Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE). Band 10 Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1.1. bis 31.12.1999 9783110875959, 9783110170511


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German Pages 574 [576] Year 2001

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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Entscheidungen des Staatsgerichtshofes für das Land Baden-Württemberg
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin
Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg
Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts
Entscheidungen des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen
Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen
Entscheidungen des Landes Verfassungsgerichts Sachsen-Anhalt
Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs
Sachregister
Gesetzesregister
Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder
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Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE). Band 10 Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen: 1.1. bis 31.12.1999
 9783110875959, 9783110170511

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Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen

Herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte

w DE

G

2001 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen LVerfGE 10. Band 1. 1. bis 31. 12. 1999

W DE G 2001 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Zitierweise Für die Zitierung dieser Sammlung wird die Abkürzung LVerfGE empfohlen, z. B. LVerfGE 1,79 (= Band 1 Seite 79)

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder = LVerfGE / hrsg. von den Mitgliedern der Gerichte. — Berlin ; New York : de Gruyter Bd. 10. Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen : 1. 1. bis 31. 12. 1999. - 2001 ISBN 3-11-017051-5

© Copyright 2001 bei Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz, Gräfenhainichen Druck: WB-Druck, Rieden am Forggensee Bindung: Lüderitz & Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin

Inhalt Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes für das Land Baden-Württemberg Nr. 1

10.5.1999 GR 2/97

Vereinbarkeit der §§ 1,2,21 FAG und des § 5 AsylAG mit den Vorschriften der Landesverfassung über die kommunale Finanzausstattung

Seite

3

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Nr. 1

Nr. 2*

Nr. 3

Nr. 4*

Nr. 5 Nr. 6*

27.1.1999 VerfGH 89/98

Verfassungsbeschwerde; Einholung einer Nebentätigkeitsgenehmigung bei Bestellung eines Notars zum vereidigten Buchprüfer; Disziplinarverfügung; Zuordnung der Dienstaufsicht über die Notare im Kammergerichtsbezirk; Grundsatz der Gewaltenteilung; rechtliches Gehör; Bestimmung der Verfahrensart

37

11. 2.1999 VerfGH 25/97,25A/97 60/97

Überprüfung einer richterlichen DurchsuchungsanOrdnung am Maßstab des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung; Beschlagnahmeanordnung; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

49

25. 3.1999 VerfGH 35/97

Denkmalschutzrecht; Unterschutzstellung von Denkmalen kraft Gesetzes; deklaratorische Eintragung in Denkmalliste; Verfahren zur Feststellung der Denkmaleigenschaft; verfassungskonforme Auslegung . . .

51

Organstreitverfahren; Feststellung eines Abstimmungsergebnisses durch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin; fehlende Antragsbefugnis . . .

63

Einspruch gegen Feststellung der Unzulässigkeit eines Volksbegehrens

64

2.6.1999 Organstreitverfahren; Parteifähigkeit des Trägers eines VerfGH 31 /99, Volksbegehrens; Einspruch gegen Abstimmungsver31A/99 fahren; keine Entscheidungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs vor Abschluß des Volksbegehrens

69

25.3.1999 VerfGH 58/98 2. 6.1999 VerfGH 22/99

* Die entsprechend gekennzeichneten Entscheidungen sind entweder nur mit den Leitsätzen abgedruckt oder gekürzt wiedergegeben und im Volltext bei den jeweiligen Landesverfassungsgerichten erhältlich (Adressen s. Anhang).

VI Nr. 7*

Nr. 8*

Nr. 9

Nr. 10

Nr. 11*

Nr. 12*

Nr. 13

Nr. 14

Nr. 15

Inhalt 17.6.1999 VerfGH 36/99, 36A/99

Organstreitverfahren; Einsetzung eines Untersuchungsausschusses; nachträgliche Konkretisierung des Untersuchungsauftrages durch das Abgeordnetenhaus von Berlin; Rechtsschutzbedürfnis

70

17. 6.1999 VerfGH 42A/99

Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe; hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz; Interessenabwägung

71

24. 6.1999 VerfGH 48/98

Uberprüfung einer zivilgerichtlichen Entscheidung am Maßstab des Grundrechts auf rechtliches Gehör; Nachweispflicht des Gerichts

72

24. 6.1999 VerfGH 25/99, 25A/99

Uberprüfung einer Asylrechtsentscheidung am Maßstab des Grundrechts auf rechtliches Gehör und der Rechtsweggarantie; Beweiserhebung durch amtliche Auskünfte (hier: des Auswärtigen Amtes und des UNHCR); Anforderungen an die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet

82

Verfassungsbeschwerde einer politischen Partei; fehlende Parteifähigkeit bei Rüge der Verletzung der Chancengleichheit bezüglich Wahlen; (keine) Umdeutung in Organstreitverfahren

95

14.10.1999 VerfGH 43/99

Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht und Verfassungsgerichtshof; Beschränkung der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen

96

21.10.1999 VerfGH 42/99

Abstrakte Normenkontrolle; Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe; Demokratieprinzip; verfassungsrechtliche Anforderungen an die Erhebung privatrechtlicher Entgelte für Leistungen der öffentlichen Verwaltung

96

Überprüfung einer zivilgerichtlichen Entscheidung am Grundrecht auf den gesetzlichen Richter; Pflicht zur Einholung eines Rechtsentscheids im Wohnraummietrecht

123

3. 8.1999 VerfGH 27/98

20.12.1999 VerfGH 38/99

20.12.1999 VerfGH 56/99, 56A/99

Überprüfung eines Ordnungsgeld- und Ordnungshaftbeschlusses am Maßstab des Grundrechts der Meinungsfreiheit; Reichweite des Grundrechtsschutzes bei Äußerungen Prozeßbeteiligter im Rahmen eines anhängigen Strafverfahrens; verfassungsrechtliche Überprüfung der Auslegung und Anwendung grund-

Inhalt

Nr. 16*

20.12.1999 VerfGH 102/99

VII

rechtsbeschränkender Gesetze (hier: § 178 GVG); Rechtsstaatsprinzip; rechtliches Gehör

129

Wahlprüfungsverfahren; Unzulässigkeit des Einspruchs einzelner Wahlberechtigter; Wahlrechtsgrundsatz der „geheimen" Wahl; Ausgabe von Wahlumschlägen . . .

139

Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Nr. 1*

Nr. 2*

Nr. 3*

Nr. 4*

Nr. 5

Nr. 6

Nr. 7*

Nr. 8*

28.1.1999 VfGBbg 2/98

Antragsrecht im Parlament; Befugnis des Landtags, nicht aber des Landtagspräsidiums, einen Beratungsgegenstand von der parlamentarischen Debatte auszuschließen, der nicht in die Kompetenz des Landes fallt

143

25.2.1999 VfGBbg 41/98

„Recht auf Bildung" und Zugang zu weiterfuhrenden Schulen

151

30.6.1999 VfGBbg 3/98

Vereinbarkeit des Brandenburgischen Polizeigesetzes mit der Landesverfassung; Maßgaben und Klarstellungen hierzu

157

Teilweise Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses freiberuflicher Vermessungsingenieure von Vermessungsleistungen am Bau

213

Keine einstweilige Anordnung gegen eine vom Strafgericht veranlaßte ambulante ärztliche Untersuchung ohne körperlichen Eingriff

232

2.9.1999 Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen VfGBbg 29/99, Maßnahmen und Entscheidungen der Wahlbehörden, 29/99 EA die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen

235

30.6.1999 VfGBbg 50/98

30.6.1999 VfGBbg 21/99 EA

16.9.1999 VfGBbg 28/98

21.10.1999 VfGBbg 26/99

Vereinbarkeit des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1998 mit der Landesverfassung; Verpflichtung des Landes zur periodischen Uberprüfung des sog. „Gleichmäßigkeitsgrundsatzes" und der „Einwohnerveredelung" .

237

Verfassungsrechtliche Anforderungen an die ZurückWeisung eines Antrags auf Zulassung der Berufung wegen unzureichender Darlegung der Zulassungsgründe; Geltung von Prozeßgrundrechten auch für Kommunen

257

VIII Nr. 9*

Nr. 10

Inhalt 21.10.1999 VfGBbg 4/99, 6/99,7/99

Beginn der Jahresfrist bei Kommunalverfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zu einem Staatsvertrag

257

16.12.1999 VfGBbg 33/99

Unzulässigkeit der Landesverfassungsbeschwerde auch dann, wenn eine in derselben Sache erhobene Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nicht mehr anhängig ist

258

Entscheidungen des Staatsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Bremen (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)

Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts Nr. 1

19.4.1999 HVerfG 17/98

Normenkontrollantrag, Beihilfefähigkeit von Mehraufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen, Vereinbarkeit des Ausschlusses der Beihilfefähigkeit von Wahlleistungen mit der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg und sonstigem hamburgischen Landesrecht, vorrangige Regelungen in Art. 33 Abs. 5 G G und im Beamtenrechtsrahmengesetz

263

Entscheidungen des Staatsgerichtshofs des Landes Hessen Nr. 1

Nr. 2

Nr. 3

3.5.1999 P. St. 1296

Grundrechtsklage gegen Befreiungstatbestand vom Arbeitsverbot nach dem Hessischen Feiertagsgesetz .

279

20.10.1999 P. St. 1294

Kommunales Gebietsrechenzentrum kein Gemeindeverband

295

10.11.1999 P.St. 1428

Fristbeginn bei Grundrechtsklage

311

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern Nr. 1*

4.2.1999 LVerfG 1 / 9 8

Beteiligungsfähigkeit der Gemeinde bei kommunaler Verfassungsbeschwerde; kommunale Selbstverwaltungsgarantie; Weitergeltung des Reichszweckverbandsgesetzes; rückwirkendes Inkrafttreten des Reichszweckverbandsgesetzes

317

Inhalt Nr. 2*

6.5.1999 LVerfG 2/98

Zwischenurteil; Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen Landesgesetz; unmittelbare Betroffenheit

Nr. 3*

21.10.1999 LVerfG 2/98

Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten; ereignis und verdachtsunabhängige Identitätsfeststellung; Durchgangsstraßen; Zurechnungszusammenhang; grenzüberschreitende Kriminalität; Eingriffsschwellen; Folgeeingriffe; Grenzgebiet; Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten; Nichtigkeit, Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung

Entscheidungen des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes (in diesem Band keine Entscheidungsveröffentlichung)

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen Nr. 1

18.6.1999 Vf. 51-VIII-98

Gemeindegebietsreform; verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ermitdung der abwägungserheblichen Umstände bei Eingliederung einer leitbildgerechten Stadt; keine Nachholung unzureichender Ermittlungen des Gesetzgebers im verfassungsrechtlichen Verfahren

Nr. 2

9.12.1999 Vf. l-IV-98

Zur Frage der Einschränkung des Rechtsauf freie Wahl des Studienfachs durch Einigungsvertrag und Beschlüsse der Kultusministerkonferenz

Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt Nr. 1

23.2.1999 LVG 8/98

Aufgaben der Gemeindeverwaltung

Nr. 2

13.7.1999 LVG 20/97

Verfassungsbeschwerdefrist bei Änderungsgesetzen Finanzausgleichsgesetz

Nr. 3

7.12.1999 LVG 7/99

Zur Unvereinbarkeit von (Bürgermeister-)Amt und (Gemeinderats-)Mandat

Inhalt

X

Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Nr. 1

Nr. 2

11. 3.1999 VerfGH 30/97 11.3.1999 VerfGH 12/98

Verfassungsbeschwerde gegen verwaltungsgerichtliehe Urteile betreffend die Anfechtung einer Kreistagswahl

479

Organstreitverfahren betreffend den Erlaß einer der vom Altestenrat des Thüringer Landtages beschlossenen Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz wegen der Uberprüfung der Fraktionsmitarbeiter auf Zusammenarbeit mit dem MfS/ AfNS der ehemaligen DDR

500

Sachregister

519

Gesetzesregister

545

Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder

557

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. aaO ABM AFG AfNS AG AGBSHG AH-Drs. AK-GG ÄltR ÄltRProt amtl. Begr. AmtsO ÄndG ÄndGThürAbgG AnwBl AP ArbG ArbGG Art. ASG AsylAG AsylBLG AsylVfG Aufl. AUG AuslG BAG BAT BauGB BauVorlV BayGLKrWG BayObLGZ BayVerfGH BayVGH n.F.

andere Ansicht alte Fassung am angegebenen Ort Arbeitsbeschaffungsmaßnahme(n) Arbeitsförderungsgesetz Amt für Nationale Sicherheit Aktiengesellschaft Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz (Baden-Württemberg) Abgeordnetenhaus-Drucksache Alternativ-Kommentar zum Grundgesetz Ältestenrat Ältestenratsprotokoll amtliche Begründung Amtsordnung Änderungsgesetz Änderungsgesetz zum Thüringer Abgeordnetengesetz Anwaltsblatt Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts — Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Aufgabensicherungsgesetz Asylbewerberaufnahmegesetz Asylbewerberleistungsgesetz Asylverfahrensgesetz Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Ausländergesetz Bundesarbeitsgericht Bundesangestellten-Tarifvertrag Baugesetzbuch Bauvorlagenverordnung (Brandenburg) Bayerisches Gemeinde- u. Landkreiswahlgesetz Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Bayerischer Verfassungsgerichtshof EntscheidungsSammlung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (neue Fassung)

XII BBergG BbgBO BbgDSG BbgLWahlG BbgPolG BbgSchulG BbgVerfG BbgVerfSchG Bd. BDSG BezWahlG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BGSG BHO BLG BPflV BRAGO BStU BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWG BWVB1. BWVPr. CCPR DDR DDR-GB1 DDR-KV DenkmalSchG DJT DÖV Drs. DtZ DVB1. DWW EMRK ENeuOG EOS

Abkürzungsverzeichnis Bundesberggesetz Brandenburgische Bauordnung Brandenburgisches Datenschutzgesetz Brandenburgisches Landeswahlgesetz Brandenburgisches Polizeigesetz Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zu den Wahlen in den Bezirksversammlungen (Hamburg) Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesgrenzschutzgesetz Bundeshaushaltsordnung Bundesleistungsgesetz Bundespflegesatzverordnung Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R Bundesverfas sungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswahlgesetz Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt Baden-Württembergische Verwaltungspraxis UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte Deutsche Demokratische Republik Gesetzblatt der D D R Kommunalverfassung der D D R Denkmalschutzgesetz Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsch-Deutsche-Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft Europäische Menschenrechtskonvention Eisenbahnneuordnungsgesetz Erweiterte Oberschule

Abkürzungsverzeichnis ESVGH

EuGRZ EV EzKommR f., ff. FAG FGG FlüAG Fn. GemO GeschOLT GFG GFG 1998 GG GO GOßT GO-LT GO-SLT GVB1. GVG HdB HessKWG HFeiertagsG HGrG HmbBeihVO HmbBG HOAI Hrsg. Hs. HStR HV i.V.m. IMS insbes. IPbR JbSächsOVG JR JWG JZ KG KSchG

Entscheidungssammlung des Hessischen VGH und des VGH Baden-Württemberg (mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Einigungsvertrag Entscheidungen zum Kommunalrecht folgend, fortfolgende Finanzausgleichsgesetz Baden-Württemberg Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen Fußnote Gemeindeordnung Geschäftsordnung des Landtags Brandenburg Gemeindefinanzierungsgesetz Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 (Brandenburg) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Geschäftsordnung Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Geschäftsordnung des Landtags Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Handbuch Hessisches Kommunalwahlgesetz Hessisches Feiertagsgesetz Haushaltsgrundsätzegesetz Hamburgische Beihilfeverordnung Hamburgisches Beamtengesetz Honorarordnung f. Architekten und Ingenieure Herausgeber Halbsatz Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg oder Verfassung des Landes Hessen in Verbindung mit Inoffizieller Mitarbeiter für Staatssicherheit insbesondere Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Jahrbücher des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Juristische Rundschau Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung Kammergericht Kündigungsschutzgesetz

XIII

XIV KVM-V KWahIG (auch: KWG) KWG Rh.-Pf. LAG LBG LG LHO lit. LKJHG LKrO LT-Drs. LuftVG LV LVerfG M-V LVerfGE LVerfGG LWaG m.w.N. MdL MDR MfS MfS/AfNS Mio NDR-StaatsV NdsStGH NJ NJW NJW-RR NRS NRW NRWVerfGH NStZ NVA NVwZ NVwZ-RR NWVB1. NZA ÖbVermlngBO OLG ÖPNV ÖPNVG-LSA OVG OVGE

Abkürzungsverzeichnis Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern Kommunalwahlgesetz Kommunalwahlgesetz Rheinland-Pfalz Landesarbeitsgericht Landesbeamtengesetz Landgericht Landeshaushaltsordnung litera Kinder- und Jugendhilfegesetz f. Baden-Württemberg Landkreisordnung für Baden-Württemberg Landtagsdrucksache Luftverkehrsgesetz Landesverfassung Landesverfas sungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Landesverfassungsgerichtsgesetz Wassergesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen Mitglied des Landtages Mitteldeutscher Rundfunk Ministerium für Staatssicherheit der D D R Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit Millionen) Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk Niedersächsischer Staatsgerichtshof Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift — Rechtsprechungsreport — Zweckverband Nahverkehr Region Stuttgart Nordrhein-Westfalen Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationale Volksarmee Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht -Rechtsprechungsreport — Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Berufsordnung der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure Oberlandesgericht Öffentlicher Personennahverkehr Gesetz zur Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs Sachsen-Anhalt Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein

Abkürzungsverzeichnis PlenProt. POG Bbg Prot. Rdn. RegG RJWG ROG S. SächsAbgG SächsABl. SächsGemO SächsGVBl. SächsKomZG SächsPersVG SächsVBl. SächsVerf SächsVerfGH SächsVerfGHG SchulG-LSA SchutzBauG SGB SGG StaatsV StAnz. std. Rspr. StGB StGH StGHG ThürAbgG ThürGOG ThürKO ThürKWG ThürKWO ThürMaßnG ThürNGG ThürVBl. ThürVerf ThürVerfGH ThürVerfGHG TWh u. a. UA UPR

XV

Plenarprotokoll Polizeiorganisationsgesetz Brandenburg Protokoll Randnummer Regionalisierungsgesetz Sachsen-Anhalt Gesetz zur Änderung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes SachsenAnhalt Raumordnungsgesetz Seite Sächsisches Abgeordnetengesetz Sächsisches Amtsblatt Sächsische Gemeindeordnung Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Sächsisches Gesetz über kommunale Zusammenarbeit Sächsisches Personalvertretungsgesetz Sächsische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Sachsen Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Schulgesetz Sachsen-Anhalt Schutzbaugesetz Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Staatsvertrag (über den Mitteldeutschen Rundfunk) Staatsanzeiger ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof des Landes Hessen Gesetz über den Staatsgerichtshof (Hessen) Thüringer Abgeordnetengesetz Gesetz über die Geschäftsordnung des Thüringer Landtages Thüringer Kommunalordnung Thüringer Gesetz über die Wahlen in den Landkreisen und Gemeinden Thüringer Kommunalwahlordnung Thüringer Gesetz über Maßnahmen zur kommunalen Gebietsreform Thüringer Gesetz zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte in Thüringen Thüringer Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaats Thüringen Thüringer Verfassungsgerichtshof Thüringer Verfassungsgerichtshofgesetz Terrawattstunden unter anderem; und andere Urteilsausfertigung Umwelt- und Planungsrecht

XVI Urt. VerfGGBbg VerfGHG VerfSachsAnh VermLiegG VfGBbg VG VGH vgl. VHS VIZ VOB1. Vorb. V-Person VvB VWG VwGO VwRR MO VwZG WährG WAZ WDR-Gesetz WiStG ZaöRV ZAR ZfB ZPO ZVS

Abkürzungsverzeichnis Urteil Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg Gesetz über den Verfassungsgerichtshof Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Vermessungs- und Liegenschaftsgesetz (Brandenburg) Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Volkshochschule Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht Verordnungsblatt Vorbemerkung Person, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist Verfassung von Berlin Gesetz über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid (Sachsen) Verwaltungsgerichtsordnung VerwaltungsRechtsReport für die neuen Bundesländer Hamburgisches Verwaltungszustellungsgesetz Währungsgesetz Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverband Gesetz über den Westdeutschen Rundfunk Wirtschaftsstrafgesetz Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht Zeitschrift für Bergrecht Zivilprozeßordnung Zentrale Vergabestelle für Studienplätze

Entscheidungen des Staatsgerichtshofes für das Land Baden-Württemberg

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Staatsgerichtshofes für das Land Baden-Württemberg Lothar Freund, Präsident Prof. Dr. Heinz Jordan, ständiger Stellvertreter Hans Georgii Martin Dietrich Prof. Dr. Thomas Oppermann Dr. Rudolf Schieler Sybille Stamm Ute Prechd Prof. Dr. Wolfgang Jäger

Stellvertretende Richter Dr. Siegfried Kasper Dr. Roland Hauser Michael Hund Dr. Ulrich Gauß Prof. Dr. Alexander Roßnagel Dr. Manfred Oechsle Prof. Dr. Dieter Walther Prof. Dr. Günter Altner Prof. Dr. Eberhard Jüngel

Kommunaler Finanzausgleich — Verfahren und Bemessung

3

Nr. 1 1. Die Rechts- und Gesetzeskraft einer Normenkontrollentscheidung des Staatsgerichtshofs steht der Zulässigkeit eines weiteren Verfahrens auf kommunalrechtliche Normenkontrolle nicht entgegen, wenn die Antragsteller sich auf die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse berufen, z.B. auf die zunehmende Verschlechterung der Finanzausstattung von Gemeinden und Gemeindeverbänden durch den Anstieg der Soziallasten. 2. Auch nach ihrem Außerkrafttreten kann eine gesetzliche Norm noch Gegenstand eines kommunalrechtlichen Normenkontrollverfahrens sein, wenn die in ihr normierten Tatbestände weiterhin von Bedeutung sind im Verhältnis zwischen den für die Gesetzesausführungen zuständigen Behörden. 3. Art. 71 Abs. 3 LV ist auf die Übertragung öffentlicher Aufgaben durch Landesrecht und damit auf die Übertragung der Sozial- und Jugendhilfeaufgaben auf die Stadt- und Landkreise nicht anwendbar. Die Übertragung der Sozial- und Jugendhilfeaufgaben auf die Stadt- und Landkreise verletzt nicht unzulässig die Verwaltungshoheit der Länder und ist mit Art. 84 GG vereinbar (Bestätigung und Fortführung von StGH Baden-Württemberg (Urt. v. 10.11.1993 - GR 3/93). 4. Die Übertragung bestimmter öffentlicher Aufgaben durch Landesrecht löst die finanzielle Ausgleichspflicht des Landes nach Art. 71 Abs. 3 S. 2 und 3 LV nur dann aus, wenn den Gemeinden oder Gemeindeverbänden Aufgaben übertragen werden, für die zuvor ein anderer Verwaltungsträger zuständig gewesen ist (im Anschluß an StGH Baden-Württemberg, Urt. v. 5.10.1998 - GR 4/97). 5. Allein die im Laufe der Zeit gestiegene Kostenbelastung der Kommunen bei Ausführung eines Gesetzes führt nicht zur (unmittelbaren oder entsprechenden) Anwendbarkeit von Art. 71 Abs. 3 LV. Auch die Neuregelung einer bestimmten Sachmaterie ohne Veränderung des Aufgabenkreises des zuständigen Verwaltungsträgers löst nicht die Schutzwirkungen des Art. 71 Abs. 3 LV aus. 6. Das bundesstaatliche Konnexprinzip des Art. 104a GG gilt nur im Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Es stellt keine allgemeine LastenLVerfGE 10

4

Staatsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg

verteilungsregel des Verfassungsrechts dar. Die Finanzgarantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände folgt aus der Gewährleistung von Art. 73 Abs. 1 LV. 7. Art. 71 Abs. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV gebietet dem Gesetzgeber, den Kommunen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Wie das Land diesem Verfassungsgebot nachkommt, hat der Gesetzgeber zu entscheiden, dem dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. 8. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden ist zum Schutz des Kernbereichs ihres Selbstverwaltungsrechts eine finanzielle Mindestausstattung garantiert. Diese Garantie verpflichtet das Land aber nicht, den Kommunen eine zweckgebundene Finanzausstattung in bestimmter Höhe im Sinne einer „freien Spitze" zu sichern. 9. Durch Art. 73 Abs. 3 S. 1 LV, der die Finanzgarantie der Gemeinden und Gemeindeverbände nur unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes gewährleistet, bringt die Verfassung die Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunalaufgaben zum Ausdruck. Im Kollisionsfall hat der Gesetzgeber das Spannungsverhältnis zwischen diesen Belangen im Rahmen der Normierung des kommunalen Finanzausgleichs durch geeignete Einnahmen- und Lastenverteilungsregeln zum Ausgleich zu bringen. 10. Der Schutz der Finanzgarantie des Art. 71 Abs. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV setzt prozedurale Absicherungen in dem zu anstehenden Entscheidungen des Gesetzgebers über den Finanzausgleich führenden Verfahren voraus. Wie dieser Schutz durch Verfahren ausgestaltet wird, bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten. Das von ihm gewählte Verfahren muß jedoch entsprechend den Geboten der Transparenz und Publizität ausgestaltet sein und sicherstellen, daß die Grundlagen für einen aufgabengerechten kommunalen Finanzausgleich nachvollziehbar ermittelt und ihm eine umfassende Analyse der Aufgaben- und Ausgabenlasten sowie der zu erwartenden Einnahmen von Land und Kommunen anhand nachvollziehbarer Vergleichsmaßstäbe und Referenzzeiträume zugrundegelegt werden. 11. Das Fehlen eines solchen prozeduralen Schutzes der Finanzgarantie durch Verfahren führt jedenfalls dann zur Unvereinbarkeit des Finanzausgleichsgesetzes mit der Verfassung, wenn der Bereich der finanziellen Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände erreicht und deren finanzielle Leistungs- und Handlungsfähigkeit ernsthaft gefährdet ist. LVerfGE 10

5

Kommunaler Finanzausgleich - Verfahren und Bemessung

Grundgesetz Art. 104 a Verfassung des Landes Baden-Württemberg Art. 71 Abs. 3, 73 Abs. 1 Gesetz über den Staatsgerichtshof § 23 Bundessozialhilfegesetz § 96 Sozialgesetzbuch VIII § 69 Gesetz über die Aufnahme von Asylbewerbern und Asylbewerberinnen § 5 Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich §§ 1, 2 21 Urteil vom 10. Mai 1999 - GR 2/97 in dem kommunalrechtlichen Normenkontrollverfahren 1. des Ortenaukreises, vertreten durch den Landrat Günter Fehringer, Badstraße 20, 77652 Offenburg, 2. des Landkreises Schwäbisch Hall, vertreten durch den Landrat Ulrich Stückle, Münzstraße 1, 74523 Schwäbisch Hall Verfahrensbevollmächtigte: Prof. Dr. Friedrich Schoch, Kastelbergstr. 19, 79189 Bad Krozingen Prof. Dr. Joachim Wieland, Johann-Strauß-Str. 17, 33647 Bielefeld betreffend § § 1 , 2 und 21 FAG sowie § 5 AsylAG beteiligt: die Regierung von Baden-Württemberg, vertreten durch das Finanzministerium Verfahrensbevollmächtigter: Prof. Dr. Thomas Würtenberger, Beethovenstraße 9, 79100 Freiburg Entscheidungsformel: Die Regelung der § § 1 , 2 und 21 des Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich (FAG) i.d.F. vom 26.9.1991 (GBl. S. 658), zuletzt geändert durch Art. 15 Haushaltsstrukturgesetz 1997 (GBl. 1996 S. 7) und § 14 Staatshaushaltsgesetz 1997 (GBl. S. 26) ist mit der Verfassung des Landes Baden-Württemberg nicht vereinbar. § 5 des Asylbewerber-Aufnahmegesetzes (AsylAG) i.d.F. des Art. 3 Haushaltsbegleitgesetz 1996 vom 21.10.1996 (GBl. S. 649) war mit der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vereinbar. Das Verfahren ist kostenfrei. Den Antragstellern sind ihre Auslagen jeweils bis zur Höhe von 4.000 DM zu erstatten. LVerfGE 10

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Gründe: A. Nach §§ 96, 99 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), § § 1 , 2 des BadenWürttembergischen Ausführungsgesetzes zum BSHG (AGBSHG) sind die Stadt- und Landkreise örtliche Träger der Sozialhilfe, während überörtliche Sozialhilfeträger die Landeswohlfahrtsverbände sind. Soweit die sachliche Zuständigkeit der überördichen Sozialhilfeträger nicht ausdrücklich gesetzlich begründet wird, ist der örtliche Sozialhilfeträger, also der Land- oder Stadtkreis, sachlich für die Sozialhilfe zuständig. Er führt sie als weisungsfreie Pflichtaufgabe durch. Nach § 6 AGBSHG obliegen die Kosten den jeweiligen Sozialhilfeträgern, für die örtliche Sozialhilfe also den Stadt- und Landkreisen. Ein Kostenausgleich wird dadurch geschaffen, daß das Land den Stadt- und Landkreisen den Ertrag der Grunderwerbssteuer überläßt und Ausgleichsleistungen gemäß § 21 des Finanzausgleichsgesetzes (FAG) zur weiteren Deckung der Sozialausgaben vorsieht. Zusätzlich wirkt auch die Landeswohlfahrtsumlage (LWV-Umlage) ausgleichend. Nach § 21 FAG i.d.F. von Art. 15 Haushaltsstrukturgesetz 1997 (GBl. 1996 S. 776) und § 14 Staatshaushaltsgesetz 1997 (GBl. S. 26) erhalten die Stadt- und Landkreise die Sozialhilfeausgaben, die je Einwohner 110% des Kreisdurchschnitts überschreiten, zu 30% des übersteigenden Betrags ersetzt. Finanziert wird der Ausgleich aus der Finanzausgleichsmasse A (§ 2 Nr. 3 FAG). Das Land Baden-Württemberg hatte bis zur Neuregelung in dem Flüchtlingsaufnahmegesetz zum 1.4.1998 mit dem Asylbewerber-Aufnahmegesetz die Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylBLG) vom 30.6.1993 den Aufnahmebehörden und den Gemeinden übertragen (§ 3 AsylAG) und in § 5 Abs. 1 AsylAG bestimmt, daß die Stadt- und Landkreise die Ausgaben für die den unteren Aufnahmebehörden und den Gemeinden nach diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu tragen haben.

B. I. Die Antragsteller haben den Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg angerufen mit der Behauptung, das Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich (FAG) i.d.F. vom 26.9.1991, zuletzt geändert durch Art. 15 Haushaltsstrukturgesetz 1997 und § 14 Staatshaushaltsgesetz 1997 sowie § 5 des Asylbewerber-Aufnahmegesetzes (AsylAG) i.d.F. des Art. 3 Haushaltsbegleitgesetz 1996 vom 21.10.1996 verstießengegen Art. 71 und 73 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV). LVerfGE 10

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Sie beantragen festzustellen, daß §§ 1, 2 und 21 FAG sowie § 5 AsylAG mit Art. 71 und 73 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg unvereinbar und damit nichtig sind. II. Zur Begründung machen die Antragsteller geltend: 1. Der Staatsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 10.11.1993 nicht über die Verfassungsmäßigkeit des Finanzausgleichsgesetzes entschieden, sondern allein darüber, ob § 21 FAG gegen Art. 71 und 73 LV verstoße, soweit das Land die Kosten des damaligen Antragstellers im Bereich der Sozial- und Jugendhilfe nicht ausreichend ausgleiche. § 23 Abs. 1 S. 1 lit. a StGHG stehe der Zulässigkeit des Antrages wegen des Urteils des Staatsgerichtshofes vom 10.11.1993 auch insoweit nicht entgegen, wie darin die Vereinbarkeit von § 21 FAG mit der Landesverfassung festgestellt worden sei. Der Staatsgerichtshof habe nämlich nicht geprüft, ob § 21 FAG mit Art. 71 Abs. 3 LV vereinbar sei, weil er von einer bundesgesetzlichen Übertragung der Sozialhilfe- und Jugendhilfeausgaben auf die Stadt- und Landkreise ausgegangen sei. Inzwischen sei aber die Rechtsauffassung gefestigt, § 96 Abs. 1 S. 1 BSHG verstoße gegen Art. 84 Abs. 1 GG und sei deshalb nichtig. Aus diesem Grund habe das Land mit §§ 1 und 6 Abs. 1 AGBSHG konstitutiv den Stadt- und Landkreisen die Kostentragungspflicht für die Sozialhilfeaufgaben auferlegt. Außerdem organisiere § 21 FAG nur den horizontalen Finanzausgleich, während es gemäß Art. 71 Abs. 3 S. 3 LV um die vertikale Finanzierungspflicht des Landes gegenüber den Stadt- und Landkreisen gehe. Der Staatsgerichtshof habe noch nicht über die Verfassungspflicht des Landes entschieden, die durch das Land den Stadt- und Landkreisen übertragenen Soziallasten entsprechend finanziell auszugleichen. 2. Die Antragsteller meinen, den Kommunen seien die Sozial-, Kinder- und Jugendhilfeaufgaben nicht durch den Bundesgesetzgeber, sondern durch das Land übertragen worden. § 96 BSHG und § 69 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) seien verfassungswidrig und damit nichtig, weshalb die Aufgaben der Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe konstitutiv durch den Landesgesetzgeber in § 1 AGBSHG und § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (LKJHG) auf die Kreise delegiert worden seien. Aus Art. 84 Abs. 1 GG ergebe sich, daß der Bundesgesetzgeber seine Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich überschreite, wenn er durch Übertragung zusätzlicher Aufgaben auf die Kommunen in die kommunale Selbstverwaltung eingreife. Bei § 96 Abs. 1 S. 1 BSGH und § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII handele es sich nicht um punktuelle Annexregelungen, wie sich schon allein aus den damit verbundenen Kosten in Milliardenhöhe ergebe. Vor allem aber sei die bundesgesetzliche Bestimmung der kreisfreien Städte und Landkreise zu örtlichen LVerfGE 10

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Trägern der Sozialhilfe für den wirksamen Vollzug der materiellen Bestimmungen des BSHG nicht notwendig, sondern sogar hinderlich. Die von dem Bundesgesetzgeber zur Rechtfertigung des Durchgriffs auf die Kreise herangezogenen „weiten Ermessensräume" seien nicht verwirklicht worden, denn über 9 0 % des Leistungsumfangs der Sozialhilfe seien durch Bund und Land rechtlich verbindlich festgelegt. Der gesamte Sachbereich habe sich durch die Länder in eigener Verantwortung wesentlich einfacher regeln lassen. Nach Auffassung der Antragsteller hat der Staatsgerichtshof wegen des Verstoßes gegen Art. 84 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 86 Abs. 1 S. 1 BSHG und § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. 3. Für die Übertragung der Aufgaben der Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe sowie der Unterbringung der Asylbewerber fehle es an einem entsprechenden Ausgleich für die damit verbundenen Aufwendungen, wie ihn Art. 71 Abs. 3 LV fordere. a) Als Bestimmung über die Kostendeckung, die einen finanziellen Ausgleich für die Mehrbelastung der Antragsteller durch die Sozialhilfeaufgaben schaffen könnte, komme nur § 21 FAG in Betracht, der laufende Zuweisungen an die Kreise zu den öffentlichen Sozialhilfelasten regele. Die Bestimmung, wonach Kreise, deren Sozialhilfe-Netto-Ausgaben je Einwohner 110 % der durchschnittlichen Kreisausgaben übersteigen, Zuweisungen von nur 30 % des übersteigenden Betrages, erhielten, könne keinen Ausgleich nach Art. 71 Abs. 3 LV darstellen, da nur die deutlich überdurchschnittlich belasteten Kreise überhaupt einen Ausgleich erhielten; auch diese überdurchschnittlich belasteten Kreise erhielten keinesfalls einen entsprechenden Ausgleich. Das Land wälze die Kosten der Sozialhilfe zum weit überwiegenden Teil damit auf die Kreise ab. b) § 1 LKJHG verstoße nicht nur gegen das Ausgleichsgebot des Art. 71 Abs. 3 S. 3 LV, sondern zusätzlich auch gegen Art. 71 Abs. 3 S. 2 LV, indem die Kreise zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt werden, ohne daß überhaupt Regelungen über die Deckung der ihnen dadurch entstehenden Kosten getroffen würden. c) § 5 AsylAG sei insgesamt wegen Verstoßes gegen Art. 71 Abs. 3 S. 3 LV nichtig. Das Land habe in § 5 AsylAG die Ausführung des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber (AsylBLG) an die Aufnahmebehörden und Gemeinden delegiert, ohne für die finanzielle Mehrbelastung der Kreise einen entsprechenden finanziellen Ausgleich zu schaffen. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip (Art. 71 Abs. 3 LV) greife nicht nur bei neu übertragenen Aufgaben ein, sondern auch bei einer Erweiterung bereits früher übertragener Aufgaben oder wenn Kostensteigerungen eintreten, mit denen die von LVerfGE 10

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dem Land gewährten Ausgleichsleistungen nicht mehr Schritt hielten. Dabei handele es sich um einen laufenden Pro2eß. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seien nicht identisch mit Sozialhilfe. Den Kreisen sei damit eine neue Aufgabe übertragen worden. Nach altem Recht sei die Rechtsprechung völlig unbestritten davon ausgegangen, die Unterbringung von Asylbewerbern sei eine Aufgabe des Staates. Der Bundesgesetzgeber habe ausdrücklich mit diesem Gesetz einen Systemwechsel weg von der Sozialhilfe hin zu einem Aufenthalts- und Niederlassungsrecht vollzogen. Trotz der Ablösung des Asylbewerber-Aufnahmegesetzes durch das Flüchtlingsaufnahmegesetz zum 1.4.1998 bestehe ihr Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerklärung von § 5 AsylAG fort, da ein Erfolg Erstattungsansprüche gegen das Land nach sich ziehen würde. 4. Die Antragsteller machen einen Verstoß gegen die allgemeine Garantie der kommunalen Finanzausstattung nach Art. 73 Abs. 1 LV geltend. Dafür sei allein entscheidend die Aufgabenadäquanz der Finanzausstattung. Nicht die staatliche Leistungsfähigkeit sei der Maßstab. Dies gelte erst recht, wenn es wie bei den Antragstellern zur Zeit sogar um den Schutz des unantastbaren Kernbereiches des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes, um das kommunale Existenzminimum gehe. Die Finanzausstattung müsse so bemessen sein, daß die Kommunen neben weisungsfreien und weisungsunterworfenen Pflichtaufgaben auch noch freiwillige Aufgaben wahrnehmen könnten, da es sonst keine echte Selbstverwaltung im Sinne von Art. 28 Abs. 2 GG mehr gäbe. Sie meinen, das Land sei sogar in Zeiten öffentlicher Finanzknappheit verfassungsrechtlich gehindert, Kommunalfinanzen beliebig zu verringern, ohne gleichzeitig durch Aufgabenabbau und -verzieht bzw. Reduzierung kostentreibender Standards für finanzielle Endastung der Kommunen zu sorgen. Der verfassungsrechtliche Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung beinhalte nicht nur ein finanzielles Aushöhlungsverbot, sondern verpflichte das Land auch, den Kommunen eine ausreichende zweckungebundene finanzielle Mindestausstattung, eine „freie Spitze" von 8 % bis 10 % der Finanzmittel zu sichern. Bei insgesamt stagnierenden Einnahmen und Schlüsselzuweisungen, allgemeinen Zuweisungen, Zuschüssen und Zuweisungen zu laufenden Zwecken sowie Investitionen würden Aufgaben und unausweichbare Ausgaben der Kreise, insbesondere bei der Sozial- und Jugendhilfe sowie bei der Flüchtlingsversorgung laufend steigen; die Einsparpotentiale seien restlos erschöpft. Die durch das Land geschaffenen strukturellen Haushaltsdefizite ließen die Entscheidungsmöglichkeiten der Kreise auf Null tendieren. Eine kraftvolle Erfüllung der Selbstverwaltungsangelegenheiten sei ausgeschlossen, wenn den Antragstellern nur 0,35 % bzw. 0,29 % für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung stünden. LVerfGE 10

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Grundsätzlich weisen die Antragsteller auf den kategorialen Unterschied zwischen der kommunalen Finanzausstattung und der staatlichen Leistungsfähigkeit hin: Daraus folge ein besonderes finanzverfassungsrechtliches Schutzbedürfnis der Kommunen, weshalb das Land stets entsprechenden finanziellen Ausgleich zu schaffen habe, soweit infolge einer gesetzlichen Aufgabenübertragung eine finanzielle Mehrbelastung der Kommunen verursacht werde. Nach ihrer Ansicht wird seit Jahren die Kreisumlage systemwidrig zum Hauptfinanzierungsinstrument der Landkreise umgewidmet, da diese über nennenswerte eigene Steuereinnahmen nicht verfügten, das Land seine Kostenerstattungspflichten aus Art. 71 Abs. 3 LV höchst unzureichend erfülle und den kommunalen Finanzausgleich zunehmend als Einsparpotential zugunsten des Landeshaushaltes instrumentalisiere. Demgegenüber regelten § 49 Abs. 2 Landkreisordnung (LKrO) und § 35 FAG die Kreisumlage als subsidiäres Finanzierungsinstrument. Die Antragsteller meinen, bei der notwendigen Gesamtbetrachtung der finanziellen Lage seien allein die allgemeinen Deckungsmittel heranzuziehen, die ihnen von dem Land bereitgestellt würden, insbesondere Grunderwerbsteuer und Schlüsselzuweisungen. Gebühren und vor allem die Kreisumlage dürften nicht in diese finanzielle Gesamtbetrachtung einbezogen werden. Die Kreisumlage als eine bloße Ausfalldeckung sollte nach Ausschöpfung der anderen Finanzquellen nur den noch ungedeckten finanziell Restbedarf im Kreishaushalt ausgleichen. Inzwischen sei sie zur wichtigsten, einzig bedeutsamen eigenbestimmbaren Einnahmequelle der Kreise geworden. Verfassungsrechtlich sei ein klares Aufgabenfinanzierungssystem für die Landkreise vorgegeben: — Für gesetzlich übertragene Pflichtaufgaben habe das Land nach Art. 71 Abs. 3 S. 1 und 3 LV voll aufzukommen. In diesem Bereich habe die Kreisumlage keine Funktion zu übernehmen. — Für freiwillige übergemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben der Landkreise als Gebietskörperschaften stünden eigene Mittel zur Verfügung wie Steuereinnahmen (Art. 73 Abs. 2 LV), Finanzausgleichsleistungen nach Art. 73 Abs. 3 LV und in Teilbereichen die Kreisumlage. — Für freiwillige Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben der Landkreise als Gemeindeverbände solle die Kreisumlage als subsidiäres Finanzierungsinstrument eingesetzt werden. Diesem Verfassungssystem laufe die erzwungene Kreisumlagepraxis entgegen. Schließlich beanstanden die Antragsteller, das Land habe bei allen in den Finanzrahmen der Kommunen einschränkend eingreifenden Maßnahmen nie die Aufgaben- und Ausgabenlast der Kommunen konkret analysiert. Einziges Motiv für die Eingriffe in die kommunale Finanzausstattung sei die Entlastung LVerfGE 10

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des Landeshaushaltes gewesen. Das Land habe auch das Gebot der Verteilungssymmetrie verletzt, da das Land die Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunal-Aufgaben mißachtet und den außerordentlichen Anstieg der Aufgaben für die Sozial- und Jugendhilfe sowie für Bürgerkriegsflüchtlinge nicht berücksichtigt habe, obwohl die Einnahmen des Landes kontinuierlich angestiegen seien, die der Kommunen dagegen stagnierten oder gar zurückgingen. C. Der Landtag hat zu dem Normenkontrollantrag keine Stellung genommen. Für die Landesregierung hat sich das Finanzministerium geäußert und beantragt, festzustellen, daß § § 1 , 2 und 21 FAG sowie § 5 AsylAG mit Art. 71 und 73 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vereinbar sind. I. Nach Ansicht der Landesregierung ist der Antrag für den Bereich der Sozial- und Jugendhilfe mit Rücksicht auf das Urteil des Staatsgerichtshofs vom 10.11.1993 unzulässig, soweit ein Verstoß gegen Art. 71 Abs. 3 S. 3 LV und gegen Art. 71 Abs. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV geltend gemacht wird. Streitgegenstand des damaligen Normenkontrollverfahrens sei nicht nur § 21 FAG, sondern seien die „Regelungen des Finanzausgleichsgesetzes, insbesondere § 21 FAG", nicht nur der interkommunale Finanzausgleich, sondern generell die Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände durch das Land, also gerade der vertikale Finanzausgleich gewesen. Die Bindungswirkung der Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 10.11.1993 sei nicht durch eine grundlegende Veränderung der Sachlage aufgehoben worden. Die Landesregierung sieht auch keine wesentliche rechtliche Änderung seit der Entscheidung des Staatsgerichthofes vom 10.11.1993: Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in seinem Sozial- und Jugendhilfeurteil ausdrücklich die bundesrechtliche Kommunalisierung der Sozial- und Jugendhilfe für verfassungsmäßig erachtet und nur die Bestimmung als Selbstverwaltungsaufgabe für verfassungswidrig erklärt. Diese Entscheidung sei bindend und stehe einer Vorlage nach Art. 100 GG entgegen. Dem Bundesgesetzgeber habe die Annexkompetenz zugestanden, im notwendigen Zusammenhang mit der Regelung des materiellen Sozial- und Jugendhilferechts die Aufgaben in die Zuständigkeit der Kreise zu übertragen und damit insoweit in das Selbstorganisationsrecht der Länder einzugreifen. Wichtig sei auch der historische Zusammenhang in der Verfassungsentwicklung. Danach füge sich die bundesrechtliche Regelung der kommunalen Trägerschaft der Sozial- und Jugendhilfe in die über 200jährige Geschichte der öffentlichen Fürsorge ein. An dieser historischen Kontinuität ändere auch das augenblickliche Phänomen des Anstiegs der Sozialhilfeausgaben nichts. LVerfGE 10

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II. Nach Ansicht der Landesregierung reicht der kommunale Finanzausgleich aus, um die finanzielle Mindestausstattung der Kreise sicherzustellen (Art. 71 Abs. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV). Dies habe der Staatsgerichtshof bereits am 10.11.1993 mit Gesetzeskraft festgestellt. Dabei geht die Landesregierung davon aus, daß die Leistungsfähigkeit des Staates Bezugspunkt und Maßstab für den Anspruch der Kommunen auf Sicherstellung einer angemessenen Finanzausstattung sei. Dem Landesgesetzgeber komme ein weiter normativer Gestaltungsspielraum dafür zu, wie er in dem einheitlichen Finanzverbund zwischen Land und Kommunen ihre Finanzstärke und Aufgabenbelastung bewerte, gewichte und zum Ausgleich bringe. Der Landesgesetzgeber dürfe den Gestaltungsspielraum allerdings nicht willkürlich nutzen, sondern müsse von der Gleichrangigkeit der Aufgaben des Landes und der Kommunen ausgehen, dürfe eigene Belastungen nicht übermäßig auf die Kommunen abwälzen und müsse sich inhaltlich an der Proportionalität der Verteilung äußerst knapper öffentlicher Ressourcen zwischen Land und Kommunen orientieren. Dabei unterliege die Abschätzung der Leistungsfähigkeit des Landes und des notwendigen Bedarfs der Kommunen zur Erfüllung der Pflichtaufgaben der politischen Einschätzungsprärogative des Landesgesetzgebers. Ein Grundsatz der Proportionalität und Verteilungssymmetrie könne für die Landesverfassung nicht anerkannt werden. Deshalb sei auch eine ins einzelne gehende Analyse der Aufgaben- und Ausgabenlasten mit dem Ziel, die Finanzmittel unter dem Aspekt der Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunalaufgaben nicht geboten. Der Gesetzgeber beobachte und analysiere die Finanzlage und -entwicklung der Kommunen laufend sorgfältig und strebe in Gesprächen mit den kommunalen Landesverbänden Konsenslösungen an. Prozedurale Sicherungen für die Selbstverwaltungsgarantie, die den politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einengten, seien aus der Landesverfassung nicht herzuleiten. Schutz institutioneller Garantien durch Verfahren führe allenfalls zu einem Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Im übrigen stelle das verfassungsmäßige Gesetzgebungsverfahren eine hinreichende prozedurale Sicherung dar. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung sei gewahrt, solange die Kommunen auf Dauer die finanziellen Voraussetzungen zu kraftvoller Betätigung behielten; der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung sei nicht verletzt, wenn in Zeiten äußerst schlechter haushaltswirtschaftlicher Lage in Bund und Ländern und einer gesamtwirtschaftlichen Krise für eine Ubergangszeit der Handlungsspielraum der Kommunen sich sehr stark verenge. Dies könne nur in einer mittelfristigen Perspektive beurteilt werden. Die Landesregierung weist darauf hin, daß die Selbstverwaltung der Kreise sich nicht in freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben erschöpfe, sondern den Kreisen gerade auch bei den Pflichtaufgaben ohne Weisung erhebliche SpielLVerfGE 10

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räume zu einer eigenverantwortlichen Gestaltung verblieben. Nach diesen Maßstäben seien die Kreise, auch die beiden Antragsteller in ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit nicht so eingeschränkt, daß sie im Kernbereich der Garantie kommunaler Selbstverwaltung verletzt seien. Nicht anzuerkennen sei die Forderung der Antragsteller, das Land habe dafür Sorge zu tragen, daß den Kommunalhaushalten eine „freie Spitze" von mindestens 5 % bis angemessenen 10% zu autonomer Verwaltung zur Verfügung stehen müßten. Der Begriff der „freien Spitze" habe keine klaren Konturen und eigne sich nur sehr begrenzt zur Bestimmung der finanziellen Leistungskraft eines Kreises. Außerdem stehe eine „freie Spitze" stets in Abhängigkeit zu der allgemeinen haushalts- und finanzpolitischen Situation von Bund und Ländern. Es genüge, daß die Antragsteller für die Erfüllung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben eine finanzielle Manövriermasse hätten, innerhalb derer durch Umschichtungen oder Sparmaßnahmen politische Handlungsspielräume wiedergewonnen werden könnten. Verfassungswidrig sei die Finanzausstattung der Antragsteller erst, wenn trotz Ausnutzung aller politischer Spielräume auf längere Sicht keine Handlungsmöglichkeiten bestünden. Dabei sei zu beachten, daß mit Rücksicht auf die kommunale Selbstverwaltung es sich bei den den Kreisen gesetzlich zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben, bei den Ergänzungs- wie bei den Ausgleichsaufgaben, um eine strikt subsidiäre Aufgabenzuweisung an die Landkreise handele, so daß für den Bereich der Freiwilligkeitsaufgaben nur begrenzte Mittel aufzuwenden seien. Inhalt und Umfang der Selbstverwaltungsgarantie für die Landkreise sei gesetzesbestimmt. Das einzig richtige Verfahren zur Feststellung der den Kreis für freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheiten zur Verfügung zu stellenden Mittel sei die Festsetzung der Kreisumlage. Diese sei im Gegensatz zu der Ansicht der Antragsteller von Verfassungs wegen nicht nur ein subsidiär zur Deckung der Ausgleichungs- und Ergänzungsaufgaben im kreisangehörigen Raum einzusetzendes Finanzierungsinstrument. Vielmehr diene die Kreisumlage seit jeher als wesentliches Element des Finanzausgleiches zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden sowie zur Deckung des Finanzbedarfs für die von dem Kreis wahrgenommenen gesetzlich übertragenen Aufgaben. III. Nach Meinung der Landesregierung kann nicht die Finanzsituation der Antragsteller entscheidungserheblich sein; vielmehr komme es auf die finanzielle Lage der Gesamtheit der Kreise des Landes an sowie wegen des Finanzverbundes zwischen Bund, Land und Kommunen auch auf die Finanzsituation von Bund und Land als finanzpolitischer Rahmen für die Kreise und damit auch für die Antragsteller. Den Landkreisen stehe nur das subjektiv öffentliche Recht zu, die Pflichtaufgaben und in begrenztem Umfang auch Freiwilligkeitsaufgaben wahrnehmen und dabei von ihrem Recht auf Selbstverwaltung Gebrauch machen zu können. LVerfGE 10

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IV. Die Landesregierung bestreitet die Behauptung der Antragsteller, ihre Haushaltspläne seien unausgeglichen. Auch von 1995 bis 1997 sei beiden Antragstellern von den Regierungspräsidien die Gesetzmäßigkeit der Haushaltssatzungen und der Haushaltspläne bestätigt worden, dem Ortenaukreis allerdings mit der Auflage, bis Ende 1997 einen Nachtragsplan zu erlassen. Nach den Haushaltsplänen und Finanzplandaten für 1995 bis 1999 könne eine unzureichende Leistungskraft der Antragsteller infolge unzureichender Finanzausstattung nicht festgestellt werden. Völlig ungeeignet als Kennziffer für die Leistungsfähigkeit einer Kommune seien die Höhe der Verschuldung und die Sozialleistungsquote. Nur eine Gesamtschau aller Kennzahlen sei für eine Groborientierung tauglich. Insgesamt ergebe die Prüfung der kommunalen Haushaltspläne 1996 und 1997, daß sich die in den letzten Jahren eingetretene Verschlechterung der kommunalen Finanzlage nicht fortgesetzt habe. Sparmaßnahmen, Verwaltungsreformprojekte, Modernisierung und Strukturveränderungen zeigten erste Erfolge, so daß nach der Haushaltsplanprüfung 1997 das finanzielle Fundament bei den meisten Kommunen jetzt wieder einigermaßen tragfähig sei und es nun wieder gelte, finanzielle Handlungsspielräume zu erwirtschaften. Die offen zutage getretene Finanzschwäche der öffentlichen Haushalte habe eine proportionale Beschränkung des Anteils der Kommunen an der Finanzmasse des Landes erfordert. Auch an der Finanzierung der deutschen Einheit hätten die Kommunen anteilig mitzutragen gehabt. Die Verschlechterung der Lage der öffentlichen Haushalte habe das Land stärker getroffen als die Kommunen. Es habe 1995 bis 1997 Deckungslücken in Höhe von 8.841 Millionen im wesentlichen durch Einsparmaßnahmen ausgeglichen. Die Steuereinnahmen der Gemeinden seien 1996 um 3,6% gestiegen, beim Land um 1,8 % und beim Bund um 7,5 % gesunken. Gegenüber 1990 habe das Land 1996 rund 2 0 % mehr Steuern eingenommen, die Gemeinden rund 10%; aber diese hätten an den Mehreinnahmen des Landes über den Finanzausgleich partizipiert. Ab 1997 sei eine Besserung der Haushaltslage der Kommunen zu erkennen und für die nächsten Jahre abzusehen, da die Pflegeversicherung die Kommunen ab 1997 um jährlich 700 Millionen DM, die Landeswohlfahrtsverbände zusammen um 600 Millionen DM und bei der Eingliederungshilfe um rund 100 Millionen DM endaste, sowie 2000 bis 2002 die Entnahmen aus dem Finanzausgleich aus Anlaß der Finanzierung der deutschen Einheit um jährlich 500 Millionen DM zurückgeführt würden. V. Die Landesregierung bezweifelt, daß durch § 5 AsylAG überhaupt eine „Aufgabe" im Sinne von Art. 71 Abs. 3 LV übertragen worden ist. Es sei vielmehr nur eine kostenrechtliche Selbstverständlichkeit bei Aufgabenidentität geregelt worden. Die Kreise hätten als Träger der unteren Aufnahmebehörde LVerfGE 10

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(§ 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylAG) nach dem allgemeinen Grundsatz des § 52 Abs. 1 und 2 LKRO deren Ausgaben zu tragen. Auch bei den Bürgermeisterämtern der Stadtkreise sei dies eine selbstverständlich mit der Trägerschaft verbundene Pflicht, die nach § 11 FAG auszugleichen sei. Im übrigen sei mit dem AsylAG keine neue öffentliche Aufgabe auf die Kreise übertragen worden. Es handele sich der Sache nach um Sozialhilfeleistungen, für deren Gewährung die Kreise bereits vorher zuständig gewesen seien. Die Kostenausgleichspflicht nach Art. 71 Abs. 3 S. 2 und 3 LV beschränke sich auf die Übertragung neuer Aufgaben im Vergleich zu der bisherigen Aufgabenbelastung der betroffenen Kreise. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze bei den Gerichtsakten verwiesen. Entscheidungsgründe: I. Der Antrag ist gemäß Art. 76 LV zulässig. 1. Antragsteller sind als Landkreise Gemeindeverbände im Sinne von Art. 76 LV und daher im Verfahren der kommunalen Normenkontrolle beteiligungsfähig und antragsberechtigt. 2. Der Zulässigkeit des Antrages steht nicht entgegen, daß sich der Staatsgerichtshof bereits im Urteil vom 10. November 1993 (GR 3/93, ESVGH 44, 1 ff.) mit der Verfassungsmäßigkeit der Regelung über den Soziallastenausgleich im Finanzausgleichsgesetz von Baden-Württemberg befaßt hat. a) Jener Entscheidung kommt zwar gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Ziff. a) StGHG Rechts- und Gesetzeskraft zu; das schließt grundsätzlich eine neue Entscheidung über denselben Prüfungsgegenstand aus. Gleichwohl ist der Antrag zulässig, ohne daß es darauf ankommt, ob sich die eingetretene rechtliche Bindungswirkung allein auf die — seitdem unverändert gebliebene — Vorschrift des § 21 FAG bezieht, deren Vereinbarkeit mit der Verfassung des Landes Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 10. November 1993 festgestellt worden ist oder das gesamte Regelungssystem des Finanzausgleichsgesetzes über den Ausgleich der Kosten der Sozial- und Jugendhilfe erfaßt. b) Die in § 23 StGHG vorgesehene Gesetzes- und Rechtskraft der Urteile des Staatsgerichtshofs bezieht sich immer nur auf den Zeitpunkt, in dem die jeweilige Entscheidung ergangen ist. Das Urteil vom 10.11.1993 erfaßt also nicht auch solche Veränderungen, die erst nach Erlaß der Entscheidung eingetreten sind. Grundsätzlich gehen gerichtliche Erkenntnisse von zu ihrer Zeit bestehenden Verhältnissen aus. Deshalb hindert die Rechtskraft früherer Entscheidungen nicht eine Berufung auf Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse (vgl. BVerfGE 33,199,201 \Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, Rdn. 1243). Allerdings muß in einem solchen Fall hinreichend substantiiert LVerfGE 10

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dargelegt werden, daß zwischenzeitlich tatsächliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren und deren Uberprüfung nahelegen (vgl. BVerfGE 87, 341, 346; 94, 315, 323; Benda/Klein, a.a.O., Rdn. 1230,1246,1248). Die Antragsteller haben ausgeführt, daß sich seit der Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 10. November 1993 die Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände, bedingt durch stetig ansteigende Aufgaben- und Kostenbelastungen bei gleichzeitiger finanzieller Unterdeckung nochmals erheblich verschlechtert habe und daß dadurch die verfassungsrechtlich gebotene angemessene Finanzausstattung nicht mehr gewährleistet sei. Damit haben die Antragsteller in einer den genannten Begründungsanforderungen genügenden Weise neue Tatsachen vorgetragen, die es als nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, daß sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgebliche Lage wesentlich zu ihren Lasten verändert hat. Die Antragsteller haben auch dargelegt, daß die Bestimmungen der § § 1 , 2 und 21 FAG in der maßgeblichen Fassung gegen die Finanzausstattungsgarantie der Verfassung des Landes Baden-Württemberg verstoßen, weil sie die den Gemeinden und Gemeindeverbänden in den letzten Jahren zugewachsenen Aufgaben- und Kostenmehrbelastungen nicht oder nur unzureichend ausgleichen und dadurch deren Anspruch auf angemessene Finanzausstattung zur kraftvollen Erfüllung der Selbstverwaltungsaufgaben gefährden. Dieses Vorbringen läßt es als geboten erscheinen, den im Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich geregelten Soziallastenausgleich einer nochmaligen verfassungsgerichtlichen Uberprüfung zu unterziehen. 3. Der Zulässigkeit des Antrages steht auch nicht entgegen, daß das Asylbewerberaufnahmegesetz - und damit auch die beanstandete Vorschrift des § 5 AsylAG — mit Wirkung zum 1.4.1998 außer Kraft getreten und durch das Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen (FlüAG) abgelöst worden ist. Denn auch nach ihrem Außerkrafttreten entfaltet die Vorschrift des § 5 AsylAG noch insofern Rechtswirkungen nach außen, als die darin normierten Kostentragungs- und -erstattungstatbestände weiterhin von Bedeutung sind im Verhältnis zwischen den verschiedenen, für die Gesetzesausführung zuständigen Aufnahmebehörden (vgl. BVerfGE 5,25,28; 20,56, 94). Darüber hinaus besteht auch nach der Aufhebung ein objektives Interesse an der verfassungsgerichtlichen Überprüfung dieser Bestimmung (vgl. BayVerfGH, NVwZ-RR 1997, 301, 302). II. Der Antrag ist teilweise begründet. 1. §§ 1, 2 und 21 FAG sowie § 5 AsylAG verstoßen nicht gegen Art. 71 Abs. 3 LV. a) Der Staatsgerichtshof hat bereits im Urteil vom 10. November 1993 (a.a.O.) entschieden, daß Art. 71 Abs. 3 Satz 3 LV auf die Übertragung öffentLVerfGE 10

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licher Aufgaben auf Gemeinden und Gemeindeverbände durch Bundesgesetz nicht anwendbar ist. Art. 71 Abs. 3 LV findet daher für die bundesgesetzliche Übertragung der Sozial- und Jugendhilfeaufgaben auf die Stadt- und Landkreise und die hierauf beruhenden Deckungs- und Folgekostenregelungen keine Anwendung. aa) Nach der im o.g. Urteil geäußerten Auffassung des Staatsgerichtshofs stellen die Sozialhilfeaufgaben, die den Stadt- und Landkreisen als öffentliche Aufgaben übertragen worden sind, eine übertragene Selbstverwaltungsaufgabe dar, deren Charakter inzwischen dem einer vom Bund übertragenen weisungsfreien Pflichtaufgabe entspricht. Die Übertragung der Sozialhilfeaufgaben auf die Stadt- und Landkreise erfolgt unmittelbar durch § 96 BSHG. Das vom Land erlassene AG/BSHG begründet keine Übernahme des Bundesgesetzes auf Landesebene in der Weise, daß von einer Aufgabenübertragung durch Landesgesetz gesprochen werden könnte. Zwar legt § 6 AG/BSHG den Stadt- und Landkreisen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe die Kostentragung aus den Sozialhilfeaufgaben auf, die sachliche Zuständigkeit ist jedoch schon und zwar konstitutiv in § 96 BSHG geregelt. Der Wiederholung dieser Regelung in § 1 AG/BSHG kommt daher nur deklaratorische Wirkung zu (StGH, a.a.O., S. 2 f.). bb) Die Antragsteller halten § 96 Abs. 1 S. 1 BSHG und § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII, der die Stadt- und Landkreise auch zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt, wegen Unvereinbarkeit mit Art. 84 Abs. 1 GG für verfassungswidrig. Sie sehen darin einen unzulässigen, durch das Grundgesetz nicht gedeckten Durchgriff des Bundesgesetzgebers auf die Kommunalebene und regen eine Vorlage dieser Normen gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel ihrer Nichtigerklärung an. cc) Entgegen der Auffassung der Antragsteller liegen die Voraussetzungen einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht vor. Der Staatsgerichtshof darf ein förmliches Bundesgesetz nur dann dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen, wenn er die betreffende Norm für verfassungswidrig hält. Dies setzt voraus, daß das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt ist; bloße Zweifel berechtigen nicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 1,184,189; 9,237,240 f.; 16,188,189; 22,373,389). Der Staatsgerichtshof hält indessen die beanstandeten bundesgesetzlichen Normen nicht für verfassungswidrig. (a) Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 18.7.1967 (BVerfGE 22, 180 ff.) die Zulässigkeit des Durchgriffs des Bundesgesetzgebers auf die kommunale Ebene an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Danach kann der Bund im Rahmen seiner materiellen Gesetzgebungskompetenz die Einrichtung und das Verfahren kommunaler Behörden regeln, sofern und soweit LVerfGE 10

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dies für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzugs notwendig ist. Im Hinblick darauf, daß das Grundgesetz die Materie Kommunalrecht ausschließlich den Ländern zuweist, darf es sich außerdem stets nur um punktuelle Annexregelungen zu einer zur Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers gehörenden materiellen Regelung handeln (BVerfGE 22, 210). Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Jugendhilfeentscheidung die Vorschriften des § 12 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt (JWG) in der Fassung vom 11.8.1961 und des § 96 Abs. 1 Satz 2 und 3 und Abs. 2 S. 2 BSHG vom 30.6.1961 an diesen Kriterien gemessen und § 12 Abs. 1 JWG sowie § 96 Abs. 1 S. 2 BSHG für nichtig erklärt, hingegen die Bestimmungen des § 12 Abs. 2 und 3 JWG sowie des § 96 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 S. 2 BSHG für mit dem Grundgesetz vereinbar gehalten. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, daß das Bundesverfassungsgericht keine prinzipiellen verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen hatte, daß der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und Sozialhilfe bestimmt und dabei punktuelle Annexregelungen getroffen hat, die sachbezogen und für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzugs notwendig sind, wie z.B. § 12 Abs. 2 JWG, der den kreisfreien Städten und den Landkreisen die Errichtung eines Jugendamts aufgibt (BVerfGE 22, 211). Lediglich soweit der Bundesgesetzgeber Regelungen erlassen hat, die zum wirksamen Vollzug der materiellen Regelungen nichts beitragen, wie etwa die Bestimmung der öffentlichen Jugendhilfe und der Sozialhilfe zu Selbstverwaltungsangelegenheiten der jeweiligen Träger (vgl. § 12 Abs. 1 JWG, § 96 Abs. 1 S. 2 BSHG), hat das Gericht darin einen unzulässigen Eingriff in die Verwaltungskompetenz der Länder und damit einen Verstoß gegen Art. 84 Abs. 1 GG gesehen. Dieses Verständnis der Entscheidung entspricht auch der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (vgl. Hofmann-Hoeppel, Die (finanz-)verfassungsrechtliche Problematik des BSHG-Vollzugs durch kommunale Gebietskörperschaften, 1992, S. 86, 266 m.w.N.; Oestreicher/Schelter/Kun^ Bundessozialhilfegesetz, 1998, § 96 Rdn. 2 ff.; Schellhorn/Jirasek,/Seipp, Das Bundessozialhilfegesetz, 1997, § 96 Rdn. 6; Mergler/Zink, BSHG, § 96 Rdn. 2; Knopp/Fichtner, BSHG, 1992, § 96 Rdn. 1; a. A. Schoch/Wieland,1995, 982, 989 m.w.N.). (b) Der Staatsgerichtshof vermag sich den von den Antragstellern geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschriften des — seit der Jugendhilfeentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Wortlaut unveränderten - § 96 Abs. 1 S. 1 BSHG und des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII in der Fassung vom 26.6.1990 aus folgenden Erwägungen nicht anzuschließen: Die gesetzgeberische Entscheidung, Landkreise und kreisfreie Städte zu örtlichen Trägern der Sozial- und Jugendhilfe zu bestimmen, rechtfertigt sich aus LVerfGE 10

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dem Anliegen, das öffentliche Fürsorgewesen auf einer möglichst bürgernahen und zugleich leistungsfähigen Ebene anzusiedeln (vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 94). Die durch die Bestimmung des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII erfolgte Zuordnung der örtlichen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe ebenfalls auf der Ebene der Stadt- und Landkreise sollte sicherstellen, daß diese beiden gewichtigen Aufgaben im Bereich der öffentlichen Fürsorge grundsätzlich in der Hand ein- und derselben Gebietskörperschaft liegen, was unter anderem im Hinblick auf die vielfache Verknüpfung zwischen beiden Rechtsgebieten als fachlich und verwaltungsorganisatorisch vorteilhaft angesehen wurde (BT-Drs. 3/1799, S. 56; 11/6002, S. 9). Diese gesetzgeberische Einschätzung ist verfassungsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Sozialhilfe weist nach wie vor, wenn auch durch Zuzugsbewegungen und die zunehmende Mobilität der Bevölkerung reduziert, örtliche Bezüge auf (ebenso Nds. StGH, Urt. v. 25.11.1997, DVB1. 1998, 185, 187). Es besteht daher ein unverändertes Bedürfnis für einen ortsnahen Gesetzesvollzug durch eine Verwaltungsebene, die durch ihre Verwaltungseinrichtungen sowie ihre Erfahrungen und Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten und der individuellen Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung eine besondere Gewähr für einen wirksamen Vollzug des Bundessozialhilfegesetzes und des Kinder- und Jugendhilfegesetzes bietet. Der Staatsgerichtshof teilt auch nicht die Auffassung, daß die bundesrechtlichen Regelungen des § 96 BSHG und des § 69 SGB VIII in zu weitgehendem Umfang in die Organisationshoheit der Länder eingreifen. Sie enthalten nur punktuelle Annexregelungen, die den Ländern noch ausreichende Handlungsund Gestaltungsspielräume belassen, durch welche Stelle und in welcher Weise der Gesetzesvollzug im einzelnen erfolgen soll. So bestimmen die Länder die überörtlichen Träger der Sozial- und Jugendhilfe (§ 96 Abs. 2 S. 1 BSHG, § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII); sie haben durch die Öffnungsklauseln in § 96 Abs. 1 S. 2 BSHG und § 69 Abs. 2 S. 1 SGB VIII auch die Regelungskompetenz, Gemeinden oder Gemeindeverbände als örtliche Träger in die Gesamtverantwortung für die öffentliche Fürsorge einzubinden. Ferner bleibt es ihnen vorbehalten zu regeln, ob die Fürsorgeaufgaben von den Kommunen als Selbstverwaltungsangelegenheit oder zur Erfüllung nach Weisung wahrzunehmen sind. Das Interesse der Länder, in diesem Bereich kommunaler Daseinsvorsorge nicht übergangen zu werden, wird außerdem dadurch gewahrt, daß das Bundessozialhilfegesetz ebenso wie das Kinder- und Jugendhilfegesetz mit Zustimmung der Länder erlassen wurden (StGH, Urt. v. 10.11.1993, a.a.O., S. 4; vgl. auch BVerwG, DÖV 1982, 826, 827, zu § 18 Abs. 3 S. 1 SchutzbauG). Dem steht nicht entgegen, daß die sozialhilferechtlichen Ansprüche aufgrund ihrer bundesgesetzlichen Durchnormierung kommunaler Ausgestaltung nicht mehr in dem Maß zugänglich sind, wie es einer originär kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheit entspräche. Denn trotz weitreichender bundesLVerfGE 10

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gesetzlicher Vorgaben, die für eine Ausgestaltung im Sinne einer kommunalen Selbstverwaltung wenig Raum lassen, verbleiben vielfältige Entscheidungsspielräume bei der Aufgabenwahmehmung (StGH, Urt. v. 10.11.1993, ESVGH 44,1,2; vgl. auch Nds. StGH, Urt. v. 25.11.1997, DVB1.1998,185,188; F. Kirchhof, DVB1. 1998, 189 ff.). Gemeinden und Gemeindeverbände können unter anderem durch offene Jugendarbeit, Unterstützung von Vereinen und privaten Inidativen sowie durch Beratungseinrichtungen die Höhe der Kosten für Sozial-, Jugend- und Kinderhilfe beachtlich beeinflussen. Schließlich führt auch die in den letzten Jahren gewachsene Ausgabenlast der Sozialleistungsträger nicht zur Verfassungswidrigkeit der bundesgesetzlichen Aufgabenübertragungstatbestände. Denn nach geltendem Verfassungsrecht ist die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zum Durchgriff auf die Kommunen allein an rechtlichen Kriterien, nämlich der Organisationshoheit der Länder (Art. 84 Abs. 1 GG) — und den hierzu vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) entwickelten Kriterien — zu messen und nicht an den sich aus einer Aufgabenübertragung ergebenden und ggf. im Laufe der Zeit wandelnden finanziellen Folgen für die mit der Gesetzesausführung befaßten Länder und Kommunen. Die sich verändernde Kostendimension beim Gesetzesvollzug ändert nichts am Annexcharakter der getroffenen Regelungen und wirkt nicht zurück auf die einmal bestehende Verbandskompetenz des Bundesgesetzgebers (vgl. HofmannHoeppel, Die (finanz-)verfassungsrechtliche Problematik des BSHG-Vollzugs durch kommunale Gebietskörperschaften, 1992, S. 86, 266; a.A. Schoch/Wieland, JZ 1995, 982, 989). Dem erhöhten Finanzbedarf hierdurch belasteter Kommunen hat allein der Landesgesetzgeber aufgrund seiner Finanzierungsverantwortung für die Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Durchführung des kommunalen Finanzausgleichs durch Erlaß bzw. Anpassung bestehender Lastenverteilungsregeln Rechnung zu tragen. b) Art. 71 Abs. 3 LV findet auch auf die Vorschrift des § 5 AsylAG keine Anwendung. aa) Die auf der bundesrechtlichen Ermächtigung des § 10 AsylBLG beruhende Vorschrift des § 3 AsylAG enthält zwar eine konstitutive Aufgabenübertragung durch Landesgesetz. Die Kostentragungs- und -erstattungsvorschrift des § 5 AsylAG knüpft inhaltlich an die Bestimmung des § 3 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylAG an, der den Stadt- und Landkreisen als unteren Verwaltungsbehörden (unteren Aufnahmehörden) die Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Asylbewerberaufnahmegesetzes überträgt. bb) Allerdings löst nicht jede Übertragung „bestimmter öffentlicher Aufgaben" die finanzielle Ausgleichspflicht des Landes nach Art. 71 Abs. 3 S. 2 und 3 LV aus. Den Stadt- und Landkreisen müssen vielmehr Aufgaben übertragen werden, für die zuvor ein anderer Verwaltungsträger zuständig war. LVerfGE 10

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(a) Die Bestimmung des Art. 71 Abs. 3 LV knüpft die Ausgleichspflicht des Landes an die Übertragung der „Erledigung bestimmter öffentlicher Aufgaben". Gegenstand der Übertragung muß eine bestimmte öffentliche Aufgabe sein, nämlich ein konkretes Aufgabengebiet im Sinne bestimmter zu erledigender Verwaltungsangelegenheiten (StGH, Urt. v. 14.10.1993, - GR 2/92 , ESVGH 44, 8, 9; Urt. v. 5.10.1998, - GR 4/97 - , VB1BW 1999, 18 = DVB1. 1998, 1276), wobei es aufgrund der monistischen kommunalen Aufgabenstruktur in BadenWürttemberg nicht maßgeblich darauf ankommt, ob Auftrags- oder Selbstverwaltungsangelegenheiten übertragen werden (StGH, Urt. v. 5.10.1998, — GR 4/97 - , VB1BW 1999,18 = DVB1.1998,1276). (b) Entscheidend für die Anwendbarkeit des Art. 71 Abs. 3 LV ist nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs, daß eine bestimmte Aufgabe, die zuvor von einem anderen Verwaltungsträger erfüllt wurde, nunmehr den Gemeinden oder den Gemeindeverbänden zugewiesen wird (vgl. Urt. v. 3.8.1961 - 9/60, 2/61 - , ESVGH 12/11, 6, 9 und Urt. v. 5.10.1998, - GR 4/97 - , VB1BW 1999, 18, 20). Dieses Verständnis des Art. 71 Abs. 3 LV leitet sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie ihrer Zweckbestimmung her. Nach dem aus den Materialien der Landesverfassung erkennbaren Willen des Verfassunggebers wollte dieser hinsichtlich der finanziellen Garantien für die Gemeinden und Gemeindeverbände über die Bestimmung des Art. 28 GG hinausgehen und den Schutz der Kommunen bei Aufgabenübertragungen sichern. Eine besondere finanzielle Sicherung der Kommunen wurde namentlich für notwendig erachtet, wenn „neue" Auftragsangelegenheiten bzw. „zusätzliche" Aufgaben auf sie übertragen werden (vgl. die Redebeiträge in der 22. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 31.10.1952, in: Feuchte, Quellen zur Verfassung von Baden-Württemberg, 3. Teil, S. 358 f., 405). Für die Fälle der Neuübertragung von Aufgaben glaubte sich der Verfassunggeber nicht mit der allgemeinen Schutzvorschrift des Art. 73 Abs. 1 LV begnügen zu dürfen und knüpfte die Aufgabenübertragung daran, daß entsprechende Bestimmungen zur Kostendeckung und zum Mehrlastenausgleich getroffen werden (Art. 71 Abs. 3 S. 2 und 3 LV). Art. 71 Abs. 3 LV ist daher nach dem Willen des Verfassunggebers als finanzieller Sonderausgleich für die Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Übertragung neuer Aufgaben geschaffen worden. Mit diesem Schutzumfang lehnt sich die Verfassungsbestimmung des Art. 71 Abs. 3 LV bewußt an die entsprechenden Bestimmungen in den Finanzausgleichsgesetzen der Weimarer Republik an, die bereits nach ihrem Wortlaut Ausgleichsverpflichtungen bei der Übertragung neuer oder der wesentlichen Erweiterung bereits bestehender Aufgaben vorsahen (vgl. § 52 LandessteuerG v. 30.3.1920, RGBl. I, S. 402, § 54 Reichsfinanzausgleichsgesetz i.d.F. v. 31.7.1938, RGBl. I, LVerfGE 10

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S. 966; zu den Vorschriften im einzelnen vgl. Waechter, Verwaltungsarchiv 85 (1994), 208, 216). Zwar spricht der Verfassungstext des Art. 71 Abs. 3 S. 1 LV im Gegensatz zu den genannten „Vorgängervorschriften" in den Finanzausgleichsgesetzen der Weimarer Republik und den in der ersten Legislaturperiode des baden-württembergischen Landtages erlassenen Bestimmungen der §§ 2 Abs. 2 S. 2 GemO, 2 Abs. 3 S. 2 LKrO — nicht ausdrücklich von „neuen" Aufgaben. Der Wortlaut der Vorschrift steht jedoch aus den genannten Gründen einem dahingehenden, an der Entstehungsgeschichte und der Zweckbestimmung der Vorschrift ausgerichteten Verfassungsverständnis nicht entgegen (vgl. Spreng/Bim/Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1963, S. 248 f.; Kühn, DÖV 1956,180; Schuler, BWVPr 1981, 37, 40; Ade, BWVPr 1987, 175,178; Waechter, a.a.O., S. 217). (c) Durch die Aufgabenübertragung nach § 3 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylAG ist die Ausgleichspflicht nach Art. 71 Abs. 3 LV nicht ausgelöst worden. Denn den Stadt- und Landkreisen wurden hierdurch keine „neuen" Aufgaben zugewiesen, die zuvor von einem anderen Verwaltungsträger erfüllt wurden. Durch das im Zuge des sog. Asylkompromisses geschaffene Asylbewerberleistungsgesetz vom 30.6.1993 (BGBl. I, S. 1074) hat der Bundesgesetzgeber ein eigenständiges Leistungsrecht geschaffen und die Leistungsvoraussetzungen aus dem früheren Sachzusammenhang des Sozialhilferechts (vgl. § 120 BSHG) herausgelöst. Mit der durch § 3 AsylAG begründeten Zuständigkeit zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes und hierauf beruhenden Asylaufnahmegesetzes ist der Aufgabenkreis der Antragsteller indessen nicht verändert worden. Denn die Stadt- und Landkreise waren bereits vor Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes und der hierauf beruhenden landesrechtlichen Bestimmungen — wenn auch aufgrund der bundesrechtlichen Vorgabe des § 96 BSHG — als örtliche Träger der Sozialhilfe zur Leistungsgewährung gegenüber dem betreffenden Personenkreis verpflichtet. Die Ausgliederung des Leistungsrechts für Asylsuchende und andere Ausländer mit nur vorübergehendem Bleiberecht aus dem Bundessozialhilfegesetz bedeutete daher für die Stadt- und Landkreise nicht die Übernahme einer Aufgabe, die zuvor von einem anderen Verwaltungsträger erfüllt wurde, sondern lediglich die Neu- und Umnormierung einer bereits zuvor wahrgenommenen Aufgabe. Auf solche Konstellationen ist Art. 71 Abs. 3 LV nicht anwendbar, gleichgültig wie sich die Novellierung kostenmäßig für die Aufgabenträger auswirkt. Es kann daher an dieser Stelle dahinstehen, ob und in welchem Umfang die durch das Asylbewerberleistungsgesetz erfolgte Absenkung des Leistungsniveaus bei gleichzeitiger Umstellung auf Sachleistungen (vgl. Scholl/Schießer, ZAR 1994,131) für die ausführenden Kommunen kostenwirksam geworden ist. LVerfGE 10

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(d) Eine analoge Anwendung von Art. 71 Abs. 3 LV scheidet ebenfalls aus. Der Staatsgerichtshof hat bereits entschieden, daß das Regelungssystem der Landesverfassung keine Lücke aufweist, die eine analoge Anwendung zuließe. Die Regelung des Art. 71 Abs. 3 S. 3 LV ist im Zusammenhang mit der Vorschrift des Art. 73 Abs. 1 LV zu sehen und gewährt finanziellen Ausgleich ohne Rücksicht auf die finanzielle Gesamdeistungsfähigkeit der Stadt- und Landkreise in den Fällen, in denen das Land die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch die Übertragung von Aufgaben belastet und sich selbst in der Aufgabenübertragung von eigenen Kosten endastet (StGH, Urt. v. 10.11.1993, ESVGH 44,1,3). Dieser Kerngedanke steht einer analogen Anwendung in den Fällen entgegen, in denen — wie vorliegend — die Neuregelung einer bestimmten Sachmaterie ohne Veränderung des Aufgabenkreises des zuständigen Verwaltungsträgers erfolgt ist. Allein der von den Antragstellern geltend gemachte Gesichtspunkt der in den letzten Jahren gestiegenen Kostenbelastung der Stadt- und Landkreise im Zuge der Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Asylaufnahmegesetzes vermag die Anwendung von Art. 71 Abs. 3 LV nicht zu begründen. (e) Aus diesem Grund bedarf auch keiner Entscheidung, ob überhaupt Raum ist für eine (analoge) Anwendbarkeit des Art. 71 Abs. 3 LV, wenn den Landkreisen Aufgaben nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts übertragen werden, sondern — wie im Falle des § 3 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylAG oder des zum 1.4.1998 in Kraft getretenen § 2 FlüAG - in ihrer Funktion als staatliche untere Verwaltungsbehörden (§ 1 Abs. 3 S. 2 LKrO), was unter Berücksichtigung der differenzierten Kostenregelung des § 52 LKrO streitig ist (vgl. Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Art. 71 Rdn. 66; Kühn, a.a.O., S. 182). (f) Schließlich kommt eine analoge Anwendung der Kostendeckungsgarantie des Art. 71 Abs. 3 LV auch nicht unter Heranziehung des Konnexitätsprinzips in Betracht. Das Konnexitätsprinzip ist in Art. 104 a GG für das Verhältnis von Bund und Ländern verfassungsrechtlich normiert und besagt, daß Bund und Länder gesondert die Ausgaben zu tragen haben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. In diesem Bereich folgt aus der Konnexität auch die Verpflichtung des Bundes zum Kostenausgleich, wenn der Bund Ausgaben auf die Länder überträgt. Das auf der bundessstaatlichen Ebene angesiedelte Konnexitätsprinzip, wonach Aufgaben- und Ausgabenverantwortung zusammengehören, stellt jedoch keine allgemeine Lastenverteilungsregelung des geltenden Verfassungsrechts dar, sondern gilt nur im Bund-Länder-Verhältnis. Hieraus folgen insbesondere keine Aussagen und Vorgaben zur Binnenorganisation der Länder. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes beschränkt sich insoweit auf die Garantie der eigenverantwortlichen Finanzhoheit nach Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG, überläßt aber die LVerfGE 10

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Ausgestaltung der Finanzierung kommunaler Aufgaben der Entscheidung des demokratisch legitimierten Landesgesetzgebers (vgl. F. Kirchhof, DVB1. 1995, 1057). Das Grundgesetz geht von einem zweistufigen Staatsaufbau aus. Die Zweigliedrigkeit des finanzverfassungsrechtlichen Staatsaufbaus läßt erkennen, daß das Land auf diesem Gebiet die Gemeinden und Gemeindeverbände im Verhältnis zum Bund repräsentiert. Die Lastenverteilungsregel des Art. 104 a G G „stellt für die Ausgabenlast und ihre Konnexität mit der Aufgabenverantwortung allein Bund und Länder einander gegenüber und behandelt die Gemeinden und Gemeindeverbände — unbeschadet der ihnen verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie — als Glieder des betreffenden Landes; ihre Aufgaben und Ausgaben werden denen des Landes zugerechnet" (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.5. 1992, 2 BvFl, 2/88, 1/89, 1/90, BVerfGE 86, 148, 215; BVerwG, Urt. v. 11.6. 1991, DVB1.1991,1156,1159;VerfGH NW, Urt. v. 15.2.1985, DVB1.1985,685, 686 f.; Urt. v. 16.12.1988, DVB1. 1989,151,152 f.; VerfGH Rh.-Pf, Urt. v. 5.12. 1977, DVB1.1978, 802, 804). Sind Gemeinden und Gemeindeverbände a b e r - i m Gegensatz zu Bund und Ländern — Gebietskörperschaften ohne Staatsqualität, so steht diese Einbeziehung der Anwendung des Konnexitätsprinzips auf landesverfassungsrechtlicher Ebene entgegen (StGH, Urt. v. 10.11.1993, ESVGH 44, 1,5). 2. Die Regelung der § § 1 , 2 und 21 FAG verstößt gegen die Finanzgarantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände des Art. 71 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 LV. a) Es kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen der kommunalen Normenkontrolle nach § 54 S t G H G bei der Prüfung eines Verstoßes des Finanzausgleichsgesetzes gegen die verfassungsrechtliche Finanzgarantie darauf abzustellen ist, wieweit den Landkreisen insgesamt in dem Finanzausgleich ein ausreichendes Gesamtfinanzvolumen zur Verfügung gestellt und dieses verfassungsgemäß auf die einzelnen Kreise verteilt wird, oder wieweit ein einzelner Kreis in seinem Recht auf aufgabengerechte Finanzausstattung verletzt ist. Nach beiden Sichtweisen ist das Finanzausgleichsgesetz mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. b) Art. 71 Abs.l LV gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden ihre Finanzhoheit im Rahmen eigenverantwortlicher Einnahme- und Ausgabenwirtschaft; diese stellt einen wesentlichen Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie dar. In Art. 73 Abs. 1 LV wird die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände gesondert sichergestellt. Das Land hat für eine Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände zu sorgen, die ihnen eine angemessene und kraftvolle Erfüllung ihrer Aufgaben

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erlaubt und nicht durch Schwächung der Finanzkraft zu einer Aushöhlung des Selbstverwaltungsrechts führt ( S t G H BW ESVGH 44,1, 5). Art. 73 Abs. 1 LV gebietet dem Gesetzgeber, den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Wie das Land diesem Verfassungsgebot nachkommt, hat der Gesetzgeber zu entscheiden, dem dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Für die Gemeinden und Gemeindeverbände kommen als Einnahmequellen grundsätzlich eigene Steuern, Steueranteile, Umlagen und Schlüsselzuweisungen des Landes im Rahmen des Finanzausgleichs in Betracht. Das System dieses kommunalen Finanzausgleichs ist eingebunden in die gesamte Haushaltswirtschaft und -planung des Landes, die wiederum in den bundesverfassungsrechtlichen Finanzausgleich eingebettet ist. c) Der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers findet seine Grenze, wo der Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände auf eine finanzielle Mindestausstattung verletzt und damit das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt würde. Dies wäre der Fall, wenn es den Gemeinden und Gemeindeverbänden infolge unzureichender Finanzausstattung unmöglich gemacht würde, freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheiten wahrzunehmen. Die verfassungsrechtliche Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände kann verletzt werden insbesondere durch Rückgang ihrer Einnahmequellen bei einer nicht reduzierbaren Ausgabenlast für Pflichtaufgaben, außerordentlichen Anstieg der Ausgaben für Pflichtaufgaben ohne entsprechende Erweiterung der Einnahmequellen, Erfüllung neuer oder ausgeweiteter Pflichtaufgaben unter Ausschöpfung der für freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten vorgesehenen Finanzmittel oder eine Gemengelage dieser Ursachen. d) Die verfassungsrechtliche Mindestausstattung läßt sich nicht auf bestimmte Maßstäbe, Parameter, Kennziffern, Beträge oder Quoten festlegen. Der Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände aus Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV wird nämlich nur unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes gewährleistet, wie sich aus Art. 73 Abs. 3 S. 1 LV ergibt (vgl. StGH BW ESVGH 44, 1, 7; Braun, Landesverfassung, 1984, Art. 73 Rdn. 25). Dieser Vorbehalt ist wesentliche Voraussetzung für die Erfüllung der Landesaufgaben, die gleichermaßen sichergestellt sein muß wie die Erfüllung der kommunalen Pflichtaufgaben und der autonom von den Gemeinden und Gemeindeverbänden bestimmten freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten. Damit hat die Verfassung die Gleichwertigkeit von Landes- und Kommunalaufgaben zum Ausdruck gebracht. Der Gesetzgeber hat das normative Spannungsverhältnis im Kollisionsfall zwischen den für die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Finanzmitteln und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes durch eine gerechte und der LVerfGE 10

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Gleichwertigkeit der Landes- und Kommunalaufgaben entsprechende Verteilung bestehender Lasten und beschränkter Einnahmen zum Ausgleich zu bringen. Eine Rangordnung zugunsten der kommunalen Aufgaben oder der Aufgaben des Landes stellt die Verfassung nicht auf. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist nicht allein die Aufgabenadäquanz für die institutionell garantierte verfassungsrechtliche Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände entscheidend, auch nicht, wenn es um den Schutz des „unantastbaren Kernbereichs des kommunalen Selbstverwaltungsrechts" geht. Die Garantie autonomer kommunaler Selbstverwaltung in dem Sinne, daß Gemeinden und Gemeindeverbände in der Lage sein müssen, neben Pflichtaufgaben auch noch freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheiten wahrnehmen zu können, steht ebenfalls unter dem Vorbehalt, daß sie nur unter Berücksichtigung auch der Aufgaben des Landes gewährleistet werden kann. Diesen Kernbereich wird der Gesetzgeber freilich in Einengung seines Gestaltungsspielraums ganz besonders zu berücksichtigen haben. Gemeinden und Gemeindeverbände sind in das gesamtwirtschaftliche Gefüge der öffentlichen Haushalte eingebunden, in einem allgemeinen Finanzverbund mit Land und Bund zusammengeschlossen, weshalb die verfassungsrechtliche Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände von dem finanziellen Bedarf und der Haushaltslage des Landes sowie von der Aufgabenund Einnahmenverteilung zwischen Land und Kommunen in dem Sinne abhängt, daß diese im Kollisionsfalle zum Ausgleich gebracht werden müssen (vgl. VerfGH NW, Urteil v. 1.12.1998, DÖV 1999, 300, 301). e) Der Schutz der Finanzgarantie des Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV setzt prozedurale Absicherungen in dem zu anstehenden Entscheidungen des Gesetzgebers über den Finanzausgleich führenden Verfahren voraus, deren Fehlen oder Mißachtung zur Unvereinbarkeit des Finanzausgleichs mit dieser Verfassungsgarantie führen kann. aa) Bei der jeweils spätestens mit der Feststellung des Staatshaushaltes zu treffenden Entscheidung des Gesetzgebers über den kommunalen Finanzausgleich handelt es sich zwar um keine freie, sondern um eine gebundene Entscheidung, die den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Wahrnehmung ihrer Pflicht- und freiwilligen Aufgaben erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung stellen muß. Dieses materielle Kriterium läßt sich aber nicht soweit konkretisieren, daß die erforderliche Finanzausstattung in Form von Schlüsselzuweisungen zusätzlich zu den übrigen Finanzquellen nach einer Kennzahl oder gar dem Betrag nach aus ihm ableitbar wäre. Genaue Kriterien lassen sich nicht entwickeln; auch der Finanz- und Kommunalwissenschaft ist dies nicht gelungen. Das Dilemma ist strukturell bestimmt. Finanzkraft und finanzielle Leistungsfähigkeit sind weitgehend abhängig von autonom zu treffenden Entscheidungen LVerfGE 10

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des Gesetzgebers und kommunaler Selbstverwaltungsgremien. Eine von außen — zum Beispiel durch den Staatsgerichtshof — bestimmte Festlegung der in einer konkreten Situation für die verfassungsrechtliche Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände erforderlichen Mittel würde unzulässig eingreifen in das autonome Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Gemeindeverbände (vgl. BVerfGE 90, 60, 95) und in den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Würde der Staatsgerichtshof Maßstäbe, Parameter, Kennziffern, Quoten oder gar Beträge für die verfassungsrechtliche Mindestausstattung der Kreise fesdegen, müßte er wegen des Ausgleichs zwischen den an dem Finanzverbund beteiligten Körperschaften Aussagen treffen zu dem Minimalbestand an freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten, zu der steuerlichen Belastbarkeit, zur Erhöhung von Hebesätzen und Umlagen, zu Kreditaufnahme und Verschuldung, zu ungenutzten Einsparpotentialen bei Land und Kommunen, zu Investitionen und praktisch zu allen Politikbereichen. Gleichgültig in welcher Art und Weise sowie Höhe die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände bestimmt würde, würden die Ausübung der kommunalen Selbstverwaltung und die Gesetzgebung extern definiert, was weder mit der Garantie des kommunalen Selbstverwaltungsrechts (Art. 71 Abs. 1 LV) noch mit dem Demokratieprinzip (Art. 25 LV) vereinbar wäre. Selbstverwaltung und Gesetzgebung würden sich nicht mehr in autonomer Selbstgestaltung, sondern in Ausübung des extern durch den Staatsgerichtshof vorgegebenen Rahmens vollziehen. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des HaushaltsGesetzgebers, in die jeweils auch der kommunale Finanzausgleich eingebunden sein muß, weil die kommunale Finanzgarantie unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes steht, stößt auch deshalb an ihre Grenzen, weil die politischen Bewertungen im Rahmen der Feststellung des jeweiligen Staatshaushaltes und damit auch der Daten des kommunalen Finanzausgleichs verfassungsrechtlich weitgehend unwägbar, und damit nicht justiziabel sind. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle erreicht mit Rücksicht auf den weiten Gestaltungsspielraum und die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers im Rahmen der schwierigen Prognosen über den Umfang von Einnahmen, Ausgaben und Aufgaben ihre Funktionsgrenze und kann der Durchsetzung der kommunalen Finanzhoheit nicht wirkungsvoll dienen, soweit sie sich auf die materielle verfassungsrechtliche Prüfung des Ergebnisses dieser politischen Bewertungen einläßt. bb) Eine nachträgliche verfassungsgerichtliche Kontrolle des Ergebnisses des Gesetzgebungsverfahrens, nämlich des mit dem Staatshaushalt eng verwirkten kommunalen Finanzausgleichs ist nicht geeignet, den einzelnen Gemeinden und Gemeindeverbänden effektiven Rechtsschutz gegen finanzielle Aushöhlung des institutionell garantierten Selbstverwaltungsrechts zu gewährleisten. Dies LVerfGE 10

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beruht auf den Besonderheiten der Einbindung der kommunalen Finanzausstattung in die Haushaltswirtschaft des Landes. Die Haushaltsplanung des Landes ist die Grundlage für die Erfüllung der gesamten Staatsaufgaben innerhalb des Budgetzeitraumes, insbesondere auch für die Steuerung der Wirtschaft des Landes. Sie ist auch Basis für den vertikalen kommunalen Finanzausgleich. Der periodisch festzulegende Staatshaushaltsplan hat, obwohl er als Organgesetz ohne direkte Außenwirkung nur die Exekutive in einem System von Ermächtigungen zu Einzelmaßnahmen befugt, durch den Vollzug dieser Ermächtigungen so vielfältige Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft, auf die Verwaltung des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie auf die gesamte Wirtschaft, daß diese Folgen aufgrund nachträglicher verfassungsgerichtlicher Kontrolle praktisch nicht rückwirkend beseitigt werden können. Der vertikale kommunale Finanzausgleich ist integraler Bestandteil der gesamten Finanzwirtschaft des Landes, so daß auch insoweit eine nachträgliche verfassungsgerichtliche Kontrolle nicht zu einer rückwirkenden Änderung des kommunalen Finanzausgleichs führen kann, auch wenn die inhaltlichen Regelungen des kommunalen Finanzausgleichs mit der Verfassung nicht vereinbar sein sollten, da dies praktisch zu einer rückwirkenden Änderung der gesamten Finanzwirtschaft des Landes führen müßte. Dies gilt erst recht für den horizontalen Finanzausgleich, auf den sich alle beteiligten Gemeinden und Gemeindeverbände verlassen können müssen, auf den sie ihre eigene Haushaltsplanung und deren Vollzug gründen. Auch aus dieser Struktur folgt, daß effektiver Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nicht durch nachträgliche verfassungsgerichtliche Kontrolle der kommunalen Finanzausstattung gewährleistet werden kann. cc) Art. 71 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 LV kann keine genaueren materiellen Maßstäbe geben, an denen eine Ergebniskontrolle der staatlich gewährten Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände denkbar ist. Das belegt die inzwischen umfangreiche Rechtsprechung der Verfassungsund Staatsgerichtshöfe der Länder zu den korrespondierenden Landesverfassungsnormen zur Finanzgarantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände. Dies liegt an der Vielfalt und Komplexität der Funküonszusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Einnahmen, Ausgaben und Aufgaben der Länder sowie der Gemeinden und Gemeindeverbände, zumal da deren Haushalte eingebettet sind in jeweilige mehrjährige Finanzplanungen. Auch insoweit wirkt sich aus, daß die Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände weitgehend abhängt von autonom zu treffenden Entscheidungen der Selbstverwaltungsgremien über eigene Finanzquellen wie Kreisumlagen und Hebesätze für Realsteuern. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Gemeindeverbände hängt nicht nur von der sich verändernden jeweiligen Finanzkraft der LVerfGE 10

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Körperschaft und der Wirtschaftslage und -struktur in ihrem Gebiet ab, sondern auch von langfristig angelegten freiwillig übernommenen Aufgaben. Die Erfüllung der freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten kann sich - oft erst über längere Zeiträume — deutlich auf den Finanzbedarf für die Erfüllung von Pflichtaufgaben auswirken, wie zum Beispiel offene Jugendarbeit, Beratungsstellen, Arbeitslosenprojekte, Vereins-, Kultur- und Wirtschaftsförderung im Hinblick auf Ausgaben für Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe. Andererseits beeinflussen Sparmaßnahmen oder Leistungserweiterungen des Landes — auch des Bundes — vielfältig den Aufwand für die subsidiäre Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe. Schließlich verlieren die Haushaltspläne von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden infolge der sich ausweitenden „Flucht aus dem Haushalt" in die Ubertragung von bisher staatlichen oder kommunalen Aufgaben auf juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts immer mehr an Klarheit und Aussagekraft. Dieses engmaschige Beziehungsgeflecht verhindert materielle Maßstäbe, um die aufgabenangemessene verfassungsrechtliche Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände unter Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes und einer angemessenen kommunalen Beteiligung an den Kosten der deutschen Einheit als einer Gemeinschaftsaufgabe von Land und Kommunen bestimmen zu können. f) Der verfassungsrechtliche Schutz der Finanzgarantie des Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV müßte leerlaufen, wenn der Staatsgerichtshof eine materielle Ergebniskontrolle des kommunalen Finanzausgleichs vornehmen würde. Auf Grund der dargestellten strukturellen Defizite einer nachträglichen verfassungsgerichtlichen Kontrolle infolge irreversibler Auswirkungen eines einmal beschlossenen kommunalen Finanzausgleichs für ein Haushaltsjahr, wegen der fehlenden materiellen verfassungsrechtlichen Maßstäbe für eine Bestimmung der verfassungsrechtlichen Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände, wegen der Einschätzungsprärogative und des sehr weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sowie wegen des autonomen Gestaltungsspielraums der kommunalen Selbstverwaltungsgremien und des Demokratieprinzips ist eine effektive verfassungsgerichtliche Ergebniskontrolle nicht möglich. Ein Schutz der Finanzgarantie ist wirkungsvoll nur durchführbar, wenn eine entsprechende Kontrolle im Sinne einer Rationalisierung des staatlichen Entscheidungsprozesses vorverlegt wird in das Stadium der Entscheidungsfindung, spätestens in das Gesetzgebungsverfahren zu der jeweils anstehenden Änderung des kommunalen Finanzausgleichs. Dieser prozedurale Schutz der Selbstverwaltungsgarantie ergibt sich direkt aus der Garantie des Art. 71 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 73 Abs. 1 LV. Bei Grundrechten ist die Erweiterung ihres Schutzes durch Verfahren in gefestigter Verfassungsrechtsprechung anerkannt (BVerfGE 53, 30, 65; 63, 131, LVerfGE 10

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143; 65,1,44; 84, 34,46; 90, 60, 95). Danach ist prozeduraler Grundrechtsschutz insbesondere dort geboten, wo Kontrolle „erst zu einem Zeitpunkt stattfinden kann, in dem etwaige Grundrechtsverletzungen nicht mehr korrigierbar sind" und „wenn ein Grundrecht keine materiellen Maßstäbe für bestimmte grundrechtsrelevante staatliche Maßnahmen zu liefern vermag und folglich auch die Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts ausfällt" (BVerfGE 90, 60, 96). Dasselbe gilt, wenn durch externe Kontrolle in garantierte Autonomie eingegriffen werden müßte (BVerfGE 90,102). Bei dem Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV handelt es sich zwar nicht um den Schutz von Grundrechten der Gemeinden und Gemeindeverbände, sondern um die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Aber auch bei ihr muß von Verfassungs wegen eine prozedurale Absicherung vorgeschaltet werden, da aus strukturellen Gründen nachträglicher verfassungsgerichtlicher Schutz für die Finanzgarantie nicht effektiv gewährt werden kann. Der verfassungsrechtliche Schutz der Finanzhoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände ist damit in den Prozeß der Entscheidungsfindung vorzuverlagern und nicht erst im nachhinein auf das Entscheidungsergebnis zu beziehen (BVerfGE 90, 96). g) Wie dieser Schutz der Finanzgarantie durch Verfahren ausgestaltet wird, bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Der Gesetzgeber könnte ein solches Verfahren in dem Finanzausgleichsgesetz oder in einem besonderen Gesetz regeln, wie dies zum Beispiel auf Bundesebene mit dem Haushaltsgrundsätzegesetz versucht worden ist, das in § 51 HGrG einen Finanzplanungsrat eingesetzt hat, der mit Vertretern aus den Fachministerien des Bundes und der Länder sowie aus den Gemeinden und Gemeindeverbänden besetzt ist und mit unverbindlichen Empfehlungen eine integrierte Bund-Länder-Aufgabenplanung leisten soll. Es könnte der Gesetzgeber aber auch ohne gesetzliche Institutionalisierung einer solchen verfahrensmäßigen Selbstbindung einen prozeduralen Schutz der Finanzgarantie schlicht praktizieren, indem er vor den jeweiligen anstehenden Entscheidungen zum kommunalen Finanzausgleich ein Verfahren wählt und ausübt, in dem für alle an dem Finanzverbund Beteiligten nachvollziehbar unter Beachtung der Gleichrangigkeit der Aufgaben von Land und Kommunen die Finanzstärke und Aufgabenbelastung von Land und Kommunen fachkundig analysiert, bewertet, gewichtet und zum Ausgleich gebracht werden. Dieses gesetzlich zu regelnde oder von dem Gesetzgeber jeweils praktizierte Verfahren muß sicherstellen, daß die Grundlagen für einen aufgabengerechten kommunalen Finanzausgleich nachvollziehbar ermittelt und ihm die Finanzentwicklung bei Land und Kommunen anhand nachvollziehbarer Vergleichsmaßstäbe und Referenzzeiträume zugrundegelegt werden (vgl. NdsStGH, DOV 98, 382, 386). LVerfGE 10

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Sollte der Gesetzgeber sich für die Einschaltung eines fachkundigen Gremiums entscheiden, ähnlich dem Finanzplanungsrat im Bund, so müßte dessen Zusammensetzung dem Versachlichungszweck und der autonom bestimmten Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände genügend Rechnung tragen. Als sachkundige Mitglieder sind zum Beispiel Vertreter des Rechnungshofes, der Gemeindeprüfungsanstalt und der Regierungspräsidien als Rechtsaufsichtsbehörden denkbar; die Gemeinden und Gemeindeverbände dürfen nicht auf eine rein passive Rolle beschränkt werden. Ein solches Gremium könnte allerdings seiner Aufgabe, die Finanzgarantie aus Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV prozedural abzusichern nur dann hinreichend gerecht werden, wenn seinen Empfehlungen als Entscheidungshilfen für den Gesetzgeber im weiteren Gesetzgebungsverfahren entsprechendes Gewicht tatsächlich zukommen würde (vgl. BVerfGE 90, 60, 102). Ob und wieweit die „Finanzausgleichskommission 1998", auf die die Landesregierung hinweist, diesen Vorgaben entspricht, kann dahingestellt beiben, da deren Arbeit sich nicht auf die mit dem Normenkontrollantrag angegriffene Fassung des Finanzausgleichsgesetzes ausgewirkt haben kann. Sollte der Gesetzgeber sich auf einen offenen Dialog mit den an dem Finanzverbund Beteiligten beschränken, hätte dieser weit über die reine Anhörung nach Art. 71 Abs. 4 LV hinauszugehen. Das Land müßte entsprechend den verfassungsrechtlichen Geboten der Transparenz und Publizität rechtzeitig vor anstehenden Entscheidungen zum kommunalen Finanzausgleich eine Land und Kommunen umfassende Analyse der Entwicklung der Aufgaben- und Ausgabenlasten sowie der zu erwartenden Einnahmen und Möglichkeiten, diese mittels Steuer-, Hebe- und Umlagesätze zu verändern, vorlegen und diese im Benehmen mit den Beteiligten nachvollziehbar bewerten, gewichten und zum Ausgleich bringen. Schon allein die Erfüllung solcher Beobachtungs-, Analyse-, Dokumentations-, Darlegungs- und Begründungspflichten kann so wirksam zur Versachlichung und Rationalisierung des Entscheidungsprozesses beitragen, daß damit die Finanzgarantie aus Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV verfassungsrechtlich hinreichend effektiv gesichert wird. h) Das Fehlen eines solchen prozeduralen Schutzes der Finanzgarantie führt auf jeden Fall dann zur Unvereinbarkeit des Finanzausgleichsgesetzes mit Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV, wenn der Bereich der mit der Finanzgarantie gewährleisteten verfassungsrechtlichen Mindestausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände erreicht ist und den Gemeinden und Gemeindeverbänden nur noch eine so knappe Finanzausstattung zur Verfügung steht, daß eine angemessene und kraftvolle Erfüllung ihrer Aufgaben gefährdet erscheint; wenn also die Finanzkraft der Gemeinden und Gemeindeverbände so geschwächt ist, daß das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt zu werden droht. LVerfGE 10

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Dieser kritische Bereich ist, wie die Antragsteller zur Überzeugung des Staatsgerichtshofes dargelegt haben, für den kommunalen Finanzausgleich 1997 erreicht. Der Staatsgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 10.11.1993 (a.a.O., S. 7 f.) festgestellt, der Gesetzgeber werde angesichts der Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung und der sich zuspitzenden Finanzlage der Stadt- und Landkreise das Gebot angemessener Finanzausstattung sorgsam zu beobachten haben, auch wenn er damals „noch nicht" hat feststellen können, daß die verfassungsrechtlich erforderliche kraftvolle Betätigung des damaligen Antragstellers schon gefährdet sei. Damit ist bereits damals deutlich darauf hingewiesen worden, der verfassungsrechtlich kritische Bereich der verfassungsrechtliche Mindestausstattung des damaligen Antragstellers sei annähernd erreicht. Für die beiden Antragsteller in dem vorliegenden Verfahren ergibt sich dieser Befund aus den von der Landesregierung vorgelegten Stellungnahmen der beiden staatlichen Rechtsaufsichtsbehörden, des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.6.1997 und des Regierungspräsidiums Freiburg vom 11.6.1997. Danach ist die Finanzlage des Antragstellers zu Ziffer 1 seit Jahren angespannt, obwohl er in fast allen Bereichen mögliche Einsparpotentiale und Einnahmeverbesserungen ausgeschöpft hat. Seit 1992 sind keine Nettoinvestitionsraten veranschlagt, so daß in vier Jahren auf Ersatzdeckungsmittel zurückgegriffen werden mußte. Freiwilligkeitsleistungen sind so weit reduziert worden, daß 1997 hierfür nur noch 1,3 Mio DM veranschlagt waren insbesondere für Zuschüsse an Musikschulen und nicht kreiseigene Volkshochschulen sowie für die Förderung des Fremdenverkehrs. Dem stehen allein für soziale Sicherung Ausgaben von ca. 171 Mio DM gegenüber. Die dauernde Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu Ziffer 2 ist ernsthaft gefährdet. Die dramatische Verschlechterung seiner Finanzausstattung ist nach Ansicht der staatlichen Rechtsaufsichtsbehörde nicht „hausgemacht", sondern im wesentlichen auf den sprunghaften Anstieg der Kosten für die soziale Sicherung zurückzuführen. 1997 habe sich eine „freie Spitze" von 0,6 Mio DM ergeben, die fast vollständig zur Abdeckung des Fehlbetrages aus 1995 benötigt worden sei. Mit Ausnahme eines Jahres haben von 1991 bis 1996 die Jahresrechnungen Fehlbeträge zwischen 0,7 und 10,2 Mio DM ergeben. Es sei notwendig, alle Freiwilligkeitsleistungen auf das unumgänglich notwendige Maß abzubauen. Seit Jahren werde der Mindestbetrag der allgemeinen Rücklage unterschritten. Kreisangehörige Städte und Gemeinden des Ast. Ziffer 2 seien deutlich stärker belastet als — mit zwei Ausnahmen — andere im Lande. Insgesamt sei 1997 dank erkennbarer Konsolidierungserfolge der Kommunen das Fundament bei den meisten Kommunen „wieder" einigermaßen tragfähig, so daß es jetzt darum gehe, „mit kleinen Schritten ... finanzielle Handlungsspielräume wieder zu erlangen". Das kann nur heißen, daß HandlungsSpielräume zeitweilig verloren gegangen waren. LVerfGE 10

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i) Mit dem Erreichen des Bereiches der verfassungsrechtlichen Mindestausstattung für die Antragsteller ist nicht mehr auszuschließen, daß der Mangel prozeduralen Schutzes der Finanzgarantie ursächlich geworden sein kann für eine Verletzung der Finanzgarantie und damit für die Unvereinbarkeit des Finanzausgleichsgesetzes mit Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV. Wie bei der gerichtlichen Kontrolle von Prüfungs- und Planungsentscheidungen ein Verstoß gegen das eine richtige Entscheidung absichernde Verfahren zur Aufhebung der Prüfungs- oder Planungsentscheidung führt, wenn der Verstoß für eine unrichtige Entscheidung ursächlich geworden sein kann, so muß das Fehlen der prozeduralen Absicherung der Finanzgarantie jedenfalls dann zur Unvereinbarkeit des kommunalen Finanzausgleichs mit der Verfassung führen, wenn dies für einen Verstoß gegen die Finanzgarantie ursächlich sein kann. Dies ist stets anzunehmen, wenn für einzelne Gemeinden und Gemeindeverbände der Bereich der verfassungsrechtlichen Mindestausstattung erreicht ist. Der Staatsgerichtshof kann die verfahrensfehlerhafte Abwägung zwischen den Aufgaben und der Leistungsfähigkeit von Land und Kommunen nicht an der Stelle des Gesetzgebers ersetzen, sondern muß die Unvereinbarkeit des Finanzausgleichsgesetzes mit Art. 71 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 73 Abs. 1 LV feststellen (vgl. BVerfGE 84, 34, 56). j) Die Verfassungswidrigkeit des kommunalen Finanzausgleichs wegen fehlender verfahrensrechtlicher Absicherung der Finanzgarantie führt entgegen dem Wortlaut von § 54 StGHG i.V.m. § 50 S. 1 StGHG nicht zur Nichtigkeit der gesetzlichen Regelung, sondern lediglich zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit der Verfassung. Denn der durch die Nichtigkeitserklärung der § § 1 , 2 und 21 FAG herbeigeführte Zustand würde der Verfassung noch ferner stehen als der bisherige (vgl. BVerfG, B. v. 11.11.1998, - 2 BvL 10/95 - ; BVerfGE 85, 386, 401; StGH, ESVGH 26,129, 141; 29,160,169). Bei einer Nichtigkeit der angefochtenen Regelung entfiele die Rechtsgrundlage für Ansprüche der Gemeinden und Gemeindeverbände aus dem kommunalen Finanzausgleich, was sich auch rückwirkend nicht mehr korrigieren ließe. Das Land ist von Verfassungs wegen gehalten, alsbald für eine verfassungsgemäße Verfahrensgestaltung zu sorgen. III. Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 55 Abs. 1 StGHG). Den Antragstellern ist ein Teil ihrer Auslagen zu erstatten. Dies ist mit Rücksicht auf den Teilerfolg des Normenkontrollantrages angemessen.

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Ent s cheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin Prof. Dr. Klaus Finkelnburg, Präsident Dr. Ulrich Storost, Vizepräsident Veronika Arendt-Rojahn Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus Klaus Eschen Prof. Dr. Philip Kunig Dr. Renate Möcke Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer Angelika Bellinger

Verfassungsbeschwerde - Versagung einer Nebentätigkeitsgenehmigung für Notar 3 7

Nr. 1 1. Der Verfassungsgerichtshof ist befugt, bei der Kontrolle von auf Bundesrecht beruhenden Entscheidungen der Berliner Behörden und Gerichte am Maßstab der mit den Grundrechten des Grundgesetzes inhaltsgleichen Grundrechte der Verfassung von Berlin inzident und unter Beachtung des Art. 100 Abs. 1 GG die Übereinstimmung der entscheidungserheblichen bundesrechtlichen Bestimmungen mit dem Bundesverfassungsrecht zu prüfen (wie Beschluß vom 6. Oktober 1998 — VerfGH 32/98 - N J W 1999, 47). 2. § 92 Nr. 2 Bundesnotarordnung, der die Wahrnehmung der Dienstaufsicht über die Notare im Kammergerichtsbezirk auf die Präsidentin des Kammergerichts überträgt, verletzt nicht den Gewaltenteilungsgrundsatz. 3. Der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin) gibt keinen Anspruch auf eine bestimmte Verfahrensart, z. B. darauf, daß nur aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden darf. 4. Bei einer Änderung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Bindungswirkung der neuen Entscheidung nicht stärker als diejenige der vorangegangenen Entscheidungen. Die geänderte Rechtsprechung kann daher grundsätzlich nur für die Zukunft Wirkung entfalten.

Grundgesetz Art. 20 Abs. 2 Verfassung von Berlin Art. 7,15 Abs. 1 BNotO § 8 Abs. 2 a. F., § 92 Abs. 2 Beschluß vom 27. Januar 1999 - VerfGH 89/98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. R. B., LVerfGE 10

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gegen den Beschluß des Kammergerichts vom 14. August 1998 — Not 4/98 Beteiligte gem. § 53 Abs. 2 VerfGHG: Senatsverwaltung für Justiz Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Beschwerdeführer, der seit 1969 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, wurde 1979 zum Notar in Berlin bestellt. Er ließ sich, ohne zuvor eine Nebenbeschäftigungsgenehmigung eingeholt zu haben, am 5. April 1990 zum vereidigten Buchprüfer bestellen. Er zeigte dies am selben Tag der Senatsverwaltung für Justiz an. Diese wies ihn darauf hin, daß es für die Nebenbeschäftigung als vereidigter Buchprüfer einer Genehmigung bedürfe, der Erteilung einer solchen Genehmigung aber rechtliche Bedenken entgegenstünden. Den gleichwohl vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Erteilung einer Genehmigung lehnte die Senatsverwaltung für Justiz mit Bescheid vom 6. September 1990 ab. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung und die gegen die ablehnende Entscheidung des Kammergerichts eingelegte sofortige Beschwerde blieben ohne Erfolg (Beschlüsse des Kammergerichts vom 10. April 1991 — Not 4/91 - und des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1992 - NotZ 9/91 - NJW-RR 1993, 438 = D N o t Z 1993, 238). Mit Schreiben vom 1. Dezember 1992 erklärte der Präsident des Landgerichts, daß er disziplinarische Vorermitdungen bis zur Entscheidung des vom Beschwerdeführer inzwischen angerufenen Bundesverfassungsgerichts zurückstellen werde, zugleich forderte er ihn auf, vom Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens Mitteilung zu machen. Mit Beschluß vom 28. März 1994 lehnte das Bundesverfassungsgericht die Annahme der Verfassungsbeschwerde ohne Begründung ab (BVerfG — 1 BvR 1441/92 —). Nachdem der Präsident des Landgerichts durch Nachfrage beim Beschwerdeführer erfahren hatte, daß die Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg geblieben war, forderte er den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 5. Juli 1994 auf, unverzüglich auf die Bestellung als vereidigter Buchprüfer zu verzichten. Dem kam der LVerfGE 10

Verfassungsbeschwerde — Versagung einer Nebentätigkeitsgenehmigung für Notar 3 9

Beschwerdeführer nach erneuter Aufforderung durch den Präsidenten des Landgerichts und der Androhung eines förmlichen Disziplinarverfahrens erst am 1. September 1994 nach. Am 14. Mai 1996 verhängte der Präsident des Landgerichts Berlin wegen der Verletzung notarieller Amtspflichten in sieben Fällen einen Verweis gegen den Beschwerdeführer verbunden mit einer Geldbuße von 10.000 DM. Im einzelnen warf er ihm vor: Durch die Bestellung als vereidigter Buchprüfer und die anfängliche Weigerung, auf die Zulassung zu verzichten, habe er eine vorsätzliche und hartnäckige Dienstpflichtverletzung begangen Bei der Abwicklung eines Grundstückskaufvertrages vom 27. September 1991 habe er von Löschungsbewilligungen Gebrauch gemacht, ohne daß die zugrunde liegenden Auflagen (Zahlung der Ablösungsbeträge) vollständig erfüllt gewesen seien. Hierin sei ein grob fahrlässiger Verstoß gegen Treuhandauflagen zu sehen. Bei der Beurkundung eines weiteren Grundstückskaufvertrages vom 26. Februar 1992 habe er fahrlässig gegen die Verpflichtung zur klaren und unzweideutigen Niederschrift der Erklärungen verstoßen. Es sei im Vertrag weder klargestellt, was mit dem Kaufpreis geschehen solle, noch sei die Fälligkeit eindeutig bestimmt. In einem weiteren Fall habe er seine Belehrungs- und Betreuungspflichten verletzt, indem er eine für den 71-jährigen, geschäftsunerfahrenen Verkäufer eines Grundstücks ausgesprochen ungünstige Vereinbarung zur Kaufpreisfälligkeit beurkundet habe, ohne auf die dem Geschäft innewohnenden erheblichen und für einen Grundstückskaufvertrag unüblichen wirtschaftlichen Risiken hingewiesen zu haben. Eine Belehrung sei um so mehr geboten gewesen, als — wie dem Beschwerdeführer vor der in Rede stehenden Beurkundung bekannt gewesen sei - eine vergleichbare Gestaltung der Kaufpreisfälligkeit in einem anderen GrundstückskaufVertrag zu einem Zivilrechtsstreit geführt habe, in dem die Sittenwidrigkeit der Vertragsklausel geltend gemacht worden sei. Seine Dienstpflichten habe er außerdem dadurch verletzt, daß er einer Weisung seiner Dienstaufsichtsbehörde zur Stellungnahme zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde trotz mehrerer Fristverlängerungen und Mahnungen nicht nachgekommen sei. Durch die Entnahme von Geldern von Notaranderkonten wegen Gebührenforderungen aus anderen Beurkundungsgeschäften habe er in einem anderen Fall fahrlässig gegen ihm erteilte Treuhandauflagen verstoßen. Schließlich habe er entgegen der Treuhandweisung der Parteien den Kaufpreis aus einem Grundstückskaufvertrag für mehrere Monate nicht als Festgeld angelegt und damit gegen die Hinterlegungsanweisung verstoßen. Die gegen den Verweis eingelegte Beschwerde wies die Präsidentin des Kammergerichts mit Bescheid vom 5. November 1996 zurück. Die Senatsverwaltung für Justiz bestätigte diese Entscheidung mit Bescheid vom 15. Januar 1998. Der Beschwerdeführer stellte hiergegen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Kammergericht. Mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angeLVerfGE 10

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griffenen Beschluß vom 14. August 1998 wies der Senat für Notarsachen beim Kammergericht den Antrag mit im wesentlichen folgender Begründung zurück: Der Präsident des Landgerichts habe zu Recht ein Dienstvergehen darin gesehen, daß der Beschwerdeführer sich von der Senatsverwaltung für Wirtschaft zum vereidigten Buchprüfer habe bestellen lassen, ohne zuvor um die Erteilung einer Genehmigung nachgesucht zu haben. Vorzuhalten sei dem Beschwerdeführer der Verstoß von dem Zeitpunkt der Bestellung bis zu der Stillhalteerklärung des Präsidenten des Landgerichts im Dezember 1992 und weiter für die Zeit ab bestandskräftiger Versagung der Genehmigung bis zur Erklärung des Verzichts auf die Zulassung. Erschwerend komme hinzu, daß er weisungswidrig nicht unverzüglich vom Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht Mitteilung gemacht und erst auf Druck den Verzicht auf die Zulassung erklärt habe. Zutreffend habe die Aufsichtsbehörde hierin eine vorsätzliche und besonders hartnäckige Pflichtverletzung gesehen. An dieser Beurteilung ändere der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 ( - 1 BvR 1773/96 NJW 1998, 2269) nichts, nach dem das Verbot einer Sozietätsbildung zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern nicht verfassungsgemäß sei. Zwar gefährde die Bildung derartiger Sozietäten die Objektivität und Unparteilichkeit eines Notars nicht, doch begründe das nicht ohne weiteres den Anspruch auf Gestattung dieser Berufsausübungen als Nebentätigkeit. Jedenfalls dann, wenn es sich — wie bei einer Tätigkeit als vereidigter Buchprüfer — um eine Nebentätigkeit handele, die die Arbeitskraft üblicherweise voll in Anspruch nehme, bestehe unverändert die Gefahr, daß das Notaramt mit der Folge geringerer Praxis in wesentlichen Bereichen eines Notariats weiter in den Hintergrund gedrängt werde. An dieser Entscheidung hat die geschäftsplanmäßig zur Mitwirkung berufene Richterin am Kammergericht F. im Hinblick darauf, daß sie zuvor in der Verwaltung des Landgerichts und als Leiterin der für Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare zuständigen Abteilung des Kammergerichts sowohl die Disziplinarverfügung des Präsidenten des Landgerichts als auch die Entscheidung der Präsidentin des Kammergerichts vorbereitet hatte, nicht mitgewirkt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, es liege ein Fall höchster Eingriffsintensität vor, der den Verfassungsgerichtshof berechtige, den Beschluß des Kammergerichts umfassend nachzuprüfen und die Wertung des Gerichts durch seine eigene zu ersetzen. Die besondere Eingriffsintensität ergebe sich aus mehreren Gesichtspunkten: Zum einen habe sich der Senat für Notarsachen beim Kammergericht bewußt über die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach ein Sozietätsverbot von Anwaltsnotaren mit Wirtschaftsprüfern aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden könne, hinweggesetzt und daran festgehalten, daß LVerfGE 10

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er, der Beschwerdeführer, für eine Tätigkeit als vereidigter Buchprüfer eine Nebentätigkeitsgenehmigung brauche. Im übrigen sei ihm nicht einmal Gelegenheit gegeben worden, zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs Stellung zu nehmen. Zum anderen seien die Grenzen der Gewaltenteilung dadurch völlig verwischt worden, daß das Kammergericht einmal durch seine Präsidentin im Verwaltungsverfahren und sodann durch den Notarsenat entschieden habe. Daß sich die Richterin, die den Entwurf der Diziplinarverfügung gefertigt habe, für befangen erklärt habe, ändere hieran nichts. Es gehe nicht um die Befangenheit eines einzelnen Richters, sondern um die Frage, ob ein Gericht unabhängig davon wer als Verwaltungsbehörde entschieden habe, urteilen dürfe. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß sich der Notarsenat beim Kammergericht gegen die Präsidentin des Kammergerichts und ein Mitglied des eigenen Senats stelle. Gesetzlicher Richter sei nur das Gericht, das mit der Sache noch nicht in anderer Funktion befaßt gewesen sei. Überdies seien die Rechtsweggarantien in einer Häufung verletzt worden, daß eine höchste Eingriffsintensität nicht verneint werden könne. Verletzt worden seien namentlich der Anspruch auf rechtliches Gehör, das Recht auf einen fairen Prozeß, der Grundsatz in dubio pro reo, das Verbot von Uberraschungsentscheidungen und das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Das rechtliche Gehör sei ihm insbesondere dadurch verweigert worden, daß, obwohl er dies beantragt habe, das Kammergericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe. Mit Blick auf den Vorwurf, er habe sich ohne die erforderliche Nebentätigkeitsgenehmigung zu besitzen, als vereidigter Buchprüfer öffentlich bestellen und vereidigen lassen (Vorgang 1), werde sein durch Art. 7 VvB miterfaßtes Grundrecht auf freie Berufsausübung sowie vor allem der Grundsatz, daß keine Strafe ohne Gesetz verhängt werden könne, verletzt. Im gesamten Verfahren sei nicht ein einziger Fall einer unerlaubten Nebentätigkeit als vereidigter Buchprüfer ermittelt oder gar nachgewiesen worden. Die Zulassung als solche, ohne die eine Nebentätigkeitsgenehmigung gar nicht mit Erfolg habe beantragt werden können, sei vom Senator für Justiz in seinem Schreiben vom 19. April 1990 nicht beanstandet worden. Vielmehr habe dieser lediglich darauf hingewiesen, daß eine Genehmigung zu beantragen sei. Er — der Beschwerdeführer — habe dem Präsidenten im Juli 1990 schriftlich mitgeteilt, er werde die Tätigkeit bis zu einer Klärung der umstrittenen Frage nicht ausüben. Bei dem Vorwurf, er habe Belehrungs- und Betreuungspflichten verletzt (Vorgang 4), gehe das Kammergericht von einem falschen Sachverhalt aus. Das landgerichtliche Urteil, das ihn für die Problematik der von ihm verwendeten Vertragsklausel habe sensibilisieren sollen, sei im Zeitpunkt der in Rede stehenden Beurkundung noch gar nicht erlassen gewesen. Außerdem habe das Kammergericht dieses Urteil später aufgehoben und keine Zweifel an der Ausgewogenheit der Urkunde gehabt. LVerfGE 10

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Auch beim Vorwurf, er habe gegen Treuhandauflagen verstoßen, indem er von einem Notaranderkonto Geld entnommen habe, um Gebührenforderungen aus anderen Beurkundungsgeschäften zu befriedigen (Vorgang 6), arbeite das Kammergericht mit Sachverhaltsunterstellungen und unrichtigen Rechtsauffassungen. Mit der vorgenommenen Verrechnung habe sich die betroffene Gesellschaft vor der Entnahme zur Vermeidung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen einverstanden erklärt. Dies sei immer wieder vorgetragen, aber von den Vorinstanzen nicht beachtet worden. Seine Mitarbeiter hätten zur Aufklärung des Sachverhaltes zur Verfügung gestanden. Er sei zur Entnahme berechtigt gewesen, da er den Betrag auf dem Anderkonto hätte pfänden können und sich daher das von ihm gewählte Verfahren als der weniger belastende Akt darstelle. Der Vorwurf, er habe sich geweigert, zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde Stellung zu nehmen (Vorgang 5), beruhe ebenfalls auf unzutreffenden Sachverhaltsdarstellungen. Er habe eine Stellungnahme abgegeben, diese habe aber dem Landgerichtspräsidenten inhaltlich nicht gefallen. Ebensowenig seien die Notariatsnebenakten vorenthalten worden. Der Nachweis, daß die Aussagen des die Ermittlungen führenden Richters am Landgericht unzutreffend waren, sei ihm abgeschnitten worden. Im übrigen verletze der angegriffene Beschluß den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da, obwohl die Vorwürfe im Laufe des Verfahrens ständig modifiziert und abgeschwächt worden seien, es immer bei der höchstmöglichen Buße verblieben sei. Die Senatsverwaltung für Justiz ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers entgegengetreten; sie hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäß eine Verletzung des Art. 1 Abs. 3 VvB i.V.m. Art. 94 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Art. 1 Abs. 3 VvB wiederholt die sich aus Art. 1 Abs. 3 GG bzw. Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Bindung der Organe des Landes Berlin an die Grundrechte und an das Bundesrecht. Das eröffnet indes nicht den Weg zur (beabsichtigten) Rüge einer Verletzung subjektiver Rechte des Bundesrechts vor dem Verfassungsgerichtshof (vgl. u.a. Beschlüsse v. 8. September 1993 - VerfGH 59/93 - LVerfGE 1,149ff. und v. 19. Oktober 1995 - VerfGH 64/95 - LVerfGE 3,104ff.). Hinsichtlich der Rüge, der Beschluß des Kammergerichts vom 14. August 1998 verletze Art. 6 VvB, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls einer SachLVerfGE 10

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entscheidung nicht zugänglich. Denn die Möglichkeit einer Verletzung der Menschenwürde des Beschwerdeführers ist nicht im Sinne der §§ 49 Abs. 1, 50 VerfGHG dargetan. Entsprechendes gilt für die Rüge, der in Rede stehende Beschluß verletze Art. 10 VvB. Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde überdies, soweit mit ihr sinngemäß geltend gemacht wird, das Kammergericht habe dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 (1 BvR 1773/96 - NJW 1998, 2269) nicht hinreichend Rechnung getragen und dadurch die durch § 31 Abs. 1 BVerfGG begründete Bindungswirkung verletzt. Richtig ist, daß die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG Bindungswirkung entfalten. Doch handelt es sich bei dieser Bindungswirkung um ein bundesrechtliches Institut mit der Folge, daß es als unmittelbarer Prüfungs- und Kontrollmaßstab vor einem Landesverfassungsgericht ausscheidet (vgl. Beschl. v. 20. August 1997 - VerfGH 101/96 -). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im übrigen steht nicht entgegen, daß die angegriffene Entscheidung in erster Linie auf der Anwendung von Bundesrecht, insbesondere den Vorschriften der Bundesnotarordnung, beruht. Denn der Verfassungsgerichtshof ist grundsätzlich berechtigt, Entscheidungen Berliner Gerichte am Maßstab solcher in der Verfassung von Berlin verbürgten Individualrechte zu messen, die bundesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten entsprechen. Solche Individualrechte sind, soweit sie inhaltlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen, auch dann von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn diese Bundesrecht anwendet (vgl. im einzelnen u.a. Beschl. v. 2.Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169, 180 = NJW 1994, 437; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 15. Oktober 1997 - 2 BvN 1/95 - BVerfGE 96, 345). Auch soweit der Beschwerdeführer sinngemäß die Verfassungswidrigkeit der Zuweisung der Aufsicht über die Notare an die Präsidentin des Kammergerichts durch § 92 Nr. 2 BNotO bei gleichzeitiger Entscheidungszuständigkeit des Notarsenats beim Kammergericht über Rechtsmittel gegen eine von der Präsidentin des Kammergerichts bestätigte Disziplinarverfügung als eine Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes rügt und damit die Verfassungswidrigkeit einer bundesrechtlichen Norm geltend macht, berührt dies die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht. Denn der Verfassungsgerichtshof ist befugt, bei der Uberprüfung der auf Bundesrecht beruhenden Entscheidungen der Berliner Behörden und Gerichte am Maßstab der mit den Grundrechten des Grundgesetzes inhaltsgleichen Grundrechte der Verfassung von Berlin inzident und unter Beachtung von Art. 100 Abs. 1 GG die Ubereinstimmung der entscheidungserheblichen bundesrechtlichen Bestimmungen mit dem Bundesverfassungsrecht zu prüfen (u.a. Beschl. v. 6. Oktober 1998 — VerfGH 32/98 NJW 1999, S. 47 ff.). LVerfGE 10

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2. Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. a) Die Regelung des § 92 Nr. 2 BNotO verletzt nicht den Grundsatz der Gewaltenteilung, wie er in Art. 20 Abs. 2 GG seinen Niederschlag gefunden hat; die Wahrnehmung der Dienstaufsicht über die Notare im Kammergerichtsbezirk durch die Präsidentin des Kammergerichts ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Art. 20 Abs. 2 GG verlangt, daß die Rechtsprechung durch „besondere", von den Organen der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt verschiedene Organe des Staates ausgeübt wird. Daraus folgt — erstens —, daß die Gerichte selbständig, vor allem organisatorisch hinreichend von den Verwaltungsbehörden getrennt sein müssen, und — zweitens —, daß die richterliche Neutralität nicht durch eine mit diesem Grundsatz unvereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung oder Legislative in Frage gestellt werden darf (BVerfG, Beschl. v. 24. November 1 9 6 4 - 2 BvL 19/63 BVerfGE 18, 241, 254). Aus dem Gebot der Ämtertrennung und dem damit verbundenen Verbot der Aufgabenvermischung (vgl. hierzu Meyer, Art. 92 Rdn. 8, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996) ergibt sich allerdings nicht, daß Gerichte keine Aufgaben wahrnehmen dürfen, die ihnen weder durch Richtervorbehalte noch durch Rechtsweggarantien übertragen sind. Der Gesetzgeber ist, soweit nicht das Grundgesetz die Wahrnehmung einer Aufgabe einer anderen Gewalt vorbehält oder die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz einer Aufgabenübertragung entgegensteht, grundsätzlich nicht gehindert, Aufgaben, die nicht ohne weiteres zu typischen Aufgaben der Gerichte gehören, dem Richter anzuvertrauen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31. Mai 1983 - 1 BvL 34/79 - BVerfGE 64,175,179). Dabei können die Aufgaben durch den Gesetzgeber der Rechtsprechungsorganisation „Gericht" oder den Gerichtsbehörden zur verwaltungsmäßigen Erledigung — sog. Justizverwaltungsaufgaben — wegen eines Sachbezugs zur Justiz zugeordnet werden (vgl. Meyer, a.a.O.; ausführlich Herzog, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 92 Rdn. 51 und 59). Im letzteren Fall sind die Richter keine verfassungsunmittelbaren Organe der Rechtsprechung, sondern weisungsabhängige Amtswalter der vollziehenden Gewalt. Der mit der Vermengung weisungsfreier und weisungsgebundener Aufgaben notwendigerweise verbundene „Rollenwechsel" der Organe der dritten Gewalt verbietet allerdings eine zu weite Ausdehnung der Justizverwaltungsaufgaben (vgl. Herzog, a.a.O., Rdn. 55). Diese — im einzelnen schwer zu bestimmende — Grenze ist mit der Zuweisung der Aufsicht über die Notare im Kammergerichtsbezirk an die Präsidentin des Kammergerichts bei gleichzeitiger Zuständigkeit des Kammergerichts für die Entscheidung über disziplinarrechtliche Aufsichtsverfügungen ersichtlich nicht überschritten. Angesichts der besonderen rechtlichen Stellung des Notars, der ein öffentliches Amt LVerfGE 10

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ausübt und Aufgaben der „vorsorgenden Rechtspflege" erfüllt, die zum Großteil auch von den Gerichten erledigt werden könnten, und damit einem Richter nahesteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. Mai 1 9 6 4 - 1 BvL 8/62 - BVerfGE 17,371,377), ist die Wahrnehmung der Dienstaufsicht (auch) durch die Gerichtspräsidenten jedenfalls sachgerecht, wenn nicht sogar naheliegend und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang unbeanstandet geblieben (vgl. dazu Beschlüsse v. 6. Juli 1 9 7 7 - 1 BvR 3/77 - BVerfGE 45, 422 und v. 8. April 1998 - 1 BvR 1773/96 - NJW 1998, 2269). b) Die Rüge des Beschwerdeführers, das Kammergericht habe den Sachverhalt nicht oder unzureichend aufgeklärt und sei zu nicht nachvollziehbaren tatsächlichen Feststellungen gekommen mit 'der Folge, daß er in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und seinem Recht auf faires Verfahren verletzt worden sei, gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß der Verfassungsgerichtshof keine zusätzliche gerichtliche Instanz, sondern gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte in seinem Prüfungsmaßstab auf die Feststellung von Verfassungsverstößen beschränkt ist. Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und insoweit grundsätzlich der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen. Der Verfassungsgerichtshof hat nur zu überprüfen, ob dabei Auslegungsfehler unterlaufen sind, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Fall von einigem Gewicht sind (vgl. u.a. Beschl. v. 30. Juni 1992 - VerfGH 9/92 - LVerfGE 1, 7ff.). Zwar ist einzuräumen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 26. Juni 1990 - 1 BvR 776/84 - BVerfGE 82, 236, 259) Umfang und Intensität der Nachprüfung je nach dem Gewicht des Grundrechtseingriffs und der Eigenart des Schutzguts unterschiedlich ausfallen können und folglich in Fällen intensiver Grundrechtseingriffe eine weitergehende Nachprüfungsmöglichkeit gegeben sein kann. Das bedarf indes keiner Vertiefung. Denn eine solche Fallgestaltung liegt hier — entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers — nicht vor. Allein die Tatsache, daß eine Vielzahl, nach Ansicht des Beschwerdeführers sogar offensichtlicher, Verfassungsverstöße gerügt wird, kann keine intensive Nachprüfung der Entscheidung rechtfertigen. Die Intensität der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung hängt nicht davon ab, ob ein Verfassungsverstoß oder mehrere Verfassungsverstöße behauptet werden, sondern davon, wie nachhaltig die Grundrechtssphäre durch die angegriffene Maßnahme der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Ein Abweichen vom eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab mit Blick auf Notare ist nach der Rechtsprechung des LVerfGE 10

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Bundesverfassungsgerichtsgerichts (vgl. Beschl. v. 6. Juli 1977 — 1 BvR 3/77 BVerfGE 45, 422, 429) nicht einmal bei der Überprüfung einer vorläufigen Amtsenthebung gerechtfertigt; angesichts dessen scheidet eine weitergehende Prüfungsbefugnis bei einer Disziplinarverfügung von vornherein aus. Auch soweit der Beschwerdeführer mit der Behauptung, sein Vorbringen sei falsch verstanden und der Sachverhalt vom Kammergericht überhaupt nicht oder jedenfalls nicht vollständig ermittelt worden, eine Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör rügt, kann er keinen Erfolg haben. Das Vorbringen, die richterlichen Tatsachenfeststellungen seien unrichtig oder der Richter habe dem Vortrag einer Partei nicht die richtige Bedeutung beigemessen, vermag grundsätzlich einen Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 VvB nicht aufzuzeigen. Ein Anspruch darauf, daß Gerichte den Sachvortrag eines Beteiligten in einer Weise würdigen, die er selbst für richtig hält, läßt sich aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör nicht herleiten (vgl. u. a. Beschl. v. 31. Juli 1998 - VerfGH 3 9 / 7 9 - ) . Ebensowenig schützt Art. 15 Abs. 1 VvB davor, daß das Gericht aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts einen Beweisantritt unberücksichtigt läßt (vgl. u. a. Beschl. v. 17. Dezember 1997 - VerfGH 112/96 - ) . Im übrigen lassen die Sachverhaltsfeststellungen des Kammergerichts und seine rechtliche Würdigung die geltend gemachten Fehler nicht erkennen. Die der Entscheidung des Kammergerichts zum Vorgang 1 zugrundeliegende, in den Bescheiden des Präsidenten des Landgerichts und der Präsidentin des Kammergerichts ausführlich dargelegte Auffassung, bereits die Bestellung als vereidigter Buchprüfer sei als Aufnahme einer Nebenbeschäftigung i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 der Bundesnotarordnung vom 24. Februar 1961 (BGBl. I, S. 98) - BNotO a. F. - und daher als Verstoß zu werten, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 9. Dezember 1991 - NoSt (B) 1/91 - NJW 1992, 1179). Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Verfassungsbeschwerde hat das Kammergericht in seiner Entscheidung das „Stillhalteabkommen" berücksichtigt und nur für die Zeit bis zur Vereinbarung dieses Abkommens und für die Zeit ab bestandskräftiger Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung ein Dienstvergehen bejaht. Auch im Zusammenhang mit den Vorgängen 4, 5 und 6 sind willkürliche Sachverhaltsverfälschungen und -Unterstellungen nicht einmal im Ansatz erkennbar. Daß das Kammergericht eine andere Wertung des Sachverhalts vornimmt als der Beschwerdeführer, ist — wie dargelegt — verfassungsrechtlich unerheblich. Der verfassungsrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht ist ferner nicht dadurch verletzt worden, daß das Kammergericht in Anwendung des § 33 Abs. 3 Satz 1 L D O auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hat. Art. 15 Abs. 1 VvB gibt nur das Recht, vor Gericht Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen, nicht aber einen Anspruch auf eine bestimmte Verfahrensart, z. B. darauf, daß nur aufgrund mündlicher Verhandlung entschieLVerfGE 10

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den werden darf (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 7. März 1 9 6 3 - 2 BvR 629, 637/62 - BVerfGE 15, 303, 307). Die Prinzipien der Mündlichkeit und der Öffentlichkeit der Verhandlung sind keine Verfassungsgrundsätze, sondern Prozeßmaximen, die — soweit sie eingreifen — bestimmte Verfahrensarten beherrschen. c) Mit der Rüge, das Kammergericht habe durch seine Bestätigung der Disziplinarverfügung insoweit, als es um die öffentliche Bestellung als vereidigter Buchprüfer geht, seine durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 7 VvB) mitgeschützte Berufsausübungsfreiheit verletzt, verkennt der Beschwerdeführer den in diesem Zusammenhang maßgeblichen Gegenstand des angegriffenen Beschlusses. Gegenstand dieses Beschlusses ist insoweit nicht die Versagung einer Nebenbeschäftigungsgenehmigung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BNotO a.E, die Untersagung der Ausübung des Berufs eines Anwaltsnotars und/oder eines vereidigten Buchprüfers oder ein sonstiges in diese Richtung gehendes Verbot. Wäre das der Fall, könnte sich die Frage stellen, ob eine derartige Maßnahme mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 G G bzw. Art. 7 und Art. 17 VvB einer verfassungsrechtlichen Uberprüfung standhält. In diesem Rahmen könnte insbesondere auch die vom Beschwerdeführer in den Vordergrund seiner Uberlegungen gestellte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 (1 BvR 1773/96 — a.a.O.) von Belang sein, obwohl sich diese ausdrücklich lediglich zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Verbots einer Sozietät zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern, nicht aber zu der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Ausübung beider Berufe (hier: Anwaltsnotar und vereidigter Buchprüfer) in einer Person verhält (vgl. zu dieser Unterscheidung u. a. Beschl. der 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. August 1 9 9 0 - 1 BvR 179/89-). Gegenstand des angegriffenen Beschlusses des Kammergerichts ist - soweit hier von Interesse — die Annahme, der Präsident des Landgerichts habe dem Beschwerdeführer zu Recht einen vorsätzlichen „Verstoß gegen § 8 Abs. 2 BNotO für die Zeit vom 5. April 1990 (ungenehmigte Aufnahme einer genehmigungspflichtigen Nebentätigkeit) bis zur Vereinbarung eines Stillhalteabkommens mit der Dienstaufsichtsbehörde und weiter für die Zeit ab bestandskräftiger Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung ... bis zur Erklärung des Verzichts auf die Zulassung als vereidigter Buchprüfer erst mit Schreiben vom 1. September 1994" (Beschluß des Kammergerichts vom 14. August 1998 - Not 4/98 - S. 9) vorgeworfen. Zwar hat der Beschwerdeführer seinerzeit und auch in diesem Verfahren die Ansicht vertreten, es habe für die (zusätzliche) Tätigkeit als vereidigter Buchprüfer keiner Nebentätigkeitsgenehmigung bedurft. O b das zutrifft, ist indes eine Frage des einfachen Rechts, nämlich der Auslegung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BNotO a. F. Insoweit könnte Verfassungsrecht allenfalls berührt LVerfGE 10

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sein, wenn entweder die Begründung eines Genehmigungsvorbehalts durch § 8 Abs. 2 BNotO a. F. aus verfassungsrechtlicher Sicht Bedenken begegnet oder die Annahme, die Tätigkeit als vereidigter Buchprüfer werde von diesem Genehmigungsvorbehalt erfaßt, die einer Auslegung durch das verfassungsrechtliche Willkürverbot ge2ogene Grenze überschritte. Der Beschwerdeführer hat weder das eine noch das andere geltend gemacht. Auch im übrigen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine entsprechende Annahme stützen könnten; dagegen spricht mit Blick auf die Zulässigkeit des Genehmigungsvorbehalts u.a., daß dieser Vorbehalt nach Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31. August 1998 (BGBl., S. 2585) noch in § 8 (nunmehr) Abs. 3 BNotO enthalten ist. Es kann dahinstehen, ob dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 (1 BvR 1773/96 - a.a.O.) und des neu gefaßten § 8 Abs. 2 und 3 BNotO gegenwärtig noch die Erteilung einer entsprechenden Nebentätigkeitsgenehmigung versagt werden dürfte. Darauf kommt es nicht an. Jedenfalls ist der von ihm seinerzeit gestellte Antrag durch den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1992 (NotZ 8/91 - NJW-RR 1993, 438) rechtskräftig abgewiesen worden; die gegen diese Entscheidung vom Beschwerdeführer eingelegte Verfassungsbeschwerde ist durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 1994 (1 BvR 1441/92) nicht zur Entscheidung angenommen worden. Damit steht fest, daß der Beschwerdeführer in dem vom Präsidenten des Landgerichts bezeichneten Zeitraum nicht im Besitz der namentlich auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in dem genannten Beschluß für erforderlich gehaltenen Nebentätigkeitsgenehmigung war. Daran ändert die bezeichnete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 nichts. Denn zum einen hat der Beschwerdeführer den Antrag auf Erteilung der Genehmigung erst nach der am 5. April 1990 erfolgten Bestellung zum vereidigten Buchprüfer gestellt, nämlich erst am 21. Juni 1990, und — wie dargelegt — schon mit dieser Bestellung ohne Nebentätigkeitsgenehmigung, nicht aber erst mit der Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit gegen seine Dienstpflicht verstoßen. Und zum anderen macht nicht einmal der Beschwerdeführer selbst geltend, unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 seinerzeit einen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Nebentätigkeitsgenehmigung gehabt zu haben. Diese Zurückhaltung leuchtet deshalb ein, weil sich diese Entscheidung ausdrücklich nur zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Verbots einer Sozietät zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern verhält. Dazu aber hat das Bundesverfassungsgericht vor der Entscheidung vom 8. April 1998 auf der Grundlage der gleichen gesetzlichen Vorschriften wiederholt erkannt, sie stellten eine rechts staatlichen Anforderungen genügende, das Verbot einer Sozietät zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern tragende gesetzLVerfGE 10

Unverletzlichkeit der Wohnung und richterliche Durchsuchungsanordnung

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liehe Grundlage dar (vgl. in diesem Zusammenhang u.a. Beschlüsse vom 1. Juli 1 9 8 0 - 1 BvR 247/75 - BVerfGE 54,237 und vom 4. Juli 1 9 8 9 - 1 BvR 1460/85, 1239/87 - BVerfGE 80, 269). Die durch die neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluß vom 8. April 1998 ausgelöste Bindungswirkung (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) aber ist nicht stärker als diejenige der vorangegangenen Entscheidungen. Sie kann daher grundsätzlich nur für die Zukunft Wirkung entfalten (vgl. Ulsamer, in: Maun%/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Ulsamer, BVerfGG, Stand März 1998, § 79 Rdn. 19; s. zur Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 240 StGB auch Graßhof, NJW 1995, 3085, sowie Angerer/ Stumpf, NJW 1996, 2216) und schon deshalb nichts hergeben für die Annahme, der Beschwerdeführer hätte seinerzeit einen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Genehmigung gehabt. d) Schließlich kann dem Beschwerdeführer nicht in der Annahme gefolgt werden, das Kammergericht habe durch seine Billigung der Disziplinarverfügung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Davon, daß die gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe im Laufe des Verfahrens ständig modifiziert und abgeschwächt worden seien, kann entgegen seinem Vorbringen keine Rede sein. Das Kammergericht hat vielmehr alle vom Präsidenten des Landgerichts erhobenen und bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigten Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer bestätigt. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33 f. VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 2* 1. In Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtseingriffe — wie der Wohnungsdurchsuchung — besteht auch nach vorangegangener fachgerichtlicher Prüfung ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, wenn der behauptete Grundrechtsverstoß tatsächlich nicht mehr fortwirkt. 2. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung, der keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Betroffenen, sondern nur vage Vermutungen auf eine Straftat zugrunde liegen, genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 28 Abs. 2 VvB und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.** * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtliche Leitsätze LVerfGE 10

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Verfassung von Berlin Art. 6, 7, 28 Abs. 2 StPO §§ 98 Abs. 2,102 Beschluß vom 11. Februar 1999 - VerfGH 25/97,25 A/97 und 60/97 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Herrn B. M. gegen 1. den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. November 1996 — 351 Gs 5971/96-, 2. den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 22. Januar 1997 — 522 Qs 8/97 - , 3. die Beschlagnahmeentscheidung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 18. Dezember 1996 - LKA 4134 961024/4820-7 4. den Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. Februar 1997 — 351 Gs 735/97 - , 5. den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 29. April 1997 - 522 Qs 44/97 Beteiligte gem. § 53 Abs. 1 VerfGHG: Staatsanwaltschaft I bei dem Landgericht Berlin, Senatsverwaltung für Justiz

Entscheidungsformel: Die Verfahren VerfGH 25/97, VerfGH 25 A/97 und VerfGH 60/97 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. November 1996 — 351 Gs 5971/96 — und der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 22. Januar 1997 — 522 Qs 8/97 — verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 28 Abs. 2 der Verfassung von Berlin. Der Beschluß des Landgerichts wird hinsichtlich der Kostenentscheidung aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Die Beschlagnahmeentscheidung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 18. Dezember 1996 und der Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. Februar 1997 - 351 Gs 735/97 — und der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 29. April 1997 — 522 Qs 44/97 — verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 7 i.V.m. Art. 6 der Verfassung von Berlin. Sie werden aufLVerfGE 10

Denkmalschutzrecht — verfassungskonforme Auslegung

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gehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Nr. 3 1. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Denkmalschutzrecht verstößt auch bei gleichzeitiger Unterschutzstellung von Denkmalen kraft Gesetzes nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot hinreichender Bestimmtheit von Gesetzen. 2. Dem Verfahren zur Feststellung der Denkmaleigenschaft kommt angesichts der notwendigerweise unbestimmten Regelungen im Denkmalschutzrecht eine besondere grundrechtsausgestaltende Bedeutung zu. 3. Bei verfassungskonformer Auslegung ist das Gesetz zum Schutz von Denkmalen in Berlin vom 24. April 1995 mit der Verfassung von Berlin vereinbar.* Verfassung von Berlin Art. 3 Abs. 1, 23 Abs. 1, 59 Abs. 1, 80 DSchG Bin §§ 2 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 1 Beschluß vom 25. März 1999 - VerfGH 35/97 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn J. G. 2. der Frau N. S. 3. des Herrn M. D. 4. des Vereins xx 5. der Frau M. K. 6. der Frau V. Z. zu 4. bis 6. in Erbengemeinschaft * Nichtamtliche Leitsätze LVerfGE 10

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gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 3. Januar 1997 - OVG 2 B 10.93 Beteiligte gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG: 1. Abgeordnetenhaus von Berlin 2. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie E n t s c h e i d u n g s formel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer des Grundstücks T., Ecke R. in Berlin. Das Grundstück ist bebaut mit einem 1955 nach Plänen des Architekten Paul Schwebes auf einem viertelkreisförmigen Grundriß errichteten Gebäude, das bis 1975 als Kaufhaus (Deutsches Familien-Kaufhaus — Defaka —) genutzt wurde. Mit Bescheiden vom 9. Februar 1990 stellte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz das Gebäude gemäß § 6 des Denkmalschutzgesetzes Berlin vom 22. Dezember 1977 (GVB1. S. 2540) wegen seiner künstlerischen und stadtbildprägenden Bedeutung unter Denkmalschutz. Die gegen die Unterschutzstellungsbescheide erhobene Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht Berlin erfolglos. Während der Anhängigkeit des Berufungsverfahrens trat das Gesetz zum Schutz von Denkmalen in Berlin vom 24. April 1995 — DSchG Bin 1995 - (GVB1. S. 274) in Kraft. Das Oberverwaltungsgericht Berlin wies mit Urteil vom 3. Januar 1997 - OVG 2 B 10.93 - (OVGE 22, 45 = BauR 1998, S. 773 = LKV 1998, S. 152 = GE 1997, S. 315) die Berufung zurück. Es bejahte die Verfassungsmäßigkeit des neuen Denkmalschutzgesetzes, das eine normative Unterschutzstellung von Denkmalen bei lediglich nachrichtlicher — beim Gebäude der Beschwerdeführer inzwischen erfolgter — Eintragung der Denkmale in eine Denkmalliste vorsehe. Die im Denkmalschutzgesetz Berlin 1995 verwendeten tatbestandlichen Umschreibungen der verschiedenen Kategorien von Kulturdenkmalen führten zwar in hohem Maße zu Auslegungs- und Subsumtionsschwierigkeiten, die eine Überprüfung der gesetzlichen Regelung am Bestimmtheitsgebot erforderten. AngeLVerfGE 10

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sichts der Komplexität der bei der Regelung des Denkmalschutzes zu erfassenden Sachverhalte und Interessen, wobei auch der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Forschung sowie die einem ständigen Wandel unterworfenen gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu berücksichtigen seien, sei die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe im Ergebnis aber unverzichtbar und daher von Verfassungs wegen grundsätzlich hinzunehmen. Die verfassungsgerichtliche Unbedenklichkeit setze indessen voraus, daß die mit den Bestimmtheitsmängeln der denkmalschutzrechtlichen Tatbestände für den einzelnen Normbetroffenen verbundenen Auslegungsschwierigkeiten durch eine entsprechende Ausgestaltung seiner Rechtsstellung in der Gesamtregelung ausgeglichen würden, wobei eine besondere Bedeutung der kompensatorischen Funktion des darin vorgesehenen Verfahrens zukomme. Den sich daraus ergebenden Anforderungen genüge das neue Denkmalschutzgesetz. Soweit die sich aus dem Gesetz ergebenden Anforderungen an die Führung der Denkmalliste beachtet würden, könnten jedenfalls hinsichtlich der vom Eintragungszeitpunkt an bestehenden Pflichten des Betroffenen verfassungsrechtlich untragbare Belastungen nicht eintreten. Auch soweit das Gesetz unmittelbar an die normativ begründete Denkmaleigenschaft anknüpfende Verpflichtungen vorsehe, sei der Schluß auf die Verfassungswidrigkeit nicht gerechtfertigt. Denn die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen ließen nach dem Wortlaut und Regelungszusammenhang jeweils eine verfassungskonforme Auslegung und Handhabung zu, die unzumutbare Verpflichtungen, Belastungen, Risiken oder irreparable wirtschaftliche Nachteile des Betroffenen verhindere. Im Hinblick darauf, daß der Betroffene die Berechtigung der Qualifikation einer in die Liste als Denkmal eingetragenen Anlage meist nicht mit zumutbarem Aufwand prüfen könne, sei die Denkmalbehörde allerdings verpflichtet, dem Schutzbedürfnis der Normbetroffenen durch eine entsprechende verfassungskonforme Praxis bei der Erteilung von Auskünften Rechnung zu tragen. Gegen die Nichtzulassung der Revision legten die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 26. März 1997 erfolglos Beschwerde ein, mit der sie Verfahrensmängel rügten und eine grundsätzliche Bedeutung geltend machten. Am 28. April 1997 haben die Beschwerdeführer außerdem Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts eingelegt. Sie rügen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 VvB in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1, 59 Abs. 1, 80 VvB. Die gesetzliche Unterschutzstellung von Denkmalen ohne konstitutiven Akt sei wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes verfassungswidrig. Die Ausgleichsbestimmung des §16 Abs. 2 DSchG Bin 1995, die keine Kompensation für den Entzug der baurechtlich zulässigen Nutzung vorsehe, stelle einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie dar. Eine verfassungskonforme ergänzende Auslegung, wie sie das LVerfGE 10

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Oberverwaltungsgericht vorgenommen habe, verstoße gegen den klaren Willen und Wortlaut des Gesetzes und sei daher unzulässig. Mit dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes (Art. 3 Abs. 1, 59 Abs. 1, 80 VvB) sei es unvereinbar, daß die wesentlichen Voraussetzungen für einen Eingriff nicht vom Gesetzgeber geregelt worden seien. Auch nach der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung bleibe es im wesentlichen der Denkmalbehörde überlassen, wie die Denkmaleigenschaft verfahrensrechtlich festgestellt werde. Zusätzlich rügen die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. Januar 1998 einen Verstoß gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Auch wenn es nur einer eingeschränkten Prüfung unterliege, ob die Vorlagepflicht verletzt sei, müsse dies im vorliegenden Fall bejaht werden, weil die verfassungskonforme Auslegung offensichtlich unzulässig sei, da sie faktisch zu einer Suspendierung der gesetzlichen Unterschutzstellung und Neubelebung des alten Bescheidverfahrens führe und daher unhaltbar sei. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie und das Abgeordnetenhaus von Berlin haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Sie halten die Verfassungsbeschwerde bereits mangels Rechtswegerschöpfung für unzulässig. Sie sei auch in der Sache unbegründet. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes könne nicht zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führen, da er das Handeln der Verwaltung, nicht aber die Wirksamkeit von Gesetzen betreffe. Das Denkmalschutzgesetz verstoße nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Dem Berliner Gesetzgeber habe es freigestanden, sich für die Denkmalwürdigkeit kraft Gesetzes zu entscheiden. Er habe dafür Sorge getragen, daß den Normbetroffenen aus dem Grad der Abstraktheit der denkmalschutzrechtlichen Tatbestände keine unzumutbaren Belastungen träfen. Das angegriffene Urteil weise im übrigen nach, daß auch bei der Annahme einer Verfassungswidrigkeit eine verfassungskonforme Auslegung naheliege. II. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. a) Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Landesrecht — hier das Denkmalschutzgesetz Berlin 1995 — ist, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs uneingeschränkt hinsichtlich aller durch die Verfassung von Berlin garantierten Grundrechte. In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die LVerfGE 10

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Handlung oder Unterlassung des Organs und der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen (§ 50 VerfGHG). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beschwerdeführer. In ihrem das Verfahren einleitenden Schriftsatz vom 28. April 1997 haben sich die Beschwerdeführer ausdrücklich auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 VvB in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1, 59 Abs. 1, 80 VvB gestützt und im einzelnen dargelegt, warum sie das Denkmalschutzgesetz 1995 wegen mangelnder inhaltlicher Bestimmtheit und die verfassungskonforme Auslegung des Oberverwaltungsgerichts wegen des ihr erkennbar entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers für verfassungswidrig erachten und sich daher in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt sehen. Angesichts der ausdrücklichen und mehrfachen Erwähnung mehrerer Vorschriften der Verfassung von Berlin sind die Hinweise auf die entsprechenden Normen des Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, 20 Abs. 3 GG) nicht geeignet, Zweifel daran entstehen zu lassen, daß die Beschwerdeführer allein die Uberprüfung einer Maßnahme nach Maßgabe eines „Berliner Rechts" wünschen (vgl. VerfGH, Beschl. v. 17. Juni 1996 - VerfGH 4/96 LVerfGE 4, 65; VerfGH, Beschl. v. 25. Aprü 1996 - VerfGH 21/95 - LVerfGE 4,46). Soweit die Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 1, 59 Abs. 1, 80 VvB eine Verletzung des Prinzips des Vorbehaltes des Gesetzes rügen, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls einer Sachentscheidung zugänglich. Die Beschwerdeführer machen der Sache nach geltend, der Gesetzgeber habe selbst, d. h. im und durch das Denkmalschutzgesetz, regeln müssen, wie die Denkmaleigenschaft verfahrensrechtlich festgestellt werden solle. Indem dies im wesentlichen der Denkmalbehörde überlassen werde, verstoße das Gesetz gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes. Gegen eine solche Rüge bestehen Zulässigkeitsbedenken nicht (vgl. zum Bundesrecht Bundesverfassungsgericht, Beschl. v. 27. November 1998 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130, 136, 152 f. = NJW 1991, S. 1471). b) Der Rechtsweg ist erschöpft i.S.d. § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG. Zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört grundsätzlich auch eine gesetzlich vorgesehene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, es sei denn, diese erweist sich von vornherein als aussichtslos (vgl. Urt. v. 19. Oktober 1992 - VerfGH 24/92 - LVerfGE 1, 9, 19; Beschl. v. 12. Oktober 1994 - VerfGH 53/94 - NJ 1995, S. 373). Daß die Beschwerdeführer gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde Verfassungsbeschwerde erhoben und damit nicht abgewartet haben, ob ihrem Begehren durch die Fachgerichtsbarkeit entsprochen wird, ist unschädlich. Die Verfassungsbeschwerde ist inzwischen jedenfalls dadurch zulässig geworden, daß das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 9. Oktober 1997 die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision LVerfGE 10

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zurückgewiesen hat (vgl. zu § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, BVerfG, Beschl. v. 15. April 1980 - 2 BvR 842/77 - BVerfGE 54, 53, 66; BVerfG, Beschl. v. 21. Januar 1953 - 1 BvR 520/52 - BVerfGE 2,105,109; sowie Majer, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG, 1992, § 93 Rdn. 22). c) Einer Sachentscheidung durch den Verfassungsgerichtshof steht nicht entgegen, daß sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückweisenden Entscheidung mit der Vereinbarkeit des Denkmalschutzgesetzes 1995 mit der bundesrechtlichen Eigentumsgewährleistung und dem bundesrechtlichen Besdmmtheitsgebot auseinandergesetzt hat. Allerdings sind solche Akte der Landesgewalt der Gerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofs entzogen, die durch eine Entscheidung eines Bundesgerichts sachlich bestätigt worden sind, da sich jede Uberprüfung einer von einem Bundesgericht schon kontrollierten und als richtig bestätigten Entscheidung materiell als Kontrolle der Bundesstaatsgewalt auswirken würde (BVerfG, Beschl. v. 15. Oktober 1997 - 2 BvN 1/95 - BVerfGE 96, 345, 371). An einer solchen sachlichen Bestätigung der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts fehlt es trotz der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Dies ergibt sich daraus, daß Gegenstand des Beschwerdeverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht nur die Frage war, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO gegeben sind, d. h., ob der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukam, ob das Urteil des Oberverwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abwich oder ob die Revision wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen war. In der Sache selbst wäre erst im Revisionsverfahren zu entscheiden gewesen. An dieser der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. Beschl. v. 2. Dezember 1993 — VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169, 193; BVerfG, Beschl. v. 15. Oktober 1997 - 2 BvN 1/95 —, a.a.O.) zugrunde liegenden Unterscheidung zwischen einer bundesgerichtlichen Bestätigung aufgrund sachlicher Prüfung und dem Abschluß der fachgerichtlichen Ebene durch einen die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschluß ist auch dann festzuhalten, wenn sich das Bundesgericht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens mit Fragen beschäftigt hat, die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Verletzung der Landesverfassung ebenfalls eine Rolle spielen (so auch Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entsch. v. 5. Juli 1984 - Vf. 109-VI-83 - VerfGHE n.F. 37, 89, 93; Entsch. v. 26. Februar 1971 - Vf. 69-VI-70 - VerfGHE n.F. 24, 48, 51). d) Soweit die Beschwerdeführer rügen, ihr Anspruch auf den gesetzlichen Richter aus Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB sei verletzt worden, kommt eine Sachentscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht in Betracht. Die BeschwerdeLVerfGE 10

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führer haben erstmals mit Schriftsatz vom 13. Januar 1998 und damit — auch wenn für die Berechnung des Fristablaufs für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde auf die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die am 4. November 1997 erfolgte, abgestellt wird (vgl. hierzu Beschl. v. 26. September 1996 - VerfGH 76/95 - LVerfGE 5, 30, 33) - erst nach Ablauf der Zweimonatsfrist des § 51 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG eine Verletzung dieses Verfahrensgrundrechts beanstandet. Ihr Hinweis in der Verfassungsbeschwerdeschrift vom 28. April 1997 darauf, daß im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Verletzung des Art. 101 GG gerügt worden sei, gibt zu keiner anderen Beurteilung Anlaß. Das Vorbringen vor dem Bundesverwaltungsgericht war schon wegen seiner ausschließlichen Bezugnahme auf das Grundgesetz nicht geeignet, den in §§ 49 Abs. 1, 50 VerfGHG niedergelegten Begründungserfordernissen zu genügen. Hinzu kommt, daß es nicht Sache und Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs ist, einen der Verfassungsbeschwerdeschrift als Anlage beigefügten Schriftsatz an ein anderes Gericht darauf zu untersuchen, ob dort ein Sachverhalt dargelegt ist, der die Verletzung von subjektiven Rechten der Verfassung von Berlin als möglich erscheinen läßt (s. Beschl. v. 11. Januar 1995 - VerfGH 81/94 - LVerfGE 3,3, 6). Entsprechendes gilt für die ebenfalls erstmals im Schriftsatz vom 13. Januar 1998 erhobene Rüge, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletze die Beschwerdeführer in „Verfassungsrechten", weil es ein Allgemeininteresse an der Erhaltung des ehemaligen Kaufhausgebäudes angenommen habe. 2. Soweit die Verfassungsbeschwerde einer Sachprüfung zugänglich ist, ist sie nicht begründet. Das Denkmalschutzgesetz Berlin 1995 ist bei verfassungskonformer Auslegung, wie sie bereits vom Oberverwaltungsgericht vorgenommen wurde, mit der Verfassung von Berlin vereinbar. Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung werden nicht überschritten. a) Mit der Verwendung der in § 2 Abs. 2 DSchG Bin 1995 genannten unbestimmten Rechtsbegriffe (geschichtliche, künstlerische, wissenschaftliche oder städtebauliche Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit) bei gleichzeitiger Unterschutzstellung von Denkmalen kraft Gesetzes hat der Gesetzgeber nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin sinngemäß im Vorspruch und nach ihrer Gesamtkonzeption bekennt (Beschlüsse v. 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92 - LVerfGE 1, 81, 83 f. und vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93 - LVerfGE 2, 19, 27), verankerte Gebot hinreichender Bestimmtheit von Gesetzen verstoßen. Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand mit genau erfaßbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist jedoch gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich LVerfGE 10

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ist. Die Notwendigkeit der Auslegung einer gesetzlichen Begriffsbestimmung nimmt ihr noch nicht die Bestimmtheit, die der Rechtsstaat von einem Gesetz fordert. Es genügt, wenn die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. BVerfG, Besch! v. 18. Mai 1 9 8 8 - 2 BvR 579/84 - BVerfGE 78, 205, 212 m.w.N.). Die Verwendung wertausfüllender Begriffe ist besonders im Denkmalschutzrecht im Hinblick auf die Vielschichtigkeit der zu regelnden Sachverhalte, die auch nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Forschung zu beurteilen sind, ersichtlich nicht vermeidbar. Die hierdurch in Randbereichen möglicherweise bedingten Auslegungsschwierigkeiten folgen aus der Eigenart des geregelten Sachverhalts; sie sind bei Berücksichtigung des Regelungszwecks nicht zu umgehen und daher von Verfassungs wegen hinzunehmen (BVerfG, Beschl. v. 18. Mai 1 9 8 8 - 2 BvR 579/84 a.a.O., S. 213; BVerwG, Beschl. v. 9. Oktober 1997 - BVerwG 6 B 42.97 - Buchholz 406.39 Denkmalschutzrecht Nr. 8). Angesichts der notwendigerweise unbestimmten Regelungen im Denkmalschutzrecht kommt aus verfassungsrechtlicher Sicht dem Verfahren zur Feststellung der Denkmaleigenschaft eine besondere, grundrechtsausgestaltende Bedeutung zu. Ein angemessener verfahrensmäßiger Ausgleich für die Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelungen bei gleichzeitiger Unterschutzstellung kraft Gesetzes, also ohne konkretisierenden Verwaltungsakt, ist aus rechtsstaatlichen Gründen daher geboten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10. Juli 1 9 8 7 - 4 B 146/87NJW 1988, S. 505 = DÖV 1988, S. 425,426; Steinberg, NVwZ 1992, S. 13,16). Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Denkmalschutzgesetz Berlin 1995 nicht zu beanstanden. In der Auslegung, die das Gesetz — insbesondere auch dessen verfahrensrechtliche Bestimmungen — durch das Oberverwaltungsgericht gefunden hat, überschreiten die den Normbetroffenen aus der Unbestimmtheit der denkmalschutzrechtlichen Tatbestände und der Unterschutzstellung kraft Gesetzes erwachsenden Belastungen und Risiken das Maß des Zumutbaren nicht. aa) Dies gilt zunächst hinsichtlich der vom Eintragungszeitpunkt in die Denkmalliste an bestehenden Pflichten des Betroffenen. Daß die Eintragung in die Denkmalliste gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 DSchG Bin 1995 nur deklaratorischen Charakter hat und damit keine sichere Gewähr dafür bietet, daß die Bejahung der Denkmaleigenschaft durch die Behörde — die mehr als nur eine Denkmalvermutung, sondern die von der Behörde aufgrund fachlicher Ermittlungen gewonnene Überzeugung von der Denkmaleigenschaft und der Schutzwürdigkeit einer Anlage voraussetzt (vgl. das angegriffene Urteil des OVG Berlin, BauR 1998, S. 776) — einer rechtlichen Überprüfung standhält, führt nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Betroffenen. Auch bei der Unterschutzstellung durch einen konstitutiv wirkenden Bescheid ist der Betroffene nicht vor einer fehlerLVerfGE 10

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haften Einschätzung der Denkmalbehörde sicher. Bei beiden Eintragungssystemen kann erst im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung abschließend und verbindlich geklärt werden, ob die Bejahung der Denkmaleigenschaft zutreffend war oder nicht. Daß der Betroffene von einer nachrichtlichen Listeneintragung überrascht und in seinen Dispositionen eingeschränkt werden kann, führt ebenfalls nicht zur UnVerhältnismäßigkeit. Beim System der konstitutiven Unterschutzstellung kann der Eigentümer oder der in sonstiger Weise Normbetroffene ebenfalls nicht davon ausgehen, daß die Nichteintragung seines Objekts ihm die Gewähr dafür bietet, daß nicht in Zukunft die Denkmalwürdigkeit durch die Behörde erkannt und durch einen konstitutiven Akt rechtsverbindlich festgelegt wird. Der Unterschutzstellung kraft Gesetzes wohnt ferner kein spezifisches, nur bei dieser rechtlichen Ausgestaltung des Denkmalschutzes auftretendes Überraschungsmoment inne. Mit unvorhergesehenen, ihn überraschenden Entscheidungen in Form der vorläufigen und gegebenenfalls für sofort vollziehbar erklärten Unterschutzstellung (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 und § 7 DSchG Bin 1977) mußte der Normbetroffene auch bei dem früheren System der konstitutiven Unterschutzstellung rechnen (vgl. auch OVG Berlin, a.a.O., S. 776). Schließlich wirkt sich — wie noch auszuführen sein wird — auch im Bereich des Rechtsschutzes die Unterschutzstellung kraft Gesetzes nicht in einer Weise negativ auf die Stellung des Betroffenen aus, daß deshalb — bei der erforderlichen abstrakten Betrachtungsweise - eine unzumutbare Belastung festzustellen wäre. Der Normbetroffene hat vielmehr ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten, die Berechtigung einer Einträgung in die Denkmalliste überprüfen zu lassen und eine volle materiellrechtliche, die Denkmalbehörde bindende Uberprüfung der Denkmalwürdigkeit zu erreichen (s. unten d)). bb) Auch für den Zeitraum, in dem die Eintragung einer kraft Gesetzes dem Denkmalschutz unterliegenden Anlage nicht oder noch nicht erfolgt ist, das Gesetz aber — jedenfalls scheinbar — unmittelbar an die normativ begründete Denkmaleigenschaft Verpflichtungen oder Einschränkungen des Eigentümers oder anderer Normbetroffener anknüpft, werden verfassungsrechtlich unzumutbare Belastungen nach der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen und vom Verfassungsgerichtshof geteilten verfassungskonformen Auslegung vermieden. Danach dürfen bei einer nach § 8 Abs. 2 DSchG Bin 1995 möglichen Erhaltungsanordnung die vor der Listeneintragung und deren Bekanntgabe unterlassenen Unterhaltung^- und Instandsetzungsmaßnahmen nicht zu Lasten des Eigentümers berücksichtigt werden. Dem liegt die zutreffende und ohne weiteres überzeugende Überlegung zugrunde, daß den Normbetroffenen kein höherer Prüfungs- und Nachforschungsaufwand zugemutet werden kann, als der Fachbehörde. Entsprechendes gilt nach dieser Rechtsprechung für die in § 9 DSchG Bin 1995 enthaltene Verpflichtung zur denkmalerhaltenden Nutzung LVerfGE 10

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sowie für das in § 10 DSchG Bin 1995 enthaltene Verbot der Beeinträchtigung von Denkmalen durch Veränderungen in deren unmittelbarer Umgebung. Ferner kann die Einhaltung der in § 11 DSchG Bin 1995 geregelten Genehmigungspflicht für Veränderungen, Beseitigungen, Instandsetzungen, Wiederherstellungen und Nutzungsänderungen vor der Listeneintragung und deren Bekanntgabe grundsätzlich nicht erwartet werden. Dies folgt daraus, daß die Denkmalbehörde am Bauaufsichtsverfahren nur dann zu beteiligen ist, wenn in der Denkmalliste eingetragene Denkmale betroffen sind. Muß aber die Behörde nur beteiligt werden, wenn das Landesdenkmalamt als Denkmalfachbehörde seiner Verpflichtung zur Eintragung nachgekommen ist, so kann nach den verfassungsrechtlich überzeugenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts auf der anderen Seite dem betroffenen Bürger für die Zeit vor der Listeneintragung eine Verletzung der Genehmigungspflicht nicht vorgehalten werden (OVG Berlin, a.a.O., S. 778). Die gleichen Erwägungen stehen einer Wiederherstellungsanordnung bei ungenehmigten Veränderungen, Beseitigungen oder Zerstörungen eines Denkmals (§ 13 Abs. 1 Satz 1 DSchG Bin 1995) entgegen. Bei einer solchen Auslegung des Denkmalschutzgesetzes Berlin 1995 überschreiten die den Normbetroffenen aus der Unbestimmtheit der denkmalschutzrechtlichen Tatbestände und dem Verzicht auf einen konstitutiv wirkenden Bescheid erwachsenden Belastungen und Risiken das Maß des verfassungsrechtlich Zumutbaren nicht. In Fällen fehlender Offensichtlichkeit der Denkmalschutzeigenschaft ist sichergestellt, daß die Einhaltung der gesetzlichen Schutzpflichten vom Betroffenen erst ab Listeneintragung und damit erst ab einem Zeitpunkt, in dem die Behörde selbst ihre fachliche Prüfung abgeschlossen und dies nach außen erkennbar gemacht hat, verlangt werden kann. Hiervon gehen auch die ausdrücklichen Befürworter des gesetzlichen Unterschutzstellungssystems wie selbstverständlich aus (vgl. Fran^mejer-Werbe, D Ö V 1996, S. 950, 953, die davon spricht, daß vor der Listeneintragung die „... gesetzlichen Pflichten ... ins Leere" gehen). b) Soweit die Beschwerdeführer die Verfassungsmäßigkeit des § 16 Abs. 2 DSchG Bin 1995 bezweifeln, da diese Vorschrift ausdrücklich nur im Falle einer wirtschaftlich unzumutbaren Erschwerung der bisher rechtmäßig „ausgeübten" wirtschaftlichen Nutzung eines Denkmals durch die Versagung der denkmalrechtlichen Genehmigung oder eine sonstige denkmalschutzrechtliche Maßnahme eine Ausgleichszahlung vorsehe, während in § 13 Abs. 2 DSchG Bin 1977 ein Anspruch auf angemessene Entschädigung schon bei der Undurchführbarkeit baurechtlich sonst „zulässiger" Vorhaben vorgesehen gewesen sei, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit im Blick auf das Ausgangsverfahren. Ausdrücklich stellt das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil fest, daß die Rechtsfrage der angemessenen Entschädigung „aus Anlaß des vorliegenden Verfahrens nicht geklärt zu werden" brauche (a.a.O., S. 780, re. Spalte). Ist die Verfassungsmäßig-

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keit einer Regelung für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens sachlich und zeitlich aber nicht erheblich, so kann sie nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung sein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3. November 1982 — 1 WvR 900/78 u.a. - BVerfGE 62,117,144). c) Ebenfalls unbegründet ist die Rüge, der Gesetzgeber habe das Verwaltungsverfahren nicht hinreichend gesetzlich ausgestaltet und damit gegen den Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes verstoßen. Richtig ist, daß es zur Pflicht des Gesetzgebers gehört, die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens, soweit sich dieses auf grundrechtlich geschützte Positionen auswirkt, selbst zu regeln (vgl. zum Bundesrecht BVerfG, Beschl. v. 27. November 1 9 9 0 - 1 BvR 402/87 BVerfGE 83, 130, 149 ff. m.w.N.). Es kann dahinstehen, ob es aus verfassungsrechtlicher Sicht bei einer Unterschutzstellung kraft Gesetzes geboten ist, ein nachrichtliches Verzeichnis, wie es die Denkmalliste darstellt, gesetzlich vorzusehen. Denn jedenfalls sind im Denkmalschutzgesetz Berlin 1995 die Notwendigkeit der deklaratorischen Eintragung in die Denkmalliste und das Eintragungsverfahren im einzelnen in § 4 geregelt. Indem § 4 Abs. 1 die Eintragung von „Denkmalen" vorsieht, ist sichergestellt, daß die zuständige Behörde ausschließlich solche baulichen Anlagen eintragen darf, bei denen sie nach Subsumtion unter die in § 2 DSchG Bin 1995 enthaltenen Begriffsbestimmungen die Denkmaleigenschaft und Schutzwürdigkeit in vollem Umfang bejaht (vgl. OVG Berlin, a.a.O., S. 776). d) Die Unterschutzstellung kraft Gesetzes führt nicht zu einer verfassungsrechtlich zu beanstandenden Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Normbetroffenen. Das in Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB verankerte Gebot des effektiven Rechtsschutzes wäre allerdings verletzt, wenn es Wesensmerkmal des ipso-iure-Systems wäre, daß die infolge der Unbestimmtheit des Denkmalbegriffs im Einzelfall bestehende Unsicherheit, ob ein bestimmtes Objekt unter ihn zu subsumieren ist, durch Anrufung der Gerichte nicht beseitigt werden könnte (dies nehmen an: Niembaum/Eschenbach, DÖV 1994, S.12 und LKV 1995, S.143,144; kritisch auch Steinberg, NVwZ 1992, S. 14,17f.; a.A. Fran^meyer-Werbe, DÖV 1996, S. 950, 953). So liegt es hier aber nicht. Rechtsschutz wird bei dem System der Unterschutzstellung kraft Gesetzes durch die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nach § 43 VwGO gewährt. Das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Rechtsverhältnis wird dabei bereits durch die rechtliche Qualifikation eines Gebäudes als Baudenkmal begründet (OVG Berlin, a.a.O., S. 782; Finkelnburg, GE 1995, S. 1145, 1148). Ob für das zusätzlich erforderliche berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung die Denkmaleigenschaft als solche ausreichend ist (so Finkelnburg, a.a.O.), oder hinzukommen muß, daß der Kläger substantiiert und nachvollziehbar Umstände vorträgt, die den Schluß rechtfertigen, daß die Denkmaleigenschaft gegenwärtig oder in absehbarer Zeit voraussichtlich LVerfGE 10

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eine konkrete Bedeutung für ein geplantes Vorhaben, ein Rechtsgeschäft oder sonstige Dispositionen erlangen kann (so OVG Berlin, a.a.O.), kann aus verfassungsrechtlicher Sicht dahinstehen. Abgesehen davon, daß auch insoweit die Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall nicht gegeben ist, da das Oberverwaltungsgericht das berechtigte Feststellungsinteresse bejaht hat, ist jedenfalls eine verfassungskonforme, Rechtsschutzlücken ausschließende Handhabung der Verwaltungsgerichtsordnung und damit die Gewähr eines effektiven Rechtsschutzes gegeben. Dies schließt nicht aus, daß im Einzelfall eine Rechtsanwendung der Verfahrensvorschriften zu einem Ergebnis führen kann, das mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar ist. Dies ist jedoch nicht notwendige Folge der Unterschutzstellung von Denkmalen kraft Gesetzes. Dem Normbetroffenen wird, wenn er die Berechtigung der Qualifikation einer in die Denkmalliste eingetragenen baulichen Anlage gerichtlich überprüfen lassen möchte, ferner kein unkalkulierbares und damit verfassungsrechtlich unzumutbares Prozeßrisiko aufgebürdet. Nach der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung des Gesetzes besteht ein aus den im Gesetz angelegten wechselseitigen Mitwirkungs- und Informationspflichten abgeleiteter Anspruch des Eigentümers oder sonst Normbetroffenen, bereits vor Anhängigkeit eines gerichtlichen Verfahrens von der Denkmalbehörde eine nachprüfbare Begründung für die Bejahung der Denkmaleigenschaft und der Schutzwürdigkeit zu erhalten, um die Erfolgsaussichten einer Klage überprüfen zu können. e) Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung werden durch diese Auslegung des Denkmalschutzgesetzes nicht verletzt. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde; im Wege der Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl. zum Bundesrecht BVerfG, Beschl. v. 22. Oktober 1985 - 1 BvL 44/83 BVerfGE 71, 81,105; st. Rspr.). aa) Davon, daß der Eintragung in die Denkmalliste entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Abs. 1 DSchG Bin 1995 ein konstitutiver Charakter beigemessen wird, kann keine Rede sein. Richtig ist, daß der Denkmalliste besondere Bedeutung bei der verfassungskonformen Auslegung derjenigen Regelungen des Denkmalschutzgesetzes zukommt, die unmittelbar an die normativ begründete Denkmaleigenschaft einer Anlage anknüpfen. Diese „Aufwertung" der Denkmalliste steht mit der gesetzgeberischen Grundentscheidung für ein deklaratorisches Eintragungssystem jedoch in Einklang. Die Unterschutzstellung kraft Gesetzes wird hierdurch nicht angetastet. Durch die Auslegung wird ledigLVerfGE 10

Organstreitverfahren — Feststellung eines Abstimmungsergebnisses

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lieh vermieden, daß aus der Denkmaleigenschaft Rechtsfolgen für den Eigentümer auch dann abgeleitet werden, wenn er selbst mangels Eintragung in die Denkmalliste und fehlender Offensichtlichkeit der Denkmaleigenschaft von der Denkmalwürdigkeit keine Kenntnis hat. Wie dargelegt, entspricht diese Auslegung der Regelungssystematik des Gesetzes. bb) Durch die Hervorhebung der Bedeutung der Listeneintragung und deren Bekanntgabe wird ferner nicht das gesetzgeberische Ziel einer Effizienzsteigerung des Denkmalschutzes und einer Verwaltungsvereinfachung durch Verringerung von Verwaltungsaufwand verfehlt oder verfälscht. Allerdings ist bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, das betont, daß eine bloße Denkmalvermutung nicht für die Aufnahme in die Denkmalliste ausreiche, sondern die Behörde vor der Eintragung aufgrund eigener fachlicher Prüfung zu dem Ergebnis gekommen sein müsse, die bauliche Anlage erfülle die in § 2 DSchG Bin 1995 umschriebenen Anforderungen an die Denkmaleigenschaft und Schutzwürdigkeit in vollem Umfang (vgl. OVG Berlin, a.a.O., S. 776), bei der Feststellung der Denkmaleigenschaft durch die Behörde keine Verwaltungsvereinfachung festzustellen. Die verbleibende — und ausweislich der Gesetzesbegründung in erster Linie beabsichtigte - Verfahrensvereinfachung besteht jedoch darin, daß das nach der Einschätzung des Gesetzgebers „aufwendige und langwierige Anhörungsverfahren bei Unterschutzstellungen" (vgl. Abgeordnetenhaus-Drs. 12/4997 S. 7) unterbleibt und die Denkmalbehörde sich zunächst mit einer reinen Unterrichtung des Betroffenen über die Eintragung begnügen kann und erst und nur auf besondere Anforderung eine zusätzliche Begründung abgeben muß. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 4* 1. Durch die fehlerhafte Feststellung der Ablehnung eines Antrags einer (Regierungs-) Fraktion werden verfassungsmäßige Rechte einer anderen (Oppositions-) Fraktion ebensowenig berührt wie durch die fehlerhafte Weigerung des Parlamentspräsidenten, nach Ablehnung des Antrags einer anderen (Regierungs-) Fraktion die Abstimmung zu wiederholen. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang).

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2. Zum Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag eines Abgeordneten im Organstreitverfahren, die Rechtswidrigkeit der Feststellung eines Abstimmungsergebnisses feststellen zu lassen.*

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 37 Abs. 1 Beschluß vom 25. März 1999 - VerfGH 58/98 in dem Organstreitverfahren 1. der Fraktion der Partei des Demokratischen Sozialismus im Abgeordnetenhaus von Berlin, vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden, 2. des Abgeordneten H. W gegen den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Entscheidungsformel: Die Anträge werden verworfen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei Auslagen werden nicht erstattet.

Nr. 5 1. Art. 62 Abs. 5 VvB schließt nicht nur Volksbegehren aus, die einen Gesetzesentwurf zum Gegenstand haben, der unmittelbar eine Verfassungsänderung bewirken soll, sondern überdies alle Volksbegehren, deren Anliegen auf eine Änderung der Verfassung abzielt oder jedenfalls nicht ohne Änderung der Verfassung verwirklicht werden kann. 2. Wenn wesentliche Teile eines Volksbegehrensgesetzentwurfs wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht zu beanstanden sind, können auch die verbleibenden Teile des Gesetzentwurfs nicht als Volksbegehren zugelassen werden (wie BayVerfGH in BayVerfGHE 47,276). * Nichtamtliche Leitsätze

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Feststellung der Unzulässigkeit eines Volksbegehrens

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Verfassung von Berlin Art. 62 Abs. 5 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Abs. 7, 55 Abs. 1 Urteil vom 2. Juni 1999 - VerfGH 22/99 in dem Verfahren über den Einspruch 1. der Frau C. D., 2. der Frau M. H., 3. des Herrn J. K., 4. der Frau D. S., 5. des Herrn K. W. als Vertrauenspersonen des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Berlin" — Einspruchsführer — Entscheidungsformel: Der Einspruch wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Die Einspruchsführer sind Mitglieder des Vereins „Mehr Demokratie e.V.". Dieser Verein setzt sich seit mehr als zehn Jahren auf Bundesebene, in den Bundesländern und in den Gemeinden für die Einführung neuer und die Fortentwicklung vorhandener Regelungen über die unmittelbare Beteiligung der Staatsbürger an der Gesetzgebung ein. Er ist Träger eines beabsichtigten Volksbegehrens, nämlich des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Berlin". Als Vertrauenspersonen und damit Vertreter dieses Volksbegehrens hat er die Einspruchsführer bestimmt. Mit Schreiben vom 1. Februar 1999 haben die Einspruchsführer unter gleichzeitiger Übersendung der erforderlichen Anzahl von Unterschriftsbögen bei der Senatsverwaltung für Inneres die Zulassung des Volksbegehrens beantragt. Dem Antrag war ein ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf beigefügt, der in Art. 1 eine Änderung des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid, in Art. 2 eine Änderung des Meldegesetzes, in Art. 3 den Erlaß eines „Berliner Gesetzes für Direkte Demokratie" und in Art. 4 den Erlaß eines Gesetzes zur Durchführung von Art. 100 LVerfGE 10

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VvB vorsieht. § 1 des „Berliner Gesetzes für Direkte Demokratie" soll den Senat von Berlin verpflichten, jeweils in der zweiten Woche des Jahres in den fünf auflagenstärksten Berliner Tageszeitungen jeweils eine mindestens ganzseitige Anzeige in gut lesbarer Schriftgröße zu „schalten", die unter der drucktechnisch hervorgehobenen Uberschrift „Faire Volksentscheide möglich machen! Bürgerentscheid einführen!" einleitend folgenden Text enthält: „Am (Datum des Volksentscheids über das Volksbegehren „Mehr Demokratie in Berlin") hat die Berliner Bevölkerung in einem Volksentscheid beschlossen, daß anwendungsfreundliche Verfahren für den Volksentscheid und den Bürgerentscheid in die öffentliche Diskussion kommen sollen. Bisher haben zu hohe Hürden Volksentscheide fast unmöglich gemacht. Wichtige Themen wie Verfassungsartikel dürfen die Berlinerinnen und Berliner von vornherein nicht zur Abstimmung stellen. Darüber hinaus gibt es in den Bezirken bislang kein Mitspracherecht durch Bürgerentscheid. Das Abgeordnetenhaus hat bis heute noch keine Verfassungsänderung beschlossen, die dem Wunsch der Berliner Bevölkerung nach Mitbestimmung gerecht wird. Mit folgender Verfassungsänderung kann der Volksentscheid in Berlin anwendungsfreundlich gemacht und der Bürgerentscheid in den Bezirken eingeführt werden:"

Sodann soll in der Anzeige der Wordaut von sechs neu gefaßten bzw. eingefügten Vorschriften der Verfassung von Berlin wiedergegeben werden. § 2 Satz 1 des „Berliner Gesetzes für Direkte Demokratie" sieht vor, daß dieses Gesetz außer Kraft tritt, sobald die Berliner Bevölkerung gemäß Art. 100 Satz 2 VvB eine Verfassungsänderung angenommen hat. Mit Schreiben vom 3. März 1999 teilte die Senatsverwaltung für Inneres den Einspruchsführern mit, der Senat von Berlin habe am 2. März 1999 die Unzulässigkeit des Antrags auf Zulassung des Volksbegehrens festgestellt. Zur Begründung verwies sie auf eine dem Schreiben beigefügte Vorlage des Senats an das Abgeordnetenhaus. Darin wird ausgeführt, das Volksbegehren sei ein solches „zur Verfassung" im Sinne des Art. 62 Abs. 5 VvB und deshalb unzulässig. Dies ergebe sich aus der ausdrücklichen Inbezugnahme einer Änderung der geltenden Verfassung u. a. in Art. 3 § 2 des Gesetzentwurfs sowie aus dem Inhalt des Art. 3 § 1, der das dem Abgeordnetenhaus und dem Senat vorbehaltene Gesetzesinitiativrecht für Verfassungsänderungen aushöhle und den Staat unter Verstoß gegen die Meinungsfreiheit als Vermittler für die Publikation bestimmter Meinungen einsetze. Wegen der untrennbaren Verbindung der zulässigen und unzulässigen Teile des Gesetzentwurfs führe dieser Mangel zur Unzulässigkeit des Volksbegehrens insgesamt. Gegen die Entscheidung des Senats richtet sich der vorliegende Einspruch. Die Einspruchsführer machen geltend, bei dem Volksbegehren handele es sich nicht um ein solches „zur Verfassung" i.S.d. Art. 62 Abs. 5 VvB. Eine Auslegung LVerfGE 10

Feststellung der Unzulässigkeit eines Volksbegehrens

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dieser Bestimmung nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck sowie Systematik ergebe, daß sie nur solche Volksbegehren ausschließe, deren Ergebnis die unmittelbare Änderung der Verfassung durch Volksentscheid sein solle. Volksbegehren, die nur Bezug auf die Verfassung nähmen und zur öffentlichen Diskussion über Verfassungsbestimmungen aufriefen, seien dagegen zulässig. Die Einspruchsführer beantragen, die Entscheidung des Senats von Berlin vom 2. März 1999, mit der die Unzulässigkeit des Antrags des Vereins „Mehr Demokratie e.V." vom 1. Februar 1999 auf Zulassung des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Berlin" festgestellt worden ist, aufzuheben.

