf Selbstverwaltung in dem auf Wissenschaft, Forschung und Lehre unmittelbar bezogenen Bereich. Zum Kernbereich akademischer Selbstverwaltung gehört auch - als eines der bedeutendsten Privilegien - das den Universitäten durch den Staat verliehene LVerfGE 15

Hochschulautonomie — Promotionsverfahren

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Promotionsrecht. Daher sind die wissenschaftlichen Hochschulen grundsätzlich berechtigt, in ihren Promotionsordnungen eigenverantwortlich die Promotionsvoraussetzungen sowie das Promotionsverfahren festzulegen. Das Erfordernis einer staatlichen Genehmigung der Promotionsordnungen hat ausschließlich den Charakter einer präventiven Rechtsaufsicht. 2. Gesetzgeberische Einschränkungen im Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit kommen nur zum Schutz kollidierender verfassungsmäßiger Güter in Betracht. Bei der erforderlichen Güterabwägung ist der Bedeutung der miteinander kollidierenden Grundrechte und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. 3. § 35 Abs. 3 Satz 3 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) in der Fassung vom 30. Januar 2003 (n.F.), wonach die Universitäten Verfahren zur Feststellung der Eignung von Fachhochschulabsolventen für die Teilnahme am Promotionsverfahren nur im Einvernehmen mit den Fachhochschulen des Landes, die fachlich entsprechende Studiengänge anbieten, bestimmen können, ist mit Art. 21 Satz 1 VvB unvereinbar. Aufgrund des Einvernehmenserfordernisses kann die jeweilige wissenschaftliche Hochschule nicht mehr allein darüber bestimmen, wer bei ihr zur Promotion zugelassen wird; eine Rechtfertigung dieser Einschränkung durch die verfassungsrechtlich geschützte Berufs- und Wissenschaftsfreiheit der Fachhochschulabsolventen oder ein Selbstverwaltungsrecht der Fachhochschulen ist nicht ersichtlich. 4. § 35 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 6 BerlHG n.F., der den Universitäten als mündliche Promotionsleistung ausschließlich die Disputation als Verteidigung der Dissertation vorschreibt, ist verfassungswidrig. Die Regelung greift in den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung der Hochschule ein und ist nicht durch andere, kollidierende Verfassungsgüter gerechtfertigt. 5. § 35 Abs. 5 Satz 1 BerlHG n.F., der den Universitäten vorschreibt, die Dissertation von mindestens einem Gutachter bewerten zu lassen, der nicht der verleihenden Hochschule angehört, stellt einen verfassungswidrigen Eingriff in den Kernbereich akademischer Selbstverwaltung dar. Dieser teilweise Entzug des universitären Promotionsrechts entspricht nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; insbesondere ist er auch im Hinblick auf das - nur einen kleinen Personenkreis tangierende - Grundrecht der Berufsfreiheit nicht erforderlich. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die an den Universitäten bisher durchgeführten Promotionsverfahren Anlass zu Zweifeln an Objektivität und Prüfungsgerechtigkeit geben. Zudem erscheint die zwingende Teilnahme eines externen Gutachters im Bereich des Berliner Hochschulrechts zur ObjektivitätssicheLVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin

rung von Promotionsverfahren nicht geeigneter als die Bewertung einer Dissertation allein durch interne Gutachter. 6. § 35 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 BerlHG n.F., wonach Fachhochschulprofessoren zu Gutachtern oder Prüfern im Promotionsverfahren von Fachhochschulabsolventen bestellt werden können, greift zwar in die Satzungsautonomie der wissenschaftlichen Hochschulen ein, da die Vorschrift als gesetzgeberischer Befehl zu verstehen ist. Hierin liegt jedoch kein Eingriff in den Kernbereich der universitären Selbstverwaltung: Den Universitäten bleibt unbenommen, im Einzelfall die Bestellung von Fachhochschulprofessoren zu Gutachtern im Promotionsverfahren auszuschließen. Dem Aufwand, der für die Universitäten mit einem solchen konkreten Zulassungsverfahren verbunden ist, stehen gewichtige grundrechtsgeschützte Interessen der Fachhochschulpromovenden, der Fachhochschulprofessoren sowie der Fachhochschulen selbst gegenüber. 7. § 35 Abs. 5 Satz 2 BerlHG n.F., wonach die Dissertation auf mehreren Einzelarbeiten beruhen, aus einer Forschungsarbeit mit Dritten entstanden sein und in einer anderen Sprache als deutsch erfolgen kann, ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass den Universitäten lediglich eine Ermächtigung eingeräumt wird, derartiges in ihren Promotionsordnungen zu regeln. 8. § 35 Abs. 7 Satz 2 BerlHG n.F., der die Universitäten darauf beschränkt, die Ehrendoktorwürde wegen wissenschaftlicher Verdienste zu verleihen, berührt den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung der Universitäten nicht. Verfassung von Berlin Art. 17, Art. 21 Satz 1 Grundgesetz Art. 5 Abs. 3 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 49 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1; 51 Abs. 2 Berliner Hochschulgesetz n.F. §§ 2 Abs. 1 Sätze 1, 2, Abs. 6 Satz 1; 4 Abs. 3 Sätze 4, 5; 31 Abs. 4 Satz 1; 35 Abs. 3 Sätze 3, 4, HS 2, Abs. 4 Satz 1, Abs. 5, Abs. 6, Abs. 7 Satz 2; 89 Abs. 1; 100 Abs. 1 Nr. 3; 102a Nr. 3; 137 Hochschulrahmengesetz §§ 2 Abs. 1; 16 Satz 1; 44 Abs. 1 Nr. 3; 47 Nr. 3; 58 Abs. 1 Satz 3; 59 Sätze 1, 2

Urteil vom 1. N o v e m b e r 2004 - V e r f G H 210/03 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden LVerfGE 15

Hochschulautonomie — Promotionsverfahren 1.

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der Freien Universität Berlin

Vcrfahrensbevollmächtigter: Prof. Dr. P. 2.

der Humboldt - Universität zu Berlin

Verfahrensbevollmächtigter: Prof. Dr. Dr. h.c. B. 3.

der Technischen Universität Berlin

Verfahrensbevollmächtigter: Prof. Dr. R. gegen Art. I Nrn. 7 und 45 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes vom 30. Januar 2003 (GVB1. S. 25) Beteiligte gem. § 53 Abs. 1 VerfGHG: 1. 2.

Präsident des Landgerichts Berlin Präsident des Amtsgerichts Tiergarten Entscheidungsformel:

Es wird festgestellt, dass § 35 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 des Berliner Hochschulgesetzes in der Fassung von Art. I Nr. 7 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes vom 30. Januar 2003 (GVB1. S. 25) mit Art. 21 S. 1 Verfassung von Berlin unvereinbar und nichtig ist. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat den Beschwerdeführerinnen die notwendigen Auslagen zu zwei Dritteln zu erstatten. Gründe: I. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich als Universitäten des Landes Berlin mit ihren Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen die Änderung von Vorschriften zum Promotionsrecht durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes - BerlHG - vom 30.1.2003 (GVB1. S. 25). Sie machen geltend, die Gesetzesänderungen verletzten sie in ihrem durch Art. 21 S. 1 Verfassung von Berlin - VvB - verbürgten Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit und seien deshalb nichtig. 1. Das Berliner Hochschulgesetz regelte seit seiner Fassung vom 12.10.1990 (GVB1. S. 2165) das Recht der Promotion durch § 35 wie folgt: LVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin „Promotion (1) Die Promotion dient dem Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit. (2) Die Promotion wird auf Grund einer wissenschaftlichen Arbeit (Dissertation), die auf selbständiger Forschungstätigkeit beruht, und einer mündlichen Prüfung vorgenommen. (3) Die Zulassung zur Promotion setzt in der Regel den erfolgreichen Abschluß eines Hochschulstudiums voraus. Sie darf nicht von der Teilnahme an einem Ergänzungs-, Zusatz- oder Aufbaustudium abhängig gemacht werden. (4) Die Promotionsordnungen der Universitäten und der Hochschule der Künste müssen Bestimmungen enthalten, wonach entsprechend befähigten Fachhochschulabsolventen der unmittelbare Zugang zur Promotion ermöglicht wird. Die gemeinsame Betreuung von Promotionen durch Professoren oder Professorinnen der Universitäten und der Fachhochschulen soll gefördert werden. (5) Auf Grund der Promotion wird der Doktorgrad verliehen. (6) Näheres regeln die Promotionsordnungen."

A m 12.11.2002 brachten die Fraktionen der SPD und der PDS in das Abgeordnetenhaus von Berlin einen dringlichen Antrag zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes ein, der u.a. Neuregelungen zum Promotionsrecht in § 35 BerlHG vorsah (Abghs-Drs 15/970) und den Beschwerdeführerinnen am 19.11.2002 zugeleitet wurde. Hierzu nahmen die Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 26.11.2002 Stellung. Darüber hinaus erfolgte eine Anhörung in der 14. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung vom 4.12.2002. Hier führte der Präsident der Beschwerdeführerin zu 2. für die drei Beschwerdeführerinnen aus, es sei unverständlich, dass der Gesetzentwurf über abgestimmte Regelungen betreffend die Junior-Professuren hinaus plötzlich und ohne Absprache mit den Universitäten zusätzlich die Änderung des Promotionsrechts enthalte. Die Regelung der Promotion sei ein unzulässiger Eingriff in die akademischen Angelegenheiten der Universitäten (Wortprotokoll WissForsch 15/14 S. 5). Durch Art. I Nr. 7 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes vom 30.1.2003 (GVB1. S. 25) wurde § 35 des Berliner Hochschulgesetzes wie folgt gefasst: „Promotion (1) Die Promotion dient dem Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit.

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(2) Die Zulassung zur Promotion setzt in der Regel den erfolgreichen Abschluss eines Hochschulstudiums voraus. Sie darf nicht von der Teilnahme an einem Ergänzungs-, Zusatz- oder Aufbaustudium abhängig gemacht werden. Die Hochschulen können für ihre Doktoranden und Doktorandinnen Promotionsstudien anbieten. (3) Die Promotionsordnungen müssen Bestimmungen enthalten, wonach entsprechend befähigten Fachhochschulabsolventen der unmittelbare Zugang zur Promotion ermöglicht wird. Der Nachweis der entsprechenden Befähigung darf nicht an den Erwerb eines universitären Abschlusses gekoppelt werden. Sollen Eignungsfeststellungsverfahren vorgesehen werden, kann dies nur im Einvernehmen mit den Fachhochschulen des Landes bestimmt werden, die fachlich entsprechende Studiengänge anbieten. Professoren und Professorinnen an Fachhochschulen können an der Betreuung dieser Promovenden beteiligt werden; sie können auch zu Gutachtern oder Gutachterinnen und Prüfern oder Prüferinnen im Promotionsverfahren bestellt werden. (4) Voraussetzung fur eine Promotion ist eine mindestens mit ausreichend bewertete wissenschaftliche Arbeit, die auf selbständiger Forschungstätigkeit beruht (Dissertation), deren erfolgreiche mündliche Verteidigung in Form einer Disputation und deren Veröffentlichung gegenüber der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, die auch in elektronischer Weise erfolgen kann. Auf Grund der Promotion wird der Doktorgrad verliehen. (5) Die Dissertation ist von mindestens zwei promovierten Gutachtern oder Gutachterinnen zu bewerten, von denen einer oder eine Hochschullehrer oder Hochschullehrerin sein muss und von denen mindestens einer oder eine nicht der verleihenden Hochschule angehören darf. Die Dissertation kann auf mehreren Einzelarbeiten beruhen, aus einer Forschungsarbeit mit Dritten entstanden sein und in einer anderen Sprache als Deutsch erfolgen. (6) In der Disputation wird die Dissertation vor einem vom Fachbereich benannten Prüfungsausschuss nach Ankündigung in einer Universität öffentlich verteidigt. Die Gutachten zur Dissertation sollen von den Gutachtern oder Gutachterinnen oder vom Prüfungsausschuss in die Disputation einbezogen werden. (7) Hochschulen, die den Doktorgrad verleihen, steht auch das Recht zur Verleihung des Grades Doktor oder Doktorin ehrenhalber (Doctor honoris causa) zu. Mit der Verleihung des Grades Doktor oder Doktorin ehrenhalber werden Personen gewürdigt, die sich besondere wissenschaftliche Verdienste erworben haben."

Außerdem wurde durch Art. I Nr. 45 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetees der folgende § 137 eingefugt: „Anpassung der Promotionsordnungen Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes geltenden Promotionsordnungen sind innerhalb von zwei Jahren an die Bestimmungen des § 35 anzupassen." LVerfGE 15

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Gem. Art. III des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes traten die Gesetzesänderungen mit ihrer Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt am 1.2.2003 in Kraft. Der Gesetzentwurf enthält zu § 35 BerlHG n.F. folgende Begründung (Abghs-Drs 15/970 S. 6): „In § 35 werden facherübergreifende Voraussetzungen fur die Promotion eingeführt. Dabei sollen zum einen die Voraussetzungen für die Verleihung des Promotionsrechts an private Hochschulen standardisiert und zum anderen die Promotionsverfahren moderner und transparenter gestaltet werden." 2. Mit den am 17.12.2003 eingegangenen Verfassungsbeschwerden haben die Beschwerdeführerinnen zunächst die Feststellung begehrt, dass die §§ 35 und 137 des Berliner Hochschulgesetzes idF von Art. I Nrn. 7 und 45 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes vom 30.1.2003 mit Art. 21 S. 1 VvB unvereinbar und deshalb für nichtig zu erklären sind. Sie beantragen nunmehr festzustellen, dass § 35 Abs. 3 S. 3, Abs. 3 S. 4 HS. 2, Abs. 4 S. 1, Abs. 5, Abs. 6, Abs. 7 S. 2 und § 137 des Berliner Hochschulgesetzes idF von Art. I Nrn. 7 und 45 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes vom 30.1.2003 mit Art. 21 S. 1 VvB unvereinbar und nichtig sind. Hilfsweise beantragen sie, die in § 137 des Berliner Hochschulgesetzes n.F. geregelte Frist zur Anpassung der Promotionsordnungen an die Vorgaben des § 35 des Berliner Hochschulgesetzes n.F. ab Verkündung des Urteils des Verfassungsgerichtshofs neu in Gang zu setzen. a) Die Beschwerdeführerinnen machen zur Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen geltend, dass sie sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts auf Art. 21 S. 1 VvB berufen könnten. Sie seien durch die angegriffene Neuregelung des Berliner Hochschulgesetzes selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Auch stehe der Grundsatz der Subsidiarität den Verfassungsbeschwerden nicht entgegen, da ein Rechtsweg gegen Gesetze nicht eröffnet sei. Zudem sei es den Universitäten nicht zuzumuten, die in § 137 BerlHG gesetzte Frist verstreichen zu lassen und sich gegen daraufhin erfolgende etwaige Sanktionsmaßnahmen z.B. im Verwaltungsgerichtsverfahren zur Wehr zu setzen, zumal es zentral um verfassungsrechtliche Fragen gehe, zu deren Beantwortung primär der Verfassungsgerichtshof berufen sei, und die Sache allgemeine Bedeutung habe. b) Zur Begründetheit ihrer Verfassungsbeschwerden führen die Beschwerdeführerinnen im Einzelnen aus: Art. 21 S. 1 VvB schließe das Recht auf Selbstverwaltung (Autonomie) in dem auf Wissenschaft, Forschung und Lehre unmittelbar bezogenen Bereich ein, zu dem das Promotionsrecht und seine Ausgestaltung gehörten. Seit der Gründung der ersten Universitäten gelte das Promotionsrecht als deren vornehmstes Privileg. Gerade wegen der traditionellen Bedeutung der Promotion im akademiLVerfGE 15

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sehen Betrieb werde das Promotionsrecht als unentbehrliches organisatorisches Merkmal einer wissenschaftlichen Hochschule angesehen, das diese von anderen Lehranstalten maßgeblich unterscheide. Der Staat könne das Promotionsrecht nur an wissenschaftliche Einrichtungen verleihen, aber nicht selbst ausüben. Das Promotionsrecht werde deshalb mit der Verleihung durch den Staat zum eigenen Recht der wissenschaftlichen Hochschule und gehöre nicht etwa nur zum übertragenen staatlichen Aufgabenkreis, sondern zum Kernbestandteil universitärer Autonomie. Zwar sei der Bereich universitärer Autonomie der staatlichen Einwirkung nicht schlechthin entzogen. Insbesondere sei die staatliche Einwirkung umso berechtigter, je mehr es um die universitäre Ausbildung als Zugangsvoraussetzung zu akademischen Berufen gehe. Umgekehrt habe der staatliche Einfluss um so mehr zurückzutreten, je geringer die Bedeutung einer Materie für die Berufswahl und je mehr eine Angelegenheit nach rein wissenschaftlichen Kriterien zu beurteilen sei. Im Vergleich zu allen anderen Hochschulprüfungen sei die Promotion diejenige mit der geringsten Relevanz für die Berufswahl. Andererseits sei sie die Hochschulprüfung (mit Ausnahme der Habilitation) mit dem engsten Bezug zu Forschung und Lehre. Deswegen seien die staatlichen Mitwirkungsrechte hier in besonderem Maße zugunsten wissenschaftlicher Autonomie eingeschränkt. Die Autonomie der Universitäten könne auch nicht durch die Berufsfreiheit der Doktoranden beschränkt werden. Die Neuregelung in § 35 BerlHG stelle einen schwerwiegenden Eingriff in den von Art. 21 S. 1 VvB geschützten Bereich der universitären Selbstverwaltung dar. Sie beschränke die Satzungsautonomie. Der Gesetzgeber verpflichte gem. § 137 BerlHG n.F. die Hochschulen dazu, ihre Promotionsordnungen entsprechend den in § 35 BerlHG n.F. enthaltenen Vorgaben für die Ausgestaltung der Promotionsverfahren anzupassen und damit von ihrer Autonomie nur in gesetzlich bestimmter Weise Gebrauch zu machen. Die Genehmigungspflicht der Promotionsordnungen durch staatliche Organe bedeute demgegenüber nicht, dass der Gesetzgeber befugt sei, durch eigene Regelungen den Inhalt der Satzungen vorwegzunehmen. Die Gesetzesänderungen seien nach den von dem Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 22.10.1996 aufgestellten Maßstäben schon aus formellen Gesichtspunkten verfassungswidrig, da den Beschwerdeführerinnen im Gesetzgebungsverfahren nicht genug Zeit eingeräumt worden sei, um eine hinreichend fundierte Stellungnahme zu den beabsichtigten Neuregelungen abzugeben. Die Regelungen in § 35 BerlHG n.F. seien aber auch materiell verfassungswidrig: Den Universitäten werde durch diese Vorschrift die Ausübung des Promotionsrechts als autonomes Recht teilweise entzogen. Hierin liege eine unverhältnismäßige Beschränkung der autonomen Ausübung des Promotionsrechts. § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. enthalte eine Beschränkung der Autonomie der Universitäten, weil sie — anders als bei allen anderen Promotionsbewerbern — hinLVerfGE 15

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sichtlich der Fachhochschulabsolventen keine der Zulassungsvoraussetzungen, die die Eignung beträfen, autonom ohne die Mitwirkung der Fachhochschulen festlegen könnten. Der in § 35 Abs. 4 S. 1 BerlHG n.F. enthaltene Hinweis, die Dissertation müsse mit „mindestens ausreichend" bewertet sein, sei überflüssig und verwirrend. Unsachgemäß zähle die Vorschrift außerdem die Veröffentlichung zu den Voraussetzungen für eine Promotion. Die Veröffentlichung könne aber nur zur Voraussetzung für die Verleihung des Doktorgrades erklärt werden, eine Promotionsleistung stelle sie nicht dar. Anderenfalls könnten vor einer Veröffentlichung weder die Promotionsurkunde ausgestellt noch der Doktorgrad vorläufig geführt werden. Außerdem schreibe die Vorschrift zusammen mit § 35 Abs. 6 BerlHG n.F. als mündliche Leistung ausnahmslos die Disputation vor, also die mündliche Verteidigung der Dissertation, die auch noch öffentlich zu erfolgen habe, und schließe damit andere Formen der mündlichen Prüfung wie etwa Kolloquium oder Rigorosum aus. Es erschließe sich nicht, warum nach § 35 Abs. 6 S. 2 BerlHG n.F. die Gutachten zur Dissertation von den Gutachtern oder vom Prüfungsausschuss in die Disputation einzubeziehen seien; den Gutachtern sei dies nur möglich, wenn sie dem Prüfungsausschuss angehörten oder an der Aussprache teilnähmen. Die Neuregelung in § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG sei nicht geeignet, auf eine Optimierung der Promotionsverfahrensgestaltung hinzuwirken. Das Hinzuziehen externer Gutachter zu Prüfungs- oder Auswahlverfahren im wissenschaftlichen Betrieb sei zwar nicht unüblich. Schon gegenwärtig erlaubten die Promotionsund Habilitationsordnungen externe Begutachtung. Durch solche Verfahrenselemente werde zum einen der Zugriff auf Fach- und Spezialwissen ermöglicht, das an der Hochschule selbst nicht vorhanden sei. Zum anderen diene eine externe Beteiligung der Kontrolle, indem Entscheidungen aus dem Innenbereich einer Hochschule oder Fakultät an eine beschränkte Fach-Öffentlichkeit getragen würden, um dadurch die Wahrscheinlichkeit für Richtigkeit und Objektivität zu erhöhen. Beides lasse sich aber durch die Regelung des § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG n.F. nicht gewährleisten. Die externe Beteiligung sei nach der gesetzlichen Regelung nicht daran gebunden, dass der externe promovierte Gutachter besondere Fachkenntnisse in das Verfahren einbringen könne. Es lasse sich auch nicht annehmen, dass durch die Beteiligung eines beliebigen externen Gutachters die Wahrscheinlichkeit für eine richtige und objektive Bewertung einer Dissertation steige. Denn nach den gegenwärtig geltenden Promotionsordnungen würden Dissertationen im Regelfall durch zwei Fakultätsmitglieder als Erst- und Zweitgutachter der Hochschule begutachtet. Durch dieses Vier-Augen-Prinzip werde ergänzend zur Beteiligung von Dekan und Promotionskommission eine fakultätsinterne Kontrolle unter Gleichen und damit Fakultätsöffentlichkeit gewährleistet. Dadurch werde disziplinierend auf die sachangemessene Wahrnehmung des Gutachteramtes hinLVerfGE 15

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gewirkt. Diese würde aber verloren gehen, wenn auf Vorschlag des Erstgutachters auf einen beliebigen hochschulexternen Gutachter als Zweitgutachter ausgewichen werden könne. Die Beschränkung universitärer Autonomie sei auch nicht erforderlich. Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass die Hochschullehrer der Berliner Hochschulen nicht in der Lage oder nicht Willens wären, ihrer Begutachtungspflicht in sachlich angemessener Weise nachzukommen. Die gesetzliche Regelung zeuge deshalb von einem unangemessenen staatlichen Misstrauen. Es sei unerfindlich, warum der Gesetzgeber ein höheres Vertrauen in externe Gutachter setze, deren Auswahl sich kaum steuern lasse und die weder den wissenschaftlichen Qualifikationen der Hochschullehrer genügen müssten noch an deren Amtspflichten gebunden seien. Schließlich habe der Gesetzgeber offenbar die mit der neuen Regelung verbundenen Erschwernisse nicht angemessen gewürdigt. Solle die Beteiligung externer Gutachter unter den Gesichtspunkten von Sachverstand und Objektivität Sinn machen, so verkleinere sich der Kreis der in Frage kommenden Gutachter beträchtlich. Kaum zu vermeiden wäre der Zugriff auf Hochschullehrer aus anderen Bundesländern, auf andere Staatsbeamte oder Berufsträger. Für diesen Personenkreis stelle die Begutachtung von Dissertationen regelmäßig nicht einen Teil ihrer Dienstaufgaben dar, sondern eine zusätzlich übernommene und wohl unbezahlte Verpflichtung, so dass weder an die Bereitschaft der Zweitgutachter noch an den von ihnen aufgewendeten zeitlichen Aufwand allzu hohe Erwartungen gestellt werden könnten. Auch der zeitliche Ablauf der Promotionsverfahren werde gehemmt, weil sich externe Gutachter nicht ohne weiteres an zeitliche Vorgaben der Promotionsordnungen binden ließen. Letztlich würden sich kaum genügend qualifizierte Gutachter finden lassen, um die hohe Zahl der Berliner Promotionen angemessen bewältigen zu können. Der Berliner Gesetzgeber habe mit der Neuregelung ungleiche Sachverhalte, nämlich Hochschulen mit etabliertem Promotionsrecht und solche, die erst an das Promotionsrecht herangeführt werden sollen, ungerechtfertigt gleichbehandelt. Damit trete an die Stelle zulässigerweise eingeschränkter Rechtserweiterung für einzelne Hochschulen die unzulässige, diskriminierende Rechtsbeschränkung der Beschwerdeführerinnen. In den Kernbereich ihrer geschützten Selbstverwaltungsautonomie werde auch durch die Regelung des § 35 Abs. 5 S. 2 BerlHG n.F. ungerechtfertigt eingegriffen; denn diese stelle keine bloße Ermächtigung der Fachbereiche dar, die dort genannten Modalitäten in ihren Promotionsordnungen vorzusehen, nach pflichtgemäßem Ermessen auszuformen und im Einzelfall zuzulassen, sondern verpflichte sie dazu. § 35 Abs. 7 S. 2 BerlHG n.F. falle durch seine Begrenzung auf „wissenschaftliche" Verdienste auf. Promotionsordnungen der Berliner Hochschulen müssten daher gegebenenfalls der neuen Enge angepasst werden.

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3. Dei Verfassungsgerichtshof hat dem Senat von Berlin und dem Abgeordnetenhaus von Berlin gem. § 53 Abs. 3 iVm § 44 VerfGHG Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Zunächst bestünden gegen das Gesetzgebungsverfahren keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber habe den Beschwerdeführerinnen hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und ihre Belange berücksichtigt. Zudem komme eine Anwendung der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 22.10.1996 aufgestellten Maßstäbe für eine hinreichende Beteiligung der Hochschule am Gesetzgebungsverfahren nicht in Betracht. Die §§ 35, 137 BerlHG n.F. verstießen auch in materieller Hinsicht nicht gegen Art. 21 VvB. Die Promotionsordnungen unterlägen als Prüfungsordnungen gem. § 16 Hochschulrahmengesetz einer staatlichen Genehmigungspflicht und damit dem Zugriff des Gesetzgebers, auch wenn dieser verpflichtet sei, beim Erlass von einschränkenden Regelungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es treffe nicht zu, dass staatliche Einwirkungsmöglichkeiten auf das Promotionsrecht im Hinblick auf eine von den Beschwerdeführerinnen geltend gemachte vergleichsweise geringe Relevanz der Promotion für die Grundrechte der Hochschulabsolventen im besonderen Maße eingeschränkt seien. Gerade in Zeiten verstärkter Arbeitslosigkeit von Akademikern und eines verschärften beruflichen Konkurrenzkampfes komme der Promotion erhebliche Bedeutung zu. Sie sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt von beträchtlicher Bedeutung für die berufliche Zukunft der Hochschulabsolventen und unterfalle daher dem Schutzbereich der Berufsfreiheit. Hieraus ergebe sich die Befugnis des Staates, im Rahmen seines gesetzgeberischen Ermessens gegenüber den Hochschulen diejenigen Regelungen zu treffen, die ihm zur Wahrung der Berufsfreiheit in Bezug auf die Promotion angebracht erschienen. Die §§ 35, 137 BerlHG n.F. seien angesichts der Grundrechtsrelevanz der Promotion keine unverhältnismäßigen Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen gem. Art. 21 S. 1 VvB. § 35 Abs. 3 S. 2 BerlHG n.F. solle lediglich die bereits gem. § 35 BerlHG a.F. bestehende Promotionsmöglichkeit von Fachhochschulabsolventen absichern. Der im Hinblick auf die Beteiligung hochschulexterner Gutachter nach § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG n.F. erfolgte Einwand der Beschwerdeführerinnen, der nach der bisherigen Praxis fakultätsintern bestehende Druck sei förderlich für die objektive Bewertung einer Dissertation, könne im Gegenteil auch dazu führen, dass der Zweitgutachter in einer die Objektivität beeinträchtigenden Weise seine Entscheidung am Erstgutachter ausrichte. Es liege daher im gesetzgeberischen Ermessen, nicht erst abzuwarten, bis derartige Fehlentwicklungen sich offen zeigten, sondern vorbeugend zu agieren. Die Neuregelung des § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG n.F. modifiziere zwar das Promotionsverfahren, lasse den durch Art. 21 VvB geschützten Kernbestand des Promotionsrechts aber unberührt. LVerfGE 15

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Der Verfassungsgerichtshof hat ferner in der mündlichen Verhandlung Vertreter der SPD-Fraktion und der PDS-Fraktion zu den Einzelheiten des von ihnen initiierten Gesetzgebungsverfahrens, dem diesem zugrunde gelegten Sachverhalt und den mit den Neuregelungen verfolgten Zielen angehört. II. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Sie wurden innerhalb der für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze vorgeschriebenen Jahresfrist des § 51 Abs. 2 VerfGHG eingelegt. Die Beschwerdeführerinnen sind ungeachtet dessen, dass sie rechtlich juristische Personen des öffentlichen Rechts sind (§ 2 Abs. 1 S. 1 BerlHG), zur Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gem. § 49 Abs. 1 VerfGHG befugt. Sie können sich auf Art. 21 S. 1 VvB berufen, der ebenso wie Art. 5 Abs. 3 GG das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit verbürgt; sie sind Trägerinnen dieses Grundrechts (Beschl. v. 16.8.1995 - VerfGH 7/95 - LVerfGE 3, 47, 48 f; Urt. v. 31.10.1996 - VerfGH 54/96 - LVerfGE 5, 49, 53). Die Beschwerdefuhrerinnen sind auch, wie es bei Verfassungsbeschwerden gegen Akte der Rechtsetzung Voraussetzung ist, durch die angegriffene Neuregelung des Promotionsrechts selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihrem Grundrecht betroffen (vgl. Urt. v. 12.7.2001 - VerfGH 152/00 - LVerfGE 12, 41, 54), da sie ohne weiteren Vollzugsakt der Exekutive gem. § 137 BerlHG n.F. verpflichtet sind, ihre Promotionsordnungen innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des § 35 BerlHG n.F. entsprechend den dort vorgesehenen Änderungen anzupassen. Der Grundsatz der Subsidiarität steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden nicht entgegen. Dieser in § 49 Abs. 2 S. 1 VerfGHG zum Ausdruck kommende und auch auf unmittelbar gegen Gesetze gerichtete Verfassungsbeschwerden anwendbare Grundsatz verpflichtet den jeweiligen Beschwerdeführer, alle nach Lage der Sache zur Verfugung stehenden und ihm zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken bzw. eine solche zu verhindern. Die Unzulässigkeit einer gegen eine Rechtsnorm gerichteten Verfassungsbeschwerde kann sich nach diesen Grundsätzen daraus ergeben, dass der Beschwerdeführer, obwohl gegen die Norm selbst kein fachgerichtlicher Rechtsweg eröffnet ist, in zumutbarer Weise einen wirkungsvollen Rechtsschutz zunächst durch Anrufung der Fachgerichte erlangen kann. Der Vorklärung durch die Fachgerichte kommt insbesondere dort Bedeutung zu, wo die Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsächlicher oder einfachrechtlicher Fragen voraussetzt, für die das Verfahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist (Urt. v. 31.10.1996, aaO, und v. 12.7.2001, aaO; Beschl. v. 31.7.1998 - VerfGH 80/97 - LVerfGE 9, 33, 35 und v. 29.1.2004 - VerfGH 143/00 -). Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor. Bei der LVerfGE 15

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ausschließlich verfassungsrechtlichen Frage, ob die Neuregelung des Promotionsrechts die Universitäten in ihrem Grundrecht aus Art. 21 S. 1 VvB verletzt, bedarf es keiner vorgängigen fachgerichtlichen Entscheidung. Es wäre zudem für die Beschwerdefuhrerinnen nicht zumutbar, als Körperschaften des öffentlichen Rechts auf die Beachtung gesetzlicher Vorschriften zunächst zu verzichten, von einer Anpassung ihrer Promotionsordnungen abzusehen und staatliche Sanktionsmaßnahmen in Kauf zu nehmen, um anschließend den Verwaltungsrechtsweg beschreiten zu können. III. Die Verfassungsbeschwerden sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Regelungen des § 35 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 des Berliner Hochschulgesetzes idF von Art. I Nr. 7 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes vom 30.1.2003 (GVB1. S. 25) sind mit Art. 21 S. 1 VvB unvereinbar. Im Übrigen sind die angegriffenen Regelungen mit Art. 21 S. 1 VvB vereinbar. 1. a) Art. 21 S. 1 VvB gewährleistet die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Danach wird jedem, der im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht gewährt, das als Abwehrrecht die wissenschaftliche Betätigung gegen staatliche Eingriffe schützt. Dieser Freiraum des Wissenschafders ist grundsätzlich ohne Vorbehalt geschützt. In ihm herrscht Freiheit von jeder Ingerenz öffentlicher Gewalt, und zwar auch im Bereich der Teilhabe am öffentlichen Wissenschaftsbetrieb in den Universitäten. In diesen Freiraum fallen vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihre Deutung und Weitergabe. Jeder, der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, hat - vorbehaltlich der Treuepflicht gem. Art. 21 S. 2 VvB ein Recht auf Abwehr jeder staatlichen Einwirkung auf den Prozess der Gewinnung und Vermitdung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Damit sich Forschung und Lehre ungehindert an dem Bemühen um Wahrheit ausrichten können, ist die Wissenschaft durch die Verfassung zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden. Damit wird zugleich zum Ausdruck gebracht, dass Art. 21 S. 1 VvB nicht eine bestimmte Auffassung von der Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie schützen will. Seine Freiheitsgarantie erstreckt sich vielmehr auf jede wissenschaftliche Tätigkeit, d.h. auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist. Dies folgt unmittelbar aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeglichen wissenschaftlichen Bemühens. Diese in Art. 21 S. 1 VvB enthaltene Wertentscheidung beruht auf der Schlüsselfunktion, die einer freien Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des einzelnen als auch für die gesamtgesellLVerfGE 15

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schaftliche Entwicklung zukommt (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 35, 79, 112 f; 47, 327, 367 f). Auf der Grundlage dieses individuellen Freiheitsrechts begründet Art. 21 S. 1 VvB ein Recht der wissenschaftlichen Hochschulen auf Selbstverwaltung in dem auf Wissenschaft, Forschung und Lehre unmittelbar bezogenen Bereich und enthält zugleich eine das Verhältnis der Wissenschaft zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm (Urt. v. 22.10.1996 - VerfGH 44/96 - LVerfGE 5, 37, 44; Beschl. v. 25.1.2001 - VerfGH 89/00 - LKV 2001, 268, 269 = NZA-RR 2001, 671 f; vgl. zu Art. 5 Abs. 3 GG: BVerfGE 35, 79, 112, 114, 116; 85, 360, 384; 93, 85, 95; Scholz in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Bd. I, Art. 5 Abs. 3 Rn. 1 ff, 81, 115, 131 (Stand: 1977); Hufen/Geis in: FS Thieme, 1993, S. 622 f; Pernice in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 21). Der Grundrechtsschutz, welcher der wissenschaftlichen Hochschule als einer den Zwecken der Wissenschaftsfreiheit dienenden Institution zukommt, erstreckt sich damit auf die eigenverantwortliche und weisungsfreie Wahrnehmung derjenigen Tätigkeiten, die mit dem Sachbereich der Wissenschaft besonders eng zusammenhängen. Vom Schutz des Art. 21 S. 1 VvB umfasst ist der Kernbereich, nämlich dasjenige, was sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung als unerlässlich für eine freie Betätigung der Universitäten in Wissenschaft, Forschung und Lehre herausgebildet hat (vgl. zu Art. 5 Abs. 1 GG BVerfGE 15, 256, 264; 35, 39, 116). In derartigen wissenschaftsrelevanten, d.h. die Forschung und Lehre unmittelbar berührenden Angelegenheiten gewährleistet Art. 21 S. 1 VvB der Hochschule ein Abwehrrecht gegen Eingriffe in die ihr verfassungsrechtlich garantierte akademische Selbstverwaltung (Beschl. v. 25.1.2001, aaO; vgl. zum Bundesrecht: Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1999, Art. 5 Abs. 3 Rn. 268 ff, 370; Bethge in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 5 Rn. 201 f, 210; Pernice in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 35 f; Thieme Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 149). Zum Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung gehört die Verleihung akademischer Grade, Würden und Ehrungen sowie die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, mithin das Verfahren von Promotion und Habilitation nebst Erlass von Promotions- und Habilitationsordnungen. Promotionen werden als ausschließlich wissenschaftsbezogene Prüfungen in besonderer Weise von der Garantie der akademischen Selbstverwaltung umfasst; sie fallen durch die enge Verbindung mit Forschung und Lehre in deren Kernbereich (Wichardt Verleihung und Entziehung des Doktorgrades, 1976, S. 101; Scholz in: Maunz-Dürig, aaO, Rn. 15, 160 ff (Stand: 1977); Wendt in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 5 Rn. 112; Hufen/Geis in: FS Thieme, aaO, S. 621, 625; Braun Promotionsrecht für Fachhochschulen?, 1994, S. 183 f, 194; Maurer in: Flämig u.a. (Hrsg.), Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 1996, S. 758; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, aaO, Art. 5 Abs. 3 Rn. 335, LVerfGE 15

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362; Geis in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), Kommentar zum Hochschulrahmengeset2, § 58 Rn. 35, 50 f (Stand: Mai 2001); Eppingm: Leuze/Epping (Hrsg.), Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen, Kommentar, § 97 Rn. 2, 8 (Stand: Oktober 2001); Kluth in: Dörr (Hrsg.), Die Macht des Geistes, FS Schiedermair, 2001, S. 574; Bethge in: Sachs, aaO, Art. 5 Rn. 211; Pernice in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 52, 58; Thieme aaO, Rn. 201 ff; BayVerfGHE 8, 38, 42; 17, 29, 37). Das Promotionsrecht zählte seit jeher zu den bedeutendsten Privilegien der Universität und stellt noch heute ein wesentliches, identitätsbestimmendes Kriterium der wissenschaftlichen Hochschule dar (Bengeser Promotionsordnungen, 1964, S. 27 f; Hufen/Geis in: FS Thieme, aaO, S. 621, 625; Maurer in: Flämig u.a. (Hrsg.), aaO, S. 762; Eppingm: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 17 (Stand: Oktober 2001); Thieme aaO, Rn. 421; BayVerfGHE 8, 38, 42). Mit der Verleihung des Promotionsrechts durch den Staat an die wissenschaftlichen Hochschulen (vgl. § 2 Abs. 6 S. 1 BerlHG) wird ein eigenes Recht der beschwerdeführenden Universitäten begründet. Die wissenschaftlichen Hochschulen sind grundsätzlich berechtigt, eigenständig und ohne staatliche Einwirkung die Promotionsvoraussetzungen allgemein festzulegen und hierbei die Inhalte ihrer Promotionsordnungen eigenverantwortlich zu gestalten sowie bei der Durchführung des Promotionsverfahrens über die individuelle Promotionsleistung zu entscheiden (Bengeser aaO, S. 26; Schot.ζ in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 5 Abs. 3 Rn. 164 (Stand: 1977); Braun aaO, S. 196; Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 70 (Stand: Oktober 2001)). Da die Promotionsordnungen die wissenschaftlichen Anforderungen betreffen, die an eine Promotion zu stellen sind, fallen auch wissenschaftliche Eignungskriterien und das zur FeststeEung der Eignung der Doktoranden anzuwendende Verfahren grundsätzlich in den Eigenverantwortungsbereich der Hochschule (Hailbmnner/Calliess DÖV 1996, 345, 347 f). An der Eigenverantwortlichkeit der Universitäten ändert auch das Erfordernis einer staatlichen Genehmigung für die zu den Prüfungsordnungen zählenden Promotionsordnungen gem. § 16 S. 1 Hochschulrahmengesetz — HRG —, § 31 Abs. 4 S. 1 BerlHG nichts. In wissenschaftsrelevanten Selbstverwaltungsangelegenheiten ist nur eine staatliche Rechtsaufsicht zulässig (vgl. § 59 S. 1 und 2 HRG, § 8 9 Abs. 1 BerlHG; Maurer in: Flämig u.a. (Hrsg.), aaO, S. 761; Stank in: v. Mangoldt/Klein/Starck, aaO, Art. 5 Abs. 3 Rn. 360; Bethge in: Sachs, aaO, Art. 5 Rn. 210; Thieme aaO, Rn. 411). Die Genehmigungspflicht für Promotionsordnungen hat daher den Charakter einer präventiven Rechtsaufsicht (/ lailbronner/Calliess DÖV 1996, 345, 348). Befügnisse zu Eingriffen nach Art einer Fachaufsicht lassen sich hieraus nicht herleiten. Verfassungsrechtlich statthaft sind staatliche Bestätigungsrechte für Promotionsordnungen nur, solange diese inhaltlich nicht die Substanz der universitären Fachkompetenz antasten ('Schol\ in: Maunz-Dürig, aaO, Art. 5 Abs. 3 Rn. 162 Fn. 8 (Stand: 1977)).

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b) Die verfassungsrechtlich begründete primäre Regelungsbefugnis der Universitäten untersagt es dem Gesetzgeber dennoch nicht schlechthin, im Kernbereich derjenigen Angelegenheiten, die als „wissenschaftsrelevant" angesehen werden müssen, d.h. die Forschung und Lehre unmittelbar berühren (BVerfGE 35, 79, 123), das Selbstverwaltungsrecht der wissenschaftlichen Hochschulen einschließlich der mit umfassten Satzungsautonomie einzuschränken. Das Grundrecht aus Art. 21 S. 1 VvB ist vorbehaldos, gleichwohl nicht schrankenlos gewährleistet. Die Selbstverwaltung der Hochschulen wird in § 58 Abs. 1 S. 3 HRG und § 2 Abs. 1 S. 2 BerlHG demgemäß nur im Rahmen der Gesetze garantiert. Im Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit ist die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit allerdings dahingehend begrenzt, dass Einschränkungen nur zum Schutz kollidierender verfassungsmäßiger Güter in Betracht kommen {Geis in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), aaO, § 58 Rn. 32, 49 f, 61, 66 (Stand: Mai 2001)). Konflikte mit anderen Verfassungsgütern müssen durch eine verfassungsgemäße Auslegung gelöst werden. In diesem Spannungsverhältnis kommt der Wissenschaftsfreiheit gegenüber den mit ihr kollidierenden, gleichfalls verfassungsrechtlich geschützten Werten nicht schlechthin Vorrang zu. Die durch die Rücksichtnahme auf kollidierende Verfassungswerte notwendig werdende Grenzziehung oder Inhaltsbestimmung kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall durch Güterabwägung vorgenommen werden. Dabei muss die Abwägung den Wertprinzipien der Verfassung, insbesondere der Bedeutung der miteinander kollidierenden Grundrechte, und dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 47, 327, 369 f; BVerwGE 102, 304, 308; Hufen/Geis in: FS Thieme, aaO, S. 636; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, aaO, Art. 5 Abs. 3 Rn. 375; Pernice in: Dreier, Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaft) Rn. 39 f, 42). Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrunde liegende Gedanke mit zu berücksichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient (vgl. BVerfGE 47, 327, 370). 2. a) Bei Anlegung dieser Maßstäbe erweist sich zunächst § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F., wonach für den Fall, dass Eignungsfeststellungsverfahren für Fachhochschulabsolventen vorgesehen werden sollen, dies nur im Einvernehmen mit den Fachhochschulen des Landes bestimmt werden kann, die fachlich entsprechende Studiengänge anbieten, als mit Art. 21 VvB unvereinbar. Die Regelung greift in den Kernbereich der universitären Satzungsautonomie ein. § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. knüpft an prinzipielle Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen an. Während bei Universitäten die Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Forschung, Lehre und Studium an erster Stelle steht, erfüllen die Fachhochschulen ihre Aufgaben insbesondere durch anwendungsbezogene Lehre und entsprechende Forschung (§ 4 Abs. 3 S. 4 LVerfGE 15

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BerlHG), d.h. sie bereiten zumeist auf berufliche Tätigkeiten vor, welche die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordern (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 HRG). Grundsätzlich nur in diesem Rahmen nehmen Fachhochschulen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben sowie künstlerisch-gestalterische Aufgaben wahr. Hingegen dient die an der wissenschaftlichen Hochschule betriebene Forschung - neben der wissenschaftlichen Grundlegung und Weiterentwicklung von Lehre und Studium — ganz allgemein der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. BVerfGE 61, 210, 244). Der Andersartigkeit der Aufgabenstellung von Universitäten und Fachhochschulen entsprechen naturgemäß auch Unterschiede in der Ausbildung, die den Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen und Fachhochschulen zuteil wird. Während die Universitäten grundsätzlich eine umfassende vertiefte wissenschaftliche Ausbildung vermitteln, die den Studenten unter anderem befähigen soll, einen Beruf seiner Wahl auszuüben, liegt der Schwerpunkt der Ausbildung an Fachhochschulen auf der Vorbereitung für eine bestimmte berufliche Tätigkeit, deren Ausübung die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordert (vgl. BVerfGE 64, 323, 355). Wegen dieser Unterschiede in der Ausbildung kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der erfolgreiche Abschluss eines Fachhochschulstudiums zugleich den Nachweis erbringt, dass ein Fachhochschulabsolvent die zum Erwerb der Promotion erforderliche Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten in gleichem Maße besitzt wie der Absolvent einer wissenschaftlichen Hochschule. Hiervon ist erkennbar auch der Berliner Landesgesetzgeber ausgegangen, wie u.a. aus § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. folgt. Denn diese Regelung unterstellt ersichtlich, dass ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium allein nicht zwingend die Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten verleiht und deshalb ein Verfahren notwendig werden kann, mit dem sich die erforderliche Eignung des Fachhochschulabsolventen gesondert — etwa mit Hilfe einer Eignungsprüfung — feststellen lässt. Allerdings sieht die Regelung ein derartiges Verfahren nicht zwingend vor. Vielmehr stellt der eindeutige Wortlaut der Vorschrift („Sollen Eignungsfeststellungsverfahren vorgesehen werden ...") klar, dass die Einführung eines derartigen Verfahrens prinzipiell im Ermessen der Universitäten steht; danach ist es nach dem Willen des Gesetzes möglich, die notwendige Befähigung eines Fachhochschulabsolventen zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit auch in anderer Weise, beispielsweise auch schon mit dem Abschluss des Fachhochschulstuditims nachzuweisen. Die wissenschaftlichen Hochschulen werden durch die Regelungen des § 35 Abs. 3 BerlHG n.F. somit nicht gehindert, die konkrete Befähigung eines Fachhochschulabsolventen ohne ein entsprechendes Verfahren festzustellen und das Vorliegen der Befähigung allein anhand bereits vorhandener Befähigungsnachweise zu beurteilen. Indem § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. von dem „Verfahren" zur Eignungsfeststellung spricht, wird verdeutlicht, dass es lediglich um das LVerfGE 15

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„Wie" der Feststellung, nicht aber um die Fesdegung der materiellen Voraussetzungen geht, welche konkreten fachlichen Anforderungen an die voraussichtliche Eignung von Fachhochschulabsolventen in einem bestimmten Fachgebiet zu stellen sind. Dies bleibt auch nach der Vorschrift des § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. ausschließlich Sache der wissenschaftlichen Hochschulen. Auch bei diesem Verständnis der Norm greift § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. jedoch in den Kernbereich der universitären Satzungsautonomie ein. Denn diese verbürgt das Recht der jeweiligen wissenschaftlichen Hochschule, allein darüber zu bestimmen, wer — bei ihr — zur Promotion zugelassen werden kann (Thieme aaO, Rn. 422). Diese Möglichkeit wird den wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Berlin jedoch mit der Neuregelung für einen Teilbereich genommen. Es steht ihnen nicht mehr frei, jenen wissenschaftlichen Nachwuchs zur Promotion zuzulassen, der zwar nach ihren Eignungskriterien die notwendige Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten besäße, diese jedoch noch nicht durch bereits vorhandene Befähigungsnachweise, etwa einen hervorragenden Fachhochschulabschluss, nachzuweisen vermag. Wollen die Universitäten das Promotionsverfahren für diesen Personenkreis eröffnen, so können sie darüber nicht autonom entscheiden. Denn sie müssen in diesem Fall ein Eignungsfeststellungsverfahren vorsehen, dessen Einführung vom Einvernehmen mit den Fachhochschulen abhängt. Dabei lässt der Begriff des Einvernehmens keinen Zweifel daran, dass den Fachhochschulen bei der Bestimmung des Verfahrens ein (mit-)bestimmender Einfluss zukommt. Nach dem natürlichen Wortsinn und der überkommenen Verwendung des Begriffs drückt ein Gesetz hierdurch den bestimmenden Einfluss einer mitwirkungsberechtigten Stelle aus, während es eine lediglich beratende Einflussnahme ohne eine bindende Wirkung dadurch zum Ausdruck bringt, dass es die „Anhörung" der anderen Stelle vorschreibt oder verlangt, dass die Entscheidung „im Benehmen" mit der anderen Stelle zu treffen sei (vgl. Badura in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998, § 37 Rn. 33). Die Forderung nach Einvernehmen verhindert danach auch, dass die Universitäten über die höchste Notenstufe der Fachhochschule hinausgehende zusätzliche Eignungsanforderungen ohne Zustimmung der Fachhochschule fesdegen können. Im Übrigen beschränkt die den Beschwerdeführerinnen auferlegte Notwendigkeit, ein Einvernehmen über das Verfahren der Eignungsfeststellung zu erreichen, deren Bestimmungsrecht auch insoweit, als anerkanntermaßen eine vielfache Wechselwirkung zwischen Verfahren und Entscheidungsinhalt besteht; kaum eine verfahrensrechtliche Norm ist ohne Einfluss auf die sachlichen Maßstäbe, die den Inhalt der Entscheidung bestimmen (vgl. 'Lerche in: Maunz-Dürig, aaO, Art. 84 Rn. 39 (Stand: Januar 1985), mwN). Es liegt daher auf der Hand, dass die Gestaltung des Verfahrens zur Feststellung der Eignung der Fachhochschulabsolventen maßgebenden Einfluss auf den Kreis derjenigen haben wird, deren Eignung aufgrund jenes Verfahrens dann letztlich festgestellt wird.

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Dieser Eingriff in den durch Art. 21 S. 1 VvB geschützten Kernbereich der universitären Selbstverwaltung ist nicht gerechtfertigt. Der Schute anderer Werte von Verfassungsrang erfordert den Eingriff nicht. Dies gilt zunächst für die durch Art. 17 VvB geschützte Berufsfreiheit der Fachhochschulabsolventen. Zwar kann die Zulassung von Fachhochschulabsolventen zum Promotionsverfahren der Universitäten, das Aufstellen von Eignungskriterien und das zur Feststellung der Eignung vorgesehene Verfahren für die Berufsfreiheit der Fachhochschulabsolventen prinzipiell grundrechtsrelevant sein. Es ist jedoch nicht ersichtlich und von den Beteiligten nicht substantiiert dargelegt worden, dass eine mitbestimmende Einflussnahme der Fachhochschulen bei der Gestaltung des Eignungsfeststellungsverfahrens zum Schutz der Berufsfreiheit ihrer Absolventen tatsächlich erforderlich ist. Es ist nicht erkennbar, dass die beschwerdeführenden Universitäten bisher hinsichtlich der Teilnahme am Promotionsverfahren an die Eignung der Fachhochschulabsolventen bzw. den Nachweis ihrer Eignung Anforderungen stellten, die jene unverhältnismäßig belasteten. Zwar ist es denkbar, dass erst eine Beteiligung der Fachhochschulen an der Gestaltung des Eignungsfeststellungsverfahrens die Universitäten in die Lage versetzte, Anforderungen an die Eignung der Fachhochschulabsolventen bzw. an den Nachweis der Eignung zu stellen, die den bereits durch das Fachhochschulstudium vermittelten Fähigkeiten zu wissenschaftlichem Arbeiten in dem erforderlichen und angemessenen Umfang Rechnung trügen. So mag auf diesem Wege etwa zu verhindern sein, dass zum Gegenstand einer im Rahmen des Eignungsfeststellungsverfahrens durchzuführenden Eignungsprüfung Kenntnisse und Fähigkeiten gemacht werden, für deren Vorliegen der betreffende Fachhochschulabschluss bereits einen hinreichenden Nachweis darstellt. Kein hinreichender Anlass besteht jedoch zu der Annahme, dass dieses Ziel nicht auch durch mildere Formen der Mitwirkung der Fachhochschulen - wie etwa der Anhörung — erreicht werden könnte, an deren Ergebnisse die Universitäten nicht gebunden wären und die deshalb weniger in ihr grundrechtlich geschütztes Selbstverwaltungsrecht eingriffen. Der stärkere Eingriff setzt mindestens gewichtige Indizien dafür voraus, dass die Universitäten nicht bereit wären, die Stellungnahmen der Fachhochschulen zur Kenntnis zu nehmen und in einer Weise umzusetzen, die insbesondere den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht würde. An derartigen Hinweisen fehlt es gänzlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Schutz der Wissenschaftsfreiheit der Fachhochschulabsolventen eine rrdtbestimmende Beteiligung der Fachhochschulen an der Gestaltung des Eignungsfeststellungsverfahrens erforderte. Art. 21 S. 1 VvB dürfte zwar im Hinblick auf die Frage der Zulassung zur Promotion bzw. die hierfür zu erfüllenden Voraussetzungen berührt sein, da die Promotion für den Bewerber zwar nicht die einzige Möglichkeit eigener Forschung darstellt, jedoch gewisse Chancen und Vorteile bietet, die die ForschungsLVerfGE 15

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tätigkeit wesentlich erleichtern (vgl. Maurer in: Flämig u.a. (Hrsg.), aaO, S. 757 f). Auch unterliegt keinen ernsthaften Zweifeln, dass die Wissenschaftsfreiheit es nicht verbietet, die Zulassung zur Promotion von dem Nachweis einer hinreichenden Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten abhängig zu machen. Allerdings müssen die Anforderungen an den Nachweis der Befähigung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden (vgl. Klulh in: Dörr (Hrsg.), aaO, S. 583). Dass eine mitbestimmende Beteiligung der Fachhochschulen an der Gestaltung des Eignungsfeststellungsverfahrens der Universitäten hierfür erforderlich wäre, ist jedoch nicht ersichtlich. Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass der Schutz eines durch Art. 21 S. 1 VvB erfassten Selbstverwaltungsrechts der Fachhochschulen die Regelung des § 35 Abs. 3 S. 3 BerlHG n.F. erforderte. Dabei bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit den Fachhochschulen — ebenso wie den Universitäten — überhaupt ein entsprechendes Recht durch Art. 21 S. 1 VvB verliehen wird (fur Art. 5 Abs. 3 GG bejahend Waldeyer in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), aaO, Fachhochschulen, Rn. 222; verneinend Schölt^ in: Maunz-Dürig, aaO, Art. 5 Abs. 3 Rn. 131, 140; offen gelassen von BVerwG, DVB1. 1986, 1109). Denn selbst wenn man ein entsprechendes Recht unterstellt, ist nicht erkennbar, dass den Belangen der Fachhochschulen durch andere, die Universitäten nicht bindende Formen der Mitwirkung nicht hinreichend Rechnung getragen werden könnte. b) Mit Art. 21 S. 1 VvB nicht vereinbar ist ferner die Vorschrift des § 35 Abs. 4 S. 1 BerlHG n.F. Diese ist insoweit verfassungswidrig, als sie den Hochschulen als mündliche Leistung die Disputation vorschreibt; wegen ihres eindeutigen Wortlauts ist die Regelung einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich (hierzu unter aa). Die Teilnichtigkeit der Norm aber führt zu ihrer Gesamtnichtigkeit (hierzu unter bb). aa) Die gesetzliche Forderung nach einer erfolgreichen Verteidigung der Dissertation in Form der Disputation greift in den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung der Hochschule ein. Bei der Disputation handelt es sich um einen feststehenden Begriff des Promotionswesens. Im Rahmen einer Promotion gibt es traditionell verschiedene Arten der mündlichen Prüfung (Rigorosum, Kolloquium oder Disputation). Das Rigorosum ist eine Kenntnis- und Verständnisprüfung, die sich auf das gesamte Fachgebiet oder Teile desselben erstreckt und in der herkömmlichen Form von Frage und Antwort abläuft. Das Kolloquium ist ein wissenschaftliches Gespräch, das an die Dissertation anknüpft und dann gegebenenfalls zu weiteren, damit zusammenhängenden Fragestellungen übergeht. Die Disputation besteht darin, dass der Kandidat die Thesen seiner Dissertation gegen Einwendungen verteidigt. Die meisten bundesdeutschen Hochschulgesetze schreiben als eine der Voraussetzungen der Promotion lediglich eine „mündliche Prüfung" vor und überlassen deren

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Ausgestaltung den Promotionsordnungen (Maurer in: Flämig u.a. (Hrsg.), aaO, S. 771). Auch dort, wo von einem „Kolloquium", „Rigorosum" oder einer „Disputation" die Rede ist (§ 65 Abs. 3 S. 1 BremHSchG, § 23 Abs. 2 S. 1 HSchG SachsAnh, § 76 Abs. 1 HSchG Saarland), bleibt, solange keine weiteren Erläuterungen im Gesetz gegeben werden, eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Vorschriften dahingehend möglich, dass die nähere Ausgestaltung der Art der mündlichen Leistungen in den Promotionsordnungen geregelt werden kann (vgl. Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 44 (Stand: Oktober 2001)). Der Berliner Gesetzgeber hat jedoch als mündliche Prüfung ausschließlich die Disputation und zwar als Verteidigung der Dissertation vorgeschrieben. Dies entspricht auch der tatsächlichen Intention des Berliner Landesgesetzgebers. Denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass die Regelung an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Doktorandenausbildung vom 15.11.2002 (Drs. 5459/02) anknüpft, die sich gegen die Prüfungsform des Rigorosums und für die Disputation aussprechen, da die mit der Dissertation erbrachte wissenschaftliche Leistung nicht durch eine übermäßige Gewichtung von Ausbildungselementen herabgestuft werden dürfe (aaO, S. 58 f). Den Universitäten verbleibt danach kein Spielraum, in den Promotionsordnungen eine andere Art von mündlicher Prüfung vorzusehen. Damit greift der Gesetzgeber in die von Art. 21 S. 1 VvB geschützte Autonomie ein, die mündliche Prüfung als wissenschaftliches Eignungskriterium und das zur Feststellung der Eignung anzuwendende Verfahren festzulegen. Die — möglicherweise je nach Fachgebiet unterschiedlich ausfallende — Beurteilung, welche Art von mündlicher Leistung am ehesten geeignet ist, neben der Dissertation den Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit zu erbringen, fällt in den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung der Hochschule. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dieser Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit im Hinblick auf andere, kollidierende Verfassungsgüter gerechtfertigt wäre. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Schutz der Berufsfreiheit der Promovenden eine mündliche Prüfung gerade in Form der Disputation forderte. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass tradierte Formen der mündlichen Prüfung wie das Rigorosum oder das Kolloquium gänzlich ungeeignet wären, um zusammen mit der Dissertation die Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit nachzuweisen. Andernfalls wäre nicht zu erklären, dass das Rigorosum als Teil des Promotionsverfahrens seit Jahrhunderten prinzipiell anerkannt und praktiziert wird (vgl. zur geschichtlichen Entwicklung des Promotionsverfahrens Kluge Die Universitäts-Selbstverwaltung, 1958, S. 169 ff). Ebenso wenig besteht ein Anhaltspunkt dafür, dass andere Formen der mündlichen Prüfung die Promovenden in einer Weise belasteten, die zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis stünden.

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bb) Die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung fuhrt zur Gesamtnichtigkeit des § 35 Abs. 4 S. 1 BerlHG n.F. Zwar bewirkt die Nichtigkeit eines Teils einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich nicht deren Gesamtnichtigkeit. Etwas anderes hat aber zu gelten, wenn sich aus dem objektiven Sinn der Regelung ergibt, dass die übrigen, mit der Verfassung zu vereinbarenden Bestimmungen keine selbständige Bedeutung haben, ferner, wenn die verfassungswidrigen Vorschriften Teil einer Gesamtregelung sind, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man einen ihrer Bestandteile heraus, wenn also die nichtige Bestimmung mit den übrigen Bestimmungen so verflochten ist, dass sie eine untrennbare Einheit bilden, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann (vgl. BVerfGE 8, 274, 300; 57, 295, 334; 65, 325, 358). So Hegt der Fall hier. Denn die in § 35 Abs. 4 S. 1 BerlHG n.F. genannten drei Voraussetzungen für den Erwerb der Promotion bilden eine untrennbare Einheit, da sie kumulative Voraussetzungen für die Verleihung der Promotion sind und die Promotion nach dem Willen der Regelung somit letztlich erst bei Vorliegen jeder der drei Voraussetzungen den Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit erbringen kann. Dieser gesetzgeberischen Absicht würde es nicht mehr entsprechen, wenn die Promotion ohne eine erfolgreiche mündliche Verteidigung in Form der Disputation verliehen werden könnte. c) Auch § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG n.F. ist nicht verfassungsgemäß. Die Vorschrift, nach der die Dissertation von mindestens zwei promovierten Gutachtern oder Gutachterinnen zu bewerten ist, von denen einer oder eine Hochschullehrer oder Hochschullehrerin sein muss und von denen mindestens einer oder eine nicht der verleihenden Hochschule angehören darf, steht nicht in Einklang mit Art. 21 S. 1 VvB und ist verfassungswidrig. Die Regelung stellt einen Eingriff in die akademische Selbstverwaltung und damit in die Wissenschaftsfreiheit dar, indem sie der jeweiligen, das konkrete Promotionsverfahren durchführenden Hochschule zwingend auferlegt, künftig mindestens einen nicht der betreffenden Hochschule angehörenden Gutachter zur Bewertung der Dissertation herbeizuziehen. Zwar obliegt es dem Abgeordnetenhaus als Berliner Landesgesetzgeber, unter Beachtung der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 21 S. 1 VvB und innerhalb der bundesrechtlichen Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes die Hochschulen nach seinem Ermessen zu organisieren und sie den gegebenen Anforderungen und Begrenzungen anzupassen. Erforderlich ist mit Blick auf Art. 21 S. 1 VvB jedoch stets, dass die Belange von Wissenschaft, Forschung und Lehre sorgfältig ermittelt und angemessen gewichtet und dass die vom Staat beabsichtigten Maßnahmen mit ihnen abgewogen werden (Urt. v. 22.10.1996 — VerfGH 44/96 - LVerfGE 5, 37, 46 f). Indem der Landesgesetzgeber in § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG n.F. die Zusammensetzung des Gutachtergremiums für die Bewertung der Dissertation — also eines Gremiums, das sich mit einer Angelegenheit der Forschung beschäftigt — regelt, wirkt er auf die wissenschaftliche BetätiLVerfGE 15

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gung der Hochschule ein (vgl. Wichardt aaO, S. 95 f). Die zwingende Hinzuziehung eines hochschulexternen Gutachters führt dazu, dass das der konkreten wissenschaftlichen Hochschule staatlich verliehene Promotionsrecht nicht mehr uneingeschränkt in deren Händen liegt, sondern ihr teilweise wieder entzogen wird. Nicht mehr die wissenschaftliche Hochschule allein kann entscheiden, ob eine Dissertation den Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit erbringt und damit ein Teil der von ihr für maßgeblich gehaltenen materiellen Eignungskriterien für die Verleihung des Doktorgrades erfüllt ist. Wenn daher ohne die Beteiligung eines hochschulexternen Gutachters eine abschließende Bewertung einer Dissertation nicht erfolgen kann, tangiert dies das aus der Wissenschaftsfreiheit herzuleitende Recht der jeweiligen wissenschaftlichen Hochschule, allgemein festzulegen, welche Anforderungen sie an die Qualität ihrer Dissertationen stellt. Die Hochschule kann sich insoweit nicht mehr frei — d.h. ohne äußeren Einfluss — wissenschaftlich betätigen. Kollidierende Verfassungsgüter, die eine derartige tiefe Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch Gesetz rechtfertigen könnten, sind in der Begründung zu § 35 BerlHG n.F. nicht benannt worden. Die Gesetzesmaterialien beschränken sich auf den schlichten Hinweis, dass durch die in § 35 BerlHG n.F. eingeführten fächerübergreifenden Voraussetzungen für die Promotion die Promotionsverfahren moderner und transparenter gestaltet werden sollen (Abghs-Drs. 15/970, S. 6). Aus den Gesetzesberatungen lässt sich lediglich entnehmen, dass die Änderung des Promotionsrechts in Gestalt der Aufstellung von „Qualitätskriterien" im Hinblick auf die Verleihung des Promotionsrechts für die — private - „Business School" bzw. „European School for Management and Technology" erfolgen sollte (21. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 14.11.2002, PIPr 15/21; 14. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung vom 4.12.2002, Wortprotokoll WissForsch 15/14; 24. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 16.1.2003, PIPr 15/24). In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten ferner auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Doktorandenausbildung vom 15.11.2002 (Drs. 5459/02) verwiesen, nach denen es Ziel aller Verbesserungsbemühungen bei der Ausgestaltung und Durchführung des Promotionsverfahrens sein müsse, hohe wissenschaftliche Standards sicherzustellen (aaO, S. 58). Soweit demnach die Beteiligung hochschulexterner Gutachter nach dem gesetzgeberischen Willen der Sicherung eines hohen wissenschaftlichen Niveaus dienen soll, kann jedoch dahinstehen, ob und inwieweit dies verfassungsrechtlich garantierte Rechtsgüter schützt. Denn jedenfalls ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass der so begründete Eingriff in den Kernbereich der wissenschaftlichen Betätigung der wissenschaftlichen Hochschule mit etabliertem Promotionsrecht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entspricht. Im Einzelnen muss nach diesem Grundsatz die gewählte gesetzliche Regelung geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen (vgl. LVerfGE 15

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Urt. v. 12.7.2001 - VerfGH 152/00 - LVerfGE 12, 40, 69; BVerfGE 90, 145, 172). Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (vgl. BVerfGE 90, 145, 173 mwN). Ferner muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Eingriffs gewahrt sein (vgl. Urt. v. 12.7.2001, aaO; BVerfG, aaO). Die Maßnahme darf sie mithin nicht übermäßig belasten (Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne; vgl. BVerfG, aaO). Ob der Eingriff geeignet ist, mag vorliegend dahingestellt bleiben. Hier ist jedenfalls nicht erkennbar, dass der Eingriff erforderlich im vorgenannten Sinne ist. Dies setzte den Nachweis voraus, dass Niveaumängel bereits vorliegen oder zu befürchten sind, weil die Universitäten von ihrer Regelungsbefugnis bisher keinen sachgemäßen Gebrauch gemacht haben (vgl. KJulh in: Dörr (Hrsg.), aaO, S. 587 f) und auch nicht zu erwarten ist, dass sie derartige etwa auftretende Mängel oder Gefahren aus eigenem Antrieb mit den ihnen im Rahmen der Selbstverwaltung zustehenden Mitteln beseitigen werden. Ein derartiger Sachverhalt ist jedoch nicht erkennbar. Es ist von den Beteiligten nicht dargetan worden und auch sonst nicht ersichtlich, dass entsprechende Befürchtungen auf einer hinreichend sicheren Tatsachengrundlage beruhten und es sich um mehr als um Spekulationen und Mutmaßungen handeln könnte. Auch den Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom 15.11.2002 lassen sich konkrete Feststellungen nicht entnehmen. Sie sprechen lediglich von der „Sicherung" hoher wissenschaftlicher Standards und nennen keine Gründe, die auf eine Gefahrenlage für diese — bestehenden und deshalb zu sichernden — Standards bei wissenschaftlichen Hochschulen schließen ließen. Zudem schlagen sie lediglich die Beteiligung eines Hochschullehrers eines anderen Fachs, nicht aber einer anderen Hochschule vor. Im Übrigen ist es auch beispielsweise nicht nachvollziehbar, weshalb eine Universität, die auf dem betreffenden Forschungsgebiet womöglich besonderen und herausragenden Sachverstand konzentriert hat und ohne weiteres in der Lage wäre, eine hinreichende Anzahl hochrangiger Gutachter zu stellen, aus Gründen einer Qualitätssteigerung ausnahmslos mindestens einen externen Gutachter hinzuzuziehen haben sollte. Auch die durch Art. 17 VvB geschützte Berufsfreiheit erfordert den Eingriff nicht. Zwar fällt die Promotion in den Schutzbereich dieses Grundrechts. Soweit sie rechtliche Voraussetzung für eine Hochschullaufbahn ist (vgl. z.B. für Professoren § 44 Abs. 1 Nr. 3 HRG, § 100 Abs. 1 Nr. 3 BerlHG bzw. fur Juniorprofessoren § 47 Nr. 3 HRG, § 102a Nr. 3 BerlHG), kommt ihr die Qualität einer an Art. 17 VvB zu messenden Berufswahlregelung in Form einer subjektiven Zulassungsvoraussetzung zu. In weiteren Fällen — etwa im privatwirtschaftlichen Bereich - , in denen die Promotion zwar nicht rechtlich zwingend, aber faktisch für LVerfGE 15

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das berufliche Fortkommen in einzelnen Berufsfeldern erforderlich oder förderlich sein mag, kann sich die Promotionszulassung zumindest auf die Freiheit der Berufsausübung auswirken (Kluth in: Dörr (Hrsg.), aaO, S. 583 f; Maurer in·. Flämig u.a. (Hrsg.), aaO, S. 758; Httfen/Geis in: FS Thieme, aaO, S. 638; Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 7, 13 (Stand: Oktober 2001)). Sofern die wissenschaftlichen Hochschulen nicht nur der Pflege der Wissenschaft dienen, sondern vor allem auch die Funktion von Ausbildungsstätten für bestimmte Berufe haben, ist der Gesetzgeber zu Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit befugt, weil ihn in diesem Bereich schon im Hinblick auf die Grundrechtsposition der Auszubildenden eine Mitverantwortung trifft. Hierdurch wird der Kernbereich der Wissenschaftsfreiheit nicht angetastet (BVerfGE 93, 85, 95 f). Der Staat verfügt in diesem Teilbereich universitärer Zuständigkeiten über originäre, inhaltliche Kompetenzen, die materiell erheblich über jede Organisationskompetenz hinausreichen, die dem Staat nach Art. 21 S. 1 VvB gegenüber dem institutionellen Wissenschaftsbetrieb Universität zustehen kann. Diese staatlichen Kompetenzen in der Berufsbildung finden aber wiederum ihre Grenze in der Wissenschaftsfreiheit. Beide Rechtskreise bedürfen der Harmonisierung bzw. des gegenseitigen Ausgleichs (Schol£ in: Maunz-Dürig, aaO, Art. 5 Abs. 3 Rn. 136 (Stand: 1977)). In Bezug auf die Promotion gilt in diesem Zusammenhang folgendes: Durch ihre ausschließlich wissenschaftliche Ausrichtung (BVerfGE 88, 129, 140) unterscheidet sich die Promotion von den das Studium abschließenden Hochschuloder Staatsprüfungen, die berufsqualifizierenden Charakter haben. Die Promotion war stets und ist noch heute eine wissenschaftlich-akademische Qualifizierung (Maurer in: Flämig u.a. (Hrsg.), aaO, S. 754 ff; Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 3 (Stand: Oktober 2001)). Für den Erlass von Promotionsordnungen folgt daraus, dass dem Entscheidungsanteil der Universität gegenüber dem des Staates ein höheres Gewicht zukommt als bei dem Erlass von Prüfungsordnungen, die einen (ersten) berufsqualifizierenden Abschluss zum Gegenstand haben sollen {Hailbronner/Calliess DÖV 1996, 345, 347). Da die Promotion lediglich für einen kleinen Personenkreis die Berufsfreiheit tangieren kann und im Übrigen nur als Zusatzqualifikation Wirkung entfaltet, andererseits aber wesentlicher Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit der Hochschule ist, sind staatliche Eingriffsbefugnisse in hohem Maße eingeschränkt. Lediglich zur Gewährleistung möglichst gleicher Zugangsbedingungen zur Promotion sind auf Mindestanforderungen zu begrenzende einschränkende gesetzliche Regelungen zulässig (vgl. auch Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 8 (Stand: Oktober 2001); Kluth in: Dörr (Hrsg.), aaO, S. 588). Dies beachtet eine Vielzahl von Landeshochschulgesetzen, indem sie die Regulierung im wesentlichen darauf beschränken, die Verleihung des Doktorgrades von der Anfertigung einer Dissertation sowie dem Ablegen einer mündlichen Prüfung abhängig zu machen (wie z.B. § 54 Abs. 3 S. 6 HSchG

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BW, § 18 Abs. 1 HSchG Bbg, § 70 Abs. 2 HambHSchG, § 9 Abs. 1 S. 2 NdsHSchG, § 97 Abs. 1 HSchG NW, § 87 a Abs. 2 S. 1 SchlHHSchG). Dieser Gewährleistung möglichst gleicher Zugangsbedingungen zur Promotion dient § 35 Abs. 5 S. 1 BerlHG n.F. jedoch nicht. Das Grundrecht der Berufsfreiheit könnte daneben nur dann einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit rechtfertigen, wenn Objektivität und Prüfungsgerechtigkeit in den Promotionsverfahren der wissenschaftlichen Hochschulen in Frage stünden und die Neuregelungen zu deren Sicherung verhältnismäßig im beschriebenen Sinne wären. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass die an den wissenschaftlichen Hochschulen durchgeführten Promotionsverfahren Anlass zu entsprechender Besorgnis gäben und daher die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Hinzuziehung hochschulexterner Gutachter zur ordnungsgemäßen Durchführung des Promotionsverfahrens erforderlich wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall die Hinzuziehung eines nicht der wissenschaftlichen Hochschule angehörenden Gutachters für die Objektivität und Prüfungsgerechtigkeit förderlich sein könnte. Es ist jedenfalls für den Bereich des Berliner Hochschulrechts nicht ersichtlich, dass die zwingende Teilnahme eines externen Gutachters mehr zur Gewährleistung der Objektivität von Promotionsverfahren geeignet wäre als die Praxis einiger Fachbereiche, eine Dissertation allein durch interne Gutachter bewerten zu lassen. Weder die alleinige Beteiligung universitätsinterner noch die Hinzuziehung externer Gutachter kann in jedem Einzelfall die vollständige Gewähr für ein stets objektives und von subjektiven Kriterien unbeeinflusstes Verfahren bieten. Ferner ist zweifelhaft, ob sich genügend externe Gutachter finden, die die erforderliche hohe fachliche Kompetenz in den Randbereichen der Wissenschaft bieten und bereit sind, für eine fremde wissenschaftliche Hochschule gegebenenfalls ohne Vergütung die Mühe einer Lektüre und Bewertung von Dissertationen sowie die Abfassung des Gutachtens zu übernehmen. Die das Promotionsverfahren durchführende wissenschaftliche Hochschule hätte darüber hinaus keinen Einfluss auf die Bearbeitungsweise des externen Gutachters. Für die Promovenden könnten daher auch erhebliche Nachteile eintreten (Thieme aaO, Rn. 434 Fn. 64). Birgt aber auch eine Beteiligung von externen Gutachtern Gefahren für die Objektivität des Promotionsverfahrens und ist nicht eindeutig feststellbar, dass die gesetzliche Neuregelung überhaupt dem Grundrechtsschutz der Promovenden zu dienen geeignet ist, während demgegenüber ein schwerer Eingriff in ein schlechthin identitätsstiftendes Element der Wissenschaftsfreiheit in Rede steht, ergibt die durchzuführende Abwägung, dass der Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit der Hochschulen unverhältnismäßig im engeren Sinne ist. Dies gilt um so mehr, als viele Promotionsordnungen der Berliner Universitäten ohnehin die Hinzuziehung externer Gutachter, jedoch aus fachlichen Gründen, erlauben oder sogar regelmäßig vorsehen (vgl. z.B. § 11 der Promotionsordnung zum Dr. iur. der Freien Universität Berlin, § 7 der Promotionsordnung des Fachbereichs Humanmedizin der Freien Universität Berlin zur Promotion zum LVerfGE 15

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Dr. med., § 7 der Promotionsordnung zum Dr. med. der Medizinischen Fakultät Charite der Humboldt-Universität zu Berlin, § 6 der Ordnung für die Promotion zur Doktorin oder zum Doktor der Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Berlin). Wie dargelegt, darf der Entzug von Regelungsbefugnissen nur erfolgen, wenn der Nachweis gefuhrt wird, dass die wissenschaftlichen Hochschulen von ihrer Regelungsbefugnis bisher keinen sachgemäßen Gebrauch gemacht haben und dies auch nicht für die Zukunft zu erwarten ist. d) Die oben unter 2. b) aa) angestellten Erwägungen fuhren auch zur Verfassungswidrigkeit von § 35 Abs. 6 BerlHG n.F. Denn dessen Regelungen setzen, soweit dort in Satz 1 der Vorschrift an die Disputation als alleinige Form der mündlichen Prüfung angeknüpft wird, entweder den bereits mit § 35 Abs. 4 S. 1 BerlHG n.F. erfolgten Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit der Beschwerdeführerinnen fort oder gestalten das Promotionsverfahren näher aus. Auch diese gestaltenden Regelungen, nach denen die Disputation vor einem vom Fachbereich benannten Prüfungsausschuss nach Ankündigung in einer Universität öffentlich verteidigt wird und die Gutachten zur Dissertation von den Gutachtern oder dem Prüfungsausschuss in die Disputation einbezogen werden sollen, beschneiden aber die den Hochschulen im Bereich der Promotion zustehende Autonomie, das Promotionsverfahren entsprechend einer für den Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit geeigneten Weise auszugestalten. Gründe von hinreichendem Gewicht, die diese Eingriffe rechtfertigten, sind auch insoweit nicht ersichtlich. 3. Im Übrigen sind die angegriffenen Regelungen mit Art. 21 S. 1 VvB vereinbar. a) § 35 Abs. 3 S. 4 HS. 2, Abs. 5 S. 2, Abs. 7 S. 2 und § 137 BerlHG n.F. lassen — zumindest bei verfassungskonformer Auslegung — die eigenverantwortliche und weisungsfreie Wahrnehmung derjenigen Tätigkeiten der Beschwerdeführerinnen unberührt, die mit dem Sachbereich der Wissenschaft besonders eng zusammenhängen. aa) Die Regelung des § 35 Abs. 3 S. 4 HS. 2 BerlHG n.F. ist mit Art. 21 S. 1 VvB vereinbar. Zwar greift auch sie in die universitäre Satzungsautonomie ein. Denn die Vorschrift gebietet den Universitäten als Promotionsordnungsgebern, in den Promotionsordnungen die Möglichkeit zu eröffnen, Professoren und Professorinnen an Fachhochschulen, die zwar regelmäßig eine Promotion vorweisen können, aber aufgrund einer häufig fehlenden Habilitation bzw. einer ähnlichen Qualifikation nicht dem materiellen Hochschullehrerbegriff entsprechen (vgl. dazu Braun aaO, S. 162 ff; Hufen/Geis in: FS Thieme, aaO, S. 633 f), auch zu Gutachtern und Prüfern im Promotionsverfahren zu bestellen; Promotionsordnungen, die dies ausschließen, verstoßen gegen § 35 Abs. 3 S. 4 HS. 2 BerlHG n.F.

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Dieses Verständnis der Norm ergibt sich aus ihrem Wortlaut, insbesondere aber dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes. Mit den Worten „können ... bestellt werden" hat der Gesetzgeber zwar einen auslegungsfähigen Begriff gebildet. Dieser lässt zum einen ein Verständnis zu, nach dem es im Ermessen des Promotionsordnungsgebers steht, die Möglichkeit der Bestellung von Professoren und Professorinnen an Fachhochschulen zu Gutachtern und Prüfern im Promotionsverfahren auszuschließen oder zu eröffnen. Ebenso kann er aber als Befehl des Gesetzgebers verstanden werden, diese Möglichkeit ausnahmslos zu eröffnen. Dass die Regelung nur im letztgenannten Sinne verstanden werden kann, ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang, in dem sie steht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass schon bislang kein rechtlicher Zweifel an der Möglichkeit der Universitäten bestand, in ihren Promotionsordnungen die Bestellung von Professoren und Professorinnen an Fachhochschulen zu Gutachtern und Prüfern im Promotionsverfahren entweder auszuschließen oder zuzulassen. Die Regelung des § 35 Abs. 3 S. 4 BerlHG n.F. wäre daher lediglich deklaratorisch und hätte bestenfalls einen Appellcharakter, wollte man ihr keinen an die Universitäten gerichteten Befehl entnehmen. Entscheidend aber ist, dass es ersichtlich Sinn und Zweck des § 35 Abs. 3 BerlHG n.F. ist, die Beteiligungsrechte der Fachhochschulen in Fachhochschulabsolventen betreffenden Promotionsverfahren zu stärken. Eine dahingehende Auslegung der Norm, dass ihr Wirkungen innewohnen, die nicht über die bisherige Rechtslage hinausgehen, ist damit jedoch nicht vereinbar. Die Regelungen müssen zudem vor dem Hintergrund des in § 4 Abs. 3 S. 5 BerlHG erteilten Auftrages gesehen werden, wonach das Land im Zusammenwirken mit den Fachhochschulen durch entsprechende Maßnahmen die Forschungsmöglichkeiten der Fachhochschulmitglieder ausbauen und Möglichkeiten zur Förderung eines wissenschaftlichen Nachwuchses auch für diesen Hochschulbereich schrittweise entwickeln soll. Hierfür dürfte eine Beteiligung der Fachhochschulen an Promotionsverfahren ihrer Absolventen durchaus förderlich sein, etwa um die Möglichkeit zu eröffnen, entsprechende Erfahrungen zu sammeln und aufgrund der Betreuung des Promotionsverfahrens den in Frage kommenden wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichten und an die Fachhochschule zu binden oder ihm wissenschaftliche Weiterbildung an einer wissenschaftlichen Einrichtung zu empfehlen. Eine gesetzliche Regelung, die den Universitäten weiterhin gestattete, eine Beteiligung von Professoren und Professorinnen an Fachhochschulen generell auszuschließen, würde die Erfüllung des in § 4 Abs. 3 S. 5 BerlHG genannten Auftrages somit möglicherweise behindern. Auch bei dieser Auslegung bleibt es den Universitäten allerdings unbenommen, Professoren und Professorinnen an Fachhochschulen, die sie als Gutachter im Einzelfall nicht für geeignet halten, von der Beteiligung im Promotionsverfahren auszuschließen. Alle Promotionsordnungen sehen insoweit nämlich neben der allgemeinen Regelung, wer als Gutachter/Prüfer in Frage kommt, ein konkretes Zulassungsverfahren für den Gutachter/externen Prüfer durch den Fachbereich LVerfGE 15

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oder einen Promotionsausschuss vor. In dieses konkrete Zulassungsverfahren greift der Gesetzgeber nicht ein. Damit ist ein Eingriff in den Kembereich der universitären Selbstverwaltung, nämlich die eigentliche Zulassung von Gutachtern, nicht gegeben. Die Hochschule wird vom Gesetzgeber vielmehr lediglich veranlasst, sich im Einzelfall mit der Frage, ob eine konkret vorgeschlagene Lehrpersönlichkeit einer Fachhochschule auch zur Begutachtung in dem konkreten Promotionsverfahren geeignet ist oder nicht, auseinanderzusetzen. Der dadurch gegebene Aufwand unterscheidet sich nicht von dem Aufwand, der generell bei der Prüfung der Frage entsteht, ob ein vorgeschlagener Gutachter für das konkrete Promotionsverfahren geeignet ist. Genauso wie dort ist auch bei der Zulassung eines Fachhochschulprofessors jederzeit die Möglichkeit gegeben, nicht die vorgeschlagene, sondern eine andere Gutachterpersönlichkeit zu benennen. Dem für die Universitäten entstehenden Aufwand, sich dann, wenn Fachhochschulprofessoren als Gutachter vorgeschlagen werden, mit der Frage der Zulassung jeweils auseinandersetzen zu müssen, stehen gewichtige und vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 3 S. 5 BerlHG auch ausdrücklich hervorgehobene grundrechtsgeschützte Interessen gegenüber. Die wissenschaftliche Forschung an Fachhochschulen ist anwendungsbezogen und kann in diesem Zusammenhang einen hohen Rang genießen. Zudem dürfte es für einen Promovenden, der von der Fachhochschule kommt, leichter sein, seine wissenschaftliche Arbeit durchzuführen und darzustellen, wenn er dabei von einem Fachhochschulprofessor betreut werden könnte und nicht von vornherein auf Gutachter verwiesen würde, die möglicherweise weniger Einblick in den Praxisbezug des Forschungsgegenstandes haben. Auch die Wissenschaftsfreiheit der Fachhochschulprofessoren kann beeinträchtigt sein, wenn die Universität ihre Mitwirkung an allen Promotionsverfahren generell und auch dann ausschließt, wenn ein konkretes Forschungsgebiet betroffen ist, in dem der jeweilige Fachhochschulprofessor sich — möglicherweise international — einen Namen gemacht hat und in dem nunmehr Promovenden unter seiner Betreuung ihrerseits weitere wissenschaftliche Leistungen erbringen wollen. Schließlich sind auch die Fachhochschulen selber betroffen. Regelmäßig wird die Fachhochschule bei der Berufung als Professor besonderen Wert darauf legen, dass die wissenschaftliche Leistung, die durch die Promotion belegt werden soll, gerade in einem Schwerpunkt der Forschung und Lehre der Fachhochschule erarbeitet worden ist und darüber hinaus ein möglichst hohes Niveau hat. Hier die spezifischen Qualitätsanforderungen durchzusetzen, dürfte leichter fallen, wenn bereits bei der Begutachtung der Promotion jemand beteiligt war, der diese Qualitätsanforderungen in allen ihren Einzelheiten kennt und gegebenenfalls sogar das gleiche Fach an einer Fachhochschule vertritt. bb) Verfassungsgemäß ist auch die Regelung des § 35 Abs. 5 S. 2 BerlHG n.F., wonach die Dissertation auf mehreren Einzelarbeiten beruhen, aus einer Forschungsarbeit mit Dritten entstanden sein und in einer anderen Sprache als LVerfGE 15

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Deutsch erfolgen kann. Zwar wäre die von Art. 21 S. 1 VvB geschützte universitäre Selbstverwaltungsautonomie durch diese Vorschrift verletzt, wenn sie der betreffenden Universität die Pflicht auferlegte, in der jeweiligen Promotionsordnung die genannten Möglichkeiten vorzusehen. Denn materielle Prüfungsbestimmungen — welche Anforderungen an eine Dissertation zu stellen sind, ob z.B. eine einzige größere Arbeit zwingend erforderlich ist oder auch mehrere kleinere Veröffentlichungen für eine Dissertation ausreichen — sind Angelegenheiten, die wissenschaftsbezogen so eng mit Forschung und Lehre verbunden sind, dass sie sachgerecht nur von denen beurteilt werden können, die sich selbst mit dieser Wissenschaft beschäftigen (Wwhardl aaO, S. 100 f; Hufen/Geis in: FS Thieme, aaO, S. 643; Geis in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), aaO, § 58 Rn. 55 (Stand: Mai 2001)). Zudem läge ein Eingriff darin, wenn die Hochschulen verpflichtet würden, auch Dissertationen in einer anderen Sprache als Deutsch zuzulassen. Es ist ureigene Angelegenheit der jeweiligen Hochschule zu beurteilen, ob ihre Kapazitäten zur Durchführung des Promotionsverfahrens ausreichen. Der Einwand, die Hochschule könnte bei mangelnder diesbezüglicher Kapazität gegebenenfalls externe Betreuer oder Gutachter einbeziehen, käme wiederum einem Eingriff in die wissenschaftliche Betätigung gleich. Inwieweit andere Verfassungsgüter derartige Einschränkungen der Hochschulautonomie erforderlich machen könnten, wäre auch hier weder dargelegt noch ersichtlich. Die Vorschrift ist jedoch - ebenso wie § 35 Abs. 3 S. 4 HS. 2 BerlHG n.F. mindestens einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Sie kann verfassungskonform dahin ausgelegt werden, dass den Universitäten lediglich eine — nicht zwingend umzusetzende bzw. der Gestaltung zugängliche und Auswahlmöglichkeiten zulassende — Ermächtigung eingeräumt wird, derartiges in ihren Promotionsordnungen zu regeln. Der Wortlaut der Norm ist insoweit offen und lässt diese Auslegung zu. Auch die Gesetzesbegründung lässt insoweit keinen eindeutigen Schluss zu. Das Verlangen nach „Modernität und Transparenz" schließt nicht aus, dieses Ziel bereits mit der Aufnahme einer ausdrücklichen Erlaubnis zu entsprechenden Regelungen als erreicht anzusehen. Auch eine lediglich klarstellende Wirkung ist in diesem Fall durchaus von rechtlicher und praktischer Relevanz. Denn zum einen ist es nicht selbstverständlich, eine Gemeinschaftsarbeit überhaupt als Nachweis der Befähigung zu vertiefter wissenschaftlicher Arbeit gerade des betreffenden Promovenden zuzulassen, da hiergegen die grundsätzliche Schwierigkeit angeführt werden könnte, dessen individuelle Leistung abzugrenzen und zu bewerten (vgl. Epping in: Leuze/ Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 38 (Stand: Oktober 2001)). Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Dissertation auch in einer anderen Sprache als Deutsch angefertigt werden darf. Auch insoweit könnte die prinzipielle Zulässigkeit eines solchen Vorgehens mit dem Einwand der hierdurch bedingten praktischen Schwierigkeiten in Frage gestellt werden. Zudem ist hierbei - worauf die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen haben — zu berücksichtigen, dass nach der allgemeinen Verfahrensregel LVerfGE 15

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des § 23 Abs. 1 VwVfG iVm § 1 Abs. 1 VwVfG Bin die Amtssprache deutsch ist und diese Regelung gem. § 2 Abs. 1 VwVfG Bin iVm § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG auch für alle Leistungs- und Eignungsbewertungen im Bereich des Hochschulwesens gilt; dies begründet mindestens das Bedürfnis nach einer klarstellenden Regelung. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach der bisherigen Rechtslage gem. § 35 Abs. 2 BerlHG die Promotion u.a. auf Grund „einer" wissenschaftlichen Arbeit vorgenommen wurde. Dies ließ zumindest fraglich erscheinen, ob eine auf mehreren Arbeiten beruhende „kumulative Dissertation" zulässig war (vgl. Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 39 (Stand: Oktober 2001)), so dass die Neuregelung auch insoweit ihren Sinn behält, wenn man ihr lediglich klarstellende Funktionen zubilligt. cc) Auch § 35 Abs. 7 S. 2 BerlHG n.F. berührt den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung nicht. Im Hinblick auf die gesetzliche Festlegung der Verleihung des Grades des Doktors ehrenhalber allein bei „wissenschaftlichen" Verdiensten ist nicht ersichtlich, dass ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit vorliegt. Auch die Beschwerdeführerinnen sprechen lediglich davon, dass Promotionsordnungen gegebenenfalls der neuen Regelung angepasst werden müssten. Allein die Tatsache, dass die Hochschulen ihre Promotionsordnungen entsprechend anpassen müssen, reicht für sich genommen nicht für die Annahme eines verfassungswidrigen Eingriffs in Art. 21 S. 1 VvB aus. Aus der den Hochschulen zustehenden Selbstverwaltung einschließlich der Satzungsautonomie folgt nicht, dass jede Beschränkung der Satzungsgestaltung ausgeschlossen ist. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob eine Beschränkung die wissenschaftliche Betätigung der Hochschule berührt. Dies ist bei § 35 Abs. 7 S. 2 BerlHG n.F. aber nicht der Fall. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine gesetzliche Vorgabe, die Verleihung des Grades des Doktors ehrenhalber — in Anlehnung an den Doktorgrad nach § 35 Abs. 1 BerlHG alter und neuer Fassung — vom Kriterium der Wissenschaftlichkeit abhängig zu machen, die wissenschaftlichen Hochschulen in ihrer Wissenschaftsfreiheit verletzen könnte. Nicht zuletzt soll mit der Verleihung des Doktorgrades ehrenhalber lediglich eine Möglichkeit eröffnet werden, jenseits der üblichen formellen Voraussetzungen besondere wissenschaftliche Leistungen zu würdigen (Epping in: Leuze/Epping (Hrsg.), aaO, § 97 Rn. 110 (Stand: Oktober 2001)). Angesichts des weiten Wissenschaftsbegriffs, unter den - wie ausgeführt — alles fällt, was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist, dürfte den Beschwerdeführerinnen ohnehin ein verhältnismäßig weiter Spielraum bei der Vergabe der Ehrendoktorwürde verbleiben. dd) Der ebenfalls mit den Verfassungsbeschwerden angegriffene § 137 BerlHG n.F. berührt für sich genommen die akademische Selbstverwaltungsgarantie nicht. Denn die gegenüber den Hochschulen ergangene gesetzliche Anordnung, Promotionsordnungen an die gesetzliche Bestimmung des § 35 BerlHG n.F. anzupassen, hat nur insoweit einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zur LVerfGE 15

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Folge, als § 35 BerlHG n.F. verfassungswidrig ist. Für verfassungswidrige und deswegen vom Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärte Vorschriften fehlt es aber an einer Anpassungspflicht. Damit ist § 137 BerlHG n.F. hinsichtlich der nichtigen Regelungen gegenstandslos, aber nicht selbst verfassungswidrig. b) § 35 Abs. 5 S. 2, Abs. 7 S. 2 und § 137 BerlHG n.F. sind auch nicht deswegen verfassungswidrig, weil die Beschwerdeführerinnen nicht ausreichend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt worden wären. Auf die im Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 22.10.1996 - VerfGH 44/95 - LVerfGE 5, 37 genannten Gründe können sich die Beschwerdeführerinnen nicht stützen. Der Verfassungsgerichtshof hat dort entschieden, dass der Berliner Landesgesetzgeber im Rahmen seiner Beratungen die durch die Aufhebung zweier Studiengänge betroffenen Universitäten nicht in einer den Anforderungen des Art. 21 S. 1 VvB genügenden Weise angehört und damit die Auswirkungen seiner Entscheidung auf Wissenschaft, Forschung und Lehre nicht in gebotenem Umfang ermittelt und abgewogen habe (vgl. LVerfGE 5, 37, 44). Art. 21 S. 1 VvB begründe ein Recht der Universitäten auf Teilhabe in Form der Mitwirkung an wissenschaftsrelevanten Organisationsentscheidungen (vgl. LVerfGE 5, 37, 45 f). Der spezifische Charakter der Wissenschaftsfreiheit verlange mit Rücksicht auf das wissenschaftliche Selbstbestimmungsrecht eine Einbeziehung der Träger des betreffenden Grundrechts dahingehend, dass diesen die Möglichkeit eröffnet werde, ihre Belange in einer der Sache nach angemessenen Weise vorzubringen. Aus diesen Erwägungen lässt sich im vorhegenden Fall aber schon deswegen nichts herleiten, weil es sich bei § 35 Abs. 5 S. 2, Abs. 7 S. 2 und § 137 BerlHG n.F. nicht um wissenschaftsrelevante Organisationsentscheidungen handelt. IV. Verfassungswidrig sind demnach § 35 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 BerlHG n.F. Es besteht kein Anlass, die gesamte Norm des § 35 BerlHG n.F. nach den oben dargestellten Grundsätzen über die (Teil ) Nichtigkeit von Gesetzen ausnahmsweise insgesamt für nichtig zu erklären. Bei Wegfall der genannten Bestimmungen verlieren die verbleibenden Normteile des § 35 BerlHG n.F. nicht ihre selbständige Bedeutung; auch ihr Sinngehalt wird nicht verfälscht. V. Der Hilfsantrag bleibt in vollem Umfang ohne Erfolg; dabei kann dahinstehen, ob er überhaupt für den Fall gestellt ist, dass der Hauptantrag in dem sich hier ergebenden Umfang Erfolg hat. Denn jedenfalls ist nicht erkennbar, dass es den Beschwerdeführerinnen nicht möglich sein wird, ihre Promotionsordnungen an die wenigen noch verbleibenden Neuregelungen des § 35 BerlHG n.F. bis zum 1.2.2005 anzupassen. LVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 Abs. 2 VerfGHG. Dieses Urteil ist unanfechtbar.

Nr. 5 Die längerfristig angeordnete Sicherungshaft nach dem Ausländergesetz greift in schwerwiegender Weise in das Freiheitsgrundrecht des Ausländers ein. Auch nach Erledigung der ihr zugrunde liegenden Haftentscheidungen ist daher aus Rehabilitierungsgründen ein Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen für die nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit anzunehmen. Verfassung von Berlin Art. 7, Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 49 Abs. 1; 50 Ausländergesetz § 57 Abs. 3 Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit §§ 23; 27

B e s c h l u s s vom 7. D e z e m b e r 2004 - V e r f G H 55/04, 55 A/04 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Herrn G. Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin B. gegen 1. 2. 3.

den Beschluss des Kammergerichts vom 15. März 2004 - 25 W 22/04 den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. Februar 2004 - 84 Τ 41/04 Β den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 20. Januar 2004 - 7 0 XIV 2155/03 Β -

Beteiligte gem. § 53 Abs. 1 VerfGHG: 1. 2. 3.

Der Präsident des Amtsgerichts Schöneberg Der Präsident des Landgerichts Berlin Die Präsidentin des Kammergerichts

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Entscheidungsformel: Die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 9. Februar 2004 - 84 Τ 41/04 Β — und des Kammergerichts vom 15. März 2004 - 25 W 22/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 8 Abs. 1 S. 2 VvB, die Entscheidung des Kammergerichts auch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Die Entscheidung des Kammergerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Kammergericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird eingestellt. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer drei Viertel der notwendigen Auslagen zu erstatten. Soweit der Verfassungsbeschwerde stattgegeben wird, erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin; im Übrigen wird er abgelehnt. Gründe: I. 1. Der Beschwerdeführer ist ghanaischer Staatsbürger und erstmals 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach abschlägiger Durchführung eines Asylverfahrens und der Erfolglosigkeit zweier Asylfolgeanträge hielt er sich nach eigenen Angaben in Kanada und Großbritannien auf. Nachdem er im Januar 2003 nach Deutschland zurückgekehrt war, wurde er am 25.7.2003 festgenommen, als er die Ausländerbehörde beim Landeseinwohneramt Berlin aufsuchte, um dort eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Seitdem befand er sich bis zum 28.7.2004 aufgrund einstweiliger Anordnung nach § 11 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) in Haft und danach in Abschiebehaft gem. § 57 AuslG. Den Antrag des Beschwerdeführers vom 25.7.2003, das Landeseinwohneramt Berlin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm eine Duldung zu erteilen, hatte das VG Berlin mit Beschluss vom 5.11.2003 - VG 21 A 508.03 — zurückgewiesen. In der Begründung hatte es darauf hingewiesen, dass, soweit sich der Beschwerdeführer auf eine akute Erkrankung an Hypertonie und Diabetes berufen habe, gegenwärtig kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gem. § 55 Abs. 2 AuslG iVm Art. 2 Abs. 2 GG vorläge, denn es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Antragsteller gegenwärtig in einer Weise erkrankt wäre, bei der bereits aufgrund der Abschiebungshandlung als solcher eine erhebliche und nicht nur vorübergehende VerschlechteLVerfGE 15

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rung seines Gesundheitszustandes zu erwarten wäre, aus dem sich eine rechtliche Unmöglichkeit seiner Abschiebung herleiten ließe. So sei der Antragsteller insbesondere aus dem Haftkrankenhaus als haft- und reisefähig entlassen worden, und das Auswärtige Amt habe am 4.11.1998 gegenüber der Stadtverwaltung Düsseldorf die Auskunft erteilt, dass Diabetes in Ghana behandelbar sei. Insulin sei dort erhältlich, wobei 100 Einheiten ca. 35 DM kosteten. Nach amtlichen Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 23.4. und 2.7.1998 sowie 27.6.1999 sei auch Hypertonie in Ghana behandelbar. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers war durch Beschluss des OVG Berlin vom 18.12.2003 - OVG 8 S 257.03 - zurückgewiesen worden. Dabei hatte das OVG in seiner Begründung darauf hingewiesen, dass kein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG oder ein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG oder aufgrund von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vorläge. Das VG habe eine dem Beschwerdeführer durch die Abschiebung erheblich und unmittelbar drohende Gefahr für Leben und Gesundheit zutreffend unter Hinweis auf die in Ghana bestehende Behandlungsmöglichkeit für die Erkrankungen des Beschwerdeführers verneint. Nach den vom VG in das Verfahren eingeführten amtlichen Auskünften des Auswärtigen Amtes sei die Diabetesbehandlung in Ghana vergleichsweise billig und betrügen die Kosten bei den vom Antragsteller als erforderlich geltend gemachten 30 Insulineinheiten täglich etwa 10 DM. 2. Mit Beschluss vom 20.1.2004 verlängerte das AG Schöneberg die Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG über sechs Monate hinaus bis zum 16.3.2004. In der Begründung seiner Entscheidung wies es darauf hin, der Beschwerdeführer habe seine Abschiebung verhindert, indem er seinen Zuweisungsort verlassen und sich nach seiner Festnahme geweigert habe, einen Passantrag auszufüllen. Dem Beschwerdeführer sei spätestens durch die Entscheidung des OVG vom 18.12.2003 bekannt, dass er wegen seiner Krankheit keinen Anspruch auf eine weitere Duldung habe. Gleichwohl beharre er auf seiner Auffassung, im Hinblick auf seine Erkrankung und die fehlende Behandlungsmöglichkeit in Ghana nicht abgeschoben werden zu dürfen, und habe es unterlassen, seiner Botschaft mitzuteilen, dass ihm ein Dokument ausgestellt werden solle. Der Beschwerdeführer habe am 28.8.2003 ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der ghanaischen Botschaft geführt, das auf seinen Wunsch ohne die Anwesenheit weiterer Personen stattgefunden habe. Anschließend habe die Botschaft mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer krank sei, alle zwei Tage ins Krankenhaus müsse und daher nicht ausreisen könne. Ein Rückkehrdokument werde ihm erst ausgestellt, wenn ein Arzt bescheinigt habe, dass er nicht mehr auf ärztliche Hilfe angewiesen sei. Am 15.10.2003 habe ein Botschaftsmitarbeiter nach einem erneuten Gespräch mit dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dieser habe kein Geld, um in Ghana zum Arzt zu gehen und sich Insulin zu besorgen. Daher werde ihm zunächst kein Doku-

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ment ausgestellt. Es sei daher evident, dass das Verhalten der Botschaft auf der Einflussnahme durch den Betroffenen beruhe. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wies das LG Berlin mit Beschluss vom 9.2.2004 - 84 Τ 41/04 Β — zurück. Zur Begründung wies es darauf hin, das AG sei in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Betroffene seine Abschiebung konkret verhindert habe. Der Betroffene habe den Botschaftsmitarbeiter nicht nur über seine Krankheit Diabetes informiert, sondern dies in einer Weise getan, die diesen veranlasst habe, von der Ausstellung eines Passersatzpapiers abzusehen. Insbesondere habe er darauf hingewiesen, dass er alle zwei Tage in ein Krankenhaus müsse, so dass er nicht ausreisen könne, und zudem kein Geld habe, um sich in Ghana mit Insulin hinreichend versorgen zu können. Der Botschaftsmitarbeiter habe sich auf diese, so nicht uneingeschränkt zutreffenden Erklärungen hin geweigert, ein Passersatzpapier auszustellen. Der Betroffene habe nicht alle zwei Tage ein Krankenhaus aufsuchen müssen. Vielmehr hätten Blutzuckeruntersuchungen nach den in den Ausländerakten befindlichen gutachterlichen Auskünften auch im Labor ambulant durchgeführt werden können. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige weitere Beschwerde des Beschwerdeführers wies das KG mit Beschluss vom 15.3.2004 - 25 W 22/04 zurück. Dabei stellte es fest, die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses ließen Rechtsfehler nicht erkennen. Das LG habe nicht nur rechtsfehlerfrei das Vorliegen von Haftgründen bejaht, sondern auch zutreffend angenommen, dass die Überschreitung der Haftdauer von sechs Monaten gem. § 57 Abs. 3 S. 1 AuslG in Betracht komme. Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG lägen vor, wobei dahingestellt bleiben könne, ob die Schlussfolgerung des LG zutreffend sei, dass der Beschwerdeführer seine Erkrankung wesentlich schlimmer dargestellt habe, als sie in Wahrheit sei, denn eine Gesamtschau seines Verhaltens rechtfertige jedenfalls den vom LG gezogenen Schluss, dass er seine Abschiebung verhindern wolle. Ferner verwies das KG auf die Feststellungen im Beschluss des AG Schöneberg vom 20.1.2004, wonach der Beschwerdeführer am 28.8.2003 der Botschaft Ghanas vorgeführt und danach kein Reisedokument ausgestellt worden sei, sowie auf den Vermerk des Landeseinwohneramtes Berlin vom 15.10.2003 über das an diesem Tag zwischen dem Vertreter der ghanaischen Botschaft und dem Beschwerdeführer geführte Gespräch. Das LG habe zutreffend darauf hingewiesen, dass es dem Beschwerdeführer zwar unbenommen sei, dem Botschaftsmitarbeiter seine Erkrankung mitzuteilen. Maßgeblich sei hier aber, dass ihm seit der Entscheidung des OVG vom 18.12.2003 bekannt sei, dass eine Behandlung in Ghana möglich sei und kein Anspruch auf Duldung bestehe. Dass der Beschwerdeführer die Botschaft über diese Sachlage informiert habe, ergebe sich aus seinem Vorbringen nicht. Einer entsprechenden Erklärung habe es jedoch bedurft, da für ihn erkennbar gewesen sei, dass die Botschaft wegen der von ihm abgegebenen Erklärungen, auf die er sich spätestens nach gerichtlicher UberLVerfGE 15

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prüfung nicht mehr habe berufen können, die Erstellung von Reisedokumenten nicht vorgenommen habe. Mit Beschluss vom 16.3.2004 ordnete das AG Schöneberg die Fortdauer der Sicherungshaft des Beschwerdeführers bis zum 15.6.2004 an. 3. Am 1.4.2004 erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem VG Berlin gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.3.2004 - 508 3339 - 238 - (VerwG 29) mit dem die von ihm beantragte Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt und festgestellt worden war, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen, und ihm die Abschiebung nach Ablauf einer Woche angekündigt worden war. Er beantragte festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen, und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Mit Beschluss des VG vom 3.5.2004 — VG 1 X 22.04 - wurde das Bundesamt im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Landeseinwohneramt mitzuteilen, dass der Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht nach Ghana abgeschoben werden dürfe. Zur Begründung wies das VG darauf hin, nach der ihm vorliegenden differenzierten Auskunft des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin vom 5.9.2003 seien zwar Insulinpräparate nach europäischem Standard in den Großstädten Ghanas verfügbar, aber trotz der aus deutscher Sicht niedrigen Kosten angesichts der Einkommens situation in Ghana für den Durchschnittsverdiener - also auch für den Beschwerdeführer - dauerhaft nicht finanzierbar. Ein preiswerteres, aus Indien importiertes Medikament für die Insulintherapie erfordere eine entsprechende Vorbereitung des Beschwerdeführers, der auf dieses Insulin nicht eingestellt sei und daher im Falle einer Rückkehr nach Ghana in die akute Gefahr einer lebensgefährlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geraten könne. Auf Anordnung des Landeseinwohneramtes Berlin vom 10.5.2004 wurde daraufhin der Beschwerdeführer aus dem Abschiebegewahrsam entlassen. Das Landeseinwohneramt erteilte ihm am 11.5.2004 eine Duldung bis zum 9.6.2004, die an diesem Tage bis zum 9.9.2004 verlängert wurde. 4. Mit seiner am 1.4.2004 eingegangenen Verfassungsbeschwerde vom selben Tage hat der Beschwerdeführer zunächst eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 7, Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) durch die Beschlüsse vom 20.1., 9.2. und 15.3.2004 gerügt und gleichzeitig beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung dieser Beschlüsse bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, da der Rechtsweg mit der angefochtenen Entscheidung des KG vom 15.3.2004, die am 18.3.2004 zugestellt worden sei, ausgeschöpft und die Verfassungsbeschwerde somit fristgemäß eingelegt worden sei. Diese sei auch begründet, da er durch die in nicht mehr vertretbarer Weise rechtsfehlerhaft angewandte Vorschrift LVerfGE 15

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des § 57 Abs. 3 S. 1 AuslG in seinen Grundrechten aus Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 VvB verletzt sei. Die angefochtenen Entscheidungen hielten einer rechtlichen Überprüfung nicht im Mindesten stand, da bei der Anwendung der genannten Gesetzesbestimmung die Bedeutung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Freiheit verkannt worden sei. Das Landeseinwohneramt habe als Antragsteller weder im Haftantrag noch in der richterlichen Anhörung ein etwaiges Verhinderungsverhalten des Beschwerdeführers erwähnt. Ein solches sei auch nicht ersichtlich. Soweit in der angefochtenen Entscheidung des LG davon ausgegangen werde, der Beschwerdeführer habe den Vertreter der ghanaischen Botschaft durch Übertreibung oder in sonstiger Weise durch unzulässiges Verhalten beeinflusst, entbehre diese Behauptung jeglicher Grundlage, da der Beschwerdeführer mit dem Botschaftsvertreter ein Gespräch unter vier Augen geführt habe und sich auch in den Berichten des Landeseinwohneramtes über die Botschaftsvorführungen keine Anhaltspunkte für die vom LG aufgestellten Behauptungen befänden. Überdies habe das LG den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör aus Art. 15 VvB verletzt, indem es seine Entscheidung überraschend auf den angeblichen Gesprächsinhalt mit dem Botschaftsangehörigen gestützt habe, obwohl der Beschwerdeführer mit einer solchen Erwägung des Gerichts nicht habe rechnen können und ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich damit auseinanderzusetzen oder diese Erwägung durch eine Stellungnahme des Botschaftsangehörigen zu entkräften. In derselben Weise habe auch das KG den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, indem es eine ihm zurechenbare Verursachung der Nichtaus Stellung von Personalpapieren durch die Botschaft konstruiert habe. Ferner überspanne das KG die Anforderungen an die Pflichten eines in Abschiebehaft befindlichen Betroffenen in einer Weise, die der Bedeutung des Grundrechts auf Freiheit der Person nicht gerecht werde. Die einstweilige Anordnung sei erforderlich, um die Vollstreckung weiterer rechtswidriger Haft zu vermeiden. Mit am 18.5.2004 eingegangenem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 14.5.2004 hat der Beschwerdeführer hinsichtlich des einstweiligen Anordnungsverfahrens unter Hinweis auf die ihm durch die Entscheidung des VG vom 3.5.2004 bis zum 9.6.2004 erteilte Duldung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, „die Kosten des Verfahrens dem Land Berlin aufzuerlegen". Hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde hat er unter Hinweis auf seine erfolgte Haftentlassung den Rechtsstreit gleichfalls für erledigt erklärt und beantragt festzustellen, „dass die angefochtenen gerichtlichen Entscheidungen rechtswidrig waren". Für ihn bestehe ein Feststellungsinteresse, da er im Kernbereich seiner Grundrechte durch die rechtswidrige Freiheitsentziehung betroffen worden sei, die Gefahr einer Wiederholung bestehe und im Übrigen die Rechtsangelegenheit von über den Einzelfall hinausgehender grundsätzlicher Bedeutung sei. Ferner hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten beantragt. LVerfGE 15

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Den Beteiligten zu 1. bis 3. ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Beteiligte zu 2. hat beantragt, dem Feststellungsantrag des Beschwerdefuhrers nicht zu entsprechen, ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten zurückzuweisen. II. Die Verfassungsbeschwerde hat in dem aus dem Rubrum ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unzulässig. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist in der mit Schriftsatz vom 14.5.2004 gestellten Form grundsätzlich zulässig. Zwar kann mit der Verfassungsbeschwerde nach § 14 Nr. 6 VerfGHG gem. § 49 Abs. 1 VerfGHG lediglich die Verletzung in der Verfassung von Berlin enthaltener Rechte durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin gerügt werden, jedoch ist der Antrag auf Feststellung der „Rechtswidrigkeit" der Gerichtsentscheidungen vom 20.1., 9.2. und 15.3.2004 iVm der ursprünglich mit Schriftsatz vom 1.4.2004 erhobenen Verfassungsbeschwerde, in der die Verletzung konkret benannter Artikel der Verfassung von Berlin gerügt wurde, dahin auszulegen, nachträglich festzustellen, dass die genannten Entscheidungen verfassungswidrig in Grundrechte des Beschwerdeführers eingegriffen haben. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hatten sich zudem die von ihm bemängelten Gerichtsentscheidungen bereits zum Zeitpunkt der Einlegung seiner ursprünglichen Verfassungsbeschwerde erledigt, denn die zuvor durch die angegriffenen Gerichtsbeschlüsse angeordnete Sicherungshaft war auf den Zeitraum bis zum Ablauf des 16.3.2004 begrenzt und beruhte bereits bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde nicht mehr auf diesen, sondern auf dem Beschluss des AG Schöneberg vom 16.3.2004, mit dem die Haftfortdauer bis zum 15.6.2004 angeordnet worden war. Jedoch hat der Beschwerdeführer noch am letzten Tag der Zwei-MonatsFrist des § 51 Abs. 1 S. 1, 2 VerfGHG seine Verfassungsbeschwerde der tatsächlichen Verfahrenslage angepasst. Die bereits vor Anhängigkeit des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens erfolgte Erledigung der genannten Gerichtsentscheidungen durch Ablauf des in ihnen angeordneten Zeitraums der Sicherungshaft und die neue Entscheidung des AG Schöneberg steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Zwar setzt diese u.a. voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder — in bestimmten Fällen — jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit besteht. Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gegeben sein (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 21, 139, 143; std. Rspr.; Beschl. v. 11.2.1999 - VerfGH 25/97, 25 A/97 - StV 1999, 296). In Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtseingriffe gebietet es jedoch LVerfGE 15

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das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung auch des tatsächlich nicht mehr fortwirkenden Grundrechtsverstoßes gerichtlich klären zu lassen (BVerfGE 81, 138, 140). Es obliegt dabei zuvörderst den Fachgerichten, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen (vgl. BVerfGE 96, 27, 40). Dies bedeutet indes nicht, dass nach vorangegangener fachgerichtlicher Prüfung ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde fehlt, vielmehr besteht bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen auch bei Gewährleistung effektiven fachgerichtlichen (Grundrechts-)Schutzes ein Rechtsschutzbedürfnis fort, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu erlangen. Würde man in diesen Fällen das Rechtsschutzbedürfnis verneinen, so würde der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 81, 138, 140 f; Beschl. v. 21.3.2002 - VerfGH 115/01 - und 24.1.2003 — VerfGH 39/99 - ) . In Fällen der Erledigung des mit einer Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens sind die entscheidenden Kriterien für das Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses darin zu sehen, dass die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist, oder andernfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbleiben würde und der Grundrechtseingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht betrifft bzw. besonders belastend ist (BVerfGE 98, 169, 198; Beschl. v. 28.5.2004 - VerfGH 81/02 - mwN). In - wie vorhegend - Fällen längerfristig angeordneter Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 und 3 AuslG wird schwerwiegend in das dem Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG entsprechende Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 S. 2 VvB eingegriffen, da mit ihr — wie sich aus den in § 57 Abs. 2 AuslG angeführten Haftgründen ergibt — notwendig die an das zurechenbare Verhalten des Ausländers anknüpfende Feststellung verbunden ist, der Betroffene werde ohne die Inhaftierung seine Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln oder er werde versuchen unterzutauchen. Implizit beinhaltet eine richterliche Haftanordnung damit den Vorhalt, der betroffene Ausländer habe sich in einer Weise gesetzwidrig verhalten — oder drohe sich so zu verhalten —, die seine Inhaftierung rechtfertige. Die Haftanordnung ist in diesen Fällen damit auch geeignet, das Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen. Daher ist in Fällen dieser Art von einem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen auszugehen, das auch nach Erledigung der Maßnahme ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung deren Rechtswidrigkeit begründet (vgl. BVerfGE 104, 220, 234 ff). Dass der Beschwerdeführer ein solches Rehabilitierungsinteresse im Rahmen seiner geänderten Verfassungsbeschwerde geltend macht, ist dem Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 14.5.2004 noch ausreichend zu entnehmen. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass ihr Gegenstand Gerichtsentscheidungen sind, welche auf der Anwendung des Ausländergesetzes und damit von Bundesrecht beruhen. Denn der VerfassungsgeLVerfGE 15

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richtshof ist grundsätzlich berechtigt, Entscheidungen Berliner Gerichte am Maßstab solcher in der Verfassung von Berlin verbürgten Individualrechte zu messen, die nicht im Widerspruch zu Bundesrecht stehen (Beschl. v. 12.1.1993 - VerfGH 55/92 - LVerfGE 1, 56, 62 f und v. 2.12.1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169, 179 ff; st. Rspr.). Dies trifft für die vom Beschwerdeführer gerügten Verletzungen der Art. 7, Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 VvB zu, die ihre Entsprechung in den Grundrechten der Art. 2 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG haben. 2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des AG richtet, ist sie unzulässig, da keine Verletzungen von Rechten des Beschwerdeführers durch diese Entscheidung dargelegt werden, die im Beschwerdeverfahren nicht korrigierbar gewesen wären. Denn gem. § 3 S. 2 FEVG, § 23 FGG tritt das Beschwerdegericht in den Grenzen des Rechtsmittels vollständig an die Stelle der ersten Instanz, kann daher die sofortige Beschwerde ohne Beschränkung auf neue Tatsachen gestützt werden, gleichgültig ob vor oder nach der angefochtenen Entscheidung entstanden oder bekannt geworden, und können neue Beweismittel sowohl für die neuen als für die in erster Instanz verwerteten Tatsachen benannt werden (vgl. Keidel-StemalVGG, 15. Aufl., § 23 Rn. 3, 11). Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde auch, soweit sie eine Verletzung des in Art. 7 VvB enthaltenen Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit rügt, weil sich aus dem mit ihr vorgetragenen Sachverhalt nicht hinreichend deutlich die Möglichkeit eines Verstoßes der angegriffenen Entscheidungen gegen dieses Recht ergibt (§ 50 VerfGHG). Da Art. 7 VvB ebenso wie Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht ausgestaltet ist (vgl. Beschl. v. 13.8.1996 - VerfGH 29/96 LVerfGE 5, 10, 12), kommt ein Verstoß gegen dieses Freiheitsrecht nur in Betracht, wenn der beanstandete Akt der öffentlichen Gewalt nicht in den Schutzbereich eines anderen Grundrechts eingreift (vgl. Beschl. v. 16.5.2002 - VerfGH 134/01 —). Die Rügen des Beschwerdeführers betreffen jedoch die Grundrechte der Freiheit der Person, des Willkürverbots und des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 8 Abs. 1 S. 2 und 3, Art. 10 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 VvB. Deshalb ist das Grundrecht aus Art. 7 VvB daneben nicht einschlägig. Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Entscheidung des LG auf die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs stützt, ist sie gleichfalls unzulässig, da sein Vorbringen nicht den sich aus § 50 VerfGHG ergebenden, innerhalb der in § 51 VerfGHG bestimmten Frist zu erfüllenden Anforderungen an die Beschwerdebegründung entspricht. § 50 VerfGHG verlangt für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, dass der Beschwerdeführer in der Begründung seiner Beschwerde hinreichend deutlich einen Sachverhalt vorträgt, aus dem sich die konkrete Möglichkeit der Verletzung eines ihm in der Verfassung von Berlin verbürgten Grundrechts ergibt. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs kann dabei nur dann Erfolg haben, wenn die angegriffene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 15 Abs. 1 VvB beruht, LVerfGE 15

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d.h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. Beschl. v. 23.8.2004 - VerfGH 41/02 - und v. 22.3.2001 - VerfGH 63/00 - ; std. Rspr.; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 28, 17, 20; 13, 132, 145). Voraussetzung für die Zulässigkeit einer auf die Verletzung rechtlichen Gehörs gestützten Verfassungsbeschwerde ist mithin, dass der Beschwerdeführer innerhalb der in § 51 VerfGHG bestimmten Beschwerdefrist substantiiert darlegt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und warum die angegriffene Entscheidung auf dem behaupteten Verfassungsverstoß beruht (Beschl. v. 23.8.2004 - V e r f G H 41/02 - u n d 17.12.1997 - VerfGH 112/96 - L V e r f G E 7, 49, 53). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie wendet sich im Rahmen der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs gegen die im Beschluss des LG vom 9.2.2004 auf der Grundlage der Vermerke des Landeseinwohneramtes Berlin vom 28.8. und 15.10.2003 getroffenen Rückschlüsse auf das Verhalten des Beschwerdeführers während der an den genannten Tagen zwischen ihm und einem ghanaischen Botschaftsangehörigen geführten Gespräche. Insoweit trägt die Verfassungsbeschwerde lediglich vor, der Beschwerdeführer habe keine Gelegenheit gehabt, sich mit diesen Vermerken auseinanderzusetzen und die Schlussfolgerungen des LG durch eine Stellungnahme des Botschaftsangehörigen zu entkräften. Was der Beschwerdeführer bei einer vorherigen Anhörung zu den Vermerken durch das LG vorgetragen hätte und welchen Inhalt die von ihm beabsichtigte Vorlage einer Stellungnahme des Botschaftsangehörigen gehabt hätte, teilt die Begründung der Verfassungsbeschwerde jedoch nicht mit. Überdies ist zu berücksichtigen, dass bereits das AG Schöneberg in seinem vom Beschwerdeführer mit der sofortigen Beschwerde zum LG Berlin gem. § 103 Abs. 2 S. 1 AuslG, § 7 Abs. 1 FEVG angefochtenen Beschluss vom 20.1.2004 in der Begründung ausdrücklich auf die zwei Gespräche des Beschwerdeführers mit dem ghanaischen Botschaftsangehörigen am 28.8. und 15.10.2003 hingewiesen und als Ergebnis dieser Gespräche festgestellt hat, der Botschaftsangehörige habe mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer krank sei, jeden zweiten Tag ins Krankenhaus müsse und daher nicht ausreisen könne bzw. kein Geld habe, um in Ghana zum Arzt zu gehen und sich Insulin zu besorgen. Damit hat bereits das AG den vom LG lediglich mit dem zusätzlichen Hinweis auf die entsprechenden Vermerke des Landeseinwohneramts versehenen Sachverhalt zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt. In Kenntnis dieses Umstandes hätte der Beschwerdeführer daher bereits im Rahmen seiner beim LG eingelegten sofortigen Beschwerde gegen diese Entscheidung Gelegenheit gehabt, „sich damit auseinanderzusetzen bzw. diese durch Stellungnahme des Botschaftsangehörigen ... zu entkräften."

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3. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts der Freiheit der Person gem. Art. 8 Abs. 1 S. 2 VvB durch eine die Bedeutung dieses Rechts verkennende Anwendung des § 57 Abs. 3 S. 1 AuslG — gemeint ist offensichtlich § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG, da dieser die Voraussetzungen für eine sechs Monate überschreitende Sicherungshaft regelt — durch LG und KG rügt, hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diesem Recht ein besonderer Rang zukommt (vgl. Beschl. v. 13.2.1998 - VerfGH 12 A/98 LVerfGE 8, 56, 59 und 13.6.2002 - VerfGH 63/01 - ) . Es darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (vgl. BVerfGE 70, 297, 307 zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG). Die freiheitssichernde Funktion des Art. 8 Abs. 1 S. 2 VvB begründet überdies auch besondere verfahrensrechtliche Anforderungen. Das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, dass im Freiheitsgrundrecht (sowie auch in dem Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde) die Wurzeln des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren liegen (vgl. BVerfGE 57, 250, 274 f). Hieraus ergeben sich Mindesterfordermsse für eine zulässige Wahrheitserforschung, die u.a. Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen setzen. Es ist eine unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208, 222) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. Beschl. v. 2.12.1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169, 189). Andererseits ist dabei zu beachten, dass die Feststellung und Würdigung der Voraussetzungen für die Anordnung und den Vollzug der Freiheitsentziehung grundsätzlich allein Sache der zuständigen Fachgerichte ist und der Verfassungsgerichtshof insoweit nur korrigierend eingreifen kann, als spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist (vgl. Beschl. v. 30.6.1992 - VerfGH 9/92 - LVerfGE 1, 7, 8 f und 13.6.2003 VerfGH 65/03, 65 A/03 - ) . Diesen Anforderungen werden die Entscheidungen des LG und des KG nicht gerecht. Denn Sicherungshaft kann über sechs Monate hinaus gem. § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG nur verlängert werden, wenn der Betroffene die Ausländerbehörde durch ein von ihm zu vertretendes pflichtwidriges Tun oder Unterlassen daran gehindert hat, ihn innerhalb der grundsätzlichen Hafthöchstdauer von sechs Monaten abzuschieben. Dabei muss das Unterbleiben der Abschiebung in dem genannten Zeitraum maßgeblich auf das zurechenbare pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen zurückzuführen sein und das Verhinderungsverhalten des Betroffenen positiv festgestellt werden, da er bei verbleibenden Zweifeln nicht über sechs Monate hinaus in Haft gehalten werden darf (vgl. BayObLG München, InfAuslR 2002, 313; KG, FGPrax, 1995, 128; Hailbronner AuslR, § 57 AuslG, Rn. 74 mwN).

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Das LG hat in seinem Beschluss zunächst zur Begründung seiner Entscheidung auf die nach seiner Auffassung nicht zu beanstandenden Ausführungen des AG Bezug genommen. Das AG hat das Verhinderungsverhalten des Beschwerdeführers iSd § 57 Abs. 3 S. 2 AuslG zum einen darin gesehen, dass er seinen Zuweisungsort verlassen und sich nach seiner Festnahme geweigert habe, einen Passantrag auszufüllen. Dass er 1992 seinen Zuweisungsort verlassen und nichts für eine Passbeschaffung unternommen hatte, weil er nicht nach Ghana zurückkehren wollte, hatte der Beschwerdeführer bereits bei seiner Anhörung vor dem AG am 28.7.2003 eingeräumt. Darauf war in vorangegangenen Haftentscheidungen der für die Anordnung der Sicherungshaft gegen den Beschwerdeführer angeführte Haftgrund des § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG gestützt worden, so etwa im Beschluss des LG Berlin vom 29.8.2003 - 84 Τ 408/03 Β - und in dem Beschluss des KG vom 26.9.2003 — 25 W 145/03 - . Dass diese vom Beschwerdeführer zu verantwortenden Umstände darüber hinaus dafür ursächlich oder zumindest mitursächlich waren, dass seine Abschiebung innerhalb der Sechsmonatsfrist nach § 57 Abs. 3 S. 1 AuslG nicht durchgeführt werden konnte, wird jedoch weder im Beschluss des LG noch in dem von ihm in Bezug genommenen Beschluss des AG dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Das zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidungen zwölf Jahre zurückliegende Verlassen des Zuweisungsorts durch den Beschwerdeführer konnte von vornherein unter keinen Umständen als ursächliches Abschiebungshindernis in Betracht kommen. Aus den vom Landeseinwohneramt gefertigten Vermerken über die von ihm mit dem Vertreter der ghanaischen Botschaft am 28.8., 10.9. und 15.10.2003 geführten Gespräche ergibt sich darüber hinaus eindeutig, dass die Weigerung der ghanaischen Botschaft, dem Beschwerdeführer einen Pass auszustellen, ausschließlich auf der der Botschaft bekannten Diabetes-Erkrankung des Beschwerdeführers und den damit zusammenhängenden Problemen beruhte. Auch soweit das LG seine Entscheidung darauf stützt, der Beschwerdeführer habe in seinem Gespräch mit dem ghanaischen Botschaftsangehörigen nicht nur auf seine zweifelsfrei vorliegende Diabetes-Erkrankung hingewiesen, sondern deren Intensität und Auswirkungen übertrieben, genügt seine Entscheidung nicht dem Anspruch des Beschwerdeführers auf eine der Bedeutung der Freiheitsgarantie entsprechende genügende Tatsachengrundlage. Das LG hat insoweit auf die vom Landeseinwohneramt gefertigten Vermerke vom 28.8. und 15.10.2003 über die Äußerungen des ghanaischen Botschaftsangehörigen nach Durchführung seiner Gespräche mit dem Beschwerdeführer abgestellt. Zwar ist die auf der Grundlage des Vermerks vom 28.8.2003, nach dem der Botschaftsangehörige nach Abschluss des mit dem Beschwerdeführer geführten Gesprächs mitteilte, dass der Beschwerdeführer krank sei, alle zwei Tage ins Krankenhaus müsse und daher nicht ausreisen könne, vom LG getroffene Schlussfolgerung, der Beschwerdeführer habe im Gespräch mit dem Botschaftsangehörigen seinen Krankheitszustand übertrieben, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn Hinweise auf das LVerfGE 15

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Erfordernis, jeden zweiten Tag zur Behandlung ein Krankenhaus aufsuchen zu müssen, ergaben sich aus den in der Ausländerakte des Landeseinwohneramtes befindlichen ärztlichen Bescheinigungen und Begutachtungen des Beschwerdeführers nicht, so dass die diesbezügliche Annahme des LG sich im Rahmen richterlicher Tatsachenwürdigung hält, die einer verfassungsgerichtlichen Uberprüfung entzogen ist. Aus dem zweiten vom LG zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Vermerk des Landeseinwohneramtes vom 15.10.2003 ergibt sich jedoch, dass eine vorangegangene übertreibende Schilderung seines Krankheitszustands durch den Beschwerdeführer zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ursächlich für die Weigerung der ghanaischen Botschaft, ihm einen Pass auszustellen, war. Denn danach gab der Botschaftsangehörige für seine Entscheidung an, der Beschwerdeführer habe kein Geld, um in Ghana zum Arzt zu gehen und sich Insulin zu besorgen, und aus diesem Grunde wolle er ihm zunächst keinen Pass ausstellen. Dass diese Einschätzung des Botschaftsangehörigen gleichfalls durch eine wahrheitswidrige Schilderung des Beschwerdeführers verursacht worden wäre, wird durch das LG nicht dargelegt. Dass der Beschwerdeführer über nennenswerte finanzielle Mittel verfügt, ist weder vom LG noch vom AG angenommen worden. Dass ein Durchschnittsverdiener in Ghana dauerhaft die Beträge für eine Insulinbehandlung nicht aufbringen kann, ist als Zusammenfassung in einer gutachterlichen Äußerung des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin vom 5.9.2003 enthalten, die Teil der Ausländerakte des Einwohnermeldeamtes war, wobei dieses Gutachten in anderem Zusammenhang auch vom LG zitiert wird. Unter diesen Umständen lässt die Einschätzung des Botschaftsangehörigen als solche keine Rückschlüsse auf eine für sie ursächliche wahrheitswidrige Beeinflussung durch den Beschwerdeführer zu. Die Annahme des LG, der Beschwerdeführer habe in ihm zurechenbarer Weise seine Abschiebung innerhalb der ersten sechs Monate der Sicherungshaft verhindert, beruht daher auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie nicht entspricht. Auch die Entscheidung des KG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsrecht. Während das LG als zweite Tatsacheninstanz über das vom Beschwerdeführer eingelegte Rechtsmittel zu befinden hatte, war die vom KG zu bescheidende sofortige weitere Beschwerde gem. § 103 Abs. 2 AuslG, § 3 FEVG, § 27 Abs. 1 FGG materiell eine Rechtsbeschwerde, denn die dritte Instanz im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist entsprechend der Verweisung in § 27 Abs. 1 S. 2 FGG auf die §§ 546, 547, 559 und 561 ZPO nach revisionsrechtlichen Grundsätzen ausgestaltet und daher nicht zur Nachprüfüng von Tat- und Ermessensfragen eröffnet (vgl. Keidel-Meyer-Hol^FGG, 15. Aufl. 2003, Rn. 1; Bassenge/Herbst/Roth FGG, RpflG, 9. Aufl. 2002, Rn. 10, 23; Bumiller/ Winkler FGG, 7. Aufl. 1999, Rn. 3, 15, 17; jew. zu § 27 FGG). Das KG hat in seinem Beschluss entscheidend darauf abgestellt, der Beschwerdeführer sei verpflichtet gewesen, die ghanaische Botschaft von sich aus über die Entscheidung des OVG vom LVerfGE 15

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18.12.2003 und deren Begründung zu informieren. Eine solche Information habe sich jedoch aus seinem Vorbringen nicht ergeben und sei ursächlich für das Unterbleiben einer Passausstellung und damit der Unmöglichkeit seiner Abschiebung gewesen. Diese Begründung überspannt die Anforderungen an die Mitwirkungspflichten eines Ausländers im Rahmen seines Abschiebungsverfahrens in einer das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers verletzenden Weise. Denn grundsätzlich ist es Pflicht der die Abschiebung betreibenden Ausländerbehörde, mit der gebotenen Beschleunigung alle Möglichkeiten auszuschöpfen und die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um die für die Abschiebung erforderlichen Passpapiere zu erlangen und damit den Vollzug von Haft nach § 57 AuslG auf eine möglichst kurze Zeit zu beschränken (vgl. BGH, Beschl. v. 11.7.1996 —V ZB 14/96 - BGHZ 133, 235, 239; BayOblG, Beschl. v. 4.2.1998 - 3 Ζ BR 34/98 InfAuslR 1998, 352; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.2.2000 - 11 Wx 5/00 InfAuslR 2000, 235, 236). Der Ausländerbehörde wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die ghanaische Botschaft auf die Entscheidung des OVG hinzuweisen, falls sie darin eine Möglichkeit gesehen hätte, die abwartende Haltung der Botschaft hinsichtlich einer Passausstellung zu ändern. Soweit das KG seine Entscheidung darüber hinaus auf eine „Gesamtschau des Verhaltens des Betroffenen" (S. 2 des Beschlusses) stützt, fehlen jegliche Ausführungen, welche Verhaltensweisen in diese Gesamtschau einbezogen worden sind. Darüber hinaus verletzt die Entscheidung des KG den Beschwerdeführer auch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Denn ein gerichtlicher Beschluss stellt sich als unzulässige Überraschungentscheidung und damit als Verletzung dieses Anspruchs dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf nicht zu rechnen brauchten (vgl. Beschl. v. 20.8.1997 - VerfGH 46/97 - LVerfGE 7, 19, 22 und 11.7.2003 VerfGH 49/02 —). Da dies nicht nur durch tatsächliches Vorbringen, sondern auch durch Rechtsausführungen geschehen kann, gewährleistet Art. 15 Abs.l VvB den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern. Daher kann es geboten sein, auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrage zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu LVerfGE 15

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rechnen brauchte, auch wenn dabei zu beachten ist, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG NJW 1987, 1192). Der Beschwerdeführer konnte nach dem Verfahrensverlauf und den von AG und LG zur Begründung ihrer Entscheidungen herangezogenen Gesichtspunkten nicht damit rechnen, dass das KG in seiner Entscheidung auf die von ihm angenommene und bezüglich dieser Annahme - wie dargelegt - bereits einen Verfassungsverstoß darstellende Informationspflicht gegenüber dem Botschaftsangehörigen abstellen würde. Zwar ist gem. § 7 Abs. 5 FEVG im Verfahren über die weitere Beschwerde eine formelle mündliche Anhörung der Person, der die Freiheit entzogen werden soll, gem. § 5 Abs. 1 S. 1 FEVG nicht erforderlich. Davon unberührt bleiben jedoch die sich aus dem allgemeinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ergebenden Erfordernisse, die auch das KG gesehen hat. Unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 VvB hat es dem Beschwerdeführer jedoch kein rechtliches Gehör gewährt und dies damit begründet (S. 3 des Beschlusses), „angesichts der hier getroffenen Entscheidung" könne „davon abgesehen werden, dem Antragsteller vorab rechtliches Gehör zu gewähren." Der Beschwerdeführer hat insoweit auch in seiner Substantiierungspflicht genügenden Weise dargelegt, was er gegenüber dem KG bei ausreichender Gehörsgewährung hinsichtlich des rechtlichen Gesichtspunkts, auf den das KG seine Entscheidung gestützt hat, vorgetragen hätte, und es ist nicht auszuschließen, dass das KG unter Berücksichtigung dieses Vorbringens anders entschieden hätte. Die Aufhebung der Entscheidung des KG und die Zurückverweisung der Sache ist ungeachtet der Erledigung dieser Entscheidung angezeigt, damit das KG noch Gelegenheit hat, eine Entscheidung zur Kostenfrage zu treffen (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 6, 386, 389). 4. Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und lediglich beantragt hat, die Kosten des Verfahrens dem Land Berlin aufzuerlegen, ist als Ziel seines Begehrens die Erstattung notwendiger Auslagen gem. § 34 VerfGHG anzusehen, da das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach § 33 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei ist. Für eine solche Auslagenentscheidung war jedoch kein Raum, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von Anfang an unzulässig war. Denn die vom Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde angegriffenen, die Sicherungshaft anordnenden bzw. ihre Anordnung bestätigenden Beschlüsse des AG, des LG und des KG waren bereits zum Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde - wie dargelegt - überholt. Für die vom Beschwerdeführer begehrte Abwendung der Vollstreckung weiterer, auf diesen Entscheidungen beruhender Haft war daher von vornherein kein Raum.

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5. Im Übrigen beruht die Kosten- und Auslagenentscheidung auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Da die Verfassungsbeschwerde nur teilweise erfolgreich war, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen nur zu drei Vierteln zu erstatten. Insoweit erledigt sich zugleich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Im Übrigen war er mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde gem. § 52 VerfGHG iVm § 114 ZPO abzulehnen. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Dr. Peter Macke, Präsident (bis Januar 20024) Monika Weisberg-Schwarz, Präsidentin (seit Mai 2004) Dr. Wolfgang Knippel, Vizepräsident Prof. Michael Dawin (seit Mai 2004) Prof. Dr. Matthias Dombert Prof. Dr. Beate Harms-Ziegler Florian Havemann Dr. Sarina Jegutidse Prof. Dr. Richard Schröder Prof. Dr. Rosemarie Will

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Nt. 1* Zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung der Gehörsrüge (§ 321a Zivilprozessordnung) in einem Verfahren der zweiten Instanz.** Verfassung des Landes Brandenburg Art. 6 Abs. 1; 52 Abs. 3 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg §§ 32 Abs. 7; 50 Abs. 3 Zivilprozessordnung §§ 233; 321a Verwaltungsgerichtsordnung § 155 Abs. 1 S. 3

B e s c h l u s s vom 27. Mai 2004 - V f G B b g 23/04 und 6/04 EA in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der H. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 28. August 2003 sowie gegen die Beschlüsse des Landgerichts Potsdam vom 14. April 2004. Entscheidungsformel: 1. Die Beschlüsse des Landgerichts Potsdam vom 14. April 2004 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg). Sie werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen. 2. Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: A. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückweisenden Beschluss des LG Potsdam vom 14.4.2004 sowie gegen den ihren Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangs*

Abdruck auch in: NJW 2004, 3259; JZ 2005,195; JMB12004, 71. Nichtamtlicher Leitsatz. LVerfGE 15

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Vollstreckung zurückweisenden Beschluss vom selben Tage. Daneben begehrt sie die Aufhebung des Urteils des LG Potsdam vom 28.8.2003. I. Die Beschwerdeführerin wurde durch Urteil des AG Potsdam verurteilt, an den Kläger des Ausgangsverfahrens 6.600,00 DM zu zahlen. Die Berufung der Beschwerdeführerin wurde durch das angegriffene Urteil des LG vom 28.8.2003 zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin am 20.9.2003 Verfassungsbeschwerde. Sie rügte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da das LG einem Beweisantrag nicht nachgegangen sei. Das Landesverfassungsgericht wies durch Schreiben vom 6.10.2003, der Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben am 9.10.2003 zugegangen, auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde hin und verwarf durch Beschluss vom 16.10.2003 — VfGBbg 228/03 — die Verfassungsbeschwerde. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde stehe der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, da die Beschwerdeführerin gehalten sei, das Gehörsrügeverfahren in entsprechender Anwendung von § 321a Zivilprozessordnung - ZPO - durchzuführen. Daraufhin beantragte die Beschwerdeführerin am 23.10.2003 die Wiedereinsetzung in die Frist für das Gehörsrügeverfahren (§ 321a Abs. 2 S. 2 ZPO), die Fortführung des Verfahrens gem. § 321a ZPO analog und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 28.8.2003. Sie sei ohne Verschulden an der rechtzeitigen Einleitung des Gehörsrügeverfahrens gehindert gewesen. § 321a ZPO sei nach Gesetzeswortlaut und -systematik sowie ausweislich der Rechtsprechung einzelner Gerichte in seiner Anwendbarkeit auf die erste Instanz beschränkt. Das LG verwarf die Anträge auf Wiedereinsetzung und Verfahrensfortführung analog § 321a ZPO durch Beschluss vom 14.4.2004 als unzulässig. Für die Wiedereinsetzung fehle es an den Voraussetzungen der §§ 233 ff ZPO. Zum einen werde entgegen § 236 Abs. 2 ZPO nicht mitgeteilt, zu welchem Zeitpunkt das behauptete Hindernis weggefallen sei. Zum anderen habe die Beschwerdeführerin die verfristete Erhebung der Gehörsrüge zu vertreten, da sie jedenfalls zum Zeitpunkt der Zustellung des landgerichtlichen Urteils anwaltlich vertreten gewesen sei und insoweit hinreichend Gelegenheit hatte, „sich über alle Rechtsmittelmöglichkeiten zu informieren". „Selbst wenn [ihr Rechtsanwalt] dabei auf die Möglichkeit einer Gehörsrüge nach § 321a ZPO analog nicht hingewiesen haben sollte, so liegt darin jedenfalls kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand". Der Antrag entsprechend § 321a ZPO sei nicht binnen der mit der Urteilszustellung beginnenden - mithin am 15.9.2003 endenden - Frist gestellt worden. Durch weiteren Beschluss vom 14.4.2004 wies das LG den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurück, da der Rechtsstreit rechtskräftig abgeschlossen worden sei und die Kammer daher nicht mehr zu Einstellungsmaßnahmen befugt sei. LVerfGE 15

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II. Die Beschwerdeführerin rügt mit der am 3.5.2004 erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Urteil sowie die Beschlüsse des LG. Sie nimmt hierfür auf den rechtlichen und tatsächlichen Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren — VfGBbg 228/03 — Bezug. Insbesondere habe das LG die Anforderungen an die Wiedereinsetzung überspannt, da die Anwendbarkeit von § 321a ZPO in der Berufungsinstanz sich weder aufdränge noch durch das Brandenburgische OLG bejaht worden sei. III. Der Kläger des Ausgangsverfahrens und das LG haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verfahrensakten sind beigezogen worden. B. Die Verfassungsbeschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. I. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des LG vom 28.8.2003 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde (derzeit) aus den Gründen des Beschlusses vom 16.10.2003 - VfGBbg 228/03 - (weiterhin) unzulässig. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig (§§ 45, 46, 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtgesetz Brandenburg — VerfGGBbg —; Art. 52 Abs. 3 LV). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich — hier durch die Zivilprozessordnung — geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, std. Rspr. seit Besch! v. 16.4.1998 — VfGBbg 1/98 - , LVerfGE 8, 82, 84 f unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff; zuletzt Beschl. v. 22.1.2004 - VfGBbg 281/03 - ) sind gegeben. Der Schutzbereich des Art. 52 Abs. 3 LV stimmt mit dem des Art. 103 Abs. 1 GG insoweit überein (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.3.2000 - VfGBbg 2/00 - , LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 88, 92). II. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, hat sie auch in der Sache Erfolg. Die Beschlüsse des LG vom 14.4.2004 verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 52 Abs. 3 LV). 1. Bei der Anwendung und Auslegung der Wiedereinsetzungsvorschriften — hier: §§ 233 ff ZPO — dürfen unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs LVerfGE 15

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die Anforderungen nicht überspannt werden. Dies gilt sowohl für den Fall des sog. „ersten Zugangs zum Gericht" (vgl. die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl betreffend: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.5.2002 - VfGBbg 46/02 LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 106, 111 f mwN; vgl. ferner: BVerfGE 67, 208, 212 f) als auch dann, wenn das Prozessrecht den Verfahrensbeteiligten eine weitere Instanz eröffnet (vgl. BVerfGE 51, 352, 354 mwN). Nichts anderes kann vorliegend für die Wiedereinsetzung in die Frist des § 321a Abs. 2 S. 2 ZPO gelten. Wenn auch das Verfahren der Gehörsrüge keine weitere Instanz eröffnet (§ 321a Abs. 4 S. 4 ZPO a.E.), so sichert es doch den Anspruch auf rechtliches Gehör im Zivilprozess und dient somit der durch Art. 6 Abs. 1 LV gewährleisteten Rechtsschutzgarantie (vgl. zu dem Erfordernis eines Gehörsrügeverfahrens von Verfassungs wegen: BVerfGE 107, 395 - Plenum). Daher gilt für die § 321a ZPO betreffende Wiedereinsetzung auch und gerade, dass „die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts sowie seine Auslegung und Anwendung im konkreten Fall ... ein Ausmaß rechtlichen Gehörs eröffnen [müssen], das sachangemessen ist, um dem in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gerecht zu werden" (BVerfGE 74, 220, 224). 2. Diesen Anforderungen wird der den Antrag auf Wiedereinsetzung verwerfende Beschluss des LG nicht gerecht. a. Zunächst verkennt das LG das hier für die Wiedereinsetzung maßgebliche Ereignis, wenn es ausführt: „Weiterhin trägt die Beklagte nicht vor, wann das behauptete Hindernis, also die fehlende anwaltliche Vertretung, weggefallen ist." Auch ausweislich des Wiedereinsetzungsschriftsatzes vom 22.10.2003 kommt als Grund für die verspätete Einleitung des Gehörsrügeverfahrens allein die Unkenntnis in Betracht, dass § 321a ZPO ggf. auch in der zweiten Instanz entsprechende Anwendung finden kann. Dass dieser Hinderungsgrund erst durch das Hinweisschreiben des Landesverfassungsgerichts vom 6.10.2003, der Beschwerdeführerin zugegangen am 9.10.2003, entfallen war, liegt auf der Hand. Bereits daher trägt die Begründung, dass die gem. § 236 ZPO erforderlichen Mindestangaben nicht vorlägen, den Beschluss nicht. b. Dem LG kann überdies nicht darin gefolgt werden, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung „auch unbegründet" sei. Der Beschwerdeführerin ist ein Verschulden iSd § 233 ZPO nicht vorzuhalten. Dies gilt unbeschadet ihrer anwaltlichen Vertretung zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils des LG vom 28.8.2003. Zwar entschuldigt mangelnde Rechtskenntnis - insbesondere die eines Rechtsanwalts (vgl. BFH - H R 97/92 - , BB 1996, 255, zitiert nach juris) - ein Fristversäumnis in der Regel nicht (vgl. BVerwG, NJW 1970, 773). So wird von einem Rechtsanwalt etwa zu erwarten sein, dass er die in der amtlichen Sammlung eines Bundesgerichtes abgedruckten Entscheidungen beachtet (vgl. BGHZ 5, 275, LVerfGE 15

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278). Jedoch gibt es keinen Rechtssatz, der im Falle eines anwaltlichen Rechtsirrtums die Annahme des Verschuldens stets zulässt (vgl. BVerfGE 79, 372, 375 ff; BGH - VI ZB 10/96 - , VersR 1996, 1522, zitiert nach juris). Die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin, wonach § 321a ZPO in der zweiten Instanz keine Anwendung findet, wird jedenfalls durch den Wordaut der Vorschrift (Gericht des ersten Rechtszuges) und überdies durch ihre Stellung im Gesetz (Buch 2, Verfahren im ersten Rechtszug) gestützt. Die Rechtsprechung zu dieser (erst) am 1.1.2002 in Kraft getretenen Vorschrift ist noch uneinheitlich. Die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin deckt sich insoweit mit der des KG (Beschl. v. 8.12.2003 - 10 U 105/02 - ) sowie der OLG Oldenburg (NJW 2003, 149) und Rostock (NJW 2003, 2105). Selbst wenn andere Gerichte demgegenüber die Anwendung im Berufungsverfahren bejahen (vgl. OLG Celle, NJW 2003, 906), so hat das Brandenburgische OLG diese Rechtsfrage bisher — soweit ersichtlich — noch nicht entschieden. Die Kommentierung in den gängigen Handkommentaren (Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Aufl. 2004, Rn. 4 zu § 321a und Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 24. Aufl. 2004, Rn. 3a zu § 321a) stützt zudem die Auffassung der Beschwerdeführerin. Bereits deshalb wird der Beschwerdeführerin ein Verschulden nicht vorgehalten werden können (vgl. BGH, NJW 1985, 495), jedenfalls aber nicht in Anbetracht der — jedenfalls höchstrichterlich — ungeklärten Rechtslage (vgl. zum Maßstab bei bisher ungeklärter Rechtslage: Kummer NJW-Schriften 37 — Wiedereinsetzung in den vorigen Stand —, Rn. 583). c. Die Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung beruht auf der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die übrigen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung (§§ 233 ff ZPO) lagen vor; insbesondere war der am 23.10.2003 beim LG eingegangene Antrag noch rechtzeitig (§§ 234 Abs. 2; 222 Abs. 1 ZPO iVm §§ 187 Abs. 1; 188 Abs. 2 BGB). 3. Da nach Vorstehendem das LG verpflichtet war, der Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand — mit der Folge der Fortführung des Berufungsverfahrens im Gehörsrügeverfahren - zu gewähren, so war es auch befugt und zugleich verpflichtet, über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in der Sache zu entscheiden. Die Verwerfung des Antrags mangels Entscheidungskompetenz stellt sich daher als Fortsetzung des Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar und unterliegt der Aufhebung (vgl. zum fortgesetzten Grundrechtsverstoß bei aufeinanderfolgenden gerichtlichen Entscheidungen: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 19.12.2002 - VfGBbg 104/02 - , LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 13, 217, 228). III. Gem. § 50 Abs. 3 VerfGGBbg sind die angegriffenen Beschlüsse des LG aufzuheben; das Verfahren ist an das LG zur Entscheidung über den Antrag auf LVerfGE 15

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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist für das Gehörsrügeverfahren (§ 321a ZPO) sowie über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückzuverweisen. Das LG wird für seine Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 321a ZPO in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen haben, dass angesichts der Entscheidung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 395) gute Gründe für die entsprechende Anwendung sprechen. So könnte Art. 6 Abs. 1 LV für die Rechtslage im Land Brandenburg gebieten, das durch die Prozessordnung vorgesehene Gehörsrügeverfahren über seinen Wortlaut hinaus solange anzuwenden, bis der Gesetzgeber eine den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechende Neuregelung des Verfahrensrechts vorgenommen hat. Andernfalls ginge dem Bürger eine Rechtsschutzmöglichkeit verloren, die — wegen des Vorrangs fachgerichtlichen Rechtsschutzes — gerade durch die Fachgerichte (und nicht durch das Landesverfassungsgericht) gewährt werden soll. C. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Durch die Aufhebung der Beschlüsse und die Zurückverweisung des Verfahrens ist das LG (wieder) befugt, über den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu entscheiden (§§ 321a Abs. 6, 707 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 ZPO analog), so dass fachgerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen ist (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 28.4.1999 - VfGBbg 18/99 EA - und v. 20.1.2000 - VfGBbg 43/99 EA -). D. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 32 Abs. 7 VerfGGBbg. Dem Rechtsgedanken des § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO entsprechend war hier die volle Kostenerstattung anzuordnen. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Kernanliegen obsiegt.

Nr. 2 1. Zur Beschwerdebefugnis betreffend eine Gesetzesbestimmung zur Gemeindeneugliederung, die unmittelbar dritte Gemeinden im Blick hat, gleichzeitig aber wie ein unmittelbar an die Beschwerdeführerin gerichteter Gesetzesbefehl wirkt.

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Gemeindegebietsreform — Neugliederung anderer Gemeinden

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2. Zur Einteilung des Landes in die verschiedenen Neugliederungsräume des engeren Verflechtungs- und des äußeren Entwicklungsraums als Kriterium der Gemeindegebietsreform.* Verfassung des Landes Brandenburg Art. 97; 98 Abs. 1

Urteil vom 26. August 2004 - VfGBbg 230/03 in dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren der Gemeinde Groß Machnow, vertreten durch das Amt Rangsdorf, dieses vertreten durch den Amtsdirektor, wegen kommunaler Neugliederung; hier: Eingemeindung der Gemeinde Groß Machnow (Amt Rangsdorf) in die Gemeinde Rangsdorf. Entscheidungsformel: Soweit die Beschwerdeführerin die kommunale Verfassungsbeschwerde zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die kommunale Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Gründe:

A. I. 1. Die Beschwerdeführerin liegt ungefähr 15 km südlich der Berliner Stadtgrenze im Landkreis Teltow-Fläming. Sie gehörte bisher mit den Gemeinden Rangsdorf und Dahlewitz dem Amt Rangsdorf an; Sitz der Amtsverwaltung war Rangsdorf. Uber das Gemeindegebiet der Beschwerdeführerin verläuft die Bundesstraße 96 (B 96), die unweit der Beschwerdeführerin an der Anschlussstelle Rangsdorf die in Ost-West-Richtung verlaufende Bundesautobahn 10 (A 10; sog. Berliner Ring) kreuzt. Nahe dieser Autobahnanschlussstelle befindet sich bereits auf der Fläche der Beschwerdeführerin ein größeres Einkaufs- und Gewerbegebiet („Südring-Center"). Grenze zur Gemeinde Rangsdorf ist über eine weite Strecke die Β 96, auf deren Gebiet sich dort Wohnbebauung erstreckt. Die eigentliche Ortslage der Beschwerdeführerin ist von dem Südring-Center wie auch von der Ortsbebauung der Nachbargemeinde Rangsdorf durch größere Freiflächen, u.a. das Naturschutzgebiet Machnower See, getrennt. Auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin leben ungefähr 1.200, in der Nachbargemeinde Rangsdorf (einschließNichtamtliche Leitsätze. LVerfGE 15

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lieh der nordöstlich der Beschwerdeführerin gelegenen Ortschaft Klein Kienitz) ungefähr 7.380 und in der nördlich der Autobahn gelegenen Gemeinde Dahlewitz (nächstfolgender Ort an der Β 96) ungefähr 1.900 Einwohner. Dahlewitz grenzt östlich, nördlich und westlich an Gemeinden des bisherigen Amtes BlankenfeldeMahlow. Finanziell sind die Beschwerdeführerin und die Gemeinde Dahlewitz gut ausgestattet, die Haushaltslage der Gemeinde Rangsdorf hingegen „muss als schwierig bezeichnet werden" (LT-Drs. 3/4883, S. 293). Das Amt Rangsdorf und damit auch das Gemeindegebiet der Beschwerdeführerin liegt im engeren Verflechtungsraum zu Berlin (s. Art. 1 Anlage 1 § 4 S. 4 Nr. 1 iVm Anhang Β 1 des Staatsvertrages vom 7.8.1997 über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg (Landesentwicklungsprogramm, nachfolgend LEPro) und über die Änderung des Landesplanungsvertrages (GVB1. 1998 I S. 14)). Die bisherigen Nachbarämter BlankenfeldeMahlow, Zossen und Mittenwalde (Landkreis Dahme-Spreewald) befinden sich ebenfalls im engeren Verflechtungsraum (s. Anhang Β 1 des LEPro). 2. Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Inneren an die Beschwerdeführerin Unterlagen zu ihrer beabsichtigten Eingliederung in die Gemeinde Rangsdorf mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen für die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Teltow-Fläming versandt. Die Anhörung der Bürger sollte für die Dauer eines Monats erfolgen und vor dem Ende der Gemeindeanhörung abgeschlossen werden. 3. Im September desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. § 17 des Entwurfes zum 4. Gesetz zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise Havelland, Potsdam-Mittelmark, Teltow-Fläming (4. GemGebRefGBbg) sah die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf vor. Das Gesetz wurde im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 17 des 4. GemGebRefGBbg vom 24.3.2003 (GVB1. I S. 73), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26.10.2003) in Kraft getreten (s. § 37 S. 1 des 4. GemGebRefGBbg), lautet: §17 Verwaltungseinheit Amt Rangsdorf (1) Die Gemeinde Groß Machnow wird in die Gemeinde Rangsdorf eingegliedert. (2) Das Amt Rangsdorf wird aufgelöst. Die Gemeinde Rangsdorf ist amtsfrei. Gleichzeitig bildete der Gesetzgeber aus der bislang dem Amt Rangsdorf angehörenden Gemeinde Dahlewitz und den Gemeinden Blankenfelde, Groß KieLVerfGE 15

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nitz und Mahlow (Amt Blankenfelde-Mahlow) die neue amtsfreie Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, deren Gemeindegebiet sich fast vollständig nördlich der A 10 (Berliner Ring) befindet. § 16 des 4. GemGebRefGBbg lautet: §16 Verwaltungseinheiten Amt Blankenfelde-Mahlow und Gemeinde Dahlewitz des Amtes Rangsdorf (1) Aus den Gemeinden Blankenfelde, Groß Kienitz und Mahlow des Amtes Blankenfelde-Mahlow sowie der Gemeinde Dahlewitz des Amtes Rangsdorf wird die neue Gemeinde Blankenfelde-Mahlow gebildet. (2) Das Amt Blankenfelde-Mahlow wird aufgelöst. Die Gemeinde BlankenfeldeMahlow ist amtsfrei. II. Die Beschwerdeführerin hat am 24.9.2003 kommunale Verfassungsbeschwerde gegen §§16 und 17 des 4. GemGebRefGBbg erhoben. Sie macht geltend, ihre Eingliederung in die Gemeinde Rangsdorf sei schon deshalb verfassungswidrig, weil das Anhörungsverfahren vor dem Innenausschuss des Landtages mit verfassungsrechtlich relevanten Fehlern behaftet gewesen sei. Der Vorbereitungszeitraum auf die Anhörung sei zu kurz gewesen. Die Gemeindegebietsreform betreffe viel mehr Körperschaften als eine Kreisgebietsreform, so dass es länger dauere, sich über Vergleichsfälle und etwaige Ungleichbehandlungen einen Uberblick zu verschaffen. Daneben seien sowohl die Anhörung zu dem Referentenentwurf als auch die zu dem Gesetzentwurf mangelhaft gewesen, weil die zur Stellungnahme ausgelegten Unterlagen unvollständig gewesen seien. Die Maßstäbe der Neugliederungsmaßnahmen seien nicht nachvollziehbar gewesen. Der Gesetzgeber habe sein Leitbild an mehreren raumordnungsrechtlichen Fesdegungen orientiert, unter anderem dem Regionalplan Havelland-Fläming, der der Begründung des Entwurfes nicht beigefügt gewesen sei. Dieser Plan sei im Übrigen nicht dort veröffentlicht, wo ihn die Anzuhörenden vermutet hätten — im Amtsblatt —, sondern im Amtlichen Anzeiger. Die Karte zum Regionalplan, auf die der Gesetzgeber im Leitbild mehrfach abstelle, sei sogar überhaupt nicht veröffentlicht, sondern lediglich auf Anforderung bei der Regionalen Planungsgemeinschaft HavellandFläming (gegen Zahlung von 11,50 €) erhältlich gewesen. Daneben rechtfertige das öffentliche Wohl die Neugliederungsmaßnahme nicht. Schon der Sachverhalt sei vom Gesetzgeber unzureichend ermittelt worden. Die Beschwerdeführerin habe im Gesetzgebungsverfahren auf zahlreiche fehlerhafte Tatsachen aufmerksam gemacht. Der Gesetzgeber, der diesen Hinweisen entgegengehalten habe, sie seien nicht näher „untersetzt" worden, verkenne den LVerfGE 15

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Zweck einer Anhörung. Gebe es Hinweise auf relevantes Abwägungsmaterial, müsse der Gesetzgeber es sich beschaffen, auf eine Substantiierungs-, Darlegungsoder Beweislast komme es nicht an. Daneben sei die Regelung auch deshalb verfassungswidrig, weil das Amt Rangsdorf einen für den engeren Verflechtungsraum atypischen Fall darstelle. Der kennzeichnende, von Berlin ausgehende Entwicklungsdruck sei hier nicht festzustellen. Die Bevölkerungsdichte liege mit 72,36 Einwohnern/km2 weit unter dem Durchschnitt im engeren Verflechtungsraum. Auch der Gesetzgeber habe angenommen, dass die Beschwerdeführerin und die Gemeinde Rangsdorf landwirtschaftlich geprägt seien. Das „Ausgliedern" der Gemeinde Dahlewitz aus dem Verwaltungsraum des bisherigen Amtes Rangsdorf verstoße gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit. Nach dem Leitbild sollten im engeren Verflechtungsraum amts freie Gemeinden gebildet werden, allerdings innerhalb der Grenzen bestehender Ämter. Keine der ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen für amtsgrenzenüberschreitende Zusammenschlüsse sei einschlägig. Durch den erzwungenen Weggang der Gemeinde Dahlewitz fehle künftig eine leistungsstarke Gemeinde. Weil die neue Gemeinde, geprägt durch das leistungsschwache Rangsdorf, über deutlich weniger Wirtschaftskraft verfüge und nicht mehr in dem bisherigen Umfang Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen könne, werde das bürgerschaftliche Engagement erheblich leiden. Es stehe zu befürchten, dass künftig der größte Teil ihrer Steuereinnahmen in das einwohnerstärkere und flächenmäßig größere „Alt-Rangsdorf' fließen werde, etwa für Infrastrukturmaßnahmen im Straßenbau. Die Beschwerdeführerin hat zunächst §§ 16, 17 des 4. GemGebRefGBbg in vollem Umfang angegriffen. Soweit sich die kommunale Verfassungsbeschwerde gegen die Bildung der neuen Gemeinde Blankenfelde-Mahlow aus den Gemeinden Blankenfelde, Groß Kienitz und Mahlow sowie gegen §§16 Abs. 2, 17 Abs. 2 des 4. GemGebRefGBbg richtet (Auflösung der Amter Rangsdorf und Blankenfelde-Mahlow), hat sie diese zurückgenommen. Sie beantragt nunmehr festzustellen, § 16 Abs. 1, soweit er anordnet, die neue Gemeinde Blankenfelde-Mahlow aus der Gemeinde Dahlewitz des Amtes Rangsdorf zu bilden, und § 17 Abs. 1 des 4. Gemeindegebietsreformgesetees sind mit Art. 97 Abs. 1, 98, Art. 99 der Verfassung des Landes Brandenburg unvereinbar und deshalb nichtig.

III. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung, der Städte- und Gemeindebund Brandenburg und die Gemeinden Rangsdorf und Blankenfelde-Mahlow hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Landesregierung macht geltend, im Hinblick auf die „Ausgliederung" der Gemeinde Dahlewitz sei die kommunale Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, es fehle die Beschwerdebefugnis. Die Anhörungserfordernisse seien eingehalLVerfGE 15

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ten worden. Abwägungsvorgang und -ergebnis seien unter Beachtung der Besonderheiten des engeren Verflechtungsraums und als leitbildgerecht nicht zu beanstanden. Das von der Beschwerdeführerin als Bezugsfall erwähnte Amt Spreenhagen verkörpere eine räum- und siedlungsstrukturell andere Situation. B. I. Soweit die Beschwerdeführerin die kommunale Verfassungsbeschwerde gegen die Auflösung der Ämter Rangsdorf und Blankenfelde-Mahlow und gegen die Einbeziehung der Gemeinden des früheren Amtes Blankenfelde-Mahlow (Blankenfelde, Groß Kienitz und Mahlow) in die gleichnamige neue Gemeinde zurückgenommen hat, war das Verfahren gem. § 13 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) iVm § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen. II. 1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ist, soweit nicht zurückgenommen, gem. Art. 100 Verfassung des Landes Brandenburg (LV), §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. a) Insbesondere ist die Beschwerdeführerin ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Auflösung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten. Die fortbestehende Beteiligtenfähigkeit erstreckt sich folgerichtig auf die Vertretungsverhältnisse. b) Die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerin ist im Hinblick auf die eigene Eingliederung in die Gemeinde Rangsdorf nach § 17 Abs. 1 des 4. GemGebRefGBbg offensichtlich gegeben. Die Möglichkeit der Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin aus der LV besteht aber auch im Hinblick auf die Einbeziehung der Gemeinde Dahlewitz (bisher Amt Rangsdorf) in die neue Gemeinde Blankenfelde-Mahlow nach § 16 Abs. 1 des 4. GemGebRefGBbg. Gem. Art. 100 LV, § 51 Abs. 1 VerfGGBbg können Gemeinden und Gemeindeverbände kommunale Verfassungsbeschwerde (nur) mit der Behauptung erheben, dass „ihr Recht auf Selbstverwaltung nach der Verfassung" verletzt sei. § 51 VerfGGBbg setzt damit voraus, dass die beschwerdeführende Gemeinde von den Rechtswirkungen der angefochtenen Regelung selbst betroffen sein muss. Eigene Betroffenheit liegt dabei auch vor, wenn die Verletzung eines verfasLVerfGE 15

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sungsmäßig garantierten Rechts durch eine Gesetzesbestimmung gerügt wird, die zwar unmittelbar Dritte im Blick hat, gleichzeitig aber wie ein unmittelbar an die Beschwerdeführerin gerichteter Gesetzesbefehl wirkt (vgl. schon BVerfGE 4, 96, 101; 13, 230, 232 f; s. auch Pestalo^a Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl., § 12 Rn. 41 f; Schmidt-Bleibtreu in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kommentar, Stand September 2003, §§ 91 Rn. 27, 90 Rn. 95, 97; Clemens in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 91 Rn. 82 ff; Renda/Klein Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl., § 20 Rn. 696 ff). Wenn Gemeinden im Rahmen einer kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen einer landesweiten Gebietsreform ihren bisherigen Status erhalten wollen und zugleich zusätzlich die Auflösung weiterer Gemeinden oder auch ihres Amtes verhindern wollen, ist nur schwerlich vorstellbar, dass das Schicksal der Gemeinde mit dem ihrer Nachbarn oder dem des Amtes in einem Maße verknüpft ist, dass eigene kommunale Selbstverwaltung von dem Bestand der Nachbarn abhängt. Weil eine (amtsangehörige) Gemeinde beanspruchen kann, dass ihr eine geeignete (Amts )Verwaltung zur Verfügung steht, kann die Gemeinde im Falle eines Erfolges auch ohne bisherige Nachbargemeinden oder auch mit einem anders zugeschnittenen Amt fortbestehen. Anders ist es zu beurteilen, wenn die Gemeinde „zielortbezogene" Einwände erhebt, d.h. Beanstandungen, die mit der neuen Gemeinde zu tun haben, etwa im Hinblick auf ihre eigene räumliche Zuordnung. Gründe des öffentlichen Wohls müssen nicht nur das „ob" einer Maßnahme rechtfertigen, sondern auch das „wie" und damit die Grundlage auch für die Entscheidung bilden, in welche andere Gemeinde die aufgelöste Gemeinde eingegliedert wird. Wenn die bisherige Gemeinde ihre Selbständigkeit zugunsten einer Lösung aufgeben soll, deren Qualität in gewichtigem Maße von der Zuordnung ehemaliger Nachbargemeinden abhängt, ist sie von der Neugliederungsentscheidung ihrer Nachbargemeinde mitbetroffen. Die Gemeinde kann deshalb verlangen, dass — unbeschadet der dem Gesetzgeber insoweit zuzugestehenden Freiräume — die dauernde Eignung der Gemeinde, wie sie aus der Gemeindegebietsneugliederung hervorgeht, für die Wahrnehmung der künftigen Verwaltung nicht ernsthaft in Frage zu stellen ist und dass die neue bzw. vergrößerte Gemeinde ohne Verstoß gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit, etwa durch systemwidriges Unterlassen der Eingliederung weiterer Gemeinden, gebildet wird (vgl. dazu VerfGH NW, Urt. v. 7.12.1973 VerfGH 18/72 - , DVB1 1974, 517 - Nettelstedt; s. auch BayVerfGH, Urt. v. 29.10.1980 - Vf. 2-VII-78 - , VwRspr 32, 257; BayVGH, Beschl. v. 3.3.1977 Nr. 65 V 76 - BayVBl 1979, 146; vgl. demgegenüber BayVerfGH, Entsch. v. 24.6.1988 - Vf.lO-VII/86 - , NVwZ 1989, 243 bei Rüge der „aufnehmenden" Gemeinde, das eingegliederte Gemeindegebiet sei zu klein). Daran gemessen ist die Beschwerdeführerin auch im Blick auf die Einbeziehung von Dahlewitz in die neue Gemeinde Blankenfelde-Mahlow beschwerdebefugt. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Tatsachen lassen es zumindest als möglich erscheinen, LVerfGE 15

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dass der Gesetzgeber systemwidrig die Gemeinde Dahlewitz nicht in die Gemeinde Rangsdorf eingegliedert hat. 2. Die kommunale Verfassungsbeschwerde erweist sich aber in der Sache selbst als unbegründet. Die Auflösung von Gemeinden durch den Staat ist, wie sich unmittelbar aus Art. 98 Abs. 1 und 2 LV ergibt, nicht von vornherein ausgeschlossen. Die dafür ebenfalls nach Art. 98 Abs. 1 sowie Abs. 2 LV gezogenen Grenzen sind hier nicht verletzt. Die nach der Landesverfassung geltenden Anhörungserfordernisse sind eingehalten worden. Auch materiell ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf mit der Landesverfassung vereinbar. a) Die Verfassung des Landes Brandenburg verlangt vor einer Gemeindeauflösung die Anhörung sowohl der Bevölkerung als auch der Gemeinde als solcher. Beide Anhörungen sind ohne Verstoß gegen die Landesverfassung durchgeführt worden. aa) Art. 98 Abs. 2 S. 3 LV schreibt vor, dass vor einer Änderung des Gemeindegebietes die Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete gehört werden muss. „Änderung des Gemeindegebietes" in diesem Sinne ist auch die hier in Frage stehende Auflösung einer Gemeinde unter (gänzlichem) Wegfall eines eigenen Gemeindegebietes (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.10.2003 — VfGBbg 67/03 -). Die demzufolge erforderliche Anhörung der Einwohner der Beschwerdeführerin ist ordnungsgemäß erfolgt. Die an eine Anhörung iSv Art. 98 Abs. 2 S. 3 LV zu stellenden Anforderungen sind aus dieser Verfassungsbestimmung heraus und unabhängig von der Rechtslage nach einfachem Recht zu bestimmen. Die Landesverfassung macht zu den Anhörungsmodalitäten keine näheren Vorgaben. Weder nimmt sie einfachrechtliche Verfahrensregelungen - anders als etwa bei Art. 9 Abs. 1 LV (Einschränkung der Freiheit der Person nur unter Beachtung der im Gesetz „vorgeschriebenen Formen") — gleichsam in die Verfassung hinüber noch erlangen die Regelungen, die sie - in Art. 98 Abs. 5 LV - dem Gesetz vorbehält, ihrerseits Verfassungsrang. Maßgeblich bleibt vielmehr die Verfassungsregelung des Art. 98 Abs. 2 S. 3 LV als solche. Sie beschränkt sich darauf, dass vor einer Änderung des Gemeindegebietes die Bevölkerung zu hören ist, und lässt damit Raum für jedwedes Anhörungsverfahren, sofern es sicherstellt, dass die Bevölkerung Gelegenheit erhält, ihre Meinung zu der Gebietsänderung zum Ausdruck zu bringen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 18.12.2003 - VfGBbg 101/03 - ; Lieber/Iwers/Ernst Verfassung des Landes Brandenburg, Ziff. 4 zu Art. 98; zu Art. 28 Abs. 2 GG: BVerfG, zuletzt Beschl. v. 19.11.2002 - 2 BvR 329/97 - , NVwZ 2003, 850 = DÖV 2003, 589 = DVB1 2003, 919; Knemeyer in: Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilband 3, S. 159 mwN). Es genügt, wenn ihr in sachgerechter Weise die Möglichkeit eröffnet wird, sich zu der Gebietsänderung, hier: durch Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf unter LVerfGE 15

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Wegfall eines eigenständigen Gemeindegebietes, zu Wort zu melden und das Ergebnis dem Entscheidungsttäger, im Fall der Auflösung einer Gemeinde also dem Gesetzgeber (Art. 98 Abs. 2 S. 2 LV), zur Kenntnis gebracht wird. Das war hier der Fall. Es bestand für die Bevölkerung die geordnete Möglichkeit, ihre Meinung zur Frage der Auflösung der Beschwerdeführerin durch Eingliederung in die Gemeinde Rangsdorf kundzutun. Die Bürger waren durch Bekanntmachung im Amtsblatt für den Landkreis Teltow-Fläming davon unterrichtet, dass hierzu vom 30.5. bis 1.7.2002 Gelegenheit zur Stellungnahme bestehe und Unterlagen über das Neugliederungsprojekt in dem Amtsgebäude Rangsdorf und den Räumen der „Kreisverwaltung" in Luckenwalde zu näher genannten Zeiten (beispielsweise bei dem Amtsdirektor in Rangsdorf Montag bis Freitag von 9.00 bis 12.00 Uhr sowie Dienstag 13.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 13.00 bis 16.00 Uhr, Montag und Mittwoch 13.00 bis 15.00 Uhr) auslägen. Das Ergebnis der Anhörung hat sodann dem Landtag vorgelegen und ist damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. Der Beschwerdeführerin kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Anhörung die verfassungsrechtlichen Anforderungen deshalb verfehle, weil es den Anzuhörenden nicht möglich gewesen sei, sich in den Anhörungsunterlagen über wesentliche und tragende Maßstäbe des Leitbildes zu informieren, beispielsweise die einzelnen Funktionen der Ober-, Mittel- oder Grundzentren und die Nahbereichsabgrenzungen, weil diese nicht erläutert wurden und entsprechende Pläne nicht beigefügt gewesen seien. Bei der Komplexität des Vorhabens ist es nicht zu beanstanden, wenn im ausgelegten Material auf Unterlagen Bezug genommen wird, etwa wenn (mehrfach) mitgeteilt wird, der Ort sei im „Landbuch Kaiser Karls IV." erstmals erwähnt oder die Beschwerdeführerin und Rangsdorf gehörten nach dem Regionalplan Havelland-Fläming zum Nahbereich des Grundzentrums Zossen. All dieses Material muss bei der Anhörung nicht vorgehalten werden, zumal darin auf weitere Unterlagen oder Quellen verwiesen werden dürfte. Es ist bezeichnend, dass in anderen kommunalen Verfassungsbeschwerden sogar gerügt wird, bei den mehr als 1000 Seiten umfassenden Anhörungsunterlagen handele es sich um eine undurchdringliche „Überinformation". Die Einwohner der Beschwerdeführerin hatten bei Interesse die zumutbare Möglichkeit, die von der Beschwerdeführerin besonders vermissten Unterlagen zur Landesplanung zu erhalten, auch wenn dies möglicherweise mit finanziellem Aufwand und mancherlei Mühe verbunden gewesen sein mag, etwa weil die Groß Machnower keine Vorstellung gehabt haben dürften, wo entsprechendes Material zu finden sein könnte. Unbeschadet dessen lagen die Kernfragen - nämlich: Soll die Beschwerdeführerin ihre Selbständigkeit verlieren und gegebenenfalls nach Rangsdorf eingegliedert werden? — offen zutage. bb) Weiter hat die Beschwerdeführerin (als Gemeinde) im Gesetzgebungsverfahren in gehöriger Weise Gelegenheit zur Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung erhalten. Eine solche Anhörung der Gemeinde ist, wenn auch nicht ausLVerfGE 15

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drücklich in der Verfassung verankert, der durch Art. 97 Abs. 1 LV geschützten kommunalen Selbstverwaltung geschuldet und dient ihrer prozeduralen Absicherung. Der Gemeinde ist deshalb im Gesetzgebungsverfahren Gelegenheit zu geben, ihre Belange darzulegen und zu den Vor- und Nachteilen der Neugliederungsmaßnahme Stellung zu nehmen. Diese Gelegenheit bestand hier. Der Ausschuss für Inneres des Landtages hat der Beschwerdeführerin am 21.11.2002 Gelegenheit gegeben, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Die Beanstandungen, die sie gegen das (parlamentarische) Anhörungsverfahren erhebt, erweisen sich als unberechtigt. Der Anhörungstermin vom 21.11.2002 war nicht zu kurz angesetzt. Die Zeit für die Vorbereitung auf den Anhörungstermin am 21.11.2002 war hinreichend. Zwischen der Ladung zu dem Anhörungstermin und dem Anhörungstermin selbst lagen vier Wochen. Die erforderlichen Informationen standen vollständig zur Verfügung, und das Neugliederungsvorhaben war deutlich genug beschrieben. Im Übrigen war das Neugliederungsvorhaben mit, was die Eingemeindung nach Rangsdorf anbelangt, unverändertem Inhalt schon lange angekündigt, kam also nicht überraschend. Die Beschwerdeführerin war bereits im Vorfeld der Gesetzesinitiative der Landesregierung angehört und damit befasst worden. Sie hatte bereits im Frühsommer 2002 Gelegenheit gehabt, binnen eines Monats zu Gegenstand, Zielsetzung und Inhalt des damaligen Referentenentwurfes Stellung zu nehmen, und hierzu entsprechendes Material erhalten. Bereits damals hatte die Beschwerdeführerin eine neun Seiten umfassende „vorläufige Stellungnahme" abgegeben, gleichzeitig Fristverlängerung bis 30.9.2002 beantragt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin erst im Oktober 2002 im Rahmen der Anhörung zu dem förmlich eingebrachten und nicht wesentlich veränderten Gesetzentwurf Gutachten erstellen lassen will und hierfür erneut Fristverlängerung, nunmehr bis März 2003, verlangt. Vielmehr reichte es aus, dass, wie der Vorsitzende des Innenausschusses dem ehrenamtlichen Bürgermeister in der Anhörung am 21.11.2002 mitteilte (Ausschussprotokoll 3/660, S. 67), der Beschwerdeführerin für eine schriftliche Stellungnahme eine Nachfrist bis zum 6.12.2002 eingeräumt worden ist. Das 4. GemGebRefGBbg ist auf dieser Grundlage ohne Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Anhörungsrecht zustande gekommen. b) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf bleibt auch in der Sache selbst im Einklang mit der Landesverfassung. aa) In das Gebiet einer Gemeinde sowie — erst recht — in ihre körperschaftliche Existenz kann zufolge Art. 98 Abs. 1 LV nur aus Gründen des öffentlichen Wohls eingegriffen werden. Der Inhalt des Begriffes „öffentliches Wohl" ist dabei im konkreten Fall vom Gesetzgeber auszufüllen, dem in dieser Hinsicht grundsätzlich — in dem von der Verfassung gesteckten Rahmen — ein Beurteilungsspielraum

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und politische Gestaltungsfreiheit in dem Sinne zukommt, dass er Ziele, Leitbilder und Maßstäbe selbst festlegen kann. Das Verfassungsgericht überprüft zunächst, ob der Gesetzgeber den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zutreffend und umfassend ermittelt hat. Dabei ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht eingeschränkt (BVerfGE 50, 50, 51 - Laatzen; SächsVerfGH, Urt. v. 18.6.1999 - Vf. 51-VIII-98 - LVerfGE 10, 375, 394 - Markkleeberg und v. 5.11.1999 - Vf. 133-VII-98 - , UA S. 13; ThürVerfGH LVerfGE 5, 391, 427 f - Jena; Dombert NordÖR 2004, 6, 7 mwN; s. auch Stüer DVB1 1977, 1, 3; zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle gesetzlicher Planungsentscheidungen s. auch BVerfG, Beschl. v. 17.7.1996 - 2 BvF 2/93 - , BVerfGE 95, 1, 22 f - Südumfahrung Stendal; 76, 107, 121 f). Das Verfassungsgericht prüft sodann, ob der Gesetzgeber den ermittelten Sachverhalt seiner Regelung zutreffend zugrunde gelegt und die mit ihr einhergehenden Vor- und Nachteile in vertretbarer Weise gewichtet und in die Abwägung eingestellt hat. Hierbei darf sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen und hat seine Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Zielvorstellungen, Sachabwägungen, Wertungen und Einschätzungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlerhaft, lückenhaft oder eindeutig widerlegbar sind oder der verfassungsmäßigen Wertordnung widersprechen. Die Bevorzugung einzelner und die gleichzeitige Hintanstellung anderer Belange bleibt dem Gesetzgeber so weit überlassen, als das mit dem Eingriff in den Bestand der Kommunen verbundene Abwägungsergebnis zur Erreichung der verfolgten Zwecke nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig ist oder zu den angestrebten Zielen deutlich außer Verhältnis steht und frei von willkürlichen Erwägungen und Differenzierungen ist. Es ist dabei nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber die beste und zweckmäßigste Neugliederungsmaßnahme getroffen hat (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 18.6.1998 - VfGBbg 27/97 LVerfGE 8, 97, 169 f mwN und vom 29.8.2002 - VfGBbg 34/01 UA S. 20, LKV 2002, 573, 575; std. Rspr., zuletzt Beschl. v. 22.4.2004 - VfGBbg 182/03 - UA S. 16). Unter mehreren offensichtlich gleich gut geeigneten Lösungen muss der Gesetzgeber allerdings diejenige auswählen, die für die betroffene Gemeinde weniger belastend ist und in ihre Rechtssphäre weniger intensiv eingreift (VerfGH NW, Urt. v. 6.12.1975 - VerfGH 39/74 - , UA S. 31 f.; StGH BW, Urt. v. 14.2.1975 GR 11/74-, NJW 1975,1205,1212). bb) Nach diesen Grundsätzen hat sich hier der Gesetzgeber fehlerfrei auf den Standpunkt gestellt, dass für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen, und auf dieser Grundlage eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Regelung getroffen. Im Einzelnen: (1) Die allgemeinen, vom Gesetzgeber hier herangezogenen Kriterien für die kommunale Neugliederung halten sich im Rahmen des öffentlichen Wohls LVerfGE 15

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(Art. 98 Abs. 1 LV). Der Gesetzgeber beruft sich für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf wesentlich auf den Änderungsbedarf der brandenburgischen Gemeindestruktur in der Nähe zu Berlin (vgl. LTDrs. 3/4883, S. 293 sowie Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu § 17 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drs. 3/5550). (a) Die Einteilung des Landes in verschiedene Neugliederungsräume mit der Differenzierung zwischen engerem Verflechtungs- und äußerem Entwicklungsraum ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Der Gesetzgeber hat die Problematik des engeren Verflechtungsraumes ausführlich untersucht und beschrieben (s. Gesetzesbegründung zum 4. GemGebRefGBbg, LT-Drs. 3/4883, 5. 23 ff, 75 f). Wenn er annimmt, die beiden Teilräume des Landes unterschieden sich in einer Vielzahl von Kennziffern, etwa der Bevölkerungsdichte, Siedlungsdichte, Besiedlungsgrad, durchschnittliche Gemeindegröße, Bevölkerungsentwicklung, Wanderungssaldo, Anteil der Auspendler nach Berlin, Anteil der Einpendler in die Brandenburger Gebiete aus Berlin, Arbeitslosenquote etc. (vgl. LTDrs. 3/4883, S. 23 ff), so ist dies nicht offensichtlich fehlerhaft. Schon die Behebung von Strukturproblemen im Umland der größeren Orte innerhalb eines Bundeslandes ist ein Grund des öffentlichen Wohls, der eine kommunale Neugliederung zu rechtfertigen vermag, (Urt. v. 18.12.2003 - VfGBbg 101/03 - ; vgl. auch SachsVerfGH, SächsVBl 1999, 236, 239; ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, 639, 643; Hoppe/StüerOYSi 1992, 641, 642 f; v. Unruh/Thieme/Scheuner Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1981, S. 116, 118 f). Dies gilt entsprechend für die strukturellen Probleme, die sich aus der Nähe zu Berlin mit seinen ca. 3 Vi Millionen Einwohnern ergeben. Auch das Verhältnis zu Berlin wirft eine Reihe schwieriger und aufwendiger Abklärungs- und Koordinationsfragen auf, die Abstimmung und Absprache fordern. Wenn der Gesetzgeber mit 2a) aa) seines Leitbildes (LT-Drs. 3/4883, 19 ff) in einem Bereich um Berlin die amtsfreie Gemeinde zur Problembewältigung eines von Berlin ausgehenden Suburbanisierungsdruckes für angebrachter hält, so ist dies nicht offenkundig ungeeignet oder unnötig. Die Beibehaltung einer Amtsverfassung kann für dünner besiedelte Gebiete mit ausgedehnten Flächen und geringeren Wechselwirkungen zwischen den Gemeinden grundsätzlich anders behandelt werden als im - bei statthafter pauschalierender und typisierender Betrachtungsweise - deutlich dichter besiedelten Raum um Berlin mit stärkeren wechselseitigen Abhängigkeiten der Kommunen. Im Übrigen wäre die Teilung des Landes in verschiedene Neugliederungsräume auch aus Rücksichtnahme auf die politischen Kräfteverhältnisse im Landtag - zu der letzten Landtagswahl wurden zu der Frage der Gemeindegebietsreform und dem Erhalt der Amtsstruktur sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten — jedenfalls solange kein sachfremder Beweggrund, wie die in Kauf genommenen Lösungen zur Förderung des öffentlichen Wohls nicht offensichtlich fehlerhaft wären.

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(b) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber grundsätzlich zu Unrecht die Abgrenzung zwischen den beiden Neugliederungsräumen vorgenommen hätte, etwa aufgrund überholter Raumordnungspläne. Der Gesetzentwurf geht zwar offenkundig von den Festsetzungen nach § 4 S. 4 Nr. 1 iVm dem Anhang Β 1 des LEPro aus, in denen alle Ämter aufgeführt sind, welche sich im engeren Verflechtungsraum Brandenburg/Berlin befinden (s. auch die gemeindebezogene Auflistung Anlage 1 zum Landesplanungsvertrag, GVB1. 1998, 30). Mitarbeiter der gemeinsamen Landesplanungsabteilung Berlin/Brandenburg haben im Gesetzgebungsverfahren in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 23.10.2002 hierzu mitgeteilt, dass die Ausdehnung der beiden unterschiedlich geprägten Räume über die Zeit hinweg sich kaum geändert, sondern eine gewisse „Stabilität auch über die Zeit hinweg" gezeigt habe (Ausschussprotokoll 3/637, S. 94). Der engere Verflechtungsraum dehne sich in einigen Bereichen eher aus; es könne aber kein Beispiel genannt werden, wo es Abweichungen signifikanter Art gebe (Ausschussprotokoll 3/637, S. 96). Auf die Frage des Abgeordneten Schulde, ob ein Gebiet wegen eines tatsächlichen Entwicklungsdruckes dem engeren Verflechtungsraum zugeordnet wurde oder nur, weil es innerhalb eines bestimmten „Entfernungsrasters" liege, ist erläutert worden, dass die Entfernung zu Berlin nur einer der Indikatoren der Einstufung gewesen sei. In der Folge hat der Landtag die bisherige landesplanerische Einordnung lediglich als Indiz für die Lage im engeren Verflechtungsraum angesehen, sodann aber in einem zweiten Schritt geprüft, ob es „Hinweise und Kritiken auf eine aktuelle Entwicklung" gibt, „die die Datenbasis insoweit obsolet erscheinen" lassen (Beschluss des Innenausschusses vom 28.11.2002 zu Antrag Nr. 3 zur durchgeführten Anhörung vom 23.10.2002, Ausschussprotokoll 3/675) und damit im Gesetzgebungsverfahren geprüft, ob die Einordnung einer Gemeinde bzw. eines Amtes in den engeren Verflechtungsraum angesichts der tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahre noch trägt. Diese Vorgehensweise ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. (2) Der Gesetzgeber hat sich ausreichend mit den danach maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen befasst. Die örtlichen Verhältnisse sowohl in Hinsicht auf die allgemeinen Strukturprobleme, die sich aus der Nähe zu Berlin ergeben, als auch die besondere Verflechtung zwischen der Beschwerdeführerin und der Gemeinde Rangsdorf sind in den Gesetzesunterlagen zutreffend angesprochen (s. die Beschreibung der Gemeinde im „Neugliederungssachverhalt" in LT-Drs. 3/4883, S. 289 ff). Es gab keinen Anlass anzunehmen, die Beschwerdeführerin befinde sich nicht mehr im Umlandbereich zu Berlin. Die wesentlichen Strukturdaten wurden zutreffend ermittelt, etwa Haushaltssituation der Gemeinde, die Tatsache, dass ihr Gewerbesteueraufkommen das Zehnfache des Landesdurchschnitts ausmacht oder die örtlichen Pendlerströme, bei denen die hohe Zahl von Einpendlern auffällt, die auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin arbeiten. Unbeschadet dessen durfte der Gesetzgeber aber zugleich die übergreifende Situation im Bereich der Gemeinde Rangsdorf in den Blick nehmen. Die insoweit interessierenLVerfGE 15

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den Verhältnisse der Gemeinde Rangsdorf und der zur Einbeziehung in die Gemeinde Blankenfelde-Mahlow vorgesehenen Gemeinde Dahlewitz sind ebenfalls zureichend einbezogen (vgl. etwa die Darstellung zu der — die Beschwerdeführerin besonders beschäftigenden — finanziellen Situation der Gemeinde Rangsdorf LTDrs. 3/4883, S. 293). Nicht zu beanstanden ist auch, dass der Gesetzgeber dabei die Verflechtung zwischen Rangsdorf und der Beschwerdeführerin teils generalisierend („es kann davon ausgegangen werden") ermittelt hat (LT-Drs. 3/4883, S. 292). Der Gesetzgeber brauchte beispielsweise nicht die genaue Zahl der Schüler aufzuklären, die in Rangsdorf die Grund- oder eine der weiterfuhrenden Schulen besuchen, es genügt, dass er ermittelt hat, dass es in Rangsdorf vier Schulen (darunter zwei in Trägerschaft der Gemeinde), auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin hingegen keine gibt. Es ist alles in allem nachvollziehbar dargestellt, dass in größerem Umfang Verbindungen zwischen beiden Gemeinden bestehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob von dem Gesetzgeber sämtliche tatsächlichen Momente in allen Einzelheiten richtig erfasst und gewürdigt worden sind, etwa wie eng sich die Verflechtung tatsächlich darstellt. Wie verbunden die Gemeinden im Detail jetzt sind, ist nämlich bei der Prognoseentscheidung zu der Gemeindegebietsneugliederung ersichtlich von untergeordneter Bedeutung und somit auf die systemgerechte Durchführung der Maßnahme im Rahmen der Reform ohne ursächlichen Einfluss. Ins Gewicht fällt vielmehr nur, ob der Gesetzgeber die für die Durchführung des von ihm gewählten Leitbildes bestimmenden Elemente in ihrem wesentlichen Gehalt richtig erkannt und daraus sachgerechte Folgerungen gezogen hat. Illustriert der Gesetzgeber zur Verdeutlichung der Verflechtung die Lage in dem Neugliederungsraum mit einer Fülle von Beispielen, so muss er möglichen Hinweisen auf die Fehlerhaftigkeit dieses empirischen Materials nur nachgehen, wenn es greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, die von ihm belegte Schlussfolgerung sei unzutreffend. Nur wenn die Richtigkeit einer die Entscheidung tragenden Tatsache bestritten und es möglich ist, dass die Neugliederung anders ausgefallen wäre, besteht deshalb eine Nachprüfungspflicht für das Verfassungsgericht (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 10, 375, 398 „[mit-]entscheidend"; VerfGH NW, Urt. v. 6.12.1975 - VerfGH 39/74 - , UA S. 25; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1213). Derartige Tatsachen hat die Beschwerdeführerin indes nicht mitgeteilt. Wenn es etwa, wie der ehrenamtliche Bürgermeister der Beschwerdeführerin in der Anhörung am 21.11.2002 vor dem Innenausschuss ausführte, ein „evangelisches Pfarramt nach geltendem kirchlichen Recht" für die Beschwerdeführerin „nicht gibt" (weil der Pfarrsprengel nämlich weitere Orte umfasse) oder wenn „die Entfernung vom Ortsmittelpunkt Groß Machnow zur Verwaltung nach Rangsdorf' „unkorrekt" angegeben ist (Ausschussprotokoll 3/660, S. 59), ist die Verflechtung der Orte nicht grundlegend anders einzuschätzen.

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(3) Zur Bewältigung der vom Gesetzgeber benannten Strukturfragen ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf nicht offensichtlich ungeeignet. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht zu erkennen, dass das Ziel einer Bereinigung der Strukturprobleme im Rangsdorfer Bereich durch die Zusammenfiihrung in einen einheitlichen Aufgaben- und Verwaltungsraum eindeutig verfehlt würde. (4) Die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf ist nicht unverhältnismäßig. Freilich verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die für eine Auflösung der Gemeinde sprechenden Gründe des öffentlichen Wohls gegenüber den für den Fortbestand der einzugliedernden Gemeinde sprechenden Gründe erkennbar überwiegen (vgl. hierzu BayVerfGH, BayVBl 1981, 399, 400 f; s. auch NdsStGH OVGE 33, 497, 503; StGH BW, NJW 1975, 1205, 1211). Dies ist hier jedoch - nach der vertretbaren Wertung des Gesetzgebers - der Fall. Richtig ist, dass die kommunale Selbstverwaltung auch dazu dient, die Bürger zu integrieren, den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl („Heimat") zu vermitteln und damit die Grundlagen der Demokratie zu stärken. Von daher ist die Reform der Gemeindestruktur nicht ausschließlich an Rationalisierung und Verbesserung der Effizienz der Verwaltungsorganisation zu messen. Eine Gemeinde darf deshalb nicht ohne Berücksichtigung von Besonderheiten allein aus Gründen der Strukturbereinigung aufgelöst werden. Andernfalls kann der Eingriff in die Existenz einer Gemeinde und die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der örtlichen Verbundenheit außer Verhältnis zu dem angestrebten Vorteil geraten (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 29.8.2002 - VfGBbg 34/01 - (Kreuzbruch), UA S. 23, LKV 2002, 573 = NJ 2002, 642). Vorliegend erlangen indes nach der vertretbaren Abwägung des Gesetzgebers die für die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf sprechenden Gründe das größere Gewicht. Dem Gesetzgeber war die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung gegenwärtig. Er hat die Belange der Einwohner durchaus im Blick gehabt und sich damit, ablesbar aus der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs (s. LT-Drs. 3/4883, S. 294; s. auch S. 63 ff, 80 f) und den Beratungen im Landtag und seinen Ausschüssen (Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu § 17 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drs. 3/5550, S. 3 f), auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite hat er jedoch als gegenläufige Belange in zulässiger und vertretbarer Weise im Bereich Rangsdorf namentlich die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung durch die Zusammenführung in eine einheitliche Kommune, die bereits heute bestehenden engen Verflechtungsbeziehungen mit ausgeprägter Ergänzung von Gewerbe und Wohnen in dem Bereich, die Beseitigung der Exklaven-Situation des Rangsdorfer Ortsteiles Klein Kienitz sowie Gesichtspunkte der Raumordnung in seine Abwägung eingestellt und ihnen die größere Bedeutung beigemessen (vgl.

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LT-Drs. 3/4883, S. 294 ff sowie S. 3 der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu § 17 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drs. 3/5550). Weiterhin ist die Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf auch im Hinblick auf Entfernung nicht unverhältnismäßig. Dieselbe Entfernung besteht bisher zu dem Amtssitz. Städtebaulich ist die Beschwerdeführerin bereits mit der Gemeinde Rangsdorf verflochten, da das Südring-Center, wie die Karte zeigt, sich auf der östlichen Seite der Β 96 an die Rangsdorfer Wohngebiete östlich der Zülowseen und des Zabelsberges anschließt. (5) Auch im Übrigen lässt die Abwägung des Gesetzgebers keine seine Entscheidung in Frage stellenden Defizite erkennen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Gewichtung des Willens der Bevölkerung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die beiden als Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung aus der Gemeinde Groß Machnow eingegangenen Stellungnahmen mit Einwänden gegen die Eingliederung nach Rangsdorf sowie die Ergebnisse der im März 2002 durchgeführten Bürgerentscheide lagen im Landtag vor und sind damit in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen (vgl. LT-Drs. 3/4883, S. 287 f). An das sich daraus ergebende Stimmungsbild ist der Gesetzgeber aber nicht etwa gebunden. Das Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung stellt vielmehr nur ein Merkmal unter weiteren Gesichtspunkten dar, die für die Ermitdung der Gründe des öffentlichen Wohles und damit für die Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers von Bedeutung sind. Bei einer allgemeinen Gebietsreform geht es eben auch darum, größere Räume neu zu gliedern, so dass nicht nur örtliche Gegebenheiten — wie etwa die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern der einzelnen Gemeinde — ins Gewicht fallen. Hiervon ausgehend hat sich der Landtag in den Grenzen seiner Entscheidungsfreiheit bewegt, als er nicht dem Ergebnis der Anhörung der Bevölkerung gefolgt ist, sondern den für die Eingliederung der Beschwerdeführerin nach Rangsdorf sprechenden Umständen das größere Gewicht beigemessen hat. Auch das bestehende starke bürgerschaftliche Engagement in der Beschwerdeführerin steht der Eingliederung nicht entgegen. Eine kommunale Neugliederung setzt nicht voraus, dass Mängel in der bisherigen Aufgabenerfüllung bestehen oder eine Gemeinde keine ausreichende Verwaltungs- und Leistungskraft besitzt. Vielmehr kann auch eine angestrebte weitere Verbesserung der Verwaltung des Gesamtraumes die Neugliederung rechtfertigen. Dass die örtliche Verbundenheit der Einwohner und deren Teilnahme am Gemeindegeschehen dauerhaft beeinträchtigt oder gar beseitigt werden würde, vermag das Verfassungsgericht nicht zu erkennen. Für die Richtigkeit der Behauptung der Beschwerdeführerin, dass künftig mit einem erheblich verminderten bürgerschaftlichem Engagement zu rechnen sei, liegen keine überzeugenden Anhaltspunkte vor. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass schließlich beide bisherigen Orte zusammenwachsen und die Einwohner der Beschwerdeführerin sich neben ihrem Ortsteil auch dem vergrößerten Rangsdorf verbunden fühlen werden. Dies wird nicht LVerfGE 15

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zuletzt dadurch bestätigt, dass die Gemeindevertreter der Beschwerdeführerin einem Neugliederungsvertrag zu einem (schließlich nicht zustande gekommenen) freiwilligen Zusammenschluss von Rangsdorf und Groß Machnow vorbehaltlich des Ergebnisses eines Bürgerentscheides bereits zugestimmt hatten. Der Gesetzgeber war auch nicht durch die finanziellen Folgen an einer Eingliederung der Beschwerdeführerin in die Gemeinde Rangsdorf gehindert. Für die Beurteilung am Maßstab des öffentlichen Wohls im Sinne des Art. 98 Abs. 1 LV ist nicht ausschließlich oder auch nur in erster Linie entscheidend, welche Lösung für die Einwohner der einzelnen Gemeinde die meisten Vorteile bietet. Entscheidend ist vielmehr, welche Lösung den Interessen des gesamten neu zu gliedernden Verwaltungsraumes und seiner Bevölkerung sowie darüber hinaus der Gesamtbevölkerung des Landes am besten entspricht. Von dieser Erwägung hat sich der Gesetzgeber bei der Ausübung seines Ermessens leiten lassen. Erfahrungsgemäß kann der Wohlstand einer Gemeinde auf Lagevorteil — etwa einer verkehrsgünstigen Lage an der Schnittstelle zwischen Autobahn und Bundesstraße — beruhen, wenn auch die sich aus der vorteilhaften Lage ergebenden Chancen tatkräftig genutzt werden müssen. Umgekehrt kann Verschuldung jedenfalls teilweise aus Lagenachteilen herrühren, etwa wenn Infrastruktureinrichtungen unterhalten werden müssen, die zugleich den Menschen aus Nachbargemeinden zugute kommen, und gleichzeitig günstige Entwicklungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind oder durch bestehende (Wohn-)Bebauung nicht lohnend genutzt werden können. Eine Beteiligung aller Gemeinden an finanziellen Lasten des Gesamtraumes ist in derartigen Fällen nicht unangemessen. Der Gesetzgeber wäre allerdings gehindert, eine Gemeinde zu bilden, deren Finan^ausstattung emdent unzureichend sein wird und in der für eine gemeindliche Selbstverwaltung auf Dauer kein Raum mehr ist. Eine derartige Gemeinde führte lediglich ein „Scheindasein" (BVerfGE 1, 167, 175; vgl. auch Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 16.9.1998 - VfGBbg 28/98 LVerfGE 10, 237, 242). So liegen die Dinge aber bei der Beschwerdeführerin nicht, wie sich auch aus dem Hinweis des Rangsdorfer Bürgermeisters in der mündlichen Verhandlung auf den zu erwartenden ausgeglichenen Nachtragshaushalt ergibt. Auch die Beschwerdeführerin erwartet nicht, dass die vergrößerte Gemeinde zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft überhaupt nicht mehr in der Lage wäre. Vielmehr befürchtet sie, dass später kommunalpolitisch die falschen Prioritäten gesetzt werden und die insoweit frei verfügbaren Mittel nach „Alt-Rangsdorf' fließen. Damit gibt sie aber zugleich zu erkennen, dass sie auch für die Zukunft von Handlungsspielräumen ausgeht, über die das vergrößerte Rangsdorf verfügen wird. Letztlich sorgt sich die Beschwerdeführerin, künftig würden die vorhandenen Mittel, etwa für Straßenbau oder andere Infrastrukturmaßnahmen, nicht sinnvoll und gerecht auf das Gesamtgebiet verteilt. Die geschilderte kommunalpolitische Aufgabe, die es in jeder anderen aus Ortsteilen bestehenden Gemeinde gibt, lässt sich zudem, wie zahlreiche Beispiele LVerfGE 15

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zeigen, auch bei einer gewissen zweipoligen Gemeindestruktur mit Geschick so lösen, dass einzelne Ortsteile sich nicht dauernd ausgeschlossen fühlen. Der Gesetzgeber musste im Bereich Rangsdorf auch nicht das Amt erhalten, weil er andernorts im engeren Verflechtungsraum entsprechend verfahren war. Die Neugliederung verstößt in dieser Hinsicht nicht gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit. Insoweit entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Gemeindegebietsreform sein „System" nicht ohne hinreichende Begründung verlassen darf (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 - 2 BvR 165/75 - , BVerfGE 50, 50, 51 „Raum Hannover"; ThürVerfGH, Urt. v. 18.12.1996 - VerfGH 2/95 - , LVerfGE 5, 391, 422; BayVerfGH, Entsch. v. 20.4.1978 - Vf.6-VII-78 - , BayVBl 1978, 497, 503; hinsichtlich Kreisgebietsreform bereits das erkennende Gericht, Urt. v. 14.7.1994 - VfGBbg 4/93 - LVerfGE 2, 125, 142; vgl. auch Dreier in: Dreier, GrundgesetzKommentar, Bd. 2, 1998, Art. 28 Rn. 122; Tettinger in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, Art. 28 Rn. 233). Im Wesentlichen vergleichbare Neugliederungen müssen gleich behandelt werden. Regelungen, die ohne hinreichende Begründung das zugrunde liegende System verlassen, verstoßen gegen das öffentliche Wohl. Die Einschätzung des Gesetzgebers, es liege keine „vom Regelfall abweichende Situation vor" (LT-Drs. 3/4883, S. 294), ist indes nicht zu beanstanden. Dass gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit verstoßen worden wäre, ist schon im Ansatz nicht ersichtlich. Nach der Umsetzung der Neugliederung durch den Gesetzgeber kann es allerdings auch im engeren Verflechtungsraum im Ausnahmefall weiterhin Ämter geben, denn in einem Fall (Amt Spreenhagen (Landkreis Oder-Spree)) ist der Gesetzgeber vom Leitbild der Bildung amtsfreier Gemeinden abgewichen. Die Situation in diesem Amt ist jedoch mit der im Amt der Beschwerdeführerin nicht zu vergleichen. Schon die landschaftsräumliche Lage der dortigen Gemeinden unterscheidet sich deutlich von der Situation im Amt Rangsdorf. Die im Amt Spreenhagen außerordentlich weite Ost-West-Ausdehnung (ca. 35 km) sowie das Fehlen eines deutlich ausgeprägten Zentralortes, die heterogene Siedlungsstruktur, zudem mit der Ausrichtung auf unterschiedliche Zentralorte, lassen es als vertretbar, wenn nicht sogar als geboten erscheinen, für das Amt Spreenhagen eine atypische Konstellation anzunehmen. Die Unterschiede hinsichtlich der Situation im Amt Rangsdorf liegen auf der Hand (etwa: Bevölkerungszahl, geringere Entfernung der Ortslagen und der Fläche). Die Beschwerdeführerin führt demgegenüber vor allem ihre geringe Bevölkerungsdichte (72 Einwohner/km 2 ) und ihre landwirtschaftliche Prägung an. Dabei übersieht sie, dass ohnehin die Bevölkerungsdichte in dem Amt Spreenhagen mit 46 Einwohner/km 2 deutlich geringer ist und dass vor allem die insoweit ebenfalls in den Blick zu nehmende Gemeinde Rangsdorf wesentlich dichter besiedelt ist (432 Einwohner/km 2 ). Zwar mag auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin tatsächlich in Teilen, insbesondere in Richtung Mittenwalde und Ragow, in einigem Umfang LVerfGE 15

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Landwirtschaft betrieben werden. Für sich genommen führt dies indes weder zu einer, wie die Beschwerdeführerin anführt, „starken landwirtschaftlichen Prägung" noch zu einer mit dem äußeren Entwicklungsraum vergleichbaren Situation der Gemeinde. Die Beschwerdeführerin legt selbst dar, dass es ihr gelungen sei, vier prosperierende Gewerbegebiete zu entwickeln sowie das Südringcenter — ein Einkaufs· und Gewerbegebiet mit 39 Unternehmen und vielen hundert Arbeitsplätzen — in der Gemeinde anzusiedeln. In den Gemeinden des Amtes ist zudem — anders als regelmäßig im äußeren Entwicklungsraum — ein deutlicher Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen, so bei der Beschwerdeführerin von etwa 650 (1992) auf 1.200 (2001), in Rangsdorf im selben Zeitraum von 5.200 auf 7.350 Einwohner. Eine Abwägungsentscheidung zu der Eingliederung der Beschwerdeführerin in ein weiter bestehendes angrenzendes Nachbaramt durch den Gesetzgeber (vgl. dazu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 29.8.2002 - VfGBbg 34/01 - [Kreuzbruch], UA S. 19, LKV 2002, 573 = NJ 2002, 642) musste dieser schon deswegen nicht vornehmen, weil es angrenzend — in erster Linie wohl schon wegen der Lage im engeren Verflechtungsraum — ausschließlich amtsfreie Gemeinden geben soll. c) Auch die Einbeziehung der Gemeinde Dahlewitz (bisher, wie die Beschwerdeführerin, Amt Rangsdorf) in die Gemeinde Blankenfelde-Mahlow verletzt keine Rechte der Beschwerdeführerin aus der Landesverfassung. aa) Der Einwand der Beschwerdeführerin, eine ohne die Gemeinde Dahlewitz gebildete Gemeinde Rangsdorf sei zu finanzschwach, es gelte ein „Gebot der Konfliktverlagerung", greift nicht. Der Gesetzgeber darf zwar keine Gemeinde bilden, deren Finan^ausstattung evident unzureichend sein wird (s.o.). Hierzu hat die Beschwerdeführerin allerdings nur vorgebracht, dass die jetzige Gemeinde Rangsdorf leistungsschwach sei und dass allein die beiden eher kleinen Gemeinden Dahlewitz und die Beschwerdeführerin über Investitionskraft verfügten. Dies genügt nicht. Es erscheint zwar nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin auf eine Einbeziehung der wohlhabenden Gemeinde Dahlewitz in die vergrößerte Gemeinde Rangsdorf Wert legt, obwohl sie keinerlei nähere Angaben zu den finanziellen Einzelheiten nennt. Dem Gericht erschließt sich aber nicht, wie bereits erwähnt, weshalb die vergrößerte Gemeinde Rangsdorf ohne Einbeziehung von Dahlewitz finanziell handlungsunfähig sein soll. Hierzu hat die Beschwerdeführerin nichts Geeignetes vorgebracht. Eigenes Wirtschaften mit Einnahmen und Ausgaben, gemeindliche Selbstverwaltung durch eigenverantwortliche Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ist der vergrößerten Gemeinde Rangsdorf auch ohne Einbeziehung von Dahlewitz nicht aus der Hand genommen. bb) Das „Ausgliedern" von Dahlewitz verstößt nicht gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit. Im Leitbild heißt es allerdings unter 2. d) bb), dass GemeinLVerfGE 15

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dezusammenschlüsse innerhalb der Grenzen der bestehenden Amter erfolgen sollen. Abweichungen von den bisherigen Amtsgrenzen können insbesondere im Interesse der Stärkung der Zentralorte sowie zur Schaffung von Verwaltungseinheiten annähernd gleicher Verwaltungskraft geboten sein (LT-Drs. 3/4883, S. 21). Zwar ist keine dieser beiden nach dem Leitbild zulässigen Ausnahmen, auch nach Auffassung des Gesetzgebers (vgl. LT-Drs. 3/4883, S. 282), vorliegend gegeben, denn die Gemeinde Blankenfelde-Mahlow ist kein zu stärkender Zentralort, auch ist die Verwaltungskraft des mehr als 20.000 Einwohner umfassenden Ortes Blankenfelde-Mahlow selbst ohne Dahlewitz schon stärker als die vieler anderer amtsfreier Gemeinden. Sachliche Gründe können es indes erlauben, den Rahmen der vom Leitbild vorgegebenen allgemeinen Kriterien zu verlassen, das Leitbild kann ergänzt werden. Um nicht die Grenzen der Beliebigkeit zu überschreiten, müssen sich solche nur im Einzelfall herangezogenen maßgeblichen Kriterien auf tatsächlich festgestellte, nachvollziehbare regionale Gegebenheiten oder Besonderheiten stützen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 27.5.2004 — VfGBbg 138/03 -). Solche Besonderheiten können enge Beziehungen zu Gemeinden eines Nachbaramtes, aber auch Hindernisse natürlicher oder technischer Art (Autobahnen, Flüsse, Freiflächen, Wälder oder Seen) zwischen den bisherigen Gemeinden des Amtes sein, die einer baulichen Verflechtung oder der Herausbildung einer neuen gemeinsamen gemeindlichen Identität im Wege stehen. Eben solche Eigenheiten hat der Gesetzgeber hier in vertretbarer Weise angenommen; er durfte deshalb von seinem Leitbild abweichen. Dabei hat der Gesetzgeber, anders als die Beschwerdeführerin annimmt, seine Entscheidung jedenfalls nicht ausdrücklich auf die trennende Wirkung der A 10 (hier mit 6 Fahrbahnen) gestützt, die zu mangelnder Siedlungsverflechtung zwischen nördlichen und südlichen Ortsteilen eines um Dahlewitz vergrößerten Rangsdorf führen könnte (wobei letztlich allerdings auch nachvollziehbar wäre, dass durch die kommunale Neugliederung Orte geschaffen werden sollen, deren Ortsteile nicht durch eine zwischen ihnen hindurchführende Autobahn dauerhaft getrennt wären und die auch städtebaulich zusammenwachsen können). Vielmehr hat er die (durch Karten bestätigte) Raum- und Siedlungsstruktur sowie Stellungnahmen der Beschwerdeführerin und der Gemeinde Dahlewitz sowie des Landrates des Landkreises Teltow-Fläming („Korrektur [eines] Fehlers aus der Zeit der Ämterbildung", Ausschussprotokoll 3/660, S. 5) berücksichtigt und angenommen, die Gemeinden Mahlow, Blankenfelde und Dahlewitz bildeten eine „strukturelle Einheit mit vorstädtischem Charakter" (LT-Drs. 3/4883, S. 282, dem folgend Beschlussempfehlungen des Innenausschusses zu §§16, 17 des 4. GemGebRefGBbg, Anlage 2 zu LT-Drs. 3/5550). Das ist nicht zu beanstanden. Weite Teile der Gemeinde Dahlewitz grenzten schon bislang an Gemeinden des Nachbaramtes Blankenfelde-Mahlow. Der Ort ist nahezu umgeben von Ortschaften dieses Amtes und städtebaulich, etwa am Dahlewitzer Bahnhof, eng mit Blankenfelde verflochten. Schon in der Vergangenheit gab es wiederholt (allerLVerfGE 15

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dings ergebnislose) Bestrebungen in Dahlewitz, sich — wenn auch zu anderen Bedingungen — der Gemeinde Blankenfelde anzuschließen. Hiervon ausgehend hat der Landtag Rechte aus der Landesverfassung der Beschwerdeführerin nicht verletzt, als er den für die Einbeziehung Dahlewitz' in die neue Gemeinde Blankenfelde-Mahlow sprechenden Umständen das größere Gewicht beigemessen hat.

Nr. 3* Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 Verfassung des Landes Brandenburg gebietet, § 114 Zivilprozessordnung so auszulegen, dass einer unbemittelten Partei die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vergleich zu einer bemittelten Partei nicht unverhältnismäßig erschwert wird. Daher darf weder die abschließende Prüfung des geltend gemachten Anspruchs in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert, noch die Pflicht zum substantiierten Sachvortrag für das Verfahren der Prozesskostenhilfe überspannt werden.** Verfassung des Landes Brandenburg Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg §§ 32 Abs. 7; 50 Abs. 3 Zivilprozessordnung § 114 Verwaltungsgerichtsordnung § 155 Abs. 1 Satz 3

B e s c h l u s s vom 26. August 2004 - V f G B b g 10/04 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren des M. gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes vom 16. Februar 2004 sowie in den Verfahren vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht... und .... Entscheidungsformel: 1. Der Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 16. Februar 2004 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor Gericht (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 Verfassung des Landes Brandenburg). Er wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Brandenburgische

Abdruck auch in: JMB1 2004, 110. Nichtamtliche Leitsätze. LVerfGE 15

Versagung von Prozesskostenhilfe

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Oberlandesgeiicht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen. 2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: A. Der Beschwerdeführer wendet sich im Wesentlichen gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die Durchsetzung eines Staatshaftungsanspruchs durch den Beschluss des Brandenburgischen OLG vom 16.2.2004. I. Der Beschwerdeführer errichtet gewerbsmäßig großflächige Werbetafeln, die nach den Bestimmungen der Brandenburgischen Bauordnung (BbgBauO) genehmigungspflichtig sind. Er beantragte unter dem 20.10.1996 die Genehmigung zur Errichtung von sieben Werbetafeln (3,8 m χ 2,8 m) auf einem vormals als Tankstelle genutzten Grundstück. Die Bauaufsichtsbehörde versagte die Genehmigung, da das Vorhaben eine störende Häufung von Werbeanlagen darstelle. Der Widerspruch blieb erfolglos, da nach Auffassung der Widerspruchsbehörde jedenfalls die Voraussetzungen des § 13 Abs. 4 BbgBauO a.F. (in allgemeinen Wohngebieten sind Werbeanlagen nur als Hinweisschilder an der Stätte der Leistung zulässig) nicht vorlägen. Die sodann erhobene Anfechtungsklage, die der Beschwerdeführer nachträglich auf zwei Werbetafeln beschränkte, wies das VG ab, da der Bauantrag „infolge Fehlens hinreichender Bauvorlagen nicht bescheidungsfähig" sei und - unter Verweis auf die Rechtsprechung des OVG für das Land Brandenburg - die fehlende Bauvorlage auch nicht nachträglich bei Gericht eingereicht werden könne. Vielmehr hätte der Beschwerdeführer diese bei der unteren Bauaufsichtsbehörde einreichen müssen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb nach Angaben des Beschwerdeführers vor dem OVG für das Land Brandenburg ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer erhob sodann Amtshaftungsklage vor dem LG Potsdam und begehrte zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Zum einen sei die Ablehnung durch die Baubehörde rechtswidrig, da eine störende Häufung von Werbetafeln nicht - jedenfalls nach der teilweisen Klagerücknahme nicht mehr vorliege. Zum anderen habe die Bauaufsichtsbehörde es verabsäumt, den Beschwerdeführer binnen der maßgeblichen 2-Wochen-Frist auf die Unvollständigkeit seiner Unterlagen hinzuweisen und diese unverzüglich nachzufordern (§71 Abs. 1 BbgBauO a.F. - vgl. § 63 Abs. 1 und 2 BbgBauO n.F.). Die gegen die landgerichtliche Zurückweisung des Antrags auf Gewährung von ProzesskostenLVerfGE 15

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hilfe eingelegte sofortige Beschwerde wies das OLG durch den angegriffenen Beschluss zurück, da der Amtshaftungsanspruch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Es könne dahinstehen, ob eine Amtspflichtverletzung darin liege, dass die Genehmigungsbehörde nicht auf die Vervollständigung der Bauvorlage hingewirkt habe, da dem Beschwerdeführer mangels nachgewiesener Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens jedenfalls kein Schaden entstanden sei. Das OLG führt dazu aus: „Diese Genehmigungsfähigkeit kann der Senat indes ohne entsprechende Bauvorlage nicht prüfen. Den Geschädigten trifft im Amtshaftungsprozess die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehung eines Schadens aufgrund einer Amtspflichtverletzung... Zur Darlegung eines Schadens im Falle der Nichtgenehmigung eines Bauvorhabens wegen des Fehlens von Bauvorlagen gehört der Vortrag, wie der Antragsteller bei Erteilung eines Hinweises auf die Mangelhaftigkeit seiner Antragsunterlagen seinen Antrag ergänzt hätte, um die begehrte Genehmigung zu erlangen. Ohne einen solchen Vortrag dieser allein in der Sphäre des Geschädigten liegenden Umstände wird das Gericht, das über den Amtshaftungsanspruch zu entscheiden hat, nicht in die Lage versetzt, die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens als Voraussetzung für die Entstehung eines Schadens zu prüfen. Insbesondere bedarf es vorliegend einer Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 12 BbgBauO [vgl. § 8 BbgBauO n.F.] in der seinerzeit geltenden Fassung vorlagen. Zu prüfen ist, ob die baulichen Anlagen so gestaltet sind, dass sie nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe verunstaltend wirken, ferner, ob sie mit ihrer Umgebung derart in Einklang zu bringen sind, dass sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten oder deren beabsichtigte Gestaltung nicht stören ... Der bisherige Vortrag des Antragstellers versetzt den Senat nicht in die Lage eine solche Prüfung abschließend durchzuführen. Ebenso wenig hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren den - gebotenen - Nachweis der Standsicherheit erbracht. Darüber hinaus hat der Senat - worauf es vorliegend nicht mehr ankommt — Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens auch im Falle der Vorlage ordnungsgemäßer Bauvorlagen ...".

II. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 24.2.2004 erhobenen Beschwerde die Verletzung seiner durch die Verfassung des Landes Brandenburg (LV) verbürgten Rechte aus Art. 5, 6, 12, 42 und 52. Er ist der Auffassung, das OLG überspanne in dem angegriffenen Beschluss die an die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu stellenden Anforderungen. Überdies möchte der Beschwerdeführer zwei weitere „noch schwebende Verfahren ... in dieser Beschwerde berücksichtigt haben". III. Der Präsident des Brandenburgischen OLG sowie der Landkreis PotsdamMittelmark als untere Bauaufsichtsbehörde haben Gelegenheit zur Stellungnahme LVerfGE 15

Versagung von Prozesskostenhilfe

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erhalten. Der Landkreis meint, dass die Verfassungsbeschwerde mangels Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zurückzuweisen sei; das Landesverfassungsgericht sei keine „Superrevisionsinstanz". Die Verfahrensakte ist beigezogen worden. B. Die Verfassungsbeschwerde hat im Wesentlichen Erfolg. I. 1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die nach eigenen Angaben noch schwebenden Verfahren vor dem OLG wendet, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls mangels gegenwärtiger Beschwer unzulässig. 2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. a) Die Beschwerdebefugnis ergibt sich jedenfalls aus Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV, so dass es auf eine Verletzung des Beschwerdeführers in den anderen als verletzt gerügten Bestimmungen der Landesverfassung nicht ankommt. b) Die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde ist gewahrt (§ 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtgesetz Brandenburg — VerfGGBbg -). c) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass die Verletzung eines Landesgrundrechts im Rahmen eines bundesrechtlich — hier durch die Zivilprozessordnung — geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, std. Rspr. seit Besch! v. 16.4.1998 - VfGBbg 1/98 LVerfGE 8, 82, 84 f unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff; zuletzt Beschl. v. 27.5.2004 - VfGBbg 23/04 und 6/04 EA - ) sind gegeben. Der Schutzbereich des Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV - Gleichheit vor Gericht - stimmt mit dem des Art. 3 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) insoweit überein. Beide Vorschriften gebieten für das Recht der Prozesskostenhilfe eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347, 356 ff mwN). II. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, hat sie auch in der Sache Erfolg. Der Beschluss des OLG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Gleichheit vor Gericht (Art. 52 Abs. 3 Alt. 1 LV). 1. Das Landesverfassungsgericht schließt sich für die Rechtslage im Land Brandenburg der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu der verfassungsLVerfGE 15

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gerichtlichen Prüfungsdichte in Fällen der Verweigerung von Prozesskostenhilfe an: „Die Auslegung und Anwendung des § 114 S. 1 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den — verfassungsgebotenen — Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139, 144 mwN). Hierbei hat es zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in engem Zusammenhang mit der den Fachgerichten vorbehaltenen Feststellung und Würdigung des jeweils entscheidungserheblichen Sachverhalts und der ihnen gleichfalls obliegenden Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen materiellen und prozessualen Rechts steht. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (BVerfGE 81, 347, 358)" (BVerfG, Beschl. v. 10.8.2001 www.bverfg.de).

2 BvR 569/01 - , Absatz Nr. 20,

2. Diesen Grundsätzen wird der angegriffene Beschluss nicht gerecht. Das OLG überspannt die Anforderungen, die an die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu stellen sind, da es die (abschließende) Prüfung des geltend gemachten Anspruchs in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert, so dass dieses zumindest im Kern an die Stelle des Hauptsacheverfahrens tritt (vgl. dazu: BVerfG, Beschl. v. 18.12.2003 - 1 BvR 918/03 Absatz Nr. 10, www.bverfg.de). Es erlegt dem Beschwerdeführer überdies eine für das Verfahren der Prozesskostenhilfe überzogene Pflicht zur Substantiierung seines Vortrage auf. a) Das OLG hält es für geboten, im Prozesskostenhilfeverfahren vollumfänglich und abschließend die Voraussetzungen des § 12 BbgBauO a.F. zu prüfen. Es trennt damit nur unzureichend zwischen summarischem Prozesskostenhilfeverfahren einerseits und abschließender Beurteilung der Rechtslage im Hauptsacheverfahren andererseits. Der Rechtsnatur des Prozesskostenhilfeverfahrens folgend, stand jedoch zunächst nur zur Entscheidung an, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Der umfangreiche Voraussetzungskatalog des § 12 BbgBauO a.F. setzt eine genaue Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse voraus, da insbesondere zu prüfen ist, ob das Straßen-, LVerfGE 15

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Orts- und Landschaftsbild nicht verunstaltet wird. Tatsachen- und Rechtsfragen, die nicht eindeutig beantwortet werden können, bedürfen jedoch der Klärung im Hauptsacheverfahren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.2001 - 2 BvR 569/01 - , Absatz Nr. 25, www.bverfg.de). Überdies überspannt das OLG die Substantiierungspflicht im Prozesskostenhilfeverfahren. Wegen der lediglich gebotenen summarischen Prüfung war der Beschwerdeführer nach Lage des Falles nicht gehalten, sämtliche Vorlagen, die für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 12 BbgBauO a.F. erforderlich sind, bereits vollständig im Prozesskostenhilfeverfahren einzureichen. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, dass zunächst (summarisch) die Erfolgsaussichten beurteilt werden und er dann - ggf. sogar aufgrund der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) — fehlende Unterlagen noch nachreichen kann. Selbes gilt für den vom Beschwerdeführer nicht erbrachten Nachweis der Standsicherheit. b) Ob die übrigen Erwägungen des OLG den angegriffenen Beschluss in verfassungsgemäßer Weise tragen würden, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Das OLG hat ausdrücklich offen gelassen, ob eine Amtspflichtverletzung durch die fehlende Hinwirkung auf die Vervollständigung der Bauvorlagen bereits deshalb entfällt, da die Bauaufsichtsbehörde das Vorhaben bereits aus andere Gründen — hier: unzulässige Häufung — für nicht genehmigungs fähig hielt. Ebenso begründet die Frage, ob das Vorhaben überhaupt genehmigungs fähig ist, nach Auffassung des OLG lediglich „Zweifel", ohne den Beschluss zu tragen. 3. Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die sich aus dem Grundsatz der Gleichheit vor Gericht ergebenden Anforderungen an das Prozesskostenhilfeverfahren beachtet hätte. Dem Landesverfassungsgericht ist es verwehrt zu beurteilen, ob die vorstehend zu 2. c) angeführten Nebenerwägungen den angegriffenen Beschluss jedenfalls im Ergebnis tragen. Für das verfassungsgerichtliche Verfahren ist allein maßgeblich, dass die vom OLG als tragend erachtete Begründung den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht wird. III. Gem. § 50 Abs. 3 VerfGGBbg ist der angegriffene Beschluss des Brandenburgischen OLG aufzuheben und das Verfahren an das Brandenburgische OLG zurückzuverweisen. C. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 32 Abs. 7 VerfGGBbg. Dem Rechtsgedanken des §155 Abs. 1 S. 3 Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend war hier die volle LVerfGE 15

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Kostenerstattung anzuordnen. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Kernanliegen obsiegt.

Nr. 4 Zur Eignung der neuen Amtsverwaltung für die Erfüllung der gegenwärtigen und absehbar künftig anstehenden kommunalen Aufgaben im Fall eines Amterzusammenschlusses.* Verfassung des Landes Brandenburg Art. 97 Abs. 1 Satz 1

B e s c h l u s s vom 18. N o v e m b e r 2004 - V f G B b g 213/03 in dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren der Stadt Lieberose, vertreten durch das Amt Lieberose, dieses vertreten durch den Amtsdirektor, wegen: kommunaler Neugliederung; hier: Ämterzusammenschluss zu neuem Amt Lieberose/Oberspreewald, Zuordnung der Stadt Lieberose. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird teils verworfen, im Übrigen zurückgewiesen. Gründe: A. Die Beschwerdeführerin, eine bisher dem Amt Lieberose angehörende Gemeinde, wehrt sich gegen ihre Zuordnung zum durch Ämterzusammenschluss gebildeten Amt Lieberose/Oberspreewald. I. 1. Die Antragstellerin, eine amtsangehörige Gemeinde im äußeren Entwicklungsraum des Landes Brandenburg, gehörte zunächst zum nach dem sog. Modell 1 gebildeten Amt Lieberose. Ende 2001 lebten von den etwa 4.100 Einwohnern des Amtsgebiets Lieberose knapp 1.600 im Gebiet der Beschwerdeführerin, wei*

Nichtamtlicher Leitsatz.

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tere 120 in Doberburg; im Amtsgebiet Oberspreewald mit dem Amtssitz Straupitz (ca. 1.160 Einwohner) lebten ca. 4.560 Einwohner. Die Beschwerdeführerin und eine weitere Gemeinde dieses Amtes sowie eine des Amtes Oberspreewald wiesen eine hohe Verschuldung auf. Die Haushalte der Ämter sowie zweier Gemeinden des Amtes Lieberose und weiterer zehn Gemeinden des Amtes Oberspreewald waren ausgeglichen. 2. Ende April/Anfang Mai 2002 versandte das Ministerium des Innern Anhörungsunterlagen fur eine Anhörung der Beschwerdeführerin zu der beabsichtigten kommunalen Neugliederung mit der Gelegenheit zur Stellungnahme. In den ersten beiden Maiwochen wurden auch die Anhörungsunterlagen fur die Anhörung der Bevölkerung an den Landrat des Landkreises Dahme-Spreewald versandt. Für die Anhörung der Bürger stand ein Monat zur Verfügung. Die Anhörung sollte vor dem Ende der Gemeindeanhörung abgeschlossen sein. 3. Im September/Oktober desselben Jahres brachte die Landesregierung sechs Gesetzentwürfe zur landesweiten Gemeindegebietsreform in den Landtag ein. Art. 1 § 3 des Entwurfs zum sechsten dieser Gesetze, zugleich § 3 des Gesetzes zur landesweiten Gemeindegebietsreform betreffend die Landkreise DahmeSpreewald, Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Spree-Neiße (6. GemGebRefGBbg) sah u.a. vor, die durch Eingliederung einer weiteren Gemeinde vergrößerte Beschwerdeführerin dem nach Zusammenschluss der bisherigen Nachbarämter künftig aus acht Gemeinden bestehenden Amt Lieberose/Oberspreewald zuzuordnen. Der Innenausschuss des Landtages, an den die Gesetzentwürfe nach der ersten Lesung verwiesen worden waren, führte am 23.10.2002 vorab eine Anhörung zu grundsätzlichen Fragen durch. Für den 27.1.2003 erging zur Anhörung der Beschwerdeführerin eine Einladung an die ehrenamtliche Bürgermeisterin, die vor dem Ausschuss Stellung zu dem Vorhaben nahm. Die Gesetze wurden sodann im Frühjahr 2003 vom Landtag verabschiedet. § 3 des 6. GemGebRefGBbg vom 24.3.2003 (GVB1. I S. 93), am Tag der landesweiten Kommunalwahlen (26.10.2003) in Kraft getreten (s. Art. 6 des Artikelgesetzes), lautet:

§3

Verwaltungseinheiten Ämter Lieberose und Oberspreewald (1) Die Gemeinde Doberburg wird in die Stadt Lieberose eingegliedert. (2) Aus den Gemeinden Goyatz, Lamsfeld-Groß Liebitz, Jessern, Mochow, Ressen-Zaue und Speichrow wird die neue Gemeinde Schwielochsee gebildet. (3) Die Gemeinden Ullersdorf und Leeskow werden in die Gemeinde Jamlitz eingegliedert. LVerfGE 15

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Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (4) Die Gemeinde Briesensee wird in die Gemeinde Neu Zauche eingegliedert. (5) Die Ämter Lieberose und Oberspreewald werden zu dem neuen Amt Lieberose/ Oberspreewald zusammengeschlossen. (6) Die Gemeinde Jamlitz, die Stadt Lieberose und die neue Gemeinde Schwielochsee des Amtes Lieberose und die Gemeinden Neu Zauche, Straupitz und die sich zum Tag der nächsten landesweiten Kommunalwahlen neu gebildeten Gemeinden Alt Zauche-Wußwerk, Byhleguhre-Byhlen sowie Spreewaldheide des Amtes Oberspreewald werden dem neuen Amt Lieberose/Oberspreewald zugeordnet. II.

Die Beschwerdeführerin hat am 28.7.2003 kommunale Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht geltend, die sie und die Ämter Lieberose und Oberspreewald betreffende kommunale Neugliederung sei schon deshalb verfassungswidrig, weil weder die Bevölkerung des unmittelbar betroffenen Gebietes noch sie selbst (als Gemeinde) ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Anhörungsfehler seien „absolute Nichtigkeitsgründe". Auf Fragen der Kausalität komme es nicht an. Der der Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde liegende Sachverhalt sei in vielfacher Hinsicht unzutreffend und unvollständig festgestellt worden, der Abwägungsvorgang sei fehlerhaft. So seien einige Ergebnisse von Bürgeranhörungen und sonstige Stellungnahmen unrichtig wiedergegeben worden, zwischen der Beschwerdeführerin und Straupitz bestehe keine Verbindung des öffentlichen Personennahverkehrs. Mit dem bisherigen Amt Oberspreewald bestünden seit jeher kaum Gemeinsamkeiten. Den Gemeinden des Amtes Lieberose dürften nicht ungewöhnlich große Defizite des Haushalts des Amtes Oberspreewald, etwa infolge des Schulausbaus, auferlegt werden. Der Gesetzgeber habe in anderen Fällen einwohnerschwacher Ämter die Bildung einer Einheitsgemeinde zugelassen bzw. angeordnet; wegen der Einwohnerzahl sei ein Zusammenschluss der Ämter nicht geboten. Im nach Ansicht der Beschwerdeführerin vergleichbaren Fall der bisherigen Ämter Niederer Fläming und Dahme/Mark habe der Gesetzgeber letztlich vom Zusammenschluss zu einem größeren Amt abgesehen und neben dem Amt Dahme/Mark eine Einheitsgemeinde Niederer Fläming bestehen lassen, wobei u.a. die Entfernung von weit mehr als 20 km von den am weitesten entfernten potentiellen Ortsteilen zum Amtssitz maßgeblich gewesen sei und eine Anzahl von nur knapp 4.000 Einwohnern der Bildung einer amtsfreien Gemeinde nicht entgegengestanden habe. Das Amt Lieberose/Oberspreewald werde eine Ausdehnung von bis zu 40 km haben. Die vom Gesetzgeber angeführten Bezugsfälle der Ämterzusammenschlüsse von Döbern-Land und (teilweise) Hornow-Simmersdorf sowie von Peitz und Jänschwalde beträfen andere Situationen. Die Anzahl von acht dem neuen Amt angehörigen Gemeinden widerspreche den Leitbildvorgaben. Der Ämterzusammenschluss stelle keinen milderen Eingriff dar, weil die LVerfGE 15

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Gemeinden des Amtes Lieberose die Bildung einer Großgemeinde unter sich stets dem Ämterzusammenschluss vorgezogen hätten. Gemeinsamkeiten oder geschichtliche Verbindungen, die einen Amterzusammenschluss rechtfertigen könnten, gebe es nicht. Das Gesetz verstoße gegen das Willkürverbot. Weil schon die Zwangsvereinigungen einiger Gemeinden des Amtes Lieberose verfassungsrechtswidrig seien, sei die Grundlage für den Ämterzusammenschluss entfallen. Die Bürgermeisterin ergänzte, seit der Ämterfusion habe sich eine Praxis herausgebildet, dass im Amtsausschuss die Vertreter der auf dem Gebiet des früheren Amtes Oberspreewald gelegenen Gemeinden mit ihrem Stimmenübergewicht die übrigen Gemeinden regelmäßig überstimmten. Dies sei z.B. bei Personalentscheidungen der Fall. Es herrsche eine Verwaltungswillkür des Amtsdirektors und des Amtsausschusses. Eine Entscheidung für einen einzigen Amtssit2 stehe noch aus, doch sei zu befürchten, dass eine solche zulasten von Lieberose ausfalle, zumal bereits einige Verwaltungsabteilungen von Lieberose nach Straupitz verlegt worden seien. Die Beschwerdeführerin beantragt festzustellen: § 3 des Sechsten Gemeindegebietsreformgesetzes Brandenburg verletzt die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsmäßigen Rechten und ist deshalb nichtig.

III. Der Landtag Brandenburg, die Landesregierung und der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. B. Die kommunale Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. I. Sie ist nur in begrenztem Umfang zulässig. 1. Insoweit sich die Beschwerdeführerin gegen die sie gar nicht erwähnenden Absätze 2 bis 4 dieser Vorschrift wendet, ist der Antrag unzulässig. Eine eigene Betroffenheit hat sie bezogen auf diese Absätze nicht dargelegt (zum Erfordernis eigener Betroffenheit bei der kommunalen Verfassungsbeschwerde: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 29.8.2002 - VfGBbg 34/01 - , NJ 2002, 642 = LKV 2002, 573). 2. Auch sofern die kommunale Verfassungsbeschwerde sich dagegen wendet, dass nach § 3 Abs. 1 des 6. GemGebRefGBbg die Gemeinde Doberburg mit ca. 120 Einwohnern in die Beschwerdeführerin eingegliedert wird, fehlt jeglicher konkreter Vortrag und wird eine eigene Betroffenheit nicht dargelegt. Eine (nachteilige) Gebietsänderung iSd Art. 98 Abs. 1, Abs. 2 Verfassung des Landes LVerfGE 15

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Brandenburg (LV) steht für die Beschwerdeführerin nicht in Rede, zumal die Änderung des Amtsgebietes nicht zugleich Änderung eines Gemeindeverbandsgebietes ist (vgl. dazu, dass ein Amt kein Gemeindeverband iSv Art. 98 ff LV ist: Besch! v. 21.1.1998 - VfGBbg 8/97 - , LVerfGE 8, 71). 3. Unzulässig ist das Begehren auch in weitem Maße, so es gegen den (hier in § 3 Abs. 5 und Abs. 6 des 6. GemGebRefGBbg bestimmten) Zusammenschluss der bisherigen Ämter Lieberose und Oberspreewald unter Zuordnung mehrerer Gemeinden einschließlich der Beschwerdeführerin gerichtet ist. Insoweit ist die Beschwerdeführerin nur in begrenztem Umfang und gestützt auf die Selbstverwaltungsgarantie (Art. 97 Abs. 1 S. 1 LV) beschwerdebefugt. Eine amtsangehörige Gemeinde kann nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichtes, die entsprechend der (bloßen) verwaltungsmäßigen Hilfsfunktion des — wie immer zustande gekommenen bisherigen — Amtes für jedwede spätere Änderung der Amtszuordnung zu gelten hat, lediglich beanspruchen, dass ihr überhaupt eine geeignete (Amts-)Verwaltung, nicht aber, dass sie ihr in der bisherigen Form und in dem bisherigen Zuschnitt zur Verfügung steht (Besch! v. 16.5.2002 - VfGBbg 57/01 LKV 2002, 515 sowie Urt. v. 29.8.2002 - VfGBbg 34/01 - , LKV 2002, 573, 574). Festzuhalten an dem einmal gefundenen Zuschnitt der (Amts-)Verwaltung oder eine bestimmte Ämterneugliederungsalternative zu erzwingen, ist im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde grundsätzlich nicht möglich. Deshalb verbleibt der Beschwerdeführerin, nachdem der Gesetzgeber seiner grundlegenden Pflicht, der weiterhin selbständigen amtsangehörigen Gemeinde eine Verwaltung — durch Zuordnung zu einem Amt bzw. Bildung eines neuen Amtes — zur Verfügung zu stellen, nachgekommen ist, eine Beschwerdebefugnis nur für die Rüge, dass diese Amtsverwaltung des neuen Amtes Lieberose/Oberspreewald nicht geeignet sei zur Erfüllung der gegenwärtigen und absehbar künftig anstehenden kommunalen Aufgaben der Beschwerdeführerin. 4. Soweit die Beschwerdebefugnis besteht, ist die kommunale Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gem. Art. 100 LV, §§ 12 Nr. 5, 51 Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Brandenburg (VerfGGBbg) statthaft und auch sonst zulässig. Die Beschwerdeführerin ist ungeachtet des zwischenzeitlichen Inkrafttretens der Neuregelung ebenso wie vor dieser beteiligtenfähig. Eine Gemeinde gilt nach feststehender Rechtsprechung für die Dauer des gegen ihre Neugliederung gerichteten Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahrens als unverändert fortbestehend. Ebenso wird die Beschwerdeführerin im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren weiter durch das bisherige Amt vertreten. Die fortbestehende Beteiligtenfähigkeit erstreckt sich folgerichtig auf die Vertretungsverhältnisse.

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II. Die kommunale Verfassungsbeschwerde, soweit sie zulässig ist, erweist sich in der Sache selbst als unbegründet. Eine Verletzung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 97 Abs. 1 S. 1 LV) liegt in Bezug auf die Beschwerdeführerin nicht vor. 1. Zwar berührt die in Frage stehende Gesetzesänderung die zur kommunalen Selbstverwaltung gehörende und damit dem Schutzbereich des Art. 97 Abs. 1 LV unterfallende Organisationshoheit, wonach es grundsätzlich Sache der Kommune ist, in welcher Art und Weise sie ihre Aufgaben erledigt (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 20.1.2000, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 3, 26). Auch gehört bei einer amtsangehörigen Gemeinde hierzu die Erledigung der Verwaltungsaufgaben durch das Amt. Aber die Organisationshoheit ist nicht absolut gewährleistet. In der Ausgestaltung der gemeindlichen Organisation verfügt der Gesetzgeber über Freiräume (BVerfG, Beschl. v. 26.10.1994 - 2 BvR 445/91 BVerfGE 91, 228 = NVwZ 1995, 677 = DVB1 1995, 290) und nicht jede staatliche Vorgabe für die Organisation der Gemeinde bedarf einer spezifischen Rechtfertigung (BVerfG, Beschl. v. 13.3.2000 - 2 BvR 860/95 - , NVwZ 2001, 317 = BayVBl 2000, 721). Insbesondere kann eine amtsangehörige Gemeinde lediglich beanspruchen, dass ihr überhaupt eine - geeignete - Amtsverwaltung zur Verfügung steht, nicht aber, dass diese in bestimmter Form ausgestaltet ist (so bereits Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.5.2002 sowie Urt. v. 29.8.2002, jeweüs aaO). 2. Der Beschwerdeführerin ist mit dem neuen Amt Lieberose/ Oberspreewald eine Amtsverwaltung zur Verfügung gestellt worden, die zur Erfüllung der gegenwärtigen und absehbar künftig anstehenden kommunalen Aufgaben der Beschwerdeführerin nicht ungeeignet ist. a) Die meisten Strukturdaten des durch Zusammenschluss neu gebildeten Amtes liegen im Rahmen des gerade auch für den äußeren Entwicklungsraum üblichen, wie z.B. die Einwohnerzahl und -dichte des Amtes. Auch die höhere Anzahl von acht amtsangehörigen Gemeinden - gegenüber im Regelfall höchstens sechs (vgl. Leitbild 2. b) aa) Sätze 3 und 4, LT-Drs. 3/5021, S. 25) - bietet keinen Anlass, die angemessene Funktionsfähigkeit des neuen Amtes in Frage gestellt zu sehen. Ebenso wenig seine auch von einigen anderen Ämtern oder amtsfreien Gemeinden (z.B. Nauen, Wittstock/Dosse, Nuthe-Urstromtal sowie insbesondere im Landkreis Uckermark) annähernd erreichte Flächengröße. Als außergewöhnlich erscheint nur die große Ost-West-Ausdehnung, die sich nach den jeweils „endegensten Winkeln" bemessen auf maximal 35 km beläuft. Tatsächlich sind aber nur deutlich kürzere Wege zu erwarten. Auch in den ungünstigsten Fällen bei einer Zentralisierung in Straupitz bzw. in Lieberose beträgt die zu den amtsangehörigen Gemeinden Leeskow und Ullersdorf bzw. Alt ZaucheLVerfGE 15

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Wußwerk bestehende Entfernung ca. 22 km. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass solche Entfernungen in einem Flächenland wie Brandenburg — zumal angesichts einer zugenommenen Mobilität der Bevölkerung und eines alle amtsangehörigen Gemeinden einbeziehenden Angebots des Öffentlichen Personennahverkehrs — (noch) nicht unzumutbar sind, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Zudem ist die Situation auch für die vorbenannten Gemeinden der Randlage noch deutlich günstiger, weil eine Entscheidung für einen ausschließlichen Amtssitz gerade nicht gefallen ist. An beiden Standorten (Lieberose und Straupitz) der vorherigen Amtsverwaltungen werden zumindest einige Aufgaben wahrgenommen. Auch der Gesetzgeber nahm einen gewissen Dualismus dieser beiden Kleinzentren (LT-Drs. 3/5021, S. 145) an. Diese vom Gesetzgeber vorausgesetzte verwaltungsstrukturelle Bedarfssicherung im Amt mit zwei Schwerpunkten wird u.a. durch die computertechnische Vernetzung (Installation einer Standleitung) der beiden Verwaltungsstandorte Lieberose und Straupitz realisiert. Zudem kann das Problem weiterer Entfernungen selbst bei Bestimmung des Amtssitzes in einem der Schwerpunktorte durch Einrichtung bzw. Erhalt einer Außenstelle (z.B. Bürgeramt) des Amtes im anderen Ort gelöst werden. Eine solche Regelung könnte gegenüber ursprünglich zwei vollumfänglichen Amtsverwaltungen Kosten sparen. Überdies stellt sich das Entfernungsproblem für die Beschwerdeführerin - wenn überhaupt - allenfalls in weiter abgemilderter Form. Denn zum einen liegt sie nicht am Rand des nunmehrigen Amtsgebietes. Zum anderen ist sie selbst einer der bisherigen Schwerpunktorte, der für den weiteren Erhalt des Amtssitzes, zumindest aber für eine Außenstelle (Bürgeramt) alle Voraussetzungen aufweist. Auch die Annahme sich ergänzender und entfaltender touristischer Potentiale insbesondere des Schwieloch- und Großen Mochowsees einerseits und von Fließbereichen des Oberspreewaldes mit teils sorbisch/wendisch-kultureller Prägung andererseits ist nicht ersichtlich fehlsam. b) Die Funktionsfähigkeit des neu gebildeten Amtes ist auch im Schulwesen gewährleistet. Ohnehin ist die Möglichkeit der amtsangehörigen Gemeinden und des Amtes, auf die Schulorganisation Einfluss zu nehmen, begrenzt. Zwar befinden sich die Grund- und Gesamtschulen einerseits in Goyatz (Gemeinde Schwielochsee) bzw. auf dem Gebiet der Beschwerdeführerin, andererseits in Straupitz in Trägerschaft der Gemeinde bzw. des Amtes. Aber der prognostizierte starke Rückgang (allein für den Gesamtschulstandort Straupitz von 42 Schülern im Schuljahr 2002/2003 auf ca. 13 Schüler für 2006/2007 - vgl. LT-Drs. 3/5021, S. 138) gefährdet mindestens einen der beiden (Gesamt-)Schulstandorte. Von daher wäre der Erhalt schon eines dieser Standorte für die Schüler des Amtsgebietes ein Erfolg, die selbst bei einer — maximalen — Wegstrecke von etwas über 20 km (etwa von Leeskow oder Ullersdorf nach Straupitz bzw. von Alt Zauche nach Goyatz oder Lieberose) in einem dünn besiedelten Flächenland nicht zu unzumutbaren Zuständen führte. Die Größe des Amtes gibt insoweit keinen Anhalt für eine mangelnde Geeignetheit zur Erfüllung der Aufgaben des jeweiligen LVerfGE 15

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Schulträgers. Es spricht nichts dafür, dass eine künftige Entscheidung im Amt darüber, welcher (Gesamt-)Schulstandort erhalten werden soll, ein der Beschwerdeführerin und ihren Einwohnern unzumutbares Ergebnis zeitigt und zudem nicht mit der Entwicklung der Schülerzahlen, sondern mit der Amtsstruktur begründet wird. c) Auch soweit die Beschwerdeführerin für die bisherige Anfangszeit des Zusammenschlusses der beiden vorherigen Ämter zum Amt Lieberose/Oberspreewald noch ein in Blöcken verharrendes Abstimmungsverhalten im Amtsausschuss feststellte, bei dem sich ein Übergewicht der früher dem Amt Oberspreewald zugehörigen Gemeinden bemerkbar gemacht habe, bedeutet dies keine Funktionsunfähigkeit der Amtsverwaltung und nicht deren mangelnde Eignung zur Erfüllung der gegenwärtigen und absehbar künftig anstehenden kommunalen Aufgaben der Beschwerdeführerin. Auch abgesehen von dem Umstand, dass das derzeitige rechnerische Ubergewicht der Gemeinden des früheren Amtes Oberspreewald durch das vom Gesetzgeber nicht ersichtlich fehlerhaft prognostizierte Absinken der Einwohnerzahlen der neuen Gemeinden Spreewaldheide und Alt Zauche-Wußwerk (615 bzw. 612 Einwohner, Stand: 2001) auf unter 600 Einwohner mit dem Verlust ihrer weiteren Mitglieder im Amtsausschuss (vgl. § 6 Abs. 2 der Amtsordnung) endet, steht nicht zu erwarten, dass sich die amtsangehörigen Gemeinden (künftig) vernunftgebotenen Lösungen um des Verharrens im Vergangenen willen verschließen werden und etwa nicht in Verantwortung für ihre Bürger und unter Beachtung der einfachgesetzlichen Homogenitätsgebote (§ 3 Abs. 2 GO) die jeweils sachangemessenen Entscheidungen mit naturgemäß auch wechselnden Mehrheiten im Amtsausschuss zu treffen suchen werden. Dies gilt um so mehr, als nach der hier getroffenen verfassungsgerichtlichen Entscheidung nunmehr geklärt ist, dass es bei der betreffenden gesetzlichen Neugliederung bleibt und künftig kein anderes Motiv des gemeindlichen Handelns Sinn behält und Erfolg verspricht, als das gemeinsame — weil dadurch bedingt auch eigene — Beste zu suchen. d) In dem parallelen Verfahren der Gemeinde Jamlitz (VfGBbg 194/03) geäußerten Befürchtungen, in einem gemeinsamen Amt durch hohe finanzielle Lasten einzelner Gemeinden, etwa der Stadt Straupitz, im Wege der Amtsumlage unangemessen mitbetroffen zu werden, begegnen insbesondere §§13, 14 der Amtsordnung, wonach der Amtsausschuss gemeindebezogene ausschließliche Belastungen bzw. Mehr- oder Minderbelastungen je Haushaltsjahr aktuell beschließen soll, wie dies nach näheren Angaben des früheren ehrenamtlichen Bürgermeisters der Gemeinde Jamlitz mit einer bei Kreditbelastungen nach dem Ursprungsprinzip differenzierenden Amtsumlage auch geschieht.

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Verfassungsgericht des Landes Brandenburg C.

Das Verfassungsgericht hat einstimmig eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten, § 22 Abs. 1 2. Alt. VerfGGBbg.

Nr. 5* 1. Verpflichteter des Aktenvorlage- bzw. -einsichtsverlangens nach Art. 56 Abs. 3 Satz 2 Verfassung des Landes Brandenburg (LV) ist - sofern nicht der Landesrechnungshof betroffen ist — die Landesregierung. Dem muss sowohl der auf Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV gestützte Antrag als auch dessen Bescheidung Rechnung tragen. 2. Das Aktenvorlage- bzw. -einsichtsrecht aus Art. 56 Abs. 3 Satz 2 LV besteht unabhängig von der Materie und unabhängig von der betroffenen Behörde und umfasst auch das Recht, Einsicht in Akten des Brandenburgischen Verfassungsschutzes zu nehmen. Dem stehen weder Art. 11 Abs. 3 Satz 1 LV noch bundesrechtliche Vorgaben entgegen. 3. Art. 56 Abs. 4 LV begründet für die Zurückweisung eines Antrags auf Aktenvorlage bzw. -einsieht eine Verpflichtung der Landesregierung zur Ermittlung, Gewichtung, Abwägung und Begründung. Dies steht einer Antragsbescheidung ohne Würdigung des Einzelfalls grundsätzlich entgegen. Die Landesregierung genügt im Falle der Bescheidung eines Antrags auf Einsicht in Akten des Verfassungsschutz eines nicht der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) angehörenden Abgeordneten dem Begründungserfordernis des Art. 56 Abs. 4 LV durch die bloße Feststellung dessen fehlender Mitgliedschaft in der PKK und dem sich daraus ergebenden Vorrang des Geheimnisschutzes. 4. Im Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht ist das Nachschieben von Gründen, die eine ablehnende Entscheidung gem. Art. 56 Abs. 4 LV stützen, ebenso wenig möglich wie die nachträgliche Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte im Rahmen des Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LV.** Grundgesetz Art. 73 Nr. 10 b); 87 Abs. 1 Sat2 2

Abdruck auch in: NVwZ-RR 2005, 299 (ohne Sondervotum); DÖV 2005, 473 (ohne Sondervotum); NJ 2005, 170 (nur LS); DVB1 2005, 460 (nur LS). Nichtamtliche Leitsätze. LVerfGE 15

Art. 56 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 LV: Einsicht in Verfassungsschutzakten

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Verfassung des Landes Brandenburg Art. 11 Abs. 3 Satz 1; 55 Abs. 2; 56 Abs. 3 Satz 2 und 3, Abs. 4 Kontrollgremiumgesetz des Bundes §§ 1 Abs. 1; 2b Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung § 114 Satz 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg §§ 13; 36 Abs. 1 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz §§ 24; 25; 26

U r t e i l v o m 9. D e z e m b e r 2 0 0 4 - V f G B b g 6/04 in dem Organstreitverfahren 1. Kerstin Kaiser-Nicht MdL 2. Heinz Vietze MdL — Antragsteller — gegen die Regierung des Landes Brandenburg, vertreten durch den Ministerpräsidenten — Antragsgegner — betreffend die Verweigerung der Vorlage von Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg gemäß Bescheiden des Ministerium des Innern vom 6. November 2003. Entscheidungsformel: Die Antragsgegnerin hat gegen Art. 56 Abs. 3 S. 2 Verfassung des Landes Brandenburg verstoßen, indem sie durch den Bescheid vom 6. November 2003 den auf Einsicht in die den Vorgang „Toni S." betreffenden Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg gerichteten Antrag der Antragstellerin zu 1. zurückgewiesen hat. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen. Gründe: A. Die Antragsteller wenden sich gegen die Versagung der Einsicht in Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg. I. Am 21.7.2002 wurde durch Berliner Strafverfolgungsbehörden der im Land Brandenburg wohnende Toni S. festgenommen. Der Festgenommene vertrieb LVerfGE 15

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CDs, auf denen Presseberichten zufolge zu Hass- und Gewalttaten aufgefordert wurde. Es stellte sich im Laufe der Vernehmung heraus, dass der Festgenommene für den brandenburgischen Verfassungsschutz als sogenannter „V-Mann" tätig war. Informationen darüber gelangten an die Öffentlichkeit und sorgten für erhebliches Aufsehen. Die von der PDS-Fraktion des Landtages beantragte Aufforderung des Plenums an die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK), ihrer Kontrollpflicht nachzukommen, wurde durch Mehrheitsbeschluss des Landtages vom 5.9.2002 von der Tagesordnung genommen. Das hiergegen von der PDS-Fraktion angestrengte Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht (VfGBbg 98/02) blieb in der Sache ohne Erfolg. Die Antragsteller beantragten unter dem 9. bzw. 10.7.2003 beim Ministerium des Innern, ihnen jeweils Akteneinsicht nach Art. 56 Abs. 3 der Verfassung des Landes Brandenburg (LV) - sowie bzgl. der Antragstellerin zu 1. als Mitglied der PKK nach §§ 23 ff Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz (BbgVerfSchG) — zu gewähren. Für Parlamentarier bestehe der Anlass zu überprüfen, inwieweit Struktur und Entscheidungsverläufe in der Verfassungsschutzbehörde für die Vorgänge um den V-Mann Toni S. mitverantwortlich seien. Die PKK befasste sich in ihrer Sitzung am 23.9.2002 mit dem Akteneinsichtsbegehren und beschloss, sich den Darlegungen des Ministeriums des Innern anzuschließen. Danach sei das Akteneinsichtsrecht ausschließlich ein Gruppenrecht der PKK. Die Akteneinsicht durch Mitglieder des Landtags, die nicht Mitglieder der PKK sind, entspreche „nicht der Rechtslage". Durch Schreiben vom 6.11.2003 teilte das Ministerium des Innern - Der Minister — den Antragstellern mit, dass den Anträgen nicht entsprochen werden könne. Das Recht auf Akteneinsicht aus Art. 56 Abs. 3 LV erstrecke sich, jedenfalls soweit Einzelfälle des Verfassungsschutzes betroffen seien, nicht auf die Kontrolle des Verfassungsschutzes. Diese stehe der PKK zu, da das Parlament durch die Übertragung der Kontrolle des Verfassungsschutzes auf die PKK zum Ausdruck gebracht habe, dass aus Gründen der Geheimhaltung die Vorgänge des Verfassungsschutzes nicht einzelnen Abgeordneten zugänglich gemacht werden sollen. Der Landtag habe insoweit die Schranke des Einsichtsrechts aus Art. 56 Abs. 4 LV durch eine generelle Regelung konkretisiert. Im Übrigen stünden auch konkrete Gründe des öffentlichen Interesses einer Akteneinsicht entgegen, da sich die Arbeitsmethoden und -mittel des Verfassungsschutzes aus den Akten ergäben und sich nach der Verschlusssachenordnung des Landtages Brandenburg als „geheim" eingestufte Unterlagen in ihnen befänden. Für die Antragstellerin zu 1. könne sich auch aus ihrer Mitgliedschaft in der PKK nichts anderes ergeben, da das Recht auf Akteneinsicht gem. §§ 23 ff BbgVerfSchG lediglich der PKK als Gremium, nicht aber den einzelnen Mitgliedern zustehe.

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II. Die Antragsteller rügen mit dem am 26.1.2004 bei Gericht eingegangenen Antrag, dass ihnen die Akteneinsicht unter Verstoß gegen Art. 56 Abs. 3 LV vorenthalten worden sei. Die beantragte Akteneinsicht sei insoweit von der in Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV vorgesehenen Aktenvorlage mit umfasst. Die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes sei erheblich gefährdet, wenn allein der — in der Regel durch die Regierungsmehrheit dominierten — PKK, nicht aber einzelnen Mitgliedern des Landtages, die Kontrollrechte zuständen. Der zu Kontrollierende könne sich quasi selber kontrollieren. Gründe, die die Akteneinsicht per se ausschlössen, lägen nicht vor, da insbesondere der „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung im Sinne eines nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereiches" nicht betroffen sei. Ein zwingendes öffentliches Interesse an der Geheimhaltung im Sinne des Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV bestehe nicht. Die Antragsteller beantragen, festzustellen, dass die Antragsgegnerin gegen Art. 56 Abs. 3 iVm Abs. 4 LV verstoßen hat, indem sie die Anträge auf Einsicht in die den Vorgang „Toni S." betreffenden Akten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg v o m 9. bzw. 10. Juli 2003 durch die Bescheide vom 6. November 2003 zurückgewiesen hat. D i e A n t r a g s g e g n e r i n beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, das Recht der Antragsteller aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 I,V werde von Verfassungs wegen durch Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV eingeschränkt. Dem stünden auch nicht die Rechte der Opposition (Art. 55 Abs. 2 LV) oder die Kontrollbefugnisse des Landtages entgegen, was sich insbesondere auch aus der gebotenen Geheimhaltung ergebe. Jedenfalls sei das Akteneinsichtsbegehren auf Grundlage von Art. 56 Abs. 4 LV abzulehnen gewesen, da überwiegende öffentliche und private Interessen dem Informationsinteresse der Antragsteller zwingend entgegenstünden. III. Der Präsident des Landtages hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. B. Der Antrag hat hinsichtlich des Akteneinsichtsbegehrens der Antragstellerin zu 1. Erfolg und unterlag hinsichtlich des Antragstellers zu 2. der Zurückweisung.

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I. Der Antrag ist im Organstreitverfahren zulässig (Art. 113 Nr. 1 LV; §§12 Nr. 1, 35 ff VerfGGBbg), da die Antragsteller geltend machen, durch die Weigerung der Antragsgegnerin in ihrem Recht aus Art. 56 Abs. 3 LV verletzt zu sein. Dem steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Wahlperiode des 3. Landtags beendet war, als deren Mitglieder sich die Antragsteller an das Landesverfassungsgericht gewandt haben. Es kann dahinstehen, ob das Verfahren bereits deshalb (weiterhin) zulässig ist, weil die Antragsteller nach dem endgültigen Ergebnis der Wahl zum 4. Landtag Brandenburg vom 19.9.2004 auch dem neuen Landtag angehören (Amtsblatt für Brandenburg 2004, 770, 803 und 817). Jedenfalls besteht ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens (für dieses Erfordernis: Pestalo^a Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, Rn. 40 zu § 7; unter Heranziehung der „Wiederholungsgefahr" Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Rn. 98 zu § 64; vgl. auch BVerfG, LKV 1999, 225), da die Reichweite des Abgeordnetenrechts aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV für den Bereich der Kontrolle des Verfassungsschutzes — insbesondere wegen der angemessenen Vertretung der Opposition in der PKK (§ 24 Abs. 1 S. 3 BbgVerfSchG) - auch für das künftige Verfassungsleben Bedeutung haben wird. Für die Antragstellerin zu 1. ist als Mitglied der PKK überdies maßgeblich, dass gem. § 24 Abs. 3 BbgVerfSchG die PKK ihre Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Landtages hinaus solange ausübt, bis der nachfolgende Landtag eine neue PKK gebildet hat. Die Antragsfrist ist gewahrt (§ 36 Abs. 3 VerfGGBbg). II. Der Antrag der Antragstellerin zu 1. hat auch in der Sache Erfolg. l.a) Der Antrag der Antragstellerin zu 1. vom 10.7.2003 ist als ein Antrag an die Landesregierung zu werten (Art. 56 Abs. 3 S. 3 LV). Zwar hat sie als Adressaten das „Ministerium des Innern des Landes Brandenburg, Minister, Herr Schönbohm" genannt. Aber die ausdrückliche Bezugnahme der Antragstellerin zu 1. auf Art. 56 Abs. 3 LV macht deutlich, dass sie damit einen Antrag nach dieser Regelung über den Minister als Mitglied der Landesregierung an die Landesregierung gerichtet hat. Damit entsprach sie der Verfahrensregel in Nr. lb) S. 1 der Anlage 3a (Verfahrensregelung zu Art. 56 Abs. 3 LV) zu § 49 Abs. 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Brandenburg (GGO). Denn dort ist bestimmt, dass Anträge, die bei einem Fachressort eingehen, in Abschrift an die Staatskanzlei weiterzuleiten sind, und die Landesregierung somit in ihren organisationsrechtlichen Vorschriften die Einleitung des Verfahrens nach Art. 56 Abs. 3 LV durch Einreichung eines Antrags bei einem Fachressort für möglich hält.

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b) Art. 56 Abs. 3 LV regelt nicht ausdrücklich, wer die Akteneinsicht zu gewährleisten hat. Allerdings deutet bereits Art. 56 Abs. 3 S. 3 LV, wonach das Verlangen an die Landesregierung (bzw. den Landesrechnungshof) zu richten ist, darauf hin, dass allein die Landesregierung zur Vorlage verpflichtet ist und nicht einzelne Mitglieder der Landesregierung (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 20.6.1996 - VfGBbg 3/96 - , LVerfGE 4, 179, 182 ff). Dies ergibt sich auch daraus, dass an anderer Stelle in der Landesverfassung ausdrücklich von den Mitgliedern der Landesregierung die Rede ist, wenn es um deren Rechte und Pflichten geht (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 2 LV). Letztlich sprechen auch Sinn und Zweck des Art. 56 Abs. 3 LV entscheidend für die Verpflichtung der Landesregierung als solcher. Unbeschadet der persönlichen Verantwortung ihrer Mitglieder gegenüber dem Landtag innerhalb des Ressortprinzips (Art. 89 S. 2 LV a.E.) ist allein die Landesregierung in ihrer Gesamtheit Adressat der Kontrollbefugnisse des Parlaments bzw. des einzelnen Abgeordneten. Im Land Brandenburg sind die auf die Erzwingung personeller Veränderungen der Landesregierung gerichteten Befugnisse des Landtags auf das konstruktive Misstrauensvotum (Art. 86 LV) und somit im Ergebnis auf die Endassung der Regierung als ganzer beschränkt (vgl. Art. 85 Abs. 1 S. 1 LV). Hingegen ist es etwa im Land Berlin dem Abgeordnetenhaus möglich, einzelnen Mitgliedern des Senats das Vertrauen durch Parlamentsbeschluss zu entziehen (Art. 57 Abs. 2 S. 1 Verfassung von Berlin). Im Land Brandenburg untersteht jedoch allein die Landesregierung in ihrer Gesamtheit der Kontrolle und dem personellen Zugriff des Parlaments. Der ablehnende Bescheid vom 6.11.2003 ist der Antragsgegnerin zuzurechnen. Nach Auskunft der Antragsgegnerin ist der bei dem Ministerium des Innern eingegangene Antrag der Antragstellerin zu 1. am 7.10.2003 in Abschrift sowohl der Staatskanzlei als auch dem Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten zugeleitet und somit das durch die Anlage 3a zur GGO vorgesehene Verfahren eingehalten worden. Hinzukommt, dass auch das Antwortschreiben des Ministers auf Art. 56 Abs. 3 LV Bezug nimmt. 2. Mit Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV steht dem einzelnen Abgeordneten gegenüber der Landesregierung eine herausgehobene Kontrollbefugnis zur Seite. Das Vorlagerecht ist - neben dem Zugangsrecht (Art. 56 Abs. 3 S. 1 LV) und den Minderheitenrechten (Art. 55 Abs. 2, 66 Abs. 1, 70 Abs. 2 S. 2 und 3, 72 Abs. 1 LV) zentrale Vorschrift der Landesverfassung für die effiziente Kontrolle der Regierungstätigkeit und dient einer umfassenden parlamentarischen Kontrolle (vgl. zu den Grundsätzen parlamentarischer Kontrolltätigkeit: BVerfGE 67, 100, 130). Das durch die Landesverfassung angelegte System der parlamentarischen Kontrolle, die nicht nur durch das Plenum, sondern insbesondere auch durch den einzelnen Abgeordneten erfolgt (vgl. zu Art. 38 Abs. 1 GG: BVerfGE 70, 324, 356; 80, 188, 218), erfordert, den Kontrollbefugnissen größtmögliche Effizienz zu verleihen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.11.2000 — LVerfGE 15

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VfGBbg 31/00 LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183, 192; vgl. auch VerfG MV, NJW 2003, 815, 818). Das Kontrollrecht des einzelnen Abgeordneten aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV besteht aufgrund des IndividuaLrechtscharakters unabhängig von den Rechten des Plenums. Es gewährleistet — im Textvergleich mit Art. 38 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 GG diesen erheblich übersteigend — eine umfassende Kontrolle und schließt neben der durch den Wordaut verbürgten Aktenvorlage auch die Akteneinsicht ein (vgl. Lieber/Iwers/Ernst Verfassung des Landes Brandenburg, Nr. 3 zu Art. 56). a) Das Aktenvorlage- und -einsichtsrecht aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV besteht unabhängig von der Materie und unabhängig von der betroffenen Behörde. Es umfasst das Recht, Einsicht in Akten des Brandenburgischen Verfassungsschutzes zu nehmen. Denn auch der Verfassungsschutz ist Teil der Verwaltung des Landes. Art. 56 Abs. 3 LV ist keine Beschränkung dahingehend zu entnehmen, dass der Bereich des Verfassungsschutzes — etwa wegen seiner herausgehobenen Bedeutung oder der Notwendigkeit, die Tätigkeit des Verfassungsschutzes geheim zu halten — aus dem Anwendungsbereich des besonderen Kontrollrechts des Abgeordneten herausgelöst ist. b) Eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts ergibt sich auch nicht aus Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV. Allerdings hat das Landesverfassungsgericht bereits klargestellt, dass auch das Recht aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV nicht allein, sondern nur im Lichte der anderen Verfassungsbestimmungen Anwendung findet. So ist der sog. „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" als sich aus dem Gewaltenteilungsprinzip ergebende Einschränkung in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts anerkannt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 20.11.1997 - VfGBbg 12/97 - , LVerfGE 7, 123, 133 f mwN sowie v. 20.6.1996 VfGBbg 3/96 - , LVerfGE 4, 179,182). Jedoch ist Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV nicht geeignet, Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV verfassungsimmanent zu beschränken. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, wie sich das Rechtsverhältnis einschließlich etwaiger Auskunfts- und Weisungsrechte zwischen der PKK und dem Parlament bestimmt (vgl. zu diesem Problemkreis: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 19.6.2003 - VfGBbg 98/02 , NVwZ-RR 2003, 798). Maßgeblich ist vorliegend allein das Individualrecht des Abgeordneten. aa) Art. 11 LV ist - amtlich - mit „Datenschutz" überschrieben und normiert zunächst die Reichweite des Rechts auf Datenschutz (Abs. 1), regelt weiter die Voraussetzungen, unter denen in dieses Grundrecht eingegriffen werden darf (Abs. 2) und bestimmt schließlich, dass der aufgrund bundesrechtlicher Vorschriften einzurichtende Verfassungsschutz des Landes einer „besonderen parlamentarischen Kontrolle" unterliegt (Abs. 3 S. 1). Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV findet sich im 2. Hauptteil „Grundrechte und Staatsziele", 2. Abschnitt „Freiheit, Gleichheit und Würde" der Landesverfassung. Art. 11 LV schließt sich den BeLVerfGE 15

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Stimmungen über den Schute der Menschenwürde (Art. 7 LV), das Recht auf Leben (Art. 8 LV), die Freiheit der Person (Art. 9) und die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 10) an. bb) Sowohl aus der Stellung im Verfassungsgefüge als auch aus seiner Binnengliederung ergibt sich, dass Art. 11 LV den Schutz des Bürgers im Blick hat und die Reichweite des Rechts auf Datenschutz sowie die Voraussetzungen für Eingriffe in dieses bestimmt. Absatz 3 ist hierbei eine eigenständige — und neben Absatz 2 weitere — Einschränkung. Auch der Verfassungsschutz des Landes, der aus den historischen Erfahrungen mit den Uberwachungsorganen der DDR zunächst nicht eingerichtet werden sollte (vgl. Breidenbach/Kneifel-Haverkamp in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, Rn. 18 zu § 21 Fn. 38), jedoch durch § 2 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) geboten war, beschränkt das durch Absatz 1 gewährleistete Freiheitsrecht. Aus diesem Gefüge folgt, dass Absatz 3 nach dem Textbefund der Landesverfassung als eine - von Bundesrechts wegen erforderliche — Beschränkung des Freiheitsrechts des Bürgers zu verstehen ist. Hätte der Verfassungsgeber eine eigenständige Bestimmung über die Einrichtung nebst Kompetenzen des Verfassungsschutzes einschließlich der Auskunfts- und Kontrollrechte schaffen wollen, hätte es nahe gelegen, dies an anderer Stelle - etwa im 3. Hauptteil der Landesverfassung „Die Staatsorganisation" — zu regeln (so bereits, allerdings zur Frage der Kontrolle der PKK: Sondervotum der Verfassungsrichter Havemann, Dr.Jegutidse und Prof. Dr. Will zum Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg v. 19.6.2003 - VfGBbg 98/02 - , NVwZ-RR 2003, 798 - jedoch ohne Abdruck des Sondervotums). cc) Auch eine an Sinn und Zweck ausgerichtete Auslegung der Landesverfassung führt nicht zu einer verfassungsimmanenten Beschränkung von Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV durch Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV. Das grundsätzliche Erfordernis der Beschränkung des Akteneinsichtsrechts des Abgeordneten hat der Landesverfassungsgeber gesehen und dem durch Art. 56 Abs. 4 LV Rechnung getragen. Art. 56 Abs. 4 LV lässt der Landesregierung hinreichenden Freiraum, das Akteneinsichtsbegehren mit den entgegenstehenden Interessen — beispielsweise der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes oder dem Umstand, dass der antragende Abgeordnete selber der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegt — in Ausgleich zu bringen. Der Landesregierung wird durch die im Rahmen von Art. 56 Abs. 4 LV gebotene Einzelfallprüfung auch keine ausufernde Verpflichtung zur Entscheidung auferlegt (vgl. nachfolgend III.). Wird der Verfassungstext danach durch die allgemeine Abwägungsregel des Art. 56 Abs. 4 LV den Bedürfnissen der am Verfassungsleben Beteiligten gerecht, so besteht keine Notwendigkeit, eine verfassungsimmanente Beschränkung als besondere Kollisionsregelung der hier widerstreitenden Interessen anzunehmen.

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dd) Aufgrund vorstehender Erwägungen und der - im Vergleich zu den alten Bundesländern und dem Bund — herausragenden Bedeutung des Individualkontrollrechts des Abgeordneten nach Art. 56 Abs. 3 LV (vgl. Breidenbach/Kneifel-Haverkamp in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, Rn. 30 zu § 21), dem im Zweifel der Vorrang einzuräumen ist (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.11.2000 - VfGBbg 31/00 —, LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183, 192), sperrt Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV nicht das Akteneinsichtsrecht des Abgeordneten für den Bereich des Verfassungsschutzes. Hierfür hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft. c) Die vorstehende Auslegung der Landesverfassung verstößt auch nicht gegen vorrangiges Bundesrecht (Art. 31 GG). Denn die bundesrechtlichen Vorgaben erzwingen keine Auslegung des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV in dem Sinne, dass es einem einzelnen Abgeordneten bereits auf der Ebene des Schutzbereichs verwehrt sein muss, Einsicht in Akten des Verfassungsschutzes des Landes Brandenburg zu nehmen. aa) Das Grundgesetz enthält —von Kompetenzvorschriften (Art. 73 Nr. 10b) GG; Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG) abgesehen — keine ausdrücklichen Regelungen den Verfassungsschutz — insbesondere nicht den Verfassungsschutz der Länder — betreffend (vgl. zur — nach dem Textbefund verneinten - Frage der grundgesetzlichen Verpflichtung, dem Landesverfassungsschutz die Befugnis zur Verwendung „nachrichtendienstlicher Mittel" einzuräumen: Schneider Dokumentation der Verfassung des Landes Brandenburg, Bd. 5, 131). Auch Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG kann weder ein Ge- noch ein Verbot entnommen werden, die Kontrolle des Verfassungsschutzes des Landes Brandenburg in einer bestimmten Weise auszugestalten. bb) Die den Verfassungsschutz der Länder betreffenden Regelungen der §§ 1 Abs. 2 und 3, 2 Abs. 2, 3, 5 Abs. 1 und 2, 6, 7 BVerfSchG geben den Ländern ebenso wenig ein bestimmtes Verfahren für die Kontrolle des Landesverfassungsschutzes vor. Diese Bestimmungen erstrecken sich allein auf die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder sowie der Länder untereinander (v. Mangoldt/Klein/Pestalozzi Grundgesetz, Rn. 609 zu Art. 73) zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes; denn zu weitergehenden Regelungen ist der Bund nicht befugt (Art. 73 Nr. 10b) GG). Die vorgenommene Auslegung der Landesverfassung setzt sich hierzu nicht in Widerspruch, da weder die Zusammenarbeit des Brandenburgischen Verfassungsschutzes mit anderen Verfassungsschutzbehörden noch die dem Brandenburgischen Verfassungsschutz nach Bundesrecht obliegenden Aufgaben gefährdet werden. Es muss — auch von Landesverfassungs wegen — gewährleistet sein, dass der Zugriff auf Informationen des Verfassungsschutzes sowie dessen Tätigkeit die Ausnahme bleibt und nach der Systematik der Einsichtsberechtigung ein hohes Maß an Geheimhaltung gewährleistet wird (vgl.: Hirsch Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 87 ff). Dem wird mit der vorgeLVerfGE 15

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nommenen Auslegung, die das Recht der Antragsgegnerin im Einzelfall die Akteneinsicht aus besonderen Gründen zu verweigern (Art. 56 Abs. 4 LV) unberührt lässt, Rechnung getragen. Die bundesrechtlichen Mindestanforderungen — gleichsam einer unteren Grenze — werden erfüllt, da eine Gefährdung der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden nicht zu befürchten ist. cc) Nichts anderes folgt aus den Bestimmungen des Kontrollgremiumgesetzes des Bundes (PKGrG). Soweit § 1 Abs. 1 PKGrG die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium unterstellt, ergibt sich hieraus keine bundesrechtliche institutionelle Vorgabe. Der Bund ist nicht befugt, den Ländern ein konkretes Verfahren für die Kontrolle ihrer Verfassungsschutzbehörden vorzugeben, solange der erforderliche Mindeststandard (zu diesem vorstehend (2)) gewahrt bleibt (so auch: Hirsch Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 210). Denn die Kompetenz des Bundes beschränkt sich auf den Bereich der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden (Art. 73 Nr. 10b) GG). Bestimmt der Bund die Kompetenzen des Bundesverfassungsschutzes gem. §§ 8 ff BVerfSchG und damit korrespondierend die Ausgestaltung dessen Kontrolle (vgl. Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG), so kann aus dieser Ausgestaltung keine unmittelbare und zwingende Vorgabe für die Länder abgeleitet werden, die Kontrolle ihrer Verfassungsschutzbehörden identisch auszugestalten. dd) Aus den vorstehenden Gründen verstößt die vorgenommene Auslegung der Landesverfassung ebenso wenig gegen den Grundsatz des bundes freundlichen Verhaltens bzw. der Bundestreue (Uberblick zum normativen Gehalt bei Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Rn. 21 f zu Art. 20). Insbesondere setzt sie sich weder zu den Regelungen des Bundes in Widerspruch (vgl. BVerfGE 98, 106, 118 ff; 98, 265, 301 mwN) noch wird (missbräuchlich) gegen die Gesamtinteressen des Bundesstaates verstoßen (BVerfGE 106, 1, 27; 81, 310, 337 mwN). Auch der Grundsatz der „streitbaren Demokratie" verbietet nicht die vorgenommene Auslegung, da der Verfassungsschutz aus den dargelegten Gründen seiner Funktionsfähigkeit nicht beraubt wird und zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung weiterhin in der Lage ist (vgl. zu dieser bundesrechtlichen Vorgabe die Verpflichtung zur Einräumung „nachrichtendienstlicher Mittel" betreffend: Schneider Dokumentation der Verfassung des Landes Brandenburg, Bd. 5, 131,132 f). 3. Ob das Begehren der Antragstellerin zu 1. auf Akteneinsicht gem. Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV wirksam hätte verweigert werden können, kann dahinstehen, da der Bescheid vom 6.11.2003 den Anforderungen, die von Verfassungs wegen an eine auf Art. 56 Abs. 4 LV gestützte Ablehnung zu stellen sind, jedenfalls nicht genügt und der Antrag der Antragstellerin zu 1. bereits aus diesen Gründen Erfolg hat.

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a) Gem. Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV darf die Aktenvorlage bzw. Akteneinsicht im Einzelfall abgelehnt werden, wenn überwiegende öffentliche oder private Interessen an der Geheimhaltung dies zwingend erfordern (vgl. die entsprechenden Regelungen des einfachen Rechts: § 25 Abs. 1 S. 3 HS 2 BbgVerfSchG; § 2b Abs. 2 Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes — Kontrollgremiumgesetz —). Der Landesregierung steht nach der Verfassungsrechtslage im Land Brandenburg für die Beurteilung der Frage, welche Informationen sie den Abgeordneten zur Verfugung stellt, kein (der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogener) Beurteilungsspielraum zur Seite. Vielmehr unterliegt sie in dieser Hinsicht der vollen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Besch! v. 16.11.2000 — VfGBbg 31/00 LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11, 183, 193 mwN). Ob für die Versagung gem. Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV ein ebensolcher oder aber ein strengerer Prüfungsmaßstab als bei der Versagung gem. § 25 Abs. 1 S. 3 BbgVerfSchG anzulegen ist, bleibt dabei ohne Bedeutung (insoweit unergiebig: \ Jeher/ livers /Ernst Verfassung des Landes Brandenburg, Nr. 5.3 zu Art. 11 a.E.: „sind ... wohl strengere Maßstäbe anzulegen"). b) Die verfassungsgerichtliche Uberprüfung ergibt Folgendes: aa) Entgegen der im Bescheid vom 6.11.2003 geäußerten Rechtsauffassung hat das Parlament allerdings nicht die Befugnis, die der Antragstellerin zu 1. zustehende Kontrollbefugnis gem. Art. 56 Abs. 4 LV durch die Einsetzung der PKK „generell" an diese wirksam zu delegieren, da das Parlament nicht Inhaber des Individualrechts des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV ist und daher auch nicht zu Lasten des einzelnen Abgeordneten über dessen Rechte verfügen kann. bb) Für die Verweigerung der Akteneinsicht spricht zunächst das öffentliche Interesse an der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes. Der Brandenburgische Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder (§ 1 Abs. 1 BbgVerfSchG). Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist oberstes Strukturprinzip auch der Verfassung des Landes Brandenburg und erfordert, dass die durch die Landesverfassung verbürgten übrigen Strukturprinzipien, Rechte und Pflichten in einen Ausgleich gebracht werden, der den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stets bestmöglich gewährleistet (vgl. zu deren Inhalt und Umfang: BVerfGE 2, 1, 12 f). Von diesem Grundsatz ausgehend kommt der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes angesichts dessen auf den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteten Tätigkeit ein hoher Stellenwert zu. Eine effektive Tätigkeit setzt zugleich ein hohes Maß an Geheimhaltung voraus. Andernfalls wäre dem Verfassungsschutz eine effektive Arbeit verwehrt. Überdies bestünde die Gefahr, dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der anderen Bundesländer entgegen der bundesgesetzlich vorgesehenen Regel die ZusammenLVerfGE 15

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arbeit mit der brandenburgischen Verfassungsschutzbehörde verweigern (§§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BVerfSchG). cc) Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes ist allerdings kein Selbstzweck. Sie dient allein dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Angesichts von Art und Umfang der dem Verfassungsschutz an die Hand gegebenen nachrichtendienstlichen Mittel (§§ 6 ff BbgVerfSchG) und wegen der mit der Anwendung dieser Mittel ggf. einhergehenden Schwere von Grundrechtseingriffen ist zwar eine effektive aber den Bürger nicht mehr als erforderlich belastende Tätigkeit des Verfassungsschutzes geboten. Andernfalls würde der Verfassungsschutz mehr als notwendig in die Grundrechtssphäre der Bürger eingreifen und sich ggf. sogar selber von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entfernen. Deshalb ist eine Kontrolle des Verfassungsschutzes notwendig und von Verfassungs wegen ebenso geboten. Diesem besonderen Kontrollerfordernis dient auch das Individualkontrollrecht eines jeden Abgeordneten. dd) Gem. Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV müssen die dem Akteneinsichtsverlangen gegenüberstehenden überwiegenden öffentlichen Interessen an der Geheimhaltung die Ablehnung der Akteneinsicht zwingend erfordern. Diese Entscheidung ist dem Abgeordneten mitzuteilen und zu begründen (Art. 56 Abs. 4 S. 2 LA7). Dieses Entscheidungsprogramm erfordert von der Landesregierung, dass alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte, die in der Person des jeweiligen Antragstellers liegen und für ihn in seinem Sinne günstig sind, soweit zumutbar vollständig ermittelt, gewichtet und anschließend mit den öffentlichen Interessen abgewogen werden. Es ist ihr hierbei grundsätzlich verwehrt, den antragenden Abgeordneten ohne Würdigung des Einzelfalls zu bescheiden. Die Pflicht zur Ermitdung, Gewichtung und Abwägung der Interessen geht mit der Pflicht zur Begründung der Entscheidung einher. Erst wenn die den antragenden Abgeordneten beschwerende Entscheidung eine Abwägung aller für den Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte erkennen lässt, ist dem von Verfassungs wegen bestehenden Ermitdungs-, Gewichtungs- und Begründungserfordernis des Art. 56 Abs. 4 LV genüge getan. In welchem Umfang darüber hinaus die Abwägung der widerstreitenden Interessen einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber der Antragstellerin zu 1. durch den Bescheid vom 6.11.2003 bereits gegen das Ermitdungs- und Begründungserfordernis des Art. 56 Abs. 4 LV verstößt. (1) Soweit als entscheidungserheblich davon ausgegangen wird, dass sich Arbeitsmittel und -methoden des Verfassungsschutzes aus den Unterlagen ergäben, trägt dies die Ablehnungsentscheidung im Ergebnis nicht. Denn es bleibt unberücksichtigt, dass die Antragstellerin zu 1. als Mitglied der PKK ohnehin - zumindest auszugsweise — dementsprechende Kenntnisse bereits erlangt haben dürfte. Auch ihre besondere Verschwiegenheitspflicht und die damit einhergehende Befugnis, Einsicht in nach der Verschlusssachenordnung des Landtages BrandenLVerfGE 15

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bürg zumindest als „geheim" eingestufte Unterlagen zu nehmen, blieben unberücksichtigt. Ferner hat die Antragsgegnerin nicht als die Antragstellerin zu 1. weniger belastendes Mittel erwogen, die Einsichtnahme unter Anwendung der Verschlusssachenordnung des Landtages oder mittels die Modalitäten der Einsichtnahme regelnder Auflagen zu gestatten. Nicht zuletzt kommt in Zweifelsfällen dem Informationsinteresse des Abgeordneten das höhere Gewicht zu (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 16.11.2000 - VfGBbg 31/00 LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 11,183,192 f). (2) Das die Beschränkung des Akteneinsichtsrechts grundsätzlich tragende Erfordernis der Verwirklichung des Geheimnisschutzes greift in der Person der Antragstellerin zu 1. nicht offensichtlich durch. Sie genießt als Mitglied der PKK ein gesteigertes, sich durch die Wahl gem. § 24 Abs. 1 BbgVerfSchG ausweisendes Vertrauen und unterliegt den besonderen Geheimnisschutzverpflichtungen des § 26 Abs. 2 BbgVerfSchG. Sie ist befugt, Einblick in alle Unterlagen zu nehmen, die durch den Verfassungsschutz der PKK zur Verfügung gestellt werden. Zwar mag es Umstände geben, die die Akteneinsicht auch durch Mitglieder der PKK im Einzelfall ausschließen, doch kann darauf ein genereller Ausschluss des Akteneinsichtsrechts der Antragstellerin zu 1. nicht gestützt werden. (3) Soweit nach einfachem Recht ein Aktenvorlagebegehren der PKK ihres Mehrheitsbeschlusses bedarf (§ 25 Abs. 1 S. 3 BbgVerfSchG), so bleibt dies sowohl auf die gesteigerte Vertrauensstellung, die die Antragstellerin zu 1. innehat, als auch auf den Umfang der der Antragstellerin zu 1. zustehenden Rechte ohne Einfluss. Denn das Mehrheitsprinzip innerhalb der PKK stellt sich — in Fortsetzung des Mehrheitsprinzips des Parlaments - als Verfahrensregel dar, die zuallererst die Arbeitsweise der PKK betrifft (Verfahrensfragen, Nutzung der Kontrollzeit der PKK, Umfang der Kontrolle im Einzelfall). Das Mehrheitsprinzip gründet sich aufgrund des umfassenden Kontrollauftrags der PKK gerade nicht auf die Beantwortung der sich jeweils im Einzelfall stellenden Frage, ob Vorgänge innerhalb des Verfassungsschutzes derart geheim sind, dass selbst die PKK nicht in die Vorgänge Einsicht nehmen dürfte. Diese einzelfallbezogene Abwägungsentscheidung steht der PKK nicht zu (vgl. § 25 Abs. 1 S. 3 HS 2 BbgVerfSchG: „... sofern dem nicht überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen; die Landesregierung hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen"). Vielmehr entscheidet die PKK mehrheitlich, welche Vorgänge ihr — angesichts der für die Ausschussarbeit lediglich begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit — überprüfens- und aufklärenswert erscheinen. Mithin entwickelt eine Entscheidung der PKK, einen Vorgang nicht näher zu beleuchten, keine Sperrwirkung für die Kontrolltätigkeit an sich, sondern hat allein Einfluss auf den Inhalt der weiteren Tätigkeit der PKK. Nach den Äußerungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverfassungsgericht steht fest, dass sich die bisherige Zusammenarbeit zwischen der PKK und dem Verfassungsschutz auch auf LVerfGE 15

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die Beantwortung von Anfragen einzelner Mitglieder der PKK erstreckte; auch fanden Gespräche und Treffen mit einzelnen Mitgliedern der PKK statt. Danach stellt der Informationszugriff durch einzelne Mitglieder der PKK keine Störung der Arbeit des Verfassungsschutzes dar. Gegenteiliges hat die Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen. (4) Auch aus einer Gesamtschau des gem. Art. 31 GG vorrangigen Bundesrechts ergibt sich weder aus den in der Person der Antragstellerin zu 1. liegenden Gründen noch aus dem Mehrheitsbeschluss der PKK eine zwingende Ablehnung des Akteneinsichtsbegehrens der Antragstellerin zu 1. von vornherein. Denn ein dahingehender Automatismus lässt sich den bundesgesetzlichen Vorschriften nicht entnehmen. Die bundesrechtlichen Mindestanforderungen an den Geheimschutz (zu diesen: s.o. II. 2. c)) werden durch die Mitgliedschaft der Antragstellerin zu 1. in der PKK gewahrt. Die Mitglieder der PKK werden gem. § 24 Abs. 1 BbgVerfSchG gewählt und unterliegen den besonderen Geheimnisschutzverpflichtungen des § 26 Abs. 2 BbgVerfSchG sowie der Befugnis des Landtags, die Anzahl der Mitglieder der PKK auf bis zu fünf festzulegen (§ 24 Abs. 1 S. 2 BbgVerfSchG). Mangels Kompetenz des Bundes, das Verfahren der Kontrolle des Verfassungsschutzes eines Landes im Einzelnen zu regeln (s.o. II. 2. c)), entwickelt der Mehrheitsbeschluss der PKK auch nach Bundesrecht keine Sperrwirkung zu Lasten der Antragstellerin zu 1. (5) Das der Antragstellerin zu 1. zustehende Einsichtsrecht steht auch nicht im Widerspruch zu den nach einfachem Recht der PKK an die Hand gegebenen Kompetenzen. Denn die Tätigkeit der PKK wird nicht entwertet, da ihr im Vergleich zu ihren Mitgliedern weiterreichende Kompetenzen zustehen (§ 25 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BbgVerfSchG: Berichtspflichten der Landesregierung; § 25 Abs. 3 BbgVerfSchG: Petitionsrecht einzelner Bürger; § 26 Abs. 3 BbgVerfSchG: Unterrichtung des Landtags). (6) Es ist nicht Aufgabe des Landesverfassungsgerichts, Geheimhaltungsgründe, die hier im Einzelfall gegen die Akteneinsicht durch die Antragstellerin zu 1. sprechen könnten, zu ermitteln und diese gegenüber dem Recht der Antragstellerin abzuwägen. Dies oblag der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Reichweite des Rechts aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 iVm Abs. 4 LV. (7) Nichts anderes gilt angesichts des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 14.4.2004 im verfassungsgerichtlichen Verfahren, in der die durch Bescheid vom 6.11.2003 ausgesprochene Versagung durch eine Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gestützt werden soll. Denn das Nachschieben von Gründen, die eine ablehnende Entscheidung gem. Art. 56 Abs. 4 LV stützen, ist im verfassungsgerichtlichen Verfahren ebenso wenig möglich wie die nachträgliche Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gem. Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV (vgl. zur Frage der Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen im Verfassungsprozess, LVerfGE 15

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jedoch vorrangig die Ergänzung einer Gesetzesbegründung betreffend: Jan^J Rademacher LKV 2004, 186). Daher unterliegt allein der Bescheid vom 6.11.2003 der verfassungsgerichtlichen Überprüfung. (a) Der Streitgegenstand im Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht wird vom Antragsteller durch Bezeichnung einer „Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners" festgelegt (§ 36 Abs. 1 VerfGGBbg). Soweit dadurch der Streitgegenstand auf die Versagung eines Rechts festgelegt wird und diese Versagung durch eine mit Gründen versehene Abwägungsentscheidung ausgesprochen wird, so wird allein diese Entscheidung unter Einschluss der ihr zugrunde liegenden Abwägung und Begründung zur verfassungsgerichtlichen Uberprüfung gestellt. Das Landesverfassungsgericht prüft daher nicht abstrakt, ob ein Anspruch grundsätzlich besteht oder ob dieser in Anwendung von Ausschlusstatbeständen im Ergebnis nicht durchgreift, sondern allein, ob die beanstandete Maßnahme in ihrer konkreten Ausgestaltung im Einklang mit der Landesverfassung steht. (b) Nichts anderes folgt aus der prozessualen Sonderregel des § 114 S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) iVm § 13 VerfGGBbg. § 114 S. 2 VwGO bestimmt allein, dass einer nach dem einschlägigen materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht zulässigen Ergänzung von Ermessenserwägungen prozessuale Hindernisse — soweit nicht das Revisionsverfahren betroffen ist (BVerwG, Urt. v. 9.12.1999 - 2 C 40/98 - ; zitiert nach juris) - nicht entgegenstehen (BVerwG, DVB1 1998, 1023, 1026 f), sofern nicht das Ermessen erstmals ausgeübt oder die Gründe einer Ermessensausübung (vollständig oder ihrem Wesensgehalt nach) ausgewechselt werden (BVerwG, NJW 1999, 2912 mwN). Die eine Ergänzung von Ermessenserwägungen ermöglichenden Normen des allgemeinen Verwaltungsrechts (vgl. § 45 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes sowie § 45 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg) werden von § 13 VerfGGBbg jedoch nicht mit umfasst. (c) Schließlich vermögen auch die gegenüber dem Landesverfassungsgericht mitgeteilten (weiteren) Gesichtspunkte die Abwägungsentscheidung nicht in von Verfassungs wegen hinnehmbarer Weise zu tragen. Weiterhin bleibt unberücksichtigt, dass die Antragstellerin zu 1. durch ihre bisherige Tätigkeit in der PKK zumindest teilweise Kenntnisse über die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde, deren Zusammenarbeit mit anderen Verfassungsschutzbehörden sowie über einzelne Personen und konkrete Umstände erhalten haben dürfte. Soweit Mitarbeiter unter ihrem „Klar- und Tarnnamen" aktenkundig sein sollen, wurde eine Unkenntlichmachung vor Gewährung der Akteneinsicht nicht weiter in Betracht gezogen. Soweit die Antragsgegnerin anführt, es könne „nicht angehen, dass brandenburgische Abgeordnete - zumal außerhalb der PKK - Informationen des Verfassungsschutzes des Bundes oder anderer Länder über beobachtete Bestrebungen erhalten, die möglicherweise der Beurteilung durch die dortigen LVerfGE 15

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Kontrollgremien gar nicht zugänglich sind", so wird den besonderen in der Person der Antragstellerin zu 1. als Mitglied der PKK liegenden Verhältnissen nicht Rechnung getragen. Insbesondere genügt der pauschale Verweis auf Abgeordnete, die gerade kein Mitglied der PKK sind, nicht. Auch wird die Vermutung, dass Informationen anderer Verfassungsschutzbehörden der Kontrolle der dortigen Kontrollgremien entzogen seien, nicht weiter gestützt. Schließlich bleibt der Hinweis darauf, dass die Einsichtnahme unter Anwendung der Verschlusssachenordnung des Landtages oder mittels die Modalitäten der Einsichtnahme regelnder Auflagen nicht möglich sei, da dies „zur Sicherstellung der übergeordneten Geheimschutzinteressen" nicht genüge, unsubstantiiert. III. Der Antrag des Antragstellers zu 2. hat in der Sache keinen Erfolg, da die Ablehnung dessen Akteneinsichtsbegehrens durch den Bescheid vom 6.11.2003 nicht gegen die Landesverfassung verstößt. 1. Das Landesverfassungsgericht geht hier nach Lage des Falles noch davon aus, dass der Antrag des Antragstellers zu 2. vom 9.7.2003 an die Antragsgegnerin gerichtet und von dieser beschieden worden ist. Auf die entsprechenden Ausführungen oben zu II. 1. wird Bezug genommen. 2. Der Antragsteller zu 2. kann sich vorliegend dem Grunde nach auf das Akteneinsichtsrecht aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV berufen, das nicht durch Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV beschränkt wird. Auf die entsprechenden Ausführungen oben zu II. 2. wird Bezug genommen. 3. Dem Antragsteller zu 2. steht jedoch im Ergebnis der geltend gemachte Akteneinsichtsanspruch nicht zu, da die Antragsgegnerin in von Verfassungs wegen nicht zu beanstandender Weise die Akteneinsicht gem. Art. 56 Abs. 4 LV abgelehnt hat. a) Bei der nach Art. 56 Abs. 4 S. 1 LV gebotenen Abwägung ist ohne Würdigung des Einzelfalls und ohne Würdigung der in der Person des antragenden Abgeordneten liegenden Besonderheiten dem Geheimschutz stets dann der Vorrang zu geben, wenn ein nicht der PKK angehörender Abgeordneter Einsicht in Akten des Verfassungsschutzes begehrt. Andernfalls wäre der eine effektive Tätigkeit des Verfassungsschutzes ermöglichende Geheimnisschutz in einem von Verfassungs wegen — und auch bundesrechtlich — nicht hinnehmbaren Maße gefährdet. Bei der gebotenen generellen — und nicht an der Person des Antragstellers zu 2. ausgerichteten — Betrachtung ist ausschlaggebend, dass neben dem Antragsteller zu 2. auch jedem weiteren (nicht der PKK angehörenden) Landtagsabgeordneten das gleiche Recht zur Seite stünde. Diese Vielzahl von Einsichtsberechtigten genügt bereits, um in von Verfassungs wegen nicht zu beanstandender Weise von einer —

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sich bei der Abwägung stets durchsetzenden — Gefahr für die Geheimhaltung auszugehen (vgl. BVerfGE 70, 324, 364; BayVerfGH, NVwZ 2002, 1372, 1373). b) Dem sich aus Art. 56 Abs. 4 LV ergebenden Ermittlungs-, Gewichtungsund Abwägungserfordernis ist in diesen Fällen grundsätzlich — so auch vorliegend — bereits durch die Feststellung genüge getan, dass der Abgeordnete nicht Mitglied der PKK ist. Damit korrespondierend ist die Landesregierung einer umfänglichen Begründung enthoben. Sie genügt dem Begründungserfordernis des Art. 56 Abs. 4 LV durch die Feststellung der fehlenden Mitgliedschaft in der PKK und dem sich daraus ergebenden Vorrang des Geheimnisschutzes, der die Ablehnung der Einsicht in Akten des Verfassungsschutzes trägt. c) Den vorstehenden Vorgaben hält der Bescheid vom 6.11.2003 stand. IV. Die unterschiedliche Reichweite der Akteneinsichtsrechte der Antragsteller verstößt nicht gegen den parlamentarischen Gleichheitsgrundsatz (vgl. zu diesem: BVerfGE 96, 264, 278; 102, 224, 238). Soweit die Landesverfassung durch Art. 22 Abs. 3 S. 1 LV iVm Art. 56 Abs. 1 LV eine dahingehende Gleichbehandlung gebietet, wird hiergegen jedenfalls nicht verstoßen. Der Geheimhaltung erfordernde Schutz der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes ist jedenfalls ein angemessener Differenzierungsgrund, der die Antragstellerin zu 1. im Vergleich zu dem Antragsteller zu 2. und anderen Landtagsabgeordneten auch nicht unvertretbar besser stellt, da die Mitgliedschaft in der PKK einen von Verfassungs wegen zumindest vertretbar erscheinen lassenden Differenzierungsgrund darstellt (vgl. zum Erfordernis eines solchen: BVerfGE 93, 195, 204 mwN). V. Schließlich werden auch nicht die Rechte der Opposition (Art. 55 Abs. 2 LV) in unangemessener Weise verkürzt. Art. 55 Abs. 2 LV verbürgt — neben einer Einrichtungsgarantie (vgl. Lieber/Iwers/Ernst Verfassung des Landes Brandenburg, Nr. 2.1 zu Art. 55) - einen (kollektiven) Anspruch auf Chancengleichheit der Opposition im Sinne eines Gruppenrechts. Das individuelle Einsichtsrecht des Abgeordneten aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV dient zwar auch der Verwirklichung dieser Chancengleichheit, wird zu diesem Zweck jedoch nicht zwingend vorausgesetzt. Es steht dem einzelnen Abgeordneten zu. Überdies wird Art. 55 Abs. 2 S. 1 LV für den Bereich der Kontrolle des Verfassungsschutzes ausreichend durch die Vorschriften über die Besetzung der PKK Rechnung getragen (§ 24 Abs. 1 S. 3 LV: „Die parlamentarische Opposition muss angemessen vertreten sein"). C. Die Entscheidung ist mit fünf gegen vier Stimmen ergangen. LVerfGE 15

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Sondervotum der Richterin Prof. Dr. Harms-Ziegler und der Richter Prof. Dr. Schröder, Prof. Dawin und Prof. Dombert Wir stimmen der Entscheidung hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) im Ergebnis und in der Begründung, hinsichtlich des Antragstellers zu 2) in der Begründung nicht zu. Den Antragstellern ist die begehrte Akteneinsicht zutreffend versagt worden. Das jedem Abgeordneten nach Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV zustehende Aktenvorlage- und Einsichtsrecht wird in Be2ug auf Auskünfte zur Tätigkeit des Verfassungsschutzes durch die in Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV statuierte besondere parlamentarische Kontrolle verdrängt und durch die — verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden — Bestimmungen des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes ausschließlich der Parlamentarischen Kontrollkommission zugewiesen. 1. Wie die Mehrheit gehen auch wir davon aus, dass mit dem Vorlagerecht aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV als zentraler Vorschrift der Landesverfassung dem einzelnen Abgeordneten gegenüber der Landesregierung eine herausgehobene Kontrollbefugnis zur Seite steht, die der (allgemeinen) parlamentarischen Kontrolle der Regierung dient. 2. Das Aktenvorlage- und Einsichtsrecht wird in Bezug auf die Tätigkeit des Verfassungsschutzes jedoch durch Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV verdrängt. Die Bestimmung des Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV, nach der der „aufgrund bundesrechtlicher Vorschriften einzurichtende Verfassungsschutz des Landes ... einer besonderen parlamentarischen Kontrolle" unterliegt, stellt im Verhältnis zum (allgemeinen) Akteneinsichts- und Vorlagerecht des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV die spezielle und damit vorrangige Regelung dar. Sowohl mit dem Aktenvorlage- und Einsichtsrecht des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV als auch mit Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV geht es um Formen parlamentarischer Kontrolle, also um die Abgrenzung der Kompetenz von Parlament und Regierung (BremStGH, NVwZ 1989, 953, 955). Prinzipiell erstreckt sich diese Kontrolle auf sämtliche Felder exekutiver Staatstätigkeit, damit auch auf solche, die der parlamentarischen Entscheidung verschlossen sind (BVerfGE 67, 100, 130; BremStGH, NVwZ 1989, 953, 955). Dieser Kontrolle unterliegt damit grundsätzlich auch der Verfassungsschutz als Teil der Exekutive (Ernst in: Lieber/Iwers/Ernst, Verfassung des Landes Brandenburg, Art. 11 Anm. 5.3). Allerdings hat der Verfassungsgesetzgeber für das Sachgebiet des Verfassungsschutzes mit Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV eine „besondere parlamentarische Kontrolle" angeordnet und damit eine Bestimmung geschaffen, die im Vergleich zu Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV durch einen stärkeren Sachbezug zum Kontrollgegenstand gekennzeichnet ist und die damit als Fall normativer Spezialität das individuelle Abgeordnetenrecht des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV verdrängt (zur normativen Spezialität bei Grundrechtskonkurrenzen Piemth/Schlink Grundrechte, Staatsrecht II, 19. Aufl., 2003, Rn. 339).

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a) Dabei stellt - entgegen der Mehrheit des Gerichts - Art. 11 Abs. 3 LV keine Einschränkung des Rechts auf Datenschutz dar. Schon ihrem Wortlaut nach befasst sich die Vorschrift des § 11 Abs. 3 LV nicht mit der Beschränkung des Grundrechts aus Art. 11 Abs. 1 LV. In Art. 11 Abs. 3 LV wird weder ein individuelles Freiheitsrecht noch eine Einschränkung des Grundrechts aus Art. 11 Abs. 1 LV statuiert. Einschränkungen dieses Grundrechtes sind vielmehr ausschließlich Art. 11 Abs. 2 LV als Schrankenbestimmung zu entnehmen. Mit der geforderten Einrichtung des Verfassungsschutzes und seiner parlamentarischen Kontrolle hat die Verfassung keine Regelung darüber getroffen, dass und unter welchen Voraussetzungen das Recht aus Art. 11 Abs. 1 LV einschränkbar ist. Die Bestimmung in Art. 11 Abs. 3 LV betrifft vielmehr die Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Er - und nicht das Grundrecht aus Art. 11 Abs. 1 LV — ist Gegenstand der Norm. b) Der objektive Sinn und Zweck des Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV aber spricht fur eine Auslegung im Sinne einer das allgemeine Kontrollrecht verdrängenden Bestimmung. Die vom Verfassungsgesetzgeber angestrebte besondere Kontrolle des Verfassungsschutzes (Verfassungsausschuss/UA I, 13. Sitzung, S. 14) kann effektiv weder durch den Landtag in seiner Gesamtheit, noch durch eines seiner Gremien, etwa den Innenausschuss, gewährleistet werden. Kontrolle des Verfassungsschutzes kann in diesem Zusammenhang nur bedeuten, das Handeln dieser Behörde transparent und nachvollziehbar zu machen (Ernst in: Lieber/Iwers/Ernst, aaO, Art. 11 Anm. 5.3). Weder der Landtag in seiner Gesamtheit noch der nach dem Ressortprinzip grundsätzlich zuständige Innenausschuss des Landtages erscheinen hierzu geeignet. Der Landtag tagt in der Regel öffentlich (§19 GO-LT) und ist damit in der Regel kein geeignetes Gremium, dem geheimzuhaltende Vorgänge berichtet werden können (wie hier Ernst aaO). Der Innenausschuss wird im Regelfall ebenfalls nicht in der Lage sein, die gebotene effektive Kontrolle zu gewährleisten. Auch wenn die Geschäftsordnung ihn in die Lage versetzt, für seine Beratung Vertraulichkeit zu beschließen (§ 81 GO-LT), wird in der Praxis darauf verwiesen, dass der bei seinen Sitzungen zu beteiligende Personenkreis für die Kontrolle des Verfassungsschutzes „noch zu umfangreich" ist {Ernst aaO). Würde das Akteneinsichtsrecht aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV auch für die Akten des Verfassungsschutzes gelten, hätte das für die Arbeit der PKK gegebenenfalls erhebliche abträgliche Konsequenzen. Denn die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts aus Art. 56 Abs. 3 S. 2 gegenüber den Behörden und Dienststellen des Landes bedarf weder eines bestimmten Anlasses noch einer Begründung. Der Abgeordnete kann die Herausgabe jeder beliebigen Akte verlangen, ohne angeben zu müssen, in welchem Zusammenhang sie ihn interessiert. Für die Akten eines Nachrichtendienstes verbietet sich eine solche Regelung bereits aufgrund der Natur dieser Akten. Würde jedes Mitglied der PKK Anspruch auf Einsicht in jede beliebige Datei des Brandenburger Verfassungsschutzes ohne Angabe von Gründen und unabhängig von den Verhandlungsgegenständen in der PKK haben, LVerfGE 15

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würden sich Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen, die die Arbeit der PKK und die Zusammenarbeit zwischen PKK und Verfassungsschutz schwer beeinträchtigen könnten. Diese Gefahr besteht im Übrigen auch dann, wenn die Akteneinsicht von der Regierung mit dem Hinweis auf „überwiegende öffentliche oder private Belange" gem. § 25 BbgVerfSchG verweigert werden könnte. Bei Anerkennung eines individuellen Akteneinsichtsrechts hätte jedes Mitglied der PKK die Möglichkeit, in einem solchen Fall das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg anzurufen, das dann die Berechtigung der Verweigerung zu überprüfen hätte. Bereits die Möglichkeit als solche ist geeignet, den auch von der Antragstellerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung betonten fairen Umgang zwischen Kommissionsmitglied und Verfassungsschutz zu beeinträchtigen. Es bleibt der PKK unbenommen, für den Fall, dass sie in ihrer Mehrheit nach erfolgter Information eine Akteneinsicht für überflüssig hält, aber ein Mitglied im konkreten Fall Akteneinsicht wünscht, diesen Wunsch als Bitte an den Verfassungsschutz heranzutragen, wie es im Übrigen dem Verfassungsschutz unbenommen bleibt, in vertretbaren Fällen dieser Bitte zu entsprechen. c) Geltend gemacht werden kann auch nicht, nach der Entstehungsgeschichte der Norm sei Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV als bloße Verfahrensnorm zu verstehen, die nicht geeignet sei, Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV einzuschränken, gar zu verdrängen. Richtig ist, dass im Verfassungsausschuss im Zusammenhang mit der diskutierten parlamentarischen Kontrolle darauf hingewiesen wurde „dass es um ein Verfahren gehe und nicht um einen besonderen Ausschuss, der sich anders als andere Ausschüsse zusammensetze" (Abg. Reiche, Ausschussprotokoll VA 1/11, S. 21). Abschließende Bedeutung kann diesem Auslegungshinweis aber nicht zukommen. Zwar lässt der Umstand, dass eine Verfassungsvorschrift noch verhältnismäßig jung ist, in gewissem Umfang Raum für eine subjektivierende Auslegung zur Ermittlung des Willens der am Gesetzesbeschluss beteiligten Organe (LVerfGE 8, 97, 122; vgl. Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 453). Ausschlaggebend für die Auslegung einer Norm ist jedoch letztlich nicht die Vorstellung einzelner, an ihrer Entstehung beteiligter Personen, sondern der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Verfassungs(gesetz)-gebers, wie er sich aus der Bestimmung und nach ihrem Sinn und Zweck ergibt (LVerfGE 8, 87,122; vgl. auch BVerfGE 1, 299, 312; 20, 283, 293; 79, 106, 121; Η. P. Schneider Der Wille des Verfassunggebers, in: Burmeister, FS Klaus Stern, 1997, S. 915 ff). d) Diese Entstehungsgeschichte kann auch bei der Bewertung der systematischen Stellung der Vorschrift im zweiten Hauptteil der Verfassung („Grundrechte und Staatsziele") nicht außer Acht gelassen werden. Zutreffend wird in der Literatur darauf verwiesen, dass die Regelung nur vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte zu verstehen sei (Breidenbach/Kneifel-Haverkamp Handbuch der LVerfGE 15

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Verfassung des Landes Brandenburg, § 21, S. 323 Fn. 38): Anlass für die Regelung im Zusammenhang mit Art. 11 LV als „Datenschutz-Bestimmung" war ausschließlich die ursprüngliche Absicht, in der Landesverfassung das Verbot eines Verfassungsschutzes vorzusehen (ausführlich dazu Ueber/livers/Ernst aaO, Art. 11 Anm. 5.1.). Der Verfassungsausschuss hatte wegen der Erfahrungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zunächst die Errichtung eines landeseigenen Verfassungsschutzes ausgeschlossen, rang sich aber — nachdem er ein bundesrechtliches Errichtungsgebot zur Kenntnis nehmen musste — zur vorliegenden Formulierung durch, bei der „die Distanzierung noch deutlich sichtbar ist" (Breidenbach/ Kneifel-l laferkamp aaO, S. 324 Fn. 38). Als Argument gegen den Vorrang des Art. 11 Abs. 3 LV gegenüber dem Individualrecht aus Art. 56 LV kann die Stellung der Norm im Gesamtgefüge der Landesverfassung daher schwerlich genommen werden, Art. 11 Abs. 3 ist vielmehr als unsystematisches, unorganisches Anhängsel an die — Schutzbereich wie Grenze definierende — Bestimmung des Art. 11 Abs. 1 und 2 LV aufzufassen. 3. Das Landesverfassungsgericht hat bereits an anderer Stelle zutreffend darauf verwiesen, dass sich der Landtag mit den Bestimmungen des BbgVerfSchG mit gutem Grund einer parlamentarischen „Selbstbegrenzung" unterworfen und die parlamentarische Überwachung des Verfassungsschutzes allein auf die Parlamentarische Kontrollkommission als Ganzes delegiert hat (LVerfG, Urt. v. 19.6.2003, NVwZ-RR 2003, 798). Dem entspricht es, wenn mit § 26 Abs. 2 S. 3 BbgVerfSchG im Interesse einer möglichst umfassenden parlamentarischen Überwachung des Verfassungsschutzes — und verfassungsrechtlich einwandfrei (LVerfG aaO) — eine Geheimhaltungsverpflichtung der Kommissionsmitglieder eingeführt worden ist, die auch die Handhabung der Kontrolltätigkeit der Kommission selbst umfassen soll und die nach der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfes eine Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder der Kommission auch gegenüber den eigenen Fraktionen einschließt ('Hirsch Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 283) und die es verbietet, gewonnene Informationen zum Gegenstand parlamentarischer oder außerparlamentarischer Initiativen zu machen (LVerfG aaO; unter Hinweis auf Yriesenhahn Die Kontrolle der Dienste, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, S. 103). Gibt es aber somit nach geltendem Recht und der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts keine Instanz, die die Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission im Einzelfall kontrollieren darf (LVerfG ebd.; Hirsch Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 294; Kissler in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 36 Rn. 19), würde die „besondere parlamentarische Kontrolle" unterlaufen und zunichte gemacht werden, wenn man neben der durch die Parlamentarische Kontrollkommission gewährleisteten Überwachung die „Überprüfung" nach Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV als Ausdruck „allgemeiner" parlamentarischer Kontrolle zulassen würde.

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4. Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV erweist sich somit als Norm, die infolge der mit ihr verbundenen Spezialität eine Einschränkung der Individualrechte des Art. 56 Abs. 3 S. 2 LV zur Folge hat. Dass damit durch die in Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV angeordnete besondere parlamentarische Kontrolle zwingend auch die Aktenvorlage· und Einsichtsrechte einzelner Mitglieder der Kontrollkommission de lege ferenda ausgeschlossen wären, ist damit noch nicht gesagt. Dieser Ausschluss de lege lata folgt freilich aus der einfach-gesetzlichen Konkretisierung, die der Begriff der „besonderen parlamentarischen Kontrolle" in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise durch die Bestimmungen des BbgVerfSchG erfahren hat. Dass Abgeordnetenrechte nicht schrankenlos bestehen, sondern eingeschränkt werden können, steht fest. Der Status des Abgeordneten ist regelmäßig in die vom Parlament sowohl im Interesse seiner Arbeitsfähigkeit wie im Interesse der zur Verhandlung stehenden Gegenstände gesetzten Schranken eingebunden (BVerfGE 70, 359; 10, 4, 13). Soweit es um die Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit geht, steht dem Parlament ein Gestaltungsspielraum darüber zu, wie er einer notwendigen Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung Rechnung trägt. Dies kann durch unterschiedliche, teils geschäftsordnungsmäßige, teils gesetzliche Regelungen geschehen (vgl. BVerfGE 70, 359; 67, 100, 135). Die Bestimmungen des BbgVerfSchG enthalten Vorschriften zu Organisation, Geschäftsgang und Arbeitsweise der parlamentarischen Kontrollkommission und zählen damit materiell zum Geschäftsordnungsrecht (LVerfG, Urt. v. 19.6.2003, NVwZ-RR 2003, 798). Darunter fallen auch Bestimmungen in einfachen Gesetzen, die — wie hier die Bestimmungen des BbgVerfSchG — die Erfüllung parlamentarischer Aufgaben regeln (LVerfG ebd.). Die Vorschriften des BbgVerfSchG sehen hier als alleinigen Adressaten der Unterrichtungspflichten und Kontrollrechte nach § 25 BbgVerfSchG die Parlamentarische Kontrollkommission als Ganzes, nicht aber das einzelne Mitglied vor. Dass der Landtag mit den Bestimmungen des BbgVerfSchG verfassungsrechtliche Grenzen missachtet hätte, kann nicht festgestellt werden. Soweit durch § 25 Abs.l S. 3 BbgVerfSchG ein Akteneinsichtsrecht einzelner Abgeordneter ausgeschlossen ist, ist die Regelung von der Geschäftsordnungsautonomie des Landtages umfasst und verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Wie der Gesetzgeber die „besondere parlamentarische Kontrolle" des Art. 11 Abs. 3 S. 1 LV ausgestaltet, ist zunächst zur näheren Ausgestaltung anheim gestellt. Dass er sich für ein System der Gruppen- oder Gremienkontrolle entschieden hat, ist durch nachvollziehbare Gründe gerechtfertigt und — wie das erkennende Gericht bereits früher zutreffend festgestellt hat verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Nr. 6* 1. Zum Anspruch auf ein zügiges Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg) in einem Verfahren über die Zulassung der Berufung in einem Asylrechtsfall. 2. Die Verpflichtung des Antragstellers, den Berufungszulassungsantrag binnen zwei Wochen zu stellen und auch zu begründen (§ 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 Asylverfahrensgesetz) korrespondiert mit der Verpflichtung des Berufungsgerichts, über den Zulassungsantrag beschleunigt zu entscheiden. 3. Durch einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein zügiges Verfahren vor Gericht in der Vorinstanz verdichtet sich die Pflicht des Rechtsmittelgerichts, das Verfahren nachhaltig zu beschleunigen und binnen kürzester Zeit einer Beendigung zuzuführen. Das zuständige Gericht hat daher unbeschadet der richterlichen Unabhängigkeit - im Einzelfall zu prüfen, ob ein bestimmtes Verfahren anderen - nach der Reihenfolge des Eingangs zunächst vorrangigen - vorzuziehen ist.** Verfassung des Landes Brandenburg Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg §§ 32 Abs. 7 Satz 1; 50 Abs. 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz § 78

B e s c h l u s s vom 9. D e z e m b e r 2004 - V f G B b g 40/04 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren des G., gegen die Untätigkeit des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg im Verfahren .... Entscheidungsformel: 1. Der andauernde Verfahrensstillstand in dem vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg zu Aktenzeichen ... anhängigen Berufungszulassungsverfahren verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg). 2. Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die vor dem Landesverfassungsgericht entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Abdruck auch in: LKV 2005, 354; AuAS 2005, 67; JMB1 2005, 25. Nichtamtliche Leitsätze. LVerfGE 15

Zügiges Verfahren vor Gericht

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Gründe: A. Der Beschwerdeführer macht zu dem beim OVG für das Land Brandenburg zu Aktenzeichen ... anhängigen Berufungszulassungsverfahren die Verletzung seines Rechts auf ein zügiges Verfahren vor Gericht geltend. I. Der Asylantrag des Beschwerdeführers kolumbianischer Staatsangehörigkeit wurde durch Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Klage vor dem VG. Nachdem das VG trotz mehrfacher Sachstandsanfragen des Beschwerdeführers wegen einer Vielzahl ebenso dringender älterer Sachen keinen Termin zur mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellt hatte, erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Das Landesverfassungsgericht stellte fest, dass der andauernde Verfahrensstillstand in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren verletze (Beschl. v. 30.3.2003 — VfGBbg 108/02 JMB1 2003, 44 = LKV 2003, 427 = NVwZ 2003, 1379). Das Verwaltungsgericht wies durch Urteil vom 4.6.2003, dem Verfahrensbevollmächtigten zugegangen am 3.7.2003, die Klage ab. Der Beschwerdeführer beantragte am 16.7.2003 durch seinen Verfahrensbevollmächtigten die Zulassung der Berufung. Diesen Antrag gab das OVG dem Präsidenten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit der Anheimgabe einer Stellungnahme bis Anfang September 2003 zur Kenntnis. Der Verfahrensbevollmächtigte wandte sich in der Folgezeit mit weiteren Schriftsätzen - eingegangen am 14.8., 30.10. und 27.12.2003 - an das OVG, die dem Bundesamt ebenfalls mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis gegeben wurden. Mit bei dem OVG am 8.1.2004 eingegangenem Schriftsatz rügte der Beschwerdeführer die Verletzung des Anspruchs auf ein zügiges Verfahren vor Gericht und verwies auf den durch die Verfahrensdauer vor dem VG durch das Landesverfassungsgericht bereits festgestellten Verstoß gegen die Landesverfassung. Die Wiedervorlage der Verfahrensakte wurde sodann nach jeweils erneuter Vorlage nochmals um zwei Monate, weitere zwei Monate, weitere vier Wochen und weitere drei Wochen verfügt. Mit bei dem OVG am 6.7.2004 eingegangenen Schriftsatz bat der Beschwerdeführer abermals um eine „baldmögliche Entscheidung". Das Oberverwaltungsgericht teilte daraufhin mit, dass ein Entscheidungstermin noch nicht in Aussicht gestellt werden könne, ergänzend, dass „... der bisher für die Verfahren von Asylantragstellern aus dem Herkunftsland Kolumbien zuständige Berichterstatter mit Ablauf des Monats Juni aus dem Senat ausgeschieden ist, ohne dass ein anderer Richter hinzugetreten oder der Senat sachlich entLVerfGE 15

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lastet worden wäre". Die Wiedervorlage der Verfahrensakte wurde abermals um zwei Monate und weitere zwei Monate — schließlich zur Wiedervorlage am 8.11.2004-verfugt. II. Mit der am 20.7.2004 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts auf ein zügiges Verfahren vor Gericht (Art. 52 Abs. 4 S. 1 Verfassung des Landes Brandenburg — LV —). Die Verfahrensdauer sei nicht mehr hinnehmbar. Er unterliege bislang den üblichen Restriktionen eines Asylbewerbers (Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft, örtlich beschränkte Aufenthaltsgestattung, Genehmigungserfordernis für Arbeitsaufnahme). Diese Beschränkungen sowie die andauernde Ungewissheit über die Fortdauer des Asylverfahrens würden ihn psychisch belasten und seine Lebensplanung beeinträchtigen. Überdies gebiete das für Asylverfahren spezialgesetzlich geregelte Berufungszulassungsverfahren eine zügige Entscheidung des Β erufungsgerichts. III. Der Präsident des OVG hat, was die Sache selbst angeht, von einer Stellungnahme abgesehen und ansonsten auf die Belastungssituation des Gerichts, „welche leider in sehr vielen Streitsachen keine Entscheidung innerhalb des von den Rechtsschutzsuchenden berechtigterweise erwarteten Zeitraums zulässt", verwiesen. Dieser Situation könne nur durch eine Verstärkung der richterlichen Arbeitskraft wirksam begegnet werden. Die Bemühungen um die Schaffung eines weiteren Senats seien im Wesentlichen erfolglos geblieben. Die unzureichende Personalausstattung könne durch Maßnahmen des Präsidiums im Rahmen der Geschäftsverteilung nicht kompensiert werden. B. Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (§§ 45, 46, 47 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg — VerfGGBbg —). Insbesondere kann der Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen werden, sich gegen die von ihm als zu lang empfundene Verfahrensdauer mit durch die Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Rechtsmitteln oder -behelfen zur Wehr zu setzen (s. bereits bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2003 - VfGBbg 108/02 - aaO). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass hier die Verletzung eines Landesgrundrechts im LVerfGE 15

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Rahmen eines bundesrechtlich — hier durch die Verwaltungsgerichtsordnung — geordneten Verfahrens gerügt wird. Die insoweit erforderlichen Voraussetzungen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, std. Rspr. seit Beschl. v. 16.4.1998 - VfGBbg 1/98 LVerfGE 8, 82, 84 f unter Bezugnahme auf BVerfGE 96, 345, 371 ff; zuletzt Beschl. v. 16.9.2004 - VfGBbg 38/04 - ) sind gegeben (s. bereits bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2003 - VfGBbg 108/02 - aaO). II. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der andauernde Verfahrensstillstand in dem Verfahren auf Zulassung der Berufung vor dem OVG verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht aus Art. 52 Abs. 4 S. 1 LV. 1. Das Landesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20.3.2003 — VfGBbg 108/02 - (aaO) bereits ausgeführt: „Artikel 52 Abs. 4 S. 1 LV ist ein Grundrecht (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, std. Rspr. seit Beschluss vom 19. Mai 1994 - VfGBbg 6/93, 6/93 EA LVerfGE 2, 105, 112 und Beschluss vom 14. Juli 1994 - VfGBbg 3/94 - , LVerfGE 2, 115 [Leitsatz 1], 116). Es konkretisiert den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes zu einem Grundrecht auf ein zügiges Verfahren vor Gericht und gewährleistet, dass gerichtliche Entscheidungen in angemessener Zeit ergehen (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2001 — VfGBbg 2/01 - , LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 3, 6 ff). ... Die angemessene Verfahrensdauer lässt sich nicht generell und abstrakt, sondern nur nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles bemessen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 14. Juli 1994 — VfGBbg 3/94 - aaO, vom 19. Januar 1995 - VfGBbg 9/94 LVerfGE 3, 129, 133 und vom 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - aaO). Dabei ist neben dem eigenen prozessualen Verhalten des Beschwerdeführers — etwa wenn er durch verzögernde Anträge (vgl. für einen solchen Fall Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 1995 - VfGBbg 9/94 - aaO) zur Verfahrensverlängerung beigetragen oder den Arbeitsaufwand durch ungeordnetes und unübersichtliches Vorbringen erhöht hat (vgl. insoweit Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - aaO) - nicht zuletzt die Bedeutung der Angelegenheit für den Beschwerdeführer (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2001 - VfGBbg 2/01 - aaO; BVerfG, Beschluss vom 30. April 1992 - 1 BvR 406/89 - zitiert nach juris) zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist auch zu berücksichtigen, dass die Gründe außerhalb der Sphäre des Gerichts liegen (vgl. BVerfG, EuGRZ 1982, 75), wie es bei erschwerten Ermittlungen oder z.B. bei Verfahrensunterbrechungen durch äußere Umstände der Fall sein kann. Dagegen ist - im Land Brandenburg nach der Umstrukturierung der Justizorganisation im Rahmen der Wiedervereinigung (vgl. hierzu Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2001 — VfGBbg 2/01 — aaO) — die besondere Situation des angerufenen Gerichts, etwa LVerfGE 15

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seine Überlastung, nach nunmehr über 10 Jahren nicht mehr beachtlich. Das Rechtsstaatsprinzip erfordert eine funktionsfähige Rechtsprechung, zu der eine angemessene Ausstattung der Gerichte gehört (s. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28.03.2001 - VfGBbg 2/01 - aaO mwN)." Hieran ist festzuhalten. 2. Vorliegend lässt sich die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens gemessen an dem Anspruch auf ein zügiges Verfahren vor Gericht nicht mehr rechtfertigen. Das Verfahren war beim OVG bis zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde rund ein Jahr lang anhängig. Während dieser Zeit ist das Zulassungsverfahren — wie auch nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde — nicht nennenswert gefördert worden. Gemessen an den hier im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkten ist diese Verfahrensdauer zu lang. a) Vorliegend ist jedenfalls die Zeit mit in den Blick zu nehmen, die seit Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung bei Gericht insgesamt verstrichen ist. Dies folgt zunächst aus dem sich aus der spezialgesetzlichen Regelung des Berufungszulassungsverfahrens in Asylsachen (§ 78 Asylverfahrensgesetz — AsylVfG —) ergebenden Beschleunigungsgebot (vgl. zu diesem: Gemeinschaftskommentar ^um Asylveifahrensgesett^ — GK Rn. 560 zu § 78). Dies dient nicht ausschließlich der Entlastung der Berufungsgerichte. Denn die Verpflichtung des Antragstellers, den Berufiingszulassungsantrag binnen zwei Wochen zu stellen und zu begründen (§ 78 Abs. 4 S. 1 und 4 AsylVfG) und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den maßgeblichen Zulassungsgrund im Einzelnen darzulegen, was das Berufungsgericht in die Lage versetzt, anhand der vorgetragenen Gründe über die Zulassung der Berufung entscheiden zu können, ohne den gesamten Streitstoff durchdringen und ohne weitere Ermittlungen anstellen zu müssen (vgl. Marx Asylverfahrensgesetz, 5. Aufl. 2003, Rn. 465 zu § 78), korrespondiert mit der Verpflichtung des Berufungsgerichts, über den Zulassungsantrag beschleunigt zu entscheiden (vgl. GK Rn. 560 zu § 78). Auch der Asylbewerber soll bald möglich Gewissheit darüber erlangen, ob seiner erstinstanzlich abgewiesenen Klage in der Berufungsinstanz überhaupt noch Aussicht auf Erfolg zukommt. Überdies hatte bereits das VG den Anspruch des Beschwerdeführers auf ein zügiges Verfahren vor Gericht verletzt (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 20.3.2003 - VfGBbg 108/02 - aaO). Unbeschadet der Frage, ob und ggf. wie ein Verfassungsverstoß in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren materiell zu berücksichtigen sein könnte (vgl. zu diesem Problemkreis: Bien/Guillaumont EuGRZ 2004, 451, 457), verdichtet sich jedenfalls durch einen Verfassungsverstoß in der Vorinstanz die Pflicht des Rechtsmittelgerichts, das Verfahren nachhaltig zu beschleunigen und binnen kürzester Zeit einer Beendigung zuzuführen (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3320, 3321). Das zuständige Gericht hat daher im Einzelfall zu prüfen, ob ein bestimmtes Verfahren anderen — nach LVerfGE 15

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der Reihenfolge des Eingangs zunächst vorrangigen — vorzuziehen ist. Für eine derartige Prüfung durch das OVG ist nichts erkennbar. b) Die dem Bundesamt nach Eingang des Zulassungsantrags gewährte Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. die seitens des Beschwerdeführers nachgereichten Schriftsätze stehen der unzureichenden Förderung des Verfahrens nicht entgegen. Denn die Gelegenheit zur Stellungnahme im Verfahren darf ein nicht nur vorübergehendes Abwarten des Gerichts nicht zur Folge haben. Auch kann dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden, er habe durch zu den Gerichtsakten gereichte Schriftstücke das Verfahren verkompliziert und den Bearbeitungsaufwand erhöht (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 28.3.2001 - VfGBbg 2/01 LVerfGE Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 3, 7). Vielmehr betreffen die von seinem Verfahrensbevollmächtigten vorgelegten — zumindest teilweise aktuellen — Zeitungsausschnitte, Auszüge aus dem Internet und sonstigen schriftsätzlichen Zusammenstellungen die Situation in Kolumbien und damit unmittelbar den verfahrensgegenständlichen Asylgrund. Unabhängig davon ist seit dem 8.1.2004 die Wiedervorlage der Verfahrensakte — jeweils ohne verfahrensfördernde Maßnahmen - wiederholt verfügt worden. Weder der Beschwerdeführer noch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge haben sich in diesem Zeitraum zur Sache schriftsätzlich geäußert oder auf das Verfahren verzögernd — und sei es nur durch Beweisanträge oder andere die Sachaufklärung betreffende Anträge — eingewirkt. c) Schließlich ergeben sich für den Beschwerdeführer weiterhin — wie bereits für das Verfahren vor dem VG — erhebliche Auswirkungen auf seine tatsächliche Situation. Auf die entsprechenden Ausführungen im Beschluss des erkennenden Gerichts vom 20.3.2003 - VfGBbg 108/02 - (aaO) wird Bezug genommen. 3. Das Landesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 20.3.2003 — VfGBbg 108/02 — (aaO) bereits ausgesprochen, dass es nicht darauf ankomme, worauf die Verfahrensverzögerung „letzten Endes" zurückzuführen sei. Dies gilt auch vorliegend. Die gem. § 50 Abs. 2 S. 1 VerfGGBbg festzustellende verfassungsverletzende „Handlung oder Unterlassung" liegt in der verzögerten Bearbeitung des Zulassungsantrags durch das OVG. Es ist nicht Aufgabe des Landesverfassungsgerichts, etwaigen, über den Tatbestand einer Verletzung des Anspruchs auf ein zügiges Verfahren vor Gericht hinausgehenden, Ursachen und Hintergründen nachzugehen. Insbesondere unterliegt es nicht der verfassungsgerichtlichen Beurteilung, ob die Verfahrensverzögerung durch eine Änderung der Geschäftsverteilung innerhalb des OVG oder aber nur durch eine Personalverstärkung hätte verhindert werden können. Es ist Sache des OVG, diesen verfassungswidrigen Zustand zu beenden.

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Verfassungsgericht des Landes Brandenburg C.

Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer gem. § 32 Abs. 7 S. 1 VerfGGBbg die vor dem Landesverfassungsgericht entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

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Ents cheidungen des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen* Prof. Dr. Alfred Rinken, Präsident (Hans Alexy) (Günter Bandisch) Dr. Jörg Bewersdorf, Vizepräsident (Karen Buse) (Dr. Axel Bötticher) Dr. Manfred Emst (Dr. Henning Hübner) (Dr. Bertram Zwanziger) Prof. Dr. Eckart Klein (Prof. Dr. Dr. h.c. Josef Isensee) (Dr. Walter Schmel) Prof. Dr. Ulrich K. Preuß (Sabine Heinke) (Horst Frehe) Matthias Stauch (Brigitte Dreger) (Dr. Hein Bölling) Konrad Wesser (Peter Friedrich) (Dr. Herbert Müffelmann)

In Klammern die Stellvertreterinnen und Stellvertreter

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Nr. 1 1. Im Rahmen der Verfassungsautonomie der Länder hat sich die Bremische Bürgerschaft (Landtag) zulässigerweise als Teilzeitparlament organisiert. Auf dieser Grundlage ist die Praxis, außer den Fraktionsvorsitzenden auch jeweils den beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden eine Funktionszulage zu zahlen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine die Freiheit des Mandats und die Gleichheit der Abgeordneten gefährdende Hierarchisierung des Parlaments ist nicht feststellbar. 2. Parlamentsfraktionen kommt im Parlamentsleben eine besondere Bedeutung für die Garantie der Funktionsfähigkeit des Parlaments zu; sie sind dessen maßgebliches politisches Gliederungselement. 3. Parlamentarische Opposition, wie sie von Art. 78 Abs. 1 BremLV ausdrücklich anerkannt ist, kann in dem vom parlamentarischen System vorausgesetzten vollen Umfang nur von Fraktionen/Gruppen wahrgenommen werden. Die Beschränkung der Zuteilung eines Oppositionszuschlags auf Oppositionsfraktionen/Gruppen steht mit Art. 78 Abs. 2 BremLV in Einklang und verstößt auch nicht gegen bundesstaatliche Grundsätze des parlamentarischen Regierungssystems oder des Status des Abgeordneten. 4. Fraktionslose einzelne Abgeordnete haben keinen minderen Rechtsstatus gegenüber fraktionsangehörigen Abgeordneten. Die im Vergleich zu fraktionsangehörigen Abgeordneten geringeren politisch-parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten sind faktische Auswirkungen des Wahlergebnisses, deren Ausgleich von Verfassungs wegen nicht garantiert ist. Grundgesetz Art. 28 Abs. 1; 38 Abs. 1 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen Art. 65 Abs. 1; 66 Abs. 1; 75 Abs. 1; 77; 78; 83 Abs. 1; 140 Abs. 1 Satz 2 Bremisches Abgeordnetengesetz §§ 40; 42; 43; 45 Gesetz über den Staatsgerichtshof §§19 Abs. 1; 25

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Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen Urteil vom 5. November 2004 - St 3/03 -

in dem Organstreitverfahren auf Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Zahlung von Funktionszulagen, der Nichtzahlung eines Oppositionszuschlags und der Ausgleichszahlung an eine Bürgerschaftsfraktion ..., Mitglied der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) — Antragsteller — Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Axel Adamietz, Mozartstraße 19, 28203 Bremen Bremische Bürgerschaft (Landtag), vertreten durch den Präsidenten, Haus der Bürgerschaft, Am Markt 20, 28195 Bremen — Antragsgegnerin — weitere durch Beitritt Beteiligte: a) b)

die Fraktion der SPD in der Bremischen Bürgerschaft die Fraktion der CDU in der Bremischen Bürgerschaft

Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Pottschmidt und Prof. Rohr, Heckenweg 41, 28790 Schwanewede Mitwirkungsberechtigter: der Senator für Justiz und Verfassung Entscheidungsformel: 1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Verfahrensbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. 2. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen. 3. Die Freie Hansestadt Bremen hat dem Antragsteller ein Viertel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: A. Gegenstand des Verfahrens sind Beschlüsse der Antragsgegnerin, der Bremischen Bürgerschaft Landtag), bzw. ihrer Organe (Vorstand, Haushalts- und Finanzausschuss, Plenum), durch die sich der Antragsteller in seinen ihm nach der Landesverfassung zustehenden Rechten als Mitglied der Bürgerschaft verletzt sieht. Gerügt werden die Zahlung von Funktionszulagen an andere Personen als Fraktionsvorsitzende aus den den Bürgerschaftsfraktionen zugewiesenen Geldleistungen und der Ausschluss des Antragstellers aus dem Empfängerkreis des LVerfGE 15

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Oppositionszuschlags. Ferner hatte der Antragsteller zunächst eine wahlbedingte Ausgleichszahlung an eine Bürgerschaftsfraktion gerügt. I.

Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft (Art. 77 BremLV, §§ 36 ff BremAbgG) werden zur Erfüllung ihrer Aufgaben finanziell und sachlich unterstützt. § 40 BremAbgG bestimmt: Geld- und Sachleistungen §40 (1) Die Fraktionen haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anspruch auf Geld- und Sachleistungen aus dem Haushalt der Freien Hansestadt Bremen. (2) Die Geldleistungen setzen sich aus einem Grundbetrag für jede Fraktion, einem Betrag für jedes Mitglied und einem weiteren Zuschlag für jedes Mitglied einer Fraktion, die den Senat nicht trägt (Oppositionszuschlag), zusammen. Die Höhe dieser Beträge und des Oppositionszuschlages legt die Bürgerschaft in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 3 Satz 1 fest. Weitere Geldleistungen aus Anlass von Untersuchungsausschüssen, für moderne Bürokommunikation sowie für weitere besondere Aufwendungen erhalten die Fraktionen nach Maßgabe des Haushaltsplans. Dasselbe gilt für die Vergütung und die Versorgung der Fraktionsgeschäftsführer. (3) Die Sachleistungen werden nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes der Freien Hansestadt Bremen erbracht. (4) Leistungen nach Absatz 1 dürfen die Fraktionen nur für Aufgaben verwenden, die ihnen nach der Landesverfassung, diesem Gesetz und der Geschäftsordnung der Bürgerschaft obliegen. Eine Verwendung für Parteiaufgaben ist unzulässig. (5) Die Geldleistungen nach Absatz 1 werden den Fraktionen nach § 15 Abs. 2 der Landeshaushaltsordnung zur Selbstbewirtschaftung überwiesen. Die Fraktionen dürfen Rücklagen bilden. Die am Ende des jeweiligen Rechnungsjahres nicht verausgabten Mittel werden auf den Fraktionshaushalt des folgenden Jahres übertragen.

Mit der Rechnungslegung der Fraktionen und der Rechnungsprüfung befassen sich §§ 42 und 43 BremAbgG. § 45 BremAbgG erstreckt die Geltung der §§ 36-44 des Gesetzes über Fraktionen hinaus auf Gruppen. II. Am 10.7.2003 - nach der Neuwahl der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) im Mai 2003 — beschloss der Vorstand der Antragsgegnerin, eine grundsätzliche

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Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen

Neuverteilung der Fraktionszuschüsse (§ 40 BremAbgG) ab 1.6.2003 vorzunehmen (alte Beträge in Klammern): Grundbetrag Kopfbetrag pro Abgeordneter Oppositionsbonus pro Abgeordneter

monatlich monatlich monatlich

22.000 € (21.760 €) 3.200 € (2.593 €) 2.050 € (2.811 €)

Daraus ergaben sich für 2003 folgende Summen: Fraktion der SPD Fraktion der CDU Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Mitgliedschaft Stadtbürgerschaft

1.761.305 € 1.461.380 € 970.418 € 18.375 €

(1.716.722 €) (1.561.762 €) (906.018 €) (0,0 €)

Die Neuverteilung führte zu einem Mehrbetrag von insgesamt 26.976 €. Der Vorstand der Antragsgegnerin beschloss ferner am 26.8.2003, der CDUFraktion in der Bürgerschaft einen dreimonatigen Ausgleich auf der Grundlage des bisherigen (d.h. vor der Wahl im Mai 2003 bestehenden) Fraktionszuschusses in Höhe von 39.819 € zu gewähren, um ihr Gelegenheit zu geben, sich auf die verringerte Mandatszahl nach der Wahl umzustellen. Der — nicht öffentlich tagende — Haushalts- und Finanzausschuss der Antragsgegnerin beschloss am 5.9.2003, der Vorlage des Vorstandes zuzustimmen und den hierdurch entstehenden Mehrbedarf von 66.795 € durch Aufhebung der Sperre bei der entsprechenden Haushaltsstelle (0010/685 52-8) zu bewilligen. Die Freigabe der Mittel wegen der Neuverteilung der Fraktionszuschüsse (einschließlich Oppositionsbonus) wurde gegen die Stimme des Antragstellers, die Freigabe der Mittel wegen der Ausgleichszahlung an die CDU-Fraktion gegen die Stimmen der Ausschussmitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Antragstellers beschlossen. Im Tagesordnungspunkt „Erhöhung der Fraktionszuschüsse" beschäftigte sich das Bürgerschaftsplenum in seiner öffentlichen Sitzung vom 11.9.2003 mit dem Antrag des Antragstellers, wonach die Erhöhung der Fraktionszuschüsse und die Zahlung eines Ausgleichs an die zahlenmäßig geschrumpfte CDU-Fraktion überflüssig seien und nicht in die durch Sparen und Abbau von konsumtiven Leistungen geprägte haushalts- und finanzpolitische Situation des Landes passten und die Fraktionszuschüsse deshalb auf dem bisherigen Niveau einzufrieren und ein Ausgleichsbetrag an die CDU-Fraktion nicht zu zahlen seien. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Was den Ausgleichsbetrag an die CDU-Fraktion angeht, so hat der Rechnungshof der Freien Hansestadt Bremen in seinem Jahresbericht 2004 über die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung und der Haushaltsrechnung 2002, Freie Hansestadt Bremen (Land) - Bremische Bürgerschaft Drs. 16/173 vom 2.3.2004 — diese Zahlung als mit § 40 Abs. 2 BremAbgG nicht vereinbar beanstandet, zugleich aber mitgeteilt, dass die CDU-Fraktion die gewährten Mittel LVerfGE 15

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nicht in Anspruch genommen u n d zurückgezahlt habe. D e r Rechnungshof hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass der Vorstand der Bürgerschaft den Ausführungen des Rechnungshofs grundsätzlich zugestimmt habe u n d beabsichtige, sich künftig in vergleichbaren Fällen vor einer Entscheidung mit dem Rechnungshof abzustimmen. In seinem Bericht gem. § 40 iVm § 24 B r e m A b g G zur H ö h e der Fraktionszuschüsse (Bremische Bürgerschaft Drs. 16/170 v o m 2.3.2004) erläutert der Vorstand der Bürgerschaft, dass nach der Bürgerschaftswahl 2003 über die Struktur der Fraktionszuschüsse neu zu beraten gewesen sei. Gleichzeitig sei der Tatsache Rechnung getragen worden, dass eine Fraktion ein Mandat nur in der Stadtbürgerschaft erlangt habe. Die Stadtbürgerschaft hat durch das Ortsgesetz zur Änderung des Ortsgesetzes über ausländische Unionsbürger in der Stadtbürgerschaft u n d die nicht der Bürgerschaft (Landtag) angehörenden Mitglieder der Stadtbürgerschaft v o m 8.7.2003 (Brem.GBl. S. 289) beschlossen: „Soweit Mitglieder v o n Fraktionen nur der Stadtbürgerschaft angehören, erhalten die Fraktionen für diese Mitglieder Geld- und Sachleistungen nach § 40 des Bremischen Abgeordnetengesetzes in einer v o m Vorstand der Stadtbürgerschaft festzusetzenden H ö h e " (§ 9 Abs. 2). N a c h § 10a des Gesetzes gelten die Vorschriften dieses Ortsgesetzes für weitere Mitglieder der Stadtbürgerschaft, die nicht der Bürgerschaft (Landtag) angehören, entsprechend. In diesem Sinn errechnet sich der Zuschuss für das Stadtbürgerschaftsmandat wie folgt: monatlicher Kopfbetrag pro Abgeordneter: monatlicher Oppositionsbonus pro Abgeordneter:

1.600 € 1.025 €

Unter Berücksichtigung der ab 1.1.2004 eingetretenen und der ab 1.1.2005 voraussichtlich eintretenden Tariferhöhung k o m m e n folgende Fraktionszuschüsse zur Auszahlung, wobei die Zahlungen ab 2004 unter Haushaltsvorbehalt stehen: Grundbetrag Kopfbetrag Oppositionsbonus

2003 (ab 1.6.) 22.000,00 3.200,00 2.050,00

2004 22.220,00 3.232,00 2.071,00

2005 22.440,00 3.264,00 2.092,00

Für die einzelnen Fraktionen ergeben sich aus diesen Ansätzen die folgenden Fraktionszuschüsse: jahressumme SPD CDU Β 90/Grüne* Summe *davon Stadtbürgerschaft Β 90/Grüne

2003 (ab 1.6.) 1.761.305,00 1.461.380,00 988.793,00 4.211.479,00 18.375,00

2004 1.830.000,00 1.400.560,00 1.069.150,00 4.289.710,00 32.030,00

2005 1.836.000,00 1.405.000,00 1.072.680,00 4.313.832,00 32.136,00

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Den in diesem Bericht enthaltenen Festlegungen hat die Bürgerschaft (Landtag) am 18.3.2004 zugestimmt (Bremische Bürgerschaft, Landtag, 16. WP, Plenarprotokoll, 16. Sitzung, 18.3.2004, S. 840). Den Teil des Verfahrens, der den Beschluss der Antragsgegnerin über eine wahlbedingte Ausgleichszahlung an die CDU-Fraktion betrifft, haben die Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt. B. I. Der Antragsteller ist auf Wahlvorschlag der FDP am 25.5.2003 in die Bremische Bürgerschaft gewählt worden und nimmt dort sein Mandat als fraktionsloser Abgeordneter wahr; er ist auch Mitglied im Haushalts- und Finanzausschuss der Bürgerschaft. In dem von ihm am 1.12.2003 eingeleiteten Organstreitverfahren macht er geltend, dass er durch den Beschluss des Haushalts- und Finanzausschusses vom 5.9.2003, der einem Beschluss des Vorstandes der Bürgerschaft vom 10.7.2003 folgte, und durch den den Ausschussbeschlues bestätigenden Beschluss der Bürgerschaft (Plenum) vom 11.9.2003 in seinen Rechten als Abgeordneter nach Art. 83 Abs. 1 iVm Art. 65 Abs. 1, 66 Abs. 1, 75 Abs. 1 BremLV verletzt sei. Im Einzelnen führt der Antragsteller aus, dass er als Abgeordneter der Bürgerschaft antragsbefugt sei. Die von ihm gerügten Beschlüsse seien der Antragsgegnerin zuzurechnen. Die Einladung zur Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses mit der darin enthaltenen Vorlage des Vorstands der Antragsgegnerin sei ihm erst am 28.8.2003 zugegangen. Die genannten Beschlüsse seien die Grundlage für die den Antragsteller in seinem Recht auf strikte Gleichbehandlung verletzende Fraktionsfinanzierung. Nach den vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Grundsätzen, die entweder unmittelbar oder entsprechend auch im bremischen Verfassungsrecht gälten, seien alle Abgeordneten formal gleich zu behandeln, damit im Parlament keine Abhängigkeiten der Abgeordneten schaffende Hierarchien entstünden (BVerfGE 102, 224, 239). Die Zahl der Abgeordneten, die Funktionszulagen erhalten, müsse deshalb sehr beschränkt bleiben; nur die Fraktionsvorsitzenden selbst, nicht auch die stellvertretenden Vorsitzenden dürften Zulagen erhalten. Die Bremer Praxis, wonach auch die stellvertretenden Vorsitzenden an den Funktionszulagen teilhätten, verstoße damit gegen diesen die Rechte des Antragstellers wahrenden Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Tatsache, dass in Bremen die Funktionszulagen nicht vom Gesetzgeber selbst gewährt, sondern aus den von der Bürgerschaft nach § 40 Abs. 2 BremAbgG festgelegten Geldleistungen an die Fraktionen gezahlt würden, könne an diesem Verfassungsverstoß nichts ändern. Diese als bloße „Umwegfinanzierung" zu qualifizierende LVerfGE 15

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Praxis unterliege denselben rechtlichen Bindungen wie eine unmittelbare gesetzliche Zulagengewährung. Angesichts der besonderen Bedeutung, die Art. 78 BremLV der parlamentarischen Opposition in einem demokratischen Staat zuerkenne, sei gegen einen Oppositionsbonus im Rahmen der nach § 40 Abs. 2 BremAbgG zu zahlenden Geldleistungen nicht grundsätzlich etwas einzuwenden. Allerdings müsse hieran auch der Antragsteller als den Senat nicht tragender Abgeordneter partizipieren. Der Wortlaut von Art. 78 Abs. 2 BremLV und § 40 Abs. 2 BremAbgG, der von Ausstattung der oder von Geldleistungen an (Oppositions-)Fraktionen spreche, stehe nicht entgegen, sondern sei verfassungskonformer Auslegung dahin zugänglich, dass allen der Opposition zuzurechnenden Abgeordneten, auch wenn sie außerhalb einer Fraktion stünden, ein Recht auf Oppositionszuschlag zustehe. Sie hätten die gleichen Aufgaben zu bewältigen wie Fraktionen, also etwa die Kontaktpflege zu den Parteien und Fraktionen derselben politischen Ausrichtung anderer Parlamente in Bund und Ländern. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Oppositionsbonus pro Kopf berechnet, also auf den einzelnen Abgeordneten abgestellt werde. Dass der Antragsteller nicht in den Genuss des Oppositionszuschlages komme, diskriminiere ihn daher gegenüber den Abgeordneten, die einer Oppositionsfraktion angehörten. Dies gelte um so mehr, als bei der Zuteilung von Fraktionsmitteln einschließlich des Oppositionsbonus sogar Abgeordnete, die nur einen Sitz in der Stadtbürgerschaft innehätten, zugunsten ihrer Fraktion mitgerechnet würden. Sollten sich die bremischen Bestimmungen entgegen der Erwartung des Antragstellers nicht in diesem Sinne auslegen lassen, müsse die Grundgesetzwidrigkeit von Art. 78 BremLV festgestellt werden. Der Antragsteller beanstandet ferner das den gerügten Beschlüssen zugrunde liegende Verfahren. Der den Beschluss des Haushalts- und Finanzausschusses veranlassende Vorstandsbeschluss sei nicht bekannt gemacht worden und verstoße gegen das in § 40 Abs. 2 in Bezug genommene Transparenzgebot des § 24 Abs. 3 BremAbgG. Auch habe dem Ausschuss weder ein ordnungsgemäßer Antrag noch eine sonstige Initiative aus der Bürgerschaft vorgelegen, sehe man von dem vom Ausschuss abgelehnten Antrag des Antragstellers selbst ab. Gerade hier, wo eine Entscheidung „in eigener Sache" getroffen werde, sei das Licht der Öffentlichkeit unentbehrlich; dem werde das gerügte Verfahren nicht gerecht. Der Antragsteller beantragt festzustellen: Die Beschlüsse der Antragsgegnerin durch ihren Haushalts- und Finanzausschuss (Land) vom 5. September 2003 betreffend die Aufhebung von Sperren zu den Aufwendungen für Abgeordnete und den Mitteln für die Fraktionen, durch ihren Vorstand betreffend die Neuverteilung von Fraktionszuschüssen in der 16. Wahlperiode sowie durch das Plenum vom 11. September 2003 zur Erhöhung der Fraktionszuschüsse (Antrag Drs. 16/32) verletzen die Rechte des Antragstellers aus Art. 83 Abs. 1 BremLV iVm Art. 65 Abs. 1; 66 Abs. 1 und 75 Abs. 1 BremLV dadurch, dass durch sie Zulagen für andere Fraktionsfunktionsträger als deren Vorsitzende und ein Oppositionszuschlag nach dem Pro-Kopf-Maßstab ausLVerfGE 15

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Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen schließlich für fraktionsangehörige Mitglieder der Opposition in der Antragsgegnerin gewährt werden. Er beantragt ferner anzuordnen, dass ihm die notwendigen Auslagen erstattet werden. Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Sie hält die Anträge für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Die Anträge seien unzulässig. Der Beschluss des Haushalts- und Finanzausschusses vom 5.9.2003 habe keine die Rechtsstellung des Antragstellers betreffenden Wirkungen gehabt; er stelle sich mit der punktuellen Aufhebung von Sperrvermerken zu Haushaltsstellen als bloßer haushaltsmäßiger Vollzug des Beschlusses der Bürgerschaft zu den Haushaltsgesetzen von 2002 und 2003, die durch das Ende der alten und den Beginn der neuen Wahlperiode unberührt geblieben seien, dar und könne Statusrechte des Antragstellers als Abgeordneter nicht berühren; es fehle ihm daher die Antragsbefugnis. Soweit der Beschluss des Vorstandes der Antragsgegnerin vom 10.7.2003 zur Verteilung der Fraktionsmittel gerügt werde, sei er kein geeigneter Angriffsgegenstand. Der Antragsbegründung sei nämlich zu entnehmen, dass der Antragsteller gar keine Einwände gegen die Neuverteilung der Fraktionsmittel dem Grunde und der Höhe nach erheben wolle, sondern als fraktionsloser Abgeordneter Leistungen nach Maßgabe des so genannten Oppositionsbonus beanspruche. Da die Gewährung des Oppositionszuschlags nicht Gegenstand des fraglichen Vorstandsbeschlusses gewesen sei, könne der Antragsteller sein Begehren nicht mit der Organklage gegen diesen Beschluss verfolgen; der Antrag sei insoweit unstatthaft. Soweit der Antragsteller den Plenarbeschluss der Antragsgegnerin vom 11.9.2003 angreife, mit dem der Antrag des Antragstellers auf Unterlassung der Erhöhung der Fraktionszuschüsse abgelehnt werde, sei dies kein geeigneter selbständiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens. § 31 Abs. 1 GO Bürgerschaft gebe zwar jedem Abgeordneten das Recht, Anträge zu stellen, verbürge aber nicht den sachlichen Erfolg dieser Initiativen. Schließlich sei die Bremische Bürgerschaft nicht die richtige Antragsgegnerin insoweit, als sich der Antragsteller gegen die Zahlung von Funktionszulagen durch die Fraktionen zur Wehr setze. Die Beschlüsse der Bürgerschaft befassten sich nicht mit der Zuteilung von Funktionszulagen. Die Bürgerschaft weise den Fraktionen die Zuschüsse mit der Maßgabe der zweckentsprechenden Verwendung nach §§ 40 Abs. 4; 41 BremAbgG zu; die Prüfung der ordnungsgemäßen Verwendung erfolge gem. § 43 BremAbgG durch den Rechnungshof. Der Präsident der Bürgerschaft könne nur eingreifen, wenn ihm entsprechende Verstöße mitgeteilt würden. Ihm sei zwar die Praxis der Funktionszulagen bekannt, doch werde ihre Zuteilung nicht von der Bürgerschaft, sondern von den Fraktionen im RahLVerfGE 15

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men ihres Selbstorganisationsrechts veranlasst. Es fehle daher an Maßnahmen oder Unterlassungen der Antragsgegnerin, die zu einer Rechtsverletzung des Antragstellers fuhren könnten. Darüber hinaus seien die Anträge unbegründet. Dem Antragsteller stehe ein Recht auf Zuteilung eines Oppositionszuschlages nicht zu. Dies schließe bereits der Wortlaut von Art. 78 Abs. 2 BremLV und § 40 Abs. 1 und 2 BremAbgG aus. Danach seien nur Fraktionen berechtigt, zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben (Art. 77 BremLV und § 38 BremAbgG) Geld- und Sachleistungen aus dem Haushalt der Freien Hansestadt Bremen zu erhalten. Die Höhe der Fraktionszuschüsse einschließlich des Oppositionszuschlags lege die Bürgerschaft in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 3 S. 1 BremAbgG fest. In Zukunft solle, nach einem Beschluss des Vorstands der Antragsgegnerin, zu Beginn einer jeden Wahlperiode ein entsprechender Bericht über die Höhe der Fraktions- und Oppositionszuschüsse der Bürgerschaft (Landtag) zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Da sich der Status eines fraktionslosen Abgeordneten grundsätzlich von dem einer Fraktion unterscheide, könne er nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine entsprechende finanzielle Ausstattung beanspruchen. Fraktionen als der organisierten Staatlichkeit eingefügte Gliederungen des Parlaments trügen die parlamentarische Arbeit, indem sie Initiativen ihrer Mitglieder vorbereiteten, aufeinander abstimmten und zu einer umfassenden Information beitrügen; sie machten damit das Parlament erst handlungsfähig. Für diese Arbeit seien die Fraktionszuschüsse bestimmt. Bei fraktionslosen Abgeordneten falle dieser Koordinierungsbedarf hingegen nicht an. Der Ausgleich für Unterstützung, die fraktionsangehörige Abgeordnete durch ihre Fraktionskollegen erhalten könnten, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht durch Geldleistungen zu gewähren. Es genügten insoweit Hilfeleistungen der Verwaltung der Antragsgegnerin, die in vollem Umfang erbracht würden. Auch die vom Antragsteller geltend gemachten Aufwendungen für die Kontaktpflege mit den Gliederungen seiner Partei oder den Fraktionen auf der Ebene des Bundes oder der Länder rechtfertige keine Leistung aus Haushaltsmitteln. Soweit es sich nicht um mandatsbedingte Aufwendungen, sondern um parteipolitisch veranlasste Kosten handele, dürfe ohnehin keine finanzielle Zuwendung erfolgen. Im Übrigen erhalte der Antragsteller wie jeder andere Abgeordnete die Amtsausstattung nach § 7 AbgG; entsprechendes gelte für die Möglichkeit, gem. § 47 BremAbgG Erstattung der aus Gründen der bürgernahen Mandatsausübung anfallenden Kosten zu beanspruchen. Die Tatsache, dass gem. § 9 Abs. 2 Ortsgesetz über ausländische Unionsbürger in der Stadtbürgerschaft und die nicht der Bürgerschaft (Landtag) angehörenden Mitglieder der Stadtbürgerschaft die (Landtags-)Fraktionen auch für Mitglieder, die nur der Stadtbürgerschaft angehören, Geld- und Sachleistungen nach § 40 BremAbgG erhielten, könne der Antragsteller nicht zu seinen Gunsten anführen.

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Es handle sich dabei nämlich um eine kommunalrechtliche, der Entscheidungskompetenz des Staatsgerichtshofs entzogene Frage. Schließlich sei auch die Rüge, die Zahlung von Funktionszulagen an andere Personen als Fraktionsvorsitzende verstoße gegen die Landesverfassung, unbegründet. Die praktizierte Regelung der Funktionszulagen bewege sich im Rahmen der den Fraktionen eingeräumten Autonomie. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich selbst im Laufe der Jahre weiterentwickelt habe, stehe dieser Einschätzung nicht entgegen. Es handle sich nämlich zunächst um einen anderen als dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2000 (BVerfGE 102, 224) zugrunde liegenden Streitgegenstand, da es dort — es stand die Rechtslage in Thüringen zur Diskussion — um die Beurteilung einer gesetzlichen Regelung gegangen sei, während hier die Funktionszulagen aus den Fraktionszuschüssen gezahlt würden. Die Bremische Bürgerschaft sei ferner, anders als das Thüringer Parlament, ein Teilzeitparlament, was sich auch in der Höhe der monatlichen Abgeordnetenentschädigung dokumentiere; so erhalte der Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) gem. § 5 Abs. 1 BremAbgG eine Entschädigung von 2.485,00 €, während der Thüringer Abgeordnete eine Entschädigung von 4.318,34 € (1. November 2002) erhalte. Dem Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft sei es grundsätzlich möglich, seinem eigenen Beruf nachzugehen. Allerdings bestehe diese Möglichkeit faktisch nicht mehr, wenn er sich zur Übernahme von Fraktionsfunktionen bereit erkläre. Um dem Abgeordneten die freie Entscheidung hierzu zu überlassen, sei es geradezu geboten, ihm dann eine angemessene Funktionszulage zu gewähren. In Bremen bestehe die Gefahr einer unbegrenzten Erweiterung des Kreises der Funktionszulagenempfänger nicht, da die Zulagen aus den Fraktionsmitteln zu erbringen seien. Auch der Rechnungshof der Freien Hansestadt Bremen habe gegen die Zahlung von Funktionszulagen an stellvertretende Fraktionsvorsitzende keine Bedenken geäußert, die Zahlung solcher Zulagen für andere als Fraktionsvorstandstätigkeiten aber für unzulässig gehalten. Die Antragsgegnerin gehe davon aus, dass die Fraktionen sich an dieser Auffassung orientierten. II. Die Fraktionen von SPD und CDU in der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) sind dem Verfahren auf Seiten der Antragsgegnerin beigetreten. Sie beantragen, den Antrag des Antragstellers in allen Teilen als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen. Was den Antragsteil „Funktionszulagen" angehe, fehle dem Antragsteller die Antragsbefugnis, da er keinen Zusammenhang zwischen den gerügten MaßnahLVerfGE 15

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men der Antragsgegnerin und einer eigenen Rechtsverletzung herstellen könne. Die Zuweisung von Zuschüssen an die Fraktionen erfolge auf gesetzlicher Grundlage (§ 40 BremAbgG); die Verwendung der zugewiesenen Mittel stehe allein in der Entscheidung der Fraktionen selbst. Auch die Höhe der Fraktionszuschüsse hänge nicht davon ab, ob Funktionszulagen und an welche Personen diese gezahlt würden. Damit entfalle auch eine Gefährdung, jedenfalls eine unmittelbare Gefährdung des Rechtsstatus des Antragstellers durch die Antragsgegnerin. Der Antragsteller habe sich daher nur gegen die Fraktionen wenden können, doch sei insoweit die Antragsfrist verstrichen. Im Übrigen fehle dem Antragsteller auch das Rechtsschutzbedürfnis, da er seinen Anspruch direkt gegen die Fraktionen habe durchsetzen können; dass er insoweit die Frist versäumt habe, sei unbeachtlich. Für die Antragsgegnerin bestehe keine Pflicht, eine Kontrolle über die rechtmäßige Verwendung der Fraktionszuschüsse bereits bei der Freigabe der Mittel auszuüben; §§ 42; 43 BremAbgG sähen vielmehr ein besonderes Kontrollverfahren vor. In den vorsorglichen Bemerkungen zur Begründetheit des Antrags wird ausgeführt, dass die Fraktionen über die Zahlung von Funktionszulagen entschieden. Die Antragsgegnerin selbst habe mit den gerügten Beschlüssen weder Funktionszulagen verteilt, noch habe sie damit eine, an dieser Stelle gar nicht greifende, Kontrolle der Verwendung der Fraktionsmittel durchführen können; denn selbst eine anteilmäßige Kürzung der Fraktionsmittel könne nicht verhindern, dass die Fraktionen auch aus diesen geminderten Beträgen Funktionszulagen gewährten. Die gerügten Maßnahmen könnten schon aus diesem Grund keine Rechtsverletzung des Antragstellers herbeiführen. Die beigetretenen Fraktionen weisen ferner darauf hin, dass alle drei in der Bremischen Bürgerschaft vertretenen Fraktionen an ihre Fraktionsvorsitzenden und an die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Funktionszulagen zahlten; da diese Zulagen aus Fraktionsmitteln stammten, bestehe ein originäres Interesse der Fraktionen, die Höhe der Fünktionszulagen und den Kreis der Zulagenempfänger nicht zu stark auszudehnen. Nach den jeweils innerhalb der Fraktionen festgelegten Bestimmungen erhielten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden eine Funktionsvergütung bei der SPD in Höhe der Grunddiät der Bürgerschaftsabgeordneten und bei der CDU in Höhe des eineinhalb fachen Betrags von Grunddiät und Aufwandsentschädigung. In der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werde den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden jeweils eine Aufwandsentschädigung gem. § 7 BremAbgG gezahlt. Bei den Fraktionen von SPD und CDU gebe es derzeit Einzelabweichungen nach unten. Die Gesamtaufwendungen für Funktionszulagen ergäben sich in vollem Umfang aus den jährlichen Rechnungslegungen der Fraktionen. Von Ausnahmen abgesehen — in der gegenwärtigen Wahlperiode halte einer der sechs stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden seine Berufstätigkeit überwiegend aufrecht und erhalte daher nur 1.000 € als Funktionszulage - seien die AufLVerfGE 15

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gaben des Fraktionsvorsitzes so vielfältig, dass sie vom Fraktionsvorsitzenden allein nicht zu bewältigen, sondern auf das dreiköpfige Fraktionsführungsgremium zu verteilen seien. Zu diesen Aufgaben gehörten unter anderem — Präsenzpflichten im Fraktionsbüro — Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen gegenüber angestellten Mitarbeitern — Politikorganisation nach innen — Politikorganisation nach außen — Kontakte zu anderen Fraktionen mit dem Ziel der Bündelung von Vorhaben — Kontakte zu den Landesvorständen der Parteien, auch zu Bundestagsfraktionen und den bremischen Bundestagsabgeordneten, auch zu den Fraktionen anderer Landtage — Kontakte zur Öffentlichkeit und zu den Medien — Vorbereitung der Parlamentsdebatten. Insgesamt gehe es um die Sicherung der notwendigen Professionalität der Parlamentsarbeit. In einem Teilzeitparlament, dessen Abgeordnete sich gerade nicht als Berufspolitiker verstünden, müsse diese Professionalität durch das Engagement und Management einzelner Abgeordneter gesichert werden. Dies erfordere prinzipiell die volle Arbeitskraft der hierzu bereiten Abgeordneten, denen damit aber die Möglichkeit der Fortführung des eigenen Berufs — von Ausnahmen abgesehen — genommen sei. In kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts halten die beigetretenen Fraktionen die dort zum Ausdruck kommende Beschränkung von Funktionszulagen auf Parlamentspräsidenten und deren Stellvertreter sowie die Fraktionsvorsitzenden für verfehlt, da in der Begründung widersprüchlich und ohne empirische Grundlage gewonnen. Die vom Bundesverfassungsgericht beschworene von Funktionszulagen ausgehende Gefahr der Entstehung von Laufbahndenken und Hierarchien unter den Abgeordneten stütze sich nicht auf tatsächliche Erhebungen. Jedenfalls bestehe sie nicht bei einem Teilzeitparlament, als welches sich die Bremische Bürgerschaft dezidiert verstehe und dessen Charakter sie immer wieder bekräftigt habe. Danach sei die weitere Berufstätigkeit der Abgeordneten der erwünschte Normalfall. Demgemäß seien die Abgeordnetendiäten deutlich unter dem Durchschnitt der in den meisten anderen Landesparlamenten gezahlten Entschädigung festgelegt. Die Arbeitsabläufe der Bürgerschaft seien der fortdauernden Berufstätigkeit der Abgeordneten angepasst. Auch die Inkompatibilitäts- und Entschädigungsregelung (§§ 30; 35 BremAbgG) für Angehörige des öffentlichen Dienstes weise in diese Richtung. Unter diesen Umständen würde die Vorenthaltung der Zulage Abgeordnete, die — als stellvertretende Fraktionsvorsitzende — eigene Berufstätigkeit ausschließende Fraktionsfünktionen übernähmen, schlechter als die anderen Abgeordneten stellen, die ihrem Beruf weiter nachgehen könnten. Alternativen zu diesem nicht hinnehmbaren Ergebnis wäre die Etablierung eines Vollzeitparlamentes, für das aber in Bremen keine Notwendigkeit bestehe, oder die Hinnahme LVerfGE 15

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einer Entwicklung, wonach nur noch Angehörige des öffentlichen Dienstes zur Übernahme des Fraktionsvorsitzes in Betracht kämen; denn diese könnten nach ihrer Wahl in die Bürgerschaft ihre dienstliche Tätigkeit ohnedies nicht mehr ausüben, erhielten aber eine Entschädigung. Die Gefahr, dass sich die Praxis der Funktionszulagenzahlungen ausweite, bestehe in Bremen nicht, wobei es im konkreten Fall nur um die Zulagenzahlung an die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gehe. Eine den Staatsgerichtshof in seiner Entscheidung einschränkende Bindungswirkung lasse sich den Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen nicht entnehmen, da der hier zu prüfende Sachverhalt sich von den dort beurteilten Konstellationen deutlich unterscheide. Auf die Problematik des Oppositionszuschlages gehen die beigetretenen Fraktionen nicht näher ein. §§ 40 Abs. 2 und 45 BremAbgG sowie Art. 78 LV sprächen nur von Fraktionen oder Gruppen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätige, dass Fraktionen besondere Aufgaben wahrnähmen, die im Fall von Einzelmandaten nicht anfielen. In seiner parlamentarischen Tätigkeit werde der Antragsteller nicht allein gelassen, sondern von der Verwaltung und dem wissenschaftlichen Dienst der Antragsgegnerin beraten und unterstützt. Schließlich ließen die das Verfahren des Vorstandes und des Haushalts- und Finanzausschusses der Antragsgegnerin betreffenden Rügen eine Rechtsverletzung des Antragstellers nicht erkennen. III. Der Senator für Justiz und Verfassung hält den Antragsteller im Organstreitverfahren für antragsberechtigt. Im Hinblick auf die Rüge, es würden Funktionszulagen an andere Personen als die Fraktionsvorsitzenden gewährt, fehle dem Antragsteller jedoch die Antragsbefugnis, da nicht die Antragsgegnerin — sei es ihr Vorstand, der Haushaltsund Finanzausschuss oder das Plenum — über die Zahlung von Funktionszulagen entscheide, sondern diese Entscheidung von den Fraktionen selbst getroffen werde. Auch hinsichtlich der von ihm begehrten Teilhabe am Oppositionszuschlag sei der Antragsteller nicht antragsbefugt. Soweit der Beschluss des Vorstandes der Bürgerschaft vom 10.7.2003 angegriffen werde, sei entscheidend, dass dieser schon mangels rechtlicher Grundlage gehindert gewesen sei, dem Antragsteller einen Oppositionszuschlag zu gewähren, weil der Zuschlag nur den Senat nicht tragenden Fraktionen zustehe. Für den den Vorstandsbeschluss nachvollziehenden Ausschussbeschluss vom 5.9.2003 gelte Entsprechendes. Eine eigene, Rechte des Antragstellers verletzende Entscheidung zur Bemessung oder Höhe des Oppositionszuschlags habe der Ausschuss offensichtlich weder getroffen noch von Rechts wegen treffen können. Schließlich fehle es im Blick auf den Beschluss des Plenums vom 11.9.2003 an der Darlegung einer möglichen Verletzung oder GeLVerfGE 15

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fährdung von Rechten des Antragstellers. Die Ablehnung eines Antrags durch das Plenum sei ein normaler parlamentarischer Vorgang. Der abgelehnte Antrag des Antragstellers habe auch nicht darauf gezielt, fraktionslosen oppositionellen Abgeordneten einen Zuschlag zu geben. Mit der Ablehnung des Antrags habe das Plenum daher gar keine materielle Entscheidung über Grund und Höhe des Oppositionszuschlages getroffen, die sich als Verletzung oder Gefährdung von Rechten des Antragstellers darstellen könne. C. Die Verfahrensbeteiligten haben die zwischen den Parteien bestehende Streitigkeit, soweit diese die wahlbedingte Ausgleichszahlung an eine Bürgerschaftsfraktion betrifft, übereinstimmend für erledigt erklärt. Der Staatsgerichtshof sieht angesichts dieser Erklärung keine Veranlassung, das Verfahren unter diesem Aspekt fortzusetzen. Im Umfang der Erledigungserklärung war das Verfahren deshalb einzustellen (vgl. BVerfGE 83,175,181). D. Die verbleibenden Anträge sind zwar zulässig, aber nicht begründet. I. Die Anträge sind zulässig. Die Voraussetzungen eines Organstreitverfahrens liegen vor (Art. 140 Abs. 1 S. 2 BremLV, § 25 BremStGHG). Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin und der beigetretenen Fraktionen ist der Antragsteller antragsbefugt und hat ein Rechtsschutzinteresse an den begehrten Feststellungen. 1. Dies gilt für die behauptete Rechtsverletzung durch Zahlung von Funktionszulagen aus den den Fraktionen von der Bürgerschaft zugewiesenen Geldmitteln (§ 40 BremAbgG) an andere Personen als die Fraktionsvorsitzenden. Nach § 25 Abs. 2 S. 1 BremStGHG ist ein Organstreitantrag zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Landesverfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Der einzelne Abgeordnete kann danach die Verletzung oder Gefährdung jedes mit seinem Status verfassungsrechtlich verbundenen Rechts geltend machen. Der Antrag ist zulässig, wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Antragsgegnerin Rechte des Antragstellers, die aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten erwachsen, durch das beanstandete rechtserhebliche Verhalten verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. BremStGH, Urt. v. 27.2.04 - St 2/03 - , Umdruck S. 12;1 BVerfGE 99, 19, 28). In Rede steht hier das Statusrecht des Antragstellers auf 1

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Freiheit und Gleichheit des Mandats (Art. 83 BremLV iVmArt. 28 Abs. 1; 38 Abs. 1 GG). Der Antragsteller greift nicht die Finanzierung der Fraktionen aus staatlichen Mitteln an, die als solche verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfGE 80, 188, 213). Vielmehr rügt er die von den Fraktionen vorgenommene Zuteilung von Funktionszulagen an Personen außer an Fraktionsvorsitzende, da dies zur Entstehung einer die Gleichheit der Mandate beschädigenden Abgeordnetenhierarchie führe. Zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin besteht ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis. Die Freiheit des Mandats und die Statusgleichheit der Abgeordneten bestehen nicht nur im Verhältnis zur jeweils eigenen Fraktion oder Gruppe; sie sind eine Qualität des Abgeordnetenstatus als solchem, der generell zu gewährleisten ist. Eine Abgeordnetenhierarchisierung träfe jeden Abgeordneten des hiervon betroffenen Parlaments (vgl. BremStGH, aaO - St 2/03 , Umdruck S. 13). Auch die passive Prozessführungsbefugnis der Antragsgegnerin ist gegeben; denn der Antragsteller kann geltend machen, gerade durch die gerügten Maßnahmen oder Unterlassungen der Antragsgegnerin verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Zwar ist der (Plenar-) Beschluss der Bürgerschaft, der gem. § 40 Abs. 2 BremAbgG für die Zeit nach der Bürgerschaftswahl im Mai 2003 die Höhe der an die Fraktionen fließenden Geldleistungen fesdegte, erst am 18.3.2004 gefasst worden. In der Plenardebatte vom 11.9.2003, die durch die Vorschläge des Vorstands der Bürgerschaft vom 10.7.2003 und 26.8.2003 und den daraufhin ergangenen Beschluss des Haushalts- und Finanzausschusses vom 5.9.2003 veranlasst worden ist, wurde jedoch unter dem Tagesordnungspunkt „Erhöhung der Fraktionszuschüsse" der sich unter anderem auf die Höhe der Fraktionsleistungen beziehende Antrag des Antragstellers abgelehnt. Hieraus folgt, dass die Antragsgegnerin, ungeachtet der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt (noch) kein konstitutiver Beschluss nach § 40 Abs. 2 BremAbgG gefasst wurde, nicht nur von den Vorschlägen ihres Vorstandes und dem Beschluss ihres Haushalts- und Finanzausschusses Kenntnis hatte, sondern diese auch inhaltlich billigte. Diese Billigung ist rechtlich erheblich, da offenkundig war, dass das Bürgerschaftsplenum die Durchführung des Beschlusses seines Ausschusses nicht hindern wollte. Die fraglichen, in ihrem Kontext zu betrachtenden Beschlüsse, die den Weg für die konkrete seit Juni 2003 praktizierte Fraktionenfinanzierung freimachten, verhalten sich freilich nicht unmittelbar zur Frage, ob aus diesen Mitteln und ggf. an welche Personen die Fraktionen Funktionszulagen leisten. Dies entspricht § 40 Abs. 5 BremAbgG, wonach die den Fraktionen zustehenden Geldleistungen diesen zur Selbstbewirtschaftung überlassen werden. Daraus — ebenso wenig wie aus der sich aus § 40 Abs. 4 BremAbgG ergebenden Verfassungsbindung der Fraktionen bezüglich der Mittelverwendung - kann jedoch nicht auf das Fehlen des not-

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wendigen Zusammenhangs zwischen dem Verhalten der Antragsgegnerin und der behaupteten Rechtsverletzung des Antragstellers geschlossen werden. Der Antragsgegnerin war einerseits aufgrund einer inzwischen mehrere Wahlperioden zurückreichenden Praxis bekannt, dass die Fraktionen aus den ihnen gem. § 40 BremAbgG überlassenen Geldleistungen nicht nur an ihre Vorsitzenden, sondern auch an je zwei stellvertretende Vorsitzende Funktionszulagen zahlen; früher ist der Kreis der Zulagenempfänger verschiedentlich sogar weiter gezogen gewesen. Andererseits ist insbesondere seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2000 (BVerfGE 102, 224) die Zulässigkeit der Zahlung von Funktionszulagen an andere Personen als die Fraktionsvorsitzenden in eine sehr kontrovers geführte Diskussion geraten. Da es für die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts offenbar irrelevant war, ob die Zulagen — wie in dem vom Bundesverfassungsgericht aaO entschiedenen Thüringer Fall — unmittelbar auf Gesetz beruhen oder allein aufgrund einer Fraktionsentscheidung zur Auszahlung kommen (vgl. Uölscheidt DVB1. 2000, 1734, 1741), kann keineswegs von vornherein von der Hand gewiesen werden, dass die Zahlung von Funktionszulagen auch an stellvertretende Fraktionsvorsitzende mit der Freiheit der Mandate und der Gleichheit der Abgeordneten unvereinbar ist. Ist eine verfassungswidrige Funktionszulagenpraxis aber nicht von vornherein auszuschließen, für die Prüfung der Zulässigkeit also zu unterstellen, so hätte die Antragsgegnerin die Fraktionsmittel nicht ohne Bedingungen zur Verfügung stellen und nicht allein auf die allgemeine Verfassungsbindung der Fraktionen (§ 40 Abs. 4 BremAbgG) und eine nachgängige Kontrolle durch den Rechnungshof (§§ 42; 43 BremAbgG) vertrauen dürfen. Die Antragsgegnerin wäre vielmehr gehalten gewesen, eine entsprechende Qualifizierung ihres Zuweisungsbeschlusses nach § 40 Abs. 2 BremAbgG vorzunehmen oder eine entsprechende Klarstellung in § 40 Abs. 4 BremAbgG selbst vorzunehmen. Angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedrohung der Mandatsgleichheit durch Funktionszulagen ist nicht auszuschließen, dass das Verhalten der Antragsgegnerin, d. h. die vorbehaltlose Zuweisung von Fraktionsmitteln, die Rechte des Antragstellers verletzt, zumindest unmittelbar gefährdet. Dies jedoch genügt, um die Antragsbefugnis zu bejahen (vgl. auch die Argumentation des HambVerfG, LVerfGE 6, 157, 162 f; ferner BVerfGE 102, 224, 232). Auch die Tatsache, dass der Antragsteller die Rechtswidrigkeit der bremischen Funktionszulagenpraxis nicht zum Gegenstand seines in der Plenarsitzung vom 11.9.2003 abgelehnten Antrags machte, steht der Zulässigkeit seines Antrags nicht entgegen. Wäre nämlich diese Praxis verfassungswidrig, wäre es, wie ausgeführt, Sache der Antragsgegnerin, sie zu unterbinden und ihre Fortsetzung nicht weiter zuzulassen; eines besonderen Antrags bedurfte es hierzu nicht. 2. Der Antragsteller ist auch hinsichtlich der begehrten Feststellung, er werde in seinem Statusrecht als Abgeordneter verletzt, weil ihm als fraktionslosem oppositionellem Abgeordneten der Oppositionszuschlag nicht eingeräumt wurde, anLVerfGE 15

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tragsbefugt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er durch diese Versagung als politischer Konkurrent der fraktionsangehörigen Abgeordneten in der Wahrnehmung seiner parlamentarischen Tätigkeit beeinträchtigt wird (vgl. BVerfGE 80, 188, 213). Dies gilt umso mehr, als der Oppositionszuschlag ein pro Kopf berechnetes Element der den Oppositionsfraktionen nach § 40 Abs. 2 BremAbgG zugewiesenen Geldleistungen ist, mit dem die natürlichen Nachteile der Opposition gegenüber der die Landesregierung (Senat) stützenden parlamentarischen Mehrheit partiell ausgeglichen werden sollen. Die Ansicht ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass auch der oppositionelle fraktionslose Einzelabgeordnete in diese Unterstützung für seine Oppositionsarbeit einzubeziehen ist, seine Nichtberücksichtigung in den Zuweisungsbeschlüssen der Antragsgegnerin ihn also in seinen Rechten verletzen kann. Der Hinweis auf den entgegenstehenden Wortlaut von § 40 Abs. 2 BremAbgG, der nur auf Fraktionen abstellt, kann nicht überzeugen. Verstößt der Ausschluss des Antragstellers vom Oppositionszuschlag gegen seine von der Landesverfassung gewährten Rechte (Art. 83 Abs. 1 iVm Art. 78 Abs. 1 BremLV), so würde daran die genannte Gesetzesvorschrift nichts ändern können. Eine Zulässigkeitsschranke für den Antrag stellt sie jedenfalls nicht dar. 3. Der Antragsteller verfügt auch über das notwendige Rechtsschutzinteresse für die erstrebten Feststellungen. Die Tatsache, dass er wegen der Verteilung der Funktionszulagen gegen die Fraktionen selbst vorgehen könnte, ändert nichts daran, dass hier eine Rechtsverletzung durch die Bürgerschaft selbst zulässigerweise behauptet wird. Dieser kann durch Verweis auf die Fraktionen nicht abgeholfen werden. Was den Oppositionszuschlag betrifft, kann ohnedies nur gegen die Antragsgegnerin vorgegangen werden, weil sie den Oppositionszuschlag — als Teil der den (Oppositions-)Fraktionen zustehenden Geldleistungen - festsetzt (§ 40 Abs. 2 BremAbgG). II. Die Anträge haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsteller ist weder durch die Zahlung von Funktionszulagen an die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden noch durch den Ausschluss vom Empfängerkreis des Oppositionszuschlags in dem von ihm geltend gemachten Rechtsstatus als Abgeordneter verletzt (Art. 83 Abs. 1 iVm 65 Abs. 1; 66 Abs. 1; 75 Abs. 1 BremLV). 1. Freiheit des Mandats und Gleichheit des Abgeordneten sind Statusrechte des Abgeordneten, die es ihm ermöglichen, seine Aufgabe wahrzunehmen, Vertreter des ganzen Volkes zu sein. Mit der durch das freie Mandat erfolgenden „Rückkopplung zwischen Parlamentariern und Wahlvolk" (BVerfGE 102, 204, 239) wird zugleich die Brücke geschlagen vom das Wahlrecht beherrschenden strikt formalisierten Gleichheitssatz (vgl. BVerfGE 85, 264, 315; 104, 14, 19 f) zur formellen Gleichheit der Abgeordneten, die ihrerseits die Freiheit des Mandats LVerfGE 15

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gewährleistet (BVerfGE 102, 224, 239). Die Gleichheit der Abgeordneten bedeutet, dass alle Abgeordneten eines Parlaments die gleichen Rechte und Pflichten haben; dies schließt die gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Parlamentsmitglieder bei der Willensbildung des Parlaments mit ein (BVerfGE 80, 188, 218; 102, 224, 237). Insoweit macht es keinen Unterschied, ob ein Abgeordneter einer Fraktion angehört oder nicht; der fraktionslose Abgeordnete hat keinen minderen Rechtsstatus als sein einer Fraktion angehörender Kollege (BVerfGE 80, 188, 218, 220 f). Ausnahmen von der Beachtung des strengen, egalitären Gleichheitssatzes sind nur in zwingenden Fällen zugelassen (vgl. BVerfGE 11, 266, 272; 40, 296, 313; 95, 335, 376; HambVerfG, LVerfGE 6, 157, 165). Nach diesen Maßstaben kann eine Verletzung der Rechte des Antragstellers nicht festgestellt werden. a) Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den das Wahlrecht beherrschenden Grundsatz der formalisierten Gleichheit auch auf die den Abgeordneten (als Einkommen) zustehende Entschädigung (Diäten) bezogen (BVerfGE 40, 296, 318). Ausgehend von der Einschätzung, dass es sich bei der Tätigkeit der Parlamentarier unter den gewandelten Verhältnissen um einen „full-time-job" handle (BVerfGE 40, 296, 314), hat das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten Diätenentscheidung von 1975, in der es um die Abgeordnetenentschädigung im Saarland ging, einerseits erklärt, dass die Bemessung des parlamentarischen Einkommens die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten und die praktische Möglichkeit, sich der eigentlichen parlamentarischen Tätigkeit widmen zu können und zwar auch zu dem Preis, Berufseinkommen ganz oder teilweise zu verlieren, nicht gefährden dürfe (BVerfGE 40, 296, 315 f). Andererseits hat es auf der Grundlage des Prinzips der formalisierten Gleichbehandlung verlangt, dass allen Abgeordneten eine gleich hoch bemessene Entschädigung zustehe, ohne dass es darauf ankomme, ob die Inanspruchnahme durch die parlamentarische Tätigkeit größer oder geringer sei. Dies schließe „alle weiteren, der Höhe nach differenzierten, individuellen oder pauschalierten finanziellen Leistungen an einzelne Abgeordnete aus öffentlichen Mitteln aus" (BVerfGE 40, 296, 318). Als Ausnahme im Sinne eines zwingenden Grundes wird nur eine höhere Entschädigung für den Parlamentspräsidenten und seine Stellvertreter gebilligt. In seiner Entscheidung vom 21.7.2000 zur Frage, ob und inwieweit Abgeordneten des Thüringer Landtags mit besonderen parlamentarischen Funktionen Zulagen zur Grundentschädigung gezahlt werden dürfen, hat das Bundesverfassungsgericht an diesen Aussagen im Wesentlichen festgehalten. Allerdings hat es zugestanden, dass die Schaffung besonders zu entschädigender Funktionsstellen dem parlamentarischen Selbstorganisationsrecht (Parlamentsautonomie) zuzurechnen ist und auch die hierfür gewährten Zusatzentschädigungen nicht auf dem Mandat (und damit dem egalitären Wahlakt des Volkes), sondern auf besonderen Wahl- und Bestellungsakten des Parlaments - oder seiner Gliederungen - beruhen (BVerfGE 102, 224, 236 f).

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet die Parlamentsautonomie ihre Grenzen jedoch in der Mandatsfreiheit und der (egalitärformalen) Gleichheit des Abgeordneten (BVerfGE 102, 224, 237). Hieraus wird im Anschluss an BVerfGE 40, 296 abgeleitet, dass dieser Abgeordnetenstatus durch Einkommenshierarchien und Abgeordnetenlaufbahndenken, die durch eine breite Praxis der Gewährung von Funktionszulagen ermöglicht würden, beeinträchtigt werden könne. Dies aber könne dazu führen, dass parlamentarische Funktionen allein aus ökonomischen Gründen, unabhängig von individuellen politischen Intentionen und Kompetenzen, übernommen, ausgeübt und gegenüber Konkurrenten behauptet würden (BVerfGE 102, 224, 239 f). Zu dieser von Funktionszulagen ausgehenden Gefahr ließen sich im Spannungsfeld mit der Parlamentsautonomie allerdings nur allgemeine Kriterien als „Leitgesichtspunkte" entwickeln. Als solche werden sowohl die hervorgehobene politische Bedeutung der (zu entschädigenden) Funktion genannt als auch die Notwendigkeit, die Zahl solcher entschädigungsfähiger Funktionen gering zu halten; denn durch eine Vielzahl solcher Funktionsstellen verstärke sich die Abhängigkeit des Abgeordneten von seiner Gruppe (BVerfGE 102, 224, 240 ff). Das Bundesverfassungsgericht folgert hieraus (in Erweiterung zu BVerfGE 40, 296, 318), dass neben dem Parlamentspräsidenten und seinen Stellvertretern auch die Fraktionsvorsitzenden Funktionszulagen erhalten dürfen, schließt dies jedoch für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer und Ausschussvorsitzende aus (BVerfGE 102, 224, 242 ff). Andernfalls „wäre das Tor geöffnet zu einem differenzierten, Abhängigkeiten erzeugenden und verstärkenden Entschädigungssystem" (BVerfGE 102, 224, 245). b) Der Staatsgerichtshof braucht nicht zu entscheiden, ob er sich die dargestellte, von einem gewissen „egalitären Rigorismus" (Stern Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 24 II, 1.) geprägte Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfang zu Eigen macht. Es kann dahinstehen, ob die dort geäußerte Befürchtung, durch Funktionszulagen würden im Parlament Laufbahndenken und Einkommenshierarchien herbeigeführt und damit Freiheit und Gleichheit des Mandats unterminiert werden, auf hinreichenden empirischen Grundlagen beruht (kritisch etwa Η. H. Klein in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 48 Rn. 170 - Stand 2001; Kretschmer ZParl 2000, 787, 789). Das Bundesverfassungsgericht selbst hat nämlich zu erkennen gegeben, dass es sich sehr wohl bewusst war, dass es in den beiden maßgeblichen Fällen (BVerfGE 40, 296 - Saarland; 102, 224 - Thüringen) die Rechtslage in einem „Vollzeitparlament" zu beurteilen hatte, in dem die Mandatsausübung der - zeitweilige - Hauptberuf („full-time-job") der Abgeordneten ist. Anderen Parlamenten mit anderen Arbeitsbedingungen - wobei ausdrücklich auf die Eigenschaft als Teilzeitparlament abgehoben wird - wird bei der Gestaltung der inneren Ordnung „weitgehende Freiheit" zugestanden (BVerfGE 102, 224, 240; vgl. auch BVerfGE 40, 296, 314, 329). Wo genau die Grenzen dieser Freiheit in einem TeilzeitparlaLVerfGE 15

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ment — um ein solches handelt es sich bei der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) — zu ziehen sind, ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vorentschieden. Doch ergibt eine Prüfung auch bei Zugrundelegung der dort entwickelten strengen Maßstäbe, dass im vorliegenden Fall eine Verletzung der Statusrechte des Antragstellers nicht festzustellen ist. Nicht maßgeblich ist es, dass es in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen um Zulagen aus der gesetzlichen Abgeordnetenentschädigung (Diäten) ging, während hier Funktionszulagen zur Diskussion stehen, die aus den den Fraktionen vom Parlament zugewiesenen Geldleistungen gezahlt werden (vgl. auch WeltiOÖV 2001, 705, 711; Rüper ZParl 2003, 419, 425). 2.a) Das entscheidende Charakteristikum der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) ist, dass sie ein Teilzeitparlament ist und sich auch dezidiert so versteht. Diese Haltung hat die Bremische Bürgerschaft stets eingenommen. Sie ist, um nur wenige neuere Belege zu nennen, etwa im Schlussbericht des (nicht ständigen) Ausschusses zur „Verfassungs- und Parlamentsreform" von 1997 zum Ausdruck gekommen, der diese Frage breit diskutiert hatte (Bremische Bürgerschaft Drs. 14/847), und wenige Jahre später (2001) vom Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss in seinem Bericht über die Verkleinerung des Parlaments erneut bestätigt worden (Bremische Bürgerschaft Drs. 15/644, S. 3 f). Aufgrund der föderalistischen Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland haben die Länder im Rahmen des grundgesetzlichen Homogenitätsgebotes (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) Verfassungsautonomie. Danach steht es der Freien Hansestadt Bremen frei, die erwähnte Strukturentscheidung für ihr Parlament zu treffen. Dem Charakter der Bremischen Bürgerschaft als Teilzeitparlament entspricht die den Bürgerschaftsabgeordneten zustehende Vergütung, die in Bremen mit 2.485,00 € (seit 1.7.2002) etwa nur die Hälfte der Entschädigung der Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen (4.807,00 € seit 1.4.2003) und deutlich weniger als die Hälfte der in Bayern (5.861,00 € seit 1.7.2003) oder Schleswig-Holstein (5.700,00 € seit 1.6.2003) gezahlten Entschädigung beträgt (vgl. die Übersicht in Landtag Baden-Württemberg Drs. 13/2046, Anlage). Diese gegenüber der für Vollzeit-Landesparlamentarier gewährten Entschädigung deutlich geringere Entschädigung in Bremen ist nur deshalb als angemessen zu bezeichnen, weil der Teilzeitcharakter der Abgeordnetentätigkeit den Parlamentariern die Möglichkeit gibt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl. BVerfGE 40, 296, 315 f). Keinesfalls wäre die in Bremen gewährte Entschädigung angemessen, wenn die Mandatsausübung ein Vollberuf wäre. b) Auch ein Teilzeitparlament muss in der Lage sein, alle Aufgaben des Parlaments eines Landes der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen. Das Bundesverfassungsgericht hat zutreffend auf die Komplexität der vom Parlament zu regelnden Fragen hingewiesen, deren Lösung unter den Herausforderungen des LVerfGE 15

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ökonomischen und technologischen Wandels gesucht werden muss; auch Landesparlamenten wird die schwierige Aufgabe der „Koordinierung von Europa-, Bundes- und Landesrecht" abverlangt (BVerfGE 102, 224, 242 f). Es ist einsichtig, dass dies ohne ein Mindestmaß an Professionalität und Effizienz nicht zu bewerkstelligen ist. Entscheidet sich ein Land zulässigerweise für ein Teilzeitparlament, muss es auch die entsprechenden, die Funktionsfähigkeit aufrechterhaltenden organisationsrechtlichen und institutionellen Vorkehrungen treffen können. Gelingen kann unter den bestehenden Bedingungen die parlamentarische Arbeit nur durch die Tätigkeit der Fraktionen. Ihre Bedeutung für die parlamentarische Arbeit wird daher auch bereits von der Bremische Landesverfassung (Art. 77) und dem Bremischen Abgeordnetengesetz (§ 38) klar hervorgehoben. Für die Strukturierung der parlamentarischen Arbeit, für die Funktionsfähigkeit des Parlaments schlechthin, sind sie unentbehrlich; sie sind dessen maßgebliches politisches Gliederungselement. Ohne ihre Koordinierungs-, Integrations- und Kanalisierungsfunktion wäre das Parlament der Gefahr nicht ausreichender Entscheidungsfähigkeit ausgesetzt (Schneider Die Finanzierung der Parlamentsfraktionen als staatliche Aufgabe, 1997, S. 63). Darüber hinaus sind sie das „Scharnier" (so Mahrenhol^ Sondervotum, BVerfGE 70, 324, 374 f; Zeh in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts II, 1987, § 42 Rn. 8), das Parlament und Parteien verbindet (vgl. etwa BVerfGE 80, 188, 231; BremStGH, LVerfGE 5, 137, 156 f; HambVerfG, LVerfGE 6, 157, 168 f) und die Brücke zwischen gesellschaftlicher Willensbildung und staatlichem Entscheidungsprozess schlägt (Η. H. Klein FS Badura, 2004, S. 263, 275). Die von den Fraktionen (auch eines Teilzeitparlaments) zu erfüllenden Aufgaben müssen professionell und sachgerecht erledigt werden. Sie würden nach vernünftiger Einschätzung eine einzige Person (Fraktionsvorsitzender) überfordern. Nur sie stünde aber erwartungsgemäß zur Verfügung, wenn sie die einzige wäre, der die Fraktion eine Funktionszulage gewähren dürfte; denn andere Fraktionsmitglieder, gerade auch die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, wären nicht in der Lage, besondere Funktionen zu übernehmen, ohne zur Vernachlässigung ihrer Einkommensquelle aus beruflicher Arbeit gezwungen zu sein, ein Vorgang, der seinerseits Anlass zur Besorgnis der fortbestehenden Unabhängigkeit geben würde. In ihren schriftlichen und mündlichen Ausführungen haben die Antragsgegnerin und die beigetretenen Fraktionen überzeugend die Fülle der Aufgaben des Fraktionsvorsitzes dargestellt, deren effiziente, dem Gesamtwohl dienende Erledigung erkennbar über das Vermögen einer einzelnen Person (Fraktionsvorsitzender) hinausgeht, vielmehr den ganztägigen Einsatz zweier weiterer Personen (stellvertretende Fraktionsvorsitzende) erfordert. Zwar gibt es in keiner der gegenwärtig drei Bürgerschaftsfraktionen eine schriftlich fixierte Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Fraktionsvorsitzendem und seinen Stellvertretern, doch sind die dem Staatsgerichtshof übermittelten Angaben ohne weiteres nachLVerfGE 15

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vollziehbar. Dass in Einzelfällen, wie jetzt in der 16. Wahlperiode, ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender (SPD) weitgehend seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen kann, hängt mit der Natur dieser Tätigkeit zusammen und gibt keinen Anlass, die allgemeine Einschätzung, dass eine effektive Fraktionsvorstandstätigkeit regelmäßig den vollen Einsatz dreier Personen erfordert, anzuzweifeln. Es ist nicht zu sehen, wie sich unter diesen Umständen in der Bremischen Bürgerschaft eine das Statusrecht des Antragstellers verletzende Abgeordnetenhierarchie und ein Laufbahndenken unter den Abgeordneten entwickeln könnte, da der mit der Funktionszulage erworbene „Zugewinn" durch den Verzicht auf das berufliche Einkommen erkauft wird. Problematisch könnte allenfalls eine Funktionszulage sein, die wegen ihrer Höhe zu einem nicht mehr von der Sache her gedeckten Wettbewerb der Abgeordneten um Funktionsstellen fuhren würde. Dies ist ausgehend von den bislang von den Fraktionen gezahlten Funktionszulagen jedoch nicht der Fall. Abgesehen davon, dass vorliegend nur Funktionszulagen für stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Streit sind, besteht auch keine derzeit erkennbare Gefahr, dass es zu einer dann möglicherweise doch die Freiheit und Gleichheit des Mandats beeinträchtigenden Vergrößerung der Zahl von Funktionszulagenempfängem — bisher neun von 83 Abgeordneten — kommen könnte. Ob hier das Eigeninteresse der Fraktionen ein ausreichendes Bollwerk wäre, ist freilich zweifelhaft. Zwar haben sie die Funktionszulagen aus den ihnen vom Parlament zugewiesenen Geldmitteln zu tragen, doch sind sie gemeinsam oder mehrheitlich in der Lage, die Höhe dieser Geldleistungen festzulegen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Hinweis des Rechnungshofes der Freien Hansestadt Bremen, Zahlungen aus der Fraktionskasse seien nur für Vorstandstätigkeiten zulässig (Bremische Bürgerschaft Drs. 14/1101 Ziff. 78), zukünftig nicht beachtet würde. Die beigetretenen Fraktionen haben zudem in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Tätigkeit der Personen, die außer dem Vorsitzenden und seinen beiden Stellvertretern den (erweiterten) Fraktionsvorstand bilden (Beisitzer), nicht so zeitaufwendig sei, dass diese Leistung durch eine Funktionszulage kompensiert werden müsste. Der Staatsgerichtshof geht daher davon aus, dass es künftig zu keiner Erweiterung des Empfängerkreises von Funktionszulagen kommen wird. c) Eine Statusverletzung des Antragstellers durch das Verhalten der Antragsgegnerin ergibt sich auch nicht daraus, dass das Verfahren, das zur Zuteilung der Fraktionsleistungen und der Funktionszulagen führt, intransparent sei. Soweit diese Rüge die fehlende Öffentlichkeit der Sitzungen des Vorstands und des Haushalts- und Finanzausschusses der Antragsgegnerin betrifft, fehlt es bezogen auf eine mögliche Rechtsverletzung an rechtlicher Substanz. Wenig befriedigend ist es freilich, dass die Rechenschaftsberichte der Fraktionen gemäß § 42 BremAbgG nicht detailliert aufführen, welche Personen derartige Funktionszulagen erhalten, sondern lediglich eine Gesamtsumme angeben, aus der nur mittelbar Rückschlüsse auf die Zahl der bedachten Personen und den Umfang der EinzelLVerfGE 15

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Zahlungen gezogen werden können. Diese Praxis erscheint auch nach Auffassung des Staatsgerichtshofs verbesserungsbedürftig. Die Behauptung einer Rechtsverletzung des Antragstellers kann sie jedoch nicht stützen. 3. Auch dadurch, dass der Antragsteller keinen Oppositionszuschlag erhält, ist er in seinem Statusrecht als Abgeordneter nicht verletzt. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liegt weder im Verhältnis zur Oppositionsfraktion in der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) noch im Verhältnis zu den Mitgliedern dieser Oppositionsfraktion vor. a) Der Sinn des Oppositionszuschlags (§ 40 Abs. 2 BremAbgG) liegt in der gewollten Stärkung der parlamentarischen Opposition, deren Bedeutung Art. 78 Abs. 1 BremLV ausdrücklich hervorhebt. Im parlamentarischen Regierungssystem ist das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition von entscheidender Bedeutung, da sich anders die für einen freien Staat wesentliche Chance des Machtwechsels nicht realisieren lässt (vgl. BVerfGE 2, 1, 13; 44, 125, 145; Zeh aaO, § 42 Rn. 19 ff). Die Präsentation der Opposition als sachliche und personelle Alternative zur Regierung erweist sich dadurch als schwierig, dass die parlamentarische Opposition von den Informationen und Machtinstrumenten abgeschnitten ist, über welche die Regierung und die sie tragende Parlamentsmehrheit verfügen (vgl. BVerfGE 102, 224, 236). Auch im Hinblick auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist sie gegenüber dem „Regierungsblock" im Nachteil. Von daher ist es konsequent, der parlamentarischen Opposition eine erhöhte finanzielle Ausstattung zukommen zu lassen, die es ihr erlaubt, die Vorteile der die Regierung tragenden Mehrheit auszugleichen, ihre genuine Kontrollaufgabe wahrzunehmen und sich als Alternative darzustellen (ebenso Neumann Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Kommentar, 1996, Art. 78 Rn. 12). b) In der Freien Hansestadt Bremen wird dieser Erkenntnis durch Art. 78 Abs. 2 BremLV Rechnung getragen, insofern als „Oppositionsfraktionen ... Anspruch auf eine zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben erforderliche Ausstattung" haben. Technisch wird dies nach § 40 Abs. 2 S. 1 BremAbgG so durchgeführt, dass der Oppositionszuschlag als (zusätzlicher) Berechnungsbestandteil in die Leistungen eingeht, die den (Oppositions-)Fraktionen ausgezahlt werden (§ 40 Abs. 1 BremAbgG). Nach der gesetzlichen Ausgestaltung steht der Zuschlag somit nur Oppositionsfraktionen zu, also weder den einzelnen Mitgliedern einer Oppositionsfraktion noch fraktionslosen oppositionellen Abgeordneten. Diese Regelung steht erkennbar nicht in Widerspruch zu Art. 78 Abs. 2 BremLV, und sie verstößt auch nicht gegen vom Homogenitätsprinzip (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) erfasste Grundsätze des parlamentarischen Regierungssystems. Die Fraktionen nehmen im parlamentarischen Geschehen eine besondere Rolle ein. Als „zentrale Organisationseinheiten des Parlaments" — auch eines Landesparlaments — bündeln sie die unterschiedlichen Vorstellungen und Ziele und garantieren damit die politische Handlungsfähigkeit (BVerfGE 102, 224, 242). Die LVerfGE 15

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ihnen zur Verfügung gestellten Mittel ermöglichen es den Fraktionen, die Arbeitsteilung zwischen ihren Mitgliedern zu organisieren, Initiativen vorzubereiten, aufeinander abzustimmen und den Informationsfluss unter den Mitgliedern aufrecht zu erhalten (BVerfGE 80, 188, 231). Vor allem aber gilt - ungeachtet der in Art. 78 Abs. 1 BremLV hervorgehobenen Bedeutung der Oppositionsarbeit als solcher, an der der Antragsteller teilhat —, dass die ohnehin schwierige Aufgabe der Kontrolle und der Präsentation sachlicher und personeller Alternativen zur Regierung und ihrer Mehrheit nur einer Fraktion, nicht Einzelabgeordneten gelingen kann. Im Verhältnis zu einer (Oppositions-)Fraktion sind die Wirkungsmöglichkeiten eines fraktionslosen einzelnen Abgeordneten bereits aus faktischen Gründen eingeschränkt. Die Anerkennung der Leistungsfähigkeit von Fraktionen durch Art. 78 Abs. 2 BremLV und § 40 Abs. 2 BremAbgG entspricht daher den parlamentarischen Realitäten, denen Verfassung- und Gesetzgeber bei der Gestaltung des Gegenübers von Regierung und Opposition Rechnung tragen durften; dies gilt um so mehr, als der Gesetzgeber auch Gruppen bei der Zahlung von Fraktionsmitteln einschließlich Oppositionszuschlag berücksichtigt hat (§ 45 BremAbgG iVm § 7 Abs. 5 GO Bürgerschaft). Fraktionen, und das gilt auch für eine Oppositionsfraktion, sind im Verhältnis zu den einzelnen Abgeordneten ein „parlamentsrechtliches aliud" (Schneider aaO, S. 53). Eine statusrechtliche Gleichstellung des (fraktionslosen oppositionellen) Antragstellers mit einer (Oppositions-)Fraktion besteht daher nicht (vgl. BVerfGE 80, 188, 228 f). Demgemäß kann jedenfalls im Verhältnis zur Oppositionsfraktion als Empfängerin des Oppositionszuschlages keine Statusverletzung des Antragstellers konstatiert werden. Unbeschadet der besonderen Rolle der Fraktionen folgt aus dem Prinzip der gleichen Beteiligung aller Abgeordneter an den Aufgaben des Parlaments als Grenze des parlamentarischen Selbstorganisationsrechts (BVerfGE 80, 188, 220), dass der fraktionslose Abgeordnete in seinem Statusrecht nicht beeinträchtigt werden darf. Instrumente für die Realisierung dieses Rechts sind das Rederecht, das Recht auf Information und auf einen Sitz in einem Ausschuss (vgl. dazu BVerfGE 70, 324, 355). Dies bedarf jedoch keiner näheren Ausführung, da entsprechende Mängel im vorliegenden Verfahren weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich sind. c) Durch die Vorenthaltung des Oppositionszuschlages wird der Antragsteller auch nicht im Verhältnis zu anderen einer Oppositionsfraktion angehörenden Abgeordneten in seinen Rechten verletzt; diesen gegenüber hat er als fraktionsloser Abgeordneter keinen minderen Rechtsstatus (vgl. BVerfGE 70, 324, 354; 80, 188, 229). Er ist nämlich im Hinblick auf den Oppositionszuschlag nicht unmittelbar schlechter gestellt als seine fraktionsangehörigen Oppositionskollegen. Da der Oppositionszuschlag nur ein Bestandteil der finanziellen Leistungen an die Oppositionsfraktion ist, wird dadurch das einzelne Fraktionsmitglied nicht berechtigt; die Fraktionszuweisungen stehen nicht dem einzelnen Mitglied zur Verfügung. Als ein Empfänger des Oppositionszuschlages wäre der Antragsteller LVerfGE 15

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sogar begünstigt, da er als einzelner Abgeordneter direkten Zugriff auf die entsprechende Summe hätte. Es ist nicht auszuschließen, dass die Mitglieder einer Oppositionsfraktion dadurch mittelbar gegenüber dem fraktionslosen oppositionellen Abgeordneten begünstigt werden, dass die Fraktion durch den Oppositionszuschlag angereicherte finanzielle Leistungen erhält (vgl. BVerfGE 80, 188, 231 f). Die fraktionszugehörigen Abgeordneten können insofern durch verbesserte Informationsmöglichkeiten und konkrete Unterstützung bei bestimmten politischen Vorhaben Vorteile für ihre eigene parlamentarische Arbeit haben. Der aufgrund dieser Chancenverschiebung eintretende Nachteil bei einem fraktionslosen Abgeordneten wie dem Antragsteller bedarf des Ausgleichs (vgl. BVerfGE 80, 188, 232). Verfassungsrechtlich denkbar wäre durchaus die Gewährung eines (etwa wegen des insoweit in Wegfall kommenden innerfraktionellen Koordinationsbedarfs) wesentlich abgesenkten Oppositionszuschlages. Verfassungsrechtlich geboten ist eine solche finanzielle Ausgleichsleistung jedoch nicht unter allen Umständen (vgl. BVerfGE 80, 188, 232 f). Vor allem folgt dies nicht aus der Tatsache, dass die Berechnung des Oppositionszuschlags auf die Zahl der Fraktionsmitglieder abstellt. Diese Pro-Kopf-Berechnung ist eine rein rechnerische Methode, die nichts dagegen besagt, dass der Oppositionszuschlag fraktions- und nicht auf den individuellen Abgeordneten bezogen ist. Allerdings muss dem Antragsteller eine sinnvolle oppositionelle Parlamentsarbeit möglich sein, wobei dabei — wie ausgeführt — in Rechnung gestellt werden darf, dass er bereits aus tatsächlichen Gründen mit Oppositionsfraktionen nicht in Konkurrenz treten kann. Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung die Hilfs- und Beratungsleistungen dargestellt, die der Antragsteller durch ihre Verwaltung, insbesondere auch durch ihren wissenschaftlichen Dienst, erfährt. Der Staatsgerichtshof hält dies als Ausgleich für die erwähnte mittelbare Benachteiligung des Antragstellers gegenüber den fraktionsangehörigen Oppositionskollegen für noch adäquat, doch darf die weitere Beratungs- und Unterstützungskapazität der Antragsgegnerin nicht das derzeit bestehende Maß unterschreiten. Dass zahlreiche Aktivitäten, die der Antragsteller wahrzunehmen hat oder wahrnehmen möchte, von ihm selbst zu erledigen sind, ohne dass ihm dabei von der Verwaltung der Antragsgegnerin geholfen werden kann, liegt in der Natur der Abgeordnetentätigkeit. Die Beschränkung, die er als fraktionsloser Einzelabgeordneter erfährt, mindert nicht seinen Rechtsstatus im Vergleich zu anderen Abgeordneten, sondern reduziert seine politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Diese im Vergleich zu fraktionsangehörigen Abgeordneten geringeren politischparlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten sind faktische Auswirkungen des Wahlergebnisses, deren Ausgleich von Verfassungs wegen nicht garantiert ist.

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Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen E.

Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller ein Viertel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten (§ 19 Abs. 1 S. 3 BremStGHG). Der Antragsteller hat mit seinem Antrag die verfassungsrechtliche Klärung einer in den letzten Jahren gerade auch in Bremen viel diskutierten schwierigen Problematik ermöglicht. Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Nr. 2 1. Das Prinzip der gleichen Wahl verlangt grundsätzlich den gleichen Erfolgswert der Stimmen der Wahlberechtigten in den beiden Wahlbereichen des Landes Bremen. Der bezogen auf die Zahl der Mandate höhere Erfolgswert der Stimmen im Wahlbereich Bremerhaven bei der Bürgerschaftswahl 2003 bedurfte einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. 2. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Differenzierung beim Erfolgswert der Stimmen bestimmt sich nach dem zugrunde liegenden Wahlsystem. An die Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen sind bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft höhere Anforderungen zu stellen als bei der Wahlkreiseinteilung nach Bundeswahlrecht, da nach der durch das Bremische Wahlgesetz bestimmten Zahl der Mandate für die beiden Wahlbereiche im Land Bremen kein Verhältnis ausgleich zwischen diesen Wahlbereichen mehr stattfindet. Eine Differenz beim Erfolgswert der Stimmen bis zu 5% ist nach der Ausgestaltung des bremischen Wahlrechts noch zulässig, wenn der Landesgesetzgeber zugleich andere widerstreitende gewichtige verfassungsrechtliche Belange berücksichtigen muss. 3. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Erfolgswerts der Stimmen und die Gewichtung gegenüber anderen Wahlrechtsgrundsätzen und verfassungsrechtlichen Belangen ist auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Landesgesetzgebers über die Mandatsverteilung zwischen den beiden Wahlbereichen abzustellen, soweit dieser nicht unangemessen lange vor dem Tag der Wahl liegt. 4. Der Landesgesetzgeber hat fortlaufend zu prüfen, ob die von ihm verfolgten verfassungsrechtlichen Belange und die Wahlrechtsgleichheit noch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (im Anschluss an BremStGHE 6,253, 267). Grundgesetz Art. 3 Abs. 1; 20 Abs. 1; 21 Abs. 1; 28 Abs. 1 Satz 2

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Bundeswahlgesetz § 3 Abs. 1 Nr. 3 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen Art. 66; 75; 107; 110; 132 Satz 3; 143; 145 Abs. 1; 148 Abs. 1 Bremisches Wahlgesetz §§ 5 Abs. 1 Satz 2; 7 Abs. 4; 26 Abs. 1; 30-32; 37 Abs. 1; 39 Bremische Wahlordnung §§ 11; 12 Abs. 1; 42; 53; 56; 60; 60a; 61; 61a Gesetz über den Staatsgerichtshof § 30 Abs. 1

U r t e i l v o m 5. N o v e m b e r 2 0 0 4 - St 2/04 in dem Wahlprüfungsverfahren betreffend die Wahl zur 16. Bremischen Bürgerschaft am 25. Mai 2003 Einspruchs- und Beschwerdeführer: ... , Bremen Weitere Beteiligte: 1. 2.

der Präsident der Bremischen Bürgerschaft, Am Markt 20, 28195 Bremen der Landeswahlleiter, Statistisches Landesamt, An der Weide 14-18, 28195 Bremen

Mitwirkungsberechtigter: der Senator für Justiz und Verfassung Entscheidungsformel: 1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Beschwerdeführer den Antrag zurückgenommen hat. 2. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Wahlprüfüngsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 9. Dezember 2003 (WK 1517/03) zurückgewiesen. Gründe: A. Gegenstand des Verfahrens ist die Gültigkeit der Wahl zur 16. Bremischen Bürgerschaft vom 25.5.2003.

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Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen I.

Im Mai 2001 beschloss die Bremische Bürgerschaft (Landtag) eine Reduzierung der Zahl der Bürgerschaftsabgeordneten. Gem. § 5 Abs. 1 des Bremischen Wahlgesetzes (BremWG) in der Fassung vom 22.5.2001 (Brem.GBl. S. 195) besteht die Bürgerschaft von der 16. Wahlperiode an aus 83 Mitgliedern, von denen 67 Mitglieder im Wahlbereich Bremen, 16 Mitglieder im Wahlbereich Bremerhaven zu wählen sind. Bis dahin waren 80 Abgeordnete im Wahlbereich Bremen, 20 Abgeordnete im Wahlbereich Bremerhaven gewählt worden. Der Gesetzesänderung war eine ausführliche parlamentarische Beratung vorausgegangen. Die Bürgerschaft (Landtag) hatte durch Beschluss vom 22.9.1999 den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss beauftragt, einen Vorschlag zur Umsetzung der anstehenden Parlamentsverkleinerung zu erarbeiten. Der Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss legte am 6.3.2001 einen Bericht vor, in dem die Gesetz gewordene Parlamentsverkleinerung und Mandatsverteilung vorgeschlagen wurde (Drs. 15/644). In seinem Bericht führte der Ausschuss aus, maßgebend für die Verkleinerung der Bürgerschaft sei vor allem, im Hinblick auf die Haushaltslage die Kosten der politischen Führung zu vermindern. Die vorgeschlagenen Zahlen entsprächen zwar nicht exakt dem Verhältnis der Bevölkerung und der Wahlberechtigten in Bremen und Bremerhaven. Sowohl nach der Zahl der Wahlberechtigten als auch nach der Bevölkerungszahl ergebe sich bei Rundung ein Verhältnis von 68 Abgeordneten für Bremen und 15 Abgeordneten für Bremerhaven. Die Ausschussmehrheit halte diese Abweichung um einen Sitz jedoch für tolerabel. II. 1. Der Beschwerdeführer hat als Wahlberechtigter mit Schriftsatz vom 23.7.2003 über den Landeswahlleiter beim Wahlprüfungsgericht Einspruch gegen die Gültigkeit der Bürgerschaftswahl eingelegt. Er wendet sich gegen die Sitzverteilung zwischen den beiden Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven. Er behauptet darüber hinaus, dass der Wahlbereichsausschuss Bremen bei Korrekturen der durch die Wahlvorstände mitgeteilten Wahlergebnisse verfahrensfehlerhaft gehandelt habe. a) Nach Verringerung der Zahl der Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft von 100 auf 83 sei die Aufteilung der Mandate auf die beiden Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven fehlerhaft. Sie entspreche nicht der Verteilung der Bevölkerung und der Wahlberechtigten in den beiden Wahlbereichen. Maßgeblich sei die Zahl der Wahlberechtigten in einem Wahlbereich. Zwar könnten Schwankungen der Einwohner- und Wahlberechtigtenzahlen zu Einschränkungen der Erfolgschancengleichheit führen; hier spreche jedoch nichts dafür, dass die ungleiche Verteilung für den Gesetzgeber unvorhersehbar gewesen sei. Nach dem LVerfGE 15

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Ausschussbericht der Bremischen Bürgerschaft seien offenbar alle Beteiligten davon ausgegangen, dass sich an dem Verhältnis der Bevölkerungszahlen zwischen den beiden Wahlbereichen nichts ändern werde. Dieses Verhältnis entspreche aber nicht der Sitzverteilung 67 : 16. Dadurch werde der Grundsatz der gleichen Wahl verletzt. Die Erfolgschance einer Stimme liege in Bremerhaven um 9,5% höher als in Bremen. Eine unterschiedlich hohe Wahlbeteiligung stelle dann keinen rechtfertigenden Grund für den ungleichen Erfolgswert dar, wenn bereits ex ante ungleiche Erfolgschancen bestünden. Die Ungleichheit der Erfolgschancen werde auch nicht dadurch verursacht, dass zwei Wahlbereiche bestünden, sondern lediglich durch die ungleiche Mandatsverteilung auf die beiden Wahlbereiche. Die Beeinträchtigung der Erfolgschancengleichheit werde nicht durch andere gleichgewichtige Ziele der Wahl gerechtfertigt, insbesondere nicht durch die von der Bürgerschaft angestrebte Vermeidung von Pattsituationen. Die für die Stadtbürgerschaft befürchtete Pattsituation bei 68 Mandaten könne auch dadurch vermieden werden, dass die Zahl der Abgeordneten der Stadtbürgerschaft abweichend von der Zahl der Abgeordneten des Wahlbereichs Bremen/Landtag auf 67 festgesetzt werde. Abweichungen der Zahl der Abgeordneten zwischen Stadtbürgerschaft und Bürgerschaft (Landtag) ergäben sich ohnehin bereits durch die Unionsbürgerschaft. Die abweichende Zahl vermeide Pattsituationen und sei ein weniger beeinträchtigendes Mittel als die Hinnahme einer unterschiedlichen Erfolgschancengleichheit. Auch die Befürchtung, selbst bei Erreichen der Fünfprozenthürde werde bei nur 15 Mandaten für Bremerhaven auf eine Partei kein Mandat entfallen, sei unbegründet. Auf der Grundlage des geltenden Stimmenverrechnungsverfahrens von Sainte Lague/Schepers werde diese Situation bei 15 zu vergebenden Sitzen nur dann eintreten, wenn mindestens 13 Parteien die Fünfprozenthürde überwänden. Dies könne wohl ausgeschlossen werden. b) Die Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses durch den Wahlbereichsausschuss für den Wahlbereich Bremen sei fehlerhaft. Gegenüber den vorläufig festgestellten Ergebnissen sei es zu gravierenden Abweichungen gekommen, die sich auf die Sitzverteilung ausgewirkt hätten. Grund und Art der Korrekturen seien für die Öffentlichkeit nicht erkennbar gewesen. Für die Beisitzer des Ausschusses habe zwar eine Aufstellung vorgelegen, doch sei eine Überprüfung oder nur Kenntnisnahme davon durch den Ausschuss nicht erkennbar gewesen. Das Prinzip der Öffentlichkeit solle gewährleisten, dass jedermann die ordnungsgemäße Durchführung des Wahlgeschäfts und der Wahlhandlung überwachen könne; es stelle die wichtigste Sicherung gegen Wahlfälschungen dar. Die Öffentlichkeit müsse deshalb nachvollziehen können, aus welchen Gründen der Wahlbereichsausschuss Korrekturen an den von den Wahlvorständen öffentlich ermittelten Ergebnissen vornehme. Grund und Art jeder einzelnen Korrektur müsse in einer öffentlichen Sitzung des Wahlbereichsausschusses zur Sprache kommen. Diese Informationen seien aber lediglich in einer Aufstellung enthalten gewesen, die allein zur Einsichtnahme durch die Beisitzer ausgelegen habe. Die LVerfGE 15

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Aufstellung sei einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit nicht zugänglich gewesen. D e r Wahlbereichsausschuss sei verpflichtet gewesen, die aussortierten u n d der Niederschrift der einzelnen Wahlvorstände beigefugten Stimmzettel selbst zu kontrollieren. Dies sei nicht erfolgt. D e r Beschwerdeführer hat im Wahlprüfungsverfahren beantragt, das Verfahren auszusetzen u n d eine Entscheidung des Staatsgerichtshofs über die Verfassungsmäßigkeit des § 5 Abs. 1 S. 2 B r e m W G herbeizuführen, die Entscheidungen des Wahlbereichsausschusses für den Wahlbereich Bremen v o m 30.5.2003 u n d 3.6.2003 u n d des Landeswahlausschusses v o m 3.6.2003 aufzuheben u n d zur Zusammensetzung der Bürgerschaft u n d Stadtbürgerschaft sowie zum Verfahren der E r m i t d u n g des Wahlergebnisses Feststellungen im Sinne seines Vortrags zu treffen. 2. D e r Beteiligte zu 1. - der Präsident der Bremischen Bürgerschaft — u n d der Beteiligte zu 2. — der Landeswahlleiter — haben beantragt, den Einspruch zurückzuweisen. D e r Präsident der Bürgerschaft hat vorgetragen, die Sitzverteilung zwischen den Wahlbereichen Bremen u n d Bremerhaven sei aus den v o m Verfassungs- u n d Geschäftsordnungsausschuss dargestellten G r ü n d e n gerechtfertigt. D e r Landeswahlleiter hat dem Wahlprüfungsgericht eine eingehende Stellungnahme des Wahlbereichsleiters vorgelegt, der wiederum in der mündlichen Verhandlung vor dem Wahlprüfungsgericht die Zusammenstellung über G r u n d u n d Art der Korrekturen der vorläufigen Wahlergebnisse allen Verfahrensbeteiligten vorgelegt hat. In dieser Aufstellung sind nach Wahlbezirken die vorläufigen Ergebnisse, die Ergebnisse der Kontrollniederschrift, die durchgeführte Korrektur u n d das sich daraus ergebende endgültige Ergebnis aufgeführt. Z u diesen einzelnen Ergebnissen hat der Beschwerdeführer nicht Stellung genommen. 3. Das Wahlprüfüngsgericht hat den Einspruch mit Beschluss v o m 9.12.2003 - W K 1517/03 - , zugestellt am 16.1.2004, zurückgewiesen. Die begehrte Feststellung, dass das amtliche endgültige Ergebnis der Wahl wegen fehlerhafter Mandatsverteilung zwischen den beiden Wahlbereichen gegen den Grundsatz der gleichen Wahl verstoße, könne das Wahlprüfungsgericht nicht aussprechen, weil es gegenüber der im Wahlgesetz festgelegten Mandatsverteilung keine Verwerfungskompetenz habe. E s sei an § 5 Abs. 1 B r e m W G gebunden u n d könne dessen Verfassungsmäßigkeit nicht überprüfen. Es sei auch nicht zur Vorlage an den Staatsgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht befügt. D e n n das Wahlprüfungsgericht sei kein Gericht iSvArt. 142 BremLV oder Art. 100 Abs. 1 G G , da es aus zwei Richtern u n d fünf Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft bestehe u n d daher mit der Legislative verschränkt sei. Die übrigen Beanstandungen könnten ebenfalls nicht durchdringen. Die auf Schnellmeldungen beruhenden vorläufigen Feststellungen hätten nur nachrichtliche Bedeutung. Rechtlich erhebliche Bestandteile des Wahlverfahrens seien allein

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die endgültigen Feststellungen. Rechtliches Gewicht könnten Korrekturen nur erlangen, wenn sie über die Beseitigung von Sprach-, Hör- oder sonstigen Übermittlungsfehlern hinausgingen, die durch die Wahlvorstände festgestellten Ergebnisse korrigierten und diese Korrektur ihrerseits fehlerhaft sei. Dass es zu solchen Korrekturen gekommen sei, habe der Beschwerdeführer aber auch nach Vorlage der Zusammenstellung über Grund und Art der Korrekturen nicht vorgetragen. Eine Uberprüfungspflicht aller der Wahlniederschrift beigefügten Stimmzettel im Einzelnen durch den Wahlbereichsausschuss bestehe nicht. Der Ausschuss sei nicht zur Überprüfung aller Beschlüsse der Wahlvorstände verpflichtet. Er habe vielmehr die Möglichkeit zur Korrektur, wenn sich im Einzelfall Bedenken ergäben. Ob und in welchem Umfang er von seinem Nachprüfungsrecht Gebrauch mache, liege grundsätzlich in seinem Ermessen. III. Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer am 30.1.2004 Beschwerde erhoben und diese wie folgt begründet: Die Mandatsverteilung nach § 5 Abs. 1 S. 2 BremWG sei verfassungswidrig und müsse korrigiert werden. Insoweit werde auf das Vorbringen vor dem Wahlprüfungsgericht verwiesen. Nach dem festgestellten Stimmergebnis seien 68 Sitze für den Wahlbereich Bremen und 15 Sitze für den Wahlbereich Bremerhaven zu verteilen. Eine umfassende Ungültigkeitserklärung der Wahl sei nicht erforderlich. Das festgestellte Stimmergebnis könne für die Sitzverteilung herangezogen werden. Die Feststellung des Wahlergebnisses durch den Wahlbereichsausschuss beruhe nicht auf einer ordnungsgemäßen Nachprüfung. Eine Aufstellung über Grund und Art der Korrekturen habe zwar in der Sitzung vorgelegen, die Ausschussmitglieder hätten sich jedoch selbst keine näheren Kenntnisse verschafft. Die korrigierten Zahlen seien nur vorgelesen worden, Wortmeldungen habe es nicht gegeben. Eine gewissenhafte Kontrolle sei nicht ausgeübt worden. Diese Nachlässigkeit verstoße auch gegen das Prinzip der Öffentlichkeit, weil Fehler so nicht festgestellt werden könnten. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Öffentlichkeit liege ferner darin, dass acht Wahlbezirke nichtöffentlich und allein durch Mitarbeiter des Wahlamtes neu ausgezählt worden seien. Dem Wahlvorstand und einem Wahlausschuss sei es untersagt, nichtöffentliche Stimmauszählungen durchzuführen. Dies müsse erst recht gelten, wenn die Auszählung nicht einmal von dem eigentlich legitimierten Organ vorgenommen werde. Die Auszählungen seien öffentlich zu wiederholen. Die Ausführungen des Wahlprüfungsgerichts zu den ausgesonderten Stimmzetteln überzeugten nicht. Aus den Wahlniederschriften ergebe sich allein die Zahl der nicht ordnungsgemäßen Stimmzettel, nähere Hinweise könnten sich erst durch eine konkrete Überprüfung ergeben.

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Den zunächst gestellten Antrag festzustellen, dass das Wahlprüfungsgericht ein Gericht iSvArt. 142 BremLV sei, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Der Beschwerdeführer beantragt, 1.

den Beschluss des Wahlprüfungsgerichts aufzuheben,

2.

festzustellen, dass wegen Nichtigkeit des § 5 Abs. 1 S. 2 BremWG der Wahlbereichsausschuss für den Wahlbereich Bremen erneut die Feststellungen gem. § 30 Abs. 3 und 3a BremWG zu treffen hat mit der Maßgabe, dass

3.

a)

im Wahlbereich Bremen 68 Mitglieder der Bürgerschaft gewählt sind,

b)

67 Mitglieder der Stadtbürgerschaft gewählt sind,

c)

der Wahlbereichsleiter die Beschlüsse der Wahlvorstände über die gem. §§ 53 Abs. 1 S. 2; 53 Abs. 5 und 56 Abs. 1 S. 5 Nr. 1 BremWO ausgesonderten Stimmzettel auf Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen hat,

d)

Neuauszählungen der Stimmen eines Wahlbezirks, die zu einer Korrektur der Beschlüsse der Wahlvorstände führen, öffentlich und durch den Wahlbereichsausschuss oder unter dessen Aufsicht zu erfolgen haben,

festzustellen, dass der Landeswahlausschuss die Feststellungen gem. § 30 Abs. 4 BremWG auf Grundlage der gemäß den Anträgen zu 2) erfolgten Feststellungen des Wahlbereichsausschusses erneut zu treffen hat mit der Maßgabe, dass a)

im Wahlbereich Bremen 68 Mitglieder der Bürgerschaft gewählt sind,

b)

im Wahlbereich Bremerhaven 15 Mitglieder der Bürgerschaft gewählt sind,

c)

67 Mitglieder der Stadtbürgerschaft gewählt sind.

Der Beteiligte zu 1. — der Präsident der Bremischen Bürgerschaft — beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

In der 15. Wahlperiode habe die Bremische Bürgerschaft die schon in früheren Legislaturperioden geführten Beratungen zur Verkleinerung des Parlaments erneut aufgenommen. Die Sitzverteilung zwischen den beiden Wahlbereichen sei wesentlicher Beratungsgegenstand im Geschäftsordnungs- und Verfassungsausschuss gewesen. Der Ausschuss habe der Bürgerschaft mehrheitlich empfohlen, die Zahl der Abgeordneten auf 83 zu reduzieren und auf Bremen 67 Mandate, auf Bremerhaven 16 Mandate zu verteilen. Unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerungszahl habe sich im Jahr 2000 zwischen Bremen und Bremerhaven für die LVerfGE 15

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Berechnung der Sitzverteilung ein Verhältnis von 67,68 : 15,32 ergeben. Die vorgeschlagene Mandatsverteilung habe zwar nicht exakt das Verhältnis der Zahlen der Wahlberechtigten bzw. der Bevölkerung in den beiden Wahlbereichen zueinander wiedergegeben, die Sitzverteilung sei aber angesichts der Schwankungen der Einwohnerzahlen im Verlauf einer Wahlperiode noch tolerabel erschienen. Auch früher habe die Sitzverteilung dieses Verhältnis nicht exakt abgebildet. Der Staatsgerichtshof habe in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1981 gebilligt, dass auch eine unterschiedliche Wahlbeteiligung zwischen den beiden Wahlbereichen zu ungleichen Konstellationen fuhren könne. Der Staatsgerichtshof habe im Weiteren betont, dass der konstante Verteilungsschlüssel von 80 zu 20 auf einer langen Tradition beruhe und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den beiden Städten bedeute. Beständige Mandatskontingente gewährleisteten am ehesten die Wahrung der historischen, geographischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der beiden Städte im gemeinsamen Stadtstaat. Der Antrag, für die Stadtbürgerschaft mit 67 Mandaten ein Mandat weniger zu vergeben als für den Wahlbereich Bremen der Bürgerschaft (Landtag), sei mit Art. 148 Abs. 1 S. 3 BremLV nicht vereinbar. Nach dieser Vorschrift bestehe die Stadtbürgerschaft aus den im Wahlbereich Bremen für die Bürgerschaft (Landtag) gewählten Abgeordneten. Die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Mandatsverteilung setze eine Verfassungsänderung voraus, die im Übrigen mittel- oder langfristig zu einer Trennung von Kommunal- und Landesebene fuhren würde. Dies widerspräche gefestigter bremischer Verfassungstradition. Der Landeswahlleiter hat eine Stellungnahme des Wahlbereichsleiters für den Wahlbereich Bremen vorgelegt. Darin wird im Einzelnen ausgeführt: Es sei Aufgabe der Wahlvorstände, das Wahlergebnis festzustellen, eine Niederschrift aufzunehmen und das ermittelte Ergebnis mit einer Schnellmeldung an den Wahlbereichsleiter durchzugeben. Anhand dieser Schnellmeldungen sei das vorläufige Wahlergebnis ermittelt und bekannt gegeben worden. Nach Übergabe der Wahlniederschriften seien die Ergebnisse dann auf Vollständigkeit und Ordnungsmäßigkeit geprüft worden. Aufgetretene Differenzen beruhten in der Regel auf Missverständnissen, Fehlern bei der telefonischen Übermittlung oder bei der maschinellen Erfassung für die Datenverarbeitung. Solche Fehler seien durch die Angaben in der Wahlniederschrift ersetzt worden. Bei acht von 414 Wahlbezirken habe sich aber herausgestellt, dass die Wahlmederschriften unvollständig oder widersprüchlich ausgefüllt gewesen seien. Das Stimmergebnis für den Wahlbezirk habe daraus nicht abgelesen werden können. Der Wahlbereichsleiter habe insoweit das endgültige Wahlergebnis nicht ohne weiteres zusammenstellen können. Da er nach § 60 Abs. 1 S. 4 BremWO verpflichtet gewesen sei, Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit des Wahlgeschäftes aufzuklären, sei entschieden worden, die widersprüchlichen Angaben durch Auszählen der Stimmzettel aufzuklären. Dazu hätten unter Anleitung des Leiters des Wahlamtes jeweils mehrere Bedienstete des Wahlamtes die Umschläge mit den Stimmzetteln geöffnet, die Stimmen ausgezählt LVerfGE 15

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und das Ergebnis in einem Ersatzschnellmeldeformular eingetragen. Ohne Auszählen der Stimmzettel sei es nicht möglich gewesen, die Aufgabe des Wahlbereichsleiters zu erfüllen. Der Wahlbereichsleiter habe dann in der Sitzung des Wahlbereichsausschusses im Zuge seiner Berichterstattung auf die erkannten Probleme hingewiesen, die übrigen Mitglieder des Ausschusses aufgefordert, Nachprüfungen vorzunehmen. Dazu hätten die Beisitzer aber keine Veranlassung gesehen. Anhand der vorgelegten Unterlagen habe der Wahlbereichsausschuss dann das Wahlergebnis festgestellt. Die Sitzung sei öffentlich gewesen. Zur Entwicklung des Zahlenverhältnisses der deutschen Einwohner in den Bereichen der Stadt Bremen und der Stadt Bremerhaven hat der Staatsgerichtshof eine Auskunft des Statistischen Landesamts eingeholt. Die ermittelten Daten auf der Grundlage der Bevölkerungsfortschreibung der Jahie 1999 bis 2003 wurden den Verfahrensbeteiligten vorgelegt; sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. B. Den in der Beschwerdeschrift gestellten Antrag festzustellen, dass das Wahlprüfungsgericht ein Gericht iSv Art. 142 BremLV ist, hat der Beschwerdeführer zurückgenommen. Insoweit ist das Verfahren einzustellen. C. Die gegen den Beschluss des Wahlprüfungsgerichts vom 9.12.2003 frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist gem. § 39 Abs. 1 BremWG zulässig. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Wahlprüfungsgericht hat den Einspruch des Beschwerdeführers gegen die Gültigkeit der Wahl zur 16. Bremischen Bürgerschaft vom 25.5.2003 zu Recht zurückgewiesen. I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist gem. § 39 Abs. 1 BremWG statthaft; sie wurde auch fristgemäß innerhalb von zwei Wochen nach der am 16.1.2004 erfolgten Zustellung der Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts eingelegt. Die Anträge sind nach ihrer Umstellung durch den Beschwerdeführer auch im Übrigen zulässig. Nach § 37 Abs. 1 S. 1 BremWG entscheidet das Wahlprüfungsgericht über die Gültigkeit der Wahl oder von Teilen der Wahl oder den Verlust der Mitgliedschaft in der Bürgerschaft in bestimmten Fällen und über die Feststellungen des Vorstandes der Bürgerschaft, des Präsidenten der Bürgerschaft sowie des Landeswahlleiters. Gegenstand der Beschwerde ist die so umrissene Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts (§ 39 Abs. 1 BremWG). Fragen der Vereinbarkeit des Wahlgesetzes mit Vorschriften der Landesverfassung — hierauf richtete sich der zunächst gestellte Antrag nach Nr. 2 - stellen sich danach nicht isoliert, sondern nur als Vorfragen der Gültigkeit der Wahl oder von Teilen der LVerfGE 15

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Gültigkeit der Wahl. Entsprechend hat der Beschwerdeführer nach Hinweis des Gerichts seine Anträge umgestellt. Die jetzigen Anträge zu 2) und 3) richten sich auf Änderung des festgestellten Wahlergebnisses; in dieser Form sind sie im Wahlprüfungsverfahren zulässig. Die mögliche Beanstandung des festgestellten Wahlergebnisses im Rahmen der Wahlprüfung beschränkt sich auf den sachlichen Umfang, mit dem sich ein möglicher Wahlfehler auf das Ergebnis der Wahl auswirkt. Der Beschwerdeführer begehrt als Minus unterhalb der Feststellung der Ungültigkeit der Wahl die Korrektur der von ihm beanstandeten Sitzverteilung zwischen den beiden Wahlbereichen sowie eine Wiederholung von Akten des Wahlprüfungsausschusses. Diese Begehren sind in diesem Verfahren überprüfbar. Gleiches gilt für die Anträge des Beschwerdeführers, den Wahlbereichsleiter zu verpflichten, die Beschlüsse der Wahlvorstände über die gem. §§ 53 Abs. 1 S. 2, 53 Abs. 5 und 56 Abs. 1 S. 5 Nr. 1 BremWO ausgesonderten Stimmzettel auf ihre Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen und Neuauszählungen der Stimmen eines Wahlbezirkes, die zu einer Korrektur der Beschlüsse des Wahlvorstandes geführt haben, öffentlich durch den Wahlbereichsausschuss oder unter dessen Aufsicht erfolgen zu lassen. II. Die Beschwerde ist nicht begründet, da die Anträge in der Sache keinen Erfolg haben. 1. Der Staatsgerichtshof prüft im Wahlprüfungsverfahren, ob die Entscheidung des Wahlprüfungsgerichtes das Grundgesetz, die Bremische Landesverfassung oder das Bremische Wahlgesetz verletzt hat (§ 39 Abs. 2 BremWG, § 30 Abs. 1 StGHG). Die Gültigkeit der Wahl oder eines angefochtenen Teils ist sowohl nach der Rechts- wie nach der Tatsachenseite hin zu prüfen; dies schließt die Mandatsverteilung zwischen den Wahlbereichen ein. Die Wahlanfechtung ist nur dann begründet, wenn ein Wahlfehler vorliegt, der für das Wahlergebnis erheblich gewesen ist (BremStGHE 6, 253, 261 = Nord-ÖR 2000, 450-453 mwN; Schreiber Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 7. Aufl. 2002, § 49 Rn. 11; Seifert Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, S. 400). 2. Die Mandatsverteilung zwischen Bremen und Bremerhaven im Verhältnis 67 zu 16 (§ 5 Abs. 1 S. 2 BremWG) verstößt für die angefochtene Bürgerschaftswahl vom 25.5.2003 nicht gegen das Grundgesetz oder die Bremische Landesverfassung. a) Der für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 75 Abs. 1 S. 1 BremLV und für die Wahl zur Stadtbürgerschaft in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 148 Abs. 1 S. 2 iVm Art. 75 Abs. 1 S. 1 BremLV gewährleistete Grundsatz der gleichen Wahl verlangt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und im Verhältniswahlrecht grundsätzLVerfGE 15

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lieh auch den gleichen Erfolgswert hat (vgl. BVerfGE 95, 408, 417; BremStGHE 4, 111, 123; jeweils mwN). Den gleichen Anforderungen hat das Wahlrecht auch im Hinblick auf die gem. Art. 21 Abs. 1 iVm Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 75 Abs. 1 S. 1 BremLV verfassungsrechtlich verbürgte Chancengleichheit der Parteien zu genügen (vgl. BVerfGE 82, 322, 337 f). Jeder Wahlvorschlagsträger und jeder Wahlbewerber hat einen Anspruch darauf, dass die für ihn gültig abgegebenen Stimmen bei der Ermittlung des Wahlergebnisses berücksichtigt und mit gleichem Gewicht gewertet werden wie die für andere Wahlvorschlagsträger und Bewerber abgegebenen Stimmen. Dem Gesetzgeber verbleibt bei der Ordnung des Wahlrechts für Differenzierungen nur ein eng bemessener Spielraum; sie bedürfen stets eines rechtfertigenden Grundes (vgl. BVerfGE 1, 208, 249; auch BremStGHE 4, 111, 123). Die Gleichheit der Wahl wird verletzt, wenn eine Ungleichbehandlung vorliegt, die nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist der Gesetzgeber mit der in § 5 Abs. 1 S. 2 BremWG vorgenommenen Mandatsverteilung für die Bürgerschaftswahl vom 25.5.2003 gerecht geworden. b) Für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgeblich ist hierbei eine Betrachtung ex ante (BVerfGE 95, 335, 353, 362). Es kommt damit auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landesgesetzgebers an. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) hat über die Sitzverteilung zwischen den beiden Wahlbereichen am 25.5.2001 entschieden. Der Überprüfung durch den Staatsgerichtshof ist der Sachverhalt zugrunde zu legen, der dem bremischen Landesgesetzgeber zum Zeitpunkt seiner Entscheidung im Mai 2001 bekannt war oder hätte bekannt sein können. Der Landesgesetzgeber war nicht verpflichtet, die Entscheidung über die Mandatsaufteilung im Wahlgesetz zeitnäher zu dem Wahltag zu treffen. Im Hinblick auf die Tragweite der Entscheidung ist es nicht unangemessen gewesen, diese etwa zwei Jahre vor der Wahl zu treffen. Die Frage der Sitzverteilung ist für alle Wahlbeteiligten von grundlegender Bedeutung, auf sie müssen sich die Parteien, die Wahlbewerber und die Bürger rechtzeitig vor einer Wahl einstellen können. Dies galt bei der Wahl des Jahres 2003 in besonderem Maße, da für sie erstmals die Zahl der Bürgerschaftsabgeordneten von 100 auf 83 reduziert wurde und zugleich über die Änderung der Mandatsaufteilung zwischen den beiden Wahlbereichen erneut zu entscheiden war. Angesichts dieser Umstände war der Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, tatsächliche Veränderungen nach dem Mai 2001 noch zu berücksichtigen und seine Entscheidung zur Mandatsaufteilung möglicherweise noch kurz vor der Wahl zu ändern. Er durfte auf der Grundlage der Zahlen entscheiden, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Änderung des Wahlgesetzes vorlagen. Im Mai 2001 lagen für die deutsche Bevölkerung in den Wahlbereichen und zur Zahl der Wahlberechtigten Zahlen bis zum Jahre 2000 vor. Auf diese Zahlenbasis ist für die zu treffende Entscheidung abzustellen. LVerfGE 15

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Der Gesetzgeber durfte bei seiner Entscheidung die Zahlen der deutschen Staatsangehörigen in den beiden Wahlbereichen zugrunde legen (Seifert Bundeswahlrecht, Art. 38 GG, Rn. 30, S. 50). Die Zahl der Wahlberechtigten ist nur für die Zeitpunkte bekannt, zu denen Wahlen stattfanden; die Zahl der deutschen Staatsangehörigen wird demgegenüber für jedes Jahr statistisch ermittelt. Sie ist in jährlichen Zahlenreihen bekannt, da sie nur von der Staatsangehörigkeit und nicht von den weiteren Voraussetzungen des § 1 BremWG abhängt (vgl. Schreiber Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, § 3 Rn. 1, 23). Die Entscheidung über die Aufteilung der Zahl der Mandate für die beiden Wahlbereiche konnte der Gesetzgeber nur auf der Grundlage der Zahlen der deutschen Staatsangehörigen aus dem Jahre 2000 treffen. In der Verfassungsrechtsprechung zur Wahlkreis-/Stimmkreiseinteilung wird ebenfalls auf die Zahl der deutschen Einwohner abgestellt (BayVerfGH, NVwZ 1991, 565 f; NVwZ-RR 2002, 473 ff). Für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Erfolgswertes der Stimmen ist maßgeblich, wie viele Stimmen erforderlich sind, um einen Sitz in dem zu wählenden Parlament zu erringen. Dafür ist der Wert der beiden Wahlbereiche jeweils mit dem Landesdurchschnitt zu vergleichen, da die Bürgerschaft (Landtag) zu wählen war. Ein Direktvergleich des Erfolgswertes der beiden Wahlbereiche würde verkennen, dass die Bürger in den beiden Wahlbereichen ein die Gesamtheit des Landesvolks repräsentierendes Landesparlament wählen. Legt man die deutsche Bevölkerungszahl zugrunde (Bremen: 473.396, Bremerhaven: 107.900), so bedurfte es im Jahr 2000 zur Erringung eines Mandates in der Bürgerschaft (Landtag) in Bremen 7065,61 Stimmen, in Bremerhaven demgegenüber 6743,75 Stimmen. Im Landesdurchschnitt waren für ein Mandat 7003,57 Stimmen erforderlich. Die Abweichung vom Durchschnitt betrug demnach für Bremerhaven 0,96290 und für Bremen 1,00886. Dementsprechend hatte jede Bremerhavener Stimme eine Erfolgschance, die 3,71% höher lag als der Landesdurchschnitt, in Bremen lag die Erfolgschance 0,89% unter dem Landesdurchschnitt. Die Wählerstimmen hatten danach unterschiedlichen Erfolgswert. c) Diese Differenzierung beim Erfolgswert der Stimmen in den beiden Wahlbereichen der Bürgerschaftswahl 2003 war verfassungsrechtlich zulässig. Die Wahlrechtsgleichheit gilt nicht schrankenlos, der Gesetzgeber kann Differenzierungen vornehmen. Da es sich bei der Wahlrechtsgleichheit um eine strikt formale Gleichheit handelt, bedürfen Ungleichbehandlungen einer Rechtfertigung durch zwingende Gründe (BVerfGE 1, 208, 247 ff; 82, 322, 338; BremStGHE 4, 111, 123; 6, 253, 263 f). Voraussetzung einer Abweichung von der strikten Wahlrechtsgleichheit ist, dass die Gründe für die Differenzierung durch die Verfassung legitimiert und von einem der Wahlrechtsgleichheit entsprechenden Gewicht sind und dass die differenzierenden Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sind. Die Differenzierungen müssen sich von Verfassungs wegen nicht als zwangsläufig oder notwendig darstellen. Vielmehr werden auch Gründe zugelassen, die durch die Verfassung getragen und von einem Gewicht sind, das LVerfGE 15

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der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann. Bei der Abwägung können gefestigte Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis Beachtung finden (BVerfGE 95, 408, 418; BremStGHE 6, 253, 263 f). Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Gebote der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien mit anderen durch die Verfassung gerechtfertigten, hinreichend gewichtigen Zielen zum Ausgleich zu bringen. Der Staatsgerichtshof hat diesen Spielraum zu beachten. Er prüft lediglich, ob dessen Grenzen überschritten sind, nicht aber, ob der Gesetzgeber zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat. Der Staatsgerichtshof kann daher einen Verstoß gegen die Wahlgleichheit nur feststellen, wenn die differenzierende Regelung nicht an einem Ziel orientiert ist, das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen darf, wenn sie zur Erreichung dieses Zieles nicht geeignet ist oder das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet. Die Schwere der Differenzierungsfolgen muss der Bedeutung des Differenzierungsziels noch angemessen sein (BremStGHE 6, 253, 264, im Anschluss an BVerfGE 95, 408, 420). d) Der bremische Landesgesetzgeber hat mit der Verabschiedung des § 5 Abs. 1 S. 2 BremWG Ziele verfolgt, die verfassungsrechtlich angestrebt werden durften. Die Vorschrift dient der Verkleinerung der Bürgerschaft (Landtag). Dabei sollte eine Pattsituation durch eine ungerade Mitgliederzahl - unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Garantie der beiden Gemeinden - vermieden werden. Diese Ziele durfte der Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen. Dabei waren die Wirkungen der Sperrklausel in den Wahlbereichen zu berücksichtigen. Die Verkleinerung der Bürgerschaft (Landtag) ist dem Gesetzgeber gem. Art. 75 Abs. 2 BremLV gestattet. Sie kann die Effektivität der parlamentarischen Tätigkeit steigern und der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des staatlichen Handelns dienen (vgl. Art. 132 S. 3 BremLV). Die Verkleinerung war auch verfassungsrechtlich zulässig, obwohl sie das natürliche Quorum für den Wahlbereich Bremerhaven rechnerisch auf über 5% der Stimmen angehoben hat. Ein Sitz kann unter diesen Umständen zwar nur einem Wahlvorschlag zugeteilt werden, auf den 1/16 = 6,25% der Stimmen entfallen sind. Demgegenüber ist das natürliche Quorum in Bremen (1,49%) bedeutungslos, dort kommt es nur auf die Sperrklausel des § 7 Abs. 4 BremWG an. Vor der Verkleinerung entsprach das natürliche Quorum auch in Bremerhaven, wo 20 Mitglieder der Bürgerschaft (Landtag) gewählt wurden, der 5%-Hürde. Die Verkleinerung hat also insoweit zu einer Ungleichbehandlung zwischen den beiden Wahlbereichen geführt. Es könnte daher Konstellationen geben, bei denen die faktische Sperrklausel in den beiden Wahlbereichen unterschiedlich hoch ist, und es könnte — jedenfalls theoretisch — in Bremerhaven eine Sperrwirkung über 5% bis zu 6,25% eintreten. Das hängt aber von den Wirkungen des Sitzverteilungssystems, von dem Wahlergebnis insgesamt und von der Anzahl der von der LVerfGE 15

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Sperrklausel in § 7 Abs. 4 BremWG erfassten Wahlvorschläge ab. Der Beschwerdeführer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es nach dem derzeit angewandten Sitzverteilungssystem Sainte Lague/Schepers so gut wie ausgeschlossen ist, dass eine Liste mit 5% oder mehr als 5% der abgegebenen gültigen Stimmen am natürlichen Quorum in Bremerhaven scheitern könnte. Die von ihm angestellten hypothetischen Überlegungen haben aber zugleich aufgezeigt, dass dieses Sitzverteilungssystem unter besonderen Konstellationen (sehr viele kleine Parteien mit Stimmanteilen knapp über der Sperrklausel) zu extremen Verzerrungen des Erfolgswerts der Stimmen - zu Lasten der großen Parteien - fuhren kann. Das (rechnerisch) erhöhte natürliche Quorum ist systembedingt. Es ist, wenn die Zahl der Abgeordneten auf unter 100 reduziert wird, unvermeidlich, da im Land Bremen eine andere Wahlbereichseinteilung praktisch ausgeschlossen ist. Da der Fall des Ausschlusses einer Partei mit mehr als 5% und weniger als 6,25% der gültigen Stimmen unter den gegenwärtigen Bedingungen äußerst unwahrscheinlich ist, durfte der Gesetzgeber bei der Parlamentsverkleinerung auch das erhöhte natürliche Quorum in Kauf nehmen. Bei einer zukünftigen Änderung des Sitzverteilungssystems werden die Wirkungen des erhöhten natürlichen Quorums in Bremerhaven aber durch den Gesetzgeber eingehend in Betracht gezogen und mit der Bedeutung anderer Wahlrechtsziele gegebenenfalls neu abgewogen werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu einem besonderen Wahlsystem in Rheinland-Pfalz ausgeführt, dass der Grundsatz der gleichen Wahl verletzt ist, wenn im Rahmen einer Sitzverteilung nach dem Wahlschlüsselverfahren der Wahlschlüssel bei der Zweitverteilung nach Reststimmen eine über die 5%-Sperrklausel hinausreichende absolute Sperrwirkung entfaltet (BVerfGE 34, 81, 101). Die Wahlvoraussetzungen in Bremen sind andere, die Wirkungen des natürlichen Quorums müssen indessen in Betracht gezogen werden. Schließlich dient die Vermeidung einer Pattsituation der in Art. 75 ff BremLV vorausgesetzten Funktionsfähigkeit der Bürgerschaft. e) Die durch § 5 Abs. 1 S. 2 BremWG vorgenommene Verteilung der 83 Mandate auf die Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven ist zur Erreichung der vorgenannten Ziele geeignet. Gleich geeignete wahlrechtliche Regelungen, die eine weniger schwerwiegende Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit zur Folge haben, sind nicht ersichtlich (siehe zum Folgenden: Bürgerschaft (Landtag), Drs. 15/644, S. 2 ff). (aa) Ein Verhältnisausgleich führt nicht notwendig dazu, dass die Mandatsverteilung zwischen Bremen und Bremerhaven dem Verhältnis der Bevölkerungszahlen besser gerecht wird. Er ist nicht gleich geeignet, weil er dem Ziel der Verkleinerung der Bürgerschaft zuwiderläuft und nicht sicherstellt, dass Pattsituationen ausgeschlossen werden. Der 1993 vorgeschlagene Verhältnisausgleich bezweckte nur, allen Wahlvorschlägen, die die 5%-Hürde überwunden hatten, einen Sitz in der Bürgerschaft (Landtag) zu sichern. LVerfGE 15

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(bb) Nicht gleich geeignet wäre auch die Durchführung getrennter Wahlen für die Bürgerschaft (Landtag) und die Stadtbürgerschaft. In dem parlamentarischen System der Bremischen Landesverfassung (Art. 107, 110) wären getrennte Wahlen nur durchfuhrbar, wenn die Stadtgemeinde Bremen eigene, von den Landesorganen getrennte Organe erhielte. Die Entscheidung hierüber liegt gem. Art. 145 Abs. 1; 148 Abs. 1 S. 1 BremLV bei der Stadtgemeinde; sie hat ein Wahlrecht, ob es bei der bisherigen Organstruktur bleiben soll oder nicht. Dieses verfassungsrechtlich eingeräumte Recht kann ihr nicht durch eine wahlrechtliche Regelung des Landesgesetzgebers genommen werden. (cc) Nicht gleich geeignet wäre auch die Schaffung eines einheitlichen Wahlbereichs für das Land Bremen. Zwar wäre hier der Erfolgswert aller Stimmen — abgesehen von § 7 Abs. 4 BremWG - gleich hoch, und es entfiele zugleich das verschärfend wirkende natürliche Quorum in Bremerhaven. Da aber die Besetzung der Bürgerschaft insgesamt von allen im Land Bremen abgegebenen Stimmen abhinge, hätten auch die in Bremerhaven abgegebenen Stimmen Einfluss auf die Zusammensetzung jenes Teils der Bürgerschaft, der als Stadtbürgerschaft fungiert. Der Bestimmung des Art. 148 Abs. 1 S. 3 BremLV, wonach die Stadtbürgerschaft aus den von den stadtbremischen Wählern mit der Wahl zur Bürgerschaft im Wahlbereich Bremen gewählten Vertretern besteht, könnte so nicht genügt werden. Zugleich widerspräche eine Mitwirkung von Personen, die nicht in der Stadtgemeinde Bremen ansässig sind, dem Demokratieprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 66 BremLV, wonach die demokratische Legitimation in der kommunalen Selbstverwaltung an die Gesamtheit derjenigen anknüpft, die durch Wohnsitznahme ihre Zugehörigkeit zu der Gebietskörperschaft begründet haben. (dd) Schließlich wäre es nicht gleich geeignet, die Bürgerschaft (Landtag) um einige Sitze zu vergrößern, so dass zur Erringung eines Sitzes in beiden Wahlbereichen etwa gleich viele Stimmen nötig sind. Dadurch würde eine Verkleinerung der Bürgerschaft nur in geringerem Ausmaß erreicht werden. f) Die Differenzierungsziele haben ein Gewicht, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann. (aa) Dabei hat die Berücksichtigung der Gliederung des Landes Bremen in zwei kommunale Gebietskörperschaften einen hohen Rang. Sie ist in Art. 143 BremLV vorgesehen. Die Einteilung des Landes Bremen in die beiden Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven geht auf eine seit 1849 bestehende Tradition zurück (vgl. BremStGHE 4, 111, 131; 6, 253). Das aus den Wahlen in zwei Wahlbereichen mit festen Mandatskontingenten hervorgegangene gemeinsame Parlament bietet am ehesten die Gewähr dafür, dass die historischen, geographischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Besonderheiten der beiden Städte ebenso gewahrt werden wie ihre Gemeinsamkeiten. Das Ziel, den Charakter der BürgerLVerfGE 15

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schaft (Landtag) als eines in den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven gewählten Parlaments zu erhalten, ist für die rechtlich-politische Eigenart des Landes Bremen als Zwei-Städte-Staat so wesentlich, dass es der Wahlrechtsgleichheit in seiner Bedeutung entspricht. Daher braucht sich der Gesetzgeber nicht auf Lösungen verweisen zu lassen, in denen dieses Ziel nur unvollkommen berücksichtigt werden kann. (bb) Gleiches gilt für das Ziel, eine zu große Abweichung des natürlichen Quorums von der in beiden Wahlbereichen geltenden Sperrklausel des § 7 Abs. 4 BremWG zu verhindern. Dieses Ziel dient ebenfalls der Verwirklichung der Wahlrechtsgleichheit. Auch wenn das gegenwärtige Sümmverteilungssystem die Möglichkeit eher entfernt erscheinen lässt, dass tatsächlich Listen aus Bremerhaven mit mehr als 5% der Stimmen ausgeschlossen werden, so ist es gerechtfertigt, das natürliche Quorum möglichst nahe an der 5%-Grenze zu halten, um diese Gefahr zu minimieren. Dies gilt umso mehr, als die vom Beschwerdeführer aufgezeigten Konstellationen den Erfolgswert der Stimmen zu Lasten der großen Parteien erheblich verzerren und ihrerseits verfassungsrechtliche Bedenken begründen. Aus diesem Grund durfte sich die Bürgerschaft (Landtag) gegen eine weitere Verringerung der Anzahl der in Bremerhaven zu wählenden Mitglieder der Bürgerschaft entscheiden. (cc) Demgegenüber hat das Ziel, Pattsituationen zu vermeiden, kein besonders großes Gewicht. Ob sich in der Bürgerschaft eine Mehrheit herausbildet, hängt nicht nur vom Wahlergebnis, sondern vielen anderen Faktoren, zum Beispiel einer Koalitionsbildung, ab. Daher muss der Wunsch, eine ungerade Anzahl von Mitgliedern in Bürgerschaft (Landtag) und Stadtbürgerschaft zu haben, zurücktreten, falls die Wahlrechtsgleichheit eine Änderung der Abgeordnetenzahl erfordert. (dd) Schließlich ist das Ziel, die Bürgerschaft zu verkleinem, von hohem Gewicht. Da die Anzahl der Bremerhavener Mitglieder der Bürgerschaft nicht weiter zu verringern ist, lässt sich eine größere Erfolgswertgleichheit in beiden Wahlbereichen nur dadurch herstellen, dass die Anzahl der stadtbremischen Abgeordneten erhöht wird. Das widerspricht aber dem Willen des Parlaments. Die Verkleinerung der Bürgerschaft (Landtag) wurde beschlossen, nachdem die Verfassungsnovelle 1994 die Zahl von 100 Mitgliedern gestrichen hatte. Sie sollte betonen, dass die Größe des Parlaments noch einmal zu prüfen sei {Neumann Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, 1996, Art. 75 Rn. 4). Dem ist der Gesetzgeber nachgekommen. Er konnte sich dabei auf die Bestimmung des Art. 75 Abs. 2 BremLV stützen, wonach die Zahl der Mitglieder der Bürgerschaft durch Gesetz festgelegt wird. Die Verfassung beruft damit den Gesetzgeber zur Entscheidung über die Größe des Parlaments. Es liegt daher in seiner Kompetenz, den Charakter dieser Körperschaft vorzuprägen. Dazu ist der Gesetzgeber besonders befähigt, denn die Beschlussfassung über die Zahl der Mitglieder der BürgerLVerfGE 15

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schaft findet gerade in der Bürgerschaft selbst statt, die die Auswirkungen der Mitgliederzahl auf ihre Arbeitsfähigkeit und Arbeitsweise am besten beurteilen kann. Ihrer Gestaltungsfreiheit kommt daher erhebliches Gewicht zu. Daraus folgt für die gerichtliche Kontrolle, dass die Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit durch die Verkleinerung der Bürgerschaft erst zu beanstanden ist, wenn der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspiekaum so weitgehend überschreitet, dass die Schwere der Ungleichbehandlung unangemessen ist. Eine solche unangemessene schwere Ungleichbehandlung lag nach den tatsächlichen Umständen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gesetzgebers nicht vor. (ee) Unter den gegebenen bremischen Verhältnissen und unter Berücksichtigung der oben darlegten weiteren Voraussetzungen ist eine Abweichung von der Erfolgswertgleichheit der Stimmen von bis zu 5% verfassungsrechtlich zulässig. In seiner Entscheidung vom 29.8.2000 hat der Staatsgerichtshof hervorgehoben, dass der Landesgesetzgeber im Bereich der Staatsorganisation weiten Raum für die Selbstständigkeit landesrechtlicher Strukturbildung beanspruchen könne. Er hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugleich betont, dass Differenzierungen bei der Wahlrechtsgleichheit sich nicht als zwangsläufig oder notwendig darstellen müssten, „zureichende", „aus der Natur eines Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung sich ergebende Gründe" ließen Differenzierungen zu (BremStGHE 6, 253, 263 f, 265). Diese müssten für die Verfolgung der Ziele geeignet und erforderlich sein. Schließlich sei wesentlich, mit welcher Intensität in das — gleiche — Wahlrecht eingegriffen werde. Unter Berücksichtigung der stadtstaatlichen Besonderheit, der besonderen Bedeutung des Gewichts der Mandatsverteilung zwischen den beiden Städten des Stadtstaats, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Landesgesetzgeber bei der Anpassung der Mandatszahlen Abweichungen des Erfolgswerts der Stimmen in den beiden Wahlbereichen bis zu einem Wert von 5% in Kauf genommen hat. Dies gilt jedenfalls für die erste Mandatsverteilung nach einer merklichen Reduzierung der Gesamtzahl der Mandate. Für die Annahme eines Toleranzwerts von 5% bei Erfolgswertunterschieden spricht, dass das bremische Recht die 5%-Klausel mit der Bestimmung des Art. 75 Abs. 3 BremLV auf Verfassungsebene für das bremische Wahlrecht verbindlich erklärt (vgl. § 7 Abs. 4 BremWG). Auch das Bundesverfassungsgericht hat das 5%-Quorum allgemein als „Orientierungspunkt" angesehen, „den der Gesetzgeber bestimmt hat, um das Prinzip der Verhältniswahl mit verfassungslegitimen Gegenprinzipien auszugleichen und insoweit den Erfolgswert der Stimmen unterschiedlich zu gewichten"; es biete einen rechtlichen Rahmen für einen schonenden Ausgleich zwischen parteibezogener Wahlgleichheit und Funktionsfähigkeit des Parlaments (BVerfGE 95, 355, 366). Wegen der Besonderheiten des bremischen Wahlsystems kann für die Bestimmung der Grenze zur schweren und unangemessenen Ungleichbehandlung an die Regelung des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BWahlG nicht angeknüpft werden. Nach LVerfGE 15

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dieser Vorschrift soll die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehi als 15% nach oben oder unten abweichen; beträgt die Abweichung mehr als 25%, ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen (Schreiber Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, § 3 Rn. 18, 20). Die Angemessenheitsprüfung kann wegen der unterschiedlichen Wahlsysteme im Bund und im Land Bremen an diesen Werten nicht orientiert werden. Im personalisierten Verhältniswahlrecht des Bundes sind gleich große Wahlkreise vor allem nötig, um bei der Bestimmung der Wahlkreiskandidaten durch die Erststimmen einen gleichen Erfolgswert zu verwirklichen und um dem bei der Entstehung von Uberhangmandaten auftretenden Element von Mehrheitswahl Rechnung zu tragen (BVerfGE 95, 335, 363 ff); Schreiber Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, § 3 Rn. 18). Die Schwankungen in der Bevölkerungszahl der Wahlkreise ergeben sich daraus, dass die Wahlkreise räumlich zusammengehörige Gebiete mit einer gewissen Homogenität sein sollen. Die Wahlkreisgrenzen können nicht beliebig geschnitten werden, sie müssen den vorhandenen Städten und Gemeinden im Raum Rechnung tragen. Im Land Bremen geht es demgegenüber darum, bei vorgegebenen, unveränderlichen Wahlbereichsgrenzen die Anzahl der Bürgerschaftsmitglieder zu bestimmen, die in dem jeweiligen Wahlbereich zu wählen sind. Bei der Zuordnung einer Zahl von Abgeordnetenmandaten auf feststehende Wahlbereiche ist es für den Gesetzgeber wesentlich leichter möglich, eine Regelung zu treffen, die sich dem gleichen Erfolgswert annähert als bei der räumlichen Abgrenzung von Wahlkreisen. Deshalb ist es angemessen, sich nicht an einem Toleranzwert von 15% oder gar 25% zu orientieren, sondern auf die im Wahlrecht eingeführte 5%-Schwelle abzustellen. An die Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen sind bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft daher höhere Anforderungen zu stellen als bei der Wahlkreiseinteilung nach Bundeswahlrecht, da nach der durch das Bremische Wahlgesetz bestimmten Zahl der Mandate für die beiden Wahlbereiche im Lande Bremen kein Verhältnisausgleich zwischen diesen Wahlbereichen mehr stattfindet. Nach den Erhebungen des Jahres 2000, auf die — wie dargelegt — die Entscheidung des Gesetzgebers im Mai 2001 abstellen durfte, betrug die Zahl der deutschen Bevölkerung im Land Bremen 7003,57, in der Stadtgemeinde Bremen 7065,61 und in Bremerhaven 6743,75. Die Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl pro Mandat betrug also in Bremen 0,89% und in Bremerhaven 3,71% und lag damit noch deutlich unter der 5% Grenze. Diese Grenze wird auch nicht überschritten, wenn man auf die letzten Wahlen und die Zahl der Wahlberechtigten vor der gesetzgeberischen Entscheidung abstellt: Bei den Bürgerschaftswahlen 1999 betrug die Abweichung 4,7%, bei den Europawahlen 1999 4,8%. Damit liegt die Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit in einem Bereich, der verfassungsrechtlich noch zulässig ist. Bei der Bewertung der in § 5 Abs. 1 S. 2 BremWG festgelegten Mandatsverteilung fällt auch ins Gewicht, dass im Jahre 2000 für den Gesetzgeber eine verLVerfGE 15

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festigte und verlässliche Tendenz der Bevölkerungsentwicklung (deutsche Wohnbevölkerung) zwischen den beiden Wahlbereichen (langsame und stetige Abnahme in Bremerhaven, Stop des Einwohnerschwundes und sogar leichte Zunahme in Bremen) noch nicht so deutlich absehbar war. g) Das bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber in jedem Fall untätig bleiben darf, bis die Bevölkerungszahl je Bürgerschaftsmitglied in einem Wahlbereich noch weiter als bisher vom Durchschnitt abweicht. Der Gesetzgeber hat fordaufend zu prüfen, ob die von ihm verfolgten Zwecke und die Wahlrechtsgleichheit noch in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BremStGHE 6, 253, 267). Dabei hat er den Gewinn an Funktionsfähigkeit zu bewerten, den eine kleinere Bürgerschaft mit sich bringt und ihn zu der Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit ins Verhältnis zu setzen. Der weitere Verlauf der Entwicklung der deutschen Wohnbevölkerung in den Wahlbereichen zeigt, dass sich der Anteil Bremerhavens im Jahr 2001 weiter reduziert hat. Die Tendenz spricht eher dafür, dass sich die Abweichung vom Landesdurchschnitt zu Gunsten des Erfolgswerts Bremerhavener Stimmen weiter erhöht. Sie liegt inzwischen bei etwa 5,3%. Dies spricht dafür, für die kommenden Jahre eine Handlungspflicht des Gesetzgebers anzunehmen. 3. Auch die Einwände des Beschwerdeführers gegen das Verfahren vor dem Wahlbereichsausschuss sind unbegründet. a) Die Behauptung des Beschwerdeführers, der Wahlbereichsleiter habe die Beschlüsse der Wahlvorstände über die gem. §§ 53 Abs. 1 S. 2, 53 Abs. 5 und 56 Abs. 1 S. 5 Nr. 1 BremWO ausgesonderten Stimmzettel auf Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen, geht fehl. Nach § 30 stellt der Wahlvorstand fest, wie viele Stimmen im Bezirk auf die einzelnen Wahlvorschläge abgegeben worden sind (§ 30 Abs. 1 BremWG). § 31 BremWG legt im Einzelnen fest, unter welchen Voraussetzungen abgegebene Stimmen als ungültig zu werten sind. Schließlich bestimmt § 32 BremWG, dass der Wahlvorstand über die Gültigkeit der abgegebenen Stimmen und über alle bei der Wahlhandlung und bei der Ermittlung des Wahlergebnisses sich ergebenden Anstände entscheidet und der Wahlbereichsausschuss das Recht der Nachprüfung der Entscheidung des Wahlvorstandes hat. Nach § 56 BremWO ist über die Wahlhandlung sodann eine Niederschrift anzufertigen, die von den Mitgliedern des Wahlvorstandes zu genehmigen und zu unterzeichnen ist. Damit ist eindeutig festgelegt, dass zunächst der Wahlvorstand darüber zu entscheiden und zu beschließen hat, ob die abgegebenen Stimmen gültig oder ungültig sind oder andere Aussonderungsgründe für die Stimmzettel sich ergeben. Nach §§ 60 Abs. 1 S. 1; 61a Abs. 1 S. 1 BremWO prüft dann der Wahlbereichsleiter die Wahlniederschriften auf Vollständigkeit und Ordnungsmäßigkeit. Diese Vorarbeit des Wahlbereichsleiters soll die Wahlergebnisfeststellung soweit vorklären, dass der Wahlbereichsausschuss möglichst schnell zur formellen FestLVerfGE 15

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Stellungsentscheidung kommen kann. Die Tätigkeit des Wahlbereichsleiters ist damit eine unentbehrliche Voraussetzung für die Wahlergebnisfeststellung des Wahlbereichsausschusses (§§ 60 Abs. 2; 60a Abs. 2 BremWO). Die Obliegenheit des Wahlbereichsleiters, die Wahlniederschriften zu prüfen, umfasst ggf. auch die Uberprüfung der Anlagen dieser Wahlniederschriften. Eine generelle Verpflichtung hierzu ergibt sich aus §§ 60 Abs. 1; 60a Abs. 1 BremWO jedoch nicht, vielmehr bestimmen §§ 60 Abs. 1 S. 4; 61 Abs. 1 S. 4 BremWO eine Aufklärungspflicht des Wahlbereichsleiters nur dann, wenn sich aus der Wahlniederschrift oder aus sonstigen Gründen Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit des Wahlgeschäftes ergeben. Die vom Wahlbereichsleiter geübte Praxis, eine vollständig und ordnungsgemäß erstellte Wahlniederschrift keiner weiteren Uberprüfung zu unterziehen, ist deshalb nicht zu beanstanden. Ein Wahlfehler liegt insofern nicht vor. b) Auch die Rüge des Beschwerdeführers, dass der Wahlbereichsleiter zur Vorbereitung der Sitzung des Wahlbereichsausschusses acht Wahlbezirke neu ausgezählt und sich hierzu der Mithilfe von Bediensteten der staatlichen Verwaltung bedient hat, ohne dabei Öffentlichkeit herzustellen, ist unbegründet. Wie bereits ausgeführt, ist der Wahlbereichsleiter nach §§ 60 Abs. 1 S. 4 und 60a Abs. 1 S. 4 BremWO verpflichtet, bei sich ergebenden Bedenken aus der Wahlniederschrift diese soweit wie möglich aufzuklären. Diese Aufklärungspflicht schließt gegebenenfalls eine komplette Neuauszählung der Stimmzettel ein. Hierfür durfte der Wahlbereichsleiter Bedienstete der staatlichen Verwaltung hinzuziehen (Schreiber aaO, § 40 Rn. 4). Da der Wahlbereichsleiter weder die Entscheidung der Wahlvorstände berichtigen noch die Entscheidungsbefugnis des Wahlprüfungsausschusses vorwegnehmen kann, er also bei der Überprüfung der Wahlniederschriften auf Ordnungsmäßigkeit und Vollständigkeit und der Zusammenstellung des Wahlergebnisses nur Vorarbeit für den Wahlbereichsausschuss leistet, bedarf es bei dieser Tätigkeit keiner Öffentlichkeit. Es handelt sich insoweit weder um eine Wahlhandlung, unter der man das gesamte unter Leitung und Aufsicht der Wahlorgane stehende Stimmabgabeverfahren versteht und für die § 26 Abs. 1 BremWG, § 42 BremWO Öffentlichkeit vorschreiben, noch um eine Tätigkeit der Wahlausschüsse, für die § 12 Abs. 1 BremWG ebenfalls Öffentlichkeit verlangt. Die komplette Neuauszählung von acht Wahlbezirken durch den Wahlbereichsleiter unter Zuhilfenahme von Mitarbeitern des Wahlamtes, ohne dass hierbei Öffentlichkeit hergestellt wurde, ist deshalb nicht zu beanstanden. c) Unbegründet sind auch die Rügen des Beschwerdeführers, die Bürgerschaftswahl vom 25.5.2003 leide unter einem Wahlfehler, weil der Wahlbereichsausschuss seiner ihm obliegenden Kontrollpflicht gegenüber den Änderungsvorschlägen des Wahlbereichsleiters nur unvollständig nachgekommen sei und für die anwesenden Beobachter der Sitzung des Wahlbereichsausschusses die vorgenommenen Korrekturen nicht nachvollziehbar gewesen seien. LVerfGE 15

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Nach § 11 Abs. 2 BremWG besteht der Wahlbereichsausschuss aus dem Wahlleiter als Vorsitzendem und sechs von ihm berufenen Wahlberechtigten als Beisitzern. § 11 Abs. 3 BremWG bestimmt, dass bei der Berufung der Beisitzer die im jeweiligen Gebiet vertretenen Parteien und Wählervereinigungen nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind. Durch diese unterschiedliche Parteizugehörigkeit der Beisitzer des Wahlbereichsausschusses erfährt die der Öffentlichkeit obliegende Kontrolle der Vorgänge bei der Wahlbereichsausschusssitzung eine nachhaltige Unterstützung. Bei jeder Berichtigung der Wahlniederschriften der Wahlvorstände zum Vorteil oder zum Nachteil einer der Parteien werden die Beisitzer einer betroffenen Partei ein besonderes Augenmerk auf die Richtigkeit der Änderung der Wahlniederschrift haben. d) Eine Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips könnte allenfalls darin liegen, dass die Beisitzer des Wahlbereichsauschusses bei der Beschlussfassung auf schriftliche Unterlagen zurückgreifen konnten und deshalb ein mündlicher Vortrag der einzelnen vorgeschlagenen Berichtigungsgründe unterblieben ist, so dass für die Beobachter der Sitzung die Beschlüsse des Wahlbereichsausschusses nicht nachvollziehbar gewesen sind. Der Staatsgerichtshof muss hierzu keine abschließende Entscheidung treffen. Selbst wenn nämlich insoweit eine Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips anzunehmen wäre, würde dies nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf Wiederholung der Sitzung des Wahlbereichsausschusses Erfolg hat. Dem Beschwerdeführer liegt seit der mündlichen Verhandlung am 12.8.2003 vor dem Wahlprüfungsgericht eine eingehende Stellungnahme des Wahlbereichsleiters vor, aus der sich Grund und Art der Korrekturen der vorläufigen Wahlergebnisse und die vorläufigen Ergebnisse nach Wahlbezirken, die Ergebnisse der Kontrollniederschrift, die durchgeführte Korrektur und das sich daraus ergebende endgültige Ergebnis ablesen lassen. Der Beschwerdeführer hat hierzu keine Stellungnahme abgegeben, so dass unterstellt werden kann, dass er trotz dieser vollständigen und umfangreichen Information über Art und Grund der vorgenommenen Berichtigungen keine fehlerhaften Korrekturen der einzelnen Wahlniederschriften hat feststellen können. Sind jedoch in der Sitzung des Wahlbereichsausschusses die vom Wahlbereichsleiter festgestellten fehlerhaften Wahlniederschriften durch Beschluss des Wahlbereichsausschusses richtig korrigiert worden, so liegt kein das Wahlergebnis verändernder Wahlfehler vor, der allein zur Wiederholung der Sitzung des Wahlbereichsausschusses zwingen würde. e) Das in §§ 60 Abs. 2; 60a Abs. 2 BremWO dem Wahlbereichsausschuss eingeräumte Recht, rechnerische Feststellungen des Wahlvorstandes und fehlerhafte Zuordnung gültig abgegebener Stimmen zu berichtigen sowie über die Gültigkeit der abgegebenen Stimmen abweichend vom Wahlvorstand zu beschließen, enthält keine Verpflichtung des Wahlbereichsausschusses, sämtliche vom Wahlbereichsleiter vorgeschlagenen Änderungen der Wahlniederschriften der WahlvorLVerfGE 15

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stände zu überprüfen. Welche Überprüfung der Wahlbereichsausschuss vornimmt, bevor er einen Beschluss fasst, steht mangels näherer gesetzlicher Festlegung im pflichtgemäßen Ermessen des Wahlbereichsausschusses. Für die Bestimmung der Grenzen dieses Ermessens bedarf es einer Analyse und Abwägung der Interessen aller Beteiligten unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände. Die Prüfungskompetenz des Wahlbereichsausschusses soll im Wesentlichen die Richtigkeit des festgestellten Wahlergebnisses in den Wahlbezirken gewährleisten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Wahlbereichsausschuss unter einem gewissen Zeitdruck steht, da der Landeswahlausschuss möglichst bis zum 10. Tag nach der Wahl das endgültige Wahlergebnis im Lande feststellen soll (§ 30 Abs. 4 BremWG). Angesichts der Größe des Wahlbereichs (414 Wahlbezirke mit insgesamt 250.445 Wählern) ist zu vermuten, dass der Wahlbereichsleiter in einer Vielzahl von Wahlniederschriften Fehler vorfindet, die einer Berichtigung bedürfen. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände muss dem Wahlbereichsausschuss zugebilligt werden, eine eigene Prüfung der Wahlniederschriften und deren Anlagen nur vorzunehmen, sofern aufgrund oder trotz des Vortrages des Wahlbereichsleiters oder seiner schriftlich vorgelegten Aufstellung über die vorgefundenen Fehler in den Wahlniederschriften und die vorgeschlagenen Berichtigungen bei Mitgliedern des Wahlbereichsausschusses Bedenken bestehen bleiben. Bestehen solche Bedenken nicht, handelt der Wahlbereichsausschuss nicht ermessensfehlerhaft, dem Vorschlag des Wahlbereichsleiters ohne nähere Prüfung zu folgen. Dass solche Bedenken bei einzelnen Mitgliedern des Wahlprüfungsausschusses bestanden, ist weder vom Beschwerdeführer vorgetragen noch aus der Akte ersichtlich. Ein Wahlfehler kann deshalb in dem beanstandeten Verhalten des Wahlprüfungsausschusses nicht festgestellt werden. D. Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Nr. 3 1. Zum Anspruch politischer Parteien auf Beteiligung an Sendungen in Fernsehen und Rundfunk in der Vorwahlzeit (im Anschluss an StGHE 6, 89 ff). 2. Der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit der Parteien wird nicht verletzt, wenn in dem zu wählenden Parlament bisher nicht vertretene Parteien mit realistischen Chancen auf einen Stimmenanteil von mehr LVerfGE 15

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als 5% deutlich mehr Raum als „Splitterparteien", aber weniger Raum als im Parlament vertretenen Parteien eingeräumt wird. 3. Wahlbewerber müssen alle vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten ausnutzen, um das Entstehen von Wahlfehlern zu verhindern. Werden Rechtsschutzmöglichkeiten nicht genutzt, so kann eine Wahlanfechtung auf einen solchen Sachverhalt nicht mehr gestützt werden (im Anschluss an BremStGHE 6, 89 fi). Auf ein Verschulden der Wahlbewerber kommt es dabei nicht an. Grundgesetz Art. 3 Abs. 1; 5 Abs. 1; 20 Abs. 3; 21 Abs. 1 Parteiengesetz § 5 Abs. 1 Bremisches Wahlgesetz §§ 37 Abs. 1; 39 Gesetz über den Staatsgerichtshof § 12 Abs. 1

Urteil vom 5. N o v e m b e r 2004 - St 3/04 in dem Wahlprüfungsverfahren betreffend die Wahl zur 16. Bremischen Bürgerschaft am 25. Mai 2003 Einspruchs- und Beschwerdeführer: 1.

Partei Rechtsstaatlicher Offensive (Offensive D), Landesverband Bremen, Hemelinger Heerstr. 46, 28309 Bremen

2.

..., Bremen

Verfahrensbevollmächtigter zu 1. und 2.: Rechtsanwalt Axel Hodok, Mommsenstr. 61, 10629 Berlin Weitere Beteiligte: 1. der Präsident der Bremischen Bürgerschaft, Haus der Bürgerschaft, Am Markt 20, 28195 Bremen 2. der Landeswahlleiter, Statistisches Landesamt, An der Weide 14-18, 28195 Bremen Mitwirkungsberechtigter: der Senator für Justiz und Verfassung Entscheidungsformel: 1. Die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2. gegen den Beschluss des Wahlprüfungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 9. Dezember 2003 (WK 1306/03) wird als unzulässig verworfen. LVerfGE 15

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2. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1. gegen diesen Beschluss wird zurückgewiesen. Gründe: A. Gegenstand des Verfahrens ist die Gültigkeit der Wahl zur 16. Bremischen Bürgerschaft vom 25.5.2003. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist eine politische Partei und bewarb sich bei der Wahl um Sitze in der Bremischen Bürgerschaft. Der Beschwerdeführer zu 2. war Spitzenkandidat der Beschwerdeführerin zu 1. im Wahlbereich Bremen. I. Die Beschwerdeführerin zu 1. errang landesweit 12.876 gültige Stimmen, das entspricht 4,41% der landesweit abgegebenen gültigen Stimmen. Im Wahlbereich Bremen erhielt sie 10.661 (4,34%) der in diesem Wahlbereich abgegebenen gültigen Stimmen und im Wahlbereich Bremerhaven 2.215 gültige Stimmen (4,81%). Die Beschwerdeführer haben am 30.6.2003 Einspruch gegen die Wahl eingelegt. Sie sehen sich in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, sie seien zum einen in verschiedenen Rundfunk- und Fernsehsendungen im Vorfeld der Wahl nur unzureichend berücksichtigt worden. Zum Beleg verweisen sie unter anderem auf Sendungen der ARD („Tagesschau" und „Tagesthemen"), des ZDF („ZDF-Politbarometer", „Heute" und „Heute-Journal") sowie von Radio Bremen („Nordwest vor Ort" und „Wahl-Spezial"). Dem Ausschluss aus diesen Sendungen liege eine Fehleinschätzung der politischen Bedeutung der Beschwerdeführerin zu 1. seitens der Rundfünkanstalten zu Grunde. So sei unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses der vorangegangenen Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft, bei welcher sie einen Stimmenanteil von 19,4% errungen habe, davon auszugehen, dass sie politisch ebenso bedeutend sei, wie die beiden großen Parteien SPD und CDU. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass die Beschwerdeführerin zu 1. in Bremen 15% der Stimmen habe erlangen können. Dies ergebe sich daraus, dass die Gesellschaft für Trend- und Wahlforschung in Berlin „infratest dimap" festgestellt habe, dass sich 13% der Wähler hätten vorstellen können, die Beschwerdeführerin zu 1. zu wählen. Diese Vorwahlerhebung sei von den Rundfunkanstalten ARD und ZDF geheim gehalten worden. Auch dies begründe einen Wahlfehler. Zudem sei die Beschwerdeführerin zu 1. von dem von Radio Bremen am 20.5.2003 veranstalteten Wahlforum mit Vertretern der Parteien, über welches in der Fernsehsendung „buten un binnen", sowie im Radioprogramm „Bremen LVerfGE 15

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Eins" berichtet worden sei, ausgeschlossen worden, obwohl sie seit dem 25.4.2003 durch den Abgeordneten ... in der Bremischen Bürgerschaft vertreten gewesen sei. Weiterhin sei die Beschwerdeführerin zu 1. auch in Sendungen des Radiosenders Nordwest Radio und im Radio-Bremen-Programm „Bremen Vier" sowie im Fernsehprogramm Ν 3 unberücksichtigt geblieben. Dieser Fehler sei auch nicht dadurch kompensiert worden, dass dem Beschwerdeführer zu 2. die Möglichkeit eingeräumt worden sei, sich in der im Anschluss an die Übertragung des Beitrags über das Wahlforum gesendeten Sendung für die Beschwerdeführerin zu 1. zu äußern. Hierdurch sei bei den Wählern der falsche Eindruck entstanden, die Beschwerdeführerin habe keine Chance, die 5%-Hürde zu überspringen. Schließlich liege eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit auch darin, dass die DVU im Gegensatz zur Beschwerdeführerin zu 1. zu dem Wahlforum zugelassen worden sei, weil hierdurch der Eindruck erweckt worden sei, die Bedeutung der DVU übersteige die Bedeutung der Beschwerdeführerin zu 1. Ein Wahlfehler sei auch darin zu erkennen, dass die Beschwerdeführerin zu 1. in einer „Wahlforum"-Serie des Weser Kuriers und der Wahlberichterstattung des Weser-Reports unberücksichtigt geblieben sei. Gleiches gelte für die fehlende Berücksichtigung der Beschwerdeführerin zu 1. in einem Wahlhearing der Bremischen Evangelischen Kirche und des Offenen Kanals Bremen. Hinsichtlich des vom Weser Kurier initiierten Wahlforums habe der Beschwerdeführer zu 1. auch ohne Erfolg bei dem zuständigen Ressortleiter interveniert. Weiterhin sei die Chancengleichheit auch verletzt durch eine Äußerung des Bürgermeisters und Spitzenkandidaten der SPD Dr. Henning Scherf, er werde zurücktreten, falls die SPD nicht stärkste Partei werde. Der Beschwerdeführerin zu 1. sei keine Möglichkeit gegeben worden, hierauf in den Medien zu reagieren. Daneben habe Radio Bremen indirekt Wahlwerbung für die SPD betrieben und dabei die Pflicht zur Neutralität verletzt, indem es am Wahltage um 11.00 Uhr von der um 10.00 Uhr abgegebenen Äußerung des Spitzenkandidaten der SPD berichtet habe, er werde zurücktreten, falls die SPD nicht stärkste Partei werde. Zudem habe das Radioprogramm „Bremen Eins" in den Nachrichten darüber berichtet, dass der Spitzenkandidat der CDU seine Stimme abgegeben habe. Eine Berichterstattung über die Stimmabgabe des Beschwerdeführers zu 2. habe demgegenüber nicht stattgefunden. Unter Verletzung des Gebots der Chancengleichheit sei der Beschwerdeführer zu 2. im Videotext des NDR im Gegensatz zu den Spitzenkandidaten der SPD, der CDU, der Grünen und der FDP unberücksichtigt geblieben, und dies obwohl die FDP — im Gegensatz zur Beschwerdeführerin zu 1. — seit acht Jahren nicht mehr im Landtag vertreten gewesen sei. Die Aufführung der Beschwerdeführerin zu 1. unter der Rubrik „sonstige Parteien" auf den Internetseiten von Radio Bremen zum Thema „Bürgerschaftswahl" sei rechtswidrig gewesen, weil hierdurch den Internetnutzern suggeriert LVerfGE 15

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worden sei, sie habe keine Chance auf den Einzug in die Bremische Bürgerschaft. Zum Beweis für die Erheblichkeit der mit mangelnder Berücksichtigung in den Medien begründeten Wahlfehler sei ein Sachverständigengutachten aus dem Bereich der medialen Wirkungsforschung einzuholen. Die Beschwerdeführerin zu 1. hat weiter vorgetragen: Indem ihr als kleiner Partei im Wahlbereich Bremerhaven bei der Plakatwerbung in der Zeit vom 14.4.2003 bis zum 9.5.2003, dem Tage der Bekanntgabe des auf Betreiben der DVU ergangenen abhelfenden Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts, nur das Minimum von 120 Stellschildern zugebilligt worden sei, sei sie im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten der Briefwähler benachteiligt worden, weil diese schon vor den Gerichtsentscheidungen ihre Stimme hätten abgeben können. Schließlich sei auch die Stimmenauszählung in Bremerhaven fehlerhaft gewesen. Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. haben beantragt, die Bürgerschaftswahl vom 25.5.2003 für ungültig zu erklären und Wiederholungswahlen anzuordnen. Die Beteiligten zu 1. und 2. haben beantragt, die Einsprüche zurückzuweisen. Der Beteiligte zu 1. — der Präsident der Bremischen Bürgerschaft — hat vorgetragen, die Einsprüche seien unbegründet, weil Rundfunk und Fernsehen sich im Rahmen der ihnen von der Verfassung gewährleisteten Rundfunkfreiheit bewegt hätten, die ihnen die Gestaltung des Programms nach publizistischen Kriterien erlaube. Dabei sei dem Recht der Beschwerdeführerin zu 1. auf Wahrung des Grundsatzes der abgestuften Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf dadurch in angemessener Weise Rechnung getragen worden, dass ihr mit den ebenfalls nicht am „Wahlforum" beteiligten Parteien PDS und FDP in der Fernsehsendung „buten un binnen" und im Radioprogramm „Bremen Eins" Gelegenheit gegeben worden sei, zu Fragen aus dem Themenbereich des Wahlforums Stellung zu nehmen. Überdies unterliege die Veröffentlichung von Wahlprognosen der Rundfünkfreiheit. Die Einwände gegen die Äußerungen des amtierenden Bürgermeisters und Spitzenkandidaten der SPD seien unsubstantiiert. Auch gehöre die Berichterstattung über die Äußerungen zur politischen Alltagsberichterstattung. Daneben hätten die Beschwerdeführer seit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29.4.2003 die Möglichkeit gehabt, in Bremerhaven erheblich mehr Plakate anzubringen. Auch der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 9.5.2003 sei noch früh genug gewesen, um die Beschwerdeführerin zu 1. vor Beeinträchtigungen in der entscheidenden Phase des Wahlkampfes in den letzten Tagen vor der Wahl zu bewahren. Der Beteiligte zu 2. — der Landeswahlleiter — hat darauf hingewiesen, dass der Anteil der ungültigen Stimmen im Wahlbereich Bremerhaven mit 1,75% der abgegebenen Stimmen im Vergleich zu den Vorjahren zwar hoch sei. Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten seien aber nicht ersichtlich gewesen.