Die Senatsverwaltung für Inneres verteidigt die Entscheidung des Senats und bringt vor, aus den Gesetzesmaterialien zu Art. 62 Abs. 5 VvB lasse sich nichts zugunsten der Ansicht der Einspruchsführer herleiten. Eine gebotene Gesamtschau der Ausschlußtatbestände des Art. 62 Abs. 5 VvB ergebe, daß selbstverständlich Volksbegehren mit dem Ziel einer unmittelbaren Verfassungsänderung, aber überdies auch solche Volksbegehren unzulässig seien, die eine spätere Verfassungsänderung gesetzlich zur Disposition und öffentlichen Diskussion stellen wollten. Entscheidend sei, daß es sich in beiden Fällen um Gesetze handele, die durch Volksbegehren und Volksentscheid mit der Absicht angenommen werden sollten, die Verfassung zu ändern. Ob die Rechtswirkung einer Verfassungsänderung unmittelbar eintreten oder das Inkrafttreten einer späteren Verfassungsänderung erst nach öffentlicher Diskussion herbeigeführt werden solle, sei unerheblich. II. Der gem. § 14 Nr. 7, § 55 Abs. 1 VerfGHG i.V.m. §§ 17, 41 des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid zulässige Einspruch ist unbegründet. Die Annahme des Senats von Berlin, das Volksbegehren „Mehr Demokratie in Berlin" sei insgesamt unzulässig, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Einspruchsführer schließt Art. 62 Abs. 5 VvB nicht nur Volksbegehren aus, die einen Gesetzentwurf zum Gegenstand haben, der unmittelbar eine Verfassungsänderung bewirken soll, sondern überdies alle Volksbegehren, deren Anliegen auf eine Änderung der Verfassung abzielt oder jedenfalls nicht ohne Änderung der Verfassung verwirklicht werden kann. Für diese Auffassung sprechen der Wortsinn des Art. 62 Abs. 5 VvB, der Bedeutungszusammenhang, in dem diese Regelung steht, sowie Sinn und Zweck der Regelung, ohne daß sich ihrer Entstehungsgeschichte etwas anderes entnehmen läßt. Dem Wortsinn nach umfaßt der Begriff „Volksbegehren zur Verfassung" nicht nur Volksbegehren, die unmittelbar zur Änderung der Verfassung LVerfGE 10

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erfolgen, sondern auch solche, die durch einen entsprechenden Gesetzentwurf eine Verfassungsänderung „in Gang" bringen wollen und damit mittelbar auf eine Verfassungsänderung abzielen oder diese jedenfalls notwendig nach sich ziehen würden. Auch wenn die Entstehungsgeschichte dieser Norm, die erst im Laufe der Beratungen des Rechtsausschusses ihre heutige Fassung erhielt, keinen eindeutigen Aufschluß über die damit verfolgte Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers vermittelt, fallt doch auf, daß der Verfassungsgeber darauf verzichtet hat, den Ausschlußtatbestand des Art. 62 Abs. 5 VvB auf Volksbegehren „zur Änderung der Verfassung" zu beschränken, was vor dem Hintergrund des Art. 62 Abs. 1 VvB nicht ferngelegen hätte. Auch dies spricht nicht für eine entsprechend einengende Auslegung. Hinzu kommt, daß nach dem Regelungszusammenhang der Norm für einen derart beschränkten Ausschlußtatbestand kein Bedarf bestände. Änderungen der Verfassung gemäß Art. 100 Satz 1 VvB erfordern nämlich ausnahmslos eine Mehrheit von zwei Dritteln der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses und sind damit der Gesetzgebung durch Volksbegehren mit anschließendem Volksentscheid ohnehin entzogen, so daß einem Volksbegehren zur Änderung der Verfassung nur die Bedeutung einer Gesetzesvorlage an das Abgeordnetenhaus im Sinne von Art. 59 Abs. 2, Art. 62 Abs. 2 VvB zukäme. Diese Funktion wird jedoch bereits durch die Möglichkeit einer entsprechenden Volksinitiative gem. Art. 61 VvB ausreichend abgedeckt, die mit einem geringeren Quorum ohne Einschränkung auch „zur Verfassung" zulässig ist. Aus diesem Regelungszusammenhang ergibt sich die für Sinn und Zweck der Regelung maßgebliche Konzeption, daß die Einwohner Berlins zwar berechtigt sein sollen, das Abgeordnetenhaus zu zwingen, sich auch mit Anliegen zu befassen, die nur im Wege der Verfassungsänderung umgesetzt werden können, doch soll es ihnen verwehrt sein, sozusagen über den Kopf des Abgeordnetenhauses hinweg ein Gesetz zur Durchsetzung solcher Anliegen zu schaffen. Der dem Volksbegehren „Mehr Demokratie in Berlin" zugrundeliegende Gesetzentwurf ist auf ein derartiges Gesetz ausgerichtet. Dies ergibt sich insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 dieses Gesetzentwurfs, einer Vorschrift, deren Anliegen erklärtermaßen auf eine Änderung der Verfassung abzielt. Die darin vorgesehene Verpflichtung des Senats von Berlin, durch periodische Veröffentlichung von Anzeigen für im einzelnen ausgearbeitete Verfassungsänderungen zu werben, soll unter Instrumentalisierung des Senats für eine entsprechende Beeinflussung der öffentlichen Meinung das Abgeordnetenhaus unter politischen Druck setzen, diese Verfassungsänderungen vorzunehmen. Schon deshalb wird Art. 3 § 1 des Gesetzentwurfs vom Ausschlußtatbestand des Art. 62 Abs. 5 VvB erfaßt. Auf die Frage, ob eine Vorschrift dieses Inhalts auch aus anderen vom Senat herangezogenen Gründen — etwa wegen unzulässiger Einwirkung auf den grundsätzlich staatsfreien Bereich der öffentlichen Meinungsbildung oder wegen LVerfGE 10

Parteifähigkeit des Trägers eines Volksbegehrens

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unzulässiger Beeinträchtigung des Gesetzesinitiativrechts des Senats — der geltenden Verfassung widerspricht und deshalb nicht ohne deren Änderung erlassen werden könnte, kommt es hiernach nicht mehr an. Beizupflichten ist dem Senat auch in der Annahme, die Unzulässigkeit des Art. 3 § 1 des Gesetzentwurfs führe zur Unzulässigkeit des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Berlin" insgesamt. Entscheidender Gesichtspunkt dafür ist, daß dem Volksbegehren ein Gesetzentwurf zugrundeliegen muß, der von dem Willen der Unterzeichner des Volksbegehrens gedeckt ist. Abzustellen ist auf deren objektivierten Willen, wie er dadurch zum Ausdruck gekommen ist, daß sie mit ihrer Unterschrift ihr Einverständnis damit erklärt haben, dieser Gesetzentwurf solle zum Gegenstand eines Volksgesetzgebungsverfahrens gemacht werden. Fällt dieser „gemeinsame Nenner" für die Vereinigung von mindestens 25.000 Wahlberechtigten dadurch weg, daß ein Teil des Gesetzentwurfs zu beanstanden ist, fehlt es an der übereinstimmenden Aufnahme gerade dieses Gesetzentwurfs in den gemeinsamen Willen der Unterzeichner. Deren ursprüngliche Erklärung deckt den verbleibenden Teil grundsätzlich nicht ab. Denn der verbleibende Teil des Gesetzentwurfs stellt im vorliegenden Fall etwas wesentlich anderes dar als der Gesetzentwurf, dem die Unterzeichner ihre Unterstützung gewährt hatten. Es ist vor allem nicht auszuschließen, daß eine große Anzahl von ihnen bei einer kritischen Würdigung des verbleibenden Teils des Gesetzentwurfs zu der Uberzeugung gelangt, dieser Teil sei für sie nicht von entscheidendem Gewicht und rechtfertige ihre Unterstützung nicht mehr. Bei dieser Sachlage muß es dem Träger des Volksbegehrens überlassen bleiben, ob er einen neuen Zulassungsantrag einreichen will, dem ein verfassungsrechtlich bedenkenfreier und möglichst auch Zweifelsfragen vermeidender Gesetzentwurf zugrundeliegt (vgl. dazu im einzelnen BayVerfGH, Entscheidung vom 17. November 1994 - Vf. 96 u. 97 - IX-94 - BayVerfGHE 47, 276, 313). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33 f. VerfGHG. Dieses Urteil ist unanfechtbar. Nr. 6* 1. Der Träger eines Volksbegehrens ist im Organstreit gemäß Art 84 Abs. 2 Ziffer 1 VvB nicht parteifähig. 2. Aus § 41 VInG i.V.m. § 14 Nr. 7 VerfGHG ergibt sich keine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs zur Entscheidung über Anträge, die das Verfahren vor Abschluß des Volksbegehrens betreffen. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang).

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Verfassung von Berlin Art. 15 Abs. 4, 84 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 14 Nr. 7 VInG Bin § 41 Urteil vom 2. Juni 1999 - VerfGH 31 A/99, 31/99 in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren 1. des Herrn E. S., 2. des Herrn Dr. J. B., 3. des Herrn S. F., 4. des Herrn G. H., 5. des Herrn Prof. Dr. H. R., als Vertrauenspersonen des Volksbegehrens „Schluß mit der Rechtschreibreform!" — Antragsteller — gegen das Land Berlin, vertreten durch a) den Landesabstimmungsleiter, dieser vertreten durch die Senatsverwaltung für Inneres, b) die Bezirksabstimmungsleiter der 23 Berliner Bezirke — Antragsteller — Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Nr. 7* Zur Zulässigkeit der nachträglichen Konkretisierung des Untersuchungsauftrages eines vom Abgeordnetenhaus von Berlin eingesetzten Untersuchungsausschusses.** * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtlicher Leitsatz

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Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (I)

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UAG Bin § 2 Beschluß vom 17. Juni 1999 - VerfGH 36A/99, 36/99 in dem Organstreitverfahren der Fraktion der Christlich-Demokratischen Union im Abgeordnetenhaus von Berlin, vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden — Antragsteller gegen den 4. Untersuchungsausschuß (13. Wahlperiode) des Abgeordnetenhauses von Berlin zur Aufklärung der Ereignisse in Berlin nach der Verbringung des A. O. am 15. Februar 1999 in die Türkei, vertreten durch den Ausschußvorsitzenden — Antragsgegner — weitere Beteiligte: Fraktion der Partei des Demokratischen Sozialismus im Abgeordnetenhaus von Berlin, vertreten durch den Fraktionsvorsitzenden Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Damit erledigen sich auch der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung und die Zwischenverfügung vom 2. Juni 1999. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Die der Antragstellerin erwachsenen notwendigen Auslagen werden zur Hälfte dem Land Berlin auferlegt.

Nr. 8* Zur Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Vollzug des Gesetzes zur Änderung des Berliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes.** * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtlicher Leitsatz

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Gesetz über den Verfassungsgerichtshof §§ 14 Nr. 4, 31 Abs. 1 Beschluß vom 17. Juni 1999 - VerfGH 42 A/99 in dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf Antrag von 64 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses von Berlin — Antragsteller — gegen Art. I und II des Gesetzes zur Änderung des Berliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes vom 17. Mai 1999 (GVB1. S. 183). Entscheidungsformel: Der Antrag wird abgelehnt. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Nr. 9 Ein Gericht, das Anforderungen an den Sachvortrag stellen oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauchte, trifft neben der durch das Grundrecht auf rechtliches Gehör gebotenen Hinweispflicht auch eine Nachweispflicht. Verbleiben bei Verletzung dieser Nachweispflicht Zweifel, ob die notwendigen Hinweise gegeben wurden und entsprechende Gelegenheit zur Äußerung bestand, so müssen diese Zweifel zugunsten des betroffenen Grundrechtsträgers ausschlagen. Verfassung von Berlin Art. 15 Abs. 1 Beschluß vom 24. Juni 1999 - VerfGH 48/98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. der Frau U. F., 2. des Herrn E. F. LVerfGE 10

Rechtliches Gehör und Nachweispflicht des Gerichts

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gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. März 1998 - 62 S /97 Beteiligte gem. § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG: Der Präsident des Landgerichts Berlin, Senatsverwaltung für Justiz, Pensionskasse der B. V.a.G., vertreten durch den Vorstand Entscheidungsformel: Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. März 1998 - 62 S 215/97 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 15 Abs. 1 der Verfassung von Berlin. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: I. 1. Am 29. Juni 1992 mieteten die Beschwerdeführer ab 1. Juli 1992 bis zunächst zum 30. Juni 1997 von der Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 eine 88,22 m 2 große 4-Zimmer-Wohnung im 3. Obergeschoß eines 1976 in geschlossener Bauweise errichteten Mehrfamilienhauses an einer Hauptverkehrsstraße in Berlin-Marienfelde. Als monatlicher Mietzins wurde ein Betrag von 1.669,06 DM zuzüglich Heiz- und Betriebskosten vereinbart, der sich als Staffelmiete ab 1. Juli 1993 auf 1.735,82 DM und dann bis zum 30. Juni 1997 jährlich weiter erhöhen sollte. Im Mietvertrag war die Mietsache als Wohnung „zur teilgewerblichen Nutzung incl. Wohnen" bezeichnet. In der Folgezeit entrichteten die Beschwerdeführer den vereinbarten Mietzins bis zum 30. Juni 1994, nicht jedoch den danach fälligen Erhöhungsbetrag. Mit Schreiben vom 22. und 23. September 1994 teilten sie der Beteiligten zu 2 bzw. ihrer Rechtsvorgängerin mit, unter Beachtung der Wesentlichkeitsgrenze des § 5 WiStG liege der höchstzulässige Mietzins bei 1.158,33 DM bzw. ab 1. Juli 1994 bei 1.473,27 DM, und baten vergeblich um Bestätigung dieser Berechnung sowie um Rückzahlung des danach überzahlten Mietzinses. Einer entsprechenden Rückzahlungsklage gegen die Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 für die Zeit von Juli 1992 bis April 1993 gab das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg LVerfGE 10

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zunächst in vollem Umfang statt, da die Mietzinsvereinbarung für diese Zeit in Höhe von 510,73 DM monatlich wegen Verstoßes gegen § 5 WiStG nach § 134 BGB nichtig sei und den Beschwerdeführern deshalb in dieser Höhe ein Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zustehe. Auf das Mietverhältnis finde Wohnraummietrecht Anwendung, da jedenfalls keine überwiegende gewerbliche Nutzung vorliege. Im Berufungsverfahren erhob die zuständige Zivilkammer des Landgerichts Berlin mit Beschluß vom 6. November 1995 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis über die Behauptung der Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2, die im Mietvertrag vereinbarte Miete entspreche unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitsgrenze des § 5 WiStG der ortsüblichen Vergleichsmiete. Ausgehend von ausschließlicher Wohnnutzung ermittelte der Sachverständige in seinem Gutachten eine ortsübliche Vergleichsmiete von 1.359,29 DM einschließlich des nach § 5 WiStG zulässigen Zuschlags von 20 v.H. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 2. September 1996 gab die Kammer zu erkennen, daß die Werte, die im Sachverständigengutachten festgehalten seien, durchaus auch Grundlage eines Urteils sein könnten, und zwar unabhängig davon, wer als Beklagter und Vermieter zur Rückzahlung verpflichtet sei. Daraufhin schlössen die Parteien jenes Verfahrens einen Vergleich, in dem sich die Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 zur Rückzahlung der Differenz zwischen der vereinbarten und der im Sachverständigengutachten als höchstzulässig ermittelten Miete an die Beschwerdeführer verpflichtete. Im November 1996 erhoben die Beschwerdeführer nunmehr unter Bezugnahme auf die §§ 812, 817 Satz 1 BGB i.V.m. § 5 WiStG Klage gegen die Beteiligte zu 2 auf Rückzahlung des von Mai 1993 bis Oktober 1996 überzahlten Mietzinses und auf Feststellung, daß die Miete für ihre Wohnung nur 1.616,19 DM betrage. Sie machten geltend, eine teilgewerbliche Nutzung sei zu keinem Zeitpunkt wirksam vereinbart worden. Die im Mietvertrag hierzu enthaltene Klausel sei gemäß §§ 3, 9 Abs. 2 AGBG unwirksam. Eine teilgewerbliche Nutzung sei auch nie beabsichtigt gewesen. Als Betriebsstellenleiter und Handlungsbevollmächtigter eines Unternehmens für Tankstellentechnik sei der Beschwerdeführer beruflich voll ausgelastet gewesen und hätte nie eine Genehmigung zur Ausübung eines Nebengewerbes erhalten. Außerdem seien die Räumlichkeiten zur Ausübung eines Gewerbes neben Wohnzwecken nicht geeignet gewesen, zumal neben den Beschwerdeführern selbst auch ihr 13-jähriges Kind dort habe einziehen sollen. Bei einer derartigen Sachlage sei eine Umgehung der Mieterschutzvorschriften indiziert. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wies die Klage durch Urteil vom 6. Mai 1997 (GE 1997, S. 811 ff.) ab, da die im Mietvertrag getroffene Mietzinsvereinbarung gegen kein Gesetz verstoße. Zwar sei der vereinbarte Mietzins außerordentlich hoch und liege deutlich über dem, was der Mietspiegel für ein vergleichbares Objekt ausweise. Die Beschwerdeführer gehörten jedoch weder LVerfGE 10

Rechtliches Gehör und Nachweispflicht des Gerichts

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zu dem in § 138 Abs. 2 BGB und § 302 a StGB a.F. beschriebenen, benachteiligten Personenkreis, noch verstoße die Mietpreisvereinbarung gegen § 5 WiStG Sie sei nämlich nicht infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen zustande gekommen. Wie gerichtsbekannt sei, habe es in Berlin innerhalb der letzten zehn Jahre niemals ein geringes Angebot an sehr teurem Wohnraum gegeben. Die Beschwerdeführer hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, für denselben Preis, den sie hier bezahlten, eine Grunewaldlage anzumieten; sie hätten auch in Lichtenrade deutlich günstigeren Wohnraum anmieten können. Im übrigen habe ihnen seit 1993 die Auflösung des Mietverhältnisses freigestanden. Gegen dieses Urteil legten die Beschwerdeführer Berufung ein und trugen vor, das Amtsgericht unterliege einem Zirkelschluß, wenn es darauf abstelle, ob ein geringes Angebot an überteuertem Wohnraum vorhanden sei. Bei Bildung eines entsprechenden Teilmarktes käme es nie zu einem Verstoß gegen § 5 WiStG. Vielmehr dürften für die Bildung eines Teilmarktes nur solche Kriterien maßgeblich sein, die sich an der Art der zu vermietenden Wohnung orientierten. Für herkömmliche Neubauwohnungen der hier streitgegenständlichen Art sei aber 1993 nur ein geringes Angebot vorhanden gewesen. Dies habe auch die erkennende Kammer so gesehen, da sie im vorangegangenen Verfahren gegen die Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 ein Sachverständigengutachten zur Frage der ortsüblichen Miete eingeholt habe. Die Beschwerdeführer hätten 1991/92 über ein Jahr lang vergeblich in Berlin nach Wohnraum gesucht, bis sie ihre jetzige Wohnung gefunden hätten. Diese Wohnung sei im sozialen Wohnungsbau errichtet worden und verfüge über durchschnittlichen Ausstattungsstandard. In der mündlichen Berufungsverhandlung am 30. März 1998 verhandelten die Parteien zur Sache. Anschließend wies die Zivilkammer des Landgerichts Berlin durch Urteil vom selben Tage — zugestellt am 15. April 1998 — die Berufung mit folgender Begründung zurück: Ansprüche für den Zeitraum nach September 1994 könnten die Beschwerdeführer gemäß § 814 BGB schon deshalb nicht geltend machen, da sich aus ihrem Schreiben vom 23. September 1994 ergebe, daß sie bereits damals wußten, eine überhöhte Miete zu zahlen. Auch für den Zeitraum von Mai 1993 bis September 1994 scheide ein Anspruch aus, da die Parteien im Mietvertrag eine teilgewerbliche Nutzung vereinbart hätten. Da die Beschwerdeführer jedoch nach ihrem eigenen Vorbringen von Anfang an keine teilgewerbliche Nutzung beabsichtigten und demnach in Kenntnis der Nichtschuld „den Zuschlag" trotzdem gezahlt hätten, seien sie gemäß § 814 BGB insoweit mit einem Rückforderungsanspruch ausgeschlossen. Da sie die Höhe „dieses Zuschlags" nicht darlegten, sei der Vortrag zur angeblich überhöhten Miete unsubstantiiert; denn die Kammer könnte die Höhe eines in Betracht kommenden Anspruchs nicht feststellen. LVerfGE 10

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2. Mit der am 15. Juni 1998 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 15 Abs. 1 und 5 sowie von Art. 10 Abs. 1 der Verfassung von Berlin — VvB —. Sie machen geltend, das Landgericht habe ihr Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag gestellt und auf rechtliche Gesichtspunkte abgestellt habe, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht habe rechnen müssen. Danach hätten sie nicht damit rechnen müssen, daß das Landgericht die Klage unter dem Gesichtspunkt des § 814 BGB für unschlüssig hielt. Da sich weder die Beklagte im bisherigen Prozeßverlauf auf diese Vorschrift bezogen noch das Amtsgericht auf diesen Gesichtspunkt abgestellt habe, hätte es eines Hinweises des Gerichts bedurft. Dies ergebe sich auch daraus, daß § 5 WiStG nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB und damit auch des § 817 Satz 1 BGB darstelle und auf Ansprüche aus § 817 Satz 1 BGB § 814 BGB nach allgemeiner Auffassung nicht anzuwenden sei. Da mit der Klage nicht die Rückforderung eines Teilgewerbezuschlags, sondern einer nach § 5 WiStG überhöhten Miete geltend gemacht worden sei, habe ein gewissenhafter Prozeßbeteiligter auch nicht damit rechnen müssen, daß das Landgericht annehmen würde, den Beschwerdeführern sei allein deshalb bekannt gewesen, eine überhöhte und nicht geschuldete Miete zu zahlen, weil sie nicht die Absicht hatten, die Wohnung auch zu Gewerbezwecken zu nutzen. Nach dem gesamten Prozeßstoff habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß zwischen den Parteien ein Teilgewerbezuschlag vereinbart worden sei, dessen Rückzahlung die Beschwerdeführer hätten verlangen können. Vielmehr habe die vereinbarte Miete gerade keine Aufteilung in einen Wohnraumanteil und einen Gewerbezuschlag vorgesehen. Deshalb habe allein aus der Absicht der Beschwerdeführer, die Wohnung ausschließlich zu Wohnzwecken zu nutzen, nicht auf eine Kenntnis von der Nichtschuld des jetzt zurückgeforderten Betrages bei Zahlung der jeweils überhöhten Miete geschlossen werden können. Dies gelte um so mehr, als dieselbe Kammer den gleichen Sachverhalt im vorausgegangenen Rechtsstreit mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten ausweislich der Beweiserhebung völlig anders gewürdigt habe. Hätte das Landgericht auf seine Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Klage aus § 814 BGB hingewiesen, hätten die Beschwerdeführer auf die vorstehenden Gesichtspunkte hingewiesen. Darüber hinaus hätten sie vorgetragen, daß es für einen die Wirkung des § 814 BGB ausschließenden Vorbehalt nach der Rechtsprechung ausreiche, wenn gegenüber dem Empfänger deutlich zum Ausdruck gebracht werde, daß ihm die vermeintliche Forderung nicht zustehe. Das Schreiben vom 23. September 1994 enthalte einen solchen Vorbehalt, indem es den höchstzulässigen Mietzins berechne und sogar die bereits geleistete Miete LVerfGE 10

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zurückfordere. Unter diesen Umständen habe die Beklagte nicht darauf vertrauen können, den Differenzbetrag jeweils behalten zu können. Es sei davon auszugehen, daß sich das Landgericht bei entsprechenden Hinweisen der Beschwerdeführer der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeschlossen hätte. Auch die weitere Begründung des Landgerichts, daß es am ausreichenden Vortrag zu einem Gewerbezuschlag fehle und deshalb die tatsächlich geschuldete Miete nicht ermittelt werden könne, sei für einen gewissenhaften Prozeßbeteiligten überraschend gewesen, nachdem dasselbe Gericht im vorausgegangenen Verfahren die höchstzulässige Miete anhand des Sachverständigengutachtens ermittelt habe. Da eine einheitliche, nicht aufgliederbare Miete vereinbart worden sei, sei ein Vortrag zur Höhe des Gewerbezuschlags der Sache nach nicht möglich gewesen. Bei einem entsprechenden Hinweis des Gerichts hätten die Beschwerdeführer ihrerseits auf diesen Gesichtspunkt sowie darauf hingewiesen, daß die vertraglich eingeräumte Möglichkeit der teilgewerblichen Nutzung vorliegend keine Erhöhung der ortsüblichen Vergleichsmiete gegenüber den Werten nach dem Mietspiegel rechtfertige, weil die Wohnung nach dem äußeren Erscheinungsbild für eine über ohnehin zulässige Bürotätigkeiten hinausgehende teilgewerbliche Nutzung nicht geeignet sei. 3. Gem. § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist dem Präsidenten des Landgerichts Berlin, der Senatsverwaltung für Justiz und der Beklagten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern. Der Präsident des Landgerichts hat mitgeteilt, der Vorsitzende der Zivilkammer habe zu der Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Hinblick auf die Anwendung des § 814 BGB wie folgt Stellung genommen: Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30. März 1998 sei die Sachund Rechtslage mit den Parteien erörtert worden. Einzelheiten einer derartigen Erörterung würden nicht im Protokoll vermerkt. Er sei sich recht sicher, daß er die entsprechende Vorschrift bei der rechtlichen Darstellung erwähnt habe, könne es jedoch mit abschließender Sicherheit nicht sagen. Die Beisitzer könnten sich auch an eine Erwähnung des § 814 BGB im Rahmen einer Erörterung im entsprechenden Zeitraum erinnern. Dieser Fall sei auch der einzige, der die Erörterung der Vorschrift nahelegt habe. Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführer, der an jenem Termin teilgenommen hatte, hat hierzu erklärt, er sei sich sicher, daß auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Klage unter dem Gesichtspunkt des § 814 BGB von der erkennenden Kammer nicht hingewiesen worden sei. In der mündlichen Verhandlung sei die Frage des § 814 BGB nicht erörtert worden.

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II. 1. Mit der Rüge, das Landgericht habe den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör verletzt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Das angegriffene Urteil verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB) gewährleistet jedem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten grundsätzlich das Recht, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung nicht nur zu dem ihr zugrundeliegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 86, 133,144 zum inhaltsgleichen Art. 103 Abs. 1 GG). Daraus ergibt sich zwar noch keine generelle Pflicht des Gerichts, schon vor der Entscheidung seine Rechtsauffassung mitzuteilen, und auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters, wie sie das einfache Verfahrensrecht etwa in § 139 Abs. 1 und § 278 Abs. 3 ZPO normiert. Gleichwohl kann es in besonderen Fällen auch verfassungsrechtlich geboten sein, einen Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrundelegen will. Es kommt nämlich im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Sach- und Rechtslage gleich, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter — selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen — nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188,190). Bei Anlegung dieses Maßstabs war das Landgericht durch Art. 15 Abs. 1 VvB verpflichtet, den Beschwerdeführern vor seiner Entscheidung über deren Berufung zu erkennen zu geben, daß es die Klage unter dem Gesichtspunkt des § 8 1 4 BGB für unschlüssig hielt, und ihnen damit Gelegenheit zu geben, sich auch insoweit das rechtliche Gehör zu verschaffen. Aufgrund der Gesamtumstände des vorliegenden Verfahrens durften die Beschwerdeführer davon ausgehen, daß ihre Darlegung — vorbehaltlich der erstmals vom Amtsgericht in Zweifel gezogenen Anwendbarkeit des § 5 WiStG auf die streitbefangene Wohnung — den Anforderungen eines schlüssigen Sachvortrags zu dem geltend gemachten Rückforderungs- und Feststellungsanspruch genügten. Das Landgericht hatte im Vorprozeß gegen die Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem derselbe Mietvertrag zugrunde lag, diesen Vortrag als schlüssig behandelt; denn es hatte durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis über die Frage erhoben, ob die vereinbarte Miete unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitsgrenze des § 5 WiStG der ortsüblichen Vergleichsmiete entsprach, und es hatte nach Vorlage dieses Gutachtens, das trotz des abweichenden Vermerks im Mietvertrag von ausschließlicher Wohnnutzung ausging, ausdrücklich zu erkennen gegeben, daß die darin ermittelten Werte unabhängig von der LVerfGE 10

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seinerzeit streitigen Frage, wer als Beklagter und Vermieter zur Rückzahlung verpflichtet sei, durchaus auch Grundlage eines Urteils sein könnten. Zwar betraf der damalige Rechtsstreit nur den Mietzins für die Monate Juli 1992 bis April 1993, während im vorliegenden Verfahren der Mietzins für den anschließenden Zeitraum bis Oktober 1996 Streitgegenstand war. Für den die hier angegriffene Entscheidung tragenden Gesichtspunkt, die Beschwerdeführer hätten mangels Absicht einer teilgewerblichen Nutzung von Anfang an in Kenntnis der Nichtschuld einen „Zuschlag" für diese Nutzung gezahlt und seien deshalb gemäß § 814 BGB mit einem Rückforderungsanspruch ausgeschlossen, ist dies jedoch unerheblich. Mußte ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter in der Situation der Beschwerdeführer schon hiernach ohne entsprechenden Hinweis nicht damit rechnen, daß dieselbe Kammer des Landgerichts unter demselben Vorsitzenden seine Entscheidung im Folgeprozeß jedenfalls für den Zeitraum bis September 1994 auf den im gesamten Verfahren bis dahin nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt des § 814 BGB stützen würde, so gilt dies erst recht, wenn man berücksichtigt, daß § 814 BGB nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur zur Anwendung kommt, wenn der Leistende im Zeitpunkt der Leistung nicht nur die Tatumstände kannte, aus denen sich ergibt, daß er nicht verpflichtet ist, sondern auch wußte, daß er nach der Rechtslage nichts schuldete, wenn er sich also nicht in einem Rechtsirrtum befand (vgl. BGHZ 113, 62, 70). Da der Mietvertrag keinen Teilgewerbezuschlag ausweist und für eine anwaltliche Beratung der Beschwerdeführer vor September 1994 nichts ersichtlich ist, war der das angegriffene Urteil tragende Schluß, die von Anfang an fehlende Absicht einer teilgewerblichen Nutzung belege die positive Kenntnis der Beschwerdeführer von der fehlenden Verpflichtung zur Zahlung „des Zuschlags", von einem gewissenhaften und kundigen Prozeßbeteiligten nicht zu erwarten. Wollte das Gericht bei seiner Entscheidung auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, so war es gehalten, ihn den Parteien gegenüber offenzulegen und damit den Beschwerdeführern Gelegenheit zu geben, ihren Vortrag ausdrücklich zu ergänzen. Nichts anderes gilt für die in der angegriffenen Entscheidung aufgestellte Anforderung, die Beschwerdeführer hätten zur Erfüllung ihrer Darlegungs- und Beweispflichten im Rahmen des § 812 BGB die Höhe „dieses Zuschlags" substantiiert darlegen müssen. Mit dieser Anforderung an den Sachvortrag mußte ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter in der Situation der Beschwerdeführer ohne entsprechenden Hinweis nicht rechnen, da eine einheitliche, nicht aufgliederbare Miete vereinbart worden war und deshalb nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kein Anlaß für die Annahme bestand, dem Mietvertrag liege ein gesondert bezifferbarer Gewerbezuschlag zugrunde. Das gilt um so mehr, als sich die Beklagte hierauf im Ausgangsverfahren zu keinem Zeitpunkt berufen hat. LVerfGE 10

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Dasselbe gilt im Ergebnis für den die Entscheidung hinsichtlich des Zeitraums nach September 1994 zusätzlich tragenden Gesichtspunkt, die Beschwerdeführer hätten ausweislich ihres Schreibens an die Beklagte vom 23. September 1994 jedenfalls von da an positiv gewußt, daß sie eine überhöhte Miete zahlten, so daß ein Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 BGB durch § 814 BGB ausgeschlossen sei. Auch mit dieser Wendung des Verfahrens mußte ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter in der Situation der Beschwerdeführer ohne entsprechenden Hinweis nicht rechnen. Die Beschwerde weist nämlich zutreffend darauf hin, daß § 5 WiStG, dessen Tatbestandsvoraussetzungen bis dahin alleiniger Gegenstand der Verhandlung der Parteien und der im Vorprozeß sowie im vorliegenden Verfahren ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gewesen waren, nach gefestigter Rechtsprechung ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB und damit auch des § 817 Satz 1 BGB darstellt und daß auf Ansprüche aus § 817 Satz 1 BGB, die die Beschwerdeführer hier ausdrücklich geltend machten, § 814 BGB nicht anzuwenden ist (vgl. BGH, WM 1961, S. 530, 531). Außerdem brauchte ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter in der Situation der Beschwerdeführer ohne entsprechenden Hinweis nicht damit zu rechnen, daß das im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte und im Berufungsverfahren in Bezug genommene Schreiben vom 23. September 1994, mit dem die Beschwerdeführer die Berechtigung des Mietzinsanspruchs der Beklagten bestritten, um Rückzahlung der überzahlten Miete und um Bestätigung der von ihnen errechneten ortsüblichen Miete gebeten hatten, nicht einmal ansatzweise daraufhin geprüft würde, ob damit nicht ein — die Anwendung des § 814 BGB hindernder (vgl. BGHZ 83, 278, 282) - Vorbehalt für die künftigen Mietzahlungen erklärt war. Daß das Landgericht der sich nach alledem in mehrfacher Hinsicht aus Art. 15 Abs. 1 VvB ergebenden Hinweispflicht gegenüber den Beschwerdeführern in der Berufungsverhandlung in ausreichender Weise nachgekommen ist, läßt sich nicht mit der zur Uberzeugung des Verfassungsgerichtshofs erforderlichen Sicherheit feststellen. Die Behauptung der Beschwerdeführer, dies sei nicht geschehen, wird durch eine entsprechende Erklärung ihres seinerzeit anwesenden Verfahrensbevollmächtigten belegt. Der Vorsitzende der Zivilkammer hat demgegenüber eingeräumt, er könne nicht mit abschließender Sicherheit das Gegenteil bezeugen. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat sich zu der in Rede stehenden Tatfrage nicht geäußert, obwohl sie ein Interesse daran haben müßte, die mit der Verfassungsbeschwerde begehrte Aufhebung des angegriffenen Urteils und die damit verbundene Gefährdung ihres Erfolgs vor dem Landgericht zu verhindern. Unter diesen Umständen läßt sich die verbleibende Unsicherheit darüber, ob die vorgenannten Gesichtspunkte in der mündlichen Verhandlung vom Gericht mit den Beteiligten erörtert wurden, mit dem Sachund Streitstand angemessenen Mitteln nicht ausräumen. LVerfGE 10

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Bei der Beantwortung der Frage, zu wessen Lasten dies geht, ist entscheidend darauf abzustellen, daß gemäß § 160 Abs. 2 ZPO alle wesentlichen Vorgänge der Verhandlung — und das können auch Hinweise nach § 139 oder nach § 278 Abs. 3 ZPO sein (vgl. Baumbach/Hartmann, 56. Aufl. 1998, § 160 Rdn. 7) — in das Protokoll aufzunehmen waren, dieses jedoch hier gerade nichts darüber enthält, daß die Sach- und Rechtslage vom Gericht mit den Parteien erörtert, geschweige denn, daß in diesem Rahmen bestimmte Hinweise gegeben wurden. Das Gericht, das von Verfassungs wegen die Pflicht hat, einen Verfahrensbeteiligten auf bestimmte, die spätere Entscheidung tragende Gesichtspunkte hinzuweisen, hat die Möglichkeit, zweifelsfrei und ohne jeden Aufwand durch einen entsprechenden Vermerk im Protokoll die Erfüllung dieser Hinweispflicht zu belegen, wohingegen die Prozeßparteien typischerweise außer durch den eher unsicheren Zeugenbeweis keinen Beweis erbringen können. Im Hinblick darauf umfaßt die erhöhte Pflichtenstellung eines Gerichts, das abweichend vom Normalfall Anforderungen an den Sachvortrag stellen oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauchte, neben der Hinweispflicht auch eine Nachweispflicht, bei deren Verletzung verbleibende Zweifel daran, daß die durch das Grundrecht auf rechtliches Gehör gebotenen Hinweise tatsächlich gegeben wurden und entsprechende Gelegenheit zur Äußerung bestand, zugunsten des betroffenen Grundrechtsträgers ausschlagen (vgl. BVerfGE 36, 85, 87 ff.; BSG, NJW 1991, S. 1909; Weber-Grellet, Beweis- und Argumentationslast im Verfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S. 101 f.). Dies entspricht im übrigen dem allgemeinen Grundsatz der Beweislastlehre, daß der Verpflichtete — hier: das Gericht — die Erfüllung - hier: der verfassungsrechtlichen Hinweispflicht — zu beweisen hat (vgl. Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl. 1965, S. 342). Das angegriffene Urteil beruht auch auf der Verletzung des Art. 15 Abs. 1 VvB; denn die Unschlüssigkeit der Klage, auf die sich dieses Urteil stützt, hängt unmittelbar mit dem Gehörsverstoß zusammen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß der von den Beschwerdeführern für den Fall des hier unterbliebenen Hinweises beabsichtigte weitere Vortrag zu einer für die Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung geführt hätte. 2. Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verletzung der in Art. 15 Abs. 5 VvB verbürgten Gewährleistung des gesetzlichen Richters rügen, entspricht ihr Vorbringen nicht den sich aus § 50 VerfGHG ergebenden Anforderungen an die Bezeichnung einer derartigen Rechtsverletzung. Nach der für eine etwaige Vorlagepflicht aus § 541 ZPO maßgeblichen Rechtsauffassung des Landgerichts kam es auf die von den Beschwerdeführern für grundsätzlich LVerfGE 10

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gehaltene „Rechtsfrage der Wirksamkeit einer Vereinbarung über eine teilgewerbliche Nutzung mit dem Ziel der Umgehung von § 5 WiStG" für die angegriffene Entscheidung nicht an. 3. Nach § 54 Abs. 3 VerfGHG ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 Halbs. 2 BVerfGG an das Landgericht zurückzuverweisen. Ob — wofür manches spricht — die von den Beschwerdeführern erhobene Rüge einer Verletzung von Art. 10 Abs. 1 W B durch dieses Urteil ebenfalls begründet ist, bedarf im Hinblick darauf keiner Entscheidung. Die Kostentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 10 Die verfassungsrechtliche Verpflichtung, einen gerichtlichen Sachverständigen zu hören und um die Erläuterung seines abgegebenen Gutachtens zu bitten, findet keine Anwendung auf amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes und des UNHCR, die in Asylrechtsstreitigkeiten eingeholt werden.* Verfassung von Berlin Art. 15 Abs. 1 und 4 Beschluß vom 24. Juni 1999 - VerfGH 25/99, 25 A/99 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Herrn S. S. gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Dezember 1998 — VG 32 X 131/97Beteiligte gem. § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG: Senatsverwaltung für Justiz, Landeseinwohneramt Berlin, Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge — Außenstelle Berlin *

Nichtamtlicher Leitsatz

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Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe: I. Der Beschwerdeführer ist srilankischer Staatsangehöriger mit tamilischer Volkszugehörigkeit. Er reiste im Dezember 1991 nach Deutschland ein und meldete sich hier als Asylbewerber. Zur Begründung seines Asylantrags trug er vor, er habe wegen der ständigen Bombardierungen und der schlechten Versorgungslage nicht mehr in Jaffna leben können. Weil sein Leben dort in Gefahr gewesen sei, sei er zu seiner Ehefrau und seinen Kindern nach Deutschland gekommen. Nachdem er zunächst angegeben hatte, weder Mitglied noch Sympathisant einer politischen Partei gewesen zu sein, trug er im Laufe des weiteren Verfahrens vor, daß er die LTTE unterstützt habe und die srilankische Armee ihn deshalb einen Monat festgehalten habe. Mit Bescheid vom 16. Februar 1994 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Beschwerdeführer als Asylberechtigten an. Zugleich stellte es fest, daß in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen. Der hiergegen gerichteten Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gab das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. Dezember 1996 - VG 32 X 59/96 - statt. Der Beschwerdeführer sei im Falle der Rückkehr im Süden und Westen des Staatsgebietes, insbesondere im Großraum Colombo, vor politischer Verfolgung hinreichend sicher. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung wies das Oberverwaltungsgericht Berlin mit Beschluß vom 18. März 1997 zurück. Durch Bescheid vom 29. April 1997 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fest, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Gleichzeitig drohte es dem Beschwerdeführer die Abschiebung an für den Fall, daß er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb eines Monats verlassen habe. Zur Begründung seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage führte der Beschwerdeführer u. a. aus, da er bereits früher durch Sicherheitskräfte verhaftet worden sei, drohe ihm bei einer Rückkehr nach Colombo konkret eine erneute Verhaftung. Familiären Rückhalt in Colombo und Umgebung habe er nicht. Er könne daher nicht mit Hilfe von außen rechnen. Willkürliche Verhaftungen und LVerfGE 10

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Mißhandlungen sowie Folterungen 2ur Aussageerzwingung ohne gerichtliche Prüfung seien durchaus üblich. Die Situation in Sri Lanka habe sich unter der neuen Präsidentin nicht, wie erhofft, entspannt. Mit in der mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 1998 überreichtem Schriftsatz trug der Beschwerdeführer ergänzend vor, aus der vom Gericht in das Verfahren eingeführten Stellungnahme des UNHCR vom Juli 1998 zur Rückkehrgefährdung srilankischer Staatsangehöriger ergebe sich, daß die bisherige Einschätzung der Kammer zur Rückkehrgefahrdung nicht aufrechterhalten werden könne. Dies gelte insbesondere für Personen, die verdächtigt würden, Verbindungen zur LTTE zu haben. Andererseits sehe der UNHCR in dem verstärkten Bürgerkrieg eine wohlbegründete Furcht srilankischer Staatsangehöriger vor Verfolgung durch die LTTE. Berichtet werde außerdem von einem Erlaß des Generalinspektors der Polizei, der festlege, daß alle Rückkehrer nach ihrer Ankunft am Flughafen Colombo nach der Befragung durch die Einwanderungsbehörde auch von der Polizei befragt werden müssen. Er beantragte die „Einholung ergänzender Sachverständigengutachten von amnesty international und dem UNHCR". Die Gutachten würden ergeben, daß er, der Beschwerdeführer, aufgrund seiner tamilischen Volkszugehörigkeit und der erlittenen Vorverfolgung bereits bei seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, festgenommen zu werden. Die Beweiserhebung werde ferner ergeben, daß für ihn bereits in dieser Situation die konkrete Gefahr bestehe, durch Sicherheitskräfte mißhandelt zu werden. Ferner werde die Beweiserhebung ergeben, daß für ihn weder in Colombo noch sonstwo in Sri Lanka auch nur das wirtschaftliche Existenzminimum gesichert wäre. Die Gefahr, bei Razzien festgenommen zu werden und in der Haft mißhandelt und getötet zu werden, sei wegen der verschärften Bürgerkriegssituation und den sich daraus ergebenden Kontrollen auch bei dem Versuch gegeben, aus Colombo in andere Landesteile zu gelangen. Zudem werde die Beweiserhebung ergeben, daß er wegen des Verlassens des Nordens Sri Lankas ohne Genehmigung der LTTE auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungsmaßnahmen und menschenrechtswidriger Behandlung durch die LTTE in deren Einflußbereich rechnen müsse. Ferner beantragte er, „den Artikel vom 04.07.1998 Ausnahmezustand in Sri Lanka verhängt' ebenfalls in das Verfahren einzuführen". Aus dem Artikel gehe hervor, daß die Präsidentin Sri Lankas den Ausnahmezustand über den gesamten Inselstaat verhängt habe. Weiterhin beantragte er, „den Verfasser des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 06.04.1998 ebenso wie den Verfasser der Stellungnahme des UNHCR vom Juli 1998 zur Rückkehrgefährdung ... zur Erörterung ihrer Gutachten und Stellungnahmen in der öffentlichen Verhandlung zu laden". Das Gutachten bedürfe der Erörterung in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Rückkehrgefahrdung nach Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 1998. Auch im UNHCR-Bericht werde die bestehende LVerfGE 10

Asylrecht - rechtl. Gehör, Rechtsweggar. u. Beweiserheb, durch amtl. Auskünfte 85 Verschlechterung der Situation im Großraum Colombo noch nicht ausdrücklich behandelt. Schließlich beantragte der Beschwerdeführer, den Sachverständigen Dr. W zu hören. Dieser komme in dem zu erstattenden Gutachten zu dem Ergebnis, daß zurückkehrende Tamilen, die aus dem Norden/Osten Sri Lankas stammten, bei der Einreise bereits von Verhaftung und Folter konkret bedroht seien. Der Sachverständige habe sich zuletzt im September 1998 in Sri Lanka aufgehalten. Das Verwaltungsgericht lehnte — nachdem es die Zeitungsmeldung förmlich in das Verfahren eingeführt hatte — die Beweisanträge durch einen in der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 1998 verkündeten Beschluß ab: Soweit der Beschwerdeführer vortrage, im Falle der Rückkehr drohe ihm landesweit, Opfer von Verhaftungen und Mißhandlungen zu werden und ein Leben unterhalb des Existenzminimums führen zu müssen, handele es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, die im Wege der Beweiserhebung durch Einholung von Sachverständigengutachten geklärt werden könnten, sondern um Situationseinschätzungen prognostischer Art, die im übrigen angesichts der kontinuierlichen und genügend aktuellen Auskünfte sachverständiger Stellen, die in das Verfahren eingeführt worden seien, nicht hinreichend substantiiert und auch nicht konkret belegt seien. Dem Antrag, den Verfasser des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 6. April 1998 zur mündlichen Verhandlung zu laden, liege keine Tatsachenbehauptung zugrunde. Nur wenn schlüssig dargelegt werde, daß der Bericht manipuliert worden sei, könne die Ladung der Verfasser des Lageberichts und der UNHCR-Stellungnahme verlangt werden. Im übrigen diene der Antrag der Ausforschung und es bestehe keine Notwendigkeit für eine weitere Beweiserhebung. Dies gelte auch hinsichtlich der beantragten Ladung des Sachverständigen Dr. W. Hier dränge sich eine Beweiserhebung nicht auf, weil das Gericht aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse, die im einzelnen nicht angegriffen worden seien, über genügend eigene Sachkunde verfüge. Durch Urteil vom selben Tage — zugestellt am 11. Februar 1999 — wies das Verwaltungsgericht die Klage als offensichtlich unbegründet ab. Abschiebungshindernisse seien vor dem Hintergrund des das Asylbegehren ablehnenden und die Voraussetzungen des § 51 AuslG verneinenden rechtskräftigen Urteils der Kammer vom 13. Dezember 1996 nicht ersichtlich. An der Feststellung, daß der Beschwerdeführer ohne Verfolgungsfurcht nach Sri Lanka in sein Heimatland zurückkehren könne, habe sich nichts geändert. Der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen vom Juli 1998 könne eine Gefahr für den Beschwerdeführer nicht entnommen werden. Den dortigen Berichten über Festnahmen nach der Einreise lasse sich eine entscheidungserhebliche Verschlechterung der Lage für Rückkehrer aus Deutschland nicht entnehmen. Auch die Verhängung des Ausnahmezustandes über den gesamten Inselstaat Anfang August 1998 anläßlich der am 28. August 1998 geplanten Wahl zu den ProvinzLVerfGE 10

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räten ändere an der Beurteilung der Lage in Sri Lanka nichts. Die Ausdehnung des Ausnahmezustands auf weitere Gebiete Sri Lankas diene der Sicherung von Wahlen zu den Provinzräten. Darüber hinaus trage der Beschwerdeführer keinerlei Tatsachen für die Annahme vor, die Ausweitung könne dazu führen, daß ihm Gefahren im Sinne des § 53 AuslG in Sri Lanka drohten. Mit der am 6. April 1999 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 15 Abs. 1 und 15 Abs. 4 VvB. Das Verwaltungsgericht verweise auf sein ablehnendes Urteil vom 13. Dezember 1996 und ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 15. Dezember 1997 und lasse dadurch erkennen, daß sich seiner Ansicht nach die Situation in Sri Lanka in den letzten zwei Jahren nicht verändert habe. Die Stellungnahme des UNHCR mit Stand Juli 1998, die als einzige weitere Erkenntnisquelle herangezogen worden sei, werde verfälscht und entstellt wiedergegeben. Aus den Ausführungen des Berichts könne gerade nicht entnommen werden, daß ihm, dem Beschwerdeführer, bei seiner Rückkehr nichts geschehen werde. Die Verhängung des Ausnahmezustands sei noch nicht in den Bericht eingeflossen. Gerade hierzu sei der Beweisantrag gestellt worden, die Verfasser des Lageberichts des Auswärtigen Amtes und der UNHCR-Stellungnahme in der öffentlichen Sitzung zu laden. Das Gericht habe durch die Ablehnung seines Antrags auf Erläuterung der Sachverständigengutachten seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasse der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger, um diesen Fragen zu stellen und Bedenken vorzutragen. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör liege immer dann vor, wenn ein Gericht einen Antrag auf Erläuterung völlig übergehe oder ihm allein deshalb nicht nachkomme, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheine. Aus dem die Ladung der Berichtverfasser zur Erörterung ihrer Gutachten ablehnenden Beschluß vom 18. Dezember 1998 gehe hervor, daß das Gericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör insoweit vollkommen verkannt habe. Indem der Artikel über die Verhängung des Ausnahmezustands in das Verfahren eingeführt worden sei, habe das Gericht zu erkennen gegeben, daß es auf diesen Umstand ankomme. Dann habe aber auch die Pflicht bestanden, die Berichtslage zu aktualisieren. Die Ablehnung sei daher den Fällen vergleichbar, in denen das Gericht dem Antrag allein deshalb nicht nachkomme, weil es das Gutachten für überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig halte. Das Gericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör außerdem dadurch verletzt, daß es abgelehnt habe, Dr. W. zu laden und zu hören. Die Ablehnung dieses Antrags mit der Begründung, eine Beweiserhebung dränge sich nicht auf, weil das Gericht über ausreichend eigene Sachkunde verfüge, zeige, daß das Gericht offensichtlich seinen Sachvortrag nicht ernst genommen LVerfGE 10

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bzw. vollkommen ignoriert habe. Schließlich habe das Gericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die Einholung eines ergänzenden Gutachtens durch amnesty international und den UNHCR abgelehnt habe, obwohl er konkret vorgetragen habe, daß sich die Situation in Sri Lanka zu seinem Nachteil verändert habe. Dieser neue und erhebliche Umstand habe von den dem Gericht vorliegenden Stellungnahmen nicht berücksichtigt werden können. Damit seien diese aber auch nicht hinreichend aktuell. Soweit die Klage als offensichtlich unbegründet abgewiesen werde, liege zudem eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 15 Abs. 4 VvB vor. Er werde in seinem Rechtsweg beschnitten, da das Gericht willkürlich die Klage als offensichtlich unbegründet abgelehnt habe. Ihm sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Beweisanträge durch das Oberverwaltungsgericht prüfen zu lassen. Der Beschwerdeführer hat gleichzeitig beantragt, im Wege einstweiliger Anordnung Abschiebungsmaßnahmen gegen ihn zu untersagen. Gem. § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist der Senatsverwaltung für Justiz und der Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie dem Landeseinwohneramt Berlin Gelegenheit gegeben worden, sich zur Verfassungsbeschwerde und zum Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu äußern. II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das angegriffene Urteil verletzt weder den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB noch wird durch die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet Art. 15 Abs. 4 VvB in Verbindung mit den dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzbegehren zugrundeliegenden materiellen Grundrechten verletzt. 1. Art. 15 Abs. 1 VvB gewährleistet in Ubereinstimmung mit Art. 103 Abs. 1 GG jedermann den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht. Dieser Anspruch umfaßt grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger. Es gehört zur Gewährung rechtlichen Gehörs, daß die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, Bedenken vortragen und um eine nähere Erklärung von Zweifelspunkten bitten können. Darauf, ob das Gericht selbst eine zusätzliche Erörterung oder Befragung für erforderlich erachtet, kommt es nicht an. Es stellt daher einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dar, wenn das Gericht einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 15 Abs. 1 VvB nicht, einem rechtzeitig gestellten und nicht mißbräuchlichen Antrag auf mündliche Erörterung ausnahmslos Folge zu leisten. Dies ist nur die LVerfGE 10

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naheliegendste Möglichkeit, nicht aber die einzig mögliche (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 3. Februar 1 9 9 8 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998,2273, zu Art. 103 Abs. 1 GG; s.a. BGH, Urt. v. 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 NJW-RR 1987, 339, 340 und BVerwGE 69, 70, 77). a) Die verfassungsrechtliche Verpflichtung, einen gerichtlichen Sachverständigen zu hören und um die Erläuterung seines abgegebenen Gutachtens zu bitten, findet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings keine Anwendung auf amtliche Auskünfte des Auswärtigen Amtes, die in Asylrechts Streitigkeiten durch die Gerichte eingeholt und in die Verfahren eingeführt werden (BVerwG, Beschl. v. 9. März 1984 - 9 B 922/81 - Buchholz 310 § 87 Nr. 4; Urt. v. 22. Januar 1985 - 9 C 52/83 - Buchholz 310 § 87 Nr. 5 = NVwZ 1986, 35, 37 = DVB1. 1985, 577). Die amtlichen Auskünfte in Asylrechtsstreitigkeiten stellen nach dieser ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „selbständige Beweismittel dar, die ohne förmliches Beweisverfahren im Wege des Freibeweises verwertet werden können" (BVerwG, Urt. v. 22. Januar 1985, a.a.O.). Durch diese — wie das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf unveröffentlichte Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts betont — verfassungsrechtlich unbedenkliche Zulassung als selbständiges Beweismittel soll es ermöglicht werden, das besondere Fachwissen einer Behörde in das Verfahren einzuführen, ohne daß das Gericht gezwungen wäre, den Verfasser sowie die weiteren Bediensteten, die zu ihrer Erstellung beigetragen haben, zu vernehmen. Aus der Besonderheit der Beweiserhebung durch amtliche Auskunft ergibt sich, daß die Beteiligten — anders als im förmlichen Verfahren einer Beweiserhebung durch Sachverständige — nicht verlangen können, daß eine mündliche Erörterung durch das erkennende Gericht angeordnet wird. Es kann nur die Verpflichtung des Gerichts in Betracht kommen, auf schriftlichem Weg erneut an das Auswärtige Amt heranzutreten, um eine zusätzliche Auskunft oder Erläuterung zu erbitten. Aufgrund ihrer beweisrechtlichen Selbständigkeit und der Natur des in Asylverfahren zu begutachtenden Gegenstandes, der eine wertende Beurteilung der allgemeinen politischen Lage in dem auswärtigen Staat erforderlich macht, die ihrerseits durch eine Vielzahl einzelner Faktoren und Tendenzen bestimmt wird, die oft weder präzise erfaßt noch mit der bei der Beschreibung von Fakten sonst möglichen Genauigkeit dargestellt werden können, müssen die amtlichen Stellungnahmen auch nicht die zugrundeliegenden Informationsquellen und ihre Entstehungsgeschichte angeben (BVerwG, Urt. v. 22. Januar 1985 und Beschluß vom 9. März 1984, jeweils a.a.O.). Etwas anderes gilt nur, wenn „im Einzelfall gewichtige und fallbezogene Zweifel bestehen", daß die Auskunft unter Ausnutzung aller Informationsmöglichkeiten gewonnen wurde. Hierfür reichen allerdings pauschale Behauptungen oder Vermutungen nicht aus, vielmehr bedarf es einer substantiierten Darlegung LVerfGE 10

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gewichtiger Zweifel daran, daß die Auskunft auf einer ausreichenden Erkenntnisgrundlage erteilt wurde, beispielsweise weil sie ausschließlich auf unbesehen übernommenen Informationen von Behörden des Heimatstaates des Asylsuchenden beruht oder die Erkenntnisquellen bei der Erstellung der Auskunft manipuliert oder in sonstiger Weise verfälscht worden sind (BVerwG, Beschl. v. 29. November 1989 - 9 B 404/89 BVerwG, Urt. v. 22. Januar 1985, a.a.O.). b) Es ist nicht erkennbar, daß diese Rechtsprechung im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer herangezogenen Kammerbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Februar 1998 (1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 f.) eine andere verfassungsrechtliche Bewertung erfahren müßte. Hinsichtlich der Besonderheiten sowohl des „Beweisthemas" im Asylrechtsstreit als auch der Erkenntnisquellen haben sich keine Änderungen ergeben. Die Gründe, die das Bundesverwaltungsgericht für die vom Sachverständigengutachten abweichende Behandlung amtlicher Auskünfte des Auswärtigen Amtes in Asylrechtsstreitigkeiten anführt, bestehen unverändert fort. Der Kammerbeschluß läßt keinen verfassungsrechtlichen Aspekt erkennen, der eine andere Beurteilung nahelegen würde. Im Gegenteil macht der Beschluß deutlich, daß die Frage, ob der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt ist, ohne Berücksichtigung der einzelnen Verfahrensordnungen und deren Auslegung durch die letztinstanzlichen Fachgerichte sowie der Besonderheiten des jeweiligen Verfahrensgegenstandes nicht beantwortet werden kann. Der Beschwerdeführer hat nicht einmal den Versuch unternommen, darzutun, weshalb Zweifel daran bestehen, daß die Auskunft unter Ausnutzung aller Erkenntnismöglichkeiten und frei von Manipulationen erstellt worden ist. Es handelt sich vielmehr bei seinem diesbezüglichen Vorbringen um einen „schlichten" Antrag auf Erörterung, wie er im Normalfall eines Sachverständigengutachtens ausreicht, nicht aber bei amtlichen Auskünften des Auswärtigen Amtes in Asylrechtsstreitigkeiten. Auch soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Berichte seien, da sie vor Verhängung des Ausnahmezustands verfaßt worden seien, nicht hinreichend aktuell, ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des rechtlichen Gehörs kein Anspruch gerade auf Anhörung und Befragung der Verfasser der Berichte. Im übrigen hat das Gericht sich mit der Frage, ob seine Erkenntnisse und seine hieraus gezogenen Schlußfolgerungen durch die Verhängung des Ausnahmezustands überholt sein könnten, in — wie noch darzulegen ist — nachvollziehbarer Weise auseinandergesetzt. c) Für die Auskünfte des UNHCR gilt Entsprechendes wie für die amtlichen Auskünfte des Auswärtigen Amtes. Es handelt sich bei einer Auskunft des UNHCR um die Stellungnahme eines Organs der Vereinten Nationen, deren Mitglied Deutschland ist, nicht aber um ein Gutachten oder eine Auskunft einer Privatperson. Die Argumente, die das Bundesverwaltungsgericht bewogen haben, LVerfGE 10

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die Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes als selbständige Beweismittel anzuerkennen, gelten in vollem Umfang auch für Stellungnahmen des Hohen Flüchtlingskommissars. In diesem Zusammenhang kommt dem Argument, daß die Verfasser meist nicht im einzelnen benannt werden können und überdies deren Erscheinen vor Gericht erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen, besonderes Gewicht zu. Auch soweit der Beschwerdeführer eine Ladung des Verfassers des UNHCR-Berichts begehrt, ist die Ablehnung durch das Verwaltungsgericht daher im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 VvB verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des in Art. 15 Abs. 1 VvB garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung beantragten Einholung zusätzlicher Gutachten von amnesty international und Herr Dr. W sowie einer Ergänzung des vorliegenden Gutachtens des UNHCR rügt, kann seine Verfassungsbeschwerde ebenfalls keinen Erfolg haben. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt keinen Schutz davor, daß das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt läßt. Das gilt auch für Beweisanträge (vgl. BVerfGE 69, 141, 144). Es ist nicht erkennbar, daß die Beweisanträge gerichtet auf eine Zusatzbegutachtung aus Gründen abgelehnt worden sind, die im Prozeßrecht keine Stütze finden. a) Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (BVerwG, Urt. v. 17. Oktober 1989 - 9 C 25/89 - Buchholz § 1 AsylVfG Nr. 117; Beschl. v. 13. März 1992 - 4 B 39/92 - NVwZ 1993, 268). Bei fehlender Sachkunde sind die (Verwaltungs-)Gerichte jedoch verpflichtet, Sachverständige in Anspruch zu nehmen. Die Auswahl der zuzuziehenden gerichtlichen Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozeßgericht, das sich insbesondere auf die Benennung eines einzigen Sachverständigen beschränken kann (BVerwGE 71, 38, 41). Die Entscheidung darüber, ob ein weiteres Gutachten eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts. Dieses Ermessen wird nur dann fehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung eines — weiteren — Gutachtens oder eines Obergutachtens absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen (BVerwGE 74, 222, 224; Beschl. v. 4. Dezember 1991 - 2 B 135/91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 Nr. 238; st. Rspr.). In Asylrechtsstreitigkeiten verdichtet sich speziell für die Berufungsgerichte das Ermessen zu einer grundsätzlichen Rechtspflicht zur Beiziehung weiterer Gutachten, wenn ein Beteiligter solche Erkenntnisquellen benennt und in das Verfahren einführt, aus denen ein (anderes) Obergericht zu einer grundsätzlich anderen Beurteilung der asylrechtlichen Situation einer bestimmten LVerfGE 10

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Volksgruppe gekommen ist (BVerwGE 85, 92, 94f.). Diese grundsätzliche Rechtspflicht besteht auch deshalb, weil für die Feststellung genereller Tatsachen erst durch eine solche Vielzahl von möglicherweise unterschiedlichen Erkenntnisquellen ein vollständiges und objektives Bild über die vergangene, gegenwärtige und künftige asylrelevante Situation in einem möglichen Verfolgerstaat gewonnen werden kann. Deshalb sind alle erreichbaren „Mosaiksteine", die für die Komplettierung dieser Gesamtschau relevant sein können, in die Prognoseentscheidung einzubeziehen, soweit sie für die Beurteilung asylerheblicher genereller Tatsachen von Bedeutung sein können. b) Den Antrag des Beschwerdeführers, ein Gutachten von amnesty international und ein ergänzendes Gutachten des UNHCR einzuholen, aus dem sich ergeben werde, daß ihm bei einer Rückkehr nach Sri Lanka landesweit drohe, Opfer von Verhaftungen und Mißhandlungen zu werden, und ihn in ganz Sri Lanka ein Leben unter dem Existenzminimum erwarte, hat das Verwaltungsgericht als unbeachtlich angesehen, weil es sich hierbei nicht um Tatsachenbehauptungen handele, die durch Einholung von Sachverständigengutachten geklärt werden könnten, sondern um eine Situationseinschätzung prognostischer Art, die angesichts der hinreichend verläßlichen, kontinuierlichen und genügend aktuellen Auskünfte, die in das Verfahren eingeführt worden seien, nicht hinreichend substantiiert und auch nicht konkret belegt sei. In der Beschwerdebegründung vom 6. April 1999 wird hierzu vom Beschwerdeführer ausgeführt, die Tatsache, daß einerseits der Artikel über die Verhängung des Ausnahmezustandes in das Verfahren eingeführt worden sei, andererseits das Gericht sämtliche Beweisanträge über die aufgrund des Ausnahmezustands veränderte Situation abgelehnt habe, zeige deutlich, daß sein Sachvortrag vollkommen ignoriert worden sei. In dem dem Verwaltungsgericht eingereichten Schriftsatz vom 18. Dezember 1998 ist jedoch die ergänzende Begutachtung nicht mit der veränderten Situation in Sri Lanka aufgrund der Verhängung des Ausnahmezustands begründet worden. Die Beantragung der zusätzlichen Begutachtung erfolgte vielmehr ohne weitere Begründung im Anschluß an die Ausführungen des Beschwerdeführers, daß aufgrund des Berichts des UNHCR vom Juli 1998 die bisherige Einschätzung des Verwaltungsgerichts zur Rückkehrgefährdung nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Unter diesen Umständen ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es verfüge über ausreichende, verläßliche sowie hinreichend aktuelle Erkenntnisse und der Vortrag des Beschwerdeführers sei nicht hinreichend substantiiert, nachvollziehbar. Entsprechendes gilt für die Ablehnung des Antrags, ein Gutachten des zuletzt im September 1998 in Sri Lanka gewesenen Dr. W einzuholen, das zu dem Schluß kommen werde, daß ihm — dem Beschwerdeführer — bei seiner Einreise Verhaftung und Folter drohe. Das Gericht hat eine Beauftragung und LVerfGE 10

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Anhörung des Dr. W. in seinem Beschluß vom 18. Dezember 1998 mit der Begründung abgelehnt, eine Vernehmung dränge sich nicht auf, weil es aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse, die der Beschwerdeführer nicht angreife, über genügend eigene Sachkunde verfüge. In seinem Urteil vom gleichen Tag weist es darauf hin, daß die Verhängung des Ausnahmezustands zur Sicherung der Wahlen zu den Provinzräten gedient habe und der Beschwerdeführer keinerlei Tatsachen dafür vorgetragen habe, die Ausweitung des Ausnahmezustands führe dazu, daß ihm Gefahren im Sinne des § 53 AuslG drohten. Damit ist es seiner Pflicht, nachvollziehbar darzulegen, warum es die neu genannte „private" Erkenntnisquelle unberücksichtigt gelassen hat, in verfassungsrechtlichen Anforderungen genügender Weise nachgekommen. Dem Vortrag des Beschwerdeführers in seinem Schriftsatz vom 18. Dezember 1998 läßt sich nicht im Ansatz entnehmen, welcher Art die Erkenntnisse des benannten Dr. W sind. Die Behauptung, er werde den Vortrag des Beschwerdeführers bestätigen, ist durch keinerlei Sachvortrag konkretisiert worden. Es ist insbesondere nichts dazu vorgetragen worden, welche Auswirkungen der Ausnahmezustand auf die Situation zurückkehrender Tamilen hat. Es ist nicht einmal dargetan, daß der Ausnahmezustand noch anhält. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß der Ausnahmezustand anlaßbezogen war zur Sicherung der für Ende August 1998 vorgesehenen Wahlen, also keinen Rückschluß auf eine allgemeine Verschlechterung der Menschenrechtssituation zuließ. Daher mußte sich angesichts des Fehlens jeder Substantiierung seitens des Beschwerdeführers eine Aktualisierung nicht aufdrängen. Selbst in seiner Beschwerdebegründung trägt der Beschwerdeführer nichts dazu vor, welche Auswirkungen der Ausnahmezustand gerade für Rückkehrer hatte oder noch hat. 3. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgewiesen und damit Art. 15 Abs. 4 VvB in Verbindung mit den dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzbegehren zugrundeliegenden materiellen Grundrechten verletzt, ist ebenfalls nicht begründet. Art. 15 Abs. 4 VvB überläßt zwar die nähere Ausgestaltung des Rechtswegs den jeweils geltenden Prozeßordnungen und gewährleistet nicht, daß diese einen Instanzenzug zur Verfügung stellen. Jedoch darf der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden, und er darf auch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Das gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, es gilt auch für die Wahrnehmung aller Instanzen, die eine Prozeßordnung jeweils vorsieht (vgl. zum insoweit inhaltsgleichen Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfGE 40,272,274f.; st. Rspr.). Wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat (BVerfGE 65, 76 ff.), ist es wegen der außerordentlichen Belastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit LVerfGE 10

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Asylverfahren zwar verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß ein weiteres Rechtsmittel nicht stattfindet, wenn sich die Klage eines Asylsuchenden als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (§ 78 Abs. 1 AsylVfG), die Inanspruchnahme einer weiteren gerichtlichen Instanz mithin mutwillig wäre. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts aber nur dann der Fall, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (vgl. BVerfGE 71, 276, 293; BVerwG, Beschl. v. 1. März 1979 - BVerwG 1 B 24/79 - Buchholz 402.24 § 34 AuslG Nr. 1). Die subjektive Einschätzung der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Klage durch den Einzelrichter reicht hierfür nicht aus. Vielmehr gebieten die in der Sache betroffenen Grundrechte — hier das im Umfang des bundesrechtlichen Mindeststandards des Art. 2 Abs. 1 GG auch Ausländern in Art. 17 VvB landesverfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Freizügigkeit (vgl. Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93 - LVerfGE 2, 19, 24 f. und vom 16. August 1995 - VerfGH 27/94 - LVerfGE 3, 50, 54ff.) - i.V.m. Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB zur Gewährung eines angemessenen und effektiven Rechtsschutzes (vgl. dazu Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs vom 12. Juli 1994 [a.a.O. S. 31] und vom 28. Januar 1998 - VerfGH 65/97,65 A/97 - NVwZBeil. 1998, S. 41,42), daß sich die offensichtliche Unbegründetheit der Klage klar und eindeutig aus den Entscheidungsgründen ergibt (vgl. BVerfGE 65, 76 ff.; 71, 276, 292f.; Beschl. v. 3. September 1996 - 2 BvR 2353/95 - NVwZ-Beil. 1997, S. 9 f. zu Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Beschränkt sich das Verwaltungsgericht im wesentlichen darauf, abstrakt die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet darzulegen, ohne diesen abstrakten Maßstab im konkreten Fall auf die Situation und das Vorbringen des Klägers anzuwenden, vermag dies die Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet nicht zu tragen. Vielmehr muß aus den Entscheidungsgründen nachvollziehbar deutlich werden, unter welchen Gesichtspunkten dieser abstrakte Maßstab im konkreten Fall auf die Situation und das Vorbringen des Klägers angewandt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. Oktober 1994 - 2 BvR 2748/93 - NVwZ-Beil. 1995, S. 1 f.). Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird das angegriffene Urteil gerecht. Der Beschwerdeführer macht zur Begründung des von ihm behaupteten Verstoßes gegen Art. 15 Abs. 4 VvB geltend, daß die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts über die Verfolgungssituation nicht hinreichend aktuell gewesen seien und er dem Gericht ausreichend Anhaltspunkte unterbreitet habe, LVerfGE 10

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die es zu weiterer Sachaufklärung und zur Überprüfung seiner ständigen Rechtsprechung hätten veranlassen müssen. Das Verwaltungsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung das Problem, ob seine Erkenntnisquellen noch hinreichend aktuell sind, erkannt und sich damit auseinandergesetzt. Insbesondere hat es den UNHCR-Bericht von Juli 1998 ausgewertet. Unabhängig davon, ob die im Urteil anklingende Annahme, der Bericht lasse erkennen, daß Fälle von Verhaftungen am Flughafen dem Hohen Flüchtlingskommissar genau bekannt seien und beobachtet würden, zu überzeugen vermag, ist jedenfalls die Schlußfolgerung, die dargestellten Fälle von Verhaftungen ließen keine entscheidungserhebliche Verschlechterung der Lage von Rückkehrern erkennen, nachvollziehbar. Daß es bei der Einreise immer wieder zu Befragungen und auch Verhaftungen kommt, hat das Verwaltungsgericht bereits in seinem Urteil vom 20. Februar 1997, mit dem es die Anerkennung des Beschwerdeführers als Asylberechtigten aufgehoben hat und das das Oberverwaltungsgericht durch die Zurückweisung des Antrags des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung bestätigt hat, eingehend dargelegt und die Asylrelevanz insoweit verneint. Allein der Umstand, daß eine Intensivierung der Befragungen und Verhaftungen bei der Einreise in dem Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars erwähnt wird, stellt daher die Nachvollziehbarkeit des Offensichtlichkeitsurteils des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Entsprechendes gilt, soweit das Gericht den Bericht dahin wertet, er enthalte keine Empfehlung, daß Tamilen aus Deutschland nicht abgeschoben werden sollten. Diese Feststellung des Gerichts wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der UNHCR-Bericht nicht bestätigt, abgeschobene tamilische Asylbewerber seien vor Festnahme, Folterung und unter Umständen extralegaler Tötung schlechthin sicher. Entscheidend ist, daß die Ausführungen des Berichts zu den Paß- und Ausweisfragen mit dem Verwaltungsgericht dahin verstanden werden können, bei Vorliegen ordnungsgemäßer Personaldokumente sei in der Regel eine gefahrlose Rückkehr abgelehnter Asylbewerber möglich. In diesem Sinne ist auch der Hinweis in dem UNHCR-Bericht zu verstehen, der beste Schutz vor Inhaftierungen in Colombo seien ein gültiger Paß und ein guter Grund, sich dort aufzuhalten. Soweit sich das Gericht zur Stützung seiner Offensichtlichkeitsannahme darauf beruft, daß die Verhängung des Ausnahmezustandes zur Sicherung der Durchführung von Wahlen erfolgt sei, also keinen besonderen Bezug zur Frage der Rückkehrmöglichkeit aufweist, und daß der Beschwerdeführer keinerlei Tatsachen vorgetragen habe, ihm drohten durch die Ausweitung des Ausnahmezustandes Gefahren im Sinne des § 53 AuslG, wird ebenfalls hinreichend deutlich, warum das Gericht davon ausgeht, daß vernünftigerweise keine Zweifel an der Klageabweisung bestehen. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang — wie bereits oben im einzelnen ausgeführt — insbesondere der Hinweis des Gerichts, seitens des Beschwerdeführers fehle jegliche Substantiierung, in welcher Weise sich der LVerfGE 10

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anlaßbezogene verhängte Ausnahmezustand auf die Situation zurückkehrender tamilischer Asylbewerber auswirkt. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 11* Politische Parteien können die Verletzung ihres landesverfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Chancengleichheit bei der Gestaltung des Wahlverfahrens nur im Wege des Organstreits geltend machen.** Grundgesetz Art. 21 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 49 Abs. 1 Beschluß vom 3. August 1999 - VerfGH 27/98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Partei x, Landesverband Berlin, vertreten durch ihre Vorstandsmitglieder gegen das Zweite Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin vom 3. April 1998 (GVB1. S. 82) Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

* Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtlicher Leitsatz

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Nr. 12* Art. 84 Abs. 2 Nr. 5 VvB, § 49 Abs. 1, § 14 Nr. 6 VerfGHG begründen ein absolutes Zulässigkeitshindernis für ein paralleles Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, soweit ein Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben hat (oder noch erhebt). Das gilt auch dann, wenn die parallelen Verfassungsbeschwerden auf unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe beschränkt werden.** Verfassung von Berlin Art. 84 Abs. 2 Nr. 5 Beschluß vom 14. Oktober 1999 - VerfGH 43/99 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Rechtsanwältin G. G. gegen den Rügebescheid der Rechtsanwaltskammer Berlin vom 23. Februar 1998, den Einspruchsbescheid des Vorstands der Rechtsanwaltskammer Berlin vom 24. August 1998 sowie den Beschluß des Anwaltsgerichts Berlin vom 3. März 1 9 9 9 - 1 AnwG 46/98 Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Nr. 13 1. Die gesetzliche Ermächtigung einer Anstalt des öffentlichen Rechts, im Rahmen eines Vertrages ihre Leitung einer juristischen Person des privaten Rechts zu unterstellen, ist mit dem Demokratieprinzip nur vereinbar, wenn sichergestellt ist, daß die Entscheidung über die Ertei* Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtlicher Leitsatz

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lung von Weisungen an die Anstalt letztlich in der Hand des Gewährträgers (hier: Land Berlin) verbleibt; die demokratisch legitimierten Vertreter des Gewährträgers müssen die letztentscheidende Einflußmöglichkeit behalten (im Anschluß an BVerfGE 93,37 ff.). 2. Die aus der Verfassung von Berlin herzuleitenden Grundsätze des Gebührenrechts, namentlich der Gleichbehandlungsgrundsatz und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sind auch im Rahmen des Verwaltungsprivatrechts bei der Erhebung privatrechtlicher Entgelte für Leistungen der öffentlichen Verwaltung zu beachten. Verfassung von Berlin Art. 2, 3 Abs. 1,10 Abs. 1, 59 Abs. 1 Urteil vom 21. Oktober 1999 - VerfGH 42/99 in dem abstrakten Normenkontrollverfahren auf Antrag von 64 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses von Berlin — Antragsteller — gegen Art. I und II des Gesetzes zur Änderung des Berliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes vom 17. Mai 1999 (GVB1. S. 183) Beteiligte gemäß § 44 VerfGHG: Senat von Berlin Abgeordnetenhaus von Berlin Entscheidungsformel: Art. II § 3 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 des Gesetzes zur Änderung des Berliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes vom 17. Mai 1999 (GVB1. S. 183) sind nichtig. Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des genannten Gesetzes ist hinsichtlich der Worte „zuzüglich 2 Prozent-Punkte" nichtig. Art. I Nr. 1 Buchstabe a) und Art. II § 1 Abs. 1 und 2, § 3 Abs. 1 bis 3 sowie § 6 des vorgenannten Gesetzes sind in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung mit der Verfassung von Berlin vereinbar. Im übrigen wird der Antrag abgelehnt. Das Land Berlin hat den Antragstellern die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten. LVerfGE 10

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Gründe: I. Die Antragsteller sind Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin. Sie beantragen im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, Art. I und II des Gesetzes zur Änderung des Berliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes vom 17. Mai 1999 - im folgenden: des Gesetzes — insgesamt oder hilfsweise hinsichtlich einzelner Vorschriften wegen Unvereinbarkeit mit der Verfassung von Berlin (VvB) für nichtig zu erklären. Dem liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Das Land Berlin hat zur Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben der Wasserversorgung Berlins sowie der Ableitung und Reinigung des in Berlin anfallenden Abwassers die Berliner Wasserbetriebe (BWB) als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet. Am 7. Juli 1998 beschloß der Senat von Berlin (im folgenden: Senat), diese Anstalt im Rahmen eines Holding-Modells in einen privatrechtlichen Konzern einzubinden. Dies soll in der Weise erfolgen, daß sich eine Holding-Aktiengesellschaft mit bis zu 49,9 % als stiller Gesellschafter am Unternehmen der Anstalt beteiligt, während die restlichen 50,1% beim Land verbleiben. Die Holding-Aktiengesellschaft soll ebenfalls mehrheitlich vom Land gehalten werden und durch Vertrag nur eine begrenzte Weisungsbefugnis gegenüber der Anstalt erhalten. Das angegriffene Gesetz soll die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verwirklichung dieses Modells schaffen. Art. I enthält entsprechende Änderungen des Berliner Betriebegesetzes, Art. II mit der Überschrift „Gesetz zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe" enthält spezielle Regelungen zur Umsetzung des genannten Vorhabens. Dabei geht es im wesentlichen um folgende Vorschriften: § 1 ermächtigt die BWB, juristischen Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts Beteiligungen als stille Gesellschafter einzuräumen und Unternehmensverträge im Sinne des Aktiengesetzes oder vergleichbare Verträge abzuschließen. Im Rahmen eines solchen Vertrages darf jedoch die Leitung der Anstalt einer juristischen Person des privaten Rechts nur unterstellt werden, wenn das Land mehrheitlich an dieser beteiligt ist, der Einfluß des Landes bei der Erteilung von Weisungen gegenüber der Anstalt gewährleistet ist und solche Weisungen den öffentlichen Aufgaben der Anstalt sowie der Anstaltsträgerschaft, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung des Landes nicht zuwiderlaufen. § 2 modifiziert für die BWB die Vorschriften des Berliner Betriebegesetzes über den Aufsichtsrat u. a. dahin, daß die vom Senat vorgeschlagenen und von der Gewährträgerversammlung bestellten Aufsichtsratsmitglieder jederzeit abberufen werden können. LVerfGE 10

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§ 3 regelt die rechtlichen Maßstäbe für die Tarifgestaltung bei der Wasserversorgung und Entwässerung in folgender Weise: Die den Berliner Tarifkunden anzubietenden Tarife müssen den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit genügen und sind so zu bemessen, daß zumindest die bei wirtschaftlicher Betriebsführung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfahigen Kosten gedeckt sind. Dazu gehören insbesondere Entgelte für in Anspruch genommene Fremdleistungen, Abschreibungen auf der Basis von Anschaffungs- oder Herstellungswerten, Rückstellungen sowie eine angemessene kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals. Dieses besteht aus den Teilen des Anlage- und Umlaufvermögens, die dem Betriebszweck dienen, jedoch vermindert um etwa der Anstalt vom Land zinslos zur Verfügung gestellte Vorauszahlungen und Anzahlungen. Als angemessene kalkulatorische Verzinsung gilt gemäß Abs. 4 die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren vor der jeweiligen Kalkulationsperiode zuzüglich 2 Prozentpunkte. Eine darüber hinausgehende Verzinsung gilt auch insoweit als angemessen, als sie auf Maßnahmen beruht, die zu einer dauerhaften Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Anstalt führen. Diese weitergehende Verzinsung ist jedoch nur während eines Zeitraums von drei Jahren nach Durchführung solcher Maßnahmen zulässig; ab dem vierten Jahr sind die dadurch erzielten Kostenvorteile in Form von Entgeltreduzierungen an die Entgeltzahler weiterzugeben. Nach § 6 sollen die BWB einen angemessenen Gewinn erzielen und sind sie verpflichtet, ihren gesamten Bilanzgewinn an das Land abzuführen. Die Antragsteller halten die genannten Regelungen für unvereinbar mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Demokratie und der Gewaltenteilung, dem Vorbehalt des Gesetzes sowie mit dem Haushaltsverfassungsrecht und dem Rechtsstaatsprinzip. Sie beantragen festzustellen, daß I. Art. I und II des Gesetzes mit Art. 2 , 3 , 1 0 , 77, 85, 87 und 88 der Verfassung von Berlin und dem bei der Landesgesetzgebung zu berücksichtigenden Rechtsstaatsgebot sowie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem Grundsatz der Normenklarkeit und dem Vorbehalt des Gesetzes unvereinbar und deshalb hinsichdich der Regelungen zur Privatisierung der BWB und der Regelungen zur künftigen Entgeltberechnung nichtig seien, II. hilfsweise, daß 1. die §§ 1 bis 3 des Art. II des Gesetzes unvereinbar mit dem Demokratieprinzip gemäß Vorspruch sowie Art. 2 und 3 V v B seien, 2. a) Art. II § 3 des Gesetzes unvereinbar mit Art. 59 VvB sei, b) Art. II §§ 1 bis 3 unvereinbar mit Art. 92 V v B seien,

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Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin 3. die §§ 1 bis 3 des Art. II des Gesetzes unvereinbar seien mit Art. 85 ff. VvB.

Der Verfassungsgerichtshof hat dem Abgeordnetenhaus von Berlin (im folgenden: Abgeordnetenhaus) und dem Senat Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Beide Verfassungsorgane halten den Antrag zum Teil für unzulässig und im übrigen für unbegründet. II. Der nach Art. 84 Abs. 2 Nr. 2 VvB, § 14 Nr. 4 VerfGHG statthafte Normenkontrollantrag hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. 1. Der Normenkontrollantrag ist nur teilweise zulässig. Soweit die Antragsteller mit ihrem Hauptantrag pauschal die Feststellung begehren, Art. I und II des Gesetzes zur Änderung des Berliner Betriebegesetzes, zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe und zur Änderung des Berliner Wassergesetzes vom 17. Mai 1999 seien mit der Verfassung von Berlin unvereinbar, ist ihr Antrag mangels Erfüllung des Begründungserfordernisses des § 21 Abs. 1 Satz 2 VerfGHG unzulässig. Denn die von ihnen im einzelnen vorgebrachten Beanstandungen richten sich — mit Ausnahme der Regelung in Art. I Nr. 1 Buchstabe a) des Gesetzes, die derjenigen in Art. II § 6 entspricht — nicht gegen Art. I des Gesetzes. Nur in diesem eingeschränkten Umfang ist mithin Art. I des Gesetzes Prüfungsgegenstand. In einer den Anforderungen des § 21 Abs. 1 Satz 2 VerfGHG genügenden Weise zur Prüfung gestellt sind, wie sich aus der Begründung der Antragsteller ergibt, auch nicht alle Regelungen in Art. II des Gesetzes. Dies gilt namentlich für die §§ 4, 5 und 7 des Gesetzes, die von den Antragstellern nicht angegriffen werden; nach der Zielrichtung des Antrages scheiden überdies die Bestimmungen in § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1 und 6 des Gesetzes als Prüfungsgegenstand aus. 2. Der Normenkontrollantrag ist nur mit Blick auf Art. II § 3 Abs. 4 des Gesetzes begründet. a) Art. II § 1 Abs. 1 und 2 sowie § 2 Abs 1 des Gesetzes sind bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Demokratieprinzip vereinbar; in diesem Zusammenhang sind auch weder der Gesetzesvorbehalt des Art. 59 Abs. 1 VvB noch Art. 77 Abs. 1 Satz 1 VvB und Art. 92, 93 Abs. 2 VvB verletzt. aa) Das Demokratieprinzip ist im Grundgesetz und in der Verfassung von Berlin als eines der grundlegenden Strukturprinzipien des Staates festgelegt. Wesentlicher Ausdruck dieses Prinzips ist, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der LVerfGE 10

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Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird (Art. 20 Abs. 2 GG). Diese Grundentscheidung ist nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich. Für Berlin ist sie landesverfassungsrechtlich im Vorspruch sowie in Art. 2 und 3 Abs. 1 VvB verankert. aaa) Ausgehend vom Volk als Träger und Inhaber der Staatsgewalt folgt aus dem Demokratieprinzip nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse einer Legitimation bedürfen, die sich auf das Volk selbst zurückführen läßt (BVerfGE 93, 37, 66ff. m.w.N.). Die dazu in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur entwickelten unterschiedlichen Formen der institutionellen, funktionellen, sachlich-inhaltlichen und der personellen Legitimation haben Bedeutung nicht je für sich, sondern nur in ihrem Zusammenwirken; notwendig ist ein bestimmtes „Legitimationsniveau", das bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt unterschiedlich ausgestaltet sein kann (vgl. BVerwGE 106, 64, 74 m.w.N). Im Bereich der Verwaltung ist die Ausübung von Staatsgewalt demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung der Amtsträger — personelle Legitimation vermittelnd — auf das Staatsvolk zurückführen läßt und die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung — ohne Bindung an die Willensentschließung einer außerhalb parlamentarischer Verantwortung stehenden Stelle — handeln können (sachlich-inhaltliche Legitimation; vgl. BVerfGE 93, 37, 67). bbb) Uneingeschränkte personelle Legitimation besitzt ein Amtswalter dann, wenn er verfassungsgemäß sein Amt im Wege der Wahl durch das Volk oder das Parlament oder dadurch erhalten hat, daß er durch einen seinerseits personell legitimierten, unter Verantwortung gegenüber dem Parlament handelnden Amtsträger oder mit dessen Zustimmung bestellt worden ist (ununterbrochene Legitimationskette; BVerfGE 93, 37, 67). Sieht das Gesetz ein Gremium als Kreationsorgan eines Amtsträgers vor, das nur teilweise aus personell legitimierten Amtsträgern zusammengesetzt ist, so erhält der zu bestellende Amtsträger volle demokratische Legitimation für sein Amt dadurch, daß die die Entscheidung tragende Mehrheit sich ihrerseits aus einer Mehrheit demokratisch legitimierter und parlamentarisch verantwortlich handelnder Mitglieder des Kreationsorgans ergibt. Die Zusammensetzung entscheidungsbefugter Kollegialorgane fordert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mithin nicht, daß alle an der Entscheidung Beteiligten über individuelle demokratische Legitimation verfügen müssen (anders noch u. a. NRW VerfGH, Urt. v. 15. September 1986 - VerfGH 17/85 - NVwZ 1987, 211, 212). Entscheidend ist vielmehr, daß nicht nur die Mehrheit der Mitglieder demokratisch legitimiert ist, sondern überdies die konkrete Entscheidung von einer Mehrheit der so legitiLVerfGE 10

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mierten Mitglieder getragen wird („Prinzip der doppelten Mehrheit"; BVerfGE 93, 37, 72 m.w.N.). Die Frage hinreichender personeller Legitimation stellt sich dabei nicht nur bei der Bestellung der Amtswalter; sie erstreckt sich vielmehr auch darauf, in welchem Umfang Kollegialorgane, die sich nur zum Teil aus demokratisch legitimierten Mitgliedern zusammensetzen, an Entscheidungen mitwirken können, die sich als Ausübung staatlicher Gewalt darstellen. Auch insofern muß sichergestellt werden, daß die Entscheidungen jeweils von einer Mehrheit der uneingeschränkt demokratisch legitimierten Mitglieder getragen werden (vgl. BVerfGE 93, 37, 78 zu personalvertretungsrechtlichen Einigungsstellen). Die neben der personellen Legitimation erforderliche sachlich-inhaltliche Legitimation wird im Bereich der Exekutive vorrangig durch Gesetzesbindung sowie durch demokratisch verantwortete Aufsicht über die Einhaltung dieser Bindung vermittelt (vgl. BVerwGE 106, 64, 81). ccc) Als Ausübung von Staatsgewalt, die der zuvor behandelten demokratischen Legitimation bedarf, stellt sich alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar (BVerfGE 93, 37, 68). Erfaßt werden damit sowohl Entscheidungen, die unmittelbar nach außen wirken, als auch solche, die durch einen anderen Verwaltungsträger umgesetzt werden müssen, sofern dieser dazu rechtlich verpflichtet ist (vgl. BVerwGE 106, 64, 76). Entscheidungscharakter kommt überdies der Wahrnehmung von Mitentscheidungsbefugnissen zu; dazu gehört namentlich die Erteilung von Weisungen, wenn ein anderer Verwaltungsträger bei der Ausübung seiner Entscheidungsbefugnisse von ihnen rechtlich abhängig ist. bb) Zu Recht nehmen die Antragsteller an, die vorgesehene Teilprivatisierung der BWB unterliege den dargelegten, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien demokratischer Legitimation, die auch landesverfassungsrechtlich Geltung beanspruchen. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben - wie hier im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung — ist selbst dann Ausübung staatlicher Gewalt, wenn sie durch öffentlich-rechtlich organisierte selbständige Einrichtungen des Staates wahrgenommen wird (vgl. NRW VerfGH, Urt. v. 15. September 1986 - VerfGH 17/85 - a.a.O., S. 212 zu kommunalen Sparkassen; HessStGH, Urt. v. 30. Aprü 1986 - P.St. 1023 - DVB1.1986,936,937). Die Teilprivatisierung berührt die Rechtsform der BWB als Anstalt öffentlichen Rechts nicht; als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung ist ihre Verwaltungs tätigkeit - unabhängig davon, ob sie privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ausgeübt wird — dem Demokratieprinzip unterworfen. Dies gilt auch, soweit den BWB mit der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung lediglich einzelne wasserwirtschaftliche Aufgaben übertragen sind. Zwar können die sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden Anforderungen an das erforderliche Legitimationsniveau bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im LVerfGE 10

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allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein (BVerfGE 93, 37, 67). Soweit es — wie hier bei der Einräumung von Entscheidungsbefugnissen — um die Erfüllung des Amtsauftrages geht, muß die Ausübung staatlicher Herrschaft gegenüber den Bürgern jedoch stets der Let2tentscheidung der demokratisch legitimierten Amtsträger vorbehalten sein (BVerfGE 93, 37, 70). Bei verfassungskonformer Auslegung tragen die Regelungen in Art. II § 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 1 des Gesetzes dem Gebot demokratischer Legitimation ausreichend Rechnung. aaa) Die rein kapitalmäßige Beteiligung privaten Kapitals an einer Anstalt öffentlichen Rechts wirft keine spezifisch verfassungsrechtlichen Probleme auf. Der Begriff der Anstalt öffentlichen Rechts ist aus organisatorischer Sicht weder verfassungsrechtlich noch verwaltungsrechtlich in einer bestimmten Richtung abschließend determiniert. Eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie für bestimmte Anstalten bzw. für eine bestimmte organisatorische Anstaltsausgestaltung besteht nicht (vgl. Wolf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987; § 98 Rdn. 6 und 41). Es ist vielmehr Aufgabe des die Anstalt errichtenden Verwaltungsträgers (Anstaltsträgers), die Organisation und die Aufgaben der Anstalt zu bestimmen. Im Rahmen der ihm zustehenden Organisationsgewalt kann er auch — durch Gesetz oder auf der Grundlage eines Gesetzes — die Möglichkeit einer kapitalmäßigen Beteiligung von Privatpersonen eröffnen (vgl. zur Beteiligung Privater bereits § 5 Reichsbankgesetz vom 30. April 1924 [RGBl. 11/1924, 235 ff.] sowie § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank vom 11. Juli 1989 [BGBl. I, S. 1421]). Da die Leitungsmacht und damit die Ausübung staatlicher Gewalt allein bei den geschäftsführenden Organen der Anstalt öffentlichen Rechts verbleiben, wird durch die rein kapitalmäßige Beteiligung Privater das Demokratieprinzip nicht berührt. Dies gilt selbst für die Möglichkeit, eine privatrechtliche Gesellschaft als (typischer) stiller Gesellschafter an einer Anstalt öffentlichen Rechts zu beteiligen, da damit keinerlei mitunternehmerische Entscheidungsbefugnisse verbunden sind (vgl. Be^enberger/Schuster, Die öffentliche Anstalt als abhängiges Konzernunternehmen, ZGR 1996, 481, 487 ff.; O. Schmidt, Das DSL-Bank-Modell, Privatisierung eines öffentlichen Unternehmens bei fortbestehenden öffentlichen Interessen, 1992, S. 49, 162). Art. II § 1 Abs. 1 1. Alt. des Gesetzes ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. bbb) Verfassungsrechtliche Probleme im Hinblick auf das Gebot demokratischer Legitimation können erst dort entstehen, wo einer privatrechtlichen Gesellschaft — wie in Art. II § 1 Abs. 1 2. Alt. des Gesetzes vorgesehen — im Wege einer atypischen stillen Beteiligung mitunternehmerische Rechte eingeräumt werden (vgl. Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 29. Aufl. 1995, § 230 Rdn. 3). Soweit derartige Rechte - etwa in Form von Zustimmungs- oder LVerfGE 10

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Widerspruchsrechten — die Anstalt öffentlichen Rechts nicht daran hindern, die ihr gesetzlich zugewiesenen öffentlichen Aufgaben eigenverantwortlich zu erfüllen, ist dies verfassungsrechtlich jedoch nicht zu beanstanden. In diesem Sinne ist Art. II § 1 Abs. 1 2. Alt. des Gesetzes einer Auslegung zugänglich, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt; denn die konkrete Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte kann vertraglich im Hinblick auf das Erfordernis hinreichender demokratischer Legitimation eingeschränkt werden. Das Gesetz sieht in diesem Zusammenhang ausdrücklich vor, daß der Abschluß entsprechender Verträge nach Art. II § 1 Abs. 3 des Gesetzes der Zustimmung der Gewährträgerversammlung der BWB bedarf, der nach § 13 Abs. 1 BerlBG i.V.m. Art. II § 2 Abs. 2 des Gesetzes ausschließlich Vertreter des Landes Berlin angehören, die in ihrer Entscheidung der parlamentarischen Verantwortung unterliegen. Zur Sicherung einer effektiven Wahrnehmung dieser Verantwortung ist es jedoch erforderlich, daß über die in Art. II § 1 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes vorgeschriebene Veröffentlichung des Abschlusses der Verträge im Amtsblatt für Berlin hinaus allen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses die Möglichkeit eingeräumt wird, Einsicht in die Verträge zu nehmen. Die parlamentarische Kontrolle darf durch die Vertragsgestaltung — etwa durch umfangreiche Geheimhaltungsklauseln — nicht behindert werden. Darüber hinaus muß die Einhaltung der Verträge in vollem Umfang der in Art. II § 7 Satz 1 des Gesetzes vorgesehenen Rechtsaufsicht der für die Ver- und Entsorgungsbetriebe zuständigen Senatsverwaltung unterliegen. Nur wenn die oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen demokratischer Legitimation gewahrt und die vorgenannten Bedingungen zur Gewährleistung effektiver parlamentarischer Verantwortung im Vertrag selbst sichergestellt sind, ist der Abschluß eines atypischen stillen Gesellschaftsvertrages zulässig. Mit diesem Normgehalt ist Art. II § 1 Abs. 1 2. Alt. des Gesetzes mit der Verfassung vereinbar. ccc) Die in Art. II § 1 Abs. 2 des Gesetzes enthaltene Ermächtigung der BWB, im Rahmen eines Unternehmensvertrages ihre Leitung der Weisungsbefugnis einer juristischen Person des privaten Rechts zu unterstellen, ist ebenfalls mit dem Demokratieprinzip vereinbar. Die dargelegten Maßstäbe demokratischer Legitimation werden — bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift — nicht verletzt. (1) Nach Art. II § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des Gesetzes darf die Leitung der BWB im Rahmen eines Unternehmensvertrages einer juristischen Person des privaten Rechts nur unterstellt werden, wenn das Land Berlin mehrheitlich an dieser beteiligt ist und der Einfluß des Landes Berlin bei der Erteilung von Weisungen gewährleistet ist. Weisungen, die gegenüber den BWB unter dieser Voraussetzung ergehen, dürfen den öffentlichen Aufgaben der BWB sowie der Anstaltsträgerschaft, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung des Landes Berlin LVerfGE 10

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nicht 2uwiderlaufen; sie haben Vorrang vor entgegenstehenden Beschlüssen des Aufsichtsrats der BWB. Eine uneingeschränkte Einräumung von Leitungsmacht einer juristischen Person des privaten Rechts, die dem Gebot demokratischer Legitimation widerspräche, ist nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen. Art. II § 1 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des Gesetzes enthält vielmehr ausdrücklich Bedingungen, unter denen der Abschluß eines Unternehmensvertrages zulässig ist; die Einhaltung dieser Bedingungen muß im Vertrag selbst sichergestellt sein. Der Begriff „Einfluß" ist dabei auslegungsbedürftig; er könnte — im Sinne der Antragsteller - auch einen (herabgesetzten) Grad an Einflußnahme beinhalten, der mit dem Gebot demokratischer Legitimation nicht vereinbar wäre. Den zugrundeliegenden Gesetzesmaterialien, insbesondere der Begründung der Gesetzesvorlage, ist jedoch zu entnehmen, daß der Gesetzgeber mit dieser Bedingung gerade eine dem Demokratieprinzip genügende demokratische Legitimation des Handelns der BWB sicherstellen wollte. Der Einfluß des Landes Berlin bei der Erteilung von Weisungen ist danach nur dann gewährleistet, wenn die Entscheidung über die Erteilung von Weisungen an die Anstalt letztlich in der Hand des Gewährträgers (Land Berlin) verbleibt; die demokratisch legitimierten Vertreter des Landes Berlin müssen die letztentscheidende Einflußmöglichkeit behalten. Nach den Gesetzesmaterialien soll dies dadurch sichergestellt werden, daß ein Weisungsausschuß des Aufsichtsrats der BWB Holding AG, in dem die vom Land Berlin entsandten Mitglieder die Mehrheit haben, allen Weisungen zuzustimmen hat. Ein derartiger Zustimmungsbeschluß soll nach der Gesetzesbegründung nur dann ergehen können, wenn die Vertreter des Landes Berlin zustimmen (Abg.-Drs. 13/3367, S. 6). Der Gesetzgeber ist danach offensichtlich davon ausgegangen, daß eine Weisungsbefugnis unternehmensvertraglich nur dann eingeräumt werden darf, wenn sichergestellt ist, daß die mehrheitlich vom Land Berlin entsandten Vertreter der Entscheidung über die Erteilung von Weisungen die verfassungsrechtlich notwendige personelle Legitimation vermitteln. Dies ist sowohl bei einer einvernehmlich herbeizuführenden Zustimmung des Weisungsausschusses möglich, die aufgrund der Mehrheitsverhältnisse auch von der Mehrheit der demokratisch legitimierten Ausschußmitglieder getragen wird, als auch bei einer Entscheidung mit Stimmenmehrheit, soweit verfahrensrechtlich sichergestellt ist, daß — im Sinne des zuvor genannten Prinzips der doppelten Mehrheit — die Entscheidung auf einer Mehrheit der Stimmen der Vertreter des Landes Berlin beruht. Ob und wie dies unternehmensvertraglich — insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen des Aktiengesetzes — umzusetzen ist (vgl. dazu Neumann/Rux, Einbindung öffentlich-rechtlicher Einrichtungen in einen privatrechtlichen Konzern?, DB 1996, 1659, 1661 f. unter Hinweis auf die Entscheidung des LAG vom 27. Oktober 1 9 9 5 - 6 TaBV 1/95; LVerfGE 10

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s. zur vertraglichen Gestaltung im Rahmen des Berliner Banken-Modells auch Besgenberger/Schuster, a.a.O., S. 496), ist eine Frage einfachen Rechts, die vorliegend, soweit es um die verfassungsrechtliche Uberprüfung des Gesetzes geht, nicht entschieden zu werden braucht. Denn Art. II § 1 Abs. 2 des Gesetzes richtet sich — entsprechend der Kompetenz des Landes — nur an die BWB als Anstalt öffentlichen Rechts. Ob und inwieweit die nach dem zugrundeliegenden Teilprivatisierungsmodell als Vertragspartner vorgesehene BWB Holding AG entsprechende vertragliche Bindungen eingeht, wird gesetzlich nicht geregelt, sondern liegt allein in der Entscheidungsfreiheit ihres Vorstands im Rahmen der diesem aktienrechtlich eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten. Grundlage entsprechender Bindungen der BWB Holding AG kann mithin nur der Unternehmensvertrag selbst sein, nicht aber die gesetzliche Regelung. Im Rahmen des vorliegenden Normenkontrollantrages ist somit allein entscheidend, daß das nach der Gesetzesbegründung vorgesehene Holding-Modell (einschließlich der Errichtung eines mehrheitlich aus Vertretern des Landes Berlin zusammengesetzten Weisungsausschusses) grundsätzlich als geeignet angesehen werden kann, der Entscheidung über die Erteilung von Weisungen und damit der Ausübung von Leitungsmacht die notwendige demokratische Legitimation zu vermitteln. (2) Der Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Vorschriften belegt ebenfalls, daß der Gesetzgeber die Einflußnahme des Landes Berlin bei der Erteilung von Weisungen im Hinblick auf die erforderliche personelle Legitimation sicherstellen wollte. Nach Art. II § 1 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes bedarf der Abschluß eines Unternehmensvertrages der Zustimmung der Gewährträgerversammlung der BWB; dieser gehören — wie dargelegt — ausschließlich Vertreter des Landes Berlin an, die aufgrund ihres öffentlichen Amtes zu parlamentarisch verantwortlicher Entscheidung verpflichtet sind. Zudem werden nach Art. II § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes die gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Berliner Betriebegesetzes zu bestellenden Mitglieder des Aufsichtsrats der BWB vom Senat vorgeschlagen und von der Gewährträgerversammlung bestellt, diese kann die von ihr bestellten Mitglieder jederzeit abberufen, wobei sie die Weisungen des Landes zu befolgen hat (Art. II § 2 Abs. 1 Sätze 3 und 4). Auch insofern gilt darüber hinaus, daß die Effektivität der bei verfassungskonformer Auslegung aus dem Demokratieprinzip folgenden Bindungen dadurch sichergestellt sein muß, daß allen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses — über die in Art. II § 1 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes vorgesehene Veröffentlichung hinaus — die Möglichkeit eingeräumt werden muß, zur Ausübung ihrer parlamentarischen Kontrollfunktion in die entsprechenden Beherrschungsverträge Einsicht zu nehmen. Art. II § 1 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes enthält zudem inhaltliche Bindungen, die — im Sinne sachlich-inhaltlicher Legitimation — gewährleisten, daß Weisungen LVerfGE 10

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nur unter Berücksichtigung der öffentlichen Aufgaben der BWB sowie der Anstaltsträgerschaft, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung des Landes Berlin ergehen können. Ergänzt wird diese Bindung an die einschlägigen öffentlichrechtlichen Vorgaben durch die in Art. II § 7 Satz 1 des Gesetzes vorgesehene Rechtsaufsicht der zuständigen Senatsverwaltung, die sich in vollem Umfang auch auf die Einhaltung der in Art. II § 1 Abs. 2 Satz 1 vorgesehenen Unternehmensverträge erstrecken muß. (3) Insgesamt läßt sich der angegriffenen Regelung in Art. II § 1 Abs. 2 des Gesetzes mithin ein Normgehalt entnehmen, der sowohl den Kriterien personeller als auch sachlich-inhaltlicher Legitimation entspricht. Der Einfluß des Landes Berlin bei der Erteilung von Weisungen ist nur dann gewährleistet, wenn im Rahmen der konkreten vertraglichen Ausgestaltung des Unternehmensvertrages das erforderliche Maß an demokratischer Legitimation der Entscheidung erreicht wird. Dies setzt voraus, daß sich der Weisungsausschuß als Kollegialorgan, das verbindlich über die der Anstalt öffentlichen Rechts zu erteilenden Weisungen entscheidet, mehrheitlich aus Vertretern des Landes Berlin zusammensetzt, die ihrerseits parlamentarisch verantwortlich handeln (vgl. zu letzterem BVerfGE 93, 37, 68). Darüber hinaus muß die Entscheidung über die Erteilung von Weisungen mehrheitlich von den so legitimierten Mitgliedern des Weisungsausschusses getragen werden. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darf die Leitung der BWB vertraglich einer juristischen Person des privaten Rechts unterstellt und ein derartiger Vertrag abgeschlossen werden. In dieser Auslegung ist die Vorschrift mit der Verfassung vereinbar und entspricht der Intention des Gesetzgebers, den demokratisch legitimierten Vertretern des Landes Berlin die letztentscheidende Einflußmöglichkeit zu erhalten. cc) Weitergehende Regelungen mußte der Gesetzgeber, insbesondere was die konkrete Ausgestaltung des Holding-Modells und die Gewährleistung des Einflusses des Landes Berlin bei der Erteilung von Weisungen betrifft, nicht treffen. Die angegriffene Regelung ist weder zu unbestimmt noch bedarf die konkrete Form der Einflußnahme des Landes Berlin bei der Erteilung von Weisungen einer gesetzlichen Regelung. Nach Art. 59 Abs. 1 VvB müssen die für alle verbindlichen Gebote und Verbote auf Gesetz beruhen. Die Vorschrift enthält für den Bereich der Verfassung von Berlin den vom Bundesverfassungsgericht für den Bereich des Grundgesetzes, das eine Art. 59 Abs. 1 VvB vergleichbare Regelung nicht kennt, entwickelten und von ihm zuweilen als „Wesentlichkeitstheorie" bezeichneten Grundsatz, daß im Verhältnis zwischen Staat und Bürger alle wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber, also normativ, zu treffen sind (Beschl. v. 6. Dezember 1994 - VerGH 65/93 - LVerfGE 1, 131, 136 zu Art. 45 Abs. 1 VvB a.F.). Der Abschluß eines Unternehmensvertrages (Vertrag über eine einheitliche Leitung), der der BWB Holding AG ein Weisungsrecht LVerfGE 10

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vermittelt, betrifft zwar eine organisatorische Entscheidung von weitreichender — insbesondere finanzieller — Bedeutung. Auch wenn er in diesem Sinne wesentlich sein mag, wird damit keine Entscheidung von unmittelbarer rechtlicher Bedeutung für das Verhältnis des Landes Berlin zu seinen Bürgern getroffen. Die vertragliche Einräumung eines Weisungsrechts und dessen konkrete Ausgestaltung begründen keine für alle verbindlichen Gebote und Verbote; sie werden daher vom Gesetzesvorbehalt des Art. 59 Abs. 1 VvB nicht erfaßt. Ein allgemeiner Parlamentsvorbehalt kann der Verfassung von Berlin darüber hinaus nicht entnommen werden; das Abgeordnetenhaus besitzt daher kein generelles Mitwirkungsrecht bei grundlegenden Entscheidungen der Regierung (vgl. dazu Beschl. v. 6. Dezember 1994 - VerfGH 65/93 - a.a.O., S. 136 ff.). dd) Art. II § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes, der die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder der BWB auf Vorschlag des Senats durch die Gewährträgerversammlung vorsieht, widerspricht ebenfalls nicht dem Demokratiegebot. Der Wortlaut der Vorschrift gibt keinen Anlaß zu verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit die Antragsteller die konkrete Ausgestaltung des Vorschlagsrechts im Rahmen eines Interessenwahrungsvertrages zwischen dem Land Berlin als Anstaltsträger der BWB und der BWB Holding AG rügen, ist diese vertragliche Regelung nicht Gegenstand des vorliegenden Normenkontrollantrages. Im übrigen sind derartige Vorschlagsrechte, sofern der legitimierten Instanz - hier dem Senat von Berlin — eine Auswahl unter mindestens zwei Vorgeschlagenen und ein Zurückweisungs- oder Ergänzungsrecht verbleibt, von der Rechtsprechung grundsätzlich als zulässig angesehen worden (vgl. BVerfGE 26, 186, 196 f.; 27, 312, 320f. zur Ernennung von ehrenamtlichen Richtern). ee) Auch Art. 77 Abs. 1 Satz 1 VvB, nach dem alle Einstellungen, Versetzungen und Endassungen im öffentlichen Dienst durch den Senat erfolgen, wird durch die angegriffenen Regelungen nicht verletzt. Dabei kann offenbleiben, ob zum öffentlichen Dienst auch die Landesbeamten gehören, die zu einer landesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts in einem Beamtenverhältnis stehen (in diesem Sinne: Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, 2. Aufl. 1987, Art. 61 Rdn. 3; a.A. Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 3. Aufl. 1998, S. 283 Anm. 77.1.1). Denn die dem Senat landesverfassungsrechtlich zugewiesene Kompetenz wird durch die angegriffenen Regelungen in Art. II § 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 1 des Gesetzes nicht umgangen, da die Letztentscheidungskompetenz der Vertreter des Landes Berlin bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschriften gewährleistet bleibt. ff) Art. 92 VvB wird entgegen der Ansicht der Antragsteller durch Bestimmungen des hier zu beurteilenden Gesetzes nicht berührt. Diese Vorschrift verhält sich zu Eigenbetrieben und beinhaltet den verfassungsrechtlichen Rechtssatz, daß deren Organisation, Verwaltung, Wirtschaftsführung und RechnungsLVerfGE 10

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wesen durch Gesetz zu regeln sind. Da es sich bei den BWB jedoch nicht um einen (nichtrechtsfähigen) Eigenbetrieb, sondern um eine (rechtsfähige) Anstalt des öffentlichen Rechts handelt, ist Art. 92 VvB im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Daß das Gesetz über die Eigenbetriebe des Landes Berlin in der Fassung vom 22. Dezember 1988 (GVB1. S. 117) durch Art. II des Eigenbetriebsreformgesetzes vom 9. Juli 1993 (GVB1. S. 319) mit Wirkung vom 1. Januar 1994 aufgehoben worden ist, ändert hieran nichts. An seine Stelle ist nunmehr das Gesetz über die Eigenbetriebe des Landes Berlin vom 13. Juli 1999 (GVB1. S. 374) getreten. Angesichts dessen ist kein Raum für die Annahme, Art. 92 VvB habe mit seinem auf Eigenbetriebe ausgerichteten Inhalt jegliche Bedeutung verloren und müsse deshalb auf die Anstalten des öffentlichen Rechts entsprechend angewandt werden, die - wie die BWB - aus Eigenbetrieben hervorgegangen seien. gg) Auch Art. 93 Abs. 2 VvB, wonach die Veräußerung von Vermögensgegenständen des Landes durch Gesetz geregelt wird, ist durch das hier zu beurteilende Gesetz nicht verletzt. Denn dieses Gesetz enthält die von der Verfassung geforderte gesetzliche Regelung. Der Zweck der Vorschrift, dem Abgeordnetenhaus ein gewisses Aufsichtsrecht über das Vermögen des Landes zu sichern (vgl. Pfennig/Neumann, a.a.O., Art. 82 Rdn. 1), wird durch die Regelungsdichte dieses Gesetzes bei der im vorliegenden Urteil für geboten erachteten verfassungskonformen Auslegung erfüllt. b) Gegen Art. I Nr. 1 Buchstabe a) und Art. II § 3 Abs. 2 bis 4 sowie § 6 des Gesetzes bestehen lediglich mit Blick auf den in Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes vorgesehenen Zuschlag von 2 Prozentpunkten und die in Art. II § 3 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 des Gesetzes enthaltene sog. Effizienzsteigerungsklausel durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken; nur insoweit ist die mit dem Normenkontrollantrag begehrte Nichtigkeitsfeststellung begründet. aa) Zutreffend gehen die Antragsteller davon aus, daß die aus der Verfassung von Berlin herzuleitenden Grundsätze des Gebührenrechts, namentlich der Gleichbehandlungsgrundsatz und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, auch bei privatrechtlichen Entgelten zu beachten sind. Entgegen ihrer Ansicht genügt jedoch lediglich die Regelung in Art. II § 3 Abs. 4 des Gesetzes nicht in vollem Umfang den sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen. aaa) Nach Art. II § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes muß die künftige Tarifgestaltung bei der Wasserversorgung und der Entwässerung den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit genügen. Satz 2 der Vorschrift bestimmt darüber hinaus, daß die Tarife so zu bemessen sind, daß zumindest die Kosten gedeckt sind. Der Gesetzgeber hat die Tarife der BWB mithin, obwohl sie nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften als Gebühr, LVerfGE 10

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sondern im Rahmen eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses als privatrechtliches Entgelt erhoben werden, den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit unterstellt, zugleich hat er das Kostendeckungsprinzip als Minimum festgeschrieben (Abg.-Drs. 13/3367, S. 7). Mit seinem Inhalt trägt Art. II § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes den Grundsätzen des sog. Verwaltungsprivatrechts Rechnung (vgl. zum Begriff des Verwaltungsprivatrechts allgemein Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, § 23 Rdn. 29). Danach unterliegt die Verwaltung auch dann, wenn sie die ihr öffentlich-rechtlich zugewiesenen Aufgaben der Daseinsvorsorge im Rahmen eines privatrechtlich ausgestalteten Leistungsverhältnisses wahrnimmt, den Bindungen des öffentlichen Rechts. Sie muß damit nicht nur die Grundrechte, insbesondere den Gleichheitssatz, sondern auch die grundlegenden Prinzipien öffentlicher Finanzgebarung beachten (st. Rspr. des BGH, vgl. BGHZ 91, 84, 96 f.; ferner Urteüe vom 6. Februar 1985 - VIII ZR 61/84 - NJW 1985, 3013, 3014, und 10. Oktober 1991 - III ZR 100/90 - NJW 1992, 171, 173, jeweils m.w.N.; Ossenbühl, Öffentliches Recht und Privatrecht in der Leistungsverwaltung, DVB1. 1974, 541, 543). Die von den BWB erhobenen Entgelte müssen sich verfassungsrechtlich mithin am Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 10 Abs. 1 VvB und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Dagegen ist das Kostendeckungsprinzip als ein weiteres Prinzip öffentlicher Finanzgebarung (vgl. BGH NJW 1992, 171, 173) vorliegend nicht Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung. Der gebührenrechtliche Grundsatz, daß die Gebühr nur zur Deckung der Kosten des Verwaltungsaufwands, nicht aber zur Erzielung von Uberschüssen erhoben werden darf, folgt weder aus Verfassungsrecht noch aus dem Wesen der Gebühr, sondern gilt nur nach Maßgabe einfachen Rechts (BVerfGE 97, 332, 345 und BVerwGE 12,162,167; 13, 214, 222; a.A .Jans, KStZ 1991,74,75; Zimmermann, DVB1.1989, 901,905). Für den Bereich des Landes Berlin ist das Kostendeckungsprinzip in § 8 Abs. 2 des Gesetzes über Gebühren und Beiträge vom 22. Mai 1957 (GVB1. S. 516), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. April 1996 (GVB1. S. 126), verankert. Diese Vorschrift gilt nach Art. II § 3 Abs. 6 des Gesetzes jedoch nicht für die Kalkulation der von den BWB zu erhebenden Entgelte. In seiner Ausprägung als Kostenüberschreitungsverbot bindet das Kostendeckungsprinzip die Tarifgestaltung der BWB mithin nicht. Lediglich das Kostendeckungsgebot ist nach Art. II § 3 Abs. 1 Satz 1 des angegriffenen Gesetzes bei der Bemessung der Tarife zu beachten (vgl. zu den beiden Alternativen des Kostendeckungsprinzips Dahmen, in: Driehaus [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht I, Komm., § 6 Rdn. 26f.). Auch ein höherer als kostendeckender Tarif kann mithin rechtlich, insbesondere verfassungsrechtlich, zulässig sein; die Grenze liegt in der Beachtung von Gleichbehandlungsgrundsatz und Äquivalenzprinzip. LVerfGE 10

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Weder die Verfassung von Berlin noch das Grundgesetz enthalten einen eigenständigen Gebührenbegriff, aus dem sich unmittelbar Kriterien für die Verfassungsmäßigkeit von Gebührenmaßstäben, Gebührensätzen oder Gebührenhöhen ableiten ließen (vgl. zum GG: BVerfGE 97, 332, 344f.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfügt der Gebührengesetzgeber innerhalb seiner jeweiligen Regelungskompetenz vielmehr über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen und welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen will (BVerfGE 97, 332, 345 m.w.N.; vgl. auch BVerwGE 95,188, 200). Aus der Zweckbestimmung der Gebühr, Einnahmen zu erzielen, um speziell die Kosten der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung ganz oder teilweise zu decken, ergibt sich keine verfassungsrechtlich begründete Begrenzung der Gebührenhöhe durch die tatsächlichen Kosten der staatlichen Leistung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, der in Art. 10 Abs. 1 VvB in gleicher Weise wie in Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet wird (Beschl. v. 20. August 1997 - VerfGH 9/97 - LVerfGE 7, 11, 14), steht weder einer Unterdeckung noch einer Überdeckung der Kosten durch die Gebühren von vornherein entgegen (BVerfGE 97, 332, 345; 50, 217, 226). Er verbietet jedoch, Gebühren für staatliche Leistungen völlig unabhängig von den (tatsächlichen) Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festzusetzen; die Verknüpfung zwischen den Kosten und der Gebührenhöhe muß sachgerecht sein (BVerfGE 85, 337, 346 m.w.N.). Dadurch unterscheiden sich Gebühren von den Steuern und Sonderabgaben, die in erster Linie dem Finanzbedarf des Staates dienen und in keinem Zusammenhang mit einer konkreten Gegenleistung an den Abgabenschuldner stehen (vgl. BVerfGE 20, 257, 269). Aus dem Aquivalenzprinzip, das eine gebührenrechtliche Ausprägung des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist, (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19. September 1983 - 8 B 117.82 - KStZ 1984, 11, 12), folgt zudem, daß die dem Einzelnen auferlegte Gebühr nicht außer Verhältnis zu den mit der Gebührenregelung verfolgten, verfassungsrechtlich zulässigen Zwecken stehen darf (BVerfGE 50, 217, 227; 85, 337, 346; BVerwGE 26, 305, 308). Die dargelegen verfassungsrechtlichen Grenzen einer Gebührenerhebung sind — im Rahmen des Verwaltungsprivatrechts — auch bei der Erhebung privatrechtlicher Entgelte zu beachten. Dies stellt — wie bereits gesagt — Art. II § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes für die Tarife der BWB ausdrücklich klar. Da nach dieser Vorschrift die Tarife den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit genügen müssen und es vorliegend nicht um die verfassungsrechtliche Prüfung eines konkret bezifferten Tarifs für die Wasserversorgung oder Entwässerung geht, läßt sich ein Verfassungsverstoß nur feststellen, wenn aufgrund der gesetzlichen Kalkulationsgrundlagen in Art. II § 3 Abs. 2 bis 4 des Gesetzes ersichtlich ist, daß eine sachgerechte Verknüpfung zwischen den LVerfGE 10

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Kosten und der Höhe des zu erhebenden Entgelts nicht gewährleistet ist bzw. wenn das danach ermittelte Entgelt notwendig außer Verhältnis zu den mit der Entgeltregelung verfolgten Zwecken steht. Soweit die Antragsteller die angeblichen Entgelterhöhungspotentiale vornehmlich im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beanstanden, ist dabei zu beachten, daß dieser allein das Verhältnis zwischen Entgelt und der von der öffentlichen Hand angebotenen Leistung betrifft. Der Vorwurf, aufgrund der gesetzlichen Kalkulationsvorschriften würden die Entgelte der BWB die tatsächlich entstehenden Kosten in einem willkürlich festgelegten Ausmaß überschreiten und damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen, geht daher fehl. Denn das Verhältnis von Kosten und Gebühr betrifft nicht das bundesrechtliche Äquivalenzprinzip, sondern den einfach-rechtlichen Kostendeckungsgrundsatz, der hier gerade nicht gilt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8. Dezember 1986 - 8 B 74.86 - KStZ 1987, 72, 73). bbb) Die Kalkulationsgrundlagen in Art. II § 3 Abs. 2 bis 4 des Gesetzes halten den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nur hinsichtlich des Zuschlags von 2 Prozentpunkten (Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1) und der sog. Effizienzsteigerungsklausel (Art. II § 3 Abs. 4 Sätze 2 bis 4) nicht stand. (1) Soweit die Antragsteller aus den Regelungen in Art. I Nr. 1 Buchstabe a) und Art. II § 3 Abs. 2 bis 4 sowie § 6 des Gesetzes schließen, daß zusätzlich zur Verzinsung des eingebrachten Kapitals künftig bei der Kalkulation der Entgelte die Einstellung eines allgemeinen Unternehmensgewinns gesetzlich gefordert oder zumindest zugelassen werde, kann ihr Antrag keinen Erfolg haben. Die gleichlautende Regelung in Art. I Nr. 1 Buchstabe a) und Art. II § 6 des Gesetzes, nach der die BWB einen angemessenen Gewinn erzielen sollen und verpflichtet sind, ihren gesamten Bilanzgewinn an das Land Berlin abzuführen, bezieht sich nicht auf die abschließend in Art. II § 3 des Gesetzes geregelte Kalkulation der von den BWB künftig zu erhebenden Entgelte. Dies ergibt sich aus Art. II § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes. Danach ist die Genehmigung der in Art. II § 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Tarife zu erteilen, wenn die in § 3 genannten Anforderungen erfüllt sind. Gegenstand der Tarifgenehmigung kann mithin nur die Frage sein, ob die gesetzlichen Kalkulationsgrundlagen des § 3 eingehalten sind; ein zusätzlicher Gewinnaufschlag kann von der Genehmigungsbehörde unter Hinweis auf Art. II § 6 des Gesetzes nicht gefordert werden. Dies wird in der Gesetzesbegründung zu Art. II § 6 ausdrücklich klargestellt (Abg.-Drs. 13/3367, S. 7). Die Sollvorschrift des Art. II § 6 berechtigt die BWB also nicht, gegenüber den Berliner Tarifkunden von den in Art. II § 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit abzuweichen. Aus der Regelung in Art. II § 3 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes, nach der die Tarife so zu bemessen sind, daß „zumindest" die — im folgenden definierten — Kosten gedeckt sind, folgt nichts anderes. Denn die Grundsätze der Gleichbehandlung

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und Verhältnismäßigkeit stehen — wie dargelegt - einer Überdeckung der Kosten nicht von vornherein entgegen, sondern lassen dem Gesetzgeber innerhalb gewisser Grenzen einen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum. (2) Zu den nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten gehört dagegen nach Art. II § 3 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes eine angemessene kalkulatorische Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals. Nach der Legaldefinition in Art. II § 3 Abs. 3 besteht das betriebsnotwendige Kapital aus dem betriebsnotwendigen Vermögen, vermindert um etwa den BWB vom Land Berlin zinslos zur Verfügung gestellte Vorauszahlungen und Anzahlungen. Das betriebsnotwendige Vermögen setzt sich zusammen aus den Teilen des Anlageund Umlaufvermögens, die dem Betriebszweck dienen. Entgegen der Ansicht der Antragsteller begegnet die Bemessungsgrundlage für die kalkulatorische Verzinsung in Art. II § 3 Abs. 3 des Gesetzes keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Den Antragstellern ist zwar einzuräumen, daß durch die gesetzlich vorgeschriebene Einbeziehung des Umlaufvermögens und damit die Erweiterung der für die kalkulatorische Verzinsung maßgeblichen Bemessungsgrundlage eine höhere Verzinsung zu erwarten sein wird. Der Gesetzgeber hat damit jedoch nicht die Grenzen des ihm gebührenrechtlich zustehenden Entscheidungs- und Gestaltungsspielraums verletzt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen, die der Gesetzgeber nach Art. II § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes der Ermittlung der ansatzfähigen Kosten zugrundegelegt hat, zwingend wäre, die kalkulatorische Verzinsung allein auf der Grundlage des Anlagevermögens zu errechnen, so daß die vom Gesetzgeber verwandte Bemessungsgrundlage als willkürlich angesehen werden müßte. Dies läßt sich nicht feststellen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht setzt sich der vorliegend vom Gesetzgeber verwandte Begriff des „betriebsnotwendigen Vermögens" vielmehr sowohl aus den Teilen des Anlagevermögens als auch des Umlaufvermögens zusammen, die dem Betriebszweck dienen; das „betriebsnotwendige Kapital" als Bemessungsgrundlage für die Berechnung kalkulatorischer Zinsen erfaßt das Anlage- und Umlaufvermögen (vgl. Gabler, Wirtschaftslexikon, 13. Aufl. 1995, Stichworte: betriebsnotwendiges Vermögen, kalkulatorische Zinsen). Auch im öffentlichen Preisrecht umfaßt das betriebsnotwendige Vermögen nach der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen vom 21. November 1953 (BAnz. Nr. 244), zuletzt geändert durch Verordnung vom 13. Juni 1989 (BGBl. IS. 1094), auf die in der Gesetzesbegründung zu Art. II § 3 Abs. 3 ausdrücklich Bezug genommen wird (Abg.-Drs. 13/3367, S. 7), die Teile des Anlage- und Umlaufvermögens, die dem Betriebszweck dienen (Leitsatz Nr. 44 Abs. 2 Satz 1, Anlage zur Verordnung). Zum jetzigen Zeitpunkt ist jedenfalls nicht ersichtlich, daß die betriebswirtschaftlich anerkannte und vom Gesetz LVerfGE 10

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geber allein vorgeschriebene Einbeziehung der Teile des Umlaufvermögens, die dem Betriebszweck dienen, notwendig zu einer gleichheitswidrigen Erhöhung der künftig von den BWB zu erhebenden Entgelte führt. Ebensowenig kann bisher eine Unverhältnismäßigkeit zwischen dem Entgelt und den mit seiner Erhebung verfolgten, verfassungsrechtlich zulässigen Zwecken angenommen werden. Dies gilt überdies, soweit die Antragsteller beanstanden, Art. II § 3 Abs. 3 des Gesetzes erfasse in verfassungswidriger Weise sämtliche Vermögenswerte, auch soweit es sich um bereits durch die Entgeltzahler aufgebrachtes Kapital handele. Es trifft zwar zu, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Eigenkapitalzinsen sachgerecht nur von einem Herstellungs- und Anschaffungsaufwand berechnet werden dürfen, der um das Aufkommen aus Entwässerungsbeiträgen und diesen gleichstehenden Leistungen der Benutzer vermindert worden ist (BVerwG, Beschl. v. 19. September 1983 - 8 B 117.82 a.a.O., S. 12; vgl. auch Brüning, Der zulässige Rahmen für den Ansatz kalkulatorischer Kosten, KStZ 1990, 41, 45). Die Regelung in Art. II § 3 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes ist jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, die diesen Anforderungen Rechnung trägt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift besteht das betriebsnotwendige Kapital aus dem betriebsnotwendigen Vermögen, „vermindert um etwa den Berliner Wasserbetrieben vom Land Berlin zinslos zur Verfügung gestellte Vorauszahlungen und Anzahlungen". Soweit das Aufkommen aus Entwässerungsbeiträgen und diesen gleichstehenden Leistungen nicht ohnehin unter diese Zahlungen zu subsumieren ist, schließt der Wortlaut der Regelung jedenfalls eine verfassungsrechtlich gebotene Einbeziehung weiterer Positionen in das sog. Abzugskapital nicht aus. Maßgeblich bleibt insofern der in Art. II § 3 Abs. 2 Satz 1 enthaltene Grundsatz, daß bei der Tarifbemessung nur die bei wirtschaftlicher Betriebsführung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten gedeckt werden müssen. Der Senat wird in Art. II § 5 Nr. 1 des Gesetzes ermächtigt, in diesem Rahmen Vorschriften über die nähere Bestimmung der in § 3 Abs. 2 bis 4 genannten Kriterien durch Rechtsverordnung zu erlassen. Die Verordnung über die Tarife der Berliner Wasserbetriebe (Wassertarifverordnung) vom 14. Juni 1999 (GVB1. S. 343), die in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Gesetz erlassen worden ist und deshalb als Indiz für den Willen des Gesetzgebers bei der Auslegung durchaus herangezogen werden kann, sieht in Anlage 1 zu § 2 ausdrücklich vor, daß geleistete Anzahlungen für Sachanlagen vom Anlagevermögen abzuziehen sind. Desweiteren gehören nach der Verordnung u. a. Baukostenzuschüsse und erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen aus Kundenentgelten zum Abzugskapital, das das betriebsnotwendige Vermögen vermindert. Damit wird das Aufkommen aus Entwässerungsbeiträgen und diesen gleichstehenden Leistungen der Benutzer grundsätzlich als Abzugskapital im Rahmen des Art. II § 3 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes erfaßt. LVerfGE 10

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Die Annahme der Antragsteller, Art. II § 3 des Gesetzes erlaube zusätzlich die Einstellung von Fremdkapitalzinsen in die Kalkulation, ist ebenfalls nicht zwingend. Die Aufzählung der im einzelnen ansatzfähigen Kosten in Art. II § 3 Abs. 2 ist nach der Begründung der Gesetzesvorlage zwar nicht abschließend (Abg.-Drs. 13/3367, S. 7). Mit der Einbeziehung einer angemessenen kalkulatorischen Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals und der Fesdegung eines entsprechenden Zinssatzes in Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes ist der Gesetzgeber jedoch offensichtlich von einem einheitlichen Zinssatz ausgegangen. Grundsätzlich kann die Kapitalverzinsung in Form eines gespaltenen Zinssatzes für das Eigenkapital (kalkulatorisch) und Fremdkapital (effektiv) oder auch in Form eines einheitlichen kalkulatorischen Zinssatzes für das gesamte betriebsnotwendige Kapital in Ansatz gebracht werden (Schulte, in: Driehaus [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht I, Komm., § 6 Rdn. 184; Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort: kalkulatorische Zinsen). Letzteres liegt der gesetzgeberischen Regelung zugrunde; Fremdkapitalzinsen sind mithin bereits in der kalkulatorischen Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals enthalten und keine zusätzlichen Kosten. (3) Als angemessene kalkulatorische Verzinsung gilt nach Art II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren, die der jeweiligen Kalkulationsperiode vorausgehen, zuzüglich 2 Prozentpunkte. Diese Vorschrift ist zwar nicht hinsichtlich der vom Gesetzgeber gewählten Basis für die Berechnung kalkulatorischer Zinsen, wohl aber hinsichtlich der insoweit vorgesehenen Erhöhung um 2 Prozentpunkte verfassungsrechtlich zu beanstanden. Grundsätzlich begegnet die Einbeziehung einer angemessenen kalkulatorischen Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals in die Entgeltkalkulation keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Kalkulatorische Zinsen auf das Eigenkapital, das der Betreiber für die Herstellung oder Erweiterung eines Betriebes einsetzt, können nämlich grundsätzlich als Kosten für die Bereitstellung des betriebsnotwendigen Kapitals und damit als Kosten des Betriebes verstanden werden (vgl. BVerwG, Besch! v. 19. September 1983, a.a.O., S. 11). Die von Art. 10 Abs. 1 VvB geforderte sachliche Rechtfertigung dafür, die Entgeltzahler mit diesen Kosten zu belasten, kann zum einen darin gesehen werden, daß die Bindung des Eigenkapitals in dem Betrieb den Betreiber daran hindert, sein Kapital anderweit rentierlich zu verwenden. Sie kann zum anderen auch darin gesehen werden, daß den Nutzern der betrieblichen Einrichtung mit deren Zurverfügungstellung eine besondere Leistung gewährt wird, die ihnen einen wirtschaftlichen Vorteil vermittelt. Die kalkulatorische Verzinsung muß sich jedoch nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach sachlich aus diesen Gesichtspunkten rechtfertigen LVerfGE 10

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lassen. Das ist bei der in Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes enthaltenen Regelung nicht in vollem Umfang der Fall. Nicht zu beanstanden ist insoweit das Abstellen auf die langfristigen Durchschnittsverhältnisse am Kapitalmarkt. Die Festlegung eines Zeitraums von 20 Jahren vor der jeweiligen Kalkulationsperiode hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber gebührenrechtlich zustehenden Gestaltungsspielraums und kann weder als willkürlich noch als unverhältnismäßig angesehen werden. Als Bezugsgröße für die Ermittlung der durchschnittlichen Renditen in diesem Zeitraum erscheint — entsprechend dem Vortrag der Antragsteller — allein das Anlagevolumen der ausgegebenen deutschen Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren sachgerecht, nicht aber die Anzahl der im einzelnen aufgelegten Anleihen. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Zuschlags von 2 Prozentpunkten hat der Gesetzgeber jedoch die verfassungsrechtlich vorgegebenen Grenzen überschritten. Der Gesetzesbegründung läßt sich zur sachlichen Rechtfertigung dieses Zuschlags nichts entnehmen. Abgeordnetenhaus und Senat haben allerdings im vorliegenden Verfahren vorgetragen, dieser Zuschlag beruhe auf einer betriebswirtschaftlich korrekten Ermittlung der tatsächlichen Kapitalkosten einer Investitionsentscheidung rational handelnder Unternehmer durch Berechnung einer Prämie für das bewertungsrelevante Risiko des individuellen Unternehmens nach dem sog. Kapitalmarktpreisbildungsmodell. Die diesem Modell zugrundeliegende Betrachtungsweise sei auch für die Ermittlung von Kapitalkosten öffentlicher Kapitaleigner sachgerecht, weil auch diese zu sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung verpflichtet seien. Das in § 7 Abs. 1 LHO enthaltene Gebot sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung ändert jedoch nichts daran, daß die Haushaltsmittel der öffentlichen Hand ihrer Natur nach nicht dazu bestimmt sind, durch erwerbswirtschaftlichen Einsatz höchstmöglichen Gewinn einzubringen. Außerdem ist nicht ohne weiteres ersichtlich, welches unternehmerische Risiko durch den Zuschlag von zwei Prozentpunkten abgegolten werden soll. Die Heranziehung von Risiken aus dem sog. Umlandgeschäft und aus Geschäften der Tochtergesellschaften der Anstalt für die in Art. II § 3 des Gesetzes allein geregelte Kalkulation der für die Berliner Tarifkunden geltenden Tarife der Wasserversorgung und Entwässerung wäre jedenfalls von vornherein sachfremd. Die Einbeziehung des in Rede stehenden Zuschlags in die durch Benutzungsentgelte zu deckenden Kosten einer öffentlichen Einrichtung, die — wie hier — eine lebensnotwendige Staatsaufgabe im Bereich der Daseinsvorsorge erfüllt, muß sich der Höhe nach durch eine Betrachtungsweise rechtfertigen lassen, die die spezifisch erwerbswirtschaftlichen Kalkulationsmaximen der Privatwirtschaft nicht unbesehen übernimmt, sondern dem öffentlichen Auftrag der Gemeinwirtschaftlichkeit Rechnung trägt (vgl. dazu Gawel, in: VerwArch. 90, LVerfGE 10

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1999, S. 442 ff.). Zwar liegt eine Besonderheit des vorliegenden Falles darin, daß der Staat hier erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen und deren Kapital an der öffentlichen Einrichtung beteiligen will. Ob diese Besonderheit ausreicht, eine gesteigerte Einbeziehung erwerbswirtschaftlicher Gesichtspunkte in die Beurteilung der Sachgerechtigkeit der Verknüpfung zwischen Kosten und Gebührenhöhe zu rechtfertigen, ist im Verfassungsgerichtshof jedoch umstritten geblieben, so daß eine Mehrheit nicht festgestellt werden konnte (vgl. § 11 Abs. 2 VerfGHG). Vier Mitglieder des Gerichtshofs meinen insoweit: Wenn die Verfassung von Berlin — mit den im einzelnen erörterten Einschränkungen - eine Teilprivatisierung selbst mit Blick auf so lebensnotwendige Aufgaben der Daseinsvorsorge erlaube, wie sie den BWB oblägen, sei damit sozusagen zwangsläufig die Konsequenz verbunden, daß in die Beurteilung jener Sachgerechtigkeit nach Maßgabe des Umfangs der Inanspruchnahme des Kapitals erwerbswirtschaftlich tätiger Unternehmen auch der für solche Unternehmen typische Zweck der Gewinnerzielung einzubeziehen sei. Nach Auffassung von vier anderen Mitgliedern des Gerichtshofs ändert die genannte Heranziehung erwerbswirtschaftlich tätiger Unternehmen nichts daran, daß die hier damit bezweckte allgemeine Haushaltsentlastung nicht durch einen „Gewinnaufschlag" zu Lasten der Benutzer der öffentlichen Einrichtung finanziert werden dürfe, der zudem zumindest teilweise wiederum dem allgemeinen Landeshaushalt zugute komme. Denn die damit erstrebte Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates stehe in keinem Zusammenhang mit den tatsächlichen Kosten der konkreten entgeltpflichtigen Leistung an den jeweiligen Benutzer der Einrichtung und sei daher nach anderen verfassungsrechtlichen Kriterien zu bemessenden Steuern vorbehalten. Der abschließenden Entscheidung dieser grundsätzlichen Frage bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Denn der Verfassungsgerichtshof kommt im Ergebnis jedenfalls aus einem anderen Grund zu dem Schluß, daß der Zuschlag von 2 Prozentpunkten vorliegend nicht gerechtfertigt ist. Hinzu kommt insoweit nämlich, daß die in Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes festgelegte Höhe der „angemessenen kalkulatorischen Verzinsung" einschließlich jenes Zuschlags unabhängig davon gilt, ob, wann, und in welchem Umfang die BWB von der ihnen nach Art. II § 1 erteilten Ermächtigung zur Teilprivatisierung Gebrauch machen. Ein bestimmtes Teilprivatisierungsmodell, etwa das einer wirtschaftlich nahezu gleichgewichtigen Trägerschaft von öffentlichen und privaten Kapitaleignern, ist im Gesetz ebenfalls nicht festgeschrieben. Demgegenüber schreibt Art. II § 3 Abs. 1 Satz 2 den Ansatz des in Abs. 4 Satz 1 unwiderleglich als angemessen fingierten Zuschlags von 2 Prozentpunkten auch dann vor, wenn die Teilprivatisierung ganz unterbleibt, in geringerem oder größerem Ausmaß als derzeit vorgesehen stattfindet oder später ganz oder teilweise wieder rückgängig LVerfGE 10

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gemacht wird. Diese undifferenzierte Regelung schließt eine sachliche Rechtfertigung durch einen Gewinnerzielungszweck nach Maßgabe des Umfangs der Inanspruchnahme des Kapitals erwerbswirtschaftlich tätiger Unternehmen, wie sie vier Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs — wie dargelegt - für grundsätzlich verfassungsrechtlich möglich halten, vorliegend jedenfalls aus. Es überschritte die Grenzen verfassungskonformer Auslegung, die normative Verbindlichkeit dieser Regelung an die dem Gesetz nicht zu entnehmende Bedingung zu knüpfen, daß die Teilprivatisierung tatsächlich in einem näher zu bestimmenden Umfang erfolgt. Damit scheidet eine tragfähige sachliche Rechtfertigung für den vorgeschriebenen Ansatz eines Zuschlags von 2 Prozentpunkten aus. Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes verstößt hinsichtlich dieses Zuschlages gegen Art. 10 Abs. 1 VvB. (4) Auch Art. II § 3 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 des Gesetzes sind mangels Vereinbarkeit mit der Verfassung von Berlin nichtig. Diese Vorschriften verstoßen gegen das rechtsstaatliche Gebot hinreichender Normenklarkeit. Sie sind auch weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der Regelung her einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich, die den oben dargelegten gebührenrechtlichen Anforderungen entspricht. Das Rechtsstaatsprinzip, zu dem sich die Verfassung von Berlin im Vorspruch sowie nach ihrer Gesamtkonzeption bekennt (Beschl. v. 15. Juni 1993 — VerfGH 18/92 - LVerfGE 1, 81, 83), enthält als einen wesentlichen Bestandteil das Gebot hinreichender Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen. Der Gesetzgeber muß Gesetzestatbestände zwar nicht mit stets genau erfaßbaren Maßstäben umschreiben, er ist jedoch gehalten, Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (vgl. zum Vorstehenden: BVerfGE 59, 104,114 m.w.N.). Unklare, mißverständliche oder widersprüchliche Vorschriften verstoßen gegen das Rechtsstaatsprinzip. Nach diesen Maßstäben begegnet die sog. Effizienzsteigerungsklausel in Art. II § 3 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 des Gesetzes durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach ihrem Wortlaut, der an die in Satz 1 dieser Vorschrift geregelte Höhe der kalkulatorischen Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals anknüpft, soll eine weitergehende Verzinsung auch insoweit angemessen sein, als sie auf Maßnahmen beruht, die zu einer dauerhaften Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der BWB, insbesondere durch Anwendung neuer Technologien, Einsparungen oder Effizienzsteigerung oder in sonstiger Weise, führen (Satz 2). Diese weitergehende Verzinsung ist nur während eines Zeitraums von drei Jahren, beginnend ab dem Jahr, das nach Durchführung der Maßnahmen beginnt, zulässig (Satz 3); ab dem vierten Jahr sind die durch LVerfGE 10

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derartige Maßnahmen erzielten Vorteile in Form von Entgeltreduzierungen an die Entgeltzahler weiterzugeben (Satz 4). Die schon sprachlich mißglückte Regelung, die in den Kommunalabgabengesetzen anderer Bundesländer keine Entsprechung findet, läßt völlig offen, in welchem Bezug die beispielhaft aufgeführten Maßnahmen einer dauerhaften Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu dem Ansatz kalkulatorischer Zinsen stehen. Mit der kalkulatorischen Verzinsung des für die Errichtung und den Betrieb der Einrichtung eingesetzten betriebsnotwendigen Kapitals haben derartige Maßnahmen nichts zu tun. Unklar bleibt auch, wann die Voraussetzungen der Vorschrift überhaupt vorliegen, wann mithin von einer dauerhaften Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der BWB ausgegangen werden kann, und in welcher Höhe dies zu einer weitergehenden „Verzinsung" führen kann. Dem Gesetzgeber ist es aus rechtsstaatlicher Sicht zwar nicht verwehrt, Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Begriffe bei der Abfassung von Gesetzestatbeständen zu verwenden, die rechtliche Bedeutung einer Regelung muß sich jedoch zumindest im Wege normaler juristischer Auslegung ermitteln lassen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Aus der Entstehungsgeschichte der Effizienzsteigerungsklausel, insbesondere der Gesetzesbegründung, läßt sich insoweit nichts herleiten. Auch die zeitnah erlassene und — wie dargelegt — grundsätzlich als Auslegungshilfe verwertbare Wassertarifverordnung ist nicht geeignet, die Unklarheiten und Widersprüche der gesetzlichen Regelung in einer mit der Verfassung vereinbaren Weise auszuräumen. Unter Zugrundelegung des § 5 der Verordnung könnte die in Frage stehende Regelung zwar dahingehend verstanden werden, der sog. Effizienzsteigerungszins beruhe auf einer Verringerung der realen Kosten, die innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach dem Beginn entsprechender Maßnahmen nicht an die Entgeltzahler weitergegeben werden muß, sondern — in Höhe des eingesparten Betrages — als fiktive Kostenposition in Form einer erhöhten Verzinsung in die Entgeltkalkulation eingestellt werden kann. Mit diesem Inhalt, der es der Anstalt erlauben würde, reale Kostensenkungen mit dem Ziel einer entsprechenden Gewinnerwartung völlig außer acht zu lassen bzw. als kalkulatorische Kosten weiterhin anzusetzen, widerspräche die Bestimmung jedoch den vorgenannten verfassungsrechtlichen Anforderungen der Gebühren- bzw. Entgeltgestaltung. Denn mit einem entsprechenden Werteverzehr des in der Anstalt gebundenen Eigenkapitals läßt sich dieser Kostenansatz ebensowenig rechtfertigen wie mit der Erwägung, bei einer anderweitigen Verwendung des eingesetzten Kapitals wäre, selbst unter Berücksichtigung erwerbswirtschaftlicher Gesichtspunkte, eine gleich hohe Rendite zu erzielen. Vielmehr werden die Entgeltzahler durch die gesetzliche Regelung in jeweils drei Kalkulationsperioden mit Kosten belastet, die tatsächlich nicht mehr als Kosten der von ihnen benutzten öffentlichen Einrichtung anfallen und letztlich als Rationalisierungsgewinne LVerfGE 10

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dem Land Berlin und den privaten Investoren zufließen. Eine sachgerechte Verknüpfung zwischen den Kosten der staatlichen Leistung und dem dafür erhobenen Entgelt ist insoweit nicht mehr gegeben. Die vorgesehene vollständige Einbehaltung von Rationalisierungsgewinnen für die Dauer von jeweils drei Jahren weicht jedenfalls von der vom Gleichheitsgrundsatz geforderten sachgemäßen Verknüpfung zwischen dem für die Leistung erbrachten Aufwand und dem dafür verlangten Entgelt in einem Ausmaß ab, das zur Erreichung des nach der Gesetzesbegründung mit der Regelung allein verfolgten Zwecks, den BWB einen Anreiz zur dauerhaften Steigerung ihrer betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu geben, nicht erforderlich ist. Die zusätzlich aus dem Tarifaufkommen zu erzielenden Gewinne fließen nicht etwa zweckgebunden an die Anstalt, um ihr im Interesse der Entgeltzahler weitere Rationalisierungen zu ermöglichen, sondern können ohne jede gesetzliche Vorgabe an den Landeshaushalt und die privaten Investoren ausgeschüttet werden. Damit sichern sie letztlich neben der in die Entgeltkalkulation eingestellten kalkulatorischen Verzinsung des eingebrachten Kapitals eine allgemeine Gewinnerwartung und dienen allein der Einnahmeerzielung. Dies läßt sich insbesondere nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, daß mit einer Gebühren- bzw. hier Entgeltregelung auch weitergehende Zwecke, etwa einer begrenzten Verhaltenssteuerung in bestimmten Tätigkeitsbereichen, verfolgt werden können (vgl. BVerfGE 97,332,345 m.w.N.). Denn der mit der in Frage stehenden Regelung verfolgte Zweck, den BWB einen Anreiz zur dauerhaften Steigerung ihrer betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu geben, stellt keinen in diesem Zusammenhang beachtlichen Zweck dar. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BerlBG sind die BWB ohnehin verpflichtet, ihre Aufgaben mit dem Ziel einer kostengünstigen, künden- und umweltfreundlichen Leistungserbringung durchzuführen. Die gesetzmäßige Ausübung dieser Verwaltungstätigkeit, deren Kosten durch die zu erhebenden Entgelte bereits gedeckt sind, sicherzustellen, kann nicht Aufgabe einer Entgeltregelung sein. Denn im Rechtsstaat ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden, ohne daß sie die Beachtung dieser Bindungen von finanziellen Sonderleistungen der Bürger abhängig machen darf. So liegen die Dinge aber hier. Der Effizienzsteigerungszins stellt im Ergebnis nichts anderes als eine von den Berliner Tarifkunden aufzubringende Prämie für die Erfüllung ohnehin bestehender gesetzlicher Verpflichtungen der Anstalt dar. Die Antragsteller haben zudem in ihrem Schriftsatz vom 30. August 1999 substantiiert dargelegt, daß die Kumulation der in Art. II § 3 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes vorgesehenen allgemeinen kalkulatorischen Verzinsung und der für Rationalisierungsinvestitionen anzusetzenden Abschreibungen mit dem Effizienzsteigerungszins in dem gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum von drei Jahren zu erheblich höheren Entgelten führen kann, ohne daß dieser Erhöhung LVerfGE 10

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eine nennenswerte Entgeltreduzierung in den Folgejahren gegenüberstehen muß. Die gegenteilige Auffassung des Senats, Art. II § 3 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes könne verfassungskonform dahin interpretiert werden, daß die dauerhafte Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Anstalt nur dann anzunehmen sei, wenn bei einer Saldierung von Rationalisierungsmaßnahmen und den dadurch verursachten kalkulatorischen Kosten eine sofortige Verminderung der betriebswirtschaftlich ansatzfähigen Kosten eintrete, findet im Wordaut der Norm keinen Anhaltspunkt und bestätigt letztlich das oben gewonnene Ergebnis, daß die Vorschrift rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügt. Eine entsprechende Auslegung wäre zudem nicht vereinbar mit der Regelung in § 5 der Wassertarifverordnung, die davon ausgeht, daß die dauerhafte Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nur für die betrieblichen Kosten im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung nachzuweisen ist, zu denen die kalkulatorischen Kosten nicht gehören. Auch der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und ihr genannter Sinn und Zweck lassen eine der Vorstellung des Senats entsprechende Deutung, die sich nicht auf die in der Verordnung allein genannten betrieblichen Kosten beschränkt, nicht zu. Denn die Frage, ob eine dauerhafte Steigerung der betriebswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorliegt, kann sachgerecht nicht davon abhängig gemacht werden, ob zufälligerweise im ersten Jahr nach Durchführung einer entsprechenden Maßnahme dadurch ausgelöste kalkulatorische Kosten die Einsparung betrieblicher Kosten über- oder unterschreiten. (5) Nach Art. II § 3 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes gehören zu den ansatzfahigen Kosten auch Rückstellungen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn (kalkulatorische) Rückstellungen für Ausgaben, die erst in Zukunft in noch nicht bekannter Höhe entstehen, sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht grundsätzlich ansatzfähig (vgl. BayVGH, Urteile vom 3. März 1993 - 4 B 92.1878 - BayVBl. 1993, 528, 529, und 15. März 1995 - 4 N 94/235 NVwZ-RR 1996, 224, 225). Dies gilt allerdings für öffentliche Einrichtungen nur, soweit es sich um Rückstellungen für kalkulatorische Einzelwagnisse handelt, die nicht versichert oder nicht versicherbar sind, während sich der Ansatz eines allgemeinen Unternehmerrisikos insoweit verbietet (Schulte, a.a.O., § 6 Rdn. 149 ff. m.w.N.). Das Gesetz enthält zwar keine ausdrückliche Fesdegung auf derartige kalkulatorische Einzelwagnisse, es ist in diesem Sinne aber einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Die von den Antragstellern vorgenommene (weitergehende) Auslegung ist jedenfalls nicht zwingend. Sie widerspricht auch der Regelung in § 1 Abs. 3 S. 3 und 4 der — wie bereits ausgeführt — als Indiz für den gesetzgeberischen Willen verwertbaren Wassertarifverordnung, die lediglich nicht versicherbare oder nicht versicherte Einzelwagnisse als kalkulatorische Kosten anerkennt. LVerfGE 10

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bb) Aus Anlaß des zu beurteilenden Sachverhalts bedarf es keiner Entscheidung, ob die teilweise Unvereinbarkeit der gesetzlichen Kalkulationsgrundlage in Art. II § 3 Abs. 4 des Gesetzes mit den an sie zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen die Annahme rechtfertigt, es handele sich bei dem Nutzungsentgelt insoweit, als es auf dieser Grundlage ermittelt wird, in Wahrheit teilweise um eine unter Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 VvB angeordnete (verdeckte) Steuer, oder ob dieses Entgelt selbst in dem in Rede stehenden Umfang seinen gebührenrechtlichen Charakter behält (vgl. in diesem Sinne BVerwGE 13, 214, 222) und mithin auch insoweit nicht als verdeckte Steuer zu qualifizieren ist. Denn selbst wenn ersteres anzunehmen sein sollte, bestätigte dies allenfalls das bereits zuvor begründete Ergebnis, daß Art. II § 3 Abs. 4 des Gesetzes einer verfassungsrechtlichen Uberprüfung teilweise nicht standhält. cc) Schließlich kann die Teilprivatisierung der BWB nicht als eine (verfassungswidrige) verdeckte Kreditaufnahme angesehen werden. Nach Art. 87 Abs. 1 VvB dürfen Anleihen nicht ohne gesetzliche Grundlage aufgenommen werden. Der Begriff der Anleihe entspricht inhaltlich dem Begriff „Kredit", wie er in Art. 87 Abs. 2 VvB und Art. 115 Abs. 1 GG verwendet wird (Beschl. v. 8. Aprü 1997 - VerfGH 78/96 - LVerfGE 6, 66, 77 = NVwZ-RR 1997, 506). Unter der Aufnahme von Krediten ist die Beschaffung von Geldmitteln zu verstehen, die zurückgezahlt werden müssen. Auf die Art und Weise und die rechtliche Ausgestaltung der Kreditaufnahme kommt es für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung nicht an. Eine Kreditaufnahme liegt vor, wenn dem Staat unmittelbar oder mittelbar Geldleistungen zugewandt werden, die er zurückzahlen und in der Regel auch verzinsen muß, die mithin Finanzschulden begründen (vgl. zum Vorstehenden Beschl. v. 8. April 1997 — VerfGH 78/96 - a.a.O.). Die Begründung einer stillen Beteiligung stellt in diesem Sinne keine (verdeckte) Kreditaufnahme dar. Die gesetzliche Regelung bietet dafür keinen Anhaltspunkt. Aber auch eine vertragliche Umsetzung, wie sie in der Gesetzesbegründung bereits angesprochen ist, läßt eine Kreditaufnahme des Landes Berlin nicht erkennen. Durch die beabsichtigte Beteiligung einer Holding AG, die vom Land Berlin und privaten Investoren getragen wird, fließen dem Land zwar Geldmittel zur Entlastung des Haushalts zu. Zur Refinanzierung des von privaten Investoren dafür eingesetzten Kapitals sollen jedoch keine öffentlichen Haushaltsmittel, sondern die von den Berliner Tarifkunden zu entrichtenden Entgelte für die Inanspruchnahme der Wasserver- und entsorgung verwendet werden. Diese Art der Refinanzierung kann weder unmittelbar noch mittelbar als eine Rückzahlung des Landes Berlin angesehen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieses Urteil ist unanfechtbar. LVerfGE 10

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Nr. 14 Zur Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter bei Nichteinholung eines Rechtsentscheids im Wohnraummietrecht (hier: Anforderungen an eine Mieterhöhungserklärung bei Wärmedämmmaßnahmen).* Verfassung von Berlin Art. 15 Abs. 5 Satz 2 Beschluß vom 20. Dezember 1999 - VerfGH 38/99 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn E. F. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. März 1999 - 64 S 411/98 - , den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 23. März 1999 - 64 S 411/98 Beteiligte gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG: Der Präsident des Landgerichts Berlin, Frau H. U., HerrT. U., Entscheidungsformel: Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. März 1999 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. März 1999 - 64 S 411/98 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: I. 1. Die Beteiligten zu 2) und 3) sind seit Dezember 1994 Mieter einer 4-Zimmer-Wohnung in Berlin-T., deren Vermieter der Beschwerdeführer ist. Seit Juli 1996 betrug der monatliche Bruttowarmmietzins für diese Wohnung 807,20 DM * Nichtamtlicher Leitsatz

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einschließlich einer Heizkostenvorauszahlung von 65,87 DM. Mit Schreiben vom 27. Februar 1997 verlangte der Beschwerdeführer eine Erhöhung des Mietzinses um 192,38 DM auf 999,58 DM ab Oktober 1997, da er folgende Modernisierungsarbeiten durchgeführt habe: Anschluß des Badezimmers an die Gaszentralheizung (Zuschlag 21,08 DM), Einbau einer zentralen Warmwasserversorgung (Zuschlag 25,69 DM), Erneuerung der Elektrosteigeleitung für Küche und Bad sowie der Klingel- bzw. Gegensprechanlage (Zuschlag 42,19 DM) und Anbringen eines Vollwärmeschutzes an der Fassade des Hauses (Zuschlag 103,42 DM). Die Beteiligten zu 2) und 3) erfüllten den Mieterhöhungsanspruch nicht, sondern minderten den Mietzins seit Oktober 1997 um 32,91 DM auf 774,29 DM, da sie sich durch Hundegebell und den Lärm fußballspielender Jugendlicher auf der Grünfläche vor ihrer Wohnung belästigt fühlten. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht Köpenick Klage gegen die Beteiligten zu 2) und 3), mit der er deren Verurteilung zur Zahlung des Modernisierungszuschlags von monatlich 192,38 DM und des einbehaltenen Mietzinses von monatlich 32,91 DM für die Monate Oktober 1997 bis März 1998 sowie die Feststellung begehrte, daß die Beteiligten zu 2) und 3) darüber hinaus auch ab April 1998 zur Zahlung des Modernisierungszuschlags verpflichtet seien. Er trug hierzu unter Vorlage eines Wärmeschutznachweises, einer Wärmebedarfsberechnung und von Gasrechnungen u.a. vor, der durchgeführte Vollwärmeschutz führe zu einer Energieeinsparung und sei wirtschaftlich, weil sie den Gasverbrauch um circa 50 % reduziere. Die Beteiligten zu 2) und 3) traten der Klage u.a. mit dem Vortrag entgegen, das Mieterhöhungsverlangen vom 27. Februar 1997 sei formal unwirksam, da es aus sich heraus nicht nachvollziehbar sei. Es enthalte weder Erläuterungen zu den abgerechneten Maßnahmen noch auch nur die grundlegende Erklärung, daß es sich dabei überhaupt um eine Modernisierung handele. Hinsichtlich des der Erhöhung zugrundegelegten Vollwärmeschutzes der Fassade hätte der Beschwerdeführer schon im Erhöhungsverlangen nachvollziehbar angeben müssen, welcher Unterschied beim Energieverbrauch mit und ohne Wärmedämmung auftrete. Das Amtsgericht gab der Klage durch Urteil vom 7. Oktober 1998 im wesentlichen statt und wies sie nur insoweit ab, als der verlangte Modernisierungszuschlag 187,76 DM monatlich überstieg. Die Mieterhöhungserklärung vom 27. Februar 1997 erfülle die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 MHG. Insbesondere sei die Erhöhung hinreichend erläutert. Jedoch sei der Mieterhöhungsanspruch hinsichtlich der Wärmedämmung auf 98,80 DM monatlich zu reduzieren, weil eine Erhöhung, die die Einsparung des Mieters um mehr als 200 % übersteige, insoweit die durch das Gebot der Wirtschaftlichkeit gezogene Zumutbarkeitsgrenze überschreite. Gegen dieses Urteil legten die Beteiligten zu 2) und 3) Berufung beim Landgericht Berlin ein und machten u.a. erneut geltend, daß das MieterhöhungsLVerfGE 10

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verlangen vom 27. Februar 1997 schon den formalen Anforderungen nicht entspreche. Es fehlten darin jedwede Angaben zur Frage der Heizkostenersparnis, zum Verhältnis zwischen Heizkostenersparnis und Mieterhöhung sowie zum Wärmedämmeffekt insgesamt. Der Beschwerdeführer vertrat dazu die Ansicht, es sei nicht erforderlich gewesen, die Höhe der zu erwartenden Heizkostenersparnis im Erhöhungsverlangen mitzuteilen. Dies werde der Vermieter im Regelfall auch nicht können, da ihm die konkreten Verbrauchszahlen des Mieters nicht bekannt seien. In der mündlichen BerufungsVerhandlung am 16. März 1999 verhandelten die Parteien zur Sache. Anschließend verkündete das Landgericht einen Urteilstenor, wonach der Berufung teilweise stattgegeben und das Urteil des Amtsgerichts dahingehend abgeändert wurde, daß dem Beschwerdeführer nur noch ein monatlicher Modernisierungszuschlag von 155,10 DM zustand. Durch Beschluß des Landgerichts vom 23. März 1999 wurde dieser Tenor „wegen einer offenbaren Unrichtigkeit" dahingehend berichtigt, daß dem Beschwerdeführer nur noch ein monatlicher Modernisierungszuschlag von 89,23 DM zugesprochen wurde. Das vollständig abgefaßte Urteil und der Berichtigungsbeschluß wurden dem Beschwerdeführer am 8. April 1999 zugestellt. In den Entscheidungsgründen des Urteils ist ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf die Umlage der Wärmedämmkosten, da gemäß § 3 Abs. 1 MHG in der Mieterhöhungserklärung dargelegt werden müsse, in welchem Maße sich eine Verringerung des Verbrauchs an Heizenergie ergebe. Dies werde in der Regel durch eine Wärmebedarfsberechnung erfolgen. Dies sei jedoch in der Mieterhöhungserklärung nicht dargestellt. Insoweit reiche es auch nicht aus, daß im Prozeß eine Wärmebedarfsberechnung eingereicht worden sei. Insoweit hätte es vielmehr einer neuen Mieterhöhungserklärung bedurft. Daher könne dahinstehen, ob durch das Wirtschaftlichkeitsgebot der Modernisierungszuschlag auf das Dreifache der fiktiven Einsparung von Heizkosten begrenzt sei. Unter Berücksichtigung des zutreffend errechneten Modernisierungszuschlags für den Einbau der Heizung in Höhe von 21,08 DM, für denjenigen für den Warmwasseranschluß in Höhe von 25,96 DM und die Verstärkung der Elektrosteigeleitung in Höhe von 42,19 DM ergebe sich ein zulässiger Modernisierungszuschlag von 89,23 DM. 2. Mit der am 25. Mai 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil und den Berichtigungsbeschluß rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 15 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 der Verfassung von Berlin - VvB - . Er behauptet, im Zuge der mündlichen Verhandlung am 16. März 1999 habe das Landgericht mit den Prozeßbevollmächtigten ausschließlich erörtert, ob der auf die Wärmedämmungsmaßnahmen entfallende Erhöhungsbetrag aus LVerfGE 10

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Gründen der Wirtschaftschaflichkeit in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung der Kammer auf das Doppelte der fiktiven Einsparung von Heizkosten zu begrenzen sei. Das Landgericht habe seine Entscheidung dahin erkennen lassen, daß es einen Modernisierungszuschlag in Höhe von monatlich 155,10 DM für wirksam halte. Dem habe der verkündete Entscheidungstenor entsprochen. Gründe für die nachträgliche Berichtigung seien weder nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung noch aus der Gerichtsakte ersichtlich. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, das Urteil verstoße gegen Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB, weil das Landgericht nach § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 Z P O zur Vorlage an das Kammergericht verpflichtet gewesen sei und diese Verpflichtung willkürlich außer acht gelassen habe. Die Frage, ob der Vermieter bei Wärmedämmungsmaßnahmen, die Gegenstand einer nachfolgenden Mieterhöhung nach § 3 M H G seien, bereits in der Erhöhungserklärung darlegen müsse, in welchem Maße die Maßnahme zu einer Verringerung des Verbrauchs von Heizenergie führen werde, oder ob der Vermieter diese Angaben noch im Prozeß nachholen könne, sei nämlich von grundsätzlicher Bedeutung, weil ihre Entscheidung noch nicht Gegenstand eines Rechtsentscheides gewesen sei, Rechtsprechung der Instanzgerichte hierzu ebenfalls nicht vorliege und in der Literatur einhellig davon ausgegangen werde, daß der Vermieter die erforderlichen Angaben im Prozeß noch nachreichen könne. Der Berichtigungsbeschluß verletze den Beschwerdeführer in seinem verfassungsmäßigen Recht auf ein faires Verfahren. Durch das nicht nachvollziehbare Abweichen von seiner offengelegten Einschätzung der Sach- und Rechtslage habe das Landgericht Art. 15 Abs. 1 VvB verletzt. Überdies sei diese Vorschrift dadurch verletzt, daß das Landgericht den Berichtigungsbeschluß mit einem lapidaren und nicht nachvollziehbaren Hinweis auf eine vermeintliche offenbare Unrichtigkeit des verkündeten Tenors begründet habe. Eine Offenkundigkeit im Sinne von § 319 Z P O habe ersichtlich nicht vorgelegen. Warum das Urteil zu berichtigen gewesen sei, sei für die Parteien weder ersichtlich noch zu erahnen. 3. Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist dem Präsidenten des Landgerichts Berlin und den Beklagten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern. a) Der Präsident des Landgerichts hat mitgeteilt, der Vorsitzende der Zivilkammer 64 habe zu der Verfassungsbeschwerde wie folgt Stellung genommen: Die Sache hätte nicht zur Einholung eines Rechtsentscheides vorgelegt werden müssen, weil auch eine Erhöhungserklärung gemäß § 3 Abs. 3 MHG die Schriftform einhalten müsse. Diese sei aber nur eingehalten, wenn die Urkunde einheitlich sei. Daher sei eine sukzessive Mieterhöhungserklärung nicht zulässig. Das sei unabhängig davon, ob eine nachträgliche Erläuterung im Prozeß für zulässig gehalten werde. An die Erörterungen im Termin könne er sich ohne die Sachakten nicht erinnern.

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b) Die Beteiligten zu 2) und 3) bestreiten, daß das Landgericht mit den Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung lediglich die Frage der Begrenzung der Mieterhöhung auf das Doppelte der fiktiven Einsparung von Heizkosten erörtert habe. Es habe vielmehr unter anderen Themenpunkten auch darauf hingewiesen, daß das Mieterhöhungsverlangen jedenfalls auf einen Betrag von 155,10 DM zu begrenzen sei, ohne daß dies als zu erwartender Urteilstenor dargestellt worden sei. Die Beteiligten zu 2) und 3) meinen, eine Vorlageverpflichtung nach § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO habe für das Landgericht nicht bestanden. Daß ein Mieterhöhungsverlangen vom Vermieter zu erläutern sei und diese Erläuterungen dem Mieterhöhungsverlangen beigefügt sein müßten und nicht im Prozeß nachgeschoben werden könnten, sei seit Jahrzehnten einhellige Rechtsmeinung in Literatur und Rechtsprechung und ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes. Die Frage der hinreichenden Erläuterung des Mieterhöhungsverlangens sei auch in beiden Instanzen Gegenstand der schriftsätzlichen Auseinandersetzung gewesen. Die offenkundige Unrichtigkeit des verkündeten Urteilstenors ergebe sich aus der Urteilsbegründung. Das Landgericht sei im übrigen nicht verpflichtet, den Parteien zu erläutern, wie es zu einer offensichtlich unrichtigen Urteilstenorierung gekommen sei. II. 1. Mit der Rüge, das Landgericht habe den Beschwerdeführer seinem gesetzlichen Richter entzogen, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB. Die in Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB in Übereinstimmung mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgte Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist verletzt, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht willkürlich außer acht läßt (vgl. BVerfGE 76, 93, 96; ebenso Beschl. v. 19. Oktober 1995 VerfGH 23/95 - LVerfGE 3, 99,103). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das Landgericht hätte gem. § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO einen Rechtsentscheid einholen müssen (a). Die Nichtbeachtung dieser gesetzlichen Vorlagepflicht ist offenkundig unhaltbar und damit objektiv willkürlich (b). a) Das Landgericht war gem. § 541 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ZPO zur Vorlage an das Kammergericht verpflichtet. Will nämlich ein Landgericht als Berufungsgericht eine Rechtsfrage entscheiden, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt, so hat es nach dieser Vorschrift vorab eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts herbeizuführen, wenn die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung und noch nicht durch Rechtsentscheid entschieden ist. Die in dem angefochtenen Urteil bejahend entschieLVerfGE 10

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dene Frage, ob bei Wärmedämmaßnahmen gemäß § 3 Abs. 1 MHG bereits in der Mieterhöhungserklärung nach § 3 Abs. 3 MHG dargelegt werden muß, in welchem Maße sich eine Verringerung des Verbrauchs an Heizenergie ergibt, war von grundsätzlicher Bedeutung. Diese Frage kann sich nicht nur im vorliegenden und in wenigen anderen Verfahren, sondern bei allen Wohnraummietverhältnissen stellen und ist deshalb von allgemeiner Bedeutung. Es handelt sich auch nicht etwa um eine Frage, die nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles beurteilt und entschieden werden kann und deshalb einem Rechtsentscheid nicht zugänglich wäre. Vielmehr geht es um die Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz 2 MHG, wonach die Mieterhöhungserklärung nur wirksam ist, wenn in ihr die Erhöhung „aufgrund der entstandenen Kosten berechnet und entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1 erläutert wird". Diese Auslegungsfrage war auch klärungsbedürftig. Die vom Landgericht vertretene Auffassung wurde — soweit ersichtlich — vor dem Urteil derselben Kammer vom 5. März 1999 - 64 S 323/98 - (GE 1999, S. 575) weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum vertreten. In der Kommentarliteratur wurde überwiegend angenommen, daß der Vermieter in der Mieterhöhungserkärung nicht zu erläutern braucht, aus welchen Gründen er eine bestimmte Maßnahme als Modernisierung oder Energieeinsparung wertet (vgl. Stemel, Mietrecht, 3. Aufl. 1988, Rdn. III 805; Barthelmess, Wohnraumkündigungsschutzgesetz/Miethöhegesetz, 5. Aufl. 1995, § 3 MHG Rdn. 38; Beuermann, Mietenüberleitungsgesetz und Miethöhegesetz, 2. Aufl. 1997, §§ 13, 3 MHG Rdn. 119; Bub/Treier/ Schult^ Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. 1999, Rdn. III. A. 564). Die vom Landgericht angenommene Pflicht, in die Mieterhöhungserklärung in der Regel eine Wärmebedarfsberechnung aufzunehmen, weicht hiervon nicht nur ab, sondern geht sogar noch über die von der Gegenmeinung geforderte Pflicht zu einer plausiblen Darlegung der genannten Gründe {Emmerich, Miete, 7. Aufl. 1999, § 3 MHG Rdn. 31) weit hinaus. Ob eine so weitgehende Erläuterungspflicht vom Zweck des § 3 Abs. 3 Satz 2 MHG, dem Schutzbedürfnis des Mieters Rechnung zu tragen, geboten ist oder nicht das Interesse des Vermieters an baldiger Mieterhöhung durch zu strenge formale Anforderungen schon im Vorfeld eines etwaigen Rechtsstreits übermäßig beeinträchtigt, bedarf schon aus Gründen der Gleichheit vor dem Gesetz und der Rechtssicherheit einer einfachrechtlich verbindlichen Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, zumal diese Frage unter den Gesichtspunkten des Rechts auf Eigentum und auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes auch verfassungsrechtlich bedeutsam ist (vgl. BVerfGE 53, 352, 357 ff.). b) Die Nichtvorlage war objektiv unter keinem Gesichtspunkt vertretbar. Die Klärungsbedürftigkeit der genannten Frage hatten die Prozeßparteien deutLVerfGE 10

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lieh herausgearbeitet. Sowohl der Beschwerdeführer als auch die Beteiligten zu 2) und 3) hatten Ausführungen dazu gemacht, ob schon im Erhöhungsverlangen nachvollziehbar angegeben werden müsse, welcher Unterschied beim Energieverbrauch mit und ohne Wärmedämmung auftrete. Der Beschwerdeführer hatte hierzu auf die erwähnte Kommentierung von Beuermann hingewiesen, die weitere Literaturnachweise enthält. Angesichts dessen mußte sich dem Landgericht auch ohne ausdrückliches Vorlageverlangen des Beschwerdeführers die Verpflichtung zur Vorlage aufdrängen. Uber die grundsätzliche Bedeutung der vom Landgericht aufgestellten Anforderungen an eine Mieterhöhungserklärung bei Wärmedämmmaßnahmen konnte kein vernünftiger Zweifel bestehen. 2. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus sinngemäß rügt, das Landgericht habe ihn durch überraschende Abweichung von der in der mündlichen Verhandlung offengelegten Einschätzung der Sach- und Rechtslage in seinem in Art. 15 Abs. 1 VvB verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, entspricht sein Vorbringen nicht den sich aus § 50 VerfGHG ergebenden Anforderungen an die Bezeichnung einer derartigen Rechtsverletzung. Denn er hat nicht dargelegt, was er bei einem vorherigen Hinweis auf die das angegriffene Urteil letztlich tragende Rechtsauffassung über sein Prozeßvorbringen hinaus noch vorgetragen hätte. 3. Nach § 54 Abs. 3 VerfGHG ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 Halbs. 2 BVerfGG an das Landgericht zurückzuverweisen. Den darüber hinaus auch gegen den Berichtigungsbeschluß als solchen bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken ist im Hinblick darauf nicht weiter nachzugehen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Nr. 15 1. Die Anwendung ordnungsrechtlicher Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (hier: § 178 GVG) setzt eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit der am Verfahren Beteiligten und den durch die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit beeinträchtigten, einfachgesetzlich geschützten Rechtsgütern voraus. 2. Wertende Äußerungen eines Verfahrensbeteiligten über Verhalten und Personen anderer Prozeßbeteiligter, die in keinem inneren ZusamLVerfGE 10

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menhang mit der Verteidigung eigener Rechte stehen und bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Mißachtung des Verfahrens und der dieses leitenden Personen im Vordergrund stehen, vermögen regelmäßig auch unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit eine Herabsetzung der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts nicht zu rechtfertigen.* Verfassung von Berlin Art. 7,14 Abs. 1,15 Abs. 1 GVG§ 178 Beschluß vom 20. Dezember 1999 - VerfGH 56 K/99, 56/99 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Herrn S. gegen 1. den Beschluß des Kammergerichts vom 26. Juni 1999 - 1 AR 1235/98 - 5 Ws 295/99 2. den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 6. Mai 1999 - 520-7/99 - betreffend die Verhängung von Ordnungshaft, 3. den Beschluß des Kammergerichts vom 25. Juni 1 9 9 9 - 1 AR 1235/98 - 5 Ws 356/99 - , 4. den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 15. April 1999 - 520-7/99 betreffend die Verhängung von Ordnungsgeld Weitere Beteiligte: 1. Präsident des Landgerichts Berlin, 2. Senatsverwaltung für Justiz Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. * Nichtamtliche Leitsätze

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Gründe: II. Der Beschwerdeführer, von Beruf Rechtsanwalt und häufig als Strafverteidiger tätig, wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Festsetzung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft im Rahmen eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens. Gegenstand des Strafverfahrens vor dem Landgericht Berlin, in dem seit Januar 1999 die Hauptverhandlung stattfand, war der gegen insgesamt dreizehn Angeklagte gerichtete Vorwurf des Bandendiebstahls und der gewerbsmäßigen Hehlerei. Dem Beschwerdeführer wurde in zwei Fällen versuchte Strafvereitelung, in einem Fall versuchte Nötigung zur Last gelegt. Das Verfahren gegen sechs Angeklagte wurde nach Abtrennung vorab durch Urteil abgeschlossen, die vom Beschwerdeführer beantragte Abtrennung des gegen ihn gerichteten Verfahrens lehnte die Strafkammer wiederholt ab. Den vom Beschwerdeführer angegriffenen Beschlüssen des Landgerichts und Kammergerichts, mit denen sein Verhalten während der Hauptverhandlung als ungebührlich geahndet worden ist, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nachdem der Beschwerdeführer bereits mehrfach unter Androhung von Ordnungsmaßnahmen gerügt und aufgefordert worden war, nicht durch Zwischenrufe oder anderes Fehlverhalten die Hauptverhandlung zu stören (etwa an die Vorsitzende gerichtet: „Schnattern Sie doch nicht immer dazwischen" oder Spielen von Mundharmonika und die Ankündigung, den vom ihm komponierten „Sch.-Blues" — Name der Vorsitzenden - vorzuspielen), nahm er am 12. April 1999 Anstoß an der Verlesung eines mehrseitigen Schreibens, da dessen Anschriftenfeld und Diktatzeichen nicht mit verlesen worden war. Als die Vorsitzende die erneute Verlesung anordnete und der Berichterstatter begann, weitere Angaben wie Telefonnummer, Bankverbindung u. a. zu verlesen, rief der Beschwerdeführer: „Frau Sch., wollen Sie mich verarschen?". Am Nachmittag des gleichen Sitzungstages kam es während der Befragung eines Zeugen durch den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu folgenden lautstarken, an den Staatsanwalt K. gerichteten Äußerungen des Beschwerdeführers: „Das dient nur Ihrer Selbstverteidigung. Suchen Sie sich einen Anwalt! Pfui, Herr K.!". Wegen dieser Ausrufe verhängte die Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 15. April 1999 gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 DM. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Kammergericht mit dem zum Aktenzeichen 5 Ws 356/99 ergangenen Beschluß vom 25. Juni 1999. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, das Verhalten des Beschwerdeführers sei trotz der ihm zugute zu haltenden besonders angespannten Gemütslage als Ungebühr zu bewerten. Der Ausruf gegenüber der Vorsitzenden habe keinen vernünftigen Grund gehabt. Die Äußerungen gegenLVerfGE 10

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über dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft entbehrten zwar nicht eines tatsächlichen und rechtlichen Hintergrunds, stellten aber keine sachliche Auseinandersetzung mit der Vernehmung, sondern eine persönliche Herabsetzung des Staatsanwalts dar. Bei den Ausrufen des Beschwerdeführers habe es sich nicht um eine einmalige Entgleisung gehandelt, sie stellten vielmehr den Endpunkt eines gezielten Verhaltens des Beschwerdeführers dar, seine erzwungene Anwesenheit während der gesamten Hauptverhandlung zu Störungen zu nutzen. Gegenstand der Ordnungshaftbeschlüsse war folgender Sachverhalt: Am 6. Mai 1999 verlas der Beschwerdeführer, nachdem alle Verfahrensbeteiligten ihre Schlußvorträge gehalten hatten, einen Beweisantrag, während dessen Verlesung es zu Unterbrechungen und Zwischenrufen durch Zuschauer und einen Mitangeklagten kam, der dabei diverse Papiere schwenkte. Nachdem der Beschwerdeführer die Vorsitzende zur Wegnahme der Unterlagen aufgefordert hatte und diese das mit dem Hinweis darauf ablehnte, sie werde keine Verteidigungsunterlagen abnehmen, rief der Beschwerdeführer ihr zu: „Sie sind nicht an der Wahrheit interessiert!". Auf die Aufforderung zur Mäßigung reagierte der Beschwerdeführer mit den Worten: „Ich denke nicht daran, mich zu mäßigen. Ich habe noch nie einen so bescheuerten und beschissenen Prozeß gesehen wie diesen!". Unmittelbar im Anschluß an letztgenannte Äußerung entschuldigte sich der Beschwerdeführer und nahm die beiden von ihm verwendeten Worte zurück, was jedoch weder vom Gericht noch vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft wahrgenommen wurde. Noch am selben Sitzungstag verhängte die Strafkammer gegen den Beschwerdeführer Ordnungshaft von vier Tagen. Er wurde sofort in Haft genommen, am darauf folgenden Tag jedoch wieder endassen, nachdem das Kammergericht auf entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers die weitere Vollstreckung der Ordnungshaft ausgesetzt hatte. Durch den ebenfalls angefochtenen Beschluß vom 25. Juni 1999 — 5 Ws 295/99 — verwarf das Kammergericht die gegen den Ordnungshaftbeschluß eingelegte Beschwerde mit der Maßgabe, daß die Ordnungshaft auf zwei Tage herabgesetzt wurde. Das Kammergericht wertete auch dieses Verhalten des Beschwerdeführers als ungebührlich und stellte in seiner Begründung darauf ab, daß der Beschwerdeführer wiederum nicht aufgrund seiner Gemütslage oder verständlicher Empörung versagt habe. Die Äußerung, „Sie sind nicht an der Wahrheit interessiert!", habe das Gericht grundlos in seinem Achtungsanspruch herabgesetzt. Die ausdrückliche Weigerung, sich zu mäßigen, habe das ohnehin angespannte Verhandlungsklima weiter verschärft. Bei den übrigen Äußerungen handele es sich um Injurien, deren Eigenschaft als Ungebühr durch die — vom Gericht nicht wahrgenommene und ihm gegenüber auch nicht wiederholte — Entschuldigung des Beschwerdeführers nicht entfalle. Angesichts der Besonderheiten des Falles, insbesondere der Tatsache, daß der Beschwerdeführer zuvor durch einen MitLVerfGE 10

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angeklagten in der Wahrnehmung seiner Rechte gestört worden sei, komme jedoch lediglich eine Ordnungshaft von zwei Tagen in Betracht. Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1, Art. 7 und 15 Abs. 1 VvB verletzt. Zur Begründung verweist er auf die ihn benachteiligende Prozeß- und Verhandlungsführung und das von Beginn des Prozesses an gespannte Verhandlungsklima, das letztlich zu den beanstandeten Äußerungen geführt habe. Die Einwirkung der grundrechtlichen Gewährleistungen auf die Auslegung und Anwendung der durch das Gerichtsverfassungsgesetz bereitgestellten Ordnungsvorschrift sei in den angefochtenen Beschlüssen nicht beachtet bzw. fehlerhaft bestimmt worden. Mit den ihm vorgeworfenen Ausrufen habe er stets im Rahmen der Verteidigung seiner eigenen Rechtsposition auf vorangegangenes Verhalten des Gerichts oder anderer Verfahrensbeteiligter reagiert, sämtliche Äußerungen seien - trotz ihrer Wortwahl und Form — durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Da sie im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens abgegeben worden seien, sei zudem sowohl sein Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit als auch auf rechtliches Gehör verletzt. Der Ordnungshaftbeschluß sei überdies unverhältnismäßig, da die notwendige Stufenfolge der Sanktionen nicht eingehalten sei und es sich überdies um einen gravierenden, in keinem Verhältnis zu den beanstandeten Äußerungen stehenden Eingriff in seine Freiheitsrechte handele. Die Hauptverhandlung ist inzwischen — noch nicht rechtskräftig — durch Urteil abgeschlossen worden. Die weitere Vollstreckung des Ordnungshaftbeschlusses hat die Strafkammer bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zurückgestellt. Dem Präsidenten des Landgerichts und der Senatsverwaltung für Justiz ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. 1. Gem. § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben. Soweit Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist (hier: § 178 GVG), ist der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich berechtigt, Entscheidungen der Berliner Gerichte am Maßstab solcher in der Verfassung von Berlin verbürgten Individualrechte zu messen, die bundesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten entsprechen. Solche Individualrechte sind, soweit sie inhaltlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen, auch dann von der rechtsprechenden LVerfGE 10

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Gewalt des Landes Berlin zu beachten, wenn diese Bundesrecht anwendet (st. Rspr.; u. a. Beschl. v. 6. Oktober 1998 - VerfGH 32/98 - NJW 1999,47 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund kann sich der Beschwerdeführer sowohl auf Art. 14 Abs. 1 VvB als auch auf Art. 7 und 15 Abs. 1 VvB berufen. Art. 14 Abs. 1 VvB garantiert die Meinungsäußerungsfreiheit zwar — anders als Art. 5 Abs. 2 GG — nur „innerhalb der Gesetze", das Grundrecht ist mithin in stärkerem Maße eingeschränkt als nach Bundesrecht (Beschl. v. 8. September 1993 — VerfGH 53/93 - LVerfGE 1, 145, 148). Eine derartige schrankendivergente Parallelverbürgung von Grundrechten auf Bundes- und Landesebene steht jedoch, da das stärker eingeschränkte Landesgrundrecht im Sinne einer (zusätzlichen) Mindestgarantie auf der Ebene der Landesverfassung zu verstehen ist, der Annahme einer Ubereinstimmung mit dem entsprechenden Bundesgrundrecht und damit der Anwendung durch den Verfassungsgerichtshof nicht entgegen (vgl. BVerfGE 96, 345, 365; in diesem Sinne bereits Beschl. v. 31. Mai 1995 - V e r f G H 55/93 - J R 1996,146,147 zu Art. 11 VvB a.E, m.w.N.). Unabhängig davon genügt die den angegriffenen Beschlüssen zugrundeliegende Vorschrift des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Festsetzung von Ordnungsmitteln wegen Ungebühr auch den Anforderungen, die nach dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG an ein Gesetz zu stellen sind (vgl. BVerfGE 50, 234,241). Die von dem Beschwerdeführer zudem als verletzt gerügten Art. 7 und 15 Abs. 1 VvB stimmen inhaltlich mit den vom Grundgesetz verbürgten Grundrechten (vgl. Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 103 Abs. 1 GG) überein. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet; die mit ihr angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts und des Kammergerichts halten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. a) Der Begriff der Meinung in Art. 14 Abs. 1 VvB ist — in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG — grundsätzlich weit zu verstehen. Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung berührt (vgl. zum GG: BVerfGE 71, 162, 179 m.w.N.). Der Grundrechtsschutz bezieht sich dabei nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auch auf ihre Form; auch eine Aussage, die polemisch oder verletzend formuliert ist, wird vom Schutzbereich des Grundrechts erfaßt (BVerfGE 93,266,289 m.w.N.). Ebenso können „rhetorische Fragen", die nicht um einer Antwort willen geäußert werden, ein grundrechtlich geschütztes Werturteil enthalten (vgl. BVerfGE 85, 23, 32f.). Art. 14 Abs. 1 VvB schützt die Meinungsäußerungsfreiheit indes — wie bereits erwähnt — nur „innerhalb der Gesetze". Einschränkungen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit ergeben sich u.a. aus den ordnungsrechtlichen Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes. So sieht die den angegriffenen Beschlüssen LVerfGE 10

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zugrundeliegende Vorschrift des § 178 GVG ausdrücklich sitzungspolizeiliche Maßnahmen vor, die ein justizförmiges Gerichtsverfahren — insbesondere einen ordnungs- und gesetzmäßigen Ablauf der Verhandlung und eine geordnete Wahrheitsfindung — gewährleisten sollen. Derartige grundrechtsbeschränkende Vorschriften müssen ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts — hier: der Meinungsäußerungsfreiheit — ausgelegt werden, damit dessen wertsetzende Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommen kann (BVerfGE 7,198, 208; st. Rspr.; vgl. u. a. BVerfGE 93, 266, 292). Bei der Festsetzung von Ordnungsmitteln wegen Ungebühr nach § 178 GVG ist mithin eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit der am Verfahren Beteiligten einerseits und den durch die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit beeinträchtigen Rechtsgütern, die durch das einfache Recht geschützt werden sollen, andererseits erforderlich. b) Die Anwendung und Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Ungebühr" in § 178 GVG muß zudem der Tatsache Rechnung tragen, daß etwaige mit Ordnungsmitteln zu ahndende Äußerungen eines Prozeßbeteiligten in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben worden sind. Insoweit sind auch die Auswirkungen des Rechtsstaatsprinzips auf die durch Art. 7 VvB grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit und die Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB) für das gerichtliche Verfahren zu beachten. Der Strafanspruch des Staates weist den staatlichen Organen die ausschließliche Befugnis zu, eine Person wegen eines möglicherweise strafbaren Verhaltens einem Strafverfahren auszusetzen. Voraussetzung ist ein rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes justizförmiges Strafverfahren, in dem der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt wird, sondern gegenüber den Organen der (Straf-) Rechtspflege, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen, jene Handlungen vornehmen kann, die aus seiner vom guten Glauben bestimmten Sicht geeignet sind, sich — mit dem Ziel einer effektiven Rechtsverteidigung — im Prozeß zu behaupten (vgl. zu bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten: BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - StV 1991, 458, 459 m.w.N.). Dem Anspruch auf rechtliches Gehör kommt mithin über seinen engeren Anwendungsbereich hinaus auch Bedeutung für die Frage zu, inwieweit ein Prozeßbeteiligter wegen Äußerungen, die er in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben hat, zur Verantwortung gezogen werden kann. Denn die Gefahr einer Ahndung derartiger Äußerungen — hier: durch die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 178 GVG — wirkt mittelbar auf die Wahrnehmung dieses Rechts zurück (BVerfG, Beschl. v. 11. April 1991, a.a.O.). Wertende Äußerungen über Verhalten und Personen anderer Verfahrensbeteiligter stehen auch im Prozeß grundsätzlich unter dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. Im „Kampf um das Recht" darf ein Verfahrensbeteiligter LVerfGE 10

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auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen (vgl. BVerfGE 76,171,192). Ob er seine Kritik hätte anders formulieren können, ist, da auch die Form der Meinungsäußerung — wie dargelegt — grundrechtlich geschützt ist, nicht entscheidend. Allerdings müssen derartige im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens abgegebenen Äußerungen mit Blick auf die konkrete Prozeßsituation zur Rechtsverteidigung geeignet und erforderlich erscheinen sowie der Rechtsgüter- und Pflichtenlage angemessen sein (BVerfG, Beschl. v. 11. April 1991, a.a.O., m.w.N.). Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang mit der Verteidigung eigener Rechte stehen, bei denen nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Mißachtung des Verfahrens und der dieses leitenden Personen im Vordergrund stehen, müssen regelmäßig hinter den prozessual vorgesehenen Ordnungsregeln zurücktreten. c) Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind die angefochtenen Beschlüsse jedenfalls im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sowohl das Landgericht als auch das Kammergericht haben das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers — wenn auch ohne ausdrückliche Erwähnung der grundrechtlichen Gewährleistungen — im Sinne der vorbezeichneten Abwägung unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 178 GVG subsumiert und sind dabei ohne Anhaltspunkte für Willkür zu einer dieser Abwägung entsprechenden, die Beschränkungen des Grundrechtsschutzes in zulässiger Weise aktualisierenden Wertung gekommen. aa) Der Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist vorliegend berührt. Denn die Äußerungen, derentwegen gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft festgesetzt worden ist, unterliegen ungeachtet ihrer Schärfe, Wortwahl und Form dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 VvB. Sie sind Ausdruck der subjektiven Vorstellungen und Eindrücke des Beschwerdeführers vom Prozeßverlauf; ihr Grundrechtsschutz hängt nicht davon ab, ob sie andere in ihren Rechten verletzen oder Grundprinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung in Frage stellen. Derartige Gesichtspunkte können erst bei der Beschränkung des Grundrechts eine Rolle spielen (vgl. BVerfGE 61,1, 7 f.). bb) Soweit es um Äußerungen „in der Sitzung" geht, begrenzt § 178 GVG die grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit. Auslegung und Anwendung der Vorschrift im Einzelfall ist grundsätzlich Sache der zuständigen Fachgerichte. Der Verfassungsgerichtshof darf nur eingreifen, wenn die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts in Frage steht, wenn die Gerichte bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und der dieses einschränkenden Gesetze mithin Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts verkannt haben. Unter diesem Blickwinkel begegnen die LVerfGE 10

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angegriffenen Entscheidungen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sowohl das Landgericht als auch das Kammergericht haben, dem sanktionsartigen Charakter der Ordnungsmittel entsprechend (vgl. Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. 1999, § 178 Rdn. 9), alle persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere Anlaß und Auswirkungen der zu würdigenden Äußerungen und der insoweit festgesetzten Ordnungsmittel, in ihre Abwägung einbezogen. Sie haben damit in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt, daß gerade bei der Verhängung nachträglicher Sanktionen — wie hier der Festsetzung von Ordnungsmitteln als Ahndung eines störenden Verhaltens — im Falle spontan erfolgter herabsetzender Meinungsäußerungen Zurückhaltung geboten ist (vgl. BVerfGE 42, 143, 153). Angesichts des in den angegriffenen Beschlüssen wiedergegebenen Sachverhalts, der auch vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt wird, durften die Äußerungen des Beschwerdeführers nicht lediglich als einzelne Entgleisungen auf der Basis spontaner Erregung, die für sich genommen unter Umständen noch hinzunehmen wären, sondern als „Endpunkte" eines gezielten, auf Störung gerichteten Verhaltens des Beschwerdeführers gewertet werden. Die Ausführungen des Kammergerichts, die dem Beschwerdeführer mit Blick auf die Dauer und Art des Prozeßverlaufs ausdrücklich eine besonders angespannte Gemütslage zugute halten, zeigen, daß das Kammergericht sich um eine einzelfallbezogene Abwägung, die auch den verfassungsrechtlich geschützten Positionen des Beschwerdeführers im strafrechtlichen Ausgangsverfahren gerecht wird, bemüht hat. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei den dem Ordnungshaftbeschluß zugrundeliegenden Äußerungen des Beschwerdeführers tatsächlich — wie vom Kammergericht angenommen — um Injurien handelt. Denn § 178 GVG dient nicht dem Schutz einer personifizierten Würde des einzelnen Richters (vgl. Wolf, in: Münchener Kommentar, ZPO, 1992, § 178 GVG Rdn. 1), das Recht der persönlichen Ehre schützen — neben zivilrechtlichen Ansprüchen — vor allem die §§ 185 ff StGB. Die insoweit geahndeten Äußerungen des Beschwerdeführers waren ihrem Wortlaut nach auch nicht ad personam gerichtet, sondern betrafen den bisherigen Prozeßverlauf. Schutzgut des § 178 GVG ist nach überwiegender Ansicht sowohl die Würde des Gerichts als auch ein geordneter, die Sachlichkeit der gerichtlichen Verhandlung gewährleistender Verfahrensablauf (vgl. Wolf, a.a.O.; Schwind, „Ungebührliches" Verhalten vor Gericht und Ordnungsstrafe, JR 1973,133; jeweils m.w.N.); die Vorschrift erfaßt mithin das Ansehen des Gerichts herabsetzende, die äußere Ordnung der Sitzung störende Äußerungen. Darauf, ob zugleich die Grenze der §§ 185 ff. StGB erreicht ist, kommt es nicht an. Die aus der Gesamtschau des Verhaltens des Beschwerdeführers gewonnene Annahme des Kammergerichts, die hier zu würdigenden Äußerungen des Beschwerdeführers stellten keine Auseinandersetzung LVerfGE 10

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in der Sache, sondern eine das Ansehen des Gerichts bzw. andere Verfahrensbeteiligte herabsetzende, einer sachgerechten Durchführung der Verhandlung abträgliche Kundgabe dar, mit denen der Beschwerdeführer seinen begreiflichen Unmut darüber, im Rahmen einen zeitraubenden Großverfahrens angeklagt zu sein, zum Ausdruck gebracht habe, läßt jedenfalls eine Grundrechtsverletzung nicht erkennen. Dies gilt sowohl für die den Ordnungsgeldbeschlüssen zugrundeliegenden Äußerungen des Beschwerdeführers als auch für die Ausrufe, die Gegenstand der Festsetzung von Ordnungshaft waren und bei denen das Kammergericht ausdrücklich auch die sofortige, vom Gericht und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft indes nicht wahrgenommene Entschuldigung des Beschwerdeführers berücksichtigt hat. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt auch der Zulässigkeit solcher Äußerungen Grenzen, die in einem gerichtlichen Verfahren gemacht werden. Äußerungen, bei denen — wie vorliegend vom Kammergericht angenommen — nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht, bei denen mit Blick auf die konkrete Prozeßsituation ein innerer Zusammenhang mit der Verteidigung der eigenen Rechtsposition nicht mehr gegeben ist, vermögen eine Mißachtung der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts, dessen vornehmste Aufgabe die Wahrheitsfindung ist, auch unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit nicht zu rechtfertigen. cc) Die Begründungen der angefochtenen Beschlüsse werden auch der Tatsache gerecht, daß es sich bei den Ordnungsmitteln des § 178 GVG um strafahnliche Sanktionen handelt, die ein Verschulden voraussetzen ( W o l f , a.a.O., Rdn. 6). Das Kammergericht ist in seinen Entscheidungen ausdrücklich sowohl auf die besonderen Belastungen des Beschwerdeführers in seiner Rolle als Angeklagter in einem sich über eine Vielzahl von Verhandlungstagen erstreckenden Strafverfahren als auch auf etwaige den beanstandeten Äußerungen des Beschwerdeführers vorangegangene (störende) Ausrufe anderer Verfahrensbeteiligter bzw. in der Sitzung anwesender Personen eingegangen und hat die vom Landgericht verhängten Ordnungsmittel in ein Verhältnis zum Ausmaß der festgestellten Ungebühr gesetzt. Die diesbezüglichen Ausführungen werden den verfassungsrechtlichen Prinzipien der Schuldangemessenheit und der Verhältnismäßigkeit gerecht. Dies gilt auch, soweit mit der Festsetzung von Ordnungshaft zwangsläufig ein Eingriff in das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VvB verbunden ist. Bei Ordnungshaft, die nach § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG nur bis zu einer Woche festgesetzt werden darf, handelt es sich um die schwerste Form eines Ordnungsmittels. Die Verhängung einer derartigen Maßnahme kann angesichts der notwendigen Stufenfolge der Ordnungsmittel nur bei einem Verhalten in Betracht kommen, das nach Art und Umfang besonders gravierend und dem Betroffenen in besonderem Maße vorwerfbar ist. Das KamLVerfGE 10

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Wahlprüfungsverfahren

mergericht hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, daß die Ordnungsmittel des § 178 GVG nicht nur der Ahndung begangenen Fehlverhaltens, sondern — präventiv — auch der Verhinderung neuerlicher Störungen durch eine deudiche Pflichtenmahnung dienen (vgl. die vom Kammergericht in Bezug genommene Kommentierung bei Kissel, GVG, 2. Aufl. 1994, § 178 Rdn. 7; Wolf, a.a.O., § 178 GVG Rdn. 1). Insofern durfte der Umstand, daß sich der Beschwerdeführer durch die vorangegangene Verhängung von Ordnungsgeld nicht hat beeindrucken lassen, sondern — wie das Kammergericht ausführt — sein provozierendes und der Sachlichkeit der Prozeßführung abträgliches Verhaltensmuster fortgesetzt hat, mit in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einfließen, ohne daß dadurch die Freiheitsrechte des Beschwerdeführers verletzt worden wären. Den Besonderheiten des vorliegenden Falles, die das Kammergericht in der vorangegangenen Störung des Beschwerdeführers in der Ausübung seiner Rechte und der Tatsache, daß gegen den Beschwerdeführer erstmalig Ordnungshaft verhängt worden ist, gesehen hat, ist durch die Herabsetzung der Ordnungshaft Rechnung getragen worden. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar. Nr. 16* 1. Der durch § 40 Abs. 3 Nr. 3 VerfGHG bewirkte Ausschluß von Wahlberechtigten aus dem Kreis derjenigen, die zulässigerweise einen auf die Verletzung der Wahlrechtsgrundsätze der Art. 39 Abs. 1 und 70 Abs. 1 Satz 1 VvB gestützten Einspruch gegen die Gültigkeit von Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen einlegen dürfen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 2. Mit der in § 52 Abs. 1 LWO enthaltenen Pflicht des Wahlberechtigten, nach Kennzeichnung des Stimmzettels in der Wahlzelle diesen so zusammenzufalten, daß die Stimmabgabe nicht erkennbar wird, ist den Anforderungen genügt, die das Merkmal „geheim" in Art. 39 Abs. 1 und 70 Abs. 1 Satz 1 VvB stellt. Verfassung von Berlin Art. 39 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über den Verfassungsgerichtshof § 40 Abs. 3 Nr. 3 Beschluß vom 20. Dezember 1999 - VerfGH 102/99 * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin erhältlich (Adresse s. Anhang).

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in dem Wahlprüfungsverfahren des Herrn H.-J. S., betr. die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen von Berlin vom 10. Oktober 1999 Entscheidungsformel: Der Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen von Berlin am 10. Oktober 1999 wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

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Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Dr. Peter Macke, Präsident Dr. Wolfgang Knippel, Vizepräsident Dr. Matthias Dombert Prof. Dr. Beate Harms-Ziegler Florian Havemann (seit dem 10.6.1999) Dr. Sarina Jegutidse (seit dem 10.6.1999) Prof. Dr. Rolf Mitzner (bis zum 9.6.1999) Prof. Dr. Richard Schröder Prof. Dr. Karl-Heinz Schöneburg (bis zum 9.6.1999) Monika Weisberg-Schwarz Prof. Dr. Rosemarie Will

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Nr. 1* 1. Dem Präsidenten des Landtags kommt bei seiner Entscheidung über die Aufstellung der Tagesordnung für die Landtagssitzungen kein materielles (inhaltliches) Prüfungsrecht zu, das es ihm erlaubt, einen Beratungsgegenstand wegen fehlender Befassungskompetenz des Landtags (hier: Landesverteidigung) zurückzuweisen. 2. Der Landtag ist befugt, eine über die Erörterung der eigenen Zuständigkeit hinausgehende Befassung mit einem Beratungsgegenstand abzulehnen, der nicht in seinen Kompetenzbereich fällt. Das Initiativ- und Erörterungsrecht der Abgeordneten findet seine Grenze in der Pflicht des Landtags, die eigene Zuständigkeit zu wahren. 3. Eine Befassung des Landtags mit bundespolitischen Themen kommt in Betracht, wenn das Parlament hierdurch im Rahmen seiner ihm obliegenden Kontrolle der Landesregierung auf deren Verhalten im Deutschen Bundesrat Einfluß nehmen will. 4. Appelle unmittelbar an die Mitglieder des Deutschen Bundestags, die zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten veranlaßt werden sollen, stehen dem Landesparlament nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht zu. Grundgesetz Art. 73 Nr. 1 Verfassung des Landes Brandenburg Art. 55 Abs. 2; 56 Abs. 2 Satz 1; 67 Abs. 1 Satz 2 Geschäftsordnung des Landtags Brandenburg §§ 15 Abs. 1 Satz 2; 41 Abs. 1 Urteil vom 28. Januar 1999 - VfGBbg 2/98 in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren der PDS-Fraktion im Landtag Brandenburg, vertreten durch den Vorsitzenden gegen * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhältlich (Adresse s. Anhang). Abdruck (gekürzt) in DVB1. 1999, 708ff.

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1. den Präsidenten des Landtags Brandenburg, 2. das Präsidium des Landtags Brandenburg, vertreten durch den Präsidenten des Landtags, 3. den Landtag Brandenburg, vertreten durch den Präsidenten des Landtags betreffend die Zurückweisung eines parlamentarischen Beratungsgegenstands zur Verteidigungspolitik Entscheidungsformel: Der Beschluß des Präsidiums des Landtags Brandenburg vom 15. Oktober 1997, den Antrag in der Landtagsdrucksache 2/4569 („Appell zur Verhinderung des Rüstungsprojektes Eurofighter 2000") nicht auf die Tagesordnung zu setzen, verstößt gegen das Recht der Antragstellerin auf Stellung von Anträgen im Landtag aus Art. 56 Abs. 2 Satz 1, 67 Abs. 1 Satz 2 Landesverfassung. Im übrigen werden die Anträge teils als unzulässig, teils als unbegründet zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : A. I. Die Antragstellerin brachte am 14. Oktober 1997 beim Präsidenten des Landtags den Antrag „Appell zur Verhinderung des Rüstungsprojektes Eurofighter 2000" ein. Der Antrag lautete auszugsweise: „Der Landtag möge beschließen: Der Landtag Brandenburg appelliert an die Mitglieder des Deutschen Bundestages: Lehnen Sie in Wahrnahme Ihrer Verantwortung für das Wohl des Deutschen Volkes die Vorlage der Bundesregierung zum Kauf von 180 Militärjagdflugzeugen .Eurofighter 2000' und ihre Bereitstellung zwischen 2002 und 2 0 1 4 ab. Sorgen Sie dafür, daß mit diesen Milliarden zukunftsträchtige Arbeitsplätze geschaffen werden. Beugen Sie sich nicht dem Druck der Rüstungsindustrie. ..."

Der Präsident des Landtags ließ den Antrag vervielfältigen und als Drucksache 2/4569 verteilen. Am 15. Oktober 1997 beriet das Präsidium des Landtags über die Tagesordnung der nächsten, für den 22./23. Oktober 1997 anberaumten Sitzung des Plenums. Dabei wurde unter anderem erörtert, ob der Antrag aus der LVerfGE 10

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Drucksache 2/4569 in die Tagesordnung aufgenommen werden solle. Der Präsident des Landtags äußerte verfassungsrechtliche Bedenken, weil der Beratungsgegenstand nicht in die Kompetenz des Landtags falle. Das Präsidium schloß sich den Bedenken mehrheitlich an und faßte den Beschluß, den Antrag nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Vor Eintritt in die Tagesordnung beantragte die Antragstellerin in der Landtags Sitzung vom 22. Oktober 1997, den Antrag aus der Drucksache 2/4569 auf die Tagesordnung dieser Sitzung zu setzen. Der Landtag lehnte die Ergänzung der Tagesordnung nach einer Aussprache mehrheitlich ab. (...)

B. I. 1. Der Antrag gegen den Präsidenten des Landtags ist unzulässig (Antrag zu l.a.). Richdger Antragsgegner im Organstreitverfahren ist dasjenige Organ, das die beanstandete Maßnahme getroffen oder rechtlich zu vertreten hat (vgl. BVerfGE 62,1, 33; 67,100,126; Clemens, in: Umbach/Clemens (Hg), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1992, §§ 63, 64, Rdn. 153£). Den Beschluß vom 15. Oktober 1997, den Antrag der Antragstellerin nicht auf die Tagesordnung zu setzen, hat nach Lage der Dinge nicht der Präsident des Landtags, sondern das Präsidium gefaßt und zu vertreten. Im einzelnen: (...)

2. Die Anträge gegen das Präsidium des Landtags und den Landtag sind im Organstreitverfahren gem. Art. 113 Nr. 1 LV, §§ 12 Nr. 1, 35 ff. VerfGGBbg zulässig. (...)

II. Der gegen das Präsidium des Landtags gerichtete Antrag zu 1 .b. hat in der Sache im wesentlichen Erfolg (dazu 1.). Der gegen den Landtag gerichtete Antrag zu 2. ist dagegen unbegründet (dazu unten 2.). 1. Die beanstandete Entscheidung des Präsidiums des Landtags vom 15. Oktober 1997 verletzt das Recht der Antragstellerin aus Art. 56 Abs. 2 Satz 1, 67 Abs. 1 Satz 2 LV, im Landtag Anträge zu stellen. LVerfGE 10

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a. Nach Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LV haben die Abgeordneten u.a. das Recht, im Landtag Anträge zu stellen. Die Fraktionen bestehen aus Abgeordneten; sie wirken gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 2 LV mit eigenen Rechten und Pflichten als selbständige und unabhängige Gliederungen an der Arbeit des Landtags mit und unterstützen die parlamentarische Willensbildung. Daraus folgt, daß eine Fraktion ebenso wie der einzelne Abgeordnete das Recht hat, Anträge in den Landtag einzubringen. Die Geschäftsordnung setzt dieses verfassungmäßige Initiativrecht voraus, indem sie in § 52 Abs. 1 Satz 1 GeschOLT bestimmt, daß Gesetzentwürfe, Anträge und Entschließungsanträge u. a. von jedem Abgeordneten und einer Fraktion eingebracht werden können. Wesentlicher Teil des verfassungsrechtlich verankerten Initiativrechts ist die Möglichkeit, den Adressaten der Initiative - das Plenum - zu erreichen und den jeweiligen Antrag dort zu beraten (BVerfGE 1,144,153 f.). b. Dieses Initiativrecht der Antragstellerin hat das Präsidium des Landtags durch seinen Beschluß vom 15. Oktober 1997 verletzt. Er stellt sich im Lichte der ihn tragenden Gründe als eine generelle Zurückweisung des Beratungsgegenstands dar. Der Antragstellerin wurde der Sache nach nicht nur — etwa aus organisatorischen oder anderen geschäftsordnungsmäßigen Gründen — die Aufnahme ihres Antrags auf die Tagesordnung der nächsten Landtagssitzung verwehrt, sondern — wegen fehlender Befassungskompetenz des Landtags — schlechthin die Zuleitung des Antrags an das Plenum. Eine solche Befugnis kommt dem Präsidium des Landtags im Rahmen seiner Aufgaben von Verfassungs wegen nicht zu. aa. § 41 GeschOLT, der als Konkretisierung des der Verfassung innewohnenden Verbots der mißbräuchlichen Geltendmachung parlamentarischer Rechte verstanden werden kann (vgl. hierzu BVerfGE 1,149; vgl. auch Trossmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 97 GeschOBT, Rdn. 9 m.w.N.), bot dem Präsidium keine Handhabe für die Zurückweisung des Antrags. Dies folgt unbeschadet des Umstands, daß die dort genannten Zurückweisungsgründe hier nicht greifen dürften, schon daraus, daß sich die Vorschrift an den Präsidenten und nicht an das Präsidium des Landtags richtet. Eine ersatzweise Entscheidungsbefugnis des Präsidiums für den Fall, daß der Präsident - wie hier von seiner Zurückweisungsbefugnis keinen Gebrauch macht, ist in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. bb. Auch im übrigen kommt dem Präsidium bei seiner Entscheidung über die Tagesordnung (§15 Abs. 1 Satz 2 GeschOLT) kein materielles (inhaltliches) Prüfungsrecht zu, das es ihm erlaubt, einen Beratungsgegenstand wegen fehlender Befassungskompetenz des Landtags zurückzuweisen (ebenso — bezogen auf den Bundestagspräsidenten — Ritzel/Bücker, Handbuch der parlamentarischen Praxis, Stand 1997, § 77 GeschOBT, Anm. I.e.; Kabel, Die Behandlung der AnLVerfGE 10

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träge im Bundestag, in: Schneider/Zeh (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 31, Rdn. 14 ff.; Wermser, Der Bundestagspräsident, 1984, S. 61 ff.; Trossmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, § 97 GeschOBT, Rdn. 9; Kleinschnittger, Die rechtliche Stellung des Bundestagspräsidenten, 1963, S. 39ff.). Rechte und Pflichten des Präsidiums werden gem. Art. 69 Abs. 3 LV durch die Geschäftsordnung des Landtags bestimmt. Danach hat es im wesentlichen die Einhaltung des formalen Rahmens der parlamentarischen Arbeit zu gewährleisten. Es beschließt gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 GeschOLT über den Arbeitsplan, den Zeitplan und die Beratungsgegenstände der Sitzungen des Landtags, wobei § 18 GeschOLT weitere formale Vorgaben für die Aufstellung der Tagesordnung enthält. Daneben hat es den Präsidenten bei der Führung seiner Geschäfte zu unterstützen (§15 Abs. 1 Satz 1 GeschOLT), die ihrerseits, bezogen auf die parlamentarische Arbeit, nur den äußeren Rahmen der Parlamentstätigkeit betreffen. Es fehlt danach alles, was dem Präsidium einen direkten Einfluß auf die vom Landtag zu behandelnden Gegenstände einräumen könnte. In dieser Hinsicht besitzen die Mitglieder des Präsidiums nur ihre Abgeordnetenrechte. Durch eine Befugnis zur Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Beratungsgegenstands (hier: Einhaltung der Landeskompetenz) würde dieser Zustand verändert. Das Präsidium hätte dann die Möglichkeit, bevor der Landtag selbst über die Sache entscheiden könnte, gleichsam als Filter eine Vorsichtung der Beratungsgegenstände in bezug auf ihren Inhalt vorzunehmen. Damit würde die Entscheidungsmöglichkeit des Plenums beschnitten, denn bei seiner Beschlußfassung hat der Landtag zugleich über die Verfassungsmäßigkeit seiner Beschlüsse zu befinden (vgl. Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV). Hierzu zählt auch die Frage der eigenen Zuständigkeit. Dies gleichsam im Vorgriff und an Stelle des hierzu berufenen Plenums zu entscheiden, steht dem Präsidium nicht zu. Es ist nach seiner Zusammensetzung, die nicht notwendigerweise den Mehrheitsverhältnissen im Landtag entsprechen muß, kein Gremium, das stellvertretend für das Plenum entscheiden könnte. In Zweifelsfällen hat es die Angelegenheit deshalb dem Landtag zur Entscheidung vorzulegen (vgl. — wiederum bezogen auf den Bundestagspräsidenten — Trossmann, a.a.O.; Wermser, a.a.O.; vgl. auch Ritzel/ Bücker, a.a.O.). Dem Präsidium ist danach eine inhaltliche Kontrolle der Beratungsgegenstände auf ihre Verfassungsmäßigkeit insgesamt verwehrt. Dies gilt unabhängig davon, ob die mögliche Verfassungswidrigkeit eines Beratungsgegenstands näherer Prüfung bedarf oder offensichtlich erscheint. Soweit ein auf Fälle offensichtlicher Verfassungswidrigkeit beschränktes materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten bei der Ausfertigung von Gesetzen befürwortet wird (vgl. etwa Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 1997, Art. 82, Rdn. 3 m.w.N.), sind jene Erwägungen auf den hier in Rede stehenden Fall nicht übertragbar. Anknüpfungspunkt für die Annahme eines solchen Prüfungsrechts des Bundespräsidenten ist LVerfGE 10

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Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG, wonach dieser die nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze ausfertigt. Vergleichbare, als Zuweisung einer Prüfungskompetenz interpretierbare Formulierungen enthält die Landesverfassung bezogen auf das Präsidium nicht. Dessen Rechte und Pflichten werden zufolge Art. 69 Abs. 3 LV (lediglich) durch die Geschäftsordnung bestimmt. Die Einbindung des Bundespräsidenten in die Bundesgesetzgebung ist nicht vergleichbar mit der Stellung des Landtagspräsidiums, das als Organ nicht am Entscheidungsprozeß selbst beteiligt ist, sondern nur für eine geordnete Befassung des Plenums mit den einzelnen Entscheidungsgegenständen Sorge zu tragen hat. c. Dem mit der Organklage weiter geltend gemachten Recht auf Chancengleichheit der Opposition (Art. 55 Abs. 2 LV) und auf Schutz parlamentarischer Minderheiten kommt in dieser Situation gegenüber dem hier verletzten Initiativrecht aus Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LV keine weitergehende Bedeutung zu. Bezogen auf die Möglichkeit, sich im Plenum Gehör zu verschaffen, konkretisiert sich der parlamentarische Minderheitenschutz und die Chancengleichheit der Opposition eben darin, daß jeder Abgeordnete und jede Fraktion unbeschadet der Zugehörigkeit zur parlamentarischen Mehrheit oder Minderheit das Recht hat, im Landtag Anträge zu stellen. Insoweit läßt dieses speziellere Recht den allgemeinen Grundsatz der Chancengleichheit und des Schutzes der parlamentarischen Minderheit zurücktreten (vgl. BVerfGE 80,188, 220f., dort unter 4.). 2. Der gegen den Landtag gerichtete Antrag zu 2. bleibt dagegen in der Sache ohne Erfolg. Der Landtag hat es in seiner Sitzung vom 22. Oktober 1997 zu Recht abgelehnt, den Antrag der Antragstellerin auf die Tagesordnung zu setzen. a. Die Entscheidung verstößt nicht gegen das Recht der Antragstellerin, im Landtag Anträge zu stellen (Art. 56 Abs. 2 Satz 1,67 Abs. 1 Satz 2 LV). Allerdings wird nach dem Inhalt der insoweit geführten Debatte im Landtag und der zur Begründung der Entscheidung vorgetragenen Argumente deutlich, daß der Landtag hier nicht nur auf Geschäftsordnungsebene über eine kurzfristige Aufnahme des Beratungsgegenstands auf die Tagesordnung der aktuellen Sitzung befunden hat, wie dies nach § 20 Abs. 3 GeschOLT in seinem Ermessen liegt, sondern eine weitere Befassung mit der Initiative der Antragstellerin auch für zukünftige Sitzungen insgesamt abgelehnt hat, weil sie nicht in den Zuständigkeitsrahmen des Landtags falle. Auch mit diesem Inhalt verletzt die angegriffene Landtagsentscheidung jedoch nicht das Initiativrecht der Antragstellerin. Zwar gehört zum Initiativrecht auch die Möglichkeit, den jeweiligen Antrag im Plenum in der Sache beraten zu können (s.o.). Dieses Erörterungsrecht findet aber seine verfassungsrechtliche Grenze in der Pflicht des Plenums, die eigenen Zuständigkeiten zu wahren. Insoweit stehen sich das Antragsrecht aus Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LV LVerfGE 10

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und die Bindung des Landtags an seinen eigenen Kompetenzrahmen gemäß Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV gegenüber. In einer solchen Situation muß der Landtag das Recht haben, eine weitergehende als die auf die Erörterung der eigenen Zuständigkeit beschränkte inhaltliche Befassung abzulehnen, wenn er tatsächlich nicht zuständig ist. So liegt es hier. Der Antrag betrifft keine Angelegenheit des Landes. Im einzelnen: aa. Es geht um die — zum damaligen Zeitpunkt noch offene - Frage der Anschaffung von Militärjagdflugzeugen des Typs „Eurofighter" und damit um eine Frage der Verteidigung. Angelegenheiten der Verteidigung gehören zur ausschließlichen Kompetenz des Bundes; das folgt für den Bereich der Gesetzgebung aus Art. 73 Nr. 1 GG, für den Bereich der Exekutive (einschließlich der Regierung) aus Art. 65a, 87a und 87b GG. Für die Gesamtaufgabe „Verteidigungswesen", soweit es sich um die Bundeswehr und ihre Ausrüstung handelt, ist uneingeschränkt und ausschließlich der Bund zuständig (BVerfGE 8, 104, 116). Eine Zuständigkeit des Landesparlaments besteht nicht. bb. Dies schließt es allerdings nicht aus, daß sich ein Landesparlament unter bestimmten Voraussetzungen auch mit bundespolitischen Themen befassen darf. Da die Landesregierung über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes beteiligt ist, kann das Landesparlament im Rahmen der ihm obliegenden Kontrolle der Landesregierung in gewissem Umfang Einfluß auf deren Verhalten im Bundesrat nehmen und über diesen Weg (mittelbar) auch Bundesangelegenheiten erörtern (vgl. etwa Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl. 1984, S. 738 f. m.w.N.; ScholLandesparlamente und Bundesrat, in: Börner/Jahrreis/Stern (Hg.), Einigkeit und Recht und Freiheit, 1984, S. 838). Die insoweit zulässige Behandlung bundespolitischer Themen im Landtag betrifft freilich nur die Einflußnahme auf die Tätigkeit der Landesregierung im Bundesrat. Adressat eines entsprechenden Parlamentsbeschlusses muß deshalb die Landesregierung sein (Linck, in: Linck/Jutzi/Hopfe (Hg.), Die Verfassung des Landes Thüringen, 1994, Art. 48, Rdn. 50). Der in dem Antrag der Antragstellerin enthaltene Appell richtete sich indes nicht an die Landesregierung, um deren Verhalten im Bundesrat bei der Befassung mit dem entsprechenden Haushaltsgesetz zu beeinflussen, sondern unmittelbar „an die Mitglieder des Deutschen Bundestages", die zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten bewegt werden sollten. Dies steht einem Landesparlament nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht zu. Die Zuständigkeit der Bundesorgane zur ausschließlich eigenverantwortlichen Bewältigung einer Sachaufgabe wird nicht erst dann von den Ländern beeinträchtigt, wenn sie ein Stück dieser Aufgabe dem Bund dadurch entziehen, daß sie es selbst sachlich regeln, sondern schon dann, wenn sie die Bundesorgane durch politischen Druck zwingen wollen, die von ihnen getroffenen SachLVerfGE 10

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entscheidungen zu ändern, also einen Landesstaatswillen bilden, um ihn dem verfassungsmäßig gebildeten Bundesstaatswillen entgegenzusetzen (BVerfGE 8, 104, 117 f.). Dies gilt gleichermaßen dann, wenn der von einem Bundesland ausgehende Versuch der Einflußnahme nicht auf die Änderung einer bereits getroffenen Entscheidung gerichtet ist, sondern — wie hier — das Bundesorgan bewegen soll, eine anstehende Entscheidung von vornherein in einem bestimmten Sinne zu treffen. cc. Soweit die Landesparlamente darüber hinaus in der staatsrechtlichen Praxis für sich in Anspruch nehmen, sich auch außerhalb von Bundesratsangelegenheiten im Einzelfall mit Bundesthemen befassen zu dürfen, wenn sie das Bundesland in besonderer Weise berühren, ergibt sich hieraus ebenfalls nichts zu Gunsten der Antragstellerin (vgl. zu einer entsprechenden Praxis der Landtage die Leitlinien der Landtagspräsidenten-Konferenz, Kommissionsbericht vom 29. September 1983, dazu Böhringer, Die Konferenz der Präsidenten der deutschen Landesparlamente, in: Busch (Hg.), Parlamentarische Demokratie, 1984, S. 167 f.). Dabei mag dahinstehen, ob die Annahme eines solchen Befassungsrechts überhaupt mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu vereinbaren ist (kritisch etwa Schohj, a.a.O., S. 846; zustimmend dagegen etwa Klatt, Das Parlamentsrecht in den Bundesländern, in: Schneider/Zeh (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 67, Rdn. 35). Die Frage bedarf aus Anlaß des Falles keiner Vertiefung, weil jedenfalls die Voraussetzungen, unter denen dem Landtag danach eine Befassung mit Bundesthemen möglich wäre, hier nicht gegeben sind. Die Entscheidung über die Anschaffung eines Rüstungsgutes, um die es hier geht, berührt nicht in besonderer Weise die Interessen des Landes Brandenburg. Die möglichen mittelbaren, etwa haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen tangieren alle Bundesländer gleichermaßen. b. Die beanstandete Entscheidung des Landtags verletzt auch nicht das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit (Art. 56 Abs. 2 Satz 2 LV) und auf Schutz der parlamentarischen Minderheit. Diese Rechte können hier nicht weitergehen als das Initiativrecht aus Art. 56 Abs. 2 Satz 1 LV, welches sich bezogen auf den hier in Rede stehenden Aspekt der parlamentarischen Mitarbeit als Konkretisierung dieser allgemeinen Grundsätze darstellt (s.o. II.l.c.). Soweit die Antragstellerin auf die frühere Behandlung von Beratungsgegenständen mit bundesrechtlichen Bezügen im Landtag hinweist, vermittelt ihr auch dies unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit noch keinen Anspruch, die Drucksache 2/4569 im Landtag über den geschehenen Umfang hinaus beraten zu lassen. Der Grundsatz der Chancengleichheit beinhaltet das Recht, die gegebenen parlamentarischen Befugnisse unbeschadet der Zugehörigkeit zur parlamentarischen Mehrheit oder Minderheit ausüben zu können (vgl. BVerfGE 80, 188, 220f.). Er vermittelt dagegen nicht die Befugnis, angesichts eventueller LVerfGE 10

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früherer Kompetenzüberschreitungen durch den Landtag neuerliche Kompetenzüberschreitungen verlangen zu können. Ein solches „Recht" kann es mit Blick auf Art. 2 Abs. 5 Satz 2 1. Hs LV nicht geben. Unbeschadet dessen sind die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang herangezogenen Landtagsbeschlüsse mit dem hier in Rede stehenden Beratungsgegenstand nur bedingt vergleichbar. Der Antrag zum Transplantationsgesetz (LT-Drs. 2/3489) beinhaltet sinngemäß eine Aufforderung an die Landesregierung, sich im Bundesrat bei den Gesetzesberatungen für bestimmte Regelungen stark zu machen. Dies bewegt sich innerhalb der Befassungskompetenz des Landtags (vgl. oben II.2.a.bb.). Gleiches gilt für die Beratungen im Landtag über den Bombenabwurfplatz bei Wittstock (LT-Drs. 1/1939, 2/45, 2/915, 2/5831-B). Auch insoweit zielte der Beratungsgegenstand auf eine Bundesratsinitiative der Landesregierung. Der Antrag zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes (LT-Drs. 2/2920) richtete sich zwar unmittelbar „an die Bonner CDU/CSU/F.D.P.-Koalition" und forderte sie auf, von der geplanten Gesetzesänderung Abstand zu nehmen. Die entsprechende Bundesangelegenheit hat aber — anders als die Anschaffung von Kampfflugzeugen für die Bundeswehr — einen spezifischen Bezug zu Brandenburg als einem der neuen Bundesländer, das unmittelbar von dem Gesetz betroffen ist. So gesehen ist der Beschluß des Landtags zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz mit der Auseinandersetzung um den „Eurofighter" nicht vergleichbar. Auch deshalb liegt eine Verletzung der Chancengleichheit bzw. des parlamentarischen Minderheitenschutzes nicht vor. Nr. 2* Das „Recht auf Bildung" beinhaltet jedenfalls keinen Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Bildungseinrichtung.** Verfassung des Landes Brandenburg Art. 29 Abs. 1; Art. 30 Abs. 4 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 45 Abs. 2 Satz 2 Beschluß vom 25. Februar 1999 - VfGBbg 41 /98 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der Schülerin S. gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts F. vom 24. August 1998 und gegen den Beschluß * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtlicher Leitsatz

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des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 2. Oktober 1998. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : A. Die Beschwerdeführerin begehrte im Wege des einstweiligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes die Aufnahme in ein Gymnasium der Stadt F. (...) Mit der am 25. November 1998 erhobenen Verfassungsbeschwerde greift die Beschwerdeführerin den Beschluß des Verwaltungsgerichts F. und den des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg an. Sie rügt die Verletzung ihres Grundrechts auf Bildung aus Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 30 Abs. 4 Landesverfassung (LV), ihres Grundrechts auf Gleichbehandlung aus Art. 29 Abs. 3 Satz 1 LV i.V.m. Art. 12 LV, ihres Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 10 LV, des Rechts auf rechtliches Gehör gem. Art. 52 Abs. 3 LV und des Anspruchs auf ein faires Verfahren gemäß Art. 52 Abs. 4 LV. (...)

B. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und, soweit sie zulässig ist, unbegründet. I. 1. Die Beschwerdeführerin ist teilweise nicht beschwerdebefugt. (...)

2. Die Beschwerdeführerin hat den ihr nach der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO) im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsweg ausgeschöpft (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg [VerfGGBbg]). Auch der Grundsatz der Subsidiarität der VerfassungsLVerfGE 10

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beschwerde, wie er § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg zugrunde liegt, steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen: a. Der Rechtsgrundsatz der Subsidiarität dient ebenso wie das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn einer sachgerechten Aufgabenverteilung zwischen Verfassungsgericht und Fachgerichten. Danach ist es Sache der Fachgerichte, einfachrechtliche Vorschriften auszulegen, die zur Anwendung der Vorschriften erforderlichen Ermüdungen vorzunehmen und den so ermittelten Sachverhalt tatsächlich und rechtlich zu würdigen. Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt deswegen von einem Beschwerdeführer, daß er — über eine Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus — alles im Rahmen seiner Möglichkeiten Stehende unternimmt, um eine etwaige Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder zu verhindern. Er muß vor Anrufung des Verfassungsgerichts in rechts analoger Anwendung des § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg alle nach Lage der Dinge ihm gegebenenfalls zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zur Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung ergreifen. Eine Verfassungsbeschwerde ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts - nach Maßgabe dieser Grundsätze — unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität regelmäßig auch dann unzulässig, wenn trotz Erschöpfung des Rechtswegs im einstweiligen fachgerichtlichen Verfahren in zumutbarer Weise Rechtsschutz auch noch im fachgerichtlichen Hauptsacheverfahren erlangt werden kann (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom 18. Juli 1996 - VfGBbg 20/95 LVerfGE 4, 201, 205 und vom 21. November 1996 - VfGBbg 17/96,18/96,19/96 - , LVerfGE 5,112,119). b. Ebenso wie gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg bei Nichterschöpfung des Rechtswegs (im engeren Sinne) kann das Verfassungsgericht allerdings auch im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes, nämlich in analoger Anwendung (auch) des Satzes 2 des § 45 Abs. 2 VerfGGBbg, im „Ausnahmefall über eine ... Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde", falls er zunächst darauf verwiesen würde, um Rechtsschutz vor den Fachgerichten nachzusuchen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 21. November 1996 - VfGBbg 17/96, 18/96, 19/96 - , LVerfGE 5,112,120). c. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts kommt eine Entscheidung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg freilich nur unter besonderen Umständen in Betracht. Die Ausgestaltung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg als Kann-Vorschrift macht deutlich, daß auch bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen eine Vorabentscheidung des Verfassungsgerichts nicht zwangsläufig ist. Sie bleibt vielmehr auch in diesen Fällen schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg die Ausnahme (Verfassungsgericht des Landes LVerfGE 10

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Brandenburg, Beschl. v. 21. November 1996 - VfGBbg 17/96,18/96, 19/96 - , LVerfGE 5,112,120). Allerdings kann es im Rahmen der Ermessensprüfung nach § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg, bei der auch die Art und Schwere des dem Beschwerdeführer gegebenenfalls entstehenden Nachteils zu berücksichtigen ist, unter Abwägung auch der weiteren Umstände des Falls geboten erscheinen, durch eine Vorabentscheidung einzugreifen (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 21. November 1996 - VfGBbg 17/96, 18/96, 19/96 - , LVerfGE 5, 112, 120; vgl. BVerfGE 86, 15, 26 f.). So liegen die Dinge hier. Zwar hat die Beschwerdeführerin noch die Möglichkeit, die Verletzung ihrer Grundrechte in dem anhängigen verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen. Das Abwarten dieser Entscheidung ist ihr jedoch wegen der Bedeutung des möglicherweise verletzten Grundrechts nicht zuzumuten. Bei der Aufnahme in einen bestimmten Schultyp der Sekundarstufe I handelt es sich um eine entscheidende Weichenstellung für die weitere Ausbildung der Beschwerdeführerin mit Auswirkungen auf ihren beruflichen Werdegang. Die Zeit, die sie gegebenenfalls in einer Schule verbringt, die nicht über das von ihr gewünschte Bildungsangebot verfügt, ist unwiederbringlich verloren. Unter diesen Umständen ist hier eine verfassungsgerichtliche Entscheidung vor der Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten. 3. Inwieweit der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde entgegensteht, daß in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren durch die Anwendung von Landesrecht auch — überschneidend — Bundes-Grundrechte berührt sein können, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, da die Verfassungsbeschwerde jedenfalls in der Sache ohne Erfolg bleibt. II. Die Beschwerdeführerin ist in dem „Recht auf Bildung" und dem Recht auf gleichen Zugang zu den Bildungseinrichtungen nicht in verfassungswidriger Weise verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts E und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg halten der verfassungsgerichtlichen Uberprüfung in dieser Hinsicht stand. Beide Gerichte haben in ihren Entscheidungen der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte der Beschwerdeführerin aus der Landesverfassung in nicht zu beanstandender Weise Rechnung getragen. Dabei ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichts, eine gerichtliche Entscheidung nach Art eines Rechtsmittelgerichts auf die zutreffende Anwendung des einfachen Rechts hin zu überprüfen (vgl. BVerfGE 1, 82, 85) und sich an die Stelle des Fachgerichts zu setzen. Zu prüfen ist allein, ob im Rahmen der LVerfGE 10

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Rechtsanwendung Grundrechte nicht oder nicht hinreichend beachtet worden sind und die Beschwerdeführerin dadurch im Sinne des Art. 6 Abs. 2 LV in einem in der Verfassung gewährleisteten Grundrecht verletzt worden ist (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 19. Mai 1994 - VfGBbg 6/93, 6/93 EA - , LVerfGE 2,105,110). 1. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts verstoßen nicht gegen Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 30 Abs. 4 LV. Unabhängig davon, was unter „Jeder hat das Recht auf Bildung" im einzelnen zu verstehen ist, gewährt Art. 29 Abs. 1 LV jedenfalls keinen Anspruch auf Zugang zu einer bestimmten Bildungseinrichtung. Das „Recht auf Bildung" ist auf das vorhandene Bildungsangebot bezogen und kann nicht losgelöst davon betrachtet werden. Auch die Verknüpfung mit Art. 30 Abs. 4 LV vermag Art. 29 Abs. 1 LV nicht zu einem einklagbaren Grundrecht auf Zugang zu einer bestimmten Bildungseinrichtung zu verdichten. Art. 30 Abs. 4 LV enthält vielmehr ein Ordnungsprinzip, das bei der Aufnahme von Schülern in weiterführende Schulen zu gelten hat. Die Vorschrift will die Kriterien festlegen, nach denen über die Aufnahme in weiterführende Schulen zu entscheiden ist. Sie gewährt jedoch kein individuelles Recht auf Aufnahme in eine bestimmte Schule. Die Vorschrift dient aber dazu, die Rechtsstellung der Schüler zu sichern, die ihre wesentliche Ausprägung in Art. 29 Abs. 3 LV findet (vgl. Benst^/Franke, in: Simon/Franke/Sachs (Hrsg.), Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, § 6 Rdn. 8). 2. Auch Art. 29 Abs. 3 LV ist hier nicht verletzt. Die Beschwerdeführerin hat auch nach dieser Vorschrift keinen Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule oder in einen bestimmten Bildungsgang. Vielmehr stellt Art. 29 Abs. 3 LV allein das Recht auf gleichen Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen sicher. Recht auf gleichen Zugang zu den vorhandenen Bildungseinrichtungen bedeutet nicht Anspruch auf Schaffung erweiterter Kapazitäten. In diesem Sinne beinhaltet Art. 29 Abs. 3 LV kein individuelles Teilhaberecht in der Ausprägung eines subjektiv-rechtlichen Anspruchs auf Schaffung von Bildungsstätten {Benst^JFranke, a.a.O., § 6 Rdn. 14; ähnlich iwers, Entstehung, Bindungen und Ziele der materiellen Bestimmungen der Landesverfassung Brandenburg, 1998, S. 498). Die Verfassungsbestimmung lehnt sich damit an das Grundrechtssystem des Grundgesetzes an, das ebenfalls keinen einklagbaren Anspruch auf die Schaffung neuer und die Erweiterung vorhandener Kapazitäten gewährt (vgl. dazu BVerfGE 33, 303, 334 — numerus clausus —). Von daher gibt es auch kein Recht auf eine bestimmte Schulform. Zwar darf das Wahlrecht der Eltern zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen nicht mehr als notwendig begrenzt werden. Daraus läßt sich aber kein Recht der Eltern ableiten, daß der Staat eine bestimmte an ihren Wünschen orientierte Schulform zur Verfügung stellen muß (BVerfGE 45, 400, 415 f.). Grundsätzlich ist der LVerfGE 10

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Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Schulsystems frei (vgl. BVerfGE 41, 29, 46; 41, 88, 107). Die organisatorische Gliederung der Schulen und die strukturellen Festlegungen des Ausbildungssystems, das inhaltliche und didaktische Programm der Lernvorgänge und die Festlegung der Lernziele sowie die Entscheidung darüber, ob und wieweit diese Ziele von dem Schüler erreicht worden sind, unterliegen dem staatlichen Gestaltungsbereich (so BVerfGE 34, 165,182; 45,400,415). Es ist das Recht des Staates, die Voraussetzungen für den Zugang zur Schule, den Übergang von einem Bildungsweg zum anderen und die Versetzung innerhalb eines Bildungswegs zu bestimmen (BVerfGE 34, 165, 182). Gerade vor dem dargelegten bundesrechtlichen Hintergrund gewährleistet Art. 29 Abs. 3 LV nur einen Anspruch auf gleichen Zugang zu den vorhandenen Schulplätzen. Dieser Anspruch ist im vorliegenden Fall — wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend entschieden hat — nicht verletzt worden. Die vorhandenen 78 Plätze am Gymnasium I und die vorhandenen 72 Plätze am Gymnasium II sind nach den Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach für alle Bewerber gleichen objektiven Kriterien vergeben worden. Die Vergabe erfolgte — unter Berücksichtigung des aus der Anmeldung ersichtlichen Elternwunsches und der Neigung der Schüler, wie sie in der Angabe der Wahlpflicht- und Wahlfächer zum Ausdruck kamen — anhand der in den Grundschulgutachten und Halbjahreszeugnissen festgestellten Eignung und Befähigung der Schüler. Eine Uberprüfung der Anwendung der §§ 50 ff. Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (BbgSchulG) im einzelnen ist hier durch das Verfassungsgericht nicht vorzunehmen. Wie dargelegt, ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichts, die Anwendung einfachen Rechts durch die Fachgerichte nachzuprüfen. Zu überprüfen ist allein, ob die Beschwerdeführerin ungleich behandelt, d. h. ob sie im Vergleich zu anderen Bewerbern benachteiligt worden ist. Das ist nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht F. hat im einzelnen die räumlichen Kapazitäten beider Gymnasien nachgeprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß nicht ein einziger weiterer Schüler aufgenommen werden kann. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg hat nach der Prüfung der Kapazitäten ebenfalls festgestellt, daß weder ausreichend Räumlichkeiten vorhanden noch zusätzliche Lehrkräfte am Gymnasium I verfügbar sind, so daß es nicht möglich ist, allein aus den vorhandenen Mitteln heraus eine weitere Klasse einzurichten. Das Verfassungsgericht hat keinen Anlaß, diese tatrichterliche Einschätzung in Zweifel zu ziehen. Ausschlaggebend kommt es dabei allein darauf an, ob derzeit die Aufnahme weiterer Schüler in die Jahrgangsstufe 7 möglich wäre. Soweit die Beschwerdeführerin die Absicht der Schule anspricht, später — in der Jahrgangsstufe 11 — eine polnische Gastklasse aufzunehmen, kommt es hierauf nicht an. Entscheidend ist, daß gegenwärtig weder Räume noch Lehrer für eine weitere Klasse der Jahrgangsstufe 7 zur Verfügung stehen. LVerfGE 10

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Nr. 3* 1. a. Die Regelung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG, beinhaltend den verdeckten Einsatz technischer Mittel gegen potentielle Straftäter zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, ist mit der Landesverfassung vereinbar. b. Dies gilt auch, soweit der potentielle Straftäter Träger eines verfassungsrechtlich geschützten Amts- oder Berufsgeheimnisses ist. c. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG entbindet aber nicht von der Verpflichtung des Entscheidungsträgers zur Abwägung im Einzelfall. In Fällen ohne erhöhte Gemeinschädlichkeit der in Betracht kommenden Straftaten ist ggfls. von einer Maßnahme nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG Abstand zu nehmen. 2. Datenerhebungen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3 BbgPolG dürfen sich gezielt nur gegen potentielle Straftäter und deren Kontaktoder Begleitpersonen richten. 3. Kontakt- oder Begleitpersonen im Sinne der §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 und 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG sind nur solche Personen, zu denen der potentielle Straftäter gerade mit Bezug auf die in Frage stehende Straftat in Verbindung steht oder Verbindung aufnimmt. Amtsund Berufsgeheimnisträger gehören, soweit das geschützte Vertrauensverhältnis reicht, nicht zu den Kontakt- oder Begleitpersonen. 4. Von einer Datenerhebung durch den Einsatz technischer Mittel betroffene unbeteiligte Personen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG) sind gemäß § 29 Abs. 6 BbgPolG von der Datenerhebung zu unterrichten. Ihre Daten sind zu löschen, sobald und soweit sie im Rahmen der Datenerhebung gegen die Zielperson nicht mehr benötigt werden. 5. Zu den Auswirkungen der Neufassung des Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) auf den Prüfungsmaßstab im landesverfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren. 6. Die durch § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG ermöglichte Wohnraumüberwachung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person verstößt nicht gegen Art. 15 LV (Unverletzlichkeit der Wohnung). § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG erlaubt nur Datenerhebungen über die Person und Eingriffe in die Wohnung des für die Gefahr Verantwortlichen oder eines Notstandspflichtigen. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhältlich (Adresse s. Anhang).

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7. Die durch § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG ermöglichte Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Bekämpfung schwerster Straftaten verstößt nicht gegen Art. 15 LV. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG erlaubt nur Datenerhebungen über die Person und Eingriffe in die Wohnung des potentiellen Straftäters oder seiner Kontakt- oder Begleitpersonen. Auch insoweit gehören Amts- und Berufsgeheimnisträger, soweit das geschützte Vertrauensverhältnis reicht, nicht zu den Kontakt- oder Begleitpersonen. 8. a. Das Landesverfassungsgericht hat sich in einem Normenkontrollverfahren auch dann der Vereinbarkeit des Prüfungsgegenstandes mit dem Grundgesetz zu versichern, wenn eine Vorlagepflicht oder -möglichkeit nach Art. 100 Abs. 1 GG wegen „Vörkonstitutionalität" des zu überprüfenden Landesrechts nicht besteht. b. Die Regelungen in § 33 Abs. 6 Satz 1 und 2 BbgPolG (Einsatz technischer Mittel zum Schutz der bei einem Einsatz tätigen Personen) sind grundgesetzkonform auslegbar. c. Soweit § 33 Abs. 6 Satz 3 BbgPolG auf §§ 39 Abs. 6,47 Abs. 5 und 6 BbgPolG verweist und damit eine Nutzung nicht anonymisierter Daten zur polizeilichen Aus- und Fortbildung sowie eine Datennutzung zur Behebung einer Beweisnot und zu wissenschaftlichen Zwecken bzw. die Archivierung der Daten ermöglicht, hat dies vor Art. 13 Abs. 5 GG keinen Bestand. Die Zulässigkeit der Datenerhebung nach § 33 Abs. 3 BbgPolG bleibt hiervon unberührt. 9. a. Der Einsatz von V-Personen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2 BbgPolG ist bei restriktiver Auslegung der Verfahrensvorschriften mit der Landesverfassung vereinbar. b. Die Anordnung über den Einsatz einer V-Person nach § 34 Abs. 2 BbgPolG ist schriftlich zu begründen. Der Behördenleiter darf, wenn er die Anordnung nicht selbst trifft, nur solche Beamte mit der Entscheidung beauftragen, die ansonsten nicht an dem Einsatz beteiligt sind. c. Eine Unterrichtung über den Einsatz von V-Personen darf nach § 34 Abs. 3 Satz 3 BbgPolG, der insoweit mit der Landesverfassung unvereinbar ist, nicht schon dann unterbleiben, wenn der weitere Einsatz einer solchen Person gefährdet ist. In diesem Fall darf sich die Polizei jedoch auf die Mitteilung der Datenerhebung als solche, d. h. ohne Hinweis auf den Einsatz einer V-Person, beschränken. d. Von einer Datenerhebung durch den Einsatz von V-Personen betroffene unbeteiligte Personen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG) sind gemäß § 29 Abs. 6 BbgPolG - vorbehaltlich § 34 Abs. 3 Satz 3 BbgPolG, insofern nach Maßgabe der vorstehenden Ziffer 9. c. - von der Datenerhebung zu LVerfGE 10

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unterrichten. Ihre Daten sind zu löschen, sobald und soweit sie im Rahmen der Datenerhebung gegen die Zielperson nicht mehr benötigt werden. Grundgesetz Art. 13 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6 Satz 3 Verfassung des Landes Brandenburg: Art. 2 Abs. 5; 5 Abs. 2; 6 Abs. 1; 7 Abs. 1 Satz 1; 11 Abs. 1, Abs. 2; 15 Abs. 1, Abs. 3; 74 Abs. 1; 96 Abs. 3 UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte Art. 14; 17 Europäische Menschenrechtskonvention Art. 8 Brandenburgisches Polizeigesetz: §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2, Abs. 3 Ziffern 1 und 2; 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2; 47 Abs. 5 Satz 1 Ziffer 2 Urteil vom 30. Juni 1999 -VfGBbg 3/98 in dem Verfahren über den Normenkontrollantrag der Abgeordneten des Landtags Brandenburg Kerstin Bednarsky, Hannelore Birkholz, Prof. Dr. Lothar Bisky, Ralf Christoffers, Petra Faderl, Christel Fiebiger, Christian Gehisen, Prof. Dr. Bernhard Gonnermann, Stefan Ludwig, Dr. Helmuth Markov, Kerstin Osten, Harald Petzold, Prof. Dr. Michael Schumann, Gerlinde Stobrawa, Anita Tack, Dr. Margot Theben, Andreas Trunschke und Heinz Vietze, wegen Überprüfung der §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2, Abs. 3 Ziffern 1 und 2,34 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2 und 47 Abs. 5 Satz 1 Ziffer 2 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg vom 19. März 1996 (Brandenburgisches Polizeigesetz - BbgPolG - , GVB1. I S. 74), geändert durch Gesetz vom 20. Mai 1999 (GVB1. I S. 171), auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung des Landes Brandenburg Entscheidungsformel: §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2, Abs. 3 Ziffern 1 und 2,34 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2 und 47 Abs. 5 Satz 1 Ziffer 2 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg vom 19. März 1996 (Brandenburgisches Polizeigesetz — BbgPolG —, GVB1. I S. 74), geändert durch Gesetz vom 20. Mai 1999 (GVB1. I S. 171), sind nach Maßgabe der Entscheidungsgründe, zumal mit folgenden Maßgaben, mit der Landesverfassung vereinbar: LVerfGE 10

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1. a. Kontakt- oder Begleitpersonen im Sinne der §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3,34 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG sind nur Personen, zu denen der potentielle Straftäter mit Bezug auf die in Frage stehende Straftat in Verbindung steht oder Verbindung aufnimmt. b. Amts- und Berufsgeheimnisträger gehören, soweit das geschützte Vertrauensverhältnis reicht, nicht zu den Kontakt- oder Begleitpersonen, gegen die verdeckte technische Mittel nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG oder Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist (V-Personen), nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG zum Einsatz gebracht werden dürfen. 2. Von einer Datenerhebung durch den Einsatz technischer Mittel betroffene unbeteiligte Personen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG) sind gemäß § 29 Abs. 6 BbgPolG von der Datenerhebung zu unterrichten. 3. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG erlaubt nur Eingriffe in die Wohnung eines Störers oder Notstandspflichtigen. 4. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG erlaubt nur Eingriffe in die Wohnung eines potentiellen Straftäters oder seiner Kontakt- oder Begleitpersonen. Auch insoweit gehören Amts- und Berufsgeheimnisträger, soweit das geschützte Vertrauensverhältnis reicht, nicht zu den Kontakt- oder Begleitpersonen. 5. Der Einsatz von V-Personen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffern 2 und 3, Satz 2 BbgPolG ist schriftlich zu begründen. Der Behördenleiter darf nur solche Beamte mit der Entscheidung beauftragen, die ansonsten nicht an dem Einsatz beteiligt sind. 6. Eine Unterrichtung über den Einsatz von V-Personen darf nach § 34 Abs. 3 Satz 3 BbgPolG, der insoweit mit der Landesverfassung unvereinbar ist, nicht schon dann unterbleiben, wenn der weitere Einsatz einer solchen Person gefährdet ist. In diesem Fall darf sich die Polizei jedoch auf die Mitteilung der Datenerhebung als solche, d. h. ohne Hinweis auf den Einsatz einer V-Person, beschränken. 7. Von einer Datenerhebung durch den Einsatz von V-Personen betroffene unbeteiligte Personen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG) sind gemäß § 29 Abs. 6 BbgPolG - vorbehaltlich § 34 Abs. 3 Satz 3 BbgPolG, insoweit mit der Maßgabe nach vorstehender Ziffer 6 — von der Datenerhebung zu unterrichten. Aus den G r ü n d e n : (...)

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c. Das BbgPolG ist formell verfassungsgemäß. Insbesondere fällt die Regelungsmaterie in die Gesetzgebungskompetenz des Landes. Dies hat das Verfassungsgericht nicht als bundesrechtliche Vorfrage, sondern deshalb zu prüfen, weil es das Rechtsstaatsgebot des Art. 2 LV dem Landesgesetzgeber untersagt, Landesrecht zu setzen, ohne dazu befugt zu sein (s. Urteil des erkennenden Gerichts vom 21. März 1996 - VfGBbg 18/95 - , LVerfGE 4,114,129). (...) D. In materieller Hinsicht sind die angegriffenen Vorschriften des BbgPolG mit den aus dem Tenor ersichtlichen Maßgaben mit der Landesverfassung vereinbar. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ist zur Klarstellung darauf hinzuweisen, daß den Verwaltungsvorschriften des Ministeriums des Innern zum BbgPolG vom 19. Januar 1999 (AmtsBl. S. 110) — wie auf der Hand liegt — bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der hier angegriffenen Bestimmungen des BbgPolG keine entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen kann. Prüfungsgegenstand im Normenkontrollverfahren ist allein das vom Landtag verabschiedete Gesetz. Im einzelnen gilt: I. 1. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG - Einsatz technischer Mittel gegen potentielle Straftäter außerhalb von Wohnungen — verstößt nicht gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 11 LV. Die Regelung ermöglicht zwar Eingriffe in den Schutzbereich des Grundrechts (dazu a.), hält sich jedoch im Rahmen des Gesetzesvorbehalts des Art. 11 Abs. 2 LV (dazu b.). a. Zufolge Art. 11 Abs. 1 LV hat jeder das Recht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen, auf Auskunft über die Speicherung seiner persönlichen Daten und auf Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen, soweit sie ihn betreffen und Rechte Dritter nicht entgegenstehen. Personenbezogene Daten dürfen nur mit freiwilliger und ausdrücklicher Zustimmung des Berechtigten erhoben, gespeichert, verarbeitet, weitergegeben oder sonst verwendet werden. Dementsprechend umfaßt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er einen persönlichen LVerfGE 10

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Lebenssachverhalt offenbart und wie mit seinen personenbezogenen Daten verfahren wird (BVerfGE 65, 1, 42 ff.). Es liegt auf der Hand, daß die durch § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG ermöglichte heimliche Erhebung personenbezogener Daten in den Schutzbereich des Grundrechts eingreift. b. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG genügt den Anforderungen, die die Landesverfassung an derartige Eingriffe stellt. Maßstab ist insoweit Art. 11 Abs. 2 LV. Soweit die Antragsteller auch auf international verankerte Grundrechte abstellen, ergibt sich nichts anderes. Zwar sind die Grundrechte der Landesverfassung auch im Lichte der internationalen Grundrechte auszulegen (in diesem Sinne bereits das Urteil des erkennenden Gerichts vom 18. Juni 1998 — VfGBbg 27/97 - , LVerfGE 8,97 ff.; abgedruckt u.a. in DVB1.1999,34 ff. und LKV 1998, 395 ff.; vgl. ferner E. Klein, Das Bekenntnis der Brandenburgischen Verfassung zu international garantierten Grundrechten, in: Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, 1998, S. 33, 40f.). Bezogen auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehen aber die Bestimmungen des Europaund Völkerrechts über die Eingriffsvoraussetzungen der Landesverfassung nicht hinaus. Dies gilt zunächst für Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das danach geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umfaßt zwar je nach Inhalt und Art der Verwendung auch den Schutz vor staatlichen Eingriffen durch das Sammeln, Speichern und Bearbeiten von persönlichen Daten (vgl. die Nachweise bei Wildhaber, Internationaler Kommentar zur EMRK, Stand 1995, Art. 8, Rdn. 323). Die Schutzwirkung bleibt jedoch hinter Art. 11 LV zurück. Während das Landesgrundrecht nur im überwiegenden Allgemeininteresse einschränkbar ist, kann das Recht aus Art. 8 EMRK gem. Abs. 2 der Vorschrift auch mit Rücksicht auf Individualrechtsgüter beschränkt werden. Soweit Art. 8 Abs. 2 EMRK Eingriffe im Allgemeininteresse zuläßt (insb. zum Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung, zur Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen) sind die Anforderungen an solche Eingriffe nicht höher als bei Art. 11 Abs. 2 LV. Gleichermaßen gilt, daß eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, die hinreichend klar und bestimmt sein muß, die Verhältnismäßigkeit wahren und eine effektive Eingriffskontrolle vorsehen muß (vgl. im einzelnen Wildhaber/Breitenmoser, a.a.O., Rdn. 525 ff.). Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (vgl. zur Frage der Bindungswirkung Stern, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V, 1992, § 108, Rdn. 59) und der weitgehend gleichlautende Art. 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und private Rechte bieten ebenfalls, schon ihrem Wortlaut nach, keinen weitergehenden Schutz vor Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Art. 11 Abs. 2 LV. Gleiches gilt, soweit die Antragsteller auf den sog. „Verhaltenskodex für Polizeivollzugsbeamte" verweisen. Es handelt sich um eine UN-Resolution mit Appellcharakter, LVerfGE 10

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in der Mindestanforderungen an das Verhalten von Vollzugsbeamten formuliert werden (insb. Verbot der Folter, Wahrung der Menschenrechte und der Verhältnismäßigkeit, s. UN-Doc. A/Res/34/169; hierzu Schröder, Vereinte Nationen 1980, 141 f.). Die von den Antragstellern angeführten Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Art. 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und private Rechte betreffen Verfahrensgrundrechte vor Gericht und nicht den Schutz der Privatsphäre vor Eingriffen der Exekutive, um den es hier geht. Dementsprechend verbleibt es hier bei den Eingriffsvoraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 LV. Hiernach sind Einschränkungen nur „im überwiegenden Allgemeininteresse" auf gesetzlicher Grundlage und im Rahmen der darin festgelegten Zwecke zulässig, wobei die gesetzliche Grundlage nach allgemeinen Grundsätzen dem rechtsstaatlichen Gebot der Normklarheit und -bestimmtheit entsprechen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren sowie hinreichende organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen enthalten muß, die der Gefahr einer Verletzung des Grundrechts entgegenwirken (vgl. zu den Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 LV Breidenbach/Kneifel-Haverkamp, Informationsverfassung, Rdn. 10, in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994; Höfelmann, Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, 1996, S. 90 f.). § 33 Abs.l Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG genügt diesen Anforderungen. aa. Die angegriffene Norm ist hinreichend klar und bestimmt. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip der Landesverfassung abzuleitende Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, die zu Eingriffen in Grundrechte ermächtigenden Gesetze so zu fassen, daß der potentiell Betroffene ebenso wie der Rechtsanwender Inhalt und Grenzen der Ermächtigung erkennen können. Das Gesetz selbst muß die Eingriffsvoraussetzungen bestimmen und darf dies nicht den mit dem Gesetzesvollzug betrauten Behörden überlassen. Je intensiver der mögliche Grundrechtseingriff ist, zu dem die Norm ermächtigt, desto höhere Anforderungen sind an den Gesetzgeber gestellt, Art und Umfang des Eingriffs an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen. Dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit kommt hier umso höhere Bedeutung zu, als der Gesetzgeber Grundrechtseingriffe bereits zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, d. h. zur Verhinderung künftiger Straftaten, zuläßt. Eingriffe, die diesem Ziel dienlich sein können, sind sowohl in akuten Gefahrdungssituationen denkbar als auch in einem vorgelagerten Stadium, in dem die Anhaltspunkte für einen künftigen Schadenseintritt weniger deutlich sind und dementsprechend ein polizeiliches Eingreifen, zumal mit verdeckten Mitteln, strittiger erscheinen mag. Dem muß der Gesetzgeber — in diesem Vorfeldbereich — dadurch begegnen, daß er die Eingriffsvoraussetzungen möglichst präzise beschreibt und damit eine bestimmte LVerfGE 10

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Eingriffsschwelle normativ vorgibt. Allerdings gilt es auch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber der Exekutive, zumal im Bereich der Gefahrenabwehr, nicht für alle denkbaren Fallgestaltungen vorab genau festgelegte Direktiven an die Hand geben kann. Er darf, um der Vielzahl denkbarer Gefahrensituationen Rechnung zu tragen und der Exekutive Spielraum für ein dem Einzelfall angepaßtes Vorgehen zu belassen, bei der Formulierung der Eingriffsermächtigung auf der Tatbestandsseite bis zu einer gewissen Grenze auf unbestimmte Rechtsbegriffe und generalklauselartige Formulierungen zurückgreifen und auf der Rechtsfolgenseite die Frage, ob und wie im konkreten Fall eingegriffen wird, in das pflichtgemäße Entschließungs- und Auswahlermessen der ausführenden Behörde stellen. Die damit gegebenenfalls einhergehende Notwendigkeit, den Anwendungsbereich der Norm im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln, bedeutet noch keine Verletzung des Bestimmtheitsgebots, solange eine solche Auslegung mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden kann (vgl. BVerfGE 78, 205, 212 ff.). Gemessen an diesen Voraussetzungen genügt § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG dem Bestimmtheitsgebot. (1) Voraussetzung für einen Eingriff der Polizei nach dieser Vorschrift sind Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, eine Person werde Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen. Zulässig ist ein Eingriff danach nur aufgrund einer hinreichend sicheren Faktenlage („Tatsachen"). Der Polizei müssen stichhaltige, nachprüfbare Umstände vorliegen, die auf eine bevorstehende Straftat und deren Täter schließen lassen. Als Person i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG, gegen die sich der Einsatz technischer Mittel richten darf, kommt demzufolge nur derjenige in Betracht, bei dem hinreichend sichere objektive Anhaltspunkte für die beabsichtigte Begehung einer Straftat sprechen (potentieller Straftäter). Ansonsten - gegen eine andere Person als den potentiellen Straftäter — scheidet ein auf § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG gestütztes Handeln der Polizei von vornherein aus. Bloße Mutmaßungen genügen für eine heimliche Datenerhebung nicht. Dies bestätigt sich — im Sinne einer ergänzenden Erwägung — auch darin, daß § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG ebenso wie alle weiteren Regelungen des Polizeigesetzes unter der Aufgabenzuweisung des § 1 Abs. 1 BbgPolG steht. Danach hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren und „im Rahmen dieser Aufgabe auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten)". § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG knüpft hieran an, indem er Eingriffe ausdrücklich nur zur — in diesem Sinne zu verstehenden — vorbeugenden Bekämpfung der genannten Straftaten zuläßt. Auch das Einschreiten der Polizei nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG ist in diesem Sinne auf den Bereich der Gefahrenabwehr beschränkt, d.h. auf das Handeln zur LVerfGE 10

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Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (vgl. zur Legaldefinition der Gefahr im polizeirechtlichen Sinne § 10 Abs. 1 BbgPolG). Grundrechtseingriffe allein aufgrund vager Vermutungen, gleichsam nach dem Belieben der Polizei, sind durch § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nicht gedeckt. (2) Die Bestimmtheit der Norm wird dadurch verstärkt, daß Eingriffe nur im Vorfeld von „Straftaten von erheblicher Bedeutung (§10 Abs. 3)" zulässig sind. Der Kreis der Straftaten ist durch die Legaldefinition in § 10 Abs. 3 BbgPolG, der neben den Verbrechen auf den Katalog des § 100 a Strafprozeßordnung (StPO) verweist, eindeutig bestimmt. Der brandenburgische Gesetzgeber hat einer der Polizei keine Spielräume lassenden Begriffsbestimmung den Vorzug gegeben gegenüber einem offenen Straftatenkatalog oder der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Die in dieser Hinsicht an Formulierungen in den Polizeigesetzen anderer Länder geäußerte und von den Antragstellern der Sache nach übernommene Kritik mangelnder Bestimmtheit trifft deshalb auf § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nicht zu. (3) Weiter muß die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung der vorbenannten Straftaten „erforderlich" sein. Auch diese Voraussetzung, auf die bei der Frage der Angemessenheit zurückzukommen sein wird, trägt zur Bestimmtheit der Regelung bei, indem sie die Datenerhebung nicht dem Gutdünken der Polizei überläßt, sondern sie ihr nur für den Fall eröffnet, daß andere Mittel versagen (s. weiter unten D.I.l.b.bb.(2)(e)). (4) Unter den weiteren Voraussetzungen der Norm ist der Polizei der verdeckte „Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen" gestattet. Auch dies ist hinreichend bestimmt. Die Norm ermächtigt zum heimlichen Einsatz akustischer und optischer Mittel, mit denen - in welcher Form auch immer — Bilder und Sprache festgehalten werden können. Eine genauere Beschreibung der danach zulässigen technischen Mittel kann von dem Gesetzgeber nicht verlangt werden (in diesem Sinne aber wohl Bäumler, Polizeiliche Informationsverarbeitung, Rdn. 607, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996). Angesichts der vielfaltigen technischen Möglichkeiten und der auf diesem Gebiet rasch voranschreitenden Entwicklung ist eine Präzisierung weder praktikabel noch unter Rechtsstaatsgesichtspunkten geboten. Entscheidend ist insoweit nicht die Art des technischen Mittels, sondern die Bedingungen, unter denen es zum Einsatz kommen darf. Daß ein solcher Einsatz unter den - vergleichsweise weiteren — Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nur außerhalb von Wohnungen erfolgen darf, ergibt sich aus § 33 Abs. 3 BbgPolG, der für die heimliche Datenerhebung über diesen Bereich hinaus besondere — gesteigerte - Anforderungen enthält.

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Der Einsatz darf ferner nicht zu einem Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 16 LV, Art. 10 GG) führen. Dies wird im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber hinreichend deutlich daraus, daß § 8 BbgPolG, der dem Zitiergebot des Art. 5 Abs. 2 Satz 3 LV Rechnung trägt, dieses Grundrecht nicht nennt (vgl. hierzu Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 1996, Art. 10, Rdn. 57 und Fn. 169; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 277). (5) Der Begriff der „personenbezogenen Daten" ist ebenfalls hinreichend bestimmt. Zur Ausfüllung des Begriffs kann auf die Definition in § 3 des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes (BbgDSG) und - gleichlautend — § 3 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) zurückgegriffen werden. Danach sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Gemeint sind damit in einem umfassenden Sinne sämtliche denkbaren Informationen über Zustände, Äußerungen, Handlungen oder Verhältnisse eines Bürgers (vgl. Auernhammer, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl. 1993, § 3, Rdn. 2 ff.). bb. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der brandenburgische Gesetzgeber hat mit der angegriffenen Norm erkennbar den Zweck verfolgt, im Interesse der Sicherheit der Bürger (und damit im Allgemeininteresse) die Möglichkeiten der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten durch die Polizei zu erweitern. Die Regelung bewegt sich dabei in dem Spannungsverhältnis zwischen dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und dem vom Staat zu beachtenden Interesse des Einzelnen, vor staatlicher Überwachung durch Speicherung und Verarbeitung seiner persönlichen Daten möglichst verschont zu bleiben. Dieses Spannungsverhältnis ist umso komplexer, als Sicherheit und Individualrechte aufeinander bezogen sind. Die grundrechtlich abgesicherte Freiheit des Einzelnen kann sich nur entfalten auf der Basis tatsächlicher Sicherheit. Sicherheit dient der Freiheit; sie ist ihrerseits ein wesentlicher Verfassungswert. Ihre Bedeutung im Verhältnis zu subjektiven Grundrechtspositionen hat das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang wie folgt beschrieben (BVerfGE 49, 24, 56 f.): „Die Sicherheit des Staates als verfaßter Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen ihre eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet."

Wie der Gesetzgeber, bezogen auf das hier zugrundeliegende Spannungsverhältnis, den Konflikt zwischen größtmöglicher Entfaltung des Grundrechts aus Art. 11 LV und notwendiger Sicherheit der Bevölkerung vor Kriminalität bewältigt, ist ihm durch die Landesverfassung nicht im einzelnen vorgegeben. Er LVerfGE 10

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darf allerdings, um dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu genügen, nur geeignete und erforderliche Maßnahmen ergreifen (dazu (1)) und muß die widerstreitenden Interessen vertretbar gegeneinander abwägen („gewichten") und soweit wie möglich zu einem gerechten Ausgleich führen (Angemessenheit, dazu unten (2)). Darüber hinaus muß er geeignete verfahrensrechtliche Vorkehrungen treffen (dazu (3)). (1) Die angegriffene Vorschrift ist zur Kriminalitätsbekämpfung geeignet und durfte dem Gesetzgeber nach Lage der Dinge, zumal angesichts der Entwicklung der — zunehmend organisiert in Erscheinung tretenden und sich ihrerseits moderner nachrichtentechnischer Mittel bedienender - Kriminalität erforderlich erscheinen. Insoweit ist zu beachten, daß sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen darf. Ob ein bestimmtes Mittel zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten geeignet und erforderlich ist, unterliegt der Bewertung der von ihnen ausgehenden Gefahr für den einzelnen und die Allgemeinheit einerseits und einer Einschätzung der Tauglichkeit des gewählten Mittels zur Bekämpfung dieser Gefahr andererseits. Diese Bewertung aber ist, gegebenenfalls auf der Grundlage von sachverständigen Stellungnahmen und Prognosen, Sache des Gesetzgebers. Das Verfassungsgericht hat insoweit nur zu kontrollieren, ob der Gesetzgeber den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum in verfassungswidriger Weise überschritten hat (vgl. zur verfassungsgerichtlichen Uberprüfung gesetzgeberischer Prognoseentscheidungen zuletzt Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 18. Juni 1998 - VfGBbg 27/97 - , LVerfGE 8, 97ff.; abgedruckt u.a. in DVB1. 1999, 34, 42f. und LKV 1998, 395, 401). Danach durfte der Gesetzgeber Maßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG unter den dort bestimmten Voraussetzungen als geeignetes und erforderliches Mittel zur vorbeugenden Bekämpfung der darin angesprochenen schweren Straftaten ansehen. Er hat sich, gestützt auf sachverständige Äußerungen (vgl. die Anhörung des Ausschusses für Inneres vom 19. Oktober 1995, Ausschußprotokoll 2/286), allgemein davon leiten lassen, daß die heimliche Datenerhebung ein erfolgversprechendes und polizeilich benötigtes Instrument im Kampf gegen die heutigen Erscheinungsformen der Kriminalität, darunter auch der sog. Organisierten Kriminalität, darstellt. Diese Einschätzung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Erfolge in welchen Kriminalitätsbereichen im einzelnen zu erwarten sind. Das Verfassungsgericht ist sich bewußt, daß die Effektivität der hier in Rede stehenden polizeilichen Mittel — auch wegen bislang fehlender Erfahrungswerte — in Fachkreisen durchaus nicht einheitlich bewertet wird. Das hat nicht zuletzt die parlamentarische Sachverständigenanhörung zum BbgPolG gezeigt. Solche unterschiedlichen Bewertungen sachverständiger Kreise hindern den GesetzLVerfGE 10

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geber jedoch nicht, ein ihm wirksam erscheinendes Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung zu ergreifen, solange es nicht offenbar verfehlt oder untauglich ist (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, a.a.O.). Davon aber ist, auch unter Berücksichtigung der Sachverständigenanhörung, hier nicht auszugehen. Die heimliche Datenerhebung bei potentiellen Straftätern kann im Vergleich zu den klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr zur Verhinderung von Straftaten bereits im Vorfeld ihrer Begehung beitragen. Es gibt Situationen, in denen die Polizei eine Straftat, deren Begehung aufgrund konkreter Tatsachen droht, nicht anders erfolgversprechend zu verhindern versuchen kann, als den potentiellen Straftäter ohne sein Wissen unter Einsatz technischer Mittel zu beobachten. Dies gilt namentlich dann, wenn Straftaten — typischerweise unter Abschottung gegenüber Dritten — in organisierter Form begangen werden sollen und eine offene Annäherung an den potentiellen Täterkreis zur Gewinnung weiterer Informationen aus praktischen Gründen nicht in Betracht kommt. Zu berücksichtigen ist auch, daß die Kriminalität, nicht zuletzt die Organisierte Kriminalität, ihrerseits vor unzulässigen verdeckten Datenerhebungen nicht zurückschreckt. Auch unter diesem Gesichtspunkt durfte es der Gesetzgeber für veranlaßt halten, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, nach deren Maßgabe der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung schwerwiegender Straftaten die Erhebung personenbezogener Daten durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel erlaubt ist. (2) Die mit § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG eröffneten Eingriffsbefugnisse stehen in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck. Auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr bemessen sich Maß und Reichweite zulässiger Grundrechtseingriffe nach dem Maß der Gefahr in Beziehung zu Art und Schwere des Grundrechtseingriffs. Je konkreter die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts und je höherrangiger das zu schützende Rechtsgut ist, desto weiterreichende Eingriffsbefugnisse sind gegebenenfalls der Polizei zuzugestehen, solange nicht — bei wertender Betrachtung der zugrundeliegenden Situation — der Wesensgehalt des Grundrechts angetastet wird (vgl. VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 356). Diesen Grundsätzen genügt hier die Entscheidung des Gesetzgebers. (a) Auf der einen Seite ist zu berücksichtigen, daß die verdeckte und deshalb von dem Betroffenen mit den Mitteln des abwehrenden gerichtlichen Rechtsschutzes nicht zu verhindernde Gewinnung und Verwertung personenbezogener Daten durch die heimliche Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes und die heimliche Bildaufzeichnung einen sehr schwerwiegenden Eingriff in den von Art. 11 LV geschützen Bereich der persönlichen Lebensgestaltung darstellt. Anders als bei der Gewinnung von Informationen über offen zutage tretende und damit von dem Betroffenen in gewissem Sinne von sich aus LVerfGE 10

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in den öffentlichen Raum entäußerter Lebensumstände greift der Staat hier heimlich in den privatesten und deshalb in besonderem Maße schutzbedürftigen Bereich des Einzelnen ein. (b) Dieser schwerwiegenden Beeinträchtigung der informationellen Selbstbestimmung stehen die erheblichen Gefahren gegenüber, die der Allgemeinheit durch die Begehung schwerer Straftaten drohen. Den von § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG erfaßten Fallgestaltungen ist es zwar eigen, daß die Anhaltspunkte zur Bestimmung der Gefahr und des potentiellen Störers möglicherweise weniger dicht und deshalb gegebenenfalls mit einer relativ größeren Fehlertoleranz behaftet sind als in den Fällen einer gegenwärtigen Gefahr, wie sie etwa von § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 BbgPolG vorausgesetzt wird. Dies bedeutet aber nicht, daß polizeiliche Eingriffe nach der hier zu überprüfenden Vorschrift schon zulässig sind, wenn noch keinerlei Gefahr vorliegt, wie dies die Antragsteller besorgen und demgemäß von einem Handeln der Polizei im „Gefahrenvorfeld" sprechen, das angesichts der Schwere der damit verbundenen Grundrechtseingriffe unverhältnismäßig sei (so auch Paeffgen, NJ 1996, 454, 457; Bäumler, NVwZ 1996, 765, 766; Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rdn. 187; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, Kap. E, Rdn. 163; ähnlich Benfer, NVwZ 1999, 237 f.; vgl. auch VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 355, 357). Der Sache nach geht es auch in den Fällen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nicht um ein Handeln der Polizei im Vorfeld einer Gefahr, sondern um Eingriffe im Vorfeld von Straftaten, auf deren zukünftige Begehung Tatsachen hinweisen, also um eine Situation, in der bei ungehindertem Geschehensablauf mit gewisser Wahrscheinlichkeit (an die um so geringere Anforderungen zu stellen sind, je bedeutsamer das gefährdete Rechtsgut ist) ein Schaden für die öffentliche Sicherheit (hier die Begehung einer Straftat) eintreten wird. Dies aber ist bereits ein Fall der Gefahrenabwehr (vgl. hierzu Schenke, DVB1. 1996, 1393, 1396; vgl. auch Gö% JZ 1996, 969, 970; BayVerfGH, DVB1. 1995, 347, 349). Zum Bereich der Gefahrenabwehr zählen nach allgemeinem Verständnis auch Eingriffe, die bei dem konkreten Verdacht einer Gefahr der weiteren Aufklärung des Sachverhalts dienen (sog. Gefahrerforschungseingriff, vgl. etwa Knemejer, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 1995, Rdn. 70). § 1 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG bestätigt - dies als ergänzende Erwägung —, daß die hier in Rede stehenden Maßnahmen der Polizei nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Gefahr zulässig sind, indem hiernach die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten nur „im Rahmen" der in Satz 1 der Vorschrift vorgegebenen Aufgabe der Gefahrenabwehr stattfindet. Auch wenn also ein Handeln der Polizei zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten aus der Natur der Sache heraus eine vergleichsweise niedrigere Gefahrenschwelle erfordert, bleibt doch die Grundvoraussetzung einer Gefahr bestehen. LVerfGE 10

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(c) Vor allem aber fällt ins Gewicht, daß § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG der Abwehr der Allgemeinheit drohender sehr erheblicher Schäden dient. Es geht um die vorbeugende Bekämpfung besonders gemeinschädlicher Formen der Kriminalität. Der Katalog des § 100a StPO, auf den § 10 Abs. 3 BbgPolG außer auf die Verbrechen verweist, umfaßt Straftaten, die in ihren Auswirkungen die öffentliche Sicherheit typischerweise erheblich beeinträchtigen. Insoweit greift der Einwand der Antragsteller nicht durch, das Gesetz ermögliche Eingriffe zur vorbeugenden Bekämpfung von Vermögensdelikten, „die nicht gewerbs-, gewohnheits-, Serien-, bandenmäßig oder sonst organisiert begangen werden", und sei deshalb unverhältnismäßig. Der Straftatenkatalog des § 100 a StPO erfaßt Vergehen, die sich gegen Sach- oder Vermögenswerte richten, nur, soweit sie organisiert oder gewerbsmäßig begangen werden (etwa Bandendiebstahl, § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei, § 260 StGB). Die drohende Begehung etwa eines „einfachen" Diebstahls ermöglicht, auch wenn bedeutende Sachwerte betroffen sind, deshalb nach dem BbgPolG den verdeckten Einsatz technischer Mittel nicht. In diesem Punkt unterscheidet sich die brandenburgische Regelung von dem Sächsischen Polizeigesetz, das eine solche Beschränkung nicht vorsah und das insoweit vom VerfGH Sachsen, auf dessen Entscheidung die Antragsteller erkennbar Bezug nehmen, für unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig erklärt worden ist (siehe VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 356 ff.). Die hier zur Uberprüfung anstehende Norm wahrt demgegenüber durch den in Bezug genommenen Straftatenkatalog des § 100 a StPO die Verhältnismäßigkeit. Zwar sind auch mit Blick auf diesen Katalog je nach Lage des Falles Straftaten denkbar, denen trotz einer organisierten oder gewerbsmäßigen Begehungsweise keine erhöhte Gemeinschädlichkeit zukommt. So kann etwa eine „gewerbsmäßige" Hehlerei i.S.d. § 260 Abs. 1 Satz 1 StGB bereits dann vorliegen, wenn sich der Täter auf das wiederkehrende Hehlen geringerwertiger Sachen beschränkt oder erstmals das Grunddelikt verwirklicht und dabei mit entsprechender Wiederholungsabsicht handelt (vgl. etwa Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl. 1997, § 260, Rdn. 2 m.w.N.). Derartige Fälle geringerer krimineller Energie ohne besondere Gemeinschädlichkeit können ein polizeiliches Vorgehen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nicht rechtfertigen. Dies zwingt den Gesetzgeber aber unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht, die entsprechenden Straftatbestände von vornherein auszunehmen. Damit entfiele zwangsläufig die Möglichkeit der Polizei, selbst bei massiver gewerbsmäßiger oder organisierter krimineller Betätigung in diesem Bereich, etwa bei massenhafter gewerbsmäßiger Hehlerei, mit den Mitteln des § 33 Abs. 1 BbgPolG eingreifen zu können. Der Gesetzgeber muß deshalb im Rahmen unvermeidbarer Generalisierung die Möglichkeit haben, alle potentiell besonders gemeinschädlichen Straftatbestände zu erfassen. Es ist insoweit Aufgabe derjenigen, die über einen Einsatz zu entscheiden haben, das Gebot der AngeLVerfGE 10

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messenheit der Mittel auch in der Einzelanwendung zu wahren (vgl. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 LV, § 3 BbgPolG). Demgemäß entbindet § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nicht von der Verpflichtung des Entscheidungsträgers zur Abwägung im Einzelfall. In Fällen ohne erhöhte Gemeinschädlichkeit der in Betracht kommenden Straftaten, z. B. bei zwar im Rechtssinne gewerbsmäßiger, aber nur gelegentlich begangener Hehlerei mit geringerwertigen Sachen, kann er gehalten sein, von einer Maßnahme nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG Abstand zu nehmen. Insgesamt bestehen hiernach unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegen die in Bezug genommenen Straftaten keine letztlich durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (ähnlich — bis auf die erwähnte, auf einer anderen gesetzlichen Regelung beruhende Abweichung — VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 358; vgl. auch BayVerfGH, DVB1.1995, 347 ff.). Die von den in § 10 Abs. 3 BbgPolG genannten Straftaten bei Anhaltspunkten für ihre drohende Begehung ausgehenden Gefahren für das Gemeinwohl sind beträchtlich. Der Gesetzgeber durfte das Interesse des einzelnen, trotz des Vorliegens von Tatsachen, die auf die Begehung einer solchen Straftat hindeuten, von einer heimlichen Uberwachung verschont zu werden, dahinter zurücktreten lassen. (d) In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, daß Maßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG sich nicht, wie die Antragsteller wohl befürchten, gegen jeden beliebigen Dritten richten dürfen, sondern nur gegen den potentiellen Straftäter (s. zu diesem Personenkreis oben D.I.l.b.aa.(l)). Zwar regelt das Gesetz dem Wortlaut nach nur, über wen personenbezogene Daten erhoben werden dürfen, also im Falle des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG über den potentiellen Straftäter. Dieser aber ist — abgesehen von Kontakt- oder Begleitpersonen i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG - zugleich die einzige Person, bei der diese Daten erhoben werden dürfen. Ein „Umweg" über gezielte Eingriffe bei unbeteiligten Dritten ist der Polizei versperrt. Dies folgt aus dem Umstand, daß das heimliche Filmen oder Abhören eines Dritten, auch wenn es der Erhebung personenbezogener Daten über den potentiellen Straftäter dient, regelmäßig zugleich eine gezielte Erhebung personenbezogener Daten des Dritten selbst darstellen würde (vgl. zum Begriff der personenbezogenen Daten oben D.I.l.b.aa.(5)). Dies aber ist, wie sich aus § 33 Abs. 1 BbgPolG ergibt, unzulässig. Vor dem Hintergrund des § 29 Abs. 3 BbgPolG stellt sich § 33 Abs. 1 BbgPolG als Spezialregelung für die verdeckte Datenerhebung dar. Demzufolge dürfen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten personenbezogene Daten über einen anderen als den potentiellen Straftäter gezielt nur über die in Satz 1 Ziffer 3 der Vorschrift genannten Kontakt- oder Begleitpersonen erhoben werden. Unbeteiligte Dritte dürfen zufolge Satz 2 der Vorschrift nur miterfaßt werden, soweit es zur Durchführung einer gegen den potenLVerfGE 10

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tiellen Straftäter oder seine Kontakt- oder Begleitperson gerichteten Datenerhebung erforderlich ist. Die gezielte heimliche Inanspruchnahme Dritter ist danach ausgeschlossen. Der Polizei verbleibt insoweit nur die offene Datenerhebung (§ 29 Abs. 3 BbgPolG). (e) Ferner hat der Gesetzgeber — auch dies ist für die Frage der Angemessenheit von Bedeutung — den verdeckten Einsatz technischer Mittel von weiteren materiell-rechtlichen Voraussetzungen abhängig gemacht, die den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begrenzen. So ist zufolge § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG ein Handeln der Polizei nur zulässig, wenn es zur Gefahrenabwehr „erforderlich" ist, wenn also der Polizei außer der heimlichen Datenerhebung kein anderes, gleich wirksames Mittel verbleibt, um die Gefahr zu verhindern. Weiter ist bereits durch § 29 Abs. 3 BbgPolG klargestellt, daß Daten von der Polizei vorrangig offen zu erheben sind und sich die heimliche Datengewinnung demgegenüber als Ausnahmefall darstellt. Der Umfang der zu gewinnenden Daten wird zusätzlich durch § 29 Abs. 5 BbgPolG eingeschränkt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist die Erhebung zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken unzulässig. Eine Datenerhebung „auf Vorrat", wie dies die Antragsteller befürchten, ist danach ausgeschlossen. Außerdem dürfen nach Satz 2 der genannten Vorschrift grundsätzlich nur gefahren- oder tatbezogene Merkmale erfaßt werden, also nicht pauschal alle Lebensumstände eines Bürgers ausgeforscht werden. Damit ist ausgeschlossen, daß der von einer Datenerhebung Betroffene in Situationen überwacht wird, die ohne erkennbaren Bezug zu der beabsichtigten Straftat ausschließlich seine Intim- oder Privatsphäre betreffen. Allen diesen Regelungen kann nicht mit Fug entgegenhalten werden, nur eine „wortreiche Scheintatbestandlichkeit" zu entfalten, ohne die einmal eröffneten Eingriffsbefugnisse der Polizei tatsächlich wirksam zu begrenzen (so aber in ähnlichem Zusammenhang Denninger, a.a.O., S. 207; vgl. auch Kutscha, NJ 1994, 545, 548). Zwar sind, so sich der Gesetzgeber zu einer Eingriffsermächtigung der hier in Rede stehenden Art entschließt, seine Möglichkeiten, die damit eröffneten Grundrechtseingriffe normativ auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen, vergleichsweise gering. Gleichwohl sind die hier vorgesehenen materiell-rechtlichen Absicherungen nicht untauglich. Sie führen den Entscheidungsträgern jeweils den Ausnahmecharakter und die erhebliche Eingriffsintensität einer heimlichen Datenerhebung vor Augen. Sie tragen in diesem Sinne dazu bei, von der Eingriffsmöglichkeit nur restriktiv Gebrauch zu machen. (f) Angesichts der aufgezeigten materiell-rechtlichen Absicherungen läßt § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG — bei wertender Betrachtung der zugrundeliegenden Situation - auch den zufolge Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV unantastbaren Wesensgehalt des Grundrechts unberührt. Dabei mag dahinstehen, ob dieser LVerfGE 10

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Wesensgehalt eine absolute Grenze der Einschränkbarkeit beschreibt, die dem — ebenfalls unantastbaren (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 LV) - Menschenwürdegehalt des Grundrechts entspricht, oder über ihn hinausgreift (vgl. hierzu einerseits etwa Mauna^ in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19, Rdn. 2 ff.; Schul^e-Fielitin: Dreier, Grundgesetz, Band 1,1996, Art. 19, Rdn. 11 ff.; andererseits etwa Krüger, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 19 Rdn. 27 ff.; vgl. auch BVerfGE 32, 373, 378). Selbst wenn man in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV eine dem Menschenwürdegehalt vorgelagerte, jedweder Abwägung entzogene Schranke sieht, wird diese durch § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nicht überschritten. Die Vorschrift erlaubt Eingriffe nur für besonders gelagerte Fälle und nur unter bestimmten — engen - Voraussetzungen. Auch angesichts des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG braucht niemand damit zu rechnen, ohne hinreichenden Anlaß vom Staat belauscht oder heimlich gefilmt zu werden. Der private Lebensbereich von Bürgern, die sich innerhalb des Schutzbereichs ihrer Grundrechte bewegen und deshalb grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, nicht Objekt heimlicher Überwachung durch den Staat zu werden, bleibt, wo nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG gegeben sind, unberührt. Soweit nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG im Ausnahmefall ein Eingriff zulässig ist, ist dieser, wie dargestellt, an enge Voraussetzungen gebunden, die letztlich darauf hinauslaufen, daß faßbare Anhaltspunkte für eine schwere sich anbahnende Straftat im Sinne von § 10 Abs. 3 BbgPolG sprechen und die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Straftat erforderlich ist. Diese Voraussetzungen geben dem grundrechtsbeeinträchtigenden Eingriff Maß und Ziel. Außerhalb dieser Voraussetzungen kommt das Grundrecht dem Betroffenen weiter zugute. Unter diesen Umständen bleibt der Wesensgehalt des Grundrechts erhalten. (3) Das BbgPolG genügt den verfahrensrechtlichen Anforderungen, die das Grundrecht aus Art. 11 LV an einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel stellt. Art. 11 LV wirkt sich nicht nur auf die Ausgestaltung des materiellen Rechts aus, sondern setzt (wie alle Grundrechte) zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung (BVerfGE 65, 1, 44f.; 69, 315, 355). Prozeduraler Grundrechtsschutz ist insbesondere dort geboten, wo eine Ergebniskontrolle an materiellen Maßstäben zwar noch denkbar ist, aber erst zu einem Zeitpunkt stattfinden kann, in dem etwaige Grundrechtsverletzungen nicht mehr korrigierbar sind (BVerfGE 90, 60, 96). Den Anforderungen an das Verfahren kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu, wenn der Staat — wie hier — heimlich in Grundrechte eingreift. Die herkömmlichen Schutzmechanismen, etwa die vorherige Anhörung und die Möglichkeit vorbeugenden oder zumindest gleichzeitigen Rechtsschutzes, greifen LVerfGE 10

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in diesem Fall nicht. Daher bedarf es besonderer verfahrensmäßiger Vorkehrungen, um einen angemessenen Grundrechtsschutz sicherzustellen. Auch insoweit kommt dem Gesetzgeber freilich Gestaltungsspielraum zu, bei dem nicht nur die Interessen des Betroffenen, sondern auch schutzwürdige Rechtspositionen Dritter und öffentliche Belange Berücksichtigung finden können. Der Gesetzgeber muß jedoch dem verfassungsrechtlich zu fordernden Mindestmaß an Grundrechtsschutz genügen (vgl. VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 366 ff.). Das ist hier der Fall. Der Gesetzgeber hat ausreichende Vorkehrungen zum Grundrechtsschutz getroffen. (a) Die Kompetenz zur Anordnung von Eingriffen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG hat der Gesetzgeber auf Stellen übertragen, die Distanz zu der Polizeiaktion haben und hinreichende Gewähr für die unvoreingenommene Berücksichtigung der Belange des Betroffenen bieten. Nach § 33 Abs. 2 BbgPolG darf die Entscheidung über einen Eingriff, solange er die Dauer eines Monats nicht übersteigt, nur von dem Behördenleiter angeordnet werden. Dies sind im Land Brandenburg die Präsidenten der 5 Polizeipräsidien, der Präsident der Wasserschutzpolizei und der Leiter des Landeskriminalamtes (vgl. §§ 1 Abs. 1 Polizeiorganisationsgesetz Brandenburg — POG Bbg - i.V.m. § 1 der Verordnung über die Errichtung der Polizeipräsidien des Landes Brandenburg). Diese Amtsträger müssen die Entscheidung jeweils selbst treffen; die Möglichkeit einer Delegierung auf untere Ebenen ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die Entscheidung ist weiter schriftlich zu begründen und zu den Akten zu nehmen. Dauert der Eingriff länger als einen Monat, darf er nur durch den zuständigen Amtsrichter angeordnet werden. Diese Regelung genügt dem verfassungsrechtlich Gebotenen. Durch die Übertragung auf den Behördenleiter verbleibt die Entscheidung bei Einsätzen bis zu einem Monat zwar im Verantwortungsbereich der Polizei. Sie ist jedoch den unmittelbar mit der Sache betrauten Beamten, denen möglicherweise die notwendige Distanz für eine objektive Bewertung fehlt, entzogen und auf eine Ebene gehoben, die in hinreichendem Maße auch die schützenswerten Belange des Betroffenen einzubeziehen geeignet ist. Der ohnehin von Gesetzes wegen bestehenden Pflicht, alle maßgeblichen Interessen in die Erwägungen einzubeziehen, wird durch die Pflicht zur schriftlichen Begründung der Entscheidung zusätzlich Nachdruck verliehen. Gerade die Begründungspflicht zwingt die anordnende Stelle im Hinblick auf eine mögliche spätere gerichtliche Uberprüfung der Maßnahme, die grundrechtlich geschützte Position des Betroffenen ausreichend zu würdigen und eine nachvollziehbare „gerichtsfeste" Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Zwingende Gründe dafür, die Anordnungskompetenz generell — und bereits in dieser Phase (Datenerhebung durch verdeckten Einsatz technischer LVerfGE 10

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Mittel bis zu einem Monat) - auf einen Richter oder eine Behörde mit größerer Distanz als den Behördenleiter (etwa auf den zuständigen Minister, den Datenschutzbeauftragten oder die Staatsanwaltschaft) zu übertragen, sind der Verfassung nicht zu entnehmen. Die Fälle, in denen wegen der Hochrangigkeit des Grundrechts vor dem Eingriff ein Richter zu entscheiden hat, sind in der Landesverfassung jeweils ausdrücklich benannt. Das Grundrecht aus Art. 11 LV enthält einen solchen Richtervorbehalt nicht. Art. 15 Abs. 2 LV (Richtervorbehalt bei Wohnungsdurchsuchungen) ist auf Eingriffe der hier in Rede stehenden Art (= außerhalb der Wohnung) nicht übertragbar. Das heimliche Filmen und Abhören einer Person außerhalb des besonders geschützten Privatbereichs der Wohnung ist von seiner Intensität her mit einem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht zu vergleichen. Auch soweit die Antragsteller in Anlehnung an die bereits erwähnte Entscheidung des VerfGH Sachsen (vgl. LVerfGE 4, 303, 370 ff.) zu bedenken geben, die Anordnungskompetenz dem zuständigen Minister vorzubehalten oder sie in anderer Weise an eine übergeordnete Behörde anzubinden, gibt die Landesverfassung hierfür nichts her. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß die vom VerfGH Sachsen als ungenügend empfundene Regelung der Anordnungskompetenz deutlich hinter der hier zu überprüfenden Regelung zurückbleibt. Nach dem SächsPolG konnte der Behördenleiter die Entscheidung auf einen beauftragten Beamten übertragen und brauchte sie nicht schriftlich zu begründen. Auch ein Richtervorbehalt für länger als einen Monat andauernde Eingriffe war im SächsPolG nicht vorgesehen. Die diesbezüglichen Defizite des SächsPolG wogen nach Auffassung des VerfGH Sachsen um so schwerer als — ebenfalls anders als nach dem BbgPolG (hierzu sogleich unter (b)) keine Unterrichtungspflicht des Betroffenen und damit keine effektive Möglichkeit zumindest nachträglichen Rechtsschutzes bestand. Die brandenburgische Regelung ist somit in mehrfacher Hinsicht grundrechtssensibler und sieht deutlich höhere Schutzvorkehrungen vor. (b) Dem Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung dient weiter die Benachrichtigungspflicht nach § 33 Abs. 7 BbgPolG. Danach sind Personen, gegen die sich die Datenerhebung richtete, hier also die potentiellen Straftäter, nach Abschluß der Maßnahme grundsätzlich zu unterrichten, sobald dies ohne Gefahrdung des Zwecks der Datenerhebung erfolgen kann. Insoweit genügt das BbgPolG Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV, wonach jede Erhebung personenbezogener Daten dem Berechtigten zur Kenntnis zu geben ist, sobald der Zweck der Erhebung dies zuläßt. Gerade der Benachrichtigungspflicht kommt eine erhebliche grundrechtssichernde Bedeutung zu. Die Unterrichtung versetzt den Betroffenen in die Lage, sein Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht aus § 71 BbgPolG auszuüben und zumindest nachträglichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Daß der Polizeieinsatz in dieser Weise, wenn auch erst nach seiner Beendigung, LVerfGE 10

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öffentlich gemacht werden muß und damit überprüfbar wird, entfaltet in wirksamer — gegebenenfalls prohibitiver — Weise eine eingriffsbegrenzende Vorwirkung auf Anordnung und Durchführung der Maßnahme. Es liegt auf der Hand, daß die jederzeit mögliche nachfolgende öffentliche Kontrolle in besonderer Weise geeignet ist, die Entscheidungsträger zur Beachtung der rechtsstaatlichen Grenzen der Ermächtigungsgrundlage anzuhalten. (c) Zusätzlichen Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung bietet die Eingriffsnorm des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG, indem das Gesetz — dem Zweckbindungsgebot des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 LV genügend - sowohl die Erhebung (§ 29 Abs. 5 BbgPolG) als auch die weitere Speicherung, Veränderung, Nutzung und Übermittlung (§§ 38, 41 Abs. 1 BbgPolG) der gewonnenen Daten grundsätzlich nur zu den Zwecken zuläßt, zu denen die Daten erhoben wurden. Die Löschung der Daten hat spätestens dann zu erfolgen, wenn ihre Speicherung nicht (mehr) zulässig ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG), wobei das Gesetz hierfür regelmäßige Prüfungstermine vorschreibt (§ 37 BbgPolG). Auch diese Vorschriften entfalten bezogen auf die Ermächtigung zur Datenerhebung eingriffsbegrenzende Wirkungen und dienen damit dem Schutz der Grundrechtsposition des Betroffenen. Eine weitergehende Einzelprüfung der Vorschriften über die Datenverarbeitung ist im Rahmen dieses Normenkontrollverfahrens nicht veranlaßt. Die Antragsteller haben sich (abgesehen von § 47 Abs. 5 Ziffer 2 BbgPolG, hierzu unten VII.) nur gegen Befugnisse der Polizei zur Datenerhebung gewandt. Die Vorschriften über den weiteren Umgang der Polizei mit den erhobenen Daten, also die gesamten §§ 37 bis 49 BbgPolG, gewinnen in diesem Zusammenhang nur Bedeutung, soweit sie zu einer verfahrensmäßigen Begrenzung der Eingriffswirkungen beitragen. Ob sie ihrerseits in allen Punkten den an Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu stellenden Anforderungen genügen, wirkt sich auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der von den Antragstellern gezielt zur Uberprüfung gestellten Vorschriften nicht aus. Das Verfassungsgericht sieht nach Lage des Falles keinen Anlaß, die Entscheidung von sich aus auf weitere Bestimmungen des BbgPolG zu erstrecken (vgl. § 41 Satz 2 VerfGGBbg). (d) Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht gehalten, als zusätzliche Grundrechts Sicherung in den hier in Frage stehenden Fällen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG eine speziell diese Fälle betreffende institutionalisierte parlamentarische Kontrolle vorzusehen, wie dies die Antragsteller mit ihrer Forderung nach einer regelmäßigen Berichtspflicht des Innenministers verlangen. Insoweit ist zunächst festzuhalten, daß die Landesverfassung durch das Institut des vom Landtag zu wählenden und ihm berichtspflichtigen Datenschutzbeauftragten bereits eine gewisse parlamentarische Kontrolle zur Wahrung LVerfGE 10

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des Grundrechts aus Art. 11 LV vorsieht (vgl. Art. 74 Abs. 1 LV und §§ 22 ff. des auf Art. 74 Abs. 3 LV gestützten BbgDSG). Die Arbeit unabhängiger Datenschutzbeauftragter soll nicht zuletzt im Interesse eines vorgezogenen Rechtsschutzes durch rechtzeitige Vorkehrungen zum Grundrechtsschutz beitragen (vgl. BVerfGE 65,1, 46). Für eine darüber hinausgehende besondere Überwachung polizeilicher Eingriffe nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG durch das Parlament gibt die Landesverfassung nichts her. In ihr sind diejenigen Grundrechte, bei denen entsprechend ihrer Bedeutung eine besondere parlamentarische Kontrolle in Betracht kommt, jeweils benannt. Das Grundrecht aus Art. 11 LV zählt nicht dazu. Art. 11 LV enthält in Abs. 3 nur die hier nicht einschlägige Pflicht zur parlamentarischen Überwachung des Verfassungsschutzes. Eine parlamentarische Kontrolle erwähnt die Landesverfassung daneben bei Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 16 LV). Auch dort wird sie indes nicht zwingend vorgeschrieben, sondern dem Gesetzgeber nur als ein mögliches Instrument zur Grundrechtssicherung an die Hand gegeben (vgl. Art. 16 Abs. 2 LV: „Eingriffe sind nur aufgrund eines Gesetzes zulässig, das eine parlamentarische Kontrolle vorsehen kann ..."). Wenn bei Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das als gleichermaßen schutzbedürftiger und schutzintensiver Spezialbereich des von Art. 11 LV gewährleisteten (allgemeinen) Datenschutzes verstanden werden kann, dem Gesetzgeber eine besondere parlamentarische Kontrolle nicht vorgeschrieben, sondern nur anheimgestellt wird, so spricht (auch) dies (schon) dagegen, bezogen auf Art. 11 LV eine parlamentarische Kontrolle vorzusehen. Die Notwendigkeit einer institutionalisierten Kontrolle durch das Parlament ergibt sich entgegen den Ausführungen der Antragsteller auch nicht aus der Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 2 Abs. 5 LV). Den Gesetzgeber trifft aufgrund dieser Bindung zwar eine allgemeine Beobachtungs- und gegebenenfalls Korrekturpflicht in bezug auf seine Gesetze (vgl. hierzu bereits Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 18. Juni 1998 - VfGBbg 27/97 - , LVerfGE 8, 97ff.; abgedruckt u.a. in LKV 1998, 395, 408 m.w.N.). Er ist von Verfassungs wegen gehalten, die Auswirkungen seiner Entscheidungen, zumal im Bereich der Grundrechte und der ihn insoweit treffenden Schutzpflichten, im Blick zu behalten und erforderlichenfalls auf Fehlentwicklungen zu reagieren (vgl. BVerfGE 16, 130, 142; 90, 226, 238). Wie der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nachkommt, steht ihm aber grundsätzlich frei. Die Landesverfassung verlangt von ihm nicht, mit jeder Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen zugleich ein förmliches Verfahren zur parlamentarischen Überwachung der Eingriffe zu schaffen. Etwas anderes kommt nur in speziell gelagerten Ausnahmefallen in Betracht, deren Voraussetzungen hier indes nicht gegeben sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung zum LVerfGE 10

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strafrechtlichen Schutz des ungeborenen Lebens (BVerfGE 88,203,310), auf die sich die Antragsteller der Sache nach stützen, ausnahmsweise eine regelmäßige Beobachtungspflicht des Gesetzgebers, etwa durch periodisch zu erstattende Berichte der Regierung, angenommen und dies mit dem hohen Rang des geschützten Rechtsguts, der Art seiner Gefährdung und dem gegenwärtigen Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Anschauungen in diesem Bereich begründet. Diese Erwägungen sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar (insoweit anders — allerdings vor dem Hintergrund größerer tatbestandlicher Unbestimmheit und geringerer Verfahrenssicherungen — VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 374). Die Pflicht zum Schutz des - auch noch nicht geborenen — Lebens ist eine elementare Grundlage der Verfassungsordnung. Ihre Bedeutung ist, ohne daß dies den Gehalt des Grundrechts aus Art. 11 LV mindert, nicht gleichzusetzen mit der Vorgabe für den Gesetzgeber, Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur im überwiegenden Allgemeininteresse zuzulassen. Es verbleibt deshalb im Bereich des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG bei der allgemeinen verfassungsrechtlichen Pflicht des Gesetzgebers zur Beachtung der Auswirkungen des BbgPolG. (4) In der Gesamtabwägung erscheinen nach alledem die mit § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG eröffneten Eingriffsbefugnisse zum Schutz der Allgemeinheit vor schwerer Kriminalität noch angemessen. Damit ist freilich nur entschieden, daß die Eingriffsbefugnis als solche nicht unangemessen und ihre Normierung dem Gesetzgeber deshalb nicht generell verwehrt war. Ob und in welcher Weise von dem Instrument Gebrauch gemacht wird, muß von der anordnenden Stelle im Einzelfall im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens entschieden werden. Dabei muß jeweils geprüft werden, ob der geplante Eingriff den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 LV, § 3 BbgPolG). Gegebenenfalls muß trotz des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen von einem Eingriff abgesehen werden, wenn er im konkreten Fall in keinem angemessenen Verhältnis zu der möglichen Gefahr steht. 2. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG eröffnet keine verfassungswidrigen Eingriffe in besonders geschützte Vertrauensverhältnisse. a. Die Landesverfassung schützt eine Reihe von besonderen Vertrauensverhältnissen, deren Funktionsfähigkeit Amts- und Berufsgeheimnisse voraussetzt. So umfaßt das Recht auf ungestörte Religionsausübung aus Art. 13 Abs. 1 LV den Schutz des Beichtgeheimnisses. Die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 49 Abs. 1 LV umfaßt namentlich für die beratenden und die Heilberufe den Schutz des Berufsgeheimnisses. Die Pressefreiheit aus Art. 19 Abs. 2 LV bzw. das Recht auf ungehinderte journalistische Tätigkeit aus Art. 19 Abs. 5 LV beinhalten den Schutz des Redaktionsgeheimnisses (einschließlich des Quellenschutzes). LVerfGE 10

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Daneben schützt die Verfassung vertrauliche Angaben gegenüber Abgeordneten (Art. 59 LV). b. Eingriffe in diese Vertrauensverhältnisse bedürfen eines Gesetzes, das Ausmaß und Grenzen möglicher Beeinträchtigungen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips festlegt (Gesetzesvorbehalt). Auch in diesem Zusammenhang ist freilich zu berücksichtigen, daß von dem Gesetzgeber keine normativen Detailregelungen verlangt werden können. Der Gesetzgeber ist, wie bereits erwähnt, von Verfassungs wegen nur im Rahmen des gesetzestechnisch verständigerweise Machbaren zu einer tatbestandlichen Ausdifferenzierung verpflichtet und kann im übrigen auf allgemeine Formulierungen oder unbestimmte Rechtsbegriffe wie z. B. „Erforderlichkeit" des Eingriffs zurückgreifen. Es würde die verfassungsrechtlichen Anforderungen überdehnen, wollte man, wie dies die Antragsteller - wiederum in Anlehnung an den VerfGH Sachsen — fordern, von dem Gesetzgeber Regelungen darüber verlangen, zugunsten welcher Rechtsgüter in welche Vertrauensverhältnisse unter welchen Voraussetzungen im einzelnen eingegriffen werden darf und wo jeweils die Grenze eines solchen Eingriffs liegt (vgl. hierzu VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 364 ff.). Dies wäre kaum umsetzbar bzw. mit der Gefahr von Unübersichtlichkeit und Uberdetailliertheit verbunden (in diesem Sinne auch Schenke, DVB1. 1996, 1393, 1398; dem VerfGH Sachsen zustimmend dagegen Paeffgen, NJ 1996, 454, 461). Eine dahingehende Pflicht des Gesetzgebers läßt sich aus der Landesverfassung nicht ableiten. Es muß genügen, daß sich der Gesetzgeber der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Vertrauensverhältnisse bewußt gewesen ist und eine — gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnde — Regelung getroffen hat, die die widerstreitenden Verfassungsbelange zu einem angemessenen Ausgleich bringt. c. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG genügt diesen Vorgaben. Dem Gesetzgeber war die Problematik bewußt. Die Nichterwähnung der geschützten Vertrauensverhältnisse im Gesetz bedeutet nicht, daß der Gesetzgeber das Problem nicht gesehen hat. Daß ihm die Schutzbedürftigkeit dieser Vertrauensverhältnisse bewußt gewesen ist, zeigt die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, wo im Zusammenhang mit dem Begriff der Kontakt- oder Begleitpersonen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG (dazu unten) auf den verfassungsrechtlichen Schutz dieser Vertrauensverhältnisse hingewiesen und betont wird, daß dieser Schutz zurückzutreten habe, wenn der Betreffende selbst als Täter in Betracht komme, also in den Fällen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG (vgl. LT-Drs. 2/1235, S. 85). Dem ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht widersprochen worden. Dem ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnissen bewußt eine Regelung des Inhalts getroffen hat, daß Eingriffe nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG auch bei Angehörigen von Vertrauensschutz genießenden LVerfGE 10

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Berufen, sofern sie selbst aufgrund konkreter Tatsachen als potentielle Straftäter in Betracht kommen, nicht ausgeschlossen, sondern unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG grundsätzlich möglich sind. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Verfassung schützt die erwähnten Vertrauensverhältnisse nicht absolut, sondern ermöglicht eine Abwägung mit gegenläufigen Verfassungsbelangen (insoweit übereinstimmend VerfGH Sachsen, a.a.O., S. 366; Paeffgen, a.a.O., S. 461; Schenke, a.a.O., S. 1397). Die mit § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG bezweckte vorbeugende Bekämpfung schwerer und schwerster Kriminalität ist eine staatliche Aufgabe von Verfassungsrang (s.o.). Sie steht der Schutzwürdigkeit der genannten Vertrauensverhältnisse jedenfalls dann nicht nach, wenn der durch die Verfassung geschützte Geheimnisträger selbst eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen will bzw. wenn Tatsachen für die Annahme sprechen, daß er dies will. In einer solchen Situation kann ein Eingriff in das Vertrauensverhältnis zugunsten der Verhinderung der Straftat je nach Lage des Falles verhältnismäßig sein. Wer als Träger eines Amts- oder Berufsgeheimnisses eine Straftat von erheblichem Gewicht begehen will, ist nicht per se schutzwürdiger als andere potentielle Täter. Der Gesetzgeber war deshalb von Verfassungs wegen nicht gehindert, der Polizei in einer solchen Situation die Möglichkeit eines Eingriffs in besondere Vertrauensverhältnisse an die Hand zu geben. Dies besagt allerdings noch nichts über die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme im Einzelfall. Der Behördenleiter und gegebenenfalls der Amtsrichter müssen bei jeder Anordnung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips prüfen, ob die vorliegenden Tatsachen und die Schwere der drohenden Straftat den konkret beabsichtigten Eingriff rechtfertigen. Im übrigen sind die so gewonnenen Daten, wenn sich der Verdacht der Begehung einer Straftat nicht bestätigt, nach Maßgabe der §§ 37 Abs. 1 Satz 1, 39 Abs. 1, 47 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 und 3 BbgPolG zu löschen. Unter diesen Bedingungen ist die Eröffnung einer Eingriffsmöglichkeit in geschützte Vertrauensverhältnisse verfassungsrechtlich hinzunehmen. 3. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG verstößt nicht gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 6 Abs. 1 LV. a. Gem. Art. 6 Abs. 1 LV ist gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt der Rechtsweg eröffnet. Dies beinhaltet das Recht des Einzelnen, staatliche Eingriffe grundsätzlich nicht ohne fachgerichtliche Uberprüfung tragen zu müssen (vgl. BVerfGE 96, 27, 39). Zur Effizienz einer solchen Uberprüfung gehört grundsätzlich, daß sie rechtzeitig, d.h. zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Eingriff nicht bereits irreversibel vollzogen ist. Von daher liegt auf der Hand, daß heimliche Grundrechtseingriffe, wie sie durch § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG ermöglicht werden, mit der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes in Konflikt geraten. LVerfGE 10

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b. Art. 6 Abs. 1 LV verbietet allerdings nicht schlechthin Maßnahmen des Staates, die wegen ihres sofortigen oder heimlichen Vollzugs irreparabel sind. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes kann durch Grundrechte Dritter oder vergleichbar hochrangige andere Verfassungsgüter beschränkt werden, soweit es zu deren Schutz erforderlich ist (vgl. Schul%e-Fieli% in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 1996, Art. 19 Abs. 4, Rdn. 106). Rechtsschutzeinbußen können hiernach verfassungsrechtlich zulässig sein, wenn die Geheimhaltung einer Maßnahme der effektiven Wahrnehmung von verfassungsmäßig legitimierten staatlichen Aufgaben dient (BVerfGE 57, 250, 284). So Hegt es hier. Die hier in Frage stehende heimliche Datenerhebung dient der Gefahrenabwehr im Bereich der vorbeugenden Bekämpfung schwerer und schwerster Kriminalität. Wie dargelegt (s. o.), ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit eine staatliche Aufgabe von Verfassungsrang. Sie kann eine Einschränkung des Art. 6 Abs. 1 LV rechtfertigen. Die hier durch § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG erfolgende Beschränkung ist verfassungsrechtlich tragbar. Insbesondere wahrt sie das Maß des Erforderlichen. Indem das BbgPolG eine Benachrichtigungspflicht nach Abschluß der Maßnahme vorsieht (vgl. § 33 Abs. 7 BbgPolG), wird wenigstens nachträglich eine gerichtliche Uberprüfung ermöglicht und damit die Gewährung von Rechtsschutz nicht illusorisch: Der Betroffene kann den polizeilichen Eingriff im nachhinein vor dem Verwaltungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen lassen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung — V w G O - ; siehe hierzu und zum Feststellungsinteresse: Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 10. Aufl. 1997, §113 Rdn. 72 u. 93). Auch in diesem Zusammenhang gewinnt Bedeutung, daß der Behördenleiter die Anordnung der Maßnahme gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 BbgPolG schriftlich begründen muß. Die Begründung versetzt das Verwaltungsgericht in die Lage, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme an den seinerzeitigen Erkenntnissen und Abwägungen der Polizei zu messen und dient damit (auch) der Gewährung des Rechtsschutzes des Betroffenen. Gegebenenfalls erreicht der Betroffene die gerichtliche Feststellung, daß die Datenerhebung rechtswidrig gewesen ist. Wenn die Daten zu diesem Zeitpunkt noch gespeichert sein sollten, begründet das verwaltungsgerichtliche Urteil eine Pflicht zur Löschung (vgl. §§ 39 Abs. 1 Satz 1, 47 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 und Satz 2 BbgPolG). Mit diesen Vorkehrungen erweist sich die Beschränkung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 LV als noch verfassungsgemäß. 4. Gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 7 Abs. 1, 10 LV stellt sich der Schutz der persönlichen Daten, wie er durch Art. 11 LV gewährleistet wird, für die hier in Rede stehenden Einschränkungen als das speziellere Grundrecht dar (vgl. BVerfGE 65, 1, 41 ff.; Breidenbach/Kneifel-Haverkamp, Informationsverfassung, Rdn. 5, in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994). Für eine verfassungsgerichtliche LVerfGE 10

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Überprüfung unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bleibt deshalb kein Raum. II. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG ist mit den aus dem Tenor ersichtlichen Maßgaben (dort Ziffer 1) mit der Landesverfassung vereinbar. Die Vorschrift ermöglicht den verdeckten Einsatz technischer Mittel gegen sog. Kontakt- oder Begleitpersonen eines potentiellen Straftäters, wenn die Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung (im Sinne von § 10 Abs. 3 BbgPolG) unerläßlich ist. Im Grundsatz gelten insoweit die Ausführungen zur Verfassungsmäßigkeit des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG entsprechend (siehe hierzu oben unter D.I.). Besonderheiten ergeben sich zur Frage der Vereinbarkeit mit Art. 11 LV (dazu im folgenden 1.) und im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Vertrauensverhältnissen (dazu unten 2.). 1. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG genügt den Anforderungen, die zufolge Art. 11 Abs. 2 LV an eine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu stellen sind (siehe allg. zu diesen Voraussetzungen oben D.I.l.b.). Die Norm genügt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot (dazu a.), wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dazu b.) und unterliegt hinreichenden verfahrensrechtlichen Absicherungen (dazu c.). a. Der Begriff der Kontakt- oder Begleitpersonen i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG ist bei verfassungskonformer Auslegung hinreichend bestimmt. Das BbgPolG enthält anders als Polizeigesetze anderer Bundesländer keine Legaldefinition des Begriffs, so daß seine Bedeutung durch Auslegung zu ermitteln ist. Insoweit ist den Antragstellern zuzugestehen, daß der Begriff für sich betrachtet jede Person erfassen könnte, die — aus welchen Gründen auch immer — in „Kontakt" zu einem potentiellen Straftäter steht oder ihn „begleitet". Schon mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift — vorbeugende Bekämpfung von Straftaten — verengt sich der Kreis der Betroffenen jedoch auf solche Personen, zu denen der potentielle Straftäter gerade in bezug auf die drohende Straftat Verbindung hat oder aufnimmt. Nur dann können Datenerhebungen bei ihnen zur Verhinderung der Straftat beitragen. Bestätigt findet sich dies in § 29 Abs. 5 Satz 2 BbgPolG, wonach Datenerhebungen über nicht gefahren- oder tatbezogene Merkmale grundsätzlich unzulässig sind. Jedenfalls aber im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der eine Überwachung jedes beliebigen Dritten im Umfeld des potentiellen Täters nicht zuläßt, muß der Begriff der Kontakt- oder Begleitpersonen von Verfassungs wegen restriktiv ausgelegt werden. Erfaßt werden danach als Kontakt- oder Begleitpersonen nur Personen LVerfGE 10

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mit strafrechtsrelevanten Beziehungen zum Störungsverdächtigen, also mögliche Auftraggeber, Helfer oder andere Personen, die in sonstiger Weise bei der Planung, Durchführung oder späteren Verwertung der Tatvorteile oder zum Schutz des Täters eine Rolle spielen können, sei es durch bewußte Unterstützung oder dadurch, daß sie ohne ihr Wissen vom potentiellen Täter für seine Zwecke benutzt werden. Kontakt- oder Begleitpersonen sind in diesem Sinne nur diejenigen, bei denen konkrete Tatsachen für einen objektiven Tatbezug sprechen. Ein in anderem Kontext erfolgendes Zusammentreffen mit dem potentiellen Täter kann dagegen nicht den gezielten Einsatz technischer Mittel rechtfertigen. Für Befürchtungen der Antragsteller derart, daß schon die zufällige und auf den zufälligen Kontakt beschränkt bleibende Begegnung etwa an einem Bankschalter oder in einer Gaststätte zur gezielten Datenerhebung ausreiche (in diesem Sinne wohl auch Kutscha, NJ 1994, 545, 548; vgl. auch Bäumler, in: Lisken/Denninger a.a.O., Rdn. 571 ff.), besteht bei dieser Auslegung kein Anlaß. b. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 11 LV gilt im Grundsatz das zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG Gesagte (s. oben D.I.l.b.bb.). Ein zusätzliches Problem ergibt sich indes daraus, daß § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG durch die Ausdehnung des Kreises möglicher Betroffener auf Kontakt- oder Begleitpersonen neben potentiellen Straftätern auch andere Bürger in ihrem Grundrecht beeinträchtigen kann. Im Vergleich zu den Anforderungen an die heimliche Ausforschung eines potentiellen Täters werden die Anhaltspunkte für einen Tatbezug bei Personen, zu denen er im Vorfeld der in Frage stehenden Straftat Verbindung hat, vielfach weniger konkret und greifbar sein. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich der polizeiliche Einsatz damit (weiter) von der zu bekämpfenden Gefahr weg in einen im gewissen Sinne diffusen Bereich hinein verlagert, der durch den Einsatz der technischen Mittel gegebenenfalls erst „aufgehellt" wird. Hier offenbart sich in besonderer Weise ein grundsätzliches Problem polizeilicher Betätigung auf dem Gebiet der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten: Rechtzeitige und effektive Gefahrenabwehr setzt notwendigerweise entsprechende Information voraus; die Informationsgewinnung ihrerseits ist aber tatbestandlich an das Vorliegen einer konkreten Gefahr geknüpft. In einer solchen Situation wahrt die Eingriffsermächtigung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur, wenn soweit als möglich sichergestellt ist, daß die konkrete Maßnahme erst ab einer bestimmten Eingriffsschwelle zulässig ist und auch dann erst in Betracht kommt, wenn sie zur Gefahrenabwehr unverzichtbar ist. Diesen Voraussetzungen genügt § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG. aa. Zum einen greifen hier dieselben Eingriffsbeschränkungen wie bei § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG (s. dazu oben D.I.l.b.bb.(2)(e)), wie sich daraus ergibt, daß es sich um Kontakt- oder Begleitpersonen eben derjenigen Personen LVerfGE 10

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handeln muß, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wollen („deren Kontakt- oder Begleitpersonen"). Dem ist zu entnehmen, daß Eingriffe nach Ziffer 3 gegenüber Kontakt- oder Begleitpersonen nur unter den Voraussetzungen der Ziffer 2 zulässig sind, also dann, wenn konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine bestimmte (andere) Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen will. Darüber hinaus gilt auch hier die normative Begrenzung des § 29 Abs. 5 BbgPolG, wonach grundsätzlich nur gefahren- oder tatbezogene Merkmale erhoben werden dürfen. Weiter gilt — dies als ergänzende Erwägung — auch für § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG, daß ein Eingriff entsprechend der allgemeinen Vorgabe des § 1 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BbgPolG von vornherein nur im Rahmen der Gefahrenabwehr erfolgen darf, also nur dann, wenn faßbare Anhaltspunkte dafür bestehen, daß ein Schaden für die öffentliche Sicherheit droht (hier: die Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung), der nur noch durch den Einsatz technischer Mittel gegen eine Kontakt- oder Begleitperson verhindert werden kann. Damit ist eine hinreichend hohe Eingriffsschwelle bezeichnet. bb. Der verdeckte Einsatz technischer Mittel gegen Kontakt- oder Begleitpersonen ist zufolge § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG nur zulässig, wenn dies zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung „unerläßlich" ist. Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß der verdeckte Einsatz technischer Mittel gegen Kontakt- oder Begleitpersonen im Vergleich zu Maßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG noch erhöhten Anforderungen genügen muß. Maßnahmen gemäß Ziffer 3 sind nur zulässig, wenn der Polizei die heimliche Datenerhebung bei Kontakt- oder Begleitpersonen als letzte Möglichkeit verbleibt, um drohende schwere und schwerste Straftaten vorbeugend zu bekämpfen. Dies bedeutet, daß der anordnende Polizeipräsident erst dann zu dem Mittel des § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG greifen darf, wenn jedes andere polizeiliche Instrument einschließlich der heimlichen Datenerhebung bei dem potentiellen Straftäter selbst keinen Erfolg verspricht. c. Die Eingriffe gegen Kontakt- oder Begleitpersonen unterliegen angemessenen verfahrensrechtlichen Absicherungen. Sie können, ebenso wie Eingriffe gegen potentielle Straftäter selbst, nur durch den Behördenleiter angeordnet werden, wobei in jedem Fall eine schriftliche Begründung zu den Akten zu nehmen ist; bei Maßnahmen von über einem Monat bedarf es der Anordnung durch den Richter (§ 33 Abs. 2 BbgPolG). Auch Kontakt- oder Begleitpersonen sind nach Abschluß der Maßnahme gem. § 33 Abs. 7 BbgPolG über die Datenerhebung zu unterrichten. Über diese auch für Eingriffe gegen potentielle Straftäter geltenden Verfahrensvorkehrungen hinaus enthält das BbgPolG besondere Bestimmungen über die weitere Verwendung der bei Kontakt- oder LVerfGE 10

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Begleitpersonen erhobenen Daten. Sie dürfen nur zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung gespeichert werden und müssen grundsätzlich nach einem Jahr gelöscht werden (§ 39 Abs. 4 BbgPolG). Dies wirkt sich als zusätzliche verfahrensrechtliche Beschränkung der durch § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG eröffneten Eingriffsbefugnis aus. Jedenfalls in der Gesamtschau ist den Anforderungen an eine prozedurale Absicherung des Grundrechtsschutzes Genüge getan. 2. § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG kollidiert nicht mit verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnissen. Die Vorschrift läßt, soweit der Schutz derartiger Vertrauensverhältnisse reicht, keine Eingriffe gegen Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen zu. Zwar enthält die Vorschrift insoweit keine ausdrückliche Beschränkung. Bereits ihre Entstehungsgeschichte deutet jedoch darauf hin, daß sie in diesem Sinne zu verstehen ist. In den Gesetzesmaterialien heißt es insoweit (LT-Drs. 2/1235, S. 85): „Bei der Auslegung des Begriffes der Kontakt- und Begleitpersonen sind die verfassungsrechtlichen Besonderheiten, die für den Schutz bestimmter Vertrauensverhältnisse von berufsbezogenen Geheimnisträgern gelten, zu beachten. So verbietet der verfassungsrechtliche Schutz des Verhältnisses des Verteidigers zu seinem Mandanten oder des Arztes zu seinem Patienten, daß der Begriff Kontakt- und Begleitpersonen diese Berufsgruppen in ihrer beruflichen Eigenschaft erfaßt. Allerdings gilt dies nur soweit, als z. B. der Verteidiger nicht selbst als möglicher Täter zukünftiger Straftaten in Betracht kommt."

Jedenfalls aber mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Bedeutung der in Rede stehenden Vertrauensverhältnisse ist ihr verfassungsrechtlicher Schutz, wie er durch die Berufsfreiheit und die weiteren verfassungsrechtlichen Gewährleistungen garantiert wird (s. oben D.I.2.a.), generell höher zu bewerten als das Interesse des Staates, Amts- und Berufsgeheimnisträger zu überwachen, die nicht selbst als potentielle Täter in Betracht kommen (vgl. VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 366). In dieser Auslegung und mit dieser Maßgabe ist die angegriffene Norm mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der genannten Vertrauensverhältnisse vereinbar. III. § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG, wonach personenbezogene Daten auch über andere Personen erhoben werden dürfen, soweit dies erforderlich ist, um eine Datenerhebung nach Satz 1 durchführen zu können, ist mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe (dort Ziffer 2) mit der Landesverfassung vereinbar. Auch hier gilt im Grundsatz das zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG Gesagte entsprechend: Es muß jeweils eine nach dieser Regelung bzw. nach § 33 Abs. 1 LVerfGE 10

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Satz 1 Ziffer 3 BbgPolG zulässige Maßnahme zugrundeliegen. Die mit § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG erfolgende Erstreckung der Datenerhebung auf unbeteiligte Dritte stellt sich als noch verhältnismäßige Beschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dar (dazu 1.), wobei es allerdings mit Blick auf Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV einer verfassungskonformen Auslegung zur Benachrichtigungspflicht des Betroffenen bedarf (dazu 2.). 1. Die Erhebung personenbezogener Daten über unbeteiligte Dritte ist ein Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 11 Abs. 1 LV. Er ist jedoch unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG — vorbehaltlich der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe — durch Art. 11 Abs. 2 LV gedeckt. Die Regelung dient der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und damit dem Gemeinwohlinteresse. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG trägt dem Umstand Rechnung, daß bei einer Datenerhebung gegen den potentiellen Straftäter oder gegen eine Kontakt- oder Begleitperson je nach Fallgestaltung möglicherweise auch unbeteiligte Dritte mit erfaßt werden. Wenn etwa ein potentieller Straftäter bei einem Treffen mit einer Kontaktperson auf offener Straße gefilmt wird, wird es sich vielfach nicht vermeiden lassen, daß dabei andere Personen mit ins Bild geraten. Ohne eine entsprechende Regelung wäre daher eine Datenerhebung in einer solchen Situation praktisch kaum durchführbar. „Andere Personen" i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG sind dabei Dritte, gegen die die Datenerhebung nicht gezielt gerichtet ist, die also unbeabsichtigt erfaßt werden. Dies folgt aus dem Regelungszusammenhang zu Satz 1 der Vorschrift, der abschließend diejenigen nennt, gegen die eine Maßnahme gezielt eingesetzt werden darf (s. oben D.I.l.b.bb.(2)(d)). Um die Folgen des Eingriffs auf das Notwendige zu beschränken, verbietet das BbgPolG eine Speicherung der so gewonnenen Daten um ihrer selbst willen. Für einen Spezialfall folgt dies ausdrücklich aus § 33 Abs. 8 BbgPolG. Danach sind Aufzeichnungen eines selbsttätigen Aufzeichnungsgeräts, die ausschließlich Personen betreffen, gegen die sich die Datenerhebung nicht richtete, unverzüglich zu vernichten, es sei denn, sie werden zur Verfolgung von Straftaten benötigt. Im übrigen folgt die Löschungspflicht aus den allgemeinen Regelungen über die Datenspeicherung. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG ist die Dauer der Speicherung auf das notwendige Maß zu beschränken. Zufolge § 38 Abs. 1 BbgPolG darf eine Speicherung, Veränderung und Nutzung der Daten grundsätzlich nur zu dem Zweck erfolgen, zu dem die Daten erlangt worden sind; eine Speicherung zu einem anderen Zweck ist nur zulässig, wenn die Daten auch zu diesem Zweck erhoben werden dürfen. Unzulässig gespeicherte Daten sind gem. § 47 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2, Satz 2 BbgPolG zu löschen. In der Zusammenschau ergeben diese Vorschriften die Pflicht der Polizei, zufällig gewonnene Daten Unbeteiligter zu löschen, sobald der Zweck — hier: Datenerhebung bei der Zielperson — entfallen LVerfGE 10

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ist. Eine Weitemut2ung um ihrer selbst willen ist danach nicht statthaft. Dies bedeutet, daß die Polizei nach der Datenerhebung im Rahmen des technisch Möglichen aufgezeichnete Stimmen oder Bilder von unbeteiligten Dritten löschen muß. Angesichts dieser Sicherungen gegen eine Weiternutzung der zufällig gewonnenen Daten ist die Eingriffsbefugnis gegenüber unbeteiligten Dritten verfassungsrechtlich noch tragbar. 2. § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG genügt bei verfassungskonformer Auslegung auch der Benachrichtigungspflicht des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV. Die Benachrichtigung über eine Datenerhebung mittels technischer Geräte regelt das Gesetz in § 33 Abs. 7 BbgPolG. Danach sind diejenigen zu benachrichtigen, gegen die sich eine solche Datenerhebung richtete, also bezogen auf die vorbeugende Straftatenbekämpfung die potentiellen Straftäter und ihre Kontakt- oder Begleitpersonen. Eine Unterrichtung der zufallig mit erfaßten anderen Personen im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG, um die es hier geht, ist in § 33 Abs. 7 BbgPolG nicht vorgesehen. Daraus läßt sich indes nicht folgern, daß diese Personen nicht zu benachrichtigen seien. Zwar mag die Entstehungsgeschichte der Norm für eine solche Auslegung sprechen. In den Gesetzesmaterialien wird darauf hingewiesen, daß solche Personen in der Regel nicht benachrichtigt werden könnten, weil ihre Personalien nicht bekannt seien (vgl. LT-Drs. 1/1235, S. 87). Ein solches Verständnis des Gesetzes würde indes nicht Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV genügen, wonach jede Erhebung personenbezogener Daten dem Berechtigten zur Kenntnis zu geben ist, sobald der Zweck der Erhebung dies zuläßt. Vor diesem Hintergrund läßt sich das Absehen von einer Benachrichtigung nicht mit bloßen Praktikabilitätserwägungen, sondern ließe sich allein mit gegenläufigen Belangen von Verfassungsrang rechtfertigen, die hier — für das Absehen von einer Benachrichtigung — nicht erkennbar sind. Es ist im übrigen keineswegs so, daß etwa dem zufällig ins Bild geratenen Dritten die ihn betreffende Aufzeichnung zwangsläufig gleichgültig sein wird. Je nach Fallgestaltung kann vielmehr eine solche Aufzeichnung, etwa weil sie den Betreffenden in einem verdächtigen oder anrüchigen Milieu zeigt, durchaus Grundrechtsrelevanz haben. Ein pauschaler Verzicht auf die Benachrichtigung kommt deshalb verfassungsrechtlich nicht in Betracht. Indessen bietet sich als verfassungskonforme Auslegung ein Rückgriff auf die allgemeine Benachrichtigungspflicht in § 29 Abs. 6 BbgPolG an. Hiernach ist der Betroffene, wenn Daten bei ihm und über ihn ohne seine Kenntnis erhoben werden, davon zu benachrichtigen, wenn hierfür nicht in unverhältnismäßiger Weise weitere Daten erhoben werden müßten oder solange bei Minderjährigen erhebliche Nachteile für diese zu besorgen sind. Diese Regelung genügt Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV, indem sie im Interesse des Betroffenen weitere Datenerhebungen zur Identifizierung des bis dahin unbekannten Betroffenen vermeidet. „Betroffener" i. S. der Vorschrift ist LVerfGE 10

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jeder, dessen personenbezogene Daten von der Polizei erhoben worden sind. Einer Anwendung dieser allgemeinen Regelung auf Eingriffe nach § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG stehen Wortsinn und objektiver Gesetzeszweck des § 33 Abs. 7 BbgPolG nicht entgegen. § 33 Abs. 7 BbgPolG kann in dem Sinne verstanden werden, daß die allgemeine Regelung nicht vollständig, sondern nur soweit verdrängt wird, als er die Benachrichtigung ausdrücklich regelt. Im übrigen bleibt Raum für eine Anwendung des § 29 Abs. 6 BbgPolG. IV. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG ist mit der Landesverfassung vereinbar. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei technische Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in oder aus der Wohnung des Betroffenen einsetzen, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person unerläßlich ist. Die Norm stellt sich bezogen auf die Wohnraumüberwachung als Sonderregelung gegenüber den Eingriffsbefugnissen nach § 33 Abs. 1 BbgPolG dar. Während § 33 Abs. 1 BbgPolG mit Blick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung regelt, wessen personenbezogene Daten durch den Einsatz technischer Mittel erhoben und unter welchen Voraussetzungen dies im allgemeinen geschehen darf, normiert § 33 Abs. 3 BbgPolG zusätzliche Bedingungen, unter denen eine solche Datenerhebung in oder aus Wohnungen erfolgen darf. 1. Prüfungsmaßstab für das Landesverfassungsgericht ist insoweit das Landesgrundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, wie es Art. 15 LV gewährleistet. Soweit Art. 13 GG für die Wohnraumüberwachung ein höheres Schutzniveau bietet (dazu a.), wirkt sich dies auf das Landesgrundrecht nicht aus (dazu b.). a. Durch die Grundgesetzänderung vom 26. März 1998 (BGBl. I S. 610) sind Voraussetzungen und Verfahrensanforderungen der Wohnraumüberwachung zur Gefahrenabwehr durch den Einsatz technischer Mittel auf Bundesverfassungsebene im einzelnen geregelt worden (vgl. Art. 13 Abs. 4, 5 und 6 GG). Im Ergebnis dieser Änderung decken sich die Schranken von Bundes- und Landesgrundrecht nicht mehr. Während Art. 15 Abs. 3 LV Eingriffe schon zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuläßt, darf zufolge Art. 13 Abs. 4 GG nur zur Abwehr dringender Gefahren und nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit in das Grundrecht eingegriffen werden. Weiter enthält Art. 13 Abs. 4 GG einen grundsätzlichen Richtervorbehalt und verlangt Art. 13 Abs. 6 GG eine parlamentarische Kontrolle der Eingriffe. Damit hat sich auf Bundesverfassungsebene das Legitimationsniveau in materieller und verLVerfGE 10

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fahrensrechtlicher Hinsicht erhöht (vgl. Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999; Art. 13, Rdn. 46; vgl. auch Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, 9. Aufl. 1999, Art. 13, Rdn. 9). Bei gleichem Schutzbereich und strengeren Anforderungen an Beschränkungen des Grundrechts bietet Art. 13 G G einen weiterreichenden Schutz vor heimlicher Wohnraumüberwachung als das Landesgrundrecht. b. Der weitergehende Grundrechtsschutz durch das Bundesgrundrecht wirkt sich indes — vorbehaltlich einer Gültigkeitskontrolle der angefochtenen (einfach-)landesgesetzlichen Regelung am Maßstab des Art. 31 G G (s. dazu nachfolgend Ziffer 4.) — auf den landesverfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab (Art. 15 LV) nicht aus. Das Verhältnis von Bundes- und Landesgrundrechten bestimmt sich nach Art. 31,142 GG. Zufolge Art. 31 G G bricht Bundesrecht Landesrecht, also auch Landesverfassungsrecht. Bezogen auf die Grundrechte findet dieser Grundsatz seine Ergänzung in Art. 142 GG, wonach ungeachtet der Vorschrift des Art. 31 G G Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft bleiben, als sie in Übereinstimmung mit den Art. 1 bis 18 G G Grundrechte gewährleisten. Dieser Vorgabe entsprechend ist im Falle landesverfassungsrechtlicher Mindergewährleistungen das betreffende Landesgrundrecht nicht etwa gleichsam automatisch um die zusätzlichen Schutzelemente des entsprechenden Bundesgrundrechts zu ergänzen (so aber Dennewit^ DOV 1949,341,342; ähnlich VerfGH Berlin, LVerfGE 1, 56, 60 — Honecker-Beschluß —; kritisch zu dieser sog. Ergänzungslehre insb. Sachs, D Ö V 1985, 469, 473). Die als Vollverfassung angelegte Landesverfassung gibt hierfür nichts her. Auch Art. 2 Abs. 5 Satz 1 LV, wonach die Bestimmungen des Grundgesetzes denen der Landesverfassung vorgehen, zielt nach seiner Entstehungsgeschichte nicht auf eine solche Auffüllung von Landesverfassungs- durch Bundesverfassungsrecht. Nach seiner Entstehungsgeschichte bezweckt Art. 2 Abs. 5 Satz 1 LV vielmehr lediglich einen klarstellenden Hinweis auf die gegebene Normhierachie (vgl. aus den Verfassungsmaterialien Protokoll VA II/3, S. 6, 7 und LT-Drs. 1/877 S. 75). Vielmehr bleibt auch ein hinter dem Schutzumfang des Bundesgrundrechts zurückbleibendes Landesgrundrecht als solches und soweit es deckungsgleich ist, in Kraft. Die von Art. 142 G G geforderte Ubereinstimmung zwischen Bundesund Landesgrundrecht verlangt gerade nicht identische Regelungen. Ein Landesgrundrecht, das hinter dem entsprechenden Bundesgrundrecht zurückbleibt, hat deshalb Bestand, soweit und solange es sich — wie hier — einem weitergehenden Schutz auf Bundesverfassungsebene nicht versperrt (vgl. etwa Dreier, in: ders., Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 31, Rdn. 52; Huber, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 142, Rdn. 10; Franke, Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder, in: Däubler-Gmelin/Kinkel/Meyer/Simon, Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994, S. 923, 930f.; Pietvgker, Zuständigkeitsordnung und KollisionsLVerfGE 10

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recht im Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 1990, § 99, Rdn. 45 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 142, Rdn. 3; s. auch BVerfGE 96, 345, 365; anders etwa v.Münch, in: ders./ Kunig, Grundgesetz, Band 3, 3. Aufl. 1996, Art. 142, Rdn. 9; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, 1994, § 93 VL3.c.y.; v.Campenbausen, in: v. Mangold/Klein, Grundgesetz, Band 14, 3. Aufl. 1991, Art. 142, Rdn. 9). Allein eine solche Parallelgeltung von Bundes- und Landesgrundrechten entspricht dem Gedanken der getrennten Verfassungsräume von Bund und Ländern (vgl. BVerfGE 36, 342, 357; s. auch BVerfGE 69, 112, 118) und dem Respekt vor eigenständigen Landesverfassungen, wie er in Art. 142 GG zum Ausdruck kommt. Soweit das Landesgrundrecht Schutz bietet, steht es naturgemäß im Einklang mit dem Bundesgrundrecht und bleibt deshalb insoweit gültig. Soweit es keinen Schutz (mehr) bietet, gilt gegebenenfalls außerhalb der Landesverfassung — und außerhalb der Prüfungskompetenz des Landesverfassungsgerichts — ein weiterreichender Schutz durch das Grundgesetz. Dieses Verständnis bestätigt sich bei einem Blick auf die Landesverfassungen, die überhaupt keine Landesgrundrechte enthalten: Da die Länder auf die Gewährung von Landesgrundrechten überhaupt verzichten können, können sie unschädlicherweise auch einen im Vergleich zum Grundgesetz geringeren Grundrechtsschutz vorsehen; Grundrechtsdefizite können dabei nicht auftreten, weil die Landesstaatsgewalt immer auch an das Bundesgrundrecht gebunden ist (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 5 Satz 2 LV). Verstöße gegen das Bundesgrundrecht sind vor dem Bundesverfassungsgericht, Verstöße gegen das Landesgrundrecht vor dem Landesverfassungsgericht geltend zu machen. Auch nach der Änderung des Art. 13 GG bleibt somit Art. 15 LV als Prüfungsmaßstab für das Landesverfassungsgericht in Geltung. 2. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG verstößt nicht gegen Art. 15 LV. a. Art. 15 LV schützt die Wohnung als Kernbereich privater Lebensgestaltung vor staadichen Eingriffen jeder Art. Hierzu zählt nicht nur das körperliche Eindringen in die Wohnung, sondern auch das heimliche Ausspähen von Vorgängen in der Wohnung durch technisches Gerät, das in oder außerhalb der Wohnung zum Einsatz gebracht wird (vgl. Herdegen, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1993, Art. 13, Rdn. 42; VerfGH Sachsen, a.a.O., S. 383; Kutscha, NJW 1994, 85, 86; zurückhaltend bzgl. von außen wirkender Eingriffe Kunig, in: v.Müncfi/Kunig, Grundgesetz, 4. Aufl. 1992, Art. 13 Rdn. 16). § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG ermöglicht solche Eingriffe in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. b. Nach der Art der hier in Rede stehenden Beeinträchtigungen ergibt sich die maßgebliche Grundrechtsschranke aus Art. 15 Abs. 3 LV. Während Art. 15 LVerfGE 10

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Abs. 2 LV die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Durchsuchungen formuliert, erfaßt Art. 15 Abs. 3 LV Eingriffe und Beschränkungen „im übrigen". Zu diesen Eingriffen zählt auch die heimliche Wohnraumüberwachung mit technischen Mitteln. Sie ist keine an der Schranke des Art. 15 Abs. 2 LV zu messende „akustische Durchsuchung" (so aber — zu Art. 13 GG a.E — etwa Guttenberg, NJW 1993, 567, 569 f. m.w.N.). Zwar bleibt die heimliche Wohnraumüberwachung gemessen an ihrer Eingriffsintensität nicht hinter einer Durchsuchung zurück. Es würde aber den klar umrissenen Begriff der Durchsuchung überdehnen, würde man hierunter auch Lausch- und Späheingriffe fassen, die sich dadurch von einer „Durchsuchung" unterscheiden, daß nicht die Wohnung betreten und in Augenschein genommen wird, sondern die darin befindlichen Personen belauscht und ausgespäht werden. Lausch- und Späheingriffe sind daher Eingriffe i.S.d. Art. 15 Abs. 3 LV, der schon dem Wortlaut nach („im übrigen") alle Beeinträchtigungen der Unverletzlichkeit der Wohnung erfaßt, die keine Durchsuchungen sind und deshalb nicht unter Art. 15 Abs. 2 LV fallen (so — bezogen auf Art. 13 Abs. 3 GG a.E - etwa Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13, Rdn. 83; Raebor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, Kap. F, Rdn. 388; Eisenberg, NJW 1993,1033,1038; bezogen auf Art. 30 Abs. 3 SächsVerf: VerfGH Sachsen, a.a.O., S. 383). c. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG genügt den Anforderungen des Art. 15 Abs. 3 LV. Die Regelung dient dem Schutz vor den dort beschriebenen Gefahren (dazu aa.) und erfüllt die allgemeinen Anforderungen an grundrechtsbeschränkende Gesetze, indem sie hinreichend bestimmt ist (dazu bb.), das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrt (dazu cc.) und mit hinreichenden grundrechtsschützenden Verfahrens Vorkehrungen einhergeht (dazu dd.). aa. Soweit § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG Eingriffe zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben einer Person ermöglicht, entspricht dies Art. 15 Abs. 3 LV, der diesen Fall besonders benennt. Aber auch soweit § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG Eingriffe zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Freiheit einer Person erlaubt, ist dies durch Art. 15 Abs. 3 LV gedeckt. Hiernach sind Eingriffe aufgrund eines Gesetzes allgemein zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung statthaft. Zur öffentlichen Sicherheit gehört der Schutz von hochrangigen Individualrechtsgütern wie körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit. Auch dem Erfordernis einer dringenden Gefahr wird § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG gerecht. Bei einer gegenwärtigen Gefahr für hochrangige Individualrechtsgüter liegt zugleich eine dringende Gefahr im Sinne des Art. 15 Abs. 3 LV vor (vgl. zum Begriff der dringenden Gefahr im verfassungsrechtlichen Sinne Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Band 1,1996, Art. 13, Rdn. 45 m.w.N.). LVerfGE 10

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bb. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG ist hinreichend bestimmt. Eine Eingriffsnorm muß Voraussetzungen und Umfang der mit ihr ermöglichten Grundrechtseingriffe so präzise wie möglich formulieren und darf dies nicht im wesentlichen dem Rechtsanwender überlassen (vgl. hierzu im einzelnen oben D.I.l .b.aa.). Dem genügt § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG bei verfassungskonformer Auslegung. (1) Allerdings liefert § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG selbst keine näheren Angaben über den Kreis der möglichen Adressaten einer Wohnraumüberwachung. Die Norm spricht lediglich von der Wohnung des Betroffenen. Betroffen von einem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist der Träger des Grundrechts, also der jeweilige Wohnungsinhaber. Daraus folgt aber nicht, daß die Norm, wie dies die Antragsteller der Sache nach geltend machen, voraussetzungslos eine Überwachung jeder beliebigen Wohnung erlaubt. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, deren personenbezogene Daten durch den Einsatz technischer Mittel erhoben werden dürfen, und denjenigen, in deren Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung bei dieser Datengewinnung eingegriffen werden darf. Beide Adressatengruppen sind wegen der unterschiedlichen Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 11 und Art. 15 LV nicht notwendig deckungsgleich. Unbeschadet dessen sind Bild- und Tonaufzeichnungen in und aus einer Wohnung nur gegen einen Wohnungsinhaber zulässig, der für die Gefahr verantwortlich oder notstandspflichtig ist. Im einzelnen gilt: Zunächst ist der Kreis derjenigen, über die bei einer Wohnraumüberwachung nach § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG Daten erhoben werden können, hinreichend bestimmt. Die Norm ist als Sonderregelung zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 BbgPolG zu verstehen. Während § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 BbgPolG als Grundnorm regelt, über wen und unter welchen allgemeinen Voraussetzungen bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person Daten mit technischen Mitteln erhoben werden dürfen, enthält § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG zusätzliche Voraussetzungen für den Fall, daß bei einer solchen Datenerhebung außer in Art. 11 LV auch in Art. 15 LV eingegriffen wird. Für die Frage, über wen personenbezogene Daten erhoben werden dürfen, verbleibt es auch insoweit bei der Regelung des § 33 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG. Danach dürfen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person Störer und Notstandspflichtige in Anspruch genommen werden, und zwar unabhängig davon, ob sich die betreffenden Personen innerhalb oder außerhalb einer Wohnung aufhalten. Auch der Kreis derjenigen, in deren Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung bei der Gewinnung von personenbezogenen Daten über die oben genannten Personen eingegriffen werden kann, ist hinreichend bestimmt. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG kann, wie dargelegt, nicht isoliert betrachtet werden, sondern steht im Zusammenhang mit § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 BbgPolG. EbenLVerfGE 10

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so wie dort kann sich der Eingriff nur gegen den für die Gefahr Verantwortlichen oder — unter den engen Voraussetzungen des § 7 BbgPolG — gegen einen Notstandspflichtigen richten. Dies wird bereits durch §§ 5 Abs. 4, 6 Abs. 4 und 7 Abs. 3 BbgPolG nahegelegt, wonach jeweils die allgemeinen Regeln über die Polizeipflichtigkeit eingreifen, wenn — wie es hier der Fall ist - nichts anderes bestimmt ist. Jedenfalls aber ergibt sich eine Beschränkung auf den genannten Personenkreis bei verfassungskonformer Auslegung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der gleichsam flächendeckende Eingriffe gegenüber jedermann nicht zuläßt. Demzufolge sind nach § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG Bild- und Tonaufzeichnungen nur in Wohnungen zulässig, deren Inhaber entweder selbst Störer ist (§§ 5 und 6 BbgPolG) oder als Polizeipflichtiger ausnahmsweise in Anspruch genommen werden kann (§ 7 BbgPolG), nicht aber voraussetzungslos in Wohnungen Unbeteiligter, in denen sich zufällig ein Störer aufhält. (2) Der Begriff der „Wohnung" in § 33 Abs. 3 BbgPolG ist durch die Verweisung auf die Definition in § 23 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG ebenfalls hinreichend bestimmt. Danach umfaßt die Wohnung — in Anlehnung an die weite Auslegung des Wohnungsbegriffs durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. etwa BVerfGE 32, 54, 69 ff.) — außer den eigentlichen Wohnräumen auch Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum. (3) § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG verstößt entgegen der Auffassung der Antragsteller auch insofern nicht gegen das Bestimmtheitsgebot, als er keine (ausdrückliche) Regelung darüber enthält, ob zum Zwecke des Ein- und Ausbaus der technischen Hilfsmittel das Betreten der Wohnung zulässig ist. Die Installation der notwendigen Gerätschaften und ihre spätere Entfernung rechnet schon dem Wortsinne nach zu dem von § 33 Abs. 3 BbgPolG legitimierten „Einsatz technischer Mittel... in oder aus der Wohnung". „Einsatz" umfaßt den Gesamtvorgang der Datenerhebung von der Installation des technischen Mittels in der Wohnung über seinen dortigen Betrieb bis zur späteren Entfernung. cc. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG genügt dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Die Regelung erscheint geeignet und durfte dem Gesetzgeber zum Schutz der darin genannten Individualrechtsgüter erforderlich erscheinen. Es sind Situationen denkbar, in denen ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung, wie er durch die zur Überprüfung gestellte Norm ermöglicht wird, als einzig wirksames Mittel verbleibt, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person abzuwenden. Die Regelung ist auch nicht unangemessen. Es geht um die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für höchstrangige Individualrechtsgüter. In einer solchen Situation muß es dem Staat erlaubt sein, zum Schutz von Leben, Unversehrtheit und Freiheit des einzelnen in den geschützten Privatbereich der Wohnung einzudringen, wenn dies zur Abwehr der Gefahr unabweisbar ist. LVerfGE 10

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Soweit es um die Abwehr einer Gefahr für das Leben geht, hat der Verfassunggeber diese Abwägung unmittelbar vorgenommen, indem er in Art. 15 Abs. 3 LV Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung zur Abwehr einer Lebensgefahr ausdrücklich zuläßt. Diese Wertentscheidung hat der einfache Gesetzgeber mit § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG lediglich nachvollzogen. Zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für die weiter genannten höchstrangigen Individualrechtsgüter (Leib und Freiheit) gilt im Ergebnis nichts anderes. Wenn sie in einer Extremsituation akut gefährdet sind (etwa bei einer Geiselnahme), muß der Schutz der Privatsphäre der Wohnung desjenigen, der für diese Gefahr verantwortlich ist oder unter den engen Voraussetzungen des § 7 BbgPolG in die Pflicht genommen werden darf, je nach Fallgestaltung zurücktreten können (vgl. etwa Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 13, Rdn. 39; LeutheusserSchnarrenberger, ZRP 1998, 87, 88 ff.; Hermes, a.a.O., Rdn. 51). dd. Der Gesetzgeber hat einen ausreichenden prozeduralen Grundrechtsschutz gewährleistet. Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG unterliegen, was die Unterrichtungspflicht des Betroffenen und die Zweckbindung der Daten angeht, zunächst den nämlichen verfahrensrechtlichen Sicherungen wie Eingriffe nach § 33 Abs. 1 BbgPolG (hierzu oben D.I.l.b.bb.(3)). Bezüglich der Anordnungskompetenz gehen die Verfahrenssicherungen bei Eingriffen nach § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG über die für Maßnahmen nach Abs. 1 geltenden Regelungen noch hinaus. Zufolge § 33 Abs. 4 und 5 BbgPolG obliegt die Entscheidung grundsätzlich einem Richterkollegium beim Landgericht. Lediglich bei Gefahr im Verzug darf der Behördenleiter (vgl. zu diesem Personenkreis oben D.I.l.b.bb.(3)(a)) fürs erste selbst entscheiden, muß aber gem. § 33 Abs. 5 BbgPolG in der Änderungsfassung des Gesetzes vom 20. Mai 1999 ausnahmslos die richterliche Entscheidung, und zwar unverzüglich, nachträglich herbeiführen. Der Gesetzgeber hat die Anordnungskompetenz damit auf eine Ebene gehoben, die institutionell eine unvoreingenommene Befassung und eine die Grundrechte der Betroffenen wahrende Entscheidung gewährleistet. Ob ein solcher Richtervorbehalt auch nach der Landesverfassung, die ihn — anders als Art. 13 Abs. 4 GG — nicht ausdrücklich vorsieht, erforderlich gewesen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls stellt der gesetzliche Richtervorbehalt ein erhöhtes verfassungsrechtliches Schutzniveau sicher und ist grundsätzlich geeignet, eine hinreichende Berücksichtigung der Belange des Betroffenen im Verfahren zu gewährleisten. Ferner hat der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zur Befristung der Maßnahme (§ 33 Abs. 4 Satz 2 BbgPolG) eine zusätzliche Begrenzung vorgenommen. Auch hinsichtlich einer parlamentarischen Kontrolle gehen die Verfahrenssicherungen über das bereits für Eingriffe nach § 33 Abs. 1 BbgPolG geltende Schutzniveau hinaus. Der Gesetzgeber hat, soweit es um Eingriffe in Art. 15 LV LVerfGE 10

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geht, eine Berichtspflicht des Innenministers gegenüber dem Landtag vorgesehen (§ 33 Abs. 9 Satz 1 und 2 BbgPolG, s. hierzu die Berichte in LT-Drs. 2/5513 und 2/4018). Über die Verweisung in § 33 Abs. 9 Satz 3 BbgPolG auf den 5. Abschnitt des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes (§§ 23 ff. BbgVerfSchG) erfolgt zusätzlich eine Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission, der auf Verlangen auch über Einzelfälle zu berichten ist (§ 25 Abs. 1 Satz 1 BbgVerfSchG). Auch insoweit kann dahinstehen, ob dies — angesichts der Eingriffsintensität — nach der Landesverfassung, die eine besondere parlamentarische Kontrolle nicht vorsieht, erforderlich gewesen wäre. Jedenfalls dient die Regelung dazu, Parlament und Kontrollkommission in einem institutionalisierten Verfahren über die Handhabung der Eingriffsbefugnis zu unterrichten, und bewirkt so eine Rechenschaftspflicht auf hoher Ebene, die dem Schutz des Grundrechts zugute kommt. 3. § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG ist auch im übrigen mit der Landesverfassung vereinbar. Er greift insbesondere nicht in verfassungswidriger Weise in geschützte Vertrauensverhältnisse ein. Die Landesverfassung schützt diese Vertrauensverhältnisse nicht absolut, sondern läßt Einschränkungen zum Schutz gewichtiger Verfassungsgüter zu (s. oben D.I.2.). Hierzu zählen fraglos Leib, Leben und Freiheit einer Person als höchstrangige Individualrechtsgüter. Ihnen gegenüber tritt das Interesse eines Wohnungsinhabers, der selbst für die Gefahr verantwortlich ist oder als Notstandspflichtiger in Anspruch genommen werden kann, auch dann zurück, wenn er einer Berufsgruppe angehört, die Vertrauensschutz genießt. 4. Gegen § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG bestehen auch mit Blick auf die Neufassung des Art. 13 GG keine durchgreifenden Bedenken. a. Die Vereinbarkeit des § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG mit Bundesrecht hat das Landesverfassungsgericht hier nicht wegen Art. 100 Abs. 1 GG zu prüfen. Eine Pflicht, auch nur die Möglichkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht besteht nicht, weil das BbgPolG vor der Änderung des Art. 13 GG in Kraft getreten ist. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich nicht auf die Frage, ob ein Landesgesetz mit späterem Bundesverfassungs- oder (einfachem) Bundesrecht vereinbar ist (vgl. BVerfGE 2, 124, 128 ff.; 10,124; 65,359, 373). Von der Vorlagepflicht und -möglichkeit sind demgemäß alle Normen ausgenommen, die aus der Zeit vor Erlaß des Bundesverfassungs- oder sonstigen Bundesrechts stammen (vgl. Ulsamer, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 80, Rdn. 71; E. Klein, in: Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, 1991, § 22, Rdn. 723;//. Klein, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1992, § 80, Rdn. 15; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, LVerfGE 10

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1980, § 44 rV.5.b.y., a.E.). In diesem Zusammenhang wirkt sich nicht aus, daß der Landesgesetzgeber das Polizeigesetz mit Gesetz vom 20. Mai 1999 in Einzelheiten geändert hat. Aus der Änderung einzelner Bestimmungen eines vorkonstitutionellen Gesetzes läßt sich ohne besondere dahingehende Anhaltspunkte nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber auch die übrigen Bestimmungen an dem nachmaligen Bundes (verfassungs)recht gemessen und als damit vereinbar in seinen Willen aufgenommen hat. Für eine dahingehende Annahme würde es etwa sprechen, wenn das betreffende Rechtsgebiet durchgreifend überarbeitet worden wäre und sich bei einem Vergleich der geänderten mit der neuen Rechtslage ergibt, daß der Gesetzgeber beibehaltene Einzelregelungen nicht ungeprüft übernommen hat. In jedem Fall aber muß der konkrete Bestätigungswillen des Gesetzgebers objektiv erkennbar sein (vgl. BVerfGE 11, 126, 131 f.). So liegen die Dinge hier nicht. Die Änderung des Polizeigesetzes zielt ihrem Schwerpunkt nach auf eine Erweiterung der polizeilichen Befugnisse für verdachtsunabhängige Kontrollen, insbesondere im grenznahen Raum, und betrifft im Kern nicht die Wohnraumüberwachung, um die es hier geht. Allerdings hat der Gesetzgeber anläßlich des Gesetzgebungsvorhabens gleichsam am Rande auch eine einzelne Bestimmung für den Bereich der Wohnraumüberwachung, betreffend die Entbehrlichkeit einer richterlichen Entscheidung für den Fall, daß sie erst nachträglich ergehen würde (§ 33 Abs. 5 Satz 3 BbgPolG a.F.), gestrichen, um an dieser Stelle einen Widerspruch zu Art. 13 Abs. 4 GG zu vermeiden (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses, LT-Drs. 2/6296, S. 5). Daraus läßt sich aber mangels entsprechender objektiver Anhaltspunkte nicht folgern, daß der Gesetzgeber den Komplex der Wohnraumüberwachung durch verdeckten Einsatz technischer Mittel insgesamt und einschließlich der (übrigen) begleitenden Verfahrensregelungen geprüft und als mit der Neuregelung des Art. 13 GG vereinbar in seinen Willen aufgenommen hat. In den einschlägigen Parlamentsdrucksachen, zumal in der Beschlußempfehlung und in der Sitzungsniederschrift des federführenden Innenausschusses, findet sich hierauf kein Hinweis. Die isolierte und nur angelegentliche Befassung mit diesem einen Punkt spricht eher dafür, daß man sich im übrigen keine Gedanken gemacht hat. Auch ohne Vorlagepflicht hat sich das Landesverfassungsgericht jedoch inzident zu vergewissern, ob die zur Überprüfung gestellte Norm (hier: § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG) mit Bundesrecht (hier: mit Art. 13 GG) vereinbar bleibt. Ein Verstoß würde zufolge Art. 31 GG zur Nichtigkeit führen. Dies ließe den landesverfassungsgerichtlichen Prüfungsgegenstand entfallen: Eine bereits nach Art. 31 GG nichtige Norm kann das erkennende Gericht nicht mehr an der Landesverfassung messen (vgl. hierzu etwa Kluge, in: Kluge/Wolnicki, Verfassung des Landes Brandenburg, 1995, S. 94, Nr. 3; vgl. weiter E. Klein, a.a.O., Rdn. 46f.; anders - auch eine Vorlagepflicht ablehnend - BayVerfGH, NVwZ 1993, 163; s. dagegen schon Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 21. März LVerfGE 10

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1996 - VfGBbg 18/95 LVerfGE 4, 114, 141 f.; BVerfGE, 69, 112, 118); der Normenkontrollantrag wäre, weil die Norm aus anderen Gründen als denen der Landesverfassung nichtig wäre, unzulässig. b. Die somit gebotene Inzidentkontrolle ergibt keinen zur Nichtigkeit führenden Verstoß des § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG gegen Art. 13 GG. aa. Eingriffe nach § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG bedürfen entsprechend der bundesrechtlichen Vorgabe grundsätzlich der richterlichen Anordnung. Soweit das BbgPolG in dieser Hinsicht das Landgericht und damit ein Richterkollegium für zuständig erklärt und zur Befristung der Anordnung verpflichtet, geht es über Art. 13 Abs. 4 GG noch hinaus (s. § 33 Abs. 4, Abs. 5 Satz 3 BbgPolG). bb. Eine Abweichung „nach unten" ergibt sich indes bezüglich § 33 Abs. 6 BbgPolG. Die Vorschrift stellt ergänzende Verfahrensregeln für den Fall auf, daß technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem polizeilichen Einsatz tätigen Personen mitgeführt und verwendet werden, und entbindet für diesen Fall von einer (richterlichen) „Anordnung nach Absatz 4" sowie — in Satz 2 des Absatzes — von der unverzüglichen Löschung der dabei gewonnenen Aufzeichnungen, wenn sie zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden. Satz 3 des Absatzes ermöglicht eine Nutzung der Daten für weitere Zwecke. Demgegenüber sieht das Grundgesetz in Art. 13 Abs. 5 für diese Fälle die Anordnung der Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle vor und gestattet auch in diesem Falle die weitere Verwendung der Daten zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr nur aufgrund richterlicher Entscheidung. Diese Abweichungen sind jedoch überwiegend im Wege einer — stets vorrangig in Betracht zu ziehenden (vgl. BVerfGE 22, 373, 377 f.; 70,134,137) - grundgesetzkonformen Auslegung korrigierbar, die wie jedes Gericht auch das Landesverfassungsgericht vornehmen kann; soweit sich für den Umgang mit den durch die Wohnraumüberwachung gewonnenen Daten Widersprüche ergeben, wird hierdurch die Zulässigkeit der Y^ztcnerhebung nicht in Frage gestellt. Im einzelnen gilt: (1) Als gesetzlich bestimmte Stelle ist entsprechend den allgemeinen polizeirechtlichen Vorgaben der Polizeipräsident (als Behörde) anzusehen. (2) Die Verpflichtung zur unverzüglichen Löschung der Aufzeichnungen entfällt nur dann, wenn sie zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden und hierzu unverzüglich eine richterliche Entscheidung eingeholt wird. § 33 Abs. 6 Satz 2 BbgPolG steht einer solchen Auslegung nicht entgegen, die vielmehr mit Rücksicht auf die überwölbende Geltung des Grundgesetzes erforderlich ist, wenn die Weiternutzung der Aufzeichnungen zu Zwecken der Strafverfolgung offengehalten werden soll. (3) Soweit § 33 Abs. 6 Satz 3 BbgPolG durch Verweis auf § 39 Abs. 5 und 6 Satz 1 und 2 BbgPolG eine Nutzung der Daten zu statistischen Zwecken und für LVerfGE 10

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die polizeiliche Aus- und Fortbildung ermöglicht, ergibt sich angesichts der in diesen Regelungen vorgeschriebenen Anonymisierung der Daten kein Verstoß gegen Art. 13 Abs. 5 GG. (4) Soweit allerdings durch § 33 Abs. 6 Satz 3 i.V. mit § 39 Abs. 6 Satz 3 BbgPolG die Möglichkeit offengehalten wird, von einer Anonymisierung, nämlich bei Verwendung für Zwecke der Aus- und Fortbildung, im Ausnahmefall abzusehen, kann dies vor Art. 13 Abs. 5 G G keinen Bestand haben. Das Nämliche gilt, soweit § 33 Abs. 6 Satz 3 BbgPolG auch auf § 47 Abs. 5 und 6 BbgPolG verweist und damit die Nutzung der Daten zur Behebung einer Beweisnot und zu wissenschaftlichen Zwecken bzw. die Archivierung der Daten ermöglicht. Nach der unzweideutigen Regelung in Art. 13 Abs. 5 Satz 2 G G ist für den Fall des Einsatzes technischer Mittel zum Schutze der bei einem polizeilichen Einsatz tätigen Personen eine Verwertung der dabei erlangten Erkenntnisse außer zu Zwecken der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr — mag man diese Regelung im Vergleich zu den Regelungen des Art. 13 G G im übrigen auch als unausgewogen empfinden — nicht zulässig. Dies betrifft aber allein die Frage der Nutzung der erhobenen Daten und läßt die Zulässigkeit der DateniErhebung nach § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG unberührt. cc. Anderweitige Bedenken gegen die Vereinbarkeit des § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG mit Art. 13 G G bestehen nicht. Insbesondere unterliegen die danach möglichen Eingriffe gemäß § 33 Abs. 9 BbgPolG einer Art. 13 Abs. 6 G G genügenden parlamentarischen Kontrolle. Soweit die Antragsteller hier eine Bestimmung des parlamentarischen Kontrollgremiums im Sinne des Art. 13 Abs. 6 Satz 2 G G vermissen, ist auf § 33 Abs. 9 Satz 3 BbgPolG zu verweisen, wonach sich das weitere Berichtsverfahren nach den Vorschriften des Verfassungsschutzgesetzes über die Parlamentarische Kontrollkommission regelt (vgl. §§ 23 ff. BbgVerfSchG). Mithin wird gegebenenfalls die Parlamentarische Kontrollkommission als Kontrollgremium für Eingriffe nach § 33 Abs. 3 BbgPolG tätig. V. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG — Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung - ist mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe (dort Ziffer 4) mit der Landesverfassung vereinbar. 1. Die Eingriffsbefugnis verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 15 LV (s. insoweit zunächst D.IV.2.) Sie ist — mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe — von der Grundrechtsschranke des Art. 15 Abs. 3 LV gedeckt. a. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG dient der Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. Art. 15 Abs. 3 LV. Daß Maß-

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nahmen zur „Verhütung" einer Gefahr anders als — wie in Art. 13 Abs. 4 GG vorgesehen — zu ihrer „Abwehr" nach verbreiteter Auffassung an sich schon in einer Situation zulässig sind, in der noch gar keine Gefahr vorliegt, die vielmehr lediglich in eine Gefahr münden kann (vgl. BVerfGE 17, 232, 252; BayVGH, NVwZ 1991, 688, 690), wirkt sich nicht aus: Wenn, wie es § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG voraussetzt, Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine der dort bestimmten schwerwiegenden Straftaten organisiert begangen werden soll, liegt jeweils auch bereits eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, weil nämlich solchenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit mit einem Schaden für ein die öffentliche Sicherheit betreffendes Schutzgut zu rechnen ist (vgl. Göfy JZ 1996, 969, 970; Knemejer/Keller, SächsVwBl. 1996, 197, 201; Schenke, DVB1. 1996, 1393, 1400). So gesehen erlaubt § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG nicht etwa Eingriffe zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung schon im Vorfeld einer Gefahr, sondern gesteht der Polizei ein Eingreifen unter den in der Regelung bestimmten Voraussetzungen, wie sich — dies als ergänzende Erwägung — auch aus der allgemeinen Vorgabe in § 1 Abs. 1 BbgPolG ergibt, nur im Rahmen der Gefahrenabwehr zu. Eine Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist somit nach § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG nur statthaft, wenn die Schwelle zu einer konkreten Gefahr bereits erreicht ist. Nicht der bloße Verdacht, irgend jemand könnte irgendwann eine Straftat begehen, berechtigt zum Eingriff, sondern erst eine Tatsachenlage, in der ein Schadenseintritt (hier die organisierte Begehung einer der in der Vorschrift aufgeführten schweren Straftaten) sich konkret anbahnt. In einer solchen Situation besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch dann, wenn die Polizei noch keine letzte Gewißheit über die künftige Tatbegehung hat. Daß die zum Schadenseintritt führende Kausalkette noch abbrechen kann, etwa dadurch, daß der Täter seine Pläne ändert, bedeutet nicht, daß bis dahin keine Gefahr bestanden hätte (s. aber Kutscha/Moritz StV 1998, 564, 567). Handeln zur Abwehr von Gefahren verlangt keine Gewißheit, sondern die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts (vgl. Herdegen, a.a.O.; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 223 f., m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit aber besteht, wenn greifbare Umstände darauf hindeuten, daß eine der in § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG aufgeführten Straftaten organisiert begangen werden soll. Eine derartige Gefahr ist zugleich „dringend" i.S.d. Art. 15 Abs. 3 LV. „Dringende" Gefahr ist nicht dasselbe wie „gegenwärtige" Gefahr. Für das Erfordernis der „Dringlichkeit" der Gefahr tritt die zeitliche Komponente ebenso wie die Anforderung an einen bestimmten Grad von Wahrscheinlichkeit in dem Maße zurück, in dem — greifbar an der Schwere der in Frage stehenden Straftat und der Gefährlichkeit der Begehungsweise - die materiale Komponente Bedeutung gewinnt. Anders als bei einer „gegenwärtigen" Gefahr geht es bei der „dringenden" Gefahr um so weniger um eine besondere und besonders enge LVerfGE 10

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zeitliche Nähe zum möglichen Schadenseintritt, je größer die Gefahr von Schäden für besonders wichtige Rechtsgüter und je gefahrlicher die sich abzeichnende Begehungsweise ist. Je bedeutsamer das Rechtsgut und je gefährlicher die Begehungsweise, je schwerwiegender damit im Falle seiner konkret drohenden Begehung der Rechtsbruch, desto „dringender" ist die Gefahr im verfassungsrechtlichen Sinne (vgl. — in dieser Richtung— BVerwGE 47,31,40; Küttig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz, Band 1, 4. Aufl. 1992, Art. 13, Rdn. 46; Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Oktober 1993, Art. 13, Rdn. 77; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 1996, Art. 13, Rdn. 45; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 13, Rdn. 13; anders - eine besondere zeitliche Nähe fordernd — Gornig, in: v. Mangold/Klein/Stark, Bonner Grundgesetz, Band 1, 4. Aufl. 1999, Art. 13, Rdn. 127). § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG dient angesichts der Schwere der dort aufgeführten Straftaten, ihrer großen Bedeutung für die öffentliche Sicherheit und nicht zuletzt angesichts der von § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG vorausgesetzten Anhaltspunkte für eine organisierte Begehungsweise der Abwehr einer in diesem Sinne dringenden Gefahr. Daß § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG den Begriff der dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht ausdrücklich verwendet, ist unschädlich. Es genügt, daß die Vorschrift mit den in ihr genannten Voraussetzungen eine solche dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit umschreibt. Soweit es um die Vereinbarkeit mit Art. 15 Abs. 3 LV geht, kommt hinzu, daß hiernach Eingriffe nicht (erst) zur „Abwehr", sondern (bereits) zur „Verhütung" von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erlaubt sind. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht, bezogen auf Art. 13 Abs. 3 GG a.E, ausgeführt (BVerfGE 17,232, 252): „Es braucht also eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht bereits eingetreten zu sein; es genügt, daß die Beschränkung des Grundrechts dem Zweck dient, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der seinerseits eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde."

Diese — den Geschäftsräumen einer Apotheke geltenden — Ausführungen erscheinen dahin verallgemeinerungsfähig, daß ein Eingriff zur „Verhütung" einer Gefahr bereits bei einer Gefährdungslage zulässig ist, die — mit hinreichender Wahrscheinlichkeit — in eine dringende Gefahr münden kann (vgl. etwa BayVGH, NVwZ 1991, 688, 690; Kunig, a.a.O.; Herdegen, a.a.O.; jeweils m.w.N). b. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG ist bei verfassungskonformer Auslegung hinreichend bestimmt. Bezüglich des Adressatenkreises gilt das zu § 33 Abs. 3 Ziffer 1 BbgPolG Gesagte entsprechend (vgl. oben D.IV.2.c.bb.(l)). Im übrigen stellt sich § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG für den Bereich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung als Sonderregelung zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3 BbgPolG dar. Während dort die allgemeinen Voraussetzungen benannt werden, unter denen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten personenbezogene LVerfGE 10

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Daten erhoben werden dürfen, normiert § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG die zusätzlichen Voraussetzungen für den Fall, daß die Datenerhebung in oder aus der Wohnung erfolgt. Ein solcher Eingriff darf sich freilich, insoweit in gleicher Weise wie im Falle von Abs. 3 Ziffer 1, nicht etwa gegen jeden beliebigen Wohnungsinhaber richten. Die Vorschrift erlaubt vielmehr den verdeckten Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen nur in der Wohnung eines potentiellen Straftäters oder seiner Kontakt- oder Begleitpersonen. Dies legt bereits der Zusammenhang mit der Grundregelung in § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3 BbgPolG nahe, die sich auf diesen Personenkreis als Adressaten gezielter Datenerhebungen beschränkt. Jedenfalls aber führt eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift zu diesem Ergebnis. Das Verhältnismäßigkeitsgebot läßt gleichsam flächendeckende Eingriffe gegenüber jedermann nicht zu. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG ist somit in dem Sinne auszulegen, daß er nur Eingriffe in die Wohnung eines potentiellen Straftäters und seiner Kontakt- oder Begleitpersonen erlaubt, zu denen auch in diesem Zusammenhang nicht auch Amtsund Berufsgeheimnisträger gehören, soweit das geschützte Vertrauensverhältnis reicht (s. Maßgabe Ziffer 4 des Tenors). c. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG stellt sich als noch verhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung dar. Der Gesetzgeber bleibt mit dieser Regelung in dem Konflikt zwischen bürgerlicher Freiheit und innerer Sicherheit innerhalb der Grenzen des noch Angemessenen unter Wahrung des Wesensgehalts des Grundrechts (vgl. zu den insoweit maßgeblichen Aspekten zunächst D.I.l.b.bb.). Die Unverletzlichkeit der Wohnung zählt als elementares Menschenrecht fraglos zu den höchstrangigen Verfassungsgütern. Auf der anderen Seite geht es bei § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgpolG um die Verhinderung gemeinschädlicher Straftaten. Die Vorschrift dient der (vorbeugenden) Bekämpfung von Schwerstkriminalität (Mord, Totschlag, Völkermord, schwerer Menschenhandel, bestimmte Staatsschutzdelikte, schwerer Bandendiebstahl, schwerer Raub, schwere räuberische Erpressung, Geldwäsche, gemeingefährliche Straftaten wie etwa die Herbeiführung einer Explosion durch Kernenergie sowie schwere Verstöße gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Betäubungsmittelgesetz). Zudem muß eine organisierte Begehungsweise drohen. Eingriffe sind ferner nur möglich, wenn die Bekämpfung der im Katalog des § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG bezeichneten Straftaten „sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre", und dürfen sich, wie ausgeführt, nur gegen die Wohnung des potentiellen Straftäters oder seiner Kontakt- oder Begleitpersonen richten. Die Datenerhebung ist auf gefahren- und tatbezogene Merkmale beschränkt. Der Eingriff wird gegebenenfalls durch ein Richterkollegium beim Landgericht angeordnet. Außerdem ist der Betroffene (also bezogen auf Art. 15 LV der WohLVerfGE 10

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nungsinhaber) nachträglich über den Einsatz zu unterrichten. Nicht zuletzt der Richtervorbehalt, ergänzt durch eine parlamentarische Kontrolle und die — eine (auch) nachträgliche gerichtliche Kontrolle ermöglichende — Benachrichtigungspflicht, bietet einen hinreichenden Schutz dagegen, daß die Polizei unbedacht oder vorschnell von der ihr mit § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht. Zusammenfassend stellt sich die mit § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG eröffnete Eingriffsbefugnis als ein Ausnahmeinstrument dar, das schon von Gesetzes wegen nur selten und in Extremfällen Anwendung finden kann und stets eine Verhältnismäßigkeitsprüfung je nach Lage des Einzelfalls erfordert, die in die Hände von drei Berufsrichtern gelegt ist. Angesichts dieser weitreichenden materiellen und verfahrensrechtlichen Absicherungen, die die Wohnraumüberwachung nur zum Schutz vor organisierter Schwerkriminalität zulassen und an strenge Voraussetzungen knüpfen sowie den Eingriff in mehrfacher Hinsicht begrenzen, läßt die Eingriffsbefugnis den Wesensgehalt des Grundrechts (vgl. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV) und seinen Menschenwürdekern (vgl. Art. 7 Abs. 1 LV) unangetastet. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung sichert dem Einzelnen einen räumlichen Bereich privater Lebensgestaltung als Rückzugsbereich vor staatlichen Eingriffen (BVerfGE 42, 212, 219). Der Menschenwürdegehalt des Grundrechts garantiert einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist. Selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Bereich nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips findet bis dahin nicht statt (BVerfGE 34, 238, 245; 80, 367, 373 f.). Die damit gezogene Grenze staatlicher Zugriffsmöglichkeiten auf die Unverletzlichkeit der Wohnung ist indes nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die Räume oder jedenfalls bestimmte Räume einer Wohnung stets und unter allen Umständen geschützt und jedwedem staatlichen Zugriff entzogen seien, wie dies die Antragsteller der Sache nach geltend machen. Auch ein Raum, der vorderhand absolute Schutzwürdigkeit genießt, kann im Einzelfall in einer Weise genutzt werden, die diesen Schutz nicht verdient und einen Eingriff zur Bewahrung anderer Rechtsgüter erforderlich machen kann (vgl. VerfGH Sachsen, LVerfGE 4, 303, 386). Dem Gesetzgeber ist es deshalb nicht gänzlich verwehrt, für zugespitzte Gefährdungslagen Eingriffe auch in eine Wohnung hinein vorzusehen. Ob durch eine solche Regelung der Kernbereich des Grundrechts angetastet wird, beantwortet sich danach, ob die betreffende Eingriffsnorm den Freiheitsgehalt des Grundrechts in einer die Menschenwürde verletzenden Weise entwertet und damit den Schutz, den die Verfassung garantieren will, unterläuft (vgl. Dreier, in: ders., Grundgesetz, Band I, 1996, Art. 19 II, Rdn. 9 m.w.N.; Krüger; in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 19, Rdn. 34 m.w.N.). Das aber ist bei § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG nicht der Fall. Die Vorschrift ermöglicht den staatlichen Zugriff nur, LVerfGE 10

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wenn Tatsachen auf die künftige Begehung einer der dort aufgeführten schweren Straftaten, und zwar in organisierter Begehungsform, hindeuten. Soweit danach ein Eingriff in das Grundrecht des potentiellen Täters oder seiner Kontaktoder Begleitpersonen zulässig ist, hat der Gesetzgeber durch die dargestellten Absicherungen für eine rechtsstaatliche Beschränkung der Eingriffsintensität Sorge getragen. Der Einzelne braucht nicht damit zu rechnen, ohne hinreichenden Anlaß in seiner Wohnung belauscht oder heimlich gefilmt zu werden. Außerhalb der beschränkten Eingriffsbefugnisse der Polizei bleibt der von Art. 15 LV geschützte Bereich für die private Lebensgestaltung erhalten. d. Das Verfassungsgericht verkennt nicht, daß sich der Gesetzgeber mit der Ermöglichung dieser Art der Wohnraumüberwachung durchaus an der Grenze dessen bewegt, was von Verfassungs wegen als noch zulässige Einschränkung des grundrechtlichen Freiheitsraums hingenommen werden kann. Im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor schwerster Kriminalität und angesichts der aufgezeigten normativen Eingriffsbegrenzungen und Sicherungen erscheint die Regelung insgesamt aber verfassungsrechtlich noch hinnehmbar. Soweit der VerfGH Sachsen die Bestimmung des SächsPolG über die Wohnraumüberwachung zum Zwecke der vorbeugenden Straftatenbekämpfung (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 SächsPolG) wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung für unvereinbar mit der Verfassung des Freistaates Sachsen gehalten hat (vgl. LVerfGE, 4, 303, 387 ff.), ist die Ausgangslage nicht unmittelbar vergleichbar. Zum einen setzt die sächsische Regelung — in der Auslegung durch den VerfGH Sachsen — anders als das BbgPolG in der hier vorgenommenen Auslegung noch keine konkrete Gefahr voraus, sondern ermächtigt die Polizei zur Wohnraumüberwachung schon im Vorfeld einer Gefahr. Insofern geht der VerfGH Sachsen also von einem anderen Gefahrenbegriff und einer niedrigeren Eingriffsschwelle aus. Darüber hinaus ist die vom VerfGH Sachsen beanstandete Bestimmung in mehrfacher Hinsicht wesentlich weiter als die brandenburgische Regelung. Im Vergleich zu der sächsischen Regelung — in der nur allgemein von „Straftaten von erheblicher Bedeutung" die Rede ist — ist der Kreis der Straftaten, bei denen ein Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung in Betracht kommt, in der brandenburgischen Regelung — durch einen besonderen Straftatenkatalog - genau umgrenzt. Außerdem macht das BbgPolG — auch dies anders als in der sächsischen Regelung - eine geplante organisierte Begehungsweise zur Voraussetzung. Ferner kommt nach der brandenburgischen Regelung — auch insoweit über die sächsische Regelung hinausgehend — eine Wohnraumüberwachung nur in Betracht, „wenn die vorbeugende Bekämpfung dieser Straftaten sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre". Angesichts dieser Unterschiede der Regelungen lag der Entscheidung des VerfGH Sachsen ein anderer Prüfungsgegenstand zugrunde. LVerfGE 10

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2. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG greift nicht in verfassungswidriger Weise in geschützte Vertrauensverhältnisse ein. Da sich die Vorschrift als Sonderregelung zu § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3 BbgPolG darstellt, verbleibt es hinsichtlich des Adressatenkreises bei den dortigen Bestimmungen. Eingriffe dürfen sich dementsprechend nur gegen Wohnungen der potentiellen Straftäter und ihrer Kontakt- oder Begleitpersonen richten (vgl. hierzu D.V.l.b.). Soweit ein Träger von Amts- oder Berufsgeheimnissen selbst als potentieller Straftäter in Frage steht, darf der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Schutz des Vertrauensverhältnisses gegenüber dem Allgemeininteresse an der vorbeugenden Bekämpfung der in § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG aufgeführten Straftaten zurücktreten lassen (vgl. im einzelnen D.I.2.). Soweit der Betreffende nur als Kontakt- oder Begleitperson in Anspruch genommen werden soll, überwiegt dagegen der verfassungsrechtliche Schutz des Vertrauensverhältnisses (vgl. im einzelnen D.H.2.). Die Wohnungen solcher Personen einschließlich der Arbeitsund Geschäftsräume (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG) dürfen nicht überwacht werden. 3. § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG bleibt auch im Einklang mit Art. 13 GG (s. zur Notwendigkeit einer solchen Inzidentüberprüfung zunächst D.IV.4.a.). a. Die Eingriffsnorm genügt den materiellen Anforderungen des Bundesgrundrechts. Mit dem neugefaßten Art. 13 Abs. 4 GG wollte der Verfassungsgeber die Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung, um die es hier geht, nicht gänzlich ausschließen, sondern an strengere Voraussetzungen knüpfen. Durch die Erhöhung der Eingriffsschwelle („Abwehr" statt „Verhütung" dringender Gefahren) ist die Wohnraumüberwachung demzufolge bundesverfassungsrechtlich nur im Falle einer tatsächlich bestehenden Gefahr zulässig. Dadurch sollte die Möglichkeit rein vorsorglicher Überwachungsmaßnahmen im Sinne eines — mit den Worten des Abgeordneten Dr. Meyer — „Stocherns mit der Stange im Nebel" (Plenar-Protokoll der 214. Sitzung vom 16. Januar 1998,13/19521) ausgeschlossen werden, also ein Grundrechtseingriff im bloßen sog. Gefahrenvorfeld. Maßnahmen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten bleiben hingegen zulässig, soweit eine Gefahr bereits besteht. Von daher hat § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG auch im lichte des Art. 13 Abs. 4 GG Bestand: Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß bestimmte schwere Straftaten organisiert begangen werden sollen und die vorbeugende Bekämpfung dieser Straftaten sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre, liegt bereits eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor (s. oben D.V.l.a.). Daß § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG den Begriff der dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht ausdrücklich verwendet, ist unschädlich. Es genügt, daß die Vorschrift mit den in ihr genannten Voraussetzungen eine solche dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit umschreibt. LVerfGE 10

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b. Die Eingriffsnorm genügt auch den verfahrensrechtlichen Anforderungen des Bundesgrundrechts. Die von den Antragstellern geäußerten Bedenken gegen die Vereinbarkeit von § 33 Abs. 6 BbgPolG mit dem Grundgesetz lassen sich jedenfalls teilweise durch eine grundgesetzkonforme Auslegung ausräumen; soweit einzelne Verfahrensregelungen sich als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erweisen, stellt dies die Eingriffsnorm (§ 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG) als solche nicht in Frage (s. hierzu im einzelnen D.IV.4.b.bb.). VI. § 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3, Satz 2 BbgPolG - Datenerhebung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung durch den Einsatz von sog. V-Personen — ist mit den aus dem Tenor ersichtlichen Maßgaben (dort Ziffer 5 bis 7) mit der Landesverfassung vereinbar. Die angegriffenen Vorschriften decken sich bzgl. der materiellen Eingriffsvoraussetzungen und des Adressatenkreises mit den Parallelregelungen in § 33 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3, Satz 2 BbgPolG (s. insoweit zur Verfassungsmäßigkeit D.I.—III.). Art. 11 LV fordert indes eine einengende Auslegung der Verfahrensregelungen für den Einsatz von V-Personen (dazu 1.). Unbeschadet dessen wird entgegen der Auffassung der Antragsteller Art. 96 Abs. 3 LV bzw. das Gewaltmonopol des Staates durch den Einsatz von V-Personen nach § 34 BbgPolG nicht verletzt (dazu 2.). 1. § 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3, Satz 2 BbgPolG greift nicht in verfassungswidriger Weise in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Allerdings fordert das Grundrecht, zumal bei heimlichen Eingriffen, eine besondere Ausgestaltung des Verfahrens, um die Grundrechtsbeeinträchtigung normativ zu begrenzen und die Belange des Betroffenen hinreichend zu berücksichtigen (s. hierzu im einzelnen D.I.l.b.bb.(3)). Dem dienen nicht zuletzt Regelungen über die Anordnungskompetenz und über die nachträgliche Unterrichtung des Betroffenen. In dieser Hinsicht ist die verfahrensrechtliche Ausgestaltung bei Eingriffen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 und 3, Satz 2 BbgPolG nur bei verfassungskonformer Auslegung mit Art. 11 LV vereinbar. Im einzelnen: a. Der Einsatz von V-Personen kann gemäß § 34 Abs. 2 BbgPolG außer durch dem Behördenleiter auch durch einen von ihm beauftragten Beamten angeordnet werden. Eine schriftliche Begründung der Anordnung verlangt die Vorschrift — anders als § 33 Abs. 2 BbgPolG — nicht. Dies ist mit Blick auf die Bedeutung der Begründungspflicht für die Effektivität der nachträglichen gerichtlichen Kontrolle und den darin liegenden „Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung" und angesichts des von dem Gesetzgeber selbst in § 33 Abs. 2 BbgPolG für einen sachlich ähnlich schwerwiegenden Eingriff angelegten MaßLVerfGE 10

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stabes verfassungsrechtlich zu beanstanden. Die schriftliche Niederlegung der Anordnung und ihrer Gründe hat durch den Zwang zur Selbstkontrolle eine eingriffsbegrenzende Wirkung, die gegebenenfalls entfällt, wenn die Anordnung auch mündlich erteilt werden kann und nicht in nachvollziehbarer Weise schriftlich begründet zu werden braucht. Mit der Möglichkeit, die Anordnungsbefugnis auf nachgeordnete Beamte — und damit denkbarerweise auf die den Einsatz der V-Personen steuernden Beamten selbst - zu übertragen, wird auf eine weitere Vorkehrung verzichtet, die dazu beitragen kann, daß die Entscheidung mit größerer Unvoreingenommenheit und dementsprechend mit ausgewogenerer Berücksichtigung der Belange des Betroffenen getroffen wird. Zwar entfällt bei der Informationsgewinnung über V-Personen im Vergleich zu dem heimlichen Einsatz technischer Mittel das Moment der nicht erkennbaren Ausspähung in vermeintlich der Betrachtung Dritter entzogener Umgebung. Andererseits wird bei dem Einsatz von V-Personen das Vertrauen des Betroffenen zu einer vermeintlich Vertrauen verdienenden Person für polizeiliche Zwecke ausgenutzt. Insgesamt erscheint der eine Eingriff jedenfalls nicht weniger gravierend als der andere. Verfassungsrechtlich ist deshalb ein vergleichbares Schutzniveau bei der Verfahrensgestaltung geboten. Zur Sicherung eines notwendigen Mindestmaßes an prozeduralem Grundrechtsschutz ist demzufolge eine Auslegung des § 34 Abs. 2 BbgPolG in dem Sinne erforderlich, daß die Anordnung auch hier schriftlich zu begründen ist und der Behördenleiter nur solche Beamte mit der Entscheidung beauftragen darf, die ansonsten nicht selbst an dem Einsatz beteiligt sind (s. Maßgabe Ziffer 5 des Tenors). Eine solche verfassungskonforme Auslegung überschreitet nicht den Wortsinn der Vorschrift. Daß § 34 Abs. 2 BbgPolG eine schriftliche Begründung der Anordnung nicht ausdrücklich verlangt, schließt nicht aus, sie gleichwohl anzufertigen und zu den Akten zu nehmen. Daß der Behördenleiter, wenn er die Entscheidung nicht selbst trifft, nur solche Beamte beauftragen darf, die in einer vergleichbaren Distanz zu der konkreten Fallbearbeitung stehen, legt bereits der Wordaut der Vorschrift nahe, die mit der Wendung „durch den Behördenleiter oder einen von ihm beauftragten Beamten" zum Ausdruck bringt, daß der Anordnende, wenn es sich nicht um den Behördenleiter handelt, gewissermaßen an dessen Stelle tritt. Darüber hinaus ist auch der erkennbare Zweck der Vorschrift darauf gerichtet, eine möglichst objektive und unvoreingenommene Entscheidung zu gewährleisten. Dem trägt die hier vorgegebene einschränkende Auslegung Rechnung. b. Zufolge § 34 Abs. 3 Satz 3 BbgPolG braucht der Betroffene u. a. dann nicht über den gegen ihn gerichteten Einsatz unterrichtet zu werden, wenn dadurch der weitere Einsatz der V-Person gefährdet wird. Gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV ist demgegenüber jede Erhebung personenbezogener Daten dem Berechtigten zur Kenntnis zu geben, sobald der Zweck der Erhebung dies zuläßt. LVerfGE 10

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Das Absehen von einer Benachrichtigung wäre nur mit gegenläufigen Belangen von vergleichbar gewichtigem verfassungsrechtlichen Rang zu rechtfertigen (s. hierzu D.III.2.). Das bloße Interesse, weitere Einsätze der V-Person nicht zu gefährden, stellt einen solchen Belang von Verfassungsrang nicht dar. Zudem hinge die Benachrichtigung von der kaum überprüfbaren Absicht der Polizei ab, bei sich bietender Gelegenheit irgendwann erneut auf die Dienste der betreffenden V-Person zurückzugreifen. Dies läuft auf eine nicht hinreichend gerechtfertigte Einschränkung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Benachrichtigungspflicht hinaus (vgl. zu ihrer grundrechtssichernden Bedeutung etwa Denninger, StV 1998,401,405). Um den weiteren Einsatz einer V-Person nicht zu gefährden, wird es unter Umständen ausreichen, die Benachrichtigungspflicht auf die Datenerhebung als solche, d.h. ohne Hinweis auf eine Erhebung durch V-Personen und deren Identität, zu beschränken. Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen ist in diesem Sinne eine Auslegung des § 34 Abs. 3 Satz 3 1. Alt. BbgPolG dahingehend geboten, daß sich die Polizei, wenn ansonsten der weitere Einsatz der V-Person gefährdet würde, darauf beschränken kann, die Datenerhebung als solche, d. h. ohne Hinweis auf die Erhebung der Daten durch Einsatz einer V-Person, mitzuteilen (s. Maßgabe Ziffer 6 des Tenors). Eine solche Auslegung läßt § 34 Abs. 3 Satz 3 1. Alt. BbgPolG, wie dem Verfassungsgericht bewußt ist, nur teilweise in Geltung. Auch kann je nach Lage des Falles bereits die Benachrichtigung über die Datenerhebung als solche den V-Mann bei der Zielperson in Verdacht bringen und so den weiteren Einsatz gefährden. Für ein gänzliches Absehen von einer Benachrichtigung über die Datenerhebung allein wegen der Gefährdung des weiteren Einsatzes der betreffenden V-Person läßt jedoch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV angesichts seiner strikten Formulierung keinen Raum. Anders liegt es, wenn durch die Benachrichtigung über die Datenerhebung i. S. von § 34 Abs. 3 Satz 3 2. Alt. BbgPolG Leib und Leben einer Person - und dies kann (und wird in vielen Fällen) auch die V-Person selbst sein — gefährdet würde. Für diesen Fall ist das Absehen von der Benachrichtigung durch höherrangige Verfassungsgüter — Leib und Leben — gerechtfertigt. Die Zulässigkeit der Datenerhebung mittels V-Personen als solche bleibt hiervon unberührt. c. Weiter sieht § 34 Abs. 3 Satz 1 BbgPolG nur eine Unterrichtung der Personen vor, gegen die sich die Datenerhebung richtete. Andere Personen i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG, die von einer Datenerhebung unbeabsichtigt mit erfaßt worden sind, wären danach nicht zu benachrichtigen. Ebenso wie bei der Eingriffsregelung des § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG ist auch hier eine restriktive Auslegung erforderlich und möglich, die der Benachrichtigungspflicht des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 LV hinreichend Rechnung trägt (s. zu § 33 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG D.III.2.). Die verfassungskonforme Auslegung geht dahin, daß die in § 34 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG genannten Personen gemäß § 29 Abs. 6 BbgPolG LVerfGE 10

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von der Datenerhebung zu unterrichten sind, soweit nicht § 34 Abs. 3 Satz 3 BbgPolG mit der hierzu bestimmten Maßgabe (s. vorstehend b.) eingreift (s. Maßgabe Ziffer 7 des Tenors). 2. Der durch § 34 BbgPolG ermöglichte Einsatz von V-Personen verstößt nicht gegen den von den Antragstellern als verletzt gerügten Art. 96 Abs. 3 Satz 1 LV. Danach werden die Aufgaben der Verwaltung durch Beamte und Verwaltungsangehörige wahrgenommen, die parteiunabhängig arbeiten und der Verfassung und den Gesetzen verpflichtet sind. Die Verfassungsnorm formuliert einen Funktionsvorbehalt für die dort genannten Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei der Ausübung hoheitlicher Aufgaben. Das Handeln von V-Personen fällt nicht hierunter. Sie sind — anders als etwa die Verdeckten Ermittler i.S.d. § 35 BbgPolG — kein Teil der Polizei und üben keine hoheitlichen Tätigkeiten aus. Auch während ihres Einsatzes bleiben sie Privatpersonen. Zu Grundrechtseingriffen gegenüber Dritten sind sie nur aufgrund der bürgerlich-rechtlichen Schutz- und Selbsthilferechte, des strafrechtlichen Notwehrrechts und des strafprozessualen Verfolgungsrechts befugt (vgl. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rdn. 161; Tegtmejer, Polizeigesetz NW, 8. Aufl. 1995, § 19, Rdn. 5). Deshalb wird auch das Gewaltmonopol des Staates (vgl. Art. 2 Abs. 4 LV), das die Antragsteller durch den Einsatz von V-Personen verletzt sehen, nicht berührt. VII. § 47 Abs. 5 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift bestimmt, daß eine Löschung und Vernichtung personenbezogener Daten unterbleiben darf, wenn die Daten zur Behebung einer Beweisnot unerläßlich sind. Sie bildet der Sache nach eine Verfahrensvorschrift zur Ergänzung derjenigen Bestimmungen des BbgPolG, die die Polizei zur Datenerhebung ermächtigen, und erlaubt damit ein Absehen von der Datenlöschung nur für den Fall der Beweisnot in dem vergleichsweise engen Anwendungsbereich des Polizeigesetzes. Auch hier dient freilich die Löschung personenbezogener Daten der Sicherung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Um ein ausreichendes Schutzniveau zu gewährleisten, kommen deshalb Ausnahmen von der grundsätzlichen Pflicht zur Löschung von Verfassungs wegen nur unter engen Voraussetzungen und nur zugunsten solcher Belange in Betracht, die in ihrem Gewicht dem Schutz der informationellen Selbstbestimmung vergleichbar sind. Dem trägt die angegriffene Vorschrift indes auch ohne die von den Antragstellern geforderte Beschränkung auf Fälle der „dringenden" Beweisnot hinreichend Rechnung. Die Behebung von Beweisnot dient der Herbeiführung materieller Gerechtigkeit und damit — in dem Bereich, in dem das Polizeigesetz Datenerhebungen überhaupt nur erlaubt — dem Allgemeininteresse im Sinne des Art. 11 Abs. 2 LV. Da die weitere Speicherung nur LVerfGE 10

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zur Behebung einer tatsächlich bestehenden Beweisnot möglich ist und außerdem insoweit unerläßlich sein muß, erfaßt die Vorschrift nur Fälle, in denen ein Beweis anders nicht geführt werden kann. Mit der Forderung nach einer „dringenden" Beweisnot ist ein weiterer Zugewinn an eingriffsbegrenzenden Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu erreichen (anders — unter Hinweis auf eine entsprechende Formulierung im SächsDSG — VerfGH Sachsen, LVerfGE 4,303, 397). Unter Verhältnismäßigkeitsaspekten ist ferner zu berücksichtigen, daß solchermaßen gespeicherte Daten gem. § 47 Abs. 5 Satz 2 und 3 BbgPolG gesperrt werden und ohne Einwilligung des Betroffenen nur zum Zwecke der Behebung der Beweisnot gespeichert bleiben dürfen, also insbesondere nicht etwa weiterhin allgemein zur Gefahrenabwehr verwendbar sind. Unter diesen Umständen ist § 47 Abs. 5 Satz 1 Ziffer 2 BbgPolG nach Auffassung des Verfassungsgerichts mit der Landesverfassung vereinbar. Die Entscheidung ist, soweit es um § 33 Abs. 3 Ziffer 2 BbgPolG geht, mit sechs Stimmen gegen eine, im übrigen einstimmig ergangen.