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Das Wahlprüfungsgericht hat mit Beschluss vom 9.12.2003 (WK 1306/03) die Einsprüche der Beschwerdeführer zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Eine Verletzung der Chancengleichheit durch die Berichterstattung von Radio Bremen sei bei einer Gesamtwürdigung des Radioprogramms nicht zu erkennen. Insbesondere sei einer durch den Ausschluss vom Wahlforum drohenden Rechtsverletzung dadurch entgegengetreten worden, dass dem Beschwerdeführer zu 2. im Anschluss an die Berichterstattung über das Wahlforum innerhalb derselben Sendung Gelegenheit gegeben worden sei, sich bei einem Wahlhearing für die Beschwerdeführerin zu 1. zu artikulieren. Auch unter Berücksichtigung der Redezeit, die dem Beschwerdeführer zu 2. eingeräumt worden sei, sei im Verhältnis zur Länge des Beitrags über das Wahlforum und zur Redezeit der übrigen Kandidaten kein Anhaltspunkt für eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit zu erkennen. Auch die frühere Berichterstattung in Funk und Fernsehen lasse keinen Wahlfehler erkennen, weil der Beschwerdeführerin zu 1. nicht dieselbe Bedeutung beizumessen sei wie der SPD und der CDU. Insbesondere rechtfertige es allein der bei der Hamburger Bürgerschaftswahl errungene Stimmenanteil noch nicht, der Beschwerdeführerin zu 1. dasselbe politische Gewicht beizumessen wie SPD und CDU, da sie weder auf eine vergleichbare Bestehensdauer noch auf eine entsprechende Kontinuität zurückblicken könne. Die Nichtberücksichtigung des Beschwerdeführers zu 2. im Videotext des NDR hätte rechtzeitig gegenüber dem Sender gerügt werden können und sei daher nicht mehr im Wahlprüfungsverfahren angreifbar. Daneben habe die Beschwerdeführerin zu 1. auch die Möglichkeit gehabt, durch eine entsprechende Selbstdarstellung im Internet der auf den Internetseiten von Radio Bremen vorgenommenen Einstufung als kleine Partei entgegenzutreten. Auch hätte sie bei Radio Bremen direkt intervenieren können, was sie jedoch nicht getan habe. Die Äußerung des Bürgermeisters und Spitzenkandidaten der SPD sei nicht zu beanstanden, da es sich hierbei nicht um eine in seiner Eigenschaft als Regierungschef, sondern vielmehr um eine in seiner Eigenschaft als Wahlbewerber abgegebene Äußerung gehandelt habe. Ob die Berichterstattung kausale Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt habe, sei objektiv jedenfalls nicht feststellbar. Wegen der zeitlichen Beschränkung der Plakatwerbung im Wahlbereich Bremerhaven könne die Beschwerdeführerin zu 1. jedenfalls keine Benachteiligung geltend machen, weil sie es versäumt habe, rechtzeitig vor der Wahl um Rechtsschutz nachzusuchen. Schließlich sei die erhobene Rüge von Unregelmäßigkeiten bei der Aussonderung ungültiger Wählerstimmen in Bremerhaven unbegründet, weil es an einem konkreten und nachprüfbaren Vortrag darüber fehle, um welche UnregelmäßigLVerfGE 15

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keiten es sich handeln solle. Im Übrigen reichten die im Falle von hypothetischen Unregelmäßigkeiten noch anzurechnenden Stimmen nicht aus, um der Beschwerdeführerin zu einem Sitz in der Bremischen Bürgerschaft zu verhelfen. Der Beschluss des Wahlprüfungsgerichts ist am 14.2.2004 in dem zur Wohnung des Beschwerdeführers zu 2. gehörenden Briefkasten niedergelegt worden. Der Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses an die Beschwerdeführerin zu 1. ist nicht feststellbar. Sie trägt vor, den Beschluss am 22.2.2004 erhalten zu haben. III. Die Beschwerdeführer haben am 2.3.2004 per Telefax ihres Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde gegen die Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts eingelegt. Sie tragen vor, das Wahlprüfungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es den Beschwerdeführern schon wegen der versäumten Ausschöpfung vorhandener Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Wahl verwehrt sei, mit einzelnen der in ihrem Einspruch vorgebrachten Rügen durchzudringen. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 16.11.1996 sei dahingehend zu verstehen, dass der Einspruch gegen das Wahlergebnis nur dann unzulässig sei, wenn der Rechtsträger es vorsätzlich unterlassen habe, die drohende Rechtsverletzung dadurch abzuwenden, dass er rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreife, sofern dies objektiv möglich sei. Das Wahlprüfungsgericht habe in seiner Entscheidung jedoch unberücksichtigt gelassen, dass die Beschwerdeführer nicht vorsätzlich auf geeigneten Rechtsschutz verzichtet hätten. Darüber hinaus habe es übersehen, dass es den Beschwerdeführern auch objektiv nicht möglich gewesen sei, Rechtsbehelfe gegen die Benachteiligung zu ergreifen. Zum einen hätte dies eine Vielzahl von Rechtsbehelfen erfordert. Zum anderen sei es den Beschwerdeführern, denen der Termin von Sendungen, zu denen sie nicht eingeladen gewesen seien, im Vorfeld nicht bekannt gewesen sei, auch tatsächlich gar nicht möglich gewesen, rechtzeitig um Rechtsschutz nachzusuchen. Weiterhin habe das Wahlprüfungsgericht zu Unrecht einen Beweisantrag der Beschwerdeführerin zur Einholung eines Gutachtens über die Auswirkungen der gerügten Wahlfehler auf das Wahlergebnis abgelehnt. Schließlich habe das Wahlprüfungsgericht die von den Beschwerdeführern umfassend vorgebrachten Rügen nicht hinreichend gewürdigt. Die Beschwerdeführer beantragen, die Bürgerschaftswahl vom 25. Mai 2003 für ungültig zu erklären und eine Wiederholungswahl anzuordnen. Der Beteiligte zu 1. beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Beteiligte zu 1. trägt unter Bezugnahme auf seine Antragserwiderung im erstinstanzlichen Wahlprüfungsverfahren vom 10.9.2003 im Wesentlichen weiter LVerfGE 15

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vor, dass die in der Beschwerdebegründung geäußerten Rechtsauffassungen der Beschwerdeführer zu den Voraussetzungen, unter denen eine Wahlanfechtung ausgeschlossen sei, nicht nachvollziehbar seien und im Widerspruch zur Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs stünden. Soweit die Beschwerdeführer darauf hinwiesen, es sei ihnen mangels Kenntnis der Sendetermine nicht möglich gewesen, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gegen ihre mangelnde Berücksichtigung bei der Berichterstattung im Vorfeld der Wahl zu erlangen, sei anzumerken, dass es im Eigeninteresse der Beschwerdeführer gelegen habe, sich als Mitbewerber bei der Wahl über geplante Fernseh- und Rundfunksendungen zu informieren. Auch die Art der Darstellung der Wahlprognosen sei nicht zu beanstanden, weil das Recht zur Veröffentlichung derartiger Ergebnisse durch die Rundfunkfreiheit geschützt sei. Hieraus ergebe sich die redaktionelle Freiheit, die Berichte und Wahlprognosen so auszugestalten, dass sie ein möglichst breites Publikum erreichten. Der Beteiligte zu 2. hat davon abgesehen, einen Antrag zu stellen und Stellung zu nehmen, weil weder eine Verletzung des Landeswahlgesetzes noch der Landes Wahlordnung gerügt worden sei. Der Senator für Justiz und Verfassung hat ausgeführt, dass die Beschwerde bereits unzulässig sei, soweit die Beschwerdeführer rügten, ihnen sei durch das Wahlprüfungsgericht die Möglichkeit zur Verfolgung ihrer Rechte abgeschnitten worden. Insoweit erscheine eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit schon nicht möglich, weil das Wahlprüfungsgericht nur auf die seiner Auffassung nach durch die Rechtsprechung abgesicherte Rechtslage hingewiesen habe. Da die Beschwerdeführer dieser Rechtslage im Vorfeld der Wahl keine Beachtung geschenkt hätten, sei es schon nicht möglich, dass die diesbezüglichen Feststellungen des Wahlprüfungsgerichts einen Verstoß gegen das Gebot der Chancengleichheit begründeten. Die im Übrigen wohl zulässige Beschwerde sei in der Sache aber aus den vom Wahlprüfungsgericht dargelegten Gründen jedenfalls unbegründet. B. I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2. ist unzulässig, da sie erst am 2.3.2004 und damit nicht fristgerecht eingelegt worden ist. Gem. § 39 Abs. 1 BremWG ist die Beschwerde binnen zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts einzulegen. Der Beschluss des Wahlprüfungsgerichts ist dem Beschwerdeführer zu 2. am 14.2.2004 im Wege der Ersatzzustellung zugestellt worden, § 180 ZPO. Die Beschwerdefrist endete also am 1.3.2004, § 12 Abs. 1 StGHG iVm den Vorschriften des BVerfGG sowie § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO; § 187 Abs. 1; 188 Abs. 2 BGB (zur Anwendung der Vorschriften des BGB LVerfGE 15

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und der ZPO auf die Fristberechnung im bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren vgl. Klein in: Maunz/Schmid-Bleibtreu/KIein/Bethge, BVerfGG, vor § 17 Rn. 13). Die Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1. ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Eine Zustellungsurkunde befindet sich nicht in der Akte. Die Beschwerdeführerin zu 1. hat vorgetragen, die Entscheidung sei ihr am 22.2.2004 zugestellt worden. II. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1. ist aber unbegründet. Die angegriffene Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts verletzt weder das Grundgesetz, noch die Landesverfassung oder das Bremische Wahlgesetz (§ 39 Abs. 2 BremWG). Gegenstand des Wahlanfechtungsverfahrens sind nur diejenigen Beanstandungen, die der Beschwerdeführer bereits im Einspruchsverfahren vor dem Wahlprüfungsgericht vorgebracht und die er darüber hinaus auch zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht hat. Dabei müssen die vorgebrachten Gründe den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt wird, erkennen lassen. Dies erfordert einen substantiierten Vortrag derjenigen Tatsachen, auf welche die Anfechtung der Wahl gestützt wird. Vermutungen, Andeutungen von möglichen Wahlfehlern oder allgemeine Behauptungen genügen nicht (vgl. BVerfGE 40, 11, 30 f; 85, 148, 159; HmbVerfG, NVwZ-RR 1999, 354). Obwohl es an einer ausdrücklichen Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen fehlt, muss bei verständiger Würdigung der Beschwerde davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin zu 1. auch ihren Vortrag im Einspruchsverfahren zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens machen wollte. 1. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist durch die von ihr gerügte Berichterstattung nicht in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 iVm Art. 3 Abs. 1 GG (dazu neuestens BVerfG, Urt. v. 26.10.2004 - 2 BvE 1/02 und 2/02, Rn. 61)' verletzt worden. Die Maßstäbe für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Rügen der Beschwerdeführerin zu 1. folgen aus dieser vom Grundgesetz garantierten Freiheit und Gleichheit der Parteien einerseits und der in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit des Rundfunks andererseits. Die Rundfunkfreiheit ist eine der Freiheit der Meinungsbildung dienende Freiheit. Diese vollzieht sich in einem Kommunikationsprozess, in dem dem Rundfunk die Aufgabe eines „Mediums" und „Faktors" zukommt (BVerfGE 12, 205, 260). Es obliegt ihm, so breit und vollständig wie möglich zu informieren; er gibt dem Einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen Gelegenheit zu meinungsbildendem Wirken und ist selbst an dem Prozess der Meinungsbildung beteiligt. Seine Vermitdungsfunktion im Prozess der freien individuellen und öffent1

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liehen Meinungsbildung erfüllt der Rundfunk durch sein Programm. Daher ist Rundfunkfreiheit vor allem Programmfreiheit. Sie gewährleistet, dass Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können (BVerfGE 90, 60, 87). Die Programmfreiheit des Rundfunks findet ihre Schranke in der verfassungsmäßig garantierten Freiheit und Gleichheit der Parteien. Die politischen Parteien sind die verfassungsrechtlich notwendigen Instrumente, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammeozuschließen und ihnen so einen wirksamen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen. An der politischen Willensbildung wirken sie vornehmlich durch ihre Beteiligung an Wahlen mit, die ohne sie nicht durchgeführt werden könnten. Dabei sind Information, Argument und Uberzeugung die wesentlichen Mittel, welche die Parteien im Verhältnis zu den Bürgern einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft kommen Rundfunk und Fernsehen für die Verbreitung der Informationen, Argumente und werbenden Selbstdarstellungen der Parteien besondere Bedeutung zu. Die Freiheit des Rundfunks zur Programmgestaltung und die Freiheit und Gleichheit der Parteien müssen im Wege der praktischen Konkordanz einander so zugeordnet werden, dass keine der konkurrierenden Freiheiten einseitig zu Lasten der anderen durchgesetzt wird. Aus der der Meinungsfreiheit und dem Informationsanspruch der Bürger dienenden Funktion der Rundfunkfreiheit einerseits und aus der Bedeutung des Mediums Rundfunk für die Parteienfreiheit und -gleichheit andererseits ergibt sich, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten während des Wahlkampfes in ihrem Gesamtprogramm in angemessener Weise über alle nicht nach Art. 21 Abs. 2 GG verbotenen politischen Parteien informieren und ihnen dabei auch Raum zur Selbstdarstellung geben müssen (BremStGHE 6, 89,102 mwN). a) Ein zum Erfolg der Beschwerde führender Wahlfehler ist nicht darin zu sehen, dass die Beschwerdeführerin zu 1. in Sendungen von ARD und ZDF im Gegensatz zu SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS unberücksichtigt geblieben ist. Nach dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit bestand kein Anlass dafür, der Beschwerdeführerin zu 1. hier entsprechenden Raum zur Selbstdarstellung zu gewähren oder sie in der Berichterstattung zu berücksichtigen. Das Gebot der Chancengleichheit der Parteien im Bereich der Wahlpropaganda erfordert nämlich nicht, dass alle Parteien im gleichen Umfang zu Wort kommen (§ 5 Abs. 1 PartG). Insoweit dürfen die den einzelnen Parteien zuzuteilenden Sendezeiten entsprechend ihrer Bedeutung unterschiedlich bemessen werden (BVerfGE 7, 99, 108; 14, 121, 134 ff; 48, 271, 277; BremStGHE 6, 89, 105). Dieses Prinzip der abgestuften Chancengleichheit hat für die hier zu beurteilende Frage der öffentlichen Darstellung der Parteien in den Medien durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.10.2004 (aaO) keine Änderung erfahren. LVerfGE 15

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Wie bereits das WaUprüfungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt der Beschwerdeführerin zu 1. nicht dieselbe politische Bedeutung zu wie den übrigen genannten Parteien. Dieser Feststellung steht nicht entgegen, dass es der Beschwerdeführerin zu 1. gelungen ist, bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft einen Stimmenanteil von 19,4% auf sich zu vereinigen. Zwar kann bei der Ermittlung der politischen Bedeutung einer Partei das Ergebnis einer vorangegangenen Wahl ein gewichtiges Indiz für deren gegenwärtige Bedeutung darstellen (BVerfGE 7, 99, 108). Dies allein ist jedoch nicht das ausschlaggebende Kriterium. Vielmehr müssen, um die Bedeutung einer Partei zu ermitteln, noch weitere Faktoren außer den Ergebnissen der letzten Wahl berücksichtigt werden. Hierher gehören beispielsweise die Zeitdauer ihres Bestehens, ihre Kontinuität, ihre Mitgliederzahl, der Umfang und Ausbau ihres Organisationsnetzes, ihre Vertretung im Parlament und ihre Beteiligung an der Regierung in Bund oder Ländern (BVerfGE 14, 121, 137). Weder im Hinblick auf ihre Bestehensdauer noch ihre Kontinuität, Mitgliederzahl oder ihr Organisationsnetz ist die Beschwerdeführerin zu 1. den großen Parteien SPD und CDU vergleichbar. Soweit sie auf ihre Vertretung in der Bremischen Bürgerschaft durch den Abgeordneten ... hinweist, ist zu bemerken, dass dieser ursprünglich als Abgeordneter der CDU in die Bürgerschaft eingezogen ist. Ihre Regierungsbeteiligung beschränkt sich auf ein einziges Bundesland. Auch im Vergleich zu Bündnis 90/Die Grünen liegt keine Benachteiligung der Beschwerdeführerin zu 1. vor, da diese Partei nicht nur seit mehreren Legislaturperioden in der Bremischen Bürgerschaft vertreten ist, sondern darüber hinaus im Bundestag und in einer Vielzahl von Landesparlamenten und an verschiedenen Regierungskoalitionen beteiligt ist. Die FDP hat in Bremen wiederholt Sitze errungen und ist in mehreren Landtagen sowie im Bundestag vertreten. Weiterhin ist sie an Landesregierungen beteiligt. Auch die PDS ist bei einer Gesamtbetrachtung von stärkerer politischer Bedeutung als die Beschwerdeführerin zu 1.; sie ist seit 1990 ununterbrochen im Bundestag und in mehreren Landtagen vertreten. Wie das Wahlprüfungsgericht zutreffend festgestellt hat, kommt der Beschwerdeführerin zu 1. in Anbetracht ihres Erfolges bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft allerdings ein gewisses Potential an politischer Durchsetzungsfähigkeit zu, das es angemessen erscheinen lässt, sie jedenfalls im regionalen Hörfunk· und Fernsehprogramm schon frühzeitig zu berücksichtigen und ihr entsprechende Sendezeiten einzuräumen. Sollte dies nicht geschehen sein, so würde dieser Umstand für sich noch keinen durchgreifenden Wahlfehler begründen. Der Beschwerdeführerin stand insoweit der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen, um gegen die gerügte Benachteiligung vorzugehen. Da sie dies unterlassen hat, kann sie mit ihrer Rüge im Wahlprüfungsverfahren nicht mehr gehört werden. b) Zu Unrecht sieht die Beschwerdeführerin zu 1. einen Wahlfehler darin, dass die von ihr angeführte Vorwahlerhebung nicht Gegenstand der Funk- und LVerfGE 15

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Fernsehberichterstattung gewesen sei. Wie bereits dargelegt, steht die Programmgestaltung der öffentlichen Rundfunkanstalten unter dem Grundsatz der Rundfunkfreiheit. Solange bei der Berichterstattung dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien Rechnung getragen wird, steht es den Rundfunkanstalten frei, ihr Programm an publizistischen Kriterien auszurichten. Wahlprognosen können zwar — soweit es sich um repräsentative, d.h. auf ausreichendem Datenmaterial beruhende und methodisch einwandfrei erhobene Befragungen handelt — Rückschlüsse auf die politische Bedeutung einer Partei erlauben (OVG Hamburg, NJW 1994, 71, 72). Entsprechend können Wahlprognosen auch von Einfluss auf das tatsächliche Stimmverhalten der Wählerschaft sein. Aus der von der Beschwerdeführerin zu 1. vorgelegten Umfrage geht jedoch schon nicht hervor, ob diese Befragung überhaupt den Anforderungen an eine repräsentative Wahlprognose Rechnung trägt. Darüber hinaus wird in der betreffenden Umfrage dargelegt, dass zwar 13% der Wähler sich vorstellen können, die Beschwerdeführerin zu 1. zu wählen. Als sicher gelte dies jedoch nur bei lediglich 3% der Wähler. Bereits angesichts dieser erheblichen Differenz war es nach publizistischen Kriterien aus sachlichen Gründen vertretbar, über die genannte Prognose nicht zu berichten. Soweit die Beschwerdeführerin zu 1. in der Beschwerdeschrift vorträgt, das Wahlprüfungsgericht habe andere — ähnlich lautende — Umfrageergebnisse zu Unrecht außer Betracht gelassen, fehlt es bereits an einem substantiierten Vortrag, um welche Umfragen es sich hierbei handeln soll. Auch aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Beschwerdeführerin ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer Umfragen mit ähnlichem Ergebnis. c) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Funk- und Fernsehprogramms von Radio Bremen in der Wahlkampfzeit vor der Bürgerschaftswahl am 25.5.2003 lässt sich auch durch den Ausschluss der Beschwerdeführerin zu 1. vom Wahlforum ein Verstoß gegen die von den Beschwerdeführern beanspruchten Rechte nicht feststellen. Die Rundfunkanstalt ist ihrer Verpflichtung, in angemessener Weise über die zur Bürgerschaftswahl antretenden politischen Parteien zu berichten und ihnen dabei auch Raum zur Selbstdarstellung einzuräumen, im Ganzen in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. In der abschließenden Phase der Wahlkampfes, der wegen der erhöhten Aufmerksamkeit eine besonders wichtige Stellung zukommt, war der Beschwerdeführer zu 2. als Vertreter der Beschwerdeführerin zu 1. in den von Radio Bremen verantworteten und mitverantworteten Sendungen gegenwärtig und konnte sich für diese artikulieren. So wurde die Beschwerdeführerin zu 1. in der am 21.5.2003 zwischen 21.00 und 22.00 Uhr im Fernsehprogramm Ν 3 gesendeten Aufzeichnung vom 15.5.2003 mit den anderen zur Bürgerschaftswahl antretenden Parteien vorgestellt und erhielt Gelegenheit auf Fragen des Moderators einzugehen. Dabei wurde der Beschwerdeführerin zu 1. ebensoviel Sendezeit zuteil, wie den großen politischen Parteien SPD und CDU. Insofern sind auch im Verhältnis zu den übrigen Mitbewerbern um die Bürgerschaftswahl keine Anhaltspunkte für eine VerLVerfGE 15

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letzung des Grundsatzes der Chancengleichheit zu Lasten der Beschwerdeführerin zu 1. ersichtlich. Zwar drohte der Beschwerdeführerin zu 1. durch ihren Ausschluss von dem Wahlforum möglicherweise eine Verletzung ihrer Rechte. Die Chancengleichheit wurde jedoch im Ergebnis dadurch gewahrt, dass sich Radio Bremen während des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens dazu entschloss, dem Beschwerdeführer zu 2. im Anschluss an den Bericht über das Wahlforum im Verlauf derselben Sendung eingehend Gelegenheit zu geben, sich für die Beschwerdeführerin zu 1. zu äußern. Dadurch ist zwischen Splitterparteien ohne reale Chance auf Einzug in das Parlament und solchen Parteien, die möglicherweise nahezu 5% erreichen könnten, unterschieden worden. Der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit der Parteien wird nicht verletzt, wenn in dem zu wählenden Parlament bisher nicht vertretene Parteien mit realistischen Chancen auf einen Stimmenanteil von mehr als 5% deutlich mehr Raum als „Splitterparteien", aber weniger Raum als im Parlament vertretenen Parteien eingeräumt wird. Die Gleichsetzung der Beschwerdeführerin zu 1. mit Splitterparteien wäre nicht mehr angemessen. Wie im Parlament vertretene Parteien musste die Beschwerdeführerin zu 1. indessen nicht behandelt werden. d) Zu Unrecht sieht die Beschwerdeführerin zu 1. einen Wahlfehler darin, dass sie im weiteren regionalen Funk- und Fernsehprogramm von Radio Bremen und im Videotext des NDR ebenso unberücksichtigt geblieben ist, wie im Hörfünkprogramm oder auf den Internetseiten von Nordwestradio und „Bremen Vier". Zwar hat die Beschwerdeführerin zu 1. in ihrem erstinstanzlichen Vortrag zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus ihrem Abschneiden bei der vorangegangenen Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft ein gewisses Potential für ihre politische Durchsetzungsfähigkeit ableiten lässt. Insoweit ist das Wahlprüfungsgericht mit den Beschwerdeführern auch zutreffend davon ausgegangen, dass dies jedenfalls einen Anspruch der Beschwerdeführerin zu 1. begründet, im regionalen Hörfunk- und Fernsehprogramm für die Phase des Wahlkampfes Raum für eine entsprechende Selbstdarstellung eingeräumt zu bekommen. Gleichwohl kann das geltend gemachte Unterlassen der genannten Medien - ebenso wie die weiterhin gerügte Nichtberücksichtigung in den regionalen Tageszeitungen — einen zum Erfolg führenden Wahlfehler nicht begründen. So hat die Beschwerdeführerin zu 1. es versäumt, ihre Nichtberücksichtigung in den genannten Ausstrahlungen rechtzeitig gegenüber den Rundfunkanstalten zu rügen und gegebenenfalls um verwaltungsgerichtlichen (Eil-)Rechtsschutz nachzusuchen. Das Ergreifen geeigneter Eigenschutzmaßnahmen war den Beschwerdeführern auch vor dem Hintergrund zumutbar, dass ihnen die geplanten Sendetermine nicht zur Kenntnis gegeben worden sind. Denn es kann vorausgesetzt werden, dass es den Beschwerdeführern als Mitbewerbern bei der Bürgerschaftswahl bekannt gewesen ist, dass es im Vorfeld der Wahl zu einer umfassenden Berichterstattung in Funk und Fernsehen kommen wird. Es wäre ihnen daher möglich gewesen, durch KontaktaufLVerfGE 15

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nähme zu den Rundfunkanstalten die geplanten Sendungen und Sendetermine in Erfahrung zu bringen und auf eine Teilnahme zu drängen. Wäre ihnen von den betreffenden Rundfunkanstalten eine Absage erteilt worden, hätte ihnen die Möglichkeit offen gestanden, durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim zuständigen Verwaltungsgericht den Zugang zu den betreffenden Sendungen zu erzwingen, soweit ihnen ein Rechtsanspruch auf Teilnahme zustand. Soweit die Beschwerdeführerin zu 1. vorträgt, geeignete Rechtsschutzmaßnahmen geltend zu machen, sei ihr nicht zumutbar gewesen, weil es einer Vielzahl von Rechtsbehelfen bedurft hätte, fehlt es schon an einem nachprüfbaren Sachverhalt. Auch aus ihrem erstinstanzlichen Vorbringen ergibt sich nichts Entsprechendes zu ihren Gunsten. Insoweit hat sie gerügt, von je zwei Radio- und Fernsehsendern und insgesamt zwei Tageszeitungen dadurch benachteiligt worden zu sein, dass ihr keine oder keine adäquate Berichterstattung zuteil geworden sei. Bei einer derart geringen Anzahl von Verbreitungsmedien wäre der Beschwerdeführerin zu 1. ein rechtliches Vorgehen ohne großen Aufwand möglich gewesen. 2. Ein Wahlfehler ist nicht darin zu sehen, dass die Beschwerdeführerin zu 1. in den von regionalen Tageszeitungen, der Bremischen Evangelischen Kirche und dem Offenen Kanal Bremen ausgerichteten Wahlveranstaltungen ohne Berücksichtigung geblieben ist. Weder die freie Presse noch die Kirchen oder privatrechtlich organisierte Fernsehsender nehmen einen dem öffentlichen Rundfunk vergleichbaren öffentlichen Auftrag bei der Wahlberichterstattung wahr. Die Presse ist frei und nicht zur politischen Neutralität verpflichtet (BVerfGE 42, 53, 62; HmbVerfG, NVwZ-RR 1999, 354, 355). Die eingangs für öffentliche Rundfünkanstalten dargelegten Maßstäbe sind daher nicht auf diese Medien und Organisationen übertragbar. Eine sittenwidrige, das Wahlergebnis beeinflussende Handlung liegt erst dann vor, wenn diese mit Mitteln des Zwangs oder Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst haben oder wenn in ähnlich schwerwiegender Art und Weise auf die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinreichende Möglichkeit der Abwehr bestanden hätte. Ergibt sich schon aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin zu 1. nichts dafür, dass ihr Ausschluss von der Berichterstattung der genannten Medien die dargelegten Voraussetzungen erfüllt oder den Tatbestand der §§ 107 ff StGB verwirklicht, so bedurfte es bereits deshalb keiner Sachentscheidung des Wahlprüfungsgerichts, da die Beschwerdeführerin zu 1. es unterlassen hat, rechtzeitig um Rechtsschutz gegen die gerügte Benachteiligung nachzusuchen. 3. Auch die übrigen Rügen greifen nicht durch: Die Äußerung des Bürgermeisters und Spitzenkandidaten der SPD, er werde zurücktreten, falls die SPD nicht als stärkste Partei aus der Wahl hervorgehe, begründet keinen Wahlfehler. Mit den zutreffenden Feststellungen des Wahlprüfungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Bürgermeister und Spitzenkandidat der SPD diese Äußerung in seiner Eigenschaft als Wahlbewerber und nicht als LVerfGE 15

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Regierungschef u n d Bürgermeister abgegeben hat. E r war daher nicht gehindert, sich a u t o n o m u n d nach eigenem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen seiner Partei zu artikulieren. O b die Berichterstattung v o n Radio Bremen über die Erklärung des Spitzenkandidaten der SPD, er werde zurücktreten, falls die SPD nicht stärkste Partei werde, als tagesaktueller Beitrag über das politische Geschehen zu werten ist, oder ob hierin ein Versuch gesehen werden muss, das Verhalten der Wähler am Wahltag zu beeinflussen, kann dahinstehen. D e n n es ist — wie das Wahlprüfungsgericht bereits ausgeführt hat — nicht feststellbar, ob die Berichterstattung Auswirkungen auf die Sitzverteilung in der Bremischen Bürgerschaft gehabt hat u n d — falls sie Auswirkungen gehabt haben sollte — in welcher Art. So ist denkbar, dass das Stimmverhalten hierdurch sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der S P D beeinflusst w o r d e n ist. Ein Wahlfehler ist auch nicht darin zu erkennen, dass über die Stimmabgabe des Spitzenkandidaten der C D U , nicht aber über die Stimmabgabe des Beschwerdeführers zu 2. berichtet worden ist. D e r Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit gebietet nicht, über die Stimmabgabe von Spitzenkandidaten bisher nicht im Parlament vertretener Parteien in identischem Umfang zu berichten wie über die Stimmabgabe von Spitzenvertretern der Regierungsparteien. Es drängt sich auf, dass der Nachrichtenwert u n d die tagespolitische Bedeutung deutlich verschieden sind. Es ist nicht Aufgabe der Chancengleichheit, solche in der Bedeutung der wahlteilnehmenden Parteien u n d im Bekanntheitsgrad ihrer Spitzenkandidaten liegenden Unterschiede praktisch durch eine „Überkompensierung" auszugleichen. Im Übrigen fehlt es auch an Anhaltspunkten für eine Feststellung, o b diese — als tagespolitische Berichterstattung zu wertende Handlung — von Einfluss auf das Stimmverhalten der Wähler gewesen sein kann. Die Beschwerdeführerin zu 1. hat dazu nichts vorgetragen. Z u Unrecht rügt die Beschwerdeführerin zu 1., dass die Wahl deshalb fehlerhaft gewesen sei, weil ihr in Bremerhaven nur eine geringe Zahl v o n Stellplätzen für die Plakatwerbung zugebilligt worden sei. Insoweit hätte die Beschwerdeführerin zu 1. selbst rechtzeitig gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch n e h m e n müssen. D a sie dies versäumt hat, konnte sie mit ihrer Rüge bereits im Einspruchsverfahren nicht mehr gehört werden. Andere Parteien haben aus diesen G r ü n d e n beim Verwaltungsgericht Anträge auf Erlass einer einstweiligen A n o r d n u n g gestellt u n d sind damit auch durchgedrungen. Die v o n der Beschwerdeführerin zu 1. behaupteten Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung im Wahlkreis Bremerhaven vermögen einen Wahlfehler nicht zu begründen. Insoweit fehlt es bereits an dem Vortrag eines nachprüfbaren Sachverhalts. Nicht zu beanstanden sind die Feststellungen des Wahlprüfungsgerichts, dass eine N a c h p r ü f u n g der v o n der Beschwerdeführerin zu 1. geltend gemachten

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Wahlfehler zum Teil deshalb ausgeschlossen sei, weil diese es versäumt habe, rechtzeitig zumutbare Eigenschutzmaßnahmen zu ergreifen. Hierzu hat der Staatsgerichtshof bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt: Immer dann, wenn sich Wähler, Gruppen oder Vereinigungen von Wählern in ihrem Wahlrecht oder in ihrer Chancengleichheit verletzt sehen, ist es erforderlich, die vorhandenen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel auszuschöpfen, um einen Wahlfehler zu vermeiden. Erst wenn dies erfolglos geblieben ist, kann eine behauptete Wahlrechtsverletzung in einem Wahlanfechtungsverfahren gerügt werden. Dies folgt aus der Verantwortung des Aktivbürgers für den das Parlament konstituierenden Wahlakt und dem Respekt vor der zu treffenden Entscheidung des Wahlvolkes. Damit stünde es nicht in Einklang, abwendbare Wahlfehler zunächst geschehen zu lassen und sie später als Argument gegen die Gültigkeit der Wahl zu verwenden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Wahlen als Massenvorgänge besonders fehleranfällig sind (BremStGHE 6, 89, 112; vgl. auch HmbVerfG, NVwZ-RR 1999, 354, 356). Das Nachsuchen um Rechtsschutz ist bereits dann zumutbar, wenn die Erlangung rechtzeitigen Rechtsschutzes tatsächlich möglich war. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin zu 1. kommt es auf ein Verschulden nicht an. Insbesondere ist kein vorsätzliches Unterlassen des rechtzeitigen Nachsuchens um Rechtsschutz Voraussetzung für den Rüge-Ausschluss im Einspruchsverfahren. Lediglich dann, wenn der Einspruchs führer sein Versäumnis nicht zu vertreten hat, kann es aus Gründen der Rechts Staatlichkeit geboten sein, die Rüge des Einspruchsführers gleichwohl im Einspruchsverfahren zu prüfen. Hierfür bestehen hier jedoch keine Anhaltspunkte. Zu Unrecht geht die Beschwerdeführerin zu 1. davon aus, dass die Entscheidung des Wahlprüfungsgerichts deshalb fehlerhaft sei, weil dieses nicht das von ihr beantragte Gutachten über die Auswirkungen ihrer mangelnden Berücksichtigung in Funk und Fernsehen auf das Wahlergebnis eingeholt hat. Zwar verlangt § 37 Abs. 1 S. 1 BremWG iVm mit Art. 20 Abs. 3 GG eine umfassende gerichtliche Überprüfung der von den Einspruchführern vorgetragenen Wahlfehler. Auch ist ein Wahlfehler nur dann erheblich, wenn er von Einfluss auf die Sitzverteilung im Parlament gewesen ist (vgl. BVerfGE 4, 370, 372; 79, 173, 173 f; 85, 148, 159). Einer Nachprüfung der von der Beschwerdeführerin zu 1. behaupteten Auswirkungen bedurfte es im vorliegenden Verfahren aber bereits deshalb nicht mehr, weil diese ohne Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung bleiben mussten. Schließlich war die Beschwerdeführerin zu 1. bereits wegen der versäumten Rechtsschutzmaßnahmen mit der Rüge der von ihr behaupteten Wahlfehler ausgeschlossen. Selbst wenn die behaupteten Wahlfehler Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt hätten, hätte das Wahlprüfungsgericht in der Sache keine andere Entscheidung treffen können.

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Chancengleichheit im Wahlkampf

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C. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

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Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Hamburgischen Verfassungsgerichts Wilhelm Rapp, Präsident Dr. Hans-Jürgen Grambow Dr. Jürgen Gündisch Christoph Hardt Dr. Waldemar Maseleweski Carola v. Paczensky Klaus Seifert Dr. Jürgen Westphal Hannelore Wirth-Vonbrunn

Volkswillensbildung und parlamentarische Willensbildung

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Nr. 1 1. Eine Volksinitiative ist jedenfalls im Stadium nach erfolgreichem Volksbegehren und erst recht nach erfolgreichem Volksentscheid parteifahig und antragsbefugt im Organstreitverfahren. 2.a. Volkswillensbildung und parlamentarische Willensbildung sind gleichrangig. b. Ein Volksentscheid, der auf eine „Aufforderung" an den Senat gerichtet ist, entspricht dem parlamentarischen „Ersuchen". Beides besitzt keine rechtliche Verbindlichkeit für den Senat. c. Selbst ein Volksentscheid mit verbindlicher Wirkung entfaltet keine zeitliche Bindungswirkung gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber. d. Der Grundsatz der Organtreue verlangt, dass das Parlament nicht leichtfertig über den im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen des Volkes hinweggehen darf, sondern diesen würdigen und danach seine Abwägung vornehmen muss. Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Art. 50

Urteil des H a m b u r g i s c h e n V e r f a s s u n g s g e r i c h t s vom 15. D e z e m b e r 2004 - H V e r f G 6/04 -

Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen.

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Hamburgisches Verfassungsgericht

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Tatbestand: I. Die Beteiligten streiten um das Recht der Bürgerschaft, ein von dem Ergebnis des Volksentscheides vom 29.2.2004 abweichendes Gesetz zu beschließen. 1. Die Antragstellerin ist die Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware", vertreten durch die Initiatoren. Die Antragstellerin zeigte dem Senat am 29.4.2002 gem. § 3 Abs. 2 des Hamburgischen Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (v. 20.6.1996, HmbGVBl. S. 136, m. sp. Änd.) - H m b V W G — an, dass sie unter dem Motto „Gesundheit ist keine Ware" eine Unterschriftensammlung beginnen würde (Bü-Drs. 17/966). Es handele sich um eine andere Vorlage iSv § 2 Abs. 1 H m b V W G . Der Antrag der Volksinitiatoren lautete: „Der Senat wird aufgefordert, sicherzustellen, dass die Freie und Hansestadt Hamburg Mehrheitseigentümerin des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK), seiner einzelnen Krankenhäuser und anderen Einrichtungen bleibt". Die Unterschriftensammlung war erfolgreich. Danach wurde ein Volksbegehren durchgeführt. Der Senat stellte am 10.6.2003 das Zustandekommen dieses Volksbegehrens fest (Bü-Drs. 17/2874). Das Volksbegehren wurde von mehr als den erforderlichen 60.375 zur Bürgerschaftswahl berechtigten Personen durch gültige Unterschrift unterstützt. Am 29.2.2004 fand zusammen mit der Wahl zur Bürgerschaft die Abstimmung über den Volksentscheid statt. An der Abstimmung nahmen 788.563 Personen teil, das sind 64,9% von insgesamt 1.214.925 Stimmberechtigten. Von den gültigen Stimmen (98%) entfielen auf „Ja" 593.497 (76,8%), auf „Nein" 179.524 (23,2%). 2. Noch vor dem Volksentscheid hatte der Senat mit seiner Mitteilung an die Bürgerschaft vom 27.10.2003 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse des Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg eingebracht (BüDrs. 17/3541). Dieses Gesetz sollte gem. Ziff. 1 der Drucksache die strukturellen und rechtlichen Grundlagen für eine Teilprivatisierung des LBK schaffen. Am 6.11.2003 hatte die damalige und jetzige Antragstellerin ein Verfahren nach Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (v. 6.6.1952, HmbBl I 100-a, m. sp. Änd.) - HV - eingeleitet, mit dem Antrag festzustellen, dass der Senat nicht berechtigt sei, in die Bürgerschaft einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem die Freie und Hansestadt Hamburg nicht mehr Mehrheitseigentümerin des LBK, seiner Krankenhäuser und anderen Einrichtungen bleiben müsse, bevor der Volksentscheid über das Volksbegehren „Gesundheit ist keine Ware" durchgeführt sei. Weiterhin hatte die Antragstellerin damals beantragt festzustellen, dass die Bürgerschaft nicht berechtigt sei, bis zur Durch-

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führung des Volksentscheids ein solches Gesetz zu beschließen. Am 24.11.2003 hat die Antragstellerin in jenem Verfahren einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dieser Antrag wurde durch Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (Az.: HVerfG 4/03) zurückgewiesen. Das Verfassungsgericht hat ihn zwar für zulässig, aber nicht für begründet erklärt, weil der im Hauptverfahren gestellte Antrag sich von vornherein als unbegründet erwiesen habe. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag der Volksinitiative habe einen anderen Inhalt als der im gerichtlichen Verfahren gestellte Antrag. Er sei eine Aufforderung an den Senat. Damit stehe er einem „Ersuchen" oder einem „schlichten Parlamentsbeschluss" der Bürgerschaft gleich, denen keine rechtliche Bindung zukomme. Deshalb könne das laufende Volksentscheidungsverfahren auch keine Sperrwirkung haben. Der Entwurf des Senats fur ein Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse des Landesbetriebs Krankenhäuser vom 27.10.2003 wurde vor Auflösung der Bürgerschaft in der letzten Wahlperiode nicht mehr verabschiedet. Die damaligen und jetzigen Antragsteller haben daraufhin ihren Antrag in der Hauptsache in dem Verfahren HVerfG 3/03 mit Schriftsatz vom 27.1.2004 zurückgenommen. 3. Die Bürgerschaft hat das Ergebnis des Volksentscheides auf der Grundlage von Anträgen der SPD-Fraktion (Bü-Drs. 18/89, 18/163, 18/699) und der GAL-Fraktion (Bü-Drs. 18/452) mehrfach im Plenum debattiert und durch Abstimmungen die Haltung der Mehrheit der Bürgerschaft, dem Begehren des Volksentscheides nicht zu entsprechen, deutlich gemacht. Darüber hinaus hat sich die Bürgerschaft im Rahmen der Beantwortung von Kleinen Anfragen und von Ausschussberatungen über die Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft betreffend die Teil-Privatisierung des LBK (Bü-Drs. 18/849) mit dem Volksentscheid befasst. Eine Beschlussfassung über die beabsichtigte Teil-Privatisierung des LBK (Bü-Drs. 18/849) steht noch aus. Schließlich hat die Bürgerschaft auf der Grundlage von Fraktionsanträgen der CDU, der SPD und der GAL ihre Stellungnahme im Verfahren vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht debattiert (Bü-Drs. 18/930 — CDU-Fraktion, 18/931 - SPD-Fraktion und 18/932 - GAL-Fraktion) und mit Annahme des Antrages der CDU-Fraktion entschieden (Plenarprotokoll 18/13 vom 23.9.2004). 4. Der Senat hat sich mit den möglichen Konsequenzen aus dem Volksentscheid eingehend befasst. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Präses der Behörde für Wissenschaft und Gesundheit und des Präses der Finanzbehörde hat von April bis Juni 2004 alle möglichen Modelle einer Zukunftssicherung des LBK umfassend geprüft. Aufgrund dieser Prüfung hat der Senat mit seiner Mitteilung an die Bürgerschaft vom 7.9.2004 (Bü-Drs. 18/849) erneut den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse des Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg eingebracht. Auch nach dem neuen Gesetzentwurf soll, wie nach dem vom LVerfGE 15

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27.10.2003, der Krankenhausbetrieb auf eine Anstalt öffentlichen Rechts (LBK Hamburg) übertragen werden. Die bisherige Anstalt soll zur Besitzanstalt werden (LBK Immobilien), die Betriebsanstalt in eine Kapitalgesellschaft (LBK Neu) umgewandelt werden. Das Petitum des Senats geht u.a. dahin, die Bürgerschaft möge das im Entwurf vorgelegte Gesetz beschließen und der Veräußerung von 74,9% der Anteile am LBK Neu in zwei Tranchen — 49,9% des Stammkapitals im Jahr 2005 und 25% des Stammkapitals zum 1.1.2007 - gem. Art. 72 Abs. 3 HV zustimmen. In der Begründung seines Petitums ist der Senat (Abschnitt D seiner Mitteilung an die Bürgerschaft) ausführlich auf Konsequenzen aus dem Volksentscheid und die möglichen Transaktionsmodelle (Nr. 1 bis 8) eingegangen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Bürgerschafts-Drucksache 18/849 Bezug genommen. II. 1. Die Antragstellerin hat am 15.9.2004 den Antrag bei Gericht gestellt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Der Antrag sei statthaft. Es handele sich um eine Streitigkeit über die Auslegung der Verfassung iSv Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV. Die Antragstellerin vertritt den Standpunkt, dass ein dem Volksentscheid zuwider laufendes Gesetz nicht erlassen werden dürfe, solange sich die beim Volksentscheid erkennbaren tatsächlichen Umstände nicht in erheblicher Weise geändert hätten. Sie sei als Verfassungsorgan auch parteifähig. Die Organstellung erfordere begriffsnotwendig Handlungsfähigkeit. Dazu gehöre auch die Wahrnehmung des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Das abstimmende Volk könne vor Gericht nicht handeln. Deshalb müsse den Volksinitiatoren als Vertretern der antragstellenden Volksinitiative eine Beteiligtenstellung in verfassungsgerichtlichen Verfahren zuerkannt werden. Im übrigen beruft sich die Antragstellerin auf das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03), das eine Beteiligtenstellung der Antragstellerin bejaht habe. Das Rechtsschutzinteresse ergebe sich daraus, dass ohne die beabsichtigte Änderung des LBKHG der Senat rechtlich an einer Veräußerung des LBK an einen privaten Träger gehindert sei. Zur Begründetheit des Antrags stützt sich die Antragstellerin auf Art. 50 HV. Der Volksentscheid sei über eine „andere Vorlage" iSv Art. 50 Abs. 1 S. 1 2. Alt. HV getroffen worden. Das Ergebnis des erfolgreichen Volksentscheides sei die Entscheidung über einen „Gegenstand der politischen Willensbildung" durch das Volk. Dieser Volksentscheid erschöpfe sich nicht in einer bloßen Aufforderung an den Senat. Das Volk habe eine für die Verfassungsorgane der Freien und Hansestadt Hamburg verbindliche Entscheidung getroffen. Die Antragstellerin nimmt sodann eine Auslegung der einschlägigen Vorschriften der Hamburgischen Verfassung vor und betont, dass nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks gehaftet werden dürfe. Die Einkleidung des Abstimmungsergebnisses in eine AufLVerfGE 15

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forderung an den Senat reduziere den umfassenden Geltungsanspruch des Verbots einer Veräußerung des LBK nicht. Auch schade nicht, dass die Volksinitiative an den Senat adressiert gewesen sei. Die Adresse dürfe nicht mit dem Inhalt der Botschaft verwechselt werden. Volksentscheide seien von Verfassungs wegen Entscheidungen über Sachfragen. Für den bloßen Appell an die Bürgerschaft sehe die Verfassung die Volkspetition vor. Die Bürgerschaft sei zulässiger Adressat des gestellten Antrags. Sie sei an das Ergebnis des Volksentscheides gebunden. Dazu müsse sich das Volk nicht auf eine Gesetzesformulierung fesdegen. Eine der wesentlichen Funktionen der „anderen Vorlage" sei, einen Akt der Gesetzgebung auf den Weg zu bringen, ohne sogleich eine genaue Formulierung vorlegen zu müssen. Die Handlungsmöglichkeiten des Volkes seien nicht an die Verfahrensregeln der Bürgerschaft gebunden. Zwar könne die Bürgerschaft verbindliche Entscheidungen nur durch Gesetze treffen. Das gelte aber nicht für das Volk. Das folge auch daraus, dass die Bürgerschaft jederzeit in der Lage sei, Gesetze zu beschließen und zu Fragen der politischen Willensbildung Stellung zu nehmen, während die Volksinitiative jeweils nur eine Entscheidung nach langem und aufwändigem Vorlauf herbeiführen könne. Anderenfalls könnten Volksentscheide über einen Gegenstand der politischen Willensbildung niemals verpflichtende Wirkung entfalten und wären von vornherein zu folgenlosen Appellen herabgestuft. Die Antragstellerin verweist sodann auf die Rechtsprechung und Literatur zur Bindungswirkung von Landesgesetzen. Zwar werde überwiegend der Standpunkt vertreten, dass plebiszitär zustande gekommene Landesgesetze prinzipiell jederzeit vom Parlament aufgehoben werden könnten. Dieses Ergebnis werde aber kritisiert und eine Änderung der entsprechenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen empfohlen. Die Änderungsbefugnisse des Parlaments sollten auch im Interesse der Glaubwürdigkeit der Verfassungen eingeschränkt werden. Zur Frage der Bindungswirkung einer „anderen Vorlage" sei in der Literatur wenig zu finden. Dies sei folgerichtig, wenn man derartige Volksentscheide auf die Artikulationsfunktion der Bürgerschaft beschränke. Hierfür bestehe aber keine Rechtfertigung. Nach dem klaren Wordaut des Art. 50 HV entscheide das Volk nicht über Verlautbarungen zu bestimmten Gegenständen, sondern über die Gegenstände selbst. Nicht die Handlungsformen des Parlaments - das nur durch Gesetzesbeschlüsse verbindliche Regelungen treffen könne — seien dem Volk durch Art. 50 HV zugänglich gemacht worden, sondern Sachkompetenzen. Der Hamburgische Verfassunggeber habe zur Wirkung eines Volksentscheides über „Gegenstände der politischen Willensbildung" keine Regelung getroffen. Darin liege eine echte Regelungslücke. Sie müsse durch die Gerichte im Wege der Auslegung des Art. 50 HV ausgefüllt werden. Dabei zeige sich, dass der Begriff „Entscheidung" den Bedeutungsinhalt „Geltung" oder „Gültigkeit" mit einschließe. Eine Entscheidung sei begrifflich etwas anderes als ein Ersuchen oder eine Aufforderung. Dass die von den Volksinitiatoren zur Abstimmung gestellte Frage in eine Aufforderung an den Senat gekleidet gewesen sei, ändere daran nichts. Zur EntLVerfGE 15

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stehungsgeschichte beruft sich die Antragstellerin vor allem auf den Bericht der Enquete-Kommission „Parlamentsreform" (Bü-Drs. 14/2600). Auch Sinn und Tragweite der Regelung würden eine bindende Wirkung eines Volksentscheides über eine „andere Vorlage" erfordern. Dabei sei zum einen die Legitimation durch das aufwändige und strikt geregelte Verfahren zu berücksichtigen. Zum anderen folge aus der Systematik der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, dass der Volksentscheid in seinen Wirkungen nicht der (unverbindlichen) Volkspetition in Art. 29 HV quasi gleichgestellt werden dürfe. Schließlich beziehen sich die Antragsteller auf den Grundsatz der Organtreue, der eine Achtung vor den Funktionen der anderen Verfassungsorgane fordere. Damit wäre es unvereinbar, wenn die Bürgerschaft die strukturelle Schwäche von Volksinitiativen ausnutzen würde. Sie habe den Volksentscheid zu respektieren, solange sich die Sach- oder Rechtslage nicht maßgeblich geändert habe oder sonst zwingende Gründe für eine abweichende Entscheidung eingetreten seien. Das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes — GG — fordere lediglich, dass die plebiszitären Elemente einer Landesverfassung die Gesamtverantwortung des Parlaments nicht aushöhlen oder verdrängen dürften. Dies sei aber nicht schon dann der Fall, wenn durch einen Volksentscheid punktuell legislatorische oder staatsleitende Befugnisse wahrgenommen würden, die das Parlament zu respektieren habe. Die Antragstellerin beantragt, festzustellen, dass die Antragsgegnerin nicht berechtigt ist, Art. 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse des Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg - Anstalt des öffentlichen Rechts - gemäß Anlage 1 der Drucksache 18/849 vom 7. September 2004 oder eine andere Regelung zu beschließen, die es dem Senat erlaubt, Mehrheits an teile am Landesbetrieb Krankenhäuser Hamburg (LBK) zu veräußern, solange die Sachlage, wie sie beim Volksentscheid vom 29. Februar 2004 bestand, sich nicht wesentlich ändert.

2. Die Antragsgegnerin stellt den Antrag, den Antrag zurückzuweisen.

Dazu trägt sie vor: Die Zulässigkeit des Antrags sei nicht zu bezweifeln. Sie beruft sich ebenfalls auf das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03), in dem klargestellt worden sei, dass die Antragstellerin als „andere Beteiligte" iSv Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV Beteiligtenfähigkeit besitze und durch die von den Volksinitiatoren benannten Personen in der Lage sei, wirksam Prozesshandlungen im Organstreitverfahren vorzunehmen. Auch gegen die Antragsbefugnis der Antragstellerin und das notwendige Rechtsschutzinteresse bestünden keine Bedenken. Es bestehe ein konkretes Verfassungsrechtsverhältnis, dessen Inhalt und Tragweite im Hinblick auf die Senatsvorlage (den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse des Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg) der Klärung bedürfe. Aus der Sicht der Antragsgegnerin sei es im Hinblick LVerfGE 15

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auf die Klärung des gegenwärtigen Verfassungsstreits, aber auch ähnlicher Situationen in Zukunft, dringend geboten, die Verfassungsrechtslage in Hamburg einer Klärung zuzuführen. Zu der nach ihrer Auffassung fehlenden Begründetheit des Antrags führt die Antragsgegnerin aus, es ginge um etwaige Bindungswirkungen einer „anderen Vorlage" iSd Art. 50 Abs. 1 S. 1 2. Alt. HV, also einer durch Volksentscheid getroffenen sachlichen Entscheidung über einen „bestimmten Gegenstand der politischen Willensbildung". Die Bindung von Gesetzesbeschlüssen durch Volksentscheid gem. Art. 50 Abs. 1 S. 1 1. Alt. HV solle nicht thematisiert werden, auch wenn diese Frage im Rahmen der systematischen Auslegung von Bedeutung sei. Die primär thematisierte Frage der verfassungsrechtlichen Bindungswirkung müsse sich aus der Hamburgischen Verfassung selbst ergeben. Die umfassende politische Auswirkung des Volksentscheides vom 29.2.2004 stünde nicht zur Disposition. Derartige politische Bindungswirkungen bestünden u.a. darin, dass der parlamentarischen Mehrheit der Bürgerschaft, welche den Senat trage, ein politisches Signal gesetzt werde. Hierin bestehe die verfassungspolitische Bedeutung einer Sachäußerung im Rahmen der sogenannten „anderen Vorlagen". Dazu bedürfe es aber nicht zwingend einer rechtlichen Verbindlichkeit von Volksentscheiden für Bürgerschaft und Senat. Die Antragsgegnerin setzt sich dann mit dem Argument der Antragstellerin auseinander, der Verfassunggeber habe in Art. 50 Abs. 1 S. 1 2. Alt. HV eine unvollständige Regelung getroffen, es bestehe also eine „echte Regelungslücke", die durch die Gerichte im Wege der Auslegung ausgefüllt werden müsse. Diesem Denkansatz tritt die Antragsgegnerin mit zwei Gründen entgegen. Zum einen werde die politische Bindungswirkung von Volksentscheiden verkannt. Außerdem sei die Möglichkeit des Art. 50 HV nur eine Ergänzung, nicht aber eine partielle Ersetzung des parlamentarisch-demokratischen Systems. Des Weiteren könne von einer „echten Regelungslücke" nur dann die Rede sein, wenn sich in der maßgebenden Verfassungsbestimmung eine planwidrige Unvollständigkeit des Verfassungstextes nachweisen lasse. Aus den Materialien der Novellierung des Art. 50 HV ließen sich Anhaltspunkte dafür finden, dass die Frage der Bindungswirkung von Volksentscheiden nicht explizit habe geregelt werden sollen, weil sich insoweit keine verfassungsändernde Mehrheit gefunden habe. Sodann nimmt die Antragsgegnerin eine Auslegung nach Wortlaut, Historie, Systematik und Sinn und Zweck vor. Der Wordaut sei eine unüberschreitbare Grenze der Auslegung. Lediglich für durch Volksentscheid angenommene Gesetze bestimme Art. 50 Abs. 4 HV, das diese innerhalb von zwei Jahren nicht im Wege von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid geändert werden dürften. Zur historisch genetischen Auslegung bemerkt die Antragsgegnerin, dass dem verfassungsändernden Gesetzgeber angesichts der vorhergehenden Beratungen zu Art. 41, 42 der Verfassung von Schleswig-Holstein die Problematik der Bindungswirkung von Volksentscheiden gegenüber Bürgerschaft und Senat im Grundsatz habe bekannt LVerfGE 15

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sein müssen. Wenn dann ein explizites Aufgreifen dieser Problematik im Text der Verfassung unterblieben sei, so sei dies ein Indiz entweder für einen fehlenden Regelungswillen oder die Annahme, eine verfassungsändernde Mehrheit sei zur Lösung der Problematik nicht zu erreichen gewesen. Bei der systematischen Auslegung sei aus Art. 48 Abs. 1 und 2 HV und der novellierten Fassung des Art. 50 Abs. 1 S. 1 HV zu schließen, dass für einen bestimmten Ausschnitt der der Kompetenz der Bürgerschaft unterliegenden Entscheidungsgegenstände die demokratisch legitimierte parlamentarische Entscheidungsfindung einerseits und die Entscheidungsfindung im Bereich der Volksgesetzgebung und sonstiger politischer Willensbildung des Volkes andererseits gleichgestellt seien. Damit seien Volksbegehren und Volksentscheid an die Stelle entsprechender parlamentarischer Entscheidungen der Bürgerschaft getreten, ohne damit grundsätzlich an der Entscheidungszuständigkeit der Bürgerschaft etwas zu ändern. Es unterliege nach wie vor der parlamentarischen Zuständigkeit und Verantwortung, Akte der Volksgesetzgebung zu ändern, zu ergänzen oder aufzuheben. Das gelte auch für den Bereich der „anderen Vorlagen". Auch hier würden Volksbegehren und Volksentscheid an die Stelle parlamentarisch initiierter und mehrheitlich beschlossener Entscheidungen, nämlich schlichter Parlamentsbeschlüsse, treten. Solche schlichten Parlamentsbeschlüsse würden anerkanntermaßen keine rechtlich bindende Wirkung gegenüber anderen Verfassungsorganen entfalten. Ausgehend von der Funktionsgleichheit parlamentarischer und plebiszitärer Tätigkeit sei kein rechtssystematischer Gesichtspunkt ersichtlich, Entscheidungen über Gegenstände der politischen Willensbildung ein anderes Maß an Verbindlichkeit zuzuerkennen als der von schlichten Parlamentsbeschlüssen. In diesem Zusammenhang verweist die Antragsgegnerin auf die Wirkung des Homogenitätsprinzips in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Danach dürften plebiszitäre Elemente in den Landesverfassungen die letztlich vorrangige Gesamtverantwortung des gewählten Parlaments nicht verdrängen oder aushöhlen, sondern nur partiell ergänzen. Das in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG in Bezug genommene Demokratieprinzip verlange die Möglichkeit der Revisibilität von Sachentscheidungen als wesentlichen Geltungsgrund des Mehrheitsprinzips. Der Grundsatz der Organtreue erfordere lediglich, dass jedes Verfassungsorgan in Wahrung seiner eigenen Kompetenz auf Rechte und Interessen der anderen Verfassungsorgane Rücksicht zu nehmen habe. Dieser Grundsatz diene nur zur gegenseitigen Rücksichtnahme, nicht aber zur Kompetenzerweiterung. Im konkreten Fall ergebe sich aus dem Grundsatz der Organtreue ausschließlich die Obliegenheit der Bürgerschaft, im parlamentarischen Entscheidungsverfahren das Ergebnis des Volksentscheids inhaltlich und in seiner politischen Zielsetzung zu berücksichtigen, d.h. in die Abwägung einzubeziehen und sich damit gewissenhaft auseinander zu setzen. Auch die teleologische Auslegung erfordere nichts anderes. Anders als Petitionen beruhten Volksentscheide auf einem relativ hohen Quorum und auf einem komplizierten und aufwändigen dreistufigen Verfahren. Die sachgerechte Lösung erforLVerfGE 15

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dere weder explizit noch konkludent eine rechtliche Bindungswirkung von Volksentscheiden nach Art. 50 Abs. 1 S. 1 2. Alt. HV. 3. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat dem Senat von der Einleitung des Verfahrens gem. § 39c Abs. 2 des Gesetzes über das Hamburgische Verfassungsgericht (idFv. 23.3.1982, HmbGVBl. S. 59, m. sp. Änd.) - HVerfGG Kenntnis gegeben. Daraufhin ist der Senat der Antragsgegnerin beigetreten. Der Senat als Beteiligter zu 3) beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er bezweifelt schon die Zulässigkeit des Antrags. Er genüge nicht der Anforderung des § 39b Abs. 2 HVerfGG, weil er nicht die Bestimmung der Verfassung bezeichne, gegen die die Antragsgegnerin durch eine beanstandete Maßnahme oder Unterlassung verstoßen habe. Im Übrigen bestehe kein materielles Verfassungsrechtsverhältnis, über das in diesem Organstreitverfahren gestritten werden könne. Die ursprüngliche Volksinitiative und das Volksbegehren sowie der Volksentscheid hätten sich nämlich nicht an die Bürgerschaft, die Antragsgegnerin des gerichtlichen Verfahrens, sondern an den Senat gerichtet. Außerdem stünde dem jetzigen Antrag die Rechtskraft des Urteils des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) entgegen. Der Streitgegenstand im jetzigen Verfahren sei trotz unterschiedlicher Wortwahl in der Sache identisch mit dem im Verfahren HVerfG 4/03. In beiden Verfahren sei es darum gegangen bzw. gehe es darum, die Bürgerschaft zu verpflichten, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Teilprivatisierung des LBK nicht zu schaffen. Deshalb dürfe über den Streitgegenstand nicht erneut entschieden werden. Des Weiteren bestreitet der Senat die Parteifähigkeit und Antragsberechtigung der Antragstellerin im Organstreit. Nur jene Organe seien Verfassungsorgane, deren spezifische Funktion und Wesensart einheitsbegründend oder integrierend auf den Staat wirkten. Diese Voraussetzung erfüllten weder die Volksinitiative noch die Initiatoren. Aus der mangelnden Fassbarkeit und Handlungsfähigkeit des Volkes ergebe sich, dass es im Organstreit nicht klagebefugt sei. Zur Frage der Begründetheit des Antrags macht sich der Beteiligte zu 3) die Begründung der Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) zu Eigen. Der materiellen Begründung dieses Urteils könne nicht etwa eine eingeschränkte Uberzeugungskraft deshalb zugemessen werden, weil es im Eilverfahren erlassen worden sei. Der Antragstellerin gehe es um die Beibehaltung der gegenwärtigen Gesetzeslage, soweit die Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung der Freien und Hansestadt Hamburg am LBK verhindert werden solle. Verlangt werde damit nicht mehr und nicht weniger, als dass die Bürgerschaft gehindert werden solle, ihr zur Zeit geltendes LBK-Gesetz zu ändern oder aufzuheben. Ihr solle insoweit ihre ureigene Befugnis zur Gesetzgebung abgesprochen werden. Dahinter verberge sich die Auffassung, dass einem Volksentscheid gegenüber der Befugnis der Bürgerschaft zur Gesetzgebung der LVerfGE 15

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höhere Rang einzuräumen sei, nicht etwa nur ein gleicher Rang. Der Senat halte demgegenüber an der Auffassung fest, dass sich aus Art. 50 HV ein Ungleichgewicht zwischen Volkswillensbildung und parlamentarischer Willensbildung zu Lasten der erstgenannten ergebe. Die von der Antragstellerin behauptete Regelungslücke für eine „andere Vorlage" existiere nicht. Selbst wenn man unterstelle, ein Volksentscheid binde die Bürgerschaft, so habe eine derartige Annahme für das Ziel der Antragstellerin nur dann einen Sinn, wenn die Bürgerschaft ihn nicht aufheben dürfe. Das sei aber nicht der Fall. Eine derartige Bindungskraft nehme die Antragsteüerin selbst für Gesetze nicht an. Für Beschlüsse über andere Vorlagen könne nichts anderes gelten. Auch der Beteiligte zu 3) verweist auf das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG. Darin liege eine Verpflichtung der Länder auf das repräsentative System. Daraus ergebe sich, dass die Volkswillenbildung die besonderen Organe nach Art. 20 Abs. 2 GG, insbesondere die Volksvertretung, nicht verdrängen dürfe. Auch der Gesichtspunkt der Organtreue spreche nicht für eine Bindungswirkung des umstrittenen Volksentscheides. Dieses Prinzip erfordere nur, dass die Verfassungsorgane ihre Funktion im Verhältnis zueinander verantwortlich und gewissenhaft ausüben. Es gebe aber keinen Freibrief für Kompetenzüberschreitungen. Weiter behandelt der Beteiligte zu 3) den Gesichtspunkt der Einschränkung der Kompetenzen der Volkswillenbildung durch Art. 50 Abs. 1 S. 2 HV, wonach Haushaltsangelegenheiten nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein können. Die Privatisierungsaktion habe eine finanzielle Dimension, die sie zu einer Haushaltsangelegenheit mache. Auch wenn ein Verfahren nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 H m b V W G über die Durchführung eines Volksbegehrens nicht mehr angestrengt werden könne, so dass eine verfassungsgerichtliche Entscheidung in jenem Verfahren nicht mehr möglich sei, müsse das materielle Vorliegen einer Haushaltsangelegenheit für die Frage der Bindungswirkung des Volksentscheids von Bedeutung sein. Die Fraktionen der GAL und der SPD in der Bürgerschaft haben jeweils unter dem 24.9.2004 und dem 1.10.2004 Schreiben an den Präsidenten des Hamburgischen Verfassungsgerichts gerichtet, mit denen sie Anträge ihrer Fraktionen zu der Drucksache 18/923 der Bürgerschaft, die von der Mehrheit nicht angenommen worden waren, übersandten. Die SPD-Fraktion hat in diesem Antrag den Senat aufgefordert, das Ergebnis des Volksentscheids „Gesundheit ist keine Ware" zu akzeptieren, die unternehmerische Führung nicht aus der Hand zu geben und ein neues Verkaufsverfahren für eine Minderheitsbeteiligung zu eröffnen. Nach dem Antrag der GAL-Fraktion sollte die Bürgerschaft beschließen, sie stimme der Argumentation des Antrags der Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware" beim Verfassungsgericht im Wesentlichen zu. Der Antrag sei zulässig und im Wesentlichen auch begründet. Erklärungen, wonach sie dem Verfahren vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht beitreten (§ 39c Abs. 1 HVerfGG), haben die beiden Fraktionen nicht abgegeben. LVerfGE 15

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Gründe: I. Der Antrag ist zulässig. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat die Zulässigkeit eines Antrags von Volksinitiatoren über die Sperrwirkung eines Volksbegehrens nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 HV in seinem Urteil vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) bejaht. Es bestehen keine Gründe, von der damaligen Auffassung im jetzigen Hauptsacheverfahren, das dieselben Volksinitiatoren angestrengt haben, abzuweichen. Auch die Antragsgegnerin schließt sich der Rechtsauffassung des Hamburgischen Verfassungsgerichts in der damaligen Entscheidung an und hat keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags. Der beteiligte Senat hält ihn für unzulässig. Im Einzelnen gilt dazu: 1. Die Antragsteller sind parteifähig; das gilt jedenfalls im Stadium nach erfolgreichem Volksbegehren und erst recht nach erfolgreichem Volksentscheid. Nach Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV entscheidet das Verfassungsgericht über die Auslegung der Verfassung aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines Verfassungsorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Frage, ob die Volksinitiative oder die Volksinitiatoren Verfassungsorgan im Sinne der zitierten Vorschrift sind, muss auch in dem jetzigen Verfahren nicht entschieden werden. Denn jedenfalls ist eine Volksinitiative in einem Stadium, wie es hier nach dem erfolgreichen Volksentscheid erreicht ist, ein anderer Beteiligter iSv Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV. Das Verfassungsgericht hat das in seinem Urteil vom 15.12.2003 für das Stadium des erfolgreichen Volksbegehrens bejaht. Dann muss dies auch für das Stadium nach dem erfolgreichen Volksentscheid gelten. Das zeigt sich insbesondere in Art. 48 Abs. 2 HV, der bestimmt, dass Gesetze von der Bürgerschaft oder durch Volksentscheid beschlossen werden. Das Volk ist also neben der Bürgerschaft Gesetzgeber. Es kann den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Gesetzes oder eine Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung beantragen (Art. 50 Abs. 1 HV) und durch Volksentscheid darüber entscheiden (Art. 50 Abs. 3 S. 2 HV). Bei beiden Formen der plebiszitären Willensbildung ist die Volksinitiative zumindest ein Beteiligter, der, wie die zitierten Bestimmungen zeigen, durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet ist. Würde man die Eigenschaft der Volksinitiative als „anderer Beteiligter" iSv Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV verneinen, so könnte ihr in einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit wie der vorliegenden kein Rechtsschutz gewährt werden. Das wäre nicht nur für die Antragsteller unzumutbar. Auch die Antragsgegnerin betont zu Recht, dass es im Hinblick auf die Klärung des gegenwärtigen Verfas-

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sungsrechtsstreits aber auch ähnlicher Situationen in Zukunft dringend geboten sei, eine Klärung durch das Verfassungsgericht herbeizuführen. Wenn die Volksinitiative zumindest „anderer Beteiligter" im Sinne der zitierten Verfassungsbestimmung ist, so muss sie vor Gericht durch Personen handeln können. Im Rahmen des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid geschieht dies durch die von den Volksinitiatoren gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 H m b V W G benannten Personen. Diese Personen müssen dann auch im Organstreitverfahren vor Gericht auftreten können. 2. Die Volksinitiative ist in diesem Verfahren nach Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV auch antragsberechtigt. Das Verfassungsgericht hält an seiner in dem Urteil vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) geäußerten Auffassung fest, dass § 39a HVerfGG dem nicht entgegensteht, obwohl nach dieser Bestimmung Anträge nur von der Bürgerschaft, dem Senat und den in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen dieser Organe gestellt werden. Diese einengende Vorschrift ist im Blick auf Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV, wo von „anderen Beteiligten, die durch die Verfassung mit eigenen Rechten ausgestattet sind", die Rede ist, verfassungskonform ausdehnend auszulegen. Bedenken gegen diese Auffassung sind im Übrigen in dem jetzigen Verfahren von keinem Beteiligten vorgebracht worden. 3. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse besteht. Auch die Antragsgegnerin betont, wie wichtig eine Klärung der inhaltlichen Entscheidungsbefugnis der Volksvertretung im konkreten Einzelfall, aber auch für ähnliche Situationen in der Zukunft, ist. Wenn der Beteiligte zu 3) das Rechtsschutzinteresse mit der Begründung verneint, über den in diesem Verfahren gestellten Antrag sei bereits mit dem Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) rechtskräftig entschieden worden, so geht das fehl. Die formelle und materielle Rechtskraft eines Urteils, durch das ein Antrag zurückgewiesen wurde, betrifft nur den gestellten Antrag. Der Antrag in dem Verfahren HVerfG 4/03 ging dahin, den Senat zu verpflichten, „es bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen, einen Gesetzentwurf über die Privatisierung der Mehrheit des LBK in der Bürgerschaft einzubringen oder von einem solchen Gesetz Gebrauch zu machen", des Weiteren dahin, dass die Bürgerschaft verpflichtet werde, es zu unterlassen, ein derartiges Gesetz zu beschließen. Der damalige Antrag betraf die Sperrwirkung bis zur Durchführung des Volksentscheids. Jetzt geht es um ein neues, in einer neuen Legislaturperiode nach erfolgreicher Durchführung des Volksentscheids eingebrachtes Gesetz. Der Streitgegenstand des jetzigen ist mit dem des damaligen Verfahrens nicht identisch. Abgesehen hiervon hindert eine Entscheidung im einstweiligen Anordnungs-Verfahren nie daran, den Rechtsstreit endgültig in der Hauptsache klären zu lassen. Dem unterlegenen Antragsteller eines Eilverfahrens ist es nicht verwehrt, Klage zur Hauptsache zu erheben. Etwas Entsprechendes hat die Antragstellerin hier getan, nachdem sich ihr ursprünglicher Antrag im LVerfGE 15

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Hauptsacheverfahren (HVerfG 3/03) durch die Nichtbefassung der Bürgerschaft wegen Beendigung der damaligen Legislaturperiode erledigt hatte. 4. Dem Einwand des Beteiligten zu 3), der Antrag genüge nicht der Anforderung des Art. 39b Abs. 2 HVerfGG, weil er nicht die Bestimmung der Verfassung bezeichne, gegen die verstoßen worden sein solle, ist nicht zu folgen. Es genügt jedenfalls, wenn diese Bezeichnung in der Antragsschrift erfolgt. Das ist hier geschehen. II. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Der Volksentscheid vom 29.2.2004 ist weder für den Senat noch für die Bürgerschaft verbindlich. Dies folgt schon daraus, dass der von den Volksinitiatoren zur Abstimmung gestellte Antrag lediglich eine Aufforderung an den Senat enthielt (1.). Auch bei Annahme einer verbindlichen Wirkung bestünde keine zeitliche Bindungswirkung gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber (2.). Der Grundsatz der Organtreue ist von Senat und Bürgerschaft beachtet worden (3.). Auf die Frage, ob eine Haushaltsangelegenheit betroffen ist, die nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein kann, kommt es deshalb nicht an (4.). l.a) Der auf Feststellung einer verbindlichen Wirkung des Volksentscheids gerichtete Antrag wird durch den Inhalt des vorliegenden Volksentscheids nicht gedeckt. Der Antrag der Volksinitiative und der jetzige Antrag an das Verfassungsgericht unterscheiden sich in zweifacher Hinsicht. Zum Ersten war der ursprüngliche Volksinitiativ-Antrag an einen anderen Adressaten, nämlich den Senat, gerichtet, während der bei Gericht gestellte Antrag allein die Beteiligte zu 2), die Bürgerschaft, betrifft. Zum Zweiten enthielt der Antrag, der zum Volksentscheid gestellt wurde, eine Aufforderung (an den Senat), wohingegen der jetzige Antrag an das Verfassungsgericht das Ziel verfolgt, der Bürgerschaft den Erlass eines Gesetzes zu untersagen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller ergibt sich - unabhängig von der Divergenz zwischen dem Adressaten von Volksinitiative und Volksentscheid und jenem des bei Gericht gestellten Antrags - nicht, dass der Volksentscheid etwas anderes als eine bloße Aufforderung an den Senat zu einem bestimmten Handeln enthält. Das Volk hat keine für die Verfassungsorgane verbindliche Entscheidung über das künftige Schicksal des LBK getroffen. Der Unterschied zwischen Aufforderung (an den Senat) im Volksinitiativ-Antrag und Feststellung einer Berechtigung bzw. Nicht-Berechtigung im bei Gericht gestellten Antrag bezieht sich nicht auf den Adressaten, sondern auf den Inhalt des Begehrens. Der Antrag auf Feststellung einer Nicht-Berechtigung im bei Gericht gestellten Antrag hat praktisch dieselbe Wirkung wie ein Verbotsantrag.

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Im Verfassungsrecht ist der Wortlaut von Normen, aber auch von Erklärungen der durch die Verfassung mit eigenen Rechten und Pflichten Beteiligten von entscheidender Bedeutung (vgl. dazu BVerfGE 1, 299, 312; 62, 1, 45). Wenn man die Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung und an der Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung ernst nimmt, kann und muss man verlangen, dass die Willensäußerungen, die zur Entscheidung des Volkes gestellt werden, klar sind. Unklare oder an den falschen Adressaten gerichtete Aufforderungen können zwar eine politische Bedeutung, aber keine verfassungsrechtliche Bindungswirkung haben. Gerade deshalb hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 3 und in § 18 Abs. 3 H m b V W G vorgesehen, dass die Initiatoren der Volksinitiative den Gesetzentwurf oder die andere Vorlage noch bis zum Ablauf eines Monats nach Feststellung des Zustandekommens des Volksbegehrens in überarbeiteter Form einreichen können. Diese Möglichkeit der Überarbeitung zeigt, welchen Wert der Gesetzgeber auf eine genaue Formulierung des zum Volksentscheid gestellten Antrags gelegt hat. Schon diese Unterschiede zwischen dem zur Abstimmung durch das Volk gestellten Antrag und dem bei Gericht gestellten Antrag sprechen gegen dessen Begründetheit. b) Die Verbindlichkeit des Volksentscheids — aber auch seine zeitliche Bindungswirkung (vgl. dazu unten 2) — ist vor dem Hintergrund des Rangverhältnisses und der Funktionen von Volkswillensbildung einerseits und parlamentarischer Willensbildung andererseits zu beurteilen. Das Verfassungsgericht bejaht die Gleichrangigkeit von Volkswillensbildung und parlamentarischer Willensbildung. Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg enthält zu dem Rangund dem Funktionsverhältnis von Volk und Bürgerschaft nur wenige Bestimmungen. Nach Art. 48 Abs. 1 HV werden Gesetzesvorlagen vom Senat, aus der Mitte der Bürgerschaft oder durch Volksbegehren eingebracht. Nach Art. 48 Abs. 2 HV werden Gesetze von der Bürgerschaft oder durch Volksentscheid beschlossen. In dieser Hinsicht besteht also eine Gleichrangigkeit. Allerdings wird die Gleichrangigkeit in Art. 50 Abs. 1 S. 2 HV dadurch eingeschränkt, dass Haushaltsangelegenheiten, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein können. Dies ist eine Einschränkung hinsichtlich der Materien der Volksinitiative und Volksgesetzgebung, nicht jedoch eine solche hinsichtlich der Wirkung. Die Wirkung eines zulässigerweise beschlossenen bürgerschaftlichen und eines durch Volksentscheid beschlossenen Gesetzes ist gleich. Das zeigt sich schon daran, dass ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz vom Senat innerhalb eines Monats nach Feststellung des Abstimmungsergebnisses auszufertigen und im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt zu verkünden ist (§ 24 H m b V W G ) — genauso, wie das bei einem durch die Bürgerschaft beschlossenen Gesetz geschieht. So ist z.B. das durch Volksentscheid vom 13.6.2004 beschlossene Änderungsgesetz zum Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom Senat ausgefertigt LVerfGE 15

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und im Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblatt (HmbGVBl. 2004 S. 113), veröffentlicht worden. Es hat unmittelbare Wirkung wie ein bürgerschaftliches Gesetz. Über die Wirkung von Volksentscheiden, die auf eine „Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung" gerichtet sind, sagt die Hamburgische Verfassung jedoch nichts Ausdrückliches (dazu siehe unten d)). In der Literatur werden zu dem Rangverhältnis, vorrangig zu der zeitlichen Bindungswirkung (siehe unten 2.), aber auch im Hinblick auf die Verbindlichkeit, verschiedene Auffassungen vertreten. Dawd (Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 2. Aufl. 2004, Art. 50 Rn. 10, 11 ff) meint, „von einer gleichrangigen Rolle des Volkes unabhängig von der Bürgerschaft könne nicht gesprochen werden". Dazu nennt er Aufgaben der Staatsführung, die der Bürgerschaft ohne Konkurrenz des Volkes zustehen, nämlich Repräsentation, Wahrnehmung des Budgetrechts, Zustimmung zu Staatsverträgen, Wahl und Kreation bestimmter Staatsorgane sowie Kontrolle der Exekutive (so auch Schlieskj DVB1. 1998, 169, 170 f). Zur Begründung des Vorrangs in den Bereichen der Gesetzgebung oder anderer Vorlagen verweist er auf die Einschränkungen in Art. 50 Abs. 1 S. 2 HV. Außerdem betont er, dass zwar ein Gesetz des Volkes nach Art. 50 Abs. 4 HV innerhalb von zwei Jahren nicht durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid geändert werden könne, wohl aber durch die Bürgerschaft. Jedenfalls lasse sich kein Geltungsvorrang von Volksentscheiden vor Parlamentsentscheiden herleiten. Pr^ygode (Die deutsche Rechtsprechung zur unmittelbaren Demokratie, 1995, S. 386, 421) meint, die Institution der Volksgesetzgebung sei in rechtlicher Hinsicht ein gleichwertiges Legislatiwerfahren, jedoch in praktischer Hinsicht ein spezielles Ergänzungsinstrument zum parlamentarischen (Regel-)Gesetzgebungsverfahren. Er stellt fest, dass nach geltendem Verfassungsrecht das vom Volk beschlossene Gesetz jederzeit durch das Parlament geändert werden könne, auch wenn er dieses Ergebnis für „wenig sinnvoll" hält. Wenn Pnjgode als Lösung zu der Regelung rät, das Parlament solle bei Änderung der Sach- und Rechtslage vom Volksgesetz abweichen können, sofern dies zuvor vom Landesverfassungsgericht bestätigt worden sei (aaO, S. 434), so ist das keine Feststellung de lege lata, sondern ein Vorschlag de lege ferenda. Schlieskj (Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1999, 225) untersucht ebenfalls das Verhältnis von parlamentarischer Willensbildung und Volkswillensbildung. Auch er betont, dass den unmittelbaren Mitwirkungsformen „kein höherer Stellenwert als den repräsentativen Legitimationsmustern zukomme", doch seien sie auch keineswegs gegenüber diesen minderwertig. Verfassungsrechtlich sei es dem Landtag nicht verwehrt, ein durch Volksentscheid zustande gekommenes Gesetz — unter Umständen unmittelbar nach dem erfolgreichen Volksentscheid - abzuändern. Eine andere Frage sei allerdings, ob verfassungspolitisch eine Bindungswirkung indiziert sei. Huber (Volksgesetzgebung und Ewigkeitsgarantie, Jenaer Schriften zum Recht, Bd. 30, S. 42) meint im Hinblick auf das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes, die gewählte VolksverLVerfGE 15

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tretung dürfe nicht aus den wesentlichen Entscheidungen verdrängt und auf eine Statistenrolle beschränkt werden. Das sei aber der Fall, wenn das Parlament die Möglichkeit verlöre, sich auf rasch wechselnde Gegebenheiten ein2ustellen und diesen Rechnung zu tragen. Ahnlich äußert sich Isensee (DVB1. 2001, 1161, 1166) zur Thüringer Verfassung, der Landtag dürfe plebiszitär beschlossene Gesetze unter denselben Bedingungen aufheben und ändern wie seine eigenen, und umgekehrt das Abstimmungsvolk. Borowski (DÖV 2000, 481 f) verneint hinsichtlich der Schleswig-holsteinischen Verfassung eine rechtliche Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers durch volksbeschlossene Gesetze, da beide gleichrangig seien. Ob die Argumente fur eine — eventuell rasche — Änderung volksbeschlossener Gesetze überzeugten, werde ausschließlich politisch entschieden. Einzig Peine (Der Staat 1979, 375 f) vertritt, dass volksbeschlossene Gesetze nur durch einen erneuten Volksentscheid geändert werden könnten. Dies folge allerdings nicht aus den untersuchten Landesverfassungen, denen ein Vorrang volksbeschlossener Gesetze nicht zu entnehmen sei. Es ergebe sich aber aus dem Gedanken des actus contrarius, der ein personales Element enthalte. Auch Peine nimmt allerdings eine Änderung der Sach- und Rechtslage von dieser Bindungswirkung aus. Aus der Rechtsprechung ist auf den Beschluss des VG Schleswig vom 24.11.1999 (NVwZ-RR 2000, 434) in einem einstweiligen Anordnungsverfahren zu verweisen. Unter Hinweis auf die mit Art. 48 Abs. 2 HV fast gleich lautende Bestimmung des Art. 37 Abs. 2 der Schleswig-Holsteinischen Verfassung erklärte es, beide Alternativen der Gesetzgebung stünden nebeneinander, ohne dass der einen oder anderen ein Vorrang eingeräumt wäre. Der unmittelbaren Mitwirkungsform durch das Volk komme kein höherer Stellenwert als den repräsentativen Legitimationsmustern zu. Der Saarländische Verfassungsgerichtshof hatte sich in einem Urteil vom 14.7.1987 (NVwZ 1988, 245) gleichfalls mit dem Rangverhältnis von parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung zu befassen. Davon, dass dem Plebiszit ein irgendwie gearteter Vorrang zukäme, könne keine Rede sein. In ähnlichem Sinne hat sich auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof mehrfach (Entsch. v. 29.8.1997, BayVBl. 1997, 622, 627, und Entsch. v. 31.3.2000, NVwZ-RR 2000, 401, 402) geäußert. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat in einem Urteil vom 11.7.2002 (NVwZ 2003, 472) ebenso die Gleichrangigkeit von parlamentarischem Gesetzgeber und Volksgesetzgeber betont. Der Volksgesetzgeber könne Entscheidungen des parlamentarischen Gesetzgebers aufheben. Ebenso könne aber der Volksgesetzgeber durch den parlamentarischen Gesetzgeber korrigiert werden. „Gesetze der Volksgesetzgebung haben keinen anderen Rang als die des parlamentarischen Gesetzgebers" (aaO, 473). Das Hamburgische Verfassungsgericht teilt diese Auffassung. c) Gegen einen höheren Rang der Willensbildung des Volkes im Vergleich zur parlamentarischen Willensbildung spricht auch das Verfassungsrecht des Bundes. Nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in LVerfGE 15

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den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Zu diesen Grundsätzen gehört die Staatsform der repräsentativen Demokratie. Das geht aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hervor, wonach die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Das schließt zwar plebiszitäre Elemente in Landesverfassungen nicht aus, so wie auch Art. 29 GG für die Neugliederung des Bundesgebiets die Bestätigung durch Volksentscheid vorsah. Dafür bedarf es keiner besonderen bundesverfassungsrechtlichen Ermächtigung. Das gilt aber nur insoweit, als das in Art. 28 Abs. 1 S. 1 und 2 und in Art. 20 Abs. 2 GG als selbstverständlich vorausgesetzte Ubergewicht des parlamentarischen Gesetzgebers nicht in Frage gestellt wird (so Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 2 Rn. 97). Mit Recht folgert daraus Schliesky (aaO, 226), dass das Grundgesetz damit den Ländern die Möglichkeit zur Herrschaftsausübung des Volkes durch Abstimmungen ermöglicht und das Volk als gleichwertig anerkennt. Darüber hinaus sei aus der bundesverfassungsrechtlichen Vorgabe zu folgern, dass dem Repräsentationsorgan auch eine substantielle Aufgabenzuweisung garantiert werden müsse. Der Volksvertretung müssen quantitativ und qualitativ genügend Entscheidungsbefugnisse verbleiben. d) Die Antragstellerin meint, die verfassungsrechtliche Regelung für Gesetze gelte nicht für „andere Vorlagen" nach Art. 50 Abs. 1 S. 1 2. Alt. HV. Für den vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob Volksentscheide mit Verbindlichkeit gegenüber den anderen Verfassungsorganen denkbar sind, wenn diese Volksentscheide sich mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung iSv Art. 50 Abs. 1 S. 1 2. Alt. HV befassen. Denn bei dem hier zu beurteilenden Volksentscheid handelt es sich um eine Aufforderung an den Senat, die einem — unverbindlichen — Ersuchen der Bürgerschaft an den Senat entspricht. Der Auffassung der Antragstellerin, nach der alle Volksentscheide Verbindlichkeit entfalten, folgt das Gericht nicht. Voraussetzung für die Annahme einer derartigen Verbindlichkeit wäre zumindest, dass die dem Volk zur Abstimmung unterbreitete Vorlage eine Entscheidung und nicht nur die Aufforderung zu einer solchen enthält. Dabei ist maßgeblich auf den Wordaut abzustellen. Denn das plebiszitäre Entscheidungsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Volk lediglich Zustimmung oder Ablehnung zu dem konkreten Vorschlag, den die Volksinitiative formuliert hat, als Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Nachfragen und Formulierungsänderungen sind den Abstimmenden nicht möglich, so dass der Vorschlag eindeutig das Gewollte enthalten muss. Auf die Vorstellung der Initiatoren kommt es hingegen nicht an, denn der Volksentscheid erhält seine Legitimation nicht aus der Gruppe der ihn Vorschlagenden, sondern aus der Mehrheit der abgegebenen Stimmen der Bürger. Schon dies spricht gegen eine Verbindlichkeit des Volksentscheids vom 29.2.2004. LVerfGE 15

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Hinzu kommt die Gleichrangigkeit von Volkswillensbildung und parlamentarischer Willensbildung. Ein Gleichlauf besteht nicht nur bei den Materien, die behandelt werden dürfen, sondern auch bei der Wirkung der getroffenen Entscheidungen. Die Bürgerschaft äußert ihren Willen nicht nur bei Gesetzen, sondern auch in anderer Weise durch Abstimmungen. Außer der Gesetzgebung sind nur wenige dieser Abstimmungen bindend, so z.B. bei der Wahl des Ersten Bürgermeisters gem. Art. 34 Abs. 1 HV, bei der Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichts (Art. 65 Abs. 2 S. 1 HV), bei der Feststellung des Haushaltsplanes (Art. 66 Abs. 2 HV), bei der Zustimmung zur Ratifikation von Staatsverträgen (Art. 43 S. 3 HV) und bei der Veräußerung von Staatsgut (Art. 72 Abs. 3 HV). Es würde dem gleichen Rang von Volk und Parlament zuwider laufen, wenn bei anderen Angelegenheiten der politischen Willensbildung, mit und in denen die Bürgerschaft befasst und rechtlich unverbindlich tätig werden kann, entsprechende Äußerungen des Volkes rechtlich verbindlich wären. Die Antragstellerin begründet ihre Auffassung von der Verbindlichkeit der „anderen Vorlagen" u.a. damit, „dass die Schaffung einer gesetzlichen Regelung schon wegen ihrer Komplexität und notwendigen Detailliertheit für Volksinitiativen nur schwer handhabbar" sei. Mit dieser Argumentation unterschätzt die Antragstellerin die Fähigkeit von Volksinitiatoren, komplette Gesetze oder andere möglicherweise verbindliche Vorlagen zu formulieren. Diese Fähigkeit hat sich in letzter Zeit in Hamburg insbesondere an der o.a. Änderung des Gesetzes über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft gezeigt. Die Antragstellerin meint, das Fehlen einer Regelung über die Verbindlichkeit von Volksentscheiden über andere Vorlagen stelle eine Regelungslücke der Verfassung dar. Dies ist nicht der Fall. Von einer Regelungslücke kann nur dann die Rede sein, wenn der Gesetzoder Verfassunggeber ein Problem, das geregelt werden musste, übersehen hat. Das Achte Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (v. 16.5.2001, HmbGVBl. S. 105), durch das die Erweiterung des Gegenstandes von Volksinitiativen auf „eine Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung" eingefügt wurde, ist auf der Grundlage verschiedener Alternativentwürfe (Bü-Drs. 16/1046 und 16/1185) im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft beraten worden. Es erfolgte eine Anhörung von Auskunftspersonen und eine öffentliche Anhörung. Danach hat der Verfassungsausschuss einstimmig beschlossen, den Gesetzentwurf der Drucksache 16/1185 mit verschiedenen Änderungen anzunehmen. In der Anhörung wurden die Auskunftspersonen vor allem gefragt, ob die bisherige Volkspetition des Art. 25c HV abgeschafft werden sollte und ob eine Ausweitung der Volksgesetzgebung auf Gegenstände der politischen Willensbildung sinnvoll und zweckmäßig sei. Das haben die meisten Auskunftspersonen bejaht. Prof. Dr. Hoffmann-Riem, der Vorsitzende der Enquete-Kommission „Parlamentsreform", hat die Beschränkung auf Gesetzgebungsakte, wie von der Enquete-Kommission vorgeschlagen, LVerfGE 15

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verteidigt. Prof. Dr. Bull sprach sich für die Ausweitung auf andere Vorlagen aus. Dr. Jung wies darauf hin, dass es lediglich in Schleswig-Holstein und Brandenburg Volksentscheide über „andere Vorlagen" gäbe. In den übrigen Ländern sei nur Volksgesetzgebung im strikten Sinne möglich. Die Beispiele aus Brandenburg und Schleswig-Holstein zeigten, dass „andere Vorlagen" in einem ähnlichen Sinne benutzt würden, wie das schweizerische Verfassungsrecht für das Initiativbegehren die Form der „allgemeinen Anregung", neben der Form des „ausgearbeiteten Entwurfs", enthält. Angesichts dieser ausführlichen Anhörung und der Beratungen im Verfassungsausschuss kann nicht angenommen werden, dass sich der Verfassunggeber über die Frage der Verbindlichkeit eines Volksentscheids nicht bewusst gewesen sei. Eine gesonderte Regelung war angesichts der Gleichrangigkeit zwischen Bürgerschaft und Volk auch nicht erforderlich. Hätte der Verfassunggeber hingegen eine andere Regelung treffen wollen, also dem Antrag des Volkes auf Befassung mit anderen Angelegenheiten der politischen Willensbildung eine weitergehende Wirkung zuerkennen wollen, als den entsprechenden Initiativen der Bürgerschaft, so hätte er das in der Verfassung ausdrücklich sagen müssen. e) Das Hamburgische Verfassungsgericht hält deshalb an seiner in dem Urteil vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) niedergelegten Auffassung fest, dass die Aufforderung an den Senat in dem Antrag der Volksinitiative einem Ersuchen der Bürgerschaft an den Senat entspricht. Solche Ersuchen sind für den Senat nicht verbindlich. 2. Darüber hinaus könnte die Antragstellerin selbst dann keinen Erfolg haben, wenn der Volksentscheid eine verbindliche Entscheidung enthielte, dem Verkauf des LBK nicht zuzustimmen. a) Die Verbindlichkeit ist zu trennen von der zeitlichen Bindungswirkung im Sinne eines (vorübergehenden) Abänderungsverbotes. Ein solches würde voraussetzen, dass die Entscheidungen des Volksgesetzgebers Vorrang genießen vor jenen des Parlaments. Das ist nicht der Fall. Selbst bei einer verbindlichen Wirkung des Volksentscheids vom 29.2.2004 wäre die Bürgerschaft nicht gehindert, ein Gesetz mit anderem Inhalt zu beschließen. Es entspricht auch — wie oben dargelegt - der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur, dass plebiszitär zustande gekommene Landesgesetze jederzeit vom Parlament aufgehoben werden können. Das gilt gleichermaßen nach der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg. Es folgt aus der Gleichrangigkeit der Willensbildung durch das Volk und durch das Parlament. Wenn, wie allgemeine Auffassung, durch die Volks-Willensbildung die repräsentative Demokratie nicht außer Kraft gesetzt, sondern nur ergänzt werden soll, so gilt im Verhältnis zwischen Volks-Willensbildung und Willensbildung durch das Parlament der allgemeine Grundsatz, dass das spätere Gesetz das frühere aufhebt. Auch das ParLVerfGE 15

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lament kann von einer früheren Willensbildung — sei es in Form eines Gesetzes, sei es in Form eines sonstigen Parlamentsbeschlusses — jederzeit abweichen und ein neues Gesetz beschließen. Ein solches Gesetz steht hier mit der Abstimmung über die Senatsvorlage vom 7.9.2004, dem Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse des Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg (Bü-Drs. 18/849), zur Entscheidung der Bürgerschaft. Selbst wenn durch Volksentscheid ein Gesetz beschlossen worden wäre, das die Veräußerung der Mehrheit der Anteile an dem Landesbetrieb Krankenhäuser ausgeschlossen hätte, hätte die Bürgerschaft ein neues, anders lautendes Gesetz verabschieden können. Es gibt keinen Grund dafür, warum der Bürgerschaft ein solches Recht nicht zustehen sollte, wenn der Volksentscheid, und sei er verbindlich, über eine andere Vorlage getroffen wurde. Es würde die Befugnis der Bürgerschaft ausschließen, jederzeit Gesetze ändern zu können. Damit würde die Bürgerschaft in ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung hinter die Volksgesetzgebung gestellt, die ihrerseits die rechtliche Möglichkeit hat, Gesetze der Bürgerschaft durch Volksentscheid aufzuheben oder zu ändern. Die verfassungsrechtliche Unhaltbarkeit einer solchen Auffassung zeigt sich auch an dem Antrag der Antragstellerin. Sie anerkennt offensichtlich die Notwendigkeit, neue gesetzliche Regelungen zu schaffen, möchte das aber ausschließen, „solange die Sachlage, wie sie beim Volksentscheid vom 29.2.2004 bestand, sich nicht wesentlich ändert". Eine solche Regelung würde eine nicht zu vertretende verfassungsrechtliche Unsicherheit mit sich bringen. Weder ist der Begriff einer „wesentlichen Änderung" der Sachlage im Verfassungsrecht hinreichend klar, noch ist deutlich, wer befugt sein sollte, eine solche „wesentliche Änderung" festzustellen. Diejenigen, die eine zeitliche Bindungswirkung von Volksgesetzen de lege ferenda wünschen (so Schliesky Schleswig-Holsteinische Anzeigen, aaO, 225, 230), schlagen als Möglichkeit die Feststellung einer wesentlichen Änderung durch das Verfassungsgericht vor; danach wäre der Weg für den parlamentarischen Gesetzgeber zu einer Änderung frei. Gegen diesen Vorschlag spricht schon die Aufwändigkeit des Verfahrens und der damit zwangsläufig verbundene neue Streit zwischen den Beteiligten, der dem Rechtsfrieden abträglich wäre. Alternativ wird eine genaue Abgrenzung der Zeitdauer vorgeschlagen, etwa eine zweijährige Bindungswirkung. Eine solche Bindungswirkung müsste aber ausdrücklich normiert werden. Für die zeitliche Bindungswirkung eines durch Volksentscheid angenommenen Gesetzes hat der Verfassunggeber in Art. 50 Abs. 4 HV die Regelung getroffen, dass dieses innerhalb von zwei Jahren nicht durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid geändert werden kann. Für die andere Vorlage hat er nichts Gleiches oder Ähnliches geregelt. Ohne eine solche Regelung in der Verfassung kann das Verfassungsgericht keine zeitliche Bindungswirkung feststellen oder schaffen. b) Die Antragstellerin meint, die Verneinung von Verbindlichkeit und zeitlicher Bindungswirkung reduziere einen Volksentscheid auf einen folgenlosen Appell. LVerfGE 15

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Damit verkennt die Antragstellerin die politische Wirkung von erfolgreichen Volksentscheiden, auch wenn ihnen keine rechtliche Bindungswirkung zukommt. Genauso wie Beschlüsse der Bürgerschaft, die keine rechtliche Bindungswirkung haben, einen starken politischen Druck auf den Senat ausüben, gilt das für Volksentscheide über andere Vorlagen, selbst dann, wenn sie nicht verbindlich sind. Auch die Beteiligte zu 2), die Bürgerschaft, betont, die politische Bindungswirkung eines Volksentscheids über eine andere Vorlage bestehe darin, dass der parlamentarischen Mehrheit ein politisches Signal gesetzt werde. Sie müsse ihre Politik überdenken, wolle sie nicht ihre Wiederwahl leichtfertig aufs Spiel setzen. Während die Gesetzgebungsfunktion der Landesparlamente, so auch der Hamburgischen Bürgerschaft, in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren hat, ist die Kontrollfunktion und Forumsfunktion des Parlaments gewachsen (vgl. dazu Bericht der Enquete-Kommission „Parlamentsreform", Bü-Drs. 14/2600 v. 20.10.1992, S. 17 ff). In der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg wird darüber hinaus die Kontrollfunktion insbesondere der Opposition betont, die nach Art. 24 Abs. 2 HV die ständige Aufgabe hat, die Kritik am Regierungsprogramm im Grundsatz und im Einzelfall öffentlich zu vertreten. All das zeigt, dass nicht nur rechtlich verbindliche Entscheidungen des Parlaments von Bedeutung sind, sondern auch die Kontroll-, Appell- und Forumsfunktion der Bürgerschaft bei der politischen Willensbildung. Wenn das Volk „eine Befassung mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung" beantragt, so übt es in gleicher Weise wie die Bürgerschaft bei entsprechenden Gegenständen eine wichtige politische Funktion aus. 3. Der Antrag kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Organ treue Erfolg haben. Dieser für das Grundgesetz entwickelte ungeschriebene Rechtsgrundsatz (vgl. BVerfGE 35, 193, 199; 45, 1, 39) gilt ebenfalls für die Verfassungen der Länder (Borowski aaO, S. 13; Damd aaO, Rn. 11 zu Art. 50 HV). Das Hamburgische Verfassungsgericht bejaht ihn auch für das Verhältnis zwischen dem parlamentarischen und dem Volks-Gesetzgeber. Nach diesem Grundsatz haben sich die Staatsorgane im Verhältnis zueinander so zu verhalten, dass sie ihre verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten verantwortlich und gewissenhaft, frei von Zeitnot und Pressionen ausüben können (Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 184 f). Der Grundsatz der Organtreue führt aber nicht dazu, dass die Kompetenzen des einen Verfassungsorgans durch das andere aufgehoben oder eingeschränkt werden. Vielmehr erfordert er eine gegenseitige Rücksichtnahme, insbesondere eine Berücksichtigung der Auffassung des anderen Staatsorgans bei der eigenen Entscheidung. Im Verhältnis zwischen parlamentarischer und Volks-Gesetzgebung bedeutet dies, dass das Parlament bei einer späteren eigenen Beschlussfassung über ein Gesetz nicht leichtfertig über den im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen des Volkes hinweggehen darf, sondern diesen würdigen und danach seine Abwägung vornehmen muss. LVerfGE 15

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Hamburgisches Verfassungsgericht

Das ist im vorliegenden Fall geschehen. Die Bürgerschaft hat sich in der 18. Wahlperiode nach dem Volksentscheid vom 29.2.2004 mehrfach mit dessen Inhalt und mit dem Verkauf der Mehrheitsanteile am Landesbetrieb Krankenhäuser befasst. So hat die Fraktion der SPD am 7.4.2004 in der Bürgerschaft einen Antrag gestellt (Bü-Drs. 18/89), mit dem der Senat u.a. aufgefordert wurde, dem Willen des Volksentscheids „Gesundheit ist keine Ware" zu entsprechen und auf einen Mehrheitsverkauf des LBK zu verzichten. Der Antrag wurde nach Beratung im Plenum am 21.4.2004 mit Mehrheit abgelehnt (Plenar-Protokoll 18/3). Ein weiterer Antrag der SPD-Fraktion vom 28.4.2004 dahingehend, das Anliegen der Volksinitiative „Gesundheit ist keine Ware" werde unterstützt (Bü-Drs. 18/162), wurde nach Debatte im Plenum am 18.5.2004 (Plenar-Protokoll 18/5) ebenfalls mehrheitlich abgelehnt. Abgeordnete der Mehrheitsfraktion erklärten in der Debatte, es gebe keine Vorfesdegung. Der Senat ging inhaltlich auf den Volksentscheid ein und betonte, dass er diesen ernst nehme und keine Vorfesdegung getroffen habe. Er beantwortete mehrere Kleine Anfragen. Ein Antrag der GALFraktion vom 11.6.2004 (Bü-Drs. 18/452), der Senat werde ersucht, vom geplanten Mehrheitsverkauf des LBK abzusehen, wurde nach Plenardebatte am 17.6.2004 (Plenar-Protokoll 18/8) ebenfalls mehrheitlich abgelehnt. Die Senatsvorlage vom 7.9.2004 (Bü-Drs. 18/849) enthält eine ausführliche Begründung einschließlich einer Darstellung der Notwendigkeit und Ziele der Teilprivatisierung (Teil C) und einer Auseinandersetzung mit dem Volksentscheid und den anderen Transaktionsmodellen (Teil D, S. 6 bis 10). In dieser Vorlage wird auf den Volksentscheid „Gesundheit ist keine Ware" vom 29.2.2004 eingegangen und unter Bezugnahme auf das Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 15.12.2003 (HVerfG 4/03) erklärt, die zum Volksentscheid gestellte Aufforderung an den Senat sei einem Ersuchen der Bürgerschaft an den Senat gleichzustellen. Dem Volksentscheid komme keine stärkere Wertigkeit zu als einer Beschlussfassung der Bürgerschaft. Die Bürgerschaft sei berechtigt, alle Gesetze sofort zu ändern oder wieder aufzuheben. Nichtsdestoweniger habe der Senat das Votum des Volkes und die dahinter stehenden Befürchtungen in der Bevölkerung sehr ernst genommen. Er habe „unvoreingenommen geprüft, inwieweit dem Volksentscheid Rechnung getragen werden" könne. Deshalb werden in der Senats-Vorlage acht alternative Privatisierungsmodelle untersucht, angefangen von der Fortführung des LBK ohne Einschaltung eines privaten Investors bis zum sofortigen Verkauf eines Anteils von 74,9% am LBK Neu. Diese Modelle werden anhand der Ziele der Teilprivatisierung geprüft. Diese Ziele sind nach der Senatsvorlage die Sicherstellung der medizinischen Versorgung, die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Stärkung des Wirtschafts- und Medizinstandorts Hamburg und die Entlastung des Haushalts. Die Senatsvorlage gelangt zu dem Resümee, dass eine Privatisierung des LBK, die uneingeschränkt den Intentionen des Volksentscheids folge, die notwendige Umsetzung der Privatisierungsziele verhindern würde. LVerfGE 15

Volkswillensbildung und parlamentarische Willensbildung

243

Die Senatsvorlage ist vom Präsidenten der Bürgerschaft im Vorwege an den Gesundheitsausschuss und den Haushaltsausschuss überwiesen worden. Dort fand am 30.9.2004 eine öffentliche Anhörung gem. § 59 der Geschäftsordnung der Bürgerschaft statt. In einer gemeinsamen Sitzung der beiden Ausschüsse wurde die Anhörung ausgewertet und anschließend über die Senatsvorlage beraten. Vorbehaltlich der Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts empfahlen der Haushaltsausschuss und der Gesundheitsausschuss am 16.11.2004 einstimmig, den zweiten Spiegelstrich der Senatsvorlage — das Gesetz zur Neuregelung des Landesbetriebs Krankenhäuser — anzunehmen; mehrheitlich empfahlen sie mit den Stimmen der CDU-Abgeordneten die Annahme der übrigen Spiegelstriche (Bü-Drs. 18/1104). Die Beratungen über die Senatsvorlage im Plenum der Bürgerschaft haben noch nicht stattgefunden. Die erste Lesung ist für den 15.12.2004 vorgesehen. Angesichts der dargestellten Erörterungen und Abstimmungen in der Bürgerschaft, der ausführlichen und abwägenden Ausführungen in der Senatsvorlage und der Beratungen in den zuständigen Ausschüssen haben Bürgerschaft oder Senat das Prinzip der Organtreue nicht verletzt. Dem steht auch das Argument der Antragstellerin nicht entgegen, mit der Achtung vor den Funktionen der Verfassungsorgane wäre es unvereinbar, wenn die Bürgerschaft die strukturelle Schwäche von Volksinitiativen ausnützen würde. Diese liege vor allem darin begründet, dass sie nur jeweils eine einzige Entscheidung hervorbringen könne, die außerdem an ein aufwendiges und schwerfälliges Verfahren gebunden sei. Dass Volksgesetzgebung zeitaufwendiger ist als parlamentarische Gesetzgebung, liegt in der Natur der Sache, weil die \^olksgesetzgebung die drei Stadien von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid durchlaufen muss. Das hat der Gesetzgeber im Hamburgischen Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid im Einzelnen geregelt. Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestehen keine Bedenken. Die der Volksgesetzgebung immanente Langsamkeit des Verfahrens kann nicht dazu führen, dass dem anderen von der Verfassung vorgesehenen Gesetzgeber, der Bürgerschaft, das Recht genommen wird, Volks-Gesetze zu ändern oder über Gegenstände der politischen Willensbildung zeitlich später anders zu entscheiden. Im Übrigen hat auch das Volk die Möglichkeit, in einem Verfahren der Volksgesetzgebung Gesetze der Bürgerschaft zu ändern und sich über einen anders lautenden Willen des Parlaments hinwegzusetzen, wie das mit dem Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft entgegen der Vorlage einer großen Mehrheit der Bürgerschaft mit dem Volksentscheid vom 13.6.2004 geschehen ist. Dies zeigt die mehrfach betonte Gleichrangigkeit von parlamentarischer und Volksgesetzgebung. 4. Auf den vom Senat vorgetragenen Gesichtspunkt der Haushaltsangelegenheit kommt es für die Entscheidung nicht an.

LVerfGE 15

244

Hamburgisches Verfassungsgericht III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil gem. § 66 HVerfGG im Verfahren vor dem Verfassungsgericht keine Kosten erhoben werden und auch eine Auslagenerstattung, wie sie nur für einige besondere Verfahrensarten vorgesehen ist, hier nicht in Betracht kommt. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

LVerfGE 15

Entscheidungen des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen Dr. Günter Paul, Präsident Dr. Wolfgang Teufel, Vizepräsident Ekkehard Bombe Elisabeth Buchberger Prof. Dr. Steffen Detterbeck (ab 1. Juni 2004) Felizitas Fertig (bis 31. Mai 2004) Ferdinand Georgen Dr. Harald Klein (ab 1. Juni 2004) Prof. Dr. Klaus Lange Dr. Wilhelm Nassauer Rupert von Plottnitz Rudolf Rainer (bis 31. Mai 2004) Karin Wolski (seit 5.6.2003)

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

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Nr. 1 1. Die Einführung der kommunalen Grundrechtsklage zur Durchsetzung der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 137 HV ist mit der Hessischen Verfassung vereinbar. 2. Eine kommunale Grundrechtsklage gegen eine Rechtsnorm ist nur zulässig, wenn Gemeinden oder Gemeindeverbände von ihr selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sind. 3. Das ist innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG geltend zu machen. Binnen Jahresfrist sind auch Tatsachen anzugeben, aus denen sich plausibel die Möglichkeit einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts ergeben soll. 4. Die in § 6 BallrG enthaltene Regelung über die Bildung von Pflichtverbänden betrifft die Gemeinden und Gemeindeverbände im Ballungsraum nicht unmittelbar. Sie werden erst durch eine hierauf beruhende, aber noch nicht erlassene Rechtsverordnung unmittelbar betroffen. Gegen eine solche Rechtsverordnung kann der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens angerufen werden. Innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines solchen Verfahrens könnte eine kommunale Grundrechtsklage erhoben werden. § 7 BallrG und § 3 Abs. 2 Satz 2 AuflG entfalten ebenfalls keine unmittelbare Rechtswirkung. 5. Art. 137 Abs. 1 und 3 HV garantiert den Gemeinden und Gemeindeverbänden die kommunale Selbstverwaltung. Diese Garantie unterliegt einem Gesetzesvorbehalt. Gesetzliche Eingriffe in das Recht der Selbstverwaltung haben das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden zu berücksichtigen. Von diesem darf nur im dringenden öffentlichen Interesse abgewichen werden. Dem Gesetzgeber steht bei der Frage, was er zur Wahrung der jeweiligen Gemeinwohlbelange für geboten halten darf, ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. 6. § 1 Abs. 1 BallrG greift nicht in das Selbstverwaltungsrecht ein. Diese Vorschrift schafft keine rechtlichen Verpflichtungen, sondern enthält nur eine Zielvorgabe mit Appellcharakter. Daher greifen auch § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 BallrG nicht in das Selbstverwaltungsrecht ein.

LVerfGE 15

Staatsgerichtshof des Landes Hessen

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Aus § 3 Abs. 2 BalliG folgt kein Anspruch Dritter, sich an Zusammenschlüssen von Städten, Gemeinden und Landkreisen nach § 1 BallrG, zu beteiligen. 7. § 5 BallrG verleiht dem Rat der Region gegenüber Städten, Gemeinden und Kreisen keine Eingriffsbefugnisse. Von ihm aufzustellende Grundsätze können im Rahmen einer Abwägungsentscheidung überwunden werden. Die Zusammensetzung des Rats der Region nach § 4 Abs. 2, 3 BallrG ist mit dem Demokratieprinzip vereinbar und verstößt nicht gegen das Willkürverbot. 8. Die Übertragung der Aufgabe der Aufstellung, Änderung und Aufhebung des Flächennutzungsplans auf den Planungsverband nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 PlanvG ist mit der Selbstverwaltungsgarantie vereinbar. Der Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung wird nicht ausgehöhlt. Die Übertragung der Flächennutzungsplanung liegt im dringenden öffentlichen Interesse. Der Gebietszuschnitt des Planungsverbandes ist verfassungsgemäß. 9. § 13 HLPG ist mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar. Der Staatsgerichtshof misst Landesrecht nicht an Bundesrecht und damit nicht an § 9 Abs. 6 ROG. 10. Die in der Überleitungsvorschrift des § 3 Abs. 1 AuflG vorgesehene Zuständigkeit des Planungsverbandes zur Änderung oder Aufhebung des vom aufgelösten Umlandverbandes erstellten Flächennutzungsplans greift nicht unzulässig in die Selbstverwaltungsgarantie ein. Hessische Verfassung Art. 70; 131; 137 Gesetz über den Staatsgerichtshof §§ 19; 43; 45; 46 Gesetz über die Auflösung des Umlandverbandes § 3 Gesetz zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main §§ 1; 2; 3; 4; 5; 6; 7 Baugesetzbuch §§ la; 5; 9; 205 Bundesnaturschutzgesetz § 21 Hessisches Landesplanungsgesetz §§ 9; 13; 21; 22; 23 Gesetz über den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main §§ 1; 2; 5; 15

LVerfGE 15

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

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Raumordnungsgesetz § 9

Urteil v o m 4. M a i 2 0 0 4 - P.St. 1714 in dem Verfahren über die kommunale Grundrechtsklage der Stadt, - Antragstellerin Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwalt Haldenwang und Koll., Wiesenau 2, 60323 Frankfurt am Main gegen das Land Hessen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Staatskanzlei, Bierstadter Straße 2, 65189 Wiesbaden, — Antragsgegner — Verfahrensbevollmächtigter: Universitätsprofessor 54294 Trier

Dr.

Reinhard

Hendler,

Laurentius-Zeller-Straße

12,

an dem sich beteiligt hat: die Landesanwaltschaft beim Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Mühlgasse 2, 65183 Wiesbaden Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A Die Antragstellerin wendet sich mit der kommunalen Grundrechtsklage gegen zahlreiche Regelungen des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit und Planung in der Region Rhein-Main vom 19.12.2000 (GVB1.1 S. 542). I. Das Gesetz, dessen Bestimmungen seit Antragstellung teilweise umnummeriert worden sind (Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Hessischen NaturschutzLVerfGE 15

250

Staatsgerichtshof des Landes Hessen

rechtes v. 18.6.2002, GVB1. I S. 364, und Art. 2 des Gesetzes zur Neufassung des Hessischen Landesplanungsgesetzes v. 11.9.2002, GVB1. I S. 548), enthält in der derzeit geltenden Fassung u.a. folgende Vorschriften: Artikel 1 Gesetz zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (BallrG) §1 Aufgaben (1) Zur Förderung und Sicherung einer geordneten Entwicklung und zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main sollen die Städte, Gemeinden und Landkreise des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main Zusammenschlüsse zur gemeinsamen Wahrnehmung folgender Aufgaben bilden: 1.

Abfallverwertung und -beseitigung, Errichtung, Betrieb und Unterhaltung von Abfallverwertungs- und Abfallbeseitigungsanlagen,

2.

Beschaffung von Trink- und Brauchwasser,

3.

überörtliche Abwasserbeseitigung,

4.

Errichtung, Betrieb und Unterhaltung von Erholungsanlagen von überörtlicher Bedeutung,

5.

Errichtung, Betrieb und Unterhaltung von kulturellen Einrichtungen von überörtlicher Bedeutung,

6.

Standortmarketing und Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung,

7.

Planung, Errichtung und Unterhaltung des Regionalparks Rhein-Main,

8.

regionale Verkehrsplanung und regionales Verkehrsmanagement.

Sport-,

Freizeit-

und

(2) Die Zusammenschlüsse können auf einzelne Bereiche dieser Aufgaben beschränkt werden; sie können im Einzelfall von den räumlichen Grenzen des Ballungsraums Frankfurt/ Rhein-Main nach § 2 Abs. 1 abweichen.

§2 Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main und andere Räume (1) Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main im Sinne des Gesetzes ist das Gebiet der kreisfreien Städte Frankfurt am Main und Offenbach am Main, der Städte und LVerfGE 15

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

251

Gemeinden in den Landkreisen Hochtaunuskreis, Main-Taunus-Kreis und Offenbach, der Städte Bruchköbel, Hanau, Langenselbold, Maintal, Nidderau und Gemeinden Erlensee, Großkrotzenburg, Hammersbach, Neuberg, Niederdorfelden, Rodenbach, Ronneburg, Schöneck im Main-Kinzig-Kreis, der Städte Bad Nauheim, Bad Vilbel, Butzbach, Friedberg (Hessen), Karben, Münzenberg, Niddatal, Reichelsheim (Wetterau), Rosbach v.d. Höhe und Gemeinden Florstadt, OberMörlen, Rockenberg, Wölfersheim, Wöllstadt im Wetteraukreis sowie der Städte Groß-Gerau, Kelsterbach, Mörfelden-Walldorf, Raunheim, Rüsselsheim und Gemeinden Bischofsheim, Ginsheim-Gustavsburg, Nauheim im Landkreis Groß-Gerau. (2) Die Landesregierung kann durch Rechtsverordnung fesdegen, dass Städte, Gemeinden und Landkreise außerhalb des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main Zusammenschlüsse im Sinne dieses Gesetzes bilden können. Die Rechtsverordnung bestimmt Namen und Gebiet des Raums, für den die Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechend gelten. Soweit eine entsprechende Anwendung einzelner Bestimmungen nicht möglich ist, kann die Rechtsverordnung an deren Stelle tretende Regelungen treffen. Die angrenzenden Städte, Gemeinden und Landkreise sind vor Erlass der Rechtsverordnung anzuhören. §3 Grundsatz der Eigenverantwortung; Beteiligung Dritter (1) Die Organisations form der Zusammenschlüsse, den räumlichen und sächlichen Zuschnitt, die finanzielle Ausstattung und den Ausgleich von Vor- und Nachteilen regeln die Städte, Gemeinden und Landkreise im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main in eigener Verantwortung. (2) An den Zusammenschlüssen können sich das Land Hessen, andere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie natürliche und juristische Personen des Privatrechts beteiligen, wenn dadurch die Aufgabenerfüllung gefördert wird, Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegen stehen und deren Beteiligung durch besondere Rechtsvorschriften nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist. §4 Rat der Region (1) Für den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main wird ein Rat der Region gebildet. (2) Dem Rat der Region gehören für jede kreisfreie Stadt und jede kreisangehörige Gemeinde mit mehr als 50 000 Einwohnern im Ballungsraum Frankfurt/RheinMain je zwei Mitglieder und für jeden Landkreis drei Mitglieder mit je einer Stimme an. Die Mitglieder der jeweiligen Städte und Landkreise können ihre Stimmen im Rat der Region nur einheitlich abgeben. Erfolgt keine einheitliche Stimmabgabe, werden die Stimmen als Enthaltung gewertet. LVerfGE 15

Staatsgerichtshof des Landes Hessen

252

(3) Die Oberbürgermeisterinnen oder die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte und der kreisangehörigen Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern sowie die Landrätinnen oder Landräte der Landkreise gehören dem Rat der Region kraft Amtes an. Die zweiten Mitglieder werden von den Vertretungskörperschaften der kreisfreien Städte, der kreisangehörigen Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern und der Landkreise im Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main gewählt; wählbar sind Mitglieder ihrer Organe. Die dritten Mitglieder der Landkreise werden aus der Mitte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der kreisangehörigen Gemeinden unter 50 000 Einwohnern im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main gewählt. Das Verfahren dazu bestimmt die Landrätin oder der Landrat des jeweiligen Landkreises. Für jedes Mitglied ist ein stellvertretendes Mitglied zu wählen; eine weitere Stellvertretung ist ausgeschlossen. (4) ... bis (9) ... . §5 Aufgaben des Rates der Region Der Rat der Region hat die folgenden Aufgaben: 1.

Aufstellung der Grundsätze für die Durchführung der im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main gemeinsam wahrzunehmenden Aufgaben,

2.

Durchführung von Kommunalkonferenzen zur Förderung und Sicherung einer geordneten Entwicklung in der Region und Auswertung der Ergebnisse dieser Konferenzen,

3.

Erstellung eines Jahresberichts über den Stand der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main und Vorlage dieses Berichts an die Städte, Gemeinden und Landkreise zur Beratung,

4.

Maßnahmen zur Erarbeitung eines gemeinsamen Erscheinungsbildes der Region,

5.

Beteiligung der außerhalb des Ballungsraums gelegenen Kommunen und kommunalen Zusammenschlüsse bei ballungsraumüberschreitenden Wirkungen der kommunalen Zusammenarbeit. §6

Pflichtverband (1) Die Landesregierung kann die Erfüllung einer der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 8 dieses Gesetzes genannten Aufgaben durch einen Zusammenschluss nach § 1 für dringlich erklären, wenn die Erfüllung dieser Aufgaben aus Gründen des öffentlichen Wohles dringend geboten ist und ohne den Zusammenschluss nicht wirksam oder zweckmäßig erfolgen kann. Im Beschluss der Landesregierung ist die AufLVerfGE 15

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

253

gäbe mit den davon betroffenen Einrichtungen zu beschreiben. Der Beschluss der Landesregierung ist im Staatsanzeiger für das Land Hessen zu veröffentlichen. Wird für eine als dringlich erklärte Aufgabe der Zusammenschluss nicht binnen eines Jahres nach der Veröffentlichung des Beschlusses der Landesregierung gebildet, kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung Städte, Gemeinden und Landkreise zur Wahrnehmung dieser Aufgabe zu einem Pflichtverband zusammenschließen. Die Landesregierung erlässt in der Rechtsverordnung 1.

die Satzung des Pflichtverbandes entsprechend § 9 Abs. 2 des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit,

2.

die Regelungen zur Uberleitung von Personal und Sachen sowie über die Deckung des Finanzbedarfs.

(2) Innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach der Veröffentlichung des Beschlusses nach Abs. 1 Satz 3 haben die betroffenen Städte, Gemeinden und Landkreise im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main sowie der Rat der Region Gelegenheit zur Äußerung. Widerspricht der Rat der Region einstimmig der Beurteilung der Landesregierung nach Abs. 1 Satz 1, entscheidet sie nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Widerspruch. (3) Auf den Pflichtverband finden die Vorschriften des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit Anwendung, sofern dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Regelungen nach § 13 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit über den Pflichtanschluss bleiben unberührt. §7 Rechtsübergang Wird ein Pflichtverband nach § 6 gebildet, gehen mit In-Kraft-Treten der Rechtsverordnung die zur Durchführung der Aufgabe vorhandenen Einrichtungen der Verbandsmitglieder einschließlich der mit diesen verbundenen Grundstücke, Rechte und Pflichten unentgeltlich in das Eigentum des Pflichtverbandes über. ... §8

In-Kraft-Treten; Außer-Kraft-Treten Dieses Gesetz tritt am 1. April 2001 in Kraft und mit Ablauf des 31. März 2006 außer Kraft.

LVerfGE 15

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Staatsgerichtshof des Landes Hessen Artikel 2 Gesetz über den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (PlanvG) §1 Bildung des Planungsverbandes (1) Für das Gebiet des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main wird ein Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main gebildet, dessen Mitglieder die jeweils zugehörigen Städte und Gemeinden nach § 2 Abs. 1 des vorgenannten Gesetzes sind. (2) Der Verband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in Frankfurt am Main. Er ist ein Planungsverband im Sinne des § 205 des Baugesetzbuchs. Er regelt seine Angelegenheiten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unter eigener Verantwortung durch Satzung. Er hat Diensthermfähigkeit. (3) Der Verband richtet zur Erfüllung seiner Aufgaben an seinem Sitz eine Geschäftsstelle ein. §2 Aufgaben (1) Der Planungsverband hat die folgenden Aufgaben: 1.

Aufstellung, Änderung und Aufhebung des Flächennutzungsplans für das Gebiet des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main mit der Maßgabe, dass die Darstellungen nach § 5 des Baugesetzbuchs, die zugleich Fesdegungen nach § 6 Abs. 3 des Hessischen Landesplanungsgesetzes sind, im Zusammenwirken mit der Regionalversammlung Südhessen entwickelt und nach näherer Bestimmung des § 13 des Hessischen Landesplanungsgesetzes gemeinsam beschlossen werden (Regionaler Flächennutzungsplan),

2.

Aufstellung und Änderung des Landschaftsplans für das Gebiet des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main nach § 4 Abs. 3 des Hessischen Naturschutzgesetzes.

(2) Bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main kann der Planungsverband mitwirken. LVerfGE 15

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

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§3 Organe Organe des Verbandes sind die Verbandskammer und der Verbandsvorstand. §4 Aufgaben der Verbandskammer (1) Die Verbandskammer trifft alle wichtigen Entscheidungen des Verbandes und überwacht die gesamte Verwaltung. ... (2) ...

Zusammensetzung und Wahl der Verbandskammer (1) Die Mitglieder des Planungsverbandes Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main entsenden je eine Vertreterin oder einen Vertreter in die Verbandskammer. (2) Die Vertreterin oder der Vertreter der Stadt Frankfurt am Main hat 12 Stimmen, der Stadt Offenbach am Main vier Stimmen, der Stadt Hanau drei Stimmen, der Städte mit mehr als 50 000 Einwohnern je zwei Stimmen und der anderen Städte und Gemeinden je eine Stimme. (3) Die Vertreterinnen oder Vertreter werden von den Vertretungskörperschaften der Verbandsmitglieder gewählt; wählbar sind nur Mitglieder ihrer Organe. (4) ... und (5) ... .

Verbandsvorstand (1) Der Verbands vorstand ist die Verwaltungsbehörde des Verbandes. ... (2) Der Verbandsvorstand vertritt den Verband. ... (3) ... bis (5) ... .

LVerfGE 15

Staatsgerichtshof des Landes Hessen

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§11 Verbandsumlage Der Verband erhebt zur Deckung seines Finanzbedarfs von den Verbandsmitgliedern eine Umlage (Verbandsumlage). Die Verbandsumlage ist in der Haushaltssatzung für jedes Rechnungsjahr neu festzusetzen. Für die Umlagegrundlagen gilt § 40 des Finanzausgleichsgesetzes. §15 Überleitungsvorschriften (1) ... bis (3) ... . (4) Die Flächennutzungspläne der Städte und Gemeinden und des Umlandverbandes Frankfurt im Verbandsgebiet gelten bis zum In-Kraft-Treten des Regionalen Flächennutzungsplans fort. Das Recht, diese Flächennutzungspläne bis dahin zu ändern oder aufzuheben bleibt unberührt. Soweit Städte und Gemeinden im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main Verfahren zur Aufstellung von Flächennutzungsplänen vor dem 1. Juli 2000 eingeleitet haben, können sie zu Ende geführt werden. §16 In-Kraft-Treten; Außer-Kraft Treten Dieses Gesetz tritt am 1. April 2001 in Kraft und mit Ablauf des 31. März 2006 außer Kraft. Artikel 11 Änderung des Hessischen Landesplanungsgesetzes

§13 Regionaler Flächennutzungsplan im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (1) Für den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/RheinMain übernimmt der Regionalplan der Planungsregion Südhessen zugleich die Funktion eines gemeinsamen Flächennutzungsplans nach § 204 des Baugesetzbuchs (Regionaler Flächennutzungsplan). Der Regionalplan enthält im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main neben den regionalplanerischen Fesdegungen nach LVerfGE 15

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

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§ 6 Abs. 3 auch die flächennutzungsplanbezogenen Darstellungen nach § 5 des Baugesetzbuchs. (2) Die Festlegungen nach § 6 Abs. 3, die zugleich Darstellungen nach § 5 des Baugesetzbuchs sind, bedürfen übereinstimmender Beschlüsse der Regionalversammlung und der Verbandskammer des Planungsverbandes Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main. § 7 dieses Gesetzes bleibt im Übrigen unberührt. Kommt es zu keiner übereinstimmenden Beschlussfassung über die Aufstellung bestimmter Planaussagen im gemeinsamen Entscheidungsbereich von Regionalversammlung und Verbandskammer nach Satz 1, legt der Vermittlungsausschuss innerhalb eines Monats einen Vermittlungsvorschlag zur erneuten Beschlussfassung in der jeweils nächsten Sitzung der Regionalversammlung und der Verbandskammer vor. Führt auch dies zu keiner übereinstimmenden Beschlussfassung, entscheidet die Regionalversammlung abschließend über die regionalplanerischen Fesdegungen; über die flächennutzungsplanbezogenen Darstellungen entscheidet die Verbandskammer nach Maßgabe der regionalplanerischen Festlegungen. Dies gilt auch, wenn kein Vermitdungsvorschlag zustande kommt. (3) Der Vermitdungsausschuss besteht aus zehn Mitgliedern. Regionalversammlung und Verbandskammer entsenden jeweils fünf Mitglieder und eine gleiche Anzahl von Stellvertretungen aus ihrer Mitte in den Vermitdungsausschuss. Der Ausschussvorsitz wird jährlich abwechselnd von der Verbandskammer und der Regionalversammlung benannt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Ausschussvorsitzes über den Vermitdungsvorschlag. (4) Die Kartendarstellung des Regionalplans im Ballungsraum Frankfurt/RheinMain erfolgt ergänzend auch im Maßstab 1: 50 000. Eine Aufstellung des Regionalplans im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main in räumlichen Teilen nach § 6 Abs. 5 ist nicht zulässig. (5) Für die Aufstellung des Regionalen Flächennutzungsplans im Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main sind ergänzend die Bestimmungen der §§ 2 bis 4 des Baugesetzbuchs anzuwenden. Für die Genehmigung des Plans ist § 8 maßgeblich. Eine Aufstellung flächennutzungsplanbezogener Darstellungen durch die oberste Landesplanungsbehörde nach § 8 Abs. 5 Satz 3 ist nicht zulässig. (6) Die für Raumordnung und Städtebau zuständige Ministerin oder der hierfür zuständige Minister wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Regelungen zu treffen über Aufstellungsverfahren, Form und Inhalt des Regionalen Flächennutzungsplans. (7) Bis zum In-Kraft-Treten des Regionalplans nach Abs. 1 gilt der Regionalplan Südhessen fort, Änderungen sind zulässig. § 7 Abs. 6 bleibt unberührt.

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Artikel 16 In-Kraft-Treten Art. 3, 4, 15 und 16 treten am Tage nach der Verkündung in Kraft. Art. 5 bis 14 treten am 1. April 2001 in Kraft."

II. Die Antragstellerin hat am 27.12.2001 kommunale Grundrechtsklage erhoben. 1. Sie ist der Ansicht, die kommunale Grundrechtsklage sei nach § 46 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof — StGHG — statthaft und rechtzeitig erhoben. 2. Prüfungsmaßstab sei Art. 137 HV. Aufgaben mit örtlichem Bezug dürften den Gemeinden nur entzogen werden, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Verwaltungsvereinfachung oder Zuständigkeitskonzentration schieden als Rechtfertigung aus. Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung könnten einen Aufgabenentzug nur in Fällen eines unverhältnismäßigen Kostenanstiegs rechtfertigen. 3. Die Antragstellerin sieht sich durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit in der Region Rhein-Main vom 19.12.2000 in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt. a) § 1 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (kurz: Ballungsraumgesetz — BallrG —) enthalte einen verfassungswidrigen Rechtsbefehl an die 75 Städte und Gemeinden und 6 Landkreise, sich zur gemeinsamen Wahrnehmung der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 BallrG genannten Aufgaben zusammenschließen. Mit dem durch das Wort „sollen" ausgedrückten Befehl werde in das Recht der Selbstverwaltung aller beteiligten Kommunen eingegriffen. Entgegen der Gesetzesbegründung und § 3 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über die Auflösung des Umlandverbandes — AuflG — handele es sich nicht um „die Bildung freiwilliger Zusammenschlüsse". Der Regelungen im Ballungsraumgesetz hätte es nicht bedurft, um die Chance eines freiwilligen Zusammenschlusses zu eröffnen. Dieses Recht habe schon nach dem Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit - KGG - bestanden. § 1 BallrG begründe vielmehr einen Zwang für die betroffenen Kommunen, auch wenn Abs. 2 Zusammenschlüsse für bestimmte Aufgabenfelder zulasse und ein Abweichen von den räumlichen Grenzen des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main erlaube. Für die Fälle des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 BallrG fehle es am „dringenden öffentlichen Interesse". Die Aufgaben würden weder unzureichend erfüllt noch LVerfGE 15

Kommunale Grundrechtsklage gegen Ballungsraumgesetz

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gelte es, Missstände zu beseitigen. Kostenentlastungen fur Kultureinrichtungen begründeten ebenfalls kein dringendes öffentliches Interesse. Das Ziel der Verwaltungsmodernisierung genüge ebenso wenig wie das einer zukunftsfähigen Entwicklung des Ballungsraums. b) § 3 Abs. 2 BallrG sei zu unbestimmt, weil nicht ersichtlich sei, ob Dritten ein Anspruch eingeräumt werde, sich an Zusammenschlüssen iSd § 1 Abs. 1 BallrG zu beteiligen. c) § 4 BallrG sei verfassungswidrig, weil kreisangehörige Gemeinden unter 50.000 Einwohnern keine eigenen Vertreter mit originärem Stimmrecht in den Rat entsenden könnten. d) Wenn der Rat der Region nach § 5 Nr. 1 BallrG verbindliche Fesdegungen treffen könne, verstoße das gegen das Raumordnungsgesetz — ROG —. Selbst wenn den Fesdegungen nur eine abwägungsrelevante Bedeutung zukomme, liege eine Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts vor. Dem Rat der Region fehle es an jeglicher demokratischer Legitimation. Es würden nicht alle Gemeinden des Ballungsraumes beteiligt. Ortliche Interessen durchzusetzen werde den Gemeinden mit weniger als 50 000 Einwohnern verwehrt. e) § 6 Abs. 1 S. 1 BallrG sei verfassungswidrig. Ein Pflichtverband dürfe nicht gebildet werden, wenn dafür lediglich Gründe der Zweckmäßigkeit sprächen. 4. Auch die Bestimmungen des Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit und Planung in der Region Rhein-Main vom 19.12.2000 verstießen gegen die Selbstverwaltungsgarantie. Die Verbandskammer sei zur Aufstellung eines Flächennutzungsplans nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main (kurz: Planungsverbandsgesetz — PlanvG —) nicht legitimiert. Die Stimmen der jeweiligen Vertreter in der Verbandskammer seien nicht gleichwertig. Verfassungsrechtlich unzulässig solle der Flächennutzungsplan im Zusammenwirken mit der Regionalversammlung Südhessen aufgestellt werden. Der Regionalversammlung werde damit ein Einfluss auf die Belange der Gemeinde zugestanden, der nicht zu rechtfertigen sei. Gemeinden unter 50 000 Einwohner seien in der Regionalversammlung nicht vertreten. Sie würden bei der Aufstellung des Regionalen Flächennutzungsplans rigoros ausgeschlossen. Darüber hinaus bestünden Zweifel daran, dass die Regionalversammlung eine regionale Planungsgemeinschaft iSv § 9 Abs. 6 ROG sei. Bedenklich sei ferner, dass der räumliche Kompetenzbereich der Regionalversammlung Südhessen nicht mit dem Gebiet des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main identisch sei. Vertreter von Gemeinden, die nicht im Ballungsraum lägen, könnten so über den

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Flächennut2ungsplan ballungsraumangehöriger G e m e i n d e n mitbestimmen, w ä h r e n d der Antragstellerin das verweigert werde. D e r Planungsverband sei auch nicht in der Lage, einen g e m e i n s a m e n Fläc h e n n u t z u n g s p l a n iSv § 4 des Baugesetzbuchs — B a u G B — aufzustellen. H i e r z u b e d ü r f e es zunächst der Feststellung, dass die örtlichen, privaten o d e r öffentlichen Belange aller Mitglieder des Planungsverbandes d u r c h die Bauleitplanung in einer anderen G e m e i n d e b e r ü h r t würden. Belange, die die Antragstellerin mit d e n G e m e i n d e n M ü n z e n b e r g , Niddatal oder Reichelsheim verbinde, seien nicht ersichtlich. A u c h die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 204 B a u G B seien f ü r die einzelnen G e m e i n d e n nicht dargelegt. D a m i t scheitere bereits hieran die A u f stellung eines Regionalen Flächennutzungsplanes, der nach § 9 Abs. 6 R O G auch d e n A n f o r d e r u n g e n des § 204 B a u G B entsprechen müsse. I m G e b i e t des Ballungsraums F r a n k f u r t / R h e i n - M a i n seien a u ß e r d e m keine städtebaulichen Mängel ersichtlich, die eine Übertragung der Flächennutzungsplanung auf einen Plan u n g s v e r b a n d z u m W o h l e der Allgemeinheit dringend g e b o t e n erscheinen lassen k ö n n t e n . E i n etwaiger Koordinations- u n d A b s t i m m u n g s b e d a r f k ö n n e auch d u r c h eine detailliertere Regionalplanung befriedigt werden. D e r Regionale Flächennutzungsplan stelle auch deswegen einen erheblichen Eingriff in die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie dar, weil er v o n der Landesregierung genehmigt w e r d e n müsse u n d die G e n e h m i g u n g nicht ausschließlich auf regionalplanerische Festsetzungen beschränkt sei. D a m i t k ö n n e die gemeindliche Planungshoheit vollständig ausgehöhlt werden. Schließlich blieben den G e m e i n d e n des Ballungsraumes durch die H o c h z o n u n g e n s o w o h l nach § 1 Abs. 1 BallrG wie auch § 2 Abs. 1 P l a n v G k a u m n o c h K o m p e t e n z e n , die es rechtfertigen k ö n n t e n , v o n einer Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises zu sprechen. 5. A u s diesen G r ü n d e n sei auch Art. 11 des Gesetzes zur Stärkung der k o m m u n a l e n Z u s a m m e n a r b e i t u n d P l a n u n g in der Region Rhein-Main v o m 19.12.2000, der korrespondierende Regelungen f ü r das Hessische Landesplanungsgesetz — H L P G — enthalte, verfassungswidrig. Mit Schriftsatz v o m 28.10.2003 rügt die Antragstellerin darüber hinaus d e n Zuschnitt des Ballungsraums gem. § 2 Abs. 1 BallrG. Erstmals in der m ü n d l i c h e n V e r h a n d l u n g f ü h r t sie ferner aus, d e m in § 7 S. 1 BallrG vorgesehenen Übergang v o n Einrichtungen auf einen Pflichtverband stünden v o m Gesetzgeber nicht b e achtete Hindernisse entgegen. D i e Antragstellerin beantragt, Art. 1 §§ 1 bis 7, Art. 2 §§ 1 bis 5 und § 11 sowie Art. 11 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit und Planung in der Region Rhein-Main (GVB1. 2000 I S. 542) wegen Verstoßes gegen Art. 137 der Verfassung des Landes Hessen für nichtig zu erklären.

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III. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen. 1. Er ist der Ansicht, die kommunale Grundrechtsklage sei unzulässig, soweit sie sich gegen § 6 BallrG richte. Die Antragstellerin sei nicht unmittelbar betroffen. Die noch zu erlassende Rechtsverordnung sei einschließlich ihrer Ermächtigungsgrundlage gerichtlich überprüfbar. 2. Im Übrigen sei die Grundrechtsklage unbegründet. Die Vorschriften des Ballungsraumgesetzes über kommunale Zusammenschlüsse seien verfassungsgemäß. a) § 1 Abs. 1 des BallrG greife nicht in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein. Ein Zwang zur Bildung kommunaler Zusammenschlüsse ergebe sich schon aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht. An vielen Stellen der Gesetzesbegründung werde die Freiwilligkeit der Zusammenschlüsse besonders herausgestellt. Auch in den parlamentarischen Gesetzesberatungen sei das Merkmal der Freiwilligkeit betont worden. § 3 Abs. 2 S. 1 AuflG stelle dies zusätzlich mit dem Hinweis auf die Freiwilligkeit der Zusammenschlüsse im Ballungsraum klar. Dem stehe nicht entgegen, dass § 1 Abs. 1 BallrG eine Sollvorschrift enthalte. Das „Soll" begründe hier keine Rechtspflicht, sondern beschreibe eine Zielvorstellung und Wertentscheidung des Gesetzgebers. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 6 BallrG, der unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eines Zwangszusammenschlusses vorsehe. b) Die Abgrenzung des Ballungsraumes durch § 2 Abs. 1 BallrG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da § 1 Abs. 1 BallrG keine Pflicht zu einem Zusammenschluss begründe. Insbesondere sei es nicht sachfremd, den auf die planungsverbandliche Aufgabenwahrnehmung zugeschnittenen Ballungsraum zugrunde zu legen. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass drei Landkreise nur mit einem Teil ihres Gebietes im Ballungsraum lägen. Die Landkreise könnten selbst darüber befinden, ob sie einem Zusammenschluss mit einem Teil ihres Gebiets, mit ihrem Gesamtgebiet oder überhaupt nicht beitreten. c) § 3 Abs. 2 BallrG räume Dritten keinen Beteiligungsanspruch ein. Allein die kommunalen Gebietskörperschaften des Ballungsraumes befänden über die Zusammenschlüsse und deren Zusammensetzung. 3. Die kommunale Grundrechtsklage gegen § 6 BallrG und § 7 BallrG sei jedenfalls unbegründet. 4. §§ 4, 5 BallrG seien ebenfalls mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar. LVerfGE 15

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a) Dem Rat der Region stünden keinerlei „exekutivische Entscheidungsbefugnisse" gegenüber Dritten zu. Die von ihm aufgestellten Grundsätze hätten keine Verbindlichkeit. b) Der Rat sei auch ausreichend demokratisch legitimiert. Eine mittelbare demokratische Legitimation genüge. Verfassungsrechtlich sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber überwiegend die kommunalen Gebietskörperschaften des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main in den Rat der Region aufgenommen habe, welche ein erhöhtes politisches Gewicht aufwiesen. Soweit die Entscheidungen des Rates sich auch auf kleinere Gemeinden auswirkten, seien diese im Rahmen einer Anhörung zu beteiligen. Das ergebe sich unmittelbar aus Art. 137 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 HV. 5. Die Hochzonung der Flächennutzungsplanung auf den Planungsverband durch § 2 Abs. 1 Nr. 1 PlanvG und die Abgrenzung des Verbandsgebietes in § 1 Abs. 1 PlanvG iVm § 2 Abs. 1 BallrG seien ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Entscheidung des Gesetzgebers unterliege nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lediglich einer Vertretbarkeitsprüfung. Der Gesetzgeber habe sich im Rahmen seiner Entscheidungsprärogative gehalten. a) Der Gesetzgeber habe von der Ermächtigung des § 205 Abs. 6 BauGB Gebrauch gemacht. Das nach Art. 137 Abs. 1 HV erforderliche dringende öffentliche Interesse liege vor. Dem erhöhten Koordinations- und Abstimmungsbedarf im Verbandsgebiet sowie den daraus resultierenden besonderen Herausforderungen für die organisatorische Ausgestaltung der Raumplanung werde damit Rechnung getragen. Der Gesetzgeber habe namentlich auf die weitreichenden überörtlichen Bezüge reagiert, die einzelgemeindliche Flächennutzungspläne in dem von Verdichtungs-, Stadt- und Umlandproblemen geprägten Gebiet aufwiesen. Ihm gehe es hierbei nicht nur um eine rein technische Verwaltungsvereinfachung oder Zuständigkeitskonzentration, auch nicht um bloße Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, sondern um eine konzeptionell einheitliche Flächennutzungsplanung, von der er sich eine wirksamere Bewältigung der bestehenden raumstrukturellen Probleme verspreche. Dieser Annahme lägen Daten zum Industrialisierungs- und Verdichtungsprozess, zur Bevölkerungsentwicklung, zur Erwerbstätigkeit, zu Sozialhilfeausgaben und zur Bruttowertschöpfung zugrunde. Das dieser Entscheidung zugrunde liegende Ziel lasse sich auch nicht mit gleicher Wirksamkeit bei geringerer Beeinträchtigung der gemeindlichen Selbstverwaltung, etwa durch eine detaillierte Regionalplanung, erreichen. Eine detailliertere Regionalplanung für den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main wäre mit der Konzeption einer gestrafften und entfeinerten Regionalplanung nur schwer zu vereinbaren gewesen. Eine Reduzierung der staatlichen Rahmenvorgaben durch Regionalpläne eröffne Spielräume für eine kooperative kommunale Bauleitplanung. Weil alle Gemeinden Mitglieder im Planungsverband seien, hätten sie mehr Einfluss auf die Planungsinhalte als bei der Regionalplanung. LVerfGE 15

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Soweit die Einwohnerstärke der Gemeinden bei der Bemessung der jeweiligen Stimmenzahl in der Verbandskammer zugrunde gelegt werde, sei das sachgerecht. b) Der Gesetzgeber habe bei der Abgrenzung des Ballungsraumes die Stadt Frankfurt am Main als „Kernbereich" betrachtet und sich am Verdichtungsraum und sonstigen raumstrukturellen Verflechtungen orientiert. Die Gebietsabgrenzung verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Oberzentren Wiesbaden und Darmstadt seien zu Recht nicht in den Planungsverband einbezogen worden, da sie ungeachtet ihrer raumstrukturellen Beziehungen zum Raum Frankfurt am Main einen eigenen Verflechtungsbereich aufwiesen, der weiterentwickelt werden solle. Die Stadt Hanau habe zwar ebenfalls einen eigenen Verflechtungsbereich, doch dürfe insoweit nicht übersehen werden, dass der Raum Hanau ein anderes strukturpolitisches Gewicht besitze. In den Ballungsraum seien im Rahmen einer Gesamtabwägung die Gemeinden einbezogen worden, die vorrangig mit der Kernstadt Frankfurt verbunden seien, sowie die Gemeinden des Ordnungsraums, deren Berufspendleranteil nach Frankfurt mindestens ca. 15% betrage und deren zentralörtlicher Verflechtungsbereich innerhalb des Ballungsraumes liege. 6. § 13 HLPG und § 2 Abs. 1 Nr. 1 PlanvG verletzten die Antragstellerin nicht in ihrem Selbstverwaltungsrecht und seien mit Bundesrecht vereinbar. a) Das Land besitze nach § 9 Abs. 6 ROG die Gesetzgebungskompetenz, einen Regionalen Flächennutzungsplan zu ermöglichen. Die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einfachem Bundesrecht sei dabei nicht zu prüfen. § 46 StGHG begrenze den Prüfungsmaßstab des Staatsgerichtshofs auf das Recht der Selbstverwaltung und damit auf wenige landesverfassungsrechtliche Normen. Wenn nicht einmal alle Normen der Landesverfassung zum Prüfungsmaßstab gehörten, könne nicht angenommen werden, dass dieser das einfachgesetzliche Recht des Bundes umfasse. b) Dessen ungeachtet liege kein Verstoß gegen einfach-gesetzliches Bundesrecht vor. Als „Rahmenvorschrift mit Experimentiercharakter" gewähre § 9 Abs. 6 ROG dem Landesgesetzgeber einen ausgedehnten organisatorischen Spielraum. Dieser werde eingehalten. IV. Die Landesanwaltschaft beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Die kommunale Grundrechtsklage sei teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.

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1. Soweit sich die kommunale Grundrechtsklage gegen § 6 BallrG richte, sei sie unzulässig, da die Antragstellerin in ihrem Selbstverwaltungsrecht nicht unmittelbar betroffen werde. 2. §§ 1, 3 BallrG seien verfassungsgemäß. Aus ihnen ergebe sich nur ein eindringlicher Appell an die Adressaten zu freiwilligen Zusammenschlüssen. Unter diesen Umständen könne dem Gesetzgeber mangelnde Bestimmtheit der Vorschriften nicht vorgeworfen werden. 3. § 5 Nr. 1 BallrG fehle jegliche Verbindlichkeit. Der Rat der Region habe eine moderierende Stellung. Die Schwelle eines Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden werde damit nicht erreicht. 4. Der Entzug der Flächennutzungsplanung stelle zwar einen massiven Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht dar. Der Gesetzgeber habe aber eine nicht zu beanstandende Abwägungsentscheidung getroffen. 5. Die bundesgesetzlichen Kompetenzvorschriften gehörten nicht zum Prüfungsmaßstab des Staatsgerichtshofs bei der kommunalen Grundrechtsklage. Allerdings seien vom Staatsgerichtshof offensichtliche oder schwerwiegende Kompetenzverstöße des Landesgesetzgebers zu beachten. Solche Kompetenzverstöße ließen sich hier jedoch nicht feststellen. V. Der Staatsgerichtshof hat zu den tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit und Planung in der Region Rhein-Main Stellungnahmen eingeholt. Auf den Inhalt der Äußerungen der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main für den Rat der Region vom 12.5.2003, des Planungsverbandes Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main vom 15.5.2003, des Regierungspräsidiums Darmstadt für die Regionalversammlung Südhessen vom 25.8.2003, des Hessischen Landkreistages vom 27.5.2003, des Hessischen Städtetages vom 30.5.2003 und des Hessischen Städte- und Gemeindebundes vom 3.6.2003 wird Bezug genommen. Β I. Die kommunale Grundrechtsklage der Antragstellerin ist nur zum Teil zulässig. Nach §§ 46, 19 Abs. 2 Nr. 10 StGHG können Gemeinden und Gemeindeverbände eine Grundrechtsklage mit der Behauptung erheben, dass Landesrecht die Vorschriften der Hessischen Verfassung über das Recht der Selbstverwaltung verletzt (Art. 137 HV). LVerfGE 15

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Die Einfuhrung der kommunalen Grundrechtsklage durch das Gesetz vom 30.11.1994 (GVB1. I S. 684) ist mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar. § 46 und § 19 Abs. 2 Nr. 10 StGHG beruhen auf der Ermächtigung aus Art. 131 Abs. 1 HV. Danach entscheidet der Staatsgerichtshof über die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, die Verletzung der Grundrechte, bei Anfechtung des Ergebnisses einer Volksabstimmung sowie in den in der Verfassung und den Gesetzen vorgesehenen Fällen. Art. 131 Abs. 1 HV überlässt es dem einfachen Landesgesetz zu bestimmen, in welchen nicht in der Verfassung selbst genannten weiteren Fällen der Staatsgerichtshof zur Entscheidung berufen sein soll (vgl. schon StGH, Urt. v. 3.7.1968 - P.St. 486 - , StAnz. 1968, 1180, 1182). Der Gesetzgeber darf jedenfalls solche neuen Zuständigkeiten für den Staatsgerichtshof begründen, die der Verteidigung von Rechtsgarantien der Hessischen Verfassung dienen. Die kommunale Grundrechtsklage dient der Durchsetzung des Verfassungsrechtes nach Art. 137 HV, der den Gemeinden und Gemeindeverbänden die kommunale Selbstverwaltung garantiert. Der Landesgesetzgeber durfte deshalb von der Ermächtigung des Art. 131 Abs. 1 HV Gebrauch machen und die kommunale Grundrechtsklage mit § 46 StGHG einführen (zustimmend Günther Verfassungsgerichtsbarkeit in Hessen, 2004, § 19 Rn. 43, § 46 Rn. 2 und 28; v. Ze^schwit^m:. Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 137 Anm. X L , S. 116 f, Anm. X 3. c), S. 125, Stand: 1999; ohne nähere Begründung wird die kommunale Grundrechtsklage vorausgesetzt von Hecker Staats- und Verfassungsrecht, 2002, Rn. 467; Hinke/ Die Verfassung des Landes Hessen, 1998, Art. 131133, Anm. 5; Schmidt Verfassungsrecht, in: Meyer/Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, 5. Aufl. 2000, S. 35, 65; Schmidt-De Caluwe Die kommunale Grundrechtsklage in Hessen, 1996, S. 16 ff). Die Bezeichnung „Grundrechtsklage" meint dabei keine Klage von Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Verteidigung von in der Verfassung gewährten Grundrechten, sondern bezeichnet ein Verfahren eigener Art, das lediglich in wesentlichen Verfahrensfragen auf die Grundrechtsklage zurückgreift. Art. 131 Abs. 1 HV überlässt dem Gesetzgeber die Bestimmung darüber, in welchen weiteren Fällen der Staatsgerichtshof zu entscheiden hat. Das Antragsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände für die kommunale Grundrechtsklage konnte daher in § 19 Abs. 2 Nr. 10 StGHG aufgenommen werden. Art. 131 Abs. 2 HV, der die Antragsberechtigten im Einzelnen auflistet, steht dem nicht entgegen. Antragsberechtigt sind danach: eine Gruppe von Stimmberechtigten, die mindestens ein Hundertstel aller Stimmberechtigten des Volkes umfasst, der Landtag, ein Zehntel der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder, die Landesregierung sowie der Ministerpräsident. Die Gemeinden und Gemeindeverbände werden nicht ausdrücklich erwähnt. Der Kreis der Antragsberechtigten sollte damit jedoch nicht abschließend bestimmt werden, obwohl sich die Aufzählung auf die Verfahrensarten des Art. 131 Abs. 1 HV bezieht. Das zeigt Abs. 3, aus dem sich ergibt, in welchen LVerfGE 15

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Fällen und unter welchen Vorausset2ungen jedermann das Recht hat, den Staatsgerichtshof an2urufen. Insoweit liegt nur eine Ergänzung zu Art. 131 Abs. 2 HV vor, weil dort die Antragsberechtigung für jedermann nicht aufgenommen ist. In weiteren von der Hessischen Verfassung genannten Fällen — etwa Art. 17, 127 Abs. 4, 147 Abs. 2 HV - sollen Anträge andere als die in Art. 131 Abs. 2 HV Genannten stellen können. Die Ermächtigung des Gesetzgebers in Art. 131 Abs. 1 letzte Alt. HV erstreckt sich somit auch auf den Kreis derer, die antragsberechtigt sein sollen. Das gilt zumindest insoweit, als im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung eine Verfahrensart neu geschaffen wird, die in der Verfassung bisher nicht ausdrücklich vorgesehen war. Das ist mit der Einführung der Grundrechtsklage für Gemeinden aber geschehen. Der Landesgesetzgeber konnte deshalb auch durch einfaches Gesetz Gemeinden und Gemeindeverbände als weitere Antragsberechtigte für diesen neu geschaffenen Zugang zum Staatsgerichtshof zulassen (vgl. StGH, Urt. v. 26.7.1978 - P.St. 789 - , StAnz. 1978, 1683, 1687; Barwinski in: Zinn/Stein, aaO, Art. 131-133 Anm. Β III 5.a), S. 20). II. Die kommunale Grundrechtsklage der Antragstellerin ist aber aus anderen Gründen teilweise unzulässig. 1. Die kommunale Grundrechtsklage ist grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie die allgemeine Grundrechtsklage. Das ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang. Beide Klagearten finden sich unter Ziffer 5 des zweiten Abschnitts des zweiten Teils des Gesetzes über den Staatsgerichtshof. Soweit die Bestimmungen für eine kommunale Grundrechtsklage nicht gelten sollen, hat der Gesetzgeber das ausdrücklich geregelt. So wird etwa nach § 43 Abs. 1 S. 3 StGHG die kommunale Grundrechtsklage nicht unzulässig, wenn in derselben Sache Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird. Das unterscheidet sie von der jedermann zustehenden allgemeinen Grundrechtsklage nach Art. 131 Abs. 1 und 3 HV, § 43 Abs. 1 S. 1 StGHG. Gemeinden und Gemeindeverbände können nach § 46 StGHG eine Grundrechtsklage mit der Behauptung erheben, Landesrecht verletze die Vorschriften der Verfassung des Landes Hessen über ihr Recht der Selbstverwaltung gem. Art. 137 HV. Entsprechend § 43 Abs. 2 StGHG müssen Antragsteller dazu diejenigen Tatsachen angeben, aus denen sich plausibel die Möglichkeit einer Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts ergeben soll. Nach § 45 Abs. 2 StGHG müssen die Antragsteller diesem Darlegungserfordernis binnen Jahresfrist genügen und innerhalb dieser Frist geltend machen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein (Günther aaO, § 45 Rn. 29; vgl. zur Grundrechtsklage gegen eine gerichtliche Entscheidung und zur Frist des § 45 Abs. 1 StGHG: StGH, LVerfGE 15

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Beschl. v. 15.8.2002 - P.St. 1619 - , StAnz. 2002, 3735, 3736). Insoweit gilt für sie nichts anderes als für jeden Grundrechtskläger (vgl. StGH, Beschl. v. 8.10.1997 P.St. 1276 - , StAnz. 1997, 3336, 3337). Die angegriffene Norm muss unmittelbar in ihr Selbstverwaltungsrecht eingreifen, ohne dass ein weiterer anfechtbarer Umsetzungsakt notwendig wird. Den Gemeinden ist es verwehrt, verfassungsgerichtlich gegen ein Gesetz vorzugehen, das noch der Konkretisierung etwa durch eine Rechtsverordnung bedarf, um vollziehbar zu sein. In einem solchen Fall muss der Erlass der Rechtsverordnung abgewartet werden (vgl. BVerfGE 76, 107, 112 f; VerfGH NRW, DVB1. 2003, 394, 395; Günther aaO, § 46 Rn. 14 a.E.; Schmidt-De Caluwe aaO, S. 34; / lecker aaO, Rn. 470). 2. Zum Teil fehlt es der Antragstellerin an der unmittelbaren Betroffenheit, zum Teil hat sie die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts nicht plausibel dargelegt. a) Soweit sich die kommunale Grundrechtsklage gegen § 6 Abs. 1 BallrG richtet, ist die Antragstellerin nicht unmittelbar betroffen. Zur Umsetzung dieser Vorschrift bedarf es einer Rechtsverordnung. Auch eine solche Rechtsverordnung wäre nicht sogleich mit der kommunalen Grundrechtsklage angreifbar. aa) Die Antragstellerin ist durch die in § 6 BallrG enthaltene Regelung über die Bildung eines Pflichtverbandes zur Erfüllung näher benannter Aufgaben im Gebiet des Ballungsraums nicht unmittelbar betroffen, da der Zusammenschluss zu einem Pflichtverband nach § 6 Abs. 1 S. 4 BallrG erst durch eine Rechtsverordnung der Landesregierung erfolgt. Erst diese Rechtsverordnung könnte unmittelbar in das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin eingreifen. § 6 BallrG entfaltet diese Wirkung nicht. bb) Gegen eine aufgrund von § 6 Abs. 1 S. 4 BallrG erlassene Rechtsverordnung wäre dennoch eine sogleich erhobene kommunale Grundrechtsklage unzulässig. Wegen ihrer Subsidiarität müsste die Rechtsverordnung zunächst im Normenkontrollverfahren vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof angegriffen werden (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 15 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung; vgl. näher StGH, Beschl. v. 9.8.2000 — P.St. 1551 - , StAnz. 2000, 2920, 2921; Günther aaO, § 46 Rn. 19-21). Das Erfordernis einer vorherigen Anrufung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs führt nicht dazu, dass die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG für eine kommunale Grundrechtsklage gegen die Rechtsverordnung versäumt würde. Die Jahresfrist für eine Grundrechtsklage gegen eine Rechtsverordnung beginnt mit Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens, soweit dieses Verfahren selbst innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten der angegriffenen Rechtsverordnung eingeleitet worden ist (StGH, Beschl. v. 1.2.1995 - P.St. 1192 , StAnz. 1995, 1060, 1062, unter Hinweis auf BVerfGE 76, 107, 115 f; StGH,

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Beschl. v. 9.8.2000 - P.St. 1551 Rn. 25).

StAnz. 2000, 2920, 2921; Günther aaO, § 4 6

b) Soweit die Antragstellerin beantragt, §§ 1 Abs. 2; 2; 3 Abs. 1; § 7 BallrG, §§ 1; 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2; 3, 4, 11 PlanvG aufzuheben, hat sie jedenfalls nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist im notwendigen Umfang begründet, weshalb sie sich in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt sieht. Insoweit ist lediglich pauschal eine Rechtsverletzung behauptet worden. Eine Darlegung kann nicht durch den Hinweis auf ein dem Gericht in einem anderen Verfahren vorgelegtes Rechtsgutachten ersetzt werden. Nach dem Ablauf der Jahresfrist kann eine Begründung nur noch ergänzt und erläutert, nicht aber vollständig nachgeholt werden (vgl. zu § 45 Abs. 1 StGHG: StGH, Beschl. v. 9.6.1999 - P.St. 1299 - , StAnz. 1999, 2380, 2382 f; zu § 45 Abs. 2 StGHG: Günther aaO, § 45 Rn. 29). C Danach ist die kommunale Grundrechtsklage zum Teil zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die zulässigerweise angegriffenen Vorschriften des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit und Planung in der Region Rhein-Main sind mit Art. 137 HV vereinbar. I. §§ 1 Abs. 1; 3 Abs. 2; 4 und 5 BallrG verletzen die Antragstellerin nicht in ihrem Selbstverwaltungsrecht. 1. Nach Art. 137 Abs. 1 HV sind die Gemeinden in ihrem Gebiet unter eigener Verantwortung die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Verwaltung. Sie können jede öffentliche Aufgabe übernehmen, soweit sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen ist. Das so umschriebene Recht der Selbstverwaltung wird den Gemeinden in Art. 137 Abs. 3 S. 1 HV im Sinne einer institutionellen Garantie ausdrücklich gewährleistet. Die Selbstverwaltungsgarantie sichert den Gemeinden die Allzuständigkeit für die Wahrnehmung aller öffentlichen Angelegenheiten in ihrem Gemeindegebiet sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Gemeindeverbände haben nach Art. 137 Abs. 2 HV im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten die gleiche Stellung. In diesem Rahmen gewährleistet ihnen der Staat nach Art. 137 Abs. 3 Satz 1 HV das Recht der Selbstverwaltung. Auch die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie gilt indessen nicht unbeschränkt. Sie unterliegt nach Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV vielmehr einem Gesetzesvorbehalt (vgl. StGH, Beschl. v. 11.4.1973 - P.St. 697 - , ESVGH 23, 147, 152; Beschl. v. 11.2.1987 - P.St. 1036 - , StAnz. 1987, 562, 580 - Förderstufe - ) . Danach erfüllen die Gemeinden jegliche öffentliche Aufgabe, soweit sie nicht durch LVerfGE 15

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ausdrückliche gesetzliche Vorschrift anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen ist. Mithin darf eine Aufgabeneinschränkung nur im dringenden öffentlichen Interesse erfolgen. Auch die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung durch den Staat nach Art. 137 Abs. 3 HV gilt nicht unbeschränkt (vgl. StGH, Urt. v. 30.4.1986 P.St. 1023 - , StAnz. 1986, 1089, 1099 - Hess. Personalvertretungsgesetz Urt. v. 11.2.1987 - P.St. 1036 StAnz. 1987, 562, 579 f, 581). Art. 137 Abs. 3 HV enthält einen Gesetzesvorbehalt. Nach dieser Norm übt der Staat die Aufsicht darüber aus, dass die Verwaltung „im Einklang mit den Gesetzen" geführt wird. Daraus folgt, dass die Selbstverwaltung durch staatliches Gesetz reguliert werden kann {Meyer Kommunalrecht, in: Meyer/ Stolleis (Hrsg.), aaO, S. 169, 184; ihm folgend Hecker aaO, Rn. 397, 405). Gesetzliche Eingriffe in das durch Art. 137 Abs. 1 und 3 HV geschützte Recht der Selbstverwaltung unterliegen verfassungsrechtlichen Grenzen. Diese sind aber nicht schon mit den beanstandeten Regelungen des Ballungsraumgesetzes überschritten. Der Gesetzgeber hat zu berücksichtigen, dass Art. 137 Abs. 1 HV hinsichtlich der öffentlichen örtlichen Angelegenheiten ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden enthält. Von diesem darf er nur im dringenden öffentlichen Interesse abweichen. Gesetzliche Vorgaben nach Art. 137 Abs. 3 HV sind auf das zu beschränken, was der Gesetzgeber zur Wahrung der jeweiligen Gemeinwohlbelange für geboten halten darf. Ihm steht dabei ein Einschätzungs- und ΒeurteilungsSpielraum zu. Die gesetzgeberische Entscheidung muss eine vertretbare Ausfüllung des Rahmens darstellen, den Art. 137 HV in den Abs. 1 und 3 vorgibt. Das ist hier der Fall. 2. §§ 1 Abs. 1; 3 Abs. 2; 4 und 5 BallrG berühren nur zum Teil die eigenverantwortliche Wahrnehmung von öffentlichen örtlichen Angelegenheiten. a) § 1 Abs. 1 BallrG greift nicht in das Selbstverwaltungsrecht nach Art. 137 HV ein. Die Vorschrift schafft keine rechtlichen Verpflichtungen der Gemeinden, sondern enthält nur eine Zielvorgabe mit Appellcharakter. Nach § 1 Abs. 1 BallrG sollen Städte, Gemeinden und Landkreise des Ballungsraums Frankfurt/RheinMain zur Förderung und Sicherung einer geordneten Entwicklung und der kommunalen Zusammenarbeit zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben Zusammenschlüsse bilden. Die Verwendung des rechtlichen Begriffs „sollen" begründet aber nicht schon ohne weiteres eine Rechtspflicht. Vielmehr kommt es für die Bedeutung der Vorschrift entscheidend auf den sachlichen Zusammenhang an, in dem sie zu weiteren Vorschriften des Gesetzes steht. Das Wort „sollen" drückt in Rechtsvorschriften zwar eine Rechtspflicht aus, die für den Regelfall gelten soll. Lediglich in atypischen Fällen besteht sie nicht (vgl. etwa BVerwGE 90, 88, 93; Maurer Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 7 Rn. 11). Aus dem Zusammenhang kann sich aber auch ergeben, dass

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keine Rechtspflicht, sondern lediglich eine Obliegenheit oder eine Last gewollt ist. Dann wird kein bestimmtes Verhalten aufgegeben. Aus der Zusammenschau der Regelungen des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit und Planung in der Region Rhein-Main und seiner Entstehungsgeschichte folgt, dass § 1 Abs. 1 BallrG nur eine Zielvorgabe mit Appellcharakter enthält. Nach § 1 Abs. 2 BallrG können Zusammenschlüsse auf einzelne Aufgabenbereiche beschränkt werden. Sie können im Einzelfall von den räumlichen Grenzen des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main (nach § 2 Abs. 1) abweichen. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sollen danach selbst die Initiative zu Zusammenschlüssen ergreifen. Das Gesetz überlässt ihnen, zu welchen Aufgaben und in welchem Gebiet sie sich zusammenschließen wollen. § 3 BallrG weist den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Eigenverantwortung bei der organisatorischen Ausgestaltung zu und eröffnet einen weiten Raum, wie Zusammenschlüsse organisiert werden können. Das spricht ebenfalls dafür, dass eine Rechtspflicht in § 1 BallrG nicht gemeint sein kann. Auch eine systematische Zusammenschau von § 1 BallrG mit § 6 BallrG belegt, dass die in § 1 BallrG beschriebene Aufforderung zu Zusammenschlüssen — noch — keinen Verpflichtungscharakter hat. § 6 Abs. 1 S. 1 BallrG sieht zwar unter bestimmten Voraussetzungen einen kommunalen Pflichtverband vor. Die Landesregierung kann als ersten Schritt hierzu die Erfüllung von Aufgaben durch einen Zusammenschluss unter den genannten Voraussetzungen für dringlich erklären, wenn dies aus Gründen des öffentlichen Wohls dringend geboten ist und die Erfüllung der Aufgaben ohne den Zusammenschluss nicht wirksam oder zweckmäßig erfolgen kann. Hier wird konkretisiert, was der Gesetzgeber von Kommunen und Landkreisen fordert. Erst in einem weiteren Schritt aber kann dann nach § 6 Abs. 1 S. 4 BallrG aufgrund einer Rechtsverordnung der Zusammenschluss zu einem Pflichtverband erfolgen. Besondere Bedeutung kommt schließlich dem Umstand zu, dass der Gesetzgeber selbst die in § 1 Abs. 1 BallrG vorgesehenen Verbindungen in § 3 Abs. 2 S. 1 AuflG als „freiwillige Zusammenschlüsse" bezeichnet. Der Freiwilligkeit steht nicht entgegen, dass nach dem Gesetzeswordaut die Städte, Gemeinden und Landkreise im Ballungsraum bis zum 31.12.2002 „sicher stellen" sollten, dass im Gesetz genannte Aufgaben durch freiwillige Zusammenschlüsse wahrgenommen werden. Ein mit der Formulierung „stellen sicher" verbundener etwaiger Zwang betrifft allein die Übergangsvorschrift des § 3 Abs. 2 S. 1 AuflG, nicht aber § 1 BallrG. Die Freiwilligkeit der Aufgabenwahrnehmung lag verschiedenen Redebeiträgen in den parlamentarischen Gesetzesberatungen zugrunde (vgl. die Beiträge des Abgeordneten Haselbach, LT-Sten.Ber. 15/47. Sitzung, S. 3099, 15/59. Sitzung, S. 4027, und des Abgeordneten Denzin, LT-Sten.Ber. 15/57. Sitzung, S. 3923). Die Gesetzesbegründung ging ebenfalls davon aus, § 1 BallrG enthalte keine LVerfGE 15

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zwingende Verpflichtung, Zusammenschlüsse zu bilden. Dies wird besonders deutlich an dem einleitenden Satz der Einzelbegründung zu § 1 BallrG. Dort heißt es: „Abs. 1 sieht für den Ballungsraum Frankfurt am Main die Bildung freiwilliger Zusammenschlüsse der Städte, Gemeinden und Landkreise vor" (LT-Drs. 15/1491, S. 25). Eine andere Beurteilung ist nicht geboten, weil nach der weiteren Begründung „... zur Förderung und Sicherstellung einer geordneten Entwicklung ... die genannten Aufgabenbereiche in Zukunft von den Gebietskörperschaften gemeinsam wahrzunehmen sind ...". Eine Verpflichtung, Zusammenschlüsse zu bilden, kann daraus nicht abgeleitet werden, wie sich aus dem weiteren Text ergibt. Dort ist von „freiwilligen Zusammenschlüssen nach § 1 Abs. 1" die Rede (LT-Drs. 15/1491, S. 29). Zudem wird auf die „beabsichtigte Förderung der freiwilligen interkommunalen Zusammenarbeit" verwiesen (LT-Drs. 15/1491, S. 23). Überdies heißt es, dass der Gesetzgeber das „Prinzip der freiwilligen Lösungen" in den Vordergrund stelle. Er belasse den Städten, Gemeinden und Landkreisen die „Möglichkeit der freiwilligen interkommunalen Selbstorganisation", weil er davon ausgehe, dass sich „auf freiwilliger Basis" die erforderlichen vernetzten Strukturen ergeben (LT-Drs. 15/1491, S. 17). Erst wenn „freiwillige Lösungen" versagten bzw. die „erstrebenswerten freiwilligen Kooperationen" ausblieben, kämen verpflichtende Maßnahmen in Betracht. In diesem Fall könne die Landesregierung unter strengen Voraussetzungen Pflichtverbände gründen (LT-Drs. 15/1491, S. 17, 23). Gegen die Annahme einer Verpflichtung, Zusammenschlüsse zu bilden, spricht schließlich auch, dass der Gesetzgeber bewusst keinerlei Vorgaben für die Organisationsform und den Organisationsumfang der als erstrebenswert angesehenen Zusammenschlüsse der Städte, Gemeinden und Landkreise im Ballungsraum macht. Diese regeln nach § 3 Abs. 1 BallrG die Organisationsform in eigener Verantwortung. Welche Körperschaften sich zusammenschließen, bleibt ihnen überlassen. Die zur Verfügung stehenden öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Formen können entweder rechtlich selbstständig oder rechtlich unselbstständig ausgestaltet sein (LT-Drs. 15/1491, S. 26). Den Gebietskörperschaften sollte mit freiwilligen Zusammenschlüssen die „flexible Wahrnehmung" (LT-Drs. 15/1491, S. 25) verschiedener Aufgabenbereiche ermöglicht werden. Auch deshalb sieht § 1 Abs. 2 HS 1 BallrG vor, dass Zusammenschlüsse auf einzelne Bereiche der in Abs. 1 aufgezählten Aufgaben beschränkt werden können und nach § 1 Abs. 2 HS 2 BallrG im Einzelfall von den räumlichen Grenzen des Ballungsraums abgewichen werden kann. b) § 3 Abs. 2 BallrG greift ebenfalls nicht in das Selbstverwaltungsrecht ein. Danach können sich an Zusammenschlüssen das Land Hessen, andere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie natürliche und juristische Personen des Privatrechts unter näher beschriebenen Voraussetzungen beteiligen. Daraus folgt kein Beteiligungsanspruch Dritter, wie ihn die Antragstellerin im Lichte des Aft. 137 HV als bedenklich, angesehen, hat. Aus § 3 Abs. 1 LVerfGE 15

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BallrG folgt die umfassende Eigenverantwortung von Städten, Gemeinden und Landkreisen des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main für ihre Zusammenschlüsse. Diese Eigenverantwortung wird nicht durch § 3 Abs. 2 BallrG eingeschränkt. Ein anderes Verständnis des § 3 Abs. 2 BallrG widerspräche § 1 BallrG, der allein den Städten, Gemeinden und Landkreisen auferlegt, Zusammenschlüsse nach ihren Vorstellungen zu bilden. Billigte das Gesetz Dritten einen Beitrittsanspruch zu, würde insoweit ihre Organisationshoheit wieder eingeschränkt. Dafür bieten aber weder der Gesetzeswortlaut noch sein Regelungszweck noch die Gesetzesbegründung einen Anhalt. Vielmehr soll § 3 Abs. 2 BallrG den Gemeinden und Landkreisen die zusätzliche Möglichkeit eröffnen, ihre Zusammenschlüsse im Interesse effektiver Aufgabenerfüllung um Dritte zu erweitern. Da diese Normen somit keinen Eingriffscharakter haben, kommt es auf die gerügte mangelnde Bestimmtheit nicht an. c) Die Vorschriften über den Rat der Region in §§ 4, 5 BallrG sind mit dem Selbstverwaltungsrecht vereinbar. § 5 BallrG wirkt lediglich auf den gemeindlichen Abwägungsprozess ein, soweit der Rat der Region Grundsätze aufstellt. aa) § 5 BallrG greift nicht unzulässig in das Selbstverwaltungsrecht ein. Die Vorschrift enthält eine Zusammenstellung der Aufgaben des Rats der Region. Keine dieser Aufgaben verleiht dem Rat Eingriffsbefugnisse gegenüber Städten, Gemeinden und Kreisen im Gebiet des Ballungsraums. Die Aufgaben des Rats der Region nach § 5 Nr. 1 bis 5 BallrG ermächtigen ihn nicht zu hoheitlichen Eingriffen in Rechte Dritter. Eine solche Befugnis hat der Gesetzgeber auch nicht gewollt. Die Gesetzesbegründung weist wiederholt darauf hin, dass dem Rat der Region „keine exekutiven Entscheidungsbefugnisse" zustünden (LT-Drs. 15/1491, S. 18, 23). Er erhalte nur eine Leitlinienkompetenz und Moderatorenfunktion und solle die Kommunen in ihrem eigenverantwortlichen Handeln unterstützen (LT-Drs. 15/1491, S. 23). Die Grundsätze, die vom Rat der Region nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BallrG zur Durchführung gemeinsamer Aufgaben aufgestellt werden, sind allerdings von den Städten, Gemeinden und Landkreisen im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigen. Damit werden die Städte, Gemeinden und Landkreise in ihrem Selbstverwaltungsrecht, ihrer Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte, zwar betroffen. Eine solche Einwirkung verletzt das Selbstverwaltungsrecht aber nicht. Der Rat der Region hat lediglich Grundsätze aufzustellen und keine ins Einzelne gehenden Regelungen zu treffen. Im Rahmen einer Abwägungs- und Ermessensentscheidung können Städte, Gemeinden und Landkreise von den aufgestellten Grundsätzen ohne weiteres abweichen, wenn andere gewichtigere Belange vorliegen. Solche gewichtigen Belange können auch örtliche sein, denen die betroffenen Städte und Gemeinden nach Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte den Vorrang einräumen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Einwirkung in das SelbstverwalLVerfGE 15

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tungsrecht durch das Anliegen des Gesetzgebers gerechtfertigt, die kommunale Zusammenarbeit im Ballungsraum zu stärken sowie dessen geordnete Entwicklung zu fördern und zu sichern. Darüber hinaus hat der Rat der Region im Rahmen des § 6 Abs. 2 S. 2 BallrG ein Widerspruchsrecht gegen die Beurteilung der Landesregierung in einer Dringlichkeitserklärung, mit der sie die Bildung eines Pflichtverbandes vorbereitet. Macht der Rat der Region von diesem Recht Gebrauch, so darf die Landesregierung nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Widerspruch über die Bildung eines Pflichtverbandes entscheiden. Ein solches Vetorecht gegenüber einer Dringlichkeitserklärung der Landesregierung, das zudem eine Entscheidung nicht hindern kann, sondern nur aufschiebt, ist nicht geeignet, das Selbstverwaltungsrecht der Städte, Gemeinden und Landkreise zu verletzen. bb) Die Zusammensetzung des Rats der Region nach § 4 Abs. 2, 3 BallrG ist mit dem Demokratieprinzip vereinbar und stellt keinen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Art. 137 HV schützt auch vor Eingriffen in das Selbstverwaltungsrecht aufgrund der Ausübung von Staatsgewalt durch nicht demokratisch legitimierte Organe. Insoweit wird das Bild der Selbstverwaltung durch das Demokratieprinzip geprägt (vgl. BVerfGE 91, 228, 244). Dieses findet seinen Niederschlag in Art. 70 HV, wonach die Staatsgewalt unveräußerlich beim Volke liegt (StGH, Urt. v. 30.4.1986 - P.St. 1023 - , StAnz 1986, 1089, 1098; zu Art. 20 Abs. 2 GG vgl. BVerfG, NVwZ 2003, 974, 976 f). In einem demokratisch organisierten Staat sind verfassungsgemäß bestellte Organe deshalb nur solche, die ihre Legitimation — unmittelbar oder mittelbar — auf die Gesamtheit der Bürger und damit das Volk zurückführen können (StGH, aaO). Neben dem Volk sind folgerichtig nur solche verfassungsgemäß bestellte Organe zur Ausübung von Staatsgewalt befugt. Einer unmittelbaren demokratischen Legitimation bedürfen nach Art. 75 HV der Landtag und nach Art. 138 HV die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte. Der Grundsatz der demokratischen Legitimation gilt aber auch für die Gemeinden und Gemeindeverbände und sonstigen rechtsfähigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Sie üben öffentliche Gewalt und damit Staatsgewalt im weiteren Sinne aus. Hierfür müssen sie nach Art. 70 HV vom Volk legitimiert sein (StGH, aaO). Dabei genügt grundsätzlich eine mittelbare Legitimation. Eine unmittelbare personelle Legitimation ist zwar nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG für die Vertretung von Gemeinden und Kreisen erforderlich. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG erfasst aber nicht den Rat der Region. Seine Mitglieder sind dennoch ausreichend legitimiert. Die kraft Amtes im Rat vertretenen Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sind unmittelbar vom Volk gewählte Repräsentanten der jeweiligen Gebietskörperschaft (§ 4 Abs. 3 S. 1 BallrG, § 39 HGO). Gleiches gilt für die Landrätinnen und Landräte (§ 4 Abs. 3 S. 1 BallrG, § 37 HKO). Die von den kreisfreien Städten, Sonderstatusstädten und LVerfGE 15

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Landkreisen entsandten zweiten Mitglieder werden von den unmittelbar legitimierten Vertretungskörperschaften gewählt (§ 4 Abs. 3 S. 2 BallrG). Auch die „dritten Mitglieder" der Landkreise werden durch eine Wahl ermittelt, und zwar aus dem Kreis der unmittelbar gewählten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der kreisangehörigen Gemeinden unter 50 000 Einwohnern, wobei das Verfahren von den Landrätinnen und Landräten bestimmt wird (§ 4 Abs. 3 S. 3 und 4 BallrG). Die Zusammensetzung des Rats der Region ist mit dem Willkürverbot vereinbar. Das Willkürverbot prägt ebenfalls in dem o.g. Sinne das Selbstverwaltungsrecht {Günther aaO, § 46 Rn. 9; vgl. zu § 91 BVerfGG BVerfGE 56, 298, 313; BVerfG, NVwZ 2003, 850, 854) und ist auch vom Gesetzgeber zu beachten. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt nicht etwa darin, dass nicht alle kreisangehörigen Gemeinden unter 50 000 Einwohnern im Rat der Region vertreten sind. Der Landesgesetzgeber hat die kreisangehörigen Gemeinden unter 50 000 Einwohnern bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Rates der Region nicht übersehen. Er hat vielmehr bewusst von einer repräsentativen Wahl der Mitglieder des Rates der Region abgesehen. Die Entwicklung der Region sollte auch dadurch vorangetrieben werden, dass gerade die maßgebenden kommunalen Entscheidungsträger der Region eingebunden sein sollten (LT-Drs. 15/1491, S. 19, 23). Die Besetzung des Rates der Region vorwiegend mit Vertretern derjenigen kommunalen Gebietskörperschaften des Ballungsraums, die aufgrund ihrer Größe eine besondere Bedeutung einnehmen, entbehrt nicht eines sachlichen Grundes und ist frei von sachfremden Erwägungen. II. Die Übertragung der Aufstellung, Änderung und Aufhebung des Flächennutzungsplans für das Gebiet des Ballungsraums auf den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 PlanvG verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem Selbstverwaltungsrecht nach Art. 137 HV. Der Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung wird nicht ausgehöhlt (1.). Die Übertragung der Flächennutzungsplanung liegt im dringenden öffentlichen Interesse (2.). Die Abgrenzung des Gebietes des Planungsverbandes greift nicht unzulässig in das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Städte und Gemeinden ein (3.). 1. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht umfasst mit der Planungshoheit die Bauleitplanung und damit als deren Teil die Flächennutzungsplanung. Nach der Definition in § 5 BauGB wird im Flächennutzungsplan für das gesamte Gemeindegebiet die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde in den Grundzügen dargestellt. Diese Vorstellungen zu entwickeln und planerisch darzustellen, ist zunächst ausschließliche Aufgabe der Gemeinden. Der LVerfGE 15

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Entzug der Flächennutzungsplanung bedeutet mithin einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht. Die gemeindliche Planungshoheit gilt jedoch nicht unbeschränkt. Gemeinden haben bei der Flächennutzungsplanung Rücksicht zu nehmen auf ihr Umland und die Bedürfnisse der Gesamtheit. Das bindet die Flächennutzungsplanung an die überörtliche Planung, die Landesentwicklungsplanung und den Regionalplan, die die Planungsfreiheit der Gemeinden einschränken, und gebietet die Abstimmung mit den benachbarten Gemeinden. Schon insoweit kann das Selbstverwaltungsrecht durch Gesetze eingeschränkt werden. Bundesrecht begrenzt zudem die Planung auf vielfache Weise. Dennoch kann Städten und Gemeinden die Zuständigkeit zur Flächennutzungsplanung nur entzogen werden, soweit der Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts unangetastet bleibt. Ein Eingriff in den Wesensgehalt wäre erst anzunehmen, wenn den Gemeinden die ihnen eigenen und ihr Selbstverständnis prägenden Grundlagen so weit entzogen würden, dass von selbstverantwortlicher Verwaltung der eigenen Angelegenheiten nicht mehr die Rede sein könnte (vgl. BVerfGE 79, 127, 146 - Rastede - ; BVerfG, NVwZ 2003, 850, 851). a) Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob die Planungshoheit der Gemeinden zum unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltung gehört, bisher offen gelassen (BVerfGE 56, 298, 313; 76, 107, 118 f; 103, 332, 366). Der Kernbereich sei jedenfalls betroffen, wenn die kommunale Selbstverwaltung völlig beseitigt oder derart ausgehöhlt werde, dass die Gemeinde keinen ausreichenden Spielraum zu ihrer Ausübung mehr habe, wenn also die Selbstverwaltung nur noch ein Scheindasein führen könnte. Da der Kernbereich nur institutionell, nicht jedoch für einzelne Gemeinden gewahrt sein müsse, sei er jedenfalls dann nicht verletzt, wenn die Planungshoheit einzelner Gemeinden in räumlich abgegrenzten Gebieten eingeschränkt werde. Aber auch, wenn (durch Gesetz) die Planungshoheit aller Gemeinden berührt werde, so bedeute dies nicht unbedingt einen unzulässigen Angriff auf den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie. Denn selbst wenn der Kernbereich der Selbstverwaltung die Planungshoheit umfassen sollte, so könne dies wiederum nur für deren Wesensgehalt und nicht für die Planungshoheit in vollem Umfang und in allen ihren Erscheinungsformen gelten (BVerfGE 103, 332, 366). Frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts legen nahe, dass die Flächennutzungsplanung nicht zum unantastbaren Kernbereich der Planungshoheit gehört. So hält das Bundesverfassungsgericht es unter den Voraussetzungen des § 205 Abs. 6 BauGB (entspricht dem zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden § 4 Abs. 8 BBauG) für zulässig, die Flächennutzungsplanung auf einen Verband zu verlagern (BVerfGE 77, 288, 307 f - zum Stadtverband Saarbrücken — ausdrücklich unter Hinweis auf die Gemeindekammer im Umlandverband Frankfurt).