Sondervotum der Richterin Will Entgegen der Mehrheitsmeinung ist § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG (Lauschangriff zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung in und aus Wohnungen) nicht mit der Landesverfassung vereinbar. 1. § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG verstößt gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 15 LV. a) Die in § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG geregelten Eingriffsvoraussetzungen sind vom Gesetzesvorbehalt in Art. 15 Abs. 3 LV nicht gedeckt. aa) Art. 15 Abs. 3 LV enthält einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt. Danach sind Eingriffe und Beschränkungen nur aufgrund eines Gesetzes zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig. Diese Tatbestandsvoraussetzung — Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung — regelt § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG für das Lauschen in und aus Wohnungen nicht. Vielmehr ermächtigt § 33 Abs. 3 Ziff. 2 die Polizei zum verdeckten Einsatz technischer Mittel, zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in oder aus Wohnungen bereits dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß bestimmte Straftaten organisiert begangen werden sollen und die vorbeugende Bekämpfung dieser Straftaten sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Damit hat der brandenburgische Gesetzgeber die Eingriffsvoraussetzungen anders formuliert als Art. 15 Abs. 3 LVerfGE 10

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LV es fordert: Er hat auf den Gefahrbegriff zur Definition der tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen gänzlich verzichtet. bb) Auch eingreifendes polizeiliches Handeln, das dringende Gefahren für die öffentliche Sicherheit nur verhüten (noch nicht abwehren) soll, setzt eine Gefahrenlage voraus. Eine Grundrechtsbeeinträchtigung, die der Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit dient, ist nach Art. 15 LV nur dann gerechtfertigt, „wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut schädigen wird." (BVerwGE 47, 31, 38 im Anschluß an die auch von der Mehrheit zitierte Entscheidung des BVerfGE 17, 232, 252). § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG fordert dagegen nur Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen müssen, jemand wolle eine bestimmte Straftat begehen. Auch Tatsachen, welche den Verdacht erhärten, jemand wolle irgendwann irgendwelche Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen, sind noch keine Gefahr im Sinne des von Art. 15 LV verwendeten, tradierten polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs. Dieser Gefahrbegriff erfordert, daß solche Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohen. § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG verfolgt den Zweck, ohne das Vorliegen einer Gefahr, also ohne eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Schadens durch einen Geschehensablauf, zum Eingriff zu ermächtigen. Der brandenburgische Polizeigesetzgeber hat sich in § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG von der Gefahr als Eingriffsvoraussetzung gelöst. Dies ist ihm aber angesichts der Schrankenregelung von Art. 15 Abs. 3 LV verwehrt. b) Das Verständnis der Mehrheit, daß beim bloßen Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, daß Personen Straftaten nach § 33 Abs. 3 Ziff. 2 Buchst, a—g organisiert begehen wollen, eine konkrete Gefahr im Sinne des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs vorliegt, führt nicht zur Eingrenzung der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Eingriff nach § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG, sondern zur Unbestimmtheit des verwendeten Gefahrenbegriffs. Die Mehrheit hält wegen der Art und Weise der polizeilichen Aufgabenzuweisung in § 1 Abs. 1 BbgPolG die heimliche Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten dann für statthaft, wenn die Schwelle zu einer konkreten Gefahr erreicht ist. Dabei übersieht die Mehrheit den Sinn der Aufgabenzuweisung in § 1 Abs. 1 BbgPolG und reflektiert den mit der Formulierung gefundenen Kompromiß nicht. § 1 Abs. 1 BbgPolG erweitert die Aufgabenzuweisung an die Polizei. Neben der Gefahrenabwehr wird die Aufgabe, für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten, ausdrücklich erwähnt. Zudem faßt § 1 Abs. 1 BbgPolG die Verhütung von Straftaten und das Vorsorgen für die Verfolgung von Straftaten unter den Begriff der vorbeugenden Bekämpfung von LVerfGE 10

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Straftaten zusammen. Diese Erweiterung der Aufgabenzuweisung über den traditionellen Gefahrbegriff hinaus ist im BbgPolG als ein Kompromiß zweier verschiedener Ansichten formuliert worden: Zum einen der Ansicht, Vorsorge und Verhütung seien etwas anderes als Gefahrenabwehr und zum anderen der These, sie fiele darunter. Die ausdrückliche Ergänzung der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten und der Straftatenverhütung bei gleichzeitiger Einordnung in den Rahmen der Aufgabe der Gefahrenabwehr ist der Versuch, zwischen den beiden widerstreitenden Ansichten zu vermitteln (vgl. dazu auch die Begründung zu § 10 MEPolG, in: Heise/Riegel, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1978, S. 53). Zwar läßt der Normentext die Aufgabenbeschreibung nur schlüssig erscheinen, wenn man der These folgt, daß Vorsorge und Verhütung Gefahrenabwehr sei. Ein solches Verständnis muß jedoch mit Blick auf die hier zur Prüfung stehende Befugnisnorm korrigiert werden. Bei systematischer Interpretation der Aufgabennorm wird klar, daß wir es mit einer Erweiterung der über die traditionelle Aufgabe der Gefahrenabwehr hinausgehenden Aufgabenzuweisung zu tun haben. Die Mehrheit reflektiert dieses Problem nicht. Sie liest vielmehr, ausgehend von der Formulierung der Aufgabennorm, daß „im Rahmen" der Gefahrenabwehr Straftaten vorbeugend bekämpft werden sollen, auch anders lautende Wortlaute von Befugnisnormen so, als seien dort Befugnisse zur Abwehr konkreter Gefahren geregelt. Auch bei der Interpretation von § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG geschieht dies. Es kann dahingestellt bleiben, ob angesichts der Trennung von Aufgaben und Befugnissen in den Strukturen eines rechtsstaatlichen Polizeirechts von einer generalisierenden Aufgabenzuweisungsnorm auf den Inhalt einer speziellen Befugnisnorm in der Weise, wie es die Mehrheit tut, überhaupt geschlossen werden darf. Die Mehrheit verkennt jedenfalls, daß die hier zu prüfende Befugnisnorm Eingriffsvoraussetzungen formuliert, die nicht unter den Begriff einer konkreten Gefahr fallen. Nur die Verhinderung unmittelbar bevorstehender Straftaten kann ohne weiteres unter die Abwehr konkreter Gefahren subsumiert werden. In § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG ist jedoch die Verhütung von Straftaten Teilelement der vorbeugenden Straftatenbekämpfung. Der Zweck von § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG kann nicht erreicht werden, wenn die Anwendung der Regelung auf diejenigen Personen beschränkt wird, die erkanntermaßen die Absicht haben, eine konkret bestimmbare Straftat von erheblicher Bedeutung zu begehen. Um den Zweck von § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG zu erreichen, muß die Eingriffsschwelle in den Vorbereich der Gefahrenlage verlagert werden. Die Mehrheit erkennt diesen Sinn und Zweck von § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG und rechtfertigt ihn vor der Verfassung, indem sie auch diese vorgezogene Situation in den Begriff der konkreten Gefahr einbezieht. Indem die Mehrheit die vom Gesetz geforderten „Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, daß Straftaten von erheblicher Bedeutung organisiert LVerfGE 10

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begangen werden sollen", als konkrete Gefahr interpretiert, wird der Polizei dieser Eingriff nicht (wie in der Entscheidung des VerfGH Sachsen bezüglich § 40 Abs. 1 Nr. 2 SächsPolG) untersagt, sondern im Gegenteil erlaubt. Die Mehrheit beruft sich einerseits darauf, daß „Verhütung" einer Gefahr „an sich schon in einer Situation zulässig" ist, in der noch gar keine Gefahr vorliegt, „die vielmehr lediglich in eine Gefahr münden kann", definiert diese Situation jedoch gleichwohl als konkrete Gefahr. Damit verliert der Begriff der konkreten Gefahr die Bestimmtheit, die Art. 15 Abs. 3 LV verlangt. Ob vorbeugende Straftatenbekämpfung in die Gefahrenabwehr überhaupt zu integrieren ist, ist umstritten (vgl. dazu Hoppe, Corinna, Vorfeldermittlungen im Spannungsverhältnis von Rechtsstaat und der Bekämpfung organisierter Kriminalität, Frankfurt/Main u.a. 1999, S. 155 ff. und Albers, Marion, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, Dissertation Universität Bielefeld, 1999, S. 158 ff.). Unbestritten ist jedoch, daß diejenigen Lagen, in denen die Polizei präventiv vorbeugende Bekämpfung von Straftaten betreibt, nicht als Abwehr konkreter Gefahren zu erfassen sind. Der diesbezügliche Streit braucht jedoch hier nicht entschieden zu werden, weil die zu prüfende Befugnisnorm erkennbar nicht auf Gefahrenabwehr abstellt, die Maßstabsnorm dies aber erfordert. Da der Gefahrenbegriff von Art. 15 LV dem des Polizeirechts entspricht, hätte der Gesetzgeber dies in § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG regeln müssen. 2. Die Interpretation und Anwendung von Art. 15 LV, bezogen auf den präventiven Lauschangriff in und aus Wohnungen, kann den Landesgesetzgeber nicht zu einer weitergehenden Eingriffsbefugnis ermächtigen als Art. 13 Abs. 4 GG sie erlaubt. a) Durch die Grundgesetzänderung vom 26. März 1998 (BGBl. I S. 610) sind in Art. 13 Abs. 4 GG die Voraussetzungen des präventiven Lauschangriffes abschließend und speziell im Vergleich zu Art. 13 Abs. 7 GG geregelt worden. Die Entwurfsbegründung (BT-Drs. 13/8650, S. 5) hebt ausdrücklich hervor, daß Absatz 4 für seinen Regelungsbereich — Einsatz technischer Mittel zur Gefahrenabwehr in Wohnungen - eine abschließende Spezialregelung trifft. Dies ist auch zutreffend. Die Norm steht, systematisch betrachtet, vor dem allgemeiner gefaßten Absatz 7, der dem Absatz 3 der alten Fassung entspricht. Die Regelung in Absatz 4 knüpft daran an, stellt jedoch ausschließlich auf die „Abwehr einer Gefahr" ab. Mit dieser Textänderung wollte der Verfassunggeber klarstellen, daß Voraussetzung für einen Eingriff nach Art. 13 Abs. 4 GG „die Abwehr dringender Gefahren" sein soll (BT-Drs. 13/9660, S. 3). Die Textänderung zielte ausdrücklich auch darauf ab, den Streit darüber, ob auch der präventive Große Lauschangriff zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung erlaubt ist, zu beenLVerfGE 10

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den. Dabei wurde klargestellt, daß dieser Lauschangriff verfassungswidrig ist. Das Tatbestandsmerkmal „Abwehr einer Gefahr" ist wie bisher im alten Absatz 3 mangels anderer Anhaltspunkte wie der Begriff der Gefahr im Polizeirecht zu verstehen. Danach liegt eine Gefahr vor, „wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird. Auf subjektive Merkmale wie Vorsatz oder Fahrlässigkeit kommt es dabei nicht an." (Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht Band III, 4. Aufl., § 125 Rdn. 18). Entscheidend ist danach die grundrechtlich geforderte Nähe einer Gefahr und die Gewißheit der polizeilichen Gefahrenprognose. b) Entgegen der Mehrheitsmeinung hat die Vorbehaltsregelung von Art. 13 Abs. 4 GG Folgen für die Interpretation und Anwendung von Art. 15 LV. Art. 13 Abs. 4 GG und Art. 15 LV würden bezüglich der angeordneten Rechtsfolgen kollidieren, wenn man sie so wie die Mehrheit versteht. Nach der Interpretation von Art.15 LV durch die Mehrheit wird dem Landesgesetzgeber etwas erlaubt, das ihm durch Art. 13 Abs. 4 GG untersagt ist. Art. 15 LV bleibt nach Art. 142 GG insoweit in Kraft, als er in Übereinstimmung mit Art. 13 GG das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gewährleistet. Wird er jedoch auf denselben Sachverhalt angewendet und führt zu unterschiedlichen Rechtsfolgen, wie hier im Verständnis der Mehrheit, bezogen auf den Umfang des präventiven Großen Lauschangriffs, würde er nach Art. 31 GG von Art. 13 Abs. 4 GG gebrochen. Er wäre diesbezüglich nach Art. 31 GG nichtig. Dies ist jedoch vermeidbar, wenn man die in Art. 13 Abs. 4 GG erfolgte Verfassungsänderung als Klarstellung im Streit um den Umfang der Zulässigkeit des präventiven Großen Lauschangriffs versteht. Der Verfassunggeber hat für den präventiven Lauschangriff in und aus Wohnungen klargestellt, daß dieser zum Zwecke der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung verfassungswidrig ist. Mithin bekräftigt die Verfassungsänderung von Art. 13 GG das bereits unter 1. gefundene Ergebnis, daß § 33 Abs. 3 Ziff. 2 BbgPolG mit Art. 15 LV unvereinbar ist. Nr. 4* 1. Vorabentscheidung über eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsverordnung wegen allgemeiner Bedeutung bei Zusammenhang mit einer gleichzeitig angegriffenen Gesetzesregelung.

* Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhältlich (Adresse s. Anhang). Abdruck (gekürzt) in L K V 2000, 71 ff.

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2. Zur Frage der Zulässigkeit von Änderungen eines Gesetzesbeschlusses als Folge einer weiteren Lesung im Sinne von § 48 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtags. 3. Der Ausschluß freiberuflicher Vermessungsingenieure von der Bauwerkseinmessung (§ 74 Abs. 8 Satz 3 Brandenburgische Bauordnung) ist mit Art. 49 Abs. 1 der Landesverfassung nicht vereinbar. 4. Es ist mit der Landesverfassung vereinbar, daß nach der neugefaßten Bauvorlagen-Verordnung vom 19. Dezember 1997 (GVB1.1998 II S. 18) die Anfertigung amtlicher Lagepläne ausschließlich Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren und behördlichen Vermessungsstellen vorbehalten und die Möglichkeit eines durch einen freiberuflichen Vermessungsingenieur gefertigten Lageplans mit öffentlicher Beglaubigung entfallen ist. Verfassung des Landes Brandenburg Art. 12 Abs. 1; 42 Abs. 1 Satz 1; 49 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 45 Abs. 2 Satz 2 Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg § 48 Abs. 1 Brandenburgische Bauordnung § 74 Abs. 8 Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Brandenburg §§ 1 Abs. 2; 3; 22 Vermessungs- und Liegenschaftsgesetz Brandenburg § 15 Bauvorlagenverordnung §§ 2 Abs. 1; 8; 9 Ziffer 1; 10 Ziffer 1; 11 Ziffer 1; 13 Abs. 1 Ziffer 1 Beschluß vom 30. Juni 1999 - VfGBbg 50/98 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren 1. der G.-GmbH, 2. des Vermessungsingenieurs Dipl.-Ing. (FH) H., 3. des Vermessungsingenieurs Dipl.-Ing. (FH) M., 4. des Vermessungsingenieurs Dipl.-Ing. (FH) F. gegen § 74 Abs. 8 Satz 3 der Brandenburgischen Bauordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Brandenburgischen Bauordnung und anderer Gesetze vom 18. Dezember 1997 (GVB1. I S. 124, 136) und gegen §§ 2 Abs. 1 Satz 4, 8, 9 Ziffer 1,10 Ziffer 1,11 Ziffer 1 und 13 Abs. 1 Ziffer 1 der VerordLVerfGE 10

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nung über Bauvorlagen im bauaufsichtlichen Verfahren vom 19. Dezember 1997 (GVB1. 1998 II S. 18). Entscheidungsformel: 1. § 74 Abs. 8 Satz 3 der Brandenburgischen Bauordnung in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Brandenburgischen Bauordnung und anderer Gesetze vom 18. Dezember 1997 (GVB1.1 S. 124,136) verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 49 Abs. 1 der Landesverfassung, soweit hiernach freiberufliche Vermessungsingenieure keine Einmessung durchführen dürfen. Insoweit ist die Bestimmung mit der Landesverfassung unvereinbar. Im übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. 2. Das Land Brandenburg hat den Beschwerdeführern die Hälfte ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. Aus den G r ü n d e n : A. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen Änderungen der Brandenburgischen Bauordnung und der Bauvorlagenverordnung, wonach bestimmte bauvorbereitende und baubegleitende Vermessungen nur noch von einer behördlichen Vermessungsstelle oder einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur durchgeführt werden dürfen. I. Nach der Brandenburgischen Bauordnung — BbgBO — vom 1. Juni 1994 (GVB1. I S. 126) war der Bauherr auf Verlangen der Bauaufsichtsbehörde verpflichtet, die Einhaltung der genehmigten Grundfläche und Höhenlage bei der Bauausführung nachzuweisen. (...)

Nach dieser Regelung stand es dem Bauherren grundsätzlich frei, den ggfls. geforderten Nachweis selbst oder durch ihm geeignet erscheinendes Personal vorzunehmen, solange die Bauaufsichtsbehörde nicht im Einzelfall eine Einmessung der baulichen Anlage bzw. des Gebäudesockels (sog. Bauwerkseinmessung) durch einen Vermessungsingenieur als Nachweis verlangte. Diese Regelung ist durch Artikel 1 Ziffer 50 des Gesetzes zur Änderung der Brandenburgischen LVerfGE 10

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Bauordnung und anderer Gesetze vom 18. Oktober 1997 (GVB1.1 S. 124, 136) dahin modifiziert worden, daß die Einhaltung der festgelegten Grundfläche und Höhenlage stets durch eine Bauwerkseinmessung nachzuweisen ist, die nur von einer behördlichen Vermessungsstelle oder einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur durchgeführt werden kann. (...) Das Änderungsgesetz ist am 20. November 1997 vom Landtag verabschiedet worden (Plenarprotokoll 2/73, S. 6029). Unter dem 9. Dezember 1997 hat die Landesregierung, gestützt auf § 48 der Geschäftsordnung des Landtags (GeschOLT), eine weitere Lesung beantragt, da aus ihrer Sicht Korrekturen erforderlich seien. Diese betrafen neben der Beseitigung von Schreibfehlern eine Anpassung an das geänderte Baugesetzbuch. Nach Annahme der Änderungen durch den Landtag in der Sitzung vom 18. Dezember 1997 ist das Gesetz am 22. Dezember 1997 verkündet und am 1. Januar 1998 in Kraft getreten. II. Am 19. Dezember 1997 hat der Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr die — mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden ebenfalls angegriffene - Verordnung über Bauvorlagen im bauaufsichtlichen Verfahren (Bauvorlagenverordnung — BauVorlV —, GVB1.1998 II S. 18) erlassen, die zum 1. Februar 1998 die bisherige Verordnung vom 15. Juni 1994 (GVB1. II S. 516) abgelöst hat. Nach der alten Rechtslage war den Anträgen auf Erteilung baurechtlicher Genehmigungen im Regelfall nur ein einfacher Lageplan beizufügen, der auch von freiberuflichen Vermessungsingenieuren erstellt werden konnte. Ein amtlicher Lageplan mußte nur auf Verlangen der Bauaufsichtsbehörde vorgelegt werden. Insoweit genügte die Beglaubigung eines einfachen Lageplans durch einen Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur (§§ 2 Abs. 1, 8, 9 Ziffer 1, 10 Ziffer 1,11 Ziffer 1,12 Ziffer 1 BauVorlV a.E). Nach der Neuregelung ist demgegenüber bei allen wesentlichen Bauvorhaben grundsätzlich ein amtlicher Lageplan vorzulegen. Die Vorlage eines einfachen Lageplans ist nur noch dann ausreichend, wenn ein amtlicher Lageplan nicht vorgeschrieben ist (dies gilt gemäß § 12 nur noch für Abbruchgenehmigungen) oder im Hinblick auf das Vorhaben nicht erforderlich ist (§ 3). Als amtliche Lagepläne gelten zudem nur noch solche Pläne, die von einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur oder einer behördlichen Vermessungsstelle selbst angefertigt worden sind. (...) LVerfGE 10

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III. Im Land Brandenburg bestehen gegenwärtig etwa 30 freiberufliche Vermessungsbüros. Daneben sind ca. 140 Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure zugelassen. Ihr Beruf wird durch die Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Brandenburg - ÖbVermlngBO vom 13. Dezember 1991 (GVB1. S. 647, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juni 1997, GVB1. I S. 68) geregelt. Danach ist der Öffentlich bestellte Vermessungsingenieur als Organ des öffentlichen Vermessungswesens berufen, an den Aufgaben der Landvermessung mitzuwirken. Er übt einen freien Beruf aus und ist unter anderem berechtigt, Tatbestände, die durch vermessungstechnische Ermittlungen an Grund und Boden festgestellt werden, mit öffentlichem Glauben zu beurkunden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Ziffer 2 ÖbVermlngBO). Die Tätigkeit erfordert eine Zulassung durch das Landesvermessungsamt, die nur Bewerbern erteilt wird, die die Befähigung zum höheren oder gehobenen vermessungstechnischen Dienst besitzen und im ersten Fall mindestens ein Jahr, im zweiten Fall mindestens sechs Jahre vorwiegend mit Katastervermessungen beschäftigt gewesen sind (§ 3 ÖbVermlngBO). Die Befähigung zum höheren vermessungstechnischen Verwaltungsdienst setzt ein abgeschlossenes Studium des Vermessungswesens an einer wissenschaftlichen Hochschule, die Ableistung eines zweijährigen Vorbereitungsdienstes und das Bestehen der Großen Staatsprüfung voraus. Die Befähigung zum gehobenen vermessungstechnischen Dienst setzt den Abschluß eines Fachhochschulstudiums in dem Studiengang Vermessungswesen, das Absolvieren eines im Regelfall einjährigen Vorbereitungsdienstes und das Ablegen einer Laufbahnprüfung voraus. § 22 ÖbVermlngBO enthält Ubergangsregelungen für Bewerber, die diese Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen. Sie konnten in einem Zeitraum von 5 Jahren nach Inkrafttreten der Berufsordnung (bis Dezember 1996) als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure zugelassen werden, wenn sie ein entsprechendes Studium abgeschlossen hatten, drei Jahre praktisch tätig waren und eine Zulassungsprüfung bestanden hatten. Für Bewerber, über deren Prüfung innerhalb dieses Zeitraums noch nicht entschieden worden ist, gilt eine weitere Ubergangsfrist bis zum 30. Juni 1999 (§ 22 Abs. 5 ÖbVermlngBO).

IV. Die Beschwerdeführer zu 2. bis 4. sind im Land Brandenburg tätige freiberufliche Vermessungsingenieure mit einem Fachhochschulabschluß im Studiengang Vermessungswesen. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist eine auf dem Gebiet des Vermessungswesens tätige Firma. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die Änderung des § 74 Abs. 8 BbgBO und die Neufassung der BauvorlagenverLVerfGE 10

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Ordnung in ihren Grundrechten auf Berufsfreiheit aus Art. 49 Abs. 1 der Landesverfassung (LV), auf Gleichbehandlung aus Art. 12 Abs. 1 LV sowie auf Wettbewerbsfreiheit aus Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 Satz 1 LV verletzt. Im einzelnen machen sie geltend: (...)

B. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. I. Die Beschwerdeführer sind beschwerdebefugt im Sinne von Art. 6 Abs. 2 LV, § 45 Abs. 1 VerfGGBbg. (...) II. Fehlende Rechtswegerschöpfung steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden nicht entgegen. 1. Zwar haben die Beschwerdeführer, soweit sie mit ihrem Antrag zu 2. Vorschriften der Bauvorlagenverordnung angreifen, den Rechtsweg nicht ausgeschöpft. Die Bauvorlagenverordnung ist eine Rechtsverordnung, über deren Gültigkeit gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 4 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz Brandenburg auf Antrag das Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg entscheidet. Da das Oberverwaltungsgericht auch die Vereinbarkeit der Rechtsverordnung mit der Landesverfassung prüft (vgl. § 47 Abs. 3 VwGO) und hierüber jedenfalls im bejahenden Sinne, ansonsten im Rahmen einer Vorlageentscheidung, befinden kann, bietet das Kontrollverfahren nach § 47 VwGO eine fachgerichtliche Möglichkeit des Grundrechtsschutzes, die zufolge § 45 Abs. 2 VerfGGBbg im Regelfall vor Anrufung des Verfassungsgerichts ausgeschöpft werden muß (vgl. zur Normenkontrolle nach § 47 VwGO als Rechtsweg BVerfGE 70, 35, 53 f., s. auch Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 1. Juni 1995 - VfGBbg 6/95 - , LVerfGE 3,157,162). 2. Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg gegeben, demzufolge das Verfassungsgericht im Ausnahmefall über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden kann, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem LVerfGE 10

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Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, wenn er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen wird. Die Verfassungsbeschwerden gegen die Bauvorlagenverordnung sind von „allgemeiner Bedeutung" i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg. Sie gelten nicht nur für die Beschwerdeführer, sondern für alle Vermessungsingenieure im Land Brandenburg, deren berufliche Tätigkeit durch die Neuregelung betroffen ist. Die verfassungsgerichtliche Entscheidung dient somit der Klärung einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle (vgl. zu dieser Voraussetzung Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 21. November 1996 - VfGBbg 26/96 LVerfGE 5, 94, 105 f.; Beschl. v. 20. Oktober 1994 - VfGBbg 12/94 - , LVerfGE 2, 193, 199f.). Dem läßt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß - nach Angaben der Landesregierung — im Geltungsbereich der Verordnung nur etwa 30 freiberufliche Vermessungsbüros bestehen, von denen sich nur etwa 10 auf die hier in Rede stehenden Vermessungsleistungen spezialisiert haben. Bei einer solchen Betrachtungsweise geriete aus dem Blick, daß die angegriffene Neufassung der Bauvorlagenverordnung nicht nur die freiberuflichen Vermessungsingenieure berührt, sondern zugleich die ca. 140 Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure, die für die Anfertigung von Lageplänen fortan allein zuständig sein sollen. Auch für diese Personengruppe ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschriften — freilich unter umgekehrten Vorzeichen — von Bedeutung. Jedenfalls unter Mitberücksichtigung dessen kommt der Sache allgemeine Bedeutung zu. Angesichts der Ausgestaltung des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg als KannVorschrift führt allerdings auch die allgemeine Bedeutung der Sache nicht zwangsläufig zu einer Vorab-Entscheidung des Verfassungsgerichts. Selbst bei allgemeiner Bedeutung der Angelegenheit ergeht eine Vorab-Entscheidung zufolge § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg nur „im Ausnahmefall". In diesem Sinne ist die „allgemeine Bedeutung" nur ein Aspekt unter mehreren, die im Rahmen einer Abwägung für und wider eine sofortige Sachentscheidung zu berücksichtigen sind (ständige Rechtsprechung des erkennenden Gerichts, vgl. etwa Beschl. v. 15. September 1994 - VfGBbg 5/94 - , LVerfGE 2, 170,178; Beschl. v. 20. Oktober 1994 - VfGBbg 12/94 - , LVerfGE 2, 193, 199 f.; Beschl. v. 21. November 1996 - VfGBbg 17/96,18/96 u. 19/96 - , LVerfGE 5,113,120). Es bedarf deshalb besonderer Umstände, die den Fall von der Situation anderer Beschwerdeführer, die sich durch eine Rechtsverordnung beeinträchtigt sehen und zunächst den Rechtsweg ausschöpfen müssen, abheben und ihn als Ausnahme erscheinen lassen. Solche Umstände ergeben sich hier aus dem inneren Zusammenhang der Bauvorlagenverordnung mit der gleichfalls angegriffenen Neufassung des § 74 Abs. 8 BbgBO. Er läßt eine gemeinsame Entscheidung des Verfassungsgerichts über beide Komplexe geboten erscheinen. Die jeweiligen Regelungen stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind aufeinLVerfGE 10

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ander abgestimmt und sollen in ihrem Zusammenwirken der Vereinfachung des Baugenehmigungsverfahrens dienen. Dies sieht der Sache nach auch die Landesregierung so, indem sie betont, daß mit den Neuregelungen ein sog. „integriertes Vermessungsverfahren" etabliert worden sei. Der Zusammenhang wird ferner aus den Gesetzesmaterialien zu § 74 Abs. 8 BbgBO deutlich, wo zur Begründung der Gesetzesänderung auf das Erfordernis eines amtlichen Lageplans und — dahingehend — auf die Änderung der Rechtsverordnung verwiesen wird (vgl. LT-Drs. 2/4096, S. 82 und S. 5 oben). Eine gemeinsame Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit beider Regelungen trägt diesem Zusammenhang Rechnung und bewirkt, daß mögliche Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht jeweils isoliert, sondern auch und gerade in ihrem Zusammenwirken verfassungsrechtlich bewertet werden. 3. Das Verfassungsgericht hat keinen Anlaß gesehen, über die - nach alledem zu bejahenden — Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 2 VerfGGBbg durch eine Zwischenentscheidung zu befinden, wie dies von den Beschwerdeführern in der Beschwerdeschrift angeregt worden ist. Da die Verfassungsbeschwerden insgesamt entscheidungsreif sind, werden sie gemeinsam und in einem Zuge beschieden. C. Die Verfassungsbeschwerden haben, soweit sie sich gegen § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO richten, im Ergebnis Erfolg (dazu I.). Die ebenfalls angegriffenen Bestimmungen der neugefaßten Bauvorlagenverordnung verletzen die Beschwerdeführer dagegen nicht in ihren Grundrechten aus der Landesverfassung (dazu II.). I. 1. Mit dem gegen § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO gerichteten Antrag zu 1. wenden sich die Beschwerdeführer der Sache nach dagegen, daß freiberufliche Vermessungsingenieure von der Durchführung der Bauwerkseinmessung ausgeschlossen werden. Insoweit sind die Verfassungsbeschwerden begründet. § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO beeinträchtigt die Beschwerdeführer in ihrer Berufsfreiheit (Art. 49 Abs. 1 LV). Zwar bleibt die Freiheit der Berufswahl unberührt. Es wird jedoch in unverhältnismäßiger und damit verfassungswidriger Weise in die Freiheit der Berufsausübung eingegriffen. Im einzelnen: a. Art. 49 Abs. 1 Satz 1 LV konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und will eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung gewährleisten (vgl. - zu Art. 12 Abs. 1 GG - BVerfGE 34, 252,256). § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO stellt zwar keine gezielte Regelung der beruflichen Betätigung der Beschwerdeführer bzw. ihrer Berufsgruppe dar, sondern verLVerfGE 10

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pflichtet allein den Bauherren zu einer von Öffentlich bestellten, nicht aber von freiberuflichen Vermessungsingenieuren durchzuführenden Vermessung. Mit diesem Inhalt führt die Regelung jedoch zu einer faktischen Beeinträchtigung der freiberuflichen Vermessungsingenieure. Die Beschwerdeführer werden von der Vermessung ausgeschlossen, weil sich die Bauherren nur noch an Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure bzw. die entsprechenden Behörden wenden dürfen. Der Freiheitsraum, den das Grundrecht auf Berufsfreiheit sichern will, wird auch durch solche Vorschriften berührt, die — wie die hier in Rede stehenden — infolge ihrer tatsächlichen (faktischen) Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 13,181,185 f.; 46,120,137; 61, 291, 308). § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO steht zudem in engem Zusammenhang mit dem Betätigungsbereich des Berufs und hat einen objektiv berufsregelnden Charakter (vgl. zu diesen Voraussetzungen bei faktischen Beeinträchtigungen: BVerfGE 13, 181, 186; 16, 147, 162; 52, 42, 54; 70,191, 214; 95, 267, 302). Die Bestimmung setzt der Tätigkeit der freiberuflichen Vermessungsingenieure im Land Brandenburg eine konkrete, ihren Berufsstand betreffende Grenze. In ihren Auswirkungen ist dies einer Regelung mit berufsregelnder Zielrichtung vergleichbar. b. Der Eingriff in das Grundrecht genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 49 Abs. 1 Satz 2 LV. aa. Das Änderungsgesetz zur Brandenburgischen Bauordnung vom 18. Dezember 1998 ist zwar formell verfassungsgemäß zustande gekommen. Insbesondere ist es in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren ergangen. Dem steht nicht entgegen, daß der Landtag, gestützt auf § 48 GeschOLT, nach der in 2. Lesung erfolgten Verabschiedung des Gesetzes auf Antrag der Landesregierung in einer weiteren Lesung Änderungen des bereits verabschiedeten Gesetzes beschlossen hat. Ein solcher Ablauf ist jedenfalls bezogen auf die hier in Rede stehenden Änderungen verfassungsrechtlich unbedenklich. Allerdings ist § 48 Abs. 1 GeschOLT, wonach eine weitere Lesung erforderlich ist, wenn die Landesregierung oder der Präsident des Landtags dies beantragen, im Unterschied zu ähnlichen Geschäftsordnungsregelungen anderer Landesparlamente nicht durch die Landesverfassung abgesichert (siehe etwa Art. 67 LV NW, Art. 119 Hess. LV). Die „Nachbesserung" eines bereits verabschiedeten Gesetzes könnte deshalb in Widerspruch geraten zu dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Unverrückbarkeit des Gesetzesbeschlusses, wonach auch das Parlament selbst, soweit die Verfassung nichts anderes vorsieht, an seine Gesetzesbeschlüsse gebunden ist und für Änderungen regelmäßig nur der Weg eines neuen förmlichen Gesetzgebungsverfahrens verbleibt (vgl. Maunin Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 78, Rdn. 8 f. m.w.N.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, 9. Aufl. 1999, Art. 77, Rdn. 10 m.w.N.; Kohatt, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 77, Rdn. 25 LVerfGE 10

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m.w.N.; vgl. zur Herleitung Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 1923, Bd. 2, S. 77ff.). Die Frage bedarf indes aus Anlaß des vorliegenden Falles keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls ist der Gesetzgeber nicht an der nachträglichen Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten gehindert, solange der Normgehalt selbst unangetastet bleibt (vgl. Maun^} a.a.O., Rdn. 11; SchmidtBleibtreu/Klein, a.a.O., Rdn. 11; vgl. auchBVerfGE 48,1,18 f.). Die hier vorgenommenen Änderungen bewegen sich noch in diesem Rahmen. Es handelt sich, abgesehen von der — ohnehin unproblematischen — Korrektur bloßer Schreibfehler und der Richtigstellung einer Behördenbezeichnung, um die Änderung einer gesetzlichen Formulierung, die durch die zwischenzeitliche Novellierung des Baugesetzbuches des Bundes veranlaßt war (vgl. LT-Drs. 2/4759, S. 3). Der ursprüngliche Normgehalt ist dadurch nicht verändert, sondern durch Berücksichtigung der neuen bundesgesetzlichen Rechtsgrundlage lediglich wiederhergestellt worden. Berichtigungen dieser Art dürfen dem Landtag auch nach Verabschiedung eines Gesetzes nicht verwehrt sein, solange es noch nicht verkündet ist. bb. § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO genügt aber nicht den materiellen Anforderungen, die von Verfassungs wegen an Eingriffe in die Berufsfreiheit zu stellen sind. Die Bestimmung stellt sich als unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit dar. (1) Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen nicht weiter gehen als es dies legitimierende Interessen erfordern. Die jeweiligen verfassungsrechtlichen Anforderungen bestimmen sich nach der Ebene („Stufe"), auf der das Grundrecht betroffen ist. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen Regelungen der Berufswahl (in Form objektiver oder subjektiver Zulassungsschranken) und Berufsausübungsregelungen (s. hierzu BVerfGE 7, 377, 405 ff. und im weiteren etwa BVerfGE 46,120,145 ff.; 80,269,278 f.; 87, 287, 321 f.). § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO ist als Reglementierung auf der Stufe der Berufsausübung einzuordnen. Der den freiberuflichen Vermessungsingenieuren entsprechend ihrer Ausbildung eröffnete Tätigkeitsbereich umfaßt eine Reihe bauvorbereitender, baubegleitender und sonstiger Vermessungen, unter denen die Bauwerkseinmessungen i. S. des § 74 Abs. 8 Satz 2 BbgBO nur einen Teil ausmachen (vgl. zum Tätigkeitsspektrum der Vermessungsingenieure etwa den Katalog des § 96 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure — HOAI —). Durch den Ausschluß der Berufsgruppe von dieser Vermessungsleistung wird die tatsächliche Zugangsmöglichkeit zu dem Beruf als solchem nicht geschmälert. Die freiberuflichen Vermessungsingenieure werden jedoch im Umfang ihrer Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt. (2) Als Berufsausübungsregelung ist § 78 Abs. 8 Satz 3 BbgBO nicht durch hinreichende, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende GemeinwohlLVerfGE 10

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gründe gedeckt. Insoweit gilt es freilich zu beachten, daß sich das Verfassungsgericht nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen darf. Es ist nicht seine Aufgabe zu kontrollieren, ob der Gesetzgeber die bestmögliche Lösung zur Erreichung der angestrebten Zwecke gewählt hat. Das Verfassungsgericht hat jedoch zu prüfen, ob der Eingriff, gemessen an der Verfassung, zumal an den Grundrechten, die Grenze des Erforderlichen und Angemessenen überschreitet und in dieser Weise über das verfassungsrechtlich Zulässige hinausgeht (vgl. hierzu zuletzt Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 18. Juni 1998 — VfGBbg 27/98 LVerfGE 8, 97 ff.; abgedruckt u. a. in LKV 1998, 395,401). So liegt es hier. (a) Die vom Gesetzgeber angestrebte Erhöhung der Richtigkeitsgewähr der Bauwerkseinmessung rechtfertigt einen generellen Ausschluß der freiberuflichen Vermessungsingenieure von dieser Vermessungsleistung nicht. Es liegt zwar auf der Hand, daß die Gewähr für die Richtigkeit einer Vermessung erhöht werden kann, wenn hierzu nur qualifizierte Personen befugt sind. Insoweit hätte es für die Bauwerkseinmessung nach § 74 Abs. 8 BbgBO jedoch ausgereicht, den Kreis der Vermessungsbefugten auf entsprechend ausgebildetes Personal zu beschränken, zu dem auch die freiberuflichen Vermessungsingenieure zählen. Die Einmessung nach § 74 Abs. 8 Satz 2 BbgBO soll die Einhaltung von Grundfläche und Höhenlage des Bauwerks nachweisen. Die Tätigkeit besteht darin, bei Baubeginn den Baukörper zu vermessen und so die Ubereinstimmung mit den aus den Bauunterlagen ersichtlichen genehmigten Maßen sicherzustellen. Zu vermessungstechnischen Leistungen dieser Art erscheinen aufgrund des Hochschul- oder Fachhochschulstudiums der Vermessungskunde grundsätzlich auch die freiberuflichen Vermessungsingenieure befähigt. Die zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich des Kataster- und Liegenschaftswesens, über die die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure aufgrund der staatlichen Zusatzausbildung und Zulassung verfügen, gewinnen in diesem Zusammenhang keine derartige Bedeutung, daß sie dem Gesetzgeber eine ausschließliche Übertragung der Aufgabe auf diese Berufsgruppe veranlaßt erscheinen lassen durften. Die Zusatzausbildung soll die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure vornehmlich befähigen, Grenzfeststellungen und Vermessungen für die Errichtung und Führung des Liegenschaftskatasters durchzuführen (vgl. § 1 Abs. 2 Ziffer 1 VermLiegG). Von einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur kann — mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts — als Ergebnis seiner Ausbildung erwartet werden, daß er „mit den Besonderheiten des Vermessungswesens in diesem Land vertraut ist, insbesondere mit dem Vermessungs- und Abmarkungsrecht, den fachlichen Anweisungen zur Durchführung von Katastervermessungen, dem Nachweis der Vermessungsergebnisse, der Abmarkung der Grundstücke sowie dem Zustand der vorhandenen LVerfGE 10

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Katasterzahlenwerke, daß er ferner die erforderlichen Techniken beherrscht und die einschlägigen Rechtsvorschriften zutreffend anzuwenden vermag." (BVerfGE 73, 301,316f.). Danach erscheinen Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure in besonderer Weise befähigt, unter Berücksichtigung der Katasterunterlagen Grenzverläufe zu bestimmen und diesbezügliche Unklarheiten zu erkennen. Vertiefte Kenntnisse in diesem Bereich sind aber für die Kontrolle von Grundfläche und Höhenlage eines Bauwerks im Gelände nach § 74 Abs. 8 BbgBO, um die es hier geht, nicht notwendigerweise erforderlich. Dies gilt auch, soweit die Bauwerkseinmessung, wie dies der Bund der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure geltend macht, einen Bezug zu den Grundstücksgrenzen haben kann. Die Bauwerkseinmessung erfolgt unmittelbar nach Baubeginn und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem das Vorhaben auf der Grundlage der vom Bauherren einzureichenden Bauvorlagen von der Fachbehörde bereits geprüft und genehmigt worden ist. Zu den erforderlichen Bauvorlagen zählt nach der Neufassung der Bauvorlagenverordnung regelmäßig auch der amtliche Lageplan, der — angefertigt von den insoweit besonders qualifizierten und gerade deshalb mit dieser Aufgabe betrauten Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren (s. hierzu unten II.) — auch über die Grundstücksgrenzen Auskunft gibt (vgl. § 2 Abs. 2 Ziffer 3 BauVorlV). Mögliche Unklarheiten zum Grenzverlauf sind demnach regelmäßig bereits aufgedeckt und gegebenenfalls durch eine dann vorzunehmende liegenschaftsrechtliche Feststellung der Grenzen gemäß §§18 ff. Vermessungs- und Liegenschaftsgesetz (VermLiegG) bereinigt. Mit der so bewirkten Klärung des Grenzverlaufs bedarf es keiner diesbezüglichen Fachkenntnisse mehr. Zur Einmessung des Bauvorhabens (mit den der Baugenehmigung entsprechenden Abmessungen und Grenzabständen) innerhalb festgestellter Grundstücksgrenzen ist ein Vermessungsingenieur auch dann in der Lage, wenn er nicht über die zusätzliche Ausbildung eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs verfügt. Angesichts dessen ist es nicht erforderlich, die Bauwerkseinmessung nach § 74 Abs. 8 BbgBO wiederum nur Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren vorzubehalten. (b) Auch zur Straffung des Baugenehmigungsverfahrens erscheint der durch § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBÖ bewirkte generelle Ausschluß freiberuflicher Vermessungsingenieure von der Bauwerkseinmessung nicht erforderlich. Die vom Gesetzgeber angestrebte Zusammenfassung der Bauwerkseinmessung mit der in jedem Fall von einem Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur durchzuführenden liegenschaftsrechtlichen Vermessung nach § 15 VermLiegG mag zwar, soweit nach der Art des Bauvorhabens eine solche Zusammenfassung möglich ist, zu einer Beschleunigung des Verfahrens durch Vermeidung von Doppelvermessungen und auch zu einer Kostenersparnis für den Bauherren führen. Soweit eine Zusammenlegung nicht möglich ist, es also bei zwei VermesLVerfGE 10

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sungsterminen verbleibt, kann allerdings durch die Pflicht zur Beauftragung eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs mit der Bauwerkseinmessung, etwa wenn ein Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur nicht zeitgerecht zur Verfügung steht, ein freiberuflicher Vermessungsingenieur aber zur Stelle ist, auch eine gegenteilige Wirkung eintreten. Ob bereits dies die Eignung der Regelung entfallen läßt, mag dahinstehen. Jedenfalls hätte es insoweit als milderes Mittel ausgereicht, dem Bauherren, in dessen Interesse eine Verfahrensverkürzung und Kostenreduzierung vornehmlich liegt, für die Bauwerkseinmessung die Wahl zwischen der Beauftragung eines freiberuflichen und eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs zu belassen. Es stellt sich als unnötige Einschränkung der Berufs(ausübungs)freiheit der freiberuflichen Vermessungsingenieure dar, sie von vornherein und in allen Fällen — selbst dann, wenn eine Zusammenlegung der Vermessungstermine nicht in Betracht kommt — von der Einmessung auszuschließen. cc. Hiernach können die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke den Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer nicht rechtfertigen. Der durch § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO bewirkte generelle Ausschluß freiberuflicher Vermessungsingenieure von der Bauwerkseinmessung verletzt daher Art. 49 Abs. 1 LV. § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO war deshalb für mit der Landesverfassung unvereinbar zu erklären, soweit hiernach freiberufliche Vermessungsingenieure keine Einmessung durchführen dürfen. Uber eine Nichtigkeitserklärung hätte sich die Einbeziehung der freiberuflichen Vermessungsingenieure nicht erreichen lassen. Für den Fall, daß sich ein einzelner freiberuflicher Vermessungsingenieur bei Bauwerkseinmessungen als unzuverlässig erweisen sollte, bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, geeignete Sanktionen vorzusehen. Der generelle Ausschluß der freiberuflichen Vermessungsingenieure von der Bauwerkseinmessung ist jedoch nicht haltbar. 2. Nach diesem Ergebnis kann dahinstehen, ob der durch § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO bewirkte Ausschluß freiberuflicher Vermessungsingenieure von der Bauwerkseinmessung weitere von den Beschwerdeführern geltend gemachte Grundrechte verletzt (vgl. zu einer solchen Vorgehensweise etwa BVerfGE 40, 371, 384). II. Die Verfassungsbeschwerden bleiben ohne Erfolg, soweit sie sich gegen Bestimmungen der neugefaßten Bauvorlagenverordnung richten (Antrag zu 2.). Insoweit wenden sich die Beschwerdeführer dagegen, daß für alle wesentlichen Bauvorhaben ein amtlicher Lageplan erforderlich ist, dessen Anfertigung neben den zuständigen Behörden nur Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren LVerfGE 10

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vorbehalten ist. Durch diese Regelung werden die Grundrechte der Beschwerdeführer aus der Landesverfassung nicht verletzt. 1. Das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 49 Abs. 1 LV bleibt gewahrt. Zwar greifen die beanstandeten Bestimmungen der Bauvorlagenverordnung durch den faktischen Ausschluß der freiberuflichen Vermessungsingenieure von einer Vermessungsleistung ebenso wie § 74 Abs. 8 Satz 3 BbgBO (s. hierzu oben 1.1.a.) in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführer ein. Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. a. Die Bauvorlagenverordnung ist formell ordnungsgemäß zustandegekommen (vgl. Art. 80 LV). Die Verordnung stützt sich auf den — zur Zeit ihrer Verkündung noch maßgeblichen — § 88 Abs. 2 BbgBO a. F., wonach das zuständige Mitglied der Landesregierung — hier der Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr — in Baugenehmigungsverfahren u. a. Vorschriften über die erforderlichen Anträge, Anzeigen, Nachweise und Bescheinigungen sowie über Umfang, Inhalt und Zahl der Bauvorlagen erlassen kann. Damit sind Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Sinne von Art. 80 Satz 2 LV hinreichend bestimmt. Die angegriffenen Vorschriften der Bauvorlagenverordnung halten sich im Rahmen dieser Ermächtigung. b. Auch in materieller Hinsicht genügen die angegriffenen Bestimmungen der Bauvorlagenverordnung den Anforderungen, die von Verfassungs wegen an den mit der Regelung verbundenen Eingriff in die Berufs (ausübungs)freiheit der freiberuflichen Vermessungsingenieure zu stellen sind. aa. Der Ausschluß der freiberuflichen Vermessungsingenieure von der Erstellung amtlicher Lagepläne stellt sich als Reglementierung auf der Stufe der Berufsausübung dar (vgl. zur Einordnung gesetzlicher Einschränkungen der Bauvorlageberechtigung als Berufsausübungsregelung BVerfGE 68, 272, 280ff.). Zwar können auch Berufsausübungsregelungen in die Nähe eines Eingriffs auf der Ebene der Berufswahlfreiheit rücken (und müssen damit erhöhten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen), wenn sie in ihrer Intensität einer objektiven Berufszulassungsschranke ähneln (vgl. etwa BVerfGE 11, 30; 77, 84, 106). So liegen die Dinge hier jedoch entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nicht. Die wirtschaftlichen Folgen der neuen Bauvorlagenverordnung erscheinen schon nach den eigenen Darlegungen der Beschwerdeführer nicht derart gravierend, daß dadurch der Sache nach die Aufnahme oder Fortführung des Berufs gefährdet wäre. Ausweislich etwa der insoweit vorgelegten Umsatzzahlen der Beschwerdeführerin zu 1. ist bei ihr das Geschäft mit der Erstellung von Lageplänen im Land Brandenburg ab Mai 1998 zwar auf Null gesunken. Es hat allerdings auch vorher im Durchschnitt nur einen Anteil von 10—20% der Gesamtumsätze ausgemacht. Signifikante Auswirkungen der neuen BauvorlagenLVerfGE 10

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Verordnung auf das Geschäft mit anderen Bauvermessungen, die die Annahme einer „Schlüsselfunktion" der Lagepläne für weitere Aufträge rechtfertigen würden, lassen sich den Umsatzzahlen nicht entnehmen. Vielmehr sind die Umsätze im Bereich Bauvermessungen unbeschadet saisonaler Schwankungen seit Februar 1998 im wesentlichen konstant geblieben. Im übrigen fällt auf, daß die Beschwerdeführerin zu 1. seit Mai 1998 einen kräftigen Umsatzanstieg bei Dienstleistungen für andere Ingenieur-Büros zu verzeichnen hat, der die Umsatzverluste bei den Lageplänen übersteigt und in der Summe dazu führt, daß die monatlichen Gesamtumsätze zum Ende des Jahres 1998 auf das Doppelte des Vorjahresniveaus angestiegen sind. Hiernach ist nicht davon auszugehen, daß die Aufnahme oder Fortführung des Berufs mit der hier betroffenen Vermessungsleistung steht und fällt, wie dies für die Annahme einer in die Nähe der Berufswahlbeschränkung rückenden Regelung erforderlich wäre. Ohne Auswirkungen bleibt in diesem Zusammenhang, daß sich möglicherweise einzelne Vermessungsbüros im Land Brandenburg, darunter etwa das von den Beschwerdeführern angesprochene Vermessungsbüro in H., in der Vergangenheit in besonderem Maße auf die durch die Neuregelung in Wegfall geratenen Vermessungsleistungen konzentriert haben und demgemäß die Folgen deutlicher spüren als der Berufsstand im allgemeinen. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von gesetzlichen Eingriffen in die Berufsfreiheit ist — notwendigerweise — eine generalisierende Betrachtungsweise geboten, die auf die betroffene Berufsgruppe und die ihr eröffneten Tätigkeitsfelder insgesamt abstellt (vgl. BVerfGE 70, 1, 30 m.w.N.). Aus einer solchen Perspektive ist - wie dargelegt — nicht erkennbar, daß sich die strittigen Vorschriften in ihren Wirkungen bereits einer objektiven Zulassungsschranke annähern. bb. Als Berufsausübungsregelung erscheinen die angegriffenen Vorschriften der Bauvorlagenverordnung im Lichte der damit verfolgten Gemeinwohlzwecke verhältnismäßig. (1) Der Verordnungsgeber hat sich nach den Ausführungen der Landesregierung davon leiten lassen, daß die Bauaufsichtsbehörden bislang in einer Vielzahl von Baugenehmigungsverfahren wegen unklarer Grenzverläufe einen amtlichen Lageplan nachfordern mußten. Die von der Landesregierung in der Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden genannte Zahl von 70 % aller Baugenehmigungsverfahren haben die Beschwerdeführer zwar pauschal angezweifelt, ihr aber keine greifbaren Anhaltspunkte entgegengesetzt, die auf eine deutlich niedrigere Größenordnung schließen lassen. Die Angaben der Landesregierung decken sich mit der Darstellung eines mit der Materie betrauten Mitarbeiters des zuständigen Ministeriums in einem bereits Anfang 1998 erschienenen Aufsatz (forum 1/1998, S. 281), den die Beschwerdeführer selbst dem Verfassungsgericht vorgelegt haben. Übereinstimmend ist auch der Gesetzgeber LVerfGE 10

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ausweislich der Begründung zu § 74 Abs. 8 BbgBO davon ausgegangen, daß Grenzverläufe vielerorts unklar und die Katasterunterlagen unvollständig sind. Der Verband Deutscher Vermessungsingenieure hat dargelegt, daß zwar in den innerstädtischen Bereichen überwiegend festgestellte Grenzen vorhanden sind, nicht aber in den Außenbereichen. Der Bund Öffentlich bestellter Vermessungsingenieure hat ausgeführt, daß die Feststellung der Grundstücksgrenzen aufgrund des Zustandes des Katasterzahlenwerks in der Mehrzahl der Fälle mit Schwierigkeiten verbunden ist. Das Verfassungsgericht hat keinen Anlaß, diese in der Tendenz übereinstimmenden Erkenntnisse fachkundiger Kreise in Frage zu stellen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß den Baugenehmigungsbehörden bisher jedenfalls in einer Vielzahl von Verfahren wegen ungeklärter Grenzverhältnisse einfache Lagepläne nicht ausgereicht haben und amtliche Lagepläne nachgefordert werden mußten. Die damit gegebenenfalls einhergehenden Verzögerungen und unnötigen Mehraufwendungen seitens des Bauherren werden durch die Neuregelung vermieden. Daß der Verordnungsgeber die Pflicht zur Vorlage eines amtlichen Lageplans nicht ausdrücklich auf die Fälle unklarer Grenzverläufe beschränkt, sondern als Regelfall für alle wesentlichen Bauanträge eingeführt hat, bewegt sich im Rahmen zulässiger Pauschalierung. Dies gilt jedenfalls unter Mitberücksichtigung des § 3 BauVorlV, wonach die Bauaufsichtsbehörde von einem amtlichen Lageplan absehen kann, wenn er nach Lage des Einzelfalles nicht erforderlich ist. (2) Zur Erreichung des angestrebten Zwecks durfte es dem Verordnungsgeber erforderlich erscheinen, in Abkehr von der bisherigen Regelung mit der Anfertigung amtlicher Lagepläne neben den behördlichen Vermessungsstellen nur Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure zu betrauen. Der Verordnungsgeber hat sich, wie der Hinweis auf vielfach unklare Grenzverläufe und unvollständige Katasterunterlagen belegt, erkennbar davon leiten lassen, daß die Anfertigung eines Lageplans durch den Bezug zu der Grundstücksgrenze (s. § 2 Abs. 2 Ziffer 3 BauVorlV) neben fachtechnischen Fertigkeiten zusätzlich vermessungs- bzw. katasterrechtliche Kenntnisse erfordert, um Grenzverläufe bestimmen und mögliche Unklarheiten frühzeitig erkennen zu können. Hierüber verfügen aufgrund der weiterführenden staatlichen Ausbildung im Bereich des Katasterwesens in vergleichsweise abgesicherterer Weise die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (s.o.). Angesichts ihrer insoweit umfassenderen Kenntnisse durfte sich der Verordnungsgeber von der Übertragung der Befugnis zur Anfertigung des amtlichen Lageplans (außer auf behördliche Vermessungsstellen) ausschließlich auf Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Lageplans versprechen als sie eine auch die freiberuflichen Vermessungsingenieure einbeziehende Regelung geboten hätte. Dies gilt auch in bezug auf die sog. Beratenden Ingenieure i.S.d. §§ 15 ff. LVerfGE 10

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BbglngKamG, die zwar eine praktische Tätigkeit von mindestens 5 Jahren vorweisen können, aber keine den Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren vergleichbare Zusatzausbildung. Hiervon ausgehend erschien dem Verfassungsgericht die von den Beschwerdeführern angeregte Einholung eines weiteren Gutachtens zum Ausbildungsinhalt der vermessungskundlichen Studiengänge verzichtbar. Die von dem Verfassungsgericht nicht in Frage gestellte Qualität der allgemeinen vermessungskundlichen Ausbildung ändert nichts daran, daß der Verordnungsgeber von Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren wegen ihrer zusätzlichen Ausbildung gerade auf dem hier interessierenden Gebiet weiterführende Kenntnisse erwarten durfte. Im übrigen gewinnt in diesem Zusammenhang Bedeutung, daß Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure gem. § 1 Abs. 2 Ziffer 2 ÖbVermlngBO Tatbestände mit öffentlichem Glauben beurkunden dürfen. Der amtliche Lageplan soll zufolge § 2 Abs. 1 Satz 1 BauVorlV Tatbestände an Grund und Boden darstellen, die mit öffentlichem Glauben beurkundet sind. Für einen „amtlichen" Lageplan in diesem Sinne bedarf es deshalb notwendigerweise einer Beurkundung, die ein freiberuflicher Vermessungsingenieur nicht vornehmen darf. Auch von daher durfte dem Verordnungsgeber ein Abgehen von der bisherigen Regelung, die als amtlichen Lageplan einen einfachen Lageplan mit Beglaubigung durch einen Öffentlich bestellten Vermessungsingenieur ausreichen ließ, veranlaßt erscheinen. Daß die im amtlichen Lageplan festgestellten Grundstücksgrenzen das Liegenschaftskataster als das amtliche Verzeichnis der Grundstücke nicht ersetzen können, wirkt sich in diesem Zusammenhang nicht aus. Unbeschadet dessen bietet die mit öffentlichem Glauben versehene Feststellung eines Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs eine höhere Richtigkeitsgewähr für die Bauherren und die Baubehörden (die damit in stärkerem Maße von eigenen Kontrollen entlastet werden) als ein einfacher Lageplan. Ob die Änderung der Bauvorlagenverordnung auch wegen des Fortfalls der baurechtlichen Teilungsgenehmigung erforderlich geworden ist, kann dahinstehen. Dem Verordnungsgeber durfte die Neuregelung bereits zur Verfolgung der aufgezeigten Zwecke erforderlich erscheinen. (3) Gemessen an den mit der Neufassung der Bauvorlagenverordnung angestrebten Gemeinwohlzwecken sind die die Beschwerdeführer treffenden Nachteile nicht unangemessen und hinzunehmen. Gegenüber den Erleichterungen, die sich im Baugenehmigungsverfahren typischerweise für die Bauherren ergeben, der Erhöhung der Richtigkeitsgewähr der Vermessung und damit der Beförderung des Rechtsfriedens - auch durch Vermeidung von Nachbarstreitigkeiten — durfte der Verordnungsgeber die auf eine einzelne Vermessungsleistung beschränkte Beeinträchtigung der Berufsfreiheit auf Seiten der freiberuflichen Vermessungsingenieure zurücktreten lassen. LVerfGE 10

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(4) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtete den Verordnungsgeber auch nicht zu einer Ubergangsregelung. Zwar können Vorschriften, welche die Berufsfreiheit beschränken, gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, wenn sie keine Ubergangsregelungen für diejenigen vorsehen, die eine künftig unzulässige Tätigkeit in der Vergangenheit in erlaubter Weise ausgeübt haben (vgl. BVerfGE 68, 272, 284 m.w.N.). Dies setzt indes voraus, daß das Absehen von einer Übergangsregelung für den betroffenen Personenkreis angesichts der Intensität des Eingriffs schlechterdings unzumutbar ist, weil er praktisch zur Aufgabe des bisherigen Berufs gezwungen oder doch zumindest in dessen Fortführung gehindert wird (vgl. BVerfGE 21,173,182 f.; 32,1,22 f.; 50,265, 274; 68,272,284). So liegt es hier jedoch nicht. Auch ohne Übergangsregelung ist die wirtschaftliche Existenz der Beschwerdeführer nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie sind weder rechtlich noch tatsächlich gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren, und können, soweit sie in der Vergangenheit die in Wegfall geratene Vermessungsleistung angeboten haben, auf andere Betätigungsfelder ausweichen. Daß dies tatsächlich möglich ist, zeigen die eigenen Ausführungen der Beschwerdeführer. Danach haben sie ihr Geschäft — wenn auch notgedrungen — zur Kompensation der Umsatzrückgänge verstärkt auf die Übernahme von Aufträgen Öffentlich bestellter Vermessungsingenieure ausgerichtet. Der Umfang dieser Verlagerung der Geschäftstätigkeit wird aus den vorgelegten Umsatzzahlen der Beschwerdeführerin zu 1. deutlich. Danach ist das Geschäft der Dienstleistungen für andere Vermessungsbüros seit Mitte des Jahres 1998 auf mittlerweile mehr als ein Drittel der Gesamtumsätze angestiegen. Der Zuwachs in diesem Bereich übersteigt gar die Umsatzrückgänge, die die Beschwerdeführer auf die angegriffenen Neuregelungen zurückführen. Daß die freiberuflichen Vermessungsbüros insoweit (nur) als Subunternehmer der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure und nicht als Vertragspartner der Bauherren tätig werden, begründet für sich genommen noch keine unzumutbare Härte. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, es hätte jedenfalls eine Übergangsregelung zur erleichterten Zulassung als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure vorsehen werden müssen, ist auf § 22 ÖbVermlngBO zu verweisen, wonach Vermessungsingenieure unter den dort genannten Voraussetzungen innerhalb eines fünfjährigen Übergangszeitraums auch ohne staatliche Ausbildung als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure zugelassen werden konnten. Von dieser Möglichkeit haben die Beschwerdeführer offensichtlich keinen Gebrauch gemacht. Eine erneute Einräumung erleichterter Zulassungsmöglichkeiten war aus Anlaß der hier angegriffenen Rechtsänderungen angesichts der aufgezeigten begrenzten Auswirkung der Neuregelung auf das Tätigkeitsfeld und das Geschäftsergebnis der betroffenen freiberuflichen Vermessungsingenieure von Verfassungs wegen nicht zwingend. LVerfGE 10

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2. Die angegriffenen Vorschriften der Bauvorlagenverordnung verletzen die Beschwerdeführerauch nicht in anderen Grundrechten aus der Landesverfassung. a. Für eine Prüfung am Maßstab des als verletzt gerügten Art. 42 Abs. 1 Satz 1 LV (Recht auf freie Entfaltung der wirtschaftlicher Eigeninitiative) ist kein Raum. Die Verfassungsnorm konkretisiert, bezogen auf den Bereich der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 10 LV). Die allgemeine Handlungsfreiheit aber tritt als Prüfungsmaßstab bei berufsbezogenen Regelungen hinter der speziellen Gewährleistung der Berufs freiheit zurück, und zwar auch insoweit, als sie — wie etwa auf Bundesebene — mangels gesonderter Gewährleistung die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit mit umfaßt (vgl. - bezogen auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 G G - BVerfGE 77, 84,118 m.w.N.). Der Sache nach gilt nichts anderes, wenn die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit neben der allgemeinen Handlungsfreiheit (unter Beibehaltung der Schranken) gesondert gewährleistet wird. Auch Art. 42 Abs. 1 Satz 1 LV tritt deshalb hier hinter Art. 49 Abs. 1 LV zurück. b. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 12 Abs. 1 LV) ist nicht verletzt. Die unterschiedliche Behandlung freiberuflicher und Öffentlich bestellter Vermessungsingenieure findet ihren sachlich rechtfertigenden Grund in der vorgeschriebenen umfassenderen Ausbildung der letztgenannten Berufsgruppe, von der sich der Verordnungsgeber eine höhere Gewähr für die Erreichung der angestrebten öffentliche Zwecke versprechen durfte. c. Wenn und soweit die Beschwerdeführer durch den Hinweis auf den „Besitzstand" der freiberuflichen Vermessungsingenieure der Sache nach auch auf eine Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 41 LV abstellen, gilt folgendes: Die Eigentumsgarantie schützt — auch unter dem Aspekt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs — nur bereits erworbene Rechtspositionen, nicht dagegen bloße Erwerbschancen oder Verdienstmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 28,119,142). Die Abgrenzung zur Berufsfreiheit erfolgt danach, ob es dem Betroffenen um den Schutz des Erworbenen, also des Ergebnisses seiner Betätigung, geht oder um den Schutz der Betätigung selbst (vgl. BVerfGE 30, 292, 334f.). Den Beschwerdeführern geht es hier erkennbar um die Aufrechterhaltung vormals bestehender Erwerbsmöglichkeiten. Das aber ist allein am Maßstab der Berufsfreiheit zu messen. Ein allgemeines „Abwehrrecht" gegenüber Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen läßt sich der Eigentumsgarantie nicht entnehmen (vgl. BVerfGE 45,142,173). III. Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 1 VerfGGBbg. Angesichts des Teilerfolgs der Verfassungsbeschwerden erschien dem Verfassungsgericht eine hälftige Erstattung angemessen.

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Nr. 5 Keine einstweilige Anordnung gegen die vom Strafgericht nach § 81 a Strafprozeßordnung veranlaßte ärztliche Untersuchung des Angeklagten (hier: ambulante nervenärztliche Untersuchung ohne körperlichen Eingriff).* Strafprozeßordnung § 81a Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 30 Abs. 1 Beschluß vom 30. Juni 1999 - VfGBbg 21/99 EA in dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Herrn J. gegen den Beschluß des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 26. April 1999 Az.: 2 Ws 134/99 Entscheidungsformel: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Gründe: A. Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung einer ärztlichen und nervenärztlichen Untersuchung nach § 81a StPO. Das Amtsgericht B. ließ gegen den Antragsteller die Anklage der Staatsanwaltschaft F. wegen gefahrlicher Körperverletzung und Bedrohung zu. Es beschloß die Eröffnung der Hauptverhandlung und ordnete - weil es sich um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt - dem Antragsteller eine Pflichtverteidigerin bei. Der Antragsteller hat bereits gegen die Eröffnung der Hauptverhandlung und die Beiordnung der Pflichtverteidigerin vor dem Verfassungsgericht — erfolglos — um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zwei Termine zur mündlichen Verhandlung mußten durch das Amtsgericht B. aufgehoben werden, weil der Antragsteller erkrankt war. Nachdem der behandelnde Arzt unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht keine näheren Angaben zur Erkrankung des Antragstellers gemacht hatte, ordnete das Amtsgericht B. mit Beschluß vom 11. Januar 1999 die ärztliche und nervenärztliche Untersuchung des Antragstellers nach § 81a Strafprozeßordnung (StPO) durch eine bestimmte Ärztin bzw. * Nichtamtlicher Leitsatz

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Vom Strafgericht veranlaßte ärztliche Untersuchung

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durch ausgewählte Fachärzte aus der Landesklinik E., Klinik für forensische Psychiatrie, an, weil dies zur Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zum Tatzeitpunkt sowie der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten erforderlich sei. Gegen diesen Beschluß erhob der Antragsteller sofortige Beschwerde, die vom Landgericht F. mit der Begründung verworfen wurde, es handele sich um eine der Urteilsfindung des Amtsgerichts vorausgehende Entscheidung, die nicht selbständig angreifbar sei. Gegen den Beschluß des Landgerichts F. erhob der Antragsteller weitere Beschwerde, die das Brandenburgische Oberlandesgericht mit der Begründung zurückwies, daß gegen einen auf Beschwerde ergangenen, die medizinische Untersuchung des Angeklagten betreffenden Beschluß eine weitere Beschwerde nicht statthaft sei. Der Antragsteller hat am 8. Juni 1999 einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem er die Aufhebung der Beschlüsse des Oberlandesgerichts und des Landgerichts F. begehrt. Er hält diese Entscheidungen für grob rechtswidrig und sieht sich in seinen Rechten aus Art. 6 und 53 Landesverfassung (LV) verletzt. B. I. Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Das Verfassungsgericht kann nach § 30 Abs. 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Insoweit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts ein strenger Maßstab anzulegen. Stellt sich die Anrufung des Verfassungsgerichts in der Hauptsache von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet dar, kann auch der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Ansonsten ist eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung vorzunehmen, wobei die Gründe, die für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sprechen, deutlich überwiegen müssen, weil sie sonst bei vergleichender Betrachtungsweise nicht schwer genug im Sinne des Gesetzes sind („schwerer Nachteil") bzw. keinen gleichwertigen „anderen" — dem Fall drohender Gewalt vergleichbaren — Grund darstellen. Unbeschadet dessen muß, und zwar im Sinne einer zusätzlichen Voraussetzung, die Anordnung „zum gemeinen Wohl" und „dringend" geboten sein (vgl. zu alledem etwa die Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg v. 30. November 1993 - VfGBbg 3/93 EA - , LVerfGE 1,205,206; v. 22. Dezember 1993 - VfGBbg 9/93 EA - , LVerfGE 1,214,216 f.; v. 15. Dezember 1994 - VfGBbg 14/94 EA - , LVerfGE 2, 214,219 f.; v. 20. Juni LVerfGE 10

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1996 - VfGBbg 14/96 EA LVerfGE 4,190,197). Hiernach kommt vorliegend der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. 1. Die Anrufung des Verfassungsgerichts verspricht in der Hauptsache keinen Erfolg. Ordnet das erkennende Strafgericht eine ärztliche Untersuchung des Angeklagten nach § 81a StPO an, so ist diese Anordnung als eine der Urteilsfindung vorausgehende Entscheidung nur dann selbständig angreifbar, wenn sie mit einer Freiheitsentziehung oder einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit verbunden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22. November 1985, Die Justiz 1986, 53; OLG Koblenz, Beschl. v. 26. November 1993, NStZ 1994,355 f.; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28. Juli 1989, MDR 1990, 75). Gleiches dürfte im Ergebnis für eine Anfechtung im Wege der Verfassungsbeschwerde gelten. Soweit ersichtlich, ist das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden gegen Anordnungen einer ärztlichen Untersuchung nach § 81a StPO durch das Strafgericht nur in Fällen nähergetreten, in denen mit der Untersuchung eine Freiheitsentziehung oder ein körperlicher Eingriff verbunden war (vgl. z.B. BVerfGE 16, 194, 202 - Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit —). In dem Beschluß des Amtsgerichts B. wird jedoch weder eine Einweisung in eine Klinik noch ein körperlicher Eingriff angeordnet. 2. Ob eine Verfassungsbeschwerde aus diesen Gründen in der Hauptsache überhaupt zulässig wäre, kann indes letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls sind die besonderen Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht zu erkennen. Die Anordnung einer ärztlichen bzw. nervenärztlichen Untersuchung des Antragstellers stellt, wenn sie ihm auch unangenehm sein mag, keinen Nachteil von solchem Gewicht dar, wie es § 30 Abs. 1 VerfGGBbg verlangt. Es liegt kein Fall vor, der etwa dem drohender Gewalt vergleichbar wäre. Die angeordnete ärztliche und nervenärztliche Untersuchung des Antragstellers ist weder mit einer Freiheitsentziehung — einer Einweisung in ein Krankenhaus — noch mit einem körperlichen Eingriff — etwa der Entnahme von Körperflüssigkeiten — verbunden. Das Ergebnis der Untersuchung führt auch keinen unabänderlichen Rechtszustand herbei. Die Verwertung des Untersuchungsergebnisses durch das Amtsgericht kann gegebenenfalls zusammen mit der Entscheidung in der Strafsache angefochten werden. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, daß der Erlaß der einstweiligen Anordnung im Sinne von § 30 Abs. 1 VerfGGBbg zum „gemeinen Wohl" und „dringend" geboten wäre. Es handelt sich — bei aller Bedeutung für den Antragsteller selbst — um eine Angelegenheit ohne unmittelbare Auswirkungen auf das Gemeinwohl. II.

Der Beschluß ist unanfechtbar. LVerfGE 10

Verfassungsbeschwerde und Maßnahmen der Wahlbehörden

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Nr. 6 Entscheidungen und Maßnahmen der Wahlbehörden, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen (hier: Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis), können nur mit den im Landeswahlgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfen und im übrigen nur im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden; § 48 des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes bleibt im Einklang mit der Landesverfassung.* Verfassung des Landes Brandenburg Art. 63 Brandenburgisches Landeswahlgesetz § 48 Beschluß vom 2. September 1999 - VfGBbg 29/99; VfGBbg 29/99 EA in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren des Herrn G. wegen Nichteintragung in das Wählerverzeichnis für die Landtagswahl. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Nichteintragung in das Wählerverzeichnis für die kommende Landtagswahl. Die zuständige Meldebehörde in P. hat ihn 1997 von Amts wegen aus dem Melderegister gestrichen, weil er nach dortigen Ermittlungen seit 1995 in P. keinen Wohnsitz mehr hat. Demgemäß wurde er nicht in das Wählerverzeichnis aufgenommen. Hiergegen hat er ohne Erfolg Einspruch bei der Wahlbehörde und Beschwerde beim Kreiswahlleiter erhoben. Ein (weiterer) Antrag des Beschwerdeführers vom 21. August 1999 auf Eintragung in das Wählerverzeichnis ist von der Wahlbehörde ebenfalls abgelehnt worden. Mit der Verfassungsbeschwerde und einem sinngemäß gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung will der Beschwerdeführer seine Teilnahme an der bevorstehenden Landtagswahl erreichen. Zur Begründung macht er geltend, seinen Wohnsitz in P. zu haben. Ihm bleibe nur noch die Möglichkeit, sich an das Verfassungsgericht zu wenden. Die Inanspruchnahme verwaltungs-

* Nichtamtlicher Leitsatz

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gerichtlichen Rechtsschutzes erscheine nach einer zur Kommunalwahl ergangenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg aussichtslos. II. Die Verfassungsbeschwerde war gemäß § 21 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg zu verwerfen. Hierbei mag dahinstehen, ob es dem Beschwerdeführer zuzumuten gewesen wäre, zunächst verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz — gegen die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis oder auch gegen die Streichung im Melderegister — in Anspruch zu nehmen. Denn jedenfalls ist die Verfassungsbeschwerde aus den nachfolgenden Gründen unzulässig. Nach § 48 Landeswahlgesetz (LWahlG) können Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, nur mit den im Landeswahlgesetz vorgesehenen Rechtsbehelfen und im übrigen nur nach der Wahl im Wahlprüfungsverfahren nach Art. 63 Landesverfassung (LV) angefochten werden. Die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis zählt zu diesen „Entscheidungen und Maßnahmen" i.S.d. § 48 LWahlG (vgl. zu der entsprechenden Vorschrift des BWahlG: BVerfGE 29, 18 f.; Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl. 1994, § 49 Rdn. 3). Die Verfassungsbeschwerde ist bei solchen das Wahlverfahren betreffenden Entscheidungen und Maßnahmen im Hinblick auf Art. 63 LV entsprechend der zu der gleichen Rechtslage auf Bundesebene (Art. 41 Grundgesetz) entwickelten ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich das Landesverfassungsgericht anschließt, in verfassungskonformer Weise ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 11, 329f.; 14,154f.; 16,128f.; 29,18f.; NVwZ 1994, 893f.). Die Verfolgung subjektiver Rechte einzelner muß im Wahlverfahren gegenüber der Notwendigkeit zurücktreten, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern in einer einheitlichen, wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen; der reibungslose Ablauf einer Parlamentswahl erfordert, daß die Rechtskontrolle der zahlreichen Einzelentscheidungen der Wahlorgane während des Wahlverfahrens begrenzt und im übrigen einem nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vorbehalten bleibt (BVerfG, NVwZ 1994, 893f.). III. Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. IV. Der Beschluß ist einstimmig ergangen; er ist unanfechtbar.

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Nr. 7* 1. a. Die den Gemeinden für das Haushaltsjahr 1998 insgesamt zur Verfügung gestellte Verbundmasse ist nicht evident unzureichend und die für 1998 festgelegte Verbundquote verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. b. Die Anwendung des sog. Gleichmäßigkeitsgrundsatzes führt für sich genommen noch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Finanzierungssystems. Allerdings gerät eine langjährig wiederkehrende Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung der Verbundquote in Konflikt mit der Art. 99 Satz 2 LV zugrundeliegenden Verpflichtung zu einem aufgabenadäquaten Finanzausgleich. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen gehalten, in regelmäßigen Zeitabständen — spätestens für das Haushaltsjahr 2001 und sodann spätestens alle drei Jahre — zu überprüfen, ob eine nach dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz bestimmte Verbundquote noch dem tatsächlichen Bedarf der Gemeinden gerecht wird; gegebenenfalls muß er die Quote anpassen. 2. a. Die Ermittlung des Finanzbedarfs einer Gemeinde mit Hilfe der sog. Einwohnerveredelung ist jedenfalls für das Haushaltsjahr 1998 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Spätestens für das Haushaltsjahr 2001 darf der Gesetzgeber aber an der Hauptansatzstaffel nicht mehr festhalten, ohne hierfür eine nachvollziehbare und tragfähige Begründung zu geben. Alsdann ist der Gesetzgeber verpflichtet, spätestens alle drei Jahre die Geeignetheit der Hauptansatzstaffel zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Gemeinden zu überprüfen und gegebenenfalls die Bestimmungen über die Errechnung der Ausgangsmeßzahl neu zu gestalten. b. Weder der Ansatz fiktiver Hebesätze zur Ermittlung der Steuerkraftmeßzahl noch ihre in § 9 GFG 1998 festgelegte Höhe ist verfassungsrechtlich zu beanstanden. c. Auch die Festlegung der Ausgleichsquote auf 85% des Unterschiedes zwischen der Ausgangsmeßzahl und der Steuerkraftmeßzahl in § 10 Abs. 1 GFG 1998 ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. d. Die Gewährung investiver Zuweisungen nach § 4 i.V.m. §§ 17, 18 GFG 1998 und von sonstigen Zuweisungen nach Maßgabe des Haushaltsplans gemäß § 23 GFG 1998 bleibt im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhältlich (Adresse s. Anhang).

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e. Die Einführung einer Gewerbesteuerumlage zu Lasten der gewerbesteuerstarken und zugunsten der gewerbesteuerschwachen Gemeinden ist verfassungsrechtlich nicht geboten. f. Das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 stößt auch nicht deshalb auf verfassungsrechtliche Bedenken, weil es über die Differenzierung nach der Finanzkraft der Gemeinden hinaus nicht zwischen den Gemeinden innerhalb des engeren Verflechtungsraums Brandenburg-Berlin und den Gemeinden im äußeren Entwicklungsraum unterscheidet. 3. § 16 GFG 1998 ist in verfassungskonformer Weise dahin auszulegen, daß aus dem Ausgleichsfonds Gemeinden, soweit ihnen trotz sparsamster Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten kein finanzieller Spielraum für ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung verbleibt, Unterstützung zu gewähren ist. Für diese Fälle ist die Gemeinde nicht zur Rückzahlung verpflichtet. Grundgesetz Art. 28 Abs. 2 Verfassung des Landes Brandenburg Art. 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 33; 99 Sätze 2, 3 Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung Art. 9 Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 §§ 1; 4 Abs. 1; 8; 9; 10 Abs. 1; 16; 21; 23 Urteil vom 16. September 1999 - VfGBbg 28/98 in dem kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffend § 2 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Brandenburg an die Gemeinden und Landkreise im Haushaltsjahr 1998 (Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 - GFG 1998 - ) vom 22. Dezember 1997 (GVB1.1154). Entscheidungsformel: Die kommunale Verfassungsbeschwerde gegen § 2 und andere Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Brandenburg an die Gemeinden und Landkreise im Haushaltsjahr 1998 (Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 - GFG 1998 - ) vom 22. Dezember 1997 (GVB1.1154) werden mit den Auflagen an den Landesgesetzgeber gemäß nachfolgender Ziffer 1. und der Maßgabe gemäß nachfolgender Ziff. 2 zurückgewiesen: 1. a. Der Landesgesetzgeber ist für den Fall, daß er bei dem System der Zuweisung eines bestimmten Prozentsatzes aus dem allgemeinen Steuerverbund verbleibt, gehalten, spätestens für das Haushaltsjahr 2001 und sodann spätestens LVerfGE 10

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alle drei Jahre die Verbundquote unter aktualisierter Gewichtung der Aufgaben des Landes einerseits und der Gemeinden und Landkreise andererseits in überprüfbarer Weise neu zu ermitteln. b. Der Landesgesetzgeber ist weiter gehalten, spätestens für das Haushaltsjahr 2001 und sodann spätestens alle drei Jahre zu überprüfen, ob und in welcher Staffelung bei der Ermitdung der Bedürftigkeit der Gemeinden eine Differenzierung nach der Zahl der Einwohner erfolgen soll. 2. Mittel nach § 16 Abs. 1 Ziff. 2 GFG 1998 sind auf Antrag auch zur Verfügung zu stellen, soweit einer Gemeinde trotz sparsamster Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einsparmöglichkeiten im Einzelfall keine Mittel zur Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben verbleiben. Für diesen Fall ist die Gemeinde nicht zur Rückzahlung verpflichtet. 3. Der Beschwerdeführerin sind ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. Aus den G r ü n d e n : (...) B. II. Die Verfassungsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. §§ 2; 4 Abs. 1; 8; 9; 10 Abs. 1; 16; 21 — soweit die Beschwerdeführerin für übertragene Aufgaben eine volle Kostendeckung erstrebt — und 23 GFG 1998 sind, § 16 in verfassungskonformer Auslegung, mit der Landesverfassung vereinbar. Die den Gemeinden für das Haushaltsjahr 1998 insgesamt zur Verfügung gestellte Schlüsselmasse ist nicht evident unzureichend und die für 1998 festgelegte Verbundquote ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter 1.). Allerdings gibt das erkennende Gericht dem Gesetzgeber auf, die Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung der Verbundquote spätestens für das Haushaltsjahr 2001 und sodann spätestens alle drei Jahre unter aktualisierter Gewichtung der Aufgaben des Landes einerseits und der Gemeinden und Landkreise andererseits zu überprüfen (dazu unter 2.). Der Gesetzgeber ist weiter verpflichtet, in gleichen Fristen die Geeignetheit der Hauptansatzstaffel zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Gemeinden zu überprüfen und gegebenenfalls die Bestimmungen über die Errechnung der Ausgangsmeßzahl neu zu gestalten (dazu unter 3.). Schließlich ist § 16 GFG 1998 in verfassungskonformer Weise dahin auszulegen, daß aus dem Ausgleichsfonds Gemeinden, soweit ihnen kein finanzieller Spielraum für ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung verLVerfGE 10

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bleibt oder soweit sie unverschuldet in eine finanzielle Nodage geraten sind, Unterstützung zu gewähren ist (dazu unter 4.). 1. Die den Kommunen für 1998 zugewiesene Verbundmasse und die für das Haushaltsjahr 1998 gebildete Verbundquote stellen sich nicht als Verstoß gegen die Landesverfassung dar. Zur kommunalen Selbstverwaltung i.S.d. Art. 97 LV gehört die Finanzhoheit, also die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 15. Oktober 1998 - VfGBbg 38/97, 39/97, 21/98 und 24/98 NVwZ-RR 1999, 90). Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung findet seine notwendige finanzielle Absicherung in dem Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände auf Finanzausstattung durch das Land. Der Finanzausstattungsanspruch ist in der Literatur (vgl. z. B. Hoppe, DVB1. 1992, 117, 118f.; Birk/Inhester, DVB1. 1993, 1281, 1284) und in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte (vgl. z.B. Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9. Juli 1998 - VerfGH 16/96, VerfGH 7/97 NWVB1. 1998, 390, 391 sowie Urt. v. 16. Dezember 1988 - VerfGH 9/87 - , OVGE 40, 300, 300f.; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 12. Januar 1998 - Vf. 24-VII-94 BayVBl. 1998, 207,208) allgemein anerkannt. Für das Land Brandenburg findet er seine verfassungsrechtliche Ausgestaltung in Art. 99 Sätze 2 und 3 LV. a. Der Anspruch der Gemeinden auf Finanzausstattung aus Art. 99 Satz 2 LV soll entsprechend dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung dafür sorgen, daß die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können. Zugleich steht er unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes. Aus den Verfassungsmaterialien ergibt sich, daß die gefundene Formulierung eine finanzielle Ausstattung der Gemeinden in Orientierung an den von ihnen zu bewältigenden Aufgaben und eine ausgewogene Aufteilung der Zuweisungsmasse auf die einzelnen Gemeinden und Landkreise sicherstellen sollte (vgl. Verfassungsausschuß/ Unterausschuß II, 9. Sitzung, Dokumentation der Verfassung des Landes Brandenburg, Band 2,1993, S. 943 f.). Dagegen läßt sich nicht feststellen, daß der Verfassungsgeber einen Finanzierungsanspruch ohne Rücksicht auf den Landeshaushalt gewähren wollte. Daraus, daß der in einem früheren Entwurfstext enthaltene Vorbehalt „im Rahmen seiner (= des Landes) finanziellen Leistungsfähigkeit" nicht beibehalten worden ist, kann nicht geschlossen werden, daß für die Gemeindefinanzierung die Gesamtfinanzlage des Staates keine Rolle spielen dürfe (vgl. Verfassungsausschuß/Unterausschuß II, 9. Sitzung, a.a.O., S. 943 f.). In der Tat kann der gemeindliche Finanzierungsanspruch nicht losgelöst von der Gesamtsituation der Landesfinanzen gesehen werden. Seine verfassungsrechtliche Begründung findet dies in der staatsorganisationsrechtlichen LVerfGE 10

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Eingliederung der Gemeinden in das Land. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind Teil des Landes und in den Staatsaufbau des Landes einbezogen. In der Landesverfassung wird die Eingliederung der Gemeinden in den Staatsaufbau des Landes etwa darin deutlich, daß die kommunale Selbstverwaltung in dem 4. Abschnitt „Die Verwaltung" des 3. Hauptteils „Die Staatsorganisation" geregelt wird. Unabhängig davon stehen die Kommunen über die ihnen zukommenden Zuweisungen mit dem Land und auch dem Bund naturgemäß in einem allgemeinen Steuerverbund, auf dessen Mittel auch das Land zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben angewiesen ist (vgl. dazu Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1. Dezember 1998 - VerfGH 5/97 - , S. 11 f. des Entscheidungsumdrucks, insoweit nicht abgedruckt in NWVB1.1999,136 ff. = DÖV 1999, 300 ff.). In der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte ist die Abhängigkeit des Finanzierungsanspruchs der Gemeinden von der Lage der Staatsfinanzen anerkannt (vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 18. April 1996 - Vf. 13-VII-93 - , BayVBl. 1996, 462, 464; Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1. Dezember 1998 - VerfGH 5/97 - , S. 11 f. des Entscheidungsumdrucks und Urt. v. 16. Dezember 1988 — VerfGH 5/87 - , OVGE 40, 300, 303 f.; Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Beschl. v. 15. August 1995 - StGH 2, 3, 6, 7, 8, 9,10/93 - , DVB1. 1995,1175,1177). Eine vergleichsweise enge gemeindliche Finanzausstattung als solche kann daher bei einer angespannten öffentlichen Haushaltslage, wie sie derzeit gegeben ist, verfassungsrechtlich hinzunehmen sein. Seine Grenze findet die Rücksichtnahme auf die Landesfinanzen aber in dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung, das nicht ausgehöhlt werden darf. Von daher ist der kommunale Finanzausgleich dann verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn die zur Verfügung gestellten Mittel in der Weise evident unzureichend sind, daß einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen ist (vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 27. Februar 1997 - Vf. 17-VII-94 - , BayVBl. 1997, 303, 305; Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1. Dezember 1998 — VerfGH 5/97 —, S. 11 des Entscheidungsumdrucks und Urteil vom 16. Dezember 1988 - VerfGH 5/87 - , OVGE 40, 300, 304). b. Der Landesgesetzgeber hat mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 diese Mindestgrenze nicht unterschritten. Weder ist die durch § 2 GFG 1998 den Gemeinden zur Verfügung gestellte Schlüsselmasse insgesamt evident zu niedrig noch kann davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführerin für eine gemeindliche Selbstverwaltung kein Spielraum mehr verbleibt. aa. Allerdings ist die finanzielle Situation der brandenburgischen Gemeinden verbreitet sehr angespannt. Dies ergibt sich aus den Angaben, die der Städteund Gemeindebund über den Fehlbedarf in den gemeindlichen Verwaltungshaushalten, über die Kreditnotwendigkeiten und über die Zuführungen vorgelegt LVerfGE 10

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hat, die brandenburgische Gemeinden im Jahr 1998 aus ihrem Vermögenshaushalt an den Verwaltungshaushalt vorgenommen haben. So mußte über die Hälfte der amtsangehörigen Gemeinden ihren Verwaltungshaushalt mit Zuführungen aus dem Vermögenshaushalt stützen. Indessen sagen die Zahlen - wie sich insbesondere aus den Angaben über den Fehl- und den Kreditbedarf ergibt, die von Gemeinde zu Gemeinde zum Teil erhebliche Unterschiede aufweisen — nur etwas über das tatsächliche Ausgabeverhalten und nichts Verläßliches darüber aus, ob dieses Ausgabeverhalten einer sparsamen Wirtschaftsführung entspricht und den unabweisbaren Bedarf widerspiegelt. Aus den dem Gericht vorgelegten Zahlen läßt sich deshalb nicht zwingend schließen, daß der im Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 gewährte Finanzausgleich insgesamt evident unzureichend ist. Es fällt auch auf, daß die brandenburgischen Kommunen vergleichsweise personalaufwendig arbeiten. So beschäftigten die brandenburgischen Kommunen nach den unwidersprochen gebliebenen Darlegungen der Landesregierung 1997 noch 25 % mehr Personal als die westdeutschen Kommunen, während der Personalbestand aller ostdeutschen Kommunen durchschnittlich nur um 13% über dem Westniveau lag. Insgesamt vermag das Gericht, auch angesichts der jedenfalls in einem Teil der brandenburgischen Kommunen bekanntermaßen weniger zugespitzten Finanzlage, eine in der Gesamtsumme — d. h. für alle Gemeinden zusammengerechnet — evident unzureichende, nämlich allgemein für eine Selbstverwaltung keinen Raum mehr lassende, Finanzausstattung der Kommunen nicht festzustellen. bb. Auch auf die konkrete Situation der Beschwerdeführerin bezogen vermag das erkennende Gericht nicht festzustellen, daß die Finanzausstattung durch das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 evident unzureichend ist und für eine gemeindliche Selbstverwaltung keinen Raum mehr läßt. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen lassen freilich erkennen, daß auch die finanzielle Situation der Beschwerdeführerin äußerst angespannt ist. Sie belegen, daß seit 1995 Zuweisungen aus dem Vermögenshaushalt notwendig waren, um den Verwaltungshaushalt auszugleichen. Sie belegen aber auch, daß im Jahr 1998 Geld — wenn auch nur in bescheidenem Umfange — für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben, etwa für die Förderung von Vereinen, für eine Dorfchronik und für die Seniorenbetreuung, desgleichen für Grünanlagen und die Stadtgärtnerei, zur Verfügung stand. Im übrigen sind die Ausgaben der Beschwerdeführerin in erster Linie von der Amts- und der Kreisumlage bestimmt. Während sich die Kreisumlage im Rahmen des Landesdurchschnitts hält, liegt die Amtsumlage deutlich über dem Durchschnitt. Die Höhe der Amtsumlage bestimmt sich nach Art und Anzahl der Aufgaben, die die amtsangehörigen Gemeinden dem Amt übertragen haben, und unterliegt daher naturgemäß gewissen Schwankungen. Unbeschadet dessen liegt das Amt Barnim-Oderbruch, dem die Beschwerdeführerin angehört, LVerfGE 10

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mit der Heranziehung der Gemeinden mit 53,02 % ihrer Einnahmen mit an der Spitze. Lediglich vier der 91 Ämter, die sich an der Umfrage des Städte- und Gemeindebundes beteiligt haben, erheben eine Amtsumlage von über 50 %. Die Landesregierung hat in ihrer Stellungnahme konkrete Einsparmöglichkeiten des Amtes in den Bereichen Schule und Feuerwehr aufgezeigt; die Beschwerdeführerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Eine etwa überhöhte Amtsumlage kann die Beschwerdeführerin dem Land aber nicht ohne weiteres entgegenhalten, sondern muß sie in erster Linie über den Amtsausschuß zu beeinflussen suchen. Insgesamt kann nach alledem auch nach der konkreten Finanzsituation der Beschwerdeführerin nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführerin aus in dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 liegenden Gründen für eine Betätigung in Selbstverwaltungsangelegenheiten keinerlei Raum bliebe. 2. Ebenso wie die insgesamt zur Verfügung gestellte Verbundmasse stellt sich auch die Verbundquote von 26,82 % des Landesanteils an der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer (ohne Familienlastenausgleich) sowie der Landessteuern einschließlich des Landesanteils an der Gewerbesteuerumlage nicht als verfassungswidrig dar. a. Art. 99 Satz 2 LV legt das Land für den Finanzausgleich nicht auf einen bestimmten Verteilungsmodus fest. Die Verfassungsnorm gibt dem Land lediglich auf, „dafür zu sorgen", daß die Gemeinden ihre Aufgaben erfüllen können. Damit verbleibt dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung des gemeindlichen Finanzausgleichs. Dieser Ermessensspielraum besteht sowohl hinsichtlich des den Kommunen zuzugestehenden Anteils an den Landessteuern (BVerfGE 71, 25, 38) als auch für die Erfassung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Kommunen, wobei Aufkommen und Bedarf allerdings möglichst realitätsgerecht zu veranschlagen sind. Entgegen der Forderung der Beschwerdeführerin ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die unabweisbaren Aufgaben des Landes den Pflichtaufgaben der Gemeinden Punkt für Punkt gegenüberzustellen und eine dementsprechende Quote zu bilden. Der Gesetzgeber ist jedoch gehalten, bei der Bedarfsermittlung die Aufgaben der Gemeinden in den Blick zu nehmen und den Ausgleich unter Berücksichtigung dieser Aufgabenbelastung vorzunehmen. Sein Gestaltungsspielraum findet seine Grenze in dem Verbot der offensichtlichen Disproportionalität von wahrzunehmenden Aufgaben und Mittelzuweisung (vgl. hierzu Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urt. v. 25. November 1997 - StGH 14/95 u. a. —, Nds.Rpfl. 1998,145,147). Die Zuteilung der jeweiligen Mittel muß sich an der Aufgabenverteilung zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden orientieren (vgl. hierzu Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Urt. v. 27. Februar 1997 - Vf. 17-VII-94, BayVBl. 1997, 303, 305; Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 1. Dezember 1998 - VerfGH 5/97 - , S. 11 f. des EntLVerfGE 10

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scheidungsumdrucks). In diesem Sinn hat der Gesetzgeber die Aufgaben der Gemeinden und des Landes überschlägig zu gewichten und einen Ausgleich zwischen ihnen herzustellen. b. Mit diesen Anforderungen bleibt das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 in Einklang. Die von der Beschwerdeführerin beanstandete Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung der Höhe der Verbundquote führt für sich genommen noch nicht gleichsam automatisch zur Verfassungswidrigkeit des Finanzierungssystems. Allerdings gerät eine langjährig wiederkehrende Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung der Verbundquote in Konflikt mit der Art. 99 Satz 2 LV zugrundeliegenden Verpflichtung zu einem aufgabenorientierten Finanzausgleich. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen gehalten, in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen, ob eine nach dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz bestimmte Verbundquote noch dem tatsächlichen Bedarf der Gemeinden gerecht wird. Ist dies nicht der Fall, weil sich die Aufgaben und damit die Ausgaben wesentlich verändert haben, ist der Gesetzgeber gehalten, die Quote anzupassen. aa. Der Gleichmäßigkeitsgrundsatz besagt, daß sich die Gesamteinnahmen der Kommunen aus Steuern und Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich gleichmäßig zu der dem Land verbleibenden Finanzmasse aus Steuern und dem Länderfinanzausgleich einschließlich Bundesergänzungszuweisungen abzüglich der den Kommunen zufließenden Steuerverbundmasse entwickeln. Die Gesamteinnahmen der Gemeinden entwickeln sich in dieser Weise im gleichen Verhältnis wie die Netto-Einnahmen des Landes. Die Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes ist für die Bestimmung der Verbundquote nicht von vornherein ungeeignet. Im Schrifttum wird ihr „eine gewisse Logik" zugestanden (Münstermann, ZKF 1998, 122, 125). Die ausschließliche Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes verengt indes den Blick auf die Einnahmenseite und blendet damit die Aufgaben und die daraus folgenden Ausgaben aus. Die Landesverfassung zielt jedoch in Art. 99 Satz 2 LV auf eine - entsprechend dem Wortlaut dieser Verfassungsnorm — aufgabenadäquate Finanzausstattung. Eine solche kann der Gleichmäßigkeitsgrundsatz, der einen einmal gefundenen Zustand unter Berücksichtigung der Netto-Einnahmen des Landes fortschreibt, nicht dauerhaft gewährleisten. Von daher ist eine regelmäßige Überprüfung der Stimmigkeit des Finanzierungssystems erforderlich, die einbezieht, daß sich der Aufgabenzuschnitt auf Seiten der Gemeinden und die Aufgabenverteilung zwischen Land und Gemeinden und/oder die auf die Aufgabenwahrnehmung entfallenden Kosten verändert haben können, sei es aufgrund gesetzlicher Regelungen oder aufgrund neuer tatsächlicher Umstände. Allerdings braucht eine solche Überprüfung ohne besonderen Anlaß nicht notwendig von Jahr zu Jahr zu erfolgen. Vom Gesetzgeber kann nicht mehr verlangt werden, als daß er die LVerfGE 10

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Grundlagen seiner Einschätzungen und Prognosen in angemessenen Abständen überprüft. Ergibt die Überprüfung, daß die Verbundquote nicht mehr ausreicht, um eine aufgabenadäquate Gemeindefinanzierung zu gewährleisten, ist das Finanzierungssystem entsprechend abzuändern. Der Gesetzgeber darf sich nicht darauf beschränken, einmal festgesetzte Werte, Größenordnungen und Prozentzahlen in den folgenden Gemeindefinanzierungsgesetzen fortzuschreiben, ohne sich erneut ihrer sachlichen Eignung zu vergewissern (vgl. Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1. Dezember 1998 - VerfGH 5/97 - , S. 14 des Entscheidungs umdrucks). bb. Gemessen hieran ist die Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes im Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Landesgesetzgeber hat den Gleichmäßigkeitsgrundsatz erstmals mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1997 angewendet, nachdem er für das Jahr 1996 und die davor liegenden Jahre die Verbundquote aufgrund der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen, insoweit unter Aufstellung von Prioritäten, einerseits und der Einnahmensituation andererseits ermittelt hatte. Mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 hat der Landesgesetzgeber somit erst zum zweiten Male die Verbundquote durch Fortschreibung der Einnahmenverhältnisse bestimmt. Daß im Verhältnis zu 1997 einschneidende Aufgabenverschiebungen zwischen Land und Kommunen stattgefunden hätten, ist nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen war der Landesgesetzgeber für das Haushaltsjahr 1998 an einer Fortschreibung nach Maßgabe des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes nicht gehindert. c. Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, sich in regelmäßigen Abständen, die das Verfassungsgericht auf (spätestens alle) drei Jahre festlegt, zu vergewissern, ob die mit Hilfe des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes erfolgte Mittelverteilung noch dem tatsächlichen Bedarf entspricht, und dies in den Gesetzesmaterialien — Gesetzesbegründung und/oder Ausschußprotokolle — in Auseinandersetzung mit der aktuellen Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen und den hiermit verbundenen Ausgaben nachvollziehbar darzulegen, wenn er nicht Gefahr laufen will, daß das Gemeindefinanzierungssystem mangels hinreichender gesetzgeberischer Abwägung zur Höhe der Verbundquote der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Aufgrund der sich ändernden tatsächlichen Gegebenheiten, zumal in den neuen Bundesländern, und angesichts der kontinuierlich zunehmenden Belastung der Gemeinden mit zusätzlichen Aufgaben sowie der Schwierigkeiten einer längerfristigen Prognose ist ein solches relativ kurzes Überprüfungsintervall angezeigt. Die erste Überprüfung wäre hiernach an sich für das Gemeindefinanzierungsgesetz 2000 vorzunehmen. Mit Rücksicht auf die schon fortgeschrittene Vorbereitung des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2000 gibt das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber aber erst für LVerfGE 10

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das Gemeindefinanzierungsgesetz 2001, sodann aber spätestens alle drei Jahre, eine an den aktuellen Verhältnissen ausgerichtete nachvollziehbare Uberprüfung der Mittelverteilung zwischen Land und Gemeinden auf. 3. Weiter entspricht das Verteilungssystem des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1998 auch den Anforderungen, die sich aus Art. 99 Sätze 2 und 3 LV für eine angemessene Verteilung der Finanzausgleichsmittel im Verhältnis der Kommunen untereinander ergeben. Art. 99 Sätze 2 und 3 LV betreffen nicht nur die Mittelaufteilung zwischen Land und Kommunen, sondern auch die Aufteilung der insgesamt ausgekehrten Mittel auf die einzelnen Gemeinden und Landkreise. Auch diese Aufteilung muß angemessen sein. Ziel des Gemeindefinanzierungsgesetzes ist zugleich der angemessene Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Träger kommunaler Selbstverwaltung unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Belastungen mit Ausgaben (vgl. Verfassungsausschuß/Unterausschuß II, 9. Sitzung, a.a.O., S. 944 und Verfassungsausschuß, 6. Sitzung, ibd., S. 279 f.). Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 mit der Verfassung vereinbar. a. Die Methode der Bedarfsermitdung, die der Gesetzgeber in § 8 GFG 1998 vorgibt, ist jedenfalls für das Haushaltsjahr 1998 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Finanzbedarf einer Gemeinde läßt sich nicht allgemeingültig ermitteln; die dabei auftretenden Erfassungs- und Bewertungsprobleme sind bislang nicht gelöst ( K a t i n : Püttner (Hrsg.), HdkWP, Band 6, Kommunale Finanzen, 2. Aufl. 1985, § 118, S. 321). Es fehlt an anerkannten verläßlichen Kriterien zur exakten Bestimmung des Finanzbedarfs der Gemeinden (BVerfGE 86, 148, 233; Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9. Juli 1998 - VerfGH 16/96, VerfGH 7/97 - , NWVB1. 1998, 390, 394). Der Verteilung der Mittel kann daher letztlich nur ein fiktiver Finanzbedarf zugrundegelegt werden, der mit Hilfe eines auf alle Gemeinden in gleicher Weise anzuwendenden Maßstabs zu bestimmen ist; der Gleichheitssatz ist dabei zugleich Ausfluß des Rechtsstaatsgebots (vgl. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) auch im Verhältnis der Gemeinden untereinander (vgl. BVerfGE 23, 353, 372 f.; 26, 228, 244; 76,107,119; 83, 363, 393). aa. Mit Blick auf das interkommunale Gleichbehandlungsgebot wirft die Bedarfsermitdung über die irreführend sogenannte „Einwohnerveredelung" nach § 8 Abs. 3 GFG 1998 freilich Fragen auf. Während sich die erstmals mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 eingeführte Berücksichtigung der Langzeitarbeitslosen (§ 8 Abs. 4 GFG 1998) mit den typischerweise höheren Ausgaben für die Sozialhilfe rechtfertigen läßt (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des GFG 1998, LT-Drs. 2/4301, S. 14; Ausschuß für Inneres, 67. Sitzung, Ausschußprotokoll 2/882, S. 10 f.), ist eine Hauptansatzstaffel nach Art des § 8 Abs. 3 GFG 1998 nicht unbedenklich. Die — im GesetzgebungsverLVerfGE 10

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fahren nicht tiefergehend erörterte — Begründung in dem Regierungsentwurf, daß mit steigender Einwohnerzahl der Gemeinde der Finanzbedarf pro Einwohner ansteige, beruht auf Erkenntnissen aus dem Jahre 1932 (vgl. Popify Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, Berlin 1932, S. 266 ff.; s. dazu Kafy in: Püttner (Hrsg.), HdkWP, Band 6, Kommunale Finanzen, 2. Aufl. 1985, § 118, S. 320). Auf neuere Untersuchungen hat der Landesgesetzgeber, soweit erkennbar, nicht abgestellt. Auch für die zunächst — in dem Regierungsentwurf — vorgesehene Regelung, die Staffelung erst bei 5000 Einwohnern einsetzen zu lassen, da in kleineren Gemeinden keine kostenaufwendigere Selbstverwaltung stattfinde, fehlt es in der Begründung des Gesetzentwurfs an konkreten Zahlen (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf GFG 1998, a.a.O.). Der Landtag kehrte zur früheren Einteilung in 17 Staffelklassen zurück, weil er in dem Regierungsvorschlag eine Benachteiligung der kleineren Gemeinden sah (Ausschuß für Inneres, 67. Sitzung, a.a.O., S. 10 und vgl. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen, LT-Drs. 2/4521). Auch hierzu wurden aber keine konkreten Berechnungen oder statistischen Erhebungen vorgelegt. bb. Unbeschadet dessen ist die Einwohnerveredelung nach Staffelklassen eine überkommene Methode der Bedarfsermittlung, nach der in den Flächenländern verbreitet der Finanzbedarf der Kommunen bestimmt wird (vgl. z. B. § 8 GFG 1998 NW, GVB1. NW 1997, S. 458, Bevölkerungsansatz mit achtzehn Staffelklassen, zusätzlich Schüleransatz und Zentralitätsansatz; § 7 FAG 1995 Nds., GVB1. Nds. 1995, S. 463, nur Bevölkerungsansatz mit vier Staffelklassen; § 9 FAG Thür. 1995, GVB1. Thür. 1995, S. 149, Bevölkerungsansatz mit 9 Staffelklassen, Ergänzungsansatz von 5 % für kreisfreie Städte, Vorweg-Schlüsselzuweisung für zentrale Orte; § 7 FAG Sachsen 1998, GVB1. Sachsen 1997, S. 662, Einwohneransatz mit neun Staffelklassen, Schüleransatz, Zuschlag für Große Kreisstädte). Mit Hilfe der Hauptansatzstaffel werden die Einwohner mit zunehmender Gemeindegröße stärker gewichtet. Dem liegt die Beobachtung zugrunde, daß mit wachsender Gemeindegröße die Ausgaben für die Erfüllung der Gemeindeaufgaben nicht proportional, sondern progressiv ansteigen. In dieser Weise finden die 1932 von Popit\ entwickelte These vom „kanalisierten" (städtischen) Einwohner und das von A. Brecht 1932 aufgrund statistischer Analysen aufgestellte „Gesetz von der parallelen Progression zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung" weiterhin Gefolgschaft (sog. Verdichtungskosten; vgl. Kafy in: Püttner (Hrsg.), HdkWP, Band 6, Kommunale Finanzen, 2. Aufl. 1985, § 118, S. 321). Für das Festhalten an dem Prinzip der Einwohnerveredelung wird angeführt, daß es der für die Auslegung der Selbstverwaltungsgarantie maßgebenden historischen Entwicklung entspreche; der Grundsatz der „parallelen Progression zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung" sei seit langem LVerfGE 10

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anerkannt (vgl. P. Kirchhof, DVB1. 1980, 711, 714); die zentralörtlichen Funktionen und die überdurchschnittlichen städtischen Sozialleistungen führten zu einem strukturellen Sonderbedarf der großen und größeren Städte (Münstermann, Der Städtetag 1995,1,2 f.). Die klassische Hauptansatzstaffelung zur Veredelung der Einwohnerzahlen gilt als zwar grobes, aber dennoch anerkanntes und praktikables Verteilungsinstrument bis heute (Münstermann, Der Städtetag 1995, 1, 4; in diesem Sinne auch Hoppe, DVB1.1992,117,120). cc. Andererseits gibt es gewichtige Gründe gegen eine Beibehaltung der Hauptansatzstaffel. Das Bundesverfassungsgericht hält die Annahme, Kommunen mit höherer Einwohnerzahl hätten generell höhere Verwaltungsaufwendungen pro Kopf ihrer Bevölkerung, für fragwürdig. Nicht zuletzt sei zweifelhaft, ob die Einwohnerzahl unter den heutigen Verhältnissen noch ein geeigneter Indikator für Siedlungsdichte sein könne. Die Gebietsreform habe das Verhältnis zwischen Siedlungsdichte und Einwohnerzahl verändert (BVerfGE 86,148, 235 f.). Mit ähnlichen Bedenken spricht sich auch die Literatur teilweise für eine Überprüfung des Prinzips der Einwohnerveredelung aus. Der Ansatz bedürfe der Uberprüfung, weil ein Teil der zusätzlichen Aufgaben durch Zuwendungen des Bundes und der Länder finanziert werde (P Kirchhof, DVB1. 1980, 711, 715). Realistischer, zeitgerechter und verfassungsgerechter sei es, auf zentralörtliche Funktionen, auf Flächenfaktoren oder auf besondere Aufgabenpotentiale abzustellen (/*.' Kirchhof, in: ders./Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996, 25, 31 f.). Weiter wird eingewendet, daß ein höherer Bedarf (pro Einwohner) mit steigender Einwohnerzahl nicht zuletzt das Ergebnis der bisherigen Finanzausstattung und damit des Ausgabeverhaltens der größeren Städte und Gemeinden sei. Der Bedarf an Zuschüssen in gewohnter Höhe zeige keinen objektiven Bedarf an. Er stimme im wesentlichen mit den Einnahmen aus Steuern und Schlüsselzuweisungen überein und sei eher einnahmen- und ausgabenorientiert, aber kaum aufgabenorientiert. Die Begründung für die Hauptansatzstaffel gerate damit zu einem Zirkelschluß, da sie letztlich auf die tatsächlichen Ausgaben der Gemeinden abstelle, ohne den Bedarf zuvor ermittelt zu haben. Auch werde der Rechtsbindungsgrad der einzelnen gemeindlichen Aufgaben ebensowenig berücksichtigt wie der Grad der Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung. Es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die „veredelte" Einwohnerzahl den wirklichen Bedarfskomponenten einer Kommune entspreche [Stüer, in: Kirchhof/Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996, 47, 56). dd. Vor diesem Hintergrund bestehen durchaus Zweifel an der Tragfähigkeit der dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 zugrundeliegenden Bedarfsermittlung. Sie verdichten sich jedoch noch nicht dahin, daß die Gemeindefinanzierung bereits für das Haushaltsjahr 1998 verfassungsrechtlich nicht mehr LVerfGE 10

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haltbar wäre. Für das Haushaltsjahr 1998 - und Gleiches hat für die Haushaltsjahre 1999 und 2000 zu gelten — bleibt es im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens, daß das Gemeindefinanzierungsgesetz, auch mangels gesicherter Erkenntnisse über die Tragfähigkeit anderweitiger Bedarfskriterien, bei einer Hauptansatzstaffel je nach Einwohnerzahl der Gemeinden als einer überkommenen und lange Zeit im wesentlichen unumstrittenen Methode der Bedarfsermittlung verblieben ist (vgl. insoweit auch BVerfGE 86,148,236). Spätestens für das Haushaltsjahr 2001 darf der Gesetzgeber aber, wenn er sich nicht dem Vorwurf eines gesetzgeberischen Abwägungsversäumnisses aussetzen will, an der Hauptansatzstaffel nicht mehr festhalten, ohne hierfür eine nachvollziehbare und tragfähige Begründung zu geben. Eine solche Begründung ist etwa für die Zuordnung einzelner Prozentwerte für eine bestimmte Einwohnerzahl erforderlich und muß sich zum Beispiel auch damit auseinandersetzen, daß bei einem Zusammenschluß mehrerer Gemeinden die damit zustandekommende Einwohnerzahl nicht notwendig zur Erhöhung des Bedarfs pro Einwohner führt. Abgesehen von der Frage, ab welcher gemeindlichen Durchschnittsgröße unter den besonderen Bedingungen Brandenburgs von einer Bedarfserhöhung pro Einwohner auszugehen ist, ist weiter in die Prüfung einzubeziehen, daß bei im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl großflächigen Gemeinden relativ höhere Ausgaben zum Beispiel für die Instandhaltung des Wegenetzes anfallen können. Es ist weiter zu untersuchen, ob und inwieweit außer dem Anteil an Arbeitslosen (s. § 8 Abs. 4 GFG 1998), nicht auch andere strukturelle Merkmale wie etwa Deglomerationsnachteile oder der Anteil von alten Menschen und Kindern oder an Sozialhilfeempfängern einen abstrakten Mehrbedarf bei der Erledigung von Aufgaben auslösen (vgl. BVerfGE 86, 148, 236). Ein weiterer Gesichtspunkt, der einen erhöhten Bedarf begründen kann und daher entsprechend in die Prüfung einzubeziehen ist, kann sich aus der Funktion einer Gemeinde als Unter-, Mittel- oder Oberzentrum ergeben. Je nach dem Ergebnis der Überprüfung kann der Gesetzgeber gehalten sein, die Ermitdungen der Ausgangsmeßzahl neu zu regeln oder auch das Prinzip der Einwohnerveredelung gänzlich aufzugeben. Auch hier muß der Gesetzgeber die weitere Entwicklung im Blick behalten und ist daher verpflichtet, die Stimmigkeit der Bedarfsermittlung in regelmäßigen Abständen, und zwar wiederum spätestens alle drei Jahre, der Uberprüfung zu unterziehen. b. Nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt die Ermitdung der Steuerkraftmeßzahl mittels fiktiver Hebesätze nach § 9 GFG 1998. Weder der Ansatz fiktiver Hebesätze zur Ermitdung der Steuerkraftmeßzahl noch ihre in § 9 GFG 1998 festgelegte Höhe ist verfassungsrechtlich zu beanstanden. Auch hier steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der nicht überschritten worden ist. Das Zugrundelegen von fiktiven Hebesätzen ist nicht unüblich und trägt dem Umstand Rechnung, daß die Gemeinden die Hebesätze für die GrundLVerfGE 10

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steuern (§ 25 Abs. 1 Grundsteuergesetz) und für die Gewerbesteuer (§16 Abs. 1 Gewerbesteuergesetz) aus unterschiedlichen und im einzelnen nicht nachprüfbaren Gründen eigenverantwortlich festlegen (vgl. F. Kirchhof, in: ders./Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1986, S. 25, 30). Die Anwendung von fiktiven Hebesätzen verhindert, daß sich eine geringere steuerliche Belastung der eigenen Bürger durch niedrig festgelegte Hebesätze für die Mittelzuweisung aus dem Finanzausgleich günstig, eine stärkere steuerliche Belastung durch höhere Hebesätze dagegen ungünstig auswirkt. Sie beugt in dieser Weise einer Gestaltung der Hebesätze zu Lasten Dritter vor und respektiert die kommunale Finanzautonomie. Die Anknüpfung an fiktive Hebesätze entspricht auch dem Verfassungsgebot der interkommunalen Gleichbehandlung, weil sie den übergemeindlichen Finanzausgleich von der Willensentscheidung der einzelnen Gemeinde zur Höhe der Hebesätze in ihrem Gebiet unabhängig macht (vgl. Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 6. Juli 1993 - VerfGH 9/92, VerfGH 22/92 OVGE 43, 252, 260f.). Allgemein geht es bei der Ermittlung der Steuerkraft einer Gemeinde nicht um das tatsächliche, sondern um das potentielle Steueraufkommen (vgl. Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1. Dezember 1998 - VerfGH 5/97 - , NWVB1. 1999, 136, 138f.). Wie die vom Städte- und Gemeindebund vorgelegte Zusammenstellung der Hebesätze ergibt, liegen die in § 9 GFG 1998 zugrundegelegten fiktiven Hebesätze unter den durchschnittlich erhobenen und lassen sich symptomatische Unterschiede bei den Hebesätzen je nach Lage der Gemeinde nicht feststellen. c. Das Verteilungssystem des GFG 1998 stößt auch aus anderen Gründen nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken. aa. Gegen die Fesdegung der Ausgleichsquote auf 85% des Unterschiedes zwischen der Ausgangsmeßzahl und der Steuerkraftmeßzahl in § 10 Abs. 1 GFG 1998 ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine Ausgleichsquote in Höhe von 85 % führt zu einer Annäherung der Finanzkraft zwischen den einzelnen Kommunen, ohne sie einzuebnen. Eine höhere Ausgleichsquote, die eine weitgehende oder gar vollständige Angleichung der Finanzkraft bewirken würde, wird von Art. 99 LV nicht verlangt. Zweck des Finanzausgleichs ist die Schaffung eines angemessenen Ausgleichs der Finanzkraft (vgl. BVerfGE 72, 330, 386). Unzulässig ist sowohl die Nivellierung im Sinne einer vollständigen Einebnung der Finanzkraft als auch eine Ubernivellierung, bei der sich die Finanzkraft der Körperschaften nach erfolgtem Ausgleich verschiebt (vgl. BVerfGE 1, 117, 131 f.; 72, 330, 418f.; 86, 148, 250 und 254, Nivellierung im Länderfinanzausgleich; F. Kirchhof, in: ders./Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996, S. 25, 30). Ungleichheiten sollen abgemildert, nicht jedoch beseitigt werden (vgl. Verfassungsgerichtshof NordrheinLVerfGE 10

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Westfalen, Urt. v. 1. Dezember 1998 - VerfGH 5/97 NWVB1.1999,136,138). Die Lösung in § 10 Abs. 1 GFG 1998 entspricht diesen Grundsätzen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin war der Gesetzgeber des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1998 auch nicht von Verfassungs wegen gehalten, über die Ausgleichsquote von 85% hinaus eine sog. Sockelgarantie (Aufstockung der Schlüsselzuweisung, bis ein Mindestanteil des Finanzbedarfs erreicht wird) einzuführen. Eine solche Sockelgarantie mag sich als zusätzliche Schutzvorkehrung für finanzschwache Gemeinden empfehlen, wenn die allgemeine Ausgleichsquote vergleichsweise niedrig, zum Beispiel bei 50 %, liegt (vgl. § 4 Abs. 4 Nds. FAG, Nds. GVB1. 1995, 464). Bei einer Ausgleichsquote in der hier gegebenen Größenordnung von 80 bis 90% ist das Bedürfnis für eine besondere Sockelgarantie eher zweifelhaft (so auch Hennehe, Jura 1987, 393, 403), im konkreten Fall jedenfalls verfassungsrechtlich nicht geboten. bb. Desgleichen ist die Gewährung von investiven Zuweisungen nach § 4 i.V.m. §§ 17, 18 GFG 1998 und von sonstigen Zuweisungen nach Maßgabe des Haushaltsplans gemäß § 23 GFG 1998 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Gewährung besonderer Zuweisungen steht im Ermessen des Gesetzgebers. Allein die Zuweisungen nach § 4 i.V.m. §§ 17, 18 GFG 1998 werden aus dem allgemeinen Steuerverbund finanziert, während die Zuweisungen nach § 23 GFG 1998 aus Mitteln außerhalb des allgemeinen Steuerverbunds erfolgen. Ohne sie käme es nicht etwa zwangsläufig zu einer Erhöhung der Steuerverbundmasse. Allenfalls kann eine — je nach dem Ergebnis der Bedarfsüberprüfung — gegebenenfalls erforderliche Erhöhung der Verbundquote und damit der Verbundmasse dazu führen, daß Zuweisungen außerhalb des Steuerverbunds abgebaut werden, um Mehrbedarf zu finanzieren. Vorliegend ist nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber in dieser Hinsicht über seinen Ermessensspielraum hinausgegangen wäre. Auch daß er 12,05% der Mittel aus dem allgemeinen Steuerverbund für investive Zuweisungen reserviert hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt unbeschadet dessen, daß mit Zweckzuweisungen in gewissem Umfang Einfluß auf die Aktivitäten der bezuschußten Gemeinde genommen wird. Es bleibt indessen Sache der Gemeinde, ob sie Zweckzuweisungen in Anspruch nimmt. Außerdem kann durch Zweckzuweisungen Sonderbedarf ausgeglichen werden und werden gegebenenfalls auch pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben, übertragene Aufgaben und Infrastrukturprojekte finanziert. cc. Das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil es keine Gewerbesteuerumlage zu Lasten der gewerbesteuerstarken und zugunsten der finanzschwachen Gemeinden enthält, wie sie der Beschwerdeführerin vorschwebt. Ein solcher interkommunaler Finanzausgleich könnte vielmehr seinerseits auf einen Verstoß gegen das Nivellierungsverbot LVerfGE 10

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hinauslaufen. Art. 99 LV enthält keine Ermächtigung oder gar ein Gebot zur Durchführung eines interkommunalen Ausgleichs in dieser Form. Eine Gewerbesteuerumlage würde allein dem Ausgleich von Einnahmeunterschieden dienen. Eine Angleichung der gemeindlichen Finanzkraft erfolgt aber bereits durch den kommunalen Finanzausgleich in seiner bestehenden Form der finanzkraftabhängigen Verteilung der Schlüsselzuweisungen. Im übrigen sind die gewerbesteuerstarken Kommunen von Bundesrechts wegen verpflichtet, eine Gewerbesteuerumlage abzuführen, deren Aufkommen zwischen Bund und Land aufgeteilt wird (vgl. § 6 Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen — Gemeindefinanzreformgesetz —). Eine weitere Abschöpfung kommunaler Gewerbesteuereinnahmen wäre nicht angemessen und mit Blick auf die Selbstverwaltung der gewerbesteuereinnehmenden Gemeinden verfassungsrechtlich seinerseits bedenklich. dd. Das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 stößt auch nicht deshalb auf verfassungsrechtliche Bedenken, weil es nicht zwischen den Gemeinden innerhalb des engeren Verflechtungsraums Brandenburg-Berlin und den Gemeinden im äußeren Entwicklungsraum differenziert (vgl. hierzu Verordnung über den gemeinsamen Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin, GVB1. 1998 II 186). Eine willkürliche und damit verfassungswidrige Ungleichbehandlung läge insoweit nur dann vor, wenn Ungleiches ohne sachlichen Grund gleich behandelt würde. Ansonsten ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft. Der Gesetzgeber ist freilich allgemein gehalten, sachgerecht zu verfahren (vgl. BVerfGE 90, 145, 195f.). Vorliegendenfalls hat er auf die Finanzkraft der Gemeinden statt auf die geographische Lage der Gemeinden abgestellt. Das erscheint durchaus sachgerecht und ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es trifft allerdings zu, daß einzelne Gemeinden im Verflechtungsraum um Berlin über ein auffällig hohes Steueraufkommen verfügen. Jedoch gibt es auch hier Gemeinden mit geringem Steueraufkommen. Alles in allem kann — belegt durch die vom Städte- und Gemeindebund vorgelegten Haushaltsdaten zu Fehlbedarf und Kreditnotwendigkeit sowie zum Schuldenstand und zu den Zuführungen aus dem Vermögenshaushalt in den Verwaltungshaushalt — nicht davon ausgegangen werden, daß die Gemeinden innerhalb des engeren Verflechtungsraums generell über eine signifikant bessere Finanzausstattung verfügen als die Gemeinden außerhalb. Die Zahlen zeigen im Gegenteil, daß im Vergleich zu den Gemeinden außerhalb des Verflechtungsraums überproportional viele Gemeinden innerhalb des engeren Verflechtungsraums 1998 ihren Verwaltungshaushalt mit Zuführungen aus dem Vermögenshaushalt unterstützt haben, was allerdings nicht zwangsläufig bedeutet, daß die dies auslösenden Ausgaben sämtLVerfGE 10

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lieh notwendig waren; sie mögen teilweise mit besonders „ehrgeizigen" Projekten zusammenhängen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Unterscheidung zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden fängt auch ohne förmliches Abstellen auf die geographische Lage innerhalb oder außerhalb des Verflechtungsraums gegebenenfalls die Finanzschwäche von Gemeinden im äußeren Entwicklungsraum auf. Das Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 h a t - w i e die Landesregierung detailliert dargelegt hat — zu einer Verschiebung der Zuweisungen in Höhe von insgesamt 14.221.222 DM zugunsten der Gemeinden im äußeren Entwicklungsraum geführt. Eine weitere Entschärfung der „Speckgürtel-Problematik" ergibt sich durch die Aufnahme des den Gemeinden seit 1998 zustehenden Anteils an der Umsatzsteuer (vgl. §§ 5a ff. Gemeindefinanzreformgesetz) in die Berechnung der Steuerkraftmeßzahl, die das Gemeindefinanzierungsgesetz 1999 vollzieht. Auch dies trägt dazu bei, die ungleichmäßige Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Gemeinden innerhalb und außerhalb des engeren Verflechtungsraums aufzufangen (vgl. LT-Drs. 2/5701, S. 1 der Begründung). Nach alledem läßt sich nicht feststellen, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten gewesen wäre, über den Finanzausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden hinaus zusätzlich zwischen den Gemeinden innerhalb und außerhalb des Verflechtungsraums zu differenzieren. 4. Auch § 16 GFG 1998 stößt nicht auf verfassungsrechtliche Bedenken. Die Regelung ist indes in der nachfolgend dargelegten Weise verfassungskonform auszulegen. Aufgrund der Schutzwirkung, die die Selbstverwaltungsgarantie auch für die einzelne Gemeinde entfaltet, ist der Gesetzgeber gehalten, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, daß auch nur eine einzelne Gemeinde unverschuldet und trotz sparsamster Wirtschaftsführung in eine finanzielle Lage gerät, in der ihr keinerlei Mittel auch nur für ein Mindestmaß an freiwilliger kommunaler Selbstverwaltung verbleiben. Eine solche Schutzvorkehrung steht bei verfassungskonformer Auslegung mit § 16 GFG 1998 zur Verfügung. a. Die Selbstverwaltungsgarantie schützt die einzelne Gemeinde zwar nicht im Sinne eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts (vgl. in bezug auf Art. 28 Abs. 2 GG: BVerfGE 1, 167, 173; Löwer, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG Band 2, 3. Aufl. 1995, Art. 28 Rdn. 39; Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdn. 34). Man kann indes von einer „institutionellen Rechtssubjektsgarantie mit beschränkt individueller Wirkung" (so Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 1999, Art. 28 Rdn. 36) sprechen. Zu ihr gehört ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung. Das bleibt in Einklang mit der Unterscheidung, die das Bundesverfassungsgericht für den „Schutzbereich kommunaler Selbstverwaltung" (vgl. zu diesem Begriff: Ipsen, ZG 1994, 194, 199) LVerfGE 10

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zwischen einem unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltung und einem Randbereich trifft, in den der Gesetzgeber nicht uneingeschränkt, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen, letztlich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, eingreifen darf (vgl. BVerfGE 76, 107,121; 79,127, 143; 86, 90, 109). Ob die finanzielle Mindestausstattung der einzelnen Gemeinde zum Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts gehört, hat das Bundesverfassungsgericht bislang offengelassen (vgl. z.B. BVerfGE 71, 25, 36f.). Die Literatur steht auf dem Standpunkt, daß eine finanzielle Mindestausstattung jedenfalls bezogen auf die Gesamtheit der Gemeinden zum unantastbaren Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie gehöre und ein Minimum an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben ermöglichen müsse (vgl. z.B. Henneke, DVB1. 1998, 330, 335; Hoppe, DVB1.1992,117,118f.; Birk/Inhester, DVB1.1993,1281,1284). Soweit es um die finanzielle Mindestausstattung einzelner Gemeinden geht, gilt nach Auffassung des erkennenden Gerichts folgendes: Die einzelne Gemeinde kann nicht verlangen, daß ihr über die staatliche Gemeindefinanzierung ausreichende Mittel für sämtliche Aufgabenbereiche zufließen, in denen eine freiwillige kommunale Selbstverwaltungsbetätigung sinnvoll und wünschenswert sein mag. Vielmehr sind je nach der Gesamtfinanzlage des Staates und je nach Art und Gewichtung der Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen in einem mehr oder weniger großen Randbereich Einschränkungen hinzunehmen. Es darf jedoch nicht dazu kommen, daß auch nur in einer einzigen Gemeinde aus finanziellen Gründen, sparsamste Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten vorausgesetzt, nicht einmal ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung mehr möglich ist und damit in dieser Gemeinde keinerlei freiwillige Selbstverwaltung mehr stattfinden kann. Ein solcher Zustand wäre mit der Selbstverwaltungsgarantie der Landesverfassung nicht vereinbar. In diesem Sinne gehört eine Finanzausstattung, die der einzelnen Gemeinde ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung erlaubt, zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Ist eine Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft auf Dauer finanziell nicht überlebensfähig, kann dies äußerstenfalls ein Grund sein, sie aufzulösen. Aber solange es sie gibt, muß sie zu einem Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung in der Lage sein. Für diese Zwecke hat das Land einen Auffangfonds einzurichten, aus dem Gemeinden, denen trotz sparsamster Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten kein finanzieller Spielraum auch nur für ein Mindestmaß an kommunaler Selbstverwaltung verbleibt, auf Antrag die hierfür benötigten Mittel zur Verfügung gestellt werden. Mittel, die die Gemeinde unter diesen Voraussetzungen erhält, braucht sie nicht zurückzuzahlen, weil ihr nur zur Verfügung gestellt wird, was ihr von Verfassungs wegen für das betreffende Haushaltsjahr zur Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an freiwilliger Selbstverwaltung zusteht. Die Umsetzung im einzelnen, soweit der Gesetzgeber LVerfGE 10

Gemeindefinanzierungsgesetz 1998

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keine Festlegung trifft, unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der fondsverwaltenden Stelle. b. § 16 Abs. 1 G F G 1998 läßt sich verfassungskonform dahin auslegen, daß den hiernach geltenden Anforderungen Genüge getan wird. Der nach dieser Bestimmung „zum Ausgleich besonderen Bedarfs" gebildete Ausgleichsfonds eröffnet gemäß Ziffer 1 der Vorschrift Bedarfszuweisungen an Gemeinden und Landkreise, deren Verteilung in § 16 Abs. 2 G F G 1998 im einzelnen geregelt wird, wie sich daraus ergibt, daß es in § 16 Abs. 2 G F G 1998 eben um die in § 16 Abs. 1 Ziffer 1 G F G 1998 ausgeworfene Summe geht; sie ist während des Gesetzgebungsverfahrens gleichermaßen für Absatz 2 und für Absatz 1 Ziffer 1 erhöht worden (vgl. LT-Drs. 2/4521, S. 19). Ziffer 2 der Vorschrift sieht allgemein „Sonderzuweisungen zur Unterstützung zahlungsunfähiger kreisangehöriger Gemeinden" vor. Unter den durch § 16 G F G 1998 insgesamt abzudeckenden besonderen Bedarf fällt nach der Auslegung des Gerichts auch der Bedarf, der sich darin niederschlägt, daß eine Gemeinde trotz sparsamster Wirtschaftsführung und trotz Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten über keinerlei finanziellen Spielraum für ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung verfügt. Während der Gesetzgeber die Verwendung der Bedarfzuweisungen nach § 16 Abs. 1 Ziff. 1 G F G 1998 in § 16 Abs. 2 G F G 1998 im einzelnen festgelegt hat, ist § 16 Abs. 1 Ziff. 2 G F G 1998 einer ergänzenden Auslegung zugänglich. In den Begriff „zahlungsunfähig" lassen sich auch die Fälle hineinlesen, in denen einer Gemeinde keinerlei Mittel für freiwillige Selbstverwaltung verbleiben. Damit gibt § 16 Abs. 1 Ziff. 2 G F G 1998 das notwendige Instrumentarium zur Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung auch in den Fällen an die Hand, in denen einer Gemeinde trotz sparsamster Wirtschaftsführung kein finanzieller Spielraum für ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung bleibt. Auch daß die Zuweisungsmittel aus § 16 Abs. 1 Ziff. 2 G F G 1998, soweit sie der Absicherung eines Mindestmaßes an freiwilliger Selbstverwaltung dienen und sich darin erschöpfen, nicht zurückzuzahlen sind, ist mit dem Wordaut der Regelung vereinbar. Soweit § 16 Abs. 1 Ziff. 2 G F G 1998 nur kreisangehörige Gemeinden, also nicht auch die kreisfreien Städte und die Landkreise, betrifft, wirkt sich dies im Rahmen der hier zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerde (einer kreisangehörigen Gemeinde) nicht aus. c. Die Art und Weise, in der das Ministerium des Innern als zuständige Kommunalaufsichtsbehörde bisher von § 16 G F G 1998 Gebrauch macht, wird der hier vorgenommenen Auslegung nicht in vollem Umfang gerecht: Das Ministerium des Innern vergibt die über § 16 Abs. 1 Ziff. 2 G F G 1998 zur Verfügung stehenden Mittel ausschließlich über einen Haushaltssicherungsfonds gemäß einer „Richtlinie des Ministeriums des Innern über die Gewährung von Bedarfszuweisungen an kreisangehörige Gemeinden (Haushaltssicherungsfonds LVerfGE 10

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Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

- HSF)" (Amtsblatt für Brandenburg, 1997, S. 114 ff., gültig bis 1. Februar 1999). Dieser Fonds steht allein für den Fall der Zahlungsunfähigkeit einzelner Gemeinden zur Verfügung und sieht ausschließlich rückzahlbare Zuweisungen vor. Zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an freiwilliger kommunaler Selbstverwaltung werden bisher Mittel nicht vergeben. Fortan sind die Fondsmittel nach § 16 Abs. 1 Ziff. 2 GFG 1998 in der geschilderten Weise weitergehend bereitzuhalten. Für das Haushaltsjahr 1998 sind etwa bereits vorliegende und noch nicht bestandskräftig beschiedene Anträge auf Zuweisung von Mitteln zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an freiwilliger kommunaler Selbstverwaltung noch zu bearbeiten. Für die folgenden Haushaltsjahre sind die Mittel auch für diese Zwecke auf Antrag zur Verfügung zu stellen. Notfalls müßten die Mittel, die insgesamt für den Ausgleichsfonds zur Verfügung stehen, für diesen Zweck verstärkt werden. 5. Soweit die Beschwerdeführerin § 21 GFG 1998 angreift, weil er keine höhere bzw. keine volle Kostendeckung vorsehe, hat das erkennende Gericht zum Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 entschieden, daß hinsichtlich der Finanzierung übertragener Aufgaben eine volle Abdeckung dieser Kosten verfassungsrechtlich nicht geboten ist; zugleich hat das Gericht dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens für das Haushaltsjahr 1999 eine gesonderte Zuweisung wegen der Kosten für die Wahrnehmung von Aufgaben des Landes vorzunehmen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urt. v. 18. Dezember 1997 - VfGBbg 47/96 - , LVerfGE 7, 144ff.). Hierauf wird verwiesen. Eine abweichende Beurteilung der Regelung im Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 ist nicht veranlaßt. 6. Art. 9 der Europäischen Charta für die kommunale Selbstverwaltung vom 15. Oktober 1985 (BGBl. 1987 II 65) führt zu keinem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis und wirkt sich auf die Auslegung des Art. 99 Sätze 2 und 3 LV nicht aus. Die in Art. 9 der Charta niedergelegten Grundsätze über die „Finanzmittel der kommunalen Gebietskörperschaften" enthalten keine konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung des Finanzausgleichs oder gar seiner Mindesthöhe. Sie gehen über Art. 99 LV nicht hinaus. III. Die Entscheidung über die teilweise Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 32 Abs. 7 Satz 2 VerfGGBbg.

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Nichtzulassung einer Berufung/Kommunalverfass.-beschw. geg. Staatsvertrag

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Nr. 8* 1. Eine Gemeinde kann im Wege der Individualverfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Entscheidung zulässigerweise die Verletzung von Prozeßgrundrechten rügen. Das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 52 Abs. 4 Satz 1 Landesverfassung (LV) in Verbindung mit der Rechtsweggarantie des Art. 6 Abs. 1 LV schützt wie jeden Rechtsmittelführer auch eine Gemeinde davor, daß der Zugang zu einer vom Gesetzgeber eröffneten weiteren Instanz durch die Fachgerichte in unzumutbarer Weise erschwert wird. 2. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zurückweisung eines Antrags auf Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wegen unzureichender Darlegung der Zulassungsgründe.** Verfassung des Landes Brandenburg Art. 6 Abs. 1, 2; 52 Abs. 4 Sat2 1; 97 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung §§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 3; 124a Abs. 1 Satz 4 Beschluß vom 21. Oktober 1999 - VfGBbg 26/99 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren Gemeinde L. gegen die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 17. Juni 1999 (2 A 118/ 99), 24. Juni 1999 (2 A 116/99 und 2 A 117/99) und 29. Juni 1999 (2 A 127/99) betreffend die Zurückweisung von Anträgen auf Zulassung der Berufung. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird teilweise als unzulässig verworfen und im übrigen zurückgewiesen. Nr. 9* Für die Jahresfrist, binnen derer die kommunale Verfassungsbeschwerde zu erheben ist, ist bei einem Zustimmungsgesetz zu einem Staatsvertrag auf das Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes und nicht auf das Inkrafttreten des Staatsvertrages abzustellen.** * Die Entscheidung ist im Volltext beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erhältlich (Adresse s. Anhang). ** Nichtamtlicher Leitsatz

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Verfassungsgericht des Landes Brandenburg

Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 51 Abs. 2 Beschluß vom 21. Oktober 1999 - VfGBbg 4/99, VfGBbg 6/99, VfGBbg 7/99 in den kommunalen Verfassungsbeschwerdeverfahren der Gemeinde D. und weiterer vier Gemeinden betreffend § 1 Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 7. August 1997 über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg (Landesentwicklungsprogramm) und über die Änderung des Landesplanungsvertrages vom 4. Februar 1998 in Verbindung mit § 19 Abs. 11 Gemeinsames Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg. Entscheidungsformel: 1. Die kommunalen Verfassungsbeschwerden zu den Aktenzeichen VfGBbg 4/99, VfGBbg 6/99 und VfGBbg 7/99 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. 2. Die Verfassungsbeschwerden werden verworfen. Nr. 10 § 45 Abs. 1 2. HS Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg läßt eine Verfassungsbeschwerde in derselben Sache auch für den Fall nicht (mehr) zu, daß das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (bereits) erfolglos abgeschlossen ist.* Verfassung des Landes Brandenburg Art. 6 Abs. 2 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg § 45 Abs. 1 2. HS Beschluß vom 16. Dezember 1999 - VfGBbg 33/99, VfGBbg 33/99 EA in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der Frau R. gegen das Urteil des Landgerichts C. und das Urteil des Amtsgerichts C. betreffend die Räumung von Wohnraum. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

* Nichtamtlicher Leitsatz

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Verfassungsbeschwerde zum BVerfG „in derselben Sache"

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Gründe: I. Die Vermieter eines Hausgrundstücks, darunter die Beschwerdeführerin, führten erfolglos eine Räumungsklage vor dem Amtsgericht C. und dem Landgericht C. Eine gegen die zivilgerichtlichen Urteile erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 21. September 1999 nicht zur Entscheidung an. Am 6. Oktober 1999 hat die Beschwerdeführerin gegen die zivilgerichtlichen Urteile fristgemäß Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht erhoben und einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt und mit Schriftsätzen vom 4. November und 14. Dezember 1999 ergänzende Ausführungen zur Begründung gemacht. II. Die Verfassungsbeschwerde ist gem. § 21 Satz 1 Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg (VerfGGBbg) zu verwerfen. Sie ist zufolge § 45 Abs. 1 2. HS VerfGGBbg unzulässig, weil die Beschwerdeführerin in derselben Sache das Bundesverfassungsgericht angerufen hat. Daß das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bei Erhebung der Landesverfassungsbeschwerde bereits abgeschlossen war, spielt hierbei keine Rolle. Nach § 45 Abs. 1 2. HS VerfGGBbg führt (schon) die Erhebung der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zur Unzulässigkeit einer Landesverfassungsbeschwerde in derselben Sache. Einem Beschwerdeführer steht es zwar frei, das Landesverfassungsgericht anzurufen. Er begibt sich aber dieser Möglichkeit, wenn er sich an das Bundesverfassungsgericht wendet. Dies bleibt, eben weil es der Beschwerdeführer in der Hand behält, sich (nur) an das Landesverfassungsgericht zu wenden, im Rahmen der Gesetzesermächtigung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Landesverfassung. § 45 Abs. 1 2. HS VerfGGBbg räumt dem Beschwerdeführer ein Wahlrecht zwischen der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts und des Landesverfassungsgerichts ein. Entscheidet er sich für eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, ist sein Wahlrecht verbraucht. Wann und wie das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde entscheidet, ist unerheblich (s. zur vergleichbaren Rechtslage in Berlin VerfGH Berlin, LVerfGE 1,152ff.; LVerfGE 2, 3 ff.). III. Mit der Verwerfung der Verfassungsbeschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. IV. Der Beschluß ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar. LVerfGE 10

Entscheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Hamburgischen Verfassungsgerichts Wilhelm Rapp, Präsident Dr. Hans-Jürgen Grambow Dr. Jürgen Gündisch Eva Leithäuser Dr. Uwe Mückenheim Helmut Raioff Dr. Inga Schmidt-Syaßen Ingrid Teichmüller Dr. Jürgen Westphal

Normenkontrollantrag — Beihilfefähigkeit von Mehraufwendungen

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Nr. 1 1. Soweit in § 6 Nr. 6 S. 2 HmbBeihVO bestimmt wird, daß Mehraufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen nicht beihilfefähig sind, ist diese Bestimmung sowohl mit der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg als auch mit sonstigem hamburgischen Landesrecht vereinbar. 2. Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte von § 85 S. 3 HmbBG ergeben, daß diese Vorschrift auch den völligen Ausschluß der Beihilfe für Aufwendungen für Wahlleistungen, wie er in § 6 Nr. 6 S. 2 HmbBeihVO vorgesehen ist, zuläßt. 3. a. Die Hamburgische Verfassung enthält keine dem Art. 33 Abs. 5 GG entsprechende Vorschrift, wonach das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist. b. Neben den vorrangigen Regelungen in Art. 33 Abs. 5 GG und im Beamtenrechtsrahmengesetz des Bundes können hamburgische verfassungsrechtliche Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht mehr zum Zuge kommen. Die Regelungen in Art. 59 Abs. 1 und Abs. 2 HV laufen leer. c. Im übrigen enthält die Hamburgische Verfassung keine Norm und keinen Grundsatz, die die Regelung des § 85 S. 3 HmbBG, wonach durch Rechtsverordnung auch der völlige Ausschluß von Beihilfen für Wahlleistungen bestimmt werden kann, verfassungswidrig machen. G G Art. 33 Abs. 5 HV Art. 59 Abs. 1 und Abs. 2 HmbBG § 85 S. 3, HmbBeihVO § 6 Nr. 6 S. 2 Urteil vom 19. April 1999 - HVerfG 17/98 Entscheidungsformel: § 6 Nr. 6 Sätze 1 und 2 der hamburgischen Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfallen in der Fassung vom 4. April 1995 (HmbGVBl. S. 73) ist insoweit mit hamburgischem Landesrecht vereinbar, als diese Vorschrift die Aufwendungen für eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus für gesondert berechenbare Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit ausschließt. LVerfGE 10

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Hamburgisches Verfassungsgericht Tatbestand: I.

Der Antragsteller begehrt die Feststellung, daß die Vorschriften der hamburgischen Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen (Hamburgische Beihilfeverordnung — HmbBeihVO - ) in der Fassung vom 4. April 1995 (HmbGVBl. S. 73), die Aufwendungen für Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit ausschließen, mit hamburgischem Landesrecht vereinbar sind. 1. Die zur Prüfung gestellte Norm des hamburgischen Landesrechts findet sich in § 6 HmbBeihVO, wo die beihilfefähigen Aufwendungen in Krankheitsfallen geregelt werden. Nach Nummer 6 sind beihilfefähig die Aufwendungen u. a. für: „vollstationäre und teilstationäre Krankenhausleistungen nach der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) vom 26. September 1994 (BGBl. I S. 2750) in der jeweils geltenden Fassung bis zur Höhe der Kosten für allgemeine Krankenhausleistungen (§ 2 Abs. 2 BPflV) in Form von a) Fallpauschalen und Sonderentgelten (§11 BPflV), b) tagesgleichen Pflegesätzen (Abteilungspflegesätze, Basispflegesätze, teilstationäre Pflegesätze - § 13 BPflV -), c) Beträgen anstelle von Pflegesätzen (§14 Abs. 5 S. 5 BPflV), d) Entgelten für Modellvorhaben (§ 26 BPflV), sowie vor- und nachstationäre Krankenhausleistungen (§ 115a SGB V), es sei denn, daß § 7 oder § 9 anzuwenden ist. Ermäßigungen der Vergütungen für allgemeine Krankenhausleistungen wegen Inanspruchnahme von gesondert berechenbaren Wahlleistungen (§ 22 BPflV) bleiben unberücksichtigt; im übrigen sind Mehraufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen nicht beihilfefähig ..." Ermächtigungsgrundlage für diese Verordnung ist § 85 des Hamburgischen Beamtengesetzes (HmbBG) in der Fassung vom 11. Juni 1997 (HmbGVBl. S. 193), der folgenden Wordaut hat: „Die Beamten und Ruhestandsbeamten sowie ihre versorgungsberechtigten Hinterbliebenen erhalten zu den notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Beihilfen. Das Nähere, insbesondere die Abgrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises, die Voraussetzungen für die Gewährung der Beihilfen und deren Höhe, regelt der Senat nach den für die Bundesbeamten geltenden Grundsätzen durch Rechtsverordnung. In ihr kann ferner bestimmt werden, ob und inwieweit Aufwendungen für Wahlleistungen aus Anlaß einer Krankenhausbehandlung beihilfefahig sind." LVerfGE 10

Normenkontrollantrag — Beihilfefähigkeit von Mehraufwendungen

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Um die Rechtmäßigkeit des im letzten Halbsatz der zitierten Verordnungsvorschrift genannten Ausschlusses der Beihilfe für Wahlleistungen geht es in diesem Normenkontrollverfahren. 2. Der Grund für den Normenkontrollantrag des Antragstellers liegt darin, daß das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit einem Urteil vom 21. Februar 1992 (OVG Bf I 5/91) Bescheide der Freien und Hansestadt Hamburg, durch die die Erstattung von Aufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen bei einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus abgelehnt wurde, aufgehoben hat. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil auf einen Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 1991 (BVerwGE 89,207) gestützt, mit dem es in einem Normenkontrollverfahren gem. § 47 Abs. 5 VwGO auf eine Vorlagefrage des Oberverwaltungsgerichts Bremen hin entschieden hatte, der Dienstherr sei nicht berechtigt, Mehraufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen bei einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus von den beihilfefähigen Aufwendungen in Krankheitsfallen auszuschließen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in einem solchen generellen Ausschluß eine Verletzung der dem Dienstherrn gegenüber seinen Beamten obliegenden Fürsorgepflicht gesehen. Es hatte sich dabei auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG gestützt, wonach das Alimentationsprinzip gebiete, daß der Dienstherr seinen Beamten und deren Familien einen angemessenen Unterhalt gewähre, der grundsätzlich den gesamten Lebensunterhalt sicherstelle. Das System der Beihilfe sei zwar nicht Bestandteil der verfassungsrechtlich geschuldeten Alimentation, jedoch beruhe die Beihilfegewährung des Dienstherrn auf einem System, das seine verfassungsrechtliche Grundlage im Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn finde. Für die Regelung der Beihilfe stehe dem Normgeber bzw. den Dienstherren in Bund und Ländern zwar grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dieser finde seine Grenzen jedoch in dem aus dem Fürsorgeprinzip folgenden Gebot der effektiven Ergänzung der dem Beamten zumutbaren und im Rahmen der Bemessung der Alimentation berücksichtigten Eigenvorsorge. Alimentation und Beihilfe stünden in einer Wechselbeziehung. Dieser Beihilfestandard stelle die Orientierungsgröße schlechthin dar. Er entfalte verpflichtende Wirkung insoweit, als die Länder ihrer Fürsorgepflicht nur dann genügten, wenn sie die ergänzenden Hilfeleistungen am bundesweiten Beihilfestandard orientierten. Die Ergänzungsfunktion der Beihilfen würde nicht mehr erfüllt, „wenn ganze Aufwendungsarten, für die typischerweise Beihilfen bundesweit gewährt werden, oder Aufwendungen, für die seit jeher, jedenfalls aber während eines langen Zeitraums Beihilfe gewährt worden ist und die zum Kern der Leistungsgewährung gehören, generell und von vornherein von der Gewährung von Beihilfe ausgeschlossen werden." (a.a.O., 212 f.). LVerfGE 10

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Hamburgisches Verfassungsgericht

Unter Heranziehung dieser Begründung hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht § 6 Nr. 6 S. 1 und 2 HmbBeihVO für rechtsungültig erklärt. Denn mit dieser Vorschrift habe der Verordnungsgeber einen Komplex von Aufwendungen ausgeschlossen, die unter dem Begriff „Wahlleistungen" herkömmlicherweise bundesweit beihilfefähig seien und die zum Kernbereich der Beihilfe und damit zum Beihilfestandard zu rechnen seien. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 GG oder an das Hamburgische Verfassungsgericht gem. Art. 64 Abs. 2 HV hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht nicht für notwendig erachtet. Die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht komme deshalb nicht in Betracht, weil die dort geregelte Normenkontrolle nur Gesetze im formellen Sinne und damit keine Rechtsverordnung umfasse. Die Vorlage an das Hamburgische Verfassungsgericht hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, daß die Hamburgische Beihilfeverordnung gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 85 HmbBG verstoße. Zwar lasse sich § 85 S. 3 HmbBG, wonach in der Hamburgischen Beihilfeverordnung „ferner bestimmt werden kann, ob und inwieweit Aufwendungen für Wahlleistungen aus Anlaß einer Krankenhausbehandlung beihilfefähig sind", nach dem Wortlaut auch dahingehend verstehen, daß dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eines generellen Ausschlusses der Aufwendungen für Wahlleistungen eingeräumt werden sollte. Die Auslegung ergebe aber, daß mit § 85 S. 3 HmbBG lediglich eine Ermächtigung gewollt sei, die eine Orientierung an dem im Bund und in den Ländern vorliegenden Beihilfestandard vorsehe. Dazu hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht auf die Entstehungsgeschichte der Änderung des § 85 HmbBG durch das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes vom 12. September 1984 (HmbGVBl. S. 182) verwiesen. Diese Auslegung sei jedenfalls als verfassungskonforme Auslegung des § 85 S. 3 HmbBG zugrunde zu legen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ist vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 15. Juli 1992 (2 B 123.92) zurückgewiesen worden. Daraufhin hat der Antragsteller unter dem 2. Juli 1993 einen Normenkontrollantrag an das Bundesverfassungsgericht (2 BvF 1/93) gerichtet und beantragt festzustellen, § 6 Nr. 6 S. 1 und 2 HmbBeihVO sei insoweit mit dem Grundgesetz und sonstigem Bundesrecht vereinbar, als diese Vorschrift die Aufwendungen für eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus für gesondert berechenbare Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit ausschließe. Dieser Normenkontrollantrag ist vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 24. Juni 1997 (Bl. 69 ff. d. A., abgedruckt in: ZBR 1998, 96 f.) als unzulässig verworfen worden. Die im Falle des § 76 Nr. 2 BVerfGG durch Nichtanwendung einer Norm bewirkte Rechtsunsicherheit, die das erforderliche Klärungsinteresse begründe, könne vom Bundesverfassungsgericht nur dann mit verbindlicher LVerfGE 10

Normenkontrollantrag - Beihilfefähigkeit von Mehraufwendungen

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Wirkung behoben werden, wenn die Geltung der Norm ausschließlich deshalb in Frage gestellt werde, weil sie mit dem Grundgeset2 oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar sei. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht habe aber § 6 Nr. 6 S. 1 und 2 HmbBeihVO nicht ausschließlich mit der Begründung für rechtsungültig erklärt, daß diese Vorschrift gegen den bundesrechtlichen Grundsatz der Fürsorgepflicht verstoße, sondern auch damit, daß die Ermächtigungsgrundlage des § 85 S. 3 HmbBG die auf dem Verordnungswege getroffene Regelung nicht decke. Daraufhin begehrt der Antragsteller nunmehr die Klärung der Rechtslage im Wege eines Normenkontrollantrags an das Hamburgische Verfassungsgericht. 3. Aus den beigezogenen Akten des Senatsamts für den Verwaltungsdienst — Personalamt — betreffend die Gesetzgebungsarbeiten am Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes ergibt sich für die Entstehungsgeschichte des § 85 HmbBG folgendes: Der Senatsentwurf für das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes laut Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft vom 8. November 1983 (Bürgerschafts-Drs. 11/1330) enthielt für den vorgeschlagenen § 85 noch folgende Fassung: „Die Beamten und Ruhestandsbeamten sowie ihre versorgungsberechtigten Hinterbliebenen erhalten zu den notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen, in Fällen dauernder Anstaltsunterbringung, bei Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten und bei Schutzimpfungen sowie in Fällen des nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs und der nicht rechtswidrigen Sterilisation Beihilfen. Das Nähere regelt der Senat durch Rechtsverordnung. In ihr ist insbesondere zu bestimmen, 1. wie der anspruchsberechtigte Personenkreis abgegrenzt wird, 2. welche Aufwendungen beihilfefahig sind und unter welchen Voraussetzungen eine Beihilfe zu gewähren ist oder gewährt werden kann, 3. inwieweit Leistungen von Versicherungen sowie sonstige Ansprüche auf Heilfürsorge oder Kostenerstattung berücksichtigt werden, 4. wie die Beihilfe unter Berücksichtigung des Familienstandes zu bemessen ist. In ihr kann ferner bestimmt werden, ob und inwieweit die Beihilfe durch eine angemessene Selbstbeteiligung gekürzt wird."

In der Begründung führte der Senat aus, angesichts der schwierigen Finanzund Haushaltssituation seien Einsparungen auch bei den Beihilfeausgaben unverzichtbar. Im Vordergrund der Überlegungen stünden vor allem die Einführung der sogenannten 100%-Grenze sowie eine angemessene Selbstbeteiligung. Die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften und der Landespersonalausschuß standen dem Entwurf ablehnend gegenüber.

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Hamburgisches Verfassungsgericht

Der Entwurf fand auch in den großen Fraktionen der Bürgerschaft keine Zustimmung. Er wurde auf Antrag der SPD-Fraktion an den Ausschuß für Inneres und für den öffentlichen Dienst überwiesen (Protokoll der 30. Sitzung der Bürgerschaft, 11. Wahlperiode, vom 19. Januar 1984, S. 1757). In einem „Thesenpapier zur Neuordnung der Beihilfe" des Abgeordneten Groth (SPD) vom 14. März 1984 wurde betont, eine Reform müsse auch weiterhin im Bereich der Beihilfe die Gleichstellung von Arbeitern, Angestellten, Beamten und Richtern sicherstellen. Sie müsse auf den dem Landesgesetzgeber zugänglichen Bereich beschränkt bleiben. Die Beihilfe sei zukünftig auf den Regelsatz/Allgemeine Pflegeklasse zu beschränken. Für Wahlleistungen solle sie zukünftig ersatzlos fortfallen. Das Senatsamt für den Verwaltungsdienst - Personalamt befaßte sich mehrfach mit den Vorschlägen der SPD-Abgeordneten. Senatsdirektor Binzek schrieb unter dem 7. Juni 1984 an den Vorsitzenden des Ausschusses für Inneres und für den öffentlichen Dienst, den Abgeordneten Busse, und übersandte diesem einen geänderten Entwurf für eine Neufassung des § 85 HmbBG. Gegenüber dem bisherigen Senatsentwurf sollte dort eingefügt werden, daß durch Rechtsverordnung auch bestimmt werden könne, „ob und inwieweit Aufwendungen für Wahlleistungen aus Anlaß einer Krankenhausbehandlung beihilfefahig sind". Ein weiterer Entwurf für die Änderung des § 85 HmbBG entsprach der später zum Gesetz gewordenen Fassung. In einer Sitzung des Ausschusses für Inneres und für den öffentlichen Dienst vom 1. Juni 1984 wurden Vertreter des DGB, des DBB und der DAG angehört. Dabei wurde auch die Frage der Beschränkung der Beihilfe auf den Regelsatz bei stationärer Behandlung erörtert. Die Gewerkschaftsvertreter nannten als die die Beamten finanziell am stärksten treffende Belastung die Selbstbeteiligung. Gegen den Wegfall der Beihilfen für Wahlleistungen wurden zwar von einzelnen Gewerkschaftsvertretern Bedenken erhoben, aber nicht mit dem gleichen Gewicht. Der Ausschuß für Inneres und für den öffentlichen Dienst empfahl der Bürgerschaft mit den Stimmen der SPD und der CDU gegen die Stimmen der GAL, § 85 HmbBG die anschließend Gesetz gewordene Fassung zu geben. Weiterhin wurde mit den Stimmen der SPD-Abgeordneten und gegen die Stimmen der CDU-Abgeordneten bei Enthaltung der GAL-Abgeordneten ein Ersuchen an den Senat beschlossen, bei Gewährung von Beihilfen sicherzustellen, daß die „Wahlleistungen bei stationärer Behandlung nicht mehr beihilfefahig sind." Die CDU-Abgeordneten stimmten der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zwar zu, sahen jedoch Probleme für lebensältere Beamte bei Anpassung ihrer Versicherungen. Dafür sollte eine Ubergangsregelung geschaffen werden. Ein entsprechender Ersuchensantrag fand keine Mehrheit. Wie aus dem Bericht des Ausschusses für Inneres und für den öffentlichen Dienst vom 22. August 1984 (Bürgerschafts-Drs. 11 /2859) ersichtlich, lag diesen Beschlüssen zugrunde, daß nach Auffassung der SPD-Abgeordneten § 85 LVerfGE 10

Normenkontrollantrag — Beihilfefähigkeit von Mehraufwendungen

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HmbBG im wesentlichen in seiner bisherigen Fassung bestehen bleiben sollte. Die Verordnungsermächtigung sollte aber um eine Zusatzbestimmung ergänzt werden, wonach der Senat bestimmen könne, ob und inwieweit Aufwendungen für Wahlleistungen aus Anlaß einer Krankenhausbehandlung beihilfefähig seien. Gleichzeitig sollte der Senat ersucht werden sicherzustellen, daß zukünftig die Beihilfe bei stationärer Behandlung auf die Regelleistung begrenzt werde, d. h., daß Wahlleistungen, z. B. Chefarztleistungen, nicht mehr beihilfefähig sein sollten. In der Plenardebatte der Bürgerschaft am 6. September 1984 (Protokoll der 47. Sitzung der Bürgerschaft, 11. Wahlperiode vom 6.9.1984, S. 2784 ff.) sprachen die Abgeordneten Müller (CDU), Fanck (SPD) und Edler (GAL). Die Abgeordnete Fanck betonte, daß durch die Änderungen des Senatsentwurfs im Ausschuß vor allem auf die ursprünglich vorgesehene Selbstbeteiligung der Beamten verzichtet worden sei. Dafür seien Wahlleistungen zukünftig nicht mehr beihilfefähig. Ihre Fraktion halte die zusätzliche Chefarztbehandlung für eine medizinische Versorgung im Krankenhaus für einen Beamten nicht für notwendig. Die Änderung des § 85 HmbBG wurde sodann in erster und zweiter Lesung mit Mehrheit beschlossen, desgleichen das Ersuchen gemäß der Empfehlung des Ausschusses. II. 1. Mit dem Normenkontrollantrag vom 16. Juni 1998 trägt der Antragsteller im Anschluß an die Darstellung der fraglichen Normen sowie der Entscheidungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts im wesentlichen folgendes vor: Der Antrag sei nach Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV zulässig. Entscheidend sei die Frage, ob § 85 S. 3 HmbBG im Hinblick auf S. 2 des § 85 HmbBG auch aus der Entstehungsgeschichte heraus so auszulegen sei, wie es das Oberverwaltungsgericht getan habe. Zur Begründung seines Normenkontrollantrags führt der Antragsteller zunächst aus, der Wortlaut des § 85 S. 3 HmbBG sei eindeutig. Er gebe dem Verordnungsgeber die Möglichkeit, die Beihilfefähigkeit von Wahlleistungen vollen Umfangs auszuschließen, was sich aus der Formulierung „ob ... Aufwendungen für Wahlleistungen ... beihilfefähig sind", ergebe. Aus der Formulierung des Satzes 2 des § 85 HmbBG, „nach den für die Bundesbeamten geltenden Grundsätzen", könne nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Die Möglichkeit des völligen Ausschlusses der Beihilfe für Wahlleistungen habe der hamburgische Gesetzgeber gerade schaffen wollen; sie sei die einzige Neuregelung des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Beamtengesetzes vom 12. September 1984. Zur Entstehungsgeschichte der Gesetzesänderung trägt der Antragsteller vor, aus dem Bericht des Ausschusses für Inneres und für den LVerfGE 10

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öffentlichen Dienst gehe eindeutig hervor, daß der völlige Ausschluß der Beihilfefahigkeit von Wahlleistungen gewollt gewesen sei. Eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts komme nicht in Betracht. Sie finde ihre Grenze jedenfalls dort, wo sie mit dem Wortlaut der Norm und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch trete. Des weiteren begründet der Antragsteller seine Rechtsauffassung, wonach es keinen Bundesrechtssatz gebe, der im Beamtenbereich einem Ausschluß der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Wahlleistungen entgegenstehe. Dazu setzt er sich mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auseinander, der nach seiner Auffassung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegenübersteht. Das System der Beihilfegewährung gehöre danach nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Die Fürsorgepflicht erstrecke sich nur auf die Kosten, die zur Abwendung krankheitsbedingter Belastungen erforderlich seien. Die Krankenhäuser seien nach § 2 Abs. 2 BPflV generell verpflichtet, im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen die medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung zu erbringen. Dazu gehörten alle medizinisch indizierten Leistungen einschließlich der Behandlung durch bestimmte besonders spezialisierte oder erfahrene Ärzte. Deshalb werde dem Beihilfeberechtigten durch die Beschränkung der Beihilfe auf die allgemeinen Krankenhausleistungen nicht etwa der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Krankenhausversorgung versagt. Der Ausschluß der Wahlleistungen sei auch mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Ein rechtlich relevanter Verstoß gegen diese Grundrechtsbestimmung könne nur innerhalb des Kompetenzbereichs eines Normgebers erfolgen. Bei der Beurteilung sei auch der haushaltsrechtliche Grundsatz der Sparsamkeit zu beachten. Des weiteren verstoße der Ausschluß der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Wahlleistungen weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen den Vertrauensschutzgrundsatz. Hier liege nur eine unechte Rückwirkung vor. Abschließend setzt sich der Antragsteller mit einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 17. Dezember 1996 (LV 3/95) auseinander, das den Ausschluß von Wahlleistungen im Saarland anhand der Verfassung des Saarlandes geprüft und bis auf einige Sonderfälle für rechtmäßig erachtet hat. Der Antragsteller beantragt festzustellen, daß § 6 Nr. 6 Sätze 1 und 2 der hamburgischen Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen in der Fassung vom 4. April 1995 insoweit mit hamburgischem Landesrecht vereinbar ist, als diese Vorschrift die Aufwendungen für eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus für gesondert berechenbare Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit ausschließt. LVerfGE 10

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2. Die Bürgerschaft hat sich mit Schriftsatz vom 26. August 1998 der Rechtsauffassung des Senats angeschlossen, die dieser seinem Normenkontrollantrag zugrunde gelegt hat. Insbesondere stützten die Entstehungsgeschichte des § 85 HmbBG und die mit dieser Norm zum Ausdruck gebrachte Intention des Gesetzgebers diese Rechtsauffassung. Die Beteiligte weist darauf hin, daß die Bürgerschaft den ursprünglichen Vorschlag des Senats für die Änderung von § 85 HmbBG nicht übernommen habe. Dieser habe keine Regelung über Wahlleistungen enthalten, vielmehr darauf abgezielt, Einsparungen bei den Beihilfeausgaben durch die Einführung der sogenannten 100%-Grenze und eine angemessene Selbstbeteiligung zu verwirklichen. Diese Einsparungen seien von den Abgeordneten der SPD und der CDU abgelehnt worden. Statt dessen habe man sich darauf geeinigt, daß Wahlleistungen nicht beihilfefähig sein sollten. In der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1999 hat der Antragsteller Unterlagen darüber vorgelegt, in welcher Weise die beihilfeberechtigten Personen über die Aufhebung der Beihilfefähigkeit von Wahlleistungen informiert worden sind, und Ausführungen über die Praxis der Billigkeitsregelung nach § 14 HmbBeihVO gemacht. Ergänzend wird auf den Normenkontrollantrag vom 16. Juni 1998 nebst Anlagen und den Schriftsatz der Bürgerschaft vom 26. August 1998 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. März 1999 Bezug genommen. Entscheidungsgründe: I. Der gestellte Normenkontrollantrag beschränkt sich auf die Prüfung der Hamburgischen Beihilfeverordnung am Maßstab des hamburgischen Landesrechts. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Antrags und den Erklärungen des Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung. Soweit der Antragsteller in seiner Antragsschrift zur Begründung auch auf beamtenrechtliche Grundsätze des Bundesrechts eingegangen ist, ist das für die Beurteilung des Antrages unbeachtlich. Das Hamburgische Verfassungsgericht kann nämlich gemäß Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV nur Fragen des hamburgischen Landesrechts, einschließlich des hamburgischen Verfassungsrechts, prüfen. Dieser Normenkontrollantrag ist zulässig. Das ergibt sich aus Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HV i.V.m. § 14 Nr. 2 und § 41 HmbVerfGG. Der Senat ist ein befugter Antragsteller. Es geht in diesem Rechtsstreit um die Vereinbarkeit von abgeleitetem Landesrecht mit den Landesgesetzen und von Landesrecht mit der Verfassung. Hierüber bestehen Meinungsverschiedenheiten. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß die Hamburgische Beihilfeverordnung nicht der Ermächtigung in § 85 HmbBG LVerfGE 10

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entspreche. Der Senat und die Bürgerschaft bejahen zwar die Ermächtigungskonformität. Das Normenkontrollinteresse des Antragstellers ergibt sich aber - wie § 41 Abs. 2 lit. b) HmbVerfGG verlangt — daraus, daß das Hamburgische Oberverwaltungsgericht die Hamburgische Beihilfeverordnung als mit dem Landesgesetz unvereinbar nicht angewandt hat. II. Der Antrag ist auch begründet. Soweit in § 6 Nr. 6 Satz 2 HmbBeihVO bestimmt wird, daß Mehraufwendungen für gesondert berechenbare Wahlleistungen nicht beihilfefähig sind, ist diese Bestimmung mit hamburgischem Landesrecht, und zwar sowohl mit § 85 HmbBG (1.) als auch mit der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (2.) vereinbar. 1. Der Ausschluß der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Wahlleistungen ist von der gesetzlichen Ermächtigung in § 85 HmbBG gedeckt. Nach § 85 S. 2 HmbBG regelt der Senat das Nähere der Beihilfen für Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen nach den für die Bundesbeamten geltenden Grundsätzen durch Rechtsverordnung. Wenn in dem folgenden Satz von § 85 HmbBG gesagt ist, in der Rechtsverordnung könne „ferner bestimmt werden, ob und inwieweit Aufwendungen für Wahlleistungen aus Anlaß einer Krankenhausbehandlung beihilfefahig sind", so kann das nach dem Wortsinn nur dahin verstanden werden, daß der Verordnungsgeber auch ermächtigt sein soll, das „Ob" einer Gewährung von Beihilfe für Aufwendungen für Wahlleistungen zu verneinen, also deren Beihilfefahigkeit völlig auszuschließen. Schon die generelle Verordnungsermächtigung in § 85 S. 2 HmbBG besagt nämlich, daß der Senat das Nähere über die Beihilfen zu den notwendigen und angemessenen Aufwendungen regeln könne, nämlich insbesondere auch die Höhe der Beihilfen. Nach dieser vorangegangenen generellen Formulierung kann die folgende spezielle Regelungsbefugnis dafür, zu bestimmen, „ob" Aufwendungen für Wahlleistungen beihilfefahig sind, nur bedeuten, daß diese auch völlig versagt werden können. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht räumt in seinem Urteil vom 21. Februar 1992 ein, die zitierte Formulierung könne nach ihrem Wortsinn auch dahingehend verstanden werden, daß dem Verordnungsgeber die Möglichkeit eines generellen Ausschlusses derartiger Aufwendungen von der Beihilfe eingeräumt werden sollte. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht sieht aber einen Gegensatz zwischen der Formulierung in § 85 S. 3 HmbBG und dem vorhergehenden Satz 2, wonach der Verordnungsgeber die Gewährung der Beihilfen „nach den für die Bundesbeamten geltenden Grundsätzen durch Rechtsverordnung" regelt. LVerfGE 10

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Ein solcher Gegensatz besteht nicht. Es kann nämlich nicht angenommen werden, daß der hamburgische Gesetzgeber die Spezialregelung, die er in § 85 S. 3 HmbBG getroffen hat, durch die generelle Verweisung auf bundesrechtliche Grundsätze im vorhergehenden Satz aufheben wollte. Der scheinbare Gegensatz, den das Hamburgische Oberverwaltungsgericht annimmt, kann dadurch erklärt werden, daß der hamburgische Gesetzgeber angenommen hat, die von ihm in Bezug genommenen für die Bundesbeamten geltenden Grundsätze enthielten kein Verbot eines generellen Ausschlusses von Aufwendungen für Wahlleistungen. Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes bestätigt. Bei der Prüfung der Gesetzesmaterialien kann nicht primär, wie es das Hamburgische Oberverwaltungsgericht getan hat, auf den Entwurf des Senats in der Mitteilung an die Bürgerschaft vom 8. November 1983 (Bürgerschafts-Drs. 11/1330) abgestellt werden. Denn der ursprüngliche Gesetzesentwurf des Senats ist von der Bürgerschaft weitestgehend geändert worden. Im Vordergrund der Überlegungen des Senats stand die Einführung der sogenannten 100%-Grenze und einer angemessenen Selbstbeteiligung. Beides lehnte die Bürgerschaft nach Anhörung der betroffenen Verbände ab. Als Ersatz für den Wegfall dieser Einsparmöglichkeiten wurde dann aber der Ausschluß der Beihilfe für Aufwendungen bei Wahlleistungen auf Anregung der SPD-Abgeordneten mit großer Mehrheit beschlossen. Die Beratungen im Ausschuß für Inneres und für den öffentlichen Dienst zeigen, daß dieses Ziel der Gesetzesänderung mit Nachdruck verfolgt wurde. Wenn die Bürgerschaft auf Vorschlag des Ausschusses mit großer Mehrheit ein Ersuchen an den Senat beschlossen hat, „bei Gewährung von Beihilfen sicherzustellen, daß die Wahlleistungen bei stationärer Behandlung nicht mehr beihilfefahig sind", so wird daraus im Zusammenhang mit dem Wortlaut der Wille des Gesetzgebers deutlich, dem Senat die Ermächtigung zu geben, Wahlleistungen auch generell auszuschließen. Dabei waren sich die Abgeordneten der Mehrheitsfraktion der verfassungsrechtlichen Problematik durchaus bewußt. Sie waren aber „der Meinung, daß Wahlleistungen nicht unter die Fürsorgepflicht des Dienstherrn fielen, zumal der Grundkatalog der Regelleistungen im wesentlichen alles abdecke" (vgl. Bericht des Ausschusses für Inneres und für den öffentlichen Dienst, Bürgerschafts-Drs. 11/2859, S. 3). Ein weiterer Grund für den Ausschluß der Wahlleistungen von der Beihilfefähigkeit war für die Mehrheitsfraktion, daß sie solche Wahlleistungen, wie die zusätzliche Chefarztbehandlung, für eine medizinische Versorgung im Krankenhaus für einen Beamten als nicht notwendig erachtete. Der Beamte werde, wie alle anderen Bürger, in allen Pflegeklassen genauso gut versorgt (vgl. Rede der Abgeordneten Fanck (SPD) im Plenum der Bürgerschaft, Protokoll der 47. Sitzung der Bürgerschaft, 11. Wahlperiode, vom 6.9.1984, S. 2736). Diese Meinung wurde, wie aus dem Ausschußbericht und aus der Rede des Abgeordneten Müller im LVerfGE 10

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Plenum hervorgeht, auch von der CDU-Fraktion geteilt. Meinungsverschiedenheiten bestanden nur hinsichtlich der Frage einer Ubergangslösung für ältere Beamte. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte von § 85 S. 3 HmbBG ist somit an2unehmen, daß die gesetzliche Ermächtigung auch den völligen Ausschluß der Beihilfe für Aufwendungen für Wahlleistungen, wie er in § 6 Nr. 6 S. 2 HmbBeihVO vorgesehen ist, deckt. 2. Die Vorschrift des § 85 S. 3 HmbBG in der gefundenen Auslegung verstößt nicht gegen die hamburgische Verfassung. a) Die hamburgische Verfassung enthält keine dem Art. 33 Abs. 5 GG entsprechende Vorschrift, wonach das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist. Vielmehr sind nur einzelne Grundsätze des Berufsbeamtentums in Art. 59 HV ausdrücklich geregelt. Nach Art. 59 Abs. 1 HV - wörtlich übereinstimmend mit Art. 33 Abs. 2 GG — hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Nach Abs. 2 dieser Verfassungsnorm werden Beamte auf Lebenszeit ernannt. Nach Abs. 3 können Beamte vorläufig oder endgültig nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und in dem gesetzlich geregelten Verfahren ihres Amtes enthoben, in den Ruhe- oder Wartestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden. Ob in diesen Bestimmungen eine landesrechtliche Regelung des Berufsbeamtentums im Sinne seiner hergebrachten Grundsätze zu sehen ist (so David, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 1994, Art. 59 Rdn. 11; Drexelius/ Weber, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, 1972, Art. 59 Anm. 2), kann dahingestellt bleiben. Denn Art. 59 Abs. 2 und 3 HV, aus dem sich solche beamtenrechtlichen Grundsätze ableiten ließen, läuft aufgrund der Regelungen im Beamtenrechtsrahmengesetz vom 3. Januar 1977 (BGBl. I S. 21) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1985 des Bundes leer (so Drexelius/Weber, a.a.O.; Thieme, Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar, 1998, Art. 59 Anm. 2 a und c; a.A. David, a.a.O., Art. 59 Rdn. 12). Neben den vorrangigen Regelungen in Art. 33 Abs. 5 GG und im Beamtenrechtsrahmengesetz des Bundes können hamburgische verfassungsrechtliche Grundsätze des Berufsbeamtentums nicht mehr zum Zuge kommen. Sie können mithin vom Hamburgischen Verfassungsgericht nicht herangezogen werden. Im übrigen enthält die Hamburgische Verfassung keine Norm und keinen Grundsatz, die die Regelung des § 85 S. 3 HmbBG, wonach durch Rechtsverordnung auch der völlige Ausschluß von Beihilfen für Wahlleistungen bestimmt werden kann, verfassungswidrig machen würden. Unbeschadet der vorstehenden Ausführungen zu Art. 59 Abs. 2 und 3 HV ergibt sich aus Art. 59 Abs. 2 S. 2 kein LVerfGE 10

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eigenständiger Regelungsgehalt, da diese Vorschrift nur ein Gesetzesvorbehalt ist. Ein Rechtssatz, wonach Beihilfen für Aufwendungen für Wahlleistungen nicht völlig ausgeschlossen werden dürfen, läßt sich daraus nicht entnehmen. b) Auch hinsichtlich einzelner Fallgestaltungen, die möglicherweise einer besonderen Regelung bedurft hätten, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit einem Urteil vom 17. Dezember 1996 eine der hamburgischen Regelung im wesentlichen gleiche Vorschrift der saarländischen Beihilfe-ÄnderungsVO vom 23. Mai 1995 (ABl. S. 578) nur mit Einschränkungen für gültig erklärt. Er hielt die Verordnung für nichtig, soweit sie Personen betraf, die ohne ihr Verschulden und entgegen ihrer Absicht keinen oder keinen vollständigen Versicherungsschutz für die stationären Wahlleistungen oder keinen vollständigen dem neuen Beihilferecht angepaßten Versicherungsschutz unter Ausschluß stationärer Wahlleistungen erhalten konnten. Das Fehlen einer solchen Regelung könnte auch in Hamburg verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen: Es könnte gegen den Vertrauensschutzgrundsatz, der als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch Bestandteil des hamburgischen Verfassungsrechts ist, verstoßen. Der Senat hat hierzu vorgetragen, daß derartige Fälle in Hamburg aufgrund der Billigkeitsregelung des § 14 Abs. 6 HmbBeihVO gelöst würden. Er hat nach Aufforderung des Gerichts sechs Entscheidungen vorgelegt, in denen bei einer derartigen Fallkonstellation die Beihilfe auch für Wahlleistungen gewährt wurde. Die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 6 HmbBeihVO ist zwar nach ihrem Wordaut eine Kann-Vorschrift, die der obersten Dienstbehörde erlaubt, Beihilfen unter anderen als den in der Verordnung genannten Voraussetzungen zu gewähren. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, nämlich dem des Vertrauensschutzgrundsatzes, kann aber das Ermessen der obersten Dienstbehörde auf Gewährung von Beihilfen für Aufwendungen bei Wahlleistungen derart reduziert sein, daß nur eine einzige rechtmäßige Entscheidung, nämlich die Gewährung der Beihilfe, möglich ist. Angesichts dessen ist das Fehlen einer besonderen Ausnahmevorschrift für den dargestellten, selten auftretenden Ausnahmefall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das weitere Bedenken des saarländischen Verfassungsgerichtshofs, das sich aus der fehlenden Regelung der Beihilfe bei einer Verminderung des allgemeinen Pflegesatzes bei Inanspruchnahme von Wahlleistungen ergibt, trifft für Hamburg nicht zu. Der Antragsteller hat zu Recht auf § 6 Nr. 6 S. 2 HmbBeihVO verwiesen, wo es heißt, daß Ermäßigungen der Vergütungen für allgemeine Krankenhausleistungen wegen Inanspruchnahme von gesondert berechenbaren Wahlleistungen (§ 22 BPflV) unberücksichtigt bleiben. Danach sind Aufwendungen für Wahlleistungen in Höhe der Differenz beihilfefähig, wenn sich wegen der Inanspruchnahme von Wahlleistungen der allgemeine Pflegesatz vermindert. LVerfGE 10

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Eine eventuell gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßende Regelung ist also in Hamburg vermieden worden. III. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil gem. § 66 HmbVerfGG im Verfahren vor dem Verfassungsgericht keine Kosten erhoben werden und auch eine Auslagenerstattung, wie sie nur für einige besondere Verfahrensarten vorgesehen ist, hier nicht in Betracht kommt. Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

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Entscheidungen des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen Prof. Dr. Klaus Lange, Präsident Dr. Helmut Wilhelm, Vizepräsident Elisabeth Buchberger Felizitas Fertig Dr. Karl Heinz Gasser Paul Leo Giani Dr. Günter Paul Rudolf Rainer Georg Schmidt-von Rhein Dr. Wolfgang Teufel Dr. Manfred Voucko

Stellvertretende Richterinnen und Richter Jörg Britzke Werner Eisenberg Ferdinand Georgen Dr. Bernhard Heitsch Ulrike Kindermann Dr. Harald Klein Ursula Kraemer Dr. Helga Laux Dr. Wilhelm Nassauer Karin Wolski Prof. Dr. Johannes Baltzer Helmut Enders Gerhard Fuckner Joachim Poppe Manfred Stremplat Elisabeth Vogelheim

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Nr. 1 1. Rechtlich verselbständigte Verbände des Privatrechts genießen den Schutz der Grundrechte der Hessischen Verfassung jedenfalls, soweit sie sich im Hinblick auf die hinter ihnen stehenden Personen und die Tatsache, daß diese in dieser Rechtsform gesamthänderisch verbunden nach außen in Erscheinung treten, in einer grundrechtstypischen Gefahrdungslage befinden. 2. Der Grundsatz der Subsidiarität der Grundrechtsklage als zusätzliche, von der Rechtswegerschöpfung unabhängige Zulässigkeitsvoraussetzung verlangt vom Antragsteller, daß er alle ihm bei den Fachgerichten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. 3. Das Prinzip der Subsidiarität gilt grundsätzlich auch für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze. 4. Das Subsidiaritätsprinzip steht einer direkten Anrufung des Verfassungsgerichts nicht entgegen, wenn die Anrufung der Fachgerichte zur Abwehr von Grundrechtsverletzungen dem Antragsteller unzumutbar ist oder wenn von der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Verfahrens weder die Aufklärung von Tatsachen noch die Klärung einfachrechtlicher Fragen zu erwarten ist, auf die das Verfassungsgericht bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Fragen angewiesen wäre. 5. Art. 53 HV, nach dem der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt bleiben, wird durch eine gesetzliche Regelung verletzt, wenn der Sonn- und Feiertagsschutz als von der Verfassung vorgeschriebenes Institut im Kern preisgegeben wird, insbesondere eine grundsätzliche Einebnung von Werk- und Feiertagen Ziel oder tatsächliche Folge der Normgebung ist. 6. Für den Gesetzgeber beinhaltet der Gleichheitssatz des Art. 1 HV über das Willkürverbot hinaus ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot, das vornehmlich bei personenbezogenen oder bei mit Auswirkungen auf Freiheitsgrundrechte verbundenen Ungleichbehandlungen eine strengere verfassungsgerichtliche Uberprüfung der verfassungsrechtlichen LVerfGE 10

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Legitimität von Ungleichbehandlungen fordert. In diesen Fällen ist im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen, ob für die Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. HV Art. 1, Art. 38 Abs. 2, Art. 53 StGHG §§ 43,44 HFeiertagsG § 14 Abs. 2 Urteil vom 3. Mai 1999 - P.St. 1296 in dem Verfahren wegen Verletzung von Grundrechten der xy oHG, vertreten durch Herrn K., an dem sich beteiligt haben: 1. die Hessische Landesregierung, vertreten durch den Hessischen Ministerpräsidenten, Staatskanzlei, 2. der Landesanwalt beim Staatsgerichtshof des Landes Hessen Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A. I. Die Antragstellerin wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen einen vom Gesetzgeber geschaffenen Befreiungstatbestand vom feiertagsgesetzlichen Arbeitsverbot. Nach § 6 Abs. 1 des Hessischen Feiertagsgesetzes (HFeiertagsG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Dezember 1971 (GVB1. S. 344), zuletzt geändert durch Sechstes Änderungsgesetz vom 26. November 1997 (GVB1. S. 396), sind an den gesetzlichen Feiertagen Arbeiten verboten, die geeignet sind, die äußere Ruhe des Tages zu beeinträchtigen, sofern ihre Ausübung nicht nach Bundes- oder Landesrecht besonders zugelassen ist. Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 HFeiertagsG gilt dieses Verbot u. a. nicht für Tankstellen als Hilfseinrichtungen LVerfGE 10

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des Straßenverkehrs. § 14 Satz 1 HFeiertagsG regelte vor der Novellierung durch das Sechste Änderungsgesetz, daß die untere Verwaltungsbehörde im Einzelfall von den in diesem Abschnitt vorgesehenen Beschränkungen und Verboten Befreiung gewähren kann. Durch das Sechste Änderungsgesetz, das am 3. Dezember 1997 in Kraft getreten ist, erhielt § 14 HFeiertagsG folgende Fassung: §14 (1) Die örtliche Ordnungsbehörde kann für einzelne Feiertage von den in diesem Abschnitt vorgesehenen Beschränkungen und Verboten Befreiung gewähren. (2) Für den vollautomatischen Betrieb von Portalwaschanlagen, die mit Tankstellen verbunden sind, kann die örtliche Ordnungsbehörde für alle gesetzlichen Feiertage Befreiung von dem Arbeitsverbot nach § 6 Abs. 1 gewähren; dies gilt nicht für den Karfreitag, den Volkstrauertag und den Totensonntag. Die Öffnungszeiten sind so festzulegen, daß sie vom l.Mai bis zum 31. August die Zeit von 7 Uhr bis 21 Uhr, in den übrigen Monaten von 7 Uhr bis 20 Uhr nicht überschreiten. (3) Bei der Entscheidung über die Befreiung sollen die sich aus der Beschaffenheit und Lage der Anlage ergebenden Auswirkungen sowie die Vermeidbarkeit verhaltensbedingter Lärmbeeinträchtigungen berücksichtigt werden. Befreiungen können mit Bedingungen und Auflagen verbunden sowie unter dem Vorbehalt des Widerrufs und unter dem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Auflagen erteilt werden. Die Befreiung nach Abs. 2 wird für längstens drei Jahre erteilt und kann entsprechend verlängert werden. Die Novellierung des § 14 beruhte auf einem vom Landtag unverändert beschlossenen Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 14/2991). Zur Begründung wird dort zunächst unter „A. Allgemeines" ausgeführt: „Das geltende Hessische Feiertagsgesetz läßt den Betrieb von Autowaschanlagen auch dann nicht zu, wenn dabei keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden (§ 6 Abs. 1 HFeiertagsG). Durch Erweiterung der Befreiungsmöglichkeiten in § 14 HFeiertagsG wird die Möglichkeit eröffnet, Befreiungen zum feiertäglichen Betrieb von vollautomatischen Autowaschanlagen, die durch einen Münzeinwurf oder in ähnlicher Weise in Bewegung gesetzt werden, zu gewähren, wenn dabei keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden". Im Hinblick auf § 14 Abs. 2 HFeiertagsG heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs: „Abs. 2 des Entwurfs schafft einen von Abs. 1 unabhängigen eigenständigen Befreiungstatbestand. Danach besteht die Möglichkeit, für vollautomatische Portalwaschanlagen, die zusammen mit einer Tankstelle betrieben werden, eine ganzjährige Befreiung von dem Arbeitsverbot des § 6 Abs. 1 HFeiertagsG zu gewähren; LVerfGE 10

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Staatsgerichtshof des Landes Hessen ausgenommen sind nur die sogenannten stillen Feiertage Karfreitag, Volkstrauertag und Totensonntag. Portalwaschanlagen sind geschlossene bauliche Anlagen, bei denen das Fahrzeug in eine Waschhalle gefahren und dort in stationärem Zustand durch bewegliche Reinigungsaggregate gesäubert wird. Um keine zusätzliche menschliche Sonntagsarbeit durch den Betrieb der Autowaschanlage zu ermöglichen, wird die Befreiung ausschließlich auf vollautomatische Autowaschanlagen beschränkt, bei deren Betrieb am Feiertag keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden. Diesem Ziel dient auch die obligatorische Verknüpfung mit einem vorhandenen, gewerberechtlich zugelassenen Tankstellenbetrieb. Das dort ohnehin eingesetzte Personal kann Aufsichtsfunktionen, die auch bei vollautomatischen Anlagen nicht vollständig ausgeschlossen werden können, mitübernehmen, so daß zusätzliche Sonntagsarbeit vermieden wird. Beide Beschränkungen — Portalwaschanlagen mit Tankstellenverbund - erfolgen vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Feiertagsschutzes. Bei entsprechenden Anlagen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem feiertäglichen Waschbetrieb keine nennenswerten Störungen zu erwarten, die über den normalen, aus feiertagsrechtlicher Sicht ohnehin zulässigen, Tankstellenbetrieb hinausgehen. Zusammen mit der vorgesehenen Ermessensdirektive und Nebenbestimmungen in dem neuen Abs. 3 rechtfertigt dies die vorgesehene Lockerung des Feiertagsschutzes. Dieser Ausgangspunkt ermöglicht auch eine Abgrenzung gegenüber ähnlichen Arbeiten, für die der neue Abs. 2 keine Anwendung finden soll: Offene oder nur teilautomatisierte Autowaschstraßen verursachen zusätzlichen Lärm bzw. erfordern zusätzliches Personal; beides ist dem Feiertagsschutz abträglich. Dies gilt auch für den Betrieb sogenannter Selbstwaschanlagen, bei denen neben dem Gelände Wasseranschlüsse, Schläuche und sonstige Waschutensilien vorgehalten werden. Die längstmöglichen Öffnungszeiten sind wie in § 3 Abs. 1 der Gefahrenabwehrverordnung gegen Lärm (LärmVO) vom 16. Juni 1993 (GVB1.1 S. 257) geregelt. Die Befreiung steht im pflichtgemäßen Ermessen der örtlichen Ordnungsbehörde. Der Zweck der Ermächtigung, der für die Ermessensbetätigung von Bedeutung ist, weicht graduell von dem in Abs. 1 ab. Der Gesetzgeber selbst hat mit der Sonderregelung in Abs. 2 eine Abwägung zwischen den generellen Belangen des Feiertagsschutzes und dem Anliegen, Autowaschanlagen auch feiertags betreiben zu können, zu Gunsten der im Tankstellenverbund betriebenen Portalwaschanlagen getroffen. Spezifische Gesichtspunkte des Feiertagsschutzes können daher nur noch in geringerer Intensität in die Befreiungsentscheidung einfließen; so kann beispielsweise für eine Portalwaschanlage in unmittelbarer Nähe einer Kirche der Betrieb jedenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit den Gottesdiensten von der Befreiung ausgenommen werden, auch wenn die Anlage keine besonders wahrnehmbare Lärmbelästigung verursacht".

Die Antragstellerin ist Betreiberin von Selbstbedienungswaschanlagen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Neu-Isenburg, Oberursel und Offenbach, die dem § 14 Abs. 2 HFeiertagsG nicht unterfallen. Für ihre Selbstbedienungswaschanlage in Neu-Isenburg stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Befreiung von dem Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen nach dem Hessischen FeierLVerfGE 10

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tagsgesetz, der mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Neu-Isenburg vom 7. Januar 1998 abgelehnt wurde. Ihr Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises Offenbach vom 30. März 1998 zurückgewiesen. In dem seit dem 27. April 1998 rechtshängigen Verwaltungsstreitverfahren der Antragstellerin - Az.: 3 E 857/98 (2) — ordnete das Verwaltungsgericht Darmstadt auf Antrag der Beteiligten am 26. Mai 1998 das Ruhen des Verfahrens an. Am 2. Februar 1998 hat die Antragstellerin beim Staatsgerichtshof Grundrechtsklage erhoben. Ihre unmittelbar gegen das Gesetz gerichtete Grundrechtsklage sei nach § 44 Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG — zulässig. Die Bedeutung der Sache gehe über den Einzelfall hinaus, da alle Betreiber von Autowaschanlagen, die nicht von § 14 Abs. 2 HFeiertagsG erfaßt würden, betroffen seien. Zudem würde die vorherige Ausschöpfung des Rechtswegs gegen das Gebot der Prozeßökonomie verstoßen. Ein Verwaltungsstreitverfahren könne nur zu einer Vorlage an den Staatsgerichtshof führen. Die Grundrechtsklage sei auch begründet. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG, der die Befreiungsmöglichkeit vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit auf den vollautomatischen Betrieb von Portalwaschanlagen, die mit Tankstellen verbunden sind, beschränke, verletze ihr Gleichbehandlungsgrundrecht aus Art. 1 der Verfassung des Landes Hessen (Hessische Verfassung — HV —). Die durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG eintretende Privilegierung der Betreiber der dort genannten Waschanlagen gegenüber den Betreibern sonstiger Autowaschanlagen sei nicht zu rechtfertigen. Die Regelung führe zunächst zu einer nicht hinnehmbaren erheblichen Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der nichtprivilegierten Waschanlagenbetreiber. Da immer mehr Autobesitzer dazu übergingen, ihre Kraftfahrzeuge während ihrer Freizeit an Sonn- und Feiertagen zu waschen, werde den nichtprivilegierten Waschanlagenbetreibern ein bedeutsames Kundenpotential entzogen. Dies könne bis hin zu Existenzgefährdungen führen. Denn nicht mit Tankstellen verbundene Waschanlagen stellten für ihre Betreiber regelmäßig die einzige Existenzgrundlage dar, während den Tankstellenbetreibern als weitere Einnahmequellen der Benzinverkauf sowie der Verkauf in den regelmäßig angegliederten shops zur Verfügung stehe. Das zur Rechtfertigung der in § 14 Abs. 2 HFeiertagsG enthaltenen Privilegierung angeführte Argument, durch die Beschränkung auf vollautomatische Autowaschanlagen, die mit Tankstellen verbunden seien, werde zusätzliche menschliche Sonntagsarbeit vermieden, gehe fehl. In einem Land mit einer Arbeitslosenzahl von 4,5 Millionen Menschen mit steigender Tendenz erscheine ein derartiges Argument fragwürdig. Überdies seien Selbstbedienungswaschanlagen so angelegt, daß der Wagenbesitzer sein Fahrzeug selbst wasche, ohne daß es der Hinzuziehung oder Hilfestellung irgendwelchen Personals bedürfe. Selbstbedienungswaschanlagen verursachten LVerfGE 10

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Personalaufwand lediglich insofern, als sie zu öffnen und zu schließen bzw. an- und abzustellen seien. Das eigenhändige Wagenwaschen könne nicht als Störung oder Verstoß gegen die im öffentlichen Leben gewünschte spürbare Unterbrechung des werktäglichen Arbeitsprozesses betrachtet werden, da es nach allgemeingültiger Auffassung der Freizeitbetätigung zuzuordnen sei. Auch der Gesichtspunkt, nach dem der bei den nichtprivilegierten Waschanlagen erforderliche zusätzliche Personalbedarf und der von diesen Anlagen ausgehende Lärm dem Feiertagsschutz abträglich seien, könne die in § 14 Abs. 2 HFeiertagsG vorgesehene Differenzierung verfassungsrechtlich nicht tragen. Die nichtprivilegierten Autowaschanlagen verursachten nicht (generell) mehr Lärm als Portalwaschanlagen. Portalwaschanlagen entfalteten vielmehr mit ihrem Trockengebläse eine nicht unerhebliche Lärmentwicklung, die auch durch bauliche Isoliermaßnahmen nicht völlig absorbiert werden könne. Der Lärm, der dadurch verursacht werde, daß Fahrzeugbesitzer nach dem Waschvorgang ihre Pkw weiterreinigten, dabei Staubsauger benutzten und hierbei ihre Radios laufen ließen, könne bei allen Arten von Autowaschanlagen auftreten. Durch § 14 Abs. 3 HFeiertagsG habe der Gesetzgeber selbst die fehlende Berechtigung der in § 14 Abs. 2 HFeiertagsG getroffenen Differenzierung aufgezeigt. Es sei nicht ersichtlich, warum die in § 14 Abs. 3 HFeiertagsG vorgesehene Einzelfallbewertung und -entscheidung nicht auf alle Autowaschanlagen in gleicher Weise Anwendung finden könne. Die nicht von § 14 Abs. 2 HFeiertagsG erfaßten Waschanlagen befänden sich darüber hinaus regelmäßig in Gewerbe- oder Industriegebieten, so daß durch ihren Betrieb schon aufgrund ihrer Lage Störungen der feiertäglichen Ruhe auszuschließen seien. Die vom Gesetzgeber angestrebte Lösung des Zielkonflikts zwischen Feiertagsschutz, geändertem Freizeitverhalten der Bevölkerung und Umweltschutz lasse sich systemgerecht nur so lösen, daß das Reinigen von Fahrzeugen in Selbstwaschanlagen an Sonn- und Feiertagen unter den gleichen Voraussetzungen gestattet werde, wie sie für die durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG privilegierten Waschanlagen gälten. Die Antragstellerin beantragt, festzustellen, daß § 14 Abs. 2 des Hessischen Feiertagsgesetzes sie in ihrem Grundrecht aus Art. 1 der Hessischen Verfassung verletzt, und § 14 Abs. 2 des Hessischen Feiertagsgesetzes für nichtig zu erklären.

II. Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Als Personenhandelsgesellschaft sei die Antragstellerin allerdings antragsberechtigt. Ebenso wie nach dem Grundgesetz seien privatrechtliche Vereinigungen auch nach der Hessischen Verfassung Grundrechtsträger und damit in GrundLVerfGE 10

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rechtsklageverfahren antragsberechtigt, soweit ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen sei und sie sich in einer natürlichen Personen vergleichbaren Gefährdungslage befänden. Im Hinblick auf das Gleichheitsgrundrecht sei dies bei der Antragstellerin der Fall. Denn als oHG könne sie durch den Gleichheitsgrundsatz verletzende Vorschriften oder Maßnahmen in ihrer Erwerbstätigkeit und in ihrem gesamthänderisch verbundenen Gesellschaftsvermögen so betroffen werden wie eine natürliche Person. Auch der Grundsatz der Subsidiarität stehe der Zulässigkeit der Grundrechtsklage der Antragstellerin nicht entgegen. Denn die Antragstellerin habe keine Möglichkeit, eine Korrektur der von ihr geltend gemachten Grundrechtsverletzungen außerhalb des verfassungsgerichtlichen Verfahrens zu erreichen. Die Zulässigkeit der Grundrechtsklage scheitere jedoch daran, daß die Antragstellerin nicht gemäß § 43 Abs. 2 StGHG hinreichend dargelegt habe, daß § 1 4 Abs. 2 HFeiertagsG eine Verletzung eines ihr zustehenden Grundrechts bewirken könne. Es fehlten jegliche Angaben, wie sich die behauptete erhebliche Wettbewerbsverzerrung in der Umsatz- und Ertragssituation der Antragstellerin darstelle und daß die gesetzliche Änderung zu einer Änderung des Verbraucherverhaltens zu Lasten der Betreiber von Selbstwaschanlagen und zu einer Verschlechterung ihrer Ertragssituation führe. In jedem Fall sei die Grundrechtsklage unbegründet. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 1 HV durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG liege nicht vor. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG verstoße zunächst nicht gegen sonstiges höherrangiges Recht, sei insbesondere mit dem durch Art. 140 des Grundgesetzes — GG —, Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung — WRV — verfassungsrechtlich garantierten Sonn- und Feiertags schütz vereinbar. Art. 140 GG, Art. 139 WRV seien insofern Prüfungsmaßstab, da sie gemäß Art. 31 GG den mit Art. 139 WRV übereinstimmenden Art. 53 HV verdrängt hätten. Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung seien durch Art. 140 GG, Art. 139 WRV institutionell geschützt. Der Sonn- und Feiertagsschutz stelle ein verfassungsgesetzlich vorgeschriebenes Regelungselement dar, das der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zukommenden Gesetzgebungsmacht mit den anderen für den zu regelnden Lebensbereich bedeutsamen Regelungselementen zum Ausgleich bringen und damit im Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Ordnung durch eine eigenständige gesetzgeberische Entscheidung konkretisieren müsse. Der Hessische Gesetzgeber habe sein im Rahmen dieser Abwägung bestehendes Ermessen mit der durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG bewirkten Lockerung des feiertäglichen Arbeitsverbotes nicht überschritten. Die Vorschrift sei als Ausnahmeregelung so gestaltet, daß das Interesse der Bürger, ihr Auto an dem für sie regelmäßig arbeitsfreien Sonn- oder Feiertag in einer gewerblichen Waschanlage waschen zu lassen, mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Sonn- und Feiertags als Tag der Arbeitsruhe und seelischen Erbauung in einen Ausgleich LVerfGE 10

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gebracht sei, der die Zweckbestimmung des Feiertagsschutzes ausreichend berücksichtige. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Ungleichbehandlung von Betreibern von Autowaschanlagen, die darin liege, daß die Betreiber von nichtprivilegierten Anlagen von der Möglichkeit einer Befreiung vom sonn- und feiertäglichen Arbeitsverbot ausgeschlossen seien, sei sachlich gerechtfertigt. Bei den nichtprivilegierten Anlagen würde eine Befreiung wegen des fehlenden Tanks tellenverbundes notwendig zusätzliche Feiertagsarbeit nach sich ziehen, da die Anlagen der Aufsicht bedürften und für etwaige Funktionsstörungen Personal vorgehalten werden müsse. Wenn der Gesetzgeber — wie in § 14 Abs. 2 HFeiertagsG geschehen — dem Aspekt der Arbeitsruhe als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Feiertagsschutzes dadurch Rechnung trage, daß nur solche Waschanlagen betrieben werden dürften, die kein zusätzliches Personal erforderten, so sei dies sachgerecht. Zudem trete bei den privilegierten vollautomatischen Waschanlagen, die mit einer Tankstelle verbunden seien, bei feiertäglichem Betrieb in der Regel kein zusätzlicher Lärm auf, der über den bereits durch den Betrieb der Tankstelle verursachten hinausgehe. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei eine — zusätzliche — Störung der feiertäglichen Ruhe durch den Betrieb nichtprivilegierter Waschanlagen im übrigen auch zu besorgen, wenn diese sich in Gewerbe- und Industriegebieten befänden. Es komme nicht darauf an, ob im Einzelfall die Öffentlichkeit konkret in ihrer Sonn- und Feiertagsruhe gestört werde, sondern darauf, ob die Art der Tätigkeit an sich geeignet sei, das Bild der sonn- und feiertäglichen Ruhe zu stören. Dies sei auch bei Autowaschanlagen und Selbstbedienungsanlagen in Gewerbe- und Industriegebieten der Fall. Die von der Antragstellerin befürchteten erheblichen Wettbewerbsnachteile der nichtprivilegierten Waschanlagenbetreiber seien weder von ihr hinreichend dargelegt noch — bei den angesichts der strengen Voraussetzungen zu erwartenden Zahlen von Befreiungen, den Kapazitäten vollautomatischer Autowaschanlagen sowie den Vorlieben der Nutzer von Selbstbedienungswaschanlagen — zwingende Folge der angegriffenen gesetzlichen Regelung. Umsatzeinbußen infolge einer gesetzlichen Ungleichbehandlung führten im übrigen nicht zu einer Verletzung des Art. 1 HV, wenn sich für die Ungleichbehandlung — wie hier — sachliche Gründe anführen ließen. Art. 1 HV sei auch dann nicht verletzt, wenn man § 14 Abs. 2 HFeiertagsG am vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 3 Abs. 1 G G entwickelten Prüfungsmaßstab messe, nach dem bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandelten oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirkten, zu kontrollieren sei, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen könnten. Das Ziel der Erweiterung der Handlungsfreiheit des Einzelnen einerseits und die Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutzes andererseits legitimierten die unterschiedliche

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Behandlung der beiden Gruppen von Waschanlagenbetreibern. Die nichtprivilegierten Betreiber hätten die Möglichkeit, durch Art und Umfang ihrer Dienstleistung und ihres sonstigen Services den mit der Ungleichbehandlung verbundenen möglichen Nachteilen entgegenzuwirken. III. Der Landesanwalt hält die Grundrechtsklage für zulässig und begründet. Der Befreiungstatbestand des § 14 Abs. 2 HFeiertagsG sei mit Art. 53 HV nicht vereinbar. Art. 53 HV, der mit Art. 140 GG, Art. 139 WRV inhaltsgleich sei, beanspruche weiterhin Geltung. Landesverfassungsrecht, das mit Bundesverfassungsrecht übereinstimme, bleibe nämlich weiterhin in Kraft. Art. 53 HV schütze Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Dieser Schutz werde aus sozialen und religiösen Gründen gewährt. Art. 31 Satz 2 HV konkretisiere den sozialen Schutzzweck dahingehend, daß Ausnahmen zugelassen werden könnten, wenn sie der Allgemeinheit dienten. Aktivitäten, die der Erholung dienten, seien zulässig, mithin auch die dafür benötigten Dienstleistungen. Zum verfassungsrechtlich garantierten Kern des Art. 53 HV gehöre, daß alle gewerblichen Tätigkeiten zu unterbleiben hätten, die mit dem Sinngehalt der Feiertagsruhe nicht vereinbar seien. Mit der Zweckbestimmung der Feiertage seien grundsätzlich alle öffentlich bemerkbaren Tätigkeiten werktäglichen Charakters unvereinbar. In diesen auch für den Gesetzgeber unantastbaren Kern des Art. 53 HV greife der Befreiungstatbestand des Art. 14 Abs. 2 HFeiertagsG ein. Autowaschen als gewerbliches Dienstleistungsangebot diene nicht der Freizeitgestaltung, dieses Dienstleistungsangebot sei für Freizeitaktivitäten auch nicht erforderlich. Vielmehr sei das gewerbliche Angebot des Autowaschens auf eine typische werktägliche Geschäftigkeit gerichtet, es gebe dafür kein feiertägliches Bedürfnis. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG diene allein den wirtschaftlichen Interessen der Tankstellenbetreiber, die zugleich Portalwaschanlagen anböten. Deren wirtschaftliche Interessen rechtfertigten aber keine grundsätzliche Ausnahme vom Gebot der Feiertagsruhe. Dabei sei es völlig unerheblich, ob viel oder wenig Lärm von der Portalwaschanlage ausgehe. Allein der erkennbare Betrieb der Waschanlage in Verbindung mit dem dadurch entstehenden Autoverkehr vermittelten jedem Betrachter werktägliche Atmosphäre. Dies beeinträchtige den Charakter des Feiertags im Sinne eines Ruhetags, der der seelischen Erhebung eines jeden Betrachters diene. Seine Vereinbarkeit mit Art. 53 HV unterstellt, verstoße § 14 Abs. 2 HFeiertagsG gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 1 HV. Die Gesichtspunkte, die für eine Privilegierung von Portalwaschanlagen sprächen, die mit Tankstellen verbunden seien, reichten nicht aus, um deren unterschiedliche LVerfGE 10

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Behandlung im Verhältnis zu den übrigen Autowas chanlagen zu rechtfertigen. Zwar könne die verfassungsrechtliche Nachprüfung nicht darauf erstreckt werden, ob die getroffene Regelung der allgemeinen Gerechtigkeit entspreche und letztlich als die zweckmäßigste Regelung erscheine. Der Gesetzgeber habe einen weiten Ermessensspielraum. Bei unterschiedlicher Behandlung von Personengruppen könne jedoch eine strengere Bindung des Gesetzgebers geboten sein. Waschanlagenbetreiber stünden im Wettbewerb untereinander. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG schaffe für die dort privilegierten Betreiber einen Wettbewerbsvorteil, für den es keine ausreichende Rechtfertigung gebe. Wenn der Gesetzgeber die Erbringung der Dienstleistung des Autowaschens an Sonn- und Feiertagen eröffnen wolle, müsse er alle Autowaschanlagen den sachgerechten Kriterien des §14 Abs. 3 HFeiertagsG unterwerfen. Eine vorgeschaltete Unterscheidung zwischen mit Tankstellen verbundenen Portalwaschanlagen und sonstigen Autowaschanlagen sei nicht plausibel. Die zusätzliche Beschäftigung von Personen an offenen Waschanlagen sei zahlenmäßig völlig unerheblich. Der zusätzliche Autoverkehr wegen der Autowäsche sei gleichfalls ungeeignet, die Differenzierung zu tragen. Denn er entstehe bei den durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG privilegierten Anlagen in gleicher Weise, wie er bei den nichtprivilegierten entstehen würde. Der Personenkreis, der an Feiertagen seine Fahrzeuge waschen, und der Personenkreis, der tanken wolle, deckten sich nicht. Der Landesanwalt beantragt, festzustellen, daß § 14 Abs. 2 des Hessischen Feiertagsgesetzes mit Art. 1 und Art. 53 der Hessischen Verfassung unvereinbar und deshalb nichtig ist.

IV. Dem Landtag ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Er hat mitgeteilt, daß er sein Recht zur Äußerung nicht wahrnehme. V. Die Verfahrensakte des Verwaltungsgerichts Darmstadt — Az.: 3 E 857/ 98(2) — hat vorgelegen. B. I. Die Grundrechts klage ist zulässig. Die Antragstellerin ist im Verfahren der Grundrechtsklage antragsberechtigt, soweit sie sich als rechtsfähige Personengesellschaft (vgl. § 1059a Abs. 2 BGB) unter Berufung auf den Gleichheitssatz und die Wettbewerbsfreiheit LVerfGE 10

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gegen § 14 Abs. 2 HFeiertagsG wendet. Nach § 19 Abs. 2 Nr. 9 StGHG ist grundsätzlich jede Person zur Erhebung der Grundrechtsklage antragsberechtigt. § 43 Abs. 1 StGHG stellt für die Zulässigkeit der Grundrechtsklage eine weitere beteiligtenbezogene Voraussetzung — die Antragsbefugnis — auf. Nach dieser Vorschrift kann den Staatsgerichtshof nur anrufen, wer geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in einem durch die Verfassung des Landes Hessen gewährten Grundrecht verletzt worden zu sein. Das Zusammenspiel beider Normen zeigt, daß die Antragsberechtigung bei der Grundrechtsklage an die Grundrechtsfähigkeit anknüpft. Die Antragstellerin ist sowohl im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 1 HV als auch bezüglich der durch Art. 38 Abs. 2 HV grundrechtlich geschützten Wettbewerbsfreiheit grundrechtsföhig. Träger der von der Hessischen Verfassung gewährleisteten Grundrechte sind zunächst natürliche Personen (vgl. Überschrift des Ersten Hauptteils der Hessischen Verfassung und Wortlaut der Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 HV). Eine Art. 19 Abs. 3 GG entsprechende, ausdrückliche Erstreckung der Grundrechtsfahigkeit auf inländische juristische Personen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind, fehlt in der Hessischen Verfassung. Auch die Entstehungsgeschichte der Hessischen Verfassung gibt keinen unmittelbaren Aufschluß über die Grundrechtsfähigkeit rechtlich verselbständigtet Personenmehrheiten. Den Materialien zur Hessischen Verfassung ist zu dieser Frage nichts zu entnehmen. Für die Weimarer Reichsverfassung, an die die Hessische Verfassung anknüpfte, war die Geltung der Grundrechte für juristische Personen umstritten (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, S. 1092 ff. m.w.N.). Für eine grundsätzlich mögliche Grundrechtsfähigkeit rechtlich verselbständigtet Personenvereinigungen des Privatrechts spricht aber entscheidend das Wertesystem der Grundrechte der Hessischen Verfassung, das eine weitgehende Grundrechtsgeltung im Verhältnis zwischen Staat und Privatrechtssubjekten zum Ziel hat. Dieses Wertesystem geht — ebenso wie das des Grundgesetzes — von der Gleichheit, Freiheit und Würde des einzelnen Menschen als natürlicher Person aus. Der einzelne Mensch soll gegenüber dem Staat durch die verfassungsrechtliche Gewährleistung von Abwehr- und Leistungsrechten einen wehrfähigen Rechtskreis gewinnen. Dem entspricht es, daß auch rechtlich verselbständigte Verbände des Privatrechts in den Schutzbereich der Grundrechte einbezogen werden, deren Bildung und Betätigung sich gerade als Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen darstellt. Das der Hessischen Verfassung innewohnende Gebot effizienten Grundrechtsschutzes und das personale Substrat rechtsfähiger Vereinigungen des Privatrechts begründen und begrenzen mithin deren Grundrechtsfähigkeit. Sie genießen den Schutz der Grundrechte der Hessischen Verfassung jedenfalls — und nur dies steht vorliegend zur Entscheidung an —, soweit sie sich im Hinblick auf die hinter der rechtsfähigen Vereinigung stehenden Personen und LVerfGE 10

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die Tatsache, daß diese in dieser Rechtsform gesamthänderisch verbunden nach außen in Erscheinung treten, in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage befinden (vgl. StGH, Urt. v. 14.4.1950 - P.St. 41 und P.St. 54 - ; Beschl. v. 31.10. 1950 - P.St. 78 - ; Beschl. v. 31.1.1968 - P.St. 463 -). Die Grundrechtsfähigkeit rechtsfähiger Verbände des Privatrechts und die ihr folgende Antragsberechtigung im Grundrechtsklageverfahren sind in jedem Einzelfall für das jeweilige Grundrecht der Hessischen Verfassung zu prüfen. Danach kann sich die Antragstellerin sowohl auf den in Art. 1 HV enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatz als auch auf die in Art. 38 Abs. 2 HV verankerte Wettbewerbsfreiheit berufen. Denn bezüglich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlungen und aus ihnen resultierender Wettbewerbsbeeinflussungen durch den Gesetzgeber befindet sie sich in derselben grundrechtstypischen Gefährdungslage wie natürliche Personen. Die Antragstellerin ist auch gem. § 43 Abs. 1 und 2 StGHG antragsbefugt. Sie hat substantiiert einen Lebenssachverhalt geschildert, aus dem sich — seine Richtigkeit unterstellt — plausibel ihre unmittelbare und gegenwärtige Selbstbetroffenheit sowie die Möglichkeit von Verletzungen ihrer Grundrechte aus Art. 1 HV und Art. 38 Abs. 2 HV durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG ergibt. Die Selbstbetroffenheit der Antragstellerin durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG resultiert daraus, daß diese Vorschrift einen andere Waschanlagenbetreiber begünstigenden Befreiungstatbestand enthält, der die Stellung der Antragstellerin im Wettbewerb tangieren kann. Diese Beeinflussung der Wettbewerbssituation durch den Gesetzgeber könnte die Antragstellerin auch in ihren Grundrechten aus Art. 1 HV und Art. 38 Abs. 2 HV verletzen. Die gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit der Antragstellerin durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG beruht darauf, daß diese Norm bereits in Kraft ist und die Antragstellerin kraft Gesetzes nicht zum von ihr begünstigten Personenkreis zählt. Die am 2. Februar 1998 erhobene Grundrechtsklage gegen den am 3. Dezember 1997 in Kraft getretenen § 14 Abs. 2 HFeiertagsG wahrt die gemäß § 45 Abs. 2 StGHG für Grundrechtsklagen gegen Rechtsvorschriften geltende Jahresfrist. Die Zulässigkeit der Grundrechtsklage der Antragstellerin scheitert auch nicht am Fehlen der gem. § 44 Abs. 1 StGHG erforderlichen Rechtswegerschöpfung. § 44 Abs. 1 StGHG greift - wie § 45 Abs. 2 StGHG belegt - nicht ein, wenn ein Rechtsweg zu den Fachgerichten nicht offensteht. Gegen § 14 Abs. 2 HFeiertagsG als förmliches Gesetz ist ein solcher Rechtsweg, d. h. eine gesetzlich normierte Möglichkeit der Anrufung eines Fachgerichts (BVerfGE 67,157,170), nicht gegeben. Schließlich steht auch der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Grundrechtsklage der Antragstellerin nicht entgegen. Der Grundsatz der Subsidiarität von Verfassungsbeschwerden als zusätzliche, von der RechtswegerschöpLVerfGE 10

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fung unabhängige Zulässigkeitsvoraussetzung verlangt vom Antragsteller, daß er alle ihm bei den Fachgerichten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. StGH, Beschl. v. 13.9.1980 - P.St. 1077 StAnz. 1989, 2084 = ESVGH 40, 10; Beschl. v. 1.2.1995 - P.St. 1192 - , StAnz. 1995, 1060; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt Beschl. v. 21.1.1999 - 1 BvR 2077/98 - ) . Das Prinzip der Subsidiarität gilt grundsätzlich auch für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze (vgl. StGH, Beschl. v. 1.2.1995 - P.St. 1192 - a.a.O.; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. zuletzt Beschl. v. 21.1.1999 - 1 BvR 2077/98 -). Mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Verfassungsbeschwerden angestrebtes Ziel ist es, daß das Verfassungsgericht auf einen Fall trifft, der bereits von den Fachgerichten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufbereitet worden ist. Zudem wird der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung Rechnung getragen, nach der die Rechtsschutzaufgabe auch bei Verfassungsverstoßen vorrangig den Fachgerichten zugewiesen ist. Diese das Subsidiaritätsprinzip tragenden Erwägungen stehen einer direkten Anrufung des Verfassungsgerichts allerdings nicht entgegen, wenn die Anrufung der Fachgerichte zur Abwehr von Grundrechtsverletzungen dem Antragsteller unzumutbar ist oder wenn von der vorherigen Durchführung eines fachgerichtlichen Verfahrens weder die Aufklärung von Tatsachen noch die Klärung einfachrechtlicher Fragen zu erwarten ist, auf die das Verfassungsgericht bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Fragen angewiesen wäre (vgl. StGH, Beschl. v. 13.9.1989 - P.St. 1077 — a.a.O.; ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. zuletzt Beschl. v. 21.1.1999 - 1 BvR 2077/98 - ) . Nach diesem Maßstab ist eine vorherige Anrufung der Fachgerichte — etwa im Wege einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die einem Konkurrenten erteilte Befreiung — durch die Antragstellerin entbehrlich. Die Frage der Verfassungskonformität des § 14 Abs. 2 HFeiertagsG ist unabhängig von der - in die Zuständigkeit der Fachgerichte fallenden — Klärung einfachgesetzlicher Rechtsfragen. Soweit hier tatsächliche Fragen von Bedeutung sind, betreffen sie die Entscheidungsgrundlagen und die Einschätzung des Gesetzgebers, deren Kontrolle Aufgabe des Staatsgerichtshofs als Verfassungsgericht ist. II. Die Grundrechtsklage ist unbegründet. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG verletzt nicht das Gleichheitsgrundrecht der Antragstellerin aus Art. 1 HV. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG berührt den Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes. Dieser ist in seiner gegenüber dem Gesetzgeber geltenden Ausprägung als Gebot der Rechtssetzungsgleichheit tangiert, wenn durch Gesetz LVerfGE 10

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eine unterschiedliche Regelung vergleichbarer Sachverhalte erfolgt. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG beinhaltet für die Betreiber einer bestimmten Gruppe von Autowaschanlagen — nämlich vollautomatischer Portalwaschanlagen, die mit Tankstellen verbunden sind — einen Befreiungstatbestand vom grundsätzlichen feiertäglichen Arbeitsverbot des § 6 HFeiertagsG. Damit erfährt diese Personengruppe gegenüber der Gruppe der Betreiber von Selbstbedienungswaschanlagen, der die Antragstellerin angehört, eine Ungleichbehandlung in Form der Privilegierung. Die Ungleichbehandlung der Antragstellerin durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist vielmehr durch hinreichend tragfähige Gründe gerechtfertigt. Diese Rechtfertigung scheitert nicht schon daran, daß § 14 Abs. 2 HFeiertagsG bereits unabhängig von der Ungleichbehandlung der Antragstellerin verfassungswidrig wäre. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG verletzt nicht die objektive Verfassungsnorm des Art. 53 HV, nach der der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt bleiben. Art. 53 HV, der wörtlich und inhaltlich mit der bundesverfassungsrechtlichen Garantie nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV übereinstimmt, gilt fort. Art. 31 GG kann die Geltung einer landesverfassungsrechtlichen Norm, die mit einer Bestimmung des Grundgesetzes übereinstimmt, nicht berühren (vgl. StGH, Urt. v. 30.4.1986 - P.St. 1023 - , StAnz. 1986,1089,1100; BVerfGE 36,342,363, 367; 96, 345, 364). Inhaltlich soll den Sonn- und den anerkannten Feiertagen als Tagen der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung durch Art. 53 HV ihr besonderer Charakter gesichert werden, der in ihrer Abhebung von den Werktagen deutlich wird. Sonn- und Feiertage dienen verfassungsrechtlich der gesamtheitlichen personalen Regeneration des Menschen. Demgemäß hat der Gesetzgeber für diese Tage einen Zustand prinzipiellen Ruhens der typisch werktäglichen Betätigungen zu sichern (vgl. Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 53 Erl. III). Art. 53 HV enthält insofern eine Einrichtungsgarantie (vgl. für die entsprechende bundesverfassungsrechtliche Gewährleistung BVerfG, NJW 1995, 3378, 3379). Gesichert wird also der Bestand des Feiertagsschutzes als solcher im Wesenskern, nicht hingegen die Existenz seiner einzelnen sachlichen Ausprägungen oder die zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende einschlägige einfachgesetzliche Rechtslage an sich (vgl. Ehlers, in: Sachs, GG, 2. Aufl. 1999, Art. 140 GG, Art. 139 WRV Rdn. 1; Kästner, NVwZ 1993,148,149). Eine gesetzliche Regelung verletzt Art. 53 HV folglich erst dann, wenn der Sonn- und Feiertagsschutz als von der Verfassung vorgeschriebenes Institut im Kern preisgegeben wird, insbesondere eine grundsätzliche Einebnung von Werk- und Feiertagen Ziel oder tatsächliche Folge der Normgebung ist. Nach diesem Maßstab ist eine Verletzung des Art. 53 HV durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG nicht LVerfGE 10

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feststellbar. Der Gesetzgeber hat durch § 14 Abs. 2 HFeiertagsG den verfassungsrechtlichen Feiertagsschutz nicht prinzipiell preisgegeben. Für den Karfreitag, den Volkstrauertag und den Totensonntag gilt das alle Autowaschanlagen betreffende feiertägliche Betriebsverbot weiterhin strikt ( § 1 4 Abs. 2 Satz 2 HFeiertagsG). Durch die begrenzte Geltung des § 14 Abs. 2 HFeiertagsG für mit Tankstellen verbundene vollautomatische Autowaschanlagen hat der Gesetzgeber sichergestellt, daß die Erteilung einer Genehmigung nicht zu zusätzlicher dem Feiertagsschutz abträglicher Sonn- und Feiertagsarbeit führt. Durch die weitere Beschränkung auf Portalwaschanlagen als geschlossene bauliche Anlagen, bei denen das Fahrzeug in eine Waschhalle gefahren und dort in stationärem Zustand durch bewegliche Reinigungsaggregate gesäubert wird, hat der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Postulat einer allgemeinen Atmosphäre feiertäglicher Arbeitsruhe Rechnung getragen. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG genügt auch den Anforderungen, die sich unmittelbar aus Art. 1 HV ergeben. Art. 1 HV in seiner Funktion als allgemeiner Gleichheitssatz verbietet zunächst eine willkürliche Ungleichbehandlung im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte durch den Gesetzgeber. Aufgrund des dem Gesetzgeber im gewaltenteilenden Staat zukommenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums kann der Staatsgerichtshof als Verfassungsgericht eine willkürliche Ungleichbehandlung durch den Normgeber allerdings nur dann feststellen, wenn für die Differenzierung jeder vernünftige oder sachlich einleuchtende Grund fehlt (vgl. StGH, Beschl. v. 16.6.1971 - P.St. 617 ESVGH 21,193,194; Urt. v. 16.6.1971 - P.St. 602, 603,604,607 StAnz. 1971,1135; Beschl. v. 12.7.1972 P.St. 640 - , ESVGH 22, 209; Beschl. v. 6.9.1972 - P.St. 647 - , StAnz. 1972, 1817). Unter diesem Aspekt des Art. 1 HV ist § 14 Abs. 2 HFeiertagsG nicht zu beanstanden. Die Beschränkung des Ausnahmetatbestandes auf den Betrieb vollautomatischer mit Tankstellen verbundener Portalwas chanlagen beruht auf den Gedanken der Vermeidung zusätzlicher Feiertagsarbeit und der weitestmöglichen Reduzierung hör- und sichtbarer Beeinträchtigungen der Feiertagsruhe und damit auf vernünftigen Gründen. Für den Gesetzgeber beinhaltet Art. 1 HV über das Willkürverbot hinaus ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot, das vornehmlich bei personenbezogenen oder bei mit Auswirkungen auf Freiheitsgrundrechte verbundenen Ungleichbehandlungen eine strengere verfassungsgerichtliche Überprüfung der verfassungsrechtlichen Legitimität von Ungleichbehandlungen fordert. In den genannten Fällen ist — wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. zusammenfassend BVerfGE 88, 87, 96 f.) - im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen, ob für die Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Dabei ist auch bei der verfassungsgerichtLVerfGE 10

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liehen Kontrolle am Maßstab des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots der Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu respektieren. Je stärker sich jedoch eine Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann bzw. je stärker die Ungleichbehandlung an — den Diskriminierungsverboten des Art. 1 HV vergleichbare — für den Einzelnen nicht verfugbare personengebundene Merkmale anknüpft, desto intensiver ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle. § 14 Abs. 2 HFeiertagsG berührt das Grundrecht des Art. 1 HY in seiner Eigenschaft als allgemeines Gleichbehandlungsgebot. Zwar knüpft die Privilegierung der Betreiber bestimmter Autowaschanlagen nicht an personengebundene, sondern an sachbezogene Merkmale an, jedoch nimmt sie Einfluß auf die durch Art. 1 HV i.V.m. Art. 38 Abs. 2 HV grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit der nichtprivilegierten Betreiber. Die mit § 14 Abs. 2 HFeiertagsG verfolgten Zwecke des Gesetzgebers legitimieren die durch diese Vorschrift geschaffene Ungleichbehandlung auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Zweck des Befreiungstatbestandes ist die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen unter gleichzeitiger Wahrung der Belange des verfassungsrechtlichen Feiertagsschutzes. Die Begrenzung des § 14 Abs. 2 HFeiertagsG auf vollautomatische Portalwaschanlagen, die mit Tankstellen verbunden sind, ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet. Die gesetzgeberische Einschätzung, daß die Befreiung dieser Anlagen vom feiertagsgesetzlichen Arbeitsverbot nicht zu zusätzlicher menschlicher Feiertagsarbeit führt, da die Anlagen vollautomatisch arbeiten und Aufsichtsfunktionen vom ohnehin eingesetzten Tankstellenpersonal wahrgenommen werden können, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies gilt auch für die Prognose des Gesetzgebers, daß aufgrund der Beschränkung des § 14 Abs. 2 HFeiertagsG auf Portalwaschanlagen mit Tankstellenverbund vom feiertäglichen Waschbetrieb keine nennenswerten Störungen der Feiertagsruhe ausgehen werden. Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit weist § 14 Abs. 2 HFeiertagsG gleichfalls keine verfassungsrechtlichen Mängel auf. Der vom Gesetzgeber für notwendig erachtete Ausschluß der Betreiber anderer Waschanlagen vom Befreiungstatbestand des § 14 Abs. 2 HFeiertagsG hält der verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Bei Selbstbedienungswaschanlagen, wie sie die Antragstellerin betreibt, ist die Einschätzung gerechtfertigt, daß bereits das Waschen durch die Kfz-Besitzer selbst eine wahrnehmbare Störung der feiertäglichen Ruhe darstellt. Portalwaschanlagen ohne Tankstellenverbund bedürfen zumindest Kontrollpersonals und damit zusätzlicher Arbeitskräfte an Sonn- und Feiertagen. Bei sog. Waschstraßen durfte der Gesetzgeber in Anbetracht der ihm gestatteten pauschalierenden und typisierenden Betrachtungsweise davon ausgehen, daß diese zusätzLVerfGE 10

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licher menschlicher Arbeitskräfte an Sonn- und Feiertagen bedürfen und zudem während des Waschvorgangs größere Lärmemissionen als Portalwaschanlagen verursachen (vgl. zum Emissionsgesichtspunkt OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 16; Fickert/Fieseier, BauNVO, 9. Aufl. 1998, § 2 Rdn. 23, § 4 Rdn. 10). Eine zur Zweckerreichung offenkundig in gleicher Weise geeignete Maßnahme, die für die im Wettbewerb stehenden Waschanlagenbetreiber eine geringere Belastung als die in § 14 Abs. 2 HFeiertagsG vorgesehene Ungleichbehandlung darstellen würde, besteht nicht. Sie liegt insbesondere nicht in der von der Antragstellerin favorisierten alleinigen Geltung des § 14 Abs. 3 HFeiertagsG für alle Betreiber von Autowaschanlagen. Denn Anliegen des Gesetzgebers war im Interesse des Feiertagsschutzes gerade auch die Vermeidung zusätzlicher menschlicher Feiertagsarbeit. Dieser Gesichtspunkt wird von § 14 Abs. 3 HFeiertagsG, der sich aus der Beschaffenheit und Lage der Anlage ergebende Auswirkungen sowie die Vermeidbarkeit verhaltensbedingter Lärmbeeinträchtigungen betrifft, nicht erfaßt. Schließlich kann auch ein unangemessenes Verhältnis zwischen der in § 14 Abs. 2 HFeiertagsG vorgesehenen Ungleichbehandlung und dem mit ihr verfolgten Zweck nicht festgestellt werden. Belange des Feiertagsschutzes — wie die Vermeidung menschlicher Feiertagsarbeit und die Aufrechterhaltung einer Atmosphäre feiertäglicher Ruhe — haben von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht. Eine Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der Antragstellerin, die infolge ihrer Schwere danach unzumutbar wäre, war weder vom Gesetzgeber prognostizierbar noch ist sie heute ersichtlich. Soweit der Schutz der Wettbewerbsfreiheit vor gleichheitssatzwidrigen Maßnahmen des Gesetzgebers auch in Art. 38 Abs. 2 HV verankert ist, ist dieses Freiheitsrecht aus den zuvor genannten Gründen ebenfalls nicht verletzt. III. Der im Rahmen der Grundrechtsklage gestellte Antrag des Landesanwalts konnte aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg haben. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 28 StGHG. Nr. 2 1. Gemeindeverbände im Sinne des Art. 137 HV sind mehrere Gemeinden umfassende Gebietskörperschaften mit unmittelbar demokratisch legitimierten Vertretungskörperschaften, die nach Maßgabe LVerfGE 10

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einer gesetzlichen Zuständigkeitsabgrenzung zu den Gemeinden zur grundsätzlich umfassenden Aufgabenwahrnehmung befugt sind. 2. Ein Kommunales Gebietsrechenzentrum ist kein Gemeindeverband in diesem Sinn und daher im kommunalen Grundrechtsklageverfahren nicht antragsberechtigt. HV Art. 137 StGHG § 19 Abs. 2 Nr. 10, § 46 Urteil vom 20. Oktober 1999 - P.St. 1294 in dem Verfahren über die kommunale Grundrechtsklage des Kommunalen Gebietsrechenzentrums Kommunale Informationsverarbeitung in Hessen, vertreten durch den Geschäftsführer Direktor V., an dem sich beteiligt haben: 1. die Hessische Landesregierung, vertreten durch den Hessischen Ministerpräsidenten, Staatskanzlei, 2. der Landesanwalt beim Staatsgerichtshof des Landes Hessen Entscheidungsformel: Der Antrag wird zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A. I. Der Antragsteller wendet sich unter Berufung auf die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gegen den durch Gesetz eingeführten stufenweisen Abbau ihm gewährter Landeszuschüsse. § 2 Abs. 3 Satz 1 des Datenverarbeitungsverbundgesetzes vom 22. Juli 1988 (GVB1.1, S. 287) - DV-VerbundG 1988 - traf die Regelung, daß die Kommunalen Gebietsrechenzentren für ihre laufenden Aufwendungen eine jährliche Zuweisung des Landes erhalten. Die Zuweisung des Landes wurde für das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Darmstadt auf 12,3 Millionen Deutsche Mark, für das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Frankfurt am Main auf 18,1 MilLVerfGE 10

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lionen Deutsche Mark und für das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Gießen auf 12,4 Millionen Deutsche Mark festgelegt, § 2 Abs. 3 Satz 2 DV-VerbundG 1988. Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 1996 und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften vom 15. Juli 1996 (GVB1. I, S. 314) — Nachtragshaushaltsgesetz 1996 - sieht eine Änderung des Datenverarbeitungsverbundgesetzes vor. § 2 Abs. 3 DV-VerbundG 1988 hat danach folgende Fassung erhalten: „Die Kommunalen Gebietsrechenzentren erhalten bis zum Jahr 2000 für ihre laufenden Aufwendungen eine jährliche Zuweisung des Landes. Die Zuweisung des Landes wird wie folgt festgesetzt: 1. Das Kommunale Gebietsrechenzentrum Kommunale Informationsverarbeitung in Hessen (Zusammenschluß der ehemaligen Gebietsrechenzentren in Darmstadt, Frankfurt am Main und Gießen) erhält für das Jahr 1997 3 4 2 4 0 0 0 0 Deutsche Mark, für das Jahr 1998 2 5 6 8 0 0 0 0 Deutsche Mark, für das Jahr 1999 1 7 1 2 0 000 Deutsche Mark und für das Jahr 2000 8 560 000 Deutsche Mark. 2. Das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Kassel erhält für das Jahr 1997 9 6 0 0 0 0 0 Deutsche Mark, für das Jahr 1998 7 2 0 0 0 0 0 Deutsche Mark, für das Jahr 1999 4 8 0 0 0 0 0 Deutsche Mark und für das Jahr 2000 2 4 0 0 0 0 0 Deutsche Mark. 3. Das Kommunale Gebietsrechenzentrum in Wiesbaden erhält für das Jahr 1997 8 4 0 0 0 0 0 Deutsche Mark, für das Jahr 1998 6 3 0 0 0 0 0 Deutsche Mark, für das Jahr 1999 4 200 000 Deutsche Mark und für das Jahr 2000 2 1 0 0 000 Deutsche Mark."

Nach Art. 7 des Nachtragshaushaltsgesetzes 1996 ist diese Änderung am 1. Januar 1997 in Kraft getreten. Der Antragsteller ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er ist mit Wirkung vom 1. Januar 1996 durch freiwilligen Zusammenschluß der Kommunalen Gebietsrechenzentren in Frankfurt am Main, Gießen und Darmstadt (Kommunales Gebietsrechenzentrum Starkenburg) entstanden. Diese Kommunalen Gebietsrechenzentren waren juristische Personen des öffentlichen Rechts, die durch das Gesetz über die Errichtung der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung und Kommunaler Gebietsrechenzentren vom 16. Dezember 1969 (GVB1. I, S. 304) geschaffen worden waren. Mitglieder der Kommunalen Gebietsrechenzentren waren Gemeinden, Landkreise und andere Verbände. Mit dem Zusammenschluß sind die Mitglieder der Kommunalen Gebietsrechenzentren Mitglieder des Antragstellers geworden. Nach § 2 Abs. 2 der Satzung des Antragstellers (StAnz. 1997, 522) können auf Antrag Mitglieder werden: Gemeinden und Gemeindeverbände (Nr. 1), juristische Personen des privaten LVerfGE 10

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Rechts, deren Vermögen überwiegend in der Hand von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts liegt (Nr. 2), juristische Personen des öffentlichen Rechts, deren Gewährträger Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts sind (Nr. 3), und kommunale Spitzenverbände (Nr. 4). Die Aufgaben des Antragstellers beschreibt § 3 der Satzung. Der Antragsteller hat danach entsprechend dem Bedarf seiner Mitglieder, 1. leistungsfähige informations- und kommunikationstechnische Anlagen zur Verfügung zu stellen und die betriebliche Abwicklung der Verfahren sicherzustellen, 2.

seine Mitglieder bei der erstmaligen und laufenden Anwendung von Verfahren und Programmen zu beraten und zu unterstützen,

3.

Anwendungsprogramme zu entwickeln und zu pflegen, soweit sie nicht von anderen Kommunalen Gebietsrechenzentren oder Dritten übernommen werden,

4.

allgemeine und anwendungsspezifische Schulungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik durchzuführen,

5.

die Prüfung der Programme des Finanzwesens gemäß § 111 Abs. 2 und § 131 Abs. 1 Nr. 4 H G O zu veranlassen; § 3 Abs. 2 (ÜPKKG) findet Anwendung,

6. Verfahren und Programme für den Einsatz freizugeben, soweit gesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen.

Der Antragsteller vertritt die Auffassung, er sei als Gemeindeverband im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 10, § 46 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof — StGHG — im Verfahren der kommunalen Grundrechtsklage antragsberechtigt. Dem Wortsinn nach unterfalle er jedenfalls dem Begriff des Gemeindeverbands, da er einen verbandsmäßigen Zusammenschluß (vor allem) von Gemeinden darstelle. Dies gelte auch bei einem nicht auf Bundkörperschaften verengten Begriffsverständnis, nach dem die Sammelbezeichnung Gemeindeverband zusätzlich die kommunalen Zweckverbände erfasse. Die einfachgesetzliche Gesetzgebungspraxis in Hessen lege ein umfassendes, Zweckverbände einschließendes Begriffsverständnis zugrunde. Dies belege beispielhaft die Zusammenschau von § 1 9 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 Satz 3 des Gesetzes über die Errichtung der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) und Kommunaler Gebietsrechenzentren (KGRZ) vom 3. November 1982 (GVB1. I, S. 262) - DV-VerbundG 1982 —. § 19 Abs. 1 DV-VerbundG 1982 benenne als mögliche Mitglieder der Kommunalen Gebietsrechenzentren Gemeinden, Landkreise und sonstige Gemeindeverbände, § 20 Abs. 3 Satz 3 DV-VerbundG spreche als mögliche Mitglieder den Landeswohlfahrtsverband und den Umlandverband Frankfurt an. Solche Stadt-Umland-Verbände aber stellten sich regelmäßig als MehrzweckZweckverbände dar. Allerdings habe der weder in Art. 137 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen (kurz: Hessische Verfassung — HV —) noch im Gesetz über LVerfGE 10

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den Staatsgerichtshof definierte Begriff des Gemeindeverbands keinen feststehenden Inhalt, der in jedem Zusammenhang Geltung beanspruche. So habe das Bundesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein festgestellt, daß die konkrete Bedeutung des Begriffs aus dem jeweiligen Regelungszusammenhang erschlossen werden müsse. Im Hinblick auf die Bedeutung des Begriffs des Gemeindeverbandes im systematischen Zusammenhang mit der Selbstverwaltungsgarantie werde die in dieser Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht nur im Zusammenhang des Demokratieprinzips und des Wahlrechts auf Gemeindeverbandsebene vorgenommene Begriffsbestimmung von Literatur und Rechtsprechung allerdings in unzulässiger Weise verallgemeinert. Das Bundesverfassungsgericht habe lediglich den Begriff der Gemeindeverbände, in denen gemäß Art. 2 Abs. 2 der Landessatzung für Schleswig-Holstein Volkswahlen stattzufinden haben, dahin bestimmt, daß insoweit mit dem Wort Gemeindeverbände nur die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften und diesen nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse erfaßt werden sollten. Diese Konturierung des Begriffs des Gemeindeverbandes im Kontext mit der Erforderlichkeit von Volkswahlen entspreche der Regelung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes — GG —, der ohne Verwendung des problematischen Begriffs des Gemeindeverbandes eine nach den Wahlrechtsgrundsätzen gewählte Volksvertretung auch für Kreise und Gemeinden vorsehe. Eine Übertragung dieses allein im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Wahl einer Volksvertretung ermittelten Bedeutungsgehalts des Begriffs des Gemeindeverbandes auf den andersartigen Kontext des Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung bei Gemeindeverbänden sei unstatthaft. Aufgrund dieser Erkenntnis verbiete es sich im Hinblick auf die Auslegung der Verfassung des Landes Hessen von vornherein, aus dem Art. 137 Abs. 6 ihrer Ursprungsfassung oder aus dem neu gefaßten Art. 138 HV mit abschließender Absicht auf den Begriff der Gemeindeverbände im Sinne des Art. 137 Abs. 2 HV zurückzuschließen. Nach Art. 137 Abs. 6 HV a.E sei festzustellen, daß im Gegensatz zu der Regelung in Schleswig-Holstein nicht die Existenz einer Volksvertretung in den Gemeindeverbänden vorgesehen worden sei, sondern nur die Geltung der Grundsätze des Landtagswahlrechts auch für die Gemeindeverbandswahlen. Bereits der Wortlaut des Art. 137 Abs. 6 HV a.F. hätte zwanglos die Beschränkung auf die tatsächlich vorgesehenen Fälle von Gemeindeverbandswahlen erlaubt. Wenn Art. 138 HV heute die Wahl der Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte als Leiter der Gemeinden und Gemeindeverbände regele, erfolge dies nicht in der Absicht, über die Erwähnung des Leitungsorgans Landrat für Art. 137 HV den verfassungsrechtlichen Begriff des Gemeindeverbandes nachträglich einschränkend im Sinne von Landkreis festzulegen. Vielmehr gehe es dem Art. 138 HV darum, seine spezifische LVerfGE 10

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wahlrechtliche Aussage auf die von Landräten geleiteten Gemeindeverbände 2u beschränken. Andere Gemeindeverbände behandele Art. 138 HV seinem Regelungsinhalt nach nicht. Aus systematischer Sicht könne nur festgestellt werden, daß die Gemeindeverbände, die zur Erhebung der kommunalen Grundrechtsklage zugelassen seien, diejenigen Gemeindeverbände seien, die nach Art. 137 HV an den Garantien der kommunalen Selbstverwaltung teilnähmen. Welche Gemeindeverbände hierzu im einzelnen gehörten, lasse die Verfassung des Landes Hessen aufgrund weiterer systematischer Zusammenhänge nicht erkennen. Die historische Auslegung ergebe, daß der von Art. 137 HV übernommene Begriff der Gemeindeverbände auch für Zweckverbände und vergleichbare Körperschaften zu gelten habe. Der Verfassunggeber habe Art. 137 HV in Anknüpfung an den weiten verfassungsrechtlichen Begriff der Gemeindeverbände des Art. 6 der Preußischen Verfassung von 1920 sowie des Art. 127 der Weimarer Reichsverfassung — WRV — geschaffen, der im Kontext der Selbstverwaltungsgarantie alle kommunalen Verbände, namentlich auch Zweckverbände umfaßt habe. Die gleichfalls vor dem Grundgesetz erlassenen Verfassungen Württemberg-Badens, Badens und Württemberg-Hohenzollerns bestätigten die Anlehnung der damaligen Verfassungsgeber an die Weimarer Reichsverfassung, da sie sämtlich auch für Zweckverbände das Selbstverwaltungsrecht garantiert hätten. Lediglich in Art. 10 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 werde ein Zweckverbände ausschließendes Begriffsverständnis deutlich. Im bundesstaatsinternen Rechtsvergleich belegten sowohl die noch in der Entstehungsphase der Bundesrepublik Deutschland erlassenen Landesverfassungen als auch Art. 28 Abs. 2 GG ein in Anknüpfung an die Weimarer Reichsverfassung zugrunde gelegtes umfassendes Verständnis des Begriffes Gemeindeverband. Die 1947 in Rheinland-Pfalz getroffene Regelung entspreche nahezu wörtlich dem Vorbild des Art. 137 HV, biete insoweit keine abweichenden Hinweise. Ähnliches gelte für das Saarland. Die in Art. 78 Abs. 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen von 1950 getroffene Definition des Gemeindeverbandes als Gebietskörperschaft sei eine nur für dieses Land maßgebliche Dezision der Verfassungsgebung. Die Selbstverwaltungsgarantie der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung von 1951 verwende den Begriff des Gemeindeverbandes nicht, gewähre das Selbstverwaltungsrecht neben den Gebietskörperschaften Gemeinde und Kreis aber generell den sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, also auch Zweckverbänden. Die 1953 entstandene Verfassung für Baden-Württemberg gewähre im Anschluß an die Verfassungen der früheren Staaten auf dem Landesgebiet den Zweckverbänden neben den Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz von 1949 schließlich sei in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG auch für Gemeindeverbände vorL V e r f G E 10

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gesehen, ohne daß dieser Begriff dort eine Einengung erfahren habe. Allgemein anerkannt sei lediglich, daß die Kreise von der Selbstverwaltungsgarantie für Gemeindeverbände erfaßt würden. Aus dem Kontrast zu Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, der für das Kommunalwahlrecht speziell die Kreise anspreche, sei zu folgern, daß es neben den Kreisen auch noch andere Gemeindeverbände gebe, für die allerdings die Bestimmung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gelte. Eine Einengung des Begriffs Gemeindeverbände in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG durch Kriterien wie das Erfordernis eines nicht nur begrenzten Aufgabenkreises oder die Qualität als Gebietskörperschaft würde weder vom Wortlaut noch von der Entstehungsgeschichte noch von der systematischen und teleologischen Auslegung des Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG getragen. Das Wort Gemeindeverbände schließe nach unbefangenem Wortverständnis Zusammenschlüsse von Gemeinden zu einem Verband überhaupt ein. Die in § 3 Abs. 1 Grundsteuerdurchführungsverordnung i.d.E der Bekanntmachung vom 29. Januar 1951 (BGBl. I, S. 79) gegebene Definition, nach der Gemeindeverbände die innerhalb eines Landes außer den Gemeinden bestehenden Gebietskörperschaften seien, stehe im spezifischen Kontext der Grundsteuerbefreiung des für öffentliche Zwecke genutzten Grundbesitzes der wichtigsten öffentlichen Rechtsträger nach § 4 Nr. 1 lit.a des Grundsteuergesetzes und lasse keinen Schluß auf den allgemeinen Wortsinn zu. Für das maßgebliche allgemeine Begriffsverständnis ergebe sich auch aus § 19 Stabilitätsgesetz nichts, der Gemeindeverbände und Zweckverbände nebeneinander nenne. Durch die in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG verwendete Formulierung des „gesetzlichen Aufgabenbereichs" der Gemeindeverbände würden nicht Verbände mit lediglich begrenzter Aufgabenfesdegung aus dem Begriff der Gemeindeverbände im Sinne dieser Vorschrift ausgeschlossen. Diese Formulierung in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG verdeutliche vielmehr allein den Unterschied zwischen der gesetzesunabhängigen Allzuständigkeit der Gemeinden und der gesetzesabhängig begrenzten Zuständigkeit der Gemeindeverbände. Auch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes biete keinen Ansatz für ein verengtes Verständnis des Begriffes Gemeindeverbände in Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG. Vielmehr zeige die Entstehungsgeschichte, daß die Selbstverwaltungsgarantie für die Gemeinden und Gemeindeverbände in bewußter Rückanknüpfung an die Weimarer Verfassung in das Grundgesetz aufgenommen worden sei. Art. 127 WRV als Vorbild aber habe das Recht zur Selbstverwaltung Gemeindeverbänden in einem umfassenden Sinn unter Einschluß von Zweckverbänden gewährt. Aus der Systematik, in die die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Grundgesetz gestellt sei, ließen sich gleichfalls keine den Gemeindeverbandsbegriff i.S.d Art. 28 Abs. 2 GG verengenden Kriterien wie das Erfordernis eines umfassenden Aufgabenkreises oder die Qualität als Gebietskörperschaft gewinnen. LVerfGE 10

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Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Garantien der Selbstverwaltung für Gemeindeverbände schließlich forderten keinen Ausschluß von NichtGebietskörperschaften mit gegenständlich beschränktem Aufgabenkreis aus dem Begriff des Gemeindeverbandes in Art. 137 HV. Die prin2ipielle Sinnhaftigkeit der Erstreckung einer verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie auch auf derartige Verbände folge schon daraus, daß Art. 127 WRV sowie die Verfassungsgarantien Baden-Württembergs und seiner Vorgängerstaaten eine derartige Garantie vorgesehen hätten. Zudem sei die Begründung einer eigenständigen Selbstverwaltungsgarantie jedes Gemeindeverbandes selbst besser geeignet, unzulässige staatliche Ingerenzen effektiv abzuwehren, als die nur mittelbare Teilhabe an dem Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Mitgliedskommunen. Die fehlende Universalität der Aufgabenstellung von Zweckverbänden und ähnlichen Gebilden sei kein Argument, sie aus dem Begriff der Gemeindeverbände und damit aus der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie herauszunehmen. Das Bestehen eines heterogenen Aufgabenkreises als Merkmal eines Gemeindeverbandes folge insbesondere nicht aus Art. 137 HV. Art. 137 Abs. 5 HV, der freiwillige und pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben vorsehe, fordere weder für Gemeinden noch für Gemeindeverbände, daß Aufgaben der verschiedenen Kategorien nebeneinander wahrgenommen würden. Selbstverwaltungsgarantien seien zudem auch bei gegenständlich begrenzter Aufgabenstellung — wie sie Universitäten und Hochschulen hätten — sinnvoll. Eine enge Begriffsbestimmung der Gemeindeverbände, denen verfassungsrechtlich die Selbstverwaltung garantiert sei, könne ferner nicht durch das fehlende Gewicht der Aufgaben von Zweckverbänden legitimiert werden. Für eine derartige Geringfügigkeitsgrenze biete der Verfassungstext keinerlei Anhaltspunkte, im übrigen bestehe auch bei den Gemeinden und Kreisen keine derartige Grenze in bezug auf einzelne Angelegenheiten ihres Selbstverwaltungsbereichs. Für ein Zweckverbände von der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie ausschließendes Verständnis entfalte auch das Argument, Organe der Zweckverbände würden nicht durch Volkswahl bestellt, keine Uberzeugungskraft. Die Fragen der inneren Demokratie auf kommunaler Ebene als Internum der einzelnen Selbstverwaltungskörperschaften und deren Unabhängigkeit von unzulässigen staatlichen Ingerenzen lägen auf zwei verschiedenen Ebenen, ein notwendiger Zusammenhang bestehe nicht. Letztlich greife auch der Gedanke nicht durch, daß eine Selbstverwaltungsgarantie nicht sinnvoll sei für Verbände, die weder in ihrer Existenz noch in ihren Aufgaben von Verfassungs wegen notwendig seien, sondern in jeder Beziehung von dem sie konstituierenden Gesetz abhingen. Auch einem solchen Verband verbleibe ein Rest an schutzfähiger Selbstverwaltungssubstanz, solange das Gesetz ihn mit Selbstverwaltungsbefugnissen überhaupt bestehen lasse. Neben der sonach gegebenen Antragsberechtigung des Antragstellers seien auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der kommunalen Grundrechts klage erfüllt. LVerfGE 10

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Die Grundrechtsklage sei begründet, da Art. 6 Nachtragshaushaltsgesetz 1996 den Art. 137 Abs. 5 Satz 1 HV verletze, der das Land Hessen verpflichte, Gemeindeverbänden die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern. Die vorgesehene Reduzierung der Landeszuweisungen verletze Art. 137 Abs. 5 Satz 1 HV, da der Antragsteller aufgrund dieser Maßnahme zukünftig nicht mehr in der Lage sein werde, seine Sachaufgaben wirksam zu erfüllen und seinen Pensionsverpflichtungen nachzukommen. Zudem verletze Art. 6 Nachtragshaushaltsgesetz 1996 das in der Selbstverwaltungsgarantie verankerte Gebot der Gemeindeverbandstreue. Dieses verlange vom Staat eine — hier nicht erfolgte — Anhörung der Gemeindeverbände bei Gesetzesvorhaben, die für sie von entscheidender Bedeutung seien. Auch sei mit diesem Gebot unvereinbar, daß die bisher geltende Rechtslage, die ohne Befristung die Gewährung von Zuschüssen vorgesehen habe und die Planungsgrundlage für den Antragsteller gewesen sei, ohne Übergangszeit kurzfristig und überraschend geändert worden sei. Im Hinblick auf den durch die bisherige Rechtslage geschaffenen Vertrauenstatbestand verstoße Art. 6 Nachtragshaushaltsgesetz 1996 darüber hinaus gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Schließlich verletze das angegriffene Gesetz auch das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Willkürverbot, da ein sachlicher Grund, gerade die Landeszuweisungen an die Kommunalen Gebietsrechenzentren zu kürzen, nicht bestehe. Eine Verminderung der Aufgaben oder der Kosten der Kommunalen Gebietsrechenzentren sei nicht absehbar. Das mit dem Gesetz verfolgte Einsparungsziel werde nicht erreicht. Vielmehr würden die kommunalen Verwaltungskosten nachhaltig vermehrt werden. Denn die Kommunen würden wegen der notwendig eintretenden Erhöhung der Benutzerentgelte der Inanspruchnahme der Kommunalen Gebietsrechenzentren ausweichen. Die Erledigung der Verwaltungsaufgaben ohne Inanspruchnahme der von den Kommunalen Gebietsrechenzentren angebotenen Datenverarbeitung aber sei mittel- und langfristig kostenintensiver. Das in der Gesetzesbegründung ausgeführte Argument der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kommunalen Gebietsrechenzentren durch Abbau der Landeszuschüsse sei unhaltbar. Die Kommunalen Gebietsrechenzentren könnten sich ohne Landeszuweisungen im Wettbewerb nicht behaupten, da sie mit Pensionsrückstellungen belastet seien und sie sich nach ihrem gesetzlichen Auftrag — anders als private Konkurrenten — auch nicht auf die Erledigung gewinnträchtiger Aufgaben beschränken könnten. Der Antragsteller beantragt, Art. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 1996 (Nachtragshaushaltsgesetz 1996) und zur Änderung anderer Rechtsvorschriften vom 15. Juli 1996 (GVB1.1, S. 314) für nichtig zu erklären.

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II. Der Landtag, dem Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, hat nicht Stellung genommen. III. Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Der Antragsteller sei nicht antragsbefugt. Er stelle keinen Gemeindeverband im Sinne des Art. 137 HV, sondern einen Zweckverband dar. Die Hessische Verfassung definiere den Begriff des Gemeindeverbandes nicht. Der Vergleich von Abs. 1 und Abs. 2 des Art. 137 HV belege, daß Gemeinden und Gemeindeverbände sich dadurch unterschieden, daß Gemeinden einen originären Wirkungskreis besäßen, Gemeindeverbände hingegen einer gesetzlichen Zuständigkeitszuweisung bedürften. Im übrigen verwende Art. 137 HV „Gemeinden und Gemeindeverbände" durchweg als gemeinsamen Begriff. Gemeinden wie Gemeindeverbände nähmen freiwillige und pflichdge Selbstverwaltungsaufgaben, freiwillig übernommene und übertragene staatliche Aufgaben wahr. Kennzeichnend für den Gemeindeverband im Sinne des Art. 137 HV, dem das Recht der Selbstverwaltung verfassungsrechtlich garantiert sei, sei damit ein heterogener Aufgabenkreis. Uber einen solchen Aufgabenkreis verfügten Zweckverbände wie der Antragsteller nicht. In Zweckverbänden schlössen sich die Mitglieder lediglich zur gemeinsamen Erfüllung bestimmter, ihnen selbst obliegender Aufgaben zusammen. So fungiere der Antragsteller gleichsam als „Rechenstube" für seine Mitglieder. Aus Art. 138 HV, der die Landräte als „Leiter der Gemeindeverbände" anspreche, lasse sich entnehmen, daß für den verfassungsändernden hessischen Gesetzgeber allein die Landkreise als Gemeindeverbände in Betracht gekommen seien. Die historische Auslegung ergebe, daß der Begriff des Gemeindeverbands im Sinne der Hessischen Verfassung sich zudem auf Gebietskörperschaften mit demokratisch legitimierten Vertretungsorganen beschränke. Allerdings habe der Selbstverwaltungsgedanke wissenschaftlich-theoretisch unterschiedliche Wurzeln. Im 19.Jahrhundert sei eine streng juristische Selbstverwaltungslehre entwickelt worden, die Selbstverwaltung allein als Frage der Verwaltungsorganisation begriffen habe. Die ursprüngliche, auf das Werk des Freiherrn vom Stein zurückzuführende Selbstverwaltungsidee habe demgegenüber eine partizipatorische Zielrichtung im Sinne einer Beteiligung der Bürger an der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Verwaltung gehabt. Aus der Entstehungsgeschichte sei erkennbar, daß die Hessische Verfassung an die partizipatorische Tradition des Selbstverwaltungsgedankens anknüpfe und eine Beteiligung der in einem bestimmten Gebiet lebenden Bürger an ihrer Verwaltung garantiere. Art. 137 Abs. 6 HV a.F., nach dem die Grundsätze des Landtagswahlrechts auch für die Gemeinde- und LVerfGE 10

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Gemeindeverbandswahlen gegolten hätten, dokumentiere das bei den Verfassungsberatungen bestehende Vorverständnis vom Gemeindeverband als einer Gebietskörperschaft mit demokratisch legitimierter Vertretungskörperschaft. Diese Zweckverbände und damit den Antragsteller ausschließende Bestimmung des Begriffs des Gemeindeverbands entspreche auch der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zum hessischen Recht. Der Bedeutung des Begriffs des Gemeindeverbands nach dem Grundgesetz und den übrigen Landesverfassungen komme im Rahmen der Interpretation des Art. 137 HV nur eingeschränkte Bedeutung zu. Im übrigen bestehe auch dort weithin Einvernehmen darüber, daß Zweckverbände — wie der Antragsteller — keine Gemeindeverbände seien und nur Gebietskörperschaften Gemeindeverbandsqualität haben könnten. Auch in der Sache könne die Grundrechtsklage des Antragstellers keinen Erfolg haben. Die notwendige Rückführung der Landeszuweisungen sei u.a. mit den Geschäftsführern der Kommunalen Gebietsrechenzentren Frankfurt am Main, Gießen und Darmstadt, die sich zum Antragsteller zusammengeschlossen hätten, erörtert worden. Allein wegen der von ihm durchzuführenden Sachaufgaben habe der Antragsteller gegen das Land Hessen keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Finanzausstattung. IV. Die Landesanwaltschaft teilt die Auffassung der Landesregierung von der fehlenden Gemeindeverbandsqualität des Antragstellers und hält die Grundrechtsklage für unzulässig. Sie führt ergänzend aus, die fehlende Gemeindeverbandsqualität des Antragstellers ergebe sich auch daraus, daß der Antragsteller ein atypischer Zweckverband sei. Während nach § 8 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit Zweckverbände Aufgaben der Gemeinden in eigener Verantwortung gegenüber Dritten wahrnähmen, stelle der Antragsteller lediglich Dienstleistungen bei der verwaltungsinternen Erledigung der gesetzlichen Aufgaben — der Datenverarbeitung - zur Verfügung. Mit diesen Aufgaben werde der Antragsteller nicht zum verantwortlichen Träger der öffentlichen Verwaltung im Sinne von Art. 137 Abs. 1 HV. V. Das Gericht hat über die Zulässigkeit der Grundrechtsklage abgesondert mündlich verhandelt.

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B. I. Die kommunale Grundrechtsklage des Antragstellers ist unzulässig. Nach § 46 StGHG können Gemeinden und Gemeindeverbände die Grundrechtsklage mit der Behauptung erheben, daß Landesrecht die Vorschriften der Verfassung des Landes Hessen über das Recht der Selbstverwaltung verletzt. Antragsberechtigt zur Erhebung der auf eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts nach Art. 137 HV gestützten Grundrechtsklage sind nach § 19 Abs. 2 Nr. 10 StGHG Gemeinden und Gemeindeverbände. Der Staatsgerichtshof läßt die Frage offen, ob die durch § 19 Abs. 2 Nr. 10, § 46 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 30. November 1994 (GVB1.1, S. 684) eingeführte kommunale Grundrechtsklage mit der Hessischen Verfassung in Einklang steht. Dem Antragsteller fehlt jedenfalls die Antragsberechtigung für dieses Verfahren. Er ist weder eine Gemeinde noch kommt ihm die behauptete Qualität eines Gemeindeverbands i.S.d. Art. 137 HV sowie von § 19 Abs. 2 Nr. 10, § 46 StGHG zu. Gemeindeverbände im Sinne dieser Vorschriften sind mehrere Gemeinden umfassende Gebietskörperschaften mit unmittelbar demokratisch legitimierten Vertretungskörperschaften, die nach Maßgabe einer gesetzlichen Zuständigkeitsabgrenzung gegenüber den Gemeinden zur grundsätzlich umfassenden Aufgabenwahrnehmung befugt sind. Art. 137 HV als maßgebliche Verfassungsnorm bestimmt den Begriff des Gemeindeverbands nicht ausdrücklich. Bei der Auslegung des Begriffes Gemeindeverband nach dem Wordaut ist einerseits der allgemeine Wortsinn zu berücksichtigen, nach dem es sich um einen Verbund, also eine irgendwie geartete Verbindung von Gemeinden handeln muß. Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, daß nach juristischem Sprachgebrauch Einvernehmen darüber besteht, daß jedenfalls die Landkreise dem verfassungsrechtlichen Begriff des Gemeindeverbands unterfallen (vgl. allgemein BVerfGE 52, 95, 110; speziell zum hessischen Recht: Hinhel, Verfassung des Landes Hessen, 1998, Art. 137 Erl. 1; Schmidt-De Caluwe, Die kommunale Grundrechtsklage in Hessen, 1996, S. 25; von Ze^schmt^ in: Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 137 Rdn. 97). Landkreise sind Gebietskörperschaften, die sich räumlich aus kreisangehörigen Gemeinden zusammensetzen. Bereits die sprachlich-grammatikalische Auslegung spricht damit dafür, daß ein Gemeindeverband aus Gemeinden besteht, sei es mitgliedschaftlich oder — wie im Fall des Landkreises, dessen Mitglieder die in ihm lebenden Bürger sind — territorial (vgl. Woljf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, S. 36 ff.). Entstehungsgeschichtlich liegt der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 HV ein politisch-demokratisches Selbstverwaltungsverständnis zu Grunde. LVerfGE 10

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Dieses Verständnis impliziert eine Beschränkung der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 137 HV insgesamt auf Gebietskörperschaften mit unmittelbar demokratisch legitimierten Vertretungskörperschaften und umfassendem Aufgabenbereich. In ihrer historischen Entwicklung ruht die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland allerdings auf zwei Säulen. Zum einen ist sie ein verwaltungsorganisatorisches Modell, das die Gliederung der Verwaltung in überschaubare Verwaltungseinheiten zum Inhalt hat. Zum anderen ist sie durch eine politisch-demokratische Funktion gekennzeichnet. Politisch liegt dem Prinzip Selbstverwaltung der Gedanke der Teilhabe der Betroffenen an der vollziehenden Gewalt zu Grunde (vgl. Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Handbuch des Staatsrechts IV, 1990, § 106 Rdn. 15 ff. m.w.N.). Die demokratische Komponente der kommunalen Selbstverwaltung besteht darin, daß die Freiheit des einzelnen Bürgers in ihrer Ausprägung als status activus, d. h. als Freiheit der Betätigung für den und in dem Staat, sich auch und zunächst in demokratischer Weise auf kommunaler Ebene verwirklicht (vgl. StGH, Urt. v. 26.1.1995 - P.St. 1171 - , DÖV 1995, 596 ff.). Dies bedeutet, daß auch auf kommunaler Ebene das Volk durch von ihm gewählte Organe Staatsgewalt ausübt (vgl. von Mutius, Kommunalrecht, 1996, S. 24ff.). Verwaltungsorganisatorische und politisch-demokratische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung wurden bei der Schaffung der Hessischen Verfassung nicht als voneinander geschieden, sondern als Ganzheit betrachtet. So herrschte in den Verfassungsberatungen Einmütigkeit darüber, daß der Schwerpunkt der Verwaltung zukünftig nicht mehr bei staatlichen Organen, sondern bei Gemeinden und Gemeindeverbänden liegen und daß eine Universalität der Gemeinden und Gemeindeverbände bestehen sollte (vgl. Rede von Karl Geiler zur Eröffnung des Verfassungsausschusses am 12.3.1946, in: Berding (Hrsg.), Die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946, 1996, Dokument 4, S. 8; Sitzung des vom Verfassungsausschuss eingesetzten Siebener-Ausschusses vom 13.9.1946 (Berding, a.a.O., Dokument 47, S. 682); Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Verfassungsberatenden Landesversammlung Groß-Hessen, Sitzung vom 25.9.1946 (Berding, a.a.O., Dokument 51, S. 796ff.). Die Gemeinde wurde als Wurzel des demokratischen Staates verstanden (Berding, a.a.O., Dokument 51, S. 797); der „Gedanke der demokratischen Selbstverwaltung und selbsttätigen Mitverantwortung" {Berding, a.a.O., Dokument 4, S. 8) sollte durch die Verfassung in Gemeinden und Landkreise getragen werden. Originärer Adressat der Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung waren nach dem Willen der an den Verfassungsberatungen Beteiligten die Gemeinden, deren Bürger am administrativen Geschehen auf Ortsebene in demokratischer Weise teilhaben sollten. Dabei sollte der Schwerpunkt der Verwaltungstätigkeit auf der örtlichen Ebene liegen. Auch die überörtliche Verwaltungstätigkeit sollte so weit wie möglich nicht vom Staat, sondern von Gemeindeverbänden wahrgenommen werden. LVerfGE 10

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Wie Gemeindeverbände beschaffen seien, wurde in den Verfassungsberatungen nicht ausdrücklich angesprochen. Ais typischer Gemeindeverband wurde jedoch erkennbar der Landkreis angesehen, der bei den Beratungen zur Verfassung regelmäßig neben Städten und Gemeinden genannt wurde und der in Art. 108 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs von Walter Jellinek (Bertling, a.a.O., Dokument 17, S. 169) ausdrücklich neben den Gemeinden als Träger des Rechts der Selbstverwaltung vorgesehen war. Im Hinblick auf die politisch-demokratische Dimension des Selbstverwaltungsgedankens lag die Orientierung an diesem tradierten Verband nahe, da er dieselben Strukturmerkmale wie die Gemeinde — Gebietskörperschaft mit unmittelbar demokratisch legitimiertem Vertretungsorgan und umfassendem Aufgabengebiet - aufwies. Die spätere Ersetzung des Begriffs Landkreis durch den Begriff Gemeindeverband erklärt sich dadurch, daß die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber nicht verwehren wollte, anstelle des Landkreises oder neben ihn tretende Gemeindeverbandsformen einzuführen. Das aus der Entstehungsgeschichte erkennbare politisch-demokratische Verständnis der kommunalen Selbstverwaltung, das eine gleichartige Struktur von Gemeinden und Gemeindeverbänden fordert, hat — wie die systematische Auslegung zeigt — Ausdruck in Art. 137 und Art. 138 HV gefunden. Die Zusammenschau der ersten beiden Absätze des Art. 137 HV zeigt, daß auch Gemeindeverbände über ein Gebiet verfügen, in dem sie, allerdings gemäß der gesetzlichen Zuständigkeitsabgrenzung zu den Gemeinden, umfassend zur Wahrnehmung öffentlicher Verwaltungsaufgaben befugt sind. Die Bestimmung des Begriffs Gemeindeverband setzt insofern bei Art. 137 Abs. 2 HV an, nach dem die Gemeindeverbände im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit „die gleiche Stellung haben". Bezugspunkt des Art. 137 Abs. 2 HV ist der Abs. 1 dieser Vorschrift, der die Stellung der Gemeinden wie folgt regelt: „Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet unter eigener Verantwortung die ausschließlichen Träger der gesamten örtlichen öffentlichen Verwaltung" (Satz 1). „Sie können jede öffentliche Aufgabe übernehmen, soweit sie nicht durch ausdrückliche gesetzliche Vorschrift anderen Stellen im dringenden öffentlichen Interesse ausschließlich zugewiesen sind" (Satz 2). Ziel der Verfassung ist es, den Gemeindeverbänden gegenüber dem Land die gleiche Position wie den Gemeinden einzuräumen, soweit nicht der durch die Worte „im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit" bezeichnete Unterschied zwischen Gemeindeverbänden und Gemeinden entgegensteht. Dieser Unterschied aber liegt nach der Verfassung lediglich darin, daß Gemeinden hinsichtlich der Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben (Verwaltungsaufgaben) verfassungsunmittelbar eine Allzuständigkeit auf ihrem Gebiet eingeräumt ist, während Gemeindeverbände einer Aufgabenzuweisung durch den Gesetzgeber bedürfen. Der Gemeindeverbände kennzeichnende Aufgabenkreis ist nach Art. 137 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 HV im Verhältnis der Gemeindeverbände zum Land umfasLVerfGE 10

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send: Das Land hat ihnen alle nicht nach Art. 137 Abs. 1 HV den Gemeinden vorbehaltenen Aufgaben zu überlassen, die nicht im dringenden öffentlichen Interesse einer anderen Stelle zuzuweisen sind. Hinsichtlich dieser Aufgaben ist der Gemeindeverband in seinem Gebiet der ausschließliche Träger öffentlicher Verwaltung (Art. 137 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HV). Die Begrenzung der Universalität der Gemeindeverbände durch gesetzliche Zuständigkeitsbestimmung ist allein durch die für die Gemeinden bestehende Universalitätsgarantie des Art. 137 Abs. 1 HV geboten. Denn Zuständigkeitsregelungen zu Gunsten von Gemeindeverbänden können in die durch Art. 137 Abs. 1 HV gewährleistete Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises eingreifen, was nur durch Gesetz im dringenden öffentlichen Interesse geschehen kann. Im Verhältnis zum Land hingegen ist der umfassende Aufgabenkreis der Gemeindeverbände ebenso gewährleistet wie der der Gemeinden. Zum die Gemeindeverbände charakterisierenden umfassenden Aufgabenkreis zählt insbesondere die Möglichkeit, im gesetzlich zugewiesenen eigenen Wirkungskreis freiwillige Aufgaben zu übernehmen. Dies belegt Art. 137 Abs. 5 Satz 2 HV, nach dem der Staat ihnen - Gemeinden und Gemeindeverbänden - für ihre freiwillige öffentliche Tätigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung stellt. Paradigmatisch erfüllt wiederum der Landkreis, der einhellig als an der Garantie des Art. 137 HV teilhabender Gemeindeverband anerkannt ist, die Begriffskriterien der Gebietshoheit, des umfassenden Aufgabenkreises und der Möglichkeit der freiwilligen Aufgabenwahrnehmung im zugewiesenen Zuständigkeitsbereich. Landkreise sind Gebietskörperschaften und nehmen nach der generellen Aufgabenzuweisung des § 2 Abs. 1 der Hessischen Landkreisordnung in ihrem Gebiet diejenigen öffentlichen Aufgaben wahr, die über die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden hinausgehen. In diesem Rahmen sind sie auch zur freiwilligen Übernahme von Aufgaben befugt (vgl. Schoch, DVB1. 1995, 1047, 1049). Das in der Entstehungsgeschichte begründete weitere Erfordernis einer demokratischen Binnenstruktur als Merkmal des mit der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie ausgestatteten Gemeindeverbands fand zunächst in Art. 137 Abs. 6 und Art. 138 HV in ihrem ursprünglichen Wortlaut Eingang in die Verfassung. Nach Art. 137 Abs. 6 HV a. F. galten die Grundsätze des Landtagswahlrechts auch für die Gemeinde- und Gemeindeverbandswahlen. Nach Art. 138 Abs. 1 HV a.F. mußten die hauptamtlichen Leiter der Gemeinden und Gemeindeverbände von den gewählten Vertretern gewählt werden. Vor dem historischen Hintergrund sahen diese Verfassungsnormen bewußt vor, daß auch in Gemeindeverbänden Volkswahlen zu einer Vertretungskörperschaft stattzufinden haben. Der durch Gesetz vom 20. März 1991 (GVB1. I, S. 101) neu gefaßte Art. 138 HV, nach dem die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte als Leiter der Gemeinden oder Gemeindeverbände von den Bürgern in LVerfGE 10

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allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden, bestätigt eine demokratische Struktur als Charakteristikum der Gemeindeverbände. Die Aufhebung des Art. 137 Abs. 6 HV a. F. im Verfassungsänderungsgesetz vom 22. Juli 1950 (GVB1. S. 131) stellte keine Abwendung vom Erfordernis einer vom Volk gewählten Vertretungskörperschaft dar, sondern erfolgte lediglich, weil für kommunale Wahlen eine verfassungsrechtliche Fixierung auf das System der Verhältniswahl als einengend empfunden wurde (vgl. von Ze^schwify in: Zinn/Stein, Verfassung des Landes Hessen, Art. 137 Rdn. 4). Das Erfordernis einer unmittelbar demokratischen Legitimation steht zudem in engem Zusammenhang mit dem Umfang der von Gemeindeverbänden im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben. Es entspricht dem in Art. 65, 70 ff. HV zum Ausdruck gekommenen Demokratieprinzip der Hessischen Verfassung, daß die den Gemeindeverbänden in weitem Umfang mögliche Übernahme öffentlicher Verwaltungsaufgaben und damit die Ausübung von Staatsgewalt unmittelbar demokratisch legitimiert ist. Für die somit nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik angezeigte Beschränkung der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 HV auf Gemeindeverbände, die die gleiche Struktur wie Gemeinden und Landkreise aufweisen, spricht schließlich die Funktion der Verfassung als einer Grundordnung, die dem demokratisch legitimierten einfachen Gesetzgeber grundsätzlich weite Gestaltungsspielräume beläßt und ihn regelmäßig nur in zentralen Fragen einer verfassungsrechtlichen Bindung unterwirft. Die Erstreckung der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie auf eine Vielzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden geschaffener Körperschaften mit den aus Art. 137 HV folgenden verfassungsrechtlichen Verpflichtungen für den einfachen Gesetzgeber liefe dem zuwider. Der Antragsteller genügt den dargestellten Anforderungen an einen Gemeindeverband im Sinne des Art. 137 HV nicht. Ihm ist kein dafür hinreichend weiter Aufgabenbereich eingeräumt. Er stellt keine Gebietskörperschaft dar. Auch verfügt er nicht über eine unmittelbar demokratisch legitimierte Vertretungskörperschaft. Darüber hinaus fehlt es ihm an der spezifisch gemeindlichen Zusammensetzung, da sowohl nach seiner Satzung als auch tatsächlich andere juristische Personen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts seine Mitglieder sind. II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.

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Fristbeginn bei Grundrechtsklage

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Nr. 3 Für die schriftliche Bekanntgabe im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß der antragstellenden Person die vollständige Entscheidung in schriftlicher Form zugegangen ist, so daß sie die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. StGHG § 45 Abs. 1 Satz 2 Beschluß vom 10. November 1999 - P.St. 1428 auf die Anträge der Frau O. wegen Verletzung von Grundrechten Entscheidungsformel: Die Anträge werden zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: A. I. Die Antragstellerin wendet sich mit der Grundrechtsklage gegen ein zivilgerichtliches Berufungsurteil des Landgerichts Frankfurt am Main. Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte die Antragstellerin mit Urteil vom 22. September 1998 - 33 C 1919/98 - 29 - zur Räumung und Herausgabe eines Reihenhauses. Das Landgericht Frankfurt am Main wies die hiergegen eingelegte Berufung der Antragstellerin mit Urteil vom 6. Juli 1999 — 2/11 S 380/98 — zurück. Das Berufungsurteil ging ausweislich des auf dem Urteil und dem Empfangsbekenntnis befindlichen Eingangs stempeis am 14. Juli 1999 bei den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ein. Der Unterschrift des Empfangsbekenntnisses ist das Datum des 19. Juli 1999 beigefügt. Am 18. August 1999 hat die Antragstellerin Grundrechtsklage erhoben. Sie rügt Verletzungen des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs, des Rechts auf ein faires Verfahren sowie des Willkürverbots durch Verfahren und Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main. Die Antragstellerin beantragt, 1. festzustellen, daß das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 1999 - 2/11 S 380/98 - ihre Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs

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Staatsgerichtshof des Landes Hessen sowie auf ein faires Verfahren aus Art. 1 der Verfassung des Landes Hessen verletzt und gegen das Willkürverbot verstößt, 2. das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 1999 — 2/11 S 380/98 — für kraftlos zu erklären und den Rechtsstreit an eine andere Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückzuverweisen.

II. Die Landesregierung hält die Grundrechts klage für zulässig und wegen Verletzung des in der Verfassung des Landes Hessen verbürgten Anspruchs der Antragstellerin auf rechtliches Gehör auch für begründet. III. Nach Auffassung des Landesanwalts ist die Grundrechts klage unbegründet. IV. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, denen Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, haben erklärt, bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs über die Grundrechts klage von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen. V. Die Verfahrensakte des Landgerichts ist vom Staatsgerichtshof beigezogen worden. B. I. Die Grundrechtsklage ist unzulässig. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - StGHG ist die Grundrechtsklage innerhalb eines Monats einzureichen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der vollständigen Entscheidung des höchsten in der Sache zuständigen Gerichts des Landes Hessen an die antragstellende Person, § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG. Die Antragstellerin hat die bezeichnete Frist mit der am 18. August 1999 erhobenen Grundrechtsklage nicht gewahrt. Die Monatsfrist zur Erhebung der Grundrechtsklage gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 1999 - 2/11 S 380/98 - endete mit Ablauf des 16. August 1999, eines Montags. Denn die schriftliche Bekanntgabe im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG als fristauslösendes Ereignis erfolgte mit Eingang des Urteils in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 14. Juli 1999. Für die schriftliche Bekanntgabe i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG ist erforderlich, aber LVerfGE 10

Fristbeginn bei Grundrechtsklage

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auch ausreichend, daß der antragstellenden Person die vollständige Entscheidung in schriftlicher Form zugegangen ist, so daß sie die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl. StGH, Beschlüsse v. 15.11.1963 - P.St. 381 - und vom 3.6.1987 - P.St. 1038 - ; für die insofern wortgleichen Regelungen in Art. 51 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof — BayVerfGHG — und Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayVerfGHG a.F. vgl. BayVerfGH 22, 26 f.; 31, 77 ff.; 45, 29 ff.; ferner BVerfGE 4, 309, 313). Eine förmliche Zustellung ist für die Auslösung des Fristenlaufs weder nach Wordaut noch nach Sinn und Zweck des § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG erforderlich. Sinn und Zweck des § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG bestehen zum einen darin, daß der von einer gerichtlichen Entscheidung Betroffene sich um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen möglichst bald schlüssig werden soll, ob er von dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Grundrechtsklage Gebrauch machen will. Zum anderen will § 45 Abs. 1 Satz 2 StGHG im Interesse des Betroffenen ausschließen, daß die Klagefrist zu laufen beginnt, bevor ihm die Entscheidung in einer Weise zugegangen ist, die es ihm ermöglicht, sich von der Wahrung oder Beeinträchtigung seiner Grundrechte zu überzeugen. Beiden Zwecken wird es gerecht, wenn für den Beginn des Fristenlaufs auf den Zugang der vollständigen Entscheidung in schriftlicher Form beim Betroffenen abgestellt wird. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob das Empfangsbekenntnis mit dem Datum des 19. Juli 1999 korrekt ausgefüllt ist. Wiedereinsetzungsgründe sind nicht ersichtlich. II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.

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Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern Dr. Gerhard Hückstädt, Präsident Helmut Wolf, Vizepräsident Peter Häfner Dr. Dietmar Schneider Brunhild Steding Joachim von der Wense Prof. Dr. Maximilian Wallerath

Stellvertretende Richterinnen und Richter Dr. Siegfried Wiesner Klaus-Dieter Essen Matthias Lipsky Dr. Christa Unger Karin Schiffer Rolf Christiansen Gudrun Köhn

Weitergeltung des Reichszweckverbandsgesetzes

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Nr. 1* 1. Im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde ist eine amtsangehörige Gemeinde selbst Beteiligte. § 127 Abs. 1 Satz 6 KV M-V ist im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht einschlägig. 2. Der Landesgesetzgeber war befugt, für Zweckverbände, die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum Ablauf des 11. Juni 1994 gebildet worden sind, zu bestimmen, daß bis zu dem zuletzt genannten Zeitpunkt die Vorschriften des Zweckverbandsgesetzes vom 7. Juni 1939 gegolten haben. 3. Knüpft die gesetzliche Regelung, die eine bisher fehlende Rechtsgrundlage nachschiebt, an eine der Gemeindevertretung zurechenbare Entscheidung zur Übertragung der Aufgabe auf einen Zweckverband an, so sind hiergegen unter dem Aspekt des grundsätzlichen Vorrangs gemeindlicher Aufgabenwahrnehmung vor einer anderen Form der Aufgabenerledigung durchgreifende Bedenken nicht zu erheben. 4. Zur Frage, ob sich Art. 8 EV, Art. 123 Abs. 1 GG - unter Berücksichtigung des Art. 23 Satz 2 GG a.F. — die grundsätzliche Entscheidung zugunsten einer ausschließlich an den inhaltlichen Maßstäben des Grundgesetzes zu messenden Rechtskontinuität entnehmen läßt, mit der Folge, daß vorkonstitutionelles Recht auch in den neuen Bundesländern fortgilt. 5. Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dienen zugleich der verfassungsrechtlichen Absicherung kommunaler Selbstverwaltung; sie sind deshalb im Rahmen der kommunalen Verfassungsbeschwerde als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. 6. Führen die mit dem Beitritt unter grundlegender Änderung der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse erwachsenen neuen rechtlichen Anforderungen zu einer planwidrigen Gesetzeslücke und müßte der dadurch zu verzeichnende Verlust der Steuerungsfähigkeit des Gesetzes andernfalls durch Rechtsfortbildung aufgefangen werden, so ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, durch ein normatives Nachfassen, das unter Umständen auch eine an dem ursprünglichen gesetzgeberischen Programm orientierte rückwirkende Festlegung rechtlicher Maßstäbe umfaßt, die aufgetretene Regelungslücke zu schließen. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Landesverfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erhältlich (Adresse s. Anhang).

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Grundgesetz Art. 23 S. 2 a.F., 123 Abs. 1 Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern Art. 2, 53 Nr. 8,72 Abs. 1 Landesverfassungsgerichtsgesetz § 51 Abs. 2 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern: §§ 127 Abs. 1 S. 6,150 ff., 170 a Abs. 1 S. 1, Abs. 13,177 Abs. 1 Kommunalverfassung D D R §§ 1, 61, 100, 102 Reichszweckverbandsgesetz Urteil vom 4. Februar 1999 - LVerfG 1/98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Gemeinde G. gegen § 170 a Abs. 1 S. 1 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet. Gründe:

A. Die Beschwerdeführerin, eine amtsangehörige Gemeinde, wendet sich gegen Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (2. ÄndG KV M-V) vom 22.1.1998 (GVOB1. M-V S. 78). Durch die gesetzliche Regelung werde ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 72 Abs. 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (LV) rechtswidrig beeinträchtigt. Die Bestimmung, mit welcher der entsprechend lautende § 170 a Abs. 1 Satz 1 in die Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern eingefügt wurde, trifft folgende Regelung: „Für Zweckverbände, die in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum Ablauf des 11. Juni 1994 gebildet worden sind, haben bis zu dem zuletzt genannten Zeitpunkt die Vorschriften des Zweckverbandsgesetzes vom 7. Juli 1939 (RGBl. I S. 979), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24. Juli 1941 (RGBl. I S. 464), gegolten."

Der daran anschließende Abs. 1 Satz 2 sowie die folgenden Absätze des § 170 a wie auch der durch das 3. Änderungsgesetz vom 10.7.1998 (GVOB1. LVerfGE 10

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M-V S. 634) eingefügte § 170 b KV M-V enthalten einen umfangreichen Katalog von unbeachtlichen Rechtsfehlern beim Beitritt zu einem Zweckverband sowie von Fiktionen bei Unvollständigkeit der Verbandssatzung. Bis zum 11.6.1994 galt in Mecklenburg-Vorpommern das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der D D R (Kommunalverfassung) vom 17.5.1990 (GBl. I S. 255) - DDR-KV - mit der Vorschrift des § 61 über Zweckverbände. Am 12.06.1994 ist nach ihrem § 177 Abs. 1 die Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) vom 18.2.1994 (GVOB1. M-V S. 249) in Kraft getreten; dort sind die Zweckverbände in den §§ 150 ff. geregelt. I. Die Beschwerdeführerin ist Mitbegründerin des Wasserversorgungs- und Abwasserzweckverbandes G. B. S. (im folgenden: WAZ). Am 18.4.1991 beschloß die Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin, dem WAZ beizutreten. Die seinerzeit nach § 24 DDR-KV vorgeschriebene ortsübliche Bekanntmachung des Beschlusses unterblieb. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über die Gründung des Zweckverbandes mit den anderen Gründungsmitgliedern wurde nicht abgeschlossen. Nach Inkrafttreten der Kommunalverfassung für das Land MecklenburgVorpommern beschloß die Verbandsversammlung am 20.2.1995 (erneut) eine Verbandssatzung, in der die Beschwerdeführerin wiederum als Mitglied genannt ist; weitere Anpassungen an die nunmehr geltenden Vorschriften erfolgten nicht. Am 29.6.1995 faßte die Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin den Beschluß, aus dem WAZ auszutreten. Die Verbandsversammlung stimmte dem Austritt der Beschwerdeführerin durch eine entsprechende Satzungsänderung am 27.9.1995 zu. Diese wurde durch Bescheid des Innenministeriums vom 18.12.1995 gegenüber dem Zweckverband beanstandet; gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung angeordnet. Eine Anfechtung der Verfügung erfolgte nicht. (...) II. Mit ihrer am 2.6.1998 beim Landesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, durch die Regelung des § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V werde ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 72 Abs. 1 LV rechtswidrig beeinträchtigt. (...)

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III. (...) B. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. I. Nach Art. 53 Nr. 8 LV entscheidet das Landesverfassungsgericht über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden, Kreisen und Landschaftsverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 72 bis 75 durch ein Landesgesetz. Die Beschwerdeführerin ist als Gemeinde selbst fähig, am Verfahren der Verfassungsbeschwerde beteiligt zu sein. Im Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde wird die Beteiligungsfähigkeit auch amtsangehöriger Gemeinden durch § 51 Abs. 2 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsgerichtsgesetz — LVerfGG —) abschließend bestimmt. Diese Vorschrift setzt eine Gemeinde, einen Landkreis oder (soweit errichtet) einen Landschaftsverband als Beschwerdeführer voraus. Aus § 127 Abs. 1 Satz 6 KV M-V, nach dem eine amtsangehörige Gemeinde durch das Amt vertreten wird, wenn sie an einem gerichtlichen Verfahren beteiligt ist, ergibt sich nichts anderes. Zwar unterscheidet diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach nicht zwischen fachgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Verfahren. Indes hat die Vorschrift nicht den Fall der Verteidigung verfassungsrechtlicher Rechte der Gemeinden gegenüber einer gesetzlichen Regelung des Selbstverwaltungsrechts in Verfahren nach §§ 51 ff. LVerfGG zum Inhalt. Das ergibt sich sowohl aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 127, 128 KV M-V wie auch aus Sinn und Zweck der Bestimmung, der vor allem darauf gerichtet ist, die Verwaltungskraft des Amtes in solchen Fällen für gerichtliche Verfahren zu nutzen, in denen auch im Verwaltungsverfahren eine Vertretung der Gemeinde durch das Amt erfolgt. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren verbleibt es danach bei dem Vertretungsrecht des Bürgermeisters nach § 39 Abs. 2 Satz 1 KV M-V. Eine solche — gemeindefreundliche — Auslegung trägt zugleich dem Selbstverwaltungsrecht der amtsangehörigen Gemeinden Rechnung, indem sie deren eigenständige Rechtsstellung als Träger dieses Rechts zur Geltung bringt. Eine Beteiligung des Amtes anstelle der Gemeinde — etwa im Wege der Prozeßstandschaft — kann § 127 Abs. 1 Satz 6 K V M-V im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht eröffnen. Eine solche Beteiligung würde dem Amt eine LVerfGE 10

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eigene Parteistellung im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren beimessen, die diesem durch Art. 53 Nr. 8 LV, § 51 Abs. 2 LVerfGG gerade verwehrt ist. II. Die Beschwerde ist form- und fristgemäß eingelegt sowie den Anforderungen des § 53 LVerfGG gemäß begründet worden. III. Die Beschwerdeführerin ist auch beschwerdebefugt. Sie macht geltend, durch die gesetzliche Regelung selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten verletzt zu sein. Zwar ist für die kommunale Verfassungsbeschwerde ein entsprechendes Erfordernis in Art. 53 Nr. 8 LV, § 51 Abs. 2 LVerfGG — anders als bei der Individualverfassungsbeschwerde — nicht ausdrücklich genannt. Auch spricht Art. 53 Nr. 8 LV lediglich von einer Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung. Diese Formulierung trägt dem Umstand sprachlich Rechnung, daß die Garantie kommunaler Selbstverwaltung auch eine institutionelle Garantie und nicht nur ein subjektives Recht der einzelnen Gemeinde enthält (Pestaiosga, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 29 Rdn. 53 m.w.N. in Anm. 77). Demnach handelt es sich lediglich um eine Begrenzung des zulässigen Prüfungsgegenstandes, nicht aber um einen Verzicht auf das Erfordernis der Geltendmachung subjektiver Rechtsverletzung (BVerfGE 26, 228, 236; so auch VerfGH NW, OVGE 38, 301, 302; Hoppe, Die kommunale Verfassungsbeschwerde vor den Landesverfassungsgerichten, in: Starck/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilband II, 1983, S. 257, 271). Hiervon geht offensichtlich auch § 53 LVerfGG aus, wenn er verlangt, daß der Beschwerdeführer das nach seiner Auffassung verletzte Recht und die gesetzliche Bestimmung, durch die er sich verletzt fühlt, benennt. Dies entspricht der Rechtslage bei einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht nach §§ 91, 92 BVerfGG. Der Vortrag der Beschwerdeführerin genügt diesen Anforderungen. Dabei kann offen bleiben, ob die Beschwerdeführerin eine Verletzung „positiver" Vereinigungsfreiheit geltend machen könnte. Das setzte das Recht voraus, im Rahmen der ihr zustehenden Organisationshoheit auch darüber befinden zu dürfen, ob sie die ihr obliegenden Aufgaben selbst wahrnimmt oder diese in Kooperation mit anderen kommunalen Körperschaften durch einen Zweckverband wahrnehmen lassen möchte (so die ganz überwiegende Auffassung, siehe von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rdn. 168 m.w.N.) Jedenfalls kann sie geltend machen, durch die gesetzliche Regelung in ihrem Recht auf negative Vereinigungsfreiheit nachteilig betroffen zu sein (hierzu BVerfGE 26, 228, 239 f.; VerfGH NW, DÖV 1980, 691 ff.; Oebbecke, Zweckverbandsbildung und Selbstverwaltungsgarantie, 1982, S. 67 m.w.N.). Das leuchtet LVerfGE 10

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unmittelbar ein, sofern das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 in dem Zeitraum vom 3.10.1990 bis zum Ablauf des 11.6.1994 nicht gegolten haben sollte. In diesem Fall käme § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V konstitutive Funktion zu. Die gesetzliche Regelung berührt die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin aber auch dann nachteilig, wenn sie nur klarstellend sein sollte, weil nunmehr die Rechtslage, soweit die neue gesetzliche Regelung eine entsprechende Aussage trifft, formell-gesetzlich festgeschrieben und damit unterschiedlicher Deutung entzogen ist (s. a. Kliigel, Rückwirkende Heilung von Gründungs fehlem bei der Bildung von Zweckverbänden in Sachsen-Anhalt, LKV 1998,168,171). Das gilt auch, soweit ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze, etwa im Hinblick auf die nur eingeschränkte Zulässigkeit von nachteiligen gesetzlichen Regelungen, geltend gemacht wird. Diese sind ebenfalls geeignet, das verfassungsrechtliche Bild kommunaler Selbstverwaltung mitzubestimmen (BVerfGE 1,67,181 ff.; 71,25, 38; BVerfG, DVB1 1997,420,423; NJW 1998,1547,1548; Hoppe, a.a.O., S. 291). IV Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beschwerdeführerin auf andere Weise Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnte. Der besondere Charakter der kommunalen Verfassungsbeschwerde als Rechtssatzbeschwerde führt dazu, daß hier die bei der Individualverfassungsbeschwerde stets zu berücksichtigende Subsidiarität nur begrenzt zum Zuge kommt. Im Rahmen des Verfahrens nach Art. 53 Nr. 8 LV ist die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nur insofern von Bedeutung, als die beanstandete gesetzliche Regelung noch einer Konkretisierung durch eine nachrangige Norm bedarf, gegen die ihrerseits Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann (BVerfGE 76, 107, 113; Pestalozzi a.a.O. § 12 Rdn. 58). Das ist hier nicht der Fall. C. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V getroffene Regelung hält einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung stand. Der Gesetzgeber war befugt, für Zweckverbände, die in der Zeit vom 3.10.1990 bis zum Ablauf des 11.6.1994 gebildet worden sind, zu bestimmen, daß bis zu dem zuletzt genannten Zeitpunkt die Vorschriften des Zweckverbandsgesetzes vom 7.6.1939 gegolten haben. I. Zwar wirkt die von der Beschwerdeführerin beanstandete Regelung in deren Recht aus Art. 72 Abs. 1 LV auf eigenständige Wahrnehmung der ihr obliegenLVerfGE 10

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den Selbstverwaltungsaufgaben ein. Zu den Aufgaben im Selbstverwaltungsbereich zählen auch die Wasserversorgung wie auch die Abwasserbeseitigung (§§ 2 Abs. 2 KV M-V, 43 Abs. 1,40 Abs. 1 LWaG). Das Recht auf Selbstverwaltung aus Art. 72 LV wird jedoch durch die beanstandete Vorschrift nicht verletzt. Die Selbstverwaltungsgarantie ist den Gemeinden „im Rahmen der Gesetze" eingeräumt. Die insoweit vorausgesetzte gesetzliche Einschränkbarkeit des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden ist allerdings ihrerseits begrenzt: Einfach-gesetzliche Regelungen dürfen nicht in den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung eingreifen (1); darüber hinaus dürfen sie weder den grundsätzlichen Vorrang der Gemeinde bei der Wahrnehmung von Aufgaben mit relevantem örtlichen Charakter vor anderen Aufgabenträgern übergehen (2) noch dürfen sie eine sonstige formell oder materiell unzulässige Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts vornehmen (3). 1. Der Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung wird durch § 170 a Abs. 1 KV M-V nicht ausgehöhlt. Zum geschützten Kernbereich zählen die überkommenen identitätsstiftenden Merkmale kommunaler Selbstverwaltung, das sind diejenigen Merkmale, die herkömmlich das Bild der gemeindlichen Selbstverwaltung in ihren verschiedenen historischen und regionalen Erscheinungsformen durchlaufend und entscheidend geprägt haben (BVerfGE 83, 363, 381; 86, 90, 107; s.a. 11, 266, 274; 52, 95, 117; 78, 331, 340; Scboch, Zur Situation kommunaler Selbstverwaltung nach der Rastede-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, VerwArch. 1990, 18, 30; krit. J. Ipsen, Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie und Einwirkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers, Zeitschrift für Gesetzgebung 1994,194,197 f.). Hierzu zählt auch ein Kernbereich eigener Organisationsgewalt der Gemeinden (BVerfGE 52,95,117; 78,331,341; VerfGH NW, NJW1979,1201, 1202; Schmidt-Jort^ig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 93,161 ff.). Indes schützt dieser nur vor Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken oder den inneren Aufbau der Verwaltung einer eigenen Entscheidung der Gemeindeorgane entziehen würden. Die überkommenen Formen von Pflichtverbänden zeigen, daß selbst die negative Vereinigungsfreiheit einer gesetzlichen Beschränkung der eigenständigen Erfüllung einzelner kommunaler Aufgaben nicht im Wege steht (hierzu BVerfGE 26, 228, 239). Die hier in Frage stehende Regelung des § 170a Abs. 1 Satz 1 KV M-V läßt daher den Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung unberührt. 2. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung entfaltet allerdings auch im Vorfeld des Kernbereichs rechtliche Wirkungen. Insofern ist zutreffend anerkannt, daß die kommunale Organisationshoheit auch das Recht umfaßt, eigenverantwortlich über die Form der Wahrnehmung kommunaler Selbstverwaltung LVerfGE 10

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zu entscheiden (BVerfG, Besch], v. 23.11.1988 - 2 BvR 1619, 1626/83 BVerfGE 79, 127, 147 - Rastede - ; BVerfGE 91, 228, 239£ - Gleichstellungsbeauftragte). Das schließt die organisatorische Ausgestaltung jedenfalls insoweit mit ein, als die Gemeinden gegen einen zwangsweisen Zusammenschluß zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung geschützt sind, sofern dieser formell oder materiell nicht verfassungsgemäß ist (BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, NVwZ 1987,123 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1994, S. 113; Schmidt-Jort^ig, a.a.O., S. 198 f.). Die in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V getroffene Regelung widerspricht nicht dem verfassungsrechtlichen Vorrang der gemeindlichen Wahrnehmung von Aufgaben mit relevantem örtlichen Bezug vor anderen Formen der Aufgabenverteilung. Von diesem könnte nur aus Gründen des „Gemeininteresses", namentlich, „wenn anders eine ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben nicht sicherzustellen wäre", abgewichen werden (BVerfGE 79,127,153). Daß diese Grundsätze nicht einschlägig sind, soweit das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 in dem in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V angeführten Zeitraum gegolten hat, ist evident: In diesem Fall entfaltet die hier in Frage stehende Norm lediglich deklaratorische Wirkung. Für die Annahme einer Aufgabenverlagerung bleibt insoweit kein Raum. Aber auch, wenn § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V erstmals die Geltung des Zweckverbandsgesetzes vom 7.6.1939 angeordnet haben sollte, also konstitutive Wirkung entfaltet, greifen nicht die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 23.11.1988 (BVerfGE 79, 127, 148) für die „Hochzonung" von Aufgaben entwickelten Grundsätze. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob die vom Bundesverfassungsgericht in dem genannten Beschluß angeführten Grundsätze auch den Fall treffen, daß eine Aufgabe nicht von der Gemeinde selbst, sondern nur in der mediatisierten Form eines von ihr lediglich mitgetragenen Zweckverbandes erfüllt werden kann. Zwar beansprucht der aus Art. 28 Abs. 2 GG abgeleitete Vorrang gemeindlicher Aufgabenwahrnehmung in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht nur im Verhältnis zum Staat, sondern auch im Verhältnis der verschiedenen kommunalen Verwaltungsträger zueinander und damit auch gegenüber Kreisen und sonstigen Gemeindeverbänden Geltung. Diese verfügen — anders als die Gemeinden — ihrerseits nicht über originäre Kompetenzen (BVerfGE 79, 127, 150; BbgVerfG, LVerfGE 2, 93, 101). Soweit es sich jedoch um die kommunale Aufgabenwahrnehmung in Form von Zweckverbänden handelt, geht es nicht um das „Ob" einer gemeindlichen Aufgabenerfüllung, sondern lediglich um dessen „Wie" (hierzu J. Ipsen, Zeitschrift für Gesetzgebung 1994,194, 205). Allerdings wird der Gemeinde, sofern ihr diese Modalität der Aufgabenerfüllung aufgezwungen wird, die eigene Wahrnehmungskompetenz entzogen und auf einen Verband verlagert, in dem sie nur noch — als einer von verschiedeLVerfGE 10

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nen Trägern — begrenzt Einfluß auf die Entscheidungen über die nähere Ausgestaltung der Aufgabe nehmen kann. Insofern ist die aufgezwungene Erledigung von Aufgaben über Zweckverbände der gesetzlichen „Hochzonung" kommunaler Aufgaben angenähert. Ob diese deshalb generell dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 79, 127, 150) entwickelten Prinzip der „Aufgabenverteilung" entsprechen muß, kann hier indes dahingestellt bleiben. Denn das schlichte Festhalten einer Gemeinde an einer Aufgabenwahrnehmung im Rahmen eines Zweckverbandes bedeutet jedenfalls dann keinen Fall eines an „erschwerte materielle Voraussetzungen" gebundenen „Entzugs" von Aufgaben (vgl. insoweit BVerfGE 79,127,149), wenn wie vorliegend die Gemeindevertretung selbst den — sei es auch mit einem formellen Fehler behafteten - Beschluß zum Beitritt zu dem Verband gefaßt hat und keine zusätzlichen Anforderungen an den Austritt aus diesem Verband aufgestellt werden. Knüpft die gesetzliche Regelung, die eine bisher fehlende Rechtsgrundlage nachschiebt, an eine der Gemeinde zurechenbare Entscheidung zur verbandlichen Wahrnehmung der Aufgabe an, so sind hiergegen unter dem Aspekt des grundsätzlichen Vorrangs gemeindlicher Aufgabenerledigung vor einer anderen Form der Aufgabenerfüllung durchgreifende Bedenken nicht zu erheben. 3. Die in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V getroffene Regelung ist auch im übrigen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. a) Nach Art. 70 GG ist der Landesgesetzgeber zuständig, sich der vorgefundenen Rechtslage anzunehmen und entsprechende gesetzliche Regelungen zu treffen. Das Recht der Zweckverbände ist Teil des Kommunalrechts. Die Gesetzgebungsbefugnis hierzu liegt bei den Ländern; diese umfaßt auch das Recht, gegebenenfalls rückwirkende Regelungen zu treffen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Frage der inhaltlichen Zulässigkeit einer solchen Regelung ausschließlich eine Frage des materiellen Rechts. Ebensowenig gibt die vom Landesgesetzgeber gewählte Regelungstechnik Anlaß zu verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt auch für den Fall, daß § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V konstitutive Wirkung beizumessen wäre. Sowohl das Grundgesetz (siehe Art. 129 Abs. 4 GG) wie der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (EV) vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889, DDR GBl. I S. 1627), Vorbemerkungen, 4. Abs., zu Anlage II, greifen zu einer entsprechenden Gesetzgebungstechnik. Die jeweilige Rechtsfolge ergibt sich insoweit aus der eigenständigen Geltungsanordnung der normativen Regelung, die auf eine andere — gegebenenfalls auch frühere — gesetzliche Normierung Bezug nehmen kann. Hiergegen ist jedenfalls solange nichts einzuwenden, als es sich — unbeschadet der semantischen Ausformung — um eine statische Verweisung handelt und die in Bezug genommene Regelung ihrerseits in einem amtLVerfGE 10

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liehen Verkündungsblatt verlautbart ist (BVerfGE 47, 285, 311 f.). Bei den im Reichsgesetzblatt verkündeten Gesetzen und Verordnungen ist diese Anforderung erfüllt. b) § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V begegnet auch materiell keinen verfassungsrechtlichen Einwänden. Der Absatz enthält in den Sätzen 1 und 2 zwei unterschiedliche Regelungsbereiche. Es handelt sich jeweils um eigenständige Normierungen, die aber sachlich aufeinander bezogen sind: Abs. 1 Satz 1 stellt zunächst das rechtliche Instrumentarium für die Errichtung von Zweckverbänden als Körperschaften des öffentlichen Rechts klar, sofern das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 mit dem Beitritt zur Bundesrepublik Geltung in den Beitrittsländern erlangt hat. Soweit dies nicht der Fall sein sollte, stellt das Gesetz den rechtlichen Maßstab für den darin geregelten zurückliegenden Zeitraum bereit, der eine Beurteilung der Wirksamkeit von Zweckverbandsgründungen in dem dort genannten Zeitraum ermöglicht. Damit liefert § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V die Grundlage für eine mögliche „Heilung" von Gründungsmängeln nach Maßgabe der folgenden Absätze des § 170 a sowie des § 170 b KV M-V; insofern ist Satz 1 auf Satz 2 und 3 sowie die nachfolgenden Absätze und § 170 b bezogen. Satz 1 hat damit eine doppelte Bedeutung: Einerseits ist er Maßstabsnorm für die Entscheidung der Frage, ob die vorhandenen Zweckverbände wirksam gegründet sind, andererseits ist er Grundlage für die Regelungen in den nachfolgenden Sätzen 2 und 3 sowie in den weiteren Bestimmungen über die Unbeachtlichkeit bestimmter Fehler. aa) Sofern das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 in dem Zeitraum vom 3.10.1990 bis zum Ablauf des 11.6.1994 ohnehin gegolten haben sollte, kommt § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V lediglich klarstellende Funktion zu. (1) Eine solche Weitergeltung könnte sich aus Art. 3 EV in Verbindung mit Art. 123 Abs. 1 GG ergeben. Danach trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland mit den sich aus Art. 4 des Einigungsvertrages ergebenden Änderungen sowie weiteren vertraglichen Vorbehalten, die hier keine Rolle spielen, mit dem Zeitpunkt des Beitrittes der DDR bzw. der sie bildenden Länder einschließlich Ostberlins zur Bundesrepublik am 3.10.1990 in Kraft. In Kraft trat damit auch Art. 123 Abs. 1 GG, der bestimmt, daß „Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages (fortgilt), soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht". Hierzu gehört auch, wie aus den Art. 124 ff. GG folgt, vorkonstitutionelles Recht, das Gegenstände der Landesgesetzgebung betrifft. Art. 123 Abs. 1 GG ist Ausdruck des Gedankens der Herstellung von Kontinuität und Vollständigkeit der Rechtsordnung. Der erstgenannte Grundsatz bedeutet, daß die Verfassunggebung der Bundesrepublik Deutschland die rechtLVerfGE 10

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liehe Kontinuität zu den vorher bestehenden Staatsgebilden nicht aufgeben wollte. Das Grundgesetz hat sich daher nicht für eine komplette Neuschaffung staatlicher Ordnung dergestalt entschieden, daß es alles frühere Recht unterschiedslos für ungültig erklärte und es der zukünftigen Staatspraxis überließ, neues Recht umfassend zu schaffen. Es hat vielmehr an staatliche und damit gesetzgeberische Vorgaben, die es vorgefunden hat, angeknüpft. Soweit diese Vorschriften so geartet sind, daß sie den Filter der materiellen Verfassungsmäßigkeit ohne Beanstandung passieren, hat der Verfassungsgeber keine Notwendigkeit gesehen, den entsprechenden Normen die Geltung zu versagen (im einzelnen Kirn, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 3. Bd., 3. Aufl. 1996, Art. 123 Rdn. 2; Schulde, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 1996, Art. 123 Rdn. 2ff.). Damit suchte das Grundgesetz zugleich dem Ziel der Vollständigkeit der Rechtsordnung Rechnung zu tragen. In ihm findet sich die eigentliche Legitimationsgrundlage des Grundsatzes der Kontinuität. Vor dem Hintergrund dessen, daß für eine zunächst kaum übersehbare Vielzahl von Lebenssachverhalten an vorhandene gesetzliche Regelungen angeknüpft und so zum Gelingen der neuen verfaßten Staatlichkeit beigetragen werden muß, nimmt es Rücksicht auf die notwendige Befriedigung eines normativen Regelungsbedarfs. Die Bundesrepublik konnte damit bei einer Fülle von Detailregelungen auf vorheriges Recht zurückgreifen und mußte dies auch, da es in der Kürze der Zeit nicht gelingen konnte, für alle der Regelung bedürftigen Materien und Situationen entsprechendes neues Recht zu schaffen. Hiergegen läßt sich der in Art. 123 Abs. 1 GG genannte Zeitpunkt („Zusammentritt des ersten Bundestages") kaum überzeugend ins Feld führen. Zwar verbindet der in Art. 123 GG angeführte Zeitpunkt die Geltungsanordnung mit einer bestimmten Organfunktion, während ein Abstellen auf das Inkrafttreten des Grundgesetzes (mit der stillschweigenden Voraussetzung des eigenen Geltungsbereichs) leichter eine räumliche Erweiterung tragen könnte. Indes ist der zeitliche Anknüpfungspunkt des Art. 123 Abs. 1 GG nicht zwangsläufig mit einer Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs auf den seinerzeitigen Bereich der Geltung des GG verbunden (so aber LVerfG LSA, LKV 1997, 411; VwRR-MO 1998, 70; VG Chemnitz, VwRR-MO 1998, 83, 84 sowie Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 1997, Art. 123 Rdn. 1). Bezieht man — den Gedanken der „Einheit der Verfassung" berücksichtigend — Art. 23 GG a. F. in die Betrachtung mit ein (siehe auch BVerfGE 82, 316,320; 84,90,318 f., jeweils zur Änderung des Grundgesetzes im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag), so läßt sich im Gegenteil Art. 123 Abs. 1 GG die grundsätzliche Entscheidung zugunsten einer — ausschließlich an den inhaltlichen Maßstäben des Grundgesetzes zu messenden — Rechtskontinuität entnehmen, die über die verschiedenen staatsrechtlichen Brüche hinausreicht. Die Bestimmung wäre damit im Lichte des Art. 23 Satz 2 GG a. F. LVerfGE 10

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„zukunftsoffen". Bei dieser Sicht würde vorkonstitutionelles Recht weiterhin als „rechtliche Reserveordnung" fortgelten. Daß Art. 23 GG mit dem 3.10.1990 aufgehoben wurde, ändert nichts daran, daß das Grundgesetz, so wie es sich (mit den beitrittsbedingten Übergangsregelungen des Art. 143 GG) am 3.10.1990 darstellte, für das Beitrittsgebiet Geltung erlangte; hiervon war auch Art. 123 GG erfaßt. Die Aufhebung des Art. 23 GG a.F. erfolgte ausschließlich aus der Überlegung, daß mit dem Beitritt der Länder der DDR der Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes erfüllt ist und eine Regelung wie die des Art. 23 GG a.F. damit gegenstandslos geworden ist. Gegen eine solche Lösung spricht auch nicht die zwischenzeitlich abweichende Rechtslage in der früheren DDR. Anders als Art. 9 EV stellt Art. 8 EV i.V.m. Art. 123 GG hierauf nicht ab. Tatsächlich vermengt die Auffassung, der Einigungsvertrag verdränge Art. 123 GG jedenfalls insoweit, als DDR-Recht früheres Reichsrecht aufgehoben habe (VG Halle, Vorlagebeschluß v. 13.8.1998 — 3 A 323/95, amd. Umdruck S. 26 f.; VG Chemnitz, VwRR-MO 1998, 83), zwei unterschiedliche Regelungsbereiche. Demgegenüber ist wie folgt zu unterscheiden: Der Einigungsvertrag erfaßt das Weitergelten von DDR-Recht (Art. 9 EV). Danach gilt DDR-Recht weiter, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 9 EV erfüllt sind. Voraussetzung der Weitergeltung ist, daß das DDR-Recht seinerseits am 2.10.1990 in Kraft war. Die Frage, wieweit früheres Reichsrecht über die bundesrechtliche Bestimmung des Art. 123 GG im Gebiet der Beitrittsländer (wieder) Gültigkeit erlangt, ist hiervon nicht erfaßt. Sie wird in Art. 8 EV behandelt. Auf die Frage, ob das Reichszweckverbandsgesetz in der DDR aufgehoben worden ist, kommt es also im vorliegenden Zusammenhang nicht an. (2) Zutreffend ist allerdings, daß auch bei Bejahung einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des Art. 123 Abs. 1 GG in den neuen Bundesländern noch nicht feststeht, daß auch im konkreten Fall das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 über Art. 123 Abs. 1 GG in das Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern als fortgeltendes Recht übernommen wurde. Dafür ist erforderlich, daß das Reichszweckverbandsgesetz dem Grundgesetz nicht widerspricht und das Landesrecht Raum für eine ergänzende Regelung in Form des Reichszweckverbandsgesetzes läßt. Es entspricht einer unangefochtenen Rechtsauffassung, daß das Reichszweckverbandsgesetz grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist und im übrigen auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 123 GG erfüllt (statt vieler: Klüber, Das Gemeinderecht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 41 f.; Oebbecke, Zweckverbandsbildung und Selbstverwaltungsgarantie, 1982, S. 4; Rengeling, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 2,1982, § 38, S. 408 jew. m.w.N.). Daß es sich dabei um ein Gesetz handelt, das nicht entsprechend den Vorschriften der LVerfGE 10

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Weimarer Reichsverfassung erlassen wurde, sondern um ein sogenanntes Regierungsgesetz, das nicht durch das Parlament beschlossen wurde, vielmehr durch Kabinettsbeschluß Gesetzeskraft erlangte, ist angesichts der eigenen normativen Geltungsanordnung des Art. 123 Abs. 1 GG (vgl. insoweit Kirn, a.a.O., Art. 123 Rdn. 4; Schulde, a.a.O., Art. 123 Rdn. 3, 8) unschädlich. Entscheidend ist, daß es in der Staatspraxis als geltendes Recht angesehen wurde und im übrigen nicht nationalsozialistischen Inhalts ist, was insoweit seine Weitergeltung ausschließen würde. Im Zeitpunkt des Beitritts (3.10.1990) wie auch in dem späteren, in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V aufgeführten Zeitraum bestand auch keine gesetzliche Regelung in Mecklenburg-Vorpommern, die einen Rückgriff auf das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 ausschließen würde. § 61 DDR-KV sah vor, daß die Gemeinden Zweckverbände gründen können. Daraus kann jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß das Zweckverbandsrecht in der DDR-Kommunalverfassung 1990 abschließend geregelt worden und eine ergänzende Heranziehung des Zweckverbandsgesetzes vom 7.6.1939 nicht möglich sei. Für den nicht abschließenden Regelungsgehalt des Gesetzes spricht nicht zuletzt dessen Übergangscharakter: § 100 DDR-KV bestimmte ausdrücklich, daß die weitere Ausgestaltung der Kommunalgesetzgebung der Kompetenz der Landtage vorbehalten blieb. bb) Ob das Reichszweckverbandsgesetz entsprechend den vorstehenden Erwägungen mit dem Beitritt der neuen Bundesländer nach Art. 8 EV, 123 GG in Mecklenburg-Vorpommern Geltung erlangt hat, bedarf hier indessen keiner abschließenden Entscheidung. Im Ergebnis würde nämlich nichts anderes gelten, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, das Reichszweckverbandsgesetz sei in dem hier maßgeblichen Zeitraum nicht anwendbar gewesen, dem § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V also konstitutive Wirkung beigemessen würde. Mit der in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V enthaltenen Geltungsanordnung verfolgt die Bestimmung einen wichtigen öffentlichen Zweck: Es geht um die Herstellung der rechtlichen Grundlagen für die Bildung von Zweckverbänden sowie — verbunden damit — die Wahrung von Rechtssicherheit und Funktionsfähigkeit der in den Jahren 1990 bis 1994 errichteten Verbände. Dieser Zweck findet seine Stütze in Art. 72 LV sowie dem in Art. 20 a GG zum Ausdruck gebrachten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die gesetzliche Regelung knüpft an die in dem von ihr erfaßten Zeitraum durchgehend vertretene Rechtsauffassung an, das Reichszweckverbandsgesetz gelte fort, und stellt diese in den Zusammenhang mit einer der Gemeinde zurechenbaren Entscheidung zur verbandlichen Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben. Die Stärkung der Option, eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft in verbandlicher Form wahrzunehmen, ist nicht zuletzt in einem Flächenbundesstaat mit einer beträchtlichen LVerfGE 10

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Zahl kleiner Gemeinden, bei denen die eigenverantwortliche Erledigung dieser Angelegenheiten in vielen Fällen deren Leistungskraft übersteigt, sachgerecht. Die Regelung entspricht auch dem Gebot der Erforderlichkeit. Ohne eine Festlegung des anwendbaren Rechts stände kein gesicherter rechtlicher Maßstab für die Beurteilung des ordnungsgemäßen Zustandekommens der zwischenzeitlich gegründeten Zweckverbände bereit, der zugleich Grundlage für die anschließend geregelten Fälle einer möglichen Heilung sein könnte. Die Alternative, der Kommunalverfassung von 1994 rückwirkende Geltung beizumessen, soweit es um die Anforderungen an die Gründung von Zweckverbänden geht, wäre angesichts der vorgefundenen rechtlichen Ausgangslage — mögliche Weitergeltung des Reichszweckverbandsgesetzes sowie der darauf basierenden Staatspraxis — kein milderes Mittel gewesen; im Gegenteil steht die Anknüpfung an diese Bestimmungen dem zu regelnden Sachverhalt näher als jede andere Alternative. II. Der Gesetzgeber hat auch nicht dadurch das Rechtsstaatsprinzip verletzt, daß er die Rechtsfolgeanordnung des § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V zurückwirkend auf den Zeitraum vom 3.10.1990 bis zum 11.6.1994 erstreckt hat. 1. Nimmt man an, das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 habe in dem Zeitraum vom 3.10.1990 bis zum Ablauf des 11.6.1994 ohnehin gegolten, kommt § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V lediglich klarstellende Funktion zu. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist hiergegen nichts zu erinnern. 2. Nichts anderes würde gelten, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, das Reichszweckverbandsgesetz sei in dem hier maßgeblichen Zeitraum nicht anwendbar gewesen. In diesem Fall handelte es sich zwar bei § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V um eine Norm, die konstitutive Wirkung entfaltet, welche auf einer rückwirkenden Geltungsanordnung beruht. Damit käme ihr echte (retroaktive) Rückwirkung zu. Gesetzliche Regelungen, die eine zeitliche Geltungsanordnung für die Vergangenheit enthalten und die Rechtsstellung der Normadressaten verschlechtern, sind angesichts der damit drohenden Beeinträchtigung des Grundsatzes der Rechtssicherheit, der zu den tragenden, von Art. 2 LV mit erfaßten rechtsstaatlichen Grundsätzen zählt, nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig (BVerfGE 30,392,401; 39,128,143 f.; 72,200,253; 87,48,61). Die Verfassungsgrundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind als Prüfungsmaßstäbe auch dann heranzuziehen, wenn der Gesetzgeber die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung gesetzlich regelt; sie dienen zugleich der verfassungsrechtlichen Absicherung kommunaler Selbstverwaltung (BVerfGE 71, 25, 38; BVerfG, DVB11997, 420,423; NJW 1998,1547,1548; Hoppe, a.a.O., S. 291). LVerfGE 10

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Indessen stehen die Grundsät2e der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes der hier in Frage stehenden Regelung nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer umfänglichen Rechtsprechung (vgl. nur BVerfGE 7, 129,151 f.; 13,261,271 f.; 30,272,285; 72,200,253 ff.; 72,302,328 ff.; 87,48,61; 94, 241, 258 f.) falltypische Grundsätze entwickelt, nach denen auch eine echte Rückwirkung ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann. Diese Grundsätze sind nicht erschöpfend, sondern „Ausprägungen des Grundgedankens, daß allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht — oder nicht mehr — vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen" der von der rückwirkenden Geltungsanordnung Betroffenen „eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers rechtfertigen oder gar erfordern können" (BVerfGE 72, 200, 258; ähnlich BVerfG, NJW 1998, 1547,1548). Nach dieser Rechtsprechung, der sich das Landesverfassungsgericht für den vorliegenden Fall anschließt, ist die in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V getroffene Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Weder kann von einer Enttäuschung des Vertrauens der betroffenen Gemeinden in den Weiterbestand der früheren Rechtslage gesprochen werden (a), noch wäre ein solches hier angesichts der vorgefundenen lückenhaften Rechtslage, die es nachträglich zu schließen galt, schutzbedürftig (b). a) Tatsächlich fehlte es bereits an der erforderlichen Grundlage für die Bildung eines Vertrauens in die Nichtgeltung des Zweckverbandsgesetzes, die einer entsprechenden nachträglichen gesetzgeberischen Fesdegung im Wege stehen könnte. Die in Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung vom 22.1.1998 erfolgte Fesdegung, daß für Zweckverbände, die in der Zeit vom 3.10.1990 bis zum Ablauf des 11.6.1994 gebildet worden sind, bis zum 11.6.1994 die Vorschriften des Zweckverbandsgesetzes vom 7.6.1939 gegolten haben, bewegt sich in dem Rahmen, von dem die Beschwerdeführerin bei ihren Entscheidungen (Errichtung des Zweckverbandes und Herstellung von dessen Funktionsfähigkeit) ausgehen konnte. Dieser Rahmen beruhte auf § 61 DDR-KV vom 17.5.1990. Die Kommunalverfassung wurde von der Volkskammer der DDR im Vorgriff auf den Einigungsvertrag beschlossen. Sie galt gem. Art. 9 Abs. 2 EV in Verbindung mit Anlage II Kapitel II, Sachgebiet B Abschnitt I als Landesrecht fort. Wie aus § 1 DDR-KV folgt, wollte das Gesetz - bei aller Eigenständigkeit der Lösung, insbesondere zur internen Aufgabenverteilung zwischen den kommunalen Organen — eine an den bestehenden Kommunalverfassungen der Bundesrepublik orientierte rechtliche Grundlage für die kommunale Selbstverwaltung in der DDR schaffen (siehe ThürVerfGH, LVerfGE 5, 398, 418 f.; Bret^inger/ BüchnerUhder, Kommunalverfassung, Handbuch für die kommunale Praxis in den neuen LVerfGE 10

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Bundesländern, 1991, Einl. Rdn. 2; vgl. auch Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (Verfassungsgrundsätze) vom 17.6.1990, GBl. DDR IS. 299). Dazu gehörte auch damaligem allgemeinem Verständnis entsprechend, daß Zweckverbände als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts errichtet werden konnten, mögen diese auch historisch durchaus in anderen Formen vorgekommen sein (hierzu: Rengeling, a.a.O., § 38 S. 389, 406; Kollhosser, Fehlerhafte Zweckverbände und allgemeine Grundsätze des Verbandsrechts, NJW 1997, 3265,3267 m.w.N.). Tatsächlich gingen denn auch die Stellungnahmen in der Kommentarliteratur zu § 61 DDR-KV ohne weitere Problematisierung von der Rechtsfähigkeit der Zweckverbände aus (siehe Bretyinger/Büchner- Ubder, a.a.O., § 61 Rdn. 2; SchmidtEichstaedt/Pet^old/Melker/Penig/Plat%/Richter, Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR — Kommunalverfassung — 1990, §61 Anm. 1; s.a. Amd. Begr. zu § 150 des Entwurfs der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 6.10.1993 - LT-Drs. 1/3645 S. 143; Dierkes, Materielle Privatisierung der Abwasserentsorgung nach sächsischem Wasserrecht, SächsVBl 1996, 269, 271 Fn. 22 sowie Klügel, LKV 1998, 169 m.w.N. — auch zu der dem Auftrag des Art. 15 Abs. 2 EV folgenden, in die gleiche Richtung zielenden damaligen Verwaltungshilfe —). Allerdings enthielt § 61 DDR-KV objektiv eine (planwidrige) Lücke, weil es der notwendigen ergänzenden rechtlichen Regelung über die Errichtung und die Aufgabenwahrnehmung im einzelnen mangelte. Das schloß indes nicht aus, daß § 61 DDR-KV einer ergänzenden Anwendung von Rechtsnormen zugänglich war, die auf das gleiche gesetzgeberische Ziel gerichtet waren. Daß älteres DDRRecht dem nicht entgegenstand, ergibt sich auch aus § 102 DDR-KV, der ausdrücklich die Aufhebung des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 4.7.1985 (GBl. I. S. 213) bestimmte. Hierauf bauten offenbar auch die Beteiligten bei den Zweckverbandsgründungen, die in dem in § 170 a Abs. 1 KV M-V angeführten Zeitraum erfolgten. Die Auffassung, es fehle an einer wirksamen rechtlichen Grundlage für die Errichtung von Zweckverbänden als Körperschaften des öffentlichen Rechts, fand erst relativ spät Eingang in die Staatspraxis. Noch Mitte 1994 ging der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern selbst davon aus, das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 beanspruche für den fraglichen Zeitraum Geltung, und hob es deshalb durch § 177 Abs. 3 Nr. 3 KV M-V auf. Die Gerichte nahmen, soweit sie mit der Frage der Fortgeltung des Zweckverbandsgesetzes vom 7.6.1939 befaßt waren, bis zu dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom 14.5.1997 (LKV 1997, 417 f.) sowie dem kurz darauf ergangenen Urteil des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 3.7.1997 (LKV 1997, 411 f.) ebenfalls an, daß dieses Gesetz auch für den von § 170 a Abs. 1 KV LVerfGE 10

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M-V erfaßten Zeitraum Geltung beanspruchte (vgl. OVG Bautzen, LKV 1997, 223 sowie LKV 1997, 420; OLG Brandenburg, LKV 1997, 427; VG Schwerin, Urt. v. 19.2.1997 - 4 A 1092/95). Erst mit den erwähnten, zum sachsen-anhaltinischen Recht ergangenen Entscheidungen brach sich die Auffassung Bahn, § 61 DDR-KV bilde keine ausreichende Grundlage für die Zweckverbandsbildung, weil das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 in den neuen Bundesländern nicht die notwendige gesetzliche Ergänzung bereitstelle (vgl. etwa Wellmann, Was ist ein Zweckverband, der keiner ist?, LKV 1997, 402 ff.; Kollhosser, NJW 1997, 3266). Das Zweite Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung stellt erkennbar eine Reaktion auf diesen Vorgang dar. Es verfolgt das Ziel, den damals ins Werk gesetzten Gründungen — den Vorstellungen der Beteiligten entsprechend — zur Wirksamkeit zu verhelfen (vgl. auch BVerfGE 72,302, 326 — Beurkundungsgesetz). Es respektiert damit gerade die von den Beteiligten getroffene Entscheidung für die Wahrnehmung der Aufgaben der Versorgung ihrer Einwohner mit Wasser und der Entsorgung von Abwässern in der Form des Zweckverbandes und sucht das in die Beständigkeit der seinerzeit gewählten Lösung gesetzte Vertrauen zu schützen. Daß die Beschwerdeführerin aus heutiger Sicht den Verbleib in dem Zweckverband möglicherweise als nachteilig ansieht, ändert an dieser Einschätzung nichts. b) Ginge man dennoch davon aus, trotz der damaligen diffusen Rechtslage hätte sich ein entgegenstehendes Vertrauen bilden können, stände dieses der in § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V getroffenen Regelung nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon früh eine Ausnahme von der Schutzbedürftigkeit des Vertrauens u. a. für den Fall anerkannt, daß die Rechtslage „unklar und verworren" war und der Gesetzgeber diese nachträglich klärte (BVerfGE 7, 129, 151; 11, 64, 73; 13, 261, 272; 30, 367, 388; 45, 142, 173f.; 72, 302, 326; 88, 384, 404). Eine rückwirkende Festlegung des maßgeblichen Rechts durch den Gesetzgeber soll insbesondere dann möglich sein, wenn ein gesetzgeberisches Versehen zu erheblichen Unklarheiten oder objektiven Lücken geführt hat (BVerfGE 7,129,151 f.; 11, 64, 73; 13, 215,224; 72, 261, 273). Diese Rechtsprechung ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Umbruchsituation der Nachkriegszeit entwickelt worden. Sie ist darauf angelegt, die sich gerade in solchen Zeiten einstellenden Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten in der Rechtslage rechtsstaatlich zu bewältigen (hierzu auch Maurer; in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 1988, § 60 Rdn. 28). Genau darum geht es hier: Nimmt man — mit dem Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt (a.a.O.) — die Annahme zum Ausgangspunkt, das Zweckverbandsgesetz vom 7.6.1939 habe keine ausreichende Grundlage für die Gründung von Zweckverbänden bereitgestellt, so enthielt die damalige gesetzliche LVerfGE 10

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Regelung eine planwidrige Lücke, weil es der notwendigen ergänzenden rechtlichen Regelung über die Errichtung und die Aufgabenwahrnehmung im einzelnen mangelte. Danach stellte § 61 DDR-KV eine — zunächst nicht als solche erkannte — „lex imperfecta" innerhalb eines in kürzester Zeit als „Ubergangsrecht" konzipierten Regelungskomplexes dar (zu weiteren Lücken und Ungenauigkeiten: Bret^inger/Büchner-Uhder, a.a.O., Einl. Rdn. 2). Führen die mit dem Beitritt unter grundlegender Änderung der gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse erwachsenen neuen rechtlichen Anforderungen zu einer planwidrigen Gesetzeslücke und müßte der dadurch zu verzeichnende Verlust der Steuerungsfähigkeit des Gesetzes andernfalls durch Rechtsfortbildung aufgefangen werden (BVerfGE 82, 6, 12f.), so ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, durch ein normatives Nachfassen, das unter Umständen auch eine an dem ursprünglichen gesetzgeberischen Programm orientierte rückwirkende Festlegung rechtlicher Maßstäbe umfaßt, die aufgetretene Regelungslücke zu schließen. Die nachträgliche Festlegung der Maßstäblichkeit für die Gründung rechtsfähiger Zweckverbände und die mögliche Heilung fehlerhafter Verbandsgründungen setzen die an einer Verbandsgründung Beteiligten auch nicht nachträglich „ins Unrecht". Sie orientieren sich vielmehr an dem ursprünglichen, in § 61 .DDR-KV zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Programm und bemühen sich um die Effektuierung des darin verfolgten gesetzgeberischen Ziels. Insofern ist zu berücksichtigen, daß Zweckverbänden bereits in ihrer Gründungsphase — im Hinblick auf die erforderlichen Gründungsakte — Teilrechtsfähigkeit zukommt (hierzu: BGH, NJW-RR 1996, 853; Haug, Die kommunalen Zweckverbände nach altem und neuem Recht, DOV 1965, 119, 120 Anm. 21; Stuible-Treder, Vorverband oder -körperschaft im öffentlichen Recht, DÖV 1987, 58, 61; s.a. Urt. des BFH v. 9.3.1978, BStBl. II 1978, S. 486 sowie Kollhosser, NJW 1997,3271 m.w.N.). Diese entspricht generell der relativen Rechtsfähigkeit von juristischen Personen der öffentlichen Rechts, deren Umfang sich, jedenfalls soweit sie nicht Gebietskörperschaften sind, nicht von dem jeweils übertragenen Aufgabenkreis trennen läßt (insoweit statt vieler: Fabriaus, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 105 ff.; Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, 1977, S. 81; Bachof, Teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts, AöR 83 (1983), 208, 263). Betraf das gesetzgeberische Tätigwerden einen normierungsbedürftigen Sachverhalt, der noch nicht (formell-gesetzlich) geregelt war (vgl. insoweit auch BVerfGE 13, 279,283), so ist die Entscheidung des Gesetzgebers, sich selbst der Aufgabe der Lückenschließung anzunehmen, umso weniger zu beanstanden, als die ansonsten gebotene Lückenfüllung durch Analogie zu bestehenden öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Verbandsformen (hierzu: Pencerici/Bluhm, Die rechtliche und wirtschaftliche Situation unwirksam gegründeter ZweckLVerfGE 10

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verbände, LKV 1997,142,177) keineswegs eine sachlich wie rechtsstaatlich überzeugendere Lösung bedeuten würde. Im Gegenteil entspricht die vom Gesetzgeber gewählte Regelungstechnik in größerem Maße der durch die Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung wie auch der Wahrung von Rechtssicherheit verfassungsrechtlich vorgeformten Lage als eine Untätigkeit des Gesetzgebers (vgl. auch — in anderen Zusammenhängen — BVerfGE 80, 1, 34; 91, 148, 175). Nicht zu entscheiden ist hier, ob insoweit sogar eine Pflicht des Gesetzgebers bestand, eine Regelung zu treffen, die eine entsprechende Maßstäblichkeit bestimmte und diese nicht der Rechtsfortbildung überließ (hierzu bereits: BVerfGE 7, 89,94; 7,129,152; 19,187,197; 25,269,290; s. a. Maurer, a.a.O., § 60 Rdn. 38). Jedenfalls ist der Gesetzgeber zeitgerecht tätig geworden und hat die Neuregelung an einer Staatspraxis orientiert, die der früher hierzu überwiegend in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassung entsprach. Darin liegt ein sachgerechter Anknüpfungspunkt. 3. Nichts anderes gilt für ein möglicherweise enttäuschtes Vertrauen in einen erleichterten Austritt aus dem Zweckverband nach dem Ergehen des Urteils des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt am 3.7.1997. Die sich zwischenzeitlich — nach Bekanntwerden dieses Urteils — darstellende Rechtslage war, wovon alle Beteiligten ausgehen mußten, labil und damit keine geeignete Grundlage für schutzwürdige Dispositionen. Im übrigen sei angemerkt: Der Beschluß der Gemeindevertretung zur Gründung eines Eigenbetriebes war vor dem Bekanntwerden des Urteils gefaßt worden. Auch enthält § 170 a Abs. 1 Satz 1 KV M-V keine Rechtsfolgeanordnung, aus der sich eine Erschwernis des Austritts aus dem Zweckverband ergeben könnte. Soweit § 19 Abs. 2 der Verbandssatzung vom 20.2.1995 eine zusätzliche Austrittsmöglichkeit eröffnete, wurde diese durch die Neuregelung nicht in Frage gestellt. Die allgemeine gesetzliche Austrittsmöglichkeit nach dem Vierten Teil der Kommunalverfassung bleibt nach der ausdrücklichen Anordnung des § 170 a Abs. 13 Satz 4 KV M-V (i.d.F. des 3. Änderungsgesetzes vom 10.7.1998 GVOB1. M-V S. 634) unberührt; für die Annahme einer etwaigen Schlechterstellung durch geänderte Bedingungen der Mitgliedschaft, die gegebenenfalls einen zusätzlichen Austrittsgrund rechtfertigen würden (vgl. insoweit auch § 170a Abs. 13 Satz 1, 2. Altern. KV M-V), besteht im vorliegenden Fall kein Anlaß. Die zwischen der Beschwerdeführerin und den Aufsichtsbehörden streitige Frage der Erfüllung der Austrittsbedingungen bewegt sich auf der Ebene des einfachen Rechts; über sie hat das Landesverfassungsgericht nicht zu befinden. Ebensowenig hat das Gericht über den — nicht zum Beschwerdegegenstand erhobenen — § 170 a Abs. 1 Satz 2 KV M-V sowie die folgenden Absätze zu entscheiden. Vorsorglich wird allerdings darauf hingewiesen, daß die Gemeindevertretung der Beschwerdeführerin selbst den Beitrittsbeschluß zum WAZ LVerfGE 10

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gefaßt hat; insoweit bestehen grundlegende Bedenken gegen ein Festhalten der Beschwerdeführerin an diesem Beschluß trotz eines Form- oder Verfahrensfehlers bei den Gründungsakten nicht. III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 32 Abs. 1 und 2 sowie 33 Abs. 2 LVerfGG.

Nr. 2* 1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz verlangt, daß der Beschwerdeführer selbst, unmittelbar und gegenwärtig in seinen Grundrechten oder staatsbürgerlichen Rechten betroffen ist. 2. Eine unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit ist gegeben, wenn eine Vorschrift, ohne daß es eines Vollziehungsaktes bedarf, in einer Weise auf den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirkt, daß konkrete Rechtspositionen unmittelbar kraft Gesetzes erlöschen oder genau bestimmte Verpflichtungen begründet werden (Urt. des LVerfG M-V v. 9.7.1998 - LVerfG 1/97 - , S. 13). 3. Dieser Grundsatz schließt nicht aus, daß eine bestimmte Rechtsnorm, obwohl sie eines Vollziehungsaktes bedarf, unabhängig davon unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsposition des Betroffenen schon (nachteilig) verändert. Ein solches Verständnis entspricht der Eigenart des Begriffes der Unmittelbarkeit, der eine rechtliche Wertung verlangt. 4. Legt ein Gesetz - wie § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V - jedermann die Pflicht auf, unvorhersehbare ordnungsrechtliche Eingriffe zu dulden, ohne daß es seinerseits einen Anhaltspunkt für eine durch eine Tatbestandserfüllung vorgezeichnete Individualisierung enthält, so verliert das Erfordernis des Vollzugsaktes für die Frage nach der unmittelbaren Betroffenheit eines Beschwerdeführers seine Bedeutung. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Landesverfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erhältlich (Adresse s. Anhang). S . a . V w R R - M O 1 9 9 9 , 2 6 5 ;

SächsVBl. 1999, 248; NVwZ-RR 1999, 617.

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Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern Art. 5, 6, 53 Nr. 6, Nr. 7 Landesverfassungsgerichtsgesetz: §§ 11 Abs. 1 Nr. 8,13,21 Abs. 3, 51 Abs. 1, 57 Abs. 2, 53 Sicherheits- und Ordnungsgesetz § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 90 Verwaltungsgerichtsordnung § 109 Zwischenurteil vom 6. Mai 1999 - LVerfG 2/98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern. Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

Nr. 3* 1. Die Länder haben nach Art. 70 GG die Gesetzgebungskompetenz für eine Regelung, die der Polizei die Befugnis einräumt, zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität die Identität von Personen festzustellen. 2. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Recht eines jeden zu eigenem selbstbestimmten Verhalten schließt die beliebige Vereinnahmung zu staatlicher Zweckverfolgung aus. 3. Für die polizeiliche Befugnis, jedermann ohne weiteres auf Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebiets einer Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts oder zur Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität zu unterziehen, und für die korrespondierende Pflicht des Einzelnen, seine Identität zu offenbaren, fehlt der verfassungsrechtlich notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Einzelnen und einer Gefahrdung eines zu schützenden Rechtsguts. * Die Entscheidung ist im Volltext beim Landesverfassungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erhältlich (Adresse s. Anhang).

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4. Es ist verfassungswidrig, der Polizei eine Befugnis für die Identitätsfeststellung auf Durchgangsstraßen zur vorbeugenden Bekämpfung jeder grenzüberschreitenden Kriminalität zu geben. Hingegen darf eine solche Befugnis zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität eingeräumt werden. Dabei muß der Gesetzgeber einen spezifisch auf die organisierte Kriminalität zugeschnittenen Straftatenkatalog aufstellen. 5. Der Gesetzgeber ist gehalten, in der Norm, die zur Identitätsfeststellung ermächtigt, Eingriffsschwellen festzulegen, etwa indem er auf Lageerkenntnisse und polizeiliche Erfahrung abstellt. Für die Feststellung der allgemeinen Gefährdungslage sind Vorkehrungen des Verfahrens und der Organisation geboten. 6. Eingriffsschwellen müssen auch für die Einzeleingriffe (Folgeeingriffe) zur Feststellung der Identität festgelegt sein. 7. Grenzgebiete bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern, öffentliche Einrichtungen des internationalen Verkehrs und das Küstenmeer sind durch die Nähe zu Grenzübertritten definiert. Es ist nicht zu beanstanden, daß ohne gesetzlich festgelegte Eingriffsschwellen die Polizei befugt ist, dort zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts oder zur vorbeugenden Bekämpfung jeglicher Art von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität jemanden anzuhalten und von ihm zu verlangen, Angaben zu seiner Person zu machen sowie mitgeführte Ausweispapiere auszuhändigen. Für darüber hinausgehende Maßnahmen fehlt gegenwärtig eine hinreichende gesetzliche Grundlage. 8. Für die Verarbeitung und Nutzung der bei einer Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts oder zur vorbeugenden Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität gewonnenen personenbezogenen Daten müssen bereichsspezifische gesetzliche Regelungen geschaffen werden. 9. Ist ein Gesetz verfassungswidrig, so hat in Mecklenburg-Vorpommern das Landesverfassungsgericht dessen Nichtigkeit festzustellen. Die bloße Feststellung der Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung kann nur in Betracht kommen, wenn dies aus überragenden Gründen des Gemeinwohls unerläßlich ist. Das ist vorliegend nicht der Fall. Grundgesetz: Art. 1 Abs. 1,2,10,19 Abs. 4,20 Abs. 3,28 Abs. 1 S. 1, 70, 73 Nr. 5, 74 Abs. 1 Nr. 1,104 LVerfGE 10

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Bundesverfassungsgerichtsgesetz § 95 Abs. 3 Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern Art. 4, 5 Abs. 3,6 Abs. 1, 53 Nr. 7 Landesverfassungsgerichtsgesetz §§11 Abs. 1 Nr. 8, 51 Abs. 1, 56, 63 Abs. 3 Sicherheits- und Ordnungsgesetz: §§ 7 Abs. 1 Nr. 4,14,15, 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 - 5 , 2 9 Abs. 2-4, 31, 36ff., 49, 68 ff. Bundesgrenzschutzgesetz § 22 Abs. la Schengener Durchführungsübereinkommen Strafprozeßordnung §§152 Abs. 2,163b Straßenverkehrsordnung § 36 Abs. 5 Urteil vom 21. Oktober 1999 - LVerfG 2/98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern Entscheidungsformel: I. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz — SOG M-V) in der Neufassung vom 25. März 1998 (GVOB1. M-V S. 335), eingefügt durch Art. 1 Nr. 16 Buchst, c des Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 9. Februar 1998 (GVOB1. M-V S. 126), ist mit Art. 6 Abs. 1 sowie mit Art. 5 Abs. 3 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar und nichtig, als 1. die Identität einer Person auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr) außerhalb des Grenzgebiets bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern festgestellt werden darf, 2. im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern, in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs und im Küstenmeer Maßnahmen getroffen werden dürfen, die darüber hinausgehen, daß die betroffene Person angehalten wird (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V) und von ihr verlangt wird, Angaben zur Feststellung ihrer Identität zu machen und mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen (§ 29 Abs. 2 Satz 2 SOG M-V). LVerfGE 10

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II. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. III. Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten. Entscheidungsgründe: A. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden die Beschwerdeführer sich dagegen, daß in Mecklenburg-Vorpommern der Polizei durch Gesetz die Befugnis gegeben worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen ereignis- und verdachtsunabhängig die Identität von Personen festzustellen. I. 1. Durch Art. 1 Nr. 16 Buchst, c des Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 9.2.1998 (GVOB1. M-V, S. 126) ist dem § 29 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz — SOG M-V), nunmehr geltend in der Neufassung vom 25.3.1998 (GVOB1. M-V S. 335), eine neue Nr. 5 angefügt worden. Diese Vorschrift ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Seit der Gesetzesänderung lautet § 29 Abs. 1 SOG M-V wie folgt: Die Identität einer Person darf zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr festgestellt werden. Darüber hinaus dürfen Polizeivollzugsbeamte die Identität einer Person feststellen, 1. wenn sie sich an einem Ort aufhält, a) für den tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, daß aa) dort Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, bb) sich dort gesuchte Straftäter verbergen, cc) sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften verstoßen, dd) dort Personen dem unerlaubten Glücksspiel nachgehen oder b) an dem Personen der Prostitution nachgehen,

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2. wenn sie sich in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage oder -einrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder in deren unmittelbarer Nähe aufhält und tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß in oder an diesem Objekt Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen oder diese Objekte gefährdet sind, 3. wenn sie sich in einem gefährdeten Objekt oder in dessen unmittelbarer Nähe aufhält und die zuständige Polizeibehörde für dieses Objekt besondere Schutzmaßnahmen angeordnet hat, 4. an einer Kontrollstelle, die von der Polizei eingerichtet worden ist, um folgende Straftaten zu verhüten, für deren Begehung tatsächliche Anhaltspunkte bestehen: a) die in § 129 a des Strafgesetzbuches genannten Straftaten, b) eine Straftat nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Strafgesetzbuches c) eine Straftat nach § 255 des Strafgesetzbuches in der Begehungsform nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Strafgesetzbuches oder d) eine Straftat nach § 27 des Versammlungsgesetzes oder 5. %ur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und vorbeugenden Bekämpfung von Strafiaten dergrenzüberschreitenden Kriminalität im Grenzgebiet bis einer Tiefe von 30 Kilometern sowie auf Durchgangsstraßen (.Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehrj, in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs und im Küstenmeer. In § 29 Abs. 2 bis 4 sowie in § 31 SOG M-V, die durch das Änderungsgesetz nicht geändert worden sind, ist geregelt, welche Einzelmaßnahmen für eine Identitätsfeststellung ergriffen werden können. Danach ist es unter bestimmten Voraussetzungen u. a. erlaubt, eine Person festzuhalten oder zur Dienststelle zu verbringen (§ 29 Abs. 3 Satz 2 SOG M-V), die Person und von ihr mitgeführte Sachen zum Zwecke der Identitätsfeststellung zu durchsuchen (Satz 3 a.a.O.) sowie erkennungsdienstliche Maßnahmen anzuordnen und durchzuführen (§31 SOG M-V). Wie weit personenbezogene Daten einer Person, deren Identität festgestellt worden ist, genutzt werden dürfen, richtet sich nach § 31 Abs. 3 und nach den §§ 36 ff. SOG M-V, die durch das Änderungsgesetz teilweise geändert worden sind. 2. Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes wurde am 7.4.1997 durch die Landesregierung eingebracht LVerfGE 10

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(LT-Drs. 2/2468 vom 8.4.1997). In der ersten Lesung vom 23.4.1997 (PlenProt. 2/59, S. 3 569 ff.) überwies der Landtag den Gesetzentwurf an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß. Die Ausschüsse veranstalteten in einer gemeinsamen Sitzung am 29.10.1997 eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf. Dort wurden vornehmlich, einschließlich datenschutzrechtlicher Probleme, Fragen zu den ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen sowie zu dem im Änderungsgesetz ebenfalls erstmalig geregelten sogenannten „großen Lauschangriff' erörtert. Der Innenausschuß legte seine Beschlußempfehlung und seinen Bericht am 21.1.1998 (LT-Drs. 2/3478) vor. Anders als zum großen Lauschangriff empfahl er zur ereignis- und verdachtsunabhängigen Identitätsfeststellung die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfs. Der Landtag führte die zweite Lesung und Schlußabstimmung am 28.1.1998 durch (PlenProt. 2/76, S. 4757ff.). Das Gesetz wurde in der Fassung der Empfehlungen des Innenausschusses in namentlicher Abstimmung verabschiedet. II. Die Beschwerdeführer, fünf Bürger des Landes Mecklenburg-Vorpommern, haben am 18.6.1998 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie sehen sich durch § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 S O G M-V in ihren Grundrechten aus Art. 5 und 6 der Landesverfassung — im folgenden: LV — verletzt. ... III.-VII. (...) B. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Das hat das Landesverfassungsgericht durch Zwischenurteil vom 6.5.1999 (VwRR MO 1999, 265 = SächsVBl. 1999,248 = NVwZ-RR 1999, 617) entschieden. C. Die Verfassungsbeschwerde ist im wesentlichen begründet. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 S O G M-V verstößt in dem Umfang, der im Tenor bezeichnet ist, gegen die Landesverfassung. Es begegnet durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die Vollzugspolizei zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden LVerfGE 10

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Kriminalität auf Durchgangsstraßen Identitätsfeststellungen durchführen darf, ohne daß der Gesetzgeber selbst nähere Bestimmungen zur Eingriffsschwelle getroffen hat. Solcher näheren Bestimmungen bedarf es dagegen nicht für das in der Norm bezeichnete Grenzgebiet, für öffentliche Einrichtungen des internationalen Verkehrs und für das Küstenmeer. Hinsichtlich aller Ortlichkeiten hätten im Gesetz überdies Voraussetzungen bestimmt werden müssen, unter denen Einzelmaßnahmen zur Identitätsfeststellung ergriffen werden dürfen, die über die in § 29 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 SOG M-V getroffenen Regelungen hinausgehen. Ferner ist es von Verfassungs wegen für den gesamten Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V geboten, diesem besonderen Bereich polizeilicher Tätigkeit gerecht werdende spezifische Vorschriften über die Verarbeitung und Nutzung erhobener Daten zu schaffen. I. 1. Prüfungsgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V in seinem vollen Umfang. Das entspricht dem in der mündlichen Verhandlung von den Beschwerdeführern gestellten Antrag. Wenn die Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift den Antrag dahin formuliert hatten, „die Bestimmung für nichtig zu erklären, soweit sich die Kontrollbefugnis auf jedermann ohne Anhaltspunkte für eine Gefahr oder einen Verdacht erstreckt", so bedeutete dies keine Einschränkung, sondern eine Herausstellung des Aspektes, unter dem die Beschwerdeführer vorrangig die Verfassungswidrigkeit annehmen. Ebenso hat das Landesverfassungsgericht in seinem Zwischenurteil vom 6.5.1999 für die Zulässigkeit nicht zwischen den einzelnen Regelungsgehalten der Vorschrift differenziert. Die Zwecke der Identitätsfeststellung — zum einen Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts, zum anderen vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität — sind in der polizeilichen Praxis vielfach nicht voneinander abgrenzbar, sondern sie überschneiden sich und können kumulativ verfolgt werden. Mit Identitätsfeststellungen muß der Einzelne, ohne daß nach den Voraussetzungen differenziert wäre, an allen in der Vorschrift bezeichneten Ortlichkeiten rechnen. 2. Die gegen § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V gerichtete Verfassungsbeschwerde betrifft nicht nur die Norm selbst in ihrem vollen Regelungsgehalt, sondern auch andere Normen, deren Anwendung zur Ausübung der neuen Eingriffsbefugnis geboten ist. Jene Normen sind notwendiger Bestandteil der getroffenen gesetzlichen Regelung. Dies gilt zunächst für § 29 Abs. 2 bis 4 sowie für § 31 SOG M-V. Aus diesen Bestimmungen erschließt sich erst, welche Maßnahmen zur Feststellung der Identität im Anwendungsbereich der neuen Eingriffsbefugnis im Einzelnen getroffen werden dürfen. Dadurch, daß jene LVerfGE 10

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Vorschriften in ein anderes gesetzliches Umfeld eingebettet worden sind, können von ihrer Anwendung neue belastende Wirkungen ausgehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.7.1999 - 1 BvR 2226/94 u. a. 60f. = EuGRZ 1999, 389, 401). Die in den Fällen von § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ferner anwendbaren Vorschriften der §§ 36 ff. SOG M-V über die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten gehören ebenfalls in den Regelungsbereich der neuen Norm hinein. Denn die Feststellung der Identität ist kein Zweck für sich, sondern durch sie sollen Daten für die Arbeit der Polizei und gegebenenfalls auch anderer Stellen erlangt werden. Hier ist gleichermaßen der Weg zur Überprüfung durch das Landesverfassungsgericht insoweit eröffnet, als es um die Relevanz der Vorschriften in dem erweiterten Anwendungsfeld der Identitätsfeststellung geht. II. Mit ihren Einwendungen, die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V liege nicht in der Kompetenz des Landesgesetzgebers und sie sei ferner mit dem Schengener Durchfuhrungsübereinkommen nicht vereinbar, dringen die Beschwerdeführer nicht durch. 1. Den Prüfungsmaßstab für das Landesverfassungsgericht bilden im Verfahren der Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz nach Art. 53 Nr. 7 LV und § 11 Abs. 1 Nr. 8 LVerfGG die Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte der Landesverfassung. Damit scheiden Normen aus anderen Rechtskreisen, insbesondere denen des Bundes und der Europäischen Union, als unmittelbarer Prüfungsmaßstab aus. In diesem Rahmen hat das Landesverfassungsgericht allerdings auch der Frage nachzugehen, ob die den Gegenstand der Verfassungsbeschwerde bildende gesetzliche Vorschrift durch die Gesetzgebungskompetenz des Landes gedeckt ist (vgl. BayVerfGHE 29,191, 201 f.; Pestalo^a, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 13 Rdn. 24, S. 212). Denn die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes treffen die maßgeblichen Regelungen über die grundlegende Abgrenzung der Verfassungsräume von Bund und Ländern mit Verbindlichkeit für den Gesamtstaat. Wenn eine Norm nur in einem anderen Verfassungsraum, nicht aber in demjenigen des Landes erlassen werden dürfte, steht sie von vornherein außerhalb jeglicher Zuständigkeit des Landesgesetzgebers. Nicht zu entscheiden braucht das Landesverfassungsgericht, ob es die Nichtigkeit einer landesrechtlichen Norm auch bei einem Verstoß gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung selbst feststellen könnte (so VerfG NW, DOV 1992, 968, 969 f.; Burmeister, in: Starck/Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit Band II, 1983, S. 399, 462 ff.; Friesenhahn, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz — Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, 1976, S. 748, 758) oder ob es insoweit einer Vorlage an das LVerfGE 10

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Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG bedürfte (hierzu - allgemein BVerfGE 69, 112, 118; s.a. HmbVerfG, DÖV 1999, 296, 297; ThürVerfGH, NVwZ-RR 1999, 282, 284; Rühmann, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), BVerfGG, 1992, § 85 Rdn. 73). Denn die in § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V getroffene Regelung ist unter kompetenzrechtlichen Aspekten im Ergebnis nicht zu beanstanden. 2. Die genannte Regelung fällt weder unter die Materie des § 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (a) noch unter diejenige des Art. 73 Nr. 5 GG (b). a) Die Regelung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie dem gerichtlichen Verfahren im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, für das der Bund von seiner Zuständigkeit zur konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht hat, zuzurechnen wäre. Der Tatbestand des „gerichtlichen Verfahrens" wird in der Rechtsprechung (BVerfGE 30, 1, 29) und Literatur (.Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 74 Rdn. 21; Maun^, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 74 Rdn. 82) weit verstanden: Erfaßt werden die polizeilichen Aktivitäten, die ausgelöst werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß bestimmte strafbare Handlungen geplant oder begangen werden oder begangen worden sind. Die konkurrierende Gesetzgebung erfaßt die repressive Polizeitätigkeit, also diejenige, welche in Reaktion auf den Verdacht der Beteiligung einer Person an einer geschehenen oder unmittelbar bevorstehenden strafbaren Handlung vorgenommen wird. Im übrigen verbleibt es gemäß Art. 70 GG bei der grundsätzlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder, soweit polizeiliche Maßnahmen gesetzlich geregelt werden, die nicht den Zweck haben, ein konkretes strafgerichtliches Verfahren in Gang zu setzen oder sonstwie zu unterstützen. Bei diesen polizeilichen Aktivitäten handelt es sich um allgemeine Präventivmaßnahmen zur Verhinderung von Straftaten, denen der für eine Bundesgesetzgebungskompetenz erforderliche Bezug zu einem gerichtlichen Verfahren fehlt. Die in § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V der Polizei eingeräumte Befugnis zur Identitätsfeststellung beruht ihrerseits auf der Aufgabenzuweisung in § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG. Danach hat die Polizei die Aufgabe, Straftaten zu verhüten und für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten), wobei der Klammerzusatz durch Art. 1 Nr. 7 Buchstabe a des Ersten Gesetzes des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes eingefügt worden ist. Diese polizeiliche Aufgabenzuweisung liegt, weder in der Variante der Verhütung von Straftaten noch in der Variante der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (insoweit a.A. z.B. Siebrecht, JZ 1996, 711, 714: Strafverfolgungsvorschrift) außerhalb der Gesetzgebungszuständigkeit des Landes. Der Polizei werden Aufgaben im Vorfeld der repressiven Tätigkeit zugewiesen, die keinen LVerfGE 10

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Bezug zu einer konkreten Straftat haben. Die Vollzugspolizei soll entweder Straftaten von vornherein verhüten oder eine künftige mit der konkreten polizeilichen Aktion noch nicht verbundene Strafverfolgung erleichtern. Unerlaubter Aufenthalt von Ausländern ist jeweils eine andauernde Störung der öffentlichen Sicherheit. Für Regelungen zu dem Zweck, solchen Aufenthalt zu unterbinden, haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz. b) Die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V greift nicht in den Bereich des Grenzschutzes hinein, für den nach Art. 73 Nr. 5 GG der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit besitzt. Diese Materie umfaßt den Schutz des deutschen Hoheitsgebietes vor dem Eindringen von Personen und Sachen aus dem Ausland über die Grenze außerhalb einer militärischen Sicherung der Grenze. Diesem Zweck dient § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG ersichtlich nicht. Die Norm betrifft gegenständlich die Bekämpfung von Gefahren, die durch den Aufenthalt von bestimmten Personen im Landesgebiet hervorgerufen werden oder deswegen bevorstehen können. Diesem Zweck dient auch die Befugnis zur Identitätsfeststellung innerhalb des Grenzgebiets bis zu einer Tiefe von 30 km: Bekämpft werden soll nicht die Verletzung der Grenze durch illegalen Ubertritt, sondern die Gefahren, die von Personen ausgehen können, die unter Ausnutzung der Grenzsituation die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören (wollen) (vgl. dazu Waechter, DÖV 1999,138,140; a. A. Bi^er, Die Zweite Novelle zum Sächsischen Polizeigesetz, 1999, S. 34ff.). Die streitbefangene Regelung des mecklenburg-vorpommerschen Polizeirechts erfaßt daher erst Tatbestände vor und nach der Überschreitung der Grenze, unabhängig davon, ob die Grenze legal oder illegal überschritten worden ist. Der Gesetzgebungsbefugnis des Landes steht nicht entgegen, daß für gleiche Sachverhalte Befugnisse des Bundesgrenzschutzes und der Polizeien der Länder nebeneinander stehen. Regelungen, die den Bundesgrenzschutz zu Maßnahmen auch diesseits der Grenzen ermächtigen, verdrängen nicht die Landeskompetenz für das allgemeine Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Vielmehr bedarf es umgekehrt einer besonderen Legitimation, daß der Bundesgesetzgeber dem Bundesgrenzschutz Aufgaben und Befugnisse auch im Landesinneren gibt. Denn der Bundesgrenzschutz als Bundespolizei ist ein Ausnahmefall (BVerfGE 97,198, 217 = NVwZ 1998,495, 497). Die Gesetzgebungskompetenz des Landes für die in § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V getroffene Regelung ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb fraglich, weil sie damit gerechtfertigt wird, daß nach dem Wegfall von Kontrollen an den Binnengrenzen der Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit Ausgleichsmaßnahmen geboten seien. Wenn Grenzkontrollen fortgefallen sind, kann LVerfGE 10

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Gefahren, die im Zusammenhang mit Gren2Übertritten stehen, gerade nicht mehr (in erster Linie) vor Ort an den Grenzen begegnet werden. Maßnahmen, die durch den Wegfall von Schutz an den Grenzen veranlaßt sind, können nicht zu Grenzschutz mit der Folge erklärt werden, daß eine Zuständigkeit der Länder entfallen würde. 3. Für die Prüfung der Frage, ob § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V mit dem Ubereinkommen vom 19.6.1990 zur Durchführung des Ubereinkommens von Schengen vom 14.6.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der BeneluxWirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (BGBl. II 1993, S. 1013) übereinstimmt, hat das Landesverfassungsgericht keinen Anlaß. Das Schengener Durchführungsübereinkommen regelt die mit der Reise über Außen- und Binnengrenzen verbundenen Probleme. Es hat den Vertragsstaaten keine Zuständigkeiten aus dem Bereich des allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsrechts entzogen, wie insbesondere sein Art. 2 Abs. 3 zeigt. Nach dieser Bestimmung bleiben die Anwendung von Art. 22 und die Ausübung der Polizeibefugnisse durch die nach Maßgabe des nationalen Rechts zuständigen Behörden einer Vertragspartei in ihrem gesamten Hoheitsgebiet sowie die in ihrem Recht vorgesehenen Verpflichtungen über den Besitz, das Mitführen und das Vorzeigen von Urkunden und Bescheinigungen von der Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen unberührt. III. 1. Die Feststellung der Identität im Sinne von § 29 Abs. 1 SOG M-V ist die offene Erhebung der Personalien beim Betroffenen selbst; sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Polizei befugt ist, den Einzelnen zur Offenbarung eigener personenbezogener Daten zu zwingen (Rachor, in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, im folgenden: Handbuch, F Rdn. 195 f.). Die Datenerhebung geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern sie gewinnt ihre Bedeutung jeweils aus dem engen sachlichen Zusammenhang mit anderen polizeilichen Tätigkeiten (Rachor, a.a.O., Rdn. 191). Die Identitätsfeststellung ist - wie die Befragung nach § 28 SOG M-V — eine offene Maßnahme zur Erlangung von Informationen über einen Sachverhalt, dessen Kenntnis für die Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe relevant ist. 2. Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung ist danach vornehmlich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Grundrecht ist allein betroffen, soweit es um die Verwendung der gewonnenen Daten geht. Für alle Einzelmaßnahmen zur Identitätsfeststellung ist es die verbindende Klammer. Dabei kommen andere — jeweils durch Art. 5 Abs. 3 LV in das Verfassungsrecht LVerfGE 10

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des Landes Mecklenburg-Vorpommern inkorporierte — Grundrechte hinzu: Das Anhalten (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V), das Verlangen, Angaben zur Identität zu machen und Ausweispapiere auszuhändigen (Abs. 2 Satz 2 a.a.O.), die Durchsuchung der Person und ihrer Sachen (Abs. 3 Satz 3 a.a.O.) sowie die Anordnung und Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (§ 31 Abs. 1 und 2 SOG M-V) greifen je für sich in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Das Festhalten einer Person und ihr Verbringen zu einer Dienststelle (§ 29 Abs. 3 und 4 SOG M-V) sind als Freiheitsentziehung an Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie Art. 104 GG zu messen. 3. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist für Mecklenburg-Vorpommern in Art. 6 Abs. 1 LV normiert. Die Vorschrift lautet: Jeder hat das Recht auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Dieses Recht findet seine Grenzen in den Rechten Dritter und in den überwiegenden Interessen der Allgemeinheit. Nach Art. 6 Abs. 4 LV regelt das Nähere das Gesetz. Mit Art. 6 Abs. 1 LV ist für Mecklenburg-Vorpommern das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 (BVerfGE 65,1) aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entnommen hat, als eigenständiges Grundrecht herausgestellt worden. Satz 1 der Norm enthält in der gedrängten, dem spezifischen Sprachgebrauch einer Verfassung entsprechenden Form die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt (a.a.O., S. 43). Dem Satz 2 liegt die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, daß grundsätzlich der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit hinnehmen muß (a.a.O., S. 44). Das in Art. 6 Abs. 1 LV benannte Grundrecht hat seinen hohen Rang durch den inhaltlichen Bezug auf Art. 5 Abs. 2 LV, wonach das Land um des Menschen willen da ist und die Würde des Menschen zu achten und zu schützen hat. Den in Art. 6 bis 10 LV einzeln benannten Grundrechten ist Art. 5 Abs. 3 LV vorangestellt. Danach sind die Grundrechte und staatsbürgerlichen Rechte des Grundgesetzes Bestandteil dieser Verfassung und unmittelbar geltendes Recht. Damit ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in die Landesverfassung inkorporiert. Das Landesverfassungsgericht kann an dieser Stelle offen lassen, ob insoweit Grundrechtsschutz nur durch Art. 6 Abs. 1 oder auch über Art. 5 Abs. 3 LV vermittelt wird. Jedenfalls soll die gewählte Regelungstechnik in der Landesverfassung nicht zu LVerfGE 10

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einer Einschränkung des Grundrechtsschutzes führen, sondern die gesamte Fülle des Schutzes soll für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung optimal gewährleistet sein (vgl. Abschlußbericht der Verfassungskommission, LT-Drs. 1/3100 v. 7.5.1993). 4. Uber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist aus dem Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1, 41 ff.) festzuhalten: Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. Ihrem Schutz dient auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, nicht zuletzt im Hinblick auf neue Gefährdungen durch moderne Entwicklungen. Der Einzelne kann grundsätzlich selbst entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung, die eine Zusammenführung von Daten bis hin zu einem Persönlichkeitsbild ermöglichen, bedarf diese Befugnis besonderen Schutzes. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine sie ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Danach setzt freie Entfaltung der Persönlichkeit den vom Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfaßten Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Da das Grundgesetz die Spannung zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden hat, muß jedoch der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Diese Beschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser folgt aus dem Wesen der Grundrechte, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegen den Staat Beschränkungen nur soweit gestatten, als sie zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich sind. Wegen der Gefährdungen durch die automatische Datenverarbeitung hat der Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken. Die Sensibilität von Informationen kann nicht allein davon abhängen, ob sie intime Vorgänge betreffen, sondern es ist jeweils Klarheit über den Zweck sowie die Verwendungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten zu gewinnen. Zu welchen LVerfGE 10

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Regelungen hinsichtlich nicht anonymisierter Daten der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gezwungen ist, hängt von deren Art, Umfang und denkbaren Verwendungen sowie der Gefahr ihres Mißbrauchs ab. Ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten setzt voraus, daß der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Daher wäre die Sammlung auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken unzulässig. Die datensammelnden Stellen werden sich auf das zur Zielerreichung erforderliche Minimum beschränken müssen. Ein amtshilfefester Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote ist erforderlich. IV.