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b) In der übrigen Rechtsprechung und im Schrifttum bestehen zu dieser Frage unterschiedliche Ansichten. Die überwiegende Meinung zählt die Flächennutzungsplanung nicht zum unantastbaren Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung (z.B. SaarlVerfGH, Urt. v. 18.12.1974 - Lv 7/74 - , AS 14, 145 ff; Dreier in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. II, 1998, Art. 28 Rn. 130; Löwer in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 28 Rn. 76 iVm Rn. 75; Just in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht: Bauplanungsrecht, Bauordnungsrecht und Grundzüge des Raumordnungsrechts, 2. Aufl. 2002, § 2 Rn. 36; Giegerich Die Planungshoheit der Gemeinde, JA 1988, 367, 370; Heinemann Rechtsfragen zur Übertragung der Flächennutzungsplanung auf die Kreis- oder Stadtverbandsebene, DÖV 1982, 189, 191; Kostering Kommunale Selbstverwaltung und staatliche Planung, DÖV 1981, 689, 691; Schmidt-Aßmann Der Städteverband als Modell kommunaler Neugliederung in Ballungsräumen, DÖV 1973, 109, 111; ders. Die Stellung der Gemeinden in der Raumplanung, VerwArch 71/1980, 117, 130; nach Clemens Kommunale Selbstverwaltung und institutionelle Garantie: Neue verfassungsrechtliche Vorgaben durch das BVerfG, NVwZ 1990, 834, 838, gehört die Planungshoheit insgesamt nicht zum Kernbereich). Gleichwohl soll der Gesetzgeber die Flächennutzungsplanung den Gemeinden nicht nach Belieben entziehen können. Selbst wenn die Flächennutzungsplanung nicht zu dem unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie gehöre, müsse sich eine Hochzonung im Ergebnis an den vom Bundesverfassungsgericht im Rastede-Beschluss entwickelten Grundsätzen messen lassen. Soweit angenommen wird, die Flächennutzungsplanung sei in den Kernbereich einbezogen (so etwa BWStGH, ESVGH 26, 1,6 = DÖV 1976, 595; Grauvogel in: Brügelmann, BauGB, § 2 Rn. 6, Bearbeitung 11/1987; Brohm Öffentliches Baurecht: Städtebau- und Raumplanungsrecht, 3. Aufl. 2002, § 9 Rn. 4: „nicht ganz aus dem Kernbereich ausgenommen"), wird daraus jedoch nicht gefolgert, dass die Übertragung der Kompetenz zur Flächennutzungsplanung etwa auf einen Gemeindeverband das Selbstverwaltungsrecht verletze. Das sei wegen der überörtlichen Bezüge der vorbereitenden Bauleitplanung nicht der Fall, wenn den Gemeinden eine Mitwirkungsmöglichkeit im Verband verbleibe (BWStGH, ESVGH 26, 1, 7). Werde die Flächennutzungsplanung auf Planungsverbände übertragen, dürfe dies nicht die autonome gemeindliche Gestaltung ausschließen, also die Gemeinde durch eine zu große Dichte an Festlegungen knebeln (Brohm aaO). c) Die dargestellten Auffassungen verdeutlichen, dass nach ganz überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum das Recht der Städte und Gemeinden zur Flächennutzungsplanung einer Beschränkung nicht gänzlich entzogen ist. Der Staatsgerichtshof braucht nicht abschließend zu entscheiden, in welchem Umfang die Flächennutzungsplanung zum Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts gehört. Jedenfalls greift die Übertragung der FlächennutzungsplaLVerfGE 15

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nung in den betroffenen Städten und Gemeinden auf den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main nicht in den Kernbereich ein, weil den Städten und Gemeinden noch ausreichender Spielraum verbleibt, ihre Selbstverwaltung zur Geltung zu bringen. Auch nach der Hochzonung der Flächennutzungsplanung können die Städte und Gemeinden mit der Bebauungsplanung ihr Gemeindegebiet nach ihrer Vorstellung in ausreichender Weise entwickeln. Der Flächennutzungsplan wird in einem Maßstab erstellt, der beträchtliche Freiheit für detaillierte gemeindliche Bebauungsplanung belässt. Bei der Aufstellung des Flächennutzungsplans durch den Planungsverband wirken sie mit. Der Regionale Flächennutzungsplan kann nur mit Zustimmung der Verbandskammer erlassen werden und dort ist das Stimmengewicht der im Planungsverband vertretenen Städte und Gemeinden nicht unangemessen verteilt. Der Gesetzgeber hat für die Uberplanung des Plangebiets keinen detailgenaueren Maßstab als 1:50 000 vorgesehen (§13 Abs. 4 HLPG). Dieser Maßstab lässt der Bebauungsplanung mehr Spielraum für die örtlich relevanten Einzelheiten als ein Flächennutzungsplan, dem üblicherweise Karten in den Maßstäben von 1:5 000 bis 1:25 000 zugrunde gelegt werden {Schmit^J v. Heskr/Groß Modelle eines neuen Plantyps für Verdichtungsräume, 1997, S. 21 = Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Arbeitsmaterial, Nr. 222, 1998). Nach § 1 Abs. 1 PlanvG iVm § 2 Abs. 1 BallrG sind alle Städte und Gemeinden im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main Mitglied im Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main. Alle Gemeinden sind in der Verbandskammer vertreten, in der alle wichtigen Entscheidungen, auch Entscheidungen über einen künftigen Flächennutzungsplan, getroffen werden. Sie sind so an den Entscheidungen des Verbandes beteiligt. Überdies hat der Planungsverband die Vorstellungen der einzelnen Gemeinden zu ihrer örtlichen Planung in einem Flächennutzungsplan zu berücksichtigen, soweit nicht Belange des Gesamtraums entgegenstehen (vgl. Brohm aaO, § 6 Rn. 17). Die Selbstverwaltungsgarantie gewährleistet, dass gegen den Willen einer Gemeinde unter Ausnutzung der Mehrheitsverhältnisse Beschlüsse nicht gefasst werden dürfen, die nicht durch überörtliche Belange zu rechtfertigen sind (vgl. BWStGH, ESVGH 26, 1, 8; Schmidt-Eichstaedt Gemeinsame Flächennutzungsplanung nach Bundes- und Landesrecht, NVwZ 1997, 846, 850 Fn. 18). Nicht durch Belange des Gesamtraums gerechtfertigte Sonderinteressen einer Mehrheit dürfen nicht auf Kosten einer Mitgliedsgemeinde bei der Flächennutzungsplanung durchgesetzt werden (BWStGH, aaO; in Anlehnung hieran Sixt in: Kunze/Schmidt, BadWürttGO, 4. Aufl. 1995, Stand 5/2002, § 61 Rn. 18). Andererseits besteht das Wesen der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht darin, dass jede Gemeinde nach ihren Kommunalegoismen frei schalten kann. Vielmehr soll sie verantwortlich walten und bei ihren Maßnahmen auch ihre Stellung innerhalb

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des sie umgebenden Raumes und die sich daraus ergebende Notwendigkeit zu Zusammenarbeit und Ausgleich in Betracht ziehen (BVerfG, NVwZ 1982, 95). Dem Mitwirkungsrecht der Städte und Gemeinden bei der Aufstellung des Flächennutzungsplans steht nicht entgegen, dass die Darstellungen des Flächennutzungsplans nach § 5 BauGB, die gem. § 13 Abs. 2 S. 1 HLPG zugleich Festlegungen nach § 9 Abs. 4 HLPG sind, im Zusammenwirken mit der Regionalversammlung entwickelt und nach Maßgabe des § 13 HLPG beschlossen werden müssen (Regionaler Flächennutzungsplan). Infolge eines Redaktionsversehens nimmt § 2 Abs. 1 Nr. 1 PlanvG noch Bezug auf § 6 Abs. 3 HLPG. Bei der Änderung des Hessischen Landesplanungsgesetzes im Jahre 2002 wurde versäumt, § 2 Abs. 1 Nr. 1 PlanvG auch insoweit zu ändern. Zweifelsfrei sind aber die Festlegungen gemeint, die nunmehr in § 9 Abs. 4 HLPG aufgeführt sind, was sich aus § 1 3 Abs. 2 S. 1 HLPG ergibt, der ausdrücklich entsprechend Bezug nimmt. Die Interessen der betroffenen Gemeinden werden im Verfahren verfassungsrechtlich angemessen berücksichtigt. In einem frühen Stadium können alle für den Flächennutzungsplan relevanten Interessen offen gelegt und flächennutzungsplanerische und regionalplanerische Ziele parallel entwickelt werden. Gegen den Planungsverband können Fesdegungen für den Flächennutzungsplan nicht beschlossen werden. Es bleibt daher Sache der für den Planungsverband entscheidenden Verbandskammer, in die Beratungen die Interessen der Gemeinden einzubringen. Ubereinstimmender Beschlüsse zwischen der Verbandskammer und der Regionalversammlung bedarf es nach § 13 Abs. 2 S. 1 HLPG für die Festlegungen nach § 9 Abs. 4 HLPG, die zugleich Darstellungen nach § 5 des Baugesetzbuchs sind. Kommt es nach einem in § 13 Abs. 2 S. 3 HLPG vorgesehenen Verfahren nicht zu übereinstimmenden Beschlüssen, entscheidet nach § 13 Abs. 2 S. 4 HLPG die Verbandskammer auch über den Flächennutzungsplan allein, allerdings nach Maßgabe der regionalplanerischen Festlegungen. An regionalplanerische Fesdegungen sind die Gemeinden aber ohnedies gebunden. Soweit in der Regionalversammlung auch über Darstellungen des Flächennutzungsplans beraten werden könnte, die keine Fesdegungen nach § 9 Abs. 4 HLPG sind, ist ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht von Städten und Gemeinden im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main von vornherein ausgeschlossen. Zwar sind in der Regionalversammlung für die Planungsregion Südhessen nach §§ 21, 22 Abs. 1 HLPG auch Gebietskörperschaften vertreten, die dem Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main nicht angehören. Doch haben die Regionalversammlung und insbesondere darin vertretene ballungsraumfremde kommunale Gebietskörperschaften insoweit keine Möglichkeit, eine inhaltliche Ausgestaltung flächennutzungsplanerischer Darstellungen zu erreichen, die nicht dem Willen des Planungsverbandes entspricht. Ohne die Zustimmung der Verbandskammer des Planungsverbandes kommt ein Regionaler Flächennutzungsplan nicht zustande. Der Einfluss der obersten Landesplanungsbehörde, der sich im Konfliktfall auf den Inhalt des Flächennutzungsplanes bestimmend auswirken könnte, wird beLVerfGE 15

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grenzt. Ihr wird eine Aufstellung der flächennutzungsplanbezogenen Darstellungen nach § 13 Abs. 5 S. 3 HLPG verwehrt. Die Mitwirkungsrechte sind auch sachgerecht so ausgestaltet, dass sie den Gemeinden einen angemessenen Einfluss auf die Flächennutzungsplanung gewährleisten. Die Mitglieder des Planungsverbandes, alle im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main gelegenen Städte und Gemeinden, entsenden nach § 5 Abs. 1 PlanvG je einen Vertreter oder eine Vertreterin in die Verbandskammer. Nicht alle Vertreter oder Vertreterinnen der Mitglieder des Planungsverbandes haben ein gleiches Stimmengewicht. Nach § 5 Abs. 2 PlanvG verfügen die Vertreterin oder der Vertreter der Stadt Frankfurt am Main über zwölf Stimmen, der Stadt Offenbach am Main über vier Stimmen, der Stadt Hanau über drei Stimmen, der Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern über je zwei Stimmen und der anderen Städte und Gemeinden über je eine Stimme. Der Gesetzgeber hat das Kriterium der Einwohnerstärke bei der Bemessung der Stimmenzahl in der Verbandskammer zugrunde gelegt. Das ist nicht sachwidrig und vermeidet, dass die Anzahl der Einwohner, die von den jeweiligen Verbandskammermitgliedern repräsentiert werden, je Verbandskammerstimme stark schwankt, und zwar je nachdem, ob es sich um den Einwohner einer Großstadt oder einer kleinen Gemeinde handelt. Die Gewichtung der Stimmenzahl ist nichts Außergewöhnliches, wie Art. 51 Abs. 2 GG zeigt, und entspricht deutscher bundesstaatlicher Tradition (näher Korioth in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, 4. Aufl. 2000, Art. 51 Rn. 16 f; vgl. auch etwa § 211 Abs. 2 des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes des Saarlandes idF der Bekanntmachung v. 27.6.1997, ABl. S. 682, zuletzt geändert durch Gesetz v. 7.11.2001, ABl. S. 2158). 2. Der Aufgabenentzug ist mit dem Aufgabenverteilungsprinzip nach Art. 137 Abs. 1 S. 2 HV vereinbar und liegt im dringenden öffentlichen Interesse. Zum Wohl der Allgemeinheit kann es dringend geboten sein, die Flächennutzungsplanung auf einen Planungsverband zu verlagern. Eine einheitliche, Gemeindegrenzen übergreifende Bauleitplanung kann aus übergeordneten und überörtlichen Gründen erforderlich sein. Bei der Ausfüllung des Begriffs „im dringenden öffentlichen Interesse" ist dem Normgeber eine gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und damit die Kompetenz eingeräumt, die erforderliche Abwägung selbst vorzunehmen. Die Spielräume auszufüllen, ist Sache des Gesetzgebers und vom Staatsgerichtshof nur eingeschränkt verfassungsrechtlich zu überprüfen. Der Staatsgerichtshof kann nicht seine eigene Abwägung an die Stelle derjenigen des Normgebers setzen. Er hat nur zu prüfen, ob diese sich in den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen hält (vgl. BVerfGE 76, 107, 121). Die Entscheidung des Gesetzgebers muss den Rahmen vertretbar ausfüllen, den das Aufgabenverteilungsprinzip nach Art. 137 HV festlegt (vgl. BVerfGE 79, 127, 154). Die gesetzgeberische Einschätzung des Gewichts der eine Übertragung auf einen Planungsverband rechtfertigenden Gründe muss vertretbar sein. Der Staatsgerichtshof hat zu untersuchen, ob der entscheidungsrelevante Sachverhalt ermittelt und LVerfGE 15

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dem Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegt worden ist. Schließlich muss der Gesetzgeber die Vor- und Nachteile des beabsichtigten Gesetzes sachgerecht abwägen (vgl. zu § 98 BbgLV VerfGBbg, Urt. v. 18.12.2003 - VfGBbg 101/03 - , www.verfassungsgericht.brandenburg.de). Dem ist hier in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise Rechnung getragen. a) Der Gesetzgeber strebt mit der Übertragung der Flächennutzungsplanung auf den Planungsverband eine einheitliche Entwicklung im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main an (LT-Drs. 15/1491, S. 33). Die Position des Wirtschaftszentrums Frankfurt am Main und der die Stadt umgebenden Kommunen im europäischen und internationalen Wettbewerb soll gestärkt werden (LT-Drs. 15/1491, S. 1). Dazu bedarf es einer erhöhten Koordination und Abstimmung im Verbandsgebiet. Einen wesentlichen Teil soll die gemeinsame Flächennutzungsplanung im Planungsverband leisten. Die Flächennutzungsplanung von 75 Städten und Gemeinden auf den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main zu verlagern, rechtfertigt sich dadurch. Ein Flächennutzungsplan für das Verbandsgebiet ermöglicht einen gerechten Ausgleich der verschiedenen Belange. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es in der Vergangenheit bei der Flächennutzungsplanung durch den Umlandverband Frankfurt und die einzelnen Städte und Gemeinden im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, die bisher nicht dem Umlandverband Frankfurt angehörten, zu nachweisbaren Defiziten bei der Flächennutzungsplanung gekommen ist. Entscheidend ist, dass sich die vom Gesetzgeber definierte Region nach seiner Vorstellung künftig einheitlich entwickeln soll. Einer Defizitanalyse bedurfte es deshalb nicht. Weder das Ziel des Gesetzgebers noch das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich zu beanstanden. Folgende Überlegungen waren im Gesetzgebungsverfahren maßgeblich. Die Rhein-Main Region ist, ausgehend von der Bevölkerungsdichte im Landesdurchschnitt, ein Verdichtungsraum. Die Position des Wirtschaftszentrums Frankfurt am Main und der umgebenden Kommunen im europäischen und internationalen Wettbewerb beruht auf ihrer modernen Wirtschafts- und Verkehrsstruktur, ihrer ausgeprägten Wirtschaftskraft und finanzwirtschaftlichen Dynamik. Der RheinMain-Region kommt nicht nur eine besondere Rolle in Hessen und in Deutschland zu, sondern sie übernimmt auch eine Metropolfunktion von zentraler europäischer Bedeutung. Gleichzeitig ist sie jedoch vom Strukturwandel der Wirtschaft und den Auswirkungen globaler Entwicklungen besonders betroffen (vgl. Verordnung über den Landesentwicklungsplan Hessen 2000 v. 13.12.2000, GVB1. 2001 I S. 2, 7). Der Gesetzgeber ging von dem allgemein bekannten Umstand aus, dass es in großstädtischen Verdichtungsräumen Stadt-Umland-Probleme gibt (siehe hierzu: Kilian/Müllers Möglichkeiten zur Bewältigung von Stadt-Umland-Problemen in großstädtischen Verdichtungsräumen, VerwArch 89/1998, 25, 26). Hierbei handelt es sich um spezifische Entwicklungs- und Ordnungsprobleme innerhalb großräumiger Zusammenballungen von Menschen, die gekennzeichnet sind durch LVerfGE 15

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die Konzentration von Entwicklungspotential, durch Konkurrenzen um die Nutzung von Grund und Boden, durch eine ausgeprägte Funktionsteilung zwischen Kernstadt und Umland, durch intensive Verflechtungen vor allem im Bereich von Verwaltung und Wirtschaft, durch enge Verkehrsbeziehungen sowie durch Belastungen des Naturhaushalts. Die Bewältigung dieser Probleme gelang mit den vorhandenen Verwaltungsstrukturen nur unzureichend. Die Diskussion über eine Änderung der Verwaltungsstruktur gerade im Rhein-Main-Gebiet ist nicht neu (vgl. etwa Lange Zur Problematik einer isolierten Regionalkreisbildung — Überlegungen zur Reformdiskussion im Rhein-Main-Gebiet —, DOV 1996, 684), die Notwendigkeit regionaler Zusammenarbeit im RheinMain-Gebiet unbestritten (vgl. HiII/Nemzt% VerwaltungsStrukturmodelle auf dem Prüfstand: Darstellung und Vergleich möglicher Reformmodelle für die Region Rhein-Main, Gutachten im Auftrag der Wirtschaftsinitiative Frankfurt Rhein-Main e.V., ohne Jahresangabe, S. 1 ff mwN). In der Folge des Bemühens um eine Bewältigung der anstehenden Probleme wurde am 1.1.1975 der Umlandverband Frankfurt geschaffen. Nach § 3 des Gesetzes über den Umlandverband Frankfurt (v. 11.9.1974, GVB1. I S. 427) „... soll (der Verband) die geordnete Entwicklung des Verbandsgebiets koordinieren und fördern ...". Zu diesem Zweck wurde dem Umlandverband Frankfurt u.a. die Aufgabe der Flächennutzungsplanung für die in seinem Verbandsgebiet liegenden 43 Städte und Gemeinden übertragen. Der Umlandverband Frankfurt war ein Planungsverband nach § 205 Abs. 6 BauGB. Ihm wurde attestiert, dieses schwierige Unterfangen sei ihm gelungen (Meyer aaO, S. 169, 261 Fn. 427). Ausschlaggebend für die Bildung des Umlandverbandes sei die Überlegung gewesen, dass eine sinnvolle Planung im Rhein-Main-Verdichtungsgebiet nur bei Vereinigung der hierfür erforderlichen Kompetenzen in einer Hand möglich sei. Durch den Verband seien den Gemeinden zwar eine Reihe von Kompetenzen genommen worden. Dies erscheine aber dadurch gerechtfertigt, dass eben diese Befugnisse für die Rhein-Main-Region einheitlich ausgeübt werden sollten (Hermes Baurecht, in: Meyer/Stolleis, aaO, S. 361, 377; vgl. auch die positive Einschätzung von Simon Zehn Jahre Umlandverband Frankfurt, DÖV 1985, 345). An die Erfahrungen des Umlandverbandes Frankfurt, der einen gemeinsamen Flächennutzungsplan für alle verbandsangehörigen Gemeinden erstellt hat, knüpfen die gesetzgeberischen Überlegungen u.a. an (LT-Drs. 15/1491, S. 33; Redebeitrag des Abgeordneten Haselbach, LT-Sten. Ber. 15/47. Sitzung, S. 3098). Diese Erfahrungen haben zu dem Schluss beigetragen, eine einheitliche Flächennutzungsplanung sei geeignet, die anstehenden Probleme lösen zu helfen. Das ist vertretbar. b) Die Tatsachen, die im Gesetzgebungsverfahren bereits vorlagen, tragen die Entscheidung. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob heute neuere Erkenntnisse die aus gesetzgeberischer Sicht zu treffende Prognoseentscheidung stützen. Die Landesregierung verweist zur weiteren Begründung des Gesetzes auf steiLVerfGE 15

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gende Bevölkerungszahlen, während die dem Landesentwicklungsplan Hessen 2000 (GVB1. I 2001 S. 2 ff) zugrunde liegenden statistischen Daten eine auch für Südhessen rückläufige Bevölkerungsentwicklung ausweisen. Auf die neuen Daten kommt es aber nicht an. Der Gesetzgeber war davon ausgegangen, dass es auch in der Zukunft einen erhöhten Kooperations- und Abstimmungsbedarf wegen des in der Rhein-Main-Region festzustellenden Industrialisierungs- und Verdichtungsprozesses in den vergangenen Jahrzehnten gibt. Es wird eingestellt, dass sich die Flächenentwicklung in der Zukunft nicht mehr so dynamisch darstellen wird wie bisher, die Konflikte aber auch in der Zukunft gelöst werden müssen. Schließlich ergibt sich etwa ein erhöhter Siedlungsdruck schon daraus, dass die Region im Vergleich zu anderen Regionen Hessens ein attraktiver Zuwanderungsraum bleiben wird. Das wird die Nachfrage nach Arbeitsplätzen weiter erhöhen. Der Bedarf an Wohnraum wird ebenfalls infolge anhaltender Veränderungen der Haushaltsstruktur steigen (vgl. dazu die Ausführungen im Regionalplan Südhessen, StAnz. 2001, 614 ff). Die Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung geht davon aus, dass dem Planungsverband insbesondere die Kompetenz übertragen werde, im Rahmen des neuen Instrumentes „Regionaler Flächennutzungsplan" kommunale Aufgaben wahrzunehmen, und knüpft insoweit an die bisherige interkommunale Erstellung des Flächennutzungsplans an (LT-Drs. 15/1491, S. 33). Planungsverbände seien in der Bundesrepublik Deutschland eine rechtlich anerkannte Organisationsform, um durch zusammengefasste Bauleitplanung einen Ausgleich der verschiedenen Belange und Interessen zu gewährleisten (LT-Drs. 15/1491, S. 24). Im Zusammenhang mit der auch für den Planungsverband maßgeblichen Abgrenzung des Ballungsraums wird auf verdichtete Räume und raumstrukturelle Verflechtungen Bezug genommen. Pendlerbeziehungen, Einwohnerdichte und Beschäftigungsstruktur werden berücksichtigt (LT-Drs. 15/1491, S. 22), ebenso die Entlastungsfunktion von Teilbereichen für den Kernraum (LT-Drs. 15/1491, S. 28). Der Regionale Flächennutzungsplan beschränke sich durch den gewählten Maßstab von 1:50 000 auf die wesentlichen Darstellungen und gewähre somit einen großen Spielraum für die gemeindlichen Bebauungspläne vor Ort (LT-Drs. 15/1491, S. 25). Planungsprozesse würden vereinfacht oder beschleunigt (LT-Drs. 15/1491, S. 19). Das Bedürfnis nach einer koordinierten und abgestimmten Planung durchzieht den Gesetzgebungsprozess gleichsam wie ein „roter Faden", was auch in verschiedenen Beiträgen zum Ausdruck kommt, die aus Anlass der Anhörung des Hessischen Landtages im Gesetzgebungsverfahren abgegeben wurden (vgl. Prot, des INA 15/31 = WVA/15/15 v. 16.11.2000). Weitere Hinweise auf die tatsächliche Situation, wie sie der Gesetzgeber im Jahre 2000 vorgefunden hat, lassen sich der Antwort der Landesregierung auf die Fragen des Staatsgerichtshofs entnehmen. Die Landesregierung hält eine einzelgemeindliche Flächennutzungsplanung für überfordert, die raumstrukturellen Probleme im Ballungsraum FrankLVerfGE 15

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furt/Rhein-Main zu lösen. Ergänzend trägt die Landesregierung u.a. vor: Im Rhein-Main-Gebiet komme der Sicherung von zusammenhängenden Freiräumen sowie dem Schutz der natürlichen Ressourcen ein hoher Rang zu. Es gehe hierbei namentlich um die Erhaltung und Entwicklung von regionalen Grünzügen, Klimaschneisen, Freiflächen zur Regenerierung des Grundwassers, Biotopverbundsystemen und Erholungsbändern. Bedeutsam sei in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch eine regional abgestimmte Konzeption der Flächen und Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft. Sie müsse darauf Rücksicht nehmen, dass die weiterhin erforderlichen größeren Eingriffe eine Vielzahl von Gemeinden beträfen. In manchen Gemeinden seien die Flächenpotentiale für Kompensationsmaßnahmen bereits weitgehend ausgeschöpft, in anderen dagegen noch in ausreichendem Maße vorhanden. Freiraumsicherung und Ressourcenschutz im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main seien nicht durch einzelgemeindliche, sondern nur durch gemeindeübergreifende Planungen zu erreichen. Ahnlich wie mit der Freiraumsicherung und dem Ressourcenschutz verhalte es sich beispielsweise auch mit den Sachbercichen Wohnen, Wirtschaft und Verkehr. Die Wohnflächennachfrage sei nicht lokal, sondern regional orientiert. Ihr sei deshalb auch ein entsprechend abgestimmtes Angebot gegenüber zu stellen. Dies bedeute: Auf kommunaler Ebene seien die Interessen der verschiedenen Gemeinden an der Wohnbauflächenbereitstellung mit den jeweils möglichen Bauund Verdichtungsformen sowie den Möglichkeiten der Nachverdichtung und Umnutzung zu einem Ausgleich zu bringen. Zugleich sei eine Abstimmung mit der regionalen Ebene erforderlich. Die regionalen Erfordernisse beträfen u.a. die Verkehrsanbindung, den Freiraumschutz, die übergemeindliche Infrastrukturversorgung sowie die Funktion der einzelnen Gemeinden im System der zentralen Orte. Im Bereich der Wirtschaft werde die Standortsuche der Unternehmen zunehmend nicht mehr nur lokal, sondern regional ausgerichtet. Ein attraktives Standortangebot in einem hochverdichteten Ballungsraum lasse sich auf kommunaler Ebene nur bereitstellen, wenn die Gemeinden sich hierbei planerisch eng abstimmten. Nicht zuletzt verlange in einem solchen Raum auch die Standortausweitung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben ein derartiges Zusammenwirken. Überdies werde die Mobilitätsnachfrage im Ballungsraum Frankfurt/RheinMain künftig weiter steigen. Es werde jedoch nicht zu einer großzügigen Erweiterung des vorhandenen Verkehrsnetzes kommen, sondern es werde um punktuellen Ausbau, Ergänzung und Optimierung des Bestandes gehen, etwa durch den Bau von Umgehungsstraßen, durch das Ausschöpfen der bestehenden Reserven mit Hilfe von Verkehrsmanagement, durch die verbesserte Koordination von öffentlichem Verkehr und Individualverkehr sowie die verstärkte Ausrichtung der Siedlungsflächenerweiterung auf die Kapazitätsreserven des Verkehrsnetzes.

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c) Der Gesetzgeber hat den dargestellten Sachverhalt und die Interessen der beteiligten Körperschaften nachvollziehbar gegeneinander abgewogen (vgl. LTDrs. 15/1491, S. 24; LT-Sten. Ber. 15/47. Sitzung, S. 3099; 15/57. Sitzung, S. 3923; 15/59. Sitzung, S. 4027). Er ist davon ausgegangen, dass die Übertragung der Flächennutzungsplanung auf den Planungsverband von herausragender Bedeutung sei und von diesem mit der erforderlichen Kompetenz ausgeübt werden könne. Der Gesetzgeber durfte in seine Überlegungen auch einbeziehen, dass für einen gewichtigen Teil des Verbandsgebietes — 43 von 75 Städten und Gemeinden — die Flächennutzungsplanung bereits einem Verband übertragen war, der einen gemeinsamen Flächennutzungsplan erstellt hat. Der Verweis auf Kompensationserfordernisse beruht auf gesetzlichen Vorgaben. § 21 Abs. 1 BNatSchG sieht vor, dass über die Vermeidung, den Ausgleich und den Ersatz bei zu erwartenden Eingriffen in Natur und Landschaft zu entscheiden ist, wenn Bauleitpläne aufgestellt, geändert, ergänzt oder aufgehoben werden. Nach § l a Abs. 3 S. 1 BauGB erfolgt der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft durch geeignete Darstellungen nach § 5 BauGB als Flächen zum Ausgleich und durch Festsetzungen nach § 9 BauGB als Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich. Aus § l a Abs. 3 S. 2 BauGB ergibt sich, dass solche Darstellungen und Festsetzungen auch an anderer Stelle als am Ort des Eingriffs erfolgen können, soweit dies mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und den Zielen der Raumordnung sowie des Naturschutzes und der Landschaftspflege vereinbar ist. Daher können erforderliche Kompensationen für Vorhaben innerhalb des Kernbereichs des Ballungsraums an den Randbereichen des Ballungsraums erfolgen. Daraus können sich unterschiedliche Interessen der Gemeinden ergeben. Ein gemeinsamer Flächennutzungsplan ist geeignet, diese abzugleichen. d) Der Aufgabenentzug geht nicht über das im dringenden öffentlichen Interesse erforderliche Maß hinaus. Die Verlagerung der Flächennutzungsplanung ist nicht bereits deshalb unzulässig, weil eine weitergehende Koordination und Abstimmung im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main auch durch eine „detailfreudigere" Regionalplanung erfolgen könnte. Eine solche Planung wäre nicht in gleicher Weise ein geeignetes, aber das Selbstverwaltungsrecht weniger beschränkendes Mittel, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Der Gesetzgeber überschreitet den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht, wenn er sich für das ihm am besten geeignet erscheinende Mittel entscheidet. Die Städte und Gemeinden im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main haben bei der Regionalplanung weniger Mitwirkungsbefugnisse als bei der Flächennutzungsplanung durch den Planungsverband. Den Regionalplan beschließt die Regionalversammlung (§10 Abs. 1 HLPG) für die Planungsregion Südhessen, die den Regierungsbezirk Darmstadt umfasst (§ 21 Abs. 2 S. 3 HLPG). In der Regionalversammlung sind keine kreisangehörigen Gemeinden unter 50 000 Einwohnern vertreten. Die übrigen Gemeinden, kreisfreien Städte LVerfGE 15

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und Sonderstatusstädte des Verbandsgebietes sind zwar in der Regionalversammlung vertreten, müssen hier aber ihren Einfluss mit den Landkreisen und den nicht zum Verbandsgebiet gehörenden Städten und Sonderstatusstädten teilen (§ 23 Abs. 1 HLPG). Hinzu kommt, dass eine Regionalplanung die Planungsvorstellungen der Gemeinden umso mehr bestimmt, je detaillierter sie ist. Wie detailliert eine Regionalplanung sein wird, hängt vom Einzelfall ab. Daher lässt sich nicht abstrakt bestimmen, ob eine detailliertere Regionalplanung weniger in das Selbstverwaltungsrecht eingreifen würde als die Übertragung der Flächennutzungsplanung auf den Planungsverband. 3. Der Gebietszuschnitt des Planungsverbandes ist mit der Selbstverwaltungsgarantie ebenfalls vereinbar. Der Gesetzgeber hat den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Die Einschätzungen und Entscheidungen des Gesetzgebers sind vertretbar. Die Abgrenzung des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main ist eine planerische Entscheidung. Daher kann es keine Berechnung der Grenzen des Ballungsraums nach mathematischen Gesichtspunkten geben. Für derartige Grenzziehungen lassen sich verschiedene Kriterien finden, die jeweils sachgerecht sein können. Deshalb kann der Ballungsraum ganz unterschiedlich gefasst und trotzdem nach vertretbaren Kriterien abgegrenzt sein. Bei der Abgrenzung des Planungsraums in den Randbereichen besteht eine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers [Schmitt]v. Heskr/Groß aaO, 1997, S. 16; Schmidt-FJchstaedt Anwendungsstudie zum Regionalen Flächennutzungsplan nach § 9 Abs. 6 ROG, Endbericht zum 30.11.2001, S. 15). Schematische Zuordnungen sind nicht möglich. Kleinere Kommunen haben in den Randbereichen einerseits Beziehungen zu dem Kernraum, andererseits aber auch Verbindungen zu anderen, gegebenenfalls auch näher liegenden größeren Kommunen. Die Abgrenzung von Planungsräumen kann auch das Ziel verfolgen, mehrere Oberzentren mit „eigenem Umland" zu erhalten. Diese Entscheidungen erfordern Bewertungen und Prognosen des Gesetzgebers. Insoweit ist die Nachprüfung darauf zu beschränken, ob die Einschätzungen und Entscheidungen offensichtlich fehlerhaft und eindeutig widerlegbar sind oder der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprechen. Nur unter diesen Einschränkungen kann eine Regelung daraufhin überprüft werden, ob sie das Willkürverbot beachtet und verhältnismäßig ist, insbesondere der Bedeutung der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie Rechnung trägt (BVerfGE 76, 107, 121 f; vgl. auch BVerfGE 86, 90,109). a) Zur Ausdehnung und Begrenzung des Gebiets des Ballungsraums führt die Begründung zum Gesetzentwurf aus: Das Gebiet des Ballungsraumes greife über den Kernraum (LT-Drs. 15/1491, S. 18) und Verdichtungsraum Frankfurt (LT-Drs. 15/1491, S. 33) hinaus. Der durch die Stadt Frankfurt am Main gebildete Kernbereich des Gebiets werde sachgerecht erweitert. Der Raum Hanau als östlicher Teil des Ballungsraums Frankfurt am Main habe starke Verflechtungen zu LVerfGE 15

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Frankfurt am Main und Offenbach am Main, auch wenn er einen eigenen, in das Kinzigtal reichenden Verflechtungsbereich habe. Im nördlichen Teil des Landkreises Groß-Gerau liege ein Schwerpunkt der regionalen Wohnsiedlungsentwicklung. Der Teilkreis gehöre vor allem wegen seiner Arbeitsmarktverflechtungen zum Einzugsbereich der Stadt Frankfurt am Main. Er spiele auch für die Vernetzung der regionalen Grünzüge eine wichtige Rolle. Zu dem im Norden an die Stadt Frankfurt am Main angrenzenden Wetteraukreis bestünden intensive Arbeitsmarktverflechtungen. Dem südlichen Bereich des Kreises komme Entlastungsfunktion für den Kernraum zu. Die Funktion der Oberzentren Wiesbaden und Darmstadt sollte für die Weiterentwicklung des Gesamtraumes eigenständig genutzt werden durch die Bildung von dezentralen, sich ergänzenden Standortsystemen. Beide Oberzentren bildeten wiederum jeweils den Kern eines eigenen Verflechtungsbereichs. Dieses Umland würde durch die Einbeziehung der Städte Wiesbaden und Darmstadt von seinen Zentren in stärkerem Maße abgeschnitten (LT-Drs. 15/1491, S. 28). Im Gesetzgebungsverfahren sind u.a. die Gemeinden und Landkreise angehört worden. Mit dem Ergebnis der Anhörung und den dort eingebrachten Vorschlägen hat sich die Landesregierung auseinandergesetzt (vgl. LT-Drs. 15/1491, S. 22), ist ihnen aber nicht gefolgt. Einer vollständigen Einbeziehung der Landkreise Groß-Gerau, Main-Kinzig-Kreis und Wetteraukreis in den Ballungsraum Frankfurt am Main stünden erhebliche rechtliche und fachliche Bedenken entgegen. Nach § 9 Abs. 6 ROG könne ein Regionaler Flächennutzungsplan nur in verdichteten Räumen oder bei sonstigen raumstrukturellen Verflechtungen zugelassen werden. Insbesondere die östlichen Teilgebiete des Wetteraukreises und des Main-Kinzig-Kreises erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Sie seien nach den Entwürfen des Landesentwicklungsplans und des Regionalplans sowie des rechtsgültigen Raumordnungsplans Südhessen als ländliche Räume, die als eigenständige und attraktive Lebens- und Wirtschaftsräume zu gestalten seien, eingestuft. Sie zählten weder zu dem Verdichtungsraum als Zentralbereich des Ordnungsraums noch zum weiteren Ordnungsraum. Im nördlichen Teil des Landkreises GroßGerau liege ein Schwerpunkt der regionalen Wohnsiedlungsentwicklung. Der Teilkreis gehöre deshalb auch wegen seiner Arbeitsmarktverflechtungen zum Einzugsbereich der Stadt Frankfurt am Main. Dies gelte nicht in diesem Maße für den südlichen Teil des Landkreises. Insgesamt seien für die nicht berücksichtigten Teilkreise keine raumstrukturellen Zusammenhänge erkennbar, die es quantitativ oder qualitativ angezeigt erschienen ließen, diese Räume in den Ballungsraum einzubeziehen. Die Pendlerbeziehungen, die Einwohnerdichte sowie die Beschäftigungsstruktur rechtfertigten die gebietliche Abgrenzung. Der in dem Gesetzentwurf vorgesehene Raum spiegele somit die Verflechtungsbeziehungen des Verdichtungsraums in nachvollziehbarer Weise wider und entspreche den gesetzlichen Vorgaben. (LT-Drs. 15/1491, S. 22).

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Ergänzend hat die Landesregierung — ausgehend von der Stadt Frankfurt am Main als „Kernstadt" — als Kriterien für die Einbeziehung in den Ballungsraum in erster Linie die Zugehörigkeit zum raumordnungsrechtlich bestimmten Ordnungsraum, den zentralörtlichen Verflechtungsbereich innerhalb des Ballungsraums und den Berufspendleranteil nach Frankfurt am Main genannt. Daneben seien Besonderheiten zu beachten. Vereinzelt seien Kommunen in den Planungsraum einbezogen worden, um zu verhindern, dass sie in eine planerisch isolierte Lage gerieten. Das könne für Gemeinden der Fall sein, die an einen anderen Regierungsbezirk oder ein anderes Bundesland angrenzten. Einzelne Kommunen seien wegen historischer Bindungen oder der Orientierung zu anderen Oberzentren nicht einbezogen worden. b) Das Ergebnis der Abwägung ist unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers und der dieser korrespondierenden begrenzten Uberprüfungsmöglichkeit des Staatsgerichtshofs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Gründe und Wertungen, etwa die Stadt Hanau in das Gebiet des Ballungsraums einzubeziehen, nicht hingegen die Städte Darmstadt und Wiesbaden, sind nachvollziehbar. Ebenso wenig ist es systemwidrig, die Landkreise Groß-Gerau, Main-Kinzig und Wetterau nicht in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Schließlich lässt sich nachvollziehen, dass Gemeinden, die vereinzelt dem ländlichen Raum zugeordnet sind, gleichwohl dem Ballungsraum zugerechnet wurden. Die Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg konnte mit der Begründung einbezogen werden, sie gehöre von der Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsstruktur zur industriell geprägten Mainschiene des Ballungsraumes Frankfurt am Main sowie zum Mittelbereich Rüsselsheim. Der Gesetzgeber durfte in seine Überlegungen einstellen, dass die besonderen Beziehungen der Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg zu Mainz nur im Rahmen einer grenzüberschreitenden Lösung hätten berücksichtigt werden können. Dies allein zu entscheiden, fehlt dem hessischen Gesetzgeber die Kompetenz. Die Einbeziehung eines Teils der Gemeinden im Landkreis Groß-Gerau wie etwa der Gemeinde Bischofsheim liegt ebenfalls im planerischen Ermessen. Mit Bischofsheim und dem angrenzenden Ginsheim-Gustavsburg ergibt sich eine Arrondierung des nördlichen Landkreises Groß-Gerau auch unter den bereits benannten Kriterien zur Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz. Demgegenüber wurde etwa die Gemeinde Büttelborn nicht als eng verbunden betrachtet, wobei der recht hohe Pendleranteil nach Frankfurt gesehen, jedoch die Orientierung nach Darmstadt höher gewichtet wurde. Büttelbom bildet hier mit den Gemeinden Erzhausen und Weiterstadt ein nordwestliches Einzugsgebiet zu Darmstadt. Die Gemeinden Rockenberg und Münzenberg durften ebenfalls mit einbezogen werden, obwohl sie raumordnerisch im „ländlichen Raum" liegen. Einerseits wurde der Pendleranteil nach Frankfurt berücksichtigt, der eine Einbeziehung zulässt, andererseits angeknüpft an die Zugehörigkeit zum Altkreis FriedLVerfGE 15

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berg sowie die fehlende planerische Verbundenheit mit dem angren2enden Landkreis Gießen. Münzenberg und Rockenberg bilden „Inseln des ländlichen Raumes" im Ordnungsraum zwischen Butzbach und Wölfersheim, so dass es nahe liegt, diese Gemeinden dem Ballungsraum 2uzurechnen. III. § 13 HLPG ist mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 137 HV vereinbar. 1. Die Antragstellerin rügt, § 13 HLPG halte sich nicht im Rahmen der bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 6 ROG. Die Norm regelt Verfahrensfragen der Aufstellung, des Zustandekommens und der Darstellung eines Regionalen Flächennutzungsplans. Dieser Regionale Flächennutzungsplan ist durch den Planungsverband im Zusammenwirken mit der Regionalversammlung aufzustellen. Ob § 13 HLPG gegen Bundesrecht verstößt, kann dahinstehen. Denn der Staatsgerichtshof hat die Vereinbarkeit hessischen Landesrechts mit Bundesrecht nicht zu überprüfen. Die Gültigkeit hessischen Landesrechts misst der Staatsgerichtshof nur an der hessischen Landesverfassung, hier an Art. 137 HV und den Normen und Prinzipien der Hessischen Verfassung, die das Bild der Selbstverwaltung prägen. Die Verfassungsbereiche des Bundes und der Länder stehen selbstständig nebeneinander (vgl. BVerfGE 69, 112, 117). Prüfungsmaßstab für das Bundesverfassungsgericht ist Bundesrecht, für die Landesverfassungsgerichte Landesverfassungsrecht. Vorschriften des Grundgesetzes sowie des einfachen Bundesrechts gehören grundsätzlich nicht zum Prüfungsmaßstab des Staatsgerichtshofs. Das Grundgesetz und einfaches Bundesrecht schaffen kein Landesverfassungsrecht. Bundesrecht wirkt nicht in die hessische Landesverfassung hinein. Bundesverfassungsrechtliche Bestimmungen wie die Gesetzgebungskompetenzen gem. Art. 70 ff GG sind nicht Teil des Landesverfassungsrechts (vgl. BVerfGE 103, 332, 357; Lange Das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte, in: Badura/Dreier (Hrsg.), FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2001, Erster Band, S. 289 ff, 305; Dreier &&0, Art. 28 Rn. 49; vgl. auch Günther aaO, § 47 Rn. 28 ff, 32; ausdrücklich auch BayVerfGH, BayVBl. 1992, 365 ff, zur Popularklage einer Gemeinde. Die Entscheidung wurde vom Bundesverfassungsgericht im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren derselben Gemeinde ausdrücklich nicht beanstandet, BVerfG, BayVBl. 1993, 303). Anerkennt man die Verfassungsautonomie der Länder, ist es folgerichtig, wenn Landesverfassungsgerichte sich bei der Prüfung auf die Vereinbarkeit eines Staatsaktes mit der Landesverfassung beschränken. Die Verfassungsgerichte haben die angefochtenen Rechtsvorschriften nicht selbst anzuwenden, sondern (nur) darüber zu befinden, ob die angefochtenen Bestimmungen mit der Landesverfassung vereinbar sind (so auch BayVerfGH, BayVBl. 1992, 365, 366). Den LandesLVerfGE 15

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Verfassungsgerichten obliegt es nicht, die angefochtene Norm, also den Kontrollgegenstand, umfassend unter bundes- und landesverfassungsrechtlichen Aspekten zu bewerten (vgl. J. Dietlein Das Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsrecht, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen: FS zum 50-jährigen Bestehen des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen, 2002, S. 203 ff, 221). Anders verhält es sich nur, wenn die jeweilige Landesverfassung die Prüfungskompetenz in Richtung Bundesrecht eröffnet. Das geschieht durch die Hessische Verfassung jedoch nicht. 2. Die Regelung über den Regionalen Flächennutzungsplan ist auch insoweit mit der Selbstverwaltungsgarantie vereinbar, als dieser gem. § 13 Abs. 5 S. 2 HLPG der Genehmigung durch die Landesregierung nach § 11 HLPG bedarf. Lediglich eine Rechtmäßigkeitskontrolle ist vorgesehen (vgl. LT-Drs. 15/1491, S. 42), wie sich aus § 2 Abs. 1 S. 2 HS 2, § 11 Abs. 3 und § 20 Abs. 1 Nr. 8 HLPG ergibt. Daneben folgt aus § 13 Abs. 5 S. 3 HLPG, dass die Aufstellung flächennutzungsplanbezogener Darstellungen nach § 5 BauGB durch die oberste Landesplanungsbehörde nicht zulässig ist. Die Landesregierung darf daher die Genehmigung des Regionalen Flächennutzungsplans nicht von Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig machen. Die Genehmigung eines Regionalen Flächennutzungsplans darf insoweit nur aus den gleichen Gründen versagt werden wie die Genehmigung eines Flächennutzungsplans nach § 6 Abs. 2 BauGB. Ein solcher Genehmigungsvorbehalt ist mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vereinbar (vgl. Gierke in: Brügelmann, aaO, § 6 Rn. 10 mwN). IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.

Nr. 2 1. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG für die Erhebung einer Grundrechtsklage gegen eine Rechtsvorschrift gilt ausnahmslos und uneingeschränkt. 2. Dies betrifft auch die Fälle, in denen die Grundrechtsklage darauf gestützt wird, das Gesetz sei ursprünglich verfassungsgemäß gewesen, aber erst nach Ablauf der Jahresfrist verfassungswidrig geworden. Gesetz über das Bundesverfassungsgericht § 93 Abs. 3 Gesetz über den Staatsgerichtshof § 45 Abs. 2

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Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen, Anlage zu § 7 Abs. 1 Beschluss vom 4. Mai 2004 - P.St. 1872 in dem Grundrechtsklageverfahren 1. 2.

des Herrn ..., des Herrn ..., — Antragsteller —

Verfahrensbevollmächtigter: Univ.-Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim, Im Oberkämmerer 26, 67346 Speyer gegen das Land Hessen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Staatskanzlei, Bierstadter Straße 2, 65189 Wiesbaden — Antragsgegner — Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A I. Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Grundrechtsklage gegen den in der Anlage zu § 7 Abs. 1 des hessischen Landtagswahlgesetzes vom 18.9.1950 (GVB1. S. 171) idF vom 19.2.1990 (GVB1. I S. 58), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1.10.2002 (GVB1. I S. 602) - LWG festgelegten Zuschnitt des Wahlkreises Nr. 26 (Wetterau II) und regen darüber hinaus an, auch den Zuschnitt weiterer Wahlkreise für nichtig oder unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen, kurz: Hessische Verfassung — HV —, zu erklären. Der derzeit bestehende Zuschnitt der Wahlkreise wurde 1980 festgelegt, ist seit 1983 in Kraft (damals: Anlage zu § 8 Abs. 1 LWG) und lag erstmals der hessischen Landtagswahl vom 25.9.1983 zugrunde. Die Antragsteller waren bei den hessischen Landtagswahlen vom 2.2.2003 im Wahlkreis 26 (Wetterau II) wahlberechtigt. Dieser Wahlkreis weist mit am Wahltag 110.834 Wahlberechtigten eine Größe auf, die um mehr als 40% den rechneriLVerfGE 15

Grundrechtsklage-Jahresfrist (Wahlkreiseinteilung)

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sehen Durchschnittswert von damals 78.742 Wahlberechtigten je Landtagswahlkreis übersteigt. Der Hessische Landtag wird im Wege einer mit einer Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt. Die Wähler haben für die Wahl der 110 Mitglieder des Hessischen Landtags zwei Stimmen (§ 8 LWG). 55 Abgeordnete werden mit der Erststimme („Wahlkreisstimme") in den 55 Wahlkreisen gewählt. Die anderen 55 Abgeordneten werden mit der Zweitstimme („Landesstimme") bestimmt, die für die Wahllisten der Parteien abgegeben werden. Dabei richtet sich die Gesamtzahl der Landtagsmandate, die eine Partei erhält, nach der Summe der Zweitstimmen, die auf diese Partei entfällt. Davon werden die von dieser Partei in Wahlkreisen erlangten Direktmandate abgerechnet (§10 Abs. 4 LWG). Sollten die Kandidaten einer Partei mehr Wahlkreise gewinnen als ihr nach ihren Zweitstimmen zustehen, verbleiben ihr diese so genannten Überhangmandate. In diesem Fall erhöht sich die Gesamtzahl der Abgeordneten über 110 hinaus. Im Gegensatz zu der die Bundestagswahl betreffenden Regelung ist im Fall der hessischen Landtagswahl bei Uberhangmandaten ein Ausgleich vorgesehen: Die anderen Parteien erhalten Ausgleichsmandate, so dass — trotz der vorhandenen Überhangmandate — das durch die Zweitstimmen bestimmte Stärkeverhältnis der Parteien im Parlament bestehen bleibt (§10 Abs. 5 LWG). Am 24.3.2003 haben die Antragsteller Grundrechtsklage erhoben. Da die Antragsteller davon ausgehen, dass die absolute Obergrenze einer zulässigen Größenabweichung bei allenfalls 33 1/3% liegt, halten sie den aktuellen Zuschnitt ihres Wahlkreises für verfassungswidrig. Dies gilt nach ihrer Auffassung auch für weitere Wahlkreise. Sie berufen sich darüber hinaus darauf, dass einige Wahlkreise mehr als doppelt so groß sind wie andere. Sie sind der Meinung, auf Grund des verfassungswidrigen Zuschnitts ihres Wahlkreises hätten ihre bei den Landtagswahlen abgegebenen Stimmen ein geringeres Gewicht, als dies bei Personen der Fall sei, die einem Wahlkreis durchschnittlicher Größe angehörten. Erst recht seien sie gegenüber solchen Wählern benachteiligt, die in besonders kleinen Wahlkreisen wahlberechtigt seien. In dem kleinsten hessischen Wahlkreis mit seinen etwa 54.000 Wahlberechtigten genüge zur absoluten Mehrheit schon die Hälfte derjenigen Stimmen, die in ihrem eigenen Wahlkreis erforderlich sei. Außerdem seien die fünf größten Wahlkreise im Hessischen Landtag mit ihren fünf direkt gewählten Abgeordneten deutlich schlechter repräsentiert als die Städte Frankfurt am Main und Wiesbaden, die bei annähernd gleicher Zahl der Wahlberechtigten über insgesamt neun Direktmandate verfügten. Dementsprechend hätten die Wählerstimmen — darunter die eigenen Stimmen der Antragsteller - unterschiedliches und in den übergroßen Wahlkreisen ein im Vergleich zu geringes Gewicht. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10.4.1997 (BVerfGE 95, 335) sei davon auszugehen, dass es unter Gesichtspunkten der Wahlgleichheit künftig nicht genüge, die vom Bundesverfassungsgericht bis jetzt zugelassene Abweichungsgrenze von 33 1 /3%, bezoLVerfGE 15

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gen auf die durchschnittliche Bevölkerungszahl der Wahlkreise, einzuhalten (BVerfGE 95, 335, 364 f). Die Antragsteller halten insbesondere die seit 1997 in der mangelnden Anpassung der Wahlkreise liegende Unterlassung der hessischen Staatsorgane für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber sei an die Verfassung gebunden und könne dagegen nicht nur durch Handeln, sondern auch durch Unterlassen verstoßen. Diesbezüglich verweisen sie auch auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 24.2.2000 (NVwZ 2000, 670). Dort sah der Staatsgerichtshof die Wahlkreiseinteilung in Niedersachsen, soweit sie die 33 1/3-Grenze deutlich überschritt, als verfassungswidrig an. Zu beachten sei, dass auch in Niedersachsen der Wähler zwei Stimmen habe und Uberhangmandate ausgeglichen werden könnten. Somit bestehe ein mit Hessen nahezu identisches Wahlrecht. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof, kurz: Staatsgerichtshofsgesetz — StGHG — stehe der Zulässigkeit der Grundrechtsklage nicht entgegen. Es gehe „um das Verfassungswidrig-Werden einer gesetzlichen Vorschrift durch Wandel der verfassungsrechtlichen Maßstabsnorm und um die Pflicht des Gesetzgebers, an die Stelle des nunmehr verfassungswidrig gewordenen Wahlkreiszuschnitts einen verfassungsmäßigen zu setzen". Die Erfüllung dieser Pflicht habe der Gesetzgeber bisher unterlassen. Insbesondere gehe es demzufolge nicht um die Pflicht des Gesetzgebers zur Nachbesserung wegen geänderter tatsächlicher Verhältnisse, sondern um einen Wandel der Auffassungen in Rechtsprechung und Rechtslehre und die daraus folgenden verschärften verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Zuschnitt der hessischen Landtagswahlkreise. Der Gesetzgeber müsse zu große Wahlkreise, darunter auch den der Antragsteller, verkleinern und zu kleine vergrößern. Wie er das tue, bleibe seine Sache. Durch die unterlassene Anpassung der Wahlkreiszuschnitte an die inzwischen verschärften verfassungsrechtlichen Anforderungen werde das Recht der Antragsteller auf gleiche Wahl verletzt. Die Nicht-Anpassung eines Gesetzes an gewandelte Anforderungen des Gleichheitssatzes könne ein Unterlassen des Gesetzgebers begründen, das mit Verfassungsbeschwerde bzw. Grundrechtsklage gerügt werden könne (vgl. BVerfGE 56, 54, 72). Es sei anerkannt, dass in solchen Fällen gesetzgeberischen Unterlassens die Antragsfrist von einem Jahr, die bei Grundrechtsklagen gegen ein Gesetz nach § 45 Abs. 2 StGHG (entsprechend § 95 Abs. 3 BVerfGG) zu beachten sei, nicht gelte, so lange die Unterlassung andauere (Hess. StGH, ESVGH 26, 18, 20; BVerfGE 6, 257, 266). Eine zeitliche Festlegung könne nicht erfolgen. Der Wandel der Rechtsauffassung hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Wahlkreiszuschnitt stelle einen allmählichen, kontinuierlichen Vorgang dar, der keine eindeutige zeitliche Zäsur enthalte. Ob und wann dieser Vorgang zu einem Abschluss gekommen und der Wahlkreiszuschnitt deshalb verfassungswidrig geworden sei, sei ungeklärt und bleibe auch ungeklärt, solange der Hessische Staatsgerichtshof nicht entschieden habe. Selbst jetzt noch seien die Antragsteller LVerfGE 15

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einerseits und Landesregierung und Mehrheitsfraktion des Landtages andererseits hinsichtlich dieser Frage völlig unterschiedlicher Auffassung. Die Einjahresfrist werde von den Antragstellern auch nicht unterlaufen, denn es gehe nicht um ein von Anfang an verfassungswidriges Geset2, sondern um das „Verfassungswidrig-Werden" eines anfangs verfassungsmäßigen Gesetzes. Würde — so die Antragsteller — die Zulässigkeit der Grundrechtsklage für diesen Fall verneint, entfiele jede erfolgversprechende Klagemöglichkeit: Eine innerhalb eines Jahres nach Erlass des Gesetzes eingereichte Grundrechtsklage wäre unbegründet, da der Verfassungswandel dann noch nicht stattgefunden hätte; eine später, nach erfolgtem Verfassungswandel, eingelegte Grundrechtsklage wäre hingegen verfristet. Es fehle dann auch an alternativen Rechtsschutzmöglichkeiten für den betroffenen Bürger. Das Hessische Wahlprüfungsgericht habe sich nicht für kompetent erklärt, im Wege der Wahlprüfung wahlgesetzliche Regelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen (Beschl. v. 16.7.2003, amtl. Umdruck S. 32-38). Eine Gewähr dafür, dass der Staatsgerichtshof im Wahlprüfungsverfahren Inzident auch die Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes überprüfe, habe der Beschwerdeführer nicht. Insofern bliebe dem Bürger nur die abstrakte Normenkontrolle, die jedoch nach § 19 Abs. 2 Nr. 2-8 StGHG grundsätzlich nur bestimmten Staatsorganen oder Teilorganen zukomme. Das diesbezügliche Antragsrecht von einem Prozent der Wahlberechtigten gem. § 19 Abs. 2 Nr. 1 StGHG sei theoretischer Natur, denn es sei praktisch kaum möglich, rund 40.000 Unterschriften zusammenzubringen. Die Annahme der Unzulässigkeit ihrer Grundrechtsklage verstoße auch gegen die verfassungsrechtliche Wertordnung. Dies ergebe sich nicht nur aus Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch aus Art. 147 Abs. 1 HV. Der Widerstand gegen verfassungswidrige Wahlgesetze werde, soweit möglich, durch Anrufen der Gerichte, also durch Erhebung der Grundrechtsklage, ausgeübt, zu der die Antragsteller mithin sogar verpflichtet seien. Die beiden genannten Vorschriften verlangten eine verfassungskonforme Auslegung, also eine Auslegung, die die Zulässigkeit von Grundrechtsklagen in Fällen der vorliegenden Art eröffne und nicht verschließe. Die Antragsteller beantragen, den in der Anlage zu § 7 Abs. 1 des hessischen Landtagswahlgesetzes vom 18. September 1950 (GVBL S. 171) in der Fassung vom 19. Februar 1990 (GVB1. I S. 58), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Oktober 2002 (GVBL I S. 602), festgelegten Zuschnitt des Landtagswahlkreises Nr. 26, Wetterau II, für nichtig oder fur unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen zu erklären. Darüber hinaus regen die Antragsteller an, 1.

den in der Anlage zu § 7 Abs. 1 des hessischen Landtagswahlgesetzes vom 18. September 1950 (GVB1. S. 171) in der Fassung vom 19. Februar 1990 (GVB1. I S. 58), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Oktober 2002 (GVB1. I S. 602), festgelegten Zuschnitt der Landtagswahlkreise Nr. 2, Kassel Land II; Nr. 19, Gießen II; Nr. 25, Wetteraul und Nr. 42, Main-Kinzig III, für LVerfGE 15

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nichtig oder für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen zu erklären und 2.

den in der Anlage zu § 7 Abs. 1 des hessischen Landtagswahlgesetzes vom 18. September 1950 (GVB1. S. 171) in der Fassung vom 19. Februar 1990 (GVB1. I S. 58), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Oktober 2002 (GVB1. I S. 602), festgelegten Zuschnitt der Landtagswahlkreise Nrn. 6, 9, 10, 11, 13, 16, 17, 20, 21, 22, 27, 29, 30, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 48, 49, 51, 54 und 55 des Landes Hessen zu überprüfen und, wenn keine triftigen Gründe für den problematischen Zuschnitt vorliegen, für nichtig oder für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen zu erklären. II.

Der Hessische Landtag, die Landesregierung und die Landesanwaltschaft halten die Grundrechtsklage übereinstimmend für unzulässig, weil die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG versäumt sei. Β I. Die Grundrechtsklage ist unzulässig. Die Antragsteller haben die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG versäumt. Nach dieser gesetzlichen Regelung kann eine Grundrechtsklage gegen eine Rechtsvorschrift nur binnen eines Jahres nach deren In-Kraft-Treten erhoben werden. Die von den Antragstellern angegriffene Wahlkreiseinteilung des I .ancles Hessen beruht auf der Anlage zu § 7 Abs. 1 LWG (vor der Neufassung: § 8 Abs. 1 LWG). Diese Vorschrift ist als Teil des Landtagswahlgesetzes vom 18.9.1950 durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes und des Gesetzes über Volksabstimmung vom 18.9.1980 mit Wirkung vom 1.1.1983 in Kraft getreten. Insbesondere fasst das Gesetz vom 18.9.1980 die früheren Wahlkreise 24 und 42, zu denen jeweils die Wohnorte der Antragsteller gehört hatten, zu dem Wahlkreis 26 (Wetterau II) zusammen. Weder aus der Neufassung des Landtagswahlgesetzes vom 19.2.1990 noch aus der letzten Änderung des Landtagswahlgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Wahlprüfungsrechts vom 1.10.2002 oder einer früheren Änderungsvorschrift ergibt sich eine Änderung des mit dem Gesetz vom 18.9.1980 vorgenommenen Wahlkreiszuschnitts, von Berichtigungen durch die Zusammenlegung von Gemeinden oder dergleichen abgesehen. Insbesondere aber hat sich der Zuschnitt des Wahlkreises 26 (Wetterau II) bis heute nicht geändert. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG endete demgemäß am 1.1.1984. Die Grundrechtsklage der Antragsteller ging jedoch erst am 24.3.2003 bei dem Staatsgerichtshof ein.

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Unbeachtlich für den Fristablauf ist, ob die Antragsteller in den Jahren 1983/1984 wahlberechtigt waren, denn mit dem Wortlaut und dem Sinn des § 45 Abs. 2 StGHG wäre es nicht vereinbar, eine erst nach Ablauf der Frist eingetretene „Beschwer" als ausreichende Grundlage für eine Grundrechtsklage anzusehen (vgl. zu § 93 Abs. 3 BVerfGG: BVerfGE 30, 112, 126; vgl. auch Günther Verfassungsgerichtsbarkeit in Hessen, 2004, § 45 StGHG Rn. 21 mwN). Die Antragsteller können sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Verfristung sei unbeachtlich, weil es der Gesetzgeber pflichtwidrig unterlassen habe, das zunächst verfassungskonforme Landtagswahlgesetz nach Eintritt des von ihnen behaupteten Wandels der Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur verfassungskonform anzupassen. Zwar ist das Bundesverfassungsgericht in einigen Entscheidungen davon ausgegangen, der Gesetzgeber könne verfassungsrechtlich verpflichtet sein, eine ursprünglich als verfassungsmäßig angesehene Regelung im Wege der Nachbesserung neu zu gestalten, wenn sich seit Erlass des Gesetzes die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben oder wenn sich eine Prognose später als falsch herausgestellt hat (vgl. BVerfGE 25, 1,13; 50, 290, 335, 377 f; 56, 54, 72 f, 78 f; 65, 1, 55 f). Ob damit aber die Fristregelung des § 93 Abs. 3 BVerfGG, die der in § 45 Abs. 2 StGHG entspricht, unbeachtet bleiben kann, wenn sich die Verfassungsbeschwerde in solchen Fällen gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers richtet, hat das Bundesverfassungsgericht offen gelassen (vgl. BVerfGE 56, 54, 71 f). Die Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG für die Erhebung einer Grundrechtsklage gegen eine Rechtsvorschrift gilt jedenfalls ausnahmslos und uneingeschränkt. Dies betrifft auch den Fall, dass ein bestehendes und ursprünglich verfassungsgemäßes Gesetz erst später als ein Jahr seit seinem In-Kraft-Treten verfassungswidrig geworden ist und den Bürger erst dann - nach Fristablauf — in seinen Grundrechten verletzt. Hessisches Recht lässt in keinem Fall zu, nach Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG die Grundrechtsklage gegen ein bestehendes Gesetz zu erheben. Dies kann nicht dadurch umgangen werden, der Gesetzgeber habe es pflichtwidrig unterlassen, die verfassungswidrige Regelung durch eine verfassungsgemäße zu ersetzen. § 45 Abs. 2 StGHG ist eindeutig und lässt daher keine Ausnahmen zu. Danach kann eine Grundrechtsklage gegen eine Rechtsvorschrift „nur" binnen eines Jahres seit In-Kraft-Treten der Rechtsvorschrift erhoben werden. Im Falle einer unterlassenen Nachbesserung durch den Gesetzgeber geringere Anforderungen zu stellen, würde die Frist des § 45 Abs. 2 StGHG unterlaufen. Letztlich ist nämlich jedem verfassungswidrigen Gesetz immanent, dass der Gesetzgeber es unterlässt, durch die Änderung dieses Gesetzes einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen (vgl. auch BVerfGE 23, 229, 238; Benda/KJein Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2001, § 19 BVerfGG Rn. 501; Günther aaO, § 45 Rn. 24 mwN aus Rspr. u. Lit.).

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Eine verfassungswidrige Rechtsschutzlücke entsteht durch die strenge Handhabung des Fristerfordernisses nicht. Der Staatsgerichtshof, der das Verwerfungsmonopol hinsichtlich verfassungswidriger Normen besitzt, kann in anderen zulässigen Verfahren die Verfassungswidrigkeit einer Norm auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs. 2 StGHG feststellen. Dies gilt etwa im Normenkontrollverfahren, auf eine gerichtliche Vorlage hin oder als Vorfrage bei der Entscheidung über ein bei ihm anhängiges verfassungsrechtliches Verfahren. Jedem gerichtlichen Klage- oder Antragsverfahren ist immanent, dass seine wirksame Durchführung von bestimmten prozessualen Voraussetzungen abhängt. Der im Rahmen der Grundrechtsklage durch den Fristablauf begründete Nachteil, dass der Einzelne das (bestehende) Gesetz dann nicht mehr unmittelbar, sondern erst nach einer Erschöpfung des Rechtsweges anfechten kann, ist angesichts des übergeordneten Gebots der Rechtssicherheit in Kauf zu nehmen (vgl. Schmidt-B leibtreu in: Maunz / Schmidt-B leibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Losebl., Stand: September 2003, § 93 Rn. 43). II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.

Nr. 3 1. Wendet sich ein Grundrechtskläger gegen eine Eilentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO, so erfordert die Subsidiarität der Grundrechtsklage nicht in jedem Fall einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO. 2. Die konkrete Ausgestaltung des Bestandsschutzes - insbesondere auch im Hinblick auf den Ausgleich mit widerstreitenden öffentlichen Interessen, wie hier den naturschutzrechtlichen Belangen, - ist primär Aufgabe des (einfachen) Gesetzgebers bzw. eine Frage der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts. Von Verfassungs wegen geht der Bestandsschutz nicht so weit, dass er auch die Erhaltung einer in ihrer Substanz vollständig erneuerten Einfriedung deckt. Eine Anpassung an die geltende Rechtsordnung kann desto eher verlangt werden, je mehr sie den Betroffenen zumutbar ist. Dabei sind Eingriffstiefe und Situationsgebundenheit des Grundstücks zu berücksichtigen. Hessische Verfassung Art. 45 LVerfGE 15

Grundrechtsklage nach verwaltungsgerichtlichem Eilverfahren - Bestandsschutz

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Gesetz über den Staatsgerichtshof § 44 Abs. 1 Sätze 1 und 2

U r t e i l v o m 13. D e z e m b e r 2 0 0 4 - P.St. 1842 in dem Verfahren über die Grundrechtsklage 1. 2. 3. 4.

der der des der

Frau ... Frau ... Herrn ... Frau ... — Antragsteller —

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwalt Gerhard Strauch und Koll., Schützenhofstraße 3, 65183 Wiesbaden gegen das Land Hessen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Staatskanzlei, Georg-August-Zinn-Straße 1, 65183 Wiesbaden — Antragsgegner — an dem sich beteiligt hat: die Landesanwaltschaft bei dem Mühlgasse 2, 65183 Wiesbaden

Staatsgerichtshof

des

Landes

Hessen,

Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A I. Die Antragsteller wenden sich mit ihrer Grundrechtsklage gegen eine Beschwerdeentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, die ihnen vorläufigen Rechtsschutz gegen naturschutzrechtliche Maßnahmen verwehrt.

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Die Antragsteller sind Miteigentümer des Grundstücks Gemarkung Auringen, Flur ..., Flurstücke ... und ..., in Wiesbaden. Das Grundstück ist mit einem durch Bauschein des Kreisausschusses des Main-Taunus-Kreises vom 1.6.1970 genehmigten Wochenendhaus bebaut und nach ihren Angaben seit 1959 mit einem Maschendrahtzaun eingefriedet. In der dem Bauantrag beigefügten Baubeschreibung wurde die Einfriedung als Bestand aufgeführt. In der mit dem Vordruck „Einfriedungen und Einfassungen vor der Baufluchtlinie" versehenen Zeile findet sich die Eintragung: „Art: Drahtgeflecht; Höhe: 1.50 m vorhanden". Vor der Unterschrift des vom Kreisausschuss des Main-Taunus-Kreises beauftragten Mitarbeiters der Bauaufsichtsbehörde steht folgender Vermerk: „BAUAUFSICHTLICH GEPRÜFT UND ZUM BAUSCHEIN NR. ... GEHÖRIG". Im Laufe der Jahre nahmen die Antragsteller bzw. Dritte Reparaturen an dem Zaun vor. Dabei wurden der Maschendraht letztlich vollständig ersetzt und marode Holzpfosten ausgetauscht; die Betonpfosten blieben unverändert stehen. Die letzte Reparatur in einem Umfang von ca. 15% der gesamten Einfriedung erfolgte nach Angaben der Antragsteller am 4.6.1994. Die Stadt Wiesbaden plant, das Gebiet „...", in welchem das betreffende Grundstück liegt und sich mehrere bauliche Anlagen befinden, als offenes Streuobstgebiet zu entwickeln. Unter dem 11.5.1994 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Wiesbaden unter anderem, das noch von der ehemals selbstständigen Gemeinde Auringen eingeleitete Bauleitplanungsverfahren für das genannte Gebiet einzustellen und dort vorhandene bauliche Anlagen nach den Vorgaben eines „Maßnahmen· und Kriterienkataloges" auf begrenzte Dauer zu dulden. Neue bauliche Anlagen sollten nicht zugelassen werden. Auf den Beschluss über die Duldung baulicher Anlagen wurden die Antragsteller erst mit Schreiben des Magistrats — Bauaufsichtsamt - vom 30.10.1995 hingewiesen. Eine öffentliche Bekanntmachung dieses Beschlusses war ausweislich eines Schreibens des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt Wiesbaden an die Antragstellerin zu 4 vom 19.12.1995 nicht erfolgt. Zur öffentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung war unter Nennung des entsprechenden Tagesordnungspunktes durch Bekanntmachung im „Wiesbadener Tagblatt" eingeladen worden. Der Beschluss sieht unter anderem vor, bezüglich der „3 Wochenendhäuser, welche in den Jahren 1970 1976 ... genehmigt wurden, ... bauaufsichtlich nichts zu veranlassen." In allen anderen Fällen bestehe hingegen kein Bestandsschutz. Dies gelte dann auch insoweit, als Genehmigungen vorlägen, weil die Ausführung der Vorhaben von den Genehmigungsbescheiden wesentlich abwichen. Insgesamt seien 26 Beseitigungsverfügungen zu erlassen. Zur Vermeidung von Härtefällen solle deren Durchsetzung anhand des „Kriterienkataloges" für jeden Einzelfall festgelegt werden. Sämtliche „Einzelfälle" wurden aufgelistet. In dieser Liste findet sich unter Nr. ... das Wochenendhaus der Antragsteller. Bestandsschutz wird insoweit bejaht. Die Einfriedung ist dort aber nicht erwähnt. Auch der „Maßnahmen- und KriterienLVerfGE 15

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katalog" fuhrt Einfriedtangen nicht auf. Der Katalog sieht Duldungszeiträume bis zum Wegfall der Benutzbarkeit, längstens jedoch wie folgt vor: für Gartenhütten maximal 10 Jahre, für Wochenendhäuser maximal 15 Jahre und für Wohnhäuser maximal 30 Jahre. Die untere Naturschutzbehörde gab der Antragstellerin zu 1 mit Verfügung vom 24.2.1997 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, die gesamte Einfriedung (Pfosten und Maschendraht) auf den Flurstücken ... und ... einschließlich vorhandener Betonfundamente innerhalb eines Monats nach Vollziehbarkeit der Verfügung zu beseitigen, das Abbruchmaterial von dem Grundstück zu entfernen und den alten Zustand wiederherzustellen. Die Verfügung wurde auf einen Verstoß gegen die Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet Taunus idF vom 6.4.1995 (StAnz. 1995, S. 1473) - L S V O 1995 - gestützt, ferner darauf, dass ein nicht genehmigungsfähiger Eingriff iSd Hessischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege idF vom 16.4.1996, kurz: Hessisches Naturschutzgesetz — HENatG - (GVB1. I S. 145), vorliege. Für den Fall, dass die Antragstellerin zu 1 den naturschutzrechtlichen Anordnungen nicht fristgerecht und vollständig nachkomme, drohte ihr die untere Naturschutzbehörde die Ersatzvornahme an. Gegen die Antragsteller zu 2 bis 4 ergingen am 24.2. bzw. 13.3.1997 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung Verfügungen, die gegen die Antragstellerin zu 1 gerichteten Maßnahmen zu dulden. Die Antragsteller legten gegen diese Verfügungen Widerspruch ein. Mit Beschluss vom 9.7.1998 - 4 G 352/97 - ordnete das VG Wiesbaden die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 1 gegen den Bescheid vom 24.2.1997 bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheides insoweit an, als ihr gegenüber die Ersatzvornahme angedroht worden war. Im Übrigen wies das VG die Anträge der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die naturschutzrechtlichen Verfügungen wiederherzustellen, jedoch zurück. Insoweit sei das öffentliche Interesse an der Vollziehung höher zu gewichten als das Interesse der Antragsteller, vorläufig von Vollziehungsmaßnahmen verschont zu bleiben. Das Beseitigungs- und Wiederherstellungsgebot, das sich auf den Zaun und die neu errichteten Pfosten beziehe, beruhe auf § 8 Abs. 2 HENatG. Es liege ein unzulässiger Eingriff in Natur und Landschaft iSd §§ 5, 6 Abs. 1 und 6a Abs. 1 HENatG vor. Der auf einem Grundstück im Außenbereich stehende Zaun beeinträchtige Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege iSd § 35 Abs. 3 Nr. 5 des Baugesetzbuches — BauGB —. Das Grundstück der Antragsteller befinde sich nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... „...", da dieser mangels Bekanntmachung nicht wirksam geworden sei. Das Grundstück liege auch nicht in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil. Die Beeinträchtigung naturschutzrechtlicher Belange sei in Gestalt einer mit § 3 LSVO 1995 nicht vereinbaren Schädigung der Natur durch die Errichtung des Zauns in einer Außenbereichslandschaft gegeben. Der Zeitpunkt der Errichtung des Zauns sei dabei unLVerfGE 15

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erheblich, da auch nach der Landschaftsschutzgebietsverordnung Taunus vom 20.1.1976 (StAnz. 1976, S. 294) - LSVO 1976 die früher für das Grundstück gegolten habe, die Errichtung von Grundstückseinfriedungen grundsätzlich verboten gewesen sei. Die Antragstellerin zu 1 könne auch nicht mit Erfolg einwenden, der Maschendrahtzaun sei bestandsgeschützt. Der Bestandsschutz berechtige dazu, eine rechtmäßig errichtete bauliche Anlage in ihrem Bestand zu erhalten und sie zu nutzen. Es könne offen bleiben, ob der ursprüngliche Zaun der Antragsteller jemals im Einklang mit dem materiellen Recht errichtet worden sei. Der Maschendrahtzaun sei mitderweile rundum erneuert worden. Solche Maßnahmen, die einer Neuerrichtung gleichkämen, seien hingegen nicht vom Bestandsschutz gedeckt. Eine Rechtswidrigkeit der Verfügung wegen Verstoßes der unteren Naturschutzbehörde gegen das Gleichbehandlungsgebot scheide aus, weil die Landeshauptstadt Wiesbaden als Trägerin der unteren Naturschutzbehörde dargelegt habe, systematisch gegen neu errichtete Bauwerke vorzugehen. Darüber hinaus treffe der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Wiesbaden vom 11.5.1994, der für bestimmte bauliche Anlagen Duldungsfristen vorsehe, für neu errichtete Einfriedungen keine Regelung. Die auf Beseitigung der Betonpfeiler gerichtete Verfügung sei gleichfalls rechtmäßig, und zwar unabhängig davon, ob sie auf § 8 Abs. 2 HENatG oder auf § 30a Abs. 2 HENatG zu stützen sei. Durch die von der Naturschutzbehörde verfügte Entfernung der neu errichteten Teile der Einfriedung würden die alten Betonpfosten funktionslos. Damit entfalle ein etwaiger Bestandsschutz für sie. Die Beseitigungsverfügung habe auch dann an die Antragstellerin zu 1 gerichtet werden können, wenn ein Teilstück der Einfriedung nicht durch die Antragsteller erneuert worden sei. Für die Störerauswahl sei das Kriterium der effektiven Gefahrenabwehr maßgeblich. Es sei nicht ersichtlich, dass durch die Wahl der Antragstellerin zu 1 gegen dieses Kriterium verstoßen worden sei. Die gegenüber den Antragstellern zu 2 bis 4 ausgesprochenen Duldungsverfügungen seien aus den genannten naturschutzrechtlichen Erwägungen rechtmäßig. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof ließ mit Beschluss vom 21.6.1999 - 2 TZ 3024/98 — die Beschwerde der Antragsteller zu. Mit dem von den Antragstellern angegriffenen Beschluss vom 13.12.2002 — 4 TG 1900/99 — wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde der Antragsteller gegen die Entscheidung des VG Wiesbaden vom 9.7.1998 zurück, soweit darin die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden war. Der Senat nahm auf die Begründung des VG Bezug und führte ergänzend aus, die Landeshauptstadt Wiesbaden habe den Sofortvollzug der Beseitigungsverfügung sowie der Duldungsanordnungen in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 VwGO gerecht werdenden Weise angeordnet.

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Auf Bestandsschutz der Einfriedung könnten sich die Antragsteller nicht mit Erfolg berufen. Dabei könne der Senat offen lassen, ob überhaupt jemals in Bezug auf die Einfriedung Bestandsschutz bestanden habe. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte — etwa aufgrund des am 1.6.1970 erteilten Bauscheins, mit dem die Errichtung eines Wochenendhauses auf dem Grundstück genehmigt worden war —, sei ein etwaiger Bestandsschutz jedenfalls erloschen. Bei einer Einfriedung bedeute Bestandsschutz, dass letztlich nur geringfügige Reparaturen einzelner schadhafter Teile zulässig seien. Die Reparaturen dürften hingegen, solle der Bestandsschutz nicht erlöschen, nicht dazu führen, den Bestand über die übliche Lebensdauer einer derartigen Einrichtung hinaus zu sichern. Die bis auf einige wenige Betonpfosten vollständige Erneuerung — wenn auch nicht in einem Zug, sondern nach und nach — eines durch natürliche Abnutzung weitgehend unbrauchbar gewordenen Zaunes, insbesondere die Ersetzung verrotteten Maschendrahtzauns durch neuen, wie er auf dem Grundstück der Antragsteller vorgenommen worden sei, sei durch einen Bestandsschutz nicht mehr gedeckt. Keinen Bestandsschutz könnten auch die möglicherweise vor Inkrafttreten des Hessischen Naturschutzgesetzes errichteten Betonpfosten genießen. Ein solcher sei nämlich nur dann anzuerkennen, wenn eine Nutzung entsprechend der früheren materiellen Rechtslage noch möglich sei. Isoliert könnten die Betonpfosten jedoch nicht mehr entsprechend ihrer ursprünglichen Funktion genutzt werden. Die Antragsteller könnten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Einfriedung gleichsam einen notwendigen Annex zu dem genehmigten Wochenendhaus darstelle und deshalb an dessen Bestandsschutz teilnehme. Für ein Wochenendhaus, das Bestandsschutz genieße, sei auch ohne die Zubilligung einer Einfriedung als untergeordneter baulicher Anlage die sinngerechte Nutzung des Hauses nicht schlechterdings unmöglich oder unzumutbar erschwert. Eine ausreichende Sicherung des Gebäudes, zum Beispiel gegen Einbruch, könne auch durch entsprechende Vorkehrungen am Haus selbst erreicht werden. Die Vorinstanz sei auch zu Recht davon ausgegangen, dass das Grundstück der Antragsteller im Außenbereich liege. Der Bebauungsplan „..." der ehemals selbstständigen Gemeinde Auringen sei nicht in einer den Anforderungen des § 12 Bundesbaugesetz entsprechenden Weise öffentlich bekannt gemacht und damit niemals wirksam geworden. Die Landeshauptstadt sei auch ohne die Durchführung eines förmlichen Aufhebungsverfahrens berechtigt, von der Unwirksamkeit des Planes auszugehen. Die Bauaufsichtsbehörde habe, sofern Anlass dazu bestehe, als Teil der an Recht und Gesetz gebundenen vollziehenden Gewalt die anzuwendenden Rechtsnormen und somit auch die als Satzungsrecht beschlossenen Bebauungspläne auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen, auch ohne dass diese bisher von der Gemeinde oder in einem gerichtlichen Normenkontrollverfahren aufgehoben worden seien, sofern — was vorliegend nicht der Fall sei — nicht landes- oder bundesrechtlich ausgestaltete Vorbehalte zugunsten der Verfas-

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sungsgerichte eingriffen. Gleiches müsse wegen der Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz auch für die Naturschutzbehörden gelten. Der Senat teile auch nicht die Auffassung der Antragsteller, ihr Grundstück sei bei einer Unwirksamkeit des Bebauungsplanes jedenfalls dem unbeplanten Innenbereich iSd § 34 BauGB zuzurechnen. Das betreffende Grundstück gehöre nicht einem im Bebauungszusammenhang stehenden Ortsteil an. Nach der von der Landeshauptstadt erstellten Auflistung der im „..." vorhandenen Einzelfälle seien von den 49 Flurstücken 19 unbebaut, 16 mit Gartenhütten, 7 mit Wochenendhäusern und weitere 7 mit Wohnhäusern bebaut. Der Lageplan mache deutlich, dass das Gebiet „..." durch viele unbebaute Grundstücke geprägt sei. Nur wenige Baukörper seien in das Gelände, das in eine völlig unbebaute Lage übergehe, eingesprengt. Bei den Baukörpern handele es sich überwiegend um Gartenhütten, die nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt und damit auch nicht geeignet seien, einen Bebauungszusammenhang iSd § 34 BauGB herzustellen. Die wenigen Häuser, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen zu dienen bestimmt seien, stünden in keinem baulichen Zusammenhang und seien darüber hinaus zahlenmäßig nicht so gewichtig, dass sie sich als Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur darstellten, wie dies für die Annahme eines Ortsteils und damit der Anwendbarkeit des § 34 BauGB Voraussetzung wäre. Auch der 3. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sei — und zwar in Bezug auf das sich unmittelbar an das Grundstück der Antragsteller anschließende Nachbargrundstück — davon ausgegangen, dass der Bereich des „..." dem Außenbereich zuzuordnen sei. Offen bleiben könne, ob dem Vortrag der Antragsteller zu einer Nichtanwendbarkeit bzw. Unwirksamkeit der Verordnung „Landschaftsschutzgebiet Taunus" zu folgen sei. Die Erneuerung der Einfriedung, die in ihrem Umfang einer Neuerrichtung gleichkomme, sei jedenfalls nach Inkrafttreten des Hessischen Naturschutzgesetzes erfolgt. Die bauliche Anlage im Außenbereich stelle nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 HENatG einen Eingriff in Natur und Landschaft dar, der grundsätzlich gem. § 6 HENatG genehmigungsbedürftig sei. Unabhängig von einer landschaftsschutzrechtlichen Zulässigkeit der Einfriedung stehe nach allgemeinem Naturschutzrecht ihrer Zulassung § 6a Abs. 1 Nr. 3 HENatG entgegen. Durch die umfängliche Einfriedungsanlage werde die natürliche Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert beeinträchtigt. Die Einfriedung stelle eine unzulässige Naturschädigung dar, denn sie habe zur Folge, dass ein Teil der freien Natur nicht einer durch die Eigenart der Landschaft vorgegebenen und ihr entsprechenden Nutzung zugeführt werde. Die Einfriedung stelle im Außenbereich eine nicht der natürlichen Eigenart der Landschaft entsprechende Bebauung dar, sondern sei ihr wesensfremd und beeinträchtige damit sowohl die natürliche Eigenart der Landschaft als auch ihren Erholungswert. Die Beseitigungsanordnung der Landeshauptstadt verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der ein systematisches LVerfGE 15

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Vorgehen der Natur- und Landschaftsschutzbehörde gegen alle in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang vorhandenen vergleichbaren illegalen baulichen Anlagen erfordere. Die Landeshauptstadt habe dargelegt, dass von 49 Einzelgrundstücken des Bereichs „..." 30 bebaut seien. Mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11.5.1994 habe die Landeshauptstadt zur Verwirklichung ihres planerischen Konzepts der Erhaltung und Entwicklung von Streuobstbeständen ein abgestuftes Vorgehen gegen Schwarzbauten beschlossen und eine nicht zu beanstandende Differenzierung dahingehend vorgenommen, dass neue bauliche Anlagen unverzüglich zu beseitigen seien, da andernfalls eine Durchführung des gesamten Konzepts in Frage gestellt würde. In Bezug auf die Einfriedung der Antragsteller liege eine genehmigungsbedürftige Erneuerung vor, so dass die Antragsteller keinen Anspruch auf Duldung dieser baulichen Anlage aus dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 11.5.1994 hätten. Am 17.1.2003 haben die Antragsteller gegen den ihnen am 17.12.2002 zugestellten Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Grundrechtsklage erhoben. Sie machen geltend, durch die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in ihren Grundrechten auf Gleichbehandlung aus Art. 1 der Verfassung des Landes Hessen, kurz: Hessische Verfassung — HV —, allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 und 2 HV, Leben und Menschenwürde aus Art. 3 HV, Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 8 HV und Privateigentum aus Art. 45 Abs. 1 und 2 HV verletzt worden zu sein. Darüber hinaus rügen sie eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und des Gebots effektiven Rechtsschutzes sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 63 und 65 HV in Verbindung mit den einzelnen Grundrechten. Die Grundrechtsklage sei zulässig. Ihre Zulässigkeit scheitere insbesondere nicht am Grundsatz der Subsidiarität. Die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache sei ihnen nicht zumutbar. Aufgrund der abschließenden Entscheidung im Eilverfahren drohe die Beseitigung des Zauns. Dies stelle einen schweren und unabwendbaren Nachteil dar, da sie ohne Einfriedung kein befriedetes Besitztum mehr hätten und Beschädigungen und Zerstörungen drohten. Auch in zeitlicher Hinsicht könne ihnen das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zugemutet werden. Bereits das Eilverfahren habe bis zu seinem Abschluss einen Zeitraum von fünf Jahren in Anspruch genommen. Es sei denkbar, dass die Antragsteller wegen ihres fortgeschrittenen Alters — eine Antragstellerin sei ... Jahre alt (Januar 2003) — eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr erleben würden. Zudem stellten sich in Eil- und Hauptsacheverfahren identische Rechtsfragen, so dass eine Verweisung auf den Subsidiaritätsgrundsatz unbillig wäre. Der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit verbiete schließlich auch, sie auf das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zu verweisen. Die Grundrechtsklage sei auch begründet. Die der angegriffenen Entscheidung zu Grunde liegende Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, LVerfGE 15

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infolge ihrer Erneuerungsarbeiten sei ein etwaiger Bestandsschutz des Zaunes jedenfalls erloschen, verletze die Eigentumsgarantie des Art. 45 Abs. 1 und 2 HV sowie die Grundrechte aus Art. 2, 3 und 8 HV. Sie hätten keine neue bauliche Anlage hergestellt, sondern über einen Zeitraum von ca. 15 Jahren einen bestandsgeschützten Zaun lediglich in Stand gesetzt. Der Eigentumsschutz des Wohnhauses erstrecke sich auf den Zaun als bauliche Nebenanlage, der dessen bauliches Schicksal teile. Der Zaun sei in den Jahren 1984 bis 1994 schrittweise in Stand gesetzt worden. Letztmals im Juni 1994 seien die restlichen 15% des Zaunes repariert worden. Soweit der Hessische Verwaltungsgerichtshof angenommen habe, ihr Grundstück liege im Außenbereich, sei ihr umfangreicher Vortrag zur Wirksamkeit des Bebauungsplanes Nr. 5 „Im ..." nicht berücksichtigt worden. Dies verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Aufklärungsgrundsatz, die Eigentumsgarantie sowie ihre Grundrechte aus Art. 2, 3 und 8 HV. Bei Berücksichtigung ihres Vorbringens hätte der Hessische Verwaltungsgerichtshof von einer nicht eindeutigen Rechtslage ausgehen und ihnen im Rahmen einer Interessenabwägung Eilrechtsschutz gewähren müssen. Die genannten Grundrechte seien jedenfalls dadurch verletzt, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof auch eine unbeplante Innenbereichslage ihres Grundstücks verneint habe. Sie hätten umfänglich zum Vorliegen eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils vorgetragen und eine Ortsbesichtigung angeregt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe auch insofern ihr Vorbringen nicht hinreichend berücksichtigt. Grundrechtsverletzungen der genannten Art lägen ferner vor, soweit der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Unzulässigkeit der Einfriedung aus § 6a Abs. 1 Nr. 3 HENatG hergeleitet habe. Zum einen setze sich der Bestandsschutz des Zauns ohnehin gegenüber später erfolgten Rechtsänderungen durch. Zum anderen sei die Einfriedung nach der Ausweisung im Flächennutzungsplan rechtmäßig, so dass der Genehmigungsausschluss des § 6a Abs. 1 Nr. 3 HENatG nicht eingreife. Auch soweit der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Ermessensausübung der Landeshauptstadt bei Erlass der Beseitigungsverfügung als mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar angesehen habe, verletze der angegriffene Beschluss die genannten Grundrechte. Insbesondere habe der Verwaltungsgerichtshof verkannt, dass sie stets rechtmäßig, jedenfalls aber im Vertrauen auf die ihnen bekannten rechtlichen Grundlagen, gehandelt hätten. Die Grundrechte des Art. 2 HV und des Art. 45 Abs. 1 und 2 HV sowie das Gehörsrecht seien zudem verletzt, weil die Verwaltungsgerichte nicht berücksichtigt hätten, dass der die Flurstücke Nr. ... und Nr. ... voneinander abgrenzende Teil des Zauns auch im Eigentum des Nachbarn der Antragsteller stehe und von diesem in Stand gehalten worden sei.

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Die Antragsteller beantragen, 1.

festzustellen, dass der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Dezember 2002 - 4 TG 1900/99 - das Rechtsstaatsprinzip, den Gleichheitsgrundsatz, die allgemeine Handlungsfreiheit, die Garantie effektiven Rechtsschutzes, das Recht auf Leben und Menschenwürde, das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, das Privateigentum sowie den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt,

2.

diesen Beschluss für krafdos zu erklären und die Sache an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. II.

Der Antragsgegner beantragt, die Grundrechtsklage zurückzuweisen. Er hält die Grundrechtsklage für unzulässig. Soweit die Antragsteller als Gehörsverletzung rügten, der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe sich nicht mit ihrem Vorbringen befasst, ein Teil der Einfriedung stehe auch im Eigentum eines Nachbarn und sei von diesem in Stand gesetzt worden, stehe der Zulässigkeit der Subsidiaritätsgrundsatz entgegen. Die Antragsteller hätten es versäumt, diesen Gesichtspunkt im Antrag auf Zulassung der Beschwerde geltend zu machen. Auch darüber hinaus sei ein Gehörsverstoß nicht plausibel dargetan. Die Antragsteller folgerten aus dem Umstand, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof ihrem Vorbringen nicht gefolgt sei, das Gericht habe ihren Vortrag nicht hinreichend beachtet. Das Gehörsrecht schütze einen Verfahrensbeteiligten indes nicht davor, dass das Gericht seinen Vortrag aus Gründen des Verfahrens- oder des materiellen Rechts für unbeachtlich hält oder sich dessen Auffassung aus anderen Gründen nicht anschließt. Im Übrigen hätten die Antragsteller die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht plausibel dargelegt. Insbesondere hätten sie eine verfassungsspezifische Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 45 HV durch das vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof im angegriffenen Beschluss vertretene Bestandsschutzverständnis nicht hinreichend dargetan. Ihre Ausführungen beschränkten sich im Wesentlichen auf einfach-rechtliche Überlegungen. Aber selbst insofern gehe ihre Argumentation fehl. Der 1970 erteilte Bauschein habe sich nur auf das Bauordnungsrecht bezogen. Aufgrund der Naturschutzverordnung von 1966 sei die Einfriedung bereits bei Erteilung des Bauscheines naturschutzwidrig gewesen.

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III. Die Landesanwaltschaft bei dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen hat sich in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen den Ausführungen der Staatskanzlei angeschlossen und einen eigenen Antrag nicht gestellt. IV. Der durch den angegriffenen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs begünstigten Landeshauptstadt Wiesbaden ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. V. Die Akten des Ausgangsverfahrens vor dem VG Wiesbaden - 4 G 352/97 bzw. vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof — 4 TG 1900/99 — (2 Bände) waren beigezogen. Β I. Die Grundrechtsklage ist zulässig, soweit die Antragsteller eine Verletzung ihres Grundrechts auf Eigentum aus Art. 45 Abs. 1 und 2 HV geltend machen, im Übrigen hingegen unzulässig. 1. Die gegen die Beschwerdeentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs gerichtete Grundrechtsklage der Antragsteller ist statthaft. Nach § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof, kurz: Staatsgerichtshofsgesetz — StGHG —, prüft der Staatsgerichtshof nur, ob die Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts des Landes Hessen auf der Verletzung eines von der Verfassung des Landes Hessen gewährten Grundrechts beruht (std. Rspr. des Staatsgerichtshofs - StGH vgl. etwa Beschl. v. 16.1.2001 - P.St. 1537 —, StAnz. 2001, 871, 872). Der angegriffene Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist hiernach tauglicher Gegenstand der Grundrechtsklage. Diese Entscheidung schließt das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ab und ist gem. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Da das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum zugehörigen Hauptsacheverfahren einen eigenständigen Rechtsweg darstellt (std. Rspr. des StGH, vgl. etwa Beschl. v. 15.8.1990 - P.St. 1101 StAnz. 1990, 1960, 1962), haben die Antragsteller auch den Rechtsweg gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 StGHG erschöpft. 2. Der Grundsatz der Subsidiarität steht der Zulässigkeit der Grundrechtsklage nicht entgegen. Dieser Grundsatz verlangt — über das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinausgehend —, dass ein Antragsteller LVerfGE 15

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sämtliche zur Verfügung stehenden und ihm zumutbaren Möglichkeiten ergreift, um eine grundrechtliche Beschwer abzuwenden (std. Rspr. des StGH, vgl. etwa Besch! v. 15.8.1990 - P.St 1101 - , aaO und 10.12.2002 - P.St. 1609 StAnz. 2003, 742, 744). Vorliegend sind insoweit jedoch weder der Abschluss des Widerspruchsverfahrens, die Erschöpfung des Rechtsweges zu den Verwaltungsgerichten in der Hauptsache noch ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO erforderlich. a) Das behördliche Widerspruchsverfahren bietet von vornherein keine Möglichkeit der Abhilfe, soweit die Antragsteller die Verletzung rechtlichen Gehörs durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof im gerichtlichen Eilverfahren beanstanden. Im Ergebnis gilt das aber auch für die behauptete Verletzung materieller Grundrechte. Zwar könnte die Widerspruchsbehörde sämtliche gegenüber den Antragstellern ergangenen Maßnahmen aufheben und es drohte bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht die zwangsweise Durchsetzung der Beseitigungsverfügung, da bis zu diesem Zeitpunkt die Vollziehbarkeit der Zwangsmittelandrohung durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden ausgesetzt ist. Trotz Erschöpfung des Rechtswegs aufgrund der Subsidiarität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes anderweitige Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, ist einem Grundrechtskläger jedoch nur zumutbar, wenn der Rechtsbehelf, auf den er verwiesen wird, nicht aussichtslos erscheint. Stellt sich hingegen die Wahrnehmung weiterer Rechtsbehelfe nach erfolgter Rechtswegerschöpfung als bloße Formalie dar, von der keine abweichende - dem Grundrechtskläger günstige — Entscheidung zu erwarten ist, so ist das Durchlaufen eines derartigen Rechtsbehelfsverfahrens dem Grundrechtskläger nicht zumutbar (vgl. StGH, Beschl. v. 13.9.1989 - P.St. 1077 - , StAnz. 1989, 2084, 2087 f = ESVGH 40, 10, 12; std. Rspr. BVerfG, vgl. etwa Beschl. v. 26.3.1963 - 1 BvR 451/62 BVerfGE 16, 1, 2 f; Urt. v. 24.3.1981 - 1 BvR 1516/78 und 964, 1377/80 - , BVerfGE 56, 363, 380 mwN; Beschl. v. 12.5.1985 - 1 BvR 571/81, 494/82 und 47/83 - , BVerfGE 69, 188, 202). Gemessen hieran ist den Antragstellern das Abwarten der Entscheidung der Widerspruchsbehörde über ihre Widersprüche bereits deshalb nicht zumutbar, weil eine Aufhebung der Anordnungen der unteren Naturschutzbehörde angesichts der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren nicht zu erwarten ist. Die Vollziehbarkeit der naturschutzrechtlichen Anordnungen haben das VG Wiesbaden wie auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof nämlich nicht aufgrund einer von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängigen Interessenabwägung bestätigt, sondern nach umfänglicher Prüfung und Bejahung der Rechtmäßigkeit dieser Verfügungen. Anhaltspunkte dafür, dass die Verwaltung im konkreten Fall im Widerspruchsverfahren von dieser verwaltungsgerichtlichen Bewertung ihrer Maßnahmen abweicht und ihre Verfügungen aufhebt, bestehen nicht.

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b) Die Antragsteller können auch nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden. Soweit die Antragsteller Verletzungen rechtlichen Gehörs rügen, auf denen die angegriffene Eilentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs beruhen soll, ist dies bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie mit ihrer Rüge Grundrechtsverletzungen geltend machen, die die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes selbst betreffen (vgl. StGH, Beschl. v. 15.8.1990 - P.St. 1101 - , aaO; BVerfG, Beschl. v. 3.11.1983 - 2 BvR 348/83 - , BVerfGE 65, 227, 233 und 5.5.1987 - 1 BvR 1113/85 - , BVerfGE 75, 318, 325). Auch darüber hinaus bietet das Hauptsacheverfahren den Antragstellern nicht ausreichend Gelegenheit, die behaupteten materiellen Grundrechtsverletzungen, namentlich des Eigentumsgrundrechts, abzuwehren. Die Antragstellerin zu 1 ist (derzeit) Adressatin einer sie zur Beseitigung des Zauns verpflichtenden Verfügung, die sofort vollziehbar ist. Gegenüber den Antragstellern zu 2 bis 4 liegen sofort vollziehbare Verfügungen vor, nach denen sie die Beseitigung des Zaunes zu dulden haben. Die in diesen Fällen ansonsten bestehende Möglichkeit, als Annex zur Anfechtungsklage bereits vor Rechtskraft des Aufhebungsurteils einen Folgenbcseitigungsanspruch nach §113 Abs. 1 S. 2 VwGO prozessual wirksam geltend zu machen und damit die Wiederherstellung des vor der Vollziehung des Verwaltungsaktes bestehenden Zustandes zu erreichen, besteht im hier vorliegenden Fall nicht. Denn ein Folgenbeseitigungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn — wie hier — die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes tatsächlich oder rechtlich nicht mehr möglich ist. Der Folgenbeseitigungsanspruch hat nämlich die Möglichkeit der Wiederherstellung zur Voraussetzung und ist insbesondere ausgeschlossen, wenn eine Folgenbeseitigung gegen das Recht, das im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Folgenbeseitigungsanspruch gilt, verstoßen würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.9.1988 — BVerwG 4 C 26.88 - , UPR 1989, 31, 32; BayVGH, Urt. v. 27.4.1981 - Nr. 7 Β 80 A 1876 - , DVB1. 1981, 1158, 1159; OVG Münster, Urt. v. 21.4.1983 - 11 A 424/82 NJW 1984, 1982, 1983 f, und Beschl. v. 10.11.1998 - 19 A 1320/98 - , NVwZ 2000, 217, 218 f). Der eigentumsrechtliche Bestandsschutz und damit die zentrale Rechtsposition, auf die sich die Antragsteller gegenüber den naturschutzrechtlichen Anordnungen berufen, würde mit der Beseitigung der Anlage endgültig entfallen (vgl. std. Rspr. BVerwG, etwa Beschl. v. 30.6.1969 - BVerwG IV CB 18.69 BauR 1970, 96 f; Urt. v. 25.11.1970 - BVerwG IV C 119.68 - , BauR 1971, 38, 39, und 21.1.1972 - BVerwG IV C 212.65 - , BauR 1972, 152 f, sowie Beschl. v. 11.12.1996 - BVerwG 4 Β 231/96 NVwZ-RR 1997, 521). Diesen Rechtsverlust vermag der Folgenbeseitigungsanspruch, der die Zulässigkeit der Anlage nach neuem Recht voraussetzt, nicht zu kompensieren. c) Schließlich ist es den Antragstellern auch nicht zumutbar, vor Erhebung der Grundrechtsklage zunächst ein Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO durchzuführen. LVerfGE 15

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Die vom Staatsgerichtshof bislang nicht beantwortete Frage, ob es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. bereits Beschl. v. 18.6.1985 - 2 BvR 414/84 BVerfGE 70, 180, 187 ff; Beschl. (1. Kammer des Zweiten Senats) v. 9.1.2002 - 2 BvR 2124/01 NVwZ 2002, 848) auch für die Zulässigkeit einer gegen einen verwaltungsgerichtlichen Beschluss im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gerichteten Grundrechtsklage erforderlich ist, 2unächst einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen, bedarf weiterhin keiner Entscheidung. Die Durchführung eines solchen Abänderungsverfahrens erweist sich im vorliegenden Fall nämlich bereits als un2umutbar. Der Verweisung der Antragsteller auf das Abänderungsverfahren steht in gleicher Weise wie der Verweisung auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens entgegen, dass ihnen aufgrund der sofort vollziehbaren naturschutzrechtlichen Verfügungen die Entfernung des Zauns und damit der irreversible Verlust eines etwaigen Bestandsschutzes an dieser Anlage droht. 3. Die Antragsteller sind lediglich im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachte Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 45 Abs. 1 und 2 HV antragsbefugt. Nach § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 StGHG setzt die Zulässigkeit der Grundrechtsklage gegen eine gerichtliche Entscheidung voraus, dass in der Antragsschrift substantiiert ein Sachverhalt geschildert wird, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt — plausibel die Möglichkeit einer Verletzung derjenigen Grundrechte der Hessischen Verfassung durch das angegriffene Verhalten hessischer Staatsgewalt ergibt, die der Antragsteller als beeinträchtigt rügt. Das Substantiierungserfordernis dieser Vorschrift verlangt vom Grundrechtskläger einen Sachvortrag, der aus sich heraus, d.h. ohne Hinzuziehung von Akten und ohne Stellungnahme anderer Verfahrensbeteiligter, verständlich ist. Soweit eine gerichtliche Entscheidung angefochten wird, muss der Antragsteller über deren Vorlage oder inhaltlich umfassende und nachvollziehbare Wiedergabe hinaus, wenn es zum Verständnis der Entscheidung erforderlich ist, auch den Gegenstand des Ausgangsverfahrens schildern (std. Rspr. des StGH, vgl. etwa Beschl. v. 11.3.2003 P.St 1791 StAnz. 2003, 2837, 2838). Ferner muss der Antragsteller deutlich machen, welches Verhalten hessischer Staatsgewalt - bei der Grundrechtsklage gegen eine gerichtliche Entscheidung welche Verfahrenshandlung oder materiellrechtliche Würdigung des Gerichts — welche vom Antragsteller gerügte Grundrechtsverletzung bewirkt haben soll (std. Rspr. des StGH, vgl. nur Beschl. v. 11.9.2001 - P.St 1375 - , StAnz. 2001, 3574, 3575 = ESVGH 52, 6, 7). a) Die von den Antragstellern erhobenen Gehörsrügen genügen diesen Anforderungen nicht. Soweit die Antragsteller beanstanden, der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe ihr Vorbringen unberücksichtigt gelassen, wonach der die Flurstücke Nr. ... und Nr. ... voneinander abgrenzende Teil des Zauns auch im Eigentum ihres LVerfGE 15

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Nachbarn stehe und von diesem in Stand gesetzt worden sei, scheidet eine Gehörsverletzung eindeutig aus. Das VG Wiesbaden hat sich in den Gründen seiner Entscheidung (S. 13 des amtlichen Beschlussumdrucks — amd. Umdr. —) mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat auf die Begründung des VG Wiesbaden Bezug genommen. Darüber hinaus haben sich das VG (S. 10 f des amd. Umdr.) wie auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (neben der Verweisung zusätzlich S. 8 f des amd. Umdr.) mit dem Vorbringen der Antragsteller befasst, mit den behördlichen Verfügungen werde gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen. Soweit die Antragsteller rügen, der Verwaltungsgerichtshof habe den Sachverhalt in einer den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzenden Weise nicht aufgeklärt, ist dies bereits deshalb unbeachtlich, weil die von ihnen bestrittene Behauptung der Stadt Wiesbaden, gegen alle Neuerrichtungen im „..." in einem abgestuften System gleichermaßen vorzugehen, für die angefochtene Entscheidung letztlich nicht entscheidungserheblich war. Vielmehr hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof auf den objektiven Inhalt des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Wiesbaden vom 11.5.1994 abgestellt. Insofern kann dahinstehen, ob und inwiefern im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren Einschränkungen der sich aus dem Untersuchungsgrundsatz ergebenden Anforderungen aus Sicht der Antragsteller hinzunehmen sind, ob etwa allein eine „summarische Prüfung der Sachlage" geboten ist (bejahend etwa Kopp!Schenke VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 Rn. 125). Sämtliche sonstigen Gehörsrügen der Antragsteller sind undifferenziert als Annex zu Rügen der Verletzung materieller Grundrechte erhoben und betreffen materiell-rechtliche Wertungen des Gerichts. Die Antragsteller sehen insofern Verletzungen ihres rechtlichen Gehörs darin, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof ihrem rechtlichen Vorbringen nicht gefolgt ist. Verletzungen des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs werden damit jedoch nicht dargetan. Denn das Gehörsrecht verpflichtet ein Gericht, die von einer Partei vorgetragene Rechtsauffassung zur Kenntnis zu nehmen, nicht hingegen, sie zu teilen. b) Für die Möglichkeit einer Verletzung der Menschenwürde sowie des Rechts auf Leben (Art. 1 HV) durch den angegriffenen Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs enthält die Antragsschrift keinen Anhaltspunkt. c) Die Möglichkeit eines Verstoßes gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 8 HV) ist gleichfalls nicht ausreichend dargetan. Die durch die angegriffene Entscheidung zugelassene Beseitigung der Einfriedung berührt das Wohnungsgrundrecht nicht. Das Grundrecht ist nicht dazu bestimmt, bauliche Anlagen gegen Beseitigungsanordnungen zu schützen, die deshalb ergehen, weil nach Auffassung der Behörde das Bauwerk an einer unzulässigen Stelle errichtet ist.

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d) Die Eigentumsgarantie, deren Verletzung die Antragsteller geltend machen, ist gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 und 2 HV) das speziellere Grundrecht. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit einer Verletzung des Art. 2 Abs. 1 und 2 HV ebenfalls nicht ausreichend dargetan. e) Eine mögliche Verletzung der Garantie des effektiven Rechtsschutzes, wie sie in Art. 2 Abs. 3 HV gewährt wird, ist nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. f) Auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 1 HV) haben die Antragsteller nicht plausibel geltend gemacht. Sie tragen insoweit vor, die Verwaltungsbehörde gehe ausschließlich gegen ihre Einfriedung, nicht aber gegen bauliche Anlagen anderer Eigentümer in dem betreffenden Gebiet vor. Darüber hinaus berufen sie sich für ihre Einfriedung auf den Beschluss der Stadt Wiesbaden vom 11.5.1994, wonach im Planungsbereich „..." die vorhandenen baulichen Anlagen 30 Jahre zu dulden seien. Wie sich aus verschiedenen Schreiben der Stadt an andere Eigentümer ergebe, dulde sie diesen gegenüber ausdrücklich bestehende Wochenend- oder Wohnhäuser. Durch diesen Vortrag wird eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung der Antragsteller nicht plausibel dargelegt. Dies gilt insbesondere gegenüber Eigentümern von in dem Gebiet vorhandenen illegal errichteten Wochenendhäusern oder Wohnhäusern. Die Einfriedung der Antragsteller wird nämlich im Unterschied zu den genannten baulichen Anlagen von dem Duldungsbeschluss der Stadt Wiesbaden vom 11.5.1994 nicht erfasst. Der Beschluss beruht auf einer unverändert übernommenen Magistratsvorlage und bezieht sich ausdrücklich nur auf „Gartenhütten", „Wochenendhäuser" und „Wohnhäuser", für die unterschiedlich lange Duldungszeiträume von 10 bis maximal 30 Jahren festgelegt werden (Bl. 133 f der Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens, Bd. 1). Mit diesem Gesichtspunkt hat sich der Hessische Verwaltungsgerichtshof durch die Bezugnahme auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts auch ausreichend auseinandergesetzt. Dass die Instanzgerichte die Geltung des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung auch für Wohnhäuser nicht ausdrücklich erwähnen, ist unbeachtlich. Der entscheidende Gesichtspunkt, dass nämlich Einfriedungen nicht erfasst werden, wurde zutreffend festgestellt. Schließlich stellt es auch keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot dar, dass die Stadt im Unterschied zu illegal errichteten Gartenhütten, Wochenend- und Wohnhäusern in Bezug auf Einfriedungen nicht vom Vollzug der Beseitigungsverfügungen abgesehen hat. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Antragsteller, noch im Jahre 1997 seien Wohnhäuser und Einfriedungen in dem betreffenden Gebiet hergestellt worden, ohne dass die Stadt nunmehr dagegen vorgehe, ist nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass die Stadt Wiesbaden dem Gebot der Gleichbehandlung LVerfGE 15

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dadurch Rechnung getragen hat, dass bezüglich insgesamt 30 bebauter Grundstücke im Gebiet „..." 26 Beseitigungsanordnungen ergangen sind. Lediglich die genehmigten baulichen Anlagen, unter anderem das Wochenendhaus der Antragsteller, wurden verschont. Wenn im Jahr 1994 in einem nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten abgestuften zeitlichen Rahmen diese Beseitigungsverfügungen gegen Eigentümer von illegal errichteten Gartenhütten (maximal 10 Jahre), Wochenendhäusern (maximal 15 Jahre) und Wohnhäusern (maximal 30 Jahre) nicht vollstreckt werden, Einfriedungen von diesem Vollstreckungsschutz aber nicht umfasst werden, so ist darin nicht die Möglichkeit einer Verletzung des Gleichheitsgebotes zu sehen. Insofern ist auch zu bedenken, dass es sich bei Einfriedungen nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden einfach-rechtlichen Wertung des Verwaltungsgerichtshofes lediglich um untergeordnete bauliche Anlagen handelt. Damit liegt erkennbar ein hinreichendes Differenzierungskriterium für eine somit gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Sofern die Antragsteller die Verschonung ihrer eigenen Einfriedung mit dem Argument erreichen wollen, gegen Einfriedungen Dritter werde nicht vollstreckt, haben sie nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass nach unterschiedlichen Maßstäben vorgegangen worden sei. g) Schließlich ist auch ein Verstoß gegen das aus Art. 1 HV resultierende Willkürverbot von den Antragstellern nicht plausibel geltend gemacht worden. Die Schwelle zur Willkür überschreitet ein Gericht durch die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts nur, wenn diese bei verständiger Würdigung der die Verfassung bestimmenden Prinzipien schlechterdings nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die getroffene Entscheidung des Gerichts auf sachfremden Erwägungen beruht (std. Rspr. des StGH, vgl. nur Beschl. v. 15.8.2002 - P.St. 1430 - , StAnz. 2002, 3732, 3733, und 12.9.2002 P.St. 1775 - , StAnz. 2002, 4751, 4752, jeweils mwN). Davon kann hier nicht die Rede sein. h) Das Rechtsstaatsprinzip, welches auch der Hessischen Verfassung als ungeschriebener Verfassungssatz zu Grunde liegt (std. Rspr. des StGH, Urt. v. 12.6.1991 - P.St 1106 - , StAnz. 1991, 1702, 1707 mwN), stellt für sich allein kein Grundrecht dar. i) Demgegenüber sind die Antragsteller aber im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachten Verletzungen der Eigentumsgarantie des Art. 45 Abs. 1 und 2 HV antragsbefugt iSd § 43 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 StGHG. Indem die Antragsteller insofern rügen, der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe die Bedeutung des Bestandsschutzes der Einfriedung verkannt und unzulässigerweise Instandsetzungsarbeiten an der Einfriedung die Wirkung beigemessen, deren Bestandsschutz entfallen zu lassen, haben sie die Möglichkeit einer verfassungsspezifischen Verletzung des Eigentumsgrundrechts nachvollziehbar dargetan, denn es ist zentraler Regelungsgehalt der grundrechtlichen EigentumsLVerfGE 15

Grundrechtsklage nach verwaltungsgerichtlichem Eilverfahren — Bestandsschutz

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gewährleistung, den Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers zu erhalten. Soweit die Antragsteller darüber hinaus die im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens erfolgte städtebauliche Gebietsfesdegung durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof als Eigentumsverletzung beanstanden, ist die Möglichkeit einer derartigen Grundrechtsbeeinträchtigung hingegen wiederum nicht plausibel gemacht. Denn Anhaltspunkte für eine vom Hessischen Staatsgerichtshof als Verfassungsgericht auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie allein zu prüfende verfassungsspezifische Grundrechtsverletzung durch die verwaltungsgerichtliche Auslegung und Anwendung der einfach-gesetzlichen Eingriffsermächtigungen des Naturschutzrechtes sind dem Vorbringen der Antragsteller nicht zu entnehmen. II. Die im vorgenannten Umfang zulässige Grundrechtsklage ist jedoch nicht begründet. Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in der angefochtenen Beschwerdeentscheidung zu Grunde gelegte Rechtsauffassung, ein etwaiger Bestandsschutz der Einfriedung sei jedenfalls erloschen, ist mit der Eigentumsgarantie in Art. 45 Abs. 1 und 2 HV vereinbar. 1. Nach Art. 45 Abs. 1 S. 1 HV wird das Privateigentum gewährleistet. Sein Inhalt und seine Begrenzung ergeben sich aus den Gesetzen, Art. 45 Abs. 1 S. 2 HV. Jeder ist berechtigt, aufgrund der Gesetze Eigentum zu erwerben und darüber zu verfügen (Art. 45 Abs. 1 S. 3 HV). Nach Art. 45 Abs. 2 S. 1 HV verpflichtet das Privateigentum gegenüber der Gemeinschaft. Sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen, Art. 45 Abs. 2 S. 2 HV. Es darf nur im öffentlichen Interesse, nur aufgrund eines Gesetzes, nur in dem darin vorgesehenen Verfahren und nur gegen angemessene Entschädigung eingeschränkt oder enteignet werden (Art. 45 Abs. 2 S. 3 HV). Der Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 45 HV ist normgeprägt. Die Festlegung des Inhalts der Eigentumsgarantie ist nach Art. 45 Abs. 1 S. 2 HV Sache des Gesetzgebers. Die Bestimmungsmacht des Gesetzgebers ihrerseits besteht nicht schrankenlos. Art. 45 Abs. 1 S. 1 HV, der das Privateigentum verfassungsrechtlich gewährleistet, setzt zunächst jeder Eigentumsdefinition durch den Normgeber eine äußerste Grenze: Dem Eigentumsbegriff dürfen nach Art. 63 Abs. 1 HV diejenigen Sachbereiche nicht entzogen werden, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, d.h. es muss stets ein privatnütziger Bestand an Gütern und Rechten verbleiben. Im Übrigen ist jede gesetzliche Inhaltsbestimmung des Eigentums daran zu messen, ob sie einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem privatnützigen Interesse des Einzelnen und dem Gemeinwohlinteresse der GemeinLVerfGE 15

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schaft (Art. 45 Abs. 2 HV) darstellt. Diese Anforderungen, die Art. 45 HV an den Normgeber bei der Normsetzung stellt, gelten in gleicher Weise für den Normanwender bei der Auslegung und Anwendung der einfach-gesetzlichen Rechtssätze, die den Inhalt des Eigentums bestimmen. 2. Nach diesen Grundsätzen liegt eine durch den angefochtenen Beschluss verursachte verfassungsspezifische Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 45 HV nicht vor. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die Frage, ob die Einfriedung der Antragsteller einstmals legal oder illegal errichtet worden sei, offen gelassen, weil ein Bestandsschutz, der der Rechtmäßigkeit der naturschutzrechtlichen Verfügungen entgegenstehen könnte, jedenfalls erloschen sei. Hinsichtlich des Verspannungsmaterials („Maschendraht") habe mitderweile ein vollständiger Substanzaustausch stattgefunden. Die nicht ausgetauschten Betonpfosten seien ohne Verspannungsmaterial funktionslos. Da die verfassungsgerichtliche Kontrolle durch den Staatsgerichtshof auf verfassungsspezifische Defizite der angegriffenen Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs beschränkt ist, kommt es nicht darauf an, ob er die rechtliche Sicht des Verwaltungsgerichtshofs nach Maßgabe einfachen Rechts teilt, sondern allein darauf, ob die dort vorgenommene Interpretation des Begriffes Bestandsschutz den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, die Art. 45 HV auch an den Normanwender stellt. Grundsätzlich folgt aus Art. 45 Abs. 1 HV ein Bestandsschutz, der die Befugnis begründet, eine formell legal errichtete und betriebene bauliche Anlage auch dann noch halten und nutzen zu dürfen, wenn sie nach inzwischen geänderter Sach- oder Rechtslage materiell illegal geworden ist (vgl. zu Art. 14 Abs. 1 GG: Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. I, 4. Aufl. 1999, Art. 14 Rn. 325, sowie Papier m:. Maunz/Dürig, GG, Bd. II, Losebl, 43. Lfg. 2004, Art. 14 Rn. 84, jeweils mwN). Die konkrete Ausgestaltung des Bestandsschutzes — insbesondere auch im Hinblick auf den Ausgleich mit widerstreitenden öffentlichen Interessen — ist aber primär Aufgabe des (einfachen) Gesetzgebers bzw. eine Frage der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts. Im Rahmen seiner Ausgestaltungsmöglichkeit ist es dem (einfachen) Gesetzgeber nicht verwehrt, durch Regelungen auf dem Gebiet des Naturschutzrechtes auch den verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentumsschutz — bis zur Schranke des durch Art. 63 Abs. 1 HV geschützten verfassungsrechtlich unantastbaren Kernbereichs — zu begrenzen. Das im angegriffenen Beschluss zum Ausdruck gekommene Verständnis des Bestandsschutzes beruht nicht auf einer im Lichte des Art. 45 HV verfassungsrechtlich relevanten defizitären Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Die Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, bei der Einfriedung handele es sich um eine genehmigungsbedürftige Erneuerung, weil der Maschendraht, und zwar nach Inkrafttreten des Hessischen Naturschutzgesetzes

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(1981), vollständig erneuert worden sei, begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der angefochtene Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs verletzt das Eigentumsrecht des Art. 45 HV nicht. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat nicht verkannt, dass Bestandsschutz als Bestandteil der Eigentumsgarantie im Ausgangsfall von Bedeutung ist. Seine Ansicht zeigt darüber hinaus bei der Bestimmung des Umfangs des Bestandsschutzes keine grundsätzlich falsche Anschauung von der Bedeutung des Art. 45 HV. Grundsätzlich hat sich jeder im Einklang mit der Rechtsordnung zu halten. Gleichwohl begründet die Eigentumsgarantie des Art. 45 HV einen Bestandsschutz für rechtmäßig errichtete Anlagen. Dieser Bestandsschutz geht aber von Verfassungs wegen nicht so weit, dass er auch die Erhaltung einer in ihrer Substanz vollständig erneuerten Einfriedung deckt. Eine Anpassung an die geltende Rechtsordnung kann desto eher verlangt werden, je mehr sie den Betroffenen zumutbar ist. Die durch die Beseitigungs- bzw. Duldungsanordnung verursachte Eingriffstiefe (vgl. zu diesem Merkmal: Papier in: Maunz/Dürig, aaO, Rn. 422) gegenüber dem Eigentum der Antragsteller an der Einfriedung erreicht unter Berücksichtigung der Situationsgebundenheit des gesamten Grundstückes (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschl. v. 2.3.1999 - 1 BvL 7/91 BVerfGE 100, 226, 242) nicht ein grundrechtlich relevantes Ausmaß. Nach Beseitigung der Einfriedung verbleibt ihnen die nahezu uneingeschränkte Nutzung des Grundstückes. In Abwägung der genannten Umstände ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, die Grenzen des Bestandsschutzes für eine Einfriedung im Hinblick auf deren geringere Bedeutung für die eigenverantwortliche Lebensgestaltung des Grundrechtsträgers eng zu fassen. Deshalb begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Hessische Verwaltungsgerichtshof davon ausging, dass nach der von ihm angenommenen vollständigen Erneuerung der Einfriedung ihr Bestandsschutz entfiel. III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.

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Nr. 4 Substantiierungsbedürftiger Gegenstand einer Grundrechtsklage ist nach der Gehörsrüge gemäß § 321a ZPO das angefochtene Urteil in Verbindung mit dem Beschluss nach § 321a ZPO. Gesetz über den Staatsgerichtshof § 43 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Zivilprozessordnung § 321a

B e s c h l u s s vom 13. D e z e m b e r 2004 - P.St. 1904 in dem Grundrechtsklageverfahren der Frau S ... — Antragstellerin — gegen das Land Hessen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Staatskanzlei, Georg-August-Zinn-Straße 1, 65183 Wiesbaden — Antragsgegner — Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A I. Die Antragstellerin wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen ein teilweise klageabweisendes Urteil des AG Offenbach sowie einen ihre Rüge nach § 321a ZPO und eine Gegenvorstellung zurückweisenden Beschluss des AG Offenbach in einer mietrechtlichen Streitigkeit. LVerfGE 15

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Die Antragstellerin ist Eigentümerin einer Wohnung in einer Liegenschaft in O. In dem Anwesen befinden sich insgesamt sechs Wohn- und vier Büroeinheiten. Die Antragstellerin vermietete diese Wohnung an den Beklagten des Ausgangsverfahrens — kurz: Beklagter —. Mit Abrechnung vom 13.8.2001 forderte die Antragstellerin für das Abrechnungsjahr 2000 von dem Beklagten eine Nachzahlung für Nebenkosten in Höhe von 756,59 €. Nachdem der Beklagte verschiedene Einwendungen gegen die Abrechnung vorgetragen und nicht gezahlt hatte, erhob die Antragstellerin Klage vor dem AG Offenbach am Main. Äußerungen des Gerichts im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.2.2003 gibt die Antragstellerin unter anderem wie folgt wieder: „Allerdings habe sie — die Richterin — ein ganz anderes Problem mit der Abrechnung. Die Richterin erläuterte dann, dass sie mit der Verteilung der Wasser- und Kanalkosten nicht einverstanden sei, da man nicht — wie in der Umlagenabrechnung geschehen — die Kosten für Wasser und Kanal in der Weise umlegen könne, dass bei den Mietwohnungen im Hause jede Person als eine Person voll berücksichtigt werde, bei den im Hause untergebrachten Kleinstbüros dagegen die konkrete Anwesenheit der Nutzer berücksichtigt und dann - wenn diese an gewissen Tagen in der Woche das Büro nicht nutzen — entsprechend dieser geringeren Nutzung weniger als eine Person in Ansatz gebracht werde".

Die Antragstellerin nahm nach der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 25.2.2003 noch einmal Stellung, fügte diesen Schriftsatz ihrer Grundrechtsklage jedoch nicht bei. Mit Urteil vom 6.3.2003 verurteilte das AG Offenbach den Beklagten zur Zahlung von 343,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.1.2003. Im Übrigen wies es die Klage als derzeit unbegründet ab. Die Abrechnung sei derzeit nicht fällig, soweit auf den Beklagten für Wasserund Kanalkosten ein Betrag in Höhe von 808,33 DM umgelegt worden sei. Zu beanstanden sei die Umlage der Wasser- und Kanalkosten nach Anzahl der Personen, wobei für die Büroeinheiten Berücksichtigung gefunden habe, wie viele Tage pro Woche diese genutzt würden. Die Antragstellerin habe zwar im Einzelnen dargelegt, insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 25.2.2003, den das Gericht berücksichtigt habe, warum es sachgerecht erscheine, die Büroeinheiten nach Dauer des Aufenthalts der jeweiligen Personen in den Büroräumen und deren Ausstattung (da zum Teil ohne Bad) zu berücksichtigen. Die Antragstellerin verkenne dabei jedoch, dass hier lediglich die Belange der Büronutzer berücksichtigt würden, während bei den sonstigen Mietern des Anwesens fiktiv davon ausgegangen werde, dass sie alle sieben Tage die Woche die Mieträume nutzten und auch ansonsten den gleichen Verbrauch hätten, und im Übrigen bei ihnen nach Nutzungsverhalten nicht differenziert werde. Das führe jedoch zu einem unbilligen

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Ergebnis, da nicht schlechterdings davon ausgegangen werde könne, dass die anderen Mieter allesamt die Wohnräume sieben Tage die Woche nutzten. Das Gericht verkenne zwar nicht, dass es aufgrund der Angaben der Antragstellerin nahe liege, dass der tatsächliche Kaltwasserverbrauch in den Büroräumen niedriger ausfalle als in den Wohnräumen, so dass ein gewisser Abschlag gerechtfertigt sein könne. Hier würden jedoch neben den Kaltwasserkosten auch noch die Kanalgebühren umgelegt, bei denen es nicht ausschließlich auf den tatsächlichen Verbrauch jeder einzelnen Person ankomme, denn zu den Kosten der Entwässerung gehörten Grundstücksentwässerung, Regenwasserabgabe, Regenwasserkanalkosten oder der Oberflächenentwässerung. Insoweit sei nicht ersichtlich, dass eine Begünstigung der Personen, die weniger oft ihre Mieträume nutzten, gegenüber den anderen Mietern gerechtfertigt sein könnte. Zinsen seien gem. § 291 BGB seit Eintritt der Rechtshängigkeit gerechtfertigt. Eine vorherige Fälligkeit der Abrechnung sei nicht eingetreten, da von dem Mieter nicht verlangt werden könne, die Betriebskostenabrechnung zu korrigieren und den geschuldeten Saldo herauszurechnen. Mit Schriftsatz vom 25.3.2003 erhob die Antragstellerin Rüge gem. § 321a ZPO und rügte die Verletzung rechtlichen Gehörs, soweit die Verteilung der Wasser- und Kanalkosten als unbillig beanstandet worden sei. Des Weiteren erhob die Antragstellerin Gegenvorstellung gegen das Urteil vom 6.3.2003 und rügte insoweit eine Verletzung des Willkürverbots. Nach Angaben der Antragstellerin wies das AG die Rüge mit Beschluss vom 30.6.2003 im Wesentlichen mit dem Argument zurück, dass sie es versäumt habe, im Termin zur mündlichen Verhandlung einen Schriftsatznachlass zu beantragen. Den Beschluss legte die Antragstellerin nicht vor. Am 28.7.2003 hat die Antragstellerin Grundrechtsklage erhoben. Sie rügt eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs sowie des Willkürverbots. Völlig überraschend und erstmals im Urteil habe das Gericht auf einen Gesichtspunkt abgestellt, der bisher weder zwischen den Parteien streitig gewesen noch vom Gericht erwähnt worden sei und mit dem kein Prozessbeobachter, auch bei gewissenhafter Verfolgung des Prozessverlaufs, habe rechnen müssen. Es habe nämlich darauf abgestellt, die Abrechnung der Kanalkosten sei insofern nicht ordnungsgemäß, als darin verbrauchsunabhängige Kostenpositionen enthalten seien, weshalb eine verbrauchsunabhängige Kostenaufteilung unbillig sei. Dieser Gesichtspunkt sei im Übrigen auch unzutreffend. Hätte das Gericht auf diesen Umstand hingewiesen, hätte sie vorgetragen, dass in den Kanalkosten der Umlageabrechnung keine verbrauchsunabhängigen Kosten enthalten seien, sondern diese ausschließlich davon abhingen, wie viel Kaltwasser verbraucht werde, da auch die Kanalkosten nach dem angelieferten Kaltwasser abgerechnet würden. Auch hinsichtlich der Kaltwasserkosten sei die Entscheidung überraschend. Die Entscheidung habe die Billigkeit der von ihr angenommenen Aufteilung der LVerfGE 15

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Kaltwasserkosten mit der Begründung verneint, dass in der Abrechnung bei den Wohnungsmietern davon ausgegangen werde, dass sie alle sieben Tage die Woche die Mieträume nuteten und auch ansonsten den gleichen Verbrauch hätten und im übrigen bei ihnen nach Nutzerverhalten nicht differenziert werde. Keines dieser Argumente sei zwischen den Beteiligten streitig gewesen. Das angefochtene Urteil verletze zudem das Willkürverbot. Die Antragstellerin sei nach der mietvertraglichen Regelung berechtigt, den Verteilungsschlüssel nach billigem Ermessen zu bestimmen, und habe ihr Gestaltungsrecht auch wahrgenommen. Das Gericht habe nicht erkennen lassen, wie der von ihm bevorzugte Verteilungsschlüssel aussehen könne. Auch wenn das Gericht eine andere Verteilung der Wasser- und Kanalkosten bevorzugt hätte, sei dies nicht der gerichtliche Prüfungsmaßstab. Denn die Beteiligten seien im Rahmen des Art. 2 HV befugt, ihre Angelegenheiten durch vertragliche Vereinbarung selbst zu gestalten. Wenn das Gericht die vertraglichen Vereinbarungen im Ergebnis mit der Begründung aufhebe, der angewandte Verteilungsmaßstab entspreche nicht der Billigkeit, werde ihr das ihr zustehende Bestimmungsrecht dadurch abgeschnitten, dass die Aufteilung durch eine neue pauschale, nicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten Rücksicht nehmende andere Ungenauigkeit ersetzt werden solle. Das Gericht verkenne insoweit die Reichweite des Grundrechts aus Art. 2 HV, das Wesen einer Umlagenabrechnung, die niemals zu einer absoluten Gebührengerechtigkeit führen könne, und den anzuwendenden Maßstab zur Beurteilung der Billigkeit. Es sei auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die beantragte Verzinsung der gerichtlich zugesprochenen Kostenpositionen verwehrt worden sei. Eine Korrektur der Umlagenabrechnung und eine Neuberechnung sei nicht erforderlich gewesen. Selbst wenn Wasser- bzw. Kanalkosten nicht fallig gewesen wäre, habe dies die Fälligkeit der zugesprochenen Positionen nicht beeinflusst. Die Antragstellerin beantragt, 1.

festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 6.3.2003 - 390 C 477/02 - sowie der Beschluss, mit dem die Grundrechtsrüge gegen das Urteil zurückgewiesen wurde, das sich aus Art. 3 HV ergebende Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 30.6.2003,

2.

festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts Offenbach vom 6.3.2003 — 390 C 477/02 - die Rechte der Antragstellerin aus Art. 2 HV sowie aus Art. 1 HV in dessen Ausprägung als Willkürverbot verletzt,

3.

das Urteil des Amtsgerichts Offenbach am Main vom 6.3.2003 — 390 C 477/02 — für krafdos zu erklären und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Offenbach am Main zurückzuverweisen.

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Staatsgerichtshof des Landes Hessen II.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, die Grundrechtsklage sei teilweise unzulässig, im Übrigen aber zulässig und begründet. Die Grundrechtsklage sei unzulässig, soweit die Antragstellerin eine Verletzung des Gehörsrechts darin sehe, dass sie zu den in der mündlichen Verhandlung aufgeworfenen Fragen der Billigkeit des Verteilungsmaßstabes nicht hinreichend habe Stellung nehmen können. In welchem Umfang die Büromieter ihre Räume nutzten, sei für das Gericht nicht entscheidungserheblich gewesen. Der Gesichtspunkt der Billigkeit des gewählten Verteilungsmaßstabs sei nicht erst von dem Gericht und nicht erst in der mündlichen Verhandlung eingebracht worden. Vielmehr seien die tatsächlichen Grundlagen der Verteilung von Wasser- und Kanalkosten von Anfang an streitig gewesen. Eine Gehörsverletzung ergebe sich indes aus den Überlegungen des AG zu den auch auf den Beklagten umgelegten Wasser- und Kanalkosten. Es halte die Kostenverteilung für unbillig, weil in den Büros zwar möglicherweise weniger Kaltwasser verbraucht werde als in den Wohnungen. Die Antragstellerin habe jedoch „neben den Kaltwasserkosten auch noch die Kanalgebühren umgelegt, bei denen es nicht allein auf den tatsächlichen Verbrauch jeder einzelnen Person ankommt,...". Dieser zunächst tatsächlichen Annahme und dem Schluss auf die Unbilligkeit der Kostenverteilung habe das AG einen Sachverhalt zugrunde gelegt, den die Parteien nicht vorgetragen hätten und den es, selbst wenn es ihn als offenkundig oder wenigstens als gerichtsbekannt angesehen haben sollte, mit ihnen jedenfalls nicht erörtert habe. Auf diesem Gehörsverstoß beruhe das angegriffene Urteil. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das AG zu Gunsten der Antragstellerin entschieden hätte, wenn es ihr Gelegenheit gegeben hätte, zu der Berechnung der Kanalkosten vorzutragen. Im Übrigen halte das angefochtene Urteil auch einer Prüfung am Maßstab des Willkürverbots nicht stand. Es sei schon zweifelhaft, ob das AG mit seinem Ergebnis die Vorschrift des § 315 Abs. 1 S. 1 BGB korrekt angewandt habe, weil § 315 BGB der bestimmungsberechtigten Partei einen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum einräume und die Bestimmung erst dann unverbindlich werde, wenn die Grenzen dieses von der Privatautonomie gebotenen und von § 315 BGB eingeräumten Ermessensspielraums überschritten seien, ohne dass das Gericht die nachvollziehbaren Billigkeitsüberlegungen des Bestimmungsberechtigten durch seine eigene Einschätzung ersetzen dürfe. Wenn das AG jedoch den Verteilungsmaßstab der Antragstellerin als unbillig angesehen habe, hätte es von § 315 Abs. 3 S. 2 BGB Gebrauch machen und den Maßstab selbst fesdegen müssen. Das habe es ohne erkennbaren Grund unterlassen und damit seine Gestaltungspflicht aus § 315 Abs. 3 S. 2 BGB verletzt.

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III. Die Landesanwaltschaft ist ebenfalls der Auffassung, die Grundrechtsklage sei zulässig und begründet, soweit die Antragstellerin eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör rügt, als der Entscheidung zugrunde gelegt worden sei, bei den Kanalkosten seien auch verbrauchsunabhängige Kosten umgelegt werden. IV. Der Beklagte verteidigt das Urteil des Ausgangsverfahrens. V. Die Akten des Ausgangsverfahrens vor dem AG Offenbach am Main — 390 C 477/02 — haben dem Staatsgerichtshof vorgelegen. Β I. Die Grundrechtsklage ist unzulässig, denn die Grundrechtsklageschrift genügt nicht den Anforderungen des § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 StGHG. Nach § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 StGHG erfordert die Zulässigkeit einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Grundrechtsklage, dass der Antragsteller substantiiert einen Sachverhalt schildert, aus dem sich - seine Richtigkeit unterstellt — plausibel die Möglichkeit einer Verletzung der von ihm benannten Grundrechte der Hessischen Verfassung durch die angegriffene Entscheidung ergibt. Das in dieser Vorschrift enthaltene Substantiierungserfordernis verlangt vom Grundrechtskläger einen aus sich heraus, d.h. ohne Hinzuziehung von Akten und ohne Stellungnahmen anderer Verfahrensbeteiligter, verständlichen Vortrag. Dazu gehört auch, dass der Grundrechtskläger deutlich macht, aus welchem rechtlichen Zusammenhang sich die behauptete Grundrechtsverletzung ergeben soll (StGH, Beschl. v. 8.11.2000 - P.St. 1329 - StAnz. 2000, 3986), d.h. welche Verfahrenshandlung oder materiell-rechtliche Würdigung des Gerichts welche Grundrechtsverletzung aus seiner Sicht bewirkt hat. 1. Die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat die Antragstellerin nicht plausibel dargelegt. Die Antragstellerin hat die ihr obliegenden Darlegungspflichten nicht erfüllt, da sie den Beschluss des AG Offenbach am Main vom 30.6.2003 weder vorgelegt noch seinem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben hat. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist in Fällen der vorliegenden Art nicht nur das angefochtene Urteil des AG substantiierungsbedürftiger Gegenstand

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der Grundrechtsklage, sondern vielmehr das angefochtene Urteil in Verbindung mit dem Beschluss über den Antrag nach § 321a ZPO. Erst aus dem Zusammenwirken des Beschlusses auf den Antrag nach § 321a ZPO und dem angefochtenen Urteil lässt sich feststellen, ob eine Verletzung des Gehörsrechts (noch) vorliegt und ob die Entscheidung gegebenenfalls auf einem Gehörsverstoß beruhen kann. Denn es ist möglich, dass auf einen Antrag nach § 321a ZPO zwar ein Gehörsverstoß festgestellt wird, das Ausgangsgericht jedoch aus von diesem Gehörsverstoß unabhängigen Gründen an seiner Entscheidung festhält, so dass die Entscheidung nicht (mehr) auf einem entscheidungserheblichen Gehörsverstoß beruhen würde (vgl. § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Grundlage der von dem Staatsgerichtshof vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung ist allein die fristgerecht vorgelegte Begründung der Grundrechtsklage. Sie muss lückenlos und nachvollziehbar den Ausgangs Sachverhalt darstellen und alle Tatsachen berichten, auf die es für die Beurteilung der Rechtsfragen ankommen kann. Da sie aus sich heraus verständlich sein muss, genügt es nicht, wenn sich der Sachverhalt und das vom Antragsteller Gemeinte erst durch die Stellungnahmen anderer Verfahrensbeteiligter oder durch Einsicht in die Akten eines vorangegangenen Rechtsstreits erschließen lässt. Hierzu gehört insbesondere auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidung oder aber zumindest die nachvollziehbare Darlegung ihres wesentlichen Inhalts. Zwar hat die Antragstellerin ihrer Grundrechtsklage den Schriftsatz vom 25.3.2003 beigefügt, mit dem sie die Rüge gem. § 321a ZPO und Gegenvorstellung gegen das angefochtene Urteil erhoben hat. Sie hat jedoch den auf diese Rüge ergangenen Beschluss des AG Offenbach am Main nicht vorgelegt und bezüglich des Inhalts auch nur dargelegt, das Gericht habe die Rüge im Wesentlichen mit dem Argument zurückgewiesen, dass sie es versäumt habe, im Termin zur mündlichen Verhandlung Schriftsatznachlass zu beantragen. Damit ist indes der Staatsgerichtshof nicht in die Lage versetzt, allein aufgrund des Vorbringens der Antragstellerin zu prüfen, ob die Möglichkeit einer Verletzung des Gehörsrechts besteht. Denn aus der Behauptung „im Wesentlichen" geht nicht nachvollziehbar hervor, ob und gegebenenfalls welche weiteren Gründe das AG für die Zurückweisung der Rüge angeführt hat, so dass sich der Staatsgerichtshof außer Stande sieht zu prüfen, auf welche rechtlich relevanten Gründen seine Entscheidung gestützt ist. Offenbar geht die Antragstellerin davon aus, der Staatsgerichtshof werde die Akten des Ausgangsverfahrens beiziehen und sich über den Inhalt der Schriftsätze sowie der Entscheidungen des Gerichts kundig machen. Es ist aber nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofs, den Sachverhalt über den Vortrag des Grundrechtsklägers hinaus aufzuklären und so Zweifel über das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen auszuräumen. Vielmehr obliegt es dem Grundrechtskläger, dem Staatsgerichtshof alle Gesichtspunkte zu unterbreiten, die für die Zulässigkeit der Grundrechtsklage maßgeblich sind. Dem genügt das Vorbringen der Antragstellerin indes nicht. LVerfGE 15

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2. Auch die Möglichkeit einer Verletzung des Willkürverbots ist nicht in einer den Anforderungen genügenden Art und Weise dargelegt worden. Nach ständiger Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs (vgl. etwa Beschl. v. 10.10.2001 - P.St. 1415 ESVGH 52, 7 = NJW-RR 2002, 501) überschreitet ein Gericht die Schwelle zur Willkür durch die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts nur, wenn diese bei verständiger Würdigung der die Verfassung bestimmenden Prinzipien nicht mehr nachvollziehbar sind und sich der Schluss aufdrängt, dass die getroffene Entscheidung des Gerichts auf sachfremden Erwägungen beruht. Dabei macht selbst die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein eine Gerichtsentscheidung noch nicht willkürlich. Erst recht ist es nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofes als Verfassungsgericht, die einfachgesetzlich zutreffende Interpretation einer Norm den Fachgerichten verbindlich vorzugeben. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser und schlechterdings nicht mehr nachvollziehbarer Weise missdeutet wird. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt. a) Soweit die Antragstellerin rügt, das AG habe das ihr zustehende Bestimmungsrecht missachtet, indem es die Billigkeit des von ihr angewandten Verteilungsmaßstabes verneint habe, ist ein Verstoß gegen das Willkürverbot nicht ersichtlich. Nach § 4 Ziff. 2 des Mietvertrages kann der Vermieter einen geeigneten, auch unterschiedlichen Umlegungsmaßstab nach billigem Ermessen bestimmen, sofern ein solcher nicht ausdrücklich vereinbart ist. Damit wird durch die mietvertragliche Regelung auf § 315 BGB Bezug genommen. Nach § 315 Abs. 1 BGB ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist, wenn die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden soll. Daraus folgt, dass dem Bestimmungsberechtigten für den Regelfall ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung steht, d.h. also nicht nur eine Entscheidung richtig ist (vgl. Hager in: Erman, Handkommentar zum BGB, 11. Aufl. 2004, § 315 Rn. 18; Gottwald in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 11. Aufl. 2001, § 315 Rn. 28). Grenzen werden diesem Gestaltungsspielraum nur durch die Billigkeit gezogen, d.h. jede Bestimmung, die sich noch innerhalb dieses Rahmens bewegt, ist zulässig und auch für das Gericht bindend (vgl. Wölfin: Soergel, BGB, Bd. 2. 12. Aufl. 1990, § 315 Rn. 39). Ob die von dem AG im Rahmen einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 S. 1 BGB vorgenommene Beurteilung des von der Antragstellerin gewählten Verteilungsmaßstabs den einschlägigen zivilrechtlichen Vorschriften entspricht, ist eine einfach-rechtliche Frage, die zu beantworten nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofs ist. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle fachgerichtlicher Entscheidungen ist darauf beschränkt zu prüfen, ob die Verfassung verletzt wurde (std. Rspr. des StGH, vgl. etwa Beschl. v. 18.8.1999 - P.St. 1391 - , StAnz. 1999, 2834, LVerfGE 15

Staatsgerichtshof des Landes Hessen

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2836). Das folgt aus der Aufgabenverteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichten. Der Staatsgerichtshof ist als Verfassungsgericht keine zusätzliche Instanz im Rahmen des fachgerichtlichen Rechtswegs. b) Eine Verletzung des Willkürverbots nach den genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben ist danach nicht ersichtlich. Dass das A G willkürlich gehandelt habe, weil es trotz Beanstandung des von der Antragstellerin gewählten Verteilungsmaßstabes nicht selbst einen billigen Verteilungsmaßstab bestimmt hat (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB), ist von der Antragstellerin in ihrer vorliegenden Grundrechtsklage nicht vorgetragen worden. Mangels Erfüllung des Darlegungserfordernisses ist es dem Staatsgerichtshof daher verwehrt, einen hierin liegenden eventuellen Verfassungsverstoß sachlich zu prüfen. c) Die Möglichkeit eines Verstoßes gegen das Willkürverbot ist ebenfalls nicht plausibel gemacht worden, soweit die Antragstellerin rügt, die Entscheidung des Gerichts über die Verzinsung der zugesprochenen Forderung sei nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin hat nicht hinreichend dargelegt, woraus sich ihr Verzinsungsanspruch vor Rechtshängigkeit ergeben soll. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die Begründung des Gerichts jeglichen sachlichen Grundes entbehrt. Insoweit zweifelt die Antragstellerin, ohne eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts darzulegen, lediglich die einfach-rechtliche Beurteilung durch das Ausgangsgericht an. Diese zu korrigieren, ist aber nicht Aufgabe des Staatsgerichtshofs als Verfassungsgericht. II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG.

LVerfGE 15

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern Dr. Gerhard Hückstädt, Präsident Helmut Wolf, Vizepräsident Peter Häfner Brunhild Steding Joachim von der Wense Prof. Dr. Maximilian Wallerath Peter Söhnchen

Stellvertretende Richterinnen und Richter Dr. Erich Hobbeling Klaus-Dieter Essen Matthias Lip sky Jörg Bellut Rolf Christiansen Gudrun Köhn Dr. Christa Unger

Organstreitverfahren — Antragsbefugnis der Parteien

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Nr. 1 1. Eine politische Partei kann nicht im Wege des Organstreitverfahrens geltend machen, der Landtag habe ihre Rechte auf Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes und auf Chancengleichheit bei Wahlen dadurch verletzt, dass er durch Gesetz die Fraktionsmindeststärken für kommunale Vertretungskörperschaften angehoben hat. 2. Die Willensbildung in Staatsorganen einschließlich der kommunalen Vertretungskörperschaften gehört nicht zur politischen Willensbildung des Volkes, bei der nach Art. 3 Abs. 4 der Verfassung des Landes Mecklenburg·Vorpommern die Parteien mitwirken. Grundgesetz Art. 3 Abs. 1 Fünftes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung Art. 1 Nr. 10b; 1 Nr. 38 Sechstes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung Art. 1 Nr. 1; 1 Nr. 2 Satz 2 Landesverfassungsgerichtsgesetz §§11 Abs. 1 Nr. 1; 35; 36 Abs. 1 Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern Art. 3 Abs. 3; 3 Abs. 4; 5 Abs. 3; 53 Nr. 1

Urteil vom 16. D e z e m b e r 2004 - L V e r f G 5/04 in dem Organstreitverfahren Partei Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch den Landesvorstand, dieser vertreten durch die Landesgeschäftsführerin, den Landesschatzmeister und die Sprecherin, Großer Moor 34, 19055 Schwerin — Antragstellerin — Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Ulrich Werner, Heinrich-Roller-Straße 19, 10405 Berlin gegen Landtag Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch die Präsidentin des Landtages, Schloss Schwerin, Lennestraße 1, 19053 Schwerin — Antragsgegner — LVerfGE 15

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Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern

Prozessbevollmächtigter: Prof. Dr. Albert von Mutius, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre, Olshausenstraße 40, 24098 Kiel Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: A. Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Festsetzung einer Fraktionsmindeststärke für Gemeindevertretungen mit mehr als 25 Stadtvertretern auf drei und mit mehr als 37 Stadtvertretern auf vier Fraktionsmitglieder sowie für Kreistage generell auf vier Fraktionsmitglieder das Recht der Antragstellerin, einer politischen Partei, auf Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes sowie auf politische Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 4 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern — LV —) und das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 5 Abs. 3 LV, Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. I. Die Antragstellerin ist eine politische Partei, die auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene an Wahlen teilnimmt. Sie hat für die Kommunalwahl am 13.6.2004 Kandidaten u.a. für Stadtvertretungen, die mehr als 25 (bei mehr als 20.000 Einwohnern) bzw. 37 (bei mehr als 50.000 Einwohnern) Mitglieder haben, sowie für Kreistage aufgestellt. Bereits in der abgelaufenen Kommunalwahlperiode waren Mitglieder der Antragstellerin in Stadtvertretungen mit mehr als 25 bzw. 37 Mitgliedern gewählt worden. Der Antragsgegner hat mit Art. 1 Nr. 10b) des 5. Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (5. ÄndG KV MV) die Regelungen über die Fraktionsmindeststärke in § 23 Abs. 5 S. 2 Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) geändert. Die Norm hat in der Fassung des 5. ÄndG KV M-V folgenden Wortlaut: „Eine Fraktion muss aus mindestens zwei, in Städten mit mehr als 25 Stadtvertretern aus mindestens drei und in Städten mit mehr als 37 Stadtvertretern aus mindestens vier Mitgliedern bestehen."

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Organstreitverfahren — Antragsbefugnis der Parteien

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Weiter hat der Antragsgegner mit Art. 1 Nr. 38 5. ÄndG KV M-V die Regelung über die Fraktionsmindeststärke in § 105 Abs. 4 KV M-V geändert. Die Norm hat in der Fassung des 5. ÄndG KV M-V folgenden Wordaut: „Eine Fraktion muss aus mindestens vier Kreistagsmitgliedern bestehen."

Das 5. ÄndG KV M-V trat am 4.3.2004 in Kraft. Gegen diese Änderungen erhoben unter anderem mehrere Mitglieder von Stadtvertretungen Verfassungsbeschwerde (LVerfG 10/04), nachdem sich das Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf den Standpunkt gestellt hatte, die Heraufsetzung der Fraktionsmindeststärke gelte ab dem 4.3.2004 ohne Ubergangsregelung. In mehreren Stadtvertretungen verloren daraufhin aus Mitgliedern der Antragstellerin bestehende Fraktionen ihren Fraktionsstatus, weil die neue Mindeststärkenzahl nicht erreicht wurde. Der Antragsgegner beschloss daraufhin am 24.5.2004 das 6. Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (6. ÄndG KV M-V). Geändert wurde zum einen § 23 Abs. 5 S. 2 KV M-V, der durch die Sätze 2 und 3 ersetzt wurde. Die Norm lautet nunmehr in den Sätzen 2 und 3 wie folgt: „Eine Fraktion muss aus mindestens zwei Mitgliedern bestehen. Nach dem 13. Juni 2004 muss eine Fraktion in Städten mit mehr als 25 Stadtvertretern aus mindestens drei und in Städten mit mehr als 37 Stadtvertretem aus mindestens vier Mitgliedern bestehen."

Des Weiteren wurde § 105 Abs. 4 S. 2 KV M-V neu gefasst. Er hat nun folgenden Wordaut: „Eine Fraktion muss aus mindestens zwei, nach dem 13. Juni 2004 aus mindestens vier Kreistagsmitgliedern bestehen."

Das 6. ÄndG KV M-V trat rückwirkend zum 4.3.2004 in Kraft. Der Antragsgegner sah sich zu dieser Gesetzesänderung veranlasst, um klarzustellen, dass nach dem Willen des historischen Gesetzgebers bereits die entsprechenden Änderungen der Regelungen über die Fraktionsmindeststärke durch das 5. ÄndG KV M-V erst für die Zeit nach den Kommunalwahlen am 13.6.2004 gelten sollten. Die Kommunalverfassung M-V knüpft an den Fraktionsstatus verschiedene Rechte, die fraktionslose Mitglieder der Kommunalvertretungen nicht haben. So kann die Fraktion die unverzügliche Einberufung der Gemeindevertretung bzw. des Kreistages verlangen (§§ 29 Abs. 2 S. 3; 107 Abs. 2 S. 3 KV M-V). Die Fraktion kann eine Stellungnahme des Bürgermeisters oder Landrates zu einem Punkt der Tagesordnung verlangen (§§ 29 Abs. 7 S. 2; 107 Abs. 7 S. 2 KV M-V). Der Bürgermeister oder Landrat bzw. die Beigeordneten sind auf Verlangen einer Fraktion verpflichtet, Auskunft zu erteilen (§§ 34 Abs. 2; 112 Abs. 2 KV M-V). Fraktionen können im Einzelfall Akteneinsicht verlangen (§§34 Abs. 4; 112 Abs. 4 KV M-V). Daneben bestehen weitere Rechte wie das Verlangen nach naLVerfGE 15

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Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern

mentlicher Abstimmung (§§ 31 Abs. 2 S. 3; 109 Abs. 2 S. 3 KV M-V). Die Fraktion kann bei Freiwerden einer Wahlstelle die Neubesetzung des Gremiums verlangen (§§ 32 Abs. 2 S. 8; 110 Abs. 2 S. 8 KV M-V). Fraktionen haben das Recht, bei Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl eine Vorschlagsliste zu erstellen (§§32 Abs. 2 S. 1; 110 Abs. 2 S. 1 KV M-V). Schließlich kann einer Fraktion eine Unterstützung aus Haushaltsmitteln gewährt werden (§19 Durchfuhrungsverordnung zur Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern). II. Die Antragstellerin hat am 4.5.2004 gegen die Bestimmungen des 5. ÄndG KV M-V, die die Anhebung der Fraktionsmindeststärke betreffen, Verfassungsbeschwerde erhoben. Auf Hinweis des Landesverfassungsgerichts hat die Antragstellerin das Verfassungsbeschwerdeverfahren in ein Organstreitverfahren umgestellt und fortgeführt. Mit Schriftsatz vom 28.6.2004 hat sie die Änderungen der §§ 23 und 105 KV M-V durch das 6. ÄndG KV M-V in das Organstreitverfahren einbezogen. Sie ist der Auffassung, die Anhebung der Fraktionsmindeststärke sei ohne sachlichen Grund erfolgt und verletze sie in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei der Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, das ihr aus Art. 3 Abs. 4 LV zustehe. Auf Grund des Wegfalls der allein den Fraktionen zustehenden Rechte aus der Kommunalverfassung sei sie nicht mehr in der Lage, in gleicher Weise wie andere politische Parteien, deren in die Stadtvertretung bzw. Kreistag gewählten Mitglieder eine Fraktion bilden könnten, ihre politischen Uberzeugungen und Anliegen wirksam in den Stadtvertretungen und Kreistagen, für die die angehobenen Fraktionsmindeststärken gelten, zur Geltung zu bringen. Zugleich sieht sich die Antragstellerin in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 5 Abs. 3 LV iVm Art. 3 Abs. 1 GG und aus Art. 3 Abs. 3 LV verletzt. Die Antragstellerin beantragt, festzustellen, dass Art. 1 Nr. 10b) des 5. Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 26. Februar 2004 (GVOB1. M-V S. 61) und Art. 1 Nr. 1 Satz 2 des 6. Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Mai 2004 = § 23 Abs. 5 Satz 3 der Kommunalverfassung in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juni 2004 (GVOB1. M-V S. 205), sowie Art. 1 Nr. 38 des 5. Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 26. Februar 2004 (GVOB1. M-V S. 61) und Art. 1 Nr. 2 Satz 2, Halbsatz 2 des 6. Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Mai 2004 = § 105 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz der Kommunalverfassung in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juni 2004 (GVOB1. M-V S. 205) die Antragstellerin in ihren in der Landesverfassung verbürgten Rechten auf politische Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 4 LV) und Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG iVm Art. 5 Abs. 3 LV, Art. 3 Abs. 3 LV) verletzen, LVerfGE 15

Organstreitverfahren - Antragsbefugnis der Parteien

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soweit mit den Bestimmungen die Mindeststärke für die Fraktionsbildung auf drei bzw. vier Mitglieder der Kommunalvertretungen angehoben werden. III. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen. Er hält den Antrag im Organstreitverfahren mangels einer Antragsbefugnis für unzulässig. Die Kommunalverfassung M-V kenne kein nur an die Mitgliedschaft in einer Partei oder Wählervereinigung anknüpfendes Fraktionsmitgliedschaftsrecht. Vielmehr könnten Mitglieder der Kommunalvertretungen unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Partei oder Wählervereinigung eine Fraktion bilden. Die Mindeststärkeregelung gelte für alle Kommunalvertreter gleich. Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, weil eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes — aus näher dargelegten Gründen — nicht vorliege. IV. Die Landesregierung hält den Antrag für unbegründet. B. Der Antrag ist unzulässig. I. Die Antragstellerin ist im Organstreit gem. § 35 des Landesverfassungsgerichtsgesetzes (LVerfGG) beteiligtenfähig. Sie ist eine Partei iSd Art. 3 Abs. 4 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern — LV —. Parteien sind zwar keine obersten Landesorgane, doch gehören sie zu den „anderen Beteiligten" iSd Art. 53 Nr. 1 LV und des § 11 Abs. 1 Nr. 1 LVerfGG, die ein Organstreitverfahren durch Antragstellung einleiten können (LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 23.5.1996, LVerfGE 4, 268, 275). Nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts, das sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angeschlossen hat, ist eine politische Partei (nur) im Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht beteiligtenfähig, soweit sie sich auf eine Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status aus Art. 3 Abs. 4 LV durch ein Verfassungsorgan beruft (LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 14.12.2000, LVerfGE 11, 306, 310 ff = LKV 2001, 270 mwN zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Der Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerin steht nicht entgegen, dass sie als eine auf Landesebene organisierte und tätige Partei ihre Mitwirkung an der politischen Willensbildung auf kommunaler Ebene geltend macht. LVerfGE 15

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Landesverfassungsgericht Mecklenburg- Vorpommern

Die Beteiligtenfähigkeit im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren ist abstrakt zu beurteilen. Sie ist nicht davon abhängig, ob der jeweilige Antragsteller sich im konkreten Streitverfahren zu Recht auf das von ihm zur Begründung seines verfassungsrechtlichen Status in Anspruch genommene Recht beruft (Renda/Klein Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 991; Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 63 Rn. 37). Insbesondere kommt es insoweit nicht darauf an, ob die geltend gemachte verfassungsrechtliche Rechtsposition der politischen Partei so weit reicht, wie es die politische Partei für sich in Anspruch nimmt (vgl. zur entsprechenden Rechtslage im Bundesverfassungsprozessrecht BVerfG, Besch! v. 9.2.1982, BVerfGE 60, 53, 61 f; BVerfG, Urt. v. 14.7.1986, BVerfGE 73, 1, 28 f). II. Der Antragstellerin LVerfGG.

fehlt aber die Antragsbefugnis gem. § 36 Abs. 1

1. Nach § 36 Abs. 1 LVerfGG ist für die Zulässigkeit des Antrags im Organstreitverfahren erforderlich, dass der Antragsteller eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner ihm durch die Landesverfassung übertragenen Rechte und Pflichten geltend macht. Das bedeutet, dass er tatsächliche Behauptungen substantiiert vortragen muss, die - ihre Richtigkeit unterstellt - eine Rechts- oder Pflichtverletzung bzw. eine unmittelbare Rechts- oder Pflichtengefährdung durch ein Verhalten des Antragsgegners möglich erscheinen lassen (LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 14.12.2000, LVerfGE 11, 306, 314 mwN zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Als Maßnahme iSd § 36 Abs. 1 LVerfGG kommt auch der Erlass eines Gesetzes in Betracht, wenn bereits darin die Verletzung von durch die Landesverfassung übertragenen Rechten bzw. Kompetenzen liegen kann (LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 11.7.1996, LVerfGE 5, 203, 217; Urt. v. 14.12.2000, LVerfGE 11, 306, 313). Eine solche Verletzung ihrer Rechte sieht die Antragstellerin darin, dass sie durch die Vorenthaltung der an den Fraktionsstatus anknüpfenden besonderen Rechte der ihr angehörenden oder auf ihrer Liste gewählten Mitglieder der Kommunalvertretungen in ihrem Recht auf Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, das ihr durch Art. 3 Abs. 4 LV gewährleistet ist, behindert werde. Indessen ist es von vornherein auszuschließen, dass die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke für Kreistage auf vier Mitglieder und für Stadtvertretungen mit mehr als 25 Mitgliedern auf drei und mit mehr als 37 Mitgliedern auf vier Stadtvertreter die Antragstellerin in ihrem Recht auf Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes aus Art. 3 Abs. 4 LV oder in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 3 LV verletzt.