Es ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar, daß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V für jedermann schon deshalb, weil er sich auf einer mehr als 30 km von der Grenze entfernten Durchgangsstraße befindet, die — mit Zwang durchsetzbare — Pflicht statuiert, der Polizei zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität seine Identität zu offenbaren. 1. Bei den Örtlichkeiten, an denen nach dieser Vorschrift die Polizei die Identität feststellen darf, sind zwei Gruppen zu unterscheiden, nämlich einerseits das Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern, die öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs und das Küstenmeer, andererseits die Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr). Die Örtüchkeiten der ersten Gruppe — auch die gegebenenfalls im Hinterland gelegenen öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs, von denen aus oder zu denen hin eine Grenze überquert wird —, sind durch Grenznähe definiert. Bei den Durchgangsstraßen — soweit sie mehr als 30 Kilometer von der Grenze entfernt sind — ist das nicht der Fall. Vielmehr ist auf Durchgangsstraßen in allen Teilen des Landes Raum für die Feststellung der Identität von jedermann. Dieser sachliche Unterschied gebietet eine gesonderte verfassungsrechtliche Prüfung. a) Befugnisnormen des Polizeirechts sind gemeinhin dadurch gekennzeichnet, daß tatbestandliche Voraussetzungen beschrieben werden, die erfüllt sein müssen, damit eingegriffen werden darf. Durch die Aufstellung solcher Voraussetzungen pflegen Befugnisnormen sich von Aufgabenzuweisungen zu unterscheiden; dies ist grundsätzlich ein rechtsstaatliches Gebot, weil es die Funktion erst einer Befugnisnorm ist, Eingriffshandeln der Polizei zu ermöglichen, und deshalb unter diesem Aspekt die Belange der Allgemeinheit und des Einzelnen LVerfGE 10

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gerecht abgewogen werden müssen. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ist jedoch durch eine finale Struktur geprägt (vgl. Waechter, DÖV 1999, 138, 142). Mit der Vorschrift ist ein Ausschnitt aus der finalen Aufgabenzuweisung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-Y - „im Rahmen der Gefahrenabwehr auch Straftaten zu verhüten und für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten)" — in eine Befugnisnorm umgesetzt worden. Für die Wahrnehmung der Befugnis genügt das Ziel, Straftaten vorbeugend zu bekämpfen. Insoweit findet sich gegenüber der Aufgabenzuweisung eine Begrenzung insofern, als aufgrund der Befugnisnorm nur der unerlaubte Aufenthalt und vorbeugend Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität bekämpft werden dürfen. Das ändert aber nichts daran, daß das verfolgte Ziel für sich bereits die Legitimation für die Identitätsfeststellung gibt. Dabei ist das Ziel die Bekämpfung jeglicher — auch leichter — grenzüberschreitenden Kriminalität; die Aussage in der Allgemeinen Begründung (S. 15) des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 2/2468), die Eingriffsbefugnis ziele - nur - auf Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 49 SOG ab, stimmt mit der Fassung des Gesetzes nicht überein. Eine Gefahr oder Gefährdungslage für zu schützende Rechtsgüter braucht nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu bestehen. Die Anwendung der Norm ist zwar auf die in ihr genannten Ortlichkeiten beschränkt. Da aber weitere konditionale Begrenzungen fehlen, ist jedermann schon deshalb, weil er sich auf einer Durchgangsstraße bewegt, der Möglichkeit eines polizeilichen Zugriffs ausgesetzt. b) Mit sämtlichen angeführten Gesichtspunkten sind Regelungsdefizite benannt, aus denen sich ergibt, daß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V, soweit er sich auf Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebiets bezieht, nichtig ist. Die Vorschrift ist mit dem in den Grundrechten und im Rechtsstaatsprinzip (Art. 4 LV, Art. 5 Abs. 3 LV i.V.m. Art. 20 Abs. 3 und 28 Abs. 1 Satz 1 GG) verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Danach müssen gesetzliche Regelungen zur Erreichung eines legitimen Zweckes geeignet und erforderlich sein und dürfen die dem Gesetz Unterworfenen nicht übermäßig und unzumutbar belasten (vgl. BVerfGE 17,306,313 f.; 63, 88,115; 76,1, 51; 69, 1, 35; 90,145,173; 96,10,23). Auf allen drei Ebenen des Verfassungsbegriffs der Verhältnismäßigkeit sind die verfolgten Zwecke und die zu ihrer Erreichung angewendeten Mittel in eine Relation zueinander zu setzen. Für den angemessenen Ausgleich zwischen Allgemein- und Individualinteressen, die der Gesetzgeber bei Regelungen, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschränken, herbeizuführen hat, sind Kriterien auf grundrechtlicher Seite die Gestaltung der Einschreitschwellen, die Zahl der Betroffenen und die Intensität der Beeinträchtigungen. Auf Seiten der Gemeinwohlinteressen ist das Gewicht der verfolgten Belange maßgeblich; es hängt unter anderem davon ab, wie groß die Gefahren sind, denen begegnet werden soll, und wie LVerfGE 10

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wahrscheinlich ihr Eintritt ist (BVerfG, Urt. v. 14.7.1999, 87 f. = EuGRZ 1999, 389,407). 2. Nach diesen Maßstäben ist es nicht gerechtfertigt, daß jedermann auf Durchgangsstraßen ohne weiteres einer Identitätsfeststellung unterworfen werden kann, wenn die Polizei damit bezweckt, grenzüberschreitende Kriminalität jeder Art vorbeugend zu bekämpfen oder den unerlaubten Aufenthalt zu unterbinden. a) Aus grundrechtlicher Sicht erscheint — isoliert betrachtet - die Identitätsfeststellung geringfügig in dem Fall, daß dem Betroffenen nicht mehr widerfahrt, als von der Polizei angehalten zu werden und auf Aufforderung seine Ausweispapiere vorzuweisen. Diese Betrachtungsweise erschöpft indessen nicht die verfassungsrechtliche Problematik. Denn damit wird zum einen nicht in den Blick genommen, daß die Identitätsfeststellung gerade die Befugnis zu Zwangseingriffen („Folgeeingriffen") und zur Verwendung der erhobenen Daten einschließt. Zum anderen handelt es sich um die Statuierung einer Pflicht, ereignis- und verdachtsunabhängig die Personalien angeben zu müssen, ohne dies durch eigenes Verhalten vermeiden zu können. b) Soweit § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V die Befugnis gibt, daß jedermann auf Durchgangsstraßen einer Identitätsfeststellung unterzogen werden darf, verstößt die Vorschrift gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Wieweit auch immer ein Interesse der Allgemeinheit an der Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und an der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität gehen mag: die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen sind überschritten, wenn ohne Differenzierung eine Eingriffsbefugnis gegen jeden, der sich auf Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebiets aufhält, gegeben wird. aa) Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet staatliche Maßnahmen, die die Freiheit der Person über die in Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Schranken hinaus beeinträchtigen. Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt das Recht eines jeden zu eigenem selbstbestimmten Verhalten. Das schließt die beliebige Vereinnahmung zu staatlicher Zweckverfolgung aus. Das Landesverfassungsgericht kann allerdings nicht der Auffassung der Beschwerdeführer folgen, aus dem Menschenbild des Grundgesetzes ergebe sich eine Vermutung der Redlichkeit. Dann wären Kontrollbefugnisse des Staates nur dann gegeben, wenn im Einzelfall Anzeichen dafür vorlägen, daß der Bürger das in ihn gesetzte Vertrauen nicht verdient. Es gäbe keine Handhabe, auf den Gebieten des Sonderordnungsrechts — im Bauordnungsrecht, im Umweltrecht, im Wasserrecht, im Gaststättenrecht, im Lebensmittelrecht, im Recht der technischen Sicherheit, im Atomrecht, im Waffenrecht, im Straßenverkehrsrecht usw. LVerfGE 10

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Kontrollen unabhängig davon vorzusehen, ob es Anzeichen dafür gibt, daß der Einzelne die maßgeblichen Rechtsvorschriften nicht einhält. Das kann die Verfassung nicht gebieten. Im Gegenteil, es entspricht dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Staates, die Belange der Allgemeinheit und des Einzelnen zu schützen, in den genannten und anderen Bereichen die Möglichkeit von Kontrollen nicht nur zur Abwehr gegebener Gefahren, sondern bereits in deren Vorfeld zu schaffen. Dem Staat ist auch Risikovorsorge aufgegeben, insbesondere dann, wenn es potentiell beträchtliche Schäden zu vermeiden gilt. Jedoch ist den Eingriffsmöglichkeiten nach Sonderordnungsrecht gemeinsam, daß sie an die Verantwortlichkeit des Pflichtigen — als Bauherr, Inhaber eines Betriebes usw. — anknüpfen. Das gilt insbesondere auch für Verkehrskontrollen nach § 36 Abs. 5 StVO: Es wird kontrolliert, weil Mängel eines Fahrzeugs und dessen unsachgemäße Führung zu großen Schäden führen können; in Anspruch genommen wird der für die Schadensvermeidung verantwortliche Fahrzeugführer. In dem nach einfachem Recht jeweils erforderlichen Zurechnungszusammenhang zeigt sich zugleich eine verfassungsrechtliche Grenze staatlicher Eingriffe, die auch für polizeiliche Eingriffe gesetzt ist. Der Freiheitsanspruch des Einzelnen verlangt, daß er von polizeilichen Maßnahmen verschont bleibt, die nicht durch eine hinreichende Beziehung zwischen ihm und einer Gefahrdung eines zu schützenden Rechtsguts oder eine entsprechende Gefahrennähe legitimiert sind. Anderenfalls wird gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Verbot unnötiger Eingriffe (BVerfGE 17, 306, 313f., 30,250, 263) verstoßen. bb) Im Polizeirecht wird die Legitimation staatlicher Eingriffe grundsätzlich in der Weise hergestellt, daß eine Gefahr abzuwehren ist und die Abwehr durch Maßnahmen gegen einen für die Gefahr verantwortlichen Störer geschieht (§§ 68 — 70 SOG M-V). Unter qualifizierten Voraussetzungen kann im polizeilichen Notstand der Nichtstörer in Anspruch genommen werden (§ 71 SOG M-V), dem gegebenenfalls eine Entschädigung zu gewähren ist (§ 72 SOG M-V). Ebenso wie im Rechtsstaat nicht jedermann als potentieller Verbrecher behandelt werden darf (BVerwGE 26,169,170), darf im Polizeirecht die Unterscheidung zwischen Störern und Nichtstörern nicht nivelliert werden (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 4, 303, 349 f.). Durch § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V sind jedoch alle Personen, die sich auf Durchgangsstraßen aufhalten, Störern gleichgestellt, ohne daß dies sachlich legitimiert wäre. In der Systematik der §§ 68ff. SOG M-V hält sich § 29 Abs. 1 Satz 1 SOG M-V, indem dort die Befugnis gegeben wird, zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden — also konkreten — Gefahr die Identität einer Person festzustellen. Die Maßnahme richtet sich gegen einen Störer, allenfalls im polizeilichen Notstand gegen einen Nichtstörer. Dabei kann sie auch der Gefahrerforschung LVerfGE 10

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dienen, also der Ermitdung, ob eine Gefahr, für deren Vorliegen es Anhaltspunkte gibt, überhaupt besteht, oder der Ermitdung ihres Umfangs oder des Verantwortlichen. § 29 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V hingegen gibt die Befugnis zur Feststellung der Identität von jedermann, also ohne daß der Betroffene Störer ist. Auch braucht eine konkrete Gefahr nicht vorzuliegen. Dabei findet die in den Nummern 1 bis 3 vorgenommene Gleichstellung mit Störern ihre Rechtfertigung dadurch, daß die Personen sich an begrenzten Örtlichkeiten aufhalten, an denen typisch Gefahren auftreten können und deshalb jedenfalls eine Gefährdungslage gegeben ist, nämlich an „verrufenen" (Nr. 1) oder an „gefährdeten" Orten (Nr. 2) oder in oder bei einem wegen seiner Gefährdung besonders geschützten Objekt (Nr. 3). Der für den Eingriff notwendige Zurechnungszusammenhang folgt aus dem — im übrigen zumeist vermeidbaren — Aufenthalt an einer gefahrenträchtigen Örtlichkeit. Bei Nr. 4 ist die Befugnis zur Identitätsfeststellung dadurch begründet, daß die Kontrollstelle der Polizei zur Verhütung von in der Vorschrift aufgeführten gewichtigen Straftaten, für deren Begehung tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, eingerichtet worden ist. Hier liegt eine zeitlich begrenzte, durch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit gekennzeichnete Sondersituation vor. Bei Nr. 5 verhält es sich grundlegend anders. Daß jemand sich auf einer Durchgangsstraße von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr aufhält, ist allein kein Umstand, der in vergleichbarer Weise einen Zurechnungszusammenhang zwischen jedermann und der (möglichen) Schädigung von durch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zu schützenden Rechtsgütern herstellen könnte. Die Befugnis ist weder örtlich auf gefahrenträchtige Örtlichkeiten noch zeitlich auf Sondersituationen begrenzt. Die Durchgangsstraßen sind — anders als die in Nrn. 1 bis 3 genannten Örtlichkeiten — nicht dadurch geprägt, daß auf ihnen Kriminalität stattfindet. Vielmehr steht nur eine verschwindende Minderheit der Verkehrsteilnehmer im Zusammenhang mit Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität. Es gibt auch nicht generell auf den Durchgangsstraßen tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung schwerer Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität; soweit sie im Einzelfall bestehen sollten, könnte von der Befugnis aus Nr. 4 Gebrauch gemacht werden. Mithin ist die Identitätsfeststellung auf Durchgangsstraßen als einziger Eingriff im Polizeirecht weder an einen Anlaß noch an eine spezifizierte Gefährdungslage noch an Anhaltspunkte dafür, daß dem Betroffenen etwas anzulasten sein könnte, gebunden. Verdachtslose Eingriffe können außerhalb des Polizeirechts — nämlich nach dem Gesetz zu Art. 10 GG — ausnahmsweise zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Gefahren, die nicht vornehmlich personenbezogen sind, zulässig sein; das ist aber nur aus dem LVerfGE 10

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gegenüber dem Polizeirecht und dem Strafprozeßrecht unterschiedlichen Zweck dieses Gesetzes gerechtfertigt (BVerfG, Urt. v. 14.7.1999, 93, 97 = EuGRZ 1999, 389, 408 f.). Da das Vorgehen gegen jedermann auf Durchgangsstraßen nicht durch eine individuell zurechenbare Gefährdungslage gerechtfertigt ist, bleiben für den Eingriff gegen einen Unverdächtigen nur zwei denkbare Ziele, die beide nicht ausreichen, um sich gegen den Freiheitsanspruch des Einzelnen durchzusetzen. Das erste besteht darin, dem Einzelnen die Pflicht, sich einer anlaßlosen Identitätsfeststellung zu unterziehen, als „Soziallast zur Steigerung des Sicherheitsniveaus" aufzuerlegen {Löwer, 87. Prot, des Innenausschusses des Deutschen Bundestages v. 15.6.1998, Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zu dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes, S. 102). Das liefe darauf hinaus, daß dem Einzelnen ohne einen bestimmten Zurechnungszusammenhang ein Eingriff angesonnen wird. Insoweit ist die Rechtslage nicht vergleichbar mit den überkommenen Hilfspflichten in Notlagen (dazu Usken/Denninger, Handbuch, D Rdn. 9, 10). Das zweite denkbare Ziel ist Abschreckung dadurch, daß jedermann mit dem Eingriff rechnen muß. Generalprävention ist legitim bei eingriffslosem Handeln der Polizei im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung; sie ist indes keine alleinige Legitimationsgrundlage für ein eingreifendes polizeiliches Handeln (vgl. Waechter, DÖV 1999, 138,144 ff.). Selbstverständlich ist es möglich, daß sich bei einer verdachtslosen Kontrolle die Verwicklung des Betroffenen in grenzüberschreitende Kriminalität herausstellen mag. Würde man dies jedoch zur Rechtfertigung des Eingriffs genügen lassen, wären die freiheitssichernden Eingriffsschwellen, die das Polizeirecht in Gestalt der Gefahr und das Strafprozeßrecht durch den Anfangsverdacht (§§152 Abs. 2,163 b StPO) setzt, obsolet. c) Dem Landesverfassungsgericht ist ferner deutlich geworden, daß für die Kontrollen auf kriminalistische Erfahrung und polizeiliche Lagebilder aufgebaut wird. Das bezieht sich sowohl darauf, wo auf Durchgangs Straßen kontrolliert wird, als auch darauf, wer von den vielen Verkehrsteilnehmern der Identitätsfeststellung unterzogen wird. Entsprechend haben sich Kunhel (S. 29), Burger (S. 35) und Walter (S. 115) in der erwähnten Anhörung zum BGSG geäußert. Schapper (S. 13, 30 f., 42f.) hat dort ausgeführt: Es würden Lagebilder erstellt. Kontrolliert werde, wer dem Lagebild entspreche. Es müsse eine allgemeine Verdachtslage vorliegen, die Bezüge zu den zu kontrollierenden Personen aufweise. Alle arbeiteten mit Lagebildern; in Wahrheit handele es sich um lagebildabhängige Kontrollen. Auch das Innenministerium und die Polizei haben sich im vorliegenden Verfahren in der mündlichen Verhandlung dahin geäußert, daß die Identitätsfeststellung nicht bei jedermann vorgenommen werde, sondern dort, wo sie einen Ertrag verspreche. LVerfGE 10

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Dem hätte der Geset2geber durch eine entsprechende Eingrenzung der Norm Rechnung tragen müssen. Soweit der Grund für die gegenüber ihrem Wortlaut eingeschränkte Anwendung der Vorschrift in den technisch und personell begrenzten Kapazitäten der Polizei liegen sollte, ist das für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich, da die Kapazitäten in Ubereinstimmung mit dem Gesetz ausweitbar wären (BVerfG, a.a.O., 93 = EuGRZ 1999, 389,408). Es kommt ganz allgemein für die verfassungsrechtliche Wertung nicht darauf an, was in Anwendung des Gesetzes geschieht, sondern darauf, was, ohne gegen es zu verstoßen, geschehen darf. 3. Wenn auch der Gesetzgeber mit der Regelung, daß auf Durchgangsstraßen die Identitätsfeststellung gegen jedermann ohne weiteres zulässig sei, die ihm gesetzten Grenzen überschritten hat, so ist es doch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß eine — begrenzte — Befugnis für die Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität gegeben wird. Diese darf sich jedoch nicht — wie in der dem Landesverfassungsgericht zur Prüfung unterbreiteten Norm geschehen — auf jegliche, sondern nur auf qualifizierte Formen der grenzüberschreitenden Kriminalität beziehen. a) Freiheit und Sicherheit stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis. Andererseits ist Sicherheit auch eine Voraussetzung von Freiheit (vgl. VerfGBbg, Urt. v. 30.6.1999 - VfGBbg 3/98 - , 28). Die Sicherheit des Staates als verfaßte Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung sind unverzichtbare Verfassungswerte, die mit anderen im Rang gleichstehen (BVerfGE 49,24, 56 f.). Im Rechtsstaatsprinzip selbst ist die Gegenläufigkeit von Freiheit und Sicherheit angelegt (vgl. BVerfGE 65, 283, 290). Der Rechtsstaat fordert auch die zur Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung notwendigen Institutionen. Demgemäß dient auch die Polizei dem Verfassungsvollzug; sie ist ein von der Verfassung gefordertes Mittel der Gewährleistung der Grundrechtsordnung (Lisken, Handbuch, C Rdn. 1, 34). b) Es ist legitim, daß zur Verteidigung des Staates und seiner Bürger die Polizei Eingriffsbefugnisse erhält, mit denen sie vorbeugend die organisierte Kriminalität bekämpfen kann. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, wie sie in der Aufgabenzuweisung nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-V umschrieben ist, stellt zweifellos einen hohen Belang des Wohls der Allgemeinheit dar. Der Rechtsstaat, der eine verfaßte Friedensordnung gewährleisten soll, hat sich der Aufgabe anzunehmen, die Bürger zu schützen. Der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kommt nach dem Grundgesetz hohe Bedeutung zu (BVerfGE, 77, 65, 76 mwN.; 80, 367, 375; BVerfG, Urt. v. 14.7.1999,105 = EuGRZ 1999, 389,411). LVerfGE 10

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c) Dieses hochrangige Allgemeininteresse kann sich auch im Wege einer polizeilichen Eingriffsbefugnis gegen den Einzelnen durchsetzen, allerdings nur hinsichtlich gewichtiger Straftaten, wenn deren besondere Begehungsweise es rechtfertigt, nicht erst bei Vorliegen eines Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr, sondern schon vorher vorbeugend gegen sie vorzugehen. Denn bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten werden die rechtsstaatlichen Eingriffsschwellen der Gefahr aus dem herkömmlichen Polizeirecht und des Anfangsverdachts aus dem Strafverfahrensrecht unterschritten. Das kann nur ausnahmsweise zugelassen werden. Den Ausnahmecharakter einer solchen Befugnis muß der Gesetzgeber deutlich machen. So ist zu verhindern, daß sie zu einer Blankoermächtigung wird, die ein Einfallstor zu polizeilicher Allmacht sein könnte (vgl. SächsVerfGH, a.a.O., 350, 359). Wäre sie eine Regelbefugnis, so könnten die genannten rechtsstaatlichen Sicherungen in nicht hinnehmbarer Weise auf einem weiten Feld unterlaufen werden. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß es verfassungswidrig ist, eine Eingriffsbefugnis zur vorbeugenden Bekämpfung jeglicher Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität zu geben. Eine generelle Wertung, daß sie schwerer seien als inlandsbezogene Straftaten, verbietet sich. Insoweit verfehlt § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V die gebotene Proportionalität zwischen den verfolgten Allgemeininteressen und dem zu wahrenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie anderen Rechten des Einzelnen. Dagegen ist die vorbeugende Bekämpfung der organisierten Kriminalität geeignet, eine Befugnis zu einem auf Informationsgewinnung gerichteten Eingriff, wie ihn die Identitätsfeststellung darstellt, zu legitimieren. Wie sich nicht nur aus der Begründung des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 2/2468), sondern auch durchgängig aus den Redebeiträgen in den Verhandlungen des Landtags (PlenProt. 2/59, S. 3569 ff. und 2/76, S. 4757 ff.) ergibt, ist es die Intention der an der Gesetzgebung beteiligten Personen gewesen, über die Einführung neuer polizeilicher Instrumente zur Bekämpfung spezifisch der organisierten Kriminalität zu entscheiden. Dieser allgemeinen Absicht entspricht das Gesetz jedoch nicht. Es ist dem Landesverfassungsgericht verwehrt, ein dem eindeutigen Wortlaut nach über das vom Gesetzgeber eigentlich Gewollte hinausgehendes Gesetz zu „korrigieren". In der zweiten Lesung sind als Kriminalitätsbereiche, die durch § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V getroffen werden sollen, genannt worden: Menschenhandel, Rauschgifthandel, Schleusung von Ausländern („Schlepperunwesen"), Autoschieberei, Raubzüge auf Geldinstitute und Tankstellen (PlenProt. 2/76, S. 4764,4775). Es handelt sich in dieser — nicht erschöpfenden — Aufzählung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität um Delikte, die vielfach dadurch gekennzeichnet sind, daß sie in auf längere Zeit angelegten Strukturen, innerhalb einer Organisation, begangen werden. Sie sind entweder schon für sich LVerfGE 10

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gewichtig oder gewinnen ihr Bedrohungspotential gerade daraus, daß sie organisiert und arbeitsteilig — oft von langer Hand — geplant und ausgeführt werden. Es ist ohne weiteres plausibel, daß ein wesentlicher Teil der im Gemeinwohl liegenden Bekämpfung derartiger besonders gemeinschädlicher Kriminalität darin besteht, nicht nur gegen die einzelnen Straftaten vorzugehen, sondern insbesondere auch gegen die Strukturen, aus denen sie wachsen. Dazu gehört, daß die Polizei Kenntnisse über die Strukturen erlangt. Das verweist sie auf Informationsbeschaffung bereits im Vorfeld konkreter Straftaten. d) Wird die Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts gestattet, so muß das gleichfalls dahin ausgelegt werden, daß eine qualifizierte Gefahrdungslage vorausgesetzt wird. Sie liegt dann vor, wenn es sich um einen Unterfall der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der organisierten grenzüberschreitenden Kriminalität handelt, also ein unerlaubter Aufenthalt gemeint ist, der zur Begehung solcher Straftaten genutzt zu werden droht. Andere Gefährdungslagen müßten ein vergleichbares Gewicht haben. Würde die Eingriffsschwelle bei dem Zweck der Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts niedriger gelegt, würden angesichts der Austauschbarkeit der beiden Zwecke die Sicherungen, die bei der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität geboten sind, unterlaufen werden können. e) Um dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis zu entsprechen, müssen die Zwecke, zu denen kontrolliert werden darf, hinreichend präzise und normenklar festgelegt, die Gefahrenlagen müssen genau genug beschrieben sein (BVerfGE, a.a.O., 83 = EuGRZ 1999, 389,406). Das macht es notwendig, einen Katalog derjenigen Straftaten aufzustellen, die durch Identitätsfeststellung vorbeugend bekämpft werden dürfen. Der Katalog muß spezifisch — nach Straftatbeständen und Begehungsformen — auf die organisierte Kriminalität zugeschnitten sein. Danach kommt eine Übernahme des Kataloges der Straftaten von erheblicher Bedeutung aus § 49 SOG M-V nicht in Betracht. Maßgeblich ist auf die organisierte Begehungsform abzustellen. Es können nicht alle Verbrechen einbezogen werden. Vergehen werden allenfalls ausnahmsweise aufgenommen werden können. 4. Ob die Identitätsfeststellung geeignet ist, internationale Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen, hat primär der Gesetzgeber zu beurteilen. Für die Eignung auf der Gesetzesebene genügt es, daß die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung besteht, die zugelassenen Maßnahmen also nicht von vornherein untauglich sind, sondern dem gewünschten Erfolg förderlich sein können (BVerfG, a.a.O., 84 = EuGRZ 1999, 389, 406f.). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, hindern unterschiedliche Bewertungen sachverständiger Kreise den Gesetzgeber nicht, ein ihm wirksam erscheinendes Mittel zu ergreifen (VerfGBbg, a.a.O., 29). LVerfGE 10

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Nach diesem Maßstab kann die Eignung nicht in Frage gestellt werden. Es ist durchaus möglich, daß durch die Identitätsfeststellung Erkenntnisse über die Struktur krimineller Organisationen und über geplante Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität gewonnen werden. Die Frage, ob die Befugnis zur Identitätsfeststellung so nachhaltig zur Bekämpfung dieser Kriminalität geeignet ist, daß auf Dauer die Grundrechtsbeeinträchtigungen gerechtfertigt erscheinen, sollte für den Gesetzgeber ein Anlaß sein, die Wirksamkeit einer einschlägigen Regelung zu beobachten. Steht hinter seiner Einschätzung die ernsthafte und begründete Erwartung eines Erfolges, so kann eine experimentierende Regelung verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden (SächsVerfGH, a.a.O., 355); einem experimentierenden Charakter aber entspricht eine begleitende Beobachtung. 5. Auch die Erforderlichkeit kann einer Vorschrift, welche die Befugnis gibt, zur vorbeugenden Bekämpfung organisierter grenzüberschreitender Kriminalität die Identität einer Person schon im Vorfeld einer Gefahr festzustellen, nicht abgesprochen werden, wenn nicht jedermann, der sich auf einer Durchgangsstraße aufhält, schon deshalb gewärtigen muß, einer Kontrolle unterzogen zu werden. 6. Nachdem § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V insofern verfassungswidrig ist, als auf Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebiets jedermann ohne weiteres einer Identitätsfeststellung unterzogen werden darf (s.o. 2.), wird der Gesetzgeber bei einer eventuellen Neuregelung gehalten sein, diese polizeiliche Maßnahme nur dann zuzulassen, wenn der verfassungsrechtlich notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen dem Einzelnen und der abzuwendenden (möglichen) Schädigung besteht. a) Auch dabei hat der Gesetzgeber sich davon leiten zu lassen, daß eine Norm über die Befugnis für die Identitätsfeststellung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität als Ausnahmevorschrift ausgestaltet sein muß. Das folgt daraus, daß die Aufgabenzuweisung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-V den Weg dazu öffnet, der Polizei für das Vorfeld von Gefahr und Verdacht Eingriffsbefugnisse zu geben. Wird eine solche Befugnis geschaffen, so muß der Gesetzgeber bei der gebotenen sorgfältigen Abwägung der Belange der Allgemeinheit und des Einzelnen in den Blick nehmen, daß bei jeder Eingriffsbefugnis im Vorfeld objektiv ein Unterlaufen der durch die Zurechnung über die Gefahr und über den Verdacht der Polizei grundsätzlich gezogenen Grenzen drohen kann. Mithin darf eine Befugnis zur Identitätsfeststellung nicht als Regelbefugnis verwendet werden, wie es nach den dem Landesverfassungsgericht im vorliegenden Verfahren vermittelten Erkenntnissen hinsichtlich des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V im Lande offenbar weitgehend geschehen ist. LVerfGE 10

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Der Ausnahmecharakter kann nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden, es werde ein Ausgleich dafür geschaffen, daß zwischen den Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens die Grenzkontrollen fortgefallen und daß die Außengrenzen zu den Staaten Osteuropas durchlässiger geworden seien. Denn die Befugnis zur Identitätsfeststellung auf Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebiets macht die wichtigen Straßen des Hinterlands gleichsam zum Grenzraum. Ihre Ausübung führt zwangsläufig dazu, daß die Polizei auch Personen kontrolliert, die weder die Grenze kürzlich überquert haben noch sie demnächst überqueren wollen. Der Ausnahmecharakter fordert, daß der Gesetzgeber Vorschriften mit möglichst hoher Regelungsdichte zu schaffen hat. Er selbst muß auf der Tatbestandsseite die Voraussetzungen des Eingreifens festlegen. Dieser Verantwortung darf er sich nicht dadurch entziehen, daß er, statt Eingrenzungen selbst zu treffen, rechtlich gebotene Einschränkungen der Exekutive auf der Rechtsfolgenseite — durch Anwendung der §§14 und 15 SOG M-V — oder den Gerichten überläßt. Dabei verkennt das Landesverfassungsgericht nicht, daß die Funktion des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots, (auch) Eingriffe vorhersehbar zu machen, im Sachbereich der vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität weitgehend nicht zu erfüllen ist, weil nämlich Voraussehbarkeit für den Betroffenen der sachgerechten Wahrnehmung dieser Aufgabe geradezu zuwiderlaufen kann. Gerade deshalb ist es notwendig, daß der Gesetzgeber selbst das regelt, was geregelt werden kann, ohne daß die sachgerechte Wahrnehmung in Frage gestellt wird. Insbesondere kann einer inhaltlichen Unbestimmtheit dadurch zu begegnen sein, daß Verfahrensregelungen geschaffen werden. b) Jeder polizeiliche Eingriff „zur" vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität muß durch diesen Zweck gesteuert sein. Das ist unerläßlich, damit ein Mißbrauch der weitgehenden Eingriffsbefugnis vermieden wird. Der Gesetzgeber ist gehalten, in der Befugnisnorm Eingriffsschwellen festzulegen. Dabei bietet sich eine Orientierung an § 1 Abs. 1 a BGSG an. Dort ist als Voraussetzung für eine Maßnahme normiert, daß „auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung" ein Grund zur Informationsbeschaffung gegeben sei. c) Für die Feststellung der allgemeinen Gefährdungslage, die damit umschrieben werden kann, daß auf Lageerkenntnisse und polizeiliche Erfahrung abzustellen ist, sind Vorkehrungen des Verfahrens und der Organisation geboten. In Anbetracht der vorrangig durch ihren Zweck bestimmten, finalen Befugnis und der damit verbundenen nur eingeschränkten Möglichkeit, das Handeln der Polizei über konditionale Tatbestandsmerkmale zu steuern, bedarf LVerfGE 10

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es objektiv nachvollziehbarer Verfahren zur Ermittlung der Lage, in der sich die Polizei befugt sieht, Maßnahmen der Identitätsfeststellung zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität zu treffen (vgl. SächsVerfGH, a.a.O., 368). Der Rahmen für die polizeilichen Eingriffe wird dadurch zu ziehen sein, daß Lageerkenntnisse und/oder polizeiliche Erfahrung auf die drohende Begehung solcher Straftaten hindeuten. Für Bundesautobahnen und Europastraßen wird das vielfach, aber nicht immer angenommen werden können. Es bedarf der Dokumentation, auf Grund welcher Anzeichen die Einschätzung gewonnen worden ist. Das ist zum einen nötig, damit die Polizei sich über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns in Anwendung einer offenen Norm vergewissert. Zum anderen ist es geboten zum Schutz des Einzelnen, der Eingriffen bei einer Identitätsfeststellung unterzogen wird. Er kann zwar vor Ort nicht nachprüfen, ob die Polizei ihm gegenüber zu Recht von der Befugnis Gebrauch macht. Jedoch ist die Dokumentationspflicht einem — nachträglichen — Rechtsschutz förderlich, der durch Art. 5 Abs. 3 LV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich verbürgt ist. Für Durchgangsstraßen, die nicht Bundesautobahnen oder Europastraßen sind, ergeben sich weitere Verfahrensanforderungen. Daß auch solche Straßen zu Örtlichkeiten erklärt werden dürfen, auf denen Identitätsfeststellungen stattfinden, ist nicht zweifelhaft. Es wird dem Ziel, schwere grenzüberschreitende Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen, sogar in besonderem Maße gerecht, sie einzubeziehen, wenn sie erhebliche Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr haben. Ihre Einbeziehung bedeutet indessen, daß für den Einzelnen nicht vorhersehbar ist, sondern er allenfalls ohne Verläßlichkeit vermuten kann, welche Straßen „andere Durchgangsstraßen" sind. Diese Unbestimmtheit ist jedoch nicht zu beanstanden, weil sie zur effektiven Wahrnehmung der Befugnis unumgänglich ist; wüßte derjenige, der in Straftaten der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität verwickelt ist, auf welchen anderen Straßen als Bundesautobahnen und Europastraßen er mit einer Identitätsfeststellung zu rechnen hat, würde er sich veranlaßt sehen können, sie tunlichst zu meiden. Der notwendigen Unbestimmtheit nach außen muß intern durch ein dokumentiertes Verfahren entgegengewirkt werden. In ihm ist festzustellen und anzuordnen, daß auf Grund von Lageberichten und/oder polizeilicher Erfahrung ein hinreichender Grund für die Einbeziehung der Straße besteht. Die Entscheidung wird durch eine höhere Stelle zu treffen und regelmäßig zu überprüfen sein. 7. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ist auch insofern nicht verfassungsmäßig, als für die Einzeleingriffe (Folgeeingriffe) zur Feststellung der Identität keine Eingriffsschwellen bestimmt sind. Das ist notwendig, um für den Einzelnen zu sichern, daß dem Charakter als Ausnahmebefugnis Rechnung getragen LVerfGE 10

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und sie nicht in eine Befugnis zu anderen Zwecken verfremdet wird. Es ist ferner deshalb geboten, weil in Anwendung von § 29 Abs. 3 und 4 und von § 31 SOG M-V in den Fällen von § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V Grundrechtseingriffe großer Tiefe, bis hin zur Freiheitsentziehung, möglich sind. Insbesondere ist der im Festhalten und Verbringen zur Dienststelle liegende Eingriff in das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG, der die Rechtsgarantien des Art. 104 GG auslöst, von besonderem, eigenständigem Gewicht, das durch den zugleich darin liegenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht annähernd ausgeschöpft wird. Für alle Eingriffe, die über das Anhalten und die Aufforderung, sich auszuweisen, hinausgehen, müssen die Schwellen höher gelegt werden als für das Anhalten. Es muß Anhaltspunkte dafür geben, daß der Betroffene etwas mit organisierter grenzüberschreitender Kriminalität zu tun haben könnte. Die Anhaltspunkte müssen um so deutlicher sein, je tiefer der Eingriff reicht. Diesen Anforderungen genügt nicht, daß nach § 29 Abs. 2 Satz 1 SOG M-V die zur Feststellung der Identität erforderlichen Maßnahmen getroffen werden dürfen. Dies ist für jeden Einzeleingriff eine notwendige, aber verfassungsrechtlich nicht ausreichende Voraussetzung. Denn die Identitätsfeststellung darf kein Selbstzweck sein. Jeder Einzeleingriff ist nur zulässig, wenn er auf den Zweck der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter Kriminalität gerichtet ist und wenn die Aussicht, zu diesem Ziel etwas zu erreichen, in angemessenem Verhältnis zur Intensität des Eingriffs steht. V. 1. Anders als für die Durchgangsstraßen durfte der Gesetzgeber für das Grenzgebiet, die öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs und das Küstenmeer die Pflicht des Einzelnen, der Polizei seine Identität zu offenbaren, fesdegen, ohne dafür ausdrücklich eine Eingriffsschwelle vorzusehen. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Polizei befugt ist, an diesen Ortlichkeiten jemanden anzuhalten (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V) und von ihm zu verlangen, Angaben zu seiner Person zu machen sowie mitgeführte Ausweispapiere auszuhändigen (§ 29 Abs. 2 Satz 2 SOG M-V). Diese Ortlichkeiten sind durch die Nähe zu Grenzübertritten definiert. Unerlaubter Aufenthalt ist zumeist mit einer unerlaubten Einreise verbunden, bei der die Ortlichkeiten passiert werden. Ebenso werden sie berührt, wenn Personen im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität Grenzen überqueren. Es handelt sich mithin um eine örtliche Sondersituation, die mit derjenigen an gefährlichen und gefährdeten Orten gem. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 SOG M-V vergleichbar ist (IVaechter, a.a.O., S. 146). Für diese Örtlichkeiten durfte der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative LVerfGE 10

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die Wertung treffen, daß es in besonderem Maße geboten ist, dem unerlaubten Aufenthalt und vorbeugend der grenzüberschreitenden Kriminalität zu begegnen. Die örtliche Sondersituation als solche rechtfertigt es, jedermann mit der Pflicht zu belasten, gegenüber der Polizei seine Identität zu offenbaren. An den durch Grenznähe definierten Örtlichkeiten ist es auch legitim, daß die Vorschrift zur vorbeugenden Bekämpfung jeglicher Art von grenzüberschreitender Kriminalität und zur Unterbindung jeglichen unerlaubten Aufenthalts ermächtigt. Der ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung einer Eingriffsschwelle für das Anhalten und die Aufforderung, sich auszuweisen, bedarf es nicht. Vielmehr genügt insoweit, daß das Verhalten der Polizei durch dessen gesetzliche Zweckbestimmung, den polizeilichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ( § 1 5 SOG M-V) sowie durch Ausübung des Ermessens nach sachlichen Gesichtspunkten (§14 Abs. 1 SOG M-V) gesteuert wird. 2. Die Begriffe „Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern" und „Küstenmeer" sind hinreichend bestimmt. Das bedarf keiner weiteren Ausführungen. Der Begriff „öffentliche Einrichtungen des internationalen Verkehrs" weist die rechtsstaatlich notwendige Bestimmtheit nur auf, wenn er eng verstanden wird. Uber die dem Gesetz zu diesem Begriff zugrunde gelegten Vorstellungen ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien nichts. Der Gesetzgeber hat offenbar nicht in den Blick genommen, daß er unterschiedlich verstanden werden kann und daß eine Entscheidung für die eine oder die andere Interpretation weitreichende Folgen hat; denn je nachdem ist der örtliche Bereich, in dem Identitätsfeststellungen unter stark herabgestuften Voraussetzungen vorgenommen werden können, eng oder weit. Dem Landesverfassungsgericht ist im vorliegenden Verfahren bekannt geworden, daß die Polizei des Landes den Begriff jedenfalls insofern weit auslegt, daß sie auch Binnenwasserstraßen als öffentliche Einrichtungen des internationalen Verkehrs ansieht. Dem kann nicht gefolgt werden. Wenn andere Verkehrswege als Durchgangsstraßen hätten als solche unter das Gesetz fallen sollen, hätte dies im Wortlaut zum Ausdruck kommen müssen. Die jetzige Fassung von § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V gibt das nicht her. Durchgangsstraßen und öffentliche Einrichtungen sind nebeneinander gestellt, und nicht etwa sind die Durchgangsstraßen als ein Ausschnitt aus den öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs kenntlich gemacht. Für die Anwendung der Vorschrift auf Flughäfen und Bahnhöfen ist darauf zu verweisen, daß der Tatbestand und die Ermessensausübung durch die gesetzliche Zweckbestimmung der Identitätsfeststellung gesteuert sein müssen. Das kann insbesondere dazu führen, daß die Identitätsfeststellung nur in den TeilLVerfGE 10

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bereichen der Einrichtung stattfinden darf, die einen deutlichen Bezug zu grenzüberschreitendem Verkehr aufweisen. 3. Hinsichtlich der zur Identitätsfeststellung im Gesetz vorgesehenen Einzeleingriffe gilt jedoch dasselbe wie bei den Durchgangsstraßen. Die Identitätsfeststellung an den durch Grenznähe definierten Ortlichkeiten hat auch einen Ausnahmecharakter. Wohl trifft dies nicht in solchem Umfang zu wie für die Durchgangsstraßen; deshalb braucht für die Befugnis, den Betroffenen anzuhalten und zur Vorlegung eines Ausweises aufzufordern, nicht ausdrücklich eine Eingriffsschwelle festgelegt zu werden. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß der räumliche Bereich weitaus größer ist als bei gefahrlichen oder gefährdeten Orten. Das gebietet, daß der Gesetzgeber auch hier die Voraussetzungen für die Einzeleingriffe verdeutlicht. Weitergehende Eingriffe als das Anhalten und die Aufforderung, die Identität zu offenbaren, dürfen danach aufgrund des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V nicht stattfinden. Unberührt davon bleibt, daß je nach Lage des Falles die Polizei nach anderen Befugnisnormen weitergehende Eingriffe vornehmen kann. Das gilt insbesondere auch dann, wenn sich das Vorliegen von deren Voraussetzungen bei Gelegenheit der eingeschränkten Kontrolle nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ergibt. VI. Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ist nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber es unterlassen hat, bereichsspezifische Regelungen über den Umgang mit den bei einer Identitätsfeststellung gewonnenen personenbezogenen Daten zu schaffen. 1. Erkennungsdienstliche Maßnahmen für eine Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität dürfen gegenwärtig nicht nach § 31 SOG M-V angeordnet und durchgeführt werden. Das folgt daraus, daß nach diesem Urteil auf Durchgangsstraßen überhaupt keine Eingriffe zur Identitätsfeststellung nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V erlaubt sind und an den übrigen in der Vorschrift genannten Ortlichkeiten nur diejenigen nach § 29 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 SOG M-V. Ebenso ist gegenwärtig kein Raum, im Rahmen des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V die §§ 36 ff. SOG M-V anzuwenden. Für Durchgangsstraßen ergibt sich dies daraus, daß nach diesem Urteil auf ihnen keine Kontrollen nach der Befugnisnorm, bei denen personenbezogene Daten gewonnen werden könnten, durchgeführt werden dürfen. An den anderen in der Vorschrift genannten Ortlichkeiten ist die Polizei befugt, personenbezogene Daten zu erheben, ohne daß sie dazu Folgeeingriffe LVerfGE 10

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vornehmen darf. Die Verarbeitung und Nutzung dieser Daten nach §§ 36 ff. SOG M-V ist ihr jedoch nur erlaubt, wenn sich bei Gelegenheit einer auf die Unterbindung unerlaubten Aufenthalts oder die vorbeugende Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität abzielenden Kontrolle herausstellt, daß die Voraussetzungen zum Einschreiten nach einer anderen Befugnisnorm als § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V vorliegen. Denn zu dieser Norm fehlen die hinsichtlich der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität notwendigen bereichsspezifischen Regelungen. Daraus wiederum ergibt sich in Anbetracht der Austauschbarkeit der beiden im Gesetz genannten Zwecke, daß auch die zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts erlangten Daten nur nach einer anderen Befugnisnorm verarbeitet und genutzt werden dürfen; die Voraussetzungen dafür sind etwa gegeben, wenn ein Ausländer eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht vorweist oder der Verdacht entsteht, ein Ausweispapier eines Ausländers sei gefälscht. 2. Die Befassung des Landesverfassungsgerichts mit der Verarbeitung und Nutzung der durch eine Identitätsfeststellung nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V erhobenen personenbezogenen Daten ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Landesregierung vorgetragen hat, bislang seien durch die Polizei keine derartigen Daten gespeichert worden. Zum einen hat demgegenüber der Landesbeauftragte für den Datenschutz in seiner schriftlichen Stellungnahme, die er in der mündlichen Verhandlung durch Vorlage einschlägiger Unterlagen ergänzt hat, ausgeführt, daß die Daten der kontrollierten Personen — jedenfalls im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Rostock — in einer automatisierten Datei bis zu einer Dauer von drei Monaten gespeichert werden. Zum anderen kommt es nicht darauf an, wie die Exekutive eine Befugnis benutzt, sondern wie sie diese ohne Verstoß gegen die Befugnisnorm benutzen darf. Unter diesem Blickwinkel ergibt sich selbstverständlich, daß die §§ 36 ff. SOG M-V auf nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V erlangte Daten anwendbar sein sollen. Das folgt aus der Systematik des Gesetzes. Die neue Befugnis tritt zu den anderen Befugnissen nach § 29 Abs. 1 SOG M-V hinzu. Auf der Rechtsfolgenseite gilt dasselbe wie für jene, also insbesondere auch die nicht modifizierte Anwendbarkeit der §§ 36 ff. SOG M-V. Das folgt ferner aus der Natur der mit der Befugnis wahrgenommenen Aufgabe, vorbeugend grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Diese Aufgabe kann die Polizei sinnvoll nur ausüben, wenn die im Rahmen der Identitätsfeststellungen erhobenen Daten für einige Zeit vorrätig gehalten werden. Daß die Befugnis ermöglichen soll, Bewegungsprofile bzw. Verhaltensmuster verschiedener Personen anzufertigen, die bei der Erstellung von Lagebildern unterLVerfGE 10

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stützend verwertet werden, legt schon die Begründung des Regierungsentwurfs (LT-Drs. 2/2468) nahe. Danach soll die Zielrichtung der ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen darin bestehen, mit verstärkter polizeilicher Fahndung die Logistik grenzüberschreitender Kriminalität auf den Transportwegen zu zerstören. Dem entsprechen die im Erlaß des Innenministeriums MecklenburgVorpommern vom 11.5.1998 über ein polizeiliches Maßnahmekonzept zur Wahrnehmung der neuen Befugnisse nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V beschriebenen Ziele. Die Vorläufige Richtlinie des Landeskriminalamtes vom 10.9.1998 zur Fertigung und Nutzung von Anhalte- oder Beobachtungsmeldungen in der Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern geht schließlich davon aus, daß u.a. verdachtsunabhängig erhobene Daten im Rahmen dieser Zielsetzung auch gespeichert werden. Wird aber dieser Zweck verfolgt, ist zu seiner Erreichung eine längerfristige, kontinuierliche Verarbeitung und Nutzung der Daten erforderlich. 3. Regelungen über die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten, die bei einer Identitätsfeststellung zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität gewonnen worden sind, müssen den Besonderheiten dieses spezifischen Bereichs Rechnung tragen. Aus der Natur der polizeilichen Aufgabe — vorbeugend, also im Hinblick auf mögliche künftige Ereignisse grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen — ergibt sich, daß die gewonnenen personenbezogenen Daten regelmäßig auf eine gewisse Dauer verarbeitet und genutzt werden. Das zwingt dazu, die Löschung der Daten bereichsspezifisch in der Weise zu regeln, daß sowohl diesem öffentlichen Interesse als auch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen wird. Die Daten werden in dem Sinne auf Vorrat gesammelt, daß sie vornehmlich künftig Verwendung finden. Diese Sammlung von Daten ist nicht schon deshalb, weil sie „auf Vorrat" geschieht, verfassungswidrig. Nicht daß Daten vorrätig gehalten werden, begründet schon einen Verfassungsverstoß, sondern erst der Umstand, daß die Sammlung keinen bestimmten oder bestimmbaren Zweck hat (BVerfGE 65,1, 46; Bäumler, in: Handbuch, J Rdn. 35). Verhindert werden soll eine Informationssammlung zur Prophylaxe ohne jeglichen konkreten oder bestimmbaren Zweck (Waiden, Zweckbindung und Änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, S. 75). Die vorbeugende Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität ist ein hinreichender Zweck. Die personenbezogenen Daten werden bereits im Vorfeld einer Gefahr verarbeitet und genutzt. Daher ist es dringlich, den Personenkreis, von dem personenbezogene Daten verwendet werden dürfen, in einem gesetzlichen Tatbestand zu umschreiben. Dabei ist zu regeln, welche „Verdachtsschwelle" erreicht sein muß. Ferner ist besondere Aufmerksamkeit darauf zu richten, ob LVerfGE 10

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und unter welchen Voraussetzungen personenbezogene Daten auch solcher Personen verarbeitet und genutzt werden dürfen, bei denen selbst es keine Anzeichen für eine Verwicklung in grenzüberschreitende Kriminalität gibt, die aber zum Umfeld einer solchen Person gehören (können). Hier bedarf es einer äußerst sorgfältigen Abwägung der gegenseitigen Belange, da die gesetzliche Ermächtigung zu informationellen Eingriffen gegen unbeteiligte Dritte eine Grenzlinie rechtsstaatlichen Polizeirechts markiert (SächsVerfGH, a.a.O., 349). Im Hinblick auf die der Polizei eingeräumte weitgehende Befugnis zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität sind bereichsspezifische Vorschriften über die Zweckbindung mit eventuellen Verboten der Weitergabe und der Verwertung erforderlich. In diesem Sachbereich ist der Grundrechtsschutz durch Verfahren von hoher Bedeutung. Dabei wird insbesondere zu erwägen sein, den Datenschutzbeauftragten verstärkt zu beteiligen. 4. Es ist nicht Aufgabe des Landesverfassungsgerichts, dem Gesetzgeber im einzelnen eine Handlungsanleitung darüber zu geben, wie die Regelungen auszugestalten sind. Auf folgendes ist indessen hinzuweisen: a) Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V sind bei einer Identitätsfeststellung gewonnene erkennungsdienstliche Unterlagen dann nicht zu vernichten, wenn ihre weitere Verarbeitung und Nutzung für Zwecke nach Abs. 1 Satz 2 oder nach anderen Rechtsvorschriften zulässig ist. Die Nennung der „anderen Rechtsvorschriften" darf kein Einfallstor dafür sein, daß aufgrund anderer Befugnisnormen erlangte Daten ohne weiteres für den Zweck der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten umgewidmet werden (so aber Krech/Roes, Sicherheits- und Ordnungsrecht des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 1998, § 31 SOG M-V, Rdn. 4). b) Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V ist eine erneute Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zu einem Zweck, für den sie nicht erhoben worden sind, zulässig, soweit eine erneute Erhebung der personenbezogenen Daten zu diesem Zweck mit vergleichbaren Mitteln zulässig ist. Eine Umwidmung zum Zweck der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität kann nicht generell nach dieser Vorschrift zulässig sein. Das würde dem Ausnahmecharakter der inhaltlich weitgehenden und örtlich beschränkten Eingriffsbefugnis nicht in der gebotenen Weise Rechnung tragen. c) Eine Übermittlung von Daten zwischen Polizei und Ordnungsbehörden darf nicht in dem Umfang vorgesehen werden, wie es in der allgemeinen Vorschrift des § 40 SOG M-V bestimmt ist. Die Befugnis zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität ist spezifisch der Polizei in der Weise gegeben worden, daß sie aus übergeordneten Interessen der Allgemeinheit

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ausnahmsweise nur geringere Eingriffsschwellen als gemeinhin einzuhalten braucht. Der Übermittlung von in Wahrnehmung dieser Befugnis gewonnenen Daten müssen Grenzen gesetzt werden. d) Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V kann die Polizei personenbezogene Daten anderer als der in §§ 69, 70 und 27 Abs. 3 Nr. 1 SOG M-V genannten Personen abgleichen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß dies zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich erscheint. Diese Vorschrift ermächtigt nicht zu einem routinemäßigen Abgleich. Vielmehr müssen bestimmte Umstände die Prognose zulassen, daß sich durch den Abgleich Erkenntnisse ergeben, die benötigt werden, um eine konkrete polizeiliche Aufgabe erfüllen zu können (Heise/Tegtmeier, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 7. Aufl. 1990, § 25 Rdn. 5; Kaj/Böcking, Polizeirecht Nordrhein-Westfalen, 1. Aufl. 1992, Rdn. 196; Meitner, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 5. Aufl. 1993, § 25 Rdn. 5). Es müssen also Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben sein. In dieser Auslegung kann die Vorschrift auch bezüglich der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität angewendet werden. Nach § 43 Abs. 1 Satz 3 SOG M-V ist der Abgleich mit dem Fahndungsbestand ohne weiteres zulässig, wenn die Daten gesetzmäßig erlangt worden sind (Kay/Böcking, a.a.O., Rdn. 197). Das dürfte auch für die bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität erlangten Daten zulässig sein, wobei aber die Fahndung als repressive Tätigkeit der Polizei nicht das verhaltenssteuernde Moment bei einer Identitätsfeststellung sein darf. e) Zur Löschung der Daten ist bereits oben gesagt worden, daß eine bereichsspezifische Regelung erforderlich ist. § 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SOG M-V, wonach Daten zu löschen sind, wenn aus Anlaß einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, daß ihre Kenntnis zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der speichernden Stelle liegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist, genügt nicht.

D. I. Da die gesetzliche Bestimmung des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V in dem im Tenor bezeichneten Umfang gegen die Landesverfassung verstößt, hat das Landesverfassungsgericht gem. § 56 LVerfGG insoweit ihre Nichtigkeit festzustellen. Die Alternative, an Stelle der Nichtigkeit die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit der Landesverfassung auszusprechen, sieht das Landesverfassungsgerichtsgesetz nicht vor. LVerfGE 10

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Das Landesverfassungsgericht hat dennoch erwogen, ob es, statt die Nichtigkeit festzustellen, die Vorschrift für mit der Landesverfassung unvereinbar erklären und während einer Ubergangszeit ihre Anwendung mit bestimmten Maßgaben gestatten könne. Daran sieht das Gericht sich jedoch gehindert, weil das Landesrecht nur die Feststellung der Nichtigkeit vorsieht und Voraussetzungen, unter denen allenfalls davon abgewichen werden dürfte, nicht vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht hat, obwohl nach § 95 Abs. 3 BVerfGG für die Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz nur die Nichtigerklärung vorgesehen ist, vielfach nicht diese Rechtsfolge, sondern die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz ausgesprochen (BVerfGE 8, 1, 19 f.; 33,303,347; 57,335,346; 61,319,356f.; 62,256,289; 82,60,97; 87,153,180f.). In dem genannten Urteil vom 14.7.1999 hat es für die Erklärung als nur unvereinbar bereits genügen lassen, daß ein Gesetz durch Eingrenzungen eine mit dem Grundgesetz vereinbare Fassung erhalten kann oder daß die Norm lediglich ergänzungsbedürftig ist (S. 100, 102, 104, 119 = EuGRZ 1999, 389, 410, 411, 414). Diese zunehmend gewählte Entscheidungsformel des Bundesverfassungsgerichts ist gerechtfertigt, wie die §§ 79 Abs. 1 und 93 c Abs. 2 Satz 3 BVerfGG zeigen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern ist auf dem Hintergrund der Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie sich in der Bundesrepublik vor dem Beitritt der neuen Länder herausgebildet hatte, eingeführt worden. Insbesondere hat die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht zum Vorbild gedient. Deshalb sind auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte Anforderungen ausdrücklich in das Landesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen worden (LT-Drs. 1/4132 S. 27, 37, 46 und passim). Das trifft beispielsweise zu für die Normierung in § 51 Abs. 1 LVerfGG, daß bei der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz behauptet werden muß, „unmittelbar" in Grundrechten verletzt zu sein. Der Landesgesetzgeber hat Entsprechendes jedoch gerade nicht getan, soweit es den Ausspruch bei Verstoß eines Gesetzes gegen die Landesverfassung betrifft. In § 56 LVerfGG ist für die stattgebende Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz einzig die Feststellung der Nichtigkeit vorgesehen. Ebenso ist nach § 63 Abs. 3 LVerfGG zu verfahren, wenn auf Verfassungsbeschwerde gegen einen sonstigen Hoheitsakt sich ein Gesetz als verfassungswidrig erweist. Dabei hat der Gesetzgeber in bewußter Abkehr von § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG diese Feststellung als nur deklaratorisch gewertet, da die Nichtigkeit durch den Verstoß selbst hervorgerufen werde und nicht erst durch den Ausspruch des Verfassungsgerichts entstehen könne (LT-Drs. 1 /4132, S. 47, 53). In den Landesverfassungsgerichtsgesetzen der anderen ostdeutschen Länder — ausgenommen Sachsen — hingegen ist der Ausspruch der Unvereinbarkeit LVerfGE 10

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Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern

mit der Verfassung ausdrücklich neben dem Ausspruch der Nichtigkeit vorgesehen. Das ist in den folgenden - sich jeweils auf die Verfassungsbeschwerde beziehenden - Vorschriften geschehen: § 54 Abs. 4 des Berliner Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof, § 50 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, § 50 i.V.m. § 41 des Sachsen-Anhaltinischen Gesetzes über das Landesverfassungsgericht und § 37 Abs. 4 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof. Hingegen folgt nach § 31 Abs. 3 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen aus der Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz dessen Erklärung für nichtig; § 79 BVerfGG gilt entsprechend. Nach §§ 23 und 26 Abs. 1 ist bei der abstrakten und der konkreten Normenkontrolle ebenfalls das Gesetz für nichtig zu erklären. Dadurch, daß in Mecklenburg-Vorpommern nach dem Gesetz die Nichtigkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes nicht zu erklären, sondern festzustellen ist und ein anderer Ausspruch nicht vorgesehen ist, hat der Gesetzgeber dem Landesverfassungsgericht äußerste Zurückhaltung aufgegeben. Das Gericht ist allenfalls in eng begrenzten Ausnahmesituationen befugt, einer verfassungswidrigen Norm mit Maßgaben vorübergehend noch einen Anwendungsbereich zu lassen und damit der Sache nach an Stelle des Gesetzgebers eine Norm zu setzen. Das kann nur in Betracht kommen, wenn es aus überragenden Gründen des Gemeinwohls unerläßlich ist. Solche Gründe können gegeben sein, wenn mit dem ersatzlosen Fortfall einer Norm ein Zustand einträte, welcher der Verfassung ferner stünde als bei weiterer (ggf. eingeschränkter) Anwendung des Gesetzes. Das ist auch ein Ansatz der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewesen (BVerfGE 8 , 1 , 1 9 f.; 37, 342, 361; 40, 296, 329; 56,192,215; 72, 330, 333). Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in seinem Urteil vom 14.5.1996 (LVerfGE 4, 303) zwei Normen des Sächsischen Polizeigesetzes für lediglich unvereinbar mit der Verfassung erklärt und ihre vorläufige weitere Anwendung mit Maßgaben zugelassen. Er hat das damit begründet, daß anderenfalls der Polizei die Befugnis zur Datenerhebung mit besonderen Mitteln, insbesondere aus Wohnungen, vollständig entzogen wäre, obwohl solche Regelungen für den Rechtsgüterschutz und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit verfassungsrechtlich erforderlich seien; dieser Zustand wäre von der Verfassung weiter entfernt als der bisherige (a.a.O., S. 398). Wie das Landesverfassungsgericht eine entsprechende Situation für Mecklenburg-Vorpommern beurteilen würde, steht hier nicht zur Entscheidung. Jedenfalls ist es nicht für das Gemeinwohl unerläßlich, bis zu einer eventuellen Neuregelung durch den Gesetzgeber der Polizei zusätzliche Befugnisse der Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden KrimiLVerfGE 10

Eingriffsschwellen bei vorbeugender Bekämpfung von Straftaten

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nalität zu geben. Auch in anderen Bundesländern kann deren Polizei weiterhin nachhaltig tätig werden, ohne daß dort eine Regelung, die der hier beanstandeten entspricht, geschaffen worden wäre. Die Funktion der Polizei im Lande wird nicht in Frage gestellt. Ihr steht weiterhin ein umfängliches und differenziertes Instrumentarium zur Verfügung, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Wenn ein Verdacht sich bildet oder verdichtet, kann nach anderen Befugnisnormen des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes, gegebenenfalls auch der Strafprozeßordnung, gehandelt werden. II. Das Verfahren ist nach § 32 Abs. 1 LVerfGG kostenfrei. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich als begründet erwiesen hat, sind gem. § 33 Abs. 1 LVerfGG den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen durch das Land Mecklenburg-Vorpommern zu erstatten. Soweit die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, ordnet das Landesverfassungsgericht die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer nach § 33 Abs. 2 LVerfGG an. Die Verfassungsbeschwerde insgesamt hat zur Klärung wichtiger verfassungsrechtlicher Fragen geführt. Überdies ist der Umfang des Unterliegens der Beschwerdeführer gering.

E. Nach § 28 Abs. 2 LVerfGG hat dieses Urteil Gesetzeskraft soweit die Nichtigkeit des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V festgestellt wird. Der Ministerpräsident hat die Entscheidungsformel (I.) im Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern zu veröffentlichen.

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Ents cheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen

Die amtierenden Richter des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen Dr. Thomas Pfeiffer, Präsident Klaus Budewig, Vizepräsident Ulrich Hagenloch Alfred Graf von Keyserlingk Siegfried Reich Hans Dietrich Knoth Prof. Dr. Hans v. Mangoldt Prof. Dr. Hans-Peter Schneider Prof. Dr. Hans-Heinrich Trute

Stellvertreterinnen und Stellvertreter Heinrich Rehak Mardn Burkert Jürgen Niemeyer Dr. Andreas Spilger Susanne Schlichting Hannelore Leuthold Prof. Dr. Martin Oldiges (seit Juni 1999) Heide Boysen-Tilly Prof. Dr. Christoph Degenhart

Gemeindegebietsreform — verfassungsrechtliche Anforderungen

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Nr. 1 1. Ein Neugliederungsgesetz, das in das kommunale Selbstverwaltungsrecht einer Gemeinde eingreift, wird nicht durch Gründe des Wohles der Allgemeinheit (Art. 88 Abs. 1 SachsVerf) gerechtfertigt, wenn es an einer hinreichenden Ermittlung des für die gesetzgeberische Entscheidung erheblichen Sachverhalts und deshalb notwendig auch an einer verfassungsrechtlich tragfahigen Abwägung fehlt. 2. Nach den vom Gesetzgeber selbst herangezogenen Maßstäben für die Gemeindegebietsrefom im Umland Kreisfreier Städte ist eine besonders sorgfältige Ermittlung der abwägungserheblichen Umstände geboten, wenn eine leitbildgerechte und als Unterzentrum mit mittelzentralen Funktionen ausgewiesene Stadt eingemeindet werden soll. 3. Unzureichende Ermittlungen des Gesetzgebers können im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden, weil die Gesetzesbegründung die maßgebende Grundlage der inhaltlich nur begrenzt überprüfbaren Abwägungsentscheidung bildet. Verfassung des Freistaates Sachsen Art. 88 Abs. 1 und Abs. 2, 90 Sächsisches Verfassungsgerichtshofsgesetz §§ 7 Nr. 8, 36 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig Art. 1 § 1 Urteil vom 18. Juni 1999-Vf. 51-VIII-98in dem Verfahren der Normenkontrolle auf kommunalen Antrag der Stadt Markkleeberg betreffend das Gesetz zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Kreisfreien Stadt Leipzig (Stadt-Umland-Gesetz Leipzig) vom 24. August 1998 (SächsGVBl. S. 475) Entscheidungsformel: Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Kreisfreien Stadt Leipzig (Stadt-Umland-Gesetz Leipzig) vom 24. August 1998 (SächsGVBl. S. 475) in der Fassung des Gesetzes zur Gemeindegebietsreform in der Planungsregion Oberlausitz-Niederschlesien (Gemeindegebietsreformgesetz Oberlausitz-Niederschlesien) vom 28. Oktober 1998 (SächsLVerfGE 10

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

GVB1. S. 553) ist mit Artikel 88 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung insoweit unvereinbar und nichtig, als er die Stadt Markkleeberg in die Stadt Leipzig eingliedert. Der Freistaat Sachsen hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: A. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag auf kommunale Normenkontrolle (Art. 90 SächsVerf, § 7 Nr. 8, § 36 SachsVerfGHG) gegen das Gesetz zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Kreisfreien Stadt Leipzig vom 24. August 1998 (Stadt-Umland-Gesetz Leipzig; SächsGVBl. S. 475, geändert durch § 60 Gemeindegebietsreformgesetz Oberlausitz-Niederschlesien vom 28. Oktober 1998; SächsGVBl. S. 553), durch das sie zum 1. Januar 1999 in die Stadt Leipzig eingegliedert wurde. I. Die Antragstellerin liegt südlich der Stadt Leipzig im Landkreis Leipziger Land. Mit ihren rund 22.000 Einwohner ist sie die .größte Stadt des Landkreises. Bei einem Anfang 1997 durchgeführten Bürgerentscheid nach § 24 SächsGemO sprachen sich 96,8% der Teilnehmer für den Erhalt der Selbstständigkeit aus. Im Landesentwicklungsplan vom 16. August 1994 (SächsGVBl. S. 1489) ist die Antragstellerin als Unterzentrum und Siedlungsschwerpunkt ausgewiesen (Nr. 1.4.12.1). Darüber hinaus übernimmt sie — so der Normtext — einzelne mittelzentrale Funktionen bei der Versorgung der Bevölkerung, insbesondere im Bereich des Bildungswesens, bei der gesundheitlichen Versorgung, im Einzelhandel und bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen (Nr. 1.4.12.5). 1. In seiner Sitzung vom 23. Juli 1998 beschloß der Sächsische Landtag das Stadt-Umland-Gesetz Leipzig, das unter anderem wie folgt lautet: Art. 1 Gesetz zur Eingliederung von Gemeinden und Gemeindeteilen in die Stadt Leipzig und andere Gemeinden (Eingliederungsgesetz Leipzig) (...) § 1 Eingliederung (1) Die Gemeinden ... Markkleeberg ... und ... werden in die Stadt Leipzig eingegliedert. (...) § 3 Rechtsnachfolge Die Stadt Leipzig ist Rechtsnachfolger der gemäß § 1 Abs. 1 eingegliederten Gemeinden (...)

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Gemeindegebietsreform — verfassungsrechtliche Anforderungen

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§ 4 Auseinandersetzung (1) Die Stadt Leipzig und die Landkreise, deren Gebiet durch die Gebietsänderungen gemäß § 1 betroffen ist, regeln, soweit erforderlich, bis zu einem durch die obere Rechtsaufsichtsbehörde zu bestimmenden Zeitpunkt, bis grundsätzlich spätestens 30. April 1999, die Rechtsfolgen der Änderung ihrer Grenzen und die Auseinandersetzung durch Vereinbarung, die der Genehmigung der oberen Rechtsaufsichtsbehörde bedarf. ... (3) Weitere Folgen der Gemeindeeingliederung gemäß § 1 Abs. 1 regeln, soweit erforderlich, die beteiligten Gemeinden und die Stadt Leipzig durch Vereinbarung, soweit sie durch dieses Gesetz nicht oder nicht abschließend geregelt werden. Gegenstand der Vereinbarung soll insbesondere sein: ... Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung der oberen Rechtsaufsichtsbehörde. Kommt eine erforderliche Vereinbarung bis zum 1. Januar 1999 nicht zustande oder enthält sie keine hinreichende Regelung, trifft die obere Rechtsaufsichtsbehörde nach Anhörung der Stadt Leipzig und des Ortschaftsrates der eingegliederten Gemeinde die im Interesse des öffentlichen Wohls erforderlichen Bestimmungen bis grundsätzlich spätestens zum 30. April 1999; Satz 2 gilt entsprechend. (4) Für Verfahren über die Wirksamkeit der Eingliederung nach § 1 Abs. 1 ... gelten die Gemeinden solange als fortbestehend, bis eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Eingliederung ... unanfechtbar wird, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2010. (...)

Art. 8 In-Kraft-Treten; Außer-Kraft-Treten Artikel 1 §§ 2, 4, 8, 9,11 bis 14, 16 und 18 Abs. 6 sowie Artikel 5 und 6 treten am Tage nach der Verkündung dieses Gesetzes in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am 1. Januar 1999 in Kraft; gleichzeitig treten Artikel 2 und 3 Nr. 1 bis 4 und 6 KomRÄndG in den von der Umgliederung betroffenen Gebieten in Kraft. ... 1 Der Gesetzentwurf zum Stadt-Umland-Gesetz Leipzig enthält unter anderem folgende Leitsätze (vgl. DS 2/6732, S. 96 ff.), die sich wortgleich auch in anderen Gesetzentwürfen zur Gemeindegebietsreform im Umland kreisfreier Städte finden: I.

1

Ziel der kommunalen Gebietsreform ist es, leistungsfähige kommunale Selbstverwaltungskörperschaften zu schaffen und deren Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern.

Hinweis des Verfassungsgerichtshofes: Art. 8 Satz 2 wurde durch § 60 Gemeindegebietsreformgesetz Oberlausitz-Niederschlesien wie folgt gefaßt: Im Übrigen tritt dieses Gesetz am 1. Januar 1999 in Kraft. LVerfGE 10

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen 1.1.

Die Leistungsfähigkeit einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft ist eine wesentliche Voraussetzung für die nachhaltige Befriedigung der Bedürfnisse der Einwohner, die langfristige Sicherung der Entwicklungsmöglichkeiten einer Gemeinde und die Entwicklung der Region.

1.2.

Die Leistungsfähigkeit ist mit Bezug auf den gesamten Aufgabenbestand zu definieren. Sie ist daher nicht nur an den Aufgaben der klassischen Daseinsfürsorge, sondern ebenfalls daran zu orientieren, daß die Gemeinde den Belangen des Umweltschutzes angemessen Rechnung tragen kann.

1.3.

Die Leistungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft wird wesentlich durch die Verwaltungskraft, die vorhandene Infrastruktur, die Planungsfähigkeit und die Finanzkraft bestimmt.

1.4.

Einwohnerzahl und Größe des Verwaltungsraumes sind wichtige Indikatoren der Leistungsfähigkeit kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften. ... Die Wahl der Richtzahl der Gemeindeeinwohner dient der Sicherung einer hinreichenden Finanz- und Verwaltungskraft zur funktionsgerechten, qualifizierten und wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben. Dies kann nur durch ein ausreichendes Finanzvolumen und eine ausreichende Zahl von Verwaltungsvorgängen im jeweiligen Aufgabengebiet gewährleistet werden, was wiederum nur bei einer entsprechenden Bevölkerungszahl regelmäßig sichergestellt ist. Dabei wird in Effizienzuntersuchungen im Rahmen der Gebietsreform in den alten Ländern regelmäßig von einer Effizienz erst ab 5.000 bis 8.000 Einwohnern ausgegangen. Auch die vorhandenen Erkenntnisse aus den alten Bundesländern, die neueren Erfahrungen in Sachsen und in den anderen neuen Bundesländern sowie die Verwaltungswissenschaft bestätigen die fortbestehende Relevanz dieser Daten. Allerdings müssen die Richtzahlen auch differenziert angewendet werden. Verdichtete Räume stellen erheblich größere Anforderungen an die Verwaltung als ländliche. Im verdichteten Raum, der unmittelbar an die Oberzentren angrenzt, sind daher örtliche Verwaltungseinheiten mit ca. 8.000 Einwohnern anzustreben, da dort die vielfältigen starken Verflechtungen sowie stärkeren Belastungen von Infrastruktur und Umwelt ein höheres Maß an Koordination und Kooperation erfordern, das nur durch besonders starke Verwaltungs-, Planungs- und Finanzkraft der Gemeinde bewältigt werden kann. Unterschreitungen der angestrebten Regelmindesteinwohnerzahl von 8.000 sind nur bei der Wahl der effektivsten Form kommunaler Zusammenarbeit, der Einheitsgemeinde, im besonderen Ausnahmefall zulässig. In Gebieten mit Verdichtungsansätzen im ländlichen Raum — also um die kleineren sächsischen Oberzentren — gilt eine Regelmindestgröße von 5.000 Einwohnern, die dort in aller Regel eingehalten werden kann, weil durch die Verdichtung sinnvolle, überschaubare örtliche Verwaltungseinheiten ohne Unterschreitung dieser Regelmindestgröße geschaffen werden können. ...

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Gemeindegebietsreform — verfassungsrechtliche Anforderungen

379

1.5.

Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Kernstädte und der Umlandgemeinden sind die spezifischen Bedingungen der ostdeutschen Gemeinden im Ubergang zu berücksichtigen.

1.6.

Die Umlandgemeinden der Kernstädte sollen um so leistungsfähiger sein, je größer die Kernstadt und je verstädterter das Umland ist.

1.7.

Angesichts der Aufgabenverflechtungen und den gesteigerten Anforderungen an eine Verwaltung im Stadt-Umland-Bereich in puncto Aufgabenkoordinierung, Kooperation, Planung und Infrastrukturausstattung zur Entlastung der Kernstadt müssen die Umlandgemeinden verwaltungsstärker als Gemeinden im ländlichen Raum sein. Nur so kann eine ausgewogene Verwaltung des Verdichtungsraumes gesichert werden, in denen die Umlandgemeinden auch in der Lage sind, Entlastungsfunktionen für die Kernstädte wahrzunehmen und eine geordnete Entwicklung des Gesamtraumes sicherzustellen. ... Ziel ist es, die Stadt-Umland-Beziehungen nach Maßgabe der ausgewogenen Leistungsfähigkeit zu ordnen, um ein Gefalle in der Leistungskraft zu vermeiden und um Gegengewichte zur Stadt bilden zu können. ... Nicht zuletzt angesichts des heterogenen Verhältnisses in den zu beurteilenden Räumen ist eine Differenzierung der Einwohnerzahl als Indikator der Leistungsfähigkeit nach dem Grad der Verdichtung und der Größe der Kernstadt erforderlich. Im verdichteten Raum um die Oberzentren sollen sich die Gemeindegrößen daher an der Regelmindestgröße von 8.000 Einwohnern, im ländlichen Raum an der Regelmindestgröße von 5.000 Einwohnern orientieren. Die Leistungsfähigkeit einer Gemeinde wird nicht allein durch die betriebswirtschaftliche Effizienz, sondern zugleich durch die Bürgernähe der Gemeindeverwaltung und durch die Fähigkeit zur Erhaltung und Entwicklung einer lokalen Identität bestimmt.

1.8.

Bei der Neugliederung sind die historisch gewachsenen Strukturen und Beziehungen sowie ethnischen und landsmannschaftlichen Bindungen zu berücksichtigen.

1.9.

Dort, wo zwischen Kernstadt und Umlandgemeinden freiwillige Lösungen zustande kommen, sollen diese in der Regel akzeptiert werden. Ziel der Neugliederung im Bereich der Kreisfreien Städte und ihres Umlandes ist die Schaffung einer effizienten Verwaltungsstruktur zur Bewältigung der Aufgaben und Probleme des Stadt-Umland-Bereiches.

II.

II. 1. Die Herstellung der Kongruenz von Aufgaben- und Verwaltungsraum ist ein wichtiges Mittel — wenngleich nicht das einzige — der Problemlösung. II.2. Die Abgrenzung der Verwaltungsräume im Stadt-Umland-Bereich ist davon abhängig, inwieweit die einheitliche Aufgabenwahrnehmung im Interesse LVerfGE 10

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen effizienter Aufgabenerledigung erforderlich ist. Dabei sollte die zu erwartende Problemverarbeitungskapazität der Kernstadt in Rechnung gestellt werden, aber auch dafür Sorge getragen werden, daß sich der Verwaltungsraum der Kernstadt nicht über eine angemessene Raumtiefe hinaus vergrößert. Teileingliederungen und Flächenabtretungen sind, wo möglich, zur Problembewältigung heranzuziehen. 11.3. Der Gefahr von Konkurrenzplanungen und Fehlentwicklungen kann durch eine Zusammenfassung des Planungsraumes entgegengewirkt werden. Einheitliche Aufgabenräume (z. B. im Hinblick auf Siedlung, Infrastruktur, Verkehr) sollten auch nach einem Gesamtkonzept geplant und entwickelt werden können. 11.4. Der Tendenz zur Abwanderung von der Kernstadt in die Umlandgemeinden kann durch Eingliederung entgegengewirkt werden, um einer dysfunktionalen Entwicklung der Kernstädte und des Umlandes zu begegnen. 11.5. Großvorhaben (wie etwa Flughäfen, Messen, Gewerbeparks, Güterverkehrszentren und Einkaufszentren) können Ordnungsprobleme aufwerfen, die nur mit einer hinreichend großen effizienten und flexiblen Verwaltung zu bewältigen sind. 11.6. Die Begrenzung der Zahl der Verwaltungsebenen ist ein legitimes Ziel der Neugliederung zur Erhaltung der Übersichtlichkeit der Verwaltungsstruktur. Im Stadt-Umland-Bereich hat die Schaffung von leistungsfähigen Einheitsgemeinden den Vorrang vor der Schaffung von Verwaltungsgemeinschaften, Verwaltungsverbänden und sonstigen institutionellen Strukturen der zwischengemeindlichen Kooperation, die weniger effizient sind. 11.7. Durch die Eingliederung sollen die vorhandenen Kreise in ihrer Leistungsfähigkeit nach Möglichkeit nicht grundlegend beeinträchtigt werden. Bei der Eingliederung von kreisangehörigen Umlandgemeinden in eine kreisfreie Stadt sollte nach Möglichkeit der Landkreis, dem die Umlandgemeinden angehören, nicht so geschwächt werden, daß er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Dies kann insbesondere angesichts der zum Teil im Vergleich zu den alten Ländern erheblich kleineren Kreiszuschnitte dann der Fall sein, wenn entweder einwohnerstarke Gemeinden, eine große Zahl von Gemeinden des gleichen Landkreises oder aber in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den Kreis wichtige Gemeinden eingegliedert werden sollen. Angesichts der erst vor kurzer Zeit durchgeführten Kreisgebietsreform ist eine solche Schwächung der neugegliederten und gebildeten Landkreise nach Möglichkeit zu vermeiden, um Integrationsnachteile und Leistungsdefizite auf kreiskommunaler Ebene zu verhindern. Die Wahrnehmung der Kreisaufgaben, insbesondere der Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion der Kreise, setzt eine hinreichende Zahl von kreis-

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Gemeindegebietsreform — verfassungsrechtliche Anforderungen

381

angehörigen Gemeinden und zudem eine hinreichende Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden voraus. III.

Starke Verflechtungsbeziehungen zwischen Kernstädten und Umlandgemeinden sowie die zwischen Umlandgemeinden indizieren einen einheitlichen Aufgabenraum. Sie sind wichtige Kriterien für eine Abgrenzung der Verwaltungsräume. Die Anpassung des territorialen Zuschnitts an die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen ist ein wichtiges Anliegen der Herstellung effektiver Verwaltungsstrukturen und damit auch ein wichtiges Kriterium für die Eingliederungsentscheidung. Insofern i s t . . . einhellig anerkannt, daß der Gesetzgeber zwar nicht auf das Zusammenfassen siedlungsverflochtener Orte beschränkt ist. Er kann aber z. B. die prozentual hohe Intensität der Wanderungsbewegungen, die Dichte der Verkehrsverbindungen, hohe relative Pendlerzahlen, eine deutliche Ausrichtung im Nahverkehr, enge Einkaufsbeziehungen sowie Verflechtungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung und Gerichtsbarkeit bei seiner Eingliederungsentscheidung berücksichtigen. ... Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Schaffung eines einheitlichen Verwaltungsraumes angesichts der sehr unterschiedlichen territorialen Zuschnitte der verschiedenen Aufgaben durch Eingliederungen oft kein realistisches Ziel sein kann. Dies jedenfalls dann nicht, wenn alle zur Grundfunktion zu rechnenden Aufgaben einbezogen würden. Als Kriterium kommen daher nur intensivere Verflechtungsbeziehungen in Betracht. Kernstadt und Umlandgemeinden sollen sich grundsätzlich im Sinne einer ausgewogenen funktionsräumlichen Arbeitsteilung durch die Impulse ihrer je unterschiedlichen Entwicklungsvorstellungen in der jeweiligen Region ergänzen. Dies schließt ein Spannungsverhältnis von Stadt und Umlandgemeinden ein. Diese wechselseitige Ergänzungsfunktion wird jedoch dort nicht mehr gegeben sein, wo die Umlandgemeinden aufgrund ihres hohen Verflechtungsgrades mit der Kernstadt mit deren Entwicklung in der Weise verbunden sind, daß sie faktisch um die Eigenständigkeit einer Entwicklungsmöglichkeit gebracht werden. ... Ob eine solche Intensität der Aufgabenverflechtungen gegeben ist, läßt sich nur aufgrund einer Gesamtbewertung der bestehenden und einer Prognose der zukünftig eintretenden Verflechtungsbeziehungen feststellen.

III.l. Starke Pendlerbeziehungen zwischen Kernstadt und Umland können Anzeichen für eine dys funktionale Entwicklung sein. ... Die Pendlerverflechtung ist allerdings kein singuläres Kriterium einer Eingliederungsentscheidung, wohl aber gibt sie ein wichtiges Kriterium für die Zuordnung von Gemeinden ab, die ohnehin, etwa wegen mangelnder Leistungsfähigkeit aufgelöst und neu gegliedert werden müssen. Hier zeigt die Pendlerverflechtung, und zwar sowohl ein positiver wie ein negativer Pendlersaldo, eine Verflechtungsintensität an, die eine Orientierung der Gemeinde andeutet. Einige Gemeinden und Einwohner waren im Anhörungsverfahren davon ausgegangen, daß ein ausgeglichener Pendlersaldo anzustreben sei. Dies wird damit jedoch nicht zum Ausdruck gebracht. Ent-

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Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen scheidend ist, wie die Pendlerintensität in bezug auf die Größe und zentralörtliche Funktion der Gemeinde zu bewerten ist. ... Besonders hohe Auspendlerzahlen bzw. Einpendlerzahlen können ... ein verstärktes Indiz für dysfunktionale Entwicklungen in der Umlandgemeinde sein, da sie Ergebnis einer einseitigen starken Ausrichtung bzw. Entwicklung der Gemeinde sein können (z. B. Wohnungsbau, großflächiger Einzelhandel). Bedeutsam erscheinen insoweit die durch Verkehrsströme hervorgerufenen Folgeprobleme. ... Insoweit sind die Stadtregionen im allgemeinen, Dresden und Leipzig im besonderen, über die großen Fernverkehrsströme hinaus durch Regional- und Ortsverkehr in erheblicher Weise belastet. 111.2. Ein weiterer Indikator für enge räumliche Verflechtungen einer Kernstadt und ihres Umlandes ist der enge bauliche Zusammenhang. Er kann die Schaffung eines einheitlichen Verwaltungsraumes nahe legen. Bauliche Zusammenhänge sind ein Kriterium für eine hohe Verflechtungsintensität. Solche baulichen Verflechtungen ergeben sich bei deutlichen grenzüberschreitenden Bebauungen, die letztlich zu einer Verzahnung der Siedlungsstruktur beiderseits der Grenzen führen. Dabei ist ... freilich eine gewisse Intensität erforderlich, die sich im äußeren Erscheinungsbild als einheitliche Siedlungsstruktur darstellen, aber auch eine funktionale Einheit sein kann. ... Funktionale Verflechtungen im Grenzbereich können freilich auch Abstimmungsprobleme der Zuordnung von räumlichen Nutzungen indizieren, die nur in der Hand eines Planungsträgers sinnvoll gelöst werden können. Dies kann eine Rolle dort spielen, wo aufgrund von Planungen von Umlandgemeinden Folgeplanungen in der Kernstadt ausgelöst wurden oder werden, die erhebliche Anforderungen an die Problemlösungskapazität stellen und daher durch schwierige Abstimmungsprozesse nicht zusätzlich belastet werden sollen. 111.3. Verflechtungen im Bereich der sonstigen Infrastruktur geben nur in Ausnahmefällen Anhaltspunkte für einen Eingliederungsbedarf. Die Tatsache der grenzüberschreitenden Funktion von Versorgungseinrichtungen kann nicht schon an sich zum Ansatzpunkt für Eingliederungsentscheidungen genommen werden. Die zentralörtliche Funktion beinhaltet notwendig eine solche Versorgungsübernahme für Umlandgemeinden (vgl. Landesentwicklungsplan Sachsen Ziff. 1.4.2., S. B12). Durch die zentralörtliche Gliederung soll geradezu die Grundlage für den räumlich gezielten und koordinierten Einsatz der Ressourcen im Interesse einer gleichmäßigen Versorgung geschaffen werden (vgl. Landesentwicklungsplan Sachsen Ziff. 1.4.2., S. B12). Daher bedarf es zusätzlicher Kriterien für eine Zusammenlegung von Verwaltungsräumen, die sich auf die Notwendigkeit einer Aufgabenerfüllung in einheitlicher Trägerschaft stützen müssen. Hier ist im übrigen zu berücksichtigen,, daß die Trägerschaft für die Aufgaben Wasser, Abwasser, Abfall, Strom und Fernwärme bereits institutionalisiert sind, entweder unter Einschluß der Kernstadt oder in Umlandzusammenschlüssen, häufig in der Form von Zweckverbänden. ...

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Gemeindegebietsreform - verfassungsrechtliche Anforderungen IV.

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Die Neugliederung muß den Belangen des Umweltschutzes und der Raumordnung und Landesplanung Rechnung tragen.

IV.6. Die Verhinderung des baulichen Zusammenwachsens von Kernstädten und Umlandgemeinden kann aus Gründen des Umwelt- und Naturschutzes sinnvoll sein. Dies spricht nicht gegen eine Eingliederung von Umlandgemeinden in die Kernstädte, wenn sie baulich mit diesen nicht verbunden sind. Landschaftliche Barrieren sind dabei allerdings zu beachten. IV.7. Die Neugliederung soll die zentralörtlichen Funktionen berücksichtigen. IV.8. Mittel- und Unterzentren haben einschließlich ihrer Sonderformen, insbesondere der Siedlungsschwerpunkte, Ergänzungs- und Endastungsfunktionen für die Kernstädte und sollen gestärkt werden. Dies schließt eine Eingliederung von Unterzentren einschließlich ihrer Sonderformen nicht aus. Mittel- und Unterzentren haben einschließlich ihrer Sonderformen . . . für ihren jeweiligen Verflechtungsbereich, der sich mit dem des Oberzentrums überschneiden kann, eine Entlastungsfunktion (vgl. Landesentwicklungsplan Sachsen Ziff. 1.4.7; 1.4.11.6.). Dieser Endastungsfunktion kommt gerade für die Verdichtungsräume eine erhebliche Bedeutung zu. Insofern sollen die vorhandenen funktionalen Verflechtungen von Städten und Siedlungsschwerpunkten im Sinne einer ausgewogenen regionalen Entwicklung genutzt werden. Vorhandene Zentren sind daher grundsätzlich im Interesse der effektiven funktionsteiligen Aufgabenerfüllung zu stärken. Dies kann allerdings eine Eingliederung von Unterzentren einschließlich ihrer Sonderformen nicht ausschließen, wenn dies für eine gesamträumlich optimale Abgrenzung der Verwaltungsräume wichtig ist. Während von Mittelzentren aufgrund ihrer Größe und ihres Leistungsumfanges eine wesentliche entlastende und ordnende Wirkung für den Stadt-Umland-Bereich ausgeht, bedarf dies bei Unterzentren einer genauen Prüfung und Abwägung im Einzelfall. . . . IV.9. Der Gesetzgeber kann der raumordnerisch nicht gewollten Entwicklung von Gemeinden durch Eingliederung entgegenwirken. V.

Der Flächenbedarf als solches rechtfertigt keine Eingliederung in die Kernstädte, sondern nur dann, wenn sich aus öffentlichen Interessen ein Flächenbedarf ergibt.

V.l.

Der Flächenbedarf der Kernstädte ist verfassungsrechtlich nicht schwerer zu gewichten als das Bestandsinteresse der Umlandgemeinden.

V.2. Die zentralörtlichen Funktionen der Kernstädte sind Ausdruck des Allgemeinwohls. Sie repräsentieren das öffentliche Interesse an der Versorgung und Entwicklung einer Region und können daher einen Flächenbedarf legitimieren.

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VI.

Der Finanzbedarf der Kernstädte rechtfertigt für sich allein keine Eingliederungen. Allerdings können unausgewogene Verteilungen der Finanzkraft Indizien einer dys funktionalen Entwicklung im Stadt-Umland-Bereich sein.

2. D e m Stadt-Umland-Gesetz Leipzig ging ein im Jahr 1991 gefaßter Beschluß der Sächsischen Staatsregierung über eine kommunale Gebietsreform voraus, mit der die seit dem Jahre 1952 unveränderte Gemeindegebietsstruktur den Erfordernissen einer modernen Kommunalverwaltung angepaßt werden sollte. Die Sächsische Staatsregierung und der Sächsische Landtag entschieden sich in Folge dafür, die Landkreise und die Gemeinden nicht gleichzeitig anders zu gliedern, sondern in der ersten Legislaturperiode des Sächsischen Landtages die Landkreise neu zu ordnen und die Gemeindegebietsreform der nächsten Legislaturperiode vorzubehalten. Den Gemeinden sollte dadurch insbesondere Gelegenheit gegeben werden, die Stadt-Umland-Struktur durch freiwillige Zusammenschlüsse neu zu regeln. Die dazu beschlossenen „Grundsätze über die kommunale Zielplanung im Freistaat Sachsen" wurden im Januar 1994 bekannt gegeben (SächsABl. S. 48). Zur Vorbereitung der Gemeindegebietsreform im Randbereich der kreisfreien Städte erstellten die Professoren Müller und Trute von der Technischen Universität Dresden für das Sächsische Staatsministeriums des Innern im Jahr 1995 ein Gutachten unter dem Titel „Institutionelle Möglichkeiten zur Lösung von Stadt-Umland-Problemen kreisfreier Städte im Zuge der Gemeindegebietsreform in Sachsen". Auf dessen Grundlage erarbeitete das Sächsische Staatsministerium des Innern den Entwurf eines Gesetzes zur Eingliederung von Gemeinden und Gemeindeteilen in die Stadt Leipzig, der im Dezember 1996 vorlag und — abweichend von den gutachterlichen Empfehlungen — vorsah, die Antragstellerin nach Leipzig einzugemeinden. Eine Anhörung der Antragstellerin, der Stadt Leipzig, des Landkreises Leipziger Land und der sonstigen Träger öffentlicher Belange erfolgte in der Zeit vom 30. Januar 1997 bis 25. April 1997. Die Einwohner der Antragstellerin wurden zwischen dem 4. März 1997 und dem 3. April 1997 angehört. Die Stadt Leipzig stimmte den Eingemeindungen zu. Die Antragstellerin und ihre Einwohner — diese mit über 99 % der abgegebenen Stimmen (4.488 von 19.268 Anhörungsberechtigten) — sowie der Landkreis Leipziger Land sprachen sich dagegen aus. Nach Durchführung der Anhörungen wurde der Gesetzentwurf überarbeitet und in zwei Teilentwürfe aufgespalten, die im September 1997 von der Sächsischen Staatsregierung in den Landtag eingebracht wurden. Der Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Kreisfreien Stadt Leipzig (DS 2/6732) sah - wie der Anhörungsentwurf - als

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sog. „Große Lösung" eine Eingliederung der Antragstellerin sowie der Gemeinden Engelsdorf, Holzhausen, Liebertwolkwitz und Mölkau zum 1. Januar 1999 vor. Der Entwurf des Ersten Gesetzes zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Kreisfreien Stadt Leipzig (DS 2/6731) betraf eine Umgliederung der Stadt Schkeuditz vom Landkreis Leipziger Land in den Landkreis Delitzsch, die bereits zum 1. Januar 1998 in Kraft treten sollte. Beide Entwürfe wurden schließlich zu einem einheitlichen Gesetz zusammengefaßt. Zur Eingemeindung der Antragstellerin wird im gebietlichen Teil des Regierungsentwurfs (vgl. DS 2/6732, S. 170 f., 290-319) ausgeführt, die Stadt liege deutlich über den in Leitsatz 1.4. und 1.6. genannten Voraussetzungen, so daß ein Neugliederungsbedarf wegen fehlender Leistungsfähigkeit nicht bestehe. Die Eingemeindung sei jedoch wegen einer „besonders intensiven Verflechtung mit Leipzig", dem „erheblichen Ordnungsbedarf zwischen Markkleeberg und Leipzig" und der „topographischen Situation im Hinblick auf die kreisliche Einbindung" gerechtfertigt. Das vorbereitende Gutachten sei an dieser Stelle „nicht überzeugend". Es habe verkannt, daß die Antragstellerin „wie keine andere sächsische Stadt mit einer Kernstadt verflochten" sei (vgl. DS 2/6732, S. 298). Der Bericht des federführenden Innenausschusses enthält in seinem gebietlichen Teil eine überarbeitete Gesetzesbegründung (vgl. DS 2/9279, S. 186f., 339—368). II. 1. Die Antragstellerin beantragt: Art. 1 § 1 Abs. 1 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig ist mit Art. 82 Abs. 2, 84 Abs. 1 und 2, 88 Abs. 1 und 2 SächsVerf unvereinbar und nichtig, soweit die Stadt Markkleeberg in die Stadt Leipzig eingegliedert wird.

Hilfsweise beantragt sie: Art. 1 § 4 Abs. 4 ist mit Art. 82 Abs. 2, 84 Abs. 1 und 2 SächsVerf unvereinbar und nichtig, soweit die Gemeinden längstens bis zum 31. Dezember 2010 für Verfahren über die Wirksamkeit der Eingliederung nach § 1 Abs. 1 und zur Wahrnehmung der Rechte hinsichtlich Vereinbarungen oder rechtsaufsichtlicher Bestimmungen nach § 4 Abs. 3 als fortbestehend gelten.

Die Antragstellerin macht geltend, ihre Eingliederung in die Stadt Leipzig sei nicht durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt. Die Umsetzung der Leitsätze zur Gebietsreform sei verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt (a) und sich auch nicht an seine selbst gesetzten Maßstäbe gehalten (b). a) Entgegen der Gesetzesbegründung bestünden keine besonderen Verflechtungen, die eine Eingemeindung nach Leipzig rechtfertigten. LVerfGE 10

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Die Pendlerbeziehungen seien nur unzureichend ermittelt bzw. berücksichtigt worden. Nach Angaben des Arbeitsamtes habe es zum 30. Juni 1996 insgesamt 6.972 Ein- und 5.769 Auspendler in das Gebiet der Antragstellerin gegeben. Obwohl die Pendlerverflechtungen zum Umland annähernd so stark seien wie zur Kernstadt, habe der Gesetzgeber nur die Letztgenannten berücksichtigt. Zudem habe er verkannt, daß die Zahl der Pendler in den Südraum nach der Sanierung der Tagebaufolgelandschaften weiter ansteigen werde, zumal die Industrie im Leipziger Raum im Jahr 1990 zusammengebrochen sei. Soweit die Gesetzesbegründung entscheidend auf die absolute Zahl der Arbeitspendlerbewegungen abstelle (vgl. DS 2/9279, S. 357), verkenne sie deren Ursachen. Die Antragstellerin sei die weitaus größte Stadt im Umland von Leipzig. Bezogen auf die Einwohnerzahl ergebe sich eine Auspendlerquote von rund 17%; diese werde von zahlreichen Umlandgemeinden deutlich übertroffen. Im übrigen sei bei vergleichbaren Städten des sogenannten „ersten Rings" mit ähnlich hohen Pendlerzahlen auf eine Eingliederung verzichtet worden. Ermitdungsdefizite bestünden auch hinsichtlich der Abwanderung aus der Kernstadt. Die - in sich widersprüchliche - Gesetzesbegründung (vgl. DS 2/9279, S. 341, 350) gehe zu Unrecht davon aus, daß zwischen 1993 und 1997 16 % der aus Leipzig abgewanderten Personen in das Stadtgebiet der Antragstellerin gezogen seien. Aus Angaben des Statistischen Landesamtes errechne sich lediglich ein Anteil von rund 4%. Bei der Zahl der Zuzüge nehme die Antragstellerin auch keine Spitzenstellung innerhalb des Freistaates ein. Ihre langfristige städtebauliche Entwicklung habe sie auf eine Einwohnerzahl von rund 25.000 ausgerichtet, nicht - wie die Regierungsbegründung andeute — auf 30.000. Zudem habe der Gesetzgeber seiner Prognose sowohl eine überhöhte Durchschnittseinwohnerzahl je Wohneinheit als auch die unrealistische Annahme zu Grunde gelegt, das größte ausgewiesene Wohngebiet werde statt für Einfamilienoder Reihenhäuser für Geschoßwohnungsbauten genutzt. Die Bevölkerungszahl der Antragstellerin habe sich in den vergangen Jahren stabilisiert. Auch die Ermittlungen zum großflächigen Einzelhandel und dessen Einzugsbereich seien fehlerhaft. Der in der Gesetzesbegründung angegebene provisorische Möbelmarkt mit rund 2.000 qm Verkaufsfläche sei bereits 1994 aufgegeben worden. Selbst wenn man die unrichtig ermittelte Gesamtverkaufsfläche von rund 41.000 qm unterstelle, verfüge die Antragstellerin als ausgewiesenes Unterzentrum und größte Umlandgemeinde trotz einer außergewöhnlich hohen Kaufkraft nur über die drittgrößte Verkaufsflächenkonzentration und eine - für den Ballungsraum Leipzig — sogar unterdurchschnittliche Verkaufsflächenzahl von 1,8 qm je Einwohner. Der Durchschnitt liege bei 2,5 qm je Einwohner. Zusätzliche großflächige Einzelhandelsbetriebe seien nach den bauplanungsrechtlichen Satzungen der Stadt nicht zulässig. Die Annahme des Gesetzgebers, der Einzugsbereich der vorhandenen Betriebe beschränke sich angesichts deren LVerfGE 10

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unzulänglichen Verkehrsanbindung im Wesentlichen auf das Stadtgebiet von Leipzig, sei falsch. Da es südlich von Leipzig kein vergleichbares Einkaufszentrum gebe, erstrecke sich das Einzugsgebiet vielmehr bis weit in den Muldentalkreis und in den Landkreis Leipziger Land. Die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr spiele bei Einkaufszentren auch lediglich eine untergeordnete Rolle. Mit dem Pkw lasse sich die vom Gesetzgeber angenommene „räumliche Zäsur" der Tagebaufolgelandschaften mühelos überwinden. Zudem hätten mehrere Zählungen auf Kundenparkplätzen ergeben, daß nur rund ein Viertel der vorgefundenen Kraftfahrzeuge in Leipzig zugelassen sei. In den letzten Jahren habe die Kernstadt nicht nur ihre Verkaufsfläche, sondern auch die Attraktivität der Einkaufsmöglichkeiten deutlich gesteigert. Im übrigen entspreche es der zentralörtlichen Funktion der Antragstellerin, Kaufkraft auch aus dem Umland zu binden. Soweit die Gesetzesbegründung ausführe, die Eingemeindung sei zur Bewältigung der Tagebaufolgen angezeigt, lägen dem Eingliederungsgesetz unzureichend ermittelte bzw. falsche Tatsachen zu Grunde. Insbesondere werde die Stadt Leipzig, die unmittelbar an zwei Braunkohlegebiete grenze, hinreichend an der Bewältigung der Tagebaufolgen beteiligt. Ungeachtet ihrer tatsächlicher Betroffenheit — der ehemalige Tagebau Cospuden liege zu einem großen Teil auf Leipziger Gebiet — habe sie bislang nur ein geringes Interesse an der Tätigkeit des im Jahr 1996 gegründeten Zweckverbandes „Kommunales Forum Südraum Leipzig" gezeigt. Die Stadt sei dem Zweckverband erst im Sommer 1998 beigetreten, und dies auch nur mit 50.000 ihrer rund 430.000 Einwohner. Dadurch zahle sie eine erheblich niedrigere Verbandsumlage und sei in geringerem Umfang in der Verbandsversammlung vertreten. Eine stärkere Einbeziehung sei der Stadt Leipzig durch den Beitritt mit zusätzlichen Einwohnern ohne weiteres möglich. Im übrigen habe der Gesetzgeber verkannt, daß bei der Sanierung der Braunkohlegebiete und deren Entwicklung als Freizeit- und Erholungslandschaften insbesondere im Bereich des Cospudener Sees bereits große Fortschritte erzielt worden seien. Unzutreffend sei auch die Annahme des Gesetzgebers, die Neugliederung hebe die Einwohnerzahl der Kernstadt langfristig über den Grenzwert von 500.000, wodurch dem Freistaat Mehreinnahmen aus dem Länderfinanzausgleich erwüchsen (vgl. § 9 Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz). Selbst bei einer vollständigen Vollziehung des Art. 1 § 1 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig werde die Einwohnerzahl spätestens Mitte des Jahres 1999 unter den genannten Grenzwert fallen, wie sich aus einer Hochrechnung ergebe. Die erwarteten Mehreinnahmen habe der Gesetzgeber zu einem erheblichen Teil für Strukturmaßnahmen zu Gunsten des Landkreises eingeplant (vgl. DS 2/9279, S. 426/ Die zentralörtlichen Funktionen der Antragstellerin seien nur unzureichend berücksichtigt worden. Entgegen der Gesetzesbegründung (vgl. DS 2/9279, LVerfGE 10

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S. 341,346) nehme die Antragstellerin als ausgewiesenes Unterzentrum und Siedlungsschwerpunkt sämtliche mittelzentralen Funktionen mit Ausnahme der Krankenhausversorgung wahr. Mit ihrer Infrastruktur erfülle sie wichtige Aufgaben bei der Versorgung der Bevölkerung, insbesondere im Bildungswesen, bei der gesundheitlichen Versorgung und beim Einzelhandel. Durch rund 9.500 Arbeitsplätze endaste sie die Kernstadt in erheblichem Maße. Die Annahme des Gesetzgebers, die unterzentralen Siedlungsschwerpunkte Böhlen und Zwenkau mit ihren jeweils rund 8.000 Einwohnern seien zur Endastung der Kernstadt besser geeignet, beruhe auf einem Ermitdungsdefizit. Böhlen, dessen Einwohnerzahl seit 1990 sinke, entspreche nur knapp den Anforderungen des Leitsatzes 1.4. Die Haushaltssituation und Infrastruktur seien schlecht. Es gebe weder ein Gymnasium noch Kinder-, Alten- oder Pflegeheime. Der „Regionale Förderplan Sachsen" des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Arbeit vom 26. Dezember 1996 weise Böhlen als besonders strukturschwache Region aus. Zwenkau verfüge über ein Kreiskrankenhaus sowie ein Alten- und Pflegeheim. Die Ausstattung mit Schulen sei jedoch schlecht: Anders als bei der Antragstellerin gebe es weder ein Gymnasium noch eine Förderschule für Lernbehinderte, eine Förderschule für geistig Behinderte oder ein berufliches Schulzentrum. Sowohl Böhlen als auch Zwenkau seien in den Förderrichtlinien der Sächsischen Aufbaubank als besonders benachteiligte Randgebiete eingestuft. Auf einem unzutreffend und unvollständig ermittelten Sachverhalt beruhe die Gesetzesbegründung auch insoweit, als sie ausführe, der Auewald sei ein gemeinsamer Erholungsraum beider Städte, der einer planerischen Weiterentwicklung in einheitlicher Verantwortung bedürfe. Bereits in ihrer Anhörung habe die Antragstellerin darauf hingewiesen, daß der Auewald als Landschaftsschutzgebiet einer gemeindlichen Bauleitplanung entzogen sei. Für eine Erweiterung des Schutzgebietes sei das Regierungspräsidium Leipzig als höhere Naturschutzbehörde (§ 48 Abs. 2 Nr. 1, § 50 Abs. 1 Nr. 3 SächsNatSchG) zuständig. In Kenntnis des antragstellerischen Vorbringens sei der Gesetzgeber fehlerhaft davon ausgegangen, eine einheitliche kommunale Verantwortung für das Naherholungsgebiet sei für dessen künftige Entwicklung besonders vorteilhaft (vgl. DS 2/9279, S. 340, 353, 357). Auch beim Gelände der Agra-Landwirtschaftsausstellung (nachfolgend: Agra-Gelände) sei der Gesetzgeber zu Unrecht von der Notwendigkeit einer einheitlichen planerischen und gestalterischen Weiterentwicklung ausgegangen. Ein besonderer Koordinierungsbedarf liege insoweit nicht vor. Das Entwicklungskonzept der Stadt Leipzig stehe mit den Planungen der Antragstellerin — insbesondere mit deren Flächennutzungsplan — in Einklang. Schließlich bestehe ein Ermittlungsdefizit insofern, als es in der Gesetzesbegründung heiße, daß die „intensiven Verflechtungen" zwischen den Städten „durch Einrichtungen der technischen Infrastruktur abgerundet" würden (vgl. DS 2/9279, S. 340). Verflechtungsbeziehungen der genannten Art bestünden LVerfGE 10

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nicht. Die Antragstellerin sei weder an das Gas- noch an das Fernwärmenetz der Stadt Leipzig angeschlossen. Sie sei Mitglied des Zweckverbandes „Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Leipzig", der sich - wie die Stadt Leipzig und zahlreiche Umlandgemeinden — der Kommunalen Wasserwerke Leipzig bediene. Abwässer würden in einer eigenen städtischen Kläranlage gereinigt. Die Stromversorgung erfolge über die WESAG, die ihren Hauptsitz in Markkleeberg habe. b) Die angegriffene Regelung des Art. 1 § 1 Abs. 1 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig sei auch wegen einer fehlerhaften Umsetzung der Leitsätze zur Gebietsreform verfassungswidrig. Die Eingemeindung widerspreche sowohl dem Gebot der Systemgerechtigkeit als auch dem Grundsatz der kommunalen Gleichbehandlung. In keinem anderen Fall sei die einwohnerstärkste Stadt des Umlandes bzw. eines Landkreises in die Kernstadt eingegliedert worden. Die Antragstellerin entspreche anerkanntermaßen den Anforderungen des Leitsatzes I. Die Eingemeindung vergleichbarer, aber weniger leistungsfähiger Unterzentren aus der unmittelbaren Umgebung von Leipzig — wie Taucha (13.984 Einwohner) oder Markranstädt (10.096 Einwohner) — habe der Gesetzgeber nicht einmal erwogen. Entsprechendes gelte für die Städte Radeberg (15.474 Einwohner), Freital (37.899 Einwohner), Radebeul (31.049 Einwohner) und Heidenau (18.621 Einwohner) sowie für Wilkau-Haßlau (10.095 Einwohner) und Werdau (23.449) im Umland von Dresden bzw. Zwickau. Aus dem „ersten Ring" um Chemnitz seien Flöha (12.173 Einwohner), Frankenberg (15.942 Einwohner) und Neukirchen (5.002 Einwohner) trotz geringerer Leistungsfähigkeit von einer Eingliederung verschont geblieben. Bei Anwendung seiner Leitsätze II. 1., II.2. und 11.4. habe der Gesetzgeber die Planungstätigkeit der Antragstellerin, die Abwanderungstendenzen und die Bewältigung der Tagebaufolgelandschaften fehlerhaft gewichtet. Die städtische Bauleitplanung, die auf eine künftige Einwohnerzahl von 25.000 ausgerichtet sei, beeinträchtige die Belange der Nachbarstadt nicht. Diese habe bereits in ihrer Stellungnahme vom Januar 1997 zum Entwurf des antragstellerischen Flächennutzungsplans klargestellt, daß sie über ausreichende Wohnbauflächen verfüge. Der Gesetzgeber habe auch die künftige Bevölkerungsentwicklung falsch bewertet, insbesondere deshalb, weil er von einer unzutreffenden Prognose ausgegangen sei (s.o.). Die städtische Infrastruktur sei auf den zu erwartenden moderaten Bevölkerungszuwachs eingerichtet und entspreche der zentralörtlichen Funktion der Antragstellerin nach dem Landesentwicklungsplan. Angesichts der Ausdehnung der Braunkohlegebiete sei die Eingliederung auch nicht geeignet, die anstehenden Sanierungsaufgaben zu bewältigen. Insbesondere werde — auch im Bereich des Cospudener Sees — kein einheitlicher Aufgabenund Verwaltungsraum im Sinne von Leitsatz II.2. geschaffen. Hier bedürfe es LVerfGE 10

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einer größeren Verwaltungsstrukur, wie sie mit dem Zweckverband „Kommunales Forum Südraum Leipzig" bereits bestehe. Die Eingemeindung sei kein geeignetes Mittel zur Kompensation der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft der Kernstadt. Im Übrigen sei die Problemverarbeitungskapazität der Antragstellerin ausreichend. Fehlerhaft sei die Umsetzung der Leitbilder auch deshalb, weil die Neugliederungen zu einer erheblichen Schwächung des Landkreises Leipziger Land führe. Gemäß Leitsatz II.7. dürften die Eingemeindungen die Leistungsfähigkeit der Landkreise nicht grundlegend beeinträchtigen, was anhand der Leitbilder zur Kreisgebietsreform zu messen sei (Leitsatz II.9.). Diesen selbst gesetzten Maßstäben entspreche die Gebietsreform nicht. Bezogen sowohl auf die Antragstellerin als auch auf den Landkreis sei die gesetzgeberische Gewichtung unverhältnismäßig. Zur Verwirklichung des Sektoralkreisprinzips bedürfe es einer Eingliederung der Antragstellerin nicht. Als Folge der vorgesehenen Gesamtneugliederung erreiche der Landkreis Leipziger Land mit rund 131.000 Einwohnern nur noch knapp die Regelmindestgröße von 125.000. Ein Drittel (vorher 26 %) des Kreisgebietes bestehe aus Tagebauflächen. 95 % der sanierungsbedürftigen Flächen lägen im Gebiet des Landkreises, der mit der Antragstellerin darüber hinaus seine einwohner- und umlagenstärkste Stadt verliere. Die Arbeitslosenquote des Restkreises betrage circa 18 %. Eine finanzielle Unterstützung des Landkreises aus den Mehreinnahmen beim Länderfinanzausgleich sei in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Form nicht möglich, weil die Stadt Leipzig nicht dauerhaft mehr als 500.000 Einwohner erreiche (s.o.). Bei einer Eingliederung der Antragstellerin gebe es im Nordosten des Landkreises keine größere Gemeinde mehr; die Kernstadt grenze unmittelbar an den dünn besiedelten ländlichen Raum. Durch den Verlust der Mitderrolle, den die Antragstellerin — auch im Zweckverband — übernommen habe, sei mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen. Beim Erhalt ihrer Selbständigkeit könne die Antragstellerin dagegen als Bindeglied zwischen der Kernstadt und dem neuen Kreissitz Borna auf der Achse Leipzig-Chemnitz dienen. Dazu seien Böhlen und Zwenkau aufgrund ihrer geringen Leistungsfähigkeit nicht in der Lage. Auch die Anwendung von Leitsatz III. sei fehlerhaft. Verflechtungsbeziehungen, wie sie dort vorausgesetzt würden, bestünden nicht. Der Gesetzgeber habe die absoluten Pendlerzahlen als wesentliches Kriterium seiner Neugliederungsentscheidung herangezogen, obwohl es in der Begründung seines Leitsatzes III.l. ausdrücklich heiße, daß Pendlerverflechtungen „kein singuläres Kriterium einer Eingliederungsentscheidung" seien, sondern nur ein wichtiges Merkmal für die Zuordnung von „Gemeinden ..., die ohnehin, etwa wegen mangelnder Leistungsfähigkeit, aufgelöst und neu gegliedert werden müssen." Nach dem Leitbild der Gebietsreform müßten die Pendlerverflechtungen derart groß sein, daß die Umlandgemeinde als Trabant der Kernstadt erscheine. Ein

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solcher Fall liege nicht vor, zumal die Antragstellerin ein Einpendlerort sowohl für die Umlandgemeinden als auch die Stadt Leipzig sei. Im Übrigen verletze die gesetzgeberische Bewertung der Pendlerbeziehungen den Grundsatz der kommunalen Gleichbehandlung. Das vorbereitende Gutachten von Müller und Trute belege, daß die Summe der Aus- und Einpendler zwischen Radebeul und Dresden im Jahr 1994 bei 9.081 gelegen habe. Konsequenterweise hätte auch dies den Gesetzgeber zur Herstellung eines einheitlichen Aufgaben- und Verantwortungsraums veranlassen müssen. Die städtebaulichen Verflechtungen (Leitsatz III.2.) zwischen der Antragstellerin und Leipzig bildeten allenfalls ein schwaches Indiz für die Erforderlichkeit eines einheitlichen Verwaltungsraumes. Verzahnungen gebe es nur in kleinen Bereichen, nämlich bei etwa 5 % der insgesamt 17,5 km langen gemeinsamen Grenze. Zum weitaus überwiegenden Teil werde die Antragstellerin durch die Pleiße, die Bundesstraße B2 bzw. 95, den Auewald und die Tagebaufolgelandschaften vom Leipziger Gebiet getrennt. Im Ortsteil Wachau grenzten ein Gewerbegebiet und ein Haftkrankenhaus (Leipzig-Meusdorf) aneinander. Im Stadteil Markkleeberg-Ost verlaufe die gemeinsame Grenze in einer Länge von etwa 500 m durch eine aus Einfamilienhäuser bestehende Wohnbebauung. Im Bereich Connewitz/Wolfswinkel bestehe eine städtebauliche Verflechtung über eine Länge von rund 200 m. Der Leipziger Teil dieses Wohngebietes sei vom eigentlichen Stadtteil Connewitz durch den Auewald getrennt. Etwa 10 km gemeinsame Grenze verlaufe endang Landschafts- und Naturschutzgebieten. Bei Wachau liege die Grenze im Bereich des Flächendenkmals „Südliches Schlachtfeld der Völkerschlacht bei Leipzig 1813", im Bereich des Agra-Geländes verlaufe sie durch ein Sondergebiet und durch das Landschaftsschutzgebiet Auewald. Allein 6,55 km der gemeinsamen Grenze befänden sich im neu entstandenen Cospudener See. Im Hinblick auf das Landschaftsschutzgebiet sei eine weitergehende bauliche Verflechtung auch langfristig nicht zu erwarten. Entgegen den Ausführungen der Stadt Leipzig könne auch keine Rede davon sein, daß die — bislang nur geplante — Autobahn A 38 die Antragstellerin vom Südraum trenne. Die Annahme des Gesetzgebers, die Antragstellerin sei wie keine andere Stadt mit einer Kernstadt verflochten, belege — insbesondere im Vergleich mit Taucha und Markranstädt sowie Radebeul, Heidenau und Freital — seine fehlerhafte Gewichtung. Soweit der Gesetzgeber für den Bereich des Auewalds Verflechtungen der Naherholungs- und Naturschutzfunktion (vgl. DS 2/9279, S. 353) im Sinne von Leitsatz III.4. angenommen habe, sei seine Abwägung fehlsam, weil eine einheitliche kommunale Verantwortung für die künftige Entwicklung des Landschaftsschutzgebietes weder geeignet noch erforderlich sei. Verflechtungen im Bereich der sonstigen Infrastruktur (III.3.) begründeten einen Eingliederungsbedarf ebensowenig. Die technische Infrastruktur der beiden Städte sei nicht miteinander verflochten (s. o.). Entgegen der LVerfGE 10

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Gesetzesbegründung lasse sich aus der Schülerpendlerzahl keine „starke Orientierung auf die Kernstadt" (vgl. DS 2/9279, S. 357) ableiten. Die vom Gesetzgeber angenommene Zahl von 487 Schülern aus Markkleeberg, die Leipziger Schulen besuchten, sei nicht nachvollziehbar. Aufgrund der vorliegenden Schülerbeförderungskostenanträge sei vielmehr von 207 Schülern auszugehen. Unabhängig davon habe der Gesetzgeber jedoch verkannt, daß nachweislich insgesamt 482 Schüler aus dem Umland in die Markkleeberger Schulen pendelten. Abwägungsfehlerhaft sei auch die Anwendung der Leitsätze IV. und VI. Die Annahme des Gesetzgebers, die Stadt Leipzig könne dazu beitragen, die „sehr wichtige Aufgabe der Sanierung von Bergbaufolgelandschaften besonders optimal und nachhaltig" im Sinne von Leitsatz IV.5. zu bewältigen (vgl. DS 2/9279, S. 363), verkenne die besondere Leistungsfähigkeit der Antragstellerin auf dem Gebiet des Umweltschutzes (Leitsatz IV. 1.). Insbesondere habe die Stadt Aufforstungsmaßnahmen durchgeführt und eine Gehölzschutzsatzung erlassen. Sie sei Mitglied im „Grünen Ring Leipzig" und im Leipziger Raum als „Stadt im Grünen" bekannt. Eine sachgerechte Lösung der mit den Tagebaufolgen verbundenen Probleme könne nur im Rahmen des Zweckverbandes „Kommunales Forum Südraum Leipzig" erfolgen (s.o.). Ein besonderer Flächenbedarf der Kernstadt oder sonstige öffentliche Interessen an deren Entwicklung (Leitsätze IV. 1., IV.2., IV.3.) bestünden nicht. Der Leipziger Stadtentwicklungsplan „Wohnbauflächen" vom 18. September 1996 belege, daß die Stadt auch nach eigener Einschätzung über ein hinreichendes Flächenpotential verfüge. Zur Deckung des Finanzbedarfs der Stadt Leipzig, des Landkreises Leipziger Land oder des Freistaates Sachsen könne eine Eingliederung der Antragstellerin ebenso wenig beitragen, zumal die Kernstadt den Grenzwert von 500.000 Einwohnern nicht dauerhaft überschreiten werde (s. o.). Schließlich führe die - systemwidrige — Entscheidung des Gesetzgebers, die Antragstellerin gegen den mehrfach und nachhaltig erklärten Willen ihrer Bürger einzugemeinden, sowohl zu einem erheblichen Verlust an bürgerschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten als auch zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Vertrauens in die wiedergewonnenen demokratischen Strukturen. Die Eingliederung der Antragstellerin nach Leipzig stelle einen einmaligen Sonderfall dar. Soweit dem Hauptantrag nicht stattgegeben werde, sei Art. 1 § 4 Abs. 3 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig für nichtig zu erklären. Die Befristung der Möglichkeit, Rechte aus vertraglichen und aufsichtsbehördlichen Eingemeindungsregelungen wahrzunehmen, verstoße gegen Art. 82 Abs. 2 und Art. 84 Abs. 1 SächsVerf. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sei anerkannt, daß Gemeinden trotz ihrer Auflösung als fortbestehend anzusehen seien, soweit sie Rechte geltend machten, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Untergang stünden. Die — unbefristete — Fortbestehensfiktion sei ein Gebot des effektiven Rechtsschutzes und Teil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts LVerfGE 10

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nach der Sächsischen Verfassung. Die angegriffene Regelung führe dazu, daß Rechte aus einer auf Dauerhaftigkeit angelegten Eingliederungsvereinbarung schon wenige Jahre nach deren Abschluss nicht mehr eingeklagt werden könnten. Zugleich werde es der Stadt Leipzig wegen der Unzulässigkeit eines In-SichProzesses verwehrt, im Falle einer wesentlichen Änderung der bei Vertragsabschluß bestehenden Verhältnisse (§ 60 VwVfG) auf eine Anpassung der Eingliederungsvereinbarung zu klagen. 2. Der Sächsische Landtag hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Sächsische Staatsminister der Justiz und die Stadt Leipzig haben sich zum Verfahren geäußert. B. Die nachgereichte Stellungnahme der Stadt Leipzig vom 17. Mai 1999 gibt keinen Anlaß, erneut mündlich zu verhandeln. Der zulässige Hauptantrag ist begründet. I. Art. 1 § 1 Abs. 1 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig verstößt, soweit er die Eingliederung der Antragstellerin nach Leipzig anordnet, gegen Art. 88 Abs. 1 SächsVerf und ist nichtig. Die Antragstellerin ist deshalb zu keinem Zeitpunkt seit Inkrafttreten des genannten Gesetzes Teil der Kreisfreien Stadt Leipzig geworden. Der Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin wird schon deshalb nicht durch Gründe des Wohles der Allgemeinheit gedeckt, weil es an einer hinreichenden Ermitdung des für die gesetzgeberische Entscheidung erheblichen Sachverhalts und deshalb notwendig an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Abwägung fehlt. 1. Die angegriffene Neugliederungsentscheidung ist an folgenden Vorgaben zu messen: a) Gemeinden können auch gegen ihren Willen aufgelöst werden (Art. 88 Abs. 1 i.V.m. Art. 88 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf.). Die einzelnen Gemeinden sind gegenüber Eingriffen in ihren Bestand aber nicht ohne Schutz, da Art. 88 Abs. 1 SächsVerf — das herkömmliche verfassungsrechtliche Verständnis vom Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung in sich aufnehmend — Veränderungen des Gebietszuschnitts und des Bestandes nur aus Gründen des Wohles der Allgemeinheit sowie nach Anhörung der betroffenen Gemeinden (vgl. SächsVerfGH, SächsVBl. 1997, 79, 80 zur Kreisgebietsreform) und der Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete (Art. 88 Abs. 2 Satz 3 SächsVerf.) zuläßt. LVerfGE 10

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b) Der Gesetzgeber hat den — die Bestands- oder Gebietsveränderung verfassungsrechtlich legitimierenden — unbestimmten Begriff des Wohls der Allgemeinheit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu konkretisieren. Daher sind zunächst die vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlziele an der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung zu messen. Sodann ist zu prüfen, ob die aus diesem Reformziel gewonnenen Leitsätze eine Neugliederung zu rechtfertigen vermögen und ob die einzelne erwogene Maßnahme den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (vgl. SächsVerfGH, SächsVBl. 1997, 79, 80). c) Diesen dem Sächsischen Landtag gesetzten verfassungsrechtlichen Vorgaben korrespondiert die Kontrollkompetenz des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes, der die Entscheidungsräume des Sächsischen Landtages zu respektieren hat. aa) Das allgemeine Ziel, das der Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgt, muß das Gemeinwohl fördern (Art. 88 Abs. 1 SächsVerf.). Dabei prüft der Verfassungsgerichtshof nur, ob — im Lichte der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie betrachtet - verfassungsrechtlich legitime Reformziele verwirklicht werden sollen (vgl. SächsVerfGH, JbSächsOVG 3,107,116). bb) Die vom Sächsischen Landtag als Ordnungsrahmen aufgestellten Leitsätze (Grundsätze, Leitbilder und Leitlinien) hat der Verfassungsgerichtshof daran zu messen, ob der Gesetzgeber sich aufdrängende Gemeinwohlaspekte übersehen hat, ob die den Leitsätzen zugrunde liegenden Erkenntnissen offensichtlich unzutreffend sind und ob die Leitsätze offensichtlich ungeeignet sind, um das Reformziel zu verwirklichen. cc) Bei der einzelnen Neugliederungsmaßnahme hat der Verfassungsgerichtshof zu beurteilen, ob der Sächsische Landtag den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt ermittelt und berücksichtigt sowie die Gemeinwohlgründe und die Vor- und Nachteile der Alternativen in die Abwägung eingestellt und das Gebot der kommunalen Gleichbehandlung beachtet hat. Der Sächsische Landtag ist nicht verpflichtet, alle irgendwie mit einem Neugliederungsvorhaben zusammenhängenden Aspekte umfassend aufzuklären. Er muß jedoch insbesondere solche Sachverhaltselemente vollständig und sorgfältig ermitteln, die nach seinen selbst gesetzten Maßstäben erheblich sind (vgl. zuletzt SächsVerfGH, SächsVBl. 1997, 79, 81; BVerfGE 50, 51; 86, 90,109). Erst auf der Grundlage eines in dieser Weise ermittelten Sachverhaltes läßt sich beurteilen, ob eine Maßnahme das Ergebnis einer umfassenden Gewichtung des Gesetzgebers ist. Hingegen ist es grundsätzlich allein Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, die relevanten Belange im Einzelnen zu gewichten und zu bewerten. Insoweit hat der Verfassungsgerichtshof zunächst darüber zu befinden, ob LVerfGE 10

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Ziele, Wertungen und Prognosen des Gesetzgebers offensichtlich und eindeutig widerlegbar sind oder den Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung widersprechen (vgl. SächsVerfGH, SächsVBl. 1997, 79, 80). Sodann ist darüber zu erkennen, ob der Gesetzgeber das von ihm geschaffene Konzept in einer dem verfassungsrechtlichen Gebot der Systemgerechtigkeit genügenden Weise umgesetzt hat (vgl. SächsVerfGH, JbSächsOVG 3,107,119), ob das Abwägungsergebnis zu den verfolgten Zielen deutlich außer Verhältnis steht oder von willkürlichen Gesichtspunkten oder Differenzierungen beeinflußt ist (vgl. BVerfGE 86, 90, 109). Für diese Prüfung ist unabdingbar, daß der Sächsische Landtag seiner Entscheidung eine Begründung beigibt, aus der die für den Abwägungsprozess und sein Ergebnis relevanten Gesichtspunkte erkennbar werden. 2. Den dargelegten Anforderungen wird die angegriffene Regelung nicht gerecht. Der Gesetzgeber hat die Neugliederung ausweislich der Gesetzesbegründung im Bericht des Innenauschusses (vgl. DS 2/9279, S. 186 f., 339-368), die sich der Sächsische Landtag zu eigen gemacht hat, im wesentlichen damit begründet, die Antragstellerin sei hinreichend leistungsfähig, jedoch so eng mit Leipzig verflochten, daß eine Eingemeindung angezeigt sei. Die dazu getroffenen Feststellungen halten einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. a) Nach den vom Gesetzgeber selbst herangezogenen Maßstäben war eine besonders sorgfältige Ermittlung der abwägungserheblichen Umstände geboten, weil die angegriffene Regelung eine leitbildgerechte und als Unterzentrum mit mittelzentralen Funktionen ausgewiesene Stadt mit mehr als 22.000 Einwohnern betrifft. Mittel- und Unterzentren haben — so die Begründung zu Leitsatz IV.8. — für ihren jeweiligen Verflechtungsbereich, der sich mit dem des Oberzentrums überschneiden kann, eine Entlastungsfunktion. Grundsätzlich sollen sie im Interesse der effektiven funktionsteiligen Aufgabenerfüllung gestärkt werden. Während Mittelzentren wegen ihrer Größe und ihres Leistungsumfanges stets eine wesentliche entlastende und ordnende Wirkung für den Stadt-UmlandBereich zukommt, bedarf dies nach dem vom Sächsischen Landtag gesetzten Maßstab „bei Unterzentren einer genauen Prüfung und Abwägung im Einzelfall". Die Prüfungsanforderungen bei einem Unterzentrum mit mittelzentralen Funktionen — wie es hier vorliegt (Nrn. 1.4.12.1 und 1.4.12.5 des Landesentwicklungsplans) - sind in den Ausführungen zu Leitsatz IV.8. nicht ausdrücklich benannt. Daß den Gesetzgeber insoweit eine deutlich gesteigerte Ermittlungslast trifft, ergibt sich jedoch aus der von ihm herangezogenen Abstufung der Entlastungs- und Ordnungsfunktion von Mittel-, Unter- und Kleinzentren. Weil die Antragstellerin nach dem mehrfach in Bezug genommenen Landesentwicklungsplan mittelzentrale Funktionen bei der Versorgung der Bevölkerung, insbesonLVerfGE 10

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dere im Bildungswesen, bei der gesundheitlichen Versorgung, im Einzelhandel und bei der Bereitstellung von Arbeitsplätzen übernimmt, bedarf es zur Begründung einer Neugliederung auch besonderer — über die bei bloßen Unterzentren hinausgehende — Ermittlungen des Gesetzgebers zur Endastungsfunktion der Umlandgemeinde. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin - wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt wurde - mit Ausnahme der Krankenhausregelversorgung wesentliche im Ausstattungskatalog des Landesentwicklungsplans (vgl. dessen Anhang 1) genannte Anforderungen für die Einstufung als Mittelzentrum erfüllt. Dies läßt — vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Erwägungen zu Leitsatz IV.8. - auf eine nachhaltig endastende und ordnende Wirkung der Gemeinde im Stadt-Umland-Bereich schließen. Die Antragstellerin entspricht darüber hinaus — jedenfalls nach ihrer Einwohnerzahl — den Voraussetzungen, um nach § 3 Abs. 2 SächsGemO zur Großen Kreisstadt erklärt werden und auch dadurch Ausgleichsfunktionen innerhalb des Landkreises (vgl. Quecke, in Quecke/Schmid, SächsGemO, Stand: Dezember 1998, § 3 Rdn. 10) wahrnehmen zu können (vgl. bereits SächsVerfGH, Beschl. v. 22. Oktober 1998 - Vf. 52-VIII98 —). Dies gilt für sie als größte Stadt des Leipziger Umlandes umso mehr, als ihr aufgrund der vorhandenen Infrastruktur und Finanzkraft eine besondere Bedeutung für den Landkreis Leipziger Land zukommen kann. b) Ausgehend von den so umschriebenen erhöhten Ermittlungsanforderungen sind die Feststellungen des Sächsischen Landtages zu wesentlichen Sachverhaltselementen der angenommenen Verflechtungen beider Städte unzureichend. Bei mehreren der für die Neugliederung entscheidenden Aspekte beschränkt sich die Gesetzesbegründung auf pauschale Ausführungen. Die unzureichenden Ermitdungen sind im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht behoben worden. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren können sie nicht nachgeholt werden, weil die Gesetzesbegründung die maßgebende Grundlage der inhaltlich nur begrenzt überprüfbaren Abwägungsentscheidung bildet. aa) Soweit der Gesetzgeber angenommen hat, eine nennenswerte Entlastungswirkung der Antragstellerin für den Stadt-Umland-Bereich fehle, weil sie als Siedlungsschwerpunkt „ohne bzw. mit schwach ausgeprägtem Verflechtungsbereich" (vgl. Nr. 1.4.7. Landesentwicklungsplan) wesentliche zentralörtliche Funktionen bisher kaum wahrnehme und ihre soziale Infrastruktur hauptsächlich auf den eigenen Bedarf ausgerichtet habe (vgl. DS 2/9279, S. 341), läßt die Gesetzesbegründung eine hinreichende Sachverhaltsermittlung nicht erkennen. Die Antragstellerin ist im Landesentwicklungsplan als unterzentraler Siedlungsschwerpunkt mit mittelzentralen Funktionen ausgewiesen, wobei sowohl ihre Größe als auch ihr Leistumgsumfang — nach Maßgabe der gesetzgeberischen Wertung in den Ausführungen zu Leitsatz IV.8. - eher für das Vorliegen einer LVerfGE 10

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wesentlichen Entlastungsfunktion sprechen (s.o.). Dafür, daß dem Geset2geber als Grundlage für seine davon abweichende Einschätzung andere, hinreichend gesicherte Erkenntnisse zur Verfügung standen, ist nichts ersichtlich. bb) Unzureichend sind auch die gesetzgeberischen Feststellungen zu einzelnen Sachverhaltselementen der Verflechtungen zwischen beiden Städten. Nach dem — verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Leitsatz III. (vgl. SächsVerfGH, Urt. v. 18. Juni 1999 - Vf. 106-VIII-98 - ) - können starke Verflechtungsbeziehungen zwischen einer Kernstadt und einer Umlandgemeinde die Bildung eines einheitlichen Aufgabenraums indizieren und somit - angesichts des Vorrangs der Einheitsgemeinde (Leitsatz II.6.) — für eine Eingemeindung sprechen. Da sich — so die Begründung zu Leitsatz III. — Kernstadt und Umlandgemeinden im Sinne einer ausgewogenen funktionsräumlichen Arbeitsteilung auch durch ihre unterschiedlichen Entwicklungsvorstellungen in der jeweiligen Region ergänzen sollen, können nur „intensivere Verflechtungsbeziehungen" eine Eingliederung rechtfertigen. Eine wechselseitige Ergänzungsfunktion scheidet aus, wenn „Umlandgemeinden aufgrund ihres hohen Verflechtungsgrades mit der Kernstadt mit deren Entwicklung in der Weise verbunden sind, daß sie faktisch um die Eigenständigkeit einer Entwicklungsmöglichkeit gebracht" werden. Ob eine solche Intensität der Aufgabenverflechtungen gegeben ist, „läßt sich nur aufgrund einer Gesamtbewertung der bestehenden und einer Prognose der zukünftig eintretenden Verflechtungsbeziehungen feststellen." Dabei kann der Gesetzgeber neben Siedlungsverflechtungen (vgl. Leitsatz III.2.) auch die Intensität von Wanderungsbewegungen, die Dichte der Verkehrsverbindungen, die Pendlerzahlen, Ausrichtungen im Nahverkehr, enge Einkaufsbeziehungen, Verflechtungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung sowie der „sonstigen Infrastruktur" (Leitsatz III.3.) berücksichtigen. Die dazu im gebietlichen Teil der Gesetzesbegründung enthaltenen Darlegungen genügen den gesteigerten Ermittlungsanforderungen (s. o.) nicht. Insbesondere bilden sie keine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage für die Annahme, die Antragstellerin sei „wie keine andere sächsische Stadt mit einer Kernstadt verflochten" (so DS 2/9279, S. 347). aaa) Unvollständig sind die Feststellungen, soweit der Gesetzgeber angenommen hat, zwischen der Antragstellerin und der Stadt Leipzig bestehe eine außergewöhnlich intensive städtebauliche Verflechtung (vgl. DS 2/9279, S. 340). Gemäß Leitsatz III.l. kann aus einem „engen baulichen Zusammenhang" zwischen Umlandgemeinde und Kernstadt auf eine räumliche Verflechtung geschlossen werden, wenn eine deutlich grenzüberschreitende Bebauung vorliegt, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als einheitliche Siedlungsstruktur anzusehen ist. Ob zwischen den beiden Städten ein solcher besonderer Bebauungszusammenhang besteht, ist der Gesetzesbegründung nicht hinreichend sicher zu LVerfGE 10

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entnehmen. Bei dieser Beurteilung verkennt der Verfassungsgerichtshof nicht, daß — wie in der mündlichen Verhandlung auch anhand der zu den Akten gegebenen Karten erörtert — in Teilen des langgestreckten Grenzbereiches beider Städte ein baulicher Zusammenhang vorhanden ist. Die genannten Verflechtungen reichen nach dem vom Gesetzgeber selbst herangezogenen allgemeinen Maßstab — zumal bei den vorliegend erhöhten Ermitdungsanforderungen — für die Begründung einer besonders intensiven städtebaulichen Verflechtung zwischen einer Kernstadt und einem unterzentralen Siedlungsschwerpunkt mit mittelzentralen Funktionen nicht aus. Daß die Antragstellerin „direkt an die Leipziger Stadtteile Connewitz und Dölzig-Dösen" grenzt, wie es der Sächsische Landtag festgestellt hat (vgl. DS 2/9279, S. 340), ist für das Vorliegen einer — nach der Begründung zu Leitsatz III.2. erforderlichen — „deutlichen grenzüberschreitenden Bebauung" unergiebig. Entsprechendes gilt für die schlichte Feststellung, die Antragstellerin sei „abgesehen von der Begrenzung durch ein Landschaftsschutzgebiet im Nordosten, den Auewald und das Agra-Gelände" „im Bereich Wachau, Markkleeberg-Ost und Mitte mit der Stadt Leipzig städtebaulich eng verflochten". Eine „Verzahnung der Siedlungsstruktur" — so die gesetzgeberische Erwägung zu Leitsatz III.2. — läßt sich bei dem hier erforderlichen Ermitdungsbedarf auch weder damit begründen, daß die beiden Städte durch „mehr als 18 Straßen" verbunden seien, noch damit, daß die gemeinsame Gemarkungsgrenze über eine Länge von 17,4 km verlaufe (vgl. DS 2/9279, S. 340). Die genannten Unzulänglichkeiten bei der Ermitdung der tatsächlichen Bebauungsverhältnisse, auf die es nach der Wertung des Sächsischen Landtages für die Neugliederung (mit-)entscheidend ankommen sollte, sind im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht dadurch beseitigt worden, daß ein Abgeordneter in der zweiten Lesung des Stadt-Umland-Gesetzes Leipzig ausgeführt hat, ein Außenstehender würde, wenn er die Gemeindegrenzen überschreite, nicht bemerken, daß er sich in einer anderer Stadt befinde (vgl. Plenarprotokoll 2/83, S. 6054). Eine solche Beschreibung der Verflechtungsbeziehungen ist als Grundlage einer gesetzgeberischen Abwägung nach Maßgabe des Leitsatzes III.2. von vornherein ungeeignet. Dies gilt umso mehr, als in der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs ausgeführt wurde, daß die „städtebaulichen Verflechtungen angesichts der Länge der gemeinsamen Stadtgrenzen und der Größe der Stadt Markkleeberg für sich allein kein ausschlaggebendes Gewicht" hätten (vgl. DS 2/6732, S. 307). bbb) Ein Aufklärungsmangel ist auch darin zu sehen, daß der Gesetzgeber von einer zumindest ungenau ermittelten Verkaufsflächenkonzentration, vor allem aber — ohne weitere Nachforschungen — davon ausgegangen ist, der Einzugsbereich der Antragstellerin reiche aufgrund der angrenzenden Tagebau-

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landschaften nicht wesentlich über das eigene Gemeindegebiet hinaus. Soweit es in der Gesetzesbegründung (vgl. DS 2/9279, S. 342) heißt, die im Stadtgebiet gelegenen großflächige Einzelhandelsbetriebe verfügten mit fast 41.000 qm über die drittgrößte Verkaufsflächenkonzentration in der unmittelbaren Umgebung von Leipzig, ist der Sächsische Landtag von der ersichtlich unzutreffenden Annahme ausgegangen, es gebe einen „provisorischen Möbelmarkt" mit rund 2.000 qm Verkaufsfläche. Das in Rede stehende Einrichtungshaus wurde bereits 1994 — also mehrere Jahre vor der Einbringung des Gesetzentwurfes in den Sächsischen Landtag — geschlossen. Vor allem die Annahme des Gesetzgebers, es könne „davon ausgegangen werden, daß ein großer Teil der Kunden vor allem des Einkaufszentrums in Wachau" aus Leipzig komme (DS 2/9279, S. 342), läßt eine nachvollziehbare Tatsachengrundlage vermissen. Den Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, daß aussagekräftige Erhebungen über den Einzugsbereich der im Stadtgebiet der Antragstellerin gelegenen Einzelhandelsbetriebe durchgeführt wurden. Unabhängig davon, ob die von der Stadt Leipzig im Jahr 1994 durchgeführte Befragung, bei der 7 0 % von 712 Kunden Leipzig als Herkunftsort angegeben haben sollen, und ob die Ergebnisse der Parkplatzzählungen der Antragstellerin aus dem Jahr 1997, nach denen nur etwa ein Viertel der Kundenkraftfahrzeuge in Leipzig zugelassen gewesen sein sollen, dem Gesetzgeber überhaupt zur Verfügung standen, beruhen die — in der Gesetzesbegründung selbst nicht erwähnten — Feststellungen nicht auf repräsentativen Erhebungen, sondern auf Berichten von interessierter Seite und sind deshalb ohne Belang. Ergebnisse einer von der Stadt Leipzig in Auftrag gegebenen Kaufkraftuntersuchung, auf die von der Sächsischen Staatsregierung in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde, lagen dem Gesetzgeber nicht vor und können seine Neugliederungsentscheidung deshalb nicht tragen. Soweit in der Gesetzesbegründung lediglich auf das Bestehen einer Busverbindung von Leipzig zum Einkaufszentrum in Wachau verwiesen und ergänzend ausführt wird, die Antragstellerin sei „aufgrund der Tagebaulandschaft im Süden und der unzureichend ausgebauten Verkehrsanbindungen zu den Nachbargemeinden im Westen und Südosten" schlecht zu erreichen (DS 2/9279, S. 342), erlaubt dies — zumal mit Blick auf den ohne weiteres auch im Umland als gebräuchlich zu unterstellenden Einsatz von Personenkraftwagen und die Anbindung der Antragstellerin an die Bundesstraße 2/95 - weder einen hinreichend zuverlässigen Schluss auf den Einzugsbereich der Antragstellerin selbst noch auf den ihrer Einkaufszentren. Auch die Annahme des Gesetzgebers, die „Entwicklung der neuen Wohn- und Gewerbegebiete sowie des großflächigen Einzelhandels ... (habe) das Aufkommen des motorisierten Individualverkehrs um ein Vielfaches ansteigen lassen" (DS 2/9279, S. 342), läßt — ohne die beispielsweise in der Verkehrsplanung allgemein üblichen Verkehrszählungen — eine hinLVerfGE 10

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reichende Sachverhaltsermittlung nicht erkennen. Bei der in der Gesetzesbegründung allein genannten Bundesstraße 2 handelt es sich um eine Straße für den Fernverkehr. Sie bildet die kürzeste Verbindung zwischen den Oberzentren Chemnitz und Leipzig. Daß in der geschlossenen Ortslage der Antragstellerin ein sehr hohes Verkehrsaufkommen besteht, wie es der Sächsische Landtag angenommen hat, kann daher jedenfalls nicht ohne weiteres auf besondere Verflechtungen zwischen der Antragstellerin und der Kernstadt zurückgeführt werden. ccc) Unzureichend sind die gesetzgeberischen Feststellungen schließlich auch insoweit, als der Sächsische Landtag angenommen hat, „die intensiven Verflechtungen zwischen der Gemeinde und der Stadt Leipzig ... (würden) durch Einrichtungen der technischen Infrastruktur abgerundet" (DS 2/9279, S. 340; vgl. auch Plenarprotokoll 2/83, S. 6054). Nach Leitsatz III.3., auf den die Gesetzesbegründung hier verweist, geben Verflechtungen im Bereich der „sonstigen Infrastruktur" nur in Ausnahmefällen Anhaltspunkte für einen Eingliederungsbedarf, zumal die Trägerschaft für die „Aufgaben Wasser, Abwasser, Abfall, Strom und Fernwärme" bereits anderweitig — etwa durch Zweckverbände — geregelt sei. Welche Verflechtungen dieser Art zwischen beiden Städten bestehen und welche Gesichtspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalles im Sinne von Leitsatz III.3. sprechen sollen, bleibt nach der Gesetzesbegründung offen. Soweit die Sächsische Staatsregierung und die Stadt Leipzig — anders als der Gesetzgeber — darauf verweisen, die Antragstellerin sei an die Wasserwerke der Stadt Leipzig angeschlossen, handelt es sich nur um eine einzelne Einrichtung, wobei Qualität und Intensität der infrastrukturellen Verflechtung unklar bleiben. Ein Eingliederungsbedarf nach Leitsatz III.3. läßt sich auch nicht ohne weiteres damit begründen, daß — wie der Gesetzgeber angenommen hat — die Verbindung beider Städte im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs aufgrund zweier Straßenbahn- und S-Bahnverbindungen sowie einer Buslinie „sehr günstig" (vgl. DS 2/9279, S. 341) sei. Entgegen den Ausführungen der Stadt Leipzig waren vertiefende Darlegungen zu den Sachverhaltselementen des Leitsatzes III.3. nicht deshalb entbehrlich, weil sie die vorhandenen Verflechtungen nur „abrunden" sollten. Da der Gesetzgeber seine Neugliederungsentscheidung ersichtlich auch auf das Vorliegen enger infrastruktureller Verflechtungen gestützt hat, mußte er den dafür entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend ermitteln. c) Ob die Feststellungen des Gesetzgebers zu weiteren Sachverhaltselementen der Leitsätze unvollständig oder unrichtig sind, wie die Antragstellerin vorträgt, bedarf angesichts des Gewichts der dargelegten Ermitdungsmängel keiner abschließenden Entscheidung. Bereits die unzureichenden Feststellungen zur Entlastungsfunktion der Antragstellerin im Stadt-Umland-Bereich (Leitsatz IV.8.) sowie zu den Verflechtungen nach den Leitsätzen III., III.2. und III.3. LVerfGE 10

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schließen es aus, daß der Sächsische Landtag die angegriffene Neugliederungsentscheidung in Art. 1 § 1 Abs. 1 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig auf einer hinreichend verläßlichen Tatsachengrundlage nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände getroffen hat. II. Besondere Umstände, die es nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ausnahmsweise rechtfertigen können, von der in § 36 Abs. 2 i.V.m. § 23 Satz 1 SächsVerfGHG vorgesehenen Nichtigkeitserklärung abzusehen und sich auf die Feststellung der bloßen Unvereinbarkeit mit der Sächsischen Verfassung zu beschränken, liegen nicht vor.

Nr. 2 1. Zur Frage der Festlegung von Bedingungen zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung durch Art. 37 Abs. 4 Einigungsvertrag i.V.m. den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz. 2. Beschlüsse der Kultusministerkonferenz selbst können nicht als den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügende Einschränkungen des Art. 29 SächsVerf angesehen werden.* Verfassung des Freistaates Sachsen Art. 28 Abs. 1 S. 2, 29 Abs. 1 Einigungsvertrag Art. 37 Abs. 4 Beschluß vom 9. Dezember 1999 - Vf. l-IV-98 in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden des Herrn K. Entscheidungsformel: 1. Der Beschluß des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18.10.1997 (5 K 2701/97) und der Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15.12.1997 (2 S 718/97) verstoßen gegen Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 S. 2 SächsVerf und werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Dresden zurückverwiesen. * Nichtamtliche Leitsätze

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2. Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen. 3. Der Freistaat Sachsen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe: I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein von ihm als Bescheid verstandenes Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 15.8.1996 sowie gegen einen Beschluß des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28.10.1997 (5 K 2701/97) und einem Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15.12.1997 (2 S 718/97) mit denen die von ihm im Wege einstweiligen Rechtsschutzes begehrte Erteilung einer allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung für das Studienfach Medizin abgelehnt wurde. 1. Der im Jahre 1972 geborene Beschwerdeführer erhielt im August 1992 das Reifezeugnis der Gewerblichen Schule Metallbau in Plauen, das zum Studium in jeder Fachrichtung außer Medizin, Zahnmedizin, Veterinärmedizin, Pharmazie und Biologie berechtigte. Er begann 1994 ein Bauingenieurstudium an der Universität Leipzig. Da der Beschwerdeführer während seines vorangegangenen Zivildienstes sein Interesse für Medizin entdeckt hatte, beabsichtigte er einen Studienfachwechsel zum Fach Medizin. Im Juni 1996 erwarb er zunächst durch Zugangsprüfung die fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung für den Studiengang Biologie an der Universität Leipzig. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen beschloß, den Zulassungsantrag des Beschwerdeführers für den Studiengang Medizin zum Wintersemester 1996/97 vom Vergabeverfahren auszuschließen, da das Reifezeugnis keine Berechtigung zum Studium der Medizin vermittele. Der Beschwerdeführer bemühte sich daraufhin um die Erteilung einer unbeschränkten Hochschulzugangsberechtigung. Das Sächsische Staatsministerium für Kultus teilte ihm aber mit Schreiben vom 15. August 1996 mit, daß er eine solche Hochschulzugangsberechtigung für Medizin nicht erwerben könne. In Beantwortung seiner Anfrage verwies es auf ein Gutachten der Berliner Gutachterstelle für Deutsches Schul- und Studienwesen. Danach konnte der Beschwerdeführer die Hochschulzugangsberechtigung für die Fächergruppe Medizin nicht erwerben. Er wurde gebeten, diese gutachterliche Aussage als „offizielle Auskunft" des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zu betrachten. Auf erneuten Antrag des Beschwerdeführers hin, wurde dieser von der ZVS in das Auswahlverfahren für das Wintersemester 1997/98 aufgenommen. Aufgrund eines Auswahlgesprächs an der Universität wurde ihm ein Studienplatz freigehalten. Eine Immatrikulation LVerfGE 10

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erfolgte indes wegen der fehlenden Hochschulzugangsberechtigung für das Studienfach Medizin nicht. 2. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin am 19. September 1997 beim VG Dresden das Land zu verpflichten, ihm die Hochschulzugangsberechtigung in der Fachrichtung Medizin vorläufig zu erteilen und ihn vorläufig zum Medizinstudium zuzulassen. Mit Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 23. Oktober 1997 konkretisierte er seinen Antrag sinngemäß dahingehend, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, daß er die allgemeine Studienberechtigung für das Fach Medizin erworben habe. Mit Beschluß vom 28. Oktober 1997 (5 K 2701/97) lehnte das VG Dresden diesen Antrag ab. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, daß er einen Anspruch auf Zuerkennung der Hochschulzugangsberechtigung für das Studienfach Medizin habe. Nach Art. 37 Abs. 4 S. 2 Einigungsvertrag würden die notwendigen Regelungen zur Anerkennung von Abschlüssen schulrechtlicher Art in der Kultusministerkonferenz vereinbart. Diese habe am 10. Mai 1990 unter Pkt. 3.1 des „Beschlusses über die Zulassung von Hochschulzugangsberechtigungen aus der DDR an Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland" ausgeführt, daß Reife- und Facharbeiterzeugnisse der Einrichtungen der Berufsausbildung unter der Voraussetzung, daß alle Pflichtfächer benotet seien, als Berechtigung zum Studium aller Fachrichtungen gelten könnten. In Pkt. 4 sei allerdings festgelegt, daß eine Hochschulzugangsberechtigung für die Fächer Medizin, Zahnmedizin, Veterinärmedizin, Pharmazie und Biologie nicht erteilt werden könne, wenn in dem Reifezeugnis das Fach Biologie fehle. Im Zeugnis des Antragstellers sei das Fach Biologie nicht benotet. Somit könne ihm entsprechend Pkt. 4 des Beschlusses der Kultusministerkonferenz keine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erteilt werden. Es komme nicht darauf an, daß sich der Antragsteller die für das Medizinstudium notwendigen Kenntnisse im Fach Biologie im Selbststudium angeeignet habe. Die ihm von der Universität Leipzig aufgrund bestandener Prüfung erteilte fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung für den Studiengang Biologie könne nicht berücksichtigt werden. Die Kultusministerkonferenz habe nämlich in Ziffer 3.2 die Erteilung einer Studienberechtigung für alle Fachrichtungen in Abweichung von Ziffer 3.1 des Beschlusses nur unter der Voraussetzung vorgesehen, daß über in dem Reifezeugnis nicht benotete Fächer ein Abschlußzeugnis der VHS (Kenntnisse der 12. Klasse der EOS) vorgelegt werden kann. Diese Voraussetzungen habe der Antragsteller nicht erfüllt. Er könne sich auch nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berufen, da er jedenfalls nicht darauf habe vertrauen dürfen, daß die bis 1993/94 eingeräumte Möglichkeit der Ableistung derartiger VHS-Kurse noch unbefristete Zeit beibehalten werde. Auch könne sich der Antragsteller nicht darauf berufen, daß die von ihm absolLVerfGE 10

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vierte Zugangsprüfung zum Erwerb der fachgebundenen Hochschulzugangsberechtigung für den Studiengang Biologie das fehlende Fach Biologie in seinem Abiturzeugnis ersetze, weil es mit einem VHS-Abschlußzeugnis gleichwertig sei. Er sei in seinen Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht verletzt, da ihm das Medizinstudium nicht etwa gänzlich unmöglich gemacht werde. Ihm bleibe die Möglichkeit, die Hochschulzugangsberechtigung mittels einer sog. Schulfremdenprüfung (vgl. § 47 ff. Oberstufen-Abiturprüfungs-VO) sowie auf dem zweiten Bildungsweg zu erwerben. 3. Der weitere Antrag des Beschwerdeführers vom 11. September 1997 auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts wurde vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht mit Beschluß vom 15. Dezember 1997 ebenfalls abgelehnt. Der Antrag sei unbegründet, weil keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses des VG beständen. Die Beschwerde des Antragstellers habe nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage keine überwiegenden Erfolgsaussichten, weil das VG im Ergebnis zu Recht entschieden habe, daß der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer auch für das Studienfach Medizin geltenden allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung besitze. Der Antragsgegner sei nicht verpflichtet, das dem Antragsteller 1992 erteilte Reifezeugnis als eine solche Hochschulzugangsberechtigung zu erkennen. Nach Art. 37 Abs. 4 des Einigungsvertrages würden die im Rahmen der Neugestaltung des Schulwesens im Beitrittsgebiet notwendigen Regelungen zur Anerkennung von Abschlüssen schulrechtlicher Art von der Kultusministerkonferenz vereinbart. Diese habe durch Beschluß vom 21.2.1992 in der Fassung vom 12.3.1993 zur „Zulassung von Hochschulzugangsberechtigungen aus den in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Ländern an Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland" festgelegt, daß auf die Zeugnisse der Abiturienten der Jahrgänge 1991 bis einschließlich 1996 unter anderem Ziffern 3.1, 3.2 und 4 des Beschlusses vom 10.5.1990 zur „Zulassung von Hochschulzugangsberechtigungen aus der DDR an Hochschulen an der Bundesrepublik Deutschland" angewandt werden und das u. a. in Sachsen erworbene Zeugnisse der allgemeinen Hochschulreife, die — mit der Ausnahme, daß die Qualifikationsphase die Jahrgangsstufen 11 und 12 umfasse — der „Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II vom 7.7.1972 in der Fassung vom 11.4.1988" entsprechen, als Berechtigung zum Studium aller Fachrichtungen gelten (Ziff. 5). Das Reifezeugnis des Antragstellers gelte danach nicht als allgemeine oder zum Studium der Fachrichtung Medizin berechtigende Hochschulzugangsberechtigung. Es fehle ihm das Fach Biologie, ohne daß der Antragsteller ein Abschlußzeugnis der Volkshochschule (Kenntnisse der 12. Klasse EOS) vorlegen könne und es entspreche schon wegen des Fehlens von Grund- und LVerfGE 10

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Leistungskursen nicht dem Beschluß der Kultusministerkonferenz zur Sekundarstufe II. Diese Regelungen, mit denen für eine Ubergangszeit an sich nicht den Anforderungen genügende Zeugnisse als Hochschulzugangsberechtigung anerkennt würden, verstießen auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 18 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 SächsVerf oder aus Vertrauensschutzerwägungen kein Anspruch des Antragstellers auf die Hochschulzugangsberechtigung für die Fachrichtung Medizin. Daß nach § 9 und 10 der Oberstufen- und Abiturprüfungsverordnung (OAVO vom 15. Januar 1996 SächsGVBl S. 26) inzwischen die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung auch erworben werden könne, ohne daß in der gymnasialen Oberstufe das Fach Biologie als Grund- und Leistungskurs habe belegt werden müsse, stehe dem nicht entgegen. Denn eine spätere Milderung der Voraussetzungen unter denen die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erworben werden könne, zwinge verfassungsrechtlich nicht dazu, die sich daraus ergebenen Vorteile auch denjenigen zugute kommen zu lassen, die zwischenzeitlich an den schärferen Voraussetzungen gescheitert seien. Das gelte um so mehr als die 1992 an der gewerblichen Schule Metallbau abgelegte Reifeprüfung nicht vergleichbar mit der Hochschulreifeprüfung nach der OAVO sei. Im übrigen sei der Antrag auf Zulassung der Beschwerde unzulässig, soweit er darauf gestützt sei, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, weil der Antragsteller die Gründe nicht dargelegt habe. Der Antrag sei auch insoweit unzulässig, als die Zulassung der Beschwerde wegen Abweichung des Beschlusses von einer Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts begehrt werde. Insoweit sei der Darlegungspflicht nicht genügt. Es seien keine Ausführungen dazu vorhanden, inwiefern das Verwaltungsgericht von dem in der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 9.5.1995 (2 S 21/94) angeblich enthaltenen Rechtssatz, im Rahmen der Gleichwertigkeitsfeststellungen müsse der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst treffen, einen abweichenden und für seine Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt habe. 4. Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 13. Januar 1998 Verfassungsbeschwerde gegen den „Bescheid" des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 15.8.1996, gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1997 (5 K 2701/97) und gegen den Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15.12.1997 (2 S 718/97) erhoben. Er sieht sich durch den „Bescheid" und die Beschlüsse in den Grundrechten nach Art. 15 i.V.m. Art. 78 Abs. 2 u. 3, Art. 18, Art. 28, Art. 29, Art. 36 SächsVerf verletzt. Weder vom Staatsministerium für Kultus noch von den Verwaltungsgerichten sei problematisiert worden, daß durch die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz eine Einschränkung der Rechte der Berufsfreiheit, Ausbildungs- und Bildungsfreiheit und der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit vorgenommen werde und dem LVerfGE 10

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Beschwerdeführer die in der Sächsischen Verfassung verbrieften Rechte vorenthalten würden. Selbst wenn man annehmen wolle, daß Art. 29 SächsVerf unter einem Gesetzesvorbehalt stehe, könnten die entsprechenden Beschlüsse der Kultusministerkonferenz bei strikter Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze keine Rechtsgrundlage zur Einschränkung der freien Berufs- und Studienwahl darstellen. Der grundlegende Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 10. Mai 1990 sei zudem zu einem Zeitpunkt gefaßt worden, als Art. 37 Einigungsvertrag überhaupt noch nicht in Kraft getreten gewesen sei. Die nachfolgenden Beschlüsse von 1992 und 1993, die auf dem Beschluß vom 10.5.1990 beruhten, entbehrten daher gleichfalls jedweder Rechtsgrundlage. Einschränkungen der Berufs- und Studienwahl könnten nur durch oder aufgrund eines förmlichen Gesetzes herbeigeführt werden. Eine gesetzliche Regelung des Sächsischen Landesgesetzgebers, die die Beschränkung der Zulassung zum Medizinstudium in der hier praktizierten Weise rechtfertigen könnte, sei nicht ersichtlich. Die Verweigerung der Hochschulzugangsberechtigung für das Fach Medizin an der Universität Leipzig verletze den Beschwerdeführer außerdem in seinen Grundrechten aus Art. 18 SächsVerf. Gemäß § 7 Abs. 5 des Schulgesetzes i.V.m. der Oberstufen- und Abiturprüfungsverordnung (OAVO) habe der Sächsische Gesetzgeber eine Entscheidung dahingehend getroffen, daß ab Inkrafttreten der OAVO ab 19.2.1994 die allgemeine Hochschulreife auch erlangt werde, wenn ein Gymnasiast weder einen Grund- noch einen Leistungskurs in Biologie in der gymnasialen Oberstufe gewählt habe. Ab dem Wintersemester 1994 habe daher jeder, der seine Reifeprüfung bestanden habe, zum Studium der Medizin zugelassen werden können, auch wenn er keine Grund- oder Leistungskurse in Biologie gewählt habe. Die Verweigerung der Hochschulzugangsberechtigung für ihn sei daher willkürlich. Zudem sei ein Verstoß gegen Art. 15 i.V.m. Art. 78 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung zu rügen. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht habe sich nicht mit den Argumenten des Beschwerdeführers zu der Frage beschäftigt, ob und wieweit die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz überhaupt geeignet seien, den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 28 und 29 SächsVerf einzuschränken. Es sei anerkannt, daß zur Gewährung rechtlichen Gehörs auch gehöre, daß ein Gericht sich mit den vorgetragenen Argumenten einer Prozeßpartei auseinandersetze. Das Gericht habe sich mit der offensichtlichen Bedeutung der rechtlichen Qualität von Beschlüssen der Kultusministerkonferenz mit keinem Wort befaßt, obwohl von dem Beschwerdeführer ausführlich dargelegt worden sei, daß diese nicht als Rechtsgrundlage einer Einschränkung dienen könnten. Eine Verletzung des Art. 36 SächsVerf sei darin zu erkennen, daß das Sächsische Oberverwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt habe, die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage im Rahmen des Beschwerde LVerfGE 10

Recht auf freie Wahl des Studienfachs

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Zulassungsverfahrens könne nur im Hinblick auf spezifische Fragen des vorläufigen Rechtsschutzes geprüft werden. Im Hinblick auf Art. 36 SächsVerf würden die Grundrechte die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden. Sofern die Frage von Grundrechtsverstößen im Räume stehe, seien diese auch im Bereich des Zulassungsgrundes „grundsätzliche Bedeutung" zu prüfen. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der die Universität Leipzig verpflichtet werden solle, dem Beschwerdeführer die Teilnahme an den Semesterabschlußprüfungen für das Wintersemester 1997/98 und an den Lehrveranstaltungen und Semesterabschlußprüfungen für das Sommersemester 1998 zu ermöglichen. Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit Beschluß vom 5. März 1998 (Vf. 2-IV-98) mangels Rechtsschutzbedürfnisses verworfen. Der Sächsische Staatsminister der Justiz hat Stellung genommen. II. 1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer gegen das Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 15. August 1996 Verfassungsbeschwerde erhoben hat und soweit er eine Verletzung des Art. 78 Abs. 3 SächsVerf durch den Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1997 rügt. Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. a) Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus vom 15. August 1996 wendet, das er als Bescheid verstanden haben möchte, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Ungeachtet der Frage, ob der rechtlichen Qualifizierung dieses Schreibens angesichts des eindeutigen, auf eine Auskunft hinweisenden Wortlauts gefolgt werden kann, ist die Verfassungsbeschwerde unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers schon deshalb unzulässig, weil dieser den Verwaltungsrechtsweg nicht erschöpft hat (§ 27 Abs. 2 S. 1 SächsVerfGHG). Versteht man das angegriffene Schreiben dagegen als bloße Auskunft, so fehlt es dem Beschwerdeführer an der gem. § 27 Abs. 1 SächsVerfGHG erforderlichen Antragsbefugnis. Es ist weder geltend gemacht noch ersichtlich, warum er durch eine bloße Auskunft in seinen Rechten aus der Sächsischen Verfassung verletzt sein könnte. b) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 78 Abs. 3 SächsVerf durch die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts rügt, hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt, warum durch das Sächsische Oberverwaltungsgericht der Anspruch auf ein gerechtes, zügiges und öffentliches Verfahren und das Recht auf Verteidigung verletzt sein könnte. LVerfGE 10

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Die Tatsache allein, daß das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sich auf eine summarische Prüfung der rechtserheblichen Umstände beschränkt hat, vermag unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Verletzung des Art. 78 Abs. 3 SächsVerf zu begründen. c) Soweit der Antragsteller eine Verletzung von Art. 18, Art. 28, Art. 29, Art. 36, Art. 78 Abs. 2 SächsVerf rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. aa) Der Verfassungsbeschwerde steht das Gebot der Rechtswegerschöpfung nicht entgegen. Fachgerichtliche Eilverfahren sind eigenständige Rechtswege gegenüber dem jeweiligen Hauptsacheverfahren (vgl. BVerfGE 35, 382, 397; 53, 30, 52), so daß es zur Erfüllung der Anforderungen des § 27 Abs. 2 S. 1 SächsVerfGHG genügt, wenn eine mit einem Rechtsbehelf nicht mehr angreifbare fachgerichtliche Entscheidung vorliegt (vgl. BVerfGE 80, 40, 45). Die Ablehnung der Zulassung der Beschwerde durch das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluß vom 15.12.1997 (2 S 718/97) ist seinerseits nicht mehr mit der Beschwerde angreifbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO). bb) Auch der Grundsatz der Subsidiarität verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes führt nicht zur Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Dresden und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 18, Art. 28, Art. 29, Art. 36 SächsVerf rügt. Er hat zwar zunächst den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren auszuschöpfen, soweit dieser geeignet ist, der verfassungsgerichtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 93,1,12,77,381,401; 79,275,278 f.; 80, 40, 45). Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll vor allem sichern, daß durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte dem Verfassungsgericht ein hinreichend durch die Fachgerichte überprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichte vermittelt werden. Zugleich wird damit der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen VerfassungsVerletzungen gewähren (SächsVerfGH, Beschl. v. 5. März 1998 - Vf. 2-IV-98 - ; vgl. auch BVerfG NVwZ-RR 1998, 81; BVerfGE 68, 276, 380; 77, 381, 401). Eine Verweisung auf das fachgerichtliche Hauptsacheverfahren ist dem Beschwerdeführer danach regelmäßig zuzumuten, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen, wenn die tatsächliche und einfachrechtliche Lage durch die Fachgerichte noch nicht ausreichend geklärt ist und dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache kein schwerer Nachteil entsteht (vgl. BVerfG NVwZ-RR 1998, 89; BVerfGE 93, 1,12 f.; 80, 40,45 st. Rspr. vgl. BVerfGE 77, 381,401 f.). LVerfGE 10

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Soweit es sich bei dem Vorbringen des Beschwerdeführers um Rügen handelt, die sich auf die Hauptsache beziehen, wie insbesondere die Rüge, die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz seien nicht geeignete Grundlage einer Einschränkung seiner Grundrechte aus Art. 28, Art. 29 SächsVerf, handelt es sich allein um eine verfassungsrechtliche Frage, die keiner weiteren fachgerichtlichen Klärung bedarf. Im übrigen ist die Verweisung des Beschwerdeführers auf den Rechtsschutz in der Hauptsache, auch wenn er um diesen bisher noch nicht nachgesucht hat, schon deshalb unzumutbar, weil dies zu einer weiteren erheblichen Verzögerung seiner Ausbildung führt (vgl. dazu BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, NVwZ 1997,479; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, NVwZ 1999,866, 867). d) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 78 Abs. 2 SächsVerf durch die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts rügt, ist der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde befugt, auch wenn die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts auf der Grundlage bundesgesetzlicher Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung ergangen ist (vgl. SächsVerfGH, Beschl. v. 14. Mai 1998, - Vf. l-IV-95 - ; BVerfGE 96, 345). Der hier als verletzt gerügte Art. 78 Abs. 2 SächsVerf ist in dem hier in Betracht kommenden Anwendungsbereich mit Art. 103 Abs. 1 G G nach Maßgabe und Umfang inhaltsgleich (vgl. auch SächsVerfGH, Beschl. v. 28. Januar 1999, - Vf. 20-IV-98 - ) . Die Begründung genügt den Anforderungen des § 27 Abs. 1 SächsVerfGHG, die Verfassungsbeschwerde ist also auch insoweit zulässig. 2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluß des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28.10.1997 (5 K 2701/97) und der Beschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15.12.1997 (2 S 718/97) verstoßen gegen Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 28 Abs. 1 S. 2 SächsVerf und sind daher aufzuheben. a) Nach Art. 29 Abs. 1 SächsVerf haben alle Bürger das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen. In dieses Recht kann nur durch oder auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 28 Abs. 1 S. 2 SächsVerf.). Zwar enthält Art. 29 SächsVerf keinen eigenständigen Gesetzesvorbehalt. Indes ist wegen der engen Verknüpfung von Wahl der Ausbildungsstätte und Berufswahl sowie Berufsausübung (vgl. dazu BVerfGE 33, 303, 330) der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 2 SächsVerf ungeachtet der tatbestandsmäßigen Verselbständigung des Art. 29 SächsVerf auch auf diese Garantie zu erstrecken. b) Das Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte umfaßt auch das Recht auf freien Zugang zur Universität und die Wahl des Studienfachs. Regelungen über die Bedingung des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung greifen in dieses Recht ein und bedürfen daher einer gesetzlichen Grundlage. Entgegen LVerfGE 10

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der Auffassung des Verwaltungsgerichts Dresden und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vermittelt Art. 37 Abs. 4 Einigungsvertrag i.V.m. den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen zur Festlegung der Bedingungen zum Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung des Beschwerdeführers nicht. aa) Art. 37 Abs. 4 S. 2 EV, wonach die notwendigen Regelungen zur Anerkennung von Abschlüssen schulrechtlicher Art in der Kultusministerkonferenz vereinbart werden, enthält keine gesetzliche Ermächtigung zur Einschränkung des Art. 29 Abs. 1 SächsVerf. Er beinhaltet lediglich die Verpflichtung der Parteien des Einigungsvertrages, Regelungen zu vereinbaren, und zwar — wie Art. 37 Abs. 4 S. 3 EV sagt — auf der Basis des Hamburger Abkommens und der weiteren einschlägigen Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz. Damit verweist Art. 37 Abs. 4 S. 2 EV ersichtlich nicht auf getroffene Regelungen. Schon gar nicht werden künftig zu vereinbarende Regelungen mit einer für eine Ermächtigungsgrundlage zu Grundrechtseingriffen nötigen Bestimmtheit vorgezeichnet. Die aufgrund des kulturföderalen Vereinbarungsauftrags getroffenen Regelungen bedürfen vielmehr ihrerseits einer den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügenden Umsetzung in das jeweilige Landesrecht, sollen sie als Grundlage für Eingriffe in Grundrechte dienen können. bb) Ebensowenig können die Beschlüsse der Kultasministerkonferenz selbst als den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügende Einschränkungen des Art. 29 SächsVerf angesehen werden. Beschlüsse der Kultusministerkonferenz sind Verwaltungsvereinbarungen oder gemeinsame politische Willensbekundungen, die sich als Empfehlungen an die Länder richten, deren verfassungsmäßige Zuständigkeit unberührt bleibt. Sie werden erst mit der Transformation in Landesrecht Grundlage für Rechte und Pflichten der Bürger. Art. 37 Abs. 4 S. 2 EV verleiht ihnen keine Rechtsnormqualität (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 19.3. 1998 - 2 C 2.97 - , ThürVBl 1998, 204, 205, zu Art. 37 Abs. 2 EV; BVerwG, Urt. v. 10.12.1997 - 6 C 10.97 - , BVerwGE 106,24,29 zu Art. 37 Abs. 1 S. 2 EV; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Art. 83 Rdn. 108 mit Anm. 363, und w.N. aus der älteren Literatur ausführlich Th. Kttoke, Die Kultusministerkonferenz und die Ministerpräsidentenkonferenz, 1966, S. 49 ff.). cc) Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28.10.1997 und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15.12.1997 verstoßen gegen Art. 29 Abs. 1 i.V.m. 28 Abs. 1 S. 2 SächsVerf und sind daher aufzuheben. Es ist nicht Aufgabe des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie sich aus anderen Gründen als richtig erweisen können (vgl. Rennert, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG § 95, Rdn. 47). Waren die Beschlüsse schon aus diesem Grunde aufzuheben, kann offen bleiben, ob sie zugleich gegen Art. 18, Art. 36, Art. 78 Abs. 2 SächsVerf verstoßen. LVerfGE 10

Ents cheidungen des Landes Verfassungsgerichts Sachsen-Anhalt

Die amtierenden Richtefinnen und Richter des Landesverfassungsgerichts für das Land Sachsen-Anhalt Prof. Jürgen Goydke, Präsident Burkhard Guntau, Vizepräsident Dr. Edeltraut Faßhauer Margit Gärtner Prof. Dr. Michael Kilian Erhard Köhler Prof. Dr. Harald Schultze

Stellvertreterinnen und Stellvertreter Carola Beuermann Dietrich Franke Dietmar Fromhage Wolfgang Pietzke Prof. Dr. Stefan Smid Dr. Peter Willms Werner Zink

Aufgaben der Gemeindeverwaltung

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Nr. 1* 1. § 75 Abs. 5 Satz 1 der Gemeindeordnung (idF 1997), der den einer Verwaltungsgemeinschaft angehörenden Gemeinden vorschreibt, „Aufgaben der Gemeindeverwaltung" ausschließlich im gemeinsamen Verwaltungsamt erledigen zu lassen, verletzt nicht den „Kernbereich" der Selbstverwaltungsgarantie. 2. Die Übertragung der „Besorgung" gemeindlicher Entscheidungen auf die Verwaltungsgemeinschaft, verstößt auch nicht gegen die Organisationsvorschriften für die Kommunen (Art. 2 Abs. 3; 87 ff. LVerfLSA) oder gegen das Demokratiegebot (Art. 2 Abs. 2 LVerf-LSA). 3. Die Verwaltungsgemeinschaft ist keine Ebene zwischen Gemeinde und Landkreis und hat vor allem keine Weisungsbefugnis gegenüber den Gemeindeorganen. 4. Die ihr nach Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA zustehende Garantie eigener Verwaltung besteht nur innerhalb der ihr durch den Gesetzgeber übertragenen Aufgaben und ist schwächer als die Garantie des Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA für die Gemeinde. 5 Das gemeinsame Verwaltungsamt hat ausschließlich dienende (beratende, vorbereitende, ausführende) Funktion und ist von den Beschlüssen und Weisungen der einzelnen Mitgliedsgemeinde abhängig. 6. § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 1997 verbietet den Gemeinden nur, in der klassischen „Gemeindeverwaltung" eigenes Personal gleichsam zusätzlich zu demjenigen im gemeinsamen Verwaltungsamt vorzuhalten; Von dem Verbot nicht erfaßt wird das Personal in den kommunalen „Einrichtungen" (Fachpersonal in Kindergärten, Freizeit- und Versorgungseinrichtungen u. ä.) oder in „Eigenbetrieben".

* Die Entscheidung ist im Volltext beim Landesverfassungsgericht für das Land SachsenAnhalt erhältlich (Adresse s. Anhang).