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Organstreitverfahren — Antragsbefugnis der Parteien

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2. Die Anhebung der Fraktionsmindeststärke ist keine Maßnahme, welche die in Art. 3 Abs. 4 LV geregelte Mitwirkung der Antragstellerin an der politischen Willensbildung des Volkes betrifft. Sie bezieht sich auf die institutionelle Staatlichkeit (a) und damit nicht auf die politische Willensbildung des Volkes (b). a) Aufgabe der Fraktion ist es, die interne organschaftliche Willensbildung zu erleichtern und zu verbessern. Dies erfolgt dadurch, dass die Mitglieder der Fraktion ihre Vorstellungen und Aktivitäten aufeinander abstimmen, um diesen im arbeitsteiligen Zusammenwirken zu besonderer Wirksamkeit zu verhelfen. Die Fraktionen straffen den innerhalb der Kommunalvertretung vorzunehmenden Vorgang der Entscheidungsfindung und konzentrieren diesen auf deutlich unterscheidbare Alternativen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.3.1992, BVerwGE 90, 104, 108 f; Muth u.a., Potsdamer Kommentar zur Kommunalverfassung des Landes Brandenburg, 1995, § 4 0 Anm. 1). Überdies soll die Untergliederung der Kommunalvertretungen in Fraktionen dazu beitragen, den technischen Ablauf der Arbeit innerhalb des Selbstverwaltungsorgans in gewissem Grad zu steuern und zu erleichtern (vgl. für das Parlamentsrecht BVerfG, Beschl. v. 14.1.1998, NVwZ 1998, 387 mwN aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; BVerfG, Urt. v. 16.7.1991, BVerfGE 84, 304, 324 f; für das Kommunalrecht vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 18.12.1990, NVwZ-RR 1991, 506; VGH Mannheim, Beschl. v. 26.1.1989, DÖV 1989, 596; Oemmler Der Abgeordnete im Parlament der Fraktionen, 1994, S. 179 ff, insb. S. 192 ff; Hubert Meyer Kommunales Parteien- und Fraktionenrecht, 1990, S. 251 ff). b) Die politische Willensbildung des Volkes findet ihren besonderen Ausdruck in den Wahlen zu den parlamentarischen Körperschaften (BVerfG, Urt. v. 5.4.1952, BVerfGE 1, 208, 225). An dieser Willensbildung wirken die politischen Parteien mit, indem sie für ihre Programme und Vorstellungen mit dem Ziel werben, dass ihre Kandidaten bei Wahlen in das Parlament oder in die kommunalen Vertretungskörperschaften (BVerfG, Beschl. v. 7.5.1957, BVerfGE 6, 367, 373) gelangen. Insoweit sind die verfassungsmäßigen Rechte der politischen Parteien lediglich im Vorstadium vor dem Mandatserwerb betroffen (Clemens in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, §§ 63; 64 Rn. 97). Den Parteien ist bei ihrer Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes Staatsfreiheit verfassungsrechtlich gewährleistet (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1991, BVerfGE 84, 290, 299). Diese besteht „unbeschadet der für den politischen Prozess in der freiheitlichen Demokratie kennzeichnenden Verschränkung der Willensbildung des Volkes mit der Willensbildung in den Staatsorganen" (BVerfG, Urt. v. 26.11.1991, BVerfGE 85, 264, 287). Nicht gewährleistet ist ihnen ein Recht auf Einbeziehung in die organisierte Staatlichkeit und die sich darin vollziehende staatliche Willensbildung. Die Regelung über die Anhebung der Fraktionsmindeststärken betrifft organschaftliche Beziehungen innerhalb eines Organs kommunaler SelbstverwalLVerfGE 15

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tungskörperschaften und damit die „parlamentarische Phase". Sie knüpft an den Status des Kommunalvertreters an und findet ihre Grundlage im freien Mandat der Mitglieder in den Kreistagen und Gemeindevertretungen. Diese haben nach ihrer Wahl eine unabhängige eigene Rechtsstellung erlangt, die von derjenigen der Partei, mit deren Hilfe sie in die Kommunalvertretung eingerückt sind, gelöst ist {(Ziemern aaO, Rn. 117). Als Teil des Kreistages und der Gemeindevertretung ist eine Fraktion Teil organisierter Staatlichkeit (vgl. Jekemi^ in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 37 Rn. 52), nicht Untergliederung einer Partei. 3. Die Wahlchancengleichheit ist durch die Regelungen über die Fraktionsmindeststärke nicht betroffen. Sie findet ihren Platz in den verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Gleichheit der Wahl. Die Fesdegung der Fraktionsmindeststärke betrifft weder den Wahlvorgang noch die durch die Wahl vollzogene Entscheidung der Wähler über die Zusammensetzung des gewählten Gremiums. Ist die Wahl durch die Feststellung des Wahlergebnisses abgeschlossen, entfällt auch der Anwendungsbereich der Wahlchancengleichheit. Die Ausgestaltung der Rechtsstellung der gewählten Mitglieder der Kommunalvertretungen durch das organschaftliche Recht der Kommunalvertretungen beeinflusst den Erfolgswert der bei der Wahl abgegebenen Stimmen nicht mehr. Diese Regelungen beziehen sich vielmehr auf den Status des Kommunalvertreters und damit einen anderen Rechtskreis als den der Wahl. Daraus folgt zugleich, dass sich die Antragstellerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen kann, mittelbar in ihrem Recht auf Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 3, 4 LV verletzt zu sein. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Parteispenden entschieden, dass auch eine mittelbare Beeinträchtigung der Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes wegen Verstoßes gegen die Chancengleichheit der Parteien verfassungsrechtlich unzulässig sein könne (BVerfG, Urt. v. 24.6.1958, BVerfGE 8, 51, 63 ff). Voraussetzung für eine solche die Chancengleichheit verletzende mittelbare Beeinträchtigung ist jedoch, dass sie sich aus der Anwendung von Normen ergibt, die ihrerseits Materien regeln, die für die Mitwirkung der Parteien rechtlich von Bedeutung sind. Ein solcher Zusammenhang fehlt hier, anders als in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall. Eine verfassungsrechtlich relevante mittelbare Beeinträchtigung des Rechts der Parteien auf Chancengleichheit liegt nicht bereits dann vor, wenn eine gesetzliche Regelung faktisch auf die Willensbildung des Volkes Einfluss gewinnt, die Regelungsmaterie selbst aber mit dem Mitwirkungsrecht der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes rechtlich keinen Berührungspunkt hat. Solchen Reflexwirkungen gesetzlicher Bestimmungen fehlt der für die Verletzung der Chancengleichheit der Parteien erforderliche normative Bezug zum Mitwirkungsrecht der Parteien.

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Organstreitverfahren — Antragsbefugnis der Parteien

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4. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich schließlich, dass die Antragstellerin als politische Partei nicht geltend machen kann, sie sei durch die Anhebung der Mindestfraktionsstärke in den Kommunalvertretungen in ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 5 Abs. 3 LV, Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Die Regelung der Mindestfraktionsstärke betrifft — wie ausgeführt — das Organschaftsrecht der Mitglieder in den Kommunalvertretungen. In dieser „parlamentarischen Phase" können Gleichbehandlungsrechte der Mandatsträger, nicht aber der sie tragenden politischen Kräfte, mit deren Unterstützung die Mandatsträger gewählt worden sind, betroffen und gegebenenfalls verletzt sein. C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 32 Abs. 1; 33 Abs. 2 LVerfGG.

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Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen

Die amtierenden Richtet des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen Dr. Thomas Pfeiffer, Präsident Klaus Budewig, Vizepräsident Ulrich Hagenloch Alfred Graf von Keyserlingk Siegfried Reich Hans Dietrich Knoth Prof. Dr. Hans v. Mangoldt Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Schneider Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute Stellvertretende Richterinnen und Richter Heinrich Rehak Dr. Michael Gockel Jürgen Niemeyer (bis 30. November 2004) Dr. Andreas Spilger Susanne Schlichting (bis 30. November 2004) Hannelore Leuthold Prof. Dr. Martin Oldiges Heide Boysen-Tilly Prof. Dr. Christoph Degenhart

Kommunale Normenkontrolle - Zulässigkeit des Antrags; Fristenlauf

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Nr. 1 1. Bei einer ablehnenden Entscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich der Gewährung von Ansprüchen beginnt die Frist des § 36 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG mit dem In-Kraft-Treten des ablehnenden Gesetzes. 2. Bei Gesetzesänderungen wird die Jahresfrist des § 36 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG nur dann neu in Lauf gesetzt, wenn die Gesetzesänderung die angegriffene Vorschrift in einer Weise betrifft, dass gerade durch die Gesetzesänderung die Verfassungswidrigkeit begründet oder erhöht wird. 3. Offen bleibt, ob mit der objektiven Anhörungspflicht aus Art. 84 Abs. 2 SächsVerf stets ein die Selbstverwaltung schützendes subjektives Anhörungsrecht korrespondiert. Verfassung des Freistaates Sachsen Art. 81 Abs. 1 Nr. 2; 82 Abs. 2; 84 Abs. 2; 85 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2; 90 Sächsisches Verfassungsgerichtshofsgesetz §§ 7 Nr. 8; 36 Abs. 1 Satz 1 Finanzausgleichsgesetz §§ 1; 5;7 Abs. 3; 15; 16

Urteil v o m 18. N o v e m b e r 2004 - Vf. 89-VIII-03 in dem Verfahren der Normenkontrolle auf kommunalen Antrag von neun Verwaltungsverbänden betreffend das Finanzausgleichsgesetz Entscheidungsformel: Die Anträge werden verworfen. Gründe: A. Die Antragsteller wenden sich mit ihrem am 30.12.2003 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingegangenen Antrag im Verfahren der Normenkontrolle auf kommunalen Antrag gegen das Finanzausgleichsgesetz in der Fassung, die es durch Art. 1 des am 1.1.2003 in Kraft getretenen Dritten Ge-

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

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setzes zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vom 11.12.2002 (SächsGVBl. S. 317 ff) gefunden hat. I. 1. Der Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen wurde in den Jahren von 1991 bis 1998 durch jährlich erlassene Gesetze (FAG-1991 bis FAG-1998) geregelt. Diese Gesetze sind auf Grund Art. 3 Ziff. 3 des Gesetzes vom 12.12.2000 (SächsGVBl. S. 521) außer Kraft getreten. Bereits mit Urteil vom 23.11.2000 (Vf. 53-11-97) hatte der Verfassungsgerichtshof in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle festgestellt, dass das Finanzausgleichsgesetz 1997 mit Art. 85 Abs. 1 S. 3 und Art. 85 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen unvereinbar ist. Am 1.1.1999 trat das Gesetz über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen (Finanzausgleichsgesetz — FAG) vom 8.12.1998 in Kraft (SächsGVBl. S. 653; im Folgenden: FAG-1999), auf welchem seitdem der kommunale Finanzausgleich im Freistaat Sachsen beruht. Dieses Gesetz wurde durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.3.2000 (SächsGVBl. S. 126) und durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen vom 12.12.2000 (SächsGVBl. S. 521) geändert. Die Neufassung des Finanzausgleichsgesetzes wurde mit Bekanntmachung vom 19.12.2000 (SächsGVBl. 2001 S. 1; im Folgenden: FAG-2001) bekannt gemacht. Weitere Änderungen erfolgten durch Art. 1 des Gesetzes vom 17.1.2002 (SächsGVBl. S. 69) und durch das angegriffene Änderungsgesetz. Die danach geltende Neufassung war mit Bekanntmachung vom 6.1.2003 (SächsGVBl. S. 6; im Folgenden: FAG-2003) bekannt gemacht worden. Zwischenzeitlich wurde das Finanzausgleichsgesetz durch das Gesetz zur Änderung von Gesetzen des kommunalen Finanzausgleichs vom 19.12.2003 (SächsGVBl. S. 903) erneut geändert. 2. Nach der bislang unverändert geltenden Regelung des § 1 Abs. 2 FAG1999 (jetzt: § 1 Abs. 2 FAG-2003) erhalten kreisangehörige Gemeinden, Kreisfreie Städte und Landkreise in Ergänzung zu ihren eigenen Einnahmen und zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben sowie der ihnen übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung allgemeine Zuweisungen und zweckgebundene Zuweisungen. a) Hinsichtlich der allgemeinen Zuweisungen enthielt das FAG-1999 folgende Vorschrift: § 5 Grundsätze Kreisangehörige Gemeinden, Kreisfreie Städte und Landkreise erhalten nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 allgemeine Schlüsselzuweisungen zur Ergänzung ihrer eigenen Einnahmen. Allgemeine Schlüsselzuweisungen an die kreisangehörigen GemeinLVerfGE 15

Kommunale Normenkontrolle — Zulässigkeit des Antrags; Fristenlauf

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den, Kreisfreien Städte und Landkreise sind Schlüsselzuweisungen nach mangelnder Steuer- und Umlagekraft. Sie dienen der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfes. Mit den allgemeinen Schlüsselzuweisungen sind alle Lasten ausgeglichen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Durch Art. 1 Ziff. 5 des angegriffenen Änderungsgesetzes wurde die Angabe „§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1" durch „§ 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1" ersetzt. Diese Änderung trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die ursprünglich in § 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 FAG-1999 enthaltene Regelung nun wordautidentisch in § 4 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 FAG-2003 wiederfindet. Im FAG-2001, welches eine gleichlautende Regelung in § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 beinhaltete, wurde versäumt, den Verweis in § 5 FAG-2001 entsprechend anzupassen. b) Die Höhe der Schlüsselzuweisungen an kreisangehörige Gemeinden bemisst sich nach dem bislang unverändert gebliebenen § 6 Abs. 1 FAG-1999 (jetzt: § 6 Abs. 1 FAG-2003) für die einzelnen Gemeinden nach ihrer Steuerkraft und ihrem auf den Einwohner und Schüler bezogenen durchschnittlichen Finanzbedarf, ausgedrückt durch die Bedarfsmesszahl. Dabei geht das Finanzausgleichsgesetz davon aus, dass Gemeinden mit mehr Einwohnern einen überproportional größeren Finanzbedarf aufweisen als Gemeinden mit weniger Einwohnern. In die Berechnung der jeweiligen Bedarfsmesszahl fließt daher ein an der Gemeindegröße nach Einwohnern ausgerichteter Gewichtungsfaktor ein (§ 7 Abs. 3 S. 1 bis 3 FAG 1999/ § 7 Abs. 3 FAG 2003). Die Gewichtungsfaktoren werden in der seit dem 1. Januar 1999 unverändert gebliebenen Anlage zu § 7 FAG-1999 (jetzt Anlage zu § 7 FAG-2003) aufgeführt: Einwohner Vomhundertsatz (Gewichtungsfaktor) bis

1 500 100 4 000 112 7 500 122 12 500 131 17 500 138 25 000 140 40 000 150 55 000 160

LVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

c) Im Hinblick auf die den k o m m u n a l e n Trägern der Selbstverwaltung nach Art. 85 A b s . 2 SachsVerf übertragenen A u f g a b e n enthielt das Finanzausgleichsgesetz 1999 i m Abschnitt über die allgemeinen Schlüsselzuweisungen eine besondere Bestimmung: § 15 Ausgleich für übertragene Aufgaben Kommunale Träger der Selbstverwaltung, die aufgrund ihres hohen Steueraufkommens keine oder die nachfolgenden Beträge unterschreitende allgemeine Schlüsselzuweisungen je Einwohner bekommen, erhalten zum Ausgleich einer Mehrbelastung für übertragene Aufgaben nach Artikel 85 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen Zuweisungen in einer Höhe, die folgende Mindestausstattung je Einwohner gewährleistet: 1. kreisangehörige Gemeinden

12 DM

2. Kreisfreie Städte

42 DM

3. Landkreise

30 DM.

(...) Die insoweit i m F A G - 2 0 0 1 unverändert gebliebene B e s t i m m u n g w u r d e durch das angegriffene Gesetz neu gefasst, aus d e m Abschnitt über die allgemeinen Schlüsselzuweisungen herausgelöst und in einen eigenen Abschnitt eingegliedert. D a s F A G - 2 0 0 3 enthält nunmehr folgende Regelung: § 16 Ausgleich für übertragene Aufgaben (1) Die kommunalen Mehrbelastung nach (SächsVerf) für nach abhängige allgemeine

Träger der Selbstverwaltung erhalten zum Ausgleich einer Artikel 85 Abs. 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen deren In-Kraft-Treten übertragene Aufgaben steuerkraftunZuweisungen in Höhe von

1.

kreisangehörige Gemeinden

0,32 EUR

2.

Große Kreisstädte

9,28 EUR,

3.

Große Kreisstädte als erfüllende Gemeinde von Verwaltungsgemeinschaften

7,97 EUR,

4.

Kreisfreie Städte

35,28 EUR,

5.

Landkreise

23,17 EUR.

Die Zuweisungen werden durch Vervielfältigung der Beträge gemäß Satz 1 Nr. 1 bis 5 mit der nach § 30 bestimmten Einwohnerzahl ermittelt. Die Einwohnerzahl gemäß Satz 1 Nr. 3 bestimmt sich nach der Einwohnerzahl der Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft. (2) LVerfGE 15

(··•)

Kommunale Normenkontrolle — Zulässigkeit des Antrags; Fristenlauf

343

II. Die Antragsteller beantragen festzustellen: 1.

dass das Dritte Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vom 11. Dezember 2002 (SächsGVBl. S. 317) mit Art. 84 Abs. 2 Verfassung des Freistaates Sachsen unvereinbar ist,

2.

hilfsweise, dass

a)

§ 5 Gesetz über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen (Finanzausgleichsgesetz — FAG) vom 8. Dezember 1998 (SächsGVBl. S. 653) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Januar 2003 (SächsGVBl. S. 6) mit Art. 87 Abs. 3 Verfassung des Freistaates Sachsen unvereinbar ist,

b)

§ 7 Abs. 3 Gesetz über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen (Finanzausgleichsgesetz — FAG) vom 8. Dezember 1998 (SächsGVBl. S. 653) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Januar 2003 (SächsGVBl. S. 6) in Verbindung mit der Anlage zu § 7 FAG mit Art. 82 Abs. 2 Satz 1 und mit Art. 84 Abs. 1 Satz 2 Verfassung des Freistaates Sachsen unvereinbar ist und

c)

§ 16 Gesetz über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen (Finanzausgleichsgesetz — FAG) vom 8. Dezember 1998 (SächsGVBl. S. 653) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Januar 2003 (SächsGVBl. S. 6) mit Art. 85 Abs. 2 Verfassung des Freistaates Sachsen unvereinbar ist.

Sie sind der Ansicht, das Finanzausgleichsgesetz beziehe die Verwaltungsverbände zu Unrecht nicht unmittelbar in den kommunalen Finanzausgleich ein. Zudem seien sie im Gesetzgebungsverfahren nicht angehört worden. 1. Die Antragsteller sehen sich in ihrem Recht auf Ausgleichsgewährung gem. Art. 85 Abs. 2 SächsVerf dadurch verletzt, dass die Verwaltungsverbände in der Ausgleichsregelung für die Kosten der übertragenen Aufgaben (§16 FAG2003) nicht berücksichtigt worden seien. Den Verwaltungsverbänden seien aufgrund Gesetzes - § 7 Abs. 1 Ziff. 1 SächsKomZG - sämtliche übertragenen Aufgaben zugewiesen. Den Mitgliedsgemeinden verblieben insoweit keine Aufgaben, weshalb die auszugleichenden Mehrbelastungen ausschließlich bei den Verwaltungsverbänden und nicht bei den Mitgliedsgemeinden entstünden. Die Verwaltungsverbände könnten nicht darauf verwiesen werden, dass sie über die zu erhebenden Umlagen (§ 25 Abs. 1 SächsKomZG) von dem an die Gemeinden geleisteten Ausgleich profitierten. Es bestehe kein gesetzlicher Anspruch der Verwaltungsverbände gegen ihre Mitgliedsgemeinden auf vollständige Übertragung der nach § 16 FAG-2003 erhaltenen Mittel. Vielmehr hätten die Mitgliedsgemeinden ein vom natürlichen Egoismus geprägtes Interesse, möglichst wenig Mittel an den LVerfGE 15

344

Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

Verwaltungsverband abzugeben, welches der Forderung nach vollständigem Ausgleich der Mehrbelastungen beim Aufgabenträger entgegenstehe. 2. Zudem machen die Antragsteller eine Verletzung des Art. 87 Abs. 3 SächsVerf geltend. Sie behaupten, Art. 87 Abs. 3 SächsVerf gewähre ihnen ein Recht auf Finanzausgleich. Die Verwaltungsverbände erfüllten die Funktionen einer (Einheits-)Gemeinde, da sie sämtliche Verwaltungsaufgaben der Mitgliedsgemeinden wahrnähmen. Diese beschäftigten bereits seit dem 1.1.2002 kein eigenes Personal mehr. Daher seien den Verwaltungsverbänden, anders als in § 5 FAG-2003 vorgesehen, eigene Schlüsselzuweisungen zu gewähren. 3. Darüber hinaus sei das in Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 Abs. 1 S. 2 SächsVerf enthaltene Gebot der Gleichstellung verletzt. Obwohl die Verwaltungsverbände die gleiche Funktion wie (Einheits-)Gemeinden ausübten und die gleichen Aufgaben wie diese erfüllten, -würden ihnen nicht die gleichen finanziellen Mittel vom Freistaat zur Verfügung gestellt. Der an der Einwohneranzahl ausgerichtete Gewichtungsfaktor (Anlage zu § 7 FAG-2003) werde auf die kleinen Mitgliedsgemeinden und nicht auf sämtliche Einwohner des Verwaltungsverbandes bezogen. Dies führe dazu, dass der Finanzbedarf eines Verwaltungsverbandes niedriger angesetzt werde, als der einer kreisangehörigen Gemeinde mit identischer Einwohnerzahl. Die Einwohner eines Verwaltungsverbandes seien aber nicht billiger als die einer (Einheits-)Gemeinde. 4. Schließlich seien die Antragsteller in ihrem Recht aus Art. 84 Abs. 2 SächsVerf verletzt. Sie seien im Gesetzgebungsverfahren nicht angehört worden. Eine Anhörung habe lediglich hinsichtlich des Städte- und Gemeindetages e.V. stattgefunden, in welchem die Antragsteller aber nicht Mitglied seien. Das Finanzausgleichsgesetz regle insbesondere in § 16 FAG-2003 den finanziellen Ausgleich für die Ausführung übertragener Aufgaben. Da diese kraft Gesetzes den Verwaltungsgemeinschaften übertragen seien, bestehe die in Art. 84 Abs. 2 SächsVerf genannte Berührung der Gemeindeverbände. 5. Ergänzend tragen die Antragsteller vor, dass dahingestellt bleiben könne, ob sich die Antragsteller auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen könnten. Soweit über die in Art. 84 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf ausdrücklich normierte Gleichstellung auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz Rückgriff genommen werden soll, sei auf die Entstehungsgeschichte der Verwaltungsverbände zu verweisen. Diese seien bei der Gemeindegebietsreform für diejenigen Gebiete als Alternativen angeboten worden, in denen keine größere zentrale Gemeinde als einheitsstiftender Mittelpunkt einer Einheitsgemeinde vorhanden gewesen sei.

LVerfGE 15

Kommunale Normenkontrolle — Zulässigkeit des Antrags; Fristenlauf

345

III. 1. Der Sächsische Landtag hat von einer Stellungnahme zum Verfahren abgesehen. 2. Die Staatsregierung hält den Normenkontrollantrag für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. a) Der Zulässigkeit des Antrags auf kommunale Normenkontrolle stehe das Versäumnis der Jahresfrist des § 36 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG entgegen. Die in §§ 5, 7 Abs. 3 und 16 FAG-2003 enthaltenen Regelungen seien bereits gleichlautend bzw. mit dem gleichen Ergebnis für die Antragsteller im Finanzausgleichsgesetz idF der Bekanntmachung vom 19.12.2000 enthalten gewesen, die Frist nach § 36 Abs. 1 SächsVerfGHG sei demnach am 31.12.2001 abgelaufen. Es liege auch kein Fall des gesetzgeberischen Unterlassens mit der Folge vor, dass der Antrag zulässig wäre, solange das Unterlassen andauere. Aus §§ 5; 7; 15 FAG2001 sei klar erkennbar, dass der Gesetzgeber den Verwaltungsverbänden keine entsprechenden Ansprüche habe einräumen wollen. Unter diesen Voraussetzungen sei für die Annahme eines gesetzgeberischen Unterlassens kein Raum. Darüber hinaus fehle es an einem schlüssigen Vortrag hinsichtlich einer Verletzung des Art. 87 Abs. 3 SächsVerf. Diese Vorschrift räume den Antragstellern keine Rechte ein, da sie — anders als etwa Art. 87 Abs. 1 SächsVerf — die Gemeindeverbände nicht als Berechtigte nenne. Auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) könnten sich die Antragsteller als juristische Personen des öffentlichen Rechts ebenfalls nicht berufen. Hinsichtlich einer Verletzung des Art. 82 Abs. 2 SächsVerf mangle es dem Antrag an jeglichen Ausführungen. Soweit die Verfassungsbeschwerde die Bemessung des Gewichtungsfaktors zum Gegenstand habe, seien keine eigenen Rechte der Antragsteller betroffen. b) Die Antragsteller seien auch nicht in ihren Rechten aus Art. 82 ff SächsVerf verletzt. Insbesondere umfasse der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers die Entscheidung und Abwägung, ob und inwieweit er zentralörtliche Funktionen von Einheitsgemeinden durch einen höheren Gewichtungsfaktor berücksichtige. Selbst wenn man ein grundsätzliches Gebot der Gleichbehandlung von Verwaltungsverbänden und Einheitsgemeinden annehmen wolle, bestünden Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass eine Differenzierung im Rahmen des übergemeindlichen Finanzausgleichs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre. In dem Recht auf Ausgleich für übertragene Aufgaben aus Art. 85 Abs. 2 SächsVerf seien die Antragsteller nicht verletzt, da ihnen durch § 7 Abs. 1 Nr. 1 SächsKomZG keine bestimmten Aufgaben iSd Art. 85 SächsVerf übertragen würden. Es werde lediglich der Übergang der bereits durch ein Fachgesetz auf die Mitgliedsgemeinden übertragenen Weisungsaufgaben geregelt. Der Aufgabenübergang sei lediglich Reflex der autonomen Entscheidung der Gemeinden, einen LVerfGE 15

346

Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

Verwaltungsverband zu bilden. Die Antragsteller könnten sich insoweit auch nicht auf eine gebotene Gleichbehandlung mit den Landkreisen berufen, da diese — im Gegensatz zu den Verwaltungsverbänden — unmittelbare Adressaten fachgesetzlicher Aufgabenübertragungen seien. Ebenfalls verbiete sich der — von den Antragstellern nicht angestellte — Vergleich der Verwaltungsverbände mit Großen Kreisstädten als erfüllende Gemeinde von Verwaltungsgemeinschaften, die nach § 1 6 Abs. 1 Nr. 3 FAG-2003 eigene Zuweisungen erhielten, welche sich nach der Einwohnerzahl der Mitgliedsgemeinden bemesse. Große Kreisstädte erfüllten nicht nur Weisungsaufgaben der Mitgliedsgemeinden, sondern darüber hinaus auch die ihnen durch die Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Zuständigkeiten der Großen Kreisstädte übertragenen Aufgaben der Landkreise als untere Verwaltungsbehörde. Vor diesem Hintergrund sei es im Interesse der Transparenz der Ausgleichsregelung zweckmäßig, den steuerkraftunabhängigen Ausgleich für übertragene Landkreis- und gemeindliche Aufgaben in einem Ausgleichsbetrag zu bündeln. Da das Finanzausgleichsgesetz Ansprüche der Antragsteller nicht regele, habe die Anhörungspflicht nach Art. 84 Abs. 2 SächsVerf nicht bestanden. B. Die Anträge sind unzulässig. Soweit die Antragsteller die mangelnde Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren zum Dritten Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes rügen, haben sie die Möglichkeit der Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte nicht hinreichend dargetan. Soweit sich die Antragsteller gegen §§ 5; 7 Abs. 3; 16 FAG-2003 wenden, haben sie die Antragsfrist versäumt. I. Die Antragsteller haben die Möglichkeit der Verletzung eines Anhörungsrechts aus Art. 84 Abs. 2 SächsVerf nicht aufgezeigt. 1. Eine Normenkontrolle auf kommunalen Antrag (Art. 90 SächsVerf iVm §§ 7 Nr. 8; 36 SächsVerfGHG) ist nur zulässig, wenn der in Art. 82 Abs. 2; 90 SächsVerf bezeichnete Selbstverwaltungsträger substantiiert vorträgt (§10 Abs. 1 SächsVerfGHG iVm § 23 Abs. 1 BVerfGG), durch die angegriffenen Regelungen möglicherweise unmittelbar in einem der in Art. 82 Abs. 2, Art. 84 bis 89 SächsVerf genannten Selbstverwaltungsrechte verletzt zu sein (SächsVerfGH, JbSächsOVG 2, 52, 54 ff; SächsVerfGH, DÖV 1999, 338 f). Das Verfahren nach Art. 90 SächsVerf soll die dort genannten subjektiven Rechte der Gemeinden, der Landkreise und der anderen Gemeindeverbände schützen und nicht — wie das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf — in objektiver Weise klären, ob einfaches Landesrecht mit der Sächsischen Verfassung vereinbar ist (SächsVerfGH, Beschl. v. 22.11.2001 - Vf. 26-VIII-01).

LVerfGE 15

Kommunale Normenkontrolle — Zulässigkeit des Antrags; Fristenlauf

347

2. Es kann dahinstehen, ob mit der objektiven Anhörungspflicht aus Art. 84 Abs. 2 SächsVerf stets ein die Selbstverwaltung schützendes subjektives Anhörungsrecht korrespondiert, oder ob ein subjektives Anhörungsrecht nur unmittelbar aus der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 82 Abs. 2 S. 2 SächsVerf herrühren kann (vgl. zum Anhörungsrecht aus Art. 82 Abs. 2 S. 2 SächsVerf: SächsVerfGH, JbSächsOVG 2, 61, 75; SächsVerfGH, LKV 1995, 115, 116; vgl. zur Verfassungsrechtslage in Thüringen: ThürVerfGH, Urt. v. 12.10.2004 - VerfGH 16/02). Ebenfalls kann dahinstehen, ob mit der Anhörung des Sächsischen Städte- und Gemeindetages e.V. eine aus Art. 84 Abs. 2 SächsVerf resultierende Verpflichtung zur Anhörung einzelner Gemeinden und Gemeindeverbände entfällt. Es ist bereits nicht nachvollziehbar dargetan, dass die Antragsteller zum angegriffenen Änderungsgesetz zu hören waren. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass den Antragstellern vor In-Kraft-Treten des angegriffenen Gesetzes eigene im Finanzausgleichsgesetz geregelte Zuwendungs- bzw. Ausgleichsansprüche zugestanden hätten und nunmehr Rechte oder Kompetenzen der Antragsteller aufgehoben worden seien. Der Gesetzgeber hatte sich bereits bei Einführung des Finanzausgleichsgesetzes im Januar 1999 gegen solche Ansprüche der Verwaltungsverbände entschieden (siehe unten unter: Β. II. 2.). Da nach dem Vorbringen der Antragsteller durch das angegriffene Gesetz weder ihre Rechtsstellung noch ihr Verhältnis zu anderen Trägern der kommunalen Selbstverwaltung verändert wurde, bietet der Vortrag vorliegend keine Anhaltspunkte für die Verletzung des Art. 84 Abs. 2 SächsVerf im Gesetzgebungsverfahren. II. Die Hilfsanträge sind nicht gem. § 36 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG innerhalb eines Jahres seit dem In-Kraft-Treten des Finanzausgleichsgesetzes gestellt worden. Dies gilt sowohl für die seit dem 1.1.1999 nahezu unveränderten §§ 5; 7 Abs. 3 FAG-1999/FAG-2003, als auch für den durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vom 11.12.2002 neu gefassten § 16 FAG2003. 1. Die Regelungen der § 5 FAG-2003 und § 7 Abs. 3 FAG-2003 sind bereits durch § 5 FAG-1999 und § 7 Abs. 3 FAG-1999 am 1.1.1999 in Kraft getreten, die Jahresfrist des § 36 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG endete daher mit Ablauf des 31.12.1999 (vgl. zur Berechnung der Jahresfrist: BVerfGE 102, 254, 295). Die Änderungen, die § 5 FAG-1999 und § 7 Abs. 3 FAG-1999 durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes erfahren haben, sind lediglich redaktioneller Natur und vermochten die Jahresfrist nicht neu in Lauf zu setzen (vgl. SächsVerfGH, Beschl. v. 20.9.2001 - Vf. 34-VIII-01; BVerfGE 12, 139, 141; 56, 363, 379 f). In beiden Vorschriften wurden lediglich die Verweisungen auf andere Vorschriften geändert, da sich die Paragraphenzählung bzw. die Absatzzählung an anderer Stelle des Finanzausgleichsgesetzes geändert hatte. SoLVerfGE 15

348

Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

weit darüber hinaus in § 7 Abs. 3 FAG-2003 die Regelung des § 7 Abs. 3 S. 4 FAG-1999/FAG-2001 entfallen ist, beinhaltet diese Änderung nicht den die Antragsteller betreffenden und von den Antragstellern angegriffenen materiellen Gehalt der Vorschrift. Die durch § 7 Abs. 3 S. 4 FAG-1999 den Großen Kreisstädten zusätzlich gewährten Vomhundertsätze standen in keiner Beziehung zu der von den Antragstellern begehrten Gleichbehandlung der Verwaltungsgemeinschaften mit Einheitsgemeinden. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 23.11.2000, mit welchem das Finanzausgleichsgesetz 1997 mit Art. 85 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 SächsVerf für unvereinbar erklärt wurde, bewirkte nicht den Fristneubeginn ab der nächsten Änderung des Finanzausgleichsgesetzes. Denn das Urteil bezog sich ausschließlich auf das lediglich für das Jahr 1997 geltende Finanzausgleichsgesetz vom 10.12.1996 (SächsGVBl. S. 524), nicht aber auf die seit dem 1.1.1999 geltende Neuregelung des Finanzausgleichsgesetzes. Selbst wenn die Ausführungen des Urteils einen Gesetzgebungsauftrag beinhaltet hätten, wäre die Frist durch das am 1.1.2001 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen vom 12.12.2000 ausgelöst worden, so dass die für die Antragsteller maßgebliche Frist des § 36 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG mit Ablauf des 31.12.2001 geendet hätte. Der Sächsische Landtag hat das Gesetz auf der 26. Sitzung der dritten Wahlperiode am 12.12.2000 in Kenntnis des Urteils vom 23.11.2000 beraten und beschlossen (vgl. PIProt. 3/26, S. 1781 ff). 2. Auch für den Ausschluss der Verwaltungsverbände von einem unmittelbaren Anspruch auf Ausgleich für übertragene Ausgaben begann die Frist des § 36 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG am 1.1.1999 und endete mit Ablauf des 31.12. desselben Jahres. a) Bei einer ablehnenden Entscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich der Gewährung von Ansprüchen beginnt die Frist des § 36 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG mit dem In-Kraft-Treten des ablehnenden Gesetzes. Da die Verwaltungsverbände bereits durch § 15 FAG-1999 vom Empfang unmittelbarer Zuwendungen zum Ausgleich für übertragene Aufgaben ausgeschlossen wurden, begann der Fristenlauf mit dem 1.1.1999. Die Antragsteller wenden sich insbesondere nicht gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen hinsichtlich der Regelung eines eigenen Anspruchs der Verwaltungsverbände beim Finanzausgleich. Unabhängig von der Frage, ob ein gesetzgeberisches Unterlassen überhaupt zulässiger Gegenstand einer Normenkontrolle auf kommunalen Antrag nach Art. 90 SächsVerf iVm §§ 7 Nr. 8; 36 SächsVerfGHG sein kann, liegt ein Unterlassen einer Entscheidung über Ansprüche der Verwaltungsverbände im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs nicht vor. Zu Recht sehen die Antragsteller im Finanzausgleichsgesetz eine ablehnende Regelung in Bezug auf eigene unmittelbare Ansprüche gegen den Freistaat SachLVerfGE 15

Kommunale Normenkontrolle — Zulässigkeit des Antrags; Fristenlauf

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sen. Das Finanzausgleichsgesetz führt die Anspruchsberechtigten sowohl hinsichtlich der allgemeinen Schlüsselzuweisungen (§§ 1; 5 FAG-2003) als auch hinsichtlich des Ausgleichs für übertragene Aufgaben (§§ 1; 16 FAG-2003) enumerativ auf. Schon hieraus wird deutlich, dass sich der Gesetzgeber gegen einen eigenen Zuwendungs- bzw. Ausgleichsanspruch der Verwaltungsverbände entschieden hatte (vgl. BVerfGE 13, 284, 287). Bestätigt wird dieser Befund dadurch, dass die Gemeindeverbände im Finanzausgleichsgesetz nicht vollständig unerwähnt geblieben sind. Einzelne Gemeindeverbände kommen als Empfänger bestimmter Zuweisungen in Betracht (vgl. §§ 22; 24 FAG-1999/FAG-2003; früher auch die Verwaltungsverbände·, vgl. § 16 FAG-1991; § 26 FAG-1992; § 30 FAG-1993; § 28 FAG-1994; § 2 6 FAG-1995; § 2 3 FAG-1996), so dass keine Nichtregelung hinsichtlich der Gemeindeverbände vorliegt. b) Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vom 11.12.2002 ist die Jahresfrist auch hinsichtlich der Versagung unmittelbarer Zuwendungen zum Ausgleich für übertragene Aufgaben an die Verwaltungsverbände nicht neu angelaufen. Bei Gesetzesänderungen wird die Jahresfrist — u.U. sogar bei unverändertem Wortlaut einer gesetzlichen Regelung (vgl. BVerfG, Urt. v. 26.10.2004 - 2 BvE 1/02 und 2 BvE 2/02) - nur dann neu in Lauf gesetzt, wenn die Gesetzesänderung die angegriffene Vorschrift in einer Weise betrifft, dass gerade durch die Gesetzesänderung die Verfassungswidrigkeit begründet oder erhöht wird (vgl. Maun%/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge BVerfGG, Stand: September 2003, § 93 Rn. 47). Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang, in den das Änderungsgesetz die Bestimmung stellt, ein erweiterter Anwendungsbereich der Norm ergibt (vgl. BVerfGE 12, 10, 24) oder die Bestimmung durch die Präzisierung eines in der Rechtsnorm enthaltenen Begriffs eindeutiger als bisher begrenzt und ihr damit ein neuer Inhalt gegeben wird (vgl. BVerfGE 11, 351, 359 f) oder die mittelbare Inhaltsänderung für die gerügte Verfassungsverletzung oder ihr Ausmaß irgendwie relevant ist (vgl. BVerfGE 26, 100, 109). Die Gesetzesänderung im Hinblick auf den finanziellen Ausgleich für die Kosten übertragener Aufgaben gem. Art. 85 SächsVerf hatte für die Antragsteller keine Auswirkungen. Sie sind nach wie vor von entsprechenden unmittelbaren Zuwendungen ausgeschlossen. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass § 16 FAG-2003 gegenüber § 15 FAG-1999 in einer gesteigerten Weise Verfassungsrechte der Verwaltungsverbände betrifft. Die Gesetzesänderung hat lediglich zur Folge, dass Zuwendungen zum Ausgleich für Kosten übertragener Aufgaben nunmehr vollständig von der allgemeinen Finanzkraft der Empfänger entkoppelt wurde. Waren nach § 15 FAG-1999 kreisangehörige Gemeinden, Kreisfreie Städte und Landkreise nur dann anspruchsberechtigt, wenn sie aufgrund ihres hohen Steueraufkommens keine bzw. nur geringe allgemeine Schlüsselzuweisungen erhielten, steht denselben Berechtigten nunmehr nach § 16 FAG2003 ein steuerkraftunabhängiger Anspruch zu. Soweit eine BinnendifferenzieLVerfGE 15

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

rung der kreisangehörigen Gemeinden (§ 15 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 FAG-1999/FAG2001) in kreisangehörige Gemeinden, Große Kreisstädte und Große Kreisstädte als erfüllende Gemeinde von Verwaltungsgemeinschaften (§16 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 bis 3 FAG-2003) erfolgt ist, berührt diese Unterscheidung die Belange der Antragsteller nicht.

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Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Landesverfassungsgerichts für das Land Sachsen-Anhalt Dr. Gerd-Heinrich Kemper, Präsident Erhard Köhler, Vizepräsident Anneliese Bergmann Dr. Edeltraud Faßhauer Margrit Gärtner Dr. Günther Zettel Prof. Dr. Winfried Kluth

Stellvertretende Richterinnen und Richter

Detlef Schröder Dietmar Fromhage Veronika Pumpat Dr. Peter Willms Carola Beuermann Klaus-Günther Pods (2005 verstorben) Prof. Dr. Heiner Lück

Untersuchungsausschuss — Fraktionsrechte der Landtagsfraktionen

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Nr. 1 Zu Fraktionsrechten von Landtagsfraktionen beim Überschreiten des Untersuchungsauftrags bei einer Beweisaufnahme durch einen Untersuchungsausschuss. Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Art. 47 Abs. 2; 54 Gesetz über das Landesverfassungsgericht §§31 Abs. 1; 33 Abs. 2; 36 Abs. 1 Gesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen §§16; 18

B e s c h l u s s vom 30. J u n i 2004 - L V G 7/04 Beteiligte: 1. 2.

CDU-Landtagsfraktion FDP-Landtagsfraktion — Antragsteller —

1. 2. 3.

Landtag von Sachsen-Anhalt Achter Untersuchungsausschuss (Vorsitzender: CDU-MdL) SPD- und PDS-Abgeordnete im Untersuchungsausschuss — Antragsgegner — Entscheidungsformel:

1. Der Antrag, eine einstweilige Anordnung gegen die Antragsgegner zu 1 und zu 3 zu erlassen, wird abgelehnt. 2. Dem Antragsgegner zu 2 wird im Weg der einstweiligen Anordnung untersagt, die auf dem Beweisbeschluss vom 4. Juni 2004 beruhende Beweiserhebung durchzufuhren. 3. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land hat den Antragstellern ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. Im Übrigen werden die außergerichtlichen Kosten nicht erstattet.

LVerfGE 15

Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

354

Gründe: I. 1. Der Antragsgegner zu 1 setzte durch Beschluss vom 20.11.2003 (LTDrs.4/29/ 1139 B) auf der Grundlage des Art. 54 Abs. 1 der Landesverfassung einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein mit dem Auftrag (Abschnitt I) zu klären, „inwieweit der Minister der Justiz, ..., im Rahmen seiner Amtsführung Versuche unternahm, 1.

den Verlauf gerichtlicher Verfahren zu beeinflussen,

2.

in die kommunale Selbstverwaltung einzugreifen,

3.

in Verfahrensabläufe zu Stellenbesetzungen einzugreifen,

und damit seine Amtspflichten, vor allem die Neutralitätspflicht, verletzt hat." Unter Abschnitt II des Beschlusses, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ist der „Zusammenhang" aufgeführt, welcher die Klärung veranlasst; unter Nr. 2 heißt es: „2. [die] Besetzung einer Notarstelle in der Stadt Zeitz, bei der ein Bewerber aus der Stadt Naumburg (Saale) in Betracht gezogen wurde". Dem Untersuchungsausschuss, dem dreizehn Mitglieder und die gleiche Zahl von stellvertretenden Mitgliedern zugewiesen sind, gehören als Mitglieder der qualifizierten Minderheit (Art. 54 Abs. 2 S. 1 der Landesverfassung) die Antragsgegner zu 3 an. 2. Auf Antrag der dem Antragsgegner zu 2 angehörenden SPD-Mitglieder verlangte die qualifizierte Minderheit aus PDS- und SPD-Mitgliedern am 4.6.2004 die Beweiserhebung „im Rahmen des Punktes I. 3. des Untersuchungsauftrags" zu folgenden Fragen: „1. Ist Herr Minister ... in Bezug auf die Bewerber, Herrn S. und Herrn W., auf die Stelle des [L]eitenden Oberstaatsanwalts bei der Staatsanwaltschaft Halle entgegen dem üblichen Verfahrensablauf bei Stellenausschreibungen und Stellenbesetzungen tätig geworden? Wenn ja, wie und aus welchen Gründen? 2.

Welche Umstände haben zur Bewerbung des Herrn W. auf die Stelle des Leitenden Oberstaatsanwalts bei der Staatsanwaltschaft Halle gefuhrt?

3.

Haben außer Befähigung, Eignung und fachlicher Leistung andere Gründe eine Rolle gespielt bei der kommissarischen Besetzung der Stelle des Leiten-

LVerfGE 15

Untersuchungsausschuss - Fraktionsrechte der Landtagsfraktionen

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den Oberstaatsanwalts in Halle? Wenn ja, welche? Was hat Herrn Minister ... bewogen, den Herrn W. kommissarisch als Leitenden Oberstaatsanwalt in Halle einzusetzen?" Als Beweismittel sind die Zeugenvernehmung des Ministers, des Generalstaatsanwalts, der Konkurrenten sowie die Vorlage der Bewerbungsvorgänge vom 5.5.2004 vorgesehen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beweisantrag der SPD-Abgeordneten im Untersuchungsausschuss vom 4.6.2004 Bezug genommen. Als Termin fur die Zeugenvernehmungen ist der 2.7.2004 vorgesehen, zu dem die Zeugen geladen wurden. 3. Die Antragsteller wollen die Beweiserhebung verhindern und haben deshalb am 25.6.2004 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegner beantragt. Sie fuhren aus: Die Beweiserhebung sei rechtswidrig, weil sie die Rechte des Landtags aus Art. 41 Abs. 1 S. 4; 54 Abs. 1 der Landesverfassung verletze. Sie sei durch den Untersuchungsauftrag nicht gedeckt. Außerdem sei das Besetzungsverfahren um die Stelle des Leitenden Oberstaatsanwalts nicht abgeschlossen, weil bislang keine Auswahlentscheidung getroffen worden sei. Das Besetzungsverfahren gehöre nicht zu den Verfahren, welche durch die „Insbesondere-„Klausel gedeckt sei; wie sich aus dem im Untersuchungsauftrag verwendeten Wort „unternahm" ergebe, beschränke sich der Untersuchungsauftrag nur auf Vorfälle vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Es handele sich auch um keinen tauglichen Untersuchungsgegenstand, weil durch die Ermittlung in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortlichkeit eingegriffen werde. Das Beweiserhebungsrecht der Minderheit müsse sich im Rahmen des Untersuchungsauftrags halten. Die Beweisfragen zu 1 und zu 2 seien unmittelbar darauf gerichtet, Einflussmaßnahmen des Ministers auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren zu erforschen. Auch die Beweisfrage zu 3, die sich auf die vorläufige Maßnahme beziehe, stehe im Zusammenhang mit der noch offenen Besetzungsfrage. Die einstweilige Anordnung sei geboten, weil der Antragsgegner zu 2 die Beweiserhebung vollziehen müsse, wenn sie nicht durch die einstweilige Anordnung unterbunden werde. Die Folgenabwägung müsse dazu führen, die irreversible Beweiserhebung zu verhindern, die im Fall des Obsiegens der Gegenseite nur aufgeschoben werde. Die Antragsteller beantragen, den Antragsgegnern durch einstweilige Anordnung zu untersagen, die im Beweisantrag vom 4. Juni 2004 bezeichnete Beweiserhebung durchzuführen. Die Antragsgegner zu 3 beantragen, den Antrag abzulehnen. Sie halten den Antrag für unzulässig, weil die Antragsteller nicht befugt seien, Rechte wahrzunehmen, welche allein der Regierung zuständen. Der Antrag sei auch unbegründet, weil sich die beabsichtigte Beweisaufnahme im Rahmen des

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Untersuchungsauftrags halte, wie sich vor allem aus der Verwendung des Wortes „insbesondere" im Einsetzungsbeschluss ergebe. Die Antragsgegner zu 1 und zu 2 haben sich nicht geäußert. II. Die Antragsteller begehren den Erlass einer einstweiligen Anordnung iSd § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - LSA-VerfGG v. 23.8.1993 (LSA-GVB1., S. 441), zuletzt geändert durch Gesetz v. 7.12.2001 (LSA-GVB1., S. 540), in einem Organstreitverfahren iSd Art. 75 Nr. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - L S A - V e r f - v. 16.7.1992 (LSA-GVB1., S. 600) iVm § 2 Nr. 2 LSA-VerfGG. Die Anträge der Antragsteller gegen die Antragsgegner zu 1 und zu 3 haben keinen Erfolg (1.), gegen den Antragsgegner zu 2 ist der Antrag begründet (2.). Den Antragstellern kann mangels eines entsprechenden Antrags nicht aufgegeben werden, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Verfahren zur Hauptsache einzuleiten (3.). 1. Die Antragsgegner zu 1 und zu 3 sind zwar beteiligtenfähig (§ 35 Nr. 1 und 3 LSA-VerfGG) - der Landtag als oberstes Landesorgan iSd Art. 75 Nr. 1 LSA-Verf; § 2 Nr. 2 LSA-VerfGG und die Mitglieder der Minderheit im 8. Untersuchungsausschuss als „andere Beteiligte" im Sinne dieser Bestimmungen, denen nach Art. 54 Abs. 2 S. 1 LSA-Verf das Beweisantragsrecht zusteht —; sie können aber nicht Gegner des (Anordnungs-) Anspruchs (§ 33 Abs. 2 LSA-VerfGG iVm § 123 Abs. 1 VwGO) sein, den die Antragsteller durch einstweilige Anordnung gesichert wissen wollen. Die Durchführung der Beweisaufnahme im Untersuchungsausschussverfahren obliegt dem Ausschuss und nicht dem Landtag (vgl. insoweit zur rechtsähnlichen Lage nach dem Grundgesetz: BVerfG, Urt. v. 8.4.2002 - 2 BvE 2/01 - ; BVerfGE 105, 197, 220). Das gilt auch im Verhältnis zur Ausschussminderheit, der zwar ein — hier bereits erledigtes — Beweisantragsrecht zusteht, der aber nicht auch die Erhebung der von ihr beschlossenen Beweise obliegt; dies folgt aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 54 Abs. 2 S. 1 LSA-Verf, der durch die Regelung des folgenden Satzes 2 nicht in Frage gestellt wird, wonach die Minderheit bei „verfahrensleitenden Beschlüssen zur Beweiserhebung ... nicht überstimmt werden d a r f . Die hier streitige Beweiserhebung ist indes nicht der Verfahrensleitung zuzurechnen. Nichts anderes folgt aus den Vorschriften ohne Verfassungsrang. Die Geschäftsordnung des Landtags v. 16.5.2002 (LT-Drs. 4/1/1 B), idF des Beschlusses v. 14.11.2002 (LT-Drs. 4/9/324 B), verweist in ihrem § 16 wegen des Verfahrens in den Untersuchungsausschüssen auf die Verfassung und auf das Ausführungsgesetz.

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Das Gesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen (Untersuchungsausschussgesetz) - LSA-UAG - v. 29.10.1992 (LSAGVB1., S. 757), geändert durch Gesetz v. 7.12.2001 (LSA-GVB1., S. 540), erklärt gleichfalls den Ausschuss für zuständig, die Beweise zu erheben (§16 Abs. 1 LSAUAG), verpflichtet ihn zur Beweiserhebung (§16 Abs. 2 S. 2 LSA-UAG) und enthält den bereits von der Verfassung garantierten Minderheitenschutz (§16 Abs. 2 S. 3 LSA-UAG). 2. Gegen den Untersuchungsausschuss hingegen ist die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen. Insoweit ist der Antrag zulässig (2.1.) und begründet (2.2.). 2.1. Die Antragsteller sind als Fraktionen des Landtags mit eigenen Rechten ausgestattet (Art. 47 Abs. 2 LSA-Verf) und damit als Teile eines obersten Landesorgans (Art. 75 Nr. 1 LSA-Verf; §§ 2 Nr. 2; 35 Nr. 3 LSA-VerfGG) beteiligtenfähig· Die Anordnung richtet sich gegen einen von der Verfassung (Art. 54 LSAVerf) ebenfalls mit eigenen Rechten versehenen und damit gleichfalls beteiligtenfähigen Gegner. Die Antragsteller sind auch antragsbefugt iSv § 36 Abs. 1 LSA-VerfGG. Sie sind als Fraktionen berechtigt, im Organstreit die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Rechten des Landtags geltend zu machen (vgl. BVerfGE 105, 197, 220). Antragsform (§§16 Abs. 1; 18; 36 Abs. 2 LSA-VerfGG) und -frist (§36 Abs. 3 LSA-VerfGG) sind gewahrt. Die einstweilige Anordnung ist auch notwendig iSd § 31 Abs. 1 LSAVerfGG, um schwere Nachteile für die Antragsteller abzuwenden; denn bei Durchführung der Beweisaufnahme werden irreversible Tatsachen geschaffen, die durch ein späteres Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Den Antragstellern fehlt insoweit nicht das Rechtsschutzinteresse. Zwar obliegt die Beweisaufnahme dem Untersuchungsausschuss, dem Antragsgegner zu 2, in welchem die Antragsteller die Mehrheit haben und dessen Vorsitzenden die Antragstellerin zu 1 stellt; der Ausschuss ist aber zur Durchführung einer einmal angeordneten Beweisaufnahme grundsätzlich verpflichtet (Art. 54 Abs. 2 S. 1 LSA-Verf; § 16 Abs. 2 S. 2 LSA-UAG), auch wenn sie nur von einer Minderheit beschlossen worden ist. Nicht einmal bei verfahrensleitenden Entscheidungen dürfen die Beweisantragsteller (wirksam) überstimmt werden (Art. 54 Abs. 2 S. 2 LSA-Verf; § 16 Abs. 2 S. 2 LSA-UAG). Der Vorsitzende könnte allenfalls „vorläufige" Anordnungen treffen, die aber durch den Ausschuss (§16 Abs. 3 S. 1 LSA-UAG) - unter Wahrung des Minderheitenschutzes (§ 16 Abs. 2 S. 2, 3 LSAUAG) — bestätigt werden müssten; dies erscheint bei der gegenwärtigen Verfahrenslage schon deshalb ausgeschlossen, weil am 2.7.2004 der Ausschuss zur vorLVerfGE 15

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gesehenen Zeugenvernehmung zusammentritt und damit die Grundvoraussetzung des § 16 Abs. 3 S. 1 LSA-UAG nicht gegeben ist. 2.2. Das Landesverfassungsgericht erlässt die begehrte einstweilige Anordnung nach § 31 Abs. 1 LSA-VerfGG (vgl. etwa: LVerfG, Beschl. v. 4.7.1995 LVG 8/95 - LVerfGE 3, 257, 260; Beschl. v. 24.7.2001 - LVG 7/01 - ; BVerfG, Beschl. v. 10.10.2002 - 2 BvK 1/01 BVerfGE 106, 51, 58, 60), wenn das Begehren der — hier noch nicht anhängigen, aber hypothetisch zu Grunde zu legenden — Hauptsache nicht offensichtlich unbegründet ist (2.2.1.) auf Grund einer Folgenabwägung (2.2.2.). 2.2.1. Der Antrag im Organstreitverfahren einer Hauptsache wäre nicht offensichtlich unbegründet; Überwiegendes spricht sogar dafür, dass die Antragsteller auf der Grundlage der gegenwärtig zu berücksichtigenden Tatsachenbasis in einem Hauptsacheverfahren erfolgreich wären. Die Beweisthemen beziehen sich sämtlich auf einen Komplex, der entstanden ist, als der Untersuchungsausschuss schon eingesetzt war. Überwiegendes spricht dafür, dass diese Untersuchung vom Untersuchungsauftrag nicht gedeckt ist (2.2.1.1.); dass dieser Auftrag erweitert werden könnte, ist nicht geeignet, den gegenwärtigen Verstoß zu heilen (2.2.1.2.). 2.2.1.1. Der Untersuchungsauftrag bildet die Grenze für die Beweiserhebung (BVerfGE 105, 197, 223, 225, 228, 231). Die Verwendung der Worte „Versuche unternahm" sowie „Amtspflichten ... verletzt hat", lässt bei reiner Wortlautauslegung nur den Schluss zu, dass der Ausschuss lediglich die bereits bekannten Tatsachen untersuchen sollte. Abschnitt I Nr. 3 (Verfahrensabläufe zu Stellenbesetzungen), worauf sich der Beweisantrag stützt, verlangt keine weiter reichende Auslegung; denn es handelt sich lediglich um einen Unterpunkt neben den Vorwürfen der Beeinflussung von Verfahren (Nr. 1) und des Eingriffs in die kommunale Selbstverwaltung (Nr. 2). Auch Nr. 3 hat aber einen „Vergangenheits-"Bezug; denn er nimmt die Besetzung einer Notarstelle zum Anlass, die Untersuchung für notwendig zu halten, ob und in welchem Umfang der Minister auf das Stellenbesetzungsverfahren Einfluss genommen hat. Demgegenüber ist kein Anhaltspunkt ersichtlich, welcher vermuten lassen könnte, die Untersuchung solle — gleichsam ständig begleitend — auch Gegenstände umfassen, welche dem Landtag bei Einsetzung des Untersuchungsausschusses noch nicht bekannt gewesen waren. Die Verwendung des Begriffs „insbesondere" schließt nicht aus, dass auch damit nur Vorgänge gemeint waren, die bei Einsetzung des Untersuchungsausschusses bereits abgeschlossen waren. 2.2.1.2. Die Ausschussminderheit kann sich bei dieser Auslegung des Untersuchungsauftrags auch nicht auf Art. 54 Abs. 1 LSA-Verf stützen und geltend machen, sie habe die Rechtsmacht, den Untersuchungsauftrag so zu erweitern, dass die Beweisthemata dann kompatibel seien; denn es kommt allein darauf an, LVerfGE 15

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ob ein Beweisthema mit dem beschlossenen Untersuchungsauftrag vereinbar ist. Die Möglichkeit, den Auftrag zu erweitern, steht im Übrigen auch nicht der Minderheit im Untersuchungsausschuss zu, welche die Beweiserhebung beschlossen hat, sondern einer qualifizierten Minderheit des Landtags. Schon diese unterschiedliche Zuständigkeit verbietet die Annahme, die Minderheit im Ausschuss könne den Mangel im Rahmen ihrer Befugnisse nach Art. 54 Abs. 2 S. 2 LSAVerf unmittelbar — noch am Tag der Zeugenvernehmung — heilen. 2.2.2. Die Folgenabwägung geht zu Gunsten der Antragsteller aus. Würde die beabsichtigte Beweisaufnahme am 2.7.2004 durchgeführt, weil die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen worden ist, so wäre das Ergebnis nicht mehr rückgängig zu machen, wenn sich in einem Hauptsacheverfahren herausstellte, dass die Zeugenvernehmungen verfassungswidrig sind. Im umgekehrten Fall käme es lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung, wenn die Zeugenvernehmung jetzt durch einstweilige Anordnung unterbunden wird, sich aber später in einem Hauptsacheverfahren die Unbedenklichkeit ergäbe (vgl. insoweit zu einer ähnlichen Sachlage: BVerfGE 106, 51, 60 ff). Der Zeitverzug ist auch zumutbar, weil das Ende der Legislaturperiode noch so weit entfernt ist, dass der Antragsgegner zu 2 arbeitsfähig bleibt und die Ausschussminderheit deshalb ihr Beweiserhebungsbegehren noch zu einem späteren Zeitpunkt durchsetzen könnte. 3. Auf der Grundlage des § 3 3 Abs. 2 LSA-VerfGG i V m § 1 2 3 Abs. 3 VwGO iVm § 926 Abs. 1 ZPO kann nicht bestimmt werden, dass die Antragsteller innerhalb einer bestimmten Frist die Organstreitigkeit in der Hauptsache einzuleiten haben; denn dies setzte einen Antrag des Antragsgegners zu 2 voraus. Das Antragserfordernis des § 926 Abs. 1 ZPO gilt auch im öffentlich-rechtlichen Prozess (vgl. insoweit beispielhaft: Kopp/Schenke VwGO, 13. Aufl., § 123 Rn. 38). 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 1, 3 LSA-VerfGG. Eine Veröffentlichung der Entscheidung im Gesetz- und Verordnungsblatt (§31 Abs. 7 S. 1 LSA-VerfGG) ist nicht erforderlich, weil es sich um kein Verfahren nach § 2 Nrn. 4, 6, 7 oder 8 LSA-VerfGG handelt.

Nr. 2 1. Ein Landesgesetz im Sinne des Art. 75 Nr. 7 LVerf-LSA ist jedes förmliche, durch den Landtag im Gesetzgebungsverfahren beschlossene Gesetz. Das gilt auch dann, wenn durch das Gesetz eine Rechtsverordnung geändert wird.

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2. Gemeinden sind auch dann im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren antragsbefugt, wenn die nach Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA übertragenen staatlichen Aufgaben nicht durch die Gemeinden selbst, sondern durch die Verwaltungsgemeinschaften ausgeführt werden, denen sie angehören. 3. Eine Übertragimg von Aufgaben im Sinne von Art. 87 Abs. 3 Satz 1 LVerf-LSA liegt auch dann vor, wenn die betreffenden Aufgaben zuvor von einem anderen kommunalen Träger erfüllt wurden. 4. Ist für eine der kommunalen Ebene zugewiesene Aufgabe bereits eine Kostendeckungsregelung vorhanden, so braucht im Falle der Verlagerung dieser Aufgaben eine neue Kostendeckungsregelung ausnahmsweise nicht getroffen zu werden, wenn die betreffende Kostendeckungsregelung auch vom neuen Träger angewendet werden kann. Durch die automatische Übertragung einer bereits bestehenden Kostendeckungsregelung wird der Landesgesetzgeber den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA aber nur dann gerecht, wenn diese Regelung alle dem neuen Aufgabenträger entstehenden Kosten erfasst und für den Fall, dass es nicht zu einer vollen Kostendeckung kommt, ein angemessener Ausgleich der Mehrbelastung vorgesehen ist. 5. Finanzielle Belastungen als Folge von Insolvenzen der Kostenschuldner, auf Grund sozialstaatlich motivierter Kostenbefreiungen sowie die Kosten einer Rechtsverfolgung begründen keinen Anspruch auf angemessenen Mehrbelastungsausgleich im Sinne des Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerf-LSA. Grundgesetz Art. 80 Abs. 4; 104 Abs. 5 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Art. 87 Abs. 1 und 3 Erstes Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und zur Entbürokratisierung von Verwaltungsverfahren Art. 4; 5 Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt §§ 5; 75; 77 Finanzausgleichsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt § 3 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz fur das Land Sachsen-Anhalt § 8 Verwaltungskostengesetz des Landes Sachsen-Anhalt § 2 Abs. 1 und 2 Allgemeine Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt § 3

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U r t e i l v o m 14. S e p t e m b e r 2 0 0 4 - L V G 7 / 0 3 -

Entscheidungsformel: 1. Art. 4 des Ersten Gesetzes zur Erleichterung von Investitionen und zur Entbürokratisierung von Verwaltungsverfahren - l.IEG-LSA - (LSA-GVB1., S. 358) verstößt insoweit gegen Art. 87 Abs. 3 der Landesverfassung, als er keine Regelung zur Kostendeckung für die den Beschwerdefuhrerinnen übertragenen Aufgaben der Überwachung von Märkten und Gestattungen, der Aufforderung zur Abgabe einer Gewerbeanzeige sowie zur Gewerbeanzeige von Amts wegen enthält. 2. Art. 4 l.IEG-LSA verstößt zudem gegen Art. 87 Abs. 3 der Landesverfassung, als für die übertragenen Aufgaben nach § 14 der Gewerbeordnung keine ausreichende Deckung der den Beschwerdeführerinnen entstehenden Mehrbelastungen vorgesehen ist. 3. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. 4. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Land hat den Beschwerdeführerinnen ein Viertel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Tatbestand: 1. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat am 13.8.2002 das Erste Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und zur Entbürokratisierung von Verwaltungsverfahren (l.IEG-LSA) verabschiedet, das am 17.8.2002 in Kraft getreten ist (LSA-GVBL, S. 358). Das Artikelgesetz enthält in Art. 1 Änderungen der Bauordnung Sachsen-Anhalt, in Art. 2 Änderungen des Denkmalschutzgesetzes SachsenAnhalt und hebt in Art. 3 das Vergabegesetz des Landes Sachsen-Anhalt auf. In den für dieses Verfahren relevanten Artikeln 4 und 5 werden Änderungen in Bezug auf die Zuständigkeiten im Immissions-, Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten getroffen. Dabei ändert Art. 4 l.IEG-LSA die Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten im Immissions-, Gewerbeund Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten. Die Regelung hat folgenden Wortlaut: „In Anlage 1 Ubersicht zum nachfolgenden Verzeichnis Abschnitt „Erläuterungen zum Verzeichnis" Abkürzung „Lkr/St" der Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten im Immissions-, Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten vom 14. Juni 1994 (GVB1. LSA S. 636), zuletzt geändert durch Anlage laufende Nummer 418 zum Vierten Rechtsbereinigungsgesetz vom 19. März 2002 (GVB1. LSA S. 130), werden die Worte „mehr als 10000 Einwohnern" durch den Klammerzusatz „(mit mehr als 10000 Einwohnern, soweit nicht LVerfGE 15

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Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt lfd. Nrn. 1.1, 1.21 bis 1.28, 1.30 bis 1.32, 1.39, 1.40, 1.42 bis 1.44 Buchst, e, lfd. Nr. 3.1.7)" ersetzt".

Der Sache nach werden durch diese Regelung vor allem Aufgaben nach der Gewerbeordnung und dem Gaststättengesetz von den bislang zuständigen Landkreisen auf Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern sowie auf Verwaltungsgemeinschaften mit mehr als 10.000 Einwohnern übertragen. In Art. 5 l.IEG-LSA wird die spätere Änderung der durch das Artikelgesetz geänderten Verordnung durch Verordnung ermöglicht. Art. 5 l.IEG-LSA hat folgenden Wortlaut: „Die durch Artikel 4 geänderten Teile der dort geänderten Verordnung können auf Grund der einschlägigen Ermächtigung auch weiterhin durch Verordnung geändert oder aufgehoben werden." Der Verordnungsgeber hat von dieser Möglichkeit zwischenzeitlich auch Gebrauch gemacht. Durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten im Immissions-, Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten vom 29.11.2002 - ZustVO GewAIR — (LSA-GVBL, S. 421), wurde eine Änderung bei der verwendeten Abkürzung „Lkr/St" (Änderung der maßgeblichen Einwohnerzahl auf 10.000), eine Neufassung der lfd. Nr. 1 sowie in weiteren Nummern die Ersetzung der Abkürzung „Lkr/St" bzw. „Rep" durch die Abkürzung „Gern" vorgenommen. Es handelt sich demnach im Wesentlichen um eine Umsetzung der durch Art. 4 l.IEG-LSA vorgenommenen Zuständigkeitsänderungen in den von der Verordnung verwendeten Abkürzungen. 1.1. Die beschwerdeführenden Gemeinden nehmen die durch Art. 4 l.IEGLSA verlagerten Aufgaben direkt (so die Beschwerdeführerin zu 14 als Gemeinde mit weniger als 10.000 Einwohnern) oder mittelbar durch Verwaltungsgemeinschaften wahr, denen sie angehören (so alle übrigen Beschwerdeführerinnen). Sie machen mit der am 8.8.2003 erhobenen kommunalen Verfassungsbeschwerde geltend, dass die in Art. 4 l.IEG-LSA getroffene Regelung gegen Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA verstoße und sie deshalb in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletze, das unter anderem durch die als verletzt gerügte Vorschrift garantiert werde. 1.2. Die Beschwerdeführerinnen halten die kommunale Verfassungsbeschwerde für zulässig; insbesondere handele es sich bei der angegriffenen Regelung um ein (formelles) Landesgesetz und damit einen zulässigen Beschwerdegegenstand. Zwar werde im vorliegenden Fall eine Rechtsverordnung durch ein Parlamentsgesetz geändert. Auch könnten nach Art. 5 l.IEG-LSA „die durch Artikel 4 geänderten Teile der dort geänderten Verordnung ... aufgrund der einschlägigen Ermächtigung auch weiterhin durch Verordnung geändert oder aufgehoben werden". Durch diese so genannte „Entsteinerungsklausel" werde demnach für die Zukunft der Verordnungsrang der Regelung wieder hergestellt, obwohl die Änderung selbst durch ein Parlamentsgesetz vorgenommen worden sei. LVerfGE 15

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Der Orientierung an der gewählten Handlungsform komme aber der Vorrang zu. Der Landesgesetzgeber habe schon wegen Art. 87 Abs. 3 S. 1 LVerfLSA, der eine Aufgabenübertragung an die Kommunen nur durch formelles Gesetz zulasse, die Handlungsform des Parlamentsgesetzes für die Änderung der Verordnung wählen müssen. Zudem habe sich der Landesgesetzgeber in SachsenAnhalt durch die weite Fassung des § 10 AG VwGO für einen lückenlosen Rechtsschutz entschieden, so dass es insoweit auch nicht zu Wertungswidersprüchen komme. Es bedürfe daher nicht der Zulassung einer prinzipalen Normenkontrolle gegenüber Verordnungsänderungen durch Parlamentsgesetz, um eine Rechtsschutzlücke zu schließen. Eine „Umdeutung" des durch das Parlament im förmlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedeten Art. 4 l.IEG-LSA sei nicht erforderlich, an seiner Qualifikation als formelles Gesetz sei festzuhalten. Die Beschwerdeführerinnen sind weiterhin der Ansicht, dass auch in den Fällen, in denen die durch Art. 4 l.IEG-LSA verlagerten Aufgaben nicht von ihnen selbst, sondern von den Verwaltungsgemeinschaften wahrgenommen werden, denen sie angehören, sie selbst unmittelbar in eigenen (Selbstverwaltungs-)Rechten betroffen seien. Obwohl sich die Regelung in der Praxis zunächst auf die Verwaltungsgemeinschaften auswirke, die die aufgelisteten Aufgaben für die ihnen angehörenden Gemeinden gem. § 77 GO LSA auszufuhren haben, seien es die Beschwerdeführerinnen als Gemeinden selbst, die als eigentliche Aufgabenträger und Finanzierungsverpflichtete in ihrem Selbstverwaltungsrecht betroffen seien. Finanzierungslücken bei den Verwaltungsgemeinschaften, wie sie durch Aufgaben nach Art. 4 l.IEG-LSA verursacht würden, müssten von den Gemeinden über die von ihnen zu zahlende Umlage nach § 83 GO LSA gedeckt werden. 1.3. Die Beschwerdeführerinnen halten die kommunale Verfassungsbeschwerde auch für begründet. Sie sind der Ansicht, dass ihnen durch Art. 4 l.IEG-LSA neue staatliche Aufgaben übertragen wurden, ohne dass den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA bezüglich der Regelung der Kostendeckung und des angemessenen Ausgleichs der Mehrbelastung genügt werde. 1.3.1. Art. 4 l.IEG-LSA verlagere staatliche Aufgaben von den bislang zuständigen Landkreisen auf die Gemeinden und stelle damit eine Aufgabenübertragung iSd Art. 87 Abs. 3 S. 1 LVerf-LSA dar. Insoweit liege auch eine „Aufgabendifferenz" im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts vor. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich um eine Verlagerung von Landkreisen auf die Gemeinden handle. Der Begriff der Aufgabe erfasse auch solche Zuständigkeitsverlagerungen, da es lediglich auf die (neue) Belastung der Gemeinden mit einer staatlichen Aufgabe ankomme. Wer die Aufgabe zuvor wahrgenommen habe, spiele insoweit keine Rolle. 1.3.2. Da eine Aufgabenübertragung iSd Art. 87 Abs. 3 S. 1 LVerf-LSA vorliege, habe es nach Satz 2 einer Regelung über die Kostendeckung im gleichen Gesetz oder im zeitlich-sachlichen Zusammenhang mit ihm bedurft. Eine derarLVerfGE 15

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tige (gesetzliche) Regelung liege aber nicht vor. § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten im Immissions-, Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten — ZustVO GewAIR — vom 14.6.1994 (LSA-GVBl., S. 636), zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.3.2002 (LSA-GVB1., S. 130), der bezüglich der Kostendeckung auf den Finanzausgleich verweise, erfülle diese Anforderung schon aus formalen Gründen nicht, da es sich nicht um ein formelles Gesetz handle. Zudem fehle es an einem ausdrücklichen Bezug zu Art. 4 l.IEG-LSA. Als Kostendeckungsregelung komme auch § 3 Abs. 4 des Finanzausgleichsgesetzes - FAG LSA - v. 31.1.1995 (LSA-GVBl., S. 41), zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.2.2003 (LSA-GVBl., S. 22), nicht in Bettacht, da diese Vorschrift nicht die Anforderung des Art. 87 Abs. 3 S. 2 LVerf-LSA erfülle, wie sich bereits aus dem Wortlaut ergebe. Auch in dem nach dem In-Kraft-Treten von Art. 4 l.IEG-LSA erlassenen Finanzausgleichsgesetz für 2003 finde sich keine entsprechende Kostenregelung. Es könne deshalb auch nicht von einer versteckten Berücksichtigung bzw. Deckung der Kosten ausgegangen werden. Der Gesetzgeber habe zudem auch nicht die Kosten ermittelt, die den Beschwerdeführerinnen durch die Übertragung der Aufgaben entstehen, wie es nach der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts für die rechts fehlerfreie Anwendung des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA erforderlich sei. 1.3.3. Die Beschwerdeführerinnen sind weiterhin der Ansicht, dass bei Fehlen einer Kostendeckungsregelung zur Begründung einer Verletzung des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA bereits der Nachweis genüge, dass durch die Übertragung der neuen Aufgaben bei den Beschwerdeführerinnen zusätzliche Kosten veranlasst werden. Im Übrigen haben die Beschwerdeführerinnen durch Vorlage einer entsprechenden Übersicht, die sich an der durchschnittlichen Höhe der Kosten für die einzelnen Amtshandlungen orientiert, dargelegt, welche Kosten bei den einzelnen Beschwerdeführerinnen durch die einzelnen Aufgaben verursacht worden sind. Sie tragen weiterhin vor, dass eine Kompensation der durch die neuen Aufgaben verursachten Kosten durch eine Absenkung der Kreisumlage infolge der Befreiung der Landkreise von den Aufgaben nicht festzustellen sei; die Kreisumlage sei vielmehr weiter erhöht worden. Hinzu komme, dass eine solche Kompensation auch nicht in der vollen Höhe der Kosten möglich sei, da es bei einer Aufgabenerfüllung durch die Gemeinden/Verwaltungsgemeinschaften an Stelle der Landkreise zu Rationalisierungsverlusten komme, so dass die Gesamtkosten zwangsläufig steigen müssten. Dies habe seine Ursache u.a. darin, dass die entsprechende Software für die Bearbeitung der Aufgaben mehrfach angeschafft werden müsse und die weniger spezialisierten Bearbeiter in den Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften wegen der geringeren Praxis länger für die Bearbeitung der Fälle brauchten, als dies bei den Landkreisen der Fall gewesen sei.

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Die Beschwerdefuhrerinnen sind schließlich der Ansicht, dass ein Verzicht auf eine Kostenerstattung auch nicht damit begründet werden könne, dass es sich bei den Kosten, die bei den einzelnen Aufgaben anfallen, um vergleichsweise geringe Beträge handle, so dass man von Bagatellbeträgen sprechen könne. Eine solche Betrachtung werde nicht der Schutzfunktion des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA gerecht, der nicht nach der Höhe der Kosten unterscheide. Zudem summierten sich die jeweiligen Einzelbeträge zu insgesamt ansehnlichen Gesamtbeträgen, und es sei im Rahmen der anstehenden Verwaltungsreform mit weiteren Aufgabenverlagerungen zu rechnen, die ebenfalls neue Kosten verursachen. Die Beschwerdeführerinnen beantragen festzustellen, dass Artikel 4 l.IEG-LSA insoweit Art. 87 Abs. 3 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt verletzt, als keine besondere Finanzierungsregelung über die Kostendeckung für die durch das genannte Gesetz auf die Gemeinden übertragenen Aufgaben vorgesehen ist und für die aus der Wahrnehmung dieser Aufgaben anfallenden Mehrbelastungen der Gemeinden kein angemessener Ausgleich geschaffen ist. 1.4. Die Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerden sowohl für unzulässig als auch für unbegründet. Im Einzelnen führt sie aus: 1.4.1. Es fehle bereits an der Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichts, da es sich bei der angegriffenen Vorschrift um eine Rechtsverordnung und nicht um ein Parlamentsgesetz handle. Die Entsteinerungsklausel des Art. 5 l.IEG-LSA wirke sich unmittelbar auf die Rechtsnatur der in Art. 4 getroffenen Regelung aus. Der Gesetzgeber habe nur eine Verordnung ändern wollen. Der gesetzgeberische Wille, eine Verordnung zu schaffen, sei insoweit für die Beurteilung maßgeblich. Weiterhin fehle - bis auf den Fall der Beschwerdeführerin zu 14, der Gemeinde Elsteraue — den Beschwerdeführerinnen die Beschwerdebefugnis, da die tatsächliche Durchführung der Aufgaben bei den Verwaltungsgemeinschaften und nicht den Beschwerdeführerinnen selbst liege. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen ergebe sich auch nicht, dass die Umlagen der Verwaltungsgemeinschaft gem. § 83 GO LSA gegenüber den zugehörigen Gemeinden aus Anlass der Aufgabenübertragung nach Art. 4 1 .IEG-LSA erhöht worden seien. Die Beschwerdeführerinnen hätten weiterhin die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten nicht schlüssig dargelegt. Eine Berechnung habe ergeben, dass die finanzielle Belastung durch die neu zugewiesenen Aufgaben sich auf lediglich 0,06876 € pro Einwohner und Jahr belaufe. Die neuen Aufgaben seien auch mit dem vorhandenen Personal durchaus zu bewältigen. Schließlich sei es den Beschwerdeführerinnen möglich, für alle Aufgaben kostendeckende Gebühren zu erheben. Ein über die übliche Büroausstattung hinausgehender besonderer Sachaufwand sei zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben nicht erforderlich.

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1.4.2. Die Verfassungsbeschwerden seien zudem unbegründet. Es fehle an der Übertragung einer „neuen" Aufgabe sowie an einer Mehrbelastung der betroffenen Gemeinden. Eines Mehrbelastungsausgleichs bedürfe es deshalb nicht. 1.4.2.1. An der Übertragung neuer Aufgaben fehle es schon deshalb, weil es sich bei den von Art. 4 l.IEG-LSA erfassten Aufgaben um solche handle, die bereits vor dem 1.4.1992 und damit vor In-Kraft-Treten der Landesverfassung vom 16.7.1992 auf die Kommunen übertragen worden seien. Die Regelung in Art. 87 Abs. 3 S. 2 und 3 LVerf-LSA beziehe sich nicht auf Fälle der interkommunalen Aufgabenverlagerung von Landkreisen auf Gemeinden. In diesem Fall sei lediglich eine Umverteilung im Rahmen des Finanzausgleichs geboten. 1.4.2.2. Es liege auch keine finanzielle Mehrbelastung der Haushalte der Beschwerdeführerinnen vor. Dies zum einen nicht, weil eine Gesamtbetrachtung aller Wirkungen des Ersten IEG LSA geboten sei. Eine solche Gesamtbetrachtung führe zu dem Ergebnis, dass ζ. B. durch die Aufhebung des Vergabegesetzes durch Art. 3 l.IEG-LSA erhebliche finanzielle Entlastungen bewirkt würden. Das Vergabegesetz habe hohe Kosten verursacht, die nun weggefallen seien. Weitere Endastungen ergäben sich aus dem zwischenzeitlich erlassenen Zweiten Investitionserleichterungsgesetz des Landes. Der Gesetzgeber habe demnach insgesamt die finanziellen Belastungen auch der Beschwerdeführerinnen gemindert. 1.4.2.3. Zudem seien die von den Aufgaben verursachten Kosten über die zugehörigen Rahmengebührentatbestände der A11GO LSA zu decken. Der Landesgesetzgeber habe davon ausgehen dürfen, dass sich durch den Wegfall der Aufgaben bei den Landkreisen die Kreisumlage entsprechend verringern werde. Einer expliziten Ausgleichsregelung habe es insoweit nicht bedurft. Die Beschwerdeführerinnen hätten ihre eigene finanzielle Belastung durch die Aufgabenverlagerung nicht hinreichend konkret vorgetragen. Insbesondere sei eine Mehrbelastung durch Umlagebeschlüsse nicht dargetan worden. Die den Gemeinden zur Verfügung stehenden Gebührentatbestände seien ausreichend, um die entstehenden Kosten zu decken. Wenn sich die Beschwerdeführerinnen scheuten, den Gebührenrahmen auszuschöpfen, so dürfe dies nicht zu Lasten des Landes gehen. Die Einbeziehung der Arbeitsplatzgemeinkosten in die Berechnung des Mehraufwandes sei unzulässig, da auch nach dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen keine neuen Arbeitsplätze eingerichtet werden müssten. Der Landtag hat sich nicht geäußert. 1.5. Die Beschwerdeführerinnen haben auf den Auflagenbeschluss vom 2.3.2004 hin eine Aufstellung der in den einzelnen Verwaltungsgemeinschaften und der Gemeinde Elsteraue für die Wahrnehmung der durch das l.IEG-LSA neu übertragenen Aufgaben entstandenen Kosten erarbeitet und vorgelegt.

LVerfGE 15

Kommunale Verfassungsbeschwerde - Mehrbelastungsausgleich

367

Im Einzelnen ergibt dies das folgende Bild (alle Angaben in €): Aufgabe Gewerbe

-anmeldung

-abmeldung

-ummeldung

tats. Aufwand

26,35 - 46,22

14,64-40,36

14,64-41,27

15,09 - 93,58

tats. Gebühr

20,00 - 22,50

10,00 - 1 2 , 5 0

12,50-15,00

keine

mögl. Gebühr

10,00 - 25,00

10,00 - 25,00

10,00 - 25,00

keine

Reisegewerbe

Reisegewerbe

Karte 1 /Karte 2

— mündlich

- schriftlich

Aufgabe Gewerbe

-anzeige

tats. Aufwand

2,44-14,07

17,12-31,94

114,29-121,32

tats.

6,55 - 8,00

78,68-114,29

50,00 - 1 0 0 , 0 0

6,00 - 132,50

6,00 - 40,00

30,00 - 400,00

Gebühr

-anzeigepflicht

60,82-71,40

(z.T. 6,00) mögl. Gebühr Aufgabe Reise-

-Verlängerung

gewerbe

-Verlängerung

Wanderlager

30,00 - 400,00 Karte 3/Karte 4

1-4

tats. Aufwand

32,92-114,29

58,20 - 84,85

29,93 - 6 1 , 9 1

17,80 - 2576,35

tats. Gebühr

50,00 - 80,00

50,00 - 80,00

50,00 - 80,00

35,00

mögl. Gebühr

30,00 - 400,00

30,00 - 400,00

30,00 - 400,00

35,00 - 275,00

Aufgabe

Marktüberwachung

Jahrmärkte

Gaststätten-

Gestattung

Gestattung bes. Art

überwachung

tats. Aufwand

2 3 , 4 3 - 110,01

67,69

14,06-53,42

29,29 - 89,28

tats. Gebühr

40,00-71,55

keine

20,00 - 25,00

keine

mögl. Gebühr

40,00 - 400,00

keine

20,00 - 400,00

keine

Zu den angeführten Kosten müssen nach Ansicht der Beschwerdeführerinnen noch die anteiligen allgemeinen Sachkosten sowie besondere Kosten für Beschaffung von Programmen und Schulungen hinzugerechnet werden (Bruttokosten). Ein genauer Betrag wurde insoweit nicht errechnet. In denjenigen Fällen, in denen die erhobene Gebühr hinter den tatsächlichen Kosten zurückbleibt, wird als Begründung für die Unterdeckung von den Beschwerdeführerinnen angeführt, dass das die Ermessensausübung nach § 10 VwKostG-LSA dirigierende Äquivalenzprinzip sowie der Gesetzeszweck (hier: Investitionserleichterung) der Erhebung einer höheren Gebühr entgegen stünden. Bei den Jahrmärkten bestehe zudem ein öffentliches Interesse iSd § 2 Abs. 2 VwKostG-LSA, das die Festsetzung einer unterhalb der tatsächlichen Kosten liegenden Gebühr rechtfertige. Die Beschwerdeführerinnen verweisen weiter darauf, dass in einer ganzen Reihe von Fällen die Erhebung von Gebühren wegen des Vorliegens von Amtshilfe nach § 2 Abs. 1 VwKostG-LSA sowie auf Grund spezialgesetzlicher Gebührenbefreiungstatbestände, wie z.B. § 64 Abs. 2

LVerfGE 15

Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

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S. 1 SGB X, ausgeschlossen sei. In diesen Fällen entstehe ein Mehraufwand, den das Land den Beschwerdeführerinnen ausgleichen müsse. Die Beschwerdefuhrerinnen verweisen weiter auf Fallkonstellationen, für die es an Gebührentatbeständen fehle bzw. bei denen eine Gebühr nicht beigetrieben werden könne. Nicht durch Gebührentatbestände erfasst seien die Überwachung von Marktfestsetzungen, die Überwachung von Gestattungen, die Aufforderungen zur Erfüllung einer Anzeigepflicht sowie Gewerbeabmeldungen von Amts wegen. Nicht beigetrieben werden könne eine Gebühr im Falle der Insolvenz des Antragstellers. Für alle diese Fallkonstellationen bedürfe es ebenfalls eines Mehrbelastungsausgleichs. 1.6. Die Landesregierung hat ihrerseits eine umfangreiche Erhebung durchgeführt. Dabei wurden alle 163 Verwaltungsgemeinschaften und 43 verwaltungsgemeinschaftsfreien Gemeinden einbezogen, die mit der Ausführung der in Frage stehenden Aufgaben betraut sind. Es wurde der Zeitraum vom 17.8.2002 bis zum 5.4.2004 erfasst. Ausgewertet werden konnten insgesamt 127 Fragebögen. Die Abfrage der Landesregierung fasst die übertragenen Aufgaben in größeren Gruppen zusammen, so dass insgesamt zwischen einer geringeren Zahl von Einzelaufgaben unterschieden wird. Die Landesregierung unterscheidet zudem explizit zwischen Brutto- oder Gesamtkosten einerseits sowie Nettokosten andererseits. Als Nettokosten werden dabei die Gesamtkosten abzüglich der „Sach- und Gemeinkosten des Arbeitsplatzes" verstanden. Sie vertritt anders als die Beschwerdeführerinnen die Auffassung, dass nur die Nettokosten zu berücksichtigen seien. Bei den tatsächlichen Kosten gibt die Landesregierung in den Übersichten jeweils den durchschnittlichen Nettound Bruttoaufwand an. Im Einzelnen legt die Landesregierung als Auswertung ihrer Umfrage folgende Ergebnisse vor (alle Angaben in €): Aufgabe Gewerbe

Reisegewerbe

tats.

22,00/35,00

38,00/70,00

25,00/41,00

99,00/125,00

18,00 10,00-25,00

122,00 40,00 400,00

43,00 35,00 - 275,00

78,00 40,00 400,00

Auf-

wand tats. Gebühr mögl. Gebühr

Wanderlager

Jahrmärkte

Gaststättenanzeigen

Karte/ Gesetz 23,00/ 34,00 37,00 40,00 400,00

Gründe: Die kommunalen Verfassungsbeschwerden sind zulässig (1.) und teilweise begründet, dies soweit für die übertragenen Aufgaben keine bzw. keine kostendeckenden Gebühren erhoben werden können (2.).

LVerfGE 15

Kommunale Verfassungsbeschwerde — Mehrbelastungsausgleich

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1. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist gem. Art. 75 Nr. 7 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - LVerf-LSA - v. 16.7.1992 (LSA-GVB1., S. 600) nur gegen Landesgesetze zulässig, die gegen Art. 2 Abs. 3 bzw. Art. 87 verstoßen. Dabei ist der Begriff Landesgesetz im Sinne eines förmlichen, durch den Landtag im Gesetzgebungsverfahren beschlossenen Gesetzes zu verstehen (LVerfG LSA, Urt. v. 22.2.1996 - LVG 2/95 LVerfGE 4, 401, 404 ff). 1.1. Bei Art. 4 l.IEG-LSA handelt es sich um ein solches formelles Landesgesetz. Die so genannte Entsteinerungsklausel des Art. 5 l.IEG-LSA, wonach die durch Art. 4 l.IEG-LSA bewirkte Änderung der Verordnung nach dem Gesetzgebungsakt wieder durch eine Verordnung geändert werden kann, steht dieser Einordnung nicht entgegen. 1.1.1. Die Kompetenz des Landtages, die auf § 155 Abs. 2 der Gewerbeordnung und § 30 des Gaststättengesetzes beruhende Verordnung der Landesregierung zu ändern, findet ihre Grundlage in Art. 80 Abs. 4 GG, der ein Zugriffsrecht der Landesparlamente auch dann eröffnet, wenn durch Bundesgesetz die Landesregierung zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden ist. Art. 80 Abs. 4 GG verfolgt den Zweck, die insgesamt schwache Stellung der Landesparlamente auch dort zu stärken, wo Bundesrecht eine Normsetzungszuständigkeit der Landesregierung oder anderer Stellen der Exekutive begründet hat. Aus dieser Zielsetzung der Regelung folgt aber zugleich, dass der auf dieser Grundlage erfolgende Rechtsetzungsakt als „normales" Parlamentsgesetz und nicht als Regelung sui generis zu qualifizieren ist (siehe dazu Urenner in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 80 Abs. 4, Rn. 108 f, 113). Anderenfalls würde das Ziel der Regelung verfehlt, die Stellung des Landtages als demokratisch unmittelbar legitimiertem obersten Landesgesetzgeber zu stärken. Vor diesem Hintergrund vermag auch die Entsteinerungsklausel in Art. 5 l.IEG-LSA nicht, die Qualität von Art. l.IEG-LSA als förmliches Landesgesetz zu verändern. Schon nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut lässt Art. 5 nur eine spätere Änderung der durch Gesetz getroffenen Regelung durch eine Verordnung zu, ändert aber nichts am Rang der gesetzlichen Regelung selbst. Art. 5 l.IEG-LSA enthält insoweit eine neue, die §§ 155 Abs. 2 GewO, 30 GastG ergänzende Verordnungsermächtigung, soweit es um inhaltliche Veränderungen der in Art. 4 l.IEG-LSA getroffenen Regelungen geht. 1.1.2. Auch die spätere Änderung des Art. 4 l.IEG-LSA durch die Verordnung v. 29.11.2002 ändert an dieser Beurteilung nichts. Die konstitutiv in Art. 4 l.IEG-LSA — und nur dort — vorgenommene Aufgabenverlagerung ist durch das spätere Gebrauchmachen von der Ermächtigung in Art. 5 l.IEG-LSA nicht aufgehoben oder in ihrem formalrechtlichen Charakter verändert worden. Vielmehr baut diese Änderung auf der in Art. 4 l.IEG-LSA getroffenen Regelung auf. Sie würde im Falle der Nichtigkeit ihre Grundlage verlieren und insoweit nichtig werden. LVerfGE 15

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Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

1.1.3. Unter diesen Umständen kann im vorliegenden Fall die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Entsteinerungsklausel in Art. 5 l.IEG-LSA dahingestellt bleiben. Insoweit werden Bedenken geäußert, ob eine auf der Basis von Art. 80 Abs. 4 GG durch Gesetz geänderte Verordnung auf Grund einer landesrechtlichen Ermächtigung wieder durch Verordnung geändert werden kann (dazu Brenner aaO, Rn. 109). Zudem könnte auch Art. 87 Abs. 3 S. 1 LVerf-LSA, der eine Zuweisung neuer staatlicher Aufgaben durch förmliches Gesetz verlangt, einer späteren Änderung einer solchen gesetzlichen Regelung durch Rechtsverordnung entgegenstehen. 1.2. Die Beschwerdefuhrerinnen machen geltend, durch Art. 4 l.IEG-LSA auch iSd § 51 Abs. 2 iVm § 49 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht — LVerfGG-LSA - v. 23.8.1993 (LSA-GVB1., S. 441), zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.3.2004 (LSA-GVB1., S. 234), unmittelbar in eigenen Rechten verletzt zu sein. 1.2.1. Für die Beschwerdeführerin zu 14 folgt dies daraus, dass sie die nach Art. 4 l.IEG-LSA übertragenen Aufgaben selbst wahrnimmt. 1.2.2. Auch bei den übrigen Beschwerdeführerinnen, bei denen die fraglichen Aufgaben durch die Verwaltungsgemeinschaften wahrgenommen werden, denen sie angehören, kommt eine unmittelbare Verletzung in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 87 LVerf-LSA in Betracht. Eine unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn das Gesetz die Gemeinden in eigenen Rechten verletzt, ohne dass dafür ein weiterer Umsetzungsakt erforderlich ist. Da die Verwaltungsgemeinschaften selbst rechtsfähig sind, wie sich aus § 75 Abs. 4 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt — GO LSA — v. 5.10.1993 (LSA-GVB1., S. 568), zuletzt geändert durch Gesetz v. 28.4.2004 (LSAGVBL, S. 246), ergibt, handelt es sich bei ihnen um ein von den Gemeinden unterschiedenes Rechtssubjekt. Hinzu kommt, dass nach § 77 Abs. 6 GO LSA die Verwaltungsgemeinschaften „die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden, soweit nicht Bundes- oder Landesrecht entgegensteht" erfüllen, und zwar, wie sich aus § 77 Abs. 7 GO LSA ergibt, im eigenen Namen. Schließlich finanzieren sie diese Aufgaben auch selbst, d.h. aus den ihnen zur Verfügung stehenden Einnahmen, aus Abgaben sowie einer Umlage, die die Gemeinden zahlen. Bei Zugrundelegung dieser Betrachtung erscheint eine unmittelbare Verletzung der Gemeinden, die die Verwaltungsgemeinschaften tragen, ausgeschlossen. Allenfalls dann, wenn die Verwaltungsgemeinschaften die jeweiligen Mitgliedsgemeinden wegen der neuen Aufgaben mit höheren Umlagen belasten, erscheint ihre unmittelbare Betroffenheit als möglich. Dieser einfachgesetzlichen ist indes eine verfassungsrechtliche Betrachtung gegenüber zu stellen, die von der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Landesverfassung und der Einrichtung von rechtsfähigen Verwaltungsgemeinschaften als Instrumenten gemeindlicher Aufgabenerfüllung ausgeht. Dabei sind folgende Aspekte zu beachten: LVerfGE 15

Kommunale Verfassungsbeschwerde — Mehrbelastungsausgleich

371

Die Landesverfassung identifiziert in Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA als Träger des Rechts auf Selbstverwaltung die Kommunen (Gemeinden und Landkreise) sowie die Gemeindeverbände. Die Verwaltungsgemeinschaften sind in dieser Systematik nach allgemeiner Ansicht nicht als Gemeindeverbände zu qualifizieren und deshalb auch nicht von der Selbstverwaltungsgarantie erfasst. Diese Zuordnung wird durch die gesetzestechnische Integration der Verwaltungsgemeinschaften in die Gemeindeordnung an Stelle ihrer Abhandlung im Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit bestätigt und rechtssystematisch verdeutlicht. Die Verwaltungsgemeinschaften sind auch keine Gebietskörperschaften. Sie dienen — wie der Name sagt — der gemeinsamen Durchführung von Verwaltungsaufgaben, die den einzelnen Gemeinden zugewiesen sind. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 19.11.2002 ( - 2 BvR 329/97 - , BVerfGE 107, 1 ff) zu den Verwaltungsgemeinschaften in Sachsen-Anhalt ausgeführt hat, gibt der Gesetzgeber den Mitgliedsgemeinden für die Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben einen neuen Rechtsrahmen vor. Das Schwergewicht liegt auf verwaltungstechnischem Gebiet, und es kommt zu einer Trennung von Aufgabenund Vollzugszuständigkeit. Zwar wird im übertragenen Wirkungskreis nicht in die mit dem Selbstverwaltungsrecht verbundene Aufgabengarantie eingegriffen. Es kommt aber gleichwohl zu Beschränkungen der gemeindlichen Gestaltungsfreiheit im Übrigen, die auch im übertragenen Wirkungskreis besteht. Das gilt insbesondere für die Finanzhoheit, die sich zunächst auf alle von den Gemeinden freiwillig wahrgenommenen Aufgaben bezieht, sich zudem aber auch auf die Pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben und die übertragenen staatlichen Aufgaben erstreckt. Dies hängt damit zusammen, dass der gemeindliche Haushalt alle von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben erfassen muss und dass Vorgaben in einem Bereich sich auf die Gestaltungsmöglichkeiten in den übrigen Bereichen auswirken. Zudem sind die Gemeinden für ihr gesamtes Haushaltsgebaren selbst den Bürgern und dem Staat (in Gestalt der Rechnungshofkontrolle und der Kommunalaufsicht) gegenüber verantwortlich. Träger der Finanzhoheit sind nur die Kommunen, d.h. die Gemeinden und Kreise. Nur sie werden deshalb auch durch Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA geschützt. Würde man im übertragenen Wirkungskreis im Hinblick auf das Konnexitätsprinzip des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA auf den Verwaltungsvollzug durch die Verwaltungsgemeinschaften abstellen, so würde diese Norm leer laufen. Es könnten staatliche Aufgaben auf die Gemeinden verlagert oder Selbstverwaltungsaufgaben zur Pflicht gemacht werden, ohne dass der Schutzmechanismus des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA eingreifen würde. Die Verwaltungsgemeinschaften sind keine „Träger" des Rechts und könnten sich deshalb nicht darauf berufen; die Gemeinden wären nicht unmittelbar verletzt bzw. betroffen. Auch wenn die Umlagen der Verwaltungsgemeinschaften erhöht würden, läge jedenfalls keine unmittelbare Verletzung durch das Ubertragungsgesetz vor.

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Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

Diese Überlegungen zeigen, dass bei der Anwendung des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA allein auf die Aufgabenträgerschaft der Gemeinden und nicht auf die Vollzugszuständigkeit der Verwaltungsgemeinschaften abgestellt werden muss, will man die Schutzfunktion dieser Norm nicht von der Zufälligkeit abhängig machen, ob eine Gemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft angehört oder nicht. Deshalb gebieten Sinn und Zweck des in Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA verankerten Konnexitätsprinzips und eine auf praktische Wirksamkeit der Norm abzielende Interpretation, dass im Falle des Aufgabenvollzugs durch Verwaltungsgemeinschaften auf die Aufgabenträgerschaft der Gemeinden und nicht auf die Vollzugszuständigkeit der ihrerseits rechtsfähigen, aber nicht durch Art. 87 LVerf-LSA geschützten Verwaltungsgemeinschaften abzustellen ist. Ausgehend von diesem Verständnis der Norm ist für alle Beschwerdeführerinnen von einer unmittelbaren Rechtsbetroffenheit auszugehen. 2. Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise begründet. 2.1. Durch Art. 4 l.IEG-LSA werden den Beschwerdeführerinnen neue und zwar staatliche Aufgaben übertragen. Die bisherige Wahrnehmungszuständigkeit der Landkreise steht dem nicht entgegen. Auch Aufgabenverlagerungen von Landkreisen auf die Gemeinden werden von Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA erfasst. 2.1.1. Unter Aufgabenübertragung wird in Art. 87 Abs. 3 S. 1 erste Variante LVerf-LSA die Begründung jeder neuen Zuständigkeit für staatliche Aufgabe zu Lasten der Kommunen verstanden. Dabei ist die konkrete Art der Aufgabe ohne Belang. Entscheidend ist der Vergleich der Zuständigkeit der betroffenen Kommunen vor und nach der Regelung, die sog. Aufgabendifferenz (LVerfG LSA, Urt. v. 8.7.2003 - LVG 4/01 - , UrtAbdr., S. 18/19, unter 2.2.2.). Vorliegend geht es um Aufgaben aus dem Bereich des Gewerbe- und Gaststättenrechts, die als klassische Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung zu qualifizieren sind. 2.1.2. Dass es sich bei Art. 4 l.IEG-LSA rechtstechnisch lediglich um eine Zuständigkeitsregelung handelt, steht der Qualifizierung als Aufgabenübertragung nicht im Wege. Jede Verlagerung von Aufgaben stellt im Kern eine Veränderung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit dar (dazu Kluth in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 3, 5. Aufl. 2004, § 84, Rn. 1 ff, 56 ff). Konkret handelt es sich im vorliegenden Zusammenhang um bundesgesetzlich in der Gewerbeordnung und dem Gaststättengesetz geregelte und damit staatliche Aufgaben, die dem übertragenen Wirkungskreis gem. § 5 GO LSA zuzuordnen sind. 2.1.3. Die Aufgabenverlagerung auf die Gemeinden konnte, wie bereits gezeigt wurde, auf Grund des Art. 80 Abs. 4 GG auch durch Landesgesetz erfolgen. Die Option des Landesgesetzgebers nach Art. 80 Abs. 4 GG besteht auch dann, wenn zuvor bereits die Landesregierung eine Rechtsverordnung erlassen hat. Das gilt vor allem in Fällen, in denen dies vor 1994 erfolgte, also zu einem Zeitpunkt, LVerfGE 15

Kommunale Verfassungsbeschwerde — Mehrbelastungsausgleich

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in dem die Organkompetenz des Landtags noch nicht begründet war (siehe auch Brenner aa.O, Rn. 109: das Landesparlament kann auch Verordnungen der Landesregierung aufheben, ersetzen und modifizieren). Damit durfte der Landtag die bestehende Verordnung ändern. 2.1.4. Der Heranziehung des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA als Prüfungsmaßstab steht auch nicht entgegen, dass es sich um eine Übertragung von Aufgaben von Landkreisen auf Gemeinden, und damit zwischen Kommunen handelt. Der Wordaut der Norm spricht von der Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen. Es kommt dabei allein auf den Adressaten der Aufgabenzuweisung an. Die Herkunft, d.h. die bisherige Zuständigkeit für die Wahrnehmung der Aufgabe, spielt demgegenüber keine Rolle. Geschützt werden soll jede einzelne Kommune, die mit der Übertragung neuer Aufgaben belastet wird. Dass zugleich andere Kommunen von der Aufgabenträgerschaft entlastet werden, spielt insoweit keine Rolle. Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA grenzt nicht den kommunalen Bereich vom staatlichen Bereich ab, wie es in den Äußerungen der Landesregierung zum Ausdruck kommt, sondern schützt jede einzelne Kommune vor zusätzlichen Aufgaben· und Finanzbelastungen. Hinzu kommt, dass die Landesverfassung, wie bereits erwähnt, für den Begriff Kommunen in Art. 87 Abs. 1 eine Legaldefinition enthält und darunter den Oberbegriff für Gemeinden und Landkreise versteht. Setzt man in Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA an die Stelle von Kommunen die Begriffe Gemeinden und Landkreise, so wird deutlich, dass jede Ebene eigenständig vor der Zuweisung neuer Aufgaben zu schützen ist und zwar unabhängig davon, welche Stelle die Aufgaben bislang erfüllt hat. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man berücksichtigt, dass Landkreise und Gemeinden keine verfassungsrechtliche Einheit darstellen, sondern von der rechtlichen Eigenständigkeit jeder Ebene auszugehen ist. Insbesondere der Schutz der Finanzhoheit jeder Ebene muss separat gewährleistet bleiben. Auch die Finanzierungsregelungen im Finanzausgleichsgesetz — FAG LSA - v. 31.1.1995 (LSA-GVBL, S. 41), zuletzt geändert durch Gesetz v. 26.2.2003 (LSA-GVBl., S. 22), trennen deshalb konsequent zwischen beiden Ebenen. 2.2. Liegt demnach eine Aufgabenzuweisung iSd Art. 87 Abs. 3 S. 1 LVerfLSA vor, so muss Art. 4 l.IEG-LSA auch den rechtlichen Anforderungen genügen, die in den Sätzen 2 und 3 an die Aufgabenzuweisung gestellt werden. In erster Linie muss gem. Satz 2 eine Kostendeckungsregelung getroffen werden, der eine Ermittlung der anfallenden Kosten vorauszugehen hat. Soweit es durch die Aufgabenzuweisung zu einer Mehrbelastung der gemeindlichen Haushalte kommt, muss zudem gem. Satz 3 eine angemessene Ausgleichsregelung getroffen werden (LVerfG LSA, Urt. v. 13.7.2000 - LVG 20/97 LVerfGE 11, 429, 445 ff).

LVerfGE 15

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Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

2.2.1. Art. 87 Abs. 3 S. 2 LVerf-LSA verlangt im Falle der Übertragung neuer staatlicher Aufgaben eine Kostendeckungsregelung (siehe dazu LVerfG LSA, LVerfGE 11, 429, 443). Wie das Gericht bereits mehrfach verdeutlicht hat, erfüllt die Norm eine Schutzfunktion für die Kommunen in der Weise, dass der Gesetzgeber bei jeder Aufgabenübertragung die damit verbundenen finanziellen Belastungen berücksichtigen muss. Der Gesetzgeber kann diesem Schutzgebot nur nachkommen, wenn die Regelung über die Kostendeckung fur die Kommunen erkennbar und nachprüfbar ist. Dabei sind die Kosten nachvollziehbar zu ermitteln und für die Kommunen sichtbar zu machen, in welcher Höhe sie an der Deckung der Kosten beteiligt werden. Die Kostendeckungsregelung muss aus verfassungsrechtlicher Sicht Mindestanforderungen genügen. Hierzu gehören Angaben, die den Kommunen Berechnungsmöglichkeiten in die Hände geben. Bei der Regelung der Kostendeckung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum insbesondere hinsichtlich der Methode der Kostendeckung zu. Er kann dafür Gebühren- und Beitragstatbestände schaffen, finanzielle Zuweisungen vorsehen oder andere Wege beschreiten, die zu einer Deckung der entstehenden Kosten führen. Entscheidend ist, dass im Ergebnis zu Lasten der kommunalen Haushalte keine Mehrbelastung entsteht (vgl. LVerfG LSA, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/96 Urt. v. 8.12.1998 - LVG 19/97 - , LVerfGE 9, 390, 356 f; 9, 343, 405. 2.2.1.1. Eine explizite Kostendeckungsregelung enthält Art. 4 l.IEG-LSA nicht. Die Norm beschränkt sich auf die Regelung der Aufgabenverlagerung von den Landkreisen auf die Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern. Auch an anderer Stelle des Artikelgesetzes ist eine auf diesen Übertragungsakt bezogene Kostendeckungsregelung nicht zu finden. § 3 Abs. 4 FAG LSA stellt keine solche Kostenregelung dar, da es sich um eine Norm ohne expliziten Bezug zu der in Frage stehenden Aufgabenübertragung handelt. Art. 87 Abs. 3 S. 2 LVerf-LSA verlangt aber eine aus Anlass und im Zusammenhang mit der Aufgabenverlagerung getroffene Kostendeckungsregelung. Nur so wird die Warn- und Schutzfunktion der Regelung umgesetzt (vgl. auch LVerfG LSA, LVerfGE 11, 429, 448). Auch in der letzten, nach der Aufgabenverlagerung verabschiedeten Fassung des Finanzausgleichsgesetzes findet sich keine auf diesen Fall bezogene Kostendeckungsregelung (vgl. dazu FAG LSA v. 31.1.1995 - LSA-GVBL, S. 41, zuletzt geändert durch Art. 10 Haushaltssanierungsgesetz v. 26.2.2003 - LSA-GVB1., S. 22). Der Hinweis der Landesregierung auf Kostenendastungen durch andere Artikel des l.IEG-LSA sowie des 2.IEG-LSA genügt den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA nicht, wie sich bereits aus dessen Wortlaut ergibt. Vielmehr müssen sich eine Kostendeckungsregelung und ein etwaiger Mehrbelastungsausgleich direkt auf die konkret neu übertragene Aufgabe beziehen. Eine allgemeine Aufrechnung mit endastenden Wirkungen anderweitiger Regelungen

LVerfGE 15

Kommunale Verfassungsbeschwerde — Mehrbelastungsausgleich

375

ist deshalb nicht zulässig. Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA greift entgegen der Ansicht der Landesregierung auch nicht erst oberhalb einer Mindestbelastung ein. 2.2.1.2. Eine Kostendeckungsregelung ist im vorliegenden Fall ferner nicht auf Grund des Rechtsgedankens des Art. 104a Abs. 5 GG entbehrlich. Danach sind die Verwaltungskosten von Bund und Ländern selbständig zu tragen. Wegen des völlig anderen Kontextes, aber auch wegen der Spezialität der Regelung in Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA kommt ein Rückgriff auf diese Regelung nicht in Betracht. Es ist allgemein anerkannt, dass von Art. 87 Abs. 3 S. 2 LVerf-LSA sowohl Zweckkosten als auch Verwaltungskosten erfasst werden (siehe nur Wendt/Elicker VerwArch 93/2002, 192, 199 mwN.). Ein Ausschluss der Verwaltungskosten aus der Kostendeckungspflicht hätte zur Folge, dass weite Aufgabenbereiche insbesondere aus dem Bereich der Wirtschaftsaufsicht, wie sie vorliegend z.T. betroffen sind, von der Regelungs- und Ausgleichspflicht ausgenommen wären und die kommunalen Haushalte insoweit entgegen dem Rechtsgedanken des Konnexitätsprinzips einseitig belastet werden könnten. 2.2.1.3. Ist für eine der kommunalen Ebene zugewiesene Aufgabe bereits eine Kostendeckungsregelung vorhanden, so braucht im Falle der Verlagerung dieser Aufgaben eine neue Kostendeckungsregelung ausnahmsweise nicht getroffen zu werden, wenn die betreffende Kostendeckungsregclung auch vom neuen Träger in Anspruch genommen bzw. angewendet werden kann. In diesen Fällen eine ausdrückliche Neuregelung der Kostendeckung zu verlangen, würde einen reinen Formalismus darstellen. Deshalb ist im vorliegenden Falle jedenfalls eine ausdrückliche neue Kostendeckungsregelung entbehrlich gewesen, weil eine solche bereits bestand und die neuen Aufgabenträger davon in gleicher Weise wie der bisherige Aufgabenträger Gebrauch machten konnten. Hier hatte der Verordnungsgeber bereits im Zusammenhang mit der Zuweisung der von Art. 4 l.IEG-LSA erfassten Aufgaben an die bislang zuständigen Landkreise in der Allgemeinen Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt v. 23.5.2000 - A11GO LSA - (LSA-GVBl., S. 266), zuletzt geändert durch Verordnung v. 16.7.2002 (LSA-GVBl., S. 313), spezifische Gebührentatbestände geschaffen, mit deren Hilfe die Kosten der wahrgenommenen Aufgaben grundsätzlich gedeckt werden konnten. Da deren Vorgänger-Regelung v. 25.3.1992 (LSAGVBl., S. 172) vor In-Kraft-Treten der Landesverfassung und damit vor In-KraftTreten der Forderung des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA nach einer gesetzgeberischen Kostendeckungsregelung erfolgte, kann die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorgehensweise hier dahingestellt bleiben. 2.2.2. Durch die automatische Übertragung einer bereits bestehenden Kostendeckungsregelung wird der Landesgesetzgeber den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA aber nur dann gerecht, wenn die (bestehende) Regelung alle dem neuen Aufgabenträger entstehenden Kosten erfasst und für den Fall, dass es LVerfGE 15

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nicht zu einer vollen Kostendeckung kommt, ein angemessener Ausgleich der Mehrbelastung nach Satz 3 vorgesehen ist. Eine entsprechende Prüfung hätte der Landesgesetzgeber bei Erlass des Art. 4 l.IEG-LSA vornehmen müssen. Dass der Gesetzgeber dieser Pflicht offensichtlich nicht nachgekommen ist, wird besonders aus der Stellungnahme der Landesregierung deutlich, die eine Kostendeckungsregelung sogar insgesamt unter Hinweis auf die durch das Gesetz verursachte entlastende Gesamtwirkung für entbehrlich hält und die bestehenden Gebührentatbestände erst auf Vorhalt des Gerichts als bestehende Kostendeckungsregelung eingeordnet hat. Dieser erhebliche Mangel führt indes nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit der getroffenen Regelung. Diese tritt erst und nur soweit ein, als die Kostendeckungsregelung lückenhaft ist oder es zu einer nicht angemessen ausgeglichenen Mehrbelastung kommt. 2.2.2.1. Die im Wege der Verweisungstechnik getroffenen Gebührenregelungen zu den durch Art. 4 l.IEG-LSA auf die Beschwerdeführerinnen übertragenen neuen Aufgaben beziehen sich auf diese Einzelaufgaben und enthalten dazu Rahmengebührentatbestände. Auf diese Gebührentatbestände können die Beschwerdeführerinnen ohne weiteres bei der Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Aufgaben zurückgreifen und grundsätzlich die Kosten der insoweit erfassten Aufgaben decken. Es handelt sich demnach um eine Gebührenregelung, die grundsätzlich die zuvor entwickelten Anforderungen an eine automatisch übergehende Kostendeckungsregelung erfüllt. 2.2.2.2. Durch die angeführten Gebührentatbestände werden jedoch nicht alle den Beschwerdeführerinnen durch Art. 4 l.IEG-LSA neu zugewiesenen Aufgaben und die damit verbundenen Kosten erfasst. Insoweit genügt die Regelung nicht den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 S. 2 LVerf-LSA. Vergleicht man den durch die Gebührentatbestände erfassten Aufgabenkatalog mit den insgesamt übertragenen Aufgaben, so führt dies zu dem Ergebnis, dass für folgende durch Art. 4 l.IEG-LSA übertragenen Aufgaben, die von den Beschwerdeführerinnen tatsächlich wahrgenommen werden, entsprechende Gebührentatbestände fehlen: 1. Überwachung von Marktfestsetzungen, 2. Überwachung von Gestattungen, 3. Aufforderung zur Erfüllung der Anzeigepflicht, 4. Gewerbeabmeldungen von Amts wegen. Gemeinsam ist allen diesen Aufgaben, dass sie nicht auf einer Antragstellung beruhen und im Gesetz auch nicht als eigenständige Aufgabe ausgestaltet sind. Vielmehr handelt es sich um Annexaufgaben, die von den Beschwerdefuhrerinnen zusammen mit der Übertragung der explizit geregelten Aufgaben auf Grund von allgemeinen amtlichen Pflichten erfüllt werden müssen. Auch solche Aufgaben stellen übertragene Aufgaben iSd Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA dar und müssen bei LVerfGE 15

Kommunale Verfassungsbeschwerde — Mehrbelastungsausgleich

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der Kostendeckungsregelung berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr in einer Zeit der Deregulierung, in der kostenpflichtige Antragstatbestände zunehmend durch in der Regel gebührenfreie Anzeigetatbestände oder vollständig genehmigungsfreie Tatbestände ersetzt werden, mit der Folge, dass die Anforderungen an die allgemeine behördliche Aufsicht und Kontrolle anwachsen. Bei den unter 1. und 2. angeführten Aufgaben handelt es sich um typische Uberwachungs- bzw. Aufsichtstätigkeiten, für die allgemein im Wirtschaftsverwaltungsrecht sowie in anderen mit Aufsichtsfunktionen verbundenen Rechtsgebieten keine besonderen Gebührentatbestände vorgesehen sind und auch nicht vorgesehen werden können. Gebührenpflichten entstehen im Zusammenhang mit Aufsichtsmaßnahmen in der Regel erst dann, wenn es zu einer konkreten Aufsichtsmaßnahme kommt, die an ein zurechenbares Verhalten einer natürlichen oder juristischen Person anknüpft. Soweit im Rahmen der Aufsicht keine Rechtsverstöße und sonstigen Mängel festgestellt werden, besteht keine Grundlage für eine Gebührenerhebung. Anders verhält es sich nur dann, wenn es sich um eine gesetzlich vorgeschriebene regelmäßige Kontrollmaßnahme handelt, was im vorliegenden Zusammenhang aber nicht der Fall ist. Eine Deckung der durch die unter 1. und 2. angeführten Aufgaben durch Gebühientatbestände ist demnach ausgeschlossen. Das gilt selbst dann, wenn im Rahmen der Aufsicht ein Rechtsverstoß festgestellt wird. Die Kosten der Aufsichtstätigkeit als solche können auch in diesen Fällen unbeschadet der Möglichkeit, Bußgeldbescheide zu erlassen, den Rechtsverstoß durch Bußgeld zu sanktionieren, nicht ohne weiteres dem Bürger aufgebürdet werden. Bei der unter Nummer 3 angeführten Aufforderung zur Erfüllung der Anzeigepflicht handelt es sich ebenfalls um eine Aufsichtsmaßnahme. Sie knüpft aber an ein zurechenbares Verhalten an und führt in der Regel in Gestalt der nachfolgenden Anzeige zu einer gebührenpflichtigen Handlung. Gleichwohl ist es auch in diesen Fällen nicht möglich, den durch die Aufforderung entstehenden Aufwand in die Berechnung der Gebühr einzubeziehen, da dies nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen Einbeziehung dieses Umstandes in den Gebührentatbestand möglich ist. Insoweit besteht ebenfalls eine Lücke in der Kostendeckungsregelung. Ähnlich gelagert ist der Fall bei der unter Nummer 4 angeführten Gewerbeabmeldung von Amts wegen. Auch hier liegt zwar ein zurechenbares Verhalten vor, doch fehlt es an einem genau dieses Verhalten erfassenden Gebührentatbestand. Auch insoweit besteht eine Regelungslücke. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, für die von den Nummern 1 bis 4 erfassten Fallgestaltungen eine Kostendeckungsregelung zu treffen. 2.2.2.3. Anders verhält es führerinnen zu Unrecht einen allgemeines finanzielles Risiko, Gebührenforderungen ebenso

sich bei Insolvenzen, für welche die BeschwerdeAusgleich fordern. Dabei handelt es sich um ein das die Kommunen bei der Geltendmachung von tragen müssen wie alle anderen staatlichen und LVerfGE 15

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privaten Gläubiger der nicht mehr zahlungsfähigen Schuldner. Ein Ausgleich der insoweit anfallenden zusätzlichen finanziellen Belastungen wird durch Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA nicht gefordert. Das Gleiche gilt im Übrigen für die Kosten der Rechtsverfolgung, die bei Gebührentatbeständen nicht berücksichtigt werden müssen. Das Gerichtskostenrecht und andere die Kosten der Rechtsverfolgung zuweisenden Tatbestände regeln diesen Bereich abschließend. 2.2.2.4. In einer Reihe von Fällen, in denen ein Gebührentatbestand vorliegt, hat die Gegenüberstellung der tatsächlichen Kosten und der Gebührentatbestände sowohl nach der Erhebung der Landesregierung als auch nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ergeben, dass die tatsächlichen durchschnittlichen Kosten den vorgesehenen Gebührenrahmen übersteigen. In diesen Fällen kann das Gericht auch ohne eigene weitere Aufklärung der tatsächlichen Kostenbelastungen davon ausgehen, dass eine Mehrbelastung der Haushalte der Beschwerdeführerinnen vorliegt, die nach Art. 87 Abs. 3 S. 3 LVerf-LSA ausgleichspflichtig ist. Der Landesgesetzgeber muss insoweit eine Korrektur vornehmen, wobei er eine Ausgleichszahlung vorsehen oder den Gebührentatbestand entsprechend anpassen kann. Konkret betrifft dies die einzelnen Fälle der Gewerbeanzeige nach § 14 GewO. 2.2.2.5. Der Einwand der Beschwerdeführerinnen, dass in zahlreichen Fällen eine Erhebung von kostendeckenden Gebühren durch § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungskostengesetzes v. 27.6.1991 (LSA-GVBL, S. 154) - VwKostG-LSA zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.3.2002 (LSA-GVB1., S. 130), ausgeschlossen ist, beruht auf einem Verständnis der Norm, das mit ihrer Interpretation durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ebenfalls nicht in Einklang steht. Danach greift § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG-LSA nur dann ein, wenn gerade in der Veranlassung der gebührenpflichtigen Handlung die Ausübung öffentlicher Gewalt liegt (Loeser Nds. Verwaltungskostengesetz, § 2 Erl. 2b; VG Dessau, Urt. v. 11.6.2003 — 1 A 503/01 —, 5). Das ist z.B. bei der Zustimmung zu einem Verwaltungsakt oder der Erteilung einer Genehmigung der Fall. Es reicht nicht aus, dass die gebührenpflichtige Handlung in einem sachlichen Zusammenhang mit einer hoheitlichen Handlung einer anderen Behörde steht. 2.2.2.6. Keinen Erfolg haben die Beschwerdeführerinnen demgegenüber mit ihrem Vorbringen, eine Kostenunterdeckung entstehe durch eine an § 2 Abs. 2 VwKostG-LSA orientierte Ermessensausübung, obwohl der Gebührenrahmen die Erhebung einer kostendeckenden Gebühr zulässt. Dieser Argumentation steht zunächst entgegen, dass die von den Beschwerdeführerinnen angeführten Gründe für den Verzicht auf die Erhebung einer kostendeckenden Gebühr unter Verweis auf das öffentliche Interesse an der Maßnahme nicht den Anforderungen entspricht, die die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt (vgl. etwa VG Dessau, Urt. v. 16.12.1999 — A 1 Κ 1725/97 - , 7, unter Verweis auf Urt. v. 30.10.1996 - A 1 Κ 2/96 - , NVwZLVerfGE 15

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RR 1998, 213) entwickelt hat. Nach dieser Rechtsprechung besteht ein öffentliches Interesse an der Nichterhebung der Gebühr nach § 2 Abs. 2 VwKostG-LSA nur dann, wenn die gebührenpflichtige Amtshandlung ganz oder zumindest überwiegend im Interesse der Allgemeinheit vorgenommen wird und demgegenüber das „private" Interesse an der Amtshandlung zurücktritt (vgl. VG Dessau, aaO). Bereits aus den Gesetzesberatungen ergibt sich, dass es sich bei § 2 Abs. 2 VwKostG-LSA um einen Ausnahmetatbestand handelt, der in erster Linie Maßnahmen des Verordnungsgebers im Blick hatte. So heißt es an der einschlägigen Stelle der Gesetzesbegründung (LdTg-Drs 1/295 v. 26.3.1991) zu dieser Norm: „Da dieses Gesetz eine allgemeine sachliche Gebührenbefreiung nicht vorsieht, bestimmt Absatz 2, dass für eine bestimmte Amtshandlung von der Gebührenerhebung abgesehen werden kann, wenn an der Nichterhebung der Gebühr ein öffentliches Interesse besteht. Bedeutung hat diese Vorschrift für den Verordnungsgeber, der in diesen Fällen in der Gebührenordnung (vgl. § 3) die Gebührenhöhe entsprechend unterhalb der Kostendeckung festsetzen oder aber ganz auf die Normierung eines Gebührentatbestandes verzichten kann." Daraus folgt, dass der Gesetzgeber insbesondere bei Bestehen eines kostendeckenden Gebührentatbestandes von einem öffentlichen Interesse an der Gebührenerhebung ausgegangen ist. Für die Ermessensausübung der Behörde im Einzelfall bestehen deshalb hohe Anforderungen für die Annahme eines öffentlichen Interesses. Hinzu kommt, dass nach allgemeiner Ansicht in der Rechtsprechung bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses nicht, wie es die Beschwerdeführerinnen tun, auf den Zweck der gebührenpflichtigen Maßnahme als solcher abgestellt werden darf (vgl. bereits NdsOVG, Urt. v. 23.11.1972 - I OVG A 129/71 KStZ 1973, 93 f; VGH BW, Urt. v. 2.6.1992 - 14 S 1804/90 - , BWVP 1992, 279 ff, mwN). Aber auch dann, wenn man davon ausgeht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 VwKostG-LSA vorliegen, würde dies nicht zu einer Ausgleichspflicht des Landes führen. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ergibt sich nämlich, dass es sich jeweils um ein spezifisch örtliches Interesse handelt, dem durch die Gebührenminderung Rechnung getragen werden soll. Die Verwirklichung von spezifisch örtlichen Interessen im Rahmen einer Ermessensbetätigung kann aber nicht dem Land zur Last gelegt werden. 2.2.2.7. Soweit sich die Beschwerdeführerinnen darauf berufen, dass wegen des Vorliegens von Amtshilfe eine Gebühr nach § 8 Abs. 1 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt idF d. Bek. v. 7.1.1999 (LSAGVB1., S. 3) - VwVfG LSA - , zuletzt geändert durch Gesetz v. 19.3.2002 (LSAGVB1., S. 130, 135), nicht erhoben werden kann, steht ihre Praxis nicht in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben, wie sie durch die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung interpretiert werden. Danach liegt ein Fall der Amtshilfe nur vor, wenn die ersuchte Stelle genau jene Maßnahme ausführt, die die ersuchende Stelle LVerfGE 15

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grundsätzlich selbst auszufuhren hat. Bezieht sich die Anfrage jedoch auf eine Maßnahme, die die ersuchte Behörde als eigene Aufgabe wahrnimmt und die die ersuchende Behörde auf Grund ihrer Aufgabenzuweisungen selbst nicht wahrnehmen kann, so handelt es sich nicht um einen Fall der Amtshilfe. Vielmehr wird in diesen Fällen die antragstellende Behörde wie jeder andere Antragsteller behandelt. Die von den Beschwerdeführerinnen angeführten Fälle der Registerauskunft stellen nach diesen Grundsätzen keinen Fall der Amtshilfe dar, so dass der Erhebung kostendeckender Gebühren keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. 2.2.2.8. Soweit es um eine Freistellung auf Grund von sonstigen spezialgesetzlich geregelten Gründen geht, wie z.B. in § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X, handelt es sich um eine Soziallast, die alle unter die entsprechenden Normen fallenden Stellen zu tragen haben. Sie betrifft die Kommunen in gleicher Weise wie die Bundesund Landesverwaltung, aber auch andere Träger der Selbstverwaltung, wie z.B. die Kammern. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 1 bis 3 LVerfGG-LSA. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Soweit die Beschwerdeführerinnen mit ihrer Verfassungsbeschwerde Erfolg haben, werden ihre Kosten erstattet. Diesen Anteil bewertet das Gericht mit einem Viertel.

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Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Dr. h.c. Hans-Joachim Bauer, Präsident Prof. Dr. Walter Bayer Gunter Becker Christian Ebeüng Peter Goetze Harald Graef Prof. Dr. Johanna Hübscher Dr. Iris Martin-Gehl Thomas Momeweg

Stellvertretende Richterinnen und Richter Dr. Hartmut Schwan Dr. Wolfgang Weißkopf Peter Germann Prof. Dr. Udo Ebert Elmar Schuler Reinhard Lothholz Dr. Wolfgang Habel Günter Gabriel Dr. Renate Hemsteg von Fintel

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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Nr. 1 1. Der Gesetzgeber muss, wenn er Personengruppen von der Mitbestimmungsgewährleistung in Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ausschließt, sich an Ausmaß und Umfang der Eingliederung des betroffenen Personenkreises in die Arbeit der Dienststelle orientieren. Allein eine unter 15-WochenStunden liegende Arbeitszeit ist kein hierfür geeignetes Ausgrenzungskriterium. 2. Der Regelungsgehalt des Art. 37 Abs. 3 ist autonom aus der Landesverfassung selbst mit Blick auf die Gegebenheiten des allgemeinen Personalvertretungsrechts sowie unter Beachtung der durch das Bundesrecht gesetzten Bedingungen und Grenzen zu ermitteln. 3. Art. 37 Abs. 3 gewährleistet Mitbestimmung als Grundrecht. Er legt damit den Gesetzgeber nicht auf ein bestimmtes Mitbestimmungsmodell fest, fordert aber für eine Zurücknahme der Mitbestimmungsintensität eine sachliche Legitimation. 4. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf enthält einen an den Gesetzgeber gerichteten Gestaltungsauftrag, das Mitbestimmungsgrundrecht in seinen den Individualrechtsschutz der Bediensteten ergänzenden, wie die organschaftliche Funktion der „Belegschaft" zur Geltung bringenden Zwecken auszugestalten. Innerhalb des so eröffneten Regelungsrahmens ist es Sache des Gesetzgebers, den Regelungsbedarf zu bestimmen und die Regelungsmittel auszuwählen. 5. Die verfassungsgerichtliche Prüfungskompetenz ist darauf beschränkt zu untersuchen, ob die vom Gesetzgeber getroffene Regelung sich an einer sachgerechten, konkret nachvollziehbaren und damit vertretbaren Beurteilung des Grundrechtsgehalts orientiert. Die Vertretbarkeitsgrenze ist unterschritten, wenn Beteiligungsrechte ohne hinreichende sachliche Rechtfertigung unzumutbar verkürzt werden, etwa weil eine Abwägung mit dem Ziel zweckgerechter Umsetzung des Gesetzgebungsauftrage unterblieben ist oder weil verfassungsmäßig nicht legitimierte Interessen das Regelungsergebnis bestimmt haben. 6. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf steht der Einführung der Beteiligungsform der „Mitwirkung" (§ 75a ThürPersVG) nicht entgegen.

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Thüringer Verfassungsgerichtshof

7. Dem Gesetzgeber steht bei der Entscheidung, ob er einen Beteiligungstatbestand der vollen oder der eingeschränkten Mitbestimmung zuordnet, prinzipiell ein weiterer Spielraum zu als bei der Wahl zwischen echter Mitbestimmung und schlichter Mitwirkung. Thüringer Verfassung Art. 2 Abs. 1; 37 Abs. 3; 89 Thüringer Personalvertretungsgesetz §§ 4 Abs. 5 Nr. 5; 16; 17 Abs. 3; 53 Abs. 3; 75 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Nr. 1, 2 und 3; 75a; 82a Sozialgesetzbuch IV § 8 Abs. 1

Urteil v o m 20. April 2004 - V e r f G H 14/02 in dem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag, vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden, Arnstädter Straße 51, 99096 Erfurt - AntragstellerinVerfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Peter Hauck-Scholz und Thorsten Christ, Krummbogen 15, 35039 Marburg beteiligt: 1. 2.

Thüringer Landtag, vertreten durch die Landtagspräsidentin, Arnstädter Straße 51, 99096 Erfurt Thüringer Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, Regierungsstraße 73, 99084 Erfurt

Verfahrensbevollmächtigter zu 2.: Prof. Dr. Helmut Lecheler, Freie Universität Berlin, Fachbereich Rechtswissenschaft, Ehrenbergstraße 17, 14195 Berlin Entscheidungsformel: 1. § 4 Abs. 5 Nr. 5 des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) ist mit Art. 37 Abs. 3 iVm Art. 2 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen unvereinbar und nich2. §§ 16; 17 Abs. 3 und § 53 Abs. 3 S. 2 des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) sind mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vereinbar, soweit LVerfGE 15

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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die Höchstzahl der Mitglieder des Personalrats auf 15, die Mindestzahl der Gruppenvertreter auf höchstens 4 und die Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen auf 13 festgelegt wird. 3. § 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) ist mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vereinbar, soweit die Beteiligungstatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Beamte, Angestellte und Arbeiter" und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen für Beamte, Angestellte und Arbeiter" der eingeschränkten Mitbestimmung zugeordnet werden. 4. § 75 Abs. 3 Nr. 1 des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) ist mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vereinbar, soweit der Beteiligungstatbestand „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" der eingeschränkten Mitbestimmung zugeordnet wird. 5. § 75a des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) ist mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vereinbar, soweit die Beteiligungsform der Mitwirkung normiert und die Beteiligungstatbestände „Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit", „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand", „Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Beschäftigten", „Grundsätze der Arbeits- und Dienstpostenbewertung in der Dienststelle", „Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern", „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten", „Einführung neuer und grundlegende Änderung oder Ausweitung bestehender Arbeitsmethoden, insbesondere Maßnahmen der technischen Rationalisierung", „Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs...", „Privatisierung, Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen oder deren wesentlichen Teilen", „Beurteilungsrichtlinien für Beamte", „Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs" und „Erlass von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen" der Mitwirkung zugeordnet werden. 6. § 82a des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) ist mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vereinbar, soweit ein Anhörungsrecht des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte zu Verwaltungsanordnungen zu innerdienstlichen sozialen Angelegenheiten der Beschäftigten normiert wird, die ein-

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Thüringer Verfassungsgerichtshof

heitlich für die Geschäftsbereiche mehrerer oberster Landesbehörden geregelt werden sollen. 7. § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 des Thüringer Personalvertretungsgesetzes idF der Neubekanntmachung v o m 14. September 2001 (GVB1. S. 225) ist mit Art. 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vereinbar, soweit bei den Beteiligungstatbeständen „Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist..." u n d „Abordnung für die Dauer v o n mehr als sechs Monaten sowie Zuweisung im Sinne des § 123a Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer v o n mehr als sechs M o n a t e n " sowohl der Personalrat der abgebenden als auch der a u f n e h m e n d e n Dienststelle nur auf Antrag des Beschäftigten beteiligt wird. 8. D e r Freistaat Thüringen hat der Antragstellerin 1 / 9 ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

A. Die Antragstellerin, die PDS-Fraktion im Thüringer Landtag, wendet sich im Wege der abstrakten Normenkontrolle gegen Regelungen des Thüringer Personalvertretungsgesetzes (ThürPersVG) in der geltenden Fassung der Neubekanntmachung v o m 14.9.2001 (GVB1. S. 225). I. Das T h ü r P e r s V G v o m 29.7.1993 (GVB1. S. 399) ist, abgesehen v o n einzelnen Vorschriften, die am 1.11.1994 in Kraft getreten sind, am 4.8.1993 in K r a f t getreten. In der Folgezeit ist das T h ü r P e r s V G mehrfach geändert worden, unter anderem durch das am 6.7.2001 in Kraft getretene Erste Gesetz zur Änderung des T h ü r P e r s V G v o m 25.6.2001 (GVB1. S. 57). Hieran anschließend ist es am 14.9.2001 neu bekannt gemacht worden. Die Antragstellerin wendet sich im Einzelnen gegen die Vorschriften der §§ 4 Abs. 5 Nr. 5; 16, 17 Abs. 3; 53 Abs. 3 S. 2; 75 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 u n d Abs. 3 Nr. 1, 2 u n d 3; 75a u n d 82a ThürPersVG. Diese Bestimmungen sind - mit Ausnahme des bereits im T h ü r P e r s V G v o m 29.7.1993 enthaltenen § 4 Abs. 5 Nr. 5 - durch das Erste Gesetz zur Änderung des T h ü r P e r s V G v o m 25.6.2001 geändert oder - wie §§ 75a u n d 82a - neu in das Gesetz eingefügt worden. 1. D a s T h ü r P e r s V G war u n d ist getragen v o m Prinzip der Gesamtrepräsentation aller Beschäftigten einer Dienststelle durch einen Personalrat. Dabei werden Beamte, Angestellte u n d Arbeiter als verschiedene G r u p p e n von Beschäftigten aufgefasst, die als solche im Personalrat mit Sitzquoren vertreten sind. Diese SitzLVerfGE 15

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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quoren hängen v o n der Stärke der jeweiligen G r u p p e ab, w ä h r e n d sich die G r ö ß e des Personalrats nach der Größe der Beschäftigtenzahl insgesamt richtet. Hierzu bestimmen: a) § 4 T h ü r P e r s V G : „§4 Beschäftigte (1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind die Beamten, Angestellten und Arbeiter einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten ... (2)... (3)... (4)... (5) Als Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes gelten nicht 1.

Ehrenbeamte,

2.

Personen, deren Beschäftigung überwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist,

3.

Personen, die überwiegend zu ihrer Heilung, Wiedereingewöhnung, sittlichen Besserung oder Erziehung beschäftigt werden,

4.

Personen, die im Rahmen einer Schul- oder Hochschulausbildung ein Praktikum ableisten,

5.

Personen mit einer Arbeitszeit unterhalb der Versicherungspflichtgrenze des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,

6.

Personen, die für weniger als zwei Monate beschäftigt sind."

Die v o n der Antragstellerin beanstandete, durch das Änderungsgesetz v o m 25.6.2001 nicht betroffene Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 5 T h ü r P e r s V G schließt also zeitlich geringfügig Beschäftigte aus d e m Geltungsbereich des Gesetzes aus. b) § 16 T h ü r P e r s V G : »§ 16 Zahl der Personalratsmitglieder Der Personalrat besteht in Dienststellen mit in der Regel 5 bis 20 Beschäftigten aus einer Person, 21 bis 50 Beschäftigten aus drei Mitgliedern, LVerfGE 15

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Thüringer Verfassungsgerichtshof 51 bis 150 Beschäftigten aus fünf Mitgliedern, 151 bis 300 Beschäftigten aus sieben Mitgliedern, 301 bis 600 Beschäftigten aus neun Mitgliedern, 601 bis 1000 Beschäftigten aus elf Mitgliedern, 1001 bis 2500 Beschäftigten aus 13 Mitgliedern, 2501 und mehr Beschäftigten aus 15 Mitgliedern."

§ 16 ThürPersVG lautete vor seiner Änderung durch das Gesetz vom 25.6.2001 wie folgt: „§16 Zahl der Personalratsmitglieder (1) Der Personalrat besteht in Dienststellen mit in der Regel 5 bis 20 Beschäftigten aus einer Person, 21 bis 50 Beschäftigten aus drei Mitgliedern, 51 bis 150 Beschäftigten aus fünf Mitgliedern, 151 bis 300 Beschäftigten aus sieben Mitgliedern, 301 bis 600 Beschäftigten aus neun Mitgliedern, 601 bis 1000 Beschäftigten aus elf Mitgliedern. Die Zahl der Mitglieder erhöht sich in Dienststellen mit 1001 bis 5000 Beschäftigten um je zwei für je weitere angefangene 1000, mit 5001 und mehr Beschäftigten um je zwei für je weitere angefangene 2000. (2) Die Höchstzahl der Mitglieder beträgt 25." Die von der Antragstellerin beanstandete Neufassung des § 16 ThürPersVG hat also die Größe des Personalrats bei größeren Dienststellen ab 3001 Beschäftigten und die Höchstzahl der Mitglieder des Personalrats von 25 auf 15 verringert. c) § 17 ThürPersVG: „§17 Vertretung der Gruppen (1) Sind in der Dienststelle Angehörige verschiedener Gruppen beschäftigt, so muss jede Gruppe entsprechend ihrer Stärke im Personalrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht...

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(3) Eine Gruppe erhält mindestens bei weniger als 51 Gruppenangehörigen einen Vertreter, bei 51 bis 200 Gruppenangehörigen zwei Vertreter, bei 201 bis 600 Gruppenangehörigen drei Vertreter, bei 601 und mehr Gruppenangehörigen vier Vertreter...."

§ 17 ThürPersVG lautete vor seiner Änderung durch das Gesetz vom 25.6.2001 wie folgt:

Vertretung der Gruppen (1) Sind in der Dienststelle Angehörige verschiedener Gruppen beschäftigt, so muss jede Gruppe entsprechend ihrer Stärke im Personalrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht...

(3) Eine Gruppe erhält mindestens bei weniger als 51 Gruppenangehörigen einen Vertreter, bei 51 bis 200 Gruppenangehörigen zwei Vertreter, bei 201 bis 600 Gruppenangehörigen drei Vertreter, bei 601 bis 1000 Gruppenangehörigen vier Vertreter, bei 1001 bis 3000 Gruppenangehörigen fünf Vertreter, bei 3001 und mehr Gruppenangehörigen sechs Vertreter..."

Die Neufassung des § 17 Abs. 3 ThürPersVG verringert also die Mindestzahl der Gruppenvertreter von höchstens 6 auf höchstens 4. 2. Soweit die Landesverwaltung mehrstufig in oberste Dienstbehörden, Mittelbehörden und nachgeordnete Dienststellen gegliedert ist, werden neben den auf jeder Stufe bestehenden örtlichen Personalräten auf der Stufe der Mittelbehörde und der obersten Dienstbehörde sog. Stufenvertretungen, d.h. ein Bezirkspersonalrat bei der Mittelbehörde und ein Hauptpersonalrat bei der obersten Dienstbehörde, gebildet. Hierzu bestimmt der durch das Gesetz vom 25.6.2001 geänderte § 53 ThürPersVG:

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„§ 53 Stufenvertretungen (1) Für den Geschäftsbereich mehrstufiger Verwaltungen des Landes werden bei den Behörden der Mittelstufe Bezirkspersonalräte, bei den obersten Dienstbehörden Hauptpersonalräte gebildet. (2) ...

(3) Die §§ 12 bis 15 ... gelten entsprechend. Die Stufenvertretung besteht bei in der Regel bis zu 2000 Beschäftigten aus sieben Mitgliedern, 2001 bis 4000 Beschäftigten aus neun Mitgliedern, 4001 bis 6000 Beschäftigten aus elf Mitgliedern, 6001 und mehr Beschäftigten aus 13 Mitgliedern ..."

§ 53 ThürPersVG lautete vor seiner Änderung wie folgt: „§ 53 Stufenvertretungen (1) Für den Geschäftsbereich mehrstufiger Verwaltungen des Landes werden bei den Behörden der Mittelstufe Bezirkspersonalräte, bei den obersten Dienstbehörden Hauptpersonalräte gebildet.

(2)... (3) Die §§ 12 bis 16 ... gelten entsprechend ..."

Die Neuregelung des § 53 Abs. 3 S. 2 ThürPersVG verringert also die Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen von 25 auf 13. 3. Die durch das Gesetz vom 25.6.2001 geänderten oder neu eingefugten Vorschriften der §§ 75; 75a und 82a ThürPersVG ordnen - im Zusammenhang mit den übrigen, die Beteiligung der Personalvertretungen betreffenden Vorschriften der §§ 66 ff im achten Teil des Gesetzes - die Beteiligungsrechte der Personalvertretungen grundlegend neu. Die dabei von der Antragstellerin konkret als verfassungswidrig beanstandeten Neuregelungen betreffen die einzelnen Beteiligungstatbestände „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" (§ 75 Abs. 3 Nr. 1), „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Beamte, Angestellte und Arbeiter" (§ 75 Abs. 3 Nr. 2), „Einführung, wesentliche LVerfGE 15

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen für Beamte, Angestellte und Arbeiter" (§ 75 Abs. 3 Nr. 3) und „Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" (§ 75a Abs. 2 Nr. 5), die Beteiligungsform der Mitwirkung und die ihr im einzelnen zugeordneten Beteiligungstatbestände (§ 75a), den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte (§ 82a) und das Erfordernis eines Antrags des Beschäftigten auf Beteiligung des Personalrats bei bestimmten Beteiligungstatbeständen (§ 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2). Im Grundsatz sah und sieht das ThürPersVG als Beteiligungsformen die volle oder eingeschränkte - Mitbestimmung und die Anhörung des Personalrats vor. Dabei zeichnet sich die Beteiligungsform der Mitbestimmung dadurch aus, dass die ihr unterliegenden Maßnahmen nur mit Zustimmung des Personalrats getroffen werden können. Kommt keine Einigung zwischen dem Leiter der Dienststelle und dem Personalrat zustande, kann das Stufenverfahren durchgefühlt werden, dessen Einzelheiten im Gesetz geregelt sind. Die letzte Instanz in diesem Verfahren ist die bei der obersten Dienstbehörde gebildete, paritätisch und mit einem unparteiischen Vorsitzenden besetzte Einigungsstelle. Dieser kommt für die der vollen Mitbestimmung unterliegenden Beteiligungstatbestände (§ 74) eine Letztentscheidungs- und für die der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegenden Beteiligungstatbestände (§ 75) eine Empfehlungskompetenz zu. Das bei der vollen Mitbestimmung bestehende Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle ist allerdings nunmehr durch ein sog. Evokationsrecht beschränkt (§71 Abs. 6 n.F.). Danach kann die Landesregierung bzw. die oberste Dienstbehörde die Entscheidung der Einigungsstelle aufheben, wenn sie im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwohl wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt ist. An diese grundlegenden Regelungen anknüpfend hat der Gesetzgeber durch das Änderungsgesetz vom 25.6.2001 unter anderem die Beteiligungstatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" (§ 75 Abs. 3 Nr. 2) und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" (§ 75 Abs. 3 Nr. 3) einheitlich für die Gruppen der Beamten, Angestellten und Arbeiter der eingeschränkten Mitbestimmung unterworfen. Diese beiden Tatbestände unterlagen vor der Gesetzesänderung für Angestellte und Arbeiter nach § 74 Abs. 3 Nr. 7 und 8 a.F. ThürPersVG der vollen Mitbestimmung. Außerdem hat der Gesetzgeber den nach § 74 Abs. 3 Nr. 19 a.F. ThürPersVG ursprünglich der vollen Mitbestimmung unterliegenden Beteiligungstatbestand „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" in die eingeschränkte Mitbestimmung herabgestuft (§ 75 Abs. 3 Nr. 1). Durch den neu in das Gesetz eingefügten § 75a hat der Gesetzgeber im Übrigen die ihrer Intensität nach zwischen Mitbestimmung und Anhörung stehende Beteiligungsform der Mitwirkung eingeführt und ihr verschiedene, nach altem Recht teilweise der vollen und teilweise der eingeschränkten Mitwirkung unterfallende Beteiligungstatbestände zuLVerfGE 15

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Thüringer Verfassungsgerichtshof

geordnet, darunter die nach § 74 Abs. 3 Nr. 5 a.F. ThürPersVG ursprünglich der vollen Mitbestimmung unterliegende „Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" (§ 75a Abs. 2 Nr. 5). Ferner sehen die Regelungen des geänderten § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 1 n.F. ThürPersVG unter anderem für die nunmehr einheitlich für alle betroffenen Beschäftigten der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegenden Beteiligungstatbestände „Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist" und „Abordnung für die Dauer von mehr als sechs (früher: drei) Monaten sowie Zuweisung im Sinne des § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als sechs (früher: drei) Monaten" vor, dass der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten beteiligt wird. Ein solches Antragserfordernis bestand nach altem Recht für die genannten Tatbestände, soweit sie der eingeschränkten Mitwirkung unterfielen, nicht. Der neu eingefügte § 82a enthält schließlich Neuregelungen betreffend den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte, dessen Zusammensetzung, Arbeitsweise und Kompetenzen zuvor in § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG iVm der jetzt aufgehobenen Verordnung der Landesregierung über die Einrichtung eines gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte (ThürHPRVO) vom 21.10.1994 (GVB1. S. 1185) geregelt waren. a) Die die Beteiligungstatbestände der vollen und der eingeschränkten Mitwirkung abschließend aufzählenden §§ 74 und 75 lauteten bzw. lauten vor und nach ihrer Änderung wie folgt: aa) Neue Fassung: „§ 74 Fälle der vollen Mitbestimmung (1) Der Personalrat hat mitzubestimmen bei 1.

Gewährung von Unterstützungen, Vorschüssen, Darlehen und entsprechenden sozialen Zuwendungen,

2.

Zuweisung und Kündigung von Wohnungen, über die die Dienststelle verfügt oder bei deren Vergabe ihr ein Vorschlagsrecht zusteht,

3.

Zuweisung von Dienst- und Pachtland und Festsetzung der Nutzungsbedingungen.

Hat ein Beschäftigter eine Leistung nach Satz 1 Nr. 1 beantragt, wird der Personalrat nur auf seinen Antrag beteiligt; auf Verlangen des Antragstellers bestimmt nur der Vorstand des Personalrats mit.

LVerfGE 15

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

393

(2) Der Personalrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen mitzubestimmen über 1.

Absehen von der Ausschreibung von Dienstposten, die besetzt werden sollen,

2.

die Aufstellung des Urlaubsplans oder die Festsetzung der zeitlichen Lage des Erholungsurlaubs für einzelne Beschäftigte, wenn zwischen dem Dienststellenleiter und den beteiligten Beschäftigten kein Einverständnis erzielt wird,

3.

Fragen der Lohngestaltung innerhalb der Dienststelle, insbesondere die Aufstellung von Entiohnungsgrundsätzen, die Einführung und Anwendung von neuen Endohnungsmethoden und deren Änderung sowie die Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren,

4.

die Errichtung, Verwaltung und Auflösung von Sozialeinrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechts form,

5.

Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbcitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen,

6.

Grundsätze der Bewertung von anerkannten Vorschlägen im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens,

7.

die Aufstellung von Sozialplänen einschließlich Plänen für Umschulungen zum Ausgleich oder zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die dem Beschäftigten infolge von Rationalisierungsmaßnahmen entstehen,

8.

die Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten,

9.

die Gestaltung der Arbeitsplätze,

10. Beurteilungsrichtlinien für Angestellte und Arbeiter, 11. Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung technischer Einrichtungen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen oder zu erfassen, 12. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. (3) ...

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Thüringer Verfassungsgerichtshof §75 Fälle der eingeschränkten Mitbestimmung (1) Der Personalrat hat eingeschränkt mitzubestimmen in Personalangelegenheiten der Angestellten und Arbeiter, soweit die Angestellten nicht der Regelung des Absatzes 2 unterliegen, bei 1.

Einstellung,

2.

Eingruppierung, Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Höher- und Rückgruppierung,

3.

Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses,

4.

Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist (das Einzugsgebiet im Sinne des Umzugskostenrechts gehört zum Dienstort),

5.

Abordnung für die Dauer von mehr als sechs Monaten sowie Zuweisung im Sinne des § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als sechs Monaten,

6.

Ablehnung eines Antrags auf Teilzeitbeschäftigung, Ermäßigung Arbeitszeit oder Beurlaubung,

7.

Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus und

8.

Anordnungen, welche die Freiheit in der Wahl der Wohnung beschränken.

der

In den Fällen des Satzes 1 Nr. 4 und 5 wird der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten beteiligt; in diesen Fällen ist der Beschäftigte von der beabsichtigten Maßnahme rechtzeitig vorher in Kenntnis zu setzen. (2) Der Personalrat hat eingeschränkt mitzubestimmen in Personalangelegenheiten der Beamten sowie der Angestellten der Vergütungsgruppe V b aufwärts, die hoheitliche Tätigkeiten wahrnehmen, bei 1.

Einstellung, Anstellung,

2.

Beförderung, Übertragung eines anderen Amtes mit höherem Endgrundgehalt ohne Änderung der Amtsbezeichnung, Laufbahnwechsel, Verleihung eines anderen Amtes mit anderer Amtsbezeichnung beim Wechsel der Laufbahngruppe oder Zulassung zum Aufstieg,

3.

Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit,

LVerfGE 15

Mitbestknmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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4.

Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist (das Einzugsgebiet im Sinne des Umzugskostenrechts gehört zum Dienstort),

5.

Abordnung fur eine Dauer von mehr als sechs Monaten sowie Zuweisung nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes fur eine Dauer von mehr als sechs Monaten,

6.

Anordnungen, welche die Freiheit in der Wahl der Wohnung beschränken,

7.

Ablehnung eines Antrages nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen auf Teilzeitbeschäftigung, Ermäßigung der regelmäßigen Arbeitszeit oder Urlaub,

8.

Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze,

9.

Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten,

10. Entlassung von Beamten auf Probe oder Widerruf, wenn sie die Endassung nicht selbst beantragt haben und 11. Gewährung oder Versagung von Urlaub und Sonderurlaub ohne Bezüge sowie Urlaub nach § 76 Abs. 4 und 5 und § 76d des Thüringer Beamtengesetzes. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 4, 5 und 9 bis 11 wird der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten beteiligt; in diesen Fällen ist der Beschäftigte von der beabsichtigten Maßnahme rechtzeitig vorher in Kenntnis zu setzen. (3) Der Personalrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen, eingeschränkt mitzubestimmen über 1.

Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten,

2.

Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Beamte, Angestellter und Arbeiter,

3.

Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen für Beamte, Angestellte und Arbeiter und

4.

Bestellung von Vertrauens- oder Betriebsärzten als Beamte oder Angestellte."

bb) Alte Fassung: LVerfGE 15

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Thüringer Verfassungsgerichtshof „§ 74 Fälle der vollen Mitbestimmung (1) Der Personalrat hat mitzubestimmen in Personalangelegenheiten der Angestellten und Arbeiter, soweit die Angestellten nicht der Regelung des § 75 Abs. 1 unterliegen, bei 1.

Einstellung,

2.

Eingruppierung, Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Höher- oder Rückgruppierung,

3.

Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages,

4.

Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist (das Einzugsgebiet im Sinne des Umzugskostenrechts gehört zum Dienstort),

5.

Abordnung für die Dauer von mehr als drei Monaten sowie Zuweisung im Sinne des § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als drei Monaten,

6.

Ablehnung eines Antrages auf Teilzeitbeschäftigung, Ermäßigung der Arbeitszeit oder Beurlaubung,

7.

Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus,

8.

Anordnungen, welche die Freiheit in der Wahl der Wohnung beschränken,

9.

Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit.

(2) Der Personalrat hat mitzubestimmen in sozialen Angelegenheiten bei 1.

Gewährung von Unterstützungen, Vorschüssen, Darlehen und entsprechenden sozialen Zuwendungen,

2.

Zuweisung und Kündigung von Wohnungen, über die die Dienststelle verfügt oder bei deren Vergabe ihr ein Vorschlagsrecht zusteht,

3.

Zuweisung von Dienst- und Pachdand und Festsetzung der Nutzungsbedingungen.

Hat ein Beschäftigter eine Leistung nach Nummer 1 beantragt, wird der Personalrat nur auf seinen Antrag beteiligt; auf Verlangen des Antragstellers bestimmt nur der Vorstand des Personalrats mit.

LVerfGE 15

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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(3) Der Personalrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen mitzubestimmen über 1.

Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage,

2.

Aufstellung des Urlaubsplanes, Festsetzung der zeitlichen Lage des Erholungsurlaubs für einzelne Beschäftigte, wenn zwischen dem Dienststellenleiter und den beteiligten Beschäftigten kein Einverständnis erzielt wird,

3.

Fragen der Lohngestaltung innerhalb der Dienststelle, insbesondere die Aufstellung von Endohnungsgrundsätzen, die Einführung und Anwendung von neuen Endohnungsmethoden und deren Änderung sowie die Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich der Geldfaktoren,

4.

Errichtung, Verwaltung und Auflösung von Sozialeinrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform,

5.

Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern,

6.

allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten,

7.

Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Angestellte und Arbeiter,

8.

Inhalt von Personalfragebogen für Angestellte und Arbeiter,

9.

Beurteilungsrichtlinien für Angestellte und Arbeiter,

10. Bestellung von Vertrauens- oder Betriebsärzten als Angestellte, 11. Maßnahmen zur Verhütung von Dienst- und Arbeitsunfällen und sonstigen Gesundheitsschädigungen, 12. Grundsätze über die Bewertung von anerkannten Vorschlägen im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens, 13. Aufstellung von Sozialplänen einschließlich Plänen für Umschulungen zum Ausgleich oder zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die dem Beschäftigten infolge von Rationalisierungsmaßnahmen entstehen, 14. Absehen von der Ausschreibung von Dienstposten, die besetzt werden sollen,

L V e r f G E 15

Thüringer Verfassungsgerichtshof

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15. Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten, 16. Gestaltung der Arbeitsplätze, 17. Grundsätze der Arbeits- und Dienstpostenbewertung in der Dienststelle, 18. Einfuhrung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung technischer Einrichtungen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen oder zu erfassen, 19. Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten. (4) ... (5) ... §75 Fälle der eingeschränkten Mitbestimmung (1) Der Personalrat hat mitzubestimmen in Personalangelegenheiten der Beamten sowie der Angestellten der Vergütungsgruppen V b aufwärts, die hoheitliche Tätigkeiten wahrnehmen, bei 1.

Einstellung, Anstellung,

2.

Beförderung, Übertragung eines anderen Amtes mit höherem Endgrundgehalt ohne Änderung der Amtsbezeichnung, Laufbahnwechsel, Verleihung eines anderen Amtes mit anderer Amtsbezeichnung beim Wechsel der Laufbahngruppe oder Zulassung zum Aufstieg,

3.

Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit,

4.

Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist (das Einzugsgebiet im Sinne des Umzugskostenrechts gehört zum Dienstort),

5.

Abordnung für eine Dauer von mehr als drei Monaten sowie Zuweisung nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als drei Monaten,

6.

Anordnungen, welche die Freiheit in der Wahl der Wohnung beschränken,

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Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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7.

Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit, Ablehnung eines Antrages nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen auf Teilzeitbeschäftigung, Ermäßigung der regelmäßigen Arbeitszeit oder Urlaub,

8.

Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze,

9.

Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten,

10. Entlassung von Beamten auf Probe oder Widerruf, wenn sie die Endassung nicht selbst beantragt haben, 11. vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, 12. die Gewährung oder Versagung von Urlaub und Sonderurlaub ohne Bezüge sowie Urlaub nach den §§ 44a und 48a des Beamtenrechtsrahmengesetzes. In den Fällen der Nummern 9 bis 11 wird der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten beteiligt. Dieser ist von der beabsichtigten Maßnahme rechtzeitig in Kenntnis zu setzen. (2) Der Personalrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen mitzubestimmen über 1.

Auswahl von Teilnehmern an Fortbildungsveranstaltungen für Beamte,

2.

Inhalt von Personalfragebogen für Beamte,

3.

Beurteilungsrichtlinien für Beamte,

4.

Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs,

5.

allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten,

6.

Einführung neuer und grundlegende Änderung oder Ausweitung bestehender Arbeitsmethoden, insbesondere Maßnahmen der technischen Rationalisierung,

7.

Erlass von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen,

8.

Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Beschäftigten,

9.

Bestellung von Vertrauens- und Betriebsärzten als Beamte,

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Thüringer Verfassungsgerichtshof 10. Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen so2ialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs, wenn nicht nach gesetzlichen Vorschriften die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbereitung zu beteiligen sind, 11. Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Dienststellen oder deren wesentlichen Teilen.

Zusammenlegung

von

In den Fällen der Nummer 8 bestimmt der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten mit; dieser ist von der beabsichtigten Maßnahme rechtzeitig vorher in Kenntnis zu setzen." b) D e r die Beteiligungsform der Mitwirkung T h ü r P e r s V G lautet wie folgt:

einführende neue

§ 75a

„§ 75a Fälle der Mitwirkung (1) Der Personalrat wirkt mit bei 1.

Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit,

2.

vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand und

3.

Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Beschäftigten.

In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 wirkt der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten mit; dieser ist von der beabsichtigten Maßnahme rechtzeitig vorher in Kenntnis zu setzen. (2) Der Personalrat wirkt, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen mit bei 1.

Grundsätzen der Arbeits- und Dienstpostenbewertung in der Dienststelle,

2.

Einführung neuer und grundlegende Änderung oder Ausweitung bestehender Arbeitsmethoden, insbesondere Maßnahmen der technischen Rationalisierung,

3.

Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs, wenn nicht nach gesetzlichen Vorschriften die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbereitung zu beteiligen sind,

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Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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4.

Privatisierung, Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen oder deren wesentlichen Teilen,

5.

Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern,

6.

allgemeinen Fragen der Fortbildung der Beschäftigten,

7.

Beurteilungsrichtlinien für Beamte,

8.

Maßnahmen 2ur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs und

9.

Erlass von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen.

c) D e r den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonaliäte betreffende, neu in das Gesetz eingefügte § 82a T h ü r P e r s V G hat folgenden Wordaut: § 82a Gemeinsamer Ausschuss der I Iauptpersonalräte (1) Die Hauptpersonalräte bei den obersten Landesbehörden bilden einen gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte. Die Personalräte der obersten Landesbehörde, bei denen kein Hauptpersonalrat gebildet wird, gelten insoweit als Hauptpersonalräte. Die Landtagsverwaltung gilt insoweit als oberste Landesbehörde. Jede Personalvertretung entsendet je ein Mitglied in den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte. (2) Werden Verwaltungsanordnungen für die innerdienstlichen sozialen Angelegenheiten der Beschäftigten vorbereitet, die gleichermaßen den Geschäftsbereich der obersten Landesbehörden betreffen und einheitlich geregelt werden sollen, ist der gemeinsame Ausschuss der Hauptpersonalräte anzuhören. Dies gilt nicht, wenn nach gesetzlichen Vorschriften die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbereitung zu beteiligen sind. (3) Das federführende Ressort unterrichtet den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte von der beabsichtigten Maßnahme. Die Stellungnahme des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte ist dem federführenden Ressort innerhalb von 20 Arbeitstagen mitzuteilen. Die Befugnisse und Pflichten der Personalvertretungen werden durch diese Regelungen nicht berührt. (4) Die Bestimmungen dieses Gesetzes über Arbeitszeitversäumnis und Freizeitausgleich gelten für die Mitglieder des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte entsprechend.

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Thüringer Verfassungsgerichtshof (5) Die Landesregierung trifft die näheren Regelungen über die Bildung und das Verfahren des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte durch Rechtsverordnung."

Demgegenüber lauteten § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG und der die Kompetenzen des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte regelnde § 9 ThürHPRVO wie folgt: „§ 82 Beteiligung der Stufenvertretungen und des Gesamtpersonalrats (1)... (2)... (3)... (4)... (5)... (6) Betrifft eine beteiligungspflichtige Angelegenheit den Geschäftsbereich mehrerer Ministerien, erfolgt die Beteiligung durch einen gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte. Die näheren Regelungen über die Bildung und das Verfahren des Ausschusses werden durch Rechtsverordnung der Landesregierung getroffen. (7)....

Verfahren der Mitbestimmung (1) Der federführende Minister unterrichtet den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte von der beabsichtigten nach § 82 Abs. 6 Satz 1 ThürPersVG beteiligungspflichtigen Maßnahme und beantragt seine Zustimmung... (2) Kommt zwischen dem federführenden Minister und dem gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte in den Fällen der §§ 74 und 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 8 ThürPersVG eine Einigung nicht zustande, so kann der federführende Minister oder der gemeinsame Ausschuss der Hauptpersonalräte die Einigungsstelle (§ 71 ThürPersVG) anrufen. § 69 Abs. 9 ThürPersVG gilt entsprechend."