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Verfassung des Landes Sachsen - Anhalt, Art. 87 Abs. 1; Art. 2 Abs. 2 und 3 Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt §§ 75; 77 Urteil vom 23. Februar 1999 - LVG 8/98 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren einer Gemeinde gegen § 75 Abs. 5 der Gemeindeordnung (in der Fassung 1997) Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet. Gründe: Die Beschwerdeführerin ist eine Gemeinde mit weniger als 5.000 Einwohnern. Außer der Beschwerdeführerin übertrugen alle Gemeinden die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auf die „Verwaltungsgemeinschaft Rosseltal". Die Beschwerdeführerin unterhält eine eigene Verwaltung (Bereiche: Hauptamt, Kämmerei und Bauamt) und beschäftigt dort sieben Mitarbeiterinnen), davon zwei Teilzeitkräfte. Sie ist ferner Trägerin einer Kindertagesstätte, einer Hortkindertagesstätte, einer Grund- sowie einer Sekundärschule und von kommunalen Einrichtungen (vgl. etwa: Freizeitbad, Kinder- und Jugendzentrum, Verkehrsgarten, Fuhrpark, Gemeindebibliothek oder Heimatstübchen); wegen der Einzelheiten insoweit wird auf den Organisationsplan verwiesen, der in der mündlichen Verhandlung überreicht worden ist. Die Beschwerdeführerin will an ihrer eigenen Verwaltung festhalten, welche sie für effektiver hält als Diensdeistungen der Verwaltungsgemeinschaft. Die Beschwerdeführerin hat am 31.7.1998 Kommunalverfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt eine Verletzung ihres auf Art. 2 Abs. 3; 87 der Landesverfassung beruhenden Selbstverwaltungsrechts durch §§ 75 Abs. 5; 77 Abs. 1 GO-LSA 97. Entscheidungsgründe: Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (1.), aber in der Sache ohne Erfolg (2.). 1. Zu entscheiden ist über eine kommunale Verfassungsbeschwerde (1.1). Daß die Beschwerdeführerin durch die angegriffenen Gesetzesbestimmungen unmittelbar und gegenwärtig betroffen ist, erscheint jedenfalls möglich (1.2). LVerfGE 10

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1.1 Es erscheint jedenfalls möglich, daß die Beschwerdeführerin durch §§ 75 Abs. 5 S. 1; 77 Abs. 1 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVB1 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.7.1997 (LSA-GVB1 721) - GO-LSA 97 - unmittelbar (1.2.1) und gegenwärtig (1.2.2) betroffen wird. 1.2.1 § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 gebietet den Gemeinden, die - ohne „Trägergemeinde" zu sein — Mitglied in einer Verwaltungsgemeinschaft sind, ihre bei Gelegenheit von Verwaltungstätigkeiten anfallenden Arbeiten durch die Verwaltungsgemeinschaft erledigen zu lassen, und verbietet zugleich das Vorhalten einer eigenen Gemeindeverwaltung. Daß es sich nicht bloß um ein A n g e b o t an die Gemeinden handelt, sondern zugleich um ein Verbot, hat der Gesetzgeber durch Verwendung des Wortes „ausschließlich" deutlich und in einer Weise zum Ausdruck gebracht, welche den Rückgriff auf andere Auslegungsmethoden als die der reinen Wortinterpretation nicht zuläßt. Das Ergebnis wird vielmehr durch den Umkehrschluß aus der Ausnahmeregelung des § 75 Abs. 5 S. 2 GO-LSA 97 noch bestätigt. Das Gebot und das Verbot wirken bereits kraft Gesetzes, ohne daß es zu ihrer Durchsetzung noch einer konkretisierenden staatlichen Maßnahme auf der Grundlage des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 oder erst einer Beanstandung oder Anordnung durch die Kommunalaufsicht (§ 136; 137 GO-LSA 97) bedürfte. In gleicher Weise wirkt § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 unmittelbar. Könnte der Wortlaut dieser Bestimmung — isoliert betrachtet — noch als reines Angebot an die Gemeinden verstanden werden, sich des Apparats der Verwaltungsgemeinschaft auch dort zu bedienen, wo Sachaufgaben nicht bereits übertragen worden sind, so wird ein solches Verständnis durch die im § 77 GO-LSA 97 gewählte Systematik und vor allem durch die Regelung gerade des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 ausgeschlossen, dessen Inhalt § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 voraussetzt. § 77 GO-LSA 97 trifft lediglich eine Unterscheidung der in der Verwaltungsgemeinschaft zu leistenden Verwaltungstätigkeit nach Umfang und Zurechnung: „Erfüllung" von Aufgaben der Gemeindeebene bedeutet sowohl für den eigenen (dazu: § 77 Abs. 2 GO-LSA 97) als auch für den übertragenen (dazu: § 77 Abs. 6 GO-LSA 97) Wirkungskreis, daß es sich auch in der Sache um keine Aufgabe der Gemeinde mehr handelt, sondern um eine solche der Verwaltungsgemeinschaft, die deshalb die volle Sachkompetenz hat und im eigenen Namen handelt (§ 77 Abs. 7 S. 1 GO-LSA 97); „Besorgung" von Aufgaben durch die Verwaltungsgemeinschaft (dazu § 77 Abs. 1 GO-LSA 97) bedeutet demgegenüber, daß die AufgabenErfüllung" in der Sache bei der Gemeinde verbleibt und die Verwaltungsgemeinschaft — zwar nicht als „Vertreter" i.S.d. § 164 Abs. 1 des LVerfGE 10

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Bürgerlichen Gesetzbuchs, sondern bloß im Rahmen einer untergeordneten „Dienstleistung" - nur im Namen und im Auftrag der Gemeinden sowie deshalb vor allem mit Bindung an deren Vorgaben (Beschluß oder Weisung) zu handeln gehalten ist (§ 77 Abs. 7 S. 2 GO-LSA 97). Mit Rücksicht auf § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 soll es aber kein Drittes (mehr) geben, nämlich ein Verwaltungshandeln der Gemeinde selbst im eigenen Namen durch eine eigene Verwaltung. Die bei den Änderungen der §§ 75,77 GO-LSA durch Art. 1 Nrn. 42,45 des Kommunalrechtsänderungsgesetzes vom 31.7.1997 (LSA-GVB1. 721, 726]) erneut verwendeten Begriffe des „Besorgens" und der „Erfüllung" gehen bereits auf frühere Kommunalrechtsbestimmungen zurück: Sie finden sich schon in den §§ 75 Abs. 2; 77 Abs. 1, 2, 4, 5, 7 der Gemeindeordnung vom 5.10.1993 (LSA-GVB1 568), geändert durch Gesetz vom 3.2.1994 (LSA-GVB1. 164, 166) — GO-LSA 94 — sowie im § 5 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit (= Art. 1 des Gesetzes vom 9.10.1992, LSA-GVB1. 730, geändert durch Gesetz vom 3.2.1994, LSA-GVB1.164), und haben dort jeweils denselben Inhalt wie bei § 77 GO-LSA 97 heute. Das im Gesetz selbst zum Ausdruck kommende Auslegungsergebnis, Aufgaben der Gemeinde sollten nur (noch) in deren Namen „besorgt" oder von der Verwaltungsgemeinschaft im eigenen Namen „erfüllt" werden, entspricht den Motiven des Landesgesetzgebers — wird ausgeführt — 1.2.2 Die mögliche Betroffenheit der Beschwerdeführerin wurde erst durch das Kommunalrechtsänderungsgesetz bewirkt (1.2.2.1) und besteht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fort (1.2.2.2). 1.2.2.1 Die Beschwerdeführerin war Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft, ohne Trägergemeinde zu sein (1.2.2.1.1); § 75 Abs. 5; 77 Abs. 1 GO-LSA 97 enthalten — verglichen mit dem vorher geltenden Rechtszustand — veränderte Regelungen (1.2.2.2). 1.2.2.1.1 Die Beschwerdeführerin war am 6.8.1997, als das Änderungsgesetz in Kraft trat, Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft „Rosseltal". — wird ausgeführt — 1.2.2.1.2 Die beanstandeten Vorschriften des Kommunalrechtsänderungsgesetzes schließen erstmalig die Möglichkeit aus, eine Aufgabe des eigenen Wirkungskreises durch eigene Verwaltungskräfte „besorgen" zu lassen. Die entgegengesetzte Ansicht der Landesregierung, §§ 75 Abs. 5 S. 1; 77 Abs. 1 GO-LSA 97 regelten diese Fragen nicht neu, sondern stellten nur klar, was bereits davor — jedenfalls seit der Gemeindeordnung - geltendes Recht gewesen LVerfGE 10

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sei, entsprach zwar der Auffassung des federführenden Ministerium des Innern und evd. der meisten Mitglieder des Landtags während des Gesetzgebungsverfahrens. — wird ausgeführt — Das vor dem Kommunalrechtsänderungsgesetz geltende Recht über die Verwaltungsgemeinschaft kannte zwar bereits die Unterscheidung zwischen den zu „besorgenden" und den zu „erfüllenden" Aufgaben; es fehlte aber an einer Regelung, welche die „Eigenbesorgung" ausschloß. Geradezu im Gegenteil legen die Sonderregelungen über die „Besorgung" der Kassen- und Rechnungsführung, die „Veranlagung und Erhebung" von Gemeindeabgaben sowie die „Mitwirkung" an der Aufstellung und Durchführung der Haushaltspläne (§ 5 Abs. 4 GKG-LSA 92; § 77 Abs. 5 GO-LSA 93/94) den Umkehrschluß nahe, dieser Katalog sei als abschließende Sonderregelung zu verstehen gewesen, der den Gemeinden im übrigen Raum ließ, die nicht übertragenen Aufgaben selbst zu „besorgen". Die Gegenauffassung, schon das alte Recht habe die „Eigenbesorgung" ausgeschlossen, läßt sich auch nicht mit § 77 Abs. 7 GO-LSA 93/94 (bzw. der Vorgängerbestimmung des § 5 Abs. 6 GKG-LSA 92) rechtfertigen, wonach die Verwaltungsgemeinschaft „in den übrigen Fällen" (in denen die Aufgabe nicht bereits von ihr „erfüllt" wird) im Namen und im Auftrag der Gemeinde handelt; denn was an Fällen übrig bleibt, bestimmt sich nicht nach der Verwaltungstätigkeit, die an sich von der Gemeindeverwaltung zu leisten wäre, sondern gerade nur danach, was die Verwaltungsgemeinschaft selbst an Zuständigkeit hat. Diese muß sich deshalb aus anderen Bestimmungen herleiten lassen, wenn es nicht zu einem Zirkelschluß in der Begründung kommen soll. Der Auslegung des früheren Rechts nach Wortlaut und Systematik ist der Vorzug zu geben; denn es darf nicht darauf abgestellt werden, ob der Gesetzgeber (subjektiv) der Meinung war, es bedürfe lediglich einer Klarstellung, oder ob er einen Willen zur Änderung hatte. Die Frage, ob sich die Rechtslage geändert hat, entscheidet sich vielmehr allein objektiv durch Vergleich des früheren Rechts mit der neuen Regelung. Auch dafür ist nicht maßgeblich, welche Motivation die an der früheren Gesetzgebung (§ 5 GKG-LSA 92; §§ 75, 77 GO-LSA 94) beteiligten Stellen oder Personen geleitet hat, sondern von diesen Vorstellungen nur das, was sich im Gesetzeswordaut oder in der Systematik niedergeschlagen hat (vgl. hierzu vor allem: BVerfG, Urt. v. 16.2.1983 - 2 BvE 1-4/83 - , BVerfGE 62, 1, 45, m.w. Nachw.); denn die Materialien können lediglich unterstützend herangezogen werden, um den allein maßgeblichen (objektiven) Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, und dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (BVerfG, a.a.O.; vgl. auch bereits: BVerfG, Urt. v. 21.5.1952 - 2 BvH 2/52,-, BVerfGE 1,299, 312). LVerfGE 10

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Eine einschränkende Interpretation dahingehend, die Gemeinden hätten schon nach dem früheren Recht alle Aufgaben, die sie nicht „zur Erfüllung" übertrugen, wenigstens durch das gemeinsame Verwaltungsamt „besorgen" zu lassen, belegen zudem die Materialien zu den früheren Regelungen nicht eindeutig. Dort ist immer besonderer Wert auf den Grundsatz der Freiwilligkeit gelegt worden (vgl. etwa zu § 5 GKG-LSA 92: Entwurf der Landesregierung (LT-Drs. 1/1107 v. 7.1.1992: Allgemeine Begründung, Vorabdruck, S. 2); Minister des Innern, Perschau (CDU), StenBer 1/27 v. 16.1.1992, S. 2129 f., 2135; vgl. auch, insoweit kritisch zur Lösung allein über „Freiwilligkeit": Abg. Dr. Püchel (SPD), StenBer 1/35 v. 17.7.1992, S. 3950; vgl. ferner wiederum: Minister des Innern, Perschau, (CDU), StenBer 1/35, S. 3951 f.). Das kann dahin verstanden werden, daß die „Freiwilligkeit" nur darin bestehen sollte, sich einer Verwaltungsgemeinschaft mit dann festen Vorgaben anzuschließen; möglich hingegen ist auch eine Sicht, nach welcher die Gemeinde bei den Vertragsverhandlungen über die Verwaltungsvereinbarung nicht nur das Ob ihres Beitritts, sondern auch den Grad ihrer Bindung selbst sollte bestimmen können. Schließlich war der Entwurf der Landesregierung zum damaligen Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit in seiner allgemeinen Begründung (a.a.O., Vorabdruck, S. 4) auch davon ausgegangen, bei den beteiligten Gemeinden entständen gerade zusätzliche Personal- und Sachkosten, wenn die Verwaltungsgemeinschaften in der geplanten Weise eingerichtet würden; andererseits findet sich im selben Entwurf über die Funktion der Verwaltungsgemeinschaft die Bemerkung, mit dem gemeinsamen Verwaltungsamt sollten Verwaltungsleistungen „anstelle" gemeindeeigener Verwaltungskräfte erbracht werden (a.a.O., Einzelbegründung zu § 5 Abs. 3, S. 3). Dieser Rückgriff in erster Linie auf das Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit ist notwendig, weil der das Gesetzgebungsverfahren zur Gemeindeordnung als spätere Grundlage einleitende Entwurf der Fraktionen der CDU und der F.D.P. (LT-Drs. 1/1222 v. 20.2.1992) keine speziellen Regelungen zur inneren Organisation der Verwaltungsgemeinschaft vorgesehen und erst der Ausschuß für Inneres die Regelungen des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit eingearbeitet hatte (vgl. Beschluß-Empfehlung [LT-Drs. 1/2798 v. 1.7.1993], §§ 70/2 bis 70/12). Der Berichterstatter hatte dies als eine „komplette Übernahme" der GKGLSA-Regelungen bezeichnet (Abg. Jeziorsky (CDU), StenBer 1/50 v. 8.7.1993, S. 5916). Der Gesetzentwurf der PDS für eine Gemeindeordnung (LT-Drs. 1/1142 v. 24.1.1992, vgl. dort §§ 66 ff.) war vom „Freiwilligkeitsprinzip" ausgegangen und hatte es den Gemeinden freigestellt, ihre Aufgaben von der Verwaltungsgemeinschaft wahrnehmen zu lassen (vgl. insbes. § 67 des Entwurfs). LVerfGE 10

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Selbst wenn man unterstellte, der Gesetzgeber habe lediglich das Ziel verfolgt, eine von ihm bereits angenommene Regelung nur „klarzustellen", so hinderte dieser Umstand nicht, gleichwohl von einer neuen (Gesamt-)Regelung auszugehen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine „neue" Regelung schon dann angenommen, wenn der Gesetzgeber den Anwendungsbereich einer Norm eindeutiger bestimmt und dieser damit einen neuen Inhalt gibt (BVerfG, Beschl. v. 2.12.1986 - 1 BvR 1509/83 - , BVerfGE 74, 69, 73; vgl. auch bereits: BVerfG, Urt. v. 2.11.1960 - 2 BvR 504/60 - , BVerfGE 11, 351, 359: Hinzufügen von „Art. 21 GG" zum bisherigen Begriff „politische Partei"). Verglichen mit sowohl § 5 GKG-LSA 92 als auch mit § 77 GO-LSA 93/94 ist § 77 GO-LSA 97 über die eingefügte Konkretisierung hinaus auch systematisch in einer Weise umgestellt worden, die andere Rückschlüsse auf den Inhalt des jeweiligen Regelungsgehalts zulassen kann als bislang. 1.2.2.2 Die Beschwerdeführerin ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft geblieben. — wird ausgeführt — 2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die Verlagerung rein vorbereitender oder ausführender Verwaltungstätigkeiten der Gemeinde auf die Verwaltungsgemeinschaft verletzt weder den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Selbstverwaltung, noch verstößt sie gegen das Demokratiegebot (2.1). Sie ist auch mit den Grundsätzen vereinbar, welche die Verfassung „im Vorfeld" des Kernbereichs zu respektieren verlangt (2.2). Die Auslegung des Gesetzes ergibt, daß der Gemeinde nicht ausnahmslos untersagt ist, eigenes Personal zu beschäftigen (2.3). 2.1 Die Personalhoheit der Gemeinde hat über die Organisationshoheit teil an der Garantie der durch Art. 2 Abs. 3 und Art. 87 LVerf-LSA gewährleisteten S e l b s t v e r w a l t u n g (2.1.1), gehört aber nicht zum verfassungsfesten Kernbereich (2.1.2). Die Übertragung der bloßen A u s f ü h r u n g von Aufgaben auf das zentrale Verwaltungsamt „zont" nicht in verfassungswidriger Weise die A u f g a b e selbst „hoch" (2.1.3). Voraussetzung der Verlagerung ist nicht, daß in der Verwaltungsgemeinschaft eine Volksvertretung unmittelbar gewählt wird (2.1.4). 2.1.1 Die durch Art. 2 Abs. 3; 87 LVerf-LSA garantierte Selbstverwaltung umfaßt das Recht der Gemeinden, die Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft selbst (materiell) eigenverantwortlich und frei von staatlichem Einfluß zu bestimmen, wahrzunehmen und durchzuführen (vgl. dazu zur bundesrechtlichen Vorgabe des Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes: BVerfG, Beschl. v. 24.6.1969 - 2 BvR 446/64 BVerfGE 26, 228, 237f.; Beschl. v. 7.10.1980 - 2 BvR 584, LVerfGE 10

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598,599,604/76 - , BVerfGE 56,298,312; Beschl. v. 12.1.1982 - , 2 BvR 113/81 - , BVerfGE 59, 216, 226; Beschl. v. 23.11.1988 - 2 BvR 1619, 1628/83 - , BVerfGE 79,127,143; Beschl. v. 7.2.1991 - 2 BvL 24/84 - , BVerfGE 83, 363, 382); gewährt wird auch ein „gewisser organisatorischer Freiraum", um die internen Verfahrensabläufe beeinflussen zu können (BVerfG, Beschl. v. 26.10. 1994 - 2 BvR 445/91 - , BVerfGE 91, 228, 238). Einschränkungen bestehen naturgemäß vor allem wegen der korrespondierend notwendigen staatlichen Aufsicht (BVerfG, Beschl. v. 21.6.1988 - 2 BvR 602, 974/83 - , BVerfGE 78, 331, 341). Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung (BVerfG, Urt. v. 10.12.1974 - 2 BvK 1/73, 2 BvR 902/73 - , BVerfGE 38, 258, 278 ff.; Urt. v. 2 4 . 7 . 1 9 7 9 - 2 BvK 1/78 - , BVerfGE 52, 95, 117; BVerfGE 91, 228, 236) gerade auch die O r g a n i s a t i o n s h o h e i t zur Selbstverwaltungsgarantie gerechnet, zu der auch die Personalhoheit zählt (BVerfG, Beschl. v. 26.11.1963 — 2 BvL 12/62 - , BVerfGE 17, 172, 182; 91, 228, 245). Die Organisationshoheit soll sicherstellen, daß die Gemeinden für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im einzelnen festlegen und damit auch über Gewichtung, Qualität und Inhalt ihrer Entscheidungen bestimmen können (BVerfGE 91,228, 236). Allerdings besteht die verfassungsrechtliche Organisationsfreiheit — wie auch die Selbstverwaltungsgarantie selbst — nur „im Rahmen der Gesetze" (Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA). Der staatliche Gesetzgeber kann auf dieser Grundlage Organisationsstrukturen vorgeben (BVerfG, Beschl. v. 7.2.1991 — 2 BvL 24/84 - , BVerfGE 83, 363, 382; BVerfGE 91, 228, 238). Das betrifft in erster Linie die „äußere" Organisation, also die (Gemeinde-)„Verfassung" im eigentlichen Sinn; hier ist der Gesetzgeber gehalten, eine Form zu wählen, welche der Selbstverwaltung Rechnung trägt und die Gemeinde befähigt, die ihr obliegenden Aufgaben wahrzunehmen. Von Einfluß auf die Art und Weise der Erledigung sind aber gleichfalls Regelungen des Gesetzgebers über die „innere" Organisation. In beiden Fällen gerät der Gesetzgeber desto eher an die Grenze verfassungsrechtlicher Verbürgung, je enger er die Gemeinde bindet, ihre Aufgaben in bestimmter, vorgeschriebener Weise zu erledigen. 2.1.2 Die angegriffenen Regelungen verletzen nicht bereits den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie, also deren unantastbaren „Wesensgehalt", dessen Inhalt sich einer generellen Bestimmung entzieht, der aber entscheidend durch die historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung geprägt wird (BVerfGE 17,172,182; BVerfG, Beschl. v. 21.5.1968 - 2 BvL 2/61 - , BVerfGE 23, 353, 365f.; BVerfGE 26, 228, 238; 56, 298, 312; 59, 216, 226; 83, 363, 381; 91, 228, 238 f.). Gerade die Organisationshoheit der Kommunen läßt sich historisch nur bedingt belegen; dem Gesetzgeber stand von je her das Recht zu, die äußere Kommunalverfassung vorzugeben, so daß die staatswissenschaftLVerfGE 10

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liehe Literatur noch zu Zeiten der Weimarer Verfassung die gemeindliche Organisation weitgehend als vom Selbstverwaltungsrecht nicht erfaßt angesehen hat (Nachweise bei BVerfGE 91,228,236,237); nur bei der inneren Organisation gehört zum Erscheinungsbild, Ortsstatute erlassën und die innere Verwaltungsorganisation durch Verfügungen regeln zu dürfen (BVerfGE 91, 228, 237). Ein gewisser organisatorischer Freiraum ist indessen garantiert, weil die Verfassung den Kommunen eigene Aufgabenbereiche zur selbständigen Erledigung vorbehält und damit zugleich dem Gesetzgeber Schranken setzt, die Organisation bis in interne Verwaltungsabläufe hinein umfassend zu steuern (BVerfGE 91, 228,238). Damit schließt der absolute Schutz des Kernbereichs nur solche Regelungen des Gesetzgebers aus, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsmöglichkeit der Kommunen im Ergebnis ersticken würden (BVerfGE 91, 228, 239). Diese Grenze wird nicht überschritten. Dabei ist in den Blick zu nehmen, daß die Garantie kommunaler Selbstverwaltung die Gemeinden in erster Linie vor staatlicher Einflußnahme sichert. Verhindert werden soll deshalb, daß die Organisation ständig aktualisierbaren Weisungen etwa der Fachaufsicht unterliegt, daß sie auf bestimmte Amter beschränkt wird, daß sie durch staatliche Behörden beliebig gesteuert werden kann oder daß der Gemeinde überhaupt jeder EntscheidungsSpielraum genommen wird (BVerfGE 91, 228, 239). Von einer staatsfreien Organisation der Gemeinde geht auch das Kommunalrecht in Sachsen-Anhalt aus, indem es die Ausführung der den (Sach-) Aufgaben zuzuordnenden Entscheidungen des Gemeinderats oder seiner Ausschüsse einer (Gemeinde-)„Verwaltung" unter der - allerdings von den Entscheidungen der Volksvertretung in der Sache abhängigen — Weisungs- und Organisationshoheit des (volksgewählten) Bürgermeisters überträgt (§§ 57 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; 62 Abs. 1; 63 GO-LSA 97). Dieses Grundmodell staatsfreier Organisation wird nicht dadurch angetastet, daß der Gesetzgeber von „kleinen" Gemeinden, soweit sie zu Verwaltungsgemeinschaften zusammengeschlossen sind, verlangt, die Ausführungsarbeiten der nach wie vor vom Bürgermeister zu verantwortenden Aufgaben zentral von einer Stelle „besorgen" zu lassen, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts ebenso staatsfrei ist wie die Gemeinde selbst. Die Erfahrungen mit Gemeindegebietsreformen in den alten Bundesländern haben gezeigt, daß „kleine" Gemeinden mit ihrer Organisation modernen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Dieses Ergebnis hatte auch eine Bestandsaufnahme für Sachsen-Anhalt (Bericht der Projektgruppe „Leitbilder künftiger Gebietskörperschaften" vom 31.3.1992 und Entwurf eines Leitbilds der zukünftigen Strukturen der Gebietskörperschaften — Leitbild-Entwurf - , Nr. 2); dieser Untersuchung lagen außer eigenen Erkenntnissen auch ErfahLVerfGE 10

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rungen aus anderen neuen Bundesländern zu Grunde (vgl. Leitbild-Entwurf, Nr. 1.3) — wird ausgeführt Für die Lösung seiner Aufgabe, bei den Vorgaben für eine gemeindliche Organisationsstruktur einerseits den Grundsatz der „Bürgernähe" zu wahren und andererseits dafür zu sorgen, daß die gemeindlichen Aufgaben effektiv erledigt werden können, hat der Landesgesetzgeber bereits Modelle vorgefunden, die um der Leistungsfähigkeit der Gemeinden willen eine „Spaltung" von gemeindlichen Zuständigkeiten auf einerseits die Gemeinde selbst und andererseits Organisationsformen (der „Samtgemeinde", der „Verbandsgemeinde", des „Amtes" oder der „Verwaltungsgemeinschaft") vorsehen, in denen die Gemeinde jeweils nur Mitglied ist oder die zugleich die Einwohner der Gemeinde zu Mitgliedern haben, welche in der „Verbandskörperschaft" unmittelbar eine eigene Volksvertretung wählen. Die Entscheidung des Landesgesetzgebers für das Modell „Verwaltungsgemeinschaft" begegnet angesichts früherer Erfahrungen mit Gebietsreformen und der Untersuchung im eigenen Land keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit diesem Ergebnis durfte aus den sich den Untersuchungen der Projektgruppe zu entnehmenden Gründen die Erwartung verknüpft sein, daß (möglichst) keine eigene Gemeindeverwaltung vor Ort neben einer neu einzurichtenden, den Anforderungen der Effektivität genügenden Verwaltung der Verwaltungsgemeinschaft mehr vorgehalten werde. Da die Organisationshoheit von vornherein nur relativ gewährleistet ist, kann der staatliche Gesetzgeber der Regelung von Organisationsstrukturen seine Vorstellungen zu Grunde legen (BVerfGE 91, 228, 240) und typisieren (BVerfGE 91, 228, 241). Solche Organisationsvorgaben lassen sich von Verfassungs wegen gerade auch mit dem Ziel einer Verwaltungsvereinfachung rechtfertigen und dürfen die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit berücksichtigen (BVerfGE 91, 228, 240). Daß es mit der Selbstverwaltungsgarantie vereinbar ist, gemeindliche Aufgaben, über deren Erfüllung die Gemeinde weiterhin selbst bestimmt, bei ihrer Umsetzung von einer anderen Stelle „besorgen" zu lassen, hat auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Es hat eine Amtsordnung aus Schleswig-Holstein nicht beanstandet (BVerfGE 52, 95, 117), die in wesentlichen Punkten dem gleicht, was §§ 75 ff. GO-LSA 93/94/97 oder zuvor §§ 3 ff. GKG-LSA 92 zur Organisation der Verwaltungsgemeinschaft in Sachsen-Anhalt vorsehen. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 der Amtsordnung für Schleswig-Holstein — AmtsO — führte das Amt nach den Beschlüssen der Gemeinde die Selbstverwaltungsaufgaben der amtsangehörigen Gemeinden durch, und die Gemeinden konnten darüber hinaus Aufgaben durch das Amt eigenständig erledigen lassen (§ 3 Abs. 1 S. 2 LVerfGE 10

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AmtsO); kraft Gesetzes besorgte das Amt außerdem die Kassen- und Rechnungsführung der Gemeinden und bereitete die Aufstellung der gemeindlichen Haushaltspläne vor (§ 4 Abs. 3 AmtsO). In seiner an sich einen anderen Themenkreis (Notwendigkeit unmittelbarer Volkswahl für den „Amtsausschuß") betreffenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt, daß auch Änderungen des historisch Vorgefundenen den „Kernbereich" dann nicht antasten, wenn sie das überkommene System vernünftig fortentwickeln und zugleich die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie nicht aushöhlen (BVerfGE 52, 95,117). Erst recht für vereinbar hat das Bundesverfassungsgericht eine (frühere) Vorgabe des (schleswig-holsteinischen Landes-)Gesetzgebers gehalten, welche das Amt lediglich als „Schreibstube" der Gemeinden organisiert hatte (BVerfGE 52, 95,121). Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat für das dortige Recht der „Verwaltungsgemeinschaft" keinen Eingriff in den Kernbereich gesehen, weil den Gemeindeorganen die Entscheidungsbefugnis verbleibe und nur der „büromäßige Vollzug der Beschlüsse" von der Verwaltungsgemeinschaft „als sekundärem Hilfsinstrument" wahrgenommen werde (BayVfGH, Entschdg. v. 2.3. 1978 - Vf. 2-VII-77 - , VGHE Bd. 31, n.F., Nr. 4, S. 44, 61 = BayVBl 1978, 426, 429). Zwar verbot das damals zu beurteilende Landesrecht den Gemeinden nicht ausdrücklich, eigene Bedienstete anzustellen (vgl. BayVfGH, VGHE 31,44,64 = BayVBl 1978, 426, 430); das Gericht hielt aber die Personalhoheit gleichwohl für beeinflußt, weil es der Gemeinde jedenfalls unter dem Gesichtspunkt sparsamer Haushaltsführung nicht mehr möglich sei, eigenes Verwaltungspersonal für solche Tätigkeiten einzustellen, die von der Verwaltungsgemeinschaft wahrgenommen würden (a.a.O.). Der Verfassungsgerichtshof hat später aus der Konstruktion der Aufgaben-Erledigung geschlossen, die Verwaltungsgemeinschaft handele in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises eigentlich nur als „Behörde der Mitgliedsgemeinde", nämlich in deren Auftrag und auf deren Weisung (BayVfGH, Entschdg. v. 23.4.1980 - Vf. 3-VII-79 - , BayVBl 1980,400, 402); durch die Bildung der Verwaltungsgemeinschaften würden die Mitgliedsgemeinden „in den Stand gesetzt ..., den Ansprüchen, die der Bürger heute an eine moderne Gemeinde stellen kann, durch eine funktionstüchtige Verwaltung zu genügen" (a.a.O.). Daß die „Besorgung" gemeindlicher Aufgaben ohne Eingriff in den Kernbereich auf die Verwaltungsgemeinschaft verlagert werden kann, widerspricht auch nicht der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen. Soweit für unvereinbar mit Verfassungsrecht gehalten worden ist, daß die Funktion des Hauptverwaltungsbeamten in der Gemeinde („Gemeindedirektor") gleichzeitig vom Hauptverwaltungsbeamten des Amtes („Amtsdirektor") wahrgenommen wird, ist dies damit begründet, daß die Organfunktion in der Gemeinde betroffen sei, die nicht mehr auf das Gemeindevolk zurückgeführt LVerfGE 10

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werden könne (VerfGH NW, Urt. v. 21.8.1954 - VGH. 3 / 5 3 O V G E 9,74,78, 81); die Volkswahl des Bürgermeisters und dessen Organstellung als des Repräsentanten und Vertreters der Gemeinde bleiben aber durch §§ 75 Abs. 5; 77 G O 97 unberührt, und in seine Entscheidungsbefugnis wird nicht eingegriffen. Auch die Entscheidung zum Datenschutz steht nicht entgegen (VfGH NW, Urt. v. 9.2.1979 - VerfGH 13/77 u. a. - , D Ö V 1979, 637ff.). — wird ausgeführt — Das Modell einer „Schreibstube" und nicht eine Verlagerung von „Aufgaben" auf die Verwaltungsgemeinschaft war seinerzeit beim Gesetz von 1992 und später das Organisationsziel des Landesgesetzgebers von Sachsen-Anhalt. — wird ausgeführt — Die Regelung über Verwaltungsgemeinschaften von 1992 hatte der Verfassunggeber vorgefunden, ohne daß sich in den Art. 2 Abs. 3; 87 ff. LVerf-LSA Anhaltspunkte dafür finden, der Landesverfassungsgeber habe es als notwendig angesehen, zum Schutz der kommunalen Organisations- und Personalhoheit deutlichere Grenzen zu ziehen, als sie nach dem Grundgesetz oder nach den oben vorausgesetzten anderen Landesverfassungen bestehen. Das Gegenteil (nämlich die Z u l ä s s i g k e i t einer Übertragung) folgt aus Art. 87 Abs. 2 LVerfLSA. 2.1.3 Auch wenn der Gesetzgeber verlangt, daß die „reine Verwaltungstätigkeit" der Gemeinden ausschließlich in der organisatorisch von den Gemeinden gesonderten Verwaltungsgemeinschaft geleistet wird, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist, liegt darin keine durch die Verfassung untersagte (BVerfGE 79, 127 ff., „Rastede") sog. „Hochzonung" von Gemeindeaufgaben. Die Tätigkeit bleibt vielmehr ihrem Charakter nach „gemeindlich" (vgl. zum früheren Recht der Verwaltungsgemeinschaften bereits: LVerfG, Urt. v. 27.10.1994 - LVG 1 4 , 1 7 , 1 9 / 9 4 - , LVerfGE 2, 345, 368; vgl. auch Klang/Gundlach, a.a.O., § 75 Rdn. 2, S. 303). Die Gemeinden, die zwar Mitglieder der Verwaltungsgemeinschaft sind und auf diese eigene Aufgaben übertragen können, werden aber im übrigen nicht mit ihren Aufgaben oder einem Teil davon in die eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts i n t e g r i e r t , sondern bleiben mit ihren Aufgaben selbständig und werden zu deren „Besorgung" lediglich k o o r d i n i e r t {Wiegand/Grimberg, G O LSA, § 75 Rdn. 2). Zum Wesen kommunaler Selbstverwaltung und damit zu ihrem Bestand gehört zwar, daß die Gemeinden keine beliebige dezentrale Verwaltungseinheit sind, sondern selbständige Gemeinwesen, die den dort lebenden Bürgerinnen) die Möglichkeit lokaler politischer Identifikation geben wollen und sollen

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(BVerfGE 79,127,150; 82,310,314). Damit wird aber nur sichergestellt, daß die Gemeinden „ihre Angelegenheiten" (Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA) - gleichbedeutend mit den „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG — eigenverantwortlich wahrnehmen können. Nur in diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht präzisiert, es gebe — nach dem Grundgesetz — keinen von der gemeindlichen Zuständigkeit nach dem Gesichtspunkt der „Örtlichkeit" unterscheidbaren, einem „Gemeindeverband" eigenständig garantierten Aufgabenbereich (BVerfGE 79, 127, 150 ff., 152), so daß sich die Vermutung für die gemeindliche Zuständigkeit in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auch gegenüber dem (höheren) Gemeindeverband (dort: Landkreis) durchsetzen müsse (BVerfG, a.a.O., 150,151). Ob die Verfassung des Landes, die Landkreise neben Gemeinden gleichwertig als Träger kommunaler Selbstverwaltung aufführt (Art. 87 Abs. 1 LVerfLSA), bei einer reinen Wordautauslegung mit diesen vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 28 Abs. 2 GG entwickelten Grundsätzen (noch) vereinbar ist und welche Bedeutung dies für den Inhalt des Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA (künftig) haben kann, bedarf keiner näheren Betrachtung (vgl. zur Problematik immerhin: Knemeyer, Zur notwendigen Garantie kommunaler Selbstverwaltung in den neuen Landesverfassungen, NVwZ 1991, 49, 52); denn (mit dem Landkreis) konkurrierende Rechte aus Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA sind hier nicht zu bedenken. Schon die Überschrift vor §§ 75 ff. GO-LSA 97 („Besondere Verwaltungsformen", eben der ,,Gemeinde-"Verfassung) macht dies deutlich. Nichts anderes folgt aus der Entwicklungsgeschichte. Beim Rückblick auf das ursprüngliche Gesetz von 1992 zeigt sich, daß auch die Verwaltungsgemeinschaft nur eine der drei möglichen Formen kommunaler Zusammenarbeit neben dem Zweckverband und einer bloßen Verwaltungsvereinbarung sein sollte (vgl. seinerzeit § 2 Abs. 1 GKG-LSA 92). Solche Zusammenschlüsse kommunaler Träger ändern aber nichts an dem Charakter der jeweils zu erledigenden Aufgabe. Soweit nur Gemeinden Mitglieder eines dieser Träger von Gemeinschaftsangelegenheiten sind, bleibt die wahrgenommene Aufgabe „gemeindlich". Gerade der Vergleich mit dem Zweckverband (vgl. inzwischen: §§ 6 ff. des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit i.d.E d. Bek. v. 26.2.1998 (LSAGVB1. 81) — GKG-LSA 98 —), der Instrument ist, gemeinsam bestimmt definierte Aufgaben zu erfüllen, hatte auch das Bundesverfassungsgericht im Fall der schleswig-holsteinischen Ämterordnung nicht daran zweifeln lassen, daß die durch das (schleswig-holsteinische) Amt auszuführende Tätigkeit der Natur nach gemeindlich geblieben ist (BVerfGE 52, 95, 116 ff.). Das Gericht hatte bereits zuvor den zwangsweisen Anschluß einer Gemeinde an einen Zweckverband zur Erledigung kommunaler Aufgaben für vereinbar mit der Selbstverwaltungsgarantie gehalten, (BVerfG, Beschl. v. 2 4 . 6 . 1 9 6 9 - 2 BvR 446/64 - , BVerfGE 26, 228, 229, 224: Schulzweckverband). LVerfGE 10

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„Gemeindliche" Angelegenheiten i.S.d. Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA bleiben danach auch die von der Verwaltungsgemeinschaft wahrgenommenen Tätigkeiten. Diesem Ergebnis steht die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen zur Frage eines Sparkassenzweckverbands zwischen Stadt und Landkreis (VfGH NW, Urt. v. 11.7.1980 - VerfGH 8/79 DÖV 1980, 691 ff.) nicht entgegen; danach enthalte der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gemeinden einen Zuständigkeitsvorrang der Gemeinden auch vor Gemeindeverbänden. Die Aussage zielt nämlich in der Sache auf eine „Hochzonung" (Zusammenlegung mit der Landkreis-Sparkasse) und betrifft im übrigen einen Ubergang von A u f g a b e n in der Sache, keine bloße verwaltungsmäßige Abwicklung von Entscheidungen im erhalten gebliebenen Aufgabenbereich. Auch auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Brandenburg zum Schulzweckverband (VfGH Bbg, Urt. v. 17.7.1997 - VfGBbg 1/97 LKV 1997, 449 ff.) kann sich die Beschwerdeführerin nicht mit Erfolg berufen; denn dort ging es in erster Linie um die Frage, ob bei einer „Hochzonung" der Schulträgerschaft auf die Kreise bestimmte Gemeinden Schulträger bleiben durften, und außerdem hatte der Gesetzgeber die A u f g a b e selbst übertragen, nicht bloß rein verwaltungstechnische „Besorgungen". 2.1.4 Ein Verstoß gegen die Verfassungsbestimmungen über die kommunale Organisation (Art. 2 Abs. 3; 87 ff. LVerf-LSA, speziell gegen Art. 89 LVerfLSA — Volksvertretung in den Kommunen —) oder gegen das allgemeine Demokratiegebot (Art. 2 Abs. 2 LVerf-LSA) liegt — jedenfalls soweit allein die Frage der „Besorgung" von Gemeindeangelegenheiten betroffen ist — auch nicht darin, daß der Gemeinschaftsausschuß als Organ der Verwaltungsgemeinschaft (neben dem Leiter des gemeinsamen Verwaltungsamts; vgl. § 75 Abs. 2 GO-LSA 97) nicht wie eine Gemeindevertretung (vgl. dazu §§ 44 Abs. 1; 36 Abs. 1; 37 GO-LSA 97) unmittelbar gewählt, sondern nur durch „Delegierte" der Mitgliedsgemeinden (§ 78 Abs. 1 GO-LSA 97) besetzt wird. Eine unmittelbare Wahl auch für einen Gemeindeverband wird durch Art. 89 LVerf-LSA nicht verlangt, sondern ist allein für „Kommunen" vorgeschrieben; das sind nach der Verfassungsdefinition des Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA neben den Gemeinden nur die Landkreise. Damit erledigt sich die vom Bundesverfassungsgericht seinerzeit für Schleswig-Holstein aufgeworfene Frage, wie dort der Begriff „Gemeindeverband" zu bestimmen ist (vgl. BVerfGE 52, 95, 109 ff.). Angesichts der Klarstellung durch Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA ist auch ohne Bedeutung für die Anwendung des Art. 89 LVerf-LSA, daß zu den Gemeindeverbänden im Sinne des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG) auch die „Landkreise" gerechnet werden (vgl. dazu: BVerfGE 79, 127, 150); denn deren Selbstverwaltungsrecht garantiert Art. 87 LVerfGE 10

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Abs. 1 LVerf-LSA eigenständig als das einer „Kommune", und eine unmittelbar gewählte Volksvertretung verlangt das Grundgesetz nicht etwa für jeden Gemeindeverband i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG, sondern nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG außer für Gemeinden nur für Kreise. Dieser Hintergrund läßt keine inhaltliche Identität des in beiden Verfassungen verwendeten Begriffs „Gemeindeverband" zu, sondern verlangt eine Auslegung der Landesverfassung dahin, daß unter den neben den „Kommunen" im Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA besonders genannten „Gemeindeverbänden" nur solche zu verstehen sind, für welche sich das Bundesverfassungsgericht zur Abgrenzung von den „Gebiets-Körperschaften" des Synonyms „Bund-Körperschaft" bedient (BVerfGE 52, 95, 118) und auf dieser Grundlage die Notwendigkeit unmittelbarer Wahl für die Amter verneint hat (BVerfGE 52, 95,120 ff.). Das Delegiertensystem des § 78 Abs. 1 GO-LSA 97 genügt auch dem allgemeinen Demokratiegebot des Art. 2 Abs. 2 LVerf-LSA; denn sowohl die unmittelbar durch das Volk gewählten Bürgermeister (§58 Abs. 1 GO-LSA 97 diese Bestimmung gilt auch für die nur ehrenamtlich tätigen Bürgermeister von Mitgliedsgemeinden in Verwaltungsgemeinschaften, vgl. dazu § 57 Abs. 1 GOLSA 97) als Pflichtmitglieder des Gemeinschaftsausschusses als auch weitere Delegierte, die (nur) aus dem Kreis der unmittelbar gewählten Gemeinderatsmitglieder (§ 37 Abs. 1 GO-LSA 97) bestimmt werden können (§ 78 Abs. 1 GO-LSA 97), leiten ihre Legitimation ausreichend mittelbar vom Volkswillen ab (vgl. insoweit auch: BVerfGE 52, 95,130). 2.2 Der Gesetzgeber durfte sich der Verwaltungsgemeinschaft als Organisationsmodell der Gemeindeebene bedienen, ohne statt dessen eine Gemeindereform durchführen zu müssen (2.2.1). Daß die Verwaltungsgemeinschaften keine eigenständige Zwischenebene über der Gemeinde und unter dem Landkreis sind, beeinflußt von Verfassungs wegen die Auslegung einzelner Regelungen der §§ 75; 77 GO-LSA 97 (2.2.2). 2.2.1 Die von der Beschwerdeführerin gerügte Verlagerung ihrer Verwaltungstätigkeit auf das gemeinsame Verwaltungsamt ist auch im Vorfeld des „Kernbereichs" mit der Garantie kommunaler Selbstverwaltung vereinbar (2.2.1.1); sie ist durch den sachlichen Grund der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt (2.2.1.2). 2.2.1.1 Das Bundesverfassungsgericht hat bereits für das vergleichbare schleswig-holsteinische Landesverfassungsrecht die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nicht für verletzt gehalten, wenn die Hoheitsrechte im wesentlichen erhalten blieben, die Universalität des Aufgabenbereichs fortbestehe und die wichtigen Mittel kommunaler Eigenständigkeit wie Gebietshoheit, Satzungshoheit oder Finanzhoheit nicht angetastet würden (BVerfGE 52, 95,117); es hat zwar zu den wesentlichen Elementen auch die Personalhoheit gerechnet (a.a.O.), LVerfGE 10

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indessen gemeint, es bedeute eher eine Stärkung als eine Entziehung von Selbstverwaltungsrechten, wenn die staatliche Gesetzgebung erreichen wolle und könne, daß kleinere Gemeinden von rein verwaltungstechnischer Arbeit befreit würden (BVerfGE 52, 95, 116). So hatte bereits zuvor das Bundesverwaltungsgericht entschieden (BVerwG, Beschl. v. 8.5.1972 - BVerwG VII B 134.71 - , D Ö V 1973, 169, 170). Z u m gleichen Ergebnis gelangte der Bayerische Verfassungsgerichtshof in der Bewertung des dortigen Landesrechts (BayVfGH, BayVBl 1980,400, 402). Spätere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbesondere: BVerfGE 79,127ff. - „Rastede"; 82, 310f£, - „Aschendorf 83, 363 ff. — „Krankenhausfinanzierung"; 91, 228 ff., — „Gleichstellungsbeauftragte") stellen dieses Ergebnis ebenso wenig in Frage wie etwaige Besonderheiten der Verfassung für das Land Sachsen-Anhalt. §§ 75 Abs. 5 S. 1; 77 Abs. 1 GO-LSA 97 führen nicht zu einer Situation, welche eine eigenständige Gestaltungsfahigkeit der Gemeinden in einer Verwaltungsgemeinschaft im Ergebnis wesentlich beeinträchtigen (oder gar „ersticken") würde (vgl. insoweit: BVerfGE 91, 228,239). Für diese Betrachtung sind nicht in erster Linie die Verhältnisse der Beschwerde führenden Gemeinde Rodleben maßgeblich; denn der Gesetzgeber darf bei seinen organisatorischen Vorgaben typisieren (BVerfGE 91, 228, 241). Die konkreten örtlichen Gegebenheiten können sich deshalb gegenüber einer generellen gesetzlichen Regelung erst durchsetzen, wenn sie deren Sachgerechtigkeit nicht nur in einem Einzelfall in Frage stellen, sondern zugleich Indiz für eine typisierbare Gegenwertung sind. §§ 75 Abs. 5 S. 1; 77 Abs. 1 GO-LSA 97 lassen den Aufgabenbestand bei den Gemeinden unangetastet. Die Zuständigkeit des örtlichen Gemeinderats nach den allgemeinen Regeln (insbesondere) des § 44 GO-LSA 97 bleibt in vollem Umfang bestehen; § 44 Abs. 3 GO-LSA 97, der den Gemeinderat hindert, bestimmte Entscheidungen auf den (die Verwaltung in der Gemeinde hauptamtlich führenden) Bürgermeister zu übertragen, gilt in gleicher Weise gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft. Das folgt aus § 77 GO-LSA 97: Der Begriff der „Besorgung" i.S.d. § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 begründet im Gegensatz zu dem Begriff der „Erfüllung" i.S.d. § 77 Abs. 2 GO-LSA 97 (beim hier allein maßgeblichen „eigenen" Wirkungskreis; vgl. i.ü. § 77 Abs. 6 GO-LSA 97) nur eine d i e n e n d e Zuständigkeit (vgl. Klang/Gundlach, a.a.O., § 75 Rdn. 2, S. 303) der Verwaltungsgemeinschaft bei der Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungen (vgl. für den hauptamtlichen Bürgermeister: § 62 Abs. 1 GO-LSA 97), die in der Sache selbst autonom in der Gemeinde fallen. Nur wenn die Gemeinden eine bestimmte Aufgabe „übertragen" haben (§ 77 Abs. 2 GO-LSA 97), geht die Zuständigkeit für die Entscheidung in der Sache auf die Verwaltungsgemeinschaft auch mit der Folge über, daß an die Stelle des (volkgewählten) Gemeinderats in den Fällen des § 44 Abs. 3 GO-LSA nach § 85 GO-LSA 97 der (durch Delegierte besetzte) Gemeinschaftsausschuß tritt, dem es dann ohne

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weitere Mitwirkung des (örtlichen) Gemeinderats ferner obliegen soll, die notwendigen Satzungen im Namen der Verwaltungsgemeinschaft und nicht etwa der Gemeinde zu erlassen (§§ 85; 44 Abs. 3 Nr. 1; 77 Abs. 7 S. 1 GO-LSA 97). Bei den nicht von der Verwaltungsgemeinschaft zu erfüllenden Aufgaben wird hingegen von Gesetzes wegen nur die „Besorgung" vorgegeben, welche die Aufgabe in der Sache in der Zuständigkeit der einzelnen Gemeinde hält; die Folgen der „Erfüllung" sind allein vom jeweiligen Willen der — und zwar neuerdings: aller — Gemeinde(n) abhängig. Die Zugehörigkeit zu einer Verwaltungsgemeinschaft ist keine Eingemeindung; sie ändert deshalb nichts an dem Gebietsbestand (§§ 1 Abs. 2; 16 f. GOLSA 97) der einzelnen Gemeinde, an dem Recht, einen Namen, ein Wappen oder sonstige Hoheitszeichen zu führen (§§ 12ff. GO-LSA 97), für ihr Gebiet öffentliche Einrichtungen zu begründen, zu unterhalten oder zu schließen (§§ 22 Abs. 1; 44 Abs. 3 Nrn. 1, 9 GO-LSA 97), und läßt vor allem die Finanzhoheit (§§ 90 ff. GO-LSA 97) unberührt. Das gilt gerade auch, soweit die Kassen- und Rechnungsführung von der Verwaltungsgemeinschaft „besorgt" werden muß. Gemindert ist allein die Kompetenz des (nur noch ehrenamtlichen) Bürgermeisters (§ 57 Abs. 1 GO-LSA 97). Die dem hauptamtlichen Bürgermeister nach § 63 GO-LSA 97 zustehende Kontroll- und Gestaltungsfunktion über eine hauptamtliche Verwaltung wird gerade auch wegen der §§ 75 Abs. 5 S. 1; 77 Abs. 1 GO-LSA 97 gleichsam ersetzt durch ein Aufsichtsrecht über den — zwischengeschalteten - „Dienstleister", das gemeinsame Verwaltungsamt. Wegen seiner Pflichtmitgliedschaft im Gemeinschaftsausschuß der Verwaltungsgemeinschaft (§ 78 GO-LSA 97) kann dem (ehrenamtlichen) Bürgermeister dieses Aufsichtsmittel nicht genommen werden. Der Unterschied zur Gemeinde, die keiner Verwaltungsgemeinschaft angehört, oder einer Trägergemeinde ist nur, daß dem (ehrenamtlichen) Bürgermeister die Kontrolle über die Verwaltung gleichsam „zur gesamten Hand" mit den Bürgermeistern der übrigen Gemeinden zusteht. Das gilt auch für die Fragen der Personalauswahl, der Notwendigkeit von Einstellungen oder Entlassungen (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 5 GO-LSA 97). Dem ehrenamtlichen Bürgermeister der Mitgliedsgemeinde bleiben aber alle übrigen Befugnisse, so das Recht und die Pflicht, seine Gemeinde nach außen rechtlich wie repräsentativ zu vertreten (§ 57 Abs. 2 GO-LSA 97), die Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse zu leiten (§§ 57 Abs. 1 S. 1; 45 ff. GOLSA 97) sowie für Vorbereitung und Vollzug von Beschlüssen des Gemeinderats oder seiner Ausschüsse zu sorgen (§ 62 Abs. 1 GO-LSA 97). Die Gemeinde verliert zwar formal ihre eigene, kleine Verwaltung; sie gewinnt aber in der Sache durch die Möglichkeit, sich durch die zentrale, spezialisiertere — wenn auch nur g e m e i n s a m e — Verwaltung versorgen zu lassen. Der Verlust an alleinbestimmter Personalhoheit, welche das BundesverfassungsLVerfGE 10

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gericht bei der Entscheidung über die Ämterverfassung (BVerfGE 52, 95, 117) zu den abzuwägenden, aber nicht absolut entgegenstehenden Positionen gerechnet hatte, fällt angesichts des Gewinns an Beratung und Dienstleistung nur unwesentlich ins Gewicht und beeinträchtigt den Ablauf der Gemeindeentscheidungen nicht, weil die Grundkompetenzen des Bürgermeisters erhalten bleiben. Diese Regelung verstößt auch nicht gegen die vom Bundesverfassungsgericht im „Rastede-Fall" entwickelten Grundsätze, nach denen es die Gesichtspunkte einer „Zuständigkeitskonzentration", einer besseren „Übersichtlichkeit" von Verwaltung oder auch der „Wirtschaftlichkeit" und „Sparsamkeit" nicht rechtfertigen könnten, den Gemeinden Aufgaben der „örtlichen" Gemeinschaft zu entziehen (BVerfGE 79, 127, 153); denn diese Aussage betrifft nur die Beziehungen der Gemeinde zum Staat oder zu Gemeindeverbänden höherer Art i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG. Das folgt zwingend aus dem Anknüpfungspunkt, daß Aufgaben „mit relevantem ö r t l i c h e n Charakter" nur unter ganz strengen Voraussetzungen entzogen werden dürfen (BVerfG, a.a.O.), und steht in deutlichem Zusammenhang mit der diese Entscheidung tragenden Erwägung, mangels einer Unterscheidbarkeit verschieden zu klassifizierender „Ortlichkeiten" dürften Aufgaben auch im Verhältnis zu den Kreisen nicht „hochgezont" werden (BVerfGE 79, 217,152). Solche in dieser Entscheidung als tragend vorausgesetzten unterschiedlichen Ebenen liegen aber im Verhältnis der Gemeinde zu ihrer Verwaltungsgemeinschaft (oder auch zu einem allein von Gemeinden getragenen Zweckverband) nicht vor, wie sich bereits (vgl. Nr. 2.1.2) ergeben hat. 2.2.1.2 Der verbleibende Verlust an Personalhoheit kann nicht ohne den Hintergrund gesehen werden, der zur Regelung über die Verwaltungsgemeinschaften geführt hat: Diese ersetzen eine faktisch nicht durchgeführte Gemeindereform und haben bei einer Struktur, die nur reine Ausführungstätigkeiten auf eine zentrale Stelle verlagert, im übrigen aber sämtliche Kompetenzen bei den einzelnen Gemeinden beläßt, einen — bezogen auf die Gestaltungsmöglichkeiten — gerade geringeren Eingriff in die organisatorische Selbstverwaltung sowie vor allem in die örtliche Identifikationsmöglichkeit der Bürgerinnen) zur Folge als eine Gemeindegebietsreform mit der Schaffung größerer „Einheitsgemeinden". Für eine solche Reform bestände bei der vorgefundenen Kleinräumigkeit ein sachlicher Grund des Gemeinwohls i.S.d. Art. 90 S. 1 LVerf-LSA; von Verfassungs wegen (Art. 90 S. 2 LVerf-LSA) bedürfte es hierfür nur der Anhörung, nicht auch der Zustimmung durch Bürgerentscheid, wie ihn allerdings das einfache Gesetzesrecht verlangt (§§ 17 Abs. la; 26 GO-LSA 97). Das Landesverfassungsgericht hat ein Gesetz gewordenes politisches Ergebnis lediglich am Maßstab der Verfassung zu kontrollieren und deshalb nicht zu entscheiden, ob die Option für die Verwaltungsgemeinschaft auf Kosten einer durchgreifenden Gebietsreform als sachgerechtere Lösung anzusehen ist; fest-

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gestellt werden kann nur, daß die Eingriffe in (bestehende) Gemeinde(verwaltungs)strukturen beim Modell der Verwaltungsgemeinschaft deshalb geringer ausfallen als bei einer Gemeinde mit Einheitsverwaltung auf derselben Fläche, weil die Entscheidungskompetenzen der örtlichen Räte und Bürgermeister erhalten bleiben. Da von Verfassungs wegen auch einschneidendere Reformen als diese hier streitigen Organisationsvorgaben möglich sind, weil die Garantie kommunaler Selbstverwaltung die Gemeinden nicht individuell, sondern nur institutionell schützt (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 - 2 BvR 165/75 BVerfGE 50, 50, 50, st. Rspr.), können §§ 75 Abs. 5 S. 1; 77 Abs. 1 GO-LSA 97 ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht gerade auch mit dem Ziel einer Verwaltungsvereinfachung oder der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung gerechtfertigt werden (BVerfGE 91, 228, 240); die — hier nicht überschrittene — Grenze liegt erst dort, wo den Gemeinden die Möglichkeit genommen wird, auf die besonderen Anforderungen am Ort durch eigene organisatorische Maßnahmen zu reagieren (BVerfGE 91,228,241). Damit ist aber nicht schon eine durch einen Bürgermeister geführte eigene, hauptamtliche Verwaltung vorausgesetzt, sondern ausreichend ist ein „Verwaltungsamt" (oder dessen Außenstelle; vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 6 GO-LSA 97), das „örtlich" nicht weiter entfernt liegt, als dies bei einer Einheitsgemeinde der Fall wäre, das durch die Bürgermeister in der Verwaltungsgemeinschaft über die Richtlinien gesteuert werden kann (vgl. § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 GO-LSA 97) und in der Aufgabenerfüllung von den Weisungen und Beschlüssen der Gemeinde abhängig bleibt (§ 77 Abs. 7 S. 2 GO-LSA 97). Die Festlegung der — auf die oben erwähnten Untersuchungen der „Projektgruppe" zurückgehende — Zielzahl von 5.000 Einwohnern für die Größe von Gemeindeeinheiten (vgl. bereits § 4 Abs. 1 S. 2 GKG-LSA 92) und die für notwendig gehaltene Ermächtigung des § 4a GKG-LSA 94 (vgl. jetzt auch § 76a GO-LSA 97), auf dieser Grundlage im Land „flächendeckend" zu selbständigen Gemeinden oder Verwaltungsgemeinschaften dieser Größenordnung zu gelangen, bringen bereits (objektiviert) den (subjektiven) Willen des Gesetzgebers hinreichend deutlich zum Ausdruck, das Modell „Verwaltungsgemeinschaft" als Alternative zu dem der „Einheitsgemeinde" zu gestalten, um einerseits die Kleinräumigkeit der Gemeindelandschaft hinzunehmen zu können, aber andererseits für eine sachgerechte Erledigung der Aufgaben (in erster Linie:) des „übertragenen", (in zweiter Linie:) aber auch des „eigenen" Wirkungskreises zu sorgen. Wie sich aus dem Regierungsentwurf für das Gesetz von 1992 ergibt (vgl. insoweit: „Allgemeine Begründung" in LT-Drs. 1/1107), hatten von insgesamt 1.345 Gemeinden am 30.6.1990 1.288 Gemeinden weniger als 5.000 Einwohner; sowohl die durch die Rechtsordnung des Bundes und des neu aufzubauenden Landes entstandenen Aufgaben als auch der Ubergang zu einer bürgerschaftlich getragenen kommunalen Selbstverwaltung verlangten eine Zusammenfassung LVerfGE 10

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von Kräften, zumal auch die Anforderungen an kommunale Dienstleistungen stiegen. Ziel der Regierung war es deshalb an sich, bis zur Kommunalwahl im Jahr 1994 eine Gebiets- und Verwaltungsreform durchzuführen, welche auch die Gemeindestruktur „durchgreifend verbessern" sollte (Regierungsvorlage, a.a.O.). Die ursprünglich für eine Übergangszeit konzipierte Verwaltungsgemeinschaft hat sich dann stabilisiert (wird ausgeführt). Das macht zugleich deutlich, daß es, nachdem sich die Verwaltungsgemeinschaft als mögliche Organisationsform etabliert hatte, bei den Änderungen nur noch darum ging, deren „Alternativfahigkeit" zu erhalten und — gemessen an den Anforderungen an eine tragfähige gemeindliche Struktur — eine Gleichwertigkeit im Verhältnis zur Einheitsgemeinde zu sichern. Die politische Entscheidung, auch durch Verwaltungsgemeinschaften eine hinreichende Leistungsfähigkeit auf der Gemeindeebene sicherstellen zu können, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; sie erweist sich vor allem als verhältnismäßiger Eingriff. Die wegen der weiter zugelassenen kleinräumigen Verwaltungsstruktur notwendige Effektuierung gemeindlicher Verwaltung ist ein sachlicher Grund, der im öffentlichen Interesse die Verlagerung rein untergeordneter Tätigkeit auf die „Schreibstube" Verwaltungsamt zuläßt. Das Modell genügt auch den Anforderungen, welche das Bundesverfassungsgericht stellt (vgl. bes. BVerfGE 91, 228ff.); denn der notwendige Einflußspielraum auf die Organisation ist den für die Verwaltung in erster Linie verantwortlichen Bürgermeistern nicht ersatzlos genommen, sondern er wird lediglich dahin gemindert, daß er ihnen „zur gesamten Hand" zusteht, bleibt aber in der Sache hinreichend gewahrt. Die Regelung legt mit der Verwaltungsgemeinschaft keine neue Ebene zwischen die Gemeinden und den Landkreis, weil der Charakter der im gemeinsamen Verwaltungsamt oder sonst von der Verwaltungsgemeinschaft zu erledigenden Aufgaben der gemeindlichen Ebene zuzurechnen ist (vgl. oben Nr. 2.1.2). Dem kann die Beschwerdeführerin nicht mit Erfolg entgegen halten, der Gesetzgeber habe nur die Wahl, tatsächlich eine Gemeindereform durchzuführen oder die bisherige Kleinräumigkeit weiter zu dulden; soweit er Gemeinden bestehen lasse, hätten diese dann aber auch das volle Recht auf eine eigene Organisation. Dies Ergebnis folgt nicht aus dem „Rechenzentrumsurteil" des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen. Soweit dort vertreten worden ist, der Eingriff in die Organisationshoheit unterliege strengeren Anforderungen als derjenige in den Bestand der Gemeinde (VfGH NW, DÖV 1979, 637), kann dies nicht ohne Blick auf den Gesamtzusammenhang verstanden werden: Das Gericht hatte vor Augen, daß Pläne, die drei Großstädte im Rahmen der kommunalen Gebietsreform zusammenzulegen, nicht realisiert worden waren, und daß eine der Städte eine funktionsfähige Rechneranlage vorhielt (a.a.O., LVerfGE 10

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S. 638). In seiner Anmerkung zu diesem Urteil sieht Wagener darin vor allem auch die Aussage, eine mit dem Ziel, funktionsfähige Einheiten zu schaffen, gerade abgeschlossene Gebietsreform müsse nunmehr die geschaffenen Einheiten erst einmal als hinreichend funktionstüchtig hinnehmen (DOV 1979, 639, 640), und die Städte hätten deshalb einen wesentlich höheren Schutz vor weiteren Eingriffen als bislang vor Durchführung der Reform (a.a.O.). Hier geht es aber gerade um Regelungen, welche eine Alternative zu einer (unterlassenen) Gebietsreform darstellen sollen. Wie jetzt das Landesverfassungsgericht hatte bereits früher der Bayerische Verfassungsgerichtshof als Argument gelten lassen, daß es ohne das Institut der Verwaltungsgemeinschaft nicht möglich gewesen wäre, „die Existenz zahlreicher Gemeinden ... zu sichern, die, auf sich allein gestellt, den Anforderungen und Ansprüchen der Bürger an eine moderne, leistungsfähige Selbstverwaltung sonst nicht mehr gewachsen gewesen wären" (BayVfGH, VGHE 31,44, 62 = BayVBl 1978, 426, 439). Dies stimmt auch mit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts überein, das im Fall der schleswig-holsteinischen Ämterordnung die Übertragung der „Besorgungs-"Tätigkeit auf das Amt mit der sonst notwendigen Beseitigung der Kleingemeinden abgewogen hatte (BVerwG, DOV 1973, 169,170). Auch der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg hatte in der Beteiligung einer Gemeinde an einem Verband keine „personelle und organisatorische .Auszehrung'" gesehen (StGH BW, Urt. v. 8.5.1976 - Gesch.Reg. 2,8/75 - , ESVGH 26,1, 5,11) und war davon ausgegangen, die Gewichtigkeit der Gründe öffentlichen Wohls, welche es erlaubten, die Gemeinde an dem Verband zu beteiligen, sei g e r a d e g e r i n g e r als die für eine Gemeindeauflösung (StGH BW, ESVGH 26,1,3,4). Die Beschwerdeführerin kann die Regelung auch nicht mit der Erwägung beanstanden, es fehle an einer Ausnahmeregelung für „leistungsstarke" Gemeinden. Die Typisierung darf von einer bestimmten Größenordnung (Einwohnerzahl) als Indiz für die erforderliche Leistungsfähigkeit ausgehen. Das Recht der Verwaltungsgemeinschaften (§§ 75 ff. GO-LSA 97) läßt im übrigen flexible Lösungen zu, die eine weitere Ausnahmeregelung nicht erforderlich erscheinen lassen: Soweit Gemeinden, welche die für die Bildung hauptamtlich verwalteter Gemeindeeinheiten vorausgesetzte Zielzahl nicht allein erreichen, eine den normalen Anforderungen des „Leitbilds" entsprechende Leistungsfähigkeit haben, müssen sie nicht Mitglied einer Verwaltungsgemeinschaft sein, falls diese auch ohne die nicht beteiligte Gemeinde „leitbildgerecht" ist (vgl. insoweit §§ 75 Abs. 1; 76a; 84 GO-LSA 97). LVerfGE 10

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Durch die jeweilige Gemeinschaftsvereinbarung kann eine Gemeinde, die bedeutend leistungsfähiger ist als die übrigen, „Trägergemeinde" werden (§§ 75 Abs. 3; 82 GO-LSA 97); deren vom eigenen Bürgermeister geleitete Verwaltung dient dann zugleich den übrigen Gemeinden, ohne daß bei der Trägergemeinde die „Erfüllung" von (eigenen) Aufgaben und deren „Besorgung" auseinander fallen. Wenn Gründe des öffentlichen Wohls das erfordern, kann das Ministerium des Innern auch gegen den Willen der übrigen Gemeinden eine besonders leistungsstarke Gemeinde zur Trägergemeinde bestellen (§ 75 Abs. 3a GO-LSA). 2.2.2 Die verfassungsrechtlich im Grundsatz nicht zu beanstandende Verlagerung reiner Verwaltungstätigkeit auf das gemeinsame Verwaltungsamt ist allerdings von Verfassungs wegen nur als ausgewogen hinzunehmen, wenn die Gewähr dafür besteht, daß sich die Akteure sowohl in der Verwaltungsgemeinschaft als auch in der Gemeinde strikt an die durch das Gesetz abgesteckten Grenzen ihrer jeweiligen Zuständigkeit halten. Da die Verwaltungsgemeinschaft eine nur dienende Funktion hat, kann das gemeinsame Verwaltungsamt der Gemeinde keine Weisungen erteilen oder gar „Aufsichtsrechte" beanspruchen; solche Befugnisse haben allein die Fachund Kommunalaufsichtsbehörden, vor allem und in der Stufung zuerst der Landkreis; das stellt § 81 Abs. 6 GO-LSA 97 deutlich klar. Anwendungsfälle sind alle „Besorgungen" i.S.d. § 77 Abs. 1 S. 1 GO-LSA 97, auch der nicht mehr besonders aufgeführte Fall der „Kassen- und Rechnungsführung" oder der Vorbereitung des Haushaltsplans. „Dienend" wahrgenommen werden muß auch die Pflicht der Verwaltungsgemeinschaft, die Gemeinde bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen und sie fachlich zu beraten (§ 77 Abs. 1 S. 2 GO-LSA 97). Auch wenn § 81 Abs. 3 GO-LSA 97 diesen Fall nur teilweise erfaßt, ergibt sich die Beschränkung aus der Stellung der Verwaltungsgemeinschaft und aus der Funktion der Beratung. Die Verwaltungsgemeinschaft hat zwar die Pflicht, Rat zu „geben", aber nur, soweit dieser auch „gefragt" ist. Die Gemeinde ist zwar gehalten, solchen Rat in dem Umfang zu „nehmen", den § 77 Abs. 1 S. 2 GO-LSA 97 umschreibt. Daraus folgt aber noch nicht, daß die Verwaltungsgemeinschaft der Gemeinde auch Unterstützung oder Rat gleichsam ungefragt aufdrängen dürfte. Wegen der Kompetenzabgrenzung zur Gemeinde kann die Verwaltungsgemeinschaft die Gemeinde rechtlich nicht einmal dann zwingen, den Rat anzunehmen und ihn zu „befolgen", wenn die Gemeinde nach objektiven Gesichtspunkten auf diesen Rat angewiesen sein sollte. Verletzt die Gemeinde ihre Pflicht aus § 77 Abs. 1 S. 2 GO-LSA 97, notwendigen Rat in Anspruch zu nehmen, so kann nur die K o m m u n a l a u f s i c h t s b e h ö r d e (des Landkreises) die Gemeinde zur Erfüllung dieser Pflicht anhalten. LVerfGE 10

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Diese Grenzen einzuhalten, ist vor allem im Verhältnis zur Volksvertretung in den Gemeinden wichtig. Den Ratsmitgliedern vor Ort ist die Entscheidung zu überlassen; sie darf in der Verwaltungsgemeinschaft nur vorbereitet werden. Dabei darf der Bürgermeister nicht übergangen werden; das ergibt sich ausdrücklich aus § 77 Abs. 5 GO-LSA 97, folgt aber zudem aus der Verantwortlichkeit auch des ehrenamtlichen Bürgermeisters aus § 62 Abs. 1 GO-LSA 97 gegenüber dem Rat der Gemeinde. Die durch § 77 Abs. 5 GO-LSA 97 besonders genannte Unterstützung ist nur ein Unterfall der „Besorgung" und Unterstützung des § 77 Abs. 1 GO-LSA 97, die der Bürgermeister entsprechend seiner Aufgabe aus § 62 Abs. 1 GO-LSA 97 von der Verwaltungsgemeinschaft verlangen kann. Die nur das (Außen-)Verhältnis zwischen Gemeinde und Verwaltungsgemeinschaft regelnde Bestimmung des § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 läßt auch im übrigen die Regeln über die innere Organisation der Gemeinde unberührt und verändert vor allem nichts an der internen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bürgermeister und Rat. Deshalb bleibt der Bürgermeister verantwortlich für die Ausführung der Ratsbeschlüsse (§ 62 Abs. 1 GO-LSA 97), und er vertritt die Gemeinde nach § 57 Abs. 2 GO-LSA 97 auch gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft; das bedeutet im Rahmen des § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 zugleich, daß der Bürgermeister der „Ansprechpartner" des gemeinsamen Verwaltungsamts ist. Spiegelbildlich zu § 81 Abs. 3 GO-LSA 97 gilt, daß der Bürgermeister, der aus § 77 Abs. 1 S. 1 GO-LSA ein Recht darauf hat, daß die Verwaltungsgemeinschaft alle anfallenden Geschäfte des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde auch tatsächlich sach- und zeitgerecht „besorgt", gleichwohl trotz § 77 Abs. 7 S. 2 GO-LSA 97 nicht berechtigt ist, dem gemeinsamen Verwaltungsamt Weisungen auch dahin zu erteilen, in welcher R e i h e n f o l g e k o n k u r r i e r e n d e Aufträge aus verschiedenen Gemeinden zu erledigen sind; eine Weisung zur zeitlichen Erledigung ist nur bei Konkurrenzen innerhalb der eigenen Aufträge an das Verwaltungsamt denkbar. In den anderen Fällen ist der Bürgermeister gehalten, seinen Einfluß im Gemeinschaftsausschuß, in dem er Sitz und Stimme hat (§ 78 Abs. 1 GO-LSA 97), nach § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 GO-LSA 97 zu nutzen, denkbare oder sich einstellende Konflikte über „Richtlinien" zu regeln oder notfalls ergänzend mit Hilfe der Kommunalaufsicht (des Landkreises) zu erreichen, daß der Leiter des gemeinsamen Verwaltungsamts seinen Aufgaben aus §§ 77 Abs. 1 S. 1; 81 Abs. 3 GO-LSA 97 pflichtgemäß nachkommt. Das gemeinsame Verwaltungsamt wiederum muß in den Fällen des § 77 Abs. 1 S. 1 GO-LSA 97 die „Letztverantwortung" der Gemeindeorgane, deren Geschäfte es „besorgt", respektieren; denn nur weil die Bindung an Beschlüsse (des Gemeinderats oder eines Ausschusses) und an Weisungen (vor allem) des Bürgermeisters besteht (§ 77 Abs. 7 S. 2 GO-LSA 97), kann das Gesetz ohne Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA gewährleisten, daß der Bürgermeister in der

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Lage ist, gerade auch seinen Pflichten gegenüber dem Gemeinderat aus § 62 Abs. 1 GO-LSA 97 zu genügen. Wird die Pflicht aus § 77 Abs. 7 S. 2 GO-LSA 97 verletzt, so bedeutet das zugleich einen Eingriff in das Recht der Gemeinde auf ihre Selbstverwaltung. Das gilt gerade auch für die Frage einer zeitgerechten, zügigen „Besorgung". Das gemeinsame Verwaltungsamt hat bei eingehenden Aufträgen der Gemeinden den Gleichheitssatz zu wahren, der eine Bevorzugung einzelner Anliegen nur aus sachlichem Grund zulassen kann; es ist in diesem Rahmen gehalten, Weisungen der Gemeindeorgane auch hinsichtlich der zeitlichen Erledigung zu befolgen. Die „Geschäfte der laufenden Verwaltung" eigenverantwortlich zu erledigen, obliegt dem Leiter des gemeinsamen Verwaltungsamts nach § 81 Abs. 3 S. 1 GO-LSA 97 nur, soweit die Verwaltungsgemeinschaft zuständig ist, die Aufgabe zu „erfüllen". In den „Besorgungsfällen" bleibt die Verantwortung beim Bürgermeister der Gemeinde (§ 63 Abs. 1 S. 2 GO-LSA 97), der deshalb auch die Art und Weise der Ausführung nach § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 durch die Verwaltungsgemeinschaft bestimmt, hierzu Weisungen erteilen oder allgemeine Richtlinien geben kann. Die Verwaltungsgemeinschaft oder ihre Bediensteten können sich nicht darauf berufen, auch der Gemeindeverband habe nach Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA ein gleichwertiges Recht auf Selbstverwaltung wie die einzelne Gemeinde; denn der Umfang dieses Rechts ist durch die Aufgabe begrenzt, welche der Gesetzgeber der Verwaltungsgemeinschaft gestellt hat. Nicht die vollständige Erledigung von gemeindlichen Aufgaben ist ihr übertragen, sondern lediglich die unterstützende „Besorgung", soweit die Verwaltungsgemeinschaft nicht anstelle der Gemeinde deren Aufgaben „erfüllt". Das Selbstverwaltungsrecht des Gemeindeverbands ist deshalb notwendig schwächer als dasjenige der Gebietskörperschaft Gemeinde, von deren interner Willensbildung das gemeinsame Verwaltungsamt in den Fällen bloßer „Besorgung" immer abhängig bleibt. 2.3 § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 verbietet es der einer Verwaltungsgemeinschaft angehörenden Gemeinde, die keine Trägergemeinde ist, allerdings nicht schlechthin, eigenes Personal einzustellen, sondern trifft diese Regelung nur für Verwaltungstätigkeiten im engeren Sinn. Das ergibt die Auslegung des § 75 Abs. 5 GO-LSA 97 selbst sowie der Zusammenhang mit der Regelung des § 77 Abs. 1 GO-LSA 97. Das Ergebnis entspricht der Absicht des Ministeriums des Innern (wird ausgeführt). Die Einschränkung des Verbotes hat auch im Wortlaut des Gesetzes ihren Niederschlag gefunden; denn sie kann dem im § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 verwendeten Begriff der „Gemeindeverwaltung" entnommen werden. Der mehrdeutige Wortlaut könnte zwar (umfassend) als „Verwaltung der Gemeinde" verstanden werden, läßt aber auch die Auslegung zu, es sei nur die Verwaltung LVerfGE 10

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gemeint, die in Ämtern organisiert ist, normalerweise einem hauptamtlichen Bürgermeister unmittelbar untersteht und üblicherweise einzelne Entscheidungen der Gemeindeorgane erarbeitet oder umsetzt. Dem steht nicht entgegen, daß als einzige Ausnahme von dem Verbot des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 nach Satz 2 im selben Absatz allein eine „Bürokraft" eingestellt werden darf; denn diese ist — gerade weil sie den Bürgermeister unterstützen soll — der „Gemeindeverwaltung" (vgl. § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97) im engeren Sinn zuzurechnen. Eine Auslegung des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97, welche den Begriff „Gemeindeverwaltung" umfassend verstände, würde der Bedeutung der Regelung über das gemeinsame Verwaltungsamt nicht gerecht, wie sie sich aus dem Sinnzusammenhang mit § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 erschließt. Zweck des gemeinsamen Verwaltungsamts und damit auch Hintergrund für die Regelung des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 ist es allein, gemeindliche Verwaltungskraft zu „bündeln"; eine den modernen Anforderungen entsprechende qualifizierte Verwaltung, die sich die einzelnen Mitgliedsgemeinden jeweils allein nicht leisten könnten, soll gemeinsam vorgehalten werden. Diese Überlegung geht davon aus, daß die notwendigen hauptamtlichen Fachleute, welche die Entscheidungen der Mitgliedsgemeinde vorbereiten und ausführen, erst von einer bestimmten gemeindlichen Größenordnung an ausgelastet sind, so daß ihre Anstellung erst unter diesen Voraussetzungen wirtschaftlich vertretbar wird (Richtzahl 5.000 Einwohner; vgl. insoweit die Ergebnisse der Projektgruppe 1992). Die Grundidee, auch kleine Gemeinden bestehen zu lassen, die Verwaltungskraft aber zu erhöhen, ist zugleich der „sachliche Grund" für die Bildung des gemeinsamen Verwaltungsamts. Die Vorgabe des Gesetzgebers, die Entscheidungskompetenz bei der Gemeinde zu belassen, setzt — wie sich aus den Regelungen des § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 ergibt — weiter voraus, daß die bloße „Besorgung" der Aufgabe von der eigentlichen „Erfüllung" unterschieden werden kann. Diese Erkenntnis wird nicht dadurch beeinflußt, daß keiner der beiden Begriffe bei § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 verwendet worden, sondern an deren Stelle das Wort „Erledigung" getreten ist; denn hiermit sind beide Fälle umfaßt, und zusätzlich soll verdeutlicht werden, daß mindestens die „Besorgung" im Verwaltungsamt geleistet werden muß. „Erledigung" ist damit nicht etwa mehr als „Besorgung" und damit als Eingriff in die Entscheidungsautonomie der Mitgliedsgemeinde zu verstehen, wenn diese die Aufgabe selbst nicht übertragen hat. Diese Trennbarkeit der Abläufe, die § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 verlangt und die auch die Grundlage für die Regelung des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 ist, versagt außerhalb der G e m e i n d e v e r w a l t u n g im engeren Sinn. Soweit etwa bei den „Einrichtungen" Fachpersonal beschäftigt wird — wie z. B. in Kindergärten oder bei Freizeit- und Versorgungseinrichtungen, die freiLVerfGE 10

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willig nur von der einzelnen Gemeinde unterhalten werden —, erfüllt es allein einen besonderen Verwaltungszweck und sichert zusammen mit den sog. „sächlichen Mitteln", welche die Gemeinde zur Verfügung stellt, die Funktionsfähigkeit der Einrichtung. Merkmal dieses Verwaltungshandelns ist, daß es ortsgebunden auf die Einrichtung beschränkt bleibt und nicht konkretisierend einzelne Entscheidungen der Gemeindeorgane umsetzt, sondern einen gleichsam generalisierten Auftrag (den „Zweck") e i g e n s t ä n d i g erfüllt. Ein Rationalisierungserfolg durch eine Zusammenfassung von Personal außerhalb der Einrichtung tritt nicht ein; auch wird „Fachkunde" nur für den jeweiligen Widmungszweck verlangt und steht deshalb nicht gleichzeitig („gebündelt") mehreren Mitgliedsgemeinden zur Verfügung. Die einzelne Gemeinde leistet sich die Einrichtung und deren Personal nach ihren eigenen Vorstellungen und lediglich zur Versorgung ihrer Einwohner (vgl. etwa § 22 Abs. 1 GO-LSA 93/94/97). Mangelnder Auslastung des in örtlichen Einrichtungen beschäftigten Personals kann nur „vor Ort" dadurch begegnet werden, daß entweder die Einrichtung geschlossen oder deren Einzugsbereich erweitert wird. Die Entscheidung darüber hat zwar die einzelne Gemeinde zu treffen; solange aber die Einrichtung aufrecht erhalten und ihre Funktion unverändert bleibt, bedarf es keiner lediglich ausführenden „Besorgung" von Beschlüssen des Rats oder Weisungen des Bürgermeisters, sondern ausschließlich eines Handelns innerhalb des generell festgelegten Zwecks. Zwar lassen sich auch Rationalisierungserfolge vorstellen, wenn die einzelne Mitgliedsgemeinde ihre örtliche Einrichtung aufgibt und eine gemeinsame überörtliche neu gegründet wird; aber selbst dann ändert sich nichts am Charakter der Dienstleistung des Personals, sondern es wechselt allein der Träger der Einrichtung. Der Gesetzgeber hat die besondere Funktion des Verwaltungshandelns innerhalb der Einrichtungen, deren Träger die Gemeinde ist, auch an anderer Stelle zum Anlaß genommen zu differenzieren: so nimmt § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst, a GO-LSA 97 das (nicht „leitende") Verwaltungspersonal in „Einrichtungen" oder „Eigenbetrieben" ausdrücklich aus und läßt nur für die hauptamtlichen Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung im engeren Sinn die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Gemeindevertretung nicht zu. Das Landesverfassungsgericht hat die unterschiedliche „Nähe" des Personals zur Entscheidungsbefugnis des Rates als zulässigen Grund angesehen, zwischen diesen Gruppen zu differenzieren (LVfG, Urt. v. 7.7.1998 - LVG 17/97 - ) . Der mit dem Wortlaut zu vereinbarenden systematischen Auslegung ist schließlich deshalb zu folgen, weil das Ergebnis einer den § 75 Abs. 5 S. 1 GOLSA 97 isolierenden und zudem einengenden Wortinterpretation von Verfassungs wegen zu beanstanden wäre. Ein generelles Verbot, ü b e r h a u p t noch Verwaltungspersonal zu beschäftigen, müßte mit der durch Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA garantierten Organisationshoheit deshalb unvereinbar sein, weil es vor allem bei LVerfGE 10

Aufgaben der Gemeindeverwaltung

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der „Einrichtungsverwaltung" — anders als bei der „Gemeindeverwaltung" (im engeren Sinn) — an einem, solch umfassenden Eingriff rechtfertigenden „sachlichen Grund" fehlen würde; dieser trägt allein die „Bündelung" von Verwaltungsaufgaben wegen gewachsener Anforderungen an die Gemeindeverwaltung. Schon der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte bei der dortigen Regelung über die Verwaltungsgemeinschaften eine ähnliche Grenze gezogen und das indirekte Verbot, eigene Verwaltungskräfte zu beschäftigen, nur deshalb hingenommen, weil den Gemeinden die uneingeschränkte Personalhoheit für alle Sachaufgaben verblieben war, die nicht den unmittelbaren Verwaltungsvollzug betrafen — vor allem die gemeindlichen Einrichtungen (BayVfGH, VGHE 31, 44, 64f. = BayVBl 1978, 426, 431). Auch die Ergebnisse der Projektgruppe von 1992 und die Erwägungen der damaligen Begründung für die Urfassung des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit können ausschließlich die Notwendigkeit begründen, das Verwaltungspersonal (nur) gemeinsam vorzuhalten, das eine qualitativ höherwertige und den modernen Anforderungen genügende Dienstleistung für alle angeschlossenen Gemeinden erbringen soll. Andere Gründe lassen sich auch den Materialien zum Kommunalrechtsänderungsgesetz 1997 nicht entnehmen. Durch § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 soll letztlich nur vermieden werden, daß die Gemeinden eigenes Personal für solche Zwecke beschäftigen, die von dem gemeinschaftlich getragenen Verwaltungsamt erledigt werden können und sollen. Diese Erwägungen treffen für die „Einrichtungsverwaltung" nicht zu. Andererseits ist für das Personal, das die Aufsicht über das bei Einrichtungen beschäftigte Personal führt oder das die E i n r i c h t u n g e n selbst verwaltet und nicht bloß in ihnen selbst arbeitet, die Bündelung der Verwaltungskraft gerechtfertigt. In diesem Umfang ist die für § 77 Abs. 1 GO-LSA 97 notwendige Trennung zwischen „Erfüllungs-" und „Besorgungs-"Handeln auch möglich. Wie der Blick auf die „Einrichtungen" zeigt, reicht das Verbot des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 nur so weit, wie sich auf der Grundlage des § 77 Abs. 1 GOLSA 97 rein faktisch die Tätigkeiten des bloßen „Besorgens" - als einer rein dienenden Verwaltungstätigkeit — von der jeweils einzelnen Entscheidung des Rates oder des Bürgermeisters im Rahmen der Kompetenz, die Aufgabe selbst zu „erfüllen", trennen lassen. Zur „Gemeindeverwaltung" i. S. des § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 gehört deshalb in aller Regel nur das Personal „in den Amtern der Gemeinde", das der Bürgermeister benötigt, um seinen Aufgaben aus §§ 57 Abs. 2 — Außenvertretung - ; 62 Abs. 1 — Vorbereitung und Vollzug der Ratsentscheidungen —; 63 Abs. 1,3 — Wahrnehmung eigener Aufgaben, Verantwortlichkeit — GO-LSA 97 gerecht werden zu können. Ebenso wenig wie die „Einrichtungen" gehören die Tätigkeiten zur „Gemeindeverwaltung" i.S.d. § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97, die in den Formen des Privatrechts wahrgenommen werden. LVerfGE 10

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Indizien dafür, daß es sich — über diese Fälle hinaus und ausnahmsweise — um keine Tätigkeit der „Gemeindeverwaltung" i.S.d. § 75 Abs. 5 S. 1 GO-LSA 97 handelt und deshalb die Aufgabe mit eigenen Verwaltungskräften erledigt werden darf, sind der ausschließliche Ortsbezug der Erledigung, die Besonderheit des Verwaltungsinhalts und eine „Ferne" von der übrigen Gemeindeverwaltung, die eine gewisse Selbständigkeit der Tätigkeit voraussetzt, deren Inhalt eher generalisierend bestimmt als von konkreter und unmittelbarer Einflußnahme durch den Bürgermeister abhängig ist. 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 32 LVerfGG-LSA.

Nr. 2* 1. Zur Verfassungsbeschwerdefrist bei Änderungsgesetzen. 2. Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA verlangt nicht, einen „Kernbereich" kommunaler Aufgaben anders zu behandeln als einen schwächer geschützten „Randbereich". Die Bestimmung läßt es zu, die Leistungsfähigkeit des Landes zu berücksichtigen. 3. Art. 88 Abs. 1 FAG-LSA gewährt keinen „Bestandsschutz". Bei veränderten Umständen darf der Landesgesetzgeber frühere, höhere Finanzmassen kürzen. Mit der Verfassung vereinbar ist, eine Teilmasse zu bilden, sofern hierfür ein besonderer Grund besteht. Für Investitionshilfen, welche die Kommunen in die Lage versetzen sollen, Fremdmittel zur Investitionsforderung abzurufen, besteht ein Landesinteresse. 4. Art. 88 Abs. 1, 2 LVerf-LSA verlangen kein „Verfahrensgesetz" (a. A. für das dortige Landesrecht: Staatsgerichtshof Baden-Württemberg, Urt. v. 10.5.1999 - GR 2/97 - ) .

* Die Entscheidung ist im Volltext beim Landesverfassungsgericht für das Land SachsenAnhalt erhältlich (Adresse s. Anhang).

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Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Art. 87 Abs. 3, 88 Landesverfassungsgerichtsgesetz §§ 48, 51 Landesfinanzausgleichsgesetz vom 31. Ol. 1995 und Haushaltsbegleitgesetz 1997 Urteil vom 13 Juli 1999 - LVG 20/97 in dem Verfassungsbeschwerde eines Landkreises gegen mehrere Vorschriften des Finanzausgleichsgesetzes vom 31. Januar i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 Entscheidungsformel: Es wird festgestellt, daß Art. 1 § 1 Nr. 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 17.12.1996 (LSA-GVB1416) insoweit gegenwärtig gegen Art. 87 Abs. 3 der Landesverfassung verstößt, als keine besondere Finanzierungsregelung über die Kostendeckung für die Aufgaben des § 3 des Gesetzes zur Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs im Land Sachsen-Anhalt vom 24.11.1995 (LSA-GVB1339) - ÖPNVG-LSA - vorgesehen ist. Die weitergehende Verfassungsbeschwerde wird verworfen, soweit sie sich gegen Art. 1 § 1 Nr. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 17. Dezember 1996 (LSA-GVB1 416) und § 7 Abs. 2 Nr. 2 des Finanzausgleichsgesetzes vom 31. Januar 1995 (LSA-GVBl 41) richtet; im übrigen wird sie zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Land hat dem Beschwerdeführer ein Viertel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Gründe: Das Finanzausgleichsgesetz (des Landes) vom 31.1.1995 (LSA-GVBl 41) - FAG-LSA - , das sich Rückwirkung zum 1.1.1995 beilegte (§ 30 Abs. 1 FAGLSA) und gleichzeitig die früheren Regelungen über die Gemeindefinanzierungen aufhob (§ 30 Abs. 2 Satz 1 FAG-LSA), gewährte den Kommunen allgemeine Finanzzuweisungen, Sonderzuweisungen und Bedarfszuweisungen (§ 2 Abs. 1), legte fest, daß zur allgemeinen Finanzmasse 45% der dem Land zufließenden Bundesergänzungszuweisungen gem. § 11 Abs. 4 FAG(-Bund) gehörte (§ 3 Abs. 2 Nr. 5 FAG-LSA), teilte die Finanzmasse in Teilmassen für den Ausgleich der Sozialhilfelasten, zur Finanzierung allgemeiner Zuweisungen sowie zur Ausstattung eines Ausgleichsfonds auf (§§ 4 Abs. 1; 12 FAG LSA), legte ergänzende Zuweisungen für die Sozialhilfelasten (§10 FAG-LSA) und für die Straßenbaulast ( § 1 1 FAG-LSA) sowie Investitionshilfen für die Eigenanteilfinanzierung LVerfGE 10

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(§ 11 a FAG-LSA) fest und sah vor, daß die Träger der Schülerbeförderung einen pauschalierten jährlichen Zuschuss nach Maßgabe des Haushaltsplans erhielten, mindestens jedoch 75 Mio. DM (§ 13 Abs. 1 FAG-LSA). § 7 FAG-LSA bestimmte, daß als Bedarfsmeßzahl der Rechenwert bezeichnet wird, der sich aus einer Multiplikation des Hauptansatzes nach Absatz 2 mit dem Grundbetrag nach Absatz 3 ergibt. Nach Abs. 2 Nr. 2 wurde für Landkreise als Hauptansatz der Rechenwert bezeichnet, der sich durch die Addition von 85 v. H. der ungewichteten Einwohnerzahl mit dem in Einwohner umgerechneten Flächenanteil (Quadratkilometer X 15) ergibt. Durch Art. 1 § 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 17.12.1996 - HaushBeglG-LSA 1997 — wurden zahlreiche Vorschriften des (Landes-) Finanzausgleichsgesetzes von 1995 geändert (§§ 2, 3,4, 7,11 a ,12, und 13 FAG-LSA). Der Beschwerdeführer hat am 30.12.1997 Verfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen des allgemeinen Finanzausgleichs erhoben; er macht geltend: In erster Linie verstoße § 7 FAG-LSA gegen Art. 87 und 88 der Landesverfassung. Insoweit sei die Verfassungsbeschwerde zulässig, weil sie gegen die geänderte Fassung rechtzeitig erhoben worden sei. Außerdem könne sie Gegenstand von Richtervorlagen in Verfahren gegen die jährlichen Bescheide über die dem Landkreis nach dem Finanzausgleichsgesetz zustehenden Leistungen werden. Hilfsweise sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil der Beschwerdeführer mangels Bestimmbarkeit der anzugreifenden Regelung die Verfassungsbeschwerde nicht rechtzeitig habe einreichen können. Entscheidungsgründe: Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig (1.); soweit sie zulässig ist, hat sie nur teilweise Erfolg (2.). 1.1 (...)

1.2 Eine Verletzung durch § 7 Abs. 2 Nr. 2 des Finanzausgleichsgesetzes vom 31.1.1995 (LSA-GVB1 41) - FAG-LSA 1995 - , geändert durch Art. 1 § 1 Nr. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 17.12.1996 (LSA-GVB1 416) HaushBeglG-LSA 1997 — (das Finanzausgleichsgesetz in der geänderten Fassung im folgenden zitiert mit Jahreszahl), kann der Beschwerdeführer wegen Fristablaufs nicht mehr geltend machen (1.2.1). Im übrigen ist er unmittelbar teilweise erst durch die von ihm angegriffenen Regelungen betroffen; diese Wirkung dauert an (1.2.2). 1.2.1 Die nach §§ 51 Abs. 2; 48 LVerfGG-LSA zu wahrende Frist von einem Jahr seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung war für § 7 Abs. 2 Nr. 2 LVerfGE 10

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FAG-LSA am 30.12.1997 bereits abgelaufen, weil es insoweit auf das Ursprungsgesetz von 1995 und nicht auf das Änderungsgesetz von 1996 ankommt. Das gilt auch dann, wenn für das Ursprungsgesetz, das sich Rückwirkung beigemessen hatte (§ 30 Abs. 1 FAG-LSA 1995), nicht das Datum des In-Kraft-Tretens (1.1.1995), sondern das spätere der Verkündung (2.2.1995: Ausgabe des Gesetzblatts Nr. 6/1995) maßgeblich wäre. Die Änderung enthielt nämlich keine neue Belastung (1.2.1.1); dem Beschwerdeführer steht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu (1.2.1.2). 1.2.1.1 Die Frist des § 48 LVerfGG-LSA (i.V.m. § 51 Abs. 2 LVerfGG-LSA) wird bereits und nur durch die „erste" Belastung in Lauf gesetzt; das ergibt sich bestätigend aus der Bestimmung des § 49 LVerfGG-LSA (i.V.m. § 51 Abs. 2 LVerfGG-LSA) über die Begründungspflicht. Mit dieser Einschränkung greift der Landesgesetzgeber auf das Vorbild der bundesrechtlichen Verfassungsbeschwerde zurück (vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 11.10.1988 - 1 BvR 777, 882, 1239/85 - , BVerfGE 79, 1, 14). Bei ihr reicht gleichfalls nicht aus, daß der Gesetzgeber eine frühere Regelung ohne eine (neue, nachteilige) Änderung nur „bestätigend" in seinen Willen aufgenommen hat (BVerfG, Beschl. v. 6 . 6 . 1 9 8 9 - 1 BvR 921/85 - , BVerfGE 80,137,149, m.w.N.); denn die Fristbegrenzung bei der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz soll den Betroffenen aus Gründen der Rechtssicherheit daran hindern, die Verfassungsrüge beliebig lange hinauszuschieben (BVerfG, Beschl. v. 5.7.1960 - 1 BvR 232/58 BVerfGE 11, 255,260; vgl. auch: BVerfG, Urt. v. 17.10.1968 - 2 BvE 2/67 - , BVerfGE 24, 252, 257 zu einer Organklage über Wahlkampfkosten). Die Jahresfrist gilt selbst dann, wenn eine konkrete Beschwer beim Beschwerdeführer erst nach Ablauf eines Jahres auftritt (BVerfG, Beschl. v. 6.3. 1 9 6 8 - 1 BvR 975/58 - , BVerfGE 23,153,164). Sieht man mit dem Beschwerdeführer gerade in dem Flächenfaktor die unangemessene Belastung, so kann sich dessen Reduzierung (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995 und 1997) nicht stärker eingreifend auswirken als die ursprüngliche Regelung, welche der Beschwerdeführer nicht innerhalb der Frist angegriffen hatte. Durch § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1997 hat der Gesetzgeber die Auswirkung des Flächenfaktors auf den Berechnungsmodus abgeschwächt und dadurch die dem einzelnen Landkreis auf nicht übergroßer Fläche zustehende Zuweisung tendenziell erhöht, weil der Anteil (von 75 % auf 85 %) heraufgesetzt worden ist, der „ungewichtet" allein auf die Einwohnerzahlen abstellt. Die nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1997 bloße Begünstigung der Landkreise mit einer höheren Bevölkerungsdichte (Einwohner pro Fläche) hat auch durch andere Änderungen des Haushaltsbegleitgesetzes keinen neuen und zugleich belastenderen Inhalt als die Ursprungsregelung bekommen. LVerfGE 10

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Die von der Verfassungsrechtsprechung anerkannten Voraussetzungen, daß sich Zusätze bei dem im Text unveränderten Wortlaut des Gesetzes oder Änderungen an anderer Stelle auch auf die Auslegung des bisherigen Textes auswirken können (BVerfG, Beschl. v. 2.12.1986 - 1 BvR 1509/83 BVerfGE 74, 69, 73; vgl. oben bereits: BVerfGE 11, 351, 359: Hinzufügen von „Art. 21 GG" zum bisherigen Begriff „politische Partei"; vgl. auch LVerfG, Urt. v. 23.2.1999 - LVG 8/98 - ) , liegen bei § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995 nicht vor. Das gilt auch, soweit durch andere Bestimmungen Kürzungen vorgenommen oder besondere Finanzmassen gebildet werden; denn diese Regelungen beeinflussen die Verteilung nach dem unverändert gebliebenen § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995 nicht, weil sie sich lediglich auf die zu verteilende Masse, nicht aber auf den Maßstab, den Verteilungsschlüssel, auswirken. Die Kürzungen mögen rein faktisch zu Mindereinnahmen führen; die hier allein maßgebliche rechtliche Stellung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA im System des Finanzausgleichs hingegen hat zu keiner neuen Belastung geführt. Die Jahresfrist ist auch nicht mit der Erwägung erneut von dem Änderungsgesetz an zu berechnen, daß der Finanzausgleich einer Anpassungspflicht unterliegt. Das Landesverfassungsgericht folgt nicht der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs Brandenburg, soweit aus der materiellen Erwägung, Kostendeckung sei kein sich mit der Übertragung der Aufgabe erledigendes einmaliges Ereignis, sondern ein fordaufender Prozess, wobei der Schwerpunkt in der laufenden Bewältigung der Aufgabe liege, auch Rückschlüsse auf die Berechnung der formellen Frist gezogen werden (VfGH Bbg, Urt. v. 18.12.1997 - VfG 47/96 - , DÖV 1998, 336, 337). Die Grundlagen sind nämlich in Sachsen-Anhalt nicht durch jährliche Gemeindefinanzierungsgesetze jeweils neu zu bestimmen, sondern der allgemeine Finanzausgleich nach Art. 88 LVerf-LSA unterliegt keiner rein zeitlich bestimmten Anpassung, sondern einer aktuellen dann, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. Auch die Pflicht aus Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA, bei Übertragung einer neuen Aufgabe „gleichzeitig" die Kostendeckung für sie zu regeln, entsteht aktuell aus Anlass dieser Übertragung. Werden die durch Art. 87 Abs. 3; 88 LVerf-LSA bedingten gesetzlichen Regelungen verändert, so besteht deshalb die Möglichkeit, innerhalb einer nunmehr neu laufenden Jahresfrist eine Überprüfung zu verlangen. Der Beschwerdeführer kann schließlich gegen die Anwendung der Jahresfrist nicht mit Erfolg einwenden, auch nach deren Ablauf seien noch Vorlagen auf der Grundlage des Art. 75 Nr. 5 LVerf-LSA (§ 2 Nr. 6 LVerfGG-LSA) und Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes zulässig; denn Initiator einer solchen Vorlage ist nicht mehr der Beschwerdeführer, sondern das Gericht, welches von der Verfassungswidrigkeit der Regelung überzeugt sein und darlegen muß, daß seine Entscheidung allein von der Frage der Verfassungsmäßigkeit oder -Widrigkeit einer bestimmten Norm abhängt. LVerfGE 10

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1.2.1.2 Dem Beschwerdeführer steht keine Wiedereinsetzung zu. Uberwiegendes spricht dafür, daß der Landesgesetzgeber eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Jahresfrist bei (kommunalen und sonstigen) Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze bewußt nicht vorgesehen hat. Weder die Verfassung von Sachsen-Anhalt selbst noch das ausführende Landesverfassungsgerichtsgesetz enthält eine Regelung dazu; §§ 48 und 51 Abs. 2 LVerfGG-LSA verlangen nur die Einhaltung der Jahresfrist. Dass über § 33 Abs. 2 LVerfGG-LSA auf die Grundsätze der Verwaltungsgerichtsordnung (dann: § 60 VwGO) zurückgegriffen werden darf, ist eher zweifelhaft; denn die von § 33 Abs. 2 LVerfGG-LSA vorausgesetzte Lücke („soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält") dürfte nicht bestehen. Die Landesregelung über die „Rechtssatz-Verfassungsbeschwerde" gleicht nämlich derjenigen des Bundes. Dort ist (vgl. § 93 Abs. 2 BVerfGG) zwar eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit gegen die Versäumung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nach Verkündung der letzten Entscheidung im Instanzenzug der Fachgerichtsbarkeit vorgesehen, aber gerade nicht gegen die eigenständig geregelte Jahresfrist (§ 93 Abs. 3 BVerfGG) für die Verfassungsbeschwerde gegen Normen. Die erst durch Gesetz vom 2.8.1993 (BGBl 11442) eingeführte Wiedereinsetzungsbestimmung war rechtspolitisch lange gefordert worden (vgl. insoweit Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl., § 93 Rdn. 49); das Bundesverfassungsgericht hatte nach dem davor geltenden Recht Wiedereinsetzungsfragen nicht erwogen und die Möglichkeit einer „Unterbrechung" durch anwaltliches Ersuchen abgelehnt (BVerfG, Beschl. v. 8.1.1959 - 1 BvR 296/57 - , BVerfGE 9,109,111/112,119). Das Gericht hat die ähnliche Fristenregelung für die Organklage als „Ausschlußfrist" verstanden und insoweit parallele Erwägungen angestellt wie für die Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze (BVerfGE 24, 252, 257). Angesichts der Systematik des § 93 BVerfGG wird davon auszugehen sein, daß die Regelung des § 93 Abs. 2 BVerfGG nicht auf die Fälle der Rechtssatzbeschwerden übertragen werden kann (so auch Lechner/Zuck, a.a.O., Rdn. 49, wenn auch mit Kritik an dieser gesetzlichen Regelung). Dies legt nahe, daß der Landesgesetzgeber für seine Rechtssatz-Verfassungsbeschwerden eine nur dem § 93 Abs. 3 BVerfGG gleichende Regelung hat treffen wollen und deshalb bewußt von der Aufnahme einer dem § 93 Abs. 2 BVerfGG entsprechenden Bestimmung abgesehen hat. Selbst wenn § 33 Abs. 2 LVerfGG-LSA den Rückgriff auf § 60 Abs. 1 VwGO zuließe, wäre keine Wiedereinsetzung zu gewähren, weil der Kläger die Jahresfrist gegen die ursprüngliche Regelung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995 jedenfalls nicht unverschuldet versäumt hat. — wird ausgeführt — LVerfGE 10

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1.2.2 Die Regelungen in Art. 1 § 1 Nrn. 3, 4, 7, 11 HaushBeglG-LSA 1997 enthalten gegenüber dem früheren Zustand neue Belastungen; der Beschwerdeführer kann hingegen nur diese und wegen Fristablaufs nicht mehr auch das Verteilungssystem der §§ 3 Abs. 2 Nr. 2; 4 Abs. 1, 3; 13 Abs. 1 FAG-LSA 1995 im Grundsatz in Frage stellen. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist zulässig, obgleich die Höhe der Zuweisungen durch Bescheide konkretisiert wird, die im Verwaltungsrechtsweg angefochten werden können. Verglichen mit der ursprünglichen Regelung des § 3 Abs. 2 Nr. 5 FAG-LSA 1995 kürzt Art. 1 § 1 Nr. 3 Buchst, b), bb) HaushBeglG-LSA 1997 den Anteü der kommunalen Finanzmasse an den Ergänzungszuweisungen aus dem BundLänder-Finanzausgleich, ohne daß eine erkennbare Kompensation an anderer Stelle stattfindet. Verglichen mit § 4 Abs. 1 FAG-LSA 1995 teilt Art. 1 § 1 Nr. 4 HaushBeglG-LSA 1997 durch Neufassung des § 4 FAG-LSA 1997 die Finanzmassen weiter auf. Wie § 4 Nr. 5 FAG-LSA 1997 nunmehr deutlich macht, sollen die Sonderverteilungen auf Kosten der allgemeinen Zuweisungen gehen; vorrangig abgezogen werden damit sowohl die in der Sache unverändert gebliebenen Zuwendungen nach §§ 11,12 FAG-LSA, aber gerade auch die vom Beschwerdeführer gerügte neue besondere Finanzmasse für Investitionshilfen (Art. 1 § 1 Nr. 7 HaushBeglG-LSA 1997 = § 11 a FAG-LSA 1997). Verglichen mit § 13 Abs. 1 FAG-LSA 1995 schließlich kürzt Art. 1 § 1 Nr. 11 HaushBeglG-LSA 1997 die Pauschale für Schülerbeförderungskosten von ehemals „mindestens 75 Millionen" auf 40 Millionen Deutsche Mark. Die für das Jahr 1997 getroffenen Regelungen wirken auch gegenwärtig fort, obgleich das Finanzausgleichsrecht erneut, und zwar durch Art. 2 des „Aufnahmegesetzes und Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes" vom 21.1.1998 (LSA-GVB110) sowie weiter durch Art. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 30.3.1999 (LSA-GVB1 120) - HaushBeglG-LSA 1999 - geändert worden ist; denn die 1997 entstandenen Belastungen sind nicht zurückgenommen worden. Das gilt auch für die Tabelle in Art. 1 Nr. 2 HaushBeglG-LSA 1999 zur Änderung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA. Diese punktuellen Veränderungen werfen aber nicht die Frage der Verfassungsmäßigkeit auch der unverändert gebliebenen Regelungen auf; denn das Gesamtsystem für die Verteilung ist beibehalten worden. Es beruht auf der Annahme, ohne die vom Landesverfassungsgericht inzwischen auf der Grundlage der Art. 87 Abs. 3; 88 Abs. 1, 2 LVerf-LSA verlangte Differenzierung (LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/96 - [„ÖPNVG"]; Urt. v. 8.12.1998 - LVG 19/97 - [„KiBeG"]; beide zur Veröffentlichung vorgesehen) den Finanzausgleich pauschal im Rahmen und weitgehend nach Maßgabe des Landeshaushalts sowie in der Sache einheitlich im wesentlichen durch allgemeine Zuweisungen und lediglich in Ausnahmefällen (Soziallasten, Straßenbau, Schülerbeförderung) durch besondere Abgeltung vornehmen zu können. LVerfGE 10

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Dieses „System" haben der Beschwerdeführer sowie die anderen Landkreise und kreisfreien Städte wie im übrigen auch die kreisangehörigen Städte und Gemeinden hingenommen, als es durch das Finanzausgleichsgesetz von 1995 geschaffen wurde; keine Kommune hat das System innerhalb der Jahresfrist (§§ 51 Abs. 2; 48 LVerfGG-LSA) angefochten. Insoweit gilt gleichfalls der bereits oben (Rüge zu § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA) klargestellte Grundsatz, daß die Jahresfrist um der Rechtsklarheit willen als „Ausschlußfrist" anzusehen ist und für in ihrem Regelungsgehalt unverändert gebliebene Teile des Gesetzes auch dann zu gelten hat, wenn der Gesetzgeber diese bei Änderungen erneut in seinen Willen aufgenommen hat (BVerfGE 11, 255, 260; 43, 108, 116; 80, 137, 149). Dabei kommt es nicht auf den subjektiven Willen des Gesetzgebers, sondern allein darauf an, ob sich der Inhalt der Regelung geändert hat (BVerfGE 43,108, 116; vgl. zur Bedeutung des „subjektiven Willens" des Gesetzgebers auch: LVerfG, Urt. v. 23.2.1999 - LVG 8/98 - , zur Veröffentlichung vorgesehen, Abschn. 1.2.2.1.2 der Entscheidungsgründe). Diese „strenge" Rechtsprechung ist auch in neuerer Zeit nicht revidiert worden, wie sich in den Beschlüssen der Kammern zeigt. Die 3. Kammer des 2. Senats hat die Verfassungsbeschwerde gegen Privilegierungen nach dem hessischen Parteiengesetz für verfristet gehalten, obgleich eine Modifizierung bei der Bekanntmachung der Wahlvorschläge vorgenommen worden war (BVerfG, Beschl. v. 28.2.1994 - 2 BvR 1042/93 NVwZ-RR 1994, 470f.). Dieselbe Kammer hat bei einer Rüge gegen ein inhaltsgleiche Regelungen ablösendes neues Gesetz verlangt, daß bereits gegen das bisherige fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben worden war (BVerfG, Beschl. v. 11.5.1994 — 2 BvR 2882/93 - LKV 1994,332 f.). Die 1. Kammer des 1. Senats hat die Jahresfrist auch einzuhalten verlangt, wenn gerügt wird, der Gesetzgeber habe von Verfassungs wegen ergänzende Bestimmungen zu einer bestehenden Regelung zu erlassen (BVerfG, Beschl. v. 2 5 . 8 . 1 9 9 8 - 1 BvR 2487/94 - JURIS). Das Landesverfassungsgericht schließt sich für die Auslegung der rechtsähnlichen Vorschriften des Landesrechts dieser Rechtsprechung an. Das „Grundsystem" der Finanzverfassung hat sich nicht geändert. Bei den besonders angeführten und im Finanzausgleichsgesetz erwähnten „Schülerbeförderungskosten" handelt sich um keine neue Aufgabe i.S.d. Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA, weil die Landkreise und kreisfreien Städte schon vor Verabschiedung der Verfassung und deshalb vor In-Kraft-Treten des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA Träger der Schülerbeförderung waren (vgl. bereits § 71 Abs. 1 Satz 1 des „Schulreformgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (Vorschaltgesetz)" vom 11.7.1991 - LSA-GVB1 165). Bei diesem Hintergrund kann sich der Beschwerdeführer auch nicht darauf stützen, er habe bei Verkündung des Finanzausgleichsgesetzes noch nicht mit einer Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung rechnen können, welche das „Konnexitätsprinzip" stärker als bisher betone; LVerfGE 10

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denn bei den „Schülerbeförderungskosten" hat Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA auch 1995 keine besondere Berücksichtigung verlangt. Daß dies in anderen Fällen einschlägig gewesen wäre, welche das „System" in Frage stellen, ist nicht dargelegt. Abgesehen davon wird nicht erkennbar, daß der Beschwerdeführer die Verteilungsregelungen insgesamt beseitigen will, weil es dann an einem Ausgleichssystem überhaupt fehlen müßte, ohne daß dem Landesverfassungsgericht kraft Gesetzes die Befugnis eingeräumt ist, gleichsam anstelle des Gesetzgebers ein Ersatz-Verteilungssystem vorzugeben. Vielmehr wird erkennbar, daß der Beschwerdeführer lediglich die neuen Veränderungen abwehren will, die er im wesentlichen aus Gründen des Art. 88 LVerf-LSA nicht für vereinbar mit der Verfassung hält. Für die Verfassungsbeschwerde gegen die Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 ist die Jahresfrist gewahrt. Sie wirken auch unmittelbar. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde von Kommunen gegen gesetzliche Regelungen nur dann für unstatthaft gehalten, wenn die gesetzliche Norm noch einer Konkretisierung durch eine Rechtsverordnung bedarf, es hingegen für unschädlich angesehen, wenn sie noch durch Verwaltungsakt konkretisiert werden kann (BVerfG, Beschl. v. 23.6.1987 - 2 BvR 826/83 BVerfGE 76, 107,113). Würde die Kommune zunächst auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen, dann könnte sie wegen Fristablaufs (§§ 51 Abs. 2; 48 LVerfGG-LSA) später keine Kommunalverfassungsbeschwerde mehr erheben; insoweit besteht nach dem Landesrecht eine ähnliche Rechtslage wie nach dem Bundesrecht, nach dem diese Beschwerdeart nur als „Rechtssatz-Beschwerde" und nicht im Anschluß an die fachgerichtliche Prüfung erhoben werden darf (BVerfGE 76, 107, 113, unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 15.10.1985 - 2 BvR 1808-1810/82 - , BVerfGE 71, 25, 35 f.). Dieser Rechtsprechung schließt sich das Landesverfassungsrecht an, weil das von ihm zu beurteilende Landesrecht zu einem ähnlichen Ausschluß von der fristgebundenen und ohne jedes fachgerichtliche „Vorverfahren" statthafte Verfassungsbeschwerde führen müßte. 1.3 Soweit die Jahresfrist gewahrt ist, sind auch die übrigen formellen Anforderungen erfüllt. 1.4 Der Beschwerdeführer kann — wie er zutreffend eingeschränkt hat — keine Kontrolle des § 15 FAG-LSA 1997 mehr verlangen, weil die Regelung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1997 unverändert geblieben und zuvor nicht innerhalb der Jahresfrist des § 48 LVerfGG-LSA (i.V.m. § 51 Abs. 2 LVerfGGLSA) angefochten worden ist; das schließt aber die Anregung nicht aus, das Gericht möge die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift im Rahmen der durch § 41 Satz 2 LVerfGG-LSA i.V.m. §§ 51 Abs. 2; 50 LVerfGG-LSA erLVerfGE 10

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weiterten Kompetenz in eine im übrigen zulässige Kontrolle einbeziehen. Eine solche Anregung setzt nur eine zulässige Verfassungsbeschwerde voraus und ist sonst an keine eigenen formellen Voraussetzungen gebunden. Gleiches gilt für die Hilfsanregung, auf diesem Weg auch § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1997 zu prüfen. Keiner der beiden Anregungen ist indessen nachzugehen; denn in beiden Fällen wären die Grenzen des § 41 Satz 2 LVerfGG-LSA überschritten, weil weder § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA noch § 15 FAG-LSA „aus den gleichen Gründen" verfassungswidrig sein können wie andere zulässigerweise zur Kontrolle gestellte Bestimmungen. Obgleich die Quoten des § 15 S. 1, 2 FAG-LSA 1995 denjenigen des § I I a Abs. 3 FAG-LSA 1997 (= Art. 1 § 1 Nr. 7 HaushBeglG-LSA 1997) entsprechen, handelt es sich um unterschiedliche Regelungen; denn sie verteilen Zuwendungsmassen, die in einem faktischen (Investitionsförderung), nicht aber in einem rechtlichen, ein „System" bildenden Zusammenhang zueinander stehen. Die Investitionshilfen nach § 11 a FAG-LSA 1997 können — soweit dies durch sachliche Gründe für speziell diese Regelung gerechtfertigt wird — von Verfassungs wegen nach anderen Maßstäben verteilt werden, als dies für die Investitionen selbst gilt, deren Verteilungsmodus eigenständig auf seine Sachlichkeit geprüft werden muß. Die Reichweite eines „Systems" begrenzt zugleich die Reichweite der Entscheidungsbefugnis nach § 41 Satz 2 LVerfGG-LSA (vgl. zu einem solchen Zusammenhang: LVerfG, Urt. v. 27.10.1994 - LVG 14,17,19/94 - , LVerfGE 2, 345, 373ff.). Ähnliches gilt für § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995. Auch wenn § IIa Abs. 3 Satz 2 FAG-LSA 1997 einen „Flächenfaktor" enthält, ist dieser doch seinem Wortlaut nach schon nicht mit demjenigen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995/1997 identisch. Unabhängig davon müßten sich verfassungsrechtliche Bedenken bei § I I a Abs. 3 Satz 2 FAG-LSA 1997 mangels eines „Systemverbunds" beider Vorschriften auch nicht auf § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA 1995/1997 auswirken; denn § 7 Abs. 2 Nr. 2 FAG-LSA betrifft den Anteil der Landkreise an allgemeinen Zuweisungen, § IIa Abs. 3 S. 2 FAG-LSA hingegen regelt einen Sonderfall. §§ 7 Abs. 2 Nr. 2; 15 S. 1,2 FAG-LSA 1995 können auch nicht deshalb nach § 41 S. 2 LVerfGG-LSA in die Prüfung einbezogen werden, weil sie Teil des „Finanzausgleichssystems" sind; denn nicht dieses wird vom Beschwerdeführer angegriffen, sondern nur einzelne Teile davon. Auf dieser Grundlage kann eine Entscheidung über §§ 7,15 FAG-LSA nur in Betracht kommen, wenn ein Einzelangriff auf eine konkrete Regelung Auswirkungen auf das gesamte Finanzausgleichssystem hätte und deshalb auch §§ 7, 15 FAG-LSA beträfe. Das ist indessen nicht der Fall, wie sich unter Abschnitt 2 ergeben wird. LVerfGE 10

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2. Die eingeschränkt zulässige Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise begründet. Erfolg hat die gegen Art. 1 § 1 Nr. 4 HaushBeglG-LSA 1997 (= § 4 FAGLSA neu) erhobene Rüge insoweit, als die Aufteilung der Finanzausgleichsmasse Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA nicht hinreichend Rechnung trägt (2.1). Im übrigen ist sie unbegründet (2.2). 2.1 § 4 FAG-LSA 1997 enthält keine vollständige Berücksichtigung aufgabenbezogener kommunaler Kosten und bedarf jedenfalls für die Aufgaben des öffentlichen Nahverkehrs einer ergänzenden Regelung. Die Verfassung von Sachsen-Anhalt verlangt — „dualistisch" — neben dem allgemeinen Finanzausgleich (Art. 88 Abs. 2 LVerf-LSA) die besondere Abgeltung von Kosten (Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerf-LSA), die bei den Kommunen aus Anlass der Übertragung neuer Aufgaben entstehen (2.1.1). Soweit die gebotene Kostendeckungsregelung in dem Gesetz unterblieben ist, das die Aufgabe überträgt, muß sie „zeitnah" nachgeholt werden; anderenfalls wirkt sich der Fehler auf künftige Gesetze aus, die den Finanzausgleich betreffen (2.1.2). Aus Anlaß einer Verfassungsbeschwerde gegen ein solches Gesetz müssen jedenfalls die Aufgabenübertragungen berücksichtigt werden, die fristgerecht und mit Erfolg mit einer Verfassungsbeschwerde angefochten worden sind (2.1.3). 2.1.1 Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA einerseits und Art. 88 Abs. 1, 2 LVerf-LSA andererseits regeln Teile der kommunalen Finanzausstattung jeweils normativ selbständig (2.1.1.1). Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA verlangt nicht, daß der Gesetzgeber ein bestimmtes Verfahren einhält (2.1.1.2). Er muß lediglich im Ergebnis eine „angemessene" Lösung finden und darf das Eigeninteresse der Kommune an der Aufgabenwahrnehmung berücksichtigen (2.1.1.3). 2.1.1.1 Das Landes Verfassungsgericht hält an seiner in den Urteilen zum Gesetz über den öffentlichen Nahverkehr (LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/96 - ) und zum Kinderbetreuungsgesetz (LVerfG, Urt. v. 8.12.1998 - 19/97 - ) vertretenen Auffassung fest, daß Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA eine gegenüber Art. 88 LVerf-LSA eigenständige Regelung trifft, die einen „einheitlichen" kommunalen Finanzausgleich mit einer nicht sichtbaren Einrechnung von Kostenanteilen lediglich in allgemeine Zuweisungen ausschließt. Für diese Auffassung spricht außer dem Wortlaut, der bei Gelegenheit der Übertragung von Aufgaben („dabei") eine Entscheidung über die Deckung der Kosten verlangt (Art. 87 Abs. 3 Satz 2 LVerf-LSA), die systematische Behandlung der Kommunalfinanzen an drei unterschiedlichen Stellen: Während der eigentliche (horizontale) kommunale Finanzausgleich durch Art. 88 Abs. 2 LVerf-LSA geregelt ist, legt Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA dem Land die Verpflichtung auf, den Kommunen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihren Aufgaben LVerfGE 10

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gerecht werden können (vertikaler Finanzausgleich); demgegenüber enthält Art. 87 LVerf-LSA, in dem sich die „Konnexitätsregelung" findet, nähere Bestimmungen über die Eigenverantwortlichkeit (Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA), über die zunächst einmal selbstbestimmte Aufgabenwahrnehmung (Art. 87 Abs. 2 LVerf-LSA) und sodann über die Ermächtigung, Aufgaben zur Pflicht zu machen (Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA). Insoweit konkretisiert Art. 87 Abs. 1 bis 3 LVerf-LSA Inhalt und Grenzen der durch Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA garantierten kommunalen Selbstverwaltung, die der Aufsicht des Landes unterliegt (Art. 87 Abs. 4 LVerf-LSA). Die „Kostenregelungspflicht" des Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA steht dabei im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ermächtigung des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 LVerf-LSA für das Land, den Kommunen Aufgaben im eigenen Wirkungskreis zur Pflicht zu machen oder ihnen der Natur nach staatliche Aufgaben zur eigenen Wahrnehmung zu übertragen. Der Wortlaut des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA und die Systematik der Art. 87, 88 LVerf-LSA entsprechen dem Willen des Verfassungsgebers, wie aus den Motiven deutlich wird. — wird ausgeführt — Eine besondere Kostenregelung außerhalb der sonstigen Verfassungsbestimmungen über die Finanzverfassung der Kommunen zu treffen, hat ein Vorbild im Bund-Länder-Verhältnis (Art. 104a Abs. 2, 3 GG). Sie dort, wo sie nach diesem Vorbild in den Landesverfassungen konzipiert worden ist, als eigenständige Regelung zu behandeln, entspricht dem Ergebnis der neueren wissenschaftlichen Diskussion zur kommunalen Finanzgarantie (vgl. etwa: Schoch/ Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 38f., 161; Henneke, z.B. in: Aufgabengerechte Finanzausstattung der Landkreise als Grundlage der kommunalen Selbstverwaltung, LKV 1993, 365, 366 f.; Schwär.Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, „Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit", Bd. 67, S. 124 ff., 142 ff. - zur nieders. Landesverfassung; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, „Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht", Bd. 9, S. 80f., 201 ff., 213 - dort auch zu Sachsen-Anhalt). Daß Entscheidungen anderer Länderverfassungsgerichte den „Konnexitätsgrundsatz" und damit eine „dualistische Finanzgarantie" unterschiedlich streng handhaben, dürfte auch davon abhängig sein, wie das jeweilige Landesrecht die Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen gestaltet hat. Je weniger streng zwischen „eigenem" und „übertragenem" kommunalen Wirkungskreis unterschieden wird, desto eher wird eine Finanzregelung unabhängig vom Wortlaut als weniger „dualistisch" verstanden werden können und einen einheitlichen Finanzausgleich nicht hindern; das gilt besonders für die Rechtsprechung des LVerfGE 10

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Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen (VfGH NW, Urt. v. 15.2.1985 - 17/83 OVGE 38, 301, 304/305; Urt. v. 6.7.1993 - VerfGH 9, 22/92 - , OVGE 43, 252, 254/255; Urt. v. 9.7.1998 - VerfGH 16/96, 7/97 - , NWVB1. 1998, 390, 393/394, dort in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Nieders. Staatsgerichtshofs; vgl. schließlich VfGH NW, Urt. v. 1.12. 1998 - VerfGH 5/97 —, sowie neuerdings — „monistische" Aufgabenstruktur —: StGH BW, Urt. v. 10.5.1999 - GR 2/97 - , UrtAbdr, S. 28). Die schon durch die Landesverfassung selbst vorgenommene Unterscheidung zwischen „selbst-" und „fremdbestimmten" Aufgaben der Kommunen (vgl. Art. 87 Abs. 2, 3 LVerfLSA) hat ihre deutliche Entsprechung in den unterschiedlichen Regelungen über die Finanzgarantien einerseits im Art. 88 LVerf-LSA und andererseits im Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA gefunden. Wie ergänzend durch das einfache Landesrecht deutlich wird (vgl. §§ 4, 5, 77 der Gemeindeordnung für das Land SachsenAnhalt vom 5.10.1993, LSA-GVB1 568, inzwischen zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.4.1999, LSA-GVB1152 - GO LSA - und §§ 4, 5 der Landkreisordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993, LSA-GVB1 598, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.4.1999, LSA-GVB1152 - LKO LSA - : Trennung eines „eigenen" von einem „übertragenen" Wirkungskreis) steht die Verfassungslage in Niedersachsen der sachsen-anhaltischen näher als diejenige von Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Die von einer ähnlichen Aufgabenverteilungs-Grundlage ausgehende Rechtsprechung des Nieders. Staatsgerichtshofs (besonders deutlich bei: NdsStGH, Urt. v. 25.11.1997 - StGH 14/95 u.a. - , NdsVBl 1998, 43 = DÖV 1998, 382 = DVB1 1998, 185, dort mit Anm. Kirchhof, vgl. DVB1 1998, 185, 186, 1. Sp.) ist deshalb Anlaß für das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalts gewesen, sich ihr anzuschließen (bestätigend für Brandenburg: VfGH Bbg, Urt. v. 18.12.1997 - VfGBbg 47/96 DÖV 1998, 336 ff. = LKV 1998, 195; für eine „besondere" Pflicht zu einem „Mehrlastenausgleich" auch: StGH BW, Urt. v. 5.10.1998 - GR 4/97 - , DÖV 1999, 73, 75, einschränkend — nur wenn zuvor ein anderer Verwaltungsträger zuständig war - : StGH BW, Urt. v. 10.5.1999 - GR 2/97 - , UrtAbdr, S. 28; vgl. i. U. zum Zusammenhang von Aufgaben-Verteilungsregelung und Finanzsystem: Mückl, a.a.O., S. 80f.; Schwang a.a.O., S. 79 ff., 135 ff.; Henneke, Landesverfassungsrechtliche Finanzgarantien der Kreise und Gemeinden, Der Landkreis 1999,147, 150 f.). Die Unterschiede in der Reichweite des sog. „Konnexitätsprinzips" (in Niedersachsen nur Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis — Art. 57 Abs. 4 der Nieders. Verfassung, in Sachsen-Anhalt auch Pflichtaufgaben des eigenen Wirkungskreises — Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA) sind dabei nicht von Bedeutung; denn das Gemeinsame und deshalb auch Vergleichbare beider Verfassungen ist, daß die Verpflichtung zur Kostendeckungsregelung immer auch so weit reichen soll wie die Ermächtigung zur Aufgabenübertragung. LVerfGE 10

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2.1.1.2 Art. 87 Abs. 3 Sat2 3 LVerf-LSA gebietet lediglich im Ergebnis, daß der Ausgleich angemessen ist, legt damit aber nicht auch einzelne Verfahrens schritte fest. Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA verlangt allerdings, daß dieses Ergebnis mittels eines formellen Gesetzes erzielt werden muß; das folgt aus dem Zusammenhang der Kostendeckungsregelung („dabei" im Art. 87 Abs. 3 Satz 2 LVerf-LSA) mit der Ermächtigungsform („durch Gesetz" bei Art. 87 Abs. 3 Satz 1 LVerfLSA). Die Aufgabenübertragung setzt ein (formelles) Gesetz und damit die Befassung des Landtags voraus (ebenso Reich, LVerf-LSA, Art. 87 Rdn. 3, S. 293; Mahnke, LVerf-LSA, Art. 87 Rdn. 10; so auch für Niedersachsen: NdsStGH, DVB11998,185,186, r. Sp.; vgl. ferner für Brandenburg: VfGH Bbg, LKV 1998, 195, 196, m.w.N. für andere Verfassungen). Aufgabenübertragung und Kostendeckung sind durch Art. 87 Abs. 3 Satz 2 LVerf-LSA wegen dieser Verknüpfung von demselben Organ zu bewältigen (anders offenbar Reich, a.a.O., Rdn. 4, der eine Kostenregelung durch Verordnung für denkbar hält, wenn diese nur zeitgleich mit dem Aufgabenübertragungsgesetz in Kraft trete). Anders kann auch der „Warnfunktion" des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA nicht genügt werden, bei Gelegenheit der Aufgabenübertragung die Kostenfrage zu bedenken (vgl. dazu bereits: LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/98 -). Weder Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA selbst noch andere Regelungen der Verfassung verlangen aber, daß dieses Ziel auf einem bestimmten, von Verfassungs wegen vorgeschriebenen Weg erreicht wird. Dem bisherigen Verfassungsverständnis ist es fremd, den Gesetzgeber in seinem Verfahren mehr als durch die allgemeinen Regeln zu binden. Es entspricht der Funktion des Parlaments auch bei der Gesetzgebung, sich innerhalb der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Vorgaben autonom nur an seine Regeln zu binden und sein Verfahren selbst zu bestimmen (ebenso, ablehnend zu einer Begründungspflicht, unter ausdrücklicher Unterscheidung zwischen gesetzesausführender Ermessensverwaltung und Gesetzgebung: BVerfG, Urt. v. 27.5.1992 - 2 BvF 1, 2/88, 1/89, 1/90 - , BVerfGE 86,148, 212, 248: zum Bund-Länder-Finanzausgleich). Auf die gegenteilige Ansicht des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg (StGH BW, Urt. v. 10.5.1999 - GR 2/97 - , UrtAbdr, S. 38 ff.) ist an dieser Stelle deshalb nicht einzugehen, weil das Gericht von einer „monistischen" Aufgabenstruktur ausgeht (StGH BW, a.a.O., S. 28) und weil sich ihm deshalb prozedurale Fragen bei der Frage der „Konnexität" nicht stellen. Auch das dem „Angemessenheitsprinzip" des Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerfLSA zu entnehmende Gebot, die Kosten übertragener Aufgaben „nachvollziehbar" und für die Kommune „sichtbar" zu machen (vgl. dazu für die entsprechende Regelung in Art. 57 der Nieders. Verfassung auch NdsStGH, DVB11998, 185, 186, r. Sp.), verlangt keine besonderen Verfahrensschritte, bei denen Fehler LVerfGE 10

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eigenständig eine Regelung zu Fall bringen könnten, die materiell den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, sondern bewirkt lediglich, daß das Ergebnis der Prüfung im Gesetz festgeschrieben und dadurch den Kommunen finanzielle Planungssicherheit eingeräumt werden muß (vgl. dazu bereits: LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/96 - , sowie Urt. v. 8.12.1998 - LVG 19/97 - ; ebenso für Art. 57 Nieders. Verfassung: NdsStGH, DVB1. 1998, 185, 188, 1. Sp.). Der Gesetzgeber ist schließlich frei in der Methode, die Kostendeckung angemessen zu regeln (so bereits: LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 — LVG 4/96 —). Notwendig ist es deshalb nicht, für jede einzelne neu übertragene Aufgabe den denkbaren Kostenaufwand präzise zu ermitteln (so auch NdsStGH, DVB11998, 185,186, r. Sp.; kritisch insoweit Kirchhof, DVB11998,190, - Urteils-Anmerkung), sondern ihm ist zu gestatten, den mutmaßlichen Aufwand aufgrund verlässlicher Grunddaten prognostisch zu schätzen (ebenso im Ansatz StGH BW, DOV 1999, 73, 75). Wird eine Ausgleichsregelung im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich getroffen, so erscheint nicht ausgeschlossen, die Ausgleichsleistungen für mehrere Aufgaben in „Sammelbeträgen" zusammenzuführen (im Ergebnis ebenso: NdsStGH, DVB1.1998,185,186). Durch Art. 87 Abs. 3 Satz 1 LVerf-LSA vorgegeben ist allerdings für die Aufgaben, welche den Kommunen zur Pflicht gemacht werden, daß sie eine „Eigenverantwortung" bei der Erfüllung behalten. Dies hat Auswirkungen auf die Methode der Kostendeckung für Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA. Diese darf nicht dazu führen, daß die Kommunen „reine Zahl- und Abrechnungsstellen" des Landes werden. Auch bei den staatlichen Aufgaben, bei denen das Land weisungsberechtigt ist (Art. 87 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 LVerf-LSA), werden wegen dieser Abhängigkeiten in der Sachentscheidung Modalitäten der Ausgleichsgewährung den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit genügen und die Selbständigkeit der Kommunen als Gebietskörperschaften wahren müssen. 2.1.1.3 In der Sache hat der Gesetzgeber einen durch den Begriff der „Angemessenheit" (Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerf-LSA) umschriebenen Gestaltungsspielraum, der nach den üblichen, für die Tätigkeit des Gesetzgebers geltenden Kriterien („Systemgerechtigkeit", „Willkürverbot", „Sachgerechtigkeit", „Tauglichkeit von Tatsachenmaterial"; vgl. insoweit: LVerfG, Urt. v. 31.5.1994 — LVG 2/93 LVerfGE 2,227,246; Urt. v. 31.5.1994 - LVG 1/94 LVerfGE 2, 323,338 ff.; vgl. ferner: VfGH NW, OVGE 42,252,254 f.; StGH, DÖV 1999,73, 75; BayVfGH, Entschdg. v. 12.1.1998 - Vf. 24-VII-94 - , BayVBl 1998,204/237, 208) überprüfbar ist. Das darf nicht mit einem „freien Ermessen" gleichgesetzt werden, in welchem Umfang sich das Land an Kosten beteiligt (insoweit warnend: Henneke, LKV 1993, 365, 367), sondern der Gesetzgeber schuldet eine sachgerechte Abwägung. LVerfGE 10

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Angesichts des klaren Wortlauts („angemessen") ist der Auffassung Wendts (Wendt, Finanzierungsgesetzgebung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, in: Burmeister, „Verfassungsstaatlichkeit" — Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, S. 603, 623) nicht zu folgen, es sei gleichwohl ein „voller" Ausgleich geschuldet, und eine Gestaltungsfreiheit habe der Gesetzgeber allein bei der Auswahl seiner Methode. Die Auslegung des Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerf-LSA, wie sie bislang vorgenommen worden ist (LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/96 - ; Urt. v. 8.12.1998 - LVG 19/97 - ) , respektiert den Wortlaut und stellt ferner in Rechnung, daß jedes Land frei ist, den Umfang der Erstattungspflicht gegenüber den Kommunen zu regeln. Eine „Vorgabe" durch die Finanzierungsregelung des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG: „Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung") besteht insoweit genauso wenig, wie die Regelung des Art. 104a GG übertragbar ist (vgl. dazu immerhin auch: Wendt, a.a.O., S. 613, 615; ebenso: StGH BW, Urt. v. 10.10.1993 - GR 3/93 - , ESVGH 44, 1, 3 f.). Das Landesverfassungsgericht hält deshalb an seiner bisherigen Auffassung fest. Ob eine solche für Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA notwendige Abwägung überhaupt stattgefunden hat, unterliegt zwar nicht als Verfahrensschritt, wohl aber in der Sache der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Bei seiner Beurteilung, was i.S.d. Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerf-LSA „angemessen" ist, darf der Gesetzgeber auch berücksichtigen, mit welcher Quote das Interesse der Kommune zu bewerten ist, die Aufgabe eigenständig wahrnehmen zu können (sog.„Interessenquote"; vgl. dazu bereits: LVerfG, Urt. v. 8.12.1998 — LVG 19/97-; ebenso: NdsStGH, DVB1.1998,185,188,1. Sp.; VfGH Bbg, DÖV 1998, 336, 337). Das Bewertungsergebnis ist als Teil des Abwägungsergebnisses zur „Angemessenheit" gesetzlich niederzulegen (vgl. bereits oben bei Nr. 2.1.1.2 dieses Urteils). Bei seiner Abwägung muß der Gesetzgeber in Rechnung stellen, daß der Ausgleich nach Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA allein auf die Aufgabenübertragung bezogen werden darf und deshalb — „finanzkraftunabhängig" — ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit einzelner Empfangerkommunen zu gewähren ist. Das schließt es nicht aus, die allgemeine Leistungskraft aller Kommunen in die Bewertung einzubeziehen. Eine solche Betrachtung ist insbesondere deshalb angezeigt, weil sich höhere Ausgleichsleistungen nach Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA auf die Größe der Finanzmasse auswirken können und sich auch fast immer auswirken werden, die nach Art. 88 LVerf-LSA für den Kommunen für ihre eigenen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden muß (vgl. zu dieser Problematik bereits: NdsStGH, DVB1. 1998, 186, 186, r. Sp., 188,1. Sp.; VfGH Bbg, DÖV 1998, 336, 337; Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft, Bd. 117, 1998, LVerfGE 10

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S. 157f.). Dies bedingt, daß die Entscheidung über die „Angemessenheit" i.S.d. Art. 87 Abs. 3 Satz 3 LVerf-LSA nicht ohne Rücksicht auf die Pflicht aus Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA getroffen werden kann, genügend Finanzmittel an die Kommunen weiterzugeben oder ihnen entsprechende Quellen zu erschließen, die es erlauben, die eigenen Aufgaben ebenfalls „angemessen" zu erfüllen. 2.1.2 Art. 87 Abs. 3 Satz 2 LVerf-LSA schreibt nicht vor, an welcher Stelle Bestimmungen über die Kostendeckung zu treffen sind; das entspricht der überwiegend vertretenen Auffassung zu ähnlichen Verfassungsbestimmungen auch anderer Länder (vgl. Hennehe, LKV 1993,365, 367; Schoch/Wieland, a.a.O., S. 163; Schwang a.a.O., S. 133; Wendt, a.a.O., S. 623; a.A.: Mückl, a.a.O., S. 211). Das Wort „dabei" legt nicht den Ort der Regelung fest, sondern hat eine ausschließlich zeitliche Dimension (so auch Reich, a.a.O., Art. 87 Rdn. 4); das folgt aus dem Sinnzusammenhang mit dem Begriff „gleichzeitig" in derselben Bestimmung. Auch wenn die Verfassung bei Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA kein „Junktim" zwischen Aufgabenübertragung und Kostendeckungsregelung statuiert (a.A. Schwar.^ a.a.O., S. 131; anders wohl auch — Regelung im selben Gesetz erforderlich: Mückl, a.a.O., S. 211), wie es Art. 14 Abs. 3 GG für die Entschädigung bei Enteignungen festlegt, verlangt aber bereits der Wortlaut des Art. 87 Abs. 3 Satz 2 LVerf-LSA, daß eine anderweitige Regelung (etwa in einem Finanzausgleichsgesetz, für eine solche Möglichkeit auch Schwar^ a.a.O., S. 131) jedenfalls zum selben Zeitpunkt in Kraft tritt wie die Aufgabenübertragung (so vor allem Reich, a.a.O., Rdn. 4). Der Gesetzgeber, der eine Aufgabe überträgt und für keine Kostendeckung gesorgt hat, verletzt von dem Zeitpunkt an Art. 87 Abs. 3 Satz 2 LVerf-LSA, zu welchem die Aufgabenübertragung in Kraft treten soll. Mangels einer „Junktimklausel" führt dies zwar nicht schon zur Nichtigkeit der Aufgabenübertragung, hat aber zur Folge, daß das Gesetz defizitär ist, daß die unterbliebene Regelung nachgeholt werden muß und daß die Übertragung insoweit teilweise („schwebend") unwirksam ist (so bereits: LVerfG, Urt. v. 17.9.1998 - LVG 4/96 - ) . Dem Gesetzgeber obliegt es deshalb, bei Gelegenheit der nächsten Schaffung oder Änderung einer Finanzierungsregelung — das ist regelmäßig das Finanzausgleichsgesetz oder ein dieses änderndes Begleitgesetz zum Landeshaushalt — die bislang unterlassene Kostendeckungsregelung nachzuholen, sofern er nicht das Ubertragungsgesetz selbst nachbessert oder ausdrücklich eine Regelung in einem anderen Gesetz trifft (so im Ergebnis auch: NdsStGH, DVB1. 1998,185,186, r. Sp.). Solange die erforderliche Ergänzung unterbleibt, wirkt sich der Verstoß gegen Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA auf alle folgenden Finanzausgleichs- oder Änderungsgesetze aus, die keine den Ansprüchen des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA genügende Regelung enthalten. LVerfGE 10

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Das teilweise unwirksame Gesetz kann nicht vom Verfassungsgericht ergänzt werden, das sonst in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen würde. Das „gesetzgeberische Unterlassen" verletzt zwar die Verfassung (vgl. zu ähnlichen Fällen aus der Vergangenheit etwa: BVerfG, Beschl. v. 29.1.1969 - 1 BvR 26/66 BVerfGE 25, 167, 188 - zum Gleichstellungsgebot des Art. 6 Abs. 5 GG; vgl. ferner die Ubergangsregelung des Art. 117 Abs. 1 GG zur Anpassung des Rechts an Art. 3 Abs. 2 GG); gerade durch konkretisierenden Richterspruch kann das Unterlassen aber nur sanktioniert werden, wenn das Verfassungsgebot so bestimmt ist, daß es vom Richter angewendet werden kann {Jülicher, Die Verfassungsbeschwerde gegen Urteile bei gesetzgeberischem Unterlassen, Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 183,1972, S. 36). 2.1.3 Maßgeblich für einen Verstoß gegen Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA ist nicht, in welchem Umfang Kostendeckungsregelungen aus Anlass der Übertragung jeweils neuer Aufgaben noch ausstehen, sondern es reicht aus, daß das Gesetz über den öffentlichen Nahverkehr innerhalb der Jahresfrist der §§ 51 Abs. 2; 48 LVerfGG-LSA angefochten worden war und daß diese Verfassungsbeschwerde zum (wie ein Gesetz verkündeten Teil-)Erfolg geführt hatte. Eine den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA entsprechende nachträgliche Kostendeckungsregelung enthält das Haushaltsbegleitgesetz 1997 nicht. Da die Pflicht, für eine solche Regelung zu sorgen, bereits mit In-Kraft-Treten des § 3 des Gesetzes zur Gestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs im Land Sachsen-Anhalt - ÖPNVG-LSA - vom 24.11.1995 (LSA-GVB1. 339), geändert durch Gesetz vom 12.8.1997 (LSA-GVB1 750), am 1.1.1996 (vgl. § 18 ÖPNVG-LSA) jedenfalls für die Teile entstanden war, durch welche Aufgaben schon übertragen worden waren (vgl. insoweit die Ausnahmeregelung durch § 11 ÖPNVG), bestand die Ergänzungspflicht aktuell noch am 1.1.1997, als das Haushaltsbegleitgesetz 1997 in Kraft trat, weil bis zu diesem Zeitpunkt keine den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA genügende Regelung getroffen worden war und auch später (durch das ÖPNVG-Änderungsgesetz) bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über diese kommunale Verfassungsbeschwerde nicht getroffen worden ist. Für das Entstehen dieser Pflicht ist unerheblich, daß das Urteil über die im Jahr 1996 eingegangene Verfassungsbeschwerde erst im Jahr 1998 verkündet worden ist; denn die Pflicht entsteht „verschuldensunabhängig" und setzt nicht voraus, daß die an der Gesetzgebung mitwirkenden Stellen das Defizit kannten oder hätten kennen müssen. Ungeachtet der Varianten, die von Verfassungs wegen geschuldete Kostendeckungsregelung für den öffentlichen Nahverkehr in jenem Gesetz oder durch ein anderes Gesetz zu regeln, erweist sich jedenfalls mangels solcher Bestimmung an anderer Stelle die Aufteilung der Finanzmassen durch Art. 1 Nr. 4 HaushLVerfGE 10

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BeglG-LSA 1997 (= § 4 FAG-LSA 1997) als nicht vereinbar mit Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA. Soweit keine besonderen Teilmassen gebildet worden sind, soll die Restmasse nach § 4 Nr. 5 FAG-LSA 1997 ohne weitere Binnendifferenzierung Zuweisungen dienen, die nach dem allgemeinen Verteilungsschlüssel (§§ 5 bis 9 FAG-LSA 1995/1997) auf die Kommunen verteilt werden. Offen bleibt dabei, in welchem Umfang es sich um Zuweisungen auf der Grundlage des Art. 88 LVerf-LSA bzw. des Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA handelt, und nicht entschieden ist ferner, wie hoch das Land die „Interessenquote" der jeweiligen Kommunen für die jeweiligen Aufgaben bemißt. Zwar kann der Gesetzgeber seiner Pflicht aus Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerfLSA auch dadurch nachkommen, daß er eine besondere, neue Finanzmasse zum Zweck der Kostendeckungen bildet. Das Gericht kann ihn dazu aber nicht verpflichten. Auf die Frage, ob (zusätzlich) eine gleichartige Pflicht in bezug auf das Änderungsgesetz 1996 zur Kinderbetreuung, das noch durch das Haushaltsbegleitgesetz 1997 geändert worden war, bestanden hat, kommt es nicht an, weil diese inzwischen durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen vom 31.3.1999 (LSA-GVB1 125) erfüllt worden ist. Im übrigen bleibt die Verfassungsbeschwerde erfolglos. 2.2.1 ... Der Gesetzgeber durfte den Anteil an den Bundesergänzungszuweisungen kürzen (2.2.1.1.1), eine Teilmasse für „Investitionshilfen" bilden (2.2.1.1.2) und die Schülerbeförderungskosten neu regeln (2.2.1.1.3). Art. 1 § 1 Nr. 3 Buchst, b), bb) HaushBeglG-LSA 1997, der den Anteil der Finanzmasse an den dem Land zufließenden Bundesergänzungszuweisungen von ursprünglich 45 % (§ 3 Abs. 2 Nr. 5 FAG-LSA 1995) auf 42 % (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FAG-LSA 1997) herabgesetzt hat, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Ohne Bedeutung bleibt, daß inzwischen durch Art. 1 Nr. 1 Buchst c) HaushBeglG-LSA 1999 eine weitere Reduzierung auf 3 9 % (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FAG-LSA 1999) vorgenommen worden ist; denn dieses Gesetz ist nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde. Die Einbeziehung dieser Kürzung in die Prüfung durch Antragsänderung wäre nicht sachdienlich gewesen, weil sie einen im Übrigen nicht erforderlichen Erörterungsaufwand für das Haushaltsbegleitgesetz 1999 allein wegen § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FAG-LSA 1999 erfordert hätte. Für die Rechtslage zum 1.1.1997 hat die Regelung des Art. 1 HaushBeglG-LSA 1999 keine (rückwirkende) Bedeutung. LVerfGE 10

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Die Kürzung auf 42 % verstößt nicht gegen Bundesrecht. Das Grundgesetz behandelt im Verhältnis von Bund zu Ländern die Kommunalfinanzen als Teil der Länderfinanzen (vgl. besonders: Art. 104 a Abs. 4; 106 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5, 7, 9; 107 GG); die besondere Erwähnung von Kommunalfinanzen neben den Länderfinanzen in einzelnen Regelungen (vgl. etwa: Art. 105 Abs. 3; 106 Abs. 6, Abs. 8; 107 Abs. 2 GG) ändert daran nichts, wie sich insbesondere aus Art. 106 Abs. 9 GG ergibt (BVerfG, Urt. v. 4 . 3 . 1 9 7 5 - 2 BvF 1/72 BVerfGE 39, 96,109; BVerfGE 86,148, 215; so auch: Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 4. Aufl., Art. 106 Rdn. 11, mit Art. 30 Rdn. 6; Sachs, GG, Art. 106 Rdn. 18). Die durch § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FAG-LSA 1997 erfassten „Bundesergänzungszuweisungen" sind die Finanzmittel, welche der Bund auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 2 S. 1,3 GG leistungsschwachen Ländern gewährt, ohne auch zu bestimmen, in welchem Umfang solche Mittel an die Kommunen weiterzureichen sind. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG (2. Halbs.) verlangt nur, daß Finanzkraft und Finanzbedarf der Kommunen „zu berücksichtigen" sind. Damit ist weder ausgeschlossen, Ergänzungszuweisungen nur anteilig weiterzureichen, noch untersagt, sie als Teil einer (Landes-) Finanzmasse zu behandeln, die ihrerseits dazu dient, die Kommunen mit hinreichenden Finanzmitteln auszustatten (Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA) oder einen Finanzausgleich (Art. 88 Abs. 2 LVerfLSA) zu leisten. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG regelt die Finanzverfassung der Kommunen nur allgemein und sagt nichts über den Inhalt und die Auslegung der Regelungen des Art. 107 GG aus. Auch einfaches Bundesrecht ( § 1 1 des Finanzausgleichsgesetzes 1995 = Art. 33 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23.6.1993, BGBl I 944, 977) bindet das Land nicht, die ihm zufließenden Finanzmittel in bestimmtem Umfang an die Kommunen weiterzugeben. Die Kürzung verstößt nicht gegen Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA. Die Verfassungsbestimmung gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf die Gewährung eines bestimmten Anteils der eigenen oder vom Bund zugewiesenen Landesmittel, sondern legt nur fest, daß die Kommunen insgesamt über Finanzmittel verfügen können müssen, die es ihnen ermöglichen, ihre Aufgaben angemessen zu erfüllen. Aus Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA läßt sich deshalb insbesondere kein „Bestandsschutz" dergestalt herleiten, daß eine einmal in bestimmter Höhe gewährte Zuweisung nicht gekürzt oder entzogen werden darf. Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA ist auch nicht dahin zu verstehen, daß die nötigen Finanzmittel solche sein müssen, die aus Einnahmen des Landes stammen und den Kommunen lediglich zugewiesen werden; der Verfassung wird auch und mit Rücksicht auf die Selbstbestimmung der Kommunen sogar eher dadurch genügt, daß das Land durch seine Gesetzgebung Grundlagen schafft, welche die KomLVerfGE 10

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munen ermächtigen, Einnahmen selbst zu erzielen (vgl. Art. 87 Abs. 3 LVerfLSA). Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA schränkt die Auslegung des Begriffs „Finanzmittel" i.S.d. Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA nicht ein, sondern legt einen Teil des Instrumentariums fest, mit dem das Land für hinreichende Mittel bei den Kommunen i.S.d. Art. 87 Abs. 1 LVerf-LSA „sorgen" kann. O b Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA durch eine singuläre Kürzung von Mitteln verletzt wird, kann nur in einer Gesamtschau beurteilt werden, bei welcher die sonstigen Einnahmequellen berücksichtigt werden (dazu unten Nr. 2.2.1.2). 2.2.1.1.2 Art. 1 § 1 Nrn. 4, 7 HaushBeglG-LSA 1997 (§§ 4 Nr. 3; 11 a FAGLSA 1997) verstoßen weder dem Grund nach noch mit der Verteilungsregelung des § 11 a Abs. 3 FAG-LSA 1997 gegen die Landesverfassung. Das Land durfte mit §§ 4 Nr. 3; 11 a Abs. 1 FAG-LSA 1997 eine Teilmasse von 5 % des Finanzmassenvolumens als Investitionshilfe ausweisen, obwohl die Finanzmittel für die Zwecke des Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA um diese Summe geschmälert werden; denn dafür bestand ein sachlicher Grund. Die Teilmasse dient dazu, finanzschwache Kommunen in die Lage zu versetzen, die der Förderung des sog. „Aufbaus Ost" dienenden Fremdmittel abzurufen. Umfang und Zweck dieser Mittel sind durch Bundesrecht festgelegt, ohne daß die Landesgesetzgebung darüber ergänzend verfügen könnte. Uber die Zweckbindung des § 3 des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost (= Art. 35 FKPG, BGBl. 1993 I 944, 982) - InvFördG AO - hinaus legt § 5 Abs. 1 InvFördG AO fest, daß sich der Bund an den Finanzhilfen für die Vorhaben nur zu 90 % beteiligt und daß die Länder diesen Anteil lediglich mindern dürfen. §§ 14 Abs. 1, 3; 15 FAG-LSA 1995 stellen diese Mittel lediglich zur Verfügung und bestimmen eine quotenmäßige Zuweisung in pauschalierter Form. Durch § 14 Abs. 1 FAG-LSA 1995 („aus den Mitteln") ist klargestellt, daß es sich nicht um Landesmittel handelt, sondern um die Weitergabe von Bundesmitteln. Auf dieser Grundlage will § I I a Abs. 1 FAG-LSA 1997 erreichen, daß die Mittel der Teilmasse nach § 4 Nr. 3 FAG-LSA 1997 bevorzugt dazu verwendet werden, den Eigenanteil der Kommunen zu bilden. Daran, daß die Kommunen die Förderungsmittel abrufen können, besteht ein eigenes Landesinteresse deshalb, weil die durch § 3 InvFördG AO genannten Maßnahmen auch die Infrastruktur des Landes insgesamt verbessern. Das bringt das Bundesrecht auch durch § 1 InvFördG AO zum Ausdruck, wonach Unterschiede in der Wirtschaftskraft der Länder insgesamt durch Wachstumsförderung ausgeglichen werden sollen, wobei das Bundesrecht Vorhaben des Landes und der Kommunen als gleich geeignet ansieht, diese Ziele zu erreichen. Eher für die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Art. 88 Abs. 1 LVerfLSA als dagegen streitet, daß § I I a Abs. 2 FAG-LSA 1997 eine Ausnahme von

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dem Ziel des § IIa Abs. 1 FAG-LSA 1997 vorsieht; denn dadurch wird erreicht, daß der Anteil an der Teilmasse des § 4 Nr. 3 FAG-LSA 1997 den Kommunen wieder zufließt, wenn sie nicht in der Lage sind, von den Investitionsmitteln des „Aufbaus Ost" Gebrauch zu machen. Damit kommt § 11 a Abs. 2 FAG-LSA 1997 gleichsam die Funktion einer „Härteregelung" zu, welche die Ausgrenzung des § 4 Nr. 3 FAG-LSA 1997 relativiert. Auch die Verteilungsregelung des § IIa Abs. 3 FAG-LSA 1997 ist nicht zu beanstanden. Sie hält sich in den Grenzen, die das Verfassungsrecht dem Gesetzgeber bei der Gestaltung einräumt. Dazu gehört auch, die erhobenen Zahlen über Bautätigkeiten als Prognosematerial zu gewichten. Der Beschwerdeführer kann dies nicht erfolgreich mit seiner Rechnung in Bezug auf die Krankenhausfinanzierung widerlegen; denn das Krankenhausfinanzierungsprogramm ist nach § 2 Abs. 2 InvFördG AO lediglich Teil der Förderung, welche durch § § 1 , 3 InvFördG AO erreicht werden soll. Als offenkundig sachwidrig erscheint der Verteilungsmaßstab des § I I a Abs. 3 FAG-LSA 1997 zudem deshalb nicht, weil er demjenigen des § 15 FAGLSA 1995 gleicht, den die Kommunen, darunter der Beschwerdeführer, für die eigentliche Verteilung der Mittel des „Aufbaus Ost" bis zur Einführung der speziellen Investitionshilfe hingenommen hatten. Gesichtspunkte, welche diese Verteilung als von vornherein sachwidrig erscheinen lassen, sind nicht vorgetragen oder ersichtlich. Das gilt auch, soweit § IIa Abs. 3 FAG-LSA einen „Flächenfaktor" (gleichlautend wie bei § 15 FAG-LSA) enthält. Die vom Beschwerdeführer gegen § 7 FAG-LSA 1995/1997 vorgebrachte Rüge, es fehle an einem sachlichen Grund, greift hier nicht durch; denn es handelt sich um keine allgemeine Verteilung der Mittel, sondern um Hilfen für den besonderen Investitionsabruf. Daß ein denkbarer Mehrbedarf für insbesondere Straßen bereits durch § 11 FAG-LSA abgegolten wird, kann allenfalls für die allgemeine Verteilung nach § 7 FAG-LSA von Bedeutung sein, nicht aber für den Sonderbedarf, für den es an einer dem § 11 FAG-LSA entsprechenden Detailregelung fehlt. Daß für die Investitionshilfe ein anderer, dem Beschwerdeführer günstigerer Maßstab verfassungsrechtlich zulässig wäre, führt nicht dazu, ihn auch für geboten zu halten. 2.2.1.1.3 Die durch Art. 1 § 1 Nr. 11 Buchst, a) HaushBeglG-LSA 1997 vorgenommene Kürzung der Mittel für die Schülerbeförderung (§13 Abs. 1 FAG-LSA 1997) ist nicht an Art. 87 Abs. 3 S. 2, 3 LVerf-LSA zu messen, weil es sich um keine „neue" Aufgabe i. S. dieser Verfassungsbestimmung gehandelt hat (vgl. oben Nr. 1.2.2.2). Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA gewährt keinen „Bestandsschutz" (vgl. oben Nr. 2.2.1.1). LVerfGE 10

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Der Gesichtspunkt, die Kürzung habe auch bewirken sollen, daß die Träger der Schülerbeförderung angehalten würden, Kosten zu sparen, ist sachgerecht. Er ist insbesondere mit der Garantie kommunaler Selbstverwaltung vereinbar (Art. 2 Abs. 3; 87 Abs. 1 LVerf-LSA), weil die Kürzung keinen unmittelbaren Einfluß auf die vom jeweiligen Träger der Schülerbeförderung zu veranlassenden Maßnahmen nimmt und weil auch nicht „landesweit" bestimmte Strategien gleichsam vorgeplant werden. 2.2.1.2 Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA ist auch nicht verletzt, wenn man die oben erörterten Maßnahmen zusammengerechnet und als Gesamtminderung der den Landkreisen als Gruppe zustehenden Finanzmittel beurteilt. Dabei muß die Minderung bei den Schülerbeförderungskosten außer Ansatz bleiben, weil sie nicht rechnerischer Teil der Zuweisungen sind, sondern laut Überschrift vor § 13 FAG-LSA 1997 ein Ausgleich ausschließlich für diese Aufgabe „außerhalb der Finanzausgleichsmasse" vorgenommen werden soll. Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA verlangt nicht, einen „Kernbereich" kommunaler Aufgaben anders abzugelten als einen davon unterschiedenen „Randbereich" (2.2.1.2.1). Die Verpflichtung aus Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA wird zwar durch die Leistungsfähigkeit des Landes begrenzt; Landes- und Kommunalaufgaben sind aber als gleichwertig zu behandeln (2.2.1.2.2). Die durch das Haushaltsbegleitgesetz vorgenommenen Kürzungen verstoßen nicht gegen diese Grundsätze (2.2.1.2.3). 2.2.1.2.1 Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA verpflichtet das Land einheitlich, für eine „aufgabenbezogene" finanzielle Grundausstattung zu sorgen und differenziert nicht nach einem „Kernbereich" und Aufgaben im übrigen. Die gegenteilige, in der Literatur geäußerte Ansicht (vgl. Hennehe, Begrenzt die finanzielle Leistungsfähigkeit des Landes den Anspruch auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung?, DÖV 1998, 330, 334; ders., Der Landkreis 1999, 147, 163), der „Kernbereich" erfordere eine bessere Finanzausstattung als der „Randbereich", findet in der Landesverfassung keine Stütze. Ein Rückgriff für die Auslegung des Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA auf Art. 87 Abs. 1, 2 LVerf-LSA (vgl. Hennehe, LKV 1993, 365, 367), aus dem bereits eine Finanzierungsgarantie herzuleiten sei, scheidet aus, weil die Landesverfassung die Garantie kommunaler Selbstverwaltung an unterschiedlichen Stellen, und dabei unter systematischer Trennung der Inhalte regelt: Enthält Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA die allgemeine Garantie, so verhält sich Art. 87 LVerf-LSA zu den Aufgaben und Art. 88 LVerfLSA zur Finanzierung. Die Durchbrechung dieses Systems durch Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA hat die Funktion, die besonderen Kosten der übertragenen und Pflicht-Aufgaben vom eigentlichen (horizontalen und vertikalen) Finanzausgleich zu trennen und selbständig zu regeln. LVerfGE 10

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Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA macht die Finan2ierung nicht davon abhängig, in welchem Umfang es die „Kernbereichsgarantie" (aus Art. 28 Abs. 2 GG sowie gleichbedeutend aus Art. 2 Abs. 3; 87 Abs. 1 LVerf-LSA) dem Landesgesetzgeber gestattet, der Kommune Aufgaben zu entziehen oder sie ihr zu belassen, sondern enthält eine „einheitliche" Finanzgarantie für die von der Kommune jeweils zu erfüllenden Aufgaben. Dazu gehören prinzipiell alle (nicht pflichtigen) Aufgaben des eigenen Wirkungskreises i.S.d. Art. 87 Abs. 2 LVerf-LSA, aber auch solche Pflichtaufgaben oder Aufgaben nach Weisung, die nicht „neu" nach Art. 87 Abs. 3 Satz 1 LVerf-LSA auf die Kommunen übertragen worden sind oder deren Ubertragung nicht durch den Landes-, sondern bereits durch den Bundesgesetzgeber vorgenommen worden ist (vgl. insoweit bereits: LVerfG, Urt. v. 8.12.1998 — LVG 10/97 Urt. v. 8.12.1998 - LVG 19/97 - ; vgl. ferner: NdsStGH, DVB1 1998,185,186; VfGH NW, Urt. v. 9.12.1996 - 38/95 - , DÖV 1997, 348; StGH BW, ESVGH 44,1, 2). Eine hiervon zu trennende und zu bejahende Frage ist, ob eine angemessene Finanzausstattung zum Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG; vgl. auch Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA) rechnet (so etwa Mückl, a.a.O., S. 75; Wendt, „Verfassungsstaatlichkeit", a.a.O., S. 609; vgl. dazu besonders bereits Schock/Wieland, a.a.O., S. 176, 177ff.). Dieser bundesstaatlichen Vorgabe des Art. 28 Abs. 2 GG genügt Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA indessen. Mit dem Nieders. Staatsgerichtshof (DVB1 1998, 185 [186]) und dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 25.3.1998 - BVerwG 8 C 11.97 - , BVerwGE 106, 280, 286) ist zwar davon auszugehen, daß es die finanzielle Eigenverantwortlichkeit verlangt, über ausreichende Finanzmittel zu verfügen, welche es ermöglichen, die kommunalen Aufgaben zu erfüllen. Dies bedeutet aber nicht auch, daß eine „Mindestausstattung" vom Land absolut, ohne jede Rücksicht auf seine eigenen Aufgaben zu gewähren ist (vgl. insoweit bereits die Einschränkung bei NdsStGH, DVB1 1998,185,186/187). 2.2.1.2.2 Das Land kann Kürzungen im Ansatz damit rechtfertigen, der bisherige Standard an Zuweisungen über den Finanzausgleich könne nicht mehr gehalten werden, weil keine ausreichende Leistungsfähigkeit des Landes (mehr) bestehe. Dies gilt unabhängig davon, ob eine im übrigen verfassungsgemäße Kürzung auch Auswirkungen auf „Kernbereichsaufgaben" haben könnte. Das folgt trotz der Selbstverwaltungsgarantie für einen eigenen Wirkungskreis (Art. 28 Abs. 2 GG) aus der bundesstaatlichen Gliederung in Bund und Länder (Art. 30 GG), der auch für die bundesstaatliche Finanzverfassung nicht durchbrochen wird (Art. 106 Abs. 9 GG). Soweit Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG eine Finanzgarantie für Selbstverwaltungskörperschaften enthält, beeinflusst diese die Regelungen über die Kommunalfinanzen nicht dahin, daß die Länder verpflichtet wären, zunächst einmal für eine umfassende Finanzausstattung der KommuLVerfGE 10

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nen zu sorgen und notfalls ihre eigenen Aufgaben zu vernachlässigen. Verlangt aber das Grundgesetz nicht, die Kommunen mit Vorrang zu behandeln, und sieht es sie gerade auch bei der Finanzverfassung als Teil der Länder an, dann würde eine aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG hergeleitete Verpflichtung, den Kommunen eine allein an deren Aufgaben orientierte Ausstattung zu sichern, entweder den Ländern — bei Wahrung ihrer eigenen Aufgabengarantie (Art. 30 GG) etwas Unmögliches abfordern oder doch ihnen wenigstens abverlangen, ihre Befugnisse aus Art. 30 GG zurückzunehmen. Mit Rücksicht auf die bundesstaatliche Ordnung wird denn auch überwiegend die Leistungsfähigkeit des Landes als Grenze der Finanzierungsverpflichtung angesehen (vgl. etwa: NdsStGH, Beschl. v. 15.8.1995 - StGH 2,3, 610/93 - , DVB1 1995,1175,1177; NdsStGH, DVB1 1998,185, 186; VfGH NW, Urt. v. 16.12.1988 - 9/87 - , OVGE 40, 300, 303; BayVfGH, Entschdg. v. 27.2.1997 - StGH 2, 3, 6-10/93 - , BayVBl 1997, 303, 304; Entschdg. v. 12.1. 1998 - Vf. 24-VII-94 - , BayVBl 1998, 207/237, 237; StGH BW, Urt. v. 10.5. 1999 — GR 2/97 —, UrtAbdr, S. 37; kritisch, jedenfalls gegenüber einem umfassenden Landesvorbehalt: Henneke, DÖV 1998, 330, 331). Soweit das Bundesverwaltungsgericht die Grundlagen aufgabenadäquater Finanzausstattung beschreibt (BVerwGE 106, 280, 286), die Inhalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG sind, handelt es sich um einen Bestand, in welchen der Landesgesetzgeber nicht „eingreifen" darf (BVerwG, a.a.O.). Dass dieser „Mindeststandard" normalerweise zu gewähren ist, schließt aber den besonderen „Vorbehalt der Landesfinanzen" nicht aus, weil die Kommunen Teil des Landes sind, dem sie angehören. Die Grenze eigener Leistungsfähigkeit gestattet es dem Landesgesetzgeber, wie sich selbst in den Grenzen des Art. 99 Abs. 2, 3 S. 1 LVerf-LSA auch den Kommunen in den Grenzen des § 65 LKO LSA und § 100 Abs. 2 GO LSA eine Verschuldung zuzumuten. Andererseits zwingt sowohl die Selbstverwaltungsgarantie für SachsenAnhalt (Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA) als auch vor allem die Vorgabe durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG zu einer einschränkenden Auslegung des Art. 88 Abs. 1 LVerfLSA insoweit, als das Land nicht völlig frei darin sein kann, in welchem Umfang es seinen eigenen staatlichen Aufgaben Gewicht auf Kosten der Kommunen beimisst, sondern es hat von einer Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit staatlicher und kommunaler Aufgaben auszugehen. Durch diesen Grundsatz ist der Gestaltungsraum des Landesgesetzgebers begrenzt (ebenso bereits für das dortige Landesrecht: NdsStGH, DVB1 1998,185, 187; vgl. ferner bes.: Schoch/ Wieland, a.a.O., S. 180; Henneke, DÖV 1998, 330, 334, 335; Mückl, a.a.O., S. 72). Der Gesetzgeber hat zu berücksichtigen, daß die Finanzierungsgarantie des Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA die Kommunen in den Stand setzen soll, eigenverantwortlich ihre Aufgaben zu bestimmen und zu erfüllen. Das setzt im Grundsatz LVerfGE 10

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voraus, daß die Kommunen in der Lage sein sollen, gerade auch freiwillige Aufgaben zu übernehmen (Wendt, „Verfassungsstaatlichkeit", a.a.O., S. 609; Mückl, a.a.O., S. 71). Die durch Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA vorausgesetzte Gleichwertigkeit wird nicht erst missachtet, wenn der Landesgesetzgeber die Grenze der „Erdrosselung" kommunaler Selbstverwaltung noch nicht überschritten hat (so zu Recht Wendt, a.a.O., S. 609), sondern bereits dann, wenn Aufgaben des Landes ohne sachlichen Grund höher bewertet worden sind. Nur in diesem Rahmen hat der Landesgesetzgeber die Möglichkeit einer autonomen Bewertung. Da Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA nicht nur durch Zuweisungen von Finanzmitteln genügt wird, sondern auch durch gesetzgeberische Regelungen, welche die Kommunen in den Stand setzen, eigene Einnahmen zu erzielen, darf der Landesgesetzgeber auch in Rechnung stellen, wie weit solche Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind oder werden können. 2.2.1.2.3 Der Landesgesetzgeber war durch die Verfassung grundsätzlich nicht gehindert, Kürzungen vorzunehmen, die sich auch auf die Zuweisungen an die Landkreise auswirken. Obwohl die sog. „Bestandsgarantie" des Jahres 1995 (§ 29 FAG-LSA 1995) vor allem als Mittel der PlanungsSicherheit für die Kommunen verstanden worden war (Landkreistag, Schreiben vom 1.11.1996 an Ausschuß für Inneres, S. 1; vgl. auch Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt, Schreiben vom 22.10.1996, S. 6, 8), war sie von Verfassungs wegen nicht geboten; auch verlangten verfassungsrechtliche Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht, sie zu erhalten. Es handelte sich vielmehr um einen politisch erzielten Kompromiss, der rechtlich zur vollen Verfügung des Landesgesetzgebers gestanden hat. Die Auflösung der „Bestandsgarantie" erscheint nicht als „willkürlich", weil sie in der 2. Lesung des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 12.12.1996 mit mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit des Landes infolge steigender Ausgaben und einer nicht erfüllten Einnahmeerwartung gerechtfertigt worden ist. (...)

Daß die Einnahmen Ende 1996 gegenüber 1995 tatsächlich erheblich gesunken waren, wurde im parlamentarischen Verfahren und in diesem Prozeß nicht angezweifelt. Es ist auch nicht erkennbar, daß entweder überhaupt keine Abwägung stattgefunden hat oder daß dabei die verfassungsrechtliche Stellung der Kommunen im Verhältnis zum Land verkannt worden ist. Die Tätigkeit insbesondere des Ausschusses für Inneres belegt vielmehr, daß die ursprünglichen Vorstellungen der Landesregierung, deutlicher zu kürzen, aufgefangen worden sind und zu einem Kompromiss zwischen den Interessen des Landes und denen der Kommunen geführt hat. (...)

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Auch wenn die Kommunen das Land wiederholt gemahnt haben, stärker zu sparen, und zwar insbesondere bei dessen Personalkosten (Schreiben beider Kommunalverbände, a.a.O.), belegt dies noch keine verfassungswidrige Vernachlässigung der Kommunalbelange durch den Landesgesetzgeber; denn die Einsparmöglichkeiten sind vom Landtag in der ersten und zweiten Lesung des Haushaltsbegleitgesetzes deutlich in die Abwägung eingestellt worden Der Landesgesetzgeber durfte ferner in Rechnung stellen, in welchem Umfang einerseits das Land und andererseits die Kommunen verschuldet sind. Die Grenze seiner Gestaltungsbefugnis ist erst überschritten, wenn das Land erkennbar keinen Sparwillen zeigt. Dann würde eine darauf beruhende Verschuldung nicht mehr zur Rechtfertigung für Einschnitte bei den Kommunen taugen können; denn in einem solchen Fall müßte die Gleichgewichtigkeit der Landesund Kommunalinteressen als gestört angesehen werden. Die Berechnungen des Beschwerdeführers mögen zwar belegen, daß seine gegenwärtigen Einnahmen (einschließlich der Zuwendungen aus dem Landeshaushalt) nicht ausreichen, um alle Pflichtausgaben abzudecken und hinreichend Möglichkeiten für freiwillige Aufgaben zu belassen; daraus läßt sich aber keine „landesweit" gleiche Situation begründen. Außerdem muß der Beschwerdeführer die ihm gesetzlich zustehenden Möglichkeiten (vgl. § 16 FAG-LSA: Kreisumlage) ausschöpfen, die Teil der Mittel des Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA sind, um für eine hinreichende Ausstattung zu sorgen; und er muß wie das Land im übrigen eine Verschuldung in Kauf nehmen, weil die finanzielle Ausstattung unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes insgesamt steht. Die vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg offen gelassene Frage, ob es auf die Verhältnisse gerade des Beschwerdeführers oder aller Landkreise ankommt (StGH BW, Urt. v. 10.5.1999 - GR 2/97 - , UrtAbdr., S. 35), ist jedenfalls für Sachsen-Anhalt abstrakt-generell zu beantworten (ebenso, für Nordrhein-Westfalen: VfGH NW, Urt. v. 1.12.1998 - VerfGH 5/97 DÖV 1999, 300, 301): Maßgeblich ist die Lage bei der Gruppe, welcher der Beschwerdeführer angehört. Das folgt nicht nur daraus, daß der Finanzausgleich durch Gesetz, also eine über den Einzelfall hinausreichende Regelung, zu leisten ist, sondern ergibt sich zudem aus dem Inhalt sowohl des ursprünglichen Finanzausgleichsgesetzes 1995 als auch seiner Änderungen 1997. Die Zuweisungen aus der Finanzausgleichsmasse sind am „normalen Bedarf orientiert. Das belegt die Ausnahmeregelung des § 12 FAG-LSA 1997; sie sieht Bedarfszuweisungen aus Anlass besonderer Belastungen oder Härten vor (Absatz 1) und hebt ausdrücklich den Sonderfall hervor, daß eine einzelne Kommune unabweisbare Ausgabeverpflichtungen nicht mehr erfüllen kann (Absatz 4). 2.2.2 Die Verfassungsmäßigkeit des (vertikalen - Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA und horizontalen — Art. 88 Abs. 2 LVerf-LSA) Finanzausgleichs ist nicht davon LVerfGE 10

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abhängig, daß das Finanzausgleichsgesetz Verfahrensregelungen enthält oder daß außerhalb des Finanzausgleichsgesetzes ein „Verfahrensgesetz" geschaffen worden ist. Die gegenteilige, vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg für das dortige Landesrecht vertretene Auffassung (StGH BW, Urt. v. 10.5.1999 - GR 2/97 —, UrtAbdr., S. 38 ff) läßt sich auch in Ansehung der vom Gericht in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausstrahlung von Grundrechten auf das jeweilige Verfahren (BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979 - 1 BvR 385/77 - , BVerfGE 53, 30 ff.; Beschl. v. 8.2.1983 - 1 BvL 20/81 - , BVerfGE 63,131 ff.; Urt. v. 15.12.1983-1 BvR 209,269,362,420,440,484/83 - , BVerfGE 65,1 ff.; Beschl. v. 1 7 . 4 . 1 9 9 1 - 1 BvR 419/81,213/83 BVerfGE 84, 34ff.; insbes.: BVerfG, Urt. v. 22.2.1994 - 1 BvL 30/88 - , BVerfGE 90,60ff.) für Sachsen-Anhalt weder aus der Verfassung selbst noch aus allgemeinen Grundsätzen herleiten. Die Landesverfassung enthält für die Finanzgarantien des Art. 88 Abs. 1, 2 LVerf-LSA ebenso wenig wie bei Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA (vgl. dazu bereits oben Nr. 2.1.1.2 der Entscheidungsgründe) einen ausdrücklichen Verfahrensvorbehalt. Allein für Gebietsänderungen legt Art. 90 LVerf-LSA als materielle Grenze das „Gemeinwohl" (Satz 1) fest und setzt formell auch eine „Anhörung" voraus (Satz 2). Mit diesen beiden Vorbehalten will das Landesverfassungsrecht den Vorgaben des Art. 28 Abs. 2 GG genügen (vgl. zu „Gemeinwohl" und „Anhörung": BVerfG, Beschl. v. 27.11.1978 - 2 BvR 165/75 - , BVerfGE 50,50, 50 f.). Die sachliche wie die formelle Voraussetzung für Gebietsänderungen hat das Bundesverfassungsgericht dem Kernbereich zugeordnet und dem historischen Bestand der kommunalen Selbstverwaltung zugerechnet (BVerfGE 50, 50, 50); es hat die Grenzen zugleich als durch das Rechtsstaatsprinzip vorgegeben angesehen (BVerfGE 50, 50, 51). Deshalb hat das Landesverfassungsgericht bereits früher erwogen, ob Art. 90 LVerf-LSA eigenständige Regelungen enthält oder nicht nur klarstellt, was eigentlich bereits zum Wesen der Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA gehört (vgl. etwa bei: LVerfGE 2, 227, 246). Jedenfalls ist nicht einmal bei einem Gesetzesvorbehalt wie dem des Art. 90 Satz 2 LVerf-LSA ein besonderes „Verfahrensgesetz" verlangt, wenn nur die Anhörung selbst durchgeführt worden ist (LVerfGE 2, 227, 251 ff.). Ähnliche Vorgaben wie für die Anhörung bei Gebietsreformen (dazu BVerfGE 50, 50 f.) hat das Bundesverfassungsgericht für den kommunalen Finanzausgleich nicht gemacht. Sie ließen sich auch schwerlich in gleicher Weise historisch als Bestand feststellen und deshalb dem Kernbereich der Selbstverwaltung i.S.d. Art. 28 Abs. 2 GG oder hier des Art. 2 Abs. 3 LVerf-LSA zurechnen. Eher im Gegenteil hat das Bundesverfassungsgericht gerade aus Anlass eines (Bund-Länder-)Finanzausgleichs den Bundesgesetzgeber für autonom gehalten, sein Verfahren zu bestimmen und ihm insbesondere keinen Begründungszwang auferlegt (BVerfGE 86, 148, 212, 241, unter Hinweis auf BVerfG, Urt. v. 24.6. LVerfGE 10

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1986 - 2 BvF 1, 5, 6/83, 1/84, 1, 2/85 - , BVerfGE 72, 330, 396 f.), sondern lediglich das gefundene Ergebnis überprüft; dabei hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, aus materiell-rechtlichen Bindungen des Finanzausgleichsgesetzgebers könnten keine verfahrensrechtlichen Erfordernisse abgeleitet werden, sondern es komme allein darauf an, ob die gesetzgeberische Entscheidung im Ergebnis den materiellen Anforderungen genüge (BVerfGE 86,148, 212, zum Länderfinanzausgleich II). Selbst wenn unterstellt würde, alle oder jedenfalls einzelne Grundrechte der Landesverfassung (Art. 3 Abs. 1; 4 ff. LVerf-LSA) hätten über ihre klassische „Abwehr-"Bedeutung hinaus einen „objektiv-rechtlichen" Gehalt, der den Staat verpflichtete, „sich schützend und fördernd vor die darin genannten Rechtsgüter zu stellen" (BVerfGE 53, 30, 57 zu Art. 2 Abs. 2 GG im Fall „Mühlheim-Kärlich"; vgl. auch Minderheitsvotum Simon/Heußner — insoweit nicht abweichend — bei BVerfGE 53, 69,71 ff.), könnte dieser Gesichtspunkt nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis zwischen Land und Kommunen übertragen werden. Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg begnügt sich damit, festzustellen, die vom Bundesverfassungsgericht für die Grundrechte entwickelten Grundsätze müßten auch für die institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gelten (StGH BW, a.a.O., S. 44f.). Sein weiterer Gesichtspunkt, nachträglicher verfassungsrechtlicher Schutz könne nicht gewährt werden und müsse deshalb „in den Prozeß der Entscheidungsfindung vor(.. .)verlager(t)" werden (StGH BW, a.a.O., S. 45), kann jedenfalls nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründet werden; denn dieses hatte sich mit einer reinen „Ergebniskontrolle" begnügt (BVerfGE 86,148, 212), obgleich es einzelne Bestimmungen der Finanzausgleichsregelung nur für unwirksam und nicht für nichtig gehalten sowie ausdrücklich bemerkt hatte, dies geschehe vor allem deshalb, weil die bereits abgeschlossenen Haushaltsperioden nicht mehr rückabgewickelt werden sollten (BVerfGE 86,148, 279). Auch die einzelnen Fälle, welche der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg für seine Auffassung in Anspruch nimmt, hält das Landesverfassungsgericht weder für eine „Vorgabe" des Bundesverfassungsrechts, noch lassen sie seiner Auffassung nach für Sachsen-Anhalt das gleiche Ergebnis zu wie für BadenWürttemberg: Im atomrechtlichen Verfahren (BVerfGE 53, 30 ff.) ging es letztlich um eine Ausweitung des Rechtsschutzes. Das Gericht hatte im Atomverfahrensrecht bereits Regelungen vorgefunden, für die nur streitig war, ob sie mit der damals herrschenden Auffassung lediglich (objektiv) als Verfahrens Sicherung verstanden werden oder ob sie auch (subjektiv) die Rechte der Beteiligten schützen sollten; allein in diesem Zusammenhang (Umfang rechtlicher Rügemöglichkeiten) finden sich die zitierten Ausführungen zum Einfluss der Grundrechte auf das Verfahren (BVerfGE 53, 30, 65). Das wird besonders deutlich bei der abweichenden LVerfGE 10

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Meinung, die im Ansatz der Senatsansicht folgt, aber schon für den vorläufigen Rechtsschutz die Effektivität der Verfahrensregeln stärker betont sehen wollte (BVerfGE 53, 69,79, 82). Das Verfahren über eine presserechtliche Gegendarstellung (BVerfGE 63, 131 ff.) betraf eine Abwägungsentscheidung in der Sache. An der zitierten Stelle (BVerfGE 63, 131, 143) befaßt sich der (1.) Senat unter Bezugnahme auf die atomrechtliche Entscheidung zu „Mühlheim-Kärlich" mit vorhandenem Presse(verfahrens)recht und prüft es und seine Durchsetzbarkeit aus der Sicht des „Verletzten" sowohl am Maßstab einerseits des Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1; 1 Abs. 1 GG) als auch andererseits des als konkurrierend verstandenen Presserechts (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG). Im Datenschutzurteil (BVerfGE 65, 1 ff.) forderte der (1.) Senat an der zitierten Stelle (BVerfGE 65,1,44) d e s h a l b eine (nicht vollständig vorhandene) gesetzliche Regelung, weil ein E i n g r i f f in die zuvor definierte „informationelle Selbstbestimmung" nur durch Gesetz möglich sei. Es handelt sich in Wahrheit um die „materielle" gesetzliche Konkretisierung dessen, was dem Individuum wegen seiner Gemeinschaftsbezogenheit zugemutet werden darf. Ahnlich wie eben beim „Volkszählungsgesetz" handelte es sich auch beim Prüfungsfall (BVerfGE 84, 34 ff.) eher um eine materielle Frage. Zur Beurteilung stand nämlich, wie weit es mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar ist, Hürden aufzubauen, gegen die nicht in vollem Umfang „effektiver Rechtsschutz" gewährleistet war. An der zitierten Stelle (BVerfGE 84, 34, 45 f.) beruft sich das Bundesverfassungsgericht zwar auf den Umfang des Grundrechtsschutzes und dessen Bedeutung auch für Verfahrensregelungen, macht aber deutlich, daß es den Beschwerdeführern nicht um das eigentliche Verfahren ging, sondern um die Leistungsbewertung (BVerfGE 84, 34, 46) und damit um die Frage, ob sie in ihrem Berufsweg durch eine „schlechte Bewertung" in der Sache Nachteile erleiden. In dem noch am ehesten vergleichbaren Fall des Rundfunkstaatsvertrags (BVerfGE 90, 60 ff.) schließlich ging es dem (1.) Senat darum, mehrere verschiedenartige Interessenlagen auszugleichen und dabei vor allem die Einflussnahme des Staates auf den Rundfunk zu begrenzen: Er wollte vermeiden, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner Konkurrenzsituation, in welcher seine Werbeeinnahmen sanken und seine Ausgaben stiegen (vgl. BVerfGE 90, 60, 101), bei den Gebühreneinnahmen in eine „sachwidrige" Abhängigkeit vom Staat geriet; die Gefahr sah der Senat darin, daß der Staat, der zwar Vorgaben über die Rundfunkgesetzgebung machen darf, auch die Gebührenfestsetzung zum Anlaß nehmen könnte, „Rundfunkpolitik" zu betreiben, ohne daß man das der Gebühr später ansehen werde (vgl. BVerfGE 90, 60 [94f]). Andererseits wollte der Senat auch den Rundfunkteilnehmer vor überhöhten Gebühren schützen (vgl. BVerfGE 90, 60, 102f.). Um diese unterschiedlichen Interessen

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zum Ausgleich zu bringen, hielt es das Bundesverfassungsgericht für notwendig, ein Verfahren zu verlangen, das einerseits der Finanzbedarfsschätzung der Anstalten größere Bedeutung beimisst, den Staat auf Neutralität verpflichtet und die Kontrolle über die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit als rein fachliche Prüfung ausgestaltet. Die vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg zitierten Einzelpassagen (BVerfGE 90, 60, 95, 96,102) müssen in diesen Gesamtzusammenhang gestellt werden. Vergleichbar ist dann allein, daß das Bundesverfassungsgericht im Rundfunkrecht ein Spannungsverhältnis von Programmfreiheit der Rundfunkanstalten und finanzieller Gewährleistungspflicht des Staates (BVerfGE 90, 60, 99) beschrieben hat, das Ähnlichkeiten mit kommunaler Autonomie und Finanzierungspflicht des Staates bei Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA hat; unvergleichbar ist aber der Hintergrund im übrigen. Eine „Interessen-Pluralität" wie diejenige zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk (Art. 5 Abs. 1 GG) und privaten Anbietern (Art. 5 Abs. 1; 12 Abs. 1; 14 Abs. 1 GG) einerseits, dem Verbraucher (Art. 2 Abs. 1; 20 Abs. 3 GG) und dem Staat andererseits liegt bei den Finanzausgleichsfragen nicht vor; hier geht es — in einem „eindimensionalen" Verhältnis — allein darum, daß die Kommunen vom Land in den Stand gesetzt werden, ihre Aufgaben i.S.d. Art. 88 Abs. 1 GG „angemessen" erfüllen zu können. Die Unvergleichbarkeit der zitierten, vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Einzelfalle mit dem kommunalen Finanzausgleich, wie er für Sachsen-Anhalt durch einerseits Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA und andererseits Art. 88 Abs. 1, 2 LVerf-LSA geregelt ist, läßt keinen „allgemeinen Grundsatz" zu, der gebieten könnte, es bedürfe zur Ausfüllung des materiellen Verfassungsrechts eines vom Landesgesetzgeber zu erlassenden „Verfahrensgesetzes". Dessen Fehlen müßte zudem selbst dann zur Verfassungswidrigkeit des Finanzausgleichs führen, wenn die Kommunen in der Sache ausreichend mit Zuwendungen versehen worden sind und die Verfassung „materiell" gar nicht verletzt ist. Das Landesverfassungsgericht teilt zudem den Ansatz nicht, jegliche Kontrollentscheidung greife unzulässigerweise in einen weiteren Gestaltungsraum des Landesgesetzgebers oder sogar in die Autonomie der Kommunen ein (StGH BW, a.a.O., S. 39); denn ein „Gestaltungsspielraum" kann nur bestehen, soweit die Verfassung ihn dem Gesetzgeber einräumt, nicht aber über durch die Verfassung („materiell") gezogene Grenzen hinaus. Auf die Grenzen zu achten und bei Grenzüberschreitungen einzugreifen, ist Pflicht des Verfassungsgerichts. Der Gestaltungsraum ist außer durch die allgemeinen Grundsätze (vgl. bereits oben bei Nr. 2.1.1.2 der Entscheidungsgründe) bei Art. 87 Abs. 3 LVerf-LSA dadurch begrenzt, daß eine Kostendeckungsregelung gesondert durch Gesetz zu treffen und dabei die „Interessenquote" zu bestimmen ist, sowie bei Art. 88 Abs. 1 LVerf-LSA vor allem dadurch, daß die Gleichwertigkeit der Landes- und der Kommunalaufgaben beachtet werden muß. Selbst wenn es ein „VerfahrensgeLVerfGE 10

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setz" gäbe, müßte dies — wollte es der Verfassung genügen — die Entscheidungskompetenz dem Landesgesetzgeber überlassen; außerdem könnte es die anschließende verfassungsrechtliche Kontrolle keinesfalls ersetzen. Zudem ist nicht ersichtlich, daß bei der Vorbereitung des Gesetzesbeschlusses etwa die Behörden der Kommunalaufsicht (vgl. StGH BW, a.a.O., 46), die der Regierung verantwortlich sind, größere Unabhängigkeit besitzen und deshalb walten lassen können, als die Mitglieder eines Landtagsausschusses. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 1, 3 LVerfGG-LSA. Soweit der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde durchdringt, werden seine Kosten erstattet; diesen Anteil bewertet das Gericht mit einem Viertel.

Nr. 3* Zur Unvereinbarkeit von (Bürgermeister-)Amt und (Gemeinderats-)Mandat Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Art. 8, 89 Landesverfassungsgerichtsgesetz § 48 Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt i.d.F 1999 §§ 35,36,40 Abs. 1 Beschluß vom 7. Dezember 1999 - LVG 7/99 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren eines Bürgermeisters gegen das Land Sachsen-Anhalt Entscheidungsformel: Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers wird verworfen. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Gründe: 1. Die Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVB1 568) — G O LSA — wurde wiederholt, wesentlich durch das „Kommunalrechtsänderungsgesetz" vom 31.7.1997 (LSA-GVB1. 721) - KommRÄG - , * Die Entscheidung ist im Volltext beim Landesverfassungsgericht für das Land SachsenAnhalt erhältlich (Adresse s. Anhang).

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geändert. Nach dem „Kommunalrechtsänderungsgesetz" wurde sie zweimal in nicht die Unvereinbarkeit oder die Gemeindeorgane als solche betreffenden Punkten geändert. § 40 Abs. 1 Nr. 1 a GO LSA in seiner alten Fassung bestimmte, daß hauptamtliche Beamte und Angestellte eine Verwaltungsgemeinschaft, der die Gemeinde angehört, nicht Mitglieder des Gemeinderates sein können. Durch Art. 1 des Gesetzes zur Förderung der kommunalen Mandatstätigkeit vom 26.4.1999 (LSA-GVB1 152) - KommMandFördG LSA - , das am 1.5.1999 in Kraft trat (Art. 3 KommMandFördG: am Tag nach der Verkündung im Gesetzblatt Nr. 16 vom 30.4.1999), wurde eine Ausnahme von dieser Regelung in die Gemeindeordnung aufgenommen. § 40 Abs. 1 Nr. 1 a GO LSA erhielt eine geänderte Fassung. Danach sind nichdeitende Bedienstete in Einrichtungen der Jugendhilfe und Jugendpflege, der Sozialhilfe, des Bildungswesens und der Kulturpflege, des Gesundheitswesens, des Forst-, Gartenbau- und Friedhofsdienstes, der Eigenbetriebe und ähnlicher Einrichtungen ausgenommen. Der Beschwerdeführer wurde bei der Kommunalwahl 1994 zum Bürgermeister gewählt, die der Verwaltungsgemeinschaft „Oberes Geiseltal" im Landkreis Merseburg-Querfurt angehört. Bei der Kommunalwahl 1999 kandidierte er für den Gemeinderat, wurde gewählt und nahm das Mandat an. Der Beschwerdeführer hat am 22.6.1999 das Verfassungsgericht angerufen. Die gesetzliche Regelung in den §§40 Abs. 1; 59 Abs. 3 GO LSA verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 8 der Landesverfassung. Er wolle zwar sein Mandat als Gemeinderat ruhen lassen, solange er als Bürgermeister tätig sei und wenn er in dieses Amt wiedergewählt werde; anderenfalls wolle er aber als Gemeinderat weiterarbeiten, was dem Wählerwillen entspreche, weil er bei der letzten Kommunalwahl mit Abstand die meisten Stimmen erhalten habe. Entscheidungsgründe: Das Landesverfassungsgericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß (§ 21 Abs. 1 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht - LVerfGG-LSA - vom 23.8.1993 (LSA-GVB1 441), geändert durch Gesetze vom 14.6.1994 (LSA-GVBl 700) und vom 22.10.1996 (LSA-GVB1332)), weü es die Verfassungsbeschwerde einstimmig für unzulässig hält; der Beschwerdeführer ist von dieser Absicht durch Schreiben vom 25.10.1999 unterrichtet worden. Wie das Landesverfassungsgericht wiederholt entschieden hat (LVerfG, Urt. v. 27.10.1994 - LVG 14, 17, 19/94 - , LVerfGE 2, 345, 357 ff.; Urt. v. 27.10.1994 - LVG 18/94 LVerfGE 2, 378, 387 ff.; Urt. v. 3.7.1997 - LVG 5, 6/97 LVerfGE 7, 261, 266 f.; Urt. v. 7.7.1998 - LVG 17/97 - zur Veröffentlichung vorgesehen), kann die Vereinbarkeit von landesgesetzlichen Regelungen LVerfGE 10

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mit den Wahlrechten nach Landesverfassungsrecht mittels der allgemeinen Verfassungsbeschwerde i.S.d. Art. 75 Nr. 6 der Verfassung des Landes SachsenAnhalt - LVerf-LSA - vom 16.7.1992 (LSA-GVB1, S. 600) und der §§ 2 Nr. 7; 47 ff. LVerfGG-LSA geltend gemacht werden. Durch gesetzliche Bestimmungen, welche das aktive oder passive Wahlrecht einschränken, ist der Betroffene auch „unmittelbar" betroffen, wie für diese Verfassungsbeschwerde vorausgesetzt wird (LVerfGE 2, 345, 359f.; 2, 378, 399). Das staatsbürgerliche Recht auf Gleichbehandlung im aktiven und passiven Wahlrecht folgt landesverfassungsrechtlich für Kommunalwahlen aus Art. 89 LVerf-LSA i.V.m. Art. 8 Abs. 1 LVerf-LSA (LVerfGE 2, 345, 358; 2, 378, 388). Der Beschwerdeführer hat indessen die Frist des § 48 LVerfGG-LSA versäumt. Die Vorschriften, durch welche der Beschwerdeführer belastet sein könnte, sind bereits länger als ein Jahr lang in Kraft gewesen, bevor der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde erhoben hat. Die Frage, ob die Gemeindeordnung den Beschwerdeführer hindert, zu gleicher Zeit Bürgermeister und Gemeinderat zu sein, stellt sich nicht deshalb neu, weil der Gesetzgeber § 40 Abs. 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVB1 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.4.1999 (LSA-GVB1 152) - GO LSA - innerhalb der Jahresfrist des § 48 LVerfGG-LSA geändert hat. Unerheblich für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist, ob der Beschwerdeführer erst nach Ablauf der Jahresfrist in die Positionen gekommen ist, für welche die Gemeindeordnung bereits zuvor eine Regelung getroffen hatte. Ob und in welchem Umfang ein Bürgermeister, sei er haupt- oder ehrenamtlich tätig, zugleich dem Gemeinderat angehören und dort nicht nur Sitz, sondern auch Stimme haben darf, eine Frage von „Unvereinbarkeitsregelungen" ist, zu welchen Art. 91 Abs. 2 LVerf-LSA den Gesetzgeber für den dort genannten Personenkreis ermächtigt, oder eine solche der „Organisation" der Gemeinde und damit der „Kommunalverfassung", welche der Landesgesetzgeber in den durch Art. 28 des Grundgesetzes und durch Art. 2 Abs. 3; 87 Abs. 1 LVerf-LSA gesetzten Grenzen bestimmen darf, kann im Ergebnis offen bleiben. Uberwiegendes spricht indessen dafür, die Frage nicht nach § 40 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993 (LSA-GVB1 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.4.1999 (LSA-GVB1 152) - GO LSA - zu beantworten, sondern auf der Grundlage der §§ 35, 36 GO LSA (so auch Klang/Gundlach, GO LSA, 2. Aufl., § 40 Rdn. 2, S. 135; anders wohl: Wiegand/ Grimberg, GO LSA, § 40 Rdn. 2). § 35 GO LSA stellt gleichsam als „Grundnorm" die Gemeindeorgane, den (unmittelbar gewählten; vgl. § 58 Abs. 1 GO LSA) Bürgermeister und die gewählte Volksvertretung (vgl. insoweit als Vorgabe: Art. 89 LVerf-LSA), den LVerfGE 10

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Gemeinderat, einander gegenüber. Diese Organtrennung dürfte ausschließen, den gewählten Bürgermeister zugleich zum Mitglied der Vertretungskörperschaft zu wählen, oder anders betrachtet, den als solchen gewählten einzelnen Gemeinderat außerdem zugleich zum Bürgermeister zu wählen. § 36 Abs. 1 GO LSA stellt diesen Grundsatz nur scheinbar in Frage, wenn bestimmt ist, daß der Bürgermeister dem Gemeinderat angehört; denn diese Mitgliedschaft dürfte wie der Ratsvorsitz des ehrenamtlichen Bürgermeisters nach § 36 Abs. 2 GO LSA allein an die Funktion als (volksgewählter) Bürgermeister gebunden sein. Die „Bürgermeister-", nicht die „Gemeinderats-"Wahl ist dann Grundlage für die Mitgliedschaft im Gemeinderat. Mit § 36 Abs. 1 GO LSA trägt die Kommunalverfassung einerseits dem Umstand Rechnung, daß der Bürgermeister nicht „aus der Mitte des Gemeinderates" gewählt wird, sondern unmittelbar durch das Volk, und berücksichtigt andererseits, daß der Bürgermeister damit die gleiche demokratische (unmittelbare) Legitimation besitzt wie jedes gewählte Ratsmitglied. Die Gemeindeordnung läßt aber an zahlreichen anderen Stellen erkennen, daß der Bürgermeister nur mit den ihm durch das Gesetz zugestandenen Rechten im Rat mitwirken soll: So kann er nicht Mitglied einer (Rats-) Fraktion werden (§ 43 GO LSA); er bleibt folgerichtig auch bei der Bildung von Quoren unberücksichtigt, welche sicherstellen sollen, daß die politischen Kräfte im Rat insbesondere bei der Bildung von Ausschüssen angemessen beteiligt werden (§ 36 Abs. 5 GO LSA). Nur ihm in Person und nicht einem ihn vertretenden Beigeordneten kommt Stimmrecht im Rat zu (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 3 GO LSA). Schließlich ist der Vorsitz im Gemeinderat (vgl. § 36 Abs. 2 GO LSA: nur ehrenamtliche Bürgermeister) oder in den Ausschüssen (vgl. §§ 47 Abs. 2; 48 Abs. 4 GO LSA) an sein Amt als Gemeindeorgan geknüpft (vgl. Klang/Gundlach, a.a.O., A § 36 Rdn. 2, 3). Im übrigen sind den beiden Gemeindeorganen unterschiedliche Kompetenzen zugewiesen: Der Bürgermeister ist der juristische und repräsentative Vertreter der Gemeinde (§ 57 Abs. 2 GO LSA); der Gemeinderat wird als das Hauptorgan bezeichnet (§ 44 Abs. 1 GO LSA), dessen Kompetenz der Bürgermeister nur in dringenden Fällen wahrnehmen darf (§ 62 Abs. 4 GO LSA). Der Bürgermeister ist Zuarbeiter des Gemeinderats und vollzieht dessen Willen (§ 62 Abs. 1 GO LSA); er kann sich über die Beschlüsse nur in einem förmlichen „Widerspruchsverfahren" hinwegsetzen (§ 62 Abs. 3 GO LSA). Soweit er hauptamtlich tätig ist, untersteht ihm zugleich die Verwaltung (§ 63 Abs. 1 GO LSA). Er ist auskunftspflichtig (vgl. §§ 44 Abs. 6; 62 Abs. 2 GO LSA), damit das einzelne Mitglied im Gemeinderat und das Organ Gemeinderat ihre Aufgaben erfüllen können. Diese grundsätzliche Trennung des § 35 GO LSA dürfte als allgemeiner Grundsatz — wie sich aus den Sonderregelungen für haupt- und ehrenamtlich LVerfGE 10

Zur Unvereinbarkeit von (Bürgermeister-)Amt und (Gemeinderats-)Mandat

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tätige Bürgermeister entnehmen läßt (vgl. etwa: §§ 36 Abs. 2; 49 GO LSA) — für beide gleichermaßen gelten (so zutreffend Klang/Gundlach, a.a.O., A § 40 Rdn. 2, S. 135). Das Landesverfassungsgericht hat deshalb gerade auch dem ehrenamtlichen Bürgermeister innerhalb einer Verwaltungsgemeinschaft (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 1 GO LSA) grundsätzlich die gleichen Befugnisse gegenüber dem Gemeinderat zugestanden wie dem hauptamtlichen Bürgermeister einer „Trägergemeinde" (vgl. §§ 57 Abs. 1 Satz 2; 82 GO LSA) oder einer Gemeinde außerhalb einer Verwaltungsgemeinschaft (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 2 GO LSA), soweit die Gemeindeordnung keine besonderen Regelungen getroffen hat (LVerfG, Urt. v. 23.2.1999 — LVG 8/98 — zur Veröffentlichung vorgesehen); das gilt insbesondere für die Gemeindeverwaltung, die zwar dem hauptamtlichen Bürgermeister untersteht, bei Gemeinden mit ehrenamtlichen Gemeinden indessen als gleichsam „gemeinsame" Verwaltung in der Verwaltungsgemeinschaft organisiert ist. Wenn allein oder doch bevorzugt auf den Grundsatz der §§ 35,36 GO LSA („Organtrennung") abzustellen ist, bleibt der Begriff der „Hauptamtlichkeit" in § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst, a GO LSA ohne Bedeutung (anders wohl: Wiegand/ Grimberg, a.a.O., § 40 Rdn. 2). Jedenfalls wäre der Beschwerdeführer durch diese Bestimmung nicht betroffen; denn nur außerhalb einer Verwaltungsgemeinschaft oder Trägergemeinde wird der gewählte Bürgermeister zum „Beamten auf Zeit" ernannt (§ 57 Abs. 1 Satz 2 GO LSA); das ließe schon mit Rücksicht auf die den § 40 GO LSA rechtfertigende Verfassungsbestimmung des Art. 91 Abs. 2 LVerfLSA nur den Umkehrschluß zu, daß der ehrenamtliche Bürgermeister nicht nach § 40 Abs. 1 GO LSA ausgeschlossen ist. Die Normen der Gemeindeordnung, welche hier zur Beurteilung stehen, sind innerhalb des Jahres vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde (§ 48 LVerfGG-LSA) nicht geändert worden. Das Gesetz vom 26. 4.1999, das allein die „Unvereinbarkeiten" i.S.d. § 40 GO LSA betraf, ließ die Bestimmungen über die Gemeindeorgane — insbesondere die §§ 35, 36 GO LSA - unverändert. § 40 Abs. 1 Nr. 1 Buchst, a GO LSA wurde durch dieses Gesetz nicht etwa zu Lasten der ehrenamtlichen Bürgermeister verschärft, sondern die Unvereinbarkeiten von Ämtern und Ratsmandat wurden gelockert. Die Jahresfrist hat für den Beschwerdeführer auch nicht deshalb neu zu laufen begonnen, weil der Gesetzgeber durch die Änderungen im Jahr 1999 zu § 40 GO LSA etwa die übrigen Regelungen „bestätigend in seinen Willen aufgenommen" hätte. Mit § 48 LVerfGG-LSA greift der Landesgesetzgeber auf das Vorbild der bundesrechtlichen Verfassungsbeschwerde zurück (vgl. etwa: BVerfG, Beschl. v. 11.10.1988 - 1 BvR 777, 882, 1239/85 - , BVerfGE 79, 1, 14). Die Jahresfrist beginnt nicht erneut zu laufen, weil der Gesetzgeber eine frühere Regelung (ohne LVerfGE 10

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Änderung läßt und sie damit) „bestätigt" (BVerfG, Beschl. v. 6 . 6 . 1 9 8 9 - 1 BvR 921/85 BVerfGE 80,137,149, m.w.Nachw.); denn die Fristbegrenzung bei der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz soll den Betroffenen aus Gründen der Rechtssicherheit daran hindern, die Verfassungsrüge beliebig lange hinauszuschieben (BVerfG, Beschl. v. 5.7.1960 - 1 BvR 232/58 - , BVerfGE 11,255,260; vgl. auch: BVerfG, Urt. v. 1 7 . 1 0 . 1 9 6 8 - 2 BvE 2/67 - , BVerfGE 24,252,257 zu einer Organklage über Wahlkampfkosten). Das Landesverfassungsgericht hat diese Grundsätze auf die Auslegung des § 48 LVerfGG-LSA übertragen (LVerfG, Urt. v. 13.7.1999 - LVG 20/97 - ; Urt. v. 13.7.1999 - LVG 21/97 - , beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat es als Ausnahme hiervon nur anerkannt (LVerfG, Urt. v. 13.7.1999 — LVG 20/97 —), daß die Jahresfrist des § 48 LVerfGG-LSA auf eine Gesetzesänderung hin neu zu laufen beginnt, wenn diese entweder sog. „Klarstellungen" oder „Zusätze" in der im wesentlichen unverändert bleibenden bisherigen Bestimmung bringt oder aber durch Änderungen anderer Bestimmungen auf die selbst unverändert bleibende Norm „ausstrahlt" und deshalb deren Regelung beeinflußt (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 23.11.1976 - 1 BvR 150/75 - , BVerfGE 43, 108,116; BVerfG, Urt. v. 2.11.1960 - 2 BvR 504/60 - , BVerfGE 11, 351, 359 f.; BVerfG, Urt. v. 15.11.1960 - 2 BvR 536/60 - , BVerfGE 12, 10, 34; BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 - 1 BvR 343/73, 83/74,183,428/75 - , BVerfGE 47,1, 7). Die Änderung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 GO LSA durch das Gesetz vom 26.4.1999 hat allenfalls das „System" der Unvereinbarkeiten beeinflußt und gelockert, nicht aber auch dadurch die Fragen zur gleichzeitigen Wählbarkeit oder Amtsausübung als einerseits Bürgermeister und andererseits Gemeinderat neu aufgeworfen. Die Jahresfrist des § 48 LVerfGG-LSA läuft ab Verkündung der Norm, welche die „Beschwer" erzeugt; sie knüpft nicht daran an, wann der Betroffene durch die Normregelung zum ersten Mal belastet wird (BVerfG, Beschl. v. 6.3. 1968 - 1 BvR 975/58 - , BVerfGE 23, 153, 164, sowie daran anschließend: LVerfG, Urt. v. 13.7.1999 - LVG 20/97 -). Unerheblich ist auch, ob der Beschwerdeführer die künftige Belastung nach Ablauf des Jahres innerhalb der Jahresfrist bereits voraussehen konnte; denn die Grundsätze der „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gelten nicht für die Versäumung der gesetzlichen Ausschlußfrist des § 48 LVerfGG-LSA (LVerfG, Urt. v. 13.7.1999 - LVG 20/97 - ) . Die Kostenentscheidung beruht auf § 32 Abs. 1, 3 LVerfGG-LSA.

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En ts cheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs

Die amtierenden Richterinnen und Richter des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Gunter Becker, Präsident Hans-Joachim Bauer Christian Ebeling Reinhard Lothholz Thomas Morneweg Gertrud Neuwirth Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger Manfred Scherer (bis 10.11.1999) Prof. Dr. Rudolf Steinberg

Stellvertreterinnen und Stellvertreter Dr. Hans-Joachim Strauch Dr. Hartmut Schwan Prof. Dr. Erhard Denninger Dipl.Ing. Christiane Kretschmer Renate Hemsteg von Fintel Rudolf Metz Dr. Dieter Lingenberg Prof. Dr. Heribert Hirte Prof. Dr. Karl-Ulrich Meyn

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Nr. 1 1. Art. 46 Abs. 1 und Art. 95 Satz 2 ThürVerf enthalten spezielle gleichheitsrechtliche Gewährleistungen, die als staatsbürgerliche Rechte i.S.v. Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerf auch in bezug auf Kommunalwahlen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können. 2. § 31 Abs. 1 ThürKWG genügt im Hinblick auf die aus der Vorschrift abgeleitete Pflicht zur Begründung der Wahlanfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist mit der Folge einer materiellen Präklusion für verspätet vorgebrachte Einspruchsgründe (gerade noch) den rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernissen. 3. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 88 Abs. 1 ThürVerf) verpflichtet ein Gericht nicht, Entscheidungen, auf deren rechtliche Ausführungen es bei der Begründung seiner Entscheidung Bezug nehmen will, ohne auf dort getroffene tatsächliche Feststellungen zu verweisen, vorher mit den Beteiligten zu erörtern oder diese Entscheidungen auch nur in das Verfahren einzuführen. Verfassung des Freistaats Thüringen Art. 46 Abs. 1, 95 Thüringer Kommunalwahlgesetz § 31 Abs. 1 Beschluß vom 11. März 1999 - VerfGH 30/97 in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren der Herren G. und S. Entscheidungsformel: 1. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer werden zurückgewiesen. 2. Der Freistaat Thüringen hat die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer zu einem Drittel zu erstatten.

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Gründe: A. I. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 23. Januar 1996 (Az: 2 K 10/95 GE) und gegen das Berufungsurteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 1997 (Az: 2 KO 261/96). Das Verwaltungsgericht Gera hatte mit seinem Urteil die Klage der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 5. Dezember 1994 abgewiesen, mit dem die Wahlanfechtung der Beschwerdeführer bezüglich der Kreistagswahl des Saale-Orla-Kreises vom 12. Juni 1994 zurückgewiesen wurde. Die Berufung blieb ohne Erfolg. Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wurde mit Beschluß vom 7. April 1998 zurückgewiesen. Die Beschwerdeführer haben am 30. Oktober 1997 Verfassungsbeschwerde zum Thüringer Verfassungsgerichtshof erhoben. Sie waren zunächst anwaltlich vertreten. Am 1. Februar 1999 teilte die bisherige Verfahrensbevollmächtigte dem Verfassungsgerichtshof mit, daß das Mandat gekündigt worden sei. Die Beschwerdeführer machen geltend, daß die Gerichtsentscheidungen sie in ihren Rechten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 88 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf), auf Gleichbehandlung (Art. 2 Abs. 1 ThürVerf), auf Wahlrechtsgleichheit (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) sowie in dem Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 3 Abs. 2 ThürVerf) verletzen. II. Die Beschwerdeführer sind Mitglieder der Unabhängigen Bürgervertretung/ Freie Wählergemeinschaft (UBV), einer kommunalen Wählervereinigung. Sie gehören seit der Kommunalwahl 1994 dem Kreistag des Saale-Orla-Kreises an. Die Beschwerdeführer haben die Feststellung des Ergebnisses dieser Kommunalwahl angefochten. Am l.Juli 1994 trat das Thüringer Gesetz zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte in Thüringen vom 16. August 1993 (GVB1. S. 545) in Kraft (§ 34 ThürNGG). Gem. § 16 Abs. 2 ThürNGG wurde zu diesem Zeitpunkt aus dem Zusammenschluß großer Teile der vormaligen Kreise Lobenstein, Pößneck und Schleiz der Saale-Orla-Kreis gebildet. Bereits am 12. Juni 1994 fand die Wahl der Mitglieder des Kreistags des Saale-Orla-Kreises statt. Rechtsgrundlage für die Vorbereitung und Durchführung der Kreistagswahlen LVerfGE 10

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waren insbesondere § 17 des Thüringer Gesetzes über Maßnahmen zur kommunalen Gebietsreform vom 3. Januar 1994 (GVB1. S. 5) sowie das Thüringer Gesetz über die Wahlen in den Landkreisen und Gemeinden vom 16. August 1993 (GVB1. S. 530) und die Thüringer Kommunalwahlordnung vom 3. Februar 1994 (GVB1. S. 93). In der Sitzung des Kreiswahlausschusses des Saale-Orla-Kreises vom 23. Juni 1994 wurde das Ergebnis der Kreistagswahl festgestellt. Danach entfielen auf die UBV 10.563 Stimmen (6,318 %) und damit 3 Sitze im Kreistag. Das Wahlergebnis wurde am 4. Juli 1997 in der Thüringenpost und der Ostthüringer Zeitung amtlich bekannt gemacht. Zuvor war bezüglich der Kommunalwahlen 1994 in den Amtsblättern der Altkreise bekannt gemacht worden, daß öffentliche Bekanntmachungen nach dem Thüringer Kommunalwahlgesetz sowie der Thüringer Kommunalwahlordnung jeweils in der örtlichen Presse unter amtlichen Nachrichten erscheinen werden. Mit Schreiben vom 12. Juli 1994, eingegangen beim Thüringer Landesverwaltungsamt am 18. Juli 1994, fochten die Beschwerdeführer die Feststellung des Ergebnisses der Kreistagswahl des Saale-Orla-Kreises vom 12. Juni 1994 an. Das Schreiben hatte folgenden Wordaut: „Bezugnehmend auf § 31 der Thüringer Kommunalwahlordnung fechten wir hiermit die Feststellung des Wahlergebnisses der Kreistagswahl im Saale-Orla-Kreis vom 1 2 . 6 . 1 9 9 4 an. Wir fordern zur Feststellung eines ordnungsgemäßen und richtigen Wahlergebnisses die Neuauszählung sämtlicher Stimmzettel der Wahlen zu den Kreistagsmitgliedern im Saale-Orla-Kreis."