II. 1. Das Erste Gesetz zur Änderung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes beruht auf einem dem Landtag am 7.3.2001 zugeleiteten Entwurf der Landesregierung (Drs. 3/1419). Ziele des Gesetzentwurfs waren die Anpassung des ThürPersVG an die in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom LVerfGE 15

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24.5.1995 (BVerfGE 93, 37) zum Mitbestimmungsgesetz des Landes SchleswigHolstein aufgestellten Vorgaben und an die Erfordernisse einer effizienten und kostengünstigen Verwaltungstätigkeit. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es dazu unter anderem: „... Das Thüringer Personalvertretungsgesetz (...) vom 29. Juli 1993 ... entspricht in wesentlichen Bestimmungen, die die Beteiligungsrechte der Personalvertretungen regeln, nicht in vollem Umfang den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Mai 1995 zum Mitbestimmungsgesetz des Landes Schleswig-Holstein ... aufgestellt hat. Das Letztentscheidungsrecht des Dienstherrn bei Entscheidungen, die von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrags sind, das heißt auch zur zeitnahen und effizienten Aufgabenerledigung gegenüber dem Bürger dienen, muss gesichert sein. Dazu gehört ebenso die Sicherstellung zeitnaher Entscheidungen im Bereich des Personalwesens. Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung hat keine unmittelbare Wirkung für das Thüringer Personalvertretungsgesetz, so dass gleich lautende Parallelnormen des Gesetzes anwendbar bleiben. Allerdings läuft der Gesetzgeber, der die entsprechenden Parallelnormen nicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beanstandungsfrei ausgestaltet, Gefahr, dass diese Bestimmungen bei einem erneuten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden. Dem Landesgesetzgeber in Thüringen ist durch Artikel 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zur Ausgestaltung der personalvertretungsrechtlichen Beteiligung im öffentlichen Dienst eingeräumt. Dabei ist der Gesetzgeber an seine früher vorgenommene Konstituierung der Beteiligungsrechte nicht gebunden. Er kann vielmehr neue Beteiligungsrechte und/oder -verfahren einführen oder nach altem Recht bestehende Beteiligungsrechte und/oder -verfahren ausweiten oder beschränken. Bei diesen Maßnahmen sind kollidierende Verfassungsgüter und widerstreitende öffentliche und/oder private Interessen in nachvollziehbarer Weise zum Ausgleich zu bringen. Bei der Ermitdung der Anforderungen an eine Beteiligungsform oder das Beteiligungsverfahren steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu, nach der er weitgehend selbst bestimmen kann, in welcher Weise er der personalvertretungsrechtlichen Beteiligung im öffentlichen Dienst tatsächliche Wirksamkeit verschaffen will, so lange bei der Ausgestaltung der durch Artikel 37 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Thüringen vorgegebene Rahmen in vertretbarer Weise Beachtung gefunden hat. Der Gesetzgeber verfolgt ein legitimes Ziel, wenn er die Beteiligungsrechte und das Beteiligungsverfahren den Erfordernissen einer effizienten, modernen und kostengünstigen Verwaltungstätigkeit anpassen will. Das in Artikel 44 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen verankerte Rechtsstaats- und Demokratieprinzip verpflichtet staatliche Organe, auf eine effiziente, d.h. möglichst optimale Verwirklichung des Rechts- und Sachauftrages der Verwaltung in der zeitlichen, finanziellen und quantitativen Dimension zu achten. Die Praxis hat gezeigt, dass die Beteiligungsverfahren sowohl von der Anzahl als auch von der Dauer her dem raschen Wandel in der Verwaltung nicht gerecht

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werden. Die personalvertretungsrechtlichen Gremien sind im Wesentlichen zu groß und damit schwerfällig und kostenintensiv ..." 2. In der im Gesetzentwurf in Bezug genommenen Entscheidung vom 24.5.1995 hatte das Bundesverfassungsgericht sich - anknüpfend an eine frühere Entscheidung aus dem Jahre 1959 (BVerfGE 9, 268) - zu den Grenzen der Mitbestimmung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst geäußert. Dabei war das Gericht davon ausgegangen, dass das Grundgesetz zwar Raum für Beteiligungsrechte lasse, das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG jedoch die Ausgestaltung von Beteiligungsrechten beschränke, da jedes amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter, gleich ob es unmittelbar nach außen wirke oder nur behördenintern die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Amtsaufgaben schaffe, Ausübung von Staatsgewalt sei, die der demokratischen Legitimation bedürfe. Die daraus sich ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen der Mitbestimmung seien unter Würdigung der Bedeutung der beteiligungspflichtigen Maßnahmen sowohl für die Arbeitssituation der Beschäftigten und deren Dienstverhältnis als auch für die Erfüllung des Amtsauftrages zu bestimmen: Die Mitbestimmung dürfe sich einerseits nur auf innerdienstliche Maßnahmen erstrecken und nur so weit gehen, als die spezifischen in dem Beschäftigungsverhältnis angelegten Interessen der Angehörigen der Dienststelle sie rechtfertigten (Schutzzweckgrenze). Andererseits verlange das Demokratieprinzip für die Ausübung von Staatsgewalt bei Entscheidungen von Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrages jedenfalls, dass die Letztentscheidung eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers gesichert sei (Verantwortungsgrenze). Innerhalb dieses Rahmens gelte: Je weniger die zu treffende Entscheidung typischerweise die verantwortliche Wahrnehmung des Amtsauftrages und je nachhaltiger sie die Interessen der Beschäftigten berühre, desto weiter könne die Beteiligung der Personalvertretung reichen. Dabei seien drei Stufen zu unterscheiden: (1) Bei der Regelung von Angelegenheiten, die in ihrem Schwerpunkt die Beschäftigten in ihrem Beschäftigtenverhältnis betreffen, typischerweise aber nicht oder nur unerheblich die Wahrnehmung von Amtsaufgaben gegenüber dem Bürger berühren (z.B. die Beteiligungstatbestände des § 75 Abs. 3 BPersVG mit Ausnahme der Nr. 10, 14 und 17), gestatte das Demokratieprinzip eine weitreichende Mitwirkung der Beschäftigten. Der Gesetzgeber könne solche Maßnahmen an die Mitbestimmung der Personalvertretung binden und - sofern Dienststelle und Personalvertretung zu keiner Einigung gelangen - letztlich der Entscheidung einer weisungsunabhängigen Einigungsstelle überlassen. Dabei werde die erforderliche demokratische Legitimation dadurch sichergestellt, dass Personalrat und Einigungsstelle an Gesetz und Recht gebunden seien, die Mehrheit der Mitglieder der Einigungsstelle in gewissem Maße demokratisch legitimiert sei und solche Entscheidungen, die im Einzelfall wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwohl wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt seien, einem parlamentarisch verLVerfGE 15

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antwortlichen Amtsträger vorbehalten blieben; letzteres könne etwa durch ein Evokationsrecht gewährleistet werden. (2) Maßnahmen, die den Binnenbereich des Beschäftigungsverhältnisses betreffen, die Wahrnehmung des Amtsauftrages jedoch typischerweise nicht nur unerheblich berühren (z.B. die Beteiligungstatbestände der §§ 75 Abs. 3 Nr. 14 und 17 und 78 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG), bedürften eines höheren Maßes an demokratischer Legitimation. Die Kompetenz der Einigungsstelle zur abschließenden Entscheidung könne hier nur hingenommen werden, wenn die Mehrheit ihrer Mitglieder uneingeschränkt personell demokratisch legitimiert sei und die Entscheidung darüber hinaus von einer Mehrheit der so legitimierten Mitglieder getragen werde (sog. doppelte Mehrheit). Allerdings könne der Gesetzgeber den der Einigungsstelle anhaftenden Mangel demokratischer Legitimation bei den in Rede stehenden Angelegenheiten durch das Letztentscheidungsrecht einer in parlamentarischer Verantwortung stehenden oder dem Weisungsrecht eines parlamentarisch verantwortlichen Amtsträgers unterliegenden Stelle ausgleichen. (3) Innerdienstliche Maßnahmen, insbesondere organisatorische, personelle und - in Einzelfällen - soziale Maßnahmen, die schwerpunktmäßig die Erledigung von Amtsaufgaben betreffen, unvermeidlich aber auch die Interessen der Beschäftigten berühren (z.B. die Beteiligungstatbestände der §§ 75 Abs. 1; 76; 78 Abs. 1 Nr. 2 bis 4; 79 BPersVG), seien von so großer Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrags, dass die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung für sie nicht eingeschränkt werden dürfe. Eine Beteiligung von Personalvertretung und Einigungsstelle komme hier allenfalls in Form der eingeschränkten Mitwirkung in Betracht, mit der Folge, dass die Entscheidung der Einigungsstelle nur den Charakter einer Empfehlung an die zuständige Dienststelle haben dürfe. Im Übrigen hatte das Bundesverfassungsgericht offen gelassen, ob die Grundrechte oder das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG den Gesetzgeber verpflichten, für den Bereich des öffentlichen Dienstes in gewissem Umfang Beteiligungsrechte eines gewählten Repräsentationsorgans der Beschäftigten zu schaffen und nur festgestellt, dass das Grundgesetz jedenfalls Raum für eine Personalratsbeteiligung lasse. 3. Kurz vor der Zuleitung des Entwurfs des Ersten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes an den Thüringer Landtag hatte der Sächsische Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom 22.2.2001 über die Vereinbarkeit von Vorschriften des Sächsischen Personalvertretungsgesetzes mit Art. 26 S. 1 und 2 der Sächsischen Verfassung entschieden (SächsVerfGH, PersR 2001, 367 ff). Danach sind in Betrieben, Dienststellen und Einrichtungen des Landes Vertretungsorgane der Beschäftigten zu bilden, die nach Maßgabe der Gesetze das Recht auf Mitbestimmung haben. Diese Verfassungsbestimmung ähnelt in ihrem Wortlaut Art. 37 Abs. 3 ThürVerf, nach dem die Beschäftigten und ihre Verbände nach Maßgabe der Gesetze das Recht auf Mitbestimmung in Angelegenheiten LVerfGE 15

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ihrer Betriebe, Unternehmen und Dienststellen haben. In beiden Landesverfassungen ist damit - anders als im Grundgesetz - das Recht auf Mitbestimmung ausdrücklich verankert. In seiner Entscheidung war der Sächsische Verfassungsgerichtshof davon ausgegangen, dass das in der Landesverfassung garantierte Grundrecht auf Mitbestimmung im öffentlichen Dienst den mit der Eingliederung in den Arbeitsprozess zwangsläufig verbundenen Verlust von Selbstbestimmung des einzelnen Bediensteten kompensiere, indem es an deren Stelle die kollektive Interessenwahrnehmung durch das Vertretungsorgan setze. Das unter dem Vorbehalt der gesetzlichen Ausgestaltung stehende Grundrecht auf Mitbestimmung beziehe sich auf die Entscheidungen und Angelegenheiten der Dienststelle, welche die Rechte und Interessen der Beschäftigten im Bereich ihrer Arbeits- und Dienstverhältnisse mehr als nur unwesentlich berührten. Es gewähre nicht nur materielle Beteiligungsrechte, sondern stelle auch Anforderungen an das Beteiligungsverfahren. Grundsätzlich sei Mitbestimmung als Beteiligung des Vertretungsorgans an Entscheidungen der Dienststelle durch Erteilen oder Vorenthalten einer rechtlich erforderlichen Zustimmung zu verstehen. Soweit der Gesetzgeber in bestimmten Angelegenheiten eine schwächere Form der Beteiligung vorsehe, wie zum Beispiel Mitwirkungs-, Informations-, Anhörungs- oder Antragsrechte, seien diese Beteiligungsformen zwar ebenfalls vom Schutz des Art. 26 S. 1 und 2 SächsVerf umfasst. In diesen Fällen stelle sich aber das Zurückbleiben des Beteiligungsrechts hinter der Mitentscheidung als Einschränkung des durch die Landesverfassung vermittelten Grundrechtsschutzes dar, die besonderer Rechtfertigung bedürfe. An diese Rechtfertigung seien umso höhere Anforderungen zu stellen, je stärker eine Angelegenheit typischerweise individuelle, kollektive oder auch konkurrierende Rechte und Interessen der Beschäftigten tangiere, deren Wahrnehmung qualifizierte Beteiligungsrechte verlange. Der Gesetzgeber habe das Mitbestimmungsverfahren so auszugestalten, dass die Interessen der Beschäftigten, um deren Vertretung willen die Beteiligungsrechte bestünden, wirksam zur Geltung kämen. Dabei sei der Gesetzgeber aufgrund eines weit gefassten Maßgabevorbehalts zur Schaffung abgestufter Beteiligungsrechte und deren Absicherung durch entsprechende Verfahrensbestimmungen berechtigt und verpflichtet. Stünden dem andere Verfassungsgüter wie etwa eine funktionsfähige Landesverwaltung entgegen, müsse er einen verhältnismäßigen und schonenden Ausgleich zwischen dem Verfassungsrecht auf Mitbestimmung einerseits und kollidierenden Verfassungsgütern andererseits suchen. Dabei könne er bei der Ausgestaltung von Beteiligungsrechten auch anderen legitimen Interessen Rechnung tragen, insbesondere den Anforderungen an eine effektive und kostengünstige Verwaltung. Führe die konkrete Ausgestaltung des Beteiligungsrechts zu einer Einschränkung des Rechts auf Mitbestimmung, sei diese gerechtfertigt, wenn das öffentliche Interesse am Ausschluss oder an der Einschränkung des Beteiligungsrechts das Erfordernis eines echten Mitentscheidungsrechts wesentlich überwiege. Bei der Ausgestaltung der Mitbestimmung sei der Gesetzgeber weder an ein bestimmtes RegelungsmoLVerfGE 15

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dell gebunden noch zu einer grundrechtsoptimalen Konkretisierung verpflichtet. Betreffe eine Angelegenheit die Interessen der Beschäftigten in einer Weise, die eine echte Mitbestimmung erforderlich mache, sei die Beteiligung des Personalrats in dem durch das Demokratieprinzip vorgegebenen Rahmen möglichst weitgehend zur Geltung zu bringen. 4. Der Gesetzentwurf der Thüringer Landesregierung wurde am 15.3.2001 in erster Lesung durch den Landtag beraten und an den Innenausschuss überwiesen, der ihn am 22.3., 10.5. und 7.6.2001 behandelte. In seiner Sitzung am 22.3.2001 beschloss der Innenausschuss, zu dem Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung von Interessenvertretern und Sachverständigen durchzuführen. Im Anschluss an die Anhörung in der öffentlichen Sitzung am 10.5.2001 beauftragte der Innenausschuss die Verwaltung des Landtags mit einem Gutachten zu den aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.1995 und dem Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 22.2.2001 zu ziehenden Folgerungen für das Thüringer Personalvertretungsgesetz und den im Rahmen der Anhörung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einzelne Regelungen des Gesetzentwurfs, darunter die Verkleinerung der Personalräte und der Stufenvertretungen nach den §§16 und 53 n.F. ThürPersVG, die Herabstufung der Beteiligungstatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen", „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" und „Durchführung der Berufsausbildung für Angestellte und Arbeiter" (§§ 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 und 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG) und die zunächst beabsichtigte Abschaffung des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte. Die Landtagsverwaltung legte ihr Gutachten vom 31.5.2001 dem Innenausschuss vor, der mit Beschluss vom 7.6.2001 dem Landtagsplenum empfahl, den Gesetzentwurf mit Änderungen anzunehmen (Drs. 3/1640). Diese Änderungen betrafen unter anderem § 53 Abs. 3 S. 2, der dahin geändert wurde, dass die Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen nicht - wie im Entwurf vorgesehen - bei einer Beschäftigtenzahl von 4001 und mehr 11, sondern bei einer Beschäftigtenzahl von 6001 und mehr 13 betragen sollte. Außerdem wurde der gemeinsame Ausschuss der Hauptpersonalräte nicht - wie vorgesehen - abgeschafft, sondern seine Zusammensetzung, Arbeitsweise und Zuständigkeiten durch den in den Entwurf eingefugten § 82a neu geregelt. In seiner Sitzung am 14.6.2001 nahm der Landtag den Gesetzentwurf in zweiter Lesung unter Ablehnung von Änderungsanträgen der PDS- und der SPD-Fraktion idF der Beschlussempfehlung des Innenausschusses an. Am 5.7.2001 wurde das Erste Gesetz zur Änderung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Thüringen veröffentlicht.

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III. 1. Mit dem am 9.9.2002 beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingegangenen Normenkontrollantrag begehrt die Antragstellerin, (1)

festzustellen, dass § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG dem Art. 2 Abs. 1 iVm 37 Abs. 3 ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären,

(2)

festzustellen, dass § 16 ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären, insoweit er die Zahl der Personalratsmitglieder bei 2501 und mehr Beschäftigten auf 15 Mitglieder begrenzt,

(3)

festzustellen, dass § 53 Abs. 3 Satz 2 ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären, insoweit er die Zahl der Mitglieder der Stufenvertretungen bei 6001 und mehr Beschäftigten auf 13 Mitglieder begrenzt,

(4)

festzustellen, dass § 17 Abs. 3 ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf iVm dem Rechtsstaatsprinzip und dem Willkürverbot der ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären, insoweit er die Mindestzahl der Gruppenvertreter von 6 auf 4 reduziert,

(5)

festzustellen, dass §§ 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3, 75a Abs. 2 Nr. 5 ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf widersprechen und sie für nichtig zu erklären, insoweit der Einigungsstelle lediglich eine Empfehlungs-, aber keine Letztentscheidungskompetenz zukommt,

(6)

festzustellen, dass § 75 Abs. 3 Nr. 1 ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären, insoweit die Entscheidung der Einigungsstelle nur den Charakter einer Empfehlung hat,

(7)

festzustellen, dass § 75a ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären, insoweit durch ihn bisherige Mitbestimmungstatbestände zu Mitwirkungstatbcständen herabgestuft werden,

(8)

festzustellen, dass § 82a ThürPersVG dem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf widerspricht und ihn für nichtig zu erklären,

(9)

festzustellen, dass §§ 75 Abs. 1 Satz 2, 75 Abs. 2 Satz 2 ThürPersVG nur in der Auslegung mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf vereinbar sind, dass die Beteiligung der Personalvertretung der aufnehmenden Dienststelle antragsunabhängig erfolgt.

2. Diese Anträge begründet die Antragstellerin im Wesentlichen wie folgt: a) Die Landesregierung habe mit ihrem Gesetzentwurf die Wirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.1995 verkannt. Die Entscheidung habe den Thüringer Gesetzgeber nicht zu einer Revision des ThürPersVG LVerfGE 15

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verpflichtet, da sie weder Gesetzeskraft nach § 31 Abs. 2 BVerfGG noch Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG habe. Allenfalls seien die Ausführungen des Gerichts zu den durch das Demokratieprinzip gezogenen Grenzen der Mitbestimmung zu beachten. Wie sich ein Grundrecht auf Mitbestimmung - das im Grundgesetz anders als in der Thüringer Verfassung nicht ausdrücklich enthalten ist - zu diesen, aus dem Demokratieprinzip hergeleiteten Schranken der Mitbestimmung verhalte, sei der Entscheidung nicht zu entnehmen. Für die Auslegung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf, der dem Gesetzgeber für die Ausgestaltung der Mitbestimmung konkretere und verbindlichere Vorgaben als das Grundgesetz mache, komme der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs besondere Bedeutung zu, die grundlegende Ausführungen zur Inhaltsbestimmung des in Art. 26 S. 1 und 2 SächsVerf im wesentlichen inhaltsgleich gewährleisteten Mitbestimmungsrechts und zu den Ausgestaltungsbefugnissen und -pflichten des Gesetzgebers bei dessen Konkretisierung enthalte. b) Auf der Grundlage der in der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs entwickelten Prüfüngsmaßstäbe erweise sich der in § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG normierte Ausschluss geringfügig Beschäftigter aus dem Geltungsbereich des Gesetzes darin als verfassungswidrig, dass er den in Art. 2 Abs. 1 ThürVerf verankerten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz iVm Art. 37 Abs. 3 ThürVerf verletze. Zwar habe der Sächsische Verfassungsgerichtshof eine ähnliche Regelung, nach der wissenschaftliche, künsderische und studentische Hilfskräfte aus dem Geltungsbereich des Sächsischen Personalvertretungsgesetzes ausgeschlossen seien, für verfassungsgemäß erklärt und dies damit begründet, diese Personen seien keine "Beschäftigten" im Sinne des Mitbestimmungsgrundrechts, da sie weder in die Hochschule eingegliedert seien noch ein Repräsentationszusammenhang zum Personalrat bestehe. Dies überzeuge jedoch nicht, weil diese teilzeit- und befristet beschäftigten Hilfskräfte in noch stärkerem Maße schutzbedürftig als unbefristet beschäftigte Vollzeitkräfte seien. Den Überlegungen des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs zur personalvertretungsrechtlichen Behandlung akademischer Hilfskräfte sei daher für die Regelung des § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG nicht zu folgen. Wie sich aus dem die kurzzeitig Beschäftigten betreffenden § 4 Abs. 5 Nr. 6 ThürPersVG ergebe, habe der Thüringer Gesetzgeber die Einbeziehung in das Personalvertretungsgesetz von einer gewissen Betriebsbindung abhängig machen wollen und angenommen, diese werde von den geringfügig und kurzzeitig Beschäftigten nicht erreicht. Dies treffe allenfalls für die kurzzeitig Beschäftigten zu. Dagegen seien geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht zwangsläufig kurzzeitig oder befristet, sondern häufig unbefristet. Die geringe Wochenarbeitszeit dieser Beschäftigten von derzeit fünfzehn Stunden schließe aber das Entstehen der für erforderlich gehaltenen Betriebsbindung auch bei typisierender Betrachtung nicht aus. Schließlich sei auch die im Vergleich zu den Vollzeitbeschäftigten stärkere Schutzbedürftigkeit der zeitlich geringfügig Beschäftigten zu berücksichtigen. LVerfGE 15

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c) Die durch § 16 n.F. ThürPersVG bewirkte Reduzierung der Höchstzahl der Personakatsmitglieder von 25 auf 15 verstoße gegen Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. Nach der Neuregelung werde die Höchstzahl von 15 Personalratsmitgliedern schon bei Dienststellen mit 2501 und mehr Beschäftigten erreicht. Nach altem Recht habe sich bei 2501 Beschäftigten zwar ebenfalls eine Zahl von 15 Personalratsmitgliedern ergeben. Diese sei aber degressiv weiter angestiegen und habe schließlich erst bei einer Belegschaft von 9000 Beschäftigten die Höchstzahl von 25 erreicht. Dadurch seien bei einer Belegschaft von 9000 Beschäftigen auf ein Personalratsmitglied 360 Beschäftigte entfallen. Da nunmehr ein Personakatsmitglied bei 9000 Beschäftigten jeweils 600 Beschäftigte betreuen müsse, führe die neue Regelung zu einer erheblichen Mehrbelastung des einzelnen Personalratsmitglieds. Dadurch sei Art. 37 Abs. 3 ThürVerf verletzt, da auch organisatorische Regelungen so auszugestalten seien, dass sie zu einer möglichst wirksamen Grundrechtsverwirklichung führten. Der Gesetzgeber habe bei der Konstituierung des Vertretungsorgans Personalrat vorrangig das sich aus dem Mitbestimmungsrecht ergebende Gebot einer möglichst wirksamen Interessenvertretung durch das Repräsentationsorgan zu beachten. Der hierfür notwendige Kommunikations- und Interaktionsprozess zwischen Beschäftigten und Vertretungsorgan sei beeinträchtigt, wenn die auf ein Mitglied dieses Organs entfallende Zahl zu betreuender Beschäftigter zu groß sei. Auch beschränke die Reduzierung der Zahl der Personakatsmitglieder in sehr großen Dienststellen die Wahlmöglichkeiten vor allem der in kleineren Bereichen Beschäftigten, deren Chancen, auch Kandidaten aus ihren Bereichen in den Personalrat zu wählen oder selbst gewählt zu werden, beschnitten würden. Zwar sei zu berücksichtigen, dass die Handlungsund Willensbildungsfähigkeit des demokratisch verfassten Personalrats erfahrungsgemäß mit größerer Mitgliederzahl abnehme und es Sache des Gesetzgebers sei, im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative für den insoweit notwendigen Ausgleich zu sorgen, weshalb die in § 16 n.F. ThürPersVG gefundene gesetzliche Lösung nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden könne. Die im Gesetzentwurf enthaltene Begründung zu § 16 n.F. ThürPersVG, die auf eine Abwägung zwischen der Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Personalvertretungen, der künftigen Verringerung des Arbeitsaufkommens durch die Reduzierung der Beteiligungsfälle und dem Kostendruck der öffentlichen Haushalte verweise, genüge aber nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Gesetzgeber habe keine Tatsachenfeststellungen zur Funktionsfähigkeit großer Personalvertretungen mit bis zu 25 Mitgliedern getroffen. Auch sei durch die vorgenommene Herabstufung von Mitbestimmungstatbeständen keine Verringerung, sondern eine Erhöhung des Arbeitsaufkommens zu erwarten. Schließlich sei nicht untersucht worden, ob durch die Reduzierung der Mitglieder großer Personalvertretungen Haushaltsmittel eingespart werden könnten. Da letztlich kein überzeugendes Argument für die Neuregelung spreche, habe der Gesetzgeber seine Einschätzungsprärogative willkürlich gehandhabt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Grundrecht LVerfGE 15

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des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum verkleinere und dem Gesetzgeber verwehre, eine Regelung wie § 16 n.F. ThürPersVG zum Zwecke des Sammeins neuer Erfahrungen zu erlassen. Vielmehr gebiete ihm Art. 37 Abs. 3 ThürVerf, zunächst Erfahrungen über vorhandene Organisationsregelungen aufzunehmen, bevor er eine bestehende Organisationsregelung „verbösere". d) Entsprechendes gelte für die Verringerung der Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen von 25 auf 13 durch § 53 Abs. 3 S. 2 n.F. ThürPersVG. Aus dem Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs, nach dem die Beschäftigteninteressen vor allem durch das Mitbestimmungsverfahren auf Dienststellenebene und gegebenenfalls durch die Beteiligung der Einigungsstelle wahrgenommen würden, während durch die Beteiligung der Stufenvertretungen das Mitbestimmungsverfahren ohne unmittelbare Rückbindung an die Interessen der in der Dienststelle Beschäftigten nur „wiederholt" werde, folge nicht, dass die Organisation der Stufenvertretungen geringeren Anforderungen unterliege als die der örtlichen Personalräte. Hiergegen spreche schon § 82 Abs. 2 ThürPersVG, nach dem in Angelegenheiten, in denen die übergeordnete Dienststelle zur Entscheidung befugt ist, die bei dieser gebildete Stufenvertretung an die Stelle des örtlichen Personalrats tritt. Die in diesen Fällen vorgesehene Funktion der Stufenvertretung als örtlicher Personalrat werde nicht durch § 82 Abs. 2 Satz 2 ThürPersVG in Frage gestellt, nach dem die Stufenvertretung nur im Benehmen mit dem örtlichen Personalrat entscheiden dürfe. Auch könne infolge der starken Beschränkung der Mitgliederzahl der Stufenvertretungen deren Ortsferne durch eine repräsentative Zusammensetzung mit Mitgliedern aus den örtlichen Dienststellen nicht mehr kompensiert werden. e) Die Verfassungswidrigkeit der Reduzierung der Höchstzahlen der Mitglieder der Personalräte und der Stufenvertretung führe auch zur Verfassungswidrigkeit der die Gruppenvertreter betreffenden Folgeregelung des § 17 Abs. 3 n.F. ThürPersVG. f) Die durch §§ 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3; 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG vorgenommene Zuordnung der Beteiligungstatbestände "Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" (§ 75 Abs. 3 Nr. 2), "Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" (§ 75 Abs. 3 Nr. 3) in die eingeschränkte Mitbestimmung und des Beteiligungstatbestandes "Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" (§ 75a Abs. 2 Nr. 5) in die Mitwirkung verletze Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. Zwar habe sich der Thüringer Gesetzgeber bei Uberprüfung der Zuordnung der einzelnen Beteiligungstatbestände zu der durch das Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle gekennzeichneten vollen Mitbestimmung im großen und ganzen an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehalten. Dies gelte aber nicht für die genannten Tatbestände, bei denen infolge der Herabstufüng in die eingeschränkte Mitbestimmung bzw. in die LVerfGE 15

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aus dem Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) übernommene Beteiligungsform der Mitwirkung die Einigungsstelle nur noch eine Empfehlungskompetenz habe bzw. überhaupt nicht mehr beteiligt sei. Hierbei sei zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht nur die verfassungsrechtlichen „Obergrenzen" für die Beteiligung der Personalvertretungen festgelegt habe, während die verfassungsrechtlichen „Untergrenzen" für die Mitbestimmung unmittelbar aus Art. 37 Abs. 3 ThürVerf abzuleiten seien. Die Einschränkung eines solchen, in der Landesverfassung verbürgten - vollen - Mitbestimmungsrechts bedürfe nach der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs besonderer Rechtfertigung, an der es für die Tatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und „Einführung, wesentliche Änderung und Erweiterung von Personalfragebogen" fehle. Diese seien - soweit sie Angestellte und Arbeiter betreffen - im Gesetzentwurf rechtsirrig als Angelegenheiten der zweiten Stufe nach der Einteilung des Bundesverfassungsgerichts eingeordnet worden, während sie nach ausdrücklicher Auffassung des Gerichts der ersten Stufe und damit der vollen Mitbestimmung zuzuordnen seien. Die durch die Neuregelung insoweit bewirkte Gleichbehandlung von Angestellten und Arbeitern mit den Beamten rechtfertige die Herabstufung beider Tatbestände für die beiden ersten Gruppen nicht. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof habe zu Recht darauf hingewiesen, dass eine aus Sicht des Gesetzgebers gebotene Absenkung des Mitbestimmungsniveaus für Beamte nicht die Absenkung des Beteiligungsniveaus für andere Personenkreise rechtfertige. Im Übrigen könne einem Bedürfnis nach einheitlichen Regelungen im Einzelfall durch ein Evokationsrecht Rechnung getragen werden. Die im Gesetzentwurf zur Herabstufung des Tatbestandes „Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" von der vollen Mitbestimmung in die Mitwirkung enthaltene Begründung, der Tatbestand wirke sich auf die Organisationsgewalt des Dienstherrn aus und die Neuregelung, die individuelle Interessen der Beschäftigten kaum berühre, diene der effizienten Gestaltung der Berufsausbildung in der öffentlichen Verwaltung, überzeuge nicht. Dies gelte auch für das die Herabstufung dieser Tatbestände verteidigende Gutachten der Landtagsverwaltung. Der darin enthaltene Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts und datenschutzrechtliche Bestimmungen rechtfertige nicht die Herabstufung des Tatbestandes „Einführung, wesentliche Änderung und Erweiterung von Personalfragebogen", da mit diesem Argument auch die Abschaffung jeglicher Personalratsbeteiligung begründet werden könnte. Die Berufung auf die Bedeutung der „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" für die Erfüllung des Hoheitsauftrages der Verwaltung stelle ebenfalls keinen zwingenden Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung des Mitbestimmungsgrundrechts dar. Das Gleiche gelte für die Wertung, das Interesse der Verwaltung an der bestmöglichen Ausbildung von geeignetem Personal und damit die verantwortliche Wahrnehmung des Amtsauftrages stehe bei der Einordnung des Tatbestandes

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„Durchführung der Berufsausbildung" gegenüber den Interessen der Auszubildenden im Vordergrund. g) Die durch § 75 Abs. 3 Nr. 1 n.F. ThürPersVG vorgenommene Zuordnung des Beteiligungstatbestandes „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" in die eingeschränkte Mitbestimmung verletze ebenfalls Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. Dieser, im BPersVG nicht aufgeführte und in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht erwähnte Tatbestand sei der der vollen Mitbestimmung unterliegenden „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung technischer Einrichtungen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen oder zu erfassen" hinsichtlich seiner Wirkungen auf die Grundrechtssphäre der Beschäftigten vergleichbar. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof habe den ersten Tatbestand als Angelegenheit der zweiten Stufe nach der Einteilung des Bundesverfassungsgerichts betrachtet und eine hierfür der Einigungsstelle nur eine Empfehlungskompetenz zubilligende Regelung des Sächsischen Personalvertretungsgesetzes für verfassungswidrig erachtet. Da beide Tatbestände im Übrigen nicht unerheblich den Amtsauftrag der Dienststelle berührten, müsse auch der von der Neuregelung in § 75 Abs. 3 Nr. 1 ThürPersVG betroffene Tatbestand als Angelegenheit der zweiten Stufe angesehen werden. Indem der Thüringer Gesetzgeber das nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Angelegenheiten dieser Stufe mögliche Lösungsmodell einer nicht paritätisch zusammengesetzten, sondern mehrheitlich demokratisch legitimierten Einigungsstelle mit Letztentscheidungsrecht nicht vorgesehen, sondern stattdessen der Einigungsstelle nur eine Empfehlungskompetenz eingeräumt habe, habe er unverhältnismäßig in das Mitbestimmungsgrundrecht des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf eingegriffen. h) Die durch § 75a n.F. ThürPersVG vorgenommene Herabstufung von Beteiligungstatbeständen aus der Mitbestimmung in die neu eingeführte, durch die fehlende Beteiligung der Einigungsstelle gekennzeichnete Mitwirkung sei mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf unvereinbar. Für die überwiegend als Angelegenheiten der dritten Stufe anzusehenden betroffenen Tatbestände habe das Bundesverfassungsgericht eine Empfehlungskompetenz der Einigungsstelle für zulässig erachtet. Die überhaupt keine Beteiligung der Einigungsstelle vorsehende Neuregelung bedürfe einer besonderen Rechtfertigung, die der Gesetzentwurf nicht bzw. nur unzureichend enthalte. Soweit bei dem Tatbestand „Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit" auf die restriktive Entwicklung des Nebentätigkeitsrechts abgestellt werde, würden die Statusunterschiede zwischen Beamten einerseits, die bei der Ausübung von Nebentätigkeiten größeren Restriktionen unterlägen, und Angestellten und Arbeitern andererseits verkannt. Außerdem werde dessen Bedeutung für das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit für alle Gruppen außer Acht gelassen. Die im Gesetzentwurf für den Tatbestand LVerfGE 15

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„Grundsätze der Arbeits- und Dienstpostenbewertung in der Dienststelle" enthaltene Erwägung, individuelle Interessen der Beschäftigten seien kaum berührt, sei fehlerhaft. Insgesamt habe sich der Landesgesetzgeber bei Schaffung der angegriffenen Vorschriften allein von der Vorstellung leiten lassen, dass die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung für diese, für die Erfüllung des Amtsauftrages sehr bedeutsamen Angelegenheiten keine substantielle Einschränkung durch ein Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle erfahren dürfe. Dabei habe er übersehen, dass auch eine Empfehlungskompetenz der Einigungsstelle in Betracht gekommen wäre. Im Übrigen könne sich der Landesgesetzgeber wegen der unterschiedlichen Verfassungslage nicht darauf berufen, dass die Beteiligungsform der Mitwirkung im BPersVG vorgesehen sei. i) Die neu geschaffene Regelung des § 82a ThürPersVG genüge den Anforderungen des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf nicht, indem sie die Beteiligung des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte auf die Anhörung zu Verwaltungsanordnungen betreffend innerdienstliche soziale Angelegenheiten der Beschäftigten beschränke, die einer einheitlichen Regelung für den Geschäftsbereich mehrerer oberster Landesbehörden bedürfen. Dadurch werde gegenüber der alten Regelung, die eine Mitbestimmung für alle, den Geschäftsbereich mehrerer Ministerien betreffende Angelegenheiten vorsah, eine Beteiligungslücke geschaffen. Denn der Personalrat werde bei diesen Angelegenheiten erst dann beteiligt, wenn sie bereits in der Umsetzungsphase konkrete Einzelmaßnahmen in den Dienststellen auslösten. Dagegen bleibe die Ursprungsmaßnahme beteiligungsfrei. j) Die Regelungen des § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG, nach der bei den Beteiligungstatbeständen „Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist" und „Abordnung für die Dauer von mehr als sechs Monaten sowie Zuweisung im Sinne des § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als sechs Monaten" die Beteiligung des Personalrats von einem Antrag des Beschäftigten abhängig ist, sei nur bei verfassungskonformer Auslegung dahingehend mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf vereinbar, dass allein die Beteiligung des Personalrats der abgebenden, nicht jedoch der aufnehmenden Dienststelle antragsabhängig ist. Dadurch würden die kollektiven Interessen bei der aufnehmenden Dienststelle, die - anders als bei der abgebenden Dienststelle regelmäßig gegenüber dem individuellen Interesse des Beschäftigten im Vordergrund stünden, berücksichtigt. IV. 1. Die Thüringer Landesregierung hält den Normenkontrollantrag der Antragstellerin für unbegründet.

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a) Soweit das Bundesverfassungsgericht anhand des Demokratieprinzips die Grenzen der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst festgelegt habe, seien sowohl der Thüringer Verfassungsgerichtshof nach § 31 Abs. 1 BVerfGG als auch der Landesgesetzgeber über die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG hieran gebunden. Hierbei sei zu beachten, dass die Personalvertretung als Form kollektiver Mitbestimmung im Bund keinen verfassungsrechtlichen Bezug aufweise und daher auch nicht als Grundrechtsausübung zu qualifizieren sei, weshalb das Bundesverfassungsgericht einer Grundrechtsverankerung der Mitbestimmung keine Bedeutung für die Begrenzung der Mitbestimmung zugemessen habe. Demgegenüber räume Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den Beschäftigten und ihren Verbänden jeweils eine eigene subjektiv-rechtliche Verfassungsrechtsposition ein, indem er diesen ein Grundrecht bzw. grundrechtsgleiches Recht gewähre, das unter dem Vorbehalt näherer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber stehe, der wiederum die in der Grundrechtsgarantie liegende Wertentscheidung zu beachten habe, soweit sie Bundesrecht - vor allem den Rahmenvorschriften und den unmittelbar bindenden Bestimmungen des BPersVG - nicht widerspreche. Bei der konkreten Ausgestaltung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf, der aus der Sicht des bundesrechtlich vorgeprägten Systems der Personalvertretung zu betrachten sei, habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. b) Der durch § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG vorgenommene Ausschluss der geringfügig Beschäftigten mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als fünfzehn Stunden aus dem Geltungsbereich des Gesetzes sei nicht zu beanstanden. Der Begriff der Beschäftigten werde unmittelbar durch Art. 37 Abs. 3 ThürVerf festgelegt. Das Mitbestimmungsgrundrecht bezwecke, die durch die Eingliederung in den Dienstablauf verursachten persönlichen Beeinträchtigungen zu kompensieren, soweit dies mit der Wahrnehmung der Aufgaben der Dienststelle vereinbar sei. Dieses Schutzbedürfnis entfalle bei Personen, bei denen eine solche Eingliederung in den Dienstablauf nicht gegeben sei. Bei der Beurteilung dieser Frage habe der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative. Gehe der Gesetzgeber in vertretbarer Weise davon aus, dass eine solche Eingliederung nicht gegeben sei, liege ein sachlicher Grund für eine Differenzierung ohne Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 ThürVerf vor. c) § 16 n.F. sei mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf vereinbar. Der Gesetzgeber habe im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative unter Hinweis auf die zu erwartende Verringerung des Arbeitsanfalls und die Arbeitsfähigkeit der Personalräte sowie den Kostendruck der öffentlichen Haushalte die Höchstzahl der Personalratsmitglieder von 25 auf 15 verringern dürfen. Dabei sei er auch nicht gehalten gewesen, seine Gründe für die Neuregelung im Einzelnen substantiiert zu belegen. Vielmehr sei umgekehrt darzulegen, inwieweit die Berücksichtigung plausibler Zusammenhänge als willkürliche Wahrnehmung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative anzusehen sei. Im Übrigen habe der Landesgesetzgeber den LVerfGE 15

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ohnehin nicht verbindlichen - Vergleichsmaßstab des Bundes und der anderen Länder nicht verlassen. Danach schwankten die Höchstzahlen der Personalratsmitglieder zwischen 31 (Bund) und 13 (Schleswig-Holstein), wobei die meisten Länder eine Höchstzahl von 25 Personalratsmitgliedern vorsähen. Die Antragstellerin verkenne schließlich, dass Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den Gesetzgeber nur zu einer effektiven, nicht aber zu einer grundrechtsoptimalen Ausgestaltung der Personalvertretung verpflichte. d) Entsprechendes gelte für die durch § 53 Abs. 3 S. 2 n.F. ThürPersVG vorgenommene Verringerung der Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen von 25 auf 13, die im Bund und in den anderen Ländern zwischen 31 (Bund und Berlin) und 11 (Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) schwankten. Aus dem Umstand, dass die Stufenvertretungen in Thüringen auch in der Funktion eines örtlichen Personalrats tätig werden könnten, ergebe sich nichts anderes. e) Gegen die durch § 17 Abs. 3 n.F. ThürPersVG vorgenommene Reduzierung der Gruppenvertreter von 6 auf 4 sprächen ebenfalls keine verfassungsrechtlich durchschlagenden Argumente. Das bundesrechtlich vorgegebene Gruppenprinzip sei gewahrt, da auch nach der Neufassung jede Gruppe auch bei weniger als 51 Gruppenangehörigen jeweils mindestens einen Vertreter erhalte. f) Soweit es um die Zuordnung der in den §§ 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 und 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG genannten Beteiligungstatbestände gehe, sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich erlaubt, Mitwirkungsrechte zu beschneiden, da Art. 37 Abs. 3 ThürVerf eine institutionelle Garantie im Sinne des Schutzes eines Kernbereichs eines Mitbestimmungsrechts, nicht aber einen „Bestandsschutz" gewähre. In welchem Rahmen Beschränkungen der Mitbestimmung zulässig seien, ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Auch die Antragstellerin räume ein, dass das ThürPersVG alter Fassung nach dieser Entscheidung einer Uberprüfung bedurft habe und die Vorgaben des Gerichts bei der Neuordnung der Beteiligungstatbestände im Großen und Ganzen beachtet worden seien. Soweit die Antragstellerin hiervon die Tatbestände der §§ 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 und 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG ausnehme, betrachte sie diese unzutreffenderweise als Angelegenheiten der ersten Stufe nach der Einteilung des Bundesverfassungsgerichts, das vielmehr die entsprechenden Tatbestände im BPersVG „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Beamte" (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG) und „Festlegung des Inhalts von Personalfragebogen für Beamte" (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 BPersVG) als Angelegenheiten der dritten Stufe angesehen habe, während es nur die vergleichbaren Tatbestände für Angestellte und Arbeiter (§ 75 Abs. 3 Nr. 7 und 8 BPersVG) der ersten Stufe zugeordnet habe. Dabei sei das Gericht davon ausgegangen, dass die Funktionen zwischen Beamten und Angestellten bzw. Arbeitern entsprechend Art. 33 Abs. 4 GG verteilt seien, nach dem die Ausübung hoheitlicher Befugnisse regelmäßig den LVerfGE 15

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Beamten vorbehalten ist. Diese Verteilung werde aber schon seit Jahren in der Praxis, in der vielfach Beamte und Angestellte mit vergleichbaren Funktionen nebeneinander tätig seien, nicht eingehalten. Dies habe den Landesgesetzgeber veranlasst, in § 75 Abs. 1 a.F. ThürPersVG bei Personalangelegenheiten der Beamten und Angestellten der Besoldungsgruppe V b aufwärts, „die hoheitliche Tätigkeiten wahrnehmen", nur eine eingeschränkte Mitbestimmung vorzusehen. Diese beteiligungsrechtliche Herauslösung der großen Gruppe von Angestellten mit hoheitlichen Funktionen aus den überkommenen Beteiligungsrechten für die privatrechtlich Bediensteten im öffentlichen Dienst sei in § 75 Abs. 2 n.F. ThürPersVG beibehalten worden. Zwar sei die beanstandete Vorschrift des § 75 Abs. 3 n.F. ThürPersVG nicht auf Angestellte mit Hoheitsfunktionen beschränkt, sondern unterwerfe die darin aufgeführten Beteiligungstatbestände für alle Beschäftigten - mithin auch für alle Angestellten - einheitlich der eingeschränkten Mitbestimmung. Dies rechtfertige sich aber durch das legitime Interesse des Dienstherren, bei diesen Angelegenheiten alle Bediensteten gleich zu behandeln. Da der Gesetzgeber in seiner Typisierungsmacht Fortbildungsveranstaltungen und Personalfragebogen grundsätzlich einheitlich regeln könne, habe er bei der mitbestimmungsrechtlichen Zuordnung dieser Sachverhalte in vertretbarer Weise in erster Linie darauf abstellen dürfen, dass die Beamten und eine große Zahl der Angestellten Hoheitsaufgaben wahrnehmen. Dementsprechend habe er die betreffenden Tatbestände für alle Bediensteten "nach der mitbestimmungsrechtlich schlechteren Seite hin" einheitlich der eingeschränkten Mitbestimmung unterwerfen dürfen. aa) Bei der „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" bestimme der Personalrat mit, um gemeinsam mit dem Dienststellenleiter möglichst gleiche Auswahlkriterien festzulegen. Dadurch solle gewährleistet werden, dass alle Beschäftigten unter Berücksichtigung ihrer Eignung und Leistung die Chance zur Fortbildung, also zur Erhaltung, Vertiefung und Erweiterung der ihnen bereits durch die Ausbildung vermittelten Kenntnisse, erhielten. Daher komme - auch bei Beachtung der möglichen Bedeutung von Fortbildungsmaßnahmen für die Karriere des einzelnen Beschäftigten - eine Zuordnung dieser Angelegenheit zur ersten Stufe nach der Einteilung des Bundesverfassungsgerichts nicht in Betracht. Bei der Zuordnung zur zweiten oder dritten Stufe müsse aber das Letztentscheidungsrecht einer in parlamentarischer Verantwortung stehenden oder dem Weisungsrecht eines parlamentarischen Amtsträgers unterliegenden Stelle gewahrt sein. Die vom Landesgesetzgeber vorgenommene Zuweisung des Tatbestandes zur eingeschränkten Mitbestimmung sei daher nicht zu beanstanden. bb) Entsprechendes gelte für die „Einfuhrung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" für Angestellte und Arbeiter. Einerseits betreffe dieser Tatbestand das personalvertretungsrechtlich zu wahrende Grundrecht der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung. Andererseits liege LVerfGE 15

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das Interesse des Dienstherren an der Auswahl und Ausgestaltung der Fragen, die unter anderem für die richtige Personalauswahl von Bedeutung sein könnten, auf der Hand. Bei Gegenüberstellung beider Interessen ergebe sich nicht, dass die inhaltliche Gestaltung von Personalfragebogen schwerpunktmäßig das Beschäftigungsverhältnis betreffe und typischerweise die Wahrnehmung der Amtsaufgaben nicht oder nur unerheblich berühre. Von dieser Wertung gingen auch die Personalvertretungsgesetze der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz aus. cc) Die Herabstufung des Beteiligungstatbestandes „Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" nach § 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG sei verfassungskonform. Die Mitbestimmung des Personalrats bei der im Wesentlichen gesetzlich geregelten Berufsausbildung sei auf Maßnahmen beschränkt, die deren Durchführung in der Dienststelle selbst beträfen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht diesen Tatbestand zu den Angelegenheiten der ersten Stufe gezählt. Angesichts seines realen Inhalts - bloße Organisation der Ausbildung in der Dienststelle ohne Auswahl von Inhalt oder Teilnehmern - sei es aber sachgerecht und vertretbar, ihn zu einem Mitwirkungstatbestand herabzustufen. g) Der gem. § 75 Abs. 3 Nr. 1 n.F. ThürPersVG der eingeschränkten Mitbestimmung zugewiesene Beteiligungstatbestand „Einführung, Anwendung und wesentliche Änderung oder Erweiterung der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" werde in den anderen Bundesländern unterschiedlich behandelt. So sei er in Sachsen und Hessen als bloßer Mitwirkungstatbestand ausgestaltet, während er in Rheinland-Pfalz der eingeschränkten und in Brandenburg und Berlin der vollen Mitbestimmung, teilweise mit einem Evokationsrecht, unterliege. Bei diesem Tatbestand stünden sich - wie bei den Personalfragebogen - die datenschutzrechtlichen Interessen des Personals und das Interesse des Dienstherren an der effizienten Wahrnehmung des Amtsauftrages gegenüber, so dass seine Zuordnung zur vollen Mitbestimmung nicht zwingend sei. Der Landesgesetzgeber sei auch nicht von Verfassungs wegen gehalten gewesen, eine „nichtparitätisch besetzte Einigungsstelle mit Beschlusskompetenz" zu berufen, um diesen Tatbestand einer grundrechtsoptimalen Mitbestimmung zuzuführen. h) Die in § 75a n.F. ThürPersVG eingeführte Mitwirkung ohne Beteiligung der Einigungsstelle, die auch in § 78 BPersVG vorgesehen sei, gehöre traditionell zu den Formen der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst und sei verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Soweit es den der Mitwirkung zugeordneten Beteiligungstatbestand „Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit" betreffe, beziehe sich das Beteiligungsrecht der Personalvertretung im Wesentlichen auf die Prüfung, ob die für die Versagung oder den Widerruf erforderlichen gesetzlichen Gründe vorliegen. Die hierfür notwendige umfassende Unterrichtung der Personalvertretung sei auch im Verfahren der Mitwirkung nach LVerfGE 15

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§ 69a n.F. ThürPersVG gewährleistet. Eine darüber hinausgehende Beteiligung des Personalrats könne nach der Schutzzweckgrenze des Bundesverfassungsgerichts auch im Hinblick auf Art. 37 Abs. 3 ThürVerf nicht verlangt werden. Die Ausarbeitung von „Grundsätzen der Arbeits- und Dienstpostenbewertung" solle eine an den anfallenden Tätigkeiten orientierte, sachlich begründete Über- und Unterordnung in der Dienststelle ermöglichen und diene damit in erster Linie einem öffentlichen Belang, wobei die Personalräte an dieser Aufgabe im Interesse der Wirklichkeitsnähe und sachlichen Stimmigkeit zu beteiligen seien. Dies rechtfertige es, den Tatbestand der Mitwirkung zuzuordnen. i) Soweit es um den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte gehe, sei schon unklar, ob sich die Antragstellerin gegen die Aufhebung des § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG oder gegen die neu in das Gesetz eingefügte Bestimmung des § 82a wende. Jedenfalls seien die Regelungen über den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte nicht am Maßstab des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf zu überprüfen, weil der Ausschuss weder nach der alten noch nach der neuen Fassung des Gesetzes als Personalvertretung im Sinne dieser Verfassungsnorm zu betrachten sei. j) Die von der Antragstellerin beantragte Feststellung, dass § 75 Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG nur in der Auslegung mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf vereinbar sei, dass bei Versetzungen und Abordnungen die Beteiligung nur des Personalrats der abgebenden, nicht aber der aufnehmenden Behörde von einem Antrag des betroffenen Beschäftigten abhängig sei, sei schon mit dem Wortlaut der Vorschrift unvereinbar, die nicht zwischen den Personalräten der abgebenden und der aufnehmenden Behörde unterscheide. Bei Versetzungen und Abordnungen habe die Personalvertretung neben den Individualinteressen des Betroffenen vor allem die kollektiven Interessen der Gesamtheit der Beschäftigten der abgebenden und der aufnehmenden Dienststelle zu beachten. Dabei habe sie darüber zu wachen, dass die Karrierechancen der anderen Beschäftigten nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt würden und der Dienstfrieden nicht schwerwiegend gestört werde. Indem die Mitwirkung der Personalvertretung in diesen Fällen von einem Antrag des von der Maßnahme betroffenen Beschäftigten abhängig gemacht worden sei, sei zwar ihr nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf bestehendes eigenes Mitbestimmungsrecht beeinträchtigt. Dabei sei jedoch zu beachten, dass der Personalvertretung auch in den Antragsfällen die Informationen gegeben würden, die ihr zur Wahrnehmung ihrer allgemeinen Aufgaben nach § 68 Abs. 2 ThürPersVG zustünden. Diese Mindestanforderung habe auch der Sächsische Verfassungsgerichtshof als genügende Voraussetzung für die Gültigkeit einer entsprechenden Regelung im Sächsischen Personalvertretungsgesetz angesehen. 2. Der Thüringer Landtag hält den Normenkontrollantrag ebenfalls für unbegründet.

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a) Die Antragstellerin übersehe, dass Art. 37 Abs. 3 ThürVerf in einer Wechselbeziehung zu anderen verfassungsrechtlichen Normen und Prinzipien sowie zum Rahmenrecht des Bundes stehe. Das Rahmenrecht des § 104 S. 1 und 2 BPersVG verpflichte den Landesgesetzgeber, überhaupt eine Beteiligung der Personalvertretungen in innerdienstlichen, sozialen und personellen Angelegenheiten der Beschäftigten sowie die Einrichtung von Einigungsstellen mit Entscheidungskompetenzen in bestimmten Fällen vorzusehen. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf baue diese Verpflichtung dahin aus, dass qualifizierte Beteiligungsrechte im Sinne echter Mitentscheidungsbefugnisse in Form der vollen und eingeschränkten Mitbestimmung unter Berücksichtigung der sich aus anderen Verfassungsgütern ergebenden Grenzen der Mitbestimmung zu schaffen seien. Diese Grenzen habe das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung zum Bremischen Personalvertretungsgesetz vom 27.4.1959 (BVerfGE 9, 268) aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG und dem Demokratieprinzip abgeleitet. Mit der Rahmenvorschrift des § 104 S. 3 BPersVG habe der Bundesgesetzgeber dieser Entscheidung Rechnung getragen. Über diese Rahmenvorschrift sei der Landesgesetzgeber jedenfalls an die in der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen der Mtbestimmung gebunden. Soweit das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24.5.1995 die sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden Grenzen der Mitbestimmung nochmals erheblich enger gezogen habe, habe der Landesgesetzgeber diese zwar nicht wegen § 31 BVerfGG, aber auf Grund der verbindlichen Rahmenvorschrift des § 104 S. 3 BPersVG und des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zu beachten. Im Rahmen seiner Befugnisse zur Ausgestaltung des Personalvertretungsrechts habe der Thüringer Gesetzgeber daher die widerstreitenden Verfassungspositionen des Grundrechts auf Mitbestimmung nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips nach Art. 44 Abs. 1 S. 2 und 45 ThürVerf in seiner Ausgestaltung durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 iVm Art. 20 GG in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts im Wege der praktischen Konkordanz verhältnismäßig zum Ausgleich zu bringen. b) Der durch § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG normierte Ausschluss der zeitlich geringfügig Beschäftigten aus dem Geltungsbereich des Gesetzes verstoße nicht gegen Art. 37 Abs. 3 iVm Art. 2 Abs. 1 ThürVerf, da diese typischerweise nicht in die Dienststelle eingegliedert seien. c) § 16 n.F. ThürPersVG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal die Reduzierung der Höchstzahl der Personalratsmitglieder die Funktionsfähigkeit der Personalräte nicht einschränke, sondern steigere und Thüringen die Länder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt übertreffe, die jeweils höchstens 13 Personalratsmitglieder vorsähen. Im Ländervergleich sei der Thüringer Gesetzgeber auch bei den in §§17 Abs. 3 und 53 Abs. 3 S. 2 n.F. ThürPersVG getroffenen Regelungen mit Augenmaß vorgeganLVerfGE 15

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gen. Bei der Bestimmung der Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen sei im Übrigen die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Zweifel größer als bei der Fesdegung der Anzahl der Mitglieder des örtlichen Personalrats, da das Stufenverfahren wohl nicht dem Schutzbereich des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf unterfalle. d) Die Regelungen der §§ 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 und 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG seien verfassungsgemäß. Der die „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" betreffende § 75 Abs. 3 Nr. 2 n.F. ThürPersVG unterliege, soweit es um die Beamten gehe, unstreitig keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die nunmehr mit der Neuregelung vorgenommene Gleichbehandlung von Beamten, Angestellten und Arbeitern sei gerechtfertigt, da die Sachlage bei allen Gruppen vergleichbar sei und die Beibehaltung unterschiedlicher Regelungen nach Art. 2 Abs. 1 ThürVerf nicht zu rechtfertigen gewesen wäre. Ebenso wie bei Beamten sei auch bei Angestellten und Arbeitern die Entscheidung über die Auswahl von Teilnehmern an Fortbildungsveranstaltungen eine Maßnahme von erheblicher Bedeutung, die streng nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz getroffen werden müsse und große Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrages habe. Die Zuordnung des die inhaltliche Gestaltung von Personalfragebogen betreffenden Tatbestandes des § 75 Abs. 3 Nr. 3 n.F. ThürPersVG zur eingeschränkten Mitbestimmung verletze Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ebenfalls nicht. Die Ausfüllung solcher Fragebogen habe - z.B. bei einer Weigerung - arbeitsrechtliche Konsequenzen. Die darin enthaltenen Fragen berührten das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Daraus folge, dass dem Dienstherrn, der für die Gestaltung des Inhalts der Fragebogen in rechtlicher Hinsicht verantwortlich sei, insoweit auch die letzte Entscheidung zustehen müsse. Dies gelte umso mehr, als die Gestaltung der Fragen für die Personalauswahl und den bestmöglichen Einsatz des Personals von großer Bedeutung sei. Daher berühre die Festlegung des Inhalts der Personalfragebogen der Amtsauftrag so stark, dass ein volles Mitbestimmungsrecht bedenklich wäre. Der mit der Beteiligung der Personalvertretung bezweckte Schutz der Mitarbeiter vor unzulässigen Fragen sei vor allem durch den verfassungsrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts und durch datenschutzrechtliche Vorschriften gesichert; insoweit komme der Personalratsbeteiligung nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Im Übrigen könne der Personalrat seiner Aufgabe auch im Rahmen der eingeschränkten Mitbestimmung gerecht werden, da der nach Art. 47 Abs. 4 ThürVerf an Recht und Gesetz gebundene Dienstherr Hinweise auf gesetzliche Verbote nicht übergehen dürfe. Die Zuordnung der „Durchführung der Berufsausbildung für Angestellte und Arbeiter" nach § 75a Abs. 2 Nr. 5 n.F. ThürPersVG zur bloßen Mitwirkung sei wegen der großen Bedeutung des Tatbestandes für die Wahrnehmung des Amtsauftrages und wegen der weitreichenden gesetzlichen Regelung dieser Materie verfassungsrechtlich vertretbar.

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e) Für die Rechtmäßigkeit der in § 75 Abs. 3 Nr. 1 n.F. ThürPersVG geregelten „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung einer automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" trage wiederum der Dienstherr die Verantwortung, so dass ihm insoweit die Letztentscheidungkompetenz zustehen müsse. Der Gesetzgeber habe in Ausübung seines Gestaltungsermessens diesen Tatbestand der eingeschränkten Mitbestimmung zuweisen dürfen und sei nicht verpflichtet gewesen, auf das Modell der nicht paritätisch besetzten Einigungsstelle mit Beschlusskompetenz zurückzugreifen. Gegenüber der Empfehlungskompetenz der paritätisch mit einem unparteiischen Vorsitzenden besetzten Einigungsstelle bringe das Modell einer nicht paritätisch konstituierten Einigungsstelle mit Beschlusskompetenz im Übrigen auch kein Mehr an Einflussmöglichkeiten für die Vertreter der Beschäftigten, da hier das Prinzip der so genannten doppelten Mehrheit einzuhalten sei. f) Durch die Einführung der dem BPersVG endehnten Mitwirkung in § 75a ThürPersVG habe der Gesetzgeber nur der rahmenrechtlichen Sollvorschrift des § 104 S. 1 2. HS BPersVG entsprochen, die eine Empfehlung dahin enthält, dass der Landesgesetzgeber sich im Interesse eines Mindestmaßes an Rechtseinheitlichkeit an der Bundesregelung orientieren solle. Im Übrigen habe der Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung der Beteiligung der Personalvertretung Gestaltungsspielräume. Insbesondere sei er nicht gehalten, eine Angelegenheit der dritten Stufe nach der Einteilung des Bundesverfassungsgerichts, die hier vorliege, der eingeschränkten Mitbestimmung zuzuordnen. Das Bundesverfassungsgericht sei nämlich davon ausgegangen, dass die Einigungsstelle bei dieser Fallgruppe grundsätzlich - nicht zu beteiligen sei. g) Mit der Regelung über den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte in § 82a ThürPersVG habe der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum dahin genutzt, dass er für den Fall der Vorbereitung bestimmter ressortübergreifender Verwaltungsanordnungen die Anhörung des Ausschusses vorgesehen habe. Obschon es sich um eine relativ zurückhaltende Form der personalvertretungsrechtlichen Beteiligung handele, habe der Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessens Art. 37 Abs. 3 ThürVerf genügt. Dabei sei zu beachten, dass der Erlass ressortübergreifender Verwaltungsanordnungen eher selten sei und § 82a ThürPersVG damit nur einen personalvertretungsrechtlichen Randbereich von geringer Bedeutung berühre. Das Beteiligungsverfahren nach § 82a ThürPersVG tangiere auch nicht die Befugnisse der örtlichen Personalvertretungen, deren Mitbestimmung die auf die Verwaltungsanordnung gestützten Einzelmaßnahmen unterlägen. h) Der Gesetzgeber habe mit dem in § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG vorgesehenen Antragserfordernis zur Beteiligung des Personalrats bei Versetzung, Umsetzung mit Wechsel des Dienstortes, Abordnung und Zuweisung den ihm nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf zustehenden weiten GestaltungsspielLVerfGE 15

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räum nicht überschritten. Insbesondere komme die kollektivrechtliche Komponente des Mitbestimmungsrechts hinreichend zum Tragen. Dabei sei zu beachten, dass mögliche konkurrierende Beschäftigteninteressen oder andere Mitarbeiterbelange in der aufnehmenden Dienststelle im Verhältnis zu den Interessen des unmittelbar Betroffenen nur eine nachgeordnete Rolle spielten. Diesem Rangverhältnis werde die angegriffene Vorschrift gerecht, wenn sie im praktischen Vollzug im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 ThürPersVG gesehen werde, der die Dienststelle anhalte, dem Personalrat unabhängig von einem Antrag des Betroffenen über die beabsichtigte Maßnahme in Kenntnis zu setzen und ihm damit die Möglichkeit zur Darlegung seiner Sichtweise zu geben. § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG begegne daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit er verfassungskonform dahingehend ausgelegt werde, dass die Personalvertretung der aufnehmenden Dienststelle unabhängig von einem Antrag des betroffenen Beschäftigten im Rahmen des § 2 Abs. 1 ThürPersVG über die beabsichtigte Maßnahme informiert wird. V. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat am 20.1.2004 über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin mündlich verhandelt. B. Der Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle ist zulässig. Die Voraussetzungen der Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf, § § 1 1 Nr. 4, 42 bis 44 ThürVerfGHG sind gegeben. Die Antragstellerin ist als Fraktion des Thüringer Landtags antragsberechtigt. Bedenken gegen die inhaltliche Zulässigkeit der von ihr gestellten Anträge bestehen nicht. Insbesondere hat der Antrag zu 9., die Vorschriften des § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 ThürPersVG nur in einer bestimmten Auslegung für vereinbar mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf zu erklären, einen im Normenkontrollverfahren zulässigen Gegenstand. Nach § 42 Nr. 1 ThürVerfGHG - der mit § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG wortgleich ist - muss zwar der Antrag darauf gerichtet sein, eine Vorschrift für nichtig und nicht für vereinbar mit der Landesverfassung zu erklären. Entsprechend sieht der - mit § 78 S. 1 BVerfGG wortgleiche - § 44 S. 1 ThürVerfGHG vor, dass der Thüringer Verfassungsgerichtshof eine Norm für nichtig oder für unvereinbar mit der Verfassung, nicht aber, dass er sie (nur) in einer bestimmten Auslegung für vereinbar mit der Verfassung erklären kann. Jedoch hält sich der Verfassungsgerichtshof über den engen Wordaut der genannten Vorschriften hinaus in Anlehnung an die ständige Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 36, 1, 2; 39, 96, 97) prinzipiell für befugt auszusprechen, dass eine beanstandete Norm (nur) in einer bestimmten, sich aus den Gründen der EntscheiLVerfGE 15

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dung ergebenden Auslegung mit der Landesverfassung vereinbar ist. Daraus folgt, dass ein auf eine Vereinbarkeitserklärung bei verfassungskonformer Auslegung gerichteter Normenkontrollantrag grundsätzlich zulässig ist, denn was Entscheidungsinhalt sein kann, muss auch beantragt werden können (vgl. Pestaio^a Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 1991, § 8 Rn. 4). Die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Normenkontrollverfahrens sind gegeben. C. Der Antrag ist teilweise begründet. Die von der Antragstellerin angegriffene Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 5 des Thüringer Personalvertretungsgesetzes ist in materieller Hinsicht mit der Landesverfassung unvereinbar. Die übrigen beanstandeten Regelungen sind verfassungsgemäß. I. Der durch das Änderungsgesetz vom 25.6.2001 unberührt gebliebene § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG, nach dem Personen mit einer Arbeitszeit unterhalb der Versicherungspflichtgrenze des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch nicht als Beschäftigte im Sinne des Gesetzes gelten, ist mit Art. 37 Abs. 3 iVm Art. 2 Abs. 1 ThürVerf unvereinbar. 1. Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG unterliegt schon deshalb erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie im Wirkungsfeld der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf keine autonome landesgesetzliche Regelung zum persönlichen Anwendungsbereich des Thüringer Personalvertretungsgesetzes trifft. Vielmehr enthält § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG eine dynamische Verweisung auf die bundesrechtliche Vorschrift des § 8 SGB IV in ihrer jeweils geltenden Fassung, die in ihrem Absatz 1 die Geringfügigkeit einer Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne anhand von zeit- und entgeltbezogenen Kriterien bestimmt. Konkret bindet die Norm den personalvertretungsrechtlichen Beschäftigtenbegriff an die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeit der Arbeitszeit, indem sie festlegt, dass Personen mit einer Arbeitszeit unterhalb der Versicherungspflichtgrenze des § 8 SGB IV nicht als Beschäftigte im Sinne des Thüringer Personalvertretungsgesetzes gelten. Da § 8 Abs. 1 SGB IV die Geringfügigkeit einer Beschäftigung im Hinblick auf deren Versicherungspflichtigkeit in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung definiert und somit vor allem die „Kassenlage" der Sozialversicherungen den jeweiligen Inhalt dieser, seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1977 wiederholt geänderten Vorschrift bestimmt, wird über § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG der persönliche Schutzbereich des Mitbestimmungsrechts, das Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den „BeLVerfGE 15

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schäftigten" und ihren Verbänden „nach Maßgabe der Gesetze" (des Landes) verfassungskräftig einräumt, anhand von Kriterien umschrieben, die sich ohne Zutun des Landesgesetzgebers jederzeit aus bundespolitischen Gründen beliebig verändern können. Das in der Landesverfassung verankerte Recht auf Mitbestimmung degeneriert so letztlich zu einem „Landesverfassungsrecht aus der Hand des Bundesgesetzgebers". Es kann jedoch offen bleiben, ob § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG schon wegen der vom Landesgesetzgeber gewählten Regelungstechnik der dynamischen Verweisung auf § 8 SGB IV - die im Übrigen außer in § 3 Abs. 3 Nr. 6 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes in den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder keine Entsprechung findet - gegen die Thüringer Verfassung verstößt. 2. Die Vorschrift ist jedenfalls deshalb mit Art. 37 Abs. 3 iVm Art. 2 Abs. 1 ThürVerf unvereinbar, weil sie bei der Beurteilung des für die Anwendbarkeit des Landespersonalvertretungsgesetzes maßgeblichen Frage, wer „Beschäftigter" im Sinne des Gesetzes ist, allein auf die Arbeitszeit einer im öffentlichen Dienst tätigen Person abstellt, ohne die Dauer ihres Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. a) Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ist nicht schon dadurch verletzt, dass § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG bestimmte Personen aus dem Geltungsbereich des Personalvertretungsgesetzes ausgrenzt, indem er sie - ungeachtet dessen, dass sie in formaler Hinsicht bei einer in den Geltungsbereich des Gesetzes fallenden Stelle beschäftigt sind - nicht als Beschäftigte iSd § 4 Abs. 1 ThürPersVG gelten lässt. aa) Der in § 4 Abs. 1 ThürPersVG verwendete Begriff „Beschäftigte" ist im Thüringer Personalvertretungsgesetz nicht näher bestimmt. Sein Inhalt ist unmittelbar aus Art. 37 Abs. 3 ThürVerf abzuleiten. Danach haben „die Beschäftigten und ihre Verbände" nach Maßgabe der Gesetze das Recht auf Mitbestimmung in Angelegenheiten ihrer Betriebe, Unternehmen oder Dienststellen. Diese Verfassungsnorm, die sich in dem die Grundrechte, die Staatsziele und die Ordnung des Gemeinschaftslebens regelnden ersten Teil der Landesverfassung befindet, ist nicht lediglich eine Staatszielbestimmung oder eine Institutsgarantie, sie gewährt vielmehr ein Grundrecht (vgl. Unck/]ut%i/Hopfe Die Verfassung des Freistaats Thüringen, 1994, Art. 37 Rn. 26 ff). Hierfür spricht schon der Wordaut des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf, nach dem die Verfassung selbst dem angesprochenen Personenkreis ein Recht einräumt, das sie dem Gesetzgeber zur näheren Ausgestaltung anvertraut. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ist zudem bewusst als Grundrecht in die Thüringer Verfassung aufgenommen worden, da ausweislich der Materialien zur Verfassung des Freistaats Thüringen während der Verfassungsberatungen ausdrücklich festgestellt worden ist, dass das Recht auf Mitbestimmung in den Grundrechtskatalog gehört (vgl. Protokoll der 4. Sitzung des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses am 17.1.1992, S. 118 ff). Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ist damit ein gegenüber dem Grundgesetz, das kein Grundrecht auf Mitbestimmung vorsieht, weiterreichendes Landesgrundrecht. Als solches ist es nach LVerfGE 15

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Art. 142 GG wirksam, weil danach auch weiterreichende Landesgrundrechte, sog. „Mehrgewährleistungen", Bestand haben sollen (vgl. v. Campenhausen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 4. Aufl. 2001, Art. 142 Rn. 7). bb) Träger des Grundrechts auf Mitbestimmung sind nach dem Wortlaut des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf in erster Linie die „Beschäftigten". Eine nähere Bestimmung, welchen Personenkreis Art. 37 Abs. 3 ThürVerf damit in seinen Schutzbereich einbezieht, lässt sich der Landesverfassung nicht unmittelbar entnehmen. Sie ergibt sich jedoch aus der Grundrechtsnatur des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf sowie aus Sinn und Zweck der Verfassungsnorm. Der Umstand, dass die Thüringer Verfassung ein Grundrecht auf Mitbestimmung statuiert und es „den Beschäftigten und ihren Verbänden" als Träger zuweist, gebietet, der Verfassungsnorm einen weiten Geltungskreis zuzuerkennen. Der Umfang dieses Geltungsbereichs ist aus dem Schutzzweck des Grundrechts zu ermitteln. Dieser geht, soweit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf die Bediensteten als in einen behördlichen oder betrieblichen Organismus eingegliederte Individuen und ihren mit dieser Eingliederung verbundenen Verlust an Selbstbestimmung im Blick hat, dahin, mittels innerbetrieblich zum Einsatz kommender kollektiver Elemente die Möglichkeiten individueller Interessenwahrnehmung zu erweitern und zu ergänzen. Letztlich kann als ein Zweck der in Art. 37 Abs. 3 ThürVerf gewährleisteten Mitbestimmung auch die Wahrung der Menschenwürde der Beschäftigten und die (institutionelle) Sicherung des Freiheitsgrundrechts gesehen werden (vgl. VerfGH Rh.-Pf., PersR 1994, 269, 271; SächsVerfGH, PersR 2001, 367, 368). Dieses mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf verfolgte Ziel verlangt, die Verfassungsnorm prinzipiell in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Danach gewährt die Thüringer Verfassung das Grundrecht auf Mitbestimmung grundsätzlich sämtlichen, in der jeweiligen Organisationseinheit tätigen und in sie eingegliederten Personen, gleichgültig, ob sie als Arbeiter, Angestellte, Beamte, zu ihrer Berufsausbildung, dauerhaft oder nur vorübergehend, vollzeitig oder nur in Teilzeit beschäftigt sind (vgl. SächsVerfGH, aaO, 369). Der von Art. 37 Abs. 3 ThürVerf verfolgte Zweck legt andererseits auch die Grundlagen für die Eingrenzung des Beschäftigtenbegriffs. Will das Mitbestimmungsgrundrecht den mit der Eingliederung in einen behördlichen oder betrieblichen Organismus verbundenen Verlust an Selbstbestimmung kompensieren, verlangt der Normzweck die Geltung des Mitbestimmungsrechts erst dann, wenn diese Eingliederung eine Intensität erreicht, die einen spürbaren Verlust von Selbstbestimmungsmöglichkeiten und ein Bedürfnis nach zusätzlichem kollektivem Interessenschutz bewirkt. Nicht jedes Einbezogensein in den Aufgabenerfüllungsprozess der öffentlichen Verwaltung oder der Gerichte erreicht den von Art. 37 Abs. 3 ThürVerf vorausgesetzten Wirkungsgrad. Ob die Mitbestimmungsschwelle überschritten ist, hängt vom Umfang der Eingliederung in den Betriebsoder Verwaltungsorganismus ab. LVerfGE 15

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cc) Diesen Ansatz greift § 4 Abs. 5 ThürPersVG auf und überträgt ihn in die Mitbestimmungspraxis, indem er in den Nr. 1 bis 4 an funktionale Besonderheiten des Dienstverhältnisses als solchem und an die für dessen Begründung bestimmenden Motive anknüpft. Dagegen ist für die von Nr. 5 und 6 erfassten Personengruppen der Grad der Eingliederungsintensität aus dem Umfang der Arbeitszeit (Nr. 5) oder der Beschäftigungsdauer (Nr. 6) abgeleitet. Damit orientiert sich der Gesetzgeber zwar an generell tauglichen Maßstäben. Jedoch hat er dabei festzustellen, ob die im konkreten Regelungsfall vorgenommene Grenzziehung mit der Folge der Herausnahme bestimmter Personengruppen aus dem Geltungsbereich des Mitbestimmungsgrundrechts die verfassungsrechtliche Vorgabe beachtet, dass nur solche Personen nicht als "Beschäftigte" gelten dürfen, deren Verbindung zur Behörde oder zum Betrieb von so geringer Intensität ist, dass noch nicht von einer echten Eingliederung in den Dienstbetrieb gesprochen werden kann. Das Ergebnis der insoweit vom Gesetzgeber getroffenen Feststellung unterliegt der vollen verfassungsgerichtlichen Inhaltskontrolle (vgl. SächsVerfGH, PersR 2001,367, 373). b) Indem der Thüringer Gesetzgeber in § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG das die Beschäftigteneigenschaft begründende Merkmal der tatsächlichen „Eingliederung" ungeachtet der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses ausschließlich an die wöchentliche Arbeitszeit gebunden hat, hat er ein Kriterium gewählt, das in einer Art. 37 Abs. 3 ThürVerf verletzenden Weise in den Geltungsbereich des Mitbestimmungsgrundrechts eingreift. aa) Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG verweist, indem sie Personen mit einer „Arbeitszeit unterhalb der Versicherungspflichtgrenze des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch" aus dem Geltungsbereich des Personalvertretungsgesetzes ausnimmt, allein auf das zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SBG IV genannte Kriterium einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von weniger als fünfzehn Stunden. Dies ergibt sich zum einen aus dem Vergleich mit § 4 Abs. 5 Nr. 6 ThürPersVG. Diese Vorschrift scheidet Personen, die für weniger als zwei Monate beschäftigt sind, aus dem Geltungsbereich des Personalvertretungsgesetzes aus und knüpft damit erkennbar an § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV an, mit der Folge, dass sich § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG nur noch auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV beziehen kann. Zum anderen bezeichnet der in § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG verwendete Begriff „Arbeitszeit" nach herkömmlichem Verständnis nicht die absolute Dauer eines Arbeitsverhältnisses, sondern die im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses geleistete tägliche, wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit in Standen. Schließlich folgt aus dem Umstand, dass § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG nicht die „geringfügig Beschäftigten iSd § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV" als solche von der Mitbestimmung ausschließt, sondern nur auf eine „Arbeitszeit unterhalb der Versicherungspflichtgrenze des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch" abstellt, dass es nach dem Willen des Landesgesetzgebers allein darauf LVerfGE 15

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ankommen soll, ob eine Person regelmäßig weniger als fünfzehn Stunden pro Woche arbeitet und zwar unabhängig davon, über welchen Zeitraum hinweg sie das tut und wie viel sie dabei verdient. bb) Indem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf eine Differenzierung nach Maßgabe typischer Eingliederungssachverhalte gestattet, übernimmt er hinsichtlich der Bestimmung der Eingliederungsintensität den personalvertretungsrechtlichen Standard nicht nur, wie er sich zur Zeit der Entstehung der Landesverfassung ergab, sondern auch in seiner Fortentwicklung, so dass aus dem allgemeinen, im Bund und in den Ländern gleichermaßen anerkannten Personalvertretungsrecht auf den Inhalt des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf geschlossen werden kann. Dieser ist, soweit es um das Problem der Eingliederung als Abgrenzungskriterium des Geltungsumfangs des Personalvertretungsrechts geht, maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geprägt. Die darin entwickelten Grundsätze bestimmen daher auch die Auslegung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum personalvertretungsrechtlichen Beschäftigtenbegriff hängt die tatsächliche „Eingliederung" eines Arbeitnehmers in die Dienststelle nicht davon ab, ob er iSd § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV geringfügig beschäftigt ist (vgl. BVerwG, PersV 1996, 270, 273). Hierzu hat das Gericht ausgeführt, eine „Eingliederung" liege in der Regel vor, wenn Daueraufgaben in der Dienststelle wahrgenommen würden, insbesondere solche, die ihrer Art und Zielsetzung nach so auch den bereits in der Dienststelle tätigen Mitarbeitern oblägen, zumal dann, wenn dadurch räumliche und sachliche Berührungspunkte entstünden. Dies seien aber nur Anhaltspunkte für die Entscheidung, ob tatsächlich eine „Eingliederung" gegeben sei. Zu einer solchen komme es auch bei Daueraufgaben - dann nicht, wenn Aushilfstätigkeiten ausgeübt würden, die ersichtlich zu keiner betrieblichen und sozialen Bindung an die Dienststelle führten, weil sie nur geringfügig und nur vorübergehender Natur seien. Letzteres sei zu vermuten, wenn eine Tätigkeit auf längstens zwei Monate befristet sei. Dagegen seien die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit und die Höhe des Entgelts grundsätzlich ohne Belang. Auch Beschäftigte, die täglich nur kurzzeitig oder sogar an manchen Tagen überhaupt nicht in der Dienststelle tätig seien, seien Beschäftigte im personalvertretungsrechtlichen Sinne. Es reiche aus, dass die Arbeit in der Dienststelle nicht bloß vorübergehend und in ihrer Dauer nicht geringfügig sei, d.h. über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeübt werde. Eine geringfügige Beschäftigung im personalvertretungsrechtlichen Sinne habe somit andere, engere Voraussetzungen als eine geringfügige Beschäftigung iSv § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Bloß vorübergehend und von geringfügiger Dauer seien danach nur die typischen Aushilfstätigkeiten, die aus besonderem Anlass für einen kurzen, längstens zwei Monate dauernden Zeitraum anfielen, wie etwa Krankheits- oder Urlaubsvertretungen. Dagegen unterfielen nicht bloß vorübergehende und nicht auf weniger als zwei Monate begrenzte, regelmäßige Tätigkeiten - etwa als Küchenhilfe in einem Pflegeheim mit einer Arbeitszeit von 1,5 Stunden pro Tag oder als LVerfGE 15

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Pflegekraft mit einer Arbeitszeit von einem Halbtag pro Woche - dem Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts (vgl. BVerwG, aaO, 271/272). Indem das Bundesverwaltungsgericht die Geringfügigkeitskriterien des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, d.h. eine regelmäßige Wochenarbeitszeit unter fünfzehn Stunden und ein regelmäßiges Monatsentgelt unter dem nach geltendem Recht jeweils maßgeblichen Betrag, in personalvertretungsrechtlicher Hinsicht für irrelevant erklärt hat, hat es seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben (vgl. BVerwG, aaO, 273). Danach hatte das Gericht bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit im personalvertretungsrechtlichen Sinne geringfügig sei, nicht nur auf die Nr. 2, sondern auch auf die Nr. 1 des § 8 Abs. 1 SGB IV zurückgegriffen (vgl. BVerwG, PersV 1982, 110). Dabei hatte das Gericht aber schon damals weder der Dauer der täglichen Arbeitszeit noch dem Umstand, dass die Arbeit nicht täglich, sondern nur an wenigen Tagen in der Woche oder im Monat geleistet werde, ausschlaggebende Bedeutung beigemessen und betont, dass auch Bedienstete, die täglich nur kurze Zeit oder an manchen Tagen gar nicht arbeiteten, Beschäftigte im Sinne des Personalvertretungsrechts seien, wenn sie nur eine regelmäßige und dauernde und keine bloß vorübergehende und geringfügige Arbeit verrichteten (vgl. BVerwG, aaO, 111; BVerwG, PersV 1992, 225, 227). Diese, die Auslegung des Beschäftigtenbegriffs in den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder betreffenden Überlegungen - in denen im Übrigen ganz überwiegend nur nach der Art und der Dauer der Tätigkeit, nicht aber nach der Arbeitszeit differenziert wird - haben auch in Art. 37 Abs. 3 ThürVerf Eingang gefunden. Danach ist die von der Antragstellerin beanstandete Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG, die schon im Gesetzgebungsverfahren zum Thüringer Personalvertretungsgesetz von 1993 im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Beschäftigtenbegriff heftig umstritten war (vgl. Plenarprotokoll 1/85 v. 30.6.1993, S. 6381 ff), nicht als verfassungsrechtlich zulässige Konkretisierung des Mitbestimmungsgrundrechts anzusehen. Die Ungeeignetheit des Kriteriums einer „Wochenarbeitszeit unter fünfzehn Stunden" zeigt sich darin, dass danach beispielsweise eine Schreibkraft, Telefonistin oder Bibliothekarin, die vierzig Jahre lang von Montag bis Donnerstag jeweils 3 Stunden und am Freitag jeweils 2V2 Stunden in einer Behörde arbeitet, nicht in ihre Dienststelle „eingegliedert" und damit aus dem persönlichen Schutzbereich des Grundrechts auf Mitbestimmung ausgeschlossen ist, während eine Kollegin, die am Freitag jeweils eine V2 Stunde länger arbeitet, Trägerin dieses Grundrechts wäre. Mit Blick auf den verfassungsrechtlich unbedenklichen Regelungsgehalt des § 4 Abs. 5 Nr. 6 ThürPersVG würde dies im Übrigen auch dann gelten, wenn die Kollegin mit längerer Wochenarbeitszeit nur genau zwei Monate in der Dienststelle tätig wäre. Eine solche Differenzierung wäre, ergäbe sie sich aus einem einfachen Gesetz oder aus einer gerichtlichen Entscheidung, sachlich nicht zu rechtfertigen und damit als willkürlich zu verwerfen. Sie kann daher auch nicht hinLVerfGE 15

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nehmbares Ergebnis einer Verfassungsauslegung sein, zumal der in Art. 2 ThürVerf verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz als elementares Verfassungsprinzip auf die gesamte Landesverfassung ausstrahlt und die Interpretation anderer Verfassungsvorschriften mitbestimmt. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, der Landesgesetzgeber habe mit § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG nur klarstellen wollen, dass auch länger als zwei Monate dauernde Tätigkeiten unter bestimmten Umständen - etwa bei nur sporadischem Einsatz oder wegen der Art der Tätigkeit zu - keiner, eine echte Eingliederung bewirkenden Bindung an die Dienststelle fuhren können. Einen solchen Willen hätte der Gesetzgeber jedenfalls bestimmter zum Ausdruck bringen müssen als dies in § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG geschehen ist, da danach auch Fälle eindeutiger Eingliederung betroffen und damit Beschäftigte iSd Art. 37 Abs. 3 ThürVerf in ihrem Mitbestimmungsgrundrecht verletzt sind. Dies lässt sich nicht mit dem Interesse an der Funktionsfähigkeit der Personalvertretungen rechtfertigen, da diesem bereits dadurch Rechnung getragen ist, dass die Personen, die mit weniger als der Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt sind, nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 ThürPersVG von der passiven Wählbarkeit ausgeschlossen sind. cc) Schließlich widerspricht die Bezugnahme auf die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeit der wöchentlichen Arbeitszeit zur Konkretisierung des Merkmals der „Eingliederung" auch dem Schutzzweck des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf als Mittel zur Wahrung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte der Bediensteten. Im Hinblick auf diese Schutzrichtung des Mitbestimmungsrechts hat das Bundesverwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade die sozial schwächeren Bediensteten in der Dienststelle besonders schutzbedürftig sind. Hierzu gehören im Allgemeinen die regelmäßig geringfügig Beschäftigten im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, bei denen es sich häufig um Frauen mit Kindern, vor allem alleinerziehende Mütter handelt. Die Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises besteht unabhängig davon, ob die Betreffenden neben ihrer Tätigkeit im öffentlichen Dienst - möglicherweise ebenfalls in geringfugigem Umfang - noch einer anderen Beschäftigung nachgehen, also diese hauptoder nur nebenberuflich ausüben (vgl. BVerwG, PersV 1996, 270, 274). 3. Der Umstand, dass § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in seiner seit dem 1.4.2003 geltenden Fassung kein Wochenarbeitszeitkriterium mehr enthält, hat den die Bestimmung des § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG betreffenden Normenkontrollantrag nicht erledigt. Mag die Regelung damit ihren Bezugspunkt verloren haben und gegenwärtig nicht umsetzbar sein, so ist sie doch nicht auf Dauer gegenstandslos. Der Normenkontrollantrag richtet sich weiterhin gegen eine Bestimmung des geltenden Gesetzesrechts, deren Wordaut nach wie vor unmissverständlich intendiert, die Teilhabe Bediensteter am Grundrecht auf Mitbestimmung als in die Dienststelle eingegliederte Beschäftigte nur von ihrer wöchentlichen Arbeitzeit und damit von einem für sich allein ungeeigneten Tatbestand abhängig LVerfGE 15

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zu machen. Im Hinblick darauf bedarf es auch nach der Änderung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV weiterhin einer mit Gesetzeskraft wirkenden verfassungsgerichtlichen Klarstellung, dass die vom Landesgesetzgeber gewählte Anknüpfung als solche mit der Landesverfassung unvereinbar ist. II. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Vorschriften der §§16, 17 Abs. 3; 53 Abs. 3 S. 2; 75 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 Nr. 1, 2 und 3; 75a und 82a n.F. ThürPersVG wendet, ist der Normenkontrollantrag unbegründet. Die beanstandeten Regelungen stehen mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf in Einklang. 1. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf verpflichtet den Landesgesetzgeber weder, das Recht auf Mitbestimmung in einem umfassenden und unbeschränkten Sinne zu gewährleisten, noch legt er ihn auf ein bestimmtes Mitbestimmungsmodell fest. a) Indem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den Beschäftigten und ihren Verbänden nach Maßgabe der Gesetze das Recht auf Mitbestimmung in Angelegenheiten ihrer Betriebe, Unternehmen und Dienststellen einräumt, bestimmt die Landesverfassung ein Grundrecht, dessen genauer Inhalt autonom aus der Landesverfassung selbst zu ermitteln ist. Da diese, wie ausgeführt, sich in den im Bund und in den Ländern gleichermaßen anerkannten personalvertretungsrechtlichen Standard einfügen will, erfolgt die Auslegung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf mit Blick auf die Gegebenheiten des allgemeinen Personalvertretungsrechts, aber auch unter Beachtung der durch das Grundgesetz und das sonstige Bundesrecht gesetzten Bedingungen und Grenzen. aa) Die bundesrechtlichen Grenzen der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst ergeben sich zunächst aus Art. 20 Abs. 1 und 2 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. Hieraus - genauer aus dem Demokratieprinzip - ergeben sich Grenzen für die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst: Diese darf nicht so weit gehen, dass der Weg zur Autonomie des öffentlichen Dienstes beschritten und mit der Letztverantwortlichkeit der Verfassungsorgane das Demokratieprinzip selbst in Frage gestellt wird. Derartige Wirkungen der Mitbestimmung sind nicht von vorneherein ausgeschlossen. Kernaufgabe des öffentlichen Dienstes ist es, die Funktion der Staatsgewalten bzw. der für sie nach der Verfassungsordnung handelnden Stellen zu ermöglichen und stabil zu sichern. Deswegen wirken sich den öffentlichen Dienst betreffende Maßnahmen und Entscheidungen grundsätzlich auch auf die Aufgabenerfüllung und damit auf die Funktionsfähigkeit der Verfassungsorgane aus, LVerfGE 15

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indem sie bei deren Willensbildung zu berücksichtigen sind. Je nach dem Inhalt der einzelnen Maßnahme und Entscheidung verändert sich dieser Einfluss, der im Hinblick auf das Demokratieprinzip unbedenklich ist, solange das betroffene Verfassungsorgan diese Einwirkung zurückweisen kann, indem es die Entscheidung oder Maßnahme ignoriert. Muss das Verfassungsorgan die Entscheidung jedoch hinnehmen, ist es in seiner Willensbildung nachhaltig beschränkt. Dies ist mit dem Demokratieprinzip nur dann vereinbar, wenn diese Bindung sich aus der verfassungsmäßigen Ordnung selbst ergibt (z.B aus einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung) oder wenn die als letztverbindlich hinzunehmende Entscheidung einer außerhalb der Hierarchie des Verfassungsorgans stehenden Stelle die Willensbildung des Verfassungsorgans - meist der Exekutive - nicht wesentlich beeinflusst (vgl. BVerfGE 9, 268, 282 ff; 93, 37, 71). Zu den, der vollen Mitbestimmung danach gänzlich entzogenen Angelegenheiten hat das Bundesverfassungsgericht vor allem die Maßnahmen „der Personalpolitik, also alle Maßnahmen, die den Rechtsstatus von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes betreffen", gerechnet (vgl. BVerfGE 93, 37, 71, 73). Welches Gewicht die Thüringer Verfassung dem Gewaltenteilungsgrundsatz und damit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Bezug auf Personalentscheidungen zumisst, lässt sich aus Art. 89 Abs. 2 ThürVerf erkennen. Die dort begründete Entscheidungskompetenz des Thüringer Justizministers ist unmittelbarer Ausdruck der in Art. 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf niedergelegten Verfassungsprinzipien; sie wird durch die in § 4 S. 1 ThürRiG zum Ausdruck gebrachte Ernennungskompetenz fortgeführt. Diese Grenzen der Mitbestimmung stehen im vorliegenden Verfahren indessen als solche nicht zur Diskussion, denn der Landesgesetzgeber hat mit dem Ersten Änderungsgesetz zum Thüringer Personalvertretungsgesetz die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.1995 (BVerfGE 93, 37) ergebenden Konsequenzen für seinen Kompetenzbereich ausgeführt. Es wird nicht geltend gemacht, dass er dabei dem Demokratieprinzip nicht gerecht geworden sei. Ebenso wenig kommt es für diese Entscheidung darauf an, welche Grenzen dem Landesgesetzgeber durch die bundesrechtliche Rahmenbestimmung des § 104 BPersVG gezogen sind. bb) Das innerhalb dieser Grenzen durch Art. 37 Abs. 3 ThürVerf gewährleistete Maß an Mitbestimmung ergibt sich nicht bereits aus dessen Grundrechtsnatur im Sinne einer inhaltlich maximalen und den Gegenständen nach bis an die aufgezeigten Grenzen heranreichenden Mitbestimmung. Indem Art. 37 Abs. 3 ThürVerf die Mitbestimmung „nach Maßgabe der Gesetze" garantiert, relativiert er das Grundrecht. Dies geschieht zwar nicht dergestalt, dass der Gesetzgeber freie Hand erhält, den Umfang der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst nach seinem politischen Gestaltungsermessen frei festzulegen. Ein solches Verständnis wäre mit dem Grundrechtscharakter der Verfassungsnorm unvereinbar. Die dem Gesetzgeber überlassene nähere Ausgestaltung des Grundrechts ist jedoch auch nicht lediglich dazu vorgesehen, das Grundrecht dadurch zu perfektionieren, dass LVerfGE 15

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der Gesetzgeber gehalten ist, den jeweils bestmöglichen Mitbestimmungsmodus zu verwirklichen. Der dem Gesetzgeber durch Art. 37 Abs. 3 ThürVerf belassene Gestaltungsspielraum ist nach dem Zweck der grundrechtlichen Gewährleistung zu bestimmen. Wie ausgeführt, besteht dieser, soweit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf die Bediensteten als Individuen und den mit ihrer Eingliederung in den behördlichen oder betrieblichen Organisationszusammenhang verbundenen Verlust an Selbstbestimmung im Blick hat, darin, die Einbuße an Eigengestaltungsmöglichkeiten durch kollektive Elemente auszugleichen. Hinzu kommt die der Mitbestimmung auch im öffentlichen Dienst zugedachte Zielstellung, die Leistungskraft der Behörde bzw. des Unternehmens dadurch zu befördern, dass die Beschäftigten als organischer Teil der Behörde bzw. des Unternehmens verstanden und demgemäß in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, soweit diese (auch) die Beschäftigtenbelange betreffen. Dies bedeutet, dass die Beschäftigten sich mit eben diesem Selbstbewusstsein als Teil des Unternehmens- bzw. Behördenorganismus in die Entscheidungen einbringen. Mit diesem organschaftlichen Verständnis der „Beschäftigten und ihrer Verbände" und einer hierauf bezogenen Funktionalität des Mitbestimmungsrechts wächst dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, die Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts nicht nur in Richtung auf die Kompensation verminderter Selbstbestimmung zu betreiben, sondern dessen Regelung auch auf eine Optimierung der organschaftlichen Zusammenarbeit in der Behörde zwischen Behördenleitung und Belegschaft hin vorzunehmen. Insoweit wird das Grundrecht des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf auch durch die mit der Organschaftlichkeit „der Belegschaft" verbundene Verantwortung für die Leistungskraft „des Organs" und damit auf das Staatsganze gesehen für die Effektivität der öffentlichen Verwaltung insgesamt relativiert. cc) Es ist dem Gesetzgeber aufgegeben, diese im Mitbestimmungsrecht angelegten Ziele zur Geltung zu bringen. Auch insoweit kann der Gesetzgeber nicht nach seinem jeweiligen Gestaltungsbelieben vorgehen. Er muss seine Regelungsvorhaben vielmehr aus dem Wesen des Mitbestimmungsgrundrechts heraus entwickeln und die getroffenen Gesetzgebungsentscheidungen im Lichte des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf würdigen, denn in diesem Umfang unterliegen die Normsetzungsergebnisse der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Die dem Gesetzgeber in Art. 37 Abs. 3 ThürVerf anvertraute Relativierungsbefugnis eröffnet Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Einsatzes des Regelungsinstrumentariums. Zugleich bindet sie den Gesetzgeber, soweit es darum geht, das Gestaltungsmittel mit dem jeweiligen Regelungsziel und Regelungsinhalt zu verbinden. Der Gesetzgeber ist deswegen nicht verpflichtet, Mitbestimmung ausschließlich im qualifizierten Sinn der Mitentscheidung zu realisieren. Er ist aber auch nicht ermächtigt, Mitbestimmung nur in Form einfacher Mitwirkung zuzulassen. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf versteht „Mitbestimmung" nicht als einen eindeutigen, in allen AnwendungssituaLVerfGE 15

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üonen in gleicher Weise umzusetzenden Begriffsinhalt. „Mitbestimmung" beschreibt vielmehr einen Regelungsrahmen, der von der echten Mitentscheidung bis zur schlichten Mitwirkung reicht. Dieser Rahmen umfasst daher als Regelungsinstrumente zum einen die volle Mitbestimmung iSd § 69 BPersVG, bei der eine „Unternehmens"-Maßnahrne nur zustande kommt, wenn die Beschäftigen ihr zugestimmt haben, zum zweiten die eingeschränkte Mitbestimmung, bei der den Beschäftigten eine Mit- aber nicht Letztentscheidungsbefugnis eingeräumt ist, sowie zum dritten die bloße Mitwirkung, bei der die Beschäftigten in den Entscheidungsprozess ohne Entscheidungsmacht einbezogen sind, ihn also nur argumentativ beeinflussen können. Die Eröffnung des Gestaltungsrahmens durch Art. 37 Abs. 3 ThürVerf enthält nicht nur eine Regelungsermächtigung, sondern auch einen Gestaltungsauftrag. Die Landesverfassung hält durch Art. 37 Abs. 3 den Gesetzgeber an, das Personalvertretungsrecht zu regeln; zunächst durch ein den Gesamtbereich betreffendes Gesetz, sodann durch die Fortschreibung dieses Gesetzes nach Maßgabe der durch die Landesverfassung mit Art. 37 Abs. 3 verfolgten Zwecke. Diesen Gestaltungsauftrag hat der Verfassunggeber dem Gesetzgeber in Kenntnis eines in Deutschland bereits im Einzelnen ausgestalteten Personalvertretungsrechts mit dem Willen erteilt, diesen Standard nicht zu ignorieren, sondern an ihn anzuknüpfen. Außerdem war das Thüringer Personalvertretungsgesetz bereits in Kraft, als die Landesverfassung am 25.10.1993 beschlossen wurde, so dass davon auszugehen ist, dass Art. 37 Abs. 3 ThürVerf bewusst an diesen Regelungsbestand anknüpft. Den Auftrag, diesen Rechtsbestand fortzuschreiben, erteilt Art. 37 Abs. 3 ThürVerf dem Gesetzgeber nicht mit der Auflage, das Mitbestimmungsgrundrecht in seiner im Oktober 1993 vorhandenen Ausprägung zu erhalten. Fortschreibung nach Maßgabe des Zwecks der Verfassungsnorm heißt Anpassung des Personalvertretungsrechts in seinem die Mitbestimmung der Beschäftigten gestaltenden Kern an veränderte behördliche, soziale und gesellschaftliche Voraussetzungen sowohl mit der Tendenz zur Intensivierung der Mitbestimmung im Sinne verstärkter Mitentscheidung oder ihrer Ausdehnung auf bisher nicht mitbestimmungspflichtige Entscheidungsgegenstände als auch durch Zurücknahme des Mitbestimmungsstandards auf diesen beiden Feldern. Der Gesetzgeber erfüllt diesen Auftrag, indem er den Anpassungsbedarf feststellt und die Anpassungsmittel bestimmt. Aus Art. 37 Abs. 3 ThürVerf erwächst ihm dabei die Verpflichtung, die Anpassungsmittel so einzusetzen, dass die Anliegen des Mitbestimmungsgrundrechts sowohl in ihrer individualistischen als auch in ihrer korporativen Natur nicht preisgegeben werden. Intensiviert der Gesetzgeber die Mitbestimmung der Beschäftigten, bedarf dies keiner besonderen Rechtfertigung gegenüber den Begünstigten. Dies ist jedoch anders, wenn der Gesetzgeber den vorhandenen Bestand an Mitbestimmung zurückführen will. Die Ausgestaltung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf als Grundrecht verbietet, dem Gesetzgeber freie Hand auch bei der Verminderung des Mitbestimmungsumfangs zu LVerfGE 15

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lassen. Würde der Gesetzgeber auch in diesen Fällen sein Gestaltungsermessen frei nach politischer Opportunität einsetzen können, wäre der Grundrechtscharakter des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf aufgegeben, denn das Wesen eines Grundrechts besteht gerade darin, dem Gesetzgeber Grenzen zu setzen und ihn zu binden (vgl. Art. 42 Abs. 1 ThürVerf bzw. Art. 1 Abs. 3 GG). Der „Maßgabe"-Vorbehalt in Art. 37 Abs. 3 ThürVerf liefert die Mitbestimmung nicht gewissermaßen dem Gesetzgeber aus. Er vertraut sie ihm vielmehr an mit der Folge, dass eine Verminderung von Mitentscheidungsrechten auch eine Verminderung der Grundrechtseffektivität darstellt, zu der der Gesetzgeber legitimiert sein muss. Diese Legitimation entspricht der im Maßgabevorbehalt des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf angelegten Relativierungsaufgabe. Sie ist Teil dieser Aufgabenerfüllung, indem der Gesetzgeber deren Resultat vor dem Grundrecht rechtfertigen muss. Die Rechtfertigung gelingt, wenn das Gestaltungsergebnis im Weg praktischer Konkordanz die in Art. 37 Abs. 3 ThürVerf zusammenfließenden Verfassungsprinzipien, nämlich das eher subjektiv-individualistische Anliegen einer vom Menschenwürdeprinzip unterstützten Stärkung des Freiheitsgrundrechts und das von der objektiven Verfassungsordnung her kommende Anliegen der Stärkung rechtsstaatlicher Verwaltungseffizienz und der Wahrung des Demokratieprinzips, aufgenommen und sie in einer dem Grundrechtsgehalt adäquaten Weise zur Geltung gebracht hat. Diese Konkordanz erreicht der Gesetzgeber durch Anwendung der richtigen Mittel auf den jeweiligen Regelungsanlass. Ist die Mittelauswahl Sache des Gesetzgebers, ergibt sich die verfassungsrechdich relevante Richtigkeit dieser Auswahl aus dem Regelungsergebnis. Dieses muss das Grundrecht konkretisieren, indem es seine Grenzen sowohl von innen her erkennbar macht und beschreibt, als auch das Grundrecht im Rahmen des Systems der Verfassungsordnung präzisiert und so den Geltungsraum des Grundrechts von außen her klarstellt. Verfassungskonform ist das Ergebnis dieses Bestimmungsprozesses, wenn es die wesensprägenden inneren Bedingungen des Grundrechts zur Geltung bringt. Bezogen auf Art. 37 Abs. 3 ThürVerf bedeutet dies, dass ein mitbestimmungsrelevantes, das bisherige Maß an Mitentscheidungszuständigkeiten zurücknehmendes Landesgesetz mit Blick auf das Mitbestimmungsgrundrecht unbedenklich ist, wenn es einen von den objektiven Zwecken des Grundrechts her veranlassten Regelungsbedarf in einer die subjektiven, den Beschäftigten als Einzelpersonen zugeordneten Zwecke möglichst schonenden Weise verwirklicht (vgl. SächsVerfGH, PersR 2001, 367, 370). Schonend iSd Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ist dieser Ausgleich, wenn im Einzelfall die für die Einschränkung des Mitbestimmungsrechts sprechenden Gründe das Bedürfnis nach Beibehaltung oder Zuerkennung des vollen Mitentscheidungsrechts deutlich überwiegen (vgl. SächsVerfGH, aaO, 371). Unter diesen Voraussetzungen ist der Landesgesetzgeber nicht von Verfassungs wegen an eine frühere gesetzliche Konkretisierung der Beteiligungsrechte gebunden oder verpflichtet, die Regelungsdichte des Bundesrechts oder des Personalvertretungsrechts der anderen Bundesländer deckungsLVerfGE 15

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gleich zu übernehmen, wenngleich der dort anzutreffende Rechtsbestand, insbesondere soweit er übereinstimmt, als Hilfsmaßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Personalvertretungsrechts eines einzelnen Bundeslandes verwendbar ist. Der Landesgesetzgeber darf vielmehr neue Beteiligungsrechte und Mitbestimmungsverfahren einführen und dabei nach bisherigem Recht begründete Mitbestimmungspositionen ausweiten oder beschränken. dd) Muss der Gesetzgeber bei Verminderung der Mitbestimmungsrechte seinen Gesetzesbeschluss vor Art. 37 Abs. 3 ThürVerf rechtfertigen, so hat diese Rechtfertigungsnotwendigkeit doch auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Landesverfassung, indem sie dem Gesetzgeber die Ausgestaltungsaufgaben im oben ausgeführten Sinn anvertraut hat, es dem Landesgesetzgeber überlässt, den Regelungsbedarf und die Regelungsmittel zu bestimmen. Deswegen kommt dem Gesetzgeber bei der Zuordnung einer konkreten, dem Mitbestimmungsgrundrecht unterfallenden Angelegenheit zu einer bestimmten Beteiligungsform oder einem bestimmten Beteiligungsverfahren eine Einschätzungsprärogative zu. Nach dieser kann er weitgehend selbst bestimmen, wie er dem Recht auf Mitbestimmung im öffentlichen Dienst tatsächliche Wirksamkeit verschafft (vgl. SachsVerfGH, aaO, 370 ff). Dieser Gestaltungsspielraum korrespondiert mit der Intensität des Grundrechtseingriffs. Geht es um Regelungen von besonderer Eingriffstiefe, wie etwa den Ausschluss bestimmter Personengruppen von der Mitbestimmung (vgl. § 4 Abs. 5 ThürPersVG) oder den Ausschluss der Beteiligung des Vertretungsorgans bei bestimmten Personengruppen oder bestimmten Entscheidungsgegenständen, kann er sich verengen oder gar - wie bei § 4 Abs. 5 Nr. 5 ThürPersVG - „auf Null" reduzieren. ee) Dieser Inhaltsbestimmungsprärogative entsprechend ist die Prüfungskompetenz des Thüringer Verfassungsgerichtshofs darauf beschränkt, zu untersuchen, ob die vom Gesetzgeber getroffene Regelung sich an einer sachgerechten, konkret nachvollziehbaren und damit vertretbaren Beurteilung orientiert. Da Art. 37 Abs. 3 ThürVerf kein bestimmtes Mitbestimmungsmodell vorgibt, sind im Rahmen der konkreten Ausgestaltung von Βeteiligungsformen und verfahren einschließlich der Zuordnung einzelner Beteiligungstatbestände zu den einzelnen Beteiligungsformen stets mehrere verfassungsrechtlich zulässige Konkretisierungsmöglichkeiten denkbar. Kommt dem Thüringer Verfassungsgerichtshof als Rechtsprechungsorgan im Verhältnis zum Landesgesetzgeber insoweit ein Konkretisierungsprimat nicht zu, darf die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte den verfassungsmäßigen Handlungsspielraum des Landesgesetzgebers nicht übertreffen, sondern muss mit diesem korrespondieren (vgl. Hesse Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten des Gesetzgebers, FS Mahrenholz, 1994, S. 541, 553/554). Soweit also Art. 37 Abs. 3 ThürVerf dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Beteiligungsrechten einen Gestaltungsspielraum eröffnet und ihm erlaubt, den objektiven Gehalt der LVerfGE 15

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Norm durch typisierende Betrachtungen auszufüllen bzw. seinen Regelungen tatsächliche Einschätzungen und Prognosen zugrunde zu legen, beschränkt sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf eine Vertretbarkeitsprüfung. Danach sind die betreffenden Regelungen nicht darauf zu untersuchen, ob der Gesetzgeber unter Wahrung anderer Interessen eine noch „mitbestimmungsfreundlichere" Regelung hätte finden können. Vielmehr hat sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob die beanstandeten Vorschriften den aus Art. 37 Abs. 3 ThürVerf folgenden inhaltlichen Vorgaben in sachlich vertretbarer Weise gerecht werden. Nur soweit sich dieser gesetzgeberische Handlungsspielraum bei Regelungen von besonderer, allein durch zwingende Gründe zu rechtfertigender Eingriffsintensität verengt, verdichtet sich auch die dem Thüringer Verfassungsgerichtshof zustehende Prüfungsbefugnis (vgl. SächsVerfGH, aaO, 373 zu Art. 26 S. 2 SächsVerf). Die Konkretisierung der Vertretbarkeitsgrenze hat mit Bück auf die beanstandeten Vorschriften unter Berücksichtigung der für die betreffende Regelung maßgebenden Gründe zu erfolgen. Insoweit kann nur im Grundsatz festgehalten werden, dass die Vertretbarkeitsgrenze jedenfalls unterschritten ist, wenn Beteiligungsrechte ohne hinreichende sachliche Rechtfertigung unzumutbar verkürzt werden, weil etwa eine Abwägung mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz erkennbar überhaupt nicht stattgefunden hat oder verfassungsmäßig nicht legitimierte Interessen hierbei Beachtung gefunden haben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle prinzipiell eine Ergebniskontrolle ist, so dass etwaige Begründungsdefizite im Gesetzgebungsverfahren als solche nur zur Verfassungswidrigkeit einer Norm führen, wenn sie Folgen für den Inhalt der Norm zeitigen. III. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe halten die weiteren, von der Antragstellerin als verfassungswidrig gerügten Bestimmungen des Ersten Änderungsgesetzes zum Thüringer Personalvertretungsgesetz der verfassungsgerichtlichen Prüfung stand. 1. Die Neufassung der §§ 16, 17 Abs. 3 und 53 Abs. 3 S. 2 ThürPersVG, durch die die Höchstzahl der Mitglieder des Personalrats und der Stufenvertretungen und die höchstmögliche Mindestzahl der Gruppenvertreter verringert worden sind, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. a) § 16 ThürPersVG idF des Änderungsgesetzes vom 25.6.2001 verringert die Höchstzahl der Mitglieder des Personalrats von 25 auf 15 und beendet damit auch den Anstieg der letztgenannten Zahl in Dienststellen mit 3001 und mehr Beschäftigten. Die Neuregelung vermindert so das bis zu ihrem Inkrafttreten in Thüringen gegebene Maß an Mitbestimmung. Gleiches ergibt sich für die Neufassung des § 17 Abs. 3 ThürPersVG, der die höchstmögliche Mindestzahl der Vertreter einer Beschäftigtengruppe (Beamte, LVerfGE 15

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Angestellte, Arbeiter) von 6 auf 4 reduziert und darüber hinaus den degressiven Anstieg der letztgenannten Zahl bei 1001 und mehr Gruppenangehörigen beendet. Die Neufassung des § 53 Abs. 3 ThürPersVG führt die Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen (Bezirkspersonalrat, Hauptpersonalrat) von 25 auf 13 zurück und beendet den bisherigen weiteren Anstieg der letztgenannten Zahl in Dienststellen mit 2001 und mehr Beschäftigten. b) Diese Zurücknahmen des bisherigen Mitbestimmungsumfangs sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verminderung der Beschäftigtenrepräsentanz im originären Mitbestimmungsorgan „Personalrat" bzw. in den ihm zugeordneten Stufenvertretungen bewirkt keine wesentliche und nachhaltige Schwächung des Mitbestimmungsgrundrechts. aa) Die Regelungen der §§16 und 17 Abs. 3 ThürPersVG betreffen die Bildung und Zusammensetzung der örtlichen Personalräte, die als zur Ausübung des Grundrechts auf Mitbestimmung notwendige Repräsentationsorgane der Beschäftigten in ihrer Dienststelle vom Schutzbereich des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf erfasst sind. Hieraus ergibt sich die Erheblichkeit des Normenkontrollantrags in diesem Punkt. Hinsichtlich der auf § 53 Abs. 3 ThürPersVG bezogenen Rügen ist die Erheblichkeit zu bezweifeln, weil die bei den Mittelbehörden und den obersten Dienstbehörden zu bildenden Stufenvertretungen Bezirks- und Hauptpersonalrat keine zur Ausübung des Mitbestimmungsgrundrechts notwendigen Repräsentationsorgane der Beschäftigten einer Dienststelle sind. Dies folgt daraus, dass auch bei den Mittelbehörden und den obersten Dienstbehörden, die nach § 6 Abs. 1 ThürPersVG ihrerseits Dienststellen im Sinne des Gesetzes sind, nach § 12 Abs. 1 ThürPersVG - neben den Stufenvertretungen - jeweils örtliche Personalräte zu bilden sind (vgl. für die entsprechenden Bestimmungen im BPersVG: Faber in: Lorenzen/Schmitt/Etzel u.a., BPersVG, Losebl., § 6 Rn. 19 und 23) und die Stufenvertretungen nur in den Ausnahmefällen des § 82 Abs. 2 ThürPersVG die Funktion eines örtlichen Personalrats wahrnehmen. Es kann jedoch offen bleiben, ob danach die Verringerung der Höchstzahl der Mitglieder der Stufenvertretungen von 25 auf 13 überhaupt den Schutzbereich des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf berührt (vgl. dazu SächsVerfGH, PersR 2001, 367, 376, der dies für Art. 26 SächsVerf offen lässt). Denn die Regelung ist jedenfalls verfassungskonform. bb) Die §§16, 17 Abs. 3 und 53 Abs. 3 ThürPersVG sind organisatorische Bestimmungen, bei deren Gestaltung der Landesgesetzgeber nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf grundsätzlich einen weiten Spielraum hat. Zwar muss er organisatorische und verfahrensmäßige Vorschriften schaffen, die eine effektive Verwirklichung des Grundrechts auf Mitbestimmung unter Beachtung seiner sich aus anderen verfassungsmäßig legitimierten Interessen ergebenden Grenzen gewährleisten. Bei der Beurteilung, in welcher Weise dies konkret zu geschehen hat, steht ihm LVerfGE 15

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aber eine Einschätzungsprärogative zu, die ihm erlaubt, weitgehend nach eigenem Gestaltungsermessen zu bestimmen, wie dem Recht auf Mitbestimmung im öffentlichen Dienst tatsächliche Wirksamkeit zu verschaffen ist. Das Ergebnis dieser gesetzgeberischen Einschätzung prüft der Thüringer Verfassungsgerichtshof nicht auf seine inhaltliche Richtigkeit oder Uberzeugungskraft, sondern nur darauf, ob die konkrete Regelung den Rahmen der Realisierung und Konkretisierung des Mitbestimmungsgrundrechts „nach unten" verlässt und die Teilhabe der Beschäftigten an den Behördenentscheidungen auf ein Maß reduziert, das nicht mehr als Mitbestimmung iSd Art. 37 Abs. 3 ThürVerf bezeichnet werden kann, weil diese Teilhabe keine nennenswerte Chance hat, auf das Ergebnis der Entscheidungsfindung des Dienstherrn einzuwirken. Dabei wäre die Grenze der Vertretbarkeit überschritten, wenn der Gesetzgeber Organisationsregelungen geschaffen hätte, die ersichtlich zu einer erheblichen Einschränkung oder gar Aufhebung der Funktionsfähigkeit der Personalvertretungen führen, oder wenn im Gesetzesbeschluss gegenläufige Interessen zum Ausdruck gekommen wären, die der Gesetzgeber legitimerweise nicht berücksichtigen durfte. Hieran gemessen sind die Bestimmungen der §§ 16, 17 Abs. 3 und 53 Abs. 3 n.F. ThürPersVG nicht zu beanstanden. (1) Die durch § 16 n.F. ThürPersVG bewirkte, ohnehin nur größere Dienststellen mit mehr als 3000 Beschäftigten betreffende Verkleinerung der Personalräte auf höchstens 15 Mitglieder vermindert entgegen der Ansicht der Antragstellerin die Effektivität der Tätigkeit dieser Gremien weder wesentlich noch nachhaltig noch stellt sie gar deren Funktionsfähigkeit in Frage. Zwar mag, weil in den größeren Dienststellen jedes einzelne Personalratsmitglied statistisch mehr Beschäftigte als früher zu betreuen hat, die Rückkoppelung der Personalratsmitglieder zu den durch sie repräsentierten Beschäftigten „länger" geworden sein mit der Folge einer erschwerten Erfassung und Umsetzung der Beschäftigteninteressen. Andererseits steigt mit der Zahl der Personalratsmitglieder nicht notwendig die Willensbildungs- und Entscheidungsfähigkeit des Gremiums selbst. Erfahrungsgemäß erhalten sich mitgliederstarke Repräsentationsorgane ihre Handlungsfähigkeit durch die Bildung von Untergruppen wie etwa Ausschüsse mit der Folge einer Verminderung der Teilhabe des einzelnen Repräsentanten an der Sacharbeit des Organs. So gesehen wird die Vergrößerung des Repräsentanzverhältnisses ausgeglichen durch eine bessere Teilhabe des einzelnen Personalratsmitglieds an den Entscheidungen im zahlenmäßig verkleinerten Personalrat. (2) Diese Feststellung weist darauf hin, dass der Gesetzgeber mit § 16 n.F. ThürPersVG keine sachfremden Interessen verfolgt hat. Die Gesetzesmaterialien bestätigen diesen Hinweis. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs (Drs. 3/1419) hat sich der Gesetzgeber aufgrund des in Art. 44 Abs. 1 S. 1 ThürVerf verankerten Rechtsstaats- und Demokratieprinzips für verpflichtet gehalten, „auf eine effiziente, d.h. möglichst optimale Verwirklichung des Rechts- und SachaufLVerfGE 15

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träges der Verwaltung in der zeitlichen, finanziellen und quantitativen Dimension zu achten", d.h. das verfassungsmäßig legitime Ziel der Verwaltungseffektivität anzustreben. Dabei ist er davon ausgegangen, dass sich die personalvertretungsrechtlichen Gremien in der Praxis als „zu groß und damit zu schwerfällig und kostenintensiv" erwiesen hätten; Kostenersparnisse seien durch „weniger Dienstbefreiungen", eine "geringere Anzahl der einzustellenden Ersatzkräfte", „weniger Fortbildungsveranstaltungen" und geringere „Reisekosten" zu erwarten. Dementsprechend hat er die Höchstzahl der Mitglieder der Personalvertretungen „in Abwägung zwischen der notwendigen Sicherung der Arbeitsfähigkeit dieser Gremien, dem zukünftig verringerten Arbeitsaufkommen durch die Reduzierung der Beteiligungsfälle und dem Kostendruck der öffentlichen Haushalte" verringert. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist nicht davon auszugehen, dass die in der Begründung des Gesetzentwurfs erwähnte Abwägung der nicht notwendig widerstreitenden Interessen der Funktionsfähigkeit der Personalvertretungen und der Effektivität der Verwaltung im Gesetzgebungsverfahren tatsächlich nicht stattgefunden hat, zumal der Gesetzentwurf die Aspekte benennt, die bei der Festsetzung der Höchstzahl der Personalratsmitglieder im wesentlichen zu beachten waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber keinem Dokumentationszwang in dem Sinne unterliegt, dass er gehalten ist, sämtliche Überlegungen, die zu einer verabschiedeten Gesetzesbestimmung geführt haben, nach Art eines Kommentars im Detail darzustellen (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 18.9.1998, VerfGH 1/97, 4/97). Da Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den Landesgesetzgeber im Übrigen nicht an die vorkonstitutionellen Regelungen des ThürPersVG von 1993 bindet, ist er auch nicht verpflichtet, jede Abweichung von der bisherigen Rechtslage besonders zu rechtfertigen. (3) Schließlich erscheint die Verkleinerung der Personalräte in größeren Dienststellen auf maximal 15 Mitglieder auch im Vergleich mit der Gesetzeslage im Bund und in den anderen Ländern nicht als unverhältnismäßig und unvertretbar. Nach § 16 BPersVG sind die Personalräte in Dienststellen mit bis zu 3000 Beschäftigten mit 15 Mitgliedern zu besetzen; die meisten Länder haben ähnliche Regelungen getroffen. Insoweit entspricht § 16 n.F. ThürPersVG im Wesentlichen der Gesetzeslage im Bund und in den Ländern. Die Höchstzahl der Mitglieder des Personalrats in größeren Dienststellen ist zwar im Bund und in einigen Ländern höher als in Thüringen. Jedoch sehen die Personalvertretungsgesetze von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein auch niedrigere Höchstzahlen von jeweils 13 Personalratsmitgliedern vor. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass Thüringen als ein seiner Bevölkerungszahl nach vergleichsweise kleines Bundesland im Bereich der Verwaltungen des Landes oder der Kommunen nur wenige größere Dienststellen mit mehreren tausend Beschäftigten unterhält.

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cc) Diese Überlegungen gelten in gleicher Weise auch für die let2tlich nur als notwendige Annexregelung zur § 16 ThürPersVG anzusehende Verringerung der höchstmöglichen Mindestzahl der Gruppenvertreter nach § 1 7 Abs. 3 n.F. ThürPersVG und die Verkleinerung der Stufenvertretungen in größeren Mittelbehörden und obersten Dienstbehörden nach § 53 Abs. 3 n.F. ThürPersVG. 2. Die die „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und die „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" betreffenden Neuregelungen des § 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ThürPersVG stehen mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf in Einklang. a) Die Erheblichkeit des Normenkontrollantrags ergibt sich daraus, dass der Landesgesetzgeber durch die Neufassung des § 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ThürPersVG die Beteiligungstatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" einheitlich für alle Gruppen von Beschäftigten also Beamte, Angestellte und Arbeiter - der eingeschränkten Mitbestimmung zugeordnet hat, wogegen diese Tatbestände nach altem Recht nur bei Beamten der eingeschränkten Mitbestimmung unterlagen (§ 75 Abs. 2 Nr. 1 und 2 a.F. ThürPersVG), während sie bei Angestellten und Arbeitern der vollen Mitbestimmung zugeordnet waren (§ 74 Abs. 3 Nr. 7 und 8 a.F. ThürPersVG). Die damit bewirkte Verminderung des Mitbestimmungsrechts bei den tariflich Beschäftigten ist verfassungsrechtlich unbedenklich. b) Die volle Mitbestimmung gewährt gegenüber der eingeschränkten Mitbestimmung dem örtlichen Personalrat keine stärkeren Beteiligungsrechte. Vielmehr unterscheiden sich beide Formen der Mitbestimmung nur darin, dass der auf einer höheren hierarchischen Stufe gebildeten Einigungsstelle bei der vollen Mitbestimmung grundsätzlich ein Entscheidungsrecht und bei der eingeschränkten Mitbestimmung nur eine Empfehlungskompetenz zukommt, so dass im Nichteinigungsfall der Personalrat bei voller Mitbestimmung bessere Chancen hat, seine Meinung durchzusetzen. Nach § 69 Abs. 1 a.F. und n.F. ThürPersVG, der in seinem Wortlaut § 69 Abs. 1 BPersVG entspricht, kann nämlich eine Maßnahme, soweit sie der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, nur mit dessen Zustimmung getroffen werden. Kommt dabei zwischen dem Personalrat und dem Leiter der Dienststelle keine Einigung zustande, ist die Angelegenheit letztlich der bei der obersten Dienstbehörde gebildeten Einigungsstelle vorzulegen, die mit je drei von der obersten Dienstbehörde und der bei ihr bestehenden Personalvertretung benannten Beisitzern und einem unparteiischen Vorsitzenden besetzt ist. Die Einigungsstelle entscheidet durch Beschluss (vgl. §§ 69 Abs. 3; 71 n.F. ThürPersVG). Dabei beschließt sie in den Fällen der eingeschränkten Mitbestimmung nach § 75 nur eine Empfehlung an die oberste Dienstbehörde, während sie im Rahmen der vollen Mitbestimmung nach § 74 eine für die Beteiligten grundsätzlich verbindliche Entscheidung trifft (§ 71 Abs. 5 n.F. ThürPersVG). Diese LVerfGE 15

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Entscheidung der Einigungsstelle wird allerdings nach § 71 Abs. 6 n.F. ThürPersVG wieder aufgehoben, wenn die Landesregierung auf Antrag der obersten Dienstbehörde eine abweichende Entscheidung trifft (sog. Evokationsrecht). c) Die durch § 75 Abs. 3 Nr. 2 und 3 n.F. ThürPersVG verursachte mitbestimmungsrechtliche „Beschwer" ist daher gering. (1) Die Neuregelung vermindert hinsichtlich der tariflich Beschäftigten das Mitbestimmungsrecht des örtlichen Personalrats nicht unmittelbar. Die „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" hing bzw. hängt bei allen Beschäftigtengruppen sowohl nach altem als auch nach neuem Recht von der Zustimmung des örtlichen Personalrats ab. Die von der Antragstellerin angegriffene Neuregelung wirkt sich erst dann aus, wenn der Personalrat seine Zustimmung verweigert, indem er etwa einen vom Leiter der Dienststelle zur Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung vorgeschlagenen Beschäftigten ablehnt oder einer beabsichtigten Änderung der Personalfragebogen widerspricht. Mitbestimmungsrelevant ist die Neuregelung in diesem Fall erst darin, dass - gegebenenfalls nach Durchlauf des Stufenvertretungsverfahrens bei Nichteinigung der obersten Dienstbehörde mit dem bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat - das früher bestehende Letztentscheidungsrecht der unabhängigen Einigungsstelle auf eine Empfehlungskompetenz beschränkt ist. Bei der Bewertung dieses Sachverhalts ist indessen in Rechnung zu stellen, dass das Entscheidungsrecht der Einigungsstelle verfassungsrechtlich durch das Demokratieprinzip geboten - durch das sog. Evokations- und Letztentscheidungsrecht der Landesregierung überlagert wird. Außerdem ist in die verfassungsrechtliche Würdigung der durch die Neufassung des § 75 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ThürPersVG eingetretenen Minderung des Mitbestimmungsrechts der Umstand einzubeziehen, dass die Einflussmöglichkeiten der Repräsentanten der Beschäftigten auf die „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" bei Beamten durch die Neuregelung des Einigungsstellenverfahrens und der Mitbestimmungstatbestände der §§ 74 und 75 ThürPersVG insgesamt - die nicht Gegenstand des Normenkontrollantrags ist im Vergleich zur alten Rechtslage „verbessert" worden sind. Denn diese Tatbestände waren, soweit sie Beamte betrafen, nach § 69 Abs. 4 Satz 3 und 4, Abs. 7 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 a.F. ThürPersVG der Beteiligung der Einigungsstelle völlig entzogen, so dass diese nicht einmal befugt war, der letztentscheidenden obersten Dienstbehörde eine Empfehlung zu geben. (2) Hinzu kommt, dass die grundsätzlich erforderliche Abwägung, ob für ein konkretes Zurückgehen auf eine generell weniger zum Grundrechtsschutz geeignete, schwächere Beteiligungsform ausreichend durch sonstige verfassungsmäßig

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legitimierte Interessen legitimiert ist, im Verhältnis der vollen zur eingeschränkten Mitbestimmung nur modifiziert stattfindet. Den Anforderungen an ein echtes Mitentscheidungsrecht iSd Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ist Rechnung getragen, wenn dem jeweiligen Vertretungsorgan auf Dienststellenebene eine Mitentscheidungsbefugnis zusteht. Dagegen erfahren die Interessen der Beschäftigten oder die Rechte des Vertretungsorgans durch die Beteiligung der Stufenvertretungen auf den Ebenen der Mittel- bzw. der obersten Dienstbehörden keine wesentliche Stärkung. Denn diese fuhrt nur zu einer Wiederholung des bereits durchgeführten Verfahrens auf einer Ebene, auf der die unmittelbare Rückbindung an die Interessen der in der Dienststelle betroffenen Beschäftigten nicht mehr gegeben ist (vgl. SächsVerfGH, PersR 2001, 367, 376). Diese Beteiligung ist im Übrigen für die Repräsentation der durch einen eigenen Personalrat vertretenen Beschäftigten der Mittel- bzw. obersten Dienstbehörden nicht erforderlich, weshalb - wie ausgeführt - schon zweifelhaft ist, ob die Stufenvertretungen überhaupt dem Schutzbereich des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf unterfallen. Ob ein echtes Mitentscheidungsrecht vorliegt, hängt schließlich auch nicht davon ab, ob der Einigungsstelle eine Entscheidungs- oder eine Empfehlungskompetenz zukommt mit der sonst gegebenen Folge, dass die eingeschränkte Mitbestimmung trotz der Mitentscheidungsbefugnis des örtlichen Personalrats gleichwohl nicht als Mitbestimmung iSd Art. 37 Abs. 3 ThürVerf und damit gegenüber der vollen Mitbestimmung als „rechtfertigungsbedürftiges Minus" anzusehen wäre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Einigungsstelle ein uneingeschränktes, verbindliches Letztentscheidungsrecht, wie es das alte ThürPersVG noch vorsah, aus zwingenden, vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24.5.1995 (BVerfGE 93, 37) dargelegten verfassungsrechtlichen Gründen von vornherein nicht zukommen kann. Der verbleibende geringe qualitative Unterschied der Beteiligung der der Einigungsstelle angehörenden Repräsentanten der Beschäftigten rechtfertigt es nicht, die eingeschränkte gegenüber der vollen Mitbestimmung als generell weniger geeignet zur Verwirklichung des Mitbestimmungsgrundrechts anzusehen. Im Übrigen ist die Einigungsstelle wegen ihrer paritätischen Besetzung in ihrer Gesamtheit auch kein „Vertretungsorgan" der Beschäftigten, so dass nicht einfach darauf verwiesen werden kann, ein echtes Mitentscheidungsrecht sei nur gegeben, wenn den Vertretungsorganen der Beschäftigten auch im weiteren Mitbestimmungsverfahren Mitentscheidungsbefugnisse zustünden (vgl. SächsVerfGH, aaO, 376). Nach diesen Überlegungen steht dem Gesetzgeber bei der Entscheidung, ob er einen Beteiligungstatbestand der vollen oder der eingeschränkten Mitbestimmung zuordnet, prinzipiell ein weiterer Spielraum zu als bei der Wahl zwischen sog. echter Mitbestimmung und schlichter Mitwirkung. Danach ist er nicht gehalten, der Beteiligungsform der vollen Mitbestimmung generell den Vorzug zu geben und nur dann die eingeschränkte Mitbestimmung zu wählen, wenn hierfür überwiegende verfassungsmäßig legitime Interessen sprechen. Vielmehr ist es LVerfGE 15

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grundsätzlich ihm überlassen, ob er einen Beteiligungstatbestand der vollen oder der eingeschränkten Mitbestimmung zuweist. Dies bedeutet indessen nicht, dass er nach seinem Belieben die Wahl zwischen beiden Mitbestimmungsformen hätte. Es kann dahinstehen, ob Art. 37 Abs. 3 ThürVerf im Einklang mit den Rahmenregelungen des § 104 S. 2 und 3 BPersVG dahingehend auszulegen ist, dass er den Gesetzgeber verpflichtet, zumindest für einzelne Angelegenheiten eine volle Mitbestimmung mit einer Entscheidungskompetenz einer unabhängigen Stelle vorzusehen. Jedenfalls müssen für die vorgenommene Zuordnung zur eingeschränkten Mitbestimmung nachvollziehbare sachliche Gründe sprechen, zu denen auch die Bedeutung der Angelegenheit für die Beschäftigten und für den Amtsauftrag gehört. Sie zu ermessen ist Aufgabe des Gesetzgebers, dessen Einschätzung der Thüringer Verfassungsgerichtshof nur auf ihre Vertretbarkeit überprüfen kann. Sprechen Gründe sowohl für die Zuordnung zur vollen als auch zur eingeschränkten Mitbestimmung, ist der Gesetzgeber in der Wahl der Mitbestimmungsform frei. Insbesondere kann der Gesetzgeber hier auch auf den organschaftlichen Charakter der Personalvertretung abstellen und erwägen, ob eine von der obersten Dienstbehörde auf der Grundlage der Empfehlung der Einigungsstelle getroffene Entscheidung nicht typischerweise besser geeignet ist, die Belange des betroffenen Verwaltungszweigs und ein ihn prägendes Herkommen in den Schlichtungsprozess zwischen Personalrat und Behördenleitung einfließen zu lassen, als eine Letztentscheidung der Einigungsstelle und ihres zwar unparteiischen, in der Regel aber außerhalb des betroffenen Verwaltungszweigs stehenden Vorsitzenden, dessen Stimme im Falle der Stimmengleichheit innerhalb der Einigungsstelle ausschlaggebend ist. (3) Schließlich sind die Beteiligungstatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" zwar bei Angestellten und Arbeitern, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24.5.1995 ausgeführt hat, sog. innerdienstliche Angelegenheiten der ersten Stufe, die in ihrem Schwerpunkt die Beschäftigten in ihrem Beschäftigungsverhältnis betreffen. Bei der Gruppe der Angestellten und Arbeiter berühren sie die Wahrnehmung von Amtsaufgaben gegenüber dem Bürger typischerweise kaum oder nur unerheblich und können daher aus Sicht des Demokratieprinzips der vollen Mitbestimmung mit einem eingeschränkten Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle unterliegen (vgl. BVerfG aaO, 71). Dagegen sind die entsprechenden Beteiligungstatbestände für Beamte nach der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Personalpolitik betreffende Angelegenheiten der dritten Stufe, die schwerpunktmäßig die Erledigung von Amtsaufgaben zum Gegenstand haben, unvermeidlich aber auch die Interessen der Beschäftigten berühren und von so großer Bedeutung für die Erfüllung des Amtsauftrages sind, dass sie aus Sicht des Demokratieprinzips allenfalls der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegen können (vgl. BVerfG aaO, 73). Dementsprechend ordnen § 76 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 LVerfGE 15

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BPersVG und einige Landespersonalvertretungsgesetze diese Tatbestände der eingeschränkten Mitbestimmung zu (z.B. Art. 70 Abs. 6 S. 1; 75 Abs. 4 Nr. 10 BayPersVG). Die Aufgabe dieser Differenzierung je nach öffentlich-rechtlicher oder vertraglicher Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses ist angesichts der häufig anzutreffenden Austauschbarkeit des Amtswalterstatus naheliegend und aus Gründen der Einheitlichkeit des Personalvertretungswesens in der öffentlichen Verwaltung zumindest sachlich legitimiert. Sie liegt für die hier betroffenen Beteiligungstatbestände auch deswegen auf der Hand, weil sich hierbei das Mitwirkungsbedürfnis aus der Sicht der Beschäftigten in gleicher Weise ergibt und aus der Gesamtsicht des Behördenorganismus eine unterschiedliche Beteiligungsintensität Leitungsprobleme verursachen kann, die nicht Folge eines sachlich gerechtfertigten Zustande sind. Die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern einerseits und Beamten andererseits ist daher für die hier fraglichen Beteiligungstatbestände in einigen neueren Personalvertretungsgesetzen der Länder nicht mehr anzutreffen (z.B. § 77 Abs. 2 Nr. 1 HessPersVG; §§ 63 Abs. 1 Nr. 22; 66 Nr. 13 BbgPersVG). d) Es ist daher von Art. 37 Abs. 3 ThürVerf her unbedenklich, dass der Landesgesetzgeber aus den vorgenannten Gründen bei der Neuregelung der Beteiligungstatbestände „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und „Einführung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" eine vermittelnde Lösung beschlossen hat. Dieser Kompromiss liegt darin, dass der Gesetzgeber für die tariflich Beschäftigten die Mitbestimmung auf die eingeschränkte Form zurückgenommen und diese Mitbestimmungsform für die Gruppe der Beamten beibehalten hat, obwohl insoweit auch das Zurückgehen auf die einfachste Teilhabeform der schlichten Mitwirkung verfassungsrechtlich unbedenklich gewesen wäre. 3. Die die „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" betreffende Neuregelung des § 75 Abs. 3 Nr. 1 ThürPersVG verstößt nicht gegen Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. Die vorstehenden Grundsätze zum verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen voller und eingeschränkter Mitbestimmung gelten auch für die durch § 75 Abs. 3 Nr. 1 n.F. ThürPersVG vorgenommene Herabstufung des von jeher alle Beschäftigtengruppen betreffenden Beteiligungstatbestandes „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten". Dabei ist wiederum zu beachten, dass der Landesgesetzgeber an die im alten Thüringer Personalvertretungsgesetz vorgesehene Zuordnung des Tatbestandes zur vollen Mitbestimmung von Verfassungs wegen nicht gebunden ist. Auch ist der Beteiligungstatbestand, den das Bundespersonalvertretungsgesetz nicht auffuhrt und das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 24.5.1995 nicht erwähnt, in einigen Personalvertretungsgesetzen LVerfGE 15

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der Länder ebenfalls der eingeschränkten Mitbestimmung zugeordnet (z.B. Art. 75a Abs. 1 Nr. 2 BayPersVG; § 80 Abs. 2 Nr. 2 Rh-PfPersVG). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs berühren die „Einfuhrung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" die individuellen Interessen der einzelnen Beschäftigten weniger schwerwiegend als die durch § 74 Abs. 2 Nr. 11 n.F. ThürPersVG der vollen Mitbestimmung zugeordnete „Einfuhrung, Anwendung, wesentlichen Änderung oder Erweiterung technischer Einrichtungen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen oder zu erfassen". Dementsprechend hat der Landesgesetzgeber die „Einführung, Anwendung, wesentliche Änderung oder Erweiterung automatisierter Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten" als Maßnahmen, die den Binnenbereich des Beschäftigungsverhältnisses betreffen und zugleich die Wahrnehmung des Amtsauftrages typischerweise nicht nur unerheblich berühren, in gleicher Weise wie die „Einfuhrung, wesentliche Änderung oder Erweiterung von Personalfragebogen" gewichtet und der eingeschränkten Mitbestimmung unterworfen. Diese Einschätzung ist sachgerecht und vertretbar, da es bei beiden Tatbeständen um die Erfassung personenbezogener Daten geht, die etwa für die optimale Auswahl, die Einsatzfähigkeit oder die Berechnung der Vergütung der Beschäftigten von Bedeutung sind. 4. § 75a ThürPersVG, der die Beteiligungsform der Mitwirkung einfuhrt und dieser verschiedene Beteiligungstatbestände zuordnet, ist gleichfalls mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf vereinbar. a) Die durch § 75a ThürPersVG in das Thüringer Personalvertretungsrecht eingeführte Beteiligungsform der Mitwirkung ist dadurch gekennzeichnet, dass die ihr unterliegenden Maßnahmen nicht von der Zustimmung des örtlichen Personalrats abhängen, weshalb auch eine Beteiligung der Einigungsstelle unterbleibt. Das Verfahren der Mitwirkung ist in dem ebenfalls neu in das Gesetz eingefügten § 69a ThürPersVG geregelt. Soweit der Personalrat an Entscheidungen mitwirkt, ist danach die beabsichtigte Maßnahme vor der Durchführung mit dem Ziel einer Verständigung rechtzeitig und eingehend mit ihm zu erörtern. Äußert sich der Personalrat nicht innerhalb von zehn Arbeitstagen oder hält er bei Erörterung seine Einwendungen oder Vorschläge nicht aufrecht, gilt die beabsichtigte Maßnahme als gebilligt, § 69a Abs. 2 S. 1 ThürPersVG. Erhebt der Personalrat Einwendungen, hat er diese förmlich zu begründen, § 69a Abs. 2 S. 2 ThürPersVG. Die Dienststelle entscheidet sodann über die Durchführung der Maßnahme. Dabei muss sie nach § 69a Abs. 3 ThürPersVG dem Personalrat ihre Entscheidung unter Angabe der sie tragenden Gründe schriftlich mitteilen, wenn sie seinen Einwendungen nicht oder nicht in vollem Umfang entspricht. Der Personalrat einer nachgeordneten Behörde kann daraufhin nach § 69a Abs. 4 ThürPersVG nach Art eines Stufenverfahrens die Angelegenheit den übergeordneten DienstLVerfGE 15

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stellen vorlegen. Die übergeordneten Behörden entscheiden in der Sache nach Verhandlung mit den bei ihnen bestehenden Stufenvertretungen. Ein nachfolgendes Verfahren vor der Einigungsstelle ist nicht vorgesehen. Die mit der Zuweisung einer Beteiligungsmaterie zur Beteiligungsform der Mitwirkung verbundene Zurücknahme an Mitbestimmungsqualität liegt damit auf der Hand und zwar sowohl für die Zurückstufung als auch für die erstmalige Zuordnung von Beteiligungstatbeständen. b) Wie ausgeführt, verbietet Art. 37 Abs. 3 ThürVerf dem Thüringer Gesetzgeber nicht, die gegenüber den Formen der echten Mitbestimmung schwächere Beteiligungsform der Mitwirkung für bestimmte Angelegenheiten zu normieren. Da Art. 37 Abs. 3 ThürVerf den Gesetzgeber nicht an das bei Inkrafttreten der Verfassung bereits geltende ThürPersVG vom 29.7.1993 bindet, spielt es auch keine Rolle, dass darin die Beteiligungsform der Mitwirkung nicht vorgesehen war. Allerdings darf der Gesetzgeber für einzelne Angelegenheiten die bloße Mitwirkung der zur Grundrechtsverwirklichung generell geeigneteren - vollen oder eingeschränkten - Mitbestimmung der Personalvertretung nur dann vorziehen, wenn dies besonders gerechtfertigt ist, wobei an diese Rechtfertigung umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je stärker die betreffende Angelegenheit typischerweise individuelle, kollektive oder auch konkurrierende Rechte und Interessen der Beschäftigten berührt. Ist danach eine Angelegenheit im Bereich der durch die Arbeits- oder Dienstverhältnisse geschaffenen Rechte- und Pflichtenbeziehung nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf beteiligungspflichtig, weil sie die dienstlichen Interessen der Beschäftigten mehr als nur unwesentlich berührt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie nur durch qualifizierte Beteiligungsrechte im Sinne von Mitentscheidungsrechten wirksam wahrgenommen werden kann, es sei denn, überwiegende verfassungsmäßig legitimierte Interessen sprechen gegen eine Mitentscheidungsbefugnis des Personalrats in der betreffenden Angelegenheit. Derartige Gründe führt der Gesetzgeber für die Neuregelung des § 75a ThürPersVG ins Feld. Ausschlaggebend für die Übernahme der im Bundespersonalvertretungsgesetz und in den Personalvertretungsgesetzen der meisten Bundesländer - mit Ausnahme von Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein - vorgesehenen Beteiligungsform der Mitwirkung war das Anliegen, die Wirksamkeit des Verwaltungshandelns aufgabenadäquat zu steigern. aa) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat sich der Landesgesetzgeber in Übereinstimmung mit Art. 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf in der Pflicht gesehen, die Beteiligungsverfahren, die in der Praxis „sowohl von der Anzahl als auch der Dauer her dem raschen Wandel in der Verwaltung nicht gerecht" würden, den Erfordernissen einer effizienten, modernen und kostengünstigen Verwaltung anzupassen. Dabei sollte insbesondere „die Verringerung der Beteiligungsfälle (durch Bindung an einen Antrag des Betroffenen) und die Beschleunigung der Beteiligungsverfahren (Reduzierung der Anzahl der möglichen EinigungsstellenLVerfGE 15

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verfahren und Einführung von Fristen)" zu „Senkungen des Vollzugsaufwandes und damit von Personalkosten" fuhren. Mit der Herabstufung von Angelegenheiten von der vollen oder eingeschränkten Mitbestimmung in die Mitwirkung, die insgesamt eine Verringerung der Einigungsstellenverfahren zur Folge hat, hat der Landesgesetzgeber also erklärtermaßen das Ziel verfolgt, die Effektivität der Verwaltung zu steigern. Wie dargelegt, will Art. 37 Abs. 3 ThürVerf auch diesem Zweck dienen. bb) Es ist offenkundig, dass die Einrichtung eines Mitwirkungsverfahrens bei gleichzeitiger Zuweisung bisher mitbestimmungspflichtiger Beteiligungstatbestände die Zahl der Einigungsstellenverfahren vermindert. Dadurch verkürzt sich die Dauer des Beteiligungsverfahrens in den betreffenden Angelegenheiten; das Beteiligungsverfahren wird insgesamt beschleunigt. Damit verbunden ist eine weniger formalisierte Verfahrensweise. Sie hat die nicht unwahrscheinliche Folge, dass ohne das den Streit aus der Behörde tragende Einigungsstellenverfahren die einen Meinungsstreit typischerweise begleitende Frontenbildung weniger formelle Züge tragen wird. Von daher steht dann zu erwarten, die Entscheidungsfindung werde sich, wenn sie innerhalb der Behörde verbleibt, mehr kooperativ als konfrontativ vollziehen. c) Rechtfertigen diese Gründe die Einführung der Beteiligungsform der schlichten Mitwirkung als solche, sind auch die durch § 75a ThürPersVG vorgenommenen Verschiebungen von Beteiligungstatbeständen von der Mitbestimmung zur Mitwirkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. aa) Das gilt zunächst für den Beteiligungstatbestand „Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit" nach § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ThürPersVG. (1) Mit dem neuen § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ThürPersVG ist eine nicht unerhebliche Verminderung der bisherigen Mitbestimmungsqualität verbunden. Bis zum Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vom 25.6.2001 war diese Materie als personelle Angelegenheit für Beamte und hoheitliche Tätigkeiten wahrnehmende Angestellte der Vergütungsgruppen ab V b der eingeschränkten Mitbestimmung zugeordnet (§§ 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 7; 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 a.F. ThürPersVG). Ausgenommen hiervon waren diejenigen Beamten und Angestellten, die der Besoldungsgruppe A 16 und höher oder einer entsprechenden tariflichen Vergütungsgruppe angehörten (§ 76 Abs. 1 ThürPersVG a.F.). Für die Arbeiter und die übrigen, nicht hoheitliche Tätigkeiten ausübenden und in geringere Vergütungsgruppen eingestuften Angestellten unterfiel der Tatbestand als personelle Angelegenheit der vollen Mitbestimmung (§ 74 Abs. 1 Nr. 9 a.F. ThürPersVG). Nach der Neufassung der §§ 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 1; 76 Abs. 1 ThürPersVG unterliegt der Tatbestand für alle Beschäftigten einheitlich der Mitwirkung des Personalrats. Ausgeschlossen bleibt dessen Beteiligung bei Beamten LVerfGE 15

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ab Besoldungsgruppe A 16 und bei Angestellten in entsprechenden Vergütungsgruppen. Hierbei ist indessen zu beachten, dass Versagung oder Widerruf einer Nebentätigkeitsgenehmigung bei Beamten in Bund und Ländern durch die jeweiligen Beamtengesetze und die hierzu ergangenen Rechtsverordnungen geregelt sind und diese Regelungen nach dem auch für die Länder und die Mehrheit der Gemeinden und Gemeindeverbände geltenden § 11 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT/BAT-O) auf Angestellte sinngemäß anzuwenden sind. Für die Arbeiter sehen § 13 Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (MTL II) und § 11 Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vor, dass eine Nebentätigkeit nur mit Zustimmung des Arbeitgebers ausgeübt werden darf, wobei diese im Hinblick auf Art. 12 GG lediglich unter bestimmten Voraussetzungen versagt oder widerrufen werden kann (vgl. Weiß!Steinmeier Arbeitsrecht für den öffentlichen Dienst, 3. Aufl. 1996, Rn. 127 ff). Da somit die Zulässigkeit einer Nebentätigkeit für alle Gruppen im Wesentlichen einheitlich weitgehend rechtlich normiert ist, beschränkt sich die Beteiligung der Personalvertretung auf die (Mit-)prüfung der Frage, ob im Einzelfall Rechtsgründe für die Versagung oder den Widerruf der Nebentätigkeitsgenehmigung vorliegen. (2) Die so modifizierte Verschlechterung der Mitbestimmungsqualität des Beteiligungstatbestands „Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit" ist verfassungsrechtlich durch die vom Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgten Zwecke gerechtfertigt. Zu dieser Änderung vermerkt die Begründung des Gesetzentwurfs, die veränderte Einstufung des Tatbestandes sei „Ausdruck der insgesamt erfolgten restriktiven Änderungen im Bereich des Nebentätigkeitsrechts". Dieser Ansatz trifft für sich selbst gesehen zu. Er hat den Gesetzgeber veranlasst, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass - die rechtliche Einengung der Genehmigungsmöglichkeiten ergänzend - eine Verschärfung der Genehmigungspraxis stattgefunden hat. Damit ist die Gefahr verbunden, dass ein meist durch Individualinteressen gespeistes Genehmigungsbegehren verstärkt Gegenstand eines Streits zwischen der auf die dienstlichen Belange abstellenden Behördenleitung und dem einzelnen Beschäftigten wird. Dass der örtliche Personalrat in diesen Streit einbezogen wird, kann er nicht vermeiden. Seine Beteiligung entspricht insbesondere hier dem organschaftlichen Zweck des Mitbestimmungsgrundrechts, indem auch der Personalrat das dienstliche Interesse gegen das Privatinteresse abwägen und feststellen muss, ob die Behördenleitung ihr Versagungsermessen überzeugend ausgeübt hat. Es ist indessen auch von der organschaftlichen Zielsetzung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf her nahe liegend, das im Beteiligungstatbestand angelegte Streitpotential behördenintern zu bewältigen und nicht neben dem verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz, welcher den von der Versagung betroffenen Beschäftigten eröffnet bleibt, ein personalvertretungsrechtliches Entscheidungsverfahren bis zur EiniLVerfGE 15

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gungsstelle zu treiben. Im Hinblick auf das im Gesetzentwurf dargelegte, verfassungsmäßig legitime Interesse des Gesetzgebers an der Steigerung der Effektivität der Verwaltung durch Reduzierung der Verfahren vor der Einigungsstelle ist daher die Einordnung dieses Beteiligungstatbestandes in die Mitwirkung nicht unvertretbar. Im Übrigen spricht für die getroffene Regelung, dass sie das Beteiligungsverfahren für die verschiedenen Beschäftigtengruppen vereinheitlicht und damit vereinfacht, was einerseits zur Verbesserung der Verwaltungseffizienz beiträgt und andererseits auch im Hinblick auf das im wesentlichen gleiche Nebentätigkeitsrecht bei Beamten und Angestellten sachgerecht erscheint. Dementsprechend ist der Beteiligungstatbestand „Versagung oder Widerruf der Genehmigung einer Nebentätigkeit" auch in einigen anderen Bundesländern der Mitwirkung zugewiesen (z.B. § 78 Abs. 1 Nr. 1 HessPersVG). bb) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist auch die Einstufung des Beteiligungstatbestands „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" durch § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ThürPersVG. (1) Bei vordergründiger Betrachtung hat § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ThürPersVG in das Mitbestimmungsrecht der Beschäftigten eingegriffen. Der seinem Wesen nach nur für Beamte geltende Beteiligungstatbestand unterlag nach altem Recht als Personalangelegenheit auf Antrag des Beamten der eingeschränkten Mitbestimmung des Personalrats ohne nachfolgende Beteiligung der Einigungsstelle (§§ 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 und S. 2; 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 a.F. ThürPersVG). Bei Beamten ab Besoldungsgruppe A 16 aufwärts kam eine Beteiligung des Personalrats überhaupt nicht in Betracht (§ 76 Abs. 1 a.F. ThürPersVG). Nach der Neufassung der §§ 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2; 76 Abs. 1 ThürPersVG ist die „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" der Mitwirkung des nur auf Antrag des Beamten tätigen Personalrats zugeordnet, soweit die Maßnahme nicht die von jeder Beteiligung der Personalvertretung ausgeschlossenen Beamten der Besoldungsgruppe A 16 und höher betrifft. Allerdings ergibt sich das Ausmaß dieses Eingriffs in das Mitbestimmungsrecht erst aus einem genaueren Blick auf das bis zum 5.7.2001 geltende Recht. Das alte ThürPersVG enthielt in § 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 für die eingeschränkte Mitbestimmung eine eigentümliche Regelung, nach der nur bei einem Teil der an sich der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegenden Tatbestände, nämlich der des § 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 8 a.F. ThürPersVG, die Einigungsstelle angerufen werden und diese eine Empfehlung an die oberste Dienstbehörde erteilen konnte. In den übrigen, der eingeschränkten Mitbestimmung zugeordneten Angelegenheiten des § 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 bis 10 und Abs. 2 a.F. ThürPersVG entschied die oberste Dienstbehörde nach Durchführung des Stufenverfahrens ohne jede Beteiligung der Einigungsstelle endgültig. In diesen Fällen sah das Gesetz also eine Beteiligungsform vor, die im Grunde eine „Zwitterstellung" zwischen der eingeschränkten Mitbestimmung und der Mitwirkung einnahm. EinerLVerfGE 15

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seits handelte es sich um ein echtes Mitbestiinmungsrecht, da die Maßnahme nach § 69 Abs. 1 ThürPersVG von der Zustimmung des örtlichen Personalrats abhing, andererseits gewährte sie „weniger" als die „reguläre" eingeschränkte Mitbestimmung, da zwar ein Stufen-, aber kein Einigungsstellenverfahren durchgeführt wurde, weshalb sie in der Begründung des Gesetzentwurfs zum neuen ThürPersVG sogar als „Mitwirkung" und in einem der während des Gesetzgebungsverfahrens eingeholten Gutachten als „Mitwirkung alter Art" bezeichnet wird (vgl. Rinken Gutachten zum Gesetzentwurf vom 1.6.2001, S. 8). Diese „Mitwirkung alter Art" hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Stufen- und des Einigungsstellenverfahrens in § 69 n.F. ThürPersVG beseitigt. Einen Teil der davon ursprünglich betroffenen, nunmehr „herrenlosen" Beteiligungstatbestände hat er in die „reguläre" eingeschränkte Mitbestimmung mit Beteiligung und Empfehlungskompetenz der Einigungsstelle „hochgestuft" (vgl. § 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 9, 10 und 12 und Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 und 9 a.F. ThürPersVG und § 75 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 bis 11 und Abs. 3 Nr. 2 bis 4 n.F. ThürPersVG). Den anderen Teil hat er in die neu geschaffene Beteiligungsform der Mitwirkung überführt (vgl. § 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 und Abs. 2 S. 1 Nr. 3 bis 8, 10 und 11 a.F. ThürPersVG und § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 und Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und 6 bis 9 n.F. ThürPersVG). Zu diesen Tatbeständen gehört die „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand". Im Ergebnis verschlechtert die „Herabstufung" aus der „Mitwirkung alter Art" in die „neue Mitwirkung" das personalvertretungsrechtliche Beteiligungsniveau in den betreffenden Angelegenheiten nicht. Vergleicht man das Verfahren der „Mitwirkung alter Art" nach § 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 und 4 a.F. ThürPersVG mit dem der Mitwirkung nach § 69a n.F. ThürPersVG, ergeben sich keine qualitativen Unterschiede. In beiden Fällen kann der örtliche Personalrat einer Maßnahme ausdrücklich zustimmen bzw. sie billigen oder sie ablehnen, wobei jeweils die Maßnahme als gebilligt gilt, wenn der Personalrat sich nicht innerhalb einer Frist von zehn Arbeitstagen äußert. Wird zwischen dem Personalrat und dem Leiter einer nachgeordneten Dienststelle keine Einigung erzielt, findet in beiden Fällen ein Stufenverfahren mit abschließender Entscheidung der obersten Dienstbehörde unter Ausschluss der Einigungsstelle statt. (2) Die geänderte Zuordnung des Tatbestandes „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" ist durch verfassungsrechtlich ausreichende Gründe gerechtfertigt. Obwohl der Gesetzentwurf keine konkrete Begründung der vorgenommenen Änderung enthält, liegt das Motiv des Landesgesetzgebers hierfür auf der Hand. Es ging bei § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ThürPersVG darum, die beteiligungsrechtliche „Zwitterstellung" des Tatbestandes aufzulösen und ihn in ein einheitliches Beteiligungsverfahren zu überführen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist dem Gesetzgeber nicht vorzuwerfen, dass er die Bedeutung des Beteiligungstatbestandes „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" für die hiervon betroffenen Beamten bei dessen Zuordnung zur Mitwirkung überhaupt nicht erwogen habe. Der Gesetzgeber hatte den Tatbestand vor der Gesetzesänderung der „Mitwirkung LVerfGE 15

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alter Art" und damit dem niedrigsten, nach dem ThürPersVG von 1993 vorgesehenen Beteiligungsniveau zugewiesen. Hieraus folgt, dass er die „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" bereits damals als zwar die Interessen der Beamten mehr als nur unwesentlich berührende und daher grundsätzlich beteiligungsbedürftige Angelegenheit angesehen, hierdurch aber den Amtsauftrag in weitaus stärkerem Maße für betroffen gehalten hat. Diese Bewertung hat der Gesetzgeber bei der Änderung des ThürPersVG erkennbar übernommen. Da seine damalige Einschätzung im Ergebnis nicht unvertretbar erscheint, bestand auch kein Anlass, sie bei der Novellierung des ThürPersVG zu revidieren. Dabei ist zum einen zu bedenken, dass die vorzeitige Versetzung eines Beamten in den Ruhestand - außer bei sog. politischen Beamten, die wegen der Höhe ihrer Besoldung ohnehin nicht dem § 75a Abs. 1 Nr. 2 n.F. ThürPersVG unterfallen - nur bei Dienstunfähigkeit und zwar in der Regel auf Antrag des Beamten, in seltenen Fällen auch zwangsweise in einem förmlichen Verwaltungsverfahren erfolgt (vgl. §§ 46 ff ThürBG). Da es um das vorzeitige Ausscheiden eines dienstunfähigen, d.h. nach § 46 Abs. 1 S. 1 ThürBG infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauerhaft zur Erfüllung seiner Amtsaufgaben unfähigen Beamten geht, ist kaum eine Angelegenheit denkbar, die die Erledigung der Amtsaufgaben in stärkerem Maße berühren würde. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die „vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" nach § 78 Abs. 1 Nr. 5 BPersVG, der in seinem originären Anwendungsbereich ein mittleres Beteiligungsniveau gewährleistet, ebenfalls der Mitwirkung zugeordnet ist und sich entsprechende Regelungen auch in den Personalvertretungsgesetzen vieler anderer Bundesländer finden (z.B. § 80 Abs. 1 Nr. 7 BaWüPersVG; Art. 76 Abs. 1 Nr. 6 BayPersVG; § 68 Abs. 1 Nr. 6 BbgPersVG; § 78 Abs. 1 Nr. 2 HessPersVG; § 68 Abs. 2 Nr. 3 MVPersVG). In Anbetracht des grundsätzlich berechtigten Interesses des Gesetzgebers, aus Gründen der Vcrwaltungseffizienz die Zahl der Einigungsstellenverfahren zu reduzieren, lag es daher nahe, den vorgenannten Tatbestand - wie schon nach altem Recht - weiterhin von der Beteiligung der Einigungsstelle auszunehmen. Dies ist auch im Hinblick auf die insgesamt vorgenommene Neuzuordnung der vormals der „Mitwirkung alter Art" unterliegenden Beteiligungstatbestände nicht unverhältnismäßig, da der Gesetzgeber zugleich einen nicht unerheblichen Teil dieser Tatbestände der eingeschränkten Mitbestimmung zugewiesen hat. cc) Nach Art. 37 Abs. 3 ThürVerf unbedenklich ist auch § 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 ThürPersVG, nach dem die „Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Beschäftigten" lediglich der Mitwirkung des örtlichen Personalrats unterlegt. (1) Nach dem ThürPersVG von 1993 hatte der Personalrat auf Antrag des Beschäftigten über die „Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Beschäftigten" eingeschränkt mitzubestimmen, wobei eine Beteiligung der EiniLVerfGE 15

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gungsstelle nicht vorgesehen war (§§ 75 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 und S. 2; 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 a.F. ThürPersVG). Nach neuem Recht hat der Personalrat auf Antrag des Beschäftigten bei dieser Angelegenheit mitzuwirken (§§ 75a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und S. 2 ThürPersVG). (2) Obwohl der Gesetzentwurf auch zu dieser Änderung keine konkrete Begründung enthält, ist ohne weiteres erkennbar, dass sie im Zuge der Neuzuordnung der ursprünglich der „Mitwirkung alter Art" unterliegenden Beteiligungstatbestände erfolgt ist. Die vorhergehenden Erwägungen gelten daher in gleicher Weise auch für diese Änderung. Im Hinblick auf die Vertretbarkeit der durch den Thüringer Gesetzgeber vorgenommenen Neuregelung ist darauf hinzuweisen, dass der Tatbestand teilweise auch in anderen Bundesländern der Mitwirkung zugeordnet ist (z.B. § 75 Abs. 1 Nr. 5 NdsPersVG). Der Tatbestand betrifft in erster Linie Ansprüche des Dienstherren auf Ersatz von Schäden, die der Beschäftigte ihm unter Verletzung seiner beamtenrechtlichen oder arbeitsvertraglichen Pflichten direkt oder indirekt, etwa als Folge der Staatshaftung nach Art. 34 S. 1 GG iVm S 839 BGB, zugefügt hat (vgl. Altvater/Rächer/Härter u.a. BPersVG, § 76 Rn. 28). Sinn und Zweck der Beteiligung der Personalvertretung ist vor allem, dem Leiter der Dienststelle die Beurteilung des Falles aus der Sicht der übrigen Beschäftigten zu vermitteln, insbesondere durch zusätzliche Informationen über die konkreten Arbeitsbedingungen und den Umfang der Arbeitsbelastung zu einer umfassenden Würdigung des Sachverhalts beizutragen und durch Verweisung auf gleichgelagerte Fälle und deren Abwicklung die Gleichbehandlung aller Beschäftigten zu gewährleisten (vgl. Rehak in: Lorenzen/Schmitt/Etzel u.a., BPersVG, Losebl., § 76 Rn. 109). Dieser Aufgabe kommt dann Bedeutung zu, wenn dem Dienststellenleiter ein Ermessensspielraum bei der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs zusteht. Besteht hierzu eine gesetzliche Verpflichtung, beschränkt sich die Beteiligung der Personalvertretung auf eine bloße (Mit-)prüfung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen (vgl. Kehak aaO, Rn. 109b). Da der örtliche Personalrat seinen Informations- und Prüfungsaufgaben auch im Mitwirkungsverfahren nach § 69a ThürPersVG ohne weiteres nachkommen kann und eine nochmalige Erörterung der - schon durch die Dienststelle, den Personalrat, die übergeordneten Dienststellen und die Stufenvertretungen geprüften und gegebenenfalls noch auf dem Rechtsweg abschließend zu prüfenden - Anspruchsvoraussetzungen durch die Einigungsstelle keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn erwarten lässt, sondern nur die das Gemeinwohl in erheblichem Maße berührende Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen weiter verzögert, erscheint es im Interesse der Steigerung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung von Verfassungs wegen vertretbar, diesen Tatbestand der Mitwirkung zuzuordnen. dd) Verfassungsrechtlich bedenkenfrei hat der Gesetzgeber in § 75a Abs. 2 Nr. 1 und 5 ThürPersVG die Beteiligungstatbestände „Grundsätze der Arbeitsund Dienstpostenbewertung in der Dienststelle" und „Durchführung der BeLVerfGE 15

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rufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" aus der vollen Mitbestimmung (§ 74 Abs. 3 Nr. 5 und 17 a.F. ThürPersVG) herausgenommen und der schlichten Mitwirkung des Personalrats zugeordnet. Der Gesetzentwurf weist hierzu darauf, dass die Übernahme der Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern in die Mitwirkung „vor dem Hintergrund möglicher Auswirkungen auf die Organisationsgewalt des Dienstherrn" erfolge und „schwerpunktmäßig der effizienten Gestaltung der Berufsausbildung in der öffentlichen Verwaltung" diene. Die Arbeits- und Dienstpostenbewertung sei „Ausfluss der Organisationsgewalt des Dienstherrn" und diene „schwerpunktmäßig dem effizienteren Funktionieren der staatlichen Verwaltung". In beiden Fällen würden „individuelle Interessen der Beschäftigten kaum berührt". Vor dem Hintergrund des legitimen Anliegens des Gesetzgebers, durch die Verringerung der Zahl der Verfahren vor den Einigungsstellen zur Steigerung der Verwaltungseffizienz beizutragen, erscheint diese Einschätzung, soweit sie den Tatbestand „Grundsätze der Arbeits- und Dienstpostenbewertung in der Dienststelle" betrifft, sowohl hinsichtlich der Feststellung des Betroffenseins der Beschäftigen als auch hinsichtlich der Notwendigkeit der Rechtsänderung und der Sachdienlichkeit der Neuregelung vertretbar, was dadurch belegt wird, dass dieser Tatbestand auch in den Personalvertretungsgesetzen vieler anderer Bundesländer der Mitwirkung zugewiesen ist (z.B. § 80 Abs. 1 Nr. 12 BaWüPersVG; § 68 Abs. 3 Nr. 2 BbgPersVG; § 75 Abs. 1 Nr. 9 NdsPersVG; § 83 Abs. 1 Nr. 4 SaarlPersVG). Im Ergebnis vertretbar ist diese Einschätzung auch, soweit sie die „Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern" betrifft, die nach § 75 Abs. 3 Nr. 6 BPersVG der vollen Mitbestimmung zugewiesen ist, in den meisten anderen Bundesländern der vollen oder eingeschränkten Mitbestimmung unterliegt (z.B. § 79 Abs. 3 Nr. 9 BaWüPersVG; Art. 75 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BayPersVG; § 80 Abs. 3 Nr. 6 SächsPersVG) und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.1995 den Angelegenheiten der ersten Stufe zuzurechnen ist, die Spielraum für eine weitgehende Beteiligung der Personalvertretung bieten (vgl. BVerfGE 93, 37, 71). Hierbei ist zu beachten, dass die Durchführung der Berufsausbildung bei Angestellten und Arbeitern weitgehend durch gesetzliche Vorschriften festgelegt ist und daher für die Beteiligung der Personalvertretung, die sich im Wesentlichen auf eine bloße Gesetzeskontrolle beschränkt, ohnehin nur wenig Raum bleibt. ee) Verfassungskonform ist ferner § 75a Abs. 2 Nr. 6 ThürPersVG, der den Tatbestand „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten" betrifft. Der Beteiligungstatbestand „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten" war im ThürPersVG von 1993 - vermutlich aufgrund eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers - nach den für alle Beschäftigtengruppen geltenden §§ 74 Abs. 3 Nr. 6 und 75 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 iVm 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 a.F. LVerfGE 15

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ThürPersVG sowohl der vollen als auch der eingeschränkten Mitbestimmung ohne nachfolgende Beteiligung der Einigungsstelle zugeordnet. Diese gesetzliche Unstimmigkeit ist durch die Novellierung des ThürPersVG im Ergebnis bereinigt worden. Der Beteiligungstatbestand unterliegt nunmehr nach § 75a Abs. 2 Nr. 6 ThürPersVG der Mitwirkung des Personalrats. Der Gesetzentwurf begründet diese Änderung damit, dass die allgemeine Fortbildung der Beschäftigten „schwerpunktmäßig der effizienten Gestaltung der Fortbildung aller Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung und somit letztendlich der besseren Funktionsfähigkeit der Verwaltung" diene. Sie sei „Folge der Organisationsgewalt des Dienstherrn". „Im Unterschied zur Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen für Beamte, Angestellte und Arbeiter" würden hierbei „die individuellen Interessen der Beschäftigten weniger berührt". Auch die Maßnahme nach § 75a Abs. 2 Nr. 6 ThürPersVG werde „weiterhin als Mitwirkungstatbestand beibehalten". Dem letzteren Hinweis ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber offenbar die im alten Recht enthaltene versehentliche doppelte Zuordnung des Tatbestandes nicht erkannt und ihn als eine vormals der eingeschränkten Mitbestimmung ohne Beteiligung der Einigungsstelle, also der „Mitwirkung alter Art" unterliegende Angelegenheit in die „neue Mitwirkung" überführt hat. Der Umstand, dass der Tatbestand „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten" nach § 76 Abs. 2 Nr. 6 BPersVG und den meisten Pcrsonalvertretungsgesetzen der Länder nicht der vollen, sondern der eingeschränkten Mitwirkung zugewiesen ist, spricht dafür, dass der Thüringer Gesetzgeber ihn ursprünglich ebenfalls nicht der vollen Mitbestimmung, sondern der eingeschränkten Mitbestimmung zuordnen wollte, um damit schon bei Verabschiedung des alten ThürPersVG die - aus seiner Sicht geringere Bedeutung dieses Tatbestandes für die Belange der Beschäftigen im Verhältnis zur Bedeutung für den Amtsauftrag zum Ausdruck zu bringen. Jedenfalls hat der Landesgesetzgeber mit der Begründung zum Entwurf des Änderungsgesetzes zum ThürPersVG deutlich gemacht, dass er dem Tatbestand „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten" eine geringere Bedeutung für die Interessen der Beschäftigten zumesse als dem - verfassungsmäßig zulässig der eingeschränkten Mitbestimmung zugewiesenen Tatbestand „Auswahl der Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen" und dementsprechend eine klare Abstufung der Beteiligungsrechte geboten sei. Diese Einschätzung ist nicht unvertretbar. Einerseits kommt der Fortbildung - und damit beiden Tatbeständen fur die Wahrnehmung der Amtsaufgaben hervorragende Bedeutung zu, da sie ein Hilfsmittel zur Garantie der kontinuierlichen Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ist (vgl. Rehak in: Lorenzen/Schmitt/Etzel u.a., BPersVG, Losebl., § 76 Rn. 86). Andererseits sind individuelle und kollektive Interessen der Beschäftigten durch den Tatbestand „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten", der etwa die Planung des Fortbildungsangebots der Dienststelle und allgemeine Entscheidungen zur Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen (z.B. als eigene LVerfGE 15

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Tagungen oder Veranstaltungen externer Institutionen) oder zum Teilnehmerkreis betrifft, deutlich weniger berührt als bei der konkreten Auswahl der Teilnehmer für eine bestimmte Fortbildungsveranstaltung. Dementsprechend ist der Tatbestand „allgemeine Fragen der Fortbildung der Beschäftigten" auch in anderen Bundesländern teilweise der Mitwirkung zugewiesen (z.B. Art. 76 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BayPersVG). Nach alldem war der Thüringer Gesetzgeber berechtigt, den Tatbestand im Interesse der Steigerung der Verwaltungseffizienz dem neu geschaffenen Mitwirkungsverfahren ohne Beteiligung der Einigungsstelle zuzuordnen. ff) Unbegründet sind die Rügen der Antragstellerin auch, soweit sie die in § 75a Abs. 2 Nr. 2, 3, 4, 7, 8 und 9 ThürPersVG erfassten Beteiligungstatbestände „Einführung neuer und grundlegende Änderung oder Ausweitung bestehender Arbeitsmethoden, insbesondere Maßnahmen der technischen Rationalisierung", „Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs...", „Privatisierung, Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen oder deren wesentlichen Teilen", „Beurteilungsrichtlinien für Beamte", „Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs" und „Erlass von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen" betreffen. Nach § 75 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, 4, 6, 7, 10 und 11 iVm § 69 Abs. 4 S. 3 und 4, Abs. 9 S. 3 a.F. ThürPersVG waren die vorgenannten sechs Beteiligungstatbestände der eingeschränkten Mitbestimmung ohne nachfolgende Beteiligung der Einigungsstelle zugewiesen. Nach § 75a Abs. 2 Nr. 2, 3, 4, 7, 8 und 9 ThürPersVG unterliegen diese Tatbestände nunmehr der Mitwirkung. Zu diesen konkreten Änderungen ist in der Begründung des Gesetzentwurfs lediglich vermerkt, dass „die Maßnahmen nach § 75a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 und 6 bis 9 ThürPersVG weiterhin als Mitwirkungstatbestände beibehalten" würden. Damit ist eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass diese Gesetzesänderungen im Zuge der Neuzuordnung der vormals der „Mitwirkung alter Art" unterliegenden Angelegenheiten erfolgt sind. Soweit es die Vertretbarkeit der getroffenen Regelungen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die betreffenden Tatbestände auch nach den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder überwiegend der Mitwirkung unterfallen. So sind die beiden Beteiligungstatbestände „Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs..." und „Privatisierung, Auflösung, Einschränkung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen oder deren wesentlichen Teilen" auch in § 78 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BPersVG und in den meisten Landespersonalvertretungsgesetzen der Mitwirkung zugewiesen (z.B. § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BaWüPersVG; Art. 76 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 4 BayPersVG; § 90 Nr. 2 und 4 BlnPersVG; § 68 Abs. 2 Nr. 1 und LVerfGE 15

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Abs. 3 Nr. 1 BbgPersVG; § 75 Abs. 1 Nr. 13 NdsPersVG; § 73 Abs. 1 Nr. 1 und 7 NWPersVG; § 83 Abs. 1 Nr. 9 SaarlPersVG; § 77 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SächsPersVG). Die übrigen Beteiligungstatbestände „Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs", „Einführung neuer und grundlegende Änderung oder Ausweitung bestehender Arbeitsmethoden, insbesondere Maßnahmen der technischen Rationalisierung", „Beurteilungsrichtlinien für Beamte" und „Erlass von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen" sind in vielen Bundesländern ebenfalls Mitwirkungsangelegenheiten (z.B. Art. 76 Abs. 2 Nr. 2 BayPersVG; § 90 Nr. 1 und 3 BlnPersVG; § 81 Abs. 1 HessPersVG; § 75 Abs. 1 Nr. 10, § 73 Nr. 9 NWPersVG; § 83 Abs. 1 Nr. 2 SaarlPersVG). Im Hinblick darauf erscheinen die Regelungen des § 75a Abs. 2 Nr. 2, 3, 4, 7, 8 und 9 ThürPersVG auch im Lichte des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf sachangemessen. 5. Der den gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte betreffende, neu in das Gesetz eingefügte § 82a widerspricht Art. 37 Abs. 3 ThürVerf nicht. a) Nach alter und neuer Rechtslage waren bzw. sind bei den Dienststellen aller Stufen örtliche Personalräte zu bilden, die als Personalvertretungen an denjenigen Entscheidungen zu beteiligen sind, die die Dienststelle für die bei ihr Beschäftigten trifft (§§ 6 Abs. 1, 12 Abs. 1 a.F. und n.F. ThürPersVG). Hierbei handelte bzw. handelt es sich nach § 82 Abs. 1 a.F. und n.F. ThürPersVG allein um solche Entscheidungen, die die Dienststelle selbst nur für die bei ihr selbst Beschäftigten trifft. Dagegen war bzw. ist nach § 82 Abs. 2 S. 1 und 2 a.F. und n.F. ThürPersVG in Angelegenheiten, in denen anstelle der Dienststelle die ihr übergeordnete Dienststelle zur Entscheidung befugt ist, anstelle des Personalrats die bei der zuständigen übergeordneten Dienststelle gebildete Stufenvertretung zu beteiligen, die sich mit dem Personalrat ins Benehmen setzen muss, wenn die Angelegenheit einzelne Beschäftigte oder Dienststellen betrifft. Danach übernahmen bzw. übernehmen die Bezirks- und Hauptpersonalräte neben ihrer Funktion im Stufenverfahren in diesen Ausnahmefällen auch die Funktion der bei der Dienststelle vorhandenen örtlichen Personalvertretung. b) Hieran anknüpfend bestimmte § 82 Abs. 6 S. 1 a.F. ThürPersVG, dass die Beteiligung durch einen gemeinsamen Ausschuss der Hauptpersonalräte erfolgte, wenn eine beteiligungspflichtige Angelegenheit den Geschäftsbereich mehrerer Ministerien betraf. Die Bildung und das Verfahren dieses Ausschusses waren aufgrund der in § 82 Abs. 6 S. 2 a.F. ThürPersVG enthaltenen Ermächtigung von der Landesregierung durch die Thüringer Verordnung über die Einrichtung eines gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte (ThürHPRVO) vom 21.10.1994 (GVB1. S. 1185) näher geregelt worden. Nach § 1 S. 1 ThürHPRVO setzte sich der gemeinsame Ausschuss der Hauptpersonalräte in der Regel aus den Vorsitzenden der Hauptpersonalräte bei den obersten Landesbehörden und deren ersten Stellvertretern zusammen. Im Falle einer nach § 82 Abs. 6 S. 1 a.F. ThürPersVG LVerfGE 15

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beteiligungspflichtigen Angelegenheit unterrichtete der federführende Minister nach § 9 Abs. 1 S. 1 ThürHPRVO den gemeinsamen Ausschuss von der beabsichtigten Maßnahme und beantragte dessen Zustimmung. Kam eine Einigung zwischen dem Minister und dem gemeinsamen Ausschuss nicht zustande, konnte die Einigungsstelle angerufen werden, der in den Fällen der vollen Mitbestimmung eine Entscheidungs- und in den Fällen der eingeschränkten Mitbestimmung eine Empfehlungskompetenz zukam, § 9 Abs. 2 ThürHPRVO. c) Der Entwurf des Änderungsgesetzes zum ThürPersVG hatte zunächst die ersatzlose Aufhebung des § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG und der ThürHPRVO und damit die völlige Abschaffung des gemeinsamen Ausschusses der Hauptpersonalräte vorgesehen. Im Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens sind § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG und die ThürHPRVO zwar tatsächlich aufgehoben worden, der gemeinsame Ausschuss ist jedoch über die neu in das Gesetz eingefügte Vorschrift des § 82a in anderer Zusammensetzung und mit anderen Kompetenzen erhalten geblieben. Danach entsenden die den gemeinsamen Ausschuss bildenden Hauptpersonalräte bei den obersten Landesbehörden jeweils ein Mitglied in den gemeinsamen Ausschuss (§ 82a Abs. 1 S. 1 und 4 n.F. ThürPersVG), dessen Beteiligung sich nunmehr auf ein Anhörungsrecht zu Verwaltungsanordnungen für solche innerdienstlichen sozialen Angelegenheiten beschränkt, die gleichermaßen den Geschäftsbereich der obersten Landesbehörden betreffen und einer einheitlichen Regelung bedürfen (§ 82a Abs. 2 S. 1 n.F. ThürPersVG). d) Diese Regelung ist im Hinblick auf Art. 37 Abs. 3 ThürVerf nicht zu beanstanden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der gemeinsame Ausschuss der Hauptpersonalräte, der - soweit ersichtlich - in den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der anderen Länder nicht vorgesehen ist, (schon) nach altem Recht kein Repräsentationsorgan der Beschäftigten war und deshalb nicht dem Schutzbereich des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf unterfiel. Dies galt zum einen im Hinblick auf die Zusammensetzung des Ausschusses nach dem inzwischen aufgehobenen § 1 ThürHPRVO, durch die das die Personalvertretungen prägende, die angemessene Repräsentation aller Beschäftigtengruppen und damit ihre Legitimation gewährleistende Gruppenprinzip nicht verwirklicht war. Zum anderen war der gemeinsame Ausschuss auch im Hinblick auf seine Funktion nach § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG kein zur Ausübung des Grundrechts auf Mitbestimmung notwendiges Repräsentationsorgan der Beschäftigten. Ebenso wie die Stufenvertretungen, also die Bezirks- und die Hauptpersonalräte in den Fällen des § 82 Abs. 2 a.F. und n.F. ThürPersVG, nahm der gemeinsame Ausschuss der Hauptpersonalräte nur dann die Funktionen einer Personalvertretung anstelle der vorhandenen örtlichen Personalräte wahr, wenn über die betreffende Angelegenheit nicht die Dienststelle zu entscheiden hatte, bei der der örtliche Personalrat gebildet war. Der Gesetzgeber wollte damit die Personalvertretung entsprechend der Hierarchie im mehrstufigen Verwaltungsaufbau gestalten (vgl. hörenden in: LorenLVerfGE 15

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zen/Schmitt/Etzel u.a., BPersVG, Losebl., § 82 Rn. 7). Zwingend ist diese Gestaltung nicht, da der Gesetzgeber auch bei einer Entscheidungszuständigkeit der übergeordneten Behörde anstelle der Stufenvertretung den präsumtiv über die besseren Kenntnisse örtlichen Verhältnisse verfügenden Personalrat der von der Maßnahme betroffenen nachgeordneten Behörde hätte beteiligen können, was ansatzweise in § 82 Abs. 1 S. 2 a.F. und n.F. ThürPersVG sogar vorgesehen ist. Die Beteiligung des gemeinsamen Ausschusses war zudem nach § 82 Abs. 6 a.F. ThürPersVG davon abhängig, dass die betreffende Angelegenheit den Geschäftsbereich mehrerer Ministerien betraf, woraus der Gesetzgeber offenbar einen gesteigerten Koordinierungsbedarf ableitete. Diesen besonderen Koordinierungsbedarf sieht der Gesetzgeber nach der neuen Regelung des § 82a ThürPersVG nunmehr nur noch für - behördenübergreifende - Verwaltungsanordnungen zu innerdienstlichen sozialen Angelegenheiten, die den Geschäftsbereich mehrerer oberster Landesbehörden betreffen und einer einheitlichen Regelung bedürfen, wobei er diesem Bedarf nicht mehr durch ein echtes Beteiligungsrecht iSd § 69 ThürPersVG, sondern nur noch durch ein Anhörungsrecht des gemeinsamen Ausschusses nachkommt. 6. Art. 37 Abs. 3 ThürVerf ist schließlich nicht dadurch verletzt, dass nach § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 ein Antragserfordernis für die Beteiligung des Personalrats bei der „Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist..." und der „Abordnung für die Dauer von mehr als sechs Monaten sowie Zuweisung iSd § 123a Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als sechs Monaten" vorgesehen ist. a) Nach § 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 5 a.F. ThürPersVG unterlagen die Tatbestände „Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist..." und „Abordnung für die Dauer von mehr als drei Monaten sowie Zuweisung iSd § 123a Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als drei Monaten" für die Beamten und mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Angestellten der Vergütungsgruppen ab V b der eingeschränkten Mitbestimmung. Hiervon waren nach § 76 Abs. 1 a.F. ThürPersVG wiederum ausgenommen die Beamten der Besoldungsgruppen ab A 16 und die Angestellten in entsprechenden tariflichen Vergütungsgruppen. Für die Arbeiter und die übrigen, nicht dem § 75 Abs. 1 S. 1 a.F. ThürPersVG unterfallenden Angestellten sah § 74 Abs. 1 Nr. 4 und 5 a.F. ThürPersVG in diesen Angelegenheiten die volle Mitbestimmung vor. Das neue Recht hat zu einer Änderung des zweiten Beteiligungstatbestandes dergestalt geführt, dass die Mindestdauer der Abordnung oder Zuweisung nunmehr sechs Monate beträgt. Außerdem unterliegen jetzt beide Tatbestände einheitlich für alle Beschäftigtengruppen nach § 75 Abs. 1 S 1 Nr. 4 und 5 und Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und 4 n.F. ThürPersVG der eingeschränkten Mitbestimmung (wobei diese einheitliche LVerfGE 15

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Regelung aus unerfindlichen Gründen in zwei verschiedenen Absätzen des § 75 n.F. ThürPersVG getroffen wird). Dabei wird nach § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG der Personalrat nur auf Antrag des Beschäftigten beteiligt. Von der Vertretung durch den Personalrat sind nach § 75 Abs. 2 S. 1 n.F. ThürPersVG wiederum die Beamten ab Besoldungsgruppe A 16 aufwärts und die Angestellten in entsprechenden Vergütungsgruppen ausgenommen. b) Mit ihrem Normenkontrollantrag greift die Antragstellerin nur das in § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG normierte Antragserfordernis an, das nach altem Recht nicht vorgesehen war. Dagegen wendet sie sich nicht gegen die Vereinheitlichung der Tatbestände für alle Beschäftigtengruppen auf dem „niedrigeren" Niveau der eingeschränkten Mitbestimmung. Zwar ist der Thüringer Verfassungsgerichtshof bei der verfassungsrechtlichen Prüfung insoweit nicht an den im Antrag bezeichneten Gegenstand gebunden. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Vereinheitlichung des Beteiligungsniveaus unterliegt aber nach den für das Verhältnis zwischen voller und eingeschränkter Mitbestimmung geltenden Erwägungen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal es sich bei den betreffenden Angelegenheiten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.5.1995 um solche der dritten Stufe handelt, bei denen allenfalls eine eingeschränkte Mitbestimmung in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 93, 37, 73). c) Soweit es die Einführung eines Antragserfordernisses betrifft, bestehen ebenfalls keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung. So hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof für die inhaltsgleiche Regelungen der §§ 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4, S. 2 und 81 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 5 SächsPersVG ausdrücklich entschieden, dass diese das Grundrecht auf Mitbestimmung nach Art. 26 S. 2 SächsVerf nicht verletzten. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof macht sich, soweit es um die Vereinbarkeit des § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG mit Art. 37 Abs. 3 ThürVerf geht, die überzeugenden Erwägungen des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs zu Eigen (vgl. SächsVerfGH, PersR 2001,367, 378/379). Das Antragserfordernis bewirkt zwar, dass eine Mitentscheidung des Vertretungsorgans nicht in jedem Fall sichergestellt ist, da sie von der Entscheidung des Beschäftigten abhängt, den Personalrat anzurufen. Jedoch ist diese Einschränkung bei verfassungskonformer Auslegung der betreffenden Vorschrift durch überwiegende Interessen gerechtfertigt. Mit der Einführung eines Antragserfordernisses in diesen Angelegenheiten verfolgt der Gesetzgeber das legitime Ziel, mehr Flexibilität im öffentlichen Dienst und eine spürbare Verwaltungsvereinfachung zu erreichen. Dem Personalrat verbleiben für den Fall, dass der Beschäftigte mit dem Arbeitsplatzwechsel einverstanden ist, ohnehin kaum Interventionsmöglichkeiten, so dass seine Zustimmung in aller Regel formaler Art ist. Die Nichtdurchführung des Beteiligungsverfahrens führt dazu, eine personelle MaßLVerfGE 15

Mitbestimmungsgrundrecht; Relativierungsauftrag

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nähme schneller und kurzfristiger umsetzen zu können. Hieraus ergibt sich keine unangemessene Beschränkung des Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. Es ist vertretbar, von einem Beschäftigten, der seine individuellen Interessen durch eine solche personelle Maßnahme verletzt sieht, zu erwarten, dass er sich initiativ an den Personalrat wendet. Zwar kommt die kollektivrechtliche Komponente des Mitbestimmungsrechts nicht zur Geltung, wenn die Einleitung des Mitbestimmungsverfahrens dem jeweils betroffenen Beschäftigten anheim gestellt wird. Jedoch sind dem Bedürfnis nach Mitbestimmung im Falle der Zustimmung des von der Maßnahme Betroffenen nicht nur das Interesse der Dienststelle an einer kurzfristigen Umsetzung der Maßnahme, sondern auch die schutzwürdigen Belange des durch die Maßnahme begünstigten Beschäftigten entgegen zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist es vertretbar, das Zustimmungserfordernis des Personalrats von einem Antrag des Betroffenen abhängig zu machen. Allerdings wäre es mit der objektiven Funktion des Grundrechts nicht zu vereinbaren, wenn dem Vertretungsorgan zugleich auch das Recht der Information und der Stellungnahme genommen wäre. Neben den in erster Linie berührten individuellen Interessen des unmittelbar betroffenen Beschäftigten, von dessen Antrag die Einleitung des Beteiligungsverfahrens abhängt, hat der Personalrat auch konkurrierende oder kollektive Interessen der anderen Beschäftigten wahrzunehmen. So kann etwa eine Umsetzung oder eine ähnliche Maßnahme den Dienstfrieden stören, wenn der betreffende Beschäftigte für das neue Arbeitsumfeld sozial nicht geeignet ist. Auch besteht die Möglichkeit, dass die Maßnahme die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsbelastung der anderen Beschäftigten nachteilig verändert. Dem Vertretungsorgan muss daher ungeachtet eines etwaigen Antrags auf Beteiligung unbenommen bleiben, seine Sichtweise zu der beabsichtigten Maßnahme darzulegen. Hierdurch werden weder die Interessen der Dienststelle noch die des durch die Maßnahme begünstigten Beschäftigten wesentlich beeinträchtigt. Diesen Anforderungen entsprechend kann die Neuregelung ausgelegt werden. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs zum Ersten Änderungsgesetz zum Thüringer Personalvertretungsgesetz „bezieht sich" der Ausschluss der Beteiligung der Personalvertretung bei fehlendem Vorliegen eines Antrages des Betroffenen „nur auf das Mitbestimmungsrecht nach § 69". Dagegen bleibt „das allgemeine Unterrichtungs- und Erörterungsrecht nach § 68 Abs. 2 zur Wahrnehmung der allgemeinen Aufgaben des Personalrates nach § 68 Abs. 1 (...) unberührt". d) Da die „Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist..." und die „Abordnung für die Dauer von mehr als sechs Monaten sowie Zuweisung im Sinne des § 123a Beamtenrechtsrahmengesetzes für eine Dauer von mehr als sechs Monaten" die kollektiven Interessen der aufnehmenden und der abgebenden Dienststelle typischerweise in gleichem Maße betreffen, diesen Interessen aber über das allgemeine Informations- und Äußerungsrecht der PersonalvertreLVerfGE 15

462

Thüringer Verfassungsgerichtshof

tung ausreichend Geltung verschafft wird, ist nicht ersichtlich, welche Gründe die von der Antragstellerin vorgeschlagene einschränkende Auslegung des § 75 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 n.F. ThürPersVG erfordern, nach der allein die Beteiligung der Personalvertretung der aufnehmenden Dienststelle, nicht aber der abgebenden Dienststelle von einem Antrag des Beschäftigten abhängig sein soll. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass der Beschäftigte vor Realisierung der Maßnahme noch in der abgebenden Dienststelle beschäftigt ist und daher nach § 82 Abs. 1 ThürPersVG auch nur von dem dort gebildeten Personalrat vertreten wird. Im Hinblick darauf ist schon zweifelhaft, ob überhaupt eine Beteiligung des Personalrats der aufnehmenden Dienststelle in Betracht kommt, zumal Versetzungs-, Umsetzungs- oder Abordnungsentscheidungen in der Regel der übergeordneten Behörde obliegen mit der Folge, dass nach § 82 Abs. 2 ThürPersVG allenfalls die bei dieser gebildete Stufenvertretung zu beteiligen wäre. D. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Antragstellerin beruht auf § 29 Abs. 2 ThürVerfGHG. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Nr. 2 1. Die Gebietskörperschaften handeln stets im eigenen Wirkungskreis, wenn sie im Rahmen ihrer Organisations-, Personal- oder Finanzhoheit Dispositionen treffen. Es kommt nicht darauf an, ob diese konkret der Erledigung staatlicher oder eigener Aufgaben dienen. 2. Art. 91 Abs. 4 ThürVerf gilt für den Erlass von förmlichen Landesgesetzen wie von Rechtsverordnungen. 3. Das Anhörungsgebot gem. Art. 91 Abs. 4 ThürVerf gilt dann, wenn eine kommunale Gebietskörperschaft durch den beabsichtigten Erlass abstrakt-genereller Regelungen in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen würde. Die Betroffenheit kann sich auch auf Rechtspositionen beziehen, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung stehen. 4. Art. 91 Abs. 4 ThürVerf liegt jedenfalls dann im Rahmen der durch die Kommunal-Verfassungsbeschwerde ausgelösten verfassungsgerichtli-

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Kommunalverfassungsbeschwerde; Anhörungsgebot

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chen Prüfung, wenn die Anhörung zu in die Personal- und Organisationshoheit des Beschwerdeführers eingreifenden Regelungen unterbleibt. 5. Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf betont die Konzentration der verfassungsrechtlichen Rügen auf die Selbstverwaltungsgarantie, ohne die Rügen auf die materielle Seite zu begrenzen. Grundgesetz Art. 28 Abs. 1 Thüringer Verfassung Art. 80 Abs. 1 Nr. 2; 91 Abs. 4

Urteil vom 12. Oktober 2004 - V e r f G H 16/02 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Saale-Orla-Kreises, vertreten durch den Landrat, 07907 Schleiz

Oschitzer

Str.