Mit Schreiben vom 17. Juli 1994, eingegangen beim Thüringer Landesverwaltungsamt am 19. Juli 1994, berichtigten die Beschwerdeführer ihre Wahlanfechtung dahingehend, daß richtigerweise § 31 Thüringer Kommunalwahlgesetz in bezug genommen werden sollte. Durch Bescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 24. August 1994, an das Landratsamt des Saale-Orla-Kreises in Schleiz adressiert und dort am 31. August 1994 zugestellt, wurde das Ergebnis der Kreistagswahl vom 12. Juni 1994 berichtigt und für die UBV nunmehr auf 10.741 Stimmen (6,420 %) festgesetzt. Es verblieb für die UBV bei 3 Sitzen im Kreistag. Der Berichtigungsbescheid wurde in der Folgezeit vom Saale-Orla-Kreis nicht angefochten. Am 14. September 1994 wurde das korrigierte Wahlergebnis in der Thüringenpost und der Ostthüringer Zeitung amtlich bekannt gemacht. Nachdem die Beschwerdeführer mit Schreiben des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 31. August 1994 Gelegenheit erhalten hatten konkrete Anfechtungsgründe vorzutragen, machten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. September 1994 erstmals Einspruchsgründe geltend. Mit Bescheid vom LVerfGE 10

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5. Dezember 1994, dem Beschwerdeführer zu 1) zugestellt am 14. Dezember 1994 und dem Beschwerdeführer zu 2) zugestellt am 9. Dezember 1994, wies das Thüringer Landesverwaltungsamt die Wahlanfechtung der Beschwerdeführer ab. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß bei den Wahlen zum Kreistag des Saale-Orla-Kreises keine rechtserheblichen Verstöße gegen die Wahlvorschriften erfolgt seien. Soweit Mängel in der organisatorischen Abwicklung der Wahl und der Ermittlung des Wahlergebnisses feststellbar seien, habe dies jedenfalls keine Auswirkung auf die Sitzverteilung gehabt. Eine Berichtigung des Wahlergebnisses sei daher ebenfalls nicht vorzunehmen. Gegen den Bescheid erhoben die Beschwerdeführer am 5. Juni 1995 Klage beim Verwaltungsgericht Gera. Mit Urteil vom 23. Januar 1996 wies das Verwaltungsgericht Gera die Klage ab. Hinsichtlich des Antrags, unter Aufhebung der Bescheide des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 5. Dezember 1994 den Beklagten zu verpflichten, die Kreistagswahl des Saale-Orla-Kreises vom 12. Juni 1994 für ungültig zu erklären, führte es zur Begründung aus, die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten die Beschwerdeführer nicht in ihren Rechten. Diese hätten keinen Anspruch darauf, daß die Wahl zum Kreistag des Saale-Orla-Kreises vom 12. Juni 1994 für ungültig erklärt wird. Mit ihrem Vorbringen im Rahmen der Wahlanfechtung seien die Beschwerdeführer präkludiert. Die Wahlanfechtung sei nicht wirksam erhoben worden, denn die Wahlanfechtungsgründe seien nicht binnen der Frist des — im übrigen verfassungsgemäßen — § 31 Abs. 1 ThürKWG schriftlich geltend gemacht worden. Insbesondere aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift folge, daß die wesentlichen Anfechtungsgründe innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist vorzutragen seien. Darüber hinaus handele es sich bei dieser Frist um eine materielle Ausschlußfrist mit der Folge, daß nach ihrem Ablauf erfolgtes Vorbringen nicht mehr zu berücksichtigen sei. Diese Präklusionswirkung entfalle auch nicht dadurch, daß sich die Verwaltungsbehörde sachlich auf verspätet vorgetragene Anfechtungsgründe einlasse. Der Antrag festzustellen, daß die Bescheide des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 24. August 1994 nichtig sind, sei — auch soweit hilfsweise beantragt sei, die Bescheide des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 24. August 1994 aufzuheben — ebenfalls unzulässig. Insoweit fehle das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer. Diese hätten ihr Klagerecht verwirkt. Sie hätten erst ca. sieben Monate nach Kenntnis des Wahlberichtigungsbescheids vom 24. August 1994 Feststellungs- bzw. Anfechtungsklage erhoben. In Ansehung der Fristbestimmung des § 32 Abs. 2 Satz 2 ThürKWG und der Intention des (Kommunal-) Wahlprüfungsverfahrens, eine rasche Klärung der Gültigkeit einer (Kommunal-) Wahl herbeizuführen, hätten sie damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. LVerfGE 10

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Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera erhoben die Beschwerdeführer am 25. März 1996 Berufung zum Thüringer Oberverwaltungsgericht. Mit Urteil vom 7. August 1997 wies das Thüringer Oberverwaltungsgericht die Berufung der Beschwerdeführer zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen. Bezüglich des Antrags, unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und unter Aufhebung des Bescheides des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 5. Dezember 1994 die Kreistagswahl des Saale-Orla-Kreises vom 12. Juni 1994 für ungültig zu erklären, führte es zur Begründung aus, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wahlanfechtung lägen nicht vor. Aus den gesetzlichen Regelungen über die (Kommunal-)Wahlanfechtung ergebe sich — wenn auch nicht ausdrücklich —, daß eine Wahlanfechtung mit einer bestimmten, substantiierten Begründung schriftlich innerhalb der für den Freistaat Thüringen in § 31 Abs. 1 ThürKWG bestimmmten zweiwöchigen Ausschlußfrist einzureichen sei. Gegen die die Anfechtung zurückweisende rechtsaufsichtsbehördliche Wahlprüfungsentscheidung sei sodann die Klage zulässig. Eine solche Klage könne jedoch nur dann Erfolg haben, wenn — neben anderen Voraussetzungen — die (Kommunal-)Wahl fristgemäß angefochten und dabei ein erheblicher Verstoß gegen die Wahlvorschriften in Bezug genommen worden sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn die Anfechtung der (Kommunal-)Wahl innerhalb der Anfechtungsfrist durch die Angabe von Tatsachen begründet werde, die einen erheblichen Verstoß gegen die Wahlvorschriften schlüssig erkennen ließen. Damit solle im öffentlichen Interesse sichergestellt werden, daß über die Frage der Gültigkeit der Wahl unverzüglich Klarheit geschaffen wird. Innerhalb dieser Frist, im vorliegenden Fall also binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung der Feststellung des Ergebnisses der Kreistagswahl für den Saale-Orla-Kreis am 4. Juli 1994, seien jedoch von den Beschwerdeführern keine rechtserheblichen Wahlverstöße geltend gemacht worden. Im übrigen sei die Bekanntmachung der Feststellung des Kommunalwahlergebnisses wirksam erfolgt. Das Wahlergebnis sei in Tageszeitungen amtlich bekannt gemacht worden, die im Gebiet des Saale-Orla-Kreises verbreitet gewesen seien und von jedem interessierten Wahlbürger hätten abonniert oder käuflich erworben werden können. Die zuvor in den Amtsblättern der Altkreise veröffentlichten Bekanntmachungshinweise genügten den Anforderungen der §§ 54 Abs. 1 Satz 1,52 Satz 2 ThürKO. Aufgrund § 17 Abs. 1 Satz 1 ThürMaßnG hätten zur Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahl 1994 die durch das ThürNGG zum 1. Juli 1994 vorgeschriebenen Gebiets- und Bestandsänderungen bereits als eingetreten gegolten. Insoweit sei der Saale-Orla-Kreis bereits vor Inkrafttreten des ThürNGG gesetzlich fingiert worden. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß im neuen Landkreis auch zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des Wahlergebnisses am 4. Juli 1994 noch kein eigenes BekanntLVerfGE 10

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machungsrecht vorhanden gewesen sei, ergebe sich aus der Regelung in § 52 Satz 2 ThürKO nur eine Festlegung im Hinblick auf die Art der Bekanntmachung. Den entsprechenden Erfordernissen sei aber mit der Veröffentlichung der Bekanntmachungshinweise in den Amtsblättern der Altkreise Genüge getan. Im übrigen verletzte die Veröffentlichung der Bekanntmachungshinweise in den Amtsblättern der Altkreise auch nicht das Rechtsstaatsgebot. Insbesondere sei es unschädlich, daß dort für die Veröffentlichung des Wahlergebnisses nicht auf „Tageszeitungen", sondern auf die „örtliche Presse" verwiesen worden sei. Im Hinblick auf den im Bekanntmachungshinweis enthaltenen Zusatz „unter amtlichen Nachrichten" habe bei — verständiger Auslegung — jeder Wahlbürger nur zu dem vernünftigen Schluß gelangen können, daß es sich dabei um diejenigen Tageszeitungen handele, die im Kreisgebiet verbreitet seien und auf die er regelmäßig zurückgreifen könne, wenn er sich für amtliche Bekanntmachungen interessiere. Der Antrag, unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung festzustellen, daß die Bescheide des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 24. August 1994 nichtig sind, hilfsweise, unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Bescheide des Landesverwaltungsamtes vom 24. August 1994 aufzuheben, sei unzulässig. Für Haupt- und Hilfsantrag fehle den Beschwerdeführern das Rechtsschutzinteresse. Bei einem Erfolg der Klage entfiele der Wahlberichtigungsbescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom 24. August 1994 mit der Folge, daß die ursprüngliche, am 4. Juli 1994 bekanntgemachte Feststellung des Wahlergebnisses wieder Gültigkeit hätte. Dies führe jedenfalls zu keiner Besserstellung der Beschwerdeführer. Mit Beschwerde vom 28. Oktober 1997, beim Thüringer Oberverwaltungsgericht eingegangen am 30. Oktober 1997, fochten die Beschwerdeführer die im Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts ausgesprochene Nichtzulassung der Revision an. Am 3. Dezember 1997 beschloß das Thüringer Oberverwaltungsgericht der Beschwerde nicht abzuhelfen. Mit Beschluß vom 7. April 1998 wurde die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. III. Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde führen die Beschwerdeführer aus, das Thüringer Oberverwaltungsgericht verletze mit dem Berufungsurteil den grundrechtsgleichen Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör, indem es entscheidungserhebliches tatsächliches und rechtliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung nicht in Erwägung gezogen habe. Insbesondere habe das Oberverwaltungsgericht die von den Beschwerdeführern geäußerten Zweifel an der Verbreitung der Ostthüringer LVerfGE 10

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Zeitung und der Thüringenpost nicht beachtet. Es habe darüber hinaus die Darlegungen zur Auslegung des § 17 ThürMaßnG nicht zur Kenntnis genommen. Außerdem ziehe es in der Begründung seiner Entscheidung ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 104, 337 ff.) heran, zu dem die Beschwerdeführer keine Stellung hätten nehmen können. Ferner machen die Beschwerdeführer geltend, daß die Urteile gegen den gem. Art. 46 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 ThürVerf gewährleisteten Grundsatz der Gleichheit der Wahlen verstoßen. Bei der Kreistagswahl für den Saale-Orla-Kreis am 12. Juni 1994 seien mehrere — im einzelnen begründete — erhebliche Verstöße gegen Wahlrechtsvorschriften erfolgt, die geeignet gewesen seien, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen. Der Bescheid des Thüringer Landesverwaltungsamtes, mit dem die Feststellung des Ergebnisses der Wahl aufgrund eines amtlichen Wahlprüfungsverfahrens berichtigt worden sei, beruhe ebenfalls auf entsprechenden Verstößen. Im übrigen sind sie der Auffassung, die Gerichte in erster und zweiter Instanz seien zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit ihrem Vorbringen zu den Gründen für eine Wahlanfechtung präkludiert seien. Eine Auslegung des § 31 Abs. 1 ThürKWG, nach der auch die Begründung einer Wahlanfechtung schriftlich binnen der zweiwöchigen Anfechtungsfrist zu erfolgen habe und verspätet vorgetragene Anfechtungsgründe nicht mehr zu berücksichtigen seien, greife — insbesondere auf dem Hintergrund der von den üblichen Fristenregelungen abweichenden Vorschrift des § 37 Abs. 2 ThürKWG — unmittelbar in die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Gleichheit des Wahlrechts ein. Das Wahlprüfungsverfahren diene nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest auch der Verwirklichung des subjektiven Wahlrechts. Die Nichtberücksichtigung der erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist vorgetragenen Gründe für eine — offenkundig erfolgversprechende — Wahlanfechtung aufgrund einer von den Gerichten vorgenommenen, vom Wordaut nicht gedeckten, Auslegung des § 31 Abs. 1 ThürKWG verhindere die Verwirklichung der Wahlrechtsgewährleistungen der Thüringer Verfassung. Jedenfalls liege eine Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 3 Abs. 2 ThürVerf darin, daß insbesondere das Thüringer Oberverwaltungsgericht die Frage, ob die Wahlergebnisse überhaupt ordnungsgemäß veröffentlicht worden sind, bejaht und insoweit bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften die Grenzen sachgerechter, noch vertretbarer Interpretation unter Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze überschritten habe. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Ergebnisses der Kreistagswahl vom 4. Juli 1994 sei § 28 Abs. 1 ThürNGG bereits in Kraft gewesen. Aufgrund dessen habe das Satzungsrecht der drei vormaligen LVerfGE 10

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Kreise Lobenstein, Pößneck und Schleiz weiter gegolten. Aus § 17 ThürMaßnG ergebe sich nach Wortlaut, Sinn und Zweck jedenfalls nichts anderes. Die Bekanntmachung des Ergebnisses der Kreistagswahl des Saale-Orla-Kreises hätte daher, in Anwendung von § 52 Satz 1 ThürKWO, in den Amtsblättern der Altkreise erfolgen müssen. Für öffentliche Bekanntmachungen sei diese Form in den jeweiligen Hauptsatzungen der Altkreise vorgeschrieben gewesen. Jedenfalls genüge die vom Kreiswahlleiter im vorliegenden Fall gewählte Form der Bekanntgabe des Ergebnisses der Kreistagswahl nicht dem Rechtsstaatsgebot. Der in den Amtsblättern der Altkreise veröffentlichte Hinweis auf die Art der öffentlichen Bekanntmachung nach dem Thüringer Kommunalwahlgesetz sei zu unbestimmt und entspreche daher nicht den Anforderungen des im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für die Bekanntmachung herangezogenen § 52 Satz 2 ThürKWO. Dies verkenne insbesondere das Thüringer Oberverwaltungsgericht bei der Interpretation des Wortlauts des Bekanntmachungshinweises und bei der Auslegung der in Bezug genommenen Vorschrift. Darüber hinaus machen die Beschwerdeführer geltend, daß das Thüringer Oberverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung gegen das Willkürverbot gem. Art. 2 Abs. 1 ThürVerf verstoße. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb im Berufungsurteil eine frühere Entscheidung des Gerichts (Urteil vom 20. Juni 1996, Az: 2 KO 229/96) nur gerade soweit zitiert werde, daß eine für die Beschwerdeführer günstige Rechtsauffassung nicht wiedergegeben wird. Im übrigen sei die Argumentation des Thüringer Oberverwaltungsgerichts in mehrfacher Hinsicht sachlich nicht nachvollziehbar. IV. Gem. § 36 Abs. 2 ThürVerfGHG hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof dem Thüringer Minister für Justiz und Europaangelegenheiten und gem. § 36 Abs. 3 ThürVerfGHG dem Thüringer Innenminister als Vertreter des Freistaats Thüringen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Stellungnahme ist nicht erfolgt. V. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, da er sie zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Erörterung des Sach- und Streitstoffes nicht für erforderlich hält (§ 37 Abs. 1 ThürVerfGHG).

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B. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig, aber unbegründet. I. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Soweit die Verletzung des auch bundesrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten prozessualen Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird, ist eine Landesverfassungsbeschwerde zulässig. Dem Thüringer Verfassungsgerichtshof steht eine Prüfungskompetenz dahingehend zu, ob die in Anwendung von Verfahrensrecht des Bundes ergangenen Entscheidungen den Anspruch der Beschwerdeführer auf willkürfreie Entscheidung und auf rechtliches Gehör verletzen, da die entsprechenden Gewährleistungen in Art. 2 Abs. 1, 88 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf und in Art. 3 Abs. 1,103 Abs. 1 GG inhaltsgleich ausgestaltet sind (vgl. BVerfGE 96, 345 ff.). Auch im Hinblick auf die darüber hinaus von den Beschwerdeführern geltend gemachten Grundrechtsverletzungen sind die Verfassungsbeschwerden zulässig. Zwar betreffen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen in der Sache die Anfechtung einer Kommunalwahl. Soweit die Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit geltend machen, ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß ein entsprechendes, in der Verfassung des Freistaats Thüringen enthaltenes subjektives Recht verfassungswidrig betroffen ist. II. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof prüft Urteile in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten auf Verfassungsbeschwerde nur in beschränktem Umfang nach. Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall obliegen den zuständigen Gerichten. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kann lediglich dann eingreifen, wenn das gerichtliche Urteil Landesverfassungsrecht verletzt, was vor allem dann der Fall ist, wenn es auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Landesgrundrechts beruht oder wenn das Auslegungsergebnis mit den Grundrechtsnormen der Verfassung des Freistaats Thüringen und der in ihnen aufgerichteten Wertordnung nicht vereinbar ist (vgl. für den Bund: BVerfGE 32, 311, 316 m.w.N.; st. Rspr.). Die von den Beschwerdeführern angegriffenen Urteile sind weder in Anwendung einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage ergangen noch verletzen sie spezifisches Verfassungsrecht. LVerfGE 10

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1. Der durch Art. 88 Abs. 1 ThürVerf gewährleistete Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist nicht verletzt. Nach der landesverfassungsrechtlichen Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gem. Art. 88 Abs. 1 ThürVerf hat der Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, daß er vor dem Erlaß einer Entscheidung Gelegenheit erhält, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, welcher der Entscheidung zugrunde gelegt wird. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen, sofern das Vorbringen nicht nach den Prozeßvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muß oder kann. Andererseits ist das Gericht jedoch nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen eines Prozeßbeteiligten in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insoweit deckt sich der Schutzbereich des landesrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör gem. Art. 88 Abs. 1 ThürVerf mit dem der grundrechtsgleichen bundesrechtlichen Gewährleistung in Art. 103 Abs. 1 GG. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kann sich daher auch auf die umfangreiche und ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehen (vgl. BVerfGE 81, 123, 126 m.w.N.; st. Rspr.). Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kann danach eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur dann feststellen, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, daß das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Soweit die rechtlichen Ausführungen der Beschwerdeführer zur Frage der Auslegung der hier in Rede stehenden Vorschriften keine ausdrückliche Erwähnung in der Entscheidungsbegründung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts finden, ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Gericht kann in der Darlegung seiner — gegebenenfalls abweichenden — Rechtsauffassungen mittelbar auch entgegenstehendes Vorbringen von Prozeßbeteiligten berücksichtigen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall ersichtlich getan, wenn es — in der gebotenen Kürze — seine Rechtsauffassung, insbesondere zur Geltung des § 17 ThürMaßnG für die Kommunalwahlen 1994 und der darin zum Ausdruck kommenden, vom Landesgesetzgeber gewollten Abweichung vom Grundsatz der Kontinuität von Satzungsrecht, wie er im übrigen in den §§ 32, 28 ThürNGG niedergelegt ist, in den Entscheidungsgründen darlegt. Entsprechendes gilt auch für die Begründung zur Auslegung und Anwendung der Vorschrift des § 52 ThürKWO. Soweit die Beschwerdeführer Zweifel daran äußern, daß die Tageszeitungen, in welchen das Ergebnis der Kommunalwahlen veröffentlicht wurde, im Bereich des Saale-Orla-Kreises nicht ausreichend verbreitet und nicht für jeden interessierten Bürger erhältlich waren, ist dieses Vorbringen im Laufe der fachLVerfGE 10

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gerichtlichen Verfahren in keiner Weise substantiiert worden. Gleichwohl ist der Begründung des Urteils zu entnehmen, daß das Oberverwaltungsgericht sich damit auseinandergesetzt hat. Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf den Hinweis der Beschwerdeführer, daß die für die Bekanntmachung gewählten Zeitungen keine Rubrik „Amtliche Nachrichten" führen. Das Gericht hat diesen in den Bekanntmachungshinweisen zusätzlich verwendeten Begriff lediglich in seine Argumentation zur hinreichenden Bestimmtheit des dort hauptsächlich verwendeten Begriffs der „örtlichen Presse" einbezogen. Danach ist nicht ersichtlich, daß das Oberverwaltungsgericht die von den Beschwerdeführern hinsichtlich der Verbreitung der Ostthüringer Zeitung und der Thüringenpost geäußerten Zweifel nicht zur Kenntnis und nicht in seine Erwägungen aufgenommen hätte. Auch soweit das Thüringer Oberverwaltungsgericht eine zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung noch nicht veröffentlichte, den Beteiligten unbekannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 104,337 ff.) herangezogen hat, liegt darin keine Verletzung des Art. 88 Abs. 1 ThürVerf. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht nicht, Entscheidungen, auf deren rechtliche Ausführungen es bei der Begründung seiner Entscheidung Bezug nehmen will, ohne auf dort getroffene tatsächliche Feststellungen zu verweisen, vorher mit den Beteiligten zu erörtern oder diese Entscheidungen auch nur in das Verfahren einzuführen. Insoweit ist auch das rechtsstaatliche Gebot des fairen Verfahrens beachtet. 2. Gegen die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts durch das Verwaltungsgericht Gera und das Thüringer Oberverwaltungsgericht, soweit diese der oben dargelegten beschränkten verfassungsrechtlichen Prüfung durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof unterliegen, ist von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Insbesondere beruhen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit. Die Auslegungsergebnisse sind mit den Grundrechtsnormen der Verfassung des Freistaats Thüringen und der in ihnen aufgerichteten Wertordnung vereinbar. Der Geltungsbereich des landesverfassungsrechtlich gewährleisteten Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit erstreckt sich zwar auch auf politische Wahlen der kommunalen Ebene (im folgenden a)). Die angegriffenen Urteile berühren weiterhin den Schutzbereich dieses staatsbürgerlichen Rechts der Beschwerdeführer (im folgenden b)). Jedoch verletzen weder die Rechtsnormen, auf die sich die angegriffenen Gerichtsentscheidungen stützen, den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit, noch verletzen die richterliche Anwendung und Auslegung des im vorliegenden Fall einschlägigen einfachen Rechts ansonsten spezifisches Verfassungsrecht (im folgenden c)). LVerfGE 10

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a) Art. 46 Abs. 1 und Art. 95 Satz 2 ThürVerf enthalten spezielle gleichheitsrechtliche Gewährleistungen, die als staatsbürgerliche Rechte i.S.v. Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerf auch in bezug auf Kommunalwahlen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können. Die Beschwerdeführer berufen sich bezüglich eines subjektiven Rechts auf Wahlrechtsgleichheit bei Kommunalwahlen auf Art. 2 Abs. 1, 46 Abs. 1 ThürVerf. Nach seinem Wortlaut bezieht sich Art. 46 Abs. 1 ThürVerf indessen nur auf (Landtags-)Wahlen nach Art. 49 Abs. 1 ThürVerf und Abstimmungen nach Art. 82 Abs. 6 ThürVerf (Volksbegehren und Volksentscheid). Art. 95 Satz 1 ThürVerf, der im wes'entlichen die Normativbestimmung des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG wiedergibt, bindet zunächst nur den Gesetzgeber. Die Wahlrechtsgrundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit können auch nicht als Erscheinungsform des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 2 Abs. 1 ThürVerf) gewertet werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16. Juli 1998 - Az: 2 BvR 1953/95). Als Ausfluß des demokratischen Prinzips gelten die in Art. 46 Abs. 1, 95 Satz 2 ThürVerf umschriebenen Wahlrechtsgrundsätze jedoch als allgemeine Rechtsprinzipien für politische Wahlen zu allen demokratischen Repräsentativorganen im staatlichen, wie auch im kommunalen Bereich (vgl. BVerfGE 47, 253, 276 f. m.w.N.). Insoweit binden die Wahlrechtsgrundsätze nicht nur — als objektives Recht — die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtsprechung, es handelt sich darüber hinaus auch um subjektiv-öffentliche Rechte der Wähler und Wahlbewerber. b) Die von den Beschwerdeführern angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen betreffen das landesverfassungsrechtlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführer auf Wahlrechtsgleichheit. Aus dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl folgt, daß jedermann sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können soll und die Stimmen der Wahlberechtigten beim Verhältniswahlsystem nicht nur den gleichen Zählwert, sondern grundsätzlich auch den gleichen Erfolgswert haben sollen (vgl. BVerfGE 1, 246 f.; 79, 170; 82, 337). Diesem Grundsatz wird der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts nicht schon dadurch gerecht, daß er von Regelungen absieht, die einen unterschiedlichen Zähl- bzw. Erfolgswert der abgegebenen Stimmen vorsehen oder im Ergebnis zur Folge haben. Dem Anspruch des Wählers bzw. Wahlbewerbers auf Wahlgleichheit drohen nämlich Gefahren auch durch Wahlfälschung und — mehr noch — durch ungewollte Fehler bei der Stimmenauszählung und Ermittlung des Wahlergebnisses. Auch Regelungen, die geeignet sind, den typischen Ursachen von Fehlern bei der Ermittlung des Wahlergebnisses entgegenzuwirken, können keinen vollkommenen Schutz davor bieten, daß das Wahlergebnis von den zuständigen Wahlorganen im Einzelfall gleichwohl nicht zutreffend ermittelt wird und die Sitzverteilung den Wählerwillen nicht widerspiegelt. Daher gebietet LVerfGE 10

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der Grundsatz der Wahlgleichheit die Einrichtung einer Wahlprüfung, die sich auch auf die Ermitdung des Wahlergebnisses erstreckt. Der Gesetzgeber ist dabei gehalten, ein Verfahren zu schaffen, das es erlaubt, Zweifeln an der Richtigkeit der von den Wahlorganen vorgenommenen Stimmenauszählung nachzugehen und erforderlichenfalls das Wahlergebnis richtigzustellen sowie die Sitzverteilung zu korrigieren. Der Landesgesetzgeber ist dem grundsätzlich nachgekommen, indem er in den §§ 31, 32, 33 Abs. 1, 37 Abs. 2 ThürKWG auch für Kreistagswahlen eine Wahlanfechtung bzw. -prüfung ermöglicht und das entsprechende Verfahren regelt. Die von den Beschwerdeführern angegriffenen Urteile ergingen im Rahmen der nach § 33 Abs. 1 ThürKWG vorgesehenen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der rechtsaufsichtsbehördlichen Entscheidung im (Kommunal-)Wahlprüfungsverfahren. Der Grundsatz der Wahlgleichheit ist durch die angegriffenen Entscheidungen berührt, soweit zum einen festgestellt wurde, daß die Anfechtungsfrist des § 31 Abs. 1 ThürKWG durch eine ordnungsgemäße öffentliche Bekanntmachung der Feststellung des Ergebnisses der Kreistagswahl 1994 im Saale-Orla-Kreis in Lauf gesetzt wurde und zum anderen der Regelung in § 31 Abs. 1 ThürKWG eine Pflicht zur Begründung einer (Kommunal-) Wahlanfechtung binnen der Anfechtungsfrist und eine materielle Präklusion für den Fall des Versäumnisses entnommen wurde und damit eine Beschränkung der Wahlprüfung durch formelle Voraussetzungen im Einzelfall rechtsverbindlich ausgesprochen wurde. c) Die Gerichte stützen ihre Entscheidung hinsichtlich einer ordnungsgemäßen öffentlichen Bekanntmachung der Feststellung des Ergebnisses der Kreistagswahl 1994 im Saale-Orla-Kreis und des Zeitpunkts, in dem im vorliegenden Fall die Anfechtungsfrist gemäß § 31 Abs. 1 ThürKWG in Lauf gesetzt wurde, auf eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage (im folgenden aa)). Sie verstoßen diesbezüglich auch mit der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts nicht gegen spezifisches Verfassungsrecht (im folgenden bb)). Darüber hinaus begegnet auch die Verfassungsmäßigkeit des § 31 Abs. 1 ThürKWG, auf den sich die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Gera und des Thüringer Oberverwaltungsgerichts im übrigen stützen, weder auf dem Hintergrund der durch die Verfassung des Freistaats Thüringen gewährleisteten Wahlrechtsgrundsätze, noch im Blick auf die Rechtsweggarantie des Art. 42 Abs. 5 ThürVerf und das Rechtsstaatsgebot des Art. 47 Abs. 4 ThürVerf verfassungsrechtlichen Bedenken (im folgenden cc)). Die Anwendung und Auslegung der Vorschrift verletzt im hier in Rede stehenden Einzelfall auch darüber hinaus kein spezifisches Verfassungsrecht (im folgenden dd)). Die Ordnung des kommunalen Wahlrechts obliegt dem Landesgesetzgeber. Dabei kommt ihm ein Gestaltungsspielraum zu, der seine Grenzen insbesondere in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Wahlrechtsgrundsätzen findet. Die LVerfGE 10

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Wahlrechtsgrundsätze gelten allerdings nicht schrankenlos. Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß nicht jeder der verfassungsrechtlich festgelegten Wahlrechtsgrundsätze in voller Reinheit verwirklicht werden kann (vgl. BVerfGE 59, 119, 124). Abweichungen von einzelnen Wahlrechtsgrundsätzen können aus zwingenden Gründen, insbesondere im Interesse der Einheitlichkeit des gesamten Wahlsystems und zur Sicherung der mit ihm verfolgten demokratischen Prinzipien entsprechenden staatspolitischen Zielen, zulässig bzw. geboten sein. Eine Beschränkung der kommunalen Wahlprüfung durch die Einführung formeller Voraussetzungen ist daher nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sie den Grundsatz der Wahlgleichheit berührt. Bei der Ausgestaltung des kommunalen Wahlprüfungsverfahrens kann vielmehr auch berücksichtigt werden, daß die korrekte Zusammensetzung der Volksvertretung binnen angemessener Zeit geklärt werden soll. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, wenn nach den Vorschriften des Kommunalwahlrechts die richtige Zusammensetzung der kommunalen Volksvertretungen nicht ohne bestimmte Beschränkungen in Zweifel gezogen werden kann (vgl. BVerfGE 85,148,159). Die grundsätzliche Zulässigkeit von Beschränkungen, welche die Möglichkeit, die Feststellung des Ergebnisses einer Kommunalwahl anzufechten betreffen, entbindet den Gesetzgeber allerdings nicht davon, die entsprechenden Vorschriften so zu fassen, daß sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entsprechen. Sie müssen in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so formuliert sein, daß die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Gerichte müssen in der Lage sein, die gesetzgeberische Entscheidung zu konkretisieren. Andererseits kann nicht erwartet werden, daß jeder Zweifel ausgeschlossen wird. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer Vorschrift noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit; es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären. aa) Diesen Maßstäben genügen § 17 ThürMaßnG sowie die §§ 27 Abs. 3, 9 Abs. 6 ThürKWG i.V.m. §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 52 Satz 2 ThürKO, auf die sich das Thüringer Oberverwaltungsgericht für die Frage der öffentlichen Bekanntmachung des Ergebnisses der Kreistagswahl 1994 im Saale-Orla-Kreis und damit für die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Frist für eine Wahlanfechtung gem. § 31 Abs. 1 ThürKWG in Lauf gesetzt wurde, stützt. Das Thüringer Gesetz über Maßnahmen zur kommunalen Gebietsreform und insbesondere § 17 dieses Gesetzes wurden erlassen, um die kommunale Gebietsreform bereits vor Inkrafttreten des Thüringer Neugliederungsgesetzes zu sichern und den Ubergang von den alten zu den neuen kommunalen Gebietskörperschaften insbesondere unter Berücksichtigung der administrativen, finanziellen, sowie personellen Belange und nicht zuletzt im Hinblick auf die ErforLVerfGE 10

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dernisse der Wahl neuer kommunaler Volksvertretungen sachgemäß abzuwickeln. § 17 ThürMaßnG i.V.m. den Vorschriften des Thüringer Kommunalwahlgesetzes und der Thüringer Kommunalwahlordnung ist mit den Wahlrechtsgrundsätzen vereinbar. Die Regelungen sind auch in Abgrenzung zu den später in Kraft getretenen Vorschriften des Thüringer Neugliederungsgesetzes hinreichend bestimmt. Soweit überhaupt Zweifelsfragen dahingehend verbleiben, ob nach Inkrafttreten des Thüringer Neugliederungsgesetzes aufgrund der Vorschriften des § 32 und des § 28 ThürNGG etwaiges (Bekanntmachungs-) Recht der Altkreise, das noch nicht durch neues Kreisrecht ersetzt wurde, auch im Hinblick auf die Art und Weise der öffentlichen Bekanntmachung des Ergebnisses der Kreistagswahlen 1994 anzuwenden war, sind diese jedenfalls ohne weiteres im Wege der Auslegung durch die Rechtsanwendungsorgane zu klären. bb) Die Erwägungen, mit denen das Thüringer Oberverwaltungsgericht eine fehlerhafte öffentliche Bekanntmachung des Ergebnisses der Kreistagswahl 1994 für den Saale-Orla-Kreis ausschließt, halten eingeschränkter — nur unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Verletzung spezifischen Verfassungsrechts stattfindender — verfassungsrechtlicher Prüfung stand. Soweit das Thüringer Oberverwaltungsgericht feststellt, daß der Grundsatz der Kontinuität des Satzungsrechts, welcher in § 28 ThürNGG seinen Ausdruck gefunden habe, für die Durchführung der Kreistagswahlen 1994 durchbrochen sei, so kann der Thüringer Verfassungsgerichtshof dem in den seiner Nachprüfung gezogenen Grenzen nicht entgegentreten. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht setzt sich dadurch weder mit den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen in Widerspruch noch verletzt es erkennbar sonstige verfassungsrechtliche Vorschriften. Insbesondere verstößt es nicht gegen die verfassungsrechtlich gewährleisteten Wahlrechtsgrundsätze, so auch nicht gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit. Ohne daß von Verfassungs wegen hiergegen erinnert werden müßte, kann das Thüringer Oberverwaltungsgericht bereits nach dem Wordaut des § 17 ThürMaßnG feststellen, daß diese Vorschrift eine spezielle, auf die Bewältigung der anstehenden Probleme bei der Neugliederung der kommunalen Gebietskörperschaften abzielende Regelung für die Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahlen 1994 enthält. Auch der erkennbare Wille des Gesetzgebers steht dem nicht entgegen. Vielmehr wird diese Auslegung durch den Sinn und Zweck der Vorschrift, sowie die gesetzliche Systematik bestätigt. So kann das Thüringer Oberverwaltungsgericht anführen, daß aufgrund § 17 Abs. 1 Satz 1 ThürMaßnG für die Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahlen 1994 die durch das Thüringer Neugliederungsgesetz vorgenommenen Gebiets- und Bestandsänderungen — vor Inkrafttreten dieses Gesetzes — als bereits eingetreten fingiert werden. Im übrigen werden Bestimmungen auch abweichend von denen des Thüringer Kommunalwahlgesetzes LVerfGE 10

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bzw. der Thüringer Kommunalwahlordnung getroffen, was die Besonderheiten dieser Übergangsregelung unterstreicht (vgl. z. B. § 27 Abs. 3 ThürKWG und § 17 Abs. 3 ThürMaßnG). Insoweit kann das Thüringer Oberverwaltungsgericht folgerichtig und ohne Verfassungsverstoß zum einen davon ausgehen, daß für den neuen — zunächst fingierten — Saale-Orla-Kreis während der gesamten Durchführung der Kommunalwahl 1994, die auch die Bekanntmachung des Wahlergebnisses umfaßt, weder eine Ortsüblichkeit für öffentliche Bekanntmachungen festgestellt werden konnte noch bis zum 12. Juli 1994 eine neue Hauptsatzung vorgelegen hat, die eine Regelung für eine ortsübliche öffentliche Bekanntmachung oder für die Form der Bekanntmachung von Satzungen i.S.v. § 52 ThürKWO enthalten hätte. Zum anderen kann es davon ausgehen, daß aufgrund des für die gesamte Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahlen 1994 und damit auch nach Inkrafttreten des Thüringer Neugliederungsgesetzes als ergänzende (§ 32 ThürNGG) Spezialregelung geltenden § 17 ThürMaßnG das (Bekanntmachungs-)Recht der Altkreise für die öffentliche Bekanntmachung der Ergebnisse der Kommunalwahl 1994 jedenfalls nicht direkt zur Anwendung kommt und die seit dem 1. Juli 1994 geltende Vorschrift des § 28 ThürNGG insoweit nicht gilt. Soweit das Thüringer Oberverwaltungsgericht im folgenden eine entsprechende Anwendung der §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 52 Satz 2 ThürKWO und damit eine formell ordnungsgemäße öffentliche Bekanntmachung der Feststellung des Ergebnisses der Kreistagswahl 1994 im Saale-Orla-Kreis bejaht, steht dem verfassungsrechtlich ebenfalls nichts entgegen. Es kann insoweit dahinstehen, ob eine öffentliche Bekanntmachung des Wahlergebnisses alternativ oder kumulativ auch in entsprechender Anwendung der §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 52 Satz 1 ThürKWO und damit gemäß den Vorschriften in den Hauptsatzungen der Altkreise über die Form der Bekanntmachung von Satzungen hätte erfolgen können oder sogar sachgemäßer und näherliegender gewesen wäre. Denn eine Grundrechtswidrigkeit liegt nicht bereits dann vor, wenn die Anwendung einfachen Rechts durch den hierfür zuständigen Richter zu einem Ergebnis geführt hat, über dessen Sachgemäßheit bzw. Billigkeit sich streiten läßt. Schließlich wird bei der Nachprüfung der hier in Rede stehenden Entscheidung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts auch im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot kein Auslegungsfehler sichtbar, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite dieses Verfassungsprinzips beruht und auch in seiner materiellen Bedeutung für den konkreten Fall von einigem Gewicht ist. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht setzt sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den Begriffen „örtliche Presse" und „amtliche Nachrichten" auseinander wie sie vom Kreiswahlleiter des Saale-Orla-Kreises in den Bekanntmachungshinweisen benutzt wurden, welche in den Amtsblättern der Altkreise und damit in einer dort jeweils für die Bekanntmachung von LVerfGE 10

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Satzungen vorgesehenen Form veröffentlicht worden waren. Daß das fachgerichtliche Auslegungsergebnis über die von der Verfassung des Freistaats Thüringen und insbesondere über die vom Rechtsstaatsgebot des Art. 47 Abs. 4 ThürVerf gezogenen Grenzen hinausgriffe, indem es diese Begriffe nachvollziehbar unter das Tatbestandsmerkmal „Tageszeitung" im entsprechend angewendeten § 52 Satz 2 ThürKWO subsumiert, ist nicht erkennbar. Die zu den angesprochenen Auslegungsfragen von der Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführer in extenso vorgetragenen Darlegungen bringen zwar der Rechtsauffassung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts entgegenstehende, möglicherweise vertretbare Rechtsansichten zum Ausdruck, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts wird damit jedoch nicht dargetan. cc) Auch § 31 Abs. 1 ThürKWG, auf den sich die hier fraglichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen im übrigen stützen, genügt den oben dargelegten Maßstäben. Beschränkungen der (Kommunal-)Wahlanfechtung, wie § 31 Abs. 1 ThürKWG sie vorsieht, rechtfertigen sich aus Gründen der Rechtssicherheit, die ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und damit eines Konstitutionsprinzips der Verfassung des Freistaats Thüringen darstellt (vgl. für den Bund: BVerfG, DVB1. 1993, 1069 f.). Insbesondere die Festsetzung einer zeitlichen Beschränkung für die Anfechtung einer Wahl und das Gebot, Wahleinsprüche innerhalb der Anfechtungsfrist substantiiert zu begründen mit der Folge einer materiellen Präklusion verspätet vorgebrachter Einwendungen, finden auch auf kommunaler Ebene ihre prinzipielle Rechtfertigung in dem Interesse an der raschen und verbindlichen Klärung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung einer Volksvertretung. Die Wahl im kommunalen Bereich ist — wie die Wahlen zum Landtag — kein Selbstzweck, sondern soll funktionsfähige Organe hervorbringen. Es muß gewährleistet sein, daß die Angelegenheiten der kommunalen (Selbst-)Verwaltung ordnungsgemäß erledigt und sachgerechte Entscheidungen getroffen werden können (vgl. BVerfGE 6, 104, 115ff.). Ein längerer Zustand der Unsicherheit über den Bestand und die Befugnisse eines unmittelbar demokratisch legitimierten, satzunggebenden Organs der kommunalen (Selbstverwaltung wäre daher mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schwerlich zu vereinbaren. Die Einschränkungen, die sich hieraus für die Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts ergeben können, sind von Verfassungs wegen hinzunehmen. Insoweit ist der Landesgesetzgeber in der Ausgestaltung des (Kommunal-) Wahlprüfungsverfahrens auch nicht durch Art. 42 Abs. 5 ThürVerf gebunden. Die Verfolgung subjektiver Rechte einzelner muß gegenüber der Notwendigkeit zurücktreten, die Stimmen einer Vielzahl von Bürgern zu einer einheitlichen wirksamen Wahlentscheidung zusammenzufassen. Das verfassungsrechtlich geLVerfGE 10

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währleistete kommunale Wahlprüfungsverfahren dient vorrangig der Gewährleistung der gesetzmäßigen Zusammensetzung der Volksvertretung. Dementsprechend können grundsätzlich nur solche festgestellten Gesetzesverletzungen zu Eingriffen der Wahlprüfungsinstanzen führen, die auf die gesetzmäßige Zusammensetzung der Volksvertretung, also auf die konkrete Mandatsverteilung von Einfluß sind oder sein können (§31 Abs. 2 ThürKWG). Nur mit dieser Maßgabe dient das Wahlprüfungsverfahren auch der Verwirklichung des subjektiven aktiven und passiven Wahlrechts. Die Verletzung subjektiver Rechte kann daher nur Anlaß, nicht aber Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens bilden (vgl. BVerfGE 22, 277, 280). Der Landesgesetzgeber ist mithin nicht gehindert, vor das von ihm vorgesehene verwaltungsgerichtliche Verfahren — hier nach § 33 Abs. 1 ThürKWG — ein von der Verwaltungsgerichtsordnung abweichendes Verwaltungsverfahren in Gestalt des rechtsaufsichtsbehördlichen Wahlprüfungsverfahrens vorzuschalten, die Einleitung dieses Verfahrens von strengeren Voraussetzungen abhängig zu machen, als es die VwGO für das Widerspruchsverfahren tut, und den Anfechtenden mit verspätetem Vorbringen auszuschließen. Die Vorschrift des § 31 Abs. 1 ThürKWG genügt im übrigen gerade noch den rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernissen. Zwar bedarf die Vorschrift der Auslegung. Sie ist in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt jedoch so formuliert, daß Rechtsanwender und Betroffene gleichermaßen unter Anwendung der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden und vor allem im Hinblick auf die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zu entsprechenden kommunalwahlrechtlichen Vorschriften anderer Bundesländer in der Lage sind, die gesetzgeberische Entscheidung zu konkretisieren, die Rechtslage zu erkennen und ihr Verhalten danach einzurichten. Nach dem Wortlaut enthält § 31 Abs. 1 ThürKWG explizit keine Pflicht zur Begründung einer Wahlanfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist mit der Folge einer materiellen Präklusion für verspätet vorgebrachte Einspruchsgründe. Der Normklarheit und insbesondere der Verständlichkeit für den Bürger ist dies nicht zuträglich. Eine Form- und Fristbestimmung sollte nach dem heutigen Stand der Regeln für die Gestaltung von Gesetzestexten klarer gefaßt sein. Dies gilt zumal dann, wenn wie im vorliegenden Fall formale Ausschlußtatbestände betroffen sind. Aus der hier fraglichen gesetzlichen Regelung und ihrer Zielsetzung ergeben sich indessen ausreichende und richtungsweisende Gesichtspunkte, so daß der Norminhalt im Wege der Auslegung und unter Hinzuziehung der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung zu entsprechenden kommunalwahlrechtlichen Vorschriften anderer Bundesländer hinreichend konkretisiert werden kann. Es entspricht ferner dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom 15. April 1993, Begründung zu §31 und § 3 2 ThürKWG, LT-Drs. 1/2150), daß auch in Thüringen ein im Rechtsstaatsprinzip LVerfGE 10

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verankertes, öffentliches Interesse besteht, daß über die Frage der Gültigkeit einer (Kommunal-)Wahl beschleunigt Klarheit geschaffen wird und es sich bereits nach dem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift ergibt, daß eine Wahlanfechtung nur dann Erfolg haben kann, wenn der Einspruch innerhalb einer Anfechtungsfrist durch Angabe konkreter Tatsachen die einen erheblichen Verstoß gegen Wahlvorschriften schlüssig erkennen lassen, substantiiert begründet wird (vgl. Büchner/Uckel, KommunalWahlrecht in Thüringen, Kommentar für den Praktiker, Erläuterungen zu § 31 ThürKWG Rdn. 5 m.w.N.; Oehler, Kommunalverfassungsrecht Thüringen, — Kommentare —, Erläuterungen zu § 31 ThürKWG Ziff. 3.1 m.w.N.). Die zeitnahe Prüfung eines behaupteten Verstoßes ist überhaupt nur möglich, wenn die schriftliche Erklärung, mit der eine Wahl angefochten wird, erkennen läßt, welchen wahlrechtlichen Verstoß der Anfechtende rügen will und die Tatsachen hinreichend genau anführt, auf die sich die Anfechtung stützt. Die Frist zur Anfechtung der Feststellung des Wahlergebnisses dient ebenfalls dem Zweck, im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens eine rasche Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl zu ermöglichen. Dies zeigen auch die ergänzenden Regelungen in § 37 Abs. 2 ThürKWG. Die Festlegung einer kurzen Anfechtungsfrist von zwei Wochen mit ausschließender Wirkung des § 31 Abs. 1 ThürKWG ist in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen unbedenklich. Die gesetzliche Regelung in § 31 Abs. 1 ThürKWG stellt — auch bei Berücksichtigung der Bestimmungen in § 37 Abs. 2 ThürKWG - an die Erhebung einer Wahlanfechtung keine unzumutbaren Anforderungen. Dem Wahlberechtigten oder dem Bewerber ist es unschwer möglich, seine Anfechtungsgründe binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung der Feststellung des Wahlergebnisses bei der Rechtsaufsichtsbehörde geltend zu machen, wie das Gesetz es verlangt. Diesbezüglich ist davon auszugehen, daß — soweit Anhaltspunkte für Verstöße gegen wahlrechtliche Vorschriften bei einer Wahl bestehen — die zugrundeliegenden Tatsachen im Einzelfall bis zur Bekanntmachung der Feststellung des Ergebnisses der Wahl soweit erkennbar und einer Beweiserhebung zugänglich sind, daß es ohne weiteres innerhalb einer Frist von zwei Wochen möglich ist, die zu rügenden Verstöße in bestimmter und sofort überprüfbarer Weise durch konkrete Tatsachen zu belegen. Dies gilt umso mehr, als der Anfechtende zum Zwecke der Erhebung einer Wahlanfechtung die geltend gemachten Wahlrechtsverstöße nicht in ihrer rechtlichen Bedeutung würdigen oder einordnen muß. Es bedarf keiner juristischen Ausführungen, deren Bearbeitung im Einzelfall zeitintensiv und dem juristischen Laien gegebenenfalls ohne Inanspruchnahme fachlicher Beratung nicht möglich wäre. Dem Ziel, die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl alsbald zu klären, würde es allerdings widersprechen, wenn der Anfechtende auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist immer neue Gründe gegen die Gültigkeit der Wahl vorbringen LVerfGE 10

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könnte. Das gesamte Wahlverfahren ist im überwiegenden öffentlichen Interesse an die Einhaltung bestimmter Fristen gebunden. Dies ergibt sich eindeutig aus zahlreichen Vorschriften des Thüringer Kommunalwahlgesetzes und der Thüringer Kommunalwahlordnung, die den ordnungsgemäßen Vollzug einer Wahl sichern. Wenn § 31 Abs. 1 ThürKWG nach Durchführung der Wahl jedem Wahlberechtigten ein Anfechtungsrecht gegen die Feststellung des Wahlergebnisses und damit gegen die Gültigkeit der Wahl gewährt, so kann die hierfür vorgesehene Anfechtungsfrist nur den Sinn haben, daß lediglich bis zu deren Ablauf die die Anfechtung begründenden Tatsachen vorgebracht werden können, es sei denn, daß es sich um ein die bis dahin geltend gemachten Einspruchsgründe lediglich ergänzendes und erläuterndes Vorbringen handelt (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1989, 496 f. m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn die Versäumung auf einer unrichtigen Angabe der Rechtsaufsichtsbehörde zurückzuführen wäre (vgl. BayVGH n.F. 20,122). Auch der Rechtsvergleich mit den entsprechenden Vorschriften anderer Bundesländer zeigt, daß die hier fraglichen Regelungen nach Wordaut und Inhalt keine Sonderstellung einnehmen. So sehen die entsprechenden Vorschriften z. B. in Bayern (Art. 48 BayGLKrWG), Hessen (§ 25 HessKWG) und Rheinland-Pfalz (§§ 53, 48 KWG Rh.-Pf.) auch keine ausdrückliche Begründungspflicht binnen einer ebenfalls zweiwöchigen bzw. 14-tägigen Wahlanfechtungsfrist vor. Im übrigen gelten auch dort Vorschriften, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen und die Frist- und Terminbestimmungen abweichend von den Vorschriften des BGB regeln (z. B.: Art. 52 Abs. 2 BayGLKrWG, § 75 KWG Rh.-Pf.). Die Rechtsprechung geht auch für diese Vorschriften ohne weiteres von einer Pflicht zur Begründung einer Wahlanfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist und einer materiellen Präklusion für verspätetes Vorbringen aus (vgl. Hessischer VGH, NVwZ-RR 1998, 127 m.w.N.; OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 1991, 659, 660). Im Kommunalwahlrecht von Baden-Württemberg ist ein Einspruch gegen die Wahl sogar nur binnen einer Woche nach der öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses möglich. Auch diese Frist wird von der Rechtsprechung als ausreichend angesehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, ESVGH 42,161,163). Im übrigen hat die Rechtsaufsichtsbehörde verspätetes Vorbringen unter Umständen im Rahmen der auch von Amts wegen und kumulativ zu Wahlanfechtungsverfahren möglichen Prüfung der Wahlhandlungen nach § 32 Abs. 2 ThürKWG mit heranzuziehen und zu berücksichtigen, so daß mittelbar der Schutz subjektiver Wahlrechte zusätzlich verstärkt wird. dd) Vor diesem Hintergrund ist gegen die Auslegung des § 31 Abs. 1 ThürKWG durch die Fachgerichte, nach der das Vorbringen von Wahlanfechtungsgründen zeitlich beschränkt ist und verspätetes Vorbringen materiell LVerfGE 10

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präkludiert ist, von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Die Auslegung der Vorschrift durch das Thüringer Oberverwaltungsgericht und das Verwaltungsgericht Gera ist mit den Grundrechtsnormen der Verfassung des Freistaats Thüringen und der in ihnen aufgerichteten Wertordnung vereinbar. 3. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht verletzt mit der von den Beschwerdeführern angegriffenen Entscheidung nicht das durch Art. 2 Abs. 1 ThürVerf gewährleistete Willkürverbot. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet Rechtsanwendungsgleichheit als eine Grundforderung des Rechtsstaates. Es ist den Gerichten verwehrt, bestehendes Recht zugunsten oder zu Lasten einzelner Personen oder Personengruppen nicht anzuwenden (vgl. BVerfGE 66, 331, 335 f.). Das schließt nicht aus, daß die Gerichte das geltende Recht fortbilden (vgl. BVerfGE 19, 38, 47). Bei der gerichtlichen Rechtsanwendung wird der Gleichheitssatz auch nicht durch eine verschiedenartige Auslegung derselben Bestimmung durch verschiedene erkennende Gerichte bzw. durch das gleiche Gericht verletzt. Es könnte sich lediglich in dem einen Fall der voneinander abweichenden Entscheidungen um eine unrichtige Entscheidung handeln (vgl. BVerfGE 1, 82, 85). Die im Bereich der Rechtsanwendung durch die Verwaltung geltenden Grundsätze und Folgerungen aus dem Gleichbehandlungsgebot können jedenfalls nicht ohne weiteres auf Entscheidungen der Gerichte übertragen werden. Dies würde dazu führen, daß die Gerichte an eine einmal feststehende Rechtsprechung gebunden wären, auch wenn diese sich im Licht geläuterter Erkenntnis oder angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht haltbar erweisen sollte. Es kann insoweit dahinstehen, ob im vorliegenden Fall überhaupt eine Ungleichbehandlung vorliegt und das erkennende Gericht von tragenden Gründen einer früheren Entscheidung abgewichen ist, obwohl tatsächliche Unterschiede bezüglich der zugrundeliegenden Sachverhalte nicht festgestellt werden können bzw. obwohl eine Ungleichbehandlung trotz festgestellter Unterschiede sachlich nicht begründet werden kann und damit nicht vertretbar ist. Dies ist bereits fraglich, da das Thüringer Oberverwaltungsgericht in der fraglichen Entscheidung (Urt. v. 20. Juni 1996, ThürVBl. 1997,110-114), nach dem es u. a. § 52 Satz 1 ThürKWO geprüft und festgestellt hat, daß dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, auch in seiner Argumentation zur Anwendung des § 52 Satz 2 ThürKWO ganz auf den konkreten Einzelfall abstellt. Jedenfalls kann für die vorliegend fragliche Rechtsanwendung und -auslegung des Thüringer Oberverwaltungsgerichts nach dem bisher Dargelegten nicht festgestellt werden, daß sie bei einer verständigen Würdigung der die Verfassung des Freistaates Thüringen beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhe. LVerfGE 10

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c. Aufgrund § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG ergeht die Entscheidung kostenfrei. Die Anordnung der teilweisen Erstattung von Auslagen gem. § 29 Abs. 2 ThürVerfGHG ist angezeigt, weil nicht auszuschließen ist, daß die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer möglicherweise durch die — gerade noch verfassungsgemäße - Fassung des § 31 Abs. 1 ThürKWG mit verursacht waren. Der Gesetzgeber könnte sich insoweit veranlaßt sehen, die fragliche Norm zu überarbeiten und in einer für den Bürger eindeutigeren Form neu zu regeln.

Nr. 2 1. Antragsgegner eines Organstreitverfahrens betreffend die vom Altestenrat durch Ermächtigung des Gesetzgebers erlassenen Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz ist der Landtag selbst. 2. Die Frist für ein Organstreitverfahren beginnt zu laufen, wenn die angegriffene Maßnahme endgültig und dem Antragsteller bekannt geworden ist. Endgültig ist die Maßnahme dann, wenn der Antragsteller davon ausgehen kann, daß die aus seiner Sicht durch die Maßnahme veränderte Rechtslage Bestand hat und nicht mehr z. B. durch Gegenvorstellungen abänderbar ist. Bekanntgeworden i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG ist die (endgültige) Maßnahme, wenn unter gewöhnlichen Umständen mit ihrer Kenntnisnahme durch den Antragsteller gerechnet werden kann. Auf die Feststellung der Kenntnis in jedem Einzelfall kann es dabei aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ankommen. 3. Die Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz haben ihre Endgültigkeit mit der Beschlußfassung im Altestenrat am 10. März 1998 erlangt. 4. Zur Frage, wann der Erlaß der Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz den Antragstellern i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG bekanntgeworden ist. Verfassung des Freistaats Thüringen Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz § 39 Abs. 3 Thüringer Abgeordnetengesetz §§ 48, 60 Abs. 6 LVerfGE 10

Überprüfung v. Fraktionsmitarbeitem bzgl. Zusammenarbeit mit MfS/AfNS

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Beschluß vom 11. März 1999 - VerfGH 1 2 / 9 8 in dem Organstreitverfahren von vier Mitgliedern des Thüringer Landtags und der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag betreffend den Erlaß einer der vom Altestenrat des Thüringer Landtags beschlossenen Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz wegen der Uberprüfung der Fraktionsmitarbeiter auf Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS der ehemaligen D D R Entscheidungsformel: Die Anträge werden verworfen. Gründe: A. Die Antragsteller wenden sich gegen den Erlaß einer der vom Ältestenrat des Thüringer Landtags beschlossenen „Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz vom 2. April 1998" (GVB1. S. 108). I. Am 7. Februar 1991 wurde das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Thüringer Landtags (Thüringer Abgeordnetengesetz; GVB1. S. 27, geändert durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Thüringer Landtags vom 6. April 1992, GVB1. S. 99) verkündet. Durch Art. 1 Nr. 30 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Abgeordnetengesetzes vom 28. Februar 1995 (GVB1. S. 109) wurde in das Thür.AbgG ein neuer sechster Teil „Rechtsstellung und Finanzierung der Fraktionen" eingefügt, in dessen erstem Abschnitt „Fraktionen" sich in § 45 eine Vorschrift über Fraktionsmitarbeiter befindet. Absatz 1 dieses § 45 lautet wie folgt: „Die Fraktionen dürfen nur Mitarbeiter beschäftigen, die nicht wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtungen zusammengearbeitet haben."

Diese Vorschrift trat gem. Art. 3 des 2. ÄndGThürAbgG mit Wirkung vom 1. Januar 1995 in Kraft. Gemäß der Ermächtigung nach Art. 2 des 2. ÄndGThürAbgG machte der Präsident des Thüringer Landtags den Wordaut des Thüringer Abgeordnetengesetzes in der geänderten Fassung mit neuem Datum, in neuer Paragraphenfolge und mit neuer Inhaltsübersicht bekannt

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(GVB1. S. 121 ff.). Aufgrund der neuen Paragraphenfolge wurde der bisherige § 45 zum nunmehrigen § 48 ThürAbgG; § 42 Abs. 6 a. F., wonach dem Ältestenrat der Erlaß im Gesetz- und Verordnungsblatt zu veröffentlichender Ausfüihrungsbestimmungen zum ThürAbgG übertragen wurde, wurde zum jetzigen § 60 Abs. 6 ThürAbgG. Mit Vorlage 2/47 teilte die Thüringer Landtagsverwaltung den Mitgliedern des Ältestenrats unter dem 6. Februar 1997 mit, daß Art. 1 Nr. 4 des Dritten Änderungsgesetzes zum Stasi-Unterlagen-Gesetz vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I S. 2026) nunmehr die Möglichkeit zur Uberprüfung von Fraktionsmitarbeitern eröffne. Von dieser Möglichkeit sei mit Rücksicht auf § 48 Abs. 1 ThürAbgG Gebrauch zu machen. Das dort geregelte Gebot, ausschließlich unbelastete Mitarbeiter zu beschäftigen, enthalte unausgesprochen die Verpflichtung, sich durch eine Uberprüfung der Fraktionsmitarbeiter von deren Unbelastetsein zu überzeugen. Die Frage, von wem die Uberprüfung durchzuführen sei — von den Fraktionen selbst oder vom Landtagspräsidenten —, sei im Thüringer Abgeordnetengesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es spreche jedoch einiges dafür, daß die Fraktionen die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Uberprüfung ihrer Mitglieder hätten. Es sei empfehlenswert, den Landtagspräsidenten durch Informationspflichten der Fraktionen in das Uberprüfungsverfahren mit einzubeziehen. Diese Verpflichtung der Fraktionen könnte der Ältestenrat beschließen. Ein derartiger Beschluß ließe sich als Ausführungsfestlegung zum Abgeordnetengesetz und damit als Vorgriff auf die noch zu erlassenden Ausführungsbestimmungen nach § 60 Abs. 6 ThürAbgG verstehen. In seiner Sitzung am 18. Februar 1997 faßte der Ältestenrat daraufhin mehrheitlich den folgenden Beschluß: „1. Der Altestenrat fordert die Fraktionen auf, alle bei ihnen angestellten Personen unverzüglich vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R daraufhin überprüfen zu lassen, ob sie wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtungen zusammengearbeitet haben. 2.

Der Altestenrat fordert die Fraktionen des weiteren auf,

2.1. dem Landtagspräsidenten verbindlich mitzuteilen - daß sie ihre Mitarbeiter auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R haben überprüfen lassen, - daß sie bei der Beurteilung der Überprüfungsergebnisse die für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes geltenden Kriterien für die Bewertung einer Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst entsprechend angewendet haben, - wie ihre Gesamtbewertung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls ausgefallen ist,

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- daß sie die Arbeitsverhältnisse mit nach vorerwähnten Kriterien als belastet geltenden Mitarbeitern aufgelöst haben und - daß sie im übrigen nur Personen beschäftigen, die nicht wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet haben; 2.1. diese Mitteilungen im Falle eines Personalwechsels zu aktualisieren. (•••)•"

Mit Schreiben vom 26. Februar 1997 informierte der Präsident des Thüringer Landtags die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen über den Beschluß des Ältestenrats und bat darum, den Aufforderungen gemäß den Punkten 1 und 2 des Ältestenratsbeschlusses alsbald nachzukommen. In der 39. Sitzung des Ältestenrats am 16. Dezember 1997 erklärte der der Antragstellerin zu 5) angehörende Abgeordnete Höpcke, daß nicht alle PDS-Fraktionsmitarbeiter mit einer Überprüfung durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R einverstanden gewesen seien; seine Fraktion sei von dem „Prinzip der eigenen Bereitschaftserklärung" ausgegangen. In seiner 42. Sitzung am 10. März 1998 beschloß der Ältestenrat schließlich aufgrund der Vorlage der Landtagsverwaltung 2/63, in der das Datum des Inkrafttretens offengelassen ist, die Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz, unter deren Art. 1 Nr. 14.1 sich die hier in Streit stehenden Regelungen befinden. Ein Beschluß über das Inkrafttreten ist in dem Protokoll nicht verzeichnet. An der Ältestenratssitzung nahmen die Mitglieder der PDSFraktion Vizepräsident des Landtags MdL Dr. Hahnemann und MdL Höpcke teil. Die Ausführungsbestimmungen wurden am 2. April 1998 vom Präsidenten des Thüringer Landtags unterzeichnet und im Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen vom 27. April 1998 (S. 108 ff.) veröffentlicht; Art. 2 der Ausführungsbestimmungen sieht vor, daß sie mit dem 14. Tag nach Ablauf des Veröffentlichungstages in Kraft treten, mithin dem 11. Mai 1998. Die hier in Rede stehenden Vorschriften lauten: „14.1.1 Die Fraktionen haben alle bei Inkrafttreten dieser Ausführungsbestimmungen bei ihnen angestellten Mitarbeiter sowie die zur Einstellung vorgesehenen Personen vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen D D R (Bundesbeauftragter) daraufhin überprüfen zu lassen, ob sie wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtungen (Staatssicherheitsdienst) zusammengearbeitet haben. 14.1.2

Die Fraktionen haben dem Präsidenten des Landtags verbindlich mitzuteilen, a) daß sie ihre Mitarbeiter auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst vom Bundesbeauftragten haben überprüfen lassen,

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Thüringer Verfassungsgerichtshof b) daß sie bei der Beurteilung der Überprüfungsergebnisse die für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes geltenden Kriterien für die Bewertung einer Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst entsprechend angewendet haben, c) wie ihre Gesamtbewertung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles ausgefallen ist, d) daß sie die Arbeitsverhältnisse mit nach vorerwähnten Kriterien als belastet geltenden Mitarbeitern aufgelöst haben und e) daß sie im übrigen nur Personen beschäftigen, die erklärt haben, nicht wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet zu haben, und deren diesbezügliche Erklärung durch die Uberprüfung und Bewertung nach Buchstabe a und b — durchgeführt auf der Grundlage der zum Prüfungszeitpunkt erschlossenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes — bestätigt worden ist. Die Fraktionen haben diese Mitteilungen im Falle eines Personalwechsels zu aktualisieren."

II. Am 2. Oktober 1998 haben die Antragsteller die vorliegende Organstreitigkeit beim Thüringer Verfassungsgerichtshof anhängig gemacht. Die Antragsteller zu 1)—4) sind Mitglieder des Thüringer Landtags in der 2. Wahlperiode. Sie gehören der Fraktion der „Partei des Demokratischen Sozialismus" an, die Antragstellerin zu 5) ist. Ausweislich des Handbuchs des Thüringer Landtags, 2. Wahlperiode, Nr. 7 „Fraktionen", ist die Antragstellerin zu 1) Vorsitzende der Antragstellerin zu 5); der Antragsteller zu 2) ist Stellvertreter der Antragstellerin zu 1). Die Antragstellerin zu 4) ist parlamentarische Geschäftsführerin; der Antragsteller zu 3) ist deren Stellvertreter. Nach der von der Antragstellerin zu 5) vorgelegten Geschäftsordnung gehören dem Fraktionsvorstand an: Die/der Vorsitzende, die/der stellvertretende Vorsitzende, die/der parlamentarische Geschäftsführer(in), die/der stellvertretende parlamentarische Geschäftsführer(in). Die Antragsteller machen geltend, durch Art. 1 Nr. 14.1.1 und 14.1.2 der Ausführungsbestimmungen zu § 48 ThürAbgG in dem verfassungsrechtlichen Status als Abgeordnete gem. Art. 53 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993 sowie in den verfassungsmäßigen Rechten als Fraktion gemäß Art. 58 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 ThürVerf verletzt zu werden. Soweit die Antragsteller in der Antragsschrift vom 30. September 1998 auch Art. 1 Nr. 14.2. der Ausführungsbestimmungen angegriffen haben, verfolgen sie diesen Antrag nicht weiter.

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Überprüfung v. Fraktionsmitarbeitern bzgl. Zusammenarbeit mit MfS/AfNS 505 Die Zulässigkeit ihrer Anträge begründen die Antragsteller wie folgt: Die Antragsteller zu 1) bis 4) machen geltend, die vom Antragsgegner in den Ausführungsbestimmungen zum ThürAbgG konstituierte Pflicht der Fraktionen zur Uberprüfung ihrer Mitarbeiter auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS verletze sie in ihrem Status als Abgeordnete und beeinträchtige sie in ihrem Recht gemäß Art. 58 ThürVerf, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Die Antragstellerin zu 5) macht geltend, sie werde als in der Geschäftsordnung des Landtags mit eigenen Zuständigkeiten ausgestattetes Organ in ihrem Anspruch auf eine ihren besonderen Aufgaben entsprechende Ausstattung gemäß Art. 58 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 ThürVerf verletzt. Die Antragsfrist des § 39 Thüringer Verfassungsgerichtshofgesetz, die mit der Veröffentlichung der Ausführungsbestimmungen am 27. April 1998 im Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen in Gang gesetzt worden sei, sei eingehalten. Aus der Tatsache, daß sie sich im Ältestenrat an den Beratungen zum Erlaß der hier in Rede stehenden Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz beteiligt hätten, folge nicht, daß die Bestimmungen ihnen vor dem Tage ihrer Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen am 27. April 1998 bekanntgeworden seien. Der Beschluß des Ältestenrats vom 18. Februar 1997 sei weder der Form noch dem Inhalt nach geeignet, Pflichten der Antragsteller zu begründen. § 60 Abs. 6 ThürAbgG sehe ausdrücklich vor, daß der Ältestenrat Durchführungsvorschriften nur in Form von Ausführungsbestimmungen erlassen könne. An dieser Form habe es dem Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 gefehlt. Im übrigen werde darin nur ein politisches Gebot postuliert, es würden jedoch keine rechtlichen Pflichten begründet. Die in Rede stehenden Vorschriften stellten auch nicht lediglich eine redaktionell überarbeitete Fassung des Ältestenratsbeschlusses vom 18. Februar 1997 dar. Die Frist des § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG sei auch weder durch die Verhandlungen der Antragsteller im Ältestenrat zu diesem Gegenstand noch durch die freiwillige Überprüfung von Fraktionsmitarbeitern durch die Antragstellerin zu 5) in Gang gesetzt worden. Rechtliche Bindungswirkung hätten die Ausführungsbestimmungen erst mit ihrer Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt erlangt. Denn erst dann hätten sie alle vorgesehenen Verfahrensschritte durchlaufen und seien förmlich „in der Welt". Vor diesem Zeitpunkt hätte der Landtagspräsident die Bekanntmachung wegen möglicher verfassungsrechtlicher Bedenken verweigern können, so daß die Ausführungsbestimmungen keine rechtliche Relevanz erlangt hätten und ein Organstreitverfahren unzulässig gewesen wäre. Vor der Veröffentlichung entfalteten die Vorschriften zudem keine Außenwirkung. Eine andere rechtliche Beurteilung nähme ihnen (den Antragstellern) ihren verfassungsrechtlichen Rechtsschutz, wenn die Veröffentlichung der Bestimmungen erst nach Ablauf der Frist des § 39 LVerfGE 10

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Abs. 3 (Satz 1) ThürVerfGHG erfolgte. Der Antrag sei auch nicht im Hinblick auf § 48 Abs. 1 ThürAbgG unzulässig. Denn eine Verpflichtung der Fraktionen, ihre Mitarbeiter durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR überprüfen zu lassen, habe sich auch nicht bereits aus dieser Norm ergeben. § 48 Abs. 1 ThürAbgG schränke die Fraktionen zwar in ihrer Entscheidung über Anstellung und Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern ein, sie lasse jedoch offen, auf welchem Weg die dazu notwendigen Informationen eingeholt würden. Der Antrag sei auch insoweit zulässig, als sie hilfsweise geltend machten, die in Rede stehenden Ausführungsbestimmungen verstießen gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere §§ 20 Abs. 1 Nr. 6 lit. d), 21 Abs. 1 Nr. 6 lit. d) Stasi-Unterlagen-Gesetz, welches durch die Einbindung Thüringens als Land der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 44 Abs. 1 ThürVerf auf die Interpretation der Thüringer Verfassung ausstrahle. In der Sache führen die Antragsteller aus: Die hier betroffenen Ausführungsbestimmungen verstießen gegen das Recht der Antragstellerin zu 5) auf autonome Bestimmung ihrer inneren Strukturen und Arbeitsweise durch die Abgeordneten, die sich gemäß Art. 58 ThürVerf in ihr zusammengeschlossen haben, sowie gegen das Recht auf autonome Gestaltung der Arbeitsverhältnisse mit den Fraktionsmitarbeitern. Es werde auch in die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses eingegriffen, die zum verfassungsrechtlich geregelten Status der Fraktion selbst gehöre, da der Fraktion durch die Ausführungsbestimmungen zusätzliche Verpflichtungen auferlegt würden, die für die Mandatsausübung außerhalb der Fraktion nicht gelte. Ferner werde gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Oppositionsfraktionen sowie gegen den Anspruch auf eine zur Erfüllung der Aufgaben erforderliche Ausstattung gemäß Art. 59 Abs. 2 ThürVerf verstoßen. Die Antragsteller zu 1) bis 4) seien in ihrem verfassungsrechtlichen Status als Abgeordnete, insbesondere in dem Recht aus Art. 58 ThürVerf verletzt. Die Ausführungsbestimmungen verpflichteten sie als Angehörige der Antragstellerin zu 5) indirekt, die Fraktionsorgane mit der Durchführung der Maßnahmen zu beauftragen und sich entsprechend ihrer Stellung in der Organisation der Fraktion an diesem Verfahren zu beteiligen, da § 3 Abs. 3 der Fraktionsgeschäftsordnung vorsieht, daß Entscheidungen in Personalangelegenheiten der Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten bedürfen. Der Thüringer Landtag hält die gegen ihn gerichteten Anträge für unzulässig. Die Unzulässigkeit folge schon daraus, daß die Antragsfrist des § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG, wenn nicht bereits mit Verkündung des ThürAbgG im März 1995, so jedenfalls mit dem Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 zu laufen begonnen habe und daher spätestens im August 1997 verstrichen sei. Die Verpflichtung der Fraktionen zur Uberprüfung ihrer Mitarbeiter ergebe sich aus LVerfGE 10

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§ 48 Abs. 1 ThürAbgG. Das dort geregelte Verbot, nur unbelastete Mitarbeiter bei den Fraktionen zu beschäftigen, dürfte unausgesprochen eine Verpflichtung für die Fraktionen zur Durchführung des Uberprüfungsverfahrens enthalten. Das Gebot könne nur erfüllt werden, wenn sich die Fraktionen durch eine Überprüfung ihrer Beschäftigten von deren Unbelastetheit überzeugt hätten. Von dem Gebot des § 48 Abs. 1 ThürAbgG hätten die Antragsteller mit der Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Abgeordnetengesetzes im März 1995 Kenntnis erlangt. Es hätte keiner weiteren Maßnahme des Antragsgegners bedurft, um eine Kenntnis der Antragsteller von dieser Verpflichtung zu begründen. Jedenfalls ergebe sich die Verpflichtung zur Durchführung des Uberprüfungsverfahrens aus Nr. 1 des Ältestenratsbeschlusses vom 18. Februar 1997. Die Antragsteller hätten bereits seit dem 19. Februar 1997 Kenntnis davon, daß die Antragstellerin zu 5) zur Durchführung des Überprüfungsverfahrens und zur Mitteilung über das Verfahren und das Ergebnis der Überprüfung verpflichtet worden sei. Die Ausführungsbestimmungen seien weitestgehend mit dem Ältestenratsbeschluß identisch; die wenigen geringfügigen Abweichungen seien rein redaktioneller und klarstellender Art und führten insbesondere nicht zu einer Verschärfung der Verpflichtungen für die Fraktionen. Selbst wenn jedoch auf den Beschluß des Ältestenrats vom 10. März 1998 abgestellt werde, sei der Antrag verspätet gestellt. Denn die Kenntnis des Vertreters der Antragstellerin zu 5) von der Beschlußfassung müßten sich die Antragsteller zurechnen lassen. Da auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen sei, sei der Organstreit unzulässig. Dies gelte auch, soweit ein Verstoß gegen das Stasi-Unterlagen-Gesetz gerügt werde. Denn Gegenstand des Organstreits sei allein die Auslegung der Landesverfassung. B. Das Organstreitverfahren ist unzulässig, denn der Antrag ist nach Ablauf der Frist des § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG eingegangen. Diese Entscheidung trifft der Verfassungsgerichtshof gem. § 19 Satz 1 ThürVerfGHG einstimmig und ohne mündliche Verhandlung. I. Der beschrittene Rechtsweg ist zulässig: Die Zuständigkeit des Thüringer Verfassungsgerichtshofs für das vorliegende Organstreitverfahren ergibt sich aus Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 ThürVerf, §§ 11 Nr. 3, 38 ff. ThürVerfGHG vom 28. Juni 1994 (GVB1. S. 781, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes, des Thüringer Abgeordnetengesetzes, des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten und des Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetzes vom 15. Dezember 1998, GVB1. S. 423). Zwischen den VerLVerfGE 10

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fahrensbeteiligten besteht Streit über den Umfang der verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten von Abgeordneten sowie einer Fraktion des Thüringer Landtags. Die Antragsteller sind durch die Verfassung mit eigener Zuständigkeit ausgestattet (vgl. Art. 53, 58, 59 Abs. 2 ThürVerf) und als solche im vorliegenden Organstreit gemäß § 38 i.V.m. § 11 Nr. 3 ThürVerfGHG ebenso parteifähig wie der Thüringer Landtag als oberstes Verfassungsorgan. Der Antrag ist auch zutreffend gegen den Thüringer Landtag als Antragsgegner gerichtet. Gegenstand der Anträge ist zwar der Erlaß der Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz durch den Ältestenrat, und dieses Organ ist in der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags mit eigener Zuständigkeit i.S.d. § 11 Nr. 3 ThürVerfGHG ausgestattet, also eigenen Entscheidungsbefugnissen (vgl. §§ 17 Abs. 4 , 1 9 Abs. 1 und 4, 21 Abs. 1 Satz 2, 29 Abs. 1 Satz 5, 37 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 7, 52 Abs. 1 Satz 2, 54 Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5, 67 Abs. 3, 75 Abs. 2 Satz 2, 79 Abs. 1, 88 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3, 93 Abs. 6 Satz 2 GO-LT). Hier stehen jedoch nicht die erwähnten Entscheidungsbefugnisse des Ältestenrats nach der GO-LT in Rede, sondern die ihm vom Thüringer Landtag übertragene Zuständigkeit gemäß § 60 Abs. 6 ThürAbgG für den Erlaß der Ausführungsbestimmungen zum ThürAbgG. Geht es um derartige in der Gesetzgebungskompetenz des Landtags stehende und von diesem delegierte Zuständigkeiten außerhalb der GO-LT, so ist der Antrag nicht gegen den Ältestenrat selbst, sondern (wie hier zutreffend geschehen) gegen den Thüringer Landtag zu richten. II. Die erforderliche Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 5) ist gegeben; ob auch die Antragsteller zu 1) bis 4) antragsbefugt sind, erscheint zweifelhaft, kann aber letztlich dahinstehen. Gem. § 39 Abs. 1 ThürVerfGHG ist der Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Da die Bestimmungen der §§ 38 bis 41 ThürVerfGHG im wesentlichen dem Sechsten Abschnitt des BVerfGG entsprechen (vgl. Thüringer Landtag, Drs. 1/3205, S. 31 der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung betreffend das ThürVerfGHG), kann zur Auslegung der §§ 38 ff. ThürVerfGHG die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den betreffenden Vorschriften des BVerfGG herangezogen werden. Danach bedeutet „Geltendmachen" i.S.d. § 64 Abs. 1 BVerfGG, daß der Antragsteller tatsächliche Behauptungen substantiiert und schlüssig vortragen muß, die — ihre Richtigkeit unterstellt — eine Rechtsverletzung oder -gefahrdung durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners LVerfGE 10

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zumindest als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 2,143,168). Die Antragsteller sind also nur dann antragsbefugt, wenn sie schlüssig behaupten, daß sie und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und daß der Antragsgegner hieraus erwachsende eigene Rechte und Zuständigkeiten der Antragsteller durch die beanstandete Maßnahme oder ein Unterlassen möglicherweise verletzt oder unmittelbar gefährdet hat (vgl. BVerfGE 60, 319, 324). „Maßnahme" ist ein weit zu verstehender Begriff, der Normen, Einzelrechtsakte, Realakte einschließt (vgl. Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozeßrechts, Rdn. 951). Dabei muß es sich um eine rechtserhebliche Maßnahme handeln, d.h. eine solche, durch die der Antragsteller in seinem Rechtskreis konkret betroffen wird (vgl. BVerfGE 1, 208, 228f.). Maßnahmen in diesem Sinne sind z.B. der Erlaß einer Rechtsnorm (vgl. BVerfGE 1, 208, 220) oder der Erlaß einer Vorschrift der Geschäftsordnung, wenn sie beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslöst (vgl. BVerfGE 80,188, 209). Die von den Antragstellern angegriffene Maßnahme i.S.d. § 39 ThürVerfGHG ist der Erlaß der Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz. Die Antragstellerin zu 5) macht geltend, durch den Erlaß der hier in Rede stehenden Ausführungsbestimmungen in ihrem verfassungsmäßigen Recht als Fraktion verletzt zu sein. Parlamentsfraktionen sind notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (vgl. BVerfGE 2, 143, 160; 20, 56, 104; 43, 142, 147; 70, 324, 350). Sie sind im Organstreit zur Geltendmachung eigener Rechte befugt, wenn diese in der Verfassung verankert sind (vgl. BVerfGE 70, 324, 351). Gem. Art. 59 Abs. 2 ThürVerf haben Oppositionsfraktionen das Recht auf Chancengleichheit sowie Anspruch auf eine zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben erforderliche Ausstattung. Der Erlaß der hier in Rede stehenden Ausführungsbestimmungen betrifft die rechtlichen Rahmenbedingungen für die personelle Ausstattung der Fraktion und berührt die Antragstellerin zu 5) daher in ihrem verfassungsrechtlichen Status. Der Erlaß der Ausführungsbestimmungen besitzt auch die erforderliche Rechtserheblichkeit. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners haben die Ausführungsbestimmungen im Hinblick auf § 48 Abs. 1 ThürAbgG (bzw. § 45 Abs. 1 ThürAbgG a.F.) einen eigenständigen Regelungsgehalt. Zwar dürfen die Fraktionen schon nach dieser im Februar 1995 verabschiedeten Gesetzesvorschrift nur Mitarbeiter beschäftigen, die nicht wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Amt für Nationale Sicherheit oder Beauftragten dieser Einrichtungen zusammengearbeitet haben. Die Ausführungsbestimmungen gehen jedoch ihrem Inhalt nach über das aus § 48 Abs. 1 ThürAbgG resultierende Beschäftigungsverbot hinaus. Denn in dieser Vorschrift werden die Modalitäten der Feststellung einer solchen Belastung LVerfGE 10

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nicht geregelt. Den Ausführungsbestimmungen zum ThürAbgG kommt also ein über § 48 Abs. 1 ThürAbgG hinausgehender Regelungscharakter zu. Den hier in Rede stehenden Ausführungsbestimmungen mangelt es auch im Hinblick auf den Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 nicht an der erforderlichen Rechtserheblichkeit im oben beschriebenen Sinne. Dabei kann dahinstehen, ob der Beschluß (wie die Antragsteller unter Hinweis auf die darin gewählte Formulierung „Der Ältestenrat fordert die Fraktionen auf ..." meinen) lediglich Appellcharakter hat, woran jedenfalls im Hinblick darauf Zweifel bestehen, daß alle Fraktionen (zunächst einschließlich der Antragstellerin zu 5)) der Aufforderung gefolgt sind. Denn jedenfalls unterscheidet sich der Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 inhaltlich von den Ausführungsbestimmungen: Während der Ältestenrat nach Punkt 2.1., 5. Spiegelstrich des Ältestenratsbeschlusses vom 18. Februar 1997 die Fraktionen auffordert, dem Landtagspräsidenten verbindlich mitzuteilen, daß sie im übrigen nur Personen beschäftigen, die nicht wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet haben, bestimmt Art. 1 Nr. 14.1.2 lit. e) der Ausführungsbestimmungen, daß die Fraktionen dem Präsidenten des Landtags verbindlich mitzuteilen haben, daß sie im übrigen nur Personen beschäftigen, die erklärt haben, nicht wissentlich als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet zu haben, und deren diesbezügliche Erklärung durch die Uberprüfung und Bewertung nach Buchstabe a und b (der Nr. 14.1.2) — durchgeführt auf der Grundlage der zum Prüfungszeitpunkt erschlossenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes — bestätigt worden ist. Damit wurde in Art. 1 Nr. 14.1.2 lit. e) der Ausführungsbestimmungen gegenüber dem Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 eine zusätzliche Maßgabe für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens aufgenommen: Denn die Verpflichtung zur Einholung von Erklärungen der Fraktionsmitarbeiter, nicht wissentlich mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet zu haben, sehen ausdrücklich erstmals die Ausführungsbestimmungen vor, ohne daß diese Verpflichtung dem Sinn nach bereits dem Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 entnommen werden könnte. Es ist deshalb dem Antragsgegner nicht in der Auffassung zu folgen, daß die Abweichungen der Ausführungsbestimmungen von dem Ältestenratsbeschluß vom 18. Februar 1997 lediglich redaktioneller und klarstellender Art seien und nicht zu weitergehenden Verpflichtungen der Fraktionen führten. Demgemäß ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 5) zu bejahen. Hingegen erweist sich die Antragsbefugnis der Antragsteller zu 1) bis 4) als problematisch. Allerdings ergibt sich das nicht schon daraus, daß die durch den Erlaß der Ausführungsbestimmungen festgelegte Verpflichtung, die Fraktionsmitarbeiter LVerfGE 10

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beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR überprüfen zu lassen und dem Präsidenten des Landtags über die durchgeführten Maßnahmen zu berichten, allein den Fraktionen obliegt, nicht jedoch den der Fraktion angehörigen Abgeordneten. Denn für eine Verletzung i.S.d. § 39 Abs. 1 ThürVerfGHG ist nicht erforderlich, daß der Antragsteller der Adressat der Maßnahme ist oder die Maßnahme sonstwie zielgerichtet gerade gegen ihn erlassen ist (vgl. für § 64 Abs. 1 BVerfGG Clemens, in: Umbach/ Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, §§ 63, 64 Rdn. 146). Vielmehr reicht aus, wenn der eigene Status des Antragstellers davon mitbetroffen ist (vgl. BVerfGE 2,143,166). Dies ist jedoch hier im Hinblick auf die Antragsteller zu 1) bis 4) zweifelhaft. Bei Organklagen von Abgeordneten ist danach abzugrenzen, welche Ziele der Abgeordnete überhaupt aus eigenen Rechten heraus verfolgen kann (vgl. im Rahmen des § 64 Abs. 1 BVerfGG Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, §§ 63, 64 Rdn. 30). Die Rechtsstellung der Fraktion mag die tatsächlichen Mitwirkungsmöglichkeiten des ihr angehörenden Abgeordneten im parlamentarischen Verfahren beeinflussen. In seinen Rechten gegenüber dem Parlament ändert sich jedoch durch die Fraktionsbildung und die Fraktionszugehörigkeit nichts. Abgeordnete haben als Mitglieder einer Fraktion den gleichen Status wie fraktionslose Abgeordnete, denen keine mindere Rechtsstellung zugewiesen ist (vgl. für das GG BVerfGE 70, 324, 354). Aus der Zugehörigkeit des Abgeordneten zu einer Fraktion folgt nicht das Recht, deren etwaige Rechte im eigenen Namen im Organstreit zu verfolgen (BVerfG, aaO). Die Antragsteller zu 1) bis 4) machen geltend, durch die in den Ausführungsbestimmungen festgelegten Verpflichtungen in ihrem verfassungsrechtlichen Status als Abgeordnete verletzt zu sein. Das ergebe sich insbesondere aus dem freien Mandat, das den Abgeordneten u. a. sichere, die Art und Weise ihrer Entscheidungsvorbereitung selbst und ohne Einflußnahme Dritter zu gestalten. Außerdem beeinträchtige die Pflicht zur Überprüfung der Fraktionsmitarbeiter auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS die Freiheit der Abgeordneten, von ihrem Recht gemäß Art. 58 ThürVerf Gebrauch zu machen und sich in Fraktionen zusammenzuschließen. Ob sich daraus die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten der Antragsteller zu 1) bis 4) herleiten läßt, erscheint zweifelhaft: Soweit sich die Antragsteller zu 1) bis 4) auf ihr freies Mandat berufen, ist die Möglichkeit einer Rechtsverletzung von vornherein ausgeschlossen. Denn die aus Art. 53 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf abgeleitete Freiheit des Mandats (vgl. Linck, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Die Verfassung des Freistaats Thüringen, Art. 53 Rdn. 4) richtet sich gegen alle Maßnahmen, die den Bestand und die Dauer des Mandats beeinträchtigen und die inhaltlichen Bindungen der Mandatsausübung herbeiLVerfGE 10

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führen oder sanktionieren (vgl. BVerfGE 62, 1, 32). Darum geht es jedoch bei dem vorliegenden, die Verpflichtung zur Überprüfung der Fraktionsmitarbeiter betreffenden Sachverhalt nicht. Daran ändert sich auch nicht deshalb etwas, weil sich die Antragsteller zu 1) bis 4) als Fraktionsmitglieder an dem von den Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Uberprüfungsverfahren zu beteiligen haben, da Entscheidungen in Personalangelegenheiten gemäß § 3 Abs. 3 der Fraktionsgeschäftsordnung der Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten bedürfen. Denn diese rein fraktionsinterne Regelung vermag nichts daran zu ändern, daß hier (etwa im Unterschied zu entsprechenden Regelungen betreffend die Abgeordnetenmitarbeiter) keine Maßnahme in Rede steht, die den Bestand und die Dauer des Mandats der Antragsteller zu 1) bis 4) beeinträchtigt. Soweit sich die Antragsteller zu 1) bis 4) auf Art. 58 Abs. 1 ThürVerf berufen, erscheint die Möglichkeit einer Rechtsverletzung zweifelhaft. Nach dieser Vorschrift haben Abgeordnete der gleichen Partei oder Liste das Recht, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Die rechtliche Möglichkeit, überhaupt eine Fraktion zu bilden, verändert die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen nicht unerheblich. Diese Chance auf den verfassungsrechtlich anerkannten Fraktionsstatus gehört damit zugleich zum verfassungsrechtlichen Status derjenigen Abgeordneten, die sich zu seiner Fraktion zusammenschließen wollen (vgl. BVerfGE 43,142,149). Die Antragsteller zu 1) bis 4) machen geltend, durch die in den hier streitigen Ausführungsbestimmungen enthaltene Verpflichtung, die Fraktionsmitarbeiter auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS zu überprüfen, werde ihr Recht auf Zusammenschluß zu einer Fraktion eingeschränkt. Die Anwendung der Ausführungsbestimmungen zwinge sie, ihre Mitgliedschaft bei der Antragstellerin zu 5) aufzugeben, um sich nicht in den Gewissenskonflikt zu begeben, sich an einem von ihnen abgelehnten Verfahren beteiligen zu müssen. Es bestehen Bedenken, ob damit den Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 ThürVerfGHG Genüge getan ist. Denn abgesehen davon, daß die Antragsteller zu 1) bis 4) eine derartige Konsequenz offenbar zum ersten Mal im Rahmen der Begründung zur Antragsbefugnis der vorliegenden Organklage in Erwägung ziehen, erscheint zweifelhaft, ob die hier in Rede stehende Maßnahme den Gewährleistungsbereich des Art. 58 Satz 1 ThürVerf berührt. Denn das Recht von Abgeordneten der gleichen Partei oder Liste, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, wird durch den Erlaß der betreffenden Ausführungsbestimmungen nicht unmittelbar betroffen. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme, die die personelle Ausstattung der Fraktion als solcher und damit deren eigenes Recht aus Art. 59 Abs. 2 ThürVerf berührt, wonach die Oppositionsfraktionen das Recht auf Chancengleichheit sowie Anspruch auf eine zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben erforderlichen Ausstattung haben. Aus der Zugehörigkeit der Antragsteller zu 1) bis 4) folgt nicht das Recht, deren etwaige LVerfGE 10

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Rechte im eigenen Namen im Organstreit zu verfolgen (vgl. BVerfGE 70, 324, 354). Die Frage, ob die Antragsteller zu 1) bis 4) antragsbefugt sind, kann jedoch dahingestellt bleiben, weil der Antrag sowohl von der Antragstellerin zu 5) als auch den Antragstellern zu 1) bis 4) verspätet erhoben und daher unzulässig ist. III. Gem. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG muß der Antrag binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekanntgeworden ist, gestellt werden. Diese auf der Grundlage des Art. 80 Abs. 5 ThürVerf gesetzlich normierte Frist dient der Rechtssicherheit, weil eine streitig gewordene Rechte- und Pflichtenstellung eines Beteiligten i.S.d. § 11 Nr. 3 ThürVerfGHG alsbald geklärt werden muß. Es handelt sich um eine Ausschlußfrist, bei deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist (vgl. Thüringer Landtag, Drs. 1/3205, S. 32 der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung betreffend das ThürVerfGHG; s.a. BVerfGE 24,252,257f.; BVerfGE 80,188,210 zu § 64 Abs. 3 BVerfGG). Der erst am 2. Oktober 1998 beim Verfassungsgerichtshof eingegangene Antrag betreffend den Ältestenratsbeschluß vom 10. März 1998 ist danach verspätet erhoben worden. Das für den Fristbeginn maßgebliche Bekanntwerden setzt voraus, daß die Maßnahme „endgültig" und auch dem Antragsteller bekannt geworden ist (vgl. zu § 64 BVerfGG Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, §§ 63, 64 Rdn. 151). Endgültig ist die Maßnahme dann, wenn der Antragsteller davon ausgehen kann, daß die aus seiner Sicht durch die Maßnahme veränderte Rechtslage Bestand hat und nicht mehr z. B. durch Gegenvorstellungen abänderbar ist. Dementsprechend haben die hier in Rede stehenden Ausführungsbestimmungen ihre Endgültigkeit mit der Beschlußfassung im Ältestenrat am 10. März 1998 erlangt. Denn bereits in diesem Zeitpunkt standen die Verpflichtungen der Antragstellerin zu 5) eindeutig fest. Dem steht nicht entgegen, daß die Ausführungsbestimmungen erst am 2. April 1998 durch den Landtagspräsidenten ausgefertigt wurden. Denn diesem Akt kommt vorliegend rein formelle Wirkung zu; eine Prüfungskompetenz wie sie (jedenfalls in formeller Hinsicht) für Gesetze aus Art. 85 Abs. 1 ThürVerf abgeleitet wird, wonach der Landtagspräsident die verfassungsmäßig zustandegekommenen Gesetze ausfertigt und verkündet (vgl. dazu Linck, in: Linck/ Jutzi/Hopfe, Die Verfassung des Freistaats Thüringen, Art. 85 Rdn. 6) hatte der Landtagspräsident in bezug auf die Ausführungsbestimmungen nicht, da diese nach dem Wortlaut des § 60 Abs. 6 ThürAbgG vom Ältestenrat erlassen LVerfGE 10

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werden und hier ein wie für formelle Gesetze von der Verfassung vorgeschriebenes Rechtsetzungsverfahren nicht vorgesehen ist. Die Ausfertigung der Ausführungsbestimmungen durch den Landtagspräsidenten steht also nicht in Zusammenhang mit einer verfassungsrechtlichen Prüfungskompetenz nach Art. 85 ThürVerf, sondern beruht auf seiner Funktion als Vorsitzender des Ältestenrates. Ebensowenig wie durch die Ausfertigung sind die Ausführungsbestimmungen auch nicht erst mit der Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 27. April 1998 endgültig geworden. Zwar bestimmt das Bundesverfassungsgericht den Beginn der Klagefrist des (dem § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG entsprechenden) § 64 Abs. 3 BVerfGG im Falle des Erlasses einer Rechtsnorm grundsätzlich auf den Tag nach deren Verkündung (st. Rspr., vgl. BVerfGE 24, 252,258; 27,294,297; 67, 65,70). Jedoch beruht das darauf, daß die erforderliche Endgültigkeit eines Gesetzes erst nach Durchlaufen des Ausfertigungs- und Verkündungsverfahrens, in dem die Prüfungskompetenz des Parlamentspräsidenten zum Tragen kommt, erreicht wird (vgl. Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, §§ 63, 64 Rdn. 145). Im vorliegenden Fall war jedoch dafür — wie gesehen — kein Raum. Es führt hier auch zu keinem anderen Ergebnis, daß § 60 Abs. 6 ThürAbgG ausdrücklich bestimmt, die Ausführungsbestimmungen im Gesetz- und Verordnungsblatt zu veröffentlichen. Denn diese Anordnung ist für die Beurteilung der Endgültigkeit der Maßnahme im Rahmen von § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG ohne Belang. Angesichts der rein formellen Wirkung des Veröffentlichungsakts stand die Endgültigkeit der Ausführungsbestimmungen — wie gesehen — bereits mit der Beschlußfassung im Ältestenrat fest, so daß dem Einwand der Antragsteller, die erforderliche Außenwirkung sei erst mit der Veröffentlichung eingetreten, nicht zu folgen ist. In diesem Zusammenhang ist auch nicht auf Art. 2 der Ausführungsbestimmungen abzustellen, wonach die Regelungen mit dem 14. Tag nach Ablauf des Tages in Kraft treten, an dem sie im Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Thüringen veröffentlicht worden sind, mithin mit dem 11. Mai 1998. Denn bezeichnenderweise hat der Ältestenrat hierzu nichts beschlossen (ohne daß daraus jedoch gefolgert werden könnte, daß die Ausführungsbestimmungen noch nicht rechtsverbindlich wären; vielmehr handelt es sich offensichtlich um ein Versehen). Die Vorlage der Landtagsverwaltung an den Ältestenrat 2/63 enthält kein Datum für das Inkrafttreten; vielmehr ist die entsprechende Stelle bewußt offen gelassen. Ebensowenig verzeichnet das Sitzungsprotokoll eine diesbezügliche Entscheidung des Ältestenrats. Offenbar ist der im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlichte Zeitpunkt durch die Landtagsverwaltung in Anlehnung an die allerdings unmittelbar nur für Gesetze und Rechtsverordnungen geltende Regelung in Art. 85 Abs. 2 ThürVerf eingefügt worden, wonach Gesetze und Rechtsverordnungen mit dem 14. Tag nach Ablauf des Tages in LVerfGE 10

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Kraft treten, an dem sie verkündet worden sind, wenn nichts anderes bestimmt ist. An der Endgültigkeit des Ältestenratsbeschlusses ändert dieser Vorgang jedoch nichts. Im übrigen läßt § 39 ThürVerfGHG erkennen, daß die Organklage für den Fristbeginn an einen anderen Zeitpunkt anknüpft als die Verfassungsbeschwerde gegen Rechtssätze, die in der Regel erst mit Inkrafttreten der angegriffenen Regelung zulässig ist (vgl. zu § 90 BVerfGG BVerfGE 18,1,11 f.). Denn nach § 39 Abs. 1 ThürVerfGHG ist der Antrag bereits bei Geltendmachung einer unmittelbaren Gefährdung in eigenen Rechten möglich, und eine solche ist nicht erst mit Inkrafttreten der Rechtsnorm gegeben (vgl. Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, §§ 63, 64 Rdn. 145). Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Wirksamwerden von mit einer Organklage angefochtenen Geschäftsordnungsbestimmungen, wonach die Frist erst dann läuft, wenn die Vorschriften der Geschäftsordnung gegenüber dem Antragsteller wirken, d.h. wenn sie für ihn eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslösen (BVerfGE 80, 188, 209 f.), gebietet vorliegend keine andere rechtliche Beurteilung. Denn dort ging es um Bestimmungen, die an rechtliche Voraussetzungen anknüpfen, die sich in der Person des Antragstellers erst später verwirklichen, wie die Fraktionslosigkeit eines Abgeordneten nach dessen Ausschluß aus der Fraktion. Im Unterschied zu dem dortigen Sachverhalt steht hier jedoch der Erlaß von Regelungen in Rede, die bereits im Zeitpunkt des Beschlusses eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auslösen. Der (wie ausgeführt rechtsverbindliche) Ältestenratsbeschluß vom 10. März 1998 ist den Antragstellern gegenüber umgehend bekanntgeworden i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG. Bekanntgeworden i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG ist die (rechtsverbindliche) Maßnahme, wenn unter gewöhnlichen Umständen mit ihrer Kenntnisnahme durch den Antragsteller gerechnet werden kann. Auf die Feststellung der Kenntnis in jedem konkreten Einzelfall kann es dabei nicht ankommen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Aus Gründen der Rechtssicherheit ist es erforderlich, den gem. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG maßgeblichen Zeitpunkt des Bekanntwerdens der (rechtsverbindlichen) Maßnahme anhand generalisierender Kriterien festzulegen. Denn das Bekanntwerden eines Handelns stellt im vorliegenden Zusammenhang eine nur eingeschränkt überprüfbare Tatsache dar. Daher bedarf es zur Bestimmung des Beginns der Organklagefrist eindeutig und zweifelsfrei nachvollziehbarer Anknüpfungspunkte. Für § 64 Abs. 3 BVerfGG hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß ein Gesetz als mit der Verkündung allgemein bekanntgemacht gilt, ohne daß es erforderlich ist, die positive Kenntniserlangung des LVerfGE 10

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einzelnen zu ermitteln (vgl. BVerfGE 92, 80, 87). Dementsprechend ist es aus Gründen der Rechtssicherheit vorliegend sachgerecht darauf abzustellen, wann unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme durch die Antragsteller vom Ältestenratsbeschluß gerechnet werden konnte (vgl. auch BVerfGE 71,299, 303 f., wo das Bundesverfassungsgericht den Fristiauf des § 64 Abs. 3 BVerfGG im Falle eines Beschlusses eines Parlamentsausschusses auf den Tag nach der Beschlußfassung bestimmte). Nach diesem Grundsatz konnte hier mit einer umgehenden Kenntnisnahme des Beschlusses vom 10. März 1998 durch die Antragsteller gerechnet werden, so daß die am 2. Oktober 1998 erhobene Organklage nach Verstreichen der Sechs-Monats-Frist des § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG und damit verspätet erhoben ist. Dabei kann im Hinblick auf die Antragstellerin zu 5) und ihre Eigenschaft als Personenmehrheit bzw. Kollegialorgan dahingestellt bleiben, ob man für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt abstellt, von dem an es allen ihren Mitgliedern allgemein möglich war, von der Maßnahme oder Unterlassung Kenntnis zu nehmen (vgl. Maun^JSchmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, Stand: März 1998, § 64 Rdn. 36; Lechner/ Zuck, BVerfGG, 4. Aufl., § 64 Rdn. 10; ähnlich LeibhofyRupprecht, BVerfGG, § 64 Rdn. 7) oder auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme(möglichkeit) derjenigen numerischen Mehrheit abhebt, die nach den einschlägigen Vorschriften über die Einleitung des Organstreitverfahrens zu beschließen hat (vgl. Pestalo^a, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., § 7 Rdn. 41). Denn in beiden Fällen ist die vorliegende Organklage - ebenso wie im Hinblick auf die Antragsteller zu 1) bis 4) — verspätet: Dies ergibt sich schon aus dem Schriftsatz der Antragsteller vom 20. Dezember 1998, in dem sie ausführen: „... Die Antragsteller bestreiten nicht, daß sie Kenntnis besaßen von dem Ansinnen der Mehrheit der Mitglieder des Altestenrats, auf dem Wege des Erlasses von Ausführungsbestimmungen zum Thüringer Abgeordnetengesetz eine Pflicht aller Fraktionen zur Überprüfung ihrer Mitarbeiter durch den Bundesbeauftragten ... und zur Berichterstattung an den Präsidenten des Landtags zu konstituieren. Sie bestreiten ebensowenig, sich zu diesem Gegenstand im Altestenrat an den Beratungen beteiligt zu haben."

Die den hier in Rede stehenden Ausführungsvorschriften zugrunde liegende Problematik der Uberprüfung von Fraktionsmitarbeitern war seit langem Diskussionsgegenstand im Landtag. Sie mündete in den Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, in das eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zur Überprüfung auch der Fraktionsmitarbeiter aufgenommen werden sollte. Nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung empfahl die Landtagsverwaltung dem Altestenrat in der Vorlage 2/47 vom 6. Februar 1997 LVerfGE 10

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eine bestimmte Vorgehensweise bei der Mitarbeiterüberprüfung mit Beteiligung des Landtagspräsidenten. Der Altestenrat faßte daraufhin in seiner Sitzung am 18. Februar 1997 einen entsprechenden Beschluß. Auch in den nachfolgenden Sitzungen des Altestenrats war die Überprüfung der Fraktionsmitarbeiter ständiger Gegenstand ausführlicher Erörterungen (vgl. die Protokolle der Sitzungen vom 4. November und vom 16. Dezember 1997). Der Erlaß der Ausführungsbestimmungen zum ThürAbgG auf der Grundlage der Vorlage der Landtagsverwaltung zu den Ausführungsbestimmungen zum ThürAbgG war bereits Tagesordnungspunkt der Sitzung vom 16. Dezember 1997 und wurde einvernehmlich vertagt. Ausweislich des vorgelegten Protokolls war die Antragstellerin zu 5) mit zwei ihrer Mitglieder (dem Vizepräsidenten des Thüringer Landtags MdL Dr. Hahnemann und dem MdL Höpcke) in der Ältestenratssitzung am 10. März 1998, in der die Ausführungsbestimmungen beschlossen wurden, vertreten. Auch nach den Maßgaben der von den Antragstellern vorgelegten Fraktionsgeschäftsordnung war mit einer umgehenden Kenntnisnahme durch die Antragsteller zu rechnen. Nach § 3 Abs. 4 der Geschäftsordnung der Antragstellerin zu 5) tritt die Fraktionssitzung, die über die Politik der PDS-Fraktion und ihre Umsetzung im Landtag auf der Grundlage des Wahlprogramms der PDS entscheidet (vgl. § 3 Abs. 1) und der u. a. die Abgeordneten angehören (vgl. § 3 Abs. 3), einmal in jeder Sitzungswoche und darüber hinaus zu Beratungen aller wesentlichen politischen Vorgänge zusammen. Nach alledem und angesichts der grundsätzlichen Bedeutung, die die Antragsteller der Uberprüfung der Fraktionsmitarbeiter nach eigenem Bekunden beimessen, ist der Ältestenratsbeschluß der Antragstellerin zu 5) nach Überzeugung des Verfassungsgerichtshofs umgehend bekanntgeworden i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG. Dies gilt erst recht, wenn man (etwa im Hinblick auf § 10 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags, wonach die Fraktionen ihre weiteren Mitglieder im Ältestenrat benennen) allein auf die Kenntnis ihrer beiden Vertreter in der Sitzung des Ältestenrats vom 10. März 1998 abstellt und allein deren Wissen für ein Bekanntwerden i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG für ausreichend hält. Auch den Antragstellern zu 1) bis 4) ist der Ältestenratsbeschluß nach Überzeugung des Verfassungsgerichtshofs umgehend bekanntgeworden i.S.d. § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG. Sie alle gehörten im hier maßgeblichen Zeitpunkt dem Fraktionsvorstand der PDS an und waren damit an maßgeblicher Stelle in den Willensbildungsprozeß der Fraktion eingebunden. Abgesehen davon sieht § 3 Abs. 5 der PDS-Fraktionsgeschäftsordnung ausdrücklich vor, daß sich die Abgeordneten der Fraktion in der Regel dienstags, mittwochs und donnerstags in Erfurt aufhalten, um eine kontinuierliche Arbeit zu gewährleisten. Mithin war die Sechs-Monats-Frist des § 39 Abs. 3 Satz 1 ThürVerfGHG verstrichen, als der Antrag der Antragsteller am 2. Oktober 1998 beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingegangen ist. LVerfGE 10

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c. Das Verfahren ist kostenfrei (§ 28 Abs. 1 ThürVerfGHG). Die Anordnung einer Auslagenerstattung war nicht veranlaßt (§ 29 Abs. 2 ThürVerfGHG).

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Sachregister Abgeordneter und Antragsbefugnis im Organstreitverfahren 510 ff Freies Mandat 511 Recht und Pflicht zur Antragsstellung 146 Abgeordnetenhaus s. Parlament Abhören, Aufzeichnen Einsatz technischer Mittel (Polizeirecht) 165 Abschiebung von Asylanten 82 ff Abschreckung und verdachtslose Eingriffe 354 f Abstimmung und fehlerhafte Antragsablehnung im Parlament 63 Abstimmungsverhalten Landtagsappelle an Mitglieder des Deutschen Bundestags 143 ff Abwasserbeseitigung Kommunale Selbstverwaltung 323 Ämtertrennung und Verbot der Aufgabenvermischung 44 Änderung eines bereits verabschiedeten Gesetzes 221 Änderung tatsächlicher Verhältnisse und Rechtskraft früherer Entscheidung 15 Änderungsgesetz Frist für eine Verfassungsbeschwerde 442 f, 476 Äquivalenzprinzip und Gebührenrecht 111 Ärztliche Untersuchung

Anordnung des Strafgerichts 232 ff Akustische Durchsuchung und Wohnraumschutz 191 Alimentation Beihilfefähige Aufwendungen im Krankheitsfall 263 ff Allgemeine Bedeutung Rechtswegerschöpfung und Ausnahme sofortiger Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde wegen — 153,219 Allgemeininteressen s. a. Gemeinwohlgründe Eingriffsvoraussetzung überwiegend e r - 163,178 und Individualinteressen 351 Amnesty international Asylverfahren 91 Amtlicher Lageplan und freiberufliche Vermessungsingenieure 225 ff Amtliches Handeln als Ausübung von Staatsgewalt 102 Amtsangehörige Gemeinden und kommunale Verfassungsbeschwerde 320 Amtsgeheimnisse Verfassungsrechtlicher Schutz 178 Amtliche Auskünfte und Anhörung gerichtlicher Sachverständiger 82 ff Amtswalter und Legitimation 101 Angemessenheit Kostendeckung 453 ff Anhörung von gerichtlichen Sachverständigen 87ff

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Sachregister

Annexregelung und Gesetzgebungskompetenz 17 Anstalt öffentlichen Rechts Beteiligung privaten Kapitals 103 und Leitung durch Privatrechtsform 96 ff Arbeitsverbot an Feiertagen Verfassungsrechtliche Uberprüfung eines Befreiungstatbestandes 280 ff Asylbewerberaufnahmegesetz Ausführung 20 Rechtswirkungen nach Außerkrafttreten 16 Asylbewerberleistungsgesetz Ausführung 6 Kostentragung, Kostenerstattung 20 Loslösung vom Sozialhilferecht 22 Asylverfahren und Anhörung gerichtlicher Sachverständiger 82 ff Offensichtliche Aussichtslosigkeit einer Klage 93 Atomverfahrensrecht Ausweitung des Rechtsschutzes 468 Aufbau-Ost Finanzmittel 460 Aufenthalt Unerlaubter A. und Identitätskontrollen auf Durchgangsstraßen 339 ff Aufgabenkreis und juristische Personen des öffentlichen Rechts 334 Aufklärungsmängel Neugliederung von Kommunen 394 ff Ausbildungsstätte Recht der freien Wahl 409 Ausländer Freizügigkeitsrecht 93 Auslegung und Bestimmtheitserfordernis 58 und Entstehungsgeschichte 273 Gesetzgeberwille (objektiver, subjektiver) 417 Grenzen verfassungskonformer — 62

im Lichte internationaler Grundrechte 162 Neubestimmung normativen Gehalts 62 Rechtsfortbildung bei planwidriger Gesetzeslücke 334 Rechtslage, geänderte 417 und verfassungsrechtliches Willkürverbot 48 Außerkrafttreten eines Gesetzes und weitere Rechtswirkungen 16 Auswärtiges Amt Asylstreitigkeiten und amtliche Auskünfte des - 82 ff Autonomiegarantie und Eingriff durch externe Kontrolle 30 Autowaschanlagen und Befreiung vom Arbeitsverbot an Feiertagen 280 ff Baden-Württemberg Asylbewerberleistungsgesetz 6 Aufgabenübertragung und finanzielle Ausgleichspflicht 21 Ausführungsgesetz zum BSHG 6

Finanzausgleichsgesetz und Finanzgarantie 31 Finanzgarantie der Kommunen, prozedurale Absicherung 26 ff Kommunale Aufgabenstruktur 21 Kommunaler Schutz bei Aufgabenübertragung 21 Baden-Württemberg (Landesverfassung) Kommunale Kostendeckungsgarantie und Konnexitätsprinzip 23 Kommunale Verfassungsbeschwerde 15 Bahnhöfe Identitätsfeststellungen 363 Baugenehmigungsverfahren und freiberufliche Vermessungsingenieure 224

Sachregister Bauvorhaben und Tätigkeit von Vermessungsingenieuren 213 ff Bauwetkseinmessung und freiberufliche Vermessungsingenieure 223 Beamtenrecht Beihilfefahige Aufwendungen im Krankheitsfall 263 ff Hergebrachte Grundsätze und landesrechtliche Regelungen 274 Beamtenrechtsrahmengesetz und landesrechtliche Regelungen 274 Behördenleiter und polizeirechtliche Anordnungskompetenz 174,184 Behördenregelung Bundesdurchgriff auf die kommunale Ebene 17 Beichtgeheimnis Verfassungsrechtlicher Schutz 178 Beihilferecht Ausschluß von Wahlleistungen 263 ff Beitrittsgebiet Aufbau-Ost-Finanzmittel 460 Benachrichtigungspflicht Datenerhebung durch V-Personeneinsatz 206 Personenbezogene Daten Dritter, Erhebung 187 Benutzungsverhältnis und Anwendung staatlichen Gebührenrechts 109 Berlin Bauaufsichtsverfahren und Denkmalschutz 60 Denkmalschutzrecht 51 ff Eigenbetriebe 108 f Teilprivatisierung der Wasserbetriebe 71, 97 ff Untersuchungsausschuß 71 Volksbegehren „Mehr Demokratie e.V" 64 ff Volksbegehren „Schluß mit der Rechtschreibreform" 70

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Berlin (Landesverfassung) Anleihenaufnahme 122 Bindung der Landesorgane an das Bundesrecht 42 Demokratieprinzip 101 Eigenbetriebe 108 Gebührenrechtliche Grundsätze 109 ff Gesetzlicher Richter 127 Gleichheitsgrundsatz 111 Meinungsäußerungsfreiheit 134 Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 370 Öffentlicher Dienst 108 Rechtsstaatsprinzip 118 Staat und Bürger, Wesentlichkeitstheorie 107 Volksbegehren und Verfassungsänderung 64 ff Berufliche Betätigung und Persönlichkeitsentfaltung 220 Berufsausübungsfreiheit Berufswahl und — 222 Disziplinarverfügung gegen einen Notar 47 Eingriffsvoraussetzungen 222 ff Berufsbeamtentum System der Beihilfegewährung als hergebrachter Grundsatz 270 Berufsfreiheit und effektiver Rechtsschutz 469 Berufsgeheimnisse Verfassungsrechtlicher Schutz 178 Berufswahl und Wahl der Ausbildungsstätte 409 Zulassungsschranken 222 Berufungszulassung Anforderungen an zurückgewiesenen Antrag 257 Beschlagenahmeentscheidung Grundrechtsverletzung 50 Beschwerdebefugnis Kommunale Verfassungsbeschwerde 320 f Bestimmtheitsgebot und Rechtsstaatsprinzip 57

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Sachregister

Betriebswirtschaftliche Grundsätze und Gebührenrecht 113 ff Beurkundung mit öffentlichem Glauben 217 ff Beweislastlehre Inhalt zivilgerichtlichen Protokolls 81 Beweismittel Auskünfte des auswärtigen Amtes in Asylangelegenheiten 88 Bildaufnahmen, Bildaufzeichnungen Einsatz technischer Mittel (Polizeirecht) 165 188 Bildung Recht auf Bildung, Aufnahme in bestimmte Bildungseinrichtung 151 ff Bildungseinrichtungen Recht auf gleichen Zugang zu den öffentlichen — 155 Bildungsweg Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers 156 Bindung BVerfG-Entscheidungen 43 Landesorgane an das Bundesrecht 42 Rechtskraft früherer Entscheidung 15 Binnenwasserstraßen Identitätsfeststellungen 363 Brandenburg Ausgleichsfonds für finanzschwache Gemeinden 255 Bauvorlagenverordnung 216 Einwohnerveredelung 246 f Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 237 ff Gemeinden, finanzielle Situation 241 Kommunalaufsichtsbehörde 255 Landtagsantrag zu einer Verteidigungsangelegenheit 143 ff Polizeigesetz 157 ff Speckgürtelproblematik 253 Vermessungsingenieure, eingeschränktes Tätigkeitsfeld 213 ff Wählerverzeichnis, Nichteintragung 235 ff Brandenburg (Landesverfassung) Antragsrecht des Abgeordneten 149

Entfaltung wirtschaftlicher Eigeninitiative 231 Gemeindeanspruch auf faires Verfahren 257 Gemeindefinanzausgleich und Verteilungsmodus 243 Gemeinden, Finanzausstattungsanspruch 240 Grundrechtseingriffe, Entscheidung hierüber 175 Mittelaufteilung Land/Kommunen 246 Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 370 Präsidiumsrechte, Präsidiumspflichten 147 Pressefreiheit 178 Unverletzlichkeit der Wohnung 188 Verfassungsmäßige Bindung des Gesetzgebers 177 Vertrauensverhältnisse, geschützte 178 Wahlprüfungsverfahren 236 Briefgeheimnis und Einsatz technischer Mittel (Polizeirecht) 166 und parlamentarische Kontrolle 177 Bürgerlich-rechtliches Verfahren Rechtsstaatliche Grundsätze 135 Bürgermeister Aufgabenbereiche 429 Gemeinderats-Status und Amt des — 471 ff Bund Aufgabenübertragung auf die Kommunen 7 Übertragene weisungsfreie Pflichtaufgabe 17 Bund und Länder Finanzgarantie und integrierte Aufgabenplanung 30 Finanzverbund 13 Gemeinderepräsentation gegenüber dem Bund 24 Grundrechtsdivergenzen 189 und Kommunalfinanzen 459 Konnexitätsprinzip 23

Sachregister Kostenregelung, besondere 451 Landesverfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebungskompetenz 344 Verfassungsräume, getrennte 190 Zweistufiger Staatsaufbau 24 Bundesergänzungszuweisungen Finanzmittel 459 Bundesgerichtliche Kontrolle von Akten der Landesgewalt und Landesverfassungsgerichtsbarkeit 56 Bundesgrenzsschutz und Polizei der Länder 346 Bundesländer s. Landesrecht Bundespolitik und landesparlamentarische Erörterung 149 Bundespräsident Prüfungsrecht bei der Gesetzesausfertigung 148 Bundesrat und bundespolitische Themen in der landesparlamentarischen Erörterung 149 Bundesrecht und Akte der Landesgewalt, von Bundesgerichten geprüfte 56 Beihilfegewährung 270 Berufsbeamtentum, hergebrachte Grundsätze und landesrechtliche Regelungen 274 bricht Landesrecht 189,196 Bundesdurchgriff auf Kommunen 20 Demokratieprinzip, für die Länder verbindliches 101 Finanzverfassung 23 Kompetenzordnung und dagegen verstoßendes Landesrecht 344 Kreditaufnahme 122 und landesparlamentarische Befassungskompetenz 150 Landesrecht und späteres - 195 und landesverfassungsgerichtliche Prüfungsbefugnis 133,43 Verbandskompetenz und Kostenveränderungen 20

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Vorlage an das BVerfG durch Landesverfassungsgericht 17 Zweistufiger Staatsaufbau 24 Bundesrepublik Deutschland Verdachtslose Eingriffe gegenüber Gefahren für die - 354 Bundessozialhilfegesetz Bundesdurchgriff auf Kommunen 18

Offnungsklauseln 19 Träger der Sozialhilfe 6 Übertragung der Sozialhilfeaufgaben 17 Bundesstaatliche Ordnung und Finanzierungsverpflichtung eines Landes 464 Bundestag s. Parlament Bundesverfassungsgericht Atomrechtliches Verfahren 468 Berufsausübungsregelung 226 Beschwerdebefugnis, Rechtsverletzung 321 Bindung von Entscheidungen 43 Bundesdurchgriff auf die kommunale Ebene 17 Dienstaufsicht durch Gerichtspräsidenten 45 Gebührengesetzgeber, Regelungskompetenz 111 Gemeindeaufgaben, Zweckverbände 324 Gemeindeverbände, Voraussetzungen 299 Gemeindeverband 426 Grundrechtseingriff und Intensität der Nachprüfung 45 Grundrechtssysstem 155 Informationelle Selbstbestimmung, Einschränkungen 348 Kollegialorgane, Legitimation entscheidungsbefugter 101 Kommunale Selbstverwaltung 253, 419 f Kommunale Selbstverwaltung, Kernbereich 423

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Sachregister

Kommunale Verfassungsbeschwerde 448 Kommunen und Einwohnerzahl 248 und Landesverfassungsgerichtsbarkeit 190 Landesverfassungsrechtliche Beschwerde und abgeschlossenes Verfahren vor dem — 258 Legitimation staatlicher Aufgaben, Befugnisse 101 Organisationshoheit der Länder 20 Rechtsfortbildung 334 Rückwirkung von Gesetzen 331 Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde 369 Verfassungsbeschwerde zum LVerfG, paralleles Verfahren 96 Volk als Träger der Staatsgewalt 101 Vorbehalt des Gesetzes 55 Vorlage an das s. dort Wählerverzeichnis, Nichtaufnahme 236 Zweckverband, Gemeindeanschluß 425 Chancengleichheit der Opposition Organklage 148 Daseinsvorsorge und Bindungen des Verwaltungsprivatrechts 110 Landesinteressen und kommunale — 19 Datenschutz s. a. Informationelle Selbstbestimmung Datenerhebung und Zweckbestimmung 176 Heimliche Datenerhebung 181 nach Identitätsfeststellungen 365 Informationelle Selbstbestimmung 161 ff Kontakt- und Begleitpersonen potentieller Straftäter 182 ff Persönlichkeitsrecht, allgemeines 181

Personenbezogene Daten, Begriff 166 Personenbezogene Daten Dritter, Erhebung 186 ff Personenbezogene Daten, unterbleibende Löschung 208 Polizeilicher Umgang mit erhobenen Daten 176 Vorbeugende Straftatenbekämpfung durch V-Personen 205 und Wohnraumüberwachung 193 DDR Einigungsvertrag und Weitergeltung von Recht der — 328 Kommunalverfassung 317 ff Delegiertensystem auf kommunaler Ebene 427 Demokratieprinzip Anstalt öffentlichen Rechts und Leitung durch Privatrechts form 96 ff und Delegiertensystem 427 und gesellschaftsrechtliche private Beteiligung 103 und kommunale Selbstverwaltung 307 und Leitungsmacht von Privatrechtsformen 105 Prinzip der doppelten Mehrheit 102 als Strukturprinzip des Staates 100 Demokratische Legitimation und entscheidungsbefugte Kollegialorgane 101 Denkmalschutzrecht Verfahren zur Feststellung der Denkmaleigenschaft 51 ff Dienstaufsicht und Justizverwaltungsaufgaben 44 Disziplinarverfügung Rechtsmittel des Notars gegen — 43 Doppelte Mehrheit Prinzip d e r - 102 Drohende Gewalt und Erlaß einstweiliger Anordnung 233 Duldung ordnungsrechtlicher Eingriffe 336

Sachregister Durchsuchung Lausch- und Späheingriff, Abgrenzung 191 Wohnungsdurchsuchung 49 ff Ehrenschutz und Ungebühr vor Gericht 137 Eigenbetriebe Aussagen der Berliner Verfassung zu den - 108 Eigenkapitalverzinsung und Gebührenrecht 114 ff Einheit der Verfassung 327 Einigungsvertrag und Inkrafttreten des Grundgesetzes 326 und Kultusministerkonferenz 410 Regelungstechnik 325 und Weitergeltung von DDR-Recht 328 Einreise und Identitätsfeststellungen 362 Einsatz von technischen Mitteln (Polizeirecht) s. Technische Mittel Einstweilige Anordnung Eintragung in das Wählerverzeichnis 235 ff gegen strafgerichtliche Anordnung ärztlicher Untersuchung 232 ff Einwohnerveredelung Gemeindefinanzen 246 f Entscheidungen als Ausübung von Staatsgewalt 102 Entstehungsgeschichte eines Gesetzes und Auslegung 273 Erkennungsdienstliche Maßnahmen Identitätsfeststellungen 364 Europäische Charta für kommunale Selbstverwaltung 256 Europäisches Recht Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 162 Schengener Durchführungsübereinkommen 344

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Exekutive und Justizverwaltungsaufgaben 44 Personelle Legitimation, Gesetzesbindung 102 und Staatshaushalt 28 Fachgerichtsbarkeit Grundrechtsrechtsverletzungen, ausschließlich gerügte 408 Hauptverfahren, Verweisung auf das fachgerichtliche 408 Rechtliches Gehör s. dort oder Rechtssatz-Beschwerde 448 und Rechtswegeröffnung 180 und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 153 und verfassungsgerichtliche Uberprüfung 45,154 Zugang zu einer weiteren Instanz 257 Faires Verfahren Gemeindeanspruch auf ein - 257 Feiertagsgesetz Verfassungsrechtliche Uberprüfung eines Befreiungstatbestandes 280 ff Fernmeldegeheimnis und Einsatz technischer Mittel (Polizeirecht) 166 und parlamentarische Kontrolle 177 Finanzausgleichskommission 1998 31 Finanzausgleich s. Kommunale Finanzen Finanzausstattung der Kommunen s. Kommunale Finanzen Finanzen Kommunale Finanzen s. dort Finanz garantie und prozedurale Absicherung 26 ff Finanzhoheit Kommunale Selbstverwaltung 240 427 Finanzielle Leistungsfähigkeit und Gemeindefinanzierung 240 und gemeindliche Mindestausstattung 25

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Sachregister

Finanzierung Öffentlicher Personennahverkehr, unterbliebene Finanzierungsregelung 440 ff Finanzierungsregelung des Grundgesetzes 455 Finanzverbund Bund, Länder, Kommunen 13 Finanzverfassung Bundesstaatliche — 463 und kommunale Aufgabenerledigung 23 f und zweistufiger Staatsaufbau 24 Flughäfen Identitätsfeststellungen 363 Fraktion und Abgeordnetenstellung 511 Recht zur Antragstellung 146 Fraktionen Fehlerhafte Antragsablehnung und Rechte anderer — 63 Freier Beruf und Tätigkeit von Vermessungsingenieuren 217 ff Freiheitsanspruch und Beschränkungen 349 und Sicherheit 356 und staatliche Eingriffe 353 Freiheitsentziehung Strafgerichtliche Anordnung ärztlicher Untersuchung 234 Freizügigkeit von Ausländern 93 Frist Anfechtung der Wahlergebnisfeststellung 497 Jahresfrist für kommunale Verfassungsbeschwerde 257 Organstreitverfahren 513 ff Verfassungsbeschwerde 312 Verfassungsbeschwerde bei Änderungsgesetzen 442 f, 475 Fürsorgepflicht Beihilfefähige Aufwendungen im Krankheitsfall 263 ff

Fürsorgewesen Bürgernahe Ansiedelung 18 Gebietshoheit Kommunale Selbstverwaltung 427 Gebietskörperschaften Verfassungsrechtliche Garantie 307 Gebührenrecht Äquivalenzprinzip 111 Betriebsnotwendiges Kapital 113 Betriebswirtschaftliche Grundsätze 113 ff Eigenkapitalzinsen 114 ff und Gewinnerzielung 117 Gleichbehandlungsgrundsatz, Verhältnismäßigkeit 109 ff Kalkulationsgrundlagen 112 Kapitalmarktpreisbildungsmodell 116 Kostendeckungsprinzip, Geltung aufgrund einfachen Rechts 110 Rückstellungen 121 Verfassungsmeäßigkeit von Maßstäben, Sätzen und Gebührenhöhen 111 Verhaltenssteuerung mittels Entgeltregelung 120 Gefahrenabwehr Begriff der konkreten Gefahr 212 Dringende Gefahr, gegenwärtige Gefahr 199 und Gefahrenverhütung 204 im Grenzbereich 346 Polizeiaufgabe 164 und präventiver Lauschangriff 212 und verdachtslose Eingriffe 354 und vorbeugende Straftatenbekämpfung 212 Vorfeldbefugnisse des Staates 353 und Wesensgehalt der Grundrechte 168 Wohnraumüberwachung 188,191,198 Gefahrenlage und eingreifendes polizeiliches Handeln 210 Gefahrenvorfeld und polizeiliche Eingriffsmöglichkeit 169

Sachregister Gemeinden Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben 25 Gemeinden s. a. Kommunale Selbstverwaltung Abwägungserfordernisse für den Landesgesetzgeber 249 Änderungen des Gebietszuschnitts 393 Allzuständigkeitsgrundsatz 426 Auffangfonds 254 Aufgabenerfüllung (eigener, übertragener Wirkungskreis) 415 Aufgabenübertragung von anderem Verwaltungsträger 21 Ausgleichsquoten und angenäherte Finanzkraft 250 Bedarfsermitdung und Gestaltungsspielraum des Landes 243 Bürgermeister 429 Bürgermeister-Amt und GemeinderatsStatus 471 ff Bürgernähe 422 Einnahmenquellen 25 Einwohnerzahl, Bedeutung 248 Finanzen s. kommunale Finanzen Finanzstarke, finanzschwache Gemeinden 253 Gebietsänderungen, formelle Voraussetzungen 467 Gemeinderat und Verwaltungsgemeinschaft 428 Gemeindeverbände, Begriff (Hessische LV) 295 ff und Gemeindeverbände, Abgrenzung 304 und Gemeindeverbände, gleichartige Struktur 308 Gesamteinnahmen und Netto-Einnahmen des Landes 244 Gewerbesteuerumlage 251 Hebesatzfesdegung 250 Individualverfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Prozeßgrundrechten 257 Investive Zuweisungen 251

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Kommunale Verfassungsbeschwerde, Beteiligung von — 320 Landeseingliederung 241 Neugliederung oder Oragnisationsreform 432 Öffentliche Fürsorge, Gesamtverantwortung 19 Öffentliche Haushalte, Einbindung in das Gesamtgefüge 26 Organisationshoheit 419 Personalhoheit 419 Pflichtaufgaben, unabweisbare Aufgaben 243 Rechtsfolgen unterschiedlicher Einteilung der - 252 als selbständige Gemeinwesen 424 Spielräume bei der Aufgabenwahrnehmung 20 Steueraufkommen, unterschiedliche 252 Steuerkraftmeßzahl, Ermitdung 249 Steuerverbund und Zuweisungen 251 Übertragene Aufgaben und Kostendeckung 256 Universalitätsgarantie 309 Unmittelbare Wahl 426 Verwaltungsgemeinschaft, Zwangsmitgliedschaft von - 413 ff Verwaltungstechnische Arbeiten, Befreiung hiervon 428 Volksvertretung 427 Zwangsweiser Zusammenschluß 324 und Zweckverbände 324 Zweckverband, zwangsweiser Anschluß 425 und zweistufiger Staatsaufbau 24 Gemeindeverband Begriff 426 Gemeinwohl Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht 393 Gemeinwohlgründe s. a. Allgemeininteressen Berufsausübungsregelung 222 f, 229 f

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Sachregister

und einstweilige Anordnung 233 Informationelle Selbstbestimmung, Einschränkungen 351 Personenbezogene Daten Dritter, Erhebung 186 ff und Rückwirkung von Gesetzen 331 Generalprävention und verdachtslose Eingriffe 354 f Gerichtliche Entscheidung Uberprüfung einer Disziplinarentscheidung gegen einen Notar 38 ff Gerichtliche Rechtsanwendung und Rechtsanwendungsgleichheit 499 Gerichtliche Würde und Ungebühr vor Gericht 137 Gerichtlicher Sachverständiger Verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Anhörung 82 ff Gerichtliches Verfahren Polizeiliche Aktivitäten 345 Gerichtsverfahren und Anwendung ordnungsrechtlicher Vorschriften 129 ff Meinungsäußerungsfreiheit und Herabsetzung Prozeßbeteiligter 129 ff Gerichtsverfassungsgesetz Anwendung ordnungsrechtlicher Vorschriften 129 ff Gesellschaftsrechtliche Beteiligung an Anstalt öffentlichen Rechts 103 Gesetz Außerkrafttreten und weitere Rechtswirkungen 16 Gesetzesanwendung und Gesetzesmöglichkeit 356 Gesetzesbestimmtheit Datenschutz 193 Grundrechtseingriffe 163 und Rechtsstaatsprinzip 118 Gesetzesbindung und Legitimation der Exekutive 102 Gesetzesrecht Änderung eines bereits verabschiedeten Gesetzes 221 Auslegung und Entstehungsgeschichte 273

Endgültigkeit 514 und Klagefrist im Organstreitverfahren 514 und Konkretisierung durch eine VO 448 Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten 22 Neubestimmung normativen Gehalts 62 Nichtigkeit oder Feststellung der Unvereinbarkeit mit der Verfassung 33 Normhierarchie 189 Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde 369 Unmittelbare Betroffenheit 336 Unterlassen des Gesetzgebers 457 und verfassungsmäßige Bindung 177 und Vorabentscheidung über eine Verfassungsbeschwerde 213 ff Wesentüchkeitstheorie 107 Gesetzesvollzug mittels irreparabler Eingriffe 181 Ortsnähe 19 und sich verändernde Kostendimension 20 Unmittelbare Betroffenheit durch ein Gesetz 336 Gesetzesvorbehalt s. Vorbehalt des Gesetzes Gesetzgeberbindung an die verfassungsmäßige Ordnung 177 Gesetzgeberisches Programm und nachträgliche Korrekturen 334 Gesetzgeberische Prognoseentscheidungen Verfassungsgerichtliche Uberprüfung 167 Gesetzgebung Prüfungsrecht des Bundespräsidenten 148 Gesetzgebungskompetenz und Annexregelung 18 Bundesdurchgriff auf die kommunale Ebene 17

Sachregister und Landesverfassungsgerichtliche Prüfung 344 und ortsnaher Gesetzesvollzug 19 Gesetzlicher Richter Rechtsentscheid, unterlassene Einholung 123 ff Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung 56 Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht 127 Gewalt, drohende und Erlaß einstweiliger Anordnung 233 Gewerbesteuer und Hebesatzfesdegung 250 Gewerbesteuerumlage und Gemeindefinanzierung 251 Gleichheitsgrundsatz Beihilfegwährung 270 Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 294 Gebot der Rechtssetzungsgleichheit 291 Gebührenrecht 109 111 und kommunales Finanzierungssystem 237 ff Kommunalwahlen und gleichheitsrechtliche Gewährleistungen 479 ff Privilegierungen, hinreichend tragfahige Gründe 292 und Rechtsanwendungsgleichheit 499 Willkürliche Ungleichbehandlung 293 Grenzgebiete und Identitätskontrollen 339 ff Grenzschutz Gesetzgebungszuständigkeit 346 Grenzüberschreitende Kriminalität und Identitätsfeststellungen 356 Straftatenaufzählung 357 Grundgesetz s. a. Bundesrecht und früheres Recht 327 Menschenbild 352 Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde 369

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Grundrechte Abwehrbedeutung, klassische 468 Auslegung im Lichte internationaler — 162 Benachrichtigungspflicht bei Eingriffen 175 Bindung der Landesorgane 42 Bundes- und Landesgrundrechte, Verhältnis 189 Eingriffsentscheidungen 175 Eingriffsvoraussetzungen 163 Erweiterung des Schutzes durch Verfassungsrechtsprechung 29 Fachgerichtsverfahren und Grundrechtsverletzungen 408 Informationelle Selbstbestimmung 161 ff Intensität verfassungsgerichtlicher Kontrolle 45 Landesgrundrechte, hinter Bundesgrundrechten zurückbleibende 189 Landesverfassungsrechtlich zugleich gesicherte- 43,134 Meinungsäußerungsfreiheit 134 Objektiv-rechtlicher Schutzgehalt 468 Organisations- und Verfahrensgestaltung zur Wahrung 173 Parallelverbürgung auf Bundes- und Landesebene 43,134 Prozeduraler Grundrechtsschutz 30, 173,194 Rechtsschutzbedürfnis und fortwirkende Verletzung 49 ff Rechtsverordnung und Landesverfassung 218 Schaffung neuer, Erweiterung vorhandener Kapazitäten 155 Unmittelbare Betroffenheit 336 und V-Personeneinsatz 208 als Verfassungsbestandteil, als unmittelbar geltendes Recht 348 und Verfassungsgerichtsbarkeit 45 und Verwaltungs verfahren 61 Wesensgehalt 168

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Sa

Wesensgehalt und Frage der Einschränkbarkeit 173 Wohnraumüberwachung 188,204 Grundrechtsfähigkeit und Grundrechtsklage 289 Grundrechtsverletzungen und prozeduraler Grundrechtsschutz 30,173,194 und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde 153 Grundsteuer und Hebesatzfestlegung 250 Grundstückseinmessungen und freiberufliche Vermessungsingenieure 228 Gymnasium Recht auf Bildung und Recht zur Aufnahme in— 151 ff Hamburg Beihilfen im öffentlichen Dienst 263 ff Hamburg (Landesverfassung) Beamtenrechtliche Regelungen 274 Handlungsfreiheit und Recht auf Entfaltung wirtschaftlicher Eigeninitiative 231 und staatliche Zweckverfolgung 352 Ungebühr vor Gericht 135 Haushaltsgrundsätzegesetz Schutz der Finanzgarantie 30 Haushaltskontrolle Verfassungsgerichtliche — 27 Haushaltsplan und Gemeindefinanzierung 240 Rechtsnatur als Organgesetz 28 Haushaltssatzung Gesetzmäßigkeit 14 Haushaltswesen Kommunaler Finanzausgleich und Gesamtgefüge öffentlichen — 26 Hebesatzfestlegung der Gemeinden 250 Heilberufe Verfassungsrechtlicher Schutz 178

jister Hessen Feiertagsgesetzliches Arbeitsverbot, Befreiungstatbestand 280 ff Landkreisverordnung 309 Hessen (Landesverfassung) Antragsberechtigung für eine Grundrechtsklage 289 Gemeindeverbände, Begriff 295 ff, 306 Gemeindewahlen und Grundsätze des Landtagswahlrechts 309 Gleichheitsgrundsatz 293 Grundrechts fähigkeit, Grundrechtsklage 289 Kommunale Selbstverwaltung, Verfassungsbeschwerde 306 Sonn- und Feiertagsschutz 292 Hochschulzugangsberechtigung Verfassungsgerichliche Uberprüfung verwehrter— 401 ff Identitätsfeststellung Polizeirechtliche Befugnisse auf Durchgangsstraßen 339 ff Informationelle Selbstbestimmung s. a. Datenschutz Allgemein- und Individualinteressen 351 Besonderer Schutz 349 Datenerhebung durch V-Personeneinsatz 205 als eigenständiges Grundrecht 161, 348 Identitätskontrolle 347 und internationale Grundrechte 162 und Persönlichkeitsentfaltung 349 Schwerwiegende Beeinträchtigung zur Gefahrenabwehr 169 Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung 349 Volkszählungsurteil 349 Interessenausgleich Allgemein- und Individualinteressen 351 Internationale Grundrechte Auslegung von Grundrechten im Lichte v o n - 162

Sachregister Internationaler Verkehr Identitätsfeststellungen und öffentliche Einrichtungen des - 363 Jedermann-Identitätsfeststellung Verfassungswidrigkeit polizeirechtlicher - 337 ff Jugendhilfeaufgaben Aufgabenübertragung 7 Bundesdurchgriff auf Kommunen 18 Örtliche Träger 18 Jugendwohlfahrtsgesetz Bundesdurchgriff auf Kommunen 18 Juristische Person des öffentlichen Rechts Aufgabenkreis 334 Juristische Personen Grundrechtsfähigkeit, Grundrechtsklage 289 Justizverwaltungsaufgaben und Rechtsprechung 44 Kapitalbeteiligung und Anstalt öffentlichen Rechts 103 Kinderhilfeaufgaben Aufgabenübertragung 7 Klage Offensichtliche Aussichtslosigkeit einer Asylklage 93 Körperliche Unversehrtheit Strafgerichtliche Anordnung ärztlicher Untersuchung 234 Körperschaft des öffentlichen Rechts oder Handeln als staatliche Verwaltungsbehörde 23 Verwaltungsgemeinschaft der Gemeinden 424 Zusammenschluß kommunaler Gebietsrechenzentren 295 ff Zweckverbände 326,332 Kollegialorgane und Legitimation 101 Kommunale Finanzen Aufgabenbereiche, sinnvolle und wünschenswerte 254 Auflösung von Gemeinden 254 Bund, Länder und — 459

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Finanzausgleich, evident unzureichender 241 Finanzausgleich und Aufgabenverteilung 451 f Finanzausgleich und Autonomie 470 Finanzausgleich und kommunale Verfassungsbeschwerde 24 ff Finanzausgleichsmasse, fehlerhafte 450 Finanzausgleich, Überprüfung 24 Finanzausgleich, Verteilungssystem 243, 246 Finanzausstattung, angemessene 9,16, 28, 463 Finanzautonomie und fiktive Hebesätze 250 Finanzbedarf, erhöhter und Finanzausgleich 20 Finanzbedarfermittlung, problematische 246 Finanzbedarfrsermitdung, Überprüfung 237 ff Finanzgarantie 451 Finanzgarantie, prozedurale Absicherung 26 ff Finanzhoheit als Teilbereich kommunaler Selbstverwaltung 240,427 Finanzkraft, Finanzbedarf 243 Finanzlage, verschlechterte 16 Finanzplanungsgremien und Gemeindeautonomie 31 Finanzstärke, Finanzschwäche von Gemeinden 253 GG-Finanzverfassung und — 24 Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung 254 Kostenregelung, besondere 449 ff Leistungsfähigkeit des Landes und finanzielle Mindestausstattung 25 Kommunale Haushaltspläne Gesetzmäßigkeit 14 Kommunale Selbstverwaltung s. a. Gemeinden s. a. Landkreise Abbau von Landeszuschüssen 295 ff Adressat der Verfassungsgarantie 307

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Sachregister

Änderungen des Gebietszuschnitts 393 Aufgaben örtlicher Gemeinschaft 419 Aufgabenerledigung im gemeinsamen Verwaltungsamt 413 ff Aufgabenübertragung und finanzielle Ausgleichspflicht 20 Aufgabenverteilung Land und Kommunen 451 Autonomie 27 Bundesrechtliche Aufgabenübertragung 7 Eingriff aus Gemeinwohlgründen 393 Europäische Charta 256 Finanzen s. Kommunale Finanzen Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben, unmöglich werdende Erfüllung 25 Garantie, Voraussetzungen für unverletzt gebliebene 427 Gebietsänderungen, formelle Voraussetzungen 467 Gebietshoheit 427 Hochzonung von Aufgaben 324 als institutionelle Rechtssubjektsgarantie 253 als institutionelle Garantie 321,468 als institutioneller Schutz 431 Kernbereich 323,420 Kernbereich und Finanzierung 463 Kernbereich, Randbereich 254 Kernstadt und Umland-Beziehungen 381 Konnexitätsprinzip 451 f Kostendeckung und Angemessenheitsprinzip 452 f Land und Gemeinden 241 Leistungsfähigkeit als Voraussetzung 378 Mindestausstattung 463 und Mindestmaß freiwilliger Selbstverwaltung 253 Negative Vereinigungsfreiheit 323 Neugliederungsgesetz, Sachverhaltsermitdung und Abwägungsmängel 375 ff

Neuregelung als Reformziel, verfassungsrechtliche Uberprüfung 394 Örtliche Gemeinschaft, Aufgabenentzug 430 Organisationsgewalt 323,419 Personalhoheit 419 f als politisch-demokratische Funktion 307 im Rahmen der Gesetze 323 Rechts Sicherheit, Vertrauens schütz 330 Satzungshoheit 427 Schutzwirkung für einzelne Gemeinden 253 Selbstverwaltungsangelegenheit oder Erfüllung nach Weisung 19 Spielräume bei der Aufgabenwahrnehmung 20 und staatliche Leistungsfähigkeit 10 Übertragene Selbstverwaltungsaufgabe 17 und Verwaltungsgarantie für eine Verwaltungsgemeinschaft 413 ff als verwaltungsorganisatorisches Modell 307 Verwaltungsräume, Abgrenzung 381 Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung 323 Kommunale Verfassungsbeschwerde Amtsangehörige Gemeinde als Beteiligte 317 ff Beschwerdebefugnis, Rechtsverletzung 321 Finanzausgleich, Überprüfung 24 ff Finanzgarantie, geschützte 26 ff Frist 445 Gemeindebedarf, tatsächlicher und Finanzbedarfsermittlung 237 ff Gemeindeverbände, Voraussetzungen antragsberechtigter 295 ff Gleichmäßigkeitsgrundsatz und Bestimmung der Verbundquote 237 ff und Individualverfassungsbeschwerde einer Gemeinde 257

Sachregister Jahresfrist 257 Konkretisierung, noch erforderliche durch VO 448 Konkretisierung einer Norm durch Verwaltungsakt 448 Negative Vereinigungsfreiheit 321 Rechtskraft früherer Entscheidung 15 als Rechtssatzbeschwerde 322 Subjektive Rechtsverletzung 321 Subsidiarität, nur begrenzte 322 Verwaltungsgemeinschaft, angeordnete 413 ff Zweckverbände und Zweckverbandsgesetz 1939 317 ff Kommunale Wahlen Gemeinden, Verwaltzungsgemeinschaften 426 Kommunale Zweckverbände als Gemeindeverbände 295 ff Kommunales Gebietsrechenzentrum Frage der Antragsberechtigung für eine Verfassungsbeschwerde 295 ff Kommunalrecht Gesetzgebungskompetenz 17 Recht der Zweckverbände 325 Kommunen Bundesdurchgriff auf die kommunale Ebene 17 und Land 468 Volksvertretung und Begriff der — 427 Kontakt- und Begleitpersonen Verdeckter Einsatz technischer Mittel (Polizeirecht) 182 ff Kontinuität der Rechtsordnung 326 Kostenausgleich und Konnexitätsprinzip 23 Kostendeckung im Gebührenrecht 110 Kommunaler Schutz bei Aufgabenübertragung 21, 256 Öffentlicher Personennahverkehr, unterbliebene Finanzierungsregelung 440 ff Kostenregelung und Finanzausgleich 449 ff

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Kostenveränderungen und Verbandskompetenz 20 Krankheitsfälle und beihilfefähige Aufwendungen 263 ff Kreditaufnahme Gesetzliche Grundlage 122 Teilprivatisierung als verdeckte 122 Kreise s. Landkreise; Stadtkreise Kriminalistische Erfahrung und verdachtslose Eingriffe 354 f Kriminalitätsbekämpfung Vorbeugende Verbrechensbekämpfung mittels technischer Mittel 167 und Wohnraumüberwachung 202 Kultusministerkonferenz Beschlußfassung und Gesetzesvorbehalt 401 ff Landesaufgaben Gemeinderepräsentation gegenüber dem Bund 24 Landesgerichtsbarkeit und bundesgerichtliche Uberprüfung von Akten der Landesgewalt 56 Landesgewalt von Bundesgerichten geprüfte Akte d e r - 56 Landesrecht und Aufgabenübertragung 17 Haushaltsplanung und Staatsaufgaben 28 Lastenverteilung Bund/Länder und Binnenorganisation der Länder 23 Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen bundesstaatliche Kompetenzordnung 344 Organisationshoheit der Länder und Bundesdruchgriff auf Kommunen 20 Landesverfassungsgerichtsbarkeit Bundesrecht und und Prüfungsbefrugnis im Rahmen der — 43,133 Bundesrecht, förmliches und Vorlage an das BVerfG 17

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Sachregister

und Bundesverfassungsgericht 190 Bundesverfassungsrecht und — 189 und BVerfGE-Bindungswirkung 43 Gesetzgebungskompetenz, zu prüfende 344 Grundrechte und inhaltsgleiches Landesverfassungsrecht 43 Kompetenzordnung und dagegen verstoßendes Landesrecht 344 Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 370 Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde 369 Landesverteidigung als Beratungsgegenstand eines Länderparlaments 143 ff Landeswohlfahrtsverbände Träger der Sozialhilfe 6 Landkreise s. a. Kommunale Selbstverwaltung Asylrecht, Ausführung 20 Aufgabenfinanzierungssystem 10 Aufgabenübertragung und finanzielle Ausgleichspflicht 20 Begriff 306 Bundesdurchgriff auf Kommunen 18 Finanzlage, kritische 32 und Gebietshoheit 309 als Gebietskörperschaften 309 als Gemeindeverbände 304, 306 als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder als untere Verwaltungsbehörden 23 Kommunale Verfassungsbeschwerde, Beteiligung von — 320 Kreisumlage als Hauptfinanzierungsinstrument 10 Neue Aufgabenzuweisung 22 Ortliche Träger der Sozial- und Jugendhilfe 18 Träger kommunaler Selbstverwaltung 425 Träger der Sozialhilfe 6 Übertragung der Sozialhilfeaufgaben 17

Volksvertretung 427 Landtag s. Parlament Lauschangriff Voraussetzungen des präventiven — 212 Legitimation Volkswille auf kommunaler Ebene 427 Legitimationsniveau für staatliche Aufgaben, Befugnisse 101 Leipzig Stadt-Umland-Gesetz 375 ff Lückenschließung durch gesetzgeberisches Handeln 334 f Rechts fortbildung zur — 334 Mecklenburg-Vorpommern Kommunalverfassung 317 ff Sicherheits- und Ordnungsgesetz 337 339 ff Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassung) Informationelle Selbstbestimmung 348 Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 369 f Medizin Verwehrte Hochschulzugangsberechtigung 401 ff Mehrheit Prinzip der doppelten - 102 Meinungsäußerungsfreiheit und Anwendung ordnungsrechtlicher Vorschriften 129 ff Gesetzesvorbehalt, qualifizierter 134 Inhalt der Äußerung, Form 134 Meinungsbegriff 134 und Ungebühr vor Gericht 135 ff Werturteil 134 Menschenbild des Grundgesetzes und Frage der Redlichkeitsvermutung 352 Menschenwürde Unantastbarkeit 173 Verletzung 43 und Wohnraumüberwachung 202

rister MfS/AfNS Uberprüfung von Parlamentsangehörigen 512 Mietrecht Mietzinsklage, verfassungsgerichtliche Überprüfung 72 ff Nichteinholung eines Rechtsentscheids 123 ff Räumungsurteil 311 Räumungsklage 259 Mißbrauch Geltendmachung parlamentarischer Rechte 146 Mündliche Verhandlung und rechtliches Gehör 46 Nachteilszufügung und einstweilige Anordnung 233 Rechtswegerschöpfung und Ausnahme sofortiger Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde wegen 153,219 Nichtigkeit oder Feststellung der Unvereinbarkeit mit der Verfassung 33 Nichtigkeitsfolge Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde 369 Nichtzulassung der Revision und gleichzeitige Verfassungsbeschwerde 55 und Rechtswegerschöpfung 55 Normenkontrolle (kommunale) s. Kommunale Verfassungsbeschwerde Normenkontrolle (abstrakte) Beihilfefähige Aufwendungen im KrankheitsfaU 263 ff Nichtanwendung einer Rechtsverordnung durch ein OVG 272 Teilprivatisierungsvorgang in Berlin 97 ff Notar Berufsausübungsfreiheit 47 Bestellung zum vereidigten Buchprüfer 38 ff

535

Dienstaufsicht und Justizverwaltungsaufgaben 44 Rechtsmittel gegen Disziplinarverfügung 43 Sozietätsbildung 40,47 Verletzung notarielle Amtspflichten 38 ff Oberverwaltungsgericht Anforderungen an die Zurückweisung eines Antrags auf Berufungszulassung 257 Normenkontrollverfahren wegen Nichtanwendung einer Rechtsverordnung durch das — 272 Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure Beurkundungsrecht 229 Öffentliche Aufgaben und Ausübung staatlicher Gewalt 102 Öffentliche Sicherheit und Ordnung s. a. Polizeirecht Grundrechtsbeeinträchtigung zur Gefahrenverhütung 210 Polizeiaufgabe der Abwehr 164 Wohnraumüberwachung 188,198 Öffentlicher Dienst Beihilfeleistungen, Ausschluß bei Wahleistungen 263 ff Einstellungen, Versetzungen, Entlassungen 108 Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums 274 Öffentlicher Personennahverkehr Finanzierungsregelung über die Kostendeckung, unterbliebene 440 ff Öffentliches Recht Bindungen des Verwaltungsprivatrechts 110 Örtliche Aufgabenerledigung Bürgernahe Ansiedelung 19 Örtlichkeiten und Identitätskontrollen 339 ff Offenbare Unrichtigkeiten und Korrektur eines bereits verabschiedeten Gesetzes 222

536

Sachregister

Opposition Fehlerhafte Antragsablehnung eines Antrags der Regierungsfraktion 63 Organklage zur Chancengleichheit 148 Ordnungsrechtliche Vorschriften Meinungsfreiheit und Anwendung der G V G - 129 ff Organe Legitimation von entscheidungsbefugten Kollegial - 101 Organisation mittels Anstalt öffentlichen Rechts 103 Organisationsgewalt und Kapitalbeteiligung von Privatpersonen 103 Organisationshoheit und Bundesdruchgriff auf Kommunen 20 und kommunale Selbstverwaltung 323 419 Lastenverteilung Bund/Länder und Binnenorganisation der Länder 23 Organisierte Kriminalität und vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung 357 und Wohnraumüberwachung 202 Organklage Chancengleichheit der Opposition 148 Organstreitverfahren Ältestenratsbeschluß und Frist für das 516 Antragsbefugnis und verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis 509 Antragsgegner 145 Frist 513 ff Geschäftsordnungsbestimmungen 515 Politische Parteien und Recht auf Chancengleichheit 95 Rechtswidrigkeit eines Abstimmungsergebnisses 64 Träger eines Volksbegehrens 69 von Abgeordneten 511

Parlament Abstimmungsverhalten, Appelle an Mitglieder des Deutschen Bundestags 143 ff Änderung bereits verabschiedeten Gesetzes 221 und Antragsbefugnis im Organstreitverfahren 510 ff Beratungsgegenstand, inhaltliche Kontrolle auf Verfassungsmäßigkeit 147 f Bindung an eigenen Kompetenzrahmen 149 Chancengleichheit der Opposition 148 Eigene Zuständigkeit und weitergehender Beratungsgegenstand 143 ff Grundrechtsswicherung durch Kontrolle des - 176 Konkretisierung eines Untersuchungsauftrages, nachträgliche 70 Landesparlament und bundespolitische Themen 149 Minderheitenschutz 148 Mißbrauch parlamentarischer Rechte 146 Präsidiumsrechte, Präsidiumspflichten 147 Persönlichkeitsentfaltung Identitätskontrolle als Eingriff 348 und informationelle Selbstbestimmung 348 Persönlichkeitsrecht und berufliche Betätigung 220 und Schutz persönlicher Daten 181 Personalhoheit und kommunale Selbstverwaltung 419 f Kommunale Selbstverwaltung 427 Personalienerhebung Identitätskontrolle als — 347 Personenbezogene Daten s. Datenschutz Personengesellschaft Antragstellerin einer Grundrechtsklage 288

Sachregister Personennahverkehr Finanzierungsregelung über die Kostendeckung, unterbliebene 440 ff Personenvereinigungen Grundrechtsfähigkeit privater - 289 Planungsentscheidungen Gerichtliche Kontrolle 33 Politische Partei Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit 95 Politische Willensbekundungen Beschlüsse der Kultusministerkonferenz 410 Polizeirecht und Anordnungskompetenz 174 Aufgabe der Polizei 164 Befugnisnormen und Eingriffshandeln 350 Duldung ordnungsrechtlicher Eingriffe 336 Eingriffe in Vertrauensverhältnisse 178 ff Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen 161 ff Einsatz technischer Mittel gegen Kontakt-und Begleitpersonen 182 ff Einsatz technischer Mittel in/aus der Wohnung 188 ff Erhebung von Daten zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung 205 ff Erhebung personenbezogener Daten gegen Dritte 185 ff und Freiheitsanspruch des Einzelnen 353 Gefahrerforschungseingriff 169 Gerichtliches Verfahren 345 Gesetzgebungskompetenz 344 ff Identitätsfeststellung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung 337 ff Lagebilder, polizeiliche 355 Legitimation staatlicher Eingriffe 353 Löschung und Vernichtung personenbezogener Daten, unterbleibende 208 ff Nichtstörer-Inanspruchnahme 353 und parlamentarische Kontrolle 177

537

und V-Personeneinsatz 208 Verdachtslose Eingriffe 354 und Verfassungsvollzug 356 Verfassungswidriges Recht und Frage weiterer Gesetzesanwendung 369 f Vertrauensverhältnisse, Eingriff 180 und Wegfall der Binnengrenzen (Schengener Übereinkommen) 346 f Wohnraumüberwachung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung 198 ff Postgeheimnis und Einsatz technischer Mittel (Polizeirecht) 166 und parlamentarische Kontrolle 177 Pressefreiheit und Schutz des Redaktionsgeheimnisses 178 Presserechtliche Gegendarstellung Rechtsschutz 469 Privater Lebensbereich und Objekte heimlicher staatlicher Überwachung 173 Privatisierung und Anstalten des öffentlichen Rechts 97 ff Privatkapital und Anstalt öffentlichen Rechts 103 Privatrechtliche Entgelte und Anwendung staatlichen Gebührenrechts 109 Prognoseentscheidungen und Beweismittelfrage 87 ff Verfassungsgerichtliche Überprüfung 167 Prozeßbeteiligte und Anwendung ordnungsrechtlicher Vorschriften 129 ff Prozeßsituation und Rechtsverteidigung 136 Prozessuale Möglichkeiten Korrektur geltend gemachter Grundrechtsverletzung 153 Prüfungsentscheidungen Gerichtliche Kontrolle 33

538

Sachregister

Rechtliches Gehör Anhörung gerichtlicher Sachverständiger 87 ff Entscheidungen, herangezogene ohne vorherige Erörterung 489 Gerichtlicher Hinweis auf Rechtsauffassungen 78 ff Landesverfassungsrechtliche Prüfungskompetenz 487 und mündliche Verhandlung 46 Parteivortrag und richterliche Würdigung 46 Rechtsauffassungen von Prozeßbeteiligten 488 Tatsachenfeststellungen, unrichtige 46 Ungebühr vor Gericht 135 Rechts anwendungsgleichheit als Rechtsstaatsforderung 499 Rechtsentscheid Unterlassene Einholung 123 ff Rechtsfähige Verbände Grundrechtsfähigkeit privater - 289 f Rechtsfortbildung bei planwidriger Gesetzeslücke 334 und Rechtsanwendungsgleichheit 499 Rechtskraft Kommunale Verfassungsbeschwerde, Rechtskraft früherer Entscheidungen 15 Rechtslage und Gesetzesbestimmtheit 58 unklare, verworrene — 333 Rechtspflege Vorsorgende — 45 Rechtsprechung Ämtertrennung, Verbot der Aufgabenvermischung 44 und Gewaltenteilung 44 und Justizverwaltungsaufgaben 44 Rechtssatz-Beschwerde oder Fachgerichtsbarkeit 448 Rechtsschutzgarantie Gebot des effektiven - 61, 93 und irreparable staatliche Eingriffe 181 und Verfahrensrecht 469

Rechtssicherheit und kommunale Selbstverwaltung 330 Rechtsstaatsprinzip und Bestimmtheit von Gesetzen 57, 118 Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung 163 Gegenläufigkeit Freiheit und Sicherheit 356 Polizeirechtliche Eingriffsbefugnis 350 Rechts folgeanordnung, rückwirkende 330 Ungebühr vor Gericht 135 und Verhältnismäßigkeit 351 Rechtsverordnung Kommunale Verfassungsbeschwerde und Konkretisierung einer Norm durch eine — 448 und Vorabentscheidung über eine Verfassungsbeschwerde 213 ff Rechtsverteidigung und konkrete Prozeßsituation 136 Rechtsweg Wahlverfahren 235 ff Rechtswegerschöpfung Ausnahme sofortiger Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde 153, 218 ff, 408 Eilverfahren nach der VwGO 152 Eilverfahren, fachgerichtliche und eigenständiger Rechtsweg 408 Fachgerichtsbarkeit, ausgeschlossene 290 Nichtzulassung der Revision 55 Redaktionsgeheimnis und Pressefreiheit 178 Regierung Landesregierung und Bundesratstätigkeit 149 Reichszweckverbandgesetz 1939 Vereinbarkeit mit dem GG 328 Religionsausübung Verfassungsrechtlicher Schutz 178 Richter und Justizverwaltungsaufgaben 44

Sachregister Richterliche Neutralität Sicherung 44 Richtervorbehalt für Grundrechtseingriffe 175 Rückstellungen Gebührenrecht 121 Rückwirkung von Gesetzen Rechtslage, unklare und verworrene 333 Rechtsprechung des BVerfG 331 Rundfunkstaatsvertrag Ausgleich von Interessenlagen 469 Sachsen Kommunale Gebietsreform 384 Stadt-Umland-Gesetz Leipzig 375 ff Sachsen (Landesverfassung) Ausbildungsstätte, freie Wahl 409 Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 370 Sachsen-Anhalt Bürgermeister-Amt und GemeinderatsStatus 471 ff Gemeindeordnung 413 ff Öffentlicher Personennahverkehr, Finanzierungsregelung 440 ff Sachsen-Anhalt (Landesverfassung) Finanzausgleich, besondere Kostenabgeltung 450 Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 370 Sachverhaltsermittlung Neugliederung von Kommunen 394 Satzungshoheit Kommunale Selbstverwaltung 427 Schengener Durchführungsübereinkommen Ausgleichsmaßnahmen nach Wegfall der Binnenkontrollen 346 Schüler Recht auf Bildung 155 Schulsystem Gestaltungsfreiheit des Landesgesetzgebers 156 Selbstverwaltung s. Kommunale Selbstverwaltung Sonn- und Feiertagsschutz

539

Verfassungsrechtliche Überprüfung eines Befreiungstatbestandes 279 ff Soziale Sicherung und verschlechterte Finanzausstattung 32 Sozialhilfe als übertragene Selbstverwaltungsaufgabe 17 Aufgabenübertragung 7 Örtliche Träger 6,18 und Asylbewerberleistungsgesetz 22 Sozialhilfeleistungen und interkommunales Gleichbehandlungsgebot 246 Sozietätsbildung unter Notarteilnahme 40 Sparkassenzweckverband zwischen Stadt und Landkreis 426 Srilanka Streitigkeiten von Asylbewerbern aus — 82 ff Staat und Bürger Wesentlichkeitstheorie 107 Staatliche Aufgaben Legitimation für die Wahrnehmung — 101 Staatliche Einflußnahme und kommunale Selbstverwaltung 421 Staatliche Gewalt Erfüllung öffentlicher Aufgaben 102 Staatliche Kontrollen und Menschenbild des Grundgesetzes 352 f Staatliche Leistungsfähigkeit und kommunale Finanzausstattung 10 Staatliche Zweckverfolgung und eigenes selbstbestimmtes Verhalten 352 Staatsaufbau und Gemeindestellung 241 Zweistufiger des Grundgesetzes 24 Staatsaufgaben und Haushaltsplanung 28

540

Sachregister

Staatsgewalt und Demokratieprinzip 100 Stadtkreise Asylrecht, Ausführung 20 Aufgabenübertragung und finanzielle Ausgleichspflicht 20 Bundesdurchgriff auf Kommunen 18 Finanzlage, kritische 32 Neue Aufgabenzuweisung 22 Ortliche Träger der Sozial- und Jugendhilfe 18 Träger der Sozialhilfe 6 Übertragung der Sozialhilfeaufgaben 17 Volksvertretung 427 Steuerkraft einer Gemeinde Ermittlung 250 Steuermeßkraftzahl Ermittlung für die Gemeinden 249 Störereigenschaft und polizeirechtlicher Eingriff 353 Strafähnliche Sanktionen Ungebühr vor Gericht und Ordnungsmittel 138 Strafprozeßrecht Anordnung ärztlicher Untersuchung 232 ff Straftaten und Anforderungen an richterliche Durchsuchungsanordnung 49 ff Annahme der Begehung solcher von erheblicher Bedeutung 164 Bedeutung von Verhinderung, Aufklärung 356 Gefahrbegriff und Grundrechtseingriff 210 Kriminalitätsbekämpfung mittels Polizeirechts 167 ff und polizeiliche Befugnisse 345 f und Wohnraumüberwachung 201 Strafverfahren Rechtsstaatliche Grundsätze 135 Straßen und Identitätsfeststellungen 337 ff

Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Aufgabenverteilung Verfassungsgericht/Fachgericht 153,291 Fachgerichtliche Vorprüfung als Zweck 408 Hauptverfahren, Verweisung auf das fachgerichtliche 408 Kommunale Verfassungsbeschwerde 322 Prozessuale Möglichkeiten zur Korrektur einer Grundrechtsverletzung 153 und Rechtswegerschöpfung, Abgrenzung 290 f für Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze 291 Tankstellenbetriebe und Befreiung vom Feiertagsverbot 280 ff Tatsachen Annahme der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung 164 Tatsachenbehauptungen und Sachverständigengutachten 91 Tatsächliche Verhältnisse und Rechtskraft früherer Entscheidung 15 Technische Mittel Einsatz gegen Kontakt- oder Begleitpersonen 182 ff Einsatz gegen potentielle Straftäter außerhalb von Wohnungen 161 ff Einsatz zur Gefahrenabwehr in/aus der Wohnung von Betroffenen 188 ff Thüringen (Landesverfassung) Nichtigkeitsfolge, Unvereinbarkeit mit der Verfassung 370 Rechtliches Gehör 487 Staatsbürgerliche Rechte 490 Willkürverbot 499 Ubergangsregelungen Gebot der Verhältnismäßigkeit 230

Sachregister Überwiegendes Allgemeininteresse Eingriffsvoraussetzung des — 163 Umweltbeeinflussung Verhaltens Steuerung mittels Entgeltregelung 120 Unbestimmte Rechtsbegriffe Denkmalschutzrecht 51 ff Ungebühr Rechtliches Gehör, Rechtsstaatsprinzip 135 UNHCR Asylstreitigkeiten und amtliche Auskünfte des - 82 ff Universität Recht auf freien Zugang 409 Unmittelbare Betroffenheit durch ein Gesetz 336 Untätigkeit des Gesetzgebers und gesetzgeberische Regelungstechnik 334 f Unterlassen Sanktion eines gesetzgeberischen — 457 Unternehmensvertrag und Anstalt öffentlichen Rechts 104 Untersuchung Strafgerichtliche Anordnung ärztlicher 232 ff Untersuchungsausschuß Nachträgliche Auftragskonkretisierung 70 Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz 369 V-Personen Datenerhebung zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung 205 Verdachtslose Eingriffe außerhalb des Polizeirechts 354 Vereidigter Buchprüfer Notar, Bestellung zum - 38 ff Vereinte Nationen UNHCR-Auskünfte 89 Verfahrensrecht und prozeduraler Grundrechtsschutz 30,173,194

541

Verfassungsänderung Volksbegehren mit dem Ziel einer — 64 ff Verfassungsbeschwerde (Bund) s. dort Bundesverfassungsgericht Subsidiarität s. dort Rechtswegerschöpfung s. dort Vorlage an das BVerfG s. dort Verfassungsbeschwerde (Berlin) Anspruch auf den gesetzlichen Richter 56 Berufsausübungsfreiheit 47 Bindung Berliner Organe an das Bundesrecht 42 und bundesgerichtliche Uberprüfung von Akten der Landesgewalt 56 Bundesrecht und in der Berliner Verfassung verbürgte grundrechtsgleiche Individualrechte 133 Bundesrecht und Landesbindung 42 Freizügigkeit von Ausländern 93 Hinweis auf GG-Normen 55 Menschenwürde 43 Persönlichkeit, freie Entfaltung 47 Rechtliches Gehör 46, 78 ff Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde 369 Verfassungsbeschwerde zum BVerfG, parallele Erhebung 96 Vorbehalt des Gesetzes 55 Vortrag nach Ablauf der 2-Monats-Frist 57 Verfassungsbeschwerde (Brandenburg) Bundesverfassungsgerichtliches Verfahren, abgeschlossenes und — 258 Einstweilige Anordnung 233 Gemeinde-Individualverfassungsbeschwerde 257 Rechtsverordnung, angegriffene und Vorabentscheidung 213 ff Rechtswegerschöpfung und Ausnahme sofortiger Entscheidung über eine — 153 Verfassungsbeschwerde (Hessen) Grundrechtsfähigkeit privater Personenvereinigungen 289 f

542

Sachregister

Monatsfrist 312 V e r f a s s u n g s b e s c h w e r d e (MecklenburgVorpommern) gegen Landesgesetz 336 V e r f a s s u n g s b e s c h w e r d e (SachsenAnhalt) Rechtssatz-Verfassungsbeschwerden 445 V e r f a s s u n g s b e s c h w e r d e (Thüringen) Kommunalwahlen und gleichheitsrechtliche Gewährleistungen 479 ff Verfassungsgerichtsbarkeit Außerkrafttreten einer Norm, weitere Überprüfung im Rahmen der — 16 und Erweiterung des GrundrechteSchutzes 29 und Fachgerichtsbarkeit 45, 153 und Haushaltskontrolle 27 Rechtskraft früherer Entscheidung 15 Vorlage an das BVerfG 17 Verfassungsmäßige Ordnung Gesetzgeberbindung an die — 177 Rechtsstaatsforderung 356 Verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis und Antragsbefugnis im Organstreitverfahren 509 Verfassungsschutz und parlamentarische Kontrolle 177 Verfassungswidriges Recht und Vorlage an das BVerfG 17 Verhältnismäßigkeit Berufsausübungsregelung 222,227 Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung 163 Eingriff in Vertrauensverhältnisse 179 Gebührenrecht 109 Gebührenrecht und Äquivalenzprinzip 111 Identitätskontrolle 349 ff Kommunale Selbstverwaltung, Eingriffe in den Randbereich 254 Kontakt- und Begleitpersonen potentieller Straftäter 183 Personenbezogene Daten Dritter, Erhebung 186

Richterliche Durchsuchungsanordnung 49 ff Ungebühr vor Gericht und Ordnungsmittel 138 und Verpflichtung zu Ubergangsregelungen 230 Vorbeugende Verbrechensbekämpfung mittels technischer Mittel 166,193 Vertrauensschutz als allgemeiner Rechtsgrundsatz 275 und kommunale Selbstverwaltung 330 und Rückwirkung von Gesetzen 331 Vertrauensverhältnisse Gesetzgeberische Eingriffe 179 Kontakt- und Begleitpersonen 184 Polizeirechtliche Eingriffe 180 Verfassungsrechtlicher Schutz 178 und Wohnraumüberwachung 204 Verwaltung Legitimation ausgeübter Staatsgewalt 101 Verwaltungsakt Kommunale Verfassungsbeschwerde und Konkretisierung einer Norm noch durch - 448 Verwaltungsangelegenheiten Aufgabenübertragung und finanzielle Ausgleichspflicht 21 Verwaltungsbehörde oder Handeln als Körperschaft des öffentlichen Rechts 23 und Rechtsprechung 44 Verwaltungsgerichtsbarkeit Asylklagen und Einschätzung offensichtlicher Aussichtslosigkeit 93 und effektiver Rechtsschutz beim Denkmalschutz 61 Rechtsverordnung und Landesverfassung 218 und verfassungsgerichtliche Überprüfung 487 Verfassungskonforme Anwendung 62 Verwehrte Hochschulzugangsberechtigung 401 ff Verwaltungsorganisation und kommunale Selbstverwaltung

307

Sachregister Verwaltungsprivatrecht und Bindungen des öffentlichen Rechts 110 und Gebührenrecht 111 Verwaltungsräume und Abgrenzung der Kommunen 381 Verwaltungsrechtsweg Zurückweisung eines Antrags auf Berufungszulassung 257 Verwaltungstätigkeit Verlagerung von Gemeinden auf Verwaltungsgemeinschaft 419 ff Verwaltungsvereinbarungen Beschlüsse der Kultusministerkonferenz 410 Verwaltungsverfahren und Gemeindevertretung 320 Gesetzesvorbehalt und hinreichend bestimmtes — 61 und Grundrechtspositionen 61 Völkerrecht Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 162 Volk und Kommune 307 und Staatsgewalt (Demokratieprinzip) 100 Völksbegehren Organstreit und Träger eines — 69 Verfassungsänderung, begehrte 64 ff und Verstoß gegen höherrangiges Recht 64 ff Volksvertretung für Kommunen 427 Vollständigkeit der Rechtsordnung 326 Vorbehalt des Gesetzes Beschlüsse der Kultusministerkonferenz und - 401 ff Eingriff in Vertrauensverhältnisse 179 Qualifizierter Vorbehalt 209 Verfassungsbeschwerde wegen einer behaupteten Verletzung 55

543

Verwaltungsverfahren, hinreichend bestimmtes 61 Vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung Ausnahmecharakter von Eingriffsbefugnissen 357 und Gefahrenabwehr 212 Gesetzgebungskompetenz 345 Identitätskontrollen auf Durchgangsstraßen 339 ff Organisierte Kriminalität 357 Polizeiaufgabe 164,184 Wohnraumüberwachung 203 Vörkonstitutionelles Recht und Einigungsvertrag 326 Vorlage an ein anderes Gericht und gesetzlicher Richter 127 Vorlage an das Bundesverfassungsgericht Bundesgesetz, förmliches durch Landesverfassungsgericht 17 Gesetz im formellen Sinne, erforderliches 266 Kompetenzordnung und dagegen verstoßendes Landesrecht 344 Landesrecht und späteres Bundesrecht 195 und Landesverfassungsgerichtliche Uberprüfung von Bundesrecht 43 Wählerverzeichnis Nichteintragung 235 ff Wahlanfechtung Beschränkungen der Kommunal — 495 ff Wahlbehörden Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Maßnahmen 235 ff Wahlberechtigung Ausschluß 139 Wahlergebnis Ordnungsgemäße öffentliche Bekanntmachung 491 f Wahlleistungen Beihilfefähige Aufwendungen im Krankheitsfall 263 ff Wahlprüfungsverfahren und allgemeiner Rechtsweg 236

544

Sachregister

Wahlrecht Bürgermeister-Amt und GemeinderatsMandat 471 ff Gemeindewahlen, Landtagswahlen 309 Kommunalwahlen und Gleichbehandlung im aktiven/passiven - 473 Wahlrechtsgleichheit und Kommunalwahlen 489 Wahlrechtsgrundsätze und Gemeindeverbände 299 Wahlverfahren Gemeinden, Verwaltzungsgemeinschaften 426 Poltische Parteien und Recht auf Chancengleichheit 95 und subjektive Rechte 236 Wasserversorgung Kommunale Selbstverwaltung 323 Weimarer Reichsverfassung Grundrechtsfähigkeit privater Personenvereinigungen 289 und sog. Regierungsgesetz 329 Sonn- und Feiertagsschutz 285, 292 Weimarer Republik Finanzausgleichsgesetze 21 Wesensgehalt von Grundrechten und Frage der Einschränkbarkeit 173 Wesentlichkeitstheorie und Gesetzgeberentscheidungen 107 Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes 328 Willkürverbot und allgemeines Gleichbehandlungsgebot 293

Wirtschaftliche Existenz und Frage einer Ubergangsregelung 230 Wirtschaftsprüfer und Notar, Sozietätsbildung 40, 47 Wohnraumüberwachung Technische Mittel zum Abhören, Aufnahmen 188,198 Wohnung Begriff 193 Grundrechtseingriffe 175 Qualifizierter Gesetzesvorbehalt für Eingriffe 209 Schutz vor staatlichen Eingriffen 190 Unverletzlichkeit 188 Wohnungsdurchsuchung Uberprüfung richterlicher Durchsuchungsanordnung 49 ff Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen und verwehrte Hochschulzugangsberechtigung 401 ff Zinssatz Gebührenrecht und Eigenkapitalverzinsung 114 ff Zivilprozeß und Protokollinhalt 81 Zustellung und Fristenlauf für eine Verfassungsbeschwerde 313 Zweckverbände Bildung in der Zeit 3.10.1990/11.6.1994 317 ff Gemeindeanschluß, zwangsweiser 425 Kommunalrecht 325 Sparkassenzweckverband 426

Gesetzesregister Bundesrecht Asylverfahrensgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 27. Juli 1993 (BGBl. S. 1361) - AsylVfG-

§ 78 Abs. 1

Nr. 9 (B)

Bundesnotarverordnung vom 24. Februar 1961 (BGBl. S. 97) - BNotO -

§ 8 Abs. 2 a. F. § 92 Nr. 2

Nr. 1 (B) Nr. 1 (B)

Bundespflegesatzverordnung vom 26. September 1994 (BGBl. I S. 2750) mit späterer Änderung - BPflV -

§ 2 Abs. 2 §7 §9 §11 § 13 § 14 Abs. 5 Satz 5 § 22 § 26

Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H)

Bundessozialhilfegesetz i. d. F. vom 23. März 1994 (BGBl. IS. 646) - B S H G -

§ 96

Nr. 1 (BW)

Bundeswahlgesetz vom 7. Mai 1956 (BGBl. I S. 383) mit späteren Änderungen -BWG-

§ 6 Abs. 4

Nr. 1, 2 (H)

Finanzausgleichsgesetz i. d. F. vom 5. Dezember 1988 (GBl. S. 3 9 8 ) - F A G -

§1 §2 § 21

Nr. 1 (BW) Nr. 1 (BW) Nr. 1 (BW)

Gesetz über den Bundesgrenzschutz vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2978), zuletzt geändert durch Änderungsgesetz vom 17. Juni 1999 (BGBl. I S. 1334) - BGSG -

§ 1 Abs. 1 a

Nr. 3 (MV)

546

Gesetzesregister

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht i. d. F. der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBL I S. 1473) mit späterer Änderung — BVerfGG —

§ 76 Nr. 2

Nr. 1 (H)

§ 79 Abs. 1 §91 §92 § 93 c Abs. 2 Satz 3 § 95 Abs. 3 § 64 Abs. 1 § 64 Abs. 3

Nr. 3 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 2 (Thür) Nr. 2 (Thür)

Gerichtsverfassungsgesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077) - GVG -

§178

Nr. 15 (B)

Gesetz über den Bundesgrenzschutz vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2978), zuletzt geändert durch Änderungsgesetz vom 17. Juni 1999 (BGBl. I S. 1334) - B G S G -

§ 1 Abs. 1 a

Nr. 3 (MV)

Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der § 144 a freiwilligen Gerichtsbarkeit i. d. F. der Bekanntmachung vom 26. Juli 1956 (BGBl. S. 960) - KostO -

Nr. 6 (B)

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) - GG -

Art. 104a

Nr. 1 (BW)

Art. 20 Abs. 2 Art. 21

Nr. 1 (B) Nr. 11 (B)

Art. Art. Art. Art. Art.

13 Abs. 4 13 Abs. 5 13 Abs. 6 Satz 3 28 Abs. 2 73 Nr. 1

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

3 (Bbg) 3 (Bbg) 3 (Bbg) 7 (Bbg) 1 (Bbg)

Art. Art. Art. Art.

3 Abs. 1 33 Abs. 2 33 Abs. 5 100

Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (H) 1 (H) 1 (H) 1 (H)

Art. 1 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1 Art. 2 Abs. 2

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

547

Gesetzesregister Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Art. 20 Abs. 3 Art. 20 a Art. 23 Satz 1 a. F. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Art. 70 Art. 73 Nr. 5 Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Art. 100 Abs. 1 Art. 104 Art. 123 Art. 123 Abs. 1 Art. 124 Art. 129 Abs. 4 Art. 143

N N N N N N N N N N N N N N N

3 (MV) 3 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 3 (MV) 1,3 (MV) 3 (MV) 3 (MV) 3 (MV) 3 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 3 (MV)

N 8(S) Art. 28 Abs. 2 Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b N 8(S) N 2, 3 (S) Art. 103 Abs. 1 Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Art. 48 Abs. 3 Art. 100 Abs. 3

N 1 (Thür) N 1 (Thür) N 1 (Thür)

Sozialgesetzbuch V vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) mit späterer Änderung - SGB V -

§ 115a

Nr. 1 (H)

Sozialgesetzbuch VIII — Kinder- und Jugendhilfei. d. F. vom 15. März 1996 (BGBl. I S. 477) -SGB VIII-

§5

Nr. 1 (BW)

Strafprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319) -StPO-

§ 98 Abs. 2 §102

Nr. 2 (B) Nr. 2 (B)

§ 81 a

Nr. 5 (Bbg)

§ 152 Abs. 2 § 163b

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

Straßenverkehrsordnung vom 16. November 1970 (BGBl. I S. 1565, ber. 1971 S. 38) - StVO -

§ 36 Abs. 5

Nr. 3 (MV)

Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. IS. 6 8 6 ) - V w G O -

§ 124 Abs. 2 Nr. 1 §124 Abs. 2 Nr. 3 § 124 a Abs. 1 Satz 4

Nr. 8 (Bbg) Nr. 8 (Bbg) Nr. 8 (Bbg)

548

Gesetzesregister

Verwaltungsgerichtsordnung i.d.F. der § 47 Abs. 5 Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473) mit späterer Änderung - VwGO -

Nr. 1 (H)

Landesrecht Baden-Württemberg Gesetz über die Aufnahme von Asylbewerbern und Asylbewerberinnen vom 21. Oktober 1996 (GBl. S. 649) - AsylAG -

§5

Nr. 1 (BW)

Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich §§ 1, 2, 21 i. d. F. vom 26. September 1991 (GBl. S. 658, geändert durch Art. 15 Haushaltsstrukturgesetz 1997 vom 16. Dezember 1997 (GBl. S. 776) und § 14 Staatshaushaltsgesetz 1997 vom 12. Februar 1997 (GBl. S. 26) - FAG -

Nr. 1 (BW)

Gesetz über den Staatsgerichtshof § 23 vom 13. Dezember 1954 (GBl. S. 171) - StGHG -

Nr. 1 (BW)

Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 (GBl. S. 173) - LV -

Art. 71 Abs. 3 Art. 73 Abs. 1

Nr. 1 (BW)

Denkmalschutzgesetz Berlin vom 24. April 1995 (GVB1. S. 274) - DSchG Bin 1995 -

§ 2 Abs. 2 § 2 Abs. 4 Satz 1

Nr. 3 (B) Nr. 3 (B)

Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVB1. S. 925) - UAG Bin -

§2

Nr. 7 (B)

Gesetz über Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid vom 11. Juni 1997 (GVB1. S. 304) - VInG Bin -

§ 41

Nr. 6 (B)

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 18. November 1990 (GVB1. S. 2246; GBAB1. S. 510) - VerfGHG -

§ 37 Abs. 1 § 14 Nr. 4 § 14 Nr. 7, 55 Abs. 1 § 14 Nr. 7

Nr. 4 (B) Nr. 8 (B) Nr. 5 (B) Nr. 6 (B)

Berlin

549

Gesetzesregister

Verfassung von Berlin vom 23. November 1995 (GVB1. S. 779) - VvB -

§ 31 Abs. 1 § 40 Abs. 3 Nr. 3 § 49 Abs. 1

Nr. 8 (B) Nr. 16 (B) Nr. 11 (B)

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

2 3 Abs. 1 6 7 10 Abs. 1 14 Abs. 1 15 Abs. 1

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

15 Abs. 4 15 Abs. 5 Satz 2 23 Abs. 1 Satz 1 28 Abs. 2 39 Abs. 1 59 Abs. 1 62 Abs. 5 70 Abs. 1 Satz 1 80 84 Abs. 2 Nr. 1 84 Abs. 2 Nr. 5

Nr. 13 (B) Nr. 3,13 (B) Nr. 2 (B) Nr. 1,2,15 (B) Nr. 13 (B) Nr. 15 (B) Nr. 1,9,10, 15 (B) Nr. 6,10 (B) Nr. 14 (B) Nr. 3 (B) Nr. 2 (B) Nr. 16 (B) Nr. 3,13 (B) Nr. 5 (B) Nr. 16 (B) Nr. 3 (B) Nr. 6 (B) Nr. 12 (B)

Brandenburg Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure im Land Brandenburg vom 13. Dezember 1991 (GVB1. S. 647) - ÖbVermlngBO -

§ 1 Abs. 2 §3 § 22

Nr. 4 (Bbg) Nr. 4 (Bbg) Nr. 4 (Bbg)

Brandenburgische Bauordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 25. März 1998 (GVB1.1 S. 82) - BbgBO -

§ 74 Abs. 8

Nr. 4 (Bbg)

Geschäftsordnung des Landtags Brandenburg vom 11. Oktober 1994 (GVB1. IS. 414, erg. in GVB1.1995 I S. 7) - GeschOLT -

§ 15 Abs. 1 Satz 2 § 41 Abs. 1 § 48 Abs. 1

Nr. 1 (Bbg) Nr. 1 (Bbg) Nr. 4 (Bbg)

550

Gesetzesregister

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei im Land Brandenburg vom 19. März 1996 (GVB1.1 S. 171) - Brandenburgisches Polizeigesetz — BbgPolG —

§ 33 Abs. 1 Satz Ziff. 2, 3 § 33 Abs. 1 Satz § 33 Abs. 3 Ziff. 1,2 § 34 Abs. 1 Satz Ziff. 2, 3 § 34 Abs. 1 Satz § 47 Abs. 5 Satz Ziff. 2

1 2

Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg)

1 2 1

Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg)

Gesetz über die Landvermessung und das Liegenschaftskataster im Land Brandenburg i. d. F. der Bekanntmachung vom 19. Dezember 1997 (GVB1.1998 I S. 2) - Vermessungs- und Liegenschaftsgesetz — VermLiegG —

§ 15

Nr. 4 (Bbg)

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Brandenburg an die Gemeinden und Landkreise im Haushaltsjahr 1998 vom 22. Dezember 1997 (GVB1.1 S. 154) - Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 - GFG 1998 -

§2 § 4 Abs. 1 §8 §9 § 10 Abs. 1 § 16 §21 §23

Nr. 7 Nr. 7 Nr. 7 Nr. 7 Nr. 7 Nr. 7 Nr. 7 Nr. 7

Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. November 1996 (GVB1.1 S. 344) Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg — VerfGGBbg —

§30 §45 §45 §51

Abs. 1 Abs. 1 Abs. 2 Abs. 2

Nr. Nr. Nr. Nr.

Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 (GVB1.1 S. 298) - LV -

Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

2 Abs. 5 5 Abs. 2 6 Abs. 1 6 Abs. 2 7 Abs. 1 Satz 1 11 Abs. 1 11 Abs. 2 12 Abs. 1 15 Abs. 1 15 Abs. 3 29 Abs. 1 29 Abs. 3 30 Abs. 4 42 Abs. 1 Satz 1

Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 3, 8 (Bbg) Nr. 8,10 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 4 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg) Nr. 2 (Bbg) Nr. 2 (Bbg) Nr. 2 (Bbg) Nr. 4 (Bbg)

(Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg)

5 (Bbg) 10 (Bbg) 2, 4 (Bbg) 9 (Bbg)

Gesetzesregister Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art. Art.

551 49 Abs. 1 52 Abs. 4 Satz 1 55 Abs. 2 56 Abs. 2 63 67 Abs. 1 Satz 2 74 Abs. 1 96 Abs. 3 97 Abs. 1 97 Abs. 1 Satz 1 97 Abs. 3 99 Satz 2, 3

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

4 (Bbg) 8 (Bbg) 1 (Bbg) 1 (Bbg) 6 (Bbg) 1 (Bbg) 3 (Bbg) 3 (Bbg) 8 (Bbg) 7 (Bbg) 7 (Bbg) 7 (Bbg)

Verordnung über Bauvorlagen im bauaufsichtliehen Verfahren vom 19. Dezember 1997 (GVB1. 1998 II S. 18) - Bauvorlagenverordnung BauVorlV -

§ 2 Abs. 1 §8 § 9 Ziff. 1 § 10 Ziff. 1 § 11 Ziff. 1 § 13 Abs. 1 Ziff. 1

Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4 Nr. 4

(Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg) (Bbg)

Wahlgesetz für das Land Brandenburg vom 2. März 1994 (GVB1.1 S. 38) - BbgLWahlG -

§ 48

Nr. 6 (Bbg)

Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht i. d. F. vom 2. September 1996 (GVB1. S. 224) mit späterer Änderung — HVerfGG —

§ 14 Nr. 2 §41 § 41 Abs. 2 b §66

Nr. 1 Nr. 1 Nr. 1 Nr. 1

Hamburgisches Beamtengesetz i. d. F. vom 29. November 1977 (HmbGVBl. S. 367) mit späterer Änderung - HmbBG -

§85 § 85 Satz 2 § 85 Satz 3

Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H)

Hamburgische Beihilfeverordnung i. d. F. vom 4. April 1995 (HmbGVBl. S. 73) mit späterer Änderung — HmbBeihVO —

§6 § 6 Nr. 6 Satz 1 § 6 Nr. 6 Satz 2 §14 § 14 Abs. 6

Nr. 1 Nr. 1 Nr. 1 Nr. 1 Nr. 1

Hamburg (H) (H) (H) (H)

(H) (H) (H) (H) (H)

552

Gesetzesregister

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952 (Bl. 1100-a) mit späterer Änderung - HV -

Art. 59 Art. 59 Abs. 1 Art. 59 Abs. 2 Art. 59 Abs. 2 Satz 2 Art. 59 Abs. 3 Art. 65 Abs. 3 Nr. 2

Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H) Nr. 1 (H)

Hessisches Feiertagsgesetz - HFeiertagsG -

§ 14 Abs. 2

Nr. 1 (He)

Gesetz über den Staatsgerichtshof des Landes Hessen vom 30. November 1994 (GVB1.1994 S. 684) - StGHG -

§ 19 Abs. 2 Nr. 10 § 43 § 44 § 45 Abs. 1 Satz 2 § 46 Art. 1 Art. 38 Abs. 2 Art. 53 Art. 137

Nr. 2 (He) Nr. 1 (He) Nr. 1 (He) Nr. 3 (He) Nr. 2 (He) Nr. 1 (He) Nr. 1 (He) Nr. 1 (He) Nr. 2 (He)

Gesetz über das Landes Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Juli 1994 (GVOB1. 1994 S. 734, 736) - LVerfGG -

§ 11 Abs. 1 Nr. 8 § 28 Abs. 2 § 32 Abs. 1 § 32 Abs. 2 § 33 Abs. 2 §§ 51 ff. § 51 Abs. 1 § 51 Abs. 2 §53 § 53 Nr. 8 §56 § 63 Abs. 3

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 1,3 (MV) Nr. 1,3 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern i. d. F. der Bekanntmachung vom 25. März 1998 (GVOB1. S. 335) - SOG M-V -

§ 7 Abs. 1 Nr. 4 § 14 Abs. 1 §15 §28 § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 - 4 § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

Hessen

Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 (GVB1.1946 S. 229) - HV -

Mecklenburg-Vorpommern

Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV)

553

Gesetzesregister § 29 Abs. 2 - 4 §31 §§ 36 ff. §49 §§ 68 ff.

N N N N N

3 3 3 3 3

(MV) (MV) (MV) (MV) (MV)

Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern i. d. F. der Bekanntmachung vom 13. Januar 1998 (GVOB1.1998 S. 29) - KV M-V -

§ 2 Abs. 2 § 39 Abs. 2 Satz 1 § 127 § 127 Abs. 1 Satz 6 §128 §§ 150 ff. § 170 a Abs. 1 Satz 1 § 170 a Abs. 1 Satz 2 § 170a Abs. 13 Satz 1 § 170a Abs. 13 Satz 4 § 170b § 177 Abs. 1 § 177 Abs. 3 Nr. 3

N N N N N N N N N N N N N

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

(MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV) (MV)

Zweites Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Januar 1998 (GVOB1. S. 78) - 2. ÄndG KV M-V -

Nr. 2

Nr 1 (MV)

Drittes Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Juli 1998 (GVOB1. S. 634) - 3. ÄndG KV M-V -

Nr. 1 (MV)

Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern Art. 2 vom 23. Mai 1993 (GVOB1. S. 371, 372) - LV Art. 4 Art. 5 Abs. 2 Art. 5 Abs. 3 Art. 6 Abs. 1 Art. 6 Abs. 4 Art. 53 Nr. 7 Art. 53 Nr. 8 Art. 72 Art. 72 Abs. 1

Nr. 1 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 3 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV)

Wassergesetz des Landes MecklenburgVorpommern vom 30. November 1992 (GVOB1. S. 669) geändert durch Enteignungsgesetz vom 2. März 1993 (GVOB1. S. 178) - LWaG -

Nr. 1 (MV) Nr. 1 (MV)

§40 Abs. 1 §43

554

Gesetzesregister

Sachsen Gesetz zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse im Bereich der Kreisfreien Stadt Leipzig vom 24. August 1998 (GVB1. S. 475) i. d. F. des Gesetzes zur Gemeindegebietsreform in der Planungsregion Oberlausitz-Niederschlesien vom 28. Oktober 1998 (GVB1. S. 553) — Stadt-Umland-Gesetz Leipzig —

Art. 1 § 1

Nr. 1 (S)

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen vom 18. Februar 1993 (GVB1. S. 177, ber. in GVB1. S. 495) - SächsVerfGHG —

§ 7 Nr. 8 § 23 Satz 1 § 27 Abs. 1 § 27 Abs. 2 §36

Nr. 1(S) Nr. 1(S) Nr. 2(S) Nr. 2(S) Nr. 1(S)

Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992 (GVB1. S. 243) - SächsVerf -

Art. 28 Abs. 2 Satz 2 Art. 29 Abs. 1 Art. 78 Abs. 2 Art. 78 Abs. 3 Art. 88 Abs. 1 Art. 88 Abs. 2 Art. 90

Nr. 2(S) Nr. 2(S) Nr. 2(S) Nr. 2(S) Nr. 1(S) Nr. 1(S) Nr. 1(S)

Gesetz über das Landesverfassungsgericht vom 23. August 1993 (LSA-GVB1. 1993 S. 441) — Landesverfassungsgerichtsgesetz —

§ 48 § 51

Nr. 2,3 (SA) Nr. 2 (SA)

Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 5. Oktober 1993 (LSA-GVB1. S. 568) i. d. F. des Art. 4 des GKG-Anderungsgesetzes vom 3. Februar 1994 (LSA-GVB1. S. 164) - Gemeindeordnung — GO-LSA

§ 75 § 77

Nr. 1 (SA) Nr. 1 (SA)

Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt i.d.F. 1999

§ 35 §36 § 40 Abs. 1

Nr. 3 (SA) Nr. 3 (SA) Nr. 3 (SA)

Sachsen-Anhalt

Haushaltbegleitgesetz 1997

Nr. 2 (SA)

Landesfinanzausgleichsgesetz vom 31. Januar 1995

Nr. 2 (SA)

Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 (LSA-GVB1. S. 600) - LVerfG -

Art. 2 Abs. 2, 3 Art. 8

Nr. 1 (SA) Nr. 3 (SA)

Gesetzesregister

Art. Art. Art. Art.

555

87 Abs. 1 87 Abs. 3 88 89

Nr. 1 (SA) Nr. 2 (SA) Nr. 2 (SA) Nr. 3 (SA)

Thüringen Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Thüringer Landtags vom 9. März 1995 (GVB1. S. 121) - ThürAbgG -

§ 48 Abs. 1 § 60 Abs. 6

Nr. 2 (Thür) Nr. 2 (Thür)

Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof vom 28. Juni 1994 (GVB1. S. 781) - ThürVerfGHG -

§ 39 Abs. 1 § 39 Abs. 3

Nr. 2 (Thür) Nr. 2 (Thür)

Thüringer Gesetz über die Wahlen in den § 31 Abs. 1 Landkreisen und Gemeinden vom 16. August 1993 (GVB1. S. 530) - ThürKWG -

Nr. 1 (Thür)

Thüringer Kommunalwahlordnung vom 3. Februar 1994 (GVB1. S. 93) - ThürKWO -

§ 52

Nr. 1 (Thür)

Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993 (GVB1. S. 625) - ThürVerf -

Art. 2 Abs. 1 Art. 42 Abs. 5 Art. 46 Abs. 1 Art. 47 Abs. 4 Art. 53 Abs. 1 Satz 2 Art. 58 Abs. 1 Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 Art. 88 Abs. 1 Art. 95

Nr. 1 (Thür) Nr. 1 (Thür) Nr. 1 (Thür) Nr. 1 (Thür) Nr. 2 (Thür) Nr. 2 (Thür) Nr. 1 (Thür) Nr. 2 (Thür) Nr. 1 (Thür) Nr. 1 (Thür)

Reichsrecht Zweckverbandsgesetz vom 7. Juni 1939 (RGBl. I S. 979)

Nr. 1 (MV)

Verordnung zur Änderung des Zweckverbandsgesetzes vom 24. Juli 1941 (RGBl. I S. 464)

Nr. 1 (MV)

556

Gesetzesregister

Zwischenstaatliches Recht und Vertragsgesetze Übereinkommen zur Durchfuhrung des Überein- Art. 2 Abs. 3 kommens vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der BeneluxWirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990 (BGBl. 1993 II S. 1013) - Schengener Durchführungsübereinkommen —

Nr. 3 (MV)

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland Art. und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) — Einigungsvertrag — EV — Art. Art. Art. Art. Art.

37 Abs. 4

Nr. 2 (S)

3 4 8 9 9 Abs. 2

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV)

§1 § 61 § 100 §102

Nr. Nr. Nr. Nr.

1 (MV) 1 (MV) 1 (MV) 1 (MV)

Art. 14 Art. 17

Nr. 3 (Bbg) Nr. 3 (Bbg)

Recht der Deutschen Demokratischen Republik Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (KommunalVerfassung) vom 17. Mai 1990 (GBl. I S. 255) -DDR-KV-

Völker- und Europarecht UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1543) -CCPR -

Konvention zum Schutze der Menschenrechte Art. 8 und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685, 953) Europäische Menschenrechtskonvention - E M R K -

Nr. 3 (Bbg)

Europäische Charta der kommunalen SelbstverArt. 9 waltung vom 15. Oktober 1985 (BGBl. 1987 II S. 65)

Nr. 7 (Bbg)

Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder (Stand: Januar 2001) 1. Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg Postfach 10 36 53, 70031 Stuttgart Ulrichstraße 10, 70182 Stuttgart Tel.: 07 11/2 12-30 26 Fax: 07 11/2 12-30 24 2. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Elßholzstraße 30-33 10781 Berlin Tel.: 0 30/90 15 26 52 Fax: 0 30/90 15 26 66 3. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Allee nach Sanssouci 6 14471 Potsdam Tel.: 03 31/9 83 81 02 Fax: 03 31/9 67 93 18 www.verfassungsgericht.brandenburg.de 4. Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen Osterdeich 17 28203 Bremen Tel.: 04 21/3 61 21 90 Fax: 04 21/3 61 41 72 5. Hamburgisches Verfassungsgericht Sievekingplatz 2 20355 Hamburg Tel.: 040/42 84 30 Fax: 040/4 28 43 40 97 www.hamburg.de/StadtPol/Gerichte/VerfG/welcome.htm 6. Staatsgerichtshof des Landes Hessen Mühlgasse 2, 65183 Wiesbaden Tel.: 06 11/32 27 38 Fax: 0611/32 26 17 www.staatsgerichtshof.hessen.de

558

Verzeichnis der Verfassungsgerichte der Länder

7. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Domstraße 7 17489 Greifswald Tel.: 0 38 34/89 06 61 Fax: 0 38 34/89 05 39 8. Niedersächsischer Staatsgerichtshof Herminenstraße 31 31657 Bückeburg Tel.: 0 57 22/29 02 18 Fax: 0 57 22/29 02 17 Email: [email protected] www.staatsgerichtshof.niedersachsen.de 9. Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Franz-Josef-Röder-Straße 15 66119 Saarbrücken Tel.: 06 81/5 01 52 36 und 5 01 53 50 Fax: 06 81/5 01 53 51 Email: [email protected] 10. Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Postfach 10 09 64, 04009 Leipzig Harkortstraße 9, 04107 Leipzig Tel.: 03 41/2 1412 36 Fax: 03 41/2 1412 50 11. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Postfach 14 26, 06813 Dessau Willy-Lohmann-Straße 33 06844 Dessau Tel.: 03 40/2 02 14 51 Fax: 03 40/2 02 15 60 12. Thüringer Verfassungsgerichtshof Postfach 23 62, 99404 Weimar Kaufstraße 2 - 4 , 99423 Weimar Tel.: 0 36 43/20 62 06 Fax: 0 36 43/20 62 24 Email: [email protected] www.thueringen.de/verfgh