4,

- Beschwerdeführer Verfahrensbevollmächtigter: Prof. Dr. Michael Brenner, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Carl-Zeiss-Straße 3, 07743 Jena beteiligt: 1. 2.

Thüringer Landtag, vertreten durch die Präsidentin, Arnstädter Straße 51, 99096 Erfurt Thüringer Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Regierungsstraße 73, 99084 Erfurt

Bevollmächtigter zu 2.: Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, Walther-Rathenau-Straße 28, 72766 Reutlingen Entscheidungsformel: 1. § 130b Absätze 10 und 11 der Thüringer Kommunalordnung in der Fassung des Art. 1 des Thüringer Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Änderung Veterinär- und lebensmittekechtlicher Vorschriften vom 1. März 2002 (GVB1. S. 161) verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 91 Absatz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen und werden daher für nichtig erklärt. 2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

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3. D e r Freistaat Thüringen hat d e m Beschwerdeführer 2/3 seiner notwendigen A u s l a g e n zu erstatten. Gründe: A. D e r Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde g e g e n die Regelungen des § 130b Abs. 8, 10 u n d 11 der Thüringer K o m m u n a l o r d n u n g ( T h ü r K O ) idF des Art. 1 des Thüringer Gesetzes zur Übertragung v o n A u f g a b e n auf d e m Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Ä n d e r u n g Veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften v o m 1.3.2002 (GVB1. S. 161). I. § 130b T h ü r K O ist durch Art. 1 des a m 1.4.2002 in Kraft getretenen Thüringer Gesetzes zur Übertragung v o n A u f g a b e n auf d e m Gebiet des Veterinärwesens u n d der Lebensmittelüberwachung sowie zur Ä n d e r u n g Veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften v o m 1.3.2002 neu in die T h ü r K O eingefügt w o r den. Die Vorschrift lautet: § 130b Kommunalisierung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter (1) Die Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung, die vor dem In-Kraft-Treten des Thüringer Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Änderung Veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften den Landratsämtern als untere staatliche Verwaltungsbehörden übertragen waren, nehmen die Landkreise ab dem 1. April 2002 als Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises wahr. (2) Die Landkreise und kreisfreien Städte sind verpflichtet, die bisher für die Erfüllung der Aufgaben der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung vom Land gestellten Bediensteten zum 1. April 2002 in ihren Dienst zu übernehmen. Sie haben rechtzeitig alle dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. § 111 Abs. 4 bleibt unberührt. (3) Die Landkreise und die kreisfreien Städte haben ihre Verpflichtung nach Absatz 2 in der Weise zu erfüllen, dass sie dem jeweiligen Angestellten rechtzeitig vor der Aufgabenübertragung ein Arbeitsvertragsangebot mindestens auf der Grundlage der nachfolgenden Bestimmungen unterbreiten oder ein entsprechendes Arbeitsvertragsangebot des Arbeitnehmers annehmen:

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Kommunalverfassungsbeschwerde; Anhörungsgebot

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1.

Die Übernahme erfolgt mindestens in der Vergütungsgruppe, in die der Angestellte am Tage vor seiner Übernahme eingruppiert war, wobei die tarifgerechte Eingtuppierung nach BAT-O nach der Übernahme unberührt bleibt.

2.

Bei der Berechnung der Beschäftigungszeit, der Dienstzeit, der Jubiläumszeit, von Zeiten einer Tätigkeit oder Bewährung für einen Aufstieg oder bei der Gewährung einer Bewährungs-, Vergütungsgruppen- oder Tätigkeitszulage nach dem für den neuen Arbeitgeber maßgebenden Recht wird von den entsprechenden beim Land am Tage vor der Übernahme erreichten Zeiten ausgegangen: als Grundvergütung ist die Lebensaltersstufe/Stufe zu gewähren, die mindestens den Betrag erreicht, der dem Angestellten am Tage der Übernahme beim Verbleiben im Landesdienst zustehen würde; sind dem Angestellten beim Land Lebensaltersstufen/Stufen vorgewährt worden, gilt § 27 S. 2 Abschnitt C BAT-O entsprechend.

3.

Der Angestellte erhält bis zum 31. Dezember 2002 auf Antrag mindestens die Vergütung einschließlich den bisher gewährten Zulagen, die er nach den für das Land maßgebenden Bestimmungen erhalten würde, wenn er weiterhin in seiner bisherigen Tätigkeit beim Land beschäftigt wäre; dies gilt nicht, wenn in bezirklichen oder örtlichen Tarifverträgen die Arbeitszeit herabgesetzt worden ist.

(4) Absatz 3 gilt entsprechend für Arbeiter. (5) Die tatsächlich durch 1.

die Personalüberführung nach den Absätzen 2 und 3 sowie

2.

die im Jahr 2002 im Einvernehmen mit dem für das Veterinärwesen und die Lebensmittelüberwachung zuständigen Ministerium im Rahmen der Anzahl der im Stellenplan 2001 eingestellten Mitarbeiter

entstehenden und nachgewiesenen Kosten werden den Landkreisen und kreisfreien Städten für das Jahr 2002 vom Land erstattet. (6) In den Jahren 2003 und 2004 erfolgt auf Grundlage der Kosten im Jahre 2002 eine Erstattung mit einer an die Personalkostenentwicklung angepassten Pauschale. Die Anpassung berücksichtigt insbesondere 1.

die allgemeinen Tarifänderungen,

2.

die Angleichung des Ost-Tarifs an den West-Tarif einschließlich der Zusatzversorgung und

3.

die Änderungen bei der Versorgungsumlage für Beamte.

LVerfGE 15

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466

(7) Den kreisfreien Städten werden für das Jahr 2002 die erforderlichen tatsächlich entstehenden und nachgewiesenen Sachkosten vom Land erstattet, soweit sie nicht durch entsprechende Einnahmen gedeckt sind. In den Jahren 2003 und 2004 erfolgt eine Erstattung in jeweils gleicher Höhe. (8) Ab dem Jahr 2005 erfolgt die Erstattung der Personal- und Sachkosten über die Auftragskostenpauschale nach § 23 des Thüringer Finanzausgleichsgesetzes (ThürFAG) in der Fassung vom 9. Februar 1998 (GVB1. S. 15) in der jeweils geltenden Fassung; der Finanzausgleichsmasse wird diese Erstattung als zusätzlicher Betrag, der nicht der Regelung des § 3 Abs. 3 ThürFAG unterliegt, zugeführt. (9) Die Landkreise und kreisfreien Städte sind verpflichtet, die bisher auf der Grundlage des Tarifvertrags über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 9. November 1994 (StAnz. 1996 Nr. 15 S. 756 - 760 -) in der jeweils geltenden Fassung angestellten Personen zum 1. April 2002 in ihren Dienst zu übernehmen. Sie haben rechtzeitig alle dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Landkreise und kreisfreien Städte haben ihre Verpflichtung in der Weise zu erfüllen, dass sie dem jeweiligen Angestellten rechtzeitig vor der Aufgabenübertragung ein Arbeitsvertragsangebot unterbreiten oder ein entsprechendes Arbeitsvertragsangebot des Arbeitnehmers annehmen. Absatz 3 Nr. 2 gilt hinsichtlich der Beschäftigungszeit und Jubiläumszeit entsprechend. (10) Zur Absicherung der Erfüllung der den Landkreisen und kreisfreien Städten (Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter) übertragenen Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung und damit zur Gewährleistung einer hinreichenden Vorsorge und eines hinreichenden Schutzes für die menschliche und tierische Gesundheit ist ein bedarfsgerechter Personalbestand sicherzustellen. Der nach Absatz 2 S. 1 zu übernehmende Personalbestand einschließlich der Mitarbeiter nach Absatz 5 Nr. 2 ist unter Einbeziehung des bei Übernahme des Personals bestehenden Aufgabenumfangs auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung ausreichend und erforderlich. Um zukünftigen Änderungen beim Aufgabenumfang Rechnung zu tragen, ist der Personalbestand regelmäßig zu überprüfen. Sofern wesentliche Änderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eintreten, die zu einer Veränderung des Aufgabenumfangs auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung führen, bestimmt das für das Veterinärwesen und die Lebensmittelüberwachung zuständige Ministerium im Einvernehmen mit dem für die Kommunalaufsicht und dem für Finanzen zuständigen Ministerium sowie im Benehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden die Personalausstattung dieser Ämter. Bei der Ermittlung des für eine fachgerechte Aufgabenerfüllung erforderlichen Personalbestands sind insbesondere zu berücksichtigen: 1.

Anzahl der Einwohner,

2.

Anzahl der Nutztiere und deren Halter,

LVerfGE 15

Kommunalverfassungsbeschwerde; Anhörungsgebot

467

3.

Anzahl und Art der Betriebe, in denen Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht werden, und daraus folgend die Anzahl der durchzuführenden Kontrollen,

4.

Anzahl der Rinder- und Schweineschlachtungen und

5.

örtliche Besonderheiten, die zu einer Erhöhung des Aufgabenumfangs führen, insbesondere das Vorhandensein einer Tierkörperbeseitigungsanstalt.

(11) Zur Erfüllung der Aufgaben nach Absatz 10 S. 1 stellen die Landkreise und kreisfreien Städte den Anschluss der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter an das Veterinärinformationssystem des Landes und die Verfügbarkeit über ausreichende und den fachlichen Anforderungen entsprechende Ausstattungs- und Ausrüstungsgegenstände in diesen Ämtern, insbesondere die Verfügbarkeit über Kraftfahrzeuge für die Durchführung von Kontrollaufgaben, sicher. Der in Abs. 8 des § 130b ThürKO in Bezug genommene § 23 ThürFAG in seiner derzeit geltenden Fassung sieht unter anderem in seinem Abs. 1 S. 1 vor, dass die Landkreise für Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises unter Berücksichtigung der ihnen als Ersatz für ihren Verwaltungsaufwand zufließenden Verwaltungsgebühren, -auslagen, Ordnungs-, Büß- und Zwangsgelder und sonstiger Erstattungsregelungen eine Auftragskostenpauschale erhalten. Diese wird nach § 23 Abs. 1 S. 2 ThürFAG durch Rechtsverordnung des für den kommunalen Finanzausgleich zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem für den Landeshaushalt zuständigen Ministerium mit Zustimmung des Landtags so bestimmt, dass ein angemessener finanzieller Ausgleich im Wege einer Pauschalabgeltung für die bei der Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben entstehenden ungedeckten Kosten erfolgt. Die §§ 1 Nr. 1 und 3 der Verordnung über die Auftragskostenpauschale nach § 23 des ThürFAG vom 27.6.2001 (GVB1. S. 111) sahen für die Jahre 2001 und 2002 auf die jeweilige Einwohnerzahl der Landkreise bezogene allgemeine und besondere Auftragskostenpauschalen vor. Das Gleiche gilt nach der derzeit geltenden Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Auftragskostenpauschale nach § 23 des ThürFAG vom 13.1.2004 (GVB1. S. 121) für die Jahre 2003 und 2004. Der in Absatz 8 des § 130b ThürKO für unanwendbar erklärte § 3 Abs. 3 ThürFAG setzt in seiner derzeit geltenden Fassung unter anderem die Finanzausgleichsmasse für die Jahre 2003 und 2004 und die darin enthaltenen Zuführungen aus dem Landeshaushalt betragsmäßig fest und regelt die Verringerung und Erhöhung dieser Zuführungen in Abhängigkeit von der Entwicklung der Steuerverbundmasse. Die Finanzausgleichsmasse ist die Verteilungsmasse für die im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs geleisteten finanziellen Zuwendungen des Landes an die Gemeinden, Landkreise und Verwaltungsgemeinschaften und speist somit auch die Auftragskostenpauschale nach § 23 ThürFAG. § 130b Abs. 8 ThürKO nimmt den der Finanzausgleichsmasse zusätzlich zugefuhrten Gesamterstattungsbetrag für die Personal- und Sachkosten der Veterinär- und LebensLVerfGE 15

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Thüringer Verfassungsgerichtshof

mittelüberwachungsämter von der dynamischen Entwicklung der Finanzausgleichsmasse aus. II. 1. Das Thüringer Gesetz zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Änderung veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften ist vor dem Hintergrund der im Freistaat Thüringen bestehenden Doppelfunktion der Landratsämter bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zu sehen: Die im Rahmen der mittelbaren Landesverwaltung durch den Landkreis zu erledigenden Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises führt das Landratsamt nach § 111 Abs. 1 ThürKO - ebenso wie die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises - als Kreisbehörde mit kommunalen Bediensteten aus. Neben dieser Funktion als Organ des Kreises nimmt das Landratsamt zugleich im Rahmen der unmittelbaren Landesverwaltung nach §§ 91 S. 2; 111 Abs. 2 und 3 ThürKO die Aufgaben der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde mit Landespersonal wahr. 2. Indem das Thüringer Gesetz zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Änderung Veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften vom 1.3.2002 diese bis dahin von den Landratsämtern nach § 111 Abs. 2 ThürKO a.F. als staatliche Verwaltungsbehörden ausgeführten Tätigkeiten in den übertragenen Wirkungskreis überführt hat, hat es an die schon durch das (Erste) Thüringer Gesetz zur Kommunalisierung staatlicher Aufgaben vom 13.6.1997 (GVB1. S. 207) eingeleitete Kommunalisierung der Landratsämter angeknüpft. Mit diesem ersten Kommunalisierungsgesetz waren alle von den Landratsämtern bis dahin im Rahmen der unmittelbaren Landesverwaltung wahrgenommenen staatlichen Aufgaben mit Ausnahme zweier Bereiche, nämlich das Veterinärwesen und die Lebensmittelüberwachung einerseits sowie die staatliche Aufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften und Zweckverbände andererseits, zum 1.7.1997 in den übertragenen Wirkungskreis der Landkreise überführt worden, § 130a Abs. 1 ThürKO. Zugleich hatten die Kreise die Bediensteten, die den Landratsämtern zuvor zur Erfüllung der betreffenden Aufgaben vom Land gestellt worden waren, in ihre Dienste übernommen, § 130a Abs. 2 bis 4 ThürKO. Die Erstattung der den Landkreisen entstehenden Personalkosten war in § 130a Abs. 5 ThürKO dergestalt geregelt, dass die Kreise außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs auf die Anzahl der Bediensteten bezogene pauschalierte Beträge erhalten sollten, wobei nach dem Entwurf zum ersten Kommunalisierungsgesetz zu einem späteren Zeitpunkt der Übergang auf eine Erstattung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs geprüft werden sollte, der inzwischen durch den im Jahre 2000 neu gefassten § 23 Abs. 2 ThürFAG vollzogen worden ist. Durch die Kommunalisierung sollte vor allem die Verwaltungsstruktur und die - durch LVerfGE 15

Kommunalverfassungsbeschwerde; Anhörungsgebot

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die Teilung der dienstrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Land und Kreisen erschwerte - Personalführung und -Bewirtschaftung vereinfacht werden. Hierauf verweist die Präambel des Entwurfs zum Thüringer Gesetz zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Änderung Veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften, in der es unter anderem heißt: „... A. Problem und Regelungsbedürfnis Aufgabe des Landratsamts als untere staatliche Verwaltungsbehörde im Landkreisgebiet ist bislang neben der staatlichen Aufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften und Zweckverbände die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung (§111 Abs. 2 der Thüringer Kommunalordnung). Im Zuständigkeitsbereich der kreisfreien Städte werden die Aufgaben des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung derzeit organisatorisch von staatlichen Sonderbehörden, die den Städten angegliedert sind, wahrgenommen. Nach den Fachgesetzen des Landes obliegt demgegenüber die Aufgabe den kreisfreien Städten bereits im übertragenen Wirkungskreis. Zum 1. Juli 1997 konnten die bei den Landratsämtern als staatliche Aufgaben wahrgenommenen Aufgaben bis auf zwei Bereiche als Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises kommunalisiert werden. Durch die Übertragung der staatlichen Aufgaben in den übertragenen Wirkungskreis wurde die Stellung des Landrats, insbesondere seine Gesamtverantwortlichkeit als allgemeine Verwaltungsbehörde im Landkreis gestärkt. Dies hat sich bewährt. Zugleich wurden die Verwaltungsstruktur und der Personaleinsatz vereinfacht. Die bis dahin geteilte dienstrechtliche Verantwortung mit wenig Transparenz in der Personalführung und -bewirtschaftung konnte so zusammengefasst werden. Für alle Angestellten gelten dann die gleichen Tarife. Für den Bereich der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung sind diese Rahmenbedingungen bislang nicht gegeben. B. Lösung Daher ist nun auch der Bereich der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung zu kommunalisieren. Die Landkreise und kreisfreien Städte haben auf den Gebieten des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung hoheitliche Aufgaben in den Bereichen Tierseuchen-, Lebensmittel-, Fleischhygiene-, Geflügelfleischhygiene-, Tierschutz-, Tierkörperbeseitigungs- und Tierarzneimittel- sowie Betäubungsmittelrecht wahrzunehmen. Das vorhandene, für die Aufgabenerfullung erforderliche Personal wird überführt (C...)

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470 D. Kosten

Für die den Landkreisen und kreisfreien Städten entstehenden Kosten werden finanzielle Ausgleichsregelungen getroffen. Den Landkreisen und kreisfreien Städten werden im Jahr 2002 die tatsächlichen Kosten der Personalüberführung sowie die damit verbundenen Sachmittel im Haushaltsjahr 2002 erstattet. Darauf gründet sich für die Jahre 2003 und 2004 eine an die Personalkostenentwicklung angepasste Pauschale. Auf dieser Basis wird ab dem Jahr 2005 ein zusätzlicher Betrag in den Kommunalen Finanzausgleich als Auftragskostenpauschale aufgenommen (E ...)" III. 1. Der Entwurf des Thüringer Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben auf dem Gebiet des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung sowie zur Änderung Veterinär- und lebensmittelrechtlicher Vorschriften ist am 30.10.2001 von der Landesregierung in den Landtag eingebracht worden (Drs. 3/1942). Nach Art. 1 Nr. 2 dieses Gesetzentwurfs sollte die neu in die ThürKO einzufügende Vorschrift des § 130b nur aus den oben zitierten Absätzen 1 bis 9 bestehen, mit der Maßgabe, dass die Kommunalisierung des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung schon zum 1. Januar und nicht - wie im Gesetz bestimmt erst zum 1.4.2002 wirksam werden sollte. Die Absätze 10 und 11 waren also anders als der Absatz 8 - im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht enthalten. 2. Der Landtag hat den Gesetzentwurf am 9.11.2001 in erster Lesung beraten und ihn nach Begründung und Aussprache in die Fachausschüsse unter Federführung des Innenausschusses verwiesen. Dieser hat am selben Tage beschlossen, eine Anhörung der betroffenen Verbände, darunter des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen und des Thüringischen Landkreistages, zu dem Gesetzentwurf durchzuführen. Die Verbände haben zunächst schriftlich und sodann in der Sitzung des Innenausschusses am 6.12.2001 mündlich zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen. Der Gemeinde- und Städtebund Thüringen hat die geplante Kommunalisierung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter mit dem Hinweis auf eine drohende Verschlechterung des Verbraucherschutzes insgesamt abgelehnt und bemängelt, der Gesetzentwurf regele die Übernahme des Personalbestandes dieser Amter und die Erstattung der Personal- und Sachkosten nur unzureichend. Außerdem hat er sich für ein späteres Inkrafttreten des Gesetzes ausgesprochen (vgl. Zuschrift 3/487 v. 4.12.2001 und Wortprotokoll der 37. Sitzung des Innenausschusses v. 6.12.2001, Dr. Roehlinger, Krumiey). Dagegen hat der Thüringische Landkreistag keine Bedenken gegen die beabsichtigte Kommunalisierung als solche geltend gemacht und nur die in Absatz 8 des § 130b ThürKO LVerfGE 15

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für die Zeit ab 2005 vorgesehene Kostenerstattungsregelung beanstandet sowie ebenfalls für ein späteres Inkrafttreten des Gesetzes plädiert (vgl. Zuschrift 3 / 4 9 0 v. 6.12.2001 u n d Wortprotokoll der 37. Sitzung des Innenausschusses v. 6.12.2001, Vetzberger). 3. N a c h d e m in der mündlichen A n h ö r u n g v o n Mitgliedern des Innenausschusses u n d Verbandsvertretern sinngemäß Bedenken dahingehend geäußert worden waren, die Landkreise könnten nach der Kommunalisierung aus finanziellen G r ü n d e n Personal bei den Veterinär- u n d Lebensmittelüberwachungsämtern abbauen, indem sie frei werdende Stellen künftig nicht mehr besetzen, und so die ordnungsgemäße Erfüllung dieser immer umfangreicher werdenden Aufgabe in Frage stellen, hat die Landtagsfraktion der C D U am 16.1.2002 einen Änderungsantrag in den Innenausschuss eingebracht (Vorlage 3/1138), der n o c h am selben Tage an die Ausschussmitglieder verteilt worden ist. N a c h diesem Änderungsantrag sollte den Landkreisen das Veterinärwesen u n d die Lebensmittelüberwachung erst zum 1.4.2002 übertragen werden. Außerdem sollten dem § 130b T h ü r K O die Absätze 10 und 11 angefügt werden, welche die Personalu n d Sachausstattung der kommunalisierten Veterinär- u n d Lebensmittelüberwachungsämter regeln. Der Innenausschuss hat daraufhin den Gesetzentwurf als zusätzlichen Tagesordnungspunkt im Anschluss an eine Vorbereitungspause v o n 30 Minuten in seiner Sitzung am 17.1.2002 abschließend beraten u n d mehrheitlich unter Ablehnung eines weiteren, am selben Tage in den Innenausschuss eingebrachten Änderungsantrages der PDS-Fraktion (Vorlage 3/1142) beschlossen, dem Landtagsplenum die A n n a h m e des Entwurfs mit den v o n der CDU-Fraktion beantragten Änderungen zu empfehlen. Dieser Beschlussempfehlung hat sich der mitberatende Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit am 14.2.2002 angeschlossen. A m 21.2.2002 hat der Landtag in zweiter Lesung den Gesetzentwurf mit den v o n der CDU-Fraktion vorgeschlagenen Änderungen beschlossen. Anschließend ist das Gesetz ausgefertigt u n d im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaats Thüringen v o m 14.3.2002 (Bl. 161) bekannt gemacht worden. IV. 1. Mit der am 28.10.2002 beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die formelle u n d materielle Verfassungswidrigkeit der Regelungen des § 130b Abs. 8, 10 u n d 11 T h ü r K O zur Erstattung der durch die Aufgabenübertragung entstehenden K o s ten u n d zur Personal- u n d Sachausstattung der kommunalisierten Veterinär- u n d Lebensmittelüberwachungsämter. In formeller Hinsicht macht der Beschwerdeführer vor allem geltend, im Gesetzgebungsverfahren entgegen Art. 91 Abs. 4 ThürVerf zu den im Gesetzentwurf ursprünglich nicht enthalten gewesenen Absätzen 10 u n d 11 nicht angehört worden zu sein. Materiell sieht sich der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Regelungen in seinen Rechten auf komLVerfGE 15

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munale Selbstverwaltung aus Art. 91 Abs. 2 ThürVerf und - soweit es die Kostenerstattungsregelung in Absat2 8 betrifft - auf angemessenen finanziellen Ausgleich der ihm durch die Übertragung staatlicher Aufgaben entstehenden Mehrbelastung nach Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf beeinträchtigt. Die vom Beschwerdeführer als verletzt gerügten Bestimmungen der Landesverfassung lauten: „Art. 91 (Kommunale Selbstverwaltung) (1) Die Gemeinden haben das Recht, in eigener Verantwortung alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze zu regeln. (2) Weitere Träger der Selbstverwaltung sind die Gemeindeverbände. Das Land gewährleistet ihnen das Recht, ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze unter eigener Verantwortung zu regeln. (3) Den Gemeinden und Gemeindeverbänden können auf Grund eines Gesetzes staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden. (4) Bevor auf Grund eines Gesetzes allgemeine Fragen geregelt werden, die die Gemeinden und Gemeindeverbände betreffen, erhalten diese oder ihre Zusammenschlüsse grundsätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme. Art. 93 (Kommunale Finanzausstattung, Steuern) (1) Das Land sorgt dafür, dass die kommunalen Träger der Selbstverwaltung ihre Aufgaben erfüllen können. Führt die Übertragung staatlicher Aufgaben nach Art. 91 Abs. 3 zu einer Mehrbelastung der Gemeinden und Gemeindeverbände, so ist ein angemessener finanzieller Ausgleich zu schaffen. (2)... (3)..."

2. Der Beschwerdeführer begründet die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen wie folgt: a) Der Sachprüfung stehe nicht entgegen, dass der Thüringer Verfassungsgerichtshof nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf nur über Kommunalverfassungsbeschwerden „wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 91 Abs. 1 und 2" entscheidet. Auch die als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen der Art. 91 Abs. 4 und 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf zur Anhörung bei Regelungsvorhaben mit Kommunalbezug und zur Kostenerstattung bei Übertragung staatlicher Aufgaben könnten als Ausformungen der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 91 Abs. 2 ThürVerf mit der Kommunalverfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.

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b) Die in den Absätzen 10 und 11 des § 130b ThürKO getroffenen Regelungen zur Personal- und Sachausstattung der kommunalisierten Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter seien wegen Verletzung des Anhörungsgebots des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf formell verfassungswidrig. Art. 91 Abs. 4 ThürVerf schreibe vor dem Erlass abstrakt-genereller Regelungen mit einem kommunalen Bezug im Sinne einer rechtlichen Betroffenheit regelmäßig ein Anhörungsverfahren vor. Dies gelte nicht nur für Rechtsverordnungen des Landes, sondern auch fur förmliche Landesgesetze. Die danach im vorliegenden Fall gebotene Anhörung sei nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich gewesen, weil die getroffenen Regelungen besonders dringlich gewesen seien und nur geringfügige Auswirkungen auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht gehabt hätten. Vielmehr griffen die in den Absätzen 10 und 11 enthaltenen Regelungen, bei denen eine besondere Dringlichkeit nicht erkennbar sei, materiell in den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts ein. Die nachträgliche Ergänzung des Gesetzentwurfs um die Absätze 10 und 11 verstoße außerdem gegen Art. 81 Abs. 1 ThürVerf, nach dem Gesetzesvorlagen nur aus der Mitte des Landtags, durch die Landesregierung oder durch Volksbegehren eingebracht werden können. Danach seien Landtagsausschüsse nicht zu Gesetzesvorlagen oder deren eigenständiger Veränderung berechtigt. Zudem sei das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf das Gebot der Transparenz des parlamentarischen Prozesses verfassungsrechtlich bedenklich, weil der Gesetzentwurf mit den von einigen Abgeordneten kritisierten Änderungsanträgen ohne vorherige Ankündigung auf die Tagesordnung der Innenausschusssitzung vom 17.1.2002 gesetzt und den Ausschussmitgliedern vor der Beratung nur eine Vorbereitungszeit von 30 Minuten zugebilligt worden sei. c) Die Regelungen der Absätze 8, 10 und 11 des § 130b ThürKO verletzten materiell seine - des Beschwerdeführers - Personal- und Finanzhoheit als Bestandteile der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 91 Abs. 2 ThürVerf. Die in Absatz 8 getroffene Regelung missachte außerdem die Verpflichtung des Landes aus Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf zu einem angemessenen Kostenausgleich. Zwar seien die durch § 130b ThürKO angeordnete Überführung der vormals von den im Wege der Organleihe von den Landratsämtern im staatlichen Verwaltungsaufbau ausgeführten Aufgaben der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung in den übertragenen Wirkungskreis der Landkreise und die damit verbundene Personalübernahme als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. aa) Der Absatz 10 beeinträchtige aber in unzulässiger Weise seine - des Beschwerdeführers - Entscheidungsfreiheit in Personalangelegenheiten, indem er in Satz 2 den vom Land übernommenen Personalbestand für den bei Übernahme bestehenden Aufgabenumfang „zementiere" und in Satz 4 durch künftige Veränderungen des Aufgabenumfangs bedingte Anpassungen dieses Personalbestandes zwei Ministerien und damit dem Staat überantworte. Indem Art. 91 Abs. 2 ThürVerf die Gemeindeverbände, also auch die Landkreise, neben den GemeinLVerfGE 15

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den zu Trägern des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung bestimme, sichere er ihnen - ebenso wie Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG - unter anderem im Rahmen einer sog. Rechtsinstitutionsgarantie das Recht auf eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung zu. Wesentlicher Bestandteil dieses Rechts sei - neben der Gebiets-, Organisations-, Planungs-, Rechtsetzungs- und Finanzhoheit - die Personalhoheit, nach der die Landkreise die Befugnis zur freien Auswahl, Anstellung, Beförderung und Endassung der Kreisbediensteten haben. Danach stehe den Landkreisen insbesondere das Recht zu, die Zahl ihrer Bediensteten zu bestimmen. Für einen möglichen Eingriff in die Personalhoheit mache es keinen Unterschied, ob der Landkreis im eigenen oder im übertragenen Wirkungskreis handele. Zum einen erstrecke sich die Befugnis zur eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung und damit die Personalhoheit auch auf die Erfüllung staatlicher Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis. Zum anderen gehörten Personalangelegenheiten stets zum eigenen Wirkungskreis des Landkreises - unabhängig davon, ob dieser Angelegenheiten des eigenen oder des übertragenen Wirkungskreises wahrnehme. Zwar sei nicht jeder Eingriff des Gesetzgebers in die Personalhoheit verfassungsrechtlich unzulässig. Ein unzulässiger Eingriff liege jedoch stets vor, wenn der Gesetzgeber in den Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts eindringe und damit die Personalhoheit in einem Maße gesetzlich ausgestalte, dass von ihr nur noch ein Torso bzw. eine leere Hülle übrig bleibe. Zu diesem Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts gehöre zwar nicht der normative, z.B. durch Laufbahn-, Besoldungs- und Versorgungsregelungen geprägte Bereich der Personalhoheit. Jedoch sei der administrative Bereich der Personalhoheit, der die Auswahl, Ernennung, Umsetzung, Beförderung und Entlassung von Personal betreffe, grundsätzlich zu dem gegen jede Schmälerung gesicherten Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung zu zählen. Dementsprechend hätten die Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder gesetzliche Regelungen, die die Gemeinden und Landkreise im Zusammenhang mit der Übertragung von Aufgaben zur Übernahme von Bediensteten verpflichteten, nur dann für unbedenklich erklärt, wenn sich die Übernahmepflicht auf diejenigen Bediensteten beschränkte, die die übergegangenen Aufgaben schon bisher wahrgenommen hatten, so dass die Gemeinden und Kreise deren Nachfolger eigenverantwortlich auswählen bzw. bei erkanntem Personalüberhang Kündigungen aussprechen konnten, mit der Folge, dass letztlich nur einmalig und zeitlich begrenzt in die Personalhoheit eingegriffen worden sei. Demgegenüber sei er - der Beschwerdeführer - durch Absatz 10 S. 2 und 4 dauerhaft und in erheblichem Umfang in seiner Personalhoheit beeinträchtigt, da ihm in Bezug auf die übertragenen Aufgaben jede eigenverantwortliche Stellenplanung entzogen und seine Personalausstattung in diesem Bereich gänzlich staatlich bestimmt werde. Diese Beeinträchtigung werde auch durch das in Satz 4 vorgesehene - abgeschwächte - Mitspracherecht der kommunalen Spitzenverbände nicht ausgeglichen.

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bb) Indem die Absätze 10 und 11 ihm - dem Beschwerdeführer - die Befugnis entzögen, über die Personal- und Sachausstattung seines Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes frei zu verfügen, verletzten sie auch seine aus Art. 91 Abs. 2 ThürVerf folgende Finanzhoheit. Das Gleiche gelte für die Kostenerstattungsregelung des Absatzes 8, die außerdem der Verpflichtung des Staates zum angemessenen finanziellen Ausgleich bei der Übertragung staatlicher Aufgaben aus Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf widerspreche, in der sich das in Art. 104a GG zum Ausdruck kommende Konnexitätsprinzip spiegele. Der Absatz 8 sei darin verfassungswidrig, dass er ab dem Jahre 2005 keine Erstattung der tatsächlich entstandenen Personal- und Sachkosten - wie im Jahr 2002 - oder wenigstens eine pauschalierte Erstattung auf der Grundlage der tatsächlich entstandenen Kosten - wie in den Jahren 2003 und 2004 - mehr vorsehe, sondern eine Entschädigung über die Auftragskostenpauschale des § 23 ThürFAG, deren Höhe sich unabhängig vom tatsächlichen Personal- und Sachaufwand nach der Einwohnerzahl bemesse. Daraus ergebe sich für ihn - den Beschwerdeführer - für 2005 im Vergleich zum Vorjahr ein Einnahmeverlust und damit eine Unterdeckung von etwa 200.000,00 €, da er als Ausgleich für die von ihm aufzuwendenden Personalkosten von etwa 645.000,00 € für insgesamt 15 Bedienstete im Veterinär- und Lebensmittelüberwachungswesen nach der derzeit geltenden Verordnung über die Auftragskostenpauschale vom 27.6.2001 nur eine einwohnerbezogene Auftragskostenpauschale von etwa 430.000,00 € erhalten werde. Da er die fehlenden Deckungsmittel aus seinem Haushalt bestreiten müsse, führe dies zu einer - gemessen an seinem Gesamtetat erheblichen - partiellen Zementierung seiner finanzpolitischen Entscheidungsmacht und zur Verletzung seiner Finanzhoheit und seines Rechts auf einen angemessenen Kostcnausgleich. Die in Absatz 8 enthaltene Verweisung auf § 23 ThürFAG sei auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu beanstanden, weil sie bewirke, dass zur Bemessung der zu leistenden Ausgleichszahlungen anstelle sachgerechter Kriterien - wie der Größe des Viehbestandes oder der Zahl der Schlachthöfe und der Lebensmittel verarbeitenden oder veräußernden Betriebe - das sachfremde Kriterium der Einwohnerzahl eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt herangezogen werde. Hierdurch würden die Landkreise mit ihren hohen Viehbeständen und vergleichsweise geringen Einwohnerzahlen gegenüber den kreisfreien Städten in ungerechtfertigter und willkürlicher Weise benachteiligt. Ferner sei die in Absatz 8 angeordnete Pauschalabgeltung als solche verfassungswidrig, weil die Frage der Angemessenheit des finanziellen Ausgleichs iSd Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf in Wechselwirkung mit der Beeinflussbarkeit der Kosten durch die Landkreise stehe. Diese hätten aber insoweit keinen Spielraum mehr, da der Gesetzgeber zugleich den für die Veterinär- und Lebensmittelüberwachung notwendigen Personal- und Sachaufwand selbst festgelegt habe. Schließlich dürfe der Gesetzgeber die Regelung des finanziellen Ausgleichs für die Übertragung staatlicher Aufgaben nicht nach einem Zeitraum von LVerfGE 15

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2 Jahren und 9 Monaten dem Verordnungsgeber überlassen, sondern müsse in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Aufgabenübertragung selbst eine hinreichend detaillierte Ausgleichsregelung treffen. Eine solche Regelung enthalte Absatz 8 nicht, der - abgesehen von der Anordnung einer Pauschalabgeltung - nur den Text des Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf wiedergebe. Indem der Gesetzgeber so die Kostenfrage nicht regele, sondern auf den Verordnungsgeber „abschiebe", verletze er das in dieser Verfassungsbestimmung normierte Konnexitätsgebot. V. 1. Die Präsidentin des Thüringer Landtags führt zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfassungswidrigkeit des Gesetzgebungsverfahrens im Hinblick auf die Absätze 10 und 11 des § 130b ThürKO im wesentlichen aus, die Verletzung der nur im Interesse der Sachverhaltsmitdung bestehenden Anhörungsvorschrift des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf könne nicht mit der Kommunalverfassungsbeschwerde gerügt werden. Diese Verfassungsnorm sei nicht Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und - wie sich aus der in ihr enthaltenen Formulierung „grundsätzlich" ergebe - auch nicht zwingend. Hierin unterscheide sie sich von dem bei Auflösungen von Gebietskörperschaften und territorialen Neugliederungen zu beachtenden und im Rahmen des kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahrens justiziablen Anhörungsgebot des Art. 92 Abs. 2 S. 3 ThürVerf. Im Übrigen genüge die vom Innenausschuss durchgeführte Anhörung den Anforderungen des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf, da die im Gesetzentwurf zunächst nicht vorgesehenen Absätze 10 und 11 bloß zusätzliche Vorgaben zur Personal- und Sachausstattung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter enthielten, der die Landkreise eigentlich belastende Tatbestand aber in der Aufgabenübertragung, der Verpflichtung zur Personalübernahme und der Regelung der Kostenerstattung liege. Eine erneute Anhörung sei daher entbehrlich gewesen, zumal die kommunalen Spitzenverbände schon den ursprünglichen Gesetzentwurf abgelehnt hätten. Schließlich habe den Mitgliedern des Innenausschusses genügend Zeit zur Verfügung gestanden, um sich mit dem bereits am Tage vor der Sitzung des Innenausschusses am 17.1.2002 verteilten Änderungsantrag der CDU-Fraktion auseinander zu setzen. Auch hätten die Abgeordneten der Opposition nach § 64 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages (GO-LT) die Möglichkeit gehabt, noch bis zum Ende der Plenarsitzung am 21.2.2002 eigene Änderungsanträge einzubringen. Hiervon habe nur die PDS-Fraktion mit ihrem am 17.1.2002 dem Innenausschuss vorgelegten Änderungsantrag Gebrauch gemacht. 2. Die Landesregierung nimmt lediglich zu der schon im Gesetzentwurf enthaltenen Regelung des Absatzes 8 des § 130b ThürKO Stellung und führt aus, die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. LVerfGE 15

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a) Der Zulässigkeit der gegen Absatz 8 gerichteten Verfassungsbeschwerde stehe schon entgegen, dass die vom Landrat des Beschwerdeführers unterzeichnete Prozessvollmacht dessen Verfahrensbevollmächtigten nicht wirksam zur Anfechtung dieser Regelung ermächtige. Die Vollmacht beziehe sich zwar ausdrücklich auch auf die Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen Absatz 8. Jedoch gestatte der ihr zugrunde liegende Beschluss des Kreistages des Beschwerdeführers seinem Wortlaut nach nur, die Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel zu führen, die „Absätze 10 und 11 des § 130b ThürKO", nicht aber dessen Absatz 8 „als mit der Verfassung unvereinbar zu erklären". Aus dieser Formulierung sei im Übrigen zu entnehmen, dass die Feststellung der Nichtigkeit der Regelung nicht beantragt werden könne. b) Mit der Kommunalverfassungsbeschwerde könne außerdem nicht zulässig gerügt werden, die in Absatz 8 getroffene Kostenerstattungsregelung verletze die das Selbstverwaltungsrecht der Landkreise nicht betreffende Spezialvorschrift des Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf, welche den Ausgleich finanzieller Mehrbelastungen durch die Übertragung staatlicher Aufgaben regelt. Die kommunale Verfassungsbeschwerde habe nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 ThürVerf den Sinn, den Gemeinden und Gemeindeverbänden die gerichtliche Verteidigung ihres in Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf verankerten Selbstverwaltungsrechts, nicht aber anderer, über diese grundlegende Garantie kommunaler Autonomie hinausreichender verfassungsrechtlicher Gewährleistungen zu ermöglichen. Eine Einengung der Selbstverwaltung durch finanzielle Regelungen könne daher allenfalls mit der Rüge der Verletzung der von Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf geschützten Finanzhoheit geltend gemacht werden. Im Übrigen sei ein Verstoß gegen Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf gar nicht möglich, da vorliegend keine Übertragung sachlicher Aufgaben, sondern nur eine Übertragung des zur Aufgabenerfüllung eingesetzten Personals stattgefunden habe. c) Der Beschwerdeführer, der lediglich das Ziel verfolge, eine Regelung der Finanzausstattung für die übertragenen Aufgaben des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung in einem besonderen Gesetz zu erreichen, sei durch § 130b Abs. 8 ThürKO weder gegenwärtig noch unmittelbar in seinen subjektiven Verfassungsrechten verletzt und daher nicht beschwerdebefugt. Eine gegenwärtige Rechtsbetroffenheit sei nicht gegeben, weil die beanstandete Vorschrift zwar schon in Kraft getreten sei, aber erst ab dem Jahre 2005 Anwendung finde. Auch enthalte Absatz 8 gar keine Bestimmungen über die Höhe des Aufwendungsersatzes, sondern schreibe nur den Übergang auf das allgemeine System der Auftragskostenpauschale des § 23 ThürFAG vor. Da sich eine konkrete Belastung des Beschwerdeführers überhaupt erst aus der für 2005 noch zu erlassenden Rechtsverordnung nach § 23 Abs. 3 S. 2 ThürFAG und den auf dieser Grundlage ergehenden Zuwendungsbescheiden ergeben könnte, hege der Beschwerdeführer zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls die Befürchtung, dass ihm künftig nur ein ungenüLVerfGE 15

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gender Aufwendungsersatz geleistet werde. Mangels einer konkretisierenden Rechtsverordnung nach § 23 Abs. 3 S. 2 ThürFAG und entsprechender Zuwendungsbescheide für 2005 sei der Beschwerdeführer auch nicht unmittelbar beschwert. d) Die Verfassungsbeschwerde sei ferner unzulässig, weil der Beschwerdefuhrer entgegen § 31 Abs. 3 S. 1 ThürVerfGHG weder den fachgerichtlichen Rechtsweg erschöpft noch den weitergehenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beachtet habe. Der Beschwerdeführer hätte eine für das Jahr 2005 geltende Rechtsverordnung über die Auftragskostenpauschale im Wege eines verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO überprüfen und gegen die ergehenden Zuweisungsbescheide nach Widerspruch Anfechtungsklage oder ggf. allgemeine Leistungsklage zu den Verwaltungsgerichten erheben können. Indem er schon den Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung nicht abgewartet und keine Prüfung der Kostenerstattungsregelung im Rahmen eines fachgerichtlichen Verfahrens angestrebt habe, habe er auch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde außer Acht gelassen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die konkrete Berechnung des Aufwendungsersatzes für 2005 bislang völlig offen sei und der Verordnungsgeber dem Thüringer Landkreistag bereits in Aussicht gestellt habe, einen kostenadäquaten Erstattungsmodus ohne Fesdegung auf die Einwohnerzahl als Berechungsgröße zu wählen. e) Ein Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers bestehe nicht, da mit der von ihm angestrebten Nichtigerklärung des § 130b Abs. 8 ThürKO ein - der Vorgabe des Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf widersprechender - rechdoser Zustand geschaffen und er seinem Ziel der Festschreibung eines bestimmten Verteilungsmaßstabes in einem besonderen Leistungsgesetz nicht näher gebracht würde. f) Schließlich sei die Verfassungsbeschwerde entgegen § 32 ThürVerfGHG nicht in zulässiger Weise begründet, da es im Hinblick auf Art. 91 Abs. 2 ThürVerf an einem substantiierten Tatsachenvortrag dahingehend fehle, dass das Land seiner Pflicht zur Gewährleistung einer finanziellen Grundausstattung gegenüber dem Beschwerdeführer nicht nachgekommen sei und er deshalb seine Aufgaben nicht mehr erfüllen könne. Insbesondere enthalte die Verfassungsbeschwerde keine auf den Gesamtetat des Beschwerdeführers bezogenen Darlegungen. g) In der Sache sei die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Ungeachtet dessen, dass der Thüringer Verfassungsgerichtshof im Rahmen der kommunalen Verfassungsbeschwerde die angegriffene Erstattungsregelung des Absatzes 8 gar nicht an Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf messen könne, sei diese Verfassungsnorm auch in materieller Hinsicht nicht verletzt, da noch keine Rechtsverordnung vorliege, welche die Art und das Volumen der Kostenerstattung bestimme. Indem sich der Verordnungsgeber insoweit Zeit lasse, handele er im LVerfGE 15

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Übrigen sachgerecht, da er in den Jahren 2003 und 2004 Erfahrungen über die Entwicklung der Personal- und Sachkosten im Veterinär- und Lebensmittelwesen sammeln und auf dieser Grundlage für das Jahr 2005 zu einer realitätsgerechten Erstattung gelangen könne. Dem verfassungsrechtlichen Gebot, die Kostenerstattung in zeitlicher Nähe zur Aufgabenübertragung zu regeln, sei der Thüringer Gesetzgeber nachgekommen, indem er die Kostenerstattung in den Absätzen 5 bis 8 des § 130b ThürKO detailliert in Jahresstufen bis 2004 geregelt und für das Jahr 2005 die Erstattung der Personal- und Sachkosten dem Grunde nach vorgesehen, den gesetzlichen Erstattungsweg durch Verweis auf die Auftragskostenpauschale bestimmt und eine Abschmelzung des Ausgleichsbetrages nach § 3 Abs. 3 ThürFAG verhindert habe. Eine - nicht substantiiert dargelegte - Verletzung des Art. 91 Abs. 2 ThürVerf scheide aus, da der vom Beschwerdeführer als sachwidrig beanstandete Erstattungsmaßstab der Einwohnerzahl bislang nicht durch Rechtsverordnung festgelegt und offen sei, ob der Verordnungsgeber eine solche Bezugsgröße tatsächlich wählen werde. Die hieran geknüpften Ausführungen des Beschwerdeführers zur willkürlichen Ungleichbehandlung der kreisfreien Städte einerseits und der Landkreise andererseits seien auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Landkreise zwar regelmäßig über größere Viehbestände, die Städte aber über eine höhere Zahl von Schlachthöfen, Einzel- und Großhandelsbetrieben, Großküchen, Gaststätten u.a. verfugten. B. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Absatz 8 des § 130b ThürKO richtet. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Absätze 10 und 11 des § 130b ThürKO wendet, hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg. I. 1. Der Zulässigkeit der gegen den Absatz 8 des § 130b ThürKO gerichteten Verfassungsbeschwerde steht in erster Linie entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht beschwerdebefugt ist, weil diese Bestimmung ihn weder gegenwärtig noch unmittelbar betrifft und ihn damit nicht in seinem in Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerfGH, § 11 Nr. 2 ThürVerf genannten Recht verletzen kann. a) Eine gegenwärtige Rechtsbetroffenheit des Beschwerdeführers scheidet im Hinblick darauf aus, dass Absatz 8 eine Regelung zur Erstattung der Personalund Sachkosten der kommunalisierten Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter trifft, die sich nicht schon jetzt, sondern erst ab dem Jahre 2005 auswirkt. Damit schließt sich Absatz 8 an die vom Beschwerdeführer nicht beanstandeten Absätze 5 und 6 des § 130b ThürKO an, welche die Erstattung der mit der Personalübernahme verbundenen Kosten für die Jahre 2002 bis 2004 regeln. Von einer LVerfGE 15

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gegenwärtigen Beschwer ist auch nicht deshalb aus2ugehen, weil die konkreten Auswirkungen der die künftige Rechtslage in 2005 betreffenden Regelung des Absatzes 8 auf den Beschwerdeführer schon jetzt in einem Maße absehbar wären, das diesen bei objektiver Betrachtung zu organisatorischen oder finanziellen Vorbereitungsmaßnahmen zwingen würde (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 18.12.1997, VerfGH 11/95 - Wutha-Farnroda, S. 11). aa) Absatz 8 bestimmt, dass die Erstattung der Personal- und Sachkosten der kommunalisierten Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter ab 2005 über die Auftragskostenpauschale nach § 23 ThürFAG in der jeweils geltenden Fassung erfolgt (1. HS), wobei diese Erstattung der im Rahmen des ThürFAG insgesamt zur Verteilung stehenden Finanzausgleichsmasse als zusätzlicher Betrag zugeführt wird (2. HS). Damit enthält dieser Absatz lediglich eine - um den Regelungsgehalt seines 2. Halbsatzes angereicherte - dynamische Verweisung auf § 23 ThürFAG. Dieser bestimmt in seinem Abs. 1 S. 1, dass die Landkreise und Gemeinden für Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde unter Berücksichtigung sonstiger Erstattungen eine Auftragskostenpauschale erhalten, die wiederum nach § 23 Abs. 1 S. 2 ThürFAG durch Rechtsverordnung des für den kommunalen Finanzausgleich zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem für den Landeshaushalt zuständigen Ministerium mit Zustimmung des Landtags bestimmt wird. Aufgrund dieser Ermächtigung, die keine konkreten Vorgaben zur Bemessung der Pauschale enthält, sind die Verordnung über die Auftragskostenpauschale nach § 23 ThürFAG vom 27.6.2001 und die Erste Änderungsverordnung hierzu vom 13.1.2004 ergangen, durch welche die allgemeine Auftragskostenpauschale und weitere, auf bestimmte Aufgaben bezogene Pauschalen für die Jahre 2001, 2002, 2003 und 2004 festgelegt worden sind. Eine entsprechende, den § 23 ThürFAG konkretisierende Rechtsverordnung für das Jahr 2005 existiert bislang nicht. Aus diesem Grunde lässt sich derzeit nicht bestimmen, welche betragsmäßige Höhe die allgemeine Auftragskostenpauschale oder eine ggf. für die Aufgabe des Veterinärwesens und der Lebensmittelüberwachung gewährte Sonderpauschale im Jahre 2005 haben und auf welche Verteilungsmaßstäbe sie bezogen sein wird. bb) Die künftigen Auswirkungen des Absatzes 8 auf den Beschwerdeführer sind auch nicht deshalb hinreichend absehbar, weil die bisherigen Rechtsverordnungen zu § 23 ThürFAG stets einwohnerbezogene Auftragskostenpauschalen vorgesehen, also den Landkreisen einen pauschalierten Betrag pro Einwohner zugewiesen haben (so betrugen z.B. die allgemeinen Auftragskostenpauschalen für die Landkreise in 2001 und 2002 umgerechnet 31,26 € pro Einwohner und in 2003 und 2004 33,72 € pro Einwohner). Hieraus folgt nicht zwingend, dass der Verordnungsgeber auch zur Erstattung der Kosten für das Veterinärwesen und die Lebensmittelüberwachung in 2005 eine auf die Einwohnerzahl bezogene Pauschale festlegen wird, zumal der noch geltende § 23 Abs. 2 ThürFAG für die PerLVerfGE 15

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sonalkosten, die den Landkreisen durch die Aufgaben entstanden sind, die ihnen durch das erste Kommunalisierungsgesetz nach § 130a ThürKO übertragen wurden, gerade keine einwohner-, sondern eine stellenbezogene Pauschalerstattung für die Jahre 2001, 2002 und 2003 gewährt hat. Dass sich der Verordnungsgeber bereits definitiv für eine einwohnerbezogene Pauschalierung entschieden hätte, ist im Übrigen nicht erkennbar. b) Da der mit der Verweisung in Absatz 8 in Bezug genommene § 23 ThürFAG seinerseits noch der Konkretisierung durch eine die Auftragskostenpauschale fur 2005 festlegende Rechtsverordnung bedarf, um künftig überhaupt anwendbar zu sein, kann der Beschwerdeführer durch diese Regelung auch nicht unmittelbar in seinem Selbstverwaltungsrecht oder sonstigen Verfassungsrechten betroffen sein. aa) Eine Gemeinde oder ein Gemeindeverband ist durch eine mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde angegriffene gesetzliche Regelung unmittelbar beschwert, wenn schon das angefochtene Gesetz selbst den Verfassungsverstoß bewirken kann und nicht erst ein weiterer vermittelnder, rechtsnotwendiger oder in der Verwaltungspraxis üblicher Vollzugsakt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass in diesem Fall erst ein auf Grund des Gesetzes ergehender besonderer Willensakt der öffentlichen Gewalt in die Rechtssphäre der betroffenen Gebietskörperschaft eingreift (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002 - VerfGH 14/98 - Finanzausgleich, S. 25; BVerfGE 16, 147, 158; 53, 366, 389), der als solcher ggf. mit fachgerichtlichen Rechtsbehelfen und - nach Erschöpfung des Rechtsweges - mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde angefochten werden könnte (vgl. BVerfGE 71, 25, 34). bb) Im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG ist es einer Gemeinde oder einem Gemeindeverband durch das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit insbesondere verwehrt, ein förmliches Gesetz anzugreifen, das noch der Konkretisierung durch eine Rechtsverordnung bedarf, um vollziehbar zu sein. Vielmehr muss die Gebietskörperschaft zunächst den Erlass der Rechtsverordnung abwarten und sodann nach Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtsweges nach § 47 VwGO diese mit der Verfassungsbeschwerde angreifen, wobei die Jahresfrist des § 93 Abs. 2 BVerfGG erst mit Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens zu laufen beginnt. Dabei kann als formelles Erfordernis für die Wirksamkeit der Rechtsverordnung Inzident auch die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden einfachgesetzlichen Ermächtigungsnorm nach Art. 80 Abs. 1 GG geprüft und festgestellt werden (vgl. BVerfGE 6, 273, 282; 71, 25, 36; 76, 107, 113), denn im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde können auch andere Vcrfassungs Vorschriften als Art. 28 Abs. 2 GG insoweit als Prüfungsmaßstab herangezogen werden, als sie ihrem Inhalt nach das verfassungsrechtliche Bild der kommunalen Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind. Dies trifft vor allem auf die formellen WirkLVerfGE 15

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samkeitsvoraussetzungen einer Norm wie etwa die Einhaltung der Gesetzgebungskompetenz nach den Art. 70 ff GG zu (vgl. BVerfGE 1, 167, 173, 56, 298, 310 f; 71, 25, 37). cc) Das Gleiche gilt für die Kommunalverfassungsbeschwerde nach der Thüringer Verfassung, die nicht nur Gesetze und Rechtsverordnungen, sondern nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf darüber hinaus auch sonstige Hoheitsakte zum Gegenstand haben kann (vgl. ]Mick,/]ul"i/ Hopfe Die Verfassung des Freistaats Thüringen, 1994, Art. 80, Rn. 14). So hält sich auch der Thüringer Verfassungsgerichtshof grundsätzlich für befugt, aufgrund einer Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf nicht nur in materieller Hinsicht zu prüfen, ob die den Gegenstand des Verfahrens bildende Norm das Selbstverwaltungsrecht verletzt, sondern auch, ob sie den sich aus der Landesverfassung ergebenden formellen Anforderungen an ihre Wirksamkeit gerecht wird, zu denen beispielsweise auch das in Art. 92 Abs. 3 S. 2 ThürVerf normierte Gebot der Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften bei kommunalen Neugliederungsentscheidungen gehört (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 18.12.1996 - VerfGH 2/95, 6/95 - Isserstedt u.a., S. 22 = NVwZ-RR 1997, 639, 640). Damit ist auch im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach der Landesverfassung eine Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsverordnung, die sich Inzident auf die Gültigkeit der ihr zugrunde liegenden landesgesetzlichen Ermächtigung nach Art. 84 ThürVerf erstreckt, nicht prinzipiell ausgeschlossen. Im Hinblick darauf ist es dem Beschwerdeführer zuzumuten, den Erlass der Rechtsverordnung über die Auftragskostenpauschale für 2005 abzuwarten und diese dann - nach Erschöpfung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges - mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde anzufechten. c) Da keine die Auftragskostenpauschale für 2005 festlegende Rechtsverordnung existiert, kommt es nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer nach Erlass einer solchen Verordnung durch die angefochtene Erstattungsregelung des Absatzes 8 gegenwärtig und unmittelbar rechtlich betroffen wäre oder es vielmehr noch einer durch einen Prüflings- und Entscheidungsspielraum der Behörde gekennzeichneten konkreten Zuweisung der an ihn auszuzahlenden Mittel bedürfte, die ihrerseits - nach Erschöpfung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges mittels einer Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklage - mittelbar oder unmittelbar Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung im Rahmen einer kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf sein könnte (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002, VerfGH 14/98 - Finanzausgleich, S. 25). d) Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht insoweit auf eine gegenwärtige und unmittelbare Einwirkung auf sein Selbstverwaltungsrecht berufen, als er geltend macht, die in Absatz 8 angeordnete Pauschalerstattung verletze als solche in ihrer Wechselwirkung mit den in den Absätzen 10 und 11 getroffenen VorgaLVerfGE 15

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ben für die Personal- und Sachausstattung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter die Landesverfassung und verstoße gegen die Konnexitätsvorgabe des Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf, welche dem Landesgesetzgeber verbiete, bei der Übertragung von Aufgaben dem Verordnungsgeber die nachträgliche Regelung der Einzelheiten der Kostenerstattung zu überlassen. aa) Der Landesgesetzgeber hat in § 23 Abs. 1 ThürFAG generell für alle den Gemeinden und Landkreisen zur Erledigung übertragenen staatlichen Aufgaben entschieden, dass die den Gebietskörperschaften daraus entstehenden finanziellen Mehrbelastungen durch Zahlung einer Pauschale auszugleichen sind; die Festsetzung dieser Pauschale hat er dem Verordnungsgeber überantwortet. Hierbei handelt es sich um eine im Hinblick auf Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf getroffene Systementscheidung des Gesetzgebers, die nicht in der vom Beschwerdeführer angefochtenen Verweisungsvorschrift des § 130b Abs. 8 ThürKO, sondern - als Bestandteil des Gesamtgefüges des kommunalen Finanzausgleichs - in dem darin in Bezug genommenen § 23 Abs. 1 ThürFAG enthalten ist. Wollte sich der Beschwerdeführer gegen diese Systementscheidung des Gesetzgebers für eine dem Verordnungsgeber zur flexiblen Bestimmung überlassene Auftragskostenpauschale wenden, müsste er seine Verfassungsbeschwerde gegen § 23 Abs. 1 ThürFAG richten. Dabei hätte er auch für diese Vorschrift die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerdc zu beachten - insbesondere die Einhaltung der Jahresfrist des § 33 Abs. 3 ThürVerfGHG, die längst verstrichen sein dürfte, da der in seiner jetzigen Fassung rückwirkend zum 1.1.2000 in Kraft getretene § 23 Abs. 1 ThürFAG schon im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 16.3.2000 bekannt gemacht wurde (vgl. Art. 1 Nr. 1 und Art. 3 des 3. Änderungsgesetzes zum ThürFAG v. 4.3.2000, GVB1. S. 31; dazu BVerfGE 1, 415, 416). Auf die gegen § 130b Abs. 8 ThürKO gerichtete Verfassungsbeschwerde kann der Thüringer Verfassungsgerichtshof jedenfalls nicht prüfen, ob die in § 23 Abs. 1 ThürFAG getroffene Grundsatzregelung, die Kosten über eine jeweils vom Verordnungsgeber festgelegte Pauschale zu erstatten, als solche verfassungswidrig ist. bb) Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, dass der Gesetzgeber durch Absatz 8 für die Aufgabe der Veterinär- die Lebensmittelüberwachung eine konkrete Anknüpfung an das System der Auftragskostenpauschale vorgenommen und damit insoweit einen Systemwechsel vollzogen hat, als er von einer an den tatsächlichen Kosten orientierten Erstattung für die Jahre 2002 bis 2004 auf die pauschalierte Erstattung nach dem ThürFAG für die Jahre nach 2004 übergegangen ist, bleibt es dabei, dass er diesen, konkret auf die übertragene Aufgabe bezogenen Systemwechsel nur dann rügen könnte, wenn er durch die neue Regelung gegenwärtig und unmittelbar in seinem Selbstverwaltungsrecht betroffen wäre, was derzeit mangels einer die Auftragskostenpauschale für 2005 bestimmenden Rechtsverordnung nicht erkennbar ist.

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cc) Der Beschwerdeführer kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, die in Absatz 8 für die übertragene Aufgabe angeordnete Pauschalerstattung nach dem ThürFAG sei deshalb unzulässig, weil der Gesetzgeber den Landkreisen zugleich in den Absätzen 10 und 11 weitgehende Vorgaben zur Personal- und Sachausstattung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter gemacht hat. Zwar könnte eine Pauschalerstattung, welche regelmäßig keine volle Kostendeckung bewirkt, dann verfassungsrechtlich bedenklich sein, wenn die Gebietskörperschaften aufgrund entsprechender Vorgaben des Landes keinen Entscheidungsspielraum bei der Personal- und Sachausstattung ihrer Verwaltungen hätten und damit die Höhe der tatsächlich entstehenden Kosten nicht beeinflussen könnten. Mit dieser Rüge könnte der Beschwerdeführer die dem Schutz subjektiver Verfassungsrechte dienende kommunale Verfassungsbeschwerde jedoch allenfalls begründen, wenn bereits absehbar wäre, dass sich für ihn als Folge der in Absatz 8 angeordneten Pauschalerstattung eine Unterdeckung der in 2005 tatsächlich entstehenden Kosten ergäbe und nicht etwa eine - nach seinen eigenen Ausführungen bei den kreisfreien Städten sogar zu erwartende - Übererstattung. Diese Einschätzung ist jedoch ohne Kenntnis der Auftragskostenpauschale für 2005 unmöglich. 2. Da der Absatz 8 des § 130b ThürKO den Beschwerdeführer nicht unmittelbar belastet, kommt eine Sachprüfung dieser Regelung auch im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht. Diese ist als weitergehendes Zulässigkeitsmerkmal aus § 31 Abs. 3 S. 1 ThürVerfGHG abzuleiten, nach dem die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden kann. Zwar ist gegen die vom Beschwerdeführer beanstandete Gesetzesvorschrift des Absatzes 8 unmittelbar kein Rechtsweg zu den Fachgerichten eröffnet. Gleichwohl muss der Beschwerdeführer nach dem Subsidiaritätsprinzip alle ihm nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine fachgerichtliche Korrektur der behaupteten Verfassungsverstöße zu erreichen. Dabei ist er im Rahmen des Zumutbaren auch gehalten, einen die beanstandete Norm konkretisierenden Hoheitsakt - hier den Erlass der Rechtsverordnung zur Auftragskostenpauschale für 2005 - abzuwarten und sodann gegen diesen - mittelbar mit einer gegen den Zuweisungsbescheid gerichteten Klage oder unmittelbar mit einem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO fachgerichtlich vorzugehen (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002 - VerfGH 14/98 Finanzausgleich, S. 32). 3. Da die Auswirkungen des § 130b Abs. 8 ThürKO auf die künftige Finanzausstattung des Beschwerdeführers mangels einer die Norm konkretisierenden Rechtsverordnung noch gar nicht absehbar sind, genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde letztlich auch nicht den Anforderungen des § 32 ThürVerfGHG. Diese Vorschrift verlangt vom Beschwerdeführer die nachvollziehbare Darstellung eines Lebenssachverhalts, bei dessen Zugrundelegung die LVerfGE 15

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Verletzung des als verletzt gerügten verfassungsmäßigen Rechts möglich erscheint (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002 - VerfGH 14/98 - Finanzausgleich, S. 28). In dieser Plausibilität hat der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Finanzhoheit und des Konnexitätsprinzips des Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf nicht dargelegt. a) Die Finanzhoheit gewährt als Bestandteil der im Grundgesetz und in der Thüringer Verfassung gleichermaßen verankerten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie das Recht zur eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft, also insbesondere die Entscheidungsfreiheit darüber, für welche zulässigen Ziele welche Mittel in welcher Höhe verwendet werden sollen (vgl. BVerfGE 26, 228, 244; 71, 25, 36; BVerfG, ThürVBl 1994, 83). Darüber hinaus sichert sie die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften, indem sie diesen eine aufgabenadäquate Finanzausstattung garantiert (vgl. Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. 2002, Art. 28, Rn. 14; Löwer in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. II, 5. Aufl. 2001 Art. 28, Rn. 88 f). Dies ist in Art. 93 Abs. 1 S. 1 ThürVerf ausdrücklich betont, der dem Land aufgibt, in finanzieller Hinsicht dafür Sorge zu tragen, dass die Träger der kommunalen Selbstverwaltung ihre Aufgaben erfüllen können und damit - in Verbindung mit den übrigen Regelungen in Art. 93 ThürVerf - ein Finanzausstattungsgebot festschreibt. Dieses beinhaltet konkret, dass das Finanzvolumen der Gemeinden und Gemeindeverbände insgesamt so bemessen sein muss, dass die Personal- und Sachausgaben für die Pflichtaufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungskreis bestritten werden können und darüber hinaus im kommunalen Haushalt ein gewisser finanzieller Spielraum für Maßnahmen im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten - eine sog. freie Spitze - verbleibt (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002 — VerfGH 14/98 - Finanzausgleich, S. 32; IJnck/Jui^i/Hopfe Die Verfassung des Freistaats Thüringen, 1994, Art. 93, Rn. 4). Es kann offen bleiben, ob das landesverfassungsrechtliche Finanzausstattungsgebot über seine Zugehörigkeit zum Selbstverwaltungsrecht des Art. 91 Abs. 2 ThürVerf überhaupt eine nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf einklagbare subjektive Rechtsposition vermittelt. Wendet sich eine Gebietskörperschaft im Rahmen der kommunalen Verfassungsbeschwerde mit der Rüge der Verletzung des Finanzausstattungsanspruchs gegen gesetzliche Vorschriften, bedarf es jedenfalls der substantiierten Darstellung dahingehend, dass das Land seiner Pflicht zur Gewährleistung einer finanziellen Grundausstattung gegenüber der betroffenen Kommune nicht nachgekommen ist und diese ihre Aufgaben deshalb nicht mehr erfüllen kann (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002 - VerfGH 14/98 - Finanzausgleich, S. 27 f). Daran fehlt es hier, denn eine solche Darlegung müsste auf den Gesamtetat des Beschwerdeführers bezogen sein und den ihm künftig zufließenden Kostenersatz als Teil seiner finanziellen Gesamtausstattung plausibel einschätzen. b) Mangels einer sich aus einer gültigen Rechtsverordnung zur Auftragskostenpauschale für 2005 ergebenden Berechnungsgrundlage kann der BeschwerdeLVerfGE 15

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führer auch nicht nachvollziehbar begründen, die ihm künftig zustehende Erstattung werde entgegen Art. 93 Abs. 1 S. 2 ThürVerf unangemessen sein. 4. Da die gegen den Absatz 8 des § 130b ThürKO gerichtete Verfassungsbeschwerde schon aus den vorgenannten Gründen keiner Sachprüfung unterzogen werden kann, kann offen bleiben, ob zur Anfechtung dieser Regelung eine wirksame Prozessvollmacht vorgelegen hat. II. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Absätze 10 und 11 des § 130b ThürKO wendet, bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde. 1. Indem sich der Beschwerdeführer mit der Rüge der Verletzung seines Selbstverwaltungsrechts aus Art. 91 Abs. 2 ThürVerf gegen die Absätze 10 und 11 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf, § 11 Nr. 2 ThürVerfGHG statthaft. Ob der Beschwerdeführer dabei auch geltend machen kann, die Absätze 10 und 11 seien unter Verstoß gegen den eine Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften oder ihrer Zusammenschlüsse vorsehenden Art. 91 Abs. 4 ThürVerf zustande gekommen, ist als eine auf den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab bezogene Frage erst nach Feststellung der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Rahmen der Sachentscheidung zu klären (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 6.6.2002 - VerfGH 14/98 - Finanzausgleich, S. 16). 2. Die am 28.10.2002 beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingegangene Verfassungsbeschwerde ist rechtzeitig innerhalb der am 31.3.2003 abgelaufenen Jahresfrist des § 33 Abs. 3 ThürVerfGHG erhoben und begründet worden. 3. Der Beschwerdeführer ist auch beschwerdebefugt. Die in den Absätzen 10 und 11 enthaltenen und seit dem 1.4.2002 geltenden Vorgaben des Gesetzgebers zur gegenwärtigen und künftigen Personal- und Sachausstattung der kommunalisierten Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter, insbesondere die Festschreibung der Personalausstattung für den bei Übernahme des Personals bestehenden Aufgabenumfang nach Absatz 10 S. 2 und die Regelung über die Ermittlung des Personalbedarfs bei künftigen Veränderungen des Aufgabenumfangs nach Absatz 10 S. 4, bedürfen keiner Umsetzung durch weitere Hoheitsakte wie etwa Rechtsverordnungen oder Bescheide und betreffen den Beschwerdeführer damit gegenwärtig und unmittelbar. 4. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt den Anforderungen des § 32 ThürVerfGHG, indem der Beschwerdeführer geltend macht, die Absätze 10 und 11 verletzten sein kommunales Selbstverwaltungsrecht aus Art. 91 Abs. 2 ThürVerf. Die gesetzgeberischen Vorgaben zur Personal- und Sachausstattung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter berühren insbesondere die LVerfGE 15

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daraus entspringende Personal- und die Organisationshoheit des Beschwerdeführers. Indem § 130b ThürKO die Überführung staatlicher Aufgaben in den übertragenen Wirkungskreis der Landkreise regelt, welche zuvor durch die Landratsämter als untere staatliche Verwaltungsbehörden wahrgenommen wurden, hat die Vorschrift insgesamt gesehen zwar einen Gegenstand, der den Normbereich des Art. 91 Abs. 2 ThürVerf gar nicht berührt. Denn das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände auf kommunale Selbstverwaltung, das diese zu eigenverantwortlicher Aufgabenerledigung berechtigt, bezieht sich im dualistischen System nur auf die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises, nicht aber auf die ihrer Rechtssubstanz nach staatlichen Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises (vgl. BVerfGE 78, 331, 341; 83, 363, 383; Dreier GG, Bd. II, 1998, Art. 28, Rn. 84). Allerdings umfasst das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Landkreise die sog. Gemeinde- bzw. Kreishoheiten, wie etwa die Organisations-, die Personalund die Finanzhoheit, die die Grundlage dafür bilden, dass die Gebietskörperschaften überhaupt Angelegenheiten eigenverantwortlich wahrnehmen können (vgl. BVerwGE 6, 19, 24). Diese - die elementaren Voraussetzungen der Selbstverwaltung schaffenden und daher zum Schutzbereich des Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf gehörenden - organisatorischen, personellen und finanziellen Autonomien greifen über die auf den Inhalt der Aufgabe bezogene kommunale Eigenverantwortung hinaus. Während die Gebietskörperschaften eine staatliche Reglementierung, welche die Art und Weise der Aufgabenerledigung betrifft, nur für ihre dem eigenen Wirkungskreis zugehörigen örtlichen Angelegenheiten, nicht aber auch hinsichtlich der ihnen übertragenen staatlichen Aufgaben abwehren können, besteht ihr Recht zur Organisation der kommunalen Verwaltung einschließlich der Personal- und Haushaltsautonomie nicht nur bezüglich bestimmter Sachaufgaben, sondern für die gesamte Verwaltung. Die Gebietskörperschaften handeln damit stets im eigenen Wirkungskreis, wenn sie im Rahmen ihrer Organisations-, Personal- oder Finanzhoheit Dispositionen treffen - unabhängig davon, ob diese konkret der Erledigung staatlicher oder eigener Aufgaben dienen (vgl. VGH München, NJW 1989, 790) Danach können grundsätzlich auch gesetzliche Vorschriften oder in Ausübung der Fachaufsicht des Landes getroffene Maßnahmen im Bereich des übertragenen Wirkungskreises in das Selbstverwaltungsrecht eingreifen, indem sie etwa mit detaillierten Vorgaben zur Art und Weise der Aufgabenerledigung zugleich die Organisationshoheit der Kommune beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 78, 331, 341; 83, 363, 382), denn diese bezeichnet die Befügnis der Gebietskörperschaften, ihre innere Organisation selbst zu ordnen, insbesondere nach eigenem Ermessen Behörden, Einrichtungen und Dienststellen zu errichten und funktionsadäquat auszustatten. Das Gleiche gilt für die — teilweise als Aspekt der Organisationshoheit betrachtete — Personalhoheit, die vor allem das Recht der Gebietskörperschaft auf freie Auswahl, Anstellung, Beförderung und Entlassung der kommunalen Bediensteten umfasst (vgl. BVerfGE 17, 172, 182; Löiver aaO, Art. 28, Rn. 67 und 70; Dreier aaO, Rn. 124 und 129). LVerfGE 15

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5. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist in Bezug auf die Absätze 10 und 11, die keiner weiteren Konkretisierung bedürfen, gewahrt. Weitere Zulässigkeitshindernisse sind nicht ersichtlich. III. Die gegen die Absätze 10 und 11 des § 130b ThürKO gerichtete Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. 1. Die in den beanstandeten Absätzen getroffenen Regelungen zur Personalund Sachausstattung der kommunalisierten Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter verletzen das Recht des Beschwerdeführers auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 91 Abs. 2 ThürVerf schon deshalb, weil sie nicht den Anforderungen genügen, welche die Thüringer Verfassung in Art. 91 Abs. 4 ThürVerf an das Zustandekommen solcher, materiell in den geschützten Bereich gemeindlicher Autonomie hineinwirkender Regelungen stellt. a) Art. 91 Abs. 4 ThürVerf formuliert - anschließend an die die kommunale Selbstverwaltung normierenden Absätze 1 und 2 und den die Übertragung staatlicher Aufgaben regelnden Absatz 3 der Vorschrift - ein Anhörungsgebot, welches lautet: „Bevor auf Grund eines Gesetzes allgemeine Fragen geregelt werden, die die Gemeinden und Gemeindeverbände betreffen, erhalten diese oder ihre Zusammenschlüsse grundsätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme." aa) Indem die Norm eine Anhörung vorsieht, bevor „auf Grund eines Gesetzes" Fragen geregelt werden, welche die Kommunen betreffen, knüpft sie diese Anhörung an den Erlass sowohl von förmlichen Landesgesetzen als auch von Rechtsverordnungen. Dies ergibt sich aus dem in den Verfassungsberatungen insoweit eindeutig zum Ausdruck gekommenen Willen des Landesverfassunggebers, der davon ausging, dass gerade förmliche Gesetze die Anhörungspflicht auslösen sollten (vgl. Wortprotokolle der Sitzungen des Unterausschusses des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses v. 11.9.1992, S. 15 ff und des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses vom 16.10.1992, S. 113 ff). Dementsprechend enthielt die ursprünglich vom Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss verabschiedete Fassung des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf auch die Formulierung „durch Gesetze oder aufgrund eines Gesetzes" (vgl. Wortprotokoll der Sitzung des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses v. 16.10.1992, S. 135). Diese wurde später - ohne die ausdrückliche Zustimmung des Ausschusses von der Redaktionskommission des Landtags durch die umfassendere Formulierung „auf Grund eines Gesetzes" ersetzt - eine den Inhalt der Norm nicht berührende Bereinigung, die im Übrigen den gesamten Verfassungstext betraf (vgl. Materialien zur Verfassung des Freistaats Thüringen, S. 240, Fn. 20 mwN). bb) Da eine Anhörung nach Art. 91 Abs. 4 ThürVerf stattfindet, bevor „allgemeine Fragen geregelt werden, die die Gemeinden und Gemeindeverbände LVerfGE 15

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betreffen", bekommen diese oder ihre Zusammenschlüsse jedenfalls dann Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn sie durch den beabsichtigten Erlass abstraktgenereller Regelungen in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind (vgl. Unck/Jut^i/Hopfe aaO, Art. 91, Rn. 13 f mwN). Diese Betroffenheit kann sich nach dem Wortlaut der Norm und dem ausdrücklichen Willen des Verfassunggebers dabei auch auf Rechtspositionen beziehen, die in keinem direkten Zusammenhang mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung stehen. So sollte nach den Vorstellungen des Verfassunggebers gerade die beabsichtigte Übertragung staatlicher Aufgaben auf die Gemeinden und Gemeindeverbände, die das Selbstverwaltungsrecht nicht unmittelbar berührt, durch Art. 91 Abs. 4 ThürVerf erfasst werden (vgl. Wortprotokoll der Sitzung des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses v. 16.10.1992, S. 120 f). Damit greift der Anwendungsbereich des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf über den des Art. 92 Abs. 2 S. 3 ThürVerf hinaus, der eine Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften nur bei Auflösungen und territorialen Neugliederungen als schwerwiegendsten Beeinträchtigungen des Selbstverwaltungsrechts vorschreibt. cc) Liegen die genannten Voraussetzungen vor, erhalten die betroffenen Gemeinden oder Gemeindeverbände „oder ihre Zusammenschlüsse grundsätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme". Aus dieser Formulierung ergibt sich zum einen, dass der Normgeber nach seinem Ermessen entweder den von der Regelung betroffenen Gebietskörperschaften oder deren Zusammenschlüssen, also insbesondere den kommunalen Spitzenverbänden, Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, wobei ihm ein bestimmtes Verfahren nicht vorgegeben ist (vgl. Unck/Jutsg/Hopfe aaO, Rn. 15 f; Wortprotokoll der Sitzung des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses v. 16.10.1992, S. 116). Zum anderen folgt aus dem Wort „grundsätzlich", dass die Anhörung im Regelfall stattzufinden hat und hiervon nur aus wichtigem Grund, etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit der zu treffenden Regelung, abgesehen werden kann (vgl. Wortprotokoll der Sitzung des Verfassungs· und Geschäftsordnungsausschusses v. 16.10.1992, S. 115, 124). Hieraus ergibt sich also keine Relativierung der normativen Verbindlichkeit des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf. Ist ein wichtiger Grund für ein Absehen von der Anhörung objektiv nicht gegeben und wird die Anhörung im Normsetzungsverfahren gleichwohl unterlassen, liegt ein Verstoß gegen die Verfassungsvorschrift des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf vor. b) Dem Anhörungsgebot des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf ist vorliegend nicht Rechnung getragen worden, da die in der Sitzung des Innenausschusses am 6.12.2001 angehörten kommunalen Spitzenverbände zu den erst aufgrund des Änderungsantrages der CDU-Fraktion vom 16.1.2002 in den Gesetzentwurf eingefugten Absätzen 10 und 11 nicht Stellung nehmen konnten. aa) Die Voraussetzungen für eine Anhörungspflicht nach Art. 91 Abs. 4 ThürVerf sind gegeben. Insbesondere ist kein Grund erkennbar, der es gerechtLVerfGE 15

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fertigt hätte, ausnahmsweise von einer - nachträglichen - Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften oder deren Zusammenschlüssen zu den beanstandeten Absätzen 10 und 11 abzusehen, da diese Regelungen objektiv betrachtet nicht eilbedürftig waren und der Zeitdruck, der durch den vom Gesetzgeber selbst gewählten Zeitpunkt des Inkrafttretens des Kommunalisierungsgesetzes vom 1.3.2002 im Gesetzgebungsverfahren erzeugt worden ist, nicht berücksichtigt werden kann. bb) Die danach notwendige Anhörung der im Gesetzgebungsverfahren beteiligten kommunalen Spitzenverbände, insbesondere des Thüringischen Landkreistages, zu den Absätzen 10 und 11 war auch nicht in Anlehnung an die zum Anhörungsgebot des Art. 92 Abs. 2 S. 3 ThürVerf bei territorialen Neugliederungen von Gebietskörperschaften entwickelten Grundsätze ausnahmsweise entbehrlich. Danach darf der Gesetzgeber von einer erneuten Anhörung absehen, wenn das ursprüngliche Gesetzesvorhaben nachträglich eine nur unwesentliche Änderung erfährt, die zuvor nicht in die Erörterung einbezogen war (vgl. ThürVerfGH, Urt. v. 12.3.1999 - VerfGH 34/97, 37/97 - Saalburg, Liebschütz, S. 23). Von einer bloß unwesentlichen Änderung des ursprünglichen Gesetzentwurfs durch die Absätze 10 und 11 kann indes nicht die Rede sein, da diese Regelungen erkennbar die Personal- und Organisationshoheit und damit das Selbstverwaltungsrecht der von der Aufgabenübertragung betroffenen Landkreise in einem Maße berühren, das die Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nahelegt - eine Frage, die in der Sitzung des Landtagsplenums am 21.2.2002 tatsächlich aufgeworfen worden ist (vgl. Wortprotokoll der 57. Sitzung des Landtagsplenums v. 21.2.2002, Dr. Klaus). Im Hinblick darauf durfte der Gesetzgeber auf eine ergänzende Anhörung zu den Absätzen 10 und 11 nicht verzichten, zumal nicht auszuschließen ist, dass die Stellungnahmen der beteiligten kommunalen Spitzenverbände anders ausgefallen wären, wenn diese Regelungen bereits Gegenstand der ersten Anhörung gewesen wären. Dies gilt vor allem für die Äußerung des den Beschwerdeführer repräsentierenden Thüringischen Landkreistages, der lediglich Einwände gegen die Kostenerstattungsregelung des Absatzes 8, nicht aber gegen die übrigen Bestimmungen des § 130b ThürKO zur Kommunalisierung der Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämter vorgebracht hat. c) Indem der Gesetzgeber die nach Art. 91 Abs. 4 ThürVerf gebotene Anhörung zu den Absätzen 10 und 11 unterlassen hat, hat er eine formale Anforderung der Landesverfassung außer Acht gelassen, welche diese an ein solches Gesetzgebungsverfahren mit kommunalem Bezug stellt. Dieser Verfassungsverstoß führt zur Nichtigkeit der beanstandeten Gesetzesvorschriften, die der Thüringer Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren feststellt. aa) Für das Anhörungsgebot bei Bestands- und Gebietsänderungen ist anerkannt, dass dessen zur Nichtigkeit des Gesetzesbeschlusses führende Verletzung von der betroffenen Gebietskörperschaft mit der kommunalen VerfassungsbeLVerfGE 15

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schwerde zu den Verfassungsgerichten des Bundes und der Länder gerügt werden kann. Denn das in allen Gemeindeordnungen der Länder verankerte Recht der betroffenen Gebietskörperschaften, vor einer Auflösung oder einer territorialen Neugliederung angehört zu werden, gehört zum historisch gewachsenen Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie. Dies gilt auch dann, wenn dieses Anhörungsrecht - wie etwa im Grundgesetz - in der jeweiligen Verfassung nicht ausdrücklich normiert ist. Indem der Gesetzgeber die Gemeinden und Gemeindeverbände anhört, bevor er eine ihre Existenz betreffende Neugliederungsentscheidung trifft, wahrt er ihre von der Verfassung festgelegte Rechtsstellung, die ihm einerseits verbietet, die Träger der kommunalen Selbstverwaltung zum bloßen Objekt staatlichen Handelns zu degradieren und ihm andererseits aufgibt, sich zur Vorbereitung der Abwägungsentscheidung, ob Gründe des öffentlichen Wohls die beabsichtigte Maßnahme erfordern, umfassende und zuverlässige Kenntnis von allen für die betreffende Regelung erheblichen Umständen zu verschaffen (vgl. BVerfGE 50, 50 f; 50, 195, 202; 86, 90, 107; ThürVerfGH, Urt. v. 12.3.1999 VerfGH 34, 37/97 - Saalburg, Liebschütz mwN). Ist danach das Anhörungsgebot bei Bestands- und Gebietsänderungen ohnehin in den verfassungsmäßigen Garantien der kommunalen Selbstverwaltung in Bund und Ländern - also auch in Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf - enthalten, hat es die Thüringer Verfassung in Art. 92 Abs. 2 S. 3 ThürVerf nicht begründet, sondern nur ausdrücklich deklariert. Dementsprechend stellt der Thüringer Verfassungsgerichtshof im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts nach Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf fest, wenn die Auflösung oder territoriale Neugliederung der beschwerdeführenden Gebietskörperschaft durch ein Gesetz angeordnet worden ist, das den formalen Anforderungen des Art. 92 Abs. 2 S. 3 ThürVerf nicht genügt (vgl. ThürVerfGH, Urt v. 18.9.1998, VerfGH 1/97, 4/97 - Kleinwechsungen, Werther, S. 26 = NVwZ-RR 1999, 55, 56). bb) Soweit es um die - materiellrechtliche - Frage nach der Nichtigkeit eines unter Verletzung des Art. 91 Abs. 4 ThürVerf zustande gekommenen Gesetzes geht, kann offen bleiben, ob das in dieser Vorschrift normierte Anhörungsgebot ebenfalls zum Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zu zählen ist. Aus dem Umstand, dass der Landesverfassungsgeber das als subjektive Rechtsposition der Kommunen und ihrer Zusammenschlüsse konzipierte Anhörungsgebot für solche Regelungsvorhaben, die ihre rechtlichen Interessen betreffen, in die Landesverfassung aufgenommen und mit Verfassungsrang ausgestattet hat, ergibt sich die Rechtsfolge, dass ein unter Verstoß gegen Art. 91 Abs. 4 ThürVerf verabschiedetes Gesetz verfassungswidrig ist und grundsätzlich in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren für nichtig erklärt wird. Dies war dem Verfassunggeber durchaus bewusst, da während der Verfassungsberatungen wiederholt darauf hingewiesen wurde, dass die - damals umstrittene - Aufnahme der in Art. 91 Abs. 4 ThürVerf getroffenen Anhörungsregelung in die Verfassung zur LVerfGE 15

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Folge hätte, dass unter Verstoß gegen diese Regelung zustande gekommene Gesetze unwirksam sein und von den Kommunen verfassungsgerichtlich angefochten werden könnten (vgl. Wortprotokolle der Sitzungen des Unterausschusses des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses v. 11.9.1992, S. 27 und des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses vom 16.10.1992, S. 115 f, 124). cc) Der Beschwerdeführer konnte den festgestellten Verstoß gegen Art. 91 Abs. 4 ThürVerf zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde machen. In prozessualer Hinsicht kann das Unterlassen der nach Art. 91 Abs. 4 ThürVerf vorgeschriebenen Anhörung zu einem Gesetzesvorhaben allerdings nur dann mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf gerügt werden, wenn darin zugleich eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts liegen könnte - was jedenfalls für die erkennbar in die Personal- und Organisationshoheit des Beschwerdeführers eingreifenden Absätze 10 und 11 zutrifft. Dies folgt aus dem Rechtsschutzzweck der kommunalen Verfassungsbeschwerde. Die Gemeinden und Gemeindeverbände können als in den Staatsaufbau integrierte und im Bereich sowohl der Auftrags- als auch der Selbstverwaltungsangelegenheiten innerhalb dieses Staatsaufbaus tätige Körperschaften keine Grundrechtsträger sein. Daraus ist in materieller Hinsicht zu schließen, dass das Selbstverwaltungsrecht kein Grundrecht im eigentlichen Sinne, sondern nur ein einem Grundrecht strukturell vergleichbares Verfassungsrecht ist, das objektive und subjektive Garantien enthält (vgl. Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl. 2002, Art. 28, Rn. 11; Dreier GG, Bd. II, 1998, Art. 28, Rn. 81). Für das verfassungsgerichtliche Verfahren ergibt sich, dass den Gebietskörperschaften die auf eine Grundrechtsverletzung zu stützende Individualverfassungsbeschwerde zur Verteidigung ihres Selbstverwaltungsrechts nicht offen steht. Vielmehr können sie Ringriffe in die kommunale Selbstverwaltung allein mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde geltend machen. Indem die Kommunalverfassungsbeschwerde ausschließlich auf das Selbstverwaltungsrecht bezogen ist, erlaubt sie zwar - anders als das Normenkontrollverfahren - keine umfassende Prüfung der angegriffenen Norm. Jedoch beschränkt sie die verfassungsgerichtlichen Kompetenzen auch nicht darauf, ein Gesetz nur auf seine materielle Unvereinbarkeit mit dieser Gewährleistung zu untersuchen. So überprüft das Bundesverfassungsgericht im Kommunalvcrfassungsbeschwerdeverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG auch, ob ein Gesetz unter Verstoß gegen Verfassungsnormen zustande gekommen ist, die ihrem Inhalt nach das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen geeignet sind, wie etwa die Regelung der Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 70 ff GG oder das Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG, oder ob eine Rechtsverordnung einer gültigen Ermächtigungsgrundlage nach Art. 80 Abs. 1 GG entbehrt (vgl. BVerfGE 1, 167, 173; 6, 273, 282; 56, 298, 310 f; 71, 25, 36 f; 76, 107, 113). Diese, bei allen Gesetzgebungsvorhaben zu beachtenden Verfassungsnormen berühren als solche nicht unmittelbar das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Indem sie sich aber konkret in einem Gesetzesbeschluss auswirLVerfGE 15

Kommunalverfassungsbeschwerde; Anhörungsgebot

493

ken, welcher seinem Inhalt nach das Selbstverwaltungsrecht betrifft, ist der die gerichtliche Prüfungs- und Verwerfungskompetenz im kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren vermittelnde Zusammenhang zu dieser Gewährleistung gegeben. Entsprechendes gilt für das Anhörungsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände vor Verabschiedung eines ihre Angelegenheiten berührenden Gesetzes. Hier wirkt eine Rechtsverletzung sogar stärker auf den Gesetzesinhalt, da die Anhörung in direktem Bezug zur Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers als solcher steht. Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf, der die Kommunalverfassungsbeschwerde „wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 91 Abs. 1 und 2" zulässt, hindert den Thüringer Verfassungsgerichtshof nicht, diese Grundsätze zu beachten. Die Formulierung „wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung" verweist nur auf die Schutzfunktion des Verfahrens. Diese sollte durch den vom Verfassunggeber angehängten Satzteil „nach Artikel 91 Abs. 1 und 2" keine Einschränkung dahingehend erfahren, dass nur die materielle Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und nicht auch die sich aus anderen Verfassungsbestimmungen ergebende formelle Verfassungswidrigkeit eines dieses Recht beschränkenden Gesetzes Prüfungsgegenstand sein könne. Vielmehr ging es dem Verfassunggeber lediglich um eine präzise Bezeichnung der mit der Kommunalverfassungsbeschwerde zu verteidigenden Verfassungsposition der Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. Wortprotokoll der Sitzung des Unterausschusses des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses v. 9.10.1992, S. 117 f, 121). Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf betont mithin die Konzentration der verfassungsrechtlichen Rügen auf die Selbstverwaltungsgarantie, ohne die Rügen auf die materielle Seite zu begrenzen. 2. Da die inhaltlich in die Personal- und Organisationshoheit des Beschwerdeführers eingreifenden Absätze 10 und 11 des § 130b ThürKO diesen schon deshalb in seinem Selbstverwaltungsrecht verletzen, weil sie ohne eine Anhörung nach Art. 91 Abs. 4 ThürVerf zustande gekommen sind, bedarf es keiner verbindlichen Feststellung, ob die beanstandeten Regelungen auch materiell gegen die Selbstverwaltungsgarantie verstoßen. Es braucht daher insbesondere nicht entschieden zu werden, ob die gegen Absatz 10 bestehenden Bedenken durchgreifen. Zwar verbietet Art. 91 Abs. 1 und 2 ThürVerf Eingriffe in die kommunale Organisations- und Personalhoheit nicht schlechthin. Vielmehr können solche Einwirkungen gerade auch im Zusammenhang mit der Neuzuordnung von Aufgaben geboten sein. Dabei ist zu beachten, dass die Gesamtheit der Normen und Prinzipien, die den historisch gewachsenen Begriff der kommunalen Selbstverwaltung prägen, nicht als unabänderlich in dem Sinne gelten kann, dass sie in keiner Hinsicht und zu keiner Zeit in ihrem Bestand verändert werden dürfte. Dementsprechend ist auch der von Verfassungs wegen gegen jede Schmälerung gesicherte Kernbereich der Selbstverwaltung mit Blick auf die geschichtliche Entwicklung dieser Gewährleistung zu bestimmen. So gibt es Erscheinungsformen der SelbstLVerfGE 15

494

Thüringer Verfassungsgerichtshof

Verwaltung - insbesondere die Personalhoheit -, die von jeher in besonderen Situationen gewissen Einschränkungen unterworfen waren, indem etwa bei Eingemeindungen die aufnehmende Kommune regelmäßig gesetzlich verpflichtet wird, die Bediensteten der aufgenommenen Kommune in ihren Dienst zu übernehmen. Dementsprechend ist es auch nicht von vorneherein zu beanstanden, wenn solche gesetzlichen Verpflichtungen zur Übernahme von Bediensteten mit der Zuweisung von Verwaltungsaufgaben verbunden werden (vgl. BVerfGE 1, 167, 178; 17, 172, 182 f). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die kommunale Personalhoheit im Zusammenhang mit der Neuzuordnung von Aufgaben nur einmalig und mit zeitlich begrenzter Wirkung beeinträchtigt wird, indem gerade die Personen in den Dienst der Gemeinde überführt werden, die schon vorher diese Aufgaben ausgeführt haben, die weiterhin hierfür verwendet werden können und deren Nachfolger die Gemeinde frei auswählen darf (vgl. BVerfGE 17, 172, 185 f; BVerfG, ThürVBl 1994, 83). Dabei kann auch bei bereits bestehendem oder sich abzeichnendem Personalüberhang die Uberleitung solcher Dienstverhältnisse verfassungsrechtlich unbedenklich sein, die wegen mangelnden Bedarfs von den Gemeinden gekündigt werden könnten (vgl. BVerfG, ThürVBl 1994, 83). Nach diesen Maßstäben ist der durch Absatz 10 bewirkte Eingriff in die Personalhoheit der Landkreise keineswegs von vorneherein unbedenklich. Dies gilt vor allem im Hinblick darauf, dass die Sätze 2 und 4 des Absatzes 10 den durch die Landkreise übernommenen Personalbestand auf unbestimmte Zeit sowohl „nach unten hin" als ausreichend als auch „nach oben hin" als erforderlich festschreiben und den Kreisen die eigenverantwortliche Ermittlung ihres Personalbedarfs bei Änderungen des Umfangs der zu erledigenden Aufgabe dauerhaft verwehren. Jedenfalls fällt es schwer, diese Vorgaben zu dem damit verfolgten Zweck, die ordnungsgemäße Erledigung der übertragenen Aufgabe durch die Landkreise zu sichern, als verhältnismäßig anzusehen. Denn das Land könnte eine ordnungsgemäße Veterinär· und Lebensmittelüberwachung durch die Landkreise letztlich auch gewährleisten, indem es im Rahmen seiner Fachaufsicht auf den Einzelfall bezogene Maßnahmen ergreift. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die in die personelle Autonomie der Landkreise eingreifende Festschreibung des Personalbestandes „nach oben hin" geeignet wäre, die Qualität der Veterinär- und Lebensmittelüberwachung zu sichern. Auf der anderen Seite nehmen die in Absatz 10 getroffenen Fesdegungen den Landkreisen weitgehend die Gestaltungsfreiheit, die ihnen das Selbstverwaltungsrecht in Gestalt der Organisationshoheit auch im Interesse der staatlichen Gemeinschaft erhalten will. IV. Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 29 Abs. 1 und 2 ThürVerfGHG. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen. LVerfGE 15

Abgeordnete Mandatsgleichheit 169, 171 f

Abgeordnetenentschädigung Funktionszulage s.u. Funktions^ulage Mandat, Freiheit des 172 Teilzeitparlament, Funktionszulage im s.u.

Funktions^ulage

Abgeordneter, fraktionsloser 155 ff Beratung/Unterstützung durch Parlamentsdienste 179 Mandatsgleichheit 178 f Oppositionsbonus s.u. Oppositionszuschlag

Abschiebungsverfahren

Mitwirkungspflichten 79

Aktenvorlage-/einsichtsrecht 124 als parlamentarisches Kontrollrecht 129 f, 141 f Beschränkung des ~ 130 f Geheimhaltungsinteressen 134 ff Gewährleistung durch Landesregierung 129 grundgesetzliche/landesrechtliche Regelungen 132 f konkrete Ausgestaltung 138 f und Abgeordnetenrecht 128 unterschiedliche Reichweite der -rechte 140 Verweigerung des ~ 134 f

Ämterzusammenschluss 116 ff

Anhörungspflichten 118 ff Finanzstruktur nach ~ 123 Funktionsfähigkeit nach Zusammenschluss 121 ff Garantie kommunaler Selbstverwaltung 121 und Änderung Gemeindeverbandsgebiet 120 Verfassungsbeschwerdebefugnis amtsangehöriger Gemeinde 120

Anhörung(srecht) Kommunen s.u. Selbstverwaltung,

kommunale

Anhörungspflichten/-rechte Anhörungsmodalitäten 97 f Anhörungstermin 98 f Anhörungsunterlagen 98 bei Gemeindeauflösung s.u. Gemeindeauflösung bei Gemeindeeingliederung s.u. Gemeindeneugliederung

Asylverfahrensgesetz

und Berufungszulassungsverfahren 150

Aufgabenübertragung, staatliche finanzielle Mehrbelastung durch ~ 366 -Gemeinden/Verwaltungsgemeinschaften 360 ff Kostenaufstellung Gemeinden/Verwaltungsgemeinschaften 366 f Kostendeckungsregelung 360 ff, 363 f, 373 ff mittelbare/unmittelbare Wahrnehmung von ~ 362 f Übertragung "neuer" Aufgaben 366, 372 f -Übertragung Landkreise/Gemeinden 373 und Selbstverwaltungsrechte, kommunale s.u. Selbstverwaltung, kommunale

Ausländergesetz

Sicherungshaft nach ~ s.u. Sicherungshaft

Ballungsraumgesetz (Hessen) Beteiligungsanspruch Dritter 261 Bildung freiwilliger kommunaler Zusammenschlüsse s.u. Kommunale Zusammenschlüsse Folgenbeseitigungsanspruch 308 kommunaler Pflichtverband 270 Planungsverband, Gebietszuschnitt 285 f

496

Sachregister

Rat der Region s.u. Bult der Kegion Selbstverwaltungsgarantie, kommunale s.u. Selbstverwaltung kommunale

Berlin

Krankenhausunternehmens-Gesetz 3 ff s. u. Krankenhausunternehmens-Geset^ (Berlin)

Berliner Hochschulgesetz 34 ff

akademische Selbstverwaltungsgarantie nach ~ 64 f Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren 65 Ehrendoktor 64 Eignungsfeststellungsverfahren für Fachhochschulabsolventen 49 ff Promotionsordnung s.u. Promotionsordnung Promotionsrecht s.u. Promotionsrecht Promotionsverfahren s.u. Promotionsverfahren Recht auf Selbstverwaltung 40 f Satzungsautonomie s.u. Sat^ungsautonomie

Berufsfreiheit 13, 52, 57 ff Β erufungs zulas s ungsverfahren Beschleunigungsgebot nach Asylverfahrensgesetz 150 ff Recht auf zügiges Verfahren vor Gericht 147 ff, 149 f

Beschlagnahme

von Unterlagen 28 f

Beschlagnahmeverbot 30 f Beseitigungs/Wiederherstellungsgebot, naturschutzrechtliches 299 ff, 314 f Bestandsschutz eigentumsrechtlicher 308 konkrete Ausgestaltung des ~ 296 ff

Beteiligungsform Mitwirkung

nach Personalvertretungsgesetz (Thüringen) 400 f, 411 ff, 413 f, 416 ff, 421, 446 ff

Beteiligungstatbestände

nach Personalvertretungsgesetz (Thüringen) 411 ff, 416 ff, 421 f, 442 ff

Betriebsübergang 14 Arbeitsverhältnis, Ubergang von 12 f Widerspruchsrecht Arbeitnehmer 13 f

Bremer Wahlordnung (BremWahlO)

Aufgaben Wahlbereichsleiter/vorstand 198 f

Chancengleichheit Parteien 201 ff abgestufte 209 f Grundsatz der ~ 210 im Wahlkampf 201 ff und Rundfunkfreiheit 209 f

Daten

Ubermitdung personenbezogener ~ 19

Datenlöschung 21 Datenschutz

Aktenvorlage-/einsichtsrecht 130 f

Datenschutzbeauftragter

Schutzfunktion Unterrichtung 26

Disputation 53 f, 60 s.u. Promotionsordnung

Dissertation

als Einzelarbeit 62 f als Gemeinschaftsarbeit 63 f Sprache der Abfassung 62 f

Durchsuchung

Bestimmtheit der -anordnung 30 Verhältnismäßigkeit der ~ 31 f von Geschäfts-/Kanzleiräumen 28, 32

Eigentumsgarantie 14 f, 309 ff Gleichheitsgrundsatz 311 Grundeigentum, Situationsgebundenheit des ~ 296 Schutzbereich 313 und Bestandsschutz 313 ff

Eignungsfeststellungsverfahren Ausgestaltung des ~ 51 Beteiligung der Fachhochschulen an ~ 52 f und Berufsfreiheit

Einfriedung Bestandsschutz für ~ 296 ff, 313 ff

Feststellungs klage, arbeitsgerichtliche 12 Finanzausgleich, kommunaler

Auftragskostenpauschale 467, 480 ff Kommunalisierung von Aufgaben 470 Konnexitätsprinzip 483

Sachregister

Finanzausgleichsgesetz Sachsen Anhörungspflichten/-rechte Kommunen 343 ff Anspruchsberechtigung der Verwaltungsverbände 348 Ausgleich von Kosten für übertragene Aufgaben 349 f Ausgleichsgewährung an Kommunen 343 f Auswirkung auf Verwaltungsverbände /(Einheits-) Gemeinden 344 Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren 346 Gleichbehandlungsgrundsatz 344 Verletzung kommunalen Selbstverwaltungsrechts s.u. Selbstverwaltung kommunale

Flächennutzungsplan

als Kernbereich gemeindlicher Selbstverwaltung 275 ff Aufgabenübertragung auf Planungsverband 279 f Mitwirkungsrecht von Städten/Gemeinden 277 ff und Planungshoheit 262, 274 ff und Regionaler Flächennutzungsplan s.u. Regionaler Flächennutt(ungsplan

Fraktionen

Aufgaben der ~ 333 -autonomie 164 Fraktionsmindeststärke s.u. Fraktionsmindeststärke Fraktionszuschuss s.u. Fraktions^uschuss Funktionen der ~ 175 ff Funktionszulage s.u. Funktions^ulage Rechte der ~ 353 ff Transparenz Mittelverwertung 176 f

Fraktionsmindeststärke

Auswirkungen auf Wahlchancengleichheit 334 Bedeutung für Fraktionsstatus 333 Verletzung von Rechten durch Regelung über ~ 328 f

Fraktionsvorsitzende, stellvertretende 155 ff, 164 f, 175 f Fraktionszuschuss 155 ff Ausgleichszahlung 158 Grundbetrag 157 ff

497

Kopfbetrag 157 ff Oppositionsbonus s.u. Oppositionszuschlag

Freiheitsgrundrecht

Verletzung durch Sicherungshaft 66 ff

Funktionszulage 162 ff

Fraktionsvorsitzende, stellvertretende s.u. Fraktionsvorsitzende, stellvertretende im Teilzeitparlament 155 ff, 173 ff Oppositionszuschlag s.u. Oppositionszuschlag und parlamentarischer Gleichbehandlungsgrundsatz s.u. Gleichbehandlung parlamentarische zur Sicherung (notwendiger) Professionalität 166 f

Gebietskörperschaften

Anhörungsrechte 462 ff Selbstverwaltungsgarantie 463

Gefahr, gegenwärtige 19 f, 25 Gefahrenvorsorge 22 Gehörs rügeverfahren Versagung der Wiedereinsetzung 85 ff Wiedereinsetzungsantrag 89 f

Gemeindeauflösung

Anhörungspflichten s.u. Anhörungspflichten/-rechte nach Kriterien des öffentlichen Wohls 104 f

Gemeindegebietsreform 90 f Ämterzusammenschluss s.u. Amter^usammenschluss Gemeindeauflösung s.u. Gemeindeauflösung Gemeindeneugliederung

Gemeindeneugliederung 90 ff, 101 ff, 118 ff Amtsgrenzen 109 aus "Gründen öffentlichen Wohls" 99 f -eingliederung 105 f finanzielle Folgen der ~ 106 ff Gebot der Systemgerechtigkeit 107 f Maßnahmen der ~ 93 ff Raum- und Siedlungsstruktur 109 Schaffung von Verwaltungseinheiten 109 Strukturfragen der ~ 102 ff und kommunale Selbstverwaltung 96

498

Sachregister

Verfassungsbeschwerde gegen ~ 90 ff verfassungsgerichtliche Kontrolle der entscheidung 100

Geringfügig Beschäftigte

Ausschluss von ~ 409,415,420 Definition nach Personalvertretungsgeset2 (Thüringen) 424 ff

Gesetzgebungsverfahren

Anhörung(srecht) Kommunen 462 ff, 471 ff, 488 ff Nichtigkeit Gesetz bei Anhörungsverstoß 490 ff

Gleichbehandlungsgarantie, parlamentarische 160 f Gleichbehandlungsgrundsatz 475 Gleichheit, formalisierte 172 f Gleichheitssatz, allgemeiner 8 Grundrechtsbeeinträchtigung, fortwirkende 24 Grundrechtsfähigkeit Universität/Fachhochschule 45

Grundrechtsklage 296 ff

Anforderungen an Begründung 322 gegen Wahlkreiseinteilung s.u. Wahlkreiseinteilung Jahresfrist s.u. Jahresfrist nach Durchführung Anhörungsrüge 316 ff Subsidiarität bei verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren 296 ff Substantiierungserfordernis 321

Gruppenvertretung

Reduzierung Höchstzahl -Vertreter 416, 437 ff Vertretung nach Personalvertretungsgesetz (Thüringen) 388 f

Gutachter, (hochschul-)externe Zulassung 39 ff, 44, 55 ff

Handelsgesellschaften

Grundrechtsfähigkeit 27 ff

Handlungsfreiheit, allgemeine 311 f

Hauptpersonalrat Gemeinsamer Ausschuss der -räte 401 f, 419, 422, 457 ff

Hochschulautonomie 34 ff, 41, 47 ff Promotionsrecht s.u. Promotionsrecht

Satzungsautonomie als Kernbereich der ~ 51 f Selbstverwaltung/Autonomie 40 ff und Promotionsverfahren s.u. Promotionsverfahren Verfassungsbeschwerdebefugnis 45

Homogenitätsgebot 174 Jahresfrist 289 ff, 345 ff, 486 Kolloquium s.u. Promotionsordnung

Kommunale Grundrechtsklage 247 ff Antragsbefügnis 258 ff, 265 ff Fristenregelung 267 f Garantie kommunaler Selbstverwaltung 247 ff gegen Ballungsraumgesetz (Hessen) 249 ff und allgemeine Grundrechtsklage 266 und Selbstverwaltungsgarantie, kommunale s.u. Selbstverwaltung, kommunale

Kommunale Zusammenschlüsse 261, 270 f Bildung freiwilliger ~ 258

Kommunalisierung von Aufgaben 462 ff Personal-/Sachkosten, Erstattung von s.u. Personal-/Sach kosten Personalübernahme s.u. Personalübernahme

Kommunalverfassung M-V

Rechte aus Fraktionsstatus 329 f Regelung über Fraktionsmindeststärke s.u. Fraktionsmindeststärke

Kommunalverfassungsbeschwerde

476, 492 Anhörungsgebot 462 ff Antragsbefugnis Gemeinden 360 ff Begründung(sanforderungen) 484 ff Beschwerdebefugnis 486 Jahresfrist s.u. Jahresfrist Mehrbelastungsausgleich 359 ff Nichtigkeit Gesetz bei Anhörungsverstoß 490 ff Rechtsbetroffenheit, gegenwärtige 477, 479 ff Rechtsschutzbedürfnis 478 Rechtsschutzzweck 492

Sachregister rügefähige Verfassungsnormen s.u. Verfassungsnormen, rügefähige Selbstverwaltung, kommunale 476 Subsidiarität unmittelbar gegen Gesetz 480 f Wirkungskreis Gebietskörperschaften s.u. Gebietskörperschaften Zulässigkeit s.u. Zulässigkeit

Kommune

Legaldefinition nach LVerf-LSA 373

Kommunen

Anhörung(srecht) im Gesetzgebungsverfahren 462 ff, 488 ff

Krankenhausprivatisierung 4 ff Arbeitsverhältnisse, Ubergang 7 Betriebsübergang 7 f

Krankenhausunternehmens-Gesetz (Berlin) Arbeitsverhältnis Beschwerdeführer, Auswirkungen auf 12 ff Eigentumsgarantie 14 f Krankenhausfinanzierungs-Gesetz 8 Personalüberleitungsvertrag 7 f Privatisierung/Zentralisierung städtischer Krankenhausbetriebe 8 Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen ~ s.u. Subsidiarität und bezirkliche Selbstverwaltung 8

Landtagsfraktionen Fraktionsrechte s.u. Fraktionen

Mandat, Freiheit des 169 ff Mitbestimmungsgrundrecht 415 gesetzgeberischer Gestaltungsauftrag 383 ff Mitwirkungsrechte der Beschäftigten 404 f qualifizierte Beteiligungsrechte der Beschäftigten 406 f verfassungsrechtliche Grenzen 404 f

Normenkontrolle, abstrakte

Mitbestimmungsgrundrecht s.u. Mitbestimmungsgrundrecht Personalvertretungsgesetz s.u. Personalvertretungsgeset^ (Thüringen·) Zulässigkeit s.u. Zulässigkeit

Normenkontrolle, kommunale

499

Begründungserfordernis 339 ff Beteiligtenfähigkeit 345 f Fristenregelung 339 ff Jahresfrist s.u. Jahresfrist Zulässigkeit s.u. Zulässigheit

Normenkontrolle, verwaltungsgerichtliche 478,484

Oppositionszuschlag 155 ff Oppositionsbonus 157 ff, 161, 163, 170 f, 177 f Teilhaberechte an ~ 167 f

Organstreitverfahren 155 ff

Aktenvorlage-/einsich tsrecht s. u. Aktenvorlage-/ einsichtsrecht Antragsbefugnis 164 f, 168 ff Antragsbefugnis/Parteifähigkeit Volksinitiative 221 ff einstweilige Anordnung im ~ 356 Prozessführungsbefugnis, passive 162, 169 Recht auf Mitwirkung an politischer Willensbildung 327 ff Rechtsschutzbedürfnis 168 f

Organtreue

im Verhältnis parlamentarischer/Volks-Gesetzgeber 241 ff

Parlamentsautonomie 172 f Partei, politische

als Wahlbewcrber 201 ff Antragsbefugnis im Organstreitverfahren 332 Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren 331 f Mitwirkungsrechte bei Willensbildung des Volkes 333 politische Bedeutung der - im Wahlkampf 211 Recht auf Chancengleichheit 328 ff Recht auf Mitwirkung an politischer Willensbildung 328 ff Rechte aus Fraktionsstatus 332 und Chancengleichheit s.u. Chancengleichheit Wahlwerbung in Fernsehen/Rundfunk 201 ff Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten 202 ff

Partnerschaftsgesellschaften

500

Sachregister

Durchsuchung/Beschlagnahme 28 ff Grundrechtsfähigkeit 27 ff, 34 Parteifähigkeit 27 ff, 34 Rechtsfähigkeit 33 f Teilrechtsfähigkeit 33 f

Personal-/Sachkosten

Erstattung von - bei Kommunalisierung von Aufgaben 466, 470 f, 475, 479 ff, 486 f

Personalrat

Anzahl -mitglieder 387 f Beteiligungsrechte 390 ff, 459 ff Mitwirkungsrechte 400 f Prinzip der Gesamtrepräsentation durch - 386 ff Reduzierung Höchstzahl der mitglieder 410 f, 415 f, 420 f, 437 ff

Personalübernahme 464 ff, 493 f Personalvertretungsgesetz (Thüringen) 383 ff, 415

Beteiligungsform Mitwirkung s.u. Beteiligungsform Mitwirkung Beteiligungstatbestände s.u. Beteiligungstatbestände Definition "Beschäftigte" 387 Fälle eingeschränkter Mitbestimmung 394 f, 398 ff Fälle voller Mitbestimmung 392 f, 396 ff Geringfügig Beschäftigte s.u. Geringfügig Beschäftigte Gestaltungsrecht Landesgesetzgeber 420, 431 ff Gruppenvertretung s.u. Gruppenvertretung Hauptpersonalrat s.u. Hauptpersonalrat Mitwirkung ohne EinigungsStellenbeteiligung 418 f Personalrat s.u. Personalrat Stufenvertretung s.u. Stufenvertretung Verfahren der Mitbestimmung 402

Persönlichkeitsrecht, allgemeines 23 Verletzung des ~ 31 ff

Planungshoheit

und Flächennutzungsplan s.u. Flächennut^ungsplan

und kommunale Selbstverwaltung s.u. Selbstverwaltung kommunale

Promotion

Anpassung -Ordnung 39 f fächerübergreifende 40 Fachhochschul-Absolventen 38 f und Berufsfreiheit s.u. Berufsfreiheit

Promotionsordnung

Berufs freiheit s.u. Berufsfreiheit Disputation s.u. Disputation Erlass von ~ 58 f Gutachter, (hochschul-)externe s.u. Gutachter, (hochschul-)externe Kolloquium 53 f Rigorosum 53 f Universitäten als -ordnungsgeber 60 f

Promotionsrecht 38 ff, 46 ff

als eigenes Recht der (wissenschaftlichen) Hochschulen 40 f, 48 als Kernbereich der Selbstverwaltungsautonomie 43 Beschränkung der Ausübung 41 f Hochschulautonomie s.u. Hochschulautonomie nach Berliner Hochschulgesetz s.u. Berliner Hochschulgesetχ

Promotionsverfahren

Ausgestaltung 42 ff Dissertation s.u. Dissertation Fachhochschulprofessoren im ~ 62 Gutachter, (hochschul-)exteme s.u. Gutachter, (hochschul-)externe und Hochschulautonomie s.u. Hochschulautonomie von Fachhochschulabsolventen 34 ff

Prozesskostenhilfe

Grundsatz der Gleichheit vor Gericht 113 f, 115 substantiierter Sachvortrag im verfahren 110 ff, 114 f Versagung von ~ 110 ff

Rasterfahndung 17 ff

Datenabgleich 19, 26 personenbezogene Daten als Gegenstand der ~ 26 f

Sachregister Recht auf informationelle Selbstbestimmung s.u. lischt auf informationelle Selbstbestimmung Rechtsbegriff gegenwärtiger Gefahr nach § 47 ASOG 20 Rechtsschutz bei ~ 27 und Persönlichkeitsrecht, allgemeines s.u. Persönlichkeitsrecht, allgemeines Verpflichtung zur Übermittlung von Datenbeständen 19

Rat der Region

Legitimation/Befugnis 259, 262, 272 ff

Recht auf informationelle Selbstbestimmung 17 ff

als Grundrecht 24 als spezielles Persönlichkeitsrecht 23 Folgeeingriffe 26 f Grundrechtsbeeinträchtigung durch Ermitdung/Verwendung 21 personenbezogener Daten Persönlichkeitsrecht, allgemeines s.u. Persönlichkeitsrecht, allgemeines Religionszugehörigkeit 26 und Rasterfahndung s.u. Kasterfahndung Verhältnismäßigkeit Eingriff 22 Zweckbindungsgebot 25 f

Rechtliches Gehör 23 f, 304 f, 309 f

Rüge der Verletzung des ~ 74 f, 79 f Verletzung des ~ 31 ff, 71 Wiedereinsetzungsvorschriften 87 f

Rechtsschutz, vorläufiger 296 ff,

303, 306 Verfassungsbeschwerde 296 ff, 306

Rechtsschutzinteresse

bei fortwirkendem Grundrechtsverstoß 73 bei Wiederholungsgefahr 24 f Fortbestehen des ~ 24 f Intensität Grundrechtseingriff 24 ff Wegfall des - 17 ff

Rechtsstaatsprinzip 312 Regionaler Flächennutzungsplan 277 Aufgaben des ~ 282 ff Umlandverband Frankfurt/M. 281 und Selbstverwaltungsgarantie, kommunale 288 f

501

Rigorosum s.u. Promotionsordnung

Rundfunkfreiheit

bei Programmgestaltung 210

Satzungsautonomie

und Hochschulautonomie s.u. Hochschulautonomie

Selbstverwaltung, akademische Eingriff in ~ 55 Universität/Fachhochschule 40 f

Selbstverwaltung, kommunale 58, 261, 268 ff, 271 ff, 370 f, 462 ff, 472 ff Anhörung(srechte), Schutz ~ durch 347, 488 f, 491 ff Aufgabenübertragung, staatliche 363 Finanzausstattung(sgebot/-anspruch) 485 Finanzhoheit 473, 475, 485 ff Kernbereich 474 Kommunalverfassungsbeschwerde s. u. Kommunalverfassungsbeschwerde Nichtigkeit Gesetz bei Anhörungsverstoß 490 ff Organisationshoheit 487, 493 f Personalhoheit 473 f, 487, 493 f und kommunale Zusammenschlüsse 258 ff und Planungshoheit 259 f, 274 ff

Sicherungshaft

-anordnung und Rehabilitierungsinteresse 73 Anspruch auf rechtliches Gehör 67 Eingriff in Freiheitsgrundrecht 66 ff fortwirkender Grundrechtsverstoß 72 f Hafthöchstdauer 76 f nach Ausländergesetz 66 ff Recht auf Freiheit der Person 67

Steuerhinterziehung

Ermitdungen wegen ~ 28 ff

Stufenvertretung 390

Beteiligung -/Gesamtpersonalrat 402 Reduzierung Höchstzahl der mitglieder 411, 416, 437 ff

Subsidiarität 3 ff, 15 ff, 23, 27, 33 f, 45, 296 ff, 303, 305 ff, 478, 482, 484, 488 allgemeine Grundsätze der ~ 11 ff fachgerichtliche Vorprüfung 9, 11 f

Untersuchungsausschuss, parlamentarischer

502

Sachregister

Adressat einstweiligen Anordnungsantrags 357 Auslegung des -auftrages 358 f Beweisaufnahme im -verfahren 354 ff Fraktionsrechte bei Beweisaufnahme 353 ff Untersuchungsauftrag als Grenze für Beweiserhebung 358

Verfassungsbeschwerde 462 ff

s.u. Kommunalverfassungsbeschwerde Abänderungsverfahren, Verweis auf 308 f Ämterzusammenschluss 116 ff Beteiligtenfähigkeit Gemeinde 95 f Einsichtsrecht in Verfassungsschutzakten 124 ff gegen Gesetz 3 ff, 10, 45 ff Grundrechtsbeeinträchtigung durch Ermittlung/Verwendung personenbezogener Daten 21 Hauptsacheverfahren, Verweis auf 308 Landesgrundrecht und bundesrechtlich geordnetes Verfahren 113 Mandatsverteilung nach Wahlgesetz (BremWG) 185 f nachträgliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit s.u. Verfassungswidrigkeit Parteifähigkeit 27 ff Prüfungsmaßstab313 f Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit 74 ff Rechtsschutzbedürfnis 21 Rechtsschutzinteresse Rechtswegerschöpfung 23 Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs s.u. Rechtliches Gehör Subsidiarität s.u. Subsidiarität Substantiierung 10 Substantiierungserfordernis 309 f unmittelbar gegen Gesetz 37 ff Verletzung von Landesgrundrechten 87 Versagung der Wiedereinsetzung 85 ff Versagung von Prozesskostenhilfe s.u. Pro^esskostenhilfe Vorabentscheidung 16,46 vorläufiger Rechtsschutz

s.u. Rechtsschutz porläufiger Wegfall Rechtsschutzinteresse s.u. Rechtsschutfgnteresse Widerspruchsverfahren 307 Zahlung von Funktionszulagen s.u. Funktions^ulage Zügiges Verfahren vor Gericht 146 ff Zulässigkeitsvoraussetzungen 23, 32 ff

Verfassungsnormen, rügefähige 476 f, 492

Verfassungsschutz Kontrollbefugnisse Parlament 135

Verfassungswidrigkeit

erledigter Gerichtsentscheidungen 66 ff, 72 f nachträgliche Feststellung der ~ 66 ff, 72

Veterinär-/Lebensmittelüberwachungsämter

Kommunalisierung 462 ff, 468 f Personal-/Sachausstattung 471

Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH 6 f s.u. Krankenhausunternehmens-Geset\ (Berlin)

Volksbegehren

Sperrwirkung im Gesetzgebungsprozess 231

Volksentscheid

Beteiligtenstellung im Organstreitverfahren 224 Bindung von Gesetzesbeschlüssen durch ~ 221 ff gegen Landesgesetz 221 ff Gleichrangigkeit Volkswillensbildung/parlamentarische Willensbildung 234 ff parlamentarische Würdigung des ~ 221 ff politische Bindungswirkung von ~ 227 f, 241 Prüfung möglicher Konsequenzen durch Senat 223 f Regelung der Verbindlichkeit über andere Vorlagen 238 f Teil-Privatisierung Landesbetriebs Krankenhäuser Hamburg (LBK) 222 f verbindliche Wirkung des ~ 233

ister Verbindlichkeit gegenüber anderen Verfassungsorganen 237 f Verbindlichkeit/zeitliche Bindungswirkung 221 ff, 239

Volks initiative

Antragsbefugnis/Parteifähigkeit in Organstreitverfahren 221 ff Antragsberechtigung 232 Beteiligtenfähigkeit als "andere Beteiligte" 226 Parteifähigkeit als "andere Beteiligte" 231 f

Volks Willensbildung

Gleichrangigkeit mit parlamentarischer Willensbildung 221 ff

Votwahlerhebung

Berichterstattung über ~ 203 f, 211 f

Wahlbewerbet

Chancengleichheit in Fernsehen/Rundfunk 203 ff

Wahlgesetz (BremWG)

Bevölkerungszahl und Wahlrechtsgleichheit 198 Erfolgswertgleichheit der Stimmen 196 ff Kompetenzen Wahlprüfungsgericht 188 Kontrollpflichten Wahlbereichsausschuss 183 f Korrekturrechte Wahlbereichsausschuss 200 f Mandatsverteilung 184, 190 Parlamentsverkleinerung 192, 195 f Parlamentsverkleinerung und Ungleichbehandlung zweier Wahlkreise 192 f Reduzierung Zahl der Bürgerschaftsabgeordneten 190 Sitzverteilung nach ~ 182 f Sperrklausel nach ~ 195 Verhältnisausgleich Mandatsverteilung 193 f Zahlenbasis Anzahl Wahlberechtigte 190 f Zusammensetzung/Aufgaben des Wahlbereichsausschusses 199 f

Wahlkreiseinteilung

zulässige Größenabweichung 291 f

503

Wahlprüfungsgericht Beschwerde gegen Entscheidung des ~ 207 ff Stimmenauszählung, fehlerhafte 206 f Verletzung von Chancengleichheit 206 ff

Wahlprüfungsverfahren (Bremen)

Chancengleichheit von Wahlbewerbern 201 ff Gegenstand 209 Gleichheit des Erfolgswertes 180 ff Gleichheit Mandatsverteilung 189 f Grundsatz der gleichen Wahl 189 f Stimmenauszählung, fehlerhafte 205 Subsidiarität 213 f, 216 Wahlanfechtung im ~ 189 Wiederholung Bürgerschaftswahl 205 f

Wahlrechtsgleichheit (BremWG)

Differenzierung bei Erfolgswert 191 f Differenzierungsziele nach BremWG 194 f Durchführung getrennter Wahlen 194 Schaffung einheitlichen Wahlbereichs 194 und Erfolgswert Wählerstimmen 180 ff

Wahlsystem

Differenzierung Erfolgswert 180 ff

Wiedereinsetzung

und Gehörsrügeverfahren 88 ff Versagung der ~ 85 ff

Willkürverbot 312

Verletzung des ~ 323 f

Wissenschaftsfreiheit 37 ff, 46 ff Eingriff in ~ 54

Wohnung

Begriff der ~ 34 Unverletzlichkeit der ~ 31 ff, 310

Zulässigkeit 486

der Kommunalverfassungsbeschwerde 476 f gegen Landesgesetz 369 f Normenkontrolle, abstrakte 423 f Normenkontrolle, kommunale 339 ff

Zusatzversorgung

Eigentumsschutz von Anwartschaften 14 f

Gesetzesregister Bundesrecht Asylverfahrensgesetz idF vom 26. Juni 1992 (BGBl. I 1992, S. 1126) neugefasst durch Bekanntmachung vom 27. Juli 1993 (BGBl. I S. 1361) - AsylVfG -

§ 78

Nr. 6 (Bbg)

Baugesetzbuch idF der Bekanntmachung vom 27. August 1997 (BGBl. I S. 2141) - BauGB -

§ § § §

Nr. Nr. Nr. Nr.

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (BGBl. III 400-2) - BGB -

§ 613a

Nr. 1 (B)

Bundeswahlgesetz idF der Bekanntemchung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288) - BWahlG -

§ 3 Abs. 1 Nr. 3

Nr. 2 (HB)

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht idF der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473) mit späterer Änderung - BVerfGG -

§ 93 Abs. 3

Nr. 2 (He)

§ 79

Nr. 2 (MV)

la 5 9 205

§ 23 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956 (BGBl. I, S. 599) - FEVG -

1 1 1 1

(He) (He) (He) (He)

Nr. 1 (S) Nr. 5 (B)

Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898 (BGBl. III 315-1) - F G G -

§ 23 § 27

Nr. 5 (B) Nr. 5 (B)

Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes — Kontrollgremiumgesetz vom 11. April 1978 (BGBl. 1 1978, S. 453) -PKGrG -

§ 1 Abs. 1 § 2b Abs. 2

Nr. 5 (Bbg) Nr. 5 (Bbg)

Gesetz über die politischen Parteien Parteiengesetz — idF der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149)

§ 5 Abs. 1

Nr. 3 (HB)

506

Gesetzesregister

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege - Bundesnaturschutzgesetz — vom 25. März 2002 (BGBl. I S. 11 93) - BNatSchG -

§ 21

Nr. 1 (He)

Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe vom 25. Juli 1994 (BGBl. I, S. 1744) - PartGG -

Nr. 2 (B)

Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 582) - StabG -

§ 1 Satz 2

Nr. 2 (MV)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1) - GG -

Art. 5 Abs. 3

Nr. 4 (B)

Art. 73 Nr. 10b) Art. 87 Abs. 1 Satz 2

Nr. 5 (Bbg) Nr. 1, 3 (Bbg)

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

3 Abs. 1 5 Abs. 1 20 Abs. 1 20 Abs. 3 21 Abs. 1 28 Abs. 1 38 Abs. 1

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2, 3 (HB) 3 (HB) 2 (IIB) 3 (HB) 2, 3 (HB) 1, 2 (HB) 1 (HB)

Art. Art. Art. Art.

3 Abs. 1 109 Abs. 2 110 Abs. 1 115 Abs. 1

Nr. Nr. Nr. Nr.

3 1 1 1

(MV) (MV) (MV) (MV)

Art. 80 Abs. 4 Art. 104 Abs. 5

Nr. 2 (S) Nr. 2 (S)

Art. 28 Abs. 1

Nr. 1 (Thür)

Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) - AuslG -

§ 57 Abs. 3

Nr. 5 (B)

Hochschulrahmengesetz idF der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999 (BGBl. I,S. 1 ) - H R G -

§ 2 Abs. 1 § 16 Satz 1 § 4 4 Abs. 1 Nr. 3 § 47 Nr. 3 § 58 Abs. 1 Satz 3 § 59 Sätze 1 u. 2 §9

Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 1

Raumordnungsgesetz vom 18. August 1997 (BGBl. I S. 2081) - ROG -

(B) (B) (B) (B) (B) (B) (He)

Gesetzesregister

507

Sozialgesetzbuch IV idF vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I 1976, S. 3845) - SGB IV -

§ 8 Abs. 1

Nr. 1 (Thür)

Verwaltungsgerichtsordnung idF der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686) - VwGO -

§ 114 Satz 2 § 155 Abs. 1 Satz 3

Nr. 5 (Bbg) Nr. 1, 3 (Bbg)

Zivilprozessordnung idF vom 12. September 1950 (BGBl. S. 533) - ZPO -

§114 §233 § 321a

Nr. 3 (Bbg) Nr. 1 (Bbg) Nr. 1 (Bbg)

§ 321a

Nr. 4 (He)

Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin vom 14. April 1992 (GVB1. 1992, S. 119) - A S O G -

§ 47 Abs. 1 Satz 1

Nr. 2 (B)

Berliner Hochschulgesetz vom 12. Oktober 1990 (GVB1. S. 2165) idF vom 13. Februar 2003 (GVB1. S. 82) - BerlHG n.F. -

§ 2 Abs. 1 Sätze 1, 2 § 2 Abs. 6 Satz 1 § 4 Abs. 3 Sätze 4, 5 § 31 Abs. 4 Satz 1 § 35 Abs. 3 Satz 3 § 35 Abs. 3 Satz 4 HS 2 § 35 Abs. 4 Satz 1 § 35 Abs. 5 § 35 Abs. 6 § 35 Abs. 7 Satz 2 § 89 Abs. 1 § 100 Abs. 1 Nr. 3 § 102a Nr. 3 §137

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2 2 2 2 2

(B) (B) (B) (B) (B)

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2 2 2 2 2 2 2 2 2

(B) (B) (B) (B) (B) (B) (B) (B) (B)

§ 49 Abs. § 49 Abs. § 49 Abs. §50 § 51 Abs.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1, 2, 5 (B) 2 (B) 1 (B) 1, 5 (B) 2 (B)

Landesrecht Berlin

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 18. November 1990 (GVB1. S. 2246; GBAB1. S. 510) - VerfGHG -

1 2 Satz 1 2 Satz 2 2

508

Gesetzesregister

Verfassung von Berlin vom 23. November 1995 (GVB1. S. 779) - VvB -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

6 7 8 10 15 Abs. 1 17 18 21 Satz 1 22 23 24 33 Satz 1 36

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (B) 1, 5 (B) 1, 5 (B) 1, 5 (B) 1, 5 ( B ) 1, 2 (B) 1 (B) 2 (B) 1 (B) 1 (B) 1 (B) 2 (B) 1 (B)

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

5 (Bbg) 1, 3 6 (Bbg) 5 (Bbg) 6 (Bbg) 1, 3 (Bbg)

Brandenburg Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg idF der Bekanntmachung vom 22. November 1996 (GVB1. I S. 344) mit späteren Änderungen - Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg - VerfGGBbg -

§13 § 32 Abs. § 32 Abs. § 36 Abs. § 50 Abs. § 50 Abs.

Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Brandenburg — Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz — vom 5. April 1993 (GVB1.1 S. 78) - BbgVerfSchG -

§ 24 § 25 ξ 26

Nr. 5 (Bbg) Nr. 5 (Bbg) Nr. 5 (Bbg)

Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 (GVB1. I S. 298) mit späteren Änderungen - LV -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

7 7 Satz 1 1 2 Satz 1 3

6 Abs. 1 11 Abs. 3 Satz 1 52 Abs. 3 52 Abs. 3 Alt. 1 52 Abs. 4 Satz 1 55 Abs. 2 56 Abs. 3 Satz 2 56 Abs. 3 Satz 3 56 Abs. 4 97 97 Abs. 1 Satz 1 98 Abs. 1

1 5 1 3 6 5 5 5 5 2 4 2

(Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg)

Gesetzesregister

509

Bremen Bremisches Wahlgesetz vom 22. April 1955 (Brem.GBl. S. 63) idF der Bekanntmachung vom 23. Mai 1990 (Brem.GBl. S. 321 - SaBremR 111-a-l) mit späteren Änderungen — BremWG —

§ 5 Abs. 1 Satz 2 § 7 Abs. 4 § 26 Abs. 1 §§ 30-32 § 37 Abs. 1 §39

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2 (HB) 2 (HB) 2 (HB) 2 (HB) 2, 3 (HB) 2, 3 (HB)

Bremische Wahlordnung vom 23. Mai 1990 (Brem.GBl. S. 334 - SaBremR 111-a2) - BremWO -

§11 § 12 Abs. 1 §42 §53 §56 §60 § 60a §61 § 61a

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2 2 2 2 2 2 2 2 2

(HB) (HB) (HB) (HB) (HB) (HB) (HB) (HB) (HB)

Gesetz über den Staatsgerichtshof vom 18. Juni 1996 (Brem.GBl. S. 179; SaBremR 1102-a-l) - BremStGHG -

§ 12 Abs. 1 § 19 Abs. 1 §25 § 30 Abs. 1

Nr. Nr. Nr. Nr.

3 1 1 2

(HB) (IIB) (HB) (HB)

Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft (Bremisches Abgeordnetengesetz) vom 16. Oktober 1978 (Brem.GBl. S. 209; SaBremR 1100-a-3) - BremAbgG -

§40 §42 §43 §45

Nr. Nr. Nr. Nr.

1 1 1 1

(HB) (HB) (HB) (HB)

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 (Brem.GBl. 1947, S. 251; SaBremR 100-a1) - BremLV -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (HB) 1, 2 (HB) 1, 2 (HB) 1 (HB) 1 (HB) 1 (HB) 2 (HB) 2 (HB) 2 (HB) 1 (HB) 2 (HB) 2 (HB) 2 (HB)

65 Abs. 1 66 75 77 78 83 Abs. 1 107 110 132 Satz 3 140 Abs. 1 Satz 2 143 145 Abs. 1 148 Abs. 1

510

Gesetzesregister

Hamburg Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht idF vom 23. März 1982 (HmbGVBl. S. 59) mit späteren Änderungen - HVerfGG -

§ 39a

Nr. 1 (H)

Hamburgisches Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid vom 20. Juni 1996 (HmbGVBl. S. 136) mit späteren Änderungen — H m b V W G —

§ 3 Abs. 2 Nr. 3

Nr. 1 (H)

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952 (HmbBl I 100a) mit späteren Änderungen - HV -

Art. 48 Art. 50 Art. 65 Abs. 3 Nr. 2

Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H)

Gesetz über den Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main vom 19. Dezember 2000 (GVB1. I S. 542) - PlanvG -

§1 §2 §5 §15

Nr. Nr. Nr. Nr.

Gesetz über den Staatsgerichtshof des Landes Hessen vom 19. Januar 2001 (GVbl. I S. 28) - StGHG -

§19 §43 § 43 Abs. 1 Satz 2: u. 3 § 44 Abs. 1 Satz 1 u. 2 §45 § 45 Abs. 2 §46

Nr. l ( H e ) Nr. 1 (He) Nr. 4 (He) Nr. 3 (He) Nr. 1 (He) Nr. 2 (He) Nr. l ( H e )

Gesetz über die Auflösung des Umlandverbandes vom 19. Dezember 2000 (GVB1.1 S. 547) - AuflG -

§3

Nr. l ( H e )

Gesetz über die Wahlen Landes Hessen vom 18. (GVB1. S. 171) idF vom (GVB1.IS. 58) LWG

Anlage zu § 7 Abs. 1

Nr. 2 (He)

§1 §2 §3 §4 §5 §6 §7

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

Hessen

zum Landtag des September 1950 19. Februar 1990 -

Gesetz zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main vom 19. Dezember 2000 (GVB1.1 S. 542) -BallrG -

1 (He) l(He) l(He) 1 (He)

l(He) 1 (He) l(He) l(He) l(He) l(He) l(He)

Gesetzesregister Hessisches Landesplanungsgesetz vom 6. September 2002 (GVB1.1 S. 548) - HLPG -

§9 § 13 § 21 § 22 § 23

Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 (GVB1. 1946 S. 229) -HV-

Art. Art. Art. Art.

511

45 70 131 137

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 1 1 1 1

(He) (He) (He) (He) (He)

Nr. Nr. Nr. Nr.

3 1 1 1

(He) (He) (He) (He)

Mecklenburg-Vorpommern Fünftes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 26. Februar 2004 (GVOB1. M-V S. 61) - 5. ÄndG KV M-V Geschäftsordnung des Landes Mecklenburg·Vorpommern für die vierte Wahlperiode vom 22. Oktober 2002 (GVOB1. S. 731)

Gesetz über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Juli 1994 (GVOB1. S. 734), zuletzt geändert durch 1. LVerfGG-ÄndG M-V vom 9. Juli 2002 (GVOB1. S. 450) - LVerfGG -

Art. 1 Nr. 10b Art. 1 Nr. 38

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

§17 § 48 Abs. § 48 Abs. § 49 Abs. §51 § 54 Abs. § 11 Abs. § 11 Abs. § 28 Abs. §34 §35 § 36 Abs. § 39 Abs. § 41 Abs.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 Satz 2 2 Satz 2 4 2 1 Nr. 1 1 Nr. 2 2 1 2 1

2 (MV) 2 (MV) 2 (MV) 2 (MV) 2 (MV) 2 (MV) 3 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 3 (MV) 3 (MV) 1 (MV) 1, 2 (MV)

Gesetz über die Feststellung des Haushaltplanes des Landes MecklenburgVorpommern für die Haushaltsjahre 2004 und 2005 (Haushaltsgesetz 2004/2005) vom 4. März 2004 (GVOB1. S. 74)

§2 §20

Nr. 2 (MV) Nr. 2 (MV)

Gesetz über die Feststellung eines zweiten Nachtrages zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2003) vom 23. Februar 2004 (GVOB1. M-V S. 55)

Art. 1 Nr. 2

Nr. 1 (MV)

512

Gesetzesregister

Gesetz zur Schaffung und Änderung haushaltsrechtlicher Bestimmungen — Haushaltsrechtsgesetz 2004/2005 - vom 4. März 2004 (GVOB1. M-V S. 74) - HRG 2004/2005 -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

Landeshaushaltsordnung MecklenburgVorpommern idF vom 10. April 2000 (GVOB1. M-V S. 159) - LHO -

1 2 3 4 5 6 7 8

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2 2 2 2 2 2 2 2

§ 18 Abs. 1 Satz 3 § 18 Abs. 3 § 25 § 25 Abs. 3

Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV)

Sechstes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenbürg-Vorpommern vom 24. Mai 2004 (GVOB1. M-V S. 179) - 6. ÄndG KV M-V -

Art. 1 Nr. 1 Art. 1 Nr. 2 Satz 2

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

Verfassung des Landes MecklenburgVorpommern vom 23. Mai 1993 (GVOB1. 5. 371), geändert durch 1. ÄndG vom 4. April 2000 (GVOB1. S. 158) - LV -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

3 Abs. 3 3 Abs. 4 5 Abs. 3 22 33 Abs. 3 53 Nr. 1 53 Nr. 2 55 Abs. 2 61 Abs. 1 61 Abs. 3 61 Abs. 4 65 Abs. 2 Satz 1 65 Abs. 2 Satz 2 65 Abs. 2 Satz 3

(MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV)

3 (MV) 3 (MV) 3 (MV) 2 (MV) 2 (MV) 3 (MV) 1 (MV) 2 (MV) 3 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 2 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV)

Sachsen Gesetz über den Finanzausgleich mit den Gemeinden und Landkreisen im Freistaat Sachsen vom 8. Dezember 1998 (GVB1. S. 653) idF der Bekanntmachung vom 6. Januar 2003 (GVB1. S. 6) - FAG -

§ 1 Abs. 2 §5 § 7 Abs. 3 § 15 § 16

Nr. 1 (S) Nr. 1 (S) Nr. 1 (S) Nr. 1 (S) Nr. 1 (S)

513

Gesetzesregister Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen vom 18. Februar 1993 (GVB1.S. 177, ber.S. 495), geändert durch 1. AndG vom 27. September 1995 (GVB1. S. 321) - SächsVerfGHG -

§ 7 Nr. 8 § 10 Abs. 1 § 36 Abs. 1 Satz 1

Nr. 1 (S) Nr. 1 (S) Nr. 1 (S)

Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992 (GVB1. S. 243) - SächsVerf-

Art. Art. Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

81 82 84 85 85 90

Abs. Abs. Abs. Abs. Abs.

1 Nr. 2 2 2 1 Satz 3 2

1 1 1 1 1 1

(S) (S) (S) (S) (S) (S)

Sachsen-Anhalt Allgemeine Gebührenordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. Mai 2000 (LSAGVB1. S. 266), zuletzt geändert durch Verordnung vom 16. Juli 2002 (LSA-GVB1. S. 13) - LSA-A11GO)

§3

Nr. 2 (SA)

Erstes Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und zur Entbürokratisierung von Verwaltungsverfahren vom 17. August 2002 (LSA-GVB1. S. 358) - l.IEG-LSA -

Art. 4 Art. 5

Nr. 2 (SA) Nr. 2 (SA)

Finanzausgleichsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 31. Januar 1995 (LSAGVB1. S. 41), zuletzt geändert durch Art. 10 Haushaltssanierungsgesetz vom 26. Februar 2003 (LSA-GVB1. S. 22) - LSA-FAG -

§ 3 Abs. 4

Nr. 2 (SA)

Gemeindeordnung für das Land SachsenAnhalt vom 5. Oktober 1993 (LSA-GVB1. S. 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. April 2004 (LSA-GVB1. S. 246) - GO LSA -

§5 § 75 § 77

Nr. 2 (SA) Nr. 2 (SA) Nr. 2 (SA)

Gesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen Untersuchungsausschussgesetz — vom 29. Oktober 1992 (LSA-GVB1. S. 757), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. März 2002 (LSA-GVB1. S. 540) - LSA-UAG -

§ 16 § 18

Nr. 1 (SA) Nr. 1 (SA)

514

Gesetzesregister

Gesetz über das Landesverfassungsgericht - Landesverfassungsgerichtsgesetz - vom 23. August 1993 (LSA-GVB1. S. 441), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2004 (LSA-GVB1. S. 234) - LSA-VerfGG -

§ 31 Abs. 1 § 33 Abs. 2 § 36 Abs. 1

Nr. 1 (SA) Nr. 1 (SA) Nr. 1 (SA)

Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 (LSA-GVB1. S. 600), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Januar 2005 (LSA-GVB1. S. 44) -LSA-Verf-

Art. 47 Abs. 2 Art. 54 Art. 87 Abs. 1 und 3

Nr. 1 (SA) Nr. 1 (SA) Nr. 2 (SA)

Verwaltungskostengesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. Juni 1991 (LSA-GVB1. S. 154), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. März 2002 (LSA-GVB1. S. 130) - LSA-VwKostG -

§ 2 Abs. 1 und 2

Nr. 2 (SA)

Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Sachsen-Anhalt idF der Bekanntmachung vom 7. Januar 1999 (LSA-GVB1. S. 3), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. März 2002 (LSA-GVB1. S. 130, 135) —VwVfG LSA -

§8

Nr. 2 (SA)

Thüringer Personalvertretungsgesetz idl· der Bekanntmachung vom 14. September 2001 (GVB1. S. 225) - ThürPersVG -

§ 4 Abs. 5 Nr. 5 § 16 § 17 Abs. 3 § 53 Abs. 3 § 75 Abs. 1 Satz 2 § 75 Abs. 2 Satz 2 § 75 Abs. 3 Nr. 1, 2, 3 § 75a § 82a

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür) 1 (Thür)

Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993 (GVB1. S. 625) - ThürVerf -

Art. Art. Art. Art. Art.

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 1 2 1 2

Thüringen

2 Abs. 1 37 Abs. 3 80 Abs. 1 Nr. 2 89 91 Abs. 4

(Thür) (Thür) (Thür) (Thür) (Thür)

Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder (Stand J a n u a r 2006) 1.

Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg Postfach 10 36 53, 70031 Stuttgart Ulrichstraße 10, 70182 Stuttgart Tel.: 0711 / 212-30 26 Fax: 0711 / 212-30 24

2. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Elßholzstraße 30-33 10781 Berlin Tel.: 030 / 90 15 26 52 Fax: 030 / 90 15 26 66 E-mail: [email protected] www.berlin.de/verfassungsgericht 3. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Allee nach Sanssouci 6 14471 Potsdam Tel.: 0331 / 9 83 81 02 Fax: 0331 / 9 67 93 18 www.verfassungsgericht.brandenburg.de 4.

Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen Osterdeich 17 28203 Bremen Tel.: 0421 / 36 12 190 Fax: 0421 / 36 14 172

5.

Hamburgisches Verfassungsgericht Sievekingplatz 2 20355 Hamburg Tel.: 040 / 42 843 0 Fax: 040 / 42 843 40 97 www.hamburg.de/StadtPol/Gerichte/VerfG/welcome.htm

6.

Staatsgerichtshof des Landes Hessen Schlossplatz 2, 65183 Wiesbaden Tel.: 0611 / 32 27 38 Fax: 0611 / 32 26 17 www.staatsgerichtshof/hessen.de

516

Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder

7. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Domstraße 7 17489 Greifswald Tel.: 03834 / 89 06 61 Fax: 03834 / 89 05 39 8. Niedersächsischer Staatsgerichtshof Herminenstraße 31 31657 Bückeburg Tel.: 05722 / 29 02 18 Fax: 05722 / 29 02 17 Email: [email protected] www.staatsgerichtshof.niedersachsen.de 9. Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Franz-Josef-Röder-Straße 15 66119 Saarbrücken Tel.: 0681 / 501 52 36 und 501 53 50 Fax: 0681 / 501 53 51 Email: [email protected] 10. Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Postfach 10 09 64, 04009 Leipzig Harkortstraße 9, 04107 Leipzig Tel.: 0341 / 21 41 236 Fax: 0341 / 21 41 250 11. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Postfach 14 26, 06813 Dessau Willy-Lohmann-Straße 33 06844 Dessau Tel.: 0340 / 202 14 51 Fax: 0340 / 202 15 60 12. Thüringer Verfassungsgerichtshof Postfach 23 62, 99404 Weimar Kaufstraße 2 - 4 , 99423 Weimar Tel.: 03643 / 206 206 Fax: 03643 / 206 224 Email: [email protected] www.thvergh.thueringen.